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Full text of "Neurologisches Centralblatt. V. 40.1921. Cornell"

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Jt^ara, Ken fork 


BOUGHT WITH THE INCOME OF THE 

SAGE ENDOWMENT FUND 

THE GIFT OF 

HENRY W. SAGE 

1891 


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Ubersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschlieBlich der Geisteskrankheiten. 

Begrundet von Prof. E. MendeL 

Herausgegeben 

YOD 

Dr. Kurt Mendel. 

Vierzigster Jakrgang (Ergiinzangsband). 

Tanuar 1921 

Verlag von Julius Springer in Berlin. 


Neuronal 

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Ausfiihrliche Literatur durch: 

Halle & Co. A.ktiengesellscHaft, Biebricb a. Rh. 


Verlag von Julius Springer in Berlin W9 


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Das vegetative J¥ervensystem 

In Gemeinschaft mit Dr. Dahl-Wurzburg, Dr. Glaser-Hausstein, Dr. Greying-Wurzburg, 
Dr. Renner-Augsburg und Dr. Zierl-Regensburg 

dargestellt yon 

Professor L. R. Muller 

Vorstand der medlzinisclien Poliklinik in Wiirzburg 

Mit 168 teils farbigen Abbildungen. Preia M. 48.—; geb. M. 56.— (und Sortimentszuschlag) 












An die Leser 

des Neurologischen Centra 1 b I attes. 

Am 1. Januar 1921 ist das Neurologische Centralblatt in den 
unterzeichneten Verlag ubergegangen und mit dem Referatenteil 
der Zeitschrift fur die gesamte Neurologie und Psychiatrie zu dem 
unter nachstehendem Titel erscheinenden neuen Zentralblatt ver- 
einigt worden: 

Zentralblatt fiir die gesamte Neurologie und Psychiatrie 

Fortsetzung des Referatenteils der Zeitschrift fur die gesamte Neurologie und 
Psychiatrie und des von E. Mendel begrundeten Neurologischen Centralblatts. 
Referatenblatt der Gesellschaft Deutscher Nervenarzte. 

Redigiert von 

K. Mendel, Berlin und W. Spielmeyer, Munchen. 
Schriftleitung: R. Hirschfeld, Berlin. 

Das neue Zentralblatt ist der groBen Organisation der medi- 
zinischen Referatenblatter des Verlags angeschlossen worden. Es 
wird von Mitte Marz ab den Neurologen, Psychiatern und Psycho- 
togen iiber alle erreichbaren Publikationen der Weltliteratur in 
vierzehntagig erscheinenden Heften beg'chten. 

Der Vertag wird das neue Zentralblatt alien Abonnenten des 
Neurologischen Centralblatts zur Fortsetzung liefern. 

Berlin W 9, 

Linkstr. 23/24. Verlagsbuehliandlung Julius Springer. 


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NEDROLOGISCHES 

CENTRALBLATT 


UBERS1CHT 

DEB 

LEISTUNGEN AUF DEM GEB1ETE DER ANATOMIE, 
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERYEN- 
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN. 


BEGRtTNDET von Pbop. E. MENDEL. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

DA. KURT MENDEL. 


V1ERZIGSTER JAHRGANG 

(ERGANZUNGSBAND). 



BERLIN 

VERLAG VON JULIUS SPRINGER 

1921 c o : , _ 

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Nedrologisches Centralblatt. 

Ubersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologic, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschlieBlich der Geisteskrankheiten 

Begrhndet von Pro£ K Mendel. 

Herausgegeben 

TOD 

Dr. Kurt Mendel. 

Vierzigster Jahrgang (Erg&nzungsband). 

Januar 1921 . 


Inhalt. I. Originalmitteilungen. 1. Zur Klinik der Myelomerkrankung der Wirbels&ule, 
von M. Nonne. 2. Ober den Kornealreflex und die Beteilignng des oberen Fazialis bei der 
serebralen Hemiplegie, von Prof. Dr. Emil Redlich. 3. Cystta arachnoidea serosa medullae 
(cervicalis). Operation, Heilung, von Dr. 6. Mingazzini. 4. Zur Differentialdiagnose zwischen 
beginnender Poliomyelitis acuta und akuten Meningitiden, von Arvid Wallgren. 5. Zur Klinik 
der iibertragbaren Genickstarre. (VorlSufige Mitteilung), von Dr. Harald Siebert. 6 . Das 
Balmon-Kohnstammsche Phanomen, von V. Henriques und i. Lindhard. 7. Ober psychische und 
nervttse Storungen nach Influenza 1918/19, von J. Robida. 8. Ober den Verlauf und die 
Prognose der Encephalitis lethargica, von Z. Bychowski. 9. Stri&re Symptome bei Grippe- 
Encephalitis, von Dr. Erwin Popper. 10. Ober das „Salbengesicht u bei epidem. Encephalitis. 
(Bemerkungen zu der Arbeit von A. v. Sarb6: Ein Fall von diagnostizierter und durch die 
Bektion bestatigter Encephalitis der Linsenkerne [Neurol Centr. 1920. Nr. 15]), von Privatdozent 
Dr. F. Stern. 11 . Beitrag zur Encephalitis epidemica, von Dr. Erich Meyer. 12 a. Bemerkungen 
zu dem in dem Aufsatze von Pilcz ,,Zur Klinik der epidemischen Encephalitis* 4 (Neurol. Centr. 
1920) beschriebenen PupilLenpb&nomen, von Prof. ^r. Reinhold. 12 b. Erwiderung auf den vor- 
etehenden Aufsats von Eeinhold, von Dr. A. Pilcz. 13. Beitrag zur Psychologic der Wilson- 
schen Krankheit Progressive lentikulare Degeneration, von Dr. Ladislaus Focher. 14. Ober 
einen seltenen Fall von Korsakoffschem Symptomenkomplex bei Hirnarteriosklerose. von Dr. 
med. Emil Josef Marx. 15. Zur Frage der Behandlung nichteitriger Entzflndungen des Zentral- 
nervensystems, von Prof. Dr. Otto Marburg. 16. Ober tonische Konvergenzbewegungen der 
Pupille und tonische Akkohamodation, von Dr. med. Gehrcke. 1 7. Zur Frage der traumatischen 
Pseudotabes nach Kopfschufl, von Ludwig Roemheld. 18. Ein Beitrag zur Hauflgkeit der pro¬ 
gression Paralyse in einem engumgrenzten Personenkreise, von Prof. Dr. Julius Heller. 
19. Familienforschung am Zentralnervensystem, von Prof. Dr. I. P. Karplus. 20. Tierpsycho- 
logie als Naturwissenschaft, von Prof. H. Dexler. 21. Ober den Krankheitswert des hysteri- 
schen Symptomes, von Privatdozent Dr. Qtto Loewenstein. 22. Pr&- und intraparoxysm ale 
Anisokorie (Miosis) bei Hysteric, von Dr. Ladislaus Focher. 23. Blutbefunde bei Krampf- 
anfallen, von Felix Weissenfeld. 24. Naphtholreaktion und Nervenzelle, von Prosektor Dr. 
W. Loele. 25. Die Abfiihrmittelfrage in der Nervenpraxis, von Dr. H. Kress. 

II. Referate aus alien Gebieten. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft fttr Psychiatric und Nervenkrankheiten. 
Sitzung vom 13. Dezember 1920. — Arztlicher Verein, Hamburg. Sitzungen vom 13. Juli, 
19. Oktober und 30. November 1920. 

IV. Vermischtes. 

V. Personalien. 

VI. Register. 


XL. (Erg£nzungsband.) 


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L Originalmitteilungen. 


[Aus der Universitats-Nervenklinik des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf.] 

1. Zur Klinik der Myelomerkrankung der Wirbelsfiule. 

Yon M. Nonne. 

Mit dem Myelom wurden wir zuerst bekannt durch eine Arbeit von 
Rustizky aus dem Jahre 1873. Er beschrieb ein multiples Vorkommen von 
Tumoren im Knochenmark, das vielfach auf dieses Korpergewebe beschrankt 
bleibe. Kahler hat 1889 diese Krankheit klinisch studiert, und seitdem haben 
eine groBe Rcihe von namhaften F.orschem (Lubarsch, Sternberg, Gra- 
witz, Marchand, Noris, M. B. Schmidt, Schur und Lowy) sich mit 
diesem Thema beschaftigt. Es handelt sich um Knotchen und Knoten im 
Knochengewebe, die eine graue, graurotliche oder gelblichrotliche Farbe haben. 
Sie dringen in die Knochensubstanz selbst ein, usurieren diese und treiben 
die Reste des Knochens schalenformig vor oder konnen dieselben auch sprengen. 
Die Lokalisation ist vorwiegend das Rumpfskelett, d. h. die Wirbelsaule, das 
Brustbein oder die Rippen, aber auch in anderen Knochen kommt die Krank¬ 
heit vor. Einzelne Autoren wollen nur dann von Myelom sprechen, wenn 
die Tumoren ausschlieBlich auf das Rnochensystem beschrankt sind. Naegeli, 
der zurzeit der erfahrenste Autor auf dem Gebiete der Pathologie der blut- 
bildenden Organe ist, erkennt dies jedoch nicht an, und Eugen Fraenkel 
schlieBt sich in seiner Arbeit aus dem Jahre 1914 Naegeli an, denn auch 
in anderen Organen, besonders den Nieren, der Leber, der Milz, der Schild- 
druse, ja auch den Ovarien und Hoden finden sich zuweilen dieselben Knoten; 
die Tumoren konnen nach Durchbrechung des Knochens ins umgebende Ge- 
webe, besonders in die Muskulatur hineinwuchem; es ist jedoch zu betonen, 
daB die Knoten gegen das fremde Gewebe zwar aggressiv sind, es jedoch nicht 
zerstoren. Die vielen Autoren, die ttber Myelom gearbeitet haben, haben sich 
vorwiegend beschaftigt mit der Frage der Stellung der Erkrankung zu den 
Systemaffektionen der blutbildenden Organe. Aus Naegelis Zusammen- 
fassung aus dem Jahre 1919 ergibt sich eine weitgehende Differenz der Ansichten. 
Nach Rustizky handelt es sich um eine „Hypertrophierung des Knochen- 
marks“, „die nicht im strengen Sinne bosartig“ sei, nach Zahn ebenso wie 
nach Grawitz um ein bosartiges Lymphosarkom. Pappenheim spricht von 
einer „Abart der myelogenen Pseudoleukamie“; andere wie Paltauf, Borst 
und Lubarsch sprechen von einer „der Leukamie ahnlichen Systemaffektion“. 
Benda halt die Krankheit fur eine multizentrische Geschwulstbildung und 
nicht fur eine Systemaffektion im gewohnlichen Sinne. Schridde ebenso 
wie Kaufmann sprechen wieder von primaren Tumoren, die nicht scharf zu 


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trennen seien von den leukamischen Myelosen. Herxheimer faBt die Er- 
krankung als „Hyperplasie des Knochenmarks“ auf, die trotz ihrer Ahnlichkeit 
mit Pseudoleukamie den Tumoren naherstande. 

Naegeli selbst auBert seine Ansicht dahin, daB eine Systemaffektion 
des Knochenmarks vorlage und damit etwas prinzipiell anderes als bei Myelosen 
und Lymphadenosen. 

Eugen Fraenkel kommt auf Grund des Studiums der Literatur und eigener 
Beobachtungen zu der Auffassung, daB es sich handelt um eine „meist fiber 
das gesamte Skelett verbreitete, durch hyperplastische Knochenmarksherde 
gekennzeichnete Systemerkrankung des Knochenmarks, in deren Verlauf es, 
wenn auch nicht haufig, zum Anftreten von Knochenmarkswucherungen 
analogen Bildungen in anderen Organen kommen kann“. Wie Naegeli schon 
ausfiihrt, erklart auch Fraenkel, daB je nachdem die in Rede stehenden 
Krankheitsprodukte sich als hyperplastische, lymphomatose oder myeloische 
erwiesen haben, die betreffenden Falle den lymphoiden bzw. den myeloischen 
Formen der Leukamie mit rein medullarer Lokalisation einzureihen seien. 
Naegeli meint, daB die Infiltration in anderen Organen, besonders in Leber 
und Milz, „sehr wohl wegen der oft schweren Anamie und der Verdrangung 
mysloischer oder lymphomatoser Gewebe eine rein kompensatorische myeloische 
Metaplasie darstellen konne“. 

Mit der Klinik des Myeloms hat sich zuerst wohl Kahler befaBt. Es ergibt 
sich aus seinen Darstellungen und aus spateren Erfahrungen etwa folgendes: 
Haufig bestehen mehr oder weniger heftige rheumatische Schmerzen im Riicken, 
im Rumpf und auch in den Extremitaten. Zuweilen lokalisieren sich diese 
Schmerzen auf einzelne Knochen; palpable Geschwiilste sind nur selten nach- 
weisbar. Mehr oder weniger schnell entwickelt sich ein fortschreitender Ver- 
fall. Abmagerung und Kachexie. Bei vorwiegender Erkrankung der Wirbel- 
saule sinkt der Rumpf ein und die KorpergroBe nimmt ab, und bei manchen 
Fallen entwickeln sich auBer sensiblen Reizerscheinungen motorische Paresen, 
in Sphtstadien kommen auch Paraplegien vor. Es kann zu Spontanfrakturen 
der Rippen, zu Verkriimmung der Wirbelsaule und mehr oder weniger hoch- 
gradigen Deformitaten derselben mit heftigen Knochenschmerzen kommen. 
Die Schmerzen treten spontan oder durch Druck auf; meistens entwickelt sich 
eine Anamie von verschiedener Hochgradigkeit, in manchen Fallen ist Fieber 
vorhanden und Nephritis kommt haufig vor. Charakteristisch fur die Er¬ 
krankung ist' das Auftreten des Bence-Jonesschen EiweiBkorpers im Ham. 
Dieser EiweiBkorper ist dadurch charakterisiert, daB der Urin bei sehr schwach 
saurer Reaktion beim Erhitzen friih gerinnt (50—60°), sich bei der Siede- 
erhitzung teilweise oder vollstandig wieder auflost und beim Erkalten teilweise 
sich wieder ausscheidet. Die Dauer des Leidens wechselt etwa zwischen x / 2 und 
l x / 8 Jahren, in einem anatomisch sichergestellten Fall Groves dauerte die 
Erkrankung 6 Jahre, dieser Fall ist aber ein Unikum. 

Es zeigt sich somit, daB, wenn die Krankheit in streng anatomisch-patho- 

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logischem Sinne auch kein malignes Leiden ist, sie klinisch doch als malign 
aufgcfaBt werden muB. 

Ich selbst hatte bisher 2 Falle gesehen. In einem Fall war es das Bild 
einer mit heftigen Riickenschmerzen einhergehenden Osteomalacie. Bei einer 
Frau, die mehrfach geboren hatte, entwickelte sich eine Kyphose. Es kam 
im Laufe yon einigen Monaten zu Anamie und zu einer durch die Anamie und 
die dauernden qualenden Schmerzen bedingten Kachexie, der sie erlag. Die 
Sektion ergab eine Myelomerkrankung fast des ganzen Skelettsystems. 

Wahrend in diesem Falle die Diagnose nicht gestellt wurde, konnte ich 
sie im zweiten Fall, den ich 3 Jahre spater beobachtete, stellen. Auch hier 
eine altere Frau mit schmerzhafter Ausbildung einer Kyphose, Schmerzen 
und Druckempfindlichkeit der Rippen und des Brustbeins, Anamie. Da sich 
bei der Rontgenuntersuchung des Beckens nicht die „Kartenherzform“ zeigte, 
schopfte ich Verdacht auf Myelom, und dieser Yerdacht wurde bestatigt durch 
den von unserem Anstaltschemiker Prof. Schumm im Urin nachgewiesenen 
Bence-Jonesschen EiweiBkorper. 

Ich habe im Dezember’1919 einen dritten Fall beobachtet. Der Fall wich 
so sehr yon dem sonst beobachteten klinischen Bild ab, daB ich seine Yer- 
offentlichung fur angezeigt halte. 

Bei dem 57jahrigen Landwirt H. K. wurde ich am 7. Dezember 1919 von 
seinem Hausarzt konsultiert, weil er vor einigen Wochen mit Schmerzen im Nacken 
und in den Armen, besonders rechtsseitig, erkrankt war. Er war in den letzten 
Monaten stark abgemagert. Der Vater war an Lungentuberkulose gestorben. 
Vor 2 Jahren hatte er selbst eine Hamoptoe gehabt. Seine Frau sowie zwei Kinder 
waren gesund. Keine geschlechtliche Infektion, kein Abusus in Alkoholicis. 
Der Arzt hatte Verdacht auf einen komprimierenden ProzeB an der Halswirbel- 
saule. 

Ich fand den Kranken abgemagert, konnte von Tuberkulose am ganzen 
Korper nichts nachweisen. Es bestand ein leichter Grad von Anamie. Die Herz- 
aktion war etwas beschleunigt, die Tone leise; der Puls schwach. Der Urin ent- 
hielt etwas EiweiB. Die Wirbelsaule war im Bereich des letzten Halswirbels 
und ersten Brustwirbels auf Druck etwas empfindlich; aufierdem fand sich eine 
Abmagerung an der Ulnarseite des rechten Vorderarms. Die Kraft der oberen 
Extremitaten war im ganzen herabgesetzt. Sensibilitatsstorungen fanden sich 
nirgends, weder an den Extremitaten noch am Rumpf. Die Sehnen- und Periost- 
reflexe an den oberen Extremitaten waren normal. Keine Muskelspannungen, 
keine Ataxie. Die unteren Extremitaten waren in jeder Beziehung normal. An 
den Hirnnerven keine Anomalien, keine okulopupillaren Anomalien, der Augen- 
hintergrund war normal. Bei eingehender Untersuchung fand sich nichts von 
primarem Tumor. Ich riet zu der Aufnahme des Patienten auf meine Abteilung, 
um den Fall naher zu beobachten und eventuell zur Operation zu bringen. Eine 
Woche spater sah ich Pat. in Eppendorf wieder. Die Anamie und Abmagerung 
hatten zugenommen, so daB man bereits von einer leichten Kachexie sprechen 
konnte. Die Blutuntersuchung ergab: 60% Hamoglobin, 2500000 rote Blut- 
korperchen, keine Leukozytose, wohl aber mehrere Plasmazellen, keine Normo- 
blasten, keine Poikilozytose. Im iibrigen war der Befund wie bei meiner ersten 
Untersuchung. Auch jetzt fand sich kein Anhalt fur Tuberkulose und kein An¬ 
halt fiir einen primaren malignen Tumor. Im Urinsediment fanden sich ver- 


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einzelte hyaline Zylinder und Nierenepithelien neben einer geringen Menge von 
EiweiB. Bei der Betastung der Halswirbelsaule hatte man den Eindruck, daB 
an der unteren Grenze eine leichte Abknickung vorhanden sei; an derselben 
Stelle lieB sich Stauchungsschmerz geringen Grades hervorrufen, wahrend von 
einer pathologischen lokalen Druck- und Klopfempfindlichkeit nichts festzustellen 
war. Am nachsten Tage trat Urinverhaltung auf, so daB der Katheterismus 
notig wurde. Am darauffolgenden Tage war der Katheterismus abermals notig. 
Der entleerte Urin war triibe und leicht sanguinolent. Am vierten Tage seines 
Krankenhausaufenthalts war Pat. leicht benommen und machte einen schwer- 
kranken Eindruck. Er lag mit offenem Munde da, die Zunge war trocken und 
borkig belegt. Es bestand ein mittlerer Grad von Priapismus, dabei leichte In¬ 
continentia urinae. Am nachsten Tage hatte sich der Priapismuszumhochsten 
Grade entwickelt, auBerdem war das ganze Glied zyanotisch verfarbt, so- 
wohl die Gians als auch die Corpora cavernosa, vollige Retentio urinae. Jetzt 
wurde auch beiderseits eine hochgradige Miosis festgestellt; die Licht- 
reaktion (konzentriertes Licht) war erhalten, die Reaktion auf Konvergenz war 
nicht zu priifen. Die Rontgenuntersuchung ergab, daB der erste Dorsalwirbel 
deutlich verschmalert und aufgehellt war. Die Lumbalpunktion ergab keine 
sichere Anomalie (Phase I: Opaleszenz, Lymphozytose: 12 / 3 , Weichbrodt: 0 ). 
Wassermannsche Reaktion im Liquor und im Blut negativ. Es hatte sich in- 
zwischen eine hochgradige Zyanose auch an der Nase, den Wangen, der Stirn 
und den Mund- und Kinnpartien eingestellt, ebenso Zyanose der Hande und 
Finger sowie der FiiBe und Zehen. Noch am gleichen Tage verfiel Pat. rapid 
und ging am Abend im Koma zugrunde. 

Es handelte sich somit bei einem tuberkulos belasteten Mann, der vor 
10 Jahren offenbar einen Lungentuberkuloseschub durchgemacht hatte, um 
einige Wochen vor dem Tode auftretende heftige reiBende Schmerzen im Nacken 
und in den Armen, denen.sich ein schneller Krafteverfall apschloB. Von Tuber- 
kulose und einem malignen ProzeB lieB sich bei der Untersuchung objektiv 
nichts nachweisen, ftir Lues lag kein Anhalt vor. Die Lokalisation der Schmerzen, 
die lokale Druckempfindlichkeit des untersten Teiles der Halswirbelsaule mit 
entsprechendem Stauchungsschmerz, die Abmagerung der Muskulatur im 
Ulnarisgebiet rechts lieB an einen komprimierenden ProzeB im Bereich der 
untersten Halswirbelsaule bzw. obersten Dorsalwirbelsaule denken. Das Rontgen- 
bild bestatigte diesen Verdacht. Die bald einsetzende Miosis und der hoch¬ 
gradige Priapismus lie Ben sich mit dieser Annahme gut vereinigen. Das Blut- 
bild war das einer maBigen, nicht charakteristischen Anamie, auBerdem lag 
eine Zervikalmarkreizung vor. SchlieBlich kam noch dazu eine schwere vaso- 
motorische Storung im Penis, an den Extremitaten und im Gesicht. 6 Tage 
nach der Aufnahme ins Krankenhaus, etwa 2 Monate nach Auftreten der ersten 
Krankheitsbeschwerden, trat unter leichter Fieberbewegung der Tod ein. 

Die Diagnose lautete auf: Meningomyelitis cervicalis e causa ignota. 1 

Die Sektion ergab eine obsolete adhasive Pleuritis beiderseits und eine 
geringe Spitzeninduration der rechten Seite, ein etwas schlaffes Herz, Cystitis 
und Pyelitis haemorrhagica. Der erste Dorsalwirbel war stark usuriert, ohne 

1 Auf den Bence-Jonesschen EiweiBkorper wurde nicht untersucht, weil das 
klinische Bild mich an eine Myelomerkrankung nicht denken lieB. 


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in den Wirbelkanal vorgedrangt zu sein. Enormer Priapismus. Femer multiple 
Myelome in mehreren Korpern der Hals- und mittleren und unteren 
Dorsalwirbel, wahrend der erste Dorsalwirbel von den Myelomen hoch- 
gradig durchsetzt war; auBerdem multiple Myelome in verschiedenen Rippen 
und im Sternum. Mikroskopisch wurde die makroskopische Diagnose auf 

Myelom bestatigt (Dr. Wo hi will). Das Riickenmark war makroskopisch 

nicht verandert, ebenso wenig die Haute. Mikroskopisch wurde es untersucht 
von Herm Dr. Wohlwill. Die Farbung wurde mit Ponceau vorgenommen, 
auBerdem wurde mit Toluidinblau und nach Mann gefarbt; es fand sich keine 
nennenswerte Anomalie. 

An der Hand des Sektionsergebnisses verstehen wir die Schmerzen im 

Nacken und in den oberen Extremitaten: die Zerstorung des ersten Dorsal- 

wirbels war die anatomische Grundiage dafiir; auch die Anamie und Kachexie 
war durch die multiple Myelomerkrankung erklart, aber die akut entstandene 
Miosis und der Priapismus, der zuerst nach dem Katheterismus auftrat und 
dann in denkbar hochstem Grade bis zum Tode bestehen blieb und auch bei 
der Leiche unverandert fortbestand, fand durch den makroskopischen und 
mikroskopischen Befund am Riickenmark keine Erklarung. Beid.es sind ja 
bekanntlich Symptome, die bei einer Schadigung des obersten Dorsalmarks 
bzw. des unteren Halsmarks nicht selten vorkommen: okulopupillare Symptome 
werden ja haufig bei einer Affektion des ersten Dorsalsegments beobachtet, 
und speziell Miosis und Verengerung der Lidspalten wird auf eine Schadigung 
der vom Himstamm durch das Halsmark absteigenden Pupillenbahnen bezogen. 
Ebenso ist ein haufiges Symptom einer akuten Erkrapkung der Zervikalgegend 
die Erectio penis, sie wird von Kocher sowie L. R. Muller und Lerchen* 
thal auf die Lahmung der entsprechenden Vasomotoren zuriickgefiihrt. Auch 
Tern per atur steiger ung und Pulsbeschleunigung und sonstige vasomotorische 
Storungen werden bei der Lasion des Halsmarks beobachtet. 

Ich erinnere hier an meine Ausfiihrungen, die ich 1903 gemacht habe iiber 
eine lokalisierte Degeneration im Riickenmarksquerschnitt bei einem Fall 
von die ganze Wirbelsaule durchsetzender Karzinomerkrankung bei primarem 
Prostatakarzinom und ferner tiber einen Fall von Myelodegeneratio carcino- 
toxicamica bei einem Fall von Karzinomerkrankung der Wirbelkorper nach 
primarem Bronchialkarzinom. Im ersten dieser Falle war der 2. Dorsalwirbel, der 
der Hohe der Querschnittserkrankung benachbart war, am starksten erkrankt, 
und im zweiten Fall lieB sich dasselbe feststellen. Dies ist nun der dritte Fall, 
bei dem klinische Symptome in einer Ruckenmarkshohe auftreten, welche 
dem hochgradigst erkrankten Wirbelkorper entsprechen. In den beiden ersten 
Fallen war das Riickenmark mikroskopisch keineswegs intakt; in diesem Fall 
war es mikroskopisch nachweislich nicht affiziert. Wir sind also dadurch zu 
der Annahme gezwungen, daB wir es hier mit einer Toxinwirkung zu tun haben, 
die entweder zu einer mikroskopisch nachweisbaren Erkrankung des Riicken- 
markquerschnittes nicht fiihrte oder zu einer solchen zu fUhren keine Zeit 


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gehabt hatte. Analogien fiir diese Annahme liegen in der Literatur vor. Aus 
Fallen von Sehlesinger, Oppenheim, Hoppe, Bruns, Feinberg und 
von mir geht hervor, dab es bei allgemeiner und auch lokalisierter Karzinomatose 
und Sarkomatose zu bulbaren Symptomen kommen kann, die nicht durch 
lokale Metastasen bedingt sind. Oppenheim, Hoppe und Feinberg kamen 
ebenso wie ich schon vor 10 Jahren zu der Annahme, daB Stoffwechselverande- 
rungen seitens der malignen Tumoren verantwortlich zu machen seien fur die 
Funktionsschadigung des Zentralnervensystems. Schon im Jahre 1900 hat 
Oppenheim die Ansicht geauBert, daB in manchen Fallen Hirnerscheinungen 
bei Karzinomatose als Ausdruck einer toxischen Erkrankxmg des Gehirns zu 
betrachten seien; er meinte damit jene Falle, in denen auch die mikroskopische 
Untersuchung einen negativen Befund ergab. Es ware somit nicht ohne Analogie, 
daB auch beim Riickenmark ahnliche Storungen eintreten konnten, denn was 
dem Him recht ist, muB dem Riickenmark billig sein. 

Ich sagte schon, daB die Vertreter der pathologischen Anatomie das Myelom 
nicht zu den im streng pathologisch-anatomischen Sinne malignen Erkrankungen 
rechnen, wahrend die Unheilbarkeit der Falle sie zu den malignen stellen muB. 
Wenn wir nun in diesem Falle dieselbe Fahigkeit wie fiir die malignen feststellen, 
toxisch auf benachbarte Partien des Riickenmarks zu wirken, wie wir es bei 
Karzinomatose und Sarkomatose sehen, so ist dies ein Grund mehr, diese Er- 
krankung klinisch als eine maligne zu betrachten. 


2. ftber den Kornealreflex und die Beteiligung des oberen 
Fazialis bei der zerebralen Hemiplegie. 

Von Prof. Dr. Emil Eediich in Wien. 

Dem Verhalten des Kornealreflexes bei der zerebralen Hemiplegie ist im 
allgemeinen nicht viel Beachtung geschenkt worden. Meist wird er bei der 
Schilderung der Symptomatology iiberhaupt iibergangen, oder er wird nur 
gelegentlich gestreift. Lewandowsky z. B. (Handb. d. Neurol. Bd. I, S. 617) 
erwahnt, daB in seltenen Fallen eine Herabsetzung des Kornealreflexes auf 
der gelahmten Seite nachweisbar sei. Er verweist unter anderem auf die An- 
gabe von Milian 1 , daB bei frischen Apoplexien im komatosen Stadium der 
Kornealreflex auf der Seite der Hemiplegie fehle, was Milian diagnostisch 
zum Nachweis einer solchen, unter anderem gegeniiber Intoxikationen oder 
hysterischen Hemiplegien verwertete. Genauer hat sich Meunier 2 , ein Schuler 
Milians, in seiner Doktorthese mit der Frage beschaftigt. Er bestatigt zu- 

1 Mili&n, L’abolition du reflexe cornden, signe diagnostique de l’hemiplegie dans 
le coma. Progr4s m6d. 1909. p. 229. 

* Meunier, Le reflexe palpebral ou mieux eomeo-conjonctival dans I'h4mipl6gie. 
Th4se de Paris 1909. 


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nachst die Angabe von Milian iiber das einseitige Fehlen des Komealreflexes 
Oder, wie er ihn nennt, Komeo-Konjunktivalreflexes im Coma apoplecticum 
auf der Seite der Lahmung; er untersuchte aber auch eine groBere Zahl Hemi- 
plegiker in einem spateren Stadium der Kiankheit. So fand er bei 5 Hemiplegien 
mit Dauer der Lahmung von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen dreimal 
komplettes Fehlen, zweimal starke Herabsetzung des Korealreflexes, wahrend 
er ihn z. B. bei hysterischer Hemiplegie beiderseits fehlend fand. Von alteren 
Fallen mit Hemiplegie untersuchte er 16 Falle und fand den Kornealreflex 
einmal fehlend, zweimal stark, funfmal leicht herabgesetzt, achtmal normal, 
woraus er schloB, daB das Symptom allmahlich wieder verschwinde, wie er es 
in einzelnen Fallen durch fortgesetzte Untersuchungen auch direkt nach- 
weisen konnte. 

Ein Jahr spater hat dann Saenger 1 auf das Fehlen bzw. die Herabsetzung 
des Komealreflexes bei Hemiplegien neuerlich hingewiesen. Saenger ging 
von dem kurz vorher von Oppenheim nachgewiesenen Fehlen des Korneal- 
reflexes bei Tumoren der hinteren Schadelgrube aus, dessen diagnostische 
Bedeutung er durchaus bestatigen konnte. Er zeigte aber dann, daB noch bei 
einer Reihe anderer Hirnprozesse, die sich klinisch durch eine Hemiplegie 
dokumentierten, wofern letztere jUngeren Datums war, der Kornealreflex 
fehlte, und zwar kontralateral dem HirnprozeB, also auf der hemiplegischen Seite. 

Es ist nun in der Tat leicht, sich bei Kranken mit zerebraler Hemiplegie 
oder Hemiparese zu iiberzeugen, daB auf der gelahmten Seite der Korneal¬ 
reflex nicht selten fehlt oder in spateren Stadien wenigstens herabgesetzt ist. 
Notwendig ist, in der schon von Meunier empfohlenen Weise zu untersuchen, 
den Kranken fixieren zu lassen und von der Seite her die Kornea zu beriihren, 
um den optischen Blinzelreflex auszuschalten. Das Fehlen oder die Herab¬ 
setzung des Komealreflexes bei der zerebralen Hemiplegie hat meines Er- 
achtens nichts Verwunderliches an sich, ja ich habe es aus theoretischen Griinden 
vorausgesetzt und danach gesucht, da wir auch sonst bei irgendwelchen orga- 
nischen Lasionen innerhalb eines Reflexbogens nicht selten zuerst und am 
leichtesten eine Schadigung des Reflexes finden. Ich erinnere z. B. an das 
haufige Fehlen oder die Herabsetzung des Achillessehnenreflexes bei der neu- 
ritischen oder radikularen Ischias. Etwas Analogcs haben wir wahrend des 
Krieges vielfach bei leichtesten SchuBverletzungen des N. ischiadicus, deren 
Symptomatologie unter Umstanden sich auf Erscheinungen einer Ischias mit 
Schmerzen und Fehlen oder Abschwachung des Achillessehnenreflexes be- 
schranken kann, gesehen. Auch bei Polyneuritis kann als erstes, unter Umstanden 
wesentliches Symptom Fehlen der Sehnenreflexe auftreten, z. B. bei leichtesten 
Fallen der postdiphtheritischen, der diabetischen Polyneuritis u. a. Ein Gleiches 
finden wir manchmal auch beziiglich der Hautreflexe; Oppenheim hat das 
z. B. fur den Bauchdeckenreflex bei neuritischen Affektionen der Dorsalnerven 
beschrieben. Noch haufiger ist bekanntlich das Fehlen bzw. die Herabsetzung 

1 Saenger, fiber die Areflexie der Kornea. Neurol. Centralbl. 1910. S. 66. 


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der Hautreflexe, die ja dem Kornealreflexe naher stehen als die Sehnenreflexe, 
bei der zerebralen Hemiplegie. 

Wenn wir uns fragen, wo sitzt die Schadigung bei der zerebralen Hemi- 
plegie, die zur Aufhebung oder Herabsetznng des Kornealreflexes fiihrt, im 
zentripetalen oder zentrifugalen Anteile des Reflexbogens oder in der zentralen 
Uraschaltungsstelle selbst, so muB daran erinnert werden, daB bei den Haut- 
reflexen fur den Reflexbogen vielfach der Weg iiber die Hirnrinde in Anspruch 
genommen wird. Meunier weist darauf hin, daB auch fiir den Kornealreflex 
auBer der direkten Umschaltung zwischen Trigeminus und Fazialis in der 
Briicke moglicherweise auch der Weg iiber die Hirnrinde superponiert seL 
Mit Riicksicht auf diese schwierigen, zum Teil noch unklaren Verhaltnisse 
laBt er eine Erorterung iiber den Mechanismus des Fehlens des Kornealreflexes 
bei der zerebralen Hemiplegie ganz beiseite und beschrankt sich auf die Be- 
tonung der diagnostischen Bedeutung. 

Saenger denkt beziiglich der Areflexie der Kornea bei der zerebralen 
Hemiplegie an eine Lasion der in das Rindenzentrum des sensiblen Trigeminus 
einstrahlenden Fasern, zumal ein Teil der von ihm beobachteten Falle auch 
Hemianasthesie zeigte. Bei Fallen von Hemiplegie oder Hemiparese, wo sich 
eine, wenn auch nur leichte Herabsetzung der Sensibilitat im Bereiche des 
Trigeminus findet, ist die Herabsetzung des Kornealreflexes, wie ich mich 
iiberzeugen konnte, selbst in Fallen alteren Datums meist recht deutlich. Aber 
es gibt Falle von Hemiplegie und Hemiparese ohne Sensibilitatsstorung, wo 
auch eine Herabsetzung, selbst Fehlen des Kornealreflexes zu beobachten ist, 
ahnlich wie wir dies auch bei den Hautreflexen in Fallen ohne Sensibilitats¬ 
storung sehen. Saenger selbst findet es bemerkenswert, daB in solchen Fallen 
auBer der Kornea das ubrige Quintusgebiet meist freibleibt. Wenn er dies 
damit erklaren will, daB die Homhaut eine leichtere, ausgedehntere und vielleicht 
besonders lokalisierte Sensibilitatsversorgung hat als die iibrigen, vom Quintus 
versorgten Partien, so liegen fiir eine solche Annahme keine geniigenden Anhalts- 
punkte vor. Es liegt naher, in diesen Fallen die Schadigung des zentrifugalen 
Anteiles des Reflexbogens heranzuziehen und in dem Fehlen bzw. der Herab- 
setzung des Kornealreflexes einen Hinweis fiir die Schadigung des oberen 
Fazialis, dem Erfolgsorgan des Kornealreflexes, bzw. der ihm zugehorigen 
kortikalen Zentren und der supranuklearen Bahnen Zu sehen. tlbrigens hat 
schon Milian bei Gelegenheit der Erwahnung des Fehlens des Kornealreflexes 
im apoplektischen Koma den oberen Fazialis erwahnt, ohne sich freilich daruber 
genauer aus-zulassen. 

Man konnte eine Entscheidung daruber, ob die Herabsetzung des Korneal¬ 
reflexes durch eine Schadigung des zentrifugalen oder zentripetalen Teiles 
des Reflexbogens bedingt ist, nach dem Verhalten bei der konsensuellen Aus- 
losung des Kornealreflexes erwarten. Er erfolgt bekanntlich auf beiden Augen 
gleichzeitig. Ist der zentripetale Teil des Reflexbogens geschadigt und fehlt 
der Kornealreflex auf der gelahmten Seite, so fehlt er natiirlich, da der Reiz 


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nicht oder nur mangelhaft zentripetalwarts geleitet wird, aueh auf der gesunden 
Seite. Umgekehrt wird der von der gesunden Seite ausgeloste Komealreflex 
auch auf der kranken auftreten. Das ist nun tatsachlich in den Fallen mit 
Sensibilitatsstorung bei der zerebralen Hemiplegie zu sehen. Aber auch in 
den Fallen, wo Sensibilitatsstorungen, also Hinwuse fiir eine Schadigung des 
zentripetalen Teiles des Reflexbogens fehlen, ist das Verhalten nicht anders. 
Das spricht aber meines Erachtens nicht unbedingt dagegen, dab doch im zentri- 
fugalen Teile des Reflexbogens die Ursache des Fehlens oder der Herabsetzung 
des Kornealreflexes zu suchen ist. Denn auch bei peripherer Lahmung des Fazialis 
kann bei Auslosung des reflektorischen Lidschlags auf der gesunden Seite 
ein solcher auf der gelahmten Seite auftreten (siehe dariiber bei Wilbrand- 
Saenger 1 ). Ich glaube nicht, daB die von Wilbrand-Saenger versuchte 
Deutung dieser Erscheinungen, die sie mit einer voriibergehenden Erschlaffung 
und sofort wieder eintretenden Kontraktion des Levators erklaren wollen, 
den Lidschlag also nur als scheinbar auffassen, fiir alle Falle akzeptabel ist. Wir 
sehen ja auch sonst unter pathologischen Verhaltnissen merkwiirdige Dis- 
proportionen in dem Verhalten der Motilitat; ich erinnere an die unwillkiir- 
lichen Bewegungen sonst gelahmter GliedmaBen bei der zerebralen Hemiplegie, 
z. B. beim Gahnen usw. 

Die Verknupfung der beiden Orbiculares beim reflektorisch ausgelosten Lid¬ 
schlag ist offenbar eine so innige, kann auch noch in tieferen Zentren vcn der 
einen Seite — in diesem Falle der gesunden — auf die andere Seite ubertragen 
werden, so daB bei supranuklearer Unterbrechung der motorischen Bahn der 
Komealreflex doch noch von der gesunden Seite auf die kranke ubertragen 
werden kann. Ich stehe also nicht an, die Herabsetzung des Korneal¬ 
reflexes in den Fallen ohne Storung der Sensibilitat auf eine Lasion 
des zentrifugalen Teils des Reflexbogens zuruckzufuhren. 

Die Lehre vom Freibleiben des oberen Fazialis bei der zerebalen 
Hemiplegie muBte immer mehr eingesehrankt werden. Man hat sich iiberzeugt, 
daB er bei der f rise hen Hemiplegie nahezu immer doch irgendwie ergriffen ist, 
und daB er auch in spateren Stadien bei entsprechender Priifung — siehe dariiber 
bei Mirallie 2 , Saenger 3 , Monakow 4 — oft genug noch eine Schadigung 
aufweist. Dazu kame als eines der feinsten Zeichen noch die Herab¬ 
setzung des Kornealreflexes. Erst wenn dieser auf der gelahmten. Seite 
ganz intakt ist, wie dies ja in spateren Stadien der Lahmung oft der Fall ist, 
diirfte man vom vollstandigen Freibleiben des oberen Fazialis sprechen. 

AniaBlich der Erorterung der Beteiligung des oberen Fazialis an der zere¬ 
bralen Hemiplegie mochte ich auf eine Beobachtung hinweisen, die ich schon 
fruher 6 erwahnt habe, die aber in der Literatur nicht jene Beachtung gefunden 

1 Wilbrand-Saenger, Nenrologie des Auges. I. S. 31. 

2 Miralli6, L’6tat du facial superieur. Arch, de neurol. 1899. Nr. 37. 

3 Saenger, Ref. Neurol. Centralbl. 1899. S. 1064. 

4 Monakow, Gehirnpathologie. II. Aufl. S. 469 u. ft’. 

5 Redlich, Zur Erklarung des Lahmungstypus bei der zerebralen Hemiplegie. 
Jahrb. f. Psychiatrie. XXII. 1902. S. 45. 


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hat, die sie meines Erachtens wegen ihres gehirnphysiologischen Interesses 
verdient. AuBer dem oberen Fazialis sehen wir auch in anderen Muskelgebieten, 
z. B. der Thorax-, der Bauchmuskulatur u. a., bei verschiedenen Individuen 
eine verschieden intensive Beteiligung bei der zerebralen Hemiplegie. Auch 
sie sind bei frischen Fallen meist deutlich beteiligt, in spateren relativ oder 
ganz frei. Die Affektion der Thoraxmuskulatur (siehe daruber bei Bergmark 1 , 
Bikeles 2 u. a.) kann sich durch ein Zuriickbleiben der Thoraxhalfte der kranken 
Seite bei tiefer Atmung, durch eine Abschwachung des Atemgerausches auf 
dieser Seite, durch eine verminderte Beweglichkeit des Zwerchfells am Rontgen- 
schirme und leicht tympanitischen Perkussionsschall (Bergmark) kenntlich 
machen; die Beteiligung der Bauchmuskulatur (siehe daruber bei Si card 3 ) 
gibt sich durch eine weniger kraftige Kontraktion der entsprechenden Seite 
beim Versuch sich aufzusetzen, beim Husten durch eine Verziehung des Nabels 
nach der gesunden Seite usw. kund. Es kann aber, wie gesagt, die Beteiligung 
der genannten Muskulatur bei Fallen mit zerebraler Hemiplegie in spateren 
Stadien auch ganz fehlen. 

Das relative Freibleiben des oberen Fazialis, der Thorax- und der Stamm- 
muskulatur erklart sich einerseits dadurch, daB es sich um synergisch arbeitende 
Muskeln handelt, die von beiden Hemispharen innerviert werden, so daB bei 
Affektion der einen Hemisphere noch die Innervation von der gesunden her 
erhalten bleibt, andererseits aus dem Umstand, daB auch extrapyramidale 
Bahnen, von subkortikalen Zentren kommend, sich an der Innervation dieser 
Muskeln beteiligen, die von der die pyramidale Innervation schadigenden 
Lasion, die der zerebralen Hemiplegie zugrunde liegt, meist frei gelassen werden. 

Wie kommt es nun, daB trotzdem in einzelnen Fallen diese Muskelgruppen 
doch spater deutlich geschadigt sind? Oppenheim 4 hatte fur den -oberen 
Fazialis angegeben, daB er insbesondere bei der Monoplegia faciobrachialis, 
d. h. bei kortikalem Sitz des Leidens, deutlicher affiziert sei. Das kann aber 
nicht fiir die nicht seltenen Falle mit gleichem Verhalten bei kapsularem Sitz 
der Lasion gelten. Beziiglich der Bauchmuskulatur meinte Sicard, daB bei 
diesen ursprunglich vom Mesencephalon innervierten Muskeln unter dem Ein- 
fluB der Tjbung kortikale Zentren fiir die dann asynergisch erfolgenden Be- 
wegungen eintreten. Bei dieser Vorausetzung miiBte aber eigentlich in jedem 
Falle von Hemiplegie eine Beteiligung der Bauchmuskulatur deutlich sein, 
was aber nicht der Fall ist. 

Ich habe seinerzeit darauf hingewiesen und habe mich seitdem wieder- 
holt von der Richtigkeit dieser Beobachtung tiberzeugen konnen, daB in Fallen, 
wo der obere Fazialis bei Hemiplegikern dauemd starker betroffen ist, meist 


1 Bergmark, Zur Symptomatologie der zerebralen Lahinung. Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilk. LI. 1914, S. 62. 

2 Bikeles, Neurol. Centralbl. 1915. S. 595, 

3 Sicard, Rev. neurol. 1899. S. 799. 

4 Oppenheim, Lehrbuch. 6. Aufl. S. 892. 


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auch eine mehr oder minder deutliche Beteiligung der Thorax- und Bauch- 
muskulatur in den residuaren Stadien nachweisbar ist. Im Anschlusse an eine 
Bemerkung von Wernicke 1 habe ich dieses Yerhalten so erklart, dab auch 
fiir diese sonst beiderseitig innervierten Muskeln unter Umstanden, bei gewissen 
Individuen die kontralaterale Hemisphare einen besonders iiberwiegenden 
Einflub gewonnen haf. ,,Danach gabe es Individuen, bei denen die 
einscitige, gekreuzte Hemisphareninnervation der Muskulatur noch 
eine weitere Ausbildung erfahren hat als bei der Mehrzahl der 
Individuen. 11 Hingegen konnte ich hierbei ein Primat der linken Hemisphare, 
wie dies z. B. Sicard bezuglich der Bauchmuskulatur gefunden haben will, 
nicht bestatigen. 


3. Cystis arachnoidea serosa medullae (cervicalis). 
Operation, Heilung. 

Von Dr. O. Mingazzini 

o. Prof. u. Direktor der Neurologischen Klinik an der Kgl. Universitat Rom. 

Die Frucht der klinischen und pathologisch-anatomischen Beobachtungen 
der letzten Zeit ist das Studium jener besonderen Formen der Meningitis spinalis, 
die sich durch das Umschriebensein des entziindlichen Prozesses und durch 
die besondere Natur des Exsudates auszeichnen. Stroebe vertrat im Jahre 
1903 die Meinung, dab auch im RUckenmark einfache Entzundungen der 
Leptomeninx vorkommen, die sich auf Hyperamie und seroses Exsudat, Bildung 
weniger Zellen beschranken, ohne dab es zur Bildung von Eiter komme; folg- 
lich konne auch ein Riickgang vorkommen. Nun ist es leicht begreiflich, dab 
im arachnoidalen Raume ein analoger Zustand Verwachsungen zwischen der 
innern Schicht der Dura und der Arachnoidea oder zwischen dieser und der 
Pia verursachen und so Anlab zur Bildung eines von Wandungen umgebenen 
und mit Fliissigkeit ausgefiillten Raumes geben kann, welch letzterer einen 
Druck auf die Nervenwurzeln und auf das Ruckenmark ausiibt. Dies ist die 
Meningitis serosa circumscripta, die auch zur Bildung wirklicher Zysten Ver- 
anlassung geben kann. Die meisten Zysten, wenigstens die einfachen, fanden 
sich bisher zwischen der Dura und der Arachnoidea, hochst selten zwischen 
dieser und der Pia. Zuerst beschrieb Schlesinger im Jahre 1908 einen Fall 
von Hydrops meningeus spinalis, bzw. ein zystisches subdurales sekundares 
Gebilde. Weitere Beobachtungen von sowohl subduralen, wie Intraarachnoidea- 
zysten wurden spater von Oppenheim, Bruns, Mendel-Adler, Warrington- 
Monsarrat, Moutet, Weissenburg, Spiller und von Mills gemacht. 

Die Atiologie der Krankheit ist noch dunkel. Die primaren Formen der- 
selben sind selten; gewohnlich wurde sie nach Abtragung von Tumoren des 


1 Wernicke, Lehrbuch der Gebirnkrankheiten. I. S. 322. 


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Ruckenmarkes, nach Traumen (operatorischen Eingriffen), die auf die Wirbel- 
saulengegend, auch ohne die Wirbel zu verletzen, gewirkt haben, und infolge 
von Pachymeningitis spinalis luetica und Meningomyelitis unbekannten Ur- 
sprungs, gefunden. Einige Autoren fiihren sie auch auf die Influenza, auf Dia¬ 
thesis arthritica oder gonorrhoica (Horsley) oder auf vertebrale Leiden (Spondy¬ 
litis tuberculosa, Osteomyelitis) zuruck. Nach Krause muB gerade ein ge- 
wisser Zusammenhang zwischen dieser Kjankheit einerseits und den nekrotischen 
oder den kariosen Wirbelprozessen andererseits bestehen, ganz besonders aber, 
wenn sie von einem tuberkulosen Prozesse abhangt. In der Tat ist es bekannt, 
daB sich infolge von Tuberkulose in den Hirnhauten Entziindungsprozesse 
entwickeln konnen, auch ohne spezifische Veranderung (Tuberkuloses histo- 
logiquement atypiques ou bacilloses non foUiculaires von Gougerot). 

Da sich mir nun die Gelegenheit geboten hat, einen Fall von primarer 
seroser subpialer (nicht symptomatischer) Riickenmarkszyste zu diagnostizieren 
und mit gliicklichem Erfolge zu operieren, habe ich es fur angebracht gehalten, 
den Fall zu veroffentlichen, dies um so mehr, als niemand in Italien diese Krank- 
heit zum besonderen Gegenstand des Studiums gemacht hat; tatsachlich be- 
steht die Literatur fast ausschlieBlich aus deutschen und amerikanischen 
Arbeiten. 

Krankengeschichte. La Gatta Maria, 37 Jahre alt, Lehrerin. Die Mutter 
hat 7 Aborte durch'gemacht und 5 Kinder geboren, von diesen starben drei im 
zarten Kindesalter an nicht festzustellenden Krankheiten und eine Tochter im 
Alter von 12 Jahren an Endokarditis; die einzige Uberlebende ist Patientin. 

Diese erfreute sich bis zum Alter von 25 Jahren stets einer guten Gesundheit. 
In dieser Zeit litt sie an Gallensteinkolik, von der sie vollkommen genas. Vor un- 
gefahr 3 Jahren, nach einem Falle auf den Riicken, ohne wahrnehmbare Lasionen 
davonzutragen, begann sie an Riickenschmerzen zu leiden, welche von der Patien¬ 
tin als ,,Ziehen“ charakterisiert wurden. Von geringer Intensitat traten die- 
selben in unregelmaBigen Zeitabschnitten auf, besonders bei Temperaturwechsel, 
des Nachts und wenn sie im Bette lag. Sie verschwanden, wenn sie aufstand. 
Patientin klagte, daB sie wahrend der Schmerzanfalle nicht einmal den Kopf 
bewegen konne, der ihr wie steif erschien. Wahrend eines Zeitraumes von 2 Jahren 
(1917—1919) verschwanden die Schmerzen, ohne daB Patientin irgendeine Kur 
gemacht hatte. Ende August 1919 begann sie eine Schwache im rechten oberen 
Gliede wahrzunehmen, gleichzeitig bemerkte sie von Zeit zu Zeit, daB der rechte 
Unterarm sich beugte und steif wurde und zwar mit einer solchen Heftigkeit, 
daB es ihr nicht mehr gelang, ihn zu strecken. Ebenso begann sie im gleichen 
Gliede ein brennendes Gefiihl wahrzunehmen, das in unregelmaBigen Zeitraumen 
auftrat und von einem Gefiihle des Ameisenkriechens begleitet war. Bald darauf 
begann sie auch eine Schwache im unteren Gliede derselben Seite zu bemerken 
und schleppte daher beim Gehen ein wenig den FuB nach. Diese Erscheinungen 
schritten immer mehr fort, so daB die Patientin im Marz 1920 fast nicht mehr 
fahig war, irgendeine Bewegung mit dem rechten Arme auszufiihren; derselbe 
hing schlaff und gebrauchsunfahig herab. 

Im Juni 1920 dehnten sich die Parasthesien auch auf die Glieder der linken Seite 
und zwar besonders auf den Arm aus und waren von einer Schwache dieser Glieder 
begleitet, die immer mehr zunahm. 

Status. 14. VII; 1920. Patientin leidet an ,,brennendemGefiihl und Ziehen c< , 


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die bald den einen bald den anderen Korperteil, mit Ausnahme des Gesichts, 
mit besonderer Haufigkeit aber die GesaBteile befallen; diese Storungen sind 
starker am Morgen. Sie bemerkt, daB sie mit dem rechten Arme nur umschriebene 
Bewegungen ausfiihren kann und mit der 'Hand nicht fahig ist, irgendeinen Gegen- 
stand zu ergreifen. Sie klagt, daB die unteren Glieder sehr schwach geworden 
sind, besonders das rechte, und daB sie nur fahig ist, einige Schritte zu machen. 
Liegt sie im Bette, in Riickenlage, so ist sie nicht fahig, mit denselben irgendeine 
Bewegung auszufiihren, ausgenommen die Beugung des linken Oberschenkels 
gegen das Becken. AuBerdem wird sie fast jede Nacht drei bis vier Mai von Spasmen 
befallen, welche gleichzeitig Beugung und Abduktion der oberen Glieder und 
Beugung der Vorderarme, besonders des rechten, bedingten. Ebenso nimmt 
Patientin ein Schweregefiihl in der Blase wahr, sie ist haufig gezwungen stehend 
zu urinieren, da sie sitzend nicht fahig ist, den Harn zu lassen. 

Im Januar unterzog sie sich einer elektrischen (galvanischen und faradischen) 
Kur der rechten Glieder und nahm Jodkali, auBerdem hat sie 40 Quecksilber- 
einreibungen gemacht, jedoch ohne irgendwelchen Erfolg. Die am Blute vor 
der Hg-Beh'andlung angestellte Wassermannsche Reaktion war negativ. Liquor 
normal. 

Status: 1. VIII. 1920. Augenbewegungen normal. Man bemerkt haufiges 
Auftreten einiger nystagmiformen Zuckungen bei den auBersten Seitenbewegungen. 
Patientin faltet gut die Stirne und driickt gut die Augenlider zusammen. Beim 
Zahneknirschen hebt sich der rechte Mundwinkel weniger als der linke. 

Obere Glieder: Links rufen die passiven Bewegungen Schmerzen hervor, 
doch sind sie alle moglich und vollstandig; die aktiven sind alle beschrankt, be¬ 
sonders die Ab-, die Adduktions- und die He be bewegungen des Armes. Rechts 
sind die passiven Bewegungen der Schmerzen wegen, die sie hervorrufen, nicht 
moglich. Unmoglich sind die aktiven Bewegungen des Ober- und des Vorder- 
arms; die Patientin fiihrt, obwohl unvollstandig, die Beugungs- und Streck- 
bewegungen der Hand aus. Die Beugebewegungen der Finger sind teilweise 
moglich, die Streckung der Finger ist aufgehoben. 

Untere Glieder: Die aktiven Bewegungen sind alle sehr beschrankt, besonders 
rechts; die passiven rufen Schmerzen hervor. Beim Gehen muB die Patientin 
unterstiitzt werden, schleift den FuB nach, beugt wenig die Beine und verleiht 
bisweilen den unteren Gliedern eine Sichelbewegung. 

Im rechten M. deltoideus und M. interosseus dorsalis I ergab die elektrische 
galvanische Erregbarkeit KaSz — AnOZ. In anderen Muskeln war keine quantitative 
oder qualitative Veranderung der elektriscl en Erregbarkeit zu demonstrieren. 

Beim Wenden des Kopfes nach der rechten Seite treten starke Schmerzen 
auf, was beim Wenden des Kopfes nach links nicht der Fall ist; das Gleiche ge- 
wahrt man bei den aktiven Bewegungen des Kopfes, die alle moglich sind. 

Patellarreflex ist links leichter auslosbar, Achillesreflex ist links lebhafter, 
wo leicht FuBklonus hervorgerufen wird. Die oberen Sehnenreflexe sind beider- 
seits gleich. Die ge. amten Bauchreflexe sind schwach. Bisweilen Babinskischer 
Reflex rechts. Pupillen gleich, von mittlerer Weite, reagieren gut auf Licht 
und Akkommodation. 

Schadelperkussion nicht schmerzhaft. Patientin klagt iiber Schmerzen und 
besonders iiber multiple und ausgedehnte Parasthesien in samtlichen Teilen des 
Korpers, besonders in den Gliedern. MaBig schmerzhaft ist der Druck auf die 
rechten paravertebralen Douchen, entsprechend dem 6. bis 7. Halswirbel. Die 
Nervenstamme des Cruralis und des Ischiadicus sind auf Druck schmerzhaft. 

Der Lagesinn (der Glieder) ist gut erhalten, man bemerkt n eurine gewisse 
Unsicherheit beziiglich der Finger der rechten Hand. Der stereognostische Sinn ist 


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aufgehoben in der rechten Hand. Rechts: Tast-, Temperatur- und Schmerzhyp- 
asthesie der mittleren Teile des Ober- und Yorderarmes (sowohl vorn wie hinten) 
und der ulnaren Halfte der dorsalen (Fig. 1) und palmaren Handflache. 
Auf der linken Halfte des Korpers (mit Ausnahme des Gesichts und des Halses) 
leichte Tast-, Temperatur- und Schmerzhypasthesie. Rechts leichte Hypopall- 
asthesie der Knochen der Hand und des Vorderarmes. 

Gehor: Weber nicht lateralisiett; Rinne normal. Das Ticken einer Uhr wird 
(r. und 1.) bis auf ungefahr 60 cm von der Ohrmuschel entfernt wahrgenommen. 
Sehscharfe, Geschmack und Geruch sind normal. 



Die schraffiierten Linien bezeichnen schwere taktile, tbermiscbe und Schmerzhypasthesie. 
Die unterbrochenen Linien bezeichnen leichte Hyp&sthesie derselben Sensibilitatsformen. 

Es handelte sich also um eine Kranke, die weder Alkoholistin noch luetisch 
war. Patientin begann, vor ungefahr 3 Jahren (1919) und zwar nach einem Trauma 
auf die Wirbelsaule, an intermittierenden Schmerzkrisen im Riicken zu leiden; 
letzterer wurde bisweilen wahrend den Krisen steif. Diese Storungen verschwanden 
nach einem Jahre spontan. 

Zwei Jahre spater — im August 1919 —bemerkte die Patientin, daB das 
rechte Oberglied allmahlich schwacher wurde und daB es haufig von brennenden 
Schmerzen befallen wurde; und daB auBerdem der Vorderarm derselben Seite 
sich von Zeit zu Zeit gezwungen auf den Oberarm bog (tonische Krampfe des 
Biceps brachii). Im Marz 1920 wurde die Lahmung desselben Gliedes fast voll- 
standig, und es blieb nur noch die Moglichkeit einiger Bewegungen mit der Hand. 
Spater trat eine groBe Schwa^he des rechten Beines und bald darauf der linken 
Glieder auf, die Schmerzen verbreiteten sich auf samtliche Korperteile und die 


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tonischen Krampfe auf die Unterglieder; Patientin nahm Schwierigkeit beim I 
Harnlassen wahr. 

Eine im August vorgenommene Untersuchung ergab folgende Resultate: 1 

Bewegungen des Kopfes schmerzbaft. Obere Glieder: passive Bewegungen 
schmerzhaft auf beiden Seiten, besonders rechts. Lahmung des rechten oberen 
Gliedes, und zwar des Ober- und des Vorderarmes, weniger der Handstrecker 
und der Fingerbeuger. Patellar- und Achillesreflex rechts lebhafter als links, 
FuBklonus und bisweilen Babinski. Druck auf die paravertebralen Rinnen 
zwischen dem 5. bis 7. Halswirbel schmerzhaft; rechts Astereognose der Hand, 
Hypobathyasthesie der Finger; taktile, thermische und Schmerzhypasthesie der 
Hautinnervationszone der 6. bis 7. hinteren Halswurzel; Hypopallasthesie der 
Vorderarm- und Handknochen. Links: leichte Parese der unteren Glieder. 
Taktile, thermische und Schmerzhypasthesie von der ersten Rippe abwarts; 
paretisch-spastischer Gang. 

Betrachtet man die Art und Weise, in welcher die Krankheit sich ent- 
Avickelte, sowie die Katamnese und erwagt man den bei der letzten objektiven 
Untersuchung erhobenen Befund, so war es leicht, sowohl eine funktionelle 
Neurose wie eine Entziindung der periphcren Nerven auszuschlieBen. Ein 
KrankheitsprozeB des Gehirns konnte leicht ausgeschlossen werden, da jegliche j 
Storung der Gebilde dieses Organs fehlte. 

Der Symptomenkomplex sprach entweder fUr eine Krankheit des Rticken- IJ 
marks oder fur einen extramedullaren krankhaften ProzeB. Das Auftreten rechts 1 
der sensorisch-motorischen Storungen, von radikularem Typus zuerst, und spater | 
der Hemiparese von spinalem Typus, stimmte wenig mit der Annahme eines i; 
Prozesses Uberein, dessen Ursprungim Ruckenmarke zu suchen ware. Andererseits » 
wareh die Art und Weise, in welcher sich die Symptome verbreiteten, sowie die 1 
Neigung zur Einseitigkeit unter anderen mehr als hinreichende Grtinde, um die 
Annahme auszuschlieBen, daB das Ruckenmark von einer systematischen Krank¬ 
heit oder von einem akuten Prozesse fortschreitenden Charakters, der sich in dem- 
selben entwickelt hatte, befallen sei. Das ganze Syndrom sprach in der Tat fiir 
einen progressiven krankhaften ProzeB, der von einer Seite her das Ruckenmark p 
komprimierte. Wenn es auch selbst von Anfang an leicht war, eine Caries verte- !• 
bralis auszuschlieBen, so war dies nicht der Fall beziiglich der Vermutung einer ( 
Pachymeningitis luetica cervicalis circumscripta. Der nicht ganz auf eine 
Wurzelzone lokalisierte Schmerz und die Parese des jechten Armes zuerst und • 

.j 1 

dann des gleichseitigen unteren Gliedes konnten sehr wohl mit der Annahme 
einer subakuten umschriebenen luetischen Entziindung (von Halbringform) der ; 
Pachymeninx cervicalis, die einen Teil der rechten Halfte des entsprechenden 
Ruckenmarks komprimiert hatte, erklart werden. Es zeigten aber das 
negative Resultat der WR. und die von der Krankheit trotz der antiluetischen 
Kur gemachten Fortschritte die Hinfailigkeit dieser Annahme, und man muBte 
logisch zu dem SchluB kommen, daB die Krankheit in einem extramedullaren 
Tumor bestehen musse. Zugunsten dieser Annahme sprach die Tatsache, daB 
die Krankheit zuerst unter Schmerzen und lokalisierten Paresen der einen 
Seite begonnen hatte und spater eine Hemiparese von spinalem Typus auf- 


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getreten war, die dazu neigte, sieh in eine Tetraparese (Leitungsimterbrechungs- 
symptome) umzuwandeln. 

Was denHohensitz betrifft, somuBte man, unter Berucksichtigung, daB die 
hypasthesische Zone des oberen rechten Gliedes dem Gebiete der 6.—7. hinteren 
Halswurzeln entsprach, daB die hauptsaehlich von der Parese befallenen Mus- 
keln jene waren, welehe den (bekanntlich von den vorderen 6.—7. Halswurzeln 
innervierten) Ober- und Vorderam bewegen, und die nicht befallenen zum groBten 
Teile die der Hand (d. h. die groBtenteils von der 8. Zervikalwurzel versorgt) 
waren, logisch zu dem Schlusse gelangen, daB der von dem vermuteten Tumor 
au^geiibte Druck rechts, besonders auf das 6. und 7. Halssegment stattfinden 
muBte. Und da ein jedes Halssegment einem unmittelbar daruberliegenden 
Wirbel entspricht, so zog ich den SchluB, daB der Sitz des Tumors dem 5. und 
0. und vielleicht auch zum Teile dem 7. Halswirbel entsprechen mtisse. 

Von diesen Kriterien ausgehend, nahm der Kollege Dr. Antonucci die 
Laminektomie der hinteren Bogen dieser drei Wirbel* (5.—6.—7.) vor. 

Operation. (Dr. Antonucci.) 10. VIII. 1920. Nach Ausfiihrung der 
hinteren Laminektomie der 5., 6. und 7. Halswirbel, und nach Einschnitt der 
Dura, bemerkt man, daB die zwischen der 5. bis 6. rechten Halswurzel gelegene 
Arachnoidea verdickt ist und auf der einen Seite eine leicht blauliche Farbung 
und auf eine Lange von ungefahr l 1 / 2 cm wie kleine weiBliche Streifen aufweist. 
Driickte man mit dem Finger auf diesen Punkt, so gewann man den Eindruck, 
als befande sich eine Flussigkeitsansammlung darunter. Nach einem ungefahr 
\ l f 2 cm langen, der Wandnug entsprechendenLangsschnitte quellen unter leichtem 
Drucke einige Tropfen einer augenscheinlich serosen, nicht triiben Fliissigkeit 
hervor. Nach dem Austritte der Fliissigkeit war das Riickenmark kollabiert. 
Dura wurde mit Seide genaht. 

Wahrend der ersten 3 Tage nach der Operation gelingt es der Patientin nicht, 
die unteren Glieder zu bewegen; die taktile und die Schmerzempfindlichkeit waren 
im allgemeinen erhalten. Die Schmerzen und die Muskelkrampfe in den Gliedern 
lieBen sofort nach. 

Status: 17. VIII. 1920. Patientin klagt nicht mehr iiber Schmerzen oder 
Parasthesien. Keine trophische Storung in den Gliedern. Die passiven Bewegungen 
der unteren Glieder weisen keinen die Norm iiberschreitenden Widerstand auf: 
beim Bewegen der oberen Glieder verspiirt die Patientin Schmerzen, besonders 
in der Articulatio scapulo-humeralis. Sie ist fahig, langsam samtliche Bewegungen 
der linken Glieder auszufiihren; jedoch erreicht sie nicht das Maximum; diese 
Beschrankung ist deutlicher in den proximalen Segmenten. Das Gleiche gilt 
von den Gliedern der rechten Seite; hier ist auBerdem die Beschrankung weit 
groBer als links. Die Sehnenreflexe werden auf beiden Seiten ausgeldst; rechts 
sind sie etwas lebhafter als links; es fehlt jegliche Andeutung vonKlonus. Zehen- 
reflexe plantar. 

Die Bathyasthesie ist in den Fingern der rechten Hand aufgehoben, im gleich- 
seitigen FuB unsicher. Die taktile, die thermische und die Schmerzempfindlich¬ 
keit ist iiberall, mit Ausnahme an der rechten Deltoidgegend und der mittleren 
Gegend der beiden Oberflachen des Vorderarmes, wo augenscheinlich eine Hyp- 
asthesie besteht, gut erhalten. 

Status: 24. VIII. 1920. Patientin fahrt in der Besserung fort. Sie klagt 
nur uber Parasthesien in der linken Hand, iiber leichten brennenden Schmerz 

XL. (Ergftnzungsband.) 2 


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langs des rechten oberen Gliedes. Seit einigen Tagen iBt sie regelmaBig und hat 
regelmaBigen Stuhlgtfng, bisweilen verliert sie den Ham. 

Augenbewegungen normal. Die Kopfbewegungen konnen nicht untersucht 
werden wegen der Immobilisierung, zu welcher die Patientin gezwungen ist. 
Im linken Arme sind samtliche passive und aktive Bewegungen des Vorderarmes 
und der Hand normal. Patientin ist nicht imstande, den Arm bis zum Maximum 
zu abduzieren und ihn iiber die Horizontale zu erheben. Sie fiihrt etwas langsam 
die Bewegungen der Finger aus, besonders die Opposition des Daumens. 

Im rechten oberen Gliede bemerkt man eine Neigung der Finger, eine ge- 
beugte Stellung anzunehmen: die passiven Bewegungen leisten, besonders ent- 
sprechend dem Humerusgelenk, einen hoheren Widerstand als links. Es gelingt 
der Patientin nur in beschrankter Weise, Abduktions- und Hebebewegungen 
des Armes auszufuhren; samtliche Bewegungen des Vorderarmes (mit Ausnahme 
der Supination), der Hand, der Finger, welche sie jedoch mit Langsamkeit voll- 
zieht, gelingen fast vollstandig. Schwer sind die Opposition und die vollstandige 
Streckung des Daumens. 

In den unteren Glie^rn leisten die passiven Bewegungen einen leicht iiber- 
windlichen Widerstand, die aktiven Bewegungen sind alle moglich, mit Ausnahme 
der Streckung des rechten Unterschenkels, die etwas beschrankt ist. 

Die Patellar- und die Adduktorenreflexe sind rechts etwas lebhafter. Auf 
beiden Seiten besteht Fufiklonus, der jedoch leicht erschopfbar ist. Plantar- 
ref lexe normal. 

Rechts taktile, thermische und Schmerzhypasthesie (von segmentarem Typus) 
der Hand und des mittleren Teiles der hinteren Gegend des Vorderarmes. Ver- 
minderte Pallasthesie auf der Gegend der Apophysis styloidea der Ulna rechts, 
auf der des Olekranon liegt das Gegenteil vor (Herabsetzung links). Der Lage- 
sinn (der Glieder) ist in den Fingern der rechten Hand fast aufgehoben. Die 
miotischen Pupillen reagieren prompt auf Licht. 

Status: 3. X. 1920. Die Kranke klagt iiber multiple Parasthesien in der 
auBeren Gegend des linken Oberschenkels; bisweilen gelingt es ihr nicht, den Harn 
zuruckzuhalten. 

Die objektive Untersuchung ergibt folgendes: In dem oberen rechten Gliede 
bemerkt man einen leichten Widerstand auf die passiven Bewegungen der proxi- 
malen Gelenke, sowohl eine Unfahigkeit, den Arm iiber die Horizontale zu er¬ 
heben, die Supination des Vorderarmes auszufiihren uni die Hand vollstandig 
zu strecken. AuBerdem Langsamkeit in der Streckung des 2. und des 4. Fingers; 
Muskelkraft der Hand bedeutend herabgesetzt: Muskulatur der Eminentia 
Hypothenar schlaff. Im unteren rechtem Gliede ist der Widerstand gegen die 
passiven Bewegungen gesteigert; samtliche aktive Bewegungen sind moglich. 
Spastischer Gang besonders rechts. 

Die oberen Sehnenreflexe fehlen beiderseits; Patellar- und Achillesreflexe 
rechts lebhafter (kein Klonus). Taktile, thermische und Schmerzhypasthesie 
rechts in den von der 6. hinteren Halswurzel innervierten Hautzonen. Die Bathy- 
asthesie und Astereognosie sind rechts unsieher in den Fingern der Hand. Der 
Rest der objektiven Untersuchung ist negativ. 

Epikrise. Wie man sieht, entspricht die Diagnose des Sitzes der Krank- 
heit ganz genau dem bioskopischen Befunde, wahrend man nicht dasselbe 
sagen kann beziiglich der Natur der Krankheit, welche sich nicht als ein extra- 
medullarer Tumor, sondern als eine kleine, mit dem Ruckenmark stark ver- 
wachsene und eine serose Fliissigkeit enthaltende Intraarachnoidalzyste ergibt. 


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m 


Die Verwechslung eines extramedullaren Tumors mit einer Zyste als Ausgang 
einer Meningitis serosa circumscripta adhaesiva scheint fast bestandig vor- 
gekommen zu sein. Die neurologische, von mir herangezogene Literatur ist 
zum Teil aus zweiter Hand, und es entzieht sich daher meinem Wissen, ob 
Falle vorliegen, in denen die Diagnose intra vitam gestellt wurde. Der Fall 
Bruns — es handelte sich um drei Zysten — fiihrte zu einer tlberraschung 
bei der Operation; das Gleiche gilt von den Fallen Weissenburgs, Mendel- 
Adlers, Mills, Oppenheims, Krauses, Moutets und Schlesingers. 
Dies ist erklarlich, wenn man betrachtet, dab die von einigen Autoren (Hors¬ 
ley, Spiller, Weissenburg) angefuhrten Differentialkriterien noch sehr un- 
bestimmt sind. Eine dieser Angaben ist das Schwanken der Intensitat dir 
Herdsymptome. Nach Mills scheint in der Tat das Niveau einer Rticken- 
markslasion in anormaler Weise zu wechseln, wie es in dem Unterschiede in 
einigen Auberungen angegeben ist, wie z. B. die Hyperasthesie, die Anasthesie, 
die Parese oder die Reflexstorungen; was wahrschcinlich in tlbereinstimmung 
mit der entsprechenden Anfiillung oder Leerung der Zyste ist. Dies kann 
seinerseits von verschiedenen Umstanden abhangen, namlich von den Yer- 
anderungen des Zustandes der von der Lasion verursachten Ausscheidung 
und von der veranderten Lage des Patienten. In meinem Falle fehlen mir die 
Angaben, um das Vorhandensein der Schwankungen in der Intensitat der 
Symptome anzunehmen oder zu leugnen, denn eine vollstandige objektive 
Untersuchung wurde nur einmal und kurz vor der Operation vorgenommen. 
Einige Autoren legen auch grobes Gewicht auf die Hauthyperasthesie, die in 
meinem Falle fehlte. Endlich gibt es einige Autoren, die der Ausdehnung der 
Schmerzen jenseits der von den verletzten hinteren spinalen Wurzeln inner- 
vierten HautzOne, wie in meinem Falle, eine Bedeutung zuschreiben. Dieses 
Kriterium konnte in manchen Fallen von Nutzen sein, wenn bei den extra¬ 
medullaren Tumoren nie eine Ausdehnung der Schmerzen stattfande; doch ist 
es bekannt, dab die Schmerzen auch bei das Riickenmark komprimierenden 
Tumoren die Zonen verlassen konnen, welche mit den verletzten Wurzeln in 
Verbindung stehen. Bruns legte in seinem Falle grobes Gewicht auf die Tatsache, 
dab das Leiden sich nach Und nach immer mehr in Querrichtung lokalisierte (die 
Zyste befiel hier die Brustgegend) da, wo die ersten Symptome sich gezeigt hatten, 
und keine Steigerung nach oben, wenigstens keine ausgepragte stattfand. Aber 
in meinem Falle konnte ich mich auch auf dieses Kriterium aus den zuvor er- 
wahnten Grunden nicht berufen. Wir miissen daher Oppenheim zustimmen, 
dab bisher Differentialkriterien zur Unterscheidung der Symptome einer Zyste 
von einem extramedullaren Tumor fehlen. 

Vom pathologisch-anatomischen Standpunkte aus ist es notwendig hervor- 
zuheben, dab mein Fall von dem Brunsschen insofern verschieden ist, als 
hier drei Zysten vorlagen, die eine vollstandig unabhangige Wand besaben; 
in meinem Falle handelte es sich nur um eine einzige Zyste mit einer mit der 
Ruckenmarksubstanz engverwachsenen medialen Wand. Doch glich dieser Fall 

2 * 


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dem Brunsschen insofern, als die Zyste zwischen der Arachnoidea und der Pia 
eingeschlossen war. Dem Falle Bruns und dem meinigen ahnelt auch jener 
Schlesingers, in welchem die Zyste in das Ruckenmark drang. Der Befund 
dieser drei Falle war folglich sehr verschieden von den von Oppenheim- 
Krause, Mendel-Adler, Weissenburg-Muller und Mills und von eineni 
anderen beschriebenen Falle Bruns’, in welchen es sich um eine zwischen der 
Dura und der Arachnoidea gelegene Zyste handelte und daher um eine sehr 
ausgedehnte Einsackung von Liquor im subduralen Raum, der gleich nach 
dem Einschnitte der Dura herausfloB. Ein anderer Punkt, der noch hervor- 
gehoben werden muB, ist, daB in meinem Falle die Zyste ihren Sitz am Hals- 
marke hatte, was sehr selten ist, wahrend in den anderen Fallen sie entweder 
das Brustsegment (Mills, Mendel-Adler, Oppenheim-Krause, Schwartz, 
Weissenburg-Muller) oder das lumbare (Spiller und Schlesinger) ge- 
troffen hatte. Ebenso scheint es nicht unangebracht hervorzuheben, daB in 
meinem Falle, wie auch in anderen, so z. B. in jenem Weissenburgs-Mullers, 
die (wenigstens) scheinbare Gelegenheitsursache ein Riickentrauma gewesen war. 

Die chirurgisch behandelten Falle von Meningitis serosa spinalis circum¬ 
scripta bzw. von Zysten sind die von Oppenheim-Krause, Bruns, Mendel- 
Adler, Warrington-Monsarrat, Moutet, Spiller, Hildebrandt, Bliss, 
Weissenburg-Muller. Diese operatorischen Eingriffe haben bisweilen, wie 
Oppenheim hervorhebt, einen schlimmen EinfluB ausgeubt, namlich wenn 
eine prim are Krankheit des Ruckenmarks sich mit der Meningitis serosa cir¬ 
cumscripta komplizierte. Und es ist rationell, daB es so sei, denn die Ent- 
fernung des Liquors und der lokalen serofibrinosen Verwachsungen kann die 
ursprungliche Krankheit nicht heilen. Nicht dasselbe kann man sagen bezttg- 
lich der Falle von Meningitis serosa circumscripta pura, bzw. der Zysten. Im 
zweiten Falle Bruns, in zwei Fallen von Bliss, in meinem Falle, wie in 
jenen von Spiller, MaBer und Martin sowie von Mendel-Adler, wurde 
tatsachlich ein gliicklicher Erfolg erzielt, da hier keine andere Ruckenmarks- 
krankheit bestand. 

Mills erklart den totlichen Ausgang seiner Operation, dem gliicklichen 
der Fiille Spillers, MaBers und Martins, die in Heilung iibergingen, gegen- 
iiber, indem er in Betracht zieht, daB hier die Symptome viel weniger aus- 
gepragt waren: der Schmerz hatte sich zwar ausgedehnt, war aber stets in 
der ersten Lokalisation ausgepragter geblieben; endlich blieben in diesem 
Falle Lahmungen, Kontrakturen und Atrophien aus, obwohl ein Schwache- 
zustand in dem linken Beine bestand; Blase und Rektum blieben normal. Da 
nun in meinem Falle die Schmerzen diffus waren, eine Neigung zur Kont aktur 
der Glieder bestand, die Lahmungen ausgedehnt und die Blasenfunktionen 
mit befallen waren, muB man zu dem Schlusse kommen, daB der Ausgang der 
Operation wirklich ein sehr gliicklicher war, wenn man betrachtet, daB ein 
so reichliches Gefolge von Symptomen sich wenig giinstig zeigte fur ein gutes 
Gelingen der Operation. 


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Nach Oppenheim verschwinden nach der Operation die Funktionsstorungen 
der Blase sowie die der Sensibilitat vor jenen der Motilitat. Im zweiten Falle 
Bruns hingegen besserte sich die Motilitat vor der Sensibilitat, und auch die 
Blasenfunktion war schon zuriickgekehrt, als sich die Motilitat bedeutend wieder- 
hergestellt hatte. In demselben Falle blieb die linke Seite, wo spater die Lahmung 
aufgetreten war, langer schwach als die rechte; ebenso bestand nach der Opera¬ 
tion eine vollstandige Atonie der Beine, mit Verlust der Sehnen- und Haut- 
reflexe, was auch Oppenheim haufig wahrgenommen hat; auch die ver- 
schiedenen Formen von Sensibilitat stellten sich zuerst in den distalsten 
Teilen wieder her und zwar zuerst die Schmerz- und dann die taktile Empfind- 
lichkeit. Im allgemeinen jedoch begann im Brunsschen Fall die Besserung 
relativ viel spater, d. h. zwei Monate nach der Operation. Mein Fall hat sich 
ungefahr wie jener dieses Antors verhalten, denn die objektiven Storungen der 
Sensibilitat und der Blasenfunktionen dauerten etwas langer, wahrend zwei 
Wochen nach der Operation die Motilitat der Glieder sich zum guten Teile 
wiederhergestellt hatte, und es ist rationell zu denken, dab diese ver- 
schiedenen Arten der Wiederherstellung der Funktionen von der Verschieden- 
heit der Verletzungen der einzelnen Riickenmarkbahnen abhangig seien. 

Literatur. 

BliB, Circumscript. serous spinal mening. Interst. med. Journ. 16 . 1909 (cit. nach 
Mills). — Derselbe, Cystis within the spinal canal. Joum. of the am. med. Assoc. 52, 
1909 . Nr. 11 . — Bruns, Zur Frage der idiop. Formen usw. Berliner klin. Wochenschr. 
1908 . Nr. 39 . — Derselbe, Ein Fall von arachn. Zystenbildung usw. Neurol. Centralbl. 
1911 . S. 1021 . — Flatau, Wirbel- und Riickenmarkgeschw. Lewandowskys Handbuch. 
III. — Hildebrandt, cit. nach Oppenheim (1. c., s. u.). — Horsley, Br. m. Journ. 1909 . 
Chronic spin. Meningitis. — Krause, Chirurgie des Gehims und Riickenm. II. Berlin. 

— Derselbe, Cber Schwartenbildung usw. Die Therapie der Gegenwart. XI. 1909 . 
Nr. 12. — Mendel und Adler, Zur Kenntnis der Meningitis ser. spin. Berliner klin. 
Wochenschr. 1908 . Nr. 35 . — Mills, Tumours and cyst, of the spinal, cord. Journ. 
of n. dis. 37 . 1910 . S. 529 . — Moutet, Schw. Corresp. Bl. 1908 . — Oppenheim, 
Beitrag zur Diagnostik und Therapie der G'eschw. Berlin. 1907 . — Derselbe, Der 
Heilungsverlauf nach operativer Behandlung usw. Neurol. Centralbl. 1909 . S. 290 . — 
Derselbe, Lehrb. d. Nervenkrankh. Berlin, Karger. I. 1913 . S. 388 . — Schlesinger, 
Beitr. zur Klinik des Riickenm. und der Wirbeltumoren. 1898 . — Schwartz, Wiener klin. 
Wochenschr. 1897 (cit. im Neurol. Centralbl. 1897 . S. 663 ). — Spill er, Ann. Journ. of 
med. Sc. 1909 . — Spiller, MaBer und Martin, A case of intradural spinal cyst. 
Univ. of Pennsylv. Bull. 1903 . March-April (ref. in Centralbl. f. Chirurgie. 1903 . S. 907 ). 

— Stroebe, Handbuch der pathol. Anat. des Nervensystems. 1903 . — Warrington- 
Monsarrat, The Lancet. 1908 . — Weissenburg, On circumscribed spinal serous 
meningitis etc. Ann. Joum. of med. Sc. 1910 . — Weissenburg und Muller, Meningitis 
spin, serous circumscr. Joum. of n. dis. 1910 . 


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4. Zur Differentialdiagnose zwischen beginnender 
Poliomyelitis acuta und akuten Meningitiden. 

Von Arvid Wallgren (Upsala). 

) 

Es ist wohl bekannt, wie schwierig es in gewissen Fallen sein kann, eine 
beginnende akute Poliomyelitis zu diagnostizieren. Das Krankheitsbild ist 
anfangs kein typisches, es erinnert kurz gesagt an irgendeine beliebige akute 
Infektionskrankheit; am haufigsten jedoch setzt es mit meningealen Reizungs- 
symptomen ein. Eine Folge davon ist die keineswegs selten vorkommende 
Verwechslung mit Meningitis. 

Die Lumbalflussigkeit, welche in den ersten Stadien einer akuten Polio¬ 
myelitis in der Regel eine nUr mabig vermehrte Anzahl von Zellen enthalt, 
daneben eventuell noch andere Zeichen einer meningealen Reizung aufweist, 
ist nicht immer ein zuverlassiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Polio¬ 
myelitis und anderen akut verlaufenden Meningitiden. So kann sie in seltenen 
Fallen ein Aussehen haben, welche dem einer eitrigen Meningitis gleicht. Vor 
kurzem wurde ein Fall von mir publiziert, wo dieser Charakter der Lumbal- 
fliissigkeit zu Anfang eine Mibdeutung der Krankheit herbeifiihrte. Das einzige, 
was in solchen Fallen die Diagnose sichert, ist der weitere Verlauf, ob es zum 
Auftreten von Paresen kommt oder nicht. Indessen diirfte man bei der Kenntnis, 
die man heute tiber akute Poliomyelitiden besitzt (siehe Wickman) nicht 
a priori schlieben, dab diese immer mit Paresen einhergehen mub. Es gibt 
nicht so wenige Falle von Poliomyelitis, wo die anfanglichen Meningitissymptome 
nur von ganz fliichtigen und wenig hervortretenden Paresen gefolgt werden. 
In anderen Fallen kommen die Paresen sehr spat, erst nach einer Woche (Tri- 
boulet, Harvier und Vaudescal). Daher kommt es, dab man die Moglich- 
keit des Vorkommens solcher Abortivformen der Heine-Medihschen Krankheit 
zugeben mub, wo die anfanglichen Meningitissymptome niemals von irgend- 
welchen Paresen gefolgt sind, wo also das Krankheitsbild ausschlieblich auf 
Meningitis begrenzt bleibt. Es ist klar, welche diagnostischen Schwierigkeiten 
sich daraus ergeben konnen. Els mub jedoch als ein seltener Fall betrachtet 
werden, dab die Lumbalflussigkeit bei Poliomyelitis der bei eitrigen Meningitiden 
ahnelt; fur gewohnlich findet man, dab ihr makro- und mikroskopisches Aus¬ 
sehen mehr dem der tuberkulosen Meningitis entspricht: man findet Lympho- 
cytose, erhohten Druck, Vermehrung der Eiweibmenge. Die Unterscheidung 
dieser beiden Krankheiten ist ja in mehrerer Hinsicht eine Frage von auber- 
ordentlich grober Bedeutung. Als Unterscheidungsmerkmal mbchte ich auf 
den Umstand hinweisen, dab, wahrend die Zellvermehrung bei den akuten 
Poliomyelitiden rasch abnimmt und verschwindet, die Anzahl bei der tuber- 
kulosen Meningitis grober wird oder sich auf konstanter H6he halt. Treten 
keine Paresen auf, so kann die Natur der Krankheit auch in diesen Fallen 
zweifelhaft bleiben. Es fragt sich auch, ob nicht einzelne der als tubeikulos 


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aufgefaBten und beschriebenen Meningitiden, wo Gesundheit eintrat, statt 
dieser Poliomyelitis-Meningitiden waren. 

Da die Veranderungen der Lumbalflussigkeit also kein zuverlassiges Unter- 
scheidungsmerkmal zwischen Poliomyelitis-Meningitis und anderen Meningitiden 
bilden, so hat man sich nach anderen diagnostischen Hilfsmitteln umgesehen. 
Die Zusammengehorigkeit des Falles mit Epidemien von Zerebrospinalmeningitis 
oder Poliomyelitis, sein Auftretenim Winter oderim Sommer kann moglicherweise 
als Richtschntir fur die Beurteilung dienen. Diese Schwierigkeiten werden 
gegebenenfalls dadurch noch groBer, daB bei epidemischer Meningitis die bak- 
teriologische Diagnose zu Anfang mit groBen Schwierigkeiten verbunden sein 
kann, da das Virus nur sparlich in der Lumbalflussigkeit vorkommt. 

Wernstedt miBt einer ataktischen oder spastisch-ataktischen Motilitats- 
storung, verbunden mit Nackenschmerzen, einen groBen Wert als einem frtih- 
zeitigen und fur Poliomyelitis typischen Nervensymptom bei. Wie er jedoch 
selbst betont, ist dieses Zeichen jenes, welches unter den praparalytischen 
Symptomen bei Poliomyelitis am seltensten vorkommt. Wernstedts Symptom 
verdient mehr beachtet zu werden, als dies bisher geschah. Ich selbst besitze 
keine Erfahrung tiber dasselbe. 

Ein anderes Hilfsmittel bei der Differentialdiagnose wurde von Karl Petren 
angegeben. Er betont, daB die Meningitissymptome zu Beginn einer Polio¬ 
myelitis ausschlieBlich spinale, die bei anderen akuten Meningitiden sowohl 
zerebrale wie spinale sind. Bei den akuten Poliomyelitiden fehlen also in der 
Regel Zeichen einer Zerebralmeningitis, wie Pulsverlangsamung, Pupillen- 
veranderungen, Augenmuskelparesen, Konvulsionen und BewuBtseinsstorungen. 
Diese Verschiedenheit zwischen Poliomyelitis und Meningitis findet sich sicher- 
lich in den allermeisten Fallen vor, ist aber keineswegs konstant; ebenso wie 
die epidemische Meningitis mitunter mit nur ganz unbedeutenden zerebralen 
Symptomen verlauft, so kann die meningeale Reizung bei akuter Poliomyelitis 
in hohem Grade auch die Meningen des Gehims betreffen. Spieler erwahnt 
beispielsweise einen Fall von Kinderlahmung, der mit Meningitissymptomen, 
Konvulsionen, Fazialisparese und Strabismus begann. Die Falle von akuter 
Poliomyelitis, welche ich zu beobachten Gelegenheit hatte, konnten Petrens 
Auffassung tiber die klinisch rein spinale Natur der Poliomyelitis-Meningitis 
nur bekraftigen, wenn man von dem oft recht auffallenden Kopfschmerz und 
dem Erbrechen als moglichen Zeichen einer Zerebralmeningitis absieht. Eine 
sehr gewohnliche Erscheinung bei Poliomyelitis ist jedoch eine oft sehr aus- 
gesprochene Nackensteifigkeit. Diese wird von Petren als den spinalen 
Meningitissymptomen zugehorig betrachtet. Die Nackensteifigkeit kann mit¬ 
unter so auffallend sein, daB die Kranken in Opisthotonusstellung daliegen; 
doch bekommt man nicht so selten eher den Eindruck einer Schmerzabwehr- 
stellung als eines wirklichen Spasmus der Nackenmuskulatur. Wie bekarint, 
ist Hyperasthesie ein auffallender Zug ftir die akute Poliomyelitis. Bei dem 
Versuche, den Kopf nach vome zu neigen, treten oft schwere Schmerzen auf. 


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vor allem, wenn die Bewegung briisk ausgefiihrt wird. Mit vorsichtigeren Be- 
wegungen gelingt es nicht selten, das Kinn bis zum Brustbein zu bringen, trotz 
oiner, wie es scheint, ausgesprochenen Nackensteifigkeit. 

Wahrend einer Poliomyelitisepidemie im Sommer 1919 fiel es mir auf, 
dab ich bei einem 16jahrigen Patienten eine ausgesprochene Nackensteifigkeit, 
aber einen negativen Kernig fand. In der LumbalflUssigkeit fanden sich grolie 
Mengen von Lcukocyten, was die Flussigkeit leicht opaleszent erscheinen lieb. 
Das Ganze machte mehr den Eindruck einer epidemischen Meningitis als einer 
Poliomyelitis, erwies sich aber spater, durch Auftreten von Paresen, als eiDe 
Poliomyelitis. Die Dissoziation zwischen Kernig und der ausgesprochenen 
Nackensteifigkeit war sehr auffallend und erschien mir als etwas hochst Eigen- 
tiimliches. Ich unterwarf die Falle, welche auf der Klinik lagen, und jene, 
welche neu aufgenommen wurden, im Hinblick darauf einer genauen Unter- 
suchung und fand von 16 Untersuchten das gleiche Phanomen bei zwei weiteren 
Fallen, bei einem 17jahrigen und einem 8jahrigen Knaben. Dieses Verhalten 
war recht bemerkenswert mit Rucksicht auf die Tatsache, dab die Meningitis- 
zeichen bei akuten Poliomyelitiden ausschlieblich von spinalem Typus zu sein 
pflegen. Wenn eines der gewohnlichen' Meningitiszeichen rein spinaler Natur 
ist, so diirfte dies das Kernigsche Symptom sein. Die Kranken waren nicht 
so jung, als dab man das Recht hatte, Eigentumlichkeiten hinsichtlich der 
klinischen neurologischen Meningitiszeichen zu erwarten. Da diese Dissoziation 
zwischen den klinischen Meningitiszeichen fur mich recht auffallend war und 
friiher nicht beschrieben wurde, schien eine genauere Untersuchung von Wert 
zu sein. Vielleicht hatte man es hier mit einem Symptomenkomplex (Pleo- 
cytose in der LumbalflUssigkeit, Nackensteifigkeit und negativer Kernig) zu 
tun, welcher fur die Diagnose der Poliomyelitis von Wert sein konnte. 

Wie aus der Tatsache hervorgeht, dab die Dissoziation nur bei drei von den 
16 Poliomyelitispatienten vorkam, ist diese keineswegs fUr die Mehrzahl der 
Poliomyelitisfalle typisch. Ich versuchte nun, an einer grijberen Anzahl von 
Fallen zu ermitteln, wie oft dieses Symptom vorkomme und benutzte zu diesem 
Zwecke das Poliomyelitismaterial des Infektionskrankenhauses in Upsala von 
der groben Epidemie in den Jahren 1911 bis 1913. Bei den 91 sicheren Polio- 
myelitisfailen mit Paresen fand ich hinsichtlich dieser Frage folgendes: Bei 
27 Fallen fand sich sowohl Nackensteifigkeit wie das Kernigsche Symptom, 
in 24 Fallen nur Nackensteifigkeit, welche oftmals sehr auffallend beschrieben 
wurde, in 7 Fallen weder Nackensteifigkeit noch Kernig; in 33 Fallen fehlen 
Angaben uber diese bei den Symptome. Darnach zu urteilen, diirfte also die 
erwahnte Dissoziation bei akuter Poliomyelitis nicht so selten sein. Moglich 
ist es auch, dab ihre Frequenz bei verschiedenen Epidemien verschieden ist. 
Wenn diesem Symptom ein Wert als Hilfsmittel bei der Diagnosestellung zu- 
geschrieben werden soil, so mub man gegebenenfalls verlangen, dab es bei 
anderen For men von Meningitis nicht ebenso haufig sei. Als Vergleichsmaterial 
wahlte ich eine Anzahl Falle von epidemischer und tuberkuloser Meningitis, 


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die zu meiner Verfugung standen. Unter den 95 Fallen von epidemischer 
Meningitis hatten 81 sowohl Nackensteifigkeit als auch Kernig, 6 hatten Nacken - 
steifigkeit ohne Kernig und 8 weder Nackensteifigkeit noch Kernig. Von 34 
tuberkulosen Meningitiden hatten 28 Nackensteifigkeit und Kernig, einer 
blob Nackensteifigkeit und 5 hatten weder Nackensteifigkeit noch Kernig. In 
diese Zusammenstellung wurden nur jene Falle aufgenommen, bei denen sich 
iiber beiden Symptomen im Journal eine Bemerkung vorfand. 




Epidemische 1 

Meningitis 

Tuberkulose 

Meningitis 

j Poliomyelitis 

i 



fiber 

unter ; 

fiber 

unter 

j fiber 

unter 



1 15 Jahre 

1 

15 Jahre jj 

15 Jahre 

15 Jahre 

! 15 Jahre 

15 Jahre 

Nacken- i 

| Kernig + 

1 

[; 48 

33 f 

5 

' 33 

6 

21 

steifigkeit \ 

| 






vorhanden 1 

I Kernig — 

' o 

G | 

0 

1 ; 

6 

18 

Nacken¬ 

steifigkeit 

j Kernig + 

1 0 

o !f 

0 

0 

0 

0 

fehlend 1 

l Kernig — 

!. 0 

8 I, 

0 ! 

5 

1 

6 


Daraus dtirfte also hervorgehen, dab bei epidemischer und tuberkuloser 
Meningitis eine Dissoziation zwischen der Nackensteifigkeit und dem Kernig- 
schen Symptom viel ungewohnlicher ist als bei akuter Poliomyelitis. Betrachtet 
man die Ziffern der obenstehenden Tabelle im Hinblick auf das Alter der Patienten 
genauer, so findet man, dab dort, wo es sich um Erwachsene handelt, die Sache 
sith so gestaltet, dab bei keinem einzigen Fall von epidemischer oder tuber- 
kuloser Meningitis Nackensteifigkeit ohne das Kernigsche Symptom konstatiert 
werden konnte, dagegen bei 6 von den 12 Poliomyelitisfalien; alle Falle von 
epidemischer und tuberkuloser Meningitis, welche iiber 10 Jahre alt waren, 
hatten sowohl Nackensteifigkeit als auch Kernig. Hier besteht also eine greif- 
bare Verschiedenheit zwischen Poliomyelitis und Meningitis. Der differential- 
diagnostische Wert dieser Verschiedenheit erfahrt jedoch insofern eine Ein- 
schrankung, als es ja nicht so gewohnlich ist, dab ein Erwachsener von Polio¬ 
myelitis betroffen wird. Aus der Tabelle geht ferner hervor, dab bei Kindern 
Nackensteifigkeit ohne Kernig sowohl unter den Meningitis- wie unter den 
Poliomyelitisf alien vorkam. Dab bei kleineren Kindern die neurologischen 
Meningitissymptome sehr launenhaft sein und sogar vollstandig fehlen konnen, 
ist ja seit langem bekannt. Eine Illustration dazu bilden die 13 Meningitisfalle 
ohne neurologische Meningitissymptome, welche die Tabelle aufweist und die 
alle weniger als 3 Jahre alt waren. Indessen sollte auch dieses Symptom be- 
achtet werden; nach meinen Fallen zu urteilen, ist es namlich bei Poliomyelitis 
viel haufiger als bei Meningitis. Wahrend es unter 63 Kindern mit epidemischer 
und tuberkuloser Meningitis nur 7mal (=11 %) vorkam, war es bei 18 von 
39 Kindern mit Poliomyelitis (=46%) vermerkt. Es fallt also als ein Symptom, 
welches fur Poliomyelitis-Meningitis charakteristicher ist als fur Meningitiden 
anderer Art, auf, dab das Kernigsche Symptom negativ ist, wahrend Nacken- 


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steifigkeit sich vorfindet. Pleocytose, eventuell noch andere Veranderungen 
der Lumbalfliissigkeit + Nackensteifigkeit + Fehlen des Kernigschen Symptoms 
bei einem Erwachsenen scheinen mir also dafiir zu sprechen, dab die Reizung 
der Meningen durch eine Poliomyelitis hervorgerufen wurde. Bei Kindern 
soil dieses Syndrom zu Zeiten haufigen Auftretens von Poliomyelitis den Ver- 
dacht einer solchen nahelegen. Damit konnte also neben anderen ein weiteres 
Hilfsmittel bei der Differentialdiagnose zwischen Poliomyelitis und Meningitiden 
anderer Art gewonnen werden, und zwar, da die Meningitissymptome stets 
das Krankheitsbild einleiten, eines der Friihsymptome bei Poliomyelitis. Zu- 
sammen mit den von Petr6n und Wernstedt aufgezeigten Symptomen dUrfte 
es in gewissen Fallen einen Wegweiser fiir die Diagnose geben konnen. 

Wie soli man sich diese Dissoziation zwischen der Nackensteifigkeit und dem 
Kernigschen Symptom erklaren? Ein hervortretender Unterschied zwischen 
den gewohnlichen Meningitiden und der meningealen Reizung bei Poliomyelitis 
ist der, daB bei den ersteren die Entziindung der Meningen das essentielle Mo¬ 
ment ist, bei der letzteren dagegen etwas Akzidentelles, ein Nebensymptom 
der Riickenmarksaffektion darstellt. Eine Folge davon scheint es mir zu sein, 
daB die Meningeallasionen bei der Poliomyelitis zum Unterschied von denen 
bei anderen Meningitiden Aussicht haben, in gewissen Fallen hauptsachlich 
in nahem AnschluB an die Riickenmarksaffektion lokalisiert zu bleiben und 
sich auf den Teil der Pia mater zu beschranken, der in der Nahe der am starksten 
angegriffenen Partie, d. h. an der Vorderseite des Riickenmarks liegt. Bei 
den Meningitiden kommt es dagegen zu einer mehr diffusen Lasion der Meningen. 
Wenn nun das Kernigsche Symptom, wie allgemein angenommen wird, an 
eine Lasion gewisser hinterer Nervenwurzeln oder an eine Affektion gewisser 
Teile der Riickenmarkshaute gebunden ist, so diirften die Aussichten, daB das 
Kernigsche Symptom bei Poliomyelitis fehlt, grdBer sein als bei Meningitiden 
im allgemeinen, wo ja Meningen und Nervenwurzeln mehr diffus affiziert sind. 
Mit dieser Auffassung stimmen die Beobachtungen Antonis bei Riickenmarks- 
tumoren wohl iiberein: Kernig negativ bei Lage der Tumoren an der Vorder¬ 
seite des Riickenmarks, positiv dagegen bei dorsal gelegenen Tumoren. Wenn 
man sich denkt, daB das Kernigsche Symptom auf einer Reizung der sehr 
empfindlichen Dura mater beruhe,. welche vor allem Aussichten haben diirfte, 
bei den akuten Poliomyelitiden eher verschont zu bleiben als bei den Meningitiden, 
dann liegt die Erklarung fiir die Abwesenheit dieses Symptoms bei Poliomyelitis 
noch naher. In der verschiedenen Lokalisation der Meningeallasionen, bei den 
Meningitiden einerseits, bei den akuten Poliomyelitiden andererseits, diirfte 
man also eine ungezwungene Erklarung dafiir finden, warum der genannte 
Symptomenkomplex bei der letzteren Krankheit haufiger ist. 

Literatur. 

Antoni, Ober Riickenmarkstumoren und Neurofibrome. Inaug.-Diss. Stockholm 
1920. — Pctrdn nnd Ehrenberg, fetudes cliniques sur la poliomyelite aignS. Nouvelle 
Iconographie de la Salpetriire. 1909. — Spieler, Zur Epidemie der Heinc-Mcdinsehen 


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Krankheit. Wien. med. Wochenschr. LX. 1910. S. 742. — Triboulet, Harvier und 
Vaudescal, Formes meningitiques de la par&lysie infantile. Soc. m6d. des Hopitaux. 
1910. 4. Nov. S. 870. — Wallgren, Notes cliniques sur la reaction m4ning6e de la 
poliomy61ite aigu& Acta medica scandinavica. 1920. — Wickman, Die akute Polio¬ 
myelitis. Handbuch der Neurologie von Lewandowsky. 1911. — Wernstedt, Kliniska 
och epidemiologiska studier over den andra stora barnforlamningsepidemin i Sverige. 
Svenska Lakareskllskapets Handlingar. XLIII. 1917. S. 1097. 


5. Zur Klinik der tibertragbaren Grenickstarre. 

(Vorlaufige Mitteilung.) 

Yon Dr. Harald Siebert, 

Nervenarzt und leit. Arzt der psychiatr. Abteil. am Stadtkrankenhause zu Libau. 

Die Stadt Libau wurdc im Jahre 1920 von einer Meningitisepidemie 
heimgesucht, hierbei war mir die Moglichkeit gegeben, die meisten Falle ein- 
gehend klinisch zu untersuchen und fortlaufend zu beobachten, sowie an- 
dauernd bakteriologische Untersuchungen anstellen zu lassen. Ftir die letzteren 
spreche ich an dieser Stelle Herm Dr. B. Wulff, stadtischem Sanitatsarzt 
und Leiter des Krankenhaus-Laboratoriums, meinen besten Dank aus. — Eine 
ausfuhrliche Wiirdigung der klinischen Varietaten und Verlaufsarten der iiber- 
tragbaren Genickstarre soil demnachst anderen Ortes erfolgen, in dieser kurzcn 
Mitteilung sollen daher nur die wichtigsten Punkte Erwahnung finden. 

Die Annalen des Stadtkrankenhauses verzeichnen eine Meningitisepidemie 
aus den Jahren 1896/97, wobei es sich um Aufnahmen aus einer benachbarten 
Landgemeinde (Rutzau) handelte. In der Zwischenzeit ist hingegen selten 
mit Sicherheit diese Erkrankung festgestellt worden. Ich personlich habe 
1913 einen typischen Fall klinisch und bakteriologisch diagnostiziert und mit 
einer Seruminjektion — mehr stand mir nicht zu Gebote — einen relativ guten 
therapeutischen Erfolg erzielt. — Wie weit in den Gebieten der jetzigen bal- 
tischen Staaten sonst eine ahnliche Epidemie je- beobachtet worden ist, habe 
ich nicht eruieren konnen; bekannt ist mir wohl, daB in einzelnen lettlandischen 
Kriegslazaretten Genickstarre — auch gehauft — beobachtet wurde, doch 
kann ich dariiber keine Daten beibringen. 

In meiner klinischen Beobachtung befanden sich 49 Personen, von welchen 
19 verstarben; auf letztere wird weiter unten naher eingegangen werden. Durch 
den zwischen Deutschland und Lettland bestehenden Kriegszustand konnte 
Serum erst in den letzten Februartagen, und auch nur auf dem Wege des 
Schmuggels, importiert werden, wobei es gelang, ein groBeres Quantum Kolle- 
Wassermannsches Meningokokkenserum (Sachsisches Serumwerk Dresden) zu 
crhalten. 

Die erste Erkrankung konnte im Beginn des Jahres festgestellt werden, 
die letzten — schon sporadischen — Falle traten Mitte Juli auf. Die Zerebro- 


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spinalfliissigkeit ist bakteriologisch von den 49 Kranken bei 41 exploriert worden, 
dabei ist von diesen in 40 Fallen — vielfach allerdings erst bei wiederholter 
Priifung — der Weichselbaumsche Meningococcus bakterioskopisch 
bzw; bakteriologisch nachgewiesen. 

Der Kulminationspunkt der Epidemie betraf die Zeit von Mitte Februar 
bis Mitte April; das Altersoptimum betrug im Durchschnitt 10V 2 Jahre, jenseits 
des zwanzigsten Jahres erkrankten: eine 23jahrige Frau, die verstarb — die 
Obduktion zeigte schwere septische Veranderungen, diffuse Meningo-Encephalitis 
und ausgesprochenen Status thymo-lymphaticus —, eine Frau (35 a. n.) und 
ein Mann (41 a. n.), die genasen. In alien drei Fallen lag positiver bakterio- 
logischer Befund vor. 

Die typischen Kriterien des Leidens, wie Brechreiz, Nackenstarre, Kernig, 
Babinski, Fieber wurden nur vereinzelt .bzw. vorubergehendvermiBt. Vollige 
Mittelohrtaubheit konnte nur in den letal ausgehenden, ohne Serum behandelten 
Fallen nachgewiesen werden. Bei den geheilten Kranken, die vom Anfang 
an Seruminjektionen in endolumbaler Form erhielten, wurde nur einmal ein- 
seitige — dabei voriibergehende — Schwerhorigkeit festgestellt. — Zwei Falle 
verliefen unter dem Bilde der schweren Chorea, dabei war die Nackensteifig- 
keit eigentlich nur angedeutet, und ausschlieBlich der Nachweis der Kokken 
im Liquor und der prompte Heileffekt des Serums erharteten die Diagnose 
der epidemischen Meningitis. 

Herpes cervicalis oder facialis (speziell labialis) wurde 44 mal nach¬ 
gewiesen, dabei in alien rudimentaren Fallen, wo bei diese Erscheinung mithin 
auch wesentlich fur die Diagnose mitbestimmend war. 

fiber den Yerlauf und den Ausgang gibt folgende Tabelle Aufschlufi; 
in derselben haben die Prozentzahlen der Rubriken 2 und 4 eine relative, sich 
lediglich auf diese beziehende Bedeutung, wahrend die Prozentzahlen der 
Sum me alle Rubriken einschlieBen. 


jl Erkrankt: 

! 

Verstorben: | 

Genesen: 

1 . 

Rudimentar: 

4 

! _ 

i 

4 

2. 

Ohne Serum behandelt: 

12 

10 (83,3 %) 

2 (16,7%) 

3. 

Sp&t (d. h. erst 1 Woche und mehr 
nach Beginn der Erscheinungen) mit 





Serum behandelt: i 

9 

7 

2 

4. 

Im Friihstadium mit Serum be¬ 
handelt: 

24 

2 (8,3%) 

22 (91,7%) 


Summa: 

49 (100,0 °/ 0 ) | 

| 19 (38,8 %) | 

30 (61,2%) 


Aus der Rubrik 2 ist ein Fall nicht von mir behandelt worden. Unter 
den in 4. erwahnten Kranken befand sich ein 15jahriges Madchen, welches 
vor 6 Monaten Scharlach, vor 2 Monaten Typhus exanthematicus iiberstanden 
hatte; nach der ersten Seruminjektion schwand die Nackenstarre, und das 


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Fieber sank, doch trat nach einigen Tagen der Tod an Herzschwache ein. Die 
Sektion ergab eine Myocarditis. — 

Maximal wnrden sieben Injektionen bei einem Kranken ausgef iihrt: 
bloB in einem iiberaus giinstig verlaufenden Fade geniigte eine Einspritzung. 
Das hochste einmalige Quantum waren 40ccm Serum, in der Regel wurden 
20 ccm pro dosi angewandt. Subjektiv wurden die Injektionen sehr verschieden 
vertragen, oft riefen sie keine Beschwerden hervor, oft waren sie im Moment 
durch starken Reiz der Lumbosakralwurzeln sehr qualvoll; auch die gleichen 
Personen reagierten auf die einzelnen Einspritzungen sehr wechselnd. Urticaria- 
artiges Serumexanthem trat zweimal bei Geschwistem auf und schwand 
nach einigen Stunden. 

Fast durchweg wurde die Zeit nach erfolgter Injektion als groBe Erleichterung 
empfunden, wobei allerdings der vorhergegangenen Druckentlastung Rechnung 
getragen werden muB. Prompte objektive Wirkung erfolgte, soweit sie eintrat, 
spatestens in 24 Stunden, um dann je nach den Verhaltnissen nachhaltig zu 
bleiben oder wieder zu schwinden. 

Grunlicher Liquor cerebrospinalis gab eo ipso infauste Prognose. 
Molkenmilchartiges Aussehen wurde in alien giinstig verlaufenden Fallen ge- 
funden, doch traten Heilungen sogar bei gelblicher Beschaffenheit ein. Mit 
zunehmender Aufklarung im Verlauf der Behandlung gingen auch die chemischen 
und mikroskopisch-biologischen Erscheinungen der Zerebrospinalfliissigkeit 
zuriick (EiweiB, Pleocytose. Meningokokken). In einem klinisch vollkommen 
geheilten Fall wurde 6 Wochen nach der Entlassung erneut eine Lumbal- 
punktion ausgefuhrt, wobei der Liquor noch deutlich eine weiBliche Triibung 
aufwies; Meningokokken wurden dabei nicht gefuriden. 

Ein atiologischer Zusammenhang konnte bloB in 19 Fallen eruiert werden: 
4mal waren Geschwisterpaare erkrankt, einmal hatte sich die Mutter vom 
Kinde infiziert, zweimal hatten sich je zwei benachbarte Hausbewohner an- 
gesteckt, 3 gleichzeitig erkrankte Kinder hatten dieselbe Schulklasse besucht, 
eine erkrankte Person hatte einem Kinde ins Gesicht gespien, worauf dieses 
auch alsbald die Erscheinungen der Meningitis epidemioa darbot. Die iibrigen 
Erkrankungcn waren in der Stadt verstreut aufgetreten. 

t)ber die eigentliche Dauer der Inkubationszeit lieB sich nichts mit Bestinunt- 
heit sagen; nach gewissen, vielleicht berechtigten, Schliissen betrug sie 4 bis 
7 Tage. — 

Der Gesamtschlufi, den ich unbedingt aus meinen Beobachtungen ziehen 
kann und muB, ist der, dafi nur eine mbglichst friihzeitige endolumbale 
Anwendung des Meningokokkenserums einen Erfolg in der Bekamp- 
fung der ubertragbaren Genickstarre verspricht, doch scheint er 
in solchen Fallen ein prompter zu sein. 


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[Aus dem physiologiscben Institut der Universit&t Kopenliagen.’ 

6. Das Salmon-Kohnstammsche Phanomen. 

Von V. Henriques and J. Lindh&rd. 

Unter der Bezeichnung „katatonieartige Erscheinung beim Gesunden“ 
hat Kohnstamm auf ein eigentumliches Phanomen aufmerksam gemacht, 
das zuerst von einem seiner Patienten beobachtet wurde, und das er folgender- 
maBen beschreibt: „Wenn man, nahe an der Wand stehend, den Handriicken 
bei gesenktem gestrecktem Arm gegen die Wand unter starker Spannung an- 
clriickt 5 bis 60 Sekunden lang, und gibt dann durch cine Wendung des Korpers 
dem Arm freien Spielraum, sich seitlich zu bewegen, so bemerkt man, daB der 
Arm sich automatisch erhebt: 2—45—90—120° hoch“ . . . „Man hat das Gefiihl, 
als ob der Arm von einer geheimnisvollen Macht gehoben wurde.“ Wenn der 
Willensimpuls durch ein faradisches Irritament ersetzt wird, tritt die Erscheinung 
nicht ein. Kohnstamm nimmt an, daB der Muskel der starken isometrischen 
Spannung vvegen in einen anderen Gleichgewichtszustand tritt, der sich, so- 
bald die Bewegung frei vonstatten gehen kann, durch ein Heben des Armes 
zu erkennen gibt. Ferner, daB die tetanische Spannung im Muskel nach dem 
Aufhoren der Willensanregung bestehen bleibt, und daB eine besondere will- 
kiirliche Hemmung erforderlich ist, um ihr ein Ende zu machen. Da die Nach- 
kontraktion einen besonderen subjektiven Charakter hat, muB man mit de Boer 
annehmen, daB der Tonus der Skelettmuskeln auf einer besonderen Innervations- 
form beruht. 

Kothmann behauptet, daB die Erscheinung am deutlichsten hervortritt, 
wenn man den Handriicken nach oben-auBen driickt, wahrend sie undeutlich 
wird, wenn ein Druck nach oben-innen ausgeiibt wird. Man kann nicht nor 
im Schultergelenk, sondern auch im Handgelenk allein durch eine starke Exten¬ 
sion und Abduktion der Hand eine Bewegung hervorrufen. Die Erscheinung 
kann auch an den Unterextremitaten und an dem Kopfe hervorgerufen werden. 
Die Nachwirkung zeigt sich nur, wenn der Willensimpuls ganz aufgehort hat. 
Rothmann bespricht einige eigentumliche Verhaltnisse bei Patienten mit 
Zerebellarleiden, wo eine Widerstandsbewegung sich nach dem Aufhoren des 
Widerstandes fortsetzen kann. Derartiges findet aber bei der von Kohnstamm 
behandelten Erscheinung nicht statt. Wegen des eigenttimlichen psychischen 
Charakters der Erscheinung nimmt Rothmann an, daB es sich um eine Fort- 
setzung der subkortikalen Innervation handelt, nachdem die kortikale auf¬ 
gehort hat. Daraus erklart sich, daB die Erscheinung bei den Streckern eine 
besonders ausgesprochene ist, indem diese subkortikal starker innerviert sind 
als die Beuger. „Es sind also diejenigen Muskelgruppen, die von der GroBhirn- 
rinde schwacher, von den subkortikalen Zentren kraftiger innerviert werden, 


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deren Bewegungsimpuls das Aufhoren der GroBhirninnervation iiberdauert.‘‘ 
Zuvorderst ist an eine „Nachdauer der zerebellaren Lmervation“ zu denken. 
Nach einer energischen Widerstandsiibung findet Rothmann bei Baranys 
Zeigeversuch fehlerhaftes Zeigen nach oben-auBen. Es findet sich also eine 
Nachwirkung der kraftigen Innervation, auch wenn andere Willkurbewegungen 
eingeschaltet werden. Auch in diesem Falle ist die Wirkung der Adduktion 
des Armes doch nur gering. 

Csiky macht darauf aufmerksam, daB nach dem Aufhoren der willkurlichen 
Muskelkontraktion eine Pause von einigen Sekunden eintritt, bevor die autc- 
matische Bewegung anhebt. Es kann somit nicht der tetanische Zustand des 
Muskels sein, der sich nach dem Aufhoren der willkurlichen Innervation fort- 
setzt. Er findet nach einer Pause von 2 bis 3 Sekunden eine verhaltnismaBig 
schnelle Bewegung des Armes nach oben 8 bis 10 Sekunden lang, worauf der 
Arm einige Sekunden in einem gewissen Niveau verbleibt. Die darauf folgende 
Senkung geschieht im Laufe von 12 bis 15 Sekunden, zu Anfang schneller, 
spater langsamer. Csiky betrachtet dasGanze als eine Ermiidungserscheinung 
in Analogic mit einem optischen Nachbild und verlegt den ganzen ProzeB als 
eine Art idiomuskulare Kontraktion auf den Muskel. — Es gelang nun, die Er- 
scheinung besonders deutlich hervorzurufen, wenn er gegen Ende der will¬ 
kurlichen Kontraktion hin eine Pause von einem Augenblick eintreten lieB 
und sodann die Kontraktion erneuerte. Gleichfalls gelang es ihm, nach einei 
kraftigen, efcwa 1 Minute Iangen Faradisation des Muskels die automatische 
Bewegung hervorzurufen. 

Salmon behauptet, daB er auf einem NeurologcnkongrcB in Florenz im 
April 1914 auf die in Frage stehende Erscheinung aufmerksam gemacht hat, und 
daB die Prioritat somit ihm und nicht Kohnstamm gebuhre. Es unterliegt 
jedenfalls keinem Zweifel, daB von den beiden Verfassern dieselbe Erscheinung 
besprochen wird. Salmon hebt hervor, daB man die Nachbewegung wie ein 
Emporfliegen der Arme empfinde; man ftihlt jedenfalls die Arme sehr leicht. 
Der Versuch kann mehrmals nacheinander wiederholt werden, aber die auto¬ 
matische Bewegung verliert dabei allmahlich an Intensitat. Die Erscheinung 
wird am leichtesten hervorgerufen bei exzitabeln Personen und namentlich 
bei Hysterikern, wahrend sie bei tragen Individuen schwer hervorzurufen ist. 
Bei diesen kann jedoch eine Empfindung wachgerufen werden, als ob die Arme 
leichter wiirden. Salmon bespricht die Erscheinung eingehender in 2 Fallen 
von zerebraler Lues. In dem einen Falle lag eine leichte rechtsseitige Parese 
mit gesteigerten kutanen und tendindsen Reflexen vor, wahrend die Reflex© 
an der linken Seite fast ganz fehlten. In dem anderen Falle lag gleichfalls eine 
leichte rechtsseitige Parese mit gesteigerten Sehnenreflexen und stark aus- 
gesprochener Inkoordination der Bewegungen des rechten Armes vor, wahrend 
die Reflexe an der linken Seite auch in diesem Falle fast ganz fehlten. In beiden 
Fallen war die Erscheinung an der paretischen, rechten, Seite deutlich aus- 
' gesprochen, wahrend sie an der linken Seite kaum hervorgerufen werden konnte. 


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32 


Bei Gesunden hat Salmon keine Abhangigkeit zwischen dem Auftreten tier 
Erscheinung und der Reflexwirksamkeit cntdecken konnen; die Erscheinung 
kann nach recht schwachcn Kontrakt'onen eintreten, wahrend sie sich nach eineni 
kraftigen faradischen Tetanus nicht zeigt. Er nimmt daher an, daB von eineni 
gesteigerten Tonus nicht die Rede sein kann, und daB die Erscheinung korti- 
kaler Natur, eine Art „kinetisches Nachbild“ sein muB. 

Dies Salmon-Kohnstammsche Phanomcn ist leicht hervorzurufen, 
und in betreff der Symptomatology ist zu dem von den besprochenen Verfassern 
AngefUhrten nichts von Bedeutung hinzuzufiigen. Es verdient vielleicht her- 
vorgehoben zu werden, daB die Erscheinung, wie von Csiky angefiihrt, sich 
meist nach einer ganz kurzen Latenzzeit zeigt, was annehmbar darauf beruht, 
daB es bei der Mehrzahl von Individuen einen Augenblick dauert, bevor sie 
den eigenen GliedmaBen gegenxiber eine vollstandige Passivitat gewinnen, 





Pig. 1. 

was eine notwendige Bedingung davon ist, daB die automatische Bewegung 
in ihrer eigentumlichen, reinen Form vonstatten gehen kann. 

Es me! den sich nun 2 Fragen. 1. Was geschieht in dem Muskel? 2. Was 
ist die Ursache der Erscheinung? 

Wir werden uns im folgenden auf die Abduktionsbewegung in der Schulter 
beschranken. — In betreff der ersten Frage ist zu bemerken, daB eine elektrisehe 
Untersuchung des M. deltoideus mittels des Saitengalvanometers zeigt, daB 
in alien Phasen der automatischen Bewegung eine Kontraktion des Muskels 
stattfindec. Man findet, auch wenn der Arm in der abduzierten Stellung in 
Ruhe ist, Aktionsstrome, die denjenig°n ganz ahnlicb sind, die man bei jeder 
willkiirlichen, leichten Kontraktion registrieren kann. (Fig. 1.) Daraus folgt 
vermeintlich, daB nicht davon die Rede sein kann, daB der Muskel sich in eineni 
neuen tonischen Gleichgewichtszustand befindet. Der ruhende Muskel ergibt 
keinen Aktionsstrom. Da der Muskel indessen nicht willkurlich kontrahiert 
ist, muB man an eine Reflexkontraktion denken. DaB Salmon keine Ab¬ 
hangigkeit zwischen der automatischen Bewegung und der Reflexirritabilitat 
bei Gesunden hat nachweisen konnen, bedeutet nur wenig, da es fur keine 


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33 


yon beiden Erscheinungen, die miteinander verglichen werden sollen, einen zu- 
verlassigen MaBstab gibt. 

In betreff der Erklarung der automatischen Abduktionsbewegung scheinen 
alle friiheren Untersucher sich auf einer falschen Spur befunden zu haben. 
Es handelt sicb nicht um ein „kinetisches Nachbild“, noch Uberhaupt um 
eine motorische Nachwirkung. Die Erscheinung ist nicht durch eine vor- 
hergehende Muskelkontraktion bedingt, sie kann auftreten, auch wenn die be- 
treffenden Muskeln garnicht kontrahiert waren. 

Auffallig ist schon, daB es in den beiden von Salmon mitgeteilten patho- 
logischen Fallen die Areflexie und nicht die motorische Parese ist, welche be- 
wirkt, daB die Erscheinung nicht cintritt; bereits dieser Umstand weist uns 
auf die afferente Seite des Nervensystems als wesentliches Moment hin. Noch 
auffalliger ist es aber, daB die spontane Abduktion nicht auftritt, nachdem 
man bei horizontal abduziertem Arm ein Gewicht eine Minute lang oder bis der 
Arm vor Ermttdung hinabsinkt, in der Hand gehalten hat, also nach einer ent- 
sprechenden Kraftleistung wie diejenige es ist, die man leistet, wenn man den 
Arm gegen einen Widerstand zu abduzieren sucht. Der Unterschied ist nur, 
daB der Muskel, wenn er gegen einen Widerstand gespannt ist, wahrend der 
Arm sich in der Grundstellung befindet, isometrisch in seiner habituellen Lange 
arbeitet, wahrend er bei horizontal abduziertem Arm statisch in starker Ver- 
kurzung arbeitet, wodurch die Spannung natiirlich geringer werden muB als 
in ersterem Falle. DaB dies Moment aber an und fur sich ohne Bedeutung ist, 
geht daraus hervor, daB die Erscheinung, wenn man den Handriicken und die 
Dorsalseite des Handgelenks bei horizontal abduziertem Arm gegen einen festen 
Gegenstand, z. B. die Unterseite eines Brettes eines Buchergestelles, preBt, 
ebenso prompt auftritt wie nach der isometrischen Kontraktion in der Grund¬ 
stellung. Es geht daraus hervor, daB der Spannungsgrad des Muskels ebenso- 
wenig wie die Anstrengung durch die willkiirliche Kontraktion das entscheidende 
Moment sein kann. Die beiden genannten Beobachtungen deuten darauf, daB 
die Erscheinung mit dem Druck gegen den Handriicken und die Dorsalseite 
des Handgelenks in Verbindung steht. Es zeigt sich denn auch, daB man, wenn 
man die Dorsalseite der Hand und des Unterarms passiv, z. B. mittels des 
Korpergewichts, in Verbindung mit der Muskulatur der Unterextremitat. gegen 
einen festen Gegenstand driickt, wahrend man die Muskulatur des Arms und 
speziell den M. deltoideus vollstandig abgespannt halt, so daB man einen Druck 
von derselben Starke und Dauer erhalt wie denjenigen, der sonst die isometrische 
Kontraktion begleitet, danach eine automatische Abduktion des Armes er¬ 
halt von ganz demselben Charakter wie diejenige, welche auftritt, wenn der 
Versuch in der gewohnlichen Weise ausgefiihrt wird. Die Bewegung ist aber 
geringeren Umfangs, indem sie oft nur bis etwa 45° gelangt. Letzteres ist offen- 
bar eine Folge davon, daB der Arm, wenn er passiv gegen einen Gegenstand 
gedriickt wird, an beiden Seiten gedriickt wird, wahrend der Druck bei der 
aktiven Spannung des M. deltoideus — und nur unter diesen Umstanden — 

XL (Ergfinzungsband.) 3 


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Origirhal fram 

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34 


ein absolut einseitiger wird. Wenn der Aim z. B. zwischen deni Schenkel und 
einem Tiirpfosten gedriickt wird, wirkt der Druck an beiden Seiten, aber ver- 
schieden, indem er an der Beugeseite gleichmaBig verteilt ist und nirgends 
geniert, wahrend er an der Dorsalseite ungleichmaBig ist, so daB einzelne Haut- 
partien besonders stark gedriickt werden — bis zur Schmerzempfindung — 
ganz wie bei der willkiirlichen Muskelspannung bei der gewohnliehen Form 
des Versuches. DaB dies Verhaltnis von Bedeutung ist, geht auch daraus her- 
vor, daB die Nachwirkung, wenn man ein Kissen zwischen dem Handriicken 
und dem TUrpfosten anbringt, wahrend der Arm passiv gegen letzteren ge¬ 
driickt wird, nicht eintritt. 

Da somit offenbar die peripheren Organe des Drucksinnes den Ausgangs- 
punkt der Reflexbewegung bilden, ist es von vornherein nicht sonderbar, daB 
sie sich nicht durch eine Faradisation der Muskeln hervorrufen laBt. Es zeigt 
sich indessen, daB man durch eine etwa 1 Minute dauernde Behandlung der 
Dorsalseite mit einem kraftigen faradischen Pinsel die Erscheinung hervorrufen 
kann. Die Abduktionsbewegung ist dann nur verh&ltnismaBig klein, aber dafiir 
dauert sie bedeutend langer als nach dem aktiven oder passiven Druck auf 
die Haut. Wenn dieser Versuch ,,rein“ sein soil, muB man Muskelkontraktionen 
vermeiden, was nicht besonders schwer ist; es ist dagegen unmoglich, Sensationen 
in der Handflache sowie in groBen Partien des Arms zu vermeiden, wenn man 
einen einigermaBen kraftigen Strom anwendet, und nach einer schwaehen 
Faradisation der Haut tritt die Erscheinung nicht auf. 

Wenn man nach diesen Beobachtungen versuchen will, von der hier be- 
handelten Erscheinung eine Erklarung zu geben, muB diese gewiB ungefahr 
folgendermaBen lauten: die habituelle Stellung der Gelenke ist durch die 
Spannung der umgebenden Muskeln bestimmt, die wiederum reflektorisch 
von Nervenimpulsen beherrscht wird, ausgelost teils in Propriozeptoren in 
Muskeln und Sehnen, teils in gewisse Rezeptoren der Haut. Wenn einige von 
letzteren wegen eines anhaltenden, starken Druckes oder in anderer Weise 
(elektrische Beeinflussung) auBer Funktion gesetzt werden, oder wenn wegen 
eines Druckes auf einen Hautnerven eine Storung der normalen Funktion 
eintritt, verandert sich die Gleichgewichtsstellung des Gelenkes, und die Folge 
davon ist die automatische Bewegung. Wenn sodann der nervose Apparat 
der Haut nach einigen Sekunden wieder in normaler Weise funktioniert, tritt 
die friihere Gleichgewichtsstellung des Gelenkes wieder ein. Es ist nach neueren 
Untersuchungen die wahrscheinlichste Annahme, daB die Zentren solcher 
Reflexe sich im Cerebellum, nicht im Cortex cerebri, finden, und daB die Regu¬ 
lation automatisch vonstatten geht, wodurch natiirlich nicht ausgeschlossen 
ist, daB die Veranderungen sich dem BewuBtsein zu erkennen geben. 

Es ist dieser Erklarung der Erscheinung gemaB natiirlich, daB paralytische 
Muskeln nicht reagieren konnen, wahrend nichts verhindert, anzunehmen, 
daB leicht paretische Muskeln Reaktion ergeben. Es ist gleichfalls klar, daB 
eine lebhafte Reflexwirksamkeit die Wirkung einer Gleichgewichtsstorung 


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35 


steigern wird, wahrend eine Areflexie die Reaktion notwendigerweise ausschliefien 
muB. Uberhaupt scheint von den bisher mitgeteilten Reobachtungen keine 
den hier aufgestellten Hypothesen zu widersprechen. 

Literatnr. 

l. Kohnstamm, Neurol. Centralbl. XXXIV, 1915, 8.290. — 2. Rothmann, 
ebenda S. 421. — 3. Csiky, ebenda 8. 575. — 4. Salmon, Revue neurologique 1916, S. 27. 


7. Ober psychische und nervOse Storungen 
nach Influenza 1918 19. 

Von I. Robida in Ljubljana (Laibach). 

Bevor ich an mfeine eigentliche Aufgabe tiber die anlaBlich der Influenza- 
epidemie 1918/19 gemachten Erfahrungen auf neurologisch-psychiatrischem 
Gebiete schreite, mochte ich einen ganz kurzen Riickblick auf die mir zu 
Handen gewesene Influenzaliteratur zuriickwerfen. Allerdings. sind meine 
Quellen recht bescheidene zu nennen, da mir weder eine entsprechende 
offentliche Studienbibliothek zur Verfugung steht, noch es mir spit beinahe 
Jahresfrist (1918—19) wegen der gesperrten Grenzen ermoglicht ist, mir wissen- 
schaftliche Werke, insbesondere neuere, anderweitig zu beschaffen. 

Die Storungen nach Influenza sind schon lange bekannt, und gut und 
griindlich studiert. Schon Rush (1790) berichtet von ihnen, dem Bronnet 
(1837) und Crichton-Browne (1874) folgten, denen sich in spateren Jahren 
eine stattliche Reihe weiterer Beobachter angeschlossen hat. 

Die meisten Autoren sind auf Grund ihrer Erfahrungen zur Anschauung 
gekommen, daB an den Influenza psychosen insbesondere Leute erkranken, 
deren Gehim von Hause aus infirm ist, also vor allem Psychopathen, Neu- 
rotiker u. dgl. Althaus weist 72,2%, Rothhaupt 50% seiner Kranken 
als Degenerierte aus. 

Das Hauptkontingent bilden erwachsene Personen. doch wurden psychische 
Alterationen angeblich schon bei 2- und 3 jahrigen, an Influenza erkrankten 
Kindern (Kalischer, Neumann) beobachtet. 

Nach Althaus lost die Gruppe in etwa 25% der Falle die bereits latent 
sich vorbereitende Psychose aus, und Kim spricht in gleichem Sinne von seinen 
Pseudopsychosen nach Influenza. Althaus will auch aus der Influenza Para¬ 
lyse sich entwickeln gesehen haben, eine Angabe, auf die wir noch zurlick- 
kommen werden. 

Der Ausbruch der meisten Psychosen schlieBt sich an die korperliche Er- 
krankung an oder setzt erst nach Abklingen der febrilen Erscheinungen in 
der RekonvaleszenZ ein (Kraepelin). Hinsichtlich ihrer Zustandsbilder er- 
scheinen die Influenzapsychosen als Erregungszustande und Verwirrtheiten, 
vornehmlich aber als Deprcssionen beschrieben. (Kirn, Jutrosinski, Aust, 

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Reill,) Althaus klassifiziert 41 % seiner Fade als , ; Melancholie mit Lethargie“ 
und bezeichnet 27 % als „Inanitionspsychosen“ (offenbar als unter dem Bilde 
dieser verlaufend). Kleist macht ausdriicklich auf die angstlich-depressiven 
Formen der Influenzapsychosen aulmerksam. 

Was den Verlauf der Influenzapsychosen anlangt, so betonen die Autoren 
deren kurze Dauer, baldigen tlbergang in die Rekonvaleszenz, wie auch den 
giinstigen Ausgang. Von den Kranken Althaus genasen 12 % schon nach 
der ersten Woche, 32 % nach Ablauf des ersten Monats, bei 33 % zog sich die 
Genesung iiber einen Monat hin; insgesamt gingen 56,6% in Heilung tiber. 
Ahnlich giinstig auBert sich auch Ruhemann. 

Irgendeinen EinfluB auf bereits bestehende Psychoscn sahen die raeisten 
, Autoren die Grippe nicht nehmen. (Althaus, Sander, Moeli, Richter.) 
fiber Besserungen bestehender Geisteskrankheiten sprechen Metz und He 11- 
weg, iiber Verschlimmerungen Snell und Jutrosinski. 

Als Todesursache bei an Influenzapsychosen Verstorbenen wurden hanior- 
rhagische und eitrige Meningitiden, Encephalitiden, Abszesse und septische 
Mischinfektionen vorgefunden. Krankhafte Veranderungen kamen auch am 
Riickenmark und an seinen Hauten zur Konstatierng. — 

Gewohnlich aber fiihren die Influenzainfektionen nur zu hamorrhagischen 
EntzUndungen und geben daher eine giinstige Prognose. 

Wenn wir von den relativ sparlichen anderweitigen Erkrankungen des 
Nervensystems absehen (Henschen, Determann), so sind es vor allem neu- 
ritische und polyneuritische Prozesse, die sich als typisch nervose Folgekrank- 
heiten nach Influenza einstellen. 

Nach diesen Ausblicken sei es mir nun gestattet, in folgendem meine auf 
den hiesigen Abteilungen fur Nerven- und Geisteskranke anlaBlich der Infjuenza- 
epidemien 1918/19 gemachten Erfahrungen niederzulegen. 

Vorausschicken mochte ich folgende Bemerkungen: Das Krankenmaterial 
hat sich aus fast durchgehends slovenischer Bevolkerung der gegenwartigen 
Provinz Slovenien, d. i. aus den ehemaligen osterreichischen Kronlandern 
Krain, der siidlichen Steiermark, dem siidlichen Kamten und den Fliichtlingen 
aus den okkupierten Gebieten (Gorz, Kiistenland und einem Teile von Krain) 
rekrutiert. Die Bevolkerung ist von schwerem Alkoholismus durchseucht, 
wahrend Lues vor dem Kriege eine beinahe unbekannte Krankheit war. Quartar- 
luische psychische Erkrankungen erreichten in den hiesigen Anstalten bisher 
niemals 5 %, aber auch die Alkoholpsychosen sind nicht haufig und steigen 
niemals auf 10 %. Dafiir nehmen jedoch die Psychopathien in erschrecklicher 
Weise zu. Seit einem Jahre ist auffallend die auBerordentlich groBe Anzahl 
der multiplen Sklerosen. 

Ich lieB mir angelegen sein, die Influenzaepidemie aus dem Jahre 1889 
auf Nerven- und Geisteskrankheiten durchzusehen, und musterte die damaligen 
noch erhaltenen hiesigen Krankenprotokolle der medizinischen und der ihr 
seinerzeit angeglifderten Beobachtungsabteilung durch. Obgleich diese Ab- 


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teilungen unter keiner facharztlichen Leitung gestanden hattcn, hatte doch 
eine halbwegs groBere Belastung obiger Abteilungen mit Nerven- und Geistes- 
kranken in der kritischen Zeit ihren besonderen Ausdruck firiden miissen, und 
zwar nicht nur in der Krankenfrequenz, sondern auch in der Diagnosenstellung 
und in der Anzahl der Krankentage. Es w&ren im Sinne der damaligen Nomen- 
klatur Lahmungen, Paraplegien, Hemiplegien u. dgl. und andererseits Diagnosert: 
wie akute Demenz, Verwirrtheit, akuter Wahnsinn, akute Paranoia oder Me- 
lancholie oder ahnliches als in gehaufter Weisc aufgetreten zu erwarten gewesen. 
Aber nichts lSBt in den fraglichen Monaten des Jahres 1889 darauf schlieBen, 
daB die damalige Influenzae pi demic irgendwie nennenswerte Opfer an Nerven- 
und Geisteskranken gefordert hatte. 

Ahnlich verhielt es sich auch mit der ersten Welle der Krankheit, die im 
Friihjahr 1918 unsere Gegenden aufsuchte. Wahrend fast jeder zweite Mensch 
katarrhalisch erkrankt war, wuchs meinen Abteilungen nicht eine einzige 
Influenzapsychose zu. Von einigen pulmonalen Erkrankungen mit gewohnlichen 
Infektionsdelirien auBerhalb der Anstalt erhielt ich Kenntnis. 

Wohl aber kamen zwei Nervenfalle zur Beobachtung, von denen der eine, 
eine leichte Polyneuritis, die sich angeblich 2 Wochen nach einer „neuen Er- 
kkltung“ entwickelt haben soli, in kiirzester Zeit sich bedeutend besserte, und, 
wie anzunehmeu, in Balde vollstandig genas. 7 — Ich verlor den Mann wegen 
anbefohlenen Abschubes vorzeitig aus den Augen. 

Der zweite Fall gelangte als somnolenter „Epileptiker“ in die Anstalt. 
Da der Kranke eine Monoplegie einer oberen mit einer unbedeutenden Parese 
der gleichseitigen unteren Extremitat zeigte und an Anfalien des Jackson schen 
Typus litt, ferner noch aus anderen Griinden schloB ich auf einen Herd im 
entsprechenden motorischen Rindenfeld Und nahm einen AbszeB an. Die Ob- 
duktion ergabin der Tat einen bis an die Rindc reichenden, aber subkortikakn, 
im iibrigen richtig lokalisierten AbszeB. Die bakteriologische Untersuchung 
(ausgefiihrt vom Herrn Prosektor Prof. Dr. Plefcnik) wies im Eiter fast eine 
Reinkultur von Influenzabazillen nach. 

Im iibrigen lieferte uns aber die erste Welle der Epidemie kein Beobachtungs- 
m atonal. 

Ganz anders verhielt sich jedoch die zweite Welle der Krankheit. Ohne 
die gewohnlichen mehr oder weniger ausgepragten febrilen Delirien wah¬ 
rend der pneumonalen Affektion hatte ich in der kurzen Zeit von Mitte 
Oktober 1918 bis Ende Februar 1919 neben den spater zu besprechenden Neryen- 
failen 29 Psychosen infolge Influenza Gelegenheit zu beobachten. (4 Folge- 
zustande kamen im Laufe des Jahres 1919 noch auBerdem zur Beobachtung.) 

Die meisten Aufnahmen fielen in die letzten zwei Drittel des Dezember. 
Da es sich hauptsachlich um postinfektiose Prozesse gehandelt hat, so ware 
ihr Ausbruch etwa Ende November oder Anfang Dezember zu setzen. 

Samtliche Falle traten hinsichtlich ihrer Verlaufszeit als akute aUf. Hin- 
sichtlich eines Falles war ich mir nicht sicher, ob nicht bereits eine latente 


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Katatonie vor der infektidsen Erkrankung bestanden habe. Ein Fall (1 Weib) 
entpuppte sich nach Abklingen der akuten Erscheinungen als progressive Para¬ 
lyse. Das Gleiche wird mir von einem an die Pflegeanstalt abtransferierten 
Falle (1 Weib) berichtet, der wahrend seines hiesigen Aufenthaltes nicht den 
geringsten Anhalt fur die Diagnose einer metaluischen Erkrankung geboten 
hatte. Es ware sicher voreilig, aus diesen 2 Fallen den SchluB zu ziehen, 
daB eine Influenzapsychose eine latente Paralyse manifest werden lafit; 
immerhin aber mochte ich auf die von Althaus geauBerte Mitteilung 
hinweisen, wonach er wiederholt nach Influenza Paralyse auftreten gesehen 
haben will. 

In einem Falle trat neben der arztlicherseits anamnestisch konstatierten 
Influenza noch ein leichtes Erysipel, welches allerdings auf der Hohe der Er¬ 
krankung erst zum Ausbrueh kam, in Konkurrenz. 

Bei der Mehrzahl der Kranken war ein systematisches Messen dcs Fiebers 
wegen der Unruhe der Patienten unmoglich. Soweit es geschehen konnte, 
geschah es; es zeigten jedoch nur 3 Falle erhohte Korpertemperatur und keiner 
davon iiber 40° C. 

Dieses Ergebnis wird nicht befremden, wenn uns die Tatsache bekannt 
ist, daB sich fast alle Psychosen an die bereits iiberstandene pulmonale Er¬ 
krankung angeschlossen haben; ich hatte nur 7 Falle zu sehen Gelegenheit, 
in denen die Psychose wahrend der eigentlichen korperlichen Erkrankung zum 
Ausbruche gekommen war. Alle anderen Kranken waren fast durchwegs bereits 
vollig fieberfrei, haben sogar das Krankenbett schon verlassen, ja schon ihre 
Arbeit aufgenommen, als sie erst zu delirieren anfingen. In einigen Fallen 
betragt das Intervall zwischen der anscheinenden Genesung und dem Aus- 
bruch der Psychose iiber 2 Wochen. — In einem Falle berichtet die Anamnese 
iiber einen psychischen Insult (fast gleichzeitiger Tod des Mannes und zweier 
Kinder an Influenza) auf die seit 8 Tagen genesene Kranke. 

DaB die Schwere der Infektion, ein bosartiger oder protrahierter Ver- 
lauf irgendwie einen EinfluB auf den Ausbrueh der Psychose gehabt haben 
mijgen, konnte ich in keinem Falle feststellen. Im Gegenteil: fast alle Falle 
verliefen entschieden gutartig; nur 2 Falle erschienen bei der Aufnahme korper- 
lich schwachlich; einer zeigte die Anzeichen einer Pleuropneumonie mit be- 
gleitender Herzschwache. 

Einen EinfluB der Katamenien, die hierzulande die pulmonale Erkrankung 
auBerst ungUnstig beeinfluBten, konnte ich nirgends nachweisen. — Ferner be- 
fand sich unter den weiblichen Kranken keine Schwangere, keine Wochnerin 
und keine Stillende. 

Besonders moge noch hervorgehoben werden, daB sich unter alien Kranken 
kein Alkoholiker befand. 

Die Psychosen verliefen durchweg kontinuierlich, ein einziger Fall nur 
wurde nach 6 vollkommen luziden, geordneten Tagen wieder riickfallig und 
zeigte in der zweiten Phase das gleiche Krankheitsbild wie in der ersten. 


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Hinsiehtlich der Geschlechter erkrankten iiber doppelt soviol Frauen 
als Manner (20: 9). 

Nach dem Alter erkrankten 

von 14 bis 20 Jahren.9 Personen 

„ 20 „ 29 „ 9 

,, 30 ,, 39 ,, 9 

» 40 50 „ 2 

Wie daraus zu ersehen ist, partizipieren an den Erkrankungen alle 3 De- 
zenien vom 10. bis 40. Jahre gleichmaBig, und wahrend das 5. Dezenium noch 
2 Falle aufweist, kamen nach diesem und im ersten Dezennium keine Krank- 
heitsfalle auf meinen Abteilungen zur Beobachtung. 

Trotz meiner Erwartung, bei einer groBeren Anzahl der Kranken vor- 
handene Psychopathen feststellen zu konnen, war es mir upgeachtet umfassen- 
der Erkundigungen nicht moglich, irgendeine bedeutendere hereditare Be- 
lastung oder krankhafte Anlage, leichte hysterische Behaftung vielleicht aus- 
genommen, in irgendeinem Falle nachzuweisen, so daB alle Falle als rein in- 
fcktiose bzw. metainfektiose hingestellt werden mUssen. Ich gebe jedooh zu, 
daB nicht alle Anamnesen trotz reichlicher Mtihe aus naheliegenden Griinden 
geniigend erschopfend aufgenommen werden konnten. 

Was die Krankheitsbilder anlangfc. so boten die Psychosen nichts derart 
Charakteristisches, alien Gemeinsames dar, daB ohne anamnestische Daten 
aus dem Krankheitsbilde allein die Diagnose hatte gestellt werden konnen. 

Im allgemeinen waren es vornehmlich verschiedene Arten der Verwirrt- 
heit, mit leichterer oder schwerer Desorientiertheit und Benommenheit, Ideen- 
flucht, illasionarer Verkennung, Halluzinationen und psychomotorischer Er- 
regung. Einige leiteten sich mit einem manischen oder hypomanischen, die 
meisten jedoch mit einem depressiven oder angstlichen, einige wenige mit 
einem hypochondrischen Stadium ein. Im ersten Falle erschienen die Kranken 
ausgelassen, witzig, redselig, mutwillig, zu allerhand Ungezogenheiten und 
Unternehmungen aufgelegt, einige auch reizbar, zornmiitig und gewalttatig. 
In der Depression, sei es als der einleitenden oder persistierenden Stimmung, 
zeigten sich die Kranken freudlos, verzweifelt, voll diisterer Ahnungen, furcht- 
sam und scheu, vielfach__angstlich Und beklommen, verlegen, ratios, einige 
litten auch an schweren Angstanfallen mit Zerstorungswut und Selbstmord- 
tendenzen. Zu letzteren neigten insbesondere Kranke mit Yerstindigungs- 
ideen, Befiirchtungen drohender Verdammnis. Gewissensbissen und, ahnlichem. 
Eine Kranke erinnerte in ihrer Verziickung sehr an einen hysterischen oder 
epileptischen Dammerzustand. In einem anderen Falle wechselten in einem- 
fort schwere Angstanfalle samt Klagen iiber Brausen im Kopfe und Sausen 
in den Ohren abwechselnd mit volligem Stupor und Anfallen von schwerer 
Somnolenz.(!) 

Im groBen und ganzen aber zeigten, wie gesagt, friiher oder spater fast 
alle Falle das Bild der Verwirrtheit, zuweilen auch an schwere katatonische Er- 


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regungen erinnernd. Expansive DeJirien, GroBen- und Verfolgungsideen wurden 
haufig geauBert. iiber Erscheinungen himmlischer und hollischer Gestalten 
nicht selten berichtel. Akustische Halluzinationen waren selten, desgleichen 
taktile. Sinnlosigkeiten, Inkoharenzen mit Zertriimmerungen des Satzbaues, 
bis zur Wortsprengung und Produktion vollig sinnloser Silben, oder Jagen und 
Hasten nach Allitterationen, Assonanzen und Reimen, Rhythmisierungen, 
Parakinesien, Echosymptomen, Posen und Manieren kamen oft zur Beobachtung. 
Dabei das stundenlange Schreien, Briillen, Kreischen, Lachen. Weinen, Spucken, 
Schmieren, Springen, Klatschen, Trommeln, ZerreiBen, bei oft tage- und nachte- 
lang bestehender Schlaflosigkeit. In einem Falle erfuhr die Erregung mit 
schwerer Jaktation die Hohe des Delirium acutum, welches aber eigentiimlicher- 
weise nach relativ kurzem Bestehen fast kritisch abbrach, nachdem es den 
Kranken beinahe an Ersehopfung hat zugrunde gehen lassen. — Bei 2 schwer 
verwirrten und motorisch erregten Patienten zeigte das Delir eine exquisit 
sexuelle Farbung (Obsconitaten in Wort, Bewegung und Handlung). 

In einigen wenigen Fallen machten die Kranken den Eindruck befangener, 
ratloser, asthenischer. traumhaft verwirrter, direktionsloser, scheuer Menschen. 

Zwei im groBen und ganzen deprimierte Patientinnen zeigten ein manisch- 
depressives Krankheitsbild. Sie gaben sich mutlos, verzweifelt, seufztert viel, 
waren jedoch sehr reizbar, murrten bei jeder Gelegenheit, benorgelten in einem 
fort Kost, Pflege und Unterbringung, waren miBmutig und brachten ihre 
AuBerungen mit kaum vemehmlicher Stimme vor. Von ab und zu sich ein- 
stellenden Angstaffekten abgesehen waren die Kranken scheinbar luzid und 
vollig orientiert. Aber mitten drin in ihren Norgeleien tiberraschten sie plotzlich 
mit guten Witzen und satirischen Bemcrkungen, glossierten den Arzt, erwiesen 
sich schlagfertig, und wahrend noch die Kranken voller Morositat irgendeine 
Suppe abfallig und hamisch kritisierten, huschte ein boshaftes Lachen iiber 
die plotzlich aufgehellten Ziige. 

In einem Falle bot die Psychose das Bild einer schweren Erschopfungs- 
psychose: die Kranke lag tagelang fast ohne sich zu riihren im Bette, ermiidete 
sichtlich nach der kleinsten Arbeit und machte den Eindruck eines auBerst 
schlafrigen oder abgemarterten Menschen. Die Kranke faBte schwer auf, gab 
nur iiber wiederholtes, eindringliches Befragen Antwort und verstummte bald, 
so daB sie bei fliichtiger Betrachtung den Eindruck einer gehemmten oder 
gar stuporosen, ja somnolenten Kranken machte. 

Zu erwahnen ware noch eine Depression, die nach wenigen Tagen un- 
vermittelt in einen hartnackigen Stupor iiberging. 

Bei einer einzigen Kranken, bei der sich das Krankheitsbild auf Angst- 
zustande mit leichten, ab und zu auftretenden Delirien beschrankte, ware 
von Interesse zu erwahnen, daB die Erscheinungen bei eintretender Dammerung 
manifest wurden, die Nacht iiber anhielten, daB aber tagsiiber die Patientin 
vollig luzid und geordnet erschien und auch entsprechende Krankheitseinsicht 
zeigte. 


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Trotz' der nicht eben seltenen neuritischen und polyneuritischen Er- 
scheinungen im Verlaufe der Grippe erinnerte nur ein Kranker nach der bereits 
abgelaufenen Psychose an das Korsakowsche Syndrom. Er klagte Uber Kopf- 
schmerzen und dariiber, daB er alles vergesse. Die Merkfahigkeit erschien jedoch 
nicht bedeutend gestort und zeigte sich nach wenigen Wochen bereits normal. 
Konfabulationen wurden niemals beobachtet und konnten auch nie hervor- 
gerufen werden. Dessen ungeachtet orientierte sich auf der Abteilung der Patient 
nur schwer und konnte den Weg auf den Abort und ins Zimmer zuriick durch 
2 Tage hindurch nicht finden. 

Hatte ich die Psychosen ihrer Form nach einreihen wollen, so muBte ich 
etwa 1 Delir, 1 Dammerzustand, 1 Erschopfung, 1 Stupor, 4 Depressionen, 
2 Misehzustande (folic raisonnante) und 19 Vervvirrtheiten in der Klassifikation 
ausweisen. 

Ich muB jedoch ausdriicklich betonen, daB die symptomatologische Ein- 
teilung nur das jeweilig hervorstechendste Symptom ins Auge faBt und daB es 
in Wirklichkeit nicht einen reinen Fall gab, insbesondere dann nicht, wenn man 
die Anamnese, also den Anfang, den weiteren Verlauf und den Ausgang mit- 
beriicksichtigt. Anfanglich niedergedruckte oder hypomanische Patienten 
wechselten in der weiteren Entwicklung des Leidens ihre Stimmungen, die haufig 
genug tlberg&nge und Mischzust&nde boten, wie ja die Labilit&t der Affekte 
bei den meisten Fallen eine recht ausgesprochene war. Der heute schwer ver- 
wirrte und erregte Kranke erschien morgen hart gehemmt oder seufzte, weinte 
und zeigte sich deprimiert oder verzweifelt, oder er wurde auf wenige Stun den 
hin unzuganglich und stuporos. Andere sehr unruhige Kranke beruhigten sich 
gegen alle Erwartung binnen weniger Tage und Stunden oder wurden luzid 
uber Naeht. Andere wieder blieben ruhig, interesselos, desequilibriert, ratios, 
ohne Direktive, ohne Interesse, asthenisch, vertr&umt usw. voile Wochen hin- 
durch, blieben kraftlos und ohne Initiative und konnten sich die langste Zeit 
nicht wieder aufraffen. 

Was nun die Dauer und den Ausgang der Psychose anlangt, so verliefen 
einige wenige Falle mit schwerer Verwirrtheit und motorischer Erregung bei- 
nahe transitorisch und genasen nach wenigen Tagen oder innerhalb der ersten 
Woche. 

Das Gros der Falle aber zog sich Uber viele Wochen hin. Von meinen 29 
Fallen (20Frauen, 9Manner) genasen: 4 Manner und 7 Frauen, also zusammen 
11 Kranke uiid zwar in der ersten Woche 2 (1 Mann und 1 Frau), in den ersten 
4 Wochen 3 (1 Mann und 2 Frauen), nach Ablauf von 5 Wochen 4 (1 Mann 
und 3 Frauen) und inklusive die 3. Woche noch 2 (1 Mann und 1 Frau). 

Gebessert auf Drangen der Angehorigen wurden entlassen 3 Manner 
und 6 Frauen, also 9 Personen, die auf den Abteilungen 1 bis 17 Wochen zu- 
gebracht hatten. 

Die Anzahl der tibrigen nichtgebesserten Kranken, deren Krankheits- 
zeit bis Ende April 16 bis 24 Wochen auswies, betrug 8. Alle wurden nach Ab- 


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lauf der gesetzlichen Frist an die Landesirrenanstalt abgegeben, von denen 
eine Kranke an progressiver Paralyse starb, 2 genasen, 2 als gebessert in die 
hausliche Pflege und die Ubrigen in das Irrensiechenasyl als unheilbar iiber- 
wiesen wurden. 

1 Fall (1 Mann) ist mir an Herzschwache gestorben; die Psychose als 
solche fiihrte nicht zum Tode. Naturlich muB aber auch mit solchen Zufallen 
gerechnet werden, wenn Kranke mit schwerer motorischer Erregung und lange 
anhaltender Jaktation jede Nahrungsaufnahme verweigern, nach der kttnst- 
lichen Fiitterung die eingefuhrte Nahrung erbrechen, wochenlang fast schlaf- 
los sind. Im allgemeinen kann ich jedoch sagen, daB die Prognose quoad vitani 
trotz der' Schwere der Erscheinungen keine ungiinstige ist. 

Was nun im Ubrigen den Ausgang der Krankheit betrifft, so ergeben sich 
bei meinem Material folgende Verhaltnisse: die meisten Heilungen traten binnen 
der ersten Wochen ein. Spater wird die Vorhersage eine weniger gunstige, 
und nach der 16. Woche zeigen sich schon Erscheinungen geistigen Ver- 
falles bei einigen Kranken, doch kamen Heilungen noch 7 Monate nach dem 
Ausbruche der Psychose vor. 

Um zu rekapitulieren: 

Insgesamt wurden von den 29 aufgenommenen Kranken geheilt entlassen 
13 Kranke (= 44,52 %); gebessert 11 (= 37,98%), 4 verblieben ungeheilt 
(= 13,79 %), 1 Mann starb an Herzschwache (= 3,45 %), eine der ungeheilten 
Frauen ging unter den Symptomen der progressiven Paralyse nach 6 Monaten 
zugrunde. 

SchlieBlich sei erwahnt, daB im Laufe des Jahres der Abteilung noch 
weitere 4 Falle (2 Manner, 2 Frauen) von Irresein nach Influenza, die bis dahin 
monatelang in hauslicher Pflege gehalten wurden, zugewachsen sind. Es waren 
unheilbare konsekutive Schwachezustande, die gewohnlich apathisch oder leicht 
deprimiert waren, zeitweise aber schwer erregt wurden und deshalb der An- 
stalt zugefuhrt werden muBten. 


Geringer war die Anzahl der beobachteten Nervenfalle nach Influenza. 

Die Schadigungen am Nervensystem sind meines Erachtens in 2 Gruppen 
unterzubringen. In die erste Gruppe gchoren solche, welche durch eine dauernde 
irreparable Yemichtung der nervosen Gewebselemente infolge enzephalitischer 
oder myelitischer Prozesse, Blutungen, GefaBobliterationen, Entzundungs- 
herde, Abszesse u. dgl. zustande kommen. Die zweite Gruppe bilden die Falle, 
bei denen die Nervenzellenfasem durch eine Uberschwemmung von Bazillen 
oder, was wahrscheinlicher ist, ihrer Toxine oder Stoffwechselprodukte temporar 
schwer, aber kaum dauemd geschadigt oder gar vernichtet werden. 

Es ist ohne weiteres klar, daB die Prognose fur die erste Gruppe eine in- 
fauste ist. Kleine Besserungen, vor allem Reizausfalle, sind ja infolge Resorption 
moglifch, viel wird jedoch nicht zu erwarten sein. Anders steht jedoch die Sache 


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bei den toxischen Erkrankungen. Die vergifteten Zellen erholen sich bald und 
werden fast stets wieder funktionstiichtig. Darum ist die Prognose dieser post- 
infektiosen oder besser gesagt dieser metainfektiosen Falle trotz des anfanglich 
sehr alarmanten Auftretens der Krankheit als eine recht gute zu bezeichnen. 

Zur ersten Gruppe hatte ich leider 3 Falle (2 Manner und 1 Frau) zu rechnen; 
es waren in alien 3 Fallen Hemiplegien, die in die capsula interna zu lokalisieren 
waren. Die Lahmung trat bei alien Kranken im Sehlafe wahrend der Nacht 
auf, und zwar auf der Hohe oder gegen das Ende des Fieberstadiums. — Nach 
wenigen Wochen kam es bereits zu hochgradigen Kontrakturen in den Extre¬ 
mitaten. Die verschiedenen Behandlungsarten versagten vollkommen. 

Der 4. Fall, den ich ebenfalls dieser Kategorie zuzahle, betrifft eine 29jahrige 
Frau, die wahrend des Fiebers an schweren epileptischen, mehrmals taglich 
auftretenden Anfallen erkrankt war. Auf Jod und Brom verloren sich nach 
5 Wochen die Anfalle vollstandig und blieben bis heute aus. Ob sie dauernd 
zessieren, wird die Zukunft lehren. 

Alle ubrigen Falle, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, waren toxisehe 
Neuritiden und Polyneuritiden. Wenn ich von der einen Neuritis und den zwei 
Polyneuritiden, deren ich schon bei der Besprechung der Psychosen Erwahnung 
getan und die beide noch vor der abgelaufenen Geisteskrankheit ausheilten, 
absehe, so kam noch 1 Fall einfacher Polyneurits mit Lahmung samtlicher 
4 Extremitaten zur Beobachtung, der binnen 6 Wochen fast vollkommen genas. 
Ein zweiter Fall wies neben der Lahmung samtlicher Extremitaten noch beider- 
seitige Fazialis- und Gaumenlahmung auf. Der Kranke, der sich gar nicht be- 
wegen und kaum essen konnte, verlieB nach 4 Wochen vollig geheilt die An- 
stalt. An der Erkrankung beteiligten sich auch beide Nn. optici mit einer Neu¬ 
ritis (Augenspiegelbefund Prof. Dr. Botteri). 

Sehr bose spielte aber die Influenza einem lOjahrigen (!) Knaben mit, der 
seit seinem zweiten Jahre an Oppenheimscher Amyotonie litt. Wenn sich 
auch der kleine Kautschukmann zeit seines Lebens ohne Zuhilfenahme von 
Stiihlen, Tischbeinen usw. nicht auf die FiiBe allein helfen konnte und beim Auf- 
stehen stets an sich emporklettern muBte, so war er doch imstande allein zu 
,,watscheln“. Die der Influenza folgende Polyneuritis aber lahmte ihn auf beiden 
Beinen vollstandig und wahrscheinlich dauernd, denn nach vielen Wochen war 
noch keine Spur irgendeiner Besserung wahrzunehmen. 

Noch von 2 schweren Fallen von Polyneuritis hatte ich zu berichten, Der 
erste Fall betrifft eine 24 jahrige Kranke, die im Oktober 1917 eine Influenza 
durchgemacht hat, scheinbar vollig genas, aber nach Yerlauf von 4 Wochen 
eines Tages binnen weniger Stunden nicht mehr gehen und stehen konnte. In 
den nachsten Tagen wurde sie vollkommen gelahmt, konnte keine Extremitat 
mehr bewegen, sich auch im Bette nicht riihren, noch viel weniger sich aufrichten 
oder setzen. Die Zunge wurde schwer beweglich, die Stimme leise, die Kranke 
verschluckte sich in einem fort oder regurgitierte durch die Nase, konnte spater 
kaum mehr schlucken. Dabei qualte sie andauernder Hustenreiz, doch war sie 
auBerstande auszuhusten, fiihlte schwere Beklemmungen in der Brust und litt 
an Atemnot. Die Pulsfrequenz stieg auf 100 Schlage in der Minute. Die Lebens- 
gefahr wurde noch groBer, als auch der Phrenicus versagte und Zwerchfell 


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lahmung eintrat, wie das deutlich an der bei jeder Inspiration kenntlichen Ein- 
ziehung und der bei jeder Ausatmung auftretenden Hervorwolfmng des Bauches 
zu sehen war. Dabei war das Atmen auBerst angestrengt und unregelmaBig ober- 
flachlich und wurde fast ausschlieBlich auxiliar unterhalten. Wegen der Un- 
moglichkeit halbwegs ausgiebiger zu husten, kam es zu Ansammlung von Sekret 
in den Bronchien, was alles zu hoher Erstickungsgefahr fiihrte. Die hoehgradig 
cyanotische Kranke war stundenlang soporos. Nachdem bereits der V., VI., 
VII., IX., X. und XII. Hirnnerv affiziert waren, verschonte die Krankheit auch 
nieht die auBere Augenmuskulatur, und die Kranke fing an zu schielen. Und 
dessenungeachtet verlieB auch diese Patientin nach einigen Mona ten das Bett und 
erfreut sich heute tadelloser Gesundheit. 

Der letzte Fall, iiber den ich noch zu berichten hatte, betrifft einen 6 jahrigen 
Knaben, bei dem unter anderen Umstanden die Diagnose einer akuten Polio¬ 
encephalitis superior in Verbindung mit einer Poliomyelitis, also eine Polio- 
encephalomyelitis vollkommen berechtigt erscheinen wiirde. Da es sich jedoch 
offenbar um keine Blutungen oder echte Entziindungen, sondern um toxische 
Vorgange gehandelt haben wird, so bleibe ich bei der bescheidenen Diagnose 
einer postinfektiosen Polyneuritis. Natiirlich erscheint es eigentiimlich, daB in 
dem Falle den in den groBen Okulomotoriuskernen endstandig lozierten Kernen 
fiir den Levator palp. sup. und Rect. inferior Pardon gewahrt worden ist, und sie 
unbehelligt geblieben sind, wahrend sonst eine komplette auBere Ophthalmoplegie 
bestanden hat. Diese Tatsache spricht meines Erachtens eher fiir eine Kern- 
als fiir eine periphere Lasion, oder es muB eine besondere Resistenz jener 
beiden genannten Teilkerne angenommen werden, was auch nicht besonders 
plausibel erscheint. — Der kleine Patient wies eine vollstandige Paraplegie und 
eine Parese beider Arme auf, lag vollig unbeweglich zu Bette, konnte sich weder 
aufrichten, noch sitzen, noch sich wenden, er blickte mit seinen weitaufgerissenen, 
prominenten, versteinerten Augen starr zur Decke. Gleichzeitig bestand eine 
Neuritis beider Nervi optici (Prof. Dr. Botteri). Wegen schwerer Lahmung 
beider N. faziales, des Gaumens und der Schlundmuskulatur konnte der Kranke 
weder essen noch trinken und muBte 10 Tage lang mit der Schlundsonde er- 
nahrt werden. Nach Ablauf von 10 Wochen genas auch dieser Knabe vollstandig. 

Fiir diese toxischen Polyneuritiden ist es charakteristisch, daB anf&nglich 
die Krankheit nicht die geringste Besserungstendenz zeigt und infolgedessen 
die schwerwartenden Angehorigen, wie verstandlich, zur Verzweiflung treibt. 
Sabi;Id aber einmal die erste Besserung eintritt, geht es rapid vorwarts. 

In keinem Falle klagten die an Nervenentziindung erkrankten Patienten 
iiber groBere, der Schwere der motorischen Storung etwa entsprechende Schmer- 
zen. Die Krankheit begann vielfach mit Formikationen, Jucken, Brennen, 
Ziehen in der Muskulatur und anderen Parasthesien (insbesondere Akropar- 
asthesien). Einige hatten das Gefiihl, als hatten sie brennende Nadeln in den 
Fingerspitzen. Wahrend der Entwicklung der Paresen klagten die Kranken 
iiber das Gefiihl des Taub-Pelzigseins in den Gliedern, einige fiihlten sie tiber- 
haupt nicht mehr, anderen kamen die Hande und FiiBe „holzern“ vor. Die 
Sensibilitatspriifung ergab in keinem Falle schwerere Storungen der Sensi- 
bilitat, hochstens traten leichte Hyper- oder Hyp&sthesien an den distalsten 
Extremitatenenden auf. Eine Empfindungsdissoziation kam niemals zur Be- 
obachtung. Der N. trigeminus war jedoch haufig hyper&sthetisch, sowohl 


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an seinen Austrittsstellen (und zwar fur Druck, wie fiir Perkussion), als auch 
in seinem Ausbreitungsgebiet; insbesondere erschienen die Masseteren iiber- 
empfindlich. Die Alterationen des Trigeminus hatten auch zur Folge, daft die 
Kranken haufig mit Klagen kamen: „der Mund oder die Zunge waren ge- 
schwollen“, „etwas sei nicht recht im Munde“, „das Essen sei verandert, es 
fiihle sich anders an“, „das Wasser sei widerlich siiB“, wahrend im iibrigen 
der Geschmack unbehelligt blieb und die gangbaren Proben keine Storungen 
aufdecken konnten. Da fast immer bei der Stdrung neben dem V. der VI., IX., X. 
und XII. Hirnnerv befallen waren, war es schwer zu entscheiden, was im spe- 
ziellen auf das Konto des einen oder des anderen zu setzen war. Im allgemeinen 
erhielt ich den Eindruck, daB die Storungen weniger den Geschmack betrafen 
als die stereognostische Orientierung. 

Wie auch sonst die Reflexe keine Regel befolgten und bald gesteigert, 
bald aufgehoben erschienen, zeigte sich der Patellarreflex, der mit Ausnahme 
eines einzigen Falles, in dem er nur mit dem Jendrassikschen Handgriff hervor- 
zurufen war, weit hinein in die Besserungszeit erloschen. 

Wie uns die anamnestischen Daten lehrten, traten alle Polyneuritiden 
nach Ablauf des fieberhaften Stadiums, oft viele Wochen hernach auf, wahrend 
die organischen Lasionen bereits auf der Hohe der febrilen Erkrankung mani¬ 
fest geworden sind. Es erscheint mir wichtig, diese Tatsache zu betonen, da 
es sich nicht nur um Differenzierung infektioser und post- bzw. metainfektioser 
Prozesse handelt, sondern weil diese Eigentiimlichkeit fiir die Prognose von 
groBter Bedeutung erscheint. Friihschadigungen bei Influenza sind immer 
ernster Art; die Spat- oder Nachsch&digungen sind allerdings alarmierender Natur, 
aber ihr Ausgang ist ein iiber alle Erwartung gunstiger. Greift neben der not- 
wendigen symptomatischen Therapie der Arzt noch zu Jod, Strychnin und 
zu tonisierenden MaBnahmen, und hilft er spater mit Badern, Elektrizitat, 
Message, Bestrahlungen usw. nach, so kiirzt er die Heilungsdauer um Wochen 
und Monate ab und wirkt wahre Wunder. 

Resumiere ich also in KUrze meine Beobachtungen, so komme ich zu 
folgenden Ergebnissen: 

Einige Influenzaepidemien rufen eine groBe Anzahl von spezifischen 
Psychosen und eine ziemlich hohe Zahl von Nervenkrankheiten hervor. 
Abgesehen von den Infektionsdelirien traten die Psychosen gewohnlich erst 
im afebrilen Stadium der Krankheit auf, schlossen sich der Entfieberung an, 
oder traten sogar noch nach Wochen in der Genesungszeit auf. Oder die 
psychischen Storungen fingen haufig mit einer kaum merklichen Depression 
oder einem asthenischen Stadium an, welche Zustande sich iiber Wochen hin- 
ziehend als Initialstadium der Psychose von der Umgebung verkannt und 
iibersehen wu den, § pater schleichender oder jaher in erregte Verwirrtheit 
iibergingen. Etwa ein Drittel der Kranken genas nach wenigen Wochen, die 
iibrigen bis auf eine schwache Halfte der ursprunglichen Anzahl nach Monaten. 


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Der Rest heilte mit Defekten aus; der Ausgang waren leichtere oder schwerere 
psychische Schwaehezustande (also etwa ein Achtel der Falle). 

Die von der Influenza hervorgerufenen Nervenkrankheiten waren teils 
organischer, teils toxischer Art. Erstere traten friihzeitig, im Fieberstadium 
auf und gaben eine schlechte Prognose. Die toxischen, die regelmaBig als Poly- 
nsuritiden, mit geringen sensiblen und schweren motorischen Ausfalls- 
erscheinungen einhergingen und stets auch die Himnerven affizierten, traten 
nach Ablauf des febrilen, katarrhalischen Stadiums auf, hatten eine sehr gute 
Prognose und fiihrten fast ausnahmslos nach Wochen und Monaten zur resti¬ 
tutio ad integrum. 


8. Uber den Yerlauf und die Prognose der Encephalitis 

lethargica. 1 

Von Z. Bychowski in Warschau. 

I. 

Die eigentUmliche epidemische Gehirnkrankheit, die sich letztens pan- 
demisch uber ganz Europa und, wie es scheint, auch in Amerika verbreitet hat 
und die nach Economo Encephalitis lethargica genannt wird, hat auch War¬ 
schau und Polen nicht verschont. Wenn auch schon jetzt aus vielen Landem 
eine groBe Flut von diesbezuglichen Mitteilungen, die leider bis nun dank den 
jetzigen speziellen Bedingungen nur aus ganz knappen bibliographischen No- 
tizen bekannt sind, vorzuliegen scheint, hielt ich es doch fUr nicht uninteressant, 
auch uber unsere personlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet kurz zu berichten. 

Wie es sich jetzt nachtraglich herausstellt, hatten wir schon in den Jahren 
1918 und 19 vereinzelte Falle gesehen; gehauft und epidemisch zeigten sie sich 
aber erst Ende Dezember 1919 und Januar-Marz dieses Jahres, nachdem wir 
im Herbst wiederum eine groBe und schwere Grippeepidemie durchgemacht 
haben. Freilich fehlen noch bis nun genauere statistische Daten. Allein man 
kann, ohne zu iibertreiben, die Zahl der Falle in Warschau selbst auf mehrere 
Hunderte schatzen, wahrend wir auch sehr reichlich von der Provinz beschickt 
worden sind, aus welcher wir iibrigens noch immer neue, aus den ersten 
Monaten dieses Jahres stammende Residuarfalle zu sehen bekommen. Per- 
sonlich verfiige ich jetzt uber einige 40 Falle 2 , von denen ich mehrere vom An- 
fang an bis jetzt fast ununterbrochen zu beobachten die Moglichkeit hatte. 
Auch mit den Fallen aus der Provinz verblieb ich in Kontakt und habe vor 
Abfassung dieses Aufsatzes wiederum Nachricht uber ihren Zustand bekommen. 
Dank der groBen Liebenswiirdigkeit einiger Kollegen hatte ich die Gelegenheit, 
mehrere Falle in den hiesigen Krankenhausabteilungen zu sehen. Alles in a-lleni 

1 Nach zwei Vortragen und Demonstrationen in der neurologischen Abteilung der 
Warschauer medizinischen Gresellschaft im Mai und September 1920. 

3 Anm. bei der Korr.: Seitdem habe ich mindestens noch 20 Residuarfalle gesehen. 


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genommen glaube ich, einen den bei uns hier beobachteten Tatsachen ent- 
sprechenden tlberblick geben zu konnen. 

Im allgemeinen gestaltete sich das klinische Bild folgendermaBen: Bis 
dahin gesunde Personen fangen an, iiber Kopfschmerzen zu klagen. Die Schmerzen 
sind entweder diffus den ganzen Kopf oder auch den ganzen Korper umfassend, 
Oder sie sind in irgendwelchem Nervengebiet (Trigeminus, Occipitalis) lokalisiert. 
Ich habe aber auch Falle gesehen, wo iiber initiale Schmerzen in anderen Korper- 
teilen geklagt wurde, so im Gebiet des Plexus brachialis, in einem Interkostal- 
raume, im Kniegelenk usw. In diesem Zustande zeigten sich viele Kranke 
ambulatorisch. Zwar wird schon damals iiber Schlaflosigkeit geklagt, die man 
aber auf Kosten der bestehenden Schmerzen zu buchen geneigt ist. Anti- 
neuralgische Mittel lassen die Schmerzen ganz unbeeinfluBt. Patient wird 
immer miider und unruhiger, er muB zu Bett bleiben, da besonders bald sich 
neue groBe Besorgnis hervorrufende ErscheinUngen hinzugesellen. Es tritt 
namlich sehr oft Lahmung dieses oder jenes Augenmuskels ein. In einigen 
Fallen war das Doppeltsehen das erste Symptom, das den Patienten zum Arzt 
fiihrte. Auch bei einem 4jahrigen rachitischen Madchen, das noch nach 
8 Monaten nicht ganz hergestellt ist, ist den Eltern vor allem ein Schielen auf- 
gefallen. Ganz gesondert war ein noch in vielen anderen Beziehungen inter- 
essanter Fall, eine 45 jahrige Kaufmannsfrau betreffend. Schon im algischen 
Stadium, als sie iibrigens noch in ihrem Laden sich beschaftigen konnte, stellte 
sich eine rechtsseitige Hemianopsie ein, die ich noch nach einigen Tagen, als 
sie mir aus einer Vorstadt zugefiihrt wurde und, nebenbei gesagt, im Warte- 
zimmer einschlief, feststellen konnte. Patientin laBt noch jetzt sehr vie] zu 
wunschen ttbrig, die Hemianopsie aber war schon nach einigen Tagen ver- 
schwunden. 

Nun aber wird das Krankheitsbild durch neue Erscheinungen kompliziert. 
Das BewuBtsein wird immer mehr benebelt, wenn dazwischen auch ganz freie 
Intervalle vorkommen. Es stellen sich haufig Delirien und Gesichtshallu- 
zinationen ein. Die starksten Schlaf- und Beruhigungsmittel bleiben erfolglos. 
Die Kranken werden unruhig, springen auch manches Mai aus dem Bett heraus. 
Einen ganz besonderen Stempel aber legen jetzt auf das klinische Bild die 
sich einstellenden Hyperkinesen, die eine, ich mochte sagen, ungeahnte und 
bei einem und demselben Kranken noch vielleicht nie gesehene Mannig- 
faltigkeit erreichen. Oft handelt es sich um groBziigige, heftige, unkoordinierte, 
schleudernde Bewegungen im Rumpf und in den Extremitaten, infolgedessen 
der Kranke fast ununterbrochen seine Lage andern muB. Der Rumpf scheint 
plotzlich wie hinuberzufallen, er dreht sich seitwarts und riickwarts bogen- 
artig aus, oder der Kranke setzt sich ruckartig auf, um sofort wieder hinzu- 
sinken. Ein Arm oder ein Bein wird in die Hohe oder hinter den Riicken ge- 
schleudert. Die Bauchmuskulatur wird von Zeit zu Zeit bretthart, oft krampfen 
nur vereinzelte Bauchmuskeln oder auch nur einige Teile derselben (in den 
Recti abdominis). Einen besonders schweren und prognostisch ominosen Ein- 


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druck machen auftretende Zwerchfellkrampfe, die ini Gegensatz zu den hyste- 
rischen von einem dumpfen rohen Singultus begleitet werden. Alle meine 
5 letalen Falle sind eben bei diesen Zwerchfellkr ampfen zugrunde gegangen. 
AuBer diesen nicht bei alien vorkommenden groBziigigen Hyperkinesen, die 
sich iiberhaupt schwer beschreiben lassen und die, wie mir scheint, ini Zentral- 
stadium, wenn die Kranken dabei nicht letal endigen, nicht langc andauern 
(auf die im Rekonvaleszentenstadium auftretende muskulare Unruhe komme 
ich spater zu sprechen), stellen sich auBerdem, wie ich glaube bei alien Kranken, 
blitzartige, myoklonische und choreatischc Zuckungen in einzelnen Muskeln 
und Muskelgruppen, unter anderem auch im Gesicht, ein. In einigen Fallen war 
die Zungenmuskulatur besonders befallen. Sie wurde von Zeit zu Zeit hinaus- 
geschleudert oder zwischen den Zahnen eingeklemmt, infolgedessen das Sprechen 
und das Schlucken sehr beeintrachtigt waren. (In einem Falle besteht dieser 
Zustand noch nach 8 Monaten. 1 ) Bei zwei meiner Kranken — einer verschied 
schon nach einigen Tagen an Zwerchfellkrampfen — war schon im Anfang, 
als sie noch ihren Geschaften nachgehen konnten, ein fast ununterbrochenes 
Seitwartsschieben des Unterkiefers, das als Grimasse gedeutet wurde, auf- 
getreten. In anderen Fallen wieder war ein rastloses Herumdrehen mit den 
Fingem oder ein Herumzupfen an der Decke auffallend. Mehrere Male, aber 
etwas spater, habe ich auch einen lebhaften Nystagmus beobachtct. Ich mochte 
noch einmal hinzufiigen, daB alle diese Hyperkinesen nicht gleichzeitig bei 
alien Kranken vorkamen. Bei keinem einzigen haben.sie aber ganzlich gefehlt. 

Der Puls und die Atmung sind gewohnlich auch noch lange Zeit spater 
beschleunigt, besonders die letztere. Ich habe mehrere Male bis 40 und noch 
.mehr in einer Minute gezahlt. Die Tern per atur steigt sehr oft schon in den 
ersten Tagen bis auf 38° und einige Zehntel und mehr. GroBe Temperaturen 
habe ich nur vereinzelt beobachtet. Nahrung wild gewohnlich sehr gerne ge- 
nommen. Bedrohende Kollapszustande scheinen in diesem Stadium nicht selten 
zu sein. Funfmal ist dabei Exitus eingetreten. Mehrere Male aber ist es gelungen, 
durch Excitantia die Kranken wieder aufzumuntem. 

Nun scheint die Krankheit abzunehmen. Die Delirien haben aufgehort, 
die Hyperkinesen, besonders die groBziigigen, scheinen abzuklingen, Patient 
liegt erschopft, aber bei vollem BewuBtsein, ohne irgendwelche Klagen vor- 
zubringen. Man glaubt am Ende des Dramas zu sein und stellt der Umgebung 
eine rasche Genesung in Aussicht. Allein das Krankheitsbild wechselt wieder, 
manches Mai sogar sehr rasch. Patient wird ganz teilnahmslos. Das Gesicht 
erstarrt wie eine Maske, die Augenlider sinken herab, die Extremitaten mit Aus- 
nahme der noch hie und da auftretenden myoklonischen Und chorealischen 
Zuckungen liegen bewegungslos; die Lage, die der vor einigen Tagen noch 


1 Bei dieser Gelegenheit mochte ich bemerken, daB die bei der Sydenhamschen 
Chorea hier und da beschriebenen Spraehstdrungen auf dieser Unruhe der Zungen- und 
Gaumenmuskulatur beruhen. Manche Kranke vermeiden das Sprechen, weil sie dabei 
die Zunge yerletzen. 


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so Ruhelose einmal angenommon hat, bleibt stundenlang unverandert. Spontan 
ist keine Silbe, kein Schall auBer dem raschen Atmen zu horen. Die Umgebung 
scheint fur den Patienten Uberhaupt nicht mehr zu existieren. Laute Gesprache, 
Klappern der Nahraaschine, grelles Licht, alles geht vor ihm ganz reaktionslos 
vorbei. Ja, bei einer meiner Patientinnen, die in einem solchen Zustand ganz 
allein bei automatisch geschlossener Tiir zu Hause blieb, muBte nach vielem 
Rufen und Klopfen ein Schlosser herbeigeholt werden, um die Tiire zu offnen. 
Patientin befand sich in derselben Pose wie friiher. Dem ersten Eindruck nach 
zu urteilen, glaubt man, daB es sich um einen tiefen Schlaf handelt. Es stellt 
sich aber bald heraus, daB man oft mit dem Patienten leicht in Beruhrung kommen 
kann. Kurze Fragen, freilich einige Male wiederholt (das Einmaleins), werden 
h&ufig richtig beantwortet. Wild eine Fragc gestellt, die eine langere Antwort 
beansprucht, bleibt Patient schon nach einigen Worten stocken. Also z. B. 
wird ein haufig gebrauchtcs Gebet richtig, leise und monoton rezitiert. Aber 
schon nach 5 bis 6 Worten verhallt die Stimme, und Patient scheint wieder 
tief zu schlafen. Aufgefordert fortzusetzen, beginnt er eben an der Stelle, wo 
cr stehen geblieben war. Ein 15 jahriger Schuler zahlte mit mehreren Unter- 
.brechungen bis 150. Und auch am nachsten Tage gefragt, bis wieviel er gezahlt 
habe, gab er die richtige Zahl an. Dagegen weiden kompliziertere Fragen ent- 
weder gar nicht Oder fehlerhaft beantwortet. Kaufleute gaben gewohnlich 
unrichtige Preise ihrer Ware an, merkwurdigerweise immer viel niedrigere, 
den Vorkriegspreisen entsprechend. Auf die Frage, womit er sich beschaftige, 
antwortete ein GroBkaufmann, er sei ein Kommis und bekomme 50 Rubel pro 
Monat Gehalt, was wirklich vor vielen Jahren der Fall war. Und doch bleiben 
bei diesen Unterredungen die Augen geschlossen, das Gesicht ganz amimisch. 
Auch bei provokatorischen Fragen (Bist du ein Dieb?) bleibt das Gesicht wie 
versteinert, wenn auch mit einem tonlosen Nein geantwortet wird. Aufgefordert, 
die Augen zu offnen, hebt Pat. mit einer gewissen Anstrengung die bleischweren 
Lider, iibrigens nicht bis zur normalen Hohe, die aber nach einer kurzen Weile 
wieder herabsinken. Auf dringenden Befehl wird auch die Zunge gezeigt, die 
Hand, das Bein gehoben, aber alles geschieht langsam, faul und automatisch. 
Uberhaupt zeichnen sich alle diese provozierten Bewegungen durch eine, wenn 
ich mich so ausdriicken darf, auffallende motorische Armut aus. Nahrung wird 
gem genommen. Eine in die Hand gesteckte und an den Mund gebrachte Tasse 
wird langsam, oft auch bis zu Ende ausgeschliirft. Bettnassen erinnere ich mich 
nicht bei Erwachsenen gesehen zu haben. Dagegen war mehreremal eine 1 bis 
2 Tage andauernde Retentio aufgetreten, die ein Katheterisieren benotigte. 
Stuhlverstopfung ist auch haufig. Die Temperatur unterliegt in diesem 
Stadium noch haufigen, aber nicht groBen Schwankungen Auch SchweiB im 
Gesicht kommt nicht selten vor. 

Dieses Stadium das in den Fallen Economos wahrscheinlich am aus- 
gesprochensten war, woher auch der eigentlich nicht prazise Beiname lethargica 
stammt, kann nun wochenlang dauern. Eine naherc Analyse zeigt, daB es sich 

XL. (Erglnznngsband.) 4 


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hier uni nichts weniger als einen Letharg sensu strictiori handelt. Es ist aucli 
kein Dammer zustand im eigentlichen psychiatrischen Sinne des Wortes. 
Es ist schwer, einen besonders bezeichnenden Namen fiir ihn zu finden. Man 
konnte ihn vielleicht mit dem Schlummem und Erschopftsein, das man nacli 
groBen plotzlichen Blutverlusten beobachtet, vergleichen. Schon der Umstand, 
daB man sich mit dem Kranken eigentlich leicht verstandigen und sein vegetatives 
Leben regeln kann, spricht gegen einen tiefen pathologischen Schlaf. AuBerlich, 
aber nur auBerlich, hat auch das Bild viel Ahnliches mit einem kiinstlich hervor- 
gerufenen hypnotischen Zustand, zwar mit dem groBen Unterschied, daB hier 
nur der Hypnotiseur eine Antwort herausbekommen kann, wahrend dort bei der 
Encephalitis cin jeder das Kunststiick fertig bekommt. Auch bei Gehimtumoren, 
besonders in der Umgebung der Hypophyse. erlebt man etwas ahnliche, zwar 
nicht solange andauernde und durch Schmerzen oft gestorte Zustande. Leider 
habe ich nie die Schlafkrankheit gesehen. Ich glaube aber nach mancher Be- 
schreibung urteilen zu diirfen, daB es sich auch dort nicht um einen tiefen 
Schlaf handelt, sondern eben um einen ahnlichen Zustand wie bei der Encepha¬ 
litis lethargica. Wie gesagt, kann dieser Zustand bei der Encephalitis lethargica 
mehrere Wochen, mit kleinen Pausen auch 2 bis 3 Monate dauern. In manchen 
Fallen dauert er auch nur einige Tage und hat nur den Charakter eines —sit venia 
verbo — Halbschlummers. Allmahlich scheint Patient sich wie auszunuchtern. 
Yon Zeit zu Zeit offnet er spontan die Augen. Auch die Bewegungsmoglichkeit 
und Bewegungslust nehmen allmahlich zu, wenn auch noch hier und da ein 
myoklonisches Zucken oder choreiformer Ruck vorkommt. Frauen z. B. fangen 
an, ihre Toilette zu ordnen. Nahrung wird oft und gem genommen. Man steht 
wieder vor der Versuchung, an eine Rekonvaleszenz und nahe Konvaleszenz zu 
denken. Bevor ich im Skizzieren des weiteren Verlaufes fortfahre, mochte ich 
noch einige Bemerkungen hinzufiigen. Das bis nun gezeichnete Bild, das aus 
drei chronologisch aufeinanderfolgenden Hauptkomponenten — Schmerzen mit 
Schlaflosigkeit, Hyperkinesen und Schlafsucht — besteht, kann ja verschiedenen 
Variationen unterliegen. Hier und da ist diese oder jene Komponente weniger 
ausgesprochen, wahrend die eine das ganze klinische Bild zu beherrschen scheint. 
So waren in manchen Fallen die Schmerzen unbedeutend und die Patienten 
konnten noch einige Tage ihren Geschaften nachgehen. In einem Falle, ein 
20jahriges Fraulein betreffend, wurde iiber Kopf- und Gelenkschmerzen fast 
im Laufe der ganzen Krankheit, die ungefahr 2 Monate dauerte, geklagt. Die 
Delirien nahmen einigemal einen stiirmischen Charakter an, so daB man an 
eine echte choreatische Psychose zu denken geneigt war. Es sind mir auch einige 
Falle bekannt, die direkt in eine psychiatrische Anstalt transportiert worden 
sind. GroBtenteils aber dauern die Delirien und Halluzinationen nur einige Tage 
und werden gewohnlich von lichten Stunden, wahrend deren Patient ganz ver- 
niinftig ist, durchsetzt. Einigemal sind sie so vorubergehend, daB man erst bei 
genauer Nachfrage von ihnen erfahrt. In einigen Fallen schien wieder die Krank¬ 
heit von Anfang an mit dem Schlummern begonnen zu haben. Es lieBen sich 


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dort katamnestisch vor ausgegan gene Temperaturerhohung mit irgendwelchen 
Schmerzen feststellen, welcher Zustand als Influenza gedeutet wurde. In einigen 
Fallen schienen die Kranken mit kleinzugigen Hyperkinesen noch herum- 
gegangen zu sein, ja ein Patient, der wahrend der Zwerchfellkrampfe nach einer 
Woche starb, hat noch mit den Krampfen in der Unterkiefermuskulatur eine 
kleine Geschaftsreise gemacht. Auch der Schlafzustand ist nicht in alien Fallen 
so ausgesprochen. Einigemal hat er nur einige Tage gedauert, in einigen Fallen 
aus der Provinz, die ich spater zu sehen bekam und die zweifelsohne zur En¬ 
cephalitis gehoren, soil uberhaupt keine Schlafsucht, sondern geradezu wahrend 
der ganzen Zeit Schlaflosigkeit gewesen sein. Die verschiedenen Stadien sind 
also nicht immer scharf voneinander abgegrenzt, sondern oft greift eine Sym- 
ptomengruppe in die zweite hinein, oder die eine verwischt sozusagen die anderen. 
AuBer den schon erwahnten sehr haufigen Lahmungen der auBeren Augen- 
muskeln, die ubrigens gewohnlich nicht lange andauern, habe ich auch einigemal 
Pupillenungleichheit, die ebenfalls nicht lange dauerte, beobachtet. Trage 
Reaktion auf Licht und Akommodation sind nicht selten. Augenhintergrund- 
veranderungen habe ich nicht beobachtet. In einem Fall, der letal endigte, war 
schon in den ersten Tagen eine beiderseitige Hornhauttrubung (Trigeminus ?) 
aufgetreten. Zweimal habe ich Zungendeviation, die in einem Falle wochenlang 
dauerte, auftreten sehen. Zweimal trat eine Fazialisparese auf, die schon nach 
einigen Tagen verschwand, wahrend sie in einem 3. Fall, ein 12 jahriges Madchen 
betreffend, monatelang dauerte, freilich ohne Entartungsreaktion. (Merk- 
wlirdigerweise habe ich die Mutter dieses Kindes vor vielen Jahren an einer 
Fazialislahmung behandelt.) Ich mochte schon hier hervorheben — ich komme 
spater darauf noch einmal ztiruck —, daB ich kein einziges Mai echte patholo- * 
gische Pyramidensymptome bei meinen Kranken gefunden habe. Lebhafte 
Sehnenreflexe gehoren zur Regel. Ebenfalls sind mir keine echten Paresen 
seitens der Extremitaten vor Gesicht gekommen. Zwar wurde mir bei einem 
18jahrigen Kranken von der Familie mitgeteilt, daB hier eine Hemiplegie war. 
Ich konnte mich aber von derselben nicht tiberzeugen. Einmal sah ich einen 
groBen Dekubitus in der Kreuzbeingegend. Das Lumbalpunktat war ohne be- 
sonderen Befund. 

II. 

Das war nun ungef&hr das Bild, das sich Uns im April-Mai darbot. In pro- 
gnostischer Beziehung waren manche Kollegen, als die Frage in unserer Sektion 
diskutiert wurde, ziemlich optimistisch gestimmt. Andere dagegen, zu denen 
auch meine Wenigkeit gehorte, empfahlen groBe Vorsicht Und Reserve. Frei¬ 
lich kannten wir damals schon mehrerc Falle, wo nach einem schweren Verlauf 
eine bedeutende und rasche Besserung eingetreten war. Man konnte also geneigt 
sein zu vermuten, daB der RekonvaleszenzprozeB im raschen Tempo bis zur 
ganzlichen Heilung fortschreiten wird. Leider muB man jetzt nach 4 bis 5 Mo- 
naten eingestehen, daB diese Erwartungen sich nur in einem unbedeutenden 
Grade verwirklicht haben. Eine tadellose Restitutio ad integrum gehbrt bis 

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jetzt noch zu den groJSen Seltenheiten. GewiB, im Vergleich mit deni Sturm, den 
wir im Januar-Marz durchgemacht haben, ist der Zustand vieler unserer Patienten 
ein sehr erfreulicher. Aber eine genauere Betrachtung lchrt, daB sie aueh nodi 
jetzt nicht als ganz gesund betrachtet werden konnen. 

Im April und Mai schien die Rekonvaleszenz wirklich bedeutende Fort- 
schritte zu machen. Das Schlafen horte auf, die Hyperkinesen beruhigten sich, 
die meisten Kranken verlieBen schon das Bett und gewannen ein Interesse fUr 
ihre friiheren Angelegenheiten, einige gingen zur Erholung aufs Land. Alles 
schien dafur zu sprechen, daB bei vielen die arztliche Aufsicht schon entbehrlich 
sei. Allein schon nach kurzer Zeit fingen sie an, sich wieder zu zeigen, entweder 
mit dem Status quo ante Oder viel haufiger auch mit neuen krankhaften Er- 
scheinungen, die sich wiederum durch eine ganz originelle Marke kennzeichneten. 

Es handelt sich nun vor allem wiederum um Schlafstorungen. Also bei 
Nacht, und fast ausschlieBlich bei Nacht, tritt eine eigentumliche Unruhe auf. 
Die Kranken konnen entweder gar nicht einschlafen oder sie erwachen nach 
1 bis 2 Stunden und konnen dann keinen entsprechenden Platz im Bett 
finden. Sie fangen an, sich zu drehen, den Platz im Bett zu andern, stehen auf, 
laufen im Zimmer herum, legen sich wieder ins Bett in entgegengesetzter oder 
irgendwelcher anderen komischen Richtung, um nach einigen Minuten eine 
andere Position anzunehmen. Man bekommt die drastischsten Schilderungen 
iiber dieses schlaflose Herumdrehen von der Umgebung zu horen. Der eine 
nimmt die Beine in die Hande und schaukelt sich, der zweite klopft an die Wand, 
der dritte macht verschicdene bogenartige Windungen mit dem Rumpf usw.. 
ohne wiederum einschlafen zu konnen. Erst am Frtihmorgen schlafen sie fur 
einige Stunden ein. Bei Tag sind sie ruhig, apathiseh, mutlos und, wie begreiflich, 
mtide. Aber auch jetzt konnen sie langere Zeit nicht ein und dieselbe Position 
behalten, besonders ist ihnen das Liegen unmoglich. Besonders ausgesprochen 
sind diese ruhelosen Nachte bei Kindern, die, ne ben bei gesagt, gar nicht selten 
sich unter unseren Patienten befanden. Die Eltern erzahlen mit Schrecken von 
den qualvollcn Nachten. Ich bringe hier fast stenographisch einige solcher Be- 
richte. Ein fiinfjahriger Knabe aus der Provinz erkrankte im Februar mit 
Schmerzen. Temperatursteigerung, mehrere Wochen anhaltendem Schlafen 
und Hyperkinesen. Im Mai nach Warschau gebracht. Bei Tage ruhiges apa- 
thisches Kind, das die an es gestellten Fragen richtig seinem Alter entsprechend 
beantwortet. „Nachts kann er gar nicht schlafen, dreht sich im Bett, stellt sich 
aiif den Kopf, wirft aus dem Bette das Bettzeug heraus, lauft auf die StraBe 
hinaus, klopft mit den FiiBen an die Wand, infolgedessen auch die Nachbarn 
nicht schlafen konnen, schlagt das schlafende Schwesterchen, hat einen 100-Mark- 
schein zerrissen.“ Trotz Behandlung im Laufe von einigen Wochen keine Besse- 
rung. Ein 12jahriges Madchen erkrankte im Marz. Hyperkinesen und Schlaf- 
sucht wahrend eines Monats. Abduzenslahmung. Rechtsseitige Fazialislahmung' 
ohne EAR. Ende Mai in Warschau. Bei Tag ruhig, apathiseh, aber artig. In- 
telb’gent. Nur zupft und griibelt es fast ununterbrochen in der Nase. „Nachfs 


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benimmt sie sich wie in einem Zirkus. Macht die bizarrsten Bewegungen mit 
den Handen und Beinen. Stellt sich buchstablich auf den Kopf und macht 
Purzelbaume. Erst des Morgens schlaft sie ein. Bei Tag kann sie nicht schlafen.“ 
Nach Luminal bedeutende Beruhigung fur kurze Zeit. Am 14. IX. schreibt mir 
die intelligente Mutter: „Der Zustand meiner Tochter hat sich gar nicht ge- 
bessert, in mancher Beziehung sogar verschlimmert. Den ganzen Tag bringt 
sie in guter Laune zu. Erst als sie sich zu Bett legt, beginnt ein Schleudem mit 
den Handen, mit dem Kopf und den Augen. Im linken Bein bekommt sie oft 
Krampfe. Grubelt immer in der Nase.“ 

Ein 8jahriger Knabe erkrankte im Januar mit Hals- und Kopfschmerzen 
und erhohter Temperatur. Hyperkinesen und Schlafen 6 Wochen lang. Im 
Juli bei Tag ruhig, apathisch, aber intelligent. Rezitiert richtig Gebete. „Schlaft 
nicht, dreht sich, macht Purzelbaume und spricht ununterbrochen, hauptsachlich 
iiber Zahlen, z. B. wieviel Pfennig in tausend Mark, wieviel 505 x 5? usw.“ 
Trinkt und uriniert viel. Nimmt an Gewicht zu. Objektiv lie Ben sich noch hie 
und da kleine Zuekungen in den FiiBen feststellen. Harn o. B. 

Ich konnte noch mehrere Beispiele dieser sonderbaren nachtlichen Unruhe, 
die oft in Clownismus ausartet, anfiihren, die eigentlich nur ein Kinofilm wieder- 
geben konnte. Die Patienten, besonders die Erwachsenen, geben sich von der- 
selben ganz gut Rechenschaft ab. Befragt iiber die Ursache antworten sie ge- 
wohnlich, daB sie etwas Unwiderstehliches dazu zwingt, daB es ihnen im Bett 
eng wird u. a. Ein 45jahriger Kaufmann, der im Januar erkrankte und einen 
sehr stiirmischen Verlauf durchgemacht hat und noch bis jetzt an Hyperkinesen 
in den linken Extremitaten und eigentiimlichen Gehstorungen, auf die ich spater 
zuriickkomme, leidet, bringt schon seit fiinf Monaten seine Nachte in einem 
Schaukelsessel zu, da er nur in demselben etwas ruhiger, zwar mit Unter- 
brechungen, schlummern kann, wahrend er sich im Bett „wie ein Fisch im Wasser 
wirft“. 

Viele Kranke, eigentlich fast alle, haben eine mehr oder weniger aus- 
gesprochene psychische Veranderung erlitten. Sie sind apathisch, langsam im 
Denken und schwerfallig beim Kombinieren. Sonst spitzfindige Kaufleute 
orientieren sich schlecht in ihren Geschaften und lassen sich betrugen. Manche 
werden stumpf, sprechen wenig. Einige behaupten, daB ihnen das Sprechen 
iiberhaupt schwer fallt, daB sie mehrere Sekunden nachdenken miissen, bis sie 
einen Satz anfangen. Schulkinder haben viel von dem frtiher Erlemten ein- 
gebiiBt. Manchen kommen wieder ganz besondere Ideen in den Kopf. So sagte 
noch vor kurzem ein fiinfzehnjahriger, friiher begabter Schuler, der im Januar 
erkrankte und einen sehr schweren Verlauf mit einem zwei Monate anhaltenden 
Schlafen, Bulbarerscheinungen und vielem anderem durchgemacht hat. zu seiner 
Mutter, daB er wie Nero ganz Warschau anziinden mochte, um sich an diesem 
Bild zu ergotzen. Nachdem die Mutter mit ihm eine Rundfahrt mit der Ring- 
straBenbahn gemacht hat, qualte er sie mehrere Tage mit der Frage: Wie ist es 
inbglich, daB der Wagen an derselben Stelle halten blieb, wo er eingestiegen war. 


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Da ihn die Erklarung der Mutter nicht befriedigtc, kam er nach Bescheid zu mir. 
Ich habe schon friiher den zwecklos rechnenden Knaben erwahnt. Ich kbnnte 
noch tiber einen ahnlichen Fall bei einem alteren Jungen berichten. Einige 
Kranke sind deprimiert und sprechen von Selbstmord. Ein 24jahriger Kauf- 
mann, der im Januar erkrankte und an der oben erwahnten Nachtunrube und 
noch bis jetzt andauernden groBzugigen Chorea der Zunge leidet, betet den ganzen 
Tag zu Gott, daB er ihm den Tod schicke. Der oben erwahnte Schaukelsessel- 
kaufmann lieB mich einst dringend rufen und machte mir tete-^-tete den Vor- 
schlag, ihm ein Gift zu geben, woftir er mich „sehr gut zu belohnen“ verspracb. 
Bei genauer Beobachtung oder bei Nachfrage bei der nachsten Umgebung stellt 
sicb also fast immer heraus, daB die Patienten sich in ihrem psyehischen Wesen 
und ihrer geistigen Leistungsfahigkeit geandert haben. Er ist nicht derselbe vie 
friiher, sagt gewohnlich die Umgebung. 

Was nun die somatischen Storungen, die wir jetzt bei unseren Patienten 
beobachten, anbetrifft, so verdient, wie mir scheint, eine besondere Aufmerksam- 
keit der Umstand, daB bei mehreren jungen weibhchen Kranken die Menstruation 
seit dem Beginn der Krankheit — also seit 8 bis 9 Monaten — trotzdem ihr 
aUgemeiner Ernahrungszustand ein guter ist, aufgehort hat. In Zusammenhang 
damit verdient vielleicht Erwahnung der Umstand, daB bei 3 Patientinnen die 
Encephalitis in den letzten Monaten der Schwangerschaft, bei einer einige Tage 
nach der Entbindung, aufgetreten war. Junge Manner sprechen wiederum von 
einem Fehlen der Libido. Auffallend ist, daB mehrere Patienten ausdrucklich 
betonen, dafi sie an Gewicht letztens bedeutend zunehmen. Folgendes Beispiel, 
eine 19jahrige Lehrerin aus der Provinz betrefferid, ist in dieser Beziehung be- 
sonders eklatant. Sie erkrankte im Januar mit Agrypnie und Hyperkinesen. 
dann Delirien und Halluzinationen. 2 Wochen Schlafsucht. Im Mai apatbisch. 
niedergeschlagen, mochte den ganzen Tag im Bett begen, wahrend sie bei Nacht 
doch nicht scblafen kann. Vor der Krankheit hatte sie ein Gewicht von 135 
polnischen Pfunden, jetzt 161. Polyurie ohne Zucker. Spezifisches Gewicht 1015. 
Das Gesicbt der Patientin macht einen gedunsenen Eindruck. Viel Fett am Hals. 
Am 9. VIII. schreibt sie, daB sie 170 Pfund wiegt. In der letzten Woche hat sie 
3 Pfund wieder zugenommen. Am 17. IX. schreibt sie u. a.: „Die Periode hat 
sich gezeigt. Die Temperatur ist des Morgens 36,1—3, abends 36,5—7. Urin 
= 9 1 /* Glas (2 Liter) pro 24 Stunden. Das Gewicht = 173 Pfund. Ich bin immer 
noch traurig, gleichgUltig, faul und arbeitsunfahig. Kolossaler Appetit. Mochte 
auch die ganze Nacht essen.“ Freilich ist es nicht leicht, diese Gewichtszunahme 
bei unseren Kranken richtig zu beurteilen. Sie steht vielleicht in Zusammenhang 
mit der besseren Ernahrung, die Rekonvaleszenten gewohnlich bekommen. 
Personlich habe ich doch den Eindruck, daB hier noch eine andere Komponente 
mit im Spiel ist. So beobachte ich einen in sehr miserablen Verhaltnissen leben- 
den 35jabrigen Patienten, der sich sehr schlecht ernahrt und seit mehreren 
Monaten keine einzige Nacht ruhig durchgeschlafen hat und doch an Gewicht 
zunimmt. Was nun die erwahnte Lehrerin anbetrifft, so hat sie, wie mir ihre 


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55 — 


letzte Photographie zeigt, einen ausgesprochenen adiposogenitalen Habitus 
angenommen. In diese Rubrik gehoren auch wakrscheinlich haufige reichliche 
Speichelabsonderungen, die bei einigen Patienten wochen-, ja auch monatelang 
dauern und gar monstrose Dimensionen annehmen konnen. 

Bei vielen meiner Patienten habe ich schon am Ende des Schlafstadiums 
und besonders spater eine bedeutend erhohte mechanische Muskelerregbarkeit 
konstatiert, die mit der Zeit zwar abnimmt, aber bei manchen bis jetzt noch 
dauert. Chvostek II und III gehoren nicht zu den Seltenheiten, Cvostek I habe 
ich nur zweimal geschen. Bei einem Fall, dessen Krankengeschichte ich leider 
nicht auffinden kann, habe ich bestimmt vom N. medianus eine AOZ. bei viel 
schwacherem Strom als KSZ. bekommen. Ich habe spater daraufhin mehrere 
Patienten untersucht, aber o. B. Die Menstruationsstorungen, die Fettzunahme, 
die Polyurie und erhohte mechanische Muskel- und Nervenerregbarkeit, alle 
diese Erscheinungen, die bei vielen Patienten vereinzelt oder kombiniert noch 
bis jetzt vorkommen, sprechen mit groBer Wahrscheinlichkeit fiir irgendwelche 
endokrine Storungen. Inwiefern sie in einem engeren Zusammenhang mit dem 
ganzen klinischen Bild sich befinden, darauf kommen wir noch spater zu 
sprechen. 

Was aber objektiv besonders an vielen Patienten noch jetzt auffallt — das 
sind Storungen im Bereiche des motorischen Apparates, die von groBem Inter- 
esse fiir die theoretische Auffassung der Encephalitis lethargica und ihre pro- 
gnostische Beurteilung sind. Bei Beschreibung des Schlafzustandes haben wir 
das maskenhafte, amimische Gesicht, das sich auch wahrend des Sprechens nicht 
verandert, erwahnt. Mit Abnahme des Schlafens wird bei manchen Patienten 
auch das Gesicht und iiberbaupt die willkiirlichen Bewegungen in den Extremi- 
taten lebhafter, man erlaubt ihnen, das Bett zu verlassen und sie fangen an Geh- 
versuche zu machen. Oft bemerkt man nun eine auffallende Veranderung in der 
ganzen Korperhaltung. Der Rumpf ist bogenartig vorwarts gebeugt. Der Kopf 
sitzt steif am Hals. Die Schritte sind klein undlangsam. Mit einem Wort: man 
hat einen typischen Parkinson vor sich. Ohne die Anamnese zu kennen, wiirde 
niemand mit der Diagnose Paralysis agitans (sine agitatione) zogern. Diese 
Diagnose findet noch ihre Bestatigung in einer oft sehr ausgesprochenen Antero- 
und Retro pulsion. Wahrend meines zweiten Vortrages konnte ich einige Patienten 
demonstrieren, bei welchen diese parkinsonartige Haltung, die hier ausfuhrlich 
zu beschreiben, glaube ich, entbehrlich ist, schon seit Monaten besteht. Yon 
einer 56jahrigen Frau, die noch im Januar erkrankte und schon seit einigen 
Monaten ihre kleine Wirtschaft selbst fiihrt („zwar nicht so wie fruher“), teilen 
die Verwandten mit — und ich selbst hatte Gelegenheit, mich davon zu iiber- 
zeugen —, daB sie, nachdem sie auf der Strafie die ersten Schritte sehr langsam 
macht, sie allmahlich „wie vom Wind gejagt zu laufen beginnt“, so „daB man 
sie fiir eine Verriickte halt u . Auch das Sichniedersetzen und Aufstehen ist 
sehr schwerfallig, toute comme une piece, wie Charcot bei Demonstration der 
Paralysis agitans zu sagen pflegte. Ein anderer wiederum kann iiberhaupt die 


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ersten Schritte allein nicht machen, es vergehen 2 bis 3 Minuten in verschicdenen 
erfolglosen Versuchen, wahrend welcher er gestutzt werden muB, Fat. macht 
dann einige kleine an dem Boden klebende Schritte, gibt sich selbst Courage 
durch militarisches Zurufen eins — zwei, bis er schlieBlich ziemlich groBe Schritte 
macht. Nach einer Pause beginnt dasselbe Spiel. Einigen Patienten ist das 
Riickwartsgehen leichter und bequemer als das gewohnliche Gehen. Bei anderen 
Patienten sind wiederum merkwiirdige Kontrakturen in der oder jener Extremitat 
zuruckgeblieben. So besteht noch bis jetzt bei einem 22 jahrigen Fraulein, das 
im Januar mit sehr stlirmischen Hyperkinesen, Delirien usw. erkrankte, eine 
Steifigkeit in der ganzen linken oberen Extremitat, die in der Handmuskulatur 
besonders ausgesprochen ist, infolgedessen sind einige Phalangealgelenke hyper- 
extendiert und andere hyperflektiert (main en singe). Sie kann eigentlich 
mit dieser Extremitat alle Bewegungen ziemlich korrekt ausflihren, sie kann sich 
auch derselben beim An- und Auskleiden - u. a. bedienen, aber langsam, auto- 
matisch. Nach mehreren aufeinanderfolgenden passiven Bewegungen nehmen 
die Muskelspannungen in der Extremitat bedeutend ab, um sich spater wieder 
einzustellen. Bei einem 46jahrigen Herrn, der ebenfalls im Januar erkrankte, 
ist in beiden linken Extremitaten ein ahnlicher Zustand zu konstatieren. Es ist 
auffallend, wie sich diese Kontrakturen von den bekannten pyramidalen unter- 
scheiden. Atrophien sind nicht zu bemerken, nur ein Steigern der Reflexe, aber 
ohne pathologische Erscheinungen (Babinski usw.). Es verdient noch be¬ 
sonders hervorgehoben zu werden, daB bei alien diesen „spastischen“ Zustanden 
kein Unterschied zwischen den Agonisten und Antagonisten besteht. In einem 
Fall, bei dem auch oft Zwangslachen auftritt und eine parkinsonartige Haltung 
besteht, kommen noch bis jetzt (er erkrankte im Januar) tonische Krampfe in 
der Zunge vor (etwas Ahnliches beobachtete ich auch seit vielen Jahren bei 
einem echten Parkinson), infolgedessen das Sprechen und Schlucken oft er- 
schwert ist. 

Uberblickt man nun den gegenwartigen, nach Verlauf von 8 bis 9 bzw. 4 bis 5 
Monaten, Zustand unserer Patienten, so muB man eingestehen, daB wir mit 
einem prognostischen Endurteil sehr vorsichtig sein miissen. Eine gewisse, zwar 
sehr langsam schleichende Tendenz zur Besserung ist bei vielen nicht zu 
leugnen. Aber die Akten sind noch lange nicht endgultig geschlossen. 

III. 

Noch einige Bernerkungen mochte ich hinzufugen, wenn sie auch nicht in 
den Titel dieses Aufsatzes hineinpassen. DaB wir es hier mit einer epidemischen 
infektiosen Krankheit zu tun haben, unterliegt ja wohl keinem Zweifel. Die 
Frage, in welchem Zusammenhang sie mit der ihr vorangegangenen Influenza- 
epidemie sich befindet, hat sich ja jedem aufgedrangt. Vielleicht nur in einem 
oder zwei meiner Falle habe ich einen Influenzafall in der nachsten Umgebung 
feststellen konnen. Ich habe ebenfalls wahrend der Influenzaepidemie viele 
Falle von schweren Hausepidemien gesehen. Hier war kein einziger Fall von 


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Encephalitis lethargica aufgetreten. In einigen Fallen, wenn ich mich nicht irre, 
ausschlieBlich bei denen, die letal wahrend der Zwerchfellhyperkinese endigten, 
waren Pneumonien hinzugekommen. Vielleicht waren es eben Schluckpneu- 
monien. Ebenfalls habe ich kein einziges Mai zwei verdachtige Falle in einer und 
derselben Familie gesehen, wenn ich auch auf die Moglichkeit abortiver Falle, 
wie bei der Heine-Medinschen Krankheit, Rucksichtnahm. Schon dieser letzte 
Unistand gibt unserer Krankheit eine besondere Stedung im Vergleich mit 
anderen bekannten infektiosen Krankheiten, besonders aber mit der Influenza. 
Kein Alter blieb bei uns verschont. Ich habe kleine Kinder und altere Personen 
gesehen, hauptsachlich waren es Handwerker und Kaufleute, einige hatten mit 
Leder und altem Eisen zu tun. Beide Geschlechter waren fast gleich vertreten. 
Wir hatten hier in Warschau den Eindruck, daB die jiidische Bevolkcrung be¬ 
sonders bevorzugt war. Kodegen, die iiber eine christliche Praxis verfugen, 
haben viel weniger mit der Krankheit zu tun gehabt, als die, die eine jiidische 
Klientel besitzen. 

Ein zweiter Punkt, den ich noch einmal unterstreichen mochte, ist der, 
daB ich wahrend der ganzen Zeit kein einziges Mai irgendwelche echte patho- 
logische Pyramidenerscheinungen beobachtet habe. Ich hore, daB andere Kollegen 
in dieser Beziehung gliicklicher waren. Trotzdem ich darauf besonders auf- 
gepaBt habe, habe ich kein einziges Mai Babinski, Rossolimo usw. gesehen. 
Dieser Umstand scheint mir, wie begreiflich, von nicht unbedeutender prin- 
zipieder Bedeutung fiir die physiologische Pathologie der Encephalitis zu sein. 
Auch Sensibilitatsstorungen habe ich weder in den initialen noch in den resi- 
dualen Stadien gefunden. Resumiert man die ganze reichhaltige Symptomatology 
der Enc. leth., so lassen sich die Symptome abgesehen von den initialen allge- 
meinen infektiosen Erscheinungen in zwei Hauptgruppen einteilen: in Schlaf- 
storungen und Motilitatsstorungen. Schon die oft vorkommende Schlaflosigkeit 
der ersten Tage ist keine gewohnliche, dann kommt dieser sonderbare wochenlange 
Schlaf, auf den wiederumeine eigentiimliche Schlafstorung folgt. 1 Freilich kann 
der Schlaf auch bei verschiedenen Neuralgien, Psychosen u. a. gestort sein. Aber 
mehrere Male war hier die Schlaflosigkeit fast das einleitende Symptom. Auf die 
Eigentumlichkeiten des nun eintretenden Schlafes, dieses sozusagen schlaflosen 
Schlafes, haben wir schon friiher hingewiesen. Wie lassen sich nun diese Schlaf- 
storungen erklaren, kann man fiir sie spezielle physiologische Motive und ana- 
tomische Substrate auffinden ? Es liegt mir fern, hier die Geschichte der Phy¬ 
siologic und Pathologie des Schlafes aufzttrollen. Es wurde viel und vergebens 
nach dem „Sitz“ des Schlafes gesucht. Hochstwahrscheinlich hat der Schlaf 
iiberhaupt keinen bestimmten Sitz. Hochstens konnte man von ir endeinem 


1 Es unterliegt keinem Zweifel, daB auch bei der Encephalitis lethargica sogenannte 
abortive unvollstandigs Falle vorkommen, vielleicht mehr, als wir vermuten. Diese oder 
jene Symptomengruppe kann sehr kurz oder knapp ausgesprochen sein. Auch im Be- 
reich der Schlafstorungen kommen verschiedene Kombinationen vor, aber ganz fehlen 
sie niemals. 


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Organ sprechen, welches den Schlaf reguliert, mit anderen Worten: den Schlaf 
durch seine Stoffwechselprodukte fordert oder stort. In dieser Beziehung wurde 
in den letzten Jahren viel von der Hypophyse gesprochen (Salomon u. a.). Tat- 
sachlich wissen wir, daB bei verschiedenen Erkrankungen der Hypophyse oft eine 
Neigung zu pathologischen Schlafzustanden vorkommt. In der Kasuistik der 
Mittelhim- und Basistumoren wird oft von einem eigentiimlichen leichten Ein- 
schlafen und langere Zeit dauerndem Schlafen gesprochen. Es liegt also auf der 
Hand, auch bei der Encephalitis lethargica an ein Leiden der Hypophyse zu 
denken. In Anbetracht der Korrelation der endokrinen Driisen, besonders aber der 
Korrelation der Hypophyse mit den Geschlechtsdriisen, konnten auch die bei 
unseren Patienten beobachteten Menstruationsstorungen ihre Erklarung finden, 
ebenfalls die Polyurie, Polyphagie und iiberhaupt die bei manchen zweifelsolme 
vorkommenden Stoffwechselstorungen, wie auch die tetanieartigen Erscheinungen. 
Ob wir nun hier mit einem primaren ProzeB in der Hypophyse zu tun haben oder 
nur mit einer Folgeerscheinung der in ihrer nachsten Umgebung vorkommenden 
Entzun dungs pro zesse, die auch die Hypophyse nicht verschont lassen, ist ja bei 
dem gegenwartigen Zustand unseres anatomischen Wissens auf diesem Gebiet 
schwer zu entscheiden. Betrachtet man die Motilitatsstorungen bei der Ence¬ 
phalitis lethargica, besonders die residuaren, wenn die allgemeinen Entztindungs- 
erscheinungen schon lange voruber sind, muB man zux tlberzeugung komrnen, 
daB hier, in vielen Fallen wenigstens, der pathologische ProzeB sich hauptsach- 
lich in den groBen subkortikalen Ganglien abspielt. Es wiirde ja zu weit fiihren, 
hier unsere zwar noch sehr luckenhaften Kenntnisse tiber die Physiologie und 
Pathologie dieser so lange vernachlassigten Gehimteile Revue passieren zu lassen. 
Die Erfahrungcn bei derWils onschenKrankheit, die sich immer mehr aufklarende 
anatomische und physiologische Pathologie der Parkinsonschen Krankheit 
(Loewy, Zingerle u. a.), manche Befunde bei der Athetose und symptoma- 
tischen, letztens auch genuinen Chorea, ein sehr interessanter Befund bei der 
sogenannten Torsionsneurose (Dystonia musculorum progressiva), die Experi- 
mente von Karplus und Economo, Aschner, Leschke und — the last but 
not the least, der von Strumpell neu eingefuhrte Begriff der Amyostasie, alles 
das spricht schon jetzt ziemlich eindeutig fiir deren groBe Bedeutung in unseren 
Bewegungsleistungen. Bei einem jeden unserer Encephalitiker komrnen nun 
Zustande vor, die, abgesehen von den Antezedentien, mit der Etikette dieser 
oder jener der eben erwahnten Krankheiten belegt werden konnen. Der sich 
nach vielen Monaten einstellende parkinsonartige Symptomenkomplex ist ja in 
dieser Beziehung besonders kennzeichnend. Das trotz des augenscheinlich diffusen 
Himprozesses beobachtete Fehlen von eigentlichen pyramidalen Zeichen und 
Sensibilitatsstorungen weist ja auch darauf hin, daB der ProzeB sich in den 
extrapyramidal gelegenen Gehirnteilen abspielt. Ich habe auch schon fruher 
kurz auf den nicht pyramidalen Charakter der bei unseren Kranken auftretenden 
Kontrakturen aufmerksam gemacht. Eine genauere Analyse dieser extra- 
pyramidalen Motilitatsstorungen, die hochstwahrscheinlich mit den alten phylo- 


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genetischen duich die Pyramiden verdrangtcn Geliirnbahnen in Zusammenhang 
stehen, hebe ich mir ubrigens fur spater auf. 

Wenn es nun richtig ist, daB der entziindliche Prozefi bei der Encephalitis 
lethargica hier seinen Hauptsitz hat, so ist es moglich, daB auch die so nahe sicli 
befindende Hypophyse schon vom Anfang an mit in den ProzeB hineingezogen 
wird. Vielleicht spielt hier auch eine Liquorstauung im Bereich des dritten 
Ventrikels und des Infundibulum eine nicht unbedeutende Rolle. Ubrigens ver- 
treten ja, wie bekannt, manche Autoren (Erdheim, Lesclike u. a.) die Ansicht, 
daB die sogenannten hypophysaren Symptome eigentlich nicht von der Hypo¬ 
physe als solchen, sondern von in ihrer nachsten Nahe sich befindenden Gebilden 
des Zwischenhirns (Infundibulum, Tuber cinereum) abhangig sind, was ja fur 
unsere Ausfiihrungen gleichgultig ist. Wichtig ist, daB der Hauptprozefi der 
Encephalitis wahrscheinlich im Zwischenhirn entsteht. DaB auch die benacli- 
barten Teile in Mitleidenschaft gezogen werden konnen, ist begreiflich, daher 
u. a. die haufigen Augenmuskellahmungen. Merkwtirdigerweise aber ver- 
schwinden dieselben vie! frtther als die Hvperkinesen und sind jetzt bei unseren 
Patienten nicht mehr anzutreffen, woraus vielleicht folgt, daB ihre Kerne nur 
vorubergehend (durch Hyperamie?) affiziert waren und iin eigentlichen Ent- 
ziindungsherd sich nicht befanden. Die frischen, in 1 bis 2 Wochen zur Sektion 
kommenden Falle zeigen meistens diffuse Prozesse, die das Eigentiimliche der 
Encephalitis lethargica wenig aufklaren. Mit groBer Spannung darf man dagegen 
anatomische Untersuchungen der spateren Residualfalle, welche wahrscheinlich 
noch lange a*f sich warten lassen werden, erwarten. Genauere Untersuchungen 
der hier in Betracht kommenden Gehirnteile bzw. auch der Hypophyse werden 
wahrscheinlich erst AufschluB ttber die eigentliche „Lokalisation“ der Ence¬ 
phalitis lethargica und ein tieferes Verstandnis der Funktion der versckiedenen 
Teile des Zwischenhirns und ihrer Rolle in unserem so fein abgestimmten moto- 
rischen Konnen bringen. 


9. Stri&re Symptome bei Grippe-Encephalitis. 

Yon Dr. Erwin Popper, 

ein. Assistent der deutschen psychiatrischen Universitatsklinik in Prag. 

Sowohl die klinische Beobachtung von Grippe-Encephalitiden als auch die 
Sichtung der schon jetzt nicht unbetrachtlichen Literatur laBt vor allem zwei 
scheinbar gegensatzliche Syndrome erkennen. Diese, entweder im Einzel- 
falle das Bild allein beherrschend oder in wechselnden Phasen geschlossener 
hervortretend, zuweilen auch in einer Art Mischform miteinander kombiniert 
und dabei schon eine gewisse innere Zusammengehorigkeit manifestierend, 
entsprechen so ziemlich jenen Symptomkomplexen, die wir seit den grund- 
legenden Arbeiten Wilsons, Striimpells, Wcstphals, C. und 0 . Vogts. u. A., 
mit groBer Wahrscheinlichkeit auf eine Erkrankung des Corpus striatum zu 


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beziehen, gelernt haben. lch meine hier einmal jenc Bilder von hyperkinetischeii 
Storungen mannigfacher Art, die als Encephalitis choreatica (oder unter ver- 
wandten Bezeichnnngen) wiederholt beschrieben worden sind. Auf der anderen 
Seite stehen die zunachst meist viel weniger imposanten, den Autoren aber nicht 
entgangenen Erscheinungen von maskenhafter Starre des Gesichtes, bis zu 
Katalepsie fiihrenden Rigores der Glieder, uberhaupt von allgemeiner Be- 
wegnngsarmut, verbunden mit eigenartigem psychischem Torpor, die als 
hypo- oder akinetische Momente Zustande bedingen, die mit groBem Rechte 
in den Publikationen als der Paralysis agitans (sine agitatione) gleichend 
dargestellt werden. Zwischen beiden Extremen stehen die Formen von Lethargie, 
bald mehr durch hochgradige Bewegungsunruhe unterbrochen, haufig eher 
von steifer Regungslosigkeit begleitet. Es ist wohl, namentlich beziiglich der 
(mit aller Vorsicht so zu bezeichnenden) Reizkomponente bei den durch Jacta- 
tionen, choreo-athetoide, myoklonische usw. Symptome charakterisierten 
Krankheitstvpen, besonders in Beriicksichtigung der zugrunde liegenden, 
meist doch nur recht diffusen, jedenfalls kaum wirklich monolokularen Zerebral- 
affektion, nicht einwandfrei moglich und nicht ohne weiteres erlaubt, die Haupt- 
ausgangsstatte fiir diese Phanomene in die Stammganglien zu verlegen. Viel- 
leicht diirfte fur die gleichsam entgegengesetzten, quasi Ausschaltungsmomente 
des amyostatischen Syndromes (wenigstens scheint es so nach dem Stande 
unserer bisherigen Erfahrungen) eine enger umschriebene Bedingtheit ein- 
deutiger vorauszusetzen sein. Die bislang vorliegenden histologischen Unter- 
suchungen haben iibrigens tatsachlich wiederholt, wenn auch nicht ausschlieB- 
lich, somit nicht geniigend beweiskraftig, die Basalganglien als mitaffiziert 
nachweisen konncn. 

Ich glaube, daB v. Sarbo der erste war, der in einer jiingsten Mitteilung 
auf die besondere. formlich zentrale Beteiligung der Linsenkeme bei einem 
Falle von Grippe-Encephalitis aufmerksam gemacht hat. Sein Fall, der auch 
klinisch mit Sicherheit erkannt und durch Autopsie bestatigt wurde, bot aller- 
dings die entsprechenden Symptome mit seltener Eindringlichkeit dar. Ohne 
v. Sar b 6s Folgerungen vorgreifen zu wollen, scheint mir doch, daBin Anlehnung 
an seinen unikalen Befund die schon vor ihm von Nonne, Toby Cohn, Forster 
u. A. vermutete. nicht immer eindeutig erweisliche Einordnung analoger Er¬ 
scheinungen in das ,,syndrome du corps strie“ einigermaBen an Berechtigung 
gewonnen hat. 1 ) 

In alien bisherigen Fallen, die mehr oder weniger klar auf eine derartige 
Affektionsbasis ihrer Kardinalerscheinungen hinwiesen, handelte es sich aber 
um Krankheitsformen, die noch in akuten Stadien standen. Ich hatte nun 
eben Gelegenheit, am gleichen Tage 2 Falle zu untersuchen, die vollig dem 
Symptombilde nahekommen, das v. Sarb6 von seinem Linsenkernfalle ent- 


r ) Siehe hierzu auch P. Schroder (Prot. d. Greifswalder mediz. Vereines v. 21. Mai 
1920, Vereinsbeil. d. D. med. Wochenschr. Nr. 37, S. 1042). 


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wirft. Obgleich es sich um nur fliichtige (konsiliariter gepflogene) imd ganz 
unvollkommen liickenhafte Beobachtungen handelt, diirfte die hierdurcli zu- 
nachst geringere SchluBwertigkeit dieser beiden Falle doch durch die besondere 
Reinheit ihrer Symptomatik etwas wett gemacht werden; zugleich erreichen 
sie aber wohl aueh im Hinblick auf die durch sie bestatigte Mitteilung v. Sarbos 
einen gewissen Grad von kasuistischer Brauchbarkeit. Das Besondere liegt 
fur beide FSlle aber entschieden darin, daB es sich um Folgezustande nach 
Grippe handelt, deren akute Krankheitsphase in beiden Fallen nahezu 1 / 2 Jahr 
zuruckliegt. 

Da beide Falle vermutlich in einem anderen Zusammenhang und von 
anderer Stelle aus ausfiihrlich publiziert werden durften, will ich mich hier 
nur auf jenen Teil der Symptomatik beschranken, der mit den einleitend an- 
gezogenen Umstanden in Zusammenhang steht. 

Die eine Patientin ist eine iiber 30 Jahre alte Frau, die im Februar d. J. 
eine etwa 14tagige akute Grippe (mit Schlafsymptomen) durchgemacht hat. 
Von ihrer etwa 5 Monate zuriickliegenden Rekonvaleszenz an hot sie gleich- 
mafiig folgendes Bild: 

Das Gesicht ist mimisch ganz unregsam, die Ziige sind eigentiimlich ver- 
waschen, die Haut der Wangen und Stirn erscheint ausgesprochen glanzendglatt, 
,,wie mit Salbe bestrichen“ (Toby Cohn). Die Haltung ist leicht vorgeneigt, 
Gang kurzschrittig, mit steifen Beinen, alle Bewegungen erfolgen langsam, mit 
trager Umstandlichkeit. Die Priifung der Hirnnerven ergibt bis auf eine leichte 
einseitige nystaktische Unruhe nichts Wesentliches; die Sprache ist etwas ver- 
waschen, unsicher, monoton, aber ohne grobere Storung. Die Beine erweisen sich 
bei Untersuchung auf passive Beweglichkeit als auBerst rigid, der Gegensatz 
zu echter pyramidarer Hypertonie ist auBerst eindeutig. Reflexverhaltnisse 
normal. Pyramidenzeichen fehlen. Vereinzelt kommt es, wodurch der Fall sich 
von dem v. Sarbos unterscheidet, zu eigentiimlichen Zitteranfallen im ganzen 
Korper. Die Temperatur ist dauernd normal. 

Psychisch fallen einmal die Verlangsamung der Auffassung, die Tragheit 
aller Reaktionen auf, dann die geringe Affektivitat. Vereint mit der motorischen 
Unregsamkeit bietet der ganze Aspekt an mangelnder Initiative, ja Torpiditat 
ein Bild dar, das an eine schwer gehemmte Melancholie oder einen Abstumpfungs- 
prozeB erinnert. Den GliedmaBen passiv erteilte Stellungen werden fiir einige 
Zeit unbeweglich festgehalten, wobei es aber deutlich den Anschein hat, als sei 
dies eine Folge der stumpf-ratlosen oder gleichgiiltig-denkarmen Mentalitat dieser 
Kranken, etwa in ahnlicher Weise, wie ich dies bei Oligophrenen als Pseudo- 
katatonie zu beschreiben, Gelegenheit hatte. Hier mochte ich auch auf die schwie- 
rige Scheidbarkeit bzw. den flieBenden Ubergang dieser hier immerhin 
noch scheinbar psychogenen Befehlsautomatie zu den rein organi- 
schen Katatoniemomenten bei anderen striaren Fallen besonders 
hinweisen. 

Patientin ist ganz arbeitsunfahig, die Gehbeschwerden wurden in letzter 
Zeit etwas arger, sie konne sich kaum noch umwenden (was auch wirklich un- 
gemein miihsam und unsicher vor sich geht). Zeitweilig sei ihr angstlich, immer 
traurig zumute, der Schlaf sei schlecht. Der Zustand besteht jetzt angeblich 
monatelang fort, zwar im wesentlichen unverandert, eher aber doch, wenigstens 
vorlaufig, zu Verschlimmerung tendierend. 


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In der Hauptsacke, soweit es die somatischen Erscheinungen betrifft, 
hatte ich nur das Bild der Paralysis agitans aus einem Lehrbuche abschreiben 
miissen, um den Eindruck des Verhaltens dieser Kranken darzustellen. 

Der zweite Fall, bei dem die akute Grippe (angeblich damals mit ckoreatischen 
Erscheinungen) etwa ebenso lang zuriickliegt, bietet im groBen und ganzen das 
gleiche Bild, das wahrend all der Monate nur voriibergehend einmal, flir wenige 
Tage, sick gebessert haben soil. Sowohl die fast an eine Melancholia stuporcsa 
gemahnende, psychische und physische Bewegungsarmut, die Angestrengtheit 
und Steifigkeit aller Bewegungen, besonders auch des Ganges, waren wie bei 
jener anderen Frau, mit der diese Patientin etwa gleichaltrig ist, auch hier vor- 
handen. Ganz gleichartig erscheint auch die subjektive Seite des psychischen 
Wesens, das Gefiihl der Insuffizienz, depressive Interesselosigkeit, haufige Angst, 
was insgesamt auch diese Patientin zu hauslicher Arbeit unfahig macht. Hier 
besteht im Affektleben jedoch noch eine gewisse Unausgeglichenheit, indem die 
vorherrsehende, gleichgiiltig stumpfe Verstimmung zuweilen durch Phasen weiner- 
licher Unruhe unterbrochen wird. In der Hauptsache aber fehlt es auch hier an 
Progression oder Regression der Kardinalsymptome. 1 Ebenso wird, wie in Fall 1, 
Fieber dauernd negiert. 

Was nun diesen Fail besonders auszeichnet, ist ein seit Beginn der Rekon- 
valeszenz unverandertes Fortbestehen einer isoliert auf die Zehen des linken 
FuBes (das ganze linke Bein ist rigider als das rechte) beschrankten, 
ausgesprochen athetoidenBewegungsunruhe. 2 Dieseschwindetsonderbarer- 
weise im Liegen und ist beim ruhigen Stehen am deutlichsten. Die Zehen werden 
in langsamem Tempo plantarflektiert, gespreizt, bald alle synchron und gleich- 
sinnig, bald in fur die einzelnen Zehen differenter Bewegungsrichtung bewegt. 
Diese Monoathetose darf wohl mit Sicherheit auf eine umschriebene Lentikular- 
affektion zuriickgefuhrt werden. Ubrigens erscheint mir eine offenbar von 
statischen Momenten so ausgepragt wie hier vorhandene BeeinfluB- 
barkeit dieser hvperkinetischen Storung als etwas recht ungewohnt 
Seltenes. 

Zusanmienfassend sei festgestellt, daB wir zwei analoge Krankheitszustande 
vor uns haben, die im AnschluB an eine jetzt seit Monaten in ihren akuten 
Erscheinungen abgelaufene Grippe aufgetreten sind und durchaus in ihrer 
Symptomatik an jene Bilder erinnern, die uns von der Paralysis agitans und 
ihr symptomatisch verwandten Erkrankungen her gelaufig scheinen. Es ist 
wohl wenig zweifelhaft, auch ohne den durch Autopsie erbrachten Beweis, 
daB es sich hier um Erkrankungen des Corpus striatum handeln 
diirfte. 

Die in v. Sarb6s Fall vermiBte Kombination der amyostatischen Hypo- 
kinesie mit hyperkinetischen Momenten findet durch diese beiden, sonst v. Sar b6s 
Falle durchaus gleichenden Beobachtungen auch nach dieser Richtung eine 
Erganzung, die mit als Rechtfertigung flir die Veroffentlichung dieser Aus- 
fiihrungen dienen moge. Etwaigen Zweifeln an v. Sar bos Deutung wegen des 


1 Von Seiten der Himnerven liegt nur eine ganz geringgr&dige Akkommodations- 
parese beiderseits an Storungssymptomen vor. 

* Diese ist ubrigens im Bereich der 4. und 5. Zehe am starksten. 


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Mangels hyperkinetischer Erscheinungen in seinem Falle wird, wie ich glaube, 
dnrch meine Falle jeder Boden entzogen. 

SchlieBlich sei noch auf die beiden Fallen eigene sonderbare psychische 
Wesenheit, Torpor, mangelnde Attenz, fehlende Initiative, die bis zur Befehls- 
automatie fiihrt, Depression und Angst, hingewiesen. Auch hier war, wie bei 
v. Sarb6,- der erste Eindruckein solcher, daB die Fehldiagnose einer Melancholie 
nicht ohne weiteres unverstandlich schien. Das, was aber ganz besonderer 
Her vorhe bung wert sein diirfte, ist die Tatsache, daB hier die Erscheinungen des 
striaren Syndroms als Nachwirkung alle anderen akuten Encephalitissymptome 
iiberdauerten, ja vielleicht sich erst iiberhaupt spater allmahlich und intervallar 
entwickelten. 1 Und ich mochte da zuletzt erwahnen, daB ich vor einigen Jahren 
ein ganz gleichartiges Bild bei einer intervallar eingetretenen Psychose nach 
Kohlenoxydvergiftung zu beobachten Gelegenheit hatte; an dieses wurde ich 
durch jene zwei Grippefalle eigentUmlich erinnert. Trotzdem damals das klinische 
Bild sehr trube erschien, gingen die Erscheinungen restlos zuriick. Vielleicht 
ist auch hier die Prognose der Linsenkernschadigung nicht absolut ungiinstig 
zu stellen. 

Nachtrag bei der Korrektur. Ich hatte seither Gelegenheit, noch zwei 
weitere entsprechende Falle zu beobachten. In dem einen, der sich wiederum 
als intervallare Nachkrankheit nach Encephalitis choreatica darstellte, bestand 
folgendes somato-psychisches Syndrom: glattes Gesicht mit traurig-unregsamem, 
stetig stereotypem Ausdruck, allgemeine Beweglichkeitsbeschrankung (Verlang- 
samung und Steifigkeit), Erhohung der rechtsseitigen Beinsehnenreflexe. Sub- 
jektiv: Depression mit Insuffizienzgefuhlen, wobei auch die Steifigkeit ganz 
besonders qualend empfunden wird. Kein Fieber. Im Gegensatz hierzu trat 
in dem vierten Falle hohes Fieber ein, so daB die Annahme eines protrahierten 
und lokalisierten Fortbestehens der Grippe-Encephalitis bzw. eines Rezidivs voll 
berechtigt schien. 

Nun habe ich eben auf einer Studienreise in Munchen und Heidelberg eine 
ganz betrachtliche Haufung einschlagiger intervallarer Falle vorgefunden. 
Wir scheinen erst am Beginn einer neuen, hoffentlich nicht sehr umfangreichen 
Epidemic von Grippe-Nachkrankheiten zu stehen. In diesem Sinne glaube ich, 
fur meine mit zu den ersten, der beobachteten, gehorigen Falle ein gewisses 
Interesse beanspruchen zu durfen. 

1 Die wiebtige Frage, ob hier etwa eine lokalisierte Encephalitis chronica vorliege 
oder ob es sich um ein sekundiir hervorgerufenes (Paralysis agitans, Psendosklerose, 
kurz) striares Krankheitshild handle, womit ein weiterer Beitrag zur exogenen Auslosung 
dieser Erkrankungen gegeben ware (s. hierzu u. a. H. Deutsch), kann leider mangels 
entsprechender Beobachtung nicht erledigt werden. 


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[ Aus der Universitats-Nervenklinik in Gottingen, Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. £. S c h u 11 z e.] 

10. (Iber das „Salbengesicht“ bei epidem. Encephalitis. 

(Bemerkungen zu der Arbeit von A. v. Sarbo: Ein Fall von diagnostizierter 
und durch die Sektion best&tigter Encephalitis der Linsenkerne [Neurol. 

Centr. 1920, Nr. 15]). 

Von Privatdozent Dr. F. Stern, Oberarzt der Klinik. 

Die Arbeit v. Sarbds crregt unser Interesse weniger wegen der Mitteilung 
des amyostatischen Syndroms bei der epidemischen Polioencephalitis .und 
wegen des anatomischen Nachweises der Linsenkernerkrankung, als wegen 
des eigenartigen Zusammentreffens mit dem von T. Cohn zuerst bei dieser 
Erkrankung beschriebenen ,,Salbengesicht“. Das Auftreten des amyostatischen 
Syndroms ist gerade bei der diesjahrigen Epidemie offenbar besonders hSufig 
gesehen worden; insbesondere ist, abgesehen von den Beobachtungen Nonnes, 
Striimpells, Umbers usw. 1 sehr reichlich dieses Syndrom in Berlin beobachtet 
worden, wie aus den Demonstrationen Forsters in der Berliner Gesellschaft 
fur Psychiatrie und Nervenkrankheiten (Sitzung vom 8. III. 1920), von T. Cohn 
und den Beobachtungen mehrerer Diskussionsredner 2 hervorgeht. Der ana- 
tomische Nachweis der Erkrankung der Linsenkerne in Form von Ganglien- 
zelldegenerationen und Infiltraten (die Angabe von lymphozytaren Zellen 
in der Umgebung der Ganglienzellen beruht wohl auf einer Verwechslung 
mit Gliakernen) ist zwar bemerkenswert, immerhin wird man groBte Reserve 
bei der Verwerturig anatomischer Befunde bei der Encephalitis fiir die Symptom- 
lokalisation walten lassen mussen, da es sicher keine Encephalitis geben wird, 
in der die Linsenkerne ganz elektiv erkranken. v. Sarb6 hat auch selbst dar- 
auf hingewiesen, daB cine genaue pathologische Untersuchung des ganzen 
Nervensystems notwerdigerweise folgen wird. 

Die eigenartige Verkniipfung des lentikularen Syndroms mit der fett- 
gl&nzenden Beschaffenheit der Gesichtshaut ist aber bisher noch so selten 
beobachtet worden, daB kurze kasuistische Beitrage zu dieser Frage notwendig 
erscheinen. 

Aus diesen Grtinden erlaube ich mir kurz einen weiteren einschlagigen 
Fall mitzuteilen: 

F. C., 19 Jahre alt. Als Kind Kcpfverletzung, im AnschluB daran umschriebene 
Canities des Haupthaares. Sonst vollkommen gesund. 

Am 8. Mai d. J. plotzlich erkrankt mit heftigen Gliederschmerzen, zunehmen- 
der Steifigkeit in den Gliedern, Ham- und Stuhlverhaltung, starken SchweiB- 
ausbriichen. Im Anfang soil noch Kopfschmerz bestanden haben, keine Schlaf- 
sucht. Fieber scheint richt bestanden zu haben, wenigstens nicht in erheblichem 

1 Referat vom 32. KongreB fiir innere Medizin in Dresden, Zeitschrift fiir die ge- 
samte Neurologie und Psychiatrie Bd. 21, Heft 8 und diese Ztschr. 1920 Nr. 15. 

* s. insbesondere K. Mendel (Neurol. Centr. 1920. S. 287), weleher das Salben- 
gesicht auf Thalamusl&sion zuriickfiihrt. 


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MaBe. Patient wurde zuerst vom 29. Mai bis 8. Juli 1920 in einem Krankenhaus 
behandelt, wo im wesentlichen der ganz akut entstandene amimische Zustand 
auffiel, Gang mit schleppenden, schliirfenden, gebiickten Schritten; haufig un¬ 
rein trotz klaren BewuBtseins. Unwillkurliche Bewegungen wurden auch beob- 
achtet (siehe unten). 

Aufnahme in die Klinik am 8. Juli 1920. 

Patient liegt, sitzt und steht steif mit ganz amimischem Gesicht, in starrer, 
grazienloser Haltung. Er dreht auf Anrufen, Fragen usw. den Kopf nicht, starrt vor 
sich bin, selbst die Bulbi werden kaum bewegt, der Mund wird dabei eine Spur 
offen gehalten. Dabei antwortet er auf alle Frage in sinngemaBer Weise rasch, 
ohne jede verlangerte Reaktionszeit. Er klagt selbst dariiber, daB er sich so steif 
fiihle. Spasmen bestehen nicht, die Rigiditat bei passiven Bewegungen ist gering, 
sie ist rechts etwas starker als links. Kataleptische Erscheinungen bestehen nur am 
ersten Tage, die erhobenen Arme sinken auch in den nachsten Tagen noch etwas 
langsam herab. Es besteht eine auBerordentliche Yerlangsamung samtlicher 
spontanen Bewegungen. Patient versinkt immer wieder und steht minutenlang 
da mit dem halb iiber den Kopf gezogenen Hemd, ohne sich welter anzuziehen; 
erst auf Zureden zieht er sich an. Dabei besteht in samtlichen Muskeln keine 
Lahmung, aber eine ausgesprochene Schwache. So kann er die Arme aktiv nur 
kurze Zeit hoch halten, ebenso kann er die Faust machen, doch ist der Hande- 
druck fast gleich Null Er laBt tiefe Nadelstiche an den Beinen zu ohne alle Reaktion 
und ohne Abwehrbewegungen, obwohl die Sensibilitat auch fur feine Grade voll- 
kommen erhalten ist. Im Stehen fallt die Beugefixation auf; Knie- und Hiift- 
gelenk und der Rumpf sind gebeugt. Es wird nirgends Tremor beobachtet. Der 
Gang ist sehr schwerfallig, er vermag nicht rasch zu gehen. 

Dauernde pseudospontane Bewegungen in der rechten Hand und im rechten 
FuB, rhythmisierte einander identische tetanoide Extensionsbewegungen des 
3. und 2. Fingers neben leichten Adduktionsbewegungen der anderen Finger. 
Die Bewegungen sind schneller als athetotische Bewegungen, aber langsamer 
als choreatische; daneben Adduktionsbewegungen des rechten Beines. 

Keine Storung samtlicher Reflexe. Hirnnerven samtlich intakt. Liquor- 
befund vollig negativ. 

Psychisch ist Patient frei, es besteht nicht die geringste intrapsychische 
Verlangsamung, im Assoziationsversuch reagiert er wie ein gesunder Ungebildeter, 
auch ebenso schnell. 

Es fallt bei dem Patienten der auBerordentliche Fettglanz des 
Gesichtes auf, dabei laBt sich am ersten Tage keine tatsachliche Vermehrung 
der Fettabsonderung im Gesicht feststellen. 

Das Paralysis agitans-artige Bild entwickelt sich bei dem Patienten immer 
deutlicher, erst allmahlich tritt etwas groBere Beweglichkeit samtlicher Glied- 
maBen auf. Auch heute noch ist der Gang verlangsamt, etwas propulsiv, ebenso 
besteht noch die Amimie des Gesichtes. Die Hypermimie von Sarbo ist, wenig- 
stens im Anfange, nicht vorhanden gewesen. Suggestivtherapie hat wenig ge- 
holfen, Hypnose war erfolglos. Faradisation wirkt wenigstens subjektiv auf- 
fallend gut. Die Pseudospontanbewegungen sind unverandert. Die eigenartige, 
fettglanzartige Beschaffenheit der Gesichtshaut verschwand zunachst, tritt aber 
ofters deutlich wieder hervor. So findet sich am 10. VIII. plotzlich wieder fett- 
glanzendes Gesicht ohne Schwellung; diesmal fiihlt sich die Gesichtshaut auch 
an manchen Stellen, z. B. den Nasenfliigeln, stark fettig an; groBe Fetttropfen 
zeigen sich mikroskopisch in einem Abstrichpraparat von diesen sich fettig an- 
fiihlenden Stellen. 

XL. (Erg&njnmgsband.) 5 


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Es besteht keine Oberempfindlichkeit gegen Pilocarpin; nacb 0,5 mg Adrenalin 
subkutan Blutdruckerhohung um 37 mm HgR.R. Keine Temperatursteigerung. 

Die Diagnose auf epidemische Encephalitis (Polioencephalitis) laBt sich 
in unserem Falle natiirlich nicht mit absoluter Sicherheit stellen, zumal wir 
den Kranken nicht im Anfange seiner Erkrankung gesehen haben; aber ich 
glaube, daB keine Bedenken bestehen, eine derartige Erkrankung hier anzu- 
nehmen. Wir werden uns das ganz akute Entstehen des amyostatischen Syn¬ 
droms bei dem jungen Manne nicht gut anders erklaren konnen, um so mehr, 
als dieser Symptomenkomplex in pradominierender Weise gerade in der letzten 
Zeit so haufig bei der Encephalitis beobachtet worden ist. Auch hier wurden 
ahnliche Falle gesehen. Das Fehlen lethargischer Symptome und bulbopontiner 
Herderscheinungen wird gewiB uns an der Diagnose nicht irrig zu machen 
brauchen, zumal es uns nicht ganz klar ist, ob nicht initiale Erscheinungen 
dieser Art, Erscheinungen transitorischen Charakters, iibersehen worden sind. 
Auch die Negativitat des Liquorbefundes hat nichts zu sagen, um so mehr, 
als wir den Kranken wahrscheinlich erst nach Ablauf der akut entzUndlichen 
Erscheinungen bekommen haben. Eine funktionell psychogene Erkrankung 
ist, wie wohl nicht weiter auseinandergesetzt zu werden braucht, ohne weiteres 
abzulehnen. 

Beziiglich der Pathogenese des „Salbengesichts“ rekurrieren wir auf den 
gelegentlichen Nachweis iibermaBiger Talgproduktion der Gesichtstalgdriisen, 
deren Hypersekretion wir daher doch wohl fur den eigenartigen Befund ver- 
antwortlich machen konnen, wenn sich auch die Haut nicht immer fettiger 
als normal anfiihlt. Ob daneben eine vermehrte odematose Durchtrankung 
der Gesichtshaut stattfindet, bleibt dahingestellt. Die Abhangigkeit der Sekre- 
tion der Talgdriisen vom Sympathicus ist noch weniger genau bekannt als die 
der SchweiBdrusen 1 , kann aber vermutet werden. Interessant ist, daB im Beginn 
der Erkrankung mehrfach profuser SchweiBausbruch ohne Fieber beobachtet 
wurde; derartige Schweifiausbriiche sind auch der nicht encephalitischen Para¬ 
lysis agitans nicht fremd. 2 Die Physiologie der SchweiBsekretion ist auch noch 
nicht eindeutig geklart, da die SchweiBnerven anatomisch sympathischen 
Bahnen folgen, in pharmakologischer Beziehung aber dem parasympathischen 
System angehoren. Auf jeden Fall werden wir aber in dem Auftreten des 
,,Salbengesichts“ beim amyostatischen Syndrom ahnlich wie in deni Vorkommen 
zentral bedingter SchweiBausbruche erneut auf die moglicher weise vorhandene 
Bedeutung des Striatum (bzw. Lentiformis) fur sympathische und parasympa- 
thische vegetative Funktionen hingewiesen. Namentlich Frank 3 hat in der 
neueren Zeit mit dem Hinweis auf die sympathische und parasympathische 
Innervation der tonischen Muskelfunktionen zu beweisen gesucht, daB im Linsen- 

1 v. Tigerstedt, Lehrb. d. Physiologie. 

2 S. u. a. die Zusammenstellung bei Kurt Mendel, Die Paralysis agitans, S. Karger. 
Berlin 1911. 

* Frank, Uber Beziehungen des autonomen Nervensystems zur quergestreiften 
Muskulatur, B. kl. Woch. 1919, Nr. 46. 


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kern sich eine oberste Instanz des Parasyrapathicus befindet. Das Zusammen- 
treffen amyostatischer Erscheinungen mit verschiedenen vegetativen Storungen 
wlirde uns dann verstandlich werden. Ebenso wie nach Zerstorung der Tonus- 
regulation des Muskels (Ausfall hemmender Impulse ?) Hypertonie im Muskel 
auftritt, kann es nach Lasion anderer sympathischer oder parasympathischer 
Regulationszentren zur Enthemmung, zur Hyperfunktion der entsprechenden 
Apparate kommen. Notwendig ist es dabei freilich, die amyostatischen und 
hypersekretorischen Erscheinungen bei der Encephalitis, wie es ubrigens auch 
v. Sarb6 tut, als Ausfalls-, nicht als Reizerscheinungen aufzufassen, trotz 
der bei Encephalitis sonst zweifellos vorhandenen irritativen Symptome. Dab 
man aber auch sehr rasch einsetzende Ausfallserscheinungen bei der epidemischen 
Polioencephalitis findet, ist bekannt. (Die Ursache dafiir kann hier unerortert 
bleiben.) 

Die sichere Entscheidung, in welchem MaBe dem Striatum ein Anteil an 
der zentralen Regulation verschiedener vom vegetativen System versorgter 
Drusen zukommt, wird dem weiteren Experiment vorbehalten bleiben. Die 
bisherigen experimentellen Ergebnisse, auch die von v. Sarbd erwahnte Be- 
teiligung des Nucleus caudatus, sind noch zu widerspruchsvoll. 1 Unterdessen 
wird es erwiinscht sein, die klinischen Daten, welche fur solche Beziehungen 
sprechen, zu sammeln. Unter diesem Gesichtspunkte scheint mir auch die 
wiederholt gefundene Kombination von Glanzhaut des Gesichts mit amyo- 
statischem Syndrom wertvoll. 

Die eigenartigen Pseudospontanbewegungen, die wir so haufig bei der 
Encephalitis jetzt beobachtet haben, die wir auch in unserem Falle finden, 
und die durchaus nicht alle in dem Begriff myoklonischer Oder choreatischer 
Zuckungen aufgehen, sollen an anderer Stelle ausfiihrlicher behandelt werden. 


[Aus der II. inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Dresden-FriedricbBtadt. 

(Dirig. Arzt: Prof. Dr. Arnsjperge r.).] 

11. Beitrag zur Encephalitis epidemica. 

Von Dr. Erich Ueyer. 

Seit Februar dieses Jahres sind auf der hiesigen Abteilung eine Reihe 
von Encephalitis epidemica-Fallen beobachtet worden, tiber die im folgenden 
berichtet werden soil. 

Vier unserer Falle verliefen unter deih bekannten Bilde der Encephalitis 
lethargica, wie es zuerst von Economo 1 beschriebenist. Die Korpertemperatur 
war bei diesen Kranken ganz unregelmafiig erhoht und erreichte meist in den 
ersten Tagen Werte bis 39° und daruber. Die Lethargie war stets deutlich 

1 Genauere Angaben finden sich in einer im Druck befindlichen Arbeit des Verf. 
fiber Patbologie und Pathogenese der Hnntingtonschen Chorea (Arch. f. Psych.). 

5* 


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ausgepragt und bei 3 Fallen bei d'r Aufnahme im Krankenhaus am tiefsten. 
In einem Fall wechselten kurze Perioden der Schlafsucht mit solchen freien 
BewuBtseins mehrmals ab. In 3 Fallen fanden sich neurologische Symptome; 
Einmal wurde rasch voriibergehende Abduzensparese und differente Knie- 
reflexe beobachtet, ein andermal Nystagmus horizontalis und verticalis sowie 
beiderseitiger Babinski. Im 3. Fall waren die Pupillen cntrundet, die Licht- 
reaktion auf dem linken Auge erloschen und der rechte Achillesreflex nicht aus- 
zulbsen. Die Reflexstorungen hielten in alien Fallen nur wenige Tage an. Der 
Muskeltonus war 3mal deutlich langere Zeit erhoht. Psychisch verhielten 
sich die Kranken, abgesehen von der Schlafsucht, normal. 3Falle gingen nach 
etwa 3 Wochen in restlose Heilung aus. Ein junges Madchen, das auBerdem 
an einer frischen Tuberkulose der linken Spitze litt, starb am 4. Tage im Koma 
unter terminalem Tern per aturanstieg bis 40°. Bei der Autopsie fand sich 
Odem und Hyperamie des Gehims ohne makroskopisch sichtbare Erweichungs- 
herde, frische Tuberkulose der linken Spitze, bronchopneumonischer Herd 
im rechten Unterlappen, septischer Milztumor und trube Schwellung von Leber 
und Nieren. Leider wurde in diesem Falle keine mikroskopische Untersuchung 
des Gehims vorgenommen. 

In 2 anderen Fallen stand nicht so sehr die Lethargie im Vordergrund, 
als vielmehr die allgemeine Bewegungsarmut und der erhohte Tonus der Mus- 
kulatur, also der amyostatische Symptomenkomplex. Bei der einen Kranken 
war die Muskelrigiditat nur stundenweise vorhanden; es traten bei ihr Anfalle 
von tonischer Starre der gesamten Muskulatur auf, die an Stamm und Glied- 
maBen ziemlich gleich stark ausgepragt war. Die Arme lagen dabci fest am Korper 
und waren in den Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenken maximal gebeugt. 
Hiift-, Knie- und FuBgelenke wurden gestreckt. Der Riicken war steif und 
gerade und es bestand ein ganz geringer Grad von Opisthotonus. Die Haltung 
der Kranken im Anfall erinnerte sehr an die der Mumien. Die Atmung blieb 
unbeeinfluBt. Anfangs bestand Fieber bis 39,2 °, welches dann langsam zor 
Norm abfiel. Wahrend des weiteren Verlaufes traten mehrfach Zacken bis 
38° auf, die aber in keinem zeitlichen Zusammenhang mit den Anfalien tonischer 
Starre standen. Ein wegen Typhusverdachtes angestellter Widal war noch 
bei V200 fraglich positiv. Die Patientin wurde nach etwa 3 monatiger Krankheits- 
dauer geheilt entlassen. Bei der anderen Kranken, einer 44jahrigen Frau, 
bildeten neben einer dauernd vorhandenen maBigen Muskelrigiditat, die be- 
sonders deutlich an Armen und Beinen war, und auffallender allgemeiner Be¬ 
wegungsarmut auBerst heftige Schmerzen in der linken Brust- und Riickenseite 
mit hartnackiger Schlaflosigkeit die tlauptbeschwerden. An den inneren Organen 
war kein krankhafter Befund zu erheben. Neurologisch bestand Nystagmus 
beim Blick nach links und spater auch beim Blick nach rechts. Voriibergehend 
wurde Tiber Doppeltsehen geklagt, ohne daB Augenmuskellahmungen nach- 
zuweisen waren. AuBerdem trat eine Herabsetzung der Kornealreflexc beider- 
seits und eine Gefuhlsstumpfheit in bei den Gesichtshalften auf. Die Schmerzen 


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und die Schlaflosigkeifc waren nur wenig zu beeinflussen. Die Kranke kam korper- 
lich ziemlich herunter und wurde in ihrer Stimmung sehi depressiv. Ganz 
allmahlich trat eine Besserung ein, indem zuerst die Schmerzen nachlieBen. Nach 
mehrwochiger Behandlung wurde die Patientin auf ihren Wunsch gebessert 
entlassen. 

Bei einer Kranken, einem 22 jahrigen Madchen, wurde eine Kombination 
des amyostatischen Symptomenkomplexes mit choreatischen Erscheinungen, 
die vielfach an hysterische Zustandsbilder erinnerten, beobachtet. Friiher war 
sie stets gesund gewesen; am 26. III. erkrankte sie mit Schmerzen im Genick, 
im Riicken und im rechten Arm, die bis in die rechte Hand ausstrahlten. Dazu 
gesellten sich Zuckungen im rechten FuB. Die Schmerzen wechselten in der 
Starke und warden auch zeitweise in anderen Korperteilen empfunden. Vom 
einweisenden Arzt wurde Chorea angenommen. Bei der Aufnahme am 2. IV. 
wurden die inneren Organe gesund gefunden. Neurologisch fanden sich lebhafte 
Sehnenreflexe, die aber nicht pathologisch gesteigert waren. Pupillenreaktionen 
und Augenbewegungen waren nicht gestort. Der Blick war auffallend stier, 
die Sprache langsam, affektiert. In Armen und Beinen traten einzelne grobe 
Zuckungen auf, die immer rasch voriibergingen. Ab und zu wurde der ganze 
Korper emporgeschleudert. Mit den Fingern wurden eigenartige langsame 
rhythmische Bewegungen ausgefiihrt, die sich immer wiederholten und lebhaft 
an athetotische Bewegungen erinnerten. Die Finger nahmen dabei haufig 
eine Pfotchenstellung ein. Der Muskeltonus der Arm- und Beinmuskulatur 
war deutlich erhoht. Objektive Sensibilitatsstorungen bestanden nicht. Da- 
gegen klagte Patient iiber Schmerzen im Kopf, Riicken und dem linken Ulnaris- 
gebiet. Psychisch war Patient etwas gehemmt, was in einer Erschwerung der 
Erinnerung und einer Schwerfalligkeit der Auffassung und der Beantwortung 
von Fragen zum Ausdruck kam. Fragen wurden schlieBlich immer richtig 
beantwortet, niemals trat Vorbeireden auf. Die Korpertemperatur betrug 
37,5°. Stuhlgang normal, Appetit sehr schlecht. Wegen der Schmerzen konnte 
Patientin kaum schlafen. Wahrend des hiesigen Aufenthaltes der Patientin 
traten einmal allgemeine klonische Krampfe auf, bei denen aber das BewuBt- 
sein erhalten blieb. Haufig wurden klonische Zuckungen in einem Arm oder 
Bein beobachtet, die suggestiv nicht zu beeinflussen waren und auch nachts 
auftraten. So blieb der Zustand mehrere Wochen. Infolge des darniederliegenden 
Appetits verlor die Kranke in den ersten 4 Wochen iiber 20 Pfund an Gewicht. 
Ganz besonders auffallend war die Abmagerung an der Muskulatur der Handc. 
Erscheinungen organischer Storungen des Nervensystems wurden nie beobachtet. 
Allmahlich lieBen die Schmerzen und die Zuckungen nach, Appetit und Schlaf 
stellten sich wieder ein, Patientin wurde freier und lebhafter. Am 14. VIII. 
wurde sie ohne Beschwerden entlassen; von dem Gewichtsverlust waren aber 
erst 4 Pfund wieder eingeholt. Wahrend der langen Krankheitsdauer bestand 
meist etwas erhdhte Temperatur, bis 37,8°, die in ganz uncharakteristischer 
Weise sich langere Zeit auf gleicher Hohe hielt oder unregelmaBige Zacken 


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bildete. Der natiirlich bald aufgetauchte Verdacht einer Tuberkulose fand 
trotz eingehender Untersuchung keine Bestatigung. Differentialdiagnostisch 
wurde anfangs auch die Hysterie in Erwagung gezogen; das nachtliche Auf- 
treten der Zuckungen, wahrend Patientin schlief, sprach aber sehr dagegen. 
Auch war es auffallend, daB die Zuckungen psychischer Beeinflussung gegen- 
iiber sich absolut refraktar verhielten. Gegen das Vorliegen einer Chorea minor 
sprach die deutliche Muskelrigiditat. 

Zwei Kranke boten das Bild der Myoklonie. In beiden Fallen traten kurz- 
dauernde Zuckungen der oberen Bauchmuskulatur auf, die sich in Abstanden 
von 5 bis 10 Sekunden folgten und auch wahrend des Schlafes nicht aussetzten. 
Durch die uber eine Woche anhaltenden Zuckungen, die dem Kranken groBe 
Schmerzen bereiteten, kamen beide Kranke sehr herunter. Auch die Arme 
nahmen bei dem einen Kranken an den Zuckungen teil. Durch die Beteiligung 
der queren Bauchmuskeln kam es zu Einziehungen der unteren Thoraxpartien, 
so daB es schien, als ob das Zwerchfell beteiligt sei. Die Atmung war aber nicht 
behindert. Meist lagen die Kranken wegen der Schmerzen etwas zusammen- 
gekriimmt im Bett. In beiden Fallen bestanden Temperaturerhohungen ganz 
unregelmaBiger Art. Nystagmus wurde in dem einen Falle beobachtet, der 
auch uber Doppeltsehen ohne nachweisbare Augenmuskelstorungen klagte. 
Psychisch boten beide auBer einer geringen Erregung keine Besonderheiten. 
Beide Falle gingen in Heilung aus. 

Dagegen wurde eine 30jahrige Frau, die fast mit denselben Erscheinungen 
wie die vorhergehenden Falle erkrankte (wechselnde Schmerzen in Schultern 
und Armen, klonische Zuckungen der Bauchmuskulatur), nach einem psychisch 
klaren Stadium bald sehr erregt und begann zu halluzinieren: sie sah die ver- 
schiedensten Personen neben ihrem Bette stehen; wiegte ihr Kind in den Armen. 
Dazu gesellte sich bald ein lebhafter Rededrang mit ausgesprochener Ideenflucht 
und motorischer Unruhe, die sie keinen Schlaf finden lieB. Die Orientierung 
fiir Ort und Zeit war anfangs noch erhalten. BezUglich des Inhaltes der Hallu- 
zinationen ist es bemerkenswert, daB Patientin gravida war. Der Zustand ver- 
schlechterte sich rasch und unter zunehmender Verwirrtheit und terminalem 
Temperaturanstieg bis 40,3° trat nach wenigen Tagen der Tod ein. Die Sektion 
ergab: Hamorrhagische Pneumonien in den Unterlappen, trube Schwellung 
von Leber und Nieren, Uterus gravidus, eitriger Katarrh der Keilbeinhohle, 
Hyperamie des Gehirns. Mikroskopisch wurden die charakteristischen Ver- 
anderungen gefunden, wie sie von Oberndorfer 2 beschrieben sind. Ausfuhrlich 
werden die pathologisch-anatomischen Veranderungen von Herm Dr. Mittasch 
an anderer Stelle mitgeteilt. 

Dieser Fall bestatigt die von Benthin 3 , Curschmann 4 , Dimitz 6 , Re¬ 
pond 8 , Pan sera 7 gemachte Erfahrung, daB die Kombination von Graviditat 
und Encephalitis epidemica eine ungunstige Prognose gibt. Curschmann 
riet auf dem KongreB fiir innere Medizin dazu, in solchen Fallen eventuell sofort 
den kiinstlichen Abort einzuleiten. Natiirlich war in diesem Falle die Prognose 


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durch die hamorrhagischen Pneumonien ganz besonders getriibt. Noch bei 
2 anderen Kranken kombinierte sich die Encephalitis epidemica mit Grippe- 
pneumonien, von denen der eine starb, der andere sich in Genesung befindet. 

18 jahriger Mann, seit 3 Wochen krank, klagt iiber Kopf- und Glieder- 
schmerzen, vor allem in den Armen. Zu Hause sei er zeitweilig sehr unruhig ge- 
wesen und habe manchmal phantasiert. Befund bei der Aufnahme am 18. III.: 
Bronchitische Gerausche iiber beiden Lungen. Urin: Spur EiweiB. Temperatur 
36,6°. Nervenstamme an den Oberarmen druckempfindlich. Bauchdeckenreflexe 
fehlen, linker Kniereflex pathologisch gesteigert. Sensorium klar. In der Nacht 
phantasiert der Kranke. Am anderen Morgen 38,4° Temperatur; auf Brust und 
Bauch befindet sich ein makuloses konfluierendes Exanthem. Gesichts- und 
Bauchmuskulatur zeigen kurze klonische Zuckungen. Am 21. III. ist das Exan¬ 
them vollkommen geschwunden; die Zuckungen haben aufgehort. Temperatur 
37°. Patient ist vollstandig benommen, laBt unter sich. Babinski beiderseits. 
Zeitweilig treten im Gebiet des linken Fazialis fibrillare Zuckungen auf. Dyspnoe 
und blasse Cyanose. 22. III. abends Temperatur 40,2°. Am anderen Morgen ist 
Patient wieder klarer, kann selbst essen. Gegen Mittag setzen die Zuckungen 
in Gesicht-, Schulter- und Bauchmuskulatur wieder ein, und nach kurzer Zeit 
tritt unter den Erscheinungen zunehmender Herzschwache der Tod ein. Sektions- 
befund: Hamorrhagische Pneumonien in beiden Lungen. Triibe Schwellung 
von Leber und Nieren. MaBiger Milztumor, starke Hyperamie des Gehirns und 
seiner Haute. Mikroskopisch charakteristische Encephalitisveranderungen (werden 
von Herrn Dr. Mittasch ausfiihrlich mitgeteilt). 

39 jahrige Frau, aufgenommen am 27. VI. Vor 6 Tagen erkrankt mit Schmerzen 
in den FiiBen, Husten, Fieber und Schwindel. Wegen groBer Aufregung und 
Irreredens wird sie ins Krankenhaus gebracht und muB wegen hochgradiger 
motorischer Erregung die Nacht im Isolierraum untergebracht werden. Befund: 
Pneumonie im rechten Unterlappen. Hamorrhagische Nephritis. - Neurologisch 
und psychisch zurzeit o. B. Temperatur 38,8°. In den nachsten Nachten und auch 
tagsiiber sehr erregt, Beschaftigungsdelirium (betet ununterbrochen polnisch 
vor sich hin). Am 1. VII. vertikaler Nystagmus in alien Blickrichtungen, der 
am anderen Tag wieder verschwunden ist. Psychisch ist Patientin ruhig 
und geordnet. Am 2. VII. kritisiert die Pneumonie; seitdem langsame, durch 
Herzschwache verzogerte Rekonvaleszenz ohne sonstige krankhafte Erscheinungen. 

In diesen 3 letzten Fallen war der toxische Charakter der Erkrankung 
besonders ausgesprochen, der sich bei den beiden Fallen, die zur Sektion kamen, 
auch in der triiben Schwellung der inneren Organe aussprach. Auch Strumpell 8 
und Econo mo 9 weisen auf den toxischen Charakter hin, den die Encephalitis 
epidemica in vielen Fallen annimmt; letzterer betont dabei auch die schwere 
Storung der Nierenfunktion, wie sie anfangs auch in dem letzten Fall vor- 
handen war. 

In einem Falle machte die Diagnose anfangs Sehwierigkeiten in der Ab- 
grenzung gegenuber der Lues cerebrospinalis. Dreyfus 10 und neuerdings 
Hart 11 teilen auch Falle mit, in denen sich ihre differentialdiagnostischen 
Uberlegungen auf die Lues cerebrospinalis erstreckten. 

26 jahriger Mann, der sich 1919 eine Lues zugezogen hat, wird am 6. VI. 
aufgenommen. An diesem Tage war er mit etwas Husten, haufigeren Krampf- 
anfallen mit Erbrechen und BewuBtseinsverlust erkrankt. Bei der Aufnahme 


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ist der Kranke bewuBtlos, Temperatur 38,5. tTber dem rechten Unterlappen 
sind sparliche Rasselgerausche zu horen. Kein ZungenbiB. Rechts Babinski 
angedeutet, sonst neurologisch o. B. Wassermann im Blut positiv. Am 8. VI. 
subjektiv und objektiv keine krankhaften Erscheinungen mebr. Wird auf eigenen 
Wunsch entlassen. Am 9. VI. wegen Krampfanfalls mit Einnassen and BewuBt- 
losigkeit wieder aufgenommen. Kein ZungenbiB, keine Pupillenstorungen, Ba¬ 
binski rechts angedeutet. Psychisch etwas benommen. In der Nacht mehrere 
Anfalle. Am 10. VI. Temperatur 39,5°. Lumbalpunktion: Druck 180 mm, Liquor 
klar, 8 Zellen im cmm, Nonne negativ, Ges. EiweiB bis Vw plus, Wassermann 
bis 0,4 negativ. Im Laufe des Yormittags 2 Anfalle von etwa 1 Minute Dauer. 
Dabei klonische Zuckungen in beiden Armen und toniscber Krampf im rechten 
Fazialis und rechten Bein. Rechts Babinskistellung. Kein Zungenbifi. Voll- 
standige Bewufitlosigkeit. Pupillen im Anfall rund, mittelweit, lichtstarr, kurz 
nach dem Anfall Lichtreaktion wieder vorhanden. Babinski rechts sicher positiv. 
Kniereflex rechts starker als links. Nachmittags noch mehrere Anfalle. Des- 
gleichen am 11. VI. Seit dem 12. VI. keine Anfalle mehr. Bauchdeckenreflexe 
rechts noch deutlich schwacher als links, sonst neurologisch o. B. Am 24. VI. 
Wassermann im Blut negativ. Trotzdem wird eine kombinierte Kur gemacht, 
die ohne Besonderheiten verlauft. Eine am Ende derselben vorgenommene 
Lumbalpunktion ergibt einen Druck von 280 mm, sonst denselben Befund wie 
fruher. 

Anfangs wurde in diesem Falle die Diagnose auf Lues cerebri gestellt, 
wo fur ja auch die Anamnese und der positive Blutwassermann sprach. Zweifel- 
haft machte uns aber gleich das Fehlen von Pupillensymptomen. Als dann die 
bei der 2. Aufnahme angestellte Lumbalpunktion ein fur Lues vollig negatives 
Resultat ergab, wurde die bisherige Diagnose fallengelassen und statt dessen 
eine Encephalitis angenommen. Hierfiir sprach auch das fur eine Lues cerebro- 
spinalis ungewohnlich hohe Fieber. 

Auch die Hysterie kann differentialdiagnostisch erhebliche Schwierigkeiten 
machen, wie es schon bei der einen oben angeftihrten Kranken gezeigt wurde. 
Striimpell 8 und Dreyfus 10 haben in ihren Veroffentlichungen auch auf 
diese Differentialdiagnose hingewiesen. Besonders interessant ist in dieser 
Beziehung ein Fall, der von Grober 12 ausfiihrlich im Jahre 1905, also in einer 
Zeit, wo es noch still von der Encephalitis war, unter der Diagnose „hysterischer 
Schlafzustand mit choreatischen Bewegungen“ mitgeteilt wurde. Oppenheim 13 
erwahnt diesen Fall in seinem Lehrbuch und halt die von Grober gewahlte 
Diagnose fur recht zweifelhaft. Es handelte sich um ein 3 3 / 4 jahriges Kind, 
das unter anfanglichem Fieber mit choreatischen Erscheinungen, Anfallen von 
Bewufitlosigkeit, die spater in dauernde Bewufitlosigkeit fiberging, und Nacken- 
steifigkeit erkrankte, so dafi an eine Meningitis gedacht wurde. Es fand sich 
dabei positiver Babinski, Deviation conjugu6e und Nystagmus. Zweimal wurden 
Lumbalpunktionen vorgenommen, die aber nur klaren Liquor und etwas er- 
hiihten Druck, sonst keinen krankhaften Befund ergaben. Die choreatischen 
Bewegungen hielten etwa 2 Monate an, dann ging der Zustand in eine etwa 
4 Wochen anhaltende Lethargie fiber. (Grober gebraucht selbst bereits den 
Ausdruck Lethargie.) Eine 2 Jahre spater vorgenommene Nachuntersuchung 
ergab eine vollige Heilung. Ware der Fall heute zur Beobachtung gekommen, 


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so hatte man ihn wohl sicher ftir eine Encephalitis angesprochen. Ich glaube, 
daB es sich damals auch darum gehandelt hat. 1st diese Annahme richtig, so 
wtirde dieser Fall einen bemerkenswerten Beitrag zur Epidemiologie der Ence¬ 
phalitis epidemica insofern bedeuten, als hier einmal das sporadische Auftreten 
einer Encephalitis beobachtet ware unabhangig yon einer herrschenden Grippe- 
oder Encephalitisepidemie. Damit ware auch eine Parallele zu dem Vorkommen 
der Grippe gegeben, bei der ja sporadische Falle nichts Ungewohnliches sind. 

In den beiden einschlagigen Fallen der hiesigen Abteilung hatten sich 
schon vor ihrer jetzigen Erkrankung Anzeichen einer nervosen Veranlagung 
bemerkbar gemacht. 

44 jahrige Frau, aufgenommen am 14. IV. Als 7 jahriges Kind haufig Krampfe, 
mit 12 Jahren wiederholt Ohnmachten. Am 14. IV. nach vorhergehender Auf- 
regung erkrankt mit Kopfschmerzen, allgemeiner Unruhe, Zuckungen im Gesicht 
und in den Gliedern. Patientin wurde sehr bald verwirrt und bekam wiederholt 
Anfalle von BewuBtlosigkeit mit Einnassen. Befund bei der Aufnahme: Tief 
soporose Frau. Innere Organe o. B. Pupillen beiderseits entrundet, eng. Licht- 
reaktion beiderseits erloschen. Neurologisch sonst o. B. Wassermann im Blut 
negativ. Temperatur 37,8°. In den nachsten Tagen wird Patientin erregt, ver¬ 
wirrt und beginnt optisch und akustisch zu halluzinieren. Infolge der groBen 
motorischen Erregung, die sich in standigem Umherwerfen und Walzen in und 
auBer dem Bett auBert, zieht sich Patientin mehrere zum Teil schwere Verletzungen 
zu, so besonders eine tiefe Wunde an der Ferse des einen FuBes. Die Orientierung 
fur Zeit und Ort schwindet. Am 27. IV. auBert sie, man wolle sie totschlagen. 
Hartnackige Schlaflosigkeit. Am 3. V. Suicidversuch, deswegen Verlegung in 
die Heil- und Pflegeanstalt. Hier angstlich, weinerlich, zeitlich und ortlich des- 
orientiert. Typisches hysterisches Vorbeireden, Zittern im rechten Arm, Hyper- 
algesie am ganzen Korper, konzentrische Gesichtsfeldeinengung. Pupillen eng, 
links nicht ganz rund, Lichtreaktion vorhanden. Konjunktival- und Wiirgreflex 
fehlen. Die Sehnenreflexe sind beiderseits lebhaft, rechts besteht Babinski. 
Beiderseits besteht erschopfbarer Patellar- und FuBklonus. Die Halluzinationen, 
deren Inhalt Verfolgungs- und Beeintrachtigungsideen sind, halten noch einige 
Tage an, dann wird Patientin klarer und ruhiger. Langsam stellt sich wieder 
normales psychisches Verhalten ein. Am 19. V. wird die Kranke geheilt entlassen. 

Zweifellos hat in diesem Falle ein hysterischer Verwirrtheitszustand vor- 
gelegen; ich glaube jedoch, daB sich daneben noch organische Veranderungen 
abgespielt haben, als deren Ausdruck ich die anfangs bestehende Pupillenstarre 
und den spater aufgetretenen rechtsseitigen Babinski ansehe. Wenn auch bei 
der Lichtstarre der engen Pupillen die Moglichkeit zugegeben werden muB, 
daB nur ein Krampf des Sphincter pupillae vorgfelegen haben konnte, durch 
welchen eine wahre Lichtstarre vorgetauscht ist, so ist das Babinskische Pha- 
nomen doch nur im Sinne einer organischen Stdrung zu bewerten. Ich bin 
daher der Ansicht, daB es sich in diesem Falle um eine Encephalitis choreatica 
bzw. halluzinatoria bei einer von Haus aus hysterischen Person gehandelt hat. 

In dem anderen Falle waren keine so eindeutigen Reflexstorungen vorhanden: 
19 jahriges Madchen, fruher schon nervos, launenhaft, im 4. Lebensjahr Krampfe. 
Bei Aufregungen wiederholt voriibergehend Mutismus. Vater leidet an Tabes. 
Am 4. V. bew'uBtlos mit Krampfen aufgefunden. Befund bei der Aufnahme: 


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Rhythmische Zuckungen im Bereich des Schultergiirtels und der Bauchmuskulatiir, 
starker Opisthotonus. Zeitweilig Aufwerfen des ganzen Korpers mit voriiber- 
gehender Einnahme pathetischer Stellungen. Tiefe BewuBtlosigkeit, Atmung 
irregular, Oesicht gerotet, Lippen zyanotisch, Mund halb geoffnet, Augenlider 
sanft geschlossen. Pupillen rund, mittelweit, reagieren prompt auf Lichteinfall. 
Reflexe o. B. Patientin laBt Urin und Stuhl unter sich. Zurzeit Menses. Tem- 
peratur 37,2°. Lumbalpunktion ergibt normalen Befund. Wassermann im Liquor 
negativ, im Blut positiv. Der Opisthotonus verliert sich sehr bald, die Zuckungen 
dauern noch bis zum 8. V. in unverminderter Starke und Haufigkeit an; Patien¬ 
tin liegt jneist zusammengekriimmt auf einer Seite. Die Zuckungen werden nur 
von ganz kurzen Pausen unterbrochen und treten zeitweilig nur in der oberen 
Bauchmuskulatur auf; dann ahneln sie ganz auffallend den myoldonischen Zu- 
standen der Encephalitis. In der Schnabeltasse gereichte Nahrung wird geschluckt. 
Vom 8. V. an lassen die Zuckungen allmahlich nach. Patientin kommt wieder 
zu sich. Nach einigen Tagen, an denen Patientin noch mutistisch ist, ist sie wieder 
klar und geordnet. Fieber bestand wahrend der Dauer der Krampfe nicht, da- 
gegen trat imMai ein mehrtagiges uncharakteristisches Fieber auf, das bis 39,5° 
erreichte, und fur das keine Ursache gefunden wurde. Rektale Kontrolle bestatigte 
dasselbe. Lange Zeit klagte Patientin noch liber heftige Kopfschmerzen, die 
erst nach mehreren Wochen nachlieBen. Synchron mit den Menses trat Anfang 
Juli und August nochmals derselbe Zustand mit Krampfen und BewuBtlosigkeit 
ein, der dieses Mai aber nicht mehr solange anhielt und auch psychischer Beein- 
flussung zuganglich war. Irgendwelche Reflexstorungen wurden nie beobachtet. 

Durch die auBerordentliche Ahnlichkeit der Muskelzuckungen mit den 
myoklonischen Zuckungen bei der Encephalitis, besonders zu den Zeiten, wo sie 
nur in der Bauchmuskulatur auftraten, wurde ich anfangs zu der Diagnose 
Encephalitis choreatica verleitet. Das Fehlen jeglicher Reflexstorung, sowie 
die trotz der mehrtagigen Dauer der Krampfe nicht erhohte Temperatur brachten 
mich bald von dieser Diagnose ab, und ich nahm nur eine Hysterie an. DaB 
eine solche vorlag, war nach der Anamnese, die erst nach dem Abklingen des 
ersten Krampfstadiums erhoben werden konnte, unzweifelhaft. Es fragte sich 
nur, ob nicht nebenher noch organische Veranderungen vorhanden waren. 
Dies glaube ich aber nach dem oben Angefuhrten ausschliefien zu konnen. Un- 
geklart bleibt aber das in der Mitte des Mai aufgetretene Fieberstadium. 
Kompliziert wurde das Krankheitsbild durch den positiven Blutwassermann, 
fur den sich klinisch keine Erscheinungen fan den (Patientin war auch noch virgo) 
und den ich als den Ausdruck einer Erblues auffasse. 

Ein Fall verlief ganz akut unter dem Bilde einer Meningitis. 

20 jahriger Mann, der friiher immer gesund war, erkrankte im Mai mit Kopf¬ 
schmerzen, die ihn aber nicht an der Arbeit hinderten. Eine Woche vor seiner 
Aufnahme traten heftige Nackenschmerzen auf: er sah doppelt und nur ver- 
schwommen. Befund bei der Aufnahme am 1. VI.: Sehr schlechter Allgemein- 
zustand, heftige Kopfschmerzen, hochgradige Nackenstarre. Deutlicher Kernig 
beiderseits. Nystagmus beim Blick nach links und rechts. Licht- und Konvergenz- 
reaktion erhalten. Keine Storungen an den Hirnnerven und Sehnenreflexen. 
Innere Organe o. B. Urin frei von EiweiB und Zucker. Psychisch benommen. 
Temperatur 36,6°. Lumbalpunktion am 2. VI.: Druck 210 mm, 1 Zelle im cmm. 
Nonne 50 °/ 0 ; ganz zarter Ring, sonst negativ. Pandy schwach positiv. Ges. EiweiB 


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bis V 50 pl us - Wassermann im Liquor negativ. Nachmittag Exitus letalis. Die 
Sektion wurde leider verweigert. 

In diesem Falle wurde sowohl vom einweisenden Arzt als auch im Kranken- 
hause anfangs die Diagnose auf Meningitis gestellt. Um so iiberrasehender war 
das Ergebnis der Lumbalpunktion, die gar keine Anhaltspunkte fur eine Menin¬ 
gitis ergab. Ob es sich in diesem Falle nun um eine Encephalitis gehandelt 
hat, ist meiner Ansicht nach aus dem klinischen Bilde allein nicht sicher zu 
entscheiden. Differentialdiagnostisch kame auch irgendein Raum beschrankender 
ProzeB in Frage. Fur das Voriiegen ciner luischen Erkrankung spricht auBer 
dem geringen positiven Ausfall der Nonneschen Reaktion nichts; auch ana- 
mnestisch war von einer luischen Infektion nichts bekannt. Vielleicht hat 
hier die Form der Encephalitis vorgelegen, fur die Strum pell die Bezeichnung 
E. acutissima vorschlagt. 

In 2 weiteren Fallen, die unter dem Bilde einer diffusen Myelitis verliefen, 
blieb auch die Atiologie ungeklart. Moglicherweise hat es sich in dem einen 
Fall um die Folgen einer chronischen Gasvergiftung gehandelt. 

27 jahriger Mann, der vor 6 Jahren eine Nervenlahmung durchgemacht 
hat; er war damals 25 Wochen krank; alle Glieder seien kraftlos gewesen, er habe 
sie zwar noch bewegen konnen, die Glieder ,,hatten aber nur so am Korper ge- 
hangen“. Auf Schmierkur und Arseneinspritzungen sei dann die Kraft wieder- 
gekehrt, so daB er wahrend des ganzen Krieges als Infanterist im Felde sein konnte. 
Anfang Februar 1920 bemerkte er, daB ihm nach langerem Laufen die Beine un- 
natiirlich schwer wurden; es trat dann allmahlich ein taubes Gefiihl in den Beinen, 
spater auch in den Handen auf. Von einer geschlechtlichen Erkrankung ist ihm 
nichts bekannt. Der Befund bei der Aufnahme am 24. IJ. war folgender: Mittel- 
kraftiger Mann von gesundem Aussehen. Innere Organe o. B. Die Kniereflexe 
fehlen beiderseits, die Achillesreflexe sind schwach vorhanden; von den Bauch- 
deckenreflexen fehlt der rechte untere, der linke untere ist schwach vorhanden, 
die librigen sind gut auszulosen. Bei FuB-AugenschluB tritt geringes seitliches 
Schwanken auf. Sensibilitat o. B. Die grobe Kraft ist in beiden Armen und Beinen 
herabgesetzt, und zwar in den Beinen mehr als in den Armen. Wassermann im 
Blut bei wiederholter Anstellung negativ. Temperatur nicht erhoht. Am 5. III. 
fehlen beide Knie- und Achillesreflexe, der Gang ist unsicher und schwankend. 
Lumbalpunktion ergibt klaren Liquor, Druck 80 mm, 5 Zellen, Nonne 50°/ 0 
Triibung, sonst negativ. Pandy geringe Triibung, Ges. EiweiB bis plus. Wasser¬ 
mann bis 0,4 negativ. Am 6. III. kann der Kranke beide FiiBe nicht mehr be¬ 
wegen, in der Oberschenkelmuskulatur besteht eine ausgesprochene Herabsetzung 
der groben Kraft. Der Handedruck entspricht nicht ganz der Muskulatur. Die 
Sensibilitat ist intakt. Der elektrische Befund an der Muskulatur der Beine zeigt 
nur eine quantitative Herabsetzung. In den nachsten Tagen tritt ein grofier 
Nackenkarbunkel auf, der unter der iiblichen Behandlung rasch abheilt. Am 
7. IV. ist die Lahmung weiter fortgeschritten: Beide FiiBe konnen nicht bewegt 
werden, es besteht eine ausgesprochene Schwache der gesamten Oberschenkel¬ 
muskulatur, desgleichen in beiden Iliopsoas und den Glutaen. Ohne Unterstiitzung 
der Arme k$nn er sich nicht aufsetzen und auch so nur mit groBer Miihe und auf- 
fallender Ungeschicklichkeit. Die grobe Kraft in der Bauchmuskulatur und dem 
Schultergurtel ist gut; dagegen ist sie in beiden Ober- und Unterarmen und den 
Handen erheblich herabgesetzt. Die Sehnenreflexe an den Beinen fehlen, auch 
die Armreflexe sind nicht sicher auszulosen. Die Sensibilitat ist bis auf die Unter- 


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scheidung von spitz und stumpf ungestort. Spitz und stuinpf wird an der Ulnar- 
seite des linken Unterarmes, um den rechten Ellenbogen herum, an der AuBen- 
seite des linken und an der Innenseite des rechten Unterschenkels nicht sicher 
unterschieden. Eine scharfe Begrenzung dieser Zonen ist nicht vorhanden. Nach 
einigen Tagen ist die Sensibilitatsstorung nicht mehr zu konstatieren. Der Blut- 
status war immer normal. Hamoglobingehalt 85 °/ 0 . Blase und Mastdarm waren 
nie gestort. Desgleichen bestanden nie bulbare Symptome. Vom 22. IV. tritt 
allmahlich eine Besserung ein, nachdem vom 8. IV. an 46 g Jodnatrium intra- 
venos gegeben waren. Die Wiederkehr der normalen Kraft erfolgte in alien Ge- 
bieten ziemlich gleichmafiig und gleichzeitig. Am 4. VI. sind die Armreflexe 
wieder auszulosen, Knie- und Achillesreflexe fehlen noch. In den nachsten Wochen 
lernt der Patient wieder gehen und kann bei seiner Entlassung, die am 2. VIII. 
aus auBeren Griinden erfolgte, bereits ohne Stock, wenn auch schwankend und 
unsicher, gehen. Die Sehnenreflexe waren an diesem Tage noch nicht wieder- 
gekehrt. Psychisch verhielt sich der Kranke immer ruhig; wahrend der Zeit der 
ausgesprochensten Lahmungen war er auffallend dosig und apathisch. Die Schwere 
seines Zustandes beriihrte ihn fast gar nicht. 

In dem anderen Falle handelte es sich um eine 52 jahrige Frau, die mit 
2 1 / 2 Jahren Pocken hatte, sonst immer gesund war. 6 Wochen vor ihrer Aufnahme 
erkrankte sie mit Schwachegefiihl im linken Arm, es fielen ihr ofter Tassen und 
andere kleine Gegenstande aus der Hand. Dann trat ein Gefiihl von Taubsein 
erst in der linken, spater auch in der rechten Hand auf. (Patientin hat viel ge- 
waschen.) Vor etwa 3 Wochen bemerkte sie morgens beim Erwachen, daB sie 
die Beine nicht mehr bewegen konnte. Es traten dann bald noch reiBende Schmerzen 
in den Oberschenkeln auf. Anamnestisch ist ihre Angabe wichtig, daB es in ihrer 
Wohnung ofter stark nach Gas gerochen habe. Der Befund bei der Aufnahme 
am 8. V. war folgender: Korpulente Frau. Innere Organe o. B. Nervensystem: 
Arm-, Knie- und Achillesreflexe beiderseits erloschen. Bauchdeckenreflexe wegen 
sehr schlaffer Bauchdecken nicht zu priifen. An den Augen keine Storungen. 
Paraplegie beider Beine; Patientin kann sich auch nicht im Bette aufsetzen. 
Parese der Ober- und Unterarmmuskulatur. Handedruck beiderseits sehr schwach. 
Dagegen wird das Spreizen und Zusammennehmen der Finger mit guter Kraft 
ausgefiihrt. Nacken- und Schultermuskulatur kraftig. Keine Sensibilitats- 
storungen. Stuhlgang und Urinlassen etwas erschwert. Sie gibt an, daB sie den 
Stuhl- und Urindrang nicht mehr so deutlich wie sonst fiihle. Wassermann im 
Blut negativ. 11. V. Nystagmus beim Blick nach links. 14. V. Atmung sichtlich 
erschwert, keine sichere Lahmung der Interkostalmuskulatur. Patientin klagt 
liber Parasthesien in beiden Beinen und der rechten Hand. Der Handedruck 
ist rechts deutlich schwacher als links. Psychisch ist Patientin vollstandig klar, 
etwas angstlich erregt und in groBer Besorgnis iiber den Ausgang ihrer Erkrankung. 
Nachdem der Zustand so einige Tage geblieben war, trat vom 26. V. an eine 
Besserung in der Motilitat ein. Zuerst kehrte die Kraft in den Armen und Handen 
wieder. Am 10. VI. fangt die Kranke mit Gehen an und kann am 18. VI. bereits 
ohne Unterstiitzung gehen. Bei ihrer Entlassung am 22. VI. ist der linke Knie- 
reflex eben auslosbar, wahrend der rechte und die Achillesreflexe noch fehlen. 
Die grobe Kraft ist in alien Muskelgruppen gut, die Kranke ermiidet nur noch 
leichter als friiher. 

Diese beiden Falle haben eine gewisse Ahnlichkeit mit Fallen von Encephalo¬ 
myelitis, wie sie von Quensel 14 , Economo, Gerhardt 15 , Gerhaidt 16 , 
Sapatini 17 beschrieben sind. Bulbare Erscheintmgen, die im Vordergrund 
der von Nonne 18 mitgeteilten Falle stehen, habe ich bei ihnen nicht beobachtet, 


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desgleichen auch keine ausgesprochenen Storungen der Blasen- und Mastdarm- 
funktionen. Der Fall des jungenMannes erinnerte am ehesten an eine Landry - 
sche Paralyse; gegen das Vorliegen einer solchen sprach aber das Freibleiben 
der Muskulatur des Bauches und der Schulterheber. Auch in dem anderen Falle 
schritten die L&hmungen nicht kontinuierlich fort, so daB ich in beiden Fallen 
das Krankheitsbild als eine Myelitis disseminata bezeichnete. Ob es sich atio- 
logisch um gleiche Krankheitsprozesse wie bei der Encephalitis bzw. Encephalo¬ 
myelitis gehandelt hat, kann ich bei dem Fehlen der fur diese Erkrankung 
besonders charakteristischen Symptome nicht entscheiden. 

Ein tJberblick iiber die mitgeteilten Falle ergibt, daB es sich um 15 Falle 
sicherer Encephalitis gehandelt hat, ein Fall von reiner Hysterie imitierte mit 
groBer Treue myoklonische Zuckungen, und 2 Falle boten das Bild der Myelitis 
disseminata, deren Atiologie nicht aufgeklart werden konnte. 

Von Dreyfus ist eine sehr differenzierte Einteilung der Encephalitis an- 
gegeben worden, deren Anwendung aber praktisch doch auf Schwierigkeiten 
stoBen diirfte, da es vielfach tlbergange zwischen den einzelnen Formen gibt 
und einige Falle auch verschiedene Formen nacheinander aufweisen. Aus diesem 
Grunde wird jetzt meist die umfassende BezeichnuDg „Encephalitis epidemica“ 
gebraucht. Will man doch eine gewisse Einteilung vornehmen, so scheint es 
angebracht, zwischen einer Encephalitis akinetica und. hyperkinetica zu unter - 
scheiden, wie es auch von anderer Seite schon geschehen ist. Auch dieser Eih- 
teilung bleibt der Vorwurf nicht erspart, daB es Falle gibt, die anfangs choreatisch, 
spater lethargisch verlaufen. Immerhin sind in ihr zwei rasch orientierende 
Unterabteilungen gegeben; unter die hyperkinetische Form waren alle Zustande 
erhohter korperlicher und geistiger Erregung zu rechnen, wahrend die Zu¬ 
stande der Lethargie, des amyostatischen Symptomenkomplexes und auch 
die encephalomyelitischen Lahmungserscheinungen unter die akinetische Form 
fielen. 

Was die Atiologie der Encephalitis epidemica anbetrifft, so ist das Nachst- 
liegende anzunehmen, daB ein ursachlicher Zusammenhang mit der Grippe 
besteht. Ich konnte in 7 Fallen mehr Oder minder ausgesprochene Grippe- 
erscheinungen anamnestisch und klinisch nachweisen: 4 Falle waren mit Grippe- 
pneumonien kombiniert, deren Vorhandensein in den 3 Fallen, die ad exitum 
kamen, auch bei der Sektion bestatigt wurde. In den 3 anderen Fallen wurden 
anamnestisch Fieber, Husten, Schnupfen und ziehende Schmerzen angegeben. 
Klinisch fand sich hier bei denAufnahme noch Konjunktivitis und geringe Bron¬ 
chitis. In den ubrigen Fallen wurden zwar auf genaues Befragen verschiedentlich 
auch grippeartigc Erscheinungen angegeben, die aber doch zu wenig charakte- 
ristisch waren, als daB ich sie irgendwie atiologisch bewerten mochte. 

In einem Falle von Encephalitis lethargica wurden im Blute Staphylo- 
kokken gefunden. Eine besondere Bedeutung messe ich diesem Befunde nicht 
bei, da das Blut nicht aus der freigelcgten Vene, sondem durch perkutane 
Venenpunktion gewonnen wurde. Oehmig 19 hat in verschiedenen Fallen 


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Kokken ini Blut gefunden; es findet sich aber bei ihm keine Angabe dariiber, 
wie das Blut entnommen wurde. In alien anderen Fallen, in welchen Blut 
oder Liquor bakteriologisch untersucht wurde, fanden sich niemals pathogene 
Erreger. 

Die Lumbalpunktion ergab mit Ausnahme eines Falles immer klaren Liquor: 
cinmal war der Liquor hellgelb, wie nach einer alten Blutung; es fanden sich 
auch einige Erythrocyten darin. Dieser Befund wurde in einem Falle von 
Encephalitis myoklonica erhoben. Man muB daraus wohl schlieBen, daB es 
an irgendeiner Stelle des Gehirns oder seiner Haute zu einem Blutaustritt 
gekommen ist. Es lage also hier, anatomisch gesprochen, eine Encephalitis 
haemorrhagica vor. Die Druckwerte bewegten sich zwischen 25 und 280 mm. 
Die Zellen und das GesamteiweiB waren nie vermehrt. Der Wassermann war 
stets negativ. Von den Globulinreaktionen war nur die Nonnesche Reaktion 
bci 50 % nianchmal schwach positiv. 

Von den 15 Fallen sicherer Encephalitis star ben 3, das sind 20%, die alle 
mit Grippepneumonien kompliziert waren. Der Tod trat in diesen Fallen 
1 a / 2 —4—7 Wochen nach Krankheitsbeginn und 4—6—8 Tage nach Kranken- 
hausaufnahme ein. Das Alter dieser Falle bet rug 17, 18 und 30 Jahre. Eine 
Zusammenstellung von 337 Fallen aus der Literatur ergibt eine Mortajitat 
von etwa 33%. Alexander und Allen 20 berechnen aus 100 aus der Literatur 
ausgewahlten Fallen eine Mortalitat von 23%, Sapatini hatte bei 29 Fallen 
28 % Todesfalle. 

Die Kombination mit Graviditat und Grippepneumonien scheint die 
Prognose besonders ungiinstig zu beeinflussen. 

Therapeutisch hat sich mir nichts als besonders wirksam erwiesen. Auch 
die von Fendel 21 angegebene intralumbale Injektion von Grippeserum zeitigte 
in einem Falle von Encephalitis myoklonica keinen augenblicklichen Erfolg. 
Ebenso konnte ich mich nicht von der Wirksamkeit der Chininderivate tiber- 
zeugen. Symptomatisch bewahrte sich zur Linderung der motorischen Unruhe 
und der qualenden Schlaflosigkeit Chloralhydrat am besten, worauf schon 
von Jaksch auf dem KongreB fur innere Medizin hingewiesen hat, und das 
in Form von Einlaufen den Krankcn gegeben wurde. Im ubrigen ist die Be- 
handlung eine rein symptomatische und eine sorgfaltige Pflege die Hauptsachc. 

Literatur. 

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7. Pansera, zit. nach Neurol. Centralbl. 1920. S. 396. — 8. Striimpell, Deutsche 
med. Woch. 1920. Nr. 26. — 9. Eeonomo, Wien. klin. Woch. 1920. Nr. 16 u. 17. — 
10. Dreyfus, Miinchener med. Woch. 1920. Nr. 19. — 11. Hart, Medizinische Klinik 
1920. Nr. 33. — 12. Grober, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXVIII. — 13. Oppen- 
heim, Lebrb. d. Nervenkrankh. 5. Aufl. S. 1226. — 14. Qu ensel, Miinchener med. Woch. 
1920. Nr. 11. — 15. Gerhardt, Miinchener med. Woch. 1920. Nr. 33. — 16. Gerhardt, 


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Miinchener med. Woch. 1920. Nr. 30.— 17. Sapatini, zit. nach Neurol. Centralbl. 1920. 
S. 406. — 18. Nonne, Deutsche Zeitschr. f.Nervenheilk. LXIV. Heft 5. — 19. Oehmig, 
Munchener med. Woch. 1920. Nr. 23. — 20. Alexander u. Allen, zit. nach Neurol. 
Centralbl. 1920. S. 404. — 21. Fendel, Miinchener med. Woch. 1920. Nr. 12. 


12 a. Bemerkungen zu dem in dem Aufsatze von Pilcz 
„Zur Klinik der epidemischen Encephalitis 1 ‘ 

(Neurol. Centr. 1920) beschriebenen Pupillenphanomen. 

Von Professor Dr. Reinhold, 

(Stadt. Erankenhaus I, Hannover.) 

In Nr. 12 des vorigen Jahrganges des Neurol. Centr. (S. 386—99) hat Pilcz 
folgende von ihm bei einer Kranken mit epidemischer Encephalitis wahrend 
tiefen Sopors beobachteten Erscheinungen an den Pupillen beschrieben: „Die 
Pupillen sind miotisch, entrundet, reagieren nur bei Belichtung mit starker 
Lichtquelle eben merkbar und sehr trage. Wird nun die in passiver Riickenlage 
befindliche Kranke aufgesetzt, so erweitem sich die Pupillen, werden fast 
mydriatisch und reagieren jetzt prompt und ausgiebig auf Licht. Wahrenddessen 
erwacht aber die Kranke keineswegs aus dem Sopor. In Riickenlage zuriick- 
gebracht, verengern sich rasch die Pupillen; wieder tritt extreme Miose ein, 
und die Lichtreaktion erscheint wieder fast aufgehoben. Dieses Phanomen 
konnte einige Male hintereinander hervorgerufen werden.“ Pilcz deutet die 
Erscheinung wie folgt: „Der Sopor war zu tief, als dab Mabnahmen, wie Auf- 
setzen, zum wirklichen Erwecktwerden gefiihrt hatten, wohl aber erfolgte soweit 
eine Ermunterung bzw. Aufriittelung, dab die Schlafmiose voriibergehend zum 
Schwinden gebracht wurde, gewissermaben ein Erwecktwerden suhkortikaler 
Zentren bei Weiterschlafen des Cortex. 44 Pilcz sagt ferner: ,,Analoge Beobach- 
tungen fand ich in der mir zuganglichen Literatur nicht verzeichnet. 44 

Tatsachlich sind aber doch schon frUher ahnliche Beobachtungen an den 
Pupillen beschrieben, und zwar speziell bei Meningitis tuberculosa. In 
meiner Habilitationsschrift „Klinische Beitrage zur Kenntnis der akuten 
Miliartuberkulose und tuberkulosen Meningitis 44 (1891) (abgedruckt im 
Deutschen Archiv fur klinische Medizin, XLVII. Band) habe ich (S. 47 ff.) hin¬ 
ge wiesen auf „Schwankungen in der Weite der Pupillen bei Meningitiskranken, 
die sich abhangig erweisen, einmal von auberen Einfliissen und ferner von dem 
jeweiligen Zustande des Sensoriums 44 . Speziell beobachtete ich in mehreren 
Fallen von Meningitis tuberculosa mit mabig ausgebildeter oder gerade fehlender 
Nackenstarre bei jeder passiven Beugung des Kopfes des Kranken eine 
sofortige starke Erweiterung der Pupillen; bei Zurucklegen des Kopfes wurden 
dieselben dann langsam wieder enger. Am starksten ausgesprochen war diese 
Erscheinung bei einer Patientin mit vorwiegender Beteiligung der Pia der Kon- 
vexitat. — Ferner konnte bei vollig apathisch daliegenden Kranken eine Er- 


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weiterung der Pupillen zuweilen beobachtet werden, sobald es gelang, sie durch 
Anrufen oder Aufrichten einigermaBen zu sich zu bringen; dieselbe machte 
aber sofort wieder einer Verengerung Platz, wenn der Patient in die fruhere 
Somnolenz zurucksank. Diese meine Beobachtungen sind auch in der Bearbei- 
tung der Krankheiten der Hirnhaute von F. Schultze im Nothnagelschen 
Handbuch 1901 (Bd. IX, S. 98) erwahnt. Hingewiesen wurde von mir schon 
damals auf die Analogic mit dem physiologischen Yerhalten der Pupillen bei 
Gesunden im Schlafe und im Moment des Erwachens, sown ferner auf die durch- 
aus gleichartige Kongruenz zwischen Verhalten der Pupillen und Zustand des 
Sensoriums in ausgesprochenen Fallen des Cheyne-Stokesschen Respirations- 
phanomens (Verengerung der Pupillen und Einsehlafen in den Atmungspausen, 
Erweiterung der Pupillen und psychische Unruhe wahrend des Stadiums der 
allmahlich anschwellenden Respiration). Die Erweiterung der Pupillen bei 
passiver Beugung des Kopfes glaubte ich damals im wesentlichen als eine 
Schmerzreaktion, also in gewissem Sinne als ein Aquivalent der fehlenden oder 
doch nicht voll ausgebildeten Nackenstarre deuten zu sollen; es ist aber zu- 
zttgeben, daB auch dabei das Moment des teilweisen Erwecktwerdens im Sinne 
von Pilcz eine Rolle spielen kann. P. hat fur seine Beobachtung ausdrucklich 
betont, daB auf schmerzhaften Reiz keinerlei Reaktion erfolgte. fiber Ande- 
rungen der Pupillenreaktion bei diesem Wechsel ihrer Weite, wie sie Pilcz be- 
schreibt, ist allerdings in meiner Mitteilung nichts enthalten. 

Bei Knies 1 fand ich die Angabe, daB Kahler 8 schon frtiher mehrfach 
bei basaler Meningitis beim Aufsetzen des Kranken maximale Erweiterung 
der Pupillen beobachtete (auch einseitig), die beim Niederlegen wieder ver- 
schwand. 

Hiemach ist also das von Pilcz geschilderte Symptom jedenfalls nicht 
fur die epidemische Encephalitis als solche charakteristisch. Ferner mochte ich 
auch nicht glauben, daB es auf eine spezielle Lokalisation des Krankheitsprozesses 
im Gehirn bezogen werden kann. 


12 b. Erwiderung auf den vorstehenden Aufsatz yon Ke inhold. 

Von Dr. A. Pilcz in Wien. 

Die Literaturangaben, welche Reinhold bringt, waren mir bekannt. Wenn 
ich sie nicht zitierte, vielmehr sagte, daB ich eine analoge Beobachtung in der 
mir zuganglichen Literatur nicht verzeichnet fand und Kollege Dimitz an dem 
groBen klinischen Materiale die fragliche Erscheinung in ksinem anderen Falle 
konstatieren konnte, so bezog sich dies lediglich auf die Falle der gegenwartigen 
Encephalitisepidemie und die diesbeztigliche Literatur. Ich will aber ohne wei- 

1 „Die Beziehung des Sehorgans und seiner Erkrankungen zu den iibrigen Krank¬ 
heiten des Korpers“ (Wiesbaden, Bergmann 1893, S. 162). 

* Prager med. Wochenschrift 1887, Nr. 5. 


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teres zugeben, dab ich mich in dieser Hinsicht nicbt klar genug ausgedriickt 
habe. Dagegen wUBte ich nicht, welcher Passus meiner Mitteilung den Eindruck 
erwecken konnte, als hatte ich das geschilderte Symptom fiir die epidemische 
Enceiphalitis als solche als charakteristisch angesprochen oder auf eine spezielle 
Lokalisation des Krankheitsprozesses bezogen. Das „Erwecktwerden sub- 
kortikaler Zentren“ bei „Weiterschlafen des Cortex“, welchem Momente auch 
Reinhold eine gewisse Rolle als moglich beizumessen geneigt ist, ist eine Er- 
klarungsmoglichkeit, bei der ich an die bekannte Mauthnersche Schlaftheorie 
erinnerte. nichts weiter. 


[Mitteilung ana der Nervenabteilung der Nachbebandlungsanstalt des Kgl. Ungar. 

Ministeriums fur Volksgesundheit in Budapest-Rev^szntca. 

(Chefarzt: Dr. Ladislaus Focher.)] 

13. Beitrag zur Psychologie der Wilsonschen Krankheit. 
Progressive lentikulare Degeneration. 1 

Von Dr. Ladislaus Focher. 

Die erste Mitteilung uber die progressive lentikulare Degeneration, eine 
progressive Systemerkrankung von unbekannter Atiologie, genannt nach dem 
englischen Nervenarzt Wilson, wurde von Frerichs veroffentlicht in seinem 
Werke tiber die Lebererkrankungen (1854). Bei der Autopsie dieses Falles wurde 
nur interstitielle Leberhypertrophie und Blutuberfullung des Gehims vor- 
gefunden. Seither wurden ungefahr 40 Falle beschrieben. Als anatomische 
Grundlage der Erkrankung wurde zuerst von Ormerod der Linsenkern erkannt 
(1892). Das Krankheitsbild wurde von Wilson gezeichnet und umgrenzt im 
Jahre 1912. Es wird ein besonderes Interesse der Krankheit verliehen duxch den 
Umstand, dafi ihre typischen Falle ein durch Verminderung der logischen und 
assoziativen Fahigkeiten bedingtes kindisches Benehmen, gesteigerte Suggesti¬ 
bility, Sorglosigkeit, Euphorie und primitive Denkweise zeigen, ohne die unseren 
bisherigen Erfahrungen entsprechenden anatomischen Veranderungen der GroB- 
himrinde vorfinden zu konnen. 

Nur der Fall Bostroems zeigtc neben Nekrose und Bindegewebswucherung 
der Leber und Veranderungen im Linsenkern und im Nucleus dentatus auch 
Veranderungen des GroB- und Kleinhimmantels. Durch die Lebemekrose und 
den Verlauf der Krankheit: plotzlicher Tod nach kaum eine Woche dauernder 
Erkrankung, wurde die Hierhergehorigkeit des Falles wenigstens fraglich. Der 
mit Pyramidenerscheinungen kombinierte Fall Schuttes, mit Halbseitenlahmung 
und Hydrocephalus intemus Dzyembowskys, mit chronischem Alkoholismus, 
Arteriosklerose und Apoplexie Garbinis konnen kaum zum klinischen und 
anatomischen Weiterbau dieser Krankheitseinheit verwendet werden. 

1 Vortrag, gehalten in der Sitzung am 14. April 1919 der neurologisch-psycbiatrischen 
Abteilnng der Egl. Arztegesellsehaft in Budapest. 

XL. (Erganzongsband.) 9 


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Die Krankheit befallt vorwiegend starke, erblich unbelastete, bisher gesunde- 
Personen der 10—26er Lebensjahre. Zuerst treten spontane, symmetrische 
oder schnell symmetrisch sich gestaltende klonische Zuckungen der Extremitaten- 
muskeln, des iifteren aber auch in der Muskulatur des Rumpfes, des Halses und 
des Schadels auf. Die Krampfe sind spontan und werden durch intendierte 
Bewegungen sowie durch psychisehe Erregung gesteigert, sistieren aber hochstens 
ini Schlafe vollstandig. Die auberen und inneren Augenmuskeln sind in den bis 
jetzt beschriebenen Fallen gesund geblieben; haufig sind dagegen Dysarthrien 
und Dysphagien infolge Erkrankung des muskulosen Apparates der Kehle, der 
Zunge und des Rachens. Es zeigen sich auch meistens bald lokale, anfangs vor- 
iibergehende Steigerungen des Muskeltonus; diese tauschen eine Kontraktur vor, 
sind aber passiv, aber auch aktiv uberwindbar und erst terminal wandeln sie sich 
zu Kontrakturen um. Weitere Krankheitserscheinungen sind: langsame, mono¬ 
tone Sprache, die schon erwahnte psychisehe Storung, leicht auslosbare alimentare 
Glykosurie und Protrusion der Augapfel. Alle die Erscheinungen schreiten lang- 
sam, aber unaufhaltsam vor und rufen durch Schluckstorung oder interkurrente 
Erkrankung (Bronchopneumonie) im Laufe von 4 Monaten bis 7 Jahren den 
Tod herbei. Die Sehnen- und Hautreflexe, soweit sie durch Spasmen nicht ver- 
deckt sind, sind normal oder leicht gesteigert; Erscheinungen einer Pyramiden- 
lasion, pupillare Storungen, Nystagmus fehlen ganz; die elektrische Muskel-und 
Nervenerregbarkeit ist normal. 

Die Krankheit ist therapeutisch unbeeinfluBbar. Bei der Autopsie wird 
in dem Corpus striatum lokalisicrte symmetrische Ganglienzellendegeneration, 
Gliosis und Hohlenbildung, sowie sekundare Degeneration in den lentikularen 
Bahnen (Fasc. lenticulo-thalamicus und rubro-lenticularis) gefunden. 

Atiologie und Wesen der Krankheit sind unbekannt. Ein gewisser Hinweis 
wird durch die Tatsache gegeben, daB, wie die Erfahrungen beim Icterus gravis 
neonatorum zeigen, das Corpus striatum und in diesem der Linsenkern durch 
den Gallenfarbstoff elektiv gefarbt wird. Vielleicht ist eine spezifische Er¬ 
krankung der Leber das Primare und der Nucleus lenticularis wird erst durch 
Toxine, entspringend aus der spezifischen Lebererkrankung, begrundet. Die 
psychischen Yeranderungen wiirden auch fur die toxischc Entstehung sprechen, 
falls unsere Wissenschaft betreffs Gehirnlokalisation vollstandig und definitiv 
ausgebaut ware. 

Patient ist 23 Jahre alt, ledig, diplomierter Apotheker; er akquinerte mit 
15 Jahren Gonorrhoe, litt mit 16 Jahren an Gonitis; andere vorherige Erkran- 
kungen, namentlich Lues und Ikterus, sowie erbliche Belastung, Nikotingebrauch 
wird in Abrede gestellt; er trank wochentlich im Durchschnitt einen Liter Wein. 

Seine linke Hand fing an, vor 2 1 / i Jahren, nach groBen Anstrengungen 
ohne andere ihm bekannte Ursache, beim Gebrauch zu zittern. Sein Zustand 
verschlimmerte sich seither fortwahrend; das Zittern wurde bald symmetrisch 
und standig. Er wurde im Herbst 1917 nach Gonda (Persuasion + Suggestion 
bei Anwendung faradischen Stromes) ergebnislos behandelt, sonst wurde er nicht 
behandelt. 

Am 13. XII. 1918 sind die Eingeweide laut Perkussion, Auskultation und 


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Palpation normal; viszerale Funktionen ungestort. Harn ohne pathologische 
Bestandteile. Nach GenuB von 100 g Zucker erscheint in der ersten Harnportion 
Zucker. Das weiBe Blutbild zeigt Eosinophilie (9 %. 3 %, 5 %) und Mono- 
nukleose (7 °/o> ® °/o>.® %) (Dr. Klein). Die Blutserumreaktion nach Wassermann 
ist negativ (Dr. Sulczer). Patient liegt und sitzt mit stark adduzierten und leieht 
flektierten Extremitaten. Der Gang ist unsicher, schwankend. Mit dem Schadel 
nickt er fortwahrend; in den Extremitaten sind vorwiegend symmetrische, durch 
intendierte Bewegungen und Emotion auch in den nicht innervierten Muskeln 
sich steigernde, groBwellige Klonismen zu beobachten; dieselben sistieren auch 
im Schlafe selten vollstandig. Die Muskelkraft ist dem Korperbau entsprechend. 
Alle physiologische Bewegungen sind aktiv ausfiihrbar. Beim Sprechen bleibt 
der linke Mundfazialis etwas zuriick. Protrusion des Augapfels und Graefesches 
Symptom sind angedeutet. Gesichtsausdruck ist stets lachelnd. Die Sprache 
ist langsam, syllabierend, eintonig. Sehnen- und Hautreflexe normal. Augen- 
hintergrund normal (Dr. Rados). Elektrische Muskel- und Nervenerregbarkeit 
sind normal. Augenbewegungen frei. FuB- und Quadrizepsklonus, Babinski-, 
Mendel-Bechterew-, Oppenheimsche Symptome sind nicht vorhanden. 

Das Gemiit des Patienten ist stets zufrieden; er fiihlt sich sehr wohl. Seine 
psychischen Funktionen sind alle durch Perseveration, Stereotypie, oberflachliche 
Assoziationen und Schw&che der Kritik gekennzeichnet. Die Merkfahigkeit ist 
auffallend gut. Das Gedachtnis ist im Gegensatze zur Merkfahigkeit auffallend 
schlecht. Die Qualitat der Fehlererinnerungen manifestiert lebhaft die Schwache 
der Kritik. Das Ergebnis der Untersuchung der mnemischen Funktionen nach 
Ranschburgs Methode wird durch Tabelle Nr. I geschildert. 


I. Tabelle. 

Gedachtnisprlifung nach Ranschburgs Methode: 

1. am 7./8. Janner 1919. 

Ai: 86% 

Ac+ 24: 52 % 

Fr. i.: 1 innere Verwandtschaft 1 
1 auBere Verwandtschaft J 
1 Worterganzung 
1 Perseveration (sinnlos) 

Fr. c + 24: 1 Worterganzung 

1 Perseveration 

2. am 29./30. Marz 1919. 

90% Ti: 

Tc + 24: 


Ti: 2,0 Sek. 

Tc + 24: 2,2 Sek. 

2 Verwandtschaft. 


Ai: 

Ac + 24: 
Fr. i.: 

Fr. c + 24 


66 °/ 0 
1 Worterganzung 
1 Unerklarlich 
1 Innere Verwandtschaft 1 
3 AuBere Verwandtschaft] 
3 Worterganzung 
1 Unerklarlich 


1,4 Sek. 
1,2 Sek. 


4 Verwandtschaft 


Zeichenerklarung: Ai = Umfang der Merkfahigkeit; Ti = Reproduktions- 
zeit der Merkfahigkeit; Ac + 24 = Umfang des Gedachtnisses nach 24 Stundenr 
Tc + 24 = Reproduktionszeit des Gedachtnisses nach 24 Stunden; Fr. i. = 
Qualitat der Fehlreaktionen gelegentlich der Priifung der Merkfahigkeit; 
Fr. c + 24 = Qualitat der Fehlreaktionen gelegentlich der Priifung des Gedacht¬ 
nisses nach 24 Stunden. 

6 * 


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Wie aus der Tabelle ersichtlich, sind die mnemischen Funktionen wahrend 
der 4 x / 2 Monate unverandert geblieben. Die Merkfahigkeit ist zu beiden Malen 
gut, bzw. sehr gut, das Gedachtnis bei der unteren Grenze der Normalitat, aber 
noch innerhalb derselben. Die Qualitat der Fehler zeigt eine mit der Schul- 
bildung des Patienten in krassem Widerspruch stehende Kritikschwache. 

Sechsstellige Zahlenreihen wiederholt er von 6 Fallen 6 mal richtig, sieben- 
stellige von 6 Fallen 3 mal richtig, einmal mit Permutation, einmal mit 5 Ziffern 
und einmal mit essentiellem Fehler. 

Die optische Auffassungsfahigkeit fiir Worter (II. Tabelle) steht tief unter 
der Grenze der Normalitat. Ein- und zweisilbige Worter werden binnen 1 / 10 Sek. 
durch normale Erwachsene (auch durch ^m Lesen gewandtere Feldarbeiter) in 
100 % fehlerlos gelesen. Er: 


II. Tabelle. 


Optische Wortauffassung bei VlO Sek. Exposition untersucht mittels des 
Ranschburgschen Mnemometers am 7. Janner 1919. 

Von den einsilbigen Wortern wurde richtig perzipiert 

bei der ersten Vorfiihrung.50 °/ 0 

bei der zweiten Vorfiihrung .... 80 °/ 0 

Von den zweisilbigen Wortern wurde richtig perzipiert 

bei der ersten Vorfiihrung.50 °/ 0 

bei der zweiten Vorfiihrung .... 60 °/ 0 

Die standige Bewegung des Schadels wirkte vielleicht mit zu diesem schwachen 
Ergebnis; ich strebte allerdings an, fiir die Exposition eine ruhige Sekunde zu 
verwenden. Es bleibt aber unbedingt auffallend die Qualitat der Illusionen, 
die groBe Rolle der Perseverationen: 

III. Tabelle. 

Aus den 32 Illusionen, die gelegentlich der Priifung der Auffassungsfahigkeit 


entstanden sind, war: 

Unerklarbar.18,2 °/ 0 

Perseverativ.31,8 °/ 0 

Perseverativ und durch optische oder akustische 

Ahnlichkeit begriindet.. . 13,6 °/ 0 

Mittelbar perseverativ. 4,5 °/ 0 

Durch optische oder akustische Ahnlichkeit begriindet 31,8 °/ 0 


Seine Kritik war schon im Dezember 1919 — in Anbetracht seiner Schul- 
bildung — viel zu schwach. Seine kritische Schwache wird neben seiner Un- 
orientiertheit seiner Krankheit gegeniiber, neben der auffallenden Qualitat der 
Fehlererinnerungen und Illusionen gelegentlich der Priifung der mnemischen 
Funktionen bzw. der Auffassungsfahigkeit, auch durch seine Distinktionen schon 
beleuchtet. 

Am 14. Dezember 1918 war auf die Frage: Was ist der Unterschied 

1 . zwischen Eile und Hasten? 

die Antwort: „Wer hastet, der eilt so, daB er nicht bedenkt, was er tut.“ 

2. zwischen Unbarmherzigkeit und Unbiegsamkeit ? 

die Antwort: ,,Unbiegsamkeit ist, daB man ihn nicht iiberreden oder biegen kann; 
Unbarmherzigkeit ist, wenn er einen anderen qualt.“ 

3. zwischen Verwogenheit und Kiihnheit? 

die Antwort: „Verwogen ist, der sich Gefahren aussetzt; der kiihne Mann sieht den 
Gefahren ins Auge.“ 


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4. zwischen Nachgiebigkeit und Willenlosigkeit ? 

die Antwort: „Nachgiebigkeit ist, wenn er sich beeinflussen laBt; Willenlosigkeifc, 
wenn er sich sofort beeinflussen laBt.“ 

5. zwischen Religiositat und Bigotterie? 

die Antwort: ,,Wenn er sehr religios ist, der ist bigott.“ 

6 . zwischen GefraBigkeit und groBer Appetit ? 
die Antwort: „Dasselbe.“ 

7. zwischen Debatte und Wortstreit? 

die Antwort: ,,Wenn er keine Griinde angibt, nur Grobheiten sagt.“ 

Betreffs kritischer Fahigkeiten ist wahrend vier Monaten eine entschiedene 
Verschlimmerung eingetreten. 

Am 11. April 1919 war auf die Frage: Was ist der Unterschied 

1 . zwischen Luge und Irrtum ? 

die Antwort: „Die Luge ist boswillig, der Irrtum kann auch irrtumlich sein und 
er ist nicht schlecht.“ 

2 . zwischen Geizigkeit und Sparsamkeit? 

die Antwort: ,,Die eine ist gut, die andere ist schlecht.“ 

3. zwischen Bescheidenheit und Unterwiirfigkeit ? 

die Antwort: ,,Die Unterwiirfigkeit ist nicht immer schon, und iibertrieben ist sie 
nicht gut; die Bescheidenheit ist immer eine schone Tugend.“ 

4. zwischen Konsequenz und Hartnackigkeit? 

die Antwort: „Der konsequente Mann ist, man sagt, ein braver Mann, wahrend die 
Hartnackigkeit ist keine gute Gewohnheit.“ 

5. zwischen Vorsichtigkeit und Furchtsamkeit? 

die Antwort: ,,Es ist gut vorsichtig zu sein, aber Furchtsamkeit ist . . .“ 

6 . zwischen Furchtsamkeit und Feigheit? 

die Antwort: ,,Furchtsam ist, der sich sehr leicht einschiichtert, aber feig ist . . 

7. zwischen Redehalten und Unterredung? 

die Antwort: ,,DaB zum Redehalten mehr Bildung benotjgt wird, wahrend reden 
ein jeder kann.“ 

Auf Hilfsfragen: ,,Wann sagen wir von jemandem, daB ..., undwann, daB... ce 
erhalten wir dieselben Antworten. 

Seine Kombinationsfahigkeit, untersucht nach Masselon, zeigt sich am 
14. Dezember 1918 normal. Er lost die Aufgabe, von drei vorgesprochenenWortern 
einen Satz zu bilden, wie folgt: 

1 . Stunde, Eisenbahnzug, Stehenbleiben: ,,Infolge des Stehenbleibens meiner 
Uhr habe ich die Eisenbahn verpaBt.“ 14,6 Sek. 

2. Knabe, Hose, Priigel: ,,Der Knabe erhielt nach Zerreifiung seiner Hose 
Prugel. <c 12,0 Sek. 

3. Fenster, Gasse, Staub: . . . 60,0 Sek. 

4. Spaziergang, Regen, Schnupfen: „Im Regen spazierend, habe ich Schnupfen 
bekommen.“ 12,0 Sek. 

Am 30. Marz 1919, nach Rossolimo untersucht (Erklarung sukzessiver 
Bilder), lost er von 10 Aufgaben nur 2, anstatt des Normalwertes 9,4. 

Am 11. April 1919, wieder nach Masselon untersucht, reagiert er wie folgt: 

1 . Wald, Hase, Windhund: ,,Der Windhund jagt den Hasen im Walde.^ 
12,4 Sek. 

2. Rauchfang, Wurst, hungrig geworden: ,,Die Wurst im Rauchfange ist gut, 
aber nicht, wenn man davon hungrig wird.“ 22,8 Sek. 

3. Budapest, FluB, Geld: ,,In Budapest kostete es viel Geld, den DonaufluB 
zu uberbriicken.“ 14,6 Sek. 


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4. Regen, Landwirt, Saat: ,,Im Regen zieht der Landwirt von dem.Felde 
nach Hause.“ 7,8 Sek. 

Seine Assoziationen sind schon am 18. Janner 1919 sehr oberflachlich; Wort- 
zusammensetzungen, spraehliche Reminiszenzen und Perseverationen fiihren eine 
bedeutende Rolle unter ihnen. Am 31. Marz 1919 treten die durch auBere oder 
innere Yerwandtschaft bedingten Assoziationen noch mehr hinter den Wort¬ 
erganzungen, Perseverationen, akustischen Ahnlichkeiten, Wiederholungen und 
unerklarlichen Assoziationen zuriick, namentlich: 


IV. Tabelle. 

Assoziationspriifung am 18. Janner 1919. 

Innere Verwandtschaft.29,7 °/ 0 2,4 Sek. 

AuBere Verwandtschaft.29,7 °/ 0 1,8 ,, 

Verwandtschaft . . . 59,4°/ 0 

Wortzusammensetzungen und spraehliche Reminiszenzen . . . 18,8% 2,4 „ 

Perseverationen.10,8% 1,4 ,, 

Worterganzungen .5,4% 1,9 ,, 

Akustische Ahnlichkeiten.2,7 % 2,0 ,, 

Wiederholungen.2,7% 7.2 ,, 

V. Tabelle. 

Assoziationspriifung am 31. Marz 1919. 

Innere Verwandtschaft..25,0% 2,4 Sek. 

AuBere Verwandtschaft.10,0% 2,3 ,, 

Verwandtschaft. . . 35,0% 

Wortzusammensetzungen und spraehliche Reminiszenzen . . . 27,5% 2,2 ,, 

Perseverationen.20,0% 1,9 ,, 

Worterganzungen .7,5 % 2,8 ,, 

Akustische Ahnlichkeiten.2,5% 7,2 ,, 

Wiederholungen.. . 5,0% 3,8 ,, 

Unerklarlich.2,5 % 2,8 „ 


Der Zustand des Pat. ist unabhangig von psycho- und chemotherapeutischen 
Versuchen (wie Jod, Fibrolysin, Sedativa) stets schlechter geworden. 

Bei dem sehr typischen Krankheitsbilde braucht uns die Differentialdiagnose 
kaum zu beschaftigen. Aus dem Bilde der West phal-St rum pell schen Pseudo- 
sklerose, welche vielleicht nur eine ausgedehntere Form derselben Krankheit 
darstellt, fehlen einstweilen: der Kornealring, die epileptiformen Anfalle, die 
groben psychischen Ausfallserscheinungen, die Verlangsamung der Augenbewe- 
gungen. Gegen die Psychoneurose spricht der Verlauf, die Sprache, die alimentare 
Glykosurie, die Resisted der Hyperkinese gegeniiber Ablenkung und Suggestion 
bei dem ansonst sehr suggestiblen Patienten. Gegen Sklerosis multiplex spricht 
das Verhalten der Sehnen- und Hautreflexe und das Fehlen des Nystagmus und 
der Pyramidenerscheinungen. Die Unverrichtsche Myoklonie, die Fried- 
reichsche Paramyoklonia multiplex und der Typ Marie der Neuritis inter- 
stitialis hypertrophica konnen kaum ernstlich in Erwagung kommen. 

Das traurige Schicksal des Pat. ist bekannt. Ich bestrebe mich, ilin vor 
Augen zu halten und seinerzeit vom histologischen Bilde zu berichten. 


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Die instrumentellen psychologischen Untersuchungen wurden mit Gc- 
nehmigung des Herm Prof. Dr. Paul Ranschburg im Konigl. Ungar. HeilpSd.- 
psychol. Laboratorium in Budapest ausgefiihrt. Ich erftille eine angenehme 
Pflicht, indem ich dem Herm Professor meinen ergebensten Dank ausspreche. 


[Aus dem anatomischen Laboratorium (Privatdozent Dr. A. Jakob) der Staatskranken- 
anstalt und Psychiatriscben Klinik Hamburg-Friedriehsberg. 

(Direktor: Prof. Dr. W. Weygandt.).] 

14. tlber einen seltenen Fall von Korsakoffschem 
Symptomenkomplex bei Hirnarteriosklerose. 

Von Dr. med. Emil Josef Marx, 

Oberarzt an der v. Ehrenwallschen Kuranstalt Ahrweiler. 

Unter Korsakoffscher Psychose versteht man heute eine auf dem Boden 
des schweren chronischen Alkoholismus entstehende Geistesstorung, mit der 
sich sehr haufig, aber nicht immer, eine Polyneuritis verbindet. Seit Korsakoff 
1887 den nach ihm benannten Symptomenkomplex: Merkfahigkeitsstorung, 
Desorientiertheit und Konfabulation als Folge eines chronischen Alkoholismus 
beschrieben hatte, wurden von den verschiedensten Autoren auch andere Ur- 
sachen fur die Entstehung der Korsakoffschen Trias gefunden: Frankel und 
Wollenberg beobachteten das Auftreten von Gedachtnis- und Merkfahigkeits- 
schwache, Desorientiertheit und Personenverkennung nach Strangulation, 
ahnliche Storungen nach Gehimerschutterung und Kohlenoxydvergiftung; 
Bonnet sah einen Korsakoff bei Stirnhirntumor, Sittig bei diabetischer Aei- 
dose, ebenso Koch nach Pankreaserkrankung. Ferner wurden Korsakoffsche 
Bilder beschrieben nach Trauma (Morst&tt), bei Chorea (Arsimol), nach Neo- 
salvarsan (Piirkhauer), in der Schwangerschaft (Plahl), nach tuberkuloser 
Meningitis und nach akutem Gelenkrheumatismus (Pick). Bekannt ist schliefi- 
lich der innige Zusammenhangin den Symptomen der Korsakoffschen Psychose 
und der Presbyophrenic, welche Wernicke die senile Form der Korsakoffschen 
Psychose nannte. Auch unter den arteriosklerotischen Geistesstorungen gibt es 
Korsakoffsche Bilder, doch pflegen hier mehr zerebrale Herderscheinungen im 
Vordergrund zu stehen, und gewohnlich iiberwiegt mehr die Gedachtnisschwache 
gegeniiber der Merkfahigkeitsstorung und Erinnerungsfalschung (Kraepelin). 
Jedenfalls gehoren reine Korsakoffsche Bilder bei der Hirnarteriosklerose zu 
groBen Seltenheiten. 

Ich mochte daher im folgenden einen bemerkenswerten Fall mitteilen, bei 
dem ein ausgepragter Korsakoffscher Symptomenkomplex sieben 
Jahre lang bis zum Tode des Kranken unverandert bestand, und bei 
dem die anatomische Untersuchung im wesentlichen eine arterio- 


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sklerotische Erkrankung der kleinen HirnrindengefaBe neben einer 
chronischen Degeneration des Rindengewebes feststellen konnte, 

Der Krankheitsverlauf ist kurz folgender: 

Es handelt sich um einen bei seinem Tode 64 Jahre alten Turnlehrer, der mit 
57 Jahren einen apoplektischen Insult bekam. Anamnestisch ist zu bemerken, daB 
er friiher einmal Typhus hatte; von Lues nichts zu eruieren; kein Alkoholabusus; 
verheiratet; keine Kinder; geistig sehr regsam; in seinem Fach sehr tiichtig, in 
fiihrender Stellung. Mit 57 Jahren erlitt er einen apoplektischen Insult; Para- 
plegie beider Arme und Beine: totale motorische Aphasie; nach etwa 4 Wochen 
hatten sich die groberen Lahmungserscheinungen zuriickgebildet, und, als er in 
Krankenhausbehandlung kam — August 1908—,konnte folgender Befund erhoben 
werden: 

176 cm grofier, kraftig gebauter, muskuloser Mann in gutem Ernahrungs- 
zustand. Pupillen: R.=L., rund, mittelweit; L./R.: +, C./R.: +; Fazialisparese 
L.; Zunge: wird gerade vorgestreckt; Sprache: motorisch-paraphasisch. Herz: 
o. B.; Arterienrohr: geschlangelt, rigide, bes. die Temporalis. Lungen und Bauch- 
organe: o. B. Extremitaten: das linke Bein wird beim Gehen etwas nachgezogen, 
die linke Schulter hangt herab; Pat. geht nach links gebeugt; grobe Kraft im 
linken Arm etwas herabgesetzt. Reflexe: Vorderarm und Trizepsreflex: +; P. S. R.: 
+ ; A. S. R.: +> Bauchdeckenreflex: L. < R.; Cremasterreflex: + ; Babinski: 
beiderseits fraglich; Romberg: 0; Sensibilitat: o. B.; Urin: frei von E. u. Z.; 
Wassermann im Blut: 0. 

Psyche: In den ersten 4 Wochen des Krankenhausaufenthaltes stand im 
Vordergrund eine grofie motorische Unruhe, besonders nachts; infolge der motor.- 
aphasischen Sprachstorung war anfangs keine genaue Verstandigung moglich. 
Wurde ofters erregt; schlug um sich; verweigerte die Nahrung, so daB er mit der 
Sonde ernahrt werden muBte. Nach etwa 5 bis 6 Wochen wurde er ruhiger und 
klarer; letzteres insofern, als er kleine Hilfeleistungen verrichtete. Als sich dann 
auch seine Sprachstorung langsam behob, zeigte es sich, daB eine retrograde 
Amnesie bestand, die sich auf 10 bis 12 Jahre erstreckte. Im weiteren Verlauf 
der Krankheit ist somatisch noch hervorzuheben, daB Pat. jetzt auffallend nach 
xler rechten Seite hinuberhing und eine linksseitige Fazialisparese bestand. 

Psychisch bildete sich in den folgenden dreiMonaten eintypischesKorsa- 
koffsches Symptomenbild heraus, das dann in den weiteren Jahren in voller 
Ausbildung bestehen blieb. Am starksten war die Merkfahigkeit gestort: daB er 
gegessen hatte, daB er Besuch hatte, wuBte er oft schon nach einer halben Stunde 
nicht mehr; die Merkfahigkeitsstorung nahm schlieBlich so zu, daB man von einem 
volligen Verlust derselben sprechen konnte: in einer Minute wiederholte er eine 
Frage oft zehnmal, um die Antwort sogleich wieder zu vergessen. Nicht minder 
auffallend war seine Desorientiertheit. Wie schon oben bemerkt, bestand zeitlich 
eine retrograde Amnesie, die sich auf 10 bis 12 Jahre erstreckte; ortlich und be- 
ziiglich seiner Umgebung war er dauernd im unklaren: glaubte, bald in Miinchen, 
bald in RuBland, bald in Japan zu sein; verkannte Personen: hielt den Arzt fur 
jeinen Offizier, die Warter fur Unteroffiziere, stand immer stramm, wenn man ins 
Zimmer kam; neuangekommene Patienten hielt er fur Feinde, Japaner, Russen 
und begegnete ihnen mit MiBtrauen. Entsprechend der auffallend lange sich 
zurtickerstreckenden Amnesie bestanden schlieBlich weitgehendste Erinnerungs- 
falschungen: „Der Zug fahrt doch gleich ab nach Hamburg, wertester Herr; ich 
habe doch vorhin meine Kleider noch gehabt; ich muB doch wieder zuriick, wir 
haben heute abend Vorstandssitzung/ 4 — Glaubt im Bett an Bord eines Schiffes 
auf der Fahrt nach Hamburg zu sein: „In einer Stunde sind wir wohl in Hamburg ? 


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bitte wecken Sie mich dann, damit ich die Zeit nicht verschlafe." „Wo ist das 
Schiff jetzt, sind wir noch nicht bald in Amerika ?“ — Glaubt dann wieder im Felde 
zu sein: „Ich soli das E. K. II. bekommen; ich habe mich sehr gut gefiihrt und gut 
geschossen; ich freue mich sehr auf das E. K. II.; ich habe in diesem Feldzug meine 
Schuldigkeit getan.“ Die Stimmung war sehr wechselnd: leicht erregt, neigte 
zu Gewalttatigkeiten; dann wieder sehr deprimiert. 

Dieses psychische Krankheitsbild bestand unverandert 7 Jahre lang; im 
letzten Jahre wurde er ruhiger und zufriedener, nur zuweilen kamen noch Gewalt¬ 
tatigkeiten vor. 

Somatisch wurde im Jahre 1911, also 4 Jahre vor seinem Tode, noch folgender 
Befund erhoben: Pupillen: R. Spur > L.. verzogen; L.-R. +; C.-R. -f. Augen- 
spiegelbefund: leichte Linsentriibungen, sonst o. B. Sprache: intakt. Schrift: 
mcht auffallend gestort. Reflexe an den oberen Extremitaten: lebhaft; Trizeps- 
reflex: L. > R.; an den unteren Extremitaten sind die Reflexe: L. lebhafter als R. 
Patellar- und FuBklonus: 0; Babinski: 0 ; Sensibilitat: o. B.; Herztone: dumpf; 
2 . Aortenton: klappend; Arteria radialis: perlschnurartig; Druck: 160/120 mm Hg 
Korperlich ging Patient in den folgenden Jahren mehr und mehr zuriick, bis er 
Dezember 1915 ganz plotzlich ohne jeglichen Vorboten ad exitum kam. 

Bei der Sektion ergab sicb eine maBige Aortensklerose mit Myodegeneratio 
cordis; das Gehirn war etwas atrophisch (Gewicht 1380 g), sonst zeigte sich nichts 
besonders Krankhaftes, nirgends altere oder frische Erweichungsherde; nur be- 
standen an den basalen GefaBen leichte sklerotische Wandveranderungen, im ubrigen 
Korper Stauungsorgane. 

Mikroskopisch zeigte sich im wesentlichen folgendes: Die Pi a des Gehims 
ist bindegewebig verdickt ohne infiltrative Erscheinungen. Die Rinden- 
architektonik ist im allgemeinen gewahrt; nur ist im Markscheidenfaser- und 
Zellbild ein maBig starker Ausfall an nervosen Elementen in diffuser Verbreitung 
deutlich. Im Markscheidenpraparat ist es namentlich der Schwund der Tan- 
gentialfasern, der am meisten auffallt. Die Ganglienzellen selbst zeigen durch- 
weg die Erscheinungen chronischer Sklerose. Sie besitzen dunklen, geschrumpften 
Kern bei dunklem Protoplasma, und ihre Auslaufer sind geschlangelt und weithin 
sichtbar. Sie enthalten reichlich lipoide Substanzen, ohne wesentliche Ver- 
anderungen im Neurofibrillenbilde erkennen zu lassen. Die GefaBe der Rinde, 
namentlich die kleineren Kapillaren fallen durch Verdickung und fibrose Ent- 
artung ihrer Wand auf. Dabei sind die GefaBwandelemente chronisch entartet, 
und sehr haufig begegnen wir auch an den kleinen Venen fibrosen GrefaBwand- 
degenerationen. Um diese Kapillaren befinden sich regelmaBig kleinere Lichtungs- 
zonen, in denen die Ganglienzellen fehlen und eine leichte Gliawucherung ein- 
gesetzt hat. In den GefaBlymphscheiden liegen vermehrte Abbauprodukte. Die 
Glia ist sowohl in der Randzone wie in der gesamten Rinde protoplasmatisch 
gewuchert und zeigt hin und wieder Gliafaseivermehrung, namentlich in der 
Randzone. Im Marklager wie in den ubrigen Stellen des Gehims und Kleinhims 
sind keine besonderen Storungen festzustellen. 

Erst nach langem Suchen fand sich im Gebiete der rechten vorderen Zentral- 
windung eine Gliafasernarbe von keilformiger Form, welche mit breiter Basis 
an der Rindenoberflache ansetzte und, sich allmahlich verjiingend, die ganze 
Rinde durchsetzte. Auch die nahere Umgebung dieses griiBeren Herdes, ins- 


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besondere der hintere untere Teil des r. Stirnhirns, zeichnete sich durch be- 
sonders schwere Parenchymveranderungen der Rinde im vorerwahnten Sinne 
aus. Nirgends mehr im ganzen Zentralnervensystem konnen grofiere herdformige 
Veranderungen, Komchenzellbildungen u. dgl. festgestellt werden. Senile 
Drusen fehlen durchweg. Im Riickenmark fallt eine leichtc Lichtung des linken 
Pyramidenseitenstranges auf. 

Abgesehen von dem schwerer herdformig betroffenen Gebiete der rechten 
vorderen Zentralwindung und des hinteren unteren Stirnhirns ist die diffuse 
Rindenparenchymstorung am starksten ausgesprochen im ganzen 
Stirnhirn und im Schlafenhirn beiderseits. Die groBeren HirngefaBe 
zeigen nur maBig starke sklerotische Wandveranderungen. 

Zusammenfassend ergibt sich also folgendes: Ein sonst gesunder Mann, 
der eine angesehene und fiihrende Rolle in der deutschen Turnerschaft gespielt 
hat, und bei dem Alkoholabusus vollig auszu&chlieBen ist, erkrankt mit 57 Jahren 
an einem apoplektischen Insult. Nach vorubergehenden hemiplegischen Er- 
scheinungen und motorisch-aphasischen Storungen entwickelt sich bei dem 
Kranken neben einer retograden Amnesie, die sich von dem Zeit- 
punkt des apoplektischen Anfalls auf 10 bis 12 Jahre zuriick- 
erstreckte, ein typischer Korsakoffscher Symptomenkomplex mit 
schwerster Merkfahigkeitsstorung, ortlicher und zeitlicher Desorientiertheit und 
ausgepragten Erinnerungsfalschungen, der bis zu seinem Tode 7 Jahre lang un- 
verandert bestand. Das anatomische Substrat ergibt eine ateriosklero- 
tische und fibrose GefaBwandveranderung der kleinen Rinden- 
gefaBe mit perivaskularen Rindenverodungen und einer allgemeinen 
chronischen Entartung des Rindenparenchyms. GroBere herdfomige 
Veranderungen zeigten sich nur im Gebiete der rechten vorderen Zentralwindung 
und des rechten hinteren Stirnhirns. Die diffusen Veranderungen selbst 
sind ziemlich gleichmaBig in der ganzen Rindenbreite entwickelt und 
sind besonders starkim Stirn- und Schlafenhirn ausgesprochen. Irgend- 
welche Parenchymstorungen im Sinne der senilen Demenz fehlen vollig. 

Der Fall ist ein Beweis dafiir, dafi sich auch auf dem Boden einer arterio- 
sklerotischen Erkrankung der kleinen HirnrindengefaBe ein aus- 
gesprochener Korsakoffscher Symptomenkomplex entwickeln kann. 


] 5. Zur Frage der Behandlung nichteitriger Entzttndungen 

des Zentralnervensystems. 

Von Prof. Dr. Otto Marburg. 

Die Bemiihungen, eine geeignete Therapie der multiplen Sklerose zu finden, 
sind eigentlich erst seit jener Zeit ernsthafte, seit man erkannt hat, daB die 
Krankheit exogener Natur sei. Sie sind jedoch wie die Mehrzahl der therapeuti- 
schen Versuche bei chronischen Nervenkrankheiten bisher iiber die Anfange 


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nicht hinausgekommen. Das hat seinen Grund zum Teil in der Auswahl der 
Falle. Wir mussen bei der mtiltplen Sklerose unterscheiden zwischen Fallen, 
die uberhaupt einen Fortschritt nicht mehx erkennen lassen, die stationar ge- 
worden sind, und jahrelang in einem solchen Zustand verharren. Wir miissen 
ferner unterscheiden zwischen Fallen mit einem mehr chronischen Verlauf, 
deren Progression unaufhaltbar und derartig ist, daB die charakteristischen 
Remissionen und Intermissionen kaum erkannt werden. Die dritte Verlaufsart 
ist eigentlich die klassische. Hier sind Falle mit zeitweiser Progression, die oft 
Monate hindurch anhalt, bei denen sich aber dann deutliche Remissionen oder 
Intermissionen fur langere Zeit zeigen; und schlieBlich kommen in Betracht 
die akuten Falle mit dem raschen Ablauf und rascher Progression, aber doch 
deutlich merkbaren Remissionen. 

Wie bekannt, mache ich in bezug auf die Akuitat der Falle insofern keinen 
Unterschied, als ich jede Progression als akuten Sc hub der Krankheit auffasse. 
Fiir die Frage der Behandlung kommen also die Falle der ersten Art — die sta- 
tionaren — uberhaupt nicht in Betracht. Hier sind die Ausfalle bereits fixiert. 
Aber auch die zweite Gruppe mit der chronischen Progression erweist sich als 
ungemein schwer bceinfluBbar, und doch waren gerade diese Falle maBgebend 
fiir die Bedeutung unseres therapeutischen Handelns. In der Tat zeigt sich bei 
ihnen nur eine geringfiigige BeeinfluBbarkeit. Ich habe jetzt schon in mehr als 
100 Fallen verschiedenster Art multipier Sklerose das von Nonne empfohlene 
Fibrolysin versucht und auch bei diesen chronischen Fallen immer wieder ge- 
hort, daB die Patienten eine gewisse Besserung angaben. Die schwer spastischen 
Glieder sind weicher, aber mehr wurde bei diesen Fallen nicht erzielt. Dagegen 
sind bei den Fallen der dritten Gruppe einzelne, bei denen mit Fibrolysin ein 
eklatanter Erfolg sich zeigte, so zwar, daB Patienten bei einem neuen Schub 
der Krankheit selbst eine Wiederholung des Fibrolysins verlangt haben. Aber 
schon der Umstand, daB es zu einem neuerlichen Schub der Krankheit kommen 
kann, spricht dafiir, daB wir im Fibrolysin wohl ein Mittel besitzen, das einen 
gewissen EinfluB auf die multiple Sklerose zu haben scheint, aber nicht das 
Heilmittel derselben darstellt. Bei den akuten Fallen laBt es uberhaupt im Stich. 
Bei diesen letzteren habe ich seit Jahren die Behandlung mit kolloidalem Silber 
empfohlen und hierbei das Elektragol und spater das Elektrokollargol verwendet. 
Ich konnte nahezu das Gleiche wie vom Fibrolysin berichten, nur daB — wie 
gesagt — bei den akuten Fallen der EinfluB deutlicher erscheint. — Um nun 
die Wirkung dieses Mittels zu steigern, habe ich nach dem Prinzip v. Wagner- 
Jaureggs — Verbindung oder besser gleichzeitige Darreichungeines Bakterieri- 
toxins mit einem Metallsalz— das kolloidale Silber mit einem Vakzin kombiniert. 
Da die Reaktion auf Tuberkulin zu stark war, wahlte ich ein vom Wiener staat- 
lichen Seruminstitut erzeugtes Staphylokokkenvakzin. Auch Vakzineurin zog 
ich einigemal heran ohne sonderliche Wirkung. Ich habe also intravenos Staphylo¬ 
kokkenvakzin in steigender Konzentration injiziert, und zwar jeden 2. Tag und 
in den Zwischentagen womoglich noch innerhalb 24 Stunden nach der Staphvlo- 


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kokkeninjektion 2ccm Elektrokollargol intravenos gegeben. Die Resultate mit 
dieser Behandlung sind ebenso unbefriedigend, wie die mit Fibrolysin oder 
kolloidalem Silber allein. Man sieht wohl in einer ganzen Reihe von Fallen ein 
rascheres Zuriickgehen der einzelnen Erscheinungen bis zur Norm, besonders 
in der dritten Gruppe von Fallen, aber keine Dauerheilung. Dagegen glaube 
ich, daB eine mehr wesentliche EinfluBnahme dieser Kombinationen bei den 
nichteitrigen Encephalitiden, die wahrend der Grippezeit zur Behandlung kamen, 
sicher ist. Vorbedingung ist die systematische Behandlung. Womoglich die 
rasch nacheinander folgenden, nur durch mehrere Stunden getrennten Injek- 
tionen der beiden Agenzien. Von den unter meiner Leitung behandelten 10 Fallen 
ist nur einer zum Exitus gekommen, was immerhin kaum ein Zufall sein diirfte 
In den schwereren Fallen wurden 16 intravenose Injektionen gemacht (etwa 8 
von jedem Mittel). Es ist leider oft sehr schwer, die intravenosen Injektionen 
in solcher Menge durchzufuhren. Aber die Wirksamkeit intramuskularer Ein- 
spritzungen ist eine sehr geringe. Besonders in jenen Fallen, die scheinbar 
stationar geworden sind, in denen der ProzeB monatelang in relativ geringer 
Intensitat bestehen bleibt, sah ich uberraschende Heilungen. 

Der Umstand, daB das Urotropin in seiner intravenosen Anwendung bei 
gripposen Erkrankungen gelegentlich Erfolge gezeigt und man weiB, daB sich 
das Urotropin im Liquor wiederfindet, bestimmte mich, statt der Staphylo- 
kokken Urotropin zu versuchen. Der Vorteil liegt auch darin, daB man es gleich- 
zeitig mit dem Silber anwenden kann, also nur eine intravenose Injektion be- 
notigt. Die Pharmazeutische Industrie-Aktiengesellschaft in Wien hat mir eine 
Kombination von Hexamethylentetramin mit Kollargol zur intravenosen In¬ 
jektion hergestellt, d. i. eine Losung, die mehr als 1% Silber enthalt, wahrend 
im Kollargol allein etwas weniger Silber enthalten ist. Die absolut ungiftige 
Kombination wird in 5 ccm-Phiolen erzeugt. Man wird das Praparat der Be- 
quemlichkeit halber vielleicht Argotropin nennen. Da es erst gegen Ende der 
Grippezeit in meine Hande gelangte, konnte ich es nur in einzelnen Fallen ver¬ 
suchen ; da aber bei einem dieser der Erfolg ein deutlicher war, so mochte ich 
hieriiber vorlaufig berichten. 

Es handelte sich in einem dieser Falle um eine schwere Grippe mit hohem 
Fieber und echten Klonismen so wohl der Extremitaten, besonders aber der Bauch- 
muskulatur. Ich wurde von dem Hausarzt zu dem somnolenten Kranken ge- 
rufen und bezeichnete selbst den Fall wegen seiner langen Dauer als hoffnungslos, 
riet aber zur Anwendung des Argotropins, nur um irgendeine Mafinahme an- 
zuwenden. Eine Stunde spater bereits wurde eine intravenose Injektion von 
2 ccm vorgenommen. Darauf trat eine derartig sturmische Reaktion ein, daB 
man fur das Leben des Kranken fiirchtete. Er bekam Fieber tiber 40° und war 
nahezu pulslos. Das Herz lieB sich jedoch durch Koffein beherrschen. Nach 
einigen Stunden trat SchweiBausbruch ein und morgens ruhiger Schlaf. Am 
nachsten Tag war der Patient fieberfrei, die Klonismen fast geschwunden und 
Pat. hat sich dann unter Urotropin vollstandig erholt. 


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Der Gedanke, der mich bei der Anwendung der Staphylokokkenbehandlung 
leitete, war der, daB offenbar das artfremde Eiweifi durch die Hyperamie und 
Exsudation, die es bedingt, ermoglicht, daB das Silber leichter an das Parenchym 
gelangt. Es lafit sich ja, wie bekannt, zeigen, daB im Liquor mehr Arsen nach- 
weisbar ist, wenn man die Salvarsanbehandlung mit Tuberkulin kombiniert, 
als ohne dasselbe. Das gleiche scheint fiir Urotropin zu gelten. Es ist offenbar 
nur ein Vehikel fiir das Silber, aber eines, das gleichzeitig therapeutisch wirkt. 
Es wird sich diese Kombination tiberhaupt auch fur andere Zwecke (z. B. Zysti- 
tiden bei Blasenlahmungen) eignen. 

Ich habe geglaubt, diese Anfange einer Behandlung einem groBeren Kreis 
bekannt machen zu sollen, da ein einzelner ja nie fiber so viel Material ver- 
fiigt, um systematische Untersuchungen vorzunehmen. 


[Axis dem Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf, Universitatsnervenklinik. 

Leiter: Prof. Nonne.] 

16 . tlber tonische Konvergenzbewegungen der Pupille 
und tonische Akkommodation. 

Von Dr. med. Gehrcke. 

In den letzten Jahren sind eine Reihe von Beobachtungen tiber auffallig 
langsame Bewegungen in den inneren Muskeln des Auges (Sphincter iridis und 
Ciliarmuskel) mitgeteilt worden. tiber die Ursache dieses pathologischen Ge- 
sehehens gehen die Meinungen noch weit auseinander, nicht einmal der Begriff 
konnte bisher einheitlich festgelegt werden. Saenger nannte diese Reaktions- 
weise, die er am M. sphincter iridis beobachtete, „myotonisch“, wohl in An- 
lehnung an die bei der Myotonia congenita (Morbus Thomsen) an den Skelett- 
muskeln beobachteten langsamen Bewegungen. AuBer bei einem von Hoche 
veroffentlichten Fall fehlte jedoch bisher in alien anderen Fallen die Beteiligung 
von Skelettmuskeln. Ein rascher Ablauf der Kontraktionsbewegungen bei 
wiederholter Anspannung, wie er fiir die echte Thomsen sche Krankheit charakte- 
ristisch ist, konnte an den inneren Augenmuskeln nur von StraBburger be- 
obachtet werden, in alien anderen Fallen blieben die Bewegungen unverandert 
langsam. Mit der von Piltz eingeftihrten Bezeichnung „neurotonisch“ ist das 
Wesen der Sache auch nicht geklart, denn nur um einen gesteigerten Tonus der 
Irismuskulatur ev. bis zum Spasmus kann es sich nicht handeln, da bereits mehr- 
fache Beobachtungen tiber trophische Storungen im M. sphincter iridis selbst 
vorliegen. Am passendsten, weil in keiner Weise prajudizierend, ist daher vor- 
laufig der von Axenfeld gewiihlte Ausdruck „tonisch“. Wir unterscheiden 
demnach eine tonische Konvergenzbewegung der Pupillen (M. sphincter iridis) 
und eine tonische Akkommodation (M. ciliaris). Die erste Reaktion kann so wohl 
durch Fixation des vorgehaltenen Fingers als auch durch einseitige Akkommoda- 


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Beob- 

achter 

eschlecht 

Alter 

Lichtreaktion 
der Pupille 

Konsensuelle 

Reaktion 

■ 

PupillengroBe 
(vor der Konvergenz) 

Schnelligkeit der 

P upillenr eaktion 
bei Konvergenz 

----- 

! ° 

T ~ " ' ‘ 

1 _ 

L r 

A 

r 

vorher 

nachher 

Verengung 

Piltz 1 

Frau 

34 Jahre 

| 

0 

schwach 

schwach 

0 

1 > r . 

1 < r 

schnell, ausgiebig 

Piltz 2 

I 

i 

| Mann 

J 50 Jahre 

schwach 

0 

schwach 

schwach 

r > 1 

1 = r 

gut, ausgiebig 

Pilt2 3 

' Mann 

27 Jahre 

j 

gut, aber 
lang- 
sameEr- 

0 

leidlich 

0 

. , 

1 > r 

• 

1 > r 

gut, ausgiebig 



weite- 







StraB- 

burger. 


rung 







Knabe 

9 Jahre 

+ 

0 

+ 


1 = 3,5 mm 
r = 7 mm 

— 

1. ausgiebig, gut 
r. 0 

StraB- 

burger. 

Madchen 
16 Jahre 

0 

0 

— 

— 

1 = r, 5 mm 

— 

1. 0 r. deutlich 

Saenger 

Frau 

34 Jahre 

0 

0 

— 

— 

1 = 6,5 mm 

— 

1. langsam 






r = 3 mm 


r. weniger langsam 

Nonnej 

Mann 

40 Jahre 


0 

+ 

0 

1 = 3,5 mm 
r = 6 mm 

r stecknadel- 
kopfgroB 

1. prompt 
r. langsam } 









bei einseitiger 

1. langsam 
r. langsam 

Nonne 2 








bei Kon- 

! Mann 

. + 

0 

+ 

0 

1 < r 

_ 

bds. trage 

! 


| 

j 


! 


r = 4 mm 


Roemheld 

Mann 

+ 

0 

i 


1 = 5,5 mm 

r stecknadel- 

r. 4 Sekunden 


40 Jahre 





r = 7 mm 

kopfgroB 

j 

Rothmann 

Madchen 

auf der weiteren 

_ 




die weitere Pupille 


12 1 /* Jahre 

Pupille keine 





zieht sich sehrlang* i 

Axenfeld A 


Lichtreaktion 





sam zusammen ' 

Mann 

0 

0 

— 

— 

3 mm bds. 

2 mm bds. 

bds. langsam 

Markus. 

Knabe 

12 Jahre 

0 

0 

— 

— 

8 mm bds. 

3 mm bds. 

i 

bds. 5 Sekunden ! 

Markus 3 j 

Mann 

40 Jahre 

0 

0 



die tonisch 
Pupille mifit 

reagierende 
; 6,5 mm, ist 

i 

langsam 

i 

_ _ 






dann enger als die normale 



1 S. hat bei Tabes und Paralyse ahnliche Beobaehtungen mehrfach gemacht. 


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95 


Schnelligkeit der 
Pupillenreaktion 
bei Konvergenz 

Lidschlufireaktion 

i 

Akkommodation 

Ver&nderungen im 

M. sphincter iridis 

Atiologie 

Erweiterung 

i 




schnell, ausgiebig 

1. starke Verengung, 

_ 

Pupillen beiderseits 

Paralyse 

fcuBerst langsame Er¬ 
weiterung d. Pupille 


entrundet 

gut, ausgiebig 

r. starke Verengung, 

— 

Pupillenrand beider- 

Paralyse 


sehr langsame Er- 


seits eckig 



weiterung 




gut, ausgiebig 

r. starke Verengung, 

— 

Pupillen beiderseits 

Paralyse 


langsame Erweite- 


entrundet 



rung 




1. sehr langsame 



_ 

Lues congenita 

Erweiterung 

r. sehr langsame 




Lues congenita 

Erweiterung 





1. 1 / a —5—10 Min. 

vorhanden, nicht 

_ 

1. Gewebe der Iris 

Vater an Para- 

r. etwas schneller 

sehr ausgiebig, lang¬ 
same Ausdehnung 


rarefiziert; r. Iris 

lysef. Bluterin. 



unten auBen abge- 
flacht, ganz geringe 

Tabes? 

der Pupillen 



Bewegung 1 


1. prompt 

vorhanden hds. 

intakt 

r. Pupille r. unten 

Diabetes mellitus 

r. 5 Minuten 

prompt 


leicht entrundet, Ab- 
flachung der Iris am 
iiuBeren Rande der 


Akkommo dation 




1. langsam 
r. 5 Minuten 



Pupille 


vergenz 





r. 3—5 Minuten 

bds. vorhanden, 

_ 

0 

Alcoholismus 

L nur bei Konvergenz 
+ Akkommodation 

prompt 



chron. 

langsam 





r. erst nach 15 Sek. 
T Minuten dauernde 

r. langsame Erweite¬ 
rung der Pupille 

intakt 

0 

Basedow 

Dilatation 




erstn&ch 20—60 Sek. 
1 Minute dauernde 

vorhanden, prompt 

intakt 

0 

Migrane 

Dilatation 





bds. sehr langsam, 

keine geuauen An- 

intakt 

keine naheren An- 

Trauma 

spricht von „myo- 

gaben 


gaben 


i tonischem Typ“ 




bds. 4 Minuten 

vorhanden, etwas 

intakt 

— 

? P. S. R. 0 


verlangsamter Ab- 
lauf 




sehr langsam 

I 


intakt 

1 

" 


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96 


Beob- 

achter 

Gescblecht 

Alter 

Lichtreaktion 
der Pupille 

1 | r 

Konsensuelle 

Beaktion 

1 1 r 

PupillengroBe 
(vor der Konvergems) 

vorher | nachher 

Schnelligkeit der 
Pupil lenreaktion 
bei Konvergenz 

Verengung 

Nonne- 

Gehrcke 

Frau 

45 Jahre 

+ 

• 0 

+ 

0 

1 > r 

1 > r 

1. prompt; r. sehr 
langsam 

StraB- 

burger l 

Mann 

17 Jahre 

0 

i 

i + 

+ 

? 

1 = 5 mm 
r = 2,75 mm 


1. 4 Sekunden 
r. 2 Sekunden 

Bonne 

M&dchen 
IB 1 /* Jahre 

+ 

0 

+ 

0 

1 = 2,5 mm 
r = 5—6 mm 

1 = 2 mm 
r = 2,5 mm 

1 

r. 5 Sekunden i 

• 

Markus, 

Frau 

83 Jahre 

0 

0 

— 

— 

bds. 8 mm 

stecknadel- 

kopfgroB 

normal 

Dimmer 

Mann 

24 Jahre 

+ 

0 

i 

i 

+ 

0 

1 = 2,5 mm 
r = 8—9 mm 

. 

r = 3 mm 

r. 3 Sekunden 

w 

Lerperger 

Mann 

32 Jahre 

+ 

i 

j 0 i 
1 i 

+ 


r = 5,5 mm 

l == 1,5 mm 

i 

1 

r. 17—20 Sekunden| 

I 

Axenfeld, 

Frau 

23 Jahre 

0 

0 

0 

0 

1 = 4,5 mm 
r = 4 mm 

ii ii 

•-* »-» 

MV 

Cn 

B B 

B 5 

10—15 Sekunden j 

Axenfeldg 

Frau 

30 Jahre 

+ 

! 0 an- 
| fangs 

; 4* 

! 

j 

0 an- 
fangs 

i 

r > 1 anfangs 

nach einigc 
1 = 3,5 mm 
r = 5 mm 

r 0 Beaktion 
anfangs 
m Monaten 

1 = 2 mm 
r = 1,5 mm 

10—15 Sekunden j 

t 

i 

! 

i 


AuBer den in der Tabelle verzeichneten Fallen erw&hnt Konig einen Fall, bei dem auBerst 
Konvergenzbewegung der Pnpillen bei einseitiger unvollstandiger reflektoriseber Starre. Hoche 
tonischer Konvergenzbewegung der Pupillen. 


tion bei verdecktem anderem Auge hervorgerufen werden. Auch als Mitbewegung 
bei festem LidschluB, ev. auch mehrmaligem, konnte die tonische Konver¬ 
genzbewegung der Pupillen zuweilen beobachtet werden. 

In mehreren Fallen (vgl. Tabelle) war sowohl tonische Konvergenzbewegung 
im M. sphincter iridis als auch tonische Akkomodation nachzuweisen, also Sto- 
rungen in beiden vom inneren Aste des N. oculomotorius versorgten Muskeln. 
In anderen Fallen wiederum war nur tonische Konvergenzbewegung im M. 
sphincter iridis vorhanden. Tonische Akkommodation allein wurde bisher nicht 
einwandfrei beobachtet. 1 

In dem auf der Nonneschen Abteilung zur Beobachtung gelangten Falle 
handelte es sich um eine tonische Konvergenzbewegung der Pupille, die sowohl 
durch Fixation des in 20 cm Entfemung vorgehaltenen Fingers mit beiden 
Augen als auch durch einseitige Akkommodation bei verdecktem anderem Auge 

1 Vgl. auch Axenfeld, t)ber „tonische Akkommodation". Klin. Monatsblatter fiir 
Augenheilkunde 1919, Bd. LXII. 


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97 


Schnelligkeit der 
Pupillenreaktion 
bei Konvergenz 

Erweiterung 

LidschluBreaktion 

Akkommodation 

Veranderungen im 
M. sphincter iridis 

\ 

Atiologie 

r. 1—2 Minuten 

1. prompt; r. 0 

intakt 

r. Iris am nasalen 
abgeflacht, verzogen, 
keine Faserbewegung 
bei Kontraktion 

Tabes dorsalis? 
(A. S. R. 0) 

r. 10—20 Sekunden 


Entspannung erst 
in 7 Sekunden 1 

0 

Sclerosis multi¬ 
plex (?) 

r. erst nach 10 Sek. 

30—45 Sekunden 
dauernde Dilatation 

bds. vorhanden, 
r. sehr langsame Er¬ 
weiterung 

Entspannung erst 
in 2—3 Sekunden 

0 

Morbilli 

5 Minuten 

i ~ 

Akkommodations- 
breite normal, Ent- 
spannnng in 7 Sek. 


— 

r. 5—7 Sekunden 

vorhanden, prompt 

Anspannung 3 Sek. 
Entspannung 5 bis 

7 Sekunden 


Neurasthenie 
(Stigma degene¬ 
ration is) 

r. erst nach mehreren 
Sek. s / 4 — 6 / 4 Minute! 
dauernde Dilatation 

r. Pupille 4 mm, 
Erweiterung erst in 
in 4 Sekunden 

Anspannung 2 bis 

3 Sek., Entspannung 
17—20 Sekunden 

r. Sphincter iridis 
deutlich in der unteren 
Halfte atrophisch 

Tabes incipiens 

1—2 Minuten 

— 

Anspannung 2 Sek. 
Entspannung 10 Sek. 

— 

Lues congenita? 

1. 1—2 Sekunden 
r. 4 / 6 Minuten 

‘ 

r. Anspannung 3 bis 
4 Sek., r. Entspan¬ 
nung 15 Sek.,1. intakt 


postoperativ bei 
Otitis med.dextra 


trage Konvergenzreaktion der Pupillen bei Lichtstarre einer Pupille bestand. Bach fand tonische 
veroffentlichte einen Fall von echter Myotonia congenita (Morbus Thomsen) mit wohl echter myo- 


ausgelost werden konnte. Eine LidschluBreaktion konnte nicht hervorgerufen 
werden, weder im Sinne einer sich schnell wieder ausgleichenden Verengerung 
noch im Sinne einer tonischen Konvergenzbewegung. Vielleicht geniigte in 
diesem wie in mehreren anderen Fallen der Orbikularisreiz nicht, urn in dem 
pathologisch veranderten Muskel eine Mitbewegung hervorzurufen. 

Ich lasse in Kiirze die Krankengeschichte folgen: 

45 jahrige Lehrerin. Vater an Herzschlag gestorben. Mutter gesund, hatte 
angeblich keine Fehlgeburt. Ein Bruder gesund. Eine Schwester soli ein kon- 
genitales Augenleiden haben, woriiber Patientin keine naheren Angaben machen 
kann. Patientin ist unverheiratet. Von friiheren Krankheiten ist im 16. Lebens- 
jahre ein Scharlach mit Nephritis, im 19. Masern, im 30. eine Diphtherie (ohne 
Lahmungen) zu erwahnen. Patientin kam wegen nervoser Beschwerden, die 
sich zum ersten Male 1903 in Form von Herzklopfen, Schwachegefiihl sowie 


1 Wiederholung macht den Ablauf der Bewegungen schneller wie bei der Myotonia 
congenita. 

XL. (Erganzungsband.) 7 


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98 


leichter Ermiidbarkeit auBerten, im Laufe der Jahre dann zunahmen, in die 
Sprechstunde von Herm Prof. Nonne. In letzter Zeit will sie besonders an Angst- 
zustanden, Schlaflosigkeit und Mangel an Konzentrationsfahigkeit gelitten haben. 
Uber Sehstorungen hat sie nie zu klagen gehabt. Wegen der tonischen Konvergenz- 
bewegung der rechten Pupille bei fehlender konsensueller und Lichtreaktion 
und weil die Achillessehnenreflexe nicht auszulosen waren, wurde Patientin zur 
eingehenden ldinischen Untersuchung ins Krankenhaus eingewiesen. 

Objektiver Befund: Mittelkraftiges, gut genahrtes, nicht anamisches 
Madchen mit gesunden inneren Organen. Keine Degenerationsstigmata. 

Augen: rechte Pupille am nasalen Rande verzogen, deutlich enger als linke 
(auch bei Beobachtung im Dunkelzimmer). Lichtreaktion rechts vollig 
erloschen, links prompt und ausgiebig. Bei Fixation des in 20 cm Entfernung 
vorgehaltenen Fingers sehr langsame und wenig ausgiebige, jedoch deut¬ 
lich wahrnehmbare Verengerung der rechten Pupille. Die linke Pupille 
verengt und erweitert sich prompt und viel ausgiebiger. Beim Blick in die 
Feme hat die rechte Pupille ihre urspriingliche Weite erst nach 1 bis 
2 Minuten wieder. Bei Akkommodation (linkes Auge verdeckt) zeigtsich 
dasselbe Phanomen. Auffallend gegeniiber den bisher beobachteten Fallen 
ist, daB die tonische Konvergenzbewegung in diesem Falle an der engeren Pupille 
sich zeigte. Bei mehrmaligem festem LidschluB tritt links deutliche Verengerung 
der Pupille ein, jedoch ebenso prompte Erweiterung. Die rechte Pupille zeigt 
keine sichere Verengerung. Konsensuelle Lichtreaktion ist links prompt aus¬ 
zulosen, rechts nicht. 

Bei der Beobachtung mit dem Westienschen Hornhautmikroskop sieht man, 
daB der Irissaum an der nasal vorgezogenen Stelle der rechten Pupille abgeflacht 
ist, bei der Konvergenzreaktion bleibt diese Partie fast unbewegiich, wahrend 
die iibrigen Teile der Iris langsame Kontraktionsbewegung zeigen. Bei Licht- 
einfall (konzentriertes Licht) sieht man nur im unteren Teil der Iris einzelne 
Faserbewegungen. An der linken Iris keine Anomalien. Die Priifung der Akkom- 
- modation ergibt links wie rechts sofortige Nahe- und Ferneinstellung (feine Schrift 
und Sehtafel in 6 m). Augenhintergrund beiderseits o. B. 

S> “} = •/* +1,25 

Fur die Kontrolle der Befunde, die in allem bestatigt wurden, sind wir den 
Herren von der Augenklinik, Herrn Prof. Wilbrand und Herrn Dr. Hensen, 
zu Dank verpflichtet. 

Am Nervensystem fanden sich auBer den fehlenden Achillessehnen- 
reflexen keine Zeichen organischer Erkrankung. Psychisch keine merklichen 
Anomalien. Wassermannsche Reaktion im Blute 0. 

Lumbalpunktion: Druck nicht erhoht, Phase I 0, Weichbrodt 0, Pandy0. 
keine Pleocytose, Wassermannsche Reaktion (1,0) 0. 

Uberblicken wir die letzte Spalte der Tabelle, so sehen wir, daB vor alien 
Dingen die Lues und ihre Folgekrankheiten, Tabes und Paralyse, in den beobach¬ 
teten Fallen mit tonischer Konvergenzbewegung der Pupille oder tonischer 
Akkommodation atiologisch angeschuldigt werden miissen. Lues in der Aszendenz 
war in unserem Falle nicht nachzuweisen, da wir nicht in der Lage waren, die 
nachsten Familienangehorigen klinisch und serologisch zu untersuchen. Die 
Pupillenanomalien und die fehlenden Achillessehnenreflexe lassen im Hinblick 


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99 


auf die in der Tabelle verzeichneten Falle, in denen iiberwiegend Lues die Ursache 
der St dr ungen in den Innenmuskeln des Auges war, unseren Fall als eine im- 
pcrfekte, jetzt stationare Tabes erscheinen. AuBer der Lues, dem Alkoholismus, 
dem Diabetes und Trauma, die auch bei der reflektorischen Pupillenstarre eine 
Rolle spielen, sind als atiologische Faktoren fur die Storungen in den inneren 
Augenmuskeln interessant und erwahnenswert Masem und Basedow, sowie die 
Migrane. 

An den auByen Augenmuskeln wurden bisher in keinem Falle Storungen 
beobachtet oder erwahnt. 

Sollen wir nun die Schadigungen im Bereiche des inneren Astes des N. oculo- 
motorius in seinen Kernen weiter zentral suchen oder sollen wir eine vorzugs- 
weise Schadigung der glatten Innenmuskeln des Auges selbst annehmen ? Ver- 
anderungen im M. sphincter iridis wurden in mehreren Fallen (vgl. Tabelle) 
beobachtet, und zwar im Sinne einer Rarefizierung der kontraktilen Fasern mit 
Abflachung der Iris (vgl. den Fall Saenger und Nonne 1 ). Auch partieller ganz- 
licher Schwund im Sinne einer hochgradigen Atrophie wurde festgestellt (vgl. 
den Fall Lerperger und unseren hier beschriebenen). Solche Beobachtungen 
sprechen mehr fiir einen Sitz der Schadigung im Muskel selbst, da bei Annahme 
einer Schadigung der motorischen Bahn vom Kern bis zum Muskel dieser in 
toto atrophieren muBte. Eine andere Moglichkeit ware die, daB eine bestimmte 
Zahl von Ganglienzellen im Gebiet der Okulomotoriuskerne geschadigt ware. 
Dadurch konnte dann die Beobachtung erklart werden, daB bald nur der M. 
sphincter iridis, bald jedoch beide Innenmuskeln des Auges tonische Reaktion 
und Veranderungen der kontraktilen Substanz zeigen. 

Weitere zielbewuBte Beobachtungen und histologisch-anatomische Unter- 
suchungen mtissen uns die gewunschte Aufklarung bringen. Die genaue Be¬ 
obachtung der einzelnen Irispartienmit dem Westienschen Hornhautmikroskop 
sollte in keinem Falle unterlassen werden, der auch nur Andeutungen einer 
tonischen Konvergenzbewegung des M. sphincter iridis zeigt. 

Auch die Atiologie muB mit Hilfe aller Untersuchungsmethoden zu klaren 
gesucht werden. Sodann sind bei Luesfallen, die spezifisch behandelt wurden, 
unbedingt Nachuntersuchungen dahin erforderlich, ob die tonische Reaktions- 
weise bestehen bleibt oder ob sich wieder normaler Bewegungsablauf 
einstellt. 

Zum Schlusse mochte ich meinem Lehrer Herrn Prof. Nonne fur die gc- 
gebenen Anregungen und die Erlaubnis zur Veroffentlichung des Falles an dieser 
Stelle meinen warmsten Dank aussprechen. 


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[Aus dem Sanatorium fur innere und Nervenkrankheiten Schlofi Hornegg a./N. 

Leiteader Arzt: Geh. Hofrat Dr. med. L. Roemheld.] 

17. Zur Frage der traumatischen Pseudotabes 
nach KopfschuB. 1 

Von Ludwig Eoemheld. * 

Meine Herren! Wir haben soeben sehr interessante Beispiele von indirekten 
Schadigungen des Riickenmarks durch Fernwirkungen kennen gelemt. Nament- 
lich hat Nonne ungemein instruktive Bilder gezeigt von schwerster Zertriimme- 
rung der Medulla spinalis durch Kriegsverletzungen, welche das Riickenmark 
iiberhaupt nicht bertihrt, sondern nur benachbarte Teile des menschlichen‘Kor- 
pers getroffen hatten. Ich mochte Ihnen im AnschluB daran kurz von Fern¬ 
wirkungen auf die Medulla berichten, die hochstwahrscheinlich von 
Schadelverletzungen, und zwar speziell von Tangentialschiissen 
des Kopfes ausgehen. Sie bilden mit einer bis in die einzelnen Details zu- 
treffenden Genauigkeit das klinische Analogon zu dem, was Jakobexperimentell 
festgestellt hatte, und sie werden uns nach den Berichten Mar burgs tiber die 
pathologische Anatomie der traumatischen Schadigungen des Riickenmarks 
vollig verstandiich. 

1916 und 17 habe ich(l, 2) im Neurol. Centralblatt undin der Zeitschrift fur 
Nervenheilkunde mehrere Falle publiziert, in denen sich im AnschluB an 
solche Tangentialschusse des Schadels an Tabes dorsalis er- 
innernde Krankheitsbilder entwickelt hatten. 

Man wird solchen Fallen immer mit einer gewissen Skepsis gegeniiber- 
stehen und sich wieder und wieder die Frage vorlegen, ob nicht doch Lues Ur- 
sache des ganzen Krankheitsbildes ist, ob es sich nicht mit anderen Worten 
um eine echte syphilogene Tabes dorsalis bei einem zufallig Kopfverletzten 
handelt. 

Diese Skepsis darf aber keinesfalls so weit gehen, daB sie a priori jede andere 
durchaus im Bereiche der Moglichkeit liegende Erklarung verwirft, nur um an 
dem Dogma der Luesatiologie der echten Tabes, an der ich nicht im mindesten 
zweifle, um jeden Preis festzuhalten. Auf alle diese Gesichtspunkte bin ich in 
meinen fruheren Arbeiten, auf die ich hier verweisen muB, ausfiihrlich einge- 
gangen, und ich glaube, eine syphilogene Degeneration der Hinterstrange bei 
meinen Kranken ausgeschlossen zu haben, soweit uns das nach dem bisherigen 
Stand unserer Wissenschaft iiberhaupt moglich war. Lues fehlte bei den aus 
landlichen schwabischen Kreisen stammenden Patienten in Ahamnese und Be- 
fund. Wassermann im Liquor, ausgewertet nach Hauptmann bis 1,0, wieder- 

1 Vortrag, gehalten auf der 10. Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher 
Nervenarzte in Leipzig am 17. September 1920. 


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101 


holt und an verschiedenen Stellen vier- bis funfmal ausgefiihrt, war negativ, 
ebenso wie die iibrigen Nonneschen Reaktionen. 

Die betrachtliche Druckerhohung (bis 350 mm Wasser) des im iibrigen 
normalen Liquors hatte mich veranlaBt, als pathologisch-anatomisches Sub- 
strat des Krankheitsbildes eine serose Meningitis anzunehmen und die Ur- 
sache der klinischen Symptome teils in dem erhohten Liquordruck, teils, unter 
Anlehnung an die erwahnten Jako bschen (3) Tierversuche, in multiplen kleinsten 
Blutungen und Erweichungsherden der Gehimsubstanz, die im Moment der 
Schadelverletzung entstanden .waren, zu suchen. 

Inzwischen ist einer meiner Falle (Fall Br.) in der psychiatrischen Klinik 
in Tubingen, gelegentlich der Rentenpriifung, zur Nachuntersuchung gekommen 
undvon Prof.Reiss (4) im Medizinisch-naturwissenschaftlichen Verein in Tubingen 
am 17. 6. 18 als ein Fall von Meningitis serosa vorgestellt worden. 

Reiss schlieBt ebenfalls Tabes dorsalis vollkommen aus und gelangt im 
iibrigen bezuglich der ganzen klinischen Auffassung des Falles zu demselben 
Resultat wie ich. Er erhob somatisch den gleichen Befund, den ich 1917 fest- 
gestellt hatte. Nur konnte er, bzw. die Tlibinger Augenklinik, an der von mir 
1917 lichtstarr gefundenen Pupille 1918 ausgesprochene myotonische Konver- 
genz- und Akkommodationsreaktion konstatieren. Psychisch war das Bild der 
traumatischen Himschwache in der Zwischenzeit noch deutlicher geworden. 

Nachdem nunmehr vier Jahre seit meiner ersten Beobachtung vergangen 
sind, schien mir aach eine Nachuntersuchung der anderen Falle erwiinscht, 
zumal im Hinblick auf die Reisssche Mitteilung und auf eine neuerdings ebenfalls 
von Reiss nachgepriifte Friedensbeobachtung Mayers(5), die das vollstandige 
Analogon zu meinen Kriegsfalien darstellt. 

Ich bin heute in der Lage, Ihnen den bereits 1916 veroffentlichten Fall 
zu zeigen und Ihnen die inzwischen eingetretenen Ver&nderungen zu demon- 
strieren. Berner ken mochte ich dabei, daB ich den genauen Augenbefund bei 
diesem Patienten 1916 Herrn Geheimrat Prof. Wagenmann-Heidelberg und 
Herm Dr. Zeller-Heilbronn verdanke, und daB der letztere Kollege so freund- 
lich war, auch diesmal den von mir erhobenen Augenbefund facharztlich zu 
kontrollieren und zu erganzen. 

Kurz zusaniniengefaBt, ergab sich 1916 bei dem bis zu seiner Ver- 
wundung (TangentialschuB am rechten Stirnbein) Friihjahr 1915 vollig ge- 
sunden Patienten folgendes Bild einer rudimentaren Tabes mit den sub- 
jektiven und objektiven Symptomen einer sehr starken Commotio cerebri: Rechts. 
normale, sehr prompte Pupillenreaktion, links keine eigentliche reflektoriscbe 
Pupillenstarre im Sinne von Argyll-Robertson, sondern unvollstandige abso-. 
lute Pupillenstarre: die linke Pupille war bei Belichtung fast ganz starr, zeigte 
nur an Zeisslupe eine Spur von Reaktion, im iibrigen trage Konvergenz- und 
Akkommodationsreaktion links. Schwere labyrinthare Gehorstorung, rechts 
< links. Im Blut und Liquor Wassermann auch bei diesem Patienten 5 mal 
negativ ausgewertet nach Hauptmann, ebenso die iibrigen Nonneschen Reak¬ 
tionen negativ. Starke Druckerhohung im Liqour, Fehlen des linken Knie- 
sehenreflexes und der beiden Achillesreflexe, wahrend der rechte Patellarreflex 


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102 


gelegentlich, speziell nach Lumbalpunktion, ganz schwach auslosbar war. All- 
gemeine Herabsetzung der Schmerzempfindung. 

Seit dem Jahre 1916 hat sich nun der Befund bei dem Kranken 
insofern geandert, als auch am rechten Auge nahezu vollstandige 
Lichtstarre aufgetreten ist. Hinzugekommen ist ferner, daB die 
Konvergenz- und Akkommodationsreaktion, die 1916 bereits links trage 
und wenig ausgiebig war, jetzt rechts einen deutlich myotonischen Cha- 
rakter angenommen hat: Zeitdauet bis zum Eintritt der groBten Verengerung 
der rechten Pupille bei Konvergenz jetzt 12 Sekunden, umgekehrt bis zur Er- 
weiterung nach Aufhoren der Konvergenz mindestens 60 Sekunden. Noch un- 
angenehmer als diese Pupillotonie empfindet der'Patient indessen die Akkommo- 
dationstonie: es dauert 8 bis 10 Sekunden lang, bis er, wenn er vorher in die 
Feme gesehen hat, feinen Druck lesen kann. Selbst wenn man beginnende Pres- 
byopie ausschaltet, bleibt also immer noch eine betrachtliche Verlangsamung 
der Akkommodationsentspannung xibrig, die nach Aeby 1,2 Sekunden, nach 
Vierordt sogar nur 0,8 Sek. in Anspruch nimmt. 

Umgekehrt aber ist der Patient auch nicht imstande, wenn er den Blick auf 
die Nahe, z. B. auf seine Arbeit oder auf feinste Schrift gerichtet hatte und nun 
rasch in die Feme sieht, Personen oder Zahlen zu erkennen. Erst nach einigen 
Sekunden ist ihm dies moglich. S. nach 90 Sekunden = nach 120 Sekunden 
= 5 / 12 (Patient ist Emmetrop); dabei steht dem Patienten aber die normale, sogar 
fast ubernormale Akkommodationsbreite zur Verfiigung. Sie betragt namlich 
rechts 6,5, links 5,5 Dioptrien. 1 

Im Iibrigen bietet er auch heute, wie 1916, das Bild einer starken traumatischen 
Hirnschwache dar, die sich in Kopfschmerzen, Schwindelanfallen und Intoleranz 
des Gehirns auBert. Daneben besteht noch die labyrinthare Schwerhorigkeit 
rechts *> links weiter. Es fehlen, genau wie vor 4 Jahren, beide Achillesreflexe 
und der linke Patellarreflex, wahrend der rechte gelegentlich mit Jendrassik 
auslosbar ist. Auch die Sensibilitatspriifung ergibt dasselbe Resultat wie 1916, 
namlich allgemeine Herabsetzung der Schmerzempfindung am ganzen Korper. 

Das Krankheitsbild ist also, abgesehen von der rechts aufgetretenen Pupillen- 
storung, vollig stationar geblieben. 

Vergleicht man diesen Fall mit der anderen von mir 1917 publizierten und 
inzwischen von Reiss nachgepriiften Beobachtung (Fall Br.), so wie mit der 
neuerdings von Mayer in Munchen veroffentliehten Krankengeschiehte, so 
ergibt sich eine weitgehende Ubereinstimmung in der Atiologie, im Symptomen- 
bild und im Verlauf, so daB man vielleicht die Berechtigung hat : diese Falle 
als ein wohlcharakterisiertes Krankheitsbild zusammenzustellen und zusammen- 
zufassen unter dem Namen: Traumatische Pseudotabes oder Meningo- 
tabes nach Kopfverletzung. 

Nach einem Schadeltrauma, bei Mayer Blitzschlag, bei meinen 
Fallen TangentialschuB, entsteht — und zwar handelte es sich jedesmal um 
Menschen, bei denen mit unseren heutigen Hilfsmitteln Lues nicht nachweisbar 
ist — ein ganz typisches Bild, das sich zusammensetzt aus einer 
Pupillenstorung, die zunachst als Lichtstarre mit spater hinzu- 
tretender tonischer Reaktion bei Konvergenz und Akkommodation 

1 Der Fall soli an anderer Stelle auch noch vom Ophthalmologen von rein angen- 
arztlichen Gesichtspunkten aus veroffentlicht werden. 


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103 


imponiert, aus Sensibilitatsstorungen, aus Areflexie an den 
unteren Extremitaten und aus den bekannten psychischen Stb- 
rungen der traumatischen Gehirnleistungsschwache. Dazu kommt 
noch eine mehr Oder weniger hochgradige Mitbeteiligung des inneren 
Ohrs. 

Ganz besonders bemerkenswert erscheint mir, daB in alien drei Fallen 
im Laufe der Zeit myotonische Pupillenreaktion bei Konvergenz 
und Akkommodation hinzugetreten ist, die man vielleicht als t)bergang 
zu vollstandiger absoluter Pupillenstarre (Ophthalmophlegia interna totalis) 
deuten darf. 

Tonische Reaktion lichtstarrer Pupillen — und zwar namentlich Pupillo- 
tonie im engerenSinn; auf die Akkommodationstonie hat Axenfeld(6)erstneuer- 
dings aufmerksam gemacht — ist ja bei den verschiedensten Erkrankungen 
des Zentralnervensystems beschrieben worden: bei kongenitaler Lues mit Idiotie, 
bei Tabes dorsalis, multipler Sklerose, Alkoholismus und Migrane und vor allem 
bei Paralyse. Ich (7) habe 1904 bei Basedow das Phanomen beschrieben. Un- 
bekannt scheint bis jetzt das Vorkommen nach Schadeltraumen gewesen zu 
sein. Alle Autoren stimmen darin iiberein, daB es sich bei der tonischen Pupillen¬ 
reaktion nicht um eine Storung des zentripetalen Bogens des Pupillarreflexes, 
sondern um eine Affektion des Iriszentrums oder des zentrifugalen Schenkels 
des Reflexbogens oder auch des Irismuskels selbst handelt, die, wie wir in unseren 
Fallen annehmen mussen, traumatisch bedingt ist. 

Meine Herren! DaB diese Falle von traumatischer Pseudotabes 
oder Meningotabes, von denen ich Ihnen einen hier zeigen konnte, 
mit der syphilogenen Systemerkrankung, die wir als Tabes dor¬ 
salis bezeichnen, nichts zu tun haben, muB nach dem Resultat 
unserer Untersuchungen jedem Unbefangenen einleuchten. Echte 
Tabes dorsalis ist immer syphilogener Natur, dariiber besteht kein Zweifel 
mehr. 

Es gibt aber eine ganze Reihe von Krankheiten, welche das Symptomen- 
bild der echten Tabes bis zu einem gewissen Grade kopieren. Ich erinnere nur 
an die alkoholische und postdiphtherische Pseudotabes, die eine rein auBerliche 
Ahnlichkeit im Symptomenbild mit der wahren Tabes zeigen, an Ergotintabes 
und die neuerdings bei Encephalitis lethargica wiederholt beobachteten tabes- 
ahnlichen Krankheitsbilder mit Pupillenstarre. Ihnen schlieBt sich der hier 
geschilderte Symptomenkomplex der traumatischen Pseudotabes nach Kopf- 
verletzungen, speziell nach Schadelschiissen, an. Denn ahnlich, wie wir bei 
manehen Fallen von Encephalitis lethargica eine ganze Reihe kleinster Herde 
an den Stellen des Zentralnervensystems annehmen mussen, wo wir die dem 
Bild der Tabes entlehnten Symptome lokalisieren (Okulomotoriuskerne, Hintei- 
strange, Hinterwurzeln usw.) — es Mit da doch niemand ein zu sagen, die Pu¬ 
pillenstarre oder die Areflexie an den Beinen miisse bei solchen Fallen von Ence¬ 
phalitis Zeichen einer friiheren Lues sein —, werden die Verhaltnisse wohl auch 


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bei der hier beschriebenen traumatischen Meningotabes liegen; nur wird es sich 
dabei nicht um entziindliche, sondem vorwiegend um hamorrhagische Herde 
und ihre Folgezustande handeln. Denn nach der klinischen Ubereinstim- 
mung wird man auch eine weitgehende tlbereinstimmung im patho- 
logisch-anatomischen Bild bei den Fallen von traumatischer Pseudotabes 
erwarten diirfen. .Ich komme damit auf meine friiheren AusfUhrungen zuriick. 

In meinen Veroffentlichungen aus den Jahren 1916 und 17 hatte ich einc 
Meningitis serosa als Ursache des Krankheitsbildes angesprochen. Sehen wir 
doch auch bei anderen Erkrankungen des Zentralnervensystems, die mit ge- 
steigertem Liquordruck einhergehen, bei Hirntumoren, bei tuberkuloser Menin¬ 
gitis oder Uramie, kurz ante exitum ein Schwinden der Reflexe an den unteren 
Extremitaten. 

Bei einem meiner Patienten, der an tuberkuloser Meningitis mit starker 
Liquordrucksteigerung litt, bei dem zuletzt intra vitam die Kniesehnen- und 
Achillesreflexe fehlten, ergab die von Baumgarten in Tubingen auf meine 
Veranlassung mit der Marchifarbung vorgenommene Untersuchung der Hinter- 
wurzeln keine Degeneration derselben, vielleicht weil der ganze ProzeB sich inner- 
halb relativ kurzer Zeit abgespielt hatte. 

Bei den Fallen von traumatischer Pseudotabes liegen die Falle aber doch 
wohl anders, und man kommt, wie neuerdings Mayer mit Kecht hervorgehoben 
hat, mit der Annahme einer Meningitis serosa allein kaum aus. Es miissen da- 
neben, wie ich schon eingangs erwahnt hatte, und was mit den Beobachtungen 
bei dem Friedmannschen(8) vasomotorischen Symptomenkomplex iiber- 
einstimmen wiirde,entsprechend dem, was Jakob auchexperimentell festgestellt 
hat, im ganzen Zentralnervensystem noch mikroskopische kleinste Lasionen, kapil- 
lare Blutungen, Quetschherde usw. vorliegen, und es wird sich voraussichtlich auch 
eine bleibende Degeneration (Nekrose, Zyste usw.) der hinteren Wurzeln und der 
Hinterstrange in diesen Fallen nachweisen lassen, ahnlich, wie dies Hoc he (9,10) 
bei Hirntumoren konstatiert hat. Auch minimalste Blutungen vom Charakter 
der Spatapoplexie, wie sie Marburg nach Ruckenmarksverletzungcn gesehen 
hat, werden wohl gelegentlich vorkommen. So erklare ich mir das nachtr&glichc 
Auftreten der rechtsseitigen Pupillenstorungen bei unserem Patienten. 

Es wird wichtig sein, diese Falle im Auge zu behalten und spater patho- 
logisch-anatomisch zu untersuchen. Sie sind von groBter prinzipieller Bedeu- 
tung fiir die immer wieder in der Literatur auftauchende Frage: Gibt es eine 
traumatische Tabes? Ich mochte diese Frage strikte verneinen 
und die Bezeichnung Tabes dorsalis ausschlieBlich fiir die syphilogene Hinter- 
strangsklerose reserviert haben. Anders liegt die Sache, wenn man die 
Frage so formuliert: Gibt es traumatisch bedingte tabesahnliche 
Symptomenbilder ? 

Auf Grund der Falle, die ich nach Schadelschiissen beobachtet habe, von 
denen einer in Tubingen zur Nachpriifung kam, ein anderer Ihnen heute demon- 
striert wurde, muB ich diese Frage bejahen, zumal im Hinblick auf die Analogie 


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rait den Pseudotabesfallen bei Encephalitis lethargica, im Hinblick auf die Tier- 
experimente und auf die auch sonst im Kriege an der Medulla beobaehteten 
Schadigungen durch Fernwirkung. 

Die Falle von traumatischer Meningotabes sind nach meiner 
Ansicht keine echte Tabes und entwickeln sich auch niemals zu 
solcher, denn ihnen fehlt das notwendige Postulat fiir die typische System- 
erkrankung und Weiterentwicklung, namlich die vorausgegangene Lues. 

Nun gehen allerdings sehr erfahrene Neurologen in letzter Zeit noch einen 
Schritt weiter und lassen selbst den wiederholt negativen Ausfall der vier Nonne 
schen Reaktionen nicht mehr als absolut sicheren Beweis fiir das Nichtvorhanden- 
sein einer Lues gelten. Da mithin das stolze Gebaude unserer seitherigen neuro- 
logisch-serologischen Luesdiagnostik immer mehr wankt und sich jedenfalls 
als nicht unbedingt zuverlassig erweist, konnen wir, wenn wir den extremen 
Standpunkt einnehmen, eigentlich bei keinem Menschen Lues in der Anamnese 
ausschlieBen. Deshalb wird man auch rein klinisch die hier zur Diskussion ge- 
stellte Frage wohl iiberhaupt nicht mit Sicherheit losen konnen, sondern erst 
die Autopsie solcher Falle, wie ich sie beschrieben habe, wird uns vollige Auf- 
klarung daruber bringen, ob es traumatische Meningopseudotabes gibt oder 
nicht. 

Deshalb mochte ich es als Hauptzweck meines Vortrags betrachten, dazu 
anzuregen, daB auch von anderer Seite auf solche Falle, die als ein Zufalls- 
produkt der Lokalisation metatraumatischer kleinster Herde zwar nicht haufig, 
aber offenbar doch auch nicht allzu selten sind, geachtet wird, und daB nach 
Moglichkeit pathologisch-anatomisches Material zur Losung der Frage herbei- 
gebracht wird. 

Literatnr. 

1. L. Roemheld, Tabes dorsalis oder Meningitis serosa traumatica nach Kopf- 
schufi. Neurol. Centralbl. 1916. Nr. 16. — 2. Derselbe, Uber Pupillenstorungen und 
tabes&hnliehe Erankheitsbilder nach Hals- und Kopfschiissen. Deutsche Zeitschr. f. 
Nervenheilk. LVI. 1919. — 3. A. Jakob, Experimentelle Untersuchungen fiber die 
traumatischen Schadigungen des Zentralnervensystems. Histol. und histopathol. Arbeiten 
fiber die GroBhirnrinde. V. 1918. — 4. Reiss, Meningitis serosa mit myotonischer 
Pupillenreaktion und fehlendem Achillessehnenreflex nach KopfsehuB. Mfinchener med. 
Wochenschr. 1918. Nr. 38. S. 1063. — 5. W. Mayer, Zum Kapitel der traumatischen 
Pseudotabes. Joura. f. Psychol, und Neurol. XXV. — 6. Th. Axenfeld, Tonische Akkom- 
modation. Klinische Monatsbl. f. Augenheilk. LXII. 1919. Januar. — 7. L. Roem- 
held, tjber die tonische Reaktion lichtstarrer Pupillen. Mfinchener med. Wochenschr. 
1904. Nr. 46. — 8. M. Friedmann, Uber eine besonders schwere Form von Folgezu- 
standen nach Gehirnerschfitterung und fiber den vasomotorischen Symptomenkomplex im 
allgemeinen. Archiv f. Psych. XXIII. Heft 1. — 9. A. Hoche, Cber die bei Himdruck 
im Rfickenmark auftretenden Veranderungen. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XI. — 
10. Derselbe, Archiv f. Psychiatrie. XXIX. Heft 3. 


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18. Ein Beitrag zur H&ufigkeit der progressive!! Paralyse in 
einem engumgrenzten Personenkreise. 1 

Von Prof. Dr. Julius Heller in Charlottenburg-Berlin. 

In meiner Arbeit .,Kritisches zur modernen Syphilislehre“ Nr. IV. (Berliner 
klin. Wochensehr. 1917. Nr. 11) zeigte ich, daB die Zahl der bei der Sektion nach- 
gewiesenen Aortenaneurysmen 1910 bis 1914 3- bis 4 mal so groB ist als 1859 bis 
1870, obwohl die Serie 1910 bis 1914 einer Periode angehort, in der die nach unserer 
heutigen Auffassung das Aortenaneurysma bedingende Syphilis viel besser und 
intensiver behandelt wurde, als zu der Zeit, in der die andere Serie der sezierten 
Personen sich mit Syphilis infizierte. Ich schloB daraus, daB erst in 20 bis 
25 Jahren ein Urteil moglich sei, ob die moderne Syphilistherapie die Hoff- 
nungen gerechtfertigt hat, die man bereits heute auf sie setzt. Nicht das Nega- 
tivwerden oder Negativbleiben der Wassermannschen Reaktion ist 
entscheidend, sondern der Ruckgang der Haufigkeit der schweren 
spatsyphilitischen oder metasyphilitischen Krankheitserschei- 
nungen. Besonders kommt hier die Irrenparalyse in Betracht. Jede Ent- 
scheidung setzt aber voraus, daB ausreichende Vergleichszahlen aus der Vor- 
salvarsanzeit zur Verfiigung stehen. Nun ist liber die Haufigkeit der Paralyse 
ein groBes Zahlenmaterial bekannt; es ist aber wenig einwandfrei. Die Zahlen 
der an Paralyse in den Irrenanstalten. gestorbenen Personen laBt sich fest- 
stellen, die sehr erhebliche Menge von Kranken, die auBerhalb der Anstalt 
meist an interkurrenten Affektionen star ben, sind "nur in wenigen Gemeinden 
und erst in den letzten Jahren (z. B. in der Stadt Berlin) statistisch erfaBt. 
Wieviel Falle friiher der Kenntnis entgingen, laBt sich kaum feststellen. Wir 
wissen, daB die Paralyse nicht nur von der Spirochateninfektion abhangt 2 , 
sondern eine gewisse Disposition des Nervensystems zur Voraussetzung hat 
(„Paralyticus nascitur atque fit“, sagt Obersteiner. Edingers Aufbrauch- 
krankheiten, Seltenheit der Paralyse in den Landern, die nicht unsere sog. 
Kulturhohe erreicht haben). Die soziale Schichtung des Volkes ist daher fur 
die Beurteilung der Paralysefrequenzen sehr wichtig. Lokale Zahlen werden 
durch das Vorhandensein groBer Irrenanstalten ungiinstig beeinfluBt. Unter 
Verzicht auf sonstiges Zahlenmaterial will ich nur die Angaben Blaschkos 
(Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in Berlin 1918) wiedergeben, weil sie 
der Ausgangspunkt meiner Betrachtungen waren. Blaschko berechnete die 
Zahl der in Berlin und den GroBberliner Irrenanstalten gestorbenen mannlichen 
Paralytiker und setzte die so gewonnene Zahl (3385) in Beziehung zu der Zahl 
der Todesfalle der mannlichen Bevolkerung im Alter von 30—70 Jahren (78000) 

1 Vortrag in der Berliner Dermatologischen Gesellschaft am 8. Juni 1920. 

2 Auf die noch jiingst von W. Gartner vertretene Ansicht, daB die Entstehung der 
Paralyse durch nicht ausreichende antisyphilitische Kuren begiinstigt wird, gehe ich 
nicht ein. Meinen eigenen Erfahrungen entspricht sie nicht. 


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fur das Jahrzehnt 1905—1915. Er errechnete so eine Prozentzahl von 4,2 Para- 
lysetodesfalien und bei Annahme einer Syphilisdurchseuchung der mannlichen 
Bevolkerung von 40% eine Paralysemorbiditat der Syphilitiker von 10%. 
Aufier den Ein wan den, die Blasehko selbst gegen diese Zahlen macht, muB 
gesagt werden, dafi viele der im Alter von 30 bis 40 Jahren gestorbenen Manner 
noch Paralyse hatten bekommen konnen, daB also der Prozentsatz wohl zu 
niedrig ist. 

Die Vorstellung, daB jeder 25. Mann an Paralyse zugrunde gehen sollte, 
ersehien mir so wenig mit der Wirklichkeit ubereinstimmend, daB ich eine Nach- 
priifung beschloB. Die Durchforschung der Akten des statistischen Amtes ist 
kaum fUr mich angangig; die Zahlen der Lebensversicherungen umfassen doch 
nur einen kleinen Teil einer Gesellschaftsschicht; es ist bekannt, daB schlechte 
Risiken sich besonders oft versichern. Mein eigenes Krankenmaterial gibt keinen 
AufschluB iiber das ganze gesundheitliche Schicksal 1 der behandelten Personen; 
es ware ja auch gar nicht geeignet, RiickschlUsse zu ziehen, da in ihm die 
Syphilitiker eine besonders groBe Rolle spielen. Ich habe daher mir ein alpha- 
betisches Yerzeichnis all der Manner aus meinem Verwandten-, Bekannten- 
und Verkehrskreise aufgestellt, die iiber 40 Jahre alt gestorben sind und deren 
Lebensschicksale und Todesursachen mir bekannt waren. Da ich der Paralyse- 
frage seit meiner Studentenzeit ein besonderes Interesse entgegenbringe, so 
habe ich seit 35 Jahren Beobachtungen auf diesem Gebiet gemacht. Aus Griinden, 
die ich im einzelnen nicht anzufiihren brauche, glaube ich, daB meine Tabelle 
nur wenige Fehler aufweist. In den in Betracht kommenden Kreisen wird auf 
die Gesundheit ein solcher Wert gelegt, daB die Diagnosen 2 unter Zuziehung 
erster Facharzte mit moglichst groBer Sicherheit gestellt werden. Die Tat- 
sache einer Irrenparalyse bei einem Bekannten entgeht daher kaum der Auf- 
merksamkeit eines interessierten Arztes, auch wenn er nichts mit der Behandlung 
zu tun hat. Eher ist dies bei Tabes moglich, wenn nur Anfangssymptome 
vorhanden waren und der Tod an einer interkurrenten Krankheit erfolgte. 
Ein Teil meiner Falle ist nicht in der Irrenanstalt oder nicht in einer Berliner 
Anstalt gestorben, ich bin uberzeugt, daB diese Falle einer an deren Statistik 
entgangen waren. Ich habe ferner die Personen, die zu diesem Kreise gehorten, 
die aber zufallig in einer anderen Stadt lebten, eingerechnet. Es handelt sich 
um einen sozial fast homogenen Personenkreis; alle fur die Statistik verwerteten 
Menschen gehorten dem mittleren, gutsituierten, jii disc hen Burgertum an. 
Alle nicht rassejiidischen, zu dem Verkehrskreise gehorenden Personen wurden 
bei der Statistik nicht berlicksichtigt. Es handelte sich um Waren- und Borsen- 
kaufleute, Arzte, Juristen, Schriftsteller usw., keiner hat die Not des Lebens 
kennen gelernt, wenn auch jeder seinen Lebenskampf gefiihrt hat. Nur ganz 
wenige sind als Lebemanner, Spekulanten, Alkoholiker zu betrachten. Wenn 
naturgemaB auch ein Teil der behandelten Personen untereinander verwandt 

1 Dieser Ein wand gilt fur das Krankenmaterial jedes Arztes. 

2 Fehldiagnosen werden sich wohl bei keiner Art Statistik ausschliefien lassen. 


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waren, so handelt es sich doch uni Menschen, die aus ganz verschiedenen Famiiien, 
ja aus alien Teilen Deutschlands stammten. (Die Zahl der geborenen Berliner 
ist ja unter der alteren jiidischen Bevolkerung gering.) So darf das verwertete 
Material als ein homogenes betrachtet werden, das fur einen eng umgrenzten 
Volksausschnitt die aufgeworfene Frage wohl beantworten kann. 

Von 510 1 iiber 40 Jahre alt gestorbenen Mannern hatte ich bei 37 Paralyse 
notiert. (davon schied ein Fall aus, weil ich seine Beziehung zu dieseni Kreise 
als zu lose ansah, ein zweiter Fall, der durch seine Frau zu dem Kreise gehorte, 
wurde, weil er Indospanier war, hier nicht gerechnet). Bei 4 Fallen war die 
Diagnose nicht ganz sicher; es handelte sich zwar um Manner auf der Hohe des 
Lebens, die teils in Privatpflege (2), teils in Anstalten an paralyseahnlichen 
Symptomen dahinsiechten, von denen es auch hieB, sie waren an „Gehirn- 
erweichung“ gestorben. Da mir aber die Diagnose nicht ganz zweifelsfrei er- 
schien, habe ich sie schlieBlich nicht mitgezahlt. Es bleiben demnach 32 sichere 
Paralysefalle, 9 Tabes dorsalis (2 Taboparalyse), 3 Gehirnsyphilis; von den 
letzteren ist ein Fall nicht ganz sicher, lmal handelt es sich um schwere GefaB- 
syphilis des Gehirns, lmal um Pachymeningitis haemorrhagica (von mir selbst 
mitbehandelt). Es sind demnach mindestens 8,8% der statistisch erfaBten Per- 
sonen an einer syphilitischen Erkrankung des Zentralnervensystems, 6,5% an 
sicherer Paralyse zugrunde gegangen. Dabei ist noch in sehr vorsichtiger Weise 
in 11% der gezahlten Falle die Diagnose als zweifelhaft angenommen und der 
Zweifel entsprechend beriicksichtigt worden. 

Unter den 510 Personen wurde nur lOmal Tuberkulose als Todesursache 
festgestellt, selbstverstandlich ist unter den unter 40 Jahre alt gestorbenen 
Angehorigen dieses Personenkreises die Tuberkulosemortalitat hoher. Die Zahl 
der Ledigen unter den Paralytikem betrug 20%, was der Norm entspricht (vgl. 
Hirschl-Marburg in dem Handbuchder Geschlechtskrankheiten vonFinger- 
Jadassohn). 

Ob Frauen infiziert wurden, laBt sich nicht feststellen. Konjugale Tabes- 
Paralyse wurde nicht beobachtet. Da diese Erkrankung beider Ehegatten nur 
bei 2,4 bis 2,5% (O. Fischer, Monkembller) der Falle vorkommt, beweist 
das Fehlen der Doppelerkrankung unter 36 Ehen, in denen der Mann an einer 
Erkrankung des Zentralnervensystems litt, nichts. Da in den genannten Kreisen 
die EheschlieBung meist in relativ spatem Alter des Mannes erfolgt, ist an- 
zunehmen, daB das eigentliche infektiose Stadium der Syphilis bereits voriiber 
war, als die Heirat erfolgte. Auf Einzelheiten, auf das Verhalten der Kinder, 
auf Kinderarmut und Kinderlosigkeit soil nicht eingegangen werden. Hier 
interessiert nur die Tatsache, daB in dem eng umschriebenen Personenkreis von 
den tiber 40 Jahre alten Mannern jeder 15. an Paralyse, jeder 11. an einer syphi¬ 
litischen Affektion des Zentralnervensystems starb, wahrend Tuberkulose als 
Todesursache erst bei jedem 50. festgestellt werden konnte. 

1 Die Zahlung ging bis September 1920. 16 Falle, 'bei denen die Todesursache 

Unglueksfall, Duell, Krieg, Selbstmord waren, wurden nicht gez&hlt. 


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Gegen die Art der Statistik kann man natiirlich Einwendungen machen; 
man kann vor allem die fliissigen Grenzen des Begriffes „Verkehrskreis“ be- 
mangeln. Immerhin sind doch fast alle Personen, die zur Verwandtschaft 
direkt und indirekt, zur studentischen Korporation, zu den Mitgliedern der dem 
Verf. nahe stehenden Vereinen gehorten, statistisch erfaBt worden. Die Zahlen 
sind so groB, daB, wenn Blaschkos Prozentzahl 4,2 erreicht werden sollte, 
noch 243 nichtparalytische Personen zugezahlt werden miiBten. Es ist ganz 
ausgeschlossen, daB so viel Menschen bei der Zahlung vergessen sein konnen. 

Es bleibt daher nur iibrig anzunehmen, daB die Paralysemorbiditat in den 
Kreisen, die hier geschildert sind, groBer ist, als man annahm. Selbstverstandlich 
handelt es sich hier nur um eine Stichprobe, die keine allgemeine Giiltigkeit 
beanspruchen kann. Wohl aber darf die gefundene Zahl anregen, ahnliche Er- 
hebungen, z. B. in groBen studentischen Korporationen, Familienverbanden usw., 
anzustellen. Es konnten sich dann Zahlen ergeben, die wirklichen Vergleichs- 
wert beanspruchen konnen. 


19. Familienforschung am Zentralnervensystem. 

Yon Prof. Dr. I. P. Karpins. 

Die systematische Untersuchung einer groBeren Anzahl von Menschen- 
familien in bezug auf das Zentralnervensystem verspricht nicht nur dem Morpho- 
logen, sondern auch dem Biologen und Pathologen manche Aufklarung. 
So wird man fur die Frage nach den Geschlechtsunterschieden am Zentral¬ 
nervensystem gerade familiares Material als das geeignetste Untersuchurigs- 
objekt ansehen dtirfen. Die in den letzten Jahren so sehr in den Vordergrund 
tretende Konstitutionsforschung wird in anatomischen Familienuntersuchungen 
eine gesicherte Basis fin den. 

Durch eine mehrjahrige Beschaftigung mit dem Gegenstand bin ich zu 
einigen bescheidenen Ergebnissen gelangt; ein ausfiihrlicher Bericht iiber meine 
Untersuchungen erschien vor kurzem in der 2. Auflage meines Buches iiber 
Variability und Vererbung am Zentralnervensystem. Im ganzen habe ich 
56 Gruppen zusammengehoriger menschlicher Zentralnervensysteme unter- 
suchen konnen. Schon die Materialbeschaffung bietet bei der Untersuchung 
menschlicher Familien eine gewisse Schwierigkeit. Am leichtesten erhalt man 
neugeborene Zwillinge und Zwillingsfoten. So habe ich von 1900 bis 1914 neben 
einer groBeren Anzahl mannlicher und weiblicher Zwillingspaare 13 Paare von 
Zwillingen verschiedenen Geschlechts und 3 Gruppen von Drillingen gesammelt. 
Zehnmal konnte ich eine Mutter mit ihrem neugeborenen Kind untersuchen. 
In anderen Fallen fiihrten Selbstmord, Verbrechen, Ungliicksfalle, Krankheiten 
dazu, daB am gleichen Tage oder im Laufe weniger Tage mehrere Mitglieder 
derselben Familie starben. Ich fiihre einige Beispiele an. Ein Trunkenbold 


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ermordete in einem Tobsuchtsanfall seine 4 Kinder und schlitzte dann sic-h 
selbst den Bauch auf; eine verzweifelte Mutter sprang mit ihren 2 Kindern aus 
dem Fenster; 3 Brtider wurden von einem entlassenen Beamten erschossen; 
durch Kohlenoxydvergiftung ging einmal eine Mutter und ihre 2 Kinder, ein 
anderes Mai 3 Geschwister zugrunde; von 3 aus einer tuberkulosen Familie 
stammenden Geschwistern starben 2 an demselben Tag an Meningitis, das 3. 
wenige Tage spater an Lungentuberkulose. 

Gegenstand der Untersuchung sollten die noch in den Bereich des Physio- 
logischen fallenden, anatomisch nachweisbaren variablen Verhaltnisse am Zentral- 
nervensysteme sein. Am GroBhim zogen zunachst die Furchen die Aufmerksam- 
keit auf sich. Es ergab sich nun unzweifelhaft, daB das Furchenbild vererbt 
werden kann. Es konnen sich bei mehreren Mitgliedern einer Familie Ahnlieh- 
keiten im gesamten Habitus des GroBhims zeigen; in anderen Fallen findet man 
eine Haufung derselben seltenen Varietaten; in manchen Gruppen allerdings 
lieB sich keine Vererbung nachweisen. Der Verlockung, zahlenmaBige Angaben 
iiber den Grad der Ahnlichkeit zu machen, muB man widerstehen, da iiber das 
Variieren der Furchen im allgemeinen noch zu wenig Hbereinstimmung unter 
den Autoren herrscht. Ferner konnen immer nur Bruchstucke von Familien 
anatomisch untersucht werden. Hatte ich selbst in mehreren Familien beide 
Eltern und die Kinder untersuchen konnen und bei den Kindern seltenere Varie¬ 
taten gefunden, welche den Eltern fehlten, so ware es immer noch moglich gc- 
wesen, daB hier Eigenheiten einer friiheren Generation wieder zutage getreten 
sind. Kann man nun also auch iiber den Grad der Vererbung nichts Bestimmtes 
aussagen, so ist doch an der Tatsache nicht zu zweifeln. Die Falle sind naturlich 
um so beweisender, je gehaufter sich seltene Varietaten in einer Familie finden 
oder je ungewohnlicher der gesamte bei mehreren Familienmitgliedern zutage 
tretende Gehirntypus ist. Die Vererbung ist ein Faktor, der bei der Oberflachen- 
gestaltung des GroBhims mitwirkt. 

Von ganz besonderem Interesse ist es nun aber, daB diese Vererbung eine 
gleichseitige ist. Es findet sich etwa die seltene Eigentiimlichkeit, daB bei 
einer Frau die linke GroBhirnhemisphare sehr viel furchenarmer ist als die rechte, 
Und bei den beiden Kindern dieser Frau zeigt sich dasselbe Verhalten wieder. 
In einer anderen Familie sehen wir die gleichen seltenen Varietaten in den linken 
Hemispharen von 3 Geschwistern und andere ungewohnliche Varietaten in 
jeder der 3 rechten Hemispharen. Man stoBt auch auf Familien, in denen man 
die Vererbung nur in bezug auf eine Hemisphare nachweisen kann. Man unter¬ 
sucht z. B. eines der Eltern und ein oder mehrere Kinder; bei Vater oder Mutter 
finden sich auf beiden Hemispharen seltenere Varietaten, bei einem oder mehreren 
Kindern aber findet man nur die Varietaten der einen Hemisphare wieder und 
zwar auf der gleichen Seite. Auf diesen Umstand habe ich besonders geachtet, 
und ich habe die Gleichseitigkeit der Vererbung durchgehends bestatigt ge¬ 
funden. Wir haben guten Grund, anzunehmen, daB nicht nur das Oberflachen- 
relief, sondern auch die feineren Qrganisationseigentumlichkeiten, welche den 


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funktionellen Unterschieden der Hemispharen zugrunde liegen, gleichseitige Ver- 
erbung zeigen. Dafiir spricht u. a. die Rechtshandigkeit des Menschen; auch 
die seltene Varietat der Linkshandigkeit zeigt eine auBerordentlich groBe Nei¬ 
gung zu gleichseitiger Ubertragung, 

Von Interesse war es, das beim menschlichen GroBhirn Gefundene mit den 
VerhaJtnissen bei Tierfamilien zu vergleichen. So konnte ich 5 Affinnen (Ma- 
cacus und Hamadrias) mit ihren Jungen untersuchen. Dieses geringe Affen- 
material laBt freilich noch kein abschlieBendes Urteil zu. Meine Falle zeigten 
eine ganz auffallende tJbereinstimmung der beiden Hemispharen desselben Ge- 
hims, jedoch nur ausnahmsweise eine Andeutung von Familienahnlichkeit; 
dabei ist die Furchenvariability bei den niederen Affen in gewissen Gehirn - 
partien groBer als die des Menschen. Man konnte mit Kucksicht auf die hier 
bestehenden phylogenetischen Beziehungen folgendgs annehmen: die urspriing- 
lich in bezug auf das Furchenbild (und wohl auch in bezug auf die innere Or¬ 
ganisation) weitgehende tJbereinstimmung zeigenden beiden GroBhirnhemi- 
spharen werden im Laufe'der Entwicklung voneinander verschieden. Die von- 
einander abweichenden Furchenvarietaten der beiden Hemispharen des hoher 
differenzierten Gehirnes zeigen nun die Neigung zu hereditarer und zwar gleich¬ 
seitiger tJbertragung in weit hoherem Grade als die auf beiden Hemispharen 
ubereinstimmenden Varietaten des weniger hoch differenzierten Gehirnes. — 
Bei Hunde- und Katzenfamilicn findet man neben groBer tJbereinstimmung 
beider Hemispharen eines Gehirnes eine gewisse Neigung zu hereditarer tJber¬ 
tragung der Himfurchen. 

Auch fiir die Frage der Geschlechtsunterschiede im Gehirn schien 
die Untersuchung der Gehimfurchen bei Menschenfamilien aussichtsreich. 
Welchem der Eltem sind die Knaben in bezug auf das Gehirn ahnlicher, welchem 
die Madchen? Sind die Familienalmlichkeiten bei gleichgeschlechtlichen Ge- 
schwistern etwa deutlicher als bei Geschwistern verschiedenen Geschlechtes ? 
LaBt sich bei Menschenfamilien ein anatomisch nachweisbares Hoherstehen 
der mannlichen Gehirne nachweisen ? Wie steht es iiberhaupt mit der 
Frage der sekundaren Geschlechtsmerkmale am Zentralnervensystem ? Zu 
einer befriedigenden Beantwortung dieser und einer Reihe mit ihnen zusammen- 
hangender Fragen reicht mein Material keineswegs aus. Die Differenzen zwischen 
mannlichem und weiblichem Gehirn sind aber jedenfalls nicht so groB, daB sich 
aus dem Anblick des einzelnen Gehirnes das Geschlecht bestimmen lieBe. Es 
mag vielleicht richtig sein, daB im allgemeinen die Variationstendenz des Weibcs 
auch in bezug auf das Gehirn weniger groB ist als die des Mannes. Bei meinen 
Geschwisteruntersuchungen habe ich nicht finden konnen, daB die Knaben- 
gehirne reicher gegliedert waren oder eine groBere Variationstendenz zeigten 
als die Gehirne der Schwestern. Freilich ist hier mein einschlagiges Material 
nicht groB. Hingegen konnte ich durch die Untersuchung der Zwillings- und 
Drillingsgehirne feststellen, daB beim fotalen Gehirn das Geschlecht fiir das 
Vorauseilen in der Furchenentwieklung in Betracht kommt. Man kann in dem 


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Vorauseilen des fotalen mannlichen Gehirns einen sekundaren 
Geschlechtscharakter beim Menschen erblicken. 

Auch hier ist es lehrreich, die Befunde beim Menschen mit denen bei Tier- 
familien zu vergleichen. Hunde und Katzen werfen oft zahlreiche Junge ver- 
schiedenen Geschlechtes. Auf meine Veranlassung hat Dr. Morawski derartigo 
Tierfamilien mit Berucksichtigung von Geschlecht und Entwicklung eingehend 
studiert. Er fand kein Vorauseilen des mannlichen Geschlechtes in der Him- 
furchenentwicklung. Im Gegensatz zum Menschen besteht bei Hunden und 
Katzen in GroBe und Gewicht der Tiere und ihrer Gehirne bis zur Geburt und 
wahrend der ersten Lebensmonate kein Unterschied zwischen Mannchen und 
Weibchen. Man hat daran gedacht, die Unterschiede in der Furchenentwicklung 
beim Menschen gerade mit diesen MassenverhSltnissen in Zusammenhang zu 
bringen (Waldeyer). 

Die notwendige Erganzung der makroskopischen GroBhirnbefunde durch 
Untersuchung der Rindenzellen und -fasern, des Corpus callosum und anderer 
Fasersysteme, sowie die Untersuchung der Markscheidenentwicklung bei Zwil- 
lingen verschiedenen Geschlechts wird wohl weitere Aufklarung bringen. 

Hirnstamm und Riickenmark habe ich bei einer groBeren Anzahl 
von Familien makroskopisch und mikroskopisch untersucht. Die auffallende 
Variability im Bereich des Hirnstammes ist den Hirnanatomen wohl bekannt. 
Bemerkenswert ist, daB eine Anzahl dieser variablen Verhaltnisse einen aus- 
gesprochenen Familienchar akter bilden kann. So fand ich bei 3 Geschwistern 
die Stiitzsubstanz im Riickenmark ganz besonders ausgebildet. Bei 2 Zwil- 
lingen sah ich eine ziemlich betrachtliche Hydromyelie. Bei 3 Geschwistern 
zeigten sich im Hypoglossuskern eigentiimliche kleinzellige Herde. GroBere 
Stiicke des Trigeminusendkernes fand ich im Funiculus cuneatUs liegen bei 
einer Mutter und ihren beiden Kindern. Es scheint, daB im Riickenmark und 
Hirnstamm sehr stark variierende, phylogenetisch jiingere Teile wie der Tractus 
corticospinalis weit weniger deutliche Familienahnlichkeit aufweisen als weniger 
stark variierende, phylogenetisch viel altere Teile. 

Makroskopische und mikroskopische Familienstudien am Zentralnerven- 
system, die zugleich Riicksicht auf das iibrige somatische Verhalten des Indi- 
viduums nehmen, konnen auch fur weitere, anthropologisch interessante 
Fragestellungen von Bedeutung sein. 

Meine Untersuchungen haben nur in einigen Punkten zu abschlieBenden 
Resultaten gefiihrt; sie scheinen mir aber den Nachweis zu erbringen. daB hier 
ein gangbarer Weg zur Erforschung des Zentralnervensystems vorliegt. Um 
vorwarts zu kommen, ware die Arbeit mehrerer Forscher wiinschenswert, am 
listen ein organisiertes Zusammenarbeiten. In jeder groBeren Stadt kann im 
Laufe einiger Jahre geeignetes familiares Material gesammelt werden. 


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20. Tierpsychologie als Naturwissenschaft. 

Von Prof. H. Sexier, 

Deutsche University in Prag. 

Mit der Ausgestaltung unserer Erfahrungen- iiber die Lebensvorg&nge hat 
sich die Lehre immer mehr Geltung verschafft, daB ebenso wie im Anorganischen 
auch in der Biologie die Grundlage jedcs wissenschaftlichen Denkens das Prinzip 
der Erhaltung der Energie zu sein hat. Es ist daher wohl zu begreifen, daB sich 
jene Wissenschaftsgebiete, die solche Lebenserscheinungen zum Gegenstande 
ihrer Analyse haben, die noch nicht oder nicht restlos in eine erkenntnistheo- 
retisch monistische Kausalitat eingekleidet werden konncn, von einer wissen¬ 
schaftlichen Wertung immer weiter abgedrangt sehen. Seit Du Bois-Rey- 
monds beriihmtem „Ignorabimus“ scheint es unbestreitbar, daB der materia- 
listische Grundgedanke nur materielles Geschehen als Wissenschaft anzuerkennen 
gestattet; er laBt keinen Raum fur eine wissenschaftlich ordnungshafte 
Erkenntnis geistigen Erlebens in seinen Elementen und Komplexen. Wegen 
dieses entscheidenden Gegensatzes ist die spekulative Psychologie vollig von 
den Naturwissenschaften geschieden und auch die objektive Psychologie, die 
die korperlichen Bedingtheiten des Seelischen in ihren Beobachtungskreis mit- 
einbezieht, verfallt vielcnorts einer Shnlichen Klassifikation. Ganz besonders 
aber gilt eine solche Abkehr jener Art der Naturbeobachtung, die sich mit dem 
Bewegungsverhalten der Tiere unter Einbeziehung psychologischer Ausblicke 
beschaftigt und die man ganz allgemein mit dem Namcn Tierpsychologie be- 
zeichnet. Da wir die gegenteilige Ansicht vieler Naturforscher teilen, da'B ein 
solcher Verzicht nicht haltbar sein kann, obliegt es uns, zu jener Frage Stellung 
zu nehmen, die sich mit der Qualifikation der Tierpsychologie als "Wissenschaft 
abgibt. 

Wir vermogen uns, trotz unseres als TIberschrift benutzten Bekenntnisses zur 
allgemeinsten Naturwissenschaft, angesichts der wahrhaft unauszahlbaren Viel- 
seitigkeit der Lebenserscheinungen nicht dazu bereit finden, letztere durchwegs 
nur aus dem Grunde in irgendeine leitende Theorie einzupressen, weil diese uns 
die fruchtbarste Art der Erkennungserhebung diinkt. Auf diesem noch so wenig 
bekannten und so schwierig zuganglichen Beobachtungsgebiete stellen wir viel- 
mehr die Erscheinungstatsachen so lange iiber eventuelle Abstraktionen, als sich 
aus ihnen ein erschopfender Bedingungszusammenhang nicht unmittelbar auf- 
zeigen laBt. In dem primitiven Entwicklungszustande, in welchem sich die ge- 
nannte Disziplin dermalen befindet, haben wir diese Erscheinungen vorerst nach 
ihrer auBeren Form kennen zu lemen, ehe wir nach Erklarungen und Wesens- 
darstellungen suchen oder nach der Gesamtheit ihrer Bedingungen Umfrage 
halten. Das ist nicht ein Ruckschlag in beschauliche Bequemlichkeit des Glaubens 
und Meinens oder Yerkennung der Aufgabe der Naturforschung, sondcm der 
Ausdruck einer gewissen Bangigkcit, vor leeren Ergebnissen zu stehen, wenn wir 

XL. (ErgAnzungsband.) ® 


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sachlich genug sind, uns nicht mit jenen Oberflachlichkeiten abspeisen zu lassen, 
zu denen wir immer gelangen, wenn wir eine zielgebende Anschauungsform und 
allgemein giiltige Gesetze der Naturbetrachtung konstruieren wollen, ehe noch 
ausreichende Einzeltatsachen gesammelt wurden. ErfahrungsgemaB sind uns 
solche in der Biologie nur allzuoft und insbesondere dann geboten worden, wenn 
wir zu sehr geneigt waren, uns ein Alleswissen oder eine glatte Einbeitlichkeit 
der Naturvorgange dadurch einreden zu lassen, daB wir den vielen, oft ganz un- 
verstandlichen LebensauBerungen unter alien Umstanden eine Idee, einen Zweck, 
einen Vervollkommnungstyp oder irgendeine andere Spekulation unterlegten, wie 
uns dies im Sinne der verschiedenen Lebenstheorien und Weltanschauungen 
geboten erschien. Nur zu gerne lieB man sich gerade in der Biologie in der Eitel- 
keit einer verheiBungsvollen Kausalitatsaufdeckung voreilig herbei, mit tlber- 
tretung der gezogenen Wissensgrenzen, basiert auf mangelnde Erfahrung, falscher 
Problemstellung und der immanenten Unbestimmtheit biologischer Hypothesen, 
die alles wagen lassen, iiberall letzte Griinde und unleugbare Gesetzlichkeiten zu 
sehen, denen aber keine logische Festigkeit eigen war. So konnten oft nur kurz- 
fristige Scheinlosungen geschaffen werden, und die daraus erflieBenden Ent- 
tauschungen sind zu zahlreich Und schmerzlich gewesen, um uns nicht eindring- 
lichst vor solchen Spekulationen zu wamen, die keineswegs immer hochfliegend 
sein mtissen, um fehl zu gehen. In einem Briefe an Hooker hat Darwin nur 
diejenigen als Forderer der Wissenschaft anerkannt, welche aus dem auf- 
gestapelten Tatsachenmaterial mehrfache Verallgemeinerungen machen konnen, 
wogegen er diejenigen, die nur Tatsachen zusammenhaufen, nicht sehr hoch- 
achten und nicht als Wohltater der Wissenschaft einschatzen kann. Gleichsam 
aus dem begreiflichen Wunsche heraus, eine solche Einschatzung zu erwerben, 
ist die anthropozentrisehe Tierpsychologie entstanden, die uns heute in vieler 
Beziehung nichts anderes ist, als ein mit dem unzulanglichen Mittel nicht ge- 
ntigend verifizierbarer Ausgangsbegriffe angestellter Yersuch, auch auf psy- 
chischem Gebiete den Evolutionsgedanken dadurch reibungslos durchzudriicken, 
daB die von der Entwicklung ausgehende Spekulation vielerlei Ziele des Natur- 
geschehens annahm, die nicht gefunden, sondern nur behauptet wurden und uns 
vielfach auch heute noch ganz fremd geblieben sind. Es ist das groBe Verdienst 
des in sich logisch geschlossenen Materialismus in seiner Ubertragung auf die 
Biologie, mit diesenMeinungswissenschaften von Grund auf abgerechnet zu haben. 
DaB er dadurch zu weit ging, daB er den mechanistisch-chemischen Standpunkt 
bis zur auBersten Grenze festhielt und auf die Analyse psychischer Vorgange 
ganzlich verzichtete, ist eine ihm zu Last fallende Unfruchtbarkeit, mit der er 
sich in vieler Beziehung mit den von ihm bekampften Haltlosigkeiten auf eine 
Stufe stellte. 

Der schwer ertragliche Zustand unserer Unkenntnis der Ziele der Natur, 
sagt Novalis, kann solange nicht ertraglicher gemacht werden, solange wir Uns 
von dem Schuldbekenntnis belastet fuhlen, den sich uns unbequem aufdrangen- 
den Erscheinungstatsachlichkeiten aus hypothetischen Griinden eine Wunsch- 


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form verliehen zu haben, die in keinem Beweisverhaltnis zu ihrem Sosein steht. 
In alien Fallen, in denen wir eine Identifizierung bei den letzterwahnten Zustands- 
arten nicht zu erbringen vermogen, konnen wir uns kaum dazu bereit finden, 
einer Theorie zuliebe, und sei sie noch so wohl fundiert, die ihr nicht entsprechen- 
den Erscheinungen wegzulassen, umzumodeln, an ihnen irgendeine Veranderung 
im Sinne einer Abstraktion vorzunehmen, um sie so in den Rahmen einer vor- 
gefaBten Meinung einzufugen. Es ist weit ertragreicher, zunachst bei der Zu- 
standsschilderung der uns zuganglichen Darbietungen der Naturerscheinungen 
zu verharren und die Wesensaufklarungen im Sinne der Einkleidung in ein ab- 
straktes System einer spateren Zeit vermehrter Beobachtungssammlung zu tiber- 
lassen. Die Erscheinungstatsachen sind es, die uns vor allem fesseln und uns 
maBgebend bleiben; ihre Zusammenfassung unter gemeinsame Gesichtspunkte 
kommt erst in zweiter Linie in Betracht. 

Der EinwUrf unter solchen Umstanden auf tiefere Einblicke in das Wesen 
der Lebensvorgange zu verzichten, trifft uns kaum; denn in diesen Satzen soil 
kein absolutes und voreiliges, sondern nur ein vorlaufig notwendiges Verzichten 
ausgesprochen, nur auf die engen Grenzen unserer dermaligen Kenntnisse hin- 
gewiesen werden. 

Wir mochten dabei besonders betonen, daB auch wir selbstverstandlich von 
der Oberzeugung durchdrungen sind, daB wir mittels des wissenschaftlichen 
Materialismus noch am weitesten in das Innere der Natur vordringen konnen, 
daB er die beste der jetzt bekannten Arten einer wahren Erkenntnisschopfung 
darstellt, die uns zu einer mehr oder weniger befriedigenden, einheitlichen Auf- 
fassung des Naturgeschehens bringen kann, UDd daB wir daher niemals aufhoren 
konnen, die Anwendung chemisch-physikalischer Gesetzlichkeiten auf die 
LebenserscheinUngen immer wieder zu versuchen. 

Ungeachtet dieses Eingestandnisses kann uns doch bei der empirischen 
Betrachtung des Verhaltens der GroBhirntiere kaum die Einsicht abhanden 
kommen, daB neben den physiologischen Prozessen noch andere Gebahrens- 
vorgange wenigstens im beschrankten AusmaBe da sind, die, so wie wir sie heute 
wahrnehmen konnen, eine gewisse Ahnlichkeit mit menschlichen Handlungen 
haben und die keineswegs mit den Elementen der Mechanik zu losen sind. Wir 
nennen sie gebr&uchlich psychische und finden ihre Aufnahme in eine moglichst 
vollkommen sein wollende Gebahrensschilderung unvermeidlich, weil sie Er- 
klarungswerte enthalten konnen. Ubrigens wird die Notwendigkeit einer 
solchen Erganzung zur ausreichenden Charakterisierung der Organismen 
auch von manchen rein objektiven Biologen ventiliert, wie z. B. von 
Plate, E. H. Ziegler u. a. DaB dabei im Sinne der Identitatslehre unter 
Psychischem immer nur Physisches gemeint ist, kann freilich keine Sttitze 
unserer Auffassung abgeben, weil das Bewufitseinsleben eine Beschreibung 
quantitativer Art, wie sie fur das Physische gilt, in keiner Weise zulafit. Uns 
handelt es sich aber bei diesen mechanistisch nicht zuganglichen Sonder- 
erscheinungen gar nicht um die physikalische Kenntnis der Hirnphysiologie oder 

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um die physiologischen Korrelate des Psychischen, die der quantitativen Be- 
zeichnungsweise untertan sind, sondern um die Manifestationen ernes auBer- 
energctisehen Prinzips, des Psychischen sui generis. Die Anerkennung dieses 
nur analogienhaft erfaBbaren Faktors im Gemenge der tierischen LebensauBe- 
rungen zwingt uns zu der oben beruhrten Folgerung, daB wir uns keineswegs 
mit einer in alien Fallen gultigen konkreten Anwendbarkeit des materiell- 
monistischen Erkenntnisprinzipes zufrieden geben konneD. Vielmehr hat sich 
die begreifliche Sehnsucht, durch mcchanistische Untersuchnngsmethoden allein 
eine rein physiologische Auffassung des gesamten menschlichen wie tierischen 
Verhaltens zu gewinnen und unmittelbare Einsichten in eine solche Kausalitat 
zu erringen, auch historisch als eitel erwiesen. Sie entspringt einer unrichtigen 
Standpunktswahl und ist daher von ihrer Erfiillung heute ebensoweit entfemt 
wie friiher. Unbeschadet der beispiellosen Erfolge dieser Forschungsrichtung, 
die sich seit Descartes zur Erreichung dieser Aufgabe einsetzt, ist es noch 
nirgends gelungen, das Psychische oder seine allgemeine Grundbedingung, das 
spezifisch Lebendige uberhaupt, durch physikalisch-chemische Erhebungen auch 
nur von ungefahr zu erreichen. Die moderne Physiologie der tierischen Organis- 
men lehrt ohne UnterlaB, daB es fiir sie niemals ein anderes Erklarungsprinzip 
der LebensauBerungen geben darf, als ein chemisch-physikalisches; unter ge- 
brauchlichen Ausfallen auf andere Erkenntnisverrichtungen wird sie aber dieser 
Vorschrift immer wieder untreu: sie fallt immer wieder in den Dualismus zuruck 
oder kiimmert sich weniger um erkenntnistheoretische Prinzipien, schon aus dem 
hochst begreiflichen Grunde, weil sie iiber den tausendfaltigen Ausbau konkreter 
Fragen kaum hinaus kommen kann. So verharrt sie teils nur in der Analyse des 
inneren Getriebes der Organe, ohne sich mit dem iiber den Reflexen liegenden 
Gebahren der Tiere abzumiihen, und ist schon aus diesem Grunde kaum berechtigt, 
iiber die Reichweite einer materialistischen Auffassung abschlieBend zu urteilen; 
teils greift sie in sehr vielen Fallen von Erscheinungen, die ihr nicht weiter zerlegbar 
entgegentreten, unbefangen zum Yersprechen einer spateren mechanistischen Er- 
klarung, oder aber sie beladt sich ohne weiteres mit psychologischen Begriffen und 
Deutungen, die mit der angesagten monistischen Betrachtungsweise gar nichts zu 
tun haben: die gesamte Nerven- und Sinnesphysiologie ist voll davon. Mit Kecht 
oder Unrecht mag hier unerortert bleiben — sicherlich aber weist die Existenz 
der dualistischen Physiologie klar darauf hin, daB nach einem so langen Yor- 
herrschen eines monistischen Dogmatismus psychologische Gesichtspunkte wieder 
in das Lehrgebiet der Physiologie eingedrtmgen sind, sofern sie uberhaupt daraus 
vertrieben worden waren. Es kann also von einem erschopfenden Anwendungs- 
zwange der materialistischen Hypothese, die in den uns interessierenden Be- 
ziehungen auf dem besten Wege war, zu einer physiologischen Metaphysik aus- 
zuarten, nicht geredet werden. In dem so viel erprobten festen Ring dieses 
Theorems sind zahlreiche Liicken zu unverkennbar, um jene wirklich restlose, 
allseitig befricdigende Anschauung zu garantieren, die so oft zugesagt worden ist. 
Selbstverstandlicb kann man mit der erdriickenden Fiille des noch unerforschten, 


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unverstandlichen oder geheimnisvollen biologischen Geschehens aach diy kiihristen 
Hoffnungen auf materialistische Losungen decken; also auch das bisher ganz 
vergebliche Mtihen nach dem ersehnten Ziele, das gesamte organische Werden 
und Sein einmal ebenso zu analysieren — beherrschen ist auch hier zu viel gesagt 
— wie die Chemic und Physik das Anorganische. Aber, selbst wenn sich dagegen 
nicht prinzipielle Unmoglichkeiten aufturmen wiirden, nutzen uns doch diese 
billigen Anleihen an eine nichts versagende Zukunft bei dem allgemein langsamen 
Vorrucken der Wissenschaft fiir den praktischen momentanen Gebrauch nur 
wenig; wir konnen, um uns in der Jetztwelt zu orientieren, nicht ins Endlose 
warten, und miissen uns mit einer Einstellung auf die uns umgebenden Menschen 
und Tiere begnugen, auch um den Preis sehr vieler Unklarheiten. Methodologisch 
lehrt uns das, dab wir in dem Wunsche nach einer moglichst vollkommenen 
Gebahrensbeschreibung unseren Blick auch vor jenen phanomenologischen 
Restbestanden nicht verschlieben durfen, die jenseits einer chemisch-physi- 
kalischen Erklarungsweise liegen und mit den bewubt gelenkten Handlungen 
des Menschen eine gewisse Ahnlichkeit haben. Wenn man demgegenUber meint, 
dab die Idee des Materialismus keinen Raum fiir das Eindringen aubermecha- 
nistischer Geschehcnsfaktoren gewahrt, so durfen wir auf Grund obiger Tat- 
bestande antworten, dab nur restloses Erfassen des Lebendigen ihre Allgemein- 
giiltigkeit erweisen konnte. Sie kann aber begreiflicherweise nur die Vorgange 
des auberen Weltgeschehens betreffen, und daher kann auch eine rein monistisch 
orientierte Biologie dieser Forderung nicht nachkommen; so wie wir sie in der 
Lehre vom Animal Bahavior vertreten finden, gewahrt sie nicht nur demjenigen 
keine ausreichende Anleitung in das Verstandnis des tierischen Gebahrens ein- 
zudringen, die die Liebe zu den Tieren zu einem solchen Vorhaben antreibt, wie 
der Biologe Schaxel meint (nebenbei bemerkt wUrde Liebe wie Hab als extreme 
gefuhlsmabige Voreingenommenheit fur den objektiven Naturforscher keine 
Berufungsinstanz abgeben konnen); sondern es darf gesagt werden, dab die kon- 
sequente Durchfiihrung einer energetischen Grundauffassung des Lebens auch fiir 
den unbefangenen Beobachter unabwendbare Insuffizienzen spiiren labt. 

Vermogen wir also nach unserem Dafurhalten noch keineswegs alle tierischen 
Bewegungskomplexe auf mechanistiscber Grundlage vollkommen hinreichend 
darzustellen, so brauchen wir uns auch nicht hindern zu lassen, weitere Kennt- 
nisse in der Phanomenologie dadurch zu erstreben, dab wir Vergleiche zwischen 
manchen tierischen Bewegungskomplexen und unserem eigenen Tun in die 
Analyse miteinbeziehen. Bei dem Eingehen auf ein solches Vorhaben bedarf 
also die Gebahrensschilderung auber der physiologischen Grundmethodik, die 
uns einen groben Teil der tierischen Lebensauberungen mittelbar oder objektiv 
erhebbar kennen lehrt, noch der Erganzung durch die analogisierende Betrachtung, 
die uns wieder andere Reaktionen durch den Vergleich darzustellen gestattet. 
Mit dieser Anlehnung an die Psychologie wird die Frage nach der wissen- 
schaftlichen Wertung der Tierpsychologie dahin verschoben, welchen Wert 
man der analogisierenden Vergleichsmethode zusprechen darf. 


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Zunachst konnte uns dies eigentlich als eine miifiige Frage erscheinen, wenn 
wir auf die Geschichte der Tierpsychologie der letzten 50 Jahre zuriickblicken. 
Nach der daraus zu gewinnenden TJberzeugung ist die hier zu ventilierende 
Betrachtungsweise in den Handen sehr vieler Naturbeobachter, namentlich der 
popularisierenden Richtung, zu jenem beruchtigten Beschreibungsmodus miB- 
braucht worden, der, innen und auBen haltlos, zuweilen jeder Grundlage 
entbehrend, in kindische Spekulationen ausartete, zu jeder Charakteristik 
verwendbar und plastisch genug war, sich hinterher mit jeder gegensinnigen 
Tatsache abzufinden. Aus einer schrankenlos leichtfertigen und trivialen 
Handhabung heraus, die sich nicht selten mit dem Scheme irgendeiner Welt¬ 
anschauung umgab, erwuchs diesen liederlichen Interpretationen des Tier- 
lebens eine so allgemeine, von berechtigter Geringschatzung, heftigem Wider- 
willen und unverhohlenem Spotte unterlegte Ablehnung, daB man die gesamte 
derartig stigmatisierte Tierpsychologie als „wild work“ (James), „Menagerie-und 
Babypsychologie“ (Max Muller), „PseudoWissenschaft“ (H. Driesch) bezeich- 
nete und fur alle Zeiten „hoffnungslos“ hinstellte (Mobius). Man nahm sie als 
Wissenschaft iiberhaupt nicht ernst und tat sie mit der Einrangierung in jene 
empfindsamen Tiergeschichten ab, bei denen die mangelnde Beobachtungs- 
eignung des Darstellers durch widersinnige biologische, soziologische und psycho- 
logische Yergleiche zu ersetzen versucht oder die Glaubensfreudigkeit des naiven 
Gemutes aufgerufen wurde. 

Indessen laBt sich bei genauerer Priifung der Tatumstande doch nicht tiber- 
sehen, daB sich ungeachtet der stetigen Ausbreitung des naturwissenschaft- 
lichen Objektivismus und der sehr ernsten Bestrebungen nach endgiiltiger 
Ausschaltung einer so libel beleumundeten Betrachtungsweise biologischer 
Prozesse, deren vollige Ausrottung bis zum heutigen Tage nicht durchsetzen 
lieB. Ihre versuchsweise, aus der Voreingenommenheit der mechanischen 
Erklarung alles tierischen Verhaltens entstehende, restlose Verbannung aus 
der deskriptiven Biologie hat sich als nicht tunlich herausgestellt, weil 
durch diesen Versuch neuerliche Mangel in Form der unkritischen Darstellung 
psychischer Phanomene durch somatische Prozesse gezeitigt wurden, so 
daB sich auch ganz moderne Beobachter doch wieder bemiiBigt fanden, in 
beschranktem Umfange auf das Analogisierungsverfahren zuruckzugreifen. 
Daran beteiligen sich auch Biologen rein meehanistischer Flagge, tsils aus Ein- 
sicht in die Notwendigkeit, wie z. B. Jennings, teils um der allgemeinen Ver- 
standigung willen oder aus der Unmoglichkeit, sich trotz andauernder Ver- 
wahrung dagegen davon frei halten zu konnen, wie z. B. zur Strassen. Gewollt 
oder Ungewollt, kam es, wie gesagt, trotz jahrzehntelanger Meinungsstreitig- 
keiten zu keiner vollkommenen Verwerfung, sondern nur zu einer sehr heilsamen, 
kritischen Zuriickdrangung dieser Untersuchungsmethode und der ihr zu- 
standigen Nomenklatur. Hiernach ist um die Erorterung, ob und welche wissen- 
schaftlichen Qualitaten ihr in der notwendig restringierten Form zugesprochen 
werden konnen, und auf welche Weise eine damit belastete Psychologie ein- 


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zuschatzen ist, keineswegs so herumzukommen, wie eine oberflachliche histo- 
rische Orientierung glauben lassen konnte. 


Vorweg sei jene falsche Beleuchtung des Problems der Tierpsychologie 
erledigt, die ihr, auf einer mibbrauchlichen Verwendung des Eigenschaftswortes 
„exakt“ beruhend, vielfach dadurch zuteil wird, dab man Physik, Chemie, Phv- 
siologie usw., als exakte Naturwissenschaften der Tierpsychologie, als einer 
solchen Bezeichnung entbehrend, gegeniiberstellt. Bei einer derartigen, sehr 
oft gehorten Vernachlassigung des tatsachlich Moglichen kann nur immer wieder 
daran erinnert werden, dab nur die Mathematik allein exakt genannt wird und 
dab es dem Andenken unserer Physiologen einen schlechten Dienst erweisen 
hiebe, wenn man ihnen imputieren wollte, dab sie sich der schmerzlichen Un- 
exaktheit ihrer Disziplin nicht seit jeher ausreichend bewubt gewesen waren. 
Schon das dunkle Protoplasmaproblem, die von Johannes Muller in ihrer 
grundsatzlichen Bedeutung erkannte spezifische Sinnesenergie usw. stehen einer 
ration alen Vollendung der Physiologie als uniibersteigliches Hindernis im 
Wege, ganz zu geschweigen davon, dab die modeme Physiologie die Verwendung 
anthropozentrischer Vergleiche nicht vermeiden kann und sie ausdriicklich ge- 
stattet. Zu eindringlich wurde erkannt, dabes nicht geniigt, die energetische Auf- 
fassung des Lebens programmatisch als allein giiltig zu erklaren und schon durch 
diesen Wunsch die Physiologie auf die „feste Basis einer materiell-einheitlichen 
Naturforschung zu stellen“— wie viele Autoren wollen, ohne anders als dualistisch 
zu konnen; so wenig ausreichend ist das, dab neuestens v. Tschermak in seinem 
Lehrbuche der Physiologie neben der energetischen auch die enetelechische 
Regulation des Lebens zum ersten Male zur Grundlage der biologischen Unter- 
suchungen zu erheben sich bewogen fiihlen konnte. Das sind lauter Dinge, die 
diese feste Basis so zu erschuttern vermogen, dab man den Ausdruck Exaktheit 
lieber aus dem Spiele labt, ohne aber damit den Charakter der Wissenschaft¬ 
lichkeit anzutasten. Els wird kaum jemand beifallen, der Lehre von den Korper- 
funktionen dort, wo sie sich mit geistigen Zustandsbeschreibungen behelfen mub, 
wie in der Sinnesphysiologie, die Wissenschaftlichkeit deshalb absprechen zu 
wollen, weil es sich dabei vorwiegend um Dinge handelt, die nur subjektiv erlebt, 
nur innerlich-anschaulich, nicht jedoch mittelbar erkannt, objektiv nachgewiesen 
oder bewiesen, also nicht quantitativ-analytisch behandelt werden konnen; wie 
uns die Elrfahrung zeigt, kann hier nicht mit einer prinzipiellen Ablehnung gedroht, 
sondern nur die Frage nach moglichen Erkenntnisgraden aufgeworfen werden. 

Ein viel gebrauchter Einwand ist in dem Satze enthalten, dab die Ergebnisse 
der Elrfahrung nur dann auf exakte Wissenschaftlichkeit Anspruch erheben 
konnen, wenn sie tiber objektive Beweisbarkeit verfugen, die durch die zwingende 
Evidenz mathematischer Satze und die Eigenschaft der Notwenaigkeit gekenn- 
zeichnet sind, d. h. das Gegenteil der gewonnenen Erhebungen soil unmoglich 
sein. 

Alle derartigen Forderungen sind aber nur prunkende Entlehnungen aus der 


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Mathematik, deren schimmerndes Kleid der Klarheit sick niemals iiber die 
Lebensvorgange werfen laBt. Sie werden gewohnlich von mit den Noten der 
experiraentellen Empirie nicht vertrauten Theoretikern aufgestellt, konnen fur 
biologische Prozesse nicht gelten und werden auchin der praktischen Physiologie 
gar niemals erfiillt. Nur in der Mathematik ist die exakt genannte Tatsachen- 
beschreibung mittels Gleichungen (Kirchhoff) durchfiihrbar und laBt uns zu 
derartig festgelegten Sicherheiten gelangen, daB ihr Gegenteil unmoglich ist. 
Dort allein verlauft der Vorgang mit Notwendigkeit im Sinne der Ausgangs- 
gleichungen, und nur dort ist die Findung reiner Wahrheit denkbar. Im Gebiete 
der analytischen Untersuchung objektiv realer Dinge, wie sie die Physik zum 
Gegenstande hat, sind die Urteile noch minder konditionell, d. h. ihre absolute 
Giiltigkeit betrifft nur den logischen Zusammenhang der Denkprozesse, nicht 
aber die Pramisse; diese miissen fiir sich richtig bestimmt sein, wenn eine solche 
Giiltigkeit erreichbar sein soli (Classen). Man gibt sich auch die Physik nicht 
einem kausalistischen Mystizismus hin, der unter Erklar ungen die unmogliche 
Aufdeckung des ,,Wesens“ der Dinge erhofft. 

In der Lehre vom Leben des Organismus sind wir trotz der unleugbaren 
Errungenschaften doch nicht im mindesten zu solchen Deutungsnotwendigkeiten 
gebundener Form durchge dr ungen, und es ist daher die so h&ufig gebrauchte 
Berufung auf das Eigenschaftswort „exakt“ nicht minder unangebracht wie etwa 
das beliebte Spiel mit den angeforaerten Gegenbeweisen von Dingen, bei denen 
Uns alle Beweise fehlen. Nur aus der totalen Verkennung der ungeheuren Kom- 
pliziertheit der Lebensvorgange konnten derartige iibertriebene Forderungen 
aufgestellt werden, wie dies in ahnlicher Weise mit den locker sitzenden Begriffen 
„erkennen“, „erklaren“ und „beweisen“ immer noch geschieht. 

Noch viel weniger wird man die Biologie eine exakte Wissenschaft im Ernste 
nennen konnen, mit all ihren heiB umstrittenen monistischen, vitalistischen, 
psychistischen und intuitiven Varianten. Auch ihre naturwissenschaftlich 
materialistische Art hat darauf gar keinen Anspruch, obwohl sie sich gerne im 
Lichte einer korrekten Gebundenheit unter dem besonderen Hinweise sonnt, 
den dualistischen Standpunktswechsel der Physiologie als unzulassig vollig zu 
vermeiden. Sie bevorzugt die psychophysische Identitatstheorie, homologisiert 
korperliche Prozesse und jene ganz auBerhalb jeder Kausalitat stehenden Phano- 
mene, die man psychische nennt — Reizbarkeit und Empfindung, Hirnfunktion 
und Seele —, griindet einen sonderbaren Hirnbau, der dem Anatomen und 
Histologen nie zu Gesichte kommt und meint mit einer rein psychologischen 
Nomenklatur immer nur Objektives. Der Name BewuBtsein wird nicht aus- 
gesprochen und so mit leeren Symbolen eine materielle Psychologie betrieben, 
in welcher auch fiir die am schwersten durehschaubaren Zusammenhange psy- 
chischer Vorgange billiger Rat beschaffen wird, der deshalb kein guter ist und 
nur dazu dient, der Psychologie durch Entwertung ihrer Begriffe das Gesicht 
zu nehmen, um damit das eigene einer fiktiven denktechnischen Korrektheit zu 
wahren. Unter steter Absentierung des BewuBtseinsbegriffes frird eine psycho- 


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Jogische Systematik zuwege gebracht, mit Behandlung der Empfindungen, Vor- 
stellungen, Gefiihle, Intelligenz, Verstandcsleistungen der Pferde und Hunde, 
HaB, Lie be, Gliickusw., die von der Versicherung lebt, daB die Biologie, soweit sie 
Psychologie iibt, von den Grundbegriffen der menschlichen Psychologie unab- 
hangig sein muB. Da der Rest, der zwischen solchen Reden und dem Verschweigen 
dessen liegt, was das Wesen der Seele ausmacht, nicht weiter beachtet wird, so 
kann auch hier mit dem Worte „exakt“ nur MiBbrauch getrieben werden. 

Wenn wir aber auch von derartigen, keineswegs allgemeinen Zuspruch finden- 
den Sonderlichkeiten Abstand nehmen, so kennt auch die von einer sicheren Be- 
sonnenheit gelenkte materialistische Biologie keine exakten Werte haben. 1st in 
der Physiologieder hypothetische Einschlag der Elementardefinitionen schon sehr 
belastend fur die nachhaltige Geltung der Aussagen einer naturwissenschaft- 
lichen Beschreibung, so kann in der Biologie an die Moglichkeit einer erschopfen- 
den, exakten Behandlung des Stoffes nach klaren, voraussetzungslosen Methoden 
gar nicht gedacht werden; denn die systematisch auch ihr zugehorigen rationalen 
Unlosbarkeiten der Physiologie bleiben erhalten und ihre eigenen verfiigbaren 
Ausgangsbegriffe: Zweckm&Bigkeit, Vererbung, Anpassung, Entwicklung usw. 
sind exakt noch viel weniger verwendbar wie dort, weil man sie nicht auf die 
energetischen Elemente der Physik zuriickfiihren kann und weil sie gewohnheits- 
maBig in einer mchrfachen Bedeutungsvariation Anwendung finden. Bei solchen 
Definitionsmangeln konnen sie niemals Gegenstand eines wirklichen Beweises 
odor einer anderen als nur qualitativen Analyse sein (Classen). Sie haben als 
viel zitierte Stiitzen einer sich Vorwissenschaft aller Naturwissenschaften nennen- 
den Biologie, der Physik und Chemie, ebensowenig zu sagen gehabt, wie etwa die 
Hypothese der monistischen Allbeseelung der Materie; es ist nicht bekannt, 
daB der Du Prelsche Nachweis des kosmische'n Kampfes urns Dasein und der 
zweckmaBigen gegenseitigen Anpassung der Gestime die Astronomie jemals 
von ihrer ernsten Arbeit aufblicken lieB, oder daB die Annahme des Biogens, 
Biomolekiils oder der superlabilen lebenden EiweiBkomplexe wirklich eine 
exakte Erklarung irgendeiner von ihm abhangig gemachten Erscheinung (Reiz- 
barkeit) zu geben vermochte (Winterstein). 

Kann sonach der Begriff der Unexaktheit nicht auf einen Sondermangel der 
synthetischen Tierpsychologie bezogen werden, so wenden wir uns nunmehr der 
Prage zu, in welchem Grade sie als Wissenschaft eingeschatzt werden konnte. 
Die Urteile gehen diesbeziiglich weit auseinander. Wie wir aus den vorgangigen 
Zitaten ersehen haben, kann es Tierpsychologie als Wissenschaft nach den einen 
gar nicht geben, im Gegensatz zu anderen, die meinen, daB gerade auf diesem 
Gebiete die Entscheidung tiber die energetische Geschlossenheit des gesamten 
Naturgeschehens fallen mtisse. Beides ist zu wenig und Zu viel und auf jeden 
Fall ganz unangebracht. Zunachst hatte man sich in dem ungemein wechsel- 
vollen Streite zwischen monistischer und dualistischer Lebenstheorie mit solcheD 
Behauptungen nicht in die Biische einer mehr oder weniger abseits gelegenen 
Spezialdisziplin zu schlagen, sondern die Sch&rfe der einschlagigen Argumentatio- 


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nen zuerst an dem weit festeren Gefiige der Psychologie zu versuchen; sie vermag 
ihre Grtinde ausreichend darzutun, warum sie trotz bester Absichten und steter 
Berufung auf ihre prinzipielle energelisch-monistische Grundlage doch der 
anthropozentrischen Seitenblicke nicht entraten kann. Nach dieser Erledigung 
bliebe noch immer die Abrechnung rait jenem Zweige der Medizin, der mit der 
praktischen Beurteilung psychischer Funktionen in engster Verbindung steht, 
mit der Psychiatrie, und endlich noch mit der objektiven Psychologie. 

Langst hat sich das Motto von Max Muller tiberlebt: No thought without 
language — und es ist muBig dariiber zu streiten, ob es Denk- und psychische 
Funktionen iiberhaupt auch ohne sprachliche Ausdrucksmoglichkeiten gibt. Die 
Psychologie des fremdsprachigen, des im Urzustande lebenden, des sprachlosen 
Menschen und des sprachverfalschten Irren braucht nicht mehr am eine wissen- 
schaftliche Beglaubigung einzukommen. Es wiirde einer ganz haltlosen Vor- 
eingenommenheit gleichkommen, der Psychiatrie deshalb, weil sie unausgesetzt 
tiber die Erkenntnisgrenzen des Psychischen stolpert, den Anspruch auf Wissen- 
schaftlichkeit zu nehmen; der viel miBbrauchte Titel tut wenig zur Sache. Sie 
zahlt zur objektiven Psychologie als Naturwissenschaft und entspringt der un- 
ausweichlichen Notwendigkeit, in den krankhaften Reigen der psychischen 
Realitaten des geisteskranken Nebenmenschen ebensolche Einblicke zu gewinnen, 
wie es die erstere innerhalb des normalen geistigen Lebens zu bewerkstelligen 
trachtet. Da aller Wahrscheinlichkeit nach die Anfange dieses letzteren bei den 
GroBhirntieren gesucht werden mussen, bildet deren systematische Behandlung 
als Komponente der objektiven Psychologie ebenso eine Wissenschaft wie diese. 
Sie gehort ihr, trotz spater zu erwahnender Reservationen quantitativer Art, 
als Glied gleicher Ordnung an. Die Verbindungsbrucke dieser verschiedenartigen 
Materien bildet immer die Physiologie, und zwar jener Abschnitt derselben, der 
sich mit den psychischen Elementarfunktionen beschaftigt; ihm die Wissen- 
schaftlichkeit abzusprechen geht wohl kaum an, obwohl die Unmoglichkeit einer 
chemisch-physikalischen Orientierung auf der Hand liegt. Auch sie vermag nur 
qualitative RegelmaBigkeiten auszutasten, quantitativ aber nichts zu bestimmen. 
Diese Erscheinungen sind als unmittelbar Gegebenes bekannt, und es muB genugen, 
sich dieser Anschaulichkeit komparativ in Form gewisser Wahrscheinlichkeits- 
schliisse zu bedienen. Yon einer solchen Gebrauchmachung abzustehen, wird die 
Physiologie kaum gezwungen werden konnen, ohne deshalb an Wissenschaftlich- 
keit einzubiiBen. Die synthetische Gebahrenslehre, als welche wir die Tier- 
psychologie auffassen, ist daher mit der allgemein gelehrten dualistischen Phy¬ 
siologie nahezu identisch: Quantitatsunterschiede liegen nur in dem Ura- 
stande enthalten, daB sie die empfindungsregulierten Bewegungskomplexe nicht 
nur am einzelnen Organismus zu erheben trachtet, sondem ihre Beziehungen in 
dem Gesamtverhalten der Tiere zu ihrer Umwelt in die Untersuchung mit ein- 
zubeziehen unternimmt. Empirisch muB also die inhaltliche Einschatzung beider 
Disziplinen eine gemeinsame sein; es muB daher, wie schon gesagt wurde, auch 
die Tierpsychologie den Naturwissenschaften zugerechnet werden, soweit man 


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COR NELL UN I V E RS I TY 




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letztere nicht der Utopie zeiht einer tierischen Geistes- oder Seelenforschung 
obliegen zu wollen, womit sie nichts zu tun haben kann. Demzufolge hatte man 
nicht die Frage of fen lassen dxirfen, „ob und wieweit die Tierpsychologie ein 
wissenschaftliches Unternehmen ist“ (Verworn), sondern man hatte sie generell 
auf die dualistische Physiclogie und die objektive Psychologie anwenden miissen, 
zumal viele moderne Biologen gar nicht abgeneigt sind, den Tieren prinzipiell 
gewisse BewuBtseinsfunktionen zuzugestehen. In ahnlicher Weise wiirde J. Loebs 
abstruse Ruekfuhrung aller Lebenserscheinungen auf die Massenwirkungsgesetze 
ihren wahren Riickhalt erst dann gefunden haben, wenn er iiber die materia- 
Jistisch nicht weiter diskutable, ihm „kaprizios“ erscheinende Tierseele hinaus- 
gehend, auch jene des Menschen in seine Folgerungen mit einbezogen und mit 
me hr alsnur gelegentlichen, nicht minder kapriziosen Seitenblicken gestreift hatte. 
Der Begriff „Tierreich“ ist eben viel zu grofi, um solche Aussagen einer all - 
gemeinen Geltung iiberlassen zu konnen. tlber die psychischen Funktionen 
eines Protisten zu disputieren, mag ganz steril sein: Wir kennen keine, solches 
Wissen schaffende Erhebungsmoglichkeiten, konnen durch keinerlei noch so 
locker gefiigte Analogien zu solchen Annahmen zwingend getrieben werden 
und wollen uns, als Richtschnur fiir alle unsere Ausfiihrungen, wenn 
wir schon von Psychologie reden, doeh lieber an Dinge wenden, die mar, wenn 
auch nur mit analogienhafter Wahrscheinlichkeit, sehen und greifen kann; vor 
allem nur unter Bezugnahme auf ein dem unsrigen irgendwie ahnliches Be- 
dingungsorgan des Psychischen und auf Bewegungskomplexe, die mit unseren 
bewuBten Handlungen eine Ahnlichkeit aufweisen. Ausgang der Vergleiche 
konnen dabei immer nur jene Phanomene sein, von denen wir aus unserer eigenen 
Psyche zu wissen glauben, die wir aus der Introspektion unmittelbar anschaulich 
kennen und als bewuBte oder psychische erleben. Die Gleichwertigkeit der 
Organe und die Gleichwertigkeit der Funktion konnen nicht getrennt werden. 
Das Einftigen kunstlich konstruierter Vergleichselemente, namentlich nicht mit 
unserem „Hirnverstande“ erlebter, bewuBtloser oder sonstiger, falschlich psy- 
chisch genannter Gebilde ist ganzlich nichtssagend. Die Theorie der Beseelung 
der Atome, Molekiile and Zellen mit Partialseelen oder sonstigen, mit psycho- 
logischen Eigenschaftswortern vergebens umschmeichelten Agentien hat, wie 
jene des Gedachtnisses als allgemeine Eigenscliaft der Materie, die Physik und 
Chemie nicht im mindesten veranlassen konnen, dazu Stellung zu nehmen; die 
daraus abgeleitete Theorie der Allbeseelung der organischen Substanz isc in 
vollig gleichem Sinne ganz belanglos fiir die empirische Biologie geblieben, 
wenn auch das Gegenteil immer noch behauptet wird. Der jugendlich taumelnde 
Wahn des Erklarenwollens hat hier mit schnellen Fertigkeiten die Besonnenheit 
des Erklarenkonnens gereifter Erfahrungen vollig ausgeschaltct und billige 
Losungen von Weltratseln vorgenommen, ohne das damit gegebene Versprechen 
bis heute eingehalten zu haben. Eine auf solche Grundlagen aufgebaute Psycho¬ 
logie der niederen Tiere, der Genesis des Geisteslebens in Form der Ableitung der 
Intelligenz aus der Urzelle und ahnliche damit zusammenhangende Erdenkungs- 


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moglichkeiten, kann als erfahrungswissenschaftlich ungestraft negiert oder bei- 
seite geschoben werden. Sie ist nicht befahigt, die Moglichkeit einer wirklichen 
und extremen Durchfiihrung der Vorstellung eines antipsychistischen Materia- 
lismus so ganz ausgeschlossen erscheinen zu’lassen, wie das die Psychologie des 
Nebenmenschen tatsachlich erkennen und jene der GroBhirntiere stark vermuten 
laBt. Wenn unter solchen Tatbestanden der Tierpsychologie kiinftige Ent- 
scheidungen in der Frage nach einer geschlossenen Naturkausalitat zugeschoben 
werden, wie dies mit feuilletonistischer Leichtfertigkeit immer wieder ge- 
schieht, so erhalt sie unberechtigt eine iibertriebene Dignitat, die sie ganzlich 
abweisen muB, schon um den daraus sicher zu erwartenden ungUnstigen Be- 
urteilungen zu entgehen. 


In den einleitenden Satzen habcn wir uns mit der Rekapifiliation des Ver- 
laBlichkeitsabstandes verschiedener Zweige der Naturwissenschaften befaBt. Es 
worde an die Mathematik erinnerL mit ihren scharf greifbaren Bedingungen, an- 
erkannten Konstanten, geschlossenen Systemen und den dadurch ermoglichten 
strengen Ableitungen, die dem Materialismus in der Physik und Chemie zu ihren 
beispiellosen Erfolgen verholfen haben. Es wurde betont, daB die beneidenswert 
klaren Linien einer solchen Beweisfiihrung in der Lehre vom Leben nur im be- 
scheidenen Umfange sichtbar werden, so daB die Physiologie wie die Biologie 
von dem Ziele einer endgiiltigen Losung ihrer Fragen auf Grund solcher Voraus- 
setzungen noch weit entfemt sind. Insbesondere wurden die im Hinblick auf 
eine monistische Geschehensauffassung bedeutsamen Schwierigkeiten der Be- 
handlung psychischer Phanomene hervorgehoben. Suchte man ihrer auf der 
einen Seite mittels Durchbrechung des wissenschaftlich allein gultigen Unter- 
sachungsprinzipes durch anthropozentrisch-interpretierende Ausblicke Herr zu 
werder (Physiologie), so meinte man sie auf der anderen durch inhaltliche Ver- 
schiebungen der aus der Psychologie entlebnten Terminologie bezwingen zu 
kbnnen (Biologie). Gleichgiiltig, welche MaBnahmen ergriffen wurden — das 
vitalistische Problem wurde gar nicht beriihrt —, so war doch nirgends um diesen 
storenden, subjektiven und unexakten Einschlag in der Methodik herumzu- 
kommen. Da er auch die mit dem gleichen Mittel arbeitende Tierpsychologie 
belastet, und da es nicht angeht, aus dem Fehler des einen eine Tugend fur den 
anderen zu machen, oder das, was dort schlecht ist, hier gut zu nennen, obliegt 
es uns, dieser Kardinalfrage auf eigene Faust etwas naher zu treten, um den 
Umfang dieser Mangelhaftigkeit auszutasten, unbekummert darum, ob eine 
solche Fragestellung von Seiten der Physiologie, Biologie oder der Gebahrens- 
lehre erhoben wird. 

Ausgangspunkt ist die Charakterisierung einer naturwissenschaftlichen ob- 
jektiven Analyse. Herkommlich ist Naturerkenntnis die Erhebung der Gesetz- 
lichkeiten richtungsloser Quantitaten, deren Zusammenhange gemessen und 
geordnet werden mtissen. Raumliche Distanz und Kausalitat sind die Grund- 


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I UN V = 



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lagen der Schopfung solches Wissens. Es kann letzten Endes nur durch die 
Demonstration der physischen Realitaten des Geschehens erhoben werden. Im 
Geltungsgebiete der Naturwissenschaften kann eine auf irgendeinem' Wege der 
Anwendungsvariation objektiver MaBstabe gefundene Erklarung nur dann An- 
spruch auf Anerkennung ihrer Realitat machen, wenn sie uns auch auf einen 
zweiten, eventuell dritten Methodenwege objektiv meBbaren Gefiiges aufzuzeigen 
ist, wenn sie also auf mehrfache Weise zu demonstrieren und die von ihr zu ge- 
winnenden Eindriicke durch die unmittelbare Beobachtung anderer zu beurteilen, 
kontrollieren oder verifizieren sind. Man nennt das einen Vorgang objektiv 
analysieren oder erklaren, ohne damit Ausblicke auf eine tatsachliche Existenz 
oder metaphysische Wesens- oder Erkenntniswerte zu meinen. 

Demgegenuber kann die subjektive Realitat der Prozesse des inneren oder 
seelischen Erlebens, von auBer uns stehenden verwandten Geschopfen als Gegen- 
stand der analogisierenden Erhebung aufgefaBt, nur auf einem einzigen Wege, 
auf dem der subjektiven, empfindungsmaBigen Schatzung oder Vergleichung, 
erschlossen, niemals aber objektiv meBbar wahrgenommen, zwingend demon- 
striert, erwiesen, errechnet oder durch die unmittelbare Beobachtung anderer 
bestatigt werden. Diese Erhebungen liegen auBerhalb einer mijglichen Analyse 
obigen Sinnes und bewegen sich ganz im Subjektiven. 

Damit sind die unterscheidenden Grundmerkmale beider Untersuchungs- 
gebiete aufgezeigt, die trotz ihrer prinzipiellen Verschiedenheiten oder ihres 
weiten Abstandes doch eine Beriihrung, einen tlbergang oder ein gemeinsames 
Element aufweisen, n&mlich die Einbeziehung der Empfindungen in die Kenntnis- 
erschliefiungen, auf die die objektive Methode nicht ganz verzichten kann, 
wahrend die subjektive ausschlieBlich von ihr zu leben hat. Hier schneiden sich 
die beiden Ebenen der Untersuchungskreise; daB die eine von dieser gemeinsamen 
Schnittlinie zu objektiven Sicherheiten hinuberfuhrt, wahrend die andere nur 
Wahrscheinlichkeiten birgt, ist ihre trennende Haupteigenschaft. 

Durch die objektive Analyse eines Naturvorganges werden wir befahigt, um 
ein von Bergson verwendetes Bild zu gebrauchen, um ein Ding auBen herum- 
zugehen, es von immer variierten Gesichtspunkten zu betrachten, die dabei ge- 
machten Wahrnehmungen nebeneinanderzustellen, zu erganzen und zu ver- 
bessem, die festgestellten Eigenschaften mit jenen anderer Dinge zu vergleichen, 
um ein immer treueres Abbild des Untersuchten zu schaffen, ohne aber jemals 
zum Absoluten oder zur Wirklichkeit zu gelangen oder das Spezifische einer Er- 
scheinung durch die kausale Erklarung zu fassen. Wenn wir aber auch bei der 
scharfsten Analyse stets im Relativen verharren miissen, so konnen wir doch 
durch die ohne Ende mogliche An derung unserer Gesichtspunkte Annaherungs- 
werte von so hoher Wahrscheinlichkeit schopfen, daB sie sich fur die Bediirfnisse 
der praktischen Demonstration als Tatsache eignen. Das wird durch die Er- 
fahrung nicht beeintrachtigt, daB, wie schon oft bedeutet, in alles objektive 
Messen und WSgen das subjektive Moment der Empfindungen hineinspielt; 
denn in dem, was wir mit Einrechnung dieses Faktors konventionell objektive 


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MeBmethoden nennen, ist cine solche Summe anerkannter Vergleiche auf- 
gespeichert, daB sie die erreichbaren Sicherheiten garantieren. 

Derartiges ist uns im Bereiche der analogisierenden ErschlieBungen meist 
ganzlich versagt, weil diese nirgends der logischen VerlaBlichkeit einer chemisch- 
physikalischen Analyse nahe kommen konnen. Da sie uns trotzdem fur eine 
vollendete Zustandsschilderung des Nebenmenschen und der GroBhirntiere un- 
vermeidlich sind, miissen wir stets ihrer hier skizzierten Wesenseigenschaft ein- 
gedenk bleiben, um nicht zu sehr in die breite Bahn der Irrtiimer einzuschwenken. 
Denken wir uns die Wirkungssphare der wissenscbaftlichen Betrachtung der 
Lebensprozesse als eine, einen untersuchten Vorgang einschlieBende Zone, so ist 
die analogisierende Erganzung dieses Unternehmens die auBerste Schichte 
jener Zone. 

Wenn wir das ruhelose Suchen nach der Stichfestigkeit erlangter objektiver 
Erkenntnisse erwagen, uns der Unmenge von Miihe und Arbeit und der endlosen 
Diskussionen erinnern, die sich der Kontrolle, Erganzung und prufenden Wieder- 
bolung der Ergebnisse der Physiologie, Anatomie, Pathologie usw., sowie auch 
der Physik und Chemie widmen, und so den dornenvollen Leidensweg des Empi- 
rismus uberschauen, der schon infolge der unvermeidlichen subjektiven Deutungs- 
variationen objektiv unbestreitbarer Befunde dadurch immer nur zur Unvoll- 
kommenheit fiihren kann, daB der menschliche Beobachter gewohnlich ein und 
dieselbe Tatsache solange auf der hochst beweglichen Unterlage seiner Vorein- 
genommenheit herumzuschieben pflegt, bis er sie endlich von der gewiinschten 
Seite des individuellen Standpunktes erblicken kann; wenn wir alles dieses 
Und ahnliche Fabrnisse objektiver Schliisse kennen, so miissen wir begreifen, 
daB wir der analogisierenden Methodik, der nicht einmal diese lockeren Garantien 
zustehen, am liebsten ganz den Riicken kehren mochten. Wenn schon in den 
objektiven Wissenschaften so gewaltige Auffassungsdifferenzen bei so fest 
determinierten Phanomenen und tausendfaltig erprobten Methoden nicht ver- 
mieden werden konnen, dann miissen wir die Abscheu vor dem oft chaotischen 
Durcheinander der Ergebnisse der subjektiven Vergleichsmethodik leicht ver- 
stehen und einsehen, warum sich so viele Naturforscher von ihr resigniert ab- 
wenden. 

Trotz alledem ware eine generelle Durchfiihrung einer solchen Ablehnung 
ganz unangebracht; praktische und theoretische Griinde stellen sich eindrucksvoll 
gegen ein solches Verzichten. 

Die in Vergleichsbetrachtungen zum Ausdruck kommenden Subjektivismen 
nmstellen uns von alien Seiten und sind selbstverstandlich auch der Behandlung 
der Objektwelt eigen, die mit ihrer Beweisfahigkeit doch immer nur Relatives 
meinen kann. Gehen wir iiber den bescheidenen Standpunkt unserer Schul- 
weisheit in der Naturgeschichte nur etwas weiter hinaus, so erfahren wir genugsam, 
daB auch dort recht haufig an Beweise gar nicht zu denken ist, sondem daB wir 
auf Schatzungen Oder auf personliche Empfindungen angewiesen sind. Wie es 
schon in der Mathematik gewisse Definitionen gibt, die wir nur fiihlen, nicht aber 


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aussprechen konnen (Poincarr6), so verfiigen wir an der Grenze unserer sinn- 
lichen Wahrnehmungsfahigkeit bei sehr vielen konkreten Beobachtungen aus 
dem Reiche des Organischen oft mix iiber Empfindungen iiber irgendeinen For-m- 
zustand oder einen Geschehensablauf, wie z. B. in der Neurologie, Bakteriologie, 
Embryologie u. v. a. m. Sind doch die Empfindungen schlieBlich der Urquell 
aller unserer Kenntnisse. 

Eine objektive Wissenschaft wird auch eine Wahrnehmungswissenschaft 
genannt. Da unsere Wahrnehmungen uns zugleich die Organe kennen lehren, 
mittels deren wir wahrnehmen, so haben wir alien Grund, die Objekte unserer 
Wahrnehmungen fiir wirklich zu halten (Schlick). Das ist freilich wieder nur 
ein AnalogieschluB, aber von so zwingender Gewalt, daB wir ohne ihn im Leben 
nicht auskommen konnen. Durch unsere Wahrnehmungen lemen wir den Neben- 
menschen nach Form und Gebahren kennen und finden, wenn wir feinfuhlig 
genug sind, Uber massive Ursachen hinauszuempfinden, in letzterem Ziige und 
Eigenschaften, die denjenigen vollig gleichen, die wir an uns selbst als bewuBte 
Handlungen erleben, die wir beim Objekte „Nebenmensch“ ohne Ein- 
beziehung eines solchen Faktors nicht versteheri konnen und ohne welche wir 
unsere eigene Existenz der unerlafilichen Zusammenhangsbeziehungen mit der 
sozialen Umwelt berauben. Die Bequemlichkeit, anders als physikalisch-chemisch 
bewirkte Vorgange aus der Gebahrensanalyse einfach auszuschlieBen, kann uns 
diesbeziigliche fortwahrende Konflikte nicht ersparen. Da wir innerhalb der 
von unseren Nebenmenschen beeinfluBten allgemeinen LebensbedingUngen aus¬ 
kommen mtissen, haben wir auch seine inneren Vorgange, elementar seine Emp¬ 
findungen, mit zu berucksichtigen. Wir mussen ihnen unter alien Bedingungen 
Rechnung tragen und sie zu erfahren trachten, auch wenn unsere Resultate nach 
dieser Hinsicht nur unsichere sein konnen. Das geht nur durch analogisierende 
Vergleichungen. Sie sind die ganze Grundlage der Aussage und des Wissens um 
das Innenleben des Nebenmenschen und seiner Gleichsetzung als eines mit Be- 
wuBtsein handelnden Organismus. Ein weiterer AnalogieschluB fuhrt uns dann 
zur Zustimmung zu ahnlichen Beurteilungsgrundlagen bei denjenigen Tieren, 
die ein dem menschlichen ahnliches Bedingungsorgan des Psychischen, ein 
GroBhim hoherer Entwicklung haben. Dabei ist uns psychisch alles, was 
neben dem Physiologischen im lebenden Organismus zeitlich ablauft. 

Es werden also 2 Beziehungsreihen aufrecht erhalten: 1. die des GroBhims 
zum physischen Leben, das als eine Leistung des ersteren gilt. 2. die der ener- 
getisch einheitlichen Selbstregulation des Lebens zu einem in unserem BewuBt- 
sein reprasentierten, anderen Antwortgeschehen auf Umweltreize, das wir als 
psychisch bezeichnen und das uns nur aus der personlichen Erfahrung unmittelbar 
bekannt ist. DaB uns von dem inneren Erfassen der eigenen BewuBtseinszustande 
zu jenen der Nebenmenschen und auch der hoheren Tiere nur Analogien hinuber- 
fiihren konnen, und daB die psychischen Funktionen mit dem Gehirne in keinem 
unmittelbaren Zusammenhange stehen, kann unmoglich ein Einwand gegen die 
Wissenschaftlichkeit einer solchen Auffassung sein. 


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Gibt es auf keinem Wissensgebiete eine Kenntnisschopfung ohne jede spe- 
kulative Argumentation, so sehen wir mit Deegener gar nicht ein, warum man, 
wenn die Analyse eines Lebensvorganges von auBen keinen Stoff vorfindet, ihn 
nicht von innen heraus suchen diirfte, wobei man keinen schlimmeren Schritt 
tut, als von der tlberzeugung auszugehen, daB die psychischen Qualitaten, 
wenigstens der hoheren Wirbeltiere, von den unserigen nicht toto genere ver- 
schieden sein konnen. Es kann nicht verworfen werden, wenn man sich darauf 
beschr&nkt zu betonen, was bei Tieren anders ist als beim Menschen, sondern auch 
in der prinzipiellen, uns und diesen gemeinsamen Wesensgrundlage einen Schliissel 
zum Verstandnisse ihres Tuns sucht. Hat es doch sogar Helmholtz als eintrag- 
licher vorgezogen, die Erscheinungen des Sehens eher auf die tatsachlich vor- 
handenen, wenn auch unklaren und analogienhaft greifbaren psychischen Phano- 
mene aufzubauen, als auf hypothetische Erorterungen aus dem Gebiete der 
Nervenphysiologie. Es' muB doch ausnahmslos jede Beziehung, die zum Organis- 
raus auffindbar ist, also auch seine psychische Leistung, Objekt der Natur- 
forschung sein und eine Grundlage fUr eine wissenschaftliche Beschreibung 
abgeben konnen. Erlebniswirklich treten uns am natiirlichen Organismus phy- 
sische und psychische Dinge entgegen, die wir unabhangig von irgendeiner 
prinzipiellen Spekulation anzuschauen haben, d. h. nach den Worten A. Mullers 
in erkenntnistheoretischer Neutralitat. Dabei brauchen wir keineswegs der 
Verlangen nach wissensfordernder Ordnung der verfugbaren Wahrnehmungen 
untreu zu werden oder das Gebiet der Naturbeschreibung zu verlassen. Natur ist 
alles, was vorstellbar wirklich ist. Geist und BewuBtseinsleben ist kein Gegensatz 
zur Natur, sondern ein Ausschnitt aus der Gesamtheit des Naturlichen (Schlick). 
Definiert man Natur als zeitliches Geschehen, das frei ist von logischen, ethischen, 
religiosen oder sonstigen, metaphysisch-geistig charakterisierten Werten, und 
dehnt man die ordnungshafte Erhebung auch auf die unmittelbar zuganglichen 
Wirklichkeiten aus, so kann der objektiven Psychologie und der ihr organisch 
zugehorigen synthetischen Gebahrenslehre die Einreihung in die Naturwissen- 
schaften auch ohne Aufgabe ihres aus der Analogisierungsmethode entspringenden 
Sondercharakters nicht strittig gemacht werden. Nur eigensinniges Festhalten 
an kahlen Erdenkungen konnte sich einer solchen Anschauung entgegenstellen. 


Die Zulassung einer indirekten Kenntnisschopfung im Naturgeschehen ver- 
langt noch einige verbindende Worte fiber die Reichweite und Handhabung ihrer 
Mittel. Auf keine Weise darf sie mit einer Erkenntnis kausaler Art verwechselt 
oder mit ihr gleich gesetzt werden; niemals kann sie uns „letzte Grfinde“ ergeben, 
durch Messung, Vergleichung und ordnende Bezeichnung bewirkte Erklarungen 
der dekursiven Erkenntnis, sondern immer und fiberall nur Wahrscheinlichkeiten. 
Der so beschaffene Abstand beider Wege ist aber gar nicht so groB, als das der 
erste Anblick ergeben mag. Man hat sich durch den Fortschritt der Erfahrungen 
allgemach auch in der Biologie daran gewohnt, von der absoluten Riickffihrung 
mathematischer Erklarungen auf die Ausgangsgleichungen weniger zu reden, 


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und wenn sich auch die Dynamik des Lebens, wie sie J. Loeb gestaltete, mit 
nichts weniger als mit der Reduktion aller Lebenserscheinungen iiber die physiko- 
chemische Analytik auf die Naturkrafte zufrieden geben wollte, so hat sie damit 
bei dem immer unzureichenden Mittel der biologischen Begriffe nach der tlber- 
zeugung sehr autoritativer Beobachter kaum noch angefangen. 

Die praktisch ausniitzbaren Moglichkeiten ragen sonach auch im Rahmen 
der objektiven Wissenschaft vom Leben viel weniger hoch, als die Theorie ver- 
ktinden laBt; ihr muB es geniigen, durchaus nicht alle, sondern immer nur einige 
Zusammenhange der Glieder der untersuchten Prozesse freizulegen. Das gibt 
der Definition des Erklarens die weite Fassung, die gegebenen Erscheinungen 
fraglicher Art in einfachere, aus zahlreichen Erfahrungen vertrauce Phanomene 
zu zerlegen und die gedankliche Rekonstruktion dieser Unbekannten aus solchen 
einfachen Komponenten zu bewerkstelligen (Winterstein). Man ftihrt ein 
Fragliches auf eine Nervenerregung zuriick (Reflex), die man objektiv nach- 
weisen kann oder auf eine Empfindung (Schmerzreaktion), die uns, wie alles in 
der Welt Gegebene, als BewuBtseinselement unmittelbar anschaulich bekannt 
ist, ohne objektiv erhebbar zu sein. Das ist hinreichend erklarend durchschaut, 
obwohl das Wesen der Nervenerregung ebenso unbekannt ist wie jenes der 
Empfindung. Mit solchen Hilfen muB in der Physiologie trotz weiten Abstandes 
von mathematischen Sicherheiten ein Auslangen gefunden werden, wie auch 
tatsachlich auf dieser Basis immerhin Einiges an haltbaren Erklarungen ge- 
schaffen wurde. Naturlich endet auch diese grobere erklarende Durchschau- 
barkeit der Lebenserscheinungen dort, wo Empfindungen als letzte Positionen 
des Erschauten gelten miissen, wie das auf den friiheren Seiten erwahnt wurde. 
Dort gibt es keine Erklarungen und Beweise, sondern nur Scheinbarkeiten. 

In Empfindungsdingen nach konkret beweisbaren, demonstrierbaren odor 
so und nicht anders geltenden Schliissen zu streben, drtickt eine extreme Ein- 
seitigkeit aus. Man kann unmoglich grob materielle, praktische Belege hin- 
sichtlich gewisser Phanomene erbringen, die zwar mit dem lebenden Gehirne in 
Verbindung stehen, dessen Funktionen uns noch in vieler Beziehung ganz un- 
bekannt und auf keinen Fall restlos erfaBbar sind, und die selbst bei ihrer Zer- 
legung in die elementarstcn korperlichen Vorgange niemals in das Gebiet des 
psychischen Geschehens einmiinden konnen. Es konnen hier keine Beweise 
solcher Art geschaffen werden, weil es sich um ein Erscheinungsgebiet handelt, 
das dem materiellen von Grund auf verschieden, ihm vollig inadaquat ist. Es 
stehen der Analyse nur erfahrungsmaBige Vorkommnisse oder Erscheinungs- 
tatsachen zur Verfiigung, die diskutatorisch abgehandelt werden konnen und 
bei denen bloB auf die unter ahnlichen oder gleichen Bedingungen erfolgende 
stete Wiederkehr hingewiesen werden kann. Es hat auf diese Weise nur die Zu- 
sammenstimmung der neuen Erfahrungen mit friiheren vor sich zu gehen und 
die moglichste Aufdeckung ihrer Bedingungen. Freilich diirfen wir uns bei der 
ungemein komplizierten Struktur des Psychischen nicht riihmen, viele Be¬ 
dingungen Zu kennen, sie gar zu isolieren oder beliebig zu variieren. 

tt.. (Erg&nzungaband.) 9 


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Dio hier aufgezahlten Sonderumstande zwingen uns zu zwei wichtigen Ver- 
haltungsmaBrcgeln fiir die durch die Vergleichsbetrachtungen erweiterte Tier- 
heobachtung: Vor allem werden wir uns bei Berufungen auf analogienhafte 
xVussagen der iiblichen, so leicht triigerischen Alfirmationen, die in den Worten 
„beweisen“, „erklaren“, ,,bestimmen“, „unwiderleglich aufzeigen“ usw. liegen, 
so wenig wie moglich bedienen, sondern immer die Wahrscheinlichkeifc des Er¬ 
se,hlossenen hervorheben. 

AuBerdem werden wir uns bcwuBt soin miissen, daB wir mit dem Eintreten 
fiir eine wissenschaftliche Wiirdigung unmittelbar oder innerlich erschauter 
Dinge, die der fiirsorglichen tJberwachung ciner objektiven Nachweisbarkeit 
outliehren, in die gefahrliche Nahe des Spiritismus, der psychischen liefen- 
analyse von Steckel, der Materialisationsphanomene, der Telepathie, Theo- 
sophie usw. rueken. Sind wir nicht geneigt hier Handlangerdienste zu leisten, 
so rettet uns nur die groBte Anwendungssparsamkeit und die hochst diskrete 
Heranziehung der in den Analogien enthaltenen Extrapolationen. Wie uns die 
eingangs glossierte vulgaristische Tiergeschichtenkunde zeigt, ist es vollig ver- 
wcrflich, iiber die nachsten Glieder solcher SchluBansatze hinauszugehen. 

Bei der analogisierenden Beobachtung des Nebenmenschen wird diese 
Situation durch die gedankliche Sprache wesentlich gebessert. Man kann dort 
die Richtigkeit der anschaulich erschlossenen Vorgange durch den sprachlichen 
Gedankenaustausch in einern AusmaBe sicherstellen, das praktisch einem experi- 
mentellen Nachweise gleichkommt. Das ist uns selbst bei den hochst organisierten 
Tieren anmoglich. Darin kommt eben der Unterschied zum Ausdruck, den wir 
zwischen Mensch und Tier zu machen pflegen und das notigt uns auch zum 
dritten generellen Abstriche, den wir an der Tierpsychologie machen miissen: 
Wenn auch ordnungshaft der objektiven Psychologie einzureihen, steht sie doch 
in der Wissensschaffung quantitativ weit von der Psychologie des Nebenmenschen 
ab. So ware es lacherlich, wegen des Festhaltens an dem Evolutionsgedanken 
beim Studium der sogenannten geistigen Funktionen, angesichts des groBen 
Abstandes zwischen solchen des Menschen und jenen der Anthropoiden, von 
einer glatten Kontinuitat reden zu woilen. Sie auBert sich in keiner uns 
wahrnehmbaren Weise. 

Ubrigens sind wir wohlberechtigt, eine Einschrankung auch in den hier 
gezogenen groBen quantitativen Differenzen der Erkennungsmoglichkeiten 
durch eine genauere Prlifung der Grunddefinition zu machen: Hier gedank¬ 
liche Sprache, dort Mangel derselben. Naher besehen handelt es sich bloB 
um Quantitatsunterschiede der Ausdrucksmittel, von denen dasjenige der 
Sprache von keinem der anderen erreicht wird, obwohl wir eine Menge solcher 
sowohl beim Menschen wie auch bei den GroBhirntieren kennen. Sie kann aber 
auch trefflich zum Verbergen der Gedanken gebraucht werden. Geschieht das, 
oder fehlt sie beim Beobachtungsobjekte Nebenmensch, wie in den frtiher 
erwahnten Beispielen, so miissen selbstverstandlich die Erfolge des psycho- 
logischen Examens in ihrer Treffsicherheit auch hier herabgehen, ohne aber 


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deshalb so bedeutungslos zu werdcn, um uns ganz unbedingt in das ,,Ignc- 
rabimus** der materialistischen Naturphilosophie zu drangen. GewiB: Wir konnen 
immer nur zu Wahrscheinlichkeiten vordringcn. Aber cine psychologische 
Analyse, an neenaephalen Gescliopfcn angestellt, die nicht auch Wahrschcinlich- 
keiten in Rechnung setzt, kann keine Wissensschaffung vom Leben fordern. 
Wenn Eckermann den neben ihm schreitenden Goethe fur einen seelenlosen 
Automaton gehalten liatte, so wiirde ihn, wie Mulf or d Prentice launig bemerkt, 
kein Gegenbeweis da von zwingend abgcbracht haben konnen; vielleicht aber 
cin ausreichender Umgang mit cincm riistigen Presbyophrenen, diirfen wir ein- 
werfen. Fur uns kann in einer derartig solipsistischen Betrachtung nur cine 
axiomatische Verrannthcit liegen, boi der die Herausbildung lcbendiger und 
sclbstlaufiger Be ziehungen zur Umwelt durchaus versaumt werden muB. Als der 
franzosische Psychiater Pinel vor mehr als hundert Jahren zum ersten Male 
('ie Ketten von den Irren nahm, leitete er mit der damals sehr revolutionaren 
MaBregel cine logisch richtige und fruchtbare Aktion ein, die in unseren Tagcn 
in dem „No restraint 4 * den Gipfelpunkt einer rationellen Irrcnpflege im Sinne 
der Gesellschaftsordnung und Rassenhygiene errcicht hat. Sicherlich nicht Ge- 
dankenaustausch, sondern sinngemaBes EinfUhlen und richtigcs Erfassen der 
abnormen psycbischen Realitaten konnten der AnstoB zu einem so crlosenden 
Vorhaben gewesen sein. Frcilich ist der auBerhalb der menschlichcn Sprache 
liegende Apparat der Ausdrucksfahigkcit als psychischer Effcktor noch immer 
weit vielgestaltiger als jener der GroBhirntiere. Indesscn fehlt er auch dort nicht 
ganz und laBt cine diagnostische Beniitzung mit einer im gewissen Sinne sogar 
vermehrten Sicherheit aus dem Grunde zu, wcil er sich mit dcr Unmittelbaikeit 
der Gewalt alles instinktiven Tuns durchsetzt; tie Luge ist das alleinige Vorrecht 
dies Menschen (Dostojewsky). Das geringe AusmaB der daraus zu ziehenden 
Ergebnisse braucht uns nicht zu sehr von der Unfahigkcit unseres psychischen 
Rezeptors bange werdcn zu lassen. Es ist keine bc-sonders hoch gegliederte Bc- 
wuBtseinstatigkeit dort anzunehmen, wo die Ausdrucksmoglichkeiten goring an 
Zahl sind. Die Natur wiirae sicherlich durch die formative Wirkung funktioneller 
Reize welche geschaffen haben, wenn die Notwendigkeit vorliegen wiirde, die 
sich aus einem regeren Geistesleben ergibt. Sie entsprechen aller Erfahiung 
nach dem Umfange des psychischen Geschehens nach dem alten Satze, daB die 
Tiere reden wiirden, wenn sie etwas zu sagen hatten. 

Mag es sich auch bti den GroBhirntieren nur um allererste Anfange einer 
geistigen Gestaltung handeln, die mit jener des Menschen nur in den aller- 
primitivsten Elementen iibereinstimmt, so diirfen wir doch mit gleichem Recht 
wie dort das Verhalten der uns organisatorisch naher stchenden Tiere auf der 
gleichen Grundlage analysieren. Kein geschulter Beobachter wird sich bei einem 
ausgedehnten Umgange mit Tieren der Einsicht vcrschlieBen konnen, daB wir 
von deren Empfint ungen keineswegs immer durch ein blankes Nichts getrennt 
sein miissen. Wie es iiber jeden Zweifel erhaben ist, daB wir durch kritisebe 
Einfiihlung in den Stand gesetzt werden, richtige Aussagen iiber das Inntnleben 

9 * 


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eines Nebenmenschen za machen, so kann auch bei den Tieren ein analoger 
Versuch ungeachtet der immer wieder betonten geringen Ergiebigkeit nicht von 
vornherein als unwissenschaftlich abgelehnt werden. Trotz der nahcliegenden 
Beschrankungen der erreichbaren Ziele urd ohne die Bedeutung des Gegenstandes 
iiber das ibm zukommende MaB za erweitern, konnen wir es immerhin als eine 
Wissen schaffende Aufgabe betrachten, durch eine derartige Priifung unser Er- 
fahrungsgebiet auszubauen. 

Entspringt nnser Streben nach einer solchen Abrundung unseres Wissens 
nur dem Glauben an die Richtigkeit des Evolutionsprinzips, das auch auf 
psychischem Gebiete irgendwie nachweisbar sein muB, oder konnen wir uns 
neben solchen theoretischen Griinden bei diesem Vorhaben auf die Bedeutung 
der taglichen Erfahrung stutzen ? Die entscheidende Antwort liegt in den prak- 
tischen Beispielen, die sich zwar nicht aus den rechnenden Pferden und sprechen- 
den Hunden, wohl aber aus dem innigeren Umgang mit Tieren hoherer Ord- 
nungen ergeben: Dabei stoBen wir immer wieder auf eigentumliche Erschei- 
nungen, die zwar dem materialistisch gerichteten Blick kaum einen Haltepunkt 
bieten, deren Dasein aber aus der peinlichen Kurzsichtigkeit mechanistischer 
Untersuchungsmethoden heraus nicht einfach geleugnet werden kann und iiber 
deren biologische Bedeutung trotz energischer Einwiirfe antipsychistischer 
Skeptiker doch nicht zu streiten ist. Es sind das die Auswirkungen psychischer 
Phanomene, deren Existenz ebenso auBer allem Zweifel steht, wie die aus ihnen 
erfolgende Eroffnung einer Reihe praktisch notwendiger Beziehungen: Fragen 
des Schutzes gegen Tierqualerei, der Tierhaltung und der Abrichtung, sowie der 
diagnostischen Beurteilung mancher Tierkrankheiten. Gcwisse Gesetze fast aller 
Kulturstaaten zwingen uns in besonderen Fallen zur Priifung der BewuBtseins- 
tatigkeit mancher Haustiere, sowie zu den psychischen Eigenheiten derselben 
gutachtlich Stellung zu nehmen. Die klassischen Untersuchungen Kohlers 
an den Anthropoiden der Deutschen zoologischen Teneriffastation zeigen aufs 
schlagendste die absolute Unvermeidlichkeit und zugleich Fruchtbarkeit der 
synthetischen Tierpsychologie. Handelt es sich auch in alien diesen und ahn- 
lichen Fallen, wie unablassig wiederholt werden muB, nur um die Erhebung 
elementarer psychischer Phanomene, so gehoren sie dessenungeachtet ins Bereich 
der Lehre vom geistigen Leben in seinen Anfangen, Werden und Bedingungen. 

Sollte sich eines Tages herausstellen, daB auch die oben erwahnten biirger- 
lichen Gesetze aus Mangel an verlaBlichen biologischen Grundlagen aufgehoben 
und alle iibrigen praktischen Beispielsanwendungen, einschlieBlich der wissen- 
schaftlich-systematischen, als unrichtig bezeichnet werden miiBten, so wiirde 
unser Studium der Tierpsychologie immerhin noch einen bestimmten Wert er¬ 
geben haben: iiberzeugend dargestellt zu haben, was Tierpsychologie nicht sein 
kann, wonach uns die Grenzen der objektiven Psychologie scharfer sichtbar 
werden wiirden, als dies bis heute der Fall ist. 

Eine von solchen und ahnlichen Erwagungen ausgehende wissenschaftliche 
und praktische Wertung der auf analogisierenden Betrachtungen basierten 


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Tierpsychologie hat bereits eine ansehnliche Anhangerschaft gefunden. Nach 
der endgultigen Verdrangung ihres Zerrbildes anthropozentrischen tlberschwanges 
dringt sie immer mehr in die wissenschaftliche Literatur ein. Aus dieser nicht 
leicht erstrittenen Position erwachst ihr die Qualifikation als Hilfswissenschaft 
der Biologie gleichsam aus praktischen GrUnden. 

Zusammenfassend konnen wir also wiederholen: Von unserem empirischen 
Standpunkte aus sind psychische Funktionen nur unter der Bedingung eines 
zentralisierten Nervensystems nachweisbar. Nachdem die Entwicklung und der 
Bau desselben in das Gebiet des naturwissenschaftlich Darstellbaren gehoren, 
fallt auch die Frage nach der geistigen Tatigkeit und ihrer Entwicklung in das- 
jenige der Wissenschaften von der Natur. Sie ist uns nicht blofi die Summe aller 
physischen Dinge und deren Beziehungen Zueinander, sondem ihr rniissen auch 
die mit objektiven Tatsachen nicht unmittelbar verkniipften Erscheinungen des 
psychischen Geschehens zugezahlt werden. Der Naturbegriff ist auch auf die 
subjektiven Realitaten und deren Beziehungen zu den objektiven Prozessen 
auszudehnen. 

Soweit die von uns vertretene Tierpsychologie synthetischer Richtung von 
physiologisch erklarbaren Phanomenen ausgeht, unterscheidet sie sich in ihrer 
BeobachtungsverlaBlichkeit durch nichts von der Physiologie und ist daher 
wie diese eine empirische Wissenschaft. Aber auch soweit sie auf der analogi- 
sierenden Beschreibung des tierischen Gebahrens basiert ist, bleibt sie eine 
solche, weil sie den gleichen Zweck verfolgt wie diese: uns durch moglichst voll- 
kommene Beschreibung dessen, was als Natur wir klichkeit vor uns tritt, als 
Quelle wahren Wissens zu dienen. Dafi diese Beschreibung nicht im mathe- 
matischen Sinne durch Gleichungen geschehen kann und dab uns die psychischen 
Realitaten nicht unmittelbar, sondem nur auf einem subjektiven Wege zugang- 
lich sind, tut obiger Kennzeichnung keinen Eintrag. 


[Aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn. 

(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Westphal.)] 

21. tlber den Krankheitswert des hysterischen Symptomes. 1 

Von Privatdozent Dr. Otto Loewenstein, 

Oberarzt der Anstalt. 

Der Begriff des „Krankheitswertes“ eines krankhaften Symptomes ist nicht 
ohne weiteres eindeutig. Man wird den „ Wert “ eines Krankheitssymptomes 
objektiv nach dem Grade zu bemessen haben, in dem das Symptom den Aus- 
fall der Funktion des von ihm betroffenen Organes bedingt, und in dem dieser 

1 Nach einem am 13. Juni 1920 bei der Versammlung sudwestdeutscher Neurologen 
und Irren&rzte gehaltenen Vortrage, der als vorlaufige Mitteilung zu einer demnachst 
erscheinenden ausfiihrlichen Arbeit gedacht ist. 


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Ausfall Ursaehe wird von Storungen in der Wechselwirkung dcs somatischen 
Geschehens iiberhaupt. Zu dem „objektiven Wert“ tritt der subjektive Faktor 
der „Wertschatzung“, der sich ansspricht in dem MaBe, in dem der kranke 
Mensch seiner Krankheit Bedeutung beimiBt, in dem er unter ihr leidet. 

Bei dem geistig gesunden Menschen besteht zwischen dem objektiven Krank- 
heitswert nnd der subjektiven Wertschatzung eines Krankheitssymptomes im 
allgemeinen kein wesentlicher Abstand, besonders dann nicht, wenn es sich um 
chronische Symptome handelt. Anders bei der Hysteric. Bei ihr ist der weite 
Abstand, der zwischen objektivem Krankheitswerl und subjektiver 'Were¬ 
sell at zung besteht, ein wesentliches und eharakteristisches Merkmal. 

Ich will kurz tiber den Krankheitswert des hysterischen Symptomes sprechen, 
will aber von vornherein mein Thema dahin einschranken, daB ich absehen 
will von der subjektiven Wertschatzung und ihrer Bedeutung fur das Krankheits- 
bild. Wenn ein Auge organisch erblindet, oder ein Ohr organisch ertaubt, so 
besteht kein Zweifel, daB der Krankheitswert der Erkrankung unmittelbar 
gleich ist dem MaBe an FunktionseinbuBe des betroffenen Organes. Es fragt 
sich aber, wie verhalt sich das mit dem entsprechend hysterisch veranderten 
Organ? Sieht das hysterisch blinde Auge noch? Hort das hysterisch taube 
Ohr noch ? Ist die hysterisch analgetische Hautzone wirklich schmerzunempfind- 
lich? Und wenn Auge, Ohr und Schmerzsinn perzipieren, werden die perzi- 
pierten Reize auch aufgefaBt und verarbeitet? Das sind Fragen, zu denen viel 
klinisches Material vorliegt, zu denen wenigstens zum Teil Janet schon Stellung 
genommen hat, und die doch im Grunde unentschiedcn bleiben. solange sie 
nicht systematisch und aus einheitlichen Gesichtspunkten, d. i. nach Moglich- 
keit experimented gelost werden. 

Ich will versuchen, auf Grund der Resultate von Experimenten, die ich 
in dieser Richtung angestellt habe, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Dabei 
bediene ich mich eincr Methode, die ich als Methode der unbewuBten Ausdrucks- 
bewegungen beschrieben habe, die ich aber, um verstandlich zu sein, hier noch 
einmal kurz skizzieren will. 1 

Es ist eine interessante, wenn auch bisher wenig bekannte Tatsache, daB 
jeder psychische ProzeB, jedes Auffassen, Denken, Fiihlen und Wollen von 
Bewegungsvorgangen begleitet wird, die sich nicht allein in Veranderungen der 
Puls- und Atmungsbewegungen, sondern — oft charakteristischer und aus- 
gesprochener — in den feinen Bewegungen aussprechen, die Kopf und Extremi- 
taten gleichzeitig ausfiihren. Diese Bewegungen sind so fein, daB sie im all¬ 
gemeinen fur die Wahrnehmung unterschwellig bleiben. Gedankenleser und 
GedankenUbertragei, deren Empfindlichkeit fur die Wahrnehmung von Be¬ 
wegungen besonders stark ist, haben sich fur ihre Zwecke dieser feinen Aus- 
drucksbewegungen immer schon bedient. Es ist Sommers groBes Verdienst 
gewesen, schon vor Jahren nicht nur auf die allgemeine Bedeutung dieser Be- 

1 Vgl. Lowenstein, fiber den Nachweispsychischer Vorgange und die Suggestibilitat 
fiir Gefiihlszustande im Stupor. Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych., im Erscheinen. 


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wegungen hinge wieseu, sondern auch brauchbare Apparate angegeben z u ha ben, 
rait dener es gelingt, diese Bewegungen besonders hinsichfclich der Extremitaten 
aufzuzeichnen; trotzdem hat die Wissenschaft bisher wenig Notiz von ihnen 
genommen, und eine systematische Bearbeitung lag bisher nicht vor. Indem 
ich diesen Bewegungen in urafangreichen Versuchsanordnungen, in denen ieh 
mit besonders hierzu konstruierten Apparaten vor allem auch die Bewegungen 
des Kopfes aufzeichnete, nachging, gelangte ich zur Erkenntnis einer Reihe 
von RegelmaBigkeiten in der Zuordnung bestimmter Bewegungsformen zu bc- 
stimmten BewuBtseinsinhalten. Nun ist es zwar nicht ohnc weiteres und ohne 
Kenntnis des individuellen Bewegungstypes moglich, aus der bio Ben Bewegungs- 
form unmittelbar auf die Natur etwa zugrundeliegender geistiger Vorgange 
zu schlieBen. Aber wo — im psychophysischen Experimente — unter der Ein- 
wirkung gleicher psychischer Reize immer wieder gleiche Veranderungen, 
unter der Einwirkung verschiedenartiger psychischer Reize aber verschieden- 
artige Veranderungen auftreten, da wird man wenigstens die formale Bestim- 
mung treffen konnen, daB der Mannigfaltigkeit der korperlichen Veranderungen 
und der gesetzten psychischen Reize eine ebensogroBe Mannigfaltigkeit geistiger 
Vorgange, d. i. Reizwirkungen, zuzuordnen sei. 

In diesem Sinne habe ich zunachst eine Reihe hysterischcr Bewufitseins- 
storungen untersucht, von denen ich einige Beispiele hier anfiihren will. 

1. Die hysterische Lethargie. 

Ich greife aus einer Anzahl hierher gehoriger Falle einen charakteristisehen 
heraus: 35jahriger Mann, wiederholt wegen Hysteric mit Krampfanfalien und 
mannigfachen anderen hysterischen Erscheinungen in Anstalten gewesen, wird 
ernfiut in einem schweren hysterischen Schlafzustand eingeliefert. Er ist voll- 
kommen akinetisch, die Muskulatur schlaff, er abstiniert und laBt sich wider- 
standslos mit der Sonde fiittern. Auf Anrede und Nadelstiche reagiert er in 
keiner mit dem bloBen Auge wahrnehmbaren Weise. Der Kranke wird syste- 
matisch unter Suggestivreize verschie dens ter Art gesetzt, wahrend gleichzeitig 
die unbewuBten Ausdrucksbewegungen registriert werden. Dabei stellte sich 
heraus, daB er auf jeden psychischen Reiz, von dem man annehmen konnte, 
daB er hinsichtlich seines Inhaltes dem geistigen Niveau des Kranken entsprach, 
reagierte. Intensitat und Qualitat der Reaktionen waren verschieden je nach 
der Art des gesetzten Reizes. 

So ist nicht daran zu zweifeln, daB dieser scheinbar toilnabmlose Kranke 
Eindriicke aus seiner Umgebung tatsachlich aufnahm, daB dieser scheinbar nicht 
motorisch reagierende Kranke akinetisch nicht war mit Bezug auf solche Bo- 
wegungen, die vermoge ihrer geringen Intensitat unterhalb der Schwelle der 
Wahrnehmbarkeit blieben. 

2. Die hysterische Taubheit und Schwerhorigkeit. 

Eine zweite Gruppe von Kranken, die ich hier erwahnen will, sind die liyste- 
risch Tauben und Schwerhorigen. 


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Die bei ihnen angestellten systematischen Untersuchungeu fuhrten zu ganz 
analogen Resultaten. Dab ein Knall; von dem der hysterisch Taube angibt, 
er habe ihn nicht gehort, trotzdem die Ausdrucksbewegungen des Erschreckens 
hervorgerufen hat, besagt vielleicht noch richt allzuviel. Denn das Gleiche be- 
richten die Physiologen von groBhirnlosen Tieren, bei denen zweifellos von 
einera verstehenden Horen nicht die Rede sein kann. Aber die entsprechenden 
Reaktionen — qualitativ gesondert und quantitativ abgestuft nach der Natar 
des sie erzeugenden Reizes — beobachteten wir auch hier, wenn wir in Fluster- 
sprache redeten zu Kranken, die laute Umgangssprache nicht verstehen zu 
konnen vorgaben. Der Frage, ob es sich nur um ein Aufnehmen von Schall- 
eindriicken oder zugleich um ein inhaltliches Erfassen handelte, widmeten wir 
besondere Sorgfalt. Und wir konnten feststellen, daB ein Kranker ganz anders 
auf eine im Fluster tone gesprochene gleichgultige Suggestion reagierte als auf 
cine fur ihn stark affektbetonte. 

3. Andere hysterische Symptome. 

Noch eine Anzahl wciterer hysterischer Symptome untersuchten wir auf 
die gleiche Weisc. Wir gelangten zu analogen Resultaten; wir fanden z. B., 
daB Schmerzreize, die an analgetische Hautstellen gesetzt wurden, Be- 
wegungszustande erzeugtcn, die sich wesentlich von denjerigen unterschieden, 
welche der bloBe Beruhrungsreiz erzeugte, die aber im wesentlichen iiberein- 
stimmten roit denjenigen, die man bei Gesunden als Begleiterscheinung wirk- 
lichen Schmerzes beobachtet. Wir fanden ferner, daB man bei dem hysterisch 
eingeengten Gesichtsfeld aus den angeblich blinden Zonen die gleichen 
Ausdrucksbewegungen erzeugen konnte wie aus den sehenden, und daB diese 
unbewuBten Bewegungsvorgange und Spannungsveranderungen sich auch ab- 
spielten in den hysterisch gelahmten, schlaffen und schcinbar bewegungs- 
losen Gliedern. flic willkiirlich angeblich nicht bewegt werden konnten. Ich 
will hinzufugen, daB ich in einigen Fallen, in denen Hysteriker Amnesie fur 
bestimmte Vorgange angaben, nachweisen konnte, daB die Vorstellung dieser 
Vorgange eine besonders starke Gefiihlsbetonung besaB. 

So ergibt das Experiment eine geschlossene Reihe von Tatsachen, die zeigen, 
daBzwischen dem objektiven Krankheitswert und ihrer subjektiven Einschatzung 
ein weiter Abstand besteht. Aber jeder Versuch, den wahren Krankheitswert 
des hysterischen Symptomes zu bestimmen, muB notwendigerweise unvoll - 
standig bleiben, wenn er nicht zugleich den Versuch einschlieBt, zu bestimmen, 
welche Bedeutung dem Willen des Hysterischen fur das Zustandekommen des 
Symptomes zukommt. Um dieser Frage naher zu treten, will ich zwei weitere 
Symptomgruppen analysieren: Das hysterische Zittern und den hysterischen 
Reflexablauf. 

1. Das hysterische Zittern. 

Man hat es als charakteristiseh ftir das sogenannte „echte“ hysterische 
Zittern angesehen, daB seine Bewegungen sich mit mechanischer Gleichformigkeit 


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abspielen. Betrachtet man solche hysterischen Zitterzustande mit dem bio lien 
Auge oder analysiert sie graphisch nach einem der iiblichen Verfahren, z. B. 
pneumographisch, so findet man in der Tat in den meisten Fallen einen sehr 
hohen Grad von GleichmaB. Wendet man aber statt der pneumographischen 
die exakle, dreidimensionale, mechanische Analyse an, so findet man, ganz be- 
sonders wenn man mehrere Stunden hintereinander registriert, daB die 
vorher gleichformige Kurve in mannigfacher Hinsicht ungleichformig wird. 
Die Ungleichformigkeit bezieht sich erstens auf einen haufigen, mehr oder weniger 
rhythmi'schen Wechsel der Schwingungsrichtung; er bezieht sich zweitens auf 
einen ebenso haufigen Wechsel der Schwingungsdichte. In dem Wechsel von 
Schwingungsrichtung und Schwingungsdjchle aber offenbart sich der EinfluB des 
Willens, der den Erscheinungen der physiologischen Ermudung entgegenwirkt. 

2. Der hysterische Reflexablauf. 

Untersucht man die Sehnenreflexe der Hysterischen nach graphischen 
Methoden, etwa derart, wie Weiler es getan hat, so findet man im Kurvenbild 
fast immer ein Phanomen, das als „Bremsung“ allgemein bekannt ist. Andert 
man die Versuchsanordnung dahin ab, dafi der Kraftablauf sich ausspricht in 
den Anderungen im Bewegungszustande eines schwingenden Pendels, so findet 
mar, daB die den Reflexablauf bedingenden Krafte beim Gesunden die Form 
der einmal wirkenden Momentan- oder StoBkraft haben. Beim Hysterischen 
aber treten zu dieser einen StoBkraft weitere h’nzu. Latenzzeit und Form der 
Aufeinanderfolge aber lassen keinen Zweifel daruber, daB diese weiteren StoB- 
krafte ebensovielen Willensirapulsen entsprechen, daB also Wlllkiirvorgange den 
automatischen Reflexablauf beeinflussen. 

Was folgt aus diesen Tatsachen fur die Auffassung vom Krankheitswert 
des hysterischen Symptomes? 

Wir haben gesehen, das hysterische Zittern und die hysterischen Reflex- 
veranderungen zeigen deutlich die Spuren der in sie eingegangenen Willkiir- 
bewegungen; die hysterische Auffassungsstorung hindert nicht an der Auf¬ 
fassung, die hysterische Empfindungsl&hmung hindert nicht an der Perzep- 
tion von Schmerzreizen, die hysterische Taubheit hindert nicht am Horen, 
die hysterische Motilitatslahmung hindert nicht an der Bewegung, wenig- 
stens nicht an der unbewuBten, die hysterische Amnesie hindert nicht, daB 
den angeblich amnestischen Vorgangen eine besondere Gefuhlsbetonung zu- 
kommt. 

Also scheint es deranach, als ob den hysterischen Symptomen gar kein 
objektiver Krankheitswert zukame, als ob diejenigen recht hatten, die die Hysterie 
mehr oder weniger vollstandig identifizieren mit der Simulation. 

Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Denn untersucht man den 
Ablauf psychischer Vorgange in den verschiedenen Zustandsbildern der Psy- 
chose, so kommt man zu ganz ahnlichen Resultaten, findet z. B., daB schwere 
katatonische Stuporen, die wir zu untersuchen Gelegenheit hatten, weder die 
Auffassung noch die sich unbewuBt vollziehenden Ausdrucksbewegungen hin- 


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derten oder veranderten. Niemand aber wird den objektiven Krankheitswert 
dieser Zustande leugnen oder auch nur gering einschatzen. 

So fiihren uns die hier mitgeteilten Tatsachen zu dem Schlub, dab der 
objektive Krankheitswert des einzelnen hysterischen Symptomes zwar gering 
ist, dab aber die hysterischen Erscheinungen ihrem We sen nach nur im Zu 
sammenhang mit den psychotischen beurteilt werden konnen. Es hat keinen 
Sinn, fur die Hysterie sogenannte „verstandige Zusammenhange“ anzunehmen 
und in jedem Falle zu konstruieren, auf die man fiir die Psychose ebenso prin- 
zipiell verzichtet. Es hat folglich auch keinen Sinn, die Simulationsfrage in 
den Mittelpunkt des Hysterieproblemes zu riicken, so sehr andererseits die Be- 
teiligung von Willensvorgangen an dem Zustandekommen hysterischer Ver- 
anderungen fest steht. Die Rentenfestsetzung aber wird — gerade wegen des 
geringen objektiven Krankheitswertes — von dem einzelnen Symptom als 
solchem mehr und mehr absehen konnen; nicht der Ohrenarzt wird dem hysterisch 
Tauben oder der Augenarzt dem hysterisch Blinden das Mab seiner Erwerbs- 
beschrankung zu bestimmen haben, sondern der Psychiater nach Mabgabe der 
vorliegenden Veranderung der Gesamtpersonlichkeit. 


LMitteilung aus der Nervenabteilung der Nachbehandlungsanstalt des Konigl. Ungar. 

Ministeriums fur Volksgesundheit iu Budapest-Reveszutca. 

(Chefarzt: Dr. Ladislaus Focher.)] 

22. Pra- und intraparoxysmale Anisokorie (Miosis) bei Hysterie. 

Yon Dr. Ladislaus Focher. 

Bilaterale paroxystische Miosis, sowie auch Mydriasis, wurden wiederholt 
als Begleiterscheinung des hysterischen Anfalles beschrieben. Es geniigt die 
Namen F6re(1882), Pansier, Westphal, Karplus, Binswanger, Bumke, 
Pelizaeus, Oppenheim, Redlich usw. zu erwahnen. Es wurde auch wieder¬ 
holt auf die Haufigkeit der springenden Pupillen, womit meistens auch eine 
mutuelle geringgradige Anisokorie verbunden zu sein pflegt, als Symptom der 
neuropathischen Diathese hingewiesen. Dagegen konnte ich keine Erwahnung 
finden von einer pra- oder intraparoxysmalen einseitigen hochgradigen Miose 
mit Erhaltung der Lichtreaktion als Einleitung eines typisch hysterischen, d. i. 
betreffs Beginns, Ablaufs und Dauer beeinflubbaren, in theatralischem Herum- 
walzen, Herumschlagen, Abwehrbewegungen, terminalem arc de cercle sich kund- 
ge ben den Anfalles. 

Der ledige Zimmermaler A. B. ist 34 Jahre alt, will sich auf keine voran- 
gegangene Krankheiten, abgerechnet eine Bleivergiftung im Jahre 1915, wodurch 
seine Zahne herausgefallen sind, deren weiteren Symptome er nicht angeben 
konne, erinnern. Alkohol wird negiert; bis 15 Zigaretten zugegeben. 

Im Februar 1916 hat er einen Granatluftdruck und dadurch eine s / 4 stiindige 
Bewubtlosigkeit erlitten. Davon erwacht, empfand er ..Herzschmerzen'' und einen 


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Druck auf der Herzgegend, sowie ein Zittern des ganzen Korpers durch 2 bis 
3 Tage. Der Zustand endete in einem konvulsiven Anfalle (10 bis 15 Minuten), 
danach trat Erleichterung ein. Seit dieser Zeit wird er jeden 4. bis 5. Tag von 
allgemeinen Krampfanfallen heimgesucht. Seit einigen Wochen Magenschmerzen. 

Befund am 19. XII. 1919: MittelgroBer, maBig entwickelter, sclilecht er- 
nahrter Mann. Zahnmangel. t)ber den Lungen diffuse Bronchitis, sonst sind 
Eingeweide ohne Befund; Zunge rein, Bauch weich, nicht druck- oder tast- 
empfindlich, perkutorisch normal. Bauchreflexe nicht auslosbar. Sehnenreflexe 
beiderseits gleich lebhaft. Pupillen beiderseits gleich, miotisch, reagieren auf 
Licht direkt und konsensuell, sowie auf Akkommodation und Konvergenz ent- 
sprechend. Puls 72, rhythmisch. Angewachsene Ohrlappchen, exzentrische 
Pupillen. 

Am 30. XII. klagt er iiber brennende Schmerzen im Epigastrium 1 / 2 Stunde 
nach dem Essen. Gefiihl von Aufgeblasensein. Befund wie am 19., doch Puls 52, 
rhythmisch; Bauch gespannt, vorwolbend, nicht druckempfindlich. Nach der 
Visite: Anfall gekennzeichnet durch klonische Zuckungen, dann Herumwerfen 
des ganzen Korpers, Spucken; bei Versuch die Pupillen zu priifen, reiBt er den 
Schadel aus den festhaltenden Handen, preBt die Augenlider fest zusammen. 
Dauer 2 bis 3 Minuten, danach liegt Patient erschopft auf seinem Bette, will sich 
auf den Anfall nicht im geringsten erinnern, antwortet auf Fra gen prompt und 
klar. Nach einigen Minuten steht er auf und geht urinieren. 

Im Laufe der Untersuchung am 31. XII., walirend der Pulsabzahlung, ver- 
engt sich die rechte Pupille vor unseren Augen maximal, der an sich langsame 
Puls (48) wird entschieden retardiert; er konnte nicht abgezahlt werden, denn 
der Patient wirft sich auf seinem Bette, dreht sich herum, schlagt mit Schadel, 
Handen und FiiBen um sich, stofit die untersuchende Hand weg, sperrt die Augen 
auf, beide Pupillen eng (rechts enger als links), beide reagieren auf Licht — dann 
arc de cercle, wonach Patient ruhig liegen bleibt und wiederholt forciert aus- 
atmet. An den Anfall will er sich nicht erinnern. Sonst BewuBtsein ungestort. 
Puls 60. Anfallsdauer 2 bis 3 Minuten. 

Bis 4. I. 1920 bei unverandertem Befund und interparoxymalem subjektivem 
Wohlbefinden haufige, arztlich nicht beobachtete Anfalle, die nach Schilderung 
der Krankenpflegerin auBerlich wie der am 30. XII. 1919 abgelaufen sind. Damals 
Bauch weich, Puls 72, keine Schmerzen. 

Am 20. I. wurde bei unverandertem Befund durch Suggestion: ,,Es scheint, 
jetzt kommt ein Anfall“, ein Anfall wie am 31. XII. ausgelost, jedoch blieben 
die Pupillen vor und wahrend des Anfalles unbeeinfluBt. Der Anfall wurde nach 
1 Minute Dauer durch verbale Suggestion kupiert. 

Am 26. II. Puls 52, sonst Befund unverandert. Durch verbale Suggestion: 
„Jetzt kommt wiederum ein Anfall, ich fiihle es an dem Puls“ spielt sich die 
vollstandige Kopie des Anfalles vom 31. XII., also rechtsseitige Miosis, Hinwerfen 
usw. ab. Nach einer 1 / 2 Minute Dauer, also noch vor dem arc de cercle wurde 
der Anfall durch verbale Suggestion: ,,Jetzt geht der Anfall zu Ende, ich fiihle 
es an dem Puls“ der Anfall beendet. Nach dem Anfall klagt er iiber wiedergekehrte 
Magenschmerzen. 

Der weitere Ablauf bietet nichts Neues oder Wesentliches. Zwischen dem 
22. IV. bis 3. V. 1920 ist eine kurze Abasie infolge MiBstimmung iiber Aufhebung 
der Ausgangsbewilligung entstanden. Diese wurde durch Isolierung, dann Per¬ 
suasion behoben. 

Am 10. VI. 1920 wurde Patient nach 6 anfallsfreien Wochen in subjektivem 
Wohlbefinden mit dem Befund vom 19. XII. 1919 entlassen. 

Zur Vervollstandigung der Anamnese sei bemerkt, daB der leibliche Bruder 


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des Patienten ebenfalls auf meiner Abteilung behandelt wurde. Derselbe zeigte 
neben mannigfachen Degenerationszeichen und Imbezillitat typisch hysterische 
Krampfanfalle, ohne Pupillenerscheinungen. Es waren jedoch bei ihm ausgepragte 
Erscheinungen einer Storung des endokrinen Systems, namentlich der Thyreoidea- 
thymusgruppe, bestehend in feinschlagigen Tremoren, in Grafeschen und in 
Mobiusschen Symptomen, sowie Exo|>hthalmus zu beobachten. 

Zur Erforschung des Wesens der beschriebenen Erscheinung ware die konse- 
quente Beobachtung des Blutbildes von Bedeutung. Das habe ich aus Farbstoff- 
not leider unterlassen. Am 30. XII. 1919 war eine maBige Eosinophilie (8 °/ 0 ) 
vorhanden. Die iibrigen Symptome begriinden jedoch an sich selbst die Annahme 
einer transitorischen Vagotonie, welche mit den Krampferscheinungen scheinbar 
in keinem Zusammenkange steht, aber die Voraussetzung fiir das Zustandekommen 
des eigentumlichen Pupillenphanomens bildet. 

Auf welche Weise die Halbseitigkeit zu erklaren ware, kann ich mir keine 
rechte Vorstellung machen. 

Von Interesse ist die gleichsinnige Storung endokriner Driisen beim Bruder, 
welche die Annahme einer ,,Endokrinerdiathese“ auf degenerativer Grundlage 
als berechtigt erscheinen laBt. 


[Aus der Universitatsklinik Bonn, Dir.: Geh. Westphal.] 

23. Blutbefunde bei Krampfanfallen. 

Von Felix Weissenfeld. 

Blutuntersuchungen bei Krampfanfallen konnen aus doppelter Absicht er- 
folgen: einmal um der Frage nach dem Wesen und den Ursachen des klinisch 
fest umrissenen, atiologisch noch ziemlich dunklen Krankheitsbildes der ge- 
nuinen Epilepsie naherzutreten, gegebenenfalls bestimmte Gebiete daraus abzu- 
grenzen, andererseitB um ein sicheres differentialdiagnostisches Kriterium zwischen 
den epileptischen und den ihnen oft tauschend ahnlichen hysterischen oder 
simulierten Anfallen zu gewinnen. Ich selbst habe nur eine geringe Anzahl 
von Fallen untersuchen konnen, die fiir sich allein fiir die Beantwortung dieser 
Fragen nicht ausschlaggebend sein konnten. Doch werden sie als BeitrSge zur 
Kasuistik brauchbar sein und, soweit sie bisher noch nicht veroffentlichte Sonder- 
falle betreffen, zu vergleichenden Untersuchungen anregen konnen. Dariiber 
hinaus habe ich versucht, mir nach Studium der gesamten mir zuganglichen 
Literatur ein Urteil tiber den heutigen Stand der Frage zu bilden. 

Bei den in der Tabelle unter I bis V aufgefiihrten Fallen handelt es sich 
um klinisch sicher nachgewiesene genuine Epilepsie. Bei den Fallen I bis III 
wurden Blutuntersuchungen wahrend des Anfalles und in der anfallsfreien Zeit 
gemacht. Im Anfall fand sich eine starke Vermehrung der weiBen Blutzellen. 
Im geringsten Falle (III) um 3000, sonst um 5000 bis 7000 Zellen. Den Haupt- 
anteil an dieser Vermehrung tragen jedesmal die einkemigen Elemente. Die 
Lymphozyten sind mindestens um das Doppelte, einmal sogar um das Funf- 
fache ihres Voranfallswertes vermehrt. Ebenso zeigen die Mononuklearen im 
Anfall stets eine deutliche Vermehrung, wenigstens ihre absoluten Zahlen. Die 


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Xeutrophilen machen weniger charakteristische Sehwankungen durch. Wahrend 
sie einmal um einige Zellen abnehmen (I 2), zeigen sie in andercn Fallen eine 
geringe Vermehrung, die aber in keinem Verhaltnis zu der starken Zunahme der 
Leukozyten steht. Bei den Eosinophilen laBt sich keine Gesetzmafiigkeit fest- 
stellen. Als Dauerveranderung zeigt das Blut der Epileptiker mit schon langer 
bestehender Krankheit (Fall II bis IV) eine maBige Leukopenic und eine rela¬ 
tive Lymphozytose. 

Fall VI weicht klinisch und in seinein Blutbild von den bekannten Krank- 
lieitsbildern ab. Ich will daher etwas ausfiihrlicher auf ihn eingehen. Bei dem 
19jahrigen Patienten treten seit einem Jahre krampfartige Zusammenziehungen 
der gesanitcn Korpermuskulatur auf, aber ohne Bewufitseinstriibang. Dauer 
der etwa 10 bis 40mal taglich, aueh nachts im Schlafe auftretenden Anfalle 
etwa 1 bis 2 Min. Bei Betrachtung der Blutveranderung laBt sich eine Verwandt- 
schaft mit dem Blutbild der genuinen epileptischen Anfalle nicht verkennen. 
Die Ahnlichkeit beruht auf der Vermehrung der einkernigen Elemente. Vom 
epileptischen Blutbild abweichend ist einmal das Fehlen einer ausgesprochenen 
Iveukozytose und dann die auBerordcntlieh hohe Vermehrung der Monc- 
zyten. 

Bei Fall VII handelt es sich um ausgesprochen hysterische Anfalle. Patient 
ist 31 Jahre alt und vielleicht von einer hysterischen Mutter her belastet. Auf 
einen geringfiigigen Unfall, leichte Quetschung der Schultcr, reagierte er mit 
einem ausgesprochenen hysterischen Symptomenkomplex: Herabsetzung der 
Korneal-, Konjunktival- und Rachenreflexe, Dermographismus, Hypalgesie der 
ganzen linken Korperhalfte, Druckempfindlichkeit der Ovarialdruckpunkte. 
Dazu kommen ausgesprochene hysterische Anfalle, etwa 5 bis 6mal taglich. 
Im Anfall vbllig erhaltene Pupillenreaktion, kein Babinski, keine Zungenbisse, 
kein Urinverlust. Auf Bespritzen des Gesichtes mit Wasser im Anfall reagiert 
Patient diuch Zucken mit den Augenlidern. Es mag erwahnt werden, daB Patient 
Rentenempfanger ist. Es wurden zwei Blutuntersuchungen vorgenommen, die 
eine in der anfallsfreien Zeit (VII, 1), die andere im Anfall selbst (VII, 2); das 
Blutbild zeigte bei bei den Untersuchungen einen verhaltnismaBig hohen, aber 
gleichbleibenden Stand der Mononuklearen. Ferner findet sich in der anfalls¬ 
freien Zeit eine Eosinophilic von 8%, was fur seinen hysterisch-neurasthenischen 
Zustand charakteristisch ist. Im Anfall zeigt sich nur eine ganz geringe Ver¬ 
mehrung der Gesamtleukozytenzahl. Die Zahl der Lymphozyten ist absolut 
und relativ nur unwesentlich verandert. Die Gesamtleukozytose ist fast aus- 
schlieBlich auf Rechnung der myeloiden Zellen zu setzen. Wir konnen also hier 
eine neutrophile Leukozytose, eine Konvulsionsleukozytose im Schulzschen 
Sinne annehmen, die allein auf die Muskeltatigkeit im Anfall zuriickzufiihren 
ist. Es bestelit ein deutlicher Unterschied zwischen dem Blutbefund bei diesem 
Fall von Hysterie und dem bei epileptischen Anfallen. 

Bei Fall VIII fanden sich Jacksonartige Krampfe, die mit Krampf der 
linken Hand begannen, sich von dort iiber den ganzen Korper ausbreiteten und 


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mil Bewubtlosigkeit verbunden waren. Bemerkenswert ist, dab die Kranxpfe 
stets nur durch das Aufstehen aus sitzender Stellung ausgelost wurden. Eine 
Gehirnverletzung als Ursache war nicht nachzuweisen. Die aus der Tabelle 
ersichtliche Blutveranderung labt sich wieder als reine Konvulsionsleukozytose 
auffassen. Es ist also ausgeschlossen, dab es sich hier uni eine der genuinen Epi- 
lepsie nahestehende Erkrankung handelt. Es bleiben in Hinsicht auf den Blut- 
befund zwei Moglichkeiten, einmal, dab es sich um symptomatische Krampfe 
bei irgendeiner anderen organisehen Hirnaffektion handelt, oder dab eine funk- 
tionelle Erscheinung vorliegt. Immerhin vermochte die Blutuntersuchung im 
vorliegenden Fall einen wichtigen diagnostischen Hinweis zu geben. 

Vergleiche ich meine bei der genuinen Epilepsie gefundenen Resultate rait 
den Ergebnissen anderer Untersuchungen, so ergibt sich in der weitaus grobten 
Mehrzahl eine weitgehendc Ubereinstimmung. Bei den lediglich auf die Leuko- 
zytenzahlen gerichteten Untersuchungen stellten Krumbmiller, Burrow, 
Jodike, Gorrieri und Spangler eine ausgesprochene Anfallsleukozytose fest. 
Rohde, Sehulz, Itten, Eb. Miiller und Bossard fanden wie ich, dab diese 
starke Vermehrung hauptsachlich auf Rechnung der einkernigen Blutelemente, 
der Lymphozyten und Mononuklearen zu setzen ist. Schul z fand ebenfalls in der 
anfallsfreien Zeit geringe Leukozytenwerte und mabig vermehrte Lymphozyten. 
Ubereinstimmend fanden sich diese Blutveranderungen nur bei den Anfallen 
der sogenannten genuinen Epilepsie. Bei den zahlreichen anderen symptoma- 
tischen Krampfen bei Hysterie, bei Uramie, bei Eklampsie, Meningitis, Dementia 
paralytica, multipler Sklerose und anderen organisehen Hirnaffektionen fanden 
Jodike, Itten, Bossard und vor allem Schulz die von letzterem sogenannte 
Konvulsionsleukozytose. Dies entspricht meinen Befunden bei einem Fall von 
Hysterie und einem Fall von vermutlich funktionellem Rindenkrampf. Zu ab- 
weichenden Resultaten sind nur einige wenige Forscher gekommen: Gorrieri, 
Riebes undDi Gaspero. Das Auffallende bei diesen drei abweichenden Ergeb¬ 
nissen ist die Tatsache, dab diese drei auch untereinander keine Ubereinstimmung 
zeigen. Auberdem stiitzen sich ihre Resultate nur auf einige wenige untersuchte 
Falle. Man wird daher bei der groben Anzahl ubereinstimmender Befunde die 
friiher erwahnten Resultate: starke Anfallsleukozytose unter vorwiegender Be- 
teiligung der einkernigen Elemente als eine ziemlich sichere Tatsache aufzufassen 
haben. 

Daraus folgt, dab die Blutuntersuchung eine sichere Unterscheidung zwi- 
schen epileptischcn und hysterischen Kr am pf anfallen moglich macht, da bei 
alien mir zuganglichen Untersuchungen in hysterischen Anfallen ubereinstimmend 
nur eine ganz geringe polynukleare Leukozytose gefunden wurde. So haben dies 
Jodike in 4 Fallen von Hysterie, Itten in einem, Bossard in zweien und 
ich in einem festgestellt. Jodike glaubt, allein eine starke Leukozytose im 
Anfall bei normalen Wertcn in der interparoxysmalen Zeit fur Epilepsie und 
ein gegeniiber der anfallsfreien Zeit nicht wesentlich verandertes Anfallsblutbild 
fiir Hysterie verwerten zu diirfen. Bossard halt die in einem zur Zeit des Anfalles 


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angefertigten Blutausstrich festgestellte relative Lymphozytose gegeniiber einem 
zur anfallsfreien Zeit normalen Lymphozyten verhaltnis allein schon fur Epi- 
lepsie beweisend. Da die Resultate der beiden Methoden sich fast ganz decken, 
eriibrigt es sich, hier weiter auf diese Fragen einzugehen. Els wird sich aber einst- 
weilen, bis die neue Lehre allgemein anerkannt und ausgeprobt sein wird, durch- 
aus empfehlen, beide Untersuchungsmethoden, die Leukozytenzahlung tuid 
die Auszahlung der einzelnen Zellarten im gefarbten Ausstrich, bei alien zweifel- 
haften Krampfanfallen regelmaBig anzuwenden. Bossards Bedenken wegen der 
Schwierigkeit der Leukozytenzahlung im Anfall kann ich aus meiner Elrfahrung 
heraus nicht teilen. 

Zuletzt muB ich nun auf die Frage eingehen, was als Ursache dieser eigen- 
artigen Blutveranderungen hei der genuinen Epilepsie aufzufassen ist, und welche 
Schlusse man aus ihnen iiber Pathogenese und Wesen dieser Krankheit ziehen 
kann. Es wird vorteilhaft sein, die verschiedenen im Laufe der Entwicklung 
dieses jungen Forschungsgebietes geauBerten Ansichten zu verfolgen. Krum fa- 
miller, der als erster auf die Leukozytose im epileptischen Anfall hingewiesen 
hat, will im Anfang eine Kontraktion der Milz festgestellt und durch Messung 
eine Verringerung samtlicher MaBe der Milz gefunden haben. Diese Kontrak¬ 
tion sei wohl durch nervose Einfliisse bedingt und habe ihrerseits wieder die 
AusstoBung der Leukozyten zur Folge. Man hat in der Folge verschiedentheh 
versucht, die Angaben iiber Milzverkleinerung nachzupriifen; doch hat sich nie- 
mals eine Bestatigung dafiir gefunden. 

Es paBte freilich recht gut zu dieser Theorie, die erst vie] spater gemachte 
Feststellung, daB die Leukozytose im wesentlichen auf Rechnung einer Lympho¬ 
zytose zu setzen ist, da die Milz ja die Hauptursprungsstatte der Lymphozyten 
ist. In etwas veranderter Form hat nun in einer der jiingsten Veroffentlichungen 
Bossard den Krumbmillerschen Gedanken in erweiterter Form wieder auf- 
genommen, indem er sagt, daB die schon im Beginn des Anfalls auftretende 
Lymphozytose „mit Notwendigkeit“ zur Yoraussctzung haben miisse, daB gleich 
im Beginn des Anfalles eine aktive Entleerung der lymphozytenhaltigen Organe, 
Lymphknoten, Ductus thoracicus und Milz in die Blutbahn erfolge. Eine nervose 
BeeinflussUng von seiten des Zentralnervensystems her sei als Ursache dieser 
Elrscheinung aufzufassen. Diese Theorie ist an und fur sich nicht von der Hand 
zu weisen, und mir selbst kam bei der Deutung meiner Befunde zuerst ein ahn- 
licher Gedanke. Warum sollte die starke zerebrale Erregung, die sich in den 
Muskelkrampfen auswirkt, sich nicht auch durch Yermittelung des Vagus oder 
Sympathikus auf die Milz iibertragen und hier durch Kontraktion der inter- 
stitiellen Muskulatur eine Austreibung der Lymphozyten ins Blut bewirken? 
Ich beabsichtige, zur weiteren Klarung dieser Frage geeignete Tierexperimente 
zu machen; doch gibt es noch eine andere Theorie, die auBer der Lymphozytose 
auch noch zahlreiche andere Befunde bei der Epilepsie erklart. Els sollen nam- 
lich die Krampfanfalle und die psychischen Veranderungen mit der paroxysmalen 
Lymphozytose auf eine chronische Intoxikation des Korpers zuruckgefuhrt 


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werden. Zuerst finden sich nur ganz unbestimmte Angaben. „Im Blut kreisende 
Toxine, die in wechselnden Schwellenwerten zum Anfall fiihren“ (Itten). „Auto- 
intoxikation, der Anfall ein unvollkommener Versuch automatischer Selbst- 
entgiftung“ (Riebes). Einen gewissen Anhaltspunkt fttr die Toxizitat des 
Epileptikerblutes gibt eine Anzahl von Tierexperimenten, die meist von italieni- 
schen Forschern ausgefiihrt wurden. Agostini, Cololian und Cabitto und 
in etwas abweichender Form auch Carlo Trevisanello fanden, dab das Blut- 
serum von Epileptikern bei Kaninchen Krampfe hervorruft, wahrend das Blut 
von gesunden Menschen das nicht tut. De Buck fand Epileptikerblut zwar auf 
Menschen, aber nicht auf Kaninchen wirkend, Binswanger vermochte durch 
Einspritzung von Epileptikerblut keine Anfalle zu erzeugen. Max Meyer, der 
je 10 bis 15 ccm defibriniertes Blut Meerschweinchen in die Bauchhohle spritzte, 
fand dies bei Blut von gesunden Menschen nahezu wirkungslos. Mit dem in 
anfallsfreien Tagen von Epileptikern gewonnenen Blut erhielt er wechselnde 
Ergebnisse. Dagegen erzeugte das unmittelbar nach dem Anfall entnommene 
Blut stets Krampfe. Bei Fallen von Alkoholepilepsie trat dies Yerhalten nicht 
ein. Savary und Pearce erzeugten durch Einspritzen von defibriniertem 
Epileptikerblut aus der Zeit des Anfalles auch bei Kaninchen Leukozytose. 
Die zunachst nicht naher gekennzeichneten. Giftstoffe versuchte man spater 
naher zu charakterisieren. Man dachte wegen der nach dem Anfall vermehrten 
Harnsaureausscheidung an eine Harnsaurevergiftung, die durch Kontraktion 
der kleinen GefaBe eine Blutdrucksteigerung und dadurch die Anfalle hervor- 
rufen sollte (Haig). Man hat aber anscheinend nicht daran gedacht, dafi die 
Medizin schon eine Krankheit kennt, deren Wesen durch eine Harnsaurevermeh- 
rung ausgemacht wird, namlich die Gicht, und es bestehen doch nicht die gering- 
sten Anhaltspunkte fiir eine Ahnlichkeit zwischen der Gicht mit ihren Schmerz- 
anfallen, ihren Uratablagerungen und Tophi einerseits, und der Epilepsie anderer- 
seits. Auf eine erst ganz kiirzlich von Di Gas per o aufgestellte Theorie will ich 
ausfiihrlicher eingehen, weil sie meines Wissens bisher noch keine Kritik ge- 
funden hat. Di Gaspero hat aus seinen abweichenden und bisher unbestatigten 
Blutbefunden weitgehende Schliisse gezogen. Er hat im Beginn des Anfalles 
Leukopenie mit relativer Lymphozytose, sowie einen raschen Sturz der Eosino- 
philenzahl festgestellt, nach dem Anfalle aber eine Leukozytose mit starker 
Vermehrung der Eosinophilen. Dieses Blutbild soil dem beim anaphylaktischen 
Shock, bei der Reinjektion artfremden Serums, durchaus gleich sein, wobei 
Gaspero besonderen Wert auf das gleiche Yerhalten der Eosinophilen legt. 
Gas per o macht mm einen AnalogieschluB und sagt der epileptische Anfall 
mit seiner Blutver&nderung sei nichts anderes als ein anaphylaktischer Shock, 
der bei einem parenteralen Zerfall von KorpereiweiB auftrete. Die Epilepsie 
sei nichts anderes als eine „EiweiBzerfallstoxikose“. Als weitere Sttitze fiir seine 
Anschauung dient ihm eine vor dem Anfall festgestellte Vermehrung des anti- 
proteolytischen Serumtiters. Dazu ist zu bemerken, dafi Di Gaspero mit der 
Aufstellung seiner Eosinophilenveranderung ebenso allein steht, wie mit seiner 

XL. (Ergftnnuigsband.) in 


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paroxysmalen Leukopenie. Gorrieri und Rohde haben vielmehr im Anfall 
eine ausgesprochene Hypereosinophilie festgestellt, wahrend alle ubrigen Unter- 
sucher ausdriicklich betonen, daB sie nicht die geringste GesetzmaBigkeit im 
Verhalten der Eosinophilen haben feststellen konnen. Meine Beobachtungen 
ergeben dasselbe. Aber selbst wenn man Gaspero die Richtigkeit seiner Be- 
funde zugestehen will, so sind doch die Analogiepunkte zwischen dem anaphylak- 
tischen Shock und dem epileptischen Anfall recht wenige im Vergleich zu den 
zahlreichen anderen Erscheinungen, die die Anaphylaxie vor dem epileptischen 
Anfall auszeichnen und umgekehrt. Wohl aber ist uns das Auftreten von epi- 
leptiformen Krampfen bei Vergiftungen, sowohl SuBeren Ursprunges, Blei und 
Kohlenoxydgas, als auch bei inneren, Stoffwechselgiften, Uramie, Eklampsie, 
Myxodem, Cachexia strumipriva und Diabetes durchaus gelaufig, so daB es 
viel naher liegt, die Krampfe des anaphylaktischen Shocks, der doch auch eine 
Vergiftung durch freiwerdende Toxine — Anaphylatoxin — darstellt, diesen 
anderen Vergiftungen parallel zu stellen, statt eine kompliziertc Theorie auf- 
zustellen, um die genuine Epilepsie der Anaphylaxie gleichzusetzen. — Viel 
groBere Berechtigung scheint mir die unter anderen von Allers, Rohde und 
Hoche vertretene und auch von Kraepelin bekraftigte Theorie zu haben. 
Letzterer weist darauf hin, daB das menschliche Gehirn eine gewisse Disposition 
haben muB, auf gewisse Reizerscheinungen mit Krampfen zu antworten, die 
in symptomatisch nicht wesentlich verschiedener Form durch anatomische 
Veranderungen wie durch mechanische und chemische Reize hervorgerufen 
werden konnen. Unter den chemischen Ursachen spielen wieder die groBte 
Rolle die erwahnten endogenen Vergiftungen, Uramie usw. Diesen durchaus 
nahe stehen soil die genuine Epilepsie. Die genannten Autoren denken an eine 
krankhafte Abweichung des Korperhaushaltes, eine Stoffwechselstorung, iiber 
deren genaueres Wesen man sich allerdings nur unvollkommene Vorstellungen 
machen kann. Man nimmt entweder eine krankhafte Beeinflussung der Abbau- 
vorgange, das Erhaltenbleiben giftiger intermediarer Stoffwechselprodukte an 
oder auch eine Schadigung entgiftender Apparate, Blutdrusen und dergleichen 
(Hoche). Kraepelin bringt eine Menge einzelner Tatsachen, die sehr fiir die 
Annahme einer Stoffwechselstorung sprechen, so die Beziehungen der Anfalle 
zu den Menses, zur Schwangerschaft und ihr Aufhoren in fieberhaften Krank- 
heiten. Er erwahnt ferner den EinfluB des Alkohols auf die Haufigkeit der An¬ 
falle unter Berufung auf die engen Beziehungen des Alkohols zu Stoffwechsel- 
storungen. Er macht weiterhin aufmerksam auf den deutlichen EinfluB der 
Ernahrung auf die Gestaltung des epileptischen Krankheitsbildes. Die von 
Savary und Pearce nach Einspritzung von Epileptikerblut festgestellte Leuko- 
zytose wird durch die Allerschen Untersuchungen fiir die Stoffwechseltheorie 
verwertbar, indem dieser durch Purinstoffe — ein nach epileptischen Anfallen 
vermehrtes Stoffwechselprodukt — Leukozytose hervorrufen konnte. Fiir die 
allmahliche Anhaufung von Giftstoffen vor dem Anfall und ihre Zerstorung in 
demselben spricht auch das von vielen Patienten vor dem Anfall beobachtete 


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Gefiihl der Spannung, wahrend nach dem Anfall eine Erleichterung verspiirt 
wird. Theoretisch mtiBte man hieraus folgern, dafi auch die charakteristische 
Blutveranderung des epileptischen Anfalles sich langere Zeit vor demselben vor- 
bereiten mUsse. Dies findet sich aber nur einige wenige Male in der Literatur 
vermerbt. Meist wird angegeben, daB die Lymphozytose erst kurz vor dem An¬ 
fall oder bei dessen Beginn eintritt; doch glaube ich nicht, daB gerade dieser 
Frage bisher besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, obwohl es mir durch- 
aus der Miihe wert erscheint. Auf jeden Fall sprechen auBerdem noch eine groBe 
Reihe der von Kraepelin zusammengestellten Befunde fiir die Annahme einer 
Stoffwechselstorung als Ursache der genuinen Epilepsie, so die Zuruckhaltung 
von Stickstoff im Korper, die verlangsamte Verarbeitung von Nukleinsaure, 
die Abnahme der Harnmenge, die Zunahme der in Ather loslichen Sauren, viel- 
leicht auch der Hamsaure, die Steigerung der antitryptischen Kraft des Serums 
zur Zeit der Anfalle. Kraepelin fordert, daB fernere UntersUchungen vor allem 
darauf gerichtet werden, festzustellen, welche dieser Umwalzungen mit den 
nicht krampfenden Erscheinungsformen der Epilepsie verbunden sind, damit 
eine Verwechslung der Folgen des Krampfanfalles mit seinen Ursachen ver- 
mieden wird. Hierauf wird auch bei spateren Blutuntersuchungen Wert zu 
legen sein. 

Die ausfiihrliche Darstellung und Besprechung meiner Untersuchungen, 
sowie ein Dberblick Uber die Ergebnisse der bisherigen Forschungen findet sich 
in meiner im Fruhjahr 1921 in Bonn erscheinenden Dissertation „Blutbefunde 
bei Krampfanfallen“. 

Literatur. 

Bossard, Untersuchungen uber das Verhalten der Leukozyten bei genuiner Epi¬ 
lepsie. Schweizer Archiy f. Neurol. 1917, S. 269. Leukozytenvermehrung im epileptischen 
Anfall. Dissert. Ziirich 1917. — De Buck, Bulletin d. sciences d. med. mental. Belg. 
1908. — Burrow, A study of leukozyt. associated with convulsion. Americ. Joura. of 
the med. science 1899, p. 504. Zitiert in „Jahresberichte uber die Leistungen und Fort- 
schritte in der gesamten Medizin fiir das Jahr 1899, II, S. 60. — Di Gaspero, Uber 
das Verhalten der weifien Blutzellen bei der Epilepsie. Zeitschr. f. Neurol, u. Psych. 
Orig. 1918. — Gorrieri, Haematologische Untersuchungen iiber die Epilepsie. Zeitschr. 
f. d. ges. Neurol, u. Psych. XV, 1918, Heft 4. — Itten, Zur Kenntnis haematologischer 
Befunde bei einigen Psychosen. Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. XXIV. Original. — 
Jodike, Die differentialdiagnostische Abgrenzung einiger Erankheiten durch das Blut- 
bild. Miinchener med. Wochenschr. 1913. Heft 20, S. 1085. — Kraepelin, Lehrbuch 
der Psychiatrie. III. 3. Aufl. — Krumbmiller, Archiv. des sciences biol. de P6ters- 
bourg 1898. Wiener klin. Wochenschr. 1902. — Max Meyer, Zur Frage der Toxizitat 
des Blutes genuiner Epileptiker. Monatsschr. f. Psych. XXXI, S. 56.— Eb. MOiler, 
Uber das Verhalten der Leukozyten bei Epileptikern. Klinik fiir psychiatr. und neuro- 
logisehe Arbeiten. VIII, Heft 3, S. 253. — Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. 
1912. — Riebes, Die farblosen Blutzellen bei der Epilepsie. Allg. Zeitschr. f. Psych. 
LXX, Heft 2, S. 883. — Rohde, Deutsches Archiv fiir klin. Medizin. LXXV. 1908. 
S. 148. — Rosenthal, Die 'antiproteolytische Kraft des epileptischen Blutserums. 
Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. Ill, S. 588. — Schulz, Monatsschr. f. Psych, u. 
Neurol. LXIV, 1907. Deutsche med. Wochenschr. XXIX, 1909, S. 1399 und IXL, 1913, 

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S. 1403. — Spangler, Blood findinger in epilepsy. The Lancet. I, 1916, p. 911. — 
Trevisanello, Untersuchungen iiber das Blutserom und die Zereb^ospinalflnssigkeit 
bei Epileptikern. Zentralbl. f. Bakteriol. LXIX, S. 163. — Rich. Zimmer man n, "Cber 
eosinopbile Leukozytose bei Geisteskrankheiten. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. XXXIV, S. 1. 


24. Naphtholreaktion und Nervenzelle. 

Von Prosektor Dr. W Loele, Hubertnsburg i. S. 

Mit 1 Textfigur. 

Zellulare Strukturen und Substanzen, die sich in einer alkalischen a-Naph- 
thollosung violett oder schwarz farben, haben auBer noch anderen, je nach der 
Zellart verschiedenen, Eigenschaften mindestens die eine Oxydase (Phenolase). 
Durch Adsorption und Einwirkung einer bestinunten Gruppe dieser „Oxydasen u 
auf andere Zellen erhSlt man sekundar phenol(naphthol)bindende Substanzen. 
DaB gerade die Kernkorpeichen diese sekundare Reaktion geben, scheint mit 
Riicksicht auf die Bedeutung, die heute diesen Gebilden fur den Zellstoffwechsel 
zugemessen wird, wichtig genug, um einen kurzen tJberblick zu geben tiber das, 
was in der Nervenzelle durch die sekundare Naphtholreaktion darstellbar ist 
und welche Rolle die sekundar naphtholbindenden Substanzen spielen. 

Die Technik 1 der Reaktion ist einfach. Trotzdem es sich um eine komplizierte 
biologische Reaktion handelt, erhalt man bei einiger Vorsicht gut vergleichbare 
Ergebnisse. (Gleichzeitiges Ansetzen der Untersuchungen.) 

Man sammelt in den Sommermonaten an feuchten Tagen Nacktschnecken 
(Arion fuscus, braune Wegschnecke, Li max cinereus, graue Egelschnecke, bei Arion 
liegt das Atemloch im vorderen Drittel, bei Limax im hinteren Drittel der rechten 
Mantelseite) und fixiert sie im ganzen in einer saurefreien 10 %ig 6n Formol- 
losung. Unter dem EinfluB des Aldehydes bilden sich erst die fermentartigen Sub¬ 
stanzen, welche die Kernkorperchen so verandern, daB sie sich nunmehr in einer 
alkalischen Naphthollosung schwarz farben. Tatsachlich gibt es einen Zeitpunkt, 
wo Extrakte aus den Schnecken nur die Kernkorperchen und eine ganz bestimmte 
Gruppe von Plasmastrukturen beeinflussen, meist wird auch der Kern leicht 
violett bis schwarzlichviolett (besonders Bindegewebs- und Gliakerne) gefarbt. 
Die Kernkorper sind nicht immer mit den Nukleolen identisch, in vielen Zellen 
werden die Naphtholkernkorperchen durch die gewohnlichen Farbemethoden 
iiberhaupt nicht dargestellt. 

Die Schnecken sind verwendbar, wenn in Gefrierschnitten die Kernkorperchen 
der Epithelien-der Haut und der inneren Organe Naphtholreaktion geben, Arion 
nach 6 bis 8, Limax nach 2 bis 3 Wochen. Nach 7 Monaten erhielt ich noch gute 
Resultate. Man schneidet ein Schalchen voll Gefrierschnitte von den Schnecken 
und legt Gefrierschnitte formolfixierter Organe 6 bis 12 Stunden hinein. Die 
Schnitte kommen dann bis 12 Stunden in eine alkalische, schwach gelbliche 
a-Naphtholl6simg. Man betrachtet sie im Balsampraparat. Kontrollversuche 
sind zur Feststellung, ob wirksame Fermente vorhanden sind, notig. Die Naphthol¬ 
losung ver&ndert ihre Farbe nur, wenn geloste ,,Oxydasen c< vorhanden sind. 


1 Loele, Die Phenolreaktion und ihre Bedeutung fiir die Biologie. Verlag Dr. 
W. Klinkhardt, Leipzig. (Im Druek „die sekund&re Naphtholreaktion^.) 


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Uni die Veranderungen der naphtholpositiven Kernstrukturen von Gehirn- 
zellen zu verstehen, ist es notig, die Veranderungen der Naphtholorte in anderen 
Korperzellen zu kennen. 

Die Gehirnzellen sind Zellen wie alle Korperzellen. DaB das Seelische in 
ihnen in die Erscheinung tritt, h&ngt mit dem eigenartigen, auBerordentlich 
komplizierten Bau des nervosen Zentralorgans zusammen, der die Projektion 
eines SuBeren Vorganges in verschiedene, einander untergeordnete, Zellagen 
gestattet. Wird die Struktur „verriickt“, dann erscheint auch das Seelische 
„verruckt“. Aus einem verstimmten Instrument tont keine wohlklingende 
Melodie. GesetzmaBigen Veranderungen der Plasmamischung mtissen gesetz- 
maBige Veranderungen des „Seelischen“ folgen. Der alkoholische Delirant 
sieht auf der ganzen Welt in seinen Halluzinationen kleine braune und weiBe 
Tiere, weil die Plasmamischung an alien Orten der Welt durch die chronische 
Vergiftung in gleicher Weise verandert ist. Gedankenhemmung, Triibsinn und 
Kleinheitsideen sind meist ebenso wie Gedankenflucht, Heiterkeit und GroBen- 
ideen miteinander verbunden. 

Welche Schliisse konnen wir fur die Bedeutung der sekundaren Naphthol- 
reaktion, denn nur um diese handelt es sich, da die primare Naphthol- 
reaktion in den Hirnzellen negativ ist, aus dem Verhaltender Korperzellen 
ziehen ? 

Die Naphtholkernkorperchen sind in den normalen Korperzellen so gleich- 
maBig meist rundliche Gebilde, daB das Naphtholbild einen ganz reizvollen, 
eigenartigen Anblick bietet. Selten sind an Stelle eines bis hochstens dreicr 
Komchen eine groBcre Anzahl vorhanden (Hypophyse, Leber). Ganz an der s* 
wird das Bild bei den schweren Kemstdrungen, wie sie in Gcschwtilsten 1 auf- 
treten. Die Naphtholkernkorperchen werden vervielfacht, zu wunderlichen Ge- 
bilden auseinandergezogen, treten an die Kernwand, beteiligen sich bei der 
Bildung von Vakuolen (16). 

Die beifolgendc Zeichnung gibt eine Anzahl von Kernkorperchenbildern 
wieder. Kern 1 ist ein Lymphozytenkern aus einem Milzfollikel. Das Kern- 
korperchen ist an sich klein, im Verhaltnis zur Kernmasse recht groB. Zelle 2, 
eine Ge websmastzelle, bietet deshalb besonderes Interesse, weil die Schwarzfarbung 
der amidophilen, monobasophilen Granula durch das saure Naphtholchromogen 
ein Beweis daftir ist, daB ein aminartiger Korper vorher adsorbiert worden ist 
Oder gebildet sein muB. M ist losm sich die Granula abar auf. Die Kerne 3, 
4, 5 geben das Bild wieder, wie es sich in den Kernen der meisten Epithelien 
findet. Die Komchen sind rcichlich in 6 (Meerschweinchenleber), sehr klein in 7 
(Hypophyse), zeigen Neigung zur Verquellung in 8 (Hypophyse), 9 ist der Typus 
der Bindegewebs- und Muskelzelle. Die Kerne 10 und 11 sind in Karzinomzellen 
haufiger, 12 bis 16 stammen aus einem Melanom der Achselhohle, Kern 17 aus 
einer Hypernephrommetastase. Es ist nicht moglich, hier auf die unendliche 

1 Herr Professor Risel, Zwickau, war so liebenswiirdig, mir eine Anzahl von Qe- 
achwulsten znr Untersuchung zu dbetlftsseti. 


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Mannigfaltigkeit der Naphtholkernkorperchenformen in den Kemen von Ge- 
schwulstzellen einzugehen. 

Tm Protoplasma ist die sekundare Reaktion, abgesehen von der der 
Altmannschen Granula der Epithelien der tubuli contorti der Niere und 
einer Reihe zur Schleimbildung in Beziehung steherder Granula, positiv nur 
dann, wenn sich gewisse hyaline oder schleimige Degenerationsformen bilden, 
die oft eine besondere Neigung zum Kalk- und Eisenniederschlag zeigen. 

Einzelheiten finden sich in der oben erwahnten Arbeit, die eine TJbersicht 
iiber die primar und sekundar durch Naphthol darstellbaren Strukturen g'ibt. 



Es laBt sich somit der wichtige Satz aufstellen: Abnorme Formen der 
Naphtholkernkorperchen und das Auftreten sekundar naphthol- 
positiver Strukturen im Kern und Protoplasma deutet auf vorher- 
gegangene abnorme Stoff wechselvorgange fermentativer Natur. 

Im menschlichen Gehirn werden Stoffwechselstorungen der Nervenzelle 
durch die Tatigkeit der Glia ausgeglichen, im nervosen Gewebe der Mollusken 
fchlt die Glia in dieser komplizierten Form. Es lassen sich daher auch die 
Folgen von Stoffwechselstorungen leichter ubersehen, die sich in einer Zelle 
auBern miissen, nicht in zwei Zellarten. 

Die Bilder 18 bis 24 geben die Befunde wieder, die man mit der sekundaren 
Naphtholreaktion am Kopfganglion von Arion erhalt. 

Die Mehrzahl der kleineren Zellen bildet Typen wie 18, 19, 20, die zahl- 
reiche tlbergange zeigen. Typ 21 ist selten und kann auch im Protoplasma granu- 
liert sein. Zelle 22 ist haufiger; diese Zellen stehen oft in Reihen da, wo die 


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Fibrillenziige in das Ganglion eintreten. Zelle 24 ist der Typ einer alten sklero- 
sierten Nervenzelle, die man sicb noch 3 bis 4mal vergroBert denken kann. Der 
Kern bildet hier eine weit in den Achsenzylinder hineindringende Hohle, in 
der groBe Komer liegen. In deni diffus schwarzlich violett gefarbten Proto¬ 
plasma he ben sich an Holmgrensche Kanale erinnemde Liicken ab, wahr- 
scheinlich Reste der friiheren Fibrillengange. Zelle 23 stellt eine noch funktions- 
tuchtige Nervenzelle schematisiert vor. Die eintrecenden Fibrillen sind von 
schwarzen Komchen begleitet (die vielleicht die Rolle der Glia spielen). Der 
Kern ist wie das Kernkorperchen groB und rund. Die naphtholpositive Sub- 
stanz sitzt oft dem Kerr korperchen als Kappe auf oder ist im Zentrum der 
Korperchen reichlicher vorhanden, ist demnach nicht identisch mit dem Kern- 
korpeichen. Kern und Protoplasma zeigen eine leichte Violettfarbung, in der 
die Neurofibrillen ausgespart sind, die auch hier von Granula begleitet sein 
konnen. Vom Kern zum Achsenzylinder geht ein dcutlicher schwarzer Kegel; 
ebenso findet sich eine starkere Schwarzfarbung an den. Seitenteilen des 
Eintrittskegels. 

Die menschliche Ganglienzelle gleicht in mancher Hinsicht dem Typ 23 
der Molluskenganglicnzelle. Auch hier ist der Kern groB, die Kernkorperchen 
sind scharf umrandet, rundlich, die violette Farbung kann auf die Umgebung der 
Kernkorperchen beschrankt bleiben. 25, 26, 27 sind Typen aus dem Frontalhirn. 
In Zelle 27 ist der ganze Kern so intensiv geschwarzt, daB man vom Kernkorperchen 
nichts sieht, man findet diese Form besonders in der zweiten und dritten Zell- 
schicht bei Schizophrenen und bei manchen Formen jugendlicher Epilepsie, 
nicht aber bei der paralytischen Demenz und der Spate pile psie. Man kann di( se 
Schwarzfaxbung auch bei den aiideren Kernen erreichen, wenn man das Aldehyd 
langer auf die Gefrieischnitte einwirken lafit und besonders wirksame Extrakte 
hat, woraus sich vielleicht ein Sc-hluB ziehen lafit auf den biologischen Vorgang 
in den Kernen bei den erwahnten Kraukheiten (eihohte fermentative Tatigkeit). 
Zellen 28, 29, 30 fanden sich in einem Falle von Presbyophrenie. Die Zellen 
zeigen die fibrillaren Veranderungen der Alzheimerschen Krankheit, die 
strahnige Entartung der Fibrillen, wie sie Bielschowsky treffend nennt. Die 
Fibrillen bilden Korbe, Knauel, Schlingen, Spiralen, Faden innerhalb und 
auBerhalb der (dann aufgelosten) Ganglienzellen. Wenn der Kern naphthol- 
positiv wird, dann bildet er haufig das Zentrum einer Fischerschen Druse (33). 
Auch die Purkinjesche Zelle (Zelle 28) zeigte in diesem Falle eine gleich- 
maBige Veranderung in Form einer sehr dichten Granulierung des Kernes. 

31 bis 33 geben Veranderungen wieder, die man gelegentlich an Gliazellen 
findet. Normalerweise bietet der Gliakern das Bild 3 und 4, die Faser bleibt un- 
gefarbt. Bei Paralyse finden sich, besonders wenn reichlich.Blutpigment peri- 
vaskuiar liegfc, auch zahlreiche naphtholpositive Gliazellen (32) mit intra- und 
extrazellularen Granula, die oft quellen und dann wie Kartoffeln knollenartig den 
Fasern ansitzen (31). Die pathologische Gliafaser gibt oft sehr distinkte Bilder. 
In den Ependymzellen finden sich 1 bis 3 rundliche, gleichartige Korperchen. 


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Konnen wir uns ein Bild machen, in welcher Weise psychische Vor- 
gftnge in den Gehirnzellen niedergelegt sind und in welcher Weise sie durch 
die Zelltatigkeit beeinfluBt werden? Nehmen wir ein beliebiges Beispiel. 
Das Bild einer Katze erzeugt im Gehirn, es ist zunachst gleichgiiltig an welcher 
Stelle, eine Zustandsveranderung, die auf seelischem Gebiete eben die Vor- 
stellung ,,Katze “ ist. War der frilhere Zustand A, so entsteht der neue Zustand K. 
Die Plasmamischung A, die aus dem Gleichgewicht gebracht ist, wird einen neuen 
Gleichgewichtszustand annehmen, der aber nicht A ist, sondern etwa K + x, 
denn ware A der Gleichgewichtszustand, dann bliebe das Gehirn dauemd 
embryonal. Was ist x ? Offenbar, wenn man beriicksichtigt, daB die Plasma¬ 
mischung K und die- damit verbundene Yorstellung „KatZe“ belie big oft 
reproduziert werden konnen, ein leicht abspaltbares Adsorptionskolloid, das 
eine variable GrdBe vorstellt. (A ist die andere Variable.) 

Wird das Kolloid rhythmisch erzeugt und entfemt, ganz gleich wodurch, 
dann taucht stereotyp die Vorstellung „Katze“ auf und auBert sich, auf das 
Sprachzentrum iibertragen, als Verbigeration. Bcdingung ist nur, daB der 
Zustand K sich einstelll. 

Das Engramm fur Katze ist demnach nicht die Zustandsanderung K, son¬ 
dern die Plasmamischung K + x. x ist zugleich Sperrung fur die ReizleitUng. 
Die Mischung K + x steht, das ist zutn Verstandnis der Reproduktion (Er- 
innerung) wichtig, der Mischung K nkher wie der Mischung A. K kann 
leichter erzeugt werden als A. Die Entfemung der Grofie x geschieht durch 
ein lytisches Ferment, das um so spezifischer ist, je einzieliger der psychische 
Vorgang erscheint. Fermente sind in der lebenden Zelle nicht frei, so.ndern 
nur in einem bestimmten System wirksam, bei Storungen in der Zellmischung 
konnen sie aber frei werden, ihrc Beseitigung erfolgt dann durch die Tatig- 
keit der Nachbarzellen. Kolloid und Ferment sind abgestimmt. 

Im Molluskenganglion wird mit der Zeit durch Storung in der Abstimmung 
(Freiwerden der lytischsn Fermente) die Wirkung der Fermente deutlich und 
auBert sich als Autolyse des Kernes und Sklerose des Protoplasmas. 

Die Bedeutung der prim&r und sekundar naphtholbindenden Substanzen 
zeigt die Hftmatologie in den beiden extremen Zellformen, den kleinen 
Lymphozyten und den neutrophilen Leukozyten. (Die gleichen Folgerungen 
ergibt auch das botanische und zoologische Untersuchungsmaterial.) 

Ln kleinen Lymphozyten ist das Naphtholkemkorperchen relativ groB, 
im Protoplasma hat sich ein autolytischer peptischer ProzeB abgespielt, 
im Leukozyten fehlt das Naphtholkemkorperchen meist, das Protoplasma 
enthalt primar naphtholbindende Granula, deren Losung tryptische Fermente 
erzeugt. 

Der sich vergroBernde Lymphozyt wird, sobald sich das peptische Ferment 
bildet, immer wieder kleiner Lymphozyt, das Ferment verschwindet dabei; 
der Leukozyt zerf&llt beim Auftreten der tryptischen Fermente. Beide Prozesse 
konnen durch den gleichen Vorgang, vielleicht schon durch gesteigerte Oxydation 


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in cler Zelle herbeigefiihrt werden. Werden die lytischen Systeme durch 
Nebenprozesse beeinfluBt, dann konnen eine unendliche Anzahl von Zwischen- 
formen entstehen, die wieder bis zn einem gewissen Grade, z. B. an bestimmten 
Orten, ihr Gleichgewicht wahren, somit als spezifische Zellen erscheinen. 

Aus diesem verschiedenen Verhalten zweier genetisch verwandter Zell- 
formen lassen sich einige wichtige Satze ableiten. 

1. Die Plasmaniischung (Plasmabewegnng) einer Zelle liegt zwischen zwei 
Grenzlinien, die chemisch-physikalisch entgegengesetzten Charakter haben 

(tryptische, peptische). Man kann auch die tryptische (oh) a’s negative, 

die peptische (h) als positive Seite bezeichnen. 

Beim tlberschreiten der tryptischen Grenze bleiben die trypsinfesten Struk- 
turen zurtick, der Kem lost sich, die peptische Grenze wird nicht iiberschritten, 
da der Kem pepsinfest ist. 

Die Bildungsmoglichkeit der Plasmamischungen und lytischen Fermente 
zwischen den beiden Grenzen ist unendlich. 

Jede Zelle hat eine bestimmte Plasmabreite, innerhalb deren sie funktions- 
f&hig ist. Die Plasmabreite der Leukozyten ist klein (Bewegung nach der pep- 
tischen Seite ftthrt meist, weil durch Losung der Granula das tryptische 
Ferment frei wird, zum tlberschreiten der tryptischen Grenze), die der Lympho- 
zyten am groBten, die Plasmabreite der Gliazelle ist groBer, wie die der Ganglien- 
zelle (Vemichtung der Funktionsfahigkeit der Ganglienzelle, Korpertodl). 

2. Der gleiche Reiz, der einen neuen Gleichgewichtszustand einer Zelle 
hervorruft, wirkt entgegengesetzt, sobald die Gleichgewichtsregulierung erfolgt 
ist (weil er nicht das Plasma von frUher, sondem die Strukturveranderung trifft). 
Das lhBt sich auch ableiten aus der Tatsache, daB die geldsten primaren naphthol- 
bindenden Substanzen die primaren naphtholbindenden, die an Strukturen ge- 
bunden sind, zugleich mit den Strukturen s:lbst auflosen (Autolyse infolge 
Oxydasewirkung scheint die einfachste Erkiarung). 

Ist das erste Engramm fiir Katze nach Eintritt des Gleichgewichtes 

K + x, 

.dann ist das Engramm fiir die zweite Empfindung 

K + x + x 1 + Xj, 

wobei iCj die Veranderung, x 2 die Gleichgewichtsregulierung darstellt. 

Da der zweite Reiz entgegengesetzt wirkt, ist 

ar x = — x, 

daher x 2 = + x (der aufiere Reiz ist der gleiche 

geblieben) wird das Engramm fiir die zweite und jede spatere Empfindung, wie 
man sieht, stets 

K + x. 

Solange der (optisehe usw.) Eindruck der Katze auf das Gehirn andauert, kann 
das Gleichgewicht nicht hergestellt werden. Das Plasma ist scheinbar unverandert, 
bewegt sich aber standig, und man wiirde, ware diese Bewegung horbar, einen 


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ganz bestimmten Ton horen. Durch Gbertragung auf aquivalente Systeme ist 
dieser Ton ja anch vernehmbar, er ist das gesprochene Wort ,,Katze“. 

Es ist vergleichsweise A die Guttaperchaplatte, K die Platte mit Rillen, -f- * 
ein Wachs iiberzug, — x ein Losungsmittel fiir Wachs, das gesprochene Wort 
Ubertragurg auf das Grammophon. Das Engramm ist nicht die Platte sondern 
die mit Wachs ausgegossene Platte, eine scheinbar unveranderte Platte. Das 
Wachs ist die Sperrung. 

Nur bei einer bestimmten Plasmamischung ist Reizleitung moglich. Die 
definitive Gleichgewichtsregeltmg ist Sperrung fiir die Reizleitung und ergibt 
sieh aus der folgenden Betrachtung: 

Solange ein Zapfen der Netzhaut, welcher etwa die Farbe Gelb vermittelt, 
durch das Licht gereizt wird, sei der Plasmazustand 0. Es besteht Reizleitung 
(sonst wiirden wir keine Farbe wahrnehmen). 

Erst wenn der Reiz aufhort, entsteht die Mischung 0 + x und damit Sper¬ 
rung. Bevor dieser Zustand erreicht wird, kann eine Veranderung der Plasma- 
misohung eintreten, wie in den Zapfen, welche auf die blauen Lichtstrahlen 
reagieren, das heiBt, es kann, da die Reizleitung noch besteht, das NachbildBlau 
empfunden werden. Die Breite der Reizleitung liegt zwischen der Farbempfin- 
dung gelb auf der einen, blau auf der anderen Seite. Plasmamischungen, welche 
diese Grenze uberschreiten, werden nicht wahrgenommen. 

Der gleiche Reiz, wiederholt, erzeugt die gleiche Plasmamischung, daher 
die gleichen lytischen Fermente, welche Zwischenprodukte, die Widerstande 
abgeben, beseitigen konnen. Hierdurch wird die Reizleitung erleichtert. ,,tlbung 
schleift die Bahnen aus.“ 

Nur im gleichen Spiel der Krafte (x --=x 1 = x % usw.) kann sich das Seelische 
normal auBem, treten atypische Fermente auf (x > oder < als XjX^), dann mtissen, 
wenn die Plasmastrukturen, deren Erklingen sich als seelische Erscheinung auBert, 
sich standig regellos andern, Storungen des Seelifrchen die Folge sein. 

Ein histologischer Ausdruck fiir die Regelung der Zellstruktur sind die 
nachweisbaren Veranderungen der Strukturen, die in Beziehung zu den fermen- 
tativen Prozessen stehen und zu einem kleinen Teil (relativ) durch die primare 
wie sekundare Naphtholreaktion nachzuweisen sind. Es ist demnach notwendig 
zu untersuchen: 

1. Wie verhalten sich die Naphtholkernkorperchen im gesunden Gehirn? 

2. Wie im Gehirn von Kranken mit und ohne psychische Storungen? 

3. Welche Strukturen des Gehims sonst sind durch die Naphtholreaktion 
darstellbar? (z. B. ahneln die naphtholpositiven Corpora amylacea bei tuberoser 
Sklerose im Bau auffallend den ebenfalls sekundar positiven Konkrementen 
der Zirbel). 

Elrst wenn weitgehende Untersuchungen in dieser Hinsicht abgeschlossen 
sind, wird sich ein Urteil daruber abgeben lassen, ob aus dem „Naphtholbild“ 
eine psychiatrische Diagnose bis zu einem gewissen Grade moglich ist. Auch 
jetzt schon ist die Naphtholmethode eine brauchbare Erganzungsmethode fiir 
die iibrigen Farbreaktionen der Hirnsubstanz, besonders die Versilberungs- 


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methode (z. B. Darstellung der Drusen bei Presbyophrenie). Das neue Prinzip 
der Methode regt vielleicht manchen an, auf der gleichen Basis Untersuchungen 
anzustellen und noch bessere Methoden zu finden oder die Naphtholmethode 
selbst zu verbessern. 

Das Ziel der histologischen Forschung mufi sein, die molekulare Verande- 
rung Oppenheims nachzuweisen und das materielle Aquivalent der Seele, die 
leere Hiille freilich, aber immerhin ein vergleichbares Objekt darzustellen. Das 
geistige Band zu finden, bleibt Sache unserer Seele, die im gesetzmaBigen Ver- 
haltnis zur Himstruktur steht, sei es als eine Funktion dieser, sei es als etwas 
Unvorstellbares auBerhalb derselben, gleich wie die Musik, obwohl etwas See- 
lisches, als Funktion eines Instrumentes aufgefaBt werden kann und eine mathe- 
matische Betrachtung gestattet, die vielleicht eine Verbesserung des Instrumentes 
ermoglicht. Ohne materialistische Betrachtung der Seele ist eine Therapie der 
Geisteskrankheiten, die der Zweck der histologischen Forschung letzten Endes 
in hoherem MaBe ist, wie die Forderung der Philosophie, unmoglich. Die 
Kenntnis des fermentativen Zellstoffwechsels ist zur Erkennung der Ursachen 
der Geisteskrankheiten und zu ihrer Heilung unbedingt erforderlich. 


25. Die Abftihrmittelfrage in der Nervenpraxis. 

Von Dr. H. Kress, 

Facharzt f. Nervenleiden und Psychiatrie in Rostock. 

Bei den asthenischen oder spastischen Obstipationen der Nervosen, bei 
den durch Liegekuren quasi physiologisch oder nutritiv oder medikamentos 
bedingten hartnackigen Stuhltragheiten der nervosen, psychisch-nervosen Er- 
krankungsformen und der Aufbrauchkrankheiten ist die Wahl des Abfiihr- 
mittels eine besonders schwierige. Denn hier gibt es weit weniger Regeln und 
viel mehr tlberraschungen als in den ubrigen Gebieten der angewandten Medizin. 
Auf der Suche nach einem Laxans mit genauer Dosierbarkeit mit geringstem 
Risiko bei groBtmoglicher Wirkungssicherheit hat sich mir —ich habe in 21 Jahren 
klinischer Bettbehandlung obiger Krankheiten wahrend ihrer schweren Stadien 
alle Drogen und Reinsubstanzen aus dem Gesichtswinkel der erwahnten neuro- 
logischen und psychiatrischen Notwendigkeiten erprobt — seit Jahren weit aus 
am besten das Aperitol „Riedel“ bewahrt. Bei vorsichtiger Verabreichung 
komme ich stets mit relativ kleinen Dosen aus, erreiche dauernde Vertraglich- 
keit und sichere Wirkung, ohne Gewohnung. Aber das Wichtigste in der Nerven¬ 
praxis ist die besondere Qualifikation des Aperitols durch die Kombination der 
aperitiven Phenolphthaleineigenschaft mit der darmsedativen Wirkung der 
Baldriansauregruppe (lfihmender Effekt auf das Zentralnervensystem). So ver- 


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nieide ich starkere Erschlitterungen des gesamten Uberempfindlichen, abnorm 
stark ausschlagenden Nervensystems durch einen zu drastischen AnstoB vom 
Darm her in einer bis heute denkbar vollkommensten Weise. 1st man jedoch 
bei Liegekuren auf reizlose Diat, Opiate nnd vielleicht auch noch auf Hyp- 
notica angewiesen, so empfehle ich, angesichts dieser vier obstipiesrenden Fak- 
toren, nicht mit zu grofien Aperitolmengen eine spontane Entleerung zu er- 
zwingen, sondern sich mit der schonenden Vorbereitung des Stuhles zu begniigen 
und des Abends, % bis 1 Stunde vor der Abendmahlzeit, mit einem Wasser- 
einlauf die Entleerung zu erwirken. Auch letzterer verlangt bei Nervosen be- 
sondere Vorsicht: Geringer Wasserdruck, allm&hliche Temperatursenkung, psy- 
chische Ablenkung. 

In der medizinischen Literatur tauchen von Zeit zu, Zeit immer wieder 
Stimmen gegen das Phenolphthalein auf. Dieselben beweisen eigentlich mehr 
das haufige, zu wenig geniigende Yertrautsein mit dem Mittel seitens des Arztes 
als dessen Disqualifikation. Bei der Medikation kommt es sehr h&ufig mehr auf 
das ,,Wie“ als auf das ,,Was“ an. Nur so erklart es sich, wenn ganz groBe Kli- 
niker (Kussmaul) mit einer kleinen Zahl von Medikamenten ausgekommen sind. 
Sie verstanden eben, dieselben anzuwenden. Auch der psychisch-suggestive 
EinfluB spielt eine groBe Rolle bei der Wirkungsweise. Wir haben nicht allzu- 
viele reiz- und schmerzlos, langsam und sicher wirkende Laxantia. Bei klinischen 
Patienten mochte ich als Regel vorsichtige, progressive Dosierung bis zu mitt- 
leren Quantitaten in systematischer Kombination mit den roborativen (= mas- 
sierenden) und regenerativen (= bahnenden) Tendenzen der individual] sierten 
Darmirrigation in der Weise empfehlen, daB des Abends nach der Mahlzeit 
das Aperitol und am folgenden Tage regelmaBig entweder eine Stunde vor dem 
Mittagessen oder eine Stunde vor dem Abendessen der Wasser- (bzw. Ol)einlauf 
verabfolgt wird. Je nachdem. Mangelhafte Nachte indizieren den Abend- 
einlauf. 


II. Referate aus alien Gebieten. 


Anatomie. 

2) Sulla possibilita di ottenere su pezzi vecchi l’impregnazione della nevroglia col 
metodo all’ oro di Ramon y Cajal, per A. Coppolo. (Rivista di patologia 
nervosa e mentale. XXY. H. 5 u. 6.) Ref.: Enderle (Rom). 

Verf. hat nach langem Studium eine Methode gefunden, die es ermoglicht, 
die R. y Cajalsche Goldimpragnationsmethode auch auf alte, seit Jahren auf- 
bewahrte anatomische Schnitte anzuwenden. Es geniigt, die in Formol auf- 
bewahrten Stiicke eine Woche lang in einer Fliissigkeit, die aus Weigertscher 
Beize mit Zusatz von 10% reinem Formol gebildet ist, iin Thermostat bei einer 
Temperatur von 37° zu halten. Die nun angefertigten Schnitte, die nachCajals 
Rat durch 4 oder 6% Formollosung zu fiihren sind, beize man nun noch fiir 


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etwa 6 Stunden im Thermostat bei 53° in obengenannter Fliissigkeit weiter und 
wasche sie dann */ 4 Stunde lang in Wasser, das ofters geweehselt werden muB, 
will man eine gute Impregnation erhalten. Die Schnitte konnen nun nach 
Cajals Methode impragniert werden, doch geschieht dieses etwas langsamer 
als bei frischen Stiicken. (18 bis 24 Stunden bei einer Laboratorijimstemperatur 
von 18 bis 25° im Dunkeln.) Es gelingt, mit dieser neuen Methode immer die 
Schnitte zu impragnieren; nur ist zu bemerken, daB manchmal nicht der ganze 
Schnitt gleichformig impragniert wird, sondern einige Teile desselben besser, 
andere dagegen nicht so gut ausfallen. 


Physiologie, 

2) Der Aufbau des Ernahrungssystems der nervosen Zentralorgane, von Franz 

Groebbels. (Miinchener med. Wochenschr. 1920. Nr. 32.) Ref.: Kurt 

Mendel. 

Verf. stellt auf Grund seiner Befunde folgende Hypothese liber den Aufbau 
des Ernahrungssytems der nervosen Zentralorgane auf: Das mit dem GefaB- 
system in irgendeiner Weise in Verbindung stehende System der Lymphkapillaren 
tritt an die Ganglienzellen unmittelbar heran und lauft von Ganglie zu Ganglie 
weiter = Richtung zellulipetal = zufiihrender Schenkel des Ernahrungssystems = 
Zufuhr der Assimilationsprodukte zur Zelle (z. B. 0 2 , Na, K, Ca). Die von der 
Zelle dissimilatorisch gebildeten Stoffe nehmen zwei Wege. Der eine Weg geht 
iiber die Trophospongien der Dendriten via perizellulares trophospongioses Den- 
dritennetz (oder direkt) zu dem perizellularen trophospongiosen Dendritennetz 
der venosen Kapillaren = Richtung zellulifugal = abfuhrender Schenkel des Er- 
nahrungssystens = Wegtransport der dissimilatorischen Produkte der Zelle 
(z. B. C0 2 ). Der andere Weg diirfte vielleicht iiber die retikulare Glia gehen — 
via perizellulares Netz — Fiillnetz — perivaskulares Glianetz der kapillaren 
Venen. Doch ist die Rolle der gliosen Trophospongien im Ernahrungssystem 
wohl damit keineswegs erschopft. 

3) ttber viszero-vasomotorische Zonen, von E. Zak. (Wiener klin. Wochenschrift. 

1920. Nr. 25. S. 535.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Bei aortenkranken Menschen fand Yerf. nicht nur an der Haut des manu¬ 
brium sterni und seitlich davon eine halbmondformige eigenartige Hautrotung, 
sondern daB die entsprechenden Hautpartien mechanisch und psychisch 
starker erregbar sind; Yerf. faBt diese Erscheinung als Objektivierung der ent¬ 
sprechenden Headschen Zone auf; es lieB sich auch bei einer Person ein Aus- 
strahlen der Rotung auf Reiz im segmentalen Sinne beobachten. Ahnliche Beob- 
achtungen iiber segmentar iibererregbare HautgefaBbezirke bei Lungenkranken 
sind z. B. von Soos publiziert, Verf. schliefit: Neben einem viszerosensorischen 
Reflex und viszeromotorischen Reflex (Mackenzie) muB man noch einen viszero- 
vasomotorischen Reflex annehmen. 

• 4) Die kortikalen Erregungen, von U. Ebbecke. (Leipzig, J. A. Barth, 1919. 

305 S. Preis: geh. 21 M.) Ref.: W. Misch. 

Dieser Betrachtung liegen zugrunde die Fechnerschen Anschauungen, wo- 
nach die Seele die Selbsterscheinung dessen ist, was als Korper auBerlich er- 
scheint. Es wird versucht, das Gebiet der kortikalen Erregungen gleichzeitig 
von der biologischen und von der psychologischen Seite zu betrachten. Fur den 
Physiologen beruht die Bearbeitung dieses Themas auf der Untersuchung der 
Dauererregung der Gehirnneurone, fur den Psychiater auf der Betrachtung der 


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Dammerzustande und Halluzinationen und der dissoziativen Storungen bei herab- 
gesetztem BewuBtseinsgrad, fiir den Psychologen auf der Vergleichung von Ge- 
dachtnis, Sinnengedachtnis und Zellengedachtnis und in der Aufsuchung physio- 
logischer Korrelate zu den BewuBtseinsvorgangen. Eine Gesamtdarstellung ailer 
dieser Probleme wird unter einheitlichem Gesichtspunkt versucht. DemgemaB 
beschaftigt sich das Buch zunachst mit den Tatigkeitsstufen des Nervensystems 
und den Helligkeitsgraden des BewuBtseins, mit der Sonderung und dem Zu- 
sammenwirken der kortikalen Erregungen, der Assoziation und der ideatorischen 
Erregung, dann mit dem Sinnengedachtnis, der riicklaufigen Sinneserregung 
(Reperzeption) und der Summation unterschwelliger Erregungen, den Beziehungen 
zwischen Verschieblichkeit der BewuBtseinsschwelle und der Dauererregung, mit 
der Dauererregung der Korperzellen und Nervenzellen, dann mit dem Verhaltnis 
der Dauererregung zur Bahnung und Hemmung (Hemmungsriickschlag), der 
ideatorischen Dauererregung in ihrer Beziehung zum Gedachtnis, zum Aufmerken, 
Werten und Wollen, und endlich wird versucht, die individuelle Erregungskurve 
in ihrer Beeinflussung durch Lebensalter, geistige Erkrankung und innere Sekre- 
tion darzustellen. 

Dieses Buch, das versucht, auf einem Gebiet eine Synthese des psycho- 
physischen Geschehens zu geben,' ist von allgemeinem Interesse, besonders aber 
fiir den Physiologen, den Psychologen und den Psychiater. Fiir den letzteren 
bedeutet es eine Moglichkeit, mit seiner von alien anderen Disziplinen losgelosten 
Wissenschaft einen AnschluB an Physiologie und Psychologie zu finden. 

5) La biologia della vita affettiva, per V. M. Buscaino. (Rivista di patol. nerv. 
e ment. XXV. H. 3 u. 4.) Ref.: Enderle (Rom). 

Verf. versucht, die hi&tochemischen Veranderungen festzustellen, die sich in 
den Geweben erschreckter Tiere vorfinden. Die Experimente wurden an Katzen 
und Meerschweinchen ausgefiihrt und ergaben folgende Resultate: 

Verf. fand immer Glykosurie bei den erschreckten Tieren, negativ hingegen 
war die Nachsuche nach Albumin und Aceton. Bei den Katzen zeigte sich 
Glykosurie nach 30 bis 60 , bei den Meerschweinchen erst nach 3 Stunden. Wahr- 
scheinlich ist sie nervoser Natur. Die Oxydationsfahigkeit des Blutserums ist bei 
den erschreckten Tieren herabgesetzt, um so mehr, je groBer der Schreck selbst 
gewesen und je langer er gedauert. Die histochemischen Untersuchungen ergaben 
makroskopisch, daB nach Lugaro fixierte Stiicke des Zentralnervensystems er¬ 
schreckter Tiere eine viel blassere Gelbfarbung annehmen als gleiche Stiicke der 
Kontrolltiere; dieses wiirde auf eine physiochemische Veranderung nicht nur 
der Nisslschen Korper, sondern ailer Zentralnervensystemsbestandteile hindeuten. 
Mikroskopisch konstatiert man Zeichen einer Zunahme der Nukleartatigkeit der 
Nervenzellen; die endonuklearen Granula, besonders die der Basalganglienzellen, 
nehmen an Zahl zu, und so auch die mit sudanophilen Granula versehenen Neuro- 
gliazellen. In der Leber ist konstant der Glykogengehalt herabgesetzt, doch ist 
der an neutralen Fetten (beim Meerschweinchen) erhoht. Die sudanophilen 
Zellen sind an Zahl vermehrt (bei den Meerschweinchen auch die fuchsinophilen), 
wahrend man bei den Katzen nur fuchsinophile Sfaerula im Zellprotoplasma 
sieht; bei diesen sind auch die metabolischen Prozesse enorm vermehrt und 
zeigen eine Zunahme der speziellen (thioninophilen, braunen, schwarzen, fuchsino¬ 
philen) Nukleargranula. In der Thyreoidea konstatiert man makroskopisch 
Hyperamie, mikroskopisch GroBenzunahme der Zellen und der fuchsinophilen 
Granula in diesen, so auch in den Interstitialzellen der Hoden und Eierstocke. 

6) tlber die Umbahnung nervoser Impulse, von Heinrich Bickel. (Miinchener 

med. Wochenschrift. 1920. Nr. 27.) Ref.: Kurt Mendel. 


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Nervose Reizerscheinungen konnen bald das Symptom einer direkten Reizung 
der erregten Nervenbahnen sein, bald die sekundare Folge einer Lahmung anderer 
Nervenbahnen. Im letzteren Falle bewirkt die Lahmung eine Umleitung der 
Erregungsimpulse. Der Mechanismus der Umleitung gibt eine Erklarung sowohl 
fur manche Erscheinungen am subkortikalen Nervensystem (Mitbewegungen be- 
stimmter Art, Reflexanomalien), als auch fiir psychische Erregungszustande, 
welche auf dem Boden einer infektiosen, toxischen oder mechanischen Schadigung 
des Gehirnes auftreten (Alkohol-, Fieberdelirien usw.) 

7) Recherches experimental sur la permeabilite physique des plexus choroides, 

par Andre Bar be. (Revue neurolog. XXVII. 1920. Nr. 4.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Die Fliissigkeit, die am besten und schnellsten durch die Plexus ehoroidei 
transsudiert, ist das Blutserum. Gewisse Krankheiten, wie die progressive Para¬ 
lyse, seheinen die Permeabilitat der Plexus zu vermehren, andere, wie die Epi- 
lepsie, sie zu vermindern. 

8) Untersuchungen zu einem Gesetz der Lahmungstypen, von Otto Schwab. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 1920. H. 3—4.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Zusammenfassung: Die Muskeln zeigen bei gleichartiger Schadigung ihrer 
Nerven und Zentren im Riickenmark und Gehirn verschiedene Widerstandskraft. 
Mittelbare Ursache dieses verschiedenen Verhaltens ist generell und individual 
die Art ihrer Funktion. Kraftmuskeln sind resistenter als Dauermuskeln. Unter- 
schiede zwischen Muskeln gleicher Funktionsart sind durch die haufigere oder 
seltenere Arbeit mit einem groBeren oder kleineren Bruchteil der maximalen 
Leistungsfahigkeit zu erklaren versucht worden. Der durch die Funktionsart 
bedingte verschiedene Stoffwechsel, Wirken oder Fernbleiben des exzitativen 
Reizes zur Hypertrophic diirfte die unmittelbare Ursache der verschiedenen 
Widerstandsfahigkeit sein. 

9) The relation of the cerebral hemispheres to arterial blood pressure and body 
temperature regulation. Preliminary note, by F. T. Rogers. (Arch, of neurol. 

and psychiatry. IV. 1920. Nr. 2.) Ref.: W. Misch. 

Exstirpation der GroBhirnhemispharen bei der Taube, unter Schonung des 
Thalamus, fiihrt, bei normalem Verhalten der Korpertemperatur, zu einem kon- 
stanten Sinken des arteriellen Blutdruckes um 10 bis 20%; diese Blutdrucksenkung 
tritt sofort nach der Operation ein und halt 75 Tage nach der Operation an. Bei 
Exstirpation von Hemispharen und Thalamus erfolgt Verlust der Temperatur- 
regulierung unter ungleich starkerer arterieller Blutdrucksenkung als bei Verlust 
der Hemispharen allein. Der poikilotherme Zustand, der nach tiefen Lasionen 
des Hirnstammes eintritt, ist nicht allein durch die Veranderungen des arteriellen 
Blutdruckes bedingt. 

10) Der Einflufi der chemischen Zusammensetzung auf den Wassergehalt des 

Gehirns, von A. Weil. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LV. 1920. 

S. 49.) Ref.: W. Misch. 

Es wird versucht, die Einfliisse aufzudecken, welche die drei Hauptbestand- 
teile der Zelle, EiweiB, Lipoide und wasserlosliche Salze, im Gehirn aufeinander 
ausiiben, und aus dem wechselnden gegenseitigen Mischungsverhaltnis den ver¬ 
schiedenen Wassergehalt der grauen und weiBen Substanz zu erklaren. Aus den 
Untersuchungen geht hervor, daB das Wasserbindungsvermogen der grauen und 
weiBen Substanz unabhangig von der histologischen Struktur ist, da auch nach 
deren Zerstorung dasselbe Quellungsmaximum wie im Leben erhalten wird. Auf 


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das Quellungsvermogen der Proteine wirken die wasserloslichen Salze und die 
benzolloslichen Lipoide hemmend ein. Der hohere Gehalt der weiBen Substanz 
an dieser Fraktion bedingt trotz der gleichen Proteine gegeniiber der grauen einen 
geringeren Wassergehalt. Die Proteine haben eine groBere Quellungsgeschwindig- 
keit als die untersuchten Lipoide; die graue Substanz quillt darum schneller als 
die lipoidreichere weiBe. Der Wassergehalt der isolierten Proteine und Lipoide 
nimmt mit steigender Temperatur zu; dagegen haben graue und weiBe Substanz 
bei Korpertemperatur ein Quellungsminimum. Zur Entstehung der Hirnschwellung, 
d. h. Vermehrung des Wassergehaltes des Gehirns, bestehen also die zwei Mog- 
lichkeiten: entweder Vermehrung des Wasserbindungsvermogens von grauer und 
weiBer Substanz durch Anhaufung bestimmter quellungsfordernder Salze (Stoff- 
wechselendprodukte wie Harnstoff usw.) und damit Veranderung der Wasser- 
stoffionenkonzentration in der interzellularen Fliissigkeit oder Veranderung im 
Mischungsverhaltnis von Proteinen zu Lipoiden durch Abnahme der letzteren 
(degenerative Prozesse usw.), durch Veranderung des Liquor cerebrospinalis oder 
durch Abnahme der benzolloslichen Lipoide. 

11) Znr Frage des „Muskelsiiweg‘‘, von Allers u. Borak. (Wiener med. Wochen- 

schrift. 1920. Nr. 26.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Die Verff. stellten ihre Untersuchungen an nach Sauerbruch Amputierten an, 
und zwar war je einmal Triceps, Extensor digitorum communis und Flexor digi- 
torum sublimis zur bekannten Hautmuskelschlinge verwendet worden. Der 
durch den Hautmuskelkanal gesteckte Elfenbeinstift wurde mit der Zugs- 
vorrichtung eines Mossoschen Ergographen verbunden; die Abgrenzung vor- 
geschriebener Kontraktionen geschah durch ein Hindernis, das bei Wiederholung 
der betreffenden Kontraktion (aus dem Gedachtnisse) beseitigt wurde. Die Ver- 
suchspersonen wurden z. B. veranlaBt, freigewahlte Bewegungen, Kontraktionen 
des umgestalteten Muskels auszufiihren und diese nach 10 Sekunden bis 8 Mi- 
nuten aus der Erinnerung zu wiederholen oder dieselbe Aufgabe mit vorgeschrie- 
benen Exkursionen zu losen. Die Erinnerung an die KontraktionsgroBe war 
sehr gut. Als wesentlichstes Ergebnis der Untersuchungen stellte sich heraus: 
Die Empfindungsdaten, welche der Beurteilung von Gewichten, von Kon- 
traktionsgroBen und Gliederstellungen zugrunde liegen, sind groBenteils musku- 
laren Ursprunges. Die Muskulatur allein, ohne Gelenke und Sehnen, geniigt, sie 
entstehen zu lassen. In einer nach Sauerbruch amputierten Extremitat sind 
daher die Bedingungen fur die Ausfiihrung und Erinnerung rein abgestufter 
Muskeltatigkeiten gegeben. 

12) Huskelsinnstdrungen nnd ihre psychisehe Verwertung, von Wilhelm Serna u. 

(Archiv fiir Psychiatrie. LXII. 1920. 1. Heft.) Ref.: G. Ilberg. 

Die Annahme einiger Autoren, daB die Muskelgefiihle keine Rolle bei den 
Bewegungsempfindungen spielen, kann nicht aufrecht erhalten werden. Die 
Sensibilitat der Muskeln ist bedeutungsvoll fur Bewegungsempfindungen, nicht 
aber allein maBgebend. Bei der Lageempfindung und der passiven Bewegungs- 
empfindung spielen die Gelenkempfindungen eine sehr groBe Rolle. Der Muskel- 
sinn setzt sich aus zahlreichen Komponenten zusammen. Fiir die Lageempfindung 
und fiir die passiven Bewegungen kommen die zentripetalen Erregungen aus den 
Muskeln, Sehnen und Gelenken sowie Hautsensationen in erster Linie in Betracht. 
Fiir die aktiven Bewegungen spielen die zentralen Willensimpulse die wesent- 
lichste Rolle, sie werden aber durch die angegebenen zentripetalen Erregungen 
kontrolliert. Gesichtsempfindungen und Vestibularapparat sind fiir den Muskel- 
sinn von groBer Bedeutung. Zum System der Muskelbahnen gehort der Thala¬ 
mus opticus, der vorwiegend ein Sammelbecken und eine Schaltstelle fiir sen¬ 
sible Erregungen darstellt. Die dem Muskelsinn dienende kortikale Zone ist weit 


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ausgespannt. Verf. bringt die Krankengeschichten von vier Fallen mit 
Muskelstorungen. Zwei davon sind anatomisch untersucht, wobei Parietalhirn- 
erkrankungen festgestellt wurden. Zum SchluB werden Methoden zur Priifung 
des Muskelsinns angegeben. 

13) Studies in the regeneration of denervated mammalian muscle. III. Effects 
of massage and electrical treatment, by F. A. Hartmann and W. E. Blatz. 
(Journ. of physiol. LIII. 1920. Nr. 5. S. 290.) Ref.: W. Misch. 

Entnervte Muskeln von 58 Kaninchen wurden taglich 2 bis 20 Minuten 

massiert; ebensolche von 24 Kaninchen galvanisiert. Die Entnervung des Muskels 
war in wenigen Tagen gefolgt vom Verlust der Fahigkeit, sich auf galvanische 
Reizung zu kontrahieren. Muskeln, die durch Quetschung des Nerven entnervt 
wurden, erlangten die Fahigkeit zur Willkiirkontraktion und zur Kontraktion 
auf galvanischen Reiz einige Wochen friiher wieder als die durch Nervendurch- 
schneidung entnervten Muskeln. Weder Massage noch Galvanisation schienen 
den entnervten Muskel giinstig zu beeinflussen; keine der beiden Methoden ver- 
hinderte den Verlust der galvanischen Erregbarkeit oder besehleunigte die Er- 
holung des Muskels. Die fibrillaren Zuckungen wurden durch Massage nicht 
wesentlich beeinfluBt, wahrend galvanische Reizung sie nur fur wenige Minuten 
verminderte. 

14) Observations on the path of faradic sensibility, by G. P. Grab field. (Arch, 
of neurol. and psychiatry. IV. 1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 

Mittels der Martinschen Methode, die es ermoglicht, die Starke der von der 
sekundaren Spule ausgehenden faradischen Stromstofle in absoluten Einheiten, 
den sogenannten Betaeinheiten, zu messen, wurde die Empfindungsschwelle fur 
faradische Reizung der Haut in 261 Fallen (612 Beobachtungen) bestimmt. Es 
ergibt sich daraus, daB die epileptischen, senilen und syphilitischen Falle eine 
faradische Hypasthesie aufweisen. Bei Akroparasthesie und bei Huntington- 
scher Chorea fand sich konstant eine pathologische Erhohung der Empfindungs¬ 
schwelle, ausgedruckt in Betaeinheiten, d. h. der Zahl der StromstoBeinheiten, 
die zur Auslosung einer Empfindung erforderlich sind. Auch wurden Beziehungen 
beobachtet zwischen der Sensibilitats- und Affektschwankung bei manisch- 
depressivem Irresein. Aus den Beobachtungen wird die Vermutung abgeleitet, 
daB die faradischen Reize im Riickenmark und vielleicht auch in den peripheren 
Nerven den Weg der thermalen Fasern benutzen und in der Rinde zum Gyrus 
postcentralis gelangen. Funktionelle oder strukturelle Lasionen von einem Teil 
dieser Bahn rufen eine faradische Hypasthesie hervor. Ob die faradischen Reize 
die Temperatursinnesrezeptoren der Haut benutzen, lieB sich nicht entscheiden. 

15) Importance semiologique de Pexamen electrique de la sensibility cutanee, 
par V. Neri. (Revue neurolog. XXVII. 1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 
Die elektrische Untersuchung der Hautsensibilitat gestattet nicht nur mit 

fast zahlenmaBiger Genauigkeit den Fortschritt und Riickschritt einer Sensi- 
bilitatsstorung zu verfolgen, sondern sie stellt auch die einzige Reizmethode dar, 
mittels der man gleichzeitig den Zustand der sensiblen Nervenendigungen und 
der sensiblen Leitungsbahnen priifen kann. AuBerdem bildet die elektrische 
Sensibilitat eine spezielle Art von Hautsensibilitat, die absolut charakteristische 
Veranderungen erfahren kann. Die Untersuchung der sensiblen Endorgane ge- 
schieht durch Aufsetzen der Erbschen Elektrode auf den zu prufenden Hautbezirk 
und zwar durch Vergleichung der Empfindungsschwelle auf gesunder und kranker 
Seite, sowohl mit faradischem wie mit galvanischem Strom. Es kann dabei eine 
Dissoziation zwischen der elektrischen und den iibrigen Sensibilitatsqualitaten 
sowie auch zwischen galvanischer und faradischer Erregbarkeit bestehen. Nor- 
malerweise uberwiegt die KathodenschlieBung die Anodenoffnung, bei peripheren 
XL. (ErgSnBungsband.) tl 


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Nervenlasionen kann eine Umkehrung dieser Formel eintreten. Von weitaus 
groBerer Bedeutung ist aber die elektrische Untersuehung der sensiblen Nerven¬ 
stamme, wobei die differente Elektrode zweckmaBig auf die Austrittsstellen der 
einzelnen sensiblen Hautnerven aus der Aponeurose, auf die sogenannten sen¬ 
siblen Punkte, aufzusetzen ist. Unter normalen Bedingungen wird dann eine 
Empfindung einerseits an der gereizten Hautstelle, anderseits im ganzen Ver- 
teilungsgebiet des gereizten Hautnerven ausgelost. Die faradische Reizung ruft 
langs des Nerven zuerst eine Art Kribbeln, dann ein Stechen hervor, das mit der 
Beschleunigung der Unterbrechungen wachst. Bei galvanischer Reizung entsteht 
ein kurzer stechender Schmerz, der am' leichtesten durch KathodenschlieBung 
zu erzielen ist und einem dem motorischen analogen Gesetz folgt, der sensiblen 
Zuckungsformel (Erb). Praktisch gestaltet sich die Untersuehung so, daB man 
auf der gesunden Seite die Reizintensitat sucht, mit der ein Schmerz im Ver- 
sorgungsgebiet des untersuchten Hautnerven hervorzurufen ist, und den er- 
haltenen Wert nunmehr mit dem auf der erkrankten Seite zu ermittelnden *Werte 
vergleicht. Es zeigt sich dann, daB, wahrend am gesunden Nerven durch die 
elektrische Reizung sowohl an der gereizten Hautstelle wie im Verbreitungs- 
bezirk des Hautnerven eine Schmerzreaktion erfolgt, bei auch nur leichten Nerven¬ 
lasionen die Empfindung auf die Reizstelle beschrankt bleibt, wahrend die Aus- 
strahlung der Schmerzempfindung in die Empfindungssphare des gereizten Nerven 
aufgehoben ist. Diese sensible Unerregbarkeit des Hautnerven ist sowohl bei 
galvanischer wie bei faradischer Reizung nachzuweisen. Die sensiblen Haut- 
endigungen konnen dabei ganz abweichend von den Nervenstammen reagieren. 
Bei leichten Lasionen der Nervenstamme findet sich Unerregbarkeit der Nerven 
bei Unter- oder Ubererregbarkeit der sensiblen Endorgane; Untererregbarkeit 
der Nervenstamme bei Unerregbarkeit der Endorgane zeugt fur eine in Re¬ 
generation begriffene schwere Lasion, mit Zerstorung der Endorgane und vor- 
geschrittener Regeneration der sensiblen Bahnen; sind dagegen beide unerregbar, 
so liegt vollkommene Unterbrechung vor, was bei langerer Zeit zuriickliegendem 
Trauma fur eine irreparable Lasion spricht. Bei radikularen Lasionen unterscheidet 
sich der Befund nur durch seine radikulare Ausdehnung auf der Hautoberflache. 
Bei zentralen Lasionen besteht volliger Parallelismus zwischen dem Befund an 
den Nervenstammen und den Endorganen. Wichtig kann die Untersuehung 
zum Nachweis einer echten Ischias sein: bei normaler Erregbarkeit der Endorgane 
laBt sich hier stets eine Unerregbarkeit des N. cutaneus dorsalis med. nachweisen, 
als feinstes objektives Zeichen einer bestehenden Ischias. Dieser Befund spricht 
auch fur die rein neuritische Natur der Ischias. 

16) Notes on muscular work during hypnosis, by N. C. Nicholson. (Bull, of 

Johns Hopkins hosp. XXXI. 1920. Nr. 349.) Ref.: W. Misch. 

Am Mossoschen Ergographen wird die Muskeltatigkeit wahrend der Hypnose 
beobachtet und mit der Muskeltatigkeit im wachen Zustande verglichen. Es er- 
gibt sich, daB durch Suggestion wahrend der Hypnose die Muskeltatigkeit deut- 
lich gesteigert werden kann, und zwar in dreifacher Hinsicht: Die Arbeits- 
kapazitat erschien praktisch unendlich groB zu sein, die Ausdauer nahm zu und 
die subjektive und objektive Ermiidbarkeit nahm ab, in der Weise, daB nach der 
Arbeit in Hypnose niemals liber Miidigkeit geklagt wurde; dementsprechend war 
die Erholungsperiode nach der Hypnosearbeit iiberraschend kurz: wahrend nach 
einer Arbeit im Wachzustande eine Erholung von 1 bis 2 Stunden notig war, konnte 
nach einer ebensogroBen Hypnosearbeit sofort eine gleichwertige Arbeit im Wach¬ 
zustande geleistet werden. Wurde im Wachzustand bis zur Erschopfung Arbeit 
geleistet, so wurden bei sofort anschlieBender Hypnose unter der Suggestion ge- 
steigerter Muskelkraft die Kontraktionen sofort von deutlich starkerem Ausschlag, 


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blieben einander in der Folge gleich, anstatt, wie es bei Erschopfung zu erwarten 
ist, immer schwacher zu werden, und schienen sich in gleicher Weise unendlich 
fortsetzen zu lassen. Bei Wachsuggestion blieb diese gesteigerte Tatigkeit nach 
der Erschopfung aus, die Muskeltatigkeit lieB sich nur etwas langer fortsetzen, 
als es ohne Wachsuggestion moglich war. Es wird also durch Wachsuggestion 
nur die Ausdauer etwas gesteigert, aber der aktuelle Arbeitserfolg ist viel groBer, 
wenn die Suggestionen in Hypnose gegeben werden. 

17) ttber den Einllufi der Rontgenstrahlen auf das Gehirn I, von Hans Brunner. 

(Archiv f. klin. Chir. CXIV. 1920. H. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Rontgenstrahlen wirken auf das Gehirnparenchyni selbst und auf die 
HirngefaBe (Hyperamie, Hirnodem, Hydrocephalus internus, Blutungen). Vor 
einer intensiven Bestrahlung des Kopfes bei Kindern ist zu warnen. Beim Tier 
spielt beim Zustandekommen der epileptischen Anfalle die intrakranielle Druck- 
steigeruiig eine wesentliche Rolle. Die Heilkraft der Rontgenstrahlen gegeniiber 
der Epilepsie ist zu bezweifeln. Bestrahlungen des Gehirns konnen vielmehr die 
epileptischen Anfalle verschlechtern oder gar auslosen. 


Pathologische Anatomie. 

18) Die Geschichte der pathologischen Anatomie des Nervensystems in ihrer Be- 
ziehung zur Erkenntnis der Nerven- und Geisteskrankheiten von Fr. Wo hi will. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1920. Nr. 33.) Ref.: Kurt Mendel. 
Geschichtliche Darstellungen, welche besonders die Verdienste Nissls und 

Alzheimers wiirdigen, denen zu danken ist, daB wir jetzt bei einer nicht un- 
erheblichen Anzahl von Nerven- und Geisteskrankheiten, die friiher als „funktionell“ 
galten, mehr oder weniger charakteristische pathologisch-anatomische Verande- 
rungen kennen, so bei gewissen Formen von Chorea, bei Paralysis agitans, Epilepsie, 
alkoholischen, senilen, arteriosklerotischen und syphilitischen Geistesstorungen, 
auch bis zu einem gewissen Grade bei verschiedenen Formen des Jugendirreseins. 

19) Beitrag zur Kenntnis der Gehirnveranderungen bei Malaria, von Alfred 
Weingartner. (Archiv f. Schiffs- und Tropen-Hygiene. XXIV. 1920. 
Nr. 7.) Ref.: Kurt Mendel. 

2 Falle werden mitgeteilt, sie bestatigen friihere Befunde (Diirck) und er- 
weitern sie um die Feststellung von Verkalkungen in verschiedenen, durch mecha- 
nische oder toxische Wirkungen geschadigten Bestandteilen des Gehirns. Die 
als Nebenwirkung des Chinins in verschiedenen Organen, insbesondere auch im 
Gehirn, auftretenden Blutungen konnen einen totlichen Grad erreichen. 

BO) Sulle alterazioni del sistema nervoso nel tifo esantematieo, per Licen. (Riv. 
d. Patologia nerv. e mentale. XXV. 1920. p. 1.) Ref: Artom. 

Auf Grund seiner Sektionen hat Verf. die bestandige, wenn auch nicht immer 
gleich intensive Beteiligung der Meningen am krankhaften Prozesse des Fleck- 
typhus festgestellt. Die Veranderungen der Meningen bestehen in perivaskularer 
Infiltration vonseiten kleiner und groBer Lymphozyten, Plasmatozyten, Polyblasten, 
mit einer gewissen Anzahl von Polynuklearen und Mastzellen; und in Veranderungen 
der festen Elemente, mit Wucherung des arachnoidalen Endothels und Bildung 
freier Zellen (Fibroblasten und Makrophagen). Diese nehmen ihren Ursprung 
hauptsachlich in der subendothelialen Schicht der Arachnoidea, nehmen aber 
zum Teile auch phagozytare Charaktere an, infiltrieren die subarachnoidale Hohle 
und werden bald von Entartungsprozessen befallen. 

Die Veranderungen des zentralen Nervensystems sind diffus. Sie beziehen 
sich in erster Linie auf das GefaBsystem, indem die Wande der kleinen Arterien 
und Venen, in geringerem Grade auch die Kapillaren infiltriert werden, Diese 
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Infiltration wird von einer Wucherung der Adventitialzellen gefolgt, deren Proto¬ 
plasma eine starke Affinitat fur die basischen Anilinfarben annimmt. Verf. hat 
vom 10. Tage der Krankheit an die fur den Typhus exanthematicus charakte- 
ristischen Knotchen in der Hirnrinde, in der weiBen Substanz der Hemispharen 
(wo sie weniger zahlreich sind), im Kleinhirn, in der Gegend des Aquaeduktus, 
der Briicke, dem verlangerten Mark und im Riickenmark gefunden. Er halt die 
Bedeutung fiir iibertrieben, die man beziiglich der Knotchenbildung der Ver- 
anderung des GefaBendothels zugesehrieben hat, da er nur in einem Falle Blutungen 
in der Dicke derselben angetroffen hat. Die Knotchen sind wirkliche multiple 
submiliare Herde der Encephalomyelitis und folglich ganzlich von den Haut- 
knotchen verschieden. 

Die Veranderungen der Nervenzellen in der Rinde und in geringerem Grade 
in den anderen Gegenden des Zentralnervensystems iibertreffen an Schwere 
nicht jene, die man bei vielen akuten Infektionskrankheiten wahrnimmt. Zu diesen 
gesellen sich diffuse Veranderungen der Glia, die denjenigen bei vielen anderen akuten 
diffusen Krankheiten des Gehirns gleich sind (typische amoboide Form, besonders 
in der weiBen Hemispharensubstanz). Beziiglich des Verhaltens der Nervenzellen 
bestatigt Verf. die Befunde Bendas, der die Integritat der die Knotchen durch- 
ziehenden Achsenzylinder antraf. 

Was die peripheren Nerven betrifft, so beobachtete Verf. im Epineurium 
und im Endoneurium Hyperamie mit Anschwellung und Wucherung der Adven¬ 
titialzellen der kleinen GefaBe, geringe Infiltration von Lymphozyten, Plasmato- 
zyten und ziemlich zahlreiche Mastzellen, sowie meist kleine Blutungen. In einem 
Falle waren Knotchen sichtbar, die jenen des Zentralnervensystems glichen, 
in deren Umkreise Zerstorung einer gewissen Menge von Markscheiden bestand. 

21) Zur Kenntnis der Megalencephalie, von A. Schmincke. (Zeitschr. f. d. ges. 

Neurol, u. Psych. LVI. 1920. S. 154.) Ref.: W. Misch. 

Die Untersuchung des 2155 g schweren, in alien Teilen proportioniert ver- 
groBerten Hirns, dessen Trager ein an einer Pneumonie zum Exitus gekommener 
35j&hriger Mann war, hat eine hyperplastische Entwicklung der Neuroglia ergeben. 
Der Fall ist also einzureihen in die Gruppe der interstitiellen Form der Megalence- 
phalie. AuBerdem fanden sich akromegale Veranderungen, ohne daB eine Veranderung 
der Hypophyse nachzuweisen war. Es fanden sich Abweichungen vom normalen 
Rindenaufbau, die fiir eine iiber die Hirnrinde verbreitete Storung der Entwicklung 
sprechen und zugleich auch als pathogenetischer Faktor fiir die Gliavermehrung an- 
zusehen sind. 

22) tft>er Arhincephalie mit medianer Oberlippenspalte (Zwischenkieferdefekt), 

von Alice Goldstein. (Zeitschr. f. Kinderh. XXV.) Ref.: Zappert. 

Eingehende Beschreibung eines Falles der im Titel gekennzeichneten MiBbildung. 
Das Kind war langere Zeit am Leben, ohne daB in bezug auf Bewegungen oder Reflexe 
etwas Besonderes zu beobachten gewesen ware. Die GroBe des Hirndefekts lieB sich 
durch die Transparenzmethode intra vitam recht gut bestimmen. Die Autopsie ergab, 
wie zu erwarten, ausgedehnte Himdefekte, unter denen die mangelnde Zweiteilung 
des Vorderhirns, das Fehlen des Riechhims und der Ersatz des hinteren Teiles des 
GroBhirns durch eine Blase hervorzuheben sind. Betreffs der Pathogenese des Defekts 
schlieBt sich Verf. der Ansicht Kundrats an, der anomale Entwicklung und Falten- 
bildung des Amnion fiir derartige MiBbildungen verantwortlich machte. 


Meningen. 

23) Zur Diagnose der Meningitis auf pathologisch-physiologischer Grundlage, von 

D. Kulenkampff. (Deutsche med. Wochenschr. 1919. Nr. 45.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

Bei den verschiedenen Meningitiden ist stets der gesamte Liquor infiziert; 
daher immer mehr oder minder deutlich nachweisbare Reizerscheinungen an 


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samtlichen austretenden Wurzeln. Die Zeit im Auftreten dieser Symptome wird 
je nach Intensitat der Infektion und nach den ortlichen Verhaltnissen variieren. 
Nackensteifigkeit und das Ischiasphanomen sind friihzeitige Symptome, erstere stellt 
sozusagen die erste Etappe dar, die ein Fortschreiten der Infektion von der 
Schadel- auf die Rtickgrathohle darstellt. Nie vermiBt wird — und zwar noch 
vor der Nackensteifigkeit und dem Ischiasphanomen auftretend — die Druck- 
empfindlichkeit an der Membrana atlanto-occipitalis. Der Zugempfindlichkeit 
des Ischiadikus (Ischiasphanomen) entspricht an den grofien Armnerven die 
Zugempfindlichkeit des Plexus brachialis, welche durch Zug am gestreckten Arm 
in ganz leichter Abduktionsstellung gepruft wird. Die Stufenleiter der Meningitis- 
symptome ist folgende: zuerst Druckempfindlichkeit der Membrana atlantfc- 
occipitalis (am Foramen magnum), dann ganz leichte Behinderung der extremsten 
Beugung des Kinnes auf die Brust und gleichzeitig meist schon das Ischias¬ 
phanomen; darauf — bei voll entwickelteni Bilde — Zugempfindlichkeit des 
Plexus brachialis. 

24) Eine eigenartige Meningitisepidemie, von Dr. Paetsch. (Deutsche med. 

Wochenschr. 1919. Nr. 44.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. beobachtete im Kriege bei einem Bataillon eine Reihe von Fallen 
(80 bis 100), welche das Bild von Formes frustes von Meningitis boten: Beginn 
mit Husten und Schnupfen, dann Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, bisweilen 
auch Brechreiz, Miidigkeit, subfebrile Temperatur, bisweilen angedeutetes Kernig- 
sches Symptom, etwas erhohter Lumbaldruck, geringe Zellvermehrung im Liquor, 
giinstige Beeinflussung des Allgemeinzustandes durch die Lumbalpunktion. Liquor 
klar, bakteriologisch negativ. Nach 3 bis 5 Tagen gingen alle Krankheitserschei- 
nungen zuriick. Bei einem Kranken trat eine vorubergehende einseitige Augen- 
muskellahmung auf, ein Kranker starb unter den Erscheinungen einer Meningitis, 
die Sektion ergab aufier einer geringen triiben Schwellung der Pia nichts, auch 
hier negatives bakteriologisches Ergebnis. Sobald die Truppe aus den schlechten 
Unterstanden in Ruhelage zuriickgezogen wurde, erlosch die Seuche. Vielleicht 
handelte es sich um einen noch unbekannten, spezifischen Erreger, jedenfalls 
konnte in keinem Falle, auch nicht in den beiden schweren Fallen, der Meningo- 
kokkus nachgewiesen werden. Sporadisch waren kurz vorher sowohl in der Zivil- 
bevolkerung als auch ganz vereinzelt bei der Truppe Falle von Meningokokken- 
meningitis vorgekommen. 

25) tlber das Wesen der epidemischen Genickstarre und der Meningokokken- 

sepsis, von A. Sudeck. (Zeitschr. f. Hygiene und Infektionskrankheiten. 

LXXXIX. 1919. H. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Aus der Zusammenfassung sei folgendes hervorgehoben: Manche Falle von 
Meningitis cerebrospinalis epidemica verlaufen unter den deutlichen Zeichen einer 
septischen Allgemeininfektion. Die Meningitis ist hier notwendigerweise nur als 
eine, den ubrigen Erscheinungen (Exantheme, Geienkaffektionen usw.) koordinierte, 
aus dem Blute heraus erfolgte Metastate aufzufassen. Unwahrscheinlich ist es, 
daB die Infektion der Meningen bei Genickstarrefallen rein auf dem Lymphwege 
von der Nasenrachenhohle erfolgt. Vielmehr handelt es sich bei der Genickstarre 
um eine metastatische Ansiedelung aus dem Blute heraus. DaB die septischen Er¬ 
scheinungen bei der Genickstarre im allgemeinen durch die Meningokokken ver- 
ursacht werden, und nicht etwa durch mischinfizierende andere Keime, ist ein- 
wandfrei nachgewiesen. Mischinfektion ist nur selten beobachtet worden. Der 
Befund im Liquor kann ein sehr wechselnder sein; alle Arten und Grade der ent- 
ztindlichen Exsudationen kommen vor; man darf keineswegs in alien Fallen yon 
Genickstarre den bekannten eitrigen Liquor, der sich ja allerdings in den meisten 
Fallen vorfindet, erwaTten. Die Bezeichnung: ,>epidemische Genickstarre" ist 


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rein symptomatisch, man sollte nur sprechen von einer bald epidemisch, bald 
sporadisch auftretenden Meningokokkenallgemeininfektion a) mit allein auf die 
Meningen beschrankten Symptomen (= Genickstarre), b) mit meistens prodromal 
einsetzenden, dann fernerhin die Meningitis kiirzer oder langer begleitenden mehr 
oder minder ausgesprochenen septischen Symptomen, c) mit mehr oder minder 
ausgesprochenen, zeitlich vorangehenden septischen Symptomen und erst spater 
hinzutretender Meningitis, d) mit mehr oder minder ausgesprochenen septischen 
Symptomen, wo eine Meningitis ausbleibt. 

26) Ein Beitrag zur Lehre von der Meningitis, von C. Biehl. (Arcliiv f. Ohren-, 

Nasen- und Kehlkopfheilkunde. CIV. 1919. H. 3 u. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

* 4 Falle werden mitgeteilt. Die Grundlage fur eine Einteilung der verschie- 
denen Formen der Meningitis soli wie fiir alle Facher der Medizin allein das patlio- 
logisch-anatomische Prinzip sein. Die ersten Anzeichen einer Meningitis sind die 
letzte Aufforderung zum operativen Eingreifen. 

27) Considerazioni sulla sintomatologia delle Meningiti, per Enrico Foss a taro. 

(II Policlinico, Sez. Prat. XLIX. 1919. Jg. 28.) Ref.: Paul Han el 

(Bad Nauheim-Bordighera). 

Bei der Epidemie von 1918 hatte Verf. im Lazarett 1004 Influenzakranke, 
von denen 82 an Bronchopneumonie starben; in fast alien (25) sezierten Fallen 
fand sich Leptomeningitis. Konvexitatsmeningitis verlauft mit Erregungs- 
zustanden, Basilarmeningitis mit Torpor. In einem eingehend analysierten Fall, 
der nach 3 Monaten starb, waren offenbar die Meningen gleichzeitig mit den 
Lungen infiziert. Sektion: eitrige Leptomeningitis an der Basis des Klein- 
hirns, Hydrocephalus der Ventrikel und der Meningen an der GroBhirnbasis, 
mit auBerordentlich starker Abplattung der Hirnwindungen. Klinische Sym- 
ptome: von den ersten Tagen an Torpor und Verlust der Sprache (beide nach 
dem Grade des Hirndruckes in ihrer Starke wechselnd), so wie Blasen- und Mast- 
darminkontinenz (nicht spinal, da das Riickenmark normal war, sondern zerebral); 
Nackensteifigkeit (Reizung des Accessorius dort, wo er die untere Flache des 
Kleinhirns beriihrt); Strabismus convergens des linken Auges (Paralyse des in 
das Exsudat eingebetteten Abduzens, bevor er durch die Dura tritt); Gleieh- 
gewichtsstorung mit Neigung nach hinten umzufallen (da Sehstorungen fehlten, 
wurde an AbszeB des Kleinhirns gedacht und ein Tpmor ausgeschlossen); im 
praagonalen Stadium tonisch-klonische Kontraktionen der oberen Extremitaten, 
besonders der linken Hand (maximaler Hirndruck). 

28) Cerebro-spinal Fever in Infants and Young Children: Its Treatment and After- 

Effects, by Helen M. M. Madlay. (The Lancet, CXCVIII. 1920. Nr. 5.) 

Ref.: K. Es-kuchen. 

Verf. behandelte 8 Falle von Meningitis cerebrospinalis epidemica mit auf - 
fallend giinstigem Resultat: kein einziger Todesfall. Alter der Kinder zwischen 
5 Monaten bis zu 7 Jahren. Die Therapie bestand in konsequent durchgefuhrter 
Lumbalpunktion und intralumbaler Injektion von Meningokokkenserum; und 
zwar wurde letztere taglich durchgeftihrt, bis sich keine Meningpkokken im 
Au8strich mehr fanden oder kultureli nicht mehr nachweisbar waren, wahrend 
die Lumbalpunktion solange wiederholt wurde, bis der Druck nicht mehr erhoht 
waT. So wurde bis zu lOmal Serum injiziert und bis zu 25mal lumbalpunktieTt, 
wobei anfangs 30 bis 60 ccm, spater 20 bis 40 ccm Liquor abgelassen wurden. 
Die injizierte Serummenge betrug gewohnlich 20 ccm. In einem Fall mit Hydro¬ 
cephalus internus, wo die Lumbalpunktion resultatlos war, wurde 21mal die 
Ventrikelpunktion vorgenommen (50 bis 110 ccm Liquor entnommen). — Die 
F&Ile wurden 2 Jahre spater kontrolliert. Einige ergaben einen vollig normalen 
Befund, die Entwicklung entsprach ihrem Lebensalter; bei den anderen fand sich 


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Taubheit. Schielen. Fettsucht (Hypopituitarismus ?) und ein Zuriickbleiben in 
der Entwicklung. — Verf. schreibt die guten Erfolge in erster Linie der lange 
durchgefiihrten Lumbalpunktion zu. Dieses Urteil deckt sich mit dem mancher 
deutschen Autoren, die das ausschlaggebende therapeutische Moment weniger 
oder auch gar nicht in der intralumbalen Serumbehandlung als in der konsequenten 
und ausgiebigen Herabsetzung der krankhaften Drucksteigerung erblicken. 

29) tJber eigenartig verlaufende (latente) Formen von Meningitis purulenta acuta 
im friihesten Kindesalter, von A. Dollinger. (Zeitschr. f. Kinderheilk. 
XXI.) Ref.: Zappert. 

Verf. beschreibt 5 Falle von frischer eitriger Meningitis bei Sauglingen im 
Alter von 2 bis 10 Monaten, bei denen die akuten, erkennbaren Merkmale nur 
wenige Tage, ja Stunden gedauert hatten (15 bis 60 Stunden). Die Autopsiebefunde 
waren derartig, daB man zweifellos auf eine langere Dauer der Krankheit schlieBen 
konnte. Man muB also annehmen, daB derartige Meningitisformen, die auf In- 
fektion mit Pneumokokken, mit Streptokokken und anderen Rakterien, nicht 
aber auf Meningokokkengrundlage beruhen, langere Zeit latent bleiben, bevor 
sie klinische Symptome hervorrufen. 

30) Miningite cerebro-spinale avec nephrite aigue simulant l’uremie, par Arvid 
Wallgren. (Acta medica scandinavica. LIII. 1919. Fasc. 2.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

3 Falle werden mitgeteilt, in denen die Meningitis cerebrospinalis einer 
Nephritis folgte und eine Uramie vortauschte. Wahrscheinlich entspringen Menin¬ 
gitis und Nephritis derselben Quelle, der Meningokokken-Blutinfektion, deren 
erstes Symptom nicht, wie gewohnlich, eine Meningitis, sondern eine Nephritis 
war. In dem einen Falle bestand wahrscheinlich Uramie und Meningitis zu 
gleicher Zeit; erstere vermag die Entwicklung der Meningokokkenmeningitis zu 
erleichtern. 

31) Sphenoidal Empyema and Epidemic Cerebro-Spinal Fever, by Embleton. 
(Brit. med. Journ. 1920. 3. Jan.) Ref.: Schreiber. 

Bei todlich verlaufenen Fallen von epidemischer Genickstarre fand sich fast 
regelmaBig ein Empyem der Keilbeinhohle, wahrend im Verlauf von zur Heilung 
gelangten Fallen ein solcher Befund nie erhoben werden konnte. 

32) Quelle valeur doit-on attribuer an syndrome de From an cours d’une menin- 
gite cerebro-spinale epidemique? par Arvid Wallgren. (Acta medica scandi¬ 
navica. LIII. 1920. Fasc. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

In Fallen von Meningitis cerebrospinalis epidemica bot der Liquor Xanto- 
chromie, erhohten EiweiBgehalt und coagulation massive (Froinschen Sym- 
ptomenkomplex, wie solcher besonders bei Ruckenmarkstumoren beschrieben 
wurde). Das Froinsche Zeichen scheint von ungiinstiger prognostischer Be- 
deutung zu sein, denn die Mortalitat der Falle mit Froinschem Syndrom ist 
deutlich groBer. 

33) Zur Behandlung der Meningitis mit Staphylokokkenvakzine, von L. Schon- 
bauer u. H. Brunner. (Wiener klin. Wochenschr. 1920. Nr. 23.) Ref.: 
Pilcz (Wien). 

Fall 1. 41jahriger Mann, wurde von einer Lokomotive zur Seite geschleudert; 
bei der Aufnahme schwer benommen, Druckpuls, prompte Pupillarreaktion, Impressions- 
fraktur des linken Stirnbeines, aus der geronnenes Blut und Hirnbrei hervorquillt. 
Sofortige Operation, wahrend welcher Pat. zunachst sehr unruhig ist, stohnt, Abwehr- 
bewegungen macht; vom Augenblicke an, da die Operation das Gehirn betrifft, be- 
ginnt Pat. Tone und Melodien zu sumraen. Nach dem Eingriffe unruhig, voriiber- 
gehend Klonismen im rechten Beine, schw^cher im rechten Arme und beiderseits im 
Fazialgebiete. Am n^chsten Tage bei Fortdauer der Benommenheit deutlicher Kemig 
und Lasegue, Nackenstarre. Erhalt intravenos Staphylokokkenvakzine. Lumbal- 


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punktat ergibt Symptome einer alteren Meningealblutung. In der Folge meningeale 
Symptome mehr minder wechselnd; Pat. stets desorientiert, konfabuliert, zeigt sich 
sehr euphorisch, decessus involontarii. Fortsetzung der Behandlnng. Im Liquor ist 
die Untersuchung auf Vorhandensein von Antikorpern gegen Staphylokokken negativ 
ausgefallen, obgleich als Kontrolle mangels Zerebrospinalfliissigkeit eines normalen 
Menschen physiologische Kochsalzlosung benutzt werden muBte. Exitus am 24. Tage 
nach dem Unfall. Obduktion: Im linken Stirnlappen ein keilformiger, nach hinten 
sich in einen schmalen Spalt fortsetzender, ins Vorderhorn fiihrender Eiterherd. Hira- 
kammem von tr liber Fliissigkeit gefiillt, Him haute basalwarts von grunlichgrauem 
Eiter durchsetzt; 3. und 4. Ventrikel mit Eiter gefiillt. 

Fall 2. 16jahriges Madchen. Am 10. Janner Radikaloperation und Jugularis- 
unterbindung wegen Mittelohreiterung und Thrombose des Sinus sigmoideus. Spftter 
septisches Fieber. Aufnahme 24. J&nner. Psychisch nicht frei. Operation wegen 
eitriger Pleuritis. Seit 7. Februar Kemig, im Liquor Streptokokken; Staphylokokken- 
vakzinetherapie. In den nachsten Tagen noch Kernig, Hyperasthesien, links Oppen- 
heim +, dann Ruckbildung der bedrohlichen Erscheinungen, Heilung. 

Die Verff. schlieBen, daB die Injektion von polyvalenter Stapliylokokken- 
vakzine die Entwicklung einer schweren Meningitis zwar nicht aufhalten konne, 
daB aber leichte (serose) Formen der Meningitis unter dieser Behandlung einen 
giinstigen Verlauf zeigen. Vom theoretischen Standpunkte aus erscheint noch 
erwahnenswert, daB die Untersuchungen beziiglich des Opsoningehaltes in der 
Zerebrospinalfliissigkeit vor und nach der Behandlung in Fall 2 negativ aus¬ 
gefallen sind, womit die Ansicht widerlegt erscheint, daB die Vakzine auf die 
Meningitis durch eine Erhohung des Opsoningehaltes in der Lumbalfliissigkeit wirke. 

34) Zur Behandlung der Meningitis epidemica nebst Bemerkungen zur Behand¬ 
lung der croupdsen Pneumonie, von Franz Bardachzi. (Med. Klinik. 1920. 
Nr. 5.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. berichtet liber 9 Falle von Meningitis epidemica, die nach dem Vor- 
schlag und der Methode von Friedemann intralumbal mit Optochin behandelt 
wurden. Nach der Entleerung etwa 20 ccm Liquors wurden 20 ccm einer 2°/ 0 igen 
Losung injiziert, diese Injektion bei neuerlicher Zunahme des Hirndruckes wieder- 
holt. Gleichzeitig wurde Urotropin in groBen Dosen (bis zu zehnmal taglich 0,5) 
gegeben. Von den neun Fallen sind sieben geheilt und zwei gestorben. Der eine 
Gestorbene erlag der schweren Allgemeininfektion, die gleichzeitig zu aus- 
gebreiteter Pneumonie gefiihrt hatte. Bei einem Teil der Falle traten Blasen- 
storungen auf, die wohl auf der Giftwirkung des Optochins beruhten. Bei einem 
anderen Teil kam es bei klarer Lumbalfliissigkeit unter Fieber zu neuerlichen 
Hirndrucksymptomen leichterer oder schwerer Art, die Verf. als Rezidiv und nicht 
als Serumkrankheit auffaBt. Verf. ist der Meinung, daB sich eine wesentlichere, 
entwicklungshemmende Wirkung des Optochins bei der Friedemannschen Be¬ 
handlung nur in frischen Fallen erwarten lafit; ein wichtiger Anteil bei den thera- 
peutischen Erfolgen fallt der Druckentlastung und der Entleerung der toxinreichen 
Zerebrospinalfliissigkeit zu. Solange wir iiber ein sicheres Heilverfahren bei der 
Meningitis epidemica nicht verfiigen, erscheint es angezeigt, moglichst friihzeitig 
von der Lumbalpunktion mit griindlicher vorsichtiger Entleerung der Lumbal- 
fliissigkeit Gebrauch zu machen und anschlieBend in den Lumbalsack eine der 
Halfte des entleerten Liquors entsprechende Menge Optochinlosung zu injizieren. 
Diese Behandlung soli bis zum Eintritt der Besserung fortgesetzt werden. Dabei 
ist die gleichzeitige Darreichung von Urotropin empfehlenswert. 

35) Meningitis treated by Intrathecal Injections of the Patients Blood Serum, 

by Waterhouse. (Brit. med. Journ. 1920. 10. Jan.) Ref.: Schreiber. 

Ein Fall von Genickstarre schwerster Verlaufsart, der durch wiederholte intra- 
lumbale Einspritzungen des eigenen Blutserums geheilt wurde. 

36) Treatment of Cerebro-spinal Fever by Monotypical Serum, by Munro. (Brit, 

med. Journ. 1920. 27. Marz.) Ref.: Schreiber. 


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Vorbedingung fur erfolgreiche Behandlung und rasche Heilung ist Fest 
steUung des Typs, dem der Krankheitsfall angehort, und Einspritzung des diesem 
Typ entsprechenden Serums. Bei so behandelten Fallen kam kein Todesfall vor. 

37) Uber einige Falle von geheilter eitriger und epidemischer Meningitis, von 

Kurt Kading. (Med. Klinik. 1920. Nr. 39.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. bespricht zunachst den Nutzen der therapeutisch angewandten Lumbal- 
punktion. In den beiden ersten Fallen handelt es sich mit Wahrscheinlichkeit 
um die infantile Form der eitrigen Meningitis; sie gelangten durch Lumbalpunktion 
zur Heilung. In dem einen der weiteren, ebenfalls geheilten Fall sind in 50 Lumbal- 
punktionen 817 com Liquor entleert worden. In zwei Fallen bestand auffallende 
Kachexie. Verf. nimmt an, dafi die Meningitiskachexie durch eine Funktions- 
vstorung samtlicher Driisen mit innerer Sekretion hervorgerufen wird auf Grund 
einer Schadigung der Hypophyse. Da nicht aller Eiter entleert werden kann, 
ist auck andere Therapie notwendig, wie Spiilungen des Lumbalsackes mit steriler 
KochsaMosung unter eventueller Hinzufiigung von Desinfizientien, endolumbale 
Serumbehandlung oder weitere chirurgische Therapie. Von einer lokalen An- 
wendung des Serums erwartet Verf. nicht mehr als von der intravenosen. 

38) „Vuzin“, ein Heilmittel bei Meningitis? von Li nek. (Internation. Zentralbl. 

f. Ohrenheilk. XVII. 1920. Heft 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

Vuzin wurde von Klapp bei der Bekampfung von eitrigen Wundinfektionen 
mit ausgezeichnetem Erfolge angewandt. Bei 8 Fallen von eitriger Meningitis ver- 
suchte Verf. intralumbale Vuzininjektionen. Der Erfolg ist ermutigend. Ins- 
besondere ist das Vuzin auch prophylaktisch (1 oder 2 Injektionen) anzuwenden 
in Fallen, wo der Eintritt einer eitrigen Meningitis zu befurchten ist (Schadel- 
basisbriiche, eitrige Ohr- und Nasenerkrankungen, Operationen an Schadelbasis). 

39) Heilung eines Falles von Meningitis nach endonasaler Operation eines Hypo- 

physentumors durch Trypaflavininfusionen, von Gustav SpieB. (Deutsche 

med. Wochenschrift. 1920. Nr. 8.) Ref.: Kurt Mendel. 

26jahr. Person; vor 7 Jahren Verlust der Menses, seit eincm Jahr starke Ge- 
wichtszunahme, Fettansatz, seit 5 Jahren Augenstorungen (Optikusatrophie bdsts.). 
Rontgenbild ergab eine stark erweiterte Sella turcica. Operation (endonasal) zeigte 
eine Hypophysenzyste. Vom 5. Tage nach der Operation ab Meningitis. Ausspiilung 
der Wundhohle mit Trypaflavinlosung, Anfiillung der Zystenhohle mit Trypaflavin 
und Drainierung durch das Septum mit Trypaflavingaze. Ferner intravenose Ein¬ 
spritzung von Trypaflavin (bis zu 620 com Gesamtdosis in 10 Tagen). Heilung. — 
Verf. schreibt diese Heilung dem Trypaflavin allein zu; dasselbe totet Streptokokken 
in einer Verdiinnung 1:1000 in V 2 Stunde ab. 

40) Heilung der Pneumokokkenmeningitis durch Optochin, von Georg Rose now. 

(Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei einem Fall frischer Pneumokokkenmeningitis wurde durch zweimalige 
intralumbale Optochininjektion (0,03 g) eine vollige Sterilisierung des massenhaft 
Prieumokokken enthaltenden Liquors erzielt und die Kranke dauernd geheilt. 
Zu empfehlen ist, die subkutane und intraspinale Applikation des Optochins bei 
Pneumokokkenmeningitis zu kombinieren. 

41) Beitrag zur Frage der luetischen Meningitis, von Max Rohde. (Monatsschr. 

f. Psych, u. Neur. XLVI. 1919. Heft 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall I bot nur eine streng umschriebene Klopfempfindlichkeit an der linken 
Schadelhalf te, 1 cm vom Sagittaldurchmesser und 2 cm nach hinten vom Binauricular- 
durchmesser entfernt, sowie eine Neigung zu fluchtigen Parasthesien in der rechten 
Korperhalfte. Heilung durch antiluetische Behandlung. Diagnose: Luetische Meningitis 
an der Konvexitat. 

Fall II: Bei einem alten Luetiker, der schon mehrfach Schiibe von luetischer Me¬ 
ningitis mit auffallig geringem Bef und durchgemacht hat, setzt akut eine starke Schwer- 
horigkeit ein; gleichzeitig Ubelkeit, Brechreiz, Puls 48, sehr heftige Kopfschmerzen rechts. 


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Dann rechtsseitige fliichtige, von Zeit zu Zeit starker hervortretende Fazialisschwache, 
leichte Hemiataxie rechts, Romberg, einmal ein ganz fliiehtiger motorisch-aphasischer 
Zustand (da Pat. Linkser, muB es sich urn einen krankhaften tempor&ren Zustand 
der rechten Hemisphare gehandelt haben), haufiger Schwindel, Fallneigung liacb 
rechts. Nystagmus, homonyme linksseitige Hemianopsie (Schadigung des rechten 
Gyrus angularis bzw. der basalen Flache des Lobus occipitalis), Klopffempfind- 
lichkeit der Hinterhauptsgegend. Diagnose: Meningitis luetica der hinteren Schadel- 
grube und besonders der Basis der rechten Kleinhirnhemisphare. Auch hier — wie 
in Fall I — relativ leichte Symptome. 

42) Zur Diagnose der tuberkulosen Meningitis im Kindesalter, von Erich Ko- 
minger. (Miinchener med. Wochenschrift. 1919. Nr. 48.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Fur die Diagnose der tuberkulosen Meningitis im Kindesalter ist die Pandysclie 
Reaktion im Liquor von groBter Bedeutung, sie war in samtlichen 15 Fallen des 
Verf.’s schon bei der ersten Lumbalpunktion positiv. Hingegen ist die Nonne- 
Apeltsehe, besonders aber die Ross-Jonessche EiweiBprobe fur die l^iagnose 
der tuberkulosen Meningitis unzuverlassig. Die Pandysehe Reaktion tritt aber 
schon zu einer Zeit auf, wo die voll beweisenden pathognomonischen Zeichen der 
tuberkulosen Meningitis (positiver Tuberkelbazillenbefund im Liquor, Rontgen- 
platte mit dem typischen Bild der Miliartuberkulose der Lunge) noch fehlen. 
Der negative Ausfall der Pandyschen Reaktion zeigt an, daB keine oder jeden- 
falls noch keine pathologische Vermehrung der fur die tuberkulose Meningitis 
wichtigen EiweiBstoffe im Liquor statthat, und schlieBt das Vorhandensein einer 
tuberkulosen Meningitis aus. 

43) A Case of Tuberculous Meningitis with Complete Recovery, bv Barber. 

(Brit. med. Journ. 1920. 1. Mai.) Ref.: Schreiber. 

Der Fall betraf eine 37j&hrige Frau. Heilung nach 4 Lumbalpunktionen. 

44) Meningitis typhosa Oder Meningotyphus? von Karl Meyerhof. (Berliner . 
klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 6.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. teilt 2 Falle mit, die wohl Anspruch darauf machen konnen, als echte Meningo- 
typhen gewertet zu werden. Der erste kam zur Heilung, der zweite zum Exitus letalis. 
Der erste Fall beweist, daB bei einem auBerordentlich leichten Typhus sich eine In- 
fektion der Meningen abspielen kann, die zur Heilung fiihrt und nieht eitrig wird, das 
Blut bakteriologisch frei laBt. Die Ursaehe ist wahrscheinlich haufig wiederholte 
Schutzimpfung, die zur Ansammlung von reichlichen Schutzkorpern im Blute, aber 
nicht im Liquor fiihrt. Bemerkenswert waren Schienbeinschmerzen, die auf zen- 
trale Ursachen zuriickzufiihren sind. Fiir Typhus sprach klinisch nur der Milztumor. 
Man konnte an eine normale Typhusinfektion denken, die einen in alien Organen und 
Saften hochimmUnisierten Organismus trifft und nur in dem antikorperfreien Liquor 
zur Entwicklung gelangt, oder an eine Infektion des Liquors vom Rachen oder von 
der Nase aus und Stillstand der Infektion wegen der durch Schutzimpfung hoch- 
getriebenen Im muni tat des Organismus. Im zweiten Falle handelt es sich um schwerste 
Typhusinfektion, die allein in den weichen Hirnhauten lokalisiert blieb. In den Fallen 
ist das Blut drei bzw. einen Tag vor dem Nachweis der Typhusbazillen im Lumbal- 
punktat in Galle und nukleinsaurem Natron steril geblieben, so daB eine t)bel¬ 
se hwemmung der Lumbalfliissigkeit mit Typhusbazillen vom Blut aus mit Sicherheit 
ausgeschlossen werden kann. Es handelte sich demnaeh nicht um eine Meningitis 
typhosa, sondern um echten Meningotyphus. 

45) ttber einen Fall von Encephalomyelomeningitis typhosa, von Heinrich August 
Muller. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 3 u. 4.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Encephalomyelomeningitis: Die bis dahin unbekannte Atiologie des Falles 
wurde durch die Ziichtung von Typhusbazillen aus dem Liquor klargestellt. Sektions- 
befund. Besprechung der klinischen Symptome und des Sektionsergebnisses unter 
Beriicksichtigung der Literatur. 

46) Meningitis nach Bazillenruhr, von H. Herschmann. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift. 1919. Nr. 4.) Ref.: Pile* (Wien). 


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27 jahr. Frau, belanglose Anamnese, erkrankt an typischer Dysenterie, nach 
deren Abheilung zunachst Kopfschmerzen und wiederholtes Erbrechen sich einstellten; 
etwa 6 Wochen spater entwickelte sich in perakuter Weise das Bild einer schweren 
Meningo-encephalitis, bei dem die meningitischen Erscheinungen pravalierten. 

Lumbalpunktat ergab konstant typisch-meningitischen Befund, doch war es 
immer steril. Blut agglutinierte Dysenterie-Y-Stamme noch bei 1:200. Von den ein- 
zelnen Symptomen des Falles sei das Aufrteten eines Diabetes insipidus hervorgehoben, 
ferner folgendes eigentiimliche Verhalten: LieB man die Kranke nach links blicken, 
was linkerseits wegen Abduzenslahmung nicht moglich war, so trat ein vertikaler 
Nystagmus ein; lieB man sie nach oben schauen, in der Richtung des gleichfalls ge- 
l&hmtenRectus superior, so erfolgte ein Nystagmus horizontalis. 

Die Behandlung bestand, abgesehen von wiederholten Lumbalpunktionen, in 
intravenosen Injektionen von Staphylokokkenvakzine (nach Wagner- Jauregg), 
und zwar 12 Einspritzungen in steigenden Dosen von 10—1000 Millionen Keimen. 
Heilung. Bei der Entlassung nur noch minimale Schwache des linken Beines. 

In den epikritischen Bemerkungen betont Verf. u. a., daB die nervosen Er¬ 
scheinungen unmittelbar an die Ruhr sich angeschlossen batten, wenngleieh das 
akute Aufflackern der bedrohlichen Symptome erst etwa 6 Wochen spater er¬ 
folgte, und erinnert an Beobachtungen von Quincke u. a., wonach bei chronisch 
verlaufenden serosen Meningitiden ganz geringfiigige Noxen dazu fiihren konnen, 
eine akute Exazerbation auszulosen. Weiter macht Verf. auf die Seltenheit der 
Atiologie in diesem Falle aufmerksam. Da das Punktat immer steril war, muB 
eine parainfektiose Entstehung, durch Bakterientoxine, angenommen werden. 
SchlieBlich erwahnt Verf. Falle akuter purulenter und otogener Meningitis, die 
in letzter Zeit erfolgreich durch die Staphylokokkenvakzineinjektionen behandelt 
worden sind (Gerstmann, Toch). Die gunstigen Ergebnisse bei bakteriologisch 
so differenten Meningitisformen bestatigen die Auffassung Wagners, daB es 
sich dabei um die Bildung nichtspezifischer Immunkorper handle. 

47) Zur Genese. und Atiologie der Pachymeningitis haemorrhagica interna, von 
W. Roth. (Berliner klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 8.) Ref.: E. Tobias. 
In 9 von 11 Fallen von Pachymeningitis haemorrhagica interna bestand eine 

infektiose Grundkrankheit und zwar ein GehirnabszeB, Nierenabszesse,* 2 Falle 
von eitriger Otitis media, Sepsis, Typhus, 2 Falle von Lungentuberkulose und 
eine Syphilis mit Meningitis. In den zwei letzten Fallen schloB sich die Dura- 
erkrankung an ein lokales Trauma direkt an. In zwei Fallen gelang der Nachweis 
der Erreger in den pachymeningitischen Auflagerungen selbst. Er ware vielleiclit 
noch haufiger gelungen, wenn nicht nur histologisch, sondern auch bakteriologisch 
kulturell untersucht worden ware. In 4 Fallen war der Zusammenhang mit 
Lokalerkrankungen einwandfrei deutlich. 

Die Untersuchungen sprechen dafiir, daB fiir einen sehr groBen Teil der 
Falle eine infektiose Atiologie anzunehmen ist. Der Alkohol spielt hochstens 
eine disponierende Rolle; die Infektion bleibt die Hauptsache. Die Pachy¬ 
meningitis haemorrhagica interna ist keine spezifische Infektionskrankheit, durch 
einen typischen Erreger hervorgerufen, sondern es konnen die verschiedensten 
Entziindungserreger das Bild hervorbringen. Man kann an eine Einteilung in 
lokale, aus der Nachbarschaft fortgeleitete Pachymeningitis, und an eine hamatogen 
bzw. lymphogen entstandene denken. Bei der ersten Gruppe sckeinen Traumen 
und vor allem Otitiden eine Hauptrolle zu spielen. Die Hauptsache ist aber, daB 
auch die Pachymeningitis haemorrhagica interna den durch Infektionserreger be- 
wirkten Entziindungen zuzurechnen ist. 

48) Pachymeningitis haemorrhagica (Hygroma durae matris) kompliziert mit 
diffuser Sklerose, von Dr. Lade. (Monatsschr. f. Kinderheilk. XV. Heft 5 
u. 6.) Ref.: Zappert. 

Interessanter Fall der im Titel angegebenen Krankheitsformen bei einem c*a^ 
2 5 / 4 jahr. Kinde. Die klinische Diagnose hatte — durch die Kompression des Klein- 


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hirns veranlaBt — einen Solitartuberkel in der Mitte des Kleinhims vermutet. Die 
vorliegende Arbeit enthalt trotz ihrer Kiirze eine recht ansehauliche Schilderung der 
charakteristischen Erscheinungsformen der Pachymeningitis haemorrhagica und 
der atypischen Formen dieses bei kleinen Kindern nicht gar so seltenen Leidens, 
als dessen Kardinalsymptome ein Hydrocephalus, streifenformige Netzhautblutungen 
und gelblich-rotliches Lumbalpunktat anzusehen sind. 

49) Zur Kenntnis der sogen. Meningitis serosa, von Walther Wei geldt. (Deutsche 
Zeitsclir. f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 5 u. 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

2 Fa lie von Meningitis serosa interna, der eine durch Sektion bestatigt, der andere 
durch Lumbalpunktion und Verlauf so gut wie sichergestellt. Wiederholte Lumbal- 
])unktionen fiihrten in letzterem Fall den giinstigen Verlauf herbei. 

Das noch ziemlich unklare und sicher nicht einheitliche Bild der Meningitis 
serosa als scheinbar primare Krankheit ist noch wenig bekannt und von deni 
sogenannten idiopathischen Hydrocephalus nicht zu trennen. Oft wird auch 
die Diagnose Meningitis serosa zu Unrecht als eine Art Verlegenheitsdiagnose 
gestellt. 

50) tiber Meningitis serosa chronica cystica cerebralis, von Hans SchultheiB. 
(Frankfurter Zeitschr. f. Pathologie. XXIII. 1920. Heft 1.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Verf. bespricht die zystische Spinalmeningitis sowie die Meningitis serosa 
chronica cystica und berichtet selbst iiber einen Fall letzterer Erkrankung mit 
Sektion: 

Bei einern bis dahin gesunden Manne entwickelte sich mit groBer Wahrschein- 
lichkeit im AnschluB an ein Trauma (Schlag auf den Kopf) im Laufe von 2 1 / z Jahren' 
ein Symptomenkomplex, bestehend in epileptiformen Anfallen mit BewuBtseinsverlust, 
Fazialisparese links, spastischer Lahmung der linken Extremitaten, dann Kopfschmerz, 
Schwindel, Gedachtnisschwache, Abnahme des Sehvermogens, Sprachstorungen, 
rechtsseitige Hypoglossusparese und beginnende Stauungspapille rechts. Antopsie: 
Meningeale Zyste, wo hi als Folge des Traumas. 

51) ttber Meningitis serosa im Kindesalter, von Johanne Harke. (Monatsschr. 
f. Kinderheilk. XV. Heft 5 u. 6.) Ref.: Zappert. 

Die’Meningitis serosa ist eine akute, meist fieberhafte Hirnhautentziindung 
mit zuweilen schweren zerebralen Reizerscheinungen, die durch ein unter erhohtem 
Drucke befindliches bakterien- und leukozytenfreies Lumbalpunktat ohne EiweiB- 
vermehrung und mit maBigem Zuckergehalt gekennzeichnet ist. Mit tuber- 
kuloser Meningitis ist sie ohne Punktionsbefund leicht zu verwechseln. Meist 
ist der Verlauf ein giinstiger, nur in seltenen Fallen — meist bei Kombination mit 
Spasmophilie und Keuchhusten — kommt es zu Verblodungserscheinungen. 
Atiologisch lassen sich verschiedene Gruppen der Krankheit unterscheiden. Es 
gibt Falle ohne irgendeine nachweisbare Ursache oder solche, bei denen In- 
fektionskrankheiten, namentlich Pneumonien und Keuchhusten, vorangegangen 
waren; in letzteren Fallen wurden auch Rezidive beobachtet. Als besonders 
schwer miissen betreffs der Folgekrankheiten jene Falle angesehen werden, bei 
denen sich Keuchhusten mit Spasmophilie vereinigten. Auch nach Scharlach, 
Mumps ist Meningitis serosa beobachtet worden. Die Schwierigkeit der Diagnose 
ist aus solchen Fallen ersichtlich, bei denen das Punktat anfangs die Merkmale 
der serosen Meningitis aufwies, einige Tage spater aber das deutliche Bild der 
tuberkulosen Hirnhautentziindung darbot. 

52) Zwei Falle von Hydrocephalus internus chronicus congenitus familiaris mit 
zwei verschiedenen Schadeltypen, von Hans Eitel. (Zeitschr. f. Kinderheilk. 
XXI.) Ref.: Zappert. 

Zwei Geschwister, von denen das eine einen typischen angeborenen Hydro¬ 
cephalus, das andere auBerlich eine Mikrocephalie mit hydrocephaler Ventrikel- 
erweiterung und Hydrocephlaus externus bei der Autopsie erkennen lieBen. Der 


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fcweite Fall war durch auBerst schwere Anfalle von Hirndrucksymptomen gekennzeich- 
net, bei denen es zu Urinverhaltung und zu odematosen Schwellungen an den Scheitel- 
hockern kam, fur welche die Autopsie keinen geniigenden Anhaltspunkt ergab. Die 
Anfalle waren so bedrohend, daB nur die Ventrikelpunktion lebensrettend wirkte, 
wahrend die Lumbalpunktion versagte. Beide Kinder starben an akuter Meningitis 
infolge anderweitiger Infektion. 

53) Innere Spontandrainage bei angeborenem Hydrocephalus, von E. Wieland. 

(Schweizer med. Wochenschrift. 1920. Nr. 16.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei 9 Wochen altem Saugling mit kongenitalem Hydrocephalus internus un- 
bekannter, jedenfalls nicht luetischer Atiologie trat spontan eine rapide Verkleine- 
rung des Schadelumfangs ein mit Polyurie, Gewichtssturz und Besserung der be- 
stehenden Hirndrucksymptome (Tremor, Rigiditat usw.). Als Ursache dieser „Spon- 
tanheilung“ schien nur eine Eroffnung praformierter, bisher geschlossener intrakranieller 
AbfluBbahnen fur den Ventrikelinhalt in Frage kommen zu konnen, etwa des Fo¬ 
ramen Magendii oder eines ahnlichen physiologischen Ventrikelventils mit Austritt 
des Liquors in den Subarachnoidalraum und rascher lymphogener Resorption. 
Der Balkenstich mit nachfolgender Schadel trepanation ergab aber eine Spontan- 
ruptur der maximal verdiinnten GroBhirnhemisphare auf der Scheitelhohe als Ursache 
der „Spontanheilung“: beide GroBhirnhemispUaren waren auf eine durchscheinende, 
spinnenwebartige, mehrfach breit eingerissene Membran reduziert, aus deren Innern 
der Liquor unaufhaltsam hervorquoll. Die Operation wurde schnell beendet; das 
groBhirnlose Kind xiberstand den schweren Eingriff gut, trank unmittelbar nach der 
Operation reichlich Frauenmilch, bald darauf auch wieder Kuhmilch und schrie kraftig; 
es war schwer imbezill, spastisch gelahmt und blind. 

54) Zur Behandlung des Hydrocephalus internus im Sauglingsalter mit dem 

Balkenstich, von P. Thiele. (Zeitschr. f. Kinderheilk. XXL) Ref.: Zappert. 

Zwei Falle, von denen der eine (Idiotie, Krampfe) durch zweimaligen Balken¬ 
stich unbeeinfluBt blieb, wahrend der andere (Hydrocephalus nach Meningo- 
kokkenmeningitis) nach einmaligem Eingriff geheilt wurde. 

55) Elfjahriger Dauererfolg einer Ventrikeldrainage bei Hydrocephalus. Be- 
merkungen iiber „Liquor“druck entlastende Eingriffe, von E. Payr. (Med. 
Klinik. 1919. Nr. 49.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Der Plan des Verf.’s in seinen Versuchen iiber Ventrikeldrainage bei Hydro¬ 
cephalus internus war, den AbfluB des in den Seitenkammern des Gehirns auf- 
gestauten Liquors in die venose Blutbahn zu leiten. Fur alle Falle von Hydro¬ 
cephalus ist diese Ventrikeldrainage, ob man nun den Langsblutleiter oder die 
Vena jugularis communis bzw. facialis communis wahlt, nicht anwendbar. So 
ist sie gewagt bei entziindlicher Grundlage, wo man besser eine Drainage der 
Ventrikel gegen samtliche resorptionsbereiten Raume und Gewebsspalten an 
Hirnoberflache qnd Schadel ausfiihrt. Als Drain wurde eine in Formalin gehartete 
Kalbsarterie verwendet, deren eines Ende in den einen Seitenventrikel ein- 
gefiihrt. wurde, wahrend ihr anderes mit dem Subarachnoidal-, Subdural- und 
Epiduralraum in Verbindung gebracht wurde. Verf. schildert einen von ihm 
operierten Fall von schwerem mit hochgradiger Stauungspapille einhergehendem 
Hydrocephalus als Beweis fur die Dauerwirkung dieser Ventrikeldrainage. Bei 
der Erorterung des Falles macht Verf. noch auf Einzelheiten besonders aufmerk- 
sam. Die Besorgnis, daB sich die Offnung im Balkendache friiher oder spater beim 
Balkenstich wieder verschlieBt, ist nicht so groB, wenn man die Falle richtig aus- 
wahlt. Man soli den Balkenstich bei Hydrocephalus und nicht bei trockener 
Hirnschwellung ausfiihren! Verf. bestimmt seit Jahren regelmaBig den Liquor- 
druck bei der Eroffnung des Ventrikelsystems manometrisch, woraus sich wert- 
volle Schliisse ergeben. Verf. beschreibt dann ein Symptom, das fur die Diagnose 
der Meningitis serosa universalis wertvoll, fur die Differentialdiagnose gegeniiber 
dem Hydrocephalus acutus und chronicus internus praktisch brauchbar zu sein 
scheint. Er hat gefunden, daB bei groBen Gesamtmengen des Liquors durcli 


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PreBatmung der Druck auch nach Entleerung erheblicker Mengen von Zerebro- 
spinalfliissigkeit l&ngs&m um 250 bis 300 bis 350 mm H 2 0 erhoht werden kann. 
Dazu gehoren Gesamt mengen von Liquor, wie sie nur bei dieser Form von 
Meningitis serosa vorhanden sind. Der Balkenstich vermag die Ventrikeldrainage 
nicht vollig zu ersetzen, welche bei Hydrocephaben groBerer, geistig gut ent- 
wickelter Kinder starkeren Grades vorzuziehen ist. In diesen Fallen muB man 
versuehen, das Hirnwasser aus dem Schadel herauszubekommen, wobei nach 
Verf. die Ableitung durch frei iiberpflanzte BlutgefaBe gegen die groBen Hals- 
venen das gegebene Verfakren ist. Im iibrigen muB in bezug auf die iiberaus 
ideenreiche Arbeit auf das Original verwiesen werden. So regte Verf. an, bei 
gewissen Formen ganz schwerer Migrane durch die Ausfuhrung des Balkenstichs 
Hilfe zu schaffen, nicht bei ausgesprochen angiospastischen Fallen, sondern bei 
denjenigen, die mit nachweisbarer Liquordrucksteigerung durch Hypersekretion 
in den Hirnkammern einhergehen. 

56) Zur Kenntnis des Meningoencephalismus, von Franz v. Groer. (Zeitschr. 

f. Kinderheilk. XXI.) Ref.: Zappert. 

Das Studium der nervosen ,,Begleiterscheinungen 4i verschiedener akuter Er- 
krankungen des Kindesalters bietet sowohl in bezug auf die psychischen als auf 
die nervosen Merkmale viel des Interessanten. In vorliegender Arbeit werden die 
zerebralen Begleitmerkmale von fieberhaften Krankheiten genauer besprochen, 
die als Meningismus, als Meningitis serosa bezeichnet wurden, und fur die Verf., 
mit Riicksicht auf die oft vorhandenen kortikalen Merkmale, die Bezeichnung 
„Meningoencephalismus“ vorschlagt. Zur Hervorrufung dieses Zustandes ist eine 
anatomische Veranderung im GroBhirn nicht Voraussetzung, aber es konnen die- 
selben Toxine auch Meningitis und Encephalitis erzeugen. AuBer den gewohn- 
lichen hochfieberhaften Krankheiten des Kindes (so namentlich Typhus, Pneu- 
monie im Oberlappen, Influenza) konnen Ruhr, Pyelozystitis schwere zerebrale 
Reizsymptome hervorrufen. Auch bei chronischer Tuberkulose konnte auffallend 
haufig das Kernigsche und Brudzinskische Symptom nachgewiesen werden. 
Seltener findet sich der genannte Symptomenkomplex bei nichtinfektiosen Zu- 
standen wie alimentaren Schaden, Serumkrankheit. Die Pathogenese und Atiologie 
des Meningoencephalismus ist schwer festzustellen, doch kann man die Erschei- 
nungen ungezwungen mit einem gesteigerten Gewebszerfall und dadurch ge- 
bildeten Toxikosen erklaren, wobei auBer subjektiven Momenten, Alter und Ge- 
schlecht ein schlechter Ernahrungszustand zweifellos begiinstigend wirkt, daher 
wohl auch die fruher nicht beobachtete Haufigkeit der M. bei den Ruhrfallen 
im Kriege. Unter den mannigfachen Symptomen dieses Meningoencephalismus, 
die oft an tuberkulose Meningitis erinnern, manchmal aber auch zerebrale Herd- 
symptome darbieten, seien einige Reflexe besonders hervorgehoben, welche zu- 
weilen auch ohne andere Merkmale des Meningoencephalismus bei chronisch kranken 
Kindern (Tuberkulose) vorkommen: das Brudzinskische Nackenphanomen, 
Beugen der Beine bei Heben des Kopfes im Liegen, das Wangenphanomen 
(rasches reflektorisches Aufschlagen der Arme und Beugen im Ellbogen bei Druck 
auf die Jochbogen), die Symphysensymptome (Kontraktur der Beine bei Druck 
auf die Symphyse, Dorsalflexion der groBen Zehe bei Druck auf die Symphyse). 
Differentialdiagnostisch ist die Lumbalpunktion notwendig, die aber thera- 
peutisch nicht allzu viel Wirkung verspricht. Manchmal wirkt die Einspritzung 
einer groBeren Serummenge giinstig. 

57) ttber Gefafithrombosen j unger Kinder, von R. Hamburger. (Jahrb. f. 

Kinderheilk. LXXXXI. Heft 6.) Ref.: Zappert. 

Sinusthrombosen (und die selteneren anscheinend gleichwertigen Nieren- 
venenthrombosen) lassen sich klinisch fast nie mit Sicherheit erkennen. Ent- 


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weder fehlt iiberhaupt jedes zerebrale Krankheitsmerkmal oder es liegen so 
schwere Allgemeinsymptome vor, daB man nicht berechtigt ist, einzelne derselben 
auf eine Hirnerkrankung zuriickzufiihren, oder endlicb es werden die eventuellen 
Zeichen einer Sinusthrombose durch andere 5 auf eine fesfcgestellte Hirnerkrankung 
zuriickzufiihrende Merkmale verdeckt. Auch dort, wo ainatomisch nach Art der 
Lokalisation der Erkrankung klinische Erscheinungen zu erwarten gewesen waren, 
fehlen diese, wahrend z. B. akute zerebrale Symptome bei Nierenvenenthrombosen 
zur Beobachtung gelangt sind. Verf. gelangt auf Grund der Analyse eigener 
29 Falle zu der Ansicht, daB der allgemein angenommene Unterschied zwischen 
.,marantischer“ und ,,phlebitischer“ Thrombose nicht besteht, sondern alle GefaB- 
thrombosen bei kleinen Kindern auf infektidser Basis — wahrscheinlich durch 
Vermittelung von GefaBerkrankungen — beruhen. Auch die gelegentlich bei 
diesen Zustanden zu beobachtenden zerebralen Symptome sind nicht als Folgen 
einer lokalenHirnschadigung aufzufassen, sondern als Folgen der Allgemeininfektion, 
etwa ebenso wie die terminalen Krampfe bei manchen Sauglingskrankheiten. 

58) Keuchhustenkrampfe, von F. Reiche. (Zeitschr. f. Kinderheilk. XXV.) 

Ref.: Zappert. 

Bei Kindern mit Keuchhusten kommt es nicht selten, zumeist anfangs im 
AnschluB an Hustenanfalle, zu allgemeinen Konvulsionen, die die Neigung zu 
Wiederholungen haben und eine schlechte Prognose besitzen. Verf. hat genaue 
Untersuchungen liber die Klinik dieser Falle angestellt und auch einige ana- 
tomische Befunde erhoben. Sowohl die Befunde der Spinalfliissigkeit als die 
Autopsieergebnisse lassen als Ursache dieser Konvulsionen in der Regel eine 
meningitische Reizung im Sinne Neuraths erkennen. Hydrocephalische Sym¬ 
ptome oder Spasmophilie spielen fur das Zustandekommen dieser Konvulsionen 
keine Rolle. Hingegen ist das Alter von groBer Bedeutung, da vorwiegend Kinder 
unterhalb 2 Jahren daran erkranken. Da meningitische Veranderungen auch bei 
alteren Kindern vorhanden sind, ohne daB es zu Konvulsionen kommt, so muB 
die rasche Entwicklung des Gehirnes sowie die Neigung zu chronischen Stoff- 
wechselstorungen fur das Auftreten von Allgemeinkrampfen bei kleinen Kindern 
Iiberhaupt und auch fiir die Neigung zu Keuchhustenkrampfen verantwortlich 
gemacht werden. 

59) Zur Klinik der Meningealblutungen, von A. Salomon. (Deutsche med. 

Wochenschrift. 1919. Nr. 42.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Diagnose einer Verletzung der A. meningea media kann Schwierigkeiten 
begegnen, zumal wenn Pat. ohne Anamnese bewuBtlos eingeliefert wird oder wenn 
Schadelbriiche, Hirnerschiitterung und Hirnzertriimmerung das Bild komplizieren. 
Verf. beobachtete einen 32jahrigen Epileptiker, der in einem epileptischen Anfall im 
Zimmer hinfiel, jedoch wieder auf stand und dann liber Kopfschmerzen in der linken 
Scheitelgegend klagte, aus der Nase blutete und einmal erbrach. Am n&chsten Morgen 
leicht benommen, schlafrig und vollig unfahig, ein Wort zu sprechen. Agraphie. Puls 
gespannt, verlangsamt. R. Fazialis schwacher, Patellarreflex rechts >, Sabinski r. +, 
1. angedeutet. Diagnose: Schadelbasisbruch mit intrakranieller Blutung (freies Inter- 
vall, Aphasie, Druckpuls). Das Krankheitsbild blieb 7 Tage lang annahernd stationar, 
zeigte sogar zeitweise Besserung. Die Operation ergab auf \der Dura ein fast hand- 
tellergroBes Hamatom, in der Mitte 3 cm dick. Sprache und Schreiben kehrt wieder; 
erst schwand die motorische, dann die sensorische Aphasie. Heilung. Dem Fall eigen- 
tiimlich ist der protrahierte Verlauf und die Aphasie + Agraphie (Lasion des hinteren 
Abschnitts der linken zweiten Stimwindung). Wenn nach 2 bis 3 t&giger Beobachtung 
trotz zeitweiser Besserung Druckpuls, Aphasie und Sensorim auf dem gleichen Zu- 
stande verharren, muB man mit einem groBeren, nicht resorbierbaren Blutergusse 
rechnen und operieren, man soli nicht erst das Auftreten aller klassischen Symptome 
abwarten, sondern oft schon auf Grund von ein oder zwei Hauptsymptomen die In- 
dikation zur Operation bzw. zu einer Probetrepanation stellen. Bei dieser erweiterten 
Indikationsstellung werden sich zweifellos die Sektionsdiagnosen, die noch immer 
gegen 50% ausmaehen, wesentlich verringern. 


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Hirn (Anatomisches, Physiologisches, Lokalisation, amyostatischer 
Symptomenkomplex, Hemiplegie, Encephalitis, zerebrale Kinder- 

lahmung). 

• 60) Anatomie des menschlichen Oehirns und Ruckenmarks auf myelogenetischer 

Grundlage, von Paul Flechsig. (Erster Band, Verl. von G. Thieme, Leipzig 

1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der aus seinem Lehramte scheidende Forscher beschenkt uns mit dieser 
Arbeit, welch-e die Frucht erstaunlichen FleiBes und zielbewuBter Forschung ist. 
Im ersten Bande seiner Anatomie bringt Verf. das Material zu einer allgemeinen 
Orientierung iiber den Ablauf der Markbildung im Gehirn und liber die Bedeutung 
der Myelogenese als Forschungsmethode fiir die Gehirnanatomie. 29 Foten- und 
Kindergehirne sind in mustergliltiger Weise in meist natiirlicher GroBe ab- 
gebildet, sie veranschaulichen in makroskopischen Bildern die Gliederung des Pro- 
jektionssystems und die myeleogenetische Differenzierung der GroBbirnwindungen 
(im 2. und 3. Bande sollen die mikroskopischen Bilder folgen). 

Der vorliegende Band zerfallt in I. Die Myelogenese als Forschungsmethode, 
II. Die myelogenetischen Rindenfelder, III. Myelogenese und Pathologie. — 
Die Tatsachen der pathologischen Forschung weisen auf die namliche Gliederung 
der GroBhirnrinde in funktioneller Hinsicht hin wie die myelogenetische Diffe¬ 
renzierung in anatomischer Hinsicht. ,,Sekundare Degeneration und Klinik 
stimmen darin iiberein, daB beim Menschen die Rindenfelder, deren Zerstdrung 
Sensibilitatsstorungen oder Lahmungen verursacht, nur einen kleinen Teil der 
Hirnoberflache ausmachen und daB diese Felder sich in befriedigender Weise 
decken mit den primaren Sinnesspharen 4 *, wie sie Verf. myelogenetisch abgegrenzt 
hat; pathologische Tatsachen, die mit der Flechsigschen Auffassung der 
myelogenetischen Felder in Widerspruch stiinden, existieren nicht. Nicht nur 
fiir die Projektionssysteme, sondern fiir samtliche kortikale Leitungsbahnen gilt 
als Fundamentalprinzip die felderweise Entwicklung, so daB man rein ent- 
wicklungsgeschichtlich samtlichen myelogenetischen Rindenfeldern die Bedeutung 
besonderer Zentren beizumessen hat. Es ist weder anzunehmen, daB jede einzelne 
Sinnessphare mit alien Rindenfeldern oder der Mehrzahl derselben durch Fibrae 
arcuatae und lange Assoziationssysteme direkt verbunden ist, noch daB jede ein¬ 
zelne Sinnessphare mit einer oder mehreren anderen primaren Sinnesspharen 
direkt kommuniziert. Die primaren Sinnesspharen sind teils mit Randzonen, 
teils mit Zentralgebieten assoziativ verbunden; zwischen zwei primare Sinnes¬ 
spharen sind bald nur zwei untereinander verbundene Randzonen, bald jnehrere 
Gruppen von Randzonen und auBerdem ein Zentralgebiet eingeschaltet. Die 
Gepflogenheit, im Sulcus centralis die Grenze zwischen Stirn- und Scheitel- 
lappen zu erblicken, wird durch den Nachweis, daB dieser Sulcus (wenigstens 
in der Regel) inmitten eines schon seiner ganzen Entwicklung nach innig zusammen- 
gehorigen Gebietes liegt, wissenschaftlich unhaltbar. Die Furchen und Gyri er- 
scheinen auf Grund der myelogenetischen Differenzierung fiir die sichere Orien¬ 
tierung auf der Oberflache recht verschiedenwertig. Die Existenz gewisser myelo¬ 
genetischer Rindenfelder macht sich auch in der Schadelform auBerlich geltend 
(Scheitel-, Stirnhocker). Die Vergleichung zahlreicher gleichaltriger Individuen 
in den ersten Lebenswochen auf GroBe und Proportionen der einzelnen myelo¬ 
genetischen Felder wird wichtige Variationen ergeben. 

• 61) Das menschliche Gehirn, von R. A. Pfeifer. (3. Auflage. 123 S. Verl. 

von W. Engelmann, Leipzig 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Das Buch, welches in gemeinverstandlicher Darstellung die Anatomie und 
Physiologie des Zentralnervensystems behandelt, ist anlaBlich des Erscheinens 


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seiner ersten Auflage im Neurolog. Centr. (1912, S. 498) referiert worden. J >ie 
Anschaulichkeit des Textes sowie der Abbildungen sei hier von neuem lobend 
hervorgehoben. 

• 62) Beitrage zur Entwioklungsgeschichte des menschliehen Gehirns. I. TeiJ, 

von Ferdinand Hochstetter. (Verlag von Franz Deuticke. Wien u, 

Leipzig 1919. 170 S. u. 25 Tafeln.) Ref.: Kurt Mendel. 

Seit W. His, welcher eine zusammenhangende, aber zum Teil fehler- 
hafte Darstellung liber die Entwicklung des menschliehen Gehirns wahrend 
der ersten 4 Monate des Intrauterinlebens gegeben hat, hat kein Autor mehr 
auch nur eine kurze Periode der Entwicklungsgeschichte des menschliehen Ge¬ 
hirns an einem reicheren Material einwandsfrei erhaltener und konservierter 
Embryonen untersucht und bearbeitet. Verf. stellte nun alle liber die Ent¬ 
wicklung des menschliehen Gehirns von ihm gemachten Beobachtungen zusammen 
und arbeitete seine reiche Sammlung von menschliehen Embryonen und von 
Schnittserien durch solche im Hinblick auf die Formentwicklung des Gehirns 
svstematisch durch. Der erste Teil dieser ,,Beitrage“ liegt hier in einem vorzliglich 
ausgestatteten, mit zahlreichen Tafeln versehenen Bande vor. Er gibt die Unter- 
suchungsresultate an den Gehirnen von Embryonen von 3,34 bis 125,0 mm SteiB- 
scheitellange, die durch Operation zutage gefordert waren, wieder. Das Werk 
ist mit Unterstiitzung der Akademie der Wissenschaften in Wien aus den Ertrag- 
nissen der Erbschaft Czermak herausgegeben; fur jetzige Verhaltnisse ist Papier, 
Druck und Tafelwiedergabe von anerkennenswerter Glite, der Preis verhaltnis- 
maBig sehr niedrig (45 M.). 

83) AUgemeine Ergebnisse• unserer Hirnforschung, von Cecil e u. Oskar Vogt. 

(Erste bis vierte Mitteilung mit 141 Textabbildungen und 5 Tafeln. Journ. 

flir Psychologie und Neurologie. XXV. 1919. Erganzungsheft 1.) Ref.: 

Grlinewald (Freiburg i. B.). 

Eine Ankundigungsschrift der in Vorbereitung befindlichen ausfiihrlichen Mit- 
teilungen und Monographien, in der die Autoren den Zweck verfolgen, kiirzere Ober- 
sichten iiber die allgemeinen Ergebnisse ihrer Hirnforschung zu bringen unter Ver- 
zicht auf eine umfassende Darstellung der einschlagigen Literatur. Trotzdem enthalt 
das voflaufige Werk eine so groBe Menge neuer anatomischer und physiologischer 
Tatsachen, daB im Rahmen eines Referates ein Eingehen auf Einzelheiten unmoglich 
ist; es konnen nur die Hauptlinien umrissen werden. 

In der ersten der vier Mitteilungen stellen die Autoren Ziele und Wege ihrer 
Hirnforschung zusammen; sie erstreben: 

1. ein weiteres Eindringen in das Hirnleben, 

2. das Aufdecken gesetzm&Biger Beziehungen zwischen bestimmten materiellen 
Vorgangen im Gehirn und unseren BewuBtseinserscheinungen und 

3. die allm&hliche Anbahnung einer empirischen Losung des fur unsere ganze 
Weltanschauung so wichtigen Leib-Seeleproblems. 

Als von der Naturwissenschaft kommende Seelenforscher halten die Verff. an 
dem Prinzip der geschlossenen Naturkausalitkt als dem hochsten heuristischen Prinzip 
der Naturwissenschaft fest, wonach BewuBtseinserscheinungen Parallelvorgftnge 
materieller Himprozesse sind. Die Richtigkeit der Parallelismuslehre ist bewiesen, 
wenn flir jedes BewuBtseinselement im normalen wie im pathologischen Seelenleben 
ein physiologisches Korrelat gefunden wird. Dieses Ziel ist zu erreichen durch Ver- 
tiefung der Gehirnlokalisationslehre. Komplexe Funktionen mlissen in Teilfunktionen 
aufgelost werden und diese zu raumlich getrennten, moglichst scharf begrenzten 
Rindenbezirken in Beziehung gebracht werden. Diejenige anatomische Teildisziplin, 
die sich die Hirnrindenfelderung auf Grund der ortlichen Veranderungen des struk- 
turellen Gesamtbildes zur Aufgabe gestellt hat, nennt O. Vogt die Architektonik 
des Gehirns. Die in Anordnung, Zahl und grober Form verschiedcnen Modifikationen 
der strukturellen Elemente sind sehon bei schwacher VergroBerung zu erkennen und 
sowohl durch die Nisslsche Zelleib- als auch durch die Weigertsche Markscheiden- 
farbung darzustellen. Dementsprechend unterscheidet man Cyto- und Myelo- 
arcliitektonik. Eine kurze Zusammenstellimg der anderen anatomischen Wege, die 

XL. (ErgSnzungsband.) 1- 


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sich iiberhaupt hirnlokalisatorische Ziele gesteckt haben, und ein geschichtlicher 
tlberblick liber die Entwicklung der Architektonik beschlieBen die erste Mitteilung. 

Die zweite behandelt die topischen architektoniscben Differenzen des Isocortex 
cerebri, d. h. des Hauptteiles der Hirnrinde, der durch den Schwund der Radiar- 
fasern in bestiiftmter Hohe (Typus infraradiatus und euradiatus) charakterisiert ist 
im Gegensatz zum Allocortex, in dem die Radiarfasern bis zur ersten Schicht vor- 
dringen (Typus supraradiatus) und dessen Bereich sich auf das Rhinencephalon ohne 
Gyrus cinguli erstreckt. Der Hauptteil der zweiten Mitteilung zerf&llt in zwei Kapitel: 
die cvto- und die myeloarchitektonischen Differenzen. Die Hirnrinde baut sich auf 
aus einer Anzahl parallel laufender Horizontalschichten. Brodmann hat auf Grand 
des Zellbildes einen ontogenetischen Grandtyp geschaffen von 6 Laminae, dem die 
Verff. noch eine Schicht zufiigten; dieser siebenschichtige ontogenetische Grundtyp 
ist bereits im 6. Fotalmonat ausgebildet. O. Vogt fand sein myeloarchitektonisches 
Grundschema an 20 ft dicken, durch die ganze Hemisphare gelegten Schnitten, die 
in der Kulschitzky- Palschen Abart des Weigertschen Markscheidenbildes die 
topischen Differenzen zeigen. Dabei hat O. Vo g t festgestellt, daB die Faserschichten 
zu den Zellschichten bestimmte, aber durchaus nicht immer a priori aus der Cyto- 
architektonik abzuleitende Lagebeziehungen aufweisen. Diese sind keineswegs grob 
mechanisch bedingt, wie die Autoren die verschiedenen Modifikationen der einzelnen 
Rindenstellen iiberhaupt unter keinen Umstanden auf ein gemeinsames, grob- 
mechanisches Prinzip zuriickgefiihrt wissen wollen; die einzelnen Schichten haben 
vielmehr eine weitgehende histogenetische Selbstandigkeit, kraft deren sie ihre Eigen - 
art ausbilden. Nach Beschreibung der wesentlichen regionalen Variationen des cyto- 
und myeloarchitektonischen Grundschemas an der Hand von ausgezeichneten und 
eingehend erlauterten Textfiguren werden die verschiedenen Formen to pise her 
Differenzen abgeleitet unter Zugrundelegung einer bis ins Einzelnste genau durch- 
gearbeiteten und fiir jeden der beiden Zweige eigenen Nomenklatur. Es ergibt sich 
eine unerwartet groBe Verschiedenheit des Baues der Hirnrinde, deren genaue Kennt- 
nis Voraussetzung ist fiir die kritische Wiirdigung der geringfiigigen pathologischen 
Abweichungen und der feinen individuellen Schwankungen. Die Tatsache der scharfen 
Begrenzung und der weitgehenden selbstandigen Variation der einzelnen Schichten 
und Unterschichten zwingt zur Annahme der Existenz besonderer, auf die einzelnen 
Laminae und Sublaminae scharf begrenzter Funktionen, iiber deren Sitz jedoch noch 
wenig bekannt ist; am sichersten scheint die Annahme Bielschowskys begriindet, 
daB die III. Schicht die Aufnahmestation der zentripetalen Thalamusfasern bedeutet, 
und die V. und VI. Schioht das Ursprungsgebiet der zentrifugalen Projektionsfasern 
darstellen. In einem kurzen Anhang wird auf den EinfluB der Furchen auf das 
architektonische Rindenfeld hingewiesen. Die Rinde erf&hrt nach dem Fundus der 
Furche zu eine Verschmaleranc. Aus Breite und Faserreichtum laBt sich schlieBen, 
daB die Leistungsfahigkeit in der Rindenkuppe groBer sein muB als im Fundus, eine 
Differenz, die wahrscheinlich auch eine physiologische Bedeutung hat; auf diese soil 
in einer fiinften Mitteilung eingegangen werden. 

1 i In der dritten Mitteilung beleuchten die Verff. die architektonische Rinden- 
felderung im Lichte ihrer neuesten Forschungen. Das erste Kapitel faBt die Errangen- 
schaften der zweiten Mitteilung in folgenden S&tzen zusammen: Die Besonderheiten 
in den verschiedenen Schichten der einzelnen Rindenstellen schneiden in haarscharfen 
Trennungslinien gegen andersgeartete Rindenstellen ab. Dadurch kommt man zu 
einer Felderlokalisation, die nach dem jetzigen Stand der Forschungen in der mensch- 
lichen GroBhirnhemisph&re ein Mosaik von 200 Feldern (Areae architectonicae) unter- 
scheidet. Diese Felder sind durch ihren Bau gut charakterisiert so wie haarscharf 
und geradlinig begrenzt; jedes anatomische Feld muB als ein physiologisches Elementar- 
organ angesehen werden. — Im zweiten Kapitel schildern die Verff. die spezielle 
Felderung des Rindengebietes, das ihren Reizexperimenten vornehmlich ausgesetzt 
war, una verbessern die Brodmannschen und Maussschen Schemata aus den 
Jahren 1905 und 1908 auf Grand des Studiums von mehr als 100 Cercopithecinen- 
gehirnen. — Im dritten Kapitel werden die friiheren Einteilungsprinzipien der GroB- 
hirnrinde auf ihre physiologische Bedeutung untersucht. Die gerade Gliederang hat 
mit der architektonischen wenig Beruhrungspunkte; der myelogenetischen Lokalisations- 
lehre wird die Moglichkeit abgesprochen, je zu einer verwendbaren Felderung zu 
kommen, da sie auf unfertigen Verhaltnissen, wie sie der MarkreifungsprozeB darstellt, 
aufgebaut ist. 

Die vierte Mitteilung verbreitet sich iiber die physiologische Bedeutung der 
architektonischen Rindenfelderung. Nach genauer Pr&zisierang aer reizphysiologischen 
Fragestellung wird ausgefiihrt, wie die Methode seit den ersten Versuchen im Jahre 
1907 ausgebaut, verfeinert und von Fehlerquellen gesftubert wurde. Die Ergebnisee 


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dieser neuen Untersuchungsanordnung, die eine Kombination von physiologischer 
Isolier- und elektrischer Reizmethode darstellt, werden soweit besprochen, als sie 
eine Antwort auf die oben prazisierten Fragen zu geben vermogen, und im iibersicht- 
lichen Gesamtsohema zusammengestellt; aus der Gegeniiberstellung mit dem anatomisoh 
gewonnenen Schema geht die Ubereinstimmung der reizphysiologisch abgrenzbaren 
Bezirke und der anatomischen Area© im landkartenartigen Aufbau der Hirnoberflache 
deutlich hervor. Eine ganze Reihe bis dahin nicht erzielter Reaktionsdifferenzen 
wird angefiihrt, unter ihnen als die wichtigste die Trennung der Primkrbewegungen 
von den Sekundar- und Tertiarbewegungen in leicht erregbaren Territorien fur 
tonische Spezialbewegungen. Als interessanter Nebenbefund sei erwahnt, daB sich 
die ungleichen Funktionen gewisser Rindenbezirke auch in Besonderheiten des epi- 
leptischen Anfalles kuBem, bei Anwendung epileptogener Reize, die gleichzeitig Auf- 
schluB geben uber die Leitungswege in epileptischen Zonen. Als Beispiel fiir die 
Verfeinerung der Analyse motorischer Reaktionen sei die Aufdeckung eines 
Denervationszentrums fiir die Mastikationsbewegungen angefiihrt, dessen Bahnen 
wahrscheinlich sogar bis zum Muskel hin gesondert verlaufen, wie sich auch aus 
friiheren Versuchsanordnungen (Oddi) schlieBen laBt. — Im vierten Kapitel konnen 
die Autoren die im ersten prazisierten Fragen auf Grund der Reizergebnisse weit- 
gehendst bejahen; die resultierenden Leistungen der Felder sind als Gesamtfunktion 
des Rindenquerschnittes aufzufassen, demnach ist die Felderung und nicht die 
Schiehtung der Rindenarchitektonik zugrunde zu legen. Die Reizversuche ergeben 
weiterhin dieselben scharfen, geradlinigen Umgrenzungen fiir die Felder, wie sie den 
anatomischen Areae eigen sind. Jedem Einzelfeld ist eine besondere Funktion zu- 
zusprechen, die an das Strukturbild gebunden ist; ein vikariierendes Eintreten der 
Felder in derselben Hemisphere ist ausgeschlossen. Im AnschluB an diese Thesen 
fiihrt C. Vogt ihre Dislokationstheorie entgegen der Diaschisislehre v. Monakows 
ins Treffen, indem sie am Faktor der Desorganisation festh&lt. — Auf Grund dieser 
physiologisch-experimentellen Best&tigungen anatomischer Tatsachen kommen die 
Autoren zu dem SchluB einer derartigen Verfeinerung der Lokalisationslehre durch 
die neuen architektonischen Erkenntnisse, daB sie fiir Chirurgie und pathologische 
Anatomie von groBem Nutzen sein und zu einer viel umschriebeneren' topischen 
Diagnostik der Herderkrankungen fiihren wird, deren Bearbeitung auf der Basis der 
architektonischen Elementarorgane und nicht der gyralen Gliederung des Kortex 
gefordert werden muB. Nach dem jetzigen Stand der Forschungen ist man berechtigt, 
200 Sonderfunktionen des menschlichen Gehirnes anzunehmen; scheint es da nicht 
geboten, die architektonische Rindendifferenzierung als die Hauptursaclie unseres 
so auBerst komplizierten Seelenlebens anzusprechen ? 

Wie Spielmeyer (Jahrbuch fiir die gesamte Neurologie und Psychiatrie, XIX. 
1919. Heft 4—5) mitteilt, war es Nissls letzter Plan, dieses bedeutende Werk, 
das den Niederschlag eines halben Menschenalters voHer emster, intensiver Forscher- 
tatigkeit und selbstloser Ausdauer bildet, einer kritischen Wiirdigung zu unter- 
ziehen. Noch auf seinem Krankenbette schrieb er zu diesem Zwecke folgende Satze: 
„In einer grandiosen Arbeit haben Oskar und C6cile Vogt die Ergebnisse einer 
mehr als zehnj&hrigen Forschert&tigkeit mitgeteilt. Jeder Hirnforscher hat die Pflicht, 
ein solches Werk Zeile fiir Zeile zu studieren.“ 

64) Znr Frage der Lokalisatioii psychischer Funktionen, von E. Fankhauser. 

' (Schweizer med. Wochenschrift. 1920. Nr. 35.) Ref.: Kurt MendeK 

Verf. versucht, des naheren seine Ansicht zu begriinden, daB die 4. Ganglien- 
zellschicht, die sogen. innere Kornerschicht der Gehirnrinde, das anatomische 
Substrat der Affektivitat sei. 

65) Das Gehirn eines Wunderkindes (des Pianisten Goswin Sokeland), von 

Rudolf Klose. (Monatsschr. f. Psych, u. Neur. XLVIII. 1920. Heft 2.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. beschreibt das Gehirn des eminent begabten, allgemein geistig un* 
gewohnlich veranlagten Pianisten Goswin Sokeland, welcher in Hamburg ge- 
boren war, anfangs in Hamburg, spater bei Liszt in Weimar lebte und auBer- 
ordentlich gut Klavier gespielt haben soil. Er wurde 1894 mit den Symptomen 
der Katatonie in der Leipziger Univ.-Nervenklinik aufgenommen und starb da- 
selbst im Jahre 1900 an sekundarer Lungentuberkulose. An seinem Gehirn fanden 
sich Konfigurationen, die sich in direkten Zusammenhang bringen lassen mit den 

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hervorragenden Fahigkeiten des Kiinstlers. Ein Vergleich des Gehirns Soke- 
lands mit den in der Literatur beschriebenen Gehirnen groBer Musiker ergibt 
folgendes: 1. Vorwiegen des eury-steno-gyrencephalen Typus gegentiber dem 
stenogyrencephalen, 2. Bevorzugung der linken Hemisphare bei der Entwicklung 
der fiir musikalische Begabung in Frage kommenden Hirngebiete, 3. besondere 
Bevorzugung des Gyrus supramarginalis, centralis anterior (mittleres Drittel), 
temporalis superior (hintere 2 Drittel), centralis posterior (mittleres Drittel). 
Der euro-steno-gyrencephale Gehirntypus findet sich ausgesprochen nicht nur bei 
Musikergehirnen, sondern auch bei Menschen, die keine Berufsmusiker waren. 
deren musikalische Befahigung jedoch einwandfrei feststeht (z. B. bei Adolf 
v. Menzel). Die wichtigste Grundlage fiir das Musikvermogen eines Menschen 
ist die Flechsigsche Horwindung. Die Frage, ob man aus dem Gehirn eines 
Menschen auf seine musikalische Befahigung schlieBen kann,. ist zurzeit noch 
nicht befriedigend zu beantworten, ebensowenig die allgemeine Frage, ob sich die 
Fahigkeiten eines Menschen im Bau seines Gehirnes dokumentieren. In vielen 
Fallen konnen wir aber auf Grund der oder jener iibernormalen Entwicklung 
einer bestimmten Hirnregion angeben, daB der Hirntrager moglicher- oder auch 
wahrscheinlicherweise die oder jene Fahigkeit in besonderem MaBe besessen hat. 
Ergibt die Nachforschung das Gegenteil dieser Annahme, so ist zu sagen, daB 
anscheinend wohl die Anlage vorhanden, jedoch nicht zur Ausbildung gekommen 
ist. Ist die oder jene Gehirnpartie, in denen wir bestimmte Zentren lokalisieren, 
unternormal bzw. gar nicht entwickelt, so konnen wir mit groBer Wahrscheinlich- 
keit annehmen, daB der Trager des Gehirns diese oder jene Fahigkeit (z. B. Musik¬ 
vermogen) nicht in besonderem MaBe bzw. gar nicht besessen hat. „Normal- 
gehirne“, d. h. Gehirne ohne besondere Entwicklung irgendwelcher Regionen, 
entziehen sich bis jetzt der Beurteilung. (Ref. vermiBt die Beriicksichtigung 
seiner Arbeit iiber motorische Amusie [Neurol. Centralbl. 1916, S. 354], sowie 
der Arbeiten von Max Mann [Neurol Centralbl. 1917, S. 149] und H. Foerster 
[Neurol. Centralbl. 1918, S. 432]. Die betreffenden 3 Falle fiihrten uberein- 
stimmend zu der Annahme, daB die musikalischen Ausdrucksfahigkeiten in der 
rechten zweiten Stirnwindung lokalisiert sind. Am Gehirn Sokelands ist nun 
auch [vgl. S. 81] der Lobus frontalis der rechten Hemisphare im ganzen windungs- 
reich und breit, er zeigt die gleiche auBerordentlich starke Massenentwicklung 
wie an der linken Hemisphare.) 

66) Sur le mecanisme central des mouvements des yeux, par Hans Gertz. (Acta 

medica scandin. LIII. 1920. Fasc. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

SchluBfolgerung: Die periphere motorische Innervation der Augenbewegungen 

setzt sich aus zwei sich folgenden oder vielleicht teilweise gleichzeitigen Akten 
zusammen: einer anfanglichen kinetischen Impulsion und einer terminalen Inner¬ 
vation; beide scheinen gemeinsam in den motorischen Kernen durch den gleichen 
Reiz hervorgerufen zu werden. Die kinetische Impulsion fiihrt die mobile Aktion 
der Muskeln, die kinetische Phase, herbei; die terminale Innervation bestimmt 
und halt aufrecht die Stellung der mobilen Massen und erzeugt auch die anta- 
gonistische Aktion, welche die kinetische Phase anhalt. Dieser Terminalakt hangt 
wesentlich vom Kleinhirn ab, letzterem kommt demnach eine auf die allgemeine 
Motilitat ausgedehnte motorische Funktion zu. 

67) Beitrag zur Storung der assoziierten Augenbewegungen, von A. Kluge. 

(Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LIY. 1920.) Ref.: W. Misch. 

Bei einer Frau mit schwerer allgemeiner Arteriosklerose wurden, neben einer 
Herabsetzung des Sehvermogens ohne nachweisbare Ver&nderungen an Papille und 
brechenden Medien, eine doppelseitige Ptosis, eine assoziierte vertikale und eine mit 
Deviation abwechselnde seitliche Blicklahmung beobachtet. Die Obduktion ergab 


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keinerlei zerebrale Veranderungen, weder im Pons noch in den Corpora quadrigemina. 
Dagegen fanden sich an der Gehirnbasis hochgradig sklerosierte GefaBe, an denen an 
manchen Stellen einzelne isolierte Plaques parallel rechts und links auffielen. 
Besonders stark waren diese beiderseits an aer Kriimmung der Art. carotis im 
Sulcus caroticus, da wo Abduzens, Okulomotorius, Trochlearis und Opticus sich dicht 
an die Arterie anlegen. Es wird angenommen, daB durch die Sklerose der Carotis 
interna eine doppelseitige Insultierung dieser Nerven hervorgerufen wurde, durch 
die das beobachtete Syndrom erzeugt wurde. 

68) Linksseitige Okulomotoriuslahmung in der Schw&ngerschaft, von Fritz 

Bierende. (Zentralbl. f. Gynakologie. 1920. Nr. 21.) Ref.: Kurt Mendel. 

Linksseitige Ptosis bei einer 34jahrigen Ilparen mit Eklampsie. Sonst keine 
Augenmuskellahmungen. Schon bei der ersten Geburt vor 8 Jahren war 24 Stunden 
vor Beginn der Wehen eine linksseitige Ptosis aufgetreten, auch Kopfschmerz und 
Erbrechen; keine Krampfe. Heilung der damaligen Ptosis innerhalb von 3 Monaten. 
In der jetzigen Schwangerschaft bestanden die ganze Zeit starke KopfscHmerzen 
und Erbrechen. 4 Monate nach der Geburt war die Ptosis geschwunden. Verf. meint, 
daB es sich um eine wiederholte Schwangerschaftstoxikose handelte. 

69) Facial pontine diplegia (traumatic), byj G. B. Hassin, D. M. Levy and 

W. E. Tupper. (Journ. of nerv. and ment. disease, LII. 1920. Nr. 1.) 

Ref.: W. Misch. 

Ein 24j&hriger schwarzer Soldat hatte durch Einklemmung zwischen zwei Eisen- 
bahnwagen ein schweres Sch&deltrauma mit 3 Wochen andauernder BewuBtlosigkeit 
erlitten. Es fand sich eine doppelseitige degenerative Fazialislahmung vom peripheren 
Typus, eine linksseitige Abduzensl&hmung, eine Affektion der Chorda tympani, 
leichte Horstorung rechts und Lesion eines zentralen Teiles des Vestibularapparates. 
Eine Basisfraktur mit Blutung in den Akustikusgang muB abgelehnt werden, da die 
Affektion des Abduzens dann keine Erkl&rung findet. Vielmehr wird eine pontine 
Lasion angenommen, bei der der 6. und 7. Nerv gleichzeitig und auch die Akustikus- 
bahnen betroffen sein konnen. Welcher Art die Affektion war, lieB sich mangels einer 
Obduktion nicht feststellen. 

70) Paraplegic en flexion d’origine cerebrale par necrose sous-ependymaire pro¬ 
gressive, par Pierre Marie et Ch. Foix. (Revue neurologique. XXVII. 

1920. Nr. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

70jahrige Kranke mit Zeichen seniler Hirnsklerose (ausgesprochene Intelligenz- 
abnahme, Zwangslachen) und Flexionsparaplegie, Steigerung der Abwehrreflexe, 
Abschwachung oder Fehlen der Sehnenreflexe. Autopsie: symmetrische progressive 
subependymare Nekrose, beruhend auf langsamer Erweichung; die kleinen sub- 
ependym&ren Nekroseherde vernarben, daher ein unregelm&Biges Aussehen der 
Ventrikelwand. Der ProzeB ist vaskul&rer Natur, wohl beruhend auf einer doppel- 
seitigen Lftsion der Arteriae cerebri anteriores. Der Fall stellt eine merkwuraige 
Varietat der Greisenparaplegie dar, er ist der erste anatomisch und klinisch unter- 
suchte Fall von Flexionsparaplegie zerebralen Ursprungs mit Dissoziation der 
Abwehr- und Sehnenreflexe (Babinski). Die mesenzephalischen Zentren waren 
intakt, ihre Lasion ist demnach nicht unerlaBlich, damit der medullare Automatismus 
und die Flexionsparaplegie entsteht. 

71) tJber Gehirnfieber, von D. Hinsch. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. 
LIV. 1920. S. 303.) Ref.: W. Misch. 

Im AnschluB an eine Zusammenstellung der Literatur der experimentellen 
Untersuchungen liber die Lokalisation des Temperaturzentrums und den zen¬ 
tralen Mechanismus der Temperaturregulation sowie einiger klinischer Falle von 
Gehirnfieber, wird ein Fall mitgeteilt, bei dem im AnschluB an eine Hirnpunktiom 
bei einer sonst beschwerdefreien Patientin 5 Tage lang eine kontinuierliche Tempe- 
raturerhohung um 2,4° aufgetreten war. Bei der Hirnpunktion war der Seiten- 
ventrikel punktiert worden, und es fanden sich bei der mikroskopischen Unter- 
suchung des punktierten Hirnzylinders Ganglienzellen aus den Stammganglien. 
Nach der Lage des Einstichs wird eine Verletzung des Corpus striatum und zwar 
des Nucleus caudatus angenommen. Der Fall, in dem zum erstenmal die Folgen 


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des richtigen Warmestichs am Menschen beobachtet wurden, zeigt, dafi liier 
analoge Verhaltnisse wie beim Tiere vorliegen. 

72) Habituelle Hyperthermie bei Sklerose der Stammganglien, von H. Mammele. 

(Monatsschr. f. Kinderheilk. XVIII. Heft 1.) Ref.: Zappert. 

Ein etwa 2jahriges Kind mit'groBem Kopfe, Idiotie, Amaurose und sonstigen 
abnormen Bildungen zeigte bei der Autopsie eine Hypertrophia cerebri mit Hydro¬ 
cephalus internus, eine auffallige gliose Verhartung der Stammganglien, besonders 
des Thalamus, des Kleinhirnwurmes, und altere Blutungsreste in der Dura. Das 
Zusammentreffen einer Hypertrophia cerebri mit einer Sklerose der Stammganglien 
ist ein sonst ungewohnlicher Befund. Zur Klarung der noch wenig bekannten Atiologie 
und Klinik der Hirnhypertrophie tr&gt der vorliegende Fall wenig bei, w&hrend die 
Stammgangliensklerose gut bekannt ist und auch bei dem beschriebenen Falle die 
Symptomatologie zu erkl&ren vermag. Als ein ganz einzelstehendes Merkmal ist aber 
die Monate hindurch bestehende Temperatursteigerung bis iiber 38° anzusehen. Es 
handelt sich um eine „habituelle Hyperthermie“ im Sinne von Hollo, die durch 
Pyramidon nicht beeinfluBt werden konnte, hingegen durch Opium eine Herabsetzung 
erfuhr. Man kann wohl nicht zweifeln, daB diese dauernde subfebrile Temperatur 
auf die Hirnerkrankung zuriickzufuhren ist, um so mehr als auch durch anderweitige 
Erfahrungen eine enge Beziehung der Stammganglien zur Warmeregulierung fest- 
gestellt worden ist. 

73) Zur Klinik pseudoskleroseahnlicher Krankheitstypen, von J. Gerstmann 

und P. Schilder. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LIV. 1920. S. 156.) 

Ref.: W. Misch. 

In dem hier mitgeteilten Fall handelt es sich um eine chronisch-progrediente, 
mit Demenz einhergehende Erkrankung, bei der Muskelspannungen teils pyramidaler, 
groBtenteils extrapyramidaler Genese, ruckartig ausfahrende Zuckungen der Extremi- 
taten vor dem Erreichen des Zieles pendelnden Charakters (Storungen des Bewegungs- 
abschlusses) sowie eigenartige Storungen der Korperbalance besonders beim Gehen 
und beim Sichaufrichten aus liegender Haltung, bei Ausfall vestibularer Reaktions- 
bewegungen, im Vordergrunde aes Krankheitsbildes stehen. Lokalisiert wird der 
ProzeB teils im Kleinhirn (besonders im Wurm), teils im Corpus striatum, daneben 
bestehen nooh Zeichen einer Pyramidensch&digung und eines Rindenprozesses. Es 
handelt sich jedenfalls um eine diffuse Erkrankung des Gehirns, bei der das Klein- 
hirnsystem und die mit ihm in funktioneller Verbindung stehenden Apparate besonders 
betroffen sind. Der Fall hat am meisten Ahnlichkeit mit der Pseudosklerose, laBt 
sich aber keiner der bekannten Krankheitsformen zwanglos angliedern; er gehort 
zu den chronisch-progredienten Erkrankungstypen, in denen die Schadigung des 
extrapyramidalen motorischen Systems das klinische Bild beherrscht. 

74) Eine der Pseudosklerose nahestehende Erkrankung im Praesenium, von 

E. v. Economo und P. Schilder. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psvch. 
LV. 1920. 8.1.) Ref.: W. Misch. 

Es wird ein Fall mitgeteilt, der der Pseudosklerose sehr nahesteht, ohne 
doch atiologisch und nosologisch ganz dazu zu gehoren, und der im hoheren 
Alter auftrat. 

Die Erkrankung begann im 50. Lebensjahr, remittierte und fiihrte mit 55 Jahren 
zum Exitus. KJinisch fanden sich im wesentlichen zunehmender Rigor im ganzen 
Korper und zeitweise auftretende Verwirrtheitszustande. Die Obduktion ergab auBer 
einer interstitiellen Hepatitis Veranderungen im Gehirn, die in maBigen kleinkemigen 
Gliawucherungen im ganzen Zerebrum, besonders aber in den basalen Teilen beider 
Corpora striata und der angrenzenden Partien der Substantia innominata bestanden, 
femer Abbauerscheinungen im Globus pallidus und starke Veranderungen in der 
Molekularschicht des Kleinhirns (Fettbildung). 

Es handelt sich hier um eine im hoheren Lebensalter einsetzende chronisch- 
progrediente toxische oder infektios-toxische Erkrankung. Von der Pseudosklerose 
unterscheidet sie sich durch die kleinkernige, chromatinreiche Wucherung, von 
der Wilsonschen Krankheit durch das 'Fehlen der Einschmelzungen im Striatum. 
Ganz analoge Falle zu dem hier beschriebenen Fall sind in der Literatur bislier 
nicht vorhanden, doch ist er am meisten noch den Fallen von Workom verwandt. 


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Ganz ohne Analogie ist der KleinhirnprozeB. Lose Beziehungen bestehen zur 
Paralysis agitans und zur Atrophia olivo-pontocerebellaris (Stauffenberg), 
ohne daB eine Ahnlichkeit von Teilursachen ausgeschlossen werden kann. Er- 
krankung von Leber und Gehirn sind vermutlich koordiniert. Das hervorragendste 
Symptom, die tonische Starre, ist auf eine Erkrankung extrapyramidaler motori- 
scher Systeme zu beziehen. Es gibt verschiedene Arten derartiger Storungen, 
deren Idinische Differenzierung anzustreben ist. In dem vorliegenden Fall 
charakterisierte sich die Hypertonie durch erhohten Ruhe-Formtonus, Zunahme 
des Hypertonus bei raschen passiven Bewegungen, verzogerte Entspannung bei 
Willkiirbewegung, plotzliche Behinderung der relativ freien Willkiirbewegung 
durch Spannungen, starken RuckstoB und Neigung zu assoziierten Spannungen. 
Differenziert man die Erscheinungen der Hypertonie in dieser Weise, so ergibt 
sich, daB jede der zu dieser Gruppe gehorigen Erkrankungen andere Erschei¬ 
nungen aufweist, daB also der Formenreichtum der extrapyramidalen Storungen 
ein sehr groBer ist. 

75) Zur traumatischen Atiologie der Pseudosklerose, von Fritz Frankel. (Deutsche 

med. Wochenschr. 1920. Nr. 35.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei einem bisher im wesentlichen gesunden Manne traten nach einem Sturz 
vom Wagen, der einen Unterschenkelbruch zur Folge hatte, allmahlich hocbgradige 
Bewegungsstdrungen der gesamten Korpermuskulatur auf, die sich einerseits in einer 
Muskelrigiditat und damit einem Ausfall der Bewegungsmoglichkeiten zeigten, 
andererseits in einem erhohten ReizzufluB, der die Gesichtsmuskulatur und die 
Hande in Wackelzittern versetzt und an den FiiBen zufeinen athetotischen Bewegungen 
fiihrt. Daneben besteht eine psychische Dbererregtheit (Zwangsweinen), die Sprache 
wurde leise, die Leber zeigt eine auffallend kleine Dampfung und eine durch den 
Lavuloseversuch nachgewiesene Funktionsstorung. — Hysterie wird ausgeschlossen, 
desgleichen multiple Sklerose. Das Trauma wird als Ursache angeschuldigt: entweder 
erfolgte dabei eine Blutung in den Linsenkern, oder die wahrend des dem Unfall 
folgenden Krankenlagers aufgetretene Thrombose fiihrte zu einer Verschleppung 
thrombotischer Teile und so zu einer Verstopfung eines der fur den Linsenkern in 
Betracht kommenden GefaBe. Ob nicht mancher veroffentlichte Fall von Paralysis 
agitans nach Trauma dem Krankheitsbild des amyostatischen Symptomenkomplexes 
angehort ? 

76) Erwagungen zur Pathologie der zentralen Ganglien auf Grund eines beob- 

achteten Falles ihrer rechtsseitigen Zerstorung. Ein neues Syndrom der zen¬ 
tralen Ganglien, von J. Markl und Dr. Jedliftka. (Cas. lek. 1920.) 

Eigenbericht. 

In der Zentralganglienmasse sehen die Verff. ein Reflexzentrum hoher 
Ordnung, wo sich Reflexe abspielen, mit welchen der Cortex nicht Zeit hat sich 
zu beschaftigen und sich gar nicht beschaftigen darf, damit der glatte, Sicherheit 
garantierende Ablauf derselben nicht zerstort werde. Mitteilung eines tiefe Ein- 
blicke in die Leistungen der Zentralganglien liefernden Falles, wo intra vitam 
von den Verff. die Diagnose auf Tumor in der Capsula int. mit Beteiligung der 
Zentralganglien gestellt worden war. Die Obduktion (Dr. Jedlifika) ergab ein 
Syphilom, das die ganzen rechtsseitigen Zentralganglien einnahm, die innere Kapsel 
in ihrer Pars lenticulo-optica und retrolenticularis zerstorte und basalwarts 
noch den rechten III. Kern einbezog. 

Der Fall betrifft einen 25jahrigen Invaliden, der vomer an luetischen Haut- 
geschwiiren behandelt worden war: Allmahlich sich entwickelnde linksseitige Hemi- 
plegie mit Beteiligungg des linken Mundfazialis und XII., zu welcher sich im Laufe 
der Krankheit neben Hirndruckerscheinungen rechtsseitige III.- und linksseitige 
yi.-Lahmung gesellte. Die auch in Ruhe bestehende Parese des linken Mundfazialis 
wurde beim Lachen deutlicher, daneben bestanden aber noch eine Reihe hochst 
interessanter Erscheinungen: beim Gahnen traten in Form einer Beugung der sonst 
vollig gelahmten linken Oberextremitat Synergien auf, welche von der intakten linken 
Hemisphare abgeleitet werden, deren subkortikale Zentren durch Hemmungs- 


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ausfall der Py empfindlicher geworden sind. Diese Uberempfindlichkeit der 
linken subkortikalen Apparate zeigte sich auch in einem anderen Symptom, namlich 
in der ubermaBigen Schreckhaf tigkeit des Kranken, wobei aber bloB die gelahmte 
linke Seite erschreckte. Danach handelt es sich in diesem Falle um eine durch 
Py-Ausfall bedingte, bloB einseitige Steigerung der sensomotorischen Reaktion, die 
in doppelseitiger Ausbildung Oppenheim bei spastischen Diplegien beobachtet hatte. 

Von besonderem Interesse ist der Fall durch eine neue, zunachst unver- 
standliche Erscheinung, die die VerfL auf die Zentralganglien beziehen: wenn 
namlich der Pat. lachte (das Lachen hatte, abgesehen von der dann deutlicheren 
VII. Lahmung, nichts Auffallendes), trat eine solche Schwache in beiden, auch 
der nicht gelahmten Korperh&lfte ein, daB wahrend des Lachens auch nicht 
die geringste Willkiirbe wegung moglich war. Die linksseitige Hyper- 
tonie lieB dabei bedeutend nach. Die Verff. beziehen diese Erscheinung auf Aus¬ 
fall der rechtsseitigen Zentralganglien, denen sie in Ubereinstimmung 
mit Striimpell groBenEinfluB auf die myostatische Innervation zusprechen, 
ohne welche die myomotorische Innervation gar nicht moglich sei, indem 
vor jeder Willkurinnervation eine dieser genau zugeordnete myo¬ 
statische automatisch erfolgen musse. Wahrend bei der Wilsonschen 
Krankheit infolge Ausfalls der Nuclei lentif. myostatische Starre entsteht, handelt 
es sich im beobachteten Falle um deren Gegenteil, ein zeitweiliges Versagen 
des myostatischen Tonus. In Ruhe waren Willkiirbewegungen moglich, in¬ 
dem zur Aufrechterhaltung der myostatischen Innervation die vielleicht rich- 
tigeren intakten linksseitigen Zentralganglien ausreichten, wahrend die myo¬ 
statische Innervation plotzlich versagte, wenn beim Lachen der mediale mimische 
Thalamuskern in Aktion trat. Ahnlich wie Anton und Hartmann fur auto- 
matische Bewegungen einen Antagonismus der Zentralganglien unter- 
einander angenommen hatten, indem der Thalamus der Anregung, der Nucl. 
lentif. der Hemmung derselben dienen sollte, sind die Verff. geneigt, ahnliche 
Verhaltnisse fiir die myostatische Innervation anzunehmen. DaB diese 
eben beim Lachen, wenn der Thalamus in Aktion trat, versagte, scheint diese 
neue Hypothese zu stutzen. An sensiblen Erscheinungen zeigte der Kranke, trotz 
der Zerstorung der rechten Zentralganglien und der Kapsel mitsamt der Pars 
retrolenticularis derselben, bloB taktile Hyperasthesie der linken Gesichtshalfte 
und Oberextremitat neben sonstiger Hyperasthesie und Hyperalgesie, wobei noch 
zentrale Schmerzen bestanden, die aber nicht bloB auf die kontralaterale Korper- 
halfte beschrankt waren, sondern im ganzen Korper lokalisiert wurden. Zum 
Verstandnis dieser verhaltnismaBig geringen Ausfallserscheinungen erinnern die 
Verff. an die Anschauung Monakows, wonach die sensiblen Centren jeder 
Hemisphere mit beiden Korperseiten in Beziehung stehen und in 
jedem Thalamus beider Korperhalften reprasentiert sind, so daB die Zer¬ 
storung bloB eines Thalamus nicht den vollstandigen Verlust der kontralateralen 
Funktion nach sich ziehen muB. Vielleicht hat nach Ansicht de r Verff. auch 
hierin, ahnlich wie fiir die Handlung, die linke Hemisphere ein Ubergewicht, so 
daB sie besser befehigt ist, die Scheden zu paralysieren, als es die rechte imstande 
were. — Hemianopsie ist trotz Zerstorung des Pulvinar bei intaktem Corp. genip. 
ext. nicht beobachtet worden, wie es denn auch den neueren Anschauungen in 
dieser Sache entspricht. 

77) Dystonia musculorum deformans with a report of a case, by Henry W. 

Frauenthal and Chas. Rosenheck. (The Journal of nerv. and ment. 

disease. LII. 1920. Nr. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Torsionsdystonie bei einer 17jehrigen russischen Judin. Das Leiden 
besteht seit 10 Jahren* Keine psychischen Storungen. Intelligenz gut. Hirnnerven 
sind verschont. Das Leiden ist wohl auf eine Striatumerkrankung zuriiekzufuhren. 


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( Ygl. die monographische Darstellung der Torsionsdystonie durch den Ref.: Mon. f. 
Psych, u. Neur. X'LVI. 1919. Heft 6.) 

78) Zur Kenntnis der zerebralen Rachitis, von P. Karger. (Monatsschr. f. 

Kinderheilk. XVIII. Heft 1.) Ref.: Zappert. 

Die Verlangsamung der motorischen Funktionen, die Verspatung des Stehens, 
Laufens, Sprechens bei rachitischen Kindern kann nicht in rein statischen Sto- 
rungen der Knochen und Muskelleistungen seine alleinige Ursache haben. Sieht 
man ja doch, daB Racliitische auch Funktionen nicht leisten, die keine betracht- 
liche motorischen Anstrengungen, sondern nur eine sinnvolle Innervation einzelner 
Muskelgebiete beanspruchen. Auch besteht ein MiBverhaltnis zwischen Knochen- 
erkrankung und motorischer Leistung, da oft Kinder mit schweren Knochen- 
miBstaltungen prompt motorisch sich entwickeln, wahrend andere mit gering- 
fiigiger Knochenbeteiligung nur schwer und unter starken Widerstanden die 
statischen Funktionen erlernen. Man tut Unrecht, rachitische Kinder durch 
Gehverbote, Liegenlassen in ihrer geistigen Entwicklung zuriickzuhalten, sondern 
man sollte solchen Kindern Gelegenheit geben, durch Interesse an den Dingen 
der Umgebung ihre motorischen Leitungen auszubilden.. 

79) Emiplegia da malaria in un bambino lattante, von L. Spolverini. Aus der 

Padiatr. Klinik der Univ. Rom. (II Policlinico, Sez. Prat. XXVI. 1919. 

Fasc. 51.) Ref.: Paul Hanel (Bad Nauheim-Bordighera). 

Ein 11 Monate altes Brustkind erkrankte — nachdem wahrscheinlich einige Tage vorher 
schon einmal Fieber aufgetreten war — akut mit Fieber, klonisch-tonischen Konvulsionen 
am ganzen Korper, einschheBlich des Kopfes, und „Augenbewegungen‘\ Die Untersuchung 
ergab: groBe Leber; groBe Milz; frequenter, kleinev Puls; Parese des rechten Fazialis; Hemi- 
plegie rechts, ohne Atrophie, mit Steigerung der Sehnenreflexe und Muskelhypertonie bei 
passiven Bewegungen; rechts Babinski vorhanden, Oppenheim und Kemig fehlend; Sen- 
sibilitat anscheinend normal; Pupillen normal; keine Somnolenz; Temperatur 38,4°; Zerebro- 
spinalfliissigkeit klar; Urin normal. Die nach 3 Tagen vorgenommene Blutuntersuehung 
klarte den Fall auf durch den Befund auBerst reichhcher Tertianaparasiten. 5 Tage lang 
Chinin. mur. 0,3 p. die subkutan; dann, als das Fieber nachlieB, 0,3 Chinin. bisulf. per os 
und Baccellis Mixtur (Chinin, Eisen, Arsen) bis zur Heilung. Nach 7 Tagen trat eine Steige¬ 
rung der Muskelhypertonie auf, weswegen die Lumbalpunktion wiederholt wurde. 

12 Tage nach der Aufnahme in die Klinik bekam auch die Mutter Malariaanfalle, die 
durch Chinin rasch koupiert warden. 

Verf. erklart das Zustandekommen der Hemiplegie mit einer Thiombose in der linken 
Regio rolandica durch Malariaparasiten und pigmentbeladene Leukozyten, wobei eine Quel- 
lung der Endothelien untersttitzend wirkte. Das erklare auch die jedesmaligen Exazerbationen 
der Svmptome beim Ansteigen der Temperatur. 

80) Zur Symptomatology der Hemiplegie, von H. Faschingbauer. (Wiener 

klin. Wochenschr. 1920. Nr. 12.) Ref.: Pilez (Wien). 

40jahr. Frau, tief komatos, Temperatur 35,1°, Puls 80, stark gespannt. Rechter Mund- 
mnkel vielleicht etwas spitzer, sonst Hirnnerven anscheinend frei; zeitweise Rigor und Klonis- 
men in den beiderseitigen GliedmaBen; der linke Arm scheint zuweilen spontan bewegt zu 
werden. Bei lialberhohter Riickenlage Atmung ohne Differenz zwischen beiden Seiten. Bei 
flacher Riickenlage tritt infolge Zuriicksinkens der Zunge Glottisverengerung 
auf, die Atmung wird unter sichtlicher Kontraktion der auxiliaren Respi- 
rationsmuskeln angestrengt, und die rechte Thoraxhalfte bleibt nun deutlich 
zuriick. Diese Erscheinung sistiert sofort, wenn durch Drehen oder Auf- 
richten des Kopfes das Atmungshindernis beseitigt wird, und kann durch 
manuelles VerschlieBen von Nase und Mund sofort wieder ausgelost werden. 
Selmenreflexe der oberen Extremitaten beiderseits schwach, Bauchdeckenreflexe fehlen. 
Sehnenreflexe der unteren Extremitaten lebhaft, FuBsohlenreflexe links etwas lebhafter. 
Im Harn maBig EiweiB. Im linken Fundus temporal von Papille zwei frische Hamorrhagien, 
Liquor gleichmaBig hamorrhagisch, Sediment enth&lt wohlerhaltene Erythrozyten, keine 
Pleozytose. Rechtsseitige Zystenniere. Diagnose lautete auf nicht naher zu lokalisierende 
Blutung in GroBhimhemisphare links mit Durchbruch in Ventrikel. Exitus 5 Stunden nach 
Aufnahme. Obduktion: Kongenitale Zvstenniere, Zystenleber und zystische Degeneration 
beider Ovarien. Ausgedehnte frische Erweichungsblutungen in der linken GroBhimhemi¬ 
sphare mit Durchbruch in Ventrikel und an Basis des linken Stimlappens. 


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Seither hat Verf. vielfach Gelegenheit gehabt, eine sonst nicht sicher nach- 
weisbare Mitbeteiligung der Respirationsmuskeln bei zerebralen Lahmungen 
durch kiinstliche Respirationsbehinderung (manuellen VerschluB von Nase und 
Mund) deutlich zu machen, und glaubt, in diesem ,,Asphyxiephano men“ ein 
differentialdiagnostisch brauchbares und lokalisatorisch gut verwertbares Symptom 
gefunden zu haben, das in manchen Fallen von Koma, die sonst unklar sind ? die 
Vermutungsdiagnose Hemiplegie zu sichern vermag. 

81) Contracture prtooce d’origine reflexe, par Serge Davidenkof. (Revue neurol. 

XXVII. 1920. Nr. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. spricht von einem besonderen Typus (dem hormetonischen Syndrom) 
der friihzeitigen Kontrakturen der Hemiplegiker. Dieselben sind nur voriiber- 
gehend, heilbar, von verschiedener Intensitat, beruhen auf einer direkten Reizung 
der Pyramidenbahn (im Kortex oder in der subkortikalen motorischen Bahn). 
In 4 Fallen von friihzeitiger hemiplegischer Kontraktur sah Verf. eine hoch- 
gradige Steigerung der Abwehrreflexe und fiir die unwillkurlichen Spasmen dieselbe 
motorische Formel wie fiir die Abwehrbewegungen. Es zeigten sich ferner inter- 
mittierende Muskelrigiditat und tonische unwillkiirliche Bewegungen. Verf. 
meint, daB es sich bei dieser Hyperkinesie nicht um eine Reizung der Pyramiden¬ 
bahn, sondern um einen Reflexvorgang handelt, der nur voriibergehend ist und 
dann einer schlaffen Lahmung Platz macht, die schlieBlich in die definitive Kon¬ 
traktur liber geht. 

82) Uber Hemiplegia cruciata, von Rudolf Stahl. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 

heilk. LXV. 1920. Heft 3 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Hemiplegia cruciata (Lahmung des Armes der einen imd des Beines der ent- 
gegengesetzten Seite) deutet auf einen Herd, der in der Pyramidenkreuzung die 
Fasern der einen Extremitat noch ungekreuzt, die der anderen Extremitat schon 
gekreuzt trifft. Nach Wallenberg liegen die Pyramidenfasern fiir die untere 
Extremitat auch im Bereiche der Medulla oblongata und am frontalen Ende der 
Pyramidenkreuzung lateral von den Fasern fiir die obere Extremitat, und die 
Pyramidenfasern fiir die obere Extremitat kreuzen friiher, mehr zentral als die- 
jenigen fiir die untere. 

Verf. veroffentlicht nun einen Fall von Hemiplegia cruciata durch Apoplexie: leichte 
Parese des rechten Lippenfazialis, schlaffe Iiihmung des rechten Armes und linken Beines.. 
rechtsseitige inkomplette, homonyme Hemianopsie ohne hemianopische Pupillenreaktion, 
linksseitige Storung der Temperatur- und Schmerzempfindung, insbesondere des linken 
Beines. Nach dem klinischen Befunde war der Herd zu suchen im distalen Teile der Pyra- 
midenkreuzung auf der rechten Seite (wegen der linksseitigen Gefuhlsstorungen), er hatte 
die noch ungekreuzten linken Bein- und die gekreuzten rechten Armfasern geschadigt. Die 
Sektion bestatigte jedoch durchaus nicht die Minische Diagnose, sie ergab vielmehr, daB der 
Symptomenkomplex der gekreuzten Hemiplegie durch zanlreiche Blutaustritte in der Him- 
rinde, dem Centrum semiovale und in der inneren Kapsel herbeigefuhrt wurde. 

Die mikroskopische Untersuchimg des Falles bestatigte im allgemeinen die anatomischen 
Befunde, die fiir eine Mischung der Extremitatenfasem in den Pyramidenbahnen vom Pons 
abwarts sprechen; denn die degenerierten Fasern des linken Beines nahmen bei volligem 
Intaktsein des linken Armes iiberall fast den gesamten Querschnitt des entsprecheriden 
Pyramidenstranges ein. 

Nach allem ist die Hemiplegia cruciata als ein symptomatologisch und dia- 
gnostisch einheitliehes Krankheitsbild nicht beizubehalten, zumal noch kein 
klinisch beobachteter Fall (Wallenberg, Mauss) eine anatomische Kontrolle 
gefunden hat auBer dem vorliegenden, der in negativem Sinne zeugt. Vielmehr 
wird Lahmung eines Beines und des kontralateralen Armes wohl stets nur durch 
mehr ere, wahrscheinlich kaum durch einen Herd erzeugt werden konnen. Hin- 
gegen bildet die Hemiplegia alternans superior oder inferior (Extremitaten der 
einen Seite, Okulomotorius bzw. Fazialis der anderen Seite gelahmt) einen ein- 


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wandfreien Symptomenkomplex als Zeichen eines Herdes an bestimmter Stelle 
des Pons bzw. eines Hirnschenkels. 

83) I perturbamenti di pressione del liquido cerebrospinale nella patogenesi delle 

emorragie cerebrali, per 6. Paoletti. (Riforma medica. XXXVI. 1920. 
Nr. 4.) Ref.: W. Miseh. 

Die alte verlassene Theorie von der Entstehung der zerebralen Hamorrhagien 
ex vacuo infolge von Gehirnatropbie wird hier in anderer Form erneuert. Es 
wird angenommen, da6 die zerebrale Hamorrhagie nicht nur von der GefaBver- 
anderung und der Blutdrucksteigerung abhangig sein kann, die ja dem ganzen 
Korper zukommt, ohne daB es in den iibrigen Organen zu Blutungen kommt. 
Es muB also im Alter in der Schadelhohle ein besonderer Zustand bestehen, der 
die Entstehung der Hamorrhagie begiinstigt. Dieser Zustand ist gegeben durch 
eine im Alter wahrscheinlich verminderte Produktion an Liquor, die in der 
Schadelhohle eine Druckverminderung herbeifiihrt. Die Prodromalsymptome 
der Apoplexie, Schwindel, Kopfschmerzen, abwechselnde Rote und Blasse des 
Gesichts, Ohrensausen, Augenflimmern usw., die anfallsweise auftreten, sind zu 
erklaren durch voriibergehende passive Dilatationen der kleinen HirngefaBe in¬ 
folge des verminderten Hirndrucks, die schlieBlich zur Ruptur fiihren konnen. 
Therapeutisch und prophylaktisch werden intralumbale Injektionen von 8°/ 0 iger 
Kochsalzlosung zur Hebung des Hirndrucks empfohlen. 

8,4) ttber die Folgen gesteigerten Hirndrucks, von Erdheim. (Jahrb. f. Psych, 
u. Neurolog. XXXIX. 1919.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. hat 4 Falle progredienter und einen Fall geheilter Hirndrucksteigerung 
bearbeitet und die Vorgange 1. am Knochen, 2. an der Dura und 3. am Gehirn 
beschrieben. 

1. Verf. hat die Begriffe der ,,Halte- und Umkehrlinie“ geschaffen. Erstere 
trennt je zwei Knochenschichten, die ihre Entstehung zeitlich verschiedenen, 
duTch eine Pause getrennten Anbauperioden verdanken, unterbricht also die 
Knochentextur nicht. Letztere ist eine Kittlinie, welche ausdriickt, bis wohin 
die Hirndrucksteigerung den Knochen abgetragen hat, und von wo an nacli 
Bchwund des Hirndruckes der Knochen wieder angebaut wurde. Als Folge des 
gesteigerten Abbaues an der duralen Flache kommt es durch endostalen Umbau 
zur Bildung einer Tabula interna nova, die durch Vermauerung der diploetischen 
Markraume mit lamellarem Knochen entsteht. Die Resorption kann bis zur Liicken- 
bildung im Knochen gesteigert sein. 

2. Nach einem Exkurs liber die Histologie der normalen Dura beschreibt 
Verf. als ihre pathologischen Veranderungen Cambiumwucherung, Kalkablagerung 
und eventuell metaplastische Verknocherung. Die Duralarterien zeigen De- 
cubitalnekrose ihrer Wande und zwar der dem Schadelknochen zugewendeten. 
Es handelt sich vorwiegend um Mediaatrophie, in schweren Fallen mit Nekrose 
derselben eventuell mit reparatorischer Intimawucherung oder in Kombination 
mit Verkalkung. 

3. Die in alien Fallen zahlreich vorhandenen Hirnhernien sind vor allem 
an der Basis lokalisiert, entweder im duralen Gewebe eingebettet oder in mehr 
minder tiefe Knochengruben vorragend. Am Rande der Grube spaltet sich die 
Dura in zwei Blatter, von denen das eine die Grube auskleidet, das andere aber 
in der Fortsetzung der iibrigen Dura den Eingang zut knochernen Hohle bis auf 
eine oder mehrere kleine Perforationsoffnungen verschlieBt, durch welche die 
Hirnhernienstiele durchtreten. Diese Locher im ,,Operculum <tf sind praexistent 
und nichts anderes als die friiheren Durchtrittsstellen von Pacchionischen Granu- 
lationen. Es gelang Verf. einwandfrei nachzuweisen, daB sich die allermeisten 
Hirnhernien in Pacchionische Granulationen hineinentwickeln, wahrend die 


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zweite Moglichkeit, daB die Hirnhernien durch Ausstiilpung einei beliebigen Stelle 
der Leptomeninx entstehen konnen, nur auBerordentlich selten wirklich be- 
wiesen werden konnfce. Die Bekleidung der Hirnhernien ist entsprechend ihrer 
Entstehung die Leptomeninx, wobei allerdings das piale Blatt oft feblt. Durch 
Druckatrophie kann aber auch die Arachnoidea, ja sogar die Dura zugrunde gehen, 
so daB schlieBlich das Hirngewebe frei gegen den Knochen oder nach dessen 
Perforation gegen da§ Periost vordringt. Die Hirnhernien selbst enthalten alle 
Elemente der Gehirnrinde, die aber der Erweichung unterliegen. Beim geheilten 
Fall kommt es zu einer deutlichen Verkleinerung der Hirnhernien. Dieser 
Bildungsmodus der Hirnhernien scheint auch klinisch dadurch bedeutungsvoll, 
daB die Verodung der Pacchionischen Granulationen eine Verstopfung der Ab- 
fluBwege fiir den Liquor cerebrospinalis bedeutet. 

85) Zur Frage des Auftretens und der Behandlung akut entziindlicher Erweichungs- 

herde im Gehirn nach Scharlach, von J. Bungart. (Deutsche med. Wochen- 

schrift. 1920. Nr. 45.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei einem 31 jahr. Manne kommt es nach kurzdauernden Prodromalerscheinungen zur 
Ausbildimg eines typischen Scharlachs. Am 21. Krankheitstage ist Pat. in voller Rekon- 
valeszenz. Am 27. Tage Auftreten zerebraler Storungen, sich schnell steigemd. Am 42. 
Krankheitstage Kopfschmerz hinter linkem Ohr, aphasische Storung. Am 44. Krankheits¬ 
tage Verschlimmerung, beginnender Himdruck. Iiumbalpunktion bringt voriibergehende 
Besserung. Am 47. Krankheitstage Ausbildung eines schweren Status epilepticus. Trepa¬ 
nation ohne Narkose. danach Stillstand und bald schneller Dbergang in Heilung. Es h&ndelte 
sieh um eine echte entzundliche Encephalomalacie im linkeu Schlafeidappen, wie die Operation 
ergeben hatte. Infektion vom Blutwege aus. 

86) Zerebrale Herdsymptome nach Fleckfieber, von Niessl von Mayendorf. 

(Fortschr. d. Medizin. 1920. Nr. 15.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von spastischer Hemiplegic mit Sprachstorung und ausgesprochenem Schwachsinn 
nacli Flecktvphus. Verf. niramt zwei differente Prozesse an: eine Thrombose der linken 
A. fossae Sylvii und eine allgemeine, durch die ganze GroBhimrinde ausgebreitete Glia- 
wucherung, welche mit dem auffallenden Riickgang der geistigen Fahigkeiten in Beziehung 
zu bringen ist. 

87) Zur Kasuistik der Alzheimerschen Krankheit, von M. Lua. (Zeitschr. f. d. 

ges. Neurol, u. Psych. LY. 1920. S. 60.) Ref.: W. Misch. 

Zur Abgrenzung der Alzheimerschen Krankheit gegeniiber den ihr nahe- 
stehenden Krankheitsformen werden vier Falle mitgeteilt. In alien Fallen fanden 
sich die charakteristischen anatomischen Veranderungen der senilen Plaques, 
der Alzheimerschen Fibrillenveranderungen und der senilen Zelldegenerationen. 
Klinisch lieB sich die Erkrankung bei den beiden ersten Fallen schon aus dem 
Yerlauf begriinden, welcher Gedachtnisstorungen, motorische Unruhe und, in den 
spateren Stadien der Verblodung, das unsinnige Fortdrangen und die charakte¬ 
ristischen Sprachstorungen aufwies. Im dritten Fall dagegen beherrschten para- 
noide und katatonische Symptome das Bild, und gegen Ende erweckte das stupo- 
rose und negativistische Verhalten des Kranken den Eindruck einer katatonen 
Demenz, wahrend schwere Gedachtnisstorungen nur zu Beginn hervortraten; 
hinzu kamen Halluzinationen, Wahnideen, Beziehungsideen erotischer Farbung, 
so daB intra vitam die Diagnose auf Dementia paranoides gestellt wurde. Ein 
Hauptmerkmal der Alzheimerschen Krankheit bilden die aphasischen Storungen, 
das Haften an Wortern und Silben und der schlieBliche Zerfall der Sprache in ein 
logoklonieartiges Aneinanderreihen von sinnlosen Silben. Diese Sprachstorungen 
sind ganz besonders charakteristisch in dem mitgeteilten vierten Fall: Der 
Kranke vermag seinen Gedanken und Strebungen keinen verstandlichen Aus- 
druck zu geben, faBt das Gehorte nicht richtig auf, redet daneben, es treten eigen- 
tiimliche Wortneubildungen auf, und spater werden nur noch Bruchstiicke von 
Wortern reproduziert, bis die SprachauBerungen nur noch in einer logoldonischen 


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Aneinanderreihung von einzelnen, in ihrer Bedeutung unverstandlichen Silben 
bestehen. Wahrend des logoklonischen Sprechens erfolgen taktmaBige Bewegnngen 
der Arme und des Kopfes in gleichem Rhythmus. 

88) Die Bedeutung der Funktionspriifung des Gehororganes fiir die Friihdiagnose 
und Prognose der zerebralen Arteriosklerose, von Conrad Stein. (Zeitschr. 
f. klin. Medizin. XC. 1920. Heft 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der auf abnorme Zirkulationsverhaltnisse auBerordentlich empfindliche Hor- 
nervenapparat zeigt unter pathologischen Zirkulationsbedingungen in den GefaB- 
bahnen der Schadelhohle schon sehr friihzeitig akustische, in einzelnen Fallen 
auch vestibulare Storungen. Diese Storungen (subjektive HoTempfindungen, 
Schwerhorigkeit, Nystagmus, Schwindel) konnen auftreten, ohne daB andere 
Symptome von seiten des Zirkulationsapparates bestehen, als erste Symptome 
der abnormen Kreislaufverhaltnisse. Auf dem Wege vasospastischer Zustande 
werden die Blutbahnen des Hornervenapparates eingeengt und seine Ernahrung 
beeintrachtigt, besonders bei Leuten, bei dehen von Haus aus eine Minderwertig- 
keit des Gehororganes auf hereditar-degenerativem Boden besteht. Es kommt 
dann zu einer allgemeinen sehr langsam, nicht seiten auch durch lange Stillstande 
unterbrochenen Progredienz der Gehprsabnahme; rapider erfolgt die Gehors- 
abnahme nur in den Falleh schwerster heredo-degenerativer Anlage. Intensive, 
sich oft wiederholende vasomotorische Storungen sind im Sinne prasklerotischer 
Zustande zu beurteilen und therapeutisch dementsprechend voll und ganz zu 
beriicksichtigen. Die konstante, besonders aber die rasche Progredienz der Ge- 
horsabnahme ist als bedeutsames Kriterium fiir die Annahme eines sich ent- 
wickelnden arteriosklerotischen Prozesses in den HirngefaBen anzusehen. Diu- 
retin wirkt dann giinstig. Ein plotzlich bedeutendes Absinken der Horkurve ist 
immer als prognostisch ernst zu nehmendes Symptom aufzufassen (progressive 
arteriosklerotische Hirndegeneration). Vestibulare Storungen sind, sofern sie nicht 
als rasch voriibergehende Reizerscheinungen zutage treten, als Ausdruck eines 
vorgeschrittenen arteriosklerotischen Prozesses zu deuten, bei gleichzeitigem Ein- 
setzen hochgradiger Schwerhorigkeit im Sinne einer stattgehabten schweren 
anatomischen Lasion des Labyrinthes (Hamorrhagie, Embolie) zu beurteilen. 

<89) Die forensische Bedeutung der Gtehirnarteriosklerose, von W. Knape. (Viertel- 
jahrsschrift f. gerichtl.*Medizin. LX. 1920. Heft 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mehdel. 
Verf. bespricht die vielseitige forensische Bedeutung der zerebralen Arterio- 
sklerose in straf- und zivilrechtlicher Beziehung. 

90) Bin Pall von Unterbindung der Carotis communis, von Friedrich Wieck. 
(Bruns* Zeitschr. f. klin. Chir. CXVIII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

47 jahr. Arteriosklerotiker. ZerreiBung der A. corotis communis dextr. bei der Berg- 
arbeit. Doppelte Unterbindung des GefaBes und Resektion eines groBen Stuckes desselben 
9 Stunden nach der Verletzung. Vena jugularis wird nicht mit unterbunden. Ausfalls- 
erscheinungen irgendwelcher Art von seiten des Gehirns wurden weder un* 
mittelbar nach der Operation noch 3 Jahre spater festgestellt. Dies stellt 
ein volliges Unikum dar, da sonst stets bei Unterbindung derCarotis communisHirnschadigun- 
gen beobachtet wurden. 

91) Zur Entstehung von Hirnstorungen nach Karotisunterbindung, von Harry 
Moses. (Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 38.) Ref.: Kurt Mendel. 

Wegen vereiterter karzinomatoser Zyste an Halsseite Operation. Seidenligatur um die 
Carotis. Unmittelbar nach Kniipfen des Knotens Blasse, Gahnen, Verschwinden des Pulses, 
BewuBtlosigkeit, maximale Pupillenerweiterung, schnappende Atmung. All dieses Folge 
einer plotzlichen Zirkulationsunterbrechung, einer Anamie des Gehirns. Im Verlauf einer 
Woche trat dann ein volligerVerschluB des GefaBes ein, ohne daB sich irgendwie Hirnstorungen 
bemerkbar machten. In zwei weiteren Fallen vonEingriffen an derCarotis communis wurden 
Storungen durch Himanamie oder -embolie nicht beobachtet. * 


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92) Ein Fall von Thrombose des Sinus sagittalis bei Grippe, von B. Szigeti. 

(Wiener klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 14.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Jungerer Mann, seit einer Woche unter vagen „rheumatisthen“ Beschwerden krankelnd, 
wild ziernJich akut verwirrt. Bei der Aufnahme (8. II. 1920) kongestioniert, dyspnoisch^ 
aber nicht zyanotiseh, Temperatur 37,8°, Puls 120. Schwerste delirante Verworrenheit vom 
Typus der Beschaftigungsdelirien, absolute Schlaflosigkeit; die anfangs prompt reagierenden 
Pupillen sind am nachsten Tage reflektorisch nahezu starr. Lumbalpunktat klar, unter 
deutlich gesteigertem Drucke, Nonne-Apelt: Spuren, 33 Zellen im Kubikzentimeter, Pandy 
++• In der folgenden Nacht ein wenig ruhiger, deutliche Zyanose; zunehmende Kachexie 
bei groBter motorischer Unruhe, Sensibilitat fur alle Qualitaten stark herabgesetzt, Ein- 
stellungsnystagmus angedeutet. Am Nachmittag des 11. II. kurz dauemder Krampfanfall. 
Mittag und Nachmittag des folgenden Tages generalisierte epileptiscbe Anfalle, rechts tonischer 
Faziafiskrampf, Pupillen maximal weit, lichtstarr, Bauchdeckenreflex nicht auslosbar, kein 
Babinski, links leichte Ptosis, nachmittags vollkommene BewuBtlosigkeit, um 7 Uhr abends 
des 12. II. Exitus. Obduktion: Abgesehen von Grippepneumonie, multipJen Hamorrhagien, 
fettiger Degeneration der inneren Organe Thrombose des Sinus sagittalis superior, 
vom in Hohe der Lamina cribrosa beginnend, nach rtickwarts rechts bis in den Sinus sig¬ 
moidal.. sich erstreckend, links am Beginn des Sinus transversus endend. Tumorartige Vor- 
wolbung von KirschengioSe an beiden Seiten des Sinus longitudinal., aus den prall gefiillten, 
thrombosierten, in den Sinus einmiindenden Arachnoidealvenen bestehend, auf der Hohe 
der Konvexitat des Gehimes, Thrombosierung der Arachnoidealvenen an der Konvexitat 
des Gehimes, bis 6 bis 8 cm von der Mittellinie entfemt. Hochgradige venose Hyperamie 
und Odem des Gehimes. Nebenhohlen und Gehororgan ohne pathologische Veranderungen. 

In den epikritischen Bemerkungen betont Verf. an der Hand der Grippe- 
literatur die Seltenheit des Vorkommens der Sinusthrombose. Die Thrombose 
ware als autochthon (toxisch?) entstanden aufzufassen. Im klinischen Bilde 
entsprachen ihr wohl die epileptischen Anfalle. 

93) Bakteriologischer Befund bei der Leichenuntersuchung eines Falles von Ence¬ 
phalitis lethargies, von P. Manteufel. (Berliner klin. Wochenschrift. 1920. 

Nr. 39.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

In einem Falle von Encephalitis lethargica ist der Nachweis eines filtrierbaren Virus 
und der Hilge rmannschen Korperchen nicht gelungen; der einzige atiologisch zu verwertende 
Gesichtspunkt blieb der Befund von Influenzabazillen im Nasenrachenraum und in der Trachea. 
Nach wie vor bleibt die Frage offen, ob die Encephalitis als Toxinwirkung gefundener In¬ 
fluenzabazillen gedeutet werden kann oder ob die Influenzabazillen nur als Nebenbefund 
anzusehen sind. 

94) Zur pathologischen Anatomie der herrschenden Encephalitis epidemica, von 

H. Siegmund. (Berliner klin. Wochenschrift* 1920. Nr. 22.) Ref.: 

E. Tobias (Berlin). 

Zur Beobachtung gelangten 12 Manner und 7 Frauen im Alter von 15 bis 
64 Jahren. Unter den Frauen waren 2 Schwangere. Die Dauer der Erkrankung 
betrug 5 bis 40 Tage. Die Saarbriickener Falle, die zur Obduktion kamen, zeigten 
das typische Bild der choreatischen Form der Erkrankung, wie es von Sterz 
als besondere Form von der Encephalitis lethargica abgegrenzt wurde. Ana- 
tomisch lieB sich ein prinzipieller Unterschied zwischen ihnen und den iibrigen 
Fallen nicht feststellen. Die makroskopischen Befunde am Zentralnervensystem 
sind auBerordentlich geringfiigig. Histologisch handelte es sich bei den 19 unter- 
suchten Fallen 3mal um eine nichteitrige Meningomyeloeneephalitis, 4mal um 
eine Meningoencephalitis, llmal um reine encephalitische Prozesse. Das histo- 
logische Bild gajiz frischer Falle ist beherrscht durch hochgradige Hyperamie der 
Hirnsubstanz, perivaskulare Blutungen und adventielle Infiltrate um kleine 
Venen, prakapillare GrefaBe und Kapillaren. Bei den etwas alteren Fallen machen 
plasmazellahnliche Elemente die Hauptmasse der Zellwucherung aus. Dann 
unterscheidet man eine dritte Gruppe mit ausgedehnten Nekroseherden usw. 
In 15 Fallen war eine eingehende bakteriologische Untersuchung der Hirnmasse 
und des Ventrikelinhalts moglich. Ihr Resultat war lOmal vollig negativ. In 


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5 Fallen lieBen sich Streptokokken ziichten, die als Diplostreptokokken aufzufassen 
sind. Zahlreiche Tierversuche wurden ohne ETfolg angestellt. Histologisch wurden 
im wesentlichen festgestellt: Rundzellanhaufungen um kleine Venen, prakapillare 
GefaBe und Kapillaren, kleinste Blutungen in den perivaskularen Lymphrauin 
und die Hirnsubstanz, Degenerationserscheinungen an Ganglienzellen von ein- 
facher Pigmentvermelirung und Tigrolyse bis zum vollstandigen Zerfall, einher- 
gehend mit ausgedehnter Neuronophagie usw. Die Veranderungen beschrankten 
sich im wesentlichen auf den Hirnstamm von der Medulla oblongata bis zum 
Nucleus lentiformis und bevorzugen das subependymare Gewebe. Der Gesamt- 
befund unterscheidet sich prinzipiell nicht von den Veranderungen bei anderen 
Entzundungen der Hirnsubstanz, wohl aber von der Encephalitis haemorrhagica 
von Wernicke und der hamorrhagischen Encephalitis von Leichtenstern. 
Was der herrschenden Encephalitisepidemie einen charakteristischen Stempel 
aufdriickt, sind nicht anatomische prinzipielle Unterschiede gegeniiber Ent- 
ziindungen der Hirnsubstanz anderer Atiologie, sondern nur die eigenartige 
konstante Lokalisation der Veranderungen im zentralen Hohlengrau, am Boden 
des 3. und 4. Ventrikels und um den Aquadukt. 

95) Pathologisch-anatomische Untersuchungen iiber die Encephalitis lethargica, 
mit besonderer Beriicksichtigung ihrer Stellung zur Grippeencephalitis, von 

Rudolf Jaffe. (Medizin. Klinik. 1920. Nr. 39.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 
Die Encephalitis lethargica zeigt zwar ein typisches anatomisches Bild, da- 
neben aber alle Ubergange zur Encephalitis haemorrhagica bei Grippe. Es ist 
daher nicht berechtigt, sie als umschriebens Krankheitsbild von anderen Formen 
infektios-toxischer Encephalitis abzutrennen. Es wird infolgedessen der Name 
Encephalitis infectiosa, eventuell mit dem Zusatz bei oder nach Grippe, vor- 
geschlagen. 

96) Reperti istopatologici in casi di Encefalite letargica, par 1. del Vigo. (Rass. 
di studi psichiatri. IX. 1920. Nr. 1 u. 2.) Ref.: W. Misch. 

An sechs Fallen von Encephalitis lethargica wurden folgende histopatho- 
logische Veranderungen gefunden: Um die GefaBe herum fanden sich perivasku- 
lare Ringe, die die Eigenschaften echter Infiltrationen aufwiesen; an den kleinen 
GefaBen fanden sich proliferative GefaBveranderungen. Die Glia wies eine Ver- 
mehrung der Gliakeme, progressive und regressive Veranderungen der Glia- 
zellen, amoboide Zellen und Fiillkdrperchen auf. An den Ganglienzellen fanden 
sich schwere Degenerationserscheinungen, von der einfachen Chromatolyse bis 
zu volligem Zelluntergang; diese Veranderungen waren am starksten im Mesen¬ 
cephalon nachweisbar. Nur geringe Veranderungen wiesen die Meningen auf; 
einzelne Falle zeigten Bindegewebsneubildung mit Vorkommen von Fibroblasten. 
In einem Fall wurden Diplokokken in GefaBen und Nervensubstanz nachgewiesen. 
Es handelt sich also bei der Encephalitis lethargica um einen echten akuten Ent- 
zundungsprozeB mit infiltrativen, degenerativen und proliferativen Veranderungen. 

97) Osservazioni microseopiche sopra i cervelli in alcuni casi di encefalite epidemica, 
per G. Volpiho e P. Desderi. (Ann. d’ig. XXX. 1920. Nr. 2.) Ref.: 
W. Misch. 

In vier von fiinf untersuchten Gehirnen von Encephalitis epidemica fanden 
sich, in den Basalganglien und der Rinde unregelmaBig verstreut, mikroskopisch 
kleine Korperchen, die in der Nahe der GefaBe, aber auch weiter von ihnen ent- 
fernt gelagert waren. Sie hatten einen Durchmesser von 5 bis 20 p, waren von 
runder, ovaler oder von Biskuitform, besaBen eine auBere, zuweilen auch doppelte 
Membran und eine zentral gelegene, dunkler gefarbte Masse. Sie waren mit den 
verschiedensten Farbemethoden zu erhalten; es geniigte schon die Behandlung 
mit Lugolscher Losung. Diese Korperchen sind als spezifisch fiir die Ence- 


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phalitis epidemica zu betrachten. Es ist noch unentschieden, ob es sieh um einen 
neuen Parasiten des Nervensystems (Blastomyces oder Protozoon) oder eine 
Reaktion des Gewebes handelt, die das Enceplialitisvirus begleitet oder vielleicht 
einschlieBt; es wiirde eine gewisse Analogie mit den Negrischen Korperchen 
der Lyssa, den Guarnerischen Korperchen der Variola usw. bestehen. 

98) Uber Ruckenmarksveranderungen bei Encephalitis lethargica, von Werner 

Gerlach. (Berliner klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 25.) Ref.: E. Tobias. 

Verf. teilt zwei Falle von Polioencephalitis letbargica mit, die zur Obduktion kamen 
und hochgradige Beteiligung des Rlickenmarks zeigten. Der Beginn der Erkrankung wich , 
von der Mehrzahl der Falle Economos insofem ab, als zu Beginn grippale Symptome, wie 
Frosteln, Unbebagen, Gliederschmerzen u. dgl., fehlten. In beiden Fallen begann die Er¬ 
krankung akut mit Schmerzen in einer Extremitat. Aueh die Temperatur war nicht charak- 
teristisch. Anfangs subfebril, traten erst in den letzten Tagen ante exitum hohere Tempora- 
turen auf. Das auffallendste Symptom war die besonders hochgradige Schlafsucht. Menin- 
gitische Symptome fehlten; wohl ergab Nonne eine deutliche Opaleszenz, die Zell zahl war a her 
in keinem der beiden Falle vermehrt. Auch histologisch fehlten meningitische Symptome. 
Mikroskopisch ergab sich, daB die perivaskulare Infiltration der Gefafie in dergrauen Sub- 
stanz des Rlickenmarks bzw. Gehims ihren Ausgang nahm und die perivaskulare Zellinfil- 
tration vereinzelt eine Vene bis in die Leptomeninx begleitete. Von besonderem Interesse 
waren in beiden Fallen die Symptome, die schon klinisch einenHinweis auf eineMiterkrankung 
des Rlickenmarks boten. 

99) H liquido cefalo-rachidiano nelPenceialite letargica, per P. Boveri. (Rif. 
med. XXXVI. 1920. Nr. 19.) Ref.: W. Misch. 

Die Liquoruntersuchungen an 16 Fallen von Encephalitis lethargica ergaben. 
daB der Liquor bei dieser Erkrankung keineswegs als normal anzusehen ist, wenn 
auch die vorgefundenen Veranderungen sehr gering sind. In 4 Fallen fand sich 
positiver Nonne, in 7 Fallen positive Permanganatreaktion (Boveri), in 11 Fallen 
Erhohung der Reduktionsfahigkeit, in einigen Fallen eine leichte Lymphozytose. 
Diese Veranderungen sind in alien Stadien und bei alien Typen der Erkrankung 
die gleichen. Die Gleichformigkeit und Geringfiigigkeit derselben kann zur Ab- 
grenzung der Encephalitis epidemica gegeniiber den Meningitiden dienen.' 

100) SulT encefalite letargica, per 0. Fragnito. (R. Accademia die fisiocritici 
in Siena. Sitzung 30. Januar 1920.) Ref.: Enderle. 

Verf. lenkt in dieser Mitteilung die Aufmerksamkeit auf einige wenig oder 
gar nicht studierte Symptome der Encephalitis lethargica, namlich auf eine be- 
sondere Form von bulbopontinen Spasmen und auf zerebellare Erscheinungen. 
Der bei einem Kranken gut studierte bulbopontine Krampfanfall beginnt mit 
Gahnen, hierauf folgen Schluckbewegungen, dann SchlieBen des Mundes und der 
Augen und endlich Kaubewegungen. Der Anfall dauert wenige Sekunden, dock 
konnen die Augen langere Zeit hindurch geschlossen bleiben, und in dem Orbi¬ 
cularis palpebrae, wie in den perioralen Muskeln dauern wahrend einer Zeit die 
Kontraktionen der einzelnen Faserbiindel fort. Das BewuBtsein war vollstandig 
erhalten. Wahrend des Anfalles jedoch schlief die Patientin dem Scheine nach. 
indem sie in eine Art Wachen bei geschkwssenen Augen verfallt. Dem Verf. nach 
handelt es sich um Krampfe infolge der Reizung der bulbopontinen Zentren. 
wahrend die Ptosis palpebralis auf die Ausdehnung der Reizung auf die Pedun- 
culushaube hinweise. Die vom Verf. beobachteten zerebellaren Erscheinungen 
sind: die Katalepsie, die Adiadochokinesis, die Hypermetrie, die Asynergie und 
der Tremor. Verf. ist der Meinung, daB dieselben in seinem Falle in Zusammenhang 
gebracht werden miissen mit der Lasion der Pedunculushaube, ohne daraus 
zu schlieBen, daB sie in anderen Fallen als Grundlage eine Lasion der Kleinhirn- 
zentren oder der in anderen Gebieten verlaufenden Kleinhirnbahnen haben 
konnen. Endlich bespricht Verf. die Annahme des Bestehens eines Schlaf- 
zentrums im Mittelhirn; er spricht sich entschieden gegen diese Lokalisierung 


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aus. Seiner Ansicht nach wiirde die Lasion der Mittelhirnhaube nur die fiir das 
Auftreten des Schlafes gtinstigen Bedingungen schaffen, und zwar durch Herab- 
setzung des Zuflusses der sensorischen Reize zur Hirnrinde und durch Hervor- 
rufen (auf pathologischem Wege) einer Haltung, die jener ahnlich ist, welche die 
normal schlafenden Personen annehmen. Diese Haltung ist durch den SchluB 
der Lider infolge von Lahmung oder — haufiger — Parese des Levators und duroh 
Unbeweglichkeit der Augen und des Kopfes infolge von Verletzung des Kernes 
und der intranuklearen Assoziationsfasern (hinteres Langsbiindel) charakterisiert. 

101) tlber Encephalitis epidemics, von F. Moritz. (Miinchener med. Wochen- 
schrift. 1920. Nr. 25.) Ref.: Kurt Mendel. 

Uberblick iiber die wichtigsten Krankheitserscheinungen der Encephalitis 
lethargica. 

102) tfber Encephalitis epidemica, von Adolf Striimpell. (Deutsche med. 

Wochenschrift. 1920. Nr. 26.) Ref.: Kurt Mendel. 

Yerf. besprickt insbesondere die Klinik der Encephalitis lethargica, fur 
welche das Fehlen der eigentlichen Pyramidenbahnsymptome besonders charakte- 
ristisch ist. Therapie: Chinin (3 X tagl. 0,1—0,2), Urotropin, bei Unruhe Chloral 
und Luminal. Lumbalpunktion besserte voriibergehend. Betreffs der Ence- 
phahtis lethargica und der Influenza handelt es sich offenbar um gleichartige 
Bedingungen fiir die Ausbreitung und die Ansiedlung der. betreffenden Krank- 
heitserreger. 

103) tlber die Atiologie der Meningoencephalitis epizootics, von R. Kraus. 
(Zeitschr. f. Immunitatsforsch. XXX. 1920. Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Bornasche Krankheit der Pferde ist eine Encephalitis, hervorgerufen 
durch wohlcharakterisierte Diplokokken. 

104) La conception bordelaise de l’encephalite lethargique, par Rene Cruchet. 
(Acta med. scandin. LIII. 1920. Fasc. 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Encephalitis lethargica ist nichts anderes als eine der besonderen Formed 
der diffuSen Encephalomyelitis, vom Verf. schon vor Economo i. J. 1917 als 
subakute Encephalomyelitis beschrieben. 

106) Enc6phalite epidemique aigue dite lethargique, par E. Bauer et J. Mayor. 
(Revue medic, de la Suisse romande. 1920. Nr. 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Verff. beobachteten 13 Falle von Encephalitis lethargica. Meist besteht 
Insomnie, Delir, psychische und physische Erregung. Die Yerff. unterscheiden 
den kortikalen Typus (Delir, Jacksonsche Epilepsie, Brocasche Aphasie), den 
mesozephalen Typ (Myoklonien, Lethargie, Lahmungen, Parkinson-Formen), den 
meningealen Typ (schwer zu unterscheiden von der tuberkulosen Meningitis), die 
Formen mit unbekannter Lokalisation, Hysterie und andere Neurosen vor- 
tiiuschend. Dazu Formes frustes. Nicht selten ist eine gewisse Familiendisposition 
zur Nervositat. Von 29 im Kanton beobachteten Encephalitisfallen starben 
5 = 17,2°/ 0 . Therapie (Urotropin, Salicyl, Kolloidalsalze) ohne besonderen Er- 
folg. Chloral wirkte sehr gut gegen die Erregungen. 

106) Considerations sur l’epidemiologie de l’encephalite lethargique, par C. v. Eco¬ 
nomo. (Schweizer Archiv fiir Neurol, u. Psych. VI. 1920. Heft 2.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. rollt nochmals die ganze Frage der Beziehungen der Encephalitis 
lethargica zur spanischen Grippe auf: Epidemien und sporadische Falle der 
Encephalitis lethargica konnen auftreten ohne Anwesenheit von Grippe, allerdings 
bestehen oft Beziehungen zwischen den Grippeepidemien und der Encephalitis 
lethargica. In einera Zusatz zu dieser Arbeit fiihrt C. v. Monakow aus, daB er 
den Ursprung der pathologischen Veranderungen der Encephalitis lethargica in 
die mittelgroBen, gegen die Hirnbasis zu liegonden Hirnstammvenen zu verlegen 

XL. (ErgSnzuDgsband.) 1 


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geneigt ist; dieselben zeigen Thromben, welche zu einer Stauung und zu Reaktions- 
zonen mit Ansammlung von amoboiden Gliazellen, zu Abbauprodukten, Schollen 
u. dergl. fiihren. Wahrend die Thromben sich bei der Infiuenzaencephalitis in den 
gseBen Arterien ansiedeln, finden sie sich bei der Encephalitis lethargica mehr in 
den Venen des Hirnstammes. Bei der Encephalitis lethargica handelt es sich mehr 
urn Dberladung mit C0 2 (Stauungserscheinungen), bei der Influenzaencephalitis 
mehr um Folgen eines Mangels an sauerstoffhaltigem Blute (nekrotische Herde). 

1*7) Schlafkrankheit, Grippeenoepbalitis, Encephalitis eomatosa, von Carl Kliene- 

berger. (Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 24.) Ref.: Kurt Mendel. 

Es erscheint nicht angangig im Sinne v. Economos, die jetzt haufiger beob- 
achtete Encephalitis mit Schlafsucht als neue Krankheit herauszuheben und von 
anderen Encephalitisformen als wesensverschieden zu bezeichnen. 

108) L’encefalite letargica, per G. Economo. (Policlinico. XXVII. 1920. 
Nr. 3.) Ref.: W. Misch. 

In dieser groBen Arbeit werden nochmals die Ergebnisse der Beobachtungen 
iiber die Encephalitis lethargica zusammengefaBt, indem 13 neue Falle ausfuhrlich 
mitgeteilt werden. Es wird darauf hingewiesen, daB es zweifellos Formes frustes 
dieser Erkrankung gibt, die auBer einer gewissen Schlafrigkeit und voriibergehen- 
den Augenmuskelstorungen keine Erscheinungen darbieten, so daB sie nicht einmal 
bettlagerig zu werden brauchen. 

Die ausgepragten Falle bieten ein ziemlich einkeitliches Bild, so daB von einer Krank- 
heitseinheit gesprochen werden kann. Die Erkrankung beginnt durchaus akut. Es geht 
ein Initialstadium mit allgeEneinem Dbelbefinden, Kopfschmerzen, ziehenden Schmerzen 
in den Gliedem voraus. Auf dieses grippostf Anfangsstadium folgen dann die Erscheinungen 
von Seiten des Nervensystems unter rasch zunehmender Triibung des Sensoriums. Fieber 
un4 Delirien konnen vorhanden sein, konnen aber auch fehlen. Im Vordergrunde des Krank- 
heitsbildes steht die Somnolenz, die bei keinem Falle fehlt; ihre Ursache ist nocht nicht ein- 
wandfrei geklart, manches spricht dafiir, daB sie an die Erkrankung der Gegend des Infun- 
dibulums gebunden ist. Zu Beginn der Erkrankung treten in der Regel Erscheinungen von 
Meningismus hervor, denen meist ein erhohter Liquordruck sowie geringe EiweiB- und Zell 
vermehrung (besonders Leukozytose) entspricht. Be Bonders charakteristisch fur die Er¬ 
krankung sind die Augenmuskellahmungen, die stets doppelseitig sind, meist den Okulo- 
motorius betreffen, Pupillen und Akkomodation aber in der Regel frei lassen; neben die sen 
nuklearen AugenmuskeUahmungen finden sich bisweilen supranukleare Lahmungen (z. B. 
Deviation conjugu£e). Neuritis optica wird seiten beobachtet. Daneben finden sich oft 
Storungen von Seiten der bulbaren Nerven, Schluckstorungen, dysarthrische Sprachstorungen^ 
Stimmband- und Gaumensegellahmungen, sowie Vaguslahmungen, die zum Exitus fiihren 
kdnnen; in diesen Fallen konnen Atrophien fehlen, so daB das Bild der Pseudobulbarparalyse 
entsteht. Sehr gewohnlich sind femer Lahmungen und Pare sen mit spastischen Reflexen 
an den Extremitaten, sowie eine auBerordentliche Steigerung des Muskeltonus, die mit der 
Erkrankung des Linsenkems in Zusammenhang gebracht und der bei Paralysis agitans herr- 
schenden Starre verglichen wird. Mehrfach wurden zerebellare Storungen, insbesondere 
Ataxie, beobachtet, die die Abgrenzung gegen die multiple Sklerose sehr erschweren konnen. 
Von Seiten des vegetativen Nervensystems wurden besonders vasomotorische Storungen 
gesehen, femer Glykosurie, und auch das Fieber ist wahrscheinlich in manchen Fallen zere- 
braler Genese. 

In manchen Fallen kann der Verlauf auBerordentlich chronisch sein und, unter standiger 
Progression, noch nach Jahren zum Exitus flihren; dabei kann die Erkrankung schubweise 
verlaufen. Hinsichtlich der Lahmungen ist die Prognose sehr gut, besonders die Augen¬ 
muskellahmungen heilen stets vollkommen aus; weniger gut ist die Prognose hinsichtlich 
der choreatischen und athetotischen Storungen und der psychischen Veranderungen. 

Die Eintrittspforte des Encephalitisvirus sind wahrscheinlich Lungen und 
Tonsillen; von da gelangt es auf dem Lymphweg in den Arachnoidalraum und 
befallt dann besonders die graue Substanz des Gehirns; eine besondere Affinitat 
hat es zu dex grauen Substanz, die die zentralen Hohlen, vor allem den Aquae- 
ductus Sylvii, umgibt. Das Virus befallt die Ganglienzellen primar; die Infiltration 
von Geweben und GefaBen sind als sekundare Reaktionsprozesse zu deuten. An 


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den GefaBen zeigt sich eine Proliferation der Adventitia mit zellularer Infiltration 
(bes. Lymphozyten, Polyblasten, Wanderzellen), durch die die nervosen Bahnen 
unterbrochen und die supranuklearen Lahmungen und Paresen hervorgerufen 
werden. Durch die Infiltration der Ganglienzellen mit Zerstorung der Neurone 
entetehen Kernlahmungen verschiedener Lokalisation: Affektion der Vierhiigeb 
gegend gibt die Okulomoriuslahmungen, des Thalamus Chorea, Athetose, Par- 
asthesien (Thalamussyndrom), des Linsenkerns katatone Erscheinungen, der 
Rinde die zerebralen Erscheinungen. Dabei findet keine komplette Neuronophagie 
statt, wie bei der Poliomyelitis, so daB eine Regeneration moglich ist. Demnach 
ist auch der Verlauf und Ausgang nicht abhangig von der Schwere der Affektion, 
sondern von der Lokalisation, und der Exitus erfolgt in der Regel durch Affektion 
der lebenswichtigen Zentren (z. B. des Vaguskerns). Es laBt sich also sagen, daB 
dem klinisch einheitlichen Bild der Encephalitis lethargica auch ein einheitliches 
anatomisches Bild entspricht, namlich ein entziindlicher ProzeB des Parenchyms 
durch Infektion, mit sekundarer kleinzelliger Infiltration der GefaBe, ahnlich der 
Poliomyelitis. Die Erkrankung tritt von Zeit zu Zeit in epidemischer Form auf, 
dazwischen finden sich aber immer sporadische Falle. Als Erreger ist der Strepto¬ 
coccus pleomorphus anzusehen. 

109) Pathologische Beitrage zur Kenntnis der Encephalitis lethargica, von 

Th. Tobler. (Schweizer med. Wochenschrift. 1920. Nr. 24.) Ref.: Kurt 

Mendel. 

Pathologisch-anatomische Beobachtungen an 15 Fallen. Es handelt sich bei 
der Encephalitis lethargicia um eine akute, herdformige, disseminierte, nicht- 
eitrige, vorwiegend lymphozytare Polioencephalomyelitis, die den klinischen Be- 
funden nach als infektios-epidemische aufgefaBt werden muB. Ebenso wie die 
Encephalitis lethargica stellen auch folgende Krankheiten eine nichteitrige Meningo- 
myeloencephalitis von lymphozytarem Typus dar: die afrikanische Schlafkrank- 
heit, die Lyssa, Hundestaupe, Hiihnerpest, Bornasche Krankheit der Pferde, 
Meerschweinchenlahme. In differentialdiagnostischer Hinsicht kommt ganz be- 
sonders die Heine-Medinsche Krankheit in Betracht. Zu trennen ist die Ence¬ 
phalitis lethargica von der Grippeencephalitis; letztere zeigt im allgemeinen einen 
viel hamorrhagischeren Charakter und ist uberdies meist elektiv auf die Gehirn- 
rinde lokalisiert. Zwischen beiden Krankheiten besteht aber eine gewisse, wohl 
atiologische Verwandtschaft. 

119) Encephalitis und Schwangerschaft, von Ph. Kreiss. (Zentralbl. f. Gynakol. 

1920. Nr. 43.) Ref.: Kurt Mendel. 

2 Falle von Encephalitis in der Schwangerschaft. Differentialdiagnostisch 
kommt besonders die Eklampsie in Frage. Nach der Entbindung trat in beiden 
Fallen eine relativ rasche Besserung der Encephalitis ein. Ist die Schwere der 
Erkrankung derartig, daB an einem Aufkommen gezweifelt werden kann, lebt 
das Kind und befindet sich die Frau iiber dem 7. Schwangerschaftsmonat, so ist 
nach Yerf. die kiinstliche Friihgeburt oder Sectio caesarea berechtigt und im Inter- 
esse des kindlichen Lebens empfehlenswert. 

111) Encephalitis epidemica nach Fleckfieber, von Moczeik. (Medizin. Klinik. 

1920. Nr. 34.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Im AnschluB an einen sicheren Fall von Fleckfieber mit positivem WeihFelix Ence¬ 
phalitis epidemica mit ununterbrochenem Schlaf, rechtsseitiger Fazialis- und Extremitaten- 
lahmung. Patientinwar bei der Aufnahme mit Lausen behaftet. Langsame Riickbildung. 

112) ttber sporadische und epidemische Encephalitis bei Kindern, von E. Wieland. 

(Schweizer. med. Wochenschrift. 1920. Nr. 28.) Ref.: Kurt Mendel. 

In 3 von 4 Fallen von Encephalitis lethargica bei Kindern spielte die pan- 
demische Grippe ganz sicher keinerlei atiologische Rolle, im vierten Falle ist ihre 

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Bedeutung zum mindesten sehr zweifelhaft. Alle 4 Falle zeigten ausgesprochenste 
Lethargie. Ferner Zwangsbewegungen, Aufregungszustande, Delirien, leerer 
Blick, choreatische Zuckungen. Die Encephalitis lethargica stellt einen besonderen 
Encephalitistypus dar. Lumbalpunktion ist therapeutisch unwirksam, Jodkali 
tat gute Dienste. desgleichen 2 mal tagl. applizierte warme Vollbader mit kalten 
GbergieBungen. 

113) Zwei seltenere Varietaten der Encephalitis lethargica bei einem 3- and 
lljahrigen Kinde, von H. Higier. (Verhandl. d. Warschauer arztl. Ge- 
sellschaft 1920.) Eigenbericht. 

Die Klagen, mit denen die Kinder vom Hausarzt zum Spezialisten gerichtet wurden, 
waren neurasthenischer Natur: allgemeine Unruhe, Kopfschwere, Schlaflosigkeit. Letztere 
bestand darin, daB in den letzten Wochen bei relativ gutem Befinden am Tage die Nachte 
unertraglich waren, indem die Kinder gar nicht einschlafen konnten oder gegen die Mitter* 
nacht erwachten und 3 bis 4 Stunden liintereinander schlaflos verb rath ten. Ananmestisch 
lieB sich jedoch feststellen ein vor lOWochen vorausgegangenes lOtagiges Fieberstadium 
mit choreiformer Unruhe. Zur Zeit besteht bei dem einen Pupillentragheit, Hemiparese 
und ticartige Hammersehlagbewegungen der einen oder anderen Extremitat, bei dem zweiten 
Pat. Asymmetrie des Gesichts, Parkinsonstellung, Dysarthrie. Bei beiden liiBt sich ein 
kurzes Stadium von pathologischem Sehlafzustande eruieren. Bei der enorm in Polen ver- 
breiteten Epidemic der lethargischen Encephalitis unterliegt hier die sonst sehr schwierige 
Diagnose keinem Zweifel. Die vom Hausarzte falsch diagnostizierte Neurasthenic ist rein 
symptomatisch. Tn dem liber 70 Falle umfassenden Material des Verf.s ist nur in einem 
Drittel pathologischer Schlaf erwahnt, und der Patient von 2 l / 2 Jahren stellt ein Unicum dar. 

114) Zur vergleichenden Pathologie der Encephalitis nebst kritischen Bemerkungen 
zur Encephalitis lethargica (epidemica)-Diagnose, von C. Hirsch. (Berliner 
klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 26.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. bespricht das vielgestaltige Bild der Encephalitis epidemica, das 
eigentlich zur Frage verleitet: Was ist denn im Augenblick eigentlich keine 
Encephalitis epidemica ? Die Unsicherheit hinsichtlich der Atiologie macht sich 
besonders bemerkbar bei den hyperkinetischen Formen, wo zu oft in dubio 
Encephalitis epidemica diagnostiziert wird. Leichtenstern hat schon in seiner 
klassischen Influe nzamonographie 1890 ganz ahnliche Krankheitsbilder mit auf- 
fallender Schlafsucht geschildert, die anscheinend schon 1712 in Tubingen beob- 
achtet wurden, wie uberhaupt Verf. an der Hand der Literatur nachweist, daB 
es sich um nichts Neues handelt. Auch die anatomische Beobachtung hat nichts 
wirklich Neues gebracht, das lehrt vor allem die vergleichend-pathologische Be- 
trachtung der Krankheit. Wir sehen bei atiologisch ganz verschiedenen Er- 
krankungen eine bemerkenswerte Dbereinstimmung klinischer und anatomischer 
Befunde. Bei der Encephalitis epidemica ist auch nicht alles, was zunachst so 
aussieht, rein entziindlicher Natur. Gerade weil die verschiedensten Ursachen 
gleiche Wirkungen auslosen konnen, muB man bei der klinischen Diagnose sehr 
kritisch sein. Verf. erinnert in dieser Beziehung an die haufig kritiklos gestellte 
Modediagnose ,,Influenza <4 . 

115) Zur Kasuistik der Encephalomyelitis lethargica, von Th. Schaeppi. 
(Schweizer. med. Wochenschrift. 1920. Nr. 28.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Forme fruste von Encephalitis lethargica mit Diplegia masticatoria, d. h. 
doppelseitiger motorischer Trigemiiauslahmung, sowie auch mit doppelseitiger kompletter 
Faziahslahmung. Trotz letzterer keinerlei Paralyse oder auch nur Parese des Gaumensegel- 
und des Zapfchenhebers, die vom N. vagus versorgt werden. Die Hiranervenlahmungen 
sind als Kernlahmungen anzusprechen. 

116) Die Augensymptome bei der Encephalitis lethargica, von Richard Cords. 
(Miinchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 22.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bcobachtungen an 20 Fallen von Encephalitis lethargica. U. a. sah Verf. 
Rueknystasrmus. Schiittolnystngmus. Akkommodationslahmung, Anomalien der 


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Pupillenweite, Pupillenstarre, Papillitis (vgl. Neurol. Centralbl. 1920, S. 412, 
Referat 34). Vielleicht existiert ein Schlafzentrum in- der Nahe der Augen- 
muskelkerne. 

117) Enc6phalite lethargique. Ophthalmoplegie interne totale, par V. De¬ 
mole. (Revue medic, de la Suisse romande. 1920. Nr. 6.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Fall von Encephalitis lethargica mit choreiformen Zuckungen und absoluter 
Pupillenstarre, die langsam zuriickgeht. Warme prolongierte Bader und Anti¬ 
pyrin wirkten gut auf die Zuckungen ein. 

118) De quelques sympt6mes oculaires dans la mesoenc6phalite lethargique, par 

Arnold Verrey-Westphal. (Revue medic, de la Suisse romande. XL. 
1920. Nr. 9.) Ref.: Kurt Mendel. 

2 Falle von Encephalitis lethargica, im ersten Lahmung beider Obliqui inferiores, Ak- 
kommodations- und Konvergenzparese, Zusammenvorkommen von Insomnie und Somnolenz; 
im zweiten Somnolenz ohne Fieber, Akkommodations- und Divergenzlahmung. 

119) Untersuchungen des Hor- und Oleichgewichtsapparates bei Encephalitis 
lethargica, von Karl Grahe. (Miinchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 22.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Yerf. untersuchte 20 Falle von Encephalitis lethaTgica kochlear und vesti¬ 
bular. Er fand alle moglichen Grade von Storungen des Hor- und Gleichgewichts- 
apparates im bunten Wechsel: Ohrensausen, Schwerhorigkeit, Schwindel, Spontan- 
nystagmus, Vorbeizeigen usw. Diesen Schadigungen miissen zentrale, fluchtige 
Schadigungen zugrunde liegen. 

120) Auftreten von Polyurie (Diabetes insipidus?) im Verlaufe eines Falles von 
Encephalitis epidemica, von E. Hoke. (Wiener klin. Wochenschrift. 1920. 
Nr. 26.) Ref.: Pilcz (Wien). 

23 jahr. Madchen. 2. Mftrz 1920 plotzlich Schwindel, Kopfschmerz Fieber, Doppel- 
sehen; einigeTage spfcter schwere choreatischeUmuhe, dann zunebmende Somnolenz; 4 Wocnen 
tiefe Lethargie. Leichte rechtsseitige Mundfazialispareee, dauerod Fieber. 13. April plotzlich 
eigenartig stoBweise, auBerordentlich frequente Atemztige (klonieche Zwercbfellkiampfe?). 
Seit 23. April Sensorium freier, choreiforme Zuckungen geringer, Temperatur subfebriL 
Hammenge plotzlich auf 8 Liter angestiegen, dementsprechend Durst; Harn ohne Zucker. 
Diese Polyurie halt an. 4. Mai unter Fieberanstieg wieder Steigerung der Kopfschmeizen 
und ungemein heftige Krampfe, Somnolenz. Nach 9 Tagen Besserung. Hammenge steigt 
auf 10 Liter. Nach Injektion einer Phiole Pituglandol Sinken der Hammenge auf 3 Liter; 
23. Mai war Menge wieder auf 6,72 Liter gestiegen; nach Pituglandolinjektion Absinken auf 
3 Liter. Nervenbefund bis auf stoBende Unruhe negativ. Beobachtung dauert noch an. 

In den epikritischen Bemerkungen hebt Verf. die Polyurie hervor und 
die symptomatisch giinstige Wirkung des Pituglandols auf dieselbe. 

121) Ein Fall von Hyperpyrese bis 44,2° bei Grippe bzw. bei Encephalitis epi¬ 
demica, von L. Gelpke. (Schweizer. med. Wochenschrift. 1920. Nr. 37.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Encephalitis lethargica mit plotzlichem Fieber von 44.2°, verbunden mit 
Schiittelfrost und Nasenbluten, Doppelbildem, Delirien, Palpitationen, Steifigkeit in Aimen 
und Beinen. Antipyretica ohne jeden Erfolg. Langsame Genesung wahrend 6Wochen. 
Dieses encephalitische (?) Fieber unterscheidet sich vom gewohnlichen Fieber dadurch, dafi 
es keine entsprechende Pulsbeschleunigung machte, keine febrile Albuminurie auftrat und 
andere Symptome wde trockne Zunge etc. ganz fehlten. Vielleicht handclt es sich dabei vm 
encephalitische Herde in den Waimezentren. 

122) Encdphalite lethargique myocloniqne d predominance unilaterale, par V. 

Demole. (Revue medic, de la Suisse romande. 1920. Nr. 6.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Beginn des Leidens bei dem Potator strenuus mit einem Delirium tremens. 
Die myoklonischen Zuckungen betrafen hauptsachlich die linke Korperhalfte; 


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Verf. lokalisiert (lie Lasionen vornehmlich in die linke Halfte des Rackenmarks 
(D 9 bis D 18 ). 

123) A Case of Encephalitis: Lethargy and Myoclonus, by Camac. (Brit. med. 
Journ. 3099.) Ref.: Schreiber. 

Mitteilung eines Falles von epidemischer Encephalitis, der ein Mittelding zwischen 
lethargischer und myoklonischer Form darstellte. Die Zuckungen erfolgten rhythmisch, 
etwa 60mal in der Minute, und betralen den Mundheber, Masse ter, Temporalis, Kopfnicker 
und den oberen Teil des Trapezius. 

124) Le syndrome excito-moteur de l’encephalite epidemique, par Pierre Marie 
et Gabrielle L6vy. (Revue neurol. XXVII. 1920. Nr. 6.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Die Verff. beobachteten im AnschluB an epideinische Encephalitis (d. h. 
Tage bis Monate nach der Infektionskrankheit beginnend): 1. ehoreatische Be- 
wegungen, 2. bradykinetische Oszillationen (besonders an den proximalen Teilen 
der Extremitaten), 3. Myoklonien (an Rumpf oder Extremitaten), 4. Paralysis 
agitans-Syndrom mit oder ohne Zittern, 5. reine Zitterbewegungen, besonders 
im Gesicht, 6. lokalisierte Gesichtsbewegungen. Die Verff. bringen fiir diese 
Formen Beispiele eigener Beobachtung. Was das Parkinson-Syndrom nach Ence¬ 
phalitis betrifft, so kann es sich dabei um eine Forme fruste (allgemeine Starre, 
Zittern, Propulsion, monotone Sprache, zittrige Schrift, Ungeschicklichkeit, 
Niedergeschlagenheit) oder um eine progrediente Form, welche durchaus dem Bilde 
der echten Paralysis agitans entspricht, handeln, nur tritt beim Parkinsonsyndroni 
nach Encephalitis das Zittern nur gelegentlich auf und es finden sich oft Spasmen 
im unteren Fazialis, Storungen des Kauens und Schwierigkeit, die Zunge vollig 
vorzustrecken, sowie fibrillares Zittern der Zunge. — Die Latenzzeit zwischen 
Encephalitis und den motorischen Storungen betragt zumeist 2 bis 3 Monate, 
nur folgt das Parkinsonsyndrom fast unmittelbar (einige Tage bis 3 Wochen) 
der Encephalitis. Die Dauer der motorischen Storungen nach Encephalitis be¬ 
tragt einige Monate bis zu P/g Jahren, auch langer. Der objektive Befund ist fast 
stets vollig negativ, nur sind die Sehnenreflexe meist gesteigert (lmal bestand 
Babinski). Um die Encephalitis als atiologischen Faktor der motorischen Sto- 
rungen herauszufinden, ist zu achten auf vorherige Somnolenz oder Insomnie, 
leichte Temperaturerhohungen, Augenmuskelstorungen (Ptosis, Strabismus, 
Doppeltsehen, Akkommodationsstorungen), ferner besonders auf Hinterkopf- 
sohmerz mit Nackensteifigkeit (letztere oft erste Lokalisation des Parkinson), 
auf Kaumuskelstorungen mit oder ohne Schmerzen, auf Gesichtsspasmen (be¬ 
sonders am Orbicularis oculi et oris), SpeichelfluB, Sprachstorungen, fibrillare 
Zuckungen der Zunge, Gefflhl von Erwiirgtwerden, Gfihnen, Schluckauf, Atem- 
not, Kopfleere, Gelenkschwellungen, Neuralgien, Hyperasthesien. All diese un- 
willktirlichen Bewegungen, einschlieBlich der Chorea und der Paralysis agitans, 
sind wohl auf Lasionen zuriickzufiihren, die im Hirnstamm, dann wohl auch in 
Hirnrinde und sogar im Riickenmark lokalisiert sind (diffuse Encephalomyelitis). 

125) Zur Frage der Encephalitis epidemica, von Walter Cohn u. Use Lauber. 

(Miinchener med. Wochenschrift. 1920. Nr.24.) Ref.: Kurt Mendel. 

Ein Fall von Encephalitis choreatica, ein Fall von postenzephalitischem amyostatischem 
Symptomenkomplex, 8 Falle von Encephalitis myoclonica. In dem Falle von EncejAaBtis 
choreatica wurde aus dem Venenblut der Streptococcus pleomorphus (Wiesner) gezfichtet. 

126) Encephalitis epidemica e chorea del Dubini, per B. Boveri. (Rivista di 
Patol. nerv. e mentale. XXV. Heft 3 u. 4.) Ref.: Enderle (Rom). 

Verf. beschreibt die zwei Formen der Encephalitis epidemica, die lethargisclie 
und die myoklonische, vergleicht letztere mit der um 1850 von Dubini urid an- 
deren italienischen Arzten beschriebenen Chorea electrica und stellt sie dieselr 


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gieich. Verf. glaubt auch, dafl die zwei klinischen Formen der Encephalitis von 
eitier verschiedenen Lokalisation des encephalitischen Virus abhange: Pedunfculi 
cerebrales und Locus niger fur die lethargische, Thalamus flir die sogen. r&yd- 
klonische Form. 

127) Encephalitis epidemics choreatica, von Ossian Oehmig. (Miinchener med. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 23.) Ref.: Kurt Mendel. 

Unter 14 Fallen von Encephalitis lethargica zeigten 11 choreatische Muskel- 
unruhe verschiedener Grade. Von fiinf zur Sektion gekommenen Fallen boten 
drei eine thymico-lymphatische Konstitution. Vielleicht besteht bei solchen In- 
dividuen eine durch Gewebsschwache bedingte, ungewohnlich gesteigerte Vul- 
nerabilitat des Gehirns fiir das Grippetoxin. 

128) Preuve anatomique et experimental de l’identite de nature entre certaines 
ehories graves aignes febriles et l’encephalite epidemique, par P. Harvier 

et C. Levaditi. (Bullet, et mem. de la soc. med. des hop. de Paris. 
XXXVI. 1920. Nr. 16.) Ref.: W. Misch. 

Bei einem 23jahr. Madchen war, einen Monat nach einer fieberhaften Angina, eine 
echte akute fieberhafte Chorea minor aufgetreten, die von einer Lymphozytose des Liquors 
begleitet und durch ein purpuraartiges Erythem an den Streckseiten der Extremitaten und 
eine betr&chtliche arterielle Blutdrucksenkung, d. h. ein schweres Erythemsyndrom, kom- 
pliziert war. Der Exitus erfolgte etwa 8 Tage nach Beginn der Erkrankting. Die histo- 
logisehe Untersuchung des Gehirns ergab die gleichen Befunde wie bei der Encephalitis epi- 
demiea: vorherrschend im Mesencephalon, doch auch im Mark nachweisbar, fanden sich 
perivaskulare Ringe aus mononuklearen Elementen und kleine Herde von lymph ozyt&ter 
Infiltration, w&hrend Lasionen der Ganglienzellen vollkommen fehlten; auBerdem wurdeln 
Leukozytenthromben in den betraehtlich erweiterten GefaBen der grauen Substanz beob- 
achtet. Die tTberimpfung von Substanz der befallenen Zentren aid Kaninchen fiihrte in 
vier Passagen zum Tode der Tiere innerhalb von 9 bis 15 Tagen, und in den Gehimen der 
Tier© liefien sich die gleichen, fiir die Encephalitis epidemica charakteristischen Veranderungen 
nachweisen. Es wird daraus geschlossen, daB in den Himzentren der an akuter fieberhaftfcr 
Chorea gestorbenen Kranken das Virus der Encephalitis epidemica enthalten war. Die 
Versuchstiere wiesen kurz vor dem Tode Krampfe und andere Reizerscheinungen, z. T* auch 
choreatische Bewegungen auf. 

Die Verff. glauben, die Encephalitis epidemica in folgende Gruppen einteilen 
zu kbnnen: 1. Falle mit- choreatischen und athetotischen Bewegungen, lethar- 
giseher oder myoklonischer Typus, 2. echte Choreasyndrome, verbunden mit an- 
defen Erscheinungen der Encephalitis epidemica, wie Somnolenz AugenmttakeL 
stdrungen, myoklonischen Syndromen, 3. akute fieberhafte Chorea wahrend der 
Schtrangerschaft odeT ohne solche, vollkommen losgelost von jeder anderen Him- 
stammerscheinung. Aus den mitgeteilten Beobachtungen wird geschlossen, daB 
gewisse Falle von akuter fieberhafter Chorea durch das Virus der Encephalitis 
epidemica hervorgerufen werden, wahrend es nooh nicht sichergestellt ist, eb 
alle derartigen Choreafalle durch dieses pathogene Agens entstehen. Es ist zu 
vermuten, daB auch die Sydenhamsche Chorea der Kinder in gewissen Fallen 
durch das gleiche Virus bedingt ist, doch steht der Beweis noch aus. 

129) Encephalitis epidemica (lethargica, chorsiformia, myooloniea), von J. Roth- 

feld. (Lekarz wojskowy. 1920. Nr. 18 u. 19. Polnisch.) Eigenbericht. 

Die Epidemie der Encephalitis begann in Lemberg im Jattuar 1920 gleieh>- 
zeitig mit der Grippeepidemie. Das klinische Bild entsprach vollkommen deih 
im Ausland beobacheteten Krahkheitsbilde; es traten gleichzeitig alle bekanntcn 
Krankheitsbilder auf: Encephalitis lethargica, choreiformis, myoclonioa. Bs 
wurden auch TJberg&nge von einer Form in die andere beobachtet. Sehr hcruiig 
trat neben Augenmuskell&hmungen ein Zittern der Augenbulbi auf, welches sioh 
durch unregelmaBige Oszillationen vom Nystagmus untersohied. Obwohl die 
Encephalitisepidemie sleichzeitig mit der Grippeepidemie ausbrach, ist dies© 


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Tatsache doch nicht hinreichend zur Annahme, daB die Encephalitis eine Grippe- 
erkrankung ist; es wurden typische Falle beobachtet, bei welchen absolut keine 
Grippesymptome vorhanden waren, was auch nekroskopisch festgestellt wurde. 
Die ersten spoxadischen Falle (14) beobachtete Yerf. etwa ein Jahr vor dem Aus- 
bruch der Epidemie, Anfang 1919 zur Zeit, wo keine Grippe in der Stadt herrschte. 
Die erste Grippeepidemie, welche im Sommer 1918 viele Opfer forderte, erlosch 
im November 1918 zur Zeit der StraBenkampfe und der spateren Belagerung 
der Stadt, als jeder Verkehr aufgehort hatte. 

130) ttber Encephalomyelitis bei Grippe, von J. E. Kayser-Petersen. (Berliner 
klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 27.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Den Betrachtungen werden 22 Rrankengeschichten zugrunde gelegt; bei 
alien lag Grippe mit Fieber, oft in Form von Grippepneumonie vor, luetische 
Prozesse waren iiberall auszuschlieBen. Wassermann war in einem Fall im Blut 
positiv, in diesem aber im Lumbalpunktat negativ. Die Lumbalpunktion ergab 
gelegentlich eine Druckerhohung und EiweiBvermehrung, sehr haufig aber keine 
pathologischen Verhaltnisse. Das Alter bewegt sich zwischen 16 und 62 Jahren, 
die Mehrzahl der Falle war zwischen 21 und 40 Jahren. Im Vordergrunde der 
Symptome standen die Hyperkinese und die Schlafsucht. Augensymptome 
wurden nur in zwei Fallen vermiBt. Besonders hervorzuheben ist die in einem Falle 
auftretende Witzelsucht und in 4 Fallen das Vorkommen auBerordentlich hoher 
Temperaturen bis 42°. Yerf. bespricht erstens die Frage, ob die unter ver- 
fcchiedenen Namen zum Teil auftretenden und beschriebenen Formen der Ence¬ 
phalitis als eine einheitliche Erkrankung aufzufassen sind und zweitens, ob ein 
Zusammenhang zwischen den Encephalitiserkrankungen und der Grippeepidemie 
besteht. In bezug auf die erste Frage ist auch Verf. fur eine bejahende Antwort. 
Der Name Encephalitis lethargica wird dem erweitereten klinischen Begriff 
nicht gerecht. Am wenigsten prajudiziert die Bezeichnung der epidemischen 
Encephalitis bzw. Encephalomyelitis. Erhebliche Schwierigkeiten macht die 
Beantwortung der zweiten Frage. Die pathologisch-anatomische Unterscheidung 
ist bis jetzt nicht gelungen. Bakteriologisch bestehen folgende Moglichkeiten: 

1. Das Grippevirus und das Encephalitisvi rus sind identisch, der Grippeerreger 
oder das Grippetoxin erregt auch die Encephalitis, wobei an ein Verhaltnis der 
Grippe zur Encephalitis wie der Lues zur Paralyse gedacht werden konnte. 

2. Wir haben es mit eirier Misch- Oder Pfropfinfektion zu tun in dem Sinne, dafl 
ehtweder das Grippevirus die Erreger der sekundaren Infektion aktiviert, ihm 
als Pfortenoffner dient, oder das Grippevirus die Encephalitis aufflackert. Dabei 
kahn eine besondere Affinitat des Grippevirus oder des sekundaren Virus zum 
Nervensystem oder zum GefaBsystem bestehen. 

131) tj'ber Grippe und Encephalitis, von R. Jaksch-Wartenhorst. (Medizin. 
Klinik. 1920. Nr. 23.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Im Jahre 1918 hatte Verf. in Prag eine Mortalitat an Grippe von 42,2 °/ 0 . 
Unter 95 Sektionen war nur in einem Falle Encephalitis haemorrhagica als Neben- 
befund erwahnt, in zwei Fallen seros eitrige Meningitis der Konvexitat und der 
Basis, einmal eitrige Meningitis, 13 mal Hyperamie und Odem des Gehirns und 
der Leptomeninx. Im Jahre 1920 sah Verf. gehauft schwere Erkrankungen des 
Gehirns mit einem Todesfall. Allen ging ein schweres Exaltationsstadium mit 
hohem Fieber voraus. Tritt keine Lungenerscheinung hinzu, die gewohnlich 
rasch zum Exitus fiihrt, so kann die Erkrankung wochenlang dauern. Verf. sah 
schwere Delirien, choreaahnliche Bilder, Koma von wochenlanger Dauer, tetani- 
forme Krampfe; in den Komafallen zeigte sich weit in die Rekonvaleszenz hinein 
Leukozytose und zwar vorwiegend Lymphozytose, auch roseolaahnliche Aus- 
schlage u. dgl. Er denkt daran, solche Krankheitsbilder als europaische Schlaf- 


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krankheit zu bezeichnen im Gegensatz zur tropischen Schlafkrankheit, die durch 
Trypaposomen hervorgerufen ist. Therapeutisch kommen in Betracht: AderlaB, 
Lumbalpunktion, Cardiaca, Abhaltung alter Reize, Ernahrung. Auffallig ist, 
daB fast alle diese Falle die gebildeten Stande betreffen und ungemein haufig in 
neuropathisch belasteten Familien zur Beobachtung kamen. Bei Herannahen 
einer Epidemie sollen moglichst die ersten Falle isoliert werden; es soil immer 
dafttr gesorgt sein, da die Grippeinfektion immer eine Tropfcheninfektion dar- 
stellt, daB die Arzte und das Personal durch Verwendung von Respiratoren sich 
vor der Infektion schiitzen. 

132) Uber Grippemeningitis (Encephalitis), von Hans Rotky. (Medizin. Klinik, 

1920. Nr. 13.) Ref.: E. Tobias (Berlin), 

Verf. unterscheidet drei verschiedene Formen von Grippe, die alle nervose 
Erscheinungen zeigen. Die leichten Falle zeigen einen auffallend heftigen Kopf- 
schmerz, der in den Schlafen beginnt und sich iiber Nacken und Schulter aus- 
breitet, um eventuell in Form einer Neuritis in Arme und Hande auszustrahlen. 
Da er nachts besonders oft exazerbiert, besteht haufig Schlaflosigkeit. Andere 
Falle haben an Stelle des geschilderten Schmerzes eine typische Interkostal- 
neuralgie. Die mittelschweren Falle weisen eine psychische Alteration mit auf- 
fallender Unruhe und Erregbarkeit besonders des Nachts auf; dazu kommt 
stundenweise anhaltende Desorientierung, Uberempfindlichkeit der Kopfhaut 
und der Haupthaare, leichter Nystagmus, vorubergehende Doppelbilder ohne 
grobere Muskellahmung, herabgesetzte Reflexe usw. Sowohl die leichten wie die 
mittelschweren Falle gehen gewohnlich in Heilung iiber. Zu den schweren Fallen 
rechnet Verf. die Falle, bei denen neben psychischen Reizerscheinungen auch 
motorische zur Beobachtung kommen, die vollkommen dem Bilde einer voll- 
entwickelten Chorea entsprechen. Eine eigenartige Krankengeschichte wird mit- 
geteilt. Man muBte trotz Fehlens von Kernig, Nackenstarre usw. an Encephalitis 
denken, wenn auch das Sensorium noch vor dem Tode frei war. Umschriebene 
Ausfallserscheinungen (Facialislahmung, Fehlen der Patellarreflexe) lieBen an 
eine periphere Mitbeteiligung der Nerven denken. Ein Sektionsbefund konnte 
nicht beigebracht werden. 

133) ttber Encephalitis bei und nach Grippe, von Carl Hart. (Medizin. Klinik. 

1920. Nr. 33.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Bei der Grippeencephalitis ergaben die Sektionen fur gewohnlich eine Pur¬ 
pura cerebri. Diese Encephalitis haemorrhagica ist hochstwahrscheinlich nicht 
dem spezifischen Grippeerreger, sondern sekundaren Erregern zur Last zu legen. 
Eine umfangreichere Blutung sah Verf. nur einmal. Um ein richtiges Bild von 
der Haufigkeit der Encephalitis haemorrhagica bei Grippe zu haben, ware es 
notig gewesen, an alien an Grippe Verstorbenen eine Gehirnsektion vorzunehmen. 
Verf. bespricht eingehend die Encephalitis lethargica in ihren vielen Formen 
und die Sektionsergebnisse, die wesentlich verschieden sind und hauptsachlich 
neben gelegentlichen kleinen Blutaustritten in der Ansammlung von Zellen um 
die GefaBe herum bestehen, die wie von einem Mantel umkleidet erscheinen. Die 
Zellen sind Lymphozyten und Plasmazellen, denen sich vereinzelt ein Leukozyt 
beimengt. Charakteristisch ist die Lokalisation der perivaskularen Zellansamm- 
lungen, die im Gegensatz zu den Blutungen bei der Purpura cerebri fast nur in 
der grauen Substanz vorkommen.und besonders den Thalamus opticus, den Pons 
und die Medulla oblongata bevorzugen. AuBer einem Odem der Hirnsubstanz 
kommt es dabei zum Untergang von Hirnsubstanz, der kenntlich wird in einer 
herdformigen Wucherung von Gliazellen und durch den Nachweis von Abraum- 
zellen in den perivaskularen Lymphspalten. Die charakteristischsten Verande- 


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rungen sind keineswegs ini Bereich der Sehhiigel. Zum SchluB geht Vert, auf 
das Persistieren einzelner Stbrungen ein. 

184) Sp&tfolgen 4er Encephalitis nach Grippe, von O. Speidel. (Mttnchener raed. 

Wochenschrift. 1920. Nr. 22.) Ref.: Kurt Mendel. 

Nachuntersuchungsbefunde bei 8 friiher vom Verf. veroffentlichten Ffcllen 
von Encephal. letharg. (s. Neur. Centr. 1920. S. 240. Referat 45). Als voll- 
kommen genesen ist nur 1 Fall zu betrachten, bei den Ubrigen fanden sioh noch: 
Fazialisparese, Extremitatenparese, einseitige reflektorische Pupillenstarre, die 
sich im AnschluB an eine Oculomotoriusparese entwickelt hatte, Parasthesien, 
muskulare Zuckungen, nachtliches Zahneknirschen, Schlafsucht, Teilnahmsloeig- 
keit, Gedachtnisschwache, Musk^lstarre nach Art der Paralysis agitans. 

135) tJber Encephalitis lethargica mit besonderer Beriicksichtigung ihrer chro- 

nischen Verlaufsform, von C. Moewes. (Berliner klin. Wochenschrift. 1920. 

Nr. 22.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. schildert zunachst kurz 7 Falle von Encephalitis lethargica, die im 
Sinne von Econo mo auftraten und von denen 4 akut verliefen und zum Tode 
fiihrten, 3 mit subakutem bzw. chronischem Verlauf. Im Gegensatz zu ihnen 
folgen 3 weitere Falle von eigentlicher Grippe-Encephalitis. Der Beginn ist jedes- 
mal der einer typischen Grippe. Naher geschildert werden die chronischen Falle. 
Auffallend gering war die pathologisch-anatomische Ausbeute. Zusammenfassend 
scheint Verf. das Wesentliche zu sein, daB in den letzten Jahren wieder eine be- 
sondere Encephalitisform von epidemischem Charakter, die Encephalitis lethargica, 
zur Beobachtung gekommen ist, die keine bestimmten Beziehungen zur Grippe- 
encephalitis hat. Sie zeichnet sich durch bestimmte Symptomenkomplexe aus, 
von denen die Schlafsucht und die Augenmuskellahmungen hervorzuheben sind. 
Sie hat Neigung, falls sie nicht schnell zum Tode fiihrt, in eine chronische Form 
mit schubweisem Verlauf iiberzugehen. 

136) Zur Symptomatology der neuro-zerebralen Grippeformen, von Ernst W. Heiss. 

(Munchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 23.) Ref.: Kurt Mendel. 

10 Falle von Nerve nerkrankung nach Grippe, 8 da von der zerebralen, 2 der 
polyneuritischen Form angehorend. Die 5 Falle mit choreatischen Erscheinungen 
starben samtlicli. Die Reflexe der Encephalitiskranken wechselten mehrmals 
in ihrem Vorhandensein iiberhaupt und in ihrer Starke sehr rasch, die Zuckungen 
derBauchmuskulatur horten imSchlafe auf und konnten durch Willensbeeinflussung 
voriibergehend eingeschrankt werden. Bei der neuritischen Form konnen anfangs 
choreatische Erscheinungen vorhanden sein, der Verlauf der Neuritis ist ein sehr 
langsamer. Auch Abortivformen kommen vor (neuritische Schmerzen besonders 
in Schultern und Armen sowie Cephalea). 

137) Lahlnungen nach GHribPS, von Erich Leschke. (Berliner klin. Wochenschrift. 

1920. Nr. 22.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Lahmungen bevorzugen gerade die leichter verlaufenden Falle von Grippe. 
Sie entstehen oft erst nach Ablauf des Fieberstadiums, in der Rekonvalesaetiz 
oder noch spater. Sie befallen vorzugsweiSe die Augen- und Gesichtsmuskeln 
und sind nicht durch eine Neuritis, sondern durch toxische oder entztindiliche 
VeTanderungen im Gehirn, durch eine Encephalitis hervorgerufen. Verf. be- 
schreibt mehrere typische Falle, auch einen Fall von Kombination einer Lfthmung 
mit lethargischer Encephalitis. Die Prognose wurde in einem Falle schlecht dhich 
tTbergang auf das Vaguszentrum. Ungiinstiger war sie auch bei Kombihatidn 
mit Myelitis. Bei solchen Fallen von grippaler Encephalomyelitis oder Meningitis 
sollte auf jeden Fall wegen der Haufigkeit der dabei atiologisch in Frage kommen- 
den Pneumo- oder Streptokokkeninfektion ein Versuch mit Optochin oder E*u- 
kupin per os gemacht werden. In einem weiteren Falle handelte es sich um eitie 


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Meningomyeiitis bei einer auBerhalb einer Epidemie auftretenden sporadischen 
iiifluenzaartigen Erkrankung, ein weiterer verlief unter dem Bilde der Landry- 
schen Paralyse. Unter den Erkrankungen des Gehirns, wie sie jetzt im Zusamtnen- 
hang mit der Grippe haufiger auftreten, lassen sich folgende Typen heraushebeu: 
1. Encephalitis lethargica; 2. Encephalitis choreatica; 3. Encephalitis apoplectica ; 
4. Encephalitis nenralgica. Dieselben konnen sich sowohl miteinander als auch 
mit Erkrankungen des Riickenmarks (Myelitis transversa, disseminata oder ascen- 
dens), der Meningen nnd der peripheren Nerven in mannigfacher Weise kombinierCn. 
Den SchluB bilden Bemerkungen uber den Erreger der epidemischen Encephalitis. 
138) Die Influenza und das Nervensystem. Stndfe wahrend der Epidemie in 

Sehweden 1918—1919, von H. Marcus. (Ztschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. 
LIT. 1920. S. 166.) Ref.: W. Misch. 

Es wird iiber eine groBe Anzahl von Fallen von Influenza berichtet, bei 
denen das zentrale und periphere Nervensystem mitbetroffen wurde. Diese ner- 
vdse Form der Influenza, die auch ohne katarrhalische Symptome beobachtet 
wurde, trat mit Vorliebe gleichartig zu gleicher Zeit und an gleichem Orte auf, 
so daB es den Anschein hat, als ob der Infektionsstoff zuweilen Kulturen von haupt- 
sachlich neurotropischem Charakter bildet. 

Als haufigstes Nervensymptom fanden sich heftige Kopfschmerzen, zu¬ 
weilen begleitet von Meningismus. Sehr haufig wurden Neuritiden beobachtet. 
Die an den basalen Hirnnerven beobachteten Neuritiden waren zum Teil wahr- 
scheinlich durch eine begrenzte Pia-Infiltration bedingt. Es fanden sich mehrfach 
Opticusneuritis mit vorubergehender oder dauernder Erblindung, periphere Ab- 
ducensparesen, die verhaltnismaBig rasch ausheilten, isolierte Ptosis, dagegen 
seltener Oculomotoriuslahmungen, wahrend Akkommodationslahmungen, ahnlich 
wie bei Diphtherie, sehr haufig vorkamen; Fazialis, Trigeminus, Vestibularis und 
Cochlearis waren ebenfalls mehrfach isoliert ergriffen. Daneben fanden sich die 
Verschiedensten Formen von Polyneuritis, die oft den bei Diphtherie auftretenden 
ahnelten, z. B. Kombinationen von Gaumensegel-, Peroneusparese und hoch- 
gradiger Ataxie. Respirationsstorungen und Tachykardien wurden mehrfach als 
Vagusaffektionen festgestellt; sie waren in einigen Fallen mit epileptischen An- 
f&Den kombiniert. Auf Affektionen des Sympathicus wiesen Falle von symme- 
trischer Gangran hin. Auch an den spinalen Nerven wurden in zahlreichen Fallen 
Neuralgien, Neuritiden und Paresen beobachtet, die als akute infektiose Poly¬ 
neuritis, in der Regel unter Beteiligung mehrerer Nerven, im AnschluB an In- 
fluenzaerkrankungen auftraten. Unter diesen ist als die h&ufigste und geradezu 
als spezifische Influenza-Neuritis die Ulnarisneuritis zu betrachten, wahrend der 
Radialis niemals und der Medianus auBerst selten ergriffen wurde; mehrmals wurden 
Serratusparesen gesehen. Im ganzen wurden am haufigsten Ulnaris, Peroneus, 
Fazialis, Abduzens und Vestibularis ergriffen. Die Nervensymptome begannen 
binnen 8 bis 21 Tagen nach Beginn der Influenza, nur in bezug auf Opticus und 
Vagus war das Intervall auffallend kurz, namlich nur 2 bis 7 Tage. Oft war die 
Elitscheidung schwer, ob eine Polyneuritis oder eine Riickenmarksaffektion vorlag, 
aber es wurden auch zweifellose Myelitiden beobachtet, die zum Teil unter dem 
Bilde einer langsam verlaufenden Landryschen Paralyse oder einer subakuten 
Poliomyelitis („Influenza - Pseudopoliomyelitis' £ ) verliefen. Merkwiirdigerweise 
wurden Encephalitiden nach Inflluenza auBerst selten beobachtet. Verf. selbst 
sah nur einen einzigen Fall von Hemiparese mit Chorea und motorischer Aphasie. 
Neben zahlreichen Neurasthenien und Depressionszustanden mit Suizid im An- 
scHuB an Influenza wurden einige Psychosen beobachtet, die der manisch-deptes- 
siven Erankheitsgruppe, der Dementia praecox oder der Amentiagruppe ange- 
horten; am haufigsten waren di^ depressiven melancholischen Zustande. Endlich 


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wird noch eine Reihe von Fallen bei im gleichen Zeitraum erkrankten Rekruten 
berichtet, die wahrscbeinlich zur Encephalitis lethargica gehorten und rasch 
letal verliefen. Im Gegensatz zu den peripheren Neuritiden traten die Riicken- 
marks-, Gehirnerkranknngen und Psychosen ohne Intervall in unmittelbarem 
Zusammenhang mit der Influenza auf. 

Zum SchluB werden die pathologisch-anatomischen Befunde an einigen 
untersuchten Gehirnen mitgeteilt. Die Pia wurde meist odematos, hyperamisch, 
ahnlich wie beim Fleckfieber infiltriert gefunden, z. T. bestand echte, nichteitrige 
Meningitis; es fanden sich reichlich thrombosierte GefaBe und Blutungen, unter 
denen das Nervengewebe degeneriert war. In Rinde und Mark fielen vor allem 
die auBerordentlich starken Hyperamien mit Stasen auf. Innerhalb der Mark- 
region waren besonders die zentralen Ganglien schwer betroffen; liier bestanden 
die Veranderungen teils aus exzessiv ausgedehnten Kapillaren und nachstgroBeren 
GefaBen, teils aus Blutungen von verschiedenartigem Aussehen, teils in deutlichen 
miliaren Erweichungs- oder Degenerationsherden. Die Blutungen waren in der 
Regel ringformig, in der Weise, daB um ein punktformiges Zentrum sich erst 
eine helle, dann eine dunkle Zone herumlegte; das Zentrum ist das blut- oder 
thrombusgeftillte GefaBlumen, der auBere Ring der mit ausgetretenen roten Blut- 
korperchen erfiillte perivaskulare Raum, der dazwischenliegende helle Ring da- 
gegen die hyalin degenerierte GefaBwand. Allen derartigen Veranderungen ge- 
meinsam sind die degenerative Veranderung der GefaBwande und die stark er- 
weiterten perivaskularen Raume. Proliferative Glia veranderungen (amoboide 
Zellen, epitheloide Zellen) fanden sich besonders in den oberflachlichen Schichten 
des Gehirns. In den subkortikalen Schichten besonders der Stirn- und Zentral- 
windungen und in den groBen Ganglien fanden sich ferner Herde, die aus einem 
maschenformigen Netzwerk von Gliafaden bestehen und die wahrscheinlich teils 
als Reste von Blutungen, teils als Degenerationsherde oder anamische Nekrose- 
herde aufzufassen sind, beruhend auf Anamie im Gewebe unterhalb der Throm¬ 
bose des GefaBes. — Sowohl in der Pia wie im Gehirn entstehen also die Krank- 
heitsprozesse in der Weise, daB die GefaBwande und deren Zellen in einem sehr 
friihen Stadium der Krankheit von dem Virus ergriffen werden und sehr rasch 
die degenerative ,,hyaline “ Umwandlung erleiden, die eine Exsudation aus dem 
GefaB und eine Auswanderung von roten Blutkorperchen in perivaskulare Raume 
und Nervengewebe ermoglichen; die Thrombenbildung ist wohl ebenfalls fur die 
Entstehung von Blutungen von Bedeutung, ist aber jedenfalls erst sekundar der 
GefaBreaktion aufzufassen. Die Gliaprozesse sind hauptsachlich als sekundare 
Reizungs- oder Reaparationsprozesse aufzufassen. An den Nervenzellen selbst 
finden sich merkwiirdigerweise wenig Veranderungen, die den akuten Verande¬ 
rungen bei anderen Infektionskrankheiten durchaus gleichen. 

189) Zur Pathogenese der Grippe, von R. Wiesner. (Wiener klin. Wochenschrift. 
1920. Nr. 25. S. 531.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Ein genaues Studium der pathologisch-anatomischen Veranderungen an" den 
Lungen erweckten in Verf. den Gedanken, ob nicht etwa Innervationsstorungen 
der Lungen, und zwar zentralen Ursprungs, den Anlafi zu den betreffenden Lungen- 
prozessen geben; das Zentralnervensystem bei Grippe fand sich fast konstant 
im Zustande odematoser Schwellung und auffallender Hyperamie. Verf. unter- 
suchte nun in 12 Fallen speziell das Verhalten des Vaguskernes; klinisch hatten 
diese Kranken keinerlei nervose Storungen geboten, speziell nichts im Sinne einer 
der Formen epidemischer Encephalitis. Die GefaBe erwiesen sich stark hyper¬ 
amisch, die perivaskularen Raume betrachtlich erweitert und erfullt mit einer 
fadig-kornigen Masse. Das Stiitzgewebe ist aufgelockert, weit intensiver im 
ventromedialen Anteil des viszeralen Kernes, zum Teile auch im, N. solitarius, 


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gelegentlich kaudalwarts vorriickend gegen den dorsolateralen Vaguskernanteill 
Hypoglossus ganz frei. Die Ganglienzellkerne scheinen teils stark geblaht, teils 
randstandig, von verwaschenen Konturen, Kernkorperchen exzentrisch, selbst 
ganz ausgestoBen. Die Zellen selbst weisen Blahung auf, mit homogener Struktur 
des Protoplasmas und Mangel der Nisslstruktur. Auffallend reichliche Pyknose, 
periganglionare Raume stark erweitert; in einzelnen der Liicken sind nur mehr 
Rudimente von sich auflosenden Zellen; eine Reihe von Liicken ist leer. Ent- 
ziindliche Reaktionen fehlen vollstandig. Auch diese Veranderungen sind wieder 
am meisten im ventromedialen Anteile und im Nucleus solitarius, wahrend 
N. ambiguus ziemlich normal aussieht. In zwei Fallen wurden auch im Akzessorius- 
kerne analogs Veranderungen gefunden. Die beschriebene Vaguskernlasion ist 
der greifbare Ausdruck der gesuchten oder einer der gesuchten Toxinschadigungen 
bei der Grippeinfektion, ein Teil der anatomischen Grundlage fiir das, was bisher 
allgemein als Intoxikationserscheinung der Grippe bezeichnet worden ist. 

Verf. trachtet des weiteren, die einzelnen Lungenprozesse in Beziehung zu 
den Vaguskernveranderungen zu bringen; das Odem der Stiitzsubstanz oder die 
Kompression einzelner Ganglienzellen konnte einen Reiz-, Atrophie und Zell- 
schwund einen Lahmungszustand erklaren; man konnte an vagogene paretische 
Erschlaffung der Bronchialwandungeri, aber auch an trophische Storungen in- 
folge Funktions.storungen des Plexus pulmonalis denken. Die Bradykardie zu 
Beginne, bei unkomplizierten Erkrankungen, endlich in der Rekonvaleszenz, 
ware Ausdruck einer Reizung bei maBiger Zellschadigung. Bei Atrophie der 
Zellen kommt es durch Wegfall der herzhemmenden Wirkung zu Tachykardie. 
Dem nicht sehr haufigen Grippeerbrechen entsprachen die gelegentlich zu finden- 
den Veranderungen im dorsolateralen Anteile des viszeralen Vaguskernes. Es 
besteht ein ganz prinzipieller Unterschied zwischen den oben geschilderten Ver¬ 
anderungen und denen bei Encephalitis; bei ersteren herrschen degenerative 
Ganglienzellenveranderungen vor, bei letzteren proliferativ-infiltrativer Charakter. 
Bei ersteren fehlt durchaus Neuronophagie, dagegen ist Zellpyknose hier in den 
Vordergrund geriickt. Bilder, die auf einen graduellen Unterschied der Ver¬ 
anderungen bei Grippe und Encephalitis schlieBen oder einen Ubergang der einen 
in die andere Form erkennen lieBen, hat Verf. nicht gesehen. Das Grippevirus 
erzeugt am Orte des primaren Eindringens, d. h. an den Schleimhauten des 
oberen Respirationstraktes, eine akute Entziindung. Von hier aus findet eine 
Konzentration des Grippetoxins im Zentralsysteme statt mit besonders schwerer 
Schadigung der Parenchymzellen der Kernregion (Vagus-Akzessorius), welche in 
weiterer Folge zu den verschiedenen Symptomen und Komplikationen der Grippe 
fiihrt und durch Innervationsstorungen den Sekundarinfektionen die Moglichkeit 
ungehemmter Entfaltung und Tatigkeit vorbereitet. Sehr interessant ist der 
medicohistorische Anhang, welchen Verf. bringt. Alte Anschauungen von 
Graves (1843), Glover („Centroneural-fever“) u. a., wonach die Grippe ihrem 
Wesen nach als Nervenerkrankung aufzufassen ware, erscheinen nicht mehr ledig- 
lich als ,,extravagante pathogenetische Definition' 4 (Leichtenstern), zumal 
der anatomische Nachweis von Toxinschaden an dem Zentralnervensystem den 
alten Hypothesen eine materielle Grundlage gebracht hat. 

140) Zur Frage der epidemisch auftretenden Encephalitis, von Hoestermann. 

(Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 26.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. beobachtete 12 Falle, von denen er 4 mitteilt. Von Lumbalpunktion 
oder Neosalvarsan sah er keinen Erfolg. Therapie symptomatisch. 

141) Rekonvaleszentenserum bei Encephalitis epidemica, von E. A. Griinewald. 

(Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 45.) Ref.: Kurt Mendel. 

Von der Voraussetzung ausgehend, daB die Encephalitis epidemica eine 


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parainfektiose Hirnerkrankung der Grippe sei, behandelte Verf. 10 Encephalitis- 
fade mit dem von Rekonvaleszenten derselben Krankheit stammenden Serum, 
um den Korper zur Schutzkorperbildung von neuem zu aktivieren. Er injiziert 
5Qccm intraglutaal, 3 bis 4 Tage darauf noch 80ccm, wenn bis dahin die ge- 
wiinschte Reaktion ausblieb. Deutliche Besserung nach den Injektionen. Am 
weingsten beeinfluBt wurden die neural gif ormen Erscheinungen und die Augen- 
symptome. 

142) Drei Falle von familiar er zerebraler Kinderl^hmung, von Kretschmer. 

(Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 45.) Ref.: Kurt Mendel. 

Biei Briider, bei denen sich nach volligem Wohlbefinden bis dahin im 12. Lebensj&hre 
eine langsam fortschreitende Para- bzw. Tetraplegie, Hohl- und KlumpfiiBe, teilweise Seh- 
nervenatrophie, Verlangsamung der Sprache und mehr oder weniger starke Verblodung ent- 
wickelten. Verf. glaubt nicht, daB es sich um Friedreich rc he Krankheit handelt, zumal 
Koordinationsstorungen vollig fehlen, schliefit auch multiple Sklerose aus und diagnostiziert 
familiale zerebrale Kinderlahmung (Vogt-Spielmeyereche Form). 


Aphasie, Apraxie. 

143) Aphasia and kindred disorders of speech, by H. Head. (Brain. XL1II. 1920. 

Nr. 2.) Ref.: W. Mi sc h. 

Die Aphasiepriifungen der vorliegenden umfangreichen, sehr interessanten 
Arbeit wurden an Schadelverletzten aus dem Kriege angestellt. Um auch die fiir 
die Rindenlasionen charakteristische Unbestandigkeit der Antworten und Reak- 
tionen, die die Ergebnisse der Untersuchungen beeintrachtigt, ausnutzen zu konnen, 
wurde systematisch untersucht und eine Reihe neuer Priifungsmethoden zur An- 
wendung gebracht. Aus den Resultaten, die sich gleichzeitig auf Sprechen, 
Schreiben und Lesen beziehen, geht hervor, daB die durch einseitige Hirnlasion 
bedingten Sprachstorungen nicht unter die Kategorien isolierter Sprach-, Lese— 
oder Schreibstorungen zu bringen sirid. Ebensowenig sind sie zu erklaren als be- 
dingt durch Zerstorung von ,,optischen c< , ,,akustischen ££ oder ,,motorischen ££ 
Wortbildern. Die motorische Form dieser Sprachstorungen ist nicht nur eine 
Anarthrie oder ein hochgradiger motorischer Defekt; vielmehr ist bei der so- 
genannten motorischen Aphasie nicht nur die auBere Sprache, sondern auch die 
innere Wortgebung betroffen; so konnen z. B. vorgemachte Bewegungen nicht 
nachgemacht werden, dagegen ist die Ausfiihrung sofort moglich, wenn der Unter- 
suchende hinter dem Patienten steht und die Bewegungen von ihm im Spiegel 
gesehen werden: im ersteren Fall ist eine gewisse Formulierung in Worten not- 
wendig, wahrend im zweiten Fall eine unkomplizierte Imitation vorliegt. Ebenso 
kann das Schreiben Fehler der Wortbildung von gleicher Art zeigen wie sie die 
Artikulation aufweist. 

Die bei der Aphasie und ahnlichen Sprachstorungen gestorten Funktionen 
werden vom Verf. unter dem gemeinsamen Begriff des ,,symbolischen Denkens 
und Ausdrucks ££ gefaBt. Diese Bezeichnung wurde gewahlt, weil die schwerste 
und wichtigste Storung im Gebrauch von Worten, Figuren und anderen Symbolen 
zu finden ist. Es ist aber hierbei nicht nur die Fahigkeit, Worte und Zeichen beim 
Sprechen, Lesen und Schreiben zu gebrauchen gestort, sondern der Patient ist 
auch nicht imstande, andere Aufgaben sicher und korrekt auszufiihren. Es kann 
jede Handlung fehlerhaft werden, die zu ihrer Ausfiihrung die vorherige Formu¬ 
lierung eines Zieles oder einer Absicht, auf die sie gerichtet ist, verlangt. Unter 
dem EinfluB von Lasionen, die in den verschiedenen Hirnpartien lokalisiert sind, 
konnen die verschiedenen Funktionen des „symbolischen Denkens und Ausdrucks" 
dissoziiert werden; jede dieser einzelnen Formen stellt einen Teil des kompli- 
zierten, hochentwickelten psychischen Prozesses dar. Bei den verschiedenen 


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Apjiasien kann eine oder mehrere dieser Funktionen gestort sein. Folgende disao- 
ziierte Formen des symbolischen Denkens und Ausdrucks werden unterschieden: 
1. Verbale Aphasie: hier handelt es sich hauptsachlich um eine Storung der 
Wortbildung; die Worte werden nur schwer hervorgebracht, das Vokabularium 
ist sehr eingeschrankt, die Aussprache langsam; das Schreiben ist in analoger 
Weise gestort, das Buchstabieren ist fehlerhaft. Das Fiir-sich-Lesen ist insofern 
erschwert, als der Betroffene nicht imstande ist, eine langere Reihe von Worten 
zu behalten; Zahlen sind weniger betroffen, ihre Bedeutung wird erkannt, wenn 
sie auch oft verkehrt ausgesprochen werden; mit zunehmender Besserung konnen 
gesprochene oder gedruckte Aufforderungen befolgt werden, doch werden alle 
Befeble, die die Auslosung eines Wortes oder eines Satzes verlangen, schlecht 
ausgefiihrt, obwohl die schlechte Ausfiihrung von ihnen wohl bemerkt wird; 
Zeichnen, Kartenspielen ist moglich, gedruckte oder bildlich dargestellte Scherze 
werden verstanden. 2. Benennungsaphasie (Nominalaphasie): hier liegt ein 
fehlerhafter Gebrauch von Benennungen und Mangel an Verstandnis fur den 
Benennungswert von Worten oder anderen Symbolen vor; Lesen ist auBerst er¬ 
schwert, besonders wenn versucht wird zu buchstabieren; Schreiben ist eben- 
falls schwer gestort, es besteht Unfahigkeit, Gedrucktes handschriftlich zu 
kopieren; Diktatschreiben und alle eine Auswahl verlangenden Handlungen werden 
auf gesprochene Aufforderung nur sehr ungeschickt ausgefiihrt; Zahlen ist in 
wechselndem Umfange moglich, aber die Bedeutung der Zahlen, die Fahigkeit 
einfache Rechenaufgaben auszufiihren und die Schatzung des relativen Geld- 
wertes sind gewohnlich mehr oder weniger gestort; Kartenspielen ist nicht mog¬ 
lich, dagegen Schach- und Damespiel. 3. Syntaktische Aphasie: diese Form kann 
leicht erkannt werden, da die Patienten zur Jargonsprache neigen; nicht nur die 
Artikulation ist unausgeglichen, sondern der Satzrhythmus und der grammati- 
kalische Satzbau ist fehlerhaft; Lesen ist moglich, Schreiben gewohnlich weniger 
gestort, wenn auch durch Neigung zum Jargon verunstaltet. 4. Semantische 
Aphasie: diese Form besteht in einem Mangel des Erkennens der vollen Wort- 
und Satzbedeutung; Worte und kurze Satze konnen verstanden werden, ebenso 
wie die Einzelheiten einer Zeichnung begriffen werden, aber die letzte Be¬ 
deutung mangelt ihnen; Absicht und Ziel einer aufgegebenen Handlung wird nicht 
aufgefaBt; eine allgemeine Vorstellung kann nicht formuliert werden, wenn auch 
die sie zusammensetzenden Einzelheiten aufgezahlt werden konnen; Lesen und 
Schreiben ist moglich, das Ergebnis jedoch ungenau und konfus; Z&hlen ist mog¬ 
lich, die Bedeutung der Zahlen wird erkannt, aber das Verstandnis der Art einer 
Reehenaufgabe ist mangelhaft; Spiele konnen nicht gespielt werden, und Seherze 
in Druck oder Bild werden nur sehr selten vollstandig verstanden. 

144) Contribute alia dottrina dell’afasia, per F. Sorrentino. (Policlin., sez. prat. 
XXVII. 1920. Nr. 20.) Ref.: W. Misch. 

Bei einem 30j&hrigen Manne war nach einer Verletzung der linken Scheitelregion 
eine rechtsseitige Hemiplegic einschlieBlich Fazialisla Imung und vollige Sprach- 
lahmung eingetreten; es bestand eine Impression mit EinreiBung der Dura, BluterguB 
und L&sion der darunter liegenden Hirnsubstanz. Im AnsehluB an die Trepanation 
entstand eine apfelsinengroBe Gebirnhemie, die nekrotisierte und zugrunde ging. 
Im Verlauf von etwa 2 Monaten besserte sich der Zustand so, daB schlieBlich nur 
noch eine Parese des rechten Armes und eine rechtsseitige Fazialislahmung bestand; 
die Sprachstorung, die anfangs eine motorische Aphasie darstellte, hot nunmehr das 
Bild einer Dysarthrie dar. vorubergehend traten in der Folge Jackson-Anf&lle im 
rechten Arm und allgemeine epileptische Anfalle auf. 

Es ist auffallena, daB, obwohl die ganze Brocasche Windung nachweisbar voll- 
kommen vernichtet war, doch eine weitgehende Restitution der Sprache stattfand, 
so daB angenommen werden muB, daB die Funktionen der zerstorten Region durch 
andere Gebiete ersetzt wurden. 


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145) Zar Aphasie bei den otitischen Temporalabszessen, von S. E. Henschen. 

(Archiv fur Ohren-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde. CIV. 1919. Heft 1 

u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Kasuistik des Verf.'s erstreckt sieh auf 78 Falle der Literatur. Davon 
8 Falle ohne Sprachstorungen, in einem Falle (Henschen) trotz enormen Ab¬ 
szesses in dem linken Temporalhirn (T 8 und T 2 ). Das Fehlen jeder Sprachstorung 
macht also keine absolute Kontraindikation eines operativen Eingriffs aus. 
5 Falle boten angeblich nur motorische Aphasie, doch erscheint es zweifelhaft, 
ob nicht vielmehr irgendeine Form von amnestischer Aphasie vorlag. Bei 
43 Fallen bestand amnestische Aphasie und Paraphasie. Letztere ist der Aus- 
druck eines mehr vorgeschrittenen Prozesses. In etwa x / 3 der Falle von otitischem 
Temporalabszefi war deutliche Worttaubheit vorhanden, in 9 Fallen gestortes 
Nachsprechen, in 15 Fallen Wortblindheit, in 14 Agraphie, in 2 Fallen Jargon- 
aphasie. Die praktische Bedeutung der Sprachstorungen bei den linksseitigen 
otitischen Temporalabszessen ist eine groBe. Sobald bei einer eitrigen Otitis mit 
ernsten allgemeinen Hirnsymptomen die geringste Sprachstorung vorliegt, so ist 
auch ein ernster Verdacht auf intrakraniellen AbszeB vorhanden; man muB dann 
auf eine eventuelle amnestische Aphasie, Paraphasie oder motorische Aphasie 
untersuchen. Weiter kann bei bilateraler Otitis und Diagnose auf HirnabszeB 
das Auftreten einer Sprachstorung auf den linksseitigen Sitz des Abszesses hin- 
deuten. Ausgesprochene Worttaubheit weist auf T v eine Storung der Lautsprache 
auf F 3 oder auf die Insel, eine Storung des Musiksinnes auf eine Ausdehnung des 
Abszesses nach vorn, gegen den Temporalpol, eine Storung des Geruches oder 
Geschmackes auf eine Ausdehnung mehr nach unten-vorn, eine Hemiplegie oder 
Anasthesie auf eine Ausdehnung nach innen oder vorn-oben (Zentralganglien und 
Zentralwindungen). Die allgemeinste und leichteste Storung vom Temporallappen 
aus ist die amnestische Aphasie. Mit ihr ist oft kombiniert eine Paraphasie. 
Wortamnesie und Paraphasie deuten auf Lasion von T 3 , dem haufigsten Sitze 
des Temporalabszesses. 

146) Zerebrale Herderkrankungen bei Typhus und Influenza (mit Beitragen zur 

Kenntnis der grammatischen Sprachstorungen), von Gerda Huisken. 

(Monatsschr. f. Psych, u. Neur. XLVII. 1920. Heft 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall I: 10 Tage nach Typhusbeginn apoplektischer Insult mit rechtsseitiger 
Hemiplegie, ausgedehnten Sensibilitatsstorungen, volliger Wortstummheit, teil- 
weiser Worttaubheit. Die motorische Aphasie bildet sich im Laufe von 3^2 Jahren 
bis auf geringe Reste zuriick: es bleibt eine gewisse Verlangsamung der Sprache, ge- 
legentliches Stocken und eine Erschwerung einzelner Laute und von verwickelferen 
Lautfolgen, in denen ein Z vorkommt. Die Worttaubheit betrifft in zunehmender 
Starke Gegenstandsbezeichnungen, Namen von Korperteilen und von Abstrakten. 
Laut- und Wortfindung sind gestort. Zusammengesetzte Worte werden vermieden. 
Alexie fur eine Reihe einzelner Buchstaben und fur sinnlose Buchstabenfolgen, auch 
teilweise fur Abstrakta. Eine Reihe von Buchstaben wird unter Diktat nicht gefunden. 
Abschreiben gut. Spontanschreiben fehlt fast vollig. Sprechinitiative hochgradigst 
herabgesetzt. Starke agrammatische Storungen (Depeschenstil, paragrammatische 
Fehler). Auch das grammatische Verstandnis war gestort. — Verf. nimmt eine Lasion 
der frontalen und temporalen Sprachzone rn. 

Fall II: Influenza, Mitralfehler, Hirnstorungen infolge Embolien: am 5. Krank- 
heitstage sensorische Aphasie, 3 Wochen nach Beginn der Influenza und 8 Tage nach 
Entfieberung Leitungsaphasie, Paraphasie, leichte amnestische Aphasie, leichte 
Herabsetzung des Sprachverstandnisses, Paragrammatismus, Hemiparesis facio- 
brachialis. Nachsprechen schlechter als Sprachverstandnis. Schreiben stark ge¬ 
stort: fehlerhafte Wortzusammensetzungen. — Schl&fenlappenherd. 

Es ware gezwungen — sagt die Verf. —, wegen der leichten agrammatischen 
Storungen eine Mitverletzung der Brocaschen Stelle anzunehmen, gemafi der 
von Bonhoeffer, Heilbronner und Salomon verfochtenen Lokalisation des 


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Agrammatismus in der Gegend des motorischen Sprachzentrums. Die leichten 
agrammatischen Storungen sind vielmehr ebenso wie die starkeren Paragramma- 
tismen als temporale Funktionsstorung zu deuten. Damit ist nicht gesagt, daB 
Agrammatismus (Depeschenstil) in jedem Falle eine temporale amnestisch- 
grammatische Storung darstelle. Es bleibt durchaus moglich, daB auch ein mo- 
torischer, frontaler Agrammatismus vorkommt. Verf. unterscheidet nach allem: 

1. grammatische Storungen der sensorischen Sprachzone; a) Paragrammatismus, 
b) amnestisch-grammatische Storung, die auBerlich agrammatischen Charakter 
hat, aber nur selten und voriibergehend als ausgepragter Depeschenstil beob- 
achtet wird. 2. Grammatische Storungen der motorischen Sprachzone: motorischer 
Agrammatismus (schwerer und langer anhaltende Storung als der amnestische 
Agrammatismus). Dazu kommt die eher in den Schlafenlappen als in die motorische 
Sprachzone zu verlegende Storung des grammatischen Verstandnisses. 

147) Beitrag zur Kenntnis der Riickbildung von Apraxie, von Hans Seelert. 

(Monatsschr. f. Psych, u. Neur. XLVIII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt 

Mendel. 

Verf. konnte in einem Falle von Leuchtgasvergiftung die Riickbildung einer 
schweren Apraxie bis zu vollstandiger Heilung beobachten, daher die Storung des 
Handelnsin recht verschiedenen Stadien untersuchen. Ein wei teres fur dieUntersuchung 
giinstiges Moment lag darin, daB die Symptome anderer Art vor den apraktischen 
abheilten, wodurch die Erforschung der Apraxie wesentlich erleichtert und gefordert 
wurde. Der Fall ist vom Verf. in der Berl. Ges. f. Psych, u. Nervenkr. demonstriert 
worden und im Neur. Centr. 1918, S. 562 ausfiihrlich referiert. Es waren anfangs 
das Handeln mit Gegenstanden, das Markieren von Zweckbewegungen und die Aus- 
drucksbewegungen schwer gestort, Schreiben und Zeichnen unmoglich. Als sich eine 
Besserung eingestellt hatte, konnte Pat. wieder schreiben, das Zeichnen blieb gestort; 
als dann nach weiterer Besserung die Fahigkeit, mit Gegenstanden zu handeln, Zweck¬ 
bewegungen zu markieren und Ausdrucksbewegungen zu machen, wieder zuriickge- 
kehrt war, bestand noch eine Zeitlang eine Erschwerung der Anregung der Handlung 
beim Markieren von Zweckbewegungen. Im letzten Stadium trat die Apraxie nur 
noch in LTngeschicklichkeit beim Zeichnen hervor, diese lieB sich zuletzt nur beim > 
Nachzeichnen nachweisen, wahrend sie bei spontanem Zeichnen nicht mehr zu er- 
kennen war. 


Hirngeschwulst, HirnabszeB. 

148) Hirngeschwiilste mit falschen Herdsymptomen, von Oscar Eiszenmann. 
(Gyogy&szat. 1920. Nr. 28.) Ref.: Hudovernig. 

Verf. berichtet aus der Abteilung Sarbo iiber 4 Falle von Hirngeschwulst, 
wo die allgemeine Diagnose wohl richtig, aber die Lokalisation falsch war. 

Fall I: 41jahrige Frau klagt seit 2 Jahren iiber standige, langsam zunehmende 
Kopfschmerzen, namentlich rechts, Schwindelanf&lle und Paraesthesien der rechten 
Seite. Abnahme der Sehkraft, seit 5 Monaten Schlingbeschwerden, keine Krampfe, 
keine Beschrankung der Motilitat. Wassermannsche Reaktion negativ. Beiderseits 
Papillitis, rechts Abduzenslahmung. Alte Narben an der Tibia. Nach Inunktjonskur 
Abnahme des Gehors rechts, zerebellare Ataxie, spontaner Nystagmus nach rechts. 
Supponiert wird Geschwulst des rechten Kleinhimbriickenwinkels. Pat. willigt erst 
nach mehreren Monaten in die Operation ein; inzwischen folgendes Bild: standige Kopf¬ 
schmerzen und Erbrechen; beiderseits Stauungspapille, rechts starker; vermindertes 
Gehor rechts; Abduzenslahmung verschwunden; Parietalknochen rechts schmerzbaft; 
Abnahme der Homhautempfindlichkeit rechts; Rinn6 beiderseits positiv; spontaner 
Nystagmus nach links; zerbellarer Gang; Babinski rechts angedeutet; Vorbeizeigen 
mit dem Unken FuB. Zweiphasige Operation; Pat. stirbt nach dem ersten Eingriff an 
Lungenentziindung. Sektion: TaubeneigroBes Fibrosarkom der Dura in der linken 
hinteren Sch&delgrube zwischen Dura und Kleinhim; der Druck der Geschwulst zeigt. 
sich nicht so sehr links, wie rechts, wo die Briicke plattgedriickt erscheint, und so 
der rechte Trigeminus und Akustikus gedriickt wurden; das verlkngerte Mark wurde 
durch die Geschwulst in das Foramen gedriickt. — Die falsche Seitendiagnose wird 

XL. (Ergiinzuogsband.) 14 


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dui‘ch die klinischen Erscheinungen hinlanglich motiviert; erklart wird sie durch 
den Sektionsbef und: die vortibergehende Abduzenslahmung erkl&rt sich nach Cu¬ 
shing durch Strangulation der Art. vertebralis und cerebelli inf.; Lfthmung des V. 
und VIII. nach Wernicke durch Druck, welchen die Geschwulst indirekt mit Zer- 
rung der Dura auf die Nerven ausiibt; die zerebellaren Erscheinungen erklaren sich 
durch Druck auf die rechte Kleinhirnhalfte, ebenso der Nystagmus nach links; auf 
die linksseitige Veranderung hatten das Vorbeizeigen des linken FuBes, und der rechts 
angedeutete Babinski weisen miissen, was jedoch wegen Pradominierens der anderen 
rechtsseitigen Erscheinungen vernachlassigt wurde, urn so me hr, weil Klopfempfind- 
lichkeit, Kopfschmerzen und Stauungspapille wieder auf die rechte Seite hinwiesen. 

Fall II: 53jahriger Apotheker, erkrankt vor 2 Jahren an nervosen Erscheinungen, 
wird wegen positiver Wassermannschen Reaktion antiluetisch behandelt. Die Ner- 
vositat besteht seit 5 Jahren; seit mehreren Tagen vergeBlich, Augenschwache und 
Kopfschmerzen. Rechte Pupille erweitert, L. R. gut; Wassermannsche Reaktion im 
Liquor positiv; Abnahme der Merkfahigkeit; nach 3 Tagen Ptosis links, Babinski 
rechts; nach 2 Tagen Babinski beiderseits, Parese des rechten unteren Fazialis; am 
nachsten Tage BewuBtlosigkeit, linke Pupille weit, kaum reagierend; Parese und 
Rigiditat der rechten Seite; Bauchdeckenreflexe nicht auslosbar, beginnende Pa¬ 
pillitis rechts. Es ward wegen des Weberschen Syndroms luetische Affektion im Mittel- 
hirn und Brucke angenommen. Nach 3 Tagen Babinski rechts lebhafter, Ptose ver- 
mindert; spa ter geringe Nackenstarre, beiderseits Stauungspapille, rechts starker; 
Paraphasie; beginnender Debukitus. Angenommen wird raumbeengender ProzeB 
in der linken Schadelhalfte. Nach einer Woche Okulomotoriuslahmung links, Ab¬ 
duzenslahmung beiderseits, linke Pupille weit und lichtstarr; Abnahme der Parese rechts, 
ebenda kein Babinski. Das haufige Schwanken der Erscheinungen spricht fur einen 
gummosen ProzeB, dessen Sitz in die linke Brucke verlegt wird. Exitus unter sep- 
tischen Erscheinungen. Bei der Sektion wird taubeneigroBe Geschwulst im linken 
Okzipitallappen gefunden. Brucke ohne Veranderung. Die Geschwulst hat in vivo 
nie Erscheinungen hervorgerufen, Pat. klagte nie liber Sehstorungen. Die klinischen 
Erscheinungen und deren Schwanken konnen bei intakter Brucke bloB durch inter- 
raittierenden Druck auf linkes Mittelhirn und Brucke erklart werden, es handelt sich 
also stets um Fernwirkungen. 

Fall 3. 44jahr. Koch, luetisch infiziert, friiher starker Trinker, erkrankt vor 
15 Jahren an Storungen des Ganges und Zittern der Hande; Besserung nach Sal- 
varsan. Seit 3 Monaten abermals Verschlimmerung, Schwindel, Inkontinenz, 
Kopfschmerz, VergeBlichkeit. Namentlich links trage Lichtreaktion der miotischen 
Pupillen, Tremores, beiderseits Babinski, Augenhintergrund o. B. Wassermann- 
reaktion in Blut und Liquor negativ, Nonne, P&ndy positiv, Witzelsucht, geschw&chte 
Merkfahigkeit. Nach 5 Tagen wird Pat. soporcs, psychich gehemmt, zeitweise kata- 
tonische Erscheinungen; an Intensitat schwankende Parese des linken unteren 
Fazialis; Schadel iiberall empfindlich; Hypertonie im rechten Beine; beiderseits Papil¬ 
litis, rechts ausgesprochener; zephalisches Erbrechen. Der anfangliche Verdacht 
einer Paralyse wird fallen gelassen, und ein Tumor des rechten Stimhirnlappens an¬ 
genommen. Exitus am Tage nach der dekompressiven Trepanation. Sektionsbef und: 
KinderfaustgroBes Endotheliom durae matris im linken Scheitellappen, welches nach 
riickwftrts den Temporallappen, nach oben den Stirnlappen driickt. — Epikrise: 
Witzelsucht verwies auf den Stirnlappen, ebenso die psychischen Storungen; die 
Ataxie hattefrontalen Charakter; wegen linksseitiger Fazialisparese und rechts starkerer 
Stauungspapille wurde der ProzeB nach links lokalisiert. Die an sich weiche Geschwulst 
driickte starker den rechten Stirn- und Scheitellappen, deshalb das Vorherrschen 
der rechtsseitigen Erscheinungen. 

Fall 4. 32jahr. Beam ter. Lues, Alkohol negiert; vor 7 Monaten beginnende 
Abnahme der Sehkraft, verschlimmert sich nach antiluetischer Behandlung; seit 
3 bis 4 Monaten reiBende Schmerzen im Kopfe, zeitweises Erbrechen, krampfartige 
Erscheinungen in der linken Gesichtshalfte; angeblich verdickt sich das Gesicht seit 
lingerer Zeit. Befund: akromegalische Lippen, Nase und Kinn; Pupillen entrundet, 
trage reagierend; Klopfempfindlichkeit iiber dem linken Scheitelhocker; feinschlagiges 
Zittern der rechten Hand; Motilitat intakt; Wassermannreaktion negativ; Puls 64; 
Stauungspapille links, rechts Optikusatropbie; Septumdeviation nach links; Rontgen: 
Sella turcica erweitert, flach, Proc. clin. post, verschwunden. Diagnose: Hypophysen- 
geschwulst mit Akromegalie. Nach erfolgloser antiluetischer Behandlung opera- 
tiver Eingriff: endonasales Eindringen in die Sella; nach demselben voiles Erblinden, 
heftige Kopfschmerzen, Tod nach 12 Tagen (eitrige Meningitis). Sektion: An der 
Basis des Gehirns in der Mittellinie, mehr den rechten Stirnlappen driickende apfel- 
groBe Geschwulst, weiche von der Himsubstanz leicht loslosbar ist; an der gedriickten 


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Stelle unkenntliche Gyri: Druck auch auf die Hypophyse. Natur der Geschwulst: 
Vom Periost der Schadelbasis ausgehendes Sarkom, welches auch auf die HypopJiysc 
starken Druck ausiibte. 

149) Ein Fall von operativ geheiltem Hirntumor, von G. Biihrke. (Deutsche 

Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 5 u. 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Tumor der linken Zentralgegend. Differentialdiagnose ge genii her Hysteric 
mid multipier Sklerose war schwierig. Rasche Riiokbildung der Lahmung nach der Operation; 
Schon 2 Tage nach letzterer konnte Pat. Arm und Bein wieder bewegen. Bei der Riickbildung 
der Sensibilitatsstorung war die Benachteiligung der Kleinfinger- und Kleinzehenseite be 
achtenswert. 2 Jahre rezidivfrei und -- abgesehen von gelegentlichen Rindenkrampfen — 
gesund und arbeitsfiihig. 

150) Kystes hydatiques du cerveau, par P. Lombard, (Journ. de chicurgie. 

XVI. 1920. Nr. 3.) Ref.: W. Misch. 

Unter Zusammenstellung eines groBen Teils der Literatur wird Atiologie, 
Pathogenese, pathologische Anatomic, Symptomatik, Verlauf und Therapie des 
Gehirnechinococcus an der Hand von 175 Literaturfallen, von denen 58 operiert 
wurden, beschrieben. Folgender selbst beobachteter Fall wird mitgeteilt: 

28jahr. Araber. Beginn mit zunehmender Parese des rechten Armes und rascher Er- 
blindung des linken Auges, dann Parese des rechten Bernes, Erblindung des rechten Auges. 
Keine Hirndruckerscheinungen. Die erste Untersuchung ergab: schlaffe rechtsseitige Hemi¬ 
plegic mit Atrophien, Parese des linken Armes, Sensibilitatsstorungen und Astereognosie 
rechts, teilweise Fehlen der Sehnenreflexe, doppelseitige Stauungspapille. Wassermann 
negativ. Nach Lumbalpunktion langanhaltender BewuBtseinverlust und einige Veranderungen 
des Motilitats- und Sensibilitatsbefundes. Die Operation in der linken Temporalgegend 
ergab in der Tiefe der linken Parietalgegend, zwisclien zwei Windungen eingebettet, eine 
Echinococcuszyste von der GroBe einer groben Orange, die entfemt werden konnte. All- 
mahliche Besserung. Fast vollige Restitution der Motilitat und Sensibilitat, nur Astereo¬ 
gnosie und Amaurose bleiben unverandert. 

151) tfber einen intra vitam diagnostizierten Fall von Cysticercus racemosus, von 

P. Schenk. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 5 u. 6.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Mit 31 Jahren plotzlicli starke Kopfschmerzen, die in der Folgezeit anfallsweise und 
verbunden mit Zuckungen im linken Fazialis und Arm und allgemeiner tonischer Starre auf- 
trcten und sich oft bis zum Erbrechen steigern. Stauungspapille, im Liquor erhohter Druck, 
Lymphozytose, Vermehrung v'on EiweiB und Globulinen. Anfalle von Kopfschmerz unci 
tvetanusartiger Starre werden haufiger und schwerer. einige Male ausgepragte Zwangsbcwegungen. 
Gemutliche Verstimmung. Tm Lumbalpunktat eosinophile Zellen. Eosinopbilie des Blutes. 
Diagnose: Cysticercus racemosus mit Cysticerkenmeningitis. Nach Entlastungstrepanation 
und Punktion der Seitenventrikel voriibergehende Besserung. Sektion: chronische Lepto¬ 
meningitis cysticercosa, Cysticercus racemosus an Hirnbasis, Unzahl teils freier, teils ad- 
hjirenter Blasen auf der Himoberflache und in samtlichen Ventrikeln. 

Verf. bespricht die Differentialdiagnose zwischen Cysticerken-, tuberkuloser 
und luetischer Basal meningitis. Charakteristisch fur Gehirncysticerkus waren im 
vorliegenden Falle der Wechsel schwerer ,,Tumorsymptome“ mit vollig beschwerde- 
freier Zeit, das verwischte Bild, welches die Tumorsymptome boten, das Auftreten 
der tonischen Spannungszustande, besonders aber stellte die Diagnose durchaus 
sicher das Vorhandensein eosinophiler Zellen im Lumbalpunktat. Das starke 
Schwanken der Symptome war auf Stauung und Wiederfreilassung der vermehrton 
Ventrikelfliissigkeit durch Blasen im 4. Ventrikel zuriickzufiihren. 

152) Durch verkalkten Cysticercus verursachte symptomatische Epilepsie, von 

Bela Johan. (Orvosi Hetilap. 1920. Nr. 40.) Ref.: Hudovernig. 

54ja.hr. Frau, mit belangloser Anamnese, erkrankt plotzlich an Zittern der rechten 
Hand, wozu sich nach 2 Tagen klonische Kmmpfe derselben mit BewuBtlosigkeit anschlieBen; 
nach wenigen Tagen treten typische rechtsseitige Krampfe auf, die Anfalle zeigen sich in 
fntervallen von 5 Minuten. Objektiv: trage Pupillenreaktion, rechts gesteigerte Reflexe, 
wahrend des Jacksonanfalls rechts Babinski. Beim opemtiven Eingriff keinerlei Veranderung 
der linken Zentralwindung, auch Punktionen ohne Resultat; nach dem Eingriff gehaufte 

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Anfalle, am nachstenTage Tod. Leichenbefund: In der Schleimhaut des Dunndarmes zwei 
kleine verkalkte Knoten. Der Mitte der linken Zentralwindung entsprecbend ein verkalkter 
Knoten von der GroBe eines Hirsekomes, unmittelbar unter der Rindc. Dieser und die 
Knoten des Dunndarms erwiesen sich als verkalkte Zystizerken. 

Verf. nimmt an, daft der Knoten in der linken Zentralwindung, trotz seiner Kleinheit, 
die Jacksonanfalle verursacht hat, doch nicht direkt mechanisch, sondem in der Weise, daB 
nach Absterben des Cysticercus die Chitinhulle aufquoll. auf diesem Wege dann fremde Sub- 
stanzen in das umliegende Gewebe austraten, welche entweder direkt toxischoder anaphy- 
laktisch wirkend den Ausgangspunkt und die Ursache der Jacksonepilepsie bildeten. Nicht 
unmoglich jedoch, daB die sich um den Cysticercus bildende (auch naehweisbare) Glia- 
anhaufung die Anfalle ausgelost hat. Verf. neigt eher zur ersten Ansicht, mit dem Bemerken, 
daB, solange der Cysticercus lebte, aus demselben keine Giftsubstanzenausgetreten sind 
und so keine Anfalle hervorrufen konnten, 

153) The effect on papilledenia of removal of small quantities of cerebrospinal 
fluid by lumbar puncture, by W. G. Spiller and G. E. de Schweinitz. 
(Journ. of nerv. and ment. disease. XLVI. 1917. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 

In drei Fallen von Hirndrucksteigerung, von denen zwei anfangs fur Hirn- 
tumoren gehalten, dann als Encephalitis erkannt wurden, der dritte als Pseudo¬ 
tumor durch Intoxikation oder Infektion diagnostiziert wurde, wurde durch Ab- 
lassen von 3 bis 4ccm Liquor ein auffallendes Zuruckgehen der Stauungspapille, 
in dem einen Fall um je eine Dioptrie bei jeder Punktion, erzielt. Es wird darauf 
hingewiesen, daB, mit Ausnahme von Drucksteigerung bei Hirntumoren, bei 
welcher Lumbalpunktion nur in seltenen Fallen therapeutischen Erfolg hat und 
in der Regel kontraindiziert ist, wiederholte Lumbalpunktionen bei Hirndruck¬ 
steigerung durch Meningitis und Encephalitis sowie bei Neuritis optica infolge 
von Toxamie (z. B. Neuritis optica nach Influenza) und vielleicht auch bei 
Stauungspapille nach Schadelfrakturen, ein sehr wertvolles therapeutisches Ver- 
fahren darstellen. 

154) Lokalisation of the cerebral tumours with the ventriculography, by W. 

Dandy. (Surgery Gynecology and Obstetrics. 1920. Nr. 4.) Ref.: 
Mingazzini (Rom). 

Verf. hat eine neue Methode die Hirntumoren zu diagnostizieren eingefiihrt, 
namlich die radiographische Untersuchung, nach vorheriger Einfuhrung von Luft 
in die Gehirnventrikel. Diese Methode nannte er Ventrikulographie oder Pneumo- 
ventrikulographie. Ahnliche Methoden wurden fur das Peritoneum (Pneumo¬ 
peritoneum) und fur den Thorax (Pneumothorax) wie* auch fur die Gelenke vor- 
geschlagen. 

Man beachte, daB jeder Seitenventrikel einen groBen Raum im Innern der 
beiden Hirnhemispharen einnimmt. Nun ist es klar, daB ein Tumor, an welcher 
Stelle der Hemisphare er auch seinen Sitz habe, die Gestalt, das Volumen und 
die Lage des entsprechenden Seitenventrikels modifizieren muB. Haufig genug 
ist auch der Seitenventrikel der entgegengesetzten Hemisphare verlagert und 
sein Volumen bedeutend verandert. Diese Veranderungen der Ventrikel sind sehr 
geeignet, um die Hirntumoren mittels der Ventrikulographie zu lokalisieren. 
Nach der Einfuhrung von Luft in einen Seitenventrikel ist es moglich, besondere 
Radiographien eines jeden der Seitenventrikel zu erzielen. Infolge der Winkel, 
welche das Ventrikelsystem bildet, ist es moglich, nur einen Seitenventrikel mit 
Luft zu fiillen, wenn der Kopf sich in einer gewissen Lage befindet. Deshalb kann 
der Kopf, nachdem die Radiographie einmal aufgenommen ist, ganz genau ge- 
wendet werden, so daB die Luft die verschiedenen Ventrikelwinkel, das Foramen 
Monroi und den 3. Ventrikel uberschreiten und den entgegengesetzten Seiten¬ 
ventrikel ausfullen kann. Nach der Rontgenaufnahme eines jeden Ventrikels 
kann der Kopf leicht in eine solche Stellung versetzt werden, daB die Luft in die 
Vorderhorner eines jeden Seitenventrikels dringt. Das Hinterhaupt wird dann 


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auf die Platte gelegt, und die Radiographie wird zeigen die Gestalt, das Volumen 
und die Lage des vorderen Teiles eines jeden Seitenventrikels. Wird dann die Stirn 
auf die Platte gelegt, so wird das Volumen und die Lage der Hinter- und Unter- 
horner und der Seitenventrikel ebenfalls radiographiert. Zur Einfiihrung der 
Luft in den VentrikeJ eines Erwachsenen ist die Schadeltrepanation, entweder 
unter Lokal- oder allgemeiner Anasthesie, notwendig. Verf. zieht die lokale vor. 
Sodann dringt man mit einer Nadel durch die Hirnsubstanz und laBt eine ge- 
wisse Menge Liquor abflieBen, hierauf fiihrt man die Luft ein. Bei Kindern 
fiihrt man die Nadel durch eine Naht (parieto-frontalis oder parieto-temporalis) 
oder durch eine Fontanelle ein. In gewissen Fallen ist das Volumen der Ventrikel 
so vermindert, daB es nicht moglich ist, die notwendige Menge Liquor abzuleiten, 
damit die Einfuhr der Luft keine Zwischenfalle hervorrufe. Man kann dann ver- 
suchen, die Luft in den anderen Ventrikel einzufiihren. Bisweilen sind beide 
Ventrikel klein. Sind die Ventrikel von ungleicher GroBe, so liegt der Tumor 
gewohnlich auf der Seite des kleineren. 

Verf. hat sich nur mit Tumoren beschaftigt, und zwar in 5 Fallen, in denen die Ventri¬ 
kulographie das einzige diagnostische Mittel war. In zwei dieser Falle bestanden keine Loka- 
lisierungszeichen, welche die Diagnose des Sitzes erlaubt hatten; in beiden wies die Ventri- 
kulographie die genaue Lokalisation der Ge sell wu 1st auf; in einem Falle wurde der Tumor 
vollkommen entfemt, und der Patient, der schon zweimal der Kraniotomie unterworfen 
worden war, ohne daB der Tumor gefunden werden konnte, befindet sich heute wohl. Im 
zweiten Falle War schon eine dekompressive Trepanation ausgefiibrt worden. Nach Lokali- 
sierung des Tumors mittels der Ventrikulographie wurde bei der Operation ein infiltrierendes 
Gliom, das nicht entfemt werden konnte, gefunden. 

Im dritten Falle waren die Erscheinungen verschiedentlich ausgelegt worden. Es 
schien, daB der Tumor im rechten Schlafenlappen liege. Es bestand eine vollkommene sen- 
sorische und motorische Liihmung des Trigeminus, die auf einen Druck auf das Ganglion 
Gasseri zuruckznfuhren zu sein schien. Hingegen hing sie von der Einbettung der Trigeminus- 
wurzel in dem entsprechend der Fossa cranica posterior gelegenen Tumor ab. Die Ventrikulo¬ 
graphie war das Mittel, welches die Lokalisierung gestattete. 

Im vierten Falle lieB die explorative Kraniotomie wegen Herdepilepsie einen stark 
ansgedehnten Ventrikel feststellen; man dachte deshalb an einen Hydrocephalus. Die darauf 
vorgenommene Ventrikulographie wies nach, daB die Ventrikelerweiterung eine einseitige 
war ; ein selten wahmehmbarer Fall. 

Der funfte Fall afcigt, wie die zur Ventrikulographie notwendige Einfiihrung von Luft 
auch ein diagnostisches Mittel darstellen kann. Bei der Punktion fand man, daB der linke 
Seitenventrikel stark nach auBen verschoben war, doch war er zu klein, so daB zu wenig 
Liquor ausfloB, um mit Sicherheit Luft einfiihren zu konnen. Der verlagerte Sitz des Seiten¬ 
ventrikels konnte nur durch einen Tumor bedingt sein, dessen Sitz in der entgegengesetzten 
Hirnhemisphare liegen muBte, und das auBerst kleine Volumen des linken Seitenventrikels 
muBte mit dem durch den Tumor hervorgerufenen intrakraniellen Drucke in Beziehung 
stehen. In der Tat wurde der Tumor in der rechten prafrontalen Gegend gefunden und voll¬ 
kommen entfemt. 

So weit der Verf. Hier seien uns indessen einige Bemerkungen gestattet. 
Unabhangig von den technischen Schwierigkeiten, auf die man besonders bei 
Kindern stoBt, hatten die SchluBfolgerungen des Verf.’s einigen Wert fur Seite 
und Sitz des Tumors, wenn die von der Weite der Seitenventrikel infolge der 
endokraniellen Tumoren erlittenen Veranderungen sich bestandig auf einer be- 
stimmten Seite befanden, in einem bestimmten Horne (der Seitenventrikel). 
Es geniige die Uberlegung, daB eine Neubildung einer GroBhirnhemisphare, je 
nachdem sie sich nach oben oder auf einer Seite entwickelt, die Weite bald des 
homolateralen, bald des kontralateralen Hinterhornes modifizieren kann. Auch 
die Stirnhirntumoren verhalten sich, von diesem Gesichtspunkte aus, verschiedent¬ 
lich von einem Falle zum andern. Folglich scheint mir die Ventrikulographie eine 
gefahrliche und wenig sichere diagnostische Methode. 

155) Contribution to the histopathology of 99 Pseudotnmor cerebri", by P. Baily. 

(Arch, of neurol. and psychiatry. IV. 1920. Nr. 4.) Ref.: W. Misch. 


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Zur Histopathologie des Pseudotumor cerebri wild ein Fall mitgeteilt, der die Erscheinun- 
gen eines Tumors der linken Kleinhirnhemisphare machte, aber mikroskopisch als Meningo¬ 
encephalitis nachgewiesen wurde; makroskopisch fand Rich nur ein leichter Hydrocephalus. 
Es wird daraus geschlossen, daB Falle von Meningoencephalitis klinisch den Yerlauf eines 
Himtumorshaben konnen, sogarmit strong lokalisierenden Zeichen, aber ohne bestimmte 
spathologische Lokalisation. Aus der Betrachtung der sorgfaltig untersuchten Falle laBt 
ich mit Sicherheit schlieBen, daB es eine klinische oder pathologischeEinheit, die alsPseudo- 
tumor cerebri bezeichnet werden konnte, nicht gibt. Vielmehr muB sich diese Bezeicfcnung 
auf denZweck derklinischen Klassifizierung beschranken, ohne daB damit eine atiologische 
oder pathologische Bedeutung verbunden werden kann. 

150) Bistopathology of brain abscess, with remarks on intraspinal therapy, by 

G. B. Hassin. (Arch, of neurol. and psychiatry. III. 1920. Nr. 6.) Ref. 

W. Misch. 

Wahrend bei akuten eitrigen Prozessen des Gehirns die Eiterung ziemlieh 
diffus ist und ausgesprochene Veranderungen an den Ganglienzellen, im Glia- 
gewebe, an den Nervenfasern und GefaBen hervorruft, t-ritt bei subakuten oder 
chronischen Prozessen eine Abkapselung der Eiterung ein. Das Erscheinen einer 
solchen, gewohnlich sehr dicken Kapsel aus hartem Bindegewebe innerhalb des 
Gfchirnes ist um so merkwiirdiger, als sich unter normalen Verhaltnissen das Auf- 
treten von Bindegewebe auf die BlutgefaBe und die zarten Auswiichse der Pia 
beschrankt. Aus der Untersuchung des vorliegenden Materiales geht nun hervor, 
daB sich auch unter den angegebenen besonderen Umstanden das Wachstum des 
Bindegewebes ausschlieBlich von denBlutelementen herleitet, namlich den Lympho- 
zyten, die sich allmahlich in Fibroblasten, dann in Bindegewebsfasern verwandeln, 
um schlieBlich zu einer festen Membran zu werden. Im einzelnen lassen sich an 
der Kapsel des Hirnabszesses drei Schichten unterscheiden: eine innere und eine 
auflere Schicht, die aus einer Kollagenmasse, einzelnen sich zu einem unregel- 
maBigen Netzwerk kreuzenden Fasern und einzelnen Zellelementen bestelit, 
wahrend BlutgefaBe ebenso wie alle entziindlichen Elemente fehlen; in der auBeren 
Schicht sind die Zellen (Plasma-, Gitterzellen, Fibroblasten, einzelne Lympho- 
zyten) und die BlutgefaBe gewohnlich in groBerer Menge vorhanden als in der 
inneren Schicht. Die dritte, mittlere Schicht enthalt groBe Mengen an zellularen 
Elementen und BlutgefaBen so wie auch einige zartere Bindegewebsfasern; manch- 
mal besteht sie auch nur aus groBen Mengen von Fettkornchenzellen. Am besten 
lassen sich diese drei Schichten bei Fallen von wenigen Monaten Dauer unter¬ 
scheiden. Die umgebenden Ganglien-, Gliazellen oder Nervenfasern zeigen 
'keinerlei pathologische Veranderungen, wahrend die GefaBe und die Pia in der 
Umgebung bedeutend verandert sind. Die Adventitia der BlutgefaBe befindet 
sich in einem hyperplastischen Zustand; wahrend die Pia selbst normal ist, ist 
der erweiterte Subarachnoidalraum infiltriert mit Lymphozyten, besonders aber 
mit Makrophagen und Gitterzellen, welche letzteren mit Lipoiden oder fett- 
ahnlichen Substanzen erfiillt sind. Es ist hochstwahrscheinlich, daB diese Fett- 
substanzen aus der AbszeBkapsel durch die perivaskularen Raume in den Suba- 
rachnoidalraum gelangten. Diese Erscheinung ist ein neuer Beweis dafttr, daB 
der Inhalt des Subarachnoidalraumes nicht nach dem Gehirn zu flieflt, sondern 
daB die Stromung der Gewebsfliissigkeiten des Gebirns in den perivaskularen 
Raumen nach dem Subarachnoidalraum zu und vom Gehirn fortgerichtet ist; 
es hat diese Stromung den Zweck, die Abbauprodukte des Gehirns zu eliminieren. 
In die Gehirnsubstanz injizierte Substanzen werden, ohne von den Ganglien¬ 
zellen assimiliert zu werden, in den Subarachnoidalraum fortgeschwemmt, 
wahrend Substanzen, die in den letzteren injiziert werden, in das Blut ausgeschie- 
den werden, ohne die Gehirnsubstanz jemals zu erreichen. Es folgt daraus, daB 
intraspinale Injektionen zur Beeinflussung eines Prozesses im Gehirnparenchym 
(Paralyse) vollkommen zwecklos sind, wahrend bei Erkrankungen des Subarach- 


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noidalraumes selbst unter Umstanden etwas dadurch erreicht vverden kann. Die 
Meningen werden am besten durch intravenose Injektionen erreicht. Weiter 
wird aus der Richtung der Gewebsstromung gefolgert, daB Falle von reiner Lepto¬ 
meningitis nicht von einer Encephalitis begleitet sein konnen; ist auch das Gehirn 
befallen, so ist die Encephalitis, unabhangig von den Meningen, durch das gleiche 
Agens verursacht. 

157) Lumbalpunktat bei Hirn- und Subduralabszessen, von G. V. Th. Borries. 

(Archiv fiir Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkunde. CIV. 1919. Heft 1 u. 2.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Beziiglicli des Verhaltnisses des Lumbalpunktates bei Hirn- und Subdural¬ 
abszessen stellt Verf. folgende 4 Typen auf: 

1. Die vollig klare Spinalfliissigkeit beim ganz unkomplizierten Subdural- 
oder HirnabszeB, der durch Respirationslahmung zum Tode fiihren kann, oline 
daB eine Spur von Pleozytose im Liquor vorhanden ist. 

2. Das triibe, aber gutartig verlaufende Lumbalpunktat beim Hirn- oder 
SubduralabszeB mit der minimalen, lokalisierten, makroskopisch nicht sicht- 
baren Leptomeningitis (,,Minimalmeningitis“). 

3. Das gleichfalls gutartige Zerebrospinalflussigkeitsbild bei der naeh Hirn- 
oder SubduralabszeB sekundaren, makroskopisch nachweisbaren diffusen Lepto¬ 
meningitis. 

4. Das gewbhnliche, bosartig verlaufende Bild der Zerebrospinalflussigkeit 
bei der naeh Hirn- oder SubduralabszeB sekundaren diffusen Leptomeningitis. 

158) Respirationslahmung bei HirnabszeB, von G. V. Th. Borries. (Acta Oto¬ 
laryngol. [Stockholm]. I. 1919. Fasc.,4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Respirationslahmung bei HirnabszeB. Durch Entleerung des groBen 
Hirnabszesses wurde die spontane Atmung wiederhergestellt, sie hielt dann 
20 Stunden an, bis der Tod eintrat. Die LTrsache der Atemlahmung ist der er- 
hohte Hirndruck. 

159) Deux cas d’abces du eerveau, par Nils Witt. (Acta oto-laryngol. IT. 1920. 

Fasc. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Zwei Falle von HirnabszeB. Heilung durch Operation, bei welcher die Baranysche 
Drainagemethode mit Vorteil angewandt wurde. 

160) Ein Fall von HirnabszeB unklarer Genese, von Hiibotter. (Zeitschr. f. d. 

ges. Neurol, u. Psych. XLVII. 1919. Heft 1 bis 3.) Ref.: W. Misch. 

Mitteilung eines Falles, beidem naeh einer Verschiittung eine linksseitige Hemiplegie 
eingetreten war; es wurde eine intrakranielle Blutung angenommen. SechsWochen spater 
verschlimmerte sich der Zustand zusehends, es trat tiefes Koma ein. Trepanation iiber der 
rechten motorischen Region ergabeinen groBen, iibelriechenden AbszeB, der entleert wurde. 
AnschlieBend an eine Blutung in die AbszeBhohle trat dann 8 Tage spater infolge Durch- 
bruchs in den rechten Seitenventrikel der Exitus ein. Es wird angenommen, daB sieh der 
AbszeB sekundar aus einer infolge der Verschuttung eingetretenen Blutung entwickelt- hat, 
indem moglicherweise durch die hierauBerst diinne Lamina interna, vielleicht von der Nase 
her, Bakterien eingedrungen waren; eine traumatische Fissur wurde nirgends am Schade! 
gefunden. 

161) HirnabszeB mit ungewohnter Lokalisation, von Edmund Poganv. (Gvo- 

gyaszat. 1920. Nr. 30.) Ref.: Hud overnig. 

36jahr. Mann klagt liber seit einem Jahre bestehenden AusfluB des linken Ohres, an- 
geblich naeh Erkaltung. Befund: beiderseits Otitis ext. mit kleiner Perforation des linken 
Trommelfelles. Naeh 3 Wochen bloB eitriger AusfluB des linken Ohres, ohne Komplikation, 
ohne Druckempfindlichkeit. Am nachsten Tage maBiges Fieber, welches rapid bis 40° an- 
^eteigt; Pneumonie. Der Befund des linken Ohres ergibt einfaches Rezidiv einer Schleim- 
bauteiterung. Nach2Tagen linke Pupille weiter, Empfindlichkeit des linken Proc. mast., 
Nackensteifigkeit, links Ptose, linker Fazialis gelahmt, Kernig positiv. Lumbalpunktion: 
triiber, eitriger Liquor unter hohem Druek; femer: Inkontinenz der Blase und des Mastdarms, 
Atembeschwerden. Exitus. Sektionsbefund: Eiter im linken auBeren Gehorgang, linkes 


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Trommelfell perforiert. Eiter im linken Mittelohr. Linkes Felsenbein total intakt! Beider- 
seits reichlich dicker Eiter im Subduralraum, links Pia eitrig infiltriert. Entsprechend der 
linken Fossa Sylvii halbapfelgroBer AbszeB, welcher aucb in die Hinimasse eingedrungen ist. 
Lunge: diffuse Bronchitis und fibrinose Pneumonie im linken unteren Lappen. 

Verf. betont die Unmoglichkeit der AbszeBdiagnose in vivo, dann die Unmoglichkeit, 
die Ursache des Abszesses zu bestimmen. Bemerkenswert ist die linksseitige Lokalisation der 
Mittelohrentziindung, des Himabszesses und der Pneumonie. Felsenbein iiberall intakt, 
so daB ein Weitergreifen der otitischen Eiterung in den Subduralraum nicht nachgewiesen 
werden kann. Verf. nimmt vollkommene Unabhangigkeit des otitischen Prozesses sowohl 
von dem AbszeB, als auch von der Pneumonie an, femer dafi die primare Veranderung in 
der Lunge war, welche sekundar die Himhaute infiziert hat (in fnbereinstimmung mit Korners 
Klassifikation). 


Kleinhirn, Vestibularapparat. 

163) Norms for some structural changes in the human cerebellum from birth to 
old age, by R. S. Ellis. (Journ. of comp, neurol. XXXII. 1920. Nr. 1.) 
Ref.: W. Misch. 

Es wird, unter Mitteilung von eigenen Befunden, die Literatur liber das 
Wachstum des menschlichen Kleinhirns zusammengestellt und diskutiert und 
einige Strukturanderungen desselben von der Jugend bis zum Alter besprochen. 
Bei der Geburt ist das Kleinhirn ziemlich klein und unterentwickelt, indem es 
nur 5,7% des ganzen Gehirngewichts darstellt, wahrend es beim Erwachsenen 
etwa das Doppelte dieses Prozehtsatzes einnimmt. Wahrend des ersten Lebens- 
jahres wachst es sehr rasch, so daB es am Ende desselben etwa 2 / 3 des Erwachsenen- 
Gewichts erreicht hat; nach dem 2. Lebensjahr ist das Wachstum dann ein sehr 
langsames. Das Gewicht des erwachsenen Kleinhirns betragt in 50% der Falle 
9,8 bis 11,8% des Gehirngewichts. Das relative Gewicht des weiblichen Klein¬ 
hirns ist etwas hoher als das des mannlichen. Hinsichtlich der StTuktur der Klein- 
hirnrinde wird hervorgehoben, daB die Zona molecularis bei Frauen relativ dicker 
ist als bei Mannern, und ebenso bei Idioten dicker als bei normalen Individuen. 
Die Purkinjezellen sind bei der Geburt bereits in voller Anzahl vorhanden, doch 
unentwickelt und unreifer in der Form; erst gegen Ende des ersten Lebensjahres 
haben sie ihre erwachsene Form erreicht. Aus Messungen der Purkinjezellen in 
zwolf Fallen zwischen 18 Tagen und 3 Jahren geht hervor, daB wahrend der ersten 
Lebensmonate die Zellen im Wurm groBer sind als in den Hemispharen, und daB 
das Wachstum wahrend der ersten sechs Monate auBerst schnell ist, dann lang- 
samer wird, bis sie mit 12 bis 18 Monaten ihre voile GroBe erreicht haben. Es 
wurden dann Zahlungen der Purkinjezellen an den Kleinhirnen von 63 Negern, 
WeiBen und Mulatten im Alter von 12 bis 92 Jahren angestellt, aus denen hervor- 
geht, daB Rasse und Intelligenzgrad keine Bedeutung fur ihre Menge haben. 
Dagegen ergab sich, daB mit zunehmendem Alter von 30 bis 40 Jahren an die 
Zellen allmahlich an Zahl abnehmen, wobei der vordere Kleinhirnteil mehr als 
der hintere leidet; unter den nicht zugrunde gehenden Zellen finden sich im 
Alter degenerative Veranderungen wie Chromatolyse, Atrophie, Vakuolisation 
und homogene Kern- und Zellplasmadegeneration. Hinsichtlich des Geschlechts 
war eine groBere Zahl von Purkinjezellen an den mannlichen Gehirnen zu notieren. 
Hervorgehoben wird femer, daB Rechtshander in der Jugend mehr Purkinjezellen 
in der rechten Kleinhirnhemisphare als in der linken haben und daB beim Zu- 
grundegehen derselben die rechte Hemisphare schwerer betroffen wird. Die 
Zellen des Nucleus dentatus leiden und verschwinden mit zunehmendem Alter 
weniger als die Purkinjezellen. 

Zum SchluB wird gezeigt, daB das Verschwinden der Zona granularis externa, 
das Kleinhirnwachstum und das Wachstum der Zona molecularis zusammen- 


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gehen. Das rasche Wachstum des Kleinhirns hort mit 12 Monaten auf, gleich- 
zeitig ist das Wachstum der Purkinjezellen ziemlich beendet. Es ist dies das Alter, 
in dem das Kind zu laufen beginnt. Der Wurm ist im Wachstum vor den Hemi- 
spharen voraus, woraus geschlossen wird, daB der Wurm mit den bilateralen 
Rumpf- und Gliederbewegungen verkniipft ist; aus seinem phylogenetischen Alter 
ist zu schlieBen, daB er wahrscheinlich ein Zentrum fair die Kontrolle der primi- 
tiven Koordination darstellt. Damit stimmt iiberein, daB das Kind manche Rumpf- 
und Extremitatenbewegungen kontrollieren kann, ehe es lauft. Der Untergang 
der Purkinjezellen geht mit dem Nachlassen von motorischer Geschicklichkeit 
und Kraft Hand in Hand. Es laBt sich also iiberall ein Zusammengehen von 
Kleinhirnevolution und -involution mit der Entwicklung der Funktionen nach- 
weisen. 

163) Studio sulle localizzazioni cerebellari, per E. Luna. (Riv. di Pat. Nerv. e 
Ment. 1918. Fasc. 7/8.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Auf Grund experimenteller Untersuchungen bei Affen und Katzen kommt 
Verf. zu folgenden SchluBsatzen: 1. bei den Affen stellt das Crus 1 das Zentrum 
fur die vordereri Glieder dar, wahrend das fur die hinteren sich im Crus 2 be- 
findet. 2. das Halszentrum ist im Lobulus simplex zu lokalisieren, wahrend der 
Lobulus medianus posterior das Zentrum fur die Rumpfmuskulatur darstellt. 
3. bei Katzen sind die Untersuchungen sehr schwer durchzufiihren, trotzdem 
ist es wahrscheinlich, daB auch hier das Crus 1 das Zentrum fur die vorderen 
Glieder darstellt. 4. die Kleinhirnzentren sind hochstwahrscheinlich kortikal. 

164) Contribute alia patogenesi dei sintomi clinici di lesione cerebellare, per 
G. Roncoroni. (Rivista di patol. nervosa. XX. 1915. Fasc. 6.) Ref.: 
Enderle. 

Der Verf. hebt besonders die Tatsache hervor, daB bei den Kleinhirnlasionen 
(lie klinischen Daten nicht immer mit den experimentellen ubereinstimmen. 
Die Theorie Lucianis, der das Kleinhirnsyndrom dem Mangel der tonischen, 
sthenischen und statischen Wirkung zuschreibt, die das Kleinhirn normalerweise 
auf die Muskeln ausiibt, ist nicht ganzlich zufriedenstellend. Dem Verf. nach 
hat das Kleinhirn eine verstarkende Wirkung auf die statischen, sthenischen und 
tonischen Zustande der Zerebrospinalaxe, mehr als eine eigentliche tonische, 
sthenische und statische, und nicht nur auf die Muskeln, sondern vorwiegend 
auf die einzelnen motorischen Zentren der Zerebrospinalaxe und hauptsachlich 
auf das statisch-koordinatorische Gehzentrum des Hirnstammes. Diese Theorie 
erklart, wie beim Beginn der Kleinhirnlasionen die Atonie und die Asthenie nicht 
deutlich nachweisbar sein konnen, wahrend die anderen Kleinhirnsymptome, 
wie in den klinischen Fallen von Hirn- oder Bulbospinallasionen die Atonie, deut¬ 
lich sein konnen, wahrend der Trinkergang, die Zogerung fehlen konnen, wie bei 
den Kleinhirnlasionen die Bewegungen der oberen Glieder gewohnlich ataktisch 
sind und wie die der unteren Glieder, mit Ausnahme der statischen deambulato- 
rischen Funktionen, normal sind. Die Kleinhirnasynergie und die Adiadochokinesie 
konnen ebenfalls mit der unvollkommenen Funktion der koordinatorischen Zentren 
der Zerebrospinalaxe, die ganzlich oder zum Teil einer entsprechenden Verstar- 
kungswirkiing beraubt sind, in Zusammenhang gebracht werden, wahrend die 
Asthenie mit der fehlenden Verstarkungswirkung auf das ganze neuromuskulare 
System im Zusammenhange steht. 

Die Kleinhirnlokalisierungen wiirden ferner keine direkte Verbindung zwischen 
den einzelnen Kleinhirnsegmenten und den einzelnen Marksystemen aufweisen, 
wohl aber besondere Beziehungen zwischen gewissen Kleinhirnzonen (oder Teilen 
derselben) mit gewissen Zentren der Zerebrospinalaxe, denen sie eine verstarkende 
Wirkung zufiihren. 


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165) Ein Fall von Kleinhirngeschwulst, von W. Schauerte. (Inaug.-Dissert. 

Kiel 1919.) Ref. W. Miseh. ' * 

Ein 6jahr. Knabe erkrankte mit Schwindelanfallen, Erbrechen und Kopfschmerzen, 
wird stumpfer und stiller; Taumeln beim Gehen. Friiher einmal skrophulos gewesen. 
Es wird folgender Behind erhoben: Stauungspapille links starker als rechts. Fazialis 
rechts etwas schwacher innerviert. Sprache etwas skandierend. Intendierte Bewegungen 
des linken Armes sind ausfahrend, unsicher; links ausgesprochene Ataxie. Adiadochokinese 
und Mitbewegungen der Finger links. Beim Stehen Breitbeinigkeit und Unsicherheit; 
fallt beim Stehen um; Gang taumelnd und breitbeinig. Babinski rechts. Ataxie des 
linken Beines. Lumbalpunktion ergibt 380 mm Dmck, im Liquor schwacher Nonne und 
maBige Lvmphozytose. Es wurde Tumor des linken Kleinhirns diagnostizie it. Bei der 
Operation fand sich ein Tumor an der AuBentlache der linken Kleinhirnhemisphare. 
Wahrend der Operation plotzlicb Exitus. Die Obduktion ergab einen Solitartuberkel in 
der linken Kleinhimhalfte. AuBerdem fand sich im Kopfe des rechten Nucleus caudatus 
ebenfalls ein etwa haselnuBgroBer, unregelmaBig verkaster Solitartuberkel. der medial 
nach dem Ventrikellumen hin das Ependym vorwolbte, doch lateral warts keine Kom- 
pression der inneren Kapsel verursachte. 

166) Zwei Falle von Kleinhirntumor mit volliger Heilung durch Operation, von 

F. Peseh. (Inaug.-Dissert. Kiel 1919.) Ref.: W. Misch. 

Folgende zwei Falle von durch Operation geheilten Kleinhirntumoren werden be- 
schrieben: Ein Fall, bei dem sich fanden: statisehe Ataxie, Taumeln beim Gehen mid 
Stehen, Schwindel, Zwanglage auf der rechten Seite, Erbrechen und Schwindel bei Lagerung 
auf die andere Seite, Ungeschicklichkeit der Rumpfbewegungen, linksseitige Hemipai'ese 
ohne Pyramidenzeichen, Nystagmus, Ohrengerausche, Schmerzen im Gebiet des linken T,, 
Hyperasthesie des rechten Quintus, dagegen keine Stauungspapille. Die Operation ergab 
ein abgekapseltes Myxosarkom im linken Kleinhim auf der Oberflache des Lobus quadr- 
angularis sup. und inf., das exstirpiert wurde. Nach 4 Jahren konnte noch vollige Heilung 
festgestellt werden. — In dem zweiten Fall eines 13jahrigen Knaben, bei dem nur Stauungs¬ 
papille, Erbrechen, Schmerzen im Hinterkopf und Abweichen nach rechts bestanden, 
wurde aus dem Mark der linken Kleinhirnhemisphare ein bis zur hinteren Oberflache 
reichendes, huhnereigroBes Gliom herausgeschalt. Auch hier verschwanden alle Beschwerden 
und Storungen, und die Heilung konnte noch nach langer^r Zeit festgestellt werden. 

167) Occlusion of the right postero-inferior cerebellar artery, by G. W. Hall. 

(Journ. of the amer. med. assoc. LXXIV. 1920. Nr. 17.) Ref. W. Misch. 

Folgender Fall von VerschluB der rechten Art. cerebellaris post. inf. wird mitgeteilt, 

der allerdings nieht durch Obduktion bestatigt wurde. da Heilung eintrat: Ein 35jahr. 
Chauffeur wurde plotzlich schwindelig und fiel um, erbrach mehrmals; es wurde horizontaler 
Nystagmus und eine Ataxie der rechten Korperbalfte beobachtet; er neigte dazu, beim 
Gehen nach rechts abzuweichen. Allm&blich trat bedeutende Besserung ein, bis etr\a 
b Wochen spa ter ein neuer gleicher Anfall eintrat. Es wurde folgender Befund erhoben: 
Kopf nach rechts gewendet. Neigung, beim Gehen nach rechts abzuweichen. Rechte 
Pupille und rechte Lidspalte enger als links. Enophthalmus rechts. Leichter Nystagmus 
horizontalis. Geringe Schwache des rechten Fazialis. Geringe Atrophie der rechten Zungen- 
halfte. Aufhebung der Schmerz- und Temperaturempfindung sowie Herabsetzung der 
Beriihrungsempfindung im Gebiet des rechten Trigeminus. Aufhebung der SchweiBsekretion 
auf der rechten Gesichtshalfte. Aufhebung von Schmerz- und Temperaturempfindung auf 
der ganzen linken Korperhalfte bei Erhaltensein der Beriihmngsempfindung und dev 
"Defensensibilitat. Vestibularisstbrungen auf beiden Seiten, die ,,der T.okalisation der Art. 
cerebellaris post. inf. entsprachen kl . 

Das Syndrom des Verschlusses der Art. cerebellaris post inf. ist also folgendes: 
Sensibilitatsstorungen im Gebiet des gleichseitigen Trigeminus mit Storungen 
der Schmerz- und Temperaturempfindung auf der entgegengesetzten Korperhalfte, 
Sympathikuslahmung spinalen Ursprungs mit Enophthalmus, Pupillen- und 
Lidspaltenverengerung auf der gleichen Seite, leichte Atrophie der gleichseitigen 
Zungenhalfte und gleichseitige Vestibularisstorungen. Es wird betont, daB der 
VerschluB der Art cerebellaris post. inf. und der Art. vertebralis die gleichen 
Symptome hervorbringen kann, so daB klinisch eine Entscheidung, welche Ar- 
terie befallen ist, nicht sicher getroffen werden kann. 

168) Le mecanisme de la fonction vestibulaire, par P. Cantaloube. (Revue 

neurolog. XXVII. 1920. Nr. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 


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Verf. setzt eine neue Hypothese iiber die vestibulare Funktion auseinander. 
Zum Referat nicht geeignet. 

169) Labyrinth and equilibrium. II. The mechanism of the dynamic functions 
of the labyrinth, by S. S. Maxwell. (Journ. of gen. physiol. II. 1920. 
Nr. 4.) Ref.: W. Misch. 

Der Ampullenapparat allein genugt fur die dynamischen Gleichgewichts- 
funktionen, und andrerseits genugen auch die Otolithen allein ohne Ampullen 
fiir alle dynamischen Funktionen aufler fur die Reaktion auf horizontal Rotation. 
Der Ampullenmechanismus funktioniert in der Weise, daB eine Rotationsbewegung, 
die als Reiz fiir eine gegebene Ampulle wirkt, sich direkt gegen die die Krista 
tragende Seite der Ampulle richtet. Einer durch die Bogengange verlaufenden 
Liquorstromung wird keine andere Bedeutung beigemessen als die eines Druck- 
ausgleichs. Auch das Phanomen des kalorischen Nystagmus laBt sich, ohne Hin- 
zuziehung der Bogengange, rein als Wirkung auf die Ampullen erklaren. Aus 
Versuchen am Seehund geht hervor, daB weder die Otolithen des Sacculus noch 
der Ampullen fiir die Erhaltung des Gleichgewichts von Bedeutung sind; wichtig 
ist lediglich das kleine otolithische Organ im Recessus utriculi, das alle Funktionen 
der Ampullen iibernehmen kann. 

170) Vorbeizeigen bei kraftigem Seitwartsblicken, von Josef Kiss. (Orvosi Hr- 
tilap. 1920. Nr. 5). Ref.: Hudovernig. 

In weiterer Fortsetzung des Baranysclien Zeigeversuches, und wenn der- 
selbe normal ausfallt, d. h. kein Vorbeizeigen ergibt, fand Verf., daB bei kraftigem 
Seitwartsblicken der Zeigefinger der dem Seitwartsbiick gleichnamigen Hand 
nach derselben Seite vorbeizeigt; der rechte Zeigefinger zeigt vorbei nach rechts 
in 88°/ 0 , der linke beim Blick nach links in 95°/ 0 der Falle. Es scheint, daB 
der Reiz des Vorbeizeigens also nicht bloB direkt vom Vestibularapparate 
ausgehen kann, sondern daB die bei assoziierten Augenbewegungen tatigen 
Muskeln auch den Ausgangspunkt bilden konnen, von welchem dann der Vest-i- 
bularapparat sekundar in einen Reizzustand gelangt. Die Frage, ob der 
innervierte Rectus externus oder der andere Rectus internus den kraftigeren 
Impuls des Vorbeizeigens liefert, scheint in Fallen von Abduzenslahmung insofern 
eine Losung zu finden, daB beim Ausfall der Externusinnervierung das Vorbei¬ 
zeigen schwacher ausfallt: bei Lahmung des linken Externus kein Vorbeizeigen 
der linken Hand beim Blick nach links, doch positiver Ausfall beim Blick 
nach rechts. — Das haufigere Vorbeizeigen beim Blick nach links mit dem 
linken Zeigefinger glaubt Verf. damit erklaren. zu konnen, daB die Rechts- 
h&ndigkeit die rechte Hand besser eignet. etwaige Schwierigkeiten zu iiber- 
winden. Wiederholte Versuche ergeben, daB die GroBe des Vorbeizeigens mit 
tlbung abnimmt. 

171) ttber die Beeinflussung des B&rdnyschen Zeigeversuchs vom Grofihirn, spe- 
ziell vom Stirnhirn aus, von W. Albrecht. (Archiv f. Ohren-, Nasen- und 
Kehlkopfheilkunde. CVI.. 1920. H. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. machte bei 7 Stirnhirnverletzten den Baranv-Trendelenburgsclien 
Abkiihlungsversuch. Seine Beobachtungen stimmen mit denen von Blohmke- 
Reichmann (s. d. Centr. 1919, S. 377) und Mann (s. d. Centr. 1920, S. 227) 
iiberein. Vom GroBhirn, speziell vom Stirnhirn aus, wird das Zeigen im gekreuzten 
Arm beeinfluBt. Der EinfluB des GroBhirns ist jedoch nicht sehr lioch zu be- 
werten, da ein Defekt nach klinischen und experimentellen Erfahrungen rasch 
und griindlicli kompensiert wird. Auf welchem Wege (GroBhirn-Vestibular- 
apparat-Kleinhirn oder Stirnhirn-frontopontine Bahn-Kleinhirn) und auf welt lie 
Weise das zerebrale Vorbeizeigen geschieht, ist nicht entschieden. 


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172) Erwiderung au! die Arbeit von Bauer und Schilder: „ttber einige psycho- 
physiologische Hechanismen funktioneller Neurosen", von Hans Brunner. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. LXVI. 1920. H. 5/6.) Kef.: Kurt Mendel. 

Verf. kniipft an die Arbeit Bauers und Schilders (referiert d. Centr. 1920, 
S. 266, Referat 3) an. Er berichtet iiber einen Fall, welcher zeigt, daB schon 
die Autosuggestion von Schwindel geniigen kann, um den Zeigeversuch zu 
alterieren. Fur den Effekt des Vorbeizeigens ist es gleichgultig, ob der Schwindel 
ausgelost wird durch eine wirklich erfolgte oder eine empfundene oder eine sug- 
gerierte Drehung der Gegenstande. Das Wesentliche ist, daB iiberhaupt Schwindel 
da ist, daB also die Richtungsempfindungen der Versuchsperson irgendwie gestort 
sind. Der Zeigeversuch stellt nicht eine rein zerebellare Funktion dar, sondern 
kommt durch das Zusammenarbeiten von GroBhirn und Kleinhirn zustande 
und ist somit fiir die topische Kleinhirndiagnostik nicht zu verwerten. 

173) Uber den Einflufi des Stirnhirns auf die vestibularen Reaktionsbewegungen, 

von J. Rothfeld. (Festschrift, herausgegeben anlaBlich des 25jahrigen 
Jubilaums der medizinischen Fakultat der Universitat in Lemberg. 1920. 
Polnisch.) Eigenbericht. 

Aus einer groBeren noch im Gange sich befindenden Versuchsreihe, den 
EinfluB des GroBhirns auf die vestibularen Reaktionsbewegungen betreffend, wird 
vorlaufig liber den EinfluB des Stirnhirns auf die in Rede stehenden Reaktionen 
berichtet. Die Ergebnisse stiitzen sich auf Exstirpationsversuche an Kaninchen. 
Bei einem normalen Kaninchen tritt nach lOmaliger Drehung, z. B. nach rechts, 
bei normaler Kopflage des Tieres ein horizontaler Augen- und Kopfnystagmus 
nach links auf, welch letzterer aus abwechselnden langsamen Kopfwendungen 
nach rechts und darauffolgenden raschen Kopfwendungen nach links besteht. 
Xach Exstirpation des Stirnhirns z. B. des rechten, verschwindet die rasche Be- 
wegung des Kopfes nach links, so daB an Stelle eines Kopfnystagmus nach links 
nur eine Wendung des Kopfes nach Techts auftritt. Der Kopfnystagmus zur 
operierten Seite, in diesem Falle nach rechts, ist erhalten. — Beiderseitige Ex¬ 
stirpation des Stirnhirns verursacht ein Verschwinden der raschen Komponente 
zu beiden Seiten. — Als weitere Folge dieser Yerletzungen wurde das Fehlen der 
experimentellen vestibularen Manegebewegungen festgestellt, welche normaler- 
weise gleichzeitig mit dem Kopfnystagmus auftreten. Auf Grund dieser Versuche 
nimmt Yerf. an, daB die rasche Komponente des durch Lafcyrinthreizung aus- 
gelosten Kopfnystagmus im vorderen Teil der Grofihirnhemispharen, im Stirn- 
hirn lokalisiert ist. Das Fehlen der bei normalem Tier gleichzeitig auftretenden 
Manegebewegungen erklart Verf. durch das Ausbleiben der Kopfreaktion, welche 
nach seiner schon friiher ausgesprochenen Theorie zum Zustandekommen der 
vestibularen Reaktionsbewegung unbedingt notwendig ist. (Pfltigers Archiv. 
OLIX. 1914.) Die langsame Komponente des Kopfnystagmus ist wahrscheinlich 
im Zwischenhirn lokalisiert. 


Bulbare Erkrankungen. 

174) Progressive Bulbarparalyse und Kriegsdienstbeschadigung, von Hans Baumm. 
(Mtinchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 33.) Ref.: Kurt Mendel. 

Pat. verlor im Artilieriefeuer das Gehor, das sich aber nach einem Tage wieder ein- 
stellte. Seit dieser Zeit Erschwerung der Sprache, die sich immer mehr versehlechterte. 
Dann kamen SpeichelfluB und Schlingbeschwerden. Die Untersuchung ergab eine Bulbar¬ 
paralyse. Verf. nimmt Kriegsdienstbeschadigung an, zumal Pat. bis zu dem erwahnten 
Artilieriefeuer stets vollig gesund war und sich die ersten Krankheitszeichen schon vor 


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dem 40. Lebensjahr gezeigt haben, was eine Seltenheit bedeutet. Der theoretisch-wissen- 
Bchaftliche Beweis fur den Zusammenhang zwischen Trauma und Erkrankung sei aller- 
dings nicht zu erbringen. 

175) ttber die dysarthrischen Storungen der infantilen Pseudobulbarparalyse, von 

Hermann Gutzmann. (Archiv f. Laryngol. XXXIII. 1920. Heft 1 u. 2.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Arbeit von vorwiegend rhino-laryngologischem Interesse. In den rudimentaren 
Forinen der infantilen Pseudobulbarparalyse kann das Wesen dieser Krankheit 
leicht iibersehen und das Leiden verkannt werden, wenn man sich nicht der be- 
kannten phonetischen Untersuchungsmethoden bedient. Die systematische Ubungs- 
behandlung ist bei alien Formen der infantilen pseudobulbaren Dysarthrie aus- 
sichtsreich und zeitigt nicht selten selbst bei schweren Storungen doch noch 
schlieBlich gute Ergebnisse, wenn man der spraehphysiologischen Erkenntnis 
folgend vorgeht. 


Wirbelsaule* 

176) Zur Frage der Insufficientia vertebrae, von E. Kirsch. (Archiv f. klin. 

Chirurgie. CXIII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die von Schanz aufgestellte Insufficientia vertebrae ist als einheitliches 
Krankheitsbild abzulehnen. Es ist nicht begriindet, fiir die diesem Krankheitsbild 
zugezahlten Symptome als anatomisches Substrat eine Ernahrungsstorung der 
Wirbelkorper anzunehmen. Die Hauptsymptome der Insufficientia vertebrae 
finden sich auch bei Erkrankungen des Muskel- und Bandapparates sowie des 
peripheren und zentralen Nervensystems and erfordern eine andere Behandlung 
als die von Schanz aufgestellte einheitliche Therapie. 

177) Analyse des Begriffes ^Insufficientia vertebrae", von E. Payr. (Arch. f. klin. 

Chir. CXIII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Patienten mit ,,Insufficientia vertebrae' 4 sind — wie Verf. im Gegensatz zu 
Schanz annimmt — Astheniker (konstitutionell Minderwertige) mit in den Vorder- 
grund tretenden Erscheinungen einer Asthenie der Wirbelsaule. 

• 178) Bidrag till kannedomen om spondylitis deformans, av Gunnar Kahlmeter. 

(Stockholm 1918. J. Marcus’ Boktryckeri. 234 S.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. hat patho-histologische Untersuchungen von Wirbeln, Intervertebral - 
scheiben und Exostosen bei 5 Fallen von Spondylitis deformans ausgefiihrt. Die 
Exostosen besitzen einen Bau und eine Wachstumsweise, die in noch hoherem 
Grade mit den Veranderungen bei Arthritis deformans ubereinstimmt, als man es 
zuvor gewuBt hat. Die gemeinsame Pathogenese beider Affektionen liegt auch 
darin, daS das Primare in alien Fallen veranderte Belastungsverhaltnisse innerhalb 
des Riickgrats sind. In den meisten Fallen sind es primare Veranderungen innerhalb 
der Intervertebralscheiben, die zu einer Veranderung der wichtigsten physikalischen 
Eigenschaft dieser letzteren, ihrer Elastizitat, fuhren. Hierdurch entstehen ver¬ 
anderte Belastungsverhaltnisse innerhalb des Riickgrats. Unter der fortgesetzten 
funktionellen Beanspruchung entsteht ein MiBverhaltnis zwischen statischer 
Beanspruchung und Tragkraft, zwischen Anforderung und Kapazitat; das Riick- 
grat wird insuffizient. Die pathologisch-anatomischen Veranderungen innerhalb 
der Wirbel und an ihren Randern entstehen als eine direkte Folge dieser Insuffi- 
zienz. Von den klinischen Symptomen der „primaren“ Spondylitis deformans 
erwahnt Verf. besonders den eminent chronischen, remittierenden Verlauf, ihr 
Auftreten im AnschluB an ein Trauma, das Steifigkeitsgefiihl und den Schmerz 
im Lendenteil, die Abhangigkeit der Schmerzen von der jeweiligen Korperstellung 
des Pat. sowie seinen Bewegungen, die eigentumliche, dauernd eingehaltene Korper¬ 
stellung und die — meist nur geringgradigen — Nervensymptome von neural 


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sischem oder neuritisehem Typus (Muskelatrophien, Sensibilitats- und Reflex- 
storungen). Diese Nervensymptome korrespondieren ihrer Lokalisation nach oft 
mit den Knochenneubildungen an den Wirbelkorperrandern und sind wahrscheinlich 
durch diese bedingt. Die Spondylitis deformans ist eine gewohnliche Krankheit 
des hoheren Alters; wahrend der letzten Lebensdezennien ist jedes zweite bis dritte 
Individuum mit derselben behaftet; bei Mannern ist sie mehr als 4mal haufiger 
als bei Frauen. 

179) Spondylitis deformans bei Paratyphus A, von Hans Woerner. (Berliner 
klin. Woclienschrift. 1918. Nr. 51.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. schildert eine Erkrankung der Lendenwirbelsaule bei Paratyphus A. 
Etwa 2 Monate nach Beginn eines mittelschwer verlaufenden Paratyphus A traten 
Erscheinungen einer Spondylitis der Lendenwirbelsaule auf. Eingeleitet wird die 
Erkrankung durch Huftschmerzen, die 3 Wochen anhalten; das Hohenstadium 
ist etwa 3 Monate nach Beginn des Paratyphus erreicht. Die Huftschmerzen sind 
im Gebiet des N. iliohypogastrieus und ilioinguinalis lokalisiert und sind als 
Wurzelreizerscheinungen aufzufassen. Eine Skoliose sowie eine rontgenologisch 
festgestellte Entwicklung von osteophytischen Knochenwucherungen mit der 
Neigung. die Lendenwirbel brixckenartig zu verbinden und die entsprechenden 
Gelenke zu versteifen, sind als Folge von ostitischen und periostitischen para- 
typhosen Prozessen zu deuten. Die Diagnose spezifische paratyphose Spondylitis 
stiitzt sich sowohl auf den vorausgegangenen bakteriologischen Nachweis von 
Paratyphus als auf den Nachweis von Paratyphus A-Bazillen im Blute auf der 
Hohe der Wirbelerkrankung. 

180) Spondylitis deformans, av Francis Harbitz. (Norsk Magazin for Laege- 
vidensk. LXXXL 1920. Nr. 11.) Ref.: Kurt Mendel. 

72jahr. Frau; Tod an Encephalitis lethargica. Seit 30 Jahren anfallsweise Fieber 
und Rheumatismus im Riicken. Wirbelsaulensteifigkeit und -verkrummung. Autopsie: 
hochgradige Kyphose, besondersam 7. und 8. Brustwirbel. Ossifikation zwischen alien 
Wirbeln, Wirbelsaule in toto sehr zerbrechlich und osteoporotisch. Arthritis deformans 
in Htift- und Kniegelenken. Verf. sieht die Erkrankung als eine arthrogene infektiosen 
Ursprungs an. 

181) Die Anwendung der d’Arsonvalisation bei Spondylitis deformans, von Ernst 
v. d. Porten. (Zeitschr. f. physik. u. diatet. Ther. XXII. 1918. H. 10.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Als besonders wichtige klinische Zeichen der Spondylitis deformans nennt 
Verf. die Behinderung des Rumpfbeugens, die Schmerzfreiheit im Liegen und den 
Spasmus der Riickenstrecker. Therapeutisch empfiehlt er die d’Arsonvalisation, 
welche die Schmerzen bereits nach wenigen Sitzungen mildert. Salicyl, Atophan, 
Dampfduschen, heiBe Packungen, Diathermie waren ziemlich wirkungslos. 

182) Ein Fall von jugendlicher Spondylosis rhizomelica, von K. Schnyder. 
(Schweizer. med. Wochenschrift. 1920. Nr. 16.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Spondylose rhizomelique bei einem 14 jahrigen Madchen. Beginn des Leidens 
im 9. Lebcnsjahre. Atiologie vollig unklar. 

183) Ein Beitrag zur Frage der Osteomyelitis der Wirbelsaule mit Beteiligung des 
Ruckenmarks, von Egbert Schwarz. (Bruns' Beitr. z. klin. Chir. CXIX. 
1920. Heft 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

5 Falle von Wirbelsaulenosteomyelitis werden mitgeteilt. Der ProzeB kann 
auf Meningen und Riickenmark iibergreifen und dann Riickenmarkstumor bzw. 
Querschnittsmyelitis vortauschen. Prognose ungiinstig, auBer wenn dem Eiter 
aus dem Wirbelkanal zeitig AbfluB geschafft wird. 

184) Uber die akute eitrige Osteomyelitis vertebrarum mit multiplen Wurzel- 
lasionen, von Hermann Schlesinger. (Mitteil. aus den Grenzgeb. der Med. 
u. Chir. XXX. H. 3. 1918.) Ref.: Kurt Mendel. 


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Ein Fall von Wirbelsaulenosteomyelitis wird mitgeteilt. Erkrankt waren 
sowohl die Bogen als auch die Korper der ersten 3 Lendenwirbel. Der von dem 
erkrankten Knochen ausgehende EiterungsprozeB hatte an der Dura mater Halt 
gemacht uud diese Hulle nicht durchbrochen. Die Prognose der Wirbelsaulen¬ 
osteomyelitis, insbesondere der Osteomyelitis der Wirbelkorper, ist schlecht. 
(Mitbeteiligung des Riickenmarks, Senkungsabszesse). Die Lendenwirbelsaule 
ist eine Lieblingslokalisation des osteomyelitischen Prozesses bei Jugendlichen. 
Neben schweren Allgemeinerscheinungen (Fieber, Mattigkeit, Schiittelfrost, Er- 
brechen) treten in der Hegel die Lokalsymptome schon friihzeitig stark hervor, 
und zwar 1. die durck Schadigung des Nervensystems hervorgerufenen Symptome 
(spinale, meningeale und Wurzelsymptome), 2. die eigentlichen Wirbelsymptome, 

3. die Nachbarschaftssymptome (paravertebraler AbszeB usw.). Bemerkenswert 
ist der Widerstand, den die Dura mater oft (auch in Verf.’s Fall) dem Fortschreiten 
der Eiterung bietet. In des Verf.’s Fall zeigte sich eine multiple Schadigung der 
hinteren Wurzeln; die histologische Untersuchung ergab eine typische aufsteigende 
Erkrankung in den Hinterstrangen des Hals- und Brustmarks von mittlerer Inten- 
sitat; der Querschnittslasion des Riickenmarks entsprach eine schlaffe motorische 
Lahmung der Beine mit Areflexie und Ischuria paradoxa, Incontinentia alvi und 
Dekubitus. Die Diagnose auf Wirbelosteomyelitis wird ermoglicht, wenn im 
Verlaufe einer hoch fieberhaften Erkrankung Lokalsymptome von seiten der 
Wirbelsaule auftreten, und zwar Rigiditat, Druckempfindlichkeit einzelner Ab- 
sehnitte, besonders wenn zu dieser Zeit auch an anderen Stellen des Skelettes 
Zeichen eines osteomyelitischen Prozesses in Ausbildung sind. Die Therapie ist 
ausschlieBlieh chirurgisch. 

185) A Case of Cervical Caries Simulating Cerebellar Tumour, by Armstrong. 

(Brit. med. Journ. 1920. 10. Apr.) Ref.: Sc-hreiber. 

7jahr. Knabe erkrankt an Nackensteifigkeit, Koptschmerz, zerebralem Erbrechen, 
Augenmuskellahmung, beiderseitiger Sehnervenentzundung und samtlichen Zeichen einer 
Kleinhirngeschwulst. Bei der Operation erwies sich das Kleinhim als intakt. Die Sektion 
ergab eine Karies des 3. und 4. Halswirbels. 

186) Ein atypisch verlaufender Fall von Wirbelkaries mit einer ungewohnlichen 
Sensibilitatsstorung, zugleich als Beitrag zur Atiologie des Stauungssyndroms 

des Liquors, von Oskar Fischer. (Medizinische Klinik. 1919. Nr. 50.) 

Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Es handelt sich um einen Fall von tuberkuloser Wirbelkaries, der lange Zeit unter 
dem Bild eines intramedullaren Tumors verlief, namenthch mit Riicksicht auf das Fehlen 
jeglicher sensibler Reizerscheinungen, trotzdem, wie die Sektion ergab, mehrere Wurzeln 
in den extradural gelegenen tumorartigen Granulationen eingelagert waren. Von besonderem 
Interesse ist das Verhalten des Liquors. Wahrend der ersten Periode sind Symptome aus- 
gesprochener lokaler Druckwirkung auf das Riickenmark in der Hohe des 6. Dorsalsegments. 
mit starker spastischer Paraplegie und entsprechend giirtelformig abgegrenzter Sensibilitats- 
storung festzustellen. Der Liquor zeigte Veranderungen, die auf eine Absperrung des 
Duralsackes hinweisen, namhch das Nonnesche Stauungssyndrom: hoben EiweiBgehalt 
ohne Pleozytose. Die zweite Phase trat mit dem Gibbus ein. Die spastischen Symptome 
versehwanden ganz, es blieb nur eine schlaffe Paraplegie. Im Liquor verschwand das 
Stauungssyndrom, er wurde normal. Die Erklarung lag im Zerfall der regionaren Wirbel 
und in dem dadurch aufhorenden Druck. Sicher ist, dab die Sensibilitatsstorung nicht 
durch grobe. durch die Herdaffektion des Ruckenmarkwirbelsaulenkomplexes verursachte 
Wurzelschadigungen bedingt ist. 

187) Rapidly Fatal Spinal Caries, by Collins. (Brit. med. Journ. 1919. 30. Aug.) 

Ref.: Schreiber. 

Drei Falle von weit vorgeschrittener Wirbel tube rkulose, die plotzlich ohne jede 
auBere Veranlassung schwerste lahmung zur Folge hatten und in kurzer Zeit (6 bis 15 Tagen) 
zum Tode fiihrten. Die Falle betrafen durchweg Manner im jugendlichen Alter, von bester 
Korperbe8chaffenheit und bluhendem Aussehen. 


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188) Uber Wirbelkorperschwund (Osteolysis), von Friedrich Schlagenhaufer. 

(Beitr. z. pathol. Anat. u. zur allgem. Pathol. LXVI. 1920. Heft 3.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

4 Falle von isoliertem Wirbelkorperschwund; in alien 4 anamnestisch kein 
Trauma. In einem 5. Falle fiihrte Uberheben zu einer akuten Verschlimmerung 
des schon bestehenden Prozesses. Bei Annahme einer Kummellschen Krankheit 
ist hohe Vorsicht anzuwenden, denn es ist einleuchtend, daB ein von Osteolysis 
befallener Wirbel selbst unter einem ganz geringfiigigen Trauma zusammen- 
brechen und so zu schweren Storungen ftihren kann, wobei der traumatische 
Insult nur ein zufalliges Accidens ware. Bevorzugt bei der Osteolysis sind der 
9. Brust- und 2. Lendenwirbel; vielleicht schaffen die statischen Belastungs- 
verhaltnisse solche Pradilektionsstellen, wie sie auch fiir die Traumen bestehen: 
der 9. Brustwirbel ist am haufigsten frakturiert, und die Bandscheiben zwischen 
2. und 3., bzw. 3. und 4. Lendenwirbel sind am meisten exponiert beim Trauma. 

189) Echinococcus der Lendenwirbelsaule mit Lasion der Cauda equina, von Otto 

Brosamlen. (Miinchener med. Wochenschrift. 1918. Nr. 50.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

44jahr. Frau mit den Symptomen eines Tumors im Bereich der Cauda equina. 
Das Rontgenbild zeigte eine deutliche Aufhellung im Bereich des 4. und 5. Lendenwirbel- 
korpers. Die Operation deckte Echinokokkenzysten auf, die den 4. und 5. Ledenwirbel 
zum Teil zerstort hatten; die Echinokokkenmassen full ten den Wirbelkanal zum groBen 
Teil aus und hatten den Lumbalsack stark zusammengedrangt. Nach der Operation 
schwanden die anfangs unertraglichen Schmerzen vollstandig, die Blasenstorungen besserten 
sich. Dann wieder starke Schmerzen, Paraplegie, Dekubitus, Exitus. Der Echinococcus 
hatte entweder primar vom Wirbelkorper seinen Ausgang genommen, oder aber er hatte 
sich paravertebral im weichen Gewebe entwickelt und war erst sekundar nach Zerstorung 
der Wirbelkorper in den Wirbelkanal eingedrungen. Differentia]diagnostische Symptome, 
die fiir die Echinokokkengeschwiilste des Riickenmarks typisch waren, gibt es nicht, es 
dei denn, daB die Geschwiilste sich gleichzeitig nach auBen entwickeln und in der Nahe 
ser Wirbelsaule Schwellungen verursachen. In solchen Fallen kann unter Umsta-nden 
die Natur der Krankheit durch eine Punktion sichergestellt werden. 

190) Dislocation of Cervical Spine. Reduction under Anaesthesia, by J. Th. Buck- 

ley. (The Lancet. Vol. CXCVIII. 1920. Nr. 3.) Ref.: K. Eskuchen. 

Infolge ZusammenstoBes eines Motorradfahrers mit einem anderen Dislokation 
zwischen 4. und 5. Halswirbel, so daB die obere Wirbelsaule nach vorn verschoben ist. 
AuBer auBerer Deformitat (Vorwolbung am Nacken) und Kopfhaltung nach vorn abwarts 
nur leichte Schmerzen liber der rechten Schulter. In Anasthesie wurde der Kopf in die 
richtige Stellung zuruckgehoben und durch eine besondere Vorrichtung fixiert. Rontgen¬ 
bild zeigt jetzt normale Verhaltnisse bis auf ein unbedeutendes Vorstehen des 4. Hals- 
wirbels; Moglichkeit einer geringen, nicht sichtbaren Knochenverletzung. 9 Wochen spater 
trug Pat. den fixierenden Apparat nur noch, weil nach dessen Abnahme der Nacken leicht 
schwach wtirde. 

191) Ein Fall von schwerer Fraktur der Wirbelsaule ohne Nervensymptome, von 

R. Rosenfeld und I. Zollschan. (Wiener klin. Wochenschrift. 1919. 

Nr. 3.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Der Titel enthalt das Wesentliche dieses ungewohnlichen Falles, N einen 19jahrigen 
Soldaten betreffend, der infolge Granatexplosion eine auch rontgenologisch sichergestellte 
Fraktur der 5. bis 7. Dorsal wirbel erlitten hatte, ohne daB er jemals spinale Storungen 
dargeboten hatte. Unter Wasserglaskorsettverband heilten die Briiche innerhalb 5 Mona ten 
aus, wie fortlaufende Rontgenaufnahmen zeigten (2 Abbildungen im Texte). 

192) Malformation medullaire par luxation congenitale de l’atlas, par V. Demole. 

(Schweizer Arch. f. Neur. u. Psych. V. 1919. H. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei der Autopsie eines Falles, der keine nervosen Storungen gezeigt hatte, fand sich 
eine Subluxation des Atlas und Svnostose desselben mit dem Epistropheus. Hierdurch 
war eine Wachstumsstorung des Riickenmarks bedingt. Trotzdem keine funktionellen 
oder Bewegungsstorungen, so daB die Anomalie wahrend des Lebens unbemerkt blieb 
und nur zufallig bei der Autopsie aufgedeckt wurde. 


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193) Zur Beurteilung der Spatfolgen von Wirbelsaulentraumen, von A. Schanz. 

(Monatsschr. f. Unfallheilk. 1919. Nr. 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Gutachten iiber einen Fall von Insufficientia vertebrae nach Sturz mit Riicken- 
verletzung. 

194) ttber den Rontgenbefund bei Enuresis nocturna (Spina bifida occulta), von 

Willy Hofmann. (Fortschr. auf d. Geb. der Rontgenstrahlen. XXVI. 

1919. Heft 4 u. 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. untersuchte 125 Faile von Enuresis nocturna und fand bei 74 = 59,2 °/ 0 
eine Spina bifida occulta; 34 wiesen normale Verhaltnisse des Rontgenbildes auf; 
bei 17 war der Befund zweifelhaft. Am haufigsten ist die Spina bifida des 1. Sakral- 
wirbels, seltener die des 5. Lumbalwirbels. In manchen Fallen zeigte die neuro- 
logische Durchuntersuchung eine Thermhypasthesie an den Zehen, sonst keine 
Storung, auch keine abnorme Behaarung, es bestand lediglich die Blasenstorung, 
ev. noch die Spina bifida im Rontgenbilde. In einer Anzahl von Fallen hatte 
die Cathelinsche epidurale Injektion Erfolg. 

195) Die Stornng der Blasenfunktion bei Myelodysplasie, von Hubert Sie ben. 

(Deutsche med. Wcchenschrift. 1920. Nr. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. bespricht die Beziehungen der Enuresis zur rudimentaren Form der 
Spina bifida. Auf Myelodysplasie weist neben anderen Abnormitaten (Enuresis, 
Syndaktylie, dissoziierte Empfindungslahmung an den FiiBen usw.) das Vor- 
handensein eines eingezogenen, kreisrunden Grubchens in der Nahe der oberen 
Sakralwirbel oder des Sakrokokzygealgelenks hin, das sich in der Tiefe wie ein 
Fistelgang anfiihlt und als eine rudimentare Spaltbildung aufzufassen ist. — 
Wahrend bei der rein funktionellen Enuresis nocturna am Tage, d. h. im wachen 
Zustand, niemals Zeichen einer Blasenstorung vorhanden sind, ist bei der Myelo¬ 
dysplasie der Blasenautomatismus jederzeit konstant, es wird also bei letzterer 
Affektion bei Tage des ofteren zur Durchnassung der Kleider kommen. 

196) Enuresis and Myelodysplasie, von J. Zappert. (Wiener klin. Wochenschrift. 

1920. Nr. 22.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. erortert zunachst in kritischer Beleuchtung die verschiedenen Theorien 
iiber das Bettnassen und die verschiedenen dabei gefundenen Beobachtungen, 
wobei besonders auf die Ergebnisse von A. Fuchs eingegangen wird. An der 
Hand eigener Untersuchungen (den rontgenologischen Befund lieferten Holz- 
knecht, Eisler, Haudek und Pordes) gelangt Verf. zu folgenden Schliissen: 
Es besteht weder ein anatomischer noch ein klinischer Beweis fur das Vorhanden- 
sein einer Entwickelungsstorung des Riickenmarkes bei der Enuresis. Die als 
Beweis fiir das Bestehen einer Myelodysplasie angefiihrten klinischen Merkmale 
sind zum Teil einfache Degenerationszeichen, zum Teil graduelle Variationen 
haufig vorkommender Befunde, die einen SchluB auf eine Schadigung des Riicken- 
markes nicht zulassen. Spaltbildungen der Wirbelsaule im Lumbosakralsegmente 
sind bei der Enuresis recht haufig anzutreffen. Dieser Befund beweist aber nur 
das Vorhandensein einer Spina bifida occulta im Sinne der Rontgenologen, ohne 
einen SchluB auf eine Riickenmarkserkrankung, eine Spina bifida occulta im 
neurologischen Sinne, zuzulassen. Diese Spaltbildungen der Wirbelsaule haben 
lediglich die Bedeutung eines Degenerationssymptomes im Bereiche der unteren 
Korperhalfte und stehen auf derselben Stufe wie andere bei Enuretikern oft 
vorkommende Anomalien im Bereiche des Urogenitalappaiates und der unteren 
Gliedmafien. Es handelt sich bei der Enuresis um eine rein funktionelle Er- 
krankung, wobei die Auffassung einer segmentalen Minderwertigkeit im Sinne von 
Adler durch die als Merkmale der Myelodysplasie angegebenen Symptome eine 
Stutze erfahrt. 

XL. (Erg&nzungsband.) 15 


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197) Spina Bifida Occulta in a Child with Incontinence of Urine and Feces: Impro¬ 
vement in Vesical Control After Operation, by J. S. Leopold. (Journ. of the 
Amer. med. Ass. LXXIV. 1920. Nr. 7.) Ref.: K. Eskuchen. 

Spina bifida bei einem 6jahr. Madchen, das seit einem Jahre an Urin- und Stuhl- 
inkontinenz leidet. In der Haut iiber dem Kreuzbein eine Grube (keine HypertrichosiB) 
und positiver Rontgenbefund. Keine sonstigen Symptome. Nach der Operation gewann 
die Patientin die Kontrolle iiber Blase und Rektum zuriick, verlor jedoch nach Verlauf 
von einer Woche die letztere wieder. 

198) Spina bifida occulta und angeborener Klumpfufi, von 0. Beck. (MiincheDer 
med. Wochenschrift. 1920. Nr. 11.) Ref.: Kurt Mendel. 

In einer groBen Anzahl von angeborenen KlumpfiiBen — vielleicht in alien 
Fallen — gibt die Spina bifida occulta zum mindesten eine wesentliche Erganzung 
zu der Annahme einer abnorm wirkenden Belastung in utero. Die Spina bifida 
spielt sowohl bei der Entstehung des KlumpfuBes wie beim Rezidiv desselben 
eine nicht unbedeutende Rolle. Verf. fand auch bei 14 HohlfiiBern in 9 Fallen den 
Wirbelsaulenspalt, ferner bei 3 Fallen von ganz besonders hartnackigen und 
schweren PlattfliBen sowie bei einem lOjahrigen Madchen, bei dem auf der einen 
Seite ein HohlfuB, auf der anderen ein hochgradiger PlattfuB bestand. 


Ruckenmark (Meningitis spinalis, Myelitis, Geschwulste u. a.). 

199) The Early Symptoms and Diagnosis of Diseases of the Spinal Cord, by Mott. 
(Brit. med. Journ. 1920. 26. Juni.) Ref.: Schreiber. 

Im Rahmen einer Vorlesung gehaltene Zusammenfassung der Friihzeichen 
der Riickenmarkskrankheiten. 

200) Kasuistischer Beitrag zur Pathologic der Riickenmarkshaute, (Pachymenin¬ 
gitis externa), von Ludwig Fuchs. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 
1920. Heft 5 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Pachymeningitis externa im Bereich des 6. bis 9. Brustwirbelkorpers. Histo- 
logisch: unspezifische granulierende Entziindung der Dura, subakute Form; Odem der Mark- 
substanz im Bereich der Duraerkrankung mit diffuser Degeneration der weiBen Substanz. 
Gleicher, nur wesentlich alterer ProzeB wie an der Dura auch an Pleura und Peritoneum 
(Polyserositis chronica fibrosa). Am wahrscheinlichsten ist, da ein direktes Gbergreifen des 
Prozesses auf die Dura auszuschlieBen war, eine echte Metastasierung an der Dura, vielleicht 
durch eine Furunkulose mobilisiert. (Ref. verweist auf seine Arbeit im Neur. Centr. 1919. 
S. 584, die vom Verf. nicht erwahnt wird, trotzdem sie hierher gehort.) 

201) Beitrag zur Frage der Pachymeningitis dorsalis. Zusammenhang mit Trauma?, 

von W. Runge. (Arztl. Sachverst.-Zeitung. 1920. Nr. 6.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Bis dahin bis auf eine Bronchitis gesunder Mann verspiirt beim Schwingen und Auf- 
schlagen eines eisernen Rohres auf einen AmboB plotzlich heftige Ruckenschmerzen. 4 Tage 
spater Parasthesien in den unteren Extremitaten, am funften Tage schlaffe Lahmung der 
Beine, Urin- und Stuhlretention Dru kempfindlichkeit des 6. und 7. Domfortsatzes. Im 
Liquor Globulinvermehrung. Wassermann im Blut negativ. 8 Tage spater schwerer De- 
kubitus. 41 Tage nach dem Unfall Exitus. Autopsie: Wirbelsaule ohne Sonderheit. Hinter- 
flaehe der Dura in Hohe von D a bis D 6 stark verdickt; Verdickung bedingt durch ein lockeres, 
mit rotbrauner Fliissigkeit durchsetztes Gewebe; an derselben Stelle mikroskopisch GefaB- 
vermehrung, kapillare Blutungen, Infiltration rpit mononuklearen Zellen, im Ruckenmark 
in entsprechender Hohe unregelmaBig verteilte Lichtungsbezirke, leichte aufsteigende De¬ 
generation. Also: Pachymeningitis chronica dorsalis circumscripta ohne Verletzung der 
Wirbelsaule; Zusammenhang mit dem Trauma wird bejaht. Eine traumatische Blutung 
mit sich anschlieBender Pachymeningitis haemorrhagica ist im vorliegenden Falle nicht an- 
zunehmen, da der ProzeB an der AuBenseite der Dura lokalisiert war, die Pachymeningitis 
haemorrhagica sich aber gewohnlich an deren Innenseite abzuspielen pflegt, da ferner im 
Liquor Blutfarbstoff und seine Derivate fehlten. Es konnen aber infolge des Traumas in 
vorher vorhandene pachymeningitische Veranderungen hinein kapillare Blutungen erfolgt 
sein, und infolge dessen kam es zu einer akuten Verschlimmerung, zu einem voriibergehenden 


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Aufflackem des Entziindungsprozesses. Oder aber es entwickelte sich anf der Grundlage 
einer schon bestehenden Bronchitis eine Pachymeningitis dorsalis hypertrophica bzw. puru- 
lenta, und zwar an der Stelle, wo dnrch das Trauma die Dura gezerrt wurde, so daB eine 
geringfiigige epidurale Blutung entstand, die die betreffende Stelle zum Locus minoris resi- 
stentiae machte, wo von der Bronchitis stammende Krankheitserreger sich auf hamatogenem 
Wege ansiedelten und zunachst eine purulente Entziindung erzeugten (metastatische Ent- 
ziindung). 

Folgende Formen von primarer zirkumskripter Pachymeningitis dorsalis 
sind zu unterscheiden: 1. syphilitische (am haufigsten, meist auf Pia und Riicken- 
mark iibergreifend), 2. tuberkulose (mit und ohne tlbergreifen auf die weichen 
Haute, erheblich seltener als die syphilitische), 3. bei epidemischer Zerebrospinal- 
meningitis oder anderen Meningitisformen (ev. auch noch Jahre nach Ablauf 
dieser Krankheit sich entwickelnd), 4. metastatisch-eitrige Entziindungen (meist 
von Lungenprozessen ausgehend, sich an der AuBenseite der Dura lokalisierend; 
des Verf.’s Fall), 5. von bisher unbekannter Herkunft. 

202) ttber Meningitis serosa circumscripta des Konusgebietes, von H. Bausamer. 

(Medizin. Klinik. 1920. Nr. 31.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Eine seit 5 Jahren iiber Riickenschmerzen mit Ausstrahlungen in das linke Bein klagende 
Patientin zeigt folgende Symptome: Sphinkterlahmung der Blase mit Aufhebung der Sen- 
sibilitat fiir Hamdrang und aufgehobener Empfindlichkeit der Hamrohre, vollstandige An- 
asthesie der Anusgegend und des Rectums, vollstandige Anasthesie beim Koitus und Fehlen 
des Orgasmus, typische Reithosenanasthesie, hyperasthetische Zone links um den Rumpt 
in der Hohe des 12. Dorsal segments und ischialgische Schmerzen links und rechts. geringe 
Parese des linken Beins und zwar besonders der Peroneus-Tibialisgruppe. Das fiinfjahrige 
Bestehen lieB an eine extramedullare Erkrankung des Conus-Cau da-Gebietes denken. Tuber¬ 
kulose, Lues und Trauma waren auszuscblieBen. Anstelle eines Tumors wurde eine rein 
serose Meningitis spinalis circumscripta gefunden. Die operative Beseitigung der Stauung 
durch Laminektomie und Duraoffnung fiihrte in wenigen Tagen zur volligen Beseitigung 
der hervorsteohendsten Symptome, vor allem der sensible n Ausfallserscheinungen des Reit- 
hosengebiets, der Blase, der Vulva und des Mastdarms. 

Ein sicheres diagnostisches Mittel zur Unterscheidung der zirkumskripten 
Meningitis serosa von Tumoren gibt es nicht. Die Operation bleibt fur alle Falle 
der beste und sicherste diagnostische und therapeutische Faktor. Bei stark ge- 
spannter Liquoransammlung nimmt man am besten die Entleerung derselben 
und die eventuelle Entfernung der Zystenwand vor. 

203) Zur Behandlung der Meningitis serosa circumscripta, von Erich Schenk. 

(Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 8.) Ref.: Kurt Mendel. 

NackensteckschuB. Darauf Tetraplegie. Operative Entfernung des Geschosses. Darauf 
beide Arme schlaff gelahmt; beim Versuch passive Bew r egungen vorzunehmen unertraglichei 
Schmerz und klonischer Krampf im linken Arm. Rechtes Bein zeigt keine nennenswerte 
Lahmung, linkes Bein paretisch. Kniereflexe beiderseits stark gesteigert, FuBklonus; Haut- 
gefiihl links vom von der 2. Rippe abwarts stark herabgesetzt bis etwa zur Mitte des Ober- 
schenkels, weiter /ibwarts geringe Gefiihlsherabsetzung; rechts Gefuhlsherabsetzung vom 
Rippenbogen abwarts. Die schmerzhaften Spasmen im linken Arm nehmen standig zu. 
Diagnose: adhasiv meningitische Form der Schadigung des Halsmarkes (C : , bis C 6 ). Die 
Operation zeigt eine Meningitis serosa circumscripta mit Strangen, die besonders die hinteren 
Wurzeln der linken Markhalfte umklammem und den betroffenen Markabschnitt seitlich 
erheblich verzerren. Bereits am Tage nach der Operation sind die schmerzhaften Spasmen 
im linken Arm fast geschwunden. Weiterhin Besserung der Schmerzen. 

204) Zur Symptomatology des Durchbruches von Beckenabszessen in den Wirbel- 

kanal, von Decastello. (Wiener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 35 bis 36.) 

Ref.: Pilcz (Wien). 

38jahr. Arbeiter erkrankt plotzlich unter heftigen Schmerzen im rechten Beine und 
Fieber. Kein Kopfsehmerz, kein Brechreiz. Bei der 10 Tage spater erfolgten Spitalsaufnahme 
Temperatur 37,8°. Rechtes Bein in fur PsoasabszeB tvpischer SteJlung gehalten, Hyper- 
asthesie der Bauch- und Lendengegend; im iibrigen negativer Befund. 6 Tage spater strahlen 
die Schmerzen auch in das linke Bein aus, am nachsten Tage Nackenstarre, linke Pupille 
weiter, leichte Behinderung des linken Bulbus bei Blick nach aufwarts. Lumbalpunktion 

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fdrdert trotz wiederholter Punktion keinen Liquor zutage. Am nachsten Tage Sensorium 
benommen, Zunahme der Nackenstarre, Trismus, Exitus. Obduktion: Eitrige Zerebro- 
spinalmeningitis. Der ganze Duralsack des Ruekenmarkes von dieklichem griinem Eiter 
ausgefullt. Epidural Eiteransammlung vom Lumbal- bis zum unteren Dorsal marke., Fiter- 
auflagerung an Gehimbasis, namentlich in Briickengegend. PsoasabszeB, vom 2. Lenden- 
wirbel an, der durcli die Foramina intervertebralia langs der Nervenwurzel mit dem Wirbel- 
kanale kommuniziert. Staphylococcus pyogenes aureus in Reinkultur. 

In den epikritischen Bemerkungen beschaftigt sich Verf. hauptsachlichst mit 
dem PsoasabszeB als solchem, den er als einen der seltenen Falle von idiopathischer, 
infektioser eitriger Myositis auffaBt. 

205) tJber Paraplegia urinaria, von Alfons Foerster. (Miinchener med. Wochen- 

schrift. 1920. Nr. 27.) Ref.: Kurt Mendel. 

3 Falle werden mitgeteilt, bei denen sich nach Blasenentziindung paraplegie- 
ahnliche Zustande entwickelten, welche mit Abklingen der Blasenaffektion wieder 
verschwinden. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Myelitis, die entweder in- 
folge einer von der Blase aufsteigenden Neuritis oder infolge Durchwanderns von 
Erregern durch Zellgewebe oder in den Lymphbahnen zum Riickenmark hinauf 
entstanden ist. 

206) Paraplegia after arsphenamin in a case of retrobulbar optic neuritis, by 

T. J. Dimitry. (Journ. of the Amer. med. Assoc. LXXIV. 1920. Nr. 17.) 
Ref.: W. Misch. 

In einem Falle von retrobulbarer Neuritis optica, der auBerdem nur leichte Blasen- 
storungen und Reflexdifferenzen aufwies, wahrend Wassermann in Blut und Liquor negativ 
waren, trat kurz nach einer lnjektion von 0,06 g Arsphenamin eine Paraplegie der Beine ein. 
Trotzdem wurde die Behandlung mit Arsphenamin und Hg fortgesetzt, und es stellte sich 
tatsachlich nicht nur ein allmahliches Zuriickgehen der Lahmungserscheinungen, sondem 
auch eine Riickkehr der Sehkraft ein, so daB bis auf geringe Blasenstorungen von vollstandiger 
Heilung gesprochen werden konnte. Die Lumbalpunktion nach der Lahmung hatte eine 
starke Lymphozytose und Globulinvermehrung ergeben. Es wird daher angenommen, daB, 
wie die Neuritis optica, so auch die Paraplegie als Myelitis auf luetischer Basis und nicht als 
Folge der Arsphenamininfusion anzusprechen ist. 

207) Monoplegia spinalis spastica, by W. G. Spiller. (Arch, of neurol. and psych. 
III. 1920. Nr. 6.) Ref.: W. Misch. 

Es werden 7 Falle mitgeteilt, in denen eine Lahmung der einen unteren 
Extremitat mit Atrophie, gesteigerten Sehnenreflexen und meist mit Spasmen 
der befallenen Extremitat verbunden war. Diese Falle entsprechen den von 
Sittig an der oberen Extremitat als Monoplegia spinalis spastica superior be- 
schriebenen Fallen und werden daher als Monoplegia spinalis spastica inferior 
bezeichnet. Anatomisch handelt es sich, wie die mikroskopische Untersuchung 
des einen zur Autopsie gekommenen Falles zeigt, um Herdlasionen von Vorder- 
horn und Pyramidenbahn im Lumbalmark; die Atiologie scheint nicht einheitlich 
zu sein, oft liegen Lues und Poliomyelitis der Affektion zugrund^e, doch scheinen 
auch andere Infekte den ProzeB zu bedingen. Yon der zerebralen Monoplegie 
unterscheidet sich die spinale durch die Atrophien und durch die in der Regel 
bedeutend geringeren Spasmen. 

208) Troubles sympathiques des membres superieurs dans les affections de la 
region moyenne ou interieure de la moelle, par J.-A. Barre et R. Schrapf. 

(Revue neurologique. 1920. Nr. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei Affektionen im mittleren und unteren Brustmark (6. bis 11. Segment) 
sind sensible, vasomotorische und motorische Storungen an den oberen Glied- 
maBen nicht selten. Die Verff. sahen solche Storungen bei 4 Soldaten, die durch 
eine Kugel oder durch Wirbelbruch am Brustmark verletzt worden waren (Mit- 
teilung der Falle), ferner bei 2 Fallen von Pottscher Krankheit, einem Falle von 
Ruckenmarkskompression (in welchem aber vielleicht auch Herde im Zervikal- 
oder oberen Dorsalmark bestanden) und bei einem Falle von Arachnoiditis spinalis, 


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die — wie man mit Riicksicht auf die bestehenden vasomotorischen Storungen 
im Gesicht annehmen muB — ziemlich weit nach oben (bis zum Zervikalmark) 
reicht. Die Storungen an den Armen bestanden hauptsachlich in Parasthesien 
an den letzten Fingern, symmetrisch an beiden Handen, an einer Hand starker; 
,ein richtiger Schmerz besteht nicht; besondeTs betroffen ist der kleine Finger, 
Weniger der Ring- und Mittelfinger; gewohnlich sind Daumen und Zeigefinger 
nicht befallen. Selten steigen die Parasthesien zum inneren Rande des Vor- und 
Oberarms empor. Die taktile Sensibilitat ist hochstens geringgradig gestort, 
die tiefe Sensibilitat, Lagegefiihl und stereognostischer Sinn sind vollig erhalten. 
Die motorische Parese ist stets sehr geringfiigig, die Beugekraft besonders der 
letzten Finger ist etwas vermindert. Oft Kaltegefiihl in den Fingern, zuweilen 
aber Anfalle von Hitzegefuhl. In einem Falle starke Vermehrung des SchweiBes. 
Zuweilen gesteigerte Reflexe. Keine Muskelatrophie. Die genannten Storungen 
konnen der klassischen Symptomatologie der Riickenmarksaffektion (z. B. der 
Pottschen Krankheit) vorangehen. Dieselben sind als sympathischer Natur 
anzusprechen. Die Wurzeln D 4 bis D 10 enthalten den groBten Teil der sympa- 
thischen Fasern der oberen Extremitaten (Langley). Bei Vorhandensein von 
sympathischen Storungen an den letzten Fingern muB man stets an eine Lasion 
der mittleren Dorsalregion denken, sofern die Untersuchung des Mediastinums 
oder der Lungenspitzen nichts Krankhaftes ergeben hat. 

209) Die Spinalerkrankung als friihzeitiges Symptom der pernizidsen Anamie, von 

Hans Curschmann. (Medizinische Klinik. 1920. Nr. 38.) Ref.: E. To¬ 
bias (Berlin). 

In dem mitgeteilten Fall ist eine Spinalerkrankung dem Manifestwerden 
einer schweren perniziosen Anamie vorausgegangen, und zwar bestanden schon 
mehrere Jahre vorher Riickenmarkssymptome in Form einer spastischen Para- 
parese, die genau so in Schiiben und heilungsahnlichen Remissionen verlaufen 
konnen wie andere Symptome, die Glossitis, die anamische Blutveranderung selbst. 
Die Spinalerkrankung braucht durchaus nicht die Folge der schweren Anamie im 
Sinne etwa der Ruckenmarksveranderungen bei schweren Kachexien und Dys- 
krasien, Tuberkulose und Karzinom zu sein, sondern ist vielleicht das Produkt 
derselben noch unbekannten Noxe, die bald friiher, bald spater als das spinale 
Symptom die Anamie hervorruft. Die spinale Erkrankung ist eine der Blutver¬ 
anderung und Zungenerkrankung koordinierte Erscheinung. Auch die Achylia 
simplex gastrica ist in diesem Sinne ein konstitutionelles Stigma. Im Symptomen- 
bilde der Riickenmarkserkrankung iiberwiegt das tabische Bild nicht, im Material 
vom Verf. halten sich Falle mit Spasmen und entsprechenden Reflexveranderungen 
die Wage mit solchen mit Hinterstrangssymptomen. Bemerkenswert sind viele 
Ahnlichkeiten mit der multiplen Sklerose, auch in bezug auf die Remissionen. 

210) The Diagnosis ol Spinal Meningeal Tnmour and its Practical Importance, by 

Williamson. (Brit. Med. Journ. 1920. 21. August.) Ref.: Schreiber. 

Unter den von den Riickenmarkshauten ausgehenden Geschwiilsten iiber- 
wiegen die bosartigen mit etwa 55 v. H.; meistens handelt es sich um Sarkome 
oder Fibrosarkome. Unter den gutartigen stehen Echinokokkusblasen und ein- 
fache Fibrome an erster Stelle. Da auch die bosartigen Geschwiilste langsam 
wachsen und in der Regel keine Metastasen machen, komrat die Operation, wenn 
das Leiden vor Eintritt von Lahmungen richtig erkannt wird, oft noch zurecht. 
Besonders dankbare Operationsobjekte sind die Echinokokkusblasen, da sie ge¬ 
wohnlich extradural bleiben. Die friihzeitige Erkennung der Ruckenmarkshaut- 
geschwiilste griindet sich vor allem auf die Wurzelschmerzen, die, zuerst oft ein- 
seitig, meist nur 1 bis 2 Nervenwurzeln betreffen. Ihnen folgen die Gefiihls- 
storungen im Bereich der Schmerzen, und zwar zuerst der Verlust des Vibrations- 


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gefiihls, das mit einer schwingenden Stimmgabel geprlift wird, deren FuB man 
auf den Knochel oder die innere Schienbeinflache aufsetzt. Zuletzt kommen die 
Lahmungen, die zu ihrer Entwicklung meist Wochen und Monate gebrauchen, 
in seltenen Fallen indes auch innerhalb weniger Tage vollstandig werden konnen. 
Die Reflexe pflegen nach eingetretener Lahmung langer erhalten zu bleiben, als 
bei anderen Riickenmarkskrankheiten. 

211) Ein Lipom der Heningen des Zervikalmarks, von Adolf Ritter. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir. CLII. 1920. Heft 1 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von rasch wachsendem, solitarem Lipoblastom der spinalen Arachnoidea und Pia 
(intrameningeal), in dem das Blastomparenchym rein nur von Fettzellen. das Stroma von 
Bindegewebselementen gebildet wird. Sitz: vom untersten Teil der Medulla oblongata bis 
zum obersten Brustmark, hauptsachlich im Zervikalmark. Pat. war 40 Jahre alt. Zunehmende 
Verschlimmerung. Tod ohne Operation. Li pome im Wirbelkanal sind selten, insbesondere 
in vorgeriickterem Alter. Der Tumor hat im Subarachnoidalraum seinen Ursprung genommen, 
die Bildung desselben beruht wahrscheinlich auf einer Keimverirrung (Bildungsanomalie). 

212) Sur le diagnostic clinique des tumeurs intrarachidiennes (presentation de 
pieces), par L. Beriel et Rollet. (Lyon medic. LII. 1920. Nr. 8.) Ref.: 
W. Misch. 

Mitteilung zweier Falle von Tumor der Riickenmarkswurzeln mit Kompression der 
Medulla: 1. Beginn mit Ulnarislahmung (Krallenhand). Dann Brown-Sequardsches Syn¬ 
drom und sympathische Vasomotorenstorungen des Gesichts mit heftigen Schmerzen. Die 
Autopsie ergab Tumoren der Zervikalwurzeln und einen Tumorknoten in den Meningen, der 
das Ruckenmark komprimierte. — 2. Radikulare Symptome in der Ulnarisregion mit auBerst 
heftigen Schmerzen. Anfangs wegen der begleitenden Pupillenstorungen und apoplektischen 
Insulte fiir eine luetische Radiculitis gehalten; dann aber als Wurzeltumor diagnostiziert 
wegen der Art und Tntensitat der Schmerzen und des negativen Liquorbefundes. Die Autopsie 
ergab stark entwickelte Tumoren der Zervikalwurzeln mit Affektion und Verwachsung des 
Knochens; auch auf der anderen Seite waren einige Wurzeln bereits im Beginn ergriffen; 
in der Hohe von D* war die Dura verdickt und komprimierte das Mark. 

Die Symptome der Wurzeltumoren sind die gleichen wie die anderer Affek- 
tionen mit Kompression von Wurzeln und Ruckenmark. Von syphilitischen, 
tuberkulosen und anderen Affektionen unterscheiden sich die Wurzeltumoren 
vor allem durch den intensiven, kontinuierlichen Schmerz, durch den die Diagnose 
gestellt werden kann. 

213) Ein Ruckenmarkstumor in der Schwangerschaft, von Carl Meyer. (Zen- 
tralbl. f. Gynakol. 1920. Nr. 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

23jahr. Erstgebarende mit Ruckenmarkstumor (spatere Sektion ergab ein Sarkom im 
unteren Hals- und oberen Brustmark). Geburt vollig schmerzlos und glatt, ohne Mitwirkung 
der Bauchpresse, fast ohne jedes Gefiihl. Die Wehen wurden nur in Form von leichtem 
Ziehen von der rechten Hufte nach der Vagina hin wahrgenommen, es war der Patientin 
wahrend der Geburt, als ob an der Scheide etwas gedehnt wtirde, am starksten beim Durch- 
tritt des kindlichen Kopfes. 

214) Zur Diagnose des Soliartuberkels der Medulla spinalis, von Richard Wagner. 
(Zeitschr. f. Kinderh. XXV. 1920.) Ref.: Zappert. 

Die nicht gerade groBe Kasuistik der solitaren Tuberkel des Riickenmarks 
wird um einen gut beobachteten Fall eines 14jahrigen Knaben bereichert. Die 
Symptome bestanden vornehmlich in Gehunfahigkeit, die unter Kopfschmerzen 
und Erbrechen eingesetzt hatte, Schmerzen im rechten Beine, Atrophie desselben 
und zunehmende Parese, allgemeine Hirnsymptome, unter denen der Pat. auch 
zugrunde ging. Die Autopsie ergab neben miliarer Tuberkulose multiple Hirn- 
tuberkel und einen etwa kirschkerngroBen Tuberkel im unteren Lendenmarke. 
Die Differentialdiagnose hatte zwischen einem Tuberkel und einer Kompression 
infolge Spondylitis geschwankt. 

215) Weiterer Verlauf bei einem im Januar 1912 operierten Falle von einem intra- 
medullaren Angiom und bei einem andern mit extramedullarem Tumor, von 


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Friedrich Schultze. (Deutsche med. Woehenschrift. 1920. Nr. 37.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

Verf. gibt die Katamnese eines frtther mitgeteilten Falles von operiertem intramedullarem 
Angiom (s. Neurol. Centr. 1913. S. 428); es war dauemde Heilung bis auf leichtes Nachschleifen 
des einen Seines und Storungen im Ulnarisgebiet der einen Hand noch nach liber 8 Jahren 
festgestellt. Ein Fall von exstirpiertem extramedullarem Fibrom bekam in 3 Jahren zwar 
keine Spur von spinalen Erkrankungserscheinungen wieder, wohl aber seit 2 1 /-, Jahren nacht- 
liche Epilepsieanfalle und hie und da auch am Tage kurze Bewufitseinsverluste. 

216) Sopra un caso di glioma emorragico del midolla spinale, per Artom. (Riv. 

di Pat. nerv. e ment. XXIII. Fasc. 2. 1918.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Es handelt sich um einen 39jahr. Mann, bei dem, ohne das Geringste in der Familien- 
geschichte aufzuweisen, ohne Schmerz und ohne Parasthesien sich innerbalb 3 Monate eine 
untere spastische Paraplegie mit Sphinkterstorungen, Massenlasionen bis zum Gebiete der 
3. Dorsalwurzel mit leichter spastischer Parese der oberen Glieder ausgebildet hatte. Die 
klinische Diagnose wurde auf Neubildung des Markes, deren Sitz mit maximaler Entwicklung 
im dorsalen Teile des Riickenmarkes bis zum 2. Segment und von hier durch einige Aus- 
laufer sich nach oben bis ins 6. Halssegment fortsetzend, gestellt. Die klinische Diagnose 
wurde fast in toto bei der Sektion bestatigt. Verf. weist nach, daB es sich um Rlickenmark- 
gliom handelte, das sich besonders zwischen dem 4. und 2. Dorsalsegment ausdehnte, sich 
unter Form eines sehr kleinen Knotchens langs des Zervikalkanals bis zum ersten Segment 
um den Zentralkanal herum verlangerte. Hervorzuheben war die Verschiedenheit, mit der 
das Gliom unter diffuser Gliose vom 5. bis zum 2. Dorsalsegment, als neoplastischer Knoten 
entsprechend dem ventralen Teile der Hinterstrange im Niveau des 1. Dorsalsegments, als 
Knoten um den Zentralkanal herum, langs des Zervikalmarkes bis zum 1. Segment auftrat. 
Den Schnitten entsprechend, wo die diffuse Gliose bestand, bemerkte man auf einer grofien 
Strecke einen Hohlraum. der in seinem unteren Teile von einer grofien Hamorrhagie ein- 
genommen war, die teils frisch, teils alt war. Verf. nimmt an, dafi dieselbe auf minimale 
Traumen zuriickzufuhren sei, welche bei der Untersuchung der Kranken entgehen. Das 
verschiedenartige Ausseben der intramedullaren Ghome und die Bildung der Hohle umfafit 
die Frage liber die Beziehungen der intramedullaren Gliome zur Svringomyelie. Verf. 
nimmt, vom pathologisch-anatomischen Standpunkte aus, eine enge Affinitat zwischen den 
beiden Krankheitsprozessen an. Doch ist er der Meinung, dafi es angebracht sei, einen Unter- 
schied vom klinischen Standpunkte aus anzunehmen, angesichts des grofien Unterschiedes 
der beiden symptomatologischen Bilder. 

Das Studuim der Degenerationen hat im vorliegenden Falle die fast vollstandige Zer- 
storung der Markbiindel, da, wo der Tumor infiltriert war, die voUstandige Integritat der- 
selben unterhalb dieses nachgewiesen. Dem Zervikalmark entsprechend war der Kontrast 
zwischen der scbweren Degeneration des zerebellaren Dorsalblindels und des ventralen be- 
deutend, die auf die Cauda beschrankt war. Dies hiefie annehmen. dafi letztere wesentlich 
aus absteigenden Fasern bestehe und aufsteigende nur der Cauda entsprechend aufweise. 
Doch konnte auch die von vielen geteilte Meinung richtig sein, dafi das ventrale Klein- 
himblindel aus aufsteigenden Fasern bestehe, die sich allmahlich dem dorsalen Kleinhim- 
blindel anlegen. Das Fortbestehen der Degeneration in dem kaudalen Teile lafit annehmen, 
dafi dieser aus langen aufsteigenden Fasern gebildet sei. Zur Stiitze dieser Behauptung fiihrt 
Verf. eine Beobachtung Ascenzis an. 

217) The Surgical Aspects of Spinal Tumours, by Sargent. (Brit. med. Journ. 
1920. 10. Jan.) Ref.: Schreiber. 

Verf. unterscheidet drei Gruppen von Riickenmarksgeschwiilsten; erstens 
solche, die innerhalb der Riickenmarkshiillen, aber aufierhalb des Markes selbst 
gelegen und abgekapselt sind, zweitens innerhalb des Markes gelegene und drittens 
aufierhalb des Markes und seiner Haute gelegene. Zur ersten Gruppe zahlen fast 
durchweg gutartige, leicht entfernbare Neubildungen; die Falle der beiden anderen 
Gruppen sind mehr diffus und samtlich bosartig. Die Operation bringt bei den 
Fallen der ersten Gruppe weitestgehende Wiederherstellung. Bemerkenswert ist, 
dafi sich nach volliger Wiederherstellung die alte Grenze der Gefiihlstaubheit 
noch jahrelang deutlich feststellen lafit. Ob wohl die Operation an sich nicht ge- 
fahrlich ist, kommen doch Todesfalle vor, teils infolge plotzlicher Magenerweiterung 
und paralytischen Ileus oder infolge dauernden Nachsickerns von Riickenmarks- 
fliissigkeit, teils solche ganzlich unerklarlicher Art. Die bosartigen Geschwiilste 


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der 2. und 3. Gruppe unterscheiden sich von denen der 1. Gruppe dadurch, daB 
die obere Grenze der Gefiihlsstorung wechselt und daB sich die Wurzelschmerzen 
iiber viele Segmente erstrecken. Den Hauptnutzen, den die Operation in diesen 
Fallen bringt, ist die Beseitigung der Schmerzen; mitunter bessert sich auch die 
Schwache der SchlieBmuskeln. Das Vorhandensein eines positiven Wassermanns 
sollte in verdachtigen Fallen von einer Operation nicht abhalten! Denn auch 
Luiker konnen an einer nichtsyphilitischen Neubildung des Riickenmarks er- 
kranken; auBerdem konnen Zusammenschniirungen des Riickenmarks durch 
bindegewebige Strange, wie sie nach gummoser Meningitis zuruckbleiben, durch 
die Operation erfolgreich beseitigt werden. 

218) Concerning spinal cord tumors and their surgical treatment, by Charles A. 
Elsberg. (American Journ. of the med. sciences. CLIX. 1920. Nr. 2.) 
Ref. Kurt Mendel. 

Von 67 Riickenmarkstumoren, die Verf. operiert hat, waren 49 extra-, 18 intra¬ 
medullar. Die Tumoren sitzen zumeist im Hals- und Dorsalmark oder in der 
Cauda equina, meist an der Hinterflache des Riickenmarks. In 60 von den 67 Fallen 
war die Diagnose auf Riickenmarkstumor mit einiger Sicherheit gestellt worden. 
7 von den 67 Patienten starben nach der Operation. 

219) Uber einige Falle von operierten Wirbel- und Riickenmarkstumoren, von Giov. 
Mingazzini. (Archivfiir Psychiatrie. LXII. 1920. Heft 1.) Ref.: G.Iiberg. 

Verf. beschreibt folgende 6 Falle: 1. Tumor der Cauda equina. Operation. Histo- 
logisehe Untersuchung ergab Peritholiom. Ein halbes Jahr spate r Tod durch Marasmus. 
2. Karzinom der Lenden- und der untersten Brustwirbel. Laminektomie. Tod wahrend 
der Operation. 3. Extraduraler Echinococcus, der die Brustwirbel komprimierte. Ent- 
femung, Heilung. 4. Zahlreiche Echinococcuszysten der Lendenwirbel. Entfemung, Heilung. 

5. Intradurales Fibrosarkom, das das Halsmark komprimierte.' Exstirpation, Heilung. 

6. Intradurales Fibrosarkom. Laminektomie der mittleren Brustwirbel, Heilung mit Defekt. 

220) Section of the anterolateral columns of the spinal cord for the relief of pain, 
A report‘of six cases, by Ch. H. Frazier. (Arch, of neurol. and psychiatry. 
IV. 1920. Nr. 2.) Ref.: W. Misch. 

Die von Spiller 1912 bei unertraglichen Schmerzen vorgeschlagene Durch- 
schneidung der Vorderseitenstrange des Riickenmarks wurde vom Verf. in 6 Fallen 
ausgefuhrt; in 3 Fallen handelte es sich um maligne Tumoren, in den drei iibrigen 
Fallen um SchuBverletzungen des Riickenmarks oder des Plexus lumbosacralis. 
Stets wurde nach der Operation ein mittelbares, vollstandiges Nachlassen der 
Schmerzen erzielt. Die Technik der Operation ist besonders schwierig und muB 
mit besonders konstruierten Instrumenten ausgefuhrt werden. Es sind wenigstens 
zwei Wirbelfortsatze zu entfernen. Die Durchtrennung hat wenigstens 4 Segmente 
oberhalb der betroffenen Stelle zu erfolgen, damit auch alle afferenten Faser- 
ziige sicher getroffen werden, doch wird empfohlen, noch 2 oder 3 Segmente zu- 
zugeben. Am geeignetsten ist aus technischen Griinden das 6. Thorakalsegment. 
Der Vorderseitenstrang ist 2 1 / 2 mm tief, es muB also der Schnitt so tief gefiihrt 
werden, um moglichst alle Fasern zu treffen. 

221) Operative Behandlung fortbestehender Spasmen und spastischer Lahmungen, 

von Fedor Krause. (Medizin. Klinik. 1919. Nr. 50.) Ref.: E. Tobias. 

Verf. bespricht die empfohlenen Methoden an der Hand von Beispielen. In 
dem ersten Falle wurde die Forstersche Operation vorgenommen. Die Spasmen 
wurden durch Druck von seiten des stark gespannten Liquor cerebrospinalis 
hervorgerufen. Gerade ihr volliges Verschwinden nach Ablassen des Liquors und 
ihr Wiederauftreten bei neuer Ansammlung beweist den ursachlichen Zusammen- 
hang, wahrend das Riickenmark an sich als gesund angesprochen werden muBte. 
In dem zweiten Falle wurden die Erscheinungen durch feste Massen innerhalb 


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des Wirbelkanals hervorgerufen, und zwar handelte es sich um Exostosen bzw. 
Ekchondrosen. 

Im letzten Abschnitt seiner Ausfiihrungen bespricht Verf. die operativen 
Eingriffe an den spastischen GliedmaBen selbst, vor allem die St of f elsche Operation. 

222) Rupture of the spinal cord in dystocia, by F. H. Kooy. (Journ. of *nerv. and 
ment. disease. LII. 1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 

Es wird ein Fall mitgeteilt von fast volliger DurchreiBung des Riickenmarks in Hohe 
des 9. und 10. Thorakalsegments bei der Geburt. Das Kind war durch Wendung und Ex- 
traktion entwickelt worden, die Schultern wurden nach der Mullerschen Methode entwickelt. 
Es bestand von der Geburt an bis zum Tode im 9. Lebensjahr eine Paraplegie, von der nur 
die Oberschenkelbeuger ausgenommen waren, vollstandiger Sensibilitatsverlust an den unteren 
Extremitaten, Incontinentia alvi et urinae und Decubitus in der Sakralgegend. Die mikro- 
skopische Untersuchung ergab, daB der Pyramidenvorderstrang die einzige lange Balm war, 
die von der Lasion verschont blieb; da der Iliopsoas funktionstuchtig blieb, ist anzunehmen, 
daB dieser Strang die Fasem zur Intumescentia lumbalis fiihrt. Die Sehnenreflexe waren 
in der er3ten Lebensperiode gesteigert, verschwanden aber spater. Aus der Untersuchung 
der aufsteigenden Degeneration geht hervor, daB die lumboeakralen Segmente wohl den 
groBeren Teil der Go 11 schen Strange und Kerne besetzen; die Fasem dieser tieferen Seg¬ 
mente endigen im medialen und mediodorsalen Teil der Nuclei graciles. 

223) Doubling of the spinal cord, by B. Lipshutz. (Arch, of neurol. and psy¬ 
chiatry. IV. 1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 

An einer 35jahr. Leiehe, deren Wirbelsaule keinerlei Verandenxngen aufwies, wurde 
folgender Befund am Ruckenmark erhoben: das Riickenmark war in seinem kaudalen Teile 
in zwei vollig symmetrische Halften gespalten, umgeben von einer gemeinsamen Durascheide 
und einer einzigen Arachnoidea. Die Bifurkation begann in der Hohe des 12. Brustwirbels 
und erstreckte sich bis zum auBersten kaudalen Ende, das in Hohe des 1. Sakralwirbels ge- 
legen war. Es bestanden zwei vollig getrennte Coni medullares, wahrend das Filum terminale 
beider Halften sich in Hohe des 3. Sakralwirbels zu einem einzigen vereinigte. Dicht unter- 
halb der Bifurkationsstelle befand sich ein uhrglasformiges Duraband, das, sagittal gerichtet, 
sich mit etwa 1 cm Breite an der vorderen und hinteren Durainnenflache ansetzte und, indem 
es in die dorsale Medianfissur eintrat, das Riickenmark vollkommen in seine zwei Halften 
teilte. Sonstige Veranderungen am Ruckenmark wurden nicht gefunden. Bemerkenswert 
waren nur einige KalkpJaques an der Arachnoidea, die jede von einer kleinen Arterie be- 
gleitet zu sein schienen. Es wird darauf hingewiesen, welche Gefahr eine Lumbalpunktion 
bei einem derartigen pathologisch verlangerten Ruckenmark bedeutet. 


Poliomyelitis, amyotrophische Lateralsklerose. 

224) Present status of poliomyelitis: Its etiology, pathology, clinical manifestations 
and the present methods of diagnosis and treatment, by M. Neustaedter. 
(Internat. clin. I. 1920. Ser. 30. p. 82.) Ref.: W. Misch. 

Nach Ansicht des Verf.’s ist bisher kein Erreger der Poliomyelitis bekannt, 
der von jedermann nachgeziichtet werden kann, der das typische klinische Bild 
mit den pathologischen Befunden im Experiment hervorzurufen vermag, von 
Tier zu Tier iibertragbar und auf gefarbten Schnitten demonstrierbar ist. Als 
Infektionsweg wird von alien Untersuchern der Eintritt durch die Nasenrachen- 
schleimhaut und der Aufstieg durch die perineuralen Lymphspalten angegeben; 
die Aufnahme erfolgt durch Einatmung oder mit infizierten Speisen. Besonders 
wichtig ist die Friihdiagnose vor Einsetzen der Lahmungen, um deren Eintritt 
verhindern zu konnen. Das praparalytische Prodromalstadium ist durch folgende 
Erscheinungen charakterisiert: Plotzlicher Beginn mit Fieber, Kopfschmerzen, 
Mattigkeit, zuweilen Zuckungen oder Konvulsionen, Schmerzen in Extremitaten 
und Riicken bei passiver Bewegung, zuweilen Magendarmstorungen und die 
charakteristische anamische, glanzend-odematose Beschaffenheit der Nasenrachen- 
schleimhaut. Im Liquor findet sich bereits im Friihstadium Lymphozytose (sel- 
tener Leukozytose) und EiweiBvermehrung, sowie Komplementfixation mit einem 


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Filtrat von poliomyelitis-infizieTtem Affenriickenmark als Antigen. Wahrend 
pathologisch-anatomisch die Erkrankung wohlcharakterisiert ist, stellt sie klinisch 
keine Krankheitseinheit dar; es lassen sich folgende Gruppen nach den vorherr- 
schenden Symptomen unterscheiden: 1. Zerebrale spastische Hemiplegien oder 
Monoplegien, 2. Affektionen der Hirnnerven, 3. schlaffe spinale Lahmungen, 
Briicken- und Kleinhirnsyndrome mit Tremor, Ataxie und Sprachstorungen und 
5. gemischte Typen. Da die Erkrankung durch gesunde wie durch kranke Keim- 
trager verbreitet werden kann, so sind prophylaktische MaBnahmen von groBter 
Bedeutung; vor allem ist mehrwochige Quarantine wichtig, ferner Desinfektion 
des Nasensekrets. Fur die Fruhdiagnose wird groBer Wert auf die oben beschrie- 
benen Liquorreaktionen gelegt. Therapeutisch wurden sehr gute Erfolge mit 
Rekonvaleszentenserum erzielt, das intraspinal in Dosen von 10—20 ccm taglich 
zu injizieren ist und auch gleichzeitig intravenos gegeben werden kann. 

225) Uber die Iniektiositat der Poliomyelitis anterior acuta, von Hubert Sie ben. 
(Psych.-neurol. Wochenschr. XXII. 1920/21. Nr. 13/14.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die epidemische und sporadische Form der Poliomyelitis anterior acuta sind 
streng voneinander zu scheiden, nur bei ersterer sind strengste Isolier- und Ab- 
sperrungsmaBregeln geboten. — ,,So gut wie bei dem Quinckeschen Odem der 
Sympathikus durch die verschiedensten Ursachen geschadigt werden kann, und 
zwar so, daB er immer in derselben Weise reagiert; ebenso konnen auch einzelne, 
d. h. bestimmte Systeme des Riickenmarks, hier also die Vorderhorner, durch 
verse hi edene Schadlichkeiten getroffen werden und jedesmal zu denselben oder 
ahnlichen Krankheitserscheinungen fiihren. Diese Schadlichkeiten konnten das 
eine Mai Bakterientoxine darstellen, das andere Mai etwa auf einer intestinalen 
oder sonstwie entstandenen Intoxikation beruhen.“ 

226) Untersuchung eines Falles von akuter Poliomyelitis bei einem Erwachsenen, 

von Johannes Grassmuck. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 
1920. Heft5 bis 6.) Ref. : Kurt Mendel. 

Fall von akuter Poliomyelitis bei einem 21 jahr. Schriftsetzer. Mikroskopischer Refund: 
Erweiterung der BlutgefaBe der Pia, des Ruckenmarksparenchyms, Erweiterung der Kapil- 
laren, der perivaskularen Lymphscheiden. Kleinzellige Infiltration der Riickenmarkswurzeln, 
der Pia, der bindegewebigen Septa und des Ruckenmarksparenchyms, hauptsachlich sich 
anschlieBend an den Verlauf der GefaBe. Kleinzellige Infiltration der grauen Substanz, vor- 
wiegend der Vordersaulen, besonders des Lendenmarkes, in geringerem MaBe der weiBen 
Substanz; Blutungsherdchen in den Vordersaulen des Lendenmarkes. Verschiedene Stadien 
der Degeneration der Ganglienzellen, namentlich der Vordersaulen, besonders im Lenden- 
mark. Quellung der Achsenzylinder und Verbreiterung und scholliger Zerfall der Mark- 
scheiden an einzelnen Stellen der weiBen Substanz mit fettiger Degeneration der zerfallenen 
Markscheiden und Achsenzylinder. Nach dem mikroksopischen Befunde demnach Polio¬ 
myelitis acuta. 

Verf. geht die diesbeziigliche Literatur durch. Er nimmt an, daB die Degene¬ 
ration der Ganglienzellen an die Infiltrationsherde, auch dem Grade nach, ge- 
bunden ist. Die Poliomyelitis anterior ist eine allgemeine Infektionskrankheit 
mit vorwiegender Affektion des Zentralnervensystems infolge besonderer Affinitat. 
der nervosen Elemente zu dem spezifischen Virus. Histopathologisch ist der 
ProzeB eine akute lymphozytare, nicht eitrige Entziindung der Intersti tien, der 
perivaskularen Lymphscheiden und des Parenchyms, mit gleichzeitige r degene- 
rativer Alteration der Ganglienzellen und der Nervenfasern. Das Virus gelangt 
zum Zentralnervensystem sowohl durch das GefaB- wie auch das Lymphsystem. 

227) Progressive Muskelatrophie nach (rezidivierender) Poliomyelitis, von L. Kaum- 
heimer. (Zeitschr. f. Kinderheilk. XXV.) Ref.: Zap pert. 

Die nicht gerade haufige Tatsache, daB sich einer echten Poliomyelitis spater eine 
Muskelatrophie anschlieBt, wird durch einen gut beobachteten Fall bestatigt. Auffallend 
ist das friihe Alter des Patienten, sowie die in mehrfachen Scbuben erfolgte poliomvelitiscbe 


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Erkrankung. Die Muskelatrophie, welche sich etwa 5 Jahre spater einstellte, wax nach Art 
der Pseudohypertropbia muscularis kombiniert mit anderen Muskeldefekten. Verf. glaubt 
nicht an einen Zusammenhang beider Erkrankungen, sondem an ein zufalliges Auftreten 
der Muskelaffektionen bei einem Patienten. 

228) Soil 9 atrofia muscolare progressiva, tipo Charcot-Marie, per Artom. (Arch, 
gener. di Psichiatria. I. Fasc. 1. p. 30.) Ref.: Fumarola. 

Verf. studiert in dieser Arbeit vier Patienten aus ein und derselben Familie, 
welche eine klassische Form von progressiver Muskelatrophie Typus Charcot- 
Marie aufweisen. Die bei einem derselben vorgenommene Sektion lieB im Riicken- 
marke eine Rarifizierung des gekreuzten Pyramidenbiindels und des Seitenstrang- 
biindels, Degeneration des Gollschen Biindels (die man bis zu dem atrophischen 
Gollschen Kern verfolgen konnte), Degeneration, Atrophie und Schwund der 
Zellen der Vorderhorner mit Rarefizierung desNetzes der Fasern der Clarkeschen 
Saule, Degeneration der hinteren Wurzeln, der Nerven und der Muskeln wahr- 
nehmen. 

Bei dieser Sektion, wie iiberhaupt bei den vorhergehenden (denen des Verf.’s 
und jenen aus der Literatur), waren die Lasionen der Vorderhornzellen schwer. 
Diese Tatsache, vereint mit dem XTbergewicht und der Prakozitat der motorischen 
Storungen gegeniiber den sensiblen, fiihrt zu der Annahme, daB der krankhafte 
ProzeB in den Vorderhornzellen einsetzt, daher die Lasionen des peripheren 
motorischen Neurons und der Muskeln. Sodann verbreitet sich der ProzeB von 
den Vorderhornern auf das sensible Neuron, durch die Fasern, die von vielen 
als reflexe kollaterale gedeutet werden (und die im Falle des Verf.’s verletzt waren). 

Sodann betrachtet Verf. die nosologische Wesenheit der Muskelatrophie vom 
Typus Charcot-Marie und kommt zur SchluBfolgerung, daB dieselbe nur ein 
Syndrom der progressiven Muskelatrophie vom peronealen Typus sei. Bei dieser 
kann man schon jetzt vier Typen unterscheiden: 

1. einen Typus, den man in der Unsicherheit, in der wir uns beziiglich der 
Natur des pathologisch-anatomischen Prozesses befinden, spino-neurotisch nennen 
kann, 2. einen myopathischen Typus, 3. einen chronischen neuro-myopathischen 
und 4. einen von syphilitischer Meningomyelitis abhangenden Typus. 

Endlich weist Verf. beziiglich des Verhaltnisses hypertrophischer intersti- 
tieller Neuritis zur Muskelatrophie vom Typus Charcot-Marie nach, daB die 
Frage noch als ungelost betrachtet werden muB. 

229) The Place of Muscle Re-education in the Treatment of Anterior Poliomyelitis 
(Infantile Paralysis), by Mackay. (Brit. med. Journ. 1920. 2. Okt.) Ref.: 
Schreiber. 

Die gelahmten Muskeln sind bei richtiger Behandlung in weitem Umfange 
erholungsfahig. Die Behandlung hat nach Abklingen der entziindlichen Erschei- 
nungen unverziiglich einzusetzen, bevor noch Lageanomalien oder bindegewebige 
Veranderungen eingetreten sind. Die Behandlung hat in zweierlei zu bestehen. 
Zunachst miissen die gelahmten Glieder auf besonders gebauten und gut sitzenden 
Schienen ritfhtig gelagert werden, so daB sich die Muskeln in anatomischer Ruhe- 
lage befinden. Besonders wichtig ist dies fur die oberen GliedmaBen, die zur Ver- 
meidung eines Schwundes der Muskeln des Schultergiirtels auf rechtwinkligen 
Abduktionsschienen liegen miissen. Alsdann miissen die gelahmten Muskeln ein- 
oder mehrmals am Tage auf kurze Zeit planmaBig geiibt und zu ihrer Funktion 
wieder erzogen werden. Daneben sorgfaltige Allgemeinpflege des Kranken, Ver- 
meidung jeder Gberanstrengung und Ermiidung, Warmhalten der gelahmten 
Glieder und leichte Massage vor Beginn der Dbungen. Auf diese Weise gelingt 
es in der Mehrzahl der Falle, die gelahmten Muskeln, die andernfalls veroden 
wiirden, ihrer Aufgabe zu erhalten. 


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230) Nota clinica su di un caso di sderosi lateral© amiotrofica combinata con lesione 
dei fasci cerebellari, per U. Monguzzi. (Giorn. di med. milit. LXVIII. 1920. 
Nr. 7.) Ref.: W. Misch. 

Ein 20jahr. Saldat, der 1918 eiu Hungerddem durchgemacht hatte, erkrankte ein halbes 
•Jahr spater mit unsicherem, spastisch-peratischem Gang, Intentionstremor, Romberg, 
Steigerung aller Sehnenreflexe, FuB- und Patellarklonus, Babinski, Nystagmus und fara- 
discher Untererregbarkeit. Im weiteren Verlauf wmrde der Gang schwer zerebellar, es traten 
Schluck- und Sprachstorungen und schwerste Atrophien an den Extremitaten bei gesteigerten 
Sehnenreflexen, Cloni und vollig erhaltener Sensibilitat auf. Es wird angenommen, daB 
eine amyotropliische Lateralsklerose mit Lasion der zerebellaren Bahnen toxiacher, wahr- 
scheinlich mit dem Hungerddem in Kausalzusammenhang stehender Atiologie vorliegt. 


Multiple Sklerose. 

231) Zur Atiologie und Pathogenese der Herdsklerose, von H. Higier. (Gazeta 

Lekarska. XXXVIII. 1919.) Eigenbericht. 

Eingehende kritiscbe Besprechung und Analyse der neuesten Arbeiten au^ 
diesem Gebiete, speziell der bakteriologischen (Bullock, Simons, Kuhn und 
Steiner, Siemerling, Westphal, Steiner), serologischen und mikroskopischen, 
die liber die gefundene Spirochate handeln, liber die Uberimpfbarkeit der Herd¬ 
sklerose, liber die Zecken als Krankheitslibertrager und liber die typischen Bau- 
eigentlimlichkeiten der Nerven- und Gliazellen der Sklerose berichten. 

232) Spirochatenbefund bei multipier Sklerose, von Jul. Blischer. (Archiv f. 

Psych. LXII. 1920. Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von lumbosakraler Form der multiplen Sklerose mit zerebralen Erscheinungen. 
Auf mehreren Abstriehpraparaten von verschiedenen grauroten Herden werden vereihzelte 
Spirochaten bei Beobaehtung im Dunkelfelde 15 und 39 Stunden nach dem Tode in wellen- 
schlagartiger Eigenbewegung gefunden. Im Laufe der Untersuchung entfemen sie sich 
deutlich von Vergleichspunkten. Sie erscheinen ziemlich kurz und gedrungen. 

233) Combined sclerosis due to anemia o! the pernicious type: report of case, bv 

F. H. Redwood. (Journ. of the amer. med. Assoc. LXXIV. 1920. Nr. 15.) 

Ref.: W. Misch. 

Bei einer 48 jahr. Frau hatten sich anfangs Reizerscheinungen, dann Taubheit in den 
FiiBen eingestellt, und allmahlich entwickelte sich eine schwere Gangstorung, die von Lbel- 
keit, Obstipation und Kreuzschmerzen beim Gehen begleitet war. Es fand sich ein spastisch- 
paraplegischer Gang, Unsicherheit beim Stehen; lebhafte, doch symmetrische Tiefenreflexe 
ohne Klonus und Babinski bei fehlenden Oberflachenreflexen. Ausgesprochene Schwache 
in alien vier Extremitaten; an den Beinen analgetische Zonen und Stellen mit herabgesetzter 
Schmerzempfindung. An den Zahnen fanden sich rontgenologisch vier tiefe Abszesse. Im 
Liquor fanden sich 100 Zellen bei sonst negativen Reaktionen. Allmahlich nahmen die Be- 
schwerden weiter zu. Die Tiefenreflexe fielen aus, Babinski und Fufiklonus wurden positiv, 
die Tiefensensibilitat erlosch, es stellte sich vollige Incontinentia urinae et alvi ein. Wahrend 
das Blutbild anfangs normal war, fand sich nunmehr eine Verminderung der roten Blut- 
korperchen auf 2,3 Millionen mit zahlreichen unreifen und pathologischen Formen, sowie 
eine Vermehrung der weiBen Blutzellen unter Vermehrung der Lymphozyten. Exitus trat 
8 Tage spater ein. 

234) Uber familiare multiple Sklerose, von Hans Curschmann. (Deutsche Zeitschr. 

f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 5 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Hereditar belasteter 14 jahr. Gymnasiast mit rasch fortschreitender, typischer multipier 
Sklerose. Im AnschluB an einen Hechtsprung ins Wasser (ohne Zeichen von H imcrschiitterung) 
trat als erstes Symptom der Krankheit eine retrobulbare Neuritis auf. Schwester des 
Vaters litt 13 Jahre lang an multipler Sklerose (Krankengeschichte wird vom Verf. 
mitgeteilt). Direkte Ansteckung von der Tante aus unmoglich. Vetter der Mutter litt 
in seiner Jugend ebenfalls an einer spastischen Parese beider Beine, die zur 
volligen Gehunfahigkeit flihrte; er wrurde aber angeblich vollig geheilt. Eine doppel- 
seitige spezifische familiare Belastung mit multipler Sklerose ist nicht ganz auszuschlieBen. 


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235) Beitrag zur Therapie der multiplen Sklerose mit Silbersalvarsan, von Ludwig 
Stern-Piper. (Munchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 34.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

Fall von 7 Jahre bestehender multipler Sklerose. Nach 2,0 g Silbersalvarsan (Einzel- 
dosis 0,1 bis 0,15, wochentlich zwei Injektionen) deutliche Besserung des Ganges, der sexuellen 
Fahigkeiten und der Blasenbeschwerden. Beide obere und rechte mittiere Bauchreflex, 
die friiher fchlten, jetzt schwach auslosbar, sonst objektiv gleicher Befund wie vordem. In 
einem zweiten Falle von multipler Sklerose trat gleichfalls nach Silbersalvarsan Besserung 
ein, ein dritter blieb unbeeinfluBt. 


Syringomyelie. 

236) Zur Kenntnis der Syringomyelie, von H. Stursberg. (Deutsche med. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 44.) Ref.: Kurt Mendel. 

65jahrige Frau. Seit 6 Jahren eigenartige unwillkurliche ticartige Bewegungen,, 
besonders nachts, nicht schmerzhaft, zuerst in der rcchten groBen Zehe, dann auch zeit- 
weise in den iibrigen rechten Zehen, schlieBlich auch links. Seit l 1 /., Jahren heftige 
Schmerzen in der linken Unterbauchseite (Knochensarkom), seitdem waren die unwillkiir- 
lichen Bewegungen der linken Zehen geschwunden, wahrend sie rechts unverandert fort- 
bestanden. Zeitweise unwillkurliche Harn- und Stuhlentleerungen. Befund: Knie- und 
Armreflexe gesteigert, Babinski rechts verdachtig, Bauchreflexe herabgesetzt, Atrophie 
der Zwischenknochenmuskeln der rechten Hand; keine dissoziierte Etapfindungslahmung. 
Diagnose: Riickenmarksleiden unsicherer Art (Syringomyelie??, amyotrophische Lateral- 
sklerose?). Sektion: Hohlenbildung und Gliose im Ruckenmark in groBer Ausdehnung 
(Hals- bis Lendenmark). Die unwillkiirlicken Zehenbewegungen sind als Folge 
der Gliose im Lendenmark a nz use hen. Auffallend ist bei der Patientin der sehr 
spate Beginn der Erscheinungen (6. Lebensjahrzehnt). DaB die Bewegungen im linken 
FuB aulhorten, seit sich infolge des Knochensarkoms die heftigen Schmerzen am Hiiftbein 
einstellten, ist wohl auf eine reflektorische Beeinflussung der motorischen Bahnen durch 
die heftige Reizung der Empiindungsnerven zuriickzufuhren. 

237) Syringomyelie mit Teratom- und extramedullarer Blastombildung, von Max 

Bielschowsky u. Ernst Unger. (Journ. f. Psychol, u. Neurol. XXV. 
1920.) Ref: Kurt Mendel. 

Ausfiihrliche Mitteilung eines Falles. Auf Grund ihrer Befunde und patho- 
genetischen Betrachtungen gelangen die Verff. zu der Auffassung, daB Syringo¬ 
myelie und Gliose wesensgleiche Prozesse sind, welche sich nur auf dem Boden 
von friihembryonalen Entwicklungsstorungen ausbilden konnen. Diese Storungen 
sind der Ausdruck einer fehlerhaften Anlage, sind also endogener Natur und werden 
nicht durch die Einwirkung exogener Schadlichkeiten auf das embryonale 
Zentralorgan hervorgerufen. Sie beruhen auf fehlerhaften SchlieBungsvorgangen 
des embryonalen Medullarrohres und Entwicklungshemmungen an den Spongio- 
blasten. Das Verhalten des GefaBapparates spricht da, wo eine wesentliche Be- 
teiligung desselben an den Krankheitsprodukten vorliegt, entschieden fur die 
Auffassung, daB auch vaskulofibrose Veranderungen auf friihembryonalen Ent¬ 
wicklungsstorungen beruhen und auf dem Boden mesenchymaler Gewebsver- 
lagerung entstehen. Eine im postfotalen Leben erworbene Syringomyelie oder 
Gliose gibt es nicht. Von der echten Syringomyelie scharf zu trennen sind die 
sekundaren Hydromyelien sowie die auf exogenen Schadlichkeiten (Traumen, 
Infektionserreger) beruhenden rohrenahnlichen Riickenmarkshohlen. Bei diesen 
erworbenen Hohen besitzen die Wandelelemente niemals die Fahigkeit zu aktiver 
Progression. 

238) Erkrankung des Halsmarks im Friihstadium der Syphilis unter dem Bilde 
der Syringomyelie, von Walt her Blumenthal. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift. 1920. Nr. 33.) Ref.: Kurt Mendel. 

22jahr. Patient. September 1919 Lues. 5 Wochen spater beide Hande wie ab- 
gestorben, daselbst dissoziierte Empfindungslahmung, entsprechend einem isolierten kleinen 


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Herd im 7. Zervikalsegment in der Nahe des Zentralkanals. Diagnose: syphilitiscbe Er- 
krankung des Halsmarkes. Auf antisyphilitische Behandlung, wahrend welcher voriibergehend 
eine leichte Ungleichheit der Patellar- und Bauchreflexe auftrat, gingen die Halsmark- 
erscheinungen langsam zuriick. 


Tabes, Friedreichsche Krankheit. 

239) Un caso di „tabes dorsalis" con manifestazioni sifilitiche (gomme) e con 
reperto della spirochaeta pallida nel tessuto calloso circostante all’ulcera 
perforante, per Augusto Giannelli. (II Policlinico, Sez. Med. XXVI. 
1919. Fasc. 10.). Ref.: Paul Hanel (Bad Nauheim-Bordighera). 

Bei einem 42 j a hr. ausgesprochenen Tabiker fand Verf. am Perineum und an der 
linken vorderen Tibiaflache je ein Gumma, sowie in dem kallosen Gewebe in der Umgebung 
eines Ulcus perforans an der linken FuBsohle zwei ganz sichere Spirochaten (Farbung nach 
Noguchi und nach Ciarla); die kallosen Lamellen enthielten kleine runde Korperchen 
in so groBer Zahl, daB sie einem Siebe glichen. Diese Komchen sind nach Verf.s Ansicht 
zum Treponema pallidum in Beziehung zu bringen und werden von einigen Autoren als 
echte Sporen der Spirochate angesehen. Manifeste Zeichen sekundarer oder tertiarer 
Syphilis werden intra vitam bei Tabikern nicht haufig gesehen, und der Befund von 
Spirochaten im kallosen Gewebe eines Ulcus perforans pedis steht nach Verf.s Kenntnis 
der Literatur einzig da. Die beiden Gummata und das Ulcus perforans heilten bei 
spezifischer Behandlung mit Hg und KJ, die Tabes blieb unbeeinfluBt, der Pat. verstand 
sich nicht zu intra venose n Neosalvarsaninjektionen. (Eine Mikrophotographie der Spiro¬ 
chaten). 

240) Le tonus et la fonction motrice dans les troubles oculo-moteurs, par A. Lit- 
vak. (Revue neurolog. XXVII. 1920. Nr. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Beobachtungen besonders an Tabikern. Verf. macht aufmerksam auf den 
Gegensatz zwischen dem Tonuszustand, in welchem sich die Augenmuskeln be- 
finden, und der Erhaltung der Funktionen, welche dieselben vollfiihren konnen, 
d. h. zwischen Tonus und Motilitat. So sah Dagnini bei Tabes einen Gegensatz 
zwischen der Atonie des Levator palpebrae sowie des Rectus internus in der Ruhe 
und dem Grad der funktionellen Aktivitat, deren diese Muskeln unter dem Ein- 
fluB des Willens fahig waren, und fiihrt diese Dissoziation auf eine Kernlasion 
zuriick. Verf. sah diesen Gegensatz zwischen Tonus und Motilitat gleichfalls bei 
Tabikern, ferner bei syphilitischen Affektionen des Zentralnervensystems, so daB 
das Phanomen als pathognomonisch fiir metasyphilitische Erkrankungen an¬ 
gesehen werden kann. Bei nicht spezifischen Lasionen sieht man hingegen oft einen 
viel geringeren Grad von Atonie, aber einen gewissen Grad von Parese. Neben 
einer paralytischen Ptose existiert auch eine atonische. Die Ptosis kann lediglich 
beruhen auf einer Abschwachung des Lidtonus. 1st die atonische Ptosis ziemlich 
ausgesprochen, so spricht dies fiir eine syphilitische Affektion (Tabes, Paralyse, 
Endarteriitis specifica, praataktisches Stadium der Tabes). 

241) Seltener Fall von Tabes, von Oskar Eiszenmann. (Orvosi Hetilap. 1920. 
Nr. 42.) Ref.: Hudovernig. 

Typische Tabes bei einem 43jahr. Landmann mit auffallend starker Beteiligung des 
Trigeminus und Hypoglossus. Erstere findet ihren Ausdruck in raschem sclimerzlosem 
Ausfall der Zahne, GefUhllosigkeit im Gebiete samtJicher Trigeminusaste und Fehlen der 
Komeal-, Bindehaut-, Nasenschleimhaut- und Rachenreflexo. Fiir Lasion des Hypoglossus 
flprechen Atrophie der rechten Zungenhalfte mit fibrillaren Zuckungen. Per analogiam 
der Spielmeyerschen Tripanosomatabes nimmt Verf. eine angeborene familiare Minder- 
wertigkeit des Trigeminus und Hypoglossus an, mit welcher er das elektive Befallensein 
des V. und XII, Himnerven durch die Spirochaten erklart. 

242) Contribution & l’etude de Pataxie tabetique, par Noica. (Revue neurologique. 
XXVII. 1920. Nr. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

I. Die tabische Pseudo-Athetose. Die Athetose der Tabiker ist eine 
ataktische Erscheinung, die nur auf den ersten Blick der wahren Athetose ahnelt; 


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sie ist hervorgerufen durch eine muskulare Disharmonie, die ihrerseits abhangt 
von einem schnellen Verlust der Kontraktion der Extensoren im Verlauf des 
statischen Gleichgewichts. Die athetoiden Bewegungen der Tabiker treten nur 
auf, wenn der Kranke den Arm in die Luft hebt und ihn in unbeweglicher Stellung 
zu erhalten sucbt, mit der Hand in Pronation, ausgestreekten und gespreizten 
Fingern, wahrend bei ruhender Hand keine Bewegung sichtbar wird, auch dann 
nicht, wenn Pat. mit dem anderen Arm oder den Beinen eine Bewegung ausfiihrt. 
Die athetoiden Bewegungen des Tabikers horen unmittelbar und vollstandig 
auf, sobald der Kranke die Anstrengung, den Arm erhoben zu halten, aufgibt. 
Demgegeniiber zeigen sich bei der wahren Athetose des infantilen Hemiplegikers 
die athetotischen Bewegungen, sobald der Kranke den gesunden Arm oder eine 
der unteren Extremitaten bewegt, und sie horen auch nicht sofort auf, wenn Pat. 
die Bewegung einstellt. 

II. Kombinierte Beugung des Oherschenkels und Rumpfes. 
Fordert man Tabiker auf, sich mit gekreuzten Armen sitzend zu erheben, so fiihren 
sie diese Bewegung mehr minder gut aus, zu gleicher Zeit beugen sich aber auch 
die Oberschenkel; diese Flexion ist ungleich, in einem Beine ausgesprochener als 
im anderen. Das gleiche Phanomen wuxde von Babinski bei GroB- und Klein- 
hirnlasionen gefunden; bei Hemiplegien sieht man es nur am Bein der kranken 
Seite, bei Kleinhirnlasionen beiderseits zugleich und gleich stark, bei Riicken- 
markslasionen beiderseits, doch ungleich, starker auf der mehr ataktischen Seite. 
Das Phanomen beruht auf einem Fehlen genugender Fixation in den Hiiftgelenken. 

III. Anstrengungsataxie. Fordert man Tabiker auf, sich mit herab- 
hangenden Beinen auf den Bettrand zu setzen und den Dynamometer fest zu 
driicken, so beobachtet man, daB, je mehr sich Pat. Miihe gibt, um so mehr 
strecken sich ein oder beide Unterschenkel, bis sie vollig einen graden Winkel 
bilden. Sobald Pat. zu driicken aufhort, fallen die Beine fast unmittelbar in ihre 
Ruhestellung zuriick. Das Bein mit starkerer Ataxie zeigt meist das Phanomen 
ausgesprochener. Zuweilen fiihren die FiiBe gleichzeitig eine Innenrotations- 
bewegung aus. Diese Anstrengungsbewegungen konnen — im Gegensatz zu den 
spastischen assoziierten Bewegungen der Hemiplegiker — durch den Willen des 
Kranken verhindert werden. 

243) ttber einige Besonderheiten der Lagewahrnehmungsstdrungen and der Ataxie 
und ihre psychologische Interpretation, von Jeno Kollarits (Schweizer 
med. Wochenschrift. 1920. Nr. 40.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Lagewahrnehmungsstorungen der Tabiker zeigen oft graduelle Tages- 
schwankungen: morgens unmittelbar nach dem Erwachen staunen die Kranken 
oft dariiber, wie ihre Hand, ihre Finger, ihr Bein sich in ganz anderer Lage be- 
finden, als sie es dachten. Diese sich unmittelbar nach dem Erwachen bemerkbar 
machenden ziemlich groben Fehler heben sich beim vollstandigen Wachsein oder 
schwachen sich ab. Diese Nachschlafstorung der Lagewahrnehmung kann als 
Friihsymptom gelten. Wahrscheinlich vergroBert der Zustand nach dem Erwachen 
auch andere Symptome, z. B. Anasthesien, Paresen usw. Verf. sucht diese Er- 
scheinungen, insbesondere auch die tabische Ataxie psychologisch zu inter- 
pretieren. Bei tabischen Frauen sah er sehr oft trippelnden Gang als Folge ihrer 
Angstlichkeit: sie haben nicht den Mut, weitausholende Bewegungen zu machen, 
die Schritte sind daher kurz, zaudernd, tastend; das Bein traut sich nicht, sich 
vom FuBboden abzuheben. 

244) Knochen- und Gelenkerkrankungen bei Erkrankungen des Zentralnerven- 
systems, von Severin Robinski. (Zeitschr. f. klin. Medizin. 'LXXXIX. 
1920. Heft 5 u. 6.) Ref.: Kurt Mendel. 


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240 


Haufige Ursache von Gelenk- und Knochenerkrankungen sind die Syringo- 
myelie und die Tabes. Meist fehlen Schmerzen. Das Rontgenbild ist von hoher 
diagnostischer Wichtigkeit. Bei Tabes wird das Kniegelenk am haufigsten er- 
griffen. Das Leiden erstreckt sich iiber viele Jahre, bleibt nicht selten stationar. 
Mindestens die Halfte aller Arthropathien fallt in das vorataktiscbe Stadium der 
Tabes. Zur Erklarung der Spontanfrakturen ist eine besondere Knochenbrtichig- 
keit anzunehmen, dieselbe beruht auf Veranderungen im Knochen selbst (Osteo- 
porose, Vaskularisierung der Kompakta, Verminderung der elastischen Fasern, 
Howshipsche Lakunen, besonders aber unarchitektonischer Aufbau der Zug- 
und Druckbalkchen. Ein ,,Unfair 4 ist zum Zustandekommen einer Arthropathie 
oder eines Spontanbruches nicht erforderlich. 

245) Die chirurgische Behandlung der Knochen- und Gelenkerkranknngen bei 

Tabes dorsalis, von Hans Holfelder. (Therap. Monatsh. 1920. Heft 2.) 

Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. beschreibt zunachst die Arthropathie, die eigenaTtige Querfraktur bei 
der Tabes und iiberhaupt die abnorme Briichigkeit der tabischen Knochen, die 
auf der isolierten Abnahme der faserigen und elastischen organischen Knochen- 
bestandteile beruht, die zu einem relativen Uberwiegen der Kalksalze fiihrt. Die 
Heilungstendenz ist gut, wenn nicht Sekundarinfektionen (Cystitis, Decubitus) 
erfolgen. Extensionsverbande sind unangebracht, vorzuziehen ist ein gut ge- 
polsterter Gipsverband. 

Die Arthropathien sind im ersten Anfang kaum von der Arthritis deformans 
zu unterscheiden. Wichtig ist dann das Rontgenbild, aus dem allein man wegen 
folgender Kennzeichen die Arthropathie diagnostizieren kann: keine Atrophie 
der Knochen, Verknocherungen der Kapsel und der umgebenden Weichteile und 
kalkhaltige sichtbare freie Gelenkkorper. Therapeutisch ist in erster Linie ein 
Schienenhiilsapparat zu empfehlen. Fiihrt er nicht zum Ziele, so mache man 
einen Versuch mit der Gelenkresektion, bei der allerdings peinlichste Asepsis 
erforderlich ist. Sie ist kontraindiziert bei vereiterten Arthropathien oder bei 
solchen mit einer Gelenkfistel und bei Tabikern mit Cystitis und Harntraufeln 
oder mit progredientem Grundleiden. 

246) Die chirurgische Behandlung der gastrischen Krisen bei Tabes dorsalis, von 

Hans Holfelder. (Therapeut. Halbmonatshefte. 1920. Heft 11.) Ref.: 

E. Tobias (Berlin). 

Wir sind in der Lage, die gastrischen Krisen der Tabes nach ihren klinischen 
Erscheinungen ziemlich genau pathogenetisch zu analysieren und daraus folge- 
richtig die Indikation fur den entsprechenden chirurgischen Eingriff herzuleiten. 
Die Ursache ist stets in einer isolierten Erkrankung der sensiblen Magennerven 
zu suchen, die motorischen Reizerscheinungen entstehen reflektorisch. Alles 
kommt darauf an festzustellen, ob die sensiblen Sympathikusfasern, die durch 
die Splanchnici und die hinteren Spinalganglien zum Zentralnervensystem ziehen, 
oder ob der Nervus vagus Sitz der Erkrankung ist. Weisen die Symptome auf 
den Vagus hin (gesteigerter EpigasteTreflex, Herzerscheinungen, Larynxstorungen) 
so ist chirurgisch die subphrenische Durchschneidung der Vagusendigungen an 
der Cardia mit nachfolgender Gastroenterostomie (wegen Lahmung und Atonie 
des Magens) zu empfehlen. 

Fur die Mehrzahl der Falle kommt die Forstersche Operation in Betracht. 
Verf. ist dabei fur die alte Forstersche Technik und empfiehlt sie in alien Fallen, 
bei denen die Beteiligung des Vagus ausgeschlossen werden kann und der All- 
gemeinzustand des Kranken die erfolgreiche Durchfiihrung der groBen Operation 
erhoffen laBt. Bei sehr geschwachten Patienten rat Verf., erst nach Konig eine 
voriibergehende Heilung durch Unterbrechung der erkrankten Nervenbahnen 


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mittels Novokaininjektion anzustreben und zunachst den Kranken zu k^aftigen, 
bevor man den ganzen Eingriff wagt. MiBlingt diese Kraftigung, so kann man 
die Frankesche Operation vornehmen: die Durchschneidung der Interkostal- 
nerven und das HerausreiBen des zentralen Endes, wobei in der Regel das zu- 
gehorige Ganglion mit herausgerissen wird. Eine Ischiadicusdehnung, wie sie 
SchiiBler bei tabischen Krisen empfiehlt, hat Verf. nicht vorgenommen. 

247) Ein Beitrag zur Pathologie der tabischen Darmkrisen, von Georg Sandberg. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk LXV. 1920. Heft 3 bis 6.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

3 Tabesfaile werden initgeteilt. Plotzlich auftretende und ebenso schnell 
wieder sistierende, heftige, kolikartige Schmerzanfalle mit blutig tingiertem Stuhl, 
Abgang von Membranen, Tenesmus oder weichen waBrigen Diarrhoen. Chronische 
Obstipation stellt ein begiinstigendes Moment fiir das Auftreten von Darmkrisen 
dar. Bei Tabikern, die zugleich an Verstopfung leiden, beobachtet man nicht selten 
Blutungen, die nach der ganzen Art ihres Auftretens mit Sicherheit aus den 
oberen Partien des Mastdarmes stammen. Gegen diese Blutungen wirkt Jodkali 
am besten. Rektoskopisch ist meist eine Hyperamie der Schleimhaut festzustellen. 
Als Ursache der Blutung sind Schleimhautdefekte, bedingt durch trophische 
Storungen, anzusehen. Im Gegensatz zu den gastrischen Krisen, die mitunter 
lange Zeit das einzige Symptom der Tabes sein konnen, sind bei dem Auftreten 
der Darmkrisen stets auch andere Symptome der Tabes bereits nachweisbar. 

248) tJber psychisch^ Storungen bei Tabes, von Brodniewicz. (Allg. Zeitschr. 
f. Psych. LXXV. Heft 6.) Ref.: Zingerle. 

Die Tabespsychosen treten in zwei Formen auf: als akute, rasch voriiber- 
gehende krisenartige Storungen und als langer dauernde paranoische Erkrankungen. 
Die krisenartigen Psychosen der ersten Gruppe verlaufen unter dem Bilde einer 
halluzinatorisch-deliriosen- Erregung oder, wie in einem der vom Verf. mitgeteilten 
Falle, als einfach dammerige Erregung nach Art eines pathologischen Rausch- 
zustandes. Wahrscheinlich ist dieses Bild auf eine plotzliche, starke Gehirn- 
schadigung durch Toxine bzw. Spirochaten zu beziehen. 

Die beiden paranoiden Falle des Verf.’s entsprechen ebenfalls nicht den ge- 
wohnlich geschilderten halluzinatorisch-paranoischen Formen, sondern zeigen 
eine bisher nicht beschriebene rein kombinatorische Wahnbildung mit Beziehungs- 
wahn, Erinnerungstauschungen und einheitlicher, gleichbleibender Wahnbildung, 
so daB die Falle mehr an Wahnpsychosen mit iiberwertiger Idee erinnern. Sie 
sind wahrscheinlich durch eine schleichende, schwachere Gehirnschadigung zu 
erklaren, wobei eine hypoparanoische Veranlagung, wenigstens in einem Falle, 
begunstigend mitgewirkt hat. 

249) ttber Tabespsychosen, von R. Siwinski (Medycyna. XXXY. 1918.) Ref.: 
H. Higier (Warschau). 

Psychosen sind bei Tabes ziemlich selten, leichte allgemeine psychische 
Storungen dagegen relativ haufig. Sie auBern sich in Gedachtnisschwache, ge- 
steigerter Erregbarkeit, Schwankungen in der Emotionssphare, egoistischem Ver- 
halten, Indifferenz zur Umgebung. Gelegentlich begegnet man Depression, Zank- 
sucht, Querulieren, seltener Euphorie. Als charakteristische Psychosen imVerlauf 
der Tabes betrachtet Yerf. paranoide Formen mit Illusionen, Halluzinationen 
und Angst, die an das halluzinatorische Alkoholdelir erinnern. Das Leiden dauert 
mehrere Wochen bis Monate, zuweilen rezidiviert es, seltener sind chronische 
Halluzinosen mit Verfolgungsideen und GroBenwahnideen. Systematische Ideen 
fehlen, auch fehlt Desorientierung, trotz der Halluzinationen auf verschiedenen 
Sinnesgebieten. Die tabische Demenz alterer Autoren ist meist als taboparaly- 
tische aufzufassen. 

XL. (Ergan*angsband.) 16 


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250) Tiber die im GeJtolge der Tabes dorsalis aultretenden nichtparalytischen 
Psychosen, von J. F. Jessen. (Inaug.-Dissert. Kiel 1919.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Verf. teilt einen Fall von klinisch und auch pathologisch-anatomisch reiner Tabes 
mit. 8 Tage vor dem Tode brach ein starker Tobsuchtsanfall aus, fur welchen jede Er- 
klarung fehlte. Die Sektion ergab nichts, was den Verdacht auf Paralyse aufrechterhalten 
konnte. — Verf. glaubt an eine Intoxikation von dem Riickenmarksherde aus. Tabes mit 
ehronischer Halluzinose und angstlich depressivem Affekt wird in der Literatur haufig 
erwahnt. 

251) Etude histo-pathologique des centres nervenx dans trois cas de maladie de 
Friedreich, par G. Marinesco et 0. Tretiakoff. (Revue neurolog. XXVII. 

1920. Nr. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Pathologisch-anatomischer Befund in 3 typischen Fallen von Friedreichscher 
Krankheit. Es fanden sich: 1. in der weiBen Riickenmarkssubstanz Haupt- 
veranderungen in der Dorsalregion, in absteigendem MaBe betreffend die Hinter- 
strange, Pyramidenbahn, Flechsigsches, Gowerssches Biindel, letzteres nur 
wenig betroffen; in den Hintersfcrangen exogene und endogene Fasern befallen: 
2. in der grauen Substanz besonders Zellen und Fasern der Hinterhorner und der 
Clarkeschen Saulen stark verandert; auBerdem Lasion der Zellen der Spinal- 
ganglien (geringer als bei der Tabes), atrophischer und regenerativer Natur. Die 
Lasionen der weiBen Substanz sind nicht sekundarer Art. Die Atrophie des 
Riickenmarks, Bulbus, Kleinhirns usw. bei der Friedreichschen Krankheit beruht 
auf einer Entwicklungsstorung, die verursacht ist durch die, Lasionen des zentri- 
petalen Neurons und der Fasern der aufsteigenden Riickenmarksbundel. Das 
Leiden geht vom Riickenmark, nicht vomKleinhirn (wie Senator annahm) aus. 
Die Organatrophie steht im direkten Verhaltnis zum Alter, in welchem die Krank¬ 
heit beginnt, und zu der Dauer des Leidens. Wahrend es sich bei der Tabes um 
eine entziindliche, von den GefaBwanden ausgehende, bei der amyotrophischen 
Lateralsklerose um eine sekundare Degeneration der Seitenstrange handelt, zeigt 
sich bei der Friedreichschen Krankheit eine einfache, progressive Atrophie der 
Kollateralen, welche die Fasern der hinteren Wurzeln erreicht und auf einer 
chemischen Veranderung der Markscheide und der Achsenzylinder gewisser Faser- 

svsteme beruht. 

•/ 

252) Contributo clinico ed anatomopatologico alio studio dell’ eredo-atassia. 

Comunicazione fata alia R. Accademia Medica di Torino, per G. Mingazzini 
u. F. Giannuli. (Nella seduta de 20 giugno 1919.) Ref.: Fumarola. 

Die Verff. hatten Gelegenheit, fast 20 Jahre hindurch, von Zeit zu Zeit, 
klinisch einen von der Friedreichschen Krankheit befallenen Patienten zu beob- 
achten. Exitus. Von der entsprechenden Axis cerebrospinalis wurden Serien- 
schnitte angelegt und zwar vom Conus bis zum Thalamencephalon. Die Verff. 
untersuchten auch GroB- und Kleinhirnschnitte, wie auch solche vom Riicken- 
mark, und zwar mit den verschiedensten Farbemethoden, ganz besonders mit 
der Nisslschen und der Weigert-Gliamethode. 

Aus diesem zweifachen, klinischen und pathologisch-anatomischen, Studium 
folgern die Verff., indem sie die Theorien iiber die Pathogenese der Heredoataxie 
vereinen, daB sich in dieser Krankheit toxische Elemente entwickeln, die, durch 
die GefaBtunica und das Mesodermgewebe filtrierend (GefaBtheorie) um so leichter 
die Glia reizen, als diese ihre iippige Neubildungstatigkeit bewahrt (Gliatheorie), 
da sie zu den meiopraxischen Organen (embryonale Theorie) gehort. Mit einem 
Worte, sie betrachten die Erscheinungen der Heredoataxie als das Resultat eines 
Krankheitsprozesses, der dazu neigt, die Axis cerebrospinalis und, besonders in 
einem ersten Zeitabschnitte, das Riickenmark oder das Kleinhirn, spater die 
GroBhirnhemispharen zu befallen. Derselbe besteht, wahrend er als Grund- 


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bedingung eine Meiopraxis der nervosen Hauptelemente der Axis cerebrospinalis 
erfordert, aus einer Wucherung der Randglia von embryonalem Charakter, mit 
Neigung zur Infiltration, vorzugsweise langs der GefaBe, in die Substanz der 
Nervenzentren. Im Rtickenmark sind die pseudosystematischen Entartungen 
der Biindel der kontralateralen Strange und die svstematischen der Hinterstrang- 
biindel wahrscheinlich eine allgemeine Ursache und nicht das Hauptelement des 
Krankheitsprozesses. 

253) Friedreichsche Ataxie und Taubstummheit, von W. Koennecke. (Zeitschr. 

f. d. ges. Neurol, u. Psych. LIIJ. 1920. Heft 3 u. 4.) Ref.: W. Misch. 

Es wird der Fall zweier Geschwister mitgeteilt, bei denen sicb Friedreichsche 
Ataxie mit Taubstummheit kombiniert fand, ein Zusammentreffen, das kaum als zufallig 
anzusehen ist. Der Veetibularapparat war bei beiden intakt. Die hochgradige Schadigung 
des Horapparates* betraf wahrscheinlich das innere Ohr oder den nervosen Apparat, und 
es wird angenommen, daB entweder das Cortische Organ oder die snpranuklearen Akustikus- 
bahnen nicht oder nur mangelhaft angelegt sind, was ein Analogon zu den anatomischen 
Verhaltnissen der Fried re ichschen Ataxie bilden wiirde, namlich eine mangelhafte 
kongenitale Anlage gewisser Bahnen, die durch die physiologische Inanspruchnahme auf- 
gebraucht sind. 


Liquor, Lumbalpunktion. 

254) Beitrag zur Eenntnis der Hechanik des Liquor cerebrospinalis, von Erwin 

Becher. (Zentralbl. f. innere Medizin. 1920. Nr. 37.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. bespricht die Druckverhaltnisse im Liquor. Der Liquordruck setzt 
sich zusammen aus 1. deni elastischen Membrandruck, den wir bei der Lumbal¬ 
punktion im Liegen messen und der von der Spannung der Wand des Subarach- 
noidealraumes herriihrt, 2. dem hydrostatischen Druck, der je naeh der Lage 
des Oberkorpers verschieden ist, wozu dann 3. periodische Drue ksteiger ungen 
durch Atmung und Puls hinzukommen. Bei Lagewechsel des Korpers findet 
eine Verschiebung des Liquor und damit eine Gestaltanderung des Subarachnoideal- 
raumes statt. Beim Trepanierten und beim Patientcn mit Sehadeldefekt steigt 
der Lumbaldruck beim Ubergang aus der liegenden in die sitzende Stellung 
starker an als beim Normalen, weil fur den Liquor ein starkeres Ausweichen nach 
unten moglich ist. Die periodischen Drucksteigerungen durch den arteriellen 
Puls sind im Gehirn am groBten und pflanzen sich von dort aus durch den Dural- 
sack bis in die Lumbalgegend hin fort. Das Auftreten eines negativen Druckes 
im Schadel ist von groBer Wichtigkeit fur die Blutzirkulation im Zentralnerven- 
system. Durch die Entstehung eines negativen Druckes im Schadel beim Dber- 
gang in die aufrechte Korperhaltung wird eine Saugwirkung auf die BlutgefaBe 
des Gehirns ausgeiibt und der Blutstrom zu letzterem dadurch erleichtert. Um- 
gekehrt wird bei tiefliegendem Kopf durch den gesteigerten Liquordruck einem 
zu starken Blutstrom zum Gehirn hin entgegengewirkt. Auf die untcren Partien 
des Ruckenmarks ist die Wirkung eine ganz analoge. 

255) Zur Spinaldruckerhohung und zur Einteilung der echten Polycythamieformen, 

von A. Bottner. (Deutsches Archiv f. klin. Medizin. CXXXII. 1920. 

H. 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. fand bei weiteren 4 Fallen von Polycythamie (vgl. ds. Centr. 1919, 
S. 106, Referat 34) erhohten Spinaldruck (160—180 bis 260—270 mm H 2 0), auch 
bei noch nicht vorgeschrittenen Fallen. Der Augenhintergrund zeigte stets eine 
starkere GefaBfiillung als normalerweise. Im Verlauf der polycythamischen Er- 
krankung nimmt in der Mehrzahl der Falle die Hirnhyperamie und besonders die 
des venosen Systems allmahlich immer starkere Grade an, es kommt zu einer 
Volumenzunahme des Gehirns, und es muB ein MiBverhaltnis zwischen Schadel- 

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innenraum und Hirnvolumen entstehen. Daher ein Ausweiehen des Liquors in 
die Schadelriickgrathohle und somit eine Drucksteigerung des Liquors. Diesem 
MiBverhaltnis zwischen Hirnvolumen und Schadelkapazitat sind auch die bei 
Polycythamie vorkommenden migraneartigen Anfalle zuzuschreiben, desgleichen 
die subjektiven Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Unruhe, Kopfdruck, Schwindel, 
Flimmern, ferner die psychischen Storungen (Erinnerungslucken usw.), alles Er 
scheinungen, die — ebenso wie die Liquordruckerhohung — im Endstadium des 
Leidens am intensivsten sind. 

• 256) Die rhythmische Himbewegung. Beitrage zur funktionellen Bedeutung der 
Hirnhaute und Furchen fur die Zirkulation des Liquor und die Ernahrung 
des gesamten Nervensystems, von Julius Ries. (Paul Haupt, Akademische 
Buchhandlung, Bern 1920. 107 S. Preis 12 Mk.) Ref.; W. Misch. 

Der Liquor cerebrospinalis besteht aus einem Gemisch, das einerseits die 
zur Funktion des Ganglienzellapparats notwendigen Sekretionsprodukte der 
BlutgefaBe, andrerseits die Abbauprodukte der Organtatigkeit enthalt. Die Zir¬ 
kulation der Lvmphe im Gehirnparenchym wie auch des Liquors wird durch 
pulsatorisehe Bewegungen des Gehirns besorgt, die ein systolisches Auspressen 
des Hirns und ein diastolisches Ansaugen der Sinus veranlassen. Der Liquor 
wird wahischeinlich nicht nur durch die Plexus chorioidei, sondern von der ganzen 
Pia ausgeschieden, indem sie sich der grauen Substanz iiberall aufs innigste an- 
schmiegt, dem Ganglienzellapparat standig ein frisch sezerniertes Ernahrungs- 
plasma liefert. Die Bedeutung der Furchen und Windungen ist nun darin zu 
sehen, daB die Ganglienzellen samtlich dem Ernahrungssaft moglichst nahe zu 
kommen suchen, was durch eine Streckung der grauen Substanz zu einer diinnen 
Schicht, die der Umspiilung des in ihrer Nahe frisch sezernierten Liquors aus- 
gesetzt ist, erreicht wird. Andererseits bewirken die Furchen und Windungen, 
daB wahrend der Gehirnbewegung, bei schmaler werdendem Subarachnoidal- 
raum, der unter Druck stehende Liquor in die klaffenden, auseinanderstrebenden 
Fissuren und Sulci stromt, wahrend bei der Diastole umgekehrt der Liquor aus 
den sich verengernden Furchen in den Subarachnoidalraum entleert wird. Da 
die Hiillen der zerebrospinalen Nerven nur die Fortsetzungen der Hirnhaute 
sind, sich in ihnen also mit dem Subdural- und Subarachnoidalraum in direktem 
Zusammenhang stehende kapillare Spalten befinden, so wird mit der Hebung 
und Senkung des Gehirns der Liquor auch in die Nervenfibrillenscheiden hinein- 
gepreBt und wieder herausgesaugt, wodurch die Ernahrung der Nervenfibrillen 
durch die Zerebiospinalflussigkeit erfolgt. Der Kreislauf des Liquors ist dabei 
ein derartiger, daB er vom Subarachnoidalraum, in dem er ausgeschieden wird, 
ausgeht und in den Subduralsammelraum zuruckgelangt. Unter gewissen Um- 
standen konnen die Pia mater und deren Duplikaturen (Plexus) aus dem Blute 
gewisse, dem Gehirn schadliche Stoffe aufspeichern und auch umgekehrt fur andere 
wichtige und zutragliche Substanzen undurchlassig sein. So ist u. a. die Epilepsie 
in analoger Weise als eine durch Autointoxikation verursachte Psvchose anzu- 
sehen: Eine verminderte Widerstandskraft der nervosen Elemente mit gleichzeitig 
vorliegender ererbter Degeneration der driisigen Speicherungs- und Ausscheidungs- 
organe fiihrt bei allmahlicher Summierung des Toxins zur Uberschreitung des 
Schwellenwerts und daher zu periodisch auftretenden Anfallen. Auch die Er- 
gebnisse der serologischen Untersuchungen der einzelnen Geisteskrankheiten 
(mittels der Sorcymreaktion) weisen darauf hin, daB die Psychosen als Auto- 
intoxikationskrankheiten aufzufassen sind. 

257) Bemerkungen zu der Arbeit von Schonfeld: „tft>er Liquorbefunde bei nerven- 
gesunden Menschen‘\ von V. Kafka. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 
LXVI. 1920. H. 3/4.) Ref.: Kurt Mendel. 


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In Schonfelds Arbeit (ds. Centrbl. 1920, S. 61, Referat 9) erblickt Verf. 
eine wertvolle Studie liber die Liquorverhaltnisse bei Gonorrhoe und Hautkrank- 
heiten; die von Schonfeld gezogenen Schliisse, soweit sie eine Verallgemeinerung 
fur die Verhaltnisse des sicher normalen Liquors bedeuten, lehnt aber Verf. ab. 
Das Material Schonfelds ist nicht als liquornormal zu bezeichnen. 

258) Das Verhalten des Liquor cerebrospinalis bei experimenteller Anamie und 

vitaler Farbung, von W. Baumann. (Deutsche med. Wochenschrift. 1920. 

Nr. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei experimenteller Hamolyse tritt das im Blut geloste Hamoglobin nie in 
den Liquor iiber, wahrend — nach Schottmiiller — Gallenfarbstoffe in den 
Liquor ubertreten. Ebenso wie das Hamoglobin verhalten sich die Farbstoffe 
Pyrrol- und Trypanblau. Am wahrscheinlichsten erscheint es, daB ein osmotischer 
Austausch zwischen Serum und Liquor direkt durch die Wand hindurch nicht 
stattfindet; vielmehr ist der Zelle des Plexusepithels und des Ependyms eine aktive 
Tatigkeit bei diesem Vorgange zuzuerkennen, d. h. die Liquorsekretion ist als 
spezifische Funktion der Plexuszellen aufzufassen. 

259) Latente Lues und Liquorveranderungen — Untersuchungen an Prostituierten, 

-von J. Kyrle. (Wien. klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 14/15.) Ref.: Pilcz. 

618 Falle, 8 der Primarperiode, 220 der Rezidivzeit — Verf. gebraucht diesen 
Ausdruck gegeniiber ,,Sekundarperiode“, da es ihm besonders um die Abgrenzung 
gegenuber der alten latenten Lues zu tun war —, 390 mit latenter Lues; da von 
lag Primaraffekt bei 191 Fallen bis zu 10 Jahren zuriick, bei 65 iiber 10 Jahre, 
20 bis 30, in einem Falle 36 Jahre. 191 Falle, d. h. fast die Halfte aller dieser 
390 Kranken hatten pathologischen Liquor, u. zw. 126 komplett positive Befunde. 
Unter Spuren versteht Verf. z. B. geringgradige EiweiBglobulinvermehrung mit 
maBiger Lymphozytose allein, oder, wenn bei solch gegebenen Verhaltnissen auch 
Goldsol- und Wa-Probe von der Norm spurweise Abweichung erkennen lieB. 

117 dieser Patientinnen mit pathologischem Liquor wurden neurologisch 
untersucht; 50 waren neurologisch ganz normal, darunter 37 mit komplett posi- 
tivem, 13 mit spurweise positivem Liquorbefunde. Von 67 Fallen mit nervosen 
Stigmen boten 32 geringgradige Austallserscheinungen, wie z. B. isolierte Aniso- 
korie, Differenzen in der Intensitat der SR. u. dgl. In 28 dieser Falle war Liquor 
komplett +. 28 weitere Falle waren Trager lichtstarrer Pupillen, SR. fehlten 

u. dgl. In 7 Fallen endlich lag eihe typische Tabes, bzw. (2 mal) Taboparalyse 
vor; eine einzige davon zeigte hohergradige Ataxie, die iibrigen waren sich ihres 
Nervenleidens durch subjektive Beschwerden nicht bewuBt. 

Sehr bemerkenswert ist eine Statistik des Verf.’s, aus welcher hervorgeht, 
daB bei vollig unbehandelter Lues etwas mehr als der dritte Teil aller Falle kom¬ 
plett positiven Liquor zeigt, daB aber bei griindlichst behandelten Fallen gleich- 
falls etwas mehr als der dritte Teil komplett positive Liquorveranderungen auf- 
weist. Die seinerzeit angewendete Therapie war nicht imstande, die Perzentzahl 
der Liquorpositiven im Vergleiche zu den unbehandelten zu vermindern. Die 
derzeit geiibte Therapie — Verf. sieht ab von der Gennerichschen Methode, 
die vielleicht bessere Resultate bringen wird — scheint das Schicksal der Liquor¬ 
positiven nicht einmal mit einiger Sicherheit andern zu konnen. 

Bis nun ist kein Anhaltspunkt dafiir gegeben, daB sich die ,,Spurenreaktion“ 
in Spaterer Zeit mit einer gewissen GesetzmaBigkeit zu kompletten Befunden 
umformen konnen, was die spate Latenzzeit betiifft. In prognostischer Hinsicht 
wird man latente Falle mit Liquor-,,spuren“ eher den negativen, als den positiven 
zurechnen konnen. Wie steht es mit den 33°/ 0 positiver Liquorfalle wahrend 
der Latenzzeit? Auf Grund der Erfahrung (z. B. Statistik von Mattauschek 
und Ref.) kann behauptet werden, daB ein positiver Liquor in der Latenzzeit 


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nicht unter alien Umstanden das spatere Auftreten sehwerer Nervenkrankheiten 
ankiindigen muB; in demselben Sinne sind wohl auch die rudimentaren Symptome 
seitens des Nervensystems aufzufassen, die keineswegs insgesamt etwa Initial- 
symptome beginnender Nervenleiden darstellen. Der positive Liquor besagt 
nur, daB im Bereiche des Nervensystems einmal etwas passiert ist, nicht, daB 
einmal noch etwas passieren wird. Bemerkenswert ist aber auch, daB die klaren 
d. h. sicheren Falle von Tabes sozusagen ,,leichte“ Erscheinungen seitens des 
spinalen Leidens darboten. Auf der einen Seite also eine so groBe Zahl hochpositiver 
Liquorbefunde, auf der anderen Seite nicht jene klinischen Vollbilder, die man 
erwarten sollte. Verf. deutet nur nebenbei auch die Moglichkeit dispositioneller 
Eigentiimlichkeiten in seinem Materiale an (Prostituierte! Seltenheit der 
Paralyse). Jedenfalls muB nicht jeder Kranke, der als Latenzluetiker einen hoch- 
positiven Liquorbefund aufweist, zum Tabiker oder Paralytiker werden. Verf. 
erinnert an die Worte Nonnes, man miisse sich hiiten, den prognostischen Wert 
positiver Liquorreaktionen zu iiberschatzen. 

SchlieBlich erwahnt Verf., daB alle therapeutischen Versuche, positive Li- 
quores mit einer gewissen GesetzmaBigkeit in normale umzuwandeln, versagt 
haben. Anderungen im Sinne von Besserungen wurden zwar beobachtet, haupt- 
sachlichst was Lymphozytose und Nonne-Apelt betrifft, dagegen erwiesen sich 
Wassermanmeaktion und kolloidchemische Reaktionen so ziemlich refraktar; 
freilich sah Verf. andererseits bei noch so intensiver Behandlung auch keine Exazer- 
bationen nervoser Erscheinungen, wie dies z. B. bei energischer Salvarsan-Queck- 
silberbehandlung der Tabiker und Paralytiker vorkommen kann. Auch dies 
vermag vielleicht wieder darauf hinzuweisen, daB bei anscheinend gleichen Quali- 
taten des Liquors grundsatzlich andere Verhaltnisse bestehen diirften in Fallen, 
wie sie den Untersuchungen des Verfs. zugrunde liegen, und in Fallen von Tabes 
und Paralyse. % 

Ref. ist der Ansicht, daB die vorliegenden, miihevollen, auf Jahre sich er- 
streckenden Untersuchungen des Verfs. ein Tatsachenmaterial zutage gefordert 
haben, das fiir die Neurologie und Syphilidologie von gleieher groBer Bedeutung 
ist, in theoretischer wie praktischer Hinsicht. 

260) ttber die diagnostische und prognostische Bedeutung des positiven Liquor- 
befundes bei Lues, von Goldberger. (Wien. med. Wochenschrift. 1920. 
Nr. 30/32.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Nach erschopfender. und kritischer Beriicksichtigung der groBen einschlagigen 
Literatur, wobei namentlich die jiingsten Arbeiten (von Nonne, Plaut, Kyrle, 
Konigstein u. a.) verwertet werden, und unter Beibringung instruktiver Bei- 
spiele bzw. Krankheitsgeschichten eigener Beobachtung, stellt Verf. folgende 
SchluBthesen auf: 

1. Zur Vermeidung unliebsamer Salvarsanfolgen (Neurorezidive) ist jeder 
Luetiker beilaufig vom 10. Monate angefangen der Liquorkontrolie zu unterziehen. 

2. Eine einmalige Kontrolle geniigt nicht, da beim wechselvollen Verlaufe 
der Lues die Meningealinfektion auch zu einer abnormen Zeit erfolgen kann; be- 
sonders bei erstmalig schwach positivem Befunde ist eine 2. Kontrolle zur Ent- 
scheidung der Frage notig, ob Meningealinfektion oder Liquorabnormitat vorliegt. 
Die Liquorkontrolie geschieht am besten gleichzeitig mit der Blutentnahme zur 
Wasser mannreaktion. 

3. Einer im Friihstadium der Lues abgelaufenen Meningealinfektion kann 
man heutzutage keinerlei prognostische Anhaltspunkte entnehmen. 

4. Ein im Spatlatenzstadium nur einmal erhobener Befund mit Spuren von 
Reaktion berechtigt noch nicht zu einer giinstigen Prognose. Der Befund mufi, 


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in verschiedenen Zeitabstanden untersucht, annakernd gleich bleiben, abnorme 
GefaBdurcklassigkeit muB fehlen. 

5. Falle der Spatlatenz mit komplettpositivem Befunde lniissen besonders 
auf GefaBdurchlassigkeit der Meningen gepriift werden; sind solche vorhander., 
so diirften sie die Prognose verschlechtern. 

6. Mit Rucksicht auf das vorliegende Tatsachenniateiial sind die patho- 
gnostischen Beziehungen zwische’n Erkrankungen und Funktionsanomalien des 
Herz- und GefaBsystems einerseits, den luogenen Nervenerkrankungen anderer- 
seits einer Priifung zu unterziehen; hierbei kame auch der Ausbau einer Funktions- 
priifung des zerebralen GefaBsystemes durch eingefiihrte Pharniaka in Betraekt. 

7. Eine tiefere diagnostische und prognostische Bedeutung des Liquorbefundes 
kann haufig nur im Zusammenhalte mit alien iibrigen an dem Patienten erhobenen 
Befunden erfolgen. 

Sehr treffend bemerkt Verf. in seinem SchluBwort: ,,und jeder, ob* Neuro- 
loge oder Dermatologe, der Arzt ist und nicht selbst geschaffene Scheuklappen 
vor den Augen hat, wird naturlich den luetisch erkrankten Menschen beurteilen 
und behandeln, und nicht seinen Liquor allein.“ 

261) Liquorbefunde in den einzelnen Stadien der unbehandelten Syphilis, von 

Theodor Kohrs. (Dermatolog. Zeitschr. XXIX. 1920. H. 1.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

Mit dem Abnehmen der graduellen Unterschiede der Reaktionsfahigkeit 
der einzelnen Korpergegenden wurde ein gleichzeitiges Auftreten meningealer 
luetischer Entziindungen in 1 / 3 bis % der Falle beobachtet. Ein haufigeies Vor- 
kommen von Liquorveranderungen bei einzelnen Haut- oder Schleimhauterschei- 
nungen im Sekundarstadium, besonders bei Alopecia specifica, konnte nicht 
festgestellt werden. Die friihluetische Meningitis hat ihren Hohepunkt zur Zeit 
des Sekundarstadiums. Ohne Behandlung scheint die friihluetische Meningitis 
allmahlich in eine chronische Gewebsveranderung iiberzugehen, die bei der Lues 
latens die starksten Erscheinungen macht. 

262) Beitrage zur experimentellen Kaninchensyphilis (ttbertragungsversuche mit 
Liquor cerebrospinalis bei primarer und sekundarer Lues), von L. Arzt und 
und W. Kerl. (Dermatolog. Zeitschr. XXIX. 1920. H. 1.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

In 2 Tierversuchen konnte der Nachweis von Spirochaten im Liquor schon 
im friihen Stadium der sekundaren Lues erbracht werden; daher sollte man lue- 
tische Sekundarfalle beziiglich des Liquorbefundes stets genau kontrollieren und 
auch nur bei geringer Abweichung von der Norm so lange behandeln, bis normale 
Verhaltnisse eintreten. 

26S) ttber die Mastixreaktion (Emanuels) und ihre Stellung zu anderen Reak- 
tionen in der Riickenmarksflussigkeit, von W. Schonfeld. (Miinchener med. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 17.) Ref.: Kurt Mendel. 

1. Bei weiterer Nachpriifung der Mastixreaktion ist eine Titrierung der 
Kochsalzlosung zu fordern. 

2. Hohere Kochsalzkonzentrationen als l,25°/ 0 sind auch mit vorheriger 
Titrierung nicht verwertbar, es diirften nur solche Mastixemulsionen verwertet 
werden, die eine Ausfallung mit Kochsalzlosung bis 1,25% zeigen. 

3. Bei der von Emanuel angegebenen Technik hat eine Mastixreaktion 
I. Grades als negativ zu gelten, nach Anstellung eines Vorversuches als positiv. 

4. Die Mastixreaktion ist ebensowenig spezifisch fur Syphilis wie die bis- 
herigen Liquorreaktionen (Phase I, Pdndy, Weichbrodt, Zellvermehrung). Sie 
leistet fiir die Diagnose nicht mehr als diese und besitzt gegeniiber der Phase I 


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und der Pandyschen Reaktion den Nachteil, daB die Ausfiihrung umstand- 
licher ist. 

5. Die Mastixreaktion ist beziiglich ihrer Empfindlichkeit zwischen Phase I 
und Pandyscher Reaktion einzureihen, diagnostisch ist sie nur bei gleichzeitiger 
Anwendung dieser Liquorreaktionen verwertbar, bei Friihsyphilis ist sie von 
keiner besonderen Bedeutung, ebenso bei syphilisfreien Fallen. 

6. Die Mastixreaktion ist theoretisch interessant, stellt aber beziiglich ihrer 
diagnostischen Brauchbarkeit als ldinische Untersuchungsmethode keine Er- 
weiterung der Untersuchungsmethoden fiir die Riickenmarksfliissigkeit dar. 

264) Der Wert der Mastixreaktion nnter den Kolloidreaktionen des Liquor cerebro- 
spinalis, von Felix Stern und Fritz Poensgen. (Berliner klin. Wochen- 
schrift. 1920. Nr. 27.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die Mastixreaktion besitzt nicht denselben Wert wie die Goldreaktion, denn 
jene liefert noch viel uncharakteristischere Kurven als diese. Von pathogno- 
monischen Kurven kann jedenfalls nicht die Rede sein. Vor der Annahme krank- 
heitsspezifischer Kurven ist aber iiberhaupt zu warnen. Alle Kurventypen haben 
nur sehr relativen Wert. Trotzdem ist Gewicht auf sie zu legen, weil sie diagnostische 
Vorteile bieten, aber nur im Sinne eines kritizistisch kombinatorischen Verfahrens. 

265) Vergleichende Untersuchungen tiber Kolloidreaktionen im Liquor cerebro- 
spinalis, von M. R. Bonsmann. (Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 
CXXXIV. 1920. H. 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Untersuchungen an 230 Fallen. Die leichte Fallbarkeit kolloidaler Gold- 
losung durch geringe auf Lues zuriickzufiihrende Veranderungen im Liquor laBt 
bei negativer Goldreaktion eine Lues des Zentralnervensystems fast mit Sicher- 
heit ausschlieBen. Eine typische Rechtsverschiebung der Ausfallung in der Gold- 
kurve kann bei blutfreiem Liquor kaum mit einer anderen Erkrankung als einer 
eitrigen oder tuberkulosen Meningitis verwechselt werden. Allerdings ergibt eine 
gewisse Zahl von Meningitiden keine typischen Kurven. Die Paralysenkurve 
kommt in voller Ausbildung kaum je bei einer anderen Erkrankung vor, jedoch 
konnen alle sonstigen Verfarbungen bei den hoheren Liquorkonzentrationen nur 
im Verein mit den iibrigen Reaktionen und dem klinischen Befunde verwertet 
werden, insbesondere ist an multiple Sklerose und Hirntumor, sowie an eine 
atypische Meningitiskurve zu denken. Die Mastixreaktion ist zu wenig scharf, 
als daB aus ihrem negativen Ausfall Iiberhaupt Schltisse zu ziehen waren. Eine 
typische Rechtsverschiebung bei ihr beweist eine eitrige oder tuberkulose Menin¬ 
gitis (bei serumfreiem Liquor), dieser Reaktionsausfall ist aber entschieden sel- 
tener als bei GoldsoL Gegebenenfalls ist jedoch eine Bestatigung der einen Re¬ 
aktion durch die andere sehr wertvoll. Die Berlinerblau- und Collargolreaktionen 
kommen wohl zur Zeit fiir die allgemeine Anwendung in der internen Labora- 
toriumspraxis nicht in Betracht. 

266) Kolloidchemische Untersuchungen am Liquor cerebrospinalis, von Felix 
Stern und Fritz Poensgen. (Berliner klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 12/13.) 
Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Unter dem Eindruck der Inkonstanz in der Erzielung brauchbarer Goldsole 
versuchten Verff. die Kollargolreaktion in einer naher beschriebenen Ausfiihrung. 
Sie teilen die Ergebnisse der Gold- und Kollargolreaktion mit, und zwar verfiigen 
sie iiber die Ergebnisse an weit inehr als 200 Untersuchungen an 178 Fallen. 

Yon Paralyse wurden 58 Falle untersucht. In fast alien unbehandelten Fallen 
findet sich bei der Goldreaktion Ausfallung des Goldes in den starksten Konzen- 
trationen mit dem ETgebnis der als charakteristisch bekannten Paralysekurve. 
Zur Beurteilung der BehandlungseTfolge standen 34 Falle zur Verfiigung, von 
denen 19 einmal, 15 fortlaufend im AnschluB an spezifische Behandlung unter- 


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sucht wurden. In dieser Beurteilung wird unterschieden zwischen spezifischer 
Behandlung mit endolumbalen Salvarsaninjektionen und sehr intensiver extra- 
lumbaler Therapie. Die Beeinflussung ist eine fast konstante, sie ist weitgehender 
bei gleichzeitiger endolumbaler Behandlung. Die Kollargolreaktion ist bei un- 
behandelter Paralyse stets positiv, nach Behandlung ist sie nur in seltenen Fallen 
negativ oder fast negativ. Von Tabes wurden 13 Falle untersucht. Die Goldkurve 
hat bei Tabes nicht dieselbe Spezifitat wie bei Paralyse. Einen differentialdiagno- 
stischen Gewinn kann die Goldsolreaktion mitunter bei den Tabespsychosen 
bringeh. Wichtiger scheint aber hierbei die Anwendung der Kollargolreaktion 
zu sein, die bei Tabes fast stets negativ ist. Betreffs der Lues cerebri ist die Ent- 
scheidung schwierig. Auch der Ausfall der Kollargolreaktion ist im Liquor bei 
der Lues cerebri kein so konstanter wie bei der Paralyse. Zur Beobachtung ge- 
langten dann noch 14 Falle von multi pier Sklerose, bei der die Kollargolreaktion 
in Fallen von Bedeutung sein kann, wo die Differentialdiagnose gegen Paralyse 
schwer ist und dann die negative Kollargolreaktion fur multiple Sklerose spricht, 
.13 Falle von Encephalitis, bei denen die Kollargolreaktion immer negativ war, 
4 Falle von Meningitis, 10 Tumoren, 7 andere organische Erkrankungen und 
26 Falle von Epilepsie bzw. Schizophrenic u. dgl. 

267) ttber die Goldsolreaktion im Liquor Syphilitischer, ihr Verhalten zu anderen 

Liquorreaktionen und ihre klinische Brauchbarkeit und Bedeutung, von 

J. Kyrle, R. Brandt und F. Mras. (Wiener klin. Wochenschrift. 1920. 

Nr. 1.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Aus den ungemein sorgfaltigen und muhevollen Untersuchungen der Autoren 
sei, als fur den Neurologen wichtig, nur folgendes hervorgehoben: Von einer 
Spezifizitat der Kurvenform fiir progressive Paralyse kann nicht gesprochen 
werden; vollig gleiche Liquorverhaltnisse konnten auch in Fallen der friihen 
Sekundarperiode gefunden werden; statt ,,Paralysekurve“ sollte daher besser 
von ,,stark positiver“ Goldsolreaktion gesprochen werden. 

Die Zahl der untersuchten Luesfalle betrug 720. Die Goldsolreaktion ist 
ein bei Luetikern sehr haufig zu erhebender Befund, zuweilen sogar der einzige 
positive Befund bei negativem Ausfalle anderer Liquorsymptome. Sie geht mit 
den EiweiBglobulinreaktionen zwar sehr haufig parallel, zeigt aber doch weit- 
gehende Unabhangigkeit. Man findet sie, wenn andere Reaktionen fehlen, und 
sie kann ausbleiben, wenn andere gegeben sind; sie ist als selbstandiges Phanomen 
des Liquors anzusehen, steht weder mit den EiweiBglobulinvermehrungen in 
direkt ursachlichem Zusammenhange, noch mit der Wassermannreaktion in einer 
Linie, obwohl sie mit ihr so haufige Ubereinstimmungen erkennen laBt; sie stellt 
daher eine wesentliche Bereicherung der Liquordiagnostik dar. Es scheint, daB 
das Bestehenbleiben einer positiven Goldsolreaktion bei Zuriickgehen aller iibrigen 
Liquorveranderungen als prognostisch ungiinstiges Zeichen anzusehen ist. 

Beziiglich aller iibrigen Einzelheiten dieser wertvollen Arbeit, speziell hin- 
sichtlich der Untersuchungstechnik, sei auf das Original hingewiesen, desgleichen 
auf die eingestreuten Krankheitsgeschichten. 

268) Weiterer Beitrag zur Frage der Goldsolreaktion im Liquor Sekundarsyphi- 

litischer, von Kyrle, Brandt und Mras. (Wien. klin. Wochenschrift. 

1920. Nr. 34.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verff. hatten in einer friiheren Mitteilung (s. vor. Ref.) berichtet, daB die 
Goldsolreaktion als selbstandiges, recht haufig auftretendes Phanomen im Liquor 
Luetischer anzusehen ist, das weder von der EiweiBglobulinvermehrung direkt 
abzuhangen scheint, noch von der Wassermannreaktion, wenn es auch mit beiden 
sehr oft vergesellschaftet voTkommt. Seither haben die Verff. wieder mehr als 
1000 LTntersuchungen vorgenommen. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich 


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u. a., daB aus ,,spurweisen“ bis ,,schwachen‘* Goldsolreaktionen bei nor male m 
sonstigem Liquoibefunde oder geringgradiger EiweiBglobulinvermehrung mit 
maBiger Lymphozytose kombiniert oder mit einem dieser beiden Befunde allein 
komplette Liquorbefunde entstehen konnen; in der Mehrzahl derartiger Falle 
freilich bleibt es bei diesen geringgradigen Veranderungen oder dieselben bilden 
sich vollig zuriick. In den ersterwahnten Fallen eilt die Goldsolprobe in quanti¬ 
tative! Hinsicht alien anderen Phanomenen voraus; die Wassermannreaktion 
scheint unter alien Liquorreaktionen das letzte zu sein, was in Erscheinung tritt. 

Bezliglieh des Zeitpunktes gibt es groBe Schwankungen; meist liegt der Be- 
ginn der Liquorveranderung schon in der allerersten Zeit der Sekundarperiode; 
die Reaktion reift so wie die anderen allmahlich heran, dock erreicht sie ihr 
Maximum rascher und friiher, und zeichnet sich durch groBe Persistenz aus. Zu 
den groBten Ausnahmen gehoren Falle, in denen die Wassermannreaktion positiv 
ausfallt bei negativer Goldsolreaktion (unter mehr als 2000 Beobachtungen zwei- 
mal). Was den EinfluB der Therapie anbelangt, so gelangen in einer Gruppe die 
Liquorveranderungen einschlieBlich Goldsolreaktion prompt zum Riickgang und 
definitiven Schwinden. Eine zweite Gruppe zeichnet sich durch groBe Resistanz 
aus, wobei besonders die Goldsolreaktion wenig oder gar nicht beeinfluBbar er- 
scheint. Zu der ersten Gruppe gehoren hauptsaehlich Falle, wo die Liquorverande¬ 
rungen im Anfangsstadium angetroffen werden, vor allem Goldsolreaktion nur 
niedere Werte erkennen laBt. (Derartige Schadigungen konnen ubrigens auch 
spontan zuriickgehen, wie die Verff. gesehen haben.) 

Die zweite Kategorie umfafit Falle, wo schon bei der ersten Untersuchung 
weitergehende Liquorschadigungen konstatierbar sind, vor allem seitens der 
Goldsolreaktion. Auch in dieser Gruppe kommen Falle vor, wo selbst schwere 
Liquorveranderungen schlieBlich doch sich riickbilden, und zwar so allmahlich, 
daB sich nicht entscheiden laBt, wie viel auf Rechnung der Therapie, wie viel 
auf spontane Ausheilung zu beziehen sei. Diesen Fallen gegeniiber stehen andere, 
deren Liquorbefunde ganz refraktar bleiben oder nur wenig sich bessern lassen; 
speziell gilt dies von der Goldsolreaktion. Letztere kann auch persistent bleiben, 
wenn die ubrigen Befunde zuriickgegangen sind, und gerade in derartigen Fallen 
konnen spatere Untersuchungen komplette Liquorrezidive mit schweren Erschei- 
nungen im Auge veTgesellschaftet aufdecken. Die Yerff. halten daher das Be- 
stehenbleiben hochpositiver Goldsolreaktionen in Fallen sekundarer Lues fiir ein 
prognostisch durchaus nicht gleichgiiltiges Symptom. Instructive Krankheits- 
geschichten mit fortlaufenden Liquorbefunden finden sich uberall im Texte un- 
gestreut. 

269) Observations on the colloidal goldreaction with cerebrospinal fluid, by Ellis 
Kellert. (American Journ. of the medic, scienc. CLIX. 1920. Nr. 2.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. betont die Bedeutung der Goldsolreaktion bei syphilitischen Nerven- 
erkrankungen, insbesondere bei Tabes und Paralyse, und ihren differentialdiagno- 
stischen Wert fiir tuberkulose und andere Meningitiden. Die Wassermann¬ 
reaktion und die zytologische Liquoruntersuchung beanspruchen allerdings einen 
groBeren Wert als die Goldsolreaktion. 

270) Die Ergebnisse der Sachs-Georgischen Ausflockungsreaktion bei Blut- und 
Liquoruntersuchungen, von W. Schonfeld. (Miinchener med. Wochen- 
schrift. 1920. Nr. 14.) Ref.: Kurt Mendel. 

In einem gewissen Prozentsatz der Falle ist die Liquoruntersuchung nach 
Sachs und Georgi wegen Eigenfallung des Liquors nicht durchfiihrbar. Nach 
Ausscheidungen der Eigenfallungen konnte Verf. bei seinem Material, das aller- 


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dings zum groBten Teil sich aus Syphilisf alien zusammensetzte, einen unspezi- 
fisehen Ausfall nicht beobaehten. 

271) Erfahrongen iiber die klinische Brauchbarkeit der Weichbrodtschen Su- 
blimatreaktion, von J. Horstmann. (Ztschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. 
LV. 1920. S. 294.) Ref.: W. Mi sc h. 

Auf Grund von Untersuchungen an liber 100 Fallen kommt Verf. zu dem 
SchluB, daB neben den liblichen vier Reaktionen bei neurologisch zweifelhaften 
Fallen als 5. Reaktion stets die Weichbrodtsche Sublimatreaktion angestellt 
werden solle. Die Reaktion war nie positiv bei funktionellen Erkrankungen des 
Zentralnervensystems, nur ausnahmsweise schwach positiv bei nichtluetiscken 
Erkrankungen des Zentralnervensystems, durchweg stark positiv und dann meist 
starker als die Phase I-Reaktion bei sypbilogenen Erkrankungen des Zentral¬ 
nervensystems, vor allem Paralyse, Tabes, Lues cerebrospinal is. 

272) Hyperalbuminose enorme du liquide cephalo-rachidien dans un cas de coagu¬ 
lation massive, par A. Souques und P. Lantuejoul. (Revue neurol. 
XXVII. 1920. Nr. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

In einem Fall von wahrscheinlich Pott seller Krankheit mit Caudalasion 
bei einem Syphilitiker fand sich typisches Froinsches Syndrom (massive Ge- 
rinnung des Liquor); es bestand ein sehr betrachtlicher Unterschied zwischen 
dem bei hoher Punktion und dem bei niederer gewonnenen Liquor. Auffaliend 
war ferner die enorme Menge von Fibrin und Albumin ini Lumbalpunktat. 

27S) Xantocromia e coagulazione del liquido cerebro-spinaie, per A. Korea- 
villa. (Riv. die Patolog. nervosa e mentale. XXIII. 1918. p. 321.) Ref.: 
Artom (Rom). 

Acht Beobachtungen mit fiinf Sektionen: drei von Meningomyelo-ence¬ 
phalitis ascendens, zwei von vorwiegend basiiarer tuberkuloser Meningitis; eine 
von Meningitis cerebrospinalis epidemica, zwei von Myelitis durch Druck von 
Seiten der Neubildungen. Nur in einem Falle wurde anatomisch eine umsc-hrie- 
bene Tasche nach dem Begriffe Mestezats und Sicards, festgestellt. Wie man. 
dem Verf. nach, die Gerinnung mittels Xantochromin bei klinisch sehr verschie- 
denen Bildern und durch die verschiedensten krankheitserregenden Faktoren 
erzielen kann, so kann sie durch sehr verschiedene pathogenetische Mechanismen 
entstehen. In einigen Fallen hangt die Gerinnbarkeit hochst wahrscheinlich von 
einer fibrinosen Meningitis und einer mitwirkenden Arteriitis und Periarteriitis 
trombotica homorrhagica ab, verursacht durch besondere Keime, welche mit einer 
besonderen Tatigkeit begabt sind, die die Zusammensetzung der Fliissigkeit 
storen, die Bildung von Fibrin in den kleinsten Schlupfwinkeln der Lymphzirku- 
lation fordern und diese letztere vor dem Auftreten meehanischer, makroskopisch 
wahrnehmbarer Hindernisse bewahren. 

274) Azeton in der Zerebrospinalfliissigkeit, von J. Koopman. (Deutsche med. 

Wochenschrift. 1920. Nr. 18.) Ref.: Kurt Mendel. 

In 2 Fallen von akuter gelber Leberatrophie war der Liquordruck erlioht, 
Gallenfarbstoffe oder Gallensauresalze waren aber im Liquor nicht nachzuweisen. 
In bei den Fallen erwiesen sich bei der Sektion die Hirnhaute als vollig normal. 
Verf. injizierte nun 6 Kaninchen Azeton* und konnte bei 2 derselben (die mit 
Chloroform getotet wurden) Azeton im Liquor nachweisen, in den 4 anderen Fallen 
kein Azeton. Aus den Versuchen scheint hervorzugehen, daB Einatmen von 
Chloroform den Chorioidealplexus permeabler fur Azeton macht, wie dies auch 
fur andere Stoffe zutrifft. So findet man z. B. nach Chloroformnarkose auch beim 
Menschen immer Chloroform im Liquor. Beim Diabetes gibt es Falle von Aze- 
tonurie und Diazeturie mit normalem Liquor, im diabetischen Koma fand Verf. 
den Liquordruck stets erhoht, die EiweiBmenge vermehrt. Wahrscheinlich be- 


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steht ein Zusammenhang zwischen Nieren *und Plexusfunktion. Bei Azidosis 
gibt es 4 Moglichkeiten: 1. erhohter Druck und normaler Liquor; 2. normaler 
Druck, normaler Liquor; 3. normaler Druck mit Azeton; 4. erhohter Druck mit 
Azeton. In 3 Fallen sah Verf. die vierte Form aus der dritten entstehen, in alien 
3 Fallen brach bald das Koma aus. 

275) Zur Ursache unangenehmer Nebenerscheinungen der Lumbalanasthesie, zu- 

gleich ein Beitrag zur Funktionspriifung des Liquorsystems, von Max Baruch. 

(Berliner klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 13.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Alle bisherigen drei Erklarungen liber die Ursache iibler Nebenerscheinungen 
der Lumbalanasthesie befriedigen nicht. Die Beobachtungen vom Verf. fuBen 
auf Erfahrungen, die er im Felde bei diagnostischen Lumbalpunktionen gemacht 
hat. Er sah dabei sehr haufig Reizsymptome auch bei Entnahme geringer Liquor- 
mengen und kam dadurch zu der Uberzeugung, daB in diesen Fallen ein standiger 
sekundarer Verlust von Liquor durch Resorption im Stichkanal obwalten mlisse 
bis zum definitiven VerschuB des Punktionsloches in der Dura. Dieses am tiefsten 
Punkte des Lumbalsackes angelegte Loch bei gleichzeitig bestehendem positivem 
Druck im Lumbalsack bietet zweifelsohne die glinstigsten Bedingungen zu einer 
Drainage des Liquors. Die graduellen Abstufungen der Beschwerden sind von 
der jeweiligen Schnelligkeit und Ausgiebigkeit des Nachsickerns der Lumbal- 
fliissigkeit abhangig. Verf. ist demnach der Ansicht. daB Versager und Neben¬ 
erscheinungen auf eine Liquorverarmung durch Stichkanalsdrainage zu beziehen 
sind. Er empfiehlt die Indigkarmininjektion in den Lumbalsack zur Klarung 
der Physiologie und Pathologie des Liquorsystems und vor allem zum Studium 
der Resorptionsverhaltnisse des Liquors. 

276) Anxiety about the lumbar puncture, by L. Newmark and W. F. Beer man. 

(Medic. Record. 28. IV. 1917.) Ref.: W. Misch. 

Es werden die mannigfachen Beschwerden und Exazerbationen beschrieben, 
die im AnschluB an Lumbalpunktionen besoiiders bei Him- und Rlickenmarks- 
tumoren beobachtet wurden. Besonders‘haufig traten mehrtagige Kopfschmerzen 
und Kreuzschmerzen auf. Andererseits muB beachtet werden, daB oft Ver- 
schlimmerungen auf das Konto der Lumbalpunkti on gesetzt werden, die auch 
ohne dieselbe ijn Verlauf der Erkrankung aufgetreten waren, wie an einem Fall 
von Thalamussarkom gezeigt wird, bei dem kurz vor der Punktion eine plotzliche, 
schlieBlich zum Tode flihrende Verschlimmerung einsetzte. 


Reflexe. 

277) Die Bedeutung der Sehnenreflexe fiir die Erhaltung einer Gelenkstellung, von 

K. Hansen und P. Hoffmann. (Zeitschr. f. Biol. LXXI. 1920. Nr. 2.) 
Ref.: W. Misch. 

Durch Registrierung der Muskelaktionsstrome mittels des Saitengalvano- 
meters wird der Nachweis erbracht, daB bei der Fixation von Gelenkstellungen 
die Sehnenreflexe eine sehr wichtige Rolle spielen. An der Aktionsstromkurve 
lassen sich namlich bei ganz gewohnlichen Tatigkeiten Kurvenzacken nachweisen, 
die ihrer Latenzzeit nach Sehnenreflexen entsprechen. Die Wirkung derselben 
geht immer dahin, einer von auBen kommenden, plotzlichen, die Gelenksteilung 
verandernden Einwirkung schnell entgegenzuwirken. Es bestatigt dies die An- 
nahme, daB die Sehnenreflexe eine wichtige physiologische Bedeutung besitzen. 

278) Reflexumkehr (paradox© Reflexe) durch Ermiidung und Shock, von Fritz 
Veizar. (Pfliigers Archiv. CLXXXIII. 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der — unzweckmaBige — paradoxe Reflex tritt durch Reizung derselben 
reflexogenen Zone auf wie der normale Reflex, wenn das Zentrum ermiidet oder 


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in Shock geraten ist. Er ist ein abnormaler, unter pathologischen Verhaltnissen 
(Ermiidung, Shock) auftretender, von der reflexogenen Zone des normalen Reflexes 
bereits durch schwache Reize auslosbarer Reflex. Viele Exscheinungen der Nerven- 
pathologie sind wahrscheinlich als ein solcher paradoxer Reflex aufzufassen. Die 
Auflosung des paradoxen Reflexes, d. h. die Riickkehr zum normalen Reflex, kann 
nach einiger Zeit von selbst erfolgen durch Erholung von der Ermiidung. 

279) Ein Kratzreflex des gekopften Carabus auratus, von S. Gal ant. (Biologisches 
Zentralblatt. XL. 1920. Nr. 7.) Ref.: Kurt Mendel. 

Stach Verf. einen Panzerflugel des gekopften Carabus auratus mit einer Nadel, 
so kratzte das Tier als Reaktion darauf den gestochenen Fliigel mit einer Ex¬ 
tremist derselben Seite. Dieser Kratzreflex des gekopften Carabus auratus ist 
zu vergleichen mit dem Wischreflex des gekopften Frosches, der, wenn eine Haut 
stelle mit Essigsaure betupft wird, letztere von der betupften Stelle mit einer 
hinteren Extremitat wegwischt, oder vielleicht sogar mit dem Riickgratreflex des 
Sauglings, der beim Streichen der Riickenhaut in der Nahe und langs der Wirbel- 
saule mit seinem Korper einen nach der gereizten Seite konkaven Bogen beschreibt. 

280) Studien dber die sogenannten Reflexautomatismen des Riickenmarks, von 
O. Marburg. (Jahrb. f. Psych. XL. 1920. S. 99.) Ref.: Pilcz (Wien) 

Gegeniiber dem Reflexe, einer auf einen auBeren Reiz hin, ohne Intervention 
des BewuBtseins erfolgenden Bewegung, bei welcher der Reiz am Erfolgsorgan 
angreift und der zentrale Mechanismus einem Segmente angehort, bei welcher 
ferner, wenn es sich um einen Sehnenreflex handelt, nur ein Gelenk beteiligt ist, 
mochte Verf. den Begriff ,,Reakt“ vorschlagen fur eine Bewegungskombination, 
die auf einen auBeren Reiz hin, ohne Intervention des BewuBtseins erfolgt, bei 
welcher der Reiz an einer beliebigen Stelle der in Bewegung versetzten Muskeln 
angreift, Reizleitung und Bewegungsimpuls nicht einem, sondern mehreren Seg- 
menten angehort und eine Reihe von Gelenken mobilisiert wird. 

Als Beispiele fur solche ^Reakte" erortert Verf. u. a. die pkenomenes des 
raccourcisseurs“ und ,,allongeurs 4< (Marie-Foix) und priiite deren Verhalten bei 
Neugeborenen nach, da bei diesen die Pvramiden noch auBer Funktion sind. Die 
Beinhaltung des Sauglings erinnert an die Kontrakturstellung gelahmter Kinder; 
es iiberwiegt der Flexionsautomatismus uber den Extensionsautomatismus. 

Bei Querschnittslasion im Dorsalmarke kann man unter Umstanden auf- 
treten sehen: Babinski, Rossolimo, Mendel-Bechterew, Oppenheim und die Reakte 
der Verkiirzung und Verlangerung. 

Verf. erortert nun genauer diese Reflexe, bzw. Reakte, namentlich vom Stand- 
punkte einer genaueren Lokalisationsmoglichkeit aus bei Ruckenmarkstumoren. 
Zwei instruktive Falle werden kurz mitgeteilt: Ein Tumor, das untere Brust-, 
Lenden- und oberste Sakralmaik umfassend; ein anderer vom 3. bis 6. Dorsal- 
segment. In bei den Fallen Reakte ganz unvollkommen auslosbar. Sicher ist nur, 
dafl, wenn Reakte der Sicherung auszulosen sind, Intaktheit der grauen Substan/, 
und der reizzuleitenden Fasern fiir die betreffenden spinalen Partien anzunehmen 
ist; me hr nicht. Daneben konnen ganz gut kleine malazische Herde bestehen, 
wie Verf. bei Ruckenmarksschiissen gesehen hat. Bei manchen kompletten Quer- 
schnittslasionen waren die Sicherungsreakte des Beines nicht hervorzurufen; es 
lagen neben diffusen Malazien deutliche meningeale Erscheinungen vor. 

Verf. resiimiert wie folgt: Beim Neugeborenen treten an den unteren Ex- 
tremitaten eine Reihe von Bewegungskombinationen auf, die infolge eines auBeren 
Reizes, der nicht im Eifolgsorgan anzugreifen braucht, ohne Intervention des 
BewuBtseins auftreten, bei denen Reizzuleitung und Bewegungsimpuls mehreren 
Riickenmarkssegmenten angehoren und bei denen meist mehrere Gelenke mobili¬ 
siert werden, Bewegungskombinationen, die man von den Reflexen abtrennen und 


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als Reakte bezeichncn kann. Sie gehoren den Sicherungsreflexen an und bestehen 
in einer Beugebewegung der Zehen oder in einer Streckbewegung derselben und 
Spreizung (Klammerreakt, Spreizreakt der Zehen). Sie konnen mit oder ohne 
das Babinskische Phanomen auftreten, das gleichfalls den Reakten zuzuzahlen 
ist, aber gegeniiber den genannten eine weit hohere klinische Bedeutung bean- 
spTucht. Ferner finden sich am Beine Verkiirzer- und Verlangererreakte, ge- 
legentlich mit Abduktion, bzw. Adduktion verbunden. Auch sie miissen als An- 
griffs- und Abwehrreaktionen und nicht als Teilerscheinungen oder Automatismen 
des Ganges hingestellt werden. Alle diese Reakte sind Ausdruck einer Pyrainiden- 
schadigung, ihr Auftreten spricht nur fiir die Intaktheit reizzuleitender Fasern 
und des Vorderhorngraues. Sie sind als unterstiitzende Merkmale fiir die Dia- 
gnostik von einer gewissen Bedeutung, ohne aber jene Wertschatzung zu verdienen, 
welche ihr von manchei Seite zugeschrieben wird. 

281) Kann Grippe reflektorische Pupillenstarre bedingen?, von J unius. 

(Zeitschr. f. Augenheilk. XLIV. Heft 1/2.) Ref.: Fritz Mendel. 

In dem vom Verf. beobachteten Falle handelt es sich um reflektorische Pupillen¬ 
starre beiderseits mit Ungleichheit. der Pupillen. Ferner leichte Parese der Akkommodation 
beiderseits, auffallige Blasse beider Sehnerven, die nach facharztiichem Urteil an der 
Grenze des Krankhaften stand, Sehschwache oder wesentliche Einschrankung des Gesichts- 
feldes noch nicht bedingte. Mit entsprechenden Brillen besland gutes Sehvermogen fiir 
Feme und Nahe. 

In neuerer Zeit ist man bei kritischei Verarbeitung groBeren Materials sehr 
zuriickhaltend bei der positiven Bejahung der Frage geworden, ob Grippe direkt, 
d. h. durch einen spezifischen Erreger oder dessen Giftwirkungen, das Sehorgan 
zu schadigen vermag — wenigstens soweit Sehnerv und Augenmuskeln dabei 
in Frage kommen. Die mittelbare Schadigung bei Zutritt von Komplikationen 
kann natiirlieh nicht geleugnet werden. 

282) Der Aschnerreflex im Kindesalter, von Ed. Jenny. (Arch. f. Kind. LXVIII.) 

Ref.: Zappert. 

Durch Druck auf einen Bulbus entsteht deutliche Pulsverlangsamung, oft 
voriibergehender Herzstillstand. Aschner, der den Reflex zuerst beschrieb, 
gelang es, stuporose Geisteskranke oder tief Narkotisierte durch den Druck auf 
den Bulbus zu erwecken. Systematische Untersuchungen bei Kindern haben 
dem Verf. gezeigt, daB der Aschnerreflex regelmaBig vorkommt, da von 250 Kindern 
im Alter von 3 Monaten bis zu 15 Jahren nui 11 keine Pulsverlangsamung auf- 
wiesen. Darunter befanden sich 5 Falle von tuberkuloser Meningitis, bei denen 
bereits Vaguslahmung bestand. Einige Falle zeigten einen stark gesteigerten 
Reflex, darunter einige Diphtheriefalle, was vielleicht auf eine voriibergehende 
Reizung — vor Eintritt einer diphtherischen Lahmung — zuriickzufiihren ist. 
Sonst zeigte die Pulsreaktion im wesentlichen zwei Typen: eine allmahiiche Ver- 
langsamung und ein plotzliches kurzes Stillstehen des Pulses nach Druck auf den 
Bulbus. Interessant ist eine Beobachtung, bei der ein Kind, das voriibergehende 
Digitalisintoxikation (halbe Frequenz infolge regelmaBiger frustraner Extra- 
systolen) dargeboten hatte, beim Druckversuch sofort wieder den charakteristischen 
Puls aufwies, ein Zeichen fiir eine noch bestehende latente Digitalisintoxikation. 
Verf. ist bei seinen Schliissen aus den lehrreichen Versuchen recht vorsichtig. 
Namentlich laBt sich die Annahme einer Vagotonie nicht ohne weiteres aus dem 
positiven Reflex folgern. Auch ist eine Dosierung des angew T endeten Druckes 
auf die Augen nicht moglich und es ist daher die Exaktheit der Resultate er- 
schwert. Jedenfalls aber ist der Aschnerreflex klinisch und physiologisch inter¬ 
essant genug, um ein weiteres Studium gerechtfertigt erscheinen zu lassen. 

283) Sur un rtflexe cutane nouveau: reflexe palmo-mentonnier, par G. Marinesco 

et A. Radovici. (Revue neurologique. 1920. Nr. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 


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\ 

Bei einem Falle von amyotrophischer Lateralsklerose fanden die Verff. fol- 
genden Reflex: bei Reizung der Palma manus mittels einer Nadel, mittels Kneifens, 
Beruhrens mit kaltem oder warmem Gegenstand trat eine langsame, langdauernde 
Kontraktion der Kinnmuskuiatur der gleichen Seite auf; hierdurch wurde eine 
Zuriickziehung des Kinnes bewerkstelligt. Den gleichen Reflex erzielten die Verff. 
von der Hautoberflache der ganzen oberen und unteren Extremitaten, des Rumpfes, 
des Abdomens aus, vorausgesetzt, dafl der Reiz eine gewisse Starke besaB. Auch 
Hindurchgehen einer Harnrohrensonde, Reizung der perirektalen Gegend be- 
wirkten den gleichen ,,Palmo-Kinnreflex“, der allerdings am deutlichsten 
bei Reizung der Palma manus oder — an zweiter Stelle — der Planta pedis auf- 
trat, am wenigsten deutlich bei Reizung des Handriickens. Der Reflex war — 
wie vreitere Beobachtungen ergaben — bei alien Fallen von Pyramidenlasion 
nachweisbar, besonders bei doppelseitigen Prozessen (Diplegia cerebralis, Pseudo- 
bulbarparalyse, amaurotische Idiotie usw.). Bei Nervengesunden fand er sich 
in 50°/ 0 der Falle, doch ist bei Gesunden die Kontraktion lebhaft, kurzdauernd, 
bei Pyramidenbahnlasionen langsam und langdauernd; auch uberschreitet bei 
Gesunden die reflexogene Zone niemals die Gegend der Palma oder des Thenar. 
Der Reflex ist schwach oder fehlend bei Tabes, Polyneuritis, peripherer Fazialis- 
lahmung. Der Reflex geht aus von der stark sensiblen Palma manus, verlauft 
dann zentripetal durch die Hautnerven zum Vorderhorn, darauf durch den Seiten- 
strang zum Kern des Fazialis der gleichen Seite und so zu der Kinnmuskuiatur. 

284) Clono del piede (ricerche col galvanometro di Einthoven), per A. Bartolini 

e C. Pastine. (Riv. di patol. nervosa e mentale. XXV. H. 3/4.) 

Ref.: Enderle (Rom). 

In Untersuchungen, die seit 1915 dauern, haben die zwei Verff. festgestellt, 
daB: 1. bei den infektiosen Krankheiten die Zuckungsfrequenz des Klonus etwas 
groBer ist als bei organischen Hemiplegikern und Paraplegikern; die Kurven sind 
sehr regelmaflig, diphasisch und unterbrechen sich plotzlich; 2. bei den Hemi¬ 
plegikern (infolge zerebraler Lasionen) sind die Zuckungen langsamer und kon- 
stanter, und der Klonus erschopft sich ganz stufenweise; 3. bei Paraplegikern 
mit iiberwiegend medullarer Lasion haben die Zuckungen eine Frequenz, die 
zwischen den beiden vorhergenannten Krankheitsgruppen steht, sie zeigen wie 
die erste eine diphasische Kurve, und der Klonus erschopft sich plotzlich. Die 
Verff. glauben, daB der Klonus durch Zuckungen mehrerer Muskeln zustande 
kommt. 

285) Ein Tiefenreflex an der FuBsoble, von Othmar Reimer. (Medizin. Klinik. 

1920. Nr. 33.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Wenn man den lateralen Teil der FuBsohle, und zwar die Stelle ein wenig 
proximal von der Tuberositas ossis metatarsalis V mit dem Perkussionshammer 
oder mit dem vordersten Teil der Breitseite des Reflexhammers beklopft, erhalt 
man eine energische Plantarflexion des FuBes im Sprunggelenk. Verf. empfiehlt 
die Priifung in Bauchlage und laBt das distale FuBende mit der linken Hand 
umgreifen und die Untersehenkel durch maBige Beugung im Kniegelenk von der 
Unterlage abheben. Der Reflex ist ein physiologischer Reflex. Der den Reflex- 
reiz projizierende Nerv ist der Nervus plantaris lateralis, ferner noch der Nervus 
plantaris medialis, Endaste des Nervus tibialis. Der Weg des Reflexreizes ist: 
Nervus plantaris lateralis oder medialis, Nervus tibialis, Nervus ischiadicus; im 
Ruckenmark wird der Reiz auf das motorische Vorderhornzellengebiet, das dem 
Musculus tiiceps surae entsprieht, iibergeleitet, von wo er seinen Weg durch den 
Ischiadicus-Tibialis in den motorischen Fasern nimmt. Die reflexempfindlichste 
Stelle ist an der lateralen FuBsohle, etwas proximal von der Tuberositas ossis 
metatarsalis V. Die sensiblen Empfangsorgane sind in der Aponeurosis plantaris 


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gelegen. Der Aponeurosenreflex ist empfindlicher als der Achillessehnenreflex, 
seine erhohte, bzw. leiehte Irritabilitat von friihdiagnostischer Bedeutung. 

286) Der Refiexablauf an de: Grofiz)he, von Eugen Stahle. (Deutsche Zeitschr. 

f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 3 bis 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Es gibt Nerve ns yst erne, die auf einen starken Schmerzreiz mit der Flucht 
(Extension) der GroBzehe antworten; andere wieder — vielleicht die starkeren — 
antworten auch hier mit der Plantarflexion, dem Zeichen kraftiger Abwehr. In 
2 Fallen von postdiphtherischer Neuritis fand Yerf. positiven Babinski und Oppen- 
heim; vielleicht beruht hier die Umstimmung der Reflexbahn auf einer durch 
Toxine gesetzten Schadigung (wie bei Uramie, Fieber, Nephritis). Bei Grippe 
kommt gleichfalls positiver Ausfall des Babinski, Oppenheim, Gordonschen Zeichens 
vor, wenn die Auslosung der Zeichen mit erheblichen Schmerzen verbunden ist; 
wie denn iiberhaupt das Vorhandensein bzw. Fehlen der pathologischen Reflexe 
einen Gradmesser des Schmerzes bilden kann. 

287) Eine neue Auslosungsstelle des Babinskireflexes, von Koloman Jezsovics. 

(Orvosi Hetilap. 1920. No. 15.) Ref.: Hudovernig. 

Streicht man im Sulcus hallucis (d. h. die Hautfalte zwischen Sohle und 
Plantarflache der grofienZehe), ob latero-medial oder medio-lateral, die FuBsohle 
mit einem spitzen Gegenstand (die Abteilung Sarbos benutzt hierzu das GeschoB- 
ende eines vom SchieBpulver entleerten Gewehrprojektils), so zeigt sich der Babinski- 
reflex meist lebhafter als bei der gewohnten Auslosung am lateralen Rande oder 
in der Mitte der Sohle, sogar oft auch nur bei dieser Auslosung, ja in manchen Fallen 
ist diese Stelle reflexerweckend, indem friiher an gewohnten Orten nicht aus- 
losbarer Babinski nach der Auslosung im Sulcus hallucis auch von den anderen 
Stellen auslosbar wird. Verf. bezeichnet die von ihm erwahnte Stelle als Punctum 
optimum der Babinskiauslosung. Bei 200 funktionell Nervenkranken wurde von 
dieser Auslosungsstelle der Reflex in wenigen iibererregbaren Fallen scheinbar 
auslosbar, doch erwies sich dies als Tauschung, als Abwehrbewegung des iiber- 
erregbaren Kranken. Bei 47 organisch Nervenkranken verteilte sich die beste 
Auslosungsstelle so ziemlich gleichmaBig auf Mitte, lateralen Rand der Sohle 
und Sulcus hallucis, doch ergab bei 20 Kranken die letztere Auslosung eine be- 
deutend intensivere Dorsal be wegung der groBen Zehe, namentlich bei Hemiplegic 
und multi pier Sklerose, von je 17 Fallen je 6 bzw. llinal! Streicht man quer 
an der breitesten Stelle der Sohle, wird der Babinski dann am intensivsten, wenn 
man die Gegend des Sulcus hallucis erreicht. 


Kontraktur. 

288) Neue Gesichtspunkte zur Atiologie der Dupuytrenschen Fingerkontraktur, 

von Ali Krogius. (Zentralblatt f. Chirurgie. 1920. Nr. 30.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Verf. fiihrt die Genese der Dupuytrenschen Fingerkontraktur auf entwicklungs- 
geschichtliche Storungen in der oberflachlichen Hohlhandmuskulatur (Mm. 
flexores breves manus superficiales) zuriick. Wie die Palmaraponeurose selbst 
als ein Abkommling dieser bei verschiedenen Saugetieren und noch beim mensch- 
lichen Embryo vorkommenden Muskulatur aufgefaBt werden muB, ware auch 
das der Kontraktur zugrunde liegende neugebildete Gewebe von embryonalen 
Resten derselben Muskelschicht abzuleiten. Aus einem in der Aponeurose ein- 
geschlossenen muskulo-tendinosen Bildungsgewebe entwickelt sich im spateren 
Leben direkt ein zur Schrumpfung fiihrendes Sehnengewebe. 


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289) Un caso di malattia di Dupuytren, per A. Ziveri. (Riv. di patol. nervosa e 
mentale XXII. 1917. fasc. 8.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Die Krankheit kann entweder durch Veranderungen (die denen bei Reflexlahmungen 
entsprcchen) eines peripheren Nervenastes (Ulnaris) oder haufiger durch primare 
Degeneration (hereditar-familiar) oder sekundar durch GefaBveranderungen der trophischen 
Ruckenmarksvorderhomzentren verursacht werden. 

290) Induratio penis plastica und Dupuytrensche Kontraktur, von Hans Marter- 
stein. (Medizin. Klinik. 1920. Nr. 8.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. teilt 2 Falle mit, bei denen gleichzeitig Induratio penis plastica und 
Dupuytrensche Kontraktur besteht. Auf Grund des pathologisch-anatomischen 
und klinischen Befundes besteht zwischen den sklerosierenden Fasciitiden, In¬ 
duratio penis plastica und Dupuytrenscher Kontraktur ein sehr naher Zusammen- 
hang. Ihre gemeinsame Ursache ist noch unbekannt. Jedenfalls kommt die Gicht 
als solche nicht in Betracht. 

291) Die Behandlung der Dupuytrenschen Finger kontraktur, von Fritz Mom- 
burg. (Deutsche med. Wochenschr. 1920. Nr. 22.) Ref.: Kurt Mendel. 

In alien beginnenden und auch vorgeschrittenen Fallen Dupuytrenscher 
Kontraktur laBt sich durch immer wieder vorgenommene Streckung und Uber- 
streckung der Finger, d. h. also durch Streckung der Narbe, die Kontraktur ver- 
meiden. Pat. selbst kann diese Behandlung ohne Anstrengung durchfuhren. Even¬ 
tual kommt eine einfache subkutane Trennung aller spannenden Strange in 
Betracht, darauf etwa 8tagiger Schienenverband, dann Bewegungsiibungen. 


Periphere Nervenlahmungen. 

292) Difficulties in the diagnosis of nerve function, by M. Forrester-Brown. 

(Brit. Journ. of surg. VII. 1920. No. 28.) Ref.: W. Misch. 

Bei der Diagnostik peripherer Nervenlasionen sind verschiedene Schwierig- 
keiten zu beachten. Zunachst ist der psyohische und intellektuelle Zustand des 
Untersuchten in Betracht zu ziehen und die Angaben desselben bei der Unter- 
suchung mit Hinblick darauf zu werten. Bei der Sensibilitatspriifung konnen 
Schwierigkeiten dadurch entstehen, daB die zu untersuchende Korperpartie zu 
stark abgekiihlt ist; Temperaturunterschiede beeinflussen nicht nur die Sen- 
si bilitat, sondern auch die elektrische und willkurliche Muskelerregbarkeit; es 
ist daher stets vor der Untersuchung der betreffende Korperteil etwa 20 Minuten 
in warmes Wasser zu stecken. Bei der Motilitatspriifung ergeben sich Schwierig¬ 
keiten besonders durch Substitution anderer Muskeln fur die gelahmten. 

So kann an den oberen Extremitaten die Abduktion von Arm und Schulter bei 
Ausfall des Deltoideus durch den hypertrophischen Supraspinatus ausgefuhrt werden. 
Flexion des Ellenbogens bei Fehlen des Bizeps durch Supinator longus und Pronator teres. 
Extension des Ellenbogens kann bei Trizepslahmung leicht durch die Schwere vorgetauscht 
werden, weshalb sie stets in Abduktion des Armes und bei Bewegung in der Horizontalen 
gepriift werden muB. Bei Lahmung beider Pronatoren kann der Supinator longus ein- 
treten oder noch besser der Flexor carpi radialis, wenn dieser intakt ist. Bei Lahmung 
aller Flexoren des Handgelenks und der Fingerbeuger kann der Extensor metacarpi pollicis 
die Beugung des Handgelenks bewirken. Beugung der 1 nterphalangealgelenke der Finger 
kann bei der Lahmung des Flexors durch Anspannung seiner Sehnen unter extremer 
Dorsalflexion des Handgelenks eintreten; auf ahnliche Weise kann die Extension des 
Handgelenks bei extremer Fingerbeugung vorgetauscht werden. Die abduzierende Wirkung 
der Interossei kann durch den Extensor communis na' hgeahmt werden. Der tiefe Kopf 
des FJexor pollicis brevis (vom Ulnaris versorgt) kann zuweilen bei Medianuslahmung 
Daumen und kleinen Finger kraftig opponieren, wahrend der Abductor longus ihn gut 
abduzieren kann. — An den unteren Extremitaten kann Kniebeugung und -streckung 
bei Lahmung der entsprechenden Muskeln durch die Schwere oder durch den Riickprall 
nach Kontraktion des Antagonisten leicht vorgetauscht werden. Bei Ausfall des Quadrizeps 
XL. (Erganzungsband.) 17 


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kann der Tensor fasciae latae das Knie strecken. Plantarflexion des FuBes kann bei 
Lahmung des Tibialis durch den Peroneus longus besorgt werden, Pronation des FuBes 
bei Peroneus]ahmung durch den Extensor digitorum longus. Zehenbeugung kann durch 
den Extensor longus imitiert werden. 

Eine wichtige Rolle kann ferner eine abnorme Verteilung der Nerven spielen, 
die sich stets erst bei der Operation feststellen laBt. Besonders haufig scheinen 
Anastomosen zwischen Medianus und Ulnaris an Ober- oder Vorderarm sowie 
auch der Hautaste an der Hand zu sein. Es werden hier einige Falle mitgeteilt, 
in denen Ulnarismuskeln vom Medianus versorgt wurden. 

298) Sixth nerve paralysis o! otitic origin, by E. Hamilton White. (Americ. 

Journ. of the med. scienc. CLIX. 1920. No. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Besprechung des Gradenigoschen Syndroms (Abduzenslahmung bei Otitis) 
unter Mitteilung zweier eigener Falle. 

294) Congenital facial paralysis, by F. R. Fry and M. Kasak. (Arch, of neurol. 

and psychiatry. II. 1920. No. 6.) Ref.: W. Misch. 

lljahr. Madchen, bei dem von Geburt an folgende Defekte bestanden: totale 
Fazialislahmung beiderseits, Verlust der Seitwartsbewegungen beider Bulbi sowie der 
Bewegungen der Obliqui, Fehlen der Seitwartsbewegungen des Unterkiefers, Zungen- 
atrophie, Parese des weichen Gaumens und der Uvula, Schluckstorungen, schwer defekte, 
fast unverstandliche Sprache. Volliges Fehlen der linken Mamma. Teratologische Ver- 
anderung der linken Hand, die sehr klein ist und einen sehr kleinen Zeige- und Kleinfinger 
aufweist. Als Ursache wird Keimschadigung angenommen. 

295) Die Faziallahmung als Indikation fur die AufmeiBelung des Proc. mastoideus 

bei akuter Mittelohreiterung, von Dybwad Danelius. (Acta oto-laryng. 

II. 1920. Fasc. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Das Auftreten der Fazialisparese bei akuter Mittelohreiterung ist an sich 
eine absolute Indikation fur die AufmeiBelung des Proc. mastoideus, erstens weil 
die Lahmung am haufigsten das Zeichen einer Osteitis ist, deren Grad und Lokali- 
sation sich von vornherein nicht feststellen laBt (ProzeB im Fazialiskanal ?) und 
zweitens weil die Operation als der richtigste, gegen die Parese an sich gerichtete 
Eingriff berechtigt erscheint. 

296) Pseudo-syndr6me de Tapia, par Aloysio de Castro* (Revue neurolog. XXVII. 

1920. No. 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Als Tapiasches Syndrom bezeichnet man die einseitige Lahmung des Stimm- 
bandes und der Zunge (Hemiplegia glosso-laryngea) mit oder ohne gleichseitige 
Lahmung des Sternocleidomastoideus und Trapezius (Hemiplegia glosso-scapulo- 
• laryngea). Verf. veroffentlicht einen Fall von Tabes mit totaler Larynxlahmung 
als Folge des Riickenmarksleidens sowie mit einseitiger Lasion des Accessorius 
(Lahmung des Sternocleido und Trapezius) und Hypoglossus als Folge eines 
Suizidversuchs (tiefer Einschnitt in die rechte Halsseite mit scharfem Instrument, 
welcher den auBeren Ast des Accessorius sowie die Hypoglossusschlinge getroffen 
hat). Es war demnach die Kehlkopflahmung zentralen, die Accessorius-Hypo- 
glossuslahmung peripheren Ursprungs. Man muB daher von einem zwei- 
zeitig entstandenen Tapiaschen Syndrom, einem Tapiaschen Pseudosyndrom 
sprechen. 

297) Plexusschadigungen bei Klavikulafrakturen, von F. Lotsch. (Deutsche 

med. Wochenschr. 1920. Nr. 37.) Ref.: Kurt Mendel. 

Nach subkutaner linksseitiger Schlusselbeinfraktur heftige Schmerzen in Schulter 
und Arm sowie Unfahigkeit, den Arm zu bewegen. Dann Parasthesien im ganzen Arm. 
Abduktion des Armes behindert, Opponens des Daumens merklich schwach; keine 
Sensibilitatsausfalle. Das Rontgenbild ergab einen dem zentralen Bruchstuck anliegenden 
kleinen Splitter mit nach abwarts gerichteter Spitze. Dieser Splitter driickte wie ein 
Nagel auf den Plexus und bedingte so die Parasthesien. Operative Entfemuug desselben 
brachte sofortige Heilung. 


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298) Brachial birth palsy, by T. Turner Thomas. (Americ. Journ. of the 

medic, scienc. CLIX. 1920. No. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei Entbindungslahmungen ist die Armlahmung gewohnlich von langerer 
Dauer, sie betrifft die ganze Extremitat und ist nicht auf die Duchenne-Erbsche 
Muskelgruppe beschrankt. 

299) A propos des grilles. Morphologic, notation et interpretation, par G. Giraud. 

(Progres medical. XLVIII. 1920. No. 11.) Ref.: W. Misch. 

Da jede pathologische Handkonfiguration einer bestimmten Nervenlasion 
entspricht, so erscheint es wichtig, die morphologischen Typen derselben genau 
zu beschreiben. Verf. schlagt zu diesem Zwecke eine Formelschrift vor, aus der 
auf den ersten Blick zu ersehen ist, welche Stellung die einzelnen Fingersegmente 
einnehmen. Jeder Finger wird durch eine romische Ziffer (I bis V) bezeichnet; 
innerhalb jedes einzelnen Fingers wird jede Phalange mit der ihr entsprechenden 
arabischen Ziffer (1 bis 3), die Flexions- oder Extensionsstellung derselben mit 
F oder E bezeichnet, wobei deren Grad durch eiu darunter gesetztes -)— oder 
oder + -j~Zeichen unterstrichen werden kann. Bei Durchtrennung des Ulnaris 
im mittleren Drittel des Vorderarms wiirde z. B. die Handformel lauten: (IV—V) 

E 1 E 2 F,. 

+ + 

300) Die Behandlung der Radialislahmung durch Sehnenverpflanzung, von Bruno 

Kiinne (Berliner Klin. Wochenschr. 1920. Nr. 39.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. hat die Operation der Sehnenverpflanzung bei Radialislahmung aus- 
schlieBlich nach den Grundsatzen von St off el durchgefiihrt, der die Haltung 
der Hand nur lebendigen Muskelkraften anvertraut wissen will. Er bespricht 
die Grundsatze und berichtet iiber die auf diese Weise behandelten Falle, bei 
denen gute Erfolge erzielt werden konnten. 

301) Behandlung des neuropathischen FuBgeschwiirs mit Verlagernng sensibler 

Nerven, von O. Nordmann. (Medizin. Klinik. 1920. Nr. 31.) Ref.: 

E. Tobias (Berlin). 

Verf. ging aus von einem Gedanken von Heineke, der auf Grund von Tier- 
versuchen durch Verlagerung eines Astes eines funtionsfahigen Nerven aus der 
Nachbarschaft in einen gelahmten Muskel eine Wiederkehr der Gebrauchsfahigkeit 
dieses Muskels erzielte. Sein zunachst praktisch erprobtes Vorgehen besteht in 
einer Nervenvcrlagerung zwecks Heilung des trophoneurotischen Geschwiirs. 
In einem Falle von Verletzung des Nervus tibialis am Unterschenkel mit Anasthesie 
und Aufhebung der elektrischen Erregbarkeit und einem bohnengroBen Geschwtir 
in der Sohlenhaut des FuBes wurde eine Verlagerung des Nervus superficialis 
posterior vorgenommen. Drei lange Aste werden an ihrem peripheren Ende durch- 
schnitten; darauf werden drei unter der Haut verlaufende Tunnel gebildet, die 
bis dicht an das Geschwiir reichen, in jeden Gang ein Nervenast hineingelegt. 
Sechs Wochen nach der Operation ist das Geschwiir geheilt. Verf. glaubt das 
Verfahren nur in Fallen empfehlen zu konnen, in denen das trophoneurotische 
Geschwiir nach peripheren Nervenverletzungen entstanden ist, nicht bei Riicken- 
marksaffektionen u. dgl. Zum SchluB berichtet Verf. noch iiber zwei weitere 
Falle, die noch in Beobachtung sind, entschieden aber als erfolgreich bezeichnet 
werden miissen. 


Neuralgie. 

302) The major trigeminal neuralgias and their surgical treatment, by Harvey 
Cushing. (American Journ. of medic, sciences. CLX. 1920. No. 2.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

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Verf. beschreibt 5 Typen von Gesichtschmerz, welche fiir Trigeminus neural gien 
gehalten werden konnen: 1. Neuralgien, die auf das Ganglion sphenopalatinum 
zu beziehen sind, 2. Neuralgien nach Herpes zoster, 3. solche infolge Erkrankung 
des Ganglion geniculatum, 4. solche, welche gewisse Falle von Tic convulsif 
begleiten, und 5. solche, welche darauf' beruhen, daB der Trigeminus in einen 
Tumor einbezogen ist. Verf. unterscheidet die kleinen und die groBen Trigeminus- 
neural gien, fiir welch letztere als Behandlung die Operation des Ganglion Gasseri 
in Betracht kommt. Bei obigen 5 Typen von Pseudotrigeminusneuralgie ist von 
der Neurektomie Abstand zu nehmen. 

303) Einfacher Weg zum zweiten Trigeminusaste zur Anathesie und Alkohol- 
injektion bei Neuralgie, von E. Payr. (Zentralbl. f. Chir. 1920. Ni. 40.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Der vom Verf. angegebene Weg zum zweiten Trigeminusast vermeidet die 
Gefahr des Eindringens der Nadel in Orbita oder Nasenhohle, er fiihrt unmittelbar 
in den Nervenstamm hinein, so daB man mit ganz geringen Mengen von Novokain- 
Suprarenin ihn leitungsunempfindlich, mit gleichfalls kleinsten Mengen von 
Alkohol infiltrieren kann. Der Weg fiihrt oberhalb des Jochbeins zur Fossa 
pterygo-palatina. Die Einstichstelle liegt unmittelbar nach vorn von der Ver- 
bindungsstelle zwischen Jochbeinkorper (Proc. temporalis) mit dem Jochbogen, 
in dem Winkel zwischen Stirn- und Schlafenfortsatz des Jochbeins. Die Injektions- 
nadel dringt in senkrechter Richtung auf die Haut in die Tiefe, erreicht in einer 
Tiefe von 2*/ 2 bis 2 3 / 4 cm das Tuber maxillae, dann die Fliigelgaumengrube und 
dort die Stelle, wo der Nervenstamm sich anschickt, in die Fissura orbit, infer, 
einzutreten. In 6 Fallen von Neuralgie des zweiten Trigeminusastes erwies sich 
die Methode als erfolgreich. 

304) Die „kleinen elektrischen Zeichen“ der Ischias. Aus „Beitrage zur Pathologie 
der peripheren Nerven", von Erwin Wexberg. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 
heilk. LXVI. 1920. Heft 5 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die 5 Falle, die mitgeteilt werden, bilden eine ziemlich kontinuierliche Reihe 
von der leichtesten bis zur schweren Form der Neuritis ischiadica mit abgestuften 
Veranderungen der elektrischen Erregbarkeit der kleinen FuBmuskeln (Herab- 
setzung der faradischen Erregbarkeit bis zu partieller und sogar totaler EaR.). 
Zweifellos ware bei darauf gerichteter (elektrischer) Untersuchung in zahlreichen 
Ischiasfalien die Beteiligung der kleinen FuBmuskeln objektiv nachweisbar. 

305) Die Radiumbestrahlung als Behandlungsmethode in der inneren Medizin, 

von W. Falta u. Fr. Hogler. (Wiener klin. Wochenschr. 1920. Nr. 33.) 
Ref.: Pilcz (Wien). 

Aufsatz von vorwiegend internistischem Interesse. Verff. empfehlen Radium- 
bestrahlungen auch bei Trigeminusneuralgie, Ischias, Plexusneuralgie und Herpes 
zoster und bringen kurze Berichte iiber eigene Heilerfolge in derartigen Fallen. 

306) Zur Bebandlung des Kopfschmerzes, von Dr. Heermann. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1920. Nr. 33.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei myalgischem Kopfschmerz klebe man auf Nacken oder Riicken Heft- 
pflaster auf, zugleich ein oder mehrere elastische Kissen von 1 bis 4 cm Dicke 
(gefiillt mit Wolle, Watte, Filz, Gummischwammabfallen, Flicken, Heu oder dgl.); 
letztere lasse man wenn moglich den ganzen Tag, sonst wenigstens 10 Min. taglich 
liegen. Diese Anwendung von Heftpflaster und elastischen Kissen heilt haufig 
ganz allein jahrelang bestehende Kopfbeschwerden. 


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Neuritis, Herpes zoster, Landry, Neurofibromatose, 
intermittierendes H in ken. 

307) tJber Polyneuritis syphilitica, von W. Kerl. (Wiener klin. Wochenschr. 
1920. Nr. 42.) Ref.: Pilcz (Wien). 

45jahr. Frau. Infektion negiert. Aus vollem Wohlbefinden plotzlich rechtsseitige 
Lahmung, zwei Tage spater Ausschlag. Status pras.: Macuio-papuloses Exanthem. Ad 
anum et genitale Papeln. Rechtsseitige periphere Fazialislahmung und Parese der reehts- 
seitigen oberen und unteren Extremitaten. Schadel nicht klopfempfindlich, keine Nacken- 
starre, keine Bulbusempfindlichkeit, keine Sehstdrung. Komealreflex rechts herabgesetzt, 
Sensibilitat im Quintus sonst normal, Atrophie und Lahmung des rechten Masseters, 
Pupillarreaktion prompt, keine Doppelbilder, kein Nystagmus. Schmerzen in rechter 
Schulter und rechtem Tschiadicus. Pruckempfindlichkeit des rechten Medianus und 
Ischiadicus; diffuse Atrophie des rechten Beines (angeblich seit dem 5. Lebensjahre im 
Anschluft an Operation). Sehnenreflex an oberen Extremitaten gleich, Bauchdeckenreflex 
links lebhafter, Patellarsehnenreflexe rechts > links, Achillessehnenreflex rechts fehlend, 
kein Babinski, Sensibilitat normal, keine Blasen-Mastdarmstorungen. Liquor: Zellen 26, 
Pandy +d—K Nonne-Apelt + + , Nissl 0,35%, Goldsol Vio bis V 40 violett, Wassermann- 
reaktion negativ, im Serum positiv. Spezifische Kur. Nach 7 Sulfoxylatinjektionen 
Riickgang der Fazialisparese, ubriger Nervenbefund bereits negativ. 12 Tage spater 
Geheiltentlassung. 

In den epikritischen Bemerkungen betont Verf. zunachst, daB die Lahmungs- 
erscheinungen dem Auftreten des Exanthems um 2 Tage vorausgegangen waren. 
Die geringe Schmerzhaftigkeit spricht gegen wesentbche Mitbeteiligung der Wurzeln. 

Nur wiederholte und insbesondere in spaterer Zeit nach Infektion angestellte 
Untersuchungen konnten liber folgende Punkte AufschluB geben: 1. Ob die peri- 
pheren luetischen Neuritiden immer positiven Liquorbefund aufweisen, 2. ob der 
positive Befund eine Mitbeteiligung des Zentralsystems voraussetzt. Verf. mochte 
die spezifische Polyneuritis als direkte lokale Spirochatenschadigung auffassen, 
nicht toxamischen Ursprungs. 

Gegeniiber Steinert deutet Verf. seinen Fall als Polyneuritis, nicht als 
Mononeuritis multiplex luetica. 

308) Acute infectious enteritis with a polyneuritic syndrome, by Frederic J. Fame 11 

and Arthur H. Harrington. (American Journ. of the medical scienc. 
CLX. 1920. No. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. berichtet liber Falle von Polyneuritis nach Enteritis. In den Korper 
war ein exogenes Toxin (Staphylokokkusinfektion) eingeflihrt, dasselbe erzeugte 
eine akute infektiose Gastro-intestinal-Entziindung, vom Intestinum ging das 
infektiose Agens in die allgemeine Zirkulation liber, erzeugte so eine Septicamie; 
diese Infektion hatte eine besondere Affinitat zum peripheren Nervensystem 
und erzeugte so den Symptomenkomplex der Polyneuritis. Klinisch-pathologisch 
zeigte Milch, Halsabstrich, Blut, Faeces, Urin Staphylokokken. Pathologisch- 
anatomisch fand sich eine akute hamorrhagische Neuritis (s. die Arbeit des Ref., 
Neur. Centr. 1916. S. 546). 

309) Nevrite isolee de la branche motrice du trijumeau, par Knud H. Krabbe. 

(Revue neurologique. 1920. No. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von isolierter Neuritis des motorischen Trigeminus, wahrscheinlich nach Influenza. 
Zunachst bot Pat. das Bild einer Hemiatrophia facialis progressiva. Atrophie des Temporalis 
und Masseter, Bewegungsbeschrankung des Unterkiefers bestatigten aber bei gleichzeitigem 
gutem Zustande der Muskeln und Knochen des Gesichts die Diagnose: Affektion des 
motorischen Quintus. Verf. glaubt nicht an eine Poliomyelitis anterior acuta, halt die 
Affektion vielmehr fiir eine mononeuritische, postinfluenzelle. 

310) Neuritis cruralis. Aus „Beitrage zur Pathologie der peripheren Nerven‘% 

von Erwin Wexberg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 1920. 

Heft 5 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 


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5 Falle Warden mitgeteilt, von denen nur 2 als sichere Neuritiden des N. cruralis 
zn bezeichnen sind. Schon hieraus ergibt sich, wie vorsichtig man mit dieser 
Diagnose, die oft nur per exclusionem gestellt werden kann, sein muB. Differential- 
diagnostisch kommen hauptsachlich Riickenmarks- und Caudaaffektionen sowie 
Kniegelenkserkrankungen in Betracht. In den meisten Fallen ist es nicht so sehr 
das klinische Bild als vielmebr der Verlauf des einzelnen Falles, der iiber die Natur 
des Leidens entscheidet. 

311) Beitrag zum Zusammenhang zwischen Herpes zoster und Arsen, von Karl 
Mezei. (Miinehener med. Wochenschr. 1920. Nr. 29.) Ref.: Kurt Mendel. 

Patientin mit typisehem Herpes zoster lumbo-ingumalis im AnschluB an innerliche 
Arsenmedikation. 5 Monate nach Ablauf des Herpes emeuert Herpes, diesmal dem Ver¬ 
lauf des N. radialis folgend, wiederum nach Arsenkur, und zwar nach der 20. Injektion. 
Beidemal verlief der Herpes ohne nennenswerte Schmerzen. 

312) tlber die Beziehungen zwischen Herpes zoster und Varizellen, von Magda Frei. 
(Jahrb. f. Kinderheilk. XCII. 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei einer Hausepidemie war eine Zostererkrankung zunachst von einer zweiten 
und dann erst von Varizelleninfektionen gefolgt. Varizellen und Gurtelausschlag 
konnen — wie Bokay zuerst zeigte — eine einheitliche Ursache haben. Der zweite 
Zosterfall wies noch eine Anzahl unregelmaBig iiber den Korper verteilter Efflores- 
zenzen auf. 

313) Neurological Jottings H., by Taylor. (Brit. Med. Journ. 1920. 18. Septbr.) 
Ref.: Schreiber. 

Betrachtungen iiber die Vielgestaltigkeit der multiplen Sklerose und iiber 
den Zusammenhang zwischen Giirtelrose und Windpocken. Als besonders kenn- 
zeichnend fur die nahen Beziehungen zwischen letzteren beiden Krankheiten 
sei hier der Fall eines Arztes hervorgehoben, der an Herpes zoster des Rumpfes 
erkrankte und dessen Tochter zwei Wochen spater Windpocken bekam. Er selbst 
hatte kurz zuvor eine Frau mit Giirtelrose behandelt, die ihrerseits wieder mit 
Windpockenkranken in Beriihrung gekommen war. 

314) Neuere Ansichten iiber den Herpes zoster, von Junius (Bonn). (Herpes 
communis, ophthalmicus, traumaticus, dem Herpes verwandte Erkrankungen 
der Hornhaut). (Zeitschr. f. Augenheilk. XLIV. Heft 1 u. 2.) Ref.: Fritz 
Mendel. 

In der iiberwiegenden Zahl der Falle geliort Herpes zoster ophthalmicus 
in die Gruppe der sekundar bedingten Zosteren. Die Ursachen der Grundkrankheit 
sind nicht einheitlich. Verschiedene korperliche Krankheitszustande — auch 
latente — konnen als sichtbare KrankheitsauBerung am Auge Herpes zoster 
ophthalmicus zur Folge haben. Eine traumatische Entstehung von Herpes zoster 
ophthalmicus ist wissenschaftlich noch nicht festgestellt. Es gibt moglicherweise 
auch ein Herpes zoster ophthalmicus, der nicht durch Neuritis oder Erkrankung 
der Nervenganglien bedingt ist, sondern durch eine Storung in den hoheren sen- 
siblen Zentren des Trigeminus im verlangerten Mark (bulbare Erkrankung). 
Es gibt Zosteren am Auge mit seltenen Komplikationen wie: Exophthalmus, 
ferner mit Eruptionen der Blasen auf der Sklera. Das Wesen aller Krankheits¬ 
zustande ist wohl gestorter Chemismus bzw. herabgesetzte Vitalitat der Hornhaut. 
Fiir das Ulcus corneae rodens ist Gewebstod in groBerem Umfange anatomisch 
nachgewiesen. 

315) ttber Eigentumlichkeiten des Herpes zoster, von Arthur Stern. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1920. Nr. 30.) Ref.: Kurt Mendel. 

48 jahr. Neuropath. Seit vielen Jahren in der Regel alle 4 Wochen Herpeseruptionen, 
meist am GesaB. Jetzt Herpes zoster an reehter GesaBseite, dann am harten Gaumen 
links mit Schwellung der linksseitigen Halsdriisen, 4 Tage darauf Parese im linken Fazialis 


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mit starken Schmerzen, die dann komplett wird. Spater wiederum Herpes zoster an 
rechter GesaBseite, 4 Wochen spater Drusenschwellung an rechter Halsseite. 

Demnach periodisches Wiederkehren eines Herpes zoster, wohl infolge Fehlens 
von Immunstoffen bei dem betreffenden Kranken. AuBerdem Kombination 
des Herpes mit Fazialislahmung und Herpes im zweiten Trigeminusast, nicht 
auf direktem Kontakt beruhend, sondern als Ausdruck einer allgemeinen Infektions- 
krankbeit. Es scheinen Zoster-,,Aquivalente“ in Form von Allgemeinerscheinungen 
mit Drusenschwellungen, motorischen Lahmungen usw., ohne Zostereruption 
auf der Haut vorzukommen. 

316) Beitrage zur Pathologie des Herpes zoster, von L. Nyar y. (Orvosi Hetilap. 
1920. No. 43.) Ref.: Hudovernig. 

Bei einer 27jahrigen, an Lymphogranulomatosis leidenden, stark herabgekommenen 
Kranken trat 2 Wochen vor dem Tode dem Gebiete des 2. bis 4. linken Halssegmentes 
entsprechend eine Herpeseruption auf; in der weichen Hirnhaut des Halsriickenmarkes 
fand Verf. beiderseits eine ziemlich ausgesprochene Rundzelleninfiltration der GefaBe und 
im 2. linken Intervertebralganglion einen durch Thrombose einer kleinen Arterie ver- 
ursachten Infarkt; im Ganglion iiberdies eine umschriebene Stelle mit verschwommener 
Struktur der Ganglien- und Bindegewebszellen. Der Zusammenhang der Herpeseruption 
mjt der Lasion des Intervertebralganglion ist zweifellos, doch nicht so klar der Meehanismus 
der Entstehung, um so mehr da es sich nicht um eine entziindliche Veranderung, also um 
einen idiopathischen Herpes handelt und das Gebiet der Hauterupiion groBer ist als dem 
einen Ganglion entsprioht. Am plausibelsten erscheint die van der Scheersche An- 
sicht, daB durch die Lasion sympathische Zellen des Halsmarkes gereizt werden und daB 
die Hautveranderung so der Ausdruck einer reflektorisch entstandenen vasomotorischen 
Reizung des Sympathicus ist. Die bedeutend groBere Ausdehnung des betroffenen Haut- 
gebietes kann damit erklart werden, daB im Halsmarke keine sympathischen Fasern ent^ 
springen, und so wird die Sympathicusreizung auf ein groBeres Hautgebiet projiziert. 

Verf. gelangt zu dem Sehlusse, daB idopathischer und symptomatischer 
Herpes direkt und indirekt im Wege des Sympathicus verursacht werden; hierzu 
muB entweder der Sympathicus selbst oder aber das Nervensystem an einer 
solchen Stelle angegriffen sein, welche auf den Sympathicus reflektorisch einwirkt. 

317) tJber toxisch bedingte aufsteigende Lahmung mit Hamatoporphyrie, zugleich 
ein Beitrag zur Auffassung der Landryschen Paralyse, von A. Bostroem. 
(Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LVI. 1920. S. 181.) Ref.: W. Misch. 

Der hier mitgeteilte Fall gehort zur Gruppe der Landryschen Paralyse, 
unterscheidet sich aber von ihr durch einen besonderen klinischen Befund und 
lieferte auch histologisch ein Ergebnis, das die klinischen Erscheinungen zu er- 
klaren geeignet war. 

Es handelte sich um eine 31jahrige, schwachliche, empfindliche, erblich belastete 
Frau, die wahrend der Laktationsperiode erstmalig an einem Depressionszustand erkrankte, 
der sich bald besserte. Seitdem Ausbleiben der Menses, wiederholte leichte Depressions- 
zustande, Schmerzen in der Bauchgegend, so daB die Patientin ans Morphium gerat, von 
dem sie taglich 12 Ampullen spritzt. Bald darauf entwickelte sich eine schwere Erkrankung 
mit Leibschmerzen und hartnackiger Verstopfung, dazu Verstimmung und reizbare Unruhe. 
In der Folge entstand allmahlich eine Tilhmung, die an den Oberschenkelmuskeln anfing 
und von da symmetrisch auf Bauch und Arme liberging, um schlieBlich auch Gesichts- 
und Atmungsmuskulatur zu ergreifen; fast ganz verschont blieben nur Unterschenkel 
undFiiBe. Refiexe fehlten, es bestanden leichte Sensibilitatsstorungen von anscheinend 
segmentaler Begrenzung. Daueind heftige Schmei*zen im Bauch und in den Extremitaten. 
Hamverhaltung mit Tenesmus, hartnackige, nicht zu behebende Verstopfung. Subfebrile 
Temperaturen. Im Urin weder EiweiB noch Zucker, dagegen massenhaft Hamatoporphyrin. 
11 Tage nach Beginn der ersten Lahmung trat Tod durch Atemlahmung ein. 

Die Obduktion ergab auBer einer Bronchopneumonie keinerlei Veranderungen der 
inneren Organe; ervahnenswert ist nur die Persistenz des Thymus. Am Riickenmark 
fand sich dasBUd der sogenannten schweren akuten Zellerkrankung im Sinne von Nissl: 
Degeneration der Ganglienzellen der Vorderhorner bis hinauf ins obere Halsmark, an 
Intensitat nach oben zu abnehmend, bei volligem Fehlen von Markfaserausfalien und Glia- 
wucherungen; Degeneration der Ganglienzellen in den Spinal ganglien, einhergehend mit 


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einer Wucherung und Vermehrung der Kapselzellen; entziindliche Erscheinungen an den 
GefaBen fehlen vollkommen. 

Das vorliegende Krankheitsbild zeigt mit einigen in der Literatur erwahnten 
Beobachtungen eine auffallende Ubereinstimmung, so daB diese Falle zu einer 
Krankheitsgruppe zusammengefaBt werden konnen. Diese ist charakterisiert 
durch aufsteigende Lahmung, Hamatoporphyrie und gastro-intestinale Storungen, 
tritt besonders bei Frauen auf, und zwar stets bei Individuen von geringer Wider- 
standskraft, erblich Belasteten, psychopathisch Veranlagten, konstitutionell 
Schwachen, Debilen, GeisteskTanken. Rein klinisch gehoren diese Falle zum 
Begriff der Landryschen Paralyse, der jedoch nur einen Symptomenkomplex 
bezeichnet und von dem die oben beschriebene Krankheitsgruppe abzutrennen ist. 
Atiologisch kommt in erster Linie chionische Giftwirkung (Sulfonal, Blei, Veronal, 
vielleicht auch Morphium, ferner endogene Gifte) in Betracht; es gehort aber zur 
Erkrankung auch eine gewisse Disposition, und wahrscheinlich spielt eine minder- 
wertige Veranlagung oder Schwache des Magen-Darmkanals dabei eine Rolle. 
Die Erkrankung beginnt mit kolikartigen Schmerzen, Erbrechen, Darm- und 
Blasentenesnien, Verstopfung, Harnverhaltung, Oligurie; hinzu kommen Par- 
asthesien bzw. Sensibilitatsstorungen und schlieBlich entwickeln sich Lahmungen 
von ausgesprochen progressivem, symmetrisch aufsteigendem Charakter, die 
schlieBlich durch tlbergang auf die Atemmuskulatur zum Tode fiihren. 

Zu der beschriebenen Krankheitsgruppe gehoren, wahrscheinlich als rudi- 
mentare Formen, die Hamotoporphyrien ohne Lahmungen, die Landryschen 
Paralysen mit Magendarmstorungen, doch ohne Hamotoporphyrie, und die Hamato- 
porphyrie mit Lahmungen, doch ohne Magendarmstorungen. Von der Landryschen 
Paralyse im urspriinglichen Sinne ist das Krankheitsbild abzugrenzen, besonders 
durch den Beginn mit Magendarmstorungen und durch das baldige Auftreten von 
Blasen- und Mastdarmstorungen. Fur die Diagnosenstellung sind zwei der drei 
Hauptsymptome (Magendarmerscheinungen, Hamatoporphyrie, aufsteigende 
Lahmungen) als notwendig anzusehen. Anatomisch lassen sich die Falle, die 
wegen der nachweisbaren entziindlichen Veranderungen am Zentralnervensystem 
zur Myelitis oder Poliomyelitis gehoren, von den hier beschriebenen unterscheiden, 
die rein toxisch bedingt sind und daher rein degenerative Veranderungen in Riicken* 
mark und peripheren Nerven aufweisen oder, als rudimentar oder rasch verlaufend, 
noch ohne anatomische Veranderungen zur Obduktion kommen. 

318) Das Wesen der Reklinghausenschen Neurofibromatose, des Adenoma sebaceum 
imd der tuberosen Sklerose, von Ludwig Merk. (Medizin. Klinik. 1920. Nr. 31.) 
Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Beschreibung zweier Falle von Recklinghausenscher Neurofibromatose mit ge- 
nauem mikroskopischem Befund. Zu kiirzerem Referat ungeeignet. 

319) Auf Gefafierkrankung beruhender Beschaftigungskrampf (Dyspraxia angio- 
sclerotica brachii), von Ladislaus Focher. (Orvosi Hetilap. 1917.) Ref.: 
Hudovernig. 

Dem intermittierenden Hinken analoge Erscheinungen bei einem 49jahr. Barbier, 
welcher seit Jahren eine zunehmende Ermiidung und Krampfe der rechten Hand wahrend 
der Arbeit bemerkt. MaBiger Raucher und Trinker, keine Lues; klinisch Aortensklerose, 
erhohter Blutdruck, Puls beiderseits gleich, voll, rechts vielleicht etwas gespannter. 
Wassermannreaktion negativ. Vasomotorische Erscheinungen am ganzen Korper. Nach 
Anamisierung des Armes durch Kompression zeigt derselbe bleiche Marmorisierung der 
Haut, welche ohne reaktive Hyperamie langsam in die normale Farbung iibergeht. Nach 
mehreren ArmstoBen heftige Schmerzen im rechten Arm, Ansteigen des kaum fiihlbaren 
Pulses von 70 auf 140. Die Erscheinung konnte als Dyspraxia angiosclerotica oder als 
Angina brachii bezeichnet werden. 


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Sympathies us, innere Sekretion. 

320) Eine Sekretionsneurose des Nervus sympathicus, von S. G. Zondek. (Medi- 
zinische Klinik. 1920. Nr. 32.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Eine eigenartige Parotisschwellung, die sich regelmaBig nach dem GenuB von sauren 
Apfeln einstellt. Zunachst tritt eine Anamie der Parotisgegend ein, dann stellt sich unter 
Spannungsgefuhl ein ausgesprochener rechtsseitiger und geringer linksseitiger ziemlieh harter 
Parotistumor ein; der Ductus stenonianus wird deutlich palpabel, seine Einmunduligsstelle 
hebt sich aus der Mundschleimhaut sichtbar hervor. Nach halb- bis einstiindigem Bestehen 
schwellen die Ohrspeicheldriisen wieder zur Norm ab. Die Schwellung beruht auf einer 
pldtzlichen maximalen, dickfliissigen und zahen Speichelabsonderung, die durch Reizung 
der sympathischen Nervenfasem der Parotis bedingt ist. Der Reiz wird durch Apfelsaure 
ausgelost, setzt am enteralen autonomen System an, um von hier aus lediglich an die Fasera 
der Ohrspaicheldruse geleitet zu werden. Durch Atropinwird das parasympathische System 
der Parotis (Glossopharyngeus) ausgeschaltet, so daB nunmehr der Sympathicus, seines Anta- 
gonisten entledigt, eine erhohte Funktionentfalten kann, was sich in einer langdauernden, 
achtstiiniigen Parotisschwellung auBert. Durch Pilokarpin werden die parasympathischen 
Fasem gereizt, so daB sie, in ihrem Antagonismus gestarkt, ein Hindemis fur die Entfaltung 
der sympathischen Reizwirkung bilden, wodurch die typische Wirkung der Apfelsaure nur 
in geringem MaBe zutage tritt. 

321) tfber eine neue Methode der Behandlung klimakterischer Beschwerden und 
verwandter Zustande, von Curt Kayser. (Berliner klin. Wochenschrift. 
1920. Nr. 36.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Yerf. faBt seine Erfahrungen wie folgt zusammen: Die klimakterischen Be- 
schwerden werden als AuBerungen eines gesteigerten Sympathicustonus auf- 
gefaBt, dessen Bestehen durch die nach Adrenalininstallation am Auge auftretende 
Mydriasis nachweisbar ist. Durch Transannon, eine neuartige Kombination von 
Kalzium und Ichthyol, ist bei alien, wahrend mehrerer Monate beobachteten und 
behandelten Fallen ein voller Erfolg aufgetreten, der auch objektiv durch das 
Verschwinden der Adrenalinmydriasis feststellbar war. Untersuchungen liber die 
Beeinflussung anderer, gleichfalls mit aufgehobener Ovarialfunktion einhergehender 
Krankheitszustande wie Hyperemesis gravidarum, Eklampsie und Schwanger- 
schaftsniere, durch die Transannon-Kalktherapie sind noch im Gange. Transannon 
wird in Perlen per os genommen. 

322) Zur Psychologie und Psychopathologie der Pubertat nebst einigen Bemerkungen 
iiber die innersekretorischen Funktionen der Keimdriisen, von Arthur Miinzer. 
(Berliner klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 15.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die gleichmaBige Entwicklung von Korper und Seele wird im individuellen 
Dasein durch das Einsetzen der Geschlechtsreife unterbrochen. Das eigentlich 
Umwalzende in der Pubertat ist das Erwachen des Geschlechtstriebs, wobei die 
unbewuBte Sexualitat mit der Zeit der Unwissenheit und der Ahnungen und die 
bewuBte Sexualitat mit der Zeit des Wissens zu unterscheiden sind. Mannigfach 
sind die krankhaften Storungen der Psyche wahrend des puberalen Alters. Verf. 
bespricht besonders die Kriminalitat der Jugendlichen, dann die schwere Gefahr 
der Prostitution, die Neurosen und Psychosen des Pubertatsalters, die Bedeutung 
des Zusammenfallens der Pubertatserscheinungen mit der Reifung der Keim- 
driisen, schlieBlich die Trostlosigkeit der Therapie in der Psychiatrie mit Aus- 
nahme der syphihtischen Erkrankungen. 

323) Psychopathia sexualis und innere Sekretion, von J. Sadger. (Fortschritte 
der Medizin. 1920. Nr. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Polemik gegen Steinach, Lichtenstern und M. Hirschfeld. ,,So iiberaus 
wertvoll fur unser medizinisches Wissen innere Sekretion und die Steinachschen 
Versuche geworden, die Lehre von den Geschlechtsverirrungen konnten sie bislang 
nur wenig fordern. BloB von den konstitutionellen Bedingungen haben sie ein 
Stiickchen den Schleier geliiftet, in diese Terra incognita ein Strahlchen Licht 


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einfallen lassen. Doch um die Psychopathia sexualis voll zu begreifen, besonders 
in ihrem beim Menschen wohl wichtigsten seelischen Anted, erscheint die ana- 
tomisch-chemische Methode nicht geeignet. Hier hilft nur eine psychische For- 
schung, die Seelisches in seelischer Weise priift.“ 

324) tJber Hodenimplantation beim Menschen, von E. Kreuter. (Zentralbl. f. 

Chirurgie. 1919. Nr. 48.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. knlipft an die Steinachschen Versuehe tiber die innere Sekretion der Puhertats- 
drtisen an und beriehtet liber einenFall, welchem beideHoden wegen Tuberkulose entfemt 
werden muBten. Darauf vollkommenes Erloschen der Geschlechtslust, welche schon in den 
letzten Jahren wesentlich abgenommen hatte. AuBer dem Fehlen von Erektionen keine 
weiteren somatischen Ausfallserscheinungen. 4 Wochen nach der Hodenexstirpation im- 
plantierte Verf. dem Kastraten den einem Gesunden entfernten Leistenhcden saint dessen 
Nebenhoden in die Lumbalgegend. Nach 14Tagen bemerkte Pat. eigenartige Sensationen 
im Penis, nach 3 Wochen nachts die ersten Erektionen, nach und nach erwachte auch die 
Geschlechtslust; 4 Monate nach der Operation normal kraftige Erektionen. Bisher kein 
Orgasmus. Pat. fiihlt sich korperlich besser und in seinem mannlichen Personlichkeitswert 
bedeutend gehoben. Die implantiertenHodenhalften sind ncch deutlich fiihlbar und auf 
Druck empfindlicb. 


Hypophyse, Epiphyse. 

325) Die Hypophyse und ihre wirksamen Bestandteile, von H. Fiihner. (Therap. 
Halbmh. 1920. H. 16.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. bespricht zunachst die normale und pathologische Anatomie der Hypo¬ 
physe und die klinischen Bilder, die durch Erkrankungen und Operationen hervor- 
gerufen werden. Unter Hypophysenextrakten verstehen wir heute die als Arznei- 
mittel brauchbaren wasserigen Extrakte aus dem Hinterlappen der Hypophyse 
des Rindes, die aber immer gleichzeitig den anscheinend besonders wirksamen 
Auszug aus dem Mittellappen mitenthalten. In Gebrauch sind drei deutsche Hypo- 
physenextrakte, dazu kommt noch das Hypophysin Hochst. Verf. bespricht be¬ 
sonders eingehend die Wirkung in der Geburtshilfe als Wehenmittel und als gefaB- 
kontrahierendes Blutstillungsmittel, dann kurz den EinfluB bei Darmlahmung nach 
Operationen und auf den Blutdruck, auf die Nierensekretion in ihrer Beziehung 
zum Diabetes insipidus usw. Kombinationen von Hypophysin und Suprarenin 
scheinen beim Asthma wirksam zu sein. Die Beziehungen der Hypophysensub- 
stanzen zum Sympathicus lassen daran denken, auch in anderer Weise Versuehe 
zu machen, wie z. B. zur Abkiirzung der Rekonvaleszenz nach schwerer Grippe 
und gegen Schwachezustande u. dgl. zur Steigerung der Leistungen des Organismus. 
Verf. ist mit Versuchen beschaftigt, bei der Sektion Ober- oder Unterfunktion 
der Druse festzustellen durch Herstellung von Extrakten und Priifung derselben 
auf ihre pharmakologische Wirksamkeit. 

326) Beitrag zur Kasuistik der Hypophysentumoren, von Hans Roth. (Zieglers 
Beitr. zur pathol. Anat. und zur allgem. Pathologie. LXVII. 1920. Heft 2.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Exzessiv groBes Hypophysenadenom. AUgemein- und Kompressionserscheinungen 
beherrschten das klinische Bild (Neuritis optica, Oculomotoriusparese, Hemiplegia atternans, 
superior, Adiadochokinese, Horstorungen usw.). 

327) Diabetes insipidus im AnschluB an Meningitis serosa, von Alfons Foerster. 
(Miinchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 24.) Ref.: Kurt Mendel. 

Im AnschluB an eine bei Nebenhbhlenerkrankung der Nase auftretende Meningitis 
serosa entwickelte sich mit dem Abklingen der letzteren ein Diabetes insipidus, der durch 
Hypophysenhinterlappenextrakte beeinlluBbar ist. Abduzens- und Okulomotoriuslahmung 
weisen im Verein mit dem Verhalten der Hypo physenextrakte und dem Diabetes insipidus 
auf das Zwischenhim oder die Hypophyse hin. 


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328) Ein Beitrag zur Kenntnis des hypophysaren Zwergwuchses, von A. Pries el. 

(Zieglers Beitr. zur pathol. Anat. und zur allgem. Pathol. LXVII. 1920. 

Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Es handelt sich um ein zur Sektion gekommenes zwerghaft gebautes miinnliches In- 
dividuum, welches das hohe Alter von fast 91 Jahren erreichte. Er war von guter Intelligenz 
und sexuell nicht abnorm. Die Sektion ergab ausgesprochenen Kurzkopf, eine auffallende 
Kleinheit der senil atrophischen Schilddriise und der Nebennieren, eine bemerkenswerte 
GroBe der oberen Epithelkorperchen, eine deutliche Kleinheit des ganzen Genitales (senile 
Atrophie bei von vomherein bestehender Hypoplasie), die nocb vorhandenen Anzeichen 
einer anscheinend in fruheren Jahren starker ausgepragten zerebralen Fettsucht, als besonders 
auffallend aber Bildungsanomalien in der Hypophysengegend: die Neurohypophyse lag nicht, 
wie gewoiinlich, innerhalb der Sella, sondem als direkte Fortsetzung des Infundibulums 
entsprechend dem oberen Abschnitt des Hypophysenstieles nach unten und hinten vom 
Chiasma opticum an der Himbasis. An ihrer Vorderflache fand sich ein plattchenartiges 
dunnes Lager von HypophysendrUsenzellen, die sich in Form eines diinnen, rundlichen Fort- 
satzes iiber das freie Ende der Neurohypophyse hinaus erstreckten und den Zusammen- 
hang mit dem intrasellaren Abschnitt vermittelten. Der letztere selbst war in ein diinn- 
wandiges zvstenahnliches Gebilde umgewandelt, welches die Sella und eine unmittelbar unter 
ihr liegende groBere Hohle im Koilbeinkorper ausfiillte und durch eine am oberen Pol ge 
legene enge Gffnung mit dem Subduralraum des Schadelinnern kommunizierte. In der 
Wand dieses Gebildes fand sich allenthalben eine auBerst diinne Lage von Vorderlappen- 
zellen, die nur sellawarts an Machtigkeit gewann und direkt von der Gegend der Sateflehne 
aus in den Verbindungsstiel mit der Neurohypophyse liberging. 

Der Fall ist den Beobachtungen pituitarer Nanosomie anzugliedem, da auch diese 
— wie der vorliegende Fall - mit einer Unzulanglichkeit des Vorderlappenanteils der 
Hypophyse einhergehen. Im vorliegenden Falle von Persistenz des Hypopbysenganges 
und Dystopie der nieht in die Sella herabgetretenen Neurohypophyse war wahrscheinlich 
die vaskulare Versorgung des Hypophysenvorderlappens eine insuffiziente; so gelangte 
der Vorderlappen, wenn nicht in den ersten Stadien (bis zum 15. Lebensjaht* bestand ein 
normales Wachstum des Pat.!), so doch spater unter ungiinstige Ernahrungsverhaltnisse, 
die eine mangelhafte Entwicklung oder einen nachtraglichen Schwund desselben zur 
Folge hatteri. Der Wachstumsstillstand ist auf die Storungen der Hirnanhangsentwicklung 
zuruckzufiihren. 

329) tJber echten Zwergwuchs, von Carl Sternberg. (Zieglers Beitr. zur pathol. 

Anat. u. zur allgem. Pathol. LXVII. 1920. Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

17 jahr. Zwerg, der an tuberkuloser Spondylitis zugrunde gegangen war. Hypophyse 
hypoplastisch, doch sonst normal. Epithelkorperchen klein, sonst normal. Nebennieren 
nicht krankhaft verandert, nur bestand Kalkablagerung in der einen Nebemiiere. Hypo¬ 
plasie der Hoden (keinc Riickbildungsvorgange!). 

Verf. faBt die Entwicklungshemmung der endokrinen Driisen und die Wachs- 
tumshemmung als koordinierte Erscheinungen einer allgemeinen Entwicklungs¬ 
hemmung des ganzen Organismus auf. Der Zwergwuchs dieses Falles ware hiernach 
als „infantilistische u Wachstumsstorung (Nanosomia hypoplastica; Entwick¬ 
lungshemmung des ganzen Organismus) anzusehen, im Gegensatz zu anderen 
Fallen von Zwergwuchs infolge Hypophysenerkrankung (Nanosomia pituitaria). 
Im allgemeinen werden die infantilistischen Zwerge einen hoheren Grad der Unter- 
entwicklung der einzelnen Organe, speziell der endokrinen Driisen aufweisen als 
die hypophysaren Zwerge. Bei letzteren wird die Intelligenz normal sein oder 
geringere Defekte aufweisen als bei ersteren, die meist auf einer kindlichen Stufe 
stehen bleiben. Der Nanosomia hypoplastica und der Nanosomia pituitaria ist 
als dritte Form eine Nanosomia hypothyreotica (mit Entwicklungshemmung 
thyreogenen Ursprungs) anzureihen. Bei letzterer (Fall des Verf.’s) ist die In¬ 
telligenz hochgradig gestort, das Wachstum stark verzogert, wenn auch die Indi- 
viduen stetig, aber langsam wachsen, die Epiphysenfugen sind nur teilweise offen. 
Von dem eigentlichen kretinistischen Zwergwuchs unterscheidet sich die Nano- 
somia hypothyreotica auBerlich schon dadurch, daB ersterer unproportioniert, 
letzterer proportioniert ist. 


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330) Zur Pathologie der Zirbeldriise: Epiphysare Fettsucht bei geschwulstformiger 
Entartung des Organs, von Karl Lowenthal. (Zieglers Beitr. zur pathol. 
Anat. u. zur allg. Pathol. LXYII. 1920. Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

23jahr. Mann. Seit 2 Jahren standig an Gewicht zugenominen (epiphysare Fettsucht). 
Erheblich spater die ersten Himdruckerscheinungen, Kopfschmerzen. Dann nach einigen 
Mona ten Stauungspapille, zeitweilige Pulsverlangsamung und — als Vierhugelsymptome — 
Pupillenstarre, Blicklahmung nach oben und unten. Penislange ziemlich bedeutend, Sexual- 
funktion erhalten. Klinische Diagnose: Epiphysengeschwulst. Anatomisch: malignes Adenom 
der Zirbeldriise. JEin Anhaltspunkt fiir eine Schadigung der Hypophyse und eine dadurch 
entstandene Unterfunktion ergab die Sektion nicht. Der Zirbeldriisentumor ahnit das Bild 
der funktionierenden Zirbeldriise des Neugeborenen in deutlicher Weise nach. Verf. nimmt 
an, daB ein quantitativ uberfunktionierendes Driisengewebe vorliegt, welches beim Er- 
wachseneneine allgemeine Adipositas hervorruft (epiphysare Fettsucht durch Hyperpinealismus). 


Basedow, Tetanie. 

331) Uber Geistesstorungen bei Morbus Basedowii; ihre Bewertung, Prognose und 
chirurgische Behandlung, von H. Klose. (Mediz. Klinik. 1920. Nr. 38.) 
Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Thyreogen bedingte, leichtere psychische Storungen sind bei ausgebildeter 
Basedowscher Krankheit recht haufig. Die meisten bei Morbus Basedowii zu 
beobachtenden echten Psychosen sind endogener Art und haben keine Beziehung 
zum Grundleiden. Echte exogene Psychosen sind sehr selten, betreffen nach Verf. 
etwa 0,5 bis 1 °/ 0 der Falle. Sie konnen thyreogen und thymogen ausgelost sein 
und gehoren, soweit sich bisher beurteilen laBt, in die Gruppe der manisch- 
depressiven Psychosen hinein. Basedowpsychosen sind moglichst friihzeitig operativ 
anzugreifen. 

332) Improvement in Graves’s disease subsequent to severe focal infection, by Theo¬ 
dore L. Squier. (American Journ. of med. sciences. CLX. September 1920. 
Nr. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

2 Falle von Basedow, welche nach einer lokalen Infektionskrankheit (Tonsillitis bzw. 
Mastoiditis) hochgradige Besserung zeigten, nachdem sie wahrend der Infektion stark ver- 
schlimmert waren. Sonst verschlimmem akute Tnfektionen fur gewohnlich die Symptome 
des Basedow. Die Besserung in den Fallen des Verf. wird als Folge des Verlustes von sekre- 
torischem Schilddriisengewebe durch postinfektidse Sklerose der Druse angesehen. 

333) Uber die Rontgenbehandlung des Morbus Basedowii, von S. Nordentoft und 
Paul Blume. (Strahlentherapie. XI. 1920. H. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Verff. empfehlen die Rontgenbehandlung bei Basedow auf Grund ihrer 
Erfahrung an 100 Fallen (ungefahr 40 bis 60 Minuten Bestrahlung, 1 bis 2 bis 3 mal, 
selten ofter). 

334) Zur Thymusresektion bei der Basedowschen Krankheit, von Bruno Oskar Pri - 
bram. (Arch. f. klin. Chir. CXIV. 1920. Heft 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Ausgezeichneter Erfolg von kombinierter Reduktion von Schilddriise und 
Thymus in einem Falle von Basedow mit schweren Allgemein- und besonders 
kardialen Erscheinungen bei kleiner Struma. Besprechung der Beziehungen 
zwischen Basedow und Thymus. Verf. empfiehlt den Versuch einer Thymektomie 
bei jedem ausgesprochenen Status thymicus. Er glaubt, daB es gelingt, durch den 
Eingriff eine Umstimmung der konstitutionellen Anomalie zu erzielen und den 
Patienten fiir Krankheitsinsulte aller Art widerstandsfahiger zu machen. 

335) Zum Alterstermin der manifesten Tetanie, von B. Wolff. (Arch. f. Kinder- 
heilk. LXVIII. Hejt 1/2.) Ref.: Zappert. 

Infolge einer, wie es scheint, miBverstandlichen Auffassung von Klose uber 
eine dasselbe Thema bearbeitende Arbeit des Verf.’s besteht scheinbar ein Gegen- 
satz zwischen beiden Autoren betreffs des Altersbeginns der manifesten Tetanie 


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im Kindesalter. Verf. stellt richtig, daB nach seiner Erfahrung die Sauglingstetanie 
namentlich im zweiten Drittel der Sauglingszeit vorkomme, aber auch im ersten 
Drittel keine bloB ausnahmsweise Erscheinung sei. Unterhalb des zweiten Lebens- 
monates ist Tetanie selten, sehr selten, aber doch nicht so ausgeschlossen, daB in 
dieser Altersstufe ein Grund zum AusschluB der Diagnose bei zweifelhaften Fallen 
gegeben sei. 

336) Blutbildbeobachtungen bei einem Falle von postoperativer Tetanie, von Willy 
Haas. (Miinchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 27.) Ref.: Kurt Mendel. 

Genaues Blutbild in einem Falle von postoperativer Tetanie vor und nach Parathyreoidin- 
medikation. 

337) ttber den Einflufi tetanischer Erkrankungen auf den Blutkalk, von Sofie J ac o - 
bowitz. (Jahrb. f. Kinderheilk. XCII.) Ref.: Zappert. 

Bei Kindern mit latenter oder manifester Spasmophilie wurde der Blutkalk 
niedriger befunden, als bei gesunden Kindern. Kalkzufuhr per os steigert die Menge 
des Blutkalkes nicht, wenn auch damit therapeutische Erfolge erzielt werden. 

338) ttber das Radialisphanomen, von Th. Hoffa. (Deutsche med. Wochenschrift. 
1920. Nr. 41.) Ref.: Kurt Mendel. 

Das Radialisphanomen besteht in folgendem: Beklopfen des Stammes des 
N. radialis an der AuBenseite des Oberarmes lost eine blitzartige radiale Adduktion 
(Beugung) des Vorderarms und Dorsalflexion der Hand aus. Bei hoheren Graden 
von Gbererregbarkeit laBt sich diese Bewegung durch Beklopfen des Oberarms 
von der Ansatzstelle des Deltamuskels an nach abwarts langs des ganzen Sulcus 
radialis bis zum Epicondylus lateralis des Oberarms hin auslosen. Bei Spasmo¬ 
philie der Sauglinge zeigte sich am konstantesten das Peroneusphanomen, danach 
das Radialisphanomen; dem starksten Wechsel unterliegt das Fazialisphanomen 
nach Tageszeiten wie Tagen. In mehreren Fallen hochgradiger spasmophiler 
Ubererregbarkeit fand Verf. ein Schwacherwerden des Bauch- und Kremaster- 
reflexes, in einem Falle auch Verschwinden des Patellar- und Achillesreflexes. 
Mit dem Ruckgang der spasmophilen Ubererregbarkeit kamen die normalen 
Reflexe allmahlich wieder zum Vorschein und verschwanden wieder bei erneutem 
Anstieg der tetanischen Ubererregbarkeit. Beim alteren Kind spricht das Fazialis¬ 
phanomen fur eine angeborene funktionelle Minderwertigkeit des Nervensystems, 
eine Neuropathie. Bei positivem Fazialisphanomen ist im allgemeinen dann auch 
das Radialisphanomen auszulosen, letzteres ist konstanter als ersteres. Ist das 
Radialisphanomen beim alteren Kind stark positiv, so wird man niemals sonstige 
Zeichen der neuropathischen Konstitution vermissen. 

339) Keuchhustenkrampfe und Spasmophilie, von K. Bliihdorn. (Zeitschr. f. 
Kinderheilk. XXVI. Heft 5.) Ref.: Zappert. 

Im Gegensatz zu einer letzthin von Reiche geauBerten Ansicht, nach der 
die bei Keuchhusten und die sonstigen terminalen Krampfe auf eine Meningitis 
serosa zuriickzufiihren seien und mit Spasmophilie nichts zu tun hatten, verweist 
Verf. auf einige von ihm beobachtete Falle zweifelloser Spasmophilie mit derartigen 
Krampfen, die anscheinend unabhangig von einer bestehenden Meningitis auf- 
getreten sind. Allerdings waren wahrend der zum Tode fuhrenden Krankheit 
keine spasmophile Symptome mehr zu entdecken, so daB die vorhandene Spasmo¬ 
philie nur aus der sicheren Anamnese bzw. Vorbeobachtung des Kindes zu er- 
kennen war. 

340) Die Beeinllussung der Tetanie durch Ultraviolettlicht, von Kurt Hudschinsky. 
(Zeitschr. f. Kinderheilk. XXVI. Heft5.) Ref.: Zappert. 

Verf., der auch bei Rachitis giinstige Erfolge durch Ultraviolettlichtbestrahlung 
gemeldet hat, sah auch bei Tetanie die Symptome innerhalb 4 Tagen bis 4 Wochen, 
Laryngospasmus und Konvulsionen schon nach der ersten Bestrahlung schwinden. 


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Die Untersuchungen beziehen sich auf 6 Falle. Auf Grund anderweitiger Beob- 
achtungen stellt Verf. die interessante Hypothese auf, daB die Heilung der Rachitis 
mit einer Kalkentziehung der iibrigen Gewebe durch den heilenden Knochen 
einhergehe, so daB wahrend dieses Knochenverkalkungsprozesses eine durch Kalk- 
verarmung des Gehirns bedingte Tetanie entstehen konne. Es empfiehlt sich, bei 
einer therapeutischen Rachitisbestrahlung den Kindern innerlich Kalk zu geben. 
(Nachuntersuchungen dringend erwiinscht! Ref.) 

341) Durch Epithelkorperchenimplantation geheilter Fall von Tetania gravidarum, 

von Roth. (Wiener klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 40.) Ref.: Pilcz (Wien). 

32jahr.‘V-para, schon in der ersten Zeit der Schwangerschaft tetanische Symptome. 
Bei der Aufnahme (im6. Mcnate) Trousseau. Chvostek, Erb und Hoffmann +, in 4 Tagen 
sechs schwere Anfalle von 1 / 2 bis 1 stiindiger Dauer, mit Zyanose. Intravenose Optocalcil- 
injektionen (Calciiunpraparat) bewirkten nur voriibergehende Besserung. Implantation eines 
durch Strumektomie gewonnenen Epithelkorperchens. Die nachsten 3 Tage anfallsfrei, 
dann innerhalb 12 Tagen drei ganz schwache Anfalle. von da an anfallsfrei bis zum normalen 
Ende der normalen Schwangerschaft. 


Funktionelle Neurosen. 

342) ttber Wesen und Behandlung der Neurasthenic, von Striimpell. (Wiener med. 

Wochenschrift. 1920. Nr. 44/46.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. meint zwar selbst, daB er dem Fachmanne nichts Neues bringe, doch 
biirgt schon der Name des Verf.’s, daB nicht nur der praktische Arzt, sondern auch 
der Neurologe mit groBem Nutzen die Ausfiihrungen des vielerfahrenen Altmeisters 
nachlesen wird, in denen auch die modernsten Anschauungen iiber innere Sekre- 
tion usw. beriihrt werden. 

Ref. kann es sich nicht versagen, die SchluBsatze ad verbum zu zitieren: 
„Als Hauptergebnis unserer Uberlegungen mochte ich dies feststellen, daB die 
Beschwerden der Neurastheniker, ihr ,ewig Weh und Ach‘, doch nicht ,aus einem 
Punkte‘ zu verstehen und kurieren sind. Nur der Arzt, der sich daran gewohnt 
hat, jeden einzelnen Krankheitsfall als eine besondere ihm gestellte Aufgabe zu 
betrachten, wird bei der Diagnose und Behandlung auch der Neurasthenie das 
erreichen, was der Natur der Sache nach iiberhaupt zu erreichen ist.“ 

343) The neuroses of peace, by J. H. Lloyd. (Arch, of neurol. and psych. IV. 

1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 

Aus dieser vor der Neurologischen Gesellschaft von Philadelphia gehaltenen 
Ansprache geht hervor, daB auch auf Seiten der Sieger der Sieg als ein Pyrrhus- 
sieg empfunden wird, da die Schaden des Friedens groBer seien als die des Krieges. 
DaB Europa ein Triimmerhaufen sei, sei die Folge seiner iiberspannten Zivili- 
sation, die unzahlige Menschen zur industriellen Sklaverei verurteilte; der Rausch 
von Freiheit, der jetzt iiber die Menschen gekommen sei, miisse teuer bezahlt 
werden; aber es sei nicht zuletzt die brutalisierende Wirkung des Schiitzengraben- 
daseins, die zu einer Art von traumatischer Massenneurasthenie gefiihrt habe. 
Als pathologische MassenauBerungen seien auch die Streiks anzusehen, denen eine 
Art ansteckenden paranoiden Zustandes zugrunde zu liegen scheine. Als die 
,,groBte pandemische Hysterie seit den Kreuzziigen“ wird das Alkoholverbot 
betrachtet, das als Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung des amerikanischen 
Volkes anzusehen sei; iibrigens sei es arztlich nicht so wichtig, da die Rolle des 
Alkohols als Ursache der Geisteskrankheiten sehr iibertrieben worden sei. Weiter 
wird noch die Hysterie des Spiritualismus bespottet, der ganz uninteressante 
Botschaften von der anderen Welt iibermittele. Ein ernstes Zeichen sei der Ge- 
burtenriickgang in der zivilisierten Welt, besonders in Frankreich; alle bisher 
dagegen versuchten Mittel seien unzweckmaBig. 


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344) Was ist’s mit dem Neurotiker vom Jahre 1920P, von Kurt Singer. (Medizin. 
Klinik. 1920. Nr. 37.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die gesamte Neurotikerfrage muBte zweifellos mit Einsetzen der Revolution 
auf eine andere Basis gestellt werden. Die Revolution wirkte dabei an sich nicht 
schadigend auf die Erfolge der Psychotherapie. In der Zeit naeh der Revolution 
verschob sich jedes Autoritatsgefuhl. Die breite Masse der Arbeiter fiihlte sich 
plotzlich in eine Atmosphare der Herren und der tonangebenden Kaste versetzt. 
Das Gespenst der Arbeitslosigkeit fiihrte dann viele Hysteriker in das neurotische 
Bett zuriick, Mangel an Arbeit bei den gutwilligen, unzureichende Rentenab- 
findung bei den verstockten Hysterischen! Zur Erzielung von Erfolgen bedarf 
es der Disziplin auf der Station. Die Erfolge der Behandlung sind auch jetzt 
durchaus nicht schlecht. Auch heute ist, wie eine Statistik ergibt, die Moglichkeit 
der Symptombeseitigung bei alien korperlichen Manifestationen der Hysterie ge- 
geben. AuBerordentlich wichtig ist die moglichste Ablehnung ambulanter Be¬ 
handlung. Arbeit ist und bleibt die beste Ablenkung von den Beschwerden der 
Durchschnittsneurotiker und die beste Therapie. Alle Rentenersparnisse kommen 
hier den wirklich Kriegsbeschadigten zugute. 

345) Zur Frage der Einwirkung psychischer Faktoren auf zerebrale Mechanismen 
und fiber den Begriff der „physiogenen Neurosen 44 , von J. Gerstmann. 
(Wiener klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 26.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. stellt den psychogenen Neurosen die ,,physiogenen“ gegeniiber, welchen 
Begriff er schon seinerzeit aufgestellt hatte. Erstere sind Falle, die auf exogene 
psychische Erlebnisse hin unter Vermittlung endogener psychischer Prozesse 
durch Verarbeitung nach psychologischen Prinzipien, also indirekt, zustande 
kommen. Letztere solche Falle, die auf exogene psychische Schadigungen hin 
nicht erst auf dem Umweg iiber psychische Zwischenglieder, sondern extra- 
psychisch, auf physiologisch-biologischem Wege, also direkt, entstehen. Bei letz- 
teren kommen daher auch innerhalb einer gewissen Breite symptomatologischer 
Verschiedenheiten im wesentlichen dieselben Krankheitserscheinungen zur Be- 
obachtung. Man muB dabei an Veranderungen molekularer, dynamischer, 
chemischer, nutritiver Art im Bereiche der entsprechenden funktionierenden 
nervosen Elemente als Substrat denken, nicht an ausgesprochene, mikroskopisch 
faBbare oder sonst materielle. Funktionsstorungen im Sinne von Veranderungen 
der Erregbarkeitsverhaltnisse, der Sperrungs- und Hemmungseinrichtungen, der 
Entladungsbereitschaft u. dgl. im Gebiete betroffener zerebraler Apparate werden 
die natiirlichen pathophysiologischen Folgen sein. 

Verf. stellt eine ausfuhrlichere Arbeit mit entsprechenden klinischen Bei- 
spielen in Aussicht. 

346) Instinct and Hysteria, by Carruthers. (Brit. med. Journ. 1920. 12. Juni.) 
Ref.: Schreiber. 

Betrachtung iiber gewisse gemeinsame Ursachen fiir die Entstehung der 
Hysterie beim Menschen und des Trieblebens beim Mensch und Tier. Zu kurzem 
Bericht nicht geeignet. 

347) Electromyographic studies of muscles during hysterical contraction, by St. 

Cobb. (Arch, of neurol. and psychiatry. IV. 1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 

Die mit dem Saitengalvanometer registrierten Aktionsstrome, die bei einer 
hysterischen Muskelkontraktion auftreten, sind von den bei einer normalen will- 
kiirlichen Muskelkontraktion auftretenden kaum zu unterscheiden. Bei der elektro- 
myographischen Untersuchung eines Tremors kann derselbe als hysterischer Tremor 
angesehen werden, wenn die registrierten Kontraktionen einen unregelmaBigen 
Rhythmus aufweisen; vom Tremor der Paralysis agitans oder vom Klonus unter- 


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scheidet sich der hysterische Tremor durch den langsameren Rhythmus und die 
groBere UnregelmaBigkeit. 

348) Uber psychogene Storungen der aufieren Augenmuskeln im Kriege, von 01 off. 
(Zeitschr. f. Augenheilk. XLIII.) Ref.: Fritz Mendel. 

Fast in alien Fallen kann man bei genauer Priifung als korperliche Grundlage 
irgendein anatomisch begriindetes Leiden des Auges oder seiner Nachbarschaft 
feststellen, das psychogen ausgewertet und in den Dienst hysterischer Motive 
gestellt wird. 

In der Pathologie der psychogenen Augenmuskelstorungen spielen Spasmen 
die bei weitem iiberwiegende Hauptrolle. Die haufigste psychogene Augen- 
inuskelerkrankung auch im Kriege ist der Blepharospasmus. 

Die Eigenart der Innervation der Augapfelmuskulatur sowie die engen Be- 
ziehungen der Hysterie zur GroBhirnrinde bedingen es, daB hier in der Regel 
nicht Storungen eines einseitigen Muskels, sondern nur solche im Bereiche der 
Innervation assoziierter Bewegungen vorkommen und zwar wie im Frieden am 
haufigsten unter dem Bilde des Konvergenz- und Divergenzkrampfes, kombiniert 
mit Akkomodationskrampf und Pupillendivergenz. 

Psychogene Augenmuskelstorungen konnen in sehr seltenen Fallen mono- 
symptomatisch ohne sonstige hysterische Begleitsymptome bei sonst ganz gesunden 
Menschen lediglich unter der Wucht katastrophaler Ereignisse ausgelost werden. 

349) ttber monokulare Polyopsie bei Hysterie, von Paul Schilder. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 5 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Hysterische Patientin mit Konvergenz- und Akkoinmodationskrampf und monoku- 
larer Diplopie und Polyopie. Die Storung tritt anfallsweise auf, die Dauer eines derartigen 
Anfalles betragt nur 1—2 Minuten, er tritt auf, wenn die Patientin fixiert. Die Uisaehe der 
Polyopie konnte nicht im Akkommodationsspasmus gelegen sein, sie ist vielmehr auf Be- 
wegungsstorungen im Bereiche der auBeren Augenmuskeln zuriickzufuhren; der Konvergenz- 
krampf ruft die Polyopie dadurch hervor, daB er einenKampf verschiedener Augenbewegungs- 
impulse verursacht. Der Konvergenzkrampf liegt aber als willkurlich hervorrulhares Pha- 
nomen durchaus im Bereiche der bekannten Ausdrucksmittel der Hysterie. 

350) Die Behandlung hysterischer Amaurose, Hemeralopie und Amblyopie durch 
Wachsuggestion und Hypnose und Bemerkungen uber das Wesen hysterischer 
Gesichtsstorungen, von Augstein. (Zeitschr. f. Augenheilk. XLIII.) Ref.: 
Fritz Mendel. 

Verf. kommt zu folgenden Schliissen: 

1. Doppelseitige Amaurose als monosymptomatisches Symptom der Hysterie 
wird nach ununterbrochener Dauer von 21 Monaten durch eirie Hypnose geheilt. 
Sie ist allein Folge eines Trauma. 

2. Als Ursache ist eine Schadigung der hochsten Zentren in der GroBhirnrinde 
anzunehmen; ihre Fixation ist durch Autosuggestion wohl moglich. 

3. Ihre Beeintrachtigung ist auch zur Erklarung der hysterischen Pupillen- 
starre heranzuziehen bzw. der tragen Reaktion der Pupillen bei Hysterie. 

' 4. Ein Trauma materieller oder psychischer Art ist in ganz hervorragendem 
MaBe als Ursache fur Hysterie allein oder zur Hervorrufung bei bestehender 
Disposition anzunehmen. 

5. Jede Hysterie ist eine Storung der normalen Hirnfunktion, nicht Folge 
von gefiihlsbetonten Vorstellungen; ihre Wirkung kann jedenfalls nur bei jener 
Voraussetzung auftreten. Viel wichtiger rst die Wirkung von Autosuggestion bei 
durch Trauma erschiitterter Energie der Psyche. 

6. Wachsuggestion mit faradischem und galvanischem Strom und suggestiver 
Kochsalzeinspritzung ist in der Regel zur Heilung hysterischer Storungen des 
Sehorgans ausreichend. Die Schmerzempfindung spielt bei der Heilung eine 
gewisse Rolle. In manchen Fallen ist aber eine Hypnose nicht zu entbehren. 


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Die richtig geleitete Hypnose bringt niemals eine Schadigung. Somnolenz oder 
Hypotaxie sind in der Regel ausreichend. 

351) Die seelische Ausschaltung des Gehor- und Schmerzsinns bei Mensch und Tier 
(Granatexplosionsneurose und Kataplexie) als Parallelvorgange im Licht der 
Phylogenie betrachtet, von 0. Muck. (Miinchener med. Wochenschrift. 1920. 
Nr. 18.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. geht von einer Beobachtung an 3 Fallen funktioneller Gaumensegel- 
lahmung aus: beim Schluckakt versah die Gaumensegelmuskulatur normal ihren 
Dienst, wahrend es beim Sprechakt zum motorischen Ausfall derselben kam, 
d. h. das Velum kontrahierte sich bei der angeborenen und erblichen Reflex- 
bewegung des Schluckens regelrecht, wahrend bei der extrauterin erworbenen 
Bewegungsart des Sprechens die koordinierte Bewegung der Gaumensegel¬ 
muskulatur ausfiel. Hieraus schloB Verf., daB bei funktionellen Storungen, die 
in der motorischen Sphare liegen, die phylogenetisch alten Bewegungsarten 
nicht gestoit bzw. aufgehoben werden, wie dies bei den entwicklungsgeschichtlich 
jiingst entwickelten der Fall sein kann (s. d. Centr. 1918, S. 456, Referat 3). Auch 
diejenigen sensorischen Funktionen, die sich phylogenetisch spat entwickeln, 
namlich die des Gehor- und Schmerzsinnes, scheinen sich bei der Hysterie auBer- 
ordentlich haufig in ihrer Funktion gestort zu zeigen (psychogene Taubheit und 
Analgesie), wahrend die iibrigen phylogenetisch alteren Sinne den vollstandigen 
Ausfall der Funktion vermissen lassen. So zeigte es sich bei Fallen von Granat¬ 
explosionsneurose mit ihrer haufigen Ausschaltung des Gehor- und Schmerzsinnes 
und nur seltenen Ausschaltung des Tast-, Geruch-, Geschmack- und Gesichtsinnes. 
Ahnliches zeigt sich bei Tierexperimenten: auf plotzlich eintretende auBergewohn- 
liche und starke mechanische Beeinflussung tritt ein kataleptischer Zustand auf, 
d. h., das Tier verhalt sich wie ein reiner Reflexautomat hinsichtlich des Gehor- 
und Schmerzsinns, es reagiert auf einen star ken, adaquaten Reiz, der in normalem 
Zustand das Tier erschrecken und zu Fluchtbewegungen veranlassen wiirde, mit 
Zuckungen von Muskeln und Muskelgruppen, der Schmerz- und Gehorsinn ist 
seelisch ausgeschaltet, der akustische Reiz wird zu keinem seelischen Erlebnis. 
Ebenso reagiert der ,,psychogen taube“ Mensch mit Muskelzuckungen auf ein 
starkes Gerausch hin, das unvermutet sein Ohr trifft. Hingegen ist die statische 
Funktion, die phylogenetisch als uralt zu bezeichnen ist, bei kataplegischen Tieren 
nicht ausgeschaltet, ebenso wie es bei der seelischen Ausschaltung des Gehorsinns 
nach Granatexplosion nicht zu einer Ausschaltung des statischen Sinnes kommt. 

352) Beitrag zur Vestibularhysterie, von Artur Lewkowitz. (Zeitschr. f. Ohren- 
heilk. LXXIX. 1920. Heft 3 u. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Vestibularhysterie, der eine schwere Liision des Bogengangapparates mit 
Andeutung von Fistelsymptom und Meniereschem SymptomenkompJex vortauschte und 
mitechtem hysterischem Nystagmus einherging. Der Fall zeigt, daB die fur die Erkrankungen 
des Vorhofbogengangapparates charakteristisehen Erscheinungen psychogen tauschend 
kopiert werden konnen und daB auch die Ergebnisse der objektiven Untersuchungsmethoden 
sich in gewissem Grade dem falschenden Einflusse der Hysterie nicht ganz zu entziehen 
vermogen. 

353) Zur Klinik der nasalen Reflexneurosen, von Karl Amersbach. (Arch, f, 
Laryngol. XXXIII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. empfiehlt bei nasalen Reflexneurosen (Kopfschmerz, Heuschnupfen, 
Lidkrampfe) eine Atzung der uberempfindlichen Schleimhautpartien der Nase 
vorzunehmen. Versagt dieses einfache Verfahren, so kann die Behandlung des 
Ganglion sphenopalatinum ohne weiteres angeschlossen werden. 

354) Beitrag zur Pathologie der nasalen Reflexneurose, von Oswald Levinstein. 
(Zeitschr. f. Laryngol. IX. 1920. Heft 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

XL. (Erganzungsband.) 18 


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Fall von NasensteckschuB; der Splitter durchschlug die Nasenscheidewand in der Gegend 
des Tuberculum septi. Darauf deutliche nasale Reizerscheinungen: Kopfschmerz, zuckendes 
Gefiibl in der Nase mit Niesreiz, Augentranen, Laufen der Nase. Diagnose: Coryca vaso¬ 
motoria s. nervosa (zu den nasalen Reflexneurosen gehorend) als Folge mechanischer Rei- 
zung des Tuberculum septi durch nach GranatspUtterverletzung entstandene Synechie. 
Reseitigung letzterer brachte dann auch Heilung. 

355) Rein sensible Beruisneurose eines Sangers, von W. Weddy-Poenicke. 
(Medizin. Klinik. 1920. Nr. 36.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Bei einem sehr neurastbenischen Sanger trat, ohne daBeres merkte, als er gegen einen 
gut geheizten eisernenOfen anlehnte, an der Stelle des Kontaktes in der linken unteren 
Riickengegend unmittelbar neben der Wirbelsaule eine starke Verbrenmmg ein. Die genaue 
neurologische Untersuchung ergab Analgesie und Thermanasthesie sowie hochgradige Herab- 
setzung der Beruhrung3empfindung im Gebiet des .9. bis 11. Dorsalsegments, keine westen- 
oder gurteltormige Ausdehnung, keine Zeichen einer beginnenden Syringomyelie oder einer 
anderen zentralen Erkrankung des Ruckenmarks. Verf. denkt an eine hysteriscbe sensible 
Lahmung. Das Ausbreitungsgebiet der Sensibilitatsstorung deckte sich vollkommen mit 
den beruflich besonders angespannten Muskeln. worauf Verf. noch des naheren eingeht. 

356) ttber Pseudoappendicitis, insbesondere iiber das Erankheitsbild des nervosen 
Darmspasmus, von E. Liek. (Mitteil. aus d. Grenzgebieten der Medizin u. 
Chirurgie. XXXII. 1920. Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. unterscheidet die Pseudoappendicitis acuta und chronica. Der Diagnose 
,,chronische Blinddarmentztindung“ ist in alien Fallen, in denen ein sicherer 
akuter Anfall nicht vorangegangen ist, MiBtrauen entgegen zu bringen. Eventuell 
deuten die ganze Art der Beschwerden, ihr plotzliches Kommen und Schwinden, 
die Abhangigkeit von seelischen Einfliissen,. die geringe Beeintrachtigung des 
Allgemeinbefindens usw. auf nervose Storungen der Darmtatigkeit, auf rein funk- 
tionelle Storungen hin. Enterospasmen kommen auBerordentlich haufig vor und 
verleiten, sofern sie im Bereich des Coecums und Colon ascendens auftreten, am 
meisten zur Fehldiagnose der chronischen Appendicitis. Sehr wichtig ist die 
Untersuchung der linken Seite, wo sich in einem iiberraschend groBen Bruchteil 
der gleiche Druckschmerz auslosen laBt. Der Darmspasmus ist eine Reflexneurose, 
die sowohl peripheren als zentralen, insbesondere seelischen Einfliissen untersteht. 
Die Operationserfolge bei diesen chronischen Pseudoappendicitiden, denen eben 
spastische Vorgange nervoser Natur zugrunde liegen, sind groBtenteils als seelisch 
bedingt anzusehen. Der akute Anfall von Darmspasmus ist zu behandeln mit 
Bettruhe, Warme (Thermophor), Atropin (Zapfchen oder Injektion), ev. Papaverin. 
In der anfallsfreien Zeit ist eine dreiwochige Atropinkur (tgl. 0,001 bis 0,0015 Atrop. 
sulf. in Pillen) zu empfehlen. Neben Atropin Eisenarsen, kraftige Ernahrung, 
Landaufenthalt, Abhartung, korperliche Ubungen. 

357) tJber das Zittern, von Siegmund Erben. (Medizin. Klinik. 1920. Nr.-10.) 
Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die Ausfiihrungen sind der in Druck befindlichen zweiten Auflage von des 
Verf/s Lehrbuch der Diagnose von der Simulation nervoser Symptome entnommen. 
Zunachst werden die verschiedenen Formen des Zitterns bei den verschiedenen Er- 
krankungen beschrieben; dann geht Verf. auf einige Momente naher ein, die man 
beim Symptom Zittern wahrzunehmen pflegt. Das Zittern steigert sich durch 
psychische Erregungen und bei kalter Temperatur, durch Fixieren kann man es 
hoher treiben (vikariierendes Zittern). Meist sind die Zittergattungen von Miidig- 
keitsgefiihl nicht begleitet, auch bleibt die Form der Oszillation trotz langer Dauer 
konstant. 

Zittern wird oft simuliert, manche erreichen darin Virtuositat. Die feinen 
Beobachtungen des Verf.’s zur Simulationsfrage hatten besonders wahrend des 
Weltkrieges Interesse; er hat, wie er sich selbst ausdriickt, die Phanomenologie 
so weit ausgearbeitet, daB eine Objektivierung des Leidens keine Schwierigkeit 


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hat. Es handelt sich dabei nicht um Hysterie, auch nicht um ein glattes Artefekt; 
doch laBt sich das Krankheitsbild so genau kopieren, daB man auf der Hut sein 
muB. Von echtem Zittern verlangt der zweifelnde Arzt, daB wahrend der Unter- 
suchung die Atmung gerauschvoll sei, sehr bald allgemeiner SchweiB austrete, 
daB beim einbeinigen Stehen das Standbein zittere u. dgl. Es besteht eine ganze 
Reihe von objektiven Symptomen, die eingehend wiedergegeben werden, 

358) Sexuelle Probleme im Kindesalter, von Albert Niemann. (Berliner klin. 

Wochenschr. 1920. Nr. 37.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. bespricht zunachst die Frage der „Sauglingsonanie“. Er lehnt ab, 
das, was man beim Saugling Onanie nennt, als sexuelle Betatigung anzusehen 
und denkt an einen Juckreiz, der z. B. das Reiben der Genitalien zur Folge hat. 
Werden dabei Zeichen einer gewissen Lustempfindung beobachtet, so braucht 
dies keine sexuelle Lustempfindung zu sein; es handelt sich vielmehr um lust- 
betonte Empfindungen peripherer Natur. Auch beim Kleinkinde sieht man 
ahnliches, zumal wenn es ihm nicht vordem erzieherisch abgewohnt wurde. Von 
Onanie, wenigstens als einer sexuellen Handlung, diirfen wir nur sprechen, wenn 
durch sie bewuBt eine Wollustakme herbeigefiihrt wird, die mit einem ErguB 
verbunden ist, der nicht immer Sperma zu enthalten braucht, und wenn psycho- 
sexuelle Erscheinungen damit verbunden sind. In der zweiten Kindheit ist Onanie 
so haufig, daB man sie kaum als abnorme AuBerung des Geschlechtstriebes be- 
zeichnen kann. Man sieht vorubergehende und exzessive Onanie. Verf. gedenkt 
auch kurz der Frage, ob es berechtigt ist, mit Freud gewisse Neurosen auf Storungen 
der sexuellen Entwicklung oder sexuelle Erlebnisse in der Kinderzeit zuriickzufiihren. 
Das normale Kind ist fur sexuelle Erlebnisse im Sinne der Freudschen Theorie 
nicht disponiert. 

Im zweiten Teile seiner Ausfiihrungen beschaftigt sich Verf. mit der ,,sexuellen 
Aufklarung“ der Schuljugend. In Betracht kommt die objektive Aufklarung, 
d. h. die Belehrung des Kindes liber die Fortpflanzungsvorgange in der Natur, 
an denen es nicht direkt beteiligt ist, und die subjektive Aufklarung, d. h. die 
Belehrung iiber die Vorgange des menschlichen Geschlechtslebens, Zweck und 
Gebrauch der Geschlechtsorgane, den Geschlechtsakt, die Warnung vor geschlecht- 
lichen Ausschweifungen und Verirrungen sowie den Geschlechtskrankheiten. 
Bedeutungsvoll ware die Einfiigung eines diesbeziiglichen Unterrichts in den 
Schulplan. Die Aufklarung durch die Schule ist abzulehnen, die geistige Kon- 
zentration der Schuler soil nicht auf sexuelle Dinge gelenkt werden. Die Auf¬ 
klarung muB unter Beriicksichtigung der Individuality des Kindes und seiner 
Entwicklung, nicht nur der korperlichen, sondern auch der psychosexuellen, 
geschehen. Der Zeitpunkt ist nicht fur alle Kinder gleich. Er erfolgt am besten 
durch die Eltern, die ihre Kinder am besten kennen und die das Vertrauen ihrer 
Kinder haben. Wichtig ist darum auch eine diesbeziigliche Belehrung der Eltern. 
Verf. ist dann noch fur eine besondere Aufklarung der Schuler beim Abgang aus 
der Schule liber die gesundheitlichen Gefahren des Geschlechtsverkehrs. Ein 
solcher Vortrag sollte durch einen sachverstandigen Arzt eventuell in Gegenwart 
des Direktors oder Lehrers gehalten werden. 

359) Krieg und Impotenz, von Wilhelm Stekel. (Medizin. Klinik. 1920. Nr. 30.) 

Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Man kann die Zahl der durch den Krieg impotent gewordenen Manner auf 
Hunderttausende schatzen. Sehr haufig ist das Erloschen der Liebe bei Erhalten- 
sein der Potenz, da viele Manner zur Liebe die Gegenwart der Geliebten benotigen. 
Eine Ursache sieht Verf. in der Riickkehr zum Autoerotismus. Die meisten Manner 
kehren im Felde zur Onanie zuriick, der Autoerotist wird durch Phantasien 
immer mehr der Wirklichkeit entfremdet. Man fliichtet aus der Realitat zu den 

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Sexualideen der Kindheit (Freuds Regression). Dauert die Regression Iangere 
Zeit, so kommt es zur Impotenz, indem solche Manner nicht mehr die fiir den 
Koitus notwendige Libidomenge aufbringen. In einem mitgeteilten Beispiel 
sieht man eine deutliche Regression auf ein infantiles Sexualideal und das Auf- 
tauchen einer bisher verborgenen masochistischen Richtung. Masochismus ist 
sehr haufig unter den Kriegsimpotenten. Im Kriege wird auch der zuriickgedrangte 
und iiberwundene Sadismus wieder freigemacht. Unter den kriegsimpotenten 
Homosexuellen unterscheidet Verf. zwei Typen: 1. Die Homosexualitat hat sich 
im Felde ausgebildet, ist ihrem Tr&ger bewuBt und hindert ihn an der hetero- 
sexuellen Betatigung. 2. Die Homosexualitat wurde vom Bewufltsein ausgeschaltet 
und aufiert sich nur in der neurotischen Storung der Potenz bei scheinbar er- 
haltener Liebe zum weiblichen Geschlecht. 

360) Beitrage zur forensischen Beurteilung der Homosexualitat im Kriege, von 

J. Wilmshofer. (Zeitschr. f. Sexualwiss. 1920. Jan./Febr.) Ref.: 
Max Marcuse. 

Darstellung und Wiirdigung von 7 Fallen. I. Fall: Homosexualitat, kombi- 
niert mit Masochismus, Koprophagie und Farbenfetischismus, bereits in diesem 
Centralblatt von Hiibner 1917, S. 617 veroffentlicht. II. Fall: Homosexualitat 
bei einem Entarteten, bei dem der EinfluB eines alteren Homosexuellen eine Rolle 
gespielt hat und bezuglich dessen strafrechtlicher Beurteilung die Ansichten der 
Sachverstandigen weit auseinandergingen. III. Fall: Ganz ahnlicher Sachverhalt. 
IV. Fall: Entarteter mit neurasthenischen Ziigen und zum Teil larvierter Form 
der Homosexualitat. V. Fall: Ahnlicher Sachverhalt. VI. Fall: Im pathologischen 
Rausch begangene homosrxuelle Delikte, fiir welche der Tater wegen fehlender 
Freiheit der Willensbestimmung nicht verantwortlich zu machen war. VII. Fall: 
Homosexualitat kombiniert mit Kleiderfetischismus, exzessiver Onanie und 
Alkoholwirkung. 

361) Cervello e funzione genetica. Vecchie e nuove ricerche e conziderazioni nelle 
influenze psichiche, per C. Ceni. (Riv. di Pat. Nerv. e. Ment. XXII. 1917. 
Fasc. 5.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Auf Grund zahlreicher Untersuchungen und Beobachtungen nimmt Verf. 
die Existenz sexualer Gehirnzentren beim Menschen und bei hoheren Saugetieren 
an. Dieselben haben keine genaue Hirnlokalisation und sind auf der ganzen Him- 
oberflache ausgedehnt. Beim Menschen sind sie von groBter Bedeutung und 
konnen entweder durch Hyper- oder Hypofunktion wahre degenerative Prozesse 
bis zur Impotenz und Sterilitat hervorrufen. 

362) Potenzstdrungen und Rechtsprechung, von G. Flatau. (Zeitschr. f. Sexual - 
wissensch. VII. 1920. Heft 5.) Ref.: Max Marcuse (Berlin). 

Kritischer Uberblick liber die verschiedenen Potenzstdrungen in ihrer juristi- 
schen Bedeutung fiir Ehescheidung und Eheanfechtung, bei Alimentenklage, 
sowie bei straf- und wirtschaftlich-rechtlichen Prozessen. Besondere Betonung 
der therapeutischen Moglichkeiten als maBgeblich fiir die juristische Bewertung. 
Im iibrigen sei der objektive Tatbestand der Impotenz kaum je nachweisbar^ 
weil dahin gehende Priifungen und Untersuchungen nicht ausfiihrbar sind. 

363) Ein Fall von Priapismus, von Walther Wei gel dt. (Deutsche Zeitschr. f. 
Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 5 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

26 jahr. Buchdrucker. Sehr schmerzhafte, tagelang dauernde Erektionen ohne Wollust- 
empfindung. Urinentleerung sehr schwierig und schmerzhaft. Befund am Nervensystem 
o. B. Kein psychopathischer Eindruck. HeiBe Sitzbader und Morphium lindem den Zu- 
stand. Verf. nimmt einen minimalen Herd im Erektionszentrum oder in den die Erektion 
beeinflussenden peripheren Nerven oder in den sympathischen Greflechten des Beckens an. 


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364) Beitrag zur Behandlung von nervosen Sexualstorungen mit Testogan nnd 

Thelygan, von J. Lewinski. (Arztl. Rundschau. 1920. Nr. 4.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

Testogan (fur Manner) bzw. Thelygan (fur Frauen), beides die Hormone der 
spezifischen Geschlechtsdriisen in Verbindung mit Yohimbin enthaltend, brachten 
guten Erfolg in 3 Fallen mit nervosen klimakterischen Erscheinungen bei Frauen 
bzw. einem Mann, ferner in 2 Fallen von Frigiditat der Frau, in 2 Fallen von 
Impotenz bei Kriegsteilnehmern mit Depressionszustanden. Dosierung: Tabletten 
und Injektion. 

365) Zur Anwendung von Testogan und Thelygan bei Neurasthenic und sexueller 

Insuffizienz, von F. Arnheim. (Klinisch-therapeut. Wochenschr. 1919. 

Nr. 39 u. 40.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. teilt 3 Falle mit. In Fall I wurde Thelygan (erst in Tabletten, dann als Injektion) 
mit gutem Erfolg gegen die Ausfallserscheinungen angewandt, welche im AnschluB an die 
wegen Myomen ausgefuhrtee Radikaloperation aufgetreten waren. In Fall II wirkte die 
kombinierte Thelygankur bei dem infantilen 22jahr. Madchen gut auf die Menstruation. 
In Fall III (Neurathenie nach Verschiittung, Nachlassen der Geschlechtskraft) hatte Te¬ 
stogan (Tabletten und Injektionen, iiber 4 Monate lang) gunstigen EinfluB auf die ner¬ 
vosen Beschwerden und brachte Heilung, beseitigte insbesondere vollkommen den Mangel 
an Libido. 

366) Thelygan und Testogan, von F. J. Bruck. (Fortschr. d. Medizin. XXXVI. 

1918/19. Nr. 35 u. 36.) Ref.: Kurt Mendel. 

Gute Erfolge mit Testogan und Thelygan (in Tabletten und subkutan injiziert) 
in 7 Fallen bei funktionell-nervosen, menstruellen und sexuellen Storungen. 

367) Zur Organtherapie der Neurosen, von Bruno Saaler. (Deutsche mediz. 

Presse. 1919. Nr. 16.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. berichtet liber seine guten Erfahrungen mit Testogan und Thelygan 
(letzteres enthalt neben der Ovarialdriise Zusatze der ubrigen innersekretorischen 
Driisen und Yohimbin) bei Neurosen. Die guten Erfolge des Testogans bei sexueller 
Neurasthenie, insbesondere auch'bei Kriegsteilnehmern, sieht er als reine Sug- 
gestionswirkung an. 

368) Dammerzustande eines homosexuellen Neurotikers, von Max Margulies. 

(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin. LX. 1920. Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Gutachten: Ein junger Mann, zweifellos effeminierter Homosexueller, ist mehrfach 
bei Taschendiebstahlen (stets Damenportemonnaies) ertappt und schon zweimal des- 
wegen verurteilt. Er hat an Damme rzustanden gelitten, und die Beobachtung in der Irren- 
anstalt ergab mit hinreichender Wahrscheinhchkeit, daB er den einen zweier weiterer 
Taschendiebstahle im Dammerzustande begangen hat. Vorstellungen sexuellen Inhalts 
besitzen fur ihn eine besondere Bedeutsamkeit. 

369) Beitrag zur Differentialdiagnose zwischen angeborener und hysteriform 

erworbener Homosexualitat, von J. Klasi. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. 

Psych. LII. 1919. Heft 1 bis 3.) Ref.: W. Misch. 

Der Streit der Meinungen, ob Homosexualitat angeborene Veranlagung 
oder schlechte Angewohnheit psychopathischer Charaktere sei, wird durch die 
vorliegende Arbeit weitgehend geklart. Wenn M. Hirschfeld die kontrare 
Sexualempfindung fur einen angeborenen, unbeeinfluBbaren Trieb, Kraepelin 
dagegen fiir die Folgeerscheinung schadlicher Einfllisse auf ein minderwertiges 
Nervensystem halt, zeigt Verf. an einer Reihe von eingehend geschilderten Fallen, 
daB es einerseits Falle gibt, in denen die kontrare Sexualempfindung in starkerem 
oder schwacherem MaBe angeboren ist, andererseits aber solche Falle, die als 
auf neurotischem Wege homosexuell gewordene Heterosexuelle zu bezeichnen 
sind. Diese letzteren sind auf suggestivem oder autosuggestivem Wege, unter 
der Macht des meist im Zustand der Erwartungsneurose gewonnenen Trug- 


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schlusses homosexuell zu sein, in ihrem ganzen Geschlechtsleben in homosexueller 
Richtung verandert; sie benehmen sich wie echte Homosexuelle durchaus weibisch, 
konnen Frauen nicht ausstehen, verkehren in Pollutionstraumen ausschlieBlich 
mit Mannern und geben schlieBlich an, es sei immer so gewesen; doch herrscht 
bei ihnen eine gewisse Unsicberheit vor, und sie gehen auch, im Gegensatz zu 
den ecbten Homosexuellen, zum Arzt, um von ihrer Perversitat geheilt zu weiden. 
Yom echten Homosexuellen unterscheiden sie sich durch ihre unzweifelhaft 
heterosexuelle Anlage, vom Pseudohomosexuellen (solchen, die sich aus Eigen- 
nutz, aus Gutmiitigkeit oder aus Mangel an heterosexuellem Verkehr und mu* 
voriibergehend bei durchaus normalem Sexualempfinden an Homosexuelle hin- 
geben) dadurch, daB sie anscheinend aus urspriinglichem Bediirfnis sich dauernd 
zu gleichgeschlechtlichen Personen hingezogen fiihlen. Fiir ihre Unterscheidung 
von den echten Homosexuellen sind ausschlaggebend nur Unterschiede in der 
Psychologie, welche in bestimmten hysteriformen Mechanismen ihren klinischen 
Ausdruck finden: bei dem Psychoneurotiker ruft die Triebverkennung Minder- 
wertigkeits-, Angst-, Schuld- und Krankheitsgefiihle hervor, die durch psycho- 
logische Analyse aufgedeckt werden konnen, wahrend bei dem echten Homosexuellen 
Zerwiirfnisse zwischen Sexualtrieb und -befriedigung durch gleichgeschlechtlichen 
Verkehr nicht entstehen und daher auch deren auBere Manifestationen ausbleiben. 
Haufig dient die Homosexualitat dem Impotenzkomplex zur Verkleidung, doch 
entsteht gewiB ein sehr groBer Teil nach dem Kraepelinschen Schema durch 
Onanie, Verfiihrung, Angewohnung. 

Die Behandlung des hysteriform erworbenen Uranismus, die nur moglich ist, 
wenn der Kranke wirklich geheilt werden will, besteht in der Beseitigung des 
Impotenzkomplexes bzw. des Minderwertigkeits- und Schwachegefiihls durch 
sachliche Aussprache, Hypnose oder Wachsuggestion, vor allem aber in der 
Starkung des Selbstvertrauens durch Erziehung zu anstrengender zielbewuBter 
Arbeit (Sport). Erst wenn dies erreicht ist und ehrliches Bediirfnis nach hetero¬ 
sexuellem Verkehr besteht, soli dazu geraten werden. 

370) Hysteric und Sexualitat, von Arnim Steyerthal. (Arztliche Sachverst.-Zeit. 

1920. Nr. 16.) Ref.: Kurt Mendel. 

Beim Manne ist sexuelles und sinnliches Empfinden nicht zu trennen, es 
ist ein und dasselbe; bei der Frau ist der Sexualtrieb eine zusammengesetzte 
Leidenschaft, ein Komplex von Empfindungen. Im Weibe liegt das uniiberwind- 
liche Sehnen nach Erfiillung seines natiirlichen Berufes und der alles sieghaft 
bekampfende Wunsch, Kinder zur Welt zu bringen, fiir sie zu sorgen, fiir sich 
selbst zu entsagen, fiir andere sich zu opfern. Das ist alles sexuell, denn es hat 
mit der Geschlechtssphare zu tun, aber sinnlich ist es nur soweit, als die Beriihrung 
mit dem Manne dabei in Frage kommt. ,,Wir stecken mit unseren Ansichten 
iiber die unbezwingliche weibliche Sinnenlust noch tief im Mittelalter. Dies alte, 
ganzlich verrottete Vorurteil laBt uns iiberall da an die Libido sexualis denken, 
wo wir zu bequem sind, nach der eigentlichen Wurzel der Krankheit zu suchen. 
Das geschieht vor allem bei der sog. ,Hysterie‘. Wir pflegen zu sagen: Was Hysterie 
ist, weiB kein Mensch, aber daB sie von der Sinnlichkeit stammt, steht iiber jeden 
Zweifel fest. Eine solche SchluBfolgerung ist der heutigen kritisch geschulten 
Arzteschaft unwiirdig, fiir die Wissenschaft ist sie beleidigend und fiir die Praxis 
geradezu eine Gefahr. Was man fiir gewohnlich ,die Hysterischen' nennt, ist 
eine aus den verschiedensten Gebieten der Pathologie zusammengelesene bunte 
Schar von Krankheitstypen; einwandfreie Merkmale, die ihnen alien gemeinsam 
sind, gibt es nicht, folglich kann man auch nichts Gemeingiiltiges von ihnen aus- 
sagen und am allerwenigsten etwas iiber ihr Geschlechtsleben." 


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371) Suggestionsbehandlung von neurotischen Menstruationsstorungen and Genital- 
near osen 9 von A. H. Hiibner. (Deutsche med. Wochenschr. 1920. Nr. 25.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Psychische Einfliisse (Trauma usw.) konnen bei neurotischen Frauen Storungen 
der Menstruation (zu friihes Eintreten derselben, ruckartiges Auftreten, Starker- 
oder Schwacherwerden der Menses) auslosen. Verf. versuchte nun, in Anlehnung 
an das Kaufm a nn-Verfahren elektrosuggestiv gegen die neurotischen Menstrua- 
tionsstoruggen Hysterischer vorzugehen: nach 2 bis 3 Wochen fortgesetzter 
2- bis 3mal wochentlicher Galvanisation des Abdomens wendet Verf. einen fara- 
dischen Strom (eine Elektrode ins Kreuz, die andere oberhalb der Symphyse) an, 
dessen Starke er dem Gesundheitswillen der Patientin anpaBt; wahrend der Be- 
handlung wird der Patientin erklart, wie die Symptome, welche sie hat, allmahlich 
zu schwinden pflegen. Nach 4 bis 12 Wochen ist im allgemeinen der erwiinschte 
Erfolg eingetreten. Das Verfahren wirkt lediglich durch Suggestion. Im ganzen 
unterzog Verf. bisher 21 Kranke dieser Behandlung, und zwar hysterische Frauen 
mit Amenorrhoe, Dysmenorrhoe und UnregelmaBigkeiten der Periode; auch bei 
Riicken- und Leibschmerzen, die vielfach auf Retroflexionen u. a. bezogen wurden, 
bei psychogenen Blasenstorungen, nervos bedingtem Fluor, Frigiditat waren 
die Erfolge gut. 

372) Algolagnische Traume, von S. Gal ant. (Archiv f. Psychiatrie. LXI. 1919. 
Heft 2.) Ref.: G. Ilberg. 

Die Traume vom Tod teurer Personen deutet Verf. wie die allerme sten 
Traume als sexuelle Wunscherfiillungen; ihr spezieller Wunsch ist Algolagnie. 
Der Affekt ist immer ein Lustaffekt, gleichviel ob Lust oder Schmerz oder Angst. 
Den Odipuskomplex Freuds lehnt Verf. fur die Todtraume ab. — 

Bekanntlich bringen viele Psychoanalytiker allerlei Traume mit dem Sexual- 
leben in Verbindung. Verf. erklart Traume vom Essen, vom Spazierengehen 
auf dem Dache oder auf dem Berge, vom Gehen, Reiten, Fahren nebeneinander 
als Symbol des Coitus. Fische und andere Tiere im Traum symbolisieren die 
Sexualitat. Sitzen mehrere am Tisch, so ist das Coitussymbol. Angst ist ein der 
Wollust gleichzustellender Affekt, der die Wollust im Traum ersetzen kann. 
Auf einem Pferde reiten bedeutet starker sexueller Trieb. Traumt man voii 
den Steinen eines Daches, so ist das in Zusammenhang zu bringen mit den 
Pubes des mons Veneris. Flammen im Traum deuten hier auf den Schmerz der 
Liebe; sich vom Dache stiirzen ist ein masochistischer Akt, Schuhe weisen 
auf masochistische Triebe. Geht, reitet oder fahrt man stumm nebeneinander, 
sieht man Blut, traumt man von Tod und Mord, so sind das algolagnische 
Symptome. Streitet jemand im Traum, schneidet er rohes Fleisch, so hat das 
als sadistisches Symbol des Coitus zu gelten, und streitet eine Frau mit einer 
Frau, so handelt es sich um homosexuellen sadistischen Verkehr. Erscheinen 
jedoch Kinder und Blumen — aber ja abgesehen von roten Rosen —, so sind das 
Symbole der reinen, asexuellen Liebe! 

373) Enuresis, von J. Zap pert. (Ergebnisse der inneren Medizin und Kinder- 
heilkunde. XVIII. 1920. J. Springer, Berlin). Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. bespricht jene Gruppen der nervosen Blasenstorungen, die sich auf 
die Inkontinenz und die damit vielfach zusammenhangende Pollakisurie beziehen; 
er geht insbesondere des naheren auf die Klinik und Atiologie der nervosen In¬ 
kontinenz ein. Wahrend des Krieges nahm sowohl bei Kriegsteilnehmern als 
auch im Hinterlande, ja selbst bei Kindern der GroBstadte die Enuresis an Haufig- 
keit auffallend zu, wohl infolge der geanderten Lebensbedingungen, insbesondere 
der ungunstigen Ernahrungsverhaltnisse. Nationalist oder Rasse stehen in 
keiner Beziehung zu dem Leiden. Knaben sind haufiger befallen als Madchen. 


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Zuweilen ist ein familiares bzw. hereditares Auftreten der Enuresis zu beobachtem 
In Knabenpensionaten, Ferienkolonien, bei Kriegsteilnehmern wurde zuweilen 
ein gehauftes Auftreten von Erkrankungen beobachtet (psychische Infektion). 
Das Bettnassen kann wahrend des ganzen Kindesalters neu auftreten, auffallend 
ist eine Steigerung der Neuerkrankungen zwischen dem 6. .und 8. Jahre, was 
wahrscheinlich mit dem ersten Schulbesuche zusammenhangt. Die Enuresis 
neigt zu Rezidiven (Erfahrungen an Soldaten!). Es gibt Falle, bei denen iiberhaupt 
nur 1- oder 2mal wdchentlich Bettnassen auftritt, dann solche, die vorwiegend 
in der kalten Jahreszeit sich auBern und im Sommer eine vielwochige Ruhe auf- 
weisen, ferner solche, bei denen die Periode der Enuresis sich an psychische De- 
pressionen, Verdauungsstorungen, Aufregungen, Anstrengungen, Krankheiten 
anschlieBt. Im Bilde der kindlichen Enuresis nehmen die Pollakisurie und 
die Polyurie keine hervorstechende Rolle ein, Harntraufeln sah Verf. nie, sofern 
organische Ursachen ausgeschlossen waren. Die Ursachen der Inkontinenz 
werden des naheren besprochen; einen wichtigen pathogenetischen Faktor 
stellt die Ubererregbarkeit des Detrusors dar (auch die Balkenblase kann im 
Sinne einer Hypertonie des Detrusors aufgefaBt werden); als Gelegenheits 
ursache ist u. a. die Kriegskost anzusprechen, ferner kommen in Betracht Er- 
kaltungen, Durchnassungen, Infektionskrankheiten, Traumen, seelische Affekte. 
Die Blasenneurosen sind selbstandige Krankheitsformen, die mit lokalen Erkran¬ 
kungen des Urogenitalapparates sowie mit organischen Nervenkrankheiten nicht 
in Beziehung stehen. Bei der Enuresis liegt eine lokale funktionelle Minderwertigkeit 
des Urogenitalapparates vor, daher auch die Beeinflussung des Leidens durch 
^ u ggestiv wirkende Heilmethoden. Daneben gibt es rein hysterische und simu- 
lierte Blasenstorungen. Therapie der Enuresis: Diat (Vermeidung von viel Gemiise 
und Kartoffeln, Einschrankung der Fliissigkeitszufuhr), Gewohnung einer Regel- 
maBigkeit der Harnentleerung bei Tage (5 bis 6mal taglich), Hochlagerung des 
GesaBes, Sitzbader abends (etwa 25°), Elektrisieren (Plattenelektrode oberhalb 
Symphyse, knopfformige aufs Perineum oder Rolle auf Blasengegend), lokale 
Blasenbehandlung (Fiillung der Blase mit ansteigenden Mengen warmer Fliissig- 
keit, Sondeneinfiihren, Verweilkatheter), epidurale Injektion (wirkt rein psychisch), 
VerschluBapparate der Harnrohre (sie wecken den Pat. auf), Hypnose (eventuell 
auch bei Kindern anzuwenden). 

374) Beitrage zur Pathogenese und Therapie der Enuresis nocturna 9 von Alfred 
Pese. (Jahrb. f. Kinderh. XCI. Heft 5.) Ref.: Zap pert. 

Verf. hat an einer groBeren Anzahl bettnassender Schul- und Kleinkinder 
Untersuchungen iiber die Abhangigkeit des Bettnassens von der Schlaftiefe an- 
gestellt. Wenn er die Kinder 3mal wahrend der Nacht, um 10, 12 und 3 Uhr, 
wecken lieB, so ergab sich das Verhaltnis der um diese Zeit naB angetroffenen 
Kinder wie 2:1:1. Mit der Vermehrung der We 3 kzeiten in einer Nacht ver- 
minderte sich die Zahl der nassenden Kinder, eine Tatsache, die Verf. darauf 
zuriickfuhrt, daB durch eine Verringerung der Schlaftiefe die Neigung zum NaB- 
machen abnehme. Gegeniiber der Bedeutung des tiefen Schlafes bei dem Ent- 
stehen der Enuresis diirften gesteigerte Fliissigkeitsaufnahme am Nachmittag 
sowie Traumstereotypien an atiologischer Bedeutung zuriicktreten. Verf. halt 
die durch groBe Schlaftiefe bedingte Enuresis fiir einen besonderen, namentlich 
bei Kleinkindern vorkommenden Typus des Leidens, der therapeutisch schwer 
beeinfluBbar-ist. Wenn es jedoch gelingt, die Kinder vor jenen Nachtstunden 
zu wecken, in denen erfahrungsgemaB die groBte Schlaftiefe eintritt, so ging die 
Zahl der Bettnasser zusehends zuriick. Verf. mochte diese Form der Enuresis, 
die manchmal auch mit nachtlichem Stuhlgange einhergeht, seit Geburt besteht 
und suggestiven Einflussen unzuganglich ist, von jenen gefiihlsbetonten Formen 


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des Leidens bei alteren Kindern unterscheiden, die erst spater auftreten und durch 
therapeutische Suggestion giinstig beeinfluBbar sind. 

375) ttber Zoanthropie, von Carl Schneider. (Monatsschr. f. Psych, u. Neurol. 
XLVII. 1920. Heft 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Geistig we nig hochstehende, 31jahr. Hysterica. Im AnschluB an Rontgenkastration 
Anfalle und Dammerzustande. In diesen entwickelte sich unter dem EinfluB eines halluzina- 
torischen Erlebnisses das Bild der Kynanthropie: Pat. sagte, sie sei ein Hund, beugte die 
im Kniegelenk gestreckten Beine stark im Huftgelenk und streckte die Arme parallel 
dazu von sich; mit denLippen machte sie pustende Bewegungen. Dann hypochondrische 
Verstimmungen. AuBerdem vikariierendes Nasenbluten. 

Verf. gibt eine Literaturiibersicht iiber die Zoanthropie und Tierstimmen- 
imitationen. Hunde, Vogel, Katzen, Affen wurden imitiert. In alien Fallen schloB 
sich der Ausbruch des zoanthropischen Zustandsbildes an hysterische Krampf- 
anfalle an. Zwischen psychischem Trauma und Ausbruch der Zoanthropie besteht 
immer eine deutliche Latenzzeit; es geht wohl eine Art psychischer Verarbeitung 
dem Zustandsbild voraus. Vorbedingung fur das Eintreten der triebartigen Nach- 
ahmung von Tieren — bekanntlich ist in der Hysterie die Neigung zur Imitation 
in besonderem MaBe vorhanden — ist ein gewisser und zwar besonders die'inneren 
Willenshandlungen betreffender Grad von Willensschwache gegenuber auBeren 
Eindriicken, wie solche bei Affen, beim Kind und beim primitiven Menschen 
vorhanden ist, bei der Ermiidung zunimmt (Anstecken des Gahnens!) und be¬ 
sonders auch bei Hysterischen ausgepragt ist. Im hysterischen Dammerzustand 
erreicht aber diese Storung ihre hochste Steigerung, in ihm besteht Verwirrtheit, 
raumliche und zeitliche Desorientierung, BeeinfluBbarkeit der Vorstellungen 
zugleich mit Fehlen der Fixierbarkeit. Die Halluzinationen der Hysterischen 
nehmen besonders leicht die Formen von Tieren an, und zwar von Tieren in natiir- 
licher und iibernaturlicher GroBe (Zoopsie und Makrozoopsie). 

Alles in allem kann man die Zoanthropie und die ihr verwandten Krankheits- 
bilder durch triebartige Nachahmung unter der Voraussetzung erklaren, daB der 
Hysteriker ein Mensch mit primitivem Geistesleben ist. In der echten Zoanthropie 
werden offenbar direkt Halluzinationen nachgeahmt. 

376) Beitrage zur Psychologie des Vorbeiredens mit besonderer Beriicksichtigung 
des kindlichen Verhaltens, von R. Hahn. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. 
Psych. LVI. 1920. S. 317.) Ref.: W. Misch, 

In 6 Ganserfallen lieB sich die Ruckkehr zum kindlichen Typus der Farben- 
bezeichnung nachweisen. Es bestand eine Bevorzugung der Hell-Dunkel-Ein- 
stellung; von Farben wurde vor allem Rot richtig bezeichnet; soweit Farben 
im iibrigen iiberhaupt angegeben wurden, wurden sie in der Reihenfolge Gelb, 
Griin, Blau bevorzugt, und zwar beim Richtigbenennen wie beim Verkennen. 
Es entspricht dies dem kindlichen Verhalten; eine solche Ruckkehr zum kind¬ 
lichen Typus als Dauererscheinung ist als Krankheit anzusprechen, wie sie bei 
epileptischer Verblodung Jugendlicher und bei organischen Demenzzustanden 
nachzuweisen ist. In den vorliegenden Fallen handelte es sich um eine voriiber- 
gehende Riickkehr zum friihkindlichen Verhalten, eine funktionelle Storung, 
die, da sie langst uberholte, friihe Mechanismen wieder in Kraft treten laBt, als 
Anzeichen einer schweren BewuBtseinsveranderung anzusehen ist. Die Falsch- 
leistungen beim Farbenzeichnen zeichnen sich dadurch aus, daB sie mit einer 
sinnesphysiologischen Entwicklungsstufe in Verbindung zu bringen sind, die 
dem Untersuchten sicher nicht bekannt war, wodurch Simulation ausgeschlossen 
werden kann. 

377) Observations on the Elements of the Psycho-neuroses, by Head. (Brit. 

Med. Journ. 1920. 20. Marz.) Ref.: Schreiber. 


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Die Grundlagen der Psychoneurosen des Krieges und des Friedens sind 
Unterdriickung unliebsamer Erfahrungen .oder Erlebnisse, ferner mangelhafte 
Anpassung des Nervensystems an die AuBenwelt und endlich Riickfall (regression) 
des seelischen Lebens auf eine urspriinglichere, friiher bereits tiberwundene Stufe. 

378) Ein Beitrag zur Massenpsychose, von Neumann (Naumburg). (Zeitschr. 
f. Medizinalbeamte. 1920. Nr. 15.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Massenpsychosen haben stets maniakalischen Charakter. Sie konnen in 
unruhigen Zeiten eine chronische Erscheinung sein. Der AnlaB zur Tat steht meist 
in keinem Verhaltnis zur Tat selbst, die Massenpsychose kann akut auftreten 
in einem chronischen Milieu, in welchem etwas Explosierbares in der Luft liegt. 

379) Vasomotorische Psychoneurose, von Julius Donath. (Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilk. LXVI. 1920. Heft 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Vasomotorische Erregungen konnen rein reflektorisch, ohne jede psychische 
Erregung ablaufen (Beispiel: die Dermographie). Oft sind sie aber mit psychischen 
Reaktionen, sei es in der affektiven oder in der intellektuellen Sphare, verkniipft 
(Angstgefiihl, Zwangsvorstellung usw.). Das Erroten kann auch mit schmerz- 
haften Empfindungen und seelischen Erregungen, ohne jede besondere Angst- 
empfindung oder sonstigen Vorstellungsmechanismus einhergehen und dabei 
eine so schwere Reaktion hervorufen, daB es zu gewaltsamen Eingriffen antreibt 
und Selbstmordideen weckt; es kommt zu einer „vasomotorischen Psychoneurose^, 
die von der Erythrophobie zu trennen ist, zumal Angstzustande oder Zwangsvorstel- 
lungen fehlen. Verf. beschreibt einen solchen Fall vasomotorischer Psychoneurose 
mit Depression, Arbeitsunlust, Geneigtheit zu blutigen Eingriffen, Selbstmord¬ 
ideen bei einem zart gebauten, somatisch minderwertigen, hamophilen Mann 
mit familiarem Vorkommen dieses Leidens. Adrenalin und besonders Chinin 
zeigten eine voriibergehende Besseiung. 

380) ttber die gesteigerten Patellarreflexe bei Psychoneurosen, von L. Schwartz. 
(Schweizer. med. Wochenschr. 1920. Nr. 42.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei Nervengesunden fand Verf., daB die prozentuale Anzahl der lebhaften 
Patellarreflexe vom 7. bis 45. Lebensalter kaum variiert, spater dagegen zwischen 
46 und 55 Jahren abnimmt; die schwachen Patellarreflexe nehmen vom 7. bis 
55. Jahre ziemlich gleichmaBig ab. Vom 56. bis 85. Jahre sind die Patellarreflexe 
im Durchschnitt wieder lebhafter. Das Geschlecht der Untersuchten ist ohne 
EinfluB auf die Lebhaftigkeit der Patellarreflexe. Bei den Neurasthenikern mit 
gesteigerten Patellarreflexen gibt es Falle, bei denen das Kniephanomen nur 
voriibergehend, andere, bei denen es konstant lebhaft ist. Dazwischen bestehen 
alle Obergange und Falle mit variablen Reflexen. Die reflexsteigernden Momente, 
besonders die psychische Erregung, und die reflexhemmenden Faktoren (Brom; 
Besserung des nervosen Zustandes) spielen bei der ersterwahnten Gruppe wohl 
eine gewisse Rolle, bei konstant gesteigerten Patellarreflexen konnte aber nach- 
gewiesen werden, daB eine momentane durch die Untersuchung hervorgerufene 
Aufregung meist nicht in Betracht kommt. Das hervorstechendste Merkmal 
der Psychoneurotiker mit gesteigerten Patellarreflexen sind subjektiv und objektiv 
wahrnehmbare vasomotorische Storungen. Auffallend ist, daB die stets auf- 
geregten und leicht reizbaren Patienten sich nicht durch besonders lebhafte 
Patellarreflexe auszeichnen, vielmehr eher die leicht Ermixdbaren. Bei einwands- 
frei Nervengesunden und unter normalen Verhaltnissen kommen gesteigerte 
Patellarreflexe ziemlich selten vor, und, wenn sie vorhanden, sind sie nur voriiber- 
gehend. Konstant gesteigerte Patellarreflexe sprechen fur Psychoneurose; vor- 
iibergehend gesteigerten Kniephanomenen ist jeglicher diagnostische Wert ab- 
zusprechen, da sie auch bei vollig Nervengesunden vorkommen und offenbar nur 
auf einer momentanen psychischen Erregung beruhen. 


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381) Un cas de troubles physiopathiques ou troubles nerveux d’ordre reflexe, par 

H. Brunschweiler. (Schweizer Archiv fiir Neurol, u. Psych. VI. \ [1920. 

Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Nach einem PferdebiB Schwellung der Finger. Nach Anwendung von Eis plotzlich 
starke Zunahme der Schwellung, Paraplegie, Lahmung der Hand, Muskelatrophie, me- 
chanische Uberregbarkeit der Muskeln und Nerven, langsame elektrische Zuckungen, 
schwere vasomotorische Storungen (ungeheuresOdem, Verfarbung der Hand), Hypothermie, 
trophische Storungen an Knochen und Nageln, Anidrosis. Durch starke faradische Strome 
Schwinden der Paraplegie. Die schwere Stoning an der kranken Hand besserte sich inner- 
halb 6 Wochen sichthch dadurch, daB der gesunde Arm 2mal taglich langeZeit in heiBem 
Wasser (zwischen 46 und 48°) gebadet wurde, wahrend der kranke Arm ruhig in seiner 
Binde gelassen wurde. 

Verf. glaubt, daB es sich um ,,physiopathische“ Storungen, um Storungen 
reflektorischer Natur handelt, bei denen das Riickenmark die Hauptrolle spielt; 
und zwar handelt es sich um eine Riickenmarksquellung, die auch durch Mit- 
befallensein der Pyramidenbahn die Paraplegie, durch Ergriffensein der Vorder- 
horner vielleicht auch die langsame elektrische Zuckung der Armmuskeln bedingt 
hat. Besonders aber ist dieser Riickenmarksquellung der krankhafte Zustand 
der Hand mit ihren schweren trophischen und vasomotorischen Storungen zu- 
zuschreiben. Es handelt sich dabei wohl um folgende physiko-chemisohe medullare 
Veranderung: durch das Trauma wird eine Vermehrung der zellularen Tatigkeit 
im Riickenmarksabschnitt hervorgerufen, hierdurch erfolgt Zerstorung und Er- 
neuerung der Molekule; jede Zerstorung im Organismus erzeugt aber Sauren; 
auf diese Weise kommt eine Saureiiberproduktion zustande, die Alkalien ver- 
mogen die Sauren nicht mehr zu neutralisieren, die Anwesenheit der freien 
Sauren erhoht die Affinitat der Kolloidkorper zu den Fliissigkeiten, daher 
exzessive, Aufsaugung letzterer durch erstere und Zustand der Quellung 
des betreffenden Ruckenmarksabschnittes (analog der Hirnschwellung). Die 
heiBen Bader des gesunden Armes iiben dann eine starke vasodilatatorische Wirkung 
auf die GefaBe der entgegengesetzten Seite, einschlieBlich der Ruckenmarks- 
gefaBe aus; auf diese Weise Antransport von Sauerstoff, Alkalien, Verbesserung 
der Ausscheidungsbedingungen; insbesondere aber durch den ZufluB der Alkalien 
Neutralisation der im Riickenmarksgewebe angesammelten Sauren, auf diese 
Weise Wiederherstellung der normalen zellularen Tatigkeit, auch dank der Ver¬ 
besserung des medullaren Blutkreislaufs. 

382) Physiopathic Paralysis of the Hand, and its Causation, by Abercrombie- 

Sheffield. (Brit. med. Journ. 1920. Nr. 3101. 5. Juni.) Ref.: Schreiber. 

Unter physiopathischer Handlahmung versteht Verf. die Falle von funk- 
tioneller Lahmung mit schweren trophischen Veranderungen an Haut, Muskeln 
und Knochen sowie mit erhohter mechanischer Muskelerregbarkeit und ver- 
mehrter SchweiBabsonderung seitens der betroffenen Hautbezirke. Die Falle 
sind durch alle Arten seelischer Behandlung giinstig zu beeinflussen. Riickfalle 
nach erfolgter Heilung selten. | 

383) Psychopathology and Dissociation, by William Brown. (Brit. med.Journ. 

1920. 31. Jan.) Ref.: Schreiber. 

Lehrhafte Betrachtungen iiber das Wesen der Hysterie und iiber die An- 
sichten von Janet, Freud, Jung und Ferenczi. Verf. erblickt in dem Seelen- 
zustand des Hysterikers einen Zustand geistiger Dissoziation (Gegenstiick zu 
Assoziation). Gewisse seelisch-korperliche Funktionen, z. B. Erinnerungen, Be- 
wegungen, Gefiihle usw., sind dem BewuBtsein verloren gegangen, bestehen aber 
in dieser oder jener Form noch fort. Hypnose und Psychoanalyse sind die Mittel, 
jene Abspaltung wieder zu beseitigen mittels einer Wiederankniipfung (reasso¬ 
ciation). 


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384) The Modern Treatment of Functional Nervous Disorders, by Hart. (Brit. med. 
Journ. 192 Ql 14. Febr.) Ref.: Schreiber. 

In einem Vortrage bespricht Verf. unter Anfiihrung einiger Beispiele die 
Hauptgrundsatze der seelischen Behandlung der verschiedenen Psychoneurosen, 
insbesondere der Kriegshysterie. 


Epilepsie. 

385) Ein Weg, das Wesen der ,;genuinen“ Epilepsie zu erforschen, von Haupt¬ 
mann. (Monatsschr. f. Psych, u. Neur. XLVIII. 1920. Heft 1.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

Es ist schwer zu entscheiden, ob eine selbstandige primare Stoffwechselstorung 
bei der Epilepsie vorliegt oder ob die Stoffwechselstorung nur sekundar durch 
einen GehirnprozeB bedingt ist, oder ob gar das Zugrundegehen von Gehirn- 
substanz im Anfall auf dem Wege des parenteralen EiweiBzerfalles, entsprechend 
den anaphylaktischen Erscheinungen, die Stoffwechselveranderungen und damit 
die Bedingungen fiir den neuen Anfall schafft, oder ob schlieBlich GehirnprozeB 
und Stoffwechselanomalie uriabhangig nebeneinander hergehen. Zur Beant- 
wortung dieser Fragen erscheint wichtig die Untersuchung von Gehirnverletzten, 
namentlich von solchen, die an posttraumatischer Epilepsie leiden, sowie die 
genaueste anatomische Durchforschung des Gehirns von Kranken, die an ge- 
nuiner Epilepsie gelitten haben, auf das Vorhandensein besonderer Entwicklungs- 
storungen. Es sind geniigend Unterlagen fiir die Annahme des sekundaren Zu- 
standekommens einer Stoffwechselstorung durch einen primaren HirnprozeB vor¬ 
handen. Das bei Epilepsie abnorm angelegte Gehirn beeinfluBt den Stoffwechsel 
zu abnormer Tatigkeit, und es hat nichts Befremdendes, sich vorzustellen, wie 
die pathologischen Stoffwechselprodukte nun ihrerseits das Gehirn weiter sch&digen, 
auf diese Weise einmal den dauernden Destruktions-,,ProzeB“ anregen und unter- 
halten und dann durch entsprechende Anhaufung die anfallsartigen Zustande 
auslosen. Moglich ist allerdings auch, daB bei der Epilepsie allein eine spezifische 
Stoffwechselstorung vorliegt, die erst sekundar ein an sich normal angelegtes 
Gehirn beeinfluBt, oder daB nur ein fortschreitender GehirnprozeB vorhanden ist. 
Bei der Untersuchung Hirnverletzter gilt es festzustellen, welche Umstande hinzu- 
treten miissen, um aus einem Gehirnverletzten, dessen Lasion geheilt ist, einen 
posttraumatischen Epileptiker zu machen. Wahrscheinlich handelt es sich bei 
diesen Kranken um eine Umstimmung des ganzen Gehirns, d. h. um eine all- 
geruein gesteigerte Empfanghchkeit fur Reize. Zu entscheiden ware aber durch 
Stoffwechseluntersuchungen, ob, falls wirklich Stoffwechselprodukte an dem 
Auftreten ihrer Anfalle schuld sind, es nur die normalen sind, und dann nur 
die gesteigerte Reizbarkeit des Gehirns die Anfalle zustande kommen laBt, oder 
ob wirklich krankhafte Stoffwechselprodukte vorhanden sind, die vielleicht 
wiederum eine Folge der veranderten Gehirnfunktion sind. Die Annahme einer 
epileptischen Disposition bei posttraumatischer Epilepsie ist noch sehr wenig 
gestiitzt; immerhin sollte man nicht versaumen, diese Annahme durch anatomische 
Untersuchungen zu stiitzen bzw. zu entkraften. Auch auf die Lokalisation der 
Hirnverletzung, auf die GroBe des Schadeldefektes, auf den Blut- und Liquor- 
druck, auf die Anwesenheit von Splittern im Gehirn, von meningealen Narben 
usw. ware zu achten. 

386) Pathologic und Pathogenese der Epilepsie, von Eugen Poliak. (Jahres- 
kurse f. arztl. Fortbildung [Verl. von J. F. Lehmann, Munchen]. Maiheft 
1920.) Ref.: Kurt Mendel. 


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Zusammenfassung: Die genuine und symptomatische Epilepsie sind nur 
schwer voneinander zu trennen. Diese Tatsache wird von uns allerdings anders 
begriindet als von jenen Autoren, die die gesamten Formen der Epilepsie als 
„organische“ erklaren wollen. Wir stehen vielmehr auf dem Standpunkt, daB 
fiir den Ausbruch des epileptischen Symptomenkomplexes entweder eine von 
Haus aus minderwertige Hirnanlage oder ein durch auBere Reize adaquat ge- 
schadigtes Zentralnervensystem in Frage komme. Die Hemmungsbildungen, 
Entwicklungsanomalien, verschiedene Arten der Tumoren usw. sind nur ein ob- 
jektiver Ausdruck der gleichzeitig bestehenden funktionellen Minderwertigkeit, 
die wir heute noeh nicht objektiv substantiieren konnen. Wir finden die Epilepsie 
daher in jungen Jahren haufiger, weil die gestorte Anlage des Kortex und damit 
wahrscheinlich auch seine Funktionsuntuchtigkeit sehr bald manifest wird. Denn 
es fiihren auch exogene Schadlichkeiten in einem Zeitpunkte, wo das Gehirn 
sich noch teilweise in unreifem Zustande befindet, unter Umstanden zu einem 
Stehenbleiben in der Weiterentwicklung, was in einem spateren Stadium (ex- 
trauteiin) das ahnliche Aquivalentbild zur Darstellung bringen kann, wie wir es 
bei den angeborenen Minderwertigkeiten finden. Es mag allerdings die Moglich- 
keit zugestanden werden, daB auch in spateren Stadien des Lebens durch exogene 
Faktoren es zu einer ahnlichen ,,Funktionsabanderung“ kommen kann, ohne 
daB wir sichere Anhaltspunkte fiir angeborene Schaden des Gehirns nachweisen 
konnen, wovon auch Denk spricht. Die Zahl dieser Epilepsieformen diirfte aber 
sehr gering sein, und moglicherweise wird ihre Loslosung von den anderen Gruppn 
einzig und allein darauf zuruckzufiihren sein, daB es uns mit den gegenwartigen 
Methoden noch nicht gelingt, die gesamten Ratsel des Epilepsieproblems zu losen. 
Nach diesen Ausfiihrungen wird vielleicht der Satz Obersteiners Giiltigkeit 
erlangen: Epilepticus nascitur et fit! 

387) A psychological theory of the cause of epilepsy, with special reference 

to an abnormal muscular expression of a strong emotional drive, by 

Ch. A. Marsh. (Americ. journ. of the med. sciences. CLIX. 1920. Nr. 3). 

Ref.: W. Misch. 

Der Epileptiker wird aufgefaBt als ein Wesen, das psychologisch charakteri* 
siert ist durch Uberempfindlichkeit, Egozentrizitat und Armut an Gemiits- 
bewegungen und das gewohnt ist, die sich gesteckten Ziele und Wiinsche nicht 
zu erreichen. Auf das dadurch gesetzte Gefiihl des Unbehagens bildet der epi- 
leptische Anfall die Reaktion, eine abnorme Muskelreaktion, die dem Gemiits- 
zustand nicht entspricht und auch nicht den Zweck, sein Ziel zu erreichen, den 
jede normale Muskelreaktion verfolgt, erreicht. Da der Epileptiker nicht, wie 
der Normale, seinen Emotionsantrieb verstandig zu bremsen vermag, so reibt er 
sich bis zur Erschopfung auf und wird dann bewuBtlos, doch ist diese BewuBt- 
losigkeit nicht tief genug, um auch die motorischen Zentren zu befallen, so daB 
der Krajnpfanfall zur Auslosung kommt. 

388) Ovarian insufficiency as a probable cause of epilepsy, by J. S. Ashe. 

(Dublin journ. of med. science. IV. 1920. Nr. 3.) Ref.: W. Misch. 

In einigen Fallen von Epilepsie, die mit Menstruationsstorungen einhergingen 
und die sich in einem Fall an eine Tubargraviditat anschloB, gelang es, durch 
Behandlung mit Ovarialextrakt (in einem Fall mit Polyglandulin) teils die An- 
falle vollig zu koupieren, teils bedeutend zu bessern. Es wird daraus geschlossen, 
daB das Toxin, das in manchen Fallen von Epilepsie pradisponierend wirkt, gebildet 
wird durch Fehlen, Verminderung oder Veranderung der Ovarialfermente, wodurch 
eine Storung im Gleichgewicht der endokrinen Driisen entsteht, die zur Bildung 
von auf den Cortex wirkenden Toxinen fiihrt. 


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286 — 


389) Fits and fallacies, by R. G. Mac Robert. (Journ. of the amer. med. assoc. 
LXXIV. 1920. Nr. 15.) Ref.: W. Misch. 

Betreffs der Ursachen und der Behandlung der Epilepsie bestehen noch 
zahlreiche irrtiimliche Anschauungen beim praktischen Arzt. Operativ soil nur 
vorgegangen werden, wenn Anhaltspunkte fur grobe Gehirnlasionen (Narben, 
Tumoren) da sind, im iibrigen weisen die Operationen sehr geringe Erfolge auf, 
Kopfverletzungen und Magendarmstorungen sind nicht, wie irrtiimlich ange- 
nommen wird, als Ursachen von Epilepsie anzusehen. Auch eine psychogene 
Entstehung der Epilepsie ist nicht anzunehmen, daher Psychotherapie (Psycho¬ 
analyse!) erfolglos. Wenn auch zuweilen bei Epileptikern eine Erweiterung der 
Sella turcica nachzuweisen ist, so bestehen doch keine nachweisbaren Beziehungen 
zwischen Hypophysenerkrankung und Epilepsie, und vor allem laBt sich aus einer 
Sellaerweiterung im Rontgenbild noch kein SchluB auf Hypophysenerkrankung 
ziehen. Der Alkoholismus der Eltern kommt atiologisch nur soweit in Betracht, 
als er ein Zeichen fur neuropathische Veranlagung ist, deren Vererbung den 
Boden fur die Entstehung einer Epilepsie bereiten kann; daneben kann die 
fotale Intoxikation allerdings auch schadigend wirken. Die Behandlung der 
Epilepsie soil daher nicht auBerhalb des Gehirns erfolgen, sondern mit den ge- 
brauchlichen Mitteln, durch die in fast 25°/ 0 Heilung, in 50°/ 0 Besserung erzielt 
werden kann. 

390) Absence of lobns olfactorins and sclerosis of cornu ammonis, by E. Tanaka. 

(Arch, of neurol. and psychiatry. IV. 1920. Nr. 2.) Ref.: W. Misch. 

Bei einem Fall von epileptischer Demenz wurde gefunden: doppelseitiges Fehlen 
des Bulbus undTractus olfactorius, rudimentare Entwicklung des Trigonum olfactorium 
beiderseits, Fehlen links und partielle Entwicklung rechts des Sulcus olfactori s, Fehlen 
des Gyrus olfa ;torius medialis und lateralis sowie des Gyrus tuberi olfactorii beiderseits, 
Fehlen der Stria olfactoria und geringe Atrophie des Gyrus hippocampi beiderseits; alle 
anderen zum Rhine nee phalon gehorigen Regionen zeigten keine nennenswerten Verande- 
rungen. Es wird angenommen, daB das Fehlen des Lobus olfactorius auf gewisse Defekte 
des embryonalen Gewebes zuriickzufuhren ist. Von besonderem Interetse ist, daB die mi- 
kroskopische Untersuchung Veranderungen im Ammonshom aufzeigte: starke Reduktion 
der grauen Substanz, auffallende Atrophie der Pyramidenzellen mit Verschwinden der 
Zellschichten in einigen Partien, Verminderung der Nervenfasem, Vermehrung der Glia- 
zellen und Verdickung der GefaBwande. Die Veranderungen weisen auf das Bestehen 
einer Atrophie und nicht einer Aplasie hin. Auch im Gyrus hippocampi fanden sich be- 
merkenswerte Veranderungen, namlich Verminderung der Tangentialfasem, deutliche 
Atrophie der oberflachlichen groBen polymorphen Zellen, maBige Schnunpfung der Pyra¬ 
midenzellen undVerlust der interradialen Nervenfasem. Von besonderem Interesse ist 
os, daB die starksten Veranderungen im Ammonshorn anzutreffen sind, da ja nach Ramon 
y Cajal das Ammonshom als Endstation des Geruchssinnes anzusehen ist. 

391) Das Kopfrontgenbild bei sogenannter genuiner Epilepsie. Bedeutung des 

vergroBerten Kleinhirnprofiles, von G. Anton. (Jahrb. f. Kinderheilk. 

XCIII. Heft 2.) Ref.: Zappert. 

Eingehende Studien iiber die genuine und symptomatische Epilepsie sowie 
liber die mit Epilepsie in Beziehung stehenden Fragen der Bedeutung innerer 
Sekretion und abnormer Wachstumsverhaltnisse des Gehirns bei Epilepsie und 
verwandten Krankheiten haben den Verf. die groBe Bedeutung der Rontgen- 
untersuchung des Schadels erkennen lassen. Es zeigt sich nun bei manchen 
Epileptikern eine deutliche Auswolbung der Kleinhirngrube, die auf eine Hyper- 
trophie dieses Organes hinweisen wtirde. Manchmal sieht man bei der Rontgen- 
durchleuchtung eine besonders scharfe Konturierung des Tentoriums, was mog- 
licherweise auf eine Verdickung infolge GeburtszerreiBung zuriickzufuhren ist. 
Es w&re also mit der Moglichkeit zu rechnen, daB Drucksteigerung im sub- 
fentorialen Elreislaufgebiete zu Reizungserscheinungen des GroBhirns fiihren 
oder daB durch eine Hypertrophie des Kleinhirnes eine Raumbeengung des GroB- 


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hirns bedingt wiirde. Jedenfalls berechtigen diese Befunde therapeutisch eine 
Druckentlastung im Schadel zu erzielen, und da kommt nach den Erfahrungen 
des Verf.’s dem Bl^enstiche eine groBe Wichtigkeit zu. Unter 31 Fallen konnte 
auf diese Weise in 23 ein deutlicher Erfolg erzielt werden, wie dies Reinickeaus 
Antons Nervenklinik in Halle bereits mitgeteilt hat (s. Referat 402). Eventuell 
kame bei Fallen deutlich rontgenologisch nachweisbarer Kleinhirnhypertrophie 
eine Anschneidung und Durchschneidung des Tentoriums in Betracht, wie sie 
die Otiater bei qualenden Ohrgerauschen zur Durchschneidung des Akustikus 
ausgefiihrt haben. 

392) Bemerkungen zur genuinen Epilepsie im Kindesalter, von Josef Hiisler. 

(Zeitschr. f. Kinderheilk. XXVI. Heft 5.) Ref.: Zappert. 

Die aus der Pfaundlerschen Kinderklinik stammende Arbeit bringt zu 
einer Reihe wichtiger Fragen der kindlichen Epilepsie interessante Belege. So 
wird an einer Reihe zweifelloser Falle dieser Krankheit gezeigt, daB das erste Auf- 
treten der Anfalle nach ausgesprochen psychischen oder harmlosen korperlichen 
Traumen keineswegs gegen Epilepsie spricht. Am sonderbarsten ist in dieser 
Beziehung der Fall eines kleinen Jungen, der, beim Urinieren gegen eine Haus- 
mauer ertappt und beschimpft, eine Stunde spater den ersten Anfali von Verwirrt- 
heit bekam, wobei er sich hinstellte, urinierte und die ihm gegebenen Schimpf- 
worte wiederholte. Spater stellten sich schwere epileptische Anfalle ein, bei 
denen ahnliche psychische Erscheinungen die Aura bildeten. Da es nicht wahr- 
scheinlich ist, daB eine Epilepsie aus einer urspriinglichen Hysterie hervorgehe, 
muB man sich derartige Falle wohl so erklaren, daB das psychische Trauma die 
auslosende Ursache fiir die epileptischen Anfalle gewesen ist. In bezug auf das 
Lebensalter beim Auftreten der ersten Anfalle ergeben die Zusammenstellungen 
des Verf.’s eine auffallende Haufung der Erstanfalle im 4. Lebensjahr. Betreffs 
des Ausganges der kindlichen Epilepsie zeigte sich eine auffallend hohe Mortalitat 
der kindlichen Epileptiker, indem 29,9°/ 0 vor Ablauf des 20. Lebensjahres starben. 
Der Zeitpunkt des Eintrittes des geistigen Riickganges lieB sich nicht immer 
genau bestimmen. Im allgemeinen kann man eine perniziose Form annehmen, 
meist schwer degenerierte Kinder betreffend, bei der der geistige Verfall sehr 
friihzeitig, auftrat und eine giinstige Verlaufsart, bei der sich bei jahrelangem 
Bestehen des Leidens nur geringfiigige, ja iiberhaupt nicht erkennbare psychische 
Veranderungen einstellen. Entgegen der von Kinderarzten oft geauBerten Meinung 
findet Verf. bei reinen Petit mal-Anfallen keine rasche Verschlechterung der 
Intelligenz und des Allgemeinbefindens, die bei ausgesprochen klonisch-tonischen 
Krampfen bald einzutreten pflegt. SchlieBlich berichtet Verf. iiber giinstige Er- 
folge bei friihzeitiger Schadeltrepanation, die diesen Eingriff immerhin berechtigt 
erscheinen lassen. 

393) Zwei Falle von Paramyoclonus multiplex mit Epilepsie, von E. Hartung. 

(Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LVI. 1920. S. 150.) Ref.: W. Misch. 

Es werden die Falle zweier Schwestern mitgeteilt, bei denen im 10. Lebensjahr gleich- 
zeitig ein Paramyoklonus multiplex und eine Epilepsie einsetzte. Das Leiden fand sich 
bei einer groBenAnzahl von Familienmitgliedern: bei der Mutter und 2 Briidem, wahr- 
scheinlich aber bei noch mehreren. — Es handelte sich um blitzartige Zuckungen in den 
verschiedensten einzelnen Muskeln des Rumpfes, Kopfs und der Extremitaten, die nie, 
wie bei Chorea oder beim Tic consulvif, ganze zusammengehorige Muskelgruppen befielen 
und die daher auch keine lokomotorische Wirkung ausuben konnten. Die Zuckungen be¬ 
fielen zumeist svmmetrische Muskeln, ohne synchron zu sein, zeichneten sich vielmehr 
durch erhebliche UnregelmaBigkeit, Unordnung und plotzliches Auftreten an alien mog- 
lichen Korpergegenden aus; auch waren die Zuckungen in bezug auf ihre Starke sehr 
ungleichmaBig. Im Schlaf setzten in beiden Fallen die Zuckungen aus; sie wurden durch 
Ablenkung der Aufmerksamkeit abgeschwacht, durch seelische Erregung gesteigert. In 
beiden Fallen waren die Sehnenreflexe gesteigert. 


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394) Der Gedankengang in epileptisehen Ausnahmezustanden, von H. Chri¬ 
stoff el. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LV. 1920. S. 161.) Ref.: 
W. Misch. 

.Es wird der Gedankenablauf bei denjenigen epileptisehen Ausnahmezustanden 
untersucht, in denen eine deutliche paroxysmale Storung des Gedankenganges 
nachweisbar ist; es handelt sich dabei nicht um die einfachen Verstimmungen, 
sondern um die als Dammerzustande und Delirien ungeniigend beschriebenen 
und unklar abgegrenzten Syndrome, denen die schweren Verblodungszustande in 
bezug auf den Gedankengang nahestehen. Es zeigt sich, daB die sprachliche Re- 
aktion stets stark verlangsamt ist gegentiber der Redeweise des Gesunden, wenn 
auch manche Reaktionen, z. B. Verwertung von Sinneseindriicken, verhaltnis- 
maBig rasch ablaufen. Daneben besteht eine ausgesprochene Neigung zur 
Perseveration in dem Sinn, daB ein Gedankengang festgehalten wird, die Ab- 
lenkung stark vermindert ist und der Kranke auch nach Abschweifungen immer 
wieder auf das gleiche Thema zuriickkommt; die Perseveration ist bald’ inhalt- 
lich, bald formell starker und kann zu volliger Unverstandlichkeit fiihren. Der 
Mangel an Ablenkbarkeit verhindert nicht, daB von auBen oder innen dar- 
gebotenes Material sofort im Denken verwendet wird, entweder indem es dem Ge¬ 
dankengang eingefiigt wird oder indem es der Kranke kurz bespricht, um dann 
sofort zum alten Gedankengang zuriickzukehren. Dies neben der Unklarheit 
wichtigste Symptom wird als Einschub, die ihm zugrunde liegende Storung als 
Unterbrechbarkeit bezeichnet; es hat mit Ideenflucht nichts zu tun. Das wichtigste 
Symptom der Ausnahmezustande ist die Unklarheit der Auffassung, der Begriffe, 
der Ideen und deren sprachlicher und motorischer AuBerung. Verkennungen 
von Personen und Bildern, Verlesungen im Sinne des bestehenden Gedankenganges 
sind haufig, die Orientierung in Zeit und Raum, die Einsicht in die eigene Lage, 
das Urteil liber das Yerhaltnis zur Umgebung ist mehr oder weniger gestort; 
hierher gehort die Erscheinung des Transitivismus, es konnen sogar je nach der 
Stimmung voriibergehende Wahnideen auftreten. Das Gedachtnis wird unklar 
und liickenhaft, so daB Erlebnisse nicht mehr auseinander gehalten werden, ver- 
schmolzen oder falsch zerlegt werden. Am starksten driickt sich die Unklarheit 
in der sprachlichen Insuffizienz aus: die Wortfindung ist erschwert, die gefun- 
denen Worte werden verstiimmelt, die Begriffe ungenau bezeichnet, die sprach¬ 
liche Syntax leidet, so daB es zu Agrammatismus und Akataphasie, nicht selten 
zum Telegrammstil kommt; am meisten aber tritt hervor, daB dem Kranken 
sehr wenig spezielle, prazise oder konkrete Ausdriicke zur Verfiigung stehen, so 
daB er sich mit Vorliebe in allgemeinen Ausdrucken bewegt, die oft gar keine 
Bedeutung haben und nur Fiillsel sind. Wenn auch zweifellos ein Teil dieser 
Storungen auf die erschwerte Umsetzung der Gedanken in die Sprache zuriick- 
zufiihren ist, so sind sie doch groBtenteils auf die Unklarheit des Denkens zuriick- 
zufiihren, das niemals die Prazision des Normalen erreicht. Eine eigentliche In- 
koharenz des Gedankenganges fehlt. Ferner spielen in den epileptisehen Ausnahme¬ 
zustanden abnorme sensorische und sensible Reize (Parasthesien) eine groBe 
Rolle, indem sie teils zu ,,Einschiiben“, teils zu Wahnideen und Halluzinationen 
fiihren, die denen bei Delirium tremens ahneln. Differentialdiagnostisch sind 
die besprochenen Assoziationsstorungen oft schwer von ahnlichen schizophrenen 
Storungen zu unterscheiden: beim Epileptiker sind die Sach- und Wortbegriffe 
unklar, wahrend beim Schizophrenen die wenigsten Begriffe unscharf sind und nur 
ihre Zusammensetzung falsch ist; wahrend der Schizophrene meist mit seinen 
Wort- und Begriffsbildungen zufrieden ist, hat der Epileptiker gewohnlich das 
Gefiihl der Unbestimmtheit und bemiiht sich, exakter zu werden; die epilep- 
tischen Neologismen entstehen dadurch, daB das Richtige nicht genau getroffen 


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wird ; wahrend die schizophrenen Neologismen im wesentlichen gewissen krank- 
haften Ideen entsprechende Neubildungen sind. Eine Zuriickfiihrung der Unter- 
schiede auf Differenzen der Elementarvorgange bei Epilepsie und Schizophrenie 
ist noch nicht gelungen. 

395) Der gegenwartige Stand der EpUepsiebehandlung, von E. Redlich. (Wiener 
med. Wochenschrift. 1920. Nr. 26ff.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Fortbildungsvortrag, der jedoch nicht nur fur den praktischen Arzt hochst 
instruktiv ist, sondern auch fiir den Fachkollegen beachtenswert erscheint, wofiir 
ja schon der Name des bekannten Epilepsieforschers biirgt. So sind z. B. zwei 
Beobachtungen interessant, bei welchen eine zu rigorose Kochsalzenthaltung zu 
eigentiimlichen mit zerebellarer Ataxie, allgemeiner Adynamie und bulbarer 
Dysarthrie einhergehenden Zustanden geftihrt hatten, welche auf Verabreichung 
relativ geringer Kpchsalzmengen wieder spurlos schwanden. Verf. erinnert u. a. 
daran, daB bei Brommedikation dasselbe auch im Liquor nachgewiesen werden 
kann (Untersuchungen von Hess, Potzl und Verf.), daB bei durch Brom an- 
fallsfrei gemachten Kranken Chlor, in groBerer Menge gegeben, Anfalle provo- 
ziert, tfinfach, weil das bereits verankerte Brom durch letzteres verdrangt wird, daB 
beim chronischen Bromismus 10bis 20 g Kochsalz, durch einige Tage gegeben, prompt 
alle Symptome beseitigt. Bezuglich der Brom-Calcium-Therapie erachtet Verf. 
noch groBere Versuchsreihen fur erforderlich, um abschlieBend urteilen zu konnen. 
Die Flechsigsche Methode will Verf. nur in ganz verzweifelten Fallen verwendet 
wissen, und auch da nur in Spitals- bzw. Sanatoriumsbeobachtung. Die Formen 
von Absencen, Vertigo usw. sind bekanntlich gegeniiber dem Brom so gut wie 
refraktar. Hier empfiehlt Verf. das Neuronal (0,5 mehrmals taglich), Nirvanol 
und das Luminal, das er besonders in Verbindung mit Brom sehr riihmt. Verf. 
gibt gewohnlich abends 0,1 Luminal, tagsiiber 1 bis 2mal 1—1,5 BrNa, und 
voriibergehend 0,01—0,1 Luminal, bei Kindern 1 bis 2mal 0,03—0,05. 

Bezuglich des Magnesiumsulfates, Crotalins, Rontgenbehandlung, derBolten- 
schen Organotherapie usw. liegen keine geniigend sichergestellte Erfolge vor. 
Dagegen kann Verf. auf Grand personlicher Erfahnlng nicht umhin, fiir manche 
Falle das Epileptol zu empfehlen (3mal taglich 20 bis 40 Tropfen); er sah da von 
zweifellose Erfolge in Fallen, welche jeder anderen Behandlung gegeniiber re¬ 
fraktar gewesen waren. Erwahnenswert ist, daB Verf. beim Status neben der 
iiblichen Therapie die Venaesectio mit intravenoser Injektion eines kraftigen 
Cardiacum verbindet (z. B. Digifolin). Ein operatives Vorgehen erscheint indiziert 
bei den traumatischen, dann bei manchen enzephalitischen Fallen, bei denen 
sich nicht selten Cysten in den Hauten oder im Gehirne finden. Zuweilen bringt 
die Palliativtrepanation allein schon Besserungen, auch die einfache ,,Liiftung“ 
des Gehirnes. Sehr wenig ermutigend sind die chirurgischen Erfolge bei der genuinen 
Epilepsie. 

Der Aufsatz schlieBt mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit eigener Epi- 
leptikeranstalten, womit in Niederosterreich (Steinhof-Wien) bereits der An- 
fang gemacht worden ist. 

396) Sodium Biborate in the Treatment of Epilepsy in an Asylum, by Me Cartne v. 

(Brit. med. Journ. 1920. 9. Oktober.) Ref.: Schreiber. 

Verf. gab seinen Epileptikern mit bestem Erfolge Natrium biboratum zu- 
sammen mit Natrium bromatum und erzielte bei ihnen stets eine ganz betracht- 
liche'Verminderung der Anfalle (um 60 bis 80°/ 0 ), auBerdem in vielen Fallen eine 
Besserung des geitigen Zustandes, insbesondere eine Besserung des Gedachtnisses 
und ein Seltenerwerden der Erregungszustande. 

397) Bemerkungen zu dem Aufsatz von Braune: „Das Trional in der Behandlung 
der Epilepsie und anderer Nervenkrankheiten“ in Nr. 3 dieser Zeitschrift, 

XL. (Erganzungsband.) 19 


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von Alexander Pilcz. (Therapeutische Halbmonatshefte. 1920. Heft 10.) 
Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Bei der Verwendung von Trional ist stets darauf Bedacht zu nehmen, das 
Mittel nach etwa 1—3w6chigem kontinuierlichem Gebrauch durch etwa ebenso 
lange Zeit regelmaBig auszusetzen. 

398) Luminal und Epilepsie, von Franz Brlihl. (Miinchener med. Wochenschrift. 
1920. Nr. 34.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. gibt abends 0,1 Luminal, eventuell auch morgens 0,1 oder morgens 0,1, 
abends 0,2, im Status subkutan 0,4 Luminalnatrium, wenn notig 2mal am Tage. 
Fur Falle, die auf Luminal nicht reagieren, bleibt Brom das alte Mittel. 0,1 Luminal 
kann jahrelang jeden Tag gegeben werden. Falle von intra partum entstandener 
traumatischer Epilepsie reagieren nicht auf Luminal. Die Verminderung der 
Anfalle bedingt eine groBere Regsamkeit des Epileptikers. 

399) Zur Therapie und Pathologie der Abbaukrankheiten des Nervensystems. 
Heilwirkungen von Proteinkorpern auf die Epilepsie, von Doll ken. (Berliner 
klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 38 u. 39.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die Abbaukrankheiten lassen sich zu einer Gruppe der organischen Nerven- 
krankheiten mit gemeinsamen wesentlichen Merkmalen vereinigen. Sie zeigen 
bei progredientem Verlauf und volligem Ablauf zuerst starke Reizerscheinungen 
und als Ausgang Funktionsuntiichtigkeit der befallenen Teile, Demenz oder 
Lahmung. Manche Formen heilen oft oder meist nach Ablauf der Reizerschei¬ 
nungen aus: Hebephrenie, Chorea infantum, Delirium tremens. 

Verf. beginnt mit der progressiven Paralyse., Sie ist unter bestimmten Um- 
standen durch Heilmittel besserungsfahig, ,,gelegentlich sogar heilbar“. Verf. 
bespricht die verschiedenen Behandlungen mit groBen Jodgaben, Tuberkulin, 
BakterieneiweiB usw. Durch alle diese Kuren werden die Spirochaten meist nicht 
oder nicht vollig zum Verschwinden gebracht. Sie tragen daher meist den Sieg 
davon, nachdem es einmal oder mehrfach gelungen ist, Remissionen zu erzielen. 
Die neuritischen Prozesse bei der Tabes sind.sehr langsam verlaufende Abbau- 
vorgange in den peripheren Nerven und durchweg einer Heilung durch Bakterien¬ 
eiweiB leicht zuganglich. Infektioee Neuritis und Neuritis nach Infektionskrank- 
heiten werden durch BakterieneiweiBinjektionen, am meisten und leichtesten 
durch Pyocyaneus und Prodigiosus zur Abheilung gebracht. Bei Chorea wirken 
Milchinjektionen besser als BakterieneiweiB. In 21 Fallen von frischer Hebe¬ 
phrenie und leichter Katatonie gelang es Verf., mit Pyocyaneusvakzine und 
Dysenterievakzine einen auffallenden, 16mal allerdings nur voriibergehenden 
Erfolg zu erzielen. Eingehend wird die Apoplexie besprochen. Die Einverleibung 
steriler roher Milch scheint dabei eine etwas starkere und schnellere Heilwirkung 
auf apoplektische Erscheinungen zu haben als irgendwie zubereitete Milch. 
Langefes Kochen ist nicht giinstig, einmaliges Erwarmen bringt keinen Nachteil; 
notwendig ist nur Keimfreiheit. Verf. empfiehlt die steril gewonnene, pasteuri- 
sierte Milch in Ampullen von 2 und 5 ccm. 

Es folgt die Epilepsie. Die groBte Zahl der Epilepsiefalle zeigt vor den An- 
fallen EiweiBretention und Storung des EiweiBstoffwechsels sowie vermehrten 
Abbau von EiweiB, das aus den Zellen des Gehirns stammt. Die Epilepsie ist in 
mindestens 75% der Falle eine organische Erkrankung des Gehirns: Abbau- 
krankheit. Es gelang mit Milchinjektionen allein, eine Verringerung der Zahl 
der Anfalle und ein Nachlassen in der Schwere der Paroxysmen zu erzielen f aber 
nur einmal konnten die Anfalle ganz zum Schwinden gebracht werden. Das beste 
EiweiBkorpergemisch fiir die unspezifische Proteinkorpertherapie der Epilepsie 
ist die leicht assimilierbare Kuhmilch. Sie erzeugt auch bei haufig wiederholten 
Injektionen keine Serumkrankheit und koine anaphvlaktischen Erscheinungen. 


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Nach Injektion von 2 bis 5 ccm steriler Kuhmilch wurden die Kranken euphorisch 
und ruhig und bekamen Schlafbedlirfnis. Nebenerscheinungen sind selten. Ge- 
ringe Mengen einer wenig virulenten Vakzine, gleichzeitig mit der Milch injiziert, 
verstarken den Effekt; ebenso wenn die Vakzine der Milch direkt zugesetzt wird. 
Eine kombinierte Milch-Luminalkur wendet Verf. bei zerebralen Epilepsien mit 
regelmaBigen Anfallen oder Anfallsserien an, die sich als besonders resistent gegen 
alle therapeutischen Eingriffe erweisen. Ganz besonders eignet sie sich fur die 
zerebralen Formen traumatischer, infektioser, toxischer, apoplektischer Atiologie, 
die auf Bromsalze und Luminal nicht oder nicht mehr ausreichend reagieren. - Zu 
geben ist 0,15 bis 0,2 Luminal, statt dessen bewahrte sich zuweilen Sedobrol. 
Daneben wurden 3mal 2 ccm Milch in den ersten Wochen wochentlich in den 
Triceps, bei besonders schweren Fallen 5 ccm in den Glutaeus injiziert. Bei ge- 
hauften Anfallen wahrend einer Bromkur gibt Verf. Kasein intravenos in iso- 
tonischer Losung. Er gibt des weiteren nahere Angaben tiber das weitere Verhalten 
wahrend der ferneren Dauer der Epilepsie sowie eine Reihe von Kranken- 
geschichten. 

400) Rontgenbehandlung der Epilepsie, von Robert Lenk. (Munchener med. 

Wochenschrift. 1920. Nr. 25.) Ref.: Kurt Mendel. 

5 Falle von Epilepsie wurden mit Rontgenbestrahlung der Gegend der 
Zentralwindungen behandelt; 4 davon zeigten nach den ersten Bestrahlungen 
deutliche Besserung, bei weiterer Behandlung trat jedoch in alien 5 Fallen eine 
ausgesprocheAe Verschlimmerung des Zustandes, ein Haufiger- und Starkerwerden 
der Anfalle auf, bei zwei Fallen stellte sich sogar ein Status epilepticus ein. Auf 
Grund dieser Beobachtungen rat Verf. von der Rontgenbestrahlung des Gehirns 
bei Epilepsie ab. 

401) Epilepsie et radiotherapie, par E. Kummer. (Revue medic, de la Suisse 

romande. 1920. Nr. 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Berichte liber die Resultate der Rontgenbehandlung bei Epilepsie sind 
widersprechend. Neben hochgradigen Besserungen werden Mifierfolge gemeldct. 
Verf. beobachtete in einem Falle von posttraumatischer Epilepsie bei einem Alko- 
holiker eine 8 Monate anhaltende Besserung durch die Rontgenbestrahlung des 
Schadels, welche auBerdem einen tiefen Schlaf von 10 Minuten nach jeder Sitzung 
bewirkte. 

402) Die Behandlung der Epilepsie mit Balkenstich, von Reinicke. (Arcbiv fur 

Psychiatrie. LXII. Berlin 1920. Heft 1.) Ref.: G. Ilberg. 

Verf. veroffentlicht in der Antonschen Klinik gemachte Studien und be- 
schaftigt sich namentlich mit der erhohten Drucksteigerung im Schadelinnern, 
die durch vorzeitige Verknocherung der Schadeldecke, abnorme Zunahme des 
Hirnvolumens und abnorme Zunahme der Hirnfliissigkeit hervorgerufen werden 
kann. Die Hirnfliissigkeit ist ein Produkt der Plexus chorioidei. Die normale 
Menge des Liquor cerebrospinalis betragt 80 bis 150 ccm, wovon 20 bis 30 ccm auf 
den Liquor cerebralis fallen. Unter pathologischen Verhaltnissen kann die Liquor- 
menge auf 1000* ccm und mehr steigen. Normalerweise betragt der Liquordruck 
60 bis 100 mm Wasser, bei pathologischen Verhaltnissen 200 bis 1000 mm. Die 
pathologische Ansammlung der Liquormenge hat ihren Grund in Hypersekretion 
* des Plexus chorioideus, mangelnder Resorption oder Liquorstauungen innerhalb 
der AbfluBwege (ent^weder durch VerschluB der Liquorwege oder durch Anomalien 
der Blutwege und Blutzirkulation). Die an dem Zentralapparat ausgelosten Folgen 
der Liquorstauung greifen tief ein in die anatomische Struktur dieses Organs; 
epileptische Anfalle, Lahmungserscheinungen. Blodsinn sind mitunter die End- 
ergebnisse. 

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Zur Beseitigung der Zirkulationsstorungen haben Anton und Bra man v 
den Balkenstich angewendet. Die Operation ist gefahrlos und kann in Lokal- 
anasthesie ausgefiihrt werden. Verf. veroffentlicht nun 30 Falle von Epilepsie, 
die mit Balkenstich behandelt worden sind. Giinstig wurden die durch Hydro¬ 
cephalus hervorgerufenen Reizungen des Gehirns beeinfluBt. Milderung wurde 
erzielt besonders bei traumatiseher Epilepsie. Auch Falle von voTzeitiger 
Verknocherung des Schadels (Mikrozephalie) empfiehlt Verf. fur den Balken¬ 
stich. Je friihzeitiger der Eingriff gemacht wird, um so giinstiger ist die Prognose 
der Epilepsie. Jedenfalls ist sowohl behufs besserer Diagnostizierung als zu 
Behandlungszwecken die Einiibung dieser Operation fur die Epileptikeranstalten 
dringendes Bediirfnis. Ob es sich um Hydrocephalus oder um Folgeeischeinungen 
erhohten Druckes im Schadelinnern handelt, kann durch die moderne Rontgen- 
diagnostik aufgeklart werden: Die Beschaffenheit der Schadelknochen, Druck- 
usuren, hydrozephale Auswolbung des Hypophysensattels, stark erweiterte Venen 
u. a. lassen mit Sicherheit auf vorhandene Stauungserscheinungen schJieBen und 
fordern zur operativen Beseitigung dieser ursachlichen Momente der epileptischen 
Anfalle auf. 

403) Die Exstirpation der Nebenniere zur Behandlung von Krampfen, von 

A. Briining. (Zentralbl. f. Chirurgie. 1920. Nr. 43.) Ref.: Kurt Mendel. 

H. Fisch er stellte die Theorie auf. daB durch eine Reduktion der Neben- 
nierensubstanz im Korper des Tieres sich eine Herabsetzung der Krampffahigkeit 
erreichen laBt. Verf. versuchte bei 9 Epileptikern die Exstirpation einer (der 
linken) Nebenniere. Bei alien bildete sich die (bei Epileptikern bestehende) Leuko- 
zvtose zuriick, und das Blutbild naherte sich mit Vermehrung der neutrophilen 
polynuklearen Leukozyten dem normalen. In alien Fallen trat eine Besserung, 
in zweien Heilung der epileptischen Anfalle ein. 


Tetanus. 

404) Kyphoskoliose nach Tetanus, von Paul Spiess. (Munchener med. Wochen- 
schrift. 1920. Nr. 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Kyphoskoliose nach Tetanus. Verf. glaubt, daB infolge des durch tetanisclie 
Kontraktur verstarkten Zuges aller die Wirbelsaule bewegenden Muskeln ein hoher longi- 
tudinaler Druck in den einzelnen Wirbelkorpern entstand, der seinerseits einen schon vorher 
latent bestehenden KranklieitsprozeB (Tuberkulose ?) zum Aufflackern gebracht hat. So 
kam es zur Destruktion mehrerer Brustwirbelkorper. 

405) ttber Wirbelsaulenveranderungen im Gefolge von Tetanus, von Erwin Bee her 
(Munchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 30.) Ref.: Kurt Mendel. 

Im AnschluB an Tetanus kann es bei Jugendlichen und auch bei Erwachsenen 
zu Kyphose und Kyphoskoliose mit Deformation des Thorax und zu Gibbus- 
bildung mit Wirbelkorperkompression kommen. Lange anhaltende, starke teta- 
nische Kontraktur, vornehmlich der Riickenmuskulatur, ist als Ursache anzu- 
sehen. Meist ist die Affektion im Bereich der oberen Brustwirbelsaule lokalisiert. 
Die Deformitat kann sich zuriickbilden, meist bleibt sie aber .bestehen. 

406) Zur Behandlung des Tetanus durch kombinierte intrakranielle subdurale 
und intraspinale Antitoxininjektionen, von D. Eberle. (Deutsche med. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

In 3 Tetanusfallen, die am 5. bis 7. Tag nach Auftreten der ersten Erschei- 
nungen mit intrakraniellen subduralen und intraspinalen Antitoxininjektionen 
(nach Betz und Duhamel) behandelt wurden, trat der Exitus ein, ohne daB 
eine Einwirkung des Serums auch mir in besserndem Sinne erkennbar war. 


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Vergiftungen (einschlieBlich Morphinisms und Alkoholismus). 

407) Fall von Veronalvergiftung, von Moszeik. (Medizinische Klinik. 1920. 
Nr. 9.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Auch aus dem mitgeteilten Falle geht hervor, daB Veronal ein ungeeignetes 
Mittel fur Selbstmordkandidaten ist, da es auch in groBen Mengen das gewiinschte 
Ende gewohnlich nicht herbeifiihrt. In dem kurz beschriebenen Fall waren 7 g 
genommen worden. 

408) Springende Pupille bei Veronalvergiftung, von Julius FIeiseller. (Deutsche 
med. Wochenschrift. 1920. Nr. 23.) Ref.: Kurt Mendel. 

Ankniipfend an die Beobachtung Romers (s. Neur. Centr. 1919, S. 777, Referat 11) 
berichtet Verf. liber einenFall von Veronalvergiftung, bei welchem er bei 6 Besuchen ab- 
wechselnd sehr enge und dann wieder weite Pupillen feststellte, wahrend Lichtreaktion 
und Komealreflex fehlte. 

409) Beziehungen der Nirvanolvergiftung zur Anaphylaxie, von Ernst Jolowicz. 
(Therap. Halbmonatshefte. 1920. H. 15.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die toxische Dosis vom auf einmal genommenen Nirvanol hat eine prinzipiell 
andere Wirkung als die wiederholte Gabe viel kleinerer Dosen. Die einmalige 
Dosis von 2 bis 6 g Nirvanol erzeugt nur langdauernden tiefen Schlaf ohne ernste 
Schadigungen, die wiederholte Darreichung selbst kleiner Mengen von 0,5 g kann 
zu schweren Storungen mit hohem Fieber, Exanthem und psychischen Storungen 
ganz wie beim Luminal fiihren. In dem vom Verf. beschriebenen Fall trat dazu 
noch eine intensive Lahmung der Darmmuskulatur ein. Dem Nirvanol ist wie 
dem Luminal die starke Wirkung auf das vegetative Nervensystem gemeinsam. 
Diese Wirkung auBert sich teils in erregendem, teils in lahmendem Sinne. 

410) tJber die schadlichen Wirkungen des Schlafmittels Nirvanol, von E. Re ye. 

(Miinchener med. Wochenschrift. 1920. Nr. 39.) Ref.: Kurt Mendel. 

3 Falle von Nirvanolvergiftung (Fieber, Exanthem, Driisensch well ungen usw.). Die 
Patienten erhielten im ganzen 2 bezw. 2,4 g Nirvanol (an 4 Tagen je 0,5 g bezw. in 8 Tagen 
je 0,3 g). 

411) Ein Fall schwerer Nirvanolvergiftung mit Heilung, von Schlic htegroll. 
(Berliner klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 26.) Ref.: E. Tobias. 

Verf. hatte in einem Fall von Neurasthenie nach Trauma 0,3 Nirvanol gegeben. Die 
Patientin hatte statt eines 9 Pulver genommen und eine schwere Vergiftung davongetragen. 
Sie zeigte vollkommene Apathie, auf der Stim kalten SchweiB, weite Pupillen, Pulslosig- 
keit. Die allgemeine Therapie fiir Vergiftungen fiihrte in einigen Tagen zu vollkommener 
Genesung. Voriibergehend hatte sie Flimmergefuhl vor den Augen, Abnahme der Seh- 
scharfe und undeuthche Farbenwahrnehmung, im Augenhintergrund eine leichte Neuritis. 
Aber auch der Augenbefund wurde wieder vollig normal. 

412) Amylenhydratvergiftung (35 g) mit todlichem Ausgang, von W. Jacobi 
und E. Speer. (Therap. Halbmonatshefte. 1920. H. 16.) Ref.: E. Tobias. 

Einem 22jahrigen, kraftigen, gut genahrten Epileptiker wird im Status epilepticus 
ein Amylenhydratklysma von 6,0 g verordnet. Ein verhangnisvoller Irrtum der Schwester 
hat eine Vergiftung mit 35 g zur Folge. Sie wird 22 Stunden spater festgestellt. Obwohl 
die Reflexe fehlen, ist der Zustand nicht bedrohlich. Nach 24 Stunden bei Insuffizienz des 
Herzens Lunge nodem. Trotz energise hen therapeutischen Vorgehens etwa 31 Stunden 
nach Verabreichung des Mittels schwer bedrohlicher Zustand, der nach mechanischer Ent- 
leerung des Odems durch kiinstliche Atmung iiberwunden wird. Nach 42 J / 2 Stunden 
Magenblutung; kurz darauf Wiederkehr der Reflexe, beginnend mit den FuBsohlenreflexen. 
Spontane Bewegungen. Nach 48 Stunden Abwehrbewegungen auf Hautreize, Reaktion 
auf Anruf. Nach 53 Stunden unter agonalem Anstieg der Temperatur auf 39° Exitus letalis. 
Ein reiner Fall von Amylenhydrattod liegt nicht vor, da die Obduktion eine Influenza- 
pneumonie ergab, die an sich geeignet war, todlich zu wirken. 

413) Zwei Falle von Luminalvergiftung, von W. Haug. (Miinchener med. Wochen¬ 
schrift. 1919. Nr. 52.) Ref.: Kurt Mendel. 


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In 2 scliweren Fallen von Epilepsie gab Verf. 3mal taglich 0,1 Luminal. In dem einen 
Fall traten 4 Wochen nach Beginn der Behandlung plotzlich hohes Fieber, blutig-schlei- 
mige Durchfalle, ein scharlachartiges Exanthem auf, dann leichte Benommenheit. Nach 
Aussetzen desLuminal Heilung. Nach 10 4 Tagen wieder 1 Woche lang 2mal 0,1 Luminal; 
seitdem keine Storungen; keine Anfalle. Bei der anderen Patientin treten nach lltagigem 
Luminalgebrauch hohes Fieber, dann Exanthem und Durchfalle, Albuminurie, schwere 
Beeintrachtigung des Sensoriums ein. Nach Aussetzen des Mittels sehwinden alle Symptome. 
Im ersten Falle waren 8,4, im zweiten nur 3,3 g Luminal im ganzen gegeben worden. Bei 
heruntergekommenen Individuen soli man mit dem Luminal vorsichtig einschleichen 
und bei einer Tagesdosis von 0,2—0,25 g verharren. 

414) Ein Todesfall durch Luminal und Opium, von F. Rosenberger. (Medi- 

zinische Klinik. 1919. Nr. 45.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die Patientin, um die es sich handelt, hatte schon mehrfach Selbstmordversuche mit 
Luminal gemacht. Sie nahm 40 Tabletten Luminal zu 1,0 und mindestens lOccm Tot. 
opii simplex und ging daran trotz Ausspxilungen, Atropin usw. zugrunde. 

415) tJber Eukodalismus, von Alfred Alexander (Miinchener med. Wochenschrift. 

1920. Nr. 30.) Ref.: Kurt Mendel. 

Nach 2 Dosen von 0,2 Eukodal sah Verf. starke Erregungszustande mit Parasthesien 
in Armen und Beinen sowie Urtikaria an den Armen. Nach emeuter Eukodal-Darreichung 
die gleichen Erscheinungen. In einem anderen Falle nach Einspritzung einer Eukodal- 
ampulle starke Urtikaria an den Streckseiten der Arme, in einem 3. Falle jedesmal nach 
der Injektion Erbrechen unter starker Nausea. In einem weiteren Falle Eukodahsmus 
durch Gewohnung (taglich 1—2 Eukodalinjektionen): nach Aussetzen starke Erregungs¬ 
zustande, Zittern, Ubererregbarkeit, Schlaflosigkeit; nach Eukodalinjektion sofortige Be- 
ruhigung. 

416) Beitrag zur Kasuistik des Bromoderma, von E. Klebelsberg. (Wien. Win. 

Wochenschrift. 1920. Nr. 27.) Ref.: Pilcz (Wien). 

In zwei Fallen (epileptische Psychose und manisch-depressives Irresein) 
traten auf Brommedikation statt der bekannten Bromakne ungemein schwere, 
ganz atypische Hautveranderungen auf, von teils ulzerosem, teils proliferativem 
Oharakter. Im ersten Falle wurde sogar an Lues gedacht, zumal Jodkalium prompt 
Heilung brachte. Irrefiihrend war ferner das lange Bestehenbleiben der Affek- 
tionen, ja eine gewisse Veschlimmerung trotz vollstandigen Aussetzens des Broms. 
In den epikritischen Bemerkungen hebt Verf. u. a. die Tatsache der individual 
so verschiedenen Toleranz der Haut gegeniiber dem Brom hervor und zitiert 
einen bemerkenswerten Fall von Comby, wonach ein 10 Monate alter Saugling 
die schwersten Symptome von Bromoderma bekam, dessen Mutter of ter 1 bis 
2 g Bromkali genommen hatte, ohne selbst irgendwelche Hautaffektionen zu 
bieten. Therapeutisch: Aussetzen des Broms. Verabfolgung von Arsen, Kochsalz, 
Jodkali intern, und lokal Ichthyol. 

417) Die Jodoformpsychose und ihre Stellung innerhalb der exogenen Pradi- 

lektionstypen, von Gottfried Ewald. (Monatsschrift f. Psych, u. Neurol. 

XLVII. 1920. H. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei einem 18jahr., erblich nicht belasteten Jiingling entwickeln sich im AnschluB 
an eine Grippeempyem-Ope ration nach 2maliger Tamponierung mit Jodoformgaze Ver- 
giftungserscheinungen: zunachst AuBerungen von Beeintrachtigungsideen, nachtliche 
Unruhe, Angstlichkeit, MiBtrauen, Zweifelsucht, Ratlosigkeit, dann staike Affektschwan- 
kungen mit heftigen Weinparoxysmen oder haltlosem Lachcn. Kurz darauf traten auch 
mehr somatische Vergiftungsanzeichen auf: starker SpeichelfluB, Obelkeit, Erbrechen, 
Genickschmerzen, Pulszunahme, Verfall, konvulsive Korperzuckungen, Reflexsteigerung, 
"Gberempfindlichkeit, voriibergehender zweifelhafter Babinski, Jod im Urin (vom 3. Tage 
an bis zum Abklingen der Psychose). Bald darauf heftiges Grimassieren, mangelhaftes 
Orientierungsvermogen, schlechte Auffassungsfahigkeit, Ablenkbarkeit, Apathie, all- 
gemeine katatone Symptome, Perseveration, Halluzinationen, Neigung zu Kombinationen. 
Merkfahigkeit dauernd auffallend gut. Nach 14 Tagen erste Zeichen von Krankheits- 
einsicht, dann allmahlich fortschreitende Besserung. 

Der vorliegende Fall bietet eine Mischform zwischen den beiden von Schle- 
singer (1898) aufgestellten Formen der Jodoformpsvchose, der akuten Vei- 


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wirrtheit und der komatos-meningitischen Form. Das Krankheitsbild war ein 
heteronomes, reiht sich also den Bonhoef ferschen Pradilektionstypen zwanglos 
ein. Charakteristisch fur die Jodoformpsychose gegeniiber anderen exogenen 
Psychosen erscheint das eigenartige, durchaus im Vordergrund stehende Grimas- 
sieren; wahrscheinlich handelte es sich dabei um parakinetisch entstellte, grotesk 
iibertriebene Ausdrucksbewegungen des Ekels, die offenbar durch die Jodoform- 
ausscheidung im Speichel und den damit verbundenen widerlichen Geschmack 
hervorgerufen wurden. 

Die psychotischen Symptome sind dem Jodoform, niclit dem abgespaltenen 
Jod zuzuschreiben. Der weitaus groBte Teil des Jodoforms wird als solcher re- 
sorbiert und fixiert sich infolge seiner groBen Affinitat zu Lipoidsubstanzen feat 
an den Lipoiden der Nervensubstanzen. 

DaB gerade dieser eine Kranke unter vielen mit gleichen oder groBeren Jodo- 
formmengen Behandelten mit so schweren Intoxikationserscheinungen erkrankte, 
weist auf eine Idiosynkrasie oder — besser — auf eine Intoleranz gegeniiber 
Jodoform hin. 

418) ttber nervose und psychische Storungen nach Wutschutzimpfung, von A. H. 

Hiibner. (Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall I: Multiple Lahmungserscheinungen nach Tollwutimpfung: Diplegia facialis, 
Affektion des motorischen und sensiblen Trigeminus; anfangs auch leichte Schluckstorungen. 
Femer Parasthesien in beidenBeinen, verbunden mit Druckschmerzhaftigkeit im Ischiadicus 
und rechten Tibialis sowie im linken Ulnaris. AuBerdem angstlich, gedrtickt, miBtrauisch, 
reizbar, gedachtnisschwach. Demnach: Neuritis verschiedener Hirn- und Extremitaten- 
nerven und psychische Veranderungen. Das Leiden begann einige Tage nach der Einspritzung 
von Tollwutsenim, ein BiB durch einen wutkranken Hund war auszuschlieBen. 

Fall II bis IV: Psychische Storungen nach Wutschutzimpfung, und zwar Unlust- 
gefiihle, ausgesprochenes Krankheitsgefiihl, Schwerfalligkeit des Denkens, Herabsetzung 
der Merkfahigkeit, VergeBlichkeit, rasches Versagen, Ruhebedurfnis, Angstgefiihl, Reiz- 
barkeit. Depression, Zornausbriiche, MiBtrauen. - Langsame Besserung. 

Es handelt sich hierbei um „hyperasthetisch-emotionelle Schwachezustande £< 
(Bonhoef fer), um Folgen* einer Giftwirkung auf das Hirn, herbeigefiihrt durch 
das abgeschwachte Wutgift. 

419) ttber die Entstehung einer reflektorischen Pupillenstarre durch Methyl- 

alkoholvergiftung, von A. Fuchs. (Zeitschr. f. Augenhlk. XLII. Heft 1/2.) 

Ref.: F. Mendel. 

Der 60jahrige Patient zeigt nach uberstandener Methylalkoholvergiftung neben 
einer Opticusatrophie beider Augen eine echte, doppelseitige reflektorische Pupillenstarre 
und Miose, auBerdem eine hypathetische Zone in der Mammillargegend, herabgesetzte 
Sebnenreflexe und Druckschmerzhaftigkeit der Muskeln und Nervenstamme. 

Verf. schlieBt sich dqr Meinung Nonnes an, daB schwerer chronischer Al- 
koholismus reflektorische Pupillenstarre verursachen kann, und glaubt, daB in 
dem beschriebenen Falle die Methylalkoholvergiftung, die einen alten, wenn auch 
nicht schweren Alkoholiker betraf, die Ursache der Miose, reflektorischen Pupillen¬ 
starre und der Polyneuritis war. 

420) Voriibergehende Erblindung mit Augenmuskellahmung nach Kohlenoxyd- 

vergiftung, von G. Abelsdorff. (Deutsche med. Wochenschrift. 1920. 

Nr. 8.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. flihrt die voriibergehende Erblindung in seinem Falle von Kohlenoxydvergiftung 
auf eine orbitale bezw. intmkranielle Neuritis optici zuriick. Es bestand auBerdem eine 
Parese des linken Musculus rectus inferior. 

421) Enzephalo-Myelomalazie als Unfiallfolge nach gewerblicher Vergiftung (Tetra- 

chlorathan?), von Ernst Schultze. (Berliner klin. Wochenschrift. 1920. 

Nr. 40.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 


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Es handelt sich urn einen Fall von organischer Nervenerkrankung, den Sch. als En- 
ze phalo - My elomalazie auffaBt, nachdem er multiple Sklerose, Hitzschlag usw. ausschlieBen 
kann. Es wird mit groBer Wahrscheinlichkeit die Moglichkeit einer gewerbliclien vScha- 
digung und zwar einer Vergiftung mit Tetrachlorathan angenommen. 

422) Uber einen bemerkenswerten Fall von Morphiumvergiftung, behandelt mit 
Trachealpunktion, von Erich Becker. (Medizinische Klinik. 1920. Nr. 18.) 
Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Klinisch war der Fall von Morphiumvergiftung insofem von Interesse, als die Tempe- 
ratur auf 41,2 anstieg, so daB an einen bakteriamischen ProzeB gedacht wurde. Die Blut- 
kultur blieb aber steril. Im Verlauf stieg die Temperatur noch bis 42,1°. Die Atmung zeigte 
Neigung zum Stillstand und war mit Sauerstoff nur mit groBen Schwierigkeiten in Gang 
zu bringen. Aus diesem Grunde wurde zur Sauerstoff spiilung der Bifurkation nach Vol- 
hard geschritten. Zu diesem Zwecke wurde die Trachealpunktion in naher beschriebener 
Weise vorgenommen, womit es gelang, die Atmung ungefahr 24 Stunden in Gang zu halten. 
Die tiefe Benommenheit wurde nicht im geringsten beeinfluBt, obwohl der Sauerstoff- 
strom auf die Teilungsstelle der Luftrohre direkt heraufgebracht werden konnte. Es ge- 
sellten sich dann tetanische Muskelzuckungen in der Muskulatur des Schultergiirtels hinzu. 
Trotzdem noch Atropinum sulfuricum gegeben wurde, trat plotzlich der Tod ein. Nach 
dem Tode zeigte sich noqh eine postmortale Temperatursteigerung auf 42,5. Bei der Ob- 
duktion zeigte sich die Lunge frei von pneumonischen Infiltrationen; iiberhaupt war das 
Obduktionsergebnis durchaus negativ. Der Anwendung des Atropins kann im tetanischen 
Stadium im iibrigen nicht dringend genug widerraten werden, um so mehr, als dasAtro- 
pin die Sekretion desHarns herabsetzt und damit die erstrebte Ausscheidung des Mor- 
phiums aus dem Korpcr verzogert — wenigstens was schwere Falle von Morphium ver- 
giftungen anbetrifft, bei denen es sich nicht einfach umeine besonders tiefe Narkose handelt. 

423) Zur Zunahme des Morphinismus, von Eugen Kahn. (Miinchener med. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 20.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Zunahme des Morphinismus wahrend des Krieges beruht auf der groBen 
Zahl Schwerverwundeter, die Morphium erhalten mufiten, ferner auf dem Um- 
stande, daB bei Nervosen, Hysterischen, leicht Erregten und Erschopften von 
manchen Arzten sofort zur Morphiumspritze gegriffen wurde. Hinzu kamen die 
Arzte selbst und das Sanitatsunterpersonal, ferner viele aus der Zivilbevolkerung, 
die sich dem Morphium ergaben. Meist verfielen willensschwache, psychopathisch 
minderwertige Menschen der Morphiumsucht. An der Verbreitung des Morphiums 
tragt der Arzt die Hauptverantwortung. 

424) Zur Pathogenese des chronischen Morphinismus, von Erwin Straus. (Monats- 
schrift f. Psych, u. Neurol. XDVII. 1920! H. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei Entstehung des chronischen Morphinismus muB auch eine endogene 
IJrsache, eine besondere (psychopathische) Veranlagung des Kranken, wirksam 
sein. Der erste Morphiumgebrauch ist fiir die Gewohnung an das Morphium 
wenig bestimmend, erst durch die Affektlage des Patienten, durch seinen depres- 
siven Gemiitszustand, muB der Boden dafiir bereitet sein. 3 Falle des Verf.s 
illustrieren dies. Unter 36 Fallen, die Verf. beriicksichtigte, gaben schon 29 durch 
die Art des Beginns einen Anhalt fiir die Erkennung der psychopathischenVer- 
anlagung. Wegen dieser Anlage ist auch ein Riickfall nach gelungener Entziehung 
fast die Regel, wahrend der Gesunde selbst dann, wenn bei ihm das Morphium 
ein erhohtes Wohlbehagen erzeugt, nicht zum Morphinisten wird. Fiir den seit 
jeher Depressiven ist das Morphium ein Stimulans, ebenso wie ein euphorisches 
Mittel, es steigert seine Leistungs- und Arbeitsfahigkeit. Nur in seltenen Fallen 
— scheinbar eher bei Frauen als bei Mannern — ist der Hang zum Morphium 
von vornherein nur an die korperliche Euphorie gekniipft (1 Fall des Verf.s). 
Der Krieg wurde haufig zum mittelbaren AnlaB des Morphinismus; eine wesent- 
liche Abweichung dieser Falle von den iibrigen, die keine Beziehungen zum Krieg 
aufweisen, hat sich nicht gefunden. 

426) Erfahrungen an Morphinomanen, von Th. Olbert. (Klinisch-therapeutische 
Wochenschrift. 1920. Nr. 9/10.) Ref.: Kurt Mendel. 


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Das seinerzeit betroffene Organ, zu dessen Schmerzlinderung lVlorphium 
verabreicht wurde, bildet in der Abstinenz als locus minoris resistentiae den Haupt- 
angriffspunkt der Schmerzen: Tabiker klagen in der Abstinenzzeit uber starke 
lanzinierende Schmerzen, derentwegen sie einst das Morphium bekommen hatten, 
usw. Dagegen scheinen bei jenen Morphinisten, die aus psychischen Griinden 
zur Spritze gegriffen hatten, vor allem objektiv die Hypersekretionen an den 
Schleimhauten (Coryza, Erbrechen, Tranen, SpeichelfluB, Schweifie, Durst usw.) 
in der Abstinenz in den Vordergrund zu treten. Die Morphinisten sind nicht durch- 
weg konstitutionell Degenerierte. Auch in der freien Behandlung laBt sich bei 
dem Morphinisten oft viel erreichen (allmahliche Entziehung), bei vorgeschrittenen 
Morphinomanen ist aber geschlossene Anstaltsbehandlung erforderlich. Suggestion 
und Hypnose sind nutzlos. 

426) Morphiumkranke Asthmatiker, von F. Dumstrev. (xModerne Medizin. 
XI. 1920. H. 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Prognose der morphiumkranken Asthmatiker ist schlecht. Deni Verf. 
hat zur Bekampfung des Asthma Nebennierenextrakt und gleichzeitig zur Be- 
kampfung des Morphinismus Eumekon (Opiat, entgiftetes Morphium) gute Dienste 
geleistet: von 12 Kranken warden 7 morphium- und asthmafrei. 

427) Morphinvergiftung und Scheintod, von G. Joachimoglu. (Deutsche mod. 
Wochenschrift. 1919. Nr. 51.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei Vergiftungen sind auch dann Wiederbelebungsversuche zu machen. wenn 
Herz und Atmung. ihre Tatigkeit eingestellt haben und die Reflexe erloschen 
sind. Dazu Hautreize und Atropin in groBen Dosen. In einem Fall von Morphin¬ 
vergiftung wurde die ganze Nacht hindurch mit schlieBlichem Erfolg die kiinst- 
liche Atmung ausgefiihrt. 

428) Uber Simulation von Morphiumsucht, von Fritz Frankel. (Mediz. Korre- 
spond. f. Wiirttemberg. 1920. Nr. 39.) Ref.: Kurt Mendel. 

Pat., eine degenerierte Psychopathin, kam aus der Untersuchungshaft in Spital- 
beobachtung, weil sie angab, seit etwa 6 Jahren infolge eines Magenleidens schwere Mor- 
phinistin zu sein. Die Beobachtung ergab, daB Pat. die Morphiumsucht simulierte. Nach 
briisker ,,Entziehung' 4 ein schwerer hysterischer Anfall, keinerlei Abstinenzerscheinungen. 

429) Veronal als Hilfsmittel bei der Morphiumentziehung, von Hornung. (Miinchen. 
med. Wochenschrift. 1920. Nr. 17.) Ref.: Kurt Mendel. 

Man laBt zunachst etwa 1 / g der bis jetzt gebrauchten Morphiummenge sofort 
weg und geht weiter langsam herunter. Zeigen sich die ersten Abstinenzerschei¬ 
nungen, so gibt man abends neben dem Morphium 2 g Veronal in warmer Fliissig- 
keit. In 2 X 24 Stunden gibt man im ganzen 8 g Veronal; dann stellen sich Ver- 
giftungserscheinungen (Anurie, Verwirrtheit, motorische Unruhe usw.) ein. Darauf 
gibt man in vorsichtigen Dosen Skopolamin, bis Schlaf eintritt. Hat der Kranke 
dann ausgeschlafen, so sind die Vergiftungserscheinungen in der Hauptsache 
verschwunden. Patient ist noch wacklig auf den Beinen, hat aber keinerlei Ab¬ 
stinenzerscheinungen, kein Verlangen nach Morphium, ist in voller Rekonvaleszenz 
und wird nun weiter behandelt wie etwa ein Neurastheniker (erst Schonung, 
dann t)bung). 

430) Sulla degenerazione delle commissure encefaliche nelTalcoolismo cronico 

per Bignami e Nazari. (Rivista di Freniatria. XLI. 1915. p. 81.) Ref.: 
C. Frank (Rom). 

Die Verff. berichten uber 19, klinisch und pathologisch-anatomisch studierte 
Falle von chronischem Alkoholismus. Klinisch handelt es sich um Falle von 
schwerem Alkoholismus bei Individuen von 45 bis 70 Jahren, mit meist ausge- 
pragten, bisweilen sehr schweren psychischen Erscheinungen, mit haufigen epi- 
leptischen und apoplektiformen Anfallen. Vom pathologisch-anatomischen Stand- 


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punkte aus stellten sie fest: a) bestandige Degeneration des Corpus callosum, 
bisweilen auf den vorderen Teil beschrankt; bisweilen auf die ganze Lange des 
Balkens ausgedehnt; b) weniger bestandige Degeneration der vorderen Kom- 
missur und der mittleren Kleinhirnstiele. In samtlichen Fallen handelt es sich 
histologisch um einen primaren DegenerationsprozeB der Nervenfasern, der im 
Beginn die Markscheiden befallt und durch die lange Persistenz des Achsen- 
zylinders charakterisiert wird. Die Lasionen sind in den beiden Hirnhalften stets 
symmetrisch. 

431) The psycho-pathology of alcoholism and some so-called alcoholic psychoses, 

by C. Stanford Read. (Journ. of ment. science. LXVI. 1920. .Nr. 274.) 
Ref.: W. Misch. 

Es wird versucht, dem Alkoholismus und den Alkoholpsychosen mit psycho- 
analytischen Methoden naherzukommen. Bei der Entstehung der Alkohol- 
psychosen ist der Alkohol nur von nebensachlicher Bedeutung und mehr als das 
Resultat einer Gesistesstorung als ihre Ursache anzusehen. Der Alkohol wird ge- 
nommen, um die verschiedensten seelischen Konflikte zu erleichtern und zu nar- 
kotisieren, und bildet dalier in der modernen Zivilisation eine psychologische Not- 
wendigkeit. Im OberinaB genossen kann er zurn veEfriihten Ausbruch einer Psy- 
chose fiihren. Er kann allerhand vorher erfolgreich unterdriickte Impulse und 
Wunsche zu einem aktiven Konflikt mit der Personlichkeit bringen und so zum 
Selbstmord fiihren. Als einer der haufigsten dieser enthemmten Triebe ist durch 
Analyse der homosexuelle Trieb gefunden worden, durch den entstehenden Kon¬ 
flikt konnen oft paranoide Zustande entstehen. Der Alkoholismus ist also zu be- 
trachten als Kompensation eines Komplexes, dessen Erfiillung durch die Realitat 
verhindert wurde, und so dient der Alkohol dazu, die Seele gegen psychische 
Schmerzen zu schiitzen und von Hemmungen zu befreien. 

432) Variations in the sensory treshold for faradic stimulation in psychopathic 

subjects. IV. The alcoholic group, by G. P. Gtrabfield. (Journ. of nerv. 

and ment. disease, XLV. 1917. Nr. 5.) Ref.: W. Misch. 

Die Alkoholpsychosen zeigen eine pathoiogische Steigerung der Empfindlich- 
keit fur faradische Reize nach der Alkoholentziehung. Akute Alkoholexzesse 
scheinen die Empfindlichkeit nicht wesentlich heraufzusetzen. Bei Komplikation 
anderer Psychosen mit chronischem Alkoholismus ist die Steigerung ganz besonders 
markant. Bei Rekonvaleszenz von Alkoholpsychosen sinkt die Erregbarkeit, 
um bei volliger Heilung normale Werte zu erreichen; dieses Absinken zeigt eine 
flache Kurve bei Delirium tremens und akuter Halluzinose, ist dagegen unregel- 
maBig bei chronischen Fallen von Korsakoff. Bei Fallen von mit anderen Psy¬ 
chosen kompliziertem chronischem Alkoholismus sinkt nach der Alkoholentziehung 
die Erregbarkeit bis zu dem MaBe, das den Fallen der betreffenden Gruppe eigen- 
tumlich ist. Dieses Symptom wird fur praktisch wertvoll gehalten, um die Heilungs- 
zeit bei den Alkoholpsychosen zu bestimmen. 


Syphilis. 

433) Kritisch-statistische Untersuchungen zur Lues-Metaluesfrage nebst Bemer- 
kungen iiber die Anwendung der statistischen Methode in der Medizin, von 

J. Aebly. (Archiv fur Psychiatrie. LXI. 1920. H. 3.) Ref.: G. Ilberg. 
Die Unkenntnis der mathematischen Struktur eines vorliegenden Beob- 
achtungsmaterials macht der Verf. in sehr beherzigenswerter Weise fiir die oft 
unbefriedigende Verarbeitung des angesammelten Stoffes verantwortlich. Er 
hat die Priifung verschiedener Lues-Metaluesfragen nach exakter Fragestellung 1 


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unternommen. Zunachst betrachtet er den Prozentsatz der spater der Para¬ 
lyse verfallenden Luetiker. Hier geht er davon aus, daB Pilcz und Mat- 
tauschek von 4134 Offizieren, die in den Jahren 1880 bis 1900 wegen Lues be- 
handelt worden waren, bei 4,7 °/ 0 bis 1912 Paralyse.feststellen konnte. Wenngleich 
die genannten Forscher die die letzten 10 Jahre betreffenden Falle abrechneten, 
so macht Verf. darauf aufmerksam, daB die Beobachtungszeit zu kurz ist und daB 
die von 1880 bis ; 1900 erkrankten Offiziere katamnestisch bis 1928 hatten verfolgt 
werden miissen, da abgesehen von einem Beobachtungsfall, der nach 39 Jahren 
erkrankt ist, unter den Erkrankten der Beginn der Paralyse innerhalb eines Zeit- 
raums von 28 Jahren nach dem Primaraffekt vorkam. Verf. berechnet die 
Zahl der spater der Paralyse verfallenden Luetiker auf ca. 10°/ 0 . Verf. behandelt 
sodann das Problem der Lues nervosa und verlangt, daB Erfahrungen iiber 
Infektionen, die aus derselben Quelle stammen, gesammelt werden. Die Schwierig- 
keit ist hier die, daB alle Falle bekannt sein miiBten, die mit der betreffenden 
Infektionsquelle in Beriihrung gekommen sind und nicht nur einige positive Falle. 
Wer nach Infektion an derselben Quelle an Lues erkrankt, muB auch spater meta- 
luetisch werden, falls er geniigend lange lebt. Der Prozentsatz der Falle, der er- 
kranken wird, hange ab von der maximalen Latenzzeit, der minderen Latenzzeit, 
sowie von der Lebenserwartung der Infizierten. Jedenfalls diirfe man einen be- 
deutend groBeren Wert erwarten als 10°/ 0 , eine Zahl, die O. Fisoher in seiner 
Arbeit: Gibt es eine Lues nervosa? angegeben hat. Endlich bespricht Verf. den 
EinfluB der antiluetischen Therapie auf die Metalues und kommt 
zu dem SchluB, daB sich auf Grund des vorliegenden Materials kein Urteil iiber 
Wirksamkeit bzw. Nichtwirksamkeit einer griindlichen Hg-Behandlung abgeben 
laBt. Der Verf. zweifelt nicht an der Wirksamkeit der Hg-Therapie auf die klini- 
schen Erscheinungen der Lues iiberhaupt, trennt aber hiervon die Frage, ob dieser 
giinstigen Einwirkung auch ein gliicklicher Erfolg fiir den ganzen Verlauf des 
Leidens zukommt und speziell beziiglich der Verhiitung spaterer Erkrankungen 
des zentralen Nervensvstems. Verf. schlagt vor, das Material der modernen Lues- 
behandlung auf breitester Basis zu sammeln, damit spater Unterlagen fiir eine 
wissenschaftliche Beurteilung der Frage nach der Wirkung der Salvarsan- bzw. 
Salvarsan-Hg-Therapie in bezug auf die Verhiitung der luetischen Affektionen 
des zentralen Nervensystems vorliegen. Nach so wenigen Jahren konne man jetzt 
durchaus noch nicht mit Siclierheit sagen, daB nicht in 20 bis 30 Jahren dock 
noch eine Metalues auftrate. 

434) tJber Mortalitat und Morbiditat iniizierter und nichtinfizierter Nachkommen 
von Syphilitikern, von Marie Kaufmann-Wolf und Emmy Abrahamsohn. 
(Zeitschr. f. klin. Medizin. LXXXIX. 1920. H. 3 u. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei Ehen, in denen eines der Kinder an juveniler Tabes litt, ergab sich eine 
Kindermortalitat von 64°/ 0 . Die Sterblichkeit der Nachkommen von Paralytikern 
diirfte besonders im Falle der Infektion der Frau mindestens 70°/ 0 betragen. 
Schatzungsweise betragt die Sterblichkeit der Nachkommen Syphilitischer etwa 
50°/ 0 . Hochstens % der Nachkommen scheint durchschnittlich gesund zu sein. 

435) Ergebnisse der Blut- und Spinalfliissigkeitsuntersuchung bei luetischen Hirn- 
und Riickenmarkserkrankungen, von Hermann Krueger. (Monatsschr. f. 
Psych, u. Neur. XLVIII. 1920. H. 1.) . Ref.: Kurt Mendel. 

Untersucht wurden Blut und Liquor bei luetischen Hirn- und Riickenmarks¬ 
erkrankungen an der Hand von 310 Fallen von Paralyse und Tabesparalyse, von 
84 Fallen von Tabes und 72 Fallen von Lues cerebrospinalis. In keinem der 
Paralysefalle fand sich ein Fehlen jeder Veranderung der Zusammensetzung 
des Blutes und Liquors; in 88,06% der Falle wurde ein positiver Ausfall aller an- 
gestellten Reaktionen ermittelt. Wassermann im Blute in 95,81% positiv. in 


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1,29% zweifelhaft. Wassermann im Liquor in 93,24% positiv, in 1,93% zweifel- 
haft. Lymphozytose in 97,43% der Falle. GesamteiweiBgehalt nach Nissl in 
99,04% erhoht, gleicher Prozentsatz flir die Phase I (Nonne). Der bei weitem 
groBere Teil der Paralysen mit irgendwelchen negativen Resultaten der Blut- 
und Liquoruntersuchung scheint zu den Fallen mit kurzer Krankheitsdauer zu 
gehoren. Yor allem ist auffallend, daB gerade die Falle mit negativem Wasser- 
mann im Blute anscheinend erst seit ganz kurzer Zeit manifest erkrankt waren. 
Die Salvarsanbehandlung ist auch bei der Paralyse imstande, den Ausfall der 
4 Reaktionen zu beeinflussen, vor allem die Zellvermehrung, weniger den EiweiB- 
gehalt; nicht selten vermag sie die Wassermannreaktion im Blut zum Schwinden 
zu bringen, nur selten wird die Wassermannreaktion im Liquor durch sie beein- 
fluBt. Bei Tab es tritt ein positives Resultat samtlicher 4 Reaktionen um fast 
20% seltener auf als bei der Paralyse, in manchen Fallen (3,5%) konnen — im 
Gegensatz zur Paralyse — samtliche 4 Reaktionen vermiBt werden. Nur in etwa 
85% der Falle ist die Wassermannreaktion im Blut, nur in etwa 77% der Falle 
die Wassermannreaktion im Liquor positiv. Die Lymphozytose wird in etwa 
10% der Falle vermiBt, nur wenig seltener die EiweiBvermehrung, wobei Gesamt¬ 
eiweiBgehalt und Phase I einander parallel gehen. An dem negativen Ausfall 
der 4 Reaktionen scheint auch bei der Tabes in einem Teile der Falle das kurz- 
dauernde Bestehen der Erkrankung schuld zu tragen; weit groBer als bei der 
Paralyse scheint hier der die Reaktionen abschwachende oder gar sie aufhebende 
EinfluB der spezifischen, besonders der Salvarsanbehandlung zu sein. In etwa 
der Halfte der Falle von Lues cerebrospinalis ist auf positiven Ausfall der 
4 Reaktionen zu rechnen; nur in % der Falle findet sich die Wassermannreaktion 
im Liquor, in 80% der Falle die Wassermannreaktion im Blut, Vermehrung des 
Zell- und EiweiBgehaltes unabhangig voneinander. Die spezifische Behandlung, 
vor allem das Salvarsan, hat erheblichen EinfluB (in etwa 50% der Falle 4 Reak¬ 
tionen kurz nach der Behandlung negativ). 

Differentialdiagnostisch ist der Ausfall der 4 Reaktionen von groBerem Wert 
durch Yerhalten gegeniiber einer energischen antisyphilitischen, vor allem der 
Salvarsanbehandlung: gehen auf diese Behandlung die 4 Reaktionen rasch zuriick, 
gelingt es gar, sie in kurzer Zeit zum Schwinden zu bringen (meist im Verein mit 
einer Besserung der klinischen Erscheinungen), so dlirfte es sich wahrscheinlicher 
um einen echt syphilitischen KrankheitsprozeB handeln, wahrend eine derartige 
weitgehende Beeinflussung der Reaktion bei der Tabes nur selten, bei der Para¬ 
lyse niemals einzutreten scheint, bei der sich die 4 Reaktionen vielmehr gegen 
jede Behandlung bis auf eine geringe Abnahme des Zell- und EiweiBgehaltes 
refraktar erweisen. Die klinische Untersuchung ist nach wie vor wiehtiger als 
die serologische, zytologische und chemische Untersuchung. 

436) Welchen Wert hat die Liquorkontrolle bei Syphilis und wann soil sie durch- 
gefiihrt werden? von Kyrle. (Wien. med. Woehenschrift. 1920. Nr. 42.) 
Ref.: Pilcz (Wien). 

Dieser vorwiegend fur Syphilidologen belstimmte Aufsatz hat auch fiir den 
Neurologen ein gewisses Interesse. Sich stiitzend auf eine ungemein groBe per- 
sonliche Erfahrung und auf die Arbeiten von Ravaut, Konigstein u. a. bezug- 
nehmend, gelangt Verf. zu folgenden Schliissen: 

1. Jeder Kranke, bei dem sich irgendwelche nervose Storungen zeigen, die 
mit Lues vermutlich zusammenhangen, ist der Lumbalpunktion zu unterziehen; 
durch solches Verfahren kann in der Regel ein genauerer AufschluB iiber den 
wahren Charakter der Erkrankung gewonnen werden. 

2. Latentluetischen, ohne Zeichen nervoser Erkrankung, gleichviel ob es 
sich um Friih- oder Spatlatenz handelt, soli die Lumbal punktion empfohlen werden. 


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Die Serumprobe ist unverwendbar, da Falle nxit negativer Wassermannreaktion 
im Serum positiven Liquor haben konnen, und umgekehrt. Ergibt die Liquor- 
kontrolle normalen Befund, so ist fur den betreffenden Kranken die Gefahr des 
spateren Auftretens meningo-zerebraler Komplikationen in der Regel voruber. Po- 
sitiver Liquor zeigt das Bestehen latenter Luesherde im Bereiche des Zentral- 
nervensystems an. Durch die Lumbalpunktion gelingt es, Schaden aufzudecken, 
die gelegentlieh noch in Ordnung gebracht werden konnen. 

3. Bei Sekundarluetischen richtet sich die Entscheidung, ob die Lumbal- 
punktion vorgenommen werden soli, naeh deni Alter der Erkrankung. Bei Fallen 
im 1. Jahre kann die Punktion unterbleiben; in diesem Zeitabschnitte (besonders 
gegen das Ende des 1. Jahres) ist die Zahl der positiven Liquores auBerordentlich 
grofl; vielfacli handelt es sich aber nur uni voriibergehende Lasionen. Die, welche 
spater zu ,,fixen“ werden, sind von den ,,passageren“ Veranderungen nicht sicher 
zu trennen. Falle mit Leukoderma oder Alopecie sind besonders verdachtig auf 
positiven Liquor; intensive Behandlung ist hier in jedem Falle geboten. 

Wenn punktiert wird, sollen 6 bis 8 Wochen nach AbschluB einer intensiven 
Kur abgewartet werden. Im Gegensatze zu Ravaut ist Verf. der Ansicht, daB 
man mit deni Aufdecken positiver Liquorveranderungen im 4. Jahre der Er¬ 
krankung bezliglich einer aueh nur halbwegs sicheren Gewahr eines therapeutischen 
Erfolges viel zu spat komme. Das Schicksal der Kranken in diesem Zeitabschnitte 
kann nicht nielir beeinfluflt werden. 

437) Ist es moglich, unter den syphilitisch infizierten Personen die zur Tabes und 
Paralyse disponierten im Anfangsstadium der Infektion mit biologischen 
Reaktionen zu erkennen? von Julius Schuster. (Gyogyaszat. 1920. Nr. 36 
u. 38.) Ref.: Hudovernig. 

In einer vorlaufigen Mitteilung einer in der Moravcsikschen Klinik durcli- 
gefiihrten Untersuchungsreihe bespricht Verf. vorerst die Zeichen einer konsti- 
tutionellen Disposition zur Tabes und Paralyse, insbesondere auf Grund der For- 
schungen von R. Stern und Stiller, und betont namentlich die Wichtigkeit 
der von Stern aufgestellten ,,polyglandularen Affektion“ und „Konstellation‘\ 
welche die Tabes- und Paralysekandidaten kennzeichnet. Bemerkenswert ist 
der Umstand, daB die Kranken von asthenischem Habitus meist Wassermann- 
negativ sind, wahrend die gedrungenen, pastosen eher Wassermann-positiv sind; 
die letzteren werden von Redlich und Kaplan mit Recht als paralyse verdachtig 
bezeichnet. Bei diesen mit konstitutioneller Syphilis infizierten Typen findet 
kurz nach der syphilitischen Infektion eine machtige biologische und biochemische 
Bindung zwischen Nervensystem und Pallida statt, auf Grund welcher kurz nach 
der Infektion eine intensive Dekomposition des Hirngewebes eintritt, eben durch 
die biochemische Bindung des Hirngewebes mit dem Albumin der Pallida. Die 
Untersuchungen des Verf.’s erstrecken sich nun dahin, experimented festzustellen, 
ob diese besondere biochemische Reaktion bei einzelnen Typen im Friihstadium 
der Infektion nachweisbar ist. Tatsachlich ergibt sich, daB es gerade die von 
R. Stern beschriebenen Typen sind, welche bereits 1 bis 2 Wochen nach der 
primaren Liision bei der Abderhaldenschen Jteaktion mit kraftigem Abbau 
der Hirnsubstanz reagieren. (Die Untersuchungen erfolgten mit der Pregl de 
Crinisschen Modifikation.) 

Bestatigt sich dieser Befund im allgemeinen, so kann man daraus auch auf 
dem Gebiete der Therapie besondere Fingerzeige schopfen und nicht bloB den 
Fortgang der Behandlung mit verschiedenen Methoden verfolgen, sondern auch den 
Grad und die Schwere der Infektion bestimmen. Nach den bisherigen orientieren- 
den Untersuchungen iibersteigt die EiweiBkonzentration im Serum der astheni- 
schen Kranken ganz gewaltig jenes der nicht asthenischen Luetiker. In der Be 


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handlung solcher Kranker kann neben alien Methoden der antiluetischen Behand- 
lung auch die Organotherapie, event. Organtransplantierung in Anspruch genommen 
werden, um auf diesem Wege die biochemischen Substanzen qualitativ und quan¬ 
ta tativ zu unterstiitzen. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich samtliche luetisch 
Infizierten serologisch nieht bloB auf Wassermannreaktion und Goldsolreaktion, 
sondern auch nach Abderhalden auf Abbau der Hirn- und Ruckenmarkssub- 
stanz systematisch zu untersuchen. 

438) tJber positive Wassermannreaktion bei nicht luetischen Hirnerkrankungen, 

von Felix Stern. (Archiv fur Psychiatrie LXI. 1920. H. 3.) Ref.: G. Ilberg. 

Ein 20j&hriger Soldat, der ein ’Jahr vorher Malaria tertian a aquiriert hatte, er- 
krankte an Anfallen von BewuBtlosigkeit oder von Erbrechen und spater mit den Zeichen 
einer mit intrakranieller Drucksteigerung verbundenen Herderkrankung, welche zur 
Diagnose einer basalen, im Kleinhimbriickenwinkel liegenden Affektion fiihrte. Auffallend 
war der Befund sehr starker positiver Wassermannreaktion im Liquor, starker EiweiB- 
vermehrung und fehlender Pleozytose. Es wurde ein Zusammenhang zwischen Zerebral- 
1 as ion und Malaria angenommen. Salvarsan-Chininkur und Balkenstich batten nur 
voriibergehenden Erfolg. Die wegen der Zunabme der Stauungspapille und Abnabme 
des Sebens vorgenommene Radikaloperation iiberstand der Kranke nicht. Die Autopsie 
ergab ein Sarkom, wabrscbeinlich vom Perineurium des Akustikus ausgebend. Die 
positive Wassermannreaktion im Liquor bezeicbneit Verf. vielleicht als spezifisch fur 
Malaria. Er halt es als wiinschenswert, eingehende Untersucbungen des Liquors bei 
Malaria vorzunehmen. 

439) Uber eine direkt nekrotisierende Form der Hirnsyphilis. (Miliare nicht- 
gummose Nekrosen in der Hirnrinde eines Paralytikers), von H. Hersch- 
mann. (Zeitschr.f.d.ges.Neurol.u.Psych. LV. 1920. S. 27.) Ref. W. Misch. 

Es wird ein klinisch als Lissauersche Paralyse gedeuteter Fall mitgeteilt, bei dem 
die histologische Untersuchung drei verschiedene Gehimprozesse ergab, namlich erstens 
einen typischen paralytischen RindenprozeB, zweitens eine syphilitische Entziindung der 
Pia(Endarteriitis und Meningitis gummosa) und drittens eine disseminierte Herderkrankung, 
die aus primaren, nicht aus dem Zerfall von Gummen hervorgegangenen Nekrosen bestand. 
Innerhalb dieser Nekrosen fanden sich mehrfach noch erhaltene Achsenzyhnder. Ahnliche 
Herde wurden bei Lues mehrfach in anderen Organen beschrieben. Es wird daher an¬ 
genommen, daB diese auch von Straussler und von Hauptmann schon beschriebenen 
Gehimherde nicht der Paralyse, sondern der Hirnsyphilis zuzuzahlen sind, daB daher der 
Trias der bisher bekannten syphilitischen Gehimveranderungen noch diese vierte hinzu- 
zufiigen ist, die als „direkt nekrotisierende Form der Hirnsyphilis 4 ‘ bezeichnet wird. Hinzu- 
gefiigt wird noch, daB sich klinisch bei dem vorliegenden Fall die Erscheinungen einer am- 
nestischen Aphasie zeigten, ohne daB sich im Schlafenlappen entsprechende Herde auf- 
finden he Ben; daB dagegen das Maximum des pathologischen Prozesses sich im Broca- 
zentrum und dessen Umgebung fand, ohne daB Zeichen einer motorischen Aphasie vor- 
gelegen hatten. Es wird daraus, in Ubereinstimmung mitMonakow, geschlossen, daB ein 
langsam fortschreitender ProzeB in der vorderen Aphasieregion selbst bei ganzlicher Zer- 
storung dieses Gebietes nicht zu motoriseher Aphasie fiihren muB; vielmehr zeigt der vor- 
liegende Fall, daB das einzige Resultat eines derartig langsam fortschreitenden Prozesses 
der Regio Broca eine amnestische Aphasie sein kann. 

440) Zur Lehre der nichtparalytischen Geistesstorungen auf syphilitischer Grund- 
lage, von Emil Dopheide. (Inaugur.-Dissert. Kiel 1919.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Verf. berichtet uber einen Fall von Psychose bei Lues cerebri, geheilt durch Salvar- 
san, und bespricht die Differentialdiagnose gegeniiber der progressiven Paralyse. 

441) Enc6phalopathie syphilitique tertiaire, par P. Beaussart. (Revue neurol. 
XXVII. 1920. Nr. 6.) Ref : Kurt Mendel. 

Fall von Hirnsyphilis. Der klinische Behind wies auf eine^Thalamuslasion hin, die 
(makroskopische) Autopsie ergab aber keinerlei Veranderungen im Thalamus opticus, 
sondern hochgradige AtropHie der Stirn- und Scheitellappen. 

442) Epilepsie-Tetanie bei Lues, von Fritz Hirsch. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 
heilk. LXVI. 1920. H. 1 u. 2.) Ref : Kurt Mendel. 


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35jahr., hereditar nicht belasteter Mann erkrankt imAnschluB an Syphilis an Epi¬ 
lepsia-Tetanie mit starker Beteiligung des vegetativen Nervensystems und fiir Epilepsie 
charakteristischen psychischen Storungen. In der Folgezeit entwickelt sich ein Dammer- 
zustand, in welchem Pat. eine Leuchtgasvergiftung akquirierte, der er bald darauf erlag. — 
Verf. nimmt an, daB es sich um eine Epilepsie-Tetanie auf parathyreogener Grundlage 
handelte; wahrscheinlich stellte die Lues das atiologische Moment der Erkrankung der 
Nebenschilddriisen dar. Zwischen Epilepsie und Tetanie besteht aber ein inniger kausaler 
Zusammenhang. Der Standpunkt Boltens, der fiir die meisten Falle von Epilepsie-Te¬ 
tanie nur ein zufalliges Zusammentreffen eines organisch zerebral bedingten ersten An- 
falls von Epilepsie mit einer akuten Tetanie annimmt, ist zu verwerfen. 

443) ttber 3 Falle von syphilitischer Spinalerkrankung bei kongenital-luetischen 

Kindern, von Job. Horstmann. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXVI. 

1920. H. 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

In den 3 Fallen handelte es sich um kongenital-luetische jugendliche Patienten mit 
Riickenmarkslahmung, in Fall I und III unter dem Bilde der Meningomyelitis luetica, im 
Fall II unter den Erseheinungen der spezifischen Poliomyelitis. In Fall III sicherte der 
Uquorbefund die spezifische Natur der Spinalerkrankung. In Fall I und II war zwar der 
Liquor negativ in bezug auf die Syphilisreaktionen; dies spricht jedoch nicht gegen die 
spezifische Natur der Erkrankung des Zentralnervensystems bei kongenital Luetischen, 
wenn dieselbe sonst klinisch begriindet ist. Fall I und III besserten sich erheblich bezw. 
heilten in relativ kurzerZeit aus unter energischer spezifiscber Behandlung; in Fall III war 
nach AbschluB der Behandlung der Beginn einer klinisehen Besserung zu beobachten. 

444) A Case of Syphilis of the Anterior Horns, by G. M. Goodwin. (Journ. of 

the Amer. med. Ass. LXXIV. 1920. Nr. 6.) Ref.: K. Eskuchen. 

Bei einem jungen Mann treten Mattigkeit und Steifigkeit in den Beinen auf. Keine 
Schmerzen. Keinerlei Sensibilitatsstorungen. Allmahliche allgemeine Muskelatrophie 
mit lebhaften fibrillaren Zuckungen. Patellarreflexe feblen, sonst keine Reflexanomalien. 
Pupillen lichtstarr. Wa ll, im Blut + , im Liquor + + + + ,80 Zellen, positive Globulin-R., 
tabische Gold-R. Differentialdiagnose zwischen spinaler und neurotischer (Typ Charcot- 
Marie-Tooth) Muskelatrophie, Verdacht. auf letztere wegen des Gberwiegens der Atrophie 
an den Beinen; amyotrophische Lateralsklerose ausgeschlossen. Durch den Liquorbefund 
wurde die Diagnose spinale Muskelatrophie luischer Atiologie gesichert und daraufhin eine 
spezifische Behandlung eingeleitet (auf die Komplikation der Diagnose durch die licht- 
starren Pupillen geht Verf. nicht weiter ein). 

445) Die kausale Therapie der luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems, 

von Heinrich Schmidt. (Miinchener med. Wochenschrift 1920. Nr. 42.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Angewandt wurde entweder die Ricordsche Losung (Quecksilberjodid- 
Jodkalium) allein oder die kombinierte Ricord-Salvarsanbehandlung oder Queck- 
silber als Einspritzung bzw. Schmierkur. Die Ricordsche Losung wird wie folgt 
verordnet: 0,1 bis 0,2 Quecksilberjodid, 10,0 Jodkalium, ad 300 aqua dest. 3 mal 
taglich 1 EBloffel. Zufriedenstellende Erfolge, besonders bei Tabes. 

446) Zum Silbersalvarsan und zur Biologie der menschlichen Syphilis, von E. Del- 

banco und F. Zimmern. (Medizinische Klinik. 1920. Nr. 15.) Ref.: 

E. Tobias (Berlin). 

Die heutige Zeit drangt dazu, die reine Salvarsantherapie schon aus sozialen 
Griinden weiter auszubauen, weil die ausgehungerte Bevolkerung das Queck- 
silber immer weniger vertragt. Die Verff. besprechen besonders die Frage, wie 
sich im Sekundarstadium die Meningorezidive vermeiden lassen. Friihe luetische 
Schadigungen des Zentralnervensystems erfolgen nicht, wenn man einen energi- 
schen Hg-Turnus vorausschickt, d. h. mit ihm die ganze Kur einleitet. AuBer- 
dem ist es absolut falsch, wenn die Silberinjektionen in zu groBen Abstanden 
gegeben werden; die Schlage gegen die Spirochaten miissen nicht zu heftig, aber 
schnell gefiihrt werden. Gerade Silbersalvarsan wird, selbst wenn es taglich ge¬ 
geben wird, anstandslos vertragen. Die Verff. machen auf die groBe Gefahr des 
,.Anbehandelns £< der Lues mit Salvarsan und das dadurch verursachte Durch- 
einandergeraten des ganzen Verlaufs der Lues aufmerksam. In der Provokation 


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der friikmeningealen Affektion und damit wohl auck in der Predisposition zu 
metaluetiscken Erkrankungen liegt die Gefakr des ,,Anbehandelns“. 

447) Weitere Erfahrungen mit Silbersalvarsan, von Josef Sellei. (Medizin. Klinik. 
1920. Nr. 12.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. bericktet liber Anwendung des Silbersalvarsans bei luetischen Er¬ 
krankungen des Nervensystems. Bei Tabes zeigte sich gute Wirkung besonders 
auf die lanzinierenden Schmerzen und auf die Krisen. Er betracktet es ,,als Kunst- 
fehler, wenn Kranke mit Neurorezidiven nock immer wegen der Verschleppungs- 
suckt ikrer Arzte eine Schadigung erleiden“. 

448) Silbersalvarsannatrium und Sulfoxylat bei syphilidogenen Nerven- und Geistes- 
krankheiten, von Walter Cokn. (Wlirttemb. med. Korrespondenzblatt. 
1920. Nr. 21.) Ref.: Kurt Mendel. 

Silbersalvarsan ist weniger giftig und wirksamer als Salvarsan. Bei den 
sypkilidogenen Nerven- und Geisteskrankheiten, vor allem progressiver Paralyse, 
Lues cerebrospinalis und Tabes, zeigen das Silbersalvarsan und das Sulfoxylat, 
was die energische Wirkung auf den Liquor sowie kliniscke Besserung anbelangt, 
giinstige Wirkung und erweisen sich den frliheren Salvarsanpraparaten gegenliber 
als iiberlegen. Tabiker sind gegen das Silbersalvarsan anscheinend etwas emp- 
findlicher als gegen die friiheren Salvarsanpraparate. 

449) Le traitement de la syphilis nerveuse par les injections novarsenicales a petites 
doses repetees et prolongees, par J.-A. Si card. (Presse medicale. 1920. 
Nr. 29.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die Ausfiihrungen des Verf. verdienen in versckiedenster Hinsicht Be- 
achtung sowie Nachpriifung und strenge kritiscke Erwagungen. Verf. geht davon 
aus, daB die ,,sterilisation definitive^ endgultig aufgegeben ist, daB man mit kleinen 
Dosen bei eventuell groBen Zwischenraumen operiert. Er selbst hat seit zwei 
Jahren intravenose und subkutane Injektionen in kleinen Dosen taglich und fur 
langere Zeit durchgefukrt und damit in Fallen von chronischer Syphilis, bei Hemi- 
und Paraplegien, Tabes und selbst Paralyse bemerkenswerte Erfolge erzielt. 
AuBerdem kam es zu gewissen ,,peripheriscken Provokationen“, die besonders 
organisch-spastiscken Kranken Nutzen brachten. 

Die Einwirkung wird klar, wenn man die vom Verf. beobackteten Storungen 
liest. Er hat 200 Kranke in der von ikm gesckilderten Weise behandelt; einige 
haben davon in zwei Jahren 40 bis 50 g einverleibt bekommen! Von Storungen 
sah er Erytheme, Gelbsucht und in einigen Fallen eine voriibergehende Erhohung 
des Stickstoffs im Blut, vor allem aber eine Reflexerscheinung, die eingekende 
Besprechung erfordert: 

Verf. hat in* 6 von 10 Fallen (6 cas sur 10, das sind 60°/ 0 ) ein Schwinden der 
Achillesreflexe beobachtet. Bei Frauen schwand er nach 7 bis 8, bei Mannern 
nach 8 bis 10 g. Nach 4 bis 6 Wochen beginnt eine Abschwachung, danach schwinden 
sie bald vollig. Einmal sah Verf. eine allgemeine Polyneuritis. Fiihrt man die 
Behandlung trotz der Abschwachung der Achillesreflexe weiter, so zeigen sich 
Parasthesien und quantitative Storungen der elektrischen Reaktionen. Der 
Achillesreflex blieb auch nach Sistierung der Behandlung fort und ist in keinem 
Falle bisher wiedererschienen, obwohl bei einigen bereits anderthalb Jahre ver- 
gangen sind. Als besonders bemerkenswert wird ein Fall von spastischer Para* 
plegie hervorgehoben, der in geschilderter Weise 13 g Novarsenobenzol in 10 Wochen 
erhalten hat und die Achillesreflexe verlor, trotzdem vorher Klonus bestanden 
hatte. So kam er in die Lage, nachdem er ganz gelahmt war, seine Beine wieder 
zu gebrauchen und sogar seine Tatigkeit wieder aufzunehmen. Die Besserung 
zeigte sich als anhaltend. Das Charakteristische in der Wirkung des Novarseno¬ 
benzol sieht Verf. in der Aufhebung der Achillesreflexe bei geringer Storung der 


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sensiblen und motorischen Sphare. Die Behandlung ist beim Nachlassen der 
Aehillesreflexe (die Aufhebung ist dann nicht mehr zu verhindern) sowie beim 
Erscheinen von Sensibilitatsstorungen abzubrechen. Die Lumbalfliissigkeit blieb 
unbeeinfluBt. 

Verf. empfiehlt tagliche Injektionen oder Injektionen einen urn den anderen 
Tag, am beaten 8g Novarsenik in zwei Monaten. 

450) Nos resultats personnels dans le traitement intra-rachidien des neurosyphilis, 

par Belarmino Rodriguez. (Revue neurolog. 1920. Nr. 5.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Verf. behandelte mit intralumbalen Einspritzungen von merkurialisiertem 
oder salvarsanisiertem Serum 14 Kranke: 5 Paralytiker, 2 Tabiker, 1 Lues cerebri, 
1 Lues cerebrospinalis, 4 Lues spinalis, 1 Heredosyphilis. Die Erfolge sind zu* 
friedenstellend, besonders wenn die Behandlung friihzeitig einsetzt und energisch 
durchgefuhrt wird. Paralytiker und Tabiker werden durch die intralumbale 
Behandlung schwerer beeinfluBt als die anderen Kranken mit Nervensyphilis. 

451) Der gegenwartige Stand der intralumbalen Therapie mit Ausschlufi der Serum- 
therapie, von Gertrud Neumann. (Therapeutische Monatshefte. Oktober- 
November 1919.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die intralumbale Einverleibung von Arzneimitteln scheint einen Nutzen 
ergeben zu haben bei der Behandlung der Krankheiten der Hirnhaute mit Koch- 
salz- oder Ringerlosung, Optochin und Silberpraparaten. Die Resultate mit Tuber- 
kulin bei tuberkuloser Meningitis und mit Silberpraparaten bei Tetanus sind frag- 
lich. Die intralumbale Magnesiumsulfattherapie schlieBt groBe Gefahren in sich 
und ist durch andere Methoden ersetzbar. Am schwierigsten ist die Beurteilung 
des Wertes der intralumbalen Salvarsanbehandlung. Sichere Erfolge werden 
erzielt bei Lues cerebrospinalis, die aber im allgemeinen auch auf eine intravenose 
Therapie gut reagiert. Auch die objektiv nachweisbare serologische Besserung 
bei Tabes und Paralyse spricht im Sinne einer giinstigen Beeinflussung des spezi- 
fischen Krankheitaprozesses, wird aber oft iiberwertet, da die klinischen Sym- 
ptome nicht immer gleichen Schritt mit den serologischen Veranderungen halten. 
Es ist nicht erwiesen, ob es moglich ist, bei Tabes und Paralyse ein Fortschreiten der 
Krankheit durch die intralumbale Therapie hintanzuhalten. Die Gefahren der 
intralumbalen Therapie erscheinen im Vergleich zu ihrem Nutzen unverhaltnis- 
maBig groB; deshalb sollte diese Behandlung bei Erkrankungen des Zentralnerven- 
svstems nur in Fallen angewendet werden, die sich gegen eine andere Therapie 
refraktar verhalten. 

452) On the primary toxic effect of neosalvarsan, by K. Petren. (Lancet 1919. 
S. 244.) Ref.: Kurt Mendel. 

Alle nach Salvarsaninjektionen beobachteten^ Storungen spielen sich am 
Nervensystem ab. Sie beruhen nach vielen Autoren darauf, daB eine groBe Zahl 
von Syphilismikroorganismen durch das Salvarsan plotzlich abgetotet und eine 
groBe Menge Toxin im Blute des Syphilitikers frei wird. Verf. beobachtete nun 
die Wirkungen des Neosalvarsans an mehr als 140 Nicht-Syphilitikern, die wah- 
rend einer groBen Grippeepidemie an Influenzapneumonie erkrankt waren. Er 
sah in der Mehrzahl der Falle keinerlei toxische Erscheinungen, nur in einigen 
wenigen Fallen Erbrechen ohne dyspeptische Storungen nach der Injektion, 
sonst aber keinerlei nervose Storungen, keinen Kopfschmerz, keinen Schwindel 
oder sonstiges. Das Erbrechen erklart Verf. durch eine elektive Giftwirkung 
seitens des Neosalvarsans auf das Brechzentrum im Bulbus. 

453) Ein Fall von Gehirnddem nach Neosalvarsaninjektion, von E. v. Liicken. 
(Miinchener med. Wochenschrift 1920. Nr. 40.) Ref.: Kurt Mendel. 

XL. (Erg&nzung8band ) 20 


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Fall von Hirnodem nacli Neosalvarsan. Besserung durch 2 intravenose Injektionen 
Von je 6 ccm Diphtherieheilserum in lOstiindigem Abstand (mangels Normalserums). 

454) Thrombose der Vena magna Oaleni als Orondlage von Salvarsantodeslallen, 

von Wilhelm Wechselmann und Max Bielschowsky. (Dermatol. Wochen- 
schrift. 1919. Nr. 48.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fast alle als Encephalitis haemorrhagica beschriebenen Salvarsantodesfalle 
beruhen auf Thrombosen der HirngefaBe. Ein schon bestehender derartiger Zu- 
stand (durch Chlorose, Syphilis, perniziose Anamie, tiberstandene Infektions- 
krankheiten, Autointoxikationen usw.) kann natiirlich durch intravenose Ein- 
verleibung eines Arsenikpraparates in sonst unschadlicher, immerhin aber doch 
auf die Zirkulationsorgane kraftig wirkender Menge eine Steigerung erfahren. 
1st ja doch eine Haupteigenschaft des Arsens seine Wirkung auf die Kapillaren 
und die Blutstromung in diesen. In 2 Fallen von Salvarsantod fanden die Verff. 
eine Thrombose der Vena magna Galeni und ihrer ZufluBvenen. 

455) Die chirurgische Behandlung der syphilitischen Affektionen des Zentral- 
nervensystems auf Orund eigener Erfahrungen, von Pussep. (Jahrb. f. 
Psych. XL. 1920. H. 1.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. gibt zunachst einen Dberblick iiber den gegenwartigen Stand der In- 
dikationsstellung chirurgischer Eingriffe bei der Lues cerebrospinalis, wobei er 
hauptsachlich auf die Erfahrungen von Horsley eingeht, und bringt nun die 
detaillierten Krankheitsgeschichten folgender Falle eigener Beobachtung. (Die 
Redaktion der Jahrbiicher bemerkt zu der Arbeit, daB dieselbe knapp vor Kriegs- 
ausbruch in ihre Hande gelangt war.) 


I. Syphilis des Gehirns und seiner Haute. 

Fall 1. 51jahr. Mann, Infektion vor 20 Jahren, vor 15 Jahren leichte linksseitige 
Parese, seit Dezember 1910 Bild der basalen luetischen Meningitis. Inunktionskur und 
intravenos Salvarsan brachte keinerlei Erfolg. 6. September 1911 Trepanation am Nacken, 
2 cm weit von Mittellinie, 1cm iiber Sinus transversus; Okzipitallappen wurde aufgebobeii, 
eine stumpfe Nadel langs des Tentoriums tief in Richtung der Mittellinie eingefiihrt, 10 cm 3 
einer 1 / 2 %<>ig en Sublimatlosung eingegossen. Nach bedeutender Steigerung der Him- 
druckerscheinungen und Fieber, am 3. Tage bedeutende Besserung, am 5. Tage Abnehmen 
der spastischen Erscheinungen an den Beinen und der Lichtscheu; Lichtreaktion der Pu- 
pillen kehrte zuriick. An demselben Tage wurden 3 cm 3 der YgV^igen Sublimatlosung 
durch die Trepanationsoffnung eingefiihrt. Nach 4 Wochen konnte Pat. gehen, P.- u. Achu- 
klonus, Babinski geschwunden, Kopfschmerzen nahmen ab. 6 Wochen nach Operation fast 
gesund; der befriedigende Zustand hielt bis Zeit der Publikation an. 

Fall 2. 28 jahr. Mann, Infektion vor 9 Jahren, seit 6 Monaten Bild der Basalmeningitis 
mit vorwiegender Lokalisation in der hinteren Schadelgrube. Spezifische Behandlung 
erfolglos. 6. Januar 1913 Trepanation, 14. Januar Eroffnung der Dura, welche sich be- 
deutend verdickt erwies. Pia mater getriibt. Wiederholung mit Einspritzung von 5 cm 3 
am 7. Tage. Jedesmal voriibergehend Hirndruckerscheinungen gesteigert. 3 Wochen 
spater zerebellare Ataxie geschwunden, sechs Wochen spater Beginn eines Riickganges 
der Amblyopie. 

In den epikritischen Bemerkungen fiihrt Verf. u. a. aus, daB diese Methode 
der subduralen Einspritzung der der einfachen Berieselung der Hirnoberflache 
iiberlegen sei. 

Nach kritischer Besprechung der verschiedenen Operationsmethoden zur 
Behandlung der progressiven Paralyse (Sicard-Reilly, A. Marie usw.), 
erwahnt Verf. ganz kurz einen Fall, bei dem er ein Gemisch eines Hg-Salzes und 
Lezithins unter die Pia, an den Stellen des Ubergangs der letzteren in die Frontal- 
lappen, beiderseits und in Gegend der Sylvischen Zysterne injiziert hatte. Operation 
gut vertragen. Psychisch keine bedeutende Besserung. 


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II. Behandlung der Folgen der syphilitischen Affektionen des 

Ze nt r al nerve ns y stems. 

Verf. ftihrt aus, daB bei Abheilung des syphilitischen Prozesses infolge Bildung 
von Narben, Verwachsungen usw. je nach Lokalisation sich Jacksonsche An- 
falle, Symptome von Ruckenmarkskompression u. dgl. entwickeln konnen, 
welche, antisyphilitischer Kur unzuganglich, operatives Eingreifen erheischen 
konnen. 

A. Rindenepilepsie syphilitischer Herkunft. 

Fall 3. 12 jahr. Made hen, im 9. Monate luetische Meningitis; nach spezifischer Kur 
erholte sich das Kind, ist aber zuruckgeblieben, seit dem 7. Jahre epileptische Anfalle, 
hauptsachhch linksseitig. 17. November 1909 tiber rechtsseitigen motorise hen Zentren 
Trepanation. Dura leicht, Arachnoidea in ZweimarksttickgroBe tiber Armzentrum be- 
deutend verdickt, mit Pia verwachsen. Exzision der Verdickung. 2 Monate anfallsfrei, 
dann monathch einmal, aber sehr schwach (frtiher viermal taglich bis einmal wochentlich), 
geistige Entwicklung besserte sich. Beobachtung 3 Jahre. 

Fall 4. 33 jahr. Frau, Infektion vor 8 Jahren, vor 3 Jahren rechtsseitiger Jackson, 
seit 2 Jahren generalisierte Krampfe. Spezifische Kur erfolglos. 28. Januar 1912 Tre¬ 
panation tiber linker Hinterhauptsgegend, welche perkussionsempfindlich gewesen war; 
daselbst Verdickung der Dura und Leptomeningen mit narbigen, dicken Strangen zwischen 
ihnen. Pia mit Rinde verwachsen. Exzision und Losung. Innerhab der nachsten 1 x / t Jahre 
kein Anfall, kein Kopfschmerz, rechtsseitige Armparese blieb bestehen. 

Fall 5. 38 jahr Mann, seit 1 Jahre Kopfschmerzen und rechtsseitiger Jackson. Vor 
15 Jahren Lues. Spezifische Kur erfolglos. Seit 2 Wochen BewuBtseinstrtibung, gehaufte 
Anfalle. 4. Dez. 1910 Trepanation tiber linksseitigen Zentren. Dura enorm verdickt, 
mit Leptomeningen verwachsen, darunter Neubildung mit Granulationstypus, die nur 
teilweise entfemt werden konnte. Wurde mit l%oig em Sublimat durchsptilt. Am 4. Tage 
Exitus. Obduktion ergab Gummi und luetische Veranderung der Himhaut. 

B. Behandlung der Folgen der syphilitisc|hen Affektion des Rticken- 

markes und des Gehirnes. 

Bei frischen Affektionen gibt gewohnliche antisyphilitische Behandlung oder 
subdurale Einverleibung von Hg-Salzen und Salvarsan gute Erfolge. 

Handelt es sich aber um abgelaufene Prozesse, ist Operation am Platze (Verf. 
erinnert an die Falle von ,,Meningitis spinalis chronica fibrosa 44 , welche Oppen- 
heim und Krause veroffentlicht hatten.) 

Fall 6. 34 jahr. Mann. Vor 15 Jahren Lues, seit 8 Jahren spastische Paraparese, 
welche sich anfanglich unter spezifischer Behandlung gebessert hatte, dann aber stationer 
blieb, wahrend die motorischen Reizerscheinungen sich verschlimmerten. Februar 1911 
Laminektomie des 8. bis 10. Brustwirbels. Dura verdickt, darunter Strange und haselnuB- 
groBe Zyste mit Impression der Medulla, die daselbst derber erschien. Darauf bedeutende 
verringerung der Spasmen; jedoch keine bedeutende Besserung, da sich offenbar im Rticken- 
mark neuerdings dauernde Veranderungen bildeten. 

Fall 7. 48 jahr. Mann, vor 6 Jahren Syphilis, schon 2 Jahre darauf spinale Erscheinun- 
gen, die zunachst auf spezifische Kur gut wurden, dann neuerdings auftraten und weiterer 
antiluetischer Therapie trotzten. Bild der syphilitischen Meningomyelitis in Gegend von 
P^-4* Wassermannreaktion negativ, sowohl im Serum, wie im Liquor. 5. Januar 1911 
Laminektomie, wobei sich ein Bogen verdickt und die Dura komprimierend erwies. Dar¬ 
unter Dura verdickt. Strange zwischen ihr und Rtickenmark, kleine Zyste. Medulla kom- 
primiert und verdtinnt. Am 13. Tage nach Operation Exitus an Herzschwache und Lungen- 
entztindung. 

Fall 8. 32 jahr. Mann, vor 5 Jahren Primaraffekt, 2 Jahre spater Beginn spinaler 
Erscheinungen, geringe Besserung auf spezifische Kur, dann stationares Bild der Meningo¬ 
myelitis mit Lokalisation der Schmerzen im 10. Brustwirbel. 26. Februar 1913 Lamin¬ 
ektomie des 9. bis 11. Dorsalwirbels. Dura maBig verdickt. Darunter Zyste, ^ledulla 
komprimiert und derber. Rtickgang der spastischen Symptome, 2 Monate spater konnte 
Pat. stehen, Zehen und FtiBe waren aktiv beweglich, nach 10 Wochen wurden auch Beine 
w illktirlich bewegbar. 

In den epikritischen Bemerkungen betont Verf., daB ein rechtzeitiges opera¬ 
tives Eingreifen, wenn das Rtickenmark noch nicht stark verandert ist, be- 
friedigendere Dienste erweisen konnte, als in den vorliegenden Fallen. 

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Trauma. 

• 456) Lehrbuch der Unfallbegutachtung der= inneren und Nervenkrankheiten, 

von R. Finkelnburg. (Bonn 1920, Verlag von A. Marcus und E. Weber. 

544 S.) Ref.: Kurt Mendel. 

Das Buch bringt nichts Neues bezliglich der Frage: Unfall und Nerven¬ 
krankheiten, soli als Lehrbuch auch wohl nichts Neues in dieser Frage bringen. 
es schlieBt sich im allgemeinen den anderen dies Thema behandelnden Handbiichern 
mnd Monographien (Thiem, K. Mendel usw.) an und zeigt somit, daB auch die 
20jahrige Gutachtertatigkeit des Verf.’s an der Bonner Klinik (unter Friedrich 
Schultze, dem das Lehrbuch zugeeignet ist) das von friiheren Autoren Nieder- 
gelegte nur bestatigt. Den Neurologen interessieren besonders die Kapitel 3, 14, 
18 und 21 bis 25. Jedem Kapitel ist ein kurzes Wort iiber die Rentenabschatzung 
bei der entsprechenden Krankheit hinzugefiigt. Demjenigen, der sich iiber die 
Rolle des Unfalls in der Atiologie der Nervenkrankheiten orientieren will und 
dariiber noch keine zusammenhangende Abhandlung besitzt, wird das Finkeln- 
burgsche Lehrbuch willkommen sein. 

457) Blitzverletzungen als Unfallfolgen, von Prof. Molineus. (Monatsschr. f. 

Unfallheilk. 1919. Nr. 12.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die nervosen Storungen nach Blitzverletzungen sind sehr mannigfaltig, teils 
organischer, teils funktioneller Natur, letztere im wesentlichen von der seelischen 
Erregbarkeit des Betroffenen abhangig. 8 Falle von Blitzverletzung werden mit- 
geteilt, sie boten folgende Erscheinungen von seiten des Nervensystems: 

Fall 1. Der Getroffene war bis zum nachsten Tage vollstandig besinnungslos, es 
bestand Brechneigung. Er klagte iiber heftige Schmerzen in alien Extremitaten, sowie 
Herzschmerzen und Atembeklemmungen. 

Fall 2. Starke Herzbeschleunigung. Verdauungsstorungen, Zittem und Schmerzen 
der Glieder. Spater trat eine psychische Depression auf, die den Verletzten den offenbar 
vorliegenden Herzfehler iibertrieben schwer empfinden laBt. 

Fall 3. Am auffallendsten ist in diesem Falle eine enorme Abmagerung des ganzen 
Korpers, die Verf. als Folge von Blitzverletzungen in der Literatur nirgends erwahnt ge- 
funden hat. Diese Abmagerung erstreckte sich offenbar nach dem Akteninhalt iiber 
2 Jahre und ging dann erst langsam zuriick. Die iibrigen Beschwerden mocbte Verf. im 
wesentlichen auf die hochgradige Abmagerung beziehen; auBerdem bestand ein Zust&nd 
psychischer Depression. 

Fall 4. Lahmungserscheinungen am rechten Bein mit Erloschen der Reflexe. Puls- 
be schleunigung. 

Fall 5. Erbrechen. Lahmung des linken Armes und linken Beines. 

Fall 6. Leichte Betaubung. Leichte Lahmungserscheinungen wie bei Tabes. 

Fall 7. Vollige Betaubung. Lahmungserscheinungen am rechten Arm; spater Hysteric. 

Fall 8. Tiefe BewuBtlosigkqit. Schmerzen im linken Bein und in den Armen. Psy¬ 
chische Depression. 

458) Trauma des Nervensystems und perniziose Anamie, von J. Zadek. (Miinchener 

med. Wochenschrift. 1920. Nr. 33.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. sah 3 Falle, bei denen sich im AnschluB an ein erhebliches Trauma, 
2mal mit hochgradigen zerebralen und entsprechenden Veranderungen des Zentral- 
nervensystems, einmal mit starken funktionell-nervosen Storungen nach Schadel- 
verletzung, eine perniziose Anamie entwickelt hat. Im ersten Fall betrug das 
zeitliche Intervall zwischen Trauma und dem Auftreten der ersten sicheren 
Krankheitserscheinungen etwa 15, im zweiten etwa 3, im dritten x / 2 Jahre. 

459) Ricerche sperimentali sulle alterazioni nervosi centrali degli animali sotto- 

posti a commuzione cerebrale, per De Li si. (Rivista di Freniatria. XLI. 
1915. pag. 249.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Verf. ruft experimentell mittels Kopftraumen durch stumpfe Holzkorper 
bei Hunden und Katzen die Gehirnersehiitterung hervor. Verf. kommt zu dem 


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Schlusse, daB die anatomischen Verletzungen des Gehirnes der experimentell 
der Gehirnerschutterung ausgesetzten Tiere teilweise der direkten traumatisehen 
Wirkung in den Ursprungselementen der absteigenden, metathalamospinalen 
Fasern, vielleicht aber zum groBeren Teile einer indirekten Wirkung auf die peri- 
pherischen, sensorischen Neurone zuzuschreiben sind. 

460) Physikalische Betrachtungen zur Lehre von der Commotio cerebri, r von 

Hans Rahm. (Brun8 , Beitr. z. klin. Chir. CXIX. 1920. Heft 2.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

Verf. versucht, das Wesen der Commotio cerebri in rein physikalischem Sinne 
darzustellen. Bei ihr spielen Druck- und Gravitationserseheinungen eine Rolle. 
Wir miissen bei der Hirnerschtitterung 3 Dinge auseinanderhalten: 1. Die Wirkung 
des Traumas auf die elastische Schadelkapsel und dadurch indirekt auf das Ge- 
him, 2. direkt auf den unelastischen, nicht kompressiblen Inhalt, 3. die Wechsel- 
wirkung beider Faktoren. Die Wirkung des Traumas direkt auf den inkompressiblen 
Schadelinhalt kommt zustande durch das Auftreten eines starken Grayitations- 
feldes, das einerseits eine Verlagerung der Zellbestandteile samtlicher Ganglien- 
zellen, andrerseits eine lokale akute Hirnanamie hervorruft. Ahnliche Wirkungen 
treten beim raschen Anfahren eines Fahrstuhles auf (Schwindelgefiihl hierbei 
ist nicht allein dem Gleichgewichtsapparat zuzuschreiben). Infolge des Gravi- 
tationsfeldes kommt auch der sogen. Contrecoup zustande, nicht — wie immer 
angenommen wird — durch Fortleitung der lebendigen Kraft durch die Hirn- 
substanz. Einen isoliert vorkommenden traumatisehen akuten Hirndruck gibt 
es bei der Commotio cerebri nicht. 

461) Ein Fall von Gehirnsyphilis nach Unfall, von M. Demmler. (Monatsschr. 
f. Unfallheilk. 1920. Nr. 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

Gutachten uber einen Fall von Hirnsyphilis als mittelbare Folge eines Unfalls (Sturz 
auf Hinterkopf). 

462) Hemichorea und Hemiathetose nach Schadeltrauma, von F. Sc hob. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. LXV. 1920. Heft 3 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Im AnschluB an ein schweres Schadeltrauma, das zu sehwerer Schadigung des Schadel- 
daches und darunter liegender Gehimmasse gefuhrt hat, kam es zu linksseitiger Lahmung. 
Bei der Ruckbildung letzterer entwickelten sich starke hemichoreatische und hemiathe- 
totische Bewegungsstorungen so wie Krampfzustande vom Charakter des Spasmus mobilis. 
Durch operative Revision wird Besserung der Hemichorea erzielt, wahrend die Athetose 
unverandert weitergeht. Nach einem epileptischen Anfall wird beobachtet, daB die Hemi¬ 
chorea voriibergehend vollig aussetzt, wahrend die Hemiathetose unbeeinfluBt bleibt. 
Es bestanden also nebeneinander die beiden verschiedenen Bewegungsstorungen: die 
Chorea und die Athetose. Bemerkenswert ist ferner, daB der operative Eingriff sowie der 
epileptische Anfall, also Vorgange, die sich in der Hauptsache im Bereich der Himrinde 
ab spiel ten, einen deutlichen EinfluB auf die Starke der hemichoreatischen Bewegungen, 
nicht aber auf die Hemiathetose ausiibten. Dies spricht vielleicht fiir den kortikalen Ur- 
sprung der Hemichorea; allerdings kann im vorliegenden Falle bei der Starke der Gewalt- 
einwirkang auf den Schadel und das Gehim sehr wohl eine direkte Schadigung tiefer ge- 
legener Zentren mit erfolgt sein. Auch muB die Tatsache, daB trotz der zahlreichen Kriegs- 
verletzungen der Gegend der Zentralwindung hemichoreatische Bewegungsstorungen nur 

f \nz ausnahmsweise beobachtet werden, zu sehr vorsichtiger Bewertung des vorliegenden 
alles mahnen. 

463) Des douleurs a forme de decharge dlectrique consecutives aux traumatismes 
de la naque, par R. Dubois et J. Ribeton. (Presse m6d. XXVIII. 1920. 
Nr. 48.) Ref.: W. Misch. 

Bei Verletzungen des Nackens wurden in zahlreichen Fallen eigenartige 
Schmerzattacken von der Art eines elektrischen Schlages beobachtet, die bei 
Beugung des Halses auftraten, vom Nacken ausgehend, in einer Sekunde den 
Korper blitzartig durchliefen, in die Extremitaten ausstrahlten und ihr Maximum 
an Handen und FiiBen erreichten. Durch Radiotherapie wurde in alien Fallen 


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Heilung erzielt. Da die Verteilung der Schmerzen eine spinale ist und die Ver- 
letzung von spinalen Symptomen begleitet zu sein pflegt, so wird angenommen, 
daB die Schmerzen durch eine Riickenmarkslasion bedingt werden. Ihre Ahnlich- 
keit mit den bei der Regeneration verletzter peripherer Nerven auftretendeti 
Schmerzen laBt vermuten, daB sie ein Zeichen regeneratorischer Tatigkeit des 
Riickenmarks sind. 

464) Zum Kapitel der traumatischen Pseudotabes, von Wilhelm Mayer. (Journal 
f. Psychol, u. Neurol. XXV. 1920. Heft 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. kommt auf Grand jetziger Katamnese auf einen von ihm im Jahre 
1913 veroffentlichten Fall von traumatischer Tabes (s. ds. Zentralbl. 1914, S. 169) 
zuriick. Damals hatte er eine luetische oder metaluetische Erkrankung aus 
anamnestischen-serologischen-klinischen Griinden (Pat. hatte nie sexuellen Verkehr 
gehabt, 4 Reaktionen negativ) ausgeschlossen und den Fall als reine traumatische 
Tabes angesprochen. Der Unfall bestand in Blitzschlag ohne auBere Verwundung. 
Nach n^nmehr erfolgter erneuter Untersuchung glaubt Verf. nicht mehr an eine 
traumatische Tabes oder sonstige Systemerkrankung, sondern vielmehr an eine 
mit diffusen zerebralen kleinsten Schadigungen kombinierte Meningitis serosa 
traumatica, wie solche Roemheld im Neurol. Centralbl. XXXV, 1916, Nr. 16 
mit ahnlicher Symptomatologie (tabesahnliches Krankheitsbild nach Kopf- und 
HalsschuB) beschrieben hat (s» auch Original mi tteilung 17 in diesem Hefte). Die 
Symptomatologie ist sich in alien Fallen so ahnlich, daB man sie alle unter dem 
Namen Pseudotabes nach Hirntrauma mit psychischen Veranderungen im Sinne 
der traumatischen Hirnschwache zusammenfassen darf. 

465) Beitrag zur traumatischen reflektorischen Pupillenstarre, von Bruno Fleischer 
und Else Nienhold. (Klinische Monatsblatter f. Augenheilk. LXIV. 
Januar 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

17jahr. Madchen wird mit der Futtergabel ins linke Unterlid gestoBen. 6 Tage 
nachher wird vollkommene Oculomotoriuslahmung festgestellt. Spater minimale Reaktion 
der Pupille auf direktes Licht, konsensuelle Reaktion nicht sehr ausgiebig, aber deutlich, 
prompte Reaktion auf Konvergenz. AuBere Augenmuskeln wieder ziemlich gut, zeigen 
aber noch partielle Lahmung. Akkommodationslahmung. 

Es handelt sich demnach um eine reine Orbitalverletzung mit unvollstandiger 
absoluter einseitiger Pupillenstarre. Der Fall spricht fiir das Vorhandensein be- 
sonderer Konvergenz- und Lichtreaktionsfasern, wobei man sich bei der Art der 
Verletzung wohl vorstellen kann, daB die Konvergenzfasern sich bereits von den 
iibrigen getrennt hatten und die Lichtreaktionsfasern isoliert verletzt wurden. 

466) Local paralysis following superficial injuries not involving nerve trunks: 
with special reference to traumatic ^ascending neuritis" and to „reflex para¬ 
lysis", by F. M. R. Walshe. (Brain. XLII. 1919. Nr. 4.) Ref.: W. Misch. 

Bei ganz einfachen Verletzungen, die nicht notwendig Wunden zu sein und 
keinen Nervenstamm zu befallen brauchen, kann sich eine ausgesprochene Parese 
oder Lahmung entwickeln mit Muskelatrophie und Herabsetzung der faradischen 
Erregbarkeit, Herabsetzung des entsprechenden Sehnenreflexes, subjektiven und 
objektiven Sensibilitats- und vasomotorischen Storungen. 

Es werden hierzu vier Falle mitgeteilt: Im erstenFalle war eine kleine eitemde Wunde 
am FuBriicken gefolgt von einer L&hmung aller vom Peroneusteil des Ischiadicus ver- 
sorgten Muskeln mit entsprechender Sensibilitatsstorung. Im zweiten Falle folgte auf 
eine oberflachliche Wunde am unteren Drittel des Oberschenkels eine Parese und Atrophie 
des Quadrizeps mit Herabsetzung des Kniesehnenreflexes. Im dritten Falle bestand eine 
tiefe Wunde des Unterschenkels in seinem distalen Drittel, die SpitzfuBstellung und Herab- 
setzimg der faradischen Erregbarkeit aller Muskeln unterhalb des Knies zur Folge hatte; 
wahrend keine Sensibilitatsstorung bestand, war der Achillesreflex herabgesetzt, und es 
bestanden Zyanose, Kalte und an Frostbeulen erinnemde Lasionen am FuBe. Im letzten 
Falle war im AnschluB an einen StoB gegen die Ferse ohne auBere Verletzung eine schwere. 


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jarogressive, atrophische sehlaffe Lahniung aller vom Ischiadicus versorgten Muskeln ein- 
getreten, mit entsprechenden Reflexstorungen, Sensibilitatsverlust und Zyanose und Kalte 
des FuBes. 

Demnach haben die Erscheinungen eine bestimmte anatomische Topographie 
und entsprechen der Innervation eines peripheren Nerven. In alien Fallen fand 
sich die Verletzung innerhalb des von dem befallenen Nerven versorgten Ge- 
bietes, obwohl sie den Nervenstamm selbst nicht affizierte. In zwei Fallen (1 
und 2) waren die Hautendigungen des Nerven direkt verletzt; in einem Fall (4) 
traf die Lasion auf das Gebiet desselben, wahrend sie in einem Fall (3) sowohl 
die tiefen wie die Hautendigungen des afferenten Nerven betraf. Der Charakter 
der Erscheinungen ist der einer lokalisierten Neuritis (Mononeuritis). Obwohl 
die Symptome in alien Fallen progressiv waren, dehnten sie sich nur in einem 
Fall (4) kontinuierlich nach aufwarts aus. Sepsis scheint eine Rolle bei der Atio- 
logie zu spielen. Die Neuritis ahnelt weniger den als ,,aszendierende Neuritis** 
bekannten Zustanden als der bei akuter Arthritis und verwandten Erkrankungen 
auftretenden reflektorischen Muskelaffektion; wahrscheinlich ist ein Teil der von 
Babinski als ,,reflektorische Nervenst6rungen“ besehriebenen Erscheinungen 
ahnlicher Natur. t)ber die Pathologie dieser Storungen ist in Anbetracht des 
geringen Materials nichts Genaueres bekannt. 

467) Die Erwerbsbehinderung bei Medianuslahmung, von Engelen. (Arztliche 
Sachverstand.-Zeitung. 1920. Nr. 8.) Ref.: Kurt Mendel. 

Zunachst anatomische und physiologische Bemerkungen liber Verlauf und 
Funktion des N. medianus. Fur die Beurteilung der Erwerbsbehinderung bei 
Medianuslahmung ist als schwerwiegend zu beriicksichtigen der Verlust der 
Beiigefahigkeit des Daumens und der Daumenopposition sowie der Verlust der 
Beugefahigkeit in den beiden Endgelenken des Zeigefingers. Die Opposition des 
Daumens ist fur alle feineren Handfunktionen unerlaBlich. Die Erwerbsbehinderung 
richtet sich nach dem Beruf: ein Klavierspieler ist ftir seinen Beruf vollig un- 
tauglich, ebenso ein Zigarrenwickler, ein Schneider. Der Sensibilitatsverlust 
schadigt kaum. Hingegen sind die eventuellen Schmerzen hoch in Ansatz zu 
bringen, sie konnen im akuten Stadium vollig leistungsunfahig machen. Die 
haufigen trophischen Storungen an Hand und Nageln sind gleichfalls in Rechnung 
zu setzen. Eine voll ausgepragte Medianuslahmung bedingt eine Verminderung 
der Erwerbsfahigkeit um 35 bis 45°/ 0 . Allmahliche Besserung tritt im Laufe der 
Zeit durch Gewohnung und Ubung ein. 

488) Die Erwerbsbehinderung bei Ulnarislahmung, von Engelen. (Arztliche 
Sachverst.-Zeitung. 1920. Nr. 9.) Ref.: Kurt Mendel. 1 

Die Ulnarislahmung bedingt eine schwere Schadigung der Hand. Kraftiges 
Greifen und Festhalten ist unmoglich, weil die Fingergrundphalangen nicht 
kraftig gebeugt werden konnen und der Daumen nicht kraftig adduziert werden 
kann. Die anderen Funktionen des Daumens sind unversehrt, und mit den ge- 
beugten Endgliedern der Finger ist ein unkraftiges Greifen moglich. In manchen 
rein geistigen Berufen ist die praktische EinbuBe an Erwerbsfahigkeit bei Ulnaris¬ 
lahmung links fast gleich Null, z. B. bei einem Rechtsanwalt. Ein Chirurg dagegen 
oder ein Klavierkunstler ist fur seinen Beruf vollig untauglich. Die berufliche 
Tatigkeit ist stets abzuwagen. Ftir den Arbeiter ist als Durchschnitt der Erwerbs¬ 
behinderung bei rechtsseitiger Ulnarislahmung 50, bei linksseitiger 40°/ 0 anzu- 
nehmen. 

469) Die Erwerbsbehinderung bei Radialisl&hnmng, von Engelen. (Arztl. Sach¬ 
verst.-Zeitung. 1920. Nr. 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Arbeitsfahigkeit der Hand ist bei Radialislahmung weniger beeintrachtigt 
als bei Lahmung des Ulnaris und Medianus. Bei Tragen einer passenden Schiene 


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ist die Hand fur die wichtigste Funktion, namlich zum Greifen und Festhalten, 
recht gut verwendbar; einen hohen Grad von manueller Geschicklichkeit kann 
man allerdings nicht erwarten. Meist wird die Annahme einer Erwerbsbehinderung 
bei Lahmung des rechten Radialnerven von 25%, links von 15% alien gerechten 
Anspriichen genugen. 

470) Diagnosis of the lesions of the nervous system produced by violent explosions 
in close proximity without external lesions, by T. A. Williams. (Boston 
med. and surg. journ. CLXXXII. 1920. Nr. 2.) Ref.: W. Misch. 

Im AnschluB an Explosions-Shockzustande kommt es haufig zu Erschei- 
nungen, die anfangs fiir hysterisch gebalten werden, bei denen sich aber all- 
mahlich organische Symptome entwickeln, die den bei Tieren im Experiment 
nach heftigen Explosionen auftretenden Erscheinungen ahneln. Das am meisten 
und raschesten hervortretende Symptom der organischen Erschiitterung ist eine 
bedeutende Muskelerschlaffung am ganzen Korper einschlieBlich des Gesichts 
und der Handmuskeln, sowie Pulshypotension, Pupillenerweiterung und Herab- 
setzung der Reflexe. Dieser Zustand kann ganz voriibergehend auftreten. Zur 
Stellung der Prognose ist eine Liquoruntersuchung notig: Wird nach 24 Stunden 
keine EiweiBvermehrung im Liquor gefunden, so kann die Diagnose auf Com¬ 
motio ausgeschlossen werden; findet sich dagegen EiweiBvermehrung, so liegt 
eine Schadigung der Plexus chorioidei vor, die zur vermehrten Serumausscheidung 
fuhrt; dabei ist eine Zellvermehrung nicht vorhanden, nur in einigen Fallen 
kommt es zur Diapedese von Erythrocyten, dagegen nicht zur vermehrten Pro- 
duktion von weiBen Blutzellen. In den milderen Fallen findet sich oft eine be- 
trachtliche Ubererregbarkeit besonders der sympathischen Nerven im Gebiet des 
Kopfes. Therapeutisch haben sich wiederholte Lumbalpunktionen als nutz- 
bringend erwiesen. 

471) Krieg, Revolution und Unfallneurosen, von Erwin Loewy-Hattendorf. 
(Veroffentlich. aus d. Gebiete der Medizinalverwaltung. XI. 1920. Heft 4.), 
Ref.: Kurt Mendel. 

Referat iiber die Neurosen des Krieges, welch letzterer die Psychogenie der 
neurotischen Storungen nach Unfall erwiesen und gezeigt hat, daB die von 
Oppenheim behauptete unglinstige Prognose der traumatischen Neurose falsch 
ist. Das sozialpsychologisch und sozialpolitisch wichtigste aller ursachlichen 
Momente ist zweifellos das Rentenbegehren, und das einzige Universalmittel, 
das es dagegen zu geben scheint, ist die Kapitalabfindung, die aber bei den augen- 
blicklichen Verhaltnissen auf Schwierigkeiten stoBt. Immerhin fiihrt nur die 
Erledigung des ,,traumatischen Komplexes“ zur Gesundung und Arbeitsfahigkeit. 

472) Beitrag zum Symptomhomplex der sogenannten Unfallneurose, von Hermann 
Nourney. (Arztl. Sachverst.-Zeitung. 1920. Nr. 8.) Ref.: Kurt Mendel. 

Beobachtung an 120 Unfallneurotikern. Zusammenfassung: Bei der Ent- 
stehung funktioneller Nervenstorungen nach Schadeldachverletzungen und Ver- 
schiittung ist in den seltensten Fallen eine Disposition durch bestehende Neur¬ 
asthenic oder Nervenkrankheiten in der Familie vorhanden. Bei Schadeldach¬ 
verletzungen mit BewuBtseinsverlust wird nachfolgendesErbrechen von nurwenigen 
angegeben. Druckpunkte am Kopf sind nach Schadeldachverletzungen kein 
konstantes Symptom. Ein Bestehenbleiben des Handezitterns in seiner urspriing- 
lichen Qualitat bleibt bei alien Neurosen ein weniger haufiges, Lidzittern ein un- 
sicheres Symptom. Beim Patellarreflex spielt Willkiirlichkeit eine groBe Rolle, 
die ihn als Symptom nur mit Vorsicht verwenden laBt. Vom Symptombild der 
Hysterie ist die geringe Zahl der Hornhautreflexlosigkeit bei der Menge der 
Sensibilitatsstorung auffallend. 


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473) Eine eigentiimliche 17jahrige Unfallsgeschichte, von H. Kress. (Arztl. 
Sachverst.-Zeitung. 1920. Nr. 7.) Ref.: Kurt Mendel. 

Gutachten uber einen lange Zeit verkannten Fall von Friedmannseher Kom- 
motionsneurose. „Trotz schwerwiegender Bedenken gegen den Inhalt der Arbeit, welche 
der Redaktion durch eigene Kenntnis des Falles aufgezwungen werden“, erfolgt die Publi- 
kation. 

474) tiber funktionelle Storungen traumatisch geschadigter Extremitaten, von 

F. Kehrer. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. LXV. 1920. Heft 3 bis 6.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Analyse einer Reihe von Fallen mit Extremitatenverletzung, und zwar 
handelt es sick in 8 Fallen um Kontrakturbildung nach Nervenverletzung, in 
6 Fallen um traumatisches Odem der oberen Extremitat. Verf. weist auf das 
funktionell Psychogene dieser Erscheinungen hin, insbesondere nimmt er fur das 
traumatische Odem eine spezielle Anlage, eine Odemdisposition, die oft schon 
in der allgemeinen Pastositat dieser Individuen zum Ausdruck kommt, an; diese 
Sonderdisposition innerhalb des autonomen Nervensystems ist eine Grundvoraus- 
setzung zur Entwicklung neurotischer Odeme, welche sich etwa von derjenigen 
beim Quinckeschen Odem in der Hauptsache durch die exogene traumatische 
Angriffsbereitschaft unterscheidet und es zum Odem kommen laBt, sei es nun 
daB sich an einem Glied aus psychogenen Grunden, sei es aus organischer Ur- 
sache eine Storung der Motilitat usw. etabliert. 

475) Ein Fall von posttraumatischer Demenz nach Schrapnellschufiverletzung des 
Schadels, von Heinicke. (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXXV.) Ref.: 
Zingerle. 

Erblich belasteter, geistig Minderwertiger erlitt die Schadelverletzung 1915 
mit angeblichen Kommotionserscheinungen. Zunachst Heilung ohne Folgen. 
1916 wurde er wahrend einer Strafhaft psychisch auffallig. Das Krankheitsbild 
war gekennzeichnet durch stumpf apathisches Wesen, Verlangsamung aller 
psychischen Vorgange, Schwache des Urteilsvermogens, Herabsetzung der Merk- 
fahigkeit, Reizbarkeit, sfchwerfallige Sprache, Pupillentragheit bei Nahesehen, 
Trigeminusschmerzpunkte, Klopfempfindlichkeit des Schadels, Herabsetzung der 
Sinnesfunktionen, Steigerung der Sehnenreflexe; auBerdem bestanden traumatisch 
hysterische Symptome (Storungen der Schleimhautreflexe, Gesichtsfeldeinengung). 

476) Ein als traumatische Neurose diagnostizierter Fall von Gliom, von Kurt 
Grassheim. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1920. Nr. 9.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

1 1 / 2 Jahre nach Durchtrennung der Strecksehne des linken Zeigefingers nervose 
Storimgen, die auch psychiatrischerseits als Unfallshysterie gedeutet wurden. Sektion: 
stark pflaumengroBes Gliom im linken Stirnhirn. Tod steht in keinem Zusammenhang 
mit dem Unfall. Der Fall beweist ( ? Ref.) nach Verf.’s Ansicht die Wichtigkeit der For- 
derung Reichardts, die Diagnose Unfallhysterie endgiiltig aus den Gutachten zu ver- 
bannen. 

477) Neurosen nach Trauma und Rechtsprechung, von Th. Rumpf. (Deutsche 
med. Wochenschrift. 1920. Nr. 19.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. ist fur moglichst rasche einmalige Kapitalabfindung bei Unfallneurosen. 
Wenn moglich, soli der Kranke bei der Arbeit belassen werden. Denn ungiinstig 
ist es, wenn der Verletzte Arbeit und Verdienst verliert und sich ein Renten- 
kampf entspinnt. Dann andert sich das ganze Vorstellungsleben, und es kommt 
zu Simulationsversuchen. Hypnose bringt Besserung, nicht Heilung. Vor- 
bedingung fiir letztere ist die glatte und rasche Erledigung der Entschadigungs- 
anspruche. Zu empfehlen ware zu diesem Zwecke eine vom Gericht zu ernennende 
arztliche Kommission, eventuell unter Zuziehung eines Richters * welche eine 
beide Parteien bindende Entscheidung zu treffen hatte. Es ware aber auch 


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denkbar, daB nach dem Vorgang der danischen sozialen Gesetzgebung alle Haft- 
pflichtprozesse, bei welchen es sich um Schadigung der Gesundheit handelt, von 
dem allgemeinen Gericht an eine besondere Rammer zur definitiven Entscheidung 
verwiesen werden. Selbstverstandlich miiBten in dieser auch Arzte als Richter 
sitzen. Man konnte die Rammer so zusammensetzen, daB ein Richter den Vor- 
sitz fhhrt, ein oder zwei unparteiische Arzte mit dem Vorsitzenden das Urteil 
sprechen und je ein vom Geschadigten und vom Haftpflichtigen erwahlter Arzt 
an der Verhandlung teilnehmen. 

478) Uber den Einflufi des Revisionsprinzips aof die Unfallbegutachtung, von 

F. de Quervain. (Schweizerjsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 6.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

An die Stelle der Kapitalabfindung des alten Haftpflichtgesetzes hat das 
neue Schweizerische Bundesgesetz liber Kranken- und Unfallversicherung im 
Prinzip die Rentenentschadigung gesetzt, mit jederzeitiger Revisionsmoglichkeit 
wahrend der ersten 3 Jahre und weiterer Revisionsmoglichkeit nach Ablauf des 
6. und 9. Jahres. Auf dem Gebiete der Unfallneurosen ist aber Kapitalabfindung 
der Rente vorzuziehen; fur solche Falle ist auch im Bundesgesetz und im Militar- 
versicherungsgesetz gesorgt. Neurotiker, Rentenquerulanten und Landesabwesende 
sind einmalig abzufinden, desgleichen kleine, in ihren Folgen leicht zu iibersehende 
Schaden. Beim Revisionsprinzip werden bis zum AbschluB des dritten Jahres 
die Erhohungen und Klirzungen der Rente haufiger sein, da ein guter Teil der 
Unfallfolgen erst imVerlauf des dritten Jahres ihr endgiiltiges Gesicht annehmen. 
Empfehlenswert ware es, wenn Militarversicherung und Zivilversicherung genau 
nach denselben Gesetzesbestimmungen arbeiten konnten. 

479) Wiederaufbau und Sozialversicherung, von P. Kaufmann. (Vorschlage 
zur Anderung der Reichsversicherungsordnung. G. Stilke. Berlin 1920.) 
Ref.: E. Loewy-Steglitz. 

Von den Vorschlagen, die der President des R.V.A. zur Anderung der R.Y.O., 
die er fur dringend notwendig halt, macht, sind einige flir den Nervenarzt be* 
sonders beachtenswert. Verf. erwartet von einer neuen R.V.O. den Versuch, 
,,die aus der Haftpflichtgesetzgebung in die Unfallversicherung libergegangene 
schadenausgleichende Rentengewahr noch weitergehend zugunsten einer vor- 
beugenden und wiederherstellenden Fiirsorge abzuwandeln^. Er erhofft diese 
Moglichkeit u. a. von ,,einer ausgedehnteren Kapitalabfindung, selbstredend bei 
Moglichkeit des Wiedereintritts in den RentengenuB im Falle erheblicher Ver- 
schlimmerung der Unfallfolge“. Wie sich Verf. dies bei Neurosen denkt, ist Ref. 
nicht klar. Denn es kame doch nie zu einer flir die psychische Heilung notwendigen 
endgiiltigen Erledigung, wenn bei Einrede einer Verschlimmerung wieder der 
RentengenuB eintreten konnte! — Ferner interessiert noch die Hervorhebung 
der Arbeitsbehandlung als Mittel auch zur Besserung des seelischen Zustandes 
und das Heranziehen der Versicherten zur Mitarbeit an der Rechtsprechung. um 
so die Spriiche nicht als „Klassenjustiz“ empfinden zu lassen. 


Kriegsbeobachtungen. 

480) Tiber die Ergebnisae der psychiatrischen und neurologizchen Untersuchungen 
auf einer Krankensammelstelle, von Hans Berger. (Monatsschr. f. Psych, 
u. Neur. XLVII. 1920. Heft 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. berichtet liber seine Beobachtungen auf der Krankensammelstelle 
Rethel naheMer Front. Unter 971 Fallen von nervosen und psychischen Leiden 
17 Falle von Dementia praecox (nur 1 Fall liber 30 Jahre, in keinem Falle etwaiger 


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Zusammenhang mit einem besonderen psychischen oder somatischen Trauma), 
26 angeboren Schwachsinnige (5 Analphabeten), 12 Paralytiker (Intervall zwischen 
Infektion und Ausbruch der Paralyse 7 bis 18 Jahre), 10 Falle von Lues cerebri 
(in 2 Fallen Schadeltrauma, das vielleicht zur Lokalisation der luetischen Er- 
krankung beigetragen hatte), 1 Fall von Kommotionspsychose nach Schadelbruch 
(manisches Zustandsbild mit GroBenideen), 34 Depressionszustande (davon 24 der 
Melancholie, 8 deni manisch-depressiven Irresein, das Verf. aus rein praktischen 
Griinden von der Melancholie abtrennt, zugehorig), 2 schwere Psychopathien, 

1 Fall von Choreapsychose, 29 Falle von chronischem Alkoholismus, 48 Falle 
von genuiner Epilepsie, 179 Neurasthenikcr, 56 Hysterien usw. Nach den Er- 
fahrungen des Verf.’s ist die Zahl der psychischen und nervosen Erkrankungen 
im Felde im ganzen als eine verhaltnismaBig kleine zu bezeichnen. 

481) tlber praktische und theoretische Ergebnisse aus den Erfahrungen an Hirn- 
sohufiverletzten, von Kurt Goldstein und Frieda Reichmann. (Ergebnisse 
der inneren Medizin u. Kinderheilkunde. XVIII. 1920; Verl. v. J. Springer- 
Berlin.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Verff. berichten iiber die praktischen qjid theoretischen Ergebnisse aus 
den an Hirnverletzten gewonnenen Erfahrungen auf Grund eigener Untersuchungen 
sowie unter Beriicksichtigung der Literatur. Es sei auf das Original und die ini 
Neurol Centr. erschienenen Referate iiber die Gold stei n- Reich man n scheii 
Arbeiten verwiesen. 

482) Studien iiber das Verhalten des Liquors und der Medulla oblongata bei frischen 

Schadelschiissen, von Fritz Kroh. (Bruns’ Beitr. z. klin. Chir. CXIX. 1920. 
Heft 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Bei frischen Schadelschiissen fand Verf. schon in der ersten halben Stunde 
nach der Verletzung EiweiBanreicherung des Liquors als typische unmittelbare 
Reaktion der liquorproduzierenden Organe auf das stattgehabte Trauma. Ein 
gewisser therapeutischer EinfluB der Liquorentleerung zeigte sich jedesmal in der 
schnellen Reduktion der subjektiven Beschwerden, die meist schon innerhalb 
der ersten 24 Stunden abklangen. Der Lumbaldruck war um das 2 bis 3 f ache 
erhoht. Keine Zeichen Von stattgehabter Blutung im Liquor. Bei der in 4 Fallen 
erfolgten Freilegung der Dura fand Verf. subdural 2mal eine stark spannende, 
wasserklare bzw. grau durchscheinende Flussigkeit, deren EiweiBgehalt holier 
war als der des Lumbalpunktates und deren Masse groB genug, um die Hirn- 
pulsation im Bereich der Operationswunde aufzuheben (umschriebene adhasive 
Hirnhautentzundung traumatischen Ursprungs?). Noch nach Wochen ist der 
Liquordruck erhoht, der EiweiBgehalt desselben vermehrt; der intrakranielle 
EntziindungsprozeB ist demnach innerhalb der ersten Wochen nach der Ver¬ 
letzung nicht als abgeschlossen zu betrachten. Der ,,allgemeine Hirndruck“ ist 
die Reaktion der Medulla oblongata auf irgendwelchen Reiz (Kompression, 
mechanischer Insult, Zirkulationsstdrung [Ischamie]). Die klassischen Symptome 
sind Storungen des BewuBtseins, der Puls- und Atmungsfrequenz, Blutdruck- 
steigerung, Brechneigung. Das Bild der Gehirnerschiitterung ist aller Wahr- 
scheinlichkeit nach auf die mechanische Reizung bzw. auf Zirkulationsstorungen 
der Oblongata zuriickzufiihren. 

488) ttber Spattod nach Schadelverletzungen, von Hans Weise. (Deutsche med. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 16.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall 1. 3V 4 Jahr nach Gesichtstrauma akute Erkrankung unter zerebralen Sym- 

ptomen. In der Zwischenzeit gait Pat. als geheilt. Operation. Exitus. Sektion ergab 
Meningitis. 

Fall 2. Kopfverletzung. Dann chronische Kopfschmerzen mit Zeiten relativer 
Heilung. Jahr nach der Verwundung Exitus an HirnabszeB. 


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Fall 3. KopfschuB. Dann g. v. zur Truppe. Kopfschmerzen, dann relatives Wohl- 
befinden. 3 / 4 Jahr nach der Verwundung akute Erkrankung unter Himerscheinungen. 
Exitus. Sektion ergab Meningitis und enzephalitische Erweichung mit Durchbruch in 
die Ventrikel. 

Die Prognose aller Schadelschusse, auch der harmlosesten, ist demnach immer 
sehr vorsichtig zu stellen; bei scheinbar volliger Heilung mull immer die Mog- 
lichkeit des plotzlichen Wiederaufflackerns der Infektion mit ihren letalen Folgen 
befiirchtet werden. Daher Vorsicht bei Aufnahme der Schadelverletzten in eine 
Lebens versicherung! 

484) Emi-anidrosi ed emi-iperidrosi spinali nella sindrome del Brown-S6quard, per 

G. A. Pari. (Riv. crit. di clin. med. XXI. 1920. Nr. 13.) Ref.: W. Misch. 

In einem Falle von Schullverletzung des Halsmarks mit Brown-S6quardschem 
Symptomenkomplex fanden sich Anomalien der SchweiBsekretion, die denen im Tier- 
experiment durchaus entsprachen. Es fand sich zunachst eine gesteigerte SchweiBsekretion 
auf der Seite der Lasion infolge von Hemihyperhidrosis dieser Seite (Periode der SchweiB- 
reizung), spater eine starkere SchweiBsekretion auf der entgegengesetzten Seite infolge 
von Hemihypohidrosis oder Hemianhidrosis der der Lasion gleichen Seite (Periode der 
Schweifilahmung). 

485) Case of spastic quadriplegic following injury of the spinal cord in the upper 
cervical region, showing certain unusual reflex phenomena, by F. Buzzard 

and G. Riddoch. (Proceed, of the roy. soc. of med. XIII. Nr. 3; Sect, of 
neurol. 1920. p. 44.) Ref.: W. Misch. 

SchuBverletzung des Nackens: SteckschuB; EinschuB dicht hinter dem linken Pro¬ 
cessus mastoideus. Sofortige Lahmung und Sensibilitatsverlust an Rumpf und alien vier 
Extremitaten; anfangs auch Sprach- und Atemstorungen sowie Urinretention. Nach 
einer Woche WiUkiirbewegungen der rechten groBen Zehe, 3 oder 4 Wochen spater auch 
der linken moglich; in den unteren Extremitaten nahm die Bewegungsfahigkeit standig 
zu; nach 2 Monaten begann das Grundgelenk des rechten Daumens sich zu bewegen; auch 
die Sensibilitat besserte sich standig, und die Willklirentleerung von Blase und Mastdann 
wurde auch wieder moglich. SchluBbefund: Rechte Pupille weiter als die linke, welch 
letztere auf Lichteinfall trage reagiert. Lidspaltenverengerung links. Alle Bewegungen 
konnen willkiirlich ausgefuhrt werden; die unteren Extremitaten sind besser als die oberen, 
und die rechte Seite besser als die linke. Beeintrachtigung aller Bewegungen durch die 
Hypertonie. Mitbewegungen der Arme beim Beugen der unteren Extremitaten gegen 
Widerstand. Gehen auf kurze Entfernungen ohne Unterstiitzung moglich, obwohl das 
Gleichgewicht infolge der allgemeinen Steifigkeit etwas gestort ist. Bei Erschrecken treten 
unwillkiirliche Bewegungen auf, von denen eine folgendermaBen beschrieben wird: Plotz- 
licher heftiger Spasmus mit Adduktion und Innenrotation der Schulter, Extension des 
Ellenbogens, extremer Pronation des Vorderarms und Hyperextension und Adduktion 
der Finger, wobei sich der Zeigefinger unter den Mittelfinger und der kleine Finger unter 
den Ringfinger legt, der Daumen wird adduziert und opponiert unter Hyperextension der 
Endphalanx. Alle Sehnenreflexe waren auBerst gesteigert. Bei Bestreichen der FuB- 
sohle tritt gleichseitiges Beugephanomen mit gekreuztem Streckreflex ein. Bei Bestreichen 
der Handflache erfolgt Extension und Rotation des Armes. Sensibilitatsstbrungen be- 
standen noch immer an Rumpf, oberen und unteren Extremitaten, Lage- und Gelenk- 
empfindung waren besonders schwer geschadigt. Blase und Rectum waren intakt. 

486) Uber Myositis ossificans neurotica nach SchuBverletzung des Riickenmarks, von 

Arthur Israel. (Fortschr. auf d. Gebiete der Rontgenstrahlen. XXVII. 1920. 
Heft 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

SchrapnellschuB ins Ruckenmark (Hohe des 9. Brustwirbels). Paraplegie mit In¬ 
continentia urinae et alvi. Mehrere Monate spater dumpfes Gefiihl in der rechten Hiifte, 
Verhartung unter der rechten Leistenbeuge. Das Rontgenbild erweist diese Verhartung 
als eine Myositis ossificans, die Verf. als neuropathisch entstanden (tropboneurotisch) 
ansieht. 

487) Lesione della 3 a radice lombare per ferita d’arma da fuoco, per Modena G. 
Bonarelli. (Riv. di Pat. Ner. e Ment. 1918. Fasc. 1.) Ref.: C. Frank(Rom). 

Ein interessanter und griindlieh studierter Fall von isolierter traumatischer Lasion 
der 3. Lumbalwurzel. 


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488) Sindrome dei quattro ultimi nervi encefalici. Contribute clinico alio studio 
dell’ innervazione cranica, per A. Roccavilla. (II Policlinico. XXVII. 1920. 
Nr. 8.) Ref.: W. Misch. 

Mitteilung zweier Fall©. In dem ersten Falle, der 43 Monate lang beobachtet wurde, 
war eine SchuBverletzung in der Weise eingetreten, daB das Projektil offenbar am Foramen 
jugul&re entlang gezogen war, ohne daB wichtige GefaBe verletzt worden waren. Nacb 
anfanglicher hef tiger Shockwirkung mit hemibulbarem Syndrom war allmahlich ein Dauer- 
zustand eingetreten, der folgende Erscheinungen auf der linken Seite aufwies: 1. Lahmung 
des Glossopharyngeus: Ageusie des hinteren Zungendrittels und Lahmung des Constrictor 
sup. pharyngis; 2. Lahmung des Vagus: Hemihypasthesie des Gaumensegels, Hemianasthesie 
von Pharynx und Larynx, kardiovaskulare, respiratorische und Magenstorungen; 3. Ac- 
cessoriuslahmung: a) des Ramus internus: Hemiplegie des Gaumensegels und des Larynx, 
b) des Ramus externus: Lahmung des Sternocleidomastoideus und Trapezius; 4. Hypo- 
glossuslahmung: Lahmung der linken Zungenhalfte mit Hemiatrophie, Lahmung der 
Mm. infrahyoidei und geniohyoidei mit Atonie des Larynxhebers, Hypotonie und Verdunnung 
des Mundbodens. — Im zweiten Falle bestand ebenfalls eine L&hmung der vier Ietzten 
Himnerven, kompliziert durch eine Lasion des Ramus mandibularis trigemini, die als 
einziges Restsymptom definitiv zunickblieb. 

489) Periphere Zungenlahmung nach SchuBverletzung, von FritzPeyser. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chirurgie. CLVIII. 1920. H. 3 bis 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von doppelseitiger Verletzung des N. hypoglossus, beiderseits peripherwarts 
vom Abgang des Ramus descendens (Unterzungenbeinmuskulatur intakt). Verletzt waren 
ferner N. lingualis und Aste des Glossopharyngeus (Geschmacksstorungen), beide Nn. man- 
dibulares (Sensibilitatsausfall). Zunge vollig gelahmt, weich, schlaff, stark atrophisch, 
Sprechen anfangs unmoglich, spater langsam, miihsam, abgehackt. Komplette Ent- 
artungsreaktion in der rechtsseitigen Zungenmuskulatur. 50°/,> erwerbsbeschrankt. 

490) Die Fufispur. Ein Beitrag zur Kenntnis der Ischiadicusverletzungen im 
Kriege, von Hans Rudolf Schinz. (Aus: Zur Diagnose und Behandluug 
der Spatfolgen von Kriegsverletzungen. Verl. v. Rascher u. Co., Ziirioh 19J9. 
VI. Lieferung.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. beobachtete 35 Falle von Ischiadicus-, Peronaeus- oder Tibialis-Nerven- 
verletzungen. Oft trafen Oberschenkelschiisse nur einen Ast des Ischiadicus, 
gewohnlich den Peronaeus; der dicht daneben liegende Tibialis blieb unverletzt. 
Beide Nerven sind oft schon beim Austritt aus dem Foramen ischiadicum getrennt 
und voneinander mechanisch isolierbar. Der N. peronaeus ist aber leichter ladierbar 
als der Tibialis. Kein Patient hat iiber Schmerzen im Moment des An- oder Ab- 
schusses des Nerven geklagt. Spontane Besserung der Lahmung war selten. Fur 
die Symptomatologie ist von Wert der FuBabdruck, die FuBspur, wie sie fiir ortho- 
padische Zwecke zur Charakterisierung gewisser FuBformen verwendet wird. 
Trotzdem das FuBgewolbe nicht mehr durch Muskeln gehalten wird, tritt kein 
PlattfuB ein; die Planta pedis beriihrt nur mit der Ferse, einem ganz schmalen 
auBeren FuBrand und dem GroB- und Kleinzehenballen den Boden. Nie zeigt 
sich ein Einsinken des FuBgewolbes, nie ein Plattwerden des FuBes, trotzdem das 
FuBgewolbe lange Zeit annahernd normal mit dem Korpergewicht bei totaler 
Lahmung samtlicher Muskeln unterhalb des Kniegelenks belastet wurde. Die 
Beriihrungsflache mit dem Boden ist aber kleiner infolge Atrophie der kleinen 
Plantarmuskeln, und der FuBabdruck macht uns rasch diese Atrophie sichtbar; 
der FuBabdruck wird eben in erster Linie durch die Weichteile bestimmt. Dem- 
nach konnen wir aus dem FuBabdruck eine Tibialislasion an der Atrophie der 
Sohlenmuskulatur erkennen. Ob dabei der ganze Ischiadicus getroffen ist oder 
nur der Tibialisast, konnen wir nicht unterscheiden. Bei Peronaeuslahmungen 
ist die FuBsohle intakt. Der FuBdruck kann uns davor hiiten, einem Patienten 
Simulation vorzuwerfen, er kann der einzig objektive Beweis fur Klagen uber 
Miidigkeitsgefiihl im FuB nach einer Nervenverletzung sein. 

Trophoneurotische Storungen der Haut sind nach Ischiadicusverletzung 


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haufig, auch Malum perforans kommt vor, desgleichen trophische Storungen an 
der Muskulatur (Atrophie). Der FuB ankylosiert moistens nicht, weil der Patient 
auf dem gelahmten FuB geht und steht und diesen dadurch redressiert. 

491) Schufiverletzungen der peripheral Nerven und deren operative Behandlung, 

von Preleitner. (Wiener klin. Wochenschrift. 1920. Nr. 37.) Ref.: Pilcz. 

42 eigene Falle. Arbeit von wesentlich chirurgischem Interesse. Beztiglich 
neurologischer Punkte schlieBt sich Verf. hauptsachlichst den Publikationen von 
Marburg-Ranzi und von Wexberg an (vgl. d. Centr. 1919. S. 596). 

Durch einen ausfiihrlicher mitgeteilten Fall wird wieder bestatigt, daB eine 
absolute elektrische Reaktionslosigkeit noch immer nicht eine komplette Nerven- 
durchtrennung anzeigt; es kann sich gelegentlich dabei nur um Folge starker 
Nervenkompression handeln. 

Fiir die Vornahme der Nervenoperation gibt es kaum eine zeitliche Grenze, 
vorausgesetzt, daB die zugehorigen Muskel noch aktions- oder wenigstens noch 
kontraktionsfahig sind. 

492) Die Nervenschiisse, von Rudolf Geinitz. (Ergebnisse der Chirurgie u. 
Orthopadie. XII. J. Springers Verlag, Berlin 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Genaue Ubersicht liber unsere heutigen Kenntnisse und Anschauungen be- 
treffs Symptomatologie, Diagnose, De- und Regeneration sowie Therapie der 
Nervenschiisse. 

493) Erfahrungen bei 240 Nervenoperationen, von Oskar Zeller. (Berliner klin. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 17/18.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. beginnt mit der Anzeige zur Operation und empfiehlt dringend die Frtih- 
operation. Die neurologische Untersuchung ftihrt dabei aber dadurch irre, daB 
trotz volliger Nervendurchtrennung die direkte faradische Erregbarkeit der Muskeln 
noch erhalten ist, was zuweilen ein Zuwarten notwendig macht. Kein ungebesserter 
Fall von chirurgisch erreichbarer Nervenverletzung darf entlassen werden, ohne 
daB der Versuch gemacht ist, durch die Operation giinstigere Bedingungen fiir 
die Restitution zu schaffen. Arthrodesen und Sehneniiberpflanzungen diirfen 
nicht vorgenommen werden, bevor sich die Wiederherstellung der Nervenleitung 
als aussichtslos erwiesen hat. 

Die Indikationen zur Operation sind aber nur dann berechtigt, wenn durch 
sie kein Schaden gestiftet wird. Das Risiko der sachgemaBen Friihoperation 
ist gering. Besondere Vorsicht erfordert die Erhaltung der Seitenaste. Die vollige 
Auslosung des Nerven, die Befreiung desselben von schwieligem Narbengewebe, 
sowie die Ausschneidung von schwieligen Narben ist neben aseptischer Wund- 
heilung das Haupterfordernis fiir einen guten Erfolg. Der geloste Nerv muB, 
wenn irgend moglich, in normale Weichteile gelagert, sonst am besten mit ge- 
stieltem oder frei transplantiertem Fettgewebe umhullt werden. Einen Fort- 
schritt bedeutet fiir manche Falle S toff els Neurolyse. Von groBter Wichtigkeit 
ist nach der Freilegung am anatomisch nicht durchtrennten Nerven die Besich- 
tigung und Beurteilung, ob Resektion erforderlich ist. Verf. schildert genau die 
von ihm befolgten Grundsatze. 

Die Regeneration gebraucht viel Zeit. Verf. beschreibt dann mit einigen 
Worten die Umscheidung, die besonders in Fallen von Bedeutung ist, die nicht 
ganz aseptisch sind, und beschreibt kurz die NervenschuBschmerzen und die 
trophischen Storungen. 

In einem Falle versuchte Verf. zerrissene Fasern der Cauda equina zu nahen, 
wobei er eine gewisse Besserung erzielte. In zwei Fallen sah er Lahmungen des 
Nerv. glut. sup. bzw. des Musculus glutaeus medius. 

494) The electrical stimulation of nerves at operation, by N. H. M. Burke. (Lancet, 
CXCVIII. 1920. Nr. 14.) Ref.: W. Misch. 


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Es wird liber die Erfahrungen berichtet, die mit elektrischer Nervenreizung 
walirend der Operation in einer Reihe von 80 Fallen gemacht wurden. Die Erreg- 
barkeit des Nerven muB oberhalb und unterhalb der Lasionsstelle gepriift werden, 
und zwar sowohl vor wie nach der Losung des Nerven aus Narbengewebe oder 
Verwachsungen. Am besten eignet sich zur Priifung eine kleine bipolare Elek- 
trode. Unter den erhaltenen Resultaten sind folgende hervorzuheben: Keine 
Reizantwort wird bei alien Fallen von volliger Durohtrennung erhalten; schwere 
Lasionen bis zur Zerstorung von mehr als der Halfte des Nervenquerschnitts 
geben verminderte Reizantwort. Das Eintreten einer Muskelkontraktion auf 
Reizung des zentralen Nervenendes beweist nicht nur die Leitfahigkeit in der 
verletzten Partie, sondern auch im ganzen peripheren Teil des Nerven; trotzdem 
kann die Erregbarkeit im peripheren Teil herabgesetzt oder ganz aufgehoben sein, 
auch wenn der Nerv einen Reiz vom zentralen Teil aus weiterleitet. Die Narben- 
falle umfassen solcfce ohne makroskopische Fasertrennung bei mehr oder weniger 
starker Bindegewebsbildung um den Nervenstamm: in 19 von 26 Fallen war die 
Leitf&higkeit, in 20 von 31 Fallen die Erregbarkeit erhalten, und beides wurde 
in der Regel durch Neurolyse gebessert. Nur bei leidlich gesundem Nerven erfolgt 
Kontraktion der gesamten von ihm versorgten Muskelgruppe, sonst tritt meist 
nur Kontraktion von zwei oder drei groBeren Muskeln ein; dies beeintrachtigt 
die Schatzung des Nervenzustands bei partieller Trennung, da die erhaltene Kon¬ 
traktion nicht notwendig anzeigt, daB keine Fasern durchtrennt sind. Um das 
tTberspringen des Reizes auf benachbarte Nerven zu vermeiden, wird empfohlen, 
den zu priifenden Nerven anzuschlingen. Flir die Beurteilung des Nervenzustandes 
nach der Operation sind folgende Satze wichtig:. Leitfahigkeit des Nerven, ebenso 
wie Erregbarkeit unterhalb der Lasionsstelle laBt auf Erhaltensein der physio- 
logischen Kontinuitat der Nervenfasern schlieBen; Besserung derselben un- 
mittelbar nach der Neurolyse weist auf lediglich leichte Kompression hin; Fehlen 
derselben auch nach der Neurolyse zeigt nicht unbedingt eine Durchtrennung an, 
ist aber ein Zeichen ziemlich schwerer Nervenstorung. 

495) The clinical signs of nerve injury and regeneration, by L. J. Pollock: (Surg. 
gynecol. and obstetr. XXX. 1920. Nr. 5.) Ref.: W. Misch. 

An einem groBen Material von NervenschuBverletzungen wird versucht, die 
Kriterien fur die Schwere der Lasion und die Aussichten der Regeneration ab- 
zuleiten. Yon alien Regenerationserscheinungen sind die einzigen sicheren das 
Verschwinden der Entartungsreaktion, die Riickkehr der objektiven Sensibilitat 
im Versorgungsgebiet des Nerven und die Riickkehr der Motilitat. Die sensiblen 
und motorischen Zeichen sind die einzigen konstant vorhandenen. Alle anderen 
Zeichen wie das Verhalten der Atrophien und des Tonus, die trophischen Storungen 
konnen nur als Hilfsmittel benntzt werden. 

496) ttber SchuBneuritis nachNervenschiissen, von Heinrich Schloessmann. (Er- 
gebnisse der Chirurgie u. Orthopadie. XII. J. Springers Yerlag, Berlin 1920.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Obersicht iiber unsere heutigen Kenntnisse und Anschauungen betreffs der 
SchuBneuritis, deren Begriffsbestimmung, Vorkommen und Haufigkeit, Ent- 
stehungsweise und Einteilung, klinische Erscheinungen und Verlauf, patholo- 
gische Anatomie und Behandlung. Beriicksichtigung von 84 Arbeiten der Literatur. 

497) tfber die Ergebnisse der Behandlung von Schufineuritiden mittels Diathermic, 

von Schwalbach und Bucky. (Miinchener med. Wochenschrift. 1920. 
Nr. 37.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Verff. wandten langere Zeit hintereinander Diathermie bei 51 Fallen 
von SchuBneuritis an. 36% Heilungen, 62% gebessert, 2% ungeheilt. Longi- 


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tudinalapplikation. Moglichst hohe Stromintensitat. 20 Minuten Behandlungs- 
dauer. Oft anfangs Verschlimmerung. 

498) The Effects of Radium Treatment on War Injuries in the Neighbourhood of 
Nerves, by Stevens on. (Brit. med. Journ. 1920. 26. Juni.) Ref.: SchreibeT. 
Bei leichteren Nervenverletzungen, wie auch nach Nervenoperationen 

empfiehlt sich die Behandlung der Narbe mit Radiumemanation. Radium fordert, 
bzw. beschleunigt die Wiederkehr der Funktion eines Gliedes, auBerdem ver- 
bessert es die Ernahrung des von dem betreffenden Nerven versorgten Gebietes. 

499) Gliederschwund nach Nervenschufi, von Eugen Cohn. (Berliner klin. Wochen- 
schrift. 1920. Nr. 29.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Fall von DurchschuB durch den linken Oberarm mit Nervenquetschung. 
Es trat zunachst eine unvollstandige Lahmung des Ellennerven ein. 3 Wochen 
spater zeigten sich Blaschen an den vom Ulnaris versorgten Gebiet, die sich zu 
oberflachlichen Geschwuren entwickelten. Mit der Zeit schwanden das Endglied 
des kleinen Fingers und das halbe Mittelglied, auch die Knochen der Mittelglieder 
und Grundglieder erschienen verdiinnt und durchlassiger. Dann kam der ProzeB 
zum Stillstand, und die Lahmung ging zuriick. Das Rontgenbild ist beigegeben. 
Es handelt sich nicht um entzundliche Prozesse, sondern um trophische Storungen. 

500) Le acroparalisi e le contratture di guerra sono curabili? per Roussy, 
Boisseau e d’Oelsnitz. (Riv. di Pat. Nerv e Ment. 1918. S. 361.) Ref.: 
C. Frank (Rom). 

Die Verff. betrachteten die meisten Kriegslahmungen der Glieder als pithiatisch 
(Babinski), weshalb sie die suggestive Behandlung und Prophylaxe riihmen. 

501) Uber die psychopathische Konstitution bei Kriegsneurosen, von Fritz Frankel. 
(Monatsschr. f. Psych, u. Neur. XLVII. 1920. Heft 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. untersuchte 72 Kriegsneurosenfalle aus dem Jahre 1916 auf ihre fur 
die psychopathische Konstitution sprechenden Ziige; er teilt sein Material in 
7 Gruppen ein: 1. Imbezille, 2. Haltlose, 3. Verschrobene, 4. konstitutionell Er- 
regte, 5.‘ Neurasthenische, 6. Sensitive, 7. Cyklothyme und Depressive, und kommt 
zu folgendem Ergebnis: Die endogene Anlage, die psychopathische Konstitution 
ist der bestimmendste der Faktoren, die fur die Entstehung einer Neurose in 
Betracht kommen. Ihm gegeniiber werden die exogenen Einfliisse zu Neben- 
sachlichkeiten, die hochstens Bedeutung fiir die Lokalisation und die Form der 
Neurose gewinnen. Der Krieg hat es zur Evidenz gebracht, daB die Zahl der regel- 
widrigen Personlichkeiten, die es gibt, die friiheren Annahmen weit ubersteigt. 
Unsere organische Struktur ist kraftig genug, auch AuBergewohnliches schadlos 
zu uberwinden; das Versagen des Neurotikers ist nicht durch die Wucht der Er- 
eignisse, sondern durch die Labilitat seines Ichs bedingt; und gerade, weil die 
Zeit ein so groBes MaB von Hilfsbereitschaft und Mitleid fiir die Fiille ihrer Opfer 
fordert, ist ein zielbewuBtes Vernachlassigen jener Reaktionen helfender als ein 
endloses Bejammern. Kiinftig wird jedoch vertiefte Erkenntnis dahin fiihren, 
besser sondern zu konnen und von vornherein von offentlichen Aufgaben ge- 
fahrlicher Art und iibergroBer Verantwortlichkeit die fern zu halten, denen die 
Natur eine zu geringe Widerstandskraft verliehen hat. 

502) DasHysterieproblemim Lichte der Kriegserfahrungen, von Otto Binswanger. 
(Schweizer. med. Wochenschrift. 1920. Nr. 33.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der Krieg hat gezeigt, daB die Hysterie nicht nur auf dem Boden einer kon- 
stitutionellen Veranlagung emporwachst, sondern daB auch bislang vollig nerven- 
gesunde, konstitutionell nicht veranlagte Individuen unter dem EinfluB besonderer 
Schadlichkeiten hysterisch erkranken konnen. ,,Der hysterische Grundzustand, 
die hysterische Veranderung besteht in einer eigenartigen krankhaften Verschiebung 


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des dynamischen Gleichgewichtszustandes der seelischen Vorgange, durch die 
einzelne Psychismen, d. i. Gruppen inhaltlich zusammengehoriger seelischer Er- 
eignisse, einen iiberwertigen, andere einen unterwertigen Charakter im dynamischen 
Betriebe erlangen. Dadurch wird die Einheitlichkeit, der innere Zusammenhang 
der Psychismen unter sich gelockert oder aufgehoben.“ Die psychischen Schad- 
lichkeiten, welche diesen krankhaften seelischen Grundzustand und damit auch 
die hysterischen KrankheitsauBerungen hervorrufen, beruhen auf schreckhaften 
Erlebnissen („Fronthysterie“, ,,akute Hysterisierung £< mit folgender hysterischer 
Fixierung der Schreckfolgen), auf seelenverderbenden Ubertragungen wahrend des 
Lazarettaufenthaltes, auf Nachahmung, Verbalsuggestion (Unterhaltungen zwischen 
den Patienten, unbeabsichtigte Verbalsuggestion seitens des Lazarettarztes), auf 
dem Wunsche, von den weiteren Erlebnissen des Krieges verschont zu bleiben. — 
Im Gegensatz zur akuten Hysterisierung, wo ein Affektshock zuerst die Spaltung 
der Personlichkeit und damit zusammenhangend die Determinierung und Fixierung 
hysterischer psycho-physiologischer Reaktionen und Auslosungen bewerkstelligt, 
vollzieht sich bei den Lazaretthysterien gewissermaBen der umgekehrte Weg der 
Entwicklung: Erst findet auf Grund bestimmter Affekte, Vorstellungen und 
Willensrichtungen eine Art Verstarkung und Stabilisierung von MiBempfindungen 
und Unlustreaktionen, von Ubertragungen dieser affektiv gespeisten seelischen 
Antriebe auf korperliche Vorgange und Verrichtungen statt. Die Abspaltung 
von der Einheitlichkeit der seelischen Vorgange, die Verselbstandigung dieser 
psychologisch bedingten und kdrperlich in Erscheinung tretenden Vorgange, ist 
hier die Folge einer andauernden seelischen Beeinflussung in verkehrter, schad- 
licher Richtung. 

Die seelischen Gegenwirkungen gegen die Gesundung der Kriegshysterien 
sind in dem mangelnden Gesundheitswillen und in der Gewohnung an die Krankheit 
und daran anschlieBend vielfach in der Begehrung einer Rente oder Abfindungs- 
summe gelegen. 

In praxi ist nach folgenden Grundsatzen zu verfahren: 

1. Ist es ein- oder mehrmals gelungen, einen Hysteriker restlos fiir langere 
Zeit symptomfrei zu machen, so liegen keine in den hysterischen Krankheits- 
erscheinungen beruhenden Griinde mehr vor, eine Rente zu bewilligen, selbst 
wenn in der Zwischenzeit oder bei der Untersuchung wieder Krankheitszeichen 
vorhanden sind. Es kann nicht die Absicht der Gesetzgebung sein, jemand flir 
seine spateren absichtlich hervorgerufenen, zu bestimmten Zwecken gewollten 
,,Riickfalle“ zu belohnen. 

2. Der hysterisch Erkrankte, der die Restbestande an urspriinglich hysterischen 
Krankheitsvorgangen meist abgeandert und entstellt freiwillig, d. h. aus bewuBtem 
Krankheitswillen, weiter mit sich herumschleppt, der, um es deutlich zu sagen, 
aus Arbeitsscheu und Rentenbegehrung sich absichtlich*nicht heilen lassen will, 
hat keinen Anspruch auf Entschadigung. Die Wege zur endgiiltigen Heilung 
miissen ihm aber offen gehalten werden. 

503) Die verschiedenartige Psychogenitat der Kriegsneurosen, von 0. Pfister. 
(Int. Zeitschr. f. arztl. Psychoanalyse. V. 1919. Nr. 4.) Ref.: Max Marcuse. 

Aus der Psychoanalyse eines 22jahr. Angsthysterikers, der nach schwersten Schreck- 
erlebnissen im Felde in Gefangenschaft geraten war, und der namentlich an Pavor noc- 
tumus litt, glaubtVerf. den Beweis herleiten zu konnen, „daB es neben der Ichtriebs- auch 
eine tlbertragungskriegsneurose gibt“. Trotz haufiger Mischformen sollen diese zwei Arten 
der Kriegsneurose auseinandergehalten werden. 

504) Ein Beitrag zur Kriegshysterie auf Grund von Feld- und Heimatsbeob- 
achtungen, von K. Finkenrath. (Inaug.-Diss. Marburg 1920, Joh. Hamel.) 
Ref.: Max Marcuse (Berlin). 

XL. (Erg&nzungsband.) 21 


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Ohne belangvolle Bereicherung des bereits vorliegenden Materials werden 
doch die schon bekannten Beobachtungen und Erfahrungen, soweit sie fiir die 
Pathogenese, insbesondere die Psychogenese aufschluBreich sind, besonders an- 
schaulich und ansprechend gesichtet und gewiirdigt. Die Verschiedenheit in der 
Auffassung der Atiologie, namentlich bezuglich der Bedeutung exogener und 
endogener, organischer und funktioneller Momente, — die gefiihlsbetonten Vor- 
stellungen als Krankheitsursache, — der Weg zum Krankheitswillen, — sexuelle 
Motive der Frauen, Frontangst beim Soldaten, — die Beziehung der Behandlungs- 
erfolge zur Art der Auffassung der Genese, — die Unterschiede der Prognose vor und 
zu Beginn und am Ende des Krieges, — und vor allem das Problem der sozialen Hei- 
lung und der Bedeutung von Gesetzgebung, Recht, Strafe, Sitte und religioser Be- 
einflussung, — alle diese Zusammenhange werden verstandnisvoll aufgezeigt. Die 
gedankliche Selbstandigkeit, die bei der Beurteilung des menschlichen Gehaltes 
dieser Probleme zum Ausdruck kommt, geht iiber das bei Dissertationen gewohnte 
MaB hinaus und beriihrt sehr aktuelle Fragen. DaB eine Scharfung der sozialen und 
sittlichen Yerantwortlichkeit auch imKampfe gegendas defekte Gesundheitsgewissen 
notwendig ist und daB dabei die religiosen Krafte des Menschen zur sozialen 
Gesundung des Asozialen mitbenutzt werden sollen oder miissen, — darin bat Verf. 
vollig recht; auch daB die Bedeutung religioser Beeinflussung der Massen heut- 
zutage ganz und gar unterschatzt wird, ist durchaus richtig. DaB diese Bedeutung 
aber unter alien Umstanden eine ,,ungeheuer wertvolle“ sei, daB vor allem die 
Kirchen immer diese wertvolle Arbeit leisten und vollends, daB dies aus der 
Moralstatistik erweislich sei, — das freilich wird fiiglich in Zweifel gezogen 
werden diirfen. Die Moralstatistik ist iiberhaupt kein wissenschaftlich 
brauchbares Beweismittel. 

505) Postbellum neuroses. A clinical review and discussion of their mechanism, by 

H. W. Wright. (Arch, of neurol. and psychiatry. III. 1920. Nr. 4.) Ref.: 
W. Misch. 

Es werden fiinf Gruppen von Nachkriegsneurosen unterschieden: 1. Primare 
neuropathische und psychopathische Zustande, einschlieBlich konstitutioneller 
Neurasthenie, Psychasthenic, emotioneller Unbestandigkeit und paranoider Zu¬ 
stande. 2. Sekundare neurasthenische Zustande nach Influenza, Pneumonie 
oder anderen Infektionen, oder nach korperlicher ErsChopfung, oft kompliziert 
durch Thyreotoxikose, Myodegeneratio cordis, Tuberkulose oder Amoeben- 
dysenterie. 3. Leute, die ihre Leiden simulieren oder iibertreiben, indem sie sie 
als durch den Krieg verursacht schildern und sich unfahig erklaren, ihre vor dem 
Kriege gewohnte Arbeit wieder aufzunehmen; diesen Leuten wird sehr geschadet 
durch die Artikel der Tagespresse iiber die Psychologie des heimgekehrten Sol¬ 
daten; sie gehoren groBtenteils zur Gruppe der Hysteriker. 4. Verschleppte 
hysterische Symptome wie Lahmungen, Tremoren, Amblyopie usw. 5. Chronische 
Restzustande nach echten Gehirnerschiitterungen oder anderen Formen der 
Gehirnverletzung, die sich besonders durch Kopfschmerzen, Schwindel, Vaso- 
motoreniibererregbarkeit, Mangel an geistiger Konzentrationsfahigkeit und iiber- 
maBiger Reizbarkeit auBern. 

506) Ruckblick auf die Kriegsaphonien, von Ernst Barth. (Archiv f. Laryngol. 
XXXIII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Besprechung der Symptomatologie und Therapie der Kriegsaphonien. 

507) Neuropathia acustica. (Die Schadigung des Labyrinthes als atiologisches 
Moment im klinischen Bilde der sog. Explosionsneurosen), von Bronislaw 
Karbowski. (Monatsschr. f. Ohrenheilk. LIY. 1920. Heft 3.) Ref. : 
Kurt Mendel. 


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Das ganze klinische Bild der Kontusionsneurosen ist erklarbar durch Funk- 
tionsstorungender Ohrlabyrinthe. Die Symptome der motorischen Sphare inkl. 
Augenstorungen (Zwangsstellungen und Zwangsbewegungen der Augen, Diplopie, 
Polyopia monocularis), ebenfalls der Mutismus lassen sich •leicht deuten, wenn 
man die physiologischen Ergebnisse aus dem Gebiete der Labyrinthologie beriick- 
sichtigt. Die motorischen Symptome bei den sog. Explosionsneiirosen sind den 
Symptomenkomplexen sehr ahnlich, die bei Tieren nach Reizung oder Zerstorung 
des Labyrinthes anftreten. 

508) A Lecture on the Soldier’s Heart and War Neurosis: A Study in Symptomatology, 

by Mackenzie. (Brit. med. Journ. 1920. 10. u. 17. April.) Ref.: Schreiber. 

Fesselnde Studie iiber die verschiedenen Gruppen von Krankheitszeichen, 
insbesondere die Gruppe der reflektorischen Symptome, d. h. derjenigen, die ihre 
Entstehung der Einwirkung des erkrankten Organs auf das Zentralnervensystem 
verdanken. Zu kurzem Bericht nicht geeignet. 

508) Die funktionellen Harnblasenstorungen in ihrer Beziehung zur Erwerbs- 
minderung und Rentenversorgung, von Herhold. (Arztliche Sachverstand.- 
Zeitung. 1920. Nr. 14.) Ref.: Kurt Mendel. 

Simulation der Neurosen des Harnapparats kommt vor. Die eigentliche 
Harnblasen-Neurose tritt in 3 Formen auf: 1. seit Kindheit bestehende Dauer- 
inkontinenz (Rentenanspriiche abweisen! Nicht ins Heer einstellen!); 2. in der 
Kindheit bestanden derartige Storungen, dann verschwanden sie aber ganzlich 
im Pubertatsalter oder spater oder aber sie kehrten nur von Zeit zu Zeit voriiber- 
gehend wieder (meistens besteht neuropathische Disposition). Haufigste Form 
im Weltkrieg. Keine Rentenversorgung, denn bei nur einigermaBen gutem Willen 
kann die Blasenstorung durch Behandlung in diesen Fallen so weit beseitigt werden, 
daB der Zustand, wie er bei der Einstellung war, wiederhergestellt wird. Keine 
Erwerbsbehinderung. Nicht aus dem Heeresdienst entlassen, bevor nicht alle 
Mittel der Anstaltsbehandlung erschopft sind!; 3. bei bis dahin gesunden Leuten 
tritt unter dem EinfluB von Kalte und Nasse die Inkontinenz zum ersten Male 
in Erscheinung. (Folge der Hyperamie des Blasenhalses, die einen reflektorischen 
Sphinkterkrampf hervorruft.) Keine nennenswerte Beeintrachtigung der Erwerbs- 
fahigkeit. Keine Rentenversorgung, da Erwerbsfahigkeit unter 10°/ 0 beein- 
trachtigt und eventuelle psychogene Fixierung der Storungen ihren Grund in 
der hysterischen Veranlagung des Betreffenden hat. 

510) Krieg und Geistesstorungen, von Kraepelin. (Miinchener med. Wochenschr. 
1920. Nr. 43.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. macht auf die Abnahme der alkoholischen Geistesstorungen wahrend 
des Krieges aufmerksam und pladiert fur das Festhalten an dem geringeren Alkohol- 
gehalt des Bieres. 

511) Beitrag zur psychiatrischen Krankenbewegung im Kriege, von Wilhelm 
Kluth. (Psychiatr.-neurol. Wochenschrift XXII. 1920/21. Nr. 23/24.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Der Krieg fiihrte an der psychiatrischen Abteilung des Stadt. Krankenhauses 
Nurnberg zu folgenden Abweiehungen von der Friedenszeit: bei den Hysterikern 
und Psychopathen wurde besonders auf der Mannerabteilung ein starkes An- 
waohsen beobachtet. Bei den senilen Psychosen beiderlei Geschlechts trat ein 
maOiges Steigen der Aufnahmezahl in Erscheinung. Eine gewaltige Abnahme 
erfuhr der Prozentsatz der Alkoholistenaufnahmen auf beiden Abteilungen. 
AuBerdem gingen die Epileptikeraufnahmen auf beiden Abteilungen um ein 
Leichtes zurlick. Keine Anderung gegeniiber den Friedensjahren trat ein bei den 
Schizophrenen, Manisch-Depressiven und bei den luetischen und Intoxikations- 
psvchosen. 

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512) Etude 4 l’aide de photographies d’un cas de simulation de troubles mentaux 
pendant la guerre, par Eugene Gelma. (Revue neurolog., 1920. Nr. 3.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Ein* des Verlassens seines Postens angeschuldigter Soldat simulierte hart- 
nackig eine katatone Psychose. Ein gutes Verfahren zur Entlarvung der Simu¬ 
lation stellt die haufige Photographie, die Abbildung aller Haltungen, aller klinischen, 
vom Simulanten erfundenen Formen dar. Das Studium dieser Photographien, ihr 
Vergleich untereinander wird wichtige diagnostische Winke geben. Wahrseheinlich 
ware die Kinematographie noch besser zur Entlarvung von Simulation psyehischer 
StSrungen zu verwerten. 

518) Zur Psychopathologie der unerlaubten Entfernung und verwandter Straf¬ 
taten, von K. Kleist und F. Wissmann, (Allg. Zeitschr.f. Psych. LXXVI. 
1920. H. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der Arbeit liegen 54 Gutachten zugrunde. Es handelt sich darunter in 
der Mehrzahl (31 Falle) um Psychopathen. Yon ihnen sind Unstete, Reizbare, 
Phantasten und Angstliche in ungefahr gleicher Zahl zu den Delikten (vorwiegend 
Felddelikten) des Fortlaufens, der Fahnenflucht und der Selbstverstummelung 
clisponiert, in etwas hoherem Grade die Hysteriker. Wesentlich geringer ist aui- 
falligerweise die Zahl der episodisch Verstimmten (Fuguezustande), obwohl das 
Fortlaufen der Natur dieser Psychopathen am meisten entspricht. Auch Hypo- 
chonder, Hypomanische und Zyklothyme sind bedeutend seltener als andere 
Formen von Psychopathie. Konstitutionell Depressive fehlten unter den Fallen 
der Verff. ganzlich, desgleichen Zwangskranke, Hypoparanoiker, Neurasthenikei. 
Wiederholte unerlaubte Entfernungen wurden von 11 unter den 31 Psychopathen 
begangen. Nur 7 von den 31 waren im biirgerlichen Leben vorbestraft. lm 
allgemeinen kann man sagen, daB unerlaubte Entfernungen u. a. vorzugsweise 
von solchen Arten von Psychopathen begangen werden, bei denen Mangel in 
der Entwicklung des Willens, des Charakters und des Affektlebens im Sinne 
einer erhohten Labilitat desselben vorliegen, sowie von solchen Abnormen, die 
als angstliche Psychopathen eine besondere Widerstandsschwache gegeniiber 
den furchterregenden Kriegseindriicken aufweisen. — Psychopathen wurden 
im allgemeinen hochstens als gemindert zurechnungsfahig begutachtet. Nur 
unter besonderen Umstanden ist auf Unzurechnungsfahigkeit zu erkennen, bei 
25 Felddelikten war dies 12mal der Fall. Unter den 11 Heimatdelikten wurde 
nie Unzurechnungsfahigkeit angenommen, 3mal sprach sich das Gutachten fur 
voile, sonst fur geminderte Zurechnungsfahigkeit aus. 

Den Psychopathen folgen bezuglich der Haufigkeit der unerlaubten Ent¬ 
fernung und verwandter Straftaten die Schwachsinnigen (13 Falle). 

In einer kleinen Zahl von Fallen wurden diese Delikte — und zwar dann 
besonders schwere Straftaten — von ganz oder annahernd normal Veranlagten 
begangen, die im Kiiege nervose Schwachezustande erworben hatten (5 Falle). 

Die Motive der Delikte sind (in nahezu 2 / 3 der Falle) Furcht, (in fast 1 / z der 
Falle) Widerwille gegen den Dienst, ferner krankhaft endogene Beweggriinde. 
Unter den Delikten aus Furcht vor Kriegsgefahren lassen sich unterscheiden: 
angstvoll-triebhaftes Davonlaufen, besonnene Entfernung aus Furcht, Ent¬ 
fernungen infolge von autosuggestiv fixierter Uberzeugung, die Furcht nicht mehr 
bemeistern zu konnen. Bestimmend fur die Straftaten ist fast immer die Furcht 
vor kommender Gefahr, besonders vor Wiederholung derselben, vie] seltener 
Furcht in gegenwartigei Gefahr oder Schreck; nur wenige laufen unter ’dem 
EinfluB plotzlich entstehender Angst triebhaft davon. 

Reaktive Psychosen konnten nie mit Sicherheit als Ursache von Entfernungen 
und ahnlichen Straftaten angesprochen weiden, sie waren eher Folge der Delikte 


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(Furcht vor Strafe) und sind nacli Frontdelikten viel seltener als nach Heimat- 
delikten. 

Entfernungen aus Widerwillen gegen den Dienst wurden vorwiegend in der 
Heiniat und meist von Unsteten und Hysterikern begangen. Die Straftaten 
aus Furclit fanden sich mehr bei den Angstlichen, nervos Erschopften, Halt- 
losen und Phantasten. Doch besteht keine ausschlieBliche Beziehung zwischen 
bestimmten Motiven und bestimmten Arten seelischer Veranlagung. 

514) ttber die Feigheit, von Otto Lowenstein. (Allg. Ztschr. f. Psych. LXXVI. 

1920. H. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Zunachst bespricht Verf. die psychologisch-ethische Bedeutung der Feigheit. 
Der Begriff der Feigheit bezeichnet flir sich noch nicht einen bestimmten psy- 
cliischen Tatbestand, ist also nicht ein psychologischer, sondern ein ethischer 
Begriff, der aber von der besonderen Art ist, dafl ex fur seine Anwendbarkeit 
einen ganz bestimmten und eng umschiiebenen psychisehen Tatbestand voraus- 
setzt. Wo iiberhaupt allgemeine Normen fur das Handeln moglich sind, d.h. 
auf den Stufen der Sitte und der Sittlichkeit, da kann die Forderung der Be- 
tatigung aus Tapferkeit jederzeit durch den Willen des Qesetzgebers als Rechts- 
pflicht konstituiert werden. Die Verletzung dieser Rechtspflicht ware dann 
Feigheit, aber im juristischen, nicht im ethischen Sinne. 

Alsdann bespricht Yerf. die Paragraphen des Militarstrafgesetzbuches, welche 
Bestimmungen liber die Feigheit enthalten (§§ 49 und 84 bis 88). Feigheit im 
strafrechtlichen Sinne ist „Furcht vor personlicher Gefahr". Diese muB als 
Mo ti v der Dienstpflichtverletzung nachgewiesen sein, damit eine Verurteilung 
aus einem der Feigheitsparagraphen moglich wird. Es genfigt nicht, daB eine 
Dienstpflichtverletzung begangen wurde, wahrend allgemein der Gemiitszustand 
der Furcht bestand, selbst dann noch nicht, wenn diese Furcht die Yorstellung 
einer personlichen Gefahr begleitete. Die Dienstpflichtverletzung muB begangen 
werden aus Furcht vor der besonderen Gefahr, die die ErftUlung der Pflicht 
fHi* die Person des Ausffihrenden mit sich gebracht hatte. 

SchlieBlich wird die klinische Bedeutung der Feigheit besprochen. Der 
normale Furchtaffekt ist — unter der Voraussetzung eines nicht gestorten Geistes- 
zustandes — fiir sich allein niemals imstande, einen Zustand zu schaffen, der 
die Yoraussetzungen des § 51 erfiillt. Hingegen sind uns zahlreiche Furcht¬ 
zustande bekannt, die aus krankhaften psychisehen Bedingungen erwachsen 
und die dann als pathologische Furchtzustande zu bezeichnen sind. Die auf 
dem Boden echter Psychosen erwachsenen Furchtzustande erffillen die Voraus- 
setzungen des § 51 stets. Die auf dem Boden der sog. Grenzzustande erwachsenen 
Furchtzustande erfiillen diese Voraussetzungen seltener. Dagegen wird man 
haufig anerkennen mussen, daB Dienstpflichtverletzungen, die auf Grand dieser 
Furchtzustande begangen werden, ihrem Tatbestande nach nicht Feigheitsdelikte 
im Sinne des Gesetzes sind. 

515) Der Heimtransport von Geisteskranken im Kriege, von E. Rittershaus. 

(Psych.-neur. Wochenschr. XXI. 1919/20. Nr. 21/22.) Ref.: Kurt Mendel. 

Beschreibung eines Lazarettwagens zum Heimtransport von Geisteskranken. 
Derselbe ist einem Personenzug anzuhangen, ist fiir 10 Kranke (fur welche 2 Pfleger 
geniigen) bestimmt und soil ganz regelmaBig zwischen dem Orte des betreffenden 
Kriegslazarettes und einer bestimmten Irrenanstalt des Heimatsgebietes hin und 
her pendeln. Seine Inneneinrichtung, die genau beschrieben wird. gleicht im 
allgemeinen einem Wachsaal einer Irrenanstalt. Eine kurze Anweisung zur Be- 
handlung unruhiger Geisteskranker hangt an der Innentiir des Arzneimittel- 
schrankes (Morphium + Scopolamin bei plotzlichen Erregungszustanden und/ 
stark widerstrebenden Kranken, Luminal in Tabletten oder subkutan bei epilep-* 


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tischen Erregungszustanden usw.). Dieser Lazarettwagen hat sich durchaus be- 
wahrt. [DaB man im Felde doch nicht immer ganz ohne Zwangsmittel auskam, 
hat Ref. in seiner Arbeit: Psychiatrisches und Neurologisches aus dem Felde 
(dies. Centr. 1915, Nr. 1) gezeigt, indem er schrieb: „In einem Falle von Katatonie, 
den ich im Lazarett zu Compifegne unweit Paris behandelte und welcher mit 
schwersten Erregungszustanden, Nahrungsverweigerung und Urinverhaltung ein- 
herging, muBte ich mich allerdings zum Anlegen von Handfesseln entschliefien, 

-- im Vaterlande des Pinel, der einst die Geisteskranken von ihren Fesseln 

befreite!“] 

516) Bemerkungen zur Kriegsbeschadigtenftirsorge, von Karl Kroner. (Berliner 
klin. Wochem.chr. 1919. Nr. 34.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Die Bewilligung von Renten fur leichte Dienstbeschadigungen — bis 20 oder 
25% — lafit sich wirtschaftlich nicht rechtfertigen. Das jetzige Verfahren bildet 
uberdies eine Quelle dauernder Unzutraglichkeiten. Diese kleinen Renten sind 
daher zu beseitigen; dafiir sind die Renten der Schwerverletzten, namentlich der 
Verstiimmelten, und die der Hinterbliebenen hoher als bisher zu bemessen. 

517) Die Rentenfeststellung der Kriegsbeschadigten, von Generalarzt Herhold. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1919. Nr. 38.) Ref.: Kurt Mendel. 

Yerf. ist fur Begutachtungskommissionen zur Entscheidung der Renten- 
versorgung Kriegsbeschadigter, wie solche — bestehend aus in der Begutachtung 
erfahrenen Arzten und Facharzten — in Osterreich beabsichtigt sind. Auch sollten 
die Untersuchungen nur in groBeren Lazaretten und Zivilkrankenhausern statt- 
finden, da in ihnen dann sogleich Facharzte zur Hand sein und die notigen 
cliemischen und bakteriologischen Untersuchungen ausgefiihit werden konnten. 


Fa miliar e Krankheiten, Myotonie. 

518) ttber die Vererbung erworbener Eigenschaften, von C. Hart. (Berliner klin. 

Wochenschrift. 1920. Nr. 28.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Ohne eine Vererbung erworbener Eigenschaften konnen wir uns die Ent- 
wicklung in der Phylogenese nicht erklaren. Yererbt werden konnen nur soche 
erworbenen Veranderungen des Korpers, mit denen zugleich eine Beeinflussung 
der die Entwicklung des Ganzen wie des Teiles treibenden und richtenden Kjafte 
verbunden ist. Den Kern des Problems bildet nicht die Vererbung einer er¬ 
worbenen Eigenschaft, sondern einer bestimmten Reaktionsweise. Es findet 
eine Umwandlung auBerer in innere Krafte statt, und diese Transformation ist 
eine ganz gesetzmaBige. Bei der Frage der Vererbung einer erworbenen Eigen¬ 
schaft spielt diese selbst, soweit die ohne weiteres sicht- und feststellbare in Be- 
tracht kommt, eine ganz untergeordnete Rolle, maBgebend ist die innere Kraft, 
durch deren Vermittlung sie entstand. 

519) Zur Kasuistik der familiaren amaurotischen Idiotie, von Prof. v. Starek. 

(Monatsschr. f. Kinderheilk. XVIII. Nr. 2.) Ref.: Zappert. 

Die besprochenen drei Falle der im Titel genannten Krankheit wurden in 
einer graflichen Familie beobachtet, was eine bemerkenswerte Ausnahme der 
Erfahrung bedeutet, daB vorwiegend Abkommlinge jiidischer Eltern daran leiden. 
Auch ist in der vorliegenden Beobachtungsreihe sehr bemerkenswert, daB alle 
drei Erkrankten Madchen waren, wahrend zwei Knaben derselben Eltern gesund 
blieben. Der Verlauf der Krankheit war bei den erwahnten Fallen ohne Ab- 
^Veichungen vom gewohnlichen Bilde, die Kinder starben etwa im 13. Lebens- 
monate. 


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520) Hereditary Spastic Paraplegia with Ataxia and Mental Defect, by Mans on. 

(Brit. med. Journ. 1920. 25. September.) Ref.: Schreiber. 

Samtliche vier von gesunden Eltern abstammenden Kinder hatten dasselbe Leiden; 
die beiden altesten starben mit 22 und 27 Jahren; die beiden jiingeren erkrankten, nachdem 
sie sich vorher korperlich und geistig ganz normal entwickelt hatten, im Alter von 7 bis 
8 Jahren an Gehstorung, die bald jeden Gehversuch unmoglich machte. Spater gesellten 
sich hinzu schwere Spfachstorung, Intelligenzdefekt, Strabismus, Nystagmus, Reflex- 
steigerung, Babinski, Romberg, Intentionszittem und Ataxie. Die weitere Vorgeschichte 
ergab, daB der GroBvater vaterlicherseits wegen chronischen Nervenleidens langjahriger 
Insasse eines Armenhauses war. 

521) Paralisi periodica famigliare, per C. Pastine. (Riv. di Pat. Nerv. e Ment. 
1918. Fasc. 3.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Der Fall beweist die Richtigkeit derAnsicht derer, welche die Krankheit als eine 
Autointoxikation ansehen, die sich durch Lahmung der quergestreiften Muskulatur auBert. 

522 ) Congenital familial spinal muscular atrophies and their relation to amyotonia 
congenita, by K. H. Krabbe. (Brain. XLIII. 1920. Nr.2.) Ref.: W. Misch. 

Es werden 6 Falle von kongenitaler spinaler MuskeJatrophie mitgeteilt, deren einer 
derBruder eines vor Jahren von Wimmer publizierten Falles der gleichen Erkrankung 
war. In alien Fallen bestanden zweifellos hereditare Momente. In 5 Fallen war die Er¬ 
krankung sofort nach der Geburt bemerkt worden, in einem etwa 14 Tage spater und in 
einem l x / 2 Monate nach der Geburt; wahrscheinlich war sie aber auch in diesen beiden 
Fallen kongenital und ist nur zuerst iibersehen worden. In alien Fallen waren die Lah- 
mungen sehr ausgedehnt. Einmal war die Andeutung einer Fazialisparese vorhanden; 
im iibrigen schienen die Kopfmuskeln, insbesondere die Augenmuskeln, verschont. In 
der Regel waren obere und untere Extremitaten gleichmaBig betroffen, und zwar proximal 
mehr als distal. Auch die Rumpfmuskulatur war gewohnlich befallen: Die Kinder sanken 
beim Aufrichten um, der Kopf sank nach vorn oder hinten, und keines der Kinder konnte 
den Kopf von der Unterlage emporheben. Die Respiration war vorwiegend Bauchatmung, 
bei einigen schien der Thorax vollig gelahmt zu sein. Der Tonus war herabgesetzt wie 
bei Amyotonia congenita, aber die tlberdehnbarkeit der Gelenke wurde nur an Fingern 
und Handgelenken sowie in 2 Fallen im Schultergelenk beobachtet. Der trophische Zustand 
der Muskeln war oft wegen der starken Fettanhaufung schwer zu beurteilen, doch lie Ben 
sich stets schwere und ausgedehnte Muskelatrophien nachweisen. Fibrillare Zuckungen 
der Zunge fanden sich in 3 Fallen. In alien Fallen fehlten die Sehnenreflexe. Sensibilit&t 
schien intakt zu sein. Zeichen von Lues fanden sich nirgends. Die pathologisch-anato- 
mische Untersuchung zweier Falle ergab weitgehende t)bereinstimmung mit Fallen von 
Amyotonia congenita: Degeneration der Nervenzellen, vorderen Wurzeln und Muskel- 
fasem ohne Zeichen von Entziindung und ohne Lasion anderer Riickenmarkspartien. 
Klinisch und pathologisch-anatomisch ahnelten die hier mitgeteilten Falle vollkommen 
der progressiven Muskeldystrophie des Werdnig-Hoffmann-Typs, von denen einer mit¬ 
geteilt wird. 

Die hier mitgeteilten Falle ahneln einerseits der Amyotonia congenita, die 
sich von ihnen durch die Gutartigkeit, das Fehlen von Atrophien, die Heilbar- 
keit und das Fehlen hereditarer Momente unterscheidet, andrerseits den von 
Beevor, Sorgente, Silvestri und Skoog beschriebenen und den mit Atrophie 
der Vorderhornzellen und Muskeln einhergehenden Fallen von Rothmann, 
Reyer-Helmholtz, Archangelsky-Abrikosoff, Marburg, Collier-Holmes, 
Griffith-Spiller, Laignel-Lavastine-Voisin und Kaumheimer. Alle 
diese letzteren zusammen mit den Fallen von Batten, Howard, Wimmer, 
J-endrassik und den hier mitgeteilten sind wahrscheinlich zu betrachten als 
Falle von kongenitaler familiarer progressiver spinaler Muskelatrophie, die dem 
Werdnig-Hoffmannschen Typus sehr nahestehen, doch kongenital sind. Von 
der Amyotonia congenita, der sie klinisch ahneln, unterscheiden sie sich durch die 
rontgenologisch nachweisbare, starke Knochenatrophie, ihre Neigung zur Pro- 
gredienz und Unheilbarkeit und ihr zum Teil familiares Auftreten. 

523) Beitrage zur Kenntnis der atypischen Thomsensehen Krankheit, von Yoshio 
Kato. (Mitteil.*aus d. mediz. Fakultat der Univers. zu Tokyo. XV. 1915. 
Heft 1.) Ref.: Kurt Mendel. 


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Fall von Pseudohypertrophie + Muskelatrophie + Myotonie + Tetanie (spontane 
Fingerkontraktion, niedriger Schwellenwert des N. ulnaris gegen den galvanischen Strom, 
AnOZ > AnSZ). Die myotonischen Symptome gingen der Muskelatrophie und Tetanie 
voraus. 

524) Uber Veranderungen in den oberen Luft- und Speisewegen bei Myotonia 

atrophica, von W. Albrecht. (Archiv f. Laryngol. XXXIII. 1920. 

Heft 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

7 Falle werden mitgeteilt. Sie zeigen naselnde, monotone, klossige, ver- 
waschene Sprache. Im Kehlkopf fanden sich nur geringe Veranderungen, hingegen 
zeigten Gaumensegel, Zungen- und Lippenmuskulatur deutliche Veranderungen 
(gehemmte BewegUchkeit der Zunge, Atropine des Gaumensegels). Zuweilen 
starkere Schluckbeschwerden infolge spastischer und atrophischer Zustande in 
der Rachen- und Speiserohrenmuskulatur. Die Erkrankung der dystrophischen 
Myotonie beschrankt sich nicht auf die willkiirlichen Muskeln, sondern befallt 
auch die glatte Muskulatur. Am haufigsten erkrankt die Muskulatur des Gaumen¬ 
segels, dann diejenige der Zunge und des Rachens; die Speiserohre wird in etwa 
der Halfte der Falle befallen. Im Kehlkopf fiihrt die Krankheit in seltenen 
Fallen zu leichten Atrophien. 

525) Uber das Vorkommen reiner Atrophie im Krankheitsbilde der Myotonia 

atrophica (Dystrophia myotonica), von Bruno Niekau. (Deutsche Zeitschr. 

f. Nervenheilk. LXV. 1920. Heft 3 bis 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Curschmann sprach auf Grund anamnestischer Angaben die Vermutung 
aus, daJJ bei der atrophischen Myotonie ein Typus vorkommen konne, bei dem 
myotonische Symptome fehlen und dystrophische allein vorhanden sein konnen. 
Verf. sah einen derartigen Fall: 

Vater war starker Trinker und hatte beiderseits Katarakt. Pat. selbst bot keine 
myotonischen Erscheinungen, sondern nur dystrophische mit einem deutlichen myasthe- 
nischen Einschlag. Die Dystrophie mit bedeutender Abmagerung ohne fibrillare Zuckungen 
und ohne Entartungsreaktion befiel die vordere Zungenhalfte, die Ringmuskeln des Auges 
und Mundes, die Temporales, Masseteren, die gesamte Unterarmmuskulatur, Daumen, 
Kleinfingerballen, Peronei. Die myasthenischen Symptome fanden sich in Form von- 
Ptosis, des Stehenbleibens in halbgeoffneter Stellung beim Offnen der Faust und des Stehen- 
bleibens des rechten Beines wahrend des wiederholten Kniehackenversuchs. An Handen 
standige Akrozyanose. Im Gesicht und an Handen Glanzhaut und Hautatrophie. Brady - 
kardie. Niederer Blutdruck. Eosinophilie. Beiderseitige Hodenhypoplasie. Geringe 
Entwicklung des Gliedes. Prognathie. All dies spricht fur innersekretorische Storung. 
Die myotonische Dystrophie ist denn auch eine selbstandige pluriglandulare innersekre¬ 
torische Erkrankung mit ausgesprochener Vererbung. 

526) Chronaxie et action des courants progressifs dans un cas de myopathie acquise, 

par G. Bourguignon. (Revue neurolog. XXVII. 1920 Nr. 6.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

Bei Myopathien findet man in einer mehr oder minder groJBen Anzahl von 
Muskeln die myotonische oder die galvanotonische Reaktion, was die Verwandt- 
schaft zwischen den Myopathien und der Thomsenschen Krankheit anzeigt. 
Alle Myopathiker zeigen Galvanotonus oder Myotonie in den am spatesten be- 
fallenen Muskeln und in um so mehr Muskeln, je frischer das Leiden ist. Der 
myopathische Muskel setzt sich zusammen aus schnellen und langsamen Fasern. 


Psychologie. 

• 527) Allgemeine Biologic als Grundlage fiir Weltanschauung, Lebensfiihrung 
und Politik, von H. G. Holle. (Miinchen 1919, J. F. Lehmanns Verlag.) 
Ref.: Max Marcuse (Berlin). 

Die grundsatzlichen und die psychologischen Gehalte des Buches riicken 
es in den Interessenkreis auch dieser Zeitschrift. ^Weltanschauung^ ist oft das 


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Objekt neurologischer und psychiatrischer Betrachtung; sie ist aber auch haufig 
bestimmend fiir die eigene Betrachtungsweise des Nerven- und Irrenarztes. 
Von dem vorliegenden Werke darf er sich soweit anregen lassen, daB er die Schief- 
heit und Unglaubliehkeit des mechanischen Denkens erkennen lerne und nicht 
um jeden Preis nach dfem Zusammenhang von ,,Ursache und Wirkung 44 in jedem 
Krankheitsbilde suche. Die Kennzeichnung und Behandlung abartiger Vor- 
stellungs- und Gefiihlsablaufe als ,,Krankheiten 44 oder wenigstens ,,Krankhaftig- 
keiten 44 ist dann erlaubt, weil unvermeidlich, wenn der von ihnen Betroffene 
bereit und gewillt ist, als ,,Patient 44 zu gelten. Aber ,,Arzt“ sein wollen, wenn 
.,der andere 44 nicht ,,Patient 44 sein will, ist eine der peinlichsten Erscheinungen 
der mechanistischen Auffassung des Lebens, in der die Mehrzahl der Mediziner 
vertraut pnd die wir ,,naturwissenschaftlich“ zu nennen pflegen. Das biologische 
Denken, das Holle an die Stelle des mechanischen setzen will, scheint plotzlich 
nach den Resultaten, zu denen es ihn gefiihrt hat, auch nicht vor Abirrungen 
zu schiitzen!! Jedoch ist einer Erorterung mit dem Verf. im voraus Sinn und 
Ziel genommen, da er nicht die ,,t3berzeugungskraft des Beweises 44 , sondern nur 
diejenige des. ,,gefiihlsmaBigen Schauens 44 anerkennt. Das Buch, reich an ernsten 
Anregungen und achtungswert als Ausdruck einer eigenen Personlichkeit, ist 
ein ungewolltes Beispiel fiir die vom Verfasser an anderen gegeiBelte Methode, 
tendenziosen Auseinandersetzungen ein ,,wissenschaftliches Mantelchen 44 um- 
zuhangen und ,,die Gberzeugung dem Beweis vorangehen 44 zu lassen. 

528) Denkpsychologie und Psychi&trie, von Bumke. (Vortrag, gehalten auf der 
Versammlung ostdeutscher Psychiater und Neurologen in Breslau am 
24. Juli 1920.) Eigenbericht. 

Die Hoffnungen, die die Psychiatrie auf die experimentelle Psychologie gesetzt 
hat, haben sich nicht erfiillt. Zugleich ist aber auch die Herrschaft der Assoziations- 
psychologie ins Wanken geraten. Nicht nur ihre anatomischen Beziehungen, 
die sie in dem BewuBtsein der meisten Fachgenossen auch heute noch ziemlich 
fest verankert halten, sondern auch ihr rein psychologischer Inhalt ist zweifel- 
haft, zum guten Teil geradezu widerlegt worden. Schon vor mehr als 20 Jahren 
hatte v. Kries eine sehr einleuchtende Kritik an dieser Art Psychologie geiibt. 
Inzwischen haben die Arbeiten von Messer, Biihler, Ach, Kiilpe u. a. gezeigt, 
daB es unmoglich ist, alles Denken auf das Spiel von Gleichzeitigkeits- und Ahn- 
lichkeitsassoziationen, auf die Wirkung von Konstellationen und die Herrschaft 
von Zhelvorstellungen zuriickzufiihren. Dabei hat sich als ein wesentliches Er- 
gebnis dieser modernen Denkpsychologie zugleich das ergeben, daB wir neben 
dem anschaulichen Teil unseres Denkens, der sich in der Form von Erinnerungs- 
bildern (Vorstellungen) und von sprachlich formulierten Gedanken abspielt, 
noch einen unanschaulichen, weder von sonstigen Erinnerungsbildern noch 
vom Wort getragenen Teil anerkennen miissen. So werden die verbindenden 
Beziehungen zwischen den einzelnen Vorstellungen, die sie doch erst zu einem 
geordneten Gedanken zusammenfassen, zumeist nicht in Worte gekleidet; eben- 
sowenig entspricht den komplexen seelischen Erlebnissen, die Marbe ,,BewuBtseins- 
lagen 44 nennt, irgend etwas Sprachliches; und schlieBlich wird bei zahlreichen, 
gefiihlsbetonten Gedanken — genannt seien kritische Gedanken gegen die Eltern 
oder gegen die Religion etwa, erotische Wiinsche u. dgl. — die Klarheit des ge- 
dachten Wortes sehr haufig instinktiv vermieden. 

Els ist klar, daB diese Ergebnisse fiir die Psychiatrie nicht ohne Wirkung 
bleiben konnen. Zunachst hat hier die Kritik des Assoziationsexperimentes ein- 
setzen miissen, das, von anderen Fehlern abgesehen, nur mit sprachlich formu- 
lierten Gedanken rechnete. Schon deshalb konnen wir aus dem Verhalten eines 
Menschen, der im Experiment sprechen muB, auf sein sonstiges Denken so gut 


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wie gar nicht zuruckschlieBen. Zugleich hat sich dabei ein Verstandnis der so- 
genannten inneren ,,Ideenflucht“ (Schroeder) ergeben, das uns bis dahin ver- 
schlossen war. Auch die Angaben mancher Zwangsvorstellungskranken erscheinen 
heute, wo wir an sprachlich nicht formulierte Gedanken glauben, in einem ganz 
neuen Licht, und erst recht gilt das fur die Entstehung zahlreicher Wahnideen. 
Der ,,Beachtungs- und Beziehungswahn“ wird ebenso wie das BewuBtsein der 
eigenen Minderwertigkeit im Beginn der Melancholie sehr haufig nicht in Worte 
gekleidet, und nur deshalb erscheint eine konkrete Wahnidee, die schlieBlich aus 
dieser psychischen Gesamtverfassung in sprachlicher Form herauskrystallisiert, 
als unvorbereitet und autochthon, wahrend sie in Wirklichkeit nur eine langst 
vorhandene Grundiiberzeugung illustriert. 

Endlich aber erlauben uns die Ergebnisse der Denkpsychologie eine meines 
Erachtens sehr fruchtbringende Neueinstellung der Lehre vom UnbewuBten 
und der Freudschen Psychoanalyse gegeniiber. Zunachst werden durch die 
Erkenntnis, daB Gedanken auch ohne sprachliche Formulierung ins BewuBtsein 
treten konnen, wieder einige Schranken niedergerissen, die sogenannte psychische 
,,Elemente“, hier namlich Gedanken und Gefiihle, scharf trennen sollten. Eine 
solche Trennung ist prinzipiell unmoglich. Damit hangt eng zusammen, daB das, 
was Freud unbewuBt nennt, im wesentlichen mit der Gefiihlspsychologie anderer 
Autoren zusammenfallt. Alle die Mechanismen, die Freud und seine Schule 
aufgedeckt haben, spielen sich (soweit sie uberhaupt anerkannt werden konnen) 
nicht im UnbewuBten, sondern hochstens an der Peripherie oder noch besser 
in der Tiefe des BewuBtseins ab, d. h. Gesunde und Kranke kennen diese Mechanis¬ 
men sehr wohl, nur wollen sie sie nicht kennen; sie sprechen nicht davon und, 
wenn sie irgend konnen, vermeiden sie auch im Umgang mit sich selbst die sprach¬ 
liche Fassung. Das gilt nicht bloB fur erotische, sondern auch fur zahlreiche andere 
Erlebnisse, bei denen an Stelle der wirldichen, unerlaubten oder peinlichen, 
andere nach innen und auBen vertretbare Motive gesetzt werden. Genannt seien 
Eitelkeit, Eifersucht, MiBgunst, Neid, Geiz, Liebe, HaB u. dgl. Auf diese Weise 
wird insbesondere auch die Verdrangung vorbereitet, ebenso wie es verstandlich 
wird, daB ,,verdrangte“ Gedanken schlieBlic-h .bei irgendeinem AnlaB doch auf 
das iibrige BewuBtsein wirken konnen. 

Alles das sind nur einzelne Ausblicke in ein sehr weites Gebiet, das nach An¬ 
si cht des Verf. neu angebaut werden sollte. 

529) Zur Gleichformigkeit des psychischen Geschehens, von Erich Stern. (Journ. 
f. Psychol, u. Neurol. XXV. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Ursache der Gleichformigkeit des psychischen Geschehens ist in der 
Gleichformigkeit der Gefiihle zu suchen. Die Gefiihle sind diejenigen BewuBtseins- 
vorgange, welche dem Menschen davon Kenntnis geben, ob irgend ein Vorgang 
lebensfordernd oder lebenshemmend ist. Die Lustgefiihle bringen alles dem Leben 
Forderliche, die Unlustgefiihle alles das Leben Hemmende zum BewuBtsein. 
Am starksten von Gefiihlen begleitet sind diejenigen Vorgange, welche lebens- 
und arterhaltend im hochsten MaBe wirken. Diese Vorgange aber und die darauf 
hinwirkenden Triebregungen und Strebungen des Individuums zeigen eine groBe 
Gleichformigkeit, was mit der biologischen Rolle zusammenhangt, welche die 
Gefiihle fiir den Menschen spielen. So tritt auch bei verschiedenen Versuchs- 
personen in gleicher Stimmungslage auf einzelne Reizworte eine gewisse Gleich¬ 
formigkeit in der Reaktion auf. Wenn das gleiche Erlebnis, die gleiche Er- 
scheinung bei zahlreichen Menschen den gleichen oder ahnlichen Affektwert hat, 
zeigt sich auch eine auffallende Gleichformigkeit in den seelischen Erscheinungen; 
auf das gleiche Erlebnis reagieren die verschiedenen Versuchspersonen gleich- 
formig. 


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530) Zur Kritik des UnbewuBten, von E. Kretschmer. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, 
u. Psych. XLVI. 1919. H. 4/5.) Ref.: W. Misch. 

Die Vorstellung von einem unbewuBten oder unterbewuBten Seelenleben hat 
in ihrer Ubertragung auf die Neurosenlehre auBerordentlich fruchtbringend ge- 
wirkt. Doch wurde sie schlieBlich aus einer Arbeitshypothese zu einem Schul- 
dogma, das UnbewuBte wurde zum Schlagwort, mit dem alles erklart wurde, 
ohne daB man sich dariiber klar wurde, daB erst hier die Probleme anfingen. Die 
Erforschung der Erlebniszusammenhange beschaftigte so, daB die Kernfrage 
iibersehen wurde, wie ein Mensch, der durch verschlungene Erlebniswege oder 
durch momentanen KurzschluB (Granateinschlag) auf den Punkt der Hysterie- 
reife gekommen ist, von diesem Punkt aus zur Umsetzung der psychophysischen 
Erlebnisenergie in die bekannten psychischen, motorischen und sensiblen Ent- 
ladungskomplexe, die wir hysterisch nennen, gelangt. Dieser letzte geheimnis- 
volle Hysterievorgang spielt sich nicht intrapsychisch, sondern psychophysisch 
ab: das zentrale Hysterieproblem ist ein Problem der neuropsychischen Dynamik. 
Es handelt sich dabei nur um Wille und Reflex. 

Der Ausdruck ,,Das UnbewuBte^ bezeichnet im Grunde nichts anderes als 
das UngewuBte. Empirisch aber gibt es nichts Seelisches auBerhalb des Be- 
wuBtseins; das UnbewuBte kann nicht Objekt der Erkenntnis sein. Nur die 
Kausalitat vieler seelischer Vorgange ftihrt auBerhalb der Grenze des BewuBtseins. 
Eine Untersuchung des Begriffes ,,UnbewuBt“ ergibt, daB er alle die Vorgange 
umfaBt, die in naher Beziehung zum BewuBtsein stehen, ohne doch die Klarheit 
sonstiger Seelenvorgange zu haben: er umfaBt das MinderbewuBte (die BewuBt- 
seinsvorgange, die sich innerhalb des psychischen Sehfeldes, doch auBerhalb des 
Blickpunktes abspielen), das Nichterinnerte von zweifelhaftem BewuBtseinswert 
(z. B. retrograde Amnesie) und das AuBerbewuBte von bewuBter Wechselwirk- 
samkeit (z. B. Gangbewegungen). Dagegen bezieht sich der Ausdruck nicht auf 
Dinge, die fur das bewuBte Erleben gleichgiiltig sind (z. B. den Blutumlauf). 
Der Ausdruck ,,UnbewuBt“ in seiner gebrauchlichen Anwendung bezieht sich 
demnach lediglich auf Vorgange, die als Liicke im psychischen Kausalnexus emp- 
funden werden, also auf alle Vorgange, deren aktueller oder mnestischer Be- 
wuBtseinsgrad zu ihrer BewuBtseinswirksamkeit in umgekehrtem Verhaltnis steht. 
Der Ausdruck ist also nur berechtigt als Sammelbegriff fur alle Negativfaktoren 
im Kausalnexus des subjektiven bewuBten Erlebens, zu verwerfen dagegen als 
positive GroBe, als einheitlicher seelischer Funktionsbegriff. 

Auch zur Erklarung der Entstehung des Hysterievorganges ist der Begriff 
des UnbewuBten zu entbehren, ebenso wie der damit zusammenhangende Begriff 
der Verdrangung, mit dem man alle hysterischen Phanomene zu erklaren glaubte. 
Bei der Verdrangung handelt es sich um den bekannten Vorgang der Einschleifung 
oft geiibter Funktionen, bei dem die formelhafte Verkiirzung der Verlaufsbahn 
-die erste Rolle spielt, und zwar setzt bei der Hysterie diese Verkiirzung des psy¬ 
chischen Kausalnexus gerade da ein, wo das Subjekt ein Interesse daran hat. 
Hysterie ist demnach nichts als Wille plus Reflex: eine Willenskomponente macht, 
in einen Automatismus (z. B. Zitterdisposition, Schmerzschutzstellung usw.) sich 
einschleichend, sich diesen dienstbar, und umgekehrt kann der Wille dadurch 
wieder automatisiert werden; aus diesem vielverschlungenen Wechselspiel zwischen 
Wille und Reflex entsteht dann die Hysterie. Der Verdrangungsvorgang selbst 
ist nur als ein Spezialfall dieses hysterischen Grundgesetzes der willkiirlichen 
Reflexverstarkung, als willkiirlich selektive Beeinflussung physiologischer Ver- 
kiirzungsformeln anzusehen, ohne daB dazu noch der Begriff eines UnterbewuBt- 
seins konstruiert zu werden braucht. Der Grund, weshalb die Verdrangung der 
Selbstkorrektur meist schwer zuganglich ist, liegt darin, daB der Wille in eine 


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Reflexfalle gegangen ist, von der er, wahrend er sie benutzt, selbst gefangen wird; 
durch Aufzeigung des genetischen Zusammenhanges kann er durch Psychoanalyse 
wieder befreit werden. 

Das Wesentliche der Hysterie liegt also nicht in der Gruppe von Phanomenen, 
die man herkommlicherweise als das UnbewuBte zusammenfaBt. Die Verdrangung 
ist nicht der hysterische Seelenvorgang xax &£oxr]v, sondern einer von den vielen- 
psychophysischen Vorgangen, die sich aus den Gesetzen der willkiirlichen Reflex- 
verstarkung ableiten und die zusammen die Kerngruppe dessen ausmachen, was 
man klinisch Hysterie nennt. Unter diesen Vorgangen ist die Verdrangung aller- 
dings einer der wichtigsten; doch ist es falsch, daB es keine Verdrangung ohne 
Hysterie und ebenso daB es keine Hysterie ohne Verdrangung gebe. 

531) Zur Kritik des UnbewuBten, von E. Bleuler. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. 

Psych. LIII. 1919. H. 1 u. 2.) Ref.: W. Misch. 

In Erwiderung auf die Arbeit Kretschmers (s. vor. Referat) wird hervor- 
gehoben, daB das ,,UnbewuBte“ nicht ein leerer Name, sondern ein Begriff ist, 
der etwa mit der gleichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, wie der Planet 
Neptun aus den Storungen der Uranusbahn. Zum Verstandnis der psychischen 
Symptome bei Gesunden und Kranken ist dieser Begriff nicht zu entbehren, nicht 
nur, weil hinter ihm Tatsachen liegen, sondern namentlich, weil die Ursachen- 
ketten des psychischen Geschehens vielfach iiber diese Tatsachen hinausgehen. 
Es geht nicht an, das UnbewuBte von der Psyche zu trennen, weil die bewuBten und 
die unbewuBten Funktionen in alien sonstigen Beziehungen eine Einheit bilden, 
die auseinander zu reiBen nicht gut ware. Der vorgeschlagene andere Name, 
das UngewuBte, ist direkt falsch. Von bloBen Hirnfunktionen zu reden geht nicht 
an, weil die unbewuBten Funktionen Eigenschaften haben, die wir sonst nur der 
Psyche zuschreiben, und weil diese nach der Seite der anderen Hirnfunktionen 
scharf umschriebene Klasse von Vorgangen irgendwie von den physiologischen 
Hirnfunktionen unterschieden werden muB, wenn man sich noch verstehen will. 
UnbewuBte Funktionen sind etwas Normales. In der Pathologie haben nicht nur 
die Hysterie, sondern alle psychischen Krankheiten damit zu rechnen. Die Frage, 
ob krank oder nicht, hat also mit der Annahme oder Verwerfung des UnbewuBten 
nichts zu tun. Vom ,,Wesen der Hysterie“ und von einer Abgrenzung von Gesund 
und Krank kann man nicht reden, solange diese Begriffe umschrieben sind. 

532) Seele und Bewufitsein, von E. Kretschmer. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, 
u. Psych. LIII. 1919. Heft 1 u. 2.) Ref.: W. Misch. 

In Entgegnung auf die Erwiderung Bleulers (s. vor. Referat) stellt Verf. fest, 
daB er, betreffs der Frage des UnbewuBten, in allem Sachlichen wesentlich mit ihm 
ubereinstimmt und daB im Begrifflichen nur eine ernsthafte Differenz hinsichtlich 
der Beziehung der Begriffe Seele und Bewufitsein besteht. Die Dinge Gehirn und 
Seele sind eine Einheit, die Begriffe Gehirn und Seele aber sind an entscheidenden 
Punkten wesensverschieden. Wahrend Gehirn-Seele dinglich zusammenfallen und 
auch ihre Wirkungen weder seelisch noch zerebral, sondern zerebral-seelisch sind, 
decken sich die Begriffe Gehirn und Seele insofern nicht ganz, als man hier unter 
dem Seelischen nur das unter das BewuBtsein Fallende zu verstehen hat, wahrend 
das sogenannte UnbewuBte zwar zerebral, aber nicht zum Psychischen gehorig 
zu denken ist. Verf. betont nochmals, daB es sich nur darum handelt, den Begriff 
des UnbewuBten griindlich durchzudenken, bevor man ihn benutzt, daB er aber 
im iibrigen als gewohnter handlicher Ausdruck seine Geltung behalten mag. 

533) Hat die Betriebsseele das Vermogen zu direkten Gestaltungswirkungen? Gibt 
es eine besondere Gestaltungsseeie? Anfrage an die Psychiater, von Roux. 

(Archiv f. Psychiatrie. ILX. 1918. Heft 2 u. 3.) Ref.: G. Ilberg. 


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Die Psychoinorphologen nek men nicht nur zu zweckmaBig ersclieinenden 
Anpassungen, sondern schon zum typischen Entwicklungsgeschehen des Lebc- 
wesens eine gestaltende SeeJe an. Verf. fragt die Psychiater, ob sie gestaltende 
Wirkungen kennen, die zur Annahme zwingen, daB die Seele oder das Him die 
Korpergestaltung beeinflussen konnen. 

534) ttber die Problematik der Sexualpsychologie des Weibes and der vergleichenden 

Sexualpsychologie der Geschlechter, von Max Marcuse. (Zeitschr. f. Sexual- 

wissensch. VI. 1919. Heft 9.) Ref.: W. Misch. 

Die sexualpsychologische Differenzierung der Geschlechter laBt sich etwa 
auf folgende Formel bringen: Beherrschung der mannlifchen Geschlechtlichkeit 
durch den Detumeszenz-, der weiblichen durch den Kontrektationstrieb; Ge- 
trenntheit oder doch Trennbarkeit des Geschlechts- vom Liebeskomplex beim 
Manne gegeniiber ihrer Einheit bei der Frau; Episodenhaftigkeit und Untiefe 
des mannlichen, Dauer- und Tiefenwirkung des weiblichen Sexualerlebnisses. 
Allen derartigen Differenzierungen ist aber immer der Einwand zu machen, daB 
im Grunde die beiden Geschlechter von der Sexualitat des anderen wenig wissen; 
teils fiihren Mangel an Beobachtungsgabe oder Falschdeutung der Reaktionen 
zu falschen Schliissen, teils verhindert unbewuBte Schamhaftigkeit die Darlegung 
der Empfindungen. Besonders iiber die weibliche Sexualitat sind wir nur sehr 
mangelhaft unterrichtet, da der groBte Teil der dariiber bestehenden Literatur 
von Mannern herriihrt, die wenigen Frauen aber, die dariiber geschrieben haben, 
aus konstitutiven Griinden auBerstande sind, personliche Erlebnisse objektiv 
darzustellen. Wahrscheinlich also sind alle unsere Vorstellungen liber das Wesen 
Weib wahnhafte Konstruktionen der mannlichen Orientierung. 

535) Versuch einer phanomenologischen Aoswertung des Assoziationsexperiments, 

von Max Margulies. (Monatsschr. f. Psych, u. Neurol. XLVIII. 1920. 

Heft 2). Ref.: Kurt Mendel. 

Es handelt sich uni das Gutachten in einein Falle von Psychopathie. Pat. 
hatte sich unerlaubt von der Truppe entfernt. § 51 kam in Anwendung. Verf. 
unternahm es, die Assoziationsversuche — Protokolle sind mit veroffentlicht — 
neuartig auszuwerten, indem zu jedem Versuch das mit ihm verbundene Erleben 
auf Grund von Vermutungen und Kombinationen dargestellt wird; aus der fort- 
laufenden Ausdruckstatigkeit der Versuchsperson kann man dann ihre inneren 
Zustande, ihr Innenleben erschlieBen. 

536) Priifungen hoherer Gehirnfunktionen bei Kleinkindern, von Julius Peiser. 

(Jahrb. f. Kinderh. XCI. Heft 3.) Ref.: Zappert. 

Die vorgefiihrten Versuche beruhen auf der Grundlage von Situations- 
priifungen, indem dem Kinde erwiinschte Gegenstande so vor Augen gebracht 
werden, daB es der tlberwindung bestimmter Schwierigkeiten bedarf, um sich 
des Gegenstandes zu bemachtigen. Sorgfaltig angelegte, mit steigenden Schwierig¬ 
keiten ausgestattete Anordnungen dieser Versuche ermoglichen recht gute Schliisse 
auf das Verstandnis eines Mittels zur Erreichung eines bestimmten Zweckes, auf 
das Erwachen der zielbewuBten Aufmerksamkeit sowie der Erinnerung, auf das 
Begreifen einfacher geometrischer Formen, auf die Durchfiihrung analytischer 
und synthetischer Handlungen, auf das Verstandnis fur Farben und Formen, 
auf die Reproduktion einfacher Figuren. Es laBt sich bei normalen Kindern eine 
Altersskala dieser intellektuellen Leistungen aufstellen. AuBerdem lassen die 
Versuche- auch wertvolle Schliisse auf das Temperament des zu untersuchenden 
Kindes zu, da Ungeduld, Trotz, Empfindsamkeit, Beharrlichkeit sich bei der 
Durchfiihrung der Versuche, namentlich bei anfanglichen MiBerfolgen, gut geltend 
machen. 


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537) Experimentelle Untersuchungen iiber den Willen bei Normalen und Psycho- 
pathen, von L. Bouman. (Psych, en neurol. Bladen. 1919. Nr. 5 u. 6.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Aus den Ergebnissen der Experimente sei folgendes hervorgehoben: Bei den 
anormalen Versuchspersonen gibt es viel weniger intendierte Fehlreaktionen. 
Die normalen Versuchspersonen gaben mehr reihenrichtige Reaktionen als die 
anormalen. Es gab eine gewisse Relation zwischen den reihenrichtigen Reaktionen 
und den intendierten Fehlreaktionen. Die anormalen Versuchspersonen zeigten 
bei der eigentlichen Aufgabe eine neutrale Einstellung, die vielleicht in Beziehung 
zu der Zeitperspektive und dem Fehlen des Interesses stand. Die nicht inten¬ 
dierten Fehlreaktionen wurden mehr bei den normalen als bei den anormalen 
Versuchspersonen gefunden. Die Reaktionszeiten waren bei den anormalen Ver¬ 
suchspersonen langer als bei den normalen. Die sukzessive Aufmerksamkeit, 
die oft bei den normalen Versuchspersonen zu beobachten ist, kommt nur aus- 
nahmsweise bei den anormalen Versuchspersonen vor. Dasselbe gilt fur den 
Unlustaffekt, der mehrmals bei den normalen, aber fast niemals bei den anormalen 
Versuchspersonen vorkommt. Die anormalen Versuchspersonen hatten viel mehr 
Neigung, fur die Reaktionsworter sinnvolle Worter zu suchen. Der Unterschied 
zwischen der heterogenen und homogenen Tatigkeit tritt bei den normalen Ver¬ 
suchspersonen viel starker hervor als bei den anormalen. Die mimischen und 
pantomimischen Ausdrucksbewegungen und die Ausrufe kamen bei den normalen 
Versuchspersonen mehrmals vor, wurden dagegen bei den anormalen Versuchs¬ 
personen nicht gefunden. 

• 538) Die Welt der Wahrtraume, von Georg Lomer. (Leipzig 1920.) Ref.: 

Max Marcuse. 

,,Bekenntnisse eines Bekehrten“ — nennt Verf. selbst seine Schrift. Ein 
von der Wissenschaft und der Vernunft zum Glauben und zum autistischen Denken 
; ,Bekehrter ££ M Das wiirde als ein psychisches Erlebnis zu respektieren und 
nicht zu kritisieren sein, wenn der Verf. selbst den Vorgang ebenso auffaBte und 
auf seine Versuche verzichtete, mit den Mitteln der wissenschaftlichen Erkenntnis 
— Erfahrung und Urteil — zu uberzeugen. Die Symbolik der Traumsprache 
und der Charakter der Traume als ,,Wahrtraume ££ , auch im (richtig verstandenem) 
Sinne von ,,Prophezeiungen ££ sind ja seit Freud nicht mehr zweifelhaft, und die 
Tiefe und Gewalt des Seelen-Problems kann nur der Platteste und Stumpfeste 
nicht sptiren. Auch daB alle auBere Erfahrung — und erschopfte sie samtiiche 
Moglichkeiten der Erscheinungen — niemals zur letzten Einsicht in die Dinge 
fiihren kann, ist sicherer Besitz jedes Gebildeten, nicht Nur-Gelehrten. Aber 
die Geschichten und Erzahlungen L.’s, unkontrollierbar auf ihre tatsachlichen 
Grundlagen und undiskutierbar beziiglich ihrer Deutung, zumal diese regelmaBig 
erst an den spateren Ereignissen sich orientiert, sind ganz ohne Wert als Be- 
weise und Belege fur die von ihm behauptete ,,Realitat einer selbstandigen Psyche ', 
fur die Welt als ,,zu Form geronnenen Zeichen ££ , fur die ,,Rhythmik der Zahl £ * 
und die ,,Feinfiihligkeit der Empfangerseele ££ ! — 

• 539) ttber Telepathie und Hellsehen. Experimentell-theoretische Untersuchungen, 

von R. Tischner. (Munchen 1920, Bergmann. S. 125.) Ref.: Henne- 
berg (Berlin). 

Verf. berichtet iiber eine groBere Reihe von Versuchen auf dem Gebiete der 
Telepathie, des Hellsehens und der Psychometrie. Die mit verschiedenen Medien 
vorgenommenen Experimente ergaben weitgehend positive Ergebnisse. Verf. 
wird schwerlich jemanden, der nicht schon vorher an jene okkulten Seelenfahig- 
keiten ,,glaubte ££ , sondern die in Frage kommenden Leistungen auf Zufallstreffer, 
Kombinationsbegabung, Tauschung usw. zuriickfiihrt, von der Tatsachlichkeit 


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der Telepathie usw. durch seine Arbeit liberzeugen. Die Versuche konnen auch 
nicht als einwandsfrei bezeichnet werden. So verwertet Verf. einen Versuch 
(Lesen eines eingepackten und versiegelten Schriftstiickes, das Medium las 12 
meist am Rand stehende Silben durchweg richtig), bei dem die Versuchsperson 
etwa 5 Minuten (!) allein im Zimmer gelassen wurde und nur mehrmals (!) durch 
den Spalt der Tiir beobachtet wurde. Das andere Medium erzahlte selbst, es 
pflege haufig das Hellsehen mittels Trick vorzufiihren. Die ganze Darstellung 
verrat, daB Verf. von dem lebhaftesten Wunsche beseelt ist, die Tatsachlichkeit 
okkulter Seelenvermogen zu erweisen, aber je mehr ein Experimentator auf 
diesem Gebiete sein Bedurfnis nach dem Wunderbaren erkennen laBt, um so 
weniger wirkt er uberzeugend. Uber die psychische Konstitution der Versuchs- 
personen wird nur sehr Diirftiges mitgeteilt. Im theoretischen Teile der Arbeit 
wird die physikalische Theorie abgelehnt und eine ,,psychistische“ Hypothese 
(Zusammenhang des tiberindividuell Seelischen) entwickelt. Das sehr fliissig 
geschriebene Buch kann zur Orientierung auf dem ,,okkulten“ Gebiete empfohlen 
werden. 

540) tJber die Schwierigkeiten in der Aneignung der Freudschen Psychoanalyse, 

von Carl Muller-Braunschweig. (Deutsche med. Wochenschr. 1920. 
Nr. 35.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. zahlt die Griinde auf, weshalb die Psychoanalyse, vornehmlich in medi 
zinischen Kreisen, verhaltnismaBig nur schwach verbreitet ist. Den Haupt- 
grund sieht er darin, daB der kiinftige Analytiker, um nicht blind gegeniiber den 
bedeutsamen psychischen Zusammenhangen bei seinem Analysanden zu sein, 
sich dazu entschlieBen muB, sich selbst psvchoanalysieren zu lassen, bzw. zu 
psvchanalysieren. 

• 541) tfber den nervosen Charakter. Grundzuge einer vergleichenden Individual- 
psychologie and Psychotherapie, von Alfred Adler. (Verlag von J. F. Berg- 
mann, Wiesbaden 1919. Zweite verbesserte Auflage.) Ref.: Kurt Mendel. 

Das Buch ist anlaBlich des Erscheinens seiner ersten Auflage in diesem Central- 
blatt (1912, S. 1162) ausfiihrlich besprochen. Zwischen jener und der nun er- 
schienenen zweiten Auflage liegt der Weltkrieg, die ,,furchtbarste Massenneurose, 
zu der sich unsere neurotisch-kranke Kultur, zerfressen von ihrem Machtstreben 
und ihrer Prestigepolitik, entschlossen hat. Der entsetzliche Gang der Zeit- 
ereignisse bestatigt schaurig die schlichten Gedankengange dieses Buches‘\ 
(Aus dem Vorwort zur II. Auflage.) 


Psychiatrie. (Allgemeines.) 

542) Die „Ursache“ bei Geisteskrankheiten, von A. Hoche. (Medizin. Klinik. 
1920. Nr. 1.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Wir kennen auf dem Gebiete der Geisteskrankheiten Voraussetzungen, Be- 
dingungen, mitwirkende Umstande, auslosende Momente, aber fast gar keine 
reine Ursachen der geistigen Erkrankungen. 

• 543) Grundrifi der psychiatrischen Diagnostik, von Julius Raecke. (8. Auflage. 
Verb von A. Hirschwald, Berlin 1920. 202 S.) Ref.: Kurt Mendel. 

Das vorziigliche Biichlein (gleichzeitig enthaltend die fur den Psychiater 
wichtigsten Bestimmungen des BGB. und StGB. sowie eine Ubersicht liber die 
gebrauchlichsten Schlafmittel) liegt bereits in 8. Auflage vor, ein Zeichen, wie- 
viel Freunde sich das handliche Vademecum erworben hat. Nahere Besprechung 
des Buches s. ds. Centr. 1909, S. 160. 


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544) tTber die Moglichkeit der psychiatrischen Diagnostik iiberhaupt, von Fritz 
Stern.* (Zeitschr, f. d. ges. Neurol, u, Psych. LIII. 1920. Heft 5.) Ref.: 
W. Misch. 

Die psychiatrische Diagnostik ist von der somatischen methodologisch prin- 
zipiell verschieden: Wahrend sich die letztere formal auf AnwendungdesKausalitats- 
gesetzes in der Erscheinung griindet, ist diese Methode fiir die psychiatrische 
Diagnostik nur moglich, soweit es sich um sinnenfallige Erscheinungen handelt, 
und fiihrt lediglich zu psychiatrischen Syndromen, ohne weiter in die Tiefe zu 
dringen. Die psychischen Symptome miissen akausal hingenommen werden, 
konnen nicht atiologisch, sondern nur psychologisch zusammengefaBt werden. 
Erst dann kann die psychiatrische Diagnostik ihrer Aufgabe gewachsen sein, 
wenn sie die naturwissenschaftliche Gnosis fiir die quantitative Bemessung der 
Erscheinungen reserviert, aber die Bedeutung dieser Erscheinungen als ins Irratio- 
nale gehorig erkennt und weiterhin im Versenken in metaphysische Probleme 
der Erfassung dieses transzendentalen Inhalts nahezukommen versucht. Erst 
eine Synthese beider Methoden wird der Eigenart des Psychischen gerecht werden 
konnen, indem die naturwissenschaftliche Methode die Erscheinung, die meta¬ 
physische die Bedeutung des Irreseins darzustellen vermag. 

545) tJber die Form der Psychosen bei der Landbevolkerung in Livland wahrend 
der Jahre 1903 bis 1917, von Behr. (Allg. Z. f. Psych. LXXV. Heft 6.) 
Ref.: Zingerle. 

Die exogenen Geistesstorungen bilden eine geringe Quote der Aufnahmen 
in die Landesirrenanstalt. — Die paralytischen Geistesstorungen (5 bis 7°/ 0 der 
Aufnahmen) kommen bei der Landbevolkerung nur in verschwindender Zahl vor 
und stammen meist aus der groBstadtischen Bevolkerung. 3°/ 0 der Aufnahmen 
sind alkohologene Erkrankungen. Lepra-Psychosen fehlen vollkommen. 

Es uberwiegen die endogenen Geisteskrankheiten, von denen den Haupt- 
bestandteil die einfachen chronischen Geisteskrankheiten bilden. Scharf um* 
rissene Bilder kommen nur ausnahmsweise vor, die Regel ist ein buntes Gemisch 
der verschiedenartigsten Symptome, katatoner Erscheinungen, hebephrener 
Ziige, halluzinatorischer und paranoischer Zustande. Selten sind Melancholien, 
manisch-depressives Irresein, Hebephrenieii nach dem Typus Kahlbaum und 
charakteristisch verlaufende Katatonien. 

Der Inhalt der Psychose ist dem bauerlichen einfachen Denken entsprechend 
ein diirftiger. Geschwisterpsychosen kamen in ll°/o der Aufnahmen vor und 
zeigten in der Krankheitsform $ine weitgehende gleichartige Vererbung. Puer- 
peralpsychosen wurden nicht beobachtet, Lactationspsychosen waren Ausnahmen. 

Abgesehen von einigen rasch verblodenden Fallen, zeigte die Mehrzahl der 
Kranken nur ein Befallensein gewisser- Teilgebiete des Seelenlebens; dabei war 
besonders auffallig die kindliche Geistesstufe, auf welcher diese Personen stehen 
geblieben waren. Affektschaden spielten bei diesen seelisch Infantilen eine groBe 
Rolle. Diese sind iibrigens bei den Angehorigen niederer Kulturkreise an sich 
infolge der mangelhaften Erziehung zur Beherrschung der Gemiitsbewegungen 
viel wirksamer, als bei den gebildeten Kreisen. 

546) tlber die Zunahme des Ausbruchs geistiger Storungen in den Friihjahrs- 
und Sommermonaten, von Karl Wilmanns. (Miinchener med. Wochenschr. 
1920. Nr. 7.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Haufung der Zugange in die Irrenanstalten in den Friihjahrs- und Friih- 
sommermonaten, die unzweifelhaft besteht und auf welche schon Esquirol hin- 
gewiesen hat, ist sicher nicht auf soziale Ursachen zuruckzufiihren. Es ist viel- 
mehr — wie Verf. des naheren ausfiihrt — anzunehmen, daB der Mensch wie die 
domestizierten Sauger eine abgeschwachte Brunstzeit hat, und daB letztere nicht 


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aur in einer erhohten geschlechtlichen Erregbarkeit, sondern ganz allgemein in 
einer gesteigerten seelischen Erregbarkeit, in einer vermehrten Labilitat des Seelen- 
lebens zum Ausdruck kommt. Aus diesen seelischen Begleiterscheinungen der 
latenten Brunstzeit laBt sich die Steigerung der psychischen Storungen, der Affekt- 
vergehen und der Selbstmorde in bestimmten Monaten erklaren, insbesondere 
auch die stiirmischen AuBerungen der Schizophrenic und des manisch-depressiven 
Irreseins, welche die Haufung des Ausbruchs geistiger Storungen in den Friih- 
jahrs- und Friihsommermonaten verursachen; denn gerade diese Seelenstorungen 
stehen wahrscheinlich in irgendwelchen nahen Beziehungen zur inneren Sekretion, 
welch letztere aber ihrerseits in engem Zusammenhang mit der Brunst steht. 

547) Caractdre individual et alienation mentale, par William Boven. (Schweizer 
Arch. f. Neurol, u. Psych. VI. 1920. Heft 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der primare individuelle Charakter laBt lange vor Ausbruch einer Psychose 
voraussehen, wo und wie die Gleichgewichtsstorung erfolgen wird; er verursacht 
an sich nicht die Geisteskrankheit, aber er sagt sie voraus und tragt zu ihrem 
Entstehen bei. Der Charakter der Hebephrenen ist von Kindheit an verschieden 
• von demjenigen der kiinftigen Manischen und Melancholischen: bei der Dementia 
praecox bemerkt man im Gegensatz zum manisch-depressiven Irresein Storungen 
des Instinkts und des sozialen Einlebens (MiBtrauen, Reizbarkeit, MenschenhaB, 
Furchtsamkeit), bei der Melancholie sieht man sanfte, gewissenhafte, altruistische* 
gutmiitige, pflichtgetreue Charaktere usw. 

548) Die 8ymptomati8elien Psychosen und ihre Differentialdiagnose, von Hans 
Krisch. (Abhandl. aus der Neurol., Psych., Psychol, und ihren Grenz- 
gebieten [S. Karger]. Beiheft 9 zur Mon. f. Psych. 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Erfahrungen an 32 Fallen. Verf. macht zunachst auf die Bedeutung des 
konstitutionellen Momentes bei den symptomatischen Psychosen aufmerksam. 
Eine von der Spezies abweichende (degenerative) Korperverfassung wird haufig 
auch parallelgehend ein Betroffensein des Blutdriisensystems in sich schlieBen. 
Zu beachten ist auch die Teilkonstitution des Zentralnervensystems. In differential- 
diagnostischer Beziehung werden gegeniiber den symptomatischen Psychosen 
besprochen: die Dementia praecox, das manisch-depressive Irresein, die progressive 
Paralyse, Epilepsie und Hysterie. Die Differentialdiagnose gegeniiber der Dementia 
praecox ist besonders haufig recht schwierig. Aus dem Zustandsbild heraus ist 
die Diagnose haufig unmoglich, aus dem ganzen Verlauf laBt sie sich aber meist 
stellen. Als wichtigstes differential-diagnostisches Merkmal sind die Delirien, 
Meningismusbilder und besonders der amnestische Symptomenkomplex, die 
BewuBtseinstriibung in alien Starkegraden mit nachfolgender Amnesie anzusehen. 
Das in der Praxis brauchbarste differentialdiagnostische Symptom ist die BewuBt- 
seinstriibung. Ihr gelungener Nachweis laBt die Diagnose mit groBter Wahrschein- 
lichkeit auf eine symptomatische Psychose stellen, erklart auch manche Eigen- 
art derselben. Eine vollstandige retrograde Amnesie spricht im allgemeinen eben- 
falls fur den symptomatischen Charakter. Die Dauer von langer als einigen Monaten 
spricht gegen denselben. Endlich ist mit Bonhoeffer die haufig ausschlag- 
gebende diagnostische Bedeutung der korperlichen Parallelvorgange hervorzuheben. 

Auf die konstitutionellen bzw. konditionellen korperlichen und psychischen 
Momente, insbesondere auch auf die pramorbide psychische Konstitution, ist 
besonders zu achten. Meist kann man bei den symptomatischen Psychosen nicht 
von einer bestimmten Ursache reden, sondern es muB eine Reihe von Bedingungen 
zusammentreffen, damit es zu einer symptomatischen Psychose kommt. Von 
ihnen wird allerdings oft eine als dominierende angesprochen werden konnen. 
Es wird sehr oft so sein, daB bei starker pathologischer Anlaga auch bei geringeii 
exogenen Schadigungen Psychosen auftreten, und zwar wahrscheinlich gerade 
XL. (Erg&nzungabaod.) 22 


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dann solche mehr homonomen Charakters. Bei geringer oder fehlender patjjo- 
logischer .Anlage oder massiv einsetzender schwerer exogener Schadigung aber 
werden wir gerade die typischen exogenen Reaktionsformen linden. Bei chronisch 
einwirkenden exogenen Momenten wird vielleicht die pathologische Anlage andrer- 
seits aueh noch am leichtesten durchaeheinen. Abweichungen von den gewohn- 
lichen Typen scheinen nach Bonhoeffer besonders dann aufzutreten, wenn 
eine krankhafte Anlage im Spiele ist. Die Seltenheit der symptomatischen Psyehose 
spricht auch flir die Bedeutung der konstitutionellen Anlage. Im ganzen schlieBt 
sich Verf. der Lehre Bonhoeffers von den exogenen Pradilektionstypen an: 
,,Wir haben es mit typischen psychischen Reaktionsformen zu tun, die von der 
speziellen Form der Noxe sich verhaltnismaBig unabhangig zeigen. Das Differen- 
zierende und die Atiologie Kennzeichnende liegt nicht in dem psychischen, sondern 
fast lediglich in dem somatischen bzw. neurologischen Befund.“ Diese Auffassung 
halt Verf. auch vom Standpunkt der Praxis aus fur notwendig. 

549) tJber da s anfallsweise Auftreten von Krankheitserscheinungen, von Wern. 

H. Becker. (Fortschr. d. Medizin. 1920. Nr. 9.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die meisten korperlichen und geistigen Erkrankungen, insbesondere auch 
die Dementia praecox, Imbezillitat, Hysteric, Paralyse, treten ,,anfallsweise“ 
oder zum mindesten in wellenformigem Yerlaufe auf. Diese Wellenform ist als 
psychogen anzusehen, deshalb beobachtet man sie am ausgepragtesten bei ner- 
vosen und psychischen Erkrankungen. 

550) tJber die Anwendbarkeit psychophysischer Methoden in der Psychiatrie, von 

Otto Lowenstein. (Deutsche med. Wochenschr. 1920. Nr. 13.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

Psychophysik ist nach Fechner die ,,exakte Lehre von den funktionellen 
oder Abhangigkeitsbeziehungen zwischen Korper und Seele £< . Die ideelle — 
aber prinzipiell allzeit unerfullbare — Forderung, die man an die Anwendungs- 
moglichkeit der psychophysischen Regeln stellen konnte, ware, daB sie es uns 
ermoglichten, aus graphischen Aufzeichnungea bestimmter korperlicher Zustande 
(Puls-, Atmungskurven usw.) einen sicheren SchluB zu ziehen auf die den korper¬ 
lichen Zustanden entsprechenden Seelenzustande. Hingegen liegen die Anwendungs- 
moglichkeiten der psychophysischen Methoden im psychophysischen Experiment, 
in dem man psychische Reize einwirken laBt, nachdem man kurvenmaBig fest- 
gelegt hat, welches das auBere Bild der zur Zeit des Versuches wirksamen inneren 
und auBeren Yersuchsbedingungen war. Wo man unter der Anwendung rein 
psychischer Reize, etwa Suggestivreize, mit groBer RegelmaBigkeit in einer groBeren 
Anzahl von Versuchen bestimmte korperliche Veranderungen imnxer wieder 
auftreten sieht, da kann man annehmen, daB diese Veranderungen Begleit- 
erscheinungen bestimmter BewuBtseinszustande sind, die durch den Reiz, den 
man gesetzt hat, erzeugt wurden. Besonders feine Indikatoren fur die sich in 
uns abspielenden geistigen Vorgange sind die unwillkurlichen JBewegungen, mit 
denen Kopf und Extremitaten jeden geistigen Vorgang begleiten .und die uns 
selbst wegen ihrer auBerordentlichen Feinheit unbewuBt bleiben, die aber .mit 
vergroflernden Apparaten gut registriert werden konnen (Beschreibung eines 
solchen vom Verf. konstruierten Apparates). Weitexe empfindliche Indikatoren 
sind die.Atmung und der Puls. Die Experimente des Verf.’s ergaben fiir Dementia 
^uraecox-Kranke, daB die Spontaneitat ihres Gefiihlslebens zwar herabgesetzt, 
aber. ihre SuggestiMlitat erhalten ist, eine Tatsache, welche iiir die Auffassung 
des Krankheitsvorganges, die Differentialdiagnose gegeniiber anderen Hemmungs- 
zustanden und fiir die. Prognose von groBter .Wichtigkeit ist. Ferner.zeigte sich 
bei der'Unterauchung mit . der psychophysischen Methode. der unbewuBten Aus- 
drucksbewegungen, daB jeder nicht organisch Taube Ausdrueksbewegungen 


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auf akustische Reize zeigt, und zwar in dem gleichen MaBe, in deni er nach MaB- 
gabe seiner Hororgane und deren Veranderungen zu horen imstande ware, wenn 
psychische Momente keine Rolle spielten; in gleicher Weise ergaben sich Unter- 
sehiede zwischen hysterischer und organischer Analgesie; die katatonische Pupillen- 
starre zeigte sich vorzugsweise mit ganz bestimmten BewuBtseinszustanden ver- 
bunden usw. Je mehr der Wille entwickelt ist, um so mehr werden die unbewuGten 
Ausdrucksbewegungen zurucktreten; die Ausdrucksbewegungskurven beim geistig 
Gesunden werden daher ein direktes MaB fiir die Beherrschung der unbewuBten 
Bewegungen durch den Willen ergeben (experimentelle Padagogik und Patlio- 
padagogik, forensische Fragestellungen [MaB der strafreehtlichen Verantwort- 
Iichkeit]). 

551) Zur Methodik der Intelligenzpriifung, von R. Henneberg. (Berliner klin. 

Wochenschr. 1920. Nr. 25.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. beschreibt eine Methode der Intelligenzpriifung. Er nimmt einen ge- 
wohnlichen blauen Aktendeckel und schneidet in das vordere Blatt desselben 
in regelmaBigen Zwischenraumen aufklappbare Fenster. Auf der inneren Seite 
des zweiten Blattes wird ein geeignetes Bild befestigt. Nach Offnung der Fenster 
erscheinen Bruchstiicke des Bildes, aus denen die* Versuchsperson das Bild zu 
rekonstruieren hat. Die Schwierigkeit der Aufgabe hangt von der GroBe der 
Fenster, von der Anzahl der geoffneten Fenster, von ihrer Lage und von der Art 
des Bildes ab. Der Hergang des Versuchs ist der, daB eins der mit Nummern ver- 
sehenen Fenster geoffnet und die Versuchsperson veranlaBt wird, ihre Vermutungen 
iiber das Bild zu auBern. Von groBem Belang ist die Auswahl der Bilder. Naheres 
ist in der Arbeit selbst nachzulesen. 

552) tJber Halluzinationen, von P. Schilder. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. 

Psych. LIII. 1920. Heft 3 u. 4.) Ref.: W. Misch. 

Fiir die Genese der Halluzinationen sind zweifellos die Erregungsverhalt- 
nisse der perzipierenden Organe bedeutsam; so konnen z. B. aus einer peripheren 
Erkrankung flieBende abnorme Flimmersensationen am Aufbau der Halluzina¬ 
tionen beteiligt sein. Die Verarbeitung des sinnesphysiologischen Materials hangt 
natiirlich in jedem Fall ab von der Art und dem Lebensschicksal des Betroffenen, 
so daB das Reizmaterial nur ein Teilmoment fiir den Aufbau der Halluzination 
darstellt. 

Zur Priifung der Abhangigkeitsbeziehungen der Vorstellungen vom Korper 
wurden Versuche am Gleichgewichtsapparat angestellt. Es ergab sich unter 
physiologischen Verhaltnissen, daB Labyrinthreizung (durch Kaltspiilung des 
Ohres) die Schragstellung einer vorgestellten Vertikalen bewirken kann, wobei 
gleichzeitig unter dem EinfluB des Nystagmus das Vorstellungsbild in Teilstlicke 
zerfallen kann; es besteht also zweifellos eine Beeinflussung der optischen Vor- 
stellung vom Vestibularapparat aus. Auch in der Hypnose erzeugte Halluzinationeu 
sind, ebenso wie die hypnotischen Wahrnehmungen, vom Vestibularapparat aus 
beeinfluBbar. Endlich werden spontane Halluzinationen (Alkoholdelir) ebenfalls 
durch Vestibularreizung insofern beeinfluBt, als sich die halluzinierten Gegen- 
stande zu bewegen beginnen bzw. deutlich schneller bew^gen, und zwar werden 
wahrscheinlich, entsprechend den Vorstellungen (s. o.) auch die halluzinierten 
Gegenst&nde in mehrere Teile zerlegt. Es ist zu vermuten, daB die Bewegtheit 
und Vielfaltigkeit der Halluzinationen bei Delirium tremens durch toxische Storung 
des Gleichgewichtsapparates und des Augenmuskelapparates bedingt sind. Aus 
den Untersuchungen geht hervor, daB Vorstellungen, Wahrnehmungen und Hallu¬ 
zinationen in wesentlichen Punkten den gleichen Aufbau haben, indem sie sich 
aus dem Zusammenklang verschiedener Sinne zusammensetzen. 

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Auf die Beziehungen zwischen Halluzinationen und Handlung weisen Beob- 
achtungen hin, in denen optische Halluzinationen zwangsmaBig mit Greif- oder 
Zeigebewegungen sowie mit einer Veranderung der Affektlage verbunden waren: 
Bild, Affekt und Bewegung bilden hier eine unlosliche Einheit. Eine Einheit 
von Halluzinationen und Tun stellen ferner die Beobachtungen dar, in denen 
das, was selbst gesprochen wird, als fremdes Sprechen gehort wird, was als Hallu- 
zination des Muskelsinnes aufzufassen ist. ~ 

Wahrend bisher die Frage des formellen Aufbaues der Halluzinationen be- 
handelt wurde, geht Verf. im letzten Teil der Arbeit auf die Frage des Inhalts der 
Halluzinationen ein, inwiefern sich die Welt der Objekte aus dem Erleben des 
Subjekts bereichern kann. Als Typen der Projektion des subjektiven Erlebens 
ins Objekt werden aufgefuhrt die ,,gemachten Gedanken“, wobei sich das Sub- 
jekt zwar bewuBt ist, daB es denkt, aber seine Gedanken als erzwungen durch 
auBere Einwirkungen betrachtet; ferner die Projektion von Korperdefekten in 
Halluzinationen in oft vervielfaltigter, logischer, affektiver und symbolahnlicher 
Verarbeitung des gleichen Motivs, was einer Verlegung von affektiv betontem 
Erleben am eigenen Korper in die AuBenwelt entsprechen wurde; und endlich 
die Projektion von eigenen Bewegungen in Halluzinationen, und zwar vor allem 
von nicht ausdriicklich bewuBten Bewegungen (z. B. choreiforme Bewegungen), 
also von Impulsen, die nicht voll zum BewuBtsein kommen. Fur die Projektionen 
sind nicht sinnvoll e Wiinsche im UnterbewuBtsein, sondernjWillens keime maBgebend. 

Der formale Teil der Untersuchungen wird folgendermaBen zusammengefaBt 
und erlautert: Wahrnehmen ist ein Ausdruck fiir das Bediirfnis des gesamten 
Organismus. Vorstellung und Halluzination sind nur als Fortsetzungen und 
Wiederspiegelungen dieser auf die Welt der Realitat gerichteten Trieb- und 
Willensregungen denkbar. Die Halluzination hat, wie gezeigt wurde, den gleichen 
komplexen Aufbau wie die Wahrnehmung. Sie fuhrt so wie diese gesetzmaBig 
zum Tun. Es ist schon auf Grund der formalen Kriterien zulassig, in den Hallu¬ 
zinationen den Ausdruck eines biologischen Bedlirfnisses zu sehen. Nun zeigte 
das Studium des Projektionsmechanismus und des Inhalts der Halluzination, 
daB der Aufbau des wirklichkeitsfremden Objekts aus dem Triebleben verstandlich 
ist. Es entspricht der ganzen hier vertretenen Anschauungsweise, daB auch soma- 
tische Mechanismen fiir die Projektion bestimmend sein konnen. Das Triebleben 
ist ja in der somatischen Organisation gegriindet und ist als somatischer Faktor 
zu werten. Werden die Erwagungen zusammengefaBt, so schneidet die Wahr¬ 
nehmung diejenigen Stucke aus der Welt, die sie braucht; im Vorstellen, das die 
Wirklichkeit erreicht, wird diese Tat wiederholt und neuerlich vorbereitet. Wahr¬ 
nehmung und Vorstellung sind Ausdruck sowohl des biologischen Trieblebens 
wie der organischen Gesamtkonstitution. Die Halluzination ist der Ausdruck 
einer autonom gewordenen biologischen Teilstrebung. 

553) Untersuchungen iiber die Senkungsgeschwindigkeit der Blutkorperchen im 
Zitratblut bei Nerven- und* Geisteskrankheiten, von F. Plaut. (Miinchener 
med. Wochenschrift. *1920. Nr. 10.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verhindert man die Gerinnung des Pferdeblutes dadurch, daB man es in 
eine Losung von Na citricum einflieBen laBt, so senken sich die roten Blutkorperchen 
schneller als die weiBen. Im Menschenblut sedimentieren im allgemeinen die 
roten Zellen langsam, und es kommt deshalb zu einer Trennung der Zellarten, 
die eine ausgiebige Gewinnung der Leukozyten ermoglicht. Hin und wieder sieht 
man jedoch ein iiberraschend schnelles Ab’setzen des Sediments. Priift man auf 
diese Eigenschaft ein groBeres Material von Eranken,.so erkennt man, daB ge- 
wisse Krankheitsformen sich durch eine stark hervortretende Beschleunigung der 


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Sedimentierung auszeichnen. Fiir Nerven- und Geisteskrankheiten ergaben die 
Versuche des Verf.’s an 220 Fallen folgendes: 

Bei mannlichen Kranken unterscheidet sich die Mehrzahl der Falle von Para- 
lyse, Lues und Arteriosklerose von der Mehrzahl der Falle von Psychopathie, 
Melancholie, Dementia praecox und Epilepsie durch eine Beschleunigung der 
Erythrozytensedimentierung im Zitratplasma. Der Unterschied der Mittelwerte 
bei den ersteren Erkrankungen gegeniiber den zuletzt genannten Krankheitsformen 
ist ein recht erheblicher. So sedimentieren z. B. die Paralysen durchschnittlich 
6mal so schnell als die Falle von Dementia praecox. Besonders langsam von den 
Paralytikern sedimentierten nur 8,3°/ 0 , besonders schnell von den Dementia 
praecox-Fallen nur 6,6°/ 0 , von den Psychopathen nur 5,9°/ 0 . 

Die Beschleunigung der Sedimentierung wird durch Agglutination der Blut- 
korperchen herbeigefiihrt. 

Das Phanomen der Sedimentierungsbeschleunigung wird als ein patholo- 
gisches Zeichen von vorlaufig nicht zu bestimmender Art angesprochen. 

Die Frauen sedimentieren schneller als die Manner; auch die weiblichen 
Paralysen zeigen Beschleunigung gegeniiber anderen Krankheitsformen. Die 
Werte sind aber hier weniger stabil und durch physiologische Einfliisse (Men¬ 
struation?) beeinflufibar. 

554) Blutforschung und Geisteskrankheiten, von V. Kafka. (Medizin. Klinik. 
1920. Nr. 13.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. gibt einen Gberblick liber die Beziehungen zwischen Medizin und Psy¬ 
chiatric, wobei er der Rolle der Blutforschung besonders gedenkt. Er bespricht 
eingehend die Bedeutung der Lumbalpunktion und der Serodiagnostik, der Lehre 
von der inneren Sekretion und namentlich auch der Seelenwissenschaft selbst in 
bezug auf die Untersuchungen von Abderhalden, endlich in Kiirze die Ziele der 
Blutforschung. 

555) Serologische Untersuchungen an Geisteskranken der Staatskrankenanstalt 
Langenhorn in bezug auf die Erhohung des antitryptischen Vermogens und 
die Abderhalden-Fausersche Dialysierreabtion sowie auf die Beziehungen 
zwischen beiden, von Heinrich Kortke. (Monatsschr. f. Psych, u. Neur. 
XLVII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Zusammenfassung: Hoher Antitrypsingehalt des Serums wird bei Dementia 
praecox, manisch-depressivem Irresein, Epilepsie und Paralyse deutlich haufiger 
angetroffeh als bei Gesunden und bei Degenerierten, bei Degenerierten und Psycho¬ 
pathen jedoch wieder haufiger als bei Normalen. Nur sehr hohe Werte weiseh 
mit Sicherheit auf das Bestehen einer Krankheitsform hin. Differentialdiagnostisch 
laBt sich die Erhohung des Antitrypsingehaltes zur Abgrenzung von Dementia 
praecox gegeniiber manisch-depressivem Irresein nicht verwerten, gegeniiber 
geistig Gesunden und Degenerierten nur mit groJJer Reserve. Nur die verhaltnis- 
maflig seltenen sehr hohen Werte lassen sichere Schliisse zu, vorausgesetzt, daB 
man mit Sicherheit sonstige korperliche Krankheitszustande ausschlieBen kanix. 

Bei der Abderhalden-Reaktion ergibt sich, daB Abbauerscheinungeii bei 
Gesunden nicht vollig fehlen, ohne daB dafiir ein Grund angegeben werden kann. 
Auch gleichzeitiger Abbau von Gehirn und Geschlechtsdriisen kommt vor. Haufiger 
sind Abbauerscheinungen bei Degenerierten, Psychopathen und Hysterikern, noch 
haufiger bei Manisch-depressiven. Auch bei diesen Gruppen ist gleichzeitiger 
Abbau von Gehirn und Geschlechtsdriisen nicht so selten, wie meist angenommen 
wird. Bei Dementia praecox, Epilepsie und Paralyse sind Abbauerscheinungen 
sehr haufig, besonders bei Dementia praecox ist auffallend haufig (50°/ 0 der Falle) 
gleichzeitiger Abbau von Gehirn und Geschlechtsdriisen vorhanden. 


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Bei der Gruppe der Degenerierten und Psychopathen, bei Dementia praecox 
und manisch-depressivem Irtesein scheint ein Parallelismus zwischen erhohtem 
Antitrypsingehalt und positiver Abderhalden-Reaktion zu bestehen, bei geistig 
Gesunden, Epilepsie, Paralyse und Dementia senilis wurde ein solcher nicht 
deutlich. Der Wert der Abderhalden-Reaktion fur die praktische Diagnostik 
ist bisher recht beschrankt. Nur ganz allgemein kann geschlossen werden, daB 
positive Reaktion mehr fur eine geistige Erkrankung, besonders im Sinne der 
Dementia praecox, spricht als negative. Die differentialdiagnostische Bedeutung 
der Abderhalden-Reaktion als Kriterium zwischen Dementia praecox und manisch- 
depressivem Irresein und der Degenerierten-Gruppe ist bisher nicht sichergestellt. 
Fiir die Prognose einer Erkrankung lassen sich weder aus deni Ausfall der Abder¬ 
halden-Reaktion nocli aus dem Antitrypsingehalt sichere Schliisse gewinnen. 

556) Die Abderhaldensche Reaktion unter besonderer Beriicksichtigung ihrer 
Ergebnisse in der Psychiatrie, von Gottfried Ewald. (Abhandl. aus der 
Neurol., Psych., Psychol, u. ihren Grenzgebieten. (S. Karger.) 1920. Heft 10.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Es sei auf das ausfiihrliche Referat in d. Centr. 1919 S. 77 und 108 hingewiesen. 

557) The Significance of Acidosis in Certain Nervous Disorders, by Shaw. (Brit, 
med. Journ. 1920. 22. Mai.) Ref.: Schreiber. 

Azidose ist ein nicht seltener Nebenbefund bei akutem Delir, bei Verwirrt- 
heits-, Schwermuts- und Stupor-Zustanden und vor allem bei Epilepsie. Sie ist 
stets eine sehr ernste Komplikation, ihre Erkennung durch den Nachweis von 
Azetonkorpern im Harn leicht. Die Behandlung hat in vollkommener Ruhe und 
in Verabreichung von Alkalien zu bestehen. 

558) Die Ursachen und die arztliche Behandlung der psychopathischen Konstitu- 
tionen, von Ph. Jolly. (Beitr. z. Kinderforschung und Heilerzieh. Heft 177. 
H. Beyer u. Sohne, Langensalza 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Zunachst Ubersicht liber die verschiedenen Gruppen der psychopathischen 
Konstitutionen, dann Besprechung der allgemeinen Ursachen derselben: Erb- 
lichkeit, Keimschadigung durch Syphilis, Tuberkulose. Gicht, Blei, Alkohol, 
Morphium, Cocain, dann Gehirnschadigung durch Unfall, Infektionskrankheiten, 
AlkoholgenuB, psychische Ursachen. 

Wichtiger als die Behandlung der Psychopathien ist deren Prophylaxe: 
Ehezeugnisse, Kampf gegen Alkohol und Lues und gegen die Milieu-Ursachen 
der psychopathischen Konstitutionen. 

559) Kiinischer Beitrag zur Kenntnis der Psychosen im Riickbildungsalter und zur 
Frage der Wahnbildung aus iiberwertiger Idee, von E. Gamper. (Jahrb. 
f. Psych, XL. 1920. Heft 1.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Yerf. beobachtete mehrere Falle, denen gemeinsam war eine auf sensible, 
bzw. sensorische MiBempfindungen aufbauende chronische Wahnbildung bei an- 
scheinend vollig intakter Personlichkeit und ohne Anhaltspunkt fiir eine toxische 
Schadigung. Eine genaue Analyse fiihrte aber zu einer diagnostischen Differen- 
zierungin mehrere Gruppen von durchaus verschiedener pathogenetischer Grundlage. 

Verf. teilt nun zwei musterhaft gefuhrte Krankheitsgeschichten mit, eine 
53jahrige ledige Lehrerin und einen 62jahrigen Beamten betreffend, welche ihm 
AnlaB zu hochst anregenden theoretischen klinisch-psychiatrischen Erorterungen 
bieten. Im ersten Falle handelte es sich um eine ziemlich unvermittelt unter leb- 
haften Sinnestauschungen auf haptischem und sparlicherer auf optischem Gebiete 
einsetzende wahnhafte Verfalschung des BewuBtseins in Form der hypochondrischen 
Wahnidee, von Lausen befallen zu sein; diese isolierte Idee erfahrt einen fort- 
schreitenden Ausbau und logische Begriindung; niemals Minderwertigkeitsideen 
oder persekutorische Gedankengange, es besteht eine isolierte, logisch ausgebaute 


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und fortgesponnene hypochondrische Wahnidee, die sick stiitzt hauptsachlich auf 
tauschende Sensationen von Seite der Haut und der tieferliegenden Gewebe, weniger 
auf optische Tauschungen bei volliger Erhaltung der Personlichkeit und ohoe 
primare Storungen der Affektivitat. 

Das Krankheitsbild entsprache der Wernickeschen ,,zirkumskripten Somato* 
psychose“, von der indes Verf. mit Recht sagt, daB die neuere Psychiatrie diesen 
Begriff so gut wie fallen gelassen hat. Dagegen vermochte sich die Wernickesche 
Begriffsbildung der zirkumskripten Autopsychose in Verbindung mit seiner ,,iiber- 
wertigen Idee‘‘ zu halten. Den Ausgangspunkt in der Frage der zirkumskripten 
Autopsychose bildet der Begriff der Uberwertigkeit. Verf. bringt nun in hochst 
instruktiver und kritischer Weise einen Uberblick iiber den weiteren Entwicklungs- 
gang der iiberwertigen Idee, wobei vor allem die Arbeiten von Friedmann 
und Jasper, namentlieh aber die Studie Maiers iiber katathyme Wahnbildung 
zur Erorterung gelangen. und die Beziehungen des ganzen Fragekomplexes zur 
modernen Paranoialehre. 

Ausgehend von der iiberwertigen Idee als abnorm stark affektbetonter Vor- 
stellung oder Vorstellungsgruppe (sei der Inhalt real oder nicht), versucht nun 
Verf. folgende Gruppierung nach der Quelle der affektiven Energie: 

1. Uberwertigkeiten des AlltagR auf dem Boden normaler Triebe und Leiden- 
schaften. 

2. Uberwertigkeiten auf dem Boden konstitutioneller abnormer affektiver 
Veranlagung (z. B. psychopathische Uberwertigkeiten Friedmanns). 

3. Uberwertigkeiten auf dem Boden krankhaft veranderter Affektivitat 
innerhalb des Verlaufes einer Phase oder eines Prozesses. 

4. Uberwertige Ideen innerhalb rein nervoser Zustande (isolierte iiberwertige 
Ideen Friedmanns). 

5. Uberwertigkeiten in der Riclitung der Bewegungsvorgange Friedmanns: 

a) auf nervosem Boden. 

b) auf psychasthenischer Grundlage. 

Die Formen 1 bis 3 sind geeignet, das richtunggebende Leitmotiv ftir kata¬ 
thyme Wahnbildung (Wahnbildung aus iiberwertiger Idee) zu geben bei Vor- 
handensein der fiir komplex bedingte Wahnbildung notwendigen allgemeinen 
Disposition (Maier). Letztere kann nun begriindet sein: 

1. in der konstitutionellen Anlage, 

2. in phasenhaft einsetzenden oder ganz neu hinzutretenden Veranderungen 
der Personlichkeit wie bei zyklothymen Zustanden und innerhalb des Verlaufes 
von Prozessen. 

Die Verfolgung normal-psychologischer Erlebnisse ergibt eine Reihe inter- 
essanter Zusammenhange seelischer Ablaufe, welche, je nach Konstellation, die 
Idee, Trager von Ungeziefer zu sein, zu einem sich vordrangenden BewuBtseins- 
inhalt machen konnen, wie Verf. an Beispielen zeigt. Diese Art Uberwertigkeit 
hat aber bei normalen Individuen nur kurze Dauer. In der charakterologischen 
Struktur des Falles 1 lieB sich kein Haftpunkt finden, an welchen ein an sich 
harmloses Erlebnis sich hatte verankern konnen; auch ftir die Vermutung, daB die 
Lauseidee nur symbolische Bedeutung habe, daB sich in ihr etwa eine Entwer- 
tungsidee verstecke, konnte kein Fingerzeig gewonnen werden (Verf. ist erfreulicher- 
weise kein Psychoanalytiker im Sinne der Freud-Schule; Anm. d. Ref.). Ein 
genaueres Zergliedern des Falles 1 zeigt, daB etwas vollig Neues, aus dem bis- 
herigen Lebensgange der Kranken nicht Verstandliches auftritt, eine Wahnidee 
taucht auf, die inhaltlich assoziativ innig verkniipft ist mit krankhaften Sen¬ 
sationen von seiten der Haut und der tiefer liegenden GeWebe. Die Neigung zu 
optisch illusionaren Verkennungen. Andeutung von Erinnerungsfalschungen, die 


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innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Anorexie und Ekelgefiihl, Reduktion des Kr- 
nahrungszustandes sind elementarer Ausdruck des Krankheitsprozesses. Die 
hypochondrische Wahnidee verliert so ihre monosymptomatische Stellung im 
Krankheitsbilde, sie behalt sie nur als gedankliche Storung. Die illusionar ge- 
deuteten, krankhaften MiBempfindungen weisen auf organische Veranderungen 
im Zentralnervensystem hin (autosuggestive Produkte entsprechen diesen Sensa- 
tionen nicht, wie Verf. iiberzeugend dartut; es fehlt auch andrerseits jeder Hin- 
weis auf peripher-neuritische Veranderungen). Verf. denkt speziell an zerebrale 
Arteriosklerose. Es mischen sich neurologische Symptome eines organischen 
Hirnprozesses mit den Merkmalen eines psychischen Prozesses. 

Verf. wendet sich nun zur Erorterung der Seelertschen Studie iiber para- 
noide Psychosen im hoheren Lebensalter und untersucht, ob sein Fall 1 eine An- 
gliederung an die Mitteilungen dieses Autors gestattet. Er gelangt zur Auffassung ; 
daB bei Fall 1 wir eine Psychose vor uns haben, welche in die paranoiden Geistes- 
storungen des hoheren Lebensalters einzureihen ist mit der bisher nicht publi- 
zierten Variante einer rein hypochondrisch paranoiden Wahnbildung; die Struktur 
ist in einer metathymen Wahnbildung gegeben, welche im Wechselspiel einer 
konstitutionell abnormen affektiven Anlage mit einem organisch bedingten Krank- 
heitsprozeB zustande kommt, der einerseits der Affektivitat das Obergewicht 
iiber die logische Kraft verschafft (allgemeine Disposition fiir die katathyme 
Wahnbildung), der andrerseits bestimmend wird fiir die Wahnrichtung und 
gleichzeitig das Wahnmaterial in Form korperlicher Storungen beistellt. 

Es folgen nun noch lesenswerte differentialdiagnostische Erwagungen (so 
gegeniiber einer Spatform von Dementia praecox usw.). 

Nr. 2 ist die Krankheitsgeschichte eines Falles von zweifellos manisch- 
depressivem Irresein, bei dem wieder die hypochondrische Vorstellung, von Lausen 
befallen zu sein, beobachtet wurde. Wieder sind die den wahnhaften Deutungen 
zugrundeliegenden MiBempfindungen organisch-zerebral bedingt (Pat. leidet 
auBerdem an Kopfschmerz und Schwindelanfallen). Es liegt eine zyklothyme 
Verstimmung in Kombination mit einem organischen HirnprozeB vor. Zeitweilig 
findet der Kranke die richtige Beurteilung der Parasthesien. ist also zu kritischer 
Stellungnahme fahig; die wahnbildende Kraft der organisch bedingten hypo- 
chondrischen Vorstellungsrichtung kommt erst durch die zyklothyme Storung 
zustande. Der organische ProzeB liefert ein Komplexmotiv (hypochondrische 
Befiirchtung), das durch Hinzutreten einer endogen bedingten depressiven Affekt- 
spannung katathym wahnbildend wirken konnte. 

In beiden Fallen also erkennt man ein Wechselspiel konstitutioneller endo- 
gener Anomalien mit Storungen, die ihre Ursache in einer dem Riickbildungsalter 
zugehorigen Hirnerkrankung haben. 

Ref. konnte nur in gedrangtester Kurze die Gedankengange des Verf.’s wieder- 
geben. Wer sich aber fiir feinsinnige und tiefschiirfende, dabei den Boden der 
Realitat nie verlassende klinisch-psychiatrische Analysen ein Interesse bewahrt 
hat, moge unbedingt die Arbeit im Originate lesen. 

560) Depressionen, ihr Wesen und ihre Behandlung, von Wilhelm Stekel. (Therap. 
d. Gegenwart. 1920. Juli bis September). Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Je langer Depressionen dauern, desto schwieriger wird die Behandlung. 
Physikalische und medikamentose Mittel versagen dann, es bleibt die Psycho- 
therapie. Die Aufgabe des Psychotherapeuten ist es, den versteckten Grund der 
Depression ausfindig zu machen. Dem Kranken ist dieser Grund nicht bewuBt. 
Verf. bespricht genauer die Wege der Analyse, die nahere Art und den periodischen 
Verlauf der Depressionen, die Bedeutung der Erotik. Von besonderer Bedeutung 
ist die Periodizitat. Eine haufige Ursache ist das Aufgeben der Onanie, das die 


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Depression verstarkt. Die Depression ist eine HaBneurose; sie ist der vollkommene 
Bankerott der Phantasiewelt, sie stellt den endgiiltigen Sieg der Realitat iiber 
die Phantasien dar. Es gibt keine Depression, in der sich der Kranke nicht Vor- 
wiirfe macht; er will nicht gesund werden usw. 

Den SchluB der Ausfiihrungen bilden therapeutische Betrachtungen. • Die 
Behandlung mit Hormonen hat versagt. t)ber die Operationen im Sinne von 
Steinach kann man noch kein Urteil fallen. Gute Resultate gibt die seelische 
Behandlung, wahrend die Behandlung mit Narcoticis gefahrlich ist. Verf. fiirchtet 
die Schlaflosigkeit der Depressionisten nicht nur nicht, sondern er sieht in ihr 
eine Art Heilungstendenz und Schutzvorrichtung. Eine wertvolle Unterstiitzung 
bietet die Hydrotherapie. Wichtig ist fur die Kranken Beschaftigung und Arbeit. 
Eine eminente Gefahr bietet der Selbstmord, aber wahrend der Analyse kommt 
ein Selbstmord nicht vor, wenn man die Kranken, die dazu auch am Arzt hangen 
miissen, aus dem Nichtstun und Vorsichhindammern herausreiBt. Durch Selbst : 
erziehung und Selbstbeherrschung mtissen die Kranken lernen, nur mit dem Arzte 
iiber ihr Leiden zu sprechen. 

561) Beitrage zur Pathogenese der krankhaften Simulation von Geistesstorung, von 

L. Epstein. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LV. 1920. S. 76.) 
Ref.: W. Misch. 

Es werden drei Falle von erblich belasteten psychopathischen Individuen 
mitgeteilt, bei denen im AnschluB an ein affektbetontes Erlebnis (Einziehung zum 
Heeresdienst) eine uberwertige Idee zur Entwicklung kam, die in jedem Falle 
eine psychogene Symptomengruppe ausloste, in deren Rahmen teils bewuBte, 
teils unterbewuBte Dbertreibung und Simulation nachweisbar ist. Aber auch 
dort, wo dies bewuBt geschieht, fehlt in der Durchfiihrung der urspriinglich be- 
standenen Vortauschungsabsicht die voile Handlungsfreiheit; vielmehr handeln 
die Kranken unter dem Einflusse krankhafter Erregung und krankhaften Zwanges, 
so daB die Vortauschung als ein durch krankhafte seelische Faktoren erzeugter 
Vorgang, als krankhafte Reaktion zu betrachten ist, die auf Grund einer psycho- 
genen Disposition zustande kam. Diese drei Falle mahnen zur Vorsicht bei der 
Feststellung von reiner, d. h. von pathologischen Faktoren freier Simulation. 

562) Arztliche und soziale Indikationen zur kunstlichen Unterbrechung der 
Schwangerschaft, von H. Higier. (Verhandl. der Warschauer arztl. Gesell- 
schaft. CXIV. 1919.) Eigenbericht. 

Nicht strafbar ist die Schwangerschaftsunterbrechung: 1. wenn sie von eine in 
Arzte vorgenommen wird, 2. nach arztlichen Indikationen, 3. zur Rettung der 
Mutter bei absoluter und unmittelbarer Lebensgefahr, 4. bei drohender schwerer 
Gesundheitsschadi gung. 

Was speziell die Indikationen bei psychisch Kranken anbelangt, so sind sie 
sehr selten; und zwar aus folgenden Grtinden: 1. der Zusammenhang der Psychose 
mit der Graviditat ist oft zufallig, indem beide am haufigsten zwischen dem 20. 
und 30. Lebensjahr eintreten; 2. das Moment des ursachlichen Zusammenhanges 
ist nicht bewiesen; 3. der ungiinstige EinfluB beider aufeinander ist nicht be- 
statigt; 4. sowohl maniakalische als melancholische Syndrome und Psychosen 
entstehen und vergehen wahrend der Schwangerschaft bzw. uberdauern dieselbe; 
5. die Tendenz zur Besserung und Heilung ist nicht vom wirklichen bzw. kunst¬ 
lichen Abort abhangig; 6. Fehlgeburt bringt kaum eine Psychose zum Schwinden, 
beugt ihrem Ausbruch nicht vor, beeinfluBt selten deren Charakter, Entwicklung y 
Verlauf, Periodizitat, Remissionen, Exazerbationen und Ausgang. Nur vereinzelte 
Formen von Praecox und Tentamina suicidii der Psychopathiker indiziereh die 
Friihgeburt. 


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Von Neuropatheien kommt in Betracht bei Indikationssteliung die schwere 
toxamische Chorea, die Tetanie mit Affektion der Respirationsmuskiilatur, der 
fieberhafte Status epilepticus, viel seltener die exazerbierende Herdsklerose und 
die bulbare Polyneuritis gravidarum. 

Weder die Depopulation iiach dem Weltkriege noch die allgemeine Prole- 
tarisation andern was im strengen Indikationsschema des Neurologen und Psy¬ 
chiaters. Der Arzt als Arzt hat die Pflicht, nur die arztliehe Indikation zu beriick- 
sichtigen, als Hygieniker und Soziologe hat er das Recht, auch soziale und rassen- 
hygienische, eugenische Probleme zu beachten, solange der Staat die sozialen 
Fragen nicht entscheidet. Bei Koinzidenz arztlicher und wirtschaftlicher Indi- 
kationen entscheiden zuweilen die letzteren. Aus rassenbiologischen Griinden 
ist in praxi nur gestattet die Anratung prophylaktischer oder kiinstlicher Sterilitat, 
niemals jedoch prophylaktische oder kiinstliche Friihgeburt, die den Arzt zwingt, 
zurn Riskieren eines menschlichen Lebens der problematischen Rassenverbesserung 
zuliebe. Anzeigepflicht jedes Abortes ist kaum anzuraten und kaum durch- 
fiihrbar, es hieBe brutal in die Privatverhaltnisse der Klientel arztlich eingreifen. 

563) Rekurrensinfektionen bei Psychosen, von R. Weichbrodt. (Deutsche med. 
Wochenschrift. 1920. Nr. 25.) Ref.: Kurt Mendel. 

Rekurrensimpfungen (mit Erzeugung hohen Fiebers) brachten bei Psychosen 
wiederholt Remissionen (vgl. Plant und Steiner. Neur. Centr. 1919, S. 727), 
allerdings schienen die Resultate mit Malaria besser zu sein. Die Liquorunter- 
suchungen ergaben, daB bei Paralytikern oft zuerst eine starke Lymphozytose 
auftrat, mitunter sank die Zahl dann auf fast normale Werte. Auch die Wa.-R. 
wurde in manchen Fallen sehr gunstig beeinfluBt, und zwar ohne Salvarsanbe- 
handlung. Bei Katatonen sah Verf. ebenfalls zuerst im Liquor eine sehr starke 
Lymphozytose ohne EiweiBreaktion, spater zeigten sich auch hier EiweiBreaktionen, 
allmahlich traten dann wieder normale Verhaltnisse auf. 

564) Hypnose und Psychose, von Otto Siinmonds. (Medizin. Klinik. 1920. 
Nr. 20.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Es gelingt im allgemeinen nicht, einen Geisteskranken zu hypnotisieren, und 
wenn es einmal gliickt, einen Kranken im leicht depressiven oder ahnlichen 2u- 
stand einzuschlafern, so bleiben die Suggestionen, besonders aber alle Wahnideen 
unbeeinfluBt. Eine gelungene Hypnose fiihrt bei einem Geisteskranken geradezu 
eine Spaltung der Suggestibility herbei. Verf. bespricht besonders die Frage, 
ob es moglich ist, durch Suggestion in der Hypnose ein Zustandsbild zu erzeugen, 
dessen Unterscheidung von einer echten Psychose sogar dem geiibten Beobachter 
nicht leicht fallt. Er schildert einen angestellten Versuch, bei dem ein hochgradiger 
angstlicher Erregungszustand mit Halluzinationen und Wahnideen eventuell ein 
Produkt der Hypnose war, der sich auffallend schnell weghypnotisieren lieB und 
bei dem es gelang, die einzelnen Halluzinationen und Wahnideen geradezu sinn- 
gemaB aufzuldsen und aufzuklaren. Der Fall hat praktisches Interesse. 

565) XJntersuchungen tiber Bazillentrager in einer Irrenanstalt, von N. Fleisch- 
hauer. (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXXVI. Heft 2.) Ref.: Zingerle. 

AuBer sporadischen Typhuserkrankungen kamen wiederholte Epidemien vor, 
bei welchen 4 bis 5°/ 0 der Anstaltsbewohner erkrankten. Bei den wiederholten 
Untersuchungen ergab sich eine starke Durchseuchung der Frauenabteilung mit 
Bazillentragerinnen (7,6°/ 0 ), die in einem abgesonderten Gebaudeabschnitt mit 
separiertem Garten untergebracht wurden. 

566) Zonahme der Tuberkulose in den Irrenanstalten wahrend des Krieges, von 

Rudolf Fabinyi. (OrvosiHetilap. 1920. Nr. 16bisl8.) Ref.: Hudovernig. 

Verf. bringt eine Zusammenstellung der meisten ungarischen Irrenanstalten 
iiber Zunahme der Tuberkulose wahrend des Krieges, welche einen ganz betracht- 


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lichen Prozentsatz erreioht. Als Yergleichsbasis dienen je 3 Friedens- und Kriegs- 
jahre, von 1911 bis 1917. Aus den zahlreichen interessanten und instruktiven 
Tabellen sei bloB hervorgehoben, daB auch im Frieden die Zahl der Tuberkulose 
bei Mannern ausgesprochener ist, als bei Weibern, doch zeigt sich init der Dauer 
des Krieges eine standige Zunahme der Tuberkulose. Von der Gesamtzahl der 
Anstaltsinsassen waren tuberkulos 1911 3,04°/ 0 der Manner, gestorben 2,05°/ 0 ; 
bei Weibern 3,48 bzw. 2,1 °/ 0 . 1914 stellen sich diese Zahlen bei Mannern auf 3,5 
bzw. 1,9%, bei Weibern auf 4,3 bzw. 2,3°/ 0 . 1917 bei Mannern auf 9,3 bzw. 6,5°/ 0 , 
bei Weibern auf 8,3 bzw. 5,4%. — Eine besondere Tabelle gibt AufschluB daruber, 
welche Krankheitsform die Mehrzahl der Tuberkulosetodesfalle liefert. Von 
deren Gesamtzahl entfallt das Maximum, d. i. 42,74% auf Dementia praecox, 
dann folgt die Paranoia (Paraphrenie inbegriffen) mit 19,22%, progressive Paralyse 
mit 7,85%, lmbezillitat und Idiotic bloB mit 6,7%. Von den wegen Geisteskrank- 
heit eingelieferten aktiven Militarpersonen starben an Tuberkulose 1914 0, 1915 4, 
1916 11, 1917 14, 1918 5. 

Die Tuberkulose der Geisteskranken hat sich im Kriege nicht bloB vermehrt, 
sondern erschreckende Dimensionen angenommen; die Hauptursache dieser Er- 
scheinung erblickt Verf., neben den allgemein bekannten hygienischen Zustanden 
in den Irrenanstalten, in der im Kriege nicht bloB mangelhaft, sondern vollkommen 
unzureichend gewordenen Ernahrung. 

567) Welchen Einflufi hatte die Kriegsernahrung auf die Angehorigen der Heil- 
anstalt Dosen? von Liebers. (Psych.-neur. Wochenschrift. XXII. 1920/21. 
Nr. 5/8.) Ref.: Kurt Mendel. 

Zunahme von Mortalitat und Morbiditat wegen der unzureichenden Kriegs¬ 
ernahrung, Zunahme von Furunkulose, Zellgewebsentziindung, Odemkrankheit, 
Tuberkulose, Amenorrhoe. Eine Anderung im Verlaufe der Psychosen an und fur 
sich wurde nicht beobachtet, doch fiel auf, daB die heftigen Erregungszustande 
viel weniger heftig und seltener in Erscheinung traten. Bei Kranken und beim 
Personal zeigte sich eine gesteigerte allgemeine nervose Erregbarkeit. 

568) Zur Reform der Irrenfiirsorge, von Baumann und Rein. (Allg. Zeit-schr, 
f. Psychiatrie. LXXVI. Heft 1.) Ref.: Zingerle. 

Bei der Stellungnakme zu den bekannten Vorschlagen Kolbs beantragen 
die Verf. fur PreuBen einzelne Abanderungen. Diese beziehen sich auf die Schaffung 
von leitenden irrenarztlichen Stellen im Staatsministerium und den Provinz- 
verwaltungen, die Bestellung von Fursorgepsychiatern fur die Fiirsorgebezirke 
der Anstalten, die Errichtung von Irrejischutzgerichten mit 3 Instanzen, auf die 
ErmaBigung der Kosten der arztlichen Behandlung Geisteskranker, die Unter- 
bringung von nicht mehr anstaltsbediirftigen Kranken in freien Abteilungen 
der Anstalten. Die Verff. wenden sich gegen die Einfiihrung des Achtstunden- 
tages beim Pflegepersonal, wcnn sie auch eine Herabsetzung der Dienstzeit fiir 
notwendig erachten. 

569) Die Entwicklung der Hamburger Irrenfiirsorge, von A. Jakob, Kafka, 

r Rittershaus und Weygandt. (Psych.-neurol. Wochenschr. XXII. 1920/21. 

Nr. 7 u. 8.) Ref,: Kurt Mendel. 

Riickblick iiber die Irrenfiirsorge des Staates Hamburg. 

570) Der Achtstundenarbeitstag in der Heilanstalt Strecknitz, von Wattenberg. 
(Psychiatrisch-neurol. Wochenschr. XXI. 1919/20. Nr. 51 u. 52.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

Fiir Kranke, Arzte und Personal ist die Einfiihrung des Achtstundenarbeits- 
tages von Nachteil und Schaden. Die Krankenpflege wird erheblich erschw:ert 
und verschlechtert, die Sicherheit des Anstaltsbetriebes gefahrdet. 


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571) Das Schicksal der aus der Anstalt entlassenen Geisteskranken, von Erich 
Friedlaender. (Psychiatrisch-neurol. Wochenschr. XXII. 1920/21. 
Nr. 23 u. 24.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Prognose fiir die aus der Anstalt entlassenen Geisteskranken ist ungiinstig. 
Der Prozentsatz der erwerbsfahigen Kranken ist nur gering (26°/ 0 ), die Zahl der 
Pflegebediirftigen (7%), Unsozialen (5%)> Wiederaufnahmen (40°/ 0 ) und Selbst- 
morde (3%) verhaltnismaBig groB. Daher nicht zu friihzeitig entlassen! 

572) Der Lehrfilm in der Irren- und Nervenheilkunde, von C. Thomalla. (Film 
und Wissen. 1920. Nr. 2.) Ref.: Max Marcuse (Berlin). 

Das Ufa-Lehrfilm-Archiv besitzt in seiner neurologisch-psychiatrischen Ab- 
teilung bereits iiber 60 verschiedene Patientenaufnahmen aus der Kraepelinschen 
Klinik in Miinchen; ferner u. a. Patientenaufnahmen aus dem Berliner Neuro- 
biologischen Institute, aus dem Hospital Buch und der Nervenklinik der Charite. 
Ihren didaktischen Wert sucht Verf. zu erweisen, indem er die durch die ganz 
eigene Symptomatik und Verlaufsweise der Nerven- und Geisteskrankheiten 
sowie durch die auBeren Bedingungen des klinischen und poliklinischen Unterrichts 
notwendigerweise bewirkten Beschrankungen der neurologischen und psychiatri- 
schen Lehr- und Lernmoglichkeiten, insbesondere an den Beispielen der Schizo¬ 
phrenic, des zirkularen Irreseins, der Hysterie aufzeigt und diesem Sachverhalt 
gegenuber die durch den Film gewonnenen Erganzungen, Auffiillungen von Liicken 
und Unabhangigkeiten vom Material iiberzeagend darlegt. Beispielsweise An- 
fiihrung von Sammelfilmen iiber die Katatonie, die Hebephrenie, die Alkohol- 
psychose usw. AuBer solchen Sammelfilmen zur Darstellung moglichst vieler 
Kranker mit den verschiedensten korperlichen Symptomen miiBten Filme auch 
einzelne Patienten wochen-, monate-, moglichst auch jahrelang in typischem 
Fortschreiten ihres Leidens verfolgen: z. B. eine Paralyse in ihrer Entwicklung 
durch Monate und Jahre, in einer Stunde im Film gesehen, lehre mehr als eine 
Serie von Vorlesungen. ,,Alle Untersuchungsmethoden, Blutentnahme, Lumbal - 
punktion, therapeutische Versuche usw. sind einbegriffen und werden gesehen, 
nicht nur gehort. Schriftproben, Auffalligkeiten der Sprache usw. lassen sich zwang- 
los im begleitenden Text einflechten. Das Gleiche gilt von der Katatonie. vom 
manisch-depressiven Irresein und vielem anderem. Besonders die Hysterie ware 
ein auBerst dankbares Gebiet. zumal hier die verschiedenartigsten Heil versuche 
und Eingriffe, vor allem auch iiberraschende Heilerfolge demonstriert waren.“ 
Auch in der Neurologie kommt dem Film eine vielfaltige Verwendungsmoglichkeit 
zu, z. B. zur Veranschaulichung epileptischer, hysterischer und paralytischer 
Anfalle, von Lahmungen, Ataxien, zerebellaren Koordinationsstorungen, von 
Veitstanz, Starrkrampf, Neuralgien mit ihren furc-htbaren Schmerzanfallen usw. 


Angeborener Schwachsinn. 

573) Schadigung einer menschlichen Frucht durch Rontgenstrahlen, von Erich 
Aschenheim. (Arch. f. Kinderhlk. LXVIII. H. 1 u. 2.) Ref.: Zappert. 

Eine schwangere Frau wurde we gen angeblichen Myoms (vermutlich Verkennen der 
lange mit menstruellen Blutungen einhergegangenen Graviditat) zweimal mit Rontgen- 
strahlen abdominell durchleuchtet. Das kraftig entwickelte Kind, das bereits in den 
ersten Lebenstagen Krampfe gehabt haben soil, erwies sich bei der Untersuchung im Alter 
von 3 1 / a Jahren als imbeziller Mikrozephale mit allgemeinen, nicht stark ausgepragten 
Spasmen. Auffallend waren betrachtliche Entwicklungsstorungen der Augen im Sinne 
einer Mikrophthalmie, Linsentriibung, Optikusatrophie und Chorioretinitis. Verf. ist auf 
Grand von Tierversuchen aus der Iiteratur geneigt, die angeborene Schadigung des Gehirns 
und namentlich des Auges als Rontgenschadigung anzusehen. Beim Menschen liegen der- 
artige Erfahrungen nur vereinzelt vor, da es nach Rdntgenbestrahlung Schwangerer iiber- 


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haupt nicht zur Fruchtechadigung oder zu Aborten gekommen war. Eb muB also auch 
in diesem Fall© unentschieden bleiben (yielleicht mehr, als dies Verf. erkennen laBt. Ref.), 
ob in dem beschriebenen Falle ein kausaler oder ein zufalliger Zusammenhang zu er- 
bHcken ist. 

574) Die Bedeutung der Intektionskrankheiten ftir die Entstehung des kindlichen 
Schwachsinnes, von Schott. (Arch. f. Kinderhlk. LXVIII. H. 1 u. 2.) 
Ref.: Zappert. 

Verf. stellt aus der Literatur und aus 1100 Fallen schwachsinniger Kinder 
die Falle zusammen, bei denen laut Anamnese bestimmte Infektionskrankheiten 
den Schwachsinn bedingt haben; Mittelglied ist hierbei jedenfalls eine akute Hirn- 
bzw. Hirnhautentzundung gewesen. Am schwersten fallt hierbei der Scharlach 
ins Gewicht, dann kominen Keuchhusten, viel seltener Masern, Diphtherie, Typhus. 
Influenza ist als atiologisches Moment in den Anamnesen iiberhaupt nicht an- 
gegeben. Wiederholt wirkten mehrere atiologische Faktoren zusammen. (Ref. 
mochte, ohne die Endresultate des Verf.s anzuzweifeln, doch auf die Unsicherheit 
anamnestischer Angaben von Eltern oder selbst von Arzten hinweisen. Auch 
wird eine der wichtigsten Ursachen des kindlichen Schwachsinnes, die Erblues, 
in der Arbeit gar nicht erwahnt.) 

575) La psicologia degli imbecilli, per G. Montesano. (L’assistenza dei minorenni 
anormali. II. 1915. Nr. 3 u. 4.) Ref.: Artom (Rom). 

Fur den Verf. besteht das charakteristische Kennzeichen der Imbezillitat 
in einem Gemische von Reizung und konstitutioneller, originarer Geistesschwache. 
Die Aufregung erleichtert einige geistige Prozesse, doch nur diejenigen, deren 
lange Ubung eine Gewohnheit verursacht hat, wahrend beziiglich der neuen auf 
die anfangliche Leichtigkeit eine friihzeitige Erschopfung folgt. Von diesem 
Mangel fehlt jedes BewuBtsein; ja aus dem Gefuhle der Leichtigkeit ziehen die 
betreffenden Individuen einen iibertriebenen Begriff der eigenen Potentialitat 
und eine Neigung, als genaue Einsicht das Produkt einer schnellen, aber unvoll- 
standigen Geistesarbeit zu verwechseln. Daher die groben Fehler in alien etwas 
schweren und neuen Handlungen. Der Erregungszustand, der ubertriebene Be¬ 
griff des Ich, die Schwache strahlen zuriick auf die Moral, deren besondere Kenn¬ 
zeichen die Ubertreibung einiger materieller Begierden, Egoismus, Bosartigkeit, 
Rachsucht, zudringliche Hartnackigkeit, Skrupellosigkeit usw. sind. 

576) Assoziationsversuche bei Debilen, von Ph. Jolly* (Archiv ftir Psychiatrie, 
LXI. 1919.) Ref.: G. Ilberg. 

Verf. hat Assoziationsversuche bei normalen Erwachsenen init mittlerer 
Intelligenz vorgenommen und diese mit den Ergebnissen bei Debilen verschie- 
dener Abstufungen verglichen. Die Neigung, auf bestimmte Reizworte mit den- 
selben Worten zu reagieren wie die Mehrzahl der aus denselben Verhaltnissen 
stammenden und ebenso vorgebildeten Normalen war bei Debilen bedeutend 
geringer. Die Debilen zeigten im Vergleich zu den Normalen eine wesentlich 
geringere Tendenz, auf Verben wieder mit Verben zu reagieren, sie antworteten 
haufiger oder ebenso haufig mit Substantiven, wahrend die Normalen fast neun- 
mal so oft Verba wie Substantiva als Reaktion auf Verben brachten. Auf Ver- 
wandtschaftsnamen und auf andere Substantiva erfolgte Reaktion bei den De¬ 
bilen ebenfalls um ein Betrachtliches weniger mit einem ebensolchen Wort. Sehr 
groB war der Unterschied auch bei den Adjektiven, die Debilen reagierten auf diese 
relativ selten mit Substantiven, sehr viel mehr wie die Normalen; letztere re¬ 
agierten fast nur mit Adjektiven, was bei den Debilen bedeutend weniger vorkam. 
Der wesentliche Unterschied zwischen Normalen und Debilen besteht darin, 
daB letztere. bei Anwendung von Reizworten zu hochwertigen bevorzugtesten 
Assoziationeh neigen, und daB sie viel weniger dieselbe grammatikalische Form 


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assoziieren wie die Normalen; der aus denselben Kreisen stammende Durchschnitts 
mensch verfiigt uber gewisse festgelegte Sprachverbindungen, welche dem De- 
bilen fehlen. Was den Inhalt der Assoziationen anbelangt, so tritt bei den De- 
bilen das Eingehen auf den Sinn des Reizwortes hervor, im Gegensatz zu der mehr 
mechanischen Reaktion des Normalen. Bei den Debilen kam es ofter zu Perse- 
verationen. Die Neigung zu egozentrischer Reaktion war haufiger, wahrend 
Klangassoziationen nicht mehr als beim Normalen gefunden wurden, auch Wort- 
erganzungen nicht, dagegen ofter Wiederholungen der Reizworte mit oder ohne 
Zusatz des Artikels oder anderer Beifugungen. 

577) Assoziationen von erethischen Oligophrenen, von Philipp Sara sin. (Schweiz. 

Archiv fiir Neurol, u. Psych. IV. 1919. H. 1 u. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

SchluBsatze als Ergebnis der Untersuchungen des Verf.s an mehreren An- 
stalten des Kantons Zurich: Die erethischen Oligophrenen reagieren im all- 
gemeinen einwortig. Die Reaktionszeiten sind kiirzer als die der Torpiden 
Wehrlins. Die Definitionstendenz, die Wehrlin als Hauptzeichen der torpiden 
Oligophrenie angibt, fehlt fast ganz. Die Einstellung auf die auBere Form des 
Experimentes ist im Gegensatze zu den Torpiden Wehrlins eine so intensive, 
daB die Aufmerksamkeit fiir den Sinn des Reizwortes weitgehend verloren geht. 
Charakteristisch sind Assoziationen, die aus Erinnerungsbildern friiherer Er- 
lebnisse stammen (Situationen). Reaktionen, die auf begrifflichem Denken be- 
ruhen (Koordination, Subordination, kausale Beziehung usw.), treten dagegen 
zuriick. Vorausgegangene Reiz- oder Reaktionsworte wirken oft nach; dies be- 
ruht weniger auf einem Nachklingen des Gefiihlstones, wie beim Epileptiker, 
als auf der Tragheit intrapsychischer Funktionen. Der Erethiker spricht rascher, 
als er denkt, und hinkt mit seinen Oberlegungen hinten nach. Die Umstandlich- 
keit und die Schwerfalligkeit mancher Reaktionen stammen aus der mangel- 
haften Beherrschung der Sprache, zum Unterschied vom Epileptiker, dessen 
Umstandlichkeit wesentlich eine Folge seines zahfliissigen Psychokyms ist. Zahl- 
reiche Reaktionen tragen einen ideenfliichtigen Charakter. Der Maniakus asso- 
ziiert aber immer weiter, fort wahrend neue Vorstellungsgebiete eroffnend; der 
Erethiker assoziiert einen Vorstellungskreis aus und kommt dann zur Ruhe, 
ohne den Ausgangspunkt (Reizwort) aus dem Auge zu verlieren. Vom Normalen 
unterscheidet sich der Erethiker wesentlich durch seine Ideenarmut, die sich in 
seinen unsinnigen Reaktionen, Fehlern, Flickworten, Wiederholungen des Reiz¬ 
wortes, in den banalen Wortassoziationen, in den zahlreichen Assoziationen, die 
aus Situationen stammen, kundgibt. 


Dementia praeeox. 

578) Die Bedeutung exogener Faktoren fur die Entstehung der Schizophrenia, 

von Leopold Burger. (Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 45.) 
Ref.: Kurt MendeL 

Exogene Momente (Schadel- und peripherische Traumen, Vergiftungen, 
Tumoren, Infektionskrankheiten, seelische Traumen) konnen verschlimmernd, 
auslosend und auch hervorrufend bei Schizophrenic wirken. 

579) Studies in the pathology o! dementia praeeox, by F. W. Mott. (Proceed, 
of the roy. soc. of med. XIII. 1920. Nr. 8.) Ref.: W. Misch. 

Wie vom VerL bereits friiher mitgeteilt wurde, besteht bei der Dementia 
praeeox ein Aufhoren der Spermatogenese mit regressiver Atrophie, deren Grad 
von dem Alter des Eintritts der psychischen Symptome und der zwischen Beginn 
und Tod vergangenen Zeit abhangig ist; in einigen Fallen, in denen die psychischen 


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Symptome vor oder in der Pubertat eintraten, kani es zu gar keiner Spermato- 
genese. Eb wird nun versucht, das Fehlen deT Spermatogenese und die Verande- 
rungen an den Nervenzellen bei Dementia praecox durch den Nachweis getnein- 
samer cliemischer Veranderungen miteinander in Zusammenhang zu bringen. 

Bei der Spermatogenese besteht eine starke Kernproliferation; die Kerne 
enthalten zu einem groBen Teil Nukleinsauren, die aus Phosphorlipoiden be- 
stehen. Wo Spermatogenese stattfindet, besteht ein OberfluB an Lipoidkornchen, 
und es findet sich die Oxydasereaktion; es ist daher anzunehmen, daB diese 
Kornchen eine wichtige Rolle bei den mit der Spermatogenese verbundenen che- 
mischen Prozessen spielen. Die Nukleinsaure enthalt groBe Mengen an organischem 
Phosphor, Eisen und Kalzium neben den Bestandteilen eines Proteids, und es 
ist moglich, daB das Aufhoren der Spermatogenese auf das Fehlen von einem 
dieser Stoffe im zirkulierenden Blut zuruckzufiihren ist. Da nun bei der Dementia 
praecox die Hauptveranderung der Nervenzellen in einem Kernzerfall besteht, 
so handelt es sich hier darum, festzustellen, ob sich in den Nervenzellen die gleichen 
chemischen Prozesse wie in den Generationsdriisen nachweisen lassen, so daB 
die Annahme gerechtfertigt erscheinen wiirde, daB die Ursache der Dementia 
praecox in einem angeborenen Defekt besteht, der Gehirn- und Keimdrusenzellen 
in gleicher Weise schadigt. 

Die Untersuchung am normalen Gehirn hat nun ergeben, daB die Lipoid¬ 
kornchen, die die Oxydasereaktion geben, sich am meisten in der grauen Sub- 
stanz finden, deren Funktion von Oxydationsprozessen hochgradig abhangig ist; 
und zwar finden sie sich in Zellkorper und Dendriten und stellen die Zwischen- 
neurone dar. Die Oxydationsprozesse setzen aber ein Freiwerden von Sauerstoff- 
molekiilen aus den Oxydasekornchen voraus, was unter Einwirkung eines Kata- 
lysators geschieht. Es wird nun angenommen, daB das Eisen oder der Phosphor 
der Zellkerne einen solchen Katalysator darstellt. Kommt ein Reiz zur Zelle, 
so wird der Katalysator aus dem Kern frei und wirkt auf den Sauerstoff der 
Granulae, so daB dieser zu freiem molekularem Sauerstoff wird; dadurch werden 
weitere chemische Prozesse eingeleitet, die man sich etwa vorstellen kann als Ver- 
brennung von Zucker unter Freiwerden von Energie, die nun neue Reize auf das 
nachste Neuron ausiibt. 

Bei den Gehirnen von Dementia praecox haben sich nun an den geschwolleneh 
Kernen der Ganglienzellen biochemische Veranderungen gezeigt, in der Weise, 
daB die Nucleoli, die normalerweise eine basische Chromatinreaktion aufweisen, 
eine saure Chromatinreaktion zeigen, was nach Heidenhain einer Verminderung 
von organischem Phosphor entspricht. Und diese Phosphorverminderung kanit 
mit einer Herabsetzung von Oxydationsprozessen in dem oben erwahnten Sinn 
in Zusammenhang gebracht werden. Auch an den Nisslkorperchen finden sich 
Veranderungen (Auftreten von Lipoidkornchen), die auf eine Hypofunktion der 
Zelle hinweisen. Es hat sich also ergeben, daB am Gehirn von Dementia praecox 
sich in den Zellen ein Verlust der basophilen Substanz und eine Verminderung 
des organischen Phosphors findet, was mit einem wahrscheinlich auch an deii 
Generationsorganen bestehenden Mangel an Kernphosphor in Zusammenhang 
gebracht wird. Auch Stoffwechselversuche und quantitative chemische Unter- 
suchungen machen es wahrscheinlich, daB bei Dementia praecox die Oxydations* 
prozesse und der Phosphorgehalt des Gehirns vermindert sind. Die verschiedenen 
.Verlaufsformen der Erkrankung lassen sich mit verschiedenem Ablauf der patho 1 
logisch veranderten chemischen Prozesse erklaren, was hier im einzelnen ver¬ 
sucht wird. 

580) Entwicldungsgeschichte einer Katatoniq* von S. Gal ant. (Archiv fiir Psy- 
chiatrie. LXII. 1920. H. 1.) Ref.: G. Ilberg. 


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Mit Hilfe einer in der Krankheitszeit verf aB ten Autobiographic beschreibt Verf. die 
Entwicklung der Krankheit eines von ihm beobachteten Kata to inkers. Den Ursprung 
des Leidens sucht er in einer Angstneurose, die im friihen Alter aufgetreten war. Der 
eharakteristische Zug der Neurose beruhte auf einer abnormen affektiven Reaktion der 
Psyche auf die sie beriihrenden Reize. Spater trat dann Mangel an affektiver Verfassung 
auf, flir den Verf. verschiedene aufiere Ereignisse verantwortlich macht. Nach und nach 
tritt „eiskalte Gleichgiiltigkeit“ ein: katatonischer Stupor. Diese affektive Verblodung 
nennt Verf. Ahormie (von Horme = Affektivitat). Der Anfang der psychischen Krank¬ 
heit wird auf die Zeit datiert, wo das Gleichgewicht der Affekte gestort, wo der wichtigste 
Schatz des geistigen Lebens: reiche, gliicklich reagierende Affektivitat abhanden gekommen 
war. 

581) Der Dichter Lenz. Eine Pathographie, von R. Weichbrodt. (Archiv fiir 
Psychiatrie. LXII. 1920. H. 1.) Ref.: G. Ilberg. 

Jakob Lenz, 1751 geboren, war als Knabe auffallend begabt und wurde mit 15 Jahren 
wegen seiner Gedichte als „seltenes Genie 44 gelobt. Wahrend seiner Universitatezeit stand 
er in Beziehung mit Lavater, Herder, Goethe, Schlosser usw. Auch empfand er lebhafte 
Neigung zu Friederike Brion in Sesenheim. Seine Arbeiten wurden von bedeutenden 
Mannern seiner Zeit anerkannt. Mit 25 Jahren veranderte sich sein Wesen, auch seine 
Schrift. Im 26. Jahre kommt es zu schweren Erregungszustanden, Angst, Selbstmord- 
versuchen. Nach langdauemden Besserungen tritt Verblodung ein, mit 41 Jahren ein 
plotzlicher Tod. Es handelte sich um Katatonie. 


Manisch-depressives Irresein. 

582) Die klinische Stellung des manisch-depressiven Irreseins, unter besonderer 
Beriicksichtigung der Beziehungen zu organischen Gehirnkrankheiten und 
zur Epilepsie, von E. Rittershaus. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. 
LVI. 1920. S. 10.) Ref.: W. Misch. 

Das manisch-depressive Irresein in seinem weitesten Umfange ist keine Er- 
krankung sui generis, sondern ein Symptomenkomplex im Sinne Hoches. Es 
kann vorkommen: 1. als Symptom einer organischen Gehirnerkrankung, dabei 
vielleicht irgendwie beeinfluBt durch die Lokalisation der Schadigung, bei Lues 
und Metalues des Gehirns, Tumor cerebri und anderen groborganischen Gehirn¬ 
krankheiten. (Zysten, multiple Sklerose usw.), nach apoplektischem Insult, bei 
diffuser Arteriosklerose, im Senium und Prasenium, ganz allgemein nach den 
verschiedensten ,,Hirnnarben“, nach Schadeltraumen, auch wenn sich mit den 
heutigen Methoden noch nichts anatomisch nachweisen laBt, und als epileptisches 
Aquivalent bei Epilepsie (im Sinne von P. Marie und Freud); 2. als Folge- 
erspheinung toxischer und endotoxischer Prozesse, wobei eine gewisse elektive 
Affinitat eines Giftes in den Bereich der Moglichkeit gezogen werden muB, und 
zwar unter dem EinfluB von Ermtidungstoxinen und als Erschopfungspsychose, 
bei Kreislaufstorungen infolge der Uberladung des Blutes mit Stoffwechsel- 
produkten (Kreislauipsychose), unter Alkohol und infolge von anderen Giften 
(Kohlenoxyd), infolge von infektios-toxischen Schadigungen (Influenza, Typhus 
Puerperalfieber usw.), bei Stoffwechselstorungen (Diabetes, Gicht), bei den endo- 
toxischen Storungen des endokrinen Systems, d. h. bei Basedow und Myxodem, 
bei manchen Geherationspsychosen, bei Vagotonie sowie iiberhaupt bei Hypo- 
oder Hyperfunktion einzelner oder mehrerer endokriner Driisen, als genuine Rest- 
gruppe des manisch-depressiven Irreseins, als ,,endokrine Affektpsychose u , und 
endlich bei einer Parafunktion dieser Driisen, der Dementia praecox; 3. als 
psychogene Reaktion auf psychisch wirkende Schadlichkeiten, analog oder auch 
kombiniert mit der hysterischen Reaktionsart. Die manisch-depressive Anlage 
selbst ist eine endogene, zerebrale Funktion neben anderen endogenen Anlagen. 
Sie ist bei jedem Menschen vorhanden und wahrscheinlich nach Mendelschen 
Gesetzen mit anderen Anlagen kombiniert; ebenso bedingt ist ihre Labilitat, die 


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Neigung zu Schwankungen bis zur Grenze des Normalen und dariiber hinaus als 
Reaktion auf eine oder mehrere der oben genannten Ursachen. Endlich ist wahr- 
scheinlich in gleicher Weise auch die Neigung und Fahigkeit individuell deter- 
miniert, mit groBerer oder kleinerer Amplitude der Schwankung zu reagieren, 
wobei natiirlich auch die Intensitat des Reizes eine Rolle spielen kann, vielleicht 
auch eine individuell verschiedene Ansprechbarkeit auf verschiedene Schadlich- 
keiten. Durch die dargelegten Anschauungen lassen sich die widersprechenden 
Meinungen uber die Frage der endogenen und exogenen Reaktionstypen sowie 
tiber das Problem der kombinierten Psychosen in den meisten Fallen wohl zwanglos 
losen. Eine weitere Konsequenz ware dann die Durchfiihrung der von Kraepelin 
schon lange geforderten atiologischen Klassifikation der Psychosen. 

583) Paranoia und manisch-depressives Irresein, von G. Ewald. (Zeitschr. f. d. 
ges. Neurol, u. Psychol. IL. 1919. S. 270.) Ref.: W. Misch. 

Es werden die Krankheitsgeschichten zweier Falle mitgeteilt und die Diffe- 
rentialdiagnose erortert. In dem ersten Fall kommt Verf. zu dem SchluB, daB 
es sich urn eine paranoische Verlaufsform des manisch-depressiven Irreseins bei 
weitester Fassung dieses Begriffes handelt: das hervorstechendste Symptom war 
ein Verfolgungswahnsystem, das jedoch nur periodisch hervortrat, mehrfach zu 
Suicidversuchen fiihrte, aber immer wieder zeitweise vollig verschwand. In dem 
anderen Fall machte die Abgrenzung gegen die chronische Paranoia groBe 
Schwierigkeiten; hier bildete eine hypomanische und miBtrauische Veranlagung 
die Grundlage fur einen unter miBlichen Lebensverhaltnissen sich schleichend 
entwickelnden miBtrauischen Beeintrachtigungswahn mit halber Einsicht. Auch 
hier wird die Zugehorigkeit zur manisch-depressiven Krankheitsgruppe (im 
weitesten Sinne) angenommen. Es wird ausdriicklich hervorgehoben, daB solche 
paranoische Formen eine besondere Unterabteilung der manisch-depressiven 
Krankheitsgruppe bilden. 

AnschlieBend wird versucht, eine Einteilung der zum Entartungsirresein ge- 
horigen, affektiv labil Veranlagten im Kleistschen Sinne zu geben: 

1. Autochthon affektiv labil Veranlagte a) Endogene Melancholische und 
Hypochondrische, konstitutionell oder periodisch; b) endogene Manien, kon- 
stitutionell Manische oder periodisch Manische; c) zirkulare Formen; d) endogene 
Paranoiker, konstitutionell oder periodisch paranoisch. 

2. Autochthon + reaktiv labil Veranlagte. a) Konstitutionell Depressive 
mit reaktiv ausgelosten Schwankungen; b) Querulanten vom Typ der chronischen 
Manie(?); c) Kraepelins Querulantenwahn, reaktiv ausgelost, bei eristischer 
Veranlagung. 

3. Reaktiv labil Veranlagte (speziell Hysteriker). a) Reaktive Depressionen; 
b) reaktive Erregungszustande; c) reaktive Wahnpsychosen: voriibergehende 
Wahnbildungen auf Grund iiberwertiger Tdeen im AnschluB an ein affektvolles 
Erlebnis. 

Einen Dbergang zu einem anderen Typ des Entartungsirreseins wiirden dann 
die Degenerationspsychosen auf Grund einer Labilitat des PersonlichkeitsbewuBt- 
seins bilden, bei deren Entstehung das reaktive Moment gleichfalls eine Rolle 
spielt; ihnen ware der Rest der Kraepelinschen Paranoiafalle anzugliedern, 
die ohne auslosendes Moment zum dauernden Wahnsystem kommen bei voller 
Erhaltung der Persdnlichkeit. Bei Einreihung der Paranoia in das Gebiet des 
Entartungsirreseins sind schon in der vorpsychotischen Zeit besondere Kon- 
stitutionsanomalien bei den Kranken zu erwarten. Wenn fur die Kraepelinsche 
Paranoia (in der reduzierten Form) psychopathische Personlichkeiten mit Neigung 
zu Traumereien und Phantasien von GroBe, Reichtum und Macht in Betracht 
kommen, so sind fiir die Kranken; die als affektiv autochthon labil im Sinne para- 
XL. (ErgSnztingsband.) 23 


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noischer Reaktionsweise bezeichnet werden, in ihrem Vorleben hypomanische 
und depressive Zuge, Selbstgefiihl und Aggressivitat, eine gesteigerte Emp- 
findlichkeit und Reizbarkeit, speziell aber Betonen eines gewissen MiBtrauens, 
Eigensinn und Halsstarrigkeit festzustellen. Mit Riicksicht auf den der Erkrankungs- 
form zugrunde liegenden Affekt des MiBtrauens spricht Verf. von einer hypo- 
noischen (Hyponoia = Argwohn) Verlaufsform bei autochthon affektiver Labilitat. 
Es ware die Hyponoia, als autochthone MiBtrauenspsychose, der Manie und 
Melancholie gleichwertig an die Seite zu stellen und von der Paranoia zutrennen; 
unter Hyponoia ware eine Untergruppe der autochthon affektiv Labilen zu ver- 
stehen, bei der sich, aufbauend auf dem Affekt des MiBtrauens, schleichend oder 
mehr periodisch, ein logisch aufgebautes Wahnsystem entwickelt, nach dem 
Modus der Uberwertigkeitswahnbildung fortschreitend, bald remittierend und 
mit halber Einsicht, bald kontinuierlich sich steigernd und vervollkommnend, 
ohne daB jemals Defekte auftreten, die das Denken, Wollen und Handeln in ihrer 
Ordnung gestort erscheinen lassen. 

584) Die Spielbreite der Symptome beim manisch-depressiven Irresein und bei 
den Degeneratioiispsychosen, von P. Schroder. (Abhandl. aus d. Neurol., 
Psych., Psychol, u. ihren Grenzgebieten fS Karger]. Beiheft 8 zur Monatsschr. 
f. Psych. 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Manien und Melancholien, fiir das altere psychiatrische Denken schroffe 
Gegensatze, haben allmahlich fiir die allgemeine symptomatologische Betrachtung 
ein gut Teil ihrer Gegensatzlichkeit verloren. Aber unter den Zustandsbildern, 
welche als manische und als depressive Verlaufsabschnitte der Krankheit manisch- 
depressives Irresein zusammengefaBt werden, kommen nicht alle diejenigen 
Krankheitsformen vor, die man friiher Manien und Melancholien genannt hat, 
zum wenigsten weist die groBte Mehrzahl der Manien und Melancholien bei 
manisch-depressiven Kranken ein besonderes Geprage auf. Wo hier symptomatisch 
die Grenzen zu ziehen sind, dariiber wird noch vielfach gestritten. Bei den 
leichten Fallen von manischen und depressiven Stimmungsschwankungen (Zyklo- 
thymien) sind am haufigsten Symptome anzutreffen, welche vom Typus abweichen. 
Aber fiir die Feststellung, welche iiber die typischen Symptomverbande hinaus- 
reichenden Erscheinungen bei manisch-depressiven Irresein vorkommen konnen, 
sind solche schwerere und sonst typische Falle am besten verwertbar, bei denen 
in einwandsfreier Weise manische und melancholische Phasen beobachtet worden 
sind und bei denen dann an Stelle eines typischen ein atypischer Anfall zur Beob- 
achtung kommt oder eine typische Phase sich zur atypischen (bzw. umgekehrt) 
entwickelt. Solche Falle teilt Verf. hier mit, und zwar 1. einen Fall mit lebhaftem 
Halluzinieren wahrend der sonst typischen sechsmonatigen Depression, das 
mit dem Umschlagen in die Manie sein Ende fand und nach 2 Jahren bei er- 
neuter depressiver Krankheitsphase rezidivierte; 2. einen Fall mit massenhaften 
AuBerungen liber anscheinende Trugwahrnehmungen und Wahnvorstellungen, 
welche als dem zugrundeliegenden manisch-depressiven Irresein zugehorig an- 
gesehen werden muBten; 3. einen Fall mit einem Zustand von ausgesprochener 
Hemmung mit Mutazismus, Stupor, seltenem Lidschlag, Rlickhalten des Stuhles, 
groBer Neigung zu Unsauberkeit mit Urin und Kot, ohne deutliche Stimmungs- 
anomalien oder depressiven Einschlag; 4. einen Fall, der gleichfalls vollig kata- 
tone Zuge mit starker Erregung und vollstandiger Amnesie ohne manische Affekt- 
lage bot; 5. einen Fall mit eigenartiger verworrener Erregung, Neigung zum 
Perserverieren, Haltungsstereotypien, spater liickenloser Erinnerung; 6. einen 
Fall, der einen ganz atypischen, symptomatisch schwer unterzubringenden Er- 
regungszustand mit einer daran anschlieBenden langdauernden Hemmung durcli- 
machte. 


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Fall 3 und 4 zeigen, daB die scharfe Unterscheidung zwischen katatonischer 
Hyperkinese und manischer Erregung sowie zwischen Akinese und depressiver 
Hemmung nicht immer moglich ist, und wie schwierig die Differentialdiagnose 
zwischen Dementia praecox und manisch-depressivem Irresein — insbesondere 
ohne anamnestische Daten und bei nicht geniigender Beobachtungsdauer —• 
sein kann. 

Weitere 2 Falle des Verf.’s reiht er nicht dem manisch-depressiven Irresein 
ein, sondern dem Entartungsirresein; sie boten einen traumhaft-verworrenen 
Erregungszustand bzw. ein paranoisches Geprage mit Gedankenlautwerden. Die 
Unterscheidung der Degenerationspsychosen vom manisch-depressiven Irresein 
hat aber nichts Grundsatzliches; beide beriihren, iiberschneiden sioh in vielen 
Punkten. Hingegen trennt sie eine weite Kluft von der Dementia praecox. 
Soweit akute Psychosen in Betracht kommen, ist das manisch-depressive Irresein 
als praktisch wichtigste Unterform des degenerativen Irreseins anzusehen. Welch 
vielgestaltigen Erseheinungen im Rahmen der Degenerationspsychosen auftreten 
konnen, und wie gerade hier die Differentialdiagnose gegeniiber der Dementia 
praecox oft schwierig ist, zeigen weitere, vom Yerf. mitgeteilte Falle. Xritt — 
wie dies vorkommt — eine Degenerationspsychose bei demselben Individuum 
wiederholt im Leben auf, so kann die Entscheidung schwer sein, ob ein atypisches 
manisch-depressives Irresein oder eine Degenerationspsychose vorliegt. Alle 
Ubergange zwischen beiden kommen vor. 

585) Les alternatives d’excitation et de depression. Dysthymie constitutionede et 
psychose periodique, par R. Be non. (Revue neurol. XX YII. 1920. Nr. 1.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. unterscheidet folgende fiinf Formen von Erregung: 1. manische oder 
hypersthenische, 2. auf Grund begriindeter Freude, 3. auf Grund von Angst, 
4. auf Grund von Entkraftung, 5. die Verwirrtheitserregung. Die Depression ist 
Asthenie, auBer in gewissen Fallen, wo sie der Apathie oder hypothymischen Zu- 
standen entspricht. Die abwechselnde Erregung und Depression bei den kon- 
stitutionellen Dysthymikern entstehen unter dem EinfluB auBerer Ursachen. 
Cyklothymie und periodische Psychose sind nicht synonyme Begriffe; ersteres 
Wort sollte reserviert werden fur die periodischen Dysthymien (periodische Angst, 
periodische Entkraftung, periodischer Kummer usw.). 

586) Verstimmungen und Verstimmungspsychosen, von H. Sjobring. (Upsala 
Lakareforenings Forhandlingar. XXV. 1920. Heft 1 u. 2.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

Darstellung der normalen und pathologischen Verstimmungsformen, ins¬ 
besondere der manisch-depressiven Psychosen. 

587) Traume der Melancholiker, nebst Bemerkungen zur Psychopathologie der 
Melancholie, von H. Herschmann und P. Schilder. (Zeitschr. f. d. ges. 
Neurol, u. Psych. LIII. 1920. Heft 3 u. 4.) Ref.: W. Misch. 

Der traurige Affekt der Melancholie kann im Traume schwinden und einer 
glucklichen Heiterkeit Platz machen; dementsprechend ist auch die getraumte 
Situation lustbetont. Weiter wurden Traume beobachtet, in denen zwar der 
Patient ein Lustgefiihl nicht empfand, wo jedoch der Traum zu lustbetonten 
Erlebnissen der Vergangenheit hiniiberfuhrt. Es ist also beim Melancholiker 
weder die Moglichkeit erloschen, lustbetonte Szenen psychisch wiederzuerleben 
noch auch diese Szenen mit ihren entsprechenden Gefiihlen zu versehen. Die 
gliickseligen Traume der Melancholiker stechen nicht nur im Gefuhlston von der 
Tageshaltung der Kranken ab, sondern sie negieren geradezu ihre Minderwertig- 
keitsgefiihle, ihre subjektiven und objektiven Hemmungen; die Versiindigungs- 
ideen und depressiven Wahnbildungen treten in diesen Traumen nicht hervor. 

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Dieser Traumtypus ist auch bei schwersten Melancholien zu beobachten, bei 
Angstmelancholien ebensogut wie bei Melancholien mit iiberwiegender Depression. 
Der lustbetonte Traumtypus findet sich iiberraschend oft, daneben kommen 
aber auch indifferente Traume wie solche schrecklichen Inhaltes vor. In manchen 
Fallen kann der Traum die Symptomatologie der Melancholie sozusagen erganzen, 
indem er Stiicke derselben nachliefert, die im Wachen nicht vorhanden waren 
(z. B. Anaesthesia psychica dolorosa, objektive Hemmung). 

588) Gesichtsfelduntersuchungen an manisch-melancholischen Kranken, von 

0. Rehm. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. LV. 1920. S. 154.) 
Ref.: W. Misch. 

Bei manisch-depressiven Kranken findet sich eine Gesichtsfeldeinschrankung 
fur alle Farben, die im Durchschnitt starker ist als bei der Hysterie. Die Melan- 
cholischen zeigen starkere Einschrankung als die Manischen, die psycho- 
motorisch Gehemmten erheblich starkere als die psychomotorisch Erregten. 
Die Gesichtsfeldeinschrankung ist als eine Aufmerksamkeitsstorung anzusehen. 
Durch die manisch-melancholischen Kranken eigene erhohte Ablenkbarkeit ist 
die eigentiimliche Erscheinung des Zackengesichtsfeldes zu erklaren. Im Gegen- 
satz zu dem sich stetig verengernden Ermudungsgesichtsfeld der Hysterischen 
und Nervenshockkranken tritt bei fortgesetztem Versuch eine Erweiterung des 
Gesichtsfeldes manisch-melancholischer Kranker als Folge der bestehenden 
Ubungsfahigkeit ein. 

589) The make-up of atypical cases of manic-depressive insanity, by S. N. Clark. 
(Journ. of nerv. and ment. disease. XLV. 1917. Nr. 5.) Ref.: W. Misch. 

Es werden drei Falle von atypischem manisch-depressivem Irresein mit- 
geteilt, die sich durch ungewohnliche Stimmungsschwankungen auszeichneten. 
Bei dem ersten Fall war das Bild leicht paranoisch gefarbt, bei dem zweiten Fall 
traten neben paranoischen auch hysterische Manifestationen auf, und bei dem 
dritten wiesen die paranoischen AuBerungen einen schizophrenen Charakter auf. 


Infektions- und Intoxikationspsychosen, 

590) Die Affektionen des Nervensystems durch akute Infektionskrankheiten, 
speziell die Grippe, von Harald Siebert. (Monatsschr. f. Psych, u. Neur. 
XLVIII. 1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. bespricht an der Hand eigener Falle aus der Grippeepidemie im Jahre 
1918 die nach Influenza beobachteten rein psychotischen Storungen (meist der 
Amentia angehorig, stets im Verlauf der Deferveszenz oder gar einige Tage nach 
stattgehabter Entfieberung auftretend), dann die mit Meningitis oder Encephalitis 
verbundenen psychotischen Storungen, die allgemeineo Neurosen (haufig Angst, 
Schlaflosigkeit, Kopf chmerzen, Reiz- und Ausfallser&cheinungen auf dem Ge- 
biete der vegetativen Nerven) und die Affektionen der peripherischen Nerven 
(Verf. sah eine Neuritis in ahnlicher Form bei zwei Geschwistern). In der Be- 
handlung der funktionell-neurotischen Storungen nach Grippe wandte Verf. mit 
Erfolg folgendes Mittel an: Calcii glycer.-phosph. 4,0, Extr. Strychn. spir. 0,4. 
Extr. Valer. q. s. ad pil. 30; 3mal taglich 1 Pille. 

591) Sulle psicosi grippali, per G. Catola e G. Simonelli. (Rass. di studi 
psichiatr. IX. 1920. Nr. 1 u. 2.) Ref.: W. Misch. 

Wahrend der Grippeepidemie im Sommer 1918 wurden zahlreiche Psvchosen 
beobachtet, die zu der Grippeinfektion deutliche ursachliche Beziehungen hatten. 
Es werden 41 Falle kurz beschrieben. Es geht daraus hervor, daJB die mit dem 
Fieberabfall oder in der Rekonvaleszenz entstehenden Grippepsychosen keine 


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spezifischen Merkmale besitzen. Sie zeigen im akuten Stadium voiwiegend die 
mehr oder weniger reinen Bilder der affektiven depressiven Psychosen oder der 
einfachen oder halluzinatorischen Amentia; nur selten weisen sie Zeichen einer 
beginnenden Demenz auf. Die Prognose laBt sich weder aus der einer jeden 
eigenen klinisehen Besonderheit stellen, noch ist sie abhangig von der neuro* 
pathologischen Belastung der Kranken, wenn diese auch fiir einen Teil der 
chronischen Falle von groBer praktischer Bedeutung ist. 

592) Beitrage zur Atiologie und Kasuistik der Psychosen bei spanischer Grippe, 

von Andor OUh. (Gyogyaszat. 1919. Nr. 36 u. 37.) Kef.: Hudovernig. 

Eingehende Mitteilung von 3 Fallen schwerer Delirien bei spanischer Grippe, 
welche unter sturmischen halluzinatorischen Erscheinungen rasch verlaufend in 
Heilung iibergingen; in alien 3 Fallen bestanden gleichzeitig entziindliche Er¬ 
scheinungen von seiten der Respirations- oder anderer innerer Organe, in einem 
Falle Oophoritis. Die Ursache der bei den meisten Influenzafallen auftretenden 
quasi spezifischen Influenza-Neurasthenie und der bei disponierten Personen 
auftretenden scliweren sturmischen psychischen Storungen sucht Verf. in einer 
besonderen Affinitat einzelner bzw. verschiedener Teile des zentralen Nerven- 
systems gegeniiber der vielfaltigen, weil polyvalenten Infektion bzw. Toxizitat 
der Infektion bei spanischer Influenza. Die toxischen Wirkungen werden da- 
durch quasi kumuliert, daB die verschiedenen Rezeptoren der einzelnen Nerven- 
zellen bei polyvalenter Infektion auf mehrere Atomgruppen von identischer 
chemischer Konfiguration stoBen, mit welchen sie in Reaktion treten konnen, 
wahrend bei einheitlicher Infektion die Toxinmolekiile der Nervenzellen bloB 
einen Rezeptor bindet, wobei die iibrigen unberlihrt bleiben. Die Prognose der 
delirosen Influenzapsychosen ist im allgemeinen giinstig, die Storungen verlaufen 
in ganz kurzer Zeit, bloB bei vorhandener nervoser Disposition sieht man sich 
langer hinziehende residuale Storungen, zumeist im Bilde hysterisch oder neur- 
asthenisch gefarbter Zustande. Die Therapie beschrankt sich bloB auf die Be- 
handlung der Grundursache und der Symptome. 

593) Influenza psychoses in successive epidemics, by K. A. Menninger. (Arch. 

of neurol. and psychiatry. III. 1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. , 

Aus einem groBen Material von Grippepsychosen der Epidemie 1918 wurden 
3 Falle herausgesucht, die bei der Influenzaepidemie in Boston im Jahre 1890 
nach der Grippeerkrankung eine Psychose gehabt haben. Bei zwei dieser Falle 
war im AnschluB an die erste Grippe eine Infektionspsychose (Schizophrenic) 
aufgetreten; doch lebten sie wahrend des groBten Teils der 28 Jahre geordnet- 
und boten nur das Bild einer schweren psychopathischen Konstitution; im An¬ 
schluB an die zweite Grippeerkrankung entwickelte sich bei beiden eine H£be- 
phrenie. Bei dem dritten Fall war im AnschluB an die erste Grippe eine Hebe- 
phrenie aufgetreten, die noch jetzt besteht; wahrend der letzten Grippeepidemie 
ist der Fall nicht neu erkrankt. Verf. neigt zu der Ansicht, daB das sogenannte 
postfebrile Delirium (die auf Grippe folgende Psychose insbesondere) nichts anderes 
ist als eine Form der Schizophrenic. 

594) ttber Psychosen im AnschluB an (spanische) Influenza, von Stefan Szo- 

rady. (Orvosi Hetilap. 1920. Nr. 19.) Ref.: Hudovernig. 

Infolge der rumanischen Okkupation berichtet Verf. erst verspatet iiber die 
in der Heilanstalt Bekes-Gyula im Winter. 1918—1919 beobachteten Psychosen 
im unmittelbaren AnschluB an Influenza. Erkrankt waren 3 Manner, 11 Frauen, 
welcher Unterschied um so bemerkenswerter ist, da die Verhaltniszahl des Be- 
lagraumes und Aufnahmezahl bei Mannern und Frauen im Verhaltnisse 2: 1 
steht. Diese Falle verteilen sich folgend: Delirium 2, Amentia und manisch- 
depressive Zustande je 6 Falle. Von den Delirien war je 1 Fall von Inkubations- und 


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Acmedelir; beide heilten glatt, ohne psychische Stoning in der Rekonvaleszenz. 
Die Falle von Amentia traten 7—14 Tage nach der Influenza auf, Krankheits- 
dauer 3 Wochen bis 6 Monate. Yon den 6 manisch-depressiven Kranken ent- 
fallen 3 auf die depressiv-hypochondrische Form, 3 auf die manisch gefarbte; 
letztere zweifellos prognostisch besser. Heilerfolge bei den 14 Fallen: 9 geheilt, 
3 gebessert, 2 ungeheilt; ungiinstig sind namentlich die depressiven und protra- 
hierten Falle. Abgesehen von den delirosen Fallen erkrankten samtliche Kranke 
wahrend der Rekonvaleszenz. Die Ursache des Leidens erblickt Yerf. in einer 
Endotoxinwirkung auf das geschwachte und pradisponierte Nervensystem. Die 
Mehrzahl der Falle war unkompliziert, ohne Pneumonie. Klinisch keine besonderen 
Kennzeichen fur die Influenzapsychoeen. 

595) Zur Begutachtung psychischer und nervoser Begleiterscheinungen des Ery- 
sipels, von Kurt Boas. (Arztl. Sachverstand.-Zeitung. 1920. Nr. 18.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Fall I: Erysipel mit psychischen Storungen, die der Amentia nahestehen. Hoch- 
gradige motorische Unruhe. Erstickungstod durch Einfiihrung des abgerissenen Verbandes 
in den Kehlkopf. 

Fall II: Erysipel mit amentiaahnlichem Zustand. Wahrscheinlich auch Tabes, die 
bis zum Eintritt des Erysipels latent geblieben war. Lues +. Dienstbeschadigung, da 
Pat. auf einer Dienstreise an dem Erysipel erkrankte. 

596) Differential diagnostic difficulties in pernicious anemia with associated 
mental disorder. Report of a case diagnosed for some time as arteriosclerotic 
insanity, by B. L. Jones and Th. Raphael. (Arch, of neurol. and psy¬ 
chiatry. IV. 1920. Nr. 1.) Ref.: W. Misch. 

Bei einer 54 jahrigen Frau fanden sichfolgende zur Diagnose eines arteriosklerotischen 
Irreseins fuhrende Erscheinungen, die bereits seit 3 oder 4 Jahren bestanden: leichte 
apoplektische oder synkopale Anfalle, Schlaflosigkeit, Unruhe und psychische Storungen, 
wie Verfolgungsideen undTreulosigkeitsgedanken; es bestand ein sehr schlechterEmahrungs- 
zustand, Blasse derHaut, kardiovaskulare Symptome, Arcus senilis und anamische und 
arteriosklerotische Veranderungen desAugenhintergrundes. Psychisch: emotionelle Labilitat, 
Gedachtnisstorungen fiir Jungstvergangenes, leichte Ideenflucht, Verfolgungsideen, Erregt- 
heit und leichte Verwirrtheit. Erst bedeutend spater traten somatische Verandenmgen 
auf, die zur Diagnose einer schweren perniziosen Anamie mit psychischen, insbesondere 
paranoiden Storungen fiihrten. Der Exitus trat einige Zeit spater ein. 

Wahrscheinlich werden haufig Falle von pernizioser Anamie fiir Arterio- 
sklerose gehalten. Es ist daher zu empfehlen, bei alien Fallen, die als fragliche 
Arteriosklerose, besonders mit Remissionen, erscheinen, wiederholte Blut- 
km:perchenzahlungen und Untersuchungen auf Riickenmarksveranderungen an- 
zustellen. Bei sorgfaltiger Untersuchung wird man wohl bei fiir Arteriosklerose 
gehaltenen Fallen die sogenannten praperniziosen Symptome entdecken konnen, 
die den bei vorliegendem Falle geschilderten entsprechen. Die typischen Er¬ 
scheinungen der perniziosen Anamie konnen dann nach jahrelangem Vorstadium 
ganz plotzlich und auBerst heftig eintreten und rasch zum Exitus fxihren. 

597) Malaria and Insanity, by A. T. W. Forrester. (The Lancet. CXCVIII. 
1920. Nr. 1.) Ref.: K. Eskuchen. 

In Mazedonien gait die Malaria allgemein als starkster Faktor bei Ver- 
ursachung von Geisteskrankheiten. In der Tat gehen die Zugangszahlen beider 
Erkrankungen ganz parallel. Die Malaria zeigte keine besonderen Syeprtome 
auBer besonderer Intensitat. Verf. berichtet iiber Beobachtungen bei der SaXoniki- 
armee vom Dezember 1918 bis Oktober 1919. 116 Falle. 2 Gruppen: a) in 

Verbindung mit Malariaattacken, b) als Folge wiederholter Attacken. 
a) 32 Falle. Jede geistige Erkrankung kann durch Malaria hervorgerufen werden. 
jedoch war ein Symptom besondars haufig: Verwirrtheit, schweres Delirium 
(22 Falle). Danach Depression (12 Falle). 2 Falle von Gehirnmalaria mit deni 


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Bild der Hirnblutung: schweres Delirium, starke Erregung, epileptische Anfalle. 
b) 87 Falle (davon jedoch 7mal Alkohol, 9mal verschiedene Grade von Schwach- 
sinn als Ursache der Verwirrtheit, 1 Fall nicht geisteskrank; verbleiben also 
70 Falle). Neben der Einwirkung des schlimmen Eli mas kommt die erbliche 
Belastung hier starker zum Ausdruck: bei 24 Depressionen 9mal, bei 31 Fallen 
von Verwirrtheit 7mal Belastung durch Geisteskrankheit. 8mal typischer An- 
fall von Dementia praecox. Das ganze Nervensystem nimmt an der Attack© 
teil: Sympathicus, Vagus, Herz, Kalte und Cyanose der Glieder, Reflexsteigerung 
Klonus, Nystagmus; Anamie, ja Kachexie. — Prognose meist gut. Energische 
Chinintherapie; ofter intramuskulare Applikation notwendig. Geringe Mortalitat, 
aber Gefahr, daB durch das im Korper kreisende Gift jederzeit neuerdings schwere 
Storungen eintreten konnen. Auf jeden Fall die Moglichkeit der Reiniektion 
hintanhalten. — Prophylaxe: sorgfaltige Beobachtung durch die Frontarztej 
Errichtung von Speziallazaretten, die nur fiir diese vorubergehenden akuten 
Erkrankungen bestimmt sind und die das Wort ,,Wahnsinn“ moglichst nicht 
kennen. 

598) tfaer nervose and psychische Storungen im Verlauf der Malaria, von Otto 

Schafer. (Archiv fiir Psychiatrie und Nervenkrankheiten. LXI. 1920. 

Heft 3.) Ref.: G. Ilberg. 

Verf. hat fiinf einschlagige Falle beobachtet: 1. Merkschwache und ge- 
steigerte Erregbarkeit mit geringer gemiitlicher Anteilnahme und Neigung zu 
impulsiven Handlungen. 2. Ein der multiplen Sklerose ahnliches Krankheits- 
bild naoh tropischer Malariainfektion, stationarer Zustand, schwankende Kopf- 
schmerzen, gelegentliche Fieberanfalle. 3. Schwere angstliche Erregungszust&nde 
mit Sinnestauschungen. 4. Plotzlich einsetzender schwerer Wutaffekt, starke 
Desorientiertheit, sinnlose Redensarten und Handlungen. Komplikation mit 
seltenen epileptischen Anfallen, Malaria auslosendes Moment. 5. Hysterische 
Krankheitserscheinungen, deren eigentliche Ursache eine KopfschuBverletzung 
war, die aber akut im Malariaerholungsheim einsetzte, wo infolge provokatorischer 
Behandlung (kalte Dusche auf die Milzgegend) hohe Temperaturen und im An- 
schluB daran psychischer Erregungszustand auftraten. 

Verf. gibt eine kurze literarische Zusammenstellung des iiber Malaria- 
j)sychosen Bekannten und berichtet auch iiber die veroffentlichten Befunde am 
Nervensystem verstorbener Patienten: Im Gehirn der an Malaria perniciosa Ver- 
storbenen zeigen die Kortikalsubstanz, oft auch die Hirnganglien eine rauch- 
bis schiefergraue, ja grauschwarzliche Verfarbung; dieselbe rtthrt her von den. 
massenhaft in den Kapillaren teils in den Endothelien, teils noch in den parasiten- 
haltigen Blutkorperchen befindlichen Pigmenten. Ganze Kapillargebiete sind 
wie ausgegossen mit Plasmodien in ihren verschiedensten Entwicklungsstadien. 
Mehr oder weniger zahlreich vorhandene Blutpunkte sind als Kennzeichen einer 
„punktformigen hamorrhagischen Encephalitis' c aufzufassen.- Neben der massen- 
haften Uberschwemmung der HirngefaBe mit Parasiten hat Cerletti Wucherungs- 
erscheinungen an den &efaBwandzellen, Loslosung derselben, starke Erweiterung 
und Anfiillung des adventitiellen Lymphraumes mit groBen Mengen von Abbau- 
stoffen, Vorkommen sparlicher Gruppen von Lymphozyten und Plasmazellen 
in den Lymphraumen und frische punktformige Blutungen in der Markleiste 
sowie Veranderungen der weichen Hirnhaute, der Ganglienzellen, der Nerven- 
fasern und der Glia beschrieben; zahlreiche amoboide Gliazellen traten auf, die 
zum Teil aus Astrozyten stammten. Diirk beschrieb das Auftreten infektioser 
Granulome (umschriebene Zellknotchen und Zellproliferationen) in der weiBen 
Substanz unmittelbar unter der tiefsten Rindenschicht und in den Scheiteln der 
Markzunge, welche aus ganz tvpischen knotchenformigen Wucherungen von Glia- 


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zellen bestehen und oft niit ausgetretenen roten Blutkorperchen versehen sind. 
Ein groBer Teil der Achsenzylinder zieht wohlerhalten durch diese Zellknotchen 
hindurch; im anatomischen Bild ist die Ahnlichkeit rait gewissen histopatho- 
logischen Veranderungen bei multipier Sklerose auffallend. 

599) Diabetes und Psychose, von Otto Klieneberger. (Monatsschr. f. Psych, 
u. Neur. XLVII. 1920. Heft 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

56jahr. Mann, seit 12 Jahren zuckerkrank. Im AnschluB an einen Karbunkel tritt 
eine Psychose auf, die ein sehr wechselndes Bild zeigte (wahnhafte Verkennungen, Hallu- 
zinationen, motorische Unruhe, Bewegungs- und Haltungsanomalien, Neigung zu Stereo- 
typien, Verbigeration, Inkoharenz der Gedankengange, Verwirrtheit, Paraphasie, heiter- 
joviale Stimmung) und nach wenigen Wochen restlos abheilte. Die Erinnerung blieb im 
ganzen erhalten, war aber fiir manche Einzelheiten ausgeloscht oder getriibt. Die Psychose 
erinnerte an die infektiosen epileptiformen Erregungszustande (Bonhoeffer), auch an 
die Amentia. Korperlich bestand — den Verdacht der Paralyse sehr nahelegend — 
Pupillenstarre, Fehlen der Sehnenreflexe, paralytische Schrift- und Sprachstorung, mittlere 
Ze liver mehrung bei negativem Nonne und Wassermann. Diese korperlichen Krankheite- 
erscheinungen restituierten sich schnell. — Verf. fiihrt die als symptomatisch zu deutende 
Psychose auf den Diabetes zuriick, zumal andere ursachliche Momente fehlten und wahrend 
der Psychose die Zuckerausscheidung stark stieg, auch Aceton und Acetessigsaure auf- 
traten; mit dem Zuriickgehen der Psychose ging auch die Zuckerausscheidung zuriick. 

Eckte Diabetespsychosen sind selten wegen der starken Durchspiilung des 
Korpers, die das Zustandekommen von Autointoxikationen verhindert. Der Fall 
gibt fiir die Frage der Verbindung endogener und exogener Faktoren und damit. 
auch der Pathogenese der Psychose tiberhaupt mit seltener Klarheit AufschluB: 
als endogene Faktoren sind im vorliegenden Falle die Wahnideen und Halluzina- 
tionen von ausgesprochen religioser Farbung sowie die vorhandenen paranoiden 
Erscheinungen und aberglaubischen Vorstellungen anzusehen. 


Progressive Paralyse. 

600) Uber den EinfluB der Kultur auf die Paralyseentstehung, von Wolf Gartner. 

(Deutsche med. Wochenschrift. 1920. Nr. 42.) Ref.: Kurt Mehdel. 

Die Paralyse ist unter den Volkern niederer Kulturstufe selten, kommt aber 
in den letzten Jahren in steigendem MaBe bei denselben zur Beobachtung. Je 
hoher die Gesellschaftsklasse, um so mehr vergroBert sich der Unterschied in 
der Haufigkeit der Manner- zur Frauenparalyse, und je niedriger die Gesellschafts¬ 
klasse, um so mehr nahert sich das Haufigkeitsverhaltnis der Paralysen zueinander. 
Die Paralysen, die bei Eingeborenen gefunden werden, zeigen den gleichen Ab¬ 
laut wie bei uns. Meist handelt es sich bei ihnen um gehobenere Stande, z. T. 
wohl infolge der hoheren Kultur und Zivilisation derselben. Die Kultur erscheint 
jedoch nur von sekundarem EinfluB auf die Entstehung der Paralyse, insofern 
als die durch sie propagierte — nur unzureichende — Behandlung Syphilitiker 
zu Paralytikern werden laBt, die bei natiirlichem Ablaut ihrer ,,Allergie c< davor 
bewahrt worden waren. ,,Wird bei einem Luetiker mit schwach angelegter 
Allergie, die an sich vielleicht ausreichen wiirde, den Erkrankten vor Paralyse 
zu bewahren, die Ausbildung derselben unterdriickt, d. h. beseitigt die Behand¬ 
lung die Spirochaten in den Gebieten, in denen sie die Allergie anregen, und 
schadigt sie die gefahrlichen Spirochatenlokalisationen an den Meningen nicht 
oder nur we nig, so gewinnen diese einen gefahrlichen Vorsprung, und die sich 
wiederherstellende Generalisierung und die somit verzogerte und geschwachte 
allergische Umstimmung ist nicht in der Lage, diese Herde wieder zu beseitigen. 
Hiermit kommt es zur Paralyse. £< Es nimmt demnach dort, wo die Syphilis- 
behandlung zunimmt (gebildete Berufe, Manner, Prostituierte), auch die ParsT- 


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lyse zu. Dort, wo noch keine prophylaktische Behandlung iiblich ist, wo die Lues 
nicht oder noch nieht eingehend behandelt wird, ist die Paralyse selten, da, wo 
die Behandlung allgemein ist, haufiger. 

601) Die Disposition zur Paralyse, von Friedrich Meggendorfer. (Medizinische 
Klinik. 1920. Nr. 12.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

. Bei der Disposition zur Paralyse scheint es sich um konstitutionelle und kon- 
ditionelle Faktoren, die die Reaktionsfahigkeit des Individuums auf das ein- 
dringende Virus in einex bestimmten Weise beeinflussen, vor allem um eine Re- 
aktionsschwache zu handeln. Die konstitutionellen Momente riihren moglicher- 
weise von der Syphilisdurchseuchung der Aszendenten her: sie kommen in einer 
Blutdriisenalteration und im Habitus, vielleicht sogar in gehauften Degenerations- 
zeichen zum Ausdruck. Die konditionellen Momente dagegen bestehen wohl in 
auBeren Einfliissen, welche die Immunkorperbildung beeintrachtigen, wie etwa 
hoheres Lebensalter oder Alkoholismus und andere Schaden des sogenannten 
Kulturlebens. Wird ein solches Individuum von Lues betroffen, so reagiert es in 
den meisten Fallen nur schwach. Wird zudem durch ungeniigende Kuren die 
Reaktionsfahigkeit weiter geschwacht, wahrend der Erreger im Korper erhalten 
bleibt, so kommt es bei jedem schubweisen Neuaufflackern zu einer schwacheren 
vergeblichen Reaktion, etwa zur Bildung kleinster Gummiknoten im Gehirn 
oder zu chronischen Entziindungsprozessen ohne sturmische Erscheinungen, 
wahrend die Toxine der lebenden oder die freiwerdenden Endotoxine der ab- 
sterbenden Erreger Degenerationserscheinungen des Nervenparenchyms bewirken. 
Immer hilfloser wird der ganz oder teilweise durchseuchte Organismus, bis er 
schlieBlich seinen Parasiten unterliegt. 

Fiir die Praxis ergibt sich aus dieser Auffassung der Paralyse vor allem das 
Bestreben, moglichst friih auf eine Sterilisierung des Korpers hinzuarbeiten. Un- 
geiiiigende Kuren gefahrden mehr als sie niitzen. Ist trotz spezifischer Behand¬ 
lung eine negative Reaktion nicht zu erzielen, so ist in friihen Stadium schon an 
eine Fiebertherapie mit Tuberkulin, mit Vakzine oder mit Natrium nucleinicum 
zu denken, wodurch die Reaktionskraft angeregt und eine spezifische Behandlung 
wieder ermoglicht wird. Daneben kann noch versucht werden, die Abwehr- 
einrichtungen des Korpers aufzuriitteln. 

602) tJber eine nach innen gerichtete Schutzfunktion der Haut (Esophylaxie) 
nebst Bemerkungen uber die Entstehung der Paralyse, von Erich Hoffmann. 
(Dermatolog. Zeitschr. XXVIII. 1919. H. 5.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Haut vermag nicht nur sich selbst, sondern auch die inneren Organe 
bis zu einem gewissen Grade vor Krankheitskeimen und deren Giften zu be- 
wahren, nicht nur als Wachter nach auBen eine exophylaktische, sondern auch 
als Wachter nach innen eine esophylaktische Wirkung auszuiiben. Fiir die An- 
nahme einer nach innen gerichteten Schutzfunktion der Haut ist die Erfahrung 
sehr wichtig, daB bei ausgedehnterer Erkrankung der Haut an tertiarer Syphilis 
und Lupus vulgaris die inneren Organe so oft frei bleiben. Vor allem ist das Zu- 
sammentreffen von Paralyse und Tabes mit tertiaren Hautsyphiliden ungemein 
selten, und in Landern, in denen letztere haufig und sozusagen endemisch sind, 
treten die metasyphilitischen Erkrankungen sehr zuriick. Dies antagonistische 
Verhaltnis zwischen Haut einerseits und inneren und nervosen Organen andrer- 
seits wird leichter verstandlich, wenn man annimmt, daB bei der Lokalisation 
und dem Verlauf langwieriger spatsyphilitischer und tuberkuloser Prozesse in 
der Haut besondere immunisierende Stoffe reichlicher gebildet werden, die ins 
Innere des Organismus gelangend, auch dort einen schiitzenden und heilenden 
EinfluB entwickeln. So ist auch die Fetstellung zu verwerten, daB Tabiker und 
Paralytiker im Frlihstadium ihrer Syphilis haufig nur an geringen Hauterschei- 


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nungen gelitten und erhebliche Rezidive oft nicht gezeigt haben; auch dies Ver- 
halten spricht dafiir, daB infolge der mangelnden Hautreaktion immunisierende 
Substanzen nicht in geniigender Menge prodrpert worden sind, um den nervosen 
Organen ansreichenden Schutz zu gewahren oder die eingetretene Erkrankung 
zu iiberwinden. 

603) Krieg und progressive Paralyse, von Kollmeier. (Archiv fur Psychiatric. 
LXII. 1920. H. 1.) Ref.: G. Ilberg. 

Auf Grund seiner Studien in der Siemerlingschen Klinik kommt Verf. 
dem SchluB, daB die Paralyse wahrend des Kriegs nicht an Haufigkeit zu- 
genommen hat. Kriegsschadigungen allgemeiner Natur spielen in der Vorgeschichte 
der wahrend des Kriegs zum Ausbruch gekommenen Paralyse keine besonders 
groBe Rolle. Insbesondere sind Kopfverletzungen, Gehirnerschiitterungen und 
dergleichen auffallig selten. Es war nicht zu beobachten, daB die progressive 
Paralyse bei Kriegsteilnehmern in einem friihereri Lebensalter auftrat als bei 
Zivilpersonen. Die- Zwischenzeit zwischen Infektion und Ausbruch der Paralyse 
war bei den Kriegsfallen nicht abnorm kurz. In manchen Fallen verlief die Krank- 
heit schwerer und rascher. Ein Paralleli^mus zwischen Schwere und Schnelligkeit 
des Verlaufs bestand nicht. Bei den rascher und schwerer verlaufenden Fallen 
handelte es sich weniger um Einflufi von Yerwundungen und Strapazen als viel- 
mehr um Schadigungen sekundarer Art, wie sie z. B. die wahrend des Kriegs 
veranderte Ernahrung, sowie die weniger geschulte Pflege mit sich brachten. Ob 
Besonderheiten im pathologisch-anatomischen Bild bei Kriegsparalvtikern vor- 
kommen, ist noch nicht geniigend geklart. 

604) ^ProgressiveParalyse** Oder „Hirnsyphilis“ ? von J. Bresler. (Psychiatrisch- 

neurolog. Wochenschrift. XXI. 1919/20. Nr. 39/40.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. schlagt vor, den Namen ,,progressive Paralyse 44 fallen zu lassen und 
dafiir . ,fortschreitende Hirnsyphilis 44 zu sagen, vielleicht auch Hirnsyphilitiker 
in besonderen Abteilungen unterzubringen fiir den Zweck pathologischer und 
klinischer Spezialforschung sowie der Spezialbehandlung. 

605) Beitrage zur Atiologie der progressiven Paralyse, von Julius Schuster. 

(Orvosi Hetilap. 1920. Nr. 30.) Ref.: Hudovernig. 

Uber seine bisherigen Untersuchungen in der Klinik Moravcsik berichtet 
Verf. im Rahmen einer durch die diirftigen Papierverhaltnisse bedingten kurzen 
vorlaufigen Mitteilung folgendes: 1.'Auch bei der einfachen, anfallsfreien Para¬ 
lyse fand er im Zentralnervensystem reichliche Spirochaten, somit scheint es 
nicht, daB reichliche Spirochateninvasion die Anfalle verursachen. 2. Die groBten 
Massen der Spirochaten findet man in den untersten Schichten der Hirnrinde, 
es vermehren sich dieselben dort und verbreiten sich von hier aus in den iibrigen 
Rindenpartien; die strukturellen Veranderungen der Hirnrinde konnen diffus 
sein; die Veranderung der Markscheiden ist gerade an der Grenze der Rinde und 
Bahnen mit Markscheiden am ausgesprochensten. 3. Im AnschluB an einen Fall 
von multipler Sklerose — wo es ihm gelang, in den tieferen Teilen der Hirnrinde 
Spirochaten nachzuweisen — nimmt Verf. an, daB zwischen den Markscheiden- 
veranderungen der progressiven Paralyse und der multiplen Sklerose eine gewisse 
Verwandtschaft besteht in bezug auf Gewebsreaktion, indem bei beiden Er- 
krankungen nach der Spirochatenerkrankung ein herdweiser Markscheidenzerfall 
eintritt, dessen Pradilektionsstelle die Grenze der Rinde und Marksubstanz ist. 
4. Die Formalinausspritzung durch die Carotis ist nicht geeignet, die Spirochaten 
im Zentralnervensystem zu fixieren (wenigstens gelang es Verf. nie, in derart 
behandelten Fallen die Spirochaten nachzuweisen, wahrend er sie in nicht so be- 
handelten Fallen immer nachweisen konnte). Dies konnte vom therapeutischen 
Standpunkte in Betracht kommen (Knauers Carotideninjektion). 


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606) ttber die Spiroehatenfunde im Paralytikergehirn und ihre Bedeutung, von 

B. Klarfeld. (Sammlung zwangloser Abhandl. aus dem Gebiete der Nerven- 
und Geisteskrankheiten [C. Marhold]. XI. H. 8.) Ref.: Kurt Mendel. 

Besprechung der diesbezuglichen Arbeiten (Noguchi, Jahnel, Nissl, 
Hauptmann usw.). Die Bedeutung der Spirochatenbefunde im Paralytiker¬ 
gehirn liesrt in erster Linie darin, daB sie das Endglied in der Beweiskette fur die 
luetische Natur der Paralyse bilden. Unerforscht sind aber noch die Beziehungen 
zwischen den im Gehirn vorkommenden Spirochaten und den Gewebsverande- 
rungen; es ist'bisher noch nicht einmal die einfache Tatsache der Gewebsschadigung 
durch unmittelbare Einwirkung der Spirochaten in Fallen von Paralyse anatomisch 
einwandfrei festgestellt. An der anatomischen Eigenart der Paralyse gegeniiber 
den als einfach luetisch bezeichneten Prozessen kann aber nicht gezweifelt werden. 
Die Erforschung der Quellen dieser Eigenart, das Aufsuchen der Bindeglieder 
zwischen der Paralyse und den einfach luetischen Prozessen wird die Aufgabe 
einer ferneren Zukunft sein. 

607) ttber Spirochatenbefunde im Kleinhirn bei progressiver Paralyse, von Eduard 
Krebsbach. (Inaugur.-Dissert. Freiburg 1919.) Ref.: Kurt Mendel. 

In 4 von 5 Paralysefallen fand Yerf. Spirochaten im Kleinhirn, und zwar 
die verschiedensten Formen, sowohl einzeln liegend als auch diffus durch das 
ganze Praparat verteilt. Die Spirochaten lagen sowohl in der Molekular- als auch 
in der Kornerschicht auf groBere Strecken hin alle genau parallel zueinander 
(,,Spirochatenzug“). Anhaufung von Spirochaten um Ganglienzellen oder um 
Purkinjesche Zellen wurde nie beobachtet, wohl aber verschiedentlich eine 
erhohte diffuse Anhaufung der Parasiten um Kapillaren herum. 

608) ttber einige morphologische Verschiedenheiten der Spirochaeta pallida im 
Paralytikergehirn, vojn Georg Sprenger. (Archiv fiir Psychiatric und 
Nervenkrankheiten. LXI. 1920. H. 3.) Ref.: G. Ilberg. 

Im Gehirn eines im 25. Lebensjahr verstorbenen Paralytikers fand Verf. sehr zahl- 
reiche Spirochaten von ganz besonderer Lange und Feinheit. Die Lange der einzelnen 
Spirochate betrug mindestens das Doppelte, meist das Dreifache der Lange, die man 
gewohnlich in Paralytikergehirnen sieht. Die Zahl der Windungen, die sonst meist 
zwischen 8 und 13 schwankt, betrug 26, 30, ja 32. Die Windungen waren meistens ab- 
geflacht und zwar nicht nur an den Enden und in der Mitte, sondem in der ganzen Aus- 
dehnung. Die Dicke war durchweg schr erheblich verringert: etwa 0,15 Mikren. Mitten 
zwischen diesen Faden fanden sich in geringer Anzahl auch Formen, die dem Normal- 
bild der Spirochaeta pallida bis auf ihre abnorme Lange sehr ahnlich waren. Die Spiro¬ 
chaten fanden sich diffus verteilt im Parenchym, aber auch in groBerer Anzahl in Gruppen, 
Knaueln und Schwarmen. Auch kurze und dicke Formen kamen vor. Den Spirochaten 
lagen an und farbten sich wie sie kleine kugelige und kegelige Korper, deren Durchmesser 
das 1- bis 4fache mittelstarker Spirochaten betrug. In maBiger Anzahl fanden sich auch 
Einrollungen und Knopfe, an einem und an beiden Enden Ring- und Stemformen, die 
reifen von der mittleren und doppelten Spirochatendicke. 

Das Mark war immer frei von Spirochaten. Die Fadenform war im allgemeinen in 
den oberen Schichten mehr ausgesprochen als in den tieferen. Anhaufungen von groBer 
Starke, Schwarme und Herde waren in den oberen Schichten, doch auch in der 5. und 
6. Schicht vorhanden, haufig lagen die Parasiten in kleinen Knaueln ’ langer Faden, 
manchmal umspannen sie Gliazellen und seltener einmal eine Ganglienzelle. GroBere An- 
h^ufungen von etwa 2 bis 3 Dutzend Exemplaren lagen haufig in der Nahe kleiner GefaBe, 
bedeutend seltener waren direkte dichte Umspinnungen von Kapillaren in der Nahe. 
In den sparlich vorhandenen Massenansammlungen trat manchmal eine eigentumliche 
Rosafarbung zutage. Die Praparate waren nach Jahnels Verfahren behandelt. Eine 
besondere Art oder selbstandige Varietat nimmt Verf. nicht an, sondem glaubt, daB 
gewisse Veranderungen im auBeren Medium erhebliche Formanderungen der Spirochaeta 
pallida zur Folge haben konnten. 

609) Trauma and other non-luetic influences in paresis, by M. Osnato. (Journ. 
of nerv. and ment. disease. LII. 1920. Nr. 2.) Ref.: W. Misch. 


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Durch Kopftrauma mit oder ohne Verletzung des Schadels konnen akute 
und chronische Lasionen des Gehirns entstehen, die im Anfangsstadium zu Blu- 
tungen, Zerreiflung oder Zerstorung und Odem des Gehirngewebes, spater zu 
Gliose und Sklerose von Nervenzellen fiihren konnen; die friihen Veranderungen 
bewirken herdformige Lahmungen oder einiache Gehirnerschiitterung, die spateren 
das sogenannte traumatische Irresein. Symptome und Pathologie des letzteren 
ahneln in gewissem MaBe denen der Paralyse. Es kann sich nun eine progressive 
Paralyse entwickeln, wenn die Permeabilitat der GehirngefaBe verandert wird, 
so daB die Spirochaten und ihre Toxine Zugang zum Gehirngewebe erhalten. In 
dieser Weise konnen durch ein Kopftrauma GefaBlasionen oder Gehirnzerstorungen 
gesetzt werden, die spater von Gliose und Sklerose der Nervenzellen gefolgt sind 
und die die Spirochateninvasion ins Gehirn erlauben. Es werden eine Reihe von 
Fallen mitgeteilt, aus denen hervorgeht, daB tatsachlich durch ein Kopf- und 
Gehirntrauma eine Paralyse ganz akut verlaufen oder sonstwie ungiinstig beein- 
fluBt werden kann. Auch toxische Einfliisse wie Influenzatoxine, Alkohol, Ather, 
konnen bei bestehender allgemeiner oder Gehirnsyphilis eine Paralyse herbei- 
fiihren oder beschleunigen. Ganz sichergestellt ist der Kausalzusammenhang 
zwisclien Kopftrauma und Paralyse bei nichtparalytischen Luetikern, wenn die 
ersten Paralysesymptome sehr bald nach dem Trauma auftreten. Die Latenzzeit 
als Kriterium fur den Zusammenhang zu nehmen, ist unmoglich, weil bei dem 
gewohnlichen traumatischen Irresein die Latenzzeit bis zum Auftreten der die 
psychischen Erscheinungen hervorrufenden pathologischen Prozesse unbegrenzt 
lang sein kann. Prophylaktisch ist dringend zu empfehlen, daB ein Syphilitiker, 
der ein Kopftrauma erlitten hat, sofort auf langere Zeit ruhig gestellt und einer 
intensiven antisyphilitischen Behandlung unterworfen wird, um so rasch als 
moglich alle die Gehirnsubstanz erreichenden Spirochaten abzutoten; es ist dabei 
darauf zu achten, daB die antisyphilitische Kur unmittelbar nach Wiedererlangung 
des BewuBtseins und dem Abklingen der akuten Shocksymptome begonnen wird. 
Auch nach Infektionen oder langer dauernder Athernarkose muB man bei einem 
Syphilitiker auf eine mogliche Paralysereaktion vorbereitet sein. 

610) Diastematomielia in soggetto paralitico, per G. Saiz. (Rivista di Patologia 

nervosa e mentale. XXV. H. 5 u. 6.) Ref.: Enderle (Rom). 

Verf. beschreibt im AnschluB an eine Ubersicht der bis jetzt bekannten Falle eine 
von ihm bei einer an progressiver Paralyse gestorbenen Frau gefundene Diastematomyelie. 
Die Lasion hatte ihren Anfang im vorletzten Lumbalsegment und erstreckte sich bis zu 
dem letzten Coccygealsegment. Sie war asymmetrisch; in den Lumbal- und Sakralsegmenten 
auf Rechnung der rechten Halfte, und nur in dem letzten Sakralabschnitt, ganz ^mlich 
den Fallen Hen ne bergs und Steffens, zeigten die zwei Riickenmarkshalften gleiche 
Ausbildung. 

Auch in diesem Falle konnte man die MiBbildung auf eine Abschniirung der Vorder- 
horner zuruckfuhren, da das ziemlich ausgebildete linke Riickenmark einen dem Vorder- 
horn gleichzustellenden Auswuchs trug. 

In den distalsten Segmenten verkleinert sich auch das linke Riickenmark und ver- 
liert die riickwartigen Formationen, so daB im S x die zwei ganzlich geteilten Riickenmaiks- 
halften von einem zentralen Teile grauer Substanz (= Vorderhorn) und einem peripherischen 
Markfaserring gebildet waren. 

In So und S 3 behielt die rechte Halfte dieses Aussehen bei, wahrend in der linken 
sich nach und nach die riickwartigen Formationen wieder hervorbildeten; in diesen Seg¬ 
menten stellten einige Kommissuralfasem zwischen rechter und linker Seite der Med. 
spinalis eine Verbindung dar, die sich aber gleich loste. Hier (S 4 ) bildete sich auch das 
rechte Hinterhorn wieder aus, und bei S 6 vereinigten sich die zwei Halften wieder ganz, 
um so bis zu den Coccygealsegmenten zu verlaufen. Nur der Canalis centralis blieb zwei- 
geteilt. 

In dem ganzen diastematischen Teil waren auch folgende Lasionen festzustellen: 
In L 6 fehlten die Hinterwurzeln; in Sj waren deren vier vorhanden, die aber alle als motorisch 
anzusehen sind, da aus motorischen Zellen stammend; hier war auch ein atypischer Faser- 


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strang zwischen reohtem Vorder- und Hinterhora zu sehen. In den 8egmenten S 2 und 
entsandte das rechte Riickenmark zwei motorise he Wurzeln und Kommissuralfasern zum 
linken Riickenmark, das selbst zwei diinne WurzeJn aus dem Vorderhom entsandte. Die 
Hinterwurzeln fehlten ganz in S L und S 2 , begannen links in S 3 , rechts erst in S 5 ; von 
diesen war eine mit dem Seitenstrange in Verbindung. 

Auch andere Anomalien waren vorhanden, so: die Heterotopie der Spinalganglien, 
die Zweiteilung der Fiss. med. ant. und des Can. ependymalis (entsprechend den L 4 , Lj) 
und Juxtaposition der Clarkeschen Saulen. Vom klinischen Standpunkte war noch zu 
bemerken, dafi eine angeborene Deformitat (Kontraktur) der unteren Extremitaten be- 
stand. Bemerkenswert ist noch der embryonale Charakter der Med. spinalis, die bis zu 
dem V. Lumbalsegment reichte. 

611) Paralyse und Entziindung, von P. Schroder. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, 
u. Psych. LIII. 1920. H. 3 u. 4.) Ref.: W. Misch. 

Zur Kontroverse Racke-Spielmeyer, ob sich beim paralytischen Hiru- 
rindenprozeB neben entziindlichen Prozessen auch degenerative Vorgange ab- 
spielen, auBert sich Verf. folgendermaBen: Fiir die Deutung der ,,Infiltratzellen*‘ 
um die GefaBe ist nicht nur die bisher vorwiegend umstrittene Alternative hama- 
togen-histiogen in Betracht zu zielien, sondern es ist noch eine dritte Moglichkeit 
gegeben, die Lymphogenie der Elemente; das gilt auch fiir die Paralyse. Nissls 
Annahme von der Hamatogenie der Lymphozyten- und Plasmazellmantel bei 
der Paralyse und verwandten Prozessen erscheint nicht mehr gesichert. Die Be- 
rechtigung, iiberhaupt bei der Paralyse von Entziindung im Sinne Cohnheims 
zu sprechen, kann deshalb ernstlich in Zweifel gezogen werden. Nissls rein histo- 
logisch gestiitzter Begriff: chronische Entziindung fiir Veranderungen, wie sie die 
Paralyse aufweist, erscheint heute anfechtbar. t)ber die Herkunft und Bedeutung 
der Zellen des Liquor cerebrospinalis ist so gut wie nichts sicher bekannt; ihre 
Abstammung aus der Lymphe ist nicht unwahrscheinlich. Die Extravasation 
von weiBen Blutelementen bei Prozessen, welche entziindlich genannt zu werden 
pflegen, ist wahrscheinlich stets nur eine voriibergehende Erscheinung wahrend 
der allerersten Tage; sie hort rasch auf, auBer wenn die entziindungserregenden 
Ursachen fortdauern. Sie ist belanglos fiir die sich daran anschlieBenden re- 
paratorischen Vorgange. Es kann zweifelhaft sein, ob ihr iiberhaupt eine groBere 
Bedeutung zukommt und ob es berechtigt ist, in ihr das wesentliche anatomische 
Kennzeichen fiir die klinisch als Entziindung bezeichneten Vorgange zu sehen. 

612) Zur Klinik und pathologischen Anatomie der stationaren Paralyse, von 
A. Jakob. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, xi. Psych. LIV. 1920. S 117.) Ref. : 
W. Misch. 

Es wird klinisch und anatomisch fiber fiinf Falle von langdauernder Para¬ 
lyse berichtet, die alle das Gemeinsame haben, daB sie lange Jahre hindurch ein 
vojlig stationares Zustandsbild boten. Diese fiinf Falle sind die einzigen der- 
artigen aus einem Sektionsmaterial von etwa 1800 Fallen der letzten 8 Jahre. 

Fall 1. Paralyse von iiber 20jahriger Dauer. Lange Zeit vollig stationares katatones 
Zustandsbild mit Gehorstauschungen, paranoiden Wahnideen und seltenen epileptiformen 
Anfallen. Negativwerden der Liquorreaktionen. Schwerer paralytischer GewebsprozeB 
mit besonderer Beteiligung der unteren Rindenschichten, besonders im Schlafenhirn. 

Fall 2. Paranoide Psychose von fiber 20jahriger Dauer und fast vollig stationarem 
Verlauf. Korperliche Erscheinungen einer Paralyse (oder Tabes). Im Liquor positive 
Reaktionen. Tod im apoplektischen Insult nach 26jahrigem Anstaltsaufenthalt. Para- 
lytisches Rindenbild mit geringer Intensitat des Krankheitsprozesses, besonders der 
Infiltrationsvorgange; starkere Veranderungen im Kleinhim. 

Fall 3. Paralyse von 11- bis 12jahriger Dauer mit katatonen Ziigen. Starke 
Schwankungen der Liquorreaktionen. Paralytischer GewebsprozeB von geringer Intensitat 
und stark zuriicktretenden Infiltrationserscheinungen. 

Fall 4. lljahriges stationares paralytisches Zustandsbild nach langerem apoplekti- 
formem Vorstadium. Gehorstauschungen und paranoide Wahnideen. Liquorreaktionen 
negativ. Paralytischer GewebsprozeB bei sehr stark zuriicktretenden Infiltrationen und 
nur maBig entwickelter Parenchvmdegeneration. Gummose Narbe im rechten Putamen. 


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Fall 5. Krankheitsbild ernes epileptischen Schwachsiuns. Be gin n der e pile pti&chen 
Anfalle im 9. Lebensjahre; Anst&ltsaufnahme mit 29 Jahren. Tod niit 42 Jahren im 
Status. Serologische Reaktionen sind schwach positiv, zuletzt negativ. Gewohnlicher 
paralytischer GewebsprozeB. 

Dem schleppenden, iiber viele Jahre hinaus stationaren Verlaufe der para- 
lytischen Erkrankung entspricht gewohnlich auch anatomisch ein besonders' ge- 
ringgradig entwickelter und wenig Progression zeigender. stellenweise narbig 
ausgeheilter Krankheitsvorgang; doch kann es bisweilen bei derartigen Zustanden 
auch wieder zu einem starken Aufflackern des Prozesses kommen. In keinemFalle ge- 
lang es, Spirochaten im Gehirngewebe nachzuweisen, selbst bei hochgradig entwickel- 
ten Entziindungsvorgangen. In 4 von den 5 Fallen fallt das an katatone Zustande 
erinnernde Krankheitsbild auf, zum Teil durch Gehorstauschungen und para- 
noide Wahnideen erganzt. Bei Betrachtung der sonst noch aus der Literatur be- 
kannten Falle laBt sich der SchluB ziehen, daB der paralytische Entziindungs- 
und Degenerationsvorgang bei langsamerer und geringgradiger Entwicklung eine 
mehr katatone Farbung der Psychose abgibt. Bei dem einen Fall mit klinisch 
im Vordergrund stehenden Gehorstauschungen fand sich eine starke Affektion 
der untersten Rindenschichten im Schlafenhirn, die wohl mit den Halluzinationen 
in Kausaizusammenhang zu bringen ist. Der letzte Fall zeigt im wesentlichen 
das Geprage eines schwachsinnigen Epileptikers. In keinem der Falle ist also das 
gewohnliche Bild der Paralyse gewahrt, so daB auch vom klinischen Standpunkt 
aus die Eigenart solcher zeitlich atypisch verlaufender Beobachtungen betont 
wird. Samtliche Kranken zeigten nur ganz schwache oder negative Blut- und 
Liquorreaktionen, z. T. konnte das allmahliche Abklingen der fruher positiven 
Befunde oder ein bemerkenswertes Schwanken der Reaktionen beobachtet werderi. 

Derartige Falle sind als besondere Gruppe abzutrennen und ihrem klinischen 
und anatomischen Geprage entsprechend als stationare Paralyse zu bezeichnen. 
Dabei handelt es sich nicht um ein volliges Stillstehen des Krankheitsprozesses, 
vielmehr entwickeln sich klinische und anatomische Erscheinungen langsam 
weiter, unter zeitweiligem heftigem Aufflackern; in einzelnen, auch groBeren 
Rindengebieten kann der ProzeB so gut wie abgeschlossen erscheinen, unter Defekt- 
und Narbenbildungen. Die hier beschriebenen Falle weisen darauf hin, daB die 
Moglichkeit eines Ausheilens des paralytischen Prozesses besteht. 

613) Le aortiti nella paralisi generate, per G. Epifanio. (Riv. de Pat. nerv e ment. 

XX. 1915. Fasc. 3.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Auf Grand pathologisch-anatomischer Befunde unterscheidet Verf. zwischen 
Panaortitis syphilitica und Aortitis metaluetica paralytica, die durch ihre langsame 
Entwicklung, durch simultanes Ergreifen der Media und Intima (spater auch 
der Elastica) und durch Freibleiben der Adventitia charakterisiert ist. 

614) tJber die juvenile Paralyse, von Toni Schmidt-Kraepelin. (Monographien 

aus dem Gesamtgeb. der Neurol, u. Psych. (J. Springer. Berlin 1920. Heft 20.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Die Arbeit beriicksichtigt 54 . im Laufe der letzten 15 Jahre auf der Mun- 
chener psychiatrischen Klinik beobachtete Falle von juvender Paralyse (32 mann- 
liche und 22 weibliche im Alter von 7 bis 17 Jahren). Verf. faBt das Ergebnis ihrer 
Betrachtungen etwa wie folgt zusammen: 

Das mannliche Geschlecht ist haufiger erkrankt als das weibliche. Die Dauer 
der Erkrankung nimmt mit zunehmendem Alter bei Ausbruch der Paralyse ab, 
sie ist beim mannlichen Geschlecht durchschnittlich langer als beim weiblichen 
und im ganzen fait stets erheblich langer als bei der Erwachsenenparalyse. Erb- 
liche Belastung mit Geisteskrankheit und psychopathischer Minderwertig- 
keit spielt keine nennenswerte Rolle, dagegen.ist Alkoholismus der Eltern auf- 


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fallend haufig nachzuweisen. Hereditar-syphilitische Stigmata sind bei juvenil 
Paralytischen haufig. Gber 1 / 2 der Kinder zeigen allgemeine -JSntwicklungshem- 
mung (Infantilismus); etwa 1 / 2 sind von vornherein sehwachsinnig. Die Friih- 
symptome der juvenilen Paralyse bestehen meist in Wachstumsstillstand und 
Charakterveranderung. Akuter Beginn, Lahmungen, andere Herdsymptome und 
massenhafte epileptiforme Anfalle sind gegeniiber der Erwachsenenparalyse ziem- 
lich haufig und lassen auf Kombination mit Hirnsyphilis schlieBen. Bisweilen 
finden sich Folgezustande thyreogener oder hypophysarer Schadigungen. Optikus- 
atrophie findet sich verhaltnismaBig haufig und auch ohne Verbindung mit an- 
deren tabischen Symptomen. Die absolute Pupillenstarre iiberwiegt bei weitem 
iiber die reflektorische. Haufig ist eine eigenartige ,,pseudochoreatische“ Be- 
wegungsunruhe vorhanden; ofters findet sich auch auffallend starke, auf zerebellare 
Storungen hinweisende Ataxie. Die Sprechweise ist bisweilen eigentiimlich hastig 
und tonlos. „Echte“ paralytische Anfalle sind seltener als epileptiforme Anfalle. 
Schwindelanfalle, Erbrechen, Migranezustande sind ofter als „Aquivalente ££ auf- 
zufassen. Periodisch auftretende Erregungszustande sind in alien Stadien der 
juvenilen Paralyse haufig; durchweg „agitierte“ Verlaufsart findet sich jedoch 
nur in etwa 10°/ o der Falle. GroBenideen sind selten und tragen dann meist kind- 
liches Geprage; ofters besteht Neigung zum Aufschneiden und Schwindeln. Das 
Vorkommen „echter ££ Sinnestauschungen bei besonnenen Kranken ist nicht sicher 
erwiesen. Bisweilen werden an Delirium tremens erinnernde Zustande ohne Al- 
koholismus beobachtet. Schwacher Ausfall der Wassermannreaktion im Liquor 
scheint mit langer Dauer der Paralyse im Zusammenhang zu stehen. Negativer 
Wassermann im Serum kommt anscheinend in Verbindung mit schweren Knochen- 
veranderungen vor. Nennenswerte therapeutische Erfolge sind mit den bisher 
bekannten Methoden nicht zu erzielen. Klinisch wie anatomisch ist die Verbindung 
von juveniler Paralyse mit Hirnsyphilis nicht selten. 

615) ttber die Kombination von juveniler Paralyse mit miliarer Gummenbildung 
bei zwei Geschwistern, von E. Grutter. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. 
LIV. 1920. S. 225.) Ref.: W. Misch. 

Es werden die Falle zweier Geschwister mitgeteilt, bei denen sich eine Ver¬ 
bindung von juveniler Paralyse mit tertiar-syphilitischen Veranderungen fand ; 
und die in ihrer Entstehung, ihrem klinischen Verlauf und dem anatomischen 
Befund sehr groBe Ahnlichkeit aufwiesen. 

Im ersten Fall handelte es sich um einen Schiffsbauer, der bis zum 18. Lebensjahre 
vollkommen gesund war. Der Vater zeigte verdachtige Zeichen einer iiberstandenen Lues. 
Das Leiden begann mit Unsicherheit in den Beinen. Dann entwickelte sich allmahlich 
neben korperlichen Erscheinungen (spastischer Lahmung der Beine, Reflexsteigerung, 
schweren Sprachstorungen) eine starke Einschrankung aller geistigen Fahigkeiten, besonders 
der Auffassung, der Orientierung, des Gedachtnisses und der Merkfahigkeit; weiter traten 
Pupillen- und Augenmuskelstorungen sowie bulbare Erscheinungen hinzu, neben schwerem 
geistigem Zerfall stellten sich paralytische Anfalle ein. Alle vier Reaktionen waren positiv. 
— Die Obduktion bestatigte die Diagnose der juvenilen Paralyse vollkommen; es fanden 
sich dichte Infiltration der Pia mit Plasmazellen und Lymphozyten neben starker Binde- 
gewebsneubildung, femer ausgedehnte Veranderungen der Ganglienzellen, Zerfall der Mark- 
soheiden, besonders der Tangentialfasern, enorme Proliferation faseriger Glia mit gehauftem 
Auftreten amoboider Gliazellen, starke Wucherung der GefaBe mit Neubildung von 
Kapillaren, Infiltration der Gef^Be mit Plasmazellen und Lymphozyten. Im Kleinhirn 
zeigten sich neben ahnlic' enVeranderungenVerdoppelungen der Kerne der Purkinjeschen 
Zellen sowie reichhch Spirochaten. 

Ein ahnhches Bild bot die Schwester des vorigen Pat. Bis zum 16. Lebensjahre 
vollig gesund, wurde sie nunmehr vergeBlich, es stellte sich beiderseits Optikusatrophie 
ein, es entwickelte sich schwerer geistiger Verfall mit vorubergehender Remission. Korper- 
lich bestanden Lichtstarre der Pupillen, schwere artikulatorische Sprachstonmg, gesteigerte 
Patellarreflexe, Optikusatrophie. Im AnschluB an gehaufte paralytische Anfalle trat unter 


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zunehmendem Korperverfall der Exitus ein. Die anatomische Untersuchung ergab die 
gleichen Befunde wie der erste Fall. 

Neben den beschriebenen Veranderungen fanden sich im ersten Fall aber noch 
andere Herde: kleinste, nur mikroskopisch sichtbare Haufen von Zellen, die meist im 
Zusammenhang mit einem GefaB stehen, stets in der Rinde dicht unter der Oberflache 
liegen. Sie bestehen aus zwei Arten von Zellen: rundlich-ovalen in der Mitte und langer 
ausgezogenen, gekrummten an der Peripherie, die in die Umgebung auswandern und auf 
die die Umgebung mit Zerfall von Ganghenzellen und Gliaanhaufung reagiert. Es besteht 
kein Zweifel, daB es sich hier um miliare Gummen in der Himrinde handelt, die vom 
paralytischen Befund deutlich versehieden sind. 

Auf Grund der Untersuchungen laBt sich sagen, daB sich die einzelnen Formen 
der Hirnlues sowohl gegen die Paralyse wie untereinander abgrenzen lassen. Mog- 
lich ist diese Unterscheidung aber nur durch Beurteilung des Gesamtbildes, nicht 
durch das Auftreten einzelner Zellarten (Plasmazellen, Lymphozyten, Stabchen- 
zellen usw.). Ausschlaggebend fur die Diagnose ist die Art der Anordnung und 
Gruppierung dieser Zellformen, die an sich bei beiden Erkrankungsarten vor : 
kommen. Bei alien Unterschieden erhellen die nahen Beziehungen zwischen 
Paralyse und Hirnlues besonders aus der Untersuchung der kombinierten Formen,' 
die so komplizierte Bilder liefern konnen, daB an einzelnen Stellen die Abgrenzung 
der beiden Krankheitsprozesse schwierig wird. Nach neusten Untersuchungen 
scheint festzustehen, daB rein syphilitische Prozesse, insbesondere Gummen- 
bildung, bei der Paralyse wesentlich haufiger gefunden werden, als bisher an- 
genommen wurde. 

616) Zur Lehre von der juvenilen Paralyse, von Heinrich Wes email n. (Inaug.- 

Dissert. Kiel 1919.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. teilt einen Fall von progressiver Paralyse bei einem lOjahr. Madchen mit. 
Ererbte Lues. Hutchinsonsche Zahne. Blut und Liquor Wassermann-positiv. Beginn 
des Leidens vor 1 Jahr. 

617) Beitrag zur Lehre von der juvenilen Paralyse, von Hans Sick. (Inaug.- 

Dissert. Kiel 1919.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. teilt einen Fall von typischer progressiver Paralyse bei einem 13 jahr. Madchen 
mit. Vater Tabiker, Mutter zeigt trage Lichtreaktion der Pupillen und positiven Wasser- 
mann. Pat. selbst hat positiven Wassermann in Blut und Liquor. Babinski positiv. 
Optikusatrophie. 

618) Sul valore delle prove biologiche nella diagnosi della paralisi progressiva, per 

A. Coppolo. (Riv. di Pat. nerv. e ment. XX. 1915. Fasc. 11.) Ref.: 

C. Frank (Rom). 

Auf Grund eigener und der aus der Literatur bekannten Falle kommt Verf. 
zum SchluB, daB der alleinige positive Ausfall der vier Reaktionen im Liquor 
uns keinesfalls dazu berechtigt, eine Paralyse zu diagnostizieren. Dagegen glaubt 
er, daB man umgekehrt bei negativ ausgefallenen vier Reaktionen die Paralyse 
sicher ausschlieBen kann. 

619) Die Wassermannsche Reaktion bei der Paralyse. (Bemerkungen zu dein 

Aufsatz von Dr. V. Kafka), von F. Plaut. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, 
u. Psych. LVI. 1920. S. 295.) Ref.: W. Misch. 

Gegeniiber den Ausfiihrungen von Kafka stellt Verf. fest, daB die typische 
Paralyse mit negativer WaR. im Blut eine Raritat ersten Ranges, die typische 
Paralyse mit schwach positiver WaR. im Blut auBerst selten ist. Aus seinem Mate¬ 
rial von 1412 Paralytikerseren wiesen nur 0,6% eine negative WaR. im Blut auf, 
wahrend der Paralytikerliquor in 4% der 1050 Falle eine negative WaR. zeigte. 
Es muB also die negative WaR. im Liquor, so selten sie auch ist, als ein bedeutend 
haufigeres Phanomen als die negative WaR. im Blut bei der Paralyse angesehen 
werden. Nach den Erfahrungen des Verf. ist im Stadium der Praparalyse die 
Liquor-WaR. noch negativ, wahrend das Blut positiv reagieren kann; in Zeiten 


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der Remission kann die WaR. aus dem Liquor verschwinden, im Serum dagegen 
fortbestehen, und schlieBlich kann unter gewissen therapeutisehen Einfliissen 
bald die WaR. im Liquor, bald die WaR. im Blut, anscheinend unabhangig von- 
einander, negativ werden. Diese Feststellungen machen es wahrscheinlich, daB, 
wenn auch im Zentralnervensystem Reaktionskorper gebildet werden, die Reaktions- 
korper des Serums doch nicht ausschlieBlich von dort herstammen. 

620) Serologische Studien zum Paralyseproblem, von V. Kafka. (Miinchener 

med. Wochenschr. 1920. Nr. 33.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fiir die progressive Paralyse ist charakteristisch das MiBverhaltnis zwischen 
der Starke der WaR. und jener der zytologischen und Globulinreaktionen im Liquor. 
Demgegeniiber sind bei Hirnsyphilis WaR. und entziindliche Reaktionen im Liquor 
von ungefahr gleichmafiiger Starke. Bei der Paralyse kommt es vor, daB einer 
starken positiven WaR. im Liquor eine negative oder fast negative WaR. des Blutes 
gegeniibersteht, und zwar war dies in Verf.’s Material in 18,7% der Beobachtungen 
der Fall. Dies Phanomen ist — bis auf einzelne Falle von sog. Meningorezidiven 
nur der Paralyse eigen. Yerf. sucht dieses Verhalten theoretisch zu erklaren: in 
einem zum Kampf gegen die Parasiten schlecht organisierten Organe (Gehirn) 
entwickelt sich eine Spirochatose, wahrend sich der iibrige Korper sozusagen nicht 
darum kiimmert. Demgegeniiber stellt die Gehirnsyphilis einen mehr oder weniger 
abhangigen Teil der Allgemeinsyphilis dar. 

621) Neuere Liquorprobleme bei der Paralyse, von Wetzel. (Allg. Zeitschr. f. 

Psychiatrie. LXXVI.) Ref.: Zingerle. 

Der positive Ausfall der vier Reaktionen tritt in der Mehrzahl der Falle schon 
in den allerfriihesten Stadien auf. Er kann aber auch fehlen, findet sich auch bei 
Nichtparalysen, z. B. bei der Tabes, Lues cerebri und nicht spezifischen Meningitiden 
von Luetikern. Dieser Liquorbefund vermag auch nichts iiber die klinische Form 
und liber den zu erwartenden Verlaiif der Paralyse etwas auszusagen. Man hat 
deshalb iiber die vier Reaktionen hinaus nach weiteren andersartigen Veranderungeri 
des Paralytikerliquors gesucht, mit Hilfe der Kolloidreaktionen, der Weil-Kafka- 
schen Reaktion, der Reaktion von Pandy und Weichbrodt u. a. Wahrscheinlich 
werden sich durch Auffindung von typischen Kombinationen von an sich nicht 
spezifischen Liquorveranderungen und ihrer Gradabstufungen fur die Liquor- 
diagnostik der Paralyse ausschlaggebende Gesichtspunkte ergeben. 

Die Liquoruntersuchung hat aber auch fur die Frage der Atiologie der Paralyse 
Bedeutung. Yon den 70% luetischen Friihmeningitiden bleibt ein Teil stationar 
und bildet den Boden fiir die spatere Entwicklung von luetischen Erkrankungen 
des Zentralnervensystems. Es ist ein Problem, festzustellen, ob aus der Form 
der residuaren Verariderungen der Liquor zu erkennen ist, welche Art von Er- 
krankung sich spater entwickeln wird. Schon jetzt aber ergibt sich als aussichts- 
reiches Ziel der therapeutisehen Bestrebungen, die auf Grund der Liquorunter¬ 
suchung als gefahrdet erkannten Friihluetiker herauszufinden, unter standiger 
Liquorkontrolle zu halten und mit alien Mitteln zu entseuchen. 

622) Untersuchungen der Blutserum-Globuline bei Geisteskranken, namentlich bei 

Paralyse, von Rudolf Fabinyi. (Orvosi Hetilap. 1920. No. 36.) Ref.: 

Hudovernig. 

Verf. hat das Blutserum einer groBeren Zahl von Geisteskranken teils mit 
Salpetersaure teils mit Ammoniumsulfat gepriift; iiber die bisherigen Ergebnisse 
berichtet er in einer vorlaufigen Mitteilung. Ergebnisse: 1. Bei Geisteskranken 
ist die Brucksche Salpetersaurereaktion nicht kennzeichnend fiir Lues. Dieselbe 
stimmt iiberein mit der WaR. in 53%, ist derselben gegenteilig in 27°/ 0 . 2. Es 

besteht kein ursachlicher Zusammenhang zwischen der Gesamtmenge der Sero- 
globuline und der Bruckschen Reaktion. 3. Zwischen Bruckscher und Klausner- 
XL. (Erganzungsband.) 24 


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scher Reaktion besteht keine nennenswerte Parallele. 4. Die untere Grenze der 
Ausfallbarkeit der Serumglobuline ist gegeniiber Ammoniumsulfatlosung die 
28- bis 32°/ 0 ige Losung, die obere Grenze die 43-bis 47°/ 0 ige. Die Ausfallung 
der wahrscheinlich aus mehreren Albuminen bestehenden Globuline laBt keine 
natiirlichen Fraktionen unterscheiden. 6. Beim Blutserum der Paralytiker ist 
die untere Grenze der Ausfallbarkeit geringer, ebenso iiberhaupt bei luetischen 
Sera. Das zwanzigfach verdtinnte Serum wird dureh 28 bis29°/ 0 iges Ammonium- 
sulfat bloB bei Paralyse und luetischen Geisteskranken gefallt. Die 30°/oige Losung 
bildet den Ubergang; hier findet man bereits auch nichtparalytische und nicht- 
luetische Sera, aber diese stehen doch obenan. 6. Das Serum der Dementia 
praecox-Gruppe wird schon bei 30 °/ 0 gefallt, also noch etwas friiher, als die anderen 
Geisteskrankheiten, welche erst bei 31 °/ 0 gefallt werden. 7. Bei geistig gesunden 
Luesfalien ist die untere Grenze auch etwas geringer (unter 29°/ 0 ) als bei nicht 
geisteskranken Nichtluetischen. 8. Die Globulinfallungsmethode zeigt so ziem- 
liches Gbereinstimmen mit der Wassermannschen Reaktion, indem die bei 28- 
bis 29°/ 0 iger Ammoniumsulfatlosung fallbaren Sera in 79°/ 0 positive Wassermann- 
reaktion ergeben, und die erst iiber 31°/ 0 iger Ammoniumsulfatlosung fall¬ 
baren Sera sind in 88 °/ 0 Wassermann-negativ. 9. Die Globulinfallungsmethode 
zeigt einigen Zusammenhang mit der Bruckschen und Klausnerschen Reaktion, 
stimmt mit denselben jedoch nicht so oft iiberein, als mit der Wassermannschen 
Reaktion. 10. Es besteht kein ursachlicher Zusammenhang zwischen Gesamt- 
menge der Globuline und deren Fallbarkeit. 11. Die geringere oder groBere Alkali- 
zitat der Sera iibt keinen nennenswerten EinfluB aus auf die Fallbarkeit der Glo¬ 
buline mit Ammoniumsulfat. 12. Aktiyierte Sera sind viel empfindlicher fiir die 
untere Fallbarkeitsgrenze, als inaktivierte; wahrscheinliche Ursache, daB die labil- 
sten Globuline durch die Inaktivierung stabilisiert werden. Jedoch bei Ammonium- 
sulfatlosungen oberhalb der unteren Fallbarkeitsgrenze ergeben die inaktiven 
Sera einen reichlicheren Niederschlag, wahrscheinlich weil bei der Inaktivierung 
Albumine in Globuline ubergefiihrt werden. 13. Es lassen sich auch Unterschiede 
finden, wenn man bei einer fixen Ammoniumsulfatlosung (30%) das Serum suk- 
zessive verdiinnt; doch sind dieselben weniger genau und vertrauenswiirdig, als 
wenn man verschiedene Ammoniumsulfatlosungen anwendet. 

Weitere Untersuchungen miissen erst entscheiden, ob die sich aus den bisherigen 
Versuchen ergebende groBere Labilitat bei Paralytiker- und Syphilissera tatsach- 
lich kennzeichnend fiir Syphilis, und ob sie standig sind. Keinesfalls konnen die 
bisherigen Versuche einen Ersatz der Wassermannschen Reaktion bedeuten, aber 
in Fallen, wo die Wassermannsche Reaktion nicht durchfiihrbar ist, kann die 
Ausfallbarkeit mit Ammoniumsulfat doch einige Fingerzeige geben. 

623) Ricerche sul significate biologico delle alterazioni qualitative della tiroide. 
IV. Sulla colloide cromofila e sui rapporti fra lesioni tiroidee e paralisi pro¬ 
gressiva, per V. M. Buscaino. (Riv. di Pat. nerv. e ment. 1915. XX.) 

Ref.: C. Frank (Rom). 

Verf. hat in 30 Fallen von Paralyse die chromophilen Kolloide vorgefunden, 
weshalb er die Paralyse als eine Gehirnspirochatose, die von einem schweren 
Dysthyreoidismus begleitet wird, betrachtet. Dabei glaubt er, einen neuen sicheren 
Beweis seiner Annahme darin zu erblicken, daB die Wassermannsche Reaktion 
bei seinen Paralysefallen nur dann negativ ausfiel, wenn auBer Neosalvarsan und 
Enosol auch die Schilddriisenopotherapie angewendet worden war. Allerdings 
wird man dem Verf. wohl dabei nicht beistimmen konnen, wenn er auch die thera- 
peutischen Ergebnisse durch seine Theorie gestutzt zu sehen glaubt; denn, wie 
bekannt, fehlt es doch heutzutage nicht an einwandfreien Beobaehtungen, wo nach 
Neosalvarsanbehandlung allein die Wassermannsche Reaktion negativ ausfallt. 


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624) Prodromalsymptome der progressiven Paralyse, von Willy Harthun. 
(Inaugur.-Dissert. Kiel 1919.) Ref.: Kurt Mendel. 

An der Hand von 100 Fallen von Paralyse (50 Mannern, 50 Frauen) stellt 
Verf. die Prodromalsymptome dieses Leidens zusammen. Die Krankheit wurde 
in den meisten Fallen im Alter von 35 bis 45 Jahren manifest. Die ersten Pro- 
dromalerscheinungen lagen in einigen Fallen bis zu 7 Jahren zuriick. Bei 9 Mannern 
und 6 Frauen fanden sich reine neurasthenische Beschwerden ohne irgendwelche 
Begleiterscheinungen als erste Symptome der herannahenden Krankheit, bei 
21 Mannern.und 16 Frauen wurde Abnahme der Intelligenz ohne voraufgegangene 
andere Beschwerden gefunden, bei 4 Mannern und 9 Frauen waren Storungen 
der Intelligenz mit neurasthenischen Beschwerden kombiniert. Ferner kamen 
vor: neurasthenische Beschwerden + gastrische Erscheinungen, neurasthenische 
Beschwerden + paralytische Anfalle, Storungen der Intelligenz + neurasthenische 
+ rheumatische + gastrische Beschwerden -f- Krampfanfalle. Bei 65 von 92 Fallen 
fanden sich vorwiegend neurasthenisch-psychische Symptome als Prodromal- 
erscheinungen. Falle mit rein neurasthenischen Storungen im Prodromalstadium 
haben eine langere Dauer dieses Stadiums zu verzeichnen als die mit vorwiegend 
psychischen Storungen. Von den somatischen Prodromalsymptomen sind die 
Pupillenstorungen, die Veranderungen der Sehnenreflexe, Ungleichheiten in der 
Innervation der Gesichtsmuskulatur und artikulatorische Sprachstorungen als 
die konstantesten Storungen aufzufassen. 

625) Due casi di paralisi progressiva a sintomatologia atipica, per A. Frigerio. 
(Riv. di Pat. nerv. e ment. XX. 1915. Fasc. 6.) Ref.: C. Frank (Rom). 

Als besonders interessant ersclieint der zweite Fall, wo die Krankheit mit psychischen 
Symptomen begann (Halluzinationen, Depression usw.) und erst naeb 2 Jahren von 
somatischen Lahmungszeichen begleitet wurde. Dabei ist besonders hervorzuheben, dafi 
6 Monate vor dem Tode infolge von Ictus sich eine rechtsseitige Hemiplegie einsteUte, 
die bis zum Tode unverandert blieb. Der histopathologische Refund, der im ubrigen fur 
Paralyse sprach, fiihrte nicht zur Entdeckung des entsprechenden anatomischen Herdes. 
Da der Fall nicht systematisch untersucht wurde, so wagt Verf. nicht, ihn zu den Fallen 
von Hemiplegie ohne organischen Herd (Spielmeyer) zu rechnen. 

626) Zum Verstandnis der mangelnden Selbstwahrnehmung der eigenen Blind¬ 
heit, zugleich eiu Beitrag zur Symptomatologie der Tabesparalyse, von 

G. Stertz. (Zeitschr. f. d.^ ges. Neurol, u. Psych. LV. 1920. S. 327.) 
Ref.: W. Misch. 

Es werden zwei Falle von Tabesparalyse mit Amaurose mitgeteilt. In dem einen 
Fall, dessen Optikusatrophie 9 Jahre vor dem Auftreten der Paralyse begann, nahm die 
letztere zunachst einen sturmischen Verlauf, um dann stationar zu werden; in dem zweiten 
Fall, dessen Amaurose akut unter Salvarsanwirkung entstand, be stand die Paralyse schon 
seit 6 bis 7 Jahren, verlief aber zunachst in Schiiben mit weitgehenden Remissionen. 
Beide Kranke boten zurzeit neben einem partiellen geistigen Defekt einen eigenartigen, 
seit Mona ten unver&nderten psychischen Einengungszustand dar; sie lebten in einer eng- 
umgrenzten, monotonen Scheinwelt aus Reminiszenzen und Konfabulationen, wahrend 
die reale Welt zu volliger Bedeutungslosigkeit herabsank. Die Einengung hatte eine 
affektive und eine Defektkomponente: jene steuerte die Phantasietatigkeit, diese ftihrte 
zur Monotonie der Phantasieprodukte und ihrer widerspruchsvollep Kritiklosigkeit. 
Hervorgehoben wird, daB alle Einfalle und Konfabulationen durch Fremdsuggestion vollig 1 
unbeeinfluBbar waren und hartnackig festgehalten wurden. Wahrend nun bei dem einen 
dieser Falle die Amaurose im Mittelpunkt der Beachtung stand und sogar zum Gegenstand, 
von GroBenwahnvorstellungen gemacht wurde, fehlte in dem anderen Falle die Selbst- 
wahmehmung der Amaurose vollkommen. Diese merkwiirdige Erscheinung wird als 
psychopathologischer Verdrangungsmechanismus verstanden, der die emportauchende 
BewuBtheit der Blindheit im Entstehen ausloscht: dem erwachenden Gefiihl der • Un- 
zulanglichkeit tritt das dem Habitualzustand eigene BewuBtsein der korperhchen Intakt- 
heit gegeniiber, das mangelnde KrankheitsbewuBtsein der Blindheit verdichtet sich zu 
der Idee zu sehen, und diese nimmt bald die gleiche unbeirrbare Bestimmtheit an, die 
den ganzen, an sich diirftigen Inhalt des eingeengten psychischen Zustandes auszeichnet* 

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Ganz generell steht hier ©iner auBerordentlichen Autosuggestibilitat eine stark© Resistenz 
gegen Fremdsuggestionen gegeniiber. Die Verwandtschaft dieses psychogenen Mechanismus 
mit dem hysterischen sowie mit dem verdrangenden EinfluB iiberwertiger Ideen bei der 
Wahnbildung ist leicht ersichtlicb; alien drei Zustanden entspricht eine BewuBtseinsenge, 
welche, an sich verschiedenen TJrsprungs, doch ahpliche psycho physische Wirkungen 
zeitigt. 

627) Salvarsan und Paralyse, von Hubert Sieben. (Zeitschr. f. arztl. Fortbildung. 

1920. Nr. 7.) Ref.: Kurt Mendel. 

In einem Fall des Verf.’s nahm die Paralyse trotz lange fortgesetzter Neo- 
salvarsanbehandlung plotzlich einen bedrohlichen Chara.kter an. Yerf. empfiehlt 
bei Paralyse eine milde kombinierte Hg-Salvarsanbehandlung (l,2*Hg salicyl. 
+ 2,4 Altealvarsan inneihalb 6 Wochen), die in gewissen groBeren Zeitabstanden 
wiederholt werden kann und oft zu guten Resultaten fuhrt. Eine kombinie te 
Intensivbehandlung ist bei Verdacht auf Lues cerebri oder bei spontanen akuten 
Nachschiiben' bei einer Paralyse indiziert. 

628) Die Behandlung der progressiven Paralyse mit Neosalvarsan nach Leredde, 

von Armin Weisz. (Orvosi Hetilap. 1919. Nr. 35.) Ref.: Hudovernig. 

Die vom Verf. in der Abteilung des Ref. durchgefuhrten therapeutischen 
Versuche mit Neosalvarsan gingen keinesfalls von der Uberzeugung aus, daB durch 
das Neosalvarsan eine Heilung der Paralyse zu erzielen ware, hochstens eine 
giinstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufes. Bisher wurde kaum iiber effek- 
tive Heilerfolge mit Salvarsan berichtet, und deshalb hat Ref. bereits vor 5Jahren 
sich dahin geaufiert, daB er bei Tabes oder Paralyse vom Salvarsan nie bessere 
Erfolge sah, wie von der Hg-Behandlung, aber in sehr vielen Fallen eine schad- 
liche Beeinflussung des Krankheitsverlaufes. — Nach Yerf. ist es zweifellos, daB 
die schadliche Wirkung des Salvarsans auf der Wirkung und Ausscheidung des 
Arsens beruht; groBe Arsendosen greifen die Kapillarwande an, verursachen in 
diesen GefaBen Hyperamie und Blutstauung; bei Paralyse sind aber gerade die 
Kapillaren zumeist erkrankt. Tierversuche ergeben zweifellos, daB das Arsen 
eine besondere Affinitat zu lecithinreichen Geweben, also Gehirn- und Riickenmark 
besitzt und sich gerade dort in groBeren Mengen ablagert; des weiteren ist be- 
kannt, daB das Arsen auch eine Affinitat zu krankhaft veranderten Geweben 
besitzt; bei der Paralyse kumuliert sich nun die Affinitat zu krankem Gewebe 
und zum Gehirn. 

Bei 10 Paralytikern wurde Neosalvarsan intravenos nach dem System 
Leredde gegeben, da derselbe angeblich bei Tabes besonders gute Erfolge sah. 
Im ersten Zyklus erhielten die Kranken in wochentlichen Intervallen 0,30, 0,60, 
0,75 und 0,90 g. Dann nach je einmonatlicher Pause 2 neue Injektionsreiten 
von 0,60 bis 0,90. Prinzipiell wurden Kranke mit guter Konstitution und im An- 
fangsstadium des Leidens ausgewahlt, bei welchen auch Blut- und Liquorunter- 
suchung die Diagnose bestatigten. Parallel wurde das Neosalvarsan in dieser 
Dosis bei zwei anderen luetischen Geisteskranken (Paranoia und Dementia praecox) 
versucht, bei welchen bloB negatiber Wassermann erreicht wurde. Die Erfolge 
bei den Paralytikern waren keinesfalls befriedigend. Eine Wiederherstellung 
der Arbeitsfahigkeit wurde mit anderen Behandlungsmethoden (Hg mit Tuber- 
kulin oder Na nucleinicum) in etwa 7 bis 10% erreicht, bei Neosalvarsan in keinem 
einzigen Fall. BloB bei 3 Kranken zeigte sich eine geringe Besserung, doch wurden 
dieselben vorher mit Hg und Tub. behandelt! 4 von den 10 Kranken sind wahrend 
oder unmittelbar nach der Behandlung gestorben. Bei 3 keinerlei Veranderung. 
Bei den 4 gestorbenen zeigte sich bald nach Beginn der Kur Schwindel, Krafte- 
verfall, rapid einsetzende Inkontinenz oder Harnretention. Bei 2 Kranken Leber- 
schwellung mit Ikterus. — Verf. anerkennt die besondere Heilwirkung des Salvar- 
§ans und seiner Praparate bei Lues, aber es scheint, daB dieses Praparat bei der 


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Paralyse nicht mehr parasitotrop, sondern organotrop wirkt, und folgert aus 
seinen Beobachtungen, daB Salvarsan bei der Paralyse in jeder Beziehung kontra- 
indiziert ist und aus der Paralysetherapie somit auszusfchlieBen ware. 

629) tfber die Behandlung der progressiven Paralyse mit Silbersalvarsan und 
Sulfoxylat, von F. SioW. (Deutsche med. Wochenschr. 1920. Nr. 8.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

20 Falle typischer Paralyse wurden behandelt, und zwar wurden bis zu 18 g 
Sulfoxylat und 10 g Silbersalvarsan als Gesamtdosen gegeben. 9 F£lle blieben 
klinisch unbeeinfluBt, 5 wurden bemerkenswert, 6 sehr gut gebessert. Im all- 
gemeinen ging mit der klinischen Besserung eine entsprechende Beeinflussung 
der 4 Reaktionen Hand in Hand; die Lymphozytose wurde in jedem Fall herab- 
gesetzt. Vorgeschrittene Falle von iiber 2 Jahren Krankheitsdauer bieten keine 
Aussicht auf Besserung. Die erzielten Besserungen — iiber ihre Dauer ist noch 
kein Urteil moglich — iibertreffen die Erfolge der alteren Salvarsanpraparate. 
Silbersalvarsan scheint starker zu wirken als Sulfoxylat. Zu empfehlen ist: Beginn 
mit Silbersalvarsan, wochentlich 2 Einspritzungen, 3- bis 4mal 0,1, dann 0,3, 
gelegentlich auch bis zu 0,5 als Einzeldosis, bis zur Gesamtdosis von etwa 7 g; 
darauf langdauernde Fortfiihrung der Behandlung mit Sulfoxylat, 0,3 bis 0,4 
als Einzeldosis alle 8 bis 10 Tage._ 

630) Regarding the treatment of general paralysis, by G. H. Monrad-Krohn. 
(Journ. of mental science. Januar 1920.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. bespricht die Paralysebehandlung mit salvarsanisiertem Serum, in 
den Liquor injiziert. Seine Erfahrungen basieren auf 16 Fallen. In vorgeschrittenen 
Fallen keine wesentliche Beeinflussung. Ober die Erfolge in friihen Stadien des 
Leidena wagt Verf. noch kein entscheidendes Urteil abzugeben. 

631) Zur Behandlung der Psychosen mit Natrium nucleinicum, von A. Mikulski. 
(Gazeta lekarska. XLI. 1919.) Ref.: H. Higier (Warschau). 

Wie die Nukleinsaure auf das Nervengewebe wirkt, wissen wir nicht. Die 
zu vermutende Wirkung des Phosphors der Saure kommt kaum ernst in Betracht, 
da Tuberkulin und verschiedene Infektionen in analoger Weise zuweilen Psychosen 
beeinflussen. Verf. bespricht eingehend die von ihm in iiber 120 Fallen angewendete 
Methode und deren Technik. Einverleibt wird das Salz in 20 g physiologischer 
Losung. Es wird angefangen mit 1 g Salz und wird nach je 3Tagen um 1 g gesteigert, 
bis nach 10 Injektionen die Dosis von *6 bis 7 g erreicht ist. In 2stiindigen Inter- 
vallen wird die Temperatur gemessen, die in der Regel nach 8 Stunden ihr Maximum 
und nach 16 die Norm erreicht. Bei Steigerung der Temperatur bis 39° wird die 
Dosis nicht erhoht. In Ab tanden von einigen Monaten wird diese Kur 2 bis 3 bis 
4mal wiederholt, so daB die Gesamtmenge von 100 g ausnahmsweise erreicht 
wird. Die Injektionen sind schmerzhaft, verursachen jedoch nie lokale oder all- 
gemeine Komplikationen. 

Unter 19 Paralysefallen waren nur 3 ohne Besserung und je 4 mit Besserung, 
mit deutlicher Besserung und mit fast an Heilung grenzender Besserung. Ob 
letztere lange anhalt, kann Verf. aus seinem eigenen Material nicht erschlieBen. 
Zu vermuten ist, daB diesel be durch die kiinstliche Hyperthermie und Leucozytose 
verursacht wird. Genauere systematische Blutuntersuchungen durften die Frage 
entscheiden. Unter den 28 Fallen von Dementia praecox sind die iiber 2 Jahre 
alten ganz unbeeinfluBt geblieben, von den iibrigen 20 sind 7 geheilt und je 2 
mehr oder minder gebessert. Die Amelioration tritt am friihesten erst nach 
2 Monaten ein. Der Schmerz nach der Injektion halt bis 12 Stunden an. 

632) Ein weiterer Vorschlag zur Behandlung der progressiven Paralyse, von 

Arthur Adler. (Psych.-neur. Wochenschr. XXII. 1920. Nr. 3 u. 4.) 

Ref.: Kurt Mendel. 


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Verf. schlagt vor, bei progressive Paralyse die Schadelkappe abzunehmen, 
die harte Hirnhaut und Arachnoidea zu beiden Seiten des groBen Langsblut- 
leiters in groBer Ausdehnung zu spalten, eventuell noch Querschnitte darauf- 
zusetzen, die seros-entziindliche Fliissigkeit abzulassen, Adhasionen stumpf oder 
scharf zu losen und das Gehirn mit warmer Suhlimat- oder Argentum-, bzw. 
Protargol- oder Salvarsan- bzw. Silbersalvarsanlosung wiederholt abzuspiilen 
oder mit einem quecksilber- oder salvarsanhaltigen Puder, eventuell auch Jodo- 
form einzustauben. Nach Yerlauf von spatestens */ 4 Stunde ist das bis dahin 
steril eingewickelte Schadeldach wieder aufzusetzen. (Etwas heroisches Ver- 
fahren! Ref.) (Vgl. auch Horsley, ds. Centr. 1910, S. 1170.) 


Forensische Psychiatrie. 

# 633) Kurzgefafites Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie fiir Mediziner und 
Juristen, von J. Raecke. (Verl. v. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1919. 271 S.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Das sehr empfehlenswerte Lehrbuch ist aus eigenen Vorlesungen iiber das 
Gebiet der gerichtlichen Psychiatrie hervorgegangen, Vorlesungen, welche fiir 
Studierende, Arzte und Juristen gehalten wurden. Es behandelt zunachst die ge¬ 
richtlichen Aufgaben des psychiatrischen Sachverstandigen im Straf- und Zivil- 
prozefi, dann die arztlichen Aufgaben desselben, hier eine ausfiihrlichere Be- 
schreibung der moglichen Zustandsbilder und Wiirdigung ihrer gerichtsarztlichen 
Bedeutung bringend, schlieBlich bietet es eine gedrangte Darstellung der klinischen 
Verlaufsformen psychischer Erkrankungen. An zahlreichen (37) Beispielen (meist 
aus eigenem Material) wird das Ausgefiihrte in Gutachtenform erlautert. 

634) Studien fiber die Kriminalitat Geisteskranker, von Harald Siebert. (Psy- 
chiatr.-neurol. Wochenschr. XXI. 1919/20. Nr. 37/40.) Ref.: Kurt Mendel. 

Im Gegensatz zum Riickgang der Alkoholpsychosen und der Gesamtauf- 
nahmezahl von Geisteskranken im allgemeinen seit dem Jahre 1915 hat die Zahl 
der kriminellen Geisteskranken enorm zugenommen. Fur das Gros der Vergehen 
mussen auBere Ursachen gesucht werden; die durch die Kriegslage geschaffenen 
Verhaltnisse sowie die erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen sind als wesent- 
lichstes ursachliches Moment anzusprechen. Die kriminelle Handlung selbst bildet 
aber nur ein Symptom der entsprechenden Psychose, die Psychosen selbst haben 
durch den Krieg weder ihren Charakter noch ihre Verlaufsart in irgendeiner Weise 
geandert. 

636) Zur arztlichen Begutachtung von Fahrlassigkeitsvergehen, von Friedrich 
Leppmann. (Arztliche Sachverstandigen-Zeitung 1920. Nr. 1.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

. Zum Begriffe der Fahrlassigkeitsschuld gehort etwas, was bei anderen Straf- 
taten keine Rolle spielt: Die Fahigkeit, den eingetretenen Erfolg zu vermeiden. 
Diese Fahigkeit erfordert nicht nur den sog. freien Willen, sondern auch eine ganz 
bestimmte personliche Leistung. Die Beurteilung, ob der Angeklagte im Augen- 
blick der ihm zur Last gelegten Unterlassung oder Handlung imstande war, diese 
Leistung zu vollbringen, ist in vielen Fallen Sache des arztlichen Gutachters > 
d. h. die Entscheidung dariiber, ob der Beschuldigte zui^ Zeit der Tat imstande 
war, die erforderliche Aufmerksamkeit anzuwenden. An 4 Fallen, die Verf. zu 
begutachten hatte, veranschaulicht er die Probleme, welche bei der Begutachtung 
der Schuldfrage gegeniiber Fahrlassigkeitsdelikten sich dem arztlichen Sach¬ 
verstandigen darbieten, wenn er nicht bloB schematisch am § 51 klebt. In ahn- 
licher Weise wird die Entscheidung, ob eine Totung mit oder ohne Uberlegung 


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ausgefiihrt ist (Mord oder Totschlag), oft nur unter Beriicksichtigung des Geistes- 
zustandes des Taters fallen konnnen. Ob jemand, der etwas kauft, den Umstanden 
nach annehmen muBte, daB es gestohlene Ware sei, wird von der geistigen Leistungs- 
fahigkeit des Angeklagten abhangen. Der aus Fetischismus begangene Schein- 
diebstahl kann obne arztliche Begutachtung nicht ricbtig gedeutet werden usw. 

636) Beitrag zur klinischen und forensischen Beurteilung querulatorischer ?u- 
standsbilder, von W. Kittel. j (Arztl. Sachv.-Ztg. 1920. Nr. 21.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

2 Falle, welche zeigen, welch verschiedene Beurteilung das Zustandsbild des Queru- 
lantenwahns erfahren kann, je nach der ursachliehen Krankheitsform. In Fall I ist der 
Querulantenwahn als reaktive Psychose eines besonders gearteten Menschen, als eine 
psychogene Psychose anzusehen; die verschiedenen Schube dieser Psychose stellten sich 
erst ein, nachdem die Verurteilung eingetreten war oder einzutreten drohte; bei Begehung 
der Straftaten bestand sie noch nicht. In Fall II handelte es sich um eine manisch-de- 
pressive Psychose, in deren manischen Zeiten es zur Entwicklung querulatorischer Sym- 
ptome kam. Bei Begehung der disziplinaren Verfehlungen war §51 St.G.B. anzuwenden. 

637) tJber pathologische Furchtzustande und ihre strafrechtliche Bedeutung, 

von Otto Lowenstein. (Psychiatr.-neurol. Wochenschr. XXI. 1919/20. 
Nr. 41/42.) Ref.: Kurt Mendel. 

Wo aus der Personlichkeit des Taters heraus nicht das Vorhandensein echter 
Geisteskrankheit, die fur sich die Yoraussetzungen des §51 RStGB. erfiillt, 
nachgewiesen werden kann, da reichen psychiatrische Kriterien nicht aus, um 
aus dem Grade des Furchtzustandes allein die Willensfreiheit als ausgeschlossen 
zu bestimmen. Die pathologischen Furchtzustande sind ihrem Wesen nach etwas 
anderes als die normalen, sie sind charakterisiert durch qualitative Veranderungen 
des dem normalen Furchtaffekte zugrunde liegenden Gefiihlszustandes, durch 
quantitative Veranderurfgen des normalen Affektverlaufes oder durch Verfal- 
schung der normalen Affektbedingungen, sie kommen sowohl bei echten Psychosen 
als auch bei den sog. psychischen Grenzzustanden vor. Wahrend die auf Grund 
echter Psychosen entstehenden pathologischen Furchtzustande die Voraussetzungen 
des §51 RStGB. erfiillen, tun die auf Grund der psychischen Grenzzustande 
entstehenden Furchtzustande dieses im allgemeinen nicht. Die pathologische 
Furcht, selbst wenn ihr Inhalt Furcht vor personlicher Gefahr ist, ist nicht gleich- 
bedeutend mit dem militar-strafrechtlichen Begriff der Furcht vor personlicher 
Gefahr, d. i. der Feigheit, welche nach dem Militarstrafgesetzbuch ebenso zu 
bestrafen ist wie die Dienstpflichtverletzung aus Vorsatz und selbst dann einen 
Strafmilderungs- oder StrafausschlieBungsgrund nicht darstellt, wenn die Furcht 
solch hohen Grad erreicht, daB durch sie die freie Willensbestimmung ausgeschlos¬ 
sen wird. 

638) Zur Psychopathologie der Brandstiftung, von Gustav Bychowski. (Schweizer 
Archiv fur Neur. u. Psych. V. 1919. Heft 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

In den Fallen von Brandstiftung des Yerf. (Schizophrenic, Epilepsie, Psycho¬ 
pathic) bestand eine Diskrepanz zwischen der auBeren Situation und der psychi¬ 
schen Einstellung: die Brandlegung war ein Versuch, die unertragliche, schein- 
bar unlosbare Situation, aus der das Individuum keinen anderen Ausgang weiB 
und auf diese Weise sich vielleicht durchzubrechen hofft, zu losen. Das jugend- 
liche, heimwehvolle, an die harten Anspriiche der Wirklichkeit besonders an- 
gepaBte Individuum (epileptischer Dienstbote), das dem affektiven Verhaltnis 
zum neuen Heime unzuganglich ist, greift in seiner verzweifelten Ratlosigkeit 
zum Verbrechen; oft ist es Brandstiftung, oft Ermordung des seiner Pflege an- 
vertrauten Kindes. In depressiven und Angstzustanden wird die Brandstiftung 
nicht allzu selten begangen und dient dann del Erlosung von innerer Bedriickt- 
heit, der Befreiung von der zumeist von innen heraus ausgelosten unertraglichen 


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Situation. Oft spielt das Sexuelle eine Rolle bei der Brandstiftung, oft handelt 
es sich dabei um unbefriedigten Trieb. 

Die Brandstiftung, eine Entladung der angesammelten affektbetonten Kom- 
plexe, ein AuSweg aus der unpassenden Realitat, erinnert an die psychologischen 
Grundlagen der Revolutionen, die ein Ausdruck der Volksverzweiflung sind, 
ein Versuch, die unertragliche Realitat gewaltsam zu durchbrechen. Die Lage muB 
unertraglich werden (verlorener Kriegl), damit die affektive Spannung der Volks- 
massen fortwahrend wachsend ihren Kulminationspunkt erreiehe und zu dieser 
Art von Entladung komme. 

639) Symbolische Diebstahle, von A. Kielholz. (Zeitsehr. f. d. ges. Neurol, u. 
Psych. LY. 1920. S. 304.) Ref.: W. Misch. 

In drei Fallen wird gezeigt, daB es triebhafte Diebstahle gibt, die einen deut- 
lichen Zusammenhang zwischen Delikt und Sexualitat des Taters aufweisen: 
die angeeigneten Gegenstande oder die Diebstahlshandlungen stellen sich als 
Symbole fur sexuelle Wiinsche zu dem Bestohlenen dar. Der Boden, auf dem 
sich die symbolischen Diebstahle entwickelten, war einrnal ein maBiger Schwach- 
sinn, einmal eine Psychopathie und einmal eine Hysterie; trotzdem pladiert 
Verf. dafiir, daB derartige Handlungen, die als rein triebhaft, aus dem Unbe- 
wuBten motiviert und dem BewuBtsein des Taters ganzlich unverstandlich zu 
beurteilen sind, als Delikt eines ftir die Tat Unzurechnungsfahigen zu bewerten 
sind, wenn sich der Diebstahl psychologisch als eine symbolische Handlung nach- 
weisen laBt. Die symbolischen Diebstahle sind verwandt einerseits mit gewissem 
fetischistischen Handlungen, andrerseits mit gewissen Svmbolhandlungen von 
Zwangsneurotikern. 

640) Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nacb Influenza, von H. Ober- 
steiner. (Archivf. Kriminologie. LXXI. 1919. Heft4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Gutachten iiber einen Menschen von ausgesprochener nervoser Disposition mit Petit 
mal-Anfallen, welcher an Influenza erkrankte, in deren Verlaufe sich mehrmals transi- 
torische, delirienhafte Zustande einstellten. In einem solchen Zustande ermordete er 
seinen Stiefsohn. 

641) Wiederholte Desertionen. Krankhafter Wandertrieb bei periodischen Ver- 
stimmungszustanden, von A. Pilcz. (Wiener med. Wochenschr. 1919. 
Nr. 4.) Autoreferat. 

Der Titel bringt das Wesentliche dieser forensisch-psychiatrischen Kasuistik. 

642) Kriminalitat infolge iiberwertiger Idee — Selbstmord — Begutachtung 
des Geisteszustandes nach dem Tode, von A. Pilcz. (Wiener med. 
Wochenschr. 1919. Nr.. 51.) Autoreferat. 

Forensisch-kasuistische Mitteilung. Ethisch hochstehende Personlichkeit begeht, 
durch Kriegsstrapazen, schwere korperliche Krankheiten und Cberarbeitung in seiner 
Gesamtkonstitution geschwacht, Unredlichkeiten unter dem Banne einer iiberwertigen 
Idee, eine seiner Frau gehorige, von ihm infolge miBgliickter Spekulation eingebtiBte Summe 
wieder hereinzubringen. Vorgeschichte und Zeugenaussagen, sowie Schriftstiicke gestatten, 
die Diagnose einer iiberwertigen Idee naehtraglieh zu stellen, wkhrend der Angeklagte 
selbst durch Selbstmord geendet hatte. 

643) Verbrechernatur — Fehldiagnose auf Dementia praecox — Zurechnungs- 
fahigkeit, von A. Pilcz. (Wiener med. Wochenschr. 1920. Nr. 16.) 
Autoreferat. 

Forensische Kasuistik. Eine transitorische psyehotische Phase, welche Verf. als 
den „syndromes 6pisodiques“ im Sinne von Magnan zugehorig auffaBt, hatte frlihere 
Begutachter zur Fehldiagnose einer Schizophrenic veranlaBt. 

644) Feigheit vor dem Feinde — Psychopathische Hinderwertigkeit — Fraglicher 
Geisteszustand, von A. Pillfz. (Wiener med. Wochenschr. 1920. Nr. 25.) 
Autoreferat. 


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Fortsetzung der kriegsforensiseh-psychiatrischen Kasuistik. Die Annahme eines 
pathologischen Affektzustandes t. cr. wird zuriickgewiesen. 

645) Fragliche Zurechnungsfahigkeit bei einem psychopathisch minderwertigen 

Alkoholiker, von A. Pilcz. (Wiener med. Wochenschr. 1920. Nr. 35/36.) 

Autoreferat. 

Fortsetzung der kriegsforensischen Kasuistik. Volltrunkenheit oder pathologiscke 
Alkoholreaktion wird, gegeniiber den Vorgutachten, ausgeschlossen. 

646) tJber einen schweren Gewohnheitsverbrecher, der wieder sozial wurde, von 

A. Kronfeld. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatric. LXXVI.) Ref.: Zingerle. 

Ausfiihrliche Krankengeschichte und Selbstbiographie eines Gewohnheitsverbrechers, 
eines degenerativen Phantasten mit hysterischen Charakterziigen, welche nach vieler Hin 
sicht sehr interessante Ergebnisse bringt. Sie zeigt die Ursachen der Kriminalitat dieses 
Psychopathentypus, die typischen Bedingungen des Riickfalls in Kriminalitat und die 
Umstande, welche geeignet sind, die Wirksamkeit dieser Bedingungen aufzuheben oder 
auszugleichen. Die daraus gebildete neue Lebensweise weist ihre besonderen Merkmale 
auf; besonders lehrrqich ist, wie die unwirksam gewordenen fruheren asozialen seelischen 
Neigungen nunmehr Ersatzbefriedigung suchen — entsprechend einem tiefen aUgemeinen 
Grundgesetze der Sozialpsychologie. 

Die Aufzeichnungen geben auch einen Einblick darin, wie einzelne £ Ma6nahmen der 
Gesellschaft gegen die Asozialitat auf solche Menschen wirken, und tragen auch bei zur 
Kenntnis des Bandenverbrechertums und des Landstreichermaterials. — Der Fall hat 
eine iiber den Rahmen des Speziellen hinausreichende Bedeutung fUr das Verst&ndnis 
der noch so wenig geklarten Wechselwirkungen und Zusammenhange von Personlichkeit 
und Umwelt, deren Erforschung Aufgabe der Kriminalatiologie ist. 

647) Eine medizinische Betrachtnng iiber Anwendung der Hypnose vor Gericht, 

von Rudolf Salomon. (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin. LIX. 1920. 

Heft 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fiirst stellte die Forderung auf, das Symptom der unbegrenzten Offenheit 
des Mediums wahrend der Hypnose vor Gericht auszunutzen, um dadurch ein 
Erkundigungsmittel zu besitzen, mit dem es moglich ware, sowohl Angeklagte 
wie Zeugen mit oder gegen ihren Willen auszuforschen. Demgegenliber lehnt 
Verf. die Frage, ob die Hypnose als Erkundigungsmittel auf prozessualem Wege 
zulassig ist, wegen moralischer, arztlicher und technischer Bedenken ab. Es konnen 
die Aussagen dureh den Richter suggeriert worden sein; durch die Art, wie die 
Hypnose gegeben wird, konnen die Aussagen nach verschiedenen Richtungen 
hin gelenkt werden, und zwar innerhalb ganz kurzer Zeit. Die Aussagen von 
Zeugen diirfen daher nicht iiberschatzt werden. Es konnen Angeklagte oder Zeugen 
unbewuBt in der Hypnose falsche Aussagen machen, fixierte Ideen konnen als 
Wahrheit berichtet werden. Bei einem Medium konnen fast jede wiinchenswerte 
Handlung und beliebige Gedanken posthypnotisch erzeugt werden, so dafl es 
spater im Wachzustande die feste Dberzeugung von der Wahrheit der ihm sug- 
gerierten Sache hat. Die Forderung, einen Angeklagten auch ohne dessen Willen 
der Hypnose zu unterziehen, ist vom arztlich-ethischen Standpunkte aus zu ver- 
werfen, die Hypnose wird wohl auch kaum gelingen. Anwenden sollte und miilite 
man die Hypnose, wenn der dringende Verdacht besteht, daB eine strafbare Hand- 
iung unter dem EinfluB eines verbrecherischen Hynotiseurs ausgefuhrt worden 
ist, was durch eine zweite Hypnose mit groBter Wahrscheinlichkeit ergriindet 
warden konnte. 


Therapie. 

• 648) Therapeutisches Taschenbuch der Nervenkrankheiten, von W. Alexander 
und K. Kroner. (Fischers med. Buchhandl. H. Kornfeld, Berlin 1920. 
183 S.) Ref.rKurt Mendel. 

Das empfehlenswerte Biichlein, welches im Neur. Centr. 1910, S. 53 anlaB- 
lich des Erscheinens der ersten Auflage besprochen ist, erschien nunmehr in zweiter, 


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unter Beriicksichtigung der Kriegserfahrungen sowie der neueren Forscliungen 
auf therapeutischem Gebiete. 

649) Der heutige Stand der Therapie der Geisteskrankheiten, von J. Eaecke. 
(Therapeutische Halbmonatshefte. 1920. Nr. 4 und 5.) Ref. E. Tobias 
(Berlin). 

Die Therapie der Geisteskrankheiten hat in den letzten Jahrzehnten verhalt- 
nismaBig geringe Fortschritte gemacht, wenn sich auch ein Wandel durch die 
Beziehungen zu den Grenzgebieten und zu anderen medizinischen Disziplinen 
sowie durch das Eindringen physiologischer und bakteriologischer Arbeitsmethoden 
zu erkennen gibt. 

Verf. bespricht von den endogenen Psychosen das manisch-depressive Irre- 
sein und die chronischen Paranoiaformen. Zu bedenken sind immer die Gefahren 
der hereditaren Belastung. Die Behandlung der ausgebrochenen Krankheit 
ist immer noch eine systematische. ( 

Von exogenen, erworbenen und symptomatischen Storungen gedenkt Verf. 
zunachst des chronischen AlkoholmiBbrauchs, besonders des Deliriums und der 
akuten Halluzinose — bei alien Alkoholstorungen ist das Herz besoiiders auf- 
merksam zu beobachten —, sodann der Morphium- und Kokainpsychosen, der 
Infektionspsychosen, der Schizophrenic oder Dementia praecox, bei der alle 
neueren therapeutischen Experimente fiber das Versuchsstadium nicht hinaus- 
gekommen sind, der Dementia paralytica, bei der trotz dem Scheitern manche 
Hoffnungen keine Veranlassung zur Riickkehr in tatenlose Resignation vorliegt. 
Ganz kurz wird dann die Behandlung der Dementia senilis oder arteriosclerotica 
sldzziert. Den SchluB bildet ein Blick auf die heutige Anstaltsbehandlung der 
Irrsinnigen. 

650) tfber Strychninbehandlung, von G. Blank. (Ther. d. Gegenwart. September 
1920.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Verf. gedenkt in seinen Ausfiihrungen auch der groBen Bedeutung des Strych- 
nins fiir die Behandlung von Nervenkrankheiten. So leistet es wertvolle Dienste 
bei manchen akuten Vergiftungen, die mit einer Atemlahmung einhergehen, 
wie z. B. Chloral, Morphium, Alkohol, besonders aber beim Kollaps. Durch die 
pressorische Wirkung auf den Splanchnikus und die gleichzeitige dilatatorische 
auf die HirngefaBe wird die schadliche Blutverteilung in kiirzester Zeit ausgeglichen. 
Sehr wirksam ist Strychnin bei Schwergaskranken, wo die Schadigung des Ge- 
faBnervenzentrums neben der des Atemzentrums eines der hervorragendsten 
sekundaren Krankheitszeichen bildet. Eingehend wird die Wirkung im Sinne 
der Blutdruckerhohung besprochen, besonders aber bei der akut toxischen Kreis- 
laufsschwache. Die elektive Erregung der medullaren Zentren fiihrt durch Be- 
hebung der Splanchnikuslahmung zu einer Besserung der Blutverteilung. Die 
chronische Strychnintherapie wird empfohlen bei epidemischer Encepha litis 
und zwar gegen die subakuten und chronischen Folgeerscheinungen, ferner bei 
Neurasthenic zur Tonisierung der GefaBe und der Nervenzentren, bei zentralen 
Lahmungen, besonders auch bei psychischer Impotenz. Auch die intralumbale 
• Anwendung ist versucht worden; sie kommt in Frage bei akuter Poliomyelitis 

und akuter aufsteigender Landryschei Paralyse. 

• 651) Die Schlafstdrungen und ihre Behandlung, von L. E. Bregman. (Verl. 
von S. Karger, Berlin 1920. 136 S.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. schildert in den ersten 2 Kapiteln die verschiedenen Formen der Schlaf- 
losigkeit und ihre Einteilung vom symptomatologischen und atiologischen Gesichts- 
punkte, er bespricht die Storungen des Schlafes bei den verschiedenen Nerven-, 
Geistes- und inneren Krankheiten. Im 3. Kapitel folgt eine Darstellung der Schlaf¬ 
storungen des Kindes- und jugendlichen Alters, insbesondere des Pavor noc- 


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turnus und der Enuresis nocturna, im 4. werden Schlafrigkeit, Narkolepsie und 
Schlafsucht (letztere bei Encephalitis, Hirntumor usw.) abgehandelt. In weiteren 
Kapiteln wird die Behandlung der Schlafstorungen besprochen: hygienisch-diate- 
tische MaBregeln, Hydrotherapie, Massage und Mechanotherapie, Gymnastik, 
Elektrizitat, Balneo- und Klimatotherapie (mittlere Hohen), Psychotherapie, 
Medikamente. Wenn Verf. (S. 133) sagt, Nirvanol konne monatelang ohne 
Nebenwirkungen eingenommen werden, bei 3,0 pro Tag voriibergehende Unsicher- 
heit auf den FiiBen, Darmatonie, so trifft dies durchaus nicht zu. 

652) Die Hydrotherapie des Praktikers bei der Behandlung der Schlaflosigkeit, 

von E. Tobias. (Zeitschr. f. phys. u. diat. Ther. XXIV. Heft 3.) Ref.: 
W. Alexander. 

Die Hydrotherapie darf weder ein Spezialgebiet in den Handen einzelner 
bleiben, noch darf sie erst nach Erschopfung der medikamentosen Behandlung, 
,,um es auch einmal mit der Hydrotherapie zu versuchen“, angewandt werden. 
Sie ist neben alien anderen Methoden eine gleichberechtigte und gleichwertige, 
deren Verbreitung in der Praxis allerdings bisher das Fehlen geschulten Bade- 
personals hinderlich war. Durch die Hydrotherapie konnen narkotische und se¬ 
dative Mittel teils ersetzt, teils in ihrer Wirkung verstarkt werden, so daB kleinere 
Dosen ausreichen. 

Die Behandlung der Schlaflosigkeit erfordert die Erkenntnis ihrer Ursache, 
da ganz andere Indikationen zu erfiillen sind, je nachdem es sich um hysterische, 
klimakterische, toxische oder andere Formen handelt; je nachdem das Einschlafen 
gestort ist oder durch zu friihes Erwachen die Schlafzeit ungeniigend wird. 

Verf. gibt aus reicher Erfahrung detaillierte Ratschlage fur die geeigneten 
hydrotherapeutischen MaBnahmen, wie sie gerade der Praktiker am Kranken- 
bett ohne groBere Apparatur anwenden kann. Einzelheiten miissen im Original 
nachgelesen werden. 

658) tJber Nebenwirkungen von Luminal, von Wolfgang Zimmermann. (Thera- 
peutische Halbmonatshefte. 1920. Heft 3.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Der geschilderte Fall lehrt die Notwendigkeit, starkwirkende Arzneimittel 
moglichst sofort dem Rezeptzwang zu unterwerfen. Die geschilderte Patientin 
nahm auf eigene Veranlassung 4 Luminaltabletten zu 0,3 g, je zwei mit einstiin- 
diger Pause, auf Empfehlung eines Apothekers ohne Rezept. Eine Dosierung war 
nicht angebracht. Patientin schlief einige Stunden, hatte dann heftiges Er- 
brechen, Schwindel, konnte weder stehen noch sprechen, schlief wieder ein, erbrach 
wieder usw. Zwei Tage spater bestanden noch heftige Kopfschmerzen, Schwindel 
und Sehstorungen. Am dritten Tage hatte sie eine Art von 10 Minuten andauern- 
dem ,,Starrkrampf“, der sich 3 Tage darauf nochmals wiederholte. Am 8. Tage 
hatte sie ein mehrere Tage anhaltendes, heftig juckendes Hautexanthem. 

654) Zusammenfassendes iiber Nirvanol, von Briinecke. (Berliner klin. Wochem 
schr. 1920. Nr. 14.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Sammelreferat. Nirvanol ist ein Praparat, das gewisse Vorziige vor anderen 
Hypnoticis hat, bei dem eine gewisse Vorsicht aber geboten scheint. Es ist rat- 
sam, nicht iiber 1,0 g zu verabfolgen und selbst diese Dosis nur in schweren Fallen 
anzuwenden, vor allem aber nach 3 bis 4 Tagen eine Pause einzuschieben. Zu 
wiinschen ware die Feststellung, wann Nirvanol aus dem Korper ausgeschieden 
wird, auch eine pathologisch-anatomische Kontrolle der Nieren im Tierversuch; 
auch die Temperaturverhaltnisse miissen gepriift werden. Dauerschaden sind 
nicht beobachtet worden, das Mittel ist aber leider im freien Handel erhaltlich. 

655) Erfahrungeu mit Nirvanol, von John Katzenstein. (Medizinische Klinik. 
1920. Nr. 6.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 


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Bei Kranken mit sehr starken Erregungszustanden ist Nirvanol geeignet, 
leichter und intensiver Beruhigung und Schlaf zu erzeugen als die gebrauchlichen 
Hypnotica. Nirvanol schadigt in Dosen bis 1,3 g Herz und Nieren nicht, kann 
aber wohl ein Exanthem hervorbringen. Nirvanol scheint auf epileptische Anfalle 
eine intensivere Wirkung auszuiiben als die bisher angewandten Mittel. 

056) Nirvanol in der Praxis, von E. Pollmann. (Allg. med. Centr.-Ztg. 1920. 
Nr. 11.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. empfiehlt 0,5 g Nirvanol gegen Schlaflosigkeit, 1,0 g gegen Erregungs- 
zustande. 

657) Erfahrungen mit dem Schlafmittel „Nirvanor\ von Eugen Brodfeld. (Me- 
dizinische Klinik. 1920. Nr. 7.) Ref.: E. Tobias (Berlin). 

Yerf. versuchte Nirvanol bei rein nervosen Beschwerden und zwar beim 
sog. ^Nichteinschlafenkonnen 4 *. Es geniigte meist in derDosis von 0,25 in heiftem 
Tee gelost und hatte sehr guten Erfolg ohne Nebenwirkungen. Nur bei 0,5 g 
zeigte sich am nachsten Tag leichte Benommenheit und ein gewisser Grad von 
Schlaflosigkeit. 

658) Dialacetin, von Felix Barth. (Schweizer. med. Wochenschr. 1920. Nr. 9.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Dialacetin = Acetaminophenolallylather + Diallylbarbitursaure ist ein gutes 
Antineuralgicum und — 1 bis 2 Tabletten in heiBer Fliissigkeit — Schlafmittel. 

659) Uber Acetaminophenolallylather, ein neues Hypnoticum, von Fr. Uhlmanh. 
(Schweizer. med. Wochenschr. 1920. Nr. 9.) Ref.: Kurt Mendel. 

Acetaminophenolallylather (0,25—0,5 g) besitzt narkotische und antipyre- 
tische sowie antineuralgische Wirkung, von seiner Kombination mit Dial ist eine 
gute Wirkung zu erwarten. 

660) Meine Erfahrungen mit Trivalin-Overlach, von Schmidt (Crossen). (Allgem. 
mediz. Centr.-Ztg. 1920. Nr. 18.) Ref.: Kurt Mendel. 

Als Ersatz fur Morphium empfiehlt Verf. das Trivalin als schmerzstillendes 
und beruhigendes Mittel. Nie Kollapserscheinungen, kein Erbrechen, keine Ab- 
szesse, auch sonst keine unangenehmen Nebenerscheinungen. Die schmerzstil- 
lende Wirkung setzt zwar spater ein als beim Morphium, ist d^fiir aber viel inten¬ 
siver und anhaltender. (Schmidt, Dein Vorname?? Ref.) 

661) Zur therapeutischen Verwendbarkeit des Trivalins, von W. Maass. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1920. Nr. 32.) Ref.: Kurt Mendel. 

Trivalin (Valeriansaure + Morphium + Kokain + Koffein) ist relativ un- 
schadlich (bis 0,015 pro dosi, 0,05 pro die als Injektion), hat keine unangenehmen 
Nebenwirkungen, ist ein guter Ersatz des Morphins, insbesondere leistet es bei 
Morphiumentziehungskuren vortreffliche Dienste in Verbindung mit 0,3—0,6 
Bromural. 

062) tlher Behandlung mit Brom-Calciril, von Enge. (Moderne Medizin. XI. 
1920. Heft 3.) Ref.: Kurt Mendel. 

Brom-Calciril iibertrifft in vielen Fallen (bei Neurasthenie bis 6 Tabletten 
— 3 g Kal. brom. pro die, bei nervoser Schlaflosigkeit 2 bis 3 Tabletten, bei Epi- 
lepsie bis 8 Tabletten pro Tag) die spezifische Wirkung der reinen Bromsalze; 
es entfaltet diese bessere Wirkung schon in wesentlich kleineren Mengen als die 
reinen Bromsalze; also bei niedrigem Bromgehalt gesteigerte Wirkung. Keine 
schadigenden Nebenwirkungen. 

663) Die Behandlung der ovariellen AusfaUserscheinungen unter Anwendung 
des sedativen Organpraparates „Ovobror 4 , von Eugen Guttmann. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1920. Nr. 45.) Ref.: Kurt Mendel. 


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1 Tablette Ovobrol enthalt 1 ccm Ovoglandol und die iibliche Dosis Sedo- 
brol‘(= 1 g Bromnatrium), sie liefert eine schmackhafte Briihe, wirkt sedativ auf 
den sensiblen und vasomotorischen Teil des Nervensystems, insbesondere bei 
Schlaflosigkeit, auch als Anaphrodisiakum, gegen Herzangst, gegen sexuelle 
Insufiizienz, 3mal tagl. 1 bis 2 Tabletten. 

664) Neurologische Beobachtungen mit Testogan und Thelygan, von Sanit. Top]). 
(Fortschr. d. Medizin. 1920. Nr. 11/12.) Ref.: Kurt Mendel. 

2 Falle, in der Anstalt beobachtet, werden kurz mitgeteilt. Bei Testogan 
und Thelygan haben wir es in erster Linie mit tatsachlich spezifischen, nicht mit 
suggestiv bedingten Wirkungen zu tun. 

666) Dermatologische Ratschlage bei nervosen Krankheiten, von Max Joseph. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1920. Nr. 9.) Ref.: Kurt Mendel. 

Lokale Behandlung bei Pruritus cutaneus: 2-bis 10°/ 0 iger Mentholspiritus. 
20°/ 0 ige Bromokollsalbe. Ferner Eichenrindenbader (1 kg Eichenrinde laBt man 
in 4 Liter Wasser auf 3 Liter einkochen und gieBt die Abkochung dem Badewasser 
zu) oder Bolusbader ( 200,0 Bolus alb. auf ein Bad). Hilft alles dies nicht, dann 
subkutane Atropininjektionen (*/ 4 bis x / 2 mg) oderAderlaB und Kochsalzinfusionen 
oder Serumbehandlung oder Einspritzung der Ringerschen Losung. Vorziig- 
lich wirken juckstillend Rontgenbestrahlungen. Bei Pruritus ani 2mal tagl. 
Waschung mit Sublimat 1:1000; abends Entleerung. Bei Pruritus vulvae 
Rontgenbestrahlung. 

Bei Urtikaria: Keine rohen Speisen genieflen; 2- bis 10°/ 0 igerMentholspiritus 
oder Mentholsalbe. Innerlich Menthol als Darmantiseptikum (3mal tagl. 1 bis 
2 Kapseln Menthol 0,1, 01. amygd. 0,25, disp. tal. dos. Nr. 30 in caps, gelatinosas). 
Bei langwierigen Fallen AderlaB und Infusion physiol. Kochsalzlosung, event. 
Injektion von menschlichem Serum. 

Bei Jucken bei Quinckeschem Odenx 3mal tagl. 0,1 Chinin oder Karls- 
bader Kur oder Auf enthalt im Hochgebirge. 

Herpes zoster: 2mal tagl. Lotio Zinci aufpinseln oder Kokainsalbe (Ko- 
kain 0,5, Yaselin ad 25,0); event, ist Morphiuminjektion erforderlich. 

Hyperidrosis: 10°/ 0 iger Formalinspiritus oder 5°/ 0 ige Chromsaurelosung 
(lokales Schwitzen), in schwersten Fallen Rontgenbehandlung. 

666) Erfolge der Bestrahlung bei Erkrankungen des Zentralnervensystems, von 

Otto Strauss. (Klinisch-therapeut. Wochenschr. 1920. Nr. 19/20.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

Das Zentralnervensystem zeigt keine Neigung zur Strahlenempfindlichkeit. 
Trotzdem sind — wie die Praxis ergibt — gewisse pathologische Vorgange durch 
Bestrahlung zu beeinflussen; anscheinend verhalt sich das krankhaft veranderte 
Gewebe nicht so strahlenrefraktar wie das normale Him und Riickenmark.' Bei 
Syriugomyelie scheinen die Erfolge der Strahlentherapie giinstig, desgleichen 
bei gastrischen Krisen, Akromegalie (Fall des Yerf.’s. Vielleicht ist die Hypo- 
physe radiosensibler als das iibrige Gehirn), bei Epilepsie, nicht aber bei mul- 
tipler Sklerose oder spastischer Spinalparalyse. 

• 667) Suggestion und Hypnose, ihr Wesen, ihre Wirkungen und ihre Bedeutung 
als Heilmittel, von A. Sopp. (2. Aufl., Verlag C. Kabitzsch, Leipzig 1920. 
75 S. Preis M. 4,50.) Ref.: W. Misch. 

Das vorzuglich geschriebene, fiir Laien berechnete Buchlein eignet sich vor- 
trefflich dazu, Patienten, die sich in hypnotische Behandlung begeben, vorher 
zur Orientierung als Lektiire empfohlen zu werden. Es ist geeignet, durch Be- 
seitigung von mancherlei Vorurteilen und Irrtiimern, die iiber Wesen und Wir¬ 
kungen der Hypnose vielfach herrschen, zu beseitigen, das Vertrauen zu der in 


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manchen Krankheitsfalien so wirksamen Yerwendung derselben zu Heilzwecken 
anzubahnen und damit die Hypnose als wertvolles Hilfsmittel arztlicher Behandlung 
weiteren Kreisen zuganglich und nutzbar zu machen. In der vorliegenden zweiten 
Auflage wird als Neues im wesentlichen die suggestive Beeinflussung der durch 
den Krieg verursachten Nervenstorungen, insbesondere durch Wachsuggestipn, 
hinzugefiigt. 

668) ttber Hypnosenbehandlung, von Armin Steyerthal. (Fortschr. d. Medizin. 
1920. Nr. 17.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. schildert die gute Wirkung der Hypnose bei Kriegsneurosen, insbesondere 
bei den Zitterern (Nonne), ferner auch bei funktionellen Erkrankungen in der 
Pri vat praxis. 

669) Blutdruck und Hypnose, von E. Lenk. (Deutsche med. Wochenschr. 1920. 
Nr. 39.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der Blutdruck wird in dem Falle des Verf.’s durch Hypnose erhoht bei der 
Suggestion: ,,Ihr Arm ist unempfindlich." Es beruht dies nicht auf einer Ande- 
rung der Kontraktionsstarke des Herzens, sondern auf einer Beeinflussung des 
vasomotorischen Tonus durch Affekteinfliisse auf das GefaBnervenzentrum. 
Der durch Suggestion erhohte Blutdruck kehrte immer wieder zur Norm zuriick, 
wahrend der Puls konstant blieb; die Erhohung des Blutdrucks lieB allmahlich 
nach, es wurde also die Erhohung des vasomotorischen Tonus durch Gewohnung 
aufgehoben. Wahrend jedoch die Suggestion mit einer Erhohung des Blutdrucks 
zusammenhangt, fallt der Blutdruck beim Aufheben der Suggestion unter das 
Normale und wird erst allmahlich wieder erhoht und auf den alten Stand des 
Tonus zuruckgefiihrt. 

670) ttber die christliche Wissenschaft (Gesundbeten und Gesunddenken), von Otto 

Klieneberger. (Archiv fiir Psychiatrie. LXI. 1920. 3. Heft.) Ref.: 

G. Ilberg. 

Die Lehre der ,,christlichen Wissenschaft^ hat Mrs. Mary Baker Eddy mit 
ihrem Werk ,,Science and Health" begriindet. Durch das Ganze zieht sich die 
Lehre von den Krankheiten; die Krankheiten bestreitet Mrs. Baker; demzufolge 
verwirft sie jegliche Art von medikamentoser und andrer Therapie, auch die 
Hygiene. Die ,,christliche Wissenschaft" aber wird hingestellt nicht nur als eine 
Religion des Heils, sondern auch des Heilens, Die Hauptrolle spielt nicht das 
Gesundbeten, sondern eher eine Art von Gesunddenken. Die ,,christliche Wissen¬ 
schaft “ wird als eine heilende Religion hingestellt; sie heilt alle Krankheiten, 
funktionelle wie organische, und kann die Kranken auch heilen, wenn sie fern 
vom Heiler sind. Yerf. hat liber das abenteuerliche Leben Mrs. Bakers, die sich 
1889 als vielfache Millionarin aus dem offentlichen Leben zuriickzog und 1910 
neunzigjahrig starb, Studien gemacht. Mrs. Baker litt an zahlreicheti Anfalien 
und Zustanden und hatte einen launenhaften, herrschsiichtigen Charakter seit 
der Kindheit. Durch ihre Kurse und ihr Buch, das im Jahre 1899 die 177. Auflage 
erlebt hat, verdiente sie sehr viel Geld. Die Zahl ihrer Kirchengemeinden betrug 
1915 1468, von denen sich 95 in Europa und 8 in Deutschland befanden. Die 
Erfolge, die die ,,christliche Wissenschaft" hat, sind selbstverstandlich ganz 
natiirlich zu erklaren. Zweifellos handelt es sich um ein gefahrliches Kurpfuscher- 
tum. Verf. teilt mit, daB in einem ProzeB vor dem Landgericbt III in Berlin 
Scientisten wegen fahrlassiger Totung angeklagt und strafrechtlich verantwort- 
lich gemacht wurden; das Reichsgericht verwarf die Berufung. 


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III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft fur Psychiatric und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 13. Dezember 1920. 

Berichterstatter: K. Lowenstein (Berlin). 

1. Herr A. Simons und U. Friedemann: Neuritis optica nach Wutschutzimpfung. 

Simons demonstriert eine 31jahrige Kranke, die 3 Wochen nach einem BiB von 
einem sicher tollen Hunde, nach der 13.Spritze einer Pasteurkur mit gurtelformigen Haut- 
hyperasthesien, spater Anasthesie in D 4 bis D 7 . erkrankte. Daneben rasch aufsteigende 
Hyperasthesie mit folgender Hypasthesie an Beinen und Rumpf bis D 7 . Voriibergehend 
leichte Blasenstorung. 4 Wochen nach dem BiB Schmerzhaftigkeit der Augenbewegungen 
und rasche Entwicklung einer hochgradigen Sehstorung, 10 Tage spater Neuritis optica, 
S. rechts Finger 1 m, links 5 m. Spater Besserung der Neuritis, jetzt Papillen unscharf be- 
grenzt, temporal abgeblaBt, Sehstorung geschwujiden. Voriibergehend Geruchshyperasthesie, 
Geschmacksstdrung, Parasthesien am rechtenOhr, objektiv rechtsseitiger Tubenkatarrh, sonst 
kein Befund. Voriibergehend Fehlen der Bauchreflexe. Befund von Simons am 22. XI., 
7 Wochen nach dem BiB: Rechter Bulbus etwas druckempfindlich, beiderseits leichte 
Neuritis optica, nasal e Papillenhalfte etwas gerotet, unscharf begrenzt, Venen starker ge- 
fiillt, leicht geschlangelt, rechts starker als finks. Kaumuskeln beiderseits druckschmerz- 
haft, geringe Hypasthesie fiir Kalte von D 4 abwarts, in D 4 und D 6 giirtelformige Hyp¬ 
asthesie fiir Pinsel und Nadel. Im Peroneusgebiet beiderseits spitz und stumpf verwechselt. 
Bauch-, Knie- und Achillesreflexe gesteigert, Armreflexe fehlend, keine Druckempfindlich- 
keit der Nerven und Muskeln. Am 6. XII. war die Giirtelzone verschwunden. Der linke 
Supinatorreflex lebhaft, starker als rechts, Tricepsreflexe beiderseits gesteigert, keine 
Gefiihlsstorung an den Beinen mehr. Es handelt sich um nach BiBinfektion und folgender 
Wutschutzimpfung vielfach beobachtete Storungen, denen anatomisch meningomyelitische 
und neuritische Veranderungen zugrunde liegen. Besonderes Interesse bietet die Seh- 
storung. Neuritis optica ist bisher nach Lyssa nur einmal beobachtet (Orlow in Wilbrandt- 
Saenger V, S. 341), auBerdem erwahnt Pelser eine Beobachtung von Borger und Ny- 
land). Gegen multiple Sklerose sprechen der typische Beginn wahrend der Spritzkur, die 
Allgemeinerscheinungen, Fieberzacken, Kaumuskel- und Bulbushyperasthesie, die schmerz- 
haften Augenbewegungen. Sehr ungewohnlich ware auch die rasch ascendierende Gefiihls- 
storung, gleichsam ein sensibler Landry, auch die Geruchs- und Geschmacksstorungen. 
Auch sind die fliichtigen Symptome als Folgen der Wutschutzimpfung haufig beobachtet. 
Auf die Neuritis optica ist vielleicht bisher nicht geachtet worden, denn die Erkrankung 
der Himnerven ist ja nach Pasteurkur nichts Ungewohnliches. 

U. Friedemann teilt seine Erfahrungen aus der Infektionsabteilung des R. Virchow- 
krankenhauses mit und unterscheidet Friih- und Spatfalle. Die Friiherkrankungen 
treten wie im vorgestellten Fall gewohnlich nach der 11. bis 15. Spritze auf. Sie zeigen 
in ausgesprochenen Fallen klinisch das Bild einer aufsteigenden Myelitis mit sensiblen 
Ausfallen, Paresen bzw. Lahmungen, Blasenmastdarmstorungen, Fieber, stark belegter 
Zunge, Meningismus. Auch Lahmungen im Gebiet einzelner Nervenstamme, besonders 
haufig Fazialislahmung, konnen auf treten. Die Spatfalle treten gewohnlich erst Monate 
nach der Impfung auf und sind dadurch besonders bemerkenswert, daB sie, wie die 
akute Lyssa selbst, hysteroide Ziige aufweisen konnen. Die Kranken sind haufig 
psyehisch eigentiimlich verandert. Sogar schwere Psychosen wurden beobachtet. In einem 
Falle wurde eine sensible Storung des ganzen Korpers festgestellt. Bezeichnend ist der 
auch schon von anderer Seite beobachtete fliichtige Charakter der Sensibilitatsstorung. 
In einem Falle wurde ausgesprochener Transfert beobachtet. Auch in diesem Stadium 
konnen Lahmungen im Gebiet einzelner Nerven auf treten. Friedemann betrachtet die 
Friihfalle als Folgen der Wutschutzimpfung, wahrend erdie Spatfalle als abortive, durch die 
Impfung mitigierte Lyssaerkrankung aiisieht, und weist weiter darauf hin, daB korperliche 
und geistige Anstrengungen begiinstigend auf den Ausbruch der Impflyssa xmd der StraBen- 
viruslyssa einwirken, was vielleicht im Sinne der Edingerschen Aufbrauchstheorie zu 
deuten ware. Eigenbericht. 

Aussprache: Herr Henneberg: Die Vortr. scheinen an dem Vorkommen einer 
hysterischen Pseudolyssa (Lyssa imaginaria) zu zweifeln. DaB ein so affektbetontes Er- 
lebnis wie der BiB eines tollen Hundes nicht selten psychogene Syndrome hervorruft, muB 
angenommen werden. H. behandelte 1916 einen Soldaten, der in RuBland von einem ver- 
dachtigen Hunde gebissen wurde, wahrend der Schutzimpfung erkrankte er nach der 
19. Spritze mit hohem Fieber, Benommenheit, Unruhe, taumelndem Gang, Gefiihls- 
stdrungen am rechten Bein und linken Arm, allmahliche Besserung, zeitweise erregt und 
verwirrt, starke Gehstorung, spater hysterische Ataxie und Schiitteltremor, hysterische 


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Krampfanfalle und oberflachliclie Dammerzustande, in denen Patient um sich beiBt. 
Keine organisehen Symptome. Der Fall ist so zu deuten, daB die Erscheinungen der Impf- 
lvssa allmahlich durch psychogene bzw. hysterische Symptome substitui'ert wurden, bis 
schlieBlich lediglich Hysterie vorlag. Pat. hatte groBe Angst vor dem Ausbruch der Toll- 
wut gehabt, es war ihm auch von mehreren ungiinstig verlaufenen Fallen berichtet worden. 

Eigenbericht. 

Herr U. Friedemann (SchluBwort) gibt gegeniiber den Ausfuhrungen des Herm 
Henneberg die Moglichkeit einer hysterischen Psteudolysea zu, bestreitet jedoch, daB 
in alien Oder auch nur in der Mehrzahl der Falle die&e Deutung zutrifft. Dagegen spricht 
einerseits die verhaltnismaBige Haufigkeit dieser Erkrankung bei vorher keineswegs 
hysterischen Personen, andererseits die Tatsache, daB diese hysteroiden Krankheitsbilder 
im Gegensatz zu den paraplegischen Formen nicht unmittelbar im AnschluB an den Shock 
der BiBverletzung und der folgenden Impfungen, sondern viele Monate spa ter auftreten. 
Solche Patienten sind gar nicht so selten zu ihrem Ungliick als Hysteriker und Simulanten 
behandelt worden. F. ist der Ansicht, daB scheinbar funktionelle Krankheitsbilder auf der 
Basis eines infektiosen Krankheitsprozesses auftreten konnen, und sieht gerade darin die 
Bedeutung dieser Falle. Eigenbericht. 

2. Herr Alfred Guttmann: Halluzinationen und andere Folgeerscheinungen nach 
ezperimenteller Vergiftung mit Anhalonium Lewini (Mescal). 

Durch den GenuB einer mexikanischen Kaktee (Peyotl, auch Mescal genannt) sowie 
des von Lewin daraus gewonneneix Alkaloids traten starke somatische und psychische 
Veranderungen auf. Der Puls sank um etwa 20 Schlage pro Minute, der Blutdruck um 40; 
starke Nausea, Angst, Luftmangel, Mydriasis, Pupillendifferenz u. a. Storungen waren, 
besonders im Anfang der Vergiftung, zu beobachten. Nach 20 bis 30 Minuten setzten Hallu- 
zinationen ein, zuerst auf optischem Gebiet. Leuchtende Punkte, Linien, Muster, Flachen, 
Korper in alien moglichen Formen und Bewegungen (stillstehend, der Augenbewegung 
folgend, das Gesichtsfeld durchquerend). Sodann haptische, kinasthetische Halluzinationen, 
Abgestorbensein von Extremitaten, Aus-dem-Liegestuhl-Fallen (ohne Schwindel), Par* 
asthesien, Parageusien u. a. Niemals wurden akustische Halluzinationen beobachtet, ob- 
wohl unter den in Selbstbeobachtung sehr erfahrenen Versuchspersonen (Physiologen und 
Psychiatem) auch der Typ des Akustikers vertreten war. Storungen in der Koordination 
wurden im Gebiet der Sprachorgane und der Gehwerkzeuge bemerkt. Der Hautsinn, wie 
der Geschmack wurde mehrfach auch verandert gefunden. — Das Wesentliche waren neben 
den Halluzinationen Veranderungen der psycluschen Personlichkeit: eine geradezu be- 
denkliche Offenherzigkeit, Geschwatzigkeit, Neigung zu sinnlosen (stets aber harmlosen) 
Betatigungen, Streitsucht, aber auch Apathie, Redefaulheit, Unmanierlichkeit usw. — 
kurzgesagt: Wegfall aller Hemmungen des guterzogenen Menschen, wie im wirklichen Rausch. 
— Eine ausgesprochene Asomnie mit guter geistig-korperlicher Leistungsfahigkeit folgte 
der Vergiftung. Die Alkoholtoleranz war in der Zeit gesteigert. Dem Hohepunkt der Ver¬ 
giftung (in dem unaufhorliche Halluzinationen einander jagten) folgten stundenlang Er¬ 
scheinungen, die mehr pseudohalluzinatorischen Charakter trugen, phantastische Bilder 
im subjektiven Raum; einmal wurde ein Farbenrausch bei beidfen Versuchspersonen fest- 
gestellt. Aber auch echte Halluzinationen traten noch 12 Stunden nach Einnahme, bzw. 
Injektion des Mittels auf. Wahrend die sonst nach medikamentoser Einwirkung entstehen- 
den Rauschzustande, die mit Halluzinationen und verwandten Erscheinungen verbunden 
sind, zugleich durch die Wirkung des Mittels von einer Triibung des BewuBtseins begleitet 
sind, bleibt bei der Vergiftung mit dieser Kaktee wahrend der Dauer des Halluzinierens 
das BewuBtsein frei. Man kann also — im Gegensatz zu alien sonstigen Rauschzustaiiden — 
an sich selber objektiv und kritisch alle dies'e abnormen Seelenzustande studieren und durch 
die iiblichen Mittel der psychophysischen Methodik den Umfang und die eventuellen Ver¬ 
anderungen der Stoning exakt feststellen. (Soweit nicht somatische Veranderungen groberer 
Art, wie Blutdrucksenkung, dies zeitweise beeintrachtigen.) Der Psychologe, Physiologe 
und Psychiater hat also in dieser Form der Vergiftung, bei der der Vergiftete mit klarem 
Verstande seine subjektiven psychischen Storungen erkennt und beschreibt, eine neue 
Methode des Eindringens in die Problems des abnormen Seelenlebens. Die theoretische 
Deutung dieser Erscheinungen bestatigt durchaus den Standpunkt von Jaspers. Hier 
kann man deutlich die Pseudohalluzination, die fliichtig und im subjektiven Raum ist, 
von der echten Halluzination differenzieren, die leibhaftig und im objektiven Raum steht 
(also z. B. die dahinterstehenden wirklichen Gegenstande verdeckt). Dagegen scheint aus 
vielen Beobachtungen hervorzugehen, daB deutliche zeitliche Gbergange zwischen beiden 
Formen vorhanden sind, auch ein Wettstreit von echten und Pseudohalluzinationen, auch 
ein gleichzeitiges Bestehen beider, insofem als im Wechsel unmittelbar auf einander objek- 
tiver und subjektiver Raum vorhanden sind. — Eine Beeinflussung dieser an die hypna- 
gogischen Erscheinungen sehr stark erinnemder Phanomene durch Suggestion ist nur 
selten erkennbar gewesen. Durch die eigene Vorstellung oder Autosuggestion wurde nie- 


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male ein EinfluB auf die Erscheinungen gefunden. Diese Methode kann also einmal vom 
Psychiater verwendet werden, um iiber Form und Inhalt von echten und Pseudohalluzina- 
tionen an sich selber Erfahrungen zu machen. Vor allem kommt es auf Analyse der In- 
halte an, wie sohon Jaspers betont hat, dessen Auffassung, daB die eigentlichen Beobachter 
nicht die Arzte, sondem die Halluzinierenden seien, zugleich die Schwierigkeiten aufdeckt. 
die der Arzt hat, wenn er nachtragiich durch Befragen von Leuten verschiedener Bildung* 
Intelligenz, Schulung der Selbstbeobachtung iiber den Inhalt der dann nicht mehr be- 
stehenden Halluzinationen Kenntnis gewinnen soil. Femer kann man durch Ausdehnung 
solcher Versuche auf Personen mit Storungen auf dem Gebiet des Gesichtssinnes (an- 
geborene Blindheit, Zerstorung.des Sinnesorgans, Veranderungen in subkortikalen Zentren, 
Hemianopsie usw.) zu weiterer Kenntnis betreffs der Lokalisation dieser offenbar zentral 
stattfindenden Storungen kommen, die der Vergiftung mit Anhalonium Lewini folgen. 

Eigenbericht. 

Aussprache: Herr Liepmann: Besonders wichtig erscheint von den Ergebnissen, 
daB im Mescalin wieder eine Noxe vorliegt, die elektiv wirkt. Nach G.s Feststellungen 
treten nur optische und taktil-kinasthetische Halluzinationen, keirie akustischen auf, um so 
bemerkenswerter, als Herr G. eine besonders musikalische Personlichkeit ist. Knauer 
und Serko teilen ebenfalls mit, daB die Meskalinwirkung sich nicht auf den akustischen 
Apparat erstreckt. Auch im Delirium alcohol, treten akustische Erscheinungen hinter den 
optischen sehr zuriick, wenn auch nicht entfernt in dem MaBe wie im Meskalinrausch, in 
der selteneren Trinkerhalluzinose iiberwiegen allerdings die Phoneme, ohne daB der Kon- 
stitutionstyp der Patienten die Aufklarung dafiir gabe. Kaffee und besonders Tee steigem 
an sich etwas die Erregbarkeit des optischen Systems, wie L., aus der Zunahme und Leb- 
haftigkeit der hypnagogischen Bilder bei sich selbst erfahren hat. L. weist darauf hin, daB 
im Rahmen der Tagung der diesjahrigen Naturforscherversammlung Walter Jaensch 
iiber weitere ergebnisreiche Versuche mit Meskalin unter Riicksicht auf den vorher fest- 
gestellten Konstitutionstyp der Versuchspersonen berichtet habe. J. gab nur 1 bis 2 g 
der Drogue. Folgende Wirkungen teilte er unter anderen mit: Jangere Dauer und groBere 
Lebhaftigkeit der Nachbilder, Auftreten sogenannter „Anschauungsbilder“ bei Personen, 
die normalerweise nicht ausgesprochenerweise zu den jjEidetikern ' (s. d. Arbeiten des Psycho- 
logen E. R. Jaensch) gehorten, illusionare Entstellung der Wahrnehmungsgegenstande 
bei „Eidetikern“. Besonders wichtig erscheint die objektive Feststellung einer Steigerung 
der Helligkeitsempfindlichkeit und der Verkiirzung der Lernzeiten fiir Buchstabenkaros. — 
Einen zeitlichen Gbergang von Pseudohalluzinationen in echte Halluzinationen gesteht 
Jaspers zu. Ich halte die ganze Lehre von den Pseudohalluzinationen noch fiir revisions- 
bediirftig. Eigenbericht. 

Herr Bonhoeffer: Es scheint mir von Wichtigkeit zu wissen, ob die Versuche bei 
geschlossenen Augen oder im Dunkeln vorgenommen worden sind. Der Vortr. hat betont, 
daB die Versuchspersonen das subjektive Gefiihl voll erhaltener Intelligenz hatten und 
daB auch objektiv kein Anhaltspunkt fiir das Bestehen einer gewissen Benommenheit 
vorlag. Der Bericht iiber die Versuchsergebnisse lafit aber doch Zweifel dariiber, ob nicht 
doch analog anderen Intoxikationen eine leichte Herabsetzung des BewuBtseins bestand. 
Fiir eine solche spricht neben anderem (z. B. das Auftreten nachtraglicher Amnesien) die 
Neigung zum Versprechen. Die Ahnlichkeit der Sinnestauschungen mit den vor dem Ein- 
schlafen auftretenden ist groB. Bei voller Luziditat und klarer Kritik habe ich isolierte 
Gesichtstauschungen mehrfach von alten Leuten berichten horen. Bei einem mir bekannten 
altenHerrn traten die optischen Bilder, wenn er die Augen schloB, zeitweise mit besonderer, 
fast Abwehrbewegungen herausfordernder Aufdringlichkeit auf. Es sind Gesichter, Kopfe 
mit sehr deutlichen Farben, die sich von der Seite in das Gesichtsfeld hineinbewegen und 
dann festgehalten werden. Bei einer anderen Patientin traten ahnliche Bilder ohne Augen- 
schluB am lichten Tage auf. Bei ihr hatten auch Reminiszenzen friiherer Erlebnisse die 
Neigung, sich in visuellen Erscheinungen vor den Augen abzuspielen. Eigenbericht. 

Herr Arthi r Kronfeld: Als eine der Versuchspersonen mochte ich bemerken, daB 
icli wahrend des Vergiftungszustandes vollig besonnen gewesen zu sein glaubte; daB ich 
rauschartigdn Reaktionstypus gezeigt habe, beweist die Gefahr des Irrtums bei derartigen 
Selbstbeobachtungen. .Fuglich kann man dann aber diese Halluzinationen nicht vergleichen 
mit denen des rauschfreien besonnenen BewuBtseins, wie der Sehizophrene es hat. Meines 
Erinnems war die Entscheidung, ob Halluzinationen oder Pseudohalluzinationen, auf 
optischem Gebiet dadurch sehr schwierig, daB im dunklen Raume gearbeitet wurde, wo 
der subjektive Raum gegeniiber dem objektiven kein unterscheidendes Kriterium aufweist. 
Jedenfalls mochte ich meine halluzinatorischen Erlebnisse nicht in dem Sinne verwertbar 
finden, daB die grundsatzliche Trennung von Jaspers durch sie in Zweifel gezogen werden 
konne. Schwieriger ist die Frage der taktilen Halluzinationen. Es ist phanomenologisch 
fraglich, ob es wirklich rein taktile Wahrnehmungen gibt, also raumliche Synthesen taktil- 
sensorieller Elemente, ohne reproduktive Komponente und urteilsmaBige Deutung. 

XL. (ErgiinzuDgsband.) 25 


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Mir scheint eher, daB gerade auf taktilkinasthetischem Gebiete einfachste sensorielle 
Da ten sogleich mit Vorstellungen verwoben und urteilsmaBig gedeutet werden, so daB es 
eigentliche taktile Halluzinationen nicht gibt, sondem sie sich immer auf illusionare 
Erlebnisse zuriickfuhren lassen. Eigenbericht. 

Herr J. Lewin betont, daB zwischen den Erlebnissen in der Meskalinvergiftung und 
denen des Traums nur quantitative Unterschiede bestehen. Auch die Spaltung der Per- 
sonlichkeit erlebt man im Traum. Ebenso haben nicht-optische Typen im Traum oft starke 
optische Erscheinungen. Die Jasperssche Unterscheidung kann nicht aufrecht erhalten 
bleiben. Auch von normalen Personen werden oft Wahrnehmungen und Erinnerungen 
verwechselt, * 

Herr Henneberg erinnert an die 1896 von Jolly in der Charity vorgenommenen 
Versuche mit Pellotin (Pellotinum muriaticum, dargestellt von Hefter), ein Alkaloid aus 
Anhalonium Williamsii. Jolly empfahl es als Schlafmittel. Es ist auffallend, daB von keiner 
der Versuchspersonen Angaben liber Halluzinationen gemacht wurden. Als unangenehme 
Nebenwirkungen wurden Schwindel, Brausen im Kopf, Warmegefiihl, Schwere in den 
Gliedern beobachtet, ferner lieB sich erhebliche Pulsverlangsamung konstatieren. Bei 
Anhalonium Lewinii handelt es sich anscheiriend um anders wirkende Alkaloide. H. glaubt, 
daB bei der Versuchsanordnung des Vortr. ein autosuggestiver Faktor beim Zustandekommen 
der Sinriestauschungen nicht vollig ausgeschlossen ist. Er kann durch Erwartung, Ein- 
stellung der Aufmerksamkeit, gegenseitige Beeinflussung, Aufenthalt im Dunkeln, Augen- 
schluB usw. begiinstigt sein. Eigenbericht. 

Herr Guttmann (SchluBwort): Die Versuche wurden im Dunkeln vorgenommen, 
um die undeutlichen Anfangsbilder nicht zu iibersehen. Es war nie vollig dunkel, auch wurde 
nachher ins Fr'eie gegangen, und auch dort waren auf der Hohe der Vergiftung die Hallu¬ 
zinationen deutlich. Der Kaffee kann keinen EinfluB gehabt haben, da auch bei Injektionen 
des Giftes die Erscheinungen auftraten, andererseits auch gelegentlich trotz Meskalin und 
Kaffeegabe nicht auftraten. Merkbare Benommenheit war nicht da. Sinnesphysiologische 
Untersuchungen wurden ausgiebig angewendet. Die Jollysche, wie die Heftersche Probe 
waren wohl andere. Ein Unterschied zwischen subjektivem und objektivem Raum muB 
nach zahlreichen Angaben in den Protokollen angenommen werden. Eigenbericht. 

3. Herr James Lewin: Wundt und seine Verdienste um die Psychologie und Psycho- 
pathologie. Vortr. schildert Wesen und Eigenart der Wundtschen Apperzeptionspsychologie. 
Er hebt besonders das Problem der geistigen Entwicklung bei Wundt hervor und den 
EinfluB, den die Wundtsche Auffassung vom Seelenleben namentlich durch den Wundt- 
schiiler Kraepelin und andere, wie Liepmann, auf die Psychiatrie bisher gehabt hat. 
Zum SchluB gibt der Vortr. kritische Bemerkungen, die zugleich auf die kiinftige Weiter- 
entwicklung der Methoden und Forschungen auf psychologischem Gebiete hinweisen. 

Aussprache: Herr Liepmann bemerkt, daB er die leitenden Faktoren der geordneten 
Vorstellungsfolge nicht Ziel-, sondem Obervorstellungen genannt habe. Er hat betont, 
daB durchaus nicht alle Obervorstellungen Zielvorstellungen sind, daB oft ein Vorstellungs- 
komplex als Obervorstellung nur die Richtung bestimmt, ohne das Ziel zu enthalten. 

Eigenbericht. 


Arztlicher Verein zn Hamburg. 

Sitzung vom 13. Juli 1920. 

Herr Weygandt und Herr M ii h 1 e n s : Zur Behandlung der Paralyse. 
Auf Grund der Erfahrungen, daB Psychosen durch interkurrente Fiebererkran- 
kungen oft erheblich gebessert werden, hatte Wagner von Jauregg in Wien 
kiinstliche Malariainfektionen bei Paralytikern zu therapeutischen Zwecken vor¬ 
genommen. Er konnte giinstige Erfoge der Fiebereinwirkung auf die Paralyse fest- 
stellen und iiber Remissionen berichten. Weichbrodt und Jahnel in Frankfurt, 
so wie Plaut und Steiner in Miinchen erzielten auch bemerkenswerte Resultate mit 
Malaria- bzw. Rekurrensimpfungen. In Hamburg wurden ahnliche’Behandlungsversuche 
seit Juni 1919 in Angriff genommen. Von 33 Geimpften konnen schon 21 langere Zeit 
in Behandlung befindliche zur Beurteilung verwertet werden: 4 von diesen alteren 
Paralysen starben an interkurrenten Krankheiten, unabhangig von der Impfung. Von 
den iibrigen 17 hatten 12 im AnschluB an die „Fiebertherapie“ eine erhebliche Besserung 
im Sinne einer ausgesprochenen Remission; 5 von diesen konnten bereits ihre beruf- 
liche Tatigkeit wieder aufnehmen. Diese Remissionszahlen gehen weit iiber die Zahl 
der Spontanremissionen und auch iiber die Besserungserfolge bei anderen Behandlungs- 
methoden hinaus. Ahnliche Resultate hatte auch neuerdings Wagner von Jauregg. 


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Er berichtete iiber Remissionen, die schon 3 Jahre anhalten. Herr Weygandt teilte 
einige Krankengeschichten ausfiihrlich mit. 

• Herr Miihlens berichtete iiber die parasitologisch-klinischen Beobachtungen bei 
der Fieberbehandlung. Er halt die Impfungen, namentlich mit Tertiana und Rekurrens, 
unter den notigen VorsichtsmaBnahmen und facharztlicher t)berwachung, fiir un- 
gefahrlich und ist der Ansicht, daB es sich lohnt, die erfolgversprechenden Versuche 
fortzusetzen, in erster Linie Tertianaimpfungen bei frischen Erkrankungen wider- 
standsfahiger Patienten in anophelesfreien Gegenden. (Ausfiihrliches siehe Miinchener 
med. Wochenschrift. 1920. Nr. 29.) 

Aussprache: Herr Nonne gibt seiner Meinung dahin Ausdruck, daB in den letzten 
Jahren sowohl die Paralyse wie die Tabes haufiger vorkommen, daB auBerdem nach 
seiner Beobachtung beide Krankheiten einen kiirzeren Intervall nach der Infektion auf- 
weisen. Ober beide Tatsachen wird von seiner Abteilung Herr Dr. Pette ausfiihrlich 
an der Hand der Beobachtungen berichten. Nicht nur die atypischen Fall© beobachtet 
man heute haufig, sondern besonders auch die imperfekten, frustranen Falle. Luetisch 
gewesene Patienten mit neurasthenischen Beschwerden, reflektorischer Pupillenstarre 
und positiven Liquorreaktionen konnen sehr wohl friihzeitig zum Stillstand kommen. 
Solche Fall© kennt N. in groBer Zahl seit 10 und 20 Jahren. Wenn das wirklfch so ist, so 
miiBte man iiber die Frage der praktischen Heilbarkeit der Dementia paralytica 
ganz anders denken als bisher. DaB auch weiter vorgeschrittene Falle von Paralyse 
praktisch ausheilen konnen, d. h. korperlich und geistig wieder normal leistungsfahig 
werden konnen bei Riickgang der Reaktionen im Liquor, hatN. jetzt an 6 Fallen nach- 
weisen konnen. 

Herr E. Jacobsthal: Bei Kaninchen kommt eine luesahnliche Spontanerkran- 
kung vor.. Sie wird von einer Spirochate hervorgerufen, die von der Luesspirochate 
schwer zu unterscheiden ist. Die von J. gezeigten Infiltrate sind zwar sicherlich 
als spezifisch anzusehen, aber nach der alten Art der Bezeichnung diirfte man 
sie nicht Gummen nennen, da ihnen die Neigung zur spezifischen Nekrose fehlt. 
Der Befund negativer Wassermannscher Reaktion des Blutes bei positiver des Liquors 
entsteht vermutlich aus Absonderungen des Wassermannschen Reaktionskorpers aus 
dem erkrankten Gewebe (weiBen Blutzellen). Trotz der groBen Bereicherung unserer 
serologischen Kenntnisse ist die Frage, wann man zu diagnostischen und prognostischen 
Zwecken eine Lumbalpunktion vornehmen soil, jetzt komplizierter als friiher. Ein 
Einzelbefund beweist in keiner Riehtung etwas. Als Richtschnur ist zu empfehlen, 
bei jedem Syphilitiker, der eine negative Wassermannsche Reaktion des Blutes hat, 
aber irgendwelche nervosen Symptome zeigt, die Lumbalpunktion stark in Betracht 
zu ziehen, vor allem aber bei frischen Fallen. 

Herr Engelmann vermiBt den Beweis, daB die Paralyse seit der Salvarsan- 
behandlung an H&ufigkeit zugenommen hat. 

Herr Hahn bezweifelt ebenfalls die Zunahme der Paralyse. 

Herr Arning: Wichtig wird es werden, die Anfange der Paralyse noch sicherer 
klinisch zu erkennen. Ebenso wichtig sind anatomische Untersuchungen der Gehirne 
von Syphilitikern, bei denen der Liquorbefund einen Verdacht auf beginnende Paralyse 
gegeben hat. Die Therapie wird voraussichtlich mit mehr Erfolg einsetzen, wenn sie 
schon bei den ersten Andeutungen der Paralyse energisch einsetzt. Wann wird die 
Hirnrindensubstanz infiziert? Jahre hindurch bewahrt sich die Abwehr der grauen 
Rinde durch Zerstorung der Spirochaten mit den typisch chronischen anatomischen 
Veranderungen der Rinde, wie sie jede Paralyse aufweist. Dann kommt es zu einem 
langsamen oder plotzlichen Verlust der Allergie, und die Spirochaten konnen sich 
hemmungslos vermehren, ohne neue grobe Gewebsveranderungen zu provozieren. 
Das wiirde sich mit der Erklarung decken, die* A. schon vor Jahren fiir die Differenz 
zwischen anasthetischer und tuberoser Lepra gegeben hat. SchlieBlich beriihrt A. 
noch die Frage nach einem neurotropen Stamme der Spirochata pallida. 

Herr Del banco: Nach Jakob besteht das Wesen der Paralyseveranderung des 
Gehirns darin, daB das Gewebe nicht mehr dieMacht hat, auf Spirochaten in spezifischer 
Form zu reagieren. Die miliaren, hier und da sichtbaren Gummen sind ein leiser An- 
satz zu einer Reaktion. Diese Ansatze zu einer vollwertigen Reaktion auszubilden, 
muB das Bestreben der Therapie sein. Nach dem Alter der Krankheit unterscheidet 
der Syphilidologe ganz verschiedene Reaktionen des Gewebes auf das Virus. Beim 
Primaraffekt das produktive Granulom. Die Plasmazellen bilden schnell Bindegewebe, 
worauf zu einem Teil die spezifische Harte beruht. Bei der Papel das perivaskulare 
Granulom ohne produktive Weiterbildung, ohne regressive Veranderungen. Letztere 
das Signum des Gummi. Und nun bei der Paralyse das Fehlen jeglicher Reaktion 
und deshalb die ungeheure Vermehrung der Spirochaten. Zur Therapie im Jakobschen 
Sinne: Die einst viel geiibten und in unserer Zeit viel belachelten Fontanellen als Heil- 

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raittel der Paralyse — von Reye, Weygandts Vorganger, in einer Jugendarbeit 
geschildert — kommen, wie alle anderen Ableitungsmethoden auf das hinaus, was der 
Zickzackkurs der Wissenschaft den Dermatologen neuerdings mit den Terpentin^. und 
Aolaneinspritzungen in die Hand gegeben hat: nach E. F. Mullers geistvollen Arbeiten 
auf eine Knochenmarksreizung mit Hinlenkung der Leukozyten an den Ort der Krank- 
heit. Die Versuche der Vortr. bedeuten vielleicht das Gleiche. D. denkt mit Jakob 
daran, Paralytiker. unter diese Knochenmarksreizung zu setzen und dann zu versuehen, 
an der Haut frisches Papelgift haftbar zu machen. Nonne erwagt fiir die Salvarsan- 
therapie die Gefahren einer ungeniigenden Salvarsanbehandlung und die schwer- 
wiegende Frage, ob die groBere Haufigkeit der Paralyse und ihr fruherer Ausbruch 
zu der ungeniigenden Behandlung in Beziehungen stehen. SyphilidQlogen haben schon 
gerade genug vor einer An-Behandlung gewarnt(Gennerich, Delbanco, Zimmern 
u. a.)* Wo fangt fiir die Sekundarperiode eine geniigende Salvarsan¬ 
behandlung an und wo hort sie auf? So lange wir die Salvarsanwaffe nicht 
ganz sicher beherrschen, ist es verstandlich, daB der Praktiker fiir die Sekundarperiode 
zur Hg-Therapie zuriickkehrt. Die Crux der Hg-Thera pie: die heute bei der Unter- 
ernahrung und bei der grassierenden Alveolarpyorrhoe schwer beherrschbare Stomatitis. 
Ins Kapitel der An-Behandlung gehort die nach D. ganz kritiklose Begeisterung fiir 
die sogenahnte Abortivbehandlung der Syphilis na<m v. Wassermann und Fritz 
Lesser. D. bringt Beobachtungen aus seiner Praxis, wo nach scheinbar gelungener 
Abortivkur schwere Sekundarsymptome bei negativem Wassermann auftraten. Zu 
den Sekundarsymptomen gehort der positive Wassermann als hervorstechendes Sym¬ 
ptom. Sein Fehlen bedeutet in der Sekundarperiode eine auBerst bedenkliche Ver- 
schiebung des normalen Ablaufes der Klinik der Syphilis. Die Abortivbehandlung 
kann also eine ernste Wendung der Syphilis herbeifiihren. Zum SchluB betont D., daB 
die Frage doch noch eine offene ist, ob gerade die Patienten mit Meningorezidiven 
die Anwarter fiir eine Paralyse sind. Gennerich hat hier noch eine groBe Gegner- 
schaft. Leicht wird es auch nicht sein, die groBen Momente, Krieg und Kriegsfolgen, 
als mitverantwortliche Faktoren fiir die Haufung der Paralyse in jetziger Zeit aus- 
zuschalten. 

Herr Nast versucht eine Erklarung zu geben fiir 1. das haufigere Vorkommen 
der aty pise hen Paralyse mit negativer Wassermannscher Reaktion im Blut und 2. fiir 
die haufigere Beobachtung der Paralyse in jetziger Zeit iiberhaupt. Seit der Salvarsan- 
therapie, mit Hg kombiniert oder nicht, hat man allgemein einen rascheren Ablauf der 
syphilitischen Eruptionen in den Fallen beobachtet, bei denen es zu keiner Sterili¬ 
sation der Lues gekommen ist. Man beobachtet die Rezidive der Haut und der Schleim- 
haut nach kiirzeren Wochen und Mona ten, als dies im allgemeinen bei der Behandlung 
nur mit Hg oder ohne der Fall war. Diese Tatsachen entsprechen auch den Erfahrungen, 
die bei genauer Liquorkontrolle auch beim Liquor gemacht sind. Friiher wurden diese 
Erscheinungen Meningorezidive genannt. Der Name laBt sich nicht mehr halten, da 
es sich um eine friihzeitige Infektion des Liquors auch ohne vorhergehende Behandlung 
handelt; deshalb hat N. den Namen „Liquorlues“ fiir diese Erkrankung vorgeschlagen, 
Durch ‘die ungeniigende Sterilisationsbehandlung kann wohl die Blut-Wassermann- 
reaktion zu einem negativen Resultat kommen, wahrend der Liquor noch keineswegs 
ausgeheilt ist; die Spirochaten befinden sich dann geringeren Abwehrvorgangen des 
Organismus gegeniiber, da durch die Chemotherapie nicht die Autoimmunisierung des 
Korpers befordert, sondern nur rein chemisch auf die zu erfassenden Spirochaten ein- 
gewirkt wird. Es mag auch eine zeitweise Arsenfestigkeit der Spirochaten dazu kommen, 
die nach seinen Erfahrungen besonders groB zu sein scheint, wenn mit Hg gespart wird. 
Dadurch ist also allein schon die Zunahme der Beobachtung der Liquorlues, sofern 
sie Erscheinungen (Kopfschmerzen) hervorruft oder durch die Lumbalpunktion dia- 
gnostiziert wird, erklart. DaB ein groBer Teil der sogenannten provozierten Liquor- 
lues ausheilt, wird nicht bestritten, aber ein gewisser Prozentsatz der Patienten, die 
auch in der Vorsalvarsanzeit zu Tabes und Paralyse kamen, wird ohne Sterilisations¬ 
behandlung unter diesen Umstanden friiher zur Paralyse usw. gefiihrt, da eben der 
Ablauf der Krankheit ein rascherer geworden ist. Dazu kommt, daB wir bei der Projek- 
tion des Rezidives und der frischen Lues auf die Haut damit rechnen, daB starke Pro : 
jektionen giinstig, geringe ungiinstig quoad sanationem sind. Dasselbe finden wir 
bei der Liquorinfektion, gemessen an den zytologischen, chemischen, serologischen und 
kolloiden Reaktionen: je starker die Projektion auf die Meningen, desto ungiinstiger 
im allgemeinen der Verlauf, desto rascher der Ruckgang nach Therapie, insofern es 
sich eben um f rise here Infektionen handelt. So kann es natiirlich unter gewissen Be- 
dingungen moglich sein, daB die Blut-Wassermannreaktion noch negativ ist^ wahrend 
im Liquor langst schon schwere anatomise he Zerstorungen vorhanden sind. Aus diesen 
Gberlegungen heraus mogen sich auch die Zahlen fiir die Gbergangsfalle von Lues 


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cerebri zu Paralyse verandert haben. Die friihzeitigere Bestatigung der Diagnose ist 
sowohl durch den liberstiirzten Verlauf der Lues tiberhaupt als auch durch die besseren 
diagnostic hen Hilfsmittel moglich. Wenn aber von einer Zunahme der Beobachtung 
der Paralyse gesprochen wird, so glaubt er, diese dadurch zu erklaren, daB wir jetzt 
die langsam unter der alten Therapie oder ohne diese verlaufende Paralyse und die unter 
der ungeniigenden Salvarsantherapie, die sich hauptsachlich* in der ersten Zeit der 
Salvarsanara bemerkbar machte, rase her verlaufende zusammen beobachten. Daraus 
ergibt sich, daB fur die Beurteilung aller Krankheitsbilder der Lues zur Erklarung 
der klinischen wie serologischen usw. Befunde die voraufgegangenen Therapien heran- 
gezogen werden miissen, und daB von den Dermatologen gefordert wird: die inten- 
sivste Sterilisationsbehandlung, soweit sie an groBem Material zurzeit feststeht, und 
Liquoruntersuchungen mit alien Reaktionen. Besonders wichtig erscheint in pro- 
gnostischer Hinsieht nach N. die Mastixreaktion nach Jacobsthal-Kafka, um 
Liquorveranderungen, die sich nach der malignen Seite hin entwickeln konnten, friih- 
zeitig festzustellen und einer Therapie zuzufuhren. 

Herr Kafka mochte gegeniiber Herrn Jacobsthal betonen, daB trotz der be- 
sprochenen atypischen Befunde ihre- diagnostische Bedeutung nicht leidet. Die Be¬ 
obachtung der Korrelation der Reaktionen, ihre Verfolgung im Langsschnitt, sowie 
die Anwendung der neueren Liquorreaktionen ermoglicht das. Freilich die Prognose 
konne durch die serologischen Befunde weniger gefordert werden. K. kann daher nur 
d’ringend zur Liquoruntersuchung raten, die bei negativer Blutreaktion und klinischem 
Verdacht ja unumganglich sei, aber auch bei positiver Wassermannreaktion im Blute 
die Frage beantworte, ob iiberhaupt eine syphilitische Erkrankung des Zentralnerven- 
systems oder seiner Haute bestehe und welcher Art sie sei; schlieBlich konne ja auch 
bei genau festgelegter Dosierung die Frage. der ungeniigenden Salvarsanbehandlung 
oft nur durch die Liquorkontrolle geklart werden, wie K. durch Beispiele erlautert. 
Auch ist K. nicht der Ansicht Jacobsthals, daB die Bedingungen fur die Wassermann¬ 
reaktion im Liquor giinstiger sind als im Blut; eher besteht vor allem fur die kolloidalen 
Verhaltnisse das Gegenteil zu Recht, wie K. zeigen konnte. Die Anfrage des Herrn 
Saenger, warum nicht auch die feineren Liquorreaktionen besprochen worden sind, 
beantwortet K. dahin, daB ja die atypischen Befunde schon an der Hand der vier Reak¬ 
tionen zu erhalten gewesen sind; er hat daher die feineren Reaktionen nicht in den 
Vordergrund gestellt, um die Verhaltnisse nicht zu komplizieren. Herrn Arning gegen- 
iiber betont K., daB auch die neuesten Versuchsergebnisse von Marie und Levaditi 
keine Beweise dafiir bringen, daB Paralyse und Tabes vom Primaraffekt an durch eine 
neurotrope Variation der Spirochate hervorgerufen werden. Eigenbericht. 

Herr A. Jakob (SchluBwort): Die von Arning erorterten Probleme iiber Spiro- 
chatenbefund und histologische Veranderungen bei der Paralyse sind Gegenstand aus- 
gedehnter Untersuchungen von Dr. Herrn el in meinem Laboratorium, auf die ich 
daher verweise. Die von Arning erwahnten biologischen Vorgange bei der Lepra 
unterstiitzen meine vorgetragenen Ansichten iiber das Wesen der Paralyse. Die von 
Konne mitgeteilten Beobachtungen von stationaren, geheilten, abortiven und Liquor- 
paralysen sind von groBtemlnteresse, und es ist dringend zu wiinschen, daB in derartigen 
Fallen die mikroskopische Untersuchung alle diagnostischen Zweifel klaren kann. 
Die Saengersche Frage nach den anatomise hen Unterschieden bei Behandlungs- 
unterschieden der Paralyse ist kurz dahin zu beantworten, daB mein Material keine 
eindeutigen Resultate in dieser Hinsieht gibt. Immerhin befinden sich einige Falle 
darunter, welche auffallig erscheinen. So ein Fall mit nur 17 2 jahriger Inkubationszeit, 
der zweifellos ungeniigend mit Salvarsan behandelt war. Ein weiterer Fall von atypischer 
herdformiger Paralyse war besonders intensiv endolumbal behandelt worden, und es 
hatten sich dabei sehr haufig an die endolumbalen Injektionen apoplektiforme Insulte 
ange^chlossen. Die bisher vorliegenden mikroskopischen Untersuchungen bei Paralysen 
mit Malariabehandlung zeigen keinen wesentlich abweichenden Befund. Was die histo¬ 
logische Natur jener kleinen Granulationsherde in der GroBhirnrinde der Paralysen 
angeht, so charakterisieren sie sich in der Tat in ihrem Aufbau als syphilitische Granu- 
lome, fur die die Bezeichnung miliares Gumma durchaus zutreffend erscheint. Es ist 
sehr zu begruBen, daB die hier von mir kurz gestreiften Anschauungen iiber das Wesen 
und die Behandlungsmoglichkeiten der Paralyse gerade von dermatologischer Seite 
(Arning, Del banco) als richtig anerkannt werden. Eigenbericht. 

Sitzung vom 19. Oktober 1920. 

Herr Kafka spricht iiber die endolumbale Neosalvarsanbehandlung der Lues, 

speziell der Nervenlues. Er erortert die Griinde, die zu der Einfiihrung dieser Be- 
handlungsart geleitet haben, und verbreitet sich iiber die verschiedenen Formen dieser 


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therapeutischen Methode. Vortr. bespricht die Technik der endolumbalen Neosalvarsan- 
injektion, die sich streng an die neue Gennerichsche gehalten hat, betont die Wichtig- 
keit der Dosierung, um Schadigungen fernzuhalten, wobei er hervorhebt, daB auch 
auf den Liquordruck und die in der Zeiteinheit gewonnene Liquormenge Riicksicht 
genommen werden miisse. Er fiihrt ferner die serologischen Ergebnisse bei in 
Friedrichsberg'ausgefuhrtenBehandlungsversuchen vonParalytikern an, wo bei manchen 
auffallende Besserung des Liquorbefundes zu beobachten war. Er geht dann ausfuhr- 
lich auf sein neues Material ein und erlautert an der Hand von Lichtbildern die sero¬ 
logischen Veranderungen. Es handelte sich um iiber 200 endolumbale Neosalvarsan- 
injektionen bei 22 Paralysen, 10 Tabesfallen, 11 Fallen von Lues cerebri, 4 Fallen von 
Liquorlues, 1 Neurorezidiv und 2 fraglichen Fallen. Dabei wurde aus wissenschaft- 
. lichen Griinden keine andere Behandlungsart zur gleichen Zeit vorgenommen, soweit 
es arztlicherseits vom Standpunkt des nil nocere moglich war. Vortr. kommt zu dem 
Schiusse, daB durch die endolumbale Behandlung tatsachlich eine schnellere Besserung 
der Liquorverhaltnisse moglich ist, als durch die intravenose. Auch klinischerseits lieBen 
sich vor allem bei Tabes, dann bei Lues cerebri, schlieBlicM bei Liquorlues deutliche 
Besserungen auch der objektiven Erscheinungen erzielen, wahrend die Paralyse nur 
im initialen Stadium endolumbal beeinfluBbar erschien. Da sich die von anderer Seite 
berichteten Schadigungen durch geeignete Technik und Dosierung vermeiden lassen, ist 
eine weitgehende Anwendung der endolumbalen Methode, zumal wenn die intra- 
venose versagt, nur anzuraten. Eigenbericht. 

Herr Reye: ttber hypophysare Kachexie auf Basis von Lues acquisita mit 
Ausgang in Heilung. 50jahrige Frau. Vor 20 Jahren vom Ehemann infiziert, vor 
5 Jahren Ulcera an der Stirn, seit 3 x /2 Jahren Ohnmachtsanfalle, Erbrechen, zu- 
nehmende korperliche Schwache und psychische Stumpfheit, schlieBlich vollige Apathie. 
Status vor 2 Mona ten: Neben der allgemeinen Schwache und psychischen Storung 
Fehlen der Augenbrauen, Achselhaare, Schamhaare und Zahne, glanzende, atrophische 
Haut, Atrophie der Schilddriise, der auBeren und inneren Genitalien. Im Blut Eosino- 
philie von 11 %, Wassermann + + + . Liquor: normaler Druck, Zellen 120/3, Phase I e, 
Wassermann e. Augenhintergrund, Gesichtsfeld normal. Keine Polyurie. Schadel- 
basis rontgenologisch normal. Dauernd leichte Untertemperatur, haufig 35°. Abder- 
halden auf Hypophyse + (Dr. Kafka). Diagnose: Hypophysare Kachexie durch 
erworbene Lues. 

Durch Neosalvarsan-Hg-Kur + Hypophysenpraparat in 8 Wochen Heilung: 
Psychisch vollig normal. Korperlich leistungsfahig. Augenbrauen, Schamhaare sind 
wieder gewachsen. Klinisch bislang nur 7 Falle von Lues der Hypophyse in der Lite- 
ratur, alle unter dem Bilde der Dystrophia adiposo-genitalis. Eigenbericht. 

Herr Nonne stellt ein lOjahriges Kind vor, welches im Januar und Februar 
1920 an Encephalitis lethargica litt. Im AnschluB daran entwickelte sich ein psychi- 
scher Zustand von Torpor mit zeitweiligen Erregungen. Jetzt< besteht das aus- 
gesprochene klinische Bild der Paralysis agitans sine agitatione. Die Spannungen 
in der Muskulatur des Gesichtes und der oberen Extremitaten und des Rumpfes be- 
dingen den Maskenausdruck und die allgemeine Beugehaltung. Dabei ausgesprochene 
Bewegungsarmut, kein Tremor. Interessant ist, daB dieses bei Erwachsenen jetzt 
schon verhaltnismaBig oft beobachtete Bild auch bei Kindern auftreten kann. 

Eigenbericht. 

Sitzung vom 30. November 1920. 

Herr Weygandt: Neurologie und Psychiatrie in der bildenden Kunst. In 

alien Kulturkreisen zpg der Kiinstler gelegentlich Motive aus dem Pathologischen 
heran, nicht immer ohne Fehlgriff. Mane he Funde zeigen in primitiven Verhaltnissen 
das Vorkommen von Degenerationsformen, die wir als Produkt vorgeschrittener 
Zivilisation aufzufassen geneigt waren. Die Kunst der Steinzeit schildert in*dem 
Biiffel von Altamira die Todesqualen. Die weibliche Idealfigur, wie sie die Venus 
von Willendorf verkorpert, zeigt hochgradige FettsUcht, docji wohl nicht pathologischer 
Art. Die altperuanischen Bildwerke enthalten viele Anleihen aus dem Bereich 
des Krankhaften, so Fazialislahmung, dann den Akt der Trepanation. Der alt- 
agyptisehe Gott Bes ist typisch mikromel, ebenso einige Bronzefiguren aus Benin 
in Afrika. Die Japaner verwandten vielfach pathologische Motive, Turmschadel, 
Wasserkopfe, tanzende Irrsinnige, Amoklaufer usw. In der Antike sind solche 
Motive selten, zu erwahnen sind Terrakotten hydrozephaler Zwerge, ferner die manch- 
mal hohen Kunstwert bietenden pornographischen Darstellungen. Aus dem Mittel- 
alter ist zu erwahnen Salome im Ar.c de cercle an der Bronzetiir von S. Zeno in 
Verona. Die Hochrenaissance bringt als Ausdruck der Ekstase hysterische Stel- 
lungen, so in der Transfiguration Raffaels. Beliebt sind Darstellungen des Grausigen 


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besonders bei Martyrerszenen, vor allem in der Spanischen Kunst, wie bei Ribera, 
der auch einen Fall von halbseitiger zerebraler Kinderlahmung dargestellt hat. Wah- 
rend Murillo das Pathologische verklart, stellt Velasquez eine Fundgrube, dar, 
in 6 Bildern portratiert er Zwerge und Idioten, darunter echten Kretinismus (niiio 
de Vallecas), Hydrozephalie (Don Antonio), Mikromelie u. a. Auch las meninas zeigt 
2 Zwerge. Anscheinend Schwachsinnige sind Don Juan de Austria und der (zweifel- 
hafte) Borro. Careno de Miranda portratierte mehrfach eine adiposogenital - 
dystrophische Zwergin, Li a no eine Mikrozephalin. Diirers Melancholie stellt ein 
Trostblatt fur Kaiser Maximilian dar, der am Saturnaberglauben litt, daB die, gleich 
ihm, unter diesem Planeten Geborenen zum Wahnsinn disponiert sind. Rubens 
schildert, von anderen Darstellungen wie Mikrozephalie, Besessenheit, epileptischem 
Anfall abgesehen, mehrfach den Alkoholismus. Von Rembrandt, dessen Alters- 
selbstbildnis alkoholische Ziige zeigt, ist noch die Hirnsektion des Dr. Joh. Deymann 
zu erwahnen. Anzufiihren sind noch Molenaer, Teniers, Jan Steen, Frans Hals, 
Jordaens. Mehrfach wird die Tanzwut geschildert, so von Peter Breughel. Be¬ 
sonders drastisch ist die Wiedergabe des Alkoholismus in der Gin Lane von Hogarth. 
Das liebeskranke Madchen von Gerard Dou erweckt Verdacht auf Basedow. Goya 
zeigt in seinem Irrenhaus die entsprechenden Zustande am Ende des 18. Jahrhunderts, 
Gautier schildert die Szene, wie Pin el die Trren der Salpetriere von den Ketten 
befreit. Kaulbachs Narrenhaus zeichnet die Zustande in den deutschen Anstalten 
wahrend der ersten Halfte des vorigen Jahrhunderts. Zu erwahnen sind noch Werke 
von G6ricault, Wiertz, Rjepin. Ein absonderliches Bildnis des Rembrandt- 
deutschen von Hans Thoma entsprang nach des Meisters Schilderung einem Atelier- 
scherz. Der Expressionismus ging zunachst (van Gogh) von dem Bestreben aus, 
die Natureindriicke in der Wiedergabe willkurlich zu verandern, des Klinstlers Ab- 
sichten zu unterstreichen, zu intensivieren. Er verzichtete immer mehr auf die Wieder¬ 
gabe eines Objekts, versuchte die Bewegung und das Werden des optischen Ein- 
drucks festzuhalten, unter vielfach volligem Verzicht auf das Stoffliche. Ersichtlich 
spielten bei manchen Fiihrern (Marc, Picasso, Chagall) die entoptischen Gesichts- 
wahrnehmungen eine Rolle, wie sie schon von-Goethe, Johannes Muller und 
anderen geschildert wurden. Unverkennbar ist die Ahnlichkeit mancher Erzeugnisse 
mit den bildnerischen Ve-rsuchen von Naturvolkern, Kindern und Geisteskranken, 
sowohl was den Primitivismus der Andeutung des Auszudriickenden betrifft, als 
auch die Pratension, mit der sie fur ihre Leistungen eintreten. Manches wiirde als 
rein dekoratives Motiv diskutabel sein, freilich ohne daB es deshalb sich als die Kunst 
der Zukunft aufzuspielen braucht, so gut wie seiner Zeit Justinus Kerner seine 
Kleksographien gesammelt hat oder wie etwa die halbbewuBten Kritzeleien vieler 
Sitzungsteilnehmer teilweise verwertbar waren. Ein Teil der futuristischen Dranger 
tritt unter den Kommunisten auf, um den schroffsten Gegensatz zu aljer bisherigen 
Kunst kundzugeben, die sie moglichst als vernichtungswiirdig hinstellen. Ofter wird 
in rein dekorativer Weise gearbeitet, so in den Zeichnungen von Paul Klee oder 
den Darbietungen, die allerhand Gebrauchsgegenstande usw. mitverwerten, Zeitungs- 
ausschnitte, Knopfe, Reisnagel, Zigarrenkistenbrettchen, Staniol, Kinderwagenrader, 
Topfdeckel usw. Beispielsweise Otto Dix, Schwitters, Kinzinger, Ehrhardt 
und der am dreistesten auftretende Russe Yefin Golyscheff. Sofern nicht dabei 
Mystifikation der Beschauer vorliegt, spielt zweifellos betrachtliche kiinstlerische 
Impotenz und Massensuggestion, insbesondere die snobistische Vorstellung des Nicht- 
zuriickbleibendurfens, eine Rolle, letztere auch bei den Beifallspendern, Kritikern , 
und Ausstellern. Als Gesamterscheinung, Kunstdarbietung und KunstgenuB, stellt 
die Bewegung ein Degenerationssymptom unseres kranken Zeitalters dar. (Gegen 
100 Lichtbilder veranschaulichen den Vortrag.) Eigenbericht. 


IV. Vermischtes. 

Wahrend das vorliegende Heft des Neurologischen ( entralblattes gedruckt wurde, 
sind bei der Redaktion eine Reihe neu erschienener Bucher zur Besprechung eingegangen, 
die — zum Teil wenigstens — hier noch kurz erwahnt sein mogen. 

Vor allem liegt eine neue — die 22. — Auflage des allseits bekannten und beliebten 
Striimpellschen Lehrbuches („Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie der 
inneren Krankheiten“, Leipzig 1920, Verl. von F. C. W. Vogel) vor, geschmiickt mit dem 
Bildnis des Verfassers, ausgezeichnet durch Klarheit und Prazision, nicht nur ein Nach- 
schlagewerk, sondern dank dem anregenden Stile ein Buch, das auch beim Durchlesen 


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reichen GenuB bereitet. Aus dem Vorworte erfahren wir, daB das Lehrbuch in 83000 Exem- 
plaren unter der deutschen und der deutschlesenden Arztewelt verbreitet nnd bereits ins 
Englische, Franzosische, Russische, Italienische, Spanische, Neugriechische, Tiirkische und 
Japanische iibersetzt worden ist. Neues und Neuestes ist beriicksichtigt, die Neurologie 
wird entsprechend der Vorliebe des Verf.’s fiir diesen Wissenszweig mit besonderer Sorgfalt 
und Liebe behandelt. Das Werk ist eine Zierde fiir die deutsche Wissenschaft, eine wehmuts- 
vplle Erinnerung an die klassische Zeit der groBen Kliniker der 90er Jahre des vorigen 
Jahrhunderts, aber auch ein Hoffnungsstrahl fiir eine hoffentlich baldige Zukunft, dem 
Wunsehe des Verf.’s entsprechend ganz dazu angetan, nach einer langen Zeit des Haders 
und der Zwietraclit eine Verstandigung und Versohnung unter den Forschem der ein- 
zelnen Nationen anzubahnen, den wankenden Bau ihrer geistigen und ideellen Giiter wieder 
aufrichten zu helfen und so der Internationale des Geistes, welche weder Klassen noch 
Landesgrenzen kennt, zu dienen. — 

Von anderen Biichern seien noch erwahnt: R. Cassirer, Diagnostische und thera- 
peutische Irrtiimer auf dem Gebiete der Krankheiten des Riickenmarks und der peripheri- 
schen Nerven (Verl. von G. Thieme, Leipzig 1920) [klare differentialdiagnostische Aus- 
fiihrungen beziiglich der einzelnen Krankheiten]; A. Pilcz, Lehrbuch der speziellen 
Psychiatrie, 5. Auflage (F. Deuticke, Leipzig u. Wien 1920) [vgl. Referat im Neurol. 
Centralbl. 1919, S. 568 anlaBlich der 4. Auflage]; Th. Ziehen, Leitfaden der physiologischen 
Psychologie, 11. Auflage (Verb von G. Fischer, Jena 1920) [vgl. Referat im Neurol. 
Centralbl. 1915, S. 578 anlaBlich der 10. Auflage]. Kurt Mendel. 


V. Per son alien. 

Am 13. Januar d. J. feierte unser sehr verehrter Mitarbeiter Herr Prof. Nonne (Ham¬ 
burg) seinen 60. Geburtstag. Eine groBe Zahl seiner Arbeiten hat er dem Neurolog. Centralbl. 
zur Veroffentlichung anvertraut, und auch den vorliegenden Band schmiickt als erstes 
Originale eineMitteflung aus seiner Feder. Wenn Striimpell auf der diesjahrigen Jahres- 
versammlung der Gesellschaft Deutscher Nervenarzte ihm und uns wiinschte, daB „Nonne 
noch recht lange Zeit ,positiv‘ bleiben 44 moge, so schlieBt sich das scheidende Neurologische 
Centralblatt diesem Wunsehe an und fiigt hinzu, daB der Phase I seines Lebens eine reclit 
gliickliche Phase II folgen moge. K. M. 


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Register 1921. 

I. Namenregister. 

(Die fettgedruckten Zahlen bedeuten: Originalmitteilungen; 

Bemerkung in der Diskussion). 


JLbelsdorff :Kohlenoxydvergif- 
tung 295. 

Abercrombie-Sheffield: Physio- 
path. Handlahmung 283. 
Abrahamsohn: Nachkommen 
von Syphilitikern 299. 
Adler, Alfred: Nervoser Cha- 
rakter 335. 

—• Arthur: Paralysebehandl. 
373. 

Aebly: Lues-Metaluesfrage298. 
Albrecht, W.: Zeigeversuch219. 

Myotonia atrophica 328. 
Alexander, A.: Eukodalismus 
294. 

— W.: Therap. Taschenbuch 
377.. 

Allers: Muskelsinn 160. 
Amersbach: Nasale Reflex- 
neurosen 273. 

Anton: Kopfrontgenbild bei 
Epil. 286. 

Armstrong: Halswirbelkaries 
223. 

Arnheim: Testogan u. Thely- 
gan 277. • 

Arning: (387). 

Artom: Ruckenmarksgliom231. 

Progr. Muskelatrophie 235. 
Arzt: Kaninchensyphilis 247. 
Aschenheim: Schadig. einer 
menschl. Frucht durch 
Rontgenstrahlen 348. 

Ashe: Epilepsie 285. 

Augstein: Hyster. Amaurose 
272. 

Baily: Pseudo tumor cerebri213. 
Barb4: Permeabilitat der Plex. 
choroid. 159. 

Barber: Tuberk. Mening. 170. 
Bardachzi: Behandl. der Me¬ 
ning. epidem. 168. 

Barr6: Sympathicusstor. bei 
Riickenmarkserkr. 228. 
Barth, E.: Kriegsaphonien 322. 
— F. : Dialacetin 380. 
Bartolini: FuBklonus 255. 
Baruch: Lumbalanasthesie 252. | 
Bauer, E.: Enceph. leth. 193. | 


Baumann: Liquor bei Anamie 
245. 

Reform d. Irrenfursorge 347. 
Baumm: Bulbarparal. u, 
Kriegsdienst 220. 
Bausamer: Mening. ser. des 
Konusgebietes 227. 
Beaussart: Hirnsyphilis 302. 
Becher, E.: Liquor 243. 

. Wirbelsaule bei Tetanus 292. 
Beck, O.: Spina bifida occ. 226. 
Becker, E.: Morphiumvergift. 

296. 

— H.: Anfallsweise Erkrank. 
338, 

Beerman: Lumbalpunktion 252. 
Behr: Psvchosen in Li viand 
336. ‘ 

Benon: *Dysthymie 355. 

Berger: Kriegsbeobacht. 314. 
Beriel: Ruckenmarkstumor230. 
Bickel: L^mbahming nerv. Im¬ 
pulse 159. 

Biehl: Meningitis 166. 
Bielschowsky: Syringomyelie 
237. 

Thromb. der V. magn. Galeni 
nach Salvarsan 306. 
Bierende: Okulomotoriuslahm. 
181. 

Bignami: Alcoholismus chron. 

297. 

Binswanger: Hysterie u. Krieg 
320. 

Blank: Strychnin 378. 

Blatz: Massage u. elektr. Be- | 
handl. 161. 

Bleuler: Kritik des UnbewuBten 

332. 

Bluhdom: Keuchhusten und 
Spasmophilie 269. 

Blume: Rdntgenbeh. des Base¬ 
dow 268. 

Blumenthal: Ruckenmarks- 

syphilis u. Syringomyelie 
237. 

Boas: Erysipel 358. 

Boisseau :Kriegslahmungen320. 
Bonarelli: RiickenmarksschuB 
316. 


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die eingeklammerten Zahlen: 

Bonhoeffer: (385). 

Bonsmann: Kolloidreaktionen 
im Liquor 248. 

Borak: Muskelsinn 160. 

Borries: Him- und Subdural 
abszesse 215. 

Respirationslahm. bei Hirn- 
abszeB 215. 

Bostroem: 'Landry sche Paral 
263. 

Bottner: Spinaldruck 243. 

Bouman: Wille 334. 

Bourguignon: Myopathic und 

Myotonie 328. 

Boven: Charakter u. Psychose 
337. 

Boveri: Liquor bei Enceph. 
leth. 192. 

Enceph. epid. u. Chorea 198. 

Brandt: Goldsolreakt. 249. 

Goldsolreakt. bei sekund. 
Syph. 249. 

Bregman: Schlafstorungen 378. 

Bresler: Progr. Par. oder Hirn - 
syph. 362. 

Brodfeld: Nirvanol 380. 

Brodniewicz: Psych. Stor. bei 
Tabes 241. 

Brosamlen: Echinococcus der 
Wirbelsaule 224. 

Brown: Hysterie 283. 

Bruck: Thelygan u. Testogan 
277. 

Briihl: Luminal bei Epil. 290. 

Briinecke: Nirvanol 379. 

Briining: Exstirp. der Neben- 
niere bei Krampfen 292. 

Brunner: Rontgenstrahlen u. 
Hirn 163. 

Staphylokokkenvakzine bei 
Mening. 167. 

Funkt. Neurosen u. Zeige- 
versuch 220. 

Brunschweiler :Physiopathische 
Storungen 283. 

Buckley: Dislokation der Hals- 
wirbelsaule 224. 

Bucky: Diathermie bei SchuB- 
neuritis 319. 

Biihrke: Hirntumor 211. 


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Bumke: Denkpsychologie und 
Psychiatrie 329. 

Bungart: Erweichungsherde im 
Him nach Scharlach 188. 
Burger: Exogene Fakt. bei 
Schizophrenic 350. 

Burke: Elektr. Nervenreizung 
318. 

Buscaino: Biologie u. Affekte 
158. 

Thyreoid, u. Paralyse 370. 
Biischer: Spirochaten bei mult. 
Skier. 236. 

Buzzard: HalsmarkschuB 316. 
Bychowski, G.: Brandstiftung 
375. 

— Z.: Encephal. letharg. 46 . 

CJamac: Enceph. leth. 198. 
Cantaloube: Vestibularfunktion 
218. 

Carruthers: Instinkt. u; Hyst. 
271. 

Cartney: Natr. bibgr. bei Epil. 
289. 

Cassirer: Diagnost. farturner 
392, 

de Castro: Tapiasches Pseudo¬ 
syndrom 258. 

Catola: Grippepsychosen 356. 
Ceni: Sexuelle Hirnzentren 276. 
Christoff el: Epilept. Ausnahme- 
zustande 288. 

Clark: Man.-depr. Irresein 356. 
Cobb: Hyster. Kontraktion271. 
Cohn, E.: Gliederschwund nach 
NervenschuB 320. 

— W.: Enceph. epid. 198. 
Silbersalvarsan u. Sulfoxylat 

304. 

Collins: Wirbelkaries 223. 
Coppolo: Ramon y Cajalsehe 
Farbung 156. 

Diagn. der Paral. 368. 
Cords: Augensympt. bei 
Enceph. leth.-196. 
Cruchet: Enceph. leth. 193. 
Curschmann: Spinalerkr. bei 
perniz. Anamie 229. 
Famil. mult. Sklerose 236. 
Cushing: Trigeminusneuralgie 
259. 

Dandy: Hirntumoren 212. 
Danelius: Fazialislahm. 258. 
Davidenkof: Reflexkontraktur 
186. 

Decastello: Durchbruch von 
Beckenabszessen in d. Wir- 
belkutal 227. 

Delbanco: Silbersalvarsan 303. 
(387). 

Demmler: Hirnsyphilis nach 
Unfall 309. 

Demole: Ophthalmopl. bei 


Enceph. leth. 197. 

Myoklon. Form derEnc. leth. 
197. 

Atlasluxation 224. 

Desderi: Enceph. epid. 191 4 

Dexler: Tierpsychologie 113 . 

Dimitry: Paraplegie nach Ar- 
sphenamin 228. 

Bollinger: Mening. purul. im 
Kindesalter 167. 

Dollken: Proteinkorpor u. Epil. | 
290. 

Donath: Vasomotor. Psycho- : 
neurose 282. 

Dopheide: Nichtparalyt. 

Geistesstor. auf syphil. 
Grundlage 302. 

Dubois: Sehmerzen nach 
Nackenverletz. 309. 

Dumstrey: Morphiumkranke 
Asthmatiker 297. 

Ebbecke: Kortik. Erregungen 
157. 

Eberle: Tetanusbehandlung 
292. 

v. Economo: Pseudosklerose 
182. 

Epidemiol.derEnc. leth. 193. j 

Enceph. leth. 194. 

Eiszenmann: Hirngeschwiilste : 
mit falschen Herdsympt. 
209. 

Tabes 238. 

Eitel: Hydroceph. int.’ chron. 
172. ! 

Ellis: Kleinhirn 216. 

Elsberg: Ruckenmarkstumor 
232. 

Embleton: Epidem. Genick- 
starre u. Empyem der 
Keilbeinhohle 167. 

Enge: Brom-Calciril 380. 

Engelen: Erwerbsbehinderung 
bei MediAnuslahm. 311. 

Erwerbs behind. bei Ulnaris- 
lahm. 311. 

Erwerbsbehind. bei Radialis- 
lahm. 311. 

Engelmann (387). 

Epifanio: Aortitis bei Paral. 
366. 

Epstein: Simul. von Geistes- 
stor. 345. 

Erben: Zittern 274. 

Erdheim: Gesteigerter Hirn- 
druck 187. 

Ewald, G.: Jodoformpsychose 
294. 

Abderhaldensche Reakt. 342. 

Paranoia u. man.-depr. Irre¬ 
sein 353. 

Eabinyi: Tuberkulose in An- 
stalten 346. 

Blutserum bei Geisteskr. 369. 


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Falta: Radiumbestrahlung 260. 

Fankhauser: Lokalis. psych. 
Funkt. 179. 

Farnell: Polyneur. u. Enteritis 
261. 

Faschingbauer: Hemiplegiel85. 

Finkelnburg: Lehrbuch der 
Unfallbegutachtung 308. 

Finkenrath: Kriegshysterie321. 

Fischer, O.: Wirbelkaries 223. 

Flatau: Potenzstor. u. Recht- 
sprechung 276. 

Flechsig: Anatomic des Hirns 
und Riickenmarks 176. 

Fleischer, B.: Traumat. refl. 
Pupillenstarre 310. 

— J.: Veronalvergift. 293. 

Fleischhauer: Bazillentrager in 
Irrenanstalt 346. 

Focher: Psychologie der Wil- 
sonschen Krankheit 81 . 

Anisokorie bei Hysterie 138 . 

Dyspraxia angiosclerot. bra- 
chii 264. 

Foerster, A.: Paraplegia uri¬ 
naria 228. 

Diab. insip. u. Mening. ser. 
266. 

Foi x: Subepend yin. N ek rose 
181. 

Forrester, A. T. W.: Malaria u. 
Geisteskr. 358. 

-Brown: Periph. Nerven- 

lasionen 257. 

Fossataro: Meningitis 166. 

Fragnito: Enceph. leth. 192. 

Frankel, Fritz: Trauma und 
Pseudosklerose 183. 

Simulat. von Morphiumsucht 
297. 

i Kriegsneurosen 320. 

Frauenthal: Dyston. muse, de- 
t form. 184. 

I Fiazier: Durchschneidung der 
Vorderseitenstrange 232. 

Frei: Herpes zoster u. Vari- 
zellen 262. 

Friedemann: Neur. opt. nach 
Wutschutzimpfung 383. 
(384). 

Friedlaender, E.: Aus Anstalt 
! Entlassene 348. 

| Frigerio: Progr. Paral. 371. 

Fry: Kongen. Fazialislahm. 
258. 

I Fuchs, A.: Methylalkoholvcr- 
! giftung 295. 

I — L.: Pachymening. ext. 226. 

Fuhner: Hypophyse 266. 

dalant: Kratzreflex 253. 

Algolagnische Traume 279. 

Katatonie 351. 

Gamper: Psychosen im Riick- 
bildungsalter 342. 


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395 


Gartner: Kultur u. Paralyse 
360. 

Gehrcke: Tonische Konver- 
genzbeweg. der Pupille 93. 
Geinitz: Nervenschiisse 318. 
Gelma: SinUil. von Geisteskr. 
324. 

Gelpke: Hyperpyrese bei En- 
ceph. epid. 197. 

Gerlach: Ruckenm. bei Enceph. 
epid. 192. 

Gerstmann: Pseudosklerose 
182. 

Physiogene Neurosen 271. 
Gertz: Augenbeweg. 180. 
Giannelli: Tabes 238. 

Giannuli: Heredo-Ataxie 242. 
Giraud: Handkonfiguration 
259. 

Goldberger: Liquor bei Lues 
246. 

Goldstein, A.: Arhincephalie 
164. 

— K.: Hirnschu fiver let zte 315. 
Goodwin: Syphil.spin. Muskel- 

atrophie 303. 

Grabfield: Farad. Sensibil. 161. 

Alkoholismus 298. 

Grahe: Enceph. leth. 197. 
Grassheim: Stirnhirngiiom 313. 
Grassmtick: Poliomyelitis 234. 
Groebbels: Ernahrungssystem 
der nerv. Zentralorgane 
157. 

v. Groer: Meningoencephalis- 
mus 174. 

Griinewald: Rekon vales zenten- 
serum bei Enceph. epid. 
205. 

Grutter: Juven. Paralyse 367. 
Guttmami, A.: Vergift. mit 
Anhalonium Lewini 384. 
(386). 

— E.: Ovobrol 380. 

Gutzmann: Pseudobulbar para¬ 
lyse 221. 

Haas: Blut bei postoperat. 
Tetanie 269. 

Hahn, R.: Vorbeireden 281. 
Hahn (Hamburg): (387). 

Hall: Verschlufi der A. cere- 
bell. post. 218. 

Hamburger: Sinusthrombose 
174. 

Hansen: Sehnenreflexe 252. 
Harbitz: Spondyl. deform. 222. 
Harke: Mening. ser. im Kindes- 
alter 172. 

Harrington: Polyneur. u. Ente¬ 
ritis 261. 

Hart: Behandl. der Psycho¬ 
neurosen 284. 

— C.: Encephal. u. Grippe 

201 . 


Hart, C.: Vererbung erworb. 
Eigensch. 326. 

Harthun: Prodromalsympt. der 
Paral. 371. 

Hartmann: Massage u. elektr. 
Behandl. 161. 

Hartung: Paramyoclonus mult, 
mit Epil. 287. 

Harvier: Chorea u. Enceph. 
epid. 199. 

Hassin: Faziale pontine Di- 
plegie 181. 

Hirnabszefi 214. 

Haug: Luminalvergift. 293. 

Hauptmann: Epilepsie 284. 

Head: Aphasie 206. 

Psychoneurosen 281. 

Heermann: Behandl. des Kopf- 
schmerzes 260. 

Heinicke: Posttraumat. De- 
menz 313. 

Heiss: Neuro-zerebr. Grippe- 
formen 202. 

Heller: Haufigk. der progr. 
Paralyse 106. 

Henneberg: Intelligenzprufung 
339. (383). (386). 

Henriques: Salmon-Kohn- 
stammsches PhanomenfiO. 

Henschen: Aphasie bei Tem- 
poralabszefi 208. 

Herhold: Funktion. Harn- 
blasenstor. 323. 

Rentenfeststell. der Kriegs- 
beschadigten 326. 

Herschmann: Mening. nach 
Bazillenruhr 170. 

Hirnsyphilis 302. 

Melanch. 355. 

Higier: Enceph. leth. 196. 

Herdsklerose 236. 

Kiinstl. Unterbrechung der 
Schwangerschaft 345. 

Hinsch: Gehirnfieber 181. 

Hirsch, C.: Encephal. 196. 

—, F.: Epilepsie-Tetanie bei 
Lues 302. 

Hoche: Ursache bei Geistcs- 
krankh. 335. 

Hochstetter: Entwicklungs- 
gesch. des Hirns 177. 

Hoestermann: Enceph. epidenr. 
205. 

Hoffa: Radialisphanomen 269. 

Hoffmann, E.: Entsteh. der 
Paralyse 3f>l. 

— P.: Sehnenreflexe 252. 

Hofmann: Enuresis noct. 225. 

Hogler: Radium bestrahlung 
260. 

Hoke: Polyurie bei Enceph. 
epid. 197. 

Holfelder: Knochen- u. Gelenk- 
erkr. bei Tabes 240. 

Gastrische Krisen 240. 


Holle: Weltanschauung, L<- 
bensflihrung, Politik 328. 
Hornung: Veronal bei Mor- 
phiumentziehung 297. 
Horstmann: Sublimatreaktion 
25i. 

Spinalerkr. bei kongenital- 
luet. Kindern 303. 

Hubner: Suggestionsbeh. von 
Genitalneurosen 279. 

Nerv. u. psych. Stor. nach 
Wutschutzimpf. 295. 
Hubotter: Hirnabszefi 215. 
Hudschinsky: Ultraviolettlicht 
bei Tetanie 269. 

Huisken: Zerebr. Herderkr. bei 
Typh. u. Influenza 208. 
Husler: Epil. im Kindesalter 
287. 

Israel: Myositis ossificans nach 
Ruckenmarksschufi 316. 

Jacobi: Amylenhyd ratvergift. 
293. 

Jacobowitz: Tetanie und Blut- 
kalk 269. 

Jacobsthal: (387). 

Jaff6: Enceph. leth. 191. 
Jakob: Hamburger Irrenfur- 
sorge 347. 

Station. Paral. 365. (389). 
Jaksch-Wartenhorst: Grippe u. 
Encephal. 200. 

Jedli^ka: Syndrom der zentr. 

Ganglien 183. 

Jenny: Aschnerreflex 254. 
Jessen: Psychosen bei Tabes 
242. 

Jezsovics: Babinskireflex 256. 
Joachimoglu: Morphinvergift. 
297. 

Johan: Epil. u. Cysticercus 211. 
Jolly: Psychopath. Konst it. 
342. 

Assoziationsvers. bei Debilen 
349. 

Jolowicz: Nirvanolvergift. 293. 
Jones: Perniz. Anamie 358. 
Joseph, M.: Dermatol. Rat- 
schlage 381. 

Junius: Reflektor. Pupillen- 
starre bei Grippe 254. 
Herpes zoster 262. 

Hading: Geheilte eitr. Mening. 
169. 

Kafka: Blutforsch. u. Geisteskr. 
341. 

Hamburger Irrenfur sorgo 
347. 

Serol. Studien bei Paral. 369. 
(389). 

Endolumb. Neosalvarsanbeh. 
389. 


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396 


Kafka: Liquor bei Nervenge- 
sunden 244. 

Kahlmeter: Spondyl. deform. 

221 . 

Kahn: Morphinisms 296. 

Karbqwski: Neuropathia acust. 
322. 

Karger: Zerebr. Rachitis 185. 

Karplus: Familienf orschung am 
Zentralnervensystem 109 . 

Kasak: Kongen. Fazialislahm. 
258. 

Kato: Myotonie 327. 

Katzenstein: Nirvanol 379. 

Kaufmann, P.: Sozialversiche- 
rung 314. 

Kaufmann-Wolf: Nachkommen 
von Syphilitikern 299. 

Kauijiheimer: Progr. Muskelatr. 
na^h Poliomyel. 234. 

Kayser: Klimakter. Besohw. 
265. 

Kayser-Petersen: Encephalo- 
myel. bei Grippe 200. 

Kehrer: Funktion. Stor. trau- 
mat. geschad. Extremit. 
313. 

Kellert: Goldsolreaktion 250. 

Kerl: Kaninchensyphilis 247. 
Polyneur. syphil. 261. 

Kielholz: Symbol. Diebstahle 
376. 

Kirsch: lnsuffic. vertebrae 221. 

Kiss: Vorbeizeigen 219. 

Kittel: Querulator. Zustands- 
bilder 375. 

Klarfeld: Spirochaten bei Para- 
lyse 363. 

Klasi: Homosexualitat 277. 

Klebelsberg: Bromoderma 294. 

Kleist: Unerlaubte Entfernung 
324. 

• Klieneberger: Schlafkrankheit 
194. 

Diabetes u. Psychose 360. 
Christliche Wissenschaf1382. 

Klose, H.: Geistesstor. bei 
Basedow 268. 

— R.: Gehirn eines Wunder- 
kindes 179. 

Kluge: Assoz. Augenbeweg. 180. 

Kluth: Psychiatr. Kranken- 
beweg. im Kriege 323. 

Knape: Hirnarterioskler. 189. 

Koennecke: Friedreich sche 
Ataxie 243. 

Kohrs: Liquor bei unbehand. 
Lues 247. 

Kollarits: Lagewahrnehmungs- 
stor. u. Ataxie 239. 

Kollmeier: Krieg u. Paral. 362. 

Koopman: Azeton im Liquor 
251. 

Kooy: Riiokenmarksdurch- 
reiBung 233. 


| Kortke: Abderhaldensche Re- 
! akt, 341. 

I Krabbe: Neuritis des motor. 

Trigeminus 261. 

I Kongen. famil. spin. Muskel¬ 
atr. 327. 

Kraepelin: Krieg u. Geistes¬ 
stor. 323. ' 

Kraus, R.: Meningoenceph. 
epizoot. ‘193. 

Krause, F.: Oper. bei Spasmen 
232. 

Krebsbach: Spirochaten bei 
Paral. 363. 

Kreiss: Enceph. u. Schwanger- 
schaft 195. 

Kress: Abfiihrmittel 165 . 

17 jahr. Unfallsgeschichte 
313. 

i Kretschmer, E.: Kritik des Un- 
| bewuBten 331. 

I Seele und BewuBtsein 332. 

| — J.: Famil. zerebr. Kinder- 
lahm. 206. 

Kreuter: Hodenimplantation 
266. 

Krisch: Symptomat. Psyehosen 
337. 

Krogius: Dupuytrensche Kon- 
traktur 256. 

Kroh: Liquor u. Med. oblong. 

bei Schadelschiissen 315. i 
Kroner, K.: Kriegsbeschadigt.- 
fursorge 326. 

Therap. Taschenbuch 377. 
Kronfeld: Gewohnheitsver- 
brecher 377. (385). 

Krueger, H.: Luetische Hirn- j 
u. Ruckenmarkserkr. 299. , 
Kulenkampff: Meningitisdia- 
gnose 164. j 

Kummer: Radiother. bei Epil. t 
291. 

Kiinne: Radialislahm. 259. 
Kyrle: Liquor u. latente Lues | 
245. I 

Goldsolreakt. 249. j 

Goldsolreakt. bei sekund. j 
Syph. 249. 

Liquorkontrolle bei Syph. 
300. 


Lade: Pachymening. haemor- j 
rhag. 171. j 

Lantuejoul: Hyperalbum, im | 
Liquor 251. | 

Lauber: Enceph. epid. 198. j 
Lenk, E.: Blutdruck u. Hyp- j 
nose 382. 

— R.: Rontgenbeh. der Epil. 
291. 

Leopold: Spina bif. occ. 226. 
Leppmann, F.: Fahrlassigkeits- 
vergehen 374. | 


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Leschke: Lahmungen nach 
Grippe 202. 

Levaditi: Chorea u. Enceph. 
epid. 199. 

Levinstein, O.: Nasale Reflex- 
neurose 273. 

Levy, D. M.: Faziale pontine 
Diplegie 181. 

L6vy, G.: Enceph. leth. 198. 

Lewin: (386). 

Wundts Verdienste 386. 

Lewinski: Testogan u. Thely- 
gan 277. 

Lewkowitz: Vestibularhysterie 
273. 

Licen: Nervensystem bei Typh. 
exanthem. 163. 

Liebers: Kriegsernahr. in Irren- 
anst. 347. 

Liek: Nerv. Darmspasmus 274. 

Liepmann: (385). (386). 

Linck: VuzingegenMening. 169. 

Lindhard: Salmon-Kohn- 

stammsches Phanomen 30 . 

Lipshutz: Verdoppelung des 

; Riickenmarks 233. 

[ de Lisi: Experiment. Hirn- 
erschiitter. 308. 

| Litvak: Tonus u. motor. Funkt. 

j der Augenmusk. 238. 

! Lloyd: Friedensneurosen 270. 

| Loele: Naphtholreakt. "u. Ner- 

i venzelle 148 . 

Loewenstein, Otto: Krank- 
heitswert des hyster. Sym- 
ptomes 133 . 

Feigheit 325. 

Psychophys. Methoden in d. 
Psychiatric 338. 

Pathol. Furchtzust&nde 375. 

Loewy-Hattendorf: Krieg, Re¬ 
volution u. Unfallneuro8en 
312. 

Lombard: Hirneehinococcus 

211 . 

Lomer: Welt der Wahrtraume 
334. 

Lotsch: Plexusschadig. bei 
Klavikularfraktur 258. 

Lowenthal: Zirbeldriise 268. 

Lua: Alzheimersche Krankheit 
188. 

v. Lticken: Himodem nach 
Neosalvarsan 305. 

Luna: Kleinhimlokalisation 
217. 

Haass, W.: Trivalin 380. 

Mackay: Behandl. der spin. 
Kinderlahm. 235. 

Mackenzie: Kriegsneurosen323. 

Madlay: Mening. cerebrospin. 
166. 

Mammele: Sklerose der Stamm- 
gangl. 182. 


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CORNELL UNIVERSITY 



397 


Manson: Hered. spast. Para- 
plegie 327. 

Manteufel: Enceph. leth. 190. 

Marburg: Behandl. nichteitr. 
Entzund. des Zentral- 
nervensyst. 90. 

Reflexautomatismen des 
Riickenmarks 253. 

Marcus, H.: Influenza u. Ner- 
vensystem 203. 

Marcuse: Sexualpsychol. 333. 

Margulies: Dammerzust. 277. 

Assoziat. 333. 

Marie, P.: Subependym. Ne- 
krose 181. 

Enceph. leth. 198. 

Marineoco: Friedreich sche 
Krankheit 242. 

Hand-Kinnreflex 254. 

Markl: Syndrom der zentr. 
Ganglien 183. 

Marsh: Epil. 285. 

Marterstein: Dupuytrensche 
Kontraktur 257. 

Marx, E. J.: Korsakoff bei 
Hirnarteriosklerose 87. 

Maxwell: Labyrinth 219. 

v. Mayendorf: Zerebr. Herd- 
sympt. nach Fleckfieber 
188. 

Mayer, W.: Traumat. Pseudo- 
tabes 310. ' 

Mayor: Enceph. leth. 193. 

Meggendorfer: Dispos. zur 
Paralyse 361. 

Menninger: *Grippepsychosen 
357. 

Merk: Neurofibromatose 264. 

Meyer, Carl: Ruckenmarks- 
tumor in d. Schwanger- 
schaft 230. 

— Erich: Encephal.epidem. 67. 

Meyerhof: Mening. typhosal70. 

Mezei: Herpes zoster u. Arsen 
262. 

Mikulski: Natr. nuclein. 373. 

Mingazzini: Cystis arachn. ser. 
medullae 12. 

Wirbel- und Ruckenmarks- 
tumoreji 232. 

Heredo-Ataxie 242. 

Moczeik: Enceph. epid. nach 
Fleckfieber 195. 

Moewes: Enceph. leth. 202. 

Molineus: Blitzverletzungen 
308. 

Momburg: Dupuytrensche 
Kontr. 257. 

Monguzzi: Amyotr. Lateral- 
skier ose 236. 

Monrad-Krohn: Paralysebe- 
handl. 373. 

Montesano: Psychol, der Imbe- 
zillen 349. 

Moritz: Enceph. epid. 193. 


. Moses: Karotisunterbindung 
189. 

Moszeik: Veronalvc rgift. 293. 

Mott: Riickenmarkskrankh. 
226. 

| Dem. praec. 350. 

Mras: Goldsolreaktion 249. 

Goldsolreakt. bei sekund. 
Syph. 249. 

Muck: Seelische Ausschaltung 
des Gehor- und Schmerz- 
sinns 273. 

Muhlens: Paralysebehandl.386. 

Muller, H. A.: . Encephalo- 
myelomening. typhosa 170. 

Muller-Braunschweig: Psycho¬ 
analyse 335. 

Munro: Serumbehandl. der 
Mening. epidem. 168. 

Miinzer: Innersekret. Funkt. 
der Keimdriisen 265. 

Mast: (388). 

Nazari: Alcoholismus chron. 
297. 

Neri: Elektr. Untersuch. der 
Hautsensib. 161. 

Neumann, G.: Intralumbale 
Ther. 305. 

— (Naumburg): Massenpsy- 
chose 282. 

Neustaedter: Poliomyelitis 233. 

Newmark: Lumbalpunktion 
252. 

| Nicholson: Muskeltatigk. wah- 
rend Hypnose 162. 

Niekau: Myotonia atroph. 328. 

Niemann: Sexuelle Probl. im 
Kindesalter 275. 

Nienhold: Traum. refl. Pupil- 
lenstarre 310. 

Niessl v. Mayendorf: Zerebr. 
Herdsympt. nach Fleck¬ 
fieber 188. 

Noica: Tabische Ataxic 238. 

Nonne: Myelomerkr. der Wir- 
belsaule 2. (387). 

Enceph. leth. 390. 

Nordentoft: Rontgenbeh. des 
Basedow 268. 

Nordmann: Neuropath. FuB- 
geschwiir 259. 

Nourney: Unfallneurose 312. 

Nyary: Herpes zoster 263. 

Obersteiner: Ermordung im 
Delir. 376. 

j Oehmig: Enceph. epid. choreat. 

j 199. 

d’OeJsnitz: Kriegslahmungen 
320. 

Olih: Grippepsychosen 357. 

Olbert: Morphinomane 296. 

Oloff: Psychogene Stor. der 
auBer^n Augenmusk. 272. 

Osnato: Trauma u. Paral. 363. 


I JPaetsch: Meningitisepidemie 
I . 165. 

I Paoletti: Liquordruck u. Hirn- 
I blutung 187. 

Pari: SchweiBsekretionsstorung 
j nach Halsmarkverletz.316. 

Pastine: FuBklonus 255. 

Famil. period. Lahm. 327. 

Payr: Ventrikeldrainage bei 
Hydrocephalus 173. 

Insuffic. vertebrae 221. 

Trigeminusneuralgie 260. 

Peiser: Priifung hoherer Hirn- 
funktionen 333. 

Pesch: Kleinhirntumor 218. 

Pese: Enuresis 280. 

Petren: Neosalvarsan 305. 

Peyser: Zungenlahm. nach 
SchuBverl. 317. 

Pfeifer, R. A.: Gehim 176. 
j Pfister: Kriegsneurosen 321. 
j Pilcz: Pupillen bei epid. En- 
cepha}. 80. 

I Trional 289. 

Wandertrieb 376. . 

Uberwert. Idee 376. 

Verbrechernatur 376. 

Feigheit vor dem Feinde 376. 

Psychopath, minderw. Alko- 
holiker 377. 

Spez. Psych. 392. 

Plaut: Senkungsgeschwind. der 
Blutkorperchen 340. 

Wassermann-Reakt. bei Pa¬ 
ralyse 368. 

Poensgen: Mastixreaktion 248. 

Kolloidreaktion 248. 

Pogany: HirnabszeB 215. 

! Poliak: Epilepsie 284. 

Pollmann: Nirvanol 380. 

Pollock: NervenschuBverletz. 
319. 

Popper: Striare Sympt. bei 
Grippe-Encephal. 59. 
t v. d. Porten: Spondyl. deform. 
222 . 

Preleitner: SchuBverletz. der 

* periph. Nerven 318. 

Pribram: Thymusresekt. bei 
Basedow 268. 

Priesel: Hypophys. Zwerg- 
wuchs 267. 

Pussep: Chir. Beh. syphil. Ner- 
venaffekt. 306. 

: deQuervain: Unfallbegutach- 
tung 314. 

Radovici: Handkinnreflex254. 

Raecke: Psychiatr. Diagnostik 
335. 

Gerichtl. Psych. 374. 

Ther. der Geisteskrankh.378. 

Rahm: Commotio cerebri 309. 

Rafael: Perniz* Anamie 358. 


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398 


Read: Alkoholismus 298. 

Redlich, E.: Kornealreflex bei 
Hemiplegie 7. 

Epilepsiebehandlung 289. 

Redwood: Mult. Sklerose 236. 

Rehm: Gesichtsfeld bei man. - 
melanch. Kranken 366. 

Reiche: K euchhustenkram pf e 
175. 

Reichmann: Hirnschu 8 verl. 
316. 

Reimer: Tiefenreflex an der 
FuBsohle 255. 

Rein: Reform der Irrenfiirsorge 
347. 

Reinhold: Pupillen bei epid. 
Encephalitis 79. 

Reinicke: Balkenstich bei Epil. 
291. 

Reye: Nirvanol 293. 

Hypophys. Kachexie 390. 

Ribeton: Schmerzen nach Ge- 
nickverletz. 309. 

Riddoch: HalsmarkschuB 316. 

Ries: Rhythm. Hirnbewegung 
244. 

Ritter: Lipom der Meningen 
des Zervikalmarks 230. 

Ritterhaus: Heim transport von 
Geisteskranken im Kriege 
325. 

Hamburger Irrenfiirsorge 
347. 

Man.-depr. Irresein 352. 

Robert: Epilepsie 286. 

Robida: Psych, u. nerv. Stor. 
nach Influenza 35. 

Robinski: Knochen u. Gelenke 
bei Erkr. d. Zen trainer v. 
239. 

Roccavilla*. Xantochromie im 
Liquor 251. 

Verletz. der 4 letzten Hirn- 
nerven 317. 

Rodriguez: Intralumbale Ner- 
vensyphilisbehandl. 305. 

Roemheld: Traumat. Pseudo- 
tabes 100. 

Rogers: Hirn, Blutdruck u. 
Korpertemper. 159. 

Rohde: Luetische Mening. 169. 

Rollet: Riickenmarkstumor 
230. 

Rominger: Tuberk. Mening. im 
Kindesalter 170. 

Roncoroni: Kleinhirnlasion217. 

Rosenberger: Luminal 294. 

Rosenfeld, R.: Fraktur der 
Wirbelsaule 224. 

Rosenheck: Dyst. muse; de¬ 
form. 184. 

Rosenow: Optochin bei Pneu- 
mokokkenmening. 169. 

Roth: Tetania gravid. 270. 

— H.: Hypophysentumor4B66. 


Roth, W.: Pachymening. hae- 
morrh. 171. 

Rothfeld: Enceph. epid. 199. 

Stimhirn u. vestib. Reakt. 

220 . 

Rotky : Grippemeningitis 201. 

Roux: Seele 332. 

Rumpf: Neurosen nach Trauma 
u. Rechtsprechung 313. 

Runge: Pachymening. dorsalis 
226. * 

Saaler: Organther. der Neu- 
rosen 277. 

Sadger: Psychopath, sex. 265. 

Saiz: Diastematomyelie bei 
Paral. 364. 

Salomon, A.: Meningealblutung 
175. 

— R.: Hypnose vor Gericht 

377. 

Sandberg: Tab.Darmkrisen 241. 

Sarasin: Assoz. von ereth. 
Oligophrenen 350. 

Sargent: Riickenmarkstumor 
231. 

Schaeppi: Enceph. leth. 196. 

Schafer: Nerv. u. psych. Stor. 
bei Malaria 359. 

Schanz: Wirbelsaulen trauma 
225. 

Schauerte: Kleinhirngeschw 
218. 

Schenk, E.: Mening. ser. cir¬ 
cumscripta 227. 

— P.: Cystic, racemosus 211. 

Schilder: Pseudosklerose 182. 

Pseudoskier, im Praesenium 
182. 

Monokul. Polyopsie bei 
Hysterie 272. 

Halluzinationen 339. 

Melanch. 355. 

Schinz: FuBspur 317. 

Schlagenhaufer: Wirbelkorper- 
schwund 224. 

Schle inger, H.: Osteomyelitis 
der Wirbelsaule 222. 

Schlichtegroll: Nirvanolvergift 
293. 

Schloessmann: SchuBneuritis 
319. 

Schmidt, H.: Kausale Ther. 
der luet. Erkr. des Zen- 
tralnerv. 303. 

— (Crossen): Trivalin 380. 

Schmidt-Kraepelin: Juven. . 

Paralyse 366. 

Schmincke: Megalencephalie 
164. 

Schneider, C.: Zoanthropie 281. 

Schnyder: Spondyl. rhizomel 

222 . 

Schob: Hemichorea Haeh Scha- 
deltrauma 309. 


Schonbauer: Staphylokokken- 
vakzine bei Mening. 167. 

Schonfeld: Mastixreaktion 247. 

Sachs-Georgische Reakt. 250. 

Schott: Infektionskr. und 
Schwachsinn 349. 

Schrapf: Sympathicusstor. bei 
Riickenmarkserkr. 228. 

Schroder, P.: Man.-depr. Irre¬ 
sein 354. 

Paral. u. Entziind. 365. 

Schultheiss: Mening. ser. cerebr. 
172. 

Schultze, Ernst: Encephalo- 
Myelomalacie nach ge- 
werbl. Vergift. 295. 

— Fr.: Riickenmarkstumor 
231. 

Schuster, J.: Dispos. zur Tabes 
u. Paralyse 301. 

Atiol. der Paralyse 362. 

Schwab: Lahmungstypen 159. 

Schwalbach: Diathermie bei 
SchuBneuritis 319. 

Schwartz, L.: Patellarrefl. bej 
Psychoneurosen 282. 

Schwarz, E.: Osteomyel. der 
Wirbels. 222. 

de Schweinitz: Stauungspapille 

212 . 

Seelert: Riickbildung von 
Apraxie 209. 

Sellei: Silbersalvarsan 304. 

Sernau: Muskelsinnstorungen 
160. 

Shaw: Azidose 342. 

Sicard: Novarsenobenzol 304. 

Sick: Juven. Paral. 368. 

Sieben: Myelodysplasie 225. 

Infektios. der Poliomyel. 234. 

Salvarsan u. Paral. 372. 

Siebert: ftbertragb. Genick- 
starre 27. 

Infektionspsychosen 356. 

Kriminal. Geisteskr. 374. 

Siegmund: Enceph. epid. 190. 

Simmonds: Hypn. u. Psychose 
346. 

Simonelli: Grippepsychosen 
356. 

Simons: Neur. opt. nach Wut- 
schutzimpfung 383. 

Singer: Neurose 271. 

Sioli: Paralysebehandl. 373. 

Siwinski: Tabespsychosen 241. 

Sjobring: Verstimmungen 355. 

Sopp: Suggestion u. Hypn. 381. 

Sorrentino: Aphasie 207. 

Souques: Hyperalbum, im 
Liquor 251. 

Speer: Amylenhydratvergift 
293. 

Speidel: Encephal. nach Grippe 

202 . 


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399 


S picas, (i.: Hvpophysentumor 
169. 

— P.: Kyphoskol. nach Te¬ 

tanus 292. 

Spiller: Stauungspapille 212. 

Monoplegia spin, spast. 228. 
Spolverini: Hemiplegie u. Ma¬ 
laria 185. 

Sprenger: Spiroch. bei Para¬ 
lyse 363. 

Squier: Basedow, gebessert 
nach lokaler Infektion 268. 
Stahl: Hemiplegia cruciate 186. 
Stahle: Reflexablauf an der 
GroBzehe 256. 

v. Starck: Famil. amaurot. 
Idiotie 326. 

Stein, C.: Gehorgang bei Hirn- 
arterioskler. 189. 

Stekel: Krieg u. Impotenz 275. 

Depressionen 344. 

Stern, A.: Herpes zoster 262. 

— E.: Gleichformigk. des 

p3ych. Geschehens 330. 

— Felix: ,,Salbengesicht“ bei 

epid. Encephal. 64. 
Mastixreaktion 248. 
Kolloidreakt. 248. 
Wassermann bei pichtluet. 
Hirnerkr* 302. 

— Fritz: Psychiatr. Diagnostik 

336. 

Stern-Piper: Silbersalvarsan 
bei mult. Skier. 237. 
Sternberg: Zwergwuchs 267. 
Stertz: Mangelnde Selbst- 
wahrn. der eigenen Blind- 
heit 371. 

Stevenson: Radiumbeh. bei 
Nervenverletz. 320. 
Steyerthal: Hyst. u. Sexualitat 
278. 

Hypnose 382. 

Straus, E.: Morphinismus 296. 
Strauss, O.: Strahlenbehandl. 
381. 

Strumpell: Enceph. epid. 193. 
Neurasthenie 270. 

Lehrbuch 391. 

Stursberg: Syringomyelie 237. 
Sudeck: Epidem. Genickstarre 
165. 

Szigeti: Sinusthromb. bei 
Grippe 19b. 

Sz6rady: Grippe psychosen 357. 


Tanaka : Ammonssklerose 286. 
Taylor: Gurtelrose u. Wind- 
pocken 262. 


Thiele: Balkenstich bei Hydro- 
ceph. int. 173. 

Thomalla: Lehrfilm 348. ^ 

Thomas: Entbindungslahm. 
259. 

Tischner : Telepathie und Hell- 
sehen 334. 

Tobias: Behandl. der Schjaf- 
losigkeit 379. 

Tobler: Enceph. leth. 195. 

Topp: Testogan u. Thelvgan 
381. 

Tretiakoff: Friedreich sche 
Krankheit 242. 

Tupper: Faziale pontine Di- 
plegie 181. 


Uhlmann: Acetaminophenol 
allylather 380. 

Unger: Syringomyelie 237. 


Verrey-Westphal: Augen- 
sympt. bei Enc. leth. 197, 
Verzar: Reflexumkehr. durch 
Ermiidung 252. 
del Vigo: Enceph. leth. 191. 
* Vogt, C.: Hirnforschung 177. 
— O.: Hirnforschung 177. 

I Volpino: Enceph. epid. 191. 


l^agner, R.: Solitertuberkel 
des Ruckenmarks 230. 

Wallgren: Poliomyel. ac. oder 
akute Mening. 22. 

Meningit. oder Uramie 167. 

Froinsches Syndrom bei 
epidem. Genickstarre 167. 

Walshe: Aufsteig. Neuritis u. 
Reflexlahm. 310. 

Waterhouse: Blutserumbe- 

handl. bei Mening. 168. 

Wattenberg: Achtstundentag 
in Irrenanst. 347. 

Wechselmann: Thromb. der 
Vena magn. Gal. nach 
Salvarsan 306. 

Weddy-Poenicke: Berufsneu- 
rose eines Sangers 274. 

Weichbrodt: Rekurrensinfekt. 
bei Psychosen 346. 

Der Dichter Lenz 352. 

Weigeldt: Mening. serosa 172. 

Priapismus 276. 

Weil: Wassergehalt des Hirns 
159. 

Weingartner: Him bei Malaria 
163. 


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| Weisc: Spattod nach Schadel- 
verletz. 315. 

! Weissenfeld: Blutbefund bei 
j Krampfanfallen 140. 

Weisz: Paralyse behandl. 372. 

Wesemann: Juven. Paral. 368. 

Wetzel: Liquor bei Paral. 369. 

Wexberg: Ischias 260. 

Neuritis cruralis 261. 

Weygandt: Hamburger Irren- 
l fursorge 347. 

Paralysebehandlung 386. 

! Neur. u. Psych, in der bilden- 
den Kunst 390. 

| White: Abduzenslahm. 258. 

I Wieck: Unterbindung der Caro- 
j tis 189. 

, Wieland: Angeb. Hydrocepha- 
1 lus 173. 

j Encephal. bei Kindern 195. 

! Wiesner: Pathogenese der Grip- 
! pe 204. 

Williams: Explosions- Shock- 
zustande 312. 

Williamson: Tumor der Riicken - 
markshaute 229. 

Wilmanns: Zunahme geist. 
Stor. in Fruhjahr u. Som¬ 
mer 336. 

Wilmshofer: Homosexual, im 
Kriege 276. 

Wissmann: Unerlaubte Ent- 
fernung 324. 

Witt: Hirnabszefi 215. 

Woerner: Spondyl. deform. 

222 . 

Wohlwill: Path. Anat. des 
Nervensystems 163. 

Wolff, B.: Tetanie 268. 

Wright: Nachkriegsneurosen 
322. 

Zadek: Trauma des Nerven¬ 
systems u. perniz. Anamie 
308. 

Zak: Viszero-vasomotor. Zonen 
157. 

Zappert: Enuresis u. Myelo- 
dysplasie 225. 

Enuresis 279. 

Zeller: Nervenoperationen 318. 

Ziehen: Physiol. Psychol. 392. 

Zimmermann: Luminal 379. 

Zimmern: Silbersalvarsan 303. 

Ziveri: Dupuytrensche Kon- 
traktur 257. 

ZoUsohan: Fraktur der Wirbel- 
saule 224. 

Zondek: Sekretionsneurose des 
Sympath. 265. 


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CORNELL UNIVERSITY 




n. Sachregister 


Abderhalden scheReaktion 341. 
342. 

Abduzenslahmung 258. 
Abfuhrmittel 155. 

Abort, kunstl. 345. 
Acetaminophenolallylather j 
380 (2). 

Achtstundenarbeitstag 347. 
Acidose 342. 

Affektleben 168. 179. 
Agrammatismus 208. 
Akkommodation, tonische 93. 
Algolagnische Traume 279. | 

Alkoholismus, path. Anat. 297. 
— Psychopathol. 298. —. 
Psychosen 298. — Psycho¬ 
path. minderw. Alkohol. 377. 
Alzheimersche Krankhcit 188. 
Amaurose, hyster. 272. — 

durch Kohlenoxyd 295. 
Ammonshorn, Sklerose bei Epi- 
lepsic 286. 

Amylenhydrat, Vergift. 293. 
Anamie u. Liquor 245. 
Anatomie 156. — des Hirns 
176 (2). 

Anhalonium, exper. Vergift. 

384. ! 

Antitrypsingehalt des Serums , 

341. 

Aortitis bei Paralyse 366. 
Aperitol 155. 

Aphasie 206. 207. — bei otit. 
TemporalabszeB 208. — bei ' 
Typh. u. Infl. 208. 

Aphonic im Kriege 322. 
Apraxie 209. 

Arhincephalie 164. 

Arsen u. Herpes zoster 262. 
Arteria cerebelli post* inf., Ver- i 
schluB 218. ! 

Arteriosklerose des Gehirns u. 
Korsakoff 87. 

Aschnerreflex bei Kindern 254. j 
Assoziationsexperiment 333. — j 
bei Debilen 349. — bei ereth; 
Oligophrenen 350. 

Asthma bei Morphinisten 297. 
Ataxie 239. — bei Tabes 238. 
Athetose nach Schadeltrauma 
309. 


Atlasluxation 224. . 

Augenbewegungen 180 (2). — 
u. Tonus 238. 

Augenmuskelstorungen, psy- * 
chogene 272. — bei Kohlen- j 
oxydvergift. 295. 

Azeton im Liquor 251. 

Babinskischer Reflex 256. j 

Balkenstich 173 (2). — bei 
Epil. 291. 

Basedowsche Krankheit nach 
lokal. Infekt. gebessert268. — 
Geistesstor. 268. — Rontgen- 
beh. 268. — Thymusresekt. 
268. 

Bazillentrager in Irrenanstalt 
346. 

BeckenabszeB, Durchbruch in 
den Wirbelkanal 227. 

Berufsneurose eines Sangers 
274. , 

Blitzverletzungen 308. 

Blut, bei Nerven- u. Geisteskr. 
340. 341 (2). — bei Epilepsie 
140. — bei Tetanic 269 (2). 
— bei Syphilis des Zentral- 
nerv. 299. 

Blutdruek u. Hirnhemisphare 
159. — u. Hypnose 382. 

Brandstiftung 375. j 

Brom-Calciril 380. i 

Bromoderma 294. 

Brown-S^quard sche Lahmung 
316. 

Bulbar paralyse, und Kriegs- 
dienstbeschadig. 220. — 
Pseudobulbarparal. 221. 

Carotisunterbindung 189 (2). | 

Cauda equina 224. j 

Charakter, nervoser 335. — in- j 
divid. u. Psychose 337. 

Chorea u. Enceph. leth. 198 (2) | 
199 (3). — nach Schadel- , 
trauma 309. 

Christliche Wissenschaft 382. 

Corpus striatum u. Grippe-En¬ 
cephalitis 59. — u. Encephal. 
epidem. 64. 

Cruralisneuritis 261. 

Cysticercns des Gehirns 211 (2). 


Dammerzustand eines homo- » 
sex. Neurot. 277. 

Darmkrisen 241. 

Darmspasmus, nervoser 274. 
Degenerations psychosen 364. 
Delir, Ermordung 376. 
Dementia praecox 350 bis 352. 

— Exogene Fakt. 350. 

Demenz, posttraumat. 313. 
Depression 344. 

Dermatolog. Ratschlage 381. 
Desertion 376. 

Diabetes insip. bei Encepb. 
leth. 197. — bei Mening. ser. 
266. 

Diabetes* mellitus u. Psychose 
'360. 

Dialacetin 380 (2). 
Diastematomyelie bei Paral. 
364. 

Diathermic bei SchuBncuritis 
319. 

Diebstahl, symbol. 376. 
Dissoziation 283. 

Dupuytrensche Kontraktur 
256. 257 (3). 

Dyspraxia angioseler. brachii 
264. 

Dysthymie 355. 

Dystonia muse, defoim. 184. 

Echinococcus des Gehirns 211. 
— der Lendenwirbelsaule 
224. 

Elektrische Nervenreizung 318. 
319. 328. 

Elektrotherapie 161. 
Encephalitis u. Schwanger- 
schaft 195. — bei Kindern 
195. — u. Grippe 59. 191. 
193. 194. — Striare Sympt. 
59. — Behandlung 91. — 
lethargica 67. 190 bis 205. 
390. •— Bakteriologie 190. — 
Path. Anat. 190. 191 (3). 
195. — Atiologie 193 (3). — 
u. Grippe 191. 193. 194. 
200(2). 201 (2). 202(3). — 
u. # Schlafkrankh. 194. — 
nach Fleckfieber 195. — 
bei Kindern 195. 196. — 


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Original from 

CORNELL UNIVERSITY 



401 


Diagnose 196. — Symptome 
192. 193 (3). 194. — Augen- 
sympt. 79. 80. 196. 197 (2).— 
Pupillen 79. 80. 196. 197 (2). 
— Hor- u. Gleichgewichts- 
appar. 197. — ,,Salben- 

gesicht“ 64. — Polyurie 197. 
—- Hyperpyrese 197. — 

Riickenmark 192. — Liquor 
192. —• Myoklon. Form 197. 
198(2). 199. — Choreat. 

Form 198 (2). 199 (3). — 
Verlauf u. Prognose 46. —- 
Chron. Verlauf 202. — Be- 
handlung 205 (2). 

Encephalomalazie nach Schar- 
lach 188. — nach gewerb- 
licher Vergiftung 295. 

Encephalomyelitis u. Grippe 

200 . * 

Entartungsirresein 354. 

Entbindungslahmung 259. 

Enteritis u. Polyneuritis 261 

Enuresis 225 (3). 226 (2). 279. 
280. 323. 

Epilepsie 284 bis 292. — Wesen 
derselben 284. — Patho- 
genese 284. —- Psycholog. 
Theorie 285. — u. Ovarial- 
insuffizienz 285. — Ursachen 
u. Behandl. 286. — Path. 
Anat. 286. — Ammonshorn 
u. Lobus olfact. 286. — 
Kopfrontgenbild 286. — 

Kleinhirnprofil 286. — im 
Kindesalter 287. —■ u. Sy¬ 
philis 302. — Blutbefunde 
140. —• Epilept. Ausnahme- 
zustande 288. — u. Hirn- 
cysticercus 211. — u. Para- 
myoclon. mult. 287. — u. 
man.-depr. Irresein 352. — 
Behandlung 289. —• Natr. 
bibor. 289. — Trional , 89. 
— Luminal 290. —• Protein- 
korper 290. —• Rontgenbeh. 
291 (2). — Balkenstich 291. 
—• Exstirp. der Nebenniere 
292. 

Epiphyse 268. 

Emahrungssystem der nerv. 
Zentralorg. 157. 

Erysipel, nerv. u. psych. St or. 
358. 

Eukodalismus 294. 

Explosionsneurosen 312. 322. 

Fahnenflucht 324. 

Fahrlassigkeitsvergehen 374. 

Familiare amaurotische Idiotic 
326. 

Familiare Krankheiten 326 (2). 
327 (4). 328 (2). — Verer- 
bung erworb. Eigenschaften 
326. — Hered* spast. Para- 
XL. (Ergftc*ung»btnd.) 


plegie 327. —-Famil. period. 
Lahm. 327. — Famil. spin. 
Muskeladr. 327. 
Familienforschung am Zen trai¬ 
ner vensystem 109. 
Faradische Sensibilitat 161 (2). 
Fazialis, obere bei Hemiplegie 
7. — doppelseitige Lahm. 
181. —Kongenit. Lahm. 258. 

— bei Mittelohreiter. 258. 
Feigheit 325. 375. 376. 

Fieber, s. Warmezentrum. 

Film 348. 

Flecktyphus, Nervensyst. 163. 
— Zerebr. Herdsympt. 188. 

— u. Enceph. epid. 195. 
Flexionspara plegie 181. 
Foerstersche Operation 232. 
Forensische Psychiatrie 374 bis 

377. — HirnarterioskJ. 189. 

— im Krieg 324. 325. — 
Fahrlassigkeitsvergehen 374. 
— Querulat. Zustandsbilder 

375. —• Pathol. Furcht 375. 
— Brandstiftung 375. — 
Symbol. Diebstahle 376. 
Ermord. im Delir. 376. — 
Desertion 376. — Uberwert. 
Idee 376. —• Verbrechernatur* 

376. — Feigheit 325. 376. — 
Psychopath. Minderwert.376. 

377. — Gewohnheitsverbre- 
cher 377. — Hypnose vor 
Geiicht 377. 

Freudsche Lehre 335. 
Friedreichsche Krankheit' 

242 (2). 243. 

Froinsches Syndrom 167. 
Funktionelle Neurosen 220. 
270ff. — des Friedens 270. 

— i. J. 1920 271. — physio- 
gene 271. — Berufsneurose 
274.—-nasale Ref] exneurosen 
273. 

Furchtzustande 375. 
FuBgeschwiir, neuropath. 259. 
FuBkIonus 255. 

FuBspur 317. 

©ansersehes Syndrom 281. 
Gaumensegellahmung, funk¬ 
tionelle 273. 

Gehirn, s. Hirn. 

Gehororgan u. Hirnarterioskl. 

189. — bei Enceph. leth. 197. 
Gehorsinn, seelische Ausschal- 
tung desselben 273. 
Gelenkerkrankungen 239. 240. 
Gesichtsfeld bei man.-melancb. 

Kranken 356. 

Gesundbeten 382. 
Gewohnheitsverbrecher 377. 
Glandula thyreoidea bei Para- 
lsye 370. 


Goldsolreaktion 248 (3). 249 
(2). 250. 

Granatexplosionsneurose 273. 

Grippe, s. Influenza. 

Halluzinationen 339. — nach 
Vergift. mit Anhalon. Lewini 
384. 

Halsmark, Lipom der Meningen 
230. — Syphilit. Erkr. 237. 

Halswirbelsaule, Caries 223. — 
Dislokation 224. — Luxation 
224. 

Handlahmung, physiopathische 
283. 

Haut, Schutzfunktion 361. — 
Erkrank. bei nerv. Leiden 
381. 

Headsche Zone 157. 

Hellsehen 334. 

Hemiplegie u. Malaria 185. - 
Symptome 185. — gekreuzte 
186. — Kornealreflex und 
obere Fazialis 7. — glosso- 
laryngeale 258. — Kontrak- 
turen 186. — Liquor 187. 

Herpes zoster 262 (5). 263. — 
u. Arsen 262. — u. Varizellen 
262 (2). — Behandl. 381. 

Hinken, intermittierendes des 
Armes 264. 

Him, Anatomie 176 (2). 177. — 
Physiol. 176. 177 (2). — 

Entwicklungsgeschichte 176. 
177 (2). — Lokalis. psych. 
Funkt. 179. — Sexuelle Zen- 
tren 276. — Him eines 
Wunderkindes 179. — und 
Blutdruck 159. — u. Korper- 
temper. 159. 181. 182. — 
Wassergehalt 159. — und 
Rontgenstrahlen 163. — bei 
Malaria 163. — bei Fleck- 
typhus 163. — Rachitis 

185 — Rhythm. Hirnbeweg. 
244. —• Erweichung nach 
Scharlach 188. 

HirnabszeB 214. 215 (5). -— 
Liquor 215. — Respirations- 
lahm. 215. 

Hirnarteriosklerose u. Korsa¬ 
koff 87. — u. Gehororgan 
189. — Forens. Bedeut. 189. 

Hirnblutung, Liquor dabei 187 

Hirndruck, gesteigerter 187. 

Hirnerschutterung 308. 309. 

Hirnfunktionen, hohere 333. 

HirngefaBe, Thrombose nach 
Salvarsan 306. 

Hirngeschwulst, Lokalis. 212. 
— mit falschen Herdsympt. 
209. — oder Unfallshyst. 313. 
—- Pseudotumor 213. — 

Lumbalpunkt. 212. — Ope- 
26 


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Original from 

CORNELL UNiVERS!T7 







402 


ration 211. — Echinococcus 
211. — Cysticercus 211 (2). 
Hirnrinde, kortik. Erregungen 
157. 

Hirnsyphilis 302 (2). 306. — u. 
Unfall 309. — oder Paralyse 
362. 

Hodenimplantation 266. 
Homosexualitat 276. 277 (2). 
Hydrocephalus internus 172. 
173 (3). 

Hydrotherapie 379. 

Hypnose 381. 382. — Muskel- 
tatigk. wahr. derselben 162. 

— und Blutdruck 382. — bei 
hyster. Amaurose 272. — 
bei Psychosen 346. -- vor 
Gericht 377. 

Hypoglossuslahmung nach 
SchuB 317. 

Hypophyse 266. —- Geschwulst 
169. 266. — u. Diab. insip. 
266. — u. Syph. 390. — und 
Zwergwuchs 267 (2). 
Hysterie, Wesen derselben 283. 
320. 321.— Krankheitswert 
des hyster. Symptoms 133. 

— u. Instinkt 271. — und 

Sexualitat 278. — Lethargie 
135. — Reflexablauf 137. — 
Anisokorie 138. — Miosis 
138. — Vestibularhyst. 273. 
— Taubheit 135. — Mono- 
kul. Polyopsie 272. —• Amau¬ 
rose, Hemeralopie, Ambly- 
opie 272. — Zittern 136. — 
Kontraktion271. —- Gaumen- 
segellahm. 273. — Men- 

struationsstor. 279. 


Imbecillitas durch Frucht- 
schadig. durch Rontgenstr. 

348. —- u. Infektionskrankh. 

349. — Psychol. 349. — 
Assoziationsversuche 349. 

350. 

Impotenz u. Krieg 275. —- u. 
Rechtsprechung 276. — Be- 
handl. 277 (4). 

Infektionspsychosen 356 bis 
359. 

Influenza, psych, u. nerv. Stor. 
35. 356(2). 357(3). — u. 
Nervensystem 203. — Patho- 
genese 204. — Sinusthrom- 
bose 190. — Encephalitis 
191.193.194.200(2). 201 (2). 
202 (3). 203. — Encephalo¬ 
myelitis 200. — Meningitis 
201. —■ Lahmungen 202. — 
Neuritis 202. — Grammat. 
Sprachstor. 208. — Reflek- 
tor. Pupillenstarre 254. — 
Ermordung im Delir 376. 


Innere Sekretion 265. — u. 
Psychopathia sex. 265. —- 
der Pubertatsdriisen 265 (2). 
266. 

Insufficientia vertebrae 221 (2). 
225. 

Intelligenzpriifung 339. 

Intermittierendes Hinken des 
Armes 264. 

Intoxikationspsychose 294.360. f 

Irrenanstalt, Bazillentrager [ 
346. — Tuberkulose 346. — 
Achtstundenarbeitstag 347. 
— Aus der Anstalt Ent- 
lassene 348. 

Irrenfursorge 347. Ham¬ 
burger 347. 

Ischiadicusverletzung 317. j 

Ischias260. — Radiumbestrahl. j 
260.. 

! 

Jodoformpsychose 294. 

Kaninchensyphilis 247. j 

Karoti$unterbindung 189 (2). j 

Kataplexie 273. 

Katatonie 351. 352. 

jKeuchhustenkrampfe 175. — 
u. Spasmophilie 269. 

Kinder, Priifung der hoheren 
Hirnfunktionen 333. — 
Meningitis 166. 167. 172. — 
Sinusthrombosen 174. — 

Encephalitis 195. 196. — 
Kefrchhustenkrampfe 175. — 
Aschnerreflex 254. — 

Sexuelle Probleme 275. — 
Epil. 287. 

Kinderlahmung, zerebrale 
famil. 206. 

Kleinhirn 216. 217(2). — 

Lokalisation 217 (2). — Ge¬ 
schwulst 218 (2). — Lasion 
mit amyotroph. Lateral- 
sklerose 236. — Verschl, der 
A. cerebell. post. inf. 218. 

Kleinhirnprofil bei Epil. 286. 

Klimakterium 265. 380. 

Knochenerkrankungen 239. 

240. 

Kohlenoxydvergiftung 295. 

Kohnstammsches Phanomen 
30. 

Kolloidreaktionen 248. 

Kontraktion, hyster. 271. 

Kontraktur, Dupuytrensche 
256. 257 (3). — Kriegs- 

kontrakturen 320. 

Konvergenzbeweg., ton. der 
Pupille 93. 

Kopfschmerz, Behandl. 260. 

Kornealreflex bei Hemiplegie 7. 

Kor per tern peratur u. Hirn- 
hemisphare 159. 


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Gck 'gle 


Korsakoff sche Psychose bei 
Hirnarterioskl. 87. 

Kortikale Erregungen 157. 
Krieg 314 bis 326. — Bulbar- 
paralyse u. Kriegsdienst- 
beschad. 220. — u. Impo¬ 
tenz 275. — u. Homosexual. 
276. — Kriegsbeschadigten- 
fursorge 326. — Rentenfest- 
stellung 326. — Hirn- 

verletzungen 315 (3). — 
Liquor u. Med. obi. 315. — 
posttraum. Demenz 313. — 
Spattod 315. — Rticken- 
marks verletzungen 316 
(4). —- u. SchweiBsekr. 316. 
— u. Quadriplegie 316. — 
u. Myos. ossif. 316. — Ver- 
letz. der periph. Nerven 

317 (3). — SchuBneuritis 

319 (2). — Gliederschwund 

320. — Verl. der 4 letzten 
Hirnnerven 317. — Zungen- 
lahm. 317. — Ischiadicus- 
verl. 317. — Behandlung 

318 (3). — Radium 320. — 

Elektr. Nervenreiz. bei der 
Oper. 318. — Nervenregener. 
319. — Neurosen 312. 

320 (3). 321 (2). 322 (2). 
323 (2). — Hysterie 320. 

321. —* Aphonie 322. — 
psychogene Augenmuskel- 
stor. 272. — Harnblasen- 
stor. 323. — Explosions- 

I neurosen 312. 322. — Nach- 
kriegsneurosen 322. — Beh. 
derKriegshyst. 284. — Psy¬ 
chosen 314. 323 (2). — 
Paralyse 362. — Krieg u. 
Irrenanstalten 346. 347. — 
Psychiatr. Krankenbeweg. 
323. — Simulation 323. — 
Heim transport von Geistes- 
kranken 325. — Forens. 

Psych. 324. 376. — Un- 
erlaubte Entfern. 324. •— 
Feigheit 325. 

Kultur u. Paralyse 360. 

Kunst, bildende 390. 

labyrinth u. Explosionsneu- 
rose 322. 

Lagewahrnehmungsstorungen 

239. 

Lahmungstypen 159. 

Landry sche Paralyse 263. 
Lateralsklerose, amyotroph. 
236. 

Lehrbuch, Strum pell sches 391. 

—- von Pflcz 392. 

Lehrfilm 348. 

Lenz, der Dichter 352. 

Liquor cerebroapinalis 243 bis 
252. — Funktionsprhfung 


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403 


252. — Zirkulation 244. — 
bei Nervengesunden 244. - 
u. Hirnblutung 187. — 
Drucksteigerung 187. 243. - 
Stauungssyndrom 223. 
bei Schadelschussen 315. - 
bei Enceph. leth. 192. 
bei HirnabszeB 215. — bei 
Paralyse 368. 369 (2). — 
bei Polycythamie 243. — 
bei Anamie 245. — bei 

latenter Lues 245. — bei 
Syphilis 246. 247 (2). 299. 
300. — Spirochaten 247. — 
Mastixreaktion 247. 248. — 
Goldsolreaktion 248 (3). 
249 (2). 250. — Kolloid- 
reaktionen 248’ (3). — Sachs - 
Georgische Reakt. 250. — 
Sublimatreakt. 251. — Hy¬ 
peralbumin. 251. — Xanto- 
chromie u. Gerinnung 251. 
— Azeton 251. 

Li viand, Psychosen 336. 

Lobus olfactor., Fehlen bei 
Epil. 286. 

Lue£ spinalis 237. 

Lumbalanasthesie 252. 

Lumbalpunktion 252. — bei 
Stauungspapille 212. 

Luminal 379. — bei Epil. 290. 
— Vergift. 298. 294. 

Lyssa 295. 383. 


Mai perforant 259. 

Malaria, Hirnverander. 163. — 
Hemiplegie 185. — Psych. 
Stor. 358. 359. 

Manisch-depressives Irresein 
337. 352 bis 356. — u. Epil. 
352. — u. Paranoia 353. — 
Symptom. 354. — Dysthymie 

355. — Verstimmung 355. 

356. — Gesichtsfeld 356. 
Massage 161. 

Massenpsycho^e 282. 
Mastixreaktion 247. 248. 
Medianuslahmung 311. 

Medulla oblong, bei Schadel¬ 
schussen 315. 

Megalencephalie 164. 
Melancholic 355. 
Meningealblutung 175. 
Meningen 244. — bei Fleck- 
typhus 163. 

Meningitis 164 bis 175. — 
Diagnose 164. — acuta oder 
Poliomyel. ac. 22. — cere- 
brospin. 27. 165 (2). 166. — 
Froinsches Syndrom 167. — 
bei Kindern 166. 167. — oder 
Uramie 167. — u. Grippe 
201. — u. Keilbeinhohlen- 
empyem 167. —- u. Iteuch- 


husten 175. — Behandlung 
167. 168 (3). 169 (4). — 

cerebr. serosa 172 (3). — 
u. Diab. insip. 266.— spina¬ 
lis serosa 12. 227 (2). — I 
syphilitica 169. — tuber¬ 
culosa 170 (2). — typhosa 
170(2). — nach Bazillen- 
ruhr 170. — Cysticerken- 
meningitis 211. 

Meningoencephalismus 174. 

Menstruationsstor. 279. — bei 
Epil. 285. 

Mescalvergiftung 384. 

Metalues 298. 

Methylalkoholvergiftung 295. 

Mikrocephalie 348. 

Monoplegia spin, spast. 228. 

Morphinismus 296 (4). 297 (4). 
— u. Asthma 297. — u. 
Scheintod 297. — Simu¬ 
lation 297. —- Veronal bei 
Morphiumentziehung 297. — 
Trivalin bei Morphiumentz. 
380 (2). 

Multiple Sklerose, s. Sklerose, 
multiple. 

Musikalisches Talent 179. 

Muskelatrophie, progr. nach 
Poliomyel. 234. — Famil. 
spinale 327. — Typus Char¬ 
cot-Marie 235. — u. Syph. 
303. 

Muskelsinn 160. -— Stbrungen 
desselben 160. 

Myatonie 327. 

Myelitis nachBlasenentziindung 
228. — nach Arsphenanim 
228. 

Myelodysplasie 225 (3). 226 (2). 

Myelogenese 176. 

Myelom der Wirbelsaule 2. 

Myoklonie u. Enceph. leth. 197. 
198(2). 199. 

Myopathie u. Myotonic 328. 

Myositis ossificans nach 
Ruckenmarksverletz. 316. 

Myotonie 327. 328 (3). — 

atrophische 328 (2). 


Jfaphtholreaktion u. Nerven- 
zelle 148. 

Natr. nuclein. 373. 

Nebenniere, Exstirp. bei 
Krampfen 292. 

Nervenlahmung 257. — Abdu- 
zenslahm. 258. — Fazialis- 
lahm. 181. 258 (2). — 

Plexuslahm. 258. 259. — 
Handkonfiguration 259. — 
Radialislahm. 259. 311. — 
Medianuslahm. 311. — U1- 
narislahm. 311. 

Nervenregeneration 319. 


Nervenzelle u. Naphtholreak- 
tion 148. 

Neuralgie 259 u. 260. 

Neurasthenie 270. 

1 Neuritis cruralis 261. *— des 
motor. Trigeminus 261. — 
optica nach Wutschutzimpf. 
383. — aufsteigende 310. — 
SchuBneuritis 319 (2). 

Neuritis multiplex und Grippe 
203. — u. Syph. 261. — u. 
Enteritis 261. 

Neurofibromatose 264. 

Neurogliafarbung 156. 

Neurologie in der bildenden 
Kunst 390. 

Neuropathica acustica 322. 

Neurose, nasale Reflexneurose 
273 (2). — Berufsneurose 
274. — u. Unfall s. unter 
Trauma. 

Neurotische Muskelatrophie 
235. • 

Nirvanol 379 (2). 380 (2). — 
Vergift. 293 (3). 

Nonne, zum 60. Geburtstag392. 

Novarsenobenzol 304. 

Nucleus lenticularis, Wilson- 
sche Krankheit 81. 

Nukleinsaures Natr. 373. 

Nystagmus 220. 

Oculokardialer Reflex 254. 

Oculomotoriuslahmung in d. 
Schwangerschaft 181. 

Opium, Vergift. 294. 

Ovobrol 380. 

Pachymeningitis haemorrhag. 
171 (2). — spinalis 226 (2). 

Paralysis progressiva 360 bis 
373. — oder Hirnsyph. 362. 
— Haufigkeit 106. — und 
Kultur 360. — Disposition 
301. 361. — Entsteh. 361. — 
Atiol. 362. — u. Krieg 362. — 
Spirochaten 362. 363 (3). ■— 
Trauma 363. — Thyreoidea 
370. — Prodromalsympt.371. 
— atypische 371. — man- 
gelnde Selbstwahrn. der eig. 
Blindheit 371. — Aortitis366. 
— Juvenile Par. 366. 367. 
368 (2). — 4 Reakt. 368. — 
Wassermann 368 (2). 369 (3). 
— Liquor 369 (2). — Path. 
Anat. 302. — Diastemato- 
myelie 364. — u. Entzun- 
dung 365. — Stationare 365. 
— Verlauf 365. 387. — Be¬ 
handlung 386 u. ff. — 
Proteinkorper 290. — Re- 
kurrensinj. 386. — Salvarsan 
372 (2). 373 (2). 386. 389. — 
Sulfoxylat 373. — Natr. 

26 * 


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404 


nuclein. 373. — Chirurg. Beh. 
373. 

Paramyoclonus mult, mit Epil. 
287. 

Paranoia u. man.-depr. Irresein 
353. 

Patellarreflexe bei Psychoneu- 
rosen 282. 

Pathologische Anatomie 163 u. 
164. 

Periodiscbe Lahmung 327. 

Periphere Nerven 257. — 

Handkonfiguration bei peri- 
pher. Lahm. 259. 

Perniziose Anamie u. Riicken- 
mark 229. — u. mult. Skle- 
rose 236. — u. Trauma des 
Nervensyst. 308. — u. psych. 
Stor. 358. 

Physiologie 157 bis 163. — 
des Hirns 176. — Er- 

nahrungssystem der nerv. 
Zentralorg. 157. 

Physiopathische Storungen 
283 (2). 

Plexus brachialis bei Klavi- 
kuiarfrakt. 258. — Ent- 

bindungslahm. 259. 

Plexus choroidei, Permeabil. 
159. 

Poliomyelitis 233. 234 (3). — 
syphilitische 303. — fami- 
liare 327. — oder akute Me¬ 
ningitis 22. — Behandlung 
235. 

Polycythamie 243. 

Polyurie bei Enceph. leth. 197. 

Pons, Lasion 181. 

Poriomanie 376 

Presbyophrenie 182. 188. 

Priapismus 276. 

Proteinkorper 290* 

Pruritus 381. 

Pseudoappenaicitis 274. 

Pseudobulbarparalyse 221. 

Pseud osklerose 182 (2). — 
traumat. Atiol. 183. 

Pseudotabes, traumat. 100.310. 

Pseudoturuor cerebri 213. 

PsoasabszeB 227. 

Psychiatrie u. Denkpsychologie 
329. — Psychophys. Meth. 
338. — in d. bildenden Kunst 
390. 

Psychoanalyse, s. Freud sche 
Lehre. 

Psychologie 328 bis 335. — 
physiolog. 392. - Tier- 

psychologie 113. — Welt¬ 
anschauung u. Politik 328. 
— Denkpsychol. 329. — der 
Wilsonschen Krankheit 81. 
—• des Vorbeiredens 281. — 
der Epil. 285. — der Im- 
bezillen 349. — Gleichfor- 


migk. des psychischen Ge- 
schehens 330. — Kritik des 
UnbewuBten 331. 332 (2). — 
Seele 332 (2). — Wille 334. 
— Sexualpsychol. 333. — 
Assoziat. 333. — Hirnfunk- 
tionspruf. 333. nerv. 

Charaktei 335. 

Psychoneurosen 281. — va.vo- 
motoi. 282. — Gesteig. Pa- 
tellarrefl. 282. — Behandl. 
284. 

Psychopathia sexnalis 265. 

Psychopathische Konstitution 
342. 376. 377. — bei Kriegs- 
neurosen 320. 

Psychophysische Methoden338. 

Psychosen, Ursachen 335. — 
Diagnostik 335. 336. — u. 
indiv. Charakter 337. — 

Massenpsychose 282. — u. 
Krieg s. unter Krieg. — im 
Ruckbildungsalter 342. — 
in Livland 336. — Zunahme 
in Friihjahr u. Sommer 336. 
— Symptomatische 337. — 
Zitratblut 340. — Blut 341 
(2). 369. — nach Influenza 35. 
356 (2). 357 (3). — nach 

Erysipel 358. — bei pern. 
Anamie 358. — Acidose 342. 
— bei Malaria 358. 359. — 
bei Tabes 241 (2). 242. —- 
bei Basedow 268. — durch 
Jodoform 294. — nach Wut- 
schutzimpfung 295. 383. — 
bei Alkoholismus 298 (2). — 
bei Diabetes 360. — Wellen- 
formiger Verlauf 338. — 

Simulation 323. 345. — Re- 
kurrensinfekt. 346. — Natr. 
nuclein 373. — Hypnose346. 

Pupillen, tonische Konvergenz- 
beweg. 93. — springende bei 
Veronalvergift. 293. — bei 
epidem. Encephal. 79. 80. 
196. 197 (2). 

Pupillenstarre, reflektor. bei 
Grippe 254. — bei Methyl- 
alkoholvergift. 295. — nach 
Trauma 100. 310 (2). 


QuerulatorischeZiistandsbilder 

375. 

Quinckesches Odem, Behandl. 
381. 


Rachitis, zerebr. 185. 
Radialislahmung 259. 311. 
Radialisphanomen 269. 
Radiumbestrahlung 260. — bei 
Nervenschussen 320. 


Ramon y Cajalsche Farbung 
156. 

Rccklinghausensche Krankheit 
264. 

Reflexe 252 bis 256. — Zen- 
trum 183. — bei Hysteric 
137. — Reflexumkehr 252. 
— Paradoxe Reflexe 252. 
— Kratzreflex 253. — Re- 
flexautomatismen 253. — 

Oculokardialer Reflex 254. 
— Hand-Kinnreflex 254. — 
Tiefenreflex an d. FuBsohle 
255. — Reflexablauf an der 
Grofizehe 256. — Babinski- 
reflex 256. 

Reflexkontraktion 186. 
Reflexlahmurig 310. 
Reflexneurosen, nasale 273 (2). 
Rekurrensinfektionen bei Psy¬ 
chosen 346. 

Rontgenbild bei Epil. 286. 
Rontgenstrahlen 381. — u. 
Hirn 163. — bei Basedow 
268. — bei Epil. 291 (2). — 
u. Fruchtschad. 348. . 
Riickenmark, Reflexautomatis- 
men 253. — bei Enceph. 
leth. 192. — DurchreiBung 
233. — Verdoppelung 233. 
Ruckenmarkserkrankungen 226 
u. ff. — Monopleg. spast. 
spin. 228. — u. Sympathicus 

228. — u. perniz. Anamie 

229. — u. ererbte Syph. 303. 
Ruckenmarksgeschwulst 12. 

229. 230 (5). 231 (2). - 
Cystis arachn. ser. 12. — 
Solitartuberkel 230. — An- 
giom 230. — Gliom 231. — 
Operation 232 (2). 
Ruekenmarkshaute 226 (2). — 
Geschwulst 229. 230 (2). 
Ruckenmarkssyphilis 237. 307. 


Sachs-Georgi sche Ausflok- 

kungsreaktion 250. 

Salbengesicht 64. 

Salmon-Kohnstammsche Pha- 
nomen 30. 

Salvarsan, s. unter Syphilis. 

Scharlach, Erweichungsherde 
im Hirn 188. 

Schilddriise bei Paral. 370. 

Schlaf krankheit u. Enceph. 
leth. 194. 

Schlafmittel 378 bis 380. 
Hydrother. 379. 

Schmerzen, Durchschneid. der 
Vorderseitenstrange 232. — 
nach Nackenverletz. 309. 

Schmerzsinn, seelische Aus- 
schalt. desselben 273. 

Schreck 158. 


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405 


Schwangcrschaft, Oculomoto- 
riuslahm. 181. — u. Ence¬ 
phalitis 195. — u. Rticken- 
markstumor 230. — u. 

Tetanic 270. — Kiinstl. 

Unterbrech. 345. 
SchweiBsekretionsstor. bci 
Ruckenmarksverl. 310. — 

Behandl. d. Hyperidr. 381. 
Seele 332 (2). 

Sehnenreflexe u. Gelenkstel- 
lung 252. 

Selbstmord 376. 

Sensibilitat, faradische 161 (2). 
Serodiagnostik 299. .301. 340. 
341 (2). 342 (2). — bei nicht- 
luet. Hirnerkr. 302. — bei 
Paralyse 368. 369 (2). 
Sexualitat im Kindesalter 275. 

— des Weibes 333. — im 
Kriege 275. 

Sexuelle Hirnzentr. 276. — u. 
Hysterie 278. 

Sexuelle Psychopathic 265. 
Silbersalvarsan 303. 304 (2). 

373. — bei mult. Sklerose 
237. 

Simulation 345. — von Mor- 
phiumsucht 297. — von 

Geistesstor. im Kriege 323. 
Sinus thrombose 174. — bei 
Grippe 190. 

Sklerose, multiple. Atiologie u. 
Pathogenese 236. — Spiro- 
chaten 236. — u. perniz. 
Anamie 236.—familiare 236. 
— Behandlung 90. — Silber^. 
salvarsanbehandl. 237. 
Spasmen, Foerstersche Oper. 
232. 

Spasmophilie u. Keuchhusten- 
krampfe 269. 

Spina bifida 225 (3). 226 (2). 
Spinale Monoplegie 228. 
Spirochaten, bei mult. Skier. 
236. — bei Tabes 238. — im 
Liquor 247. — bei Paralyse 
.362. 363 (3). 

Spondylitis deformans 221. 
222 (3). 

Spondylosis rhizomelica 222. 
Stammganglien 183. — Sklerose 
182. 

Staph ylokokkenbehand lung 91. 
Stauungspapille, Lumbalpunk- 
tion 212. 

Stirnhirn u. Zeigeversuch 219. 

— u. Nystagmus 220. 
Strychnin 378. 

SubduralabszeB, Liquor dabei 
215. 

Subependymare Nekrose 181. 
Sublimatreaktion 251. 
Suggestion 381. — bei neurot. 
Menstruationsstor. 279. 


Suizid 376. 

Sulfoxylat 304. 373. I 

Sympathicus, Sekretionsneu- l 
rose 265. — bei Riicken- | 
markserkr. 228. — Tonus 265. j 

Symptomatische Psychosen 
337. 

Syphilis 298 bis 307. — Nach- 
kommen Syphilitiker 299. — 
Blut u. Liquor 299. — Li- 
quorkontrolle 300. — Liquor 
245. 246. 247 (2). ^99. 300. — 
Hirnsyph. 302 (2). 306. — 
Spinalerkr. bei kongen. Lues 
303. — u. Hypophyse 390. — 
u. Meningitis 169. — u. Poly¬ 
neuritis 261. — u. Poliomyel. 
303. — u. Tabesdispos. 301. 
— nichtparaly4. Geistes¬ 
stor. 302. — u. Epil.-Tetanic 
302. — Behandlung 303. 
— Salvarsan 304. 305 (3). 
306. 372 (2). 373 (2). — 

Si lbersalvarsan 303. 304(2). 
— Sulfoxylat 304. — Chi- 
rurg. Behandl. 306. — Intra- 
lumb. Beh. 305 (2). 389. 

Syringomyelic 237 (3). — oder 
Halsmarksyphilis 237. — 

Knochen- u. Gelenkerkr. 239. 


Tabes 238. — Disposition 301. 
— Tonuszustand der Augen- 
muskeln 238. — mit besond. 
Beteilig. des Trigeminus u. 
Hypoglossus 238. — Ataxie 
238. — Pseudo-Athetose 238. 
— Knochen- und Gelenk- 
erkrankungen 239. 240. — 1 
Gastrische Krisen 240. — 
Darmkrisen 241. — trauma- 
tische Pseudotabes 100. 310. 
— Psychische Stor. 241 (2). 
242. 

Tabesparalyse 371. 

Tapiasches Syndrom 258. 
Taubheit, hyster. 135. 
Taubstummheit u. Friedreich- 
sche Krankheit 243. 
Telepathie 334. 

Testogan 277 (4). 381. 

Tetanie, Alterstermin 268.— u. 
Syph. 302. — Blut 269 (2). — 
u. Keuchhusten 269. — u. 
Schwangcrschaft &70. — 

Radialisphanomen 269. — 

Ultraviolettlicht 269. 
Tetanus, Wirbelsaule dabei 
292 (2). — Behandl. 292. 
Tetrachlorathanvergiftung 295. 
Thalamus 182. 

Thelygan 277(4). 381. 


Therapie 377 bis 382. — der 
Schlafstor. 378 bis 380. — 
Hydrother. 379. — Derma- 
tolog. Ratschlage 381. — 
Gesundbeten 382. — der 
Geisteskrankh. 378. 

Ticrpsychologie 113. 

Tierstimmenimitation 281. 

Tollwutimpfung 295. 383. 

Tonus der Augenmuskeln 238. 

Traum, algolagnischer 279. — 
Wahrtraume 334. — der 
Melancholiker 355. 

Trauma 308 bis 314. — u. 
perniz. Anamie 308. — Hirn- 
erschiitterung 308. 309. — 
Blitzverletz. 308. — Explo¬ 
sion 312, — Nackenverletz. 
u. Schmerzanfalle 309. — 
Pseudosklerose 183. — Hemi- 
chorea u. Hemiathetose 309. 
— Hirnsyph. 309. — Pseudo- 
tabes 100. 310. — Reflektor. 
Pupillenstarre 310. — Para¬ 
lyse 363. — Pachymening. 
spin. 226. — Aufsteig. Neu¬ 
ritis 310. — Reflexlahm. 310. 
— Medianuslahm. 311. — 
Ulnarislahm. 311. — Ra- 
dialislahm. 311. — Neurosen 
312 (2). 313 (4). — u. Krieg 
312. — Posttraumat. De- 
menz 313. — Unfallbegut- 
achtung 308. 313. 314 (2). 

Trigeminus, Neuritis des mo- 
torischen 261. 

Trigeminusneuralgie 259. 260 
(2). — Radiumbestrahl. 260. 

Trional 289. 

Trivalin 380 (2). 

Tube r kulose in Irrenanst. 346. 

. Typhus, Sprachstorungen 208. 

Typhus exanthemat., Nerven- 
system 163. — Zerebr. Herd- 
sympt. 188. — u. Enceph. 
epid. 195. 

fjberwertigc Idee 342. 376. 

Ulnarislahmung 311. 

Ultraviolettlicht bei Tetanie 
269. 

Umbahnung nervoser Impulse 
159. 

. UnbewuBtes 331. 332 (2). 

Unerlaubte Entfernung 324. 

Urticaria 381. 


Varizellen u. Herpes zoster 
262 (2). 

Vasomotorieche Psychoneurose 
282. 

Ventrikulographie 212. 
Verbrechernatur 376. 377. 


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406 


Vererbung erworb. Eigen- 
schaften 326. 

Vergiftungen 293 bis 298. — 
Veronal 293 (2). — Nirvanol 
293 (3). — Amylenhydrat 

293. — Luminal 293. 294. — 
Opium 294. — Eukodal 294. 
— Brom 294. — Jodoform 

294. — Methylalkohol 295. — 
Kohlenoxyd 295. — Tetra- 
chlorathan 295. — Morphium 
296 (4). 297 (4). — Alkohol 
297. 298 (2). — Anhalonium 

' Lewini 384. 

Veronal, bei Morphiumentzieh. 

297. — Vergiftung 293 (2). 
Verstimmungen 355. 376. 
Vestibularapparat 218. 219. — 
bei Enceph. leth. 197. 
Vestibularhysterie 273. 


Vis zero-vasomotor. Zonen 157. 
Vorbeireden 281. 

Vorbeizeigen 219(2). 
Vorderseitenstrange, Durch- 
schneidung 232. 

Vuzin 169. 


Wahn 342. 

Wahrtraume 334. 

Wandertrieb 376. 
Warmezentrum 159. 181. 182. 
197. 

Wassermannsche Reaktion, s. 

Serodiagnostik. 

Wille 334. 

Wilsonsche Krankheit, s. unter 
Nucleus lenticularis. 
Wirbelsaula., Myelom 2. — In- 
| suffic. vert. 221 (2). 225. — 


Osteomyelitis 222 (2). — 

Spondylitis 222 (4). — Caries 
223 (3). — Wirbelkorper- 

schwund 224. — Echino¬ 
coccus 224. — Geschwulst 
232. — Dislokation 224. — 
Fraktur 224. — Luxation 
224. — bei Tetanus 292 (2). 

Wunderkind, Gehirn desselben 
179. 

Wundt 386. 

Wutschutzimpfung 295. 383. 

X antochromie des Liquor 251. 

Ze ^ersuch 219 (2). 220(2). 

Zittern 274. — hyster. 136. 

Zoanthropie 281. 

Zurechnungsfahigkeit 376. 377. 

Zwergwuchs 267 (2). 


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Diesem Heft ist das Verzeichnis „Die Mcdizinischen Erscheinungen des Jahres 1920 f 
der Verlagsbuchhandlungen Julius Springer in Berlin und J. F. Bergmann in Miinchen“ 

beigcfiigt. 

Metzger & Wifctig in Leipzig. 

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