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Full text of "Neurologisches Centralblatt 21.1902"

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NEUROLOGISCHES 

CENTRALBLATT 

- II t i M 

ÜBERSICHT 


LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATOMIE, 
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN¬ 
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN. 

HERAUSGEGEBEN * 

TON 

Dr. E. MENDEL, 

PB0FB8S0B AN DBB DNITBBSITÄT BBBL1N. 


EINUNDZWANZIGSTER JAHRGANG. 

MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT. 



LEIPZIG, 

VERLAG VON VEIT & COMP. 
1902. 


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Druck von Metxger 4 Wittlg ln Idp«!^ 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

HemuBgegeben ron 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithfilfe Ton Dr. Kurt Meixfcl) 

Binidiwanxigrter " B * Tl,n ‘ Jahrgang. 









2 


III. Bibliographie. Dipsomanie. Eine klinische Stndie von R. fiaupp. 

IV. Ans den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrank¬ 
heiten. — Gesellschaft der Neurologen and Irrenärzte zu Moskau. — Socidtd de nenrologie 
de Paris. 

V. Verwischtes. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Zur Lehre von den initialen Erscheinungen der 

Paranoia. 

Bemerkungen von Prof. A. Piok. 

In einer eben erschienenen, glänzenden Arbeit, die ich in vielen Beziehungen 
als grundlegend auch für psychiatrische Fragen erachte und der ich deshalb 
weitgehendste Verbreitung wünschen würde, berichtet Hrad auch über Er¬ 
scheinungen, die eine wichtige Unterstützung für eine kürzlich aus meiner Klinik 
hervorgegangene Arbeit darstellen; die Stellung jedoch, die Head seinen Be¬ 
obachtungen zuweist, veranlasst mich, seinen diesbezüglichen Anschauungen ent¬ 
gegenzutreten. Trotzdem ich nun der Ansicht bin, dass auch die Mehrzahl der 
psychiatrischen Fachoollegen diesen Standpunkt mit mir theilen wird, glaube 
ich doch mit der Darlegung desselben hervortreten zu sollen, und zwar gerade 
wegen der Bedeutung, die ich der Arbeit Head’s im Uebrigen zuerkenne, und 
wegen des Lichtes, das mir nach erfolgter Correctur seines Standpunktes in der 
zu discutirenden Frage auf jenes Thema zu fallen scheint Da es sich bei der 
Darlegung meines gegenteiligen Standpunktes nicht um neue Thatsachen 
handelt, vermeide ich es auch, etwa neue Beobachtungen beizubringen, vielmehr 
wird es genügen, wenn ich das Material für die Discussion der Litteratur ent¬ 
nehme, bezw. die betreffenden Thatsachen resümirend wiedergebe. 

In der „Certain mental changes that accompany visceral diseases“ betitelten 
Arbeit 1 berichtet Hrad über das an Kranken mit visceralen Affectionen zu be¬ 
obachtende Auftreten eines „ill-formed state of suspicion“, der nach seiner Dar¬ 
stellung etwa dem entspricht, das wir im Deutschen neuerdings als „Eigen¬ 
beziehung“ oder „Beziehungswahn“ bezeichnen; sie bilden sich ein, dass ihre 
Freunde sich ihrer gern entledigen möchten, oder von ihnen reden, oder dass 
die Pflegerinnen ihnen Uebel wollen, dass ihre Umgebung niedrig von ihnen 
denkt, sie nioht für so schwer krank hält, wie sie es wirklich sind. 

Daran knüpft nun Head (S. 383) die Ansicht, dass diese Erscheinung sich 
in fundamentaler Weise von der gleichen Erscheinung bei Geisteskranken unter¬ 
scheidet. (Es ist vielleicht nicht überflüssig zu betonen, dass Head bei der 
Auswahl seiner Beobachtungen jeden geisteskrank Gewesenen oder Nervenkranken, 
ja selbst jeden irgendwie hereditär Disponirten streng davon ausgeschlossen hat.) 


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1 Brnin. XCV. 8 . 882 ff. 



Die Gründe, die er dafür anführt, lassen sich etwa folgendermaassen wieder¬ 
geben: Solche Kranke zeigen kein Gefühl moralischen Unwerthes und produoiren 
in Folge dessen während jenes Stadiums von Verdächtigung keinerlei Wahn- 
ideeen, dass sie etwas begangen haben, oder irgendwie von ihren Genossen ge¬ 
mieden werden; der Geisteskranke dagegen denkt, dass seine Umgebung ihn 
eines vermeintlichen Verbrechens besohuldige, er häuft Beweis auf Beweis für 
die Bichtigkeit seiner Vorstellungen und setzt jeder gegenteiligen Beweisführung 
seinen festen Glauben an die Richtigkeit jener entgegen; derartige Kranke hin¬ 
gegen, bei denen sich die hier beschriebenen Erscheinungen aus körperlicher 
Krankheit herausentwiokeln, sind durchaus nicht fixirt in dem Glauben an die 
Bichtigkeit ihres Verdachtes, bald glauben sie an dieselbe, bald zweifeln sie 
wieder, der einfache Widerspruch ihrer Umgebung genügt, um sie aufzuklären; 
besonders intelligente Kranke sehen die Erscheinung selbst als etwas ihnen von 
amsen, gegen ihren Willen, Gekommenes an. 

Gegen diese Auffassung nun richtet sich mein Widerspruch, insofern ich 
der Ansicht Ausdruck geben möchte, dass es sich bei den von Read gemachten, 
änsserst werthvollen Beobachtungen durchaus um dieselben Dinge handelt, wie 
wir sie alltäglich an unseren Geisteskranken beobachten; damit ist natürlich 
nicht gesagt, dass die Kranken Hbad’s auch schon wirklich geisteskrank im 
engeren Sinne des Wortes sind; sehen wir doch auf vielen Gebieten der Psycho¬ 
pathologie das gleiche Verhältniss; niemand zweifelt wohl, dass z. B. hypo¬ 
chondrische Vorstellungen, allgemein pathologisch betrachtet, psychopathisohe 
Erscheinungen darstellen, ohne dass wir doch deshalb jeden, der sie äussert, als 
geisteskrank ansehen werden. 

Aber auch an dem Detail der Erscheinungen selbst lässt sich erweisen, dass 
ein anderer Unterschied, als der eben hervorgehobene, zwischen den von Head 
beobachteten und den bei Paranoischen, denn um solche handelt es sich sichtlich, 
vorwiegend vorkommenden Erscheinungen nicht besteht. 

Zunächst entspricht die Phase der Wahnbildung, welche Head, um den 
reu ihm angenommenen Gegensatz zu illustriren, aus der Psychopathologie 
hennzieht, einem späteren Stadium und nicht demjenigen, in welchem sich die 
Erscheinungen der Eigenbeziehung zuerst entwickeln und deshalb darf auch nur 
dieses letztere zum Vergleich mit den Beobachtungen Hkad’s herangezogen 
werden; in diesem letzteren treten nun die Eigenbeziehungen durchaus in der 
gleichen Form hervor, wie sie Head von seinen nicht Geisteskranken schildert; 
allerdings ist dies zumeist an etwas älteren Fällen nachträglich schwer naoh- 
zu weisen, aber gerade in frisch zur Beobachtung kommenden und namentlich 
auch ausserhalb der Anstalt abklingenden Fällen, die etwa dem gleichkommen, 
was Fuxdkank 1 als „milde und kurz verlaufende Wahnformen“ beschreibt, 
tot ach nicht selten nachweisen, dass die ersten Erscheinungen durchaus nicht 
andere sich darstellen, wie bei den Kranken Head’s; auch sie beobachten zu- 
oäebst, das« man von ihnen spricht, dass die Umgebung ihnen übel wolle oder 


1 Neurolog. CentralbL 1895. S. 448. 

1 * 


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4 


»oh ihrer entledigen wolle; zu bestimmter Wahnbildung ist es noch nicht ge¬ 
kommen und auch Fbledmahn 1 * * bemerkt, dass ein Verstehen der Ideeenasso- 
ciation (so. des „Beachtungswahnes“) auf Wochen hinaus dem Individuum in 
keiner Weise erforderlich ist 9 

Das gleiche Argument, das ich eben Hkad entgegengestellt habe, gilt auch 
für seine zweite These vom gegensätzlichen Verhalten des Geisteskranken und 
Nichtgeisteskranken in der Disousskm ihrer Ideeen; auch hier beruht Head’s 
Irrthum darauf, dass seine Ansicht einem späteren Stadium und nicht dem 
ersten, den Beobachtungswahn zur Reife bringenden, entstammt 

Es hat bekanntlich seiner Zeit gerade der Umstand, dass die Paranoischen 
in dem hier in Betracht kommenden ersten Stadium in ihrer Ansicht von der 
Richtigkeit ihrer krankhaften Vermuthungen schwankend sind, bald sich davon 
für sicher überzeugt glauben, bald wieder jedem Widerspruch nachgeben, zu 
einer auf lange Zeit hinaus schädlichen Vermischung von Wahnideeen und 
Zwangsvorstellungen geführt Wille 8 erwähnt z. B.: „Es kommen ja Einem 
nicht selten Fälle primärer Verrücktheit zur Beobachtung, in deren Beginn die 
Kranken oft längere Zeit gegen den Inhalt der sich aufdrängenden Wahn¬ 
vorstellungen, deren Absurdität sie erkennen, vergebens ankämpfen“ und knüpft 
daran die Frage: „oder sollte es sich hier auch um Zwangsvorstellungen han¬ 
deln?“; es wäre überflüssig, das noch weiter aus der Litteratur erhärten zu 
wollen, da man sich jetzt wohl darüber klar ist, dass die beiden Erscheinungen 
theoretisch von einander verschieden sind und auch klinisch auseinander gehalten 
werden können. Es wird genügen, wenn ich aus der einschlägigen grund¬ 
legenden Arbeit Westphal’s 4 * den betreffenden Passus citire, weil er auch das 
enthält, was ich Hkad zuvor entgegengehalten habe. Er berichtet aus dem 
Beginne eines Falles von primärer Verrücktheit: „Es bemerkt Jemand, dass ein 
Vorübergehender ausspuckt, sofort kommt ihm der Gedanke, man hat vor dir 
ausgespuckt, du sollst dadurch verhöhnt werden. Wohl zweifelt er anfangs 
noch, ob er sich geirrt hat, bevor ihn die Wahnidee weitergeführt hat.“ 
Damit halte ich also Head’s Ansicht von der Sonderstellung der von ihm bei 
Nichtgeisteskranken beobachteten Erscheinungen widerlegt; aber gerade dadurch, 
dass sie den an wirklich Geisteskranken beobachteten Erscheinungen allgemein¬ 
pathologisch durchaus entsprechen, scheint mir der Werth von Head’s Beobach¬ 
tungen erheblich gesteigert; weil »eh nämlich auch bezüglich der Pathogenese 
der hier in Rede stehenden Erscheinungen in beiden Fällen höchst bemerkens- 
werthe Analogieen nachweisen lassen. 

Dr. MabouliEs hat kürzlich 6 in Uebereinstimmung mit Specht die affec- 

1 L. c. S. 455. 

* Es ist in diesem Zusammenhänge gans besonders auf die Ausführungen Nubsbb’s 
(Erörterungen aber die Paranoia. CentralbL t Neur. u. Psych. 1892. Sp.) hinzuweisen 
bei Gelegenheit der Schaffung der auch für Hkad von seinem Standpunkte aus viel accep- 
tableren Bezeichnung der krankhaften Eigenbeziehung, statt des Beachtungswahns. 

* Archiv f. Psych. 1882. XIL S. 24. 

4 Archiv t Psych. VIII. S. 744. 

* Monatschr. f. Psych. u. Neurolog. 1901. October. 


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ta«e Grundlage des Beziehungswahns und der Wahnbildung im ersten Stadium 
da Paranoia verfolgt und noch besonders nachgewiesen, dass nicht irgend ein 
besonders gefärbter Affect, sondern nur der der unbestimmten Unruhe, 
sagen wir allgemein der Erwartungsaffect, sich häufig als die Wurzel der 
krankhaften Beziehung nachweisen lässt 

Im Hinblick darauf ist es nun äusserst bemerkenswerth, dass, wie Head 
berichtet, bei seinen Kranken, die den eben besprochenen „ill-formed state of su- 
spicion“ entwickelten, demselben regelmässig ein Zustand von Depression voran¬ 
ging, und was er 1 von dieser berichtet, lässt als einen der Hauptfactoren der¬ 
selben das erscheinen, was wir etwa als Gefühl der unbestimmten Unruhe 
bezeichnen könnten: „Viele der Kranken sind dabei von einer dunklen Vor¬ 
stellung eines drohenden Uebels befallen; sie kennen weder die Art des Uebels, 
noch wissen sie, wen es befallen soll.“ 9 Stellen sich demnach die an diesen Erwar- 
tangsaffect sich anschliessenden Erscheinungen „des unbestimmten Verdachtes“ 
durchaus ähnlich den Erscheinungen des Beziehungswahns bei unseren Geistes¬ 
kranken dar, so können wir darin auch ein weiteres Argument für die hier 
gegenüber Head vertretene Ansicht sehen, doch möchte ich nicht unterlassen, 
zum Schlüsse nochmals hervorzuheben, dass die Einheitlichkeit aller hier be¬ 
sprochenen Erscheinungen gerade erst recht die Bedeutung der von Head bei¬ 
gebrachten neuen Thatsachen gebührend hervortreten lässt 


2. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie. 

Von Dr. Schaefer (Pankow). 

Ein kurzer Bericht über das Ergebniss eines kleinen Versuches mit der 
diätetischen Behandlung der Epilepsie dürfte nicht ganz ohne Interesse sein. 

Um ein zuverlässiges Urtheil über die Wirksamkeit der Behandlung, wie 
üe von Toulouse und Bichet angegeben und von B Alint 8 modificirt worden 
ist, zu gewinnen, mussten natürlich Fälle schwerster Art ausgesucht werden, 
von denen anf Grund langdauernder Beobachtung in der Anstalt sicher war, 
dw sie andauernd von Anfällen heimgesucht werden. 

Unter den in der Anstalt des Herrn Engel hierselbst in Pflege befindlichen 
Epileptischen der Stadt Berlin wurden drei Patienten zu diesem Versuche ge¬ 
wählt, welche, im Alter von 80—84 Jahren stehend, seit ihrer Jugend schwere 
epileptische Anfälle hatten, die bisher keiner Therapie gewichen waren und 


1 L. e. 8.861. 

1 YergL dazu auch bei Hmad (I- c. S. 875) die Beschreibung des Zustandes als „state 
tf Im without fear of any particular object“. 

1 Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 28. — Die von Bäliht angewandte Diät 
Htste sich folgendermaassen zusammen: täglich 1% Liter Milch, 40— 60g Butter, 8 Eier 
(ngmlzen), 800—400 g Brot und Obst; ausserdem in der Nahrung 8 g Bromsalz. 


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bereits einen hohen Grad geistiger Schwäche zur Folge hatten. Die Zahl der 
Anfälle schwankte nach der bisherigen, etwa l 1 /,jährigen Beobachtung zwischen 
20 und 30 innerhalb eines Monats ohne diejenigen Anfalle, welche zeitweise 
mit solcher Heftigkeit, so schneller Aufeinanderfolge und derartiger aggressiver 
Neigung in dem kurzen postepileptischen Stadium auftraten, dass die Isolirung 
der Patienten geboten erschien. In diesen Zeiten, welche sich über mehrere 
Tage hinzogen, konnte natürlich von einer Zählung der Anfälle nicht die 
Rede sein. 


Der Versuch mit der chlorfreien Ernährung wurde am 26. Juni begonnen 
und bis zum 10. August mit grösster Peinlichkeit durchgeführt. Das Ergebniss 
ist folgendes: 


Pat. Sch. hatte am 27./VL 1 Anfall 
„ 28./VI. 3 Anfalle 
„ 29./VT. 2 Anfalle 
„ l./VII 1 schwacher Anfall 

„ ö./vn i „ „ 

Pat. S. hatte am 3./VIL 1 Anfall 

„n./vn. 1 „ 


Pat A. hatte am 26./VL 2 Anfälle 
„ 27./VI. 1 Anfall 
„ 29./VI. 1 „ 

„ 3./VU. 1 „ 

„ 5./VH. 1 „ 

„ 6./VII. 2 Anfälle 
„ 8./VH. 2 „ 

„ 10./VH. 1 Anfall 


Von da ab waren alle 3 Patienten vollkommen anfallsfrei. 


Gleichzeitig wurde ihr psychisches Verhalten ganz frappant gebessert: ihre 
Haltung wurde eine straffere, ihr Gang sicherer, ihr Sensorium freier, ihr Blick 
klarer; sie begannen Interesse für die Vorgänge und Personen ihrer Umgebung 
zu gewinnen, zusammenhängend zu erzählen, sich zu beschäftigen u. s. w. 

Wenn schon diese Thatsachen genügen, um die diätetische Behandlung 
allein für das Ausbleiben der Anfalle verantwortlich zu machen, so wurde 
dieser Eindruck noch erhöht durch den weiteren Umstand, dass nach Aussetzen 
der chlorarmen Diät und Beginn der gewöhnlichen Nahrung nach kurzer Zeit 
die Anfälle wieder einzusetzen begannen und zwar nicht unmittelbar, sondern 
erst 6, bezw. 8 und 9 Tage nach Beginn der gewöhnlichen Kost. Auch hier 
konnte die alte Erfahrung bestätigt werden, dass nach dem Ausbleiben der An¬ 
fälle ihr Wiedereinsetzen mit erhöhter Lebhaftigkeit stattfindet: In den 8 Tagen 
nach dem ersten Anfalle konnten bei dem einen Patienten 12, bei den beiden 
anderen Kranken 19 Anfälle beobachtet werden. 

Nach diesem Versuche erscheint es mir nicht zweifelhaft, dass wir in dem 
diätetischen Rögime ein ausserordentlich wirksames Mittel gegen die Epilepsie 
besitzen. 


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[Aus der Nervenpoliklinik von Prot Mendel in Berlin.] 

3. Versuche über Voltaisation. 1 

Zorn 100jährigen Jubiläum der Volta’schen Entdeckung. 

Von Dr. Zanietowski, Nervenarzt in Krakau. 

In den letzten Monaten des Jahres 1800 veröffentlichte die Pariser Akademie 
der Wissenschaften ein officielles Communicat über die Entdeckung des ersten 
elektrischen Elementes und schloss den langen Streit, der zwischen „Voltaisten 
und Galvanisteu“ herrschte, mit dem Siegel der höchsten Anerkennung. — Im 
Jahre 1801 wurden weitere wichtige Errungenschaften auf diesem Gebiete be¬ 
schrieben. — Es ist wohl ein Zufall, aber jedenfalls ein merkwürdiger, dass 
100 Jahre nach der berühmten Entdeckung, welcher wir so viel verdanken, 
in derselben Stadt und zu derselben Zeit die Weltausstellung geschlossen 
wurde, auf welcher eben die Elektricität eine so hervorragende Bolle spielte. — 
Es lohnt sich immer, in solchen Augenblicken, in denen Elektrotechnik und 
Elekromedicin der ganzen Welt einen so eclatanten Beweis der gemeinsamen 
Entwickelung geben, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und dem 
Anfangspunkt des Fortschrittes zu widmen. — Wir thun es heute um so 
lieber, als, wiederum durch einen Zufall, 100 Jahre nach dem Kampfe 
zwischen „Voltaisten“ und „Galvanisten“ ein neuer Streit in der wissenschaft¬ 
lichen Litteratur zwischen Anhängern der „Voltaisation“ und der „Galvani¬ 
sation“ zu herrschen anfängt. — Der Rahmen dieses Centralblattes erlaubt zwar 
eine eingehende Besprechung weder des einen noch des anderen Streites; es 
mögen aber folgende kurze Bemerkungen über „Voltaisation“ und die knapp zu¬ 
sammengefasste Beschreibung unserer eigenen Versuche über diesen Gegenstand 
vom wohlwollenden Leserkreise als wissenschaftliche Huldigung dem grossen 
Forscher angenommen werden, zum 100jährigen Jubiläum seiner berühmten 
Entdeckung. 

Bisher waren wir immer gewöhnt, in der Elektrodiagnostik und in der 
Elektrotherapie den constanten Strom am Galvanometer zu messen. — Die 
Schwankungen der Nadel zeigten uns, ob die Erregbarkeit pathologisch erhöht 
oder vermindert ist, die Grenzwerthe der Schwankungen bildeten unsere Erregbar¬ 
keitstabellen. — Seit einer gewissen Zeit entstand aber in der wissenschaftlichen 
litteratur eine neue Richtung. — Zahlreiche Versuche des Herrn Dubois aus 


1 Die Versuche wurden grössten theils an der Nervenpoliklinik des Herrn Prof. Mkndbl 
ausgaführt Dafür drücke ich demselben wie den Herren Assistenten hiermit meine Dank* 
barkdt aus. Einige Versuche verdanke ich der Liebenswürdigkeit der Herren Prof. 
Jollt in Berlin und Prof. ▼. Kbavtt-Ebing in Wien. Sowohl diesen beiden Herren, als 
auch den Herren Assistenten der Nerven-Abtheilungen in der Berliner Charite und im Wiener 
Krankenhaus, Herrn Dr. 8buvm und Herrn Dr. Söldxb, spreche ich hiermit meinen tiefsten 
Dank aus. 


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8 


Bern über den Widerstand und die eondensatorischen Wirkungen des mensch¬ 
lichen Körpers hatten gezeigt, dass die Yoltspannung ein viel besseres Maas 
für die Erregung abgab, als die galvanometrische Intensität — Das „Voltmetei“ 
sollte bei Reizungsversuchen das „Galvanometer“ vertreten, die „Voltaisation“ 
sollte an der Stelle der „Galvanisation“, wenigstens in der Elektrodiagnostik, 
herrschen. — Zwar äusserte sich H. Hoorweg aus Utrecht dagegen und bewies, 
dass die Intensität nicht immer das genaue Maass der Erregung bildet, dass 
aber die Erregung ihre völlige Erklärung nur in dem von ihm entdeckten 
mathematischen Grundgesetz findet — Der praktische, wissenschaftlich aus¬ 
gebildete Arzt blieb aber eigentlich zwischen einer Scylla und Charybdis stehen; 
links hatte er die Erfahrung seiner Vorgänger und rechts eine ganze Reihe von 
überzeugenden Erregbarkeitsmessungen; links einen nicht immer zugänglichen 
neuen Apparat und rechts eine neue, in-praxi nicht verwerthbare mathematische 
Formel 

Ohne den akademischen Werth des obengenannten wissenschaftlichen 
Streites 1 zu verleugnen und ohne hier auf technische und theoretische Einzel¬ 
heiten einzugehen, die wo anders veröffentlicht werden, will ich nur in diesem 
Centralblatte aus rein praktischen Gründen die Resultate zusammenstellen, 
zu welchen meine eigenen Versuchsreihen mich geführt haben. — An dem 
reichhaltigen Material der obengenannten Kliniken habe ich nämlich eine Reihe 
von Erregbarkeitsmessungen durchgeführt, welohe mich selbst in erster Linie 
überzeugen sollten, welcher Partei ich mich anschliessen muss, und was ich 
eigentlich in praxi zu verwerthen verpflichtet bin. — Es hat sich nun gezeigt, 
dass bei einer längeren Durchströmung des constanten Stromes in allen Fällen 
von peripherer Lähmung (Par. n. radialis, ulnaris, peronei, ERB’sche und 
Klümpke ’sche Lähmung) und in peripheren Muskelkrämpfen (Tic oonvulsif, 
Tetanie, Chorea) dieselbe minimale Zuckung, wegen Schwankungen des Körper¬ 
widerstandes, durch ganz verschiedene Intensitäten hervorgerufen werden kann. 
Bei kurzen Stromstössen dagegen blieb aber (beinahe ohne Ausnahmen) in allen 
obengenannten Fällen, unter sonst gleichen Verhältnissen, nur die Yoltspannung 
oonstant. Am prägnantesten hat sich dies in der Tetanie gezeigt, und ioh habe 
schon in einer früheren Arbeit*, während einer Märzepidemie in Wien, meine 
Meinung darüber veröffentlicht Auf Grund von ganz verschiedenen Versuchen 
mit Condensatorentladungen bin ich zu demselben Resultate gekommen, wie 
Duboi8 mit seinem Gatpfe 'sehen Voltmeter. Dies gilt nur von dem Palle, 
dass der Körper allein eingeschaltet ist; wenn wir aber mit fremden Wider¬ 
ständen arbeiten, was wohl in praxi bei jedem Instrumentarium beinah nnent- 
* behrlich ist, so verhält sich die Sache ganz anders. Dubois beobachtet kleine 
Schwankungen der Spannung und grössere Schwankungen der Intensität; Hoorvtbg 
citirt ein Beispiel, wo die minimale Intensität ceteris paribus oonstant bleibt, 

1 Comptea rendus de l’Acad. des Sciences. 1897. — Archive« de Physiologie. 1897. — 
Correspondenxbl. f. Schweizer Aerste. 1898. — Zeitgehr. f. Elektrotherapie. 1899. 

1 Zahiktowbii, Aua der 1. med. Klinik in Wiem Elektrodiagnostisohe Studien über 
motoriache und sensible Erregbarkeit. Wiener klin. Rundschau. 1899. Nr. 48—50. 


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während die Zahl und Sorte der Elemente variiren; und ich muss gestehen, ich 
habe beide Thatsaehen gesehen. Eine scharfe Demaroationslinie lässt sich nicht 
dnichführen und ich habe ganze Reihen von Beispielen, die einerseits für die 
eine Meinung, andererseits für die andere spreohen würden. Freilich spielt hier 
die Aotoinduction des Stromkreises eine Rolle, sowie Capacität und Widerstands- 
Veränderungen des menschlichen Körpers; es sind aber theoretische Fragen, auf 
die ieh hier nicht eingehen will, und auf die der Praktiker einzugehen keine 
Zeit hat Was soll für denselben entscheidend sein? Vielleicht die betreffende 
Krankheitsgruppe oder das gewählte Instrumentarium? Nach meiner Ansicht 
weder das Eine, noch das Andere. Was den ersten Punkt betrifft, so habe ich 
nnr so viel bemerkt, dass der Einfluss eines fremden Widerstandes bei allen 
Krankheiten mit niedrigem oder herabgesetztem Körperwiderstande viel prägnanter 
ist, als bei normalen Leuten oder bei Kranken mit erhöhtem Körperwiderstande. 
Zd der ersten Kategorie zähle ich alle Kranken, die an Kachexie, Carcinom, 
schweren Stoffwechselanomalieen u. s. w. leiden; selbstverständlich auch alle 
BASZDOw-Fälle. In der zweiten Kategorie zähle ich verschiedene Hautkrank¬ 
heiten und vor Allem die „Sklerodermie“, ausserdem noch einige disseminirte 
Sklerosen, wahrscheinlich nur durch ZufalL Es zeigt sioh nun in der ersten 
Groppe viel prägnanter als in der zweiten, aber jedenfalls mehr oder weniger 
in allen Nervenkrankheiten, dass bei Einschaltung eines zunehmenden fremden 
Widerstandes dieselbe Zuckung bei ganz verschiedenen Intensitäten und Spannungen 
hervorgerufen wird. Meine Erfahrungen lehren, dass bei gleicher Inten¬ 
sität (!) die Wirkung kleiner ist, je kleiner der fremde Widerstand ist Für 
den praktischen Arzt bleibt nur der Weg, in welchem dieser Einfluss des ein¬ 
geschalteten Widerstandes minimal ist, also der „kurze Stromschluss“. Das war 
auch die Idee des GÄBTNEB’schen Pendels, des EnBLMANN’schen Unterbrechers, 
der Kugel von Dtjbois und des Relais von Castagna und Reiniger nach 
Zawietowski. 1 Die Constanz der dabei erhaltenen Resultate leugnen auch weder 
Hoobwbg noch Dubois, obwohl der erste die Thatsache durch Polarisations¬ 
abwesenheit und der zweite durch condensatorische Wirkungen erklärt. Die- 
*dbe Constanz habe ich auch längst bei meinen Reizungsversuchen mit Con- 
dewatorentiadungen betont 2 Die Condensatorentladung, habe ich damals gesagt, 
ist nicht nur bequem, weil sie eine reine Zuckung ohne Schmerz und Elektro¬ 
lyse bewirkt, aber auch deswegen für eine sichere Elektrodiagnose bürgend, da 
se wegen der kurzen Dauer weder elektrotonische, noch elektrolytische Ver- 
äafarungen hervorzurufen vermag; diese Kürze der Entladung und selbst¬ 
verständlich auch der dadurch bewirkte Mangel an Widerstandsveränderungen, 
»ixen wahrscheinlich Ursachen der grossen Genauigkeit, mit welcher in allen 
Banen Messungen jede kleinste Exacerbation oder momentane Latenz und über- 


1 Zaxuto'wsxi, Graphische Stadien aber Erregbarkei taverhiltnisse im Elektrotonna. 
d. Wiaeonech. in Wien. 1897. CVI. — Ueber Summation. Wiener klin. Wochenschr. 
1N7. — Ueber einen neuen Apparat. Zelteehr. f. Elektrotherapie. 1900. 

1 Zasibtowski, Ueber klinische Verwerthbarkeit von Condensatorentladungen. Zeitachr. 
t Sbktrotberapie. 1899. 


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10 


haupt jeder Angenblick des progressiven oder regressiven Verlaufes gedeutet 
waren. Auf diese Einzelheiten, die schon wo anders beschrieben waren, gehe 
ich hier nicht ein und betone nur eu passant die zu unserem Thema gehörende 
Thatsache des kurzen Stromschlusses. Im ganzen wissenschaftlichen Streite der 
Herren Dubois und Hoobweg ist diese einzige Thatsache unversehrt geblieben; 
von beiden Gegnern anerkannt, ist sie auch ganz richtig und bedeutend. — 
Was nun die zweite Frage anbelangt, ob nämlich der Reiz nach Dubois in 
Volts, oder nach unseren Vorgängern in Ampöres ausgedrückt werden soll, so 
haben wir aus Obigem gesehen, dass eigentlich weder „Spannung“ noch „Inten¬ 
sität“ allein an und für sich ein absolutes Maass der Erregung bilden. Wenn 
z. B. bei 20 Elementen und einem Widerstand A der Erfolg ganz ein anderer 
ist als bei 40 Elementen und einem Widerstand B, obwohl in beiden Fällen 
die Intensität dieselbe ist, wenn vice versa in der Mehrzahl der Fälle bei 
demselben Erfolg weder Spannung noch Intensität constant bleiben, so bleibt, 
unserer Meinung nach, wiederum nur ein mittlerer Weg für den praktischen 
Arzt übrig. Einen Gaiffe' sehen Voltmeter kann sich nicht jeder sofort ver¬ 
schaffen, auch nicht einen Reinigkb 'sehen „Voltregulator“, den ich gern mit 
einigen von mir eingeführten Modificationen benutze; es kann aber ein Jeder 
an verschiedenen Gliedern desselben Kranken oder während Vergleichsversuchen 
an verschiedenen Tagen immer denselben fremden Widerstand einschalten, 
oder bei derselben Spannung, nicht aber, wie es leider üblich ist, bei der 
ersten beliebigen, die Intensität ablesen. Eine solche Berücksichtigung der 
Spannung ist erst eine wahre „Voltaisation“, welche die bisherige „Galvanisation“ 
nicht vernichtet, aber derselben behülflich ist und für die möglichst approximative 
Genauigkeit der Elektrodiagnose bürgt 


n. Referate. 


Anatomie. 

I) Ueber die Darstellung der Rüokenmarkssysteme mit Hülfe der Ent- 
wiokelungsmethode , von W. v. Bechterew. (Archiv f. Anat u. Phye. 
1901. Anat. Abthlg.) 

Verf. sucht darzuthun, dass die Ergebnisse der entwickelnngsgeschichtlichen 
Methode denjenigen der Degenerationsmethode bezüglich des Aufbaues der spinalen 
Fasersysteme gut entsprechen. Dabei theilt er einige ergänzende eigene Beobach¬ 
tungen mit So hat er jetzt gefunden, dass im 6.—7. Fötalmonat, wo das ovale 
Feld und ein grosser Theil des Gombault-Philippe’schen Faserdreiecks noch 
marklos erscheint, auch „in der unteren Hälfte des Brustmarks längs der hinteren 
Umrandung der Go 11 'sehen Stränge und der inneren Abschnitte der Burdach 
sehen Bündel“ ein myelinfreier Streifen zu erkennen ist, welcher in der Lenden¬ 
anschwellung allmählich zu beiden Seiten des Septum posterius naoh vorn rückt, 
um schliesslich in das ovale Feld überzugehen. Von diesem Faseraysteme unter¬ 
scheidet er ein im ventralen Hinterstrangsgebiet neben dem Septum gelegenes, 
von Giese beschriebenes System, welches seine grösste Ausdehnung im 6. Lumbal- 


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segment and im 1.—3. Sacr&lscgment erreicht, caudal indessen bis zum 1. Coccy- 
gemlaegment verfolgt werden kann. Dies System umhüllt sich später mit Mark 
als das ovale Feld. Bei 9 monatigen Früchten ist es oft noch unentwickelt, 
während alle anderen Th eile der Hinterstränge mit Ausnahme der intermediären 
oder kommaformigen Zone bereits vollen Markbelag zeigen. — Die sacrale Klein¬ 
hirnbalm von Roth mann u. A. vermochte Verf. auch entwickelungsgeschichtlich 
nachzuweisen. Wenigstens fand er, dass im 6. Fötalmonat im unteren und mitt¬ 
leren Lendenmark im hinteren peripherischen Winkel des Seitenstranges marklose 
Fasern sich finden, die erst im 7. und 8. Fötalmonat sich mit Mark umhüllen. 

Unter den weiteren Angaben verdienen als neu namentlich die Beobachtungen 
über die Markscheidenentwickelung der aufsteigenden Vorderstrangbahn (von 
Marie) Beachtung. Verf. stellt fest, dass medial vom Pyramidenvorderstrangfeld 
im 6.—7. Monat ein feiner Streifen myelinhaltiger Fasern auftritt, welcher als 
Marie’sche Bahn anzusehen ist. Th. Ziehen. 


2) Technische Bemerkungen zur Canninlftrbung des Centralnervensystems, 

von Dr. El Schwalbe. (Centralbl. f. allg. Pathol. 1901. Nr. 21.) 

Dass durch die übliche Celloidineinbettung die Anwendung der früher so 
beliebten und so schöne Bilder gebenden Carminfarbung verhindert wird, und 
zwar in Folge der dazu nöthigen langen Einwirkung des Alkohols, ist bekannt; 
um die Celloidinschnitte doch wieder für die Carminfarbung brauchbar zu machen, 
empfiehlt Verf., dieselben noch einmal für etwa 2 Wochen in Müller’sche 
Flüssigkeit in den Brutschrank zu legen, dann kurz (1 Minute) auszuwaschen und 
24 Stunden in stark verdünnter (hellrother), alter Lösung des gewöhnlichen 
Ammoniakcarmins zu färben. Statt Müll er'scher Flüssigkeit kann man auch 
1 °/ 0 Chromsäure nehmen, die nur 24— 48 Stunden auf die Schnitte einzuwirken 
braucht. (Ref. darf vielleicht hinzufügen, dass nach seiner Erfahrung auch die 
von Weigert angegebene Mischung zur raschen Chromirung formolgehärteter 
Präparate, aus Kal. bichromat. und Alumen chrom., ebenso schöne, wenn nicht 
noch bessere Erfolge giebt.) Zu lange oder zu kurze Einwirkung der Chrom¬ 
lösung ist durch die Dauer des Auswaschens zu reguliren. Die Färbung giebt, 
wie in den alten, nicht eingebetteten Präparaten, Ganglienzellen und Glia hell- 
roth, Axencylinder dunkelroth, Markscheiden gelb. H. Haenel (Dresden). 


Experimentelle Physiologie. 

8) lieber die Folgen von Verletzungen in der Gegend der unteren Oliven 

bei der Katze, von R. Keller. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1901. Anatom. 

Abthlg.) 

Verf. hat bei 4 Katzen von der Schädelbasis aus Operationen am Hirnstamm 
aasgeführt und auf Schnittserien mit Hülfe der Marchi’sohen Methode die Dege¬ 
nerationen verfolgt. Auf Grund seiner Beobachtungen nimmt er die Existenz ge¬ 
kreuzter, aus den Oliven entspringender Strickkörperfasern zum Kleinhirn als 
sicher an; wahrscheinlich bestehen auch ungekreuzte Fibrae olivo-cerebellares 
und wahrscheinlich endigen die Olivenkleinhirnfasern im Oberwurm des Kleinhirns. 
Sie stellen das einzige bisher bekannte Abfuhrsystem der Olive dar. Ferner 
hat Verf Systeme unbekannten Ursprungs und unbekannter Function nachweisen 
können, welche in der Höhe der Oliva inferior kreuzen und zum medialen 
Thalamuskern, zum rothen Kern und zur Substantia nigra aufsteigen. Gegen 
einen Oliven Ursprung dieses Systems spricht sein Intactbleiben bei oberflächlicher 
Olirenrerletzung. — Die Existenz eines ans dem Kleinhirn absteigenden über- 


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geordneten Systems nach dem Endkernlager des Vestibularis wird bestätigt. Ein 
ungekreuztes, sowie ein in der Höbe der unteren Olive Ober die Raphe kreuzendes 
übergeordnetes Hedullarsystem zum absteigenden Vestibulariskem und zum Vesti- 
bulariBbauptkem, sowie zum Deiters'sehen Kern wird nachgewiesen. Abführende 
Systeme aus dem Bechterew’schen Kern und aus dem absteigenden Vestibularis* 
kern, welche im hinteren Längsbündel beiderseits absteigen und Zweige zum Ab* 
du eens- und Hypoglossuskern, sowie zum Vorderhorn schicken, hat Verf. wie 
einzelne frühere Beobachter gefunden. 

Aus den physiologischen Beobachtungen ist hervorzuheben, dass Verf. 
wie Hitzig bei Reizung des Gyrus cruciatus anterior Contraction der Nacken- 
und Rumpfmuskeln (incl. Bauchmuskeln) erhielt. In sehr einseitiger Weise 
stellt Verf. hierbei die Gründe zusammen, welche für die Homologie des Sulcus 
centralis mit dem Sulcus coronalis (statt mit dem Sulcus cruciatus) zu sprechen 
scheinen. — Manifeste Motilitäts* oder Sensibilitätsstörungen wurden nach Ver¬ 
letzung der unteren Olive nicht beobachtet; speciell fehlten Gleichgewichtsstörungen 
und Zwangsbewegungen. Die Zwangsbewegungen nach Durchschneidung des unteren 
Kleinhirnstiels bezieht Verf. auf Mitläsion der Vestibulariskerne. Durchtrennung 
des Medullarsystems zu den Vestibulariskernen soll symptomlos verlaufen. Theil- 
weise Läsion der Längsbündelsysteme aus den Vestibulariskernen und speciell 
Durchtrennung des corticalen Neurons, d. h. des absteigenden Systems aus dem 
Kleinhirn zu den Vestibularkernen, ist von Neigung des Kopfes und Abweichen 
des Ganges nach der operirten Seite hin gefolgt, dagegen scheinen Zwangs* bezw. 
Rollbewegungen nur bei Läsion des subcorticalen Neurons, d. h. speciell des 
ungekreuzten Spinalsystems aus dem Deiters’schen Kern — und überhaupt des 
Reflexbogens zwischen Labyrinth und Rückenmark — einzutreten. 

Allenthalben glaubt Verf. auch degenerirte Faserendigungen, Endbäumchen 
oder Endkölbchen an den Zellen zahlreicher Kerne dargestellt zu haben (vergl. 
Fig. 10). Th. Ziehen. 


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4) Uebor die gegenseitigen Beziehungen zwischen Curare und Physo¬ 
stigmin, von J. C. Rothberger. (Pflüger’s Archiv. LXXXVII.) 

Aus den sehr interessanten und wichtigen Untersuchungen des Verf.’s kann 
an dieser Stelle nur hervorgehoben werden, dass sich bei sorgfältigen Versuchen 
an Fröschen, Kaninchen, Hunden und Katzen ein doppelseitiger Antagonismus 
zwischen Curare und Physostigmin ergeben hat: ein durch Curare gelähmter 
Muskel erlangt wenige Secunden nach der Injection von Physostigmin in den 
Kreislauf des lebenden oder in die zuführende Arterie des todten Thieres seine 
Erregbarkeit vom Nerven aus wieder und kann hierauf durch Curare neuerdings 
wieder gelähmt werden. Die durch das Curare zuletzt gelähmten Muskeln 
(Zwerchfell) erlangen durch das Physostigmin ihre Erregbarkeit zuerst wieder 
zurück. Das Atropin beeinflusst diesen Vorgang der Wiederbelebung nicht 
wesentlich Dagegen unterdrückt es schon in kleinen Dosen die durch das Physo¬ 
stigmin hervorgerufenen fibrillären Zuckungen und die erhöhte Drüsenthätigkeit. 

Th. Ziehen. 



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Pathologische Anatomie. v* 

6) Ueber den Bau des vollständig balkenlosen Grosshirns, von M. Probst. 
(Archiv f. Psych. XXXIV.) 

Die Arbeit enthält eine solche Menge interessanter Einzelheiten, dass es un- 'ü , 
möglich ist, auf alle gebührend einzugehen. Die auffallendste Bildung in dem ^ 


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üäealooen Gehirn, die Verf. auf theils frontalen, theils horizontalen Seriensehnitten 
at s rsacht hat, ist ein starkes sog. Balkenlängsbtlndel, dessen Fasern die Aufgabe 
üben, theils die orbitalen und medialen Stirnwindungen zu verbinden, theils 
Heile des Stimhims mit den Central Windungen, ferner Verbindungen herzustellen 
zwischen oberem Scheitelläppchen und Stirn- und Hinterbauptswindungen, den 
xalen Windungszügen, dritter Schläfenwindung, Lobus fusiformis und lingualis. 
Ebe entsprechende Bildung kommt im normalen Gehirn nicht vor und nach den 
Befanden kann die Hypothese von Sachs als erwiesen gelten, dass das Balken- 
üagsbündel eine Art Heterotopie des Balkens ist: die Balkenfasern kommen zwar 
iv Entwickelung, aber statt quer zu verlaufen und beide Hemisphären zu ver¬ 
lüden, ziehen sie in der gleichseitigen Hemisphäre von hinten nach vorn und 
odden so ein sagittales Bändel. — Weiter verschafft der Fall Klarheit über die 
Tnhiltnimn beim unteren Längsbündel: in Uebereinstimmung mit den Ergeb¬ 
enen aus Thier versuchen zeigt sich, dass dasselbe aus Sehhfigelrindenfasern und 
lüünsahbOgelfasera besteht — Feiner ist der Fall ausgezeichnet durch aus- 
gedehnte, jedoch auf beiden Seiten verschieden starke Mikrogyrie und Hetero- 
tarnen grauer Substanz. Irgendwelche Anzeichen dafür, dass die erstere in Folge 
nnsisgitiechar oder entzündlicher Processe entstanden sei, Hessen sich nicht nach- 
wetsecL Die mikrogyrische Rinde stand an vielen Stellen in directem Zusammen¬ 
hang mit den abnorm eingesprengten grauen Massen; letztere fanden sich, wie in 
der Mehrzahl der beschriebenen Fälle, hauptsächlich am Ventrikelrand, sei es im 
Vwder-, Hinter- oder Unterkonto und stellten ein zurückgebliebenes, abgeschwächtes 
£adengrau dar. — Ans dem Gesammtbefund gebt hervor, dass nicht der Mangel 
■XX Markmasse die Ursache der RindenanomaHeen ist, sondern dass dieselben 
^tirmngen im Wachsthum beide Erscheinungen hervorgebracbt haben. — Klinisch 
SHtand in dem beschriebenen Falle ein tiefer epileptischer Blödsinn; die meisten 
F&lk dieser Art gehen mit geistigen Störungen, auffallend viele auch mit Epi- 
iepoe einher; doch ist hervorzuheben, dass auch 2 Fälle von Balkenmangel 
üae Intelligenzstörung bekannt geworden sind. H. Haenel (Dresden). 


6) Heorogliabefunde in 30 Gehirnen von Geisteskranken, von Dr. J. El- 
miger, IL Arzt St. Urban, Canton Luzern. (Archiv f. Psych. u. Nerven- 
krankh. 1901. XXXV.) 

Verf. hat bei 30 Gehirnen Geisteskranker eine Hirnwindung, die vordere 
CmtraHrmdung und den Occipitallappen mit Weigert’s NeurogHamethode unter- 
fsciit Die stärkste Wucherung der NeurogHa fand sich bei 7 Paralytikern, und 
wir besonders in der vorderen Centralwindung und im Frontalhirn. Auch sieben 
KBÜ-organische Psychosen boten durchweg eine sehr ausgesprochene Vermehrung 
4r Neoroglia dar. In einem Falle von Epilepsie mit beginnender Demeoz war 
starke NeurogUawucherung nachweisbar, doch nicht diffus durch das 
ms Präparat verbreitet, sondern mehr in Form einzelner Nester. Vier jugend- 

Epileptiker boten weder makroskopisch noch mikroskopisch Anomalieen dar. 
Bei zwei Melancholikern, einem chronisch Verwirrten und drei Paranoikern war 
keil Unterschied gegenüber normalen Gehirnen. Bei 3 Fällen von secundärer 
Verblödung war die Randgliahülle verbreitert, ein dichtes Fasernetz zog von ihr 
a die graue Substanz hinein. Anch 2 Fälle von periodischer Psychose wiesen 
Tsad uisg der Neuroglia auf. 

Es ist zu bedauern, dass Verf. weder das Alter noch die Dauer der Krank¬ 
heit, weder die Todesursache noch irgend etwas über Verlauf und Symptome be- 
trdb der von ihm untersuchten Fälle erwähnt. Die Zeichnungen, die der Arbeit 
ai p y fr pn minA l sind sehr gelangen; sie rühren von Dr. Schlub in Basel her. 
erzielt ein regelmassigeres Gelingen der Präparate, wenn er statt der 


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Einbettung in Celloidin die nicht eingebetteten Hirnstücke mit Gummi-Arabicum. 
Lösung auf einen Kork aufklebt und mit dem Gefriermikrotom schneidet. 

G. IIberg (Sonnenstein). 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Pathogdnie des terreurs nooturnea ohes lea enfhnts, par Dr. J. G. Eey. 

(Revue mensuelle des maladies de l’enfance. 1901. XIX.) 

Bereits vor mehreren Jahren hat Verf. (im Jahrb. f. Kinderheilk. XLV) den 
Standpunkt vertreten, dass der Pa vor nocturnus der Ausdruck einer vorübergehenden 
Kohlensäureintoxication sei, welcher in erster Linie durch mangelnde Luft¬ 
erneuerung in Folge adenoider Vegetationen im Nasenrachenraum bedingt werde. 
Auf Grund weiteren Materials tritt Verf. in vorliegendem Aufsatz neuerdings für 
seine Hypothese ein. Er vergleicht den Pavor nocturnus mit den Symptomen 
von gewerblichen Kohlensäurevergiftungen und findet bei beiden die Erscheinungen 
der Athemnoth, des Bewusstseinsverlustes mit Hallucinationen und nachträglicher 
Amnesie oder Bewegungsschwäche. Die schädliche Einwirkung brauche einige 
Zeit bis zum Eintritt der Vergiftungssymptome, daher komme es erst 2—3 Stunden 
nach dem Einschlafen zu den Pavorsymptomen. Nicht alle Kinder reagiren in 
gleicher Weise auf die eintretende Intoxication, nervös veranlagte Individuen 
zeigen häufiger das Bild des Nachtschreckens. Eines der wichtigsten auslösenden 
Momente für die Kohlensäurevergiftung bilden die erwähnten retronasalen Wuche¬ 
rungen; fast bei allen Kindern mit derartigen Vegetationen sei der Schlaf un¬ 
ruhig, in manchen Fällen kommt es zu typischen Pavoranfällen. Ebenso besteht 
bei Rändern mit fieberhaften Lungenprocessen, Anginen, Bronchitis ein Sauerstoff¬ 
mangel und daher stellen sich bei solchen oft schon kurz nach dem Einschlafen 
Attaquen von Nachtschrecken ein. Die alte Beobachtung des Zusammentreffens 
von Verdauungsstörungen mit Pavor nocturnus glaubt Verf. auf reflectorisohe 
Vagus Wirkung zurückführen zu können, es sei daher überflüssig, diese Form als 
„symptomatische“ von der „idiopathischen“ Form des Leidens zu trennen. Unter 
allen Umständen empfehle sich die Entfernung adenoider Vegetationen bei Kindern 
mit Pavoranfällen. Zappert (Wien). 


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8) Beiträge sur Pathogenese und pathologischen Anatomie der Epilepsie, 

von Dr. L. W. Weber, Oberarzt und Priv.-Doc. in Göttingen. (Gustav 
Fischer, Jena 1901. 100 S.) 

Verf. hat in seiner sehr fleissigen, kritischen und klar geschriebenen Arbeit 
die Befunde zusammengestellt, welche er bei 35 zur Section gekommenen Epilep¬ 
tikern erhoben hat und den Zusammenhang der an der Hirnrinde gefundenen 
Veränderungen mit den intra vitam beobachteten klinischen Erscheinungen sowie 
deren Beziehungen zur Aetiologie der Epilepsie festzustellen gesucht. 

Verf. kommt hferbei zu dem Schlüsse, dass die Hirnläsionen nicht als die 
anatomische Grundlage des epileptischen Leidens betrachtet werden können, dass 
sie vielmehr nur „den Boden vorbereitet haben, auf dem sich dann die eigent¬ 
liche ,epileptische Veränderung* entwickelte, die uns noch unbekannt ist“. Eine 
anatomische Diagnose der Epilepsie ist zur Zeit nicht möglich, d. h. aus den Be¬ 
funden, speciell denen an der Hirnrinde, kann ein Rückschluss auf eine vorhanden 
gewesene Epilepsie nicht gezogen werden, vielmehr lassen sich gleiche Befunde 
wie bei der Fallsucht auch bei anderen Krankheitsprocessen erheben. 

In etwa 60 °/ 0 der obducirten Fälle fand sich eine arteriosklerotische Er¬ 
krankung der Aorta, in vielen Fällen zeigten sich frische Blutungen unter den 


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wösen Ueberzügen der Lunge und des Herzens, sowie im Gewebe dieser Organe, 
d such frische Verfettungen des Herzmuskels, der Leber und der Nieren. All 
iieae Veränderungen sind zumeist als Folgen (nioht als Ursache) der Epilepsie 
bei», der durch letztere auftretenden Circulations- und Bespirationsstörungen an- 
isaehen. Vielleicht sind sie auch durch ein im Anfall gebildetes giftiges Stoff- 
Ttchselprodnct oder durch eingenommene Arzneien (Bromkali, Amylen, Chi oral- 
srdrat) bedingt 

In 18 von den secirten 35 Fällen Hessen sich makroskopisch nachweis¬ 
bare Veränderungen am Gehirn erheben. Dieselben sind aber in anatomischer 
xod klinisch-topographischer Hinsicht in den einzelnen Fällen verschieden und 
sicht ohne Weiteres in Beziehung zu der Epilepsie zu bringen. 11 Mal fand 
sch Atrophie und Sklerose der Ammonshörner. In 6 Fällen glich der makro- 
Aopisehe Obductionsbefund in vieler Beziehung dem der progressiven Paralyse, in 
2 dieser Fälle handelte es sich um jugendHche Epileptiker, bei denen in den 
letzten Jahren vor dem Tode ein rasch zunehmender körperlicher und geistiger 
Verfall stattgefunden hatte. In 8 Fällen bestanden subependymale Blutungen im 
guuen Bereiche des centralen Höhlengraues. 

Die näheren mikroskopischen Befunde an Pia, Glia, GefÜssen, Nervenfasern 
and Ganglienzellen hier wiederzugeben, würde den Bahmen eines Beferates über* 
«breiten, es sei deshalb bezüglich dieser Befunde auf das Original verwiesen. 

Betreffs der Aetiologie der Epilepsie lassen die anatomischen Befunde folgende 
Schlüsse zu: 


1. Die F&lle, welche auf ererbter, angeborener oder in der allerersten Lebens¬ 
reit erworbener Schädigung des Gehirns beruhen, lassen eine diffuse Erkrankung 
der Grosshimrinde erkennen (subpialer Gliafilz, bindegewebige Verdickung der 
fofbswandungen, allmählicher Untergang der nervösen Elemente). 

2. Diese „Frühepilepsie“ kann in den drei ersten Jahrzehnten zum Ausbruch 
kommen: die Veränderungen an der Hirnrinde sind nur quantitativ und nicht 
qualitativ verschieden. 

3. Die Hysteroepilepsie gehört ihrem anatomischen Befund nach in den 
“eilten Fällen zur echten Epilepsie. 

4. Für die sog. „Spätepilepsie“ weist die mikroskopische Untersuchung 
oft noch in Fällen, wo das Gehirn makroskopisch intact schien, eine schwere 
Erkrankung der Hirnrinde als Ursache des epileptischen Leidens nach (unregel- 
Btaige GHawucherung, Veränderungen an den GefäsBen und Störung der normalen 
Structur der Binde). 

5. Wo eine localisirte Hirnerkrankung ein epileptisches Leiden hervorgerufen 

muss die anatomische Untersuchung ausserdem eine mehr oder weniger aus¬ 
gesprochene Erkrankung der gesammten Binde nachweisen, wenn der Fall als 
»echte“ Epilepsie bezeichnet werden soll. 


SchHesslich sei Folgendes hervorgehoben: 

Frische Veränderungen am Gefässsystem und an den Zellen sprechen für Tod 
u» Anfall, Status, Coma oder Verwirrungszustand, GHaWucherungen in Gestalt von 
Spinnenzellen verschiedenen Alters für häufiger stattgefundene epileptische Anfälle 
taz oder lange Zeit vor dem Tode, starke Vermehrung der Glia in Gestalt von 
gleichmässig angeordneten Fasern, bindegewebige Verbreiterung der Gefässwände 
Ausfall vieler nervöser Elemente für lange dauernde, allmähHch zur Demenz 
^«nde epileptische Erkrankungsprocesse, eine ungeordnete Anhäufung all dieser 
Verinderongen nach paralytischem Typus für schnell und progredient verlaufende 
Epilepsie«n. Kurt Mendel. 



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9) Pftthogönie et tr&itement de l’dpilepsie, par N. Krainsky. (Hämoirea latoiuiK 
couronnöe et antrea memoires publies par l’acadämie royale de mödecine de r haste) n 
Belgique. 1901. XV.) siaknen 

Aua den zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre über Epilepaie, die Verf. in ;3 ^ *' ^ 
der Einleitung auaführlich citirt, folgert er einerseits, da88 von pathologisch- lZST *' ^ 
anatomischer Seite vor der Hand noch wenig zur Erklärung des Mechanismus dieser 
Krankheit zu thun ist, während zahlreiche Angaben über abnorme giftige Aus- 
Bcheidungaproducte ihm die chemische Erforschung der Erkrankung aussichtsvoll 
erscheinen lassen. 

An 13 Patienten stellte er Stoffwechselversuche in der Dauer von 110 bis 
112 Tagen an und gelangte zu folgenden Schlüssen 

1. Das Körpergewicht nimmt häufig nach den Anfällen ab, doch ist dies 
nichts Constantes. 

2. Es besteht Polyurie; Quantitäten bis zu 4 Litern im Tage sind nichts 
Seltenes. 

3. Die Urinmenge ändert sich nicht unter der Einwirkung der Anfälle; bei 
manchen Kranken jedoch nimmt sie regelmässig am Tage des Anfalles zu. 

4. Eine oonstante Beziehung zwischen den Anfällen und der Ausscheidung 
von Stickstoff, Harnstoff, Chloriden und Sulfaten ist nicht festzustellen. 

5. Albuminurie konnte im Gegensatz zu vielen Autoren nicht gefunden werden. 

6. Nach Ablauf der Anfälle konnte kein Zucker nachgewiesen werden. 

7. Nach den Anfällen stieg die P 2 0 6 -Ausscheidung bedeutend. 

8. Während in den letzten Tagen vor Ausbruch des Anfalles die Ausscheidung 
von Alloxurkörpern bedeutend sank, stieg sie nach dem Anfall rapid an, so 
dass der Autor die Anfälle zunächst als Reaction gegen die Retention der Alloxur- 
körper auffasste. 

Aus seinen Berechnungen gelangt er zum Schlüsse, dass im Allgemeinen vor 
einem Anfalle etwa 25 cg Harnsäure retinirt werden; sind es 30 cg oder besteht 
eine solche Retention durch mehrere Tage, so darf man auf einen sehr schweren 
oder mehrere Anfälle gefasst sein. 

Aus der Beschaffenheit der entsprechenden Curven war er in seinen Fällen 
im Stande, den Tag der Anfälle genau vorher zu bestimmen. 

Seine therapeutischen Versuche stellte er mit Substanzen an, die die Aus¬ 
scheidung der Harnsäure begünstigen sollen (Piperazin, Lysidin, Lithioncarbonat). 
Während Piperazin und Lysidin weder auf die Ausscheidung der Harnsäure, noch 
gegenüber den Anfällen die geringste Wirksamkeit zeigten, war Lithiumcarbonat 
von deutlicher Wirkung auf die Krankheit. 

Es erwiesen sich jedoch nur mittlere Gaben von wohlthätiger Wirkung, 
während grosse Gaben zahlreichere Anfälle und ein Vergiftungsbild veranlassten. 

Die Analysen ergaben ferner bei mässigen Gaben eine grosse Regelmässigkeit in 
der Harnsäureausscheidung, so dass der Tag des Anfalls, nach dem Absinken der 
ausgeschiedenen Harnsäuremengen berechnet, nicht mehr verhergesagt werden 
konnte. Trotz der harnsäurelösenden Eigenschaft des Lithiumcarbonats konnte 
jedooh eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung in toto bei seinem Ge¬ 
brauche nicht festgestellt werden. 

Die Ursache der augenfälligen Wirkung des Mittels auf die Anfälle blieb 
daher noch zu erklären. Die Veränderungen bei der Ausscheidung der Harnsäure 
fasst er dabei bloss als das Resultat und den Indicator noch unbekannter Vor¬ 
gänge im Organismus des Epileptischen auf und zieht in Erwägung, dass die 
Harnsäure auch nur zur Neutralisation eines excitirenden Körpers gebraucht 
werden könne, während die Anfälle nichts weiter vorstellten als Entspannungs- 
reactionen. 


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Ei gelang ihm bei Kaninchen häufig durch Injection von Blut, das während 
m Anfalle der Patienten entnommen war, typische, epileptische, periodisch 
nederk ehrende Anfalle zu erzeugen. 

Er nimmt daher an, dass während der Anfalle ein Körper ausgeschieden 
urien müsse, der sowohl gütige Eigenschaften besitzt als auch Fermentwirkungen 
»toten müsse, da, wie erwähnt, noch nach längerer Zeit beim Versuchsthiere 
fotane Krämpfe auftreten. Während sioh im normalen Organismus die Harn* 
we ans einer Synthese von organischen Säuren und Harnstoff bildet, findet er, 
a» bei Epileptischen diese Synthese dadurch vereitelt wird, dass durch Auf¬ 
ahne eines Wassermoleküls aus dem Harnstoff ein neuer Körper, das carbamin- 
ure Ammon, entsteht, dessen krampferzeugende Wirkung schon Neucki und 
PitIow angegeben haben. 

Während der Anfälle würde dann dieser im Organismus zurückgehaltene 
ßrper sein Molekül Wasser verlieren, der entstehende Harnstoff die Synthese 
mgehen, und die Harnsäure dann ausgeschieden werden. Auch ihm gelang es, 
3d Kaninchen durch subcutane Injection mit dem Körper typische epileptische 
kfi&e zu erzeugen. 

& hebt dabei die geringe Stabilität der Substanz hervor, die bald in 
SohlenaSure übergehe, die Somnolenz und ähnliche urämische Symptome erzeuge, 
bld in Harnstoff und zwar unter der Einwirkung der epileptischen Anfälle; diese 
präge Stabilität schütze den Organismus vor dem sonst unvermeidlichen Tode. 

Die Epilepsie ist also nach diesem Autor eine periodische Intoxication 
*it earbaminsaurem Ammon. 

Anch die Wirkung einzelner Medicamente erklärt sich ungezwungen aus 
'tigern. Die Bromsalze z. B., die als Bromnatrium resorbirt werden, gehen bei 
Epileptischen durch das carbaminsaure Ammon in Bromammonium über, das bis 
» einer gewissen Menge ausgeschieden wird. 

Ueber diese hinaus jedoch verbindet sich das Bromammonium mit kohlen* 
'Urem Natron und es entsteht wieder carbaminsaures Ammon und Bromnatron, 
taeh die oben erwähnte günstige Wirkung massiger Gaben von Lithiumcarbonat 
rälirt sich ähnlich, indem bei der Einführung dieses Salzes carbaminsaures 
Iithhun und kohlensaures Ammon entsteht, das eliminirt wird; werden jedoch 
® grosse Quantitäten des Salzes eingeführt, so hat der Organismus keine Zeit, 
*b* kohlensaure Ammon auszuscheiden, das gebildete carbaminsaure Ammon wird 
'bh« nicht mehr neutralisirt und die Anfälle werden häufiger und häufiger. 

Einen ganz eclatanten therapeutischen Effect mit massigen Gaben findet er 
Traders bei Epileptikern, welche zahlreiche Aniälle haben, während das Ueber- 
räraten einer gewissen Gabe leicht Intoxioation in dem Maasse hervorruft, dass 
'bi Lithiumcarbonat geradezu als Reagens für Epilepsie verwendet werden könnte. 

die gleichen ausgezeichneten therapeutischen Resultate erhielt der Verf. bei 
^optischen Frauen. 

Auf Gaben von 1—2 g Lithioncarbonat per clysmam verschwanden die An- 
fille nach 1 / % —1 Stunde. 

Auch bei eklamptischen Kindern wurde ein sehr guter Erfolg erzielt 

Dieser günstige Effect darf jedoch nicht im Sinne einer Heilung gedeutet 
*ttden, sondern nur in dem einer Neutralisation eines sich stets von Neuem 
“ilaenden Giftkörpers, so dass die Heilung der Epilepsie noch weiteren Studien 
Vorbehalten bleiben muss. 

Im Blute der Epileptiker konnte er stets Carbaminsäure naohweisen, von 
r* w f*od, dass sie sowohl epileptische Anfälle als auch sämmtliche psychische 
Symptome wie bei Epilepsie hervorzurufen vermag. H. Marcus (Wien). 


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10) Epilepsie et fiövre typholde, par A. Marie et J. Buvat. (Archives de 
neurologie. 1901. Januar.) 

Im Anschluss an eine Typhusepidemie erkrankten auch mehrere epileptische 
Insassen von Villejuif, von denen zwei in heftigen Anfällen mit hohen Tempe¬ 
raturen starben. Ihre Krankengeschichten sind genau mitgetheilt. 

Adolf Passow (Meiningen). 


11) Unfall und Epilepsie, von Dr. Ferd. Bähr. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 

1900. Nr. 10.) 

Yerf. bringt zuerst einen Fall von Trauma und Epilepsie, bei welchem schon 
vor dem Unfall Epilepsie vorhanden gewesen war. Es folgt sodann ein weiterer 
Fall eines etwa 40jährigen Mannes, bei welchem nach einer starken Verletzung 
der rechten Thoraxseite nach etwa 1V a Jahren epileptische Anfälle auftraten. 
Die letzteren verschwanden, nachdem Rippenbruchstücke, welche nach innen vor¬ 
standen, entfernt worden waren. Der dritte Fall betrifft einen Steinträger, bei 
welchem etwa 1 Jahr nach einer elektrischen Verletzung und Sturz Krampf¬ 
anfälle aufgetreten waren, welche als epileptische aufgefasst werden mussten. Ein 
vierter Fall betrifft einen etwa 40 jährigen Arbeiter, bei dem sich nach einem 
Sturz nach 4 Monaten ein Krampfanfall eingestellt hatte; ausserdem bestand ein 
Bruch des Oberschenkels und des Fersenbeins. Der Verf. ist geneigt, alle die 
berichteten Fälle als solche von Reflexepilepsie aufzufassen, eine Auffassung, welche 
Ref. nicht ohne weiteres unterschreiben möchte. Denn einmal liegt die Gefahr 
einer Verwechslung mit Alkoholepilepsie bei Arbeitern (ein Patient war Stein¬ 
träger und als solcher fast sicher Alkoholist) immer sehr nahe, andererseits ge¬ 
nügen die kurzen Auszüge aus der Krankengeschichte nicht zur Ueberzeugung, 
dass in der That das offenbar so sehr seltene Bild der Reflexepilepsie vorlag. 

Paul Schuster (Berlin). 


12) Bymptomatologizohes zur Epilepsie, von Pick. (Prager med. Wochenschr. 

1901. Nr. 39 und 40.) 

Unter Mittheilung zweier instructiver eigener Fälle bespricht Verf. zwei schon 
von Hughlins Jackson beschriebene, in der Litteratur seither aber sehr wenig 
berücksichtigte Symptome, welche namentlich zur Frühdiagnose der Epilepsie von 
Wichtigkeit sind. 

Jackson beschrieb unter „dreamy state“ zweierlei. Einmal die „Pseudo- 
reminiscenzen“, die Erinnerungsfälschungen, derart, dass man die Empfindung hat, 
eine entschieden neue Situation schon einmal in genau derselben Weise erlebt 
zu haben. Derartige Zustände gehen anfallsweise oft Jahrzehnte lang den con- 
vulsiven Aniällen voraus. Im Gegensätze zu den auch bei normalen Individuen 
gelegentlich vorkommenden Pseudoreminiscenzen dieser Art werden diese Zustände 
bei Morbus sacer immer häufiger, je mehr die Kranken im Alter vorschreiten. 

Die zweite Art der als Aequivalente zu beobachtenden „dreamy states“ besteht 
darin, dass die Kranken irgend eine Handlung automatisch vollfuhren, welche 
dem momentanen präparoxysmellen Bewusstseinsinhalte völlig fremd ist; es taucht 
eine Reminiscenz an eine frühere Handlung auf. — Dabei besteht eine sehr 
characteristische Geschmacks- oder Geruchsaura. Das Bewusstsein fehlt während 
eines solchen Anfalles nur theilweise. Die Kranken können aber ihre Innen¬ 
vorgänge nur unvollständig schildern. Der Inhalt des Bewusstseins ist oft ganz 
harmloser Art, oft wieder ungemein schreckhaft. 

In dem einen der Pick’sehen Fälle konnte der Kranke den Anfall durch 
intensives Sprechen oder Herumgehen oft coupiren. Pilcz (Wien). 


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13) Ueber das Verhalten des Kniephänomens während der epileptischen 
Anfälle, von A. Forenczi. (Orvoei Hetilap. 1901. Nr. 33. [Ungarisch.]) 

Vert untersuchte 34 Epileptiker, und fand bei 22 Kranken erhöhtes Knie- 
phinomen während des Anfalles, und im postepileptischen Zustand bei 6 Kranken 
normales Verhalten und nur bei 6 Kranken herabgemindertes oder fehlendes Knie¬ 
phänomen. Verf. beobachtete das Verhalten bei 34 Kranken insgesammt während 
158 Anfällen. Verf. fand in sämmtlichen Fällen, dass diejenigen Kranken erhöhtes 
Kniephänomen zeigten, welche auch sonst hypertonisch waren — und nur die 
Kranken mit Hypotonie zeigten vermindertes oder fehlendes Kniephänomen. 

Hudovernig (Budapest). 

14) Icterus und schwerere nervöse Erscheinungen, von F. v. Beusz. (Orvosi 
Hetilap. 1901. Nr. 38 u. 39. [Ungarisch.]) 

Besprechung der schwereren nervösen Erscheinungen, insbesondere krampf¬ 
artiger Znstände im Verlaufe von Icterus, auf Grund von drei beobachteten Fällen, 
Verf. kommt zu dem Schlüsse, dass die ins Blut gelangten Gallenbestandtheile 
gar keinen, oder nur sehr minimalen Einfluss auf die Entstehung der nervösen 
Symptome haben. Im ausführlich mitgetheilten Fall I (letal ausgehende Leber- 
drrhoee mit stürmischen Endsymptomen) betrachtet Verf. dieselben nicht als 
Resultat der nach Gallenstauung möglichen Gallensäurevergiftung, sondern als 
Ergebniss einer Autointoxication. Die beiden anderen Fälle betreffen Epileptiker. 
Bei einem Alkoholiker und epileptischem Anfall mit Dämmerzustand, im An¬ 
schluss an eine Gallensteinkolik, ist der Icterus nur als allgemein auslösendes 
Moment, bezw. Parallelsymptom zu betrachten. Hudovernig (Budapest). 


16) Hdmlpldgie spasmodique infantile aveo öpilepsie, parEstöves. (Archives 
de neurologie. 1901. Juni.) 

Verf. hat eine veränderte Operation bei epileptischen Idioten gemacht — 
ein Mal mit sehr günstigem Erfolge, zwei andere Male mit weniger gutem Resul¬ 
tate; seine Kranken litten nur an rein einseitigen Attacken; er öffnete die Dura 
mater der anderen Hemisphäre etwas vor der Bolando'sehen Furche, fand unter 
der Dura kaum Oedem und liess die Wunde langsam zuheilen. 

Das Genauere ist in der Arbeit, die sich auch mit den Besultaten Anderer 
beschäftigt, nachzusehen. Adolf Passow (Meiningen). 

10) Vothsuohtsdeliote im epileptischen Dämmerzustand. Gutachten von 
Dr. Franz Blaohian. (Friedreich’s Blätter für gerichtl. Medic. 1901. 
Heft 5.) 

32jähr. Bauernsohn hat in kurzer Zeit 8 Nothzuchtsversuche begangen. 
Keine Belastung. Vor 8 Jahren Kopfverletzung mit Bewusstseinsverlust. Vor 
6 Jahren — bis dahin gesund — starke Magenblutung und acute deliriöse Geistes¬ 
störung. Seitdem psychisoh verändert: auffallendes Benehmen, unstete Lebens¬ 
weise, ethische Defecte. Körperlich: sehr gesteigerte Patellarreflexe, Zittern der 
Hände und Circulationsstörungen, die in anämischer Blutmischung und Degene¬ 
ration des Herzmuskels ihre Ursache haben. Verf. schliesst: „Die starken Blut¬ 
verluste, welche K im Jahre 1895 erlitt, und eine hierdurch bedingte Ernährungs¬ 
störung des Gehirns zusammen mit den plötzlichen Schwankungen der cerebralen 
BlutfÜllung haben jenen acuten Anfall geistiger Erkrankung ausgelöst, die dauernde 
psychische Veränderung aber halte ich für den Ausdruck eben jener irreparablen 
Btstbeechaffenheit und der unzureichenden Triebkraft der Herzmusculatur.“ Schon 
diese Folgerung muss als eine kühne und durch Erfahrung nicht genügend ge- 

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stützte Behauptung angesehen werden. Ganz unbewiesen und unverständlich bleibt 
die Vorstellung des Verf.’s von dem causalen Zusammenhänge des „acuten hallu* 
cinatorischen Delirs“ mit dem „bleibenden Folgezustand der epileptisohen Ver¬ 
änderung.“ Krämpfe waren nicht vorhanden, üeber Schwindelanfälle lagen „ge¬ 
nauere Beobachtungen“ nicht vor. Abnormes Verhalten unter Alkoholwirkung 
kann ebenfalls nicht, wie es Verf. zu thun scheint, als pathognostisohes Zeichen 
für Epilepsie gedeutet werden. Ueber typische Charakterveränderung wird nicht 
berichtet. Die ruhelose Lebensführung und die „verkehrten Handlungen“ sprechen 
weit weniger für Dämmerzustände, als für Schwachsinn. Von unzweifelhaftem 
Schwachsinn zeugen auch die näheren Umstände bei Begehung der Nothzuchts- 
delicte, so z. B. die Thatsache, dass K. gegen Empfang von 10 Pfg. sein Opfer 
freigab. Amnesie bestand nicht, obwohl später die That geleugnet wurde. Nach 
alledem scheint die Diagnose Epilepsie ziemlich unwahrscheinlich, weit näher liegt 
die Annahme eines secundären Schwachsinns, der vielleicht der grossen Gruppe 
der Dementia praeoox zuzuzählen ist. Die forensische Beurtheilung bleibt von 
der abweichenden Auffassung des Ref. unberührt; denn den Schutz des § Öl hat 
der Kranke in jedem Falle verdient. Kalmus (Lübeck). 


17) Een viervoudige moord gepleegd in een epileptischen droorotoestand, 

door Hulshoff Pol. (Psyohiatr. en neurol. Bladen. 1900. S. 150.) 

Ein Eingeborener in der Umgegend von Buitenzorg auf Java, der seit einem 
epileptischen Anfalle zu Anfang des Jahres 1898 reizbar und geistig gestört war, 
erschlug am 29. Mai 1898 mit einem Reisstampfer seine Frau, sein Töchtereben 
und seine beiden Schwiegereltern, in deren Hause sich die Frau aufhielt, die 
ihren Mann aus Furcht vor seiner sehr reizbaren Stimmung verlassen hatte. Der 
Thäter erzählte seine That kurz danaoh aus eigenem Antriebe seinem Bruder, 
wurde aber durch dessen Vorwürfe so wüthend, dass er seinen Bruder todtschlagen 
wollte, der sich nur durch schleunige Flucht retten konnte. Seiner Verhaftung 
widorsetzte sich der Thäter mit solcher Heftigkeit, dass sie erst gelang, nachdem 
er durch einen Schuss verwundet und bewusstlose niedergefallen war. 

Nach einer Heilung war ihm das Gedächtniss für die Zeit vom Januar bis 
ungefähr September 1898 geschwunden. Des Mordes erinnerte er sich nicht, 
leugnete hartnäckig, epileptische Anfälle gehabt zu haben; die Amnesie erstreckte 
sich über die Zeit, in der die Anfalle aufgetreten waren. Obgleich er sich des 
Mordes nicht erinnerte, gab er doch Zeugenaussagen gegenüber zu, wenn diese 
es gesehen hätten, müsste es doch so sein. Sowohl an der Epilepsie (schon im 
Alter von 10 Jahren hatte der Angeklagte einen epileptischen Anfall gehabt), als 
auch an der Amnesie war nicht zu zweifeln, es liess sich feststellen, dass der 
Angeklagte kurz vor und kurz nach dem Morde Erscheinungen gezeigt hatte, die 
auf Störung seiner geistigen Fähigkeiten hinwiesen. Ferner war die That plötz¬ 
lich und unvorbereitet, im Drange des Augenblicks verübt worden, jedenfalls in 
einem Wuthanfalle, wie sich auch einer kurz nach der That wieder eingestellt 
hatte, wobei der Bedrohte sich durch die Flucht rettete. Verf. erklärte deshalb, 
dass der Angeklagte zur Zeit der That unzurechnungsfähig war, und dass er als 
gemeingefährlich in die Irrenanstalt unterzubringen sei. 

Walter Berger (Leipzig). 


18) Ueber die Prognose der Epilepsie, von Habermaas (Schloss Stetten). 
(Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIIL S. 243.) 

Die schwankenden Ansichten über die Prognose der Epilepsie hat Verf. ver¬ 
anlasst, über die in den Jahren 1869—1898 in Stetten verpflegten Epileptiker* 


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Erkundigungen einzuziehen. Im ganzen erstreckt sich seine Untersuchung auf 
937 Epileptiker, die mit seltenen Ausnahmen bei der Aufnahme das 30. Lebens* 
jahr nicht überschritten hatten. Nur ausnahmsweise wurden Epileptiker mit 
psychischen Störungen, abgesehen von Schwachsinn, aufgenommen. Dauernde 
Heilung mit erhaltener Erwerbsfähigkeit fand sich in 10,3 %, Heilung der Epi* 
lepaie, aber Verlust der Erwerbefähigkeit durch Schwachsinn in 0,6 °/ 0 , Erwerbs* 
Unfähigkeit bei bestehender Epilepsie in 13,3%, Arbeitsfähigkeit bei Anstalts* 
bedürftigkeit in 20,9 %, Verblödung und Arbeitsunfähigkeit in 11,4%, Ausgang 
der Epilepsie in Tod in 48,8 %. 

In 226 Fällen erhielt Verf. Auskunft über das geistige Verhalten der noch 
lebenden früheren Anstaltspfleglinge; davon wurden 33% als intellectuell nicht 
geschädigt geschildert, bei 30% wurde über psychische Schwäche beriohtet, 24% 
als schwachsinnig, 12 % als blödsinnig bezeichnet. Das Verhalten der Anstalts* 
insaasen und Oestorbenen war ungünstiger, so dass unter dem gesammten Material 
nur 17,3 % der nicht geheilten Epileptiker nicht intellectuell geschädigt, 17,3% 
nissig, 65% hochgradig schwachsinnig oder blödsinnig war. Das Durchschnitts¬ 
alter der Anstaltsinsassen war 22 Jahre, der früheren Pfleglinge 29,3, der ge¬ 
storbenen Epileptiker 25 Jahre. 

In der Anstalt führte in 60% der Gestorbenen die Epilepsie den Tod 
herbei, und zwar in 47,6 % an gehäuften Anfällen, 4,8% * n Folge von Unglücks¬ 
fällen. Von den früheren Anstaltspfleglingen starben 59% an epileptischen An¬ 
fällen, 9% in Folge von Unglücksfällen. 

Am günstigsten verlaufen die Fälle, in denen keine directe Ursache der Epi¬ 
lepsie nachweisbar war, bei denen keine Convulsionen des Säuglingsalters auf¬ 
getreten waren, die keine krankhafte Veränderung des Gehirns erkennen lassen 
und die geistig gar nicht oder nur wenig gelitten haben. Die hereditäre Be¬ 
lastung hat nicht die allgemein angenommene schlimme Bedeutung für die Pro¬ 
gnose. Sachgemäße und frühzeitige Behandlung bessern die Heilungsaussichten. 

Aschaffenburg (Heidelberg). 


19) Meddalelser fra Kolonien for Epileptiske (Filadelfla), af A. Seil. 

(Ugeskr. f. Läger. 1900. Nr. 9 u. 10.) 

Am 1. August 1898 wurde in Terolöse auf Soröe das erste Haus einer 
Colonie für männliche Epileptiker eröffnet und am 1. September desselben Jahres 
eines für weibliche. Vom 1. August 1898 bis zum 31. August 1899 wurden 30 
männliche Patienten aufgenommen, von denen 29 an Epilepsie litten, bis dahin 
waren 5 männliche epileptische Patienten vorhanden, so dass die Gesammtzahl 
der behandelten Männer 34 beträgt. Ein Haus für weibliche epileptische Pat. 
batte schon seit dem 1. August 1896 bestanden und bis zum 1. September wurden 
in diesem Hause 60 Patientinnen verpflegt, theils Weiber mit verschiedenen nervösen 
Symptomen, theils andere Patientinnen; vom 1. September 1898 hatten die epilep¬ 
tischen Weiber den Vorzug und unter den 25 von da an bis zum 31. Aug. 1898 
behandelten Kranken waren 7 Epileptiker. Ueber die also im Ganzen 41 epi¬ 
leptischen Kranken theilt Verf. kurzgefasste Krankengeschichten mit, knüpft daran 
Bemerkungen über die Aetiologie der Epilepsie, über die Charakterveränderungen 
bei derselben, wobei er auf mehrere der Fälle zurückkommt, sowie über die Be¬ 
handlung. In vielen Fällen zeigte sioh von der Behandlung in der Colonie ein 
Kutaea. Walter Berger (Leipzig). 


90) La oura doll’ epileuia ool metodo Bio he t, pel Dr. Guido GarbinL 
(fiirista mensile di neuropatologia e psichiatria. 1901. Nr. 8.) 

14 erwachsene Epileptische sohwerer und schwerster Formen inveterirten 


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Charakters, die lange Zeit mit 8 g Brom pro die erfolglos behandelt waren, 
wurden dem Richet’schen Behandlungsmodus unterzogen, und zwar wurde zu¬ 
nächst auf einen Monat das Brom ganz ausgesetzt, die gewöhnliche Kost aber 
beibehalten, im zweiten Monat ebenfalls ohne Diätwechsel 3 und nach einer Woche 
4 g Bromalkaligemisch verabreicht und, nachdem sämmtliche Kranke diesen Wechsel 
gut vertragen hatten, im dritten und vierten Monat die gewöhnliche, aber koch¬ 
salzfreie Diät und in der ersten Woche dieses Begims 3, in der zweiten 2, in 
der dritten und vierten 1 g Brommischung pro die und in den letzten 4 Wochen 
des Versuchs schliesslich gar kein Medicament gegeben. Die Ergebnisse desselben 
sind folgende: Mit kochsalzarmer Diät und minimalen Bromgaben (1 g) wurde in 
Monatsfrist eine Verminderung der Zahl der Anfälle um 73 °/ 0 erreicht; das Tages¬ 
mittel derselben fiel von 2,97 auf 0,68. Dieselbe Kost ohne gleichzeitige Brom¬ 
darreichung erzielte nur eine Herabsetzung um 65°/ 0 . Die Dauer der Anfälle 
war wesentlich (im Durchschnitt um l / 3 der Zeit) abgekürzt. Die Erregungs¬ 
zustände nahmen ab und die geistigen Verhältnisse besserten sich. Unangenehme 
Zwischenfälle waren nicht zu beklagen, das Allgemeinbefinden der Kranken war 
günstiger als vorher, das Körpergewicht stieg, und zwar im ersten Monat der 
Kochsalzentziehung mehr als im zweiten, daher die Möglichkeit späterhin fort¬ 
schreitender Abmagerung im Auge zu behalten ist. Frauen werden von der Kur 
mehr belästigt als Männer. — Diese günstigen Erfahrungen lassen es bedauern, 
dass die Versuche so rasch abgebrochen und Krankengeschichten nicht mitgetheilt 
wurden; auch dürfte wohl das Bedenken einzuwenden sein, dass die plötzliche 
und vollständige Bromentziehung im einleitenden Versuch von vorn herein die 
ersten Beobachtungsserien künstlich unter ungünstigere Verhältnisse bringen muss 
als die späteren, was die Daten und ihre Bewerthung unnöthig compliciren und 
damit das Schlussergebniss viel mehr erschweren würde, als es hier in die Er¬ 
scheinung tritt. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


21) Ueber das B echte re w’sche Mittel bei Epilepsie, von Karwacki. (Medy- 
cyna. 1900. Nr. 24. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über seine Erfahrung, welche er bei Anwendung des Bech- 
terew’schen Mittels (Brompräparate mit Digitalis oder Adonis und Codein) ge¬ 
sammelt hat. Verf. hat diese Methode in 7 Fällen angewandt und in manchen 
wurde die Zahl der Anfälle geringer. Da die Beobachtungszeit nicht über drei 
Monate andauerte, so giebt Verf. selbst zu, dass sein Beobachtungsmaterial keine 
sicheren Schlüsse zulässt. Edward Flatau (Warschau). 


22) Epilepsie et tröpanation, par Gilles de la Tourette. (Archiv, de neu- 
rologie. 1901. Juni.) 

Bourneville knüpft an die jüngsten veröffentlichten erfolgreichen — meist 
erfolglosen — Trepanationen, Lösungen von Verwachsungen der Dura mater u. 
äbnl. m. die Bitte, sämmtliche (auch von negativem Erfolge begleiteten) Fälle 
veröffentlichen zu wollen, um somit in dieser wichtigen Frage klarer zu sehen. 

_Adolf Passow (Meiningen). 

23) Zwei Fälle von Nervenohirurgie: Eine Epilepsie, die nach spontaner 
Schliessung einer traumatisohen Fistel des Schädels entstanden war 
und durch Trepanation geheilt wurde; eine Ellbogenluxation mit 
Verletzung des N. ulnaris; Heilung, von V. Pauchet (Travaux de 
neurolog. Chirurg. 1901. Nr. 1.) 

Verf. theilt folgende 2 von ihm mit Erfolg behandelte Fälle mit: I. Ver- 


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letzung des linken Scheitelbeines (Schusswunde), deutliche Zeichen einer Gehirn¬ 
erschütterung, die aber nach einiger Zeit wieder verschwinden; es bleibt jedoch 
eine persistirende Fistel des Schädels. Endlich verschwindet auch diese, aber mit 
ihrem Verschwinden stellt sich eine schwere Epilepsie ein mit motorischer Aura 
im rechten Arm, 3 Anfälle pro Tag. 3 Monate nach der Verletzung wird die 
Trepanation vorgenommen. Es wird ein Eiterherd über dem Sulcus Rolando ent¬ 
leert und 10 Tage später konnte Pat. als geheilt entlassen werden. 

Fall IL Luxation des Vorderarmes nach hinten, mit Bruch des Proc. coro- 
noideus, entstanden bei einem 12 jährigen Kinde durch Fall auf den linken Arm 
beim Turnen. Sofort vorgenommene Repositionsmanöver sind ohne Erfolg. Darauf 
tritt Anästhesie und Muskelatrophie im ganzen Gebiet des N. ulnaris ein. Die 
Bewegungen im Ellbogengelenk sind fast normal, nur die Flexion gelingt nicht 
über 100°. Da der Zustand sich nicht bessert, wird zur Operation geschritten. 
Längsschnitt an der Innenseite des Ellenbogengelenkes, der N. ulnaris wird bloss¬ 
gelegt in einer Länge von 4—5 cm. Er ist nach vorne luxirt und wird nun 
nach künstlicher Bildung eines neuen Sulcus ulnaris in diesen reponirt. Fast 
augenblicklich kehrte die Sensibilität zurück und 3 Wochen später auch die 
Motilität, die Atrophie ist völlig geschwunden. Adler (Berlin). 


24) De la gendralisation des orises dpileptiquea, consöcutives aux trau- 

matismes looalises du or&ne chez l’enfant et de leur traitement , par 

A. Chipault. (Travaux de neurolog. Chirurg. 1900. Nr. 2 u. 3.) 

Verf. veröffentlicht 10 eigene Beobachtungen, wo bei Kindern nach Schädel- 
rerletzungen später cerebrale Erscheinungen sich zeigten. Die Traumen waren 
in 2 Fällen intrauterin, in einem intra partum, in den anderen post partum er¬ 
worben. In allen Fällen reagirte das kindliche Gehirn gegen das eigentliche 
Trauma nur wenig, gegen die Narbe äusserst heftig. Die Erscheinungen bestanden 
theils in allgemeinen Krämpfen, theils combinirt mit spastischer Hemiplegie, in 
einem Falle mit Hemiathetose, in einem anderen mit doppelseitiger, in 3 Fällen 
endlich mit Idiotie. Die letzteren schliesst Verf. von einer chirurgischen Behand¬ 
lung, weil zwecklos, aus, dagegen empfiehlt er für die anderen die Trepanation 
mit dauernder Resection des Knochens. Durch diesen Eingriff wurden die all¬ 
gemeinen epileptischen Krisen regelmässig günstig beeinflusst, während die localen 
Jackson’sehen Symptome unverändert blieben. Für unzweckmässig hält Verf. 
die einfache temporäre Resection des Knochens, ebenso wie die Elektrisirung oder 
die Resection der Rinde. Ob die spastischen hemiplegischen Symptome lediglich 
auf absteigende Degeneration zu beziehen sind oder ob nicht congestive Störungen 
mit im Spiele sind, stellt er in Frage, da er unter dem Einfluss von Amylnitrit 
und Chloroform Aenderungen des Verhaltens dieser Symptome in entgegengesetzter 
Riehtung bemerkte. Adler (Berlin). 


26) Du oholx de l’intervention dans les dpilepsies essentielles gdnöralisdes, 

par E. Vidal. (Travaux de neurolog. Chirurg. 1900. Nr. 1.) 

Verf. sucht bei generalisirter essentieller Epilepsie Indicationen für die Sym- 
pathicotomie aufzustellen. Er empfiehlt dieselbe bei toxischen Epilepsieen, stellt 
de bei Epilepsieen reflectorischen Ursprunges in Frage und hält sie für contra- 
indicirt bei solchen durch Gehirnoompression. Um sich über den Ursprung des 
jeweiligen Falles ein Bild zu machen, empfiehlt er einen Versuch mit Inhalation 
wm Amylnitrit. m Adler (Berlin). 


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26) Tuberouloee du diploA Crisee öpileptiques. Hemioontraoture post- 
hömiplöglque aveo athdtose. Rdseotion de la partto d’oa malade. 
Diaparition de l*hömioontraoture, par A. Chipault. (Travaux de neurolog. 
chirurg. 1900. Nr. 2 u. 3.) 

Verf. berichtet über einen Patienten von 16 l / 2 Jahren, der seit seinem 
9. Lebensjahr an Krämpfen litt, 3 1 / 2 Jahr später bildete sich nach einem neuen 
Anfall eine linksseitige Lähmung mit Athetose des linken Armes, sodass ungefähr 
alle Viertelstunden athetotische Bewegungen erfolgten. Pat stammte aus einer 
tuberculös belasteten Familie. Nachdem die Diagnose auf eine Affection der 
rechten Zona rolandica gestellt war, wurde in dieser Gegend trepanirt und dabei 
die Diploö in einer Zone von 5—6 cm mit fungösen Massen besetzt gefunden, 
welche entfernt wurden. Der Erfolg war ausgezeichnet: die epileptischen Krisen 
verschwanden nach dem zweiten Verbandwechsel, die athetotischen Bewegungen 
verschwanden gleich nach der Operation, die Contractur ist beseitigt. 

Adler (Berlin). 

27) I. Beriohte über die Schlafkrankheit der Neger im Kongogebiete, von 
Dr. Gleim. — ü. Bemerkungen und Beobachtungen über die Sohlaf- 
suoht der Neger, von Dr. C. Me nee. (Archiv f. Schiffs- u. Tropenhygiene. 
IV. 1900.) 

Diese in einigen Flussgebieten Westafrikas unter den Eingeborenen endemisch 
auftretende Krankheit ist sowohl hinsichtlich ihrer Aetiologie wie ihrer klinischen 
Stellung noch sehr wenig aufgeklärt. Sie befällt nur Neger und Mischlinge; dass 
Europäer von der Krankheit befallen worden seien, ist bis jetzt mit Sicherheit 
noch nicht festgestellt. Die Krankheit ist eine exquisit endemische und scheint 
eine gewisse Prädisposition vorauszusetzen. In einzelnen Gegenden ist die Mor¬ 
talität eine ganz bedeutende, sie beträgt bis zu 25 °/o der Gesammtbevölkerung. 
Die Ursache der Eirankheit sehen einzelne im Genuss einer Pflanzenwurzel, des 
Manioks; andere erklären sie für parasitären Ursprungs, und als Erreger wird 
bald ein specifischer Bacillus, bald der Pneumococcus, bald eine Filaria (F. per¬ 
stans) angesprochen. Die Krankheit hat eine unbestimmt lange, vielleicht sich 
über Jahre erstreckende Latenzperiode und führt nach Auftreten der ersten deut¬ 
lichen Symptome meistens innerhalb einiger Monate zum Tode. Nach Prodromal¬ 
erscheinungen allgemeinerer Natur stellt sich eine Ataxie vorwiegend der unteren 
Extremitäten ein und unter zunehmender Kachexie entwickelt sich eine immer 
stärker werdende Somnolenz. Die Kranken können, zum Zwecke der Nahrungs¬ 
aufnahme, aus ihrem Schlafzustande aufgerüttelt werden, versinken aber sofort 
wieder in ihr Koma. Nach dem Berichte von Gleim können vorher anscheinend 
gesunde (?) Personen mitten unter der Arbeit plötzlich von Schlafsucht befallen 
werden. In dem von Mense beschriebenen Falle traten bei dem Kranken sub 
finem vitae tetanusähnliche Zustände und klonische Krämpfe auf Ueber die 
pathologische Anatomie der Krankheit ist so gut wie nichts bekannt. Die Pro¬ 
gnose ist ungünstig, doch will ein portugiesischer Arzt in einem Falle Heilung 
durch Injection von Testikelflüssigkeit vom Hammel (nach Brown-S6quard) 
erzielt haben. Max Neumann (ELarlsruhe). 


Psychiatrie. 

28) Contra la degönörescence, par Paul Hardenberg. (Revue de psyoho- 
logie. 1900. Mai.) 

Verf. bricht in der kurzen Besprechung eine Lanze für die Geeetzvorschläge 
Hegar’s, insofern sie der Gefahr einer fortschreitenden Entartung der Menschheit 


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entgegen treten sollen, am so die wirksamste Prophylaxe gegen Neurosen and 
Piyehoeen za schaffen. Er weist aaf Zoroaster, Moses, Manon, Mahomet and 
Lykurg hin, die s&mmtlich schon darch bestimmte Gesetzvorschriften (verschiedene 
Stellen dee Koran werden angezogen) versuchen der Weitervererbang von geistigen 
und körperlichen Mängeln ein Ziel za setzen. In unseren Tagen haben nicht 
Hegar allein, sondern aach andere Forscher den Kreuz zag gegen die Degeneration 
gepredigt. Da werden erwähnt die Gesetze des Staates Michigan (Amerika), die 
dm Geisteskranken, Idioten und allen von gewissen Krankheiten Betroffenen die 
Heirath verbieten. In demselben Staate soll es weiter folgende Bestimmung geben: 
Alle Kranke, die sich zur Zeit als Epileptiker oder Geistesschwache in Hospitälern 
befinden oder später dahin aufgenommen werden, müssen vor ihrer Entlassung 
kastrirt werden, damit sie zeugungsunfähig werden. Dieselbe Operation soll über 
solche verhängt werden, die wegen Nothzucht oder drei Mal wegen schwerer 
Delicte verartheilt worden sind. Es wird ferner auf Na'ike, Estöves y Hualde, 
Hughues und Marro verwiesen, die alle ähnliche Schutzbestimmungen empfehlen. 
So sonderbar solche Vorschläge zuweilen anmuthen, so solle man doch nicht ver¬ 
gessen, dass die betreffenden Autoren dabei einen guten Zweck im Auge gehabt 
hätten. Spott und Skepticismus wären ihnen gegenüber nicht am Platz und 
könnten der guten Sache nur nachtheilig sein. Meitzer (Grosshennersdorf). 


29) Kltnlwohe Beiträge zur Katatonie, von Sohüle (Hanau). (Allg. Zeitschr. 

LPsyeh. LVIIL S. 221.) 

Verf. vertritt nochmals seinen Standpunkt: Es giebt einen katatonischen 
Process, der zu einer eigenartigen Demenz führt und der zur acuten und sub¬ 
acuten Demenz gerechnet werden muss, und meist, aber nicht immer unheilbar 
ist. Daneben aber kommen katatonische Erscheinungen, der vom Verf. sogenannte 
„katatone Zeichenverband“ auch episodisch im Verlaufe anderer psychischer Krank- 
beitsprocesse vor, und zwar bei der chronischen Paranoia, bei periodischen und 
cyklischen Formen; endlich hält Verf. auch an der Existenz einer Melancholia 
sttonrta fest. Auch Wahnsinns- und Verwirrtheitszustände können eine katatonische 
Verl aufsform zeigen und dann entweder heilen oder in Verblödung übergehen. 

Der Zustand des Bewusstseins ist sehr verschieden, von grösster Einengung 
wechselnd bis zu fast völliger Klarheit; die Stimmung meist farblos und gleich¬ 
gültig, aber auch allen schroff wechselnden Launen nachgebend; der Wille ge¬ 
sperrt, durch Gegenimpulse abgedrängt, oft paradox und stereotyp. Für den 
Charakter der Bewegungen nimmt Verf. theils eine intrapsychische, theils extra¬ 
psychische Genese an. 

Die acuten und massigen Stuporgrade sind günstiger in der Prognose als 
die chronischen; letztere in jugendlichem Alter ungünstiger als später; die 
8tereotypieen sind weniger bedenklich als die eigentlich musculäre Attonitis. Je 
deutlicher die intellectuelle Schädigung, je grösser die Unordnung und Zer¬ 
fahrenheit der Vorstellungen, namentlich in der Ruhe nebst groteskem Inhalt 
desultorischer Wahngebilde ist, desto ernster die Aussicht. 

Aschaffenburg (Heidelberg). 


90) Periodische Katatonieen, von August Müller (Wien). (Züricher Inaugural¬ 
dissertation. Herisau, 1900. Schlöpfer u. Co.) 

Im Wesentlichen casuistische Mittheilung; sie umfasst 15 Fälle mit längeren, 
oft Jahre langen Remissionen, während deren die Patienten in der Freiheit ihren 
Unterhalt erwarben; 6 Fälle, in denen die Störung auch in den Zwischenzeiten 
•ehr bedeutend war, 2 Fälle mit täglich schwankender Erregung und endlich 


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26) Tuberouloae du diplod. Orises dpileptiques. Hemioontracture post- 
hdmipldgique aveo athötoae. Rdseotion da la partto d’oa malade. 
Diaparition de 1 ’hdmioontracture, par A. Chipaalt. (Travaux de neurolog. 
chirarg. 1900. Nr. 2 u. 3.) 

Verf. berichtet über einen Patienten von 16 l / a Jahren, der seit seinem 
9. Lebensjahr an Krämpfen litt, 3 1 / 2 Jahr später bildete sich nach einem neuen 
Anfall eine linksseitige Lähmung mit Athetose des linken Armes, sodass ungefähr 
alle Viertelstunden athetotische Bewegungen erfolgten. Pat. stammte aus einer 
tuberculös belasteten Familie. Nachdem die Diagnose auf eine Affection der 
rechten Zona rolandica gestellt war, wurde in dieser Gegend trepanirt und dabei 
die Diploe in einer Zone von 5—6 cm mit fungösen Massen besetzt gefunden, 
welche entfernt wurden. Der Erfolg war ausgezeichnet: die epileptischen Krisen 
verschwanden nach dem zweiten Verbandwechsel, die athetotischen Bewegungen 
verschwanden gleich nach der Operation, die Contractur ist beseitigt. 

Adler (Berlin). 

27) I. Berichte über die Schlafkrankheit der Neger im Kongogebiete, von 
Dr. Gleim. — II. Bemerkungen und Beobachtungen über die Schlaf¬ 
sucht der Neger, von Dr. C. Men so. (Archiv f. Schiffs- u. Tropenhygiene. 
IV. 1900.) 

Diese in einigen Flussgebieten Westafrikas unter den Eingeborenen endemisch 
auftretende Krankheit ist sowohl hinsichtlich ihrer Aetiologie wie ihrer klinischen 
Stellung noch sehr wenig aufgeklärt. Sie befällt nur Neger und Mischlinge; dass 
Europäer von der Krankheit befallen worden seien, ist bis jetzt mit Sicherheit 
noch nicht festgestellt. Die Krankheit ist eine exquisit endemische und scheint 
eine gewisse Prädisposition vorausznsetzen. In einzelnen Gegenden ist die Mor¬ 
talität eine ganz bedeutende, sie beträgt bis zu 25 °/ 0 der Gesammtbevölkerung. 
Die Ursache der Krankheit sehen einzelne im Genuss einer Pflanzenwurzel, des 
Manioks; andere erklären sie für parasitären Ursprungs, und als Erreger wird 
bald ein specifischer Bacillus, bald der Pneumococcus, bald eine Filaria (F. per¬ 
stans) angesprochen. Die Krankheit hat eine unbestimmt lange, vielleicht sich 
über Jahre erstreckende Latenzperiode und führt nach Auftreten der ersten deut¬ 
lichen Symptome meistens innerhalb einiger Monate zum Tode. Nach Prodromal¬ 
erscheinungen allgemeinerer Natur stellt sich eine Ataxie vorwiegend der unteren 
Extremitäten ein und unter zunehmender Kachexie entwickelt sich eine immer 
stärker werdende Somnolenz. Die Kranken können, zum Zwecke der Nahrungs¬ 
aufrahme, aus ihrem Schlafzustande aufgerüttelt werden, versinken aber sofort 
wieder in ihr Koma. Nach dem Berichte von Gleim können vorher anscheinend 
gesunde (?) Personen mitten unter der Arbeit plötzlich von Schlafsucht befallen 
werden. In dem von Mense beschriebenen Falle traten bei dem Kranken sub 
finem vitae tetanusähnliche Zustände und klonische Krämpfe auf Ueber die 
pathologische Anatomie der Krankheit ist so gut wie nichts bekannt. Die Pro¬ 
gnose ist ungünstig, doch will ein portugiesischer Arzt in einem Falle Heilung 
durch Injection von Testikelfiüssigkeit vom Hammel (nach Brown-Söquard) 
erzielt haben. Max Neumann (Karlsruhe). 


Psychiatrie. 

28) Contre la degöndreacenoe, par Paul Hardenberg. (Kevue de Psycho¬ 
logie. 1900. Mai.) 

Verf. bricht in der kurzen Besprechung eine Lanze für die Gesetzvorschläge 
Hegar’s, insofern sie der Gefahr einer fortschreitenden Entartung der Menschheit 


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entgegen treten sollen, um so die wirksamste Prophylaxe gegen Neurosen nnd 
Psychosen zu schaffen. Er weist auf Zoroaster, Moses, Manon, Mahomet und 
Lykurg hin, die sämmtlich schon durch bestimmte Gesetzvorschriften (verschiedene 
Stellen dee Koran werden angezogen) versuchen der Weitervererbung von geistigen 
und körperlichen Mängeln ein Ziel zu setzen. In unseren Tagen haben nicht 
Hegar allein, sondern auoh andere Forscher den Kreuzzug gegen die Degeneration 
gepredigt. Da werden erwähnt die Gesetze des Staates Michigan (Amerika), die 
den Geisteskranken, Idioten und allen von gewissen Krankheiten Betroffenen die 
Heirath verbieten. In demselben Staate soll es weiter folgende Bestimmung geben: 
Alle Kranke, die sich zur Zeit als Epileptiker oder Geistesschwache in Hospitälern 
befinden oder später dahin aufgenommen werden, müssen vor ihrer Entlassung 
kastrirt werden, damit sie zeugungsunfähig werden. Dieselbe Operation soll über 
solche verhängt werden, die wegen Nothzucht oder drei Mal wegen schwerer 
Delicto verurtheilt worden sind. Es wird ferner auf Na'ike, Estäves y Hualde, 
Hughues und Marro verwiesen, die alle ähnliche Schutzbestimmungen empfehlen. 
So sonderbar solche Vorschläge zuweilen anmuthen, so solle man doch nicht ver¬ 
gessen, dass die betreffenden Autoren dabei einen guten Zweck im Auge gehabt 
hätten. Spott und Skepticismus wären ihnen gegenüber nicht am Platz und 
könnten der guten Sache nur nachtheilig sein. Meitzer (Grosshennersdorf). 


20) Klinische Beiträge zur Katatonie, von Sohüle (Hanau). (Allg. Zeitschr. 

f. Psych. LVHI. S. 221.) 

Verf. vertritt nochmals seinen Standpunkt: Es giebt einen katatonischen 
Process, der zu einer eigenartigen Demenz führt und der zur acuten und sub- 
aeuten Demenz gerechnet werden muss, und meist, aber nicht immer unheilbar 
ist. Daneben aber kommen katatonische Erscheinungen, der vom Verf. sogenannte 
„katatone Zeichenverband“ auch episodisch im Verlaufe anderer psychischer Krank- 
beitsprocesse vor, und zwar bei der chronischen Paranoia, bei periodischen und 
cyklischen Formen; endlich hält Verf. auch an der Existenz einer Melancholia 
attomta fest. Auch Wahnsinns- und Verwirrtheitszustände können eine katatonische 
Verlaufsform zeigen und dann entweder heilen oder in Verblödung übergehen. 

Der Zustand des Bewusstseins ist sehr verschieden, von grösster Einengung 
wechselnd bis zu fast völliger Klarheit; die Stimmung meist farblos und gleich¬ 
gültig, aber auch allen schroff wechselnden Launen nachgebend; der Wille ge¬ 
sperrt, durch Gegenimpulse abgedrängt, oft paradox und stereotyp. Für den 
Charakter der Bewegungen nimmt Verf. theils eine intrapsychische, theils extra- 
psychische Genese an. 

Die acuten und mässigen Stuporgrade sind günstiger in der Prognose als 
die chronischen; letztere in jugendlichem Alter ungünstiger als später; die 
Stereotypieen sind weniger bedenklich als die eigentlich musculäre Attonitis. Je 
deutlicher die intellectuelle Schädigung, je grösser die Unordnung und Zer¬ 
fahrenheit der Vorstellungen, namentlich in der Ruhe nebst groteskem Inhalt 
deeultorischer Wahngebilde ist, desto ernster die Aussicht. 

Aschaffenburg (Heidelberg). 

80) Periodische Katatonieen, von August Müller (Wien). (Züricher Inaugural¬ 
dissertation. Herisau, 1900. Schlüpfer u. Co.) 

Im Wesentlichen casuistische Mittheilung; sie umfasst 16 Fälle mit längeren, 
oft Jahre langen Remissionen, während deren die Patienten in der Freiheit ihren 
Unterhalt erwarben: 5 Fälle, in denen die Störung auch in den Zwischenzeiten 
sehr bedeutend war, 2 Fälle mit täglich schwankender Erregung und endlich 


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noch anhangsweise 2 Fälle, in denen eine Remission von 20 bezw. 21 Jahren 
die beiden Anfälle trennten. Verf. wirft noch die Frage auf, ob die Erregungs¬ 
zustände wirkliche acute Schäden der Grundkrankheit sind oder ob die Degeneration 
in Folge einer Dementia praecox bloss den Boden schaffe, auf dem eine periodische 
Psychose erwachse. Eine bestimmte Entscheidung fällt er nicht. Es verdient 
wohl, in Anbetracht der ablehnenden Stellung mancher Autoren der Katatonie 
gegenüber, betont zu werden, dass jedes Mal neben den typisch katatonischen 
Zeichen ein mehr oder weniger hoher Grad von psyohischer Schwäche als charak¬ 
teristischer Unterschied gegenüber dem einfachen circulären oder periodischen 
Irresein zu beobachten war. Aschaffenburg (Heidelberg). 


31) Unilateral hallneinations; their relative frequenoy, assoeiations and 
pathology, by Dr. Alex. Robertson. (Journal of Mental Science. 1901. 
April.) 

Dem Verf. zufolge ist das einseitige Ueberwiegen von Hallucinationen in 
den höheren Sinnesfeldern keine Seltenheit, hingegen sind ihm ausschliesslich ein¬ 
seitige Sinnestäuschungen, mit ausgesprochener Prädilection der linken Seite, im 
Ganzen unter einem grossen Krankenmaterial nur 15 Mal vorgekommen. In allen 
Fällen war der Gehörssinn entweder — weitaus am häufigsten — allein be¬ 
troffen oder maassgeblich mitbetheiligt Das Phänomen kam am häufigsten bei 
Alkoholpsychosen, je einmal bei Geistesstörung nach Blei- bezw. Opiumvergiftung 
und vereinzelt bei Gesunden als Reiz- oder Reflexerscheinung (gleichseitiger 
Acusticusschwund, Bindehautreizung) zu Stande und war in Ausnahmefällen weder 
unmittelbar an den Beginn der psychischen Störung gebunden (ihr lange voraus¬ 
gehend), noch präcise mit dem Eintritt der Krankheitseinsicht zugleich beseitigt. 

Diesem Ergebnisse liegen ausschliesslich die den Gegenstand betreffenden 
Urtheile der befragten Personen zu Grunde; insofern Verf. weder eine psy¬ 
chiatrische Kritik noch auch eine (mögliche) Nachprüfung derselben angestrebt 
hat, haben seine Resultate leider nicht unbedingten Werth. Der weitere Ver¬ 
such, dem Begreifen der Pathogenese dieser Erscheinungen mit Hülfe der Con- 
struction toxischer Metastasirungen nachzuhelfen, ist wohl weder originell noch 
recht ergiebig. Schmidt (Freiburg i./Schl.). 


32) Le oas de Charles Bonnet. — Halluoinations visuelles ohez un 

vieillard opörd de la cataraote, par Th. Flournoy. (Arch. de psychol. 

de la Suisse Romande. I.) 

Der Aufsatz, der die obige neugegründete Zeitschrift (herausgegebeu von 
Flournoy und Claparöde) eröffnet, führt gewissermaassen ein Vermächtniss aus; 
es ist die ausführliche Veröffentlichung eines von Ch. Bonnet in seinem „Essai 
analytiqne“ erwähnten Falles. Es handelt sich um Gesichtshallucinationen bei 
einem Greis von 90 Jahren, die sich 11 Jahre nach einem Fall auf die rechte 
Kopfseite und einer nachfolgenden Cataractoperation entwickelten und fast s / 4 Jahr 
bestanden. Das Bemerkenswertheste bei denselben war ihr Auftreten bei sonst 
völlig intacter Psyche des Patienten: Er beobachtete dieselben ohne irgend welchen 
Affect, wie physikalische Phänomene, und war sich, obwohl die Bilder völlige 
Deutlichkeit und Körperlichkeit besassen, stets oder fast stets über ihre Irrealität 
im Klaren. Bezüglich ihres Inhaltes waren es theils Photopsieen (fliegende bunte 
Funken, Schmetterlinge, viereckige farbige Tücher), zum grösseren Theile Gegen¬ 
stände, Personen, Gemälde in Rahmen an der Wand, Möbel, Veränderungen der 
Tapeten u. A. Verschiedentlich traten die Personen oder Gegenstände unter riesen¬ 
haften Dimensionen als „Makropsieen“ auf, sie bewegten sich im Zimmer, setzten 


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sich zwischen ihn and seine Besucher, sprachen indessen nie. Eine regelmässig 
wiederkehrende Erscheinung war die eines Rauchers mit den eigenen Zügen des 
Patienten, die sich ihm gegenübersetzte, wenn er Morgens seine Pfeife ansteckte. 
— Die HaUucinationen traten fast stets unwillkürlich, plötzlich, ohne erkenn¬ 
baren Zusammenhang mit den Geschehnissen der Umgebung auf; Pat. unterbrach 
dann h&ufig sein Gespräch, machte seine Angehörigen darauf aufmerksam, um 
darauf ruhig fortzufahren. Doch konnte er sie unter Umständen auch willkürlich 
bervorrufen oder festhalten, wenn er z. B. in ein Nebenzimmer ging, um zu sehen, 
ob dort die Tapete sich auch verändert habe. Sie traten stets nur im völlig 
wachen Zustande auf, nie im Bett oder beim Einschlafen. — Abgesehen von den 
Photopsieen, die das ganze Gesichtsfeld einnahmen, befanden sich die Halluci- 
nationen stets in der linken Hälfte des Gesichtsfeldes, bewegten sich stets von 
rechts nach links, blieben bestehen, auch wenn er das linke Auge verdeckte. — 
Die Krankengeschichte sind die dictirten, mit einer Unmenge detaillirter Einzel¬ 
züge versehenen Eigenbeobachtungen des Patienten; das Manuskript stammt aus 
dem Jahre 1759. — Obgleich Verf. die Deutung der Erscheinungen als hemi- 
opische HaUucinationen verwirft, glanbt Ref. aus mehreren Angaben der Kranken¬ 
geschichte doch diese Erklärung, besonders nach den Arbeiten von Uhthoff, 
als die wahrscheinlichste annehmen zu dürfen. H. Haenel (Dresden). 


SS) Obsession emotive d’origine sexuelle; traitement et gudrison , par 

P. Valentin. (Revue de Psychologie. 1900. Mai.) 

Patientin, 39 Jahre alt, consultirte Verf. wegen einer seit Jahren bestehenden, 
sich immer unerträglicher gestaltenden Zwangsvorstellung, dass sie Niemanden 
ausehen könne. Begleitet war diese besonders in Gegenwart anderer Personen 
von Angstanfallen mit Palpitationen, Larynxspasmen u. s. w., die sich weiter bis 
zur Ohnmacht steigern konnten. Um sich zum Theil gegen diese Anwandlungen 
zu schützen, bestrich sie die Gläser eines Lorgnons mit etwas Vaselin, was ihr 
Bliekfeld trübte, ohne ihr die Orientirung im Raum gänzlich zu rauben. Inter¬ 
essant war die psychologische Genese dieser Zwangserscheinung. — Patientin war 
erblich belastet; von der Mutter hatte sie eine krankhafte Erregbarkeit und Im- 
preasionabilität geerbt. Viele Schicksalsschläge, eine unglückliche Ehe, missliche 
Verhältnisse hatten sie zur Neurasthenien gemacht. In ihrer zweiten glücklicheren 
Ehe blieb sie nervös, reizbar, furchtsam, schüchtern. Damals, 35 Jahre alt, em¬ 
pfand sie zum ersten Male in ihrem Leben bei der Cohabitation la Sensation 
v6n6rienne. Dieser ganz unerwartet eingetretene Eindruck rief einen starken 
Shok bei ihr hervor; sie fragte sich, ob sie wie andere Frauen wäre, vertraute 
sich aber Niemandem an und versuchte mit aller Geistesanstrengung mehrere 
Monate hindurch den Orgasmus zu verhindern; gelang ihr dies nicht, so war sie 
lasserst deprimirt Dieser unnatürliche Kampf gegen sich selbst machte sich mit 
einer noch grösseren Nervenerschöpfung bezahlt. In dieser Zeit kaufte ihr Mann 
einen Hund, der die üble Gewohnheit hatte, alle Leute in der Inguinalgegend zu 
beschnüffeln. Wenn nun Jemand zu ihr kam, bo konnte sie von jetzt ab dem 
Drange nicht widerstehen, dem Thun des Hundes mit den Augen zu folgen. Das 
war für sie selbst eine Marter, zumal sie bald ihre Ohnmacht einsah und sich 
bei Begegnungen mit Menschen heftige Angstkrisen einstellten, die sie immer 
häufiger und heftiger überkamen. Sie beschloss daher, allen aus dem Wege zu 
gehen, selbst ihren Verwandten und Kindern, und lebte ganz für sich, bis sie 
eines Tages auf den Gedanken kam, die Gläser ihres Lorgnons in der oben be¬ 
schrieben«! Weise zu beschmutzen. Von jetzt ab wurde sie nicht mehr von der 
Furcht beherrscht, ihre Blicke auf die Inguinalgegend der Leute richten zu müssen, 
sondern konnte überhaupt Niemanden mehr ansehen, gleich, ob sie mit ihnen 


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sprach oder nicht. Diese Furcht blieb im Zustande des Zwangs und erhielt die 
Kranke in beständiger Spannung, zumal sich jetzt der Gedanke einschlich, was 
andere Leute dazu sagen würden, dass man üble Gerüchte über sie verbreite, sie 
belausche u. s. w. So suchte sich die auf einen affectiven Shok sexuellen Ur- 
Sprungs gepfropfte Phobie in eine paranoische Wahnidee umzuwandeln. Den 
psychischen Störungen standen auf somatischem Gebiete gegenüber: Vesico-urethrale 
Hyperästhesie, Gastroptose und Magenerweiterung, Unregelmässigkeit des Herz¬ 
schlags, Gefühl der Leere im Kopf, Nackenschmerzen, leichte Ermüdbarkeit der 
Augen, Schlafstörungen; keine hysterischen Stigmata oder organische Störungen. 

Die Behandlung war eine doppelte: 1. allgemein tonisirende, 2. suggestive. 
Bei der ersteren bediente sich Verf. u. a. subcutaner Lecithininjectionen. Der 
Suggestivbehandlung, die ganz den individuellen Verhältnissen Rechnung trug, 
gelang es, binnen wenigen Wochen die Patientin soweit zu fordern, dass sie 
wieder mit Menschen verkehren konnte. 

Verf. knüpft an den letzten Abschnitt über die psychologische Behandlung 
dieser Kranken die Bemerkung, dass es bei der Heilung von Zwangsvorstellungen 
und Phobieen nicht genügt, den Patienten über den Ausgang seiner'psychischen 
Störung zu beruhigen und sich auf eine exspectative Therapie zu beschränken. Der 
Psycholog müsse vielmehr in den destruirenden Process der Zwangsideeen und 
Phobieen direct eingreifen und den Pat. erziehen, die begleitenden affectiven 
Paroxysmen zu überwinden im Augenblick, in dem sie entstehen, event. in dem 
er sie selbst hervorruft, wobei er dann persönlich zu Hülfe kommen muss. 

Meitzer (Grosshennersdorf). 


34) Psioopatologia delle Idee di negazione, pel Dr. Santo de Sanctis. 

(Giornale il manicomio moderno. 1900. XVI. Nr. 3.) 

Der Verf. untersucht in der vorliegenden, ausführlichen Arbeit die Genese 
der „Idee di negazione“ und führt sie alle auf den „psychischen Contrast“ zurück, 
der eine Thatsache der normalen Psyche darstellt. Vor allem bekämpft er die 
Hypothese der Entstehung derselben aus der „Verdopplung der Persönlichkeit“, 
erkennt dagegen die Dallemagne’sche Hypothese (Verwandtschaft mit der Folie 
du doute) an. Die Verneinungsideeen (Widerspruchsgeist) treten nach Verf. in 
einem späten Stadium der Psychose auf und kündigen den Beginn der seoun- 
dären, bezw. senilen Geistesschwäche an (Beweis: Atrophie der Frontal¬ 
windungen). Ferner besteht bezüglich der „Dölires des nögations“ ein zweifel¬ 
loser Zusammenhang mit früher stattgehabten Krankheiten oder früheren lebhaften 
Eindrücken (Gastroenteritis und hypochondrische Delirien des Leerseins, des Mangels 
von Eingeweiden u. s. w.). Immerhin giebt es Fälle, in denen das „Dölire des 
nfigations“ schon mit dem Beginn der Psychose sioh einstellt, und solche, die trotz 
Senilität vollkommen ausheilen. In solchen Fällen handelt es sich um psychische 
Erschöpfung, bezw. Intoxication, oder um psychischen, pathologischen Schmerz 
(„Schmerz ist an und für sich sohon eine Negation“), oder schliesslich um psychische 
Degeneration (bei Hysterischen, Imbecillen u. s. w.). 

Allgemein fasst der Verf. die Entstehung der Widerspruchsvorstellungen in 
dem Satz zusammen, dass die Kranken „dasjenige negiren, was entweder früher 
oder gegenwärtig ihre Aufmerksamkeit am meisten gefesselt hatte“, und zwar 
trifft dies sowohl für somatopsychische (hypochondrische Ideeen!) als auch für 
allopsychische Ereignisse zu. Die psychologische Erklärung hierfür sucht er in 
der Thatsache, dass jedes Individuum seinen speciellen Reactionstypus aufweist 
(es giebt Menschen mit vorwiegend motorischen, solche mit vorwiegend visuellen 
oder mit vorwiegend anditiven Vorstellungen) und bei besonders starker Inanspruch¬ 
nahme denselben rasch erschöpft, so dass dann das Bewusstsein ihn verliert und 


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nur noch den Contrast erkennt (analog dem Naohbild der Netzhaut in der Com- 
plementärfarbe). 

Der 'Widerspruchsgeist ist normalerweise beim Kind, beim Greise und bei 
geistig Schwachen vorhanden; er bildet die Basis aller verwandten psychopatho- 
logischen Erscheinungsformen; ist der Inhalt des Negirten absurd und systemati- 
«irt, so haben wir das Delirium vor uns. Die Katatonie, das Dölire des nägations, 
die Folie d’Opposition u. s. w. haben alle ihre gemeinsame Wurzel in der Negation, 
»dem psychischen Contrast“. H. Gessner (Nürnberg). 


36) Krankzinnigheid by tweellügen, door Dr. Bouman. (Psych. en neurol. 

Bladen. 1901. S. 197.) 

Yerf. fügt der Casuistik Soukhanoff’s noch 3 Fülle hinzu. Im 1. Falle 
handelt es sioh um 2 Schwestern im Alter von 18 Jahren — beide nicht belastet 
und ohne nachweisbare Lues in der Ascendenz —, die einige Tage nacheinander 
an Influenza erkrankten. Beide zeigen nach 8 Tagen Symptome von Irresein 
unter dem Bilde von Amentia Meynert mit grosser Uebereinstimmung in dem 
Verlauf; psychische Infection war auszuschliessen. 

Im 2. Falle zeigen ein Zwillingsbruder und Zwillingsschwester manisch- 
depressives Irresein, bezw. Insania hysterica. 

Im 3. Falle kommt Dementia paranoides bei 2 Zwillingsbrüdern vor. 

Verf. knüpft an die Fälle einige Bemerkungen über Folie gömellaire und Folie 
eommuniquöe, wie über Familienpsychosen, und behauptet, dass die Fälle von 
„Folie gömellaire“, wofür eine Erklärung nicht zu geben ist, den Familien- 
psyehosen zuzurechnen sind. TenCate (Rotterdam). 


36) Post-influenz&l insanity in the Cumberland and Westmoreland 
asyltun, with statistios of 68 oases, by George A. Rorie. (The Journal 
of Mental Science. 1901. April.) 

1890—1899 wurden in obiger Irrenanstalt 68 Fälle von Influenzapsychosen 
behandelt, die sich auf beide Geschlechter gleichmässig vertheilten. Die meisten 
Männer wurden 1893 und 1895, die meisten Frauen 1892 aufgenommen. Das 
Alter der männlichen Kranken betrug 19 — 71, durchschnittlich 43,8 Jahre, die 
meisten standen im Alter von 21—SO, nächstdem im Alter von 61—70. Bei 
den Frauen war das Lebensalter 19—89, im Mittel 49,5 Jahre und entfiel die 
grösste Morbidität auf das 5. Decennium, die zweithöchste auf das folgende. Der 
Körperzustand war nur bei 22 Personen von durchschnittlicher Verfassung. 
Das Intervall zwischen Infection und Ausbruch der geistigen Störung wurde 
gewöhnlich durch imbestimmte psychische Veränderungen verwischt, variirte von 
Null bis zu Tagen, Wochen, Monaten und vereinzelt bis Jahresfrist und betrug 
am häufigsten 1—3 Monate. Von Männern waren 29, von Frauen 24 zum ersten 
Mal erkrankt Erbliche Belastung war bei 10 Männern und 12 Frauen vor¬ 
handen. Bei 12 + 9 weiteren Männern und Frauen wurde anderweitige con- 
atitntionelle und erworbene Belastung festgestellt Unter den übrigen 12 bezw. 
14 nicht Belasteten befanden sich noch 3 + 6 Senile. 46 Kranke (26 Männer, 
20 Frauen) litten an Melancholie, 7 (3 Männer, 4 Frauen) an acuter Manie, 
12 (4 Männer, 8 Frauen) an einfacher Manie, 2 Frauen an Dementia senilis und 
1 Mann an rasch verlaufender Paralyse. 17 Männer und 19 Frauen machten 
Selbstmordversuche, darunter 4 einfach und 2 acut Manische (mit einer Aus¬ 
nahme Frauen). — Die Melancholie verlief zuweilen in der agitirten, häufiger 
in der einfachen Form, manchmal in Combination mit Verwirrtheit und Ge- 
diehtnis88chwäche, oder mehr in Mischung mit Stupor und Katalepsie. Wahn- 
ideeen meist persecutiver Färbung kamen bei 10 Männern und 11 Frauen, 


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Hallucinationen, meist des Gehörs, bei 5 Frauen und 3 Männern zur Kenntniss. — 
Bei der acuten Manie, welche bei den Männern stets erst später, bei einigen 
Frauen aber ziemlich rasch einsetzte, kamen öfters Verwirrtheit, Wahnvorstellungen 
und Hallucinationen vor. Bei einer Frau war vor der Aufnahme eine melancho¬ 
lische Phase vorausgegangen. — Die Melancholischen sind genesen oder 
gehen, abgesehen von den Gestorbenen, einem Verblödeten und einer Frau der 
Genesung entgegen. Alle acut Manischen genasen nach etwa 5 Monaten. 
Die einfache Manie verlief weniger günstig; von Männern wurde nur 
einer, von Frauen nur 2 genesen entlassen. Die mittlere Dauer der Anstalts¬ 
behandlung betrug für die bereits Entlassenen 5 Monate. 

Schmidt (Freiburg i./Schl.). 

37) Die hessisohen Provinzialsiechenanstalten und die Geisteskranken, 

von Ludwig (Heppenheim). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 183.) 

In der ihm eigenen klaren, ungekünstelten, aber um so eindringlicheren Art 
bespricht Verf. die Beziehungen der Siechenanstalten zur Irrenpflege; wenn auch 
dabei die hessischen Verhältnisse zu Grunde gelegt werden, so haben doch seine 
Ausführungen Anspruch auf das allgemeinste Interesse. Immer wieder wird ver¬ 
sucht, dem allenthalben eingetretenen Mangel an verfügbaren Plätzen dadurch ab¬ 
zuhelfen, dass Geisteskranke in die Siechenhäuser abgegeben werden. Dort sind 
sie aber an der unrichtigen Stelle, und auch dann, wenn besondere Abteilungen 
für Irre den Siechenhäusern angegliedert werden, ist damit der Zustand noch 
nicht besser geworden. Es fehlt an passenden Räumen, geeignetem Personal, oft 
auch an psychiatrisch gebildeten Aerzten; Aufnahmebedingungen und Disciplinar- 
vorschriften sind für beide Krankheitsgruppen nicht einheitlich zu gestalten. „Ein 
Geisteskranker gehört ebenso wenig in die Siechenanstalt, wie ein geistesgesunder 
Siecher in die Irrenanstalt.“ Die Unterbringung ruhiger Irrer — dem Begriff der 
„Harmlosigkeit“ spricht Verf. jede praktische Verwerthbarkeit ab — in Armen¬ 
häuser entzieht dem Psychiater ein werthvolles Beobachtungsmaterial, auf das 
unsere Wissenschaft ebenso wenig verzichten kann, wie auf Privatkranke. Der 
Verf. hält die z. B. in der Rheinprovinz bestehende Trennung in staatliche Irren¬ 
anstalten, die berechtigt sind, Privatkranke aufzunehmen, und solche, denen dieses 
Recht entzogen ist, für unzweckraässig und schädlich, auch vom finanziellen 
Standpunkte. Aschaffenburg (Heidelberg). 


HL Bibliographie. 

Dipsomanie. Eine klinische Studie von R. Gau pp. (Jena, 1901. G. Fischer. 

161 S.) 

Verf. beginnt mit einer Geschichte der Lehre von der Dipsomanie. Seine 
eigene Auffassung der Dipsomanie begründet er folgendermaassen: Er berichtet 
über eine Anzahl Fälle der Heidelberger Klinik, die er in drei Gruppen theilt. 

Die erste enthält Fälle reiner Dipsomanie. Verf. zeigt an ihnen, dass 
periodische, völlig spontan auftretende Verstimmungen regelmässig die Ein¬ 
leitung des Anfalls bilden, und dass diese Verstimmungen in abgekürzter Weise 
auch bei Verhinderung des Trinkens auftreten. 

In die zweite Gruppe stellt Verf. daneben eiue Reihe Kranker, welche an 
periodischen Verstimmungen leiden, ohne dabei zu trinken, und welche daneben 
Symptome ausgesprochener Epilepsie zeigen. 

Die dritte Gruppe enthält Fälle, welche eine Combination von dipsomanischen 
Anfällen mit epileptischen Zufällen (Krämpfen, Schwindelanfällen u. 8. w.) dar¬ 
bieten. 


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Verf. weißt auf die fliessenden Uebergänge zwischen den einzelnen 
Krankheitsbildern hin, aof die Gleichheit der einzelnen Zufälle bei allen drei 
Gruppen, und entwickelt so die Berechtigung der Anschauung, welcher Kraepelin 
und Aschaffenburg Ausdruck gegeben haben, dass die Dipsomanie als der 
Epilepsie zugehörig anzusehen sei: sie ist ihm eine Form psychischer 
Epilepsie. 

Der Begriff der Epilepsie darf nach dem Verf. nicht zu eng gefasst werden. 
Man ist darüber einig, dass dieses oder jenes der in den „klassischen“ Fällen 
vorhandenen Symptome fehlen kann, ohne dass eine Erkrankung darum aalhört, 
zur Epilepsie zu rechnen. 

Finden wir eine Erkrankungsform bei zweifelloser Epilepsie in typischer 
Weise, sehen wir sie dann aber gleichartig auftreten, auch ohne Begleitung der 
Bogen, charakteristischen epileptischen Zeichen, so werden wir zu der Annahme 
berechtigt sein, es liege trotzdem dieselbe Krankheit vor. 

Die Dipsomanie gehört somit zu den „periodischen .Verstimmungen“ und diese 
sind das wesentliche Merkmal der Epilepsie. 

Nachdem Verf. dann eine grosse Zahl von Fällen aus der Litteratur zur 
8tätze seiner Anschauung von der klinischen Stellung der Dipsomanie angeführt 
hat, geht er zu einer zusammenfassenden Darstellung der Lehre von der Krank* 
heit über und zeichnet ihr klinisches Bild, ihre verschiedenen Varietäten, mit 
bemerkenswerther Schärfe und Anschaulichkeit. 

Von den Trinkexcessen der Manischen unterscheidet sich die Dipsomanie da¬ 
durch, dass die ersteren aus gehobener Stimmung und Thatendrang, letztere aus 
innerer Unruhe und Angst hervorgehen. Auch der Paralytiker trinkt meist in 
expansiver Stimmung. 

Die Meinung, dass der Melancholische seine Depression mit Spirituosen be¬ 
kämpfe, kommt nur daher, dass viele Autoren jede Depression als Melancholie 
bezeichnen. 

Die Trinkexceese bei gewissen körperlichen Leiden, schmerzhafter Menstruation 
u. s. w. sind psychologisch motivirt Die Unterscheidung vom chronischen Alko- 
hohsten ist nur dann schwer, wenn der Dipsoman e zum Alkoholisten geworden 
ist Der Alkoholmissbrauch kann — wie andere epileptische Symptome — so 
auch Dipsomanie auslösen. Aber es giebt auch sicher Dipsomanen, die vor ihrer 
Erkrankung ein massiges Leben führten. 

Eine Abtrennung der Pseudodipsomanie — durch Gelegenheit ausgelöste 
Anfalle — erkennt Verf. nicht als berechtigt an. 

Hiermit sind nur einige hervorstechende Punkte berührt auB den reichen 
Darlegungen des Verf.’s. 

Eine annähernd so umfassende und erschöpfende Behandlung hat die vom 
medidnischen wie socialen Standpunkt gleich interessante Krankheit in neuerer 
Zeit nicht erfahren, wie in vorliegender Arbeit. 

Liepmann (Dalldorf-Berlin). 


IV. Ans den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 9. December 1901. 

Herr H. Krön: Ueber hysterische Blindheit. (Erscheint unter den Origi- 
nalien d. CentralbL) 

Die Discnssion wird vertagt 

Herr Salomonsohn stellt einen 32jähr. Patienten vor, der durch seit Jahren 


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bestehende rechtsseitige Miosis, durch rechtsseitige reflectorische Pupillen starre, 
Fehlen der Patellar- und anderer Reflexe der Tabes incipiens dringend suspect 
ist und die Erscheinungen einer nur rechtsseitigen multiplen Hirnnervenlähmung 
mit Ophthalmoplegie exterior darbot. Das Leiden begann nach starker Abkühlung 
der rechten Gesichtshälfte, mit Abducenslähmung, es folgt 3 Monate später An¬ 
ästhesie des 1. und 2. Trigeminusastes und Lähmung aller äusseren Augenmuskeln 
bei nachweislich intacter innerer Musculatur (M. ciliaris, sphincter, dilatator). 
Wieder einen Monat später entstand: Lähmung der motorischen Quintusportion 
exclusive der M. pterygoidei; Lähmung der sensiblen Portion inclusive der rechten 
Zungenhälfte, aber mit Erhaltenbleiben des Geschmackes; Lähmung des rechten 
Hypoglossus. In der Zwischenzeit trat auch Keratitis neuroparalytica und Läh¬ 
mung des rechten Dilatator pupillae auf. Ferner kam in dem Falle zur Beobach¬ 
tung: Rechts Aufhören der (psychischen) Thränensecretion; nur contralaterales 
Schwitzen; Kieferklemme. Die elektrische Erregbarkeit der gelähmten Kaumuskeln 
war stark herabgesetzt. , Ein Theil der Erscheinungen zeigte beginnende 
Besserung. 

Vortr. erörtert die Localisation der einseitigen exterioren Ophthalmoplegie, 
weist die von Mauthner hierfür aufgestellten Lehrsätze zurück und behauptet 
im Gegensatz zu diesem Autor, dass eine einseitige exteriore Ophthalmoplegie in 
keinem Falle nudear sein kann, besonders nicht, wenn eine durch Dilatator¬ 
lähmung bedingte Miosis oder eine Keratitis neuroparalytica dabei auftrete. Die 
Möglichkeit einer Localisation im vorderen Theil der mittleren Schädelgrube wird 
im Allgemeinen zugegeben, für den vorgestellten Fall aber in Rüoksicht auf das 
gleichzeitige Bestehen von Hypoglossusparalyse mit partieller Ooulomotorius- und 
Trigeminuslähmung ebenfalls abgelehnt, diese vielmehr als peripherische Neuritis 
gedeutet. (Autoreferat). 

Die Discussion wird vertagt. 

Herr Cassirer: Angiom des Gehirn«. (Kränkenvorstellung.) 

22jähr. junger Mann, der einen ausgedehnten Naevus angiomatosus der rechten 
Gesichtshälfte hat; betroffen ist die Stirn, Gegend des inneren Augenwinkels, 
rechte Hälfte der Nase und Oberlippe; ausserdem auch die Schleimhaut der Ober¬ 
lippe und des harten Gaumens rechts in der Nähe der Mittellinie. Im April 1901 
thermocaustische Behandlung des Naevus mit späterer Transplantation. Bei diesem 
jungen Manne bestehen seit 8 Jahren Krämpfe vom Typus der corticalen Epi¬ 
lepsie. Beginn der Zuckungen im Orbicularis oculi; dann Uebergang auf die 
Mundmusculatur, Seitwärtsdrehung des Kopfes, klonische oder tonische Zuckungen 
im linken Arm; kein Bewusstseinsverlust. Jetzt gelegentlich Schwäche während 
und kurz nach den Anfallen im linken Arm, und bisweilen auch Parästhesieen in 
diesem. Früher waren die Zuckungen weniger ausgedehnt; betrafen nur die Ge- 
sichtsmusculatur, anfangs sogar nur den Orbicularis oculi. Vereinzelt generali- 
siren sich die Zuckungen, es kommt zum typisch epileptischen Anfall mit Bewusst¬ 
losigkeit, Zungenbiss, Urinabgang; aber auch dann noch immer Beginn der 
Zuckungen im Gesicht. Mutter des Kranken sehr nervös, er selbst hatte als Kind 
mehrfach Zahnkrämpfe. Die objective Untersuchung des geistig etwas zurück¬ 
gebliebenen Kranken ergiebt nicht viel: kein Zeichen vermehrten Hirndrucks, keine 
Stauungspapille, kein Erbrechen; keine Percussionsempfindlichkeit des Schädels; 
keine linksseitigen Lähmungserscheinungen, nur bei einer Untersuchung immittelbar 
nach einem Anfall geringe Schwäche der linken Hand und Steigerung der Sehnen¬ 
phänomene an dieser Seite. Es handelt sich also um cortical-epileptische Anfälle 
bei einem geistig zurückgebliebenen Individuum; als Ursache dieser ist eine Tele- 
angiectasie anzunehmen in den Gefässen des Gehirns bezw. seiner Häute an um¬ 
schriebener Stelle in der Nähe des unteren Theils der rechten Centralwindung, 


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darauf weist die Teleangiectasie dee Gesichts derselben Seite. Aehnliche Fälle 
sind Ton Kalischer (mit Section) und Lannois et Bernoad beschrieben. 

(Autoreferat) 

Die Discossion wird vertagt 

Herr Henneberg und Herr Koch (als Gast): Heber Neurofibromatose 
und Fibromatoee dee oentralen Nervensystems. (Zwei Fälle von doppel¬ 
seitigem Neurofibrom dee Aoustious.) 

Vortr. berichtet über zwei sehr ungewöhnliche Fälle multipler Fibrombildung. 

Fall I betrifft einen im November 1898 auf die Nervenabtheilung der Charit6 
angenommenen, damals 17jährigen Bäckerlehrling. Keine hereditäre Belastung. 
Beginn des Leidens Ostern 1898 mit Schwäche der Beine, Sprach- und Schluck- 
Störung. Befund bei der Aufnahme: Beaction der Pupillen erhalten, Augen¬ 
bewegungen frei, Nystagmus in allen Endstellungen der Bulbi, Fundus normal, 
Parese des Facialis links, hochgradige Dysarthrie, Bewegungsataxie in den Extre¬ 
mitäten, besonders links, cerebellare Ataxie, normales Verhalten der Sensibilität 
und der Beflexerregbarkeit. 

Krankheitsverlauf: Seit August 1899 Neuritis optica, zunehmende Schwer¬ 
hörigkeit, im Mai 1900 Taubheit beiderseits, December 1899 Unfähigkeit zu 
stehen und zu gehen, Apathie, Demenz, Tod November 1901 an Pneumonie. 

Sectionsbefund (Demonstration mit dem Projectionsapparat): Multiple Neuro¬ 
fibrome der Haut, zahlreiche kleine Neurofibrome der peripheren Nerven, pflaumen¬ 
grosse Neurofibrome an der 7. Cervicalwurzel links, extradural, auf das Spinal¬ 
ganglion übergreifend, und an der 4. Lumbalwurzel links, zahlreiche zum Theil 
symmetrische bis bohnengrosse Neurofibrome an den vorderen und hinteren Wurzeln 
des Bückenmarks innerhalb des Duralsackes, doppelseitiges, fast hühnereigrosses 
Neurofibrom des Acusticus. Durch beide Geschwülste wird die Medulla oblongata 
und der distale Theil des Pons stark comprimirt, die Kleinhimhemisphäre stark 
nach hinten gedrängt, die Brücken arme und die Corp. restiformia stark deformirt. 
An der Vagus- und Glossopharyngeuswurzel links finden sich zahlreiche kleine 
Knoten. Mikroskopisch: Typische Neurofibrome, im Büokenmark leichte Degene¬ 
ration der Hinterstränge. 

Fall II. 23jähr. Schuhmacherlehrling, aufgenommen im Mai 1899 auf die 
Krampfabtheilung. Vater und Bruder an Phthisis pulm. gestorben. Pat. war bis 
znm 15. Lebensjahre gesund, erkrankte dann an Anfällen von Kopfsohmerz und 
Erbrechen, sowie Sehschwäche, in der Folge Besserung bis zum 21. Lebensjahre, 
seitdem Abnahme des Seh- und Hörvermögens. 

Befund bei der Aufnahme: Völlige Blindheit und Taubheit, Pupillenstarre, 
neuritische Atrophie beider Nn. opt., keine Störung der Angenbewegungen, Parese 
des linken Facialis, Atrophie der linken Zungenhälfte, keine Sprachstörung, Moti¬ 
lität, Sensibilität und Beflexerregbarkeit normal. 

Krankheitsverlauf: Fortbestehen der genannten Symptome, Anfälle von Kopf¬ 
schmerz und Erbrechen, schwere allgemeine Krampfanfälle mit Bewusstseinsverlust. 
Hypochondrische Stimmung. Tod im Coma im Juni 1900. 

Sectionsbefund: Doppelseitiges, über haselnussgrosses Neurofibrom des Acusticus, 
tauben ei grosses Fibrom der Dura an der medialen Fläche des rechten Stirnhirns, 
in dieses hineinwachsend, doppelt so grosses Fibrom im vorderen Theile des 
rechten Seitenventrikels, drei bis erbsengrosse Fibrome in der Mitte der Medulla 
oblongata, multiple kleine Fibrome und Psammofibrome der harten und weichen 
Hirnhaut. Eine derartige Geschwulst am hinteren Foramen condyloideum ant. 
sin. umwächst und comprimirt den Stamm des N. hypoglossus. 

Vortr. bespricht die Ergebnisse der histologischen Untersuchung, demonstrirt 

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Neurofibrome des Intercostalnerven vom Rind, die dieselben mikroskopischen Ver¬ 
hältnisse, wie sie in Fall I vorliegen, zeigen. 

Des weiteren bespricht er eingehend die typische Localisation und den charak¬ 
teristischen klinischen Symptomencomplex der „Neurofibrome des Kleinhirnbrücken¬ 
winkels“, die vom Acusticus und den übrigen daselbst liegenden Nervenwurzeln 
ausgehen. Ein doppelseitiges Vorkommen derselben (die beiden besprochenen 
Fälle) ist äusserst selten, einseitiges Vorkommen wurde unter 60 Fällen von Hirn¬ 
geschwulst in der Nerven- und psychiatrischen Klinik der Charite drei Mal be¬ 
obachtet. Die in Rede stehenden Geschwülste sind als Neurofibrome der in Frage 
kommenden Hirnwurzeln aufzufassen, auch wenn sie keine engeren Beziehungen 
zu denselben erkennen lassen. Es ist anzunehmen, dass sie von einem Primitiv¬ 
bündel eines Nerven ausgehen und sich bei weiterem Wachsthum mit dem be¬ 
troffenen Primitivbündel von dem Nerven ablösen. Man findet in den Tumoren 
bei geeigneter UntersuchungBmethode atrophische Nervenfasern. Die Geschwülste 
sind in vielen Fällen mit Sicherheit zu diagnosticiren und vielleicht operabel 
(vergl. den Fall Gib so ns?), da sie häufig nur sehr locker mit dem Hirn ver¬ 
bunden sind. (Autoreferat) 

Die Discussion wird vertagt Martin Bloch (Berlin). 


Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau. 

Sitzung vom 6. October 1900. 

Herr Dr. P. Brouchanski: Familienverpflegung von Geisteskranken. 

Nach Darstellung in allgemeinen Zügen des Zustandes der Familienverpflegung 
im Westen und in Russland, verweilt Vortr. beim Bericht über die Familien¬ 
verpflegung in dem Dorfe Semenowskoje unweit Moskaus. Die 8jähr. Erfahrung 
dieser psychiatrischen Niederlassung fuhrt den Vortr. zu folgenden Schlüssen: 

1. Ungeachtet der sehr strengen Auswahl der Kranken erreichte der Procent¬ 
satz der aus dem Krankenhause in das Patronat Evacuirten 16 °/ 0 . 

2. Es existirt die volle Möglichkeit, bei zweckmässiger Auswahl der Kranken 
und der Verpfleger und bei lebhafter Beziehung zum Krankenhause die Zahl der 
Unglücksfälle auf ein Minimum herabzudrücken. 

3. Die Einwohnerschaft eignet sich sehr bald sowohl nüchternen Blick in 
Bezug auf die Kranken, als auch humane, häufig verständniss- und tactvolle Be¬ 
handlung derselben an. 

4. Die Kranken sind in der grössten Mehrzahl der Fälle mit ihre Lage im 
Patronat zufrieden und fühlen sich moralisch befriedigt. 

5. In vielen Fällen liess sich eine Besserung des psychischen Zustandes, 
Wiedererlangung und Erhöhung der Arbeitsfähigkeit der Kranken constatiren. 

Da vielen Kranken das Leben im Dorfe nicht als Vorzug erscheint, so 
schlägt Vortr. zum Zwecke der grösstmöglichsten Evacuation die Organisation 
eines städtischen Patronats in Moskau vor, wobei die Rolle der Verpfleger nicht 
nur fremde Familien, sondern auch die eigenen zu übernehmen hätten. Die 
Hauptbedingung der Organisation eines städtischen Patronats ist der beständige 
Connex der Kranken mit dem Krankenhause. Die directe Leitung des Patronats 
muss einem zu diesem speciellen Zweck gewählten Arzte übertragen werden. Zu 
der mehr oder weniger vollkommenen Ausführung der complicirten Aufgabe der 
Organisation eines städtischen Patronats schlägt Vortr. nach dem Berliner Muster 
vor, die Armencuratorien zur Antheilnahme heranzuziehen. 

Discussion: 

Herr Dr. Tokarsky Bchlägt der Gesellschaft vor, sich in dem Sinne auszu- 


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sprechen, dass das Patronat alB eine der zweckmässigsten Formen für die Ver¬ 
pflegung von Geisteskranken anzusehen ist 

Die Gesellschaft schliesst sich dem Vorschläge von Dr. Tokarsky an. Die 
Herren Boutzke, Serbsky, Postowsky, Muratoff nahmen an der Discussion 
TheiL 

Herr Dr. N. Wersiloff: Bin Pall von Akromegalie. 

Vortr. demonstrirt eine Kranke von 33 Jahren, bei welcher in ausgesprochener 
Weise die Dimensionen der Hände, Fässe, des Unterkiefers und der Nase sich 
vergrößert finden. Der Anfang der Krankheit lässt sich augenscheinlich in das 
26. Lebensjahr verlegen, wo bei der Patientin ohne irgendwelche Veranlassung 
die Regeln aufhörten und ein verstärktes Waohsthum der oben angeführten Körper¬ 
teile sich bemerkbar machte. Im Januar 1900 gesellten sich zu diesen Er¬ 
scheinungen: Kopfschmerzen, Sehschwäche und Taubheitsgeflihl in der linken 
Geeichtsbälfte. Im März wurden Stauungspapille und Hemianopsia bitemporalis 
constatirt: Im September trat die Kranke in die Klinik für Nervenkrankheiten 
ein, wo bei ihr festgestellt wurden: Hypästhesie im Gebiete aller drei Trigeminus¬ 
äste links, Tic douloureux ebendaselbst, Exophthalmus des linken Auges, anfalls- 
weise auftretende Kopfschmerzen im Hinterhaupt, Somnolenz, Apathie. Genaue 
Messung der Peripherie der Extremitäten zeigten im Vergleich zum gesunden 
Menschen unzweifelhafte Vergrösserung der Dimensionen der Hände und Füsse; 
nebenbei existirt eine zweifellose Vergrösserung des Unterkiefers, der Nase und 
der Ohren. Das Studium der Radiogramme erwies Zunahme der Knochen der 
Länge nach, hauptsächlich aber Dickenzunahme; abgesehen davon konnte man 
deutlich eine Vergrösserung der Schädelsinusse — des frontalen, occipitalen — 
und der Highmorshöhle erkennen. Bedeutender Abstand der Enden der Knochen¬ 
phalangen, was auf eine Dimensionszunahme der weichen Theile und der Knorpel 
zwischen Gelenkflächen hinweist. Die Untersuchung der Schleimhäute des Kehl¬ 
kopfes und des Rachens zeigte eine gewisse Trockenheit derselben, wodurch sich 
auch die tiefe Stimme der Kranken erklärt. Die Untersuchung der Geschlechts¬ 
organe wies auf eine gewisse Hypertrophie der äusseren Theile und ein vorzeitiges 
Klimakterium hin (Uterus klein). Das Studium der Myogramme — Untersuchung 
mit inductiven und constanten Strömen — zeigte einen rasch eintretenden Tetanus 
der Muskeln bei verhältnissmässig seltenen und schwachen Reizungen mit dem 
elektrischen Strom und langsame Erschlaffung sowohl nach dem Tetanus, als auch 
nach einzelnen Stromschliessungen. An der Haut der Patientin zwei Geschwülste 
Ton lipomatöeem Charakter. Von Seiten der inneren Organe, der Blutmischung 
und des Harns nichts Abnormes. Haramenge vermehrt. 

In Anbetracht dessen, dass der Vater der Eiranken Tabiker gewesen ist und 
der Mann der Patientin an Lues litt, wurde Jod in grossen Dosen ordinirt, wobei 
unverkennbare Besserung eintrat: die Kopfschmerzen schwanden, Gesichtsfeld 
erweiterte sich, die Stauungspapille nahm ab, das TanbheitsgefÜhl in der linken 
Gesichtshälfte schwand, ebenso die Apathie, das Körpergewicht stieg etwas. 

An der Discussion betheiligten sich die Herren Muratoff, Tokarsky, 
Prot Roth. W. Murawieff. A. Bernstein. 

Sitzung vom 15. December 1900. 

Herr Dr. A. Schmidt demonstrirt eine Kranke mit Gliomatose im unteren 
Abschnitte des Büokenmarks. 

Die Kranke, eine 20 Jahre alte Bäuerin, trat in die Klinik für Nervenkrank¬ 
heiten ein mit Erscheinungen von ausgesprochener Sohwäche in den unteren 
Extremitäten; alle Bewegungen sind abgeschwächt, mit Ausnahme der Bewegungen 

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in den Flexoren der Oberschenkel. Neben der Schwäche besteht Rigidität der 
unteren Extremitäten, rechts stärker als links. Dementsprechend erhöhte Knie* 
refiexe, Fussclonus, Fussphänomen; Pes plano-valgus, rechts ausgesprochener; beim 
Gehen Genu valgum; spastisch-paretisoher Gang. Abmagerung der Musculatur 
des rechten Beines ohne Entartungsreaction, aber mit quantitativer Herabsetzung 
der elektrischen Erregbarkeit Dissociirte Sensibilitätsstörung von gliomatösem 
Typus der rechten Rumpfhälfte vom 7. Brustwirbel abwärts und der vorderen 
und hinteren Fläche des rechten Beines mit Ausnahme der rechten Gesässhälfte. 
Geringe Thermanästhesie des linken Fusses und des untersten Theils des linken 
Unterschenkels. Muskelgefühl an beiden Beinen herabgesetzt, rechts stärker. Zeit¬ 
weilige Schmersattacken im rechten Bein. Herabsetzung der Hauttemperatur am 
rechten Unterschenkel. Zeichen von Verbrennung und mechanischen Verletzungen 
am rechten Unterschenkel. Becken Organe in Ordnung. Vortr. lenkt die Auf¬ 
merksamkeit auf die Ausbreitung des Processes. Vor 8 Jahren ist die Kranke 
in derselben Gesellschaft mit der Diagnose von Nervenstörungen in Abhängigkeit 
vom Pes planus demonstrirt worden. Die Krankheit begann im 11. Jahre mit 
einer Schwellung der rechten grossen Zehe; darauf traten Schmerzen im Fuss* 
gelenk beim Gehen und Stehen auf; Gefühl von Kälte im rechten Unterschenkel. 
Abmagerung der Musculatur des rechten Unterschenkels und Beginn spastischer 
Erscheinungen. 

Herr Dr. G. Rossolimo: Bemerkungen über reoidivirende Paralyse des 
Qeslohtsnerven. 

Der hemicranische Symptomen complex, welcher sich durch das periodische 
Auftreten der Anfälle auszeiohnet, äussert sich häufig, neben den gewöhnlichen 
Erscheinungen, auch in Sprachstörungen oder durch das Befallensein irgend eines 
Gehiranerven: bald in Form von Neuralgieen der Trigeminuszweige, bald in Form 
von recidivirender Paralyse der Oculomotorii. Der Vortr. hält die Annahme für 
zulässig, dass bei der Migräne analogen periodischen Störungen auch der Gesichts¬ 
nerv unterworfen werden kann in Form von periodischer peripherer Paralyse des 
N. facialis mit allen für diese Paralyse gewöhnlichen Symptomen und auch mit 
demselben Charakter der Entwickelung der Anfälle, wie bei der hemikranischen 
recidivirenden Paralyse des N. oculomotorius. Zur Stütze seiner Auffassung führt 
der Vortr. die Krankheitsgeschichte einer 28jähr. Frau an, welche seit langer 
Zeit an Anfällen hereditärer Migräne leidet mit Localisation bald in der Schläfen¬ 
gegend, bald in der rechten oder linken Hinterhauptgegend. In den letzten 
9 Jahren wurden bei der Kranken 2 Mal rechtsseitige und 2 Mal linksseitige 
periphere Paralyse des N. facialis beobachtet; das erste Mal ging der Paralye 
(2—3 Tage) ein sehr starker Migräneanfall auf der entsprechenden Seite des 
Hinterkopfes voraus; die Paralyse entwickelte sich plötzlich und dauerte die ersten 
3 Male 2—5 Monate. Der Vortr. nimmt als die die Paralyse unmittelbar hervor¬ 
rufende wahrscheinlichste Ursache Störungen in der Blutcirculation an. 

Discussion: 

Herr Dr. L. S. Minor erinnert daran, dass recidi vir ende Paralysen auch bei 
solchen Krankheiten, wie Diabetes mell, und Tuberculose beobachtet werden. Herr 
Dr. Muratoff spricht die Vermuthung aus, ob nicht die Paralyse von einer 
Malariainfection herrührt. 

Herr Dr. N. Wersiloff erwähnt zwei von ihm beobachtete Fälle recidi¬ 
virender Paralyse des N. fac. bei harnsaurer Diathese und eines Falles einer eben¬ 
solohen Paralyse bei adenoiden Wucherungen in der Nase, welche durch Acuter- 
werden des Schnupfens hervorgerufen wurde. Die recidivirenden Paralysen des 
N. fac. hängen von Störungen der Blutcirculation in der Paukenhöhle ab. 


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Herr Dr. A. Korniloff weist darauf hin, dass die Paralyse des N. fac. in 
den meisten Füllen von Schmerzen neuralgischen Charakters begleitet wird 

An der Discussion betheiligten sich noch Herr Prof. Roth und Herr 
Dr. W. Murawjeff 

Herr Dr. W. Mnrawjeff: Zar Frage der Veränderungen im oentralen 
Nervenstumpf nach Darohsohneidung. 

Bei Kaninchen wurde ein Theil des N. ischiadicus von einer solchen Länge 
ausgeschnitten, dass keine Verwachsung der Schnittflächen mehr möglich war. 
Nach verschiedener Zeit wurden die Kaninchen decapitirt. Die grösste Lebens¬ 
dauer nach der Operation: 140 Tage. Der centrale Nervenstumpf wurde mit 
Osmiumsäure, nach der Formol-Methylen-Methode und nach der Busoh’schen 
Methode, behandelt. 

Schlüsse: 1. Die Kerne der Schwann’schen Scheide zeigen mit der Zeit 
Neigung, sich zu vermehren und sich in die Länge zu ziehen. 

2. Die Myelinscheide der Nervenfaser wird allmählich dünner und färbt sich mit 
Osmiumsäure weniger intensiv; die Contouren der Myelinscheide sind nicht mehr 
so gleichmässig wie in der Norm, man beobachtet Vertiefungen und Ausschnitte; 
in einzelnen Theilen der Faser in mehr oder minder grosser Ausdehnung schwindet 
das Myelin fast vollständig, so dass das achromatische Netz der Faser bloss liegt. 
Zuweilen stösst man in der Myelinscheide auf einzelne kleine Kügelchen. Nicht 
selten finden sich an Osmiumpräparaten Fasern mit queren dunkeln Streifen von 
geringer Breite, welche annähernd in gleichen Abständen von einander liegen. 
Eine genauere Betrachtung lehrt, dass diese dunkeln Streifen sich an den Stellen 
befinden, wo das schmale Ende eines Trichters der Myelinscheide in das breite 
Ende de* anderen Trichters einmündet. Dieses Factum kann zu Gunsten einer 
grossen Durchlässigkeit der Myelinscheide sprechen. Die Präparate nach der 
Busch’schen Methode ergaben keine bestimmten Resultate. Chromatophile Körnchen 
an Formol-Methylenpräparaten gelang es nicht in der grössten Mehrzahl der Fälle 
zu erhalten. 

3. Die Axencylinder sind erhalten, aber in vielen Fasern zeigen sich eigen¬ 
tümliche Erscheinungen; man beobachtet an ihnen spindelförmige Verdickungen 
und nicht selten theilt sich ein Axencylinder in zwei Zweige, welche, sich mit 
einander verflechtend, eine oder mehrere Schlingen bilden. 

4. Alle beschriebenen Erscheinungen tragen einen atrophischen Charakter, 
nur in wenigen einzelnen Fasern beobachtet man Waller’sche Degeneration, bald 
rascher, bald langsamer auftretend. 

5. Bei Untersuchung der Wurzeln und des Rückenmarkes nach der Busch- 
schen Methode erhält man entweder negative Resultate, oder aber man beobachtet 
kleine runde Schollen in relativ geringer Zahl in den hinteren und vorderen 
Wurzeln, in den Hintersträngen und zum Theil in den Seitensträngen; das Aus¬ 
sehen dieser Schollen unterscheidet sich von dem, was bei wirklicher Degeneration 
vorkommt. Diese Facta sind nicht derart, dass man eine Degeneration der 
hinteren Wurzeln anzunehmen berechtigt wäre; es liegt vielmehr ein atrophischer 
Proceas vor, welchen wir im peripheren Nervenstumpf gesehen haben, nur dass 
er hier auf Grand irgend welcher localer Bedingungen ein eigentümliches Ge¬ 
präge angenommen hat; hier ist mehr Atrophie als Entartung. Wenn auch andere 
Untersncher etwas andere Resultate erhalten haben, so konnte das abhängen ent¬ 
weder von mechanischen Verletzungen der Wurzeln (Herausreissen des Nerven), 
▼cm einer aufsteigenden Neuritis (bei Entzündung des Ohres) oder von anderen 
zufälligen Ursachen. 

Discussion: 

Herr Dr. N. Wersiloff bemerkt, dass die von ihm gesehenen Präparate einen 


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ähnlichen Myelinzerfall des centralen Stumpfes zeigten, der aber stärker ausge¬ 
sprochen war, als an den Präparaten des Vortr. 

Herr Prof. W. Roth weist auf das Vorhandensein von Uebergängen zwischen 
Atrophie und Degeneration hin, so dass nicht immer eine präcise Bezeichnung 
möglich ist. 

Herr Dr. A. Korniloff und Herr Dr. G. Rossolimo nahmen ebenfalls an 
der Discussion TheiL 

Herr Dr. Worobjeff: Zar Frage über den sog. Hinterhauptstypus 
des Bohftdelbaues bei Degenerationen Geisteskranker. 

Zur Bestimmung des Entwickelungsgrades der Stirn bevorzugte der Vortr. 
die chorda, welche das linke und rechte Ende des biauricularen Diameters mit 
dem Stirnpunkt verbindet (Ophrion). Von der Bestimmung der Entwickelung 
des Hinterhauptes nahm der Vortr. vollkommen Abstand, da der einzige Anhalts¬ 
punkt — die protuberantia occipitalis externa — bald höher, bald niedriger gelegen 
ist, hauptsächlich in Abhängigkeit von der Entwickelung der Halsmusculatur und 
des ligament. nuchae, nicht aber in Abhängigkeit vom Entwickelungsgrade der 
Occipitallappen des Gehirns. Im Ganzen hat der Vortr. 50 degenerirte Geistes¬ 
kranke untersucht, welche nach dem klinischen Bilde der Entartungspsychosen 
ausgewählt wurden. Aber der Kopf der geisteskranken Degenerirten, welcher in 
den absoluten Maassen mit dem Kopf der normalen Bevölkerung Uebereinstimmung 
zeigt, weist auch die gleiche Entwickelung der Chorden — ophrion-tragus — 
auf, da diese Chorden sich als gleich herausstellten: bei Geisteskranken 119,40 mm, 
bei 60 Gesunden, die nach der Grösse des Längen durch messen des Kopfes aus¬ 
gewählt wurden, 118,25 mm, bei 50 nach der Grösse des Querdurchmessen aus¬ 
gewählten Gesunden 117,65 mm und bei 325 aus dem Rjasem’schen Gouvernement 
Gebürtigen 118,60. Bei Geisteskranken also erweisen sich die den Entwickelungs¬ 
grad der Basis des Frontaltheiles des Schädels ausdrückenden Chorden — ophrion- 
tragus — etwas grösser als bei Gesunden, aber der Untenchied ist so gering, dass 
es richtiger ist, von einer Gleichheit dieser Maasse bei Gesunden und Kranken zu 
sprechen. Die gemessenen Chorden sind häufig ungleich für die linken und rechten 
Hälften des Kopfes, und die Asymmetrie kommt allem Anschein nach häufiger bei 
Entarteten als bei Gesunden vor. So wurde bei 50 Entarteten eine Differenz in der 
Länge der Chorden von 3 und mehr Millimeter 10 Mal gefunden, für die ver¬ 
gleichende Gruppe von 50 Gesunden wurde eine solche Asymmetrie dagegen nur 
in 5 Fällen verzeichnet. Indem der Vortr. irgendwelche Unterschiede im Ent¬ 
wickelungsgrade des Frontaltheils des Schädels zwischen geisteskranken Degene¬ 
rirten und Gesunden in Abrede stellt, betont er besonders die Nothwendigkeit 
einer nach Möglichkeit grossen Gleichartigkeit der zu vergleichenden Gruppen 
in Hinsicht der Rasse, der socialen Verhältnisse, der Lebensbedingungen, des 
Alters u. s. w., und erklärt die von ihm erhaltenen Differenzen zwischen Kranken 
und Gesunden und ebenso die Widersprüche der Forscher hinsichtlich des eigent¬ 
lichen Charakters dieser Differenzen durch Vernachlässigung der Bedingungen der 
Einheitlichkeit bei der Auswahl der zu vergleichenden Gruppen. 

N. Wersiloff. A. Bernstein. 

Sitzung vom 19. Januar 1901. 

Zu Ehren des verstorbenen Herrn Prof. S. S. Korsakoff. 

Herr Dr. N. Wersiloff demonstrirt einen an Lepra anaesthetioa leidenden 
Kranken. 

Der Bauer N. W., 45 Jahre alt, trat am 12. Januar 1901 in die Nerven- 
klinik ein mit der Klage mangelhaften Gefühls in Händen und Füssen. Die Unter- 


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Buchung ergab: hochgradige Herabsetzung der Schmerz- und Temperaturempfin- 
dongen, am stärksten in den Händen und Füssen, etwas weniger an den Unter¬ 
armen und Unterschenkeln und noch geringer an den Partieen der Oberarme und 
Oberschenkel; die oberen Theile der Extremitäten zeigen normale Empfindung. 
Die tactile Sensibilität ist nur sehr wenig gestört an Händen und Füssen und 
etwas an den Unterarmen und Unterschenkeln. Die übrigen Arten der Sensibilität 
sind normal. Ausserdem bemerkt man an dem Rumpfe landkartenartige Fleoken 
von blassrosa Farbe mit hellerem Saum, welcher die Flecken |von der gesunden 
Haut abgrenzt. Im Territorium dieser Flecke besteht ebenfalls Herabsetzung der 
Schmerz- und Temperaturempfindungen, wobei die stärkste Herabsetzung auf das 
Centrum der Flecken entfällt, während sie nach der Peripherie hin bis zur 
Demarkationslinie stetig abnimmt, aber hier nicht ihr Ende erreicht; man kann 
die Herabsetzung der Sensibilität auch jenseits der Flecken in einer Ausdehnung 
von 3—4 cm constatiren. Ebenso weist die Sensibilitätsstörung an den Extremi¬ 
täten keine scharfen Grenzen auf, sondern verliert sich allmählich im Haupt- 
territorium von normaler Empfindung. Keine Schmerzen. Von Motilitätsstörungen 
besteht nur Abmagerung im Spatium inteross. I und an der Eminentia thenar. 
links bei gleichzeitiger Beschränkung der Bewegungen des Daumens und Zeige¬ 
fingers der linken Hand. Nervenstämme an den Extremitäten ungleichmässig ver¬ 
dickt, links mehr als rechts. Reflexe normal. An der Haut der unteren und 
oberen Extremitäten viele oberflächliche Narben von Verbrennungen herrührend. 
An der Haut der Sohle ein Geschwür vom Charakter des Mal perforant du pied. 
Der Kranke hat sich die Sohle aufgerieben und nicht bemerkt, wie das Geschwür 
entstand. Nach Aussage des Patienten bemerkte er die ersten Zeichen seiner 
Krankheit vor zwei Jahren, als er entdeckte, dass er bei Verbrennungen keine 
Schmerzen empfand und für heiss kein Gefühl hatte. In der Heimath des Kranken, 
welche er niemals verlassen hatte, giebt es allem Anscheine nach keine Leprösen, 
so dass die Infectionsbedingungen sich nicht aufdecken lassen. 

Herr Dr. W. Semidaloff und Herr Dr. Weidenhammer: Complioirter 
Athemkrampf bei einer Geisteskranken. 

N. S. I.-na, 58 Jahre alt, trat ins Aleksjeew’sche Hospital ein. Tuberculöse 
Heredität. Lange vor der jetzigen Krankheit reichliche Blutungen aus der Nase. 
Am 1. Oktober 1897 erneute Blutungen aus der Nase im Laufe einer ganzen 
Nacht. Im Winter Schwächegefühl. Am 9. Mai 1898 zum 3. Male Nasenbluten, 
wonach die Schwäche zunahm. Gleichzeitig Schlaflosigkeit und Schwermuth. 
Im December wird Pat. nachdenklich, traurig und weint über ihre an Schwind¬ 
sacht erkrankte Tochter; äussert, dass sie von Gott gestraft, dass sie Sünderin 
»ei; stöhnt und betet. Im September schreit sie in der Nacht auf, und von diesem 
Moment ab hört „der Schrei“ nicht auf. 

Stat. praes.: Papillen verengt, Reaction lebhaft Kniereflexe herabgesetzt 
Puls 84, Athmung 15—16 i. d. M. Blasse Gesichtsfarbe. Der von der Kranken 
ansgestoesene Schrei ähnelt einem Stöhnen, welches bald kurz abgebrochen, bald 
lang andauernd ist wobei krampfartige Contractionen des Diaphragma, der Brust-, 
Baach-, Hals- und Kehlkopfmuskeln stattfinden. Den Schrei hält sie für eine von 
Gott auferlegte Strafe. Keine Hallucinationen. Im weiteren Krankheitsverlauf 
nimmt der Athemkrampf zu und erstreckt sich auch auf die Zungenmuskeln, so 
dass das ganze Bild sich folgendermaassen darstellt: Beim Einatmen werden die 
Kiefer rasch geschlossen, die Lippen stülpen sich vor und die Unterlippe schiebt 
sieh über die Oberlippe, gleichzeitig wird häufig das Gesicht verzogen, worauf 
die Kiefer sich wieder öffnen, was mit einem Schnalzen der Zunge begleitet wird. 
Nach Beendigung der Phase der Einathmung beginnt das krampfhafte Ausathmen 
mit einem scharfen Schrei. Nach dem Schrei folgen zuweilen die rasch ausge- 


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sprochenen Worte: „Ach, ich bin verloren.“ In der Nacht kein Krampf, mit dem 
Erwachen stellt er sich wieder ein. Das Studium des Pneumogrammes zeigt, dass 
nach der Einathmung eine energische Ausathmung von krampfartigem Charakter 
folgt, wobei der Krampf sowohl in den exspira torischen Muskeln des Brustkorbes 
als in den Bauohmuskeln mit gleicher St&rke sich entwickelt. Der Uebergang 
von der Inspiration zur Exspiration ist kein allmählicher, er wird durch eine Pause 
unterbrochen, welche durch eine horizontale Linie ausgedrtlckt ist, die die unteren 
Enden der Ex- und Inspirationslinien verbindet Das Einathmen beim Schrei tritt 
ebenso spastisch auf wie das Ausathmen, aber beim Auf hören des Schreies tragen 
die Athembewegungen keinen soharf ausgesprochenen Charakter von Krampf¬ 
bewegungen. Daraus geht klar hervor, dass bei der Kranken alle Athemmuskeln 
an den Krämpfen theilnehmen, wobei die Krämpfe am aller deutlichsten in den 
Exspirationsmu8keln, hauptsächlich in der Bauchpresse, ausgesprochen sind. Indem 
die Yortr. eine emotionale Psychose mit Zwangsideeen ausschliessen, sprechen sie 
diesen Fall als Altersmelancholie an, wobei sie die Pathogenese der krampfartigen 
Erscheinungen auf die feinen Veränderungen der Respirationsinnervation beziehen, 
welche im Allgemeinen bei Melancholikern in Form von Stöhnen, Seufzen u. s. w. 
als Ausdruck affectiver Zustände beobachtet werden. Auf die Veränderung in der 
Thätigkeit des Athmungsoentrums haben hier die häufigen Blutverluste aus der 
Nase eingewirkt Zu den Momenten, welche die Dyspnoe her vorrufen, kommen 
eben diese Blutverluste hinzu, deren Wirkung auf Schwächung der Blutcirculation 
in der Medulla zurüokzuführen ist Der degenerative Boden und die Altersver- 
änderungen des Nervensystems haben ebenfalls eine Rolle gespielt. 

Discussion: 

Herr Dr. W. Jakowenko meint, dass bei der Kranken kein Krampf, 
sondern durch Wahnvorstellungen hervorgerufene Zwangsbewegungen bestehen. 

Herr Dr. A. Tokarsky sieht den Krampf für einen charakteristischen Tic 
an, welcher dank der Melancholie die eigentümliche Färbung angenommen hat. 

Herr Dr. G. Rossolimo ist der Ansicht, dass der Schrei bei der Kranken 
entstanden ist als Resultat einer gewissen Reizung der Atbmungswege (tuberculöse 
Heredität) und des melancholischen Zustandes der Patientin, weshalb er auch an 
das „Ach“ erinnert. 

Herr M. A. L unz: Ein Fall eines grossen Psammoms des Grosshirns. 

Die 53 Jahre alte Kranke trat in das erste Stadthospital mit Erscheinungen 
corticaler Epilepsie ein, welche bei ihr seit 2 x / 3 Jahren bestanden. Massiger 
Alkoholmissbrauch. Die Krämpfe begannen stets in der linken unteren Extremität, 
breiteten sich nach oben aus, und der Anfall endigte mit allgemeinen Krämpfen 
und Bewusstseinsverlust. Die Anfälle wiederholten sich nicht häufiger als nach 
2—3 Wochen, zuweilen aber traten sie öfters auf, sogar 2—3 Tage der Reihe 
nach. Nach dem Anfalle kurzdauernde Parese der linken Extremitäten. Bei der 
Untersuchung der Kranken wird leichte Parese des linken Fusses constatirt. Die 
linke obere Extremität und die Gesichtsmuskeln normal. Von allgemeinen 
Symptomen bestehen leichte Kopfschmerzen ohne bestimmte Localisation, welche 
nur selten und vorübergehend auftraten. Druck und Beklopfen erzeugt am 
Sohädel nirgends Schmerzen. Der Augenhintergrund, mehrfaoh untersucht, zeigt 
normale Verhältnisse. Von Seiten der inneren Organe negativer Befund. Bei der 
Diagnose wurde eine Neubildung auf Grund des plötzlichen Beginnes der Krank¬ 
heit, der Beständigkeit der Symptome im Laufe von 2 1 / 8 Jahren und hauptsäch¬ 
lich des Fehlens einer Stauungspapille mit grosser Wahrscheinlichkeit ausge¬ 
schlossen. In Anbetracht dessen, dass an dem linken Oberarm der Kranken tiefe 
Narben vorhanden waren, welche, nach ihrer Aussi-ge, von einer vor 20 Jahren 


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langdauernden Eiterung herrührten, lag die Annahme nahe, dass im Oberarm 
damals ein kariöser Prooess bestanden hatte, und dass die Anfälle möglicherweise 
von einem abgelaufenen localen tuberculösen Prooess des Schädeldaohes oder der 
Häute bedingt wurden, ln Folge der Hartnäckigkeit der Krankheit, der qual¬ 
vollen An falle und der sich häufig wiederholenden schmerzhaften Zuckungen in 
der linken Extremität wurde die Craniotomie nach Wagkke vorgenommen. Bei 
der Operation wurde ausser einer Verwachsung der Dura mit dem Schädeldach 
und der Gehirnsubstanz im Gebiete des oberen Drittels der Central Windungen 
nichts gefunden. Die Wunde heilte per primam. Zuerst zeigte die Operation 
einen wohlthätigen Elinfluss auf die Anfälle. Im Laufe von S l l 2 Monaten trat 
nur ein Mal ein leichter Anfall auf, und die Kranke wurde mit völlig geheilter 
Wunde in der Gesellschaft der Neurologen und Psychiater demonstrirt. Die 
Bess e rung hielt noch 4 Monate nach der Demonstration an, darauf erneuerten 
rieh die Anfälle mit der früheren Häufigkeit und Stärke. Nach 14 Monaten 
exitus in Folge acuter Bronchopneumonie. Bei der Autopsie wurde in der Gegend 
des rechten Scheitellappens eine verknöcherte, kleinhöckerige Geschwulst von grau- 
röthlicher Farbe und von der Grösse einer Kastanie gefunden, welche sich bei 
der mikroskopischen Untersuchung als Psammom erwies. Sie nimmt ihren Ur¬ 
sprung von der Dura mater in dem Winkel, welcher einerseits vom Processus 
faleifonnis, andrerseits von der Dura, welche die Hirnconvexität bedeckt, gebildet 
wird und senkt sich in den oberen Rand der rechten Hemisphäre, den oberen 
Theil der vorderen Central- und das hintere Ende der ersten Frontalwindungen 
abplattend. An der inneren Fläche deB Gehirns nimmt die Geschwulst den oberen 
vorderen Theil des Lob. paracentral, ein. Von Seiten der übrigen Organe wurde 
unter anderen Veränderungen gefunden: Bronchopneumonie lobularis acuta duplex 
et tumor lienis acutus. 

Discussion: 

Herr Dr. Muratoff hält die Vorsicht des Vortr. bei Untersuchung des Sulcus 
longitudinalia für unbegründet. Die Lösung der Verwachsungen der Pia mater 
konnte auf das Aufhören der epileptischen Anfälle keine Bedeutung haben. 

Herr Dr. G. Rossolimo macht auf die Ungenauigkeit bei der Bestimmung 
der Locali&ation aufmerksam und unterstreicht die Bedeutung des Encepbalometers 
von Herrn Prof Lern off. 

Herr Dr. A. Korniloff ist der Ansicht, dass bei der Entscheidung der 
Frage hinsichtlich der Trepanation grosse Vorsicht beobachtet werden muss, weil 
die Geschwulst entfernt werden kann, aber die epileptischen Anfälle in Folge 
aeeundärer Veränderungen im Gehirn doch nicht aufhören. 

Herr Prof. Roth spricht sich dahin aus, dass die Trepanationsöfihung mög¬ 
lichst gross angelegt werden muss. 

An der Discussion nehmen Theil die Herren G. Pribytkoff, L. Minor, 
P. Kisseleff und W. Murawjeff. 

Herr Dr. Moltschanoff: Oystioerous des Grosshirns. 

Vortr. theilt einen von ihm beobachteten Fall von Cysticercus des Gross- 
hin» mit. Der 44jähr. Kranke, ein Schlosser, ist Potator stren. Vor l 1 / 2 Jahren 
ein Anfall allgemeiner Convulsionen. Am lö./X. 1899 erkrankte er an corticaler 
Epilepsie nach vorhergegangenen Kopfschmerzen. Der Anfall begann mit Ab¬ 
lenkung des Kopfes und der Augen nach links, darauf folgten clonische Zuckungen 
im linken Gesichtsnerven und tonische Spannung im linken Arm. Am 20./X. 1899 
trat er in die Klinik ein mit der Diagnose Epilepsia corticalis. Tumor cerebri (?). 
Hier wiederholten sich die Anfälle alle halbe Stunde, hielten länger an und 
wurden gefolgt von einem Zustand psychischer Verwirrtheit. Parese des linken 
Facialis und des linken Armes. Augenbefund negativ. In den letzten zwei Tagen 


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erfolgten die Anfälle noch häufiger und nahmen den Charakter allgemeiner Krämpfe 
an, obgleich eie wie früher mit Ablenkung der Augen und des Kopfes nach links 
anfingen. Bewusstsein getrübt. Temperatur in den letzten Krankheitstagen 
38,7—39,3°. Pat. starb am 8. Tage nach Beginn der Krankheit. Bei der Autopsie 
wurde gefunden: Hyperämie der Lungen, schlaffe Herzmuskulatur; venöse Hyperämie 
in den Gehirnhäuten des GroBshirns und der Medulla spinalis. Trübung der Pia 
mater an der Convexität des Gehirns, rechts mehr als links. An den Gehirn- 
durchschnitten wurden 13 Cysticerken gefunden, 7 in der linken, 6 in der rechten 
Hemisphäre. Einige von ihnen lagen unter der Pia in der Tiefe der Windungen, 
die Mehrzahl aber in der grauen Substanz in der Rinde und unter der Rinde. 
Am wichtigsten im Sinne der Localisation sind zwei Blasen: die erste im hinteren 
Theil der 2. Frontalwindung in der Nähe des supponirten Centrums für die con- 
jugirte Seitwärtsdrehung der Augen und des Kopfes, und die zweite in derselben 
Hemisphäre in der Centralwindung in der Nähe deB Centrums des N. facialis. 
Bei der mikroskopischen Untersuchung wurde kleinzellige Infiltration in dem den 
Bläschen angrenzenden Gewebe und Degeneration der Fasern der Capsula interna 
dext gefunden. Was die Pathogenese des Falles anbetrifft, so haben auf den 
Ursprung der Anfalle der corticalen Epilopsie und des ganzen Krankheitsbildes, 
auBser den zwei erwähnten in der motorischen Zone der rechten Hemisphäre ge¬ 
legenen Blasen der Parasiten, noch die beschriebenen secundären Veränderungen 
Einfluss gehabt. Ihre Rolle im allgemeinen Krankheitsbilde bei Gehirncysticerken 
ist schon von verschiedenen Autoren hervorgehoben worden. In Bezug auf den 
eben beschriebenen Fall hat, nach Meinung des Vortr., auch eine bedeutende Rolle 
der Alkoholmissbrauch des Pat. gespielt, welcher die Anfälle allgemeiner Krämpfe 
vor 1 x / 2 Jahren bei dem Kranken hervorgerufen hatte; ausserdem konnte der Alko¬ 
holismus den Anstoss zur Entwickelung der schweren Anfälle gegeben haben, die 
den Tod des Pat. zur Folge hatten. Der corticale Charakter dieser Anfälle 
ist bedingt worden durch die Anwesenheit des Cysticercus cellulosus in der moto¬ 
rischen Zone der Gehirnrinde. 

Die Besonderheit dieses Falles liegt in den Ausfallserscheinungen — Parese 
des linken N. facialis und der linken Hand — eine Erscheinung, welche beim 
Cysticercus des Gehirns sehr selten beobaohtet wird. 

Discussion: 

Herr Prof. Roth weist auf die entzündlichen Veränderungen an den Ge¬ 
hirnhäuten neben dem Cysticercus hin, welche die stürmischen Erscheinungen 
hervorrufen und verschärfen. 

Herr Dr. A. Korniloff hält dafür, dass die epileptischen Anfälle bei Cysti¬ 
cercus durch Einwirkung von Toxinen erklärt werden können, welche von dem 
Parasiten ausgeschieden werden. 

An der Discussion betheiligten sich ferner G. Rossolimo und V. Weiden- 
hammer. W. Murawieff. S. Suchanoff. 


Sooiete de neurologie de Paris. 

Sitzung vom 18. April 1901. 

Herr Touche (BrSvannes): Weber’aoher Symptomenoomplex mit 
taumelndem Gang. Gehirn gesohwul 8t. Kleinhirnoompression. Vortr. 
demonstrirt anatomische Präparate von folgendem Fall: 42jähriges Mädchen be¬ 
kam Doppelsehen am Anfang des Jahres 1P94. Im März desselben Jahres plötz¬ 
lich linksseitige Hemiplegie mit Erbrechen und Bewusstseinsverlust. Gleichzeitig 
Ptosis und Strabismus divergens am rechten Auge. Während eines Jahres 
konnte sie nicht gehen, dann kehrten allmählich die Functionen zunächst der 


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oberen, dann der unteren Extremität zurück. Die Kranke bemerkte aber dann, 
dass sie beim Gehen taumelte. Das Taumeln und die Augenmuskellähmung blieben 
unverändert bestehen. 

Status praesens (1900): Die Kranke hat den Habitus einer hereditär syphi¬ 
litischen: abnorm vorspringende Stirn, chronischer Schnupfen, charakteristische 
Zähne. Hoher Gaumen. Am rechten Auge Ptosis und Strabismus divergens. 
Ausser der Bewegung nach aussen sind alle anderen Bewegungen des Auges 
geschwunden. Es existirt keine PupillendifPerenz und die Lichtreaction derselben 
ist so ziemlich normal. Im linken Auge verticaler Nystagmus selbst im Ruhe¬ 
zustände des Auges. Die Bewegungen des Auges, wenn auch unter nystagmus¬ 
ähnlichen Zuckungen, ist doch nach allen Richtungen möglich. Das Gesichtsfeld 
scheint nicht verengert zu sein. Keine Farbenblindheit. Die Sehschärfe ist um 
die Hälfte vermindert. Es scheint keine Stauungspapille zu bestehen. Keine 
Facialis- und keine Zungenlähmung. Die Bewegungen des Gaumensegels scheinen 
behindert zu sein, da beim Schlucken die Flüssigkeiten durch die Nase wieder 
zurückströmen und die Stimme - näselnd ist. Die Kranke trägt den Kopf nach 
der linken Schulter geneigt, auch zittert derselbe beständig. Ohrensausen, 
Schwindelgefühl, selbst bei Ruhezustand, besonders aber beim Gehen. Romberg’- 
sches Zeichen sehr ausgesprochen. Heftige Schmerzen im Nacken. Nichts Ab¬ 
normes in der Motilität und in der Sensibilität der linken oberen Extremität. 
Fordert man sie auf mit dieser Hand zu drücken, so führt sie das stossweise aus. 
Die rechte obere Extremität ist normal. Die beiden unteren Extremitäten sind 
gleichmlssig abgemagert; in der Motilität derselben nichts Abnormes. Die 
Schmerzleitung ist an denselben bedeutend verlangsamt. Die sämmtlichen Haut- 
und Sehnenreflexe fehlen an den unteren Extremitäten. Die Kranke klagt über 
lancinirende, blitzartige Schmerzen in den unteren Extremitäten. Auch klagt sie 
über Magenbeschwerden, die an die Magenkrisen der Tabes erinnern. Manchmal 
auch keuchender Husten und Schluchzen vor dem Erbrechen. DaB Erbrechen 
tritt in Anfällen auf von mehrtägiger Dauer, ist schmerzlos und leicht. Die 
heftigsten Schmerzen treten erst nach dem Erbrechen auf. Es sollen auch Herz¬ 
klopfenanfälle ohne jede Anstrengung, ohne jeden emotiven Grund auftreten. 
(Blase und Mast dann normal.) Im Februar 1901 klagte die Kranke über Athem- 
noth und. Erstickung, ohne dass die Auscultation den Grund dieser Dyspnoe 
eigab. Plötzlicher Tod. Bei der Autopsie fand man die Stirnknochen stark ver¬ 
dickt und vom Aussehen einer Osteitis syphilitica. Beim Herausnehmen des 
Gehirns riss das verlängerte Mark entzwei, obwohl der Zug kein heftiger war; 
offenbar war dasselbe erweicht. Auf der Höhe des Hirnstiels bemerkt man, dass 
die untere Fläche des rechten Pedunculus cerebri erweicht erscheint. Der rechte 
Oculomotorius sieht atrophisch und gallertig entartet aus. Der linke erscheint 
normal. Bei Schnitten durch den Pons entdeckt man eine hufeisengestaltete Ge¬ 
schwulst, die die obere und die Seitenflächen der Pedunculargegend einnimmt. 
Die Geschwulst ist mehr auf der rechten Seite entwickelt als auf der linken. 
Der Fass des rechten Pedunculus ist an Volumen vermindert und erscheint er¬ 
weicht. Die Oberfläche des Kleinhirns ist abgeflacht. Der Pons ist durch die 
Geschwulst plattgedrückt. Die Arteria basilaris ist stark atheromatös. Am 
Rückenmark bemerkt man mit blossem Auge Veränderungen an den Hintersträngen. 
Die mikroskopische Untersuchung wird später gemacht werden. 

Discussion. 

Herr Pierre Marie: Das von Herrn Touche demonstrirte Präparat ist 
sehr interessant. Man kann nämlich darauf ganz genau sehen, wie die Kleinhira- 
mandeln in das Foramen occipitale eindringen. Ich habe schon Gelegenheit ge¬ 
habt, unsere Gesellschaft auf dieses Phänomen aufmerksam zu machen. Ich habe 


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seitdem von neuem diese pathologische Erscheinung oft beobachtet, namentlich 
bei Blatongen in der hinteren Gehirngegend. Bei Läsionen in der vorderen 
Schidelgrabe beobachtet man diese Erscbeünmg nicht. 

Herr Ch. Achard and Herr Ch. Laubry: Bflhnwhsfts F e tt leibigk e it 
(Krankenvorstellnng.) Ein amerikanischer Arzt Dercnm hat im Jahre 1888 ein 
Symptomen complex beschrieben, welcher sich durch Infiltration von Fett in dem 
subcutanen Bindegewebe, von Schmerzen begleitet, aaszeichnet. Seitdem sind ähn¬ 
liche Fälle von Dercnm selbst wie von seinen Schälern publidrt worden. Die 
Vortr. theilen folgenden Fall von dieser eigenartigen Affection mit 

79jährige Frau. Hereditär nicht belastet Typhus abdominalis im Alter 
von 23 Jahren. Pneumonie mit 38 Jahren. Hafte 5 gesunde Kinder. Vor 
15 Jahren Verletzung in Folge eines Sturzes der linken Hüfte. Seit dieser Zeit 
Schwäche im l inken Bein und Schmerzen zunächst im linken Schenkel. All¬ 
mählich aber verbreiteten sieh die Schmerzen in der Lendengegend dann auch 
im ganzen Körper. Die Schmerzen waren beständige mit zeitweiligen Exacerba¬ 
tionen, jedoch nicht sehr heftig, da die Kranke ihr«- Hausarbeit nachgehen konnte. 
Seit 6 Monaten sind aber die Schmerzen viel heftiger geworden. Die Kranke 
musste das Bett hüten, da durch jede Bewegung die Schmerzen heftiger wurden. 
Bei der Untersuchung fällt eine sehr ausgesprochene Fettleibigkeit auf, dabei sind 
die Hände, die Füsse und das Gesicht von Fett verschont. Man fühlt in den 
Beinen fettige Knollen von der Grösse einer Nuss. An den oberen Extremitäten 
beginnen diese Fettknollen am Ellenbogen und besonders an der hinteren und 
inneren Fläche des Oberarmes bis zur Schulter hinauf. Am Körper ist das Fett 
ziemlich gleichmässig vertheilt. Bei Druck empfindet die Kranke heftige Schmerzen, 
besonders an den unteren Extremitäten. Die Kranke klagt auch über spontane 
Schmerzen. Das Gehen, wie überhaupt jede active Muskelcontracdon ruft Schmerzen 
hervor. Dagegen kann man in allen Gelenken passive Bewegungen vornehmen, 
ohne Schmerzen zu verursachen. Keine Veränderungen an den Gelenken. Keine 
Muskelatrophie. Das aufrechte Stehen ist ganz normal. Die Patellarreflexe sind 
lebhaft, besonders links. Plantar-, Pharyngeal- und Hornhantreflexe sind normal. 
Keine ausgesprochenen Störungen der Hautsensibilität. Nichts Abnormes an den 
Augen. Leichte Taubheit. Nichts Abnormes an den inneren Organen. 

Herr Babinski: Hemla syn e rgl e und Halbeettensittern bei Kleinhim- 
Br&okenl&sionen. Der Kranke, den Vortr. in der Sitzung vom vergangenen 
Februar vorgestellt hat, starb am 26. März an einer infectiösen Grippe. Die 
Obduction wurde von Herrn Nageotte ausgeführt und ergab folgendes: Kein 
subarachnoidales Oedem. Das Gehirn ist nicht comprimirt. Die Gehirnhäute 
sind weich, dünn, durchsichtig und von normalem Aussehen. An der Gehirnbasis 
bemerkt man eine Geschwulst von Perlmutterfarbe, die die Gegend des Pons, die 
untere Fläche des Kleinhirns und das verlängerte Mark einnimmt. Der Tumor 
hat eine höckerige Oberfläche Die Höcker sind von der Grösse eines Hirsekorns 
bis zu der einer Erbse. Was die Form und die Farbe derselben an belangt, so er¬ 
innern dieselben ganz und gar an Perlen. Die Geschwulst ist von unregelmässiger 
Form und adhärirt fest an die Gehirnsubstanz. Die innere Hälfte der Rinde der 
rechten Cerebellarhemisphäre ist von der Geschwulst zerstört Der Pons hat 
unter der Geschwulst wenig gelitten. Allein der Facialis und der Acusticus sind 
in der Geschwulstmasse eingebettet Der Tumor ist subarachnoidal. Derselbe 
haftet kaum ein wenig an der Dura mater des Felsenbeins. Bei der mikrosko¬ 
pischen Untersuchung auf Zupfpräparaten sieht man, dass die Geschwulst aus 
plattgedrückteu, polygonalen, durchsichtigen und kernlosen Zellen besteht, und. 
gleichzeitig aus Lamellen von Cholestearin und fettigen Granulationen. Eis handelt 
sich somit um ein Cholesteatom. Eine genauere mikroskopische Untersuchung wird 


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später an gehärteten Präparaten gemacht werden. Vortr. ersieht in diesen ana¬ 
tomischen Ergebnissen eine Bestätigung der klinisch gestellten Diagnose. Er hatte 
die Gegenwart eines Tumors nicht erkennen können, da der Kranke keine Zeichen 
von verstärktem intracraniellem Drucke und von Gehirnödem darbot Allein die 
dargebotenen Nervensymptome sind auf die durch die Geschwulst zerstörten Fasern 
und Zellen zurückzufahren. 

Herr Henry Meige und Herr E. Feindei: Die Ursachen und die Patho- 
gsneais der Tics des Gesiohts und des Halses. Die ursprüngliche Ursache 
eines Tic ist eine zweckmässige Bewegung. Es handelt sich zunächst durch die 
Bewegung ein Hindern iss zu beseitigen. Dieselbe kann auch als eine Beaction 
gegen einen bestehenden Schmerz betrachtet werden. Der Kranke führt zunächst 
die bestimmte Bewegung aus, weil dieselbe zweckmässig ist, und weil er sie aus¬ 
führen wilL Allmählich aber wird die Bewegung zur Gewohnheit, es kommt 
somit zur automatischen, unüberlegten Bewegung, die bald gegen den Willen 
ausgeführt wird. So ist der Anfang jedes Tio. Gewiss ist eine solche initiale 
Ursache nicht ausreichend, um allein als solche die Tickrankheit zur Folge zu 
haben. Eine hereditäre Prädisposition ist nothwendig, um eine gewollte Bewegung 
in einen automatischen Tic zu verwandeln. Die angeborene Schwäche und Labi¬ 
lität des Willens sind die ätiologischen Hauptfactoren, die nie bei einem Tic¬ 
kranken fehlen. Es giebt auch eine Beihe von nebensächlichen Ursachen, die 
«um Ausbruch der Tics beitragen und deren Kennte iss ebenso für die Pathogenese 
wie für die rationelle Behandlung dieser Krankheit sehr wichtig ist So kann 
bei prädisponirten Individuen die Imitation genügen, um die Tickrankheit hervor¬ 
zurufen. Für jede Varietät von Tics scheinen specielle prädisponirende Momente 
zu existiren. So beim Tic der Augen spielen eine wichtige Bolle: Fremd¬ 
körper in den Augen, Entzündungen der Augenlider, zu grelles Licht, sowie 
manche Sehstörungen. Beim Tic der Nase: Coryza, kleine Furunkel. Beim 
Tic der Lippen: Schrunden. Beim Tic der Zunge: Ausfall der Milchzähne 
und Anomalieen an den Zähnen. Beim Tic des Halses und der Schulter: 
UnbequemHchkeit an der Frisur oder an den Kleidern. Viele andere Ursachen 
können zum Ausbruch der Tics beitragen. Man würde gut thun, bei Instituirung 
einer Behandlung und auch prophylaktisch an diese Ursachen zu denken. 

Discussion. 

Herr Parinaud bestätigt die Bichtigkeit der Behauptung der Vortr., was 
die Tics der Augenlider anbelangt, die den Augenärzten unter dem Namen 
„klonischer Blepharospasmus“ gut bekannt sind. Der Ausgangspunkt dieses 
Spasmus ist immer irgend eine periphere Beizung. 

Herr Ernest Duprö meint, dass es gewiss von grossem Nutzen ist, die 
zufälligen Ursachen, die bei der Entstehung der Tics mitspielen, zu studiren. In 
der Hauptsache ist aber der Tic ein corticaler Beflex zum Unterschied vom 
Spasmus, welcher ein subcorticaler Beflex ist, wie das Brissaud gezeigt hat. 
Bei der Entstehung der Tics geht Aehnliches vor, wie bei der Entwickelung von 
Obsessionen und Impulsionen, d. h. ein GemUthsshok. Somit gehören die mit 
Obsessionen behafteten Kranken in die Kategorie der Tickranken. Die Haupt¬ 
sache ist, dass im Beginn der Krankheit das Bewusstsein des Kranken mitwirkt, 
und nur allmählich durch die Wiederholung des reflectorischen Aktes tritt das 
Bewusstsein immer mehr und mehr in den Hintergrund. 

Herr Henry Meige wiederholt, dass die von ihm beobachteten Thatsachen 
vollständig mit dieser pathogenetischen Erklärung der Entstehung der Tics über- 
emstimmen. Er möchte aber betonen, dass die bei der Entstehung mitspielenden 
Ursachen, wenn sie noch so unbedeutend erscheinen mögen, von grosser Wichtig- 


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keit sind, da sie oft den Schlüssel zur Erklärung der Form der Tics abgeben, 
und prophylaktisch wie auch therapeutisch von sehr grossem Werthe sind. Die 
Methode der rationellen Behandlung der Tics durch methodische Uebungen fasst 
eben auf der genauen Kenntniss der Ursachen, die beim Beginn der Krankheit 
gewirkt haben. 

Herr Pierre Marie ist auch der Meinung, dass, welche Vorstellung man 
auch über den centralen Mechanismus der Tics haben möge, der Einfluss der 
peripheren Beizungen nicht von der Hand zu weisen ist. Er empfiehlt, junge 
Kranke dieser Art immer lose zu kleiden, leichte Frisuren und keine steifen Kragen 
tragen zu lassen. 

Herr E.Dupr6 et Herr A. Devaux: Cerebrales Endothelioma. (Mit Demon¬ 
stration anatomischer Präparate.) Der Kranke, von dem die Präparate herrühren, war 
33 Jahre alt, leichter Alkoholiker, keine Syphilis, hereditär nicht belastet. Die 
Krankheit begann mit einer progressiv zunehmenden Amblyopie 2 1 / J Jahre vor 
dem Tode. Man constatirte damals Stauungspapille. Gleich darauf traten auch 
heftige Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Gedächtnissschwäche, Demenz, dann 
epileptiforme Anfälle, linke Facialisparese und ebenfalls links Strabismus externus 
hinzu. Vollständige Erblindung. Es bestand keine Ptosis, keine Mydriasis und 
keine Miosis. Die Pupillen reagirten auf Licht bis in den letzten Tagen. Der 
Tod erfolgte unter vollständigem Koma. Bei der Autopsie fand man eine orangen- 
grosse, spheroidale Geschwulst von weichlicher Consistenz, die an der Basis der 
linken Gehirnhemisphäre sass und den frontalen und temporosphenoidalen Gehirn¬ 
lappen nach oben verdrängt. Bei mikroskopischer Untersuchung zeigte sich der 
Tumor als ein arachnoidales Endothelioma. Diese Beobachtung ist dadurch inter¬ 
essant, dass trotz der Grösse der Geschwulst nur wenig Localisationssymptome 
vorhanden waren. Die mikroskopische Untersuchung zeigte übrigens, dass die 
Nervenelemente des Gehirns nur unbedeutend gelitten hatten, eigentlich nur unter 
dem progressiv zunehmenden Gehirndrucke. 

Herr Pierre Marie: Neurop&thisoher Spasmus der Bewegung der 
Augen nach oben. (Der Kranke wird zum dritten Male in der Gesellschaft 
vorgestellt.) In der Sitzung vom Januar 1900 stellte Herr Crouzon (Assistent 
des Hrn. Pierre Marie) diesen Kranken der Gesellschaft vor. Er hub damals 
hervor, dass es sich bei diesem Patienten weder um eine Lähmung, noch um eine 
Contractur von diesem oder jenem Augenmuskel handelt, sondern um die Un¬ 
möglichkeit, den Blick nach unten zu richten. Er verglich diese Störung mit 
einem Gewohnheitstic, namentlich mit dem psychischen Torticolis (Torticolis 
mental). Er leugnete nicht, dass es sich um eine abnorm beginnende progressive 
Paralyse handeln könnte, neigte aber eher zu der Diagnose einer fonctionellen 
Neurose. Herr Joffroy sprach sich nach der Untersuchung des Kranken gegen 
progressive Paralyse aus. In der Sitzung von Juni 1900 stellte Herr Babinski 
denselben Kranken vor, und zwar nahm er bei demselben eine associirte Lähmung 
der Augenbewegung nach unten an. Da er aber nicht leugnen konnte, dass die 
Augen spastisch nach oben gezogen werden, so erklärte er diesen Spasmus durch 
die Paralyse der Antagonisten. Er nahm eine organische Läsion an, die wahr¬ 
scheinlich ihren Sitz in den supranuclearen Centren hat. Herr Parinaud theilte 
ganz und gar die Diagnose von Herrn Babinski. Herr Ballet bemerkte, dass, 
wenn die Aufmerksamkeit des Kranken abgelenkt wird, die Bewegungen der 
Augen nach unten freier sind. Auch fand er, dass die Störungen der Sprache, 
die der Kranke darbot, an das hysterische Stottern erinnern. Er sprach sich 
deshalb gegen eine organische Läsion bei diesem Kranken aus. Vortr. hat Ge¬ 
legenheit gehabt, den Kranken von Neuem zu untersuchen und ist der Meinung, 
dass es sich nicht um eine Paralyse, sondern um einen Spasmus, wie Herr Crouzon 


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es ursprünglich deutete, handelt. Er sacht dies durch folgendes Experiment zu 
beweisen. Lasst man dem Kranken den Kopf so weit als möglich nach hinten 
tragen, so kann er in dieser Stellung des Kopfes mit Leichtigkeit die Augen 
nach unten bewegen. Es kann folglich nicht von einer Lähmung der Bewegungen 
der Augen nach unten die Bede sein. Befiehlt man dagegen dem Kranken bei 
normaler Haltung des Kopfes seine Fiisse anzusehen, so tritt hei dem Versuche, 
nach unten zu sehen, augenblicklich die spastische Bewegung der Augenäpfel 
nach oben ein. Dieser Spasmus dauert 30—40 Secunden, und dann nehmen die 
Augen ihre normale Stellung ein. Was die Natur dieses eigentümlichen Spasmus 
anbelangt, so ist Vortr. der Meinung, dass es sich um eine functionelle Neurose 
und nicht um ein organisches Leiden handeln muss, und zwar aus folgenden 
Gründen. Der Beginn des Leidens war folgender: Im August arbeitete der Pat. 
bei starker Hitze im Freien, und fühlte sich nicht ganz behaglich. Während 
3 Tage war er verstimmt und traurig und dachte dabei an seinen Vater, der 
an einem Schlag gestorben ist und an seinen Grossvater, der während 10 Jahren 
blind war. Am Abend des 8. August während der Mahlzeit wurde er plötzlich 
blind und vom Schlag getroffen. Der apoplektische Anfall dauerte 17 Stunden, 
während welcher er weder stertorös war, noch liess er unwillkürlich den Stuhl 
und den Urin gehen. Vortr. erklärt, dass ihm noch nie eine organische Apoplexie 
begegnet ist, bei welcher eine solche Athmungsruhe und eine solche Sphinkteren- 
integrität bestanden hätte. Der komatöBe Zustand hörte beim Kranken plötzlich 
aut Er erwachte, wie aus dem Schlaf, fing an zu sprechen und verlangte zu 
essen. Man bemerkte dann, dass der Kranke ganz verwirrt war. Er wusste 
nicht, wo er sich befand, kannte seine Umgebung nicht. Mit einem Worte, es 
handelte sich offenbar um ein Deliriumstadium, wie man es nach grossen hyste¬ 
rischen Anfällen sieht. Der Kranke blieb während mehrerer Wochen in diesem 
v erwir r t en Zustande, dann wurde er plötzlich klar, erkannte wieder seine Frau, 
die er im Delirium für seine Schwester gehalten hat. Der Kranke behielt aber 
noch manche psychische Eigentümlichkeiten. Er ist reizbar, anspruchsvoll. Seine 
Sprache ist ebenfalls eigentümlich geworden, sie ist langsam und zögernd und 
erinnert sehr, wie Herr Ballet es schon bemerkt hat, an das hysterische Stottern. 
Ausserdem sind beide Gesichtsfelder beim Pat. stark verengert. Auch hat Vortr. 
bei diesem Kranken durch Suggestionsbehandlung mit einem starken Magneten 
eme beträchtliche Besserung erzielt. Aus diesen verschiedenen Gründen hält er 
das Leiden für hysterischer Natur. 

Herr Parinaud hat den Kranken auf die Aufforderung des Herrn Babinski 
untersucht und hat eine ausgesprochene Lähmung der Bewegung eines der Augen 
nach unten constatirt, während die Bewegungen nach oben und lateralwärts voll¬ 
ständig normal waren. In Anbetracht des vorausgegangenen apoplektischen An¬ 
falls hat er den Fall für eine Lähmung der Bewegungen der Augen nach unten 
gehalten. Er hat nicht daran gedacht, dass ein psychischer Tic in Betracht 
kommen könnte, den er übrigens nur ungenügend kennt. Er müsste den Kranken 
genauer untersuchen, um sich darüber aussprechen zu können, ob Paralyse oder 
Spasmus vorliegt. 

Herr Babinski giebt zu, nachdem er den Kranken von Neuem untersucht 
hat, dass die Bewegung der Augen nach unten bis zu einem bestimmten Grade 
ausgeführt wird. Ein bestimmter Grad von Parese dieser Bewegung besteht aber 
doch, das muss Vortr. zugeben. Man könnte deswegen den Spasmus als secundär 
betrachten, in Folge der Parese der antagonistischen Bewegung, wie es ja oft 
der Fall ist, wenn eine Muskelgruppe gelähmt ist. Er weist die Hysterie bei 
diesem Kranken nicht von der Hand, die ja combinirt mit einem organischen 
Leiden Vorkommen kann. Er hält aber immer daran fest, dass das Vorhanden¬ 
sein eines organischen Leidens vollständig mit dem Beginn durch einen apoplek* 


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48 


tischen Anfall, mit psychischer Störung, mit Motilitätsstörung and Störung der 
Sprache übereinstimmti Er würde von einer Diagnose lassen and den Fall für 
hysterisch erklären, wenn man durch Suggestion den Zustand des Kranken be¬ 
deutend wird modifirircn können, oder wenn die Symptosse durch die Suggestion 
plötzlich sehwinden. 

Herr Brissand meint, dass es schwer sei, in diesem Falle eine Keralision 
anzunehmen, die im Aquaeductus 8ylvii nur einen Teil der Kerne des 3. Nerven- 
paares beschädigt, aber glei c hzeitig die Kerne des 4. Nerven paare» auf beiden 
Seiten trifft Man müsste doch eine viel höher gelegene Läsion annehmen, um 
diesen so eigentümlich locslisirten Symptomencomplez an erklären. Ans diesem 
einzigen Grunde ist es wahrscheinlich, dass bei diesem ein hochgele gen e » 

Aasociaiionseentrum — etwa in der Gehinrinde sitairt — gestört sein muss. Um 
dann auf die hysterische Natur des Leidens zu schliessen, gehört ja nur ein Schritt. 

Herr Georges Guillain: Hysterisches Stottern. (Mit Krankenvorsteilung.) 
Es handelt sich um einen 48jährigen Mann, der im Februar dieses Jahr« in 
die Klinik d« Herrn Marie in Bicetre aufgenommen wurde. Hereditär nicht 
belastet Der Tod seiner Frau (1889) hat ihn sehr mitgenommen. Im Jahre 1896 
stürzte er hin and wurde in ein Hospital gebracht Am folgenden Tage war 
nichts Abnorm« za bemerken. Dagegen trat 48 Standen nach diesem Unfälle 
eine totale Paralyse der 4 Extremitäten mit einer solchen Dysarthrie ein, dam 
« unmöglich war, den Kranken zu verstehen. Nach 2 Monaten verschwand die 
Lähmung ganz plötzlich. Die Sprachstörung aber blieb unverändert beetdien. 
Das Stottern behält nicht immer denselben Charakter. Der Kranke wiederholt 
manchmal 2, 3 Mal die erste Silbe mancher Worte, manchmal giebt er von sich 
ganz unverständliche Laute, manchmal wird eine Silbe, auch ein ganz« Wort 
in einem sonst correct ausgesprochenen Satze ausgelassen. Das Nachsprechen ist 
ebenso mangelhaft, wie das spontane Sprechen. Beim Sing» werden die Worte 
eben so schlecht ausgesprochen, wie beim Sprechen. Der Kranke kann lesen, und 
versteht, was er liest Auch beim Schreiben, eben so bei spontanem, wie bei 
dietirtem, lässt der Kranke Worte ans, fügt andere hinzu, so dam seine Schrift 
gerade so unverständlich ist, wie seine Sprache. Er ist unfähig, eine Addition 
aaszuführen, ebenso eine Multiplication. Die vorgezeigt» Gegenstände erkennt 
er richtig. Der Kranke kann die Zunge nicht herausstxecken. Der Gaumensegel 
ist nicht gelähmt Pharyngealreflex erloschen. Das Gesichtsfeld ist normal. Keine 
Sensibilitätsstörungen. Der Fall ist als Hysterie zu betrachten aus folgenden 
Gründen: der eigenartige Beginn der Krankheit, der Polymorphismus und die 
Eigentümlichkeit der Sprachstörung, der psychische indifferente Zustand des 
Kranken. Hirschberg (Paris). 


V. Vermischtes. 

Die Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte findet am 
Montag, den 14. und Dienstag, den 15. April 1902 in München statt 

Als Referatthema ist zunächst in Aussicht genommen: Die 8eelenstörangen auf arterio¬ 
sklerotischer Grundlage. Referent: Herr Dr. Alzheimer (Frankfurt a'M.). 

Die Aumeldung von Vorträgen wird an den Vorsitzenden (Jolly-Berlin) bis spätestens 
Ende Febraar 1902 erbeten. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Veit & Cour, in Leipzig. — Druck von Merze za & Wnme in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

liebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten» 

Heraasgegeben von 

Professor Dr, E. Mendel 

(unter Mithülfe von Or. Kurt Mendel) 

SmiBdxwauigster " B * rlln ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
aQe Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deatsoben Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlang. 

1902. 16. Januar. Nr. 2. 


Inhalt. I. Orlglnalmittheiluofen. 1. Zor Lehre von den periodischen Geistesstörungen, 
von Dr. Ennen. 2. Die Topographie der paralytischen Rindendegeneration and deren Ver- 
kütniee za Fuohbio's Assoemtionsoentren, von Prof. Dr. Karl Schaffer in Budapest. 

II. Referate. Anatomie. 1. Zar Keantniss des Sagittalmarks and der Balkenfasern 
des ffinterhauptlappens, von Probst. 2. Ueber den Verlauf der centralen Sehfasern (Rinden- 
•ehhägelfaaern) und deren Endigung im Zwischen- und Mittelhirn und über die Associations- 
und Commissurenfasern der Sehsphäre, von Probst. — Experimentelle Physiologie. 
S. Die Bedeutung der Hinterstränge des Rückenmarks iür die Leitung dee Muskelsinns, von 
B e h w Bm w. — Pathologische Anatomie. 4. Weitere Beiträge zur Pathologie und patho¬ 
logischen Anatomie dee unteren Rückenraarksabschnittes, von Müller. 5. Beschreibung des 
CoBtralnerveneystems eines 6tägigen, syphilitischen Kindes mit unentwickeltem Grosshirn bei 
ansgebildetexn Schädel, mit Asymmetrie deB Kleinhirns, sowie anderer Hirntheile und mit 
Aplasie der Nebennieren, von llberg. — Pathologie des Nervensystems. 6. Ueber die 
Pupillenbewegung bei schwerer Sehnervenentzünaung, von Hirschberg. 7. Etüde sur los 
refexes pupil iaires, par Vidal. 8, Einige Worte über neue Pupillarsvmptome, von Piltz. 
9. Etüde snr l’ophtalmoplögie congenitale (ophtalmoplegie complexe), par Cabannes et 
Baraeff. 10. Ophthalmoplegie mit periodischer, unwillkürlicher Hebung and Senkung des 
oberen Lides, paralytischer Ophthalmie and einer eigenartigen optischen Illusion, von v. Bech¬ 
te rew. 11. Ueber Veränderungen im Augen Hintergründe bei Pneumonie, von Peters. 
12. Weitere Beiträge zur Pathologie der Linse, von Peters. 13. Ueber springende Mydriasis, 
von Gasener. 14. Atrophie optique hdräditaire, par Gallemaerts. 15. Acute retrobulbäre 
Neuritis und Hysterie, von Bregmaitn. 16. Ueber Erkrankungen des Rückenmarks bei here¬ 
ditär-syphilitischen Neugeborenen und Säuglingen, von Peters. 17. Epilepsie jacksonienne 
et eonvulsious geniralisäes avee hömiplägie droite obez une härödo-syphilitique de 15 mois. 
Guerieon par des frictions niercurielles, par Gendre. 18. Hereditäre Lues und Epilepsie, von 
Britz nna LOIh. 19. Ueber einen Fall von Jackson’scher Epilepsie auf syphilitischer Basis 
■it operativem Eingriff, von Rybalkln. 20. Sali’ epilessia da sifllide, pel Luzenberger. 
21. De Pabolition das röfiexes pupillaires dans ses relations avec la syphilis, par Babinski et 
Pbgree aller. 22. Beitrag zur Kenntniss der Syphilis des Centralnervensystems, von Haeaal. 
23. Zwei Fälle von Syphilis des Centralnervensystems, von Bermann. 24. Ueber eineu Fall 
von ausgedehnter Erkrankung der Gefässe und Meningen des Gehirns und Rückenmarks im 
FrÜhstadium einer Syphilis, vod Finkelnburg. 25. Zur Meningitis basilaris syphilitica praecox, 
von HaffoMUM. 26. Ein Fall von cerebrospinaler Syphilis mit Erhöhung der Körperwärme, 
von Blatahar. 27. The olinioal forme and patbological anatomy of spinal syphilis, by 
VHttaaKen. 28. A case of syphilitic spinal leptomeningitis with combined sclerosis, by Shoyer. 

29. Ueber einen in der Narcose entstandenen Fall von luetischer Plexus-Neuritis, von Sarbö. 

30. Gangnena angioaclerotica auf luetischer Basis, von Nartowski. 31. Recherches eliniques 
•ur le tmitement de la syphilis fondöes sur les observations du Dr. Zeltschinsky (Moscou) 
euriea d’nn cas de prophylaxie in utero par le möme traitemeut. par Verrier. 82. Les acoi- 
deats nerveux de 1» blennorrhagie, par Delamare. 33. Die Störung des TemperatursinnB bei 
Syringomyelie, von Roaenfeld. 84. Ueber eine eigentümliche localisirte Arthropathie bei 

4 


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einem an Syringomyelie und gleichzeitiger Hypoplasie des Genitalapparates leidenden Indi- 
viflnum, von Hfldlmoser. 86 . Ett ntveckladt fall af syringomyeli (Morvans typ), af Lsnd- 
borg. — Psychiatrie. 86. Oonsangninität in der Ehe and deren folgen für die Dcsceodenz, 
▼on Peipers. 87. Combinirte Psychosen, von Mflnkemflller. 38. Ein Fall von circularem Irre¬ 
sein mit täglich alternirendem Typus, nebst Bemerkungen zur sog. „circularen Nenrasthenie“, 
von Scheiber. 89. 8ieben Tage lang anhaltende, völlige nnd plötzlich nach Chloroform- 
aspbyxie eingetretene Aufhellung des Geistes bei einer seenndär verwirrten Geisteskranken, 
von Nicke und Steinltz. 

III. Bibliographie. Die Syringomyelie. Eine Monographie von Docent Dr. Hermann 
Schlesinger. 

IV. Ans den Gesellschaften. XXXII. Jahreeversammlimg der södwestdeutschen Irren¬ 
ärzte in Karlsruhe am 2. und 8. November 1901. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. (Bio¬ 
logische Abtheilung.) 

V. ■Itthellnng an den Herausgeber. 

VI. Vermischtes. 


L Originalmittheilungen. 


1. Zur Lehre von den periodischen Geistesstörungen. 1 

Von Dr. Bnnen, 

Assistenzarzt an der Rhein. Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg. 

Obwohl die Lehre von den periodischen Geistesstörungen bereits vielfach 
eingehend und gründlich behandelt worden ist, so sind doch die Erscheinungen 
und Verlaufsweise dieser Erkrankungen in jeder Beziehung so maunigfaltig, dass 
immer wieder einzelne Fälle Vorkommen, die einerseits ihres eigentümlichen 
Verlaufs, andererseits ihrer Seltenheit wegen zu einer näheren Betrachtung auf¬ 
fordern. In Folgendem will ich drei solcher Fälle, die ich während längerer 
Zeit beobachten konnte, mittheilen. 

Es handelt sich zunächst um einen 69jihr. Kranken, der seit dem Jahre 1869 
an circularem Irresein leidet & wurde am 22. VIIL 1898 in Grafenberg aus¬ 
genommen, nachdem im Mai desselben Jahres nach vorangegangenem 1 1 ^jährigem 
Depressionsstadium eine maniakalisehe Erregung entstanden war, die bei seiner 
Aufnahme noch vorhanden war und zunächst auch weiter anhielt. Am 16./XL 
1898 trat ein apoptaktischer Anfall bei ihm ein, der eine motorische Aphasie 
und leichte rechtsseitige Facialisparese zur Folge hatte. Während er in den 
vorhergehenden Tagen noch sehr gereizt war. viel schimpfte, war er nach dem 
Anfälle sehr wehleidig und gedrückt«* Stimmung. Im Laufe des Tages stellte 
sich dann noch eine schlaffe Lähmung des rechten Armes ein. Die erwähnten 
Lähmungserscheinungen haben sich allmählich gebessert wenn sie auch jetzt noch 
nicht ganz verschwunden sind. Der plötzliche Umschlag in der Stimmung hielt 
an und der Kranke befindet sich seitdem in einer melancholisch-hypochondrischen 
Verstimmung. Im Laufe der Zeit traten in mehr oder weniger grösseren 
Zwischenräumen neue Anfälle au£ der letzte Mittte September dieses Jahres. Die 
meisten dieser Anfälle waren von einer allerdings nur wenige Tage dauernden 
leichten manischen F.rregung gefolgt. In dem letzten Jahre war dieser Wandel 
weniger ausgesprochen, doch war. er bei dem letzten Anfall deutlich zu bemerken. 


* Vortrag, gehalten in der 6S. Versammln: g des psy hiatrische« Vereins der Rbein- 
proriat in Bona am 9 November 1 * 01 . 


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51 


Zu bemerken ist noch, dass bei dem Patienten in den letzten Jahren eine geistige 
Abschwächung sich bemerkbar macht. Von körperlichen Symptomen sei die be¬ 
stehende Arteriosklerose hervorgehoben. • 

In neuerer Zeit ist besonders von Pilcz 1 darauf hingewiesen worden, dass 
periodische Geistesstörungen nach Apoplexieen Vorkommen. Wenn nun auch in 
diesem Falle die Geistesstörung nicht durch eine Apoplexie verursacht ist, so 
haben doch ohne Zweifel die einzelnen Anfalle Antheil an dem mehrfach be¬ 
obachteten Wechsel im Verlauf derselben gehabt Besondere auffällig ist dies 
nach dem ersten Anfalle gewesen. Die vorhandene geistige Abschwächung 
dürfte auch wohl auf Rechnung der apoplektischen Anfälle zu setzen sein, wie 
auch Pilcz hervorhebt, dass in den von ihm beobachteten Fällen nach Apoplexie 
eine solche vorhanden war, im Gegensatz zu der Erfahrung, dass sonst bei perio¬ 
dischen Geistesstörungen die Intelligenz wenig oder gar nicht leidet Es scheint 
demnach, dass in der Aetiologie und pathologischen Anatomie der periodischen 
Geistesstörungen Veränderungen vasomotorischer Art und deren Folgen nicht 
ohne Bedeutung sind, wenn auch bis jetzt bestimmtes darüber nicht bekannt ist 

Schieibeb* hat einen Fall von circulärem Irresein veröffentlicht, den ich 
seiner Aehnlichkeit mit meinem ersten und zweiten, gleich zu besprechenden 
Fall wegen kurz berühren möchte. Bei einem 57 jährigen Manne trat nach 
einem Schlaganfall zunächst eine Charakterveräuderung ein, er wurde reizbar 
und heftig und nach einem zweiten Anfalle entwickelte sich eine circuläre 
Psychose, die 7 Jahre lang bis zu seinem Tode anhielt In den ersten Jahren 
kamen noch 2 Schlaganfälle hinzu, nach denen sich der Zustand des Krankeu 
verschlimmerte. Eigentümlich war, dass die Perioden der heiteren und traurigen 
Verstimmung bis zu dem letzten Lebensjahre täglich wechselten, so dass der 
Kranke an einem Tage heiter und gehobener Stimmung war, sich wohl fühlte, 
Pläne machte, während er am andern Tage ausgeprägte melancholische Ver¬ 
stimmung zeigte. 

Dieser tägliche Wechsel besteht bei dem 53 jährigen Kranken W, der seit 
April 1895 in Grafenberg ist, in ganz ähnlicher Weise. 

Er war schon vorher 4 Mal wegen circulären Irreeeins in verschiedenen An¬ 
stalten. Die einzelnen Anfalle hatten früher keinerlei Besonderheiten geboten. 
Bei seiner Aufnahme in Grafenberg war er in einer maniakalischen Erregung, er 
war sehr laut, reizbar, wurde gleich heftig, schmierte, ärgerte seine Mitkranken 
u. s. w. — Dieser Zustand dauerte etwa 7 Monate und es entwickelte sich dann 
allmählich ein täglicher Wechsel zwischen manischem und melancholischem Stadium. 
In der ersten Zeit war dieser Wechsel öfters unterbrochen durch Erregungen, die 
mehrere Tage dauerten und von ungefähr ebenso langer Depression gefolgt waren, 
diese Zustände sind in den beiden letzten Jahren selten geworden, dauern meist 
nur je 2—8 Tage, so dass der tägliche Wechsel im ganzen ein sehr regel¬ 
mässiger ist. Die Intensität, mit welcher Manie und Melancholie auftreten, ist 


1 Pilcz, Monatmehr. f. Psych. u. Nearolog. 1900. Nov. — Derselbe, Die periodischen 
Qostcastdrangen. Jena, 1901. Gast. Fischer. 

* Schm» , Ein Fall von 7 Jahre lang dauerndem circalärem Irresein u. s. w. Archiv 
L Psych. XJXIV. Heft 1. 

4* 


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»ehr verschieden. Den höchsten Grad erreichte die Erregung, wenn sie mehrere 
Tage anhielt. In den letzten Jahren ist die Erregung im Grossen und Ganzen 
viel milder geworden. Die Melancholie entspricht in ihrem Grade stets der Manie 
vom vorhergegangenen Tage. Das Bild der Manie bezw. Melancholie ist stets 
scharf ausgeprägt, nur wechselt, wie gesagt, die Intensität des Zustandes von 
einer leichten heiteren bezw. traurigen Verstimmung bis zur ausgesprochen hoch¬ 
gradigen roaniakalischen Erregung bezw. tiefen Melanoholie. 

Dabei macht sich in den letzten Jahren eine gewisse geistige Abschwächung 
bei dem Kranken bemerkbar. Von körperlichen Symptomen ist Arteriosklerose 
mässigen Grades zu nennen. Patient giebt an, dass sein Vater in den letzten 
6 Lebensjahren einem ebensolchen täglichen Wechsel zwischen Manie und Melan¬ 
cholie unterworfen war. 

Solche Fälle, die einen täglichen Wechsel im Zustandsbilde zeigen, sind 
nicht gerade häufig. Ausser dem Fall von Schetbeb gehören hierzu 2 Fälle 
von Dübom 1 , die er als intermittirende neurasthenisch-melancholische Psychose 
bezeichnet hat, die aber meiner Auffassung nach zu dem circularen Irresein ge¬ 
rechnet werden müssten, ebenso wie der Fall Dünin’s 1 , von sogen, circulärer 
Neurasthenie mit täglichem WecheL Schülb 8 bezeichnet diesen Verlauf als 
alternirenden Typus und giebt an, dass dieser Typus bei verschiedenen psychi¬ 
schen Krankheitszuständen Vorkommen kann, besonders bei der Paralyse. Es 
sind denn auch mehrfach derartige Fälle genau beschrieben worden und zwar 
von Mendel*, Büddebebg* und FkAnkel* bei der progressiven Paralyse. Es 
bestand bei diesen Fällen ein täglicher Wechsel zwischen heiterer Erregung und 
trauriger Verstimmung. Näokb 7 hat einen Fall von Katatonie beschrieben, 
wo ebenfalls ein regelmässiger täglicher Wechsel zwischen Erregung und Stupor 
stattfand. Ein ähnlicher Fall, anscheinend epileptischer Natur, ist von Ziegler 8 
veröffentlicht 

Ich selbst habe einen Fall von seniler Geistesstörung beobachtet, der sich 
durch tägliches Alterniren von Zuständen der Erregung und Buhe auszeichnet. 

Es handelt aioh am einen 70jähr. Mann, der am 21. April 1899 in Grafen¬ 
berg aufgenommen wurde. Im Herbst 1898 und Februar 1899 war er zwei Mal 
auf den Kopf gefallen. Seit dem letzten Fall klagte er über Kopfschmerzen, war 
aufgeregt und unruhig, redete viel, schlief nicht, war unreinlich, nahm körperlich 
ab. In der ersten Zeit seines Anstaltsaufenthalts war er sehr unruhig, sprach 


1 Dobois, Ueber intermittirende psychopathische Zustände. Corresp.-Blatt f. Schweizer 
Aerzte. 1901. Nr. 9. 

* Dunin, Ueber periodische, circulare und alternirende Neurasthenie. Deutsche Zeit- 
schr. f. NervenheDk. 1898. XIII. 

* Schülb, Klinische Psychiatrie. 3. Aufl. Leipzig, 1886. Vogel. 

4 Mendel, Die progressive Paralyse der Irren. 

* Bcddbbebo, Zur Casuistik der allgemein fortschreitenden. Paralyse mit circulärem 
Verlauf. Allgem. Zeitschr. f. Psych. 1898. IL. 

* FhInkbl, Ein Fall von circnlärer Form der progressiven Paralyse. Neurolog. Cen- 
tralbl. 1895. 

T Näckb, Raritäten ans dem Irrenhause. Allg. Zeitschr. f. Psych. 1894. L. 

* Ziegler, Ueber die Eigenwärme in einem Falle von Geistesstörung. Allg. Zeitschr. 
f. Psych. 1864. XXI. 


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— 53 


?«wirrt, belästigte die Mitkranken. Dann schien er öfters ängstlich, glaubte, es 
sei Gift im Essen, sprach vom Teufel u. dergl., ass schlecht. Dazwischen war er 
hin und wieder auf Stunden klar. Seit October 1899 zeigt er mit vollkommener 
Begelmässigkeit folgendes Verhalten: War er z. B. am Tage ruhig, so beginnt 
bereits gegen Abend sich die Erregung langsam bemerkbar zu machen, sie steigert 
sich allmählich in der Nacht, bis sie gegen 4 Uhr Morgens in voller Stärke los¬ 
bricht and hält bis zum anderen Abend an. Dann wird er ruhig, schläft die 
Nacht durch und ist am Morgen ruhig und klar, hält sich den Tag über gut, bis 
am Abend die Unruhe wieder beginnt. In der unruhigen Zeit spricht oder 
flüstert er fast beständig vor sich hin, zittert am ganzen Leibe, sieht ängstlich 
ans, verkennt hin und wieder Personen, ist auch ab und zu unrein. Der Puls 
ist gespannt und frequent; die Atbmung beschleunigt, das Geeicht ist congestionirt. 
In den Zeiten der Buhe war er zuerst ganz klar und einsichtig und verhielt sich 
vollkommen geordnet. Jetzt ist er zwar auch klar und geordnet, weiss auch, 
dass er jeden zweiten Tag unruhig ist, glaubt aber, die Aerzte bewirkten dies 
künstlich, um für den betreffenden Tag die Nahrung für ihn zu sparen. Er er¬ 
innert sich noch ziemlich genau an das, was während der Unruhe um ihn vor¬ 
geht, will aber keine rechte Auskunft geben; ist in seinem ganzen Wesen vielfach 
kindisch albern. Diese Erscheinungen dürften wohl auf die geistige Schwäche 
Zurückzufuhren sein, die sich mit der Zeit bei ihm herausgebildet hat. — Zu 
erwähnen ist noch, dass bei dem Kranken Arteriosklerose besteht. 

Wir haben es natürlich bei den eben geschilderten Fällen nicht etwa mit 
einer besonderen Art von Psychosen za thun, sondern erblicken vielmehr in 
denselben nur eine eigenthümliche, seltene Verlaufsweise der Erkrankung, die, 
wie wir gesehen haben, bei verschiedenen Psychosen Vorkommen kann, sowohl 
bei den sogen, organischen als auch bei solchen, die man wohl als functionelle 
bezeichnet, obwohl diesen letzteren auch offenbar irgendwelche pathologische 
Veränderungen der Gehirnsubstanz zu Grunde liegen, über deren Natur wir 
allerdings noch im anklaren sind. Bä den meisten der erwähnten Fälle finden 
wir nnn arteriosklerotische Processe in mehr oder weniger hohem Grade and 
es hegt somit die Annahme nahe, dass der Verlauf dieser Erkrankungen im 
Zusammenhang mit vasomotorischen oder nutritorischen Storungen steht So 
glaubt auch Näckb, dass in seinem Falle der Wechsel zwischen Erregung nnd 
Stapor anf Hyper- bezw. Anämie des Gehirns zurückzuführen sei und Ddbois 
rat geneigt, anzunehmen, dass durch eine localisirte Arteriosklerose Ciiculations- 
störungen entständen, die ihrerseits den Chemismus der Zellen stören und 
dadurch vermittelst einer localen Intoxication den Anfall hervorrufen könnten. 
Nach and nach würden die schädlichen Stoffe eliminirt, bis eine neue Anhäufung 
stattfindet Wenn dem so wäre, könnte man damit vielleicht einen Wechsel 
zwischen krankhaftem and normalem Verhalten erklären, aber nicht einen solchen 
zwischen verschiedenen krankhaften Zuständen, da ja dann einmal ein krank¬ 
hafter Zustand normalen Verhältnissen entsprechen müsste. Jedenfalls lässt 
■eh vorläufig eine befriedigende Erklärung dieser Erscheinungen wohl noch 
nicht geben. 

Die Therapie scheint hier ziemlich machtlos zu sein. Von Zibglbb und 
Niem wurde Chinin ohne Erfolg gegeben. 

Der scbliesslicbe Verlauf and Ausgang ist bei den Fällen von Paralyse, 


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Katatonie und senilem Irresein ja von vornherein ungünstig. Bei den Füllen, 
die dem periodischen Irresein zuzorechnen sind, Mit die lange Däner dieser 
Erkrankungen auf, die sich in allen Fällen über mehrere Jahre erstreckt. Mit 
einer Ausnahme ist bei keinem dieser Fälle eine Besserung oder gar Genesung 
beobachtet worden. 

Diese Ausnahme betrifft einen Fall von Dubois, bei dem die Erkrankung 
nach 8 jähriger Dauer auf hörte, um dann nach 6 jähriger Pause wieder auf¬ 
zutreten, ohne dass bis jetzt nach bereits 4 jähriger Dauer eine Besserung vor¬ 
handen ist Es scheint demnach fast, als wenn das Auftreten dieser Formen 
bei periodischem Irresein die Prognose, die ja sonst für den einzelnen Anfall 
relativ günstig ist, zum mindesten recht zweifelhaft erscheinen liesse. 


2. Die Topographie der paralytischen Rindendegeneration 
und deren Verhältniss zu Flechsig’s Associationscentren. 

Von Prof. Dr. Karl Schaffer in Budapest. 

Die auf Seriensohnitte in sagittaler und horizontaler Richtung erfolgte 
Untersuchung von drei paralytischen Gehirnen führte zu Ergebnissen, aus welchen 
eine frappante Analogie zwischen den sogen. FuscHSio'schen Associationscentren 
und den degenerirten Rindenfeldern bei der Paralyse erhellte. Indem ich nun 
diese Resultate summarisch anführe, erlaube ich mir vorangehend folgende Be¬ 
merkungen. 

Alle drei Fälle boten im psychiatrischen Sinne das typische Bild der Paralyse 
dar; sie zeigten durchwegs den terminalen paralytischen Blödsinn und die be¬ 
kannten Lähmungserscheinungen. Ich wählte absichtlich solche, durch sucoessive 
Demenz, verblasste Megalomanie, Dysarthrie, Facialis- und Pupillenlähmung 
charakterisirte terminale Fälle zur Untersuchung, da ich gerade in solchen 
einen vollentwickelten, fast abgelaufenen Degenerationsprocess erwarten, somit 
auoh eine distincte histologische Darstellung desselben mit der Wbioebt- 
WoLTEBs’schen Methode erhoffen durfte. Von den drei Fällen bot nur einer 
noch die Symptome der Tabes dar; die Paralyse dieses Falles zeigte jedoch 
gleichfalls das typische Bild. 

Vorliegende Arbeit soll deu Anfang einer grösseren Serie von paralytischen 
Gehirnen bedeuten, welche alle vom Gesichtspunkte der Topographie des para¬ 
lytischen Rindenschwundes aufgearbeitet werden. Die Resultate der vorliegenden 
drei Fälle sind so übereinstimmend und besonders mit Bezug auf die Fusoh- 
siG’sche Lehre von den Associationscentren so eindeutig, dass ich dieselbe als 
vorläufige Anzeige zu veröffentlichen mich veranlasst fühle. In einer späteren, 
detaillirten Arbeit gedenke ich eine minutiöse Schilderung der Befunde zu geben; 
hier begnüge ich mich mit der gedrängten Angabe des Befundes. Letzterer 
wurde an Serienschnitten durch die ganze Hemisphäre erhoben; meines Er- 


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achtens ist dieser Vorgang der einzig richtige bei der Frage bezüglich der Topo¬ 
graphie der paralytischen Rindendegeneration; die auf gewisse Heinisphärenbezirke 
ach erstreckende Markentartung lässt sich nur an fehlerlosen Totalschnitten mit 
der vorzüglichen Wkigebt- WoLTÄßs’schen Färbung behandelt, constatiren. 

Auf meine Befunde übergehend, erlaube ich mir diese durch photographisch 
reprodudrte Präparate zu illustriren. 

Fig. 1 führt uns einen Sagittalschuitt der rechten Hemisphäre vor, welcher 
nahe zur Medianlinie, zur Fissura pallii fällt. An demselben macht sich bereits 
auf den ersten Blick die Gegend der Centralfurche ( R ) als eine gesund im- 
ponirende Stelle der Hemisphäre aufmerksam, insbesondere die vordere Central- 
Windung {CA), sowie die an letztere stossende erste Stirnwindung^ 1 ) zeigen 



Fig. l. 


ein tiefblaues Windungsmark, ein dichtes Radiärgeflecht, und besonders am 
WinduDgsabhang und in der Tiefe zwischen F 1 und CA eine fast ganz erhaltene 
Tangentialschicht Die auf F x folgenden Windungen des Frontallappens stellen 
einen successiven Uebergang zur ausgesprochensten Rindendegeneration dar; die 
Convexitätswindungen der ersten Frontalwindung (Fc) zeigen bereits eine ge¬ 
wisse Faserreduction im Windungsmark, welcher Umstand durch eine hellblaue 
Jarbang sich kenntlich macht; die Radiärschicht arm an Fasern; Tangential¬ 
schicht fehlt vollkommen. Die polaren und basalen Frontalwindungen {Fp, Fb) 
zeigen bereits eine hochgradige Degeneration; das Windungsmark ist blaugrau 
bexw. grau, daher aus schwachgefarbten, varicösen, an Zahl ungemein reducirten 
Markfasern bestehend; Radiärschicht fehlt vollkommen, ebenso die Tangential- 
sehicht; die Rinde ist bedeutend schmäler. 

Die hintere Centralwindung (F) zeigt eine geringe Abschwächung der 
Radiirschicht, eine bedeutende Reduction der Tangentialschicht; sie stellt einen 
Uebergang zu den hochgradig erkrankten Parietalwindungen dar. Letztere sind 
durch den Lobulus parietalis superior (/*,) vertreten und zeigen besonders 


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an den mit „p“ und „p t “ markirten Stellen hochgradigen Rindeneohwnnd: 
Tangentialsehicht und Radien fehlen Tollkommen, Windungsmark lichtblau bis 
grau, daher hochgradig rareficirt Nachdem wir die Fissura parieto-occipitalis 
{fpo) überschritten haben, gelangen wir zum Occipitallappen, welcher hier 
durch die Gegend der Fissura calcariua (C) repräsentirt ist Es ist nun 
höchst bemerkenswerth, dass die Lippen der Calcarina gesundes Windungsmark, 
nur in geringem Grade rareficirte Markstrahlen, ein nur etwas gesohwächtea Vioq 
D’AzYR’aohes Rand zeigen; die oberflächlichen Tangentialfasern hingegen sind nur 
stellenweise rorhanden. Interessant ist der Umstand, dass die der Convexität, 
sowie der Basis (bezw. dem Cerebellum) zugewendete Flächen des Occipitailappens 
schon viel mehr geschwächte Markstrahlen, vollkommen fehlende Zonalfasern 



Fig. 2. 


aufweisen; Windungsmark, besonders der Convexität, liohtblau, daher schon rare- 
fioirt Wir können also bezüglich des Oocipitallappens als Thatsache hervorheben, 
dass jener Tbeil des Cnnens {CU), welcher den Rand der Fissura calo&rinA 
bildet, relativ gesund erscheint; initiale Veränderungen sind jedooh hier auch 
(besonders betreffs der Zonalfasern) vorhanden. 

Fig. 2 zeigt einen Sagittalschnitt desselben Paralytikergehirns in der Ebene 
des Putamens und des Kapselknies. Am Präparate fallt auf den ersten Blick 
die mit CA bezeichnete Windung als gesunde Stelle auf; sie ist die vordere 
Centralwindung. Das tiefblaue Mark, die stark hervortretende Radiärschicht 
(besonders im Abhange gegen die Frontal Windung zu) beweisen die Unversehrt¬ 
heit; die genauere mikroskopische Analyse ergiebt jedoch einen gewissen mittel¬ 
starken Faserausfall in der Tangentialschicht. Bemerkenswerth erscheint es, 
dass die vor der' CA gelegene erste Frontal Windung, besonders an ihrer, gegen 
CA gekehrten Fläche fast gesund erscheint, denn die Radiärschioht ist normal 
stark, auch Tangentialfasern giebt es zahlreich, wenn auch nicht in der normalen 
Menge. Nur an der Kuppe dieser Windung erscheinen zwei vertical ovale 


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Stellen (s, *), welche als perivaaculäre Sklerosen sich entpuppen. Von diesen 
srierotiaehen Stellen der Rinde ziehen radiär degenerative Streifen in das übrigens 
blaue (also fast normale Windungsmark) hinab Die nach vorne nächstfolgenden 
Frontalwindungen weisen aber bereits eine hochgradige Erkrankung auf: die 
Rinde erscheint fast bar aller Markfasern, letztere sind nur durch spärliche, 
tthwaoh gefärbte, an Zahl wesentlich reducirte markhaltige Radiärfasern, welche 
nahe zum Windungsmark in der Rinde enden, repräsentdrt; Tangentialfasern 
fehlen vollkommen, die Breite der Rinde bedeutend verringert Dieses soeben 
geschilderte Verhalten lässt sich an den Convexitäts-, an den Polar- und Basal¬ 
rindungen des Stirnlappens constatiren; dementsprechend findet sich auch das 
Windungsmark faserärmer, sehr gelichtet vor. 



Fig. 3. 


Betrachten wir non die rückwärts von der Ceutralfurche (R) gelegenen 
W'indungen. Da fallt vor Allem die hintere Central Windung ( CP) als 
hochgradig erkrankt auf; das Windungsmark ist lichtblau, also an Faserzahl 
stark reducirt, zeigt entlang des Markrandes der Rinde bogenförmige Entartungs¬ 
zöge, welche zweifellos den MEYNEBT’schen Fibrae propriae entsprechen, und 
welche theils gegen die CA, theils gegen die nach rückwärts gelegene Parietal¬ 
windung {p) ziehen. Die Radiärfasern zeigten ein ähnliches Verhalten wie in 
dtn degenerirten Frontalwindungen; sie sind also kurz, reducirt, schwach, in- 
ooaplet gefärbt. Tangentialschicht fehlt vollkommen. — Die mit „p“ bezeich¬ 
net« obere Parietalwindung weist die höchstgradige Entartung auf. Die 
Rinde ist absolut marklos und bedeutend geschrumpft; das Windungsmark be¬ 
te!* ans einer äusserst lockeren, hochgradig reducirten Fasermasse, welche mit 
Ttncöeem, schwach und schmutzig gefärbtem Mark versehen ist. Um den Grad 
der Degeneration zu ermessen, genügt es, die „ CA “ mit „p“ zu vergleichen; 
dort imponirt das tief gefärbte Windungsmark auf den ersten Blick als gesund, 
hier erscheint das hellgrau tingirte Mark als hochgradig rareficirt und krank. — 
Hinter dem pathologischen Lobulus parietalis superior folgt der Occipital- 
lippen (o lt o % = gyr. occipitalis superior et inferior; sos = sulc. occipitalis 


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superior); sein Mark ist blau gefärbt, (also nicht tiefblau, weist daher einen ge¬ 
wissen Faserausfall geringeren Grades auf), die Radiärschicht ist in rarefidrter 
Form, besonders in der oberen Ocdpital Windung vorhanden, während die untere 
Oocipitalwindung diese nur angedeutet enthält; Tangentialfasern fehlen fast ganz. 
— Der Lobnius lingualis ( LL) weist ähnliche Verhältnisse aut Das Ammons- 
horn zeigt einen an Fasern geschwächten Alveus; Fimbria verhält sich ähnlich. 

Interessante Momente bietet ein Sagittalschnitt, welcher ganz lateral, die 
Kuppe der Insel treffend, verläuft Bei „5“ befindet sich die SrLviüs’sche 
Spalte, in deren Tide wir die vollkommen entmarkte Rnn/sche Insel erblicken; 
daselbst befinden sich die tiefen Querwindungen des Temporallappens, der 
Gyrus temporalis profundus ( Tp ), welcher ein blaues, also etwas ge¬ 
schwächtes Windungsmark, etwas rarefidrte Markstrahlen, jedoch schön ent¬ 
wickelte Zonalfasern, sowie gut angedeutete mittlere Tangentialfasern aufweist 
Dieses, den normalen Verhältnissen nahestehende Verhalten ist an den übrigen 
Temporalwindungen nicht zu oonstatiren, dom wie ein Blick auf T x und Tr 
also auf die erste und zweite Temporalwindung lehrt, sind diese Stellen höchst- 
gradig entartet Im geschrumpften Cortex findet sich keine einzige Markfaser, 
und das Windungsmark ist ungemein rareficirt, denn es besteht aus einem 
äu8serst lockerem Geflecht von varicösen, schwach gefärbten, atrophisch erschei¬ 
nenden Markfasern. — Gegen den Occipitallappen zu erholt sich das Win¬ 
dungsmark succesaive, besonders in der 2. und 3. Windung (o,, o,) sieht man 
bereits fast dunkelblaues Mark; die Markstrahlen sind jedoch fleckartig fehlend; 
Zonalfasern fast ganz fehlend. — Der untere Parietallappen [Pi) weist 
hingegen intensivere Veränderungen auf; die Marksubstanz hellblau, also rare- 
fidrt; Markstrahlen fehlen fast durchwegs, Zonalfasern nirgends sichtbar. — 
Von den Centralwindungen zeigt besonders die vordere beinahe ganz nor¬ 
male Verhältnisse, auch die anstossenden Theile der 2. Frontalwindung steht 
gleichfalls nahe zum normalen Bild, während die polaren und basalen Frontal¬ 
windungen bereits intensivere Degeneration erkennen lassen. Die hintere 
Centralwindung ist hier am lateralen Sagittalschnitt viel weniger erkrankt 
als an den mittleren und medialen Sagittalschnitten. 

Resumiren wir unsere Befunde bezüglich des geschilderten Paralysefalles \ 
so gelangen wir zu folgendem Schluss: 

L Relativ wenig litten durch den paralytischen Degenerationsprocees 
folgende Bezirke der Hemisphäre: 1. Centralwindnngen und die benachbarten 
Frontalwindungen, 2. die Lippen der Fissnra calcarina, 3. Gyrns tempo¬ 
ralis profundus. 

IL Hochgradig degenerirten: 1. die polaren und basalen Frontalwin¬ 
dungen, 2. der ganze Parietallappen, 3. die hintere Centralwindnng, 
4. die Insel, 5. die Temporalwindungen. Viel weniger litt, und zwar be- 


‘ Derselbe fand eine eingehende Schilderung in meinem Buche*. M Anatomisch- 
klinische Vorträge aus dem Gebiete der Nervenpathologie.“ 9. Vortrag. 1901, 
Jena. G. Fischer. 


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rägiich des Grades der Affection zwischen I. und II. stehend der Occipital- 
lappeo. 

Ein zweiter Fall von typischer Paralyse bot genau dieselben Verhältnisse, 
daher gehe ich auf die Schilderung meines 3. Falles von Taboparalyse über. 
Derselbe wurde auf Horizontalschnitte, welche gleich der Sagittalrichtung 
einen aasgedehnten Einblick in die Vertheilung des Degenerationsprooesses ge¬ 
statten, untersucht. Es ergab sich dabei folgendes. 

Fig. 4 stellt einen Horizontalschnitt des Centrum semiovale Vieussenii dar. 
Schon der erste Blick lehrt, dass die Degeneration hier eine in toto intensivere 
ist wie in den beiden ersten Fällen. Die Frontalwindungen erlitten die 
denkbar stärkste Entartung, d. h. Rinde total entmarkt. Die Marksubstanz 



L PC 


Fig. 4. 

böchstgradig rareficirt, blassgrau gefärbt Der Gyrus fornicatus (L) verhält 
sich genau so, wie die Fontalwindungen. Der obere Parietallappen (P), 
sowie die hintere Central Windung sind ebenfalls stark degenerirt, jedoch 
am einen Grad geringer, als der Frontallappen. Die vordere Centralwin- 
dnng, sowie die benachbarte obere Frontalwindung (zwischen sca = sulc. 
centr. ant und f t = sulcus frontalis II.) erscheinen im Verhältnis zu den po¬ 
laren und medialen Frontalwindungen relativ viel weniger entartet, denn da* 
Windungamark ist lichtblau, die Markstrahlen, wenngleich reducirt an Zahl, 
»wie an 8tärke, sind doch vorhanden, die Zonalfasern fehlen jedoch vollkommen. 
Dieses Verhalten ist an der vorderen Central Windung nur an ihrem, der vorderen 
CentTalfurcbe (sca) zugekehrten Rande zu constatiren; die Windungsoberfläche, 
sowie der der hinteren Centralwindung zugekehrte Rand sind hochgradig 
sffidrt. — Schliesslich sei der Zustand des Occipitallappens (o) erwähnt; 
man findet daselbst ein lichtblaues Windungsmark, geschwächte Markstrahlen 
and fehlende Zonalfasern. 

Kg- 5 zeigt uns einen Horizontalschnitt in der Höhe des beginnenden 
Kapselknies; wir finden an demselben sämmtliche Lappen der Hemisphäre auf. 
Der Frontallappen weist ein ähnliches Verhalten auf wie in Fig. 4; der 


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Cortex ist vollkommen marklos, das Win dungsmark lichtblau, also auffallend 
reducirt. Die Centralwindungen (um R = sulcus centralis herum) litten 
etwas weniger, ihr Mark ist blau, daher faserreioher wie jenes des Frontallappen. 
Die Insel ist gleich den Frontalwindungen hochgradig erkrankt, während die 
tiefe Temporalwindung, noch mehr die erste Temporalwindung (T), weniger er¬ 
griffen erscheinen; neben dem blauen Windungsmark giebt es auch Markstrahlen, 
wenngleich diese auch rareficirt erscheinen. Das untere Parietalläppchen 
[P 2 ) ist hochgradig markarm, während die obere Occipitalwindung (o,), noch 
mehr aber die Lippen der Fissura calcarina (c) ein dunkelblaues Windungsmark 
einen wohl markirten Vicq d’Azyb’ sehen Streifen sehen lassen; Markstrahlen 
etwas reducirt, ebenso die Zonalfasern. Auffallend entmarkt erscheint der hintere 



Fig. 5. 


ebenso auch der vordere Theil des Gyrus fornicatus ( L , L). — Interessant ist 
der Temporallappen. Seine I. Windung, sowie die tiefe Windung zeigen eine 
relativ schwache Degeneration, während die II. und III. Windung, wie wir sofort 
(am nächsten Schnitte) sehen werden, die denkbar grösste Entartung aufweisen. 

Schliesslich möchte ich einen basalen Schnitt beschreiben, welcher den 
Temporal- und Frontallappen passirt. Hier fallt die fast totale Entmarkung 
auf; das Windungsmark ist schmutziggrau, also aus einem höohstgradig rare- 
ficirten und atrophischen starkfaserigen Geflechte bestehend; die Rinde ist voll¬ 
kommen entfasert Einzig das Ammonshorn weist am Schnitte Mark auf, 
namentlich der aus dem Alveus entspringende Faserzug, der Fasdculus longit 
inferior (Flechsiq’s centrale Riechbahn) erscheint schön blau gefärbt 

Ueberblioken wir nun die Resultate des 3. Falles (Taboparalyse), so ergiebt 
sich genau dasselbe Verhalten wie in dem 1. und 2. Fidle. Die relativ geringere 
Entartung erlitten: 1. die vordere Centralwindung, sowie die nächste Fron¬ 
talwindung, 2. der Cuneus, 3. die erste und tiefe Temporal Windung nnd 
4. die Faserung des Ammonshorns. Hingegen erscheinen: 1. die Frontal¬ 
windungen, 2. die hintere Centralwindung und das Parietalläppchen, 


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3. die Insel, 4. der Gyrus fornicatus und 5. die 2. und 3. Temporal- 
windung höchstgradig entartet Immerhin sei aber hervorgehoben, dass der 
Fall von Taboparalyse, wenngleich bezüglich der Topographie der Degeneration 
mit den Fallen von typischer Paralyse übereinstimmend, jedoch in betreff der 
Intensität der Degeneration eine höhere Entwickelung zeigt 

Zosammengefasst meine Beobachtungen, möchte ich als eine hervorspringende 
Thatoache bezeichnen, dass bei der Paralyse relativ verschont die centralen 
Smnesfelder bleiben, während die ausgeprägteste Degeneration hauptsächlich jene 
Bezirke der Hemisphäre leiden, welche Flechsig als seine Associationsoentren 
nannte. Diese meine Beobachtung erhält von Stbmkbijng \ bekanntlich eines 
Gegners der FLEOHaio’schen Lehre, eine Stütze, indem dieser Forscher bei starker 
Differenzining eben jene Fasern bei Paralyse für resistenter fand, welche ihr 
Mark bei der fötalen Medullarisation zuerst erhalten; nun entsprechen diese 
tat ausschliesslich den centralen Sinnesbahnen, somit den centralen Sinnesfeldern. 

Auf den Streit einzngehen, welchen die FLECHßio’sche Lehre entfesselte, 
ft ich mich an dieser Stelle nicht veranlasst Für den objectiven Beobachter 
ist jedoch Eins sicher: die durch Flechsig aufgerollte Frage ist durch seine 
Gegner nicht in jeder Beziehung gelöst, mit anderen Worten, die Lehre 
von den Associationscentren ist bei Weitem noch nicht vernichtet Allerdings 
erfahr dieselbe durch Dejebine, Monakow, Slemebling, 0. Vogt eine Recti- 
fidrung; doch lässt sich andererseits nicht leugnen, dass es Beobachtungen der 
Konnalanatomie, sowie der Pathologie giebt, welche sehr zu ihren Gunsten 
sprechen. 

So erachte ich in erster Linie die neueren Untersuchungen Ramön t Cajal’s* 
über die feinste mikroskopische Topographie der neugeborenen und fötalen Gross- 
himriude des Menschen für die Flechsig 'sehe Lehre als äusserst wichtig. Cajal 
wies bekanntlich in den Sinnesoentren der Grosshirnrinde einen specifisehen 
Pleins nach, welcher aus centripetalen Fasern bestehend, in der motorischen 
Binde, also in der Körperfühlspäre Flechsig’s in der Höhe der mittelgrossen 
Pyramiden, in der Sehrinde in der Höhe der sternenförmigen Nervenzellen endet 
Bezüglich der feineren Einzelheiten dieses specifischen Plexus verweise ich auf 
die erwähnte Arbeit Cajal’s; hier genügt die Betonung des von Cajal hervor- 
gehobenen Umstandes, dass dieser Plexus in den FLECHBio’schen Associations- 
centren fehlt, somit ein negatives Charakteristicum dieser Hemisphärenbezirke 
darstellt Aus Cajal’s Untersuchungen sei ferner als sehr wichtiges Factum 
erwähn^ dass die Rinde der hinteren Centralwindung einen solchen specifischen 
Plexus wie die Sinnescentren nicht besitzt und bezüglich seines feineren 
Baues vielmehr mit jenem der Associationsrinde übereinstimmt Nun sahen wir 
bei der Beschreibung der Rindenentartung der Paralyse, dass die hintere Central- 
wisdung ebenso degenerirt erscheint wie die typischen FLECHSio’schen Rinden¬ 
steilen, wie etwa der Frontal- oder Parietallappen, und durch dieses Verhalten 

1 üeber Markacbeidenentwickelung des Gehirns und ihre Bedeutung für die Locali- 
ntioo. Nearobog. Central bl. 1898. Nr. 20. 

* Studien Ober die Hirnrinde des Menschen. Die Bewegungsrinde. 1900. 


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mit der relativen Intactheit der vorderen Centralwindung lebhaft oontrastirt. 
Wir sehen also, dass die normal-anatomischen Merkmale wie auch das patho¬ 
logische Verhalten die hintere Centralwindung übereinstimmend für associa- 
tiver Natur declariren. — Cajal bestätigt ferner auf Grund seiner eigenen Unter¬ 
suchungen FlechsiG’s jene Beobachtung, dass die Fasern der Associationscentren 
später auftreten. So hebt besonders Cajal hervor, dass beim neugeborenen 
Kind, sowie bei einzelnen kleinen Säugetbieren (Maus, Kaninchen) die Associations- 
oentren fast gar keine exogene Endfasern zeigen, ebenso zeichnen sich die Pyra¬ 
midenzellen, sowie die Nervenzellen der plexiformen oder zonalen Schicht durch 
ihr embryonales Aussehen aus. 

Cajal hält seine Resultate mit der FLECHßio’schen Lehre für vollkommen 
übereinstimmend und für ihn erscheint der anatomisch-physiologische Dualismus 
der Hirnrinde schon a priori für äusserst rationell. Von Flechsig weicht der 
spanische Forscher nur in einem Punkt ab, indem er das Charakteristicum der 
Associationscentren nicht im Mangel von Projectionsfasern, sondern im Mangel 
seines specifischen Endplexus erblickt Ebenso hebt Cajal gegen Flechsig 
hervor, dass die Associationscentren keineswegs der ausschliessliche Besitz der 
Anthropoiden seien, vielmehr auch bei glatthirnigen Thieren Vorkommen. 

Die Bedeutung der FLKCHSiG’schen Lehre erhellt jedoch nicht nur aus den 
soeben angedeuteten Thatsachen der Normalanatomie, sondern sie geht eigentlich 
aus gewissen Daten der Pathologie, bezw. Pathohistologie überzeugend hervor. 
Flechsig wies in seiner Arbeit über „Gehirn und Seele“ bereits hierauf hin, 
und wirft die Frage auf, ob es Krankheiten gäbe, welche auf einige oder 
mehrere der von ihm demonstrirten Associationscentren sich erstrecken? Bei 
dieser Frage hebt er die progressive Paralyse hervor und bemerkt sehr richtig, 
dass zur Gewinnung von exacten Auffassungen und Ansichten Sagittalschnitte 
durch eine ganze Hemisphäre nothwendig wären. Nun konnte ich an Total¬ 
schnitten in zwei Fällen von typischer Paralyse und in einem Falle von Tabo- 
paralyse (iu welchem aber die Paralyse klinisch gleichfalls typisch erschien) 
nachweisen, dass der Degenerationsprocess jene Bezirke der Grosshira- 
hemisphäre vorzugsweise befällt, welche Flechsig als seine Associatians- 
eentren bezeichnete. Diese Thatsache führt eine beredte Sprache im Interesse 
der FLECHßiG’schen Lehre, doch gewinnt diese eine weitere und kräftige Stütze 
durch neuere Beobachtungen von Storch 1 über atypische Paralyse. Dieser 
Autor bearbeitete aus Lissaüeb’s Nachlasse so klinisch wie histologisch Fälle 
von Paralyse, in welchen der geistige Verfall kaum bemerkbar war, hingegen 
die sogen, paralytischen Anfalle im Vordergrund standen und auch das Gepräge 
des Falles ausmachten. Bezüglich der äusserst werthvollen Einzelheiten der 
STOBCH’schen Arbeit verweise ich aufs Original; hier genügt allein noch die Er¬ 
wähnung jener Thatsache, dass histologisch in solchen Fällen das Stirnhim re¬ 
lativ frei blieb und die paralytische Rindendegeneration auf jenen Hemisphären- 


1 Ueber einige atjpkehe Fälle progressiver Paralyse. Monatsschr. f. Psych. u, Neo- 
rolog. 1901. 


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bezirk sich beschränkte, welcher die Stätte des paralytischen Anfalles abgab. So 
erwähnt er Fälle, in welchen klinisch corticale Monoplegie, corticale Blindheit, 
sowie Taubheit vorhanden war; histologisch litten speciell die motorische Zone, 
bezw. die Sehrinde (Fissura calcarina), bezw. die erste Temporal Windung. Stoboh 
nennt derartige Fälle atypische Paralysen: sie sind atypisch, so in Bezug 
ihrer Localisation, wie ihres Ablaufes. Je mehr aber in solchen atypisohen 
Fällen die Affection des Stirnhirns sich nachweisen lässt, um so mehr nähert 
sich der Fall der typischen, dementen Paralyse. 

Wir sehen also, dass die atypische Paralyse ein Gegenstück der 
typischen Paralyse bildet; bei der ersten giebt es geringe Abschwächnng 
der Association mit so klinisch wie anatomisch topischen Veränderungen der 
Sinnescentren, bei Freilassung der FuscHsiG’schen Associationscentren; bei der 
zweiten prävalirt die Associationsschwäche mit der Degeneration der Flechsig’- 
schen Associationsbezirke bei relativem Verschontlassen der Sinnescentren. 

Diese Thatsachen der Pathologie sprechen abermals zu Gunsten jener 
Fläch siG’schen Auffassung, dass die extrasensoriellen Rindenbezirke vorwiegend 
•ssodativer Natur sind. 

Schliesslich hätte ich noch einige Bemerkungen über die oben geschilderte 
Topographie der Degeneration. 

Ich hob die stärkere Erkrankung der hinteren Centralwindung hervor und 
erklärte dieselbe mit Cajal so, dass diese Windung nicht so sehr Sinnes-, als 
vielmehr Associationsrinde sei. Weiterhin bemerkte ich, dass nicht allein die 
vordere Centralwindung, sondern auch die angrenzenden Theile der Frontal- 
windungen relativ verschont bleiben. Bereits Flechsig’s Untersuchungen geben 
eine Erklärung für diese Befunde, jedoch giebt es Beobachtungen der patholo¬ 
gischen Histologie, welche dieselben erklären. Aeusserst lehrreich finde ich in 
dieser Beziehung die Thatsachen der electiven Erkrankungen der motorischen 
Leitungsbahnen, namentlich das Verhalten der motorischen Zone bei der amyo- 
trophischen Lateralsklerose. Die schöne Beobachtung von Pbobst 1 ergab, dass 
die meisten Veränderungen die vordere Centralwindung darbot, ebenso die oberste 
8tirn windung und die angrenzende zweite Frontal windung in ihrem Uebergangs- 
theüe zur vorderen Central windung; die hintere Central windung zeigte nur 
mäange Veränderungen. Auch in den Fällen von amyotrophischer Lateralsklerose 
von Ch abcot und Marie, sowie von Koschevvnikoff und Mott war die 
hintere Centralwindung bedeutend geringer afficirt als die vordere. 

Oben wies ich nach, dass bei der Paralyse genau jener Rindenbezirk von 
dar Degeneration verschont bleibt, welcher bei der amyotrophischen Lateral¬ 
sklerose erkrankt In gleicher Weise verschont der paralytische Entartuugs- 
procees gesetzweise das corticale Seh- und Hörfeld. Hieraus erhellt doch ohne 
Weiteres, dass die Rindendegeneration der Paralyse keine gesetzlos 
diffuse, sondern im Gegentheil eine gesetzmässig einsetzende elec- 
tive Erkrankung der Grosshirnrinde darstellt. 

1 Za den fortschreitenden Erkrankungen der motorischen LeitnngBbahnen. Archiv f. 
ftydt XXX. _ 


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XL Referate. 

Anatomie. 

1) Zar Kenntnis« des Sagittalmorks und der Balkenfhsern des Hinterhaupt* 

lappens, von Probst. (Jahrb. f. Psych. a. Nearol. XX. 1901. S. 820.) 

Verf. giebt eine genaue Beschreibung der Faserung des Hinterhauptlappens 
beim Menschen, die er auf Grund pathologisch-anatomischer und experimenteller 
Fälle stndirte. Besonders eingehend wird das laterale und mediale Stratam sagittale 
des Hinterhanptlappens and das Tapetum, sowie die vom Hinterhauptlappen ent¬ 
springenden Balkenfasern geschildert, wobei neue Thatsachen festgestellt werden. 
Es wird die Faserung des Balkenlängsbündels (Probst) und dee Fasciculus sub- 
calloens (Mnratoff) geschildert. Das Tapetum wird im normalen Gehirn nicht 
von einem Stirnhirn-Hinterhanptsbündel (im Sinne von Forel-Onnfrowicz) ge¬ 
bildet. Im Sagittalmarke des Hinterhauptlappens verlaufen hauptsächlich Seh¬ 
hügelrindenfasern und Bindensehhügelfasern, wobei die enteren mehr die laterale, 
letztere mehr die mediale Partie bilden. Ein hinteres unteres Längsbündel im 
Sinne eines Hinterhauptschläfenlappenbündels existirt in der Stärke, wie es bisher 
angenommen wurde, nicht; jedenfalls ist die Hauptfaserung im Sagittalmarke dee 
Hinterhauptlappens die der Rindensehhügel- und der Sehhügelrindenfasern. Von 
den lateralen Windungen des Hinterhauptlappens lassen sich auch Fasern in das 
mediale Tapetum der gegenüberliegenden Hemisphäre verfolgen, wie dies Verf. an 
einem Falle nachweist, der an lückenlosen Serienschnitten nach Marchi durch 
die ganze Hemisphäre beiderseits durchforscht wurde. 

60jährige Frau erlitt vor einem halben Jahre einen Schlaganfall, worauf 
vorübergehende Lähmung der rechten Körpereeite und Abnahme der Intelligenz 
eintrat Bei der Aufnahme (Irrenanstalt) zeigte die verworrene Kranke das Bild 
der senilen Demenz auf arteriosklerotischer Basis. Die Pupillen waren gleich, 
langsam reagirend, ohne hemiopische Reaction, die linke Lidspalte ein wenig enger; 
es bestand Hemianopsie nach rechts. Lähmung der linksseitigen Extremitäten. 
Patientin konnte Gegenstände nicht bezeichnen. Später conjugirte Abweichung der 
Bulbi nach rechts. Bei der Obduction fand sich eine Erweichung der lateralen 
Windungen des Hinterlappens. Der Fall wird an der Hand von mikroskopischen 
Frontalschnitten (zwei photographische Tafeln) histologisch genau erörtert, nnd 
die obigen Schlüsse daraus gezogen. 

Der Sehhügel ist vermuthlich ein sehr wichtiger Knotenpunkt für das Zu¬ 
sammenspiel der verschiedenen Centren auf der Grosshirnrinde. Pilcz (Wien). 


2) lieber den Verlauf der centralen Sehfasern (Rindeusehhügelfaaern) 
und deren Endigung im Zwischen- und Mittelhirn und über die 
▲ssooiations- und Commissurenfasern der Sehsphäre, von M. Probst. 
Aus dem Laboratorium der Landes-Irrenanstalt in Wien. (Archiv f. Psych. 
XXXV.) 

Verf. trug einer erwachsenen Katze die Rinde der linken .Sehsphäre ab, und 
zwar den occipitalen Pol der 1. und 2. Aussenwindung und einen daran stossenden 
Theil der 3. Aussenwindung und konnte dann die Rindensehhügelfasern dieser 
Rindenpartie mit grosser Genauigkeit zum Zwischenhirn verfolgen und ihre 
Endigungsstätte auf lückenlosen Serienschnitteu studiren. Betreffs der in Folge 
der Verletzung der Sehsphäre auftretenden Faserdegenerationen ist das Nähere im 
Original nachzulesen, hier sei nur auf folgende Ergebnisse aufmerksam gemaoht: 


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Nach Abtragung der Sehsphäre bleibt die obere Schicht der zonalen Fasern 
des vorderen Zweihügels wohl erhalten, die untere Schicht degenerirt hingegen 
vollständig. 

Die Sehsphäre steht sowohl mit dem gleichseitigen als auch durch einige 
Fasern mit dem gegenüberliegenden caudalsten Theile des vorderen Zweihügels 
in Verbindung. 

Im Körper des Balkens waren hauptsächlich die dorsalen Faserpartieen 
degenerirt, entsprechend den abgetragenen Rindenpartieen der 1., 2. und 3. Aussen- 
windung. Im vorderen Zweihügelarm verlaufen die degenerirten Sehsphärenfasem 
in zwei Zügen zum Sehhügel hin. Der Seitenventrikel ist auf der Verletzungs- 
Seite beträchtlich erweitert 

Die meisten Fasern der Sehsphäre enden im Pulvinar- und lateralen Seh¬ 
hügelkern. Die centrale Sehbahn, die sowohl aus Rindensehhügelfasern als aus 
Sehhügelrindenfasem besteht, verbindet Zwischenhirn und Sehsphäre auf zweifachen 
Bahnen. Der Theil der centralen Sehbahn, welcher seine Ursprungsganglienzellen 
in der Sehsphäre besitzt, entsendet hauptsächlich seine Fasern auf dem Wege der 
medialen Sagittalschicht zum Zwischenhirn, während der Theil der centralen Seh¬ 
bahn (Sehhügelrindenfasern), welcher im Pulvinar und lateralen Sehhügelkern 
seine Ursprungsganglienzellen besitzt, aussohliesslich auf dem Wege der lateralen 
Sagittalschicht zur Sehsphäre zieht 

Verf. weist schliesslich auf die grosse Wechselbeziehung, in welcher der 
Sehhügel mit der Grosshirnrinde steht, hin. Kurt Mendel. 


Experimentelle Physiologie. 

3) Die Bedeutung der Hinterstränge dee Rückenmarks für die Leitung 
des Muskelsinns, von Dr. J. Borowikow. (Dissertation. St Petersburg, 
1900. [Russisch.]) 

Eine experimentelle Untersuchung aus dem v. Bechterew'sehen Laboratorium. 
Der Darstellung eigener Versuche geht eine kritische Besprechung verschiedener 
Auffassungen des Muskelsinns voran. Darauf folgt eine Zusammenstellung experi¬ 
menteller Angaben und klinischer Beobachtungen mit Sectionsbefund, die auf die 
Beziehungen der Hinterstränge zum Muskelsinn und Tastgefühl hinweisen. Die 
eigenen Versuche des Verf.’s bestanden in Durchschneidung der Hinterstränge des 
Rückenmarks an Hunden. Er beschreibt ausführlich 14 Fälle, in denen die Thiere 
2—7 Wochen lang nach der Operation am Leben gelassen wurden. Die Durch¬ 
trennung der Hinterstränge wurde vorzüglich am Lenden- und unteren Dorsalmark 
vorgenommen, in einigen Versuchen am Halsmark. Meistens wurden beide Hinter¬ 
stränge durchschnitten. Vor der Operation wurde jedes Thier genau untersucht 
in Bezug auf seine Gangart, Tastsinn, Schmerzgefühl, Sehnenreflexe und die Fähig¬ 
keit, unbequeme und ungewohnte Positionen der Pfoten zu corrigiren. Zur Ermög¬ 
lichung einer objectiven Schätzung der Gangart der Versuchsthiere beschmierte 
VerfL ihre Pfoten mit verschiedenen Farben und liess sie auf Streifen weissen 
Papiers herumgehen; die Abdrücke der Pfotenstellung wurden dann photographirt, 
und diese Abbildungen gestatten anschauliche Vergleiche zwischen dem Gang vor 
und nach der Operation zu ziehen. In jedem Versuche wurde durch mikroskopische 
Untersuchung dee Rückenmarks der Nachweis geführt, dass in der That die Hinter¬ 
stränge durchschnitten waren. In allen Fällen stellten sich Störungen der Coordi- 
nation der Bewegungen ein, der Gang wurde atactisch, zuweilen taumelnd. Zu¬ 
gleich verloren die Thiere die Fähigkeit, unregelmässige und unbequeme Stellungen 
ihrer Pfoten zu corrigiren — mit anderen Worten: der Muskelsinn in den Ex¬ 
tremitäten war herabgesetzt oder ganz weggefallen. Die Hautsensibilität dagegen 

6 


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blieb anverändert, wenn die Hinterstränge allein durcbtrennt waren; nur bei 
Läsion der grauen Hinterhörner stellte sich eine Herabsetzung der Hautsensibilität 
ein. Die Sehnenreflexe blieben bei der durch Läsion der Hinterstränge ver¬ 
ursachten Coordinationsstörung unverändert. Wenn nur ein Hinterstrang durch¬ 
trennt war, so wurde die Coordinationsstörung und Herabsetzung des Muskelsinns 
vorzüglich an den der lädirten Seite entsprechenden Extremitäten beobachtet, und 
in sehr geringfügigem Maasse an den gegenüberliegenden, woraus Verf. schliesst, 
dass eine Kreuzung der Hinterstrangsfasern in unbedeutendem Umfange stattfindet. 

P. Rosenbach. 


Pathologische Anatomie. 

4) Weitere Beiträge iut Pathologie and pathologieohen Anatomie des 
unteren Rüokenmarksabsohnittes, von Dr. L. R. Müller, Priv.-Doc. und 
Oberarzt an der medicin. Klinik in Erlangen. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 
1901. XIX.) 

I. 37jähriger Handlanger, Friilyahr 1887 Sturz aus einer Höhe von 10 m 
und Verletzung im Kreuz durch einen nachfolgenden Gerüstbalken. Nach längerer 
Bewusstlosigkeit vollständige Hemmung der Beweglichkeit des Kopfes, der Arme 
und Beine, welch letztere sich erst nach Verlauf von 6 Wochen wieder einstellte. 
Incontinentia urinae et alvi, aber Erhaltenbleiben der geschlechtlichen Functionen 
und nach dem Unfall Zeugung von 2 Kindern. In der ersten Zeit noch Wollust¬ 
gefühl beim Coitus, später Schwinden desselben und stets empfindungslose Ejacu- 
lation. Die drei ersten Lendenwirbel springen kyphotisch vor, die unteren Lenden¬ 
wirbel sind lordotisch vertieft. Abductoren der Beine und Auswärtsrollen der 
Hüftgelenke paretisch. Beide Glutaei und sämmtliche Muskeln der Unterschenkel 
und Füsse vollkommen gelähmt, entere stark atrophisoh, Hinterseite der Ober¬ 
schenkel abgeflacht. In dem übermässig kräftigen Quadriceps cruris bemerkt 
man beideneits grob fibrilläre und fasciculäre Zuckungen. Gehen war bei doppel¬ 
seitiger Unterstützung möglich. Hinteneite der Oberschenkel, Damm nebst einer 
ovalen Zone um den After sowie beide Füsse bis zu den Malleolen vollkommen 
anästhetisch. Am Scrotum und Penis Herabsetzung der tactilen Sensibilität und 
des Schmerzgefühls mit Dissociation der Empfindung. Hoden stark druckempfindlich. 
Muskelsinn überall und Drucksinn, abgesehen von den Füssen, gut erhalten. Von 
den Reflexen der unteren Extremitäten sind nur <jie Cremaster- und Bauchdecken¬ 
reflexe erhalten. In den unteren Partieen des Mastdarms und der Blase ist noch 
dumpfe Empfindung vorhanden. Die Muskeln der Unterschenkel und die Glutaei 
reagiren elektrisch gar nicht mehr, der rechte Biceps femoris, Semimembranosus 
und Semitendino8us contrahiren sich auf galvanische Reizung schwach mit blitz¬ 
artiger Zuckung. 

Bei der Section fand sich eine Fractur des 1. Lendenwirbels, dessen Körper 
nach vorn zusamm engedrückt war und wodurch der Wirbelcanal stark verengt 
wurde. Die Bandscheiben nach dem 12. Brust- und dem 2. Lendenwirbel waren 
völlig verknöchert An der verengten Stelle ist die Dura mit der Hinterfläche 
des fracturirten Wirbelkörpers und dem Rückenmarke fest verwachsen und der 
Duralsack in die Breite gedrückt 

Unterhalb der etwa 2*/j cm langen Compressionsstelle ist der Duralsack durch 
Flüssigkeit prall ausgedehnt. Die gelähmten Muskeln der Unterschenkel, nament¬ 
lich Gastrocnemius und Soleus, sowie die die paretisohen Muskeln versorgenden 
Nerven sind fettig degenerirt. 

Die anatomische Untersuchung ergab eine vollständige Zertrümmerung des 
Rückenmarks vom 4. Lenden- bis 4, Sacralsegment Der allerunterste Abschnitt 


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4« Röcken mark», welcher den beiden Cocoygealaegmenten entspricht, War voll¬ 
kommen erhalten und die umgebenden CandaWnrzeln zeigten sich unbeschädigt. 
Da der Kranke an Incontinentia urinae et alvi litt, abeir noch vollkommen 
ssugungsfähig war, bo musste eine Verbindong zwischen Reflexcentrum im untersten 
Connaabe ch n i tte mit dem Gehirn bestehen. Thatsächlich konnten in dem gliösen 
Narbengewebe, das dem zertrümmerten Sacral- und unteren Lendenmarke ent¬ 
sprach, neugebildete Faserbündel nachgewiesen werden, welche den Hintersträngen 
entsprachen. Ausserdem fand sich im Hals- und Brust-, sowie im obersten Lenden- 
marke eine sehr starke Erweiterung des Centralcanals mit breiter markloBer Glia- 
sone in dessen Umgebung. Die histologische Untersuchung der gelähmten Muskeln 
zeigte, dass es sich nicht um eine eigentliche Verfettung, sondern um eine Fett- 
durchwachsung bei völligem Schwund der eigentlichen Muskelsubstanz handelte. 

II. Stnrz eines 35jährigen Maurers von einem 2 Stock hohen Gerüst auf den 
Sandboden. Keine Bewusstlosigkeit, heftige Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, 
willkürliche Harnentleerung aufgehoben, im Urin Eiter und Blut, Stuhl angehalten, 
geht auf Abführmittel ohne Fühlung ab. Streckung und Auswärtsrollung der 
unteren Extremitäten behindert, Bewegungen in den Füssen und Zehen aufgehoben. 
Sehnen- und Hautreflexe an den Beinen geschwunden, Cremasterreflexe undeutlich, 
Bauchdeckenreflexe sehr lebhaft. Die Grenzen der Anästhesie entsprechen denen 
einer Läsion im 5. Lumbalsegment, doch ist die Zone der Analgesie und der 
Störung des Temperatursinns grösser und reicht in der Vorderseite der Unter¬ 
schenkel höher nach oben, als die Beeinträchtigung des Tastsinns, so dass an den 
vorderen Theilen der Unterschenkel deutliche Dissociätion der Empfindung fest- 
gestellt werden kann. Merkwürdiger Weise besteht an den nicht anästhetischen 
und nieht analgischen Stellen der Beine eine Hyperästhesie, die nach vorn etwas 
über den Nabel und hinten bis zur Hälfte des 11. Brustwirbels reicht. Am 
Penis und Scrotmn sind alle Empfindungsqualitäten aufgehoben, Druck auf die 
Hoden verursacht Schmerzen. 1. Lendenwirbel etwas prominent und schmerz¬ 
empfindlich. Nach IO 1 /* Monaten sind die Patellarreflexe wieder auslösbar. Alle 
*/,—*/ 4 Stunde am Tage und bei Naoht reflectorische Urinentleerung, ohne dass 
Pak davon eine Empfindung hat Stuhl immer noch angehalten und auf Abführ¬ 
mittel hin Entleerung ohne Fühlung. 

Alle Symptome weisen hier auf eine Affection des Rückenmarks hin; wahr¬ 
scheinlich ist nicht der ganze unterste Abschnitt betroffen und sind die beiden 
unteren Saoralsegmente und das Coccygealmark erhalten geblieben. Sicherlich 
wird der Reflexbogen des Analreflexes erst im Conus medüllaris geschlossen und 
bo spricht dessen Erhaltenbleiben für ein Intactsein des alleruntersten Theiles des 
Marks. Dieses Symptom findet sich nach den Beobachtungen des Verf.’s bei der 
Compressionsfractur des 1. Lendenwirbels. Von aussen ist dieselbe daran kennt¬ 
lich, dass in einer kurzen, meist rundlichen Kyphose an dem Uebergange von der 
Brust- zur Lendenwirbelsäule der Proc. spinosus des 1. Lendenwirbels am stärksten 
▼onpringt und meist sehr druckempfindlich ist. E. Asch (Frankfurt a. M.). 


6) Beschreibung des Centralnervensystems eines 6 tägigen, syphilitischen 
Kindes mit unentwickeltem Grosshirn bei ausgebildetem Schädel, mit 
Asymmetrie des Kleinhirns, sowie anderer Hirntheile und mit Aplasie 
der Nebennieren, von Georg Ilberg. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 
XXXIV.) 

Aus dem Sectionsbefunde des am 6. Tage nach der Geburt gestorbenen 
Kindes, welches das zweite Kind der Mutter (letztere bot keine Zeichen von 
Lues) war und in Schädellage geboren wurde, ist Folgendes hervorzuheben: 

Während der Schädel rieh in seinen MaasBen and in seiner Confignration 

6 * 


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von einem gleichaltrigen Kinderschädel mit normalem Orosshirn nicht allzusehr 
unterscheidet, fiel der fast vollständige Mangel ausgebildeten Orosshirns auf; es 
hatte demnach keine Beziehung zwischen Schädel- und Hirnwachsthum bestanden. 
Am Hirnstamm und. Rückenmark ist als wichtigster Befund das vollständige 
Fehlen der Pyramidenbahn zu verzeichnen. Das Schultze’sche Komma in den 
Hintersträngen des oberen Cervicalmarks ist ohne Markfasern, die Brücke ausser¬ 
ordentlich arm an solohen. Thalami optici hochgradigst verkümmert, die mediale 
Schleife zeigt starke Defecte. Die Hinterstränge des Rückenmarks besitzen ihr 
Mark fast vollständig, nur entbehrt die dorsalste Partie der Goll’schen Stränge 
im oberen Halsmark markhaltiger Fasern. Hintere und vordere Rückenmarks¬ 
wurzeln sind markhaltig. 

Im Lumen beider Optici ausserordentlich zahlreiche, zum Theil mit Blut ge¬ 
füllte Gefässe, im linken Opticus war nicht eine markhaltige Nervenfaser zu sehen. 
Bemerkenswerth sind ferner die hochgradigen Asymmetrieen zwischen rechtsseitigen 
und linksseitigen' Gross- und Kleinhirntheilen. 

Nebennieren ausserordentlich klein. (Gleichzeitiges Vorkommen von Mangel 
oder Kleinheit der Nebennieren und Missbildungen am Grosshim ist schon oft 
constatirt worden!) 

Eine Lebernarbe, vermehrtes Milzgewicht, vereinzelt gefundene Rundzellen¬ 
herde, von denen namentlich einer in den weichen Rückenmarkshäuten ein structur- 
loses Centrum erkennen lässt, sichern die Diagnose der Syphilis. 

In einem Nachtrag berichtet Verf. über die Ergebnisse seiner Untersuchungen 
des centralen Nervensystems eines 6 tägigen normalen Knaben bezüglich der 
markhaltigen Nervenfasern. Erst der Vergleich dieses Befundes mit dem in dem 
vorstehenden Falle von IIborg erhobenen lässt erkennen, welche Entwickelungs¬ 
hemmungen im Centralnervensystem bei letzterem Falle durch die Aplasie des 
Grosshirns, bezw. anderer Hirntheile bedingt sind. Kurt Mendel. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) lieber die Pupillenbewegong bei schwerer Sehnervenentzündung, von 

J. Hirschberg. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47.) 

Verf. berichtet über ein 21 jähriges Mädchen, die im Mai 1901 in seine Be¬ 
handlung kam. Seit 1895 datirt das nervöse Leiden der Patientin. Damals 
linksseitige Hemiplegie und Abducensparese. In den folgenden Jahren bald rechts, 
bald links Anästhesieen. Es bestand ausgesprochene Anämie, für Lues kein An¬ 
haltspunkt. Nach Gebrauch von Eisen fast völlige Genesung, bis sie nach einigen 
Wochen in Folge eines Schrecks wiederum erkrankte. Anästhesie in beiden Beinen 
und Abnahme der Sehschärfe rechts. Da die Pupillenreaktion völlig normal 
war, wurde eine hysterische Affection auf anämischer Basis angenommen. 

Die Erkrankung des rechten Auges verschlimmerte sich von Tag zu Tag. 
Vom 5.—8. Mai bestand Stockblindheit auf dem rechten Auge bei völlig normalem 
Augenhintergrund. Die Pupille ist von mittlerer Weite ([3*^mm), erweitert 
sich aber bis zu fast 8 mm, sobald man das linke gesunde Auge mit der Hand 
bedeckt, während sie auf Lichteinfall nicht reagirt. Es wurde sofort eine 
Entzündung des rechten Sehnerven hinter dem Augapfel diagnosticirt, und der 
weitere Verlauf bestätigte die Diagnose. Nach 2 Tagen konnte mit dem Augen¬ 
spiegel eine deutliche Sehnervenentzündung festgestellt werden, die etwa 
3 Wochen anhielt. Die Sehkraft, die fast 10 Tage hindurch keine Spur von 
Lichtsohein zeigte, nahm allmählich wieder zu und am 5. October 1901 ist die 


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Sehkraft beiderseits %, das Gesichtsfeld normal, der Sehnerv scharf begrenzt, aber 
in der ganzen Scheibe abgeblasst. 

Mit der Zunahme der Sehkraft trat auch eine grössere Beweglichkeit der 
rechten Pupille auf Lichteinfall ein, und die Erweiterung nach Verschluss des 
linken Auges erreichte bald einen physiologischen Grad. 

Das Verhalten der Pupille ist also in diesem Falle bezüglich der Diagnose 
und Prognose von höchster Wichtigkeit. Fritz Mendel. 


7) Etüde sur lee reflexee pupillaires, par Dr. Charles Vidal. Paris 1901. 

160 S. 

Aus 285 verschiedenen Pnblicationen hat Verf. mit bewundernswerthem 
Fleisse das Material zusammengetragen für seine Studie, die wohl alles, was bis 
jetzt über den Pupillarreflex bekannt ist, enthält. 

Nach einigen kurzen Bemerkungen über Reflexe im Allgemeinen giebt Verf. 
zuerst eine Darstellung der PupilleD, der Iris, der in dieser endigenden Nerven 
mit ihren Centren und einen zusammenfassenden Ueberblick über die verschiedenen 
Bewegungen der Iris. Es werden dann im Einzelnen die bis jetzt bekannten 
Arten von Pupillenreflex sehr ausführlich behandelt, und zwar der Reihe nach: 
1. der Lichtreflex, 2. der Accommodations- und Convergenzreflex, 3. die (nicht 
adäquaten) sensitiv * Bensoriellen Reflexe, 4. der Haab’sche Aufmerksamkeits- 
(Hirnrinden)Reflex, 5. der Gifford-Galassi’sche Reflex (Pupillencontraction 
bei energischem Versuche, die Augen zu schliessen), und 6. der Piltz’sche Reflex 
(consensuelle Orbicularisreaction). Ein besonderes Kapitel wird den Beziehungen 
zwischen dem Lichtreflex und dem Accommodations- und Convergenzreflex gewidmet. 
Auch die selteneren, theils physiologischen, theils pathologischen Pupillenphänomene 
finden, jedes an seinem Platze, gebührende Würdigung: im Abschnitte über den 
Lichtreflex die hemianopische Reaction von Wernicke und die Frenkel’sche 
paradoxe Reaction; bei den sensitiv-sensoriellen Reactionen die paradoxe Reaction 
von Schiff (Verengerung der Pupille bei faradischer Reizung des Sympathicus 
vor Eintritt der normaler Weise erfolgenden Erweiterung), ferner der Reflex von 
Pisenti (Hippus bei Catheterisation der Eustach’schen Röhre). Im Zusammen¬ 
hänge mit dem Haab’schen Hirnrindenreflex wird das Phänomen von Rubino- 
witsch erwähnt (Veränderung der Pupillenweite bei geistiger Anstrengung). 

Ein ausführliches Litteraturverzeichniss vervollständigt die gründliche Sammel¬ 
arbeit. Max Neumann (Karlsruhe). 

8) Einige Worte über neue Pupillarsymptome, von J. Piltz. (Medycyua. 

Nr. 12. 1901. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über ein Pupillarphänomen, welches von ihm zunächst bei 
einem Paralytiker festgestellt wurde. Dasselbe bestand darin, dass beim Zu- 
schlieesen des Auges und nachheriger Oeflhung desselben eine Pupillenverengung 
stattfindet, welche bald darauf in eine Pupillenerweiterung übergeht. Verf. fand 
dieses Symptom bei 57°/ 0 Paralytiker (bei der Mehrzahl dieser Fälle war Pupillen¬ 
starre auf Licht bereits eingetreten). Dasselbe Phänomen fand Verf ferner bei 
43 % Blinder, 28% Katatoniker, 25 % Epileptiker und 22% Tabiker. Bei 
Gesunden in 2%. Das Phänomen konnte man nicht nur beim Oeflnen der Augen 
nach vorherigem Zukneifen, sondern auch bei offen bleibenden Augen constatiren, 
wenn man die gewollte Zukneifung künstlich verhindert (indem man mit den 
Fingern die Augenlider auseinanderhält). Es ist anzunehmen, dass das Phänomen 
seine Entstehung der Reizung des Centrums für den Pupillensphinkter verdankt. 

Von grossem Interesse sind ferner die Beobachtungen des Verf.’s über die 


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willkürliche Verengung und Erweiterung der Pupille bei blossen Vorstellungen 
von hellen und dunklen Gegenständen. Diese bereite von früheren Forschern 
behauptete Thatsaohe konnte der Verf. nicht nur bei normalen Menschen, sondern 
auch bei Erblindeten feststellen. Physiologisch hat Verf. beim Kaninchen das 
Pupillencentrum im Occipitallappen nachgewiesen (Beizung dieser Stelle, welche 
an beigegebener Zeichnung bezeichnet wird, ruft Contraction der heterolateralen 
Pupille hervor). Edward Flatau (Warschau). 


9) Etüde sur l’ophtalmoplögie congenitale (ophtalmoplögie complexe), 

par Cabannes et B. V. Barn eff. (Nouv. Icon, de la Salp. XIII.) 

AuBser den isolirten und partiellen congenitalen Augenmuskellähmungen, giebt 
es noch eine seltenere, bisher weniger beschriebene Form, für welche die Verff. 
den Namen „Ophthalmoplegie complexa“ in Vorschlag bringen. Diese Form 
entsteht durch angeborene Lähmung fast sämmtlicher Augenmuskeln und wird 
charakterisirt durch die Vereinigung folgender Symptome: 

1. Ptosis, Lähmung des Beet sup.; 

2. Lähmung oder Parese der Becti interni, externi und inferiores; 

3. Lähmung oder Parese der Obliqui (seltener); 

4. Integrität der inneren Augenmuskeln (Sphincter pup. und Ciliarmuskel). 

Die Verff. haben selbst einen typischen Fall dieser Art untersucht (die sehr 

ausführliche Krankengeschichte ist im Original einzusehen) und legen denselben 
mit 43 aus der Litteratur gesammelten Beobachtungen ihrer Untersuchung zu 
Grunde. 

Das Leiden kann allein oder mit anderen Missbildungen verbunden Vor¬ 
kommen. Es trägt in der Hälfte der Fälle einen erblichen, familiären Charakter. 
Die Kranken wenden den Kopf lebhaft nach allen Seiten um zu sehen, beim 
Gehen wird er stark nach hinten gebeugt. Die Ptosis ist meist nicht vollständig, 
so dass noch eine geringe Oefihung der Lidspalte möglich ist. Die Augaxen sind 
gewöhnlich convergent und nach unten geneigt. Die äusseren Augenmuskeln sind 
gewöhnlich mehr oder weniger vollständig gelähmt. Manchmal gesellen sich dazu 
noch geringe rotatorische Bewegungen des Augapfels. Wirklicher Nystagmus ist 
selten. Die Pupillen sind gewöhnlich gleich und rund, die Beflexe erhalten. Der 
Augenhintergrund zeigte nur in einem (von 8 untersuchten Fällen) eine Atrophia 
optici, in einem anderen eine weissliohe Farbe. Die Sehschärfe ist meist herab¬ 
gesetzt, Diplopie selten. Das Gesichtsfeld ist schwer zu bestimmen, da die Kranken 
gar nicht oder schlecht fixiren können. Farbensinn, Intelligenz und Allgemein¬ 
befinden normal 

Die Pathogenese ist noch ganz unaufgeklärt. Viele nehmen aussohliesslich 
eine Atrophie der Augenmuskeln an, andere eine solche der entsprechenden 
Nerven. Eine vermittelnde Stellung nimmt Kunn ein, doch entbehrt seine 
Theorie bis jetzt noch der anatomisch-pathologischen Grundlage. 

Facklam (Suderode). 

10) Ophthalmoplegie mit periodischer, unwillkürlicher Hebung und 

Senkung des oberen Lides, paralytischer Ophthalmie und einer 

eigenartigen optischen Illusion, von Prof. Dr. v. Bechterew in St. Peters¬ 
burg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVI.) 

Der sehr interessante Fall betrifft eine 24jährige Frau, welche vor 1 / 3 Jahr 
aus unbekannten Gründen unter sehr heftigen Kopfschmerzen erkrankte. Ausser¬ 
dem bestand damals eine Knochenauftreibung an der reohten Schläfe und es kamen 
allmählich Anfälle mit Bewusstseinstrübung, intermittirende Aphasie und eine 
complete Ophthalmoplegie hinzu. Bei der Untersuchung findet sich eine reohts- 


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zeitige Ptoeis, völlige Unbeweglichkeit des rechten Bulbus, stark erweiterte rechte 
Pupille, die weder direct noch indireot auf Licht reagirt, sowie verminderte Seh¬ 
kraft und Accommodationslähmung rechts. Ferner zeigt sich bei der Prüfung des 
binocularen Sehens, dass bei der Blickrichtung nach vorn ein vor dem rechten 
Auge befindlicher Gegenstand unmittelbar vor demselben gesehen wird; wird aber 
das linke Auge nach links gerichtet, während das rechte in Folge seiner Un¬ 
beweglichkeit geradeaus steht, so sieht Patientin einen vor dem rechten Auge 
befindlichen, das Gesichtsfeld des linken nicht berührenden Gegenstand nicht ge¬ 
rade gegenüber, sondern in der Richtung der Sehaxe des linken Auges nach links 
abgewichen. Und zwar besteht die Erscheinung nur so lange, bis der vor dem 
rechten Auge befindliche Gegenstand durch eine geringe Verschiebung nach links 
in das Gesichtsfeld des linken Auges eintritt. Letzteres ist vollkommen normal. 
Ausser der Affectdon sammtlicher Aügenmuskelnerven links findet sich ferner auf 
der gleichen Seite eine solche des Facialis, Trigeminus, Opticus, Ölfactorius, 
Hjpogloesus und Glossopharyngeus, sowie eine Parese der rechtsseitigen Ex¬ 
tremitäten. 

Wenn auch eine syphilitische Infection direct in Abrede gestellt wird, so 
sprechen doch eine ganze Anzahl von Anzeichen, wie mehrere verdächtige Narben 
im Gesicht, die sehr heftigen, auch während der Nacht bestehenden Kopfschmerzen, 
die Auftreibung am rechten Schläfenbein und an der rechten Tibia mit Druck- 
empfindlichkeit, irritative Reizzustände im 1. Ast des Trigeminus u. s. w. un¬ 
zweifelhaft für Lues, welche Annahme durch den weiteren Verlauf eine feste 
Stütze gewinnt. So trat nach der längere Zeit angewandten Behandlung mit 
Quecksilber und später mit Jodkali allmählich eine spontane Hebung des rechten 
AugenUds ein, die Stirngegend wurde weniger anästhetisch, die Auftreibung an 
der rechten Schläfe ging zurück und wurde weniger druckempfihdlich und die 
Kopfschmerzen verschwanden fast vollkommen. 

Verf. nimmt an, dass es sich um eine primäre gummöse Meningitis an der 
Hirnbasis (beiderseits) mit Betheiligung einer ganzen Anzahl von Gehirnnerven 
der rechten Seite, sowie um eine Arteriitis im Gebiete, der linken Art. fossae 
Sylvii und nachfolgender Obliteration einer Anzahl von Aesten derselben handelt. 
Während die complete Ophthalmoplegie int. stationär blieb, ging die Lähmung 
der Muskeln, welche von dem Abducens, Trochlearis und von dem inneren Aste 
des Oculomotorius versorgt werden, zurück. 

Ferner ist bemerkenswerth, dass sich bei einer Besserung des rechten Auges 
daaselbe nur bei seitlicher Abweichung der Bulbi nach rechts und links frei be¬ 
wegen konnte. Isolirte seitliche Abweichungen oder solche nach ixmen bei Con- 
vergenz waren indessen nicht möglich. Es spricht dies für den Zusammenhang 
zwischen dem Kern des N. abducens der einen und dem des Rectus int. der ent¬ 
gegengesetzten Seite, ferner wird dadurch bewiesen, dass das Centrum für die 
ajnergische Wirkung des Rectus ext. des einen und des Rectus int. des anderen 
Auges in dem Abduoenskern zu suchen ist. 

Von besonderem Interesse ist die Wiederkehr der spontanen, periodisch sich 
wiederholenden Hebung des oberen Lides. Die Erscheinung ist nicht mit einer 
periodisch wiederkehrenden Oculomotoriuslähmung zu identificiren und lässt rieh 
am besten durch einen Erregungszustand des M. levator palpebr. sup. erklären. 
Diese Reizungserscheinung ist offenbar eine weitere Folge des luetischen Processes, 
der zur Ophthalmoplegie führte. Und zwar handelte es sich wahrscheinlich um 
eine dauernde, mäsrige Erregung, die nur zeitweise so weit sank, dass ihre Inten¬ 
sität nicht genügte, um den gelähmten Muskel in contrahirtem Zustande zu halten. 
Die oben etwas ausführlicher geschilderte optische Illusion sucht Verf. durch die 
empiristische Theorie der Bildung unserer Raum Vorstellungen,,von HelmhQltz 
and Wandt zu erklären. Nach derselben ist es ganz gleichgiltig, welche_Form 


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die Netzhaut hat, welche Lage das Bild auf derselben ein nimmt, und welche 
Krümmungen es besitzt. Es handelt sich nur am die Projection der Netzhaut 
nach aussen von den optischen Medien. Die Bichtang, in welcher die gesehenen 
Gegenstände za unserem Kampf liegen, wird durch das Innerrationsgefuhl der 
Angennenren erkannt and steht unter beständiger Controlle des durch die Inner- 
Tation herbe igeführten Lagewechsels des Bildes. Das falsche oder virtuelle Bild 
in der Richtung der optischen Axe des abgewicbenen linken Auges ist za erklären 
durch die gleichen unwillkürlich durch das Bewusstsein auf das unbewegliche 
Auge übertragenen Innervations- and Maskelempfindangen des linken Auges, wo¬ 
durch das dem rechten Auge angehörende Bild in der Richtung der Sehaxe des 
linken Anges verschoben wird. EL Asch (Frankfurt a. M.). 


11) lieber Veränderungen im Augentitntergrunde bei Pneumonie, von 

A. Peters. (Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 1901.) 

Die Mittheilung ist für die Leser dieses Centralblattes insofern von Interesse, 
als der erhobene Augenbefdnd (verschiedene, scharf begrenzte, weisse, runde, nicht 
prominente Herde von 1 / i Papillendurchmesser in der Retina) mit anderen Mo¬ 
menten zu Gunsten der Diagnose: Miliartube real oee nach Pneumonie sprach. Der 
weitere günstige Verlauf aber zeigte, dass es sich um eine Pneumokokkensepsis 
gehandelt hat. In einem anderen Falle fand Verl direct im Anschluss an eine 
Pneumonie das Bild einer frischen Chorioretinitis (verschiedene grössere Herde 
von 1 / s —1 Papillendurchmesser und darüber, von rundlicher Form, weissgrauer 
Farbe, deutlicher Prominenz und verschwommenen Grenzen), die mit voller Seh¬ 
schärfe ausheilte. Ernst Schultze. 


12) Weitere Beitrüge zur Pathologie der Linse, von A. Peters. (Klinische 

Monatsblätter für Augenheilkunde. 1901.) 

Für die Entstehung des Cataract hat man schon lange und oft Verände¬ 
rungen des die Linse ernährenden Kammerwassers verantwortlich gemacht. 
Experimentell Hesse sich die Ansicht zwar nicht stützen, und eine chemische 
Analyse bot grosse, zum Theil unüberwindliche Schwierigkeiten. Eis lag daher nahe, 
nach Veränderungen desjenigen Organs zu suchen, welches das Kammerwasser 
producirt, und in der That fand Verf. bei einer Kranken, die intra vitam an 
Tetanie, Nephritis und an minimalen Trübungen der vorderen Corticalis gelitten 
hatte, Veränderungen an den EpitheHen der CUiarfortsätze. Gleiche Befunde 
hatte früher schon Schön erhalten, aber Schön führte den Cataract und die 
Epithel Veränderungen auf die in Folge von Ciliarmuskelkrämpfen erzeugte Zerrung 
durch die Zonulafasern zurück. Verf. indess, der den Ciliarmuskelkrämpfen sehr 
skeptisch gegenübersteht, ist der Ansicht, dass die Tetanie die Ursache der 
Epithelveränderungen und dann wieder die Ursache des Cataract ist. In dieser 
Ansicht wurde Verf. bestärkt durch die Ermittelung eines ganz ähnlichen anato¬ 
mischen Befundes bei altem Cataract. Bei Diabeteecataract sind weniger die 
CiHarfortsätze als die ( Pigmentschicht der Iris betroffen, deren Betheiligung an 
der Production von Kammerwasser von vielen Seiten angenommen wird. Aehnlichen 
Erkrankungen begegnet man schliessHch bei artificiell erzeugten Cataracten (Unter¬ 
bindung der Venae vortioosae, durch Einwirkung der Funken einer Leydener 
Flasche, Naphthalinvergiftung). 

Der Cataract und die Epithelveränderung kann man, wenn man auch 
mancherlei dagegen einzuwenden vermag, in einen ursächHchen Zusammenhang 
bringen. Das BindegHed stellt eine quantitative Aenderung der normalen Bestand¬ 
teile des Kammerwassers dar. Das Kammerwasser zeigt bei verschiedenen 
Formen von Cataraot einen erhöhten Gehalt an Eiweiss, dessen Ursprung Verf. 


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nicht auf die LinBe, sondern auf die veränderten Epithelien der Nachbarschaft 
mrückführt. Weiterhin fand aber Verf. die anorganischen Bestandteile des 
Kammerwassers, nach Naphthalindarreichung, bevor schon die Linse makroskopisch 
wahrnehmbar verändert war, und oonstant vermehrt. Er bediente sich hierbei 
der vergleichenden Concentrationsbestimmong durch Ermittelung der elektrischen 
Leitfähigkeit. 

Dass eine Zunahme des Eiweissgehalts des Kammerwassers eine Ernährungs¬ 
störung der Linse nach sich zieht, ist sehr unwahrscheinlich. Andererseits aber 
haben geringfügige Concentrationsänderungen des Kammerwassers schwerwiegende 
Folgen für die Linse dank der osmotischen Druckerhöhung. 

Die Annahme, dass alle Cataractformen einen erhöhten Salzgehalt des Kammer¬ 
wassers aufweisen und die Linse im Wesentlichen durch Osmose ernährt wird, 
gewinnt dadurch noch an Wahrscheinlichkeit, als sie viele Erscheinungen und 
Thatsachen ans dem Gebiete der Pathologie der Linse erklärt. 

Ernst Schnitze. 


13) lieber springende Mydriaais, von Dr. C. Gessner, Augenarzt in Bam¬ 
berg. (Münchner med. Wochenschr. 1901. Nr. 11.) 

Verf. beobachtete die Erscheinung der springenden Mydriasis in einem Fall 
von chronischer Myelitis des Halsmarks bei einer 32jährigen Patientin, deren 
ophthalmoskopische Untersuchung ausserdem ein Verwaschensein der temporalen 
Papillenhälften ergab. Pupillenstarre hatte sich nicht entwickelt, auch war die 
Accommodation nicht beeinträchtigt 

Verl ist der Ansicht, dass das Auftreten der springenden Mydriasis bei 
normaler Reaction der Pupillen und beim Fehlen sonstiger Anhaltspunkte noth- 
wendiger Weise nioht von übler Prognose sei. 

(Leider werden in der sehr kurzen Krankengeschichte nicht die mindesten 
Beweise erbracht, die für das Vorhandensein der so bestimmt diagnosticirten 
Myelitis des Halsmarks sprechen. Bei) G. Asch (Frankfurt. a/M.). 


14) Atrophie opttqae höräditaire, par M. E. Gallemaerts. (Policlinique. 

X. Nr. 7.) 

In einer klinischen Besprechung werden 4 Kranke vorgestellt, welche sämmt- 
lich an Opticusatrophie leiden. Zwei von den Kranken, im Alter von 51 und 
43 Jahren, zeigen ausserdem die ausgesprochenen Symptome einer Tabes dorsalis, 
während die beiden anderen, Bruder und Schwester, im Alter von 18 und 
33 Jahren, sonst gesund sind. In diesen letzten beiden Fällen handelt es sich 
am eine familiäre Krankheit, welche nach Leber die Bezeichnung „hereditäre 
Opticusatrophie“ führt. Sie beginnt stürmisch unter den Erscheinungen einer 
retrobulbären Neuritis, bleibt aber dann stationär und führt sehr selten zur Er¬ 
blindung, nach de Wecker tritt bei dieser Krankheit sogar niemals eine völlige 
Atrophie der Sehnerven ein. Demgemäss ist hier die Prognose etwas günstiger 
als bei der tabischen Form. Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung bemerkt 
man im Beginn einen leichten Hauch an der Papille, späterhin eine Entfärbung 
des temporalen Theils, welche schliesslich die ganze Papille ergreift. Die Krank¬ 
heit entsteht im Alter von 20—25 Jahren, sie betrifft vornehmlich Männer, wird 
aber durch die Frauen übertragen. Die Behandlung, welche übrigens ohne 
Wirkung ist, beschränkt sich auf Tonica, Eisen und Strychnin. 

EL Schnitzer (Kückenmühle-Stettin). 


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15) Acute retrobulbäre Neuritis und Hysterie, von Dr. L. E. Bregmann. 

(Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 21.) 

22jäiiriger Patient. Erkrankung unter dem Bilde einer rechtsseitigen retro¬ 
bulbären Neuritis: rascher Verlust der Sehkraft bis zur völligen Erblindung, mit 
Kopfschmerzen, Schmerzhaftigkeit des Auges bei Bewegungen, normaler ophthal¬ 
moskopischer Befund, träge Pupillenreaction, Herabsetzung der galvanischen 
Opticusreaction, verhältnissmässig rasche Besserung unter stark hervortretender 
Farbsinnstörung. 

Ausserdem aber ausgesprochene hysterische Anfälle und zahlreiche Stigmata: 
Hyperästhesie der rechten Körperhälfte, Herabsetzung der Schleimhaut- und Kitzel¬ 
reflexe, Globus, Anosmie rechts, Schmerzpunkte. 

Es könnte sich um eine Combination beider Zustände handeln oder um vaso¬ 
motorische Störungen im rechten N. opticus abhängig, von der Hysterie. 

J. Sorgo (Wien). 


16) Ueber Erkrankungen des Bückenmarks bei hereditär - syphilitischen 

.Neugeborenen und Säuglingen, von Dr. R Peters (Petersburg). (Jahrb. 

f. Kinderheilk. 1901. HI.) 

Spinalerkrankungen bei hereditär syphilitischen Säuglingen sind selten und 
nur durch einzelne LitteraturbeiBpiele erwiesen. Um so auffallender ist dem Verf. 
die Beobachtung von 11 Kindern, welche markante Lähmungserscheinungen der 
Extremitäten aufwiesen. Diese Lähmungen boten verschiedene Typen dar, je 
nachdem ob die 5., 6. und 7. Cervicalnervenwurzel, oder ob der 6., 7. Cervicalis 
und 1. Dorsalis betroffen waren. Im ersteren Falle entsteht annähernd das Bild 
der Erb-Duchenne’schen Lähmung, im zweiten sieht man vorwiegend Lähmungen 
im Handgelenke und den Fingern, namentlich unter dem Bilde der Radialis- 
paralyse. Bei dem letzteren Lähmungstypus finden sich ausser den Erscheinungen 
am Arme auch jene Ausfallssymptome von Seiten der Orbitalmuskeln, welche den 
sogen. K1 umpke-Dejerine'sehen Typus repräsentiren. Manchmal sind diese 
beiden Gruppen von Lähmungen combinirt. Bei der Läsion der unteren Cervical- 
nervengruppe sieht man eine eigentümliche Haltung der Hände, welche Verf. 
wegen der Aehnlichkeit mit den Flossen bei Seehunden als „FlossenStellung“ be¬ 
zeichnet. Das kranke Glied zeigt sich häufig hyperästhetisch. Auch die Beine 
sind manchmal betheiligt. Nicht selten bieten einzelne Muskelgruppen, so nament¬ 
lich jene im Nacken, eine deutliche Contraction. Auf antisyphilitische Behandlung 
gehen die Lähmungen rasch zurück. Ueber eine Section verfügt Verf. nicht. 

Soweit die Ausführungen deB Verf.’s. In pädiatrischen Kreisen werden die¬ 
selben sicherlich grossen Zweifeln begegnen. Man kennt seit Langem eine gar 
nicht seltene „Pseudoparalyse“ syphilitischer Säuglinge, welche lähmungsartige 
Erscheinungen der Extremitäten hervorruft, die auf antiluetische Kur bald schwinden. 
Bereits Parrot, der erste Beschreiber dieses Symptomenbildes, führte dasselbe 
auf schmerzhafte Knochenprocesse zurück, welche sich durch Einochenverdickungen 
leicht erkennen lassen und das Kind zu einer Ruhestellung der Glieder zwingen. 
In einzelnen seltenen Fällen fehlt allerdings diese Ostitis und einmal konnten (in 
einer vom Verf. nicht erwähnten Mittheilung des Ref.) thatsächlich anatomische 
Rückenmarksveränderungen nachgewiesen werden. Wenn aber Verf. in seinen 
Fällen eine spinale Erkrankung hätte beweisen wollen, so hätte derselbe die 
Differentialdiagnose gegenüber dieser Parrot’schen Pseudoparalyse scharf zeichnen 
müssen. Das that er aber nicht, ja er berichtet sogar in einer seiner 5 Kranken¬ 
geschichten von einer „Schwellung des linken Humerus“; in den anderen wird 
die Beschaffenheit des Knochens nicht erwähnt, wohl aber einige Male die bei 
der Pseudoparalyse regelmässig vorkommende starke Schmerzhaftigkeit bei Be- 


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wegung der erkrankten Extremität constatirt. Wenn also auch nach der Er¬ 
fahrung des Bef. wirkliche Spinallähmungen bei syphilitischen Säuglingen möglich 
sind, so erscheinen die klinischen Deductionen des Verf.’s doch in ihrer Verallge¬ 
meinerung für diese Frage wenig beweisend. Zapp er t (Wien). 


17) Bpileprie jaoksonienne et oonvulsionz g&iöralisöes aveo hömiplögie 
droite ohez une hörddo-syphilitique de 15 mois. Gudrison par des 
frictions merourielles, par M. P. Oendre. (Bulletins de la Soci6t6 de 
Pädiatrie. 1901. Nr. 1.) 

Die vom Verf. beobachteten Krämpfe begannen am rechten Bein und gingen 
auf den rechten Arm über, ohne dass das Bewusstsein gestört wurde; manchmal, 
aber selten, verbreiteten sie sich auf das Gesicht, die Augen, die linke Seite 
und boten dann das typische Bild allgemeiner Convulsionen mit Bewusstseins- 
verlust. Nach den Anfällen blieb eine rechtsseitige Hemiparese zurück. Trotz 
energischer Behandlung, bei welcher Quecksilbereinreibungen im Vordergrund 
standen, verschlechterte sich der Zustand, die Krämpfe häuften sich, die Lähmung 
blieb constant, es trat Fieber (bis 40°), manchmal Erbrechen auf. Erst nach 
10 Tagen stellte sich eine Verminderung der Jacksonanfälle, nach 14 Tagen ein 
Schwinden derselben ein; auch die Hemiplegie ging zurück und das Kind war 
nach einigen Wochen völlig geheilt. Aus dem Umstande, dass der Vater der 
Kinder syphilitisch gewesen — an dem Kinde fand sich keine Spur von here¬ 
ditärer Lues —, und dass die Krankheitssymptome sich vollständig zurückbildeten, 
sehlieest Verf., dass ein luetischer Gehirnprocess dem Leiden zu Grunde gelegen 
sei, eine Annahme, welche Bef. für nicht genügend begründet hält. 

Zappert (Wien). 


18) Hereditäre Laos und Epilepsie, von Dr. Bratz und Dr. Lüth. Aus der 

Berliner Anstalt für Epileptische zu Wuhlgarten. (Archiv f. Psych. u. 

Nervenkrankh. 1900. XXXIH.) 

Die Verff. haben sich bemüht festzustellen, welchen zahlenmässigen Antheil 
die hereditäre Lues unter den ätiologischen Factoren der im Kindesalter be¬ 
ginnenden und durch das Leben fortdauernden Epilepsie hat. Sie fanden 200 
genuine Epileptiker, bei denen für Syphilis der Eltern keinerlei Anhaltspunkt 
vorlag, und 8 bezw. 14 Epileptiker, in deren directer Ascendenz die Lues ganz 
besw. einigermaassen sicher war. — Auch 15 Fällen von Epilepsie mit cere¬ 
braler Kinderlähmung ohne congenitale Lues stand nur ein Fall derselben Krankheit 
mit hereditär syphilitischer Aetiologie gegenüber. G. IIberg (Sonnenstein). 


10) Ueber einen Veil von Jaokaon’soher Epilepsie auf syphilitischer Basis 
mit operativem Eingriff, von Priv.-Doc. Dr. Bybalkin in St. Petersburg. 
(Deutaohe Zeitsohr. für Nervenheilk. 1901. XIX.) 

Bei einem 35jähr. Manne, der vor 16 Jahren luetisch inficirt war, traten 
plötzlich epileptische Krampfanfälle, localisirte Kopfschmerzen (rechte Schläfen- 
gegend) und später örtlich begrenzte klonische Krämpfe in der linken Gesichts¬ 
hälfte und den Halsmuskeln, sowie in der ganzen linken Körperhälfte auf. Später 
Lähmung der linken oberen und Parese der linken unteren Extremität, Herab- 
setaong der tactilen Sensibilität der linken Hand und des linken Vorderarms und 
Verhüt des Lage- und stereognostischen Gefühls daselbst. Ophthalmoskopisch 
Anfang * Neuritis optica dextra mit Blutungen in das peripapilläre Gebiet, Hyper¬ 
ämie des linken Opticus, später beiderseits nur Erweiterung der Betinalvenen. 


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Bei der Trepanation des Schädels fand sich die Dnra verdickt and mit den 
darunterliegenden Häuten sowie mit der Rinde theilweise verwachsen. Vom 
4. Tage nach der Operation an bliehen die Anfälle weg und schwanden die Läh¬ 
mungen, Sehnen- und Periostreflexe links gesteigert, linke Extremitäten in toto 
deutlich atrophisch. 7 1 /* Wochen später trat der Exitus in Folge von Pneumonie 
und käsiger Peribronchitis ein; ausserdem fand sich circumscripta syphilitische 
Pachymeningitis des rechten Schläfenlappens, syphilitische Ostitis cranii und verru- 
cöse Endocarditis. 

Das Fehlen des stereognostischen Sinns vor und nach der Operation bestätigt 
die Beobachtungen von Wernicke, Oppenheim, Horsley und Bechterew. 
Auch werden dadurch die Mittheilungeir-von Hitzig und Munk bekräftigt, wo¬ 
nach die oorticalen motorischen Centren auch die sensiblen Functionen enthalten. 
Jedenfalls verdient der günstige Erfolg der Operation (theilweise Resection der 
Häute ohne Entfernung der Krampfcentren) auf die Krämpfe selbst bemerkt zu 
werden. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


20) Soll’ epilessia da sifllide, pel Dr. Aug. di Luzenberger. (Pratica del 

Medico. 1901. Februar.) 

Ver£ bespricht in der vorliegenden kleinen Arbeit die Beziehungen zwischen 
Syphilis und Epilepsie, wobei er die symptomatische Epilepsie (Jackson) von 
der Betrachtung ausschliesst. Die Beziehungen können dreierlei Art sein: Epi¬ 
lepsie als Folge der Kachexie des Körpers durch Syphilis (analog der Hysterie 
und Neurasthenie, nach Binswanger), 2. Epilepsie als Folge papulöser Efflores- 
cenzen an den Meningen, analog den Papeln der Schleimhäute im zweiten Stadium; 
hierbei sind weder Prodrome, noch Residuen vorhanden; heilt meistens spontan; 
3. Epilepsie bedingt durch Gefassläsionen, welche miliare nekrotische Herde er¬ 
zeugen. — Die Differentialdiagnose gegenüber der genuinen Epilepsie ist zuweilen 
unmöglich; manchmal nur petit mal. Meistens keine Aura. Charakteristisch für 
die syphilitische Epilepsie soll das Alter sein: damit behaftete Individuen sind 
bis zum 25. oder 30. Jahre völlig gesund. Verf. räth, jeden Fall, bei welchem 
die Krankheit erst in diesem Alter beginnt, trotz der Negation der Syphilis als 
syphilitischen auizufassen und dementsprechend zu behandeln. Er belegt seine 
Auffassung mit einem charakteristischen Falle. H. Gessner (Nürnberg). 


21) De l'&bolition des r&lexes pnpill&ires dans ses relatdons avec la Sy¬ 
philis, par Babinski et Charpentier. (Bullet, et M6m. de la societö 
med. des höpit. de Paris. Söance du 17 mai 1901.) 

An der Hand von vier vorgestellten Kranken, die sämmtlich das Argyll- 
Robertson’sche Symptom, sonst aber bis auf einen, der über lancinirende 
Schmerzen und Abnahme des Gedächtnisses klagte, weder subjectiv noch objectiv 
irgend welche Symptome einer Erkrankung des Centralnervensystems darboten, 
denen aber allen syphilitische Antecedentien gemeinsam waren, führt Babinski 
von Neuem seine bereits früher geäusserte Ansicht (Bullet, de la societö de der- 
matol. 13./VH. 1899) aus, dass dieses Symptom allein auf eine früher durch¬ 
gemachte Lues mit Sicherheit hinweise. Nach ihm sind alle derartigen Patienten 
Candidaten für Tabes, Paralyse oder cerebro-spinale Lues, wenn auch oft lange 
Jahre vergehen, bis es zur Entwickelung einer dieser Krankheiten komme; es 
giebt anscheinend auch Fälle, in denen die reflectorische Pupillenstarre unbegrenzt 
lange das einzige Symptom einer organischen Erkrankung des Centralnerven- 
Bystems sei. Die Verff. sind der Ansicht, dass solche Fälle besonders geeignet 
für eine antisyphilitische Behandlung seien. Martin Bloch (Berlin) 


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22) Beitrag zur Kenntnis« der Syphilis des Oentralnervensystems, von Dr. 

medL BL Haenel (Stadtkraukenhaus Dresden). Ans der psychiatrischen und 

Nervenklinik zu Halle. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1900. XXXIII.) 

Ein 31jähr. Pferdeknecht erkrankte unter den Zeichen zunehmenden Hirn¬ 
drucks; das Leiden verbreitete sich allmählich auf alle Hirnnerven und ging im 

3. Jahr auf das Rückenmark über, wobei das häufige Schwanken der Patellar- 
reflexe besonders auffällig war. Allmählich wurde das Krankheitsbild constanter, 
von Seiten des Gehirns herrschten Ausfallserscheinungen, von Seiten des Rücken¬ 
marks Reizerscheinungen vor. Das Leiden führte nach 6 Jahren zum Tode. 

Bei der Sectdon fanden sich: Lues cerebri, Meningitis basilaris syphilitica, 
Hydrocephalus internus, Atrophie des Gehirns, multiple Tumoren der Hirnrinde, 
Ependymgranulationen, Sklerose des Rückenmarks. 

Die mikroskopische Untersuchung ergab: 

1. An den Meningen die für Syphilis charakteristischen Gefässveränderungen, 
Rundzelleninfiltration, Bindegewebsneubildung, Schrumpfungen und käsige gummöse 
Nekrosen. 

2. Faserschwund in der Hirnrinde, sowie in den vorderen und hinteren 
Wurzeln. 

3. Multiple Gliome der Hirnrinde, auf Dura mater und Knochen übergreifend. 

4. Angeborene Asymmetrie der Oliven. 

5. Ependymgranulationen, besonders durch Gliawucherung hervorgerufen. 

6. In der Medulla oblongata und im Rückenmark viele, keinem System ent¬ 
sprechend angeordnete Faserdegenerationen und Sklerosen. 

Was den Fall vor Allem bedeutsam macht, ist das Auftreten einfacher, nicht 
entzündlicher degenerativer Vorgänge an den Nervenfasern, ohne dass die Er¬ 
krankung der Meningen und Gefässe mit der nervösen Substanz zusammenhinge, 
so dass also die degenerativen Vorgänge als eine ganz selbständige, duroh das 
syphilitische Gift erzeugte Erkrankung anzusehen sind, ferner die ungewöhnliche 
Gliawucherung, wie sie bisher auf syphilitischer Basis beruhend noch nicht be¬ 
schrieben wurde. 

Der Verl verfügt über eine sehr ausgedehnte Kenntniss der einschlägigen 
Iitteratur. Er giebt seiner Arbeit 7 Zeichnungen bei, welche die geschilderten 
mikroskopischen Veränderungen sehr treffend veranschaulichen. 

BL Meyer (Sonnenstein). 


23) Zwei Fälle von Syphilis des Centralnervensystems, von Dr. Mark 

Bermann. (Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 40.) 

L Pseudotabes syphilitica. 

55jähr. Landmann. Vor 6 Jahren Lues. 1897 Doppeltsehen, lancinirende 
Schmerzen, Ataxie. Romberg’sches Phänomen positiv. Patellarreflexe gesteigert. 
Linksseitige Parese des Reet ob ext. und Obliquus sup. Träge Pupillarreaction. 
Gürtelgefühl, Formication in den Extremitäten. Nächtliche Schmerzen im Hinter¬ 
haupt; daselbst Osteophytenbildung. Eine antiluetische Kur brachte in 25 Tagen 
Heilung. 

DL Isolirter Zungenkrampf auf luetischer Basis. 

38jähr. Landmann. Seit 3 Jahren Zuckungen der Zunge, etwa 10 Anfälle 
täglich. Erst kommt KriebelgefÜhl der Extremitäten, dann wird die Zunge in 
vibratorische Bewegungen versetzt, die horizontal und meist von vorn nach hinten 
erfolgen. Sprache währenddem unmöglich. Dauer 1— V/ 2 Minuten. Eine weiss¬ 
liehe eingezogene Narbe in der Mittellinie des harten Gaumens. Heilung in 
25 Tagen nach einer antiluetischen Kur. J. Sorgo (Wien). 


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24) Ueber einen Fall von ausgedehnter Erkrankung der GeAaae und Me¬ 
ningen dee Gehirns and Rückenmarks im Frübstadiom einer Syphilis, 
von Dr. R Finkelnburg, Assistenzarzt an der medioinischen Klinik in 
Bonn. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.) 

Bei einem tuberculös belasteten Hanne von 43 Jahren stellte sich 6 Monate 
nach einer luetischen Infection eine linksseitige Hemiplegie ohne Verlust des 
Bewusstseins ein, die nach 3 Wochen wieder geschwunden war. 2 Monate später 
heftige Kopfschmerzen, welche nach einer specifischen Behandlung nachliessen. 
Nach weiteren 3 Monaten rechtsseitige Hemiplegie und motorische Aphasie und 
bald darauf Exitus unter den Erscheinungen der Vaguslähmung. 

Bei der Autopsie und anatomischen Untersuchung fanden sich meningitische 
Processe an der Hirnbasis in der Gegend der rechten Stirnwindung und am 
Rückenmark, peri- und endoneuritische Veränderungen der Basalnerven und der 
Rückenmarkswurzeln, Erweichungsherde im Linsenkern und Pons, sowie aus¬ 
gedehnte peri- und endarteriitische Wucherungen an den Arterien und Venen. 

Wenn auch in diesem Falle Tuberculose mit Bestimmtheit nicht ausgeschlossen 
werden kann, so ist doch mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine Frühlues des 
Gehirns und Rückenmarks anzunehmen. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


26) Zur Meningitis basilaris syphilitica praecox, von Hoffmann. (Berliner 

klin. Wochenschr. 1901. Nr. 11.) 

Der Fall betrifft einen 26jähr. Schlächter und ist bemerkenswert!], weil die 
Erscheinungen der Mening. basil. trotz frühzeitiger, energischer antisyphilitischer 
Behandlung schon 2 1 / 2 Monat nach dem Ausbruch der Roseola entstanden und 
die Lähmungen streng einseitig aufgetreten sind. Wahrscheinlich ist die Ursache 
der Erkrankung in einer circumscripten, den Periostitiden der Frühperiode der 
Lues gleichzustellenden Entzündung der Dura mater zu suchen. Es trat fast 
vollkommene Heilung ein. Bielschowsky (Breslau). 


26) Ein Fall von oerebroBpinaler Syphilis mit Erhöhung der Körper¬ 
wärme, von F. Biatokar. (Medycyna. 1900. Nr. 26 — 27. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über folgenden Fall von cerebrospinaler Syphilis mit Tem¬ 
peraturerhöhung: Bei einem 24jähr. Officier, welcher vor 14 Monaten Lues acquirirte, 
zeigte sich ein Jahr nach der Infection Temperaturerhöhung bis zu 40 °C., 
welche von Zeit zu Zeit Abends auftrat. Gleichzeitige luetische Symptome am 
Körper. Specifische Kur. Status praesens: Paretisch-spastischer Gang. Rom¬ 
berg ’sches Symptom. Leichte Ataxie. Patellar- und Fussklonus. Hautreflexe 
gesteigert. Keine deutliche Sensibilitätsstörung. Abgeschwächte Erection. Rechte 
Pupille weiter als die linke, Reaction erhalten. Tägliches Erbrechen. Intensive 
Kopfschmerzen in der Nacht. Temperatur Abends 38,6—39,0, früh morgens 
normal. Auch nach wiederholter Kur war eine Temperatursteigerung abends 
(37,6°) zu constatiren, auch verblieb der pare tisch-spastische Zustand der Beine. 
Es zeigten sich ausserdem: Ptosis dextra, Polydipsie, Polyurie, Incontinentia 
urinae. Nach 6 Wochen verblieb nur der spastische Zustand der Beine und die 
Temperaturerhöhung bis 37,6°. Im weiteren Verlauf kurzdauernder Anfall von 
Paraphasie mit rechtsseitiger Hemiplegie, Apathie. KJ innerlich, gleichzeitig stellte 
man normale Temperatur fest. Gleich nach Sistiren des Muskels Temperatur¬ 
erhöhung Abends bis 37,6—38,0°. Während 7 monatlicher Beobachtung war 
diese Erscheinung (Temperaturerhöhung) stets in mehr oder minder ausgeprägtem 
Maasse zu constatiren. Verf. erfuhr dann, dass der Pat. an linksseitiger Hemi¬ 
plegie erkrankte und dass die Temperatur vor und nach dem Anfall normal ver- 


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blieb. Ver£ bespricht die Aetiologie des merkwürdigen Symptoms (Temperatur¬ 
erhöhung) , scblieest dabei Tubercuiose, Malaria aus, (Blutbefund negativ) und 
meint, dass bei Localisation des syphilitischen Processes in der Oegend des Pons 
oder der Hedulla oblongata eine Temperaturerhöhung, in Folge einer Störung 
der thermischen bezw. vasomotorischen Centra, stattfinden kann. 

Edward Flatau (Warschau). 


27) The olinic&l forma and pathologioal anatomy of spinal Syphilis, by 

R. T. Williamson. (Edinburgh med. Journ. 1900. Ootober.) 

Unter 32 Fallen spinaler Syphilis, die Verf. beobachtet hat, befanden sich 
3 Fälle von chronischer Meningitis, 16 von Meningomyelitis, 6 von acuter syphi¬ 
litischer Myelitis, 4 von Erb’scher Paralysis spinalis, 1 Fall von Ghnnmibildung 
des Rückenmarks, 1 Fall von Triplegie und einer von Pseudotabes. Syphilitische 
Wirbelerkrankung hat Verf. nicht beobachtet. Im ganzen ist spinale Lues eine 
seltene Erkrankung; den erwähnten 32 Fällen stehen unter 2456 Nervenkranken 
118 Fälle von Tabes gegenüber. Unter den 32 Kranken waren 26 Männer, nur 
6 Frauen. Die Prognose ist im ganzen besser, als sonst bei spinalen Erkran¬ 
kungen, richtet sich aber im Einzelfalle nach der Form der Erkrankung; je mehr 
die Affection die Meningen betrifft, desto besser, je mehr die Rückenmarkssubstanz, 
desto schlechter die Prognose; am schlechtesten in den Fällen von acuter Para¬ 
plegie, besonders wenn Blasen- und Mastdarmstörungen vorliegen. Von Verf.’s 
32 Fällen endeten 9 tödtlich, 10 wurden geheilt, die übrigen wurden durch die 
Therapie wenig beeinflusst. Die 9 tödtlich verlaufenen Fälle betrafen 5 Fälle 
von acuter Myelitis, einen von Erb’scher Krankheit, einen von spinalem Gummi, 
einen von Triplegie, einen Meningomyelitis. Verf. bevorzugt bei der Behandlung 
altemirende Quecksilber- und Jodtherapie. Die Bemerkungen des Verf.’s über 
die pathologische Anatomie enthalten nichts neues. 

Martin Bloch (Berlin). 

28) A oase of syphilltio spinal leptomenlngitis with oombined solerosis, 

by Shoyer. (Brain. 1901. I.) 

In Verf.’s Fall handelt es sich um einen 61jähr. Mann, in dessen Anamnese 
nichts von Syphilis aufzufinden war. Die Krankheit begann 2 Jahre vor dem 
Tode mit Schmerzen in der ganzen linken Seite; viel später kamen dazu noch 
Schmerzen und Hyperästhesie auf der rechten Brusthälfte. Allmählich wurden 
die linken Extremitäten schwächer, die Reflexe hier lebhaft; im linken Arme 
zeigte sich auch Ataxie. Schliesslich starre Contractnr, besonders der linken 
Extremitäten, der Kiefermusculatur und der Zunge. Die anatomische Untersuchung 
zeigte eine diffuse Verdickung der weichen Rüekenmarkshaut, eine Sklerose der 
Pyramiden- und Kleinhirnseitenstrangbahnen, und speciell im Halsmarke auch der 
Burdaoh’sehen Stränge. In den sklerosirten Partieen zeigten sich typisch syphi¬ 
litisch erkrankte Gef&sse. Bruns. 


38) Uaber einen in der Narooae entstandenen Fall von lnetteoher Flexue- 
Neurltis, von v. Sarbö. (Pester med.-chir. Presse. XXXVIL Nr. 12.) 

Verf. beschreibt die Krankengeschichte eines Kellners, der während einer 
Bruchoperation 2 Stunden lang in Narcose lag und im Beginn der Narcose starke 
Excitation zeigte, so dass ihm die Hände gebunden werden mussten. Gleich nach 
der Narcose vollständige Lähmung des linken, beschränkte Beweglichkeit des 
rechten Arms. Etwa 3 Wochen nach der Operation begab sich Pat. in die Be¬ 
handlung des Verf.’s, welcher schlaffe Lähmung im linken, Beweglichkeitsdefecte 


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im rechten Arm feststellte. Die Erb'schen Supracl&vicularpunkte und die Plexus 
in der Achselhöhle auf Druck schmerzhaft, Atrophie der Sohultermusculatur, Ent- 
artungsreaotion in der Musculatur des linken, abgeschwächte faradische und gal- 
vanische Erregbarkeit in der Musculatur des rechten Armes. Keine Sensibilitäts¬ 
störungen. ln der Anamnese chronischer Alkoholmissbrauch und Lues. J)ie zu¬ 
nächst angewandte elektrische Behandlung erfolglos, sodann in Bücksicht auf die 
voraufgegangene Luefl energische Inunctionskur, darauf auffallende Besserung, nach 
8 Wochen volle Gebrauchafähigkeit beider Arme wieder erlangt. 

Verf. spricht als eigentliche Ursache der Lähmung die Lues an, vielleicht 
spiele der Alkoholismus auch eine gewisse Rolle. Das Trauma sei nur als das 
provocatorische Moment anzusehen; für sich allein hätte es wahrscheinlich nicht 
genügt, die Neuritis herbeizuführen, es bedurfte vielmehr erst der durch Lues 
und Alkoholismus geschaffenen krankhaften Grundlage. 

H. Schnitzer (Küokenmühle-Stettin). 


30) Gangraena angiosolerotioa auf luetisoher Basis, von M. NartowskL 
(Przegl^d lekarski. 1900. Nr. 1. [Polnisch.]) 

Verf. beschreibt folgenden Fall: Ein 55jähr. Mann klagte seit 2 Jahren über 
intensive Schmerzen im rechten Bein. Lues vor 36 Jahren. Status: verschärfter 
zweiter Aortenton. Arteriosklerose. Schwellung des linken Unterschenkels und 
des linken Fusses, nebst Cyanose des letzteren. Nn. ischiadicus und cruralis 
druckempfindlich. An den Zehen Gangraena sicca. Linke Art. femoralis zeigt 
einen schwächeren Puls als die rechte Arterie. Die linke Dorsalarterie nicht 
durchfühlbar (das rechte Bein wurde wegen des Knieahscesses amputirt). Im 
weiteren Verlauf Thrombose der Vena und Art. femoralis. Temperaturerhöhung. 
Tod. Die Section ergab: Gangraena pedis sin. ex artiosclerosi. Atrophia cerebri. 
Leptomeningitis chronica. Thrombosis venae et Art femoralis sin. Der mikro¬ 
skopische Befund an Gefassen und anderen Organen sprach für luetisohe Natur 
des Processes. Im N. cruralis und N. tibialis deutliche interstitielle Wucherung 
nebst parenchymatöser Degeneration (Neuritis arteriosclerotica). 

Edward Flatau (Warschau). 

31) Beoherohee olinlques sur le traitement de la Syphilis fondöes sur lea 
Observation s du Dr. Zeltsohinsky (Mosoou) suivies d’un oas de pro- 
pnyhude in utero par le möme traitement, par Verrier. (Progrös 
mädical. 1901. Nr. 12.) 

Bericht über einen Fall, in welchem Verf. die im 5. Monate schwangere 
Frau mit syphilitischen Ulcerationen u. a. m. mit Syphilisserum von Zeltschinsky 
monatelang mit dem Erfolge injicirte, dass ein gesundes Kind zur Welt kam, 
das auch gesund blieb. Als Einleitung sind einschlägige Fälle aus der russischen 
Litteratur mitgetheilt. Adolf Passow (Meiningen). 


32) Lee aooidents nerveux de la blennorrhagie, par G. Delamare. (Gazette 
des höpitaux. 1901.) 

Verf. bespricht auf Grund der Litteratur die nervösen Complicationen, welche 
sich an Gonorrhoe anschliessen können und theilt dieselben in die 4 Gruppen: 
Neurosen, cerebromeningitische, spinale und neuritische Affectionen. 

R. Hatschek (Wien). 


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SS) Die Störung de« Temperatursinns bei Syringomyelie, von Dr. Mar 

Rosenfeld, ehemal. Assistent der medicin. Klinik in Strassburg i/E. (Deutsche 

Zeitschrift f. Nervenheilk. 1901. XIX.) 

In einem typischen Falle von Syringomyelie (Cervicaltypus) bestand an den 
oberen Extremitäten eine partielle Störung der Temperatur- und Schmersempfindung, 
»eiche nach den Schultern su an Intensität abnahm. Trotz der intensiven Thermo- 
anisthesie konnte indessen die Kranke die Temperatur einer sie berührenden, 
menschlichen Hand erkennen. Dass es sich dabei nicht um eine Modification der 
Thermoanästheeie mit Ausfall der extremen Temperaturgrade handelte, konnte 
durch Untersuchung mit mittleren Wärmegraden nachgewiesen werden, wobei 
auch falsche Angaben gemacht wurden. Durch Versuche mit dünnen Blei¬ 
röhren, welche spiralig aufgerollt, mit verschieden temperirtem Wasser durch¬ 
strömt und auf die Haut applicirt wurden, stellte es sich heraus, dass die richtigen 
Angaben durch eine Summation von Temperatursinneseindrücken hervorgebraoht 
wurden, wie sie von E. H. Weber für den normalen Menschen beschrieben sind. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


34) Ueber eine eigenthümliohe looalisirte Arthropathie bei einem an Syringo¬ 
myelie und gleichzeitiger Hypoplasie des Oenitalapparates leidenden 
Indiwiduum, von Dr. C. Hödlmoser. (Wiener klin. Wochenschrift. 1901. 
Nr. 26.) 

Der 69jährige Pat litt an den typischen Symptomen einer Syringomyelie. 
In deren Verlaufe kam es zu einer sehr seltenen Localisation einer Arthropathie 
im Akromio-Claviculargelenke, mit einem dem Gelenke entsprechenden erbsengrossen 
Substanzverluste, aus dem sich klare gelbliche Flüssigkeit entleerte. Die Clavicula 
nach oben luxirt. Das Primäre sieht Verf. in einer Atrophie des Bandapparates 
auf trophischem Wege. In Folge davon die Luxation der Clavicula, deren Druok 
auf die Haut die Perforationsöffnung erzeugte. 

Die gleichzeitige Hypoplasie des Genitalapparates erscheint deshalb nicht 
unwichtig, weil auoh für die Entstehung der Gliose Entwicklungsanomalieen ver¬ 
antwortlich gemacht werden. J. Sorgo (Wien). 


36) Btt utveckladt feil af syrlngomyeli (Morvans typ), af Herman Lund¬ 
borg. (Hygiea. 1900. LXH. S. 266.) 

Kn 28 Jahre alter Arbeiter begann vor 8 Jahren an Schmerzen und Schwäche 
im linkem Beine und Schwäche in der linken Seite des Rückens zu leiden und 
konnte schwer geben, er konnte das Bein schwer nach vorn bewegen und nioht 
fest auftreten, die Bewegungen schwer regeln. Im Jahre 1897 trat Oedem in der 
linken Hand und im rechten kleinen Finger auf, an diesen Stellen bildeten sich 
schwere Panaritien und gangränöse Geschwüre, die plötzlich die Amputation des 
linken Vorderarms und des rechten kleinen Fingers nöthig machten. Nach einiger 
Zeit bildete sich dicht unter dem linken Ellenbogen ein gangränöses Geschwür, 
das nicht heilte. Durch die Schwäche in der linken Körperseite entstand eine 
immer mehr hervortretende schiefe Stellung, die durch die Schwäche 
im linken Beine verursacht wurde, der Gang war hinkend. Ziemlich langsam 
schritt die Krankheit stetig fort. Das Allgemeinbefinden war dabei nioht gestört 
Pst. hatte Beschwerden beim Harnlassen und bei der Stuhlentleerung, aber keine 
Harnretention. — Bei der Aufnahme am 3. März 1900 fand sich zwischen den 
beiden Oberarmen nur ein geringer Unterschied im Umfange. An der Muskulatur 
am Schultergürtel liess sich keine Differenz im Volumen erkennen. Am rechten 
KDeabogen fand sich bei geringer Flexion eine tiefe Einsenkung, die oben von 

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der Trochlea humeri, unten vom Olecranon begrenzt wurde, eich bei stärkerer 
Flexion bis zu einem gewissen Grade ausglich, aber auch bei stärkerer Flexion 
noch bemerkbar war; die Bewegung des Gelenks war nicht wesentlich gestört, 
nur die Extension in geringem Grade eingeschränkt. Die rechte Hand wurde 
dorsal flectirt gehalten, die Metacarpo-Phal&ngealgelenke sprangen stark vor, die 
kurzen, dicken, plumpen und rigiden Finger waren flectirt. Zwischen beiden 
Beinen war kein grosser Unterschied in Bezug auf Form und Umfang. Die 
HubcuU erectores spinae zeigten aber einen auffälligen Unterschied in Bezug auf 
Consistenz und Volumen, der rechte war dem linken bedeutend überlegen. Die 
Haut, die an Kopf, Rumpf und den proximalen Theilen der Glieder normal war, 
wurde von dem unteren Drittel des Vorderarms und von der Mitte der Schenkel 
an abwärts trocken, grauweiss verfärbt, runzlig, mit kleinen, stecknadelkopfgrossen 
Knoten besetzt, an manchen Stellen fänden sich Narben, Verfärbungen. — Sehen, 
Hören und Riechen waren ungestört, der Geschmack war gestört, Salz wurde als 
sauer, Saures als bitter bezeichnet Die Berührungssensibilität war sehr ab¬ 
gestumpft, wie auch der Wärmesinn und die Schmerzempfindung, der Muskelsinn 
aber nicht. — Cremaster- und Bauchreflexe fehlten, der Knierefle* war rechts 
ungefähr normal, links bedeutend verstärkt 

Nach der Analyse der Erscheinungen schliesst Verf. auf eine hauptsächlich 
die linke Seite betreffende Rückenmarksaffection, etwa von der Mitte des Hals¬ 
marks an bis gegen das Lendenmark hin. Walter Berger. 


Psychiatrie. 

36) Consanguinität in der Ehe and deren Folgen für die Desoendenz, von 

Felix Peipers (Bonn). (Allg. Zeitsohr. f. Psych. LVIIL S. 793.) 

Das Verbot consanguiner Ehen ist nicht physiologischen, sondern socialen 
und ethischen Gründen entstanden; die physiologischen sind erst später zur 
Erklärung herangezogen worden. Die schädigende Eigenschaft der blutsver¬ 
wandten Ehe ist aber noch nicht als erwiesen zu betrachten. Die verschie¬ 
denen Beobachter sind zu ganz verschiedenen Schlüssen gekommen; die ent¬ 
sprechenden Angaben über die Zahl der aus oonsanguinen Ehen stammenden 
Taubstummen, der Kranken mit Retinitis pigmentosa, der Idioten, Geisteskranken 
und die unfruchtbar gebliebenen Ehen werden zusammengestellt, ohne dass sie 
zur Klarheit führen. Die Schwierigkeit beruht darauf, dass die Voreltern stets 
nur mit einem Bruchtheile ihrer Eigenschaften auf die Nachkommenschaft wirken; 
diese Thatsache führt Lorenz dazu, die Inzucht für die einzig zweckmässige 
Fortpflanzungsart zu erklären. An Lorenz lehnt sioh Verf. an mit seinen 
Versuchen, die Intensität der Blutsverwandtschaft näher zu definiren. Die 
Statistiken sind deshalb meist unbrauchbar, weil sie nicht den Grad der Ver¬ 
wandtschaft berücksichtigen, und ferner, weil sie nur selten mit hinlänglicher 
Genauigkeit geführt werden, wie Verf. nach weist. Verf. hat deshalb den Versuch 
gemacht, soweit möglich genaues Material zu erwerben. Zu dem Zwecke unter¬ 
suchte er das Material verschiedener Anstalten: 1. der Anstalt für Epileptische 
zu Bethel-Bielefeld. Unter 495 Epileptischen, bei denen die elterlichen Verhält¬ 
nisse bekannt waren, fanden sioh nur drei aus Geschwistereltern stammende Kranke, 
sieben aus Ehen von entfernten Verwandten, die das statistische Amt nicht als 
„blutsverwandte Ehen“ auffasst. Unter 2448 Zöglingen der ganzen Anstalten be¬ 
fanden sich ebenfalls nur 250 aus consanguinen Ehen stammende. — 2. wurde 
die Schule der Taubstummen zu Brühl untersucht; von diesen stammten 2,3 °/ Q 
aus consanguinen Ehen; von den Ehen, aus denen Taubstumme hervorgingen, 
waren 1,6 % blutsverwandte. — 3. In der Taubstummenanstalt in Essen war der 


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Procentzatz 2,26 mit 3,8 °/ 0 der taubstummen Kinder. — 4. Unter den 702 Zög¬ 
lingen des Franz Sales-Hauses für Idioten zu Essen-Huttrop mit zuverlässiger 
Anamnese stammten sechs aus Ehen unter Blutsverwandten. — 6. Von 1720 Fällen 
der Bonner psychiatrischen Klinik endlich waren 20 Kranke aus consanguiner 
Ehe. — 6. Bei 65 Taubstummen der Anstalt zu Neuwied waren 4,6 °/ 0 der Ehen 
blutsverwandt und 6°/ 0 der Kinder entstammten solchen Ehen. 

Verf hat dann noch weiter den Versuch gemacht, durch Aufrufe in Zeitungen 
eine möglichst grosse Anzahl von Ehen Blutsverwandter und deren Descendenz 
festzustellen, sowie diese Zahlen durch private Forschungen zu ergänzen. Die 
Ergebnisse waren gering, da sich nur wenig Fälle meldeten. 

Der Verf. ist zu der Ueberzeugung gekommen, dass eine degenerative Eigen¬ 
schaft der Blutsverwandtschaft bisher nicht erwiesen worden ist, und dass unserer 
freizügigen Zeit in der consanguinen Ehe keine Gefahr erwächst, die zu gesetz¬ 
geberischem Einschreiten nöthigen könnte. 

Der vom Verf. eingeschlagene Weg exacter Untersuchung unter Berück¬ 
sichtigung aller von ihm besprochenen Fehlerquellen kann thatsäohlich allein dazu 
führen, die wichtige Frage ihrer Lösung näher zu bringen. 

Aschaffenburg (Heidelberg). 

37) Combinirte PsyohosenP von 0. Mönkemöller (Osnabrück). (Allgem. 

Zeitsohr. £ Psych. LVILL S. 639.) 

Unter diesem Namen beschreibt Verf. 3 Fälle von chronischen Wahnideeen, 
in deren Verlaufe sich intercurrent lebhafte Erregungszustände manischen Charakters 
einschoben. Nach dem Abklingen der Tobsucht bestanden die Wahnideeen weiter. 
Der Versuch, diese Erregungen durch den paranoischen Affect oder durch Wahn¬ 
ideeen zu erklären, ist nicht durchführbar. Es bleibt also nur übrig, die Be¬ 
obachtungen als eine Häufung zweier Psychosen, der Paranoia als der Grund¬ 
krankheit, der Manie als der Episode aufzufassen. Zu der Kraepelin’schen 
Lehre, solche Erkrankungen gar nicht der Paranoia zuzurechnen, hat der Ver£ 
trotz der sehr eingehenden Litteraturbenutzung keine Stellung genommen. 

Aschaffenburg (Heidelberg). 

88) Bin Fall von olroulärem Irresein mit täglich alternirendem Typus, 

nebst Bemerkungen zur sog. „oiroulären Neurasthenie“, von Dr. S. 

H. Scheib er. (Pester med. Presse. 1901. Nr. 18.) 

Der 63jähr. Patient, früher stets gesund, hatte mit 57 Jahren eine leichte 
Apoplexie erlitten, dann im folgenden Jahre einen zweiten schweren Anfall. 
8either häufige Schwindelanfälle und täglich altemirender Stimmungswechsel 
2 Jahre später zwei sohwere apoplektische Insulte, nach denen rechtsseitige Läh¬ 
mung mit Contraoturen, Sprachstörung, Salivation, längere Zeit auch Unorientirt- 
beit zurückblieb. Die Stimmung war regelmässig einen Tag gehoben und unter¬ 
nehmungslustig, den anderen Tag muthlos und deprimirt. Naoh 4 Jahren verschwand 
allmählich der Unterschied zwischen guten und schlechten Tagen, und der Pat. 
starb im folgenden Jahre nach zunehmendem Marasmus. 

Verf. glaubt, dass hier eine reine Psychose neben dem neuropathologischen 
Symptomencomplex entstanden sei. Er hat in der ihm zugänglichen Litteratur 
nicht einen einzigen Fall von oirculärem Irresein nach Apoplexie auffinden können. 
Sehr begreiflich, denn es ist doch ganz unzulässig, aus dem Symptomencomplex 
eines Apoplektikers willkürlich einzelne Erscheinungen herauszugreifen und daraus 
riae selbständige Krankheit zu construiren. E. Beyer (Littenweiler). 


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99} BMmb Tat* ln« anhalfamrta. vöDfea «ad plätattefc MehCUonftca- 
anpfcyxia eingatTutome A«ffeallw« da fUtatn bai einar aeeundlr w- 
wftrrtaa GdMafanka, tob P. Näeke nd Steinitz. (I r r — freund. 
1901.) 

Eine uimiadie, etn üOjähr. Fru. die nach einen melancholischen Vor- 
in eine mit rolliger G ed a nken t n a inna g verbundene Verrücktheit rer* 
fallen vsr and seit 2 Jahren in der nn r e r än dert tiefe secundäre Verwirrt¬ 

heit mit quälenden Wahn and Sinne Ftiimrhgng en darbot, zieht sich eine Yerietsnng 
der Genitalgegend so, so dan die heftige Blatang in Cklorofiormnareoae gestillt 
werden m aaste. Alles ist gut abgegangen. Als naa an 10. Tage wieder in 
Xarcoae die Nähte entfernen will, tritt schon nach wenigen Minuten s ch were 
Asphyxie auf, die ent nach zweistündigen Wiederbe^ebang s x er wa chen beseitigt 
wurde. Nun stellte sich ein immer heftiger werdender klonisch-tonischer Krampf- 
znstand ein, welcher nach 1 , Stunde nach Morphiumicjecdon sich löst und Ton 
einen 15 ständigen Schlaf gefolgt ist. Nach den Erwachen zeigt die Kranke 
absolute Klarheit des Geistes, Orientirtheit und gutes Gedächtnis an früher Er¬ 
lebtes. Nach 7 Tagen beginnt wieder die alte Aengstüchkeit und Unklarheit, 
so dan 3 Tage später der alte Zustand wieder Torhanden war. Dieser bleibt 
bis zu dem wenige Jahre später erfolgten Tode unverändert. 

Verl nimmt an. dass durch die Xareose. noch m ehr durch die Asphyxie, 
ganz besonders aber durch die später auftretenden und ziemlich lauge anhaltenden 
Krämp fe so mächtige Veränderungen in den Circnlari on sTer b äl tT i b nfn des Gehirns 
stattfanden, dass ge w inc Hindernisse n ez r ö se r oder lymphatischer Natur u. s. w. 
hinweg g er ä umt wurden, vielleicht auch krankhafte Produkte ans den Gehirn¬ 
zellen seihst resorbirt werden konnten. Damit würde stimmen, dan, sobald die 
alten KTpislanfrerbältniawe sieb wieder einstellten, auch die Aufhellung des Geistes 
verschwand. E. Beyer (Litten weil er). 


HL Bibliographie. 

Dis fl/rhjmywlia Eine Monographie von Doeent Dr. Hermann Schlesinger. 
(Zweite, vollständig umgearbeitete und bedeutend vermehrte Auflage. 88 Ab¬ 
bildungen im Texte. Leipzig u. Wien, 1902. Franz Deutike.) 

Verl hat durch seine bekannten Arbeiten über die Syringomyelie unsere 
Kenntnisse dieser interessanten und vielgestaltigen Krankheit sehr gefördert. Die 
zweite Auflage seiner Monographie, die als ein Band von 611 Seiten eben er¬ 
schienen ist. giebt uns eine vortreffliche Uebersicht über alles auf diesem Gebiete 
W is s ens w erth e. Diese zweite Auflage ist nicht nur bedeutend ver m e h rt, sondern 
« a ch in allen Punkten umgearbeitet und dem heutigen Standpunkt angepasst. 
Bef. nna es sich natürlich versagen, hier eine vollständige Wiedergabe des 
lahahes zu geben, nur jene Punkte, die neue Befunde erbringen oder eine Stellung¬ 
nahme des Autores zu strittigen Fragen kennzeichnen, sollen kurz h ervo rg e h oben 
werden. 

Besüglieb der Muskelbefunde sä erwähnt, dam Verl in umschriebenen Muskel¬ 
parti een Befunde erheb« konnte, wie man sie sonst bei der Myotonie sieht, 
fer ne r iocaÜsirte Myositis oesifreans, namentlich in der Umgebung erkrankter 
Gelenke. Bisweile* sah er Pes equino-vanm sich entwickeln, und zwar, sowohl 
hei späten Stadien, als auch als Frühsymptom bei sncrolambalem Sitze der 
Syringomyelie. 

Verl bestätigt die neuen Angaben über den segnen taku Typus der Sen- 
sftilhätastörcngen bei der Syringomyelie, hebt aber her v or , dam in seltenen Fällen 
aaeh guederwe is e Ausbreitung der Sensibilitätmtörungen sich findet (centraler 



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Typus); rocht selten sind Sensibilitätsstörungen in Form von spiralförmigen, die 
Extremitäten umgreifenden Bändern. Für die Sensibilitätsstörungen im Bereiche 
des Geeichtes und der Schleimhäute finden sich bestätigende und erweiternde 
Angaben der Befunde von Sölder; die Anästhesieen der Harnblase und der 
Harnröhre gehen nicht immer miteinander parallel, weichen oft auch von den 
Sensibilitätaverhältnissen der die Blase bedeckenden Haut ab. 

Sehr eingehend sind die Gelenkserkrankungen besprochen, die sich nach 
Vsrf’s Zusammenstellungen in etwa */ 4 der Fälle finden, aber seltener als bei 
der Tabes doppelseitig und symmetrisch sind. Spontanfraoturen finden sich am 
häufigsten an den Vorderarmknochen. Eine der Cheiromegalie analoge Er¬ 
krankung an den Füssen beschreibt Verf. als Podomegalie. Diese Vergrösserungen 
umschriebener Körperabschnitte (Hakrosomie) bei der Syringomyelie, deren 
Differentialdiagnoee gegenüber der Akromegalie genauer besprochen wird, soll 
sieh relativ oft bei Menschen mit besonders kräftiger Entwickelung der Extre¬ 
mitäten oder des ganzen Körpers finden. 

In 3 Fällen sah Verf. Nephrolithiasis und ist geneigt dieselbe mit dem 
spinalen Processe in Zusammenhang zu bringen. 

Besonders eingehend sind die Bulbärerscheinungen bei der Syringomyelie 
besprochen. Verf. unterscheidet directe, durch die Syringobulbie veranlasst« Er¬ 
scheinungen und in directe Begleitsymptome, welche ihre Entstehung einer com- 
plicirenden Affection verdanken. Letztere betreffen vor allem den 1. bis inolusive 

4. Gehirnnerven, da die Syringobulbie nicht über den 5. Kern hinausreiohk Die 
Kehlkopflähmungen bei Syringomyelie kennzeichnet Verf. dahin, dass es sich 
meist um complete Paresen eines Recurrens handelt; meist findet sich auch eine 
gleichseitige Gaumensegel- und Schlundlähmung; Postiouslähmung, und zwar ein¬ 
seitige ist meist nur vorübergehend. Der Bulbärprocess bei der Syringomyelie 
unterscheidet sich von anderen Bulbäraffectionen durch seine relative Benignität, 
selbst bei Schädigung des Vaguskernes, und durch den oft eminent chronischen 
Verlauf! 

Verf. unterscheidet gewisse, häufiger vorkommende Typen in dem so viel¬ 
gestaltigen Symptomenbilde der Syringomyelie, und zwar 1. Syringomyelie mit 
den klassischen Symptomen, je nach dem Sitze der Erscheinungen als Cervical-, 
Donolumbal-, Lumbosacraltypus und Syringobulbie, 2. Syringomyelie mit vor¬ 
wiegend motorischen Erscheinungen unter dem Bilde der amyotrophisohen Lateral- 
skleroee, der spastischen Spinalparalyse und als humero-scapularer Typus, 3. Syringo¬ 
myelie mit vorwiegend sensiblen Erscheinungen, 4. mit vorwiegend trophischen 
Störungen unter dem Bilde des Morvan und einen osteoarthritischen Typus, 

5. einen tabisehen Typus, 6. p achym eningi tisch er Typus. 

In der Aetiologie spielen weniger directe Heredität, als vielmehr eine ge¬ 
wisse Veranlagung eine grosse Rolle; Traumen, und zwar solche der Wirbelsäule 
können zum Auftreten einer Syringomyelie Anlass geben. Periphere Verletzungen, 
Neuritis asoendens dagegen sind abzulehnen. 

Auf die eingehende Darstellung der Differentialdiagnose, speciell auf die 
Kapitel Lepra und Syringomyelie kann hier nur verwiesen werden. 

Nahezu vollständig umgearbeitet ist der pathologisch-anatomische und 
pathogenetische Theil, wobei der Autor auf ein besonders reiches eigenes Material 
(27 Fälle von Syringomyelie), sowie auf Untersuchungen zahlreicher Kinderrücken¬ 
marke n. s. w. sich stützt Verf. definirt anatomisch die Syringomyelie als eine 
ätiologisch nicht einheitliche, ohronisch progrediente Spinalaffection, welche 
zur Bildung langgestreckter, mit Vorliebe die oentralen Rückenmarksabsohnitte 
b etre ffe nden Hohlräume und oft auoh zu erhebliohen, der Spaltbildung gleich- 
werthigen und letzterer vorangehenden oder coordinirten Gliaproliferationen in 
dar nächsten Umgebung der Hohlräume oder mit gleicher Localisation, wie letztere, 


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führt. Nach dem anatomischen Bilde unterscheidet Verf. Hydromyelieen, gliöse 
Syringomyelie, wobei Verf. die Gliawucherung in nahe Beziehung zur Tumor¬ 
bildung bringt, Syringomyelie in Folge von Gefässerkrankungen, Höhlenbildungen 
in Tumoren und bei Pachymeningitis, dann Höhlen nach Traumen und Blutungen. 
Für die mit Centralcanalepithel ausgekleideten Höhlen, sowie Hydromyelieen ist 
zum grossen Theil ein congenitaler Ursprung anzunehmen. Verf. erörtert weiter 
die Frage, ob auch für die nicht mit Epithel ausgekleideten Hohlräume ent¬ 
wickelungsgeschichtliche Störungen anzunehmen sind, wobei Verf. an der Hand 
eigener Untersuchungen die Verhältnisse des foetalen und kindlichen Centralcanals 
einer genauen Besprechung unterzieht, und kommt zum Schlüsse, dm« für eine 
grössere Zahl von Fällen von Syringogliose und centraler primärer Glioee eine 
congenitale oder sehr früh erworbene Veranlagung erforderlioh sei Traumen 
führen nur dann zur Syringomyelie, wenn sie ein solches veranlagtes Rückenmark 
betreffen, während in anderen Fällen nach Traumen bloss eine stationäre Cyste 
zurückbleibt. GefSssveränderungen schreibt Verf. jetzt eine relativ geringe Rolle 
für das Zustandekommen der Syringomyelia gliosa zu, während meningeale Processe 
für gewisse Fälle von Syringomyelie, die nichts mit angeborenen Anomalieen zu thun 
haben, in Betracht kommen. Hier ist die Syringomyelie aber secundär, eine Folge¬ 
erscheinung des menningealen Processes. Bezüglich der Syringobulbie sind die 
median gelegenen Spalten auf entwickelungsgeschichtliche Störungen zurück¬ 
zuführen, während die lateral gelegenen nicht praeformirt sind. Für ihr Zustande¬ 
kommen sind Gefässveränderungen heranzuziehen, die an gewissen Partieen, die 
durch den Reichthum an Gefässen und grauer Substanz ein besonderes lockeres 
Gefüge zeigen, zur Spaltbildung führen. 

Den Schluss des Buches bilden die ausführlichen Krankengeschichten von 
56 eigenen Fällen, die Verf. aus seiner reichen Erfahrung als besonders instructiv 
ausgewählt hat, und endlich ein Litteraturverzeichniss von 1175 Nummern. 

Redlich (Wien). 


IV. Aus den Gesellschaften. 

XXXII. Jahresversammlung der südwostdeutschen Irrenärzte in Karlsruhe 
am 2. und 3. November 1901. 

(Fortsetzung.) 

Herr Dr. Alzheimer (Frankfurt a/M.): Ueber atypische Paralysen. 

Nachdem uns heute unsere histologischen Kenntnisse erlauben, die para¬ 
lytische Degeneration von verwandten Krankheitsbildern abzugrenzen, wird es nnn 
möglich, verschiedene Formen als atypische Paralyse abzugrenzen. Vordem musste 
man noch immer den Einwand gelten lassen, ob wir es bei diesen atypischen 
Formen auch wirklich mit Paralysen und nicht etwa nur mit ähnlichen Krank¬ 
heitsformen zu thun haben. 

Lissauer hat in einer aus seinem Nachlasse von Storch herausgegebenen 
Arbeit eine typische und atypische Paralyse unterschieden. 

Die von Lissauer als typische Form bezeichnet« umfasst wohl 80°/^ 
aller Paralysen. Sie ist klinisch gekennzeichnet durch eine langsam zunehmende, 
eigenartige Verblödung. Acute Schübe in Form von Anfällen und Erregungs¬ 
zuständen unterbrechen zuweilen den chronischen Verlauf. Der Degenerations- 
process beschränkt sich vorzugsweise auf die vorderen Grosahimhälften. 

Bei der atypischen Paralyse Lissauer’s lässt die Degeneration das Stirn¬ 
hirn relativ frei und es kommt dagegen in mehr oder minder localisirten Partieen 


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der hinteren Grosshirnhälften za einer ganz besonders weitgehenden Atrophie. 
Klinisch zeigt die atypische Paralyse einen Verlauf von Schüben. Oft mit An¬ 
schluss an apoplectifonne Anfälle auftretende corticale Herdsymptome treten in 
den Vordergrand. (Meist eine sensorisch-motorische Aphasie, aber auch Alexie, 
Agraphie, Hemianopsie, Rindenlähmungen.) Die Demenz erreicht erst später er¬ 
hebliche Grade, sie ist partieller, aus anderen Defecten zusammengesetzt, mehr 
der Demenz bei Hirnherderkrankungen ähnlich. 

Die histologische Untersuchung lässt keinen Zweifel, dass die Gewebsver¬ 
änderung eine paralytische ist, nicht etwa eine luetische im engeren Sinne. 
Manchmal können dabei plötzlich, wie mit einem Schlag, ausgedehnte nervöse 
Gewebspartieen ausser Function gesetzt werden und dem Untergang verfallen. 
In einem Falle hatte sioh, ohne da« vorher Krankheitserscheinungen bemerkt 
worden waren, in wenigen Stunden eine schwere sensorisch-motorische Aphasie 
entwickelt. Da der Tod schon einige Wochen später eintrat, liess sich durch die 
Marchimethode der Umfang der Degeneration genau feststellen. In der vorderen 
Hirnhälfte zeigte sich nur in einzelnen Faserbündeln des tieferen Markes eine 
grössere Anhäufung von Schollen, sie entsprechen wohl langen Associationsbahnen. 
Dagegen war das Marklager der Sohläfen- und Scheitelwindung dicht mit Schollen 
erfüllt. Der Fasciculus longitudinalis inferior z. B. hob sioh scharf durch eine 
dichte Schollenanhäufung von der Umgebung ab. 

Während bei der typischen Paralyse fast stets beide Stirnlappen gleich er¬ 
krankt sind, ist bei der atypischen Paralyse Lissauer’s die hochgradige Atrophie 
oft auf eine Stirnhälfte beschränkt. Dadurch kommen oft sehr erhebliche Ge¬ 
wichtsunterschiede zwischen beiden Hemisphären zu Stande. 

Bei der Dementia senilis giebt es übrigens eine der atypischen Paralyse 
Lissauer’s ganz entsprechende atypische Dementia senilis. Hierher gehören die 
senilen Aphasieen. 

Da es nicht nur eine, sondern zahlreiche atypische Formen der Paralyse 
giebt, würde es sich empfehlen, die von Lissauer beschriebene Form nicht 
kurzweg als atypische Paralyse, sondern vielleicht als Lisa au er’sehe Paralyse 
zu bezeichnen. 

Eine dritte Form ist schon früher als foudroyante Form bezeichnet worden. 
Sie ist klinisch gekennzeichnet durch einen an das Delirium acutum erinnernden 
Verlauf, also durch ausserordentliche Erregung und Unruhe bei erheblicher Be¬ 
nommenheit, pseudospontanen, manchmal fast choreatischen Bewegungen, histo¬ 
logisch durch über das ganze Gehirn verbreitete acute Veränderungen (acute 
GanglienxellVeränderungen , manchmal Schollenzerfall der Markscheiden, acute 
Wucherungen der Glia mit massenhaften Kerntheilungsfiguren, frische Infiltration 
der GefÜase mit Plasmazellen.) 

Eine vierte Form zeichnet sich durch vorzugsweises Erkranken des Klein¬ 
hirns aus. Nach neueren Untersuchungen (Raecke) erkrankt das Kleinhirn 
regelmässig bei der Paralyse, oft aber nur in mässigem Grade. Bei dieser Form 
handelt es sich aber um besonders schwere Atrophieen des Kleinhirns. Die ersten 
Symptome der Krankheit sind daher auch eine cerebellare Ataxie und Dreh- 
Schwindel. In einem Falle kam der Kranke mit der Diagnose „Kleinhirntumor“ 
in die Anstalt. Erst später traten die Symptome allgemeiner Paralyse wie bei 
der typischen Paralyse auf. 

Es giebt aber auch seltene Fälle, bei denen offenbar die Erkrankung der 
Sehhügel das primäre ist. Die Betheiligung der Sehhügel an der paralytischen 
Degeneration bedarf noch eingehenderen Studiums. Wie schon Lissauer an¬ 
gegeben bat, ist sie wohl in den meisten Fällen secundär. In einem Falle, bei 
dem während des Lebens eigentümliche Anfälle von choreaähnlichen Bewegungen 
bald der rechten, bald der linken Extremitäten ohne Bewusstseinsverlust auf- 


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gMreten waren, und bei dem sich bei der Section nur gans unmerkliche 
Atrophieeu der Hemisphären, bei der histologischen Untersuchung nur gans 
leichte Rindenerkrankung fand, zeigte sich eine so schwere Gliawucherung in 
den Kernen des Thalamus, dass sie durch eine secundire Degeneration nicht 
erklärt werden kann. Dabei waren die Thalamusveränderungen durchaus para¬ 
lytischer Natur. 

Als atypische Paralyse müssen weiter noch manche Formen bezeichnet 
werden, die sich an Tabes anschliessen. Ee mag wohl sein, dass die in ihrem 
Verlauf manches Abweichende bietende Tabesparalysen auch durch eine bestimmte 
Localisation der paralytischen Degeneration charakterisirt sind. Bis jetzt hat 
sich etwas Greifbares nicht herausfinden lassen. Dagegen fand sich bei zwei 
eigenartigen, hallucinatorischen Verwirrtheitszuständen bei alter Tabes überein¬ 
stimmend eine Localisation des paralytischen Degenerationsprooessee beschränkt 
auf die tieferen Rindenschichten im Gegensatz zu der typischen Paralyse, bei 
welcher die obersten Rindenschichten am ersten und stärksten erkranken. 

Schliesslich stellen auoh die senilen Paralysen (nach dem 60. Lebensjahr), 
die nach der histologischen Untersuchung nicht gans so selten sind, wie man 
bisher meist annahm, zum grössten Theil eine atypische Form dar. Sie zeigen 
klinisch oft ein der Dementia senilis ähnliches Krankheitsbild, die körperlichen 
Begleiterscheinungen treten mehr zurück, die Gliawucherung scheint im Ver¬ 
gleiche zu dem weitgehenden Ausfall der nervösen Elemente manchmal sehr un¬ 
erheblich. 

Damit sind aber nur die häufigsten und bemerkenswerthesten atypischen 
Formen der Paralyse skizzirt Es lässt sich hoffen, dass wir durch Hand in 
Handgehen der klinischen Beobachtung und histologischen Untersuchung immer 
weitere Fortschritte machen werden, nicht nur eine Paralyse zu diagnoeticiren, 
sondern auch angeben zu können, wo der paralytische Degenerationsprocess 
vorzugsweise localisirt ist. (Demonstration von Zeichnungen und Photographieen.) 

(Autoreferat) 

DiscuBsion. 

Herr Kräpelin (Heidelberg) hält die Mittheilungen des Vortr. für sehr 
interessant und werthvoll und fragt Vortr., ob derselbe auch bestimmte diagno¬ 
stische Unterscheidungsmerkmale zwischen der Demenz der typisohen Paralyse, 
der Lissauer’sohen Paralyse und der arteriosklerotischen Demenz angeben könne. 

Vortr. erwidert, dass es ausserordentlich schwer sei, bestimmte Kennzeichen 
anzugeben, welche als durchgreifende Unterscheidungsmerkmale zwischen der 
Demenz der typischen Paralyse, der Lissauer’sohen Paralyse und schliesslich 
der arteriosklerotischen Demenz verwendet werden können. Es ist leichter die 
Fälle, wie die spätere Section ausweist, im Leben riohtig zu diagnoeticiren, als 
seine eigenen Gründe für die Diagnose im einzelnen Falle in Worte zu bringen. 
Einiges habe er ja sohon angegeben. Er bemühe sioh fortgesetzt durch möglichst 
eingehende Untersuchungen des Gedächtnissinhalts, des Urteilsvermögens und 
durch genaue Abgrenzung der psychischen Ausfälle zu bestimmten Kennzeichen 
zu kommen, um an Stelle der jetzig noch vielfachen Eindrucks- oder „Gefühls¬ 
diagnose“ wirklichere, sichere Unterscheidungsmerkmale angeben zu können. Heute 
sei er es dazu noch nicht für alle Fälle im Stande. 

Im Uebrigen machte er noch auf andere Falle von Paralyse ähnlicher Er¬ 
krankung aufmerksam, die einer eingehenden Beachtung verdienen dürften. Es 
sind dies die gar nicht so sehr seltenen Fälle, bei denen man mit aller Berech¬ 
tigung die Diagnose auf Paralyse gestellt zu haben glaubt, die aber von einem 
gewissen Zeitpunkt an stehen bleiben und denen scheinbar nicht der gewöhnliche 
Ausgang der Paralyse beschieden ist. Er kenne solohe Fälle, die seit 11 Jahren 
dieselben geblieben sind. Auch sie stehen im Zusammenhang mit Lues. Nichts 


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aber spricht für luetische Herderkrankung. Ein Zusammenwerfen dieser Fälle 
mit der poetsyphilitisehen Demenz scheint ihm nicht genügend gerechtfertigt. 
Die Fälle kämen doch wohl auch anderwärts vor. Es wäre sehr verdienstlich, 
sie zu sammeln und wenn die Möglichkeit vorhanden ist, durch genauere histo¬ 
logische Untersuchungen festzustellen, ob wir es hier mit Paralyse zu thun haben. 

Herr Nissl (Heidelberg): Hysterisohe Symptome bei einflaohen Seelen- 
stOrangen. 

Die Beziehungen zwischen Hysterie und einfachen Seelenstörungen sind 
durchaus nicht klar. Meist unterscheidet man rein symptomatologisch selbst¬ 
ständige hysterische Psychen und Psychosen, die sioh auf dem Boden der Hysterie 
entwickeln. Kraepelin fasst die Hysterie als angeborene Störung auf, die sich 
dauernd wirksam zeigt, so dass es jeder Zeit zu körperlichen Störungen und zu 
specifischen Irreseinsformen kommen kann. Die dauernde Wirksamkeit des an¬ 
geborenen Zustandes zeigt sich im „hysterischen Charakter“. Eine eingehende 
Untersuchung dee Materiales der Heidelberger Klinik, speciell der Frauenabtheilung, 
vor und nach dem Jahre 1890 ergab das Resultat, dass die hysterische Psychose 
eine sehr seltene Krankheit ist, dass nur 1,5 °/ 0 der in die Heidelberger Klinik 
angenommenen Frauen an hysterischer Psychose litten, dagegen sind hysterische 
Symptome hei einfachen Seelenstörungen eine relativ häufige Erscheinung. Diese 
Symptome sind häufig ausserordentlich schwer von Hysterie zu unterscheiden. 

Die meisten „hysterischen“ Erscheinungen fanden sich bei der Katatonie, 
aber auch bei Manie und Involutionskrankheiten. Eine Verständigung über die 
Hysterie ist nach Vortr. nur zu erzielen, wenn an Stelle der symptomatologischen 
Betrachtungsweise die klinische tritt. Die Aenderung, die die Art der Auffassung 
hervorruft, geht aus den Zahlen der Heidelberger Klinik hervor, in der vor 
1890 13,8 °/ 0 , nach 1890 1,5 °/ 0 hysterischer Psychosen, vor 1890 bei 14,4 °/ 0 , 
nach 1890 hei 11,2 °/ 0 der kranken Frauen hysterische Symptome beobachtet 
worden sind. 

Herr Dr. M. Friedmann (Mannheim): Uebor die Grundlage der Zwangs- 
Verstellungen. (Ist in der Psycb. Wochenschr. ausführlich publicirt.) 

Die Lehre von den Zwangsvorstellungen befindet sich gegenwärtig in einer 
gewissen Unklarheit, und dies dadurch, dass es bei einem ansehnlichen Theil der 
immer wieder neu aufgestellten Unterformen nicht recht entschieden werden 
kann, oh sie wirklich in den Rahmen des Symptombegriffes hineingehören oder 
nicht. Aber auch bei den vielfachen, besonders von französischen Autoren aus¬ 
gehenden Versuchen, die einzelnen Factoren bei der Bildung der Zwangs¬ 
vorstellungen zu erkennen und auseinander zu halten (Disharmonie der Asso¬ 
ciationen, Emotion, intellectuelle Störung, vasomotorische Störungen), will es nicht 
recht gelingen, die thatsäohlichen genetischen Verhältnisse zu entwirren. Der 
Grund ist der, dass in Wahrheit nur Habitusdefinitionen des Symptoms existiren, 
nicht ausgenommen die an sich trefflich klare Westphal’sche. Bei Betrachtung 
seiner eigenen Erfahrungen gelangt Vortr. zu einer völlig neuen Auffassung des 
Symptoms, welche die psychologische Grundlage desselben zu erkennen ge¬ 
stattet Die jetzt gültige, aber noch kaum wissenschaftlich untersuchte Theorie 
nimmt stillschweigend an, dass der Zwang nicht nur das hauptsächliche, sondern 
auch ein primäres psychologisches Element hierbei darstellt; das Wesentliche 
sei demnach eine lebhafte Verstärkung und eine Art Empörung des Erinnerungs- 
uad Vorstellungsproceeses an sich, die Vorstellungen kommen und drängen sich 
such nicht gerufen durch regelrechtes assooiatives Denken, man kann vergleichs¬ 
weise sagen, es sei ein Vorstellungs- oder Erinnerungskampf, eine Tetanisirung 
der Aufmerksamkeit vorhanden. Diese Annahme mag für einen Theil der activen 
Zvangsimpulse gelten, aber nicht für die Zwangsvorstellungen, welche 


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grundaätzlich von jenen za trennen sind. Der Haupteinwand dagegen 
ist der, dass der Denkzwang nur bei bestimmten Kategorieen der Vorstellungen 
vorkommt, und namentlich nicht bei der typischsten Gattung, der gewöhnlichen 
Erinnerung abgelaufener Geschehnisse. Hier kann in seltenen Fällen jener auch 
von Löwenfeld beschriebene Denkzwang in Form der Ausmalung von Situations¬ 
bildern Vorkommen, welche durch die Phantasiethätigkeit erzeugt wird; aber z. B. 
die einfache Erinnerung eines noch so schrecklichen Erlebnisses (etwa unver- 
muthetes Antreffen eines Erhängten, frühere Krankheit, Verlust eines Kindes), 
solche Dinge reizen und regen nur auf, aber die Erinnerung verblasst und wurde 
noch nie unter 100—200 Fällen Vortr. zur wahren Zwangsidee. 

Sie können das freilich werden, vorher aber haben sie eine bezeichnende 
Umwandlung erlitten, sie schauen nunmehr in die Zukunft. Der Schrecken 
beim Anblick eines epileptischen Anfalles z. B. hat dann geführt zur Furcht, 
selbst etwas Aehnliches zu erleiden. Aebnlich verhält es sich mit der fixen Idee. 
Wenn diese z. B. eine depressive Selbstanklage, auch ihren Träger quält und be¬ 
lästigt, so tritt die Vorstellung doch nur hervor, wenn der Fat. auf associativem 
Wege daran erinnert wird; ihr Inhalt, nicht der „formale“ Drang ist maass¬ 
gebend für die Belästigung. Aber es können auch gewisse fixe Ideeen zwangs- 
mässig sich auf drängen, und dies wieder dann, wenn sie auf die Zukunft schauen; 
die meisten hypochondrischen Befürchtungen gehören hierher, ferner die „Er- 
wartungsangst“, wie dies Vortr. nennt, beim Melancholiker, z. B. dass Gensdarmen 
kommen und den Pat. ins Gefängniss abfähren u. A. Bezeichnet man den Unter¬ 
schied zwischen der fixen Idee und der Zwangsidee noch genauer und in der 
Form der Logik, so ist die letztere eine Idee, welche dem sonstigen Denkinhalte 
nicht angegliedert wird, welche nicht die Form der fertigen Urtheils- 
association gewinnen kann, wie dies bei der fixen Idee geschieht Hier 
z. B. weise der Pat, dass seine Frau untreu ist oder war, er ist eifersüchtig, 
dort fürchtet er es nur, er stellt sich die Möglichkeit vor zugleich mit den 
Gegengründen. 

Alle Zwangsideeen gehören nun generell der grossen Gruppe der unab¬ 
geschlossenen Vorstellungen an, bei welchen der Denkact nicht zu Ende 
gedacht werden kann, sei es aus logischen, sei es in Folge thatsächlicher Hinder¬ 
nisse. Diese Vorstellungen bedrängen aber bereits in der Norm ihren 
Träger, und zwar sind das folgende vier Classen: Die Sorgen und Befürch¬ 
tungen, der Zweifel, die Erwartung und die an sich isolirte und unverstandene 
Vorstellung, z. B. eine einfache abnorme Empfindung. Allen gemeinsam ist die 
Ungewissheit Eine unabgeschlossene Vorstellung nämlich ist ein logisches 
Unding. Es besteht das psychologische Grundgesetz des Assooiationszwanges 
einerseits und des Zwanges zum Fortschreiten des Denken andererseits. Jenen 
Associationszwang bezeugen die drängenden „Woher-“ und „Warum-“fragen unserer 
Kinder und andererseits die Unruhe und Furcht vor dem Unverstandenen. Daher 
der Aberglaube und die abergläubische Panphobie des Naturmenschen, daher der 
Drang zum wissenschaftlichen Forschen, der Causalitätstrieb. Fehlt nun die 
Association, kennen wir das Ergebnis« eines Zweifels und den Ausgang eines 
Geschehnisses (z. B. einer Erkrankung) nicht, so entsteht der Affect der Erwartung, 
der Ungeduld, der Sorge. Zugleich aber schreitet das Denken nicht vorwärts, die 
Sorgen erregende Vorstellung drängt sich gewaltthätig immer wieder in unser 
Bewusstsein, sie pocht so zu sagen an dessen Pforten. So ergiebt sich der 
formale Drang der unabgeschlossenen Vorstellung. Dadurch aber weiter, dass 
sie identisch sich wiederholt, reizt und quält sie das Gehirn, welches 
gerade gegen die identische Wiederkehr von Reizen besonders intolerant ist: es 
ist, wie wenn man stets an gleicher Stelle mit dem Kopf gegen ein Hindemias 
anrennt, daher die Angst und Pein der Zwangsvorstellung. 


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Damit ist nur die normale Grundlage des Symptoms bezeichnet. Ganz kurz 
ist aber noch za sagen, dass es dreierlei differente pathologische Bedingungen 
für sein Auftreten giebt: entweder es ist nur die normale Intoleranz gegen 
Sorgen und Erwartungsvorstellungen erhöht; eine berechtigte Sorge, z. B. Furcht 
der Gravidität zur Zeit der Menopause, wird dann förmlioh gesetzt, sie er¬ 
füllt alles Sinnen and Trachten der Patienten. Das sind die emotiven Formen 
bei der Nervosität. Oder aber zweitens die Erregung wirkt nicht reizend, 
sondern erschöpfend und lähmend; dann ist gerade das Abschlüssen eines 
Gedankens gehemmt, die Handlung kommt nicht hinaus über das Vorhaben 
imd Vornehmen, besonders dann, wenn sie schon einmal missglückt ist. Dazu 
gehören die meisten sogen. Phobieen. Aber es kann die Steigerung der Bedenken 
geradezu zur Intoleranz gegen den Abschluss eines logischen Actes führen, zur 
Furcht vor den Consequenzen. Hier ist dann rückwärts der Zweifel ent¬ 
standen, ob die Person kein Unheil angerichtet habe, die Irrthumsangst; somit 
ist wiederum eine unabgeschlossene Vorstellung, ein Zweifel, im Vordergründe. 
Drittens kann bei psychopathischen Naturen jene Grundeigenschaft des Denkens, 
der Drang zum Fortsohreiten gehemmt sein. Das Denken klebt überall 
fest, die Aufmerksamkeit wird auf Nebendinge ebenso gefesselt wie auf Haupt¬ 
sachen, der Pat. dreht sich anhaltend im gleichen Kreise und rückt nicht von 
der Stelle. Ganz besonders scheitert aber sein Gedankenlauf an der Stelle, wo 
ja anch der Normale gebaut wird, an Zweifeln und Sorgen. Und da Alles ihn 
fesselt, auch das Unwichtige, so gleitet er nicht über Räthselhaftes hinweg, wie 
es andere Menschen gelernt haben. Daher sein Grübelzwang, vergleichbar der 
Fragesucht des Kindes. Sein Kleben drängt ihn zu mechanis chen Reactionen, 
x. B. sonderbarem Buchstabiren, ewigem Neuordnen seiner Habseligkeiten u. s. w. 

Herr Arndt: Zur Geschichte der Katatonie. (Der Vortrag wird aus¬ 
führlich publicirt werden.) 

Vortr. giebt einen Ueberblick über die Entstehung und Entwickelung des 
Begriffes Katatonie und zeigt die Entstehung des Verlustschemas der Katatonie, 
ihres wichtigsten Syndroms, der sogen. Melancholie atonita, und des motorischen 
Symptomencomplexes. Die Katatonie ist die Zusammenfassung der bisherigen 
Beobachtungsreeultate auf Grund der von Kahlbaum in Deutschland zuerst 
principiell durch geführten Methode auf dem Wege klinischer Forschung natürliche 
Krankheitseinheiten aufzustellen. In den Umrissen wurde die Katatonie 1863 in 
der Gruppirung der psychischen Krankheiten von Kahl bäum festgelegt. In dem¬ 
selben Werke ist die andeutende Beschreibung der Hebephrenie enthalten, welcher 
Krankheitsbegriff, durch Hecker ausführlich bearbeitet, von Kraepelin mit der 
Katatonie verschmolzen wurde. Die Entwickelung des Begriffes Katatonie knüpft 
sich an die immer deutlicher werdende Thatsacbe der schlechten Prognose, des 
degenerativen Wesens und des Zusammenhanges mit der Hebephrenie an. Ent¬ 
stehung und Entwickelung erinnern an die Geschichte der Paralyse. 

(Fortsetzung folgt) 

Dr. Lilienstein (Bad-Nauheim). 


Aentlioher Verein zu Hamborg. (Biologische Abtheilung.) 

Sitzung vom 3. December 1901. 

Herr Saenger: Ueber intermittirendee Hinken. (Vergl. Autoreferat im 
Neurolog. Centralbl. 1901. S. 1067.) 

Disoussion: 

Herr Heinrich Embden: Die Abhängigkeit des intermittirenden Hinkens 
von der Gefäßerkrankung steht fest. Ebenso sicher aber erscheint es, dass noch 


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irgend welche besonderen Momente, vielleicht nur besondere Localisationen der 
Gefässveränderung, hinzukommen müssen, um bei diesen das heute besprochene 
Krankheitsbild entstehen zu lassen. Dafür spricht die relative Seltenheit des 
intermittirenden Hinkens gegenüber der sehr häufigen Verkalkung und Sklerose 
der Arterien in den unteren Extremitäten. Das besondere Element in einer 
„neuropathischen Diathese“ zu suchen, dafür scheint noch keine genügende Ver¬ 
anlassung vorzuliegen. — E. wendet sich bei dieser Gelegenheit gegen den Miss* 
brauch, der mit der Statuirang der „neuropathischen Diathese“ in wachsendem 
Maasse getrieben wird. Irgend eine nervöse Erkrankung im Vorleben des Pat. 
oder irgend eines Verwandten, irgend eine Sonderbarkeit, genügt vielen Autoren, 
um den an sich übrigens ziemlich inhaltlosen Begriff „neuropathische Diathese“ 
zu citiren. — Ebenso verhält es sich mit der Statuirang der erblichen Belastung. 
Erst neuerdings fängt man an, bei medioinischen Erblichkeitsstudien die Methoden 
der Genealogen anzuwenden. Die Pferdezüchter sind auf diesem Gebiete exacter 
als die Aerzte; von ihnen liesse sich für die Methodik vieles lernen. — Gegen 
die ätiologische Bolle der nervösen Disposition beim intermittirenden Hinken 
dürfte auch die Thatsache sprechen, dass bei der Angina pectoris, die man nicht 
mit Unrecht als das „intermittirende Hinken des Herzens“ bezeichnet hat, die 
„neuropathische Diathese“ keine nachweisbare Bolle spielt. — Zum Schluss theilt 
E. die Geschichte einer jungen Frau mit, welohe im übrigens normalen Wochen¬ 
bette einem dem intermittirenden Hinken analogen Symptomencomplex im rechten 
Arm acquirirte, wie er in anderer Form auch schon von Hm. Saenger erwähnt 
wurde. — Der Arm war in der Buhe von normalem Aussehen und vollkommen 
schmerzfrei; bei jeder Thätigkeit aber wurde er blass und schmerzhaft. Die 
Untersuchung ergab völliges Fehlen des Pulses in den Aa. brachialis, radialis und 
ulnaris. Es steht fest, dass der Radialpuls früher vorhanden war. Die subjec- 
tiven Störungen haben sich ganz langsam, aber nicht vollständig ausgeglichen; 
der Puls ist nicht wiedergekehrt. Ob es sich um eine Embolie bei occulter 
Endocarditis handelt, steht dahin; die Frau erfreut sich einer tadellosen Allgemein- 
gesundheit. Eine Angioneurose scheint ausgeschlossen zu sein. — Neue ana¬ 
tomische Untersuchungen, deren erst sehr spärliche vorliegen, können allein die 
Frage nach der Pathogenese des intermittirenden Hinkens beantworten. Dabei 
wird man besonders genau auf die Localisation der Gefässveränderungen achten 
müssen. (Autoreferat.) 

Herr Böttiger demonstrirt gleichfalls das Böntgenbild eines Patienten mit 
Claudication intermittente. Die Art. tibialis poetica zeigte in ihrem ganzen Ver¬ 
laufe Verkalkungen. Der Pat. ist ein 65jähr. Kaufmann, der seit etwa einem 
Jahr bemerkt, dass sein rechter Fuss und Unterschenkel leichter einschläft; seit 
etwa 3—4 Monaten bestehen die Symptome des Hinkens. Aetiologisoh kommt 
bei ihm nur Ueberanstrengung der Beine in Betracht; er ist seit 52 Jahren in 
einem bedeutenden Ladengeschäft von früh bis Abends spät stehend thätig. Die 
Schmerzen treten vorläufig nur im rechten Bein auf. Der Puls der linken Poplitea 
ist kräftig, der der rechten gar nicht fühlbar; die Dorsalis pedis ist beiderseits 
kaum fühlbar. Bemerkenswerth und ätiologisch vielleicht nicht ganz unwichtig 
ist die Thatsache, dass der Pat schon seit jüngeren Jahren ausgedehnte Krampf¬ 
adern an dem jetzt erkrankten rechten Unterschenkel hat; links fehlen solche 
durchaus. (Autoreferat.) 

Herr Wiesinger: Auf eine Bemerkung Saenger’s, dam« bei mehreren der 
von ihm beobachteten Fälle von intermittirendem Hinken von chirurgischer Seite 
Plattfusseinlagen ohne Nutzen verordnet gewesen seien, führt W. aus, dass auch 
er bei ausgesprochenen Fällen von intermittirendem Hinken keinen Nutzen von 
Plattfusseinlagen erwarte oder gesehen habe, dass aber Zustände Vorkommen, die 
viel Aehnlichkeit mit dem geschilderten Leiden haben, bei welohen Plattfuse- 


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«ulagen mit Nutzen angewendet werden könnten. In zweifelhaften, nicht aus¬ 
gesprochenen F&llen sei daher gewiss der Versuch gerechtfertigt, durch derartige 
Bandagen Erleichterung zu schaffen. (Autoreferat.) 

Herr Deutschländer weist auf ein Krankheitsbild hin, welches in differential- 
diagnostischer Hinsicht erwähnt zu werden verdiene, und das in gewissen Fällen 
einen ähnlichen Symptomencomplex zeigt, wie das intermittirende Hinken, wenn 
freilich ein Angiospasmus hierfür nicht verantwortlich zu machen sei. D. meint 
das Frühstadium der Arthritis deform ans ooxae. Auch hier handelt es sich um 
Patienten in den 40 er oder 50 er Jahren in gutem Ernährungszustände. Auch 
hier trete in gewissen Fällen, wenn die Patienten eine Zeit lang in Bewegung 
seien, ein derartig starkes und schmerzhaftes Hinken auf, dass sie genöthigt wären, 
sieh auszuruhen, worauf dann das Gehen wieder besser wurde. Erst jüngst seien 
einige Fälle dieser Art veröffentlicht worden (Becher: Zur Frühdiagnose der 
Arthritis deformans coxae. Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47). Das 
objective Unterscheidungsmerkmal bestehe bei diesen Fällen in der Beschränkung 
der Abduction in der erkrankten Hüfte. — Was die Therapie anbetrifft, so em¬ 
pfiehlt D., beim angiospastisohen Hinken einen Versuch mit Schienenhülsenapparaten 
zu machen, die das Bein beim Gehact entlasten und mit denen auch bei der 
Arthritis deformans der Höfte oft recht erhebliche Besserungen erzielt worden 
•eien. (Autoreferat.) 

Herr Just wendet sich gegen die von Herrn Saenger und Embden auf- 
gestellte Analogie zwischen intermittirendem Hinken und Angina pectoris, indem 
er darauf hinweist, dass das intermittirende Hinken nach Angabe der Beobachter 
stets nach längerer, starker Arbeit der Muskeln eintrat, während doch die An¬ 
fälle von Angina pectoris, wenn auch nicht immer, so doch mit besonderer Häufig¬ 
keit während des Schlafes eintreten. (Autoreferat.) 

Herr Kaes: Herrn Embden muss ich mit seiner Behauptung entgegen- 
treten, dass von Seiten der Aerzte mit der Heranziehung der nervösen Disposition 
and der erblichen Belastung als ätiologisches Moment ein wahrer Unfug getrieben 
werde. Für die Psychiatrie treffe dies bei der erblichen Belastung nicht zu, denn 
das erbliche Moment sei thatsächlich ein derartig allgemeines und drastisches, 
dass von einer missbräuchlichen Heranziehung keine Bede sein könne. Allerdings 
treffe dies nur für die sog. Function aller Psychosen zu, während bei anderen, 
wie z. B. bei der allgemeinen Paralyse, wo die Lues als ätiologischer Factor im 
Vordergründe stehe, die Heredität allerdings mehr zurücktrete. (Autoreferat.) 

Herr Embden: Herr Kaes hat mich missverstanden. Ich habe durchaus 
nicht die Bedeutung der Erblichkeit für das Zustandekommen vieler Psychosen 
geleugnet. Nur gegen die Leichtfertigkeit, mit welcher häufig auf Grund ganz 
aageoögenden Materials im einzelnen Falle von erblioher Belastung gesprochen 
wird, habe ich mich gewandt. 

Harr Fraenkel weist darauf hin, dass alle die Circulation in den unteren 
Extremitäten beeinträchtigenden pathologischen Vorgänge zu dem Symptom des 
intermittirenden Hinkens führen können und erinnert an einen später zur Section 
gekommenen Fall von Aneurysma der Bauchaorta, wo dasselbe sehr exquisit be¬ 
standen habe. Er fragt weiter, ob die Angaben von Erb über die Fühlbarkeit 
des Pulses der Hüftarterien von Anderen bestätigt seien und hebt hervor, dass 
ihm das Fühlen des Pulses speciell der Art. tibialis postica kaum je gelungen sei. 
Es erkläre sich das auch ungezwungen aus der tiefen Lage dieses Gefässes in der 
feg. malleolaris intern. Die Art. dorsalis pedis dagegen sei gut fühlbar und 
nicht selten sogar sichtbar. Ein Vergleich des Herzens bei Coronar-Arterien¬ 
erkrankung und der unteren Extremitäten in Fällen von sogen, intermittirendem 
Hiahen sei doch nur sehr bedingt zulässig, denn dort habe man es mit einem 
dem Willen entzogenen, continuirlich arbeitenden, von Endarterien versorgten 


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Muskel zu thun, hier mit willkürlichen Muskeln, welche durch eine glänzende 
Gefässversorgung ausgezeichnet sind. Fr. erörtert schliesslich, unter Vorzeigung 
von Zeichan g en und einer Röntge npt atte, eingehend die Unterschiede zwischen 
Arteriosklerose und den durch sog. Mediaverkalkung gesetzten Arteneoveriade- 
rangen. (Autoreferat.) 

Herr Bertelsmann meint, dass sich der Sohmerz beim intermittirenden Hinken 
vielleicht mit dem Schmerz vergleichen lasse, der entsteht, wenn man bei einem 
nicht narcotisirten Patienten die Esmarch’sche Blutleere anwendet. 

(Autoreferat.) 

Herr Haffner weist darauf hin, dass sich ausgedehnte Arterienverkalkung 
ziemlich häufig als Nebenbefund bei der Radiographie von Verletzungen älterer 
Personen an den unteren Extremitäten zeige, bei Leuten, die als Kohlenarbeiter, 
Schauerleute u. s. w. seit Jahren die schwerste Arbeit leisten, ohne alle Beschwerden. 

Herr Mönckeberg demonstrirt an zwei mikroskopischen Präparaten die 
Unterschiede zwischen Mediaverkalkung der peripheren Gefässe und Arteriosklerose. 

(Autoreferat.) 

Herr Saenger (Schlusswort) freut sich, dass Herr Boettiger in seinem Falle 
ebenfalls eine Ueberanstrengung der Beine als ätiologisches Moment gefunden habe, 
weil dies bisher zu wenig betont worden sei. — Herrn Wiesinger’s Berner* 
kung gegenüber hebt er hervor, dass seine drei Patienten mit intermittirendem 
Hinken PlattfÜsse hätten, und dass nur daraufhin dieselben längere Zeit von 
chirurgischer Seite behandelt worden waren, ohne dass sie Erleichterung ihrer 
Beschwerden gefunden hatten. — Den von Herrn Deutschländer erwähnten 
Symptomencomplex im Frühstadium der Arthritis deform ans coxae habe er nicht 
beobachtet In seinen Fällen dieser Erkrankung sei der Schmerz heim Beginn 
der Bewegung aufgetreten und habe allmählich während des Gehens nachgelassen. 
Also ein ganz entgegengesetztes Verhalten wie beim intermittirenden Hinken. 
Der Empfehlung, letzteres mit Hülfe von Schienenapparaten zu behandeln, steht 
S. sehr skeptisch gegenüber. — Vor allen dankt S. Herrn Fraenkel dafür, dass 
er, als pathologischer Anatom, die vorgetragene Ansicht der scharfen Unter¬ 
scheidung der Arteriosklerose von der Arterienverkalkung bestätigt und durch 
Demonstration von ausgezeichneten Röntgenbildern erhärtet habe. Ferner dass 
er seinen Assistenten Herrn Mönckeberg veranlasst«, beweisende mikroskopische 
Präparate vorzuzeigen. Bisher sei nämlich diese so scharfe Trennung der beiden 
Erkrankungen durchaus noch nicht in das Bewusstsein der Aerzte gedrungen. 
Was die Fühlbarkeit des Pulses in der A. tibial post, betrifft, so habe S. des 
öfteren dieselbe ebenfalls beim normalen Menschen vermisst. — Zum Schluss be¬ 
spricht S. noch einmal das zu Stande Kommen des Schmerzes, den er als ischämi¬ 
schen Muskelschmerz ansieht Trotz der Einwürfe hält er an der Analogie mit 
dem Schmerz hei der Angina pectoris fest Endlich empfiehlt S., in allen Fällen 
von intermittirendem Hinken eine Röntgenaufnahme machen zu lassen, um 
festzustellen, ob eine Verkalkung der Arterien vorliege. In Fällen 
mit negativem Resultate auf der Röntgenplatte kann es sich um arterio¬ 
sklerotische (ev. luetische) oder angiospastische Zustände der Gefässe 
handeln, deren Prognose viel günstiger sei, als die der Arterienverkalkung. 

_ (Autoreferat) 

Sooidtd de neurologie de Paris. 

Sitzung vom 18. April 1901. 

(Fortsetzung.) 

Herr Georges Guillain: Hysterisohe Aphasie mit Krankenvorstellung. 
(Der Fall wird in der Revue neurologique erscheinen.) 

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Herr E. Lenoble und Herr E. Aubineau: Zwei Fälle einer familiären 
Krankheit, die eie ein Mittelglied swisohen der Pierre Marie’sohen und 
der Priedreioh’schen Krankheit an betrachten lat. (Diese Mittheilung wird 
in extenso in der Revue neurologique erscheinen.) 

Herr Cestan und Herr Infroit: Radiographische Untersuchung eines 
Falles von Aohondroplasie, (Demonstrirung von Radiogrammen.) 

Es handelt sich um ein 8 jähriges Mädchen aus der Klinik des Herrn Prof. 
Raymond. Die Krankheit war congenital, charakterisirt durch Mikromelie, 
Rhizom elie, Makrocephalie. Der Rumpf war von normaler Grösse. Die Radio- 
skopie bestätigt die Diagnose von Aohondroplasie. Die Knochen des Schädel¬ 
daches erscheinen verdickt. Die Wirbelsäule und die Rippen sind von normaler 
Farm. Das Becken ist in beiden seinen Durchmessern verengt. Die Schulter¬ 
blätter erscheinen ebenfalls an Volumen reduoirt. Die aber am meisten charak¬ 
teristischen Veränderungen sieht man an den langen Knochen, besonders an den 
Wurzeln der Glieder, d. h. an den Humeri und an den Oberschenkelknochen. Die 
Diaphyse ist kurz, erscheint aber von normaler Dicke. Sie ist gekrümmt wie 
in Fallen von Rhachitis. Die Incurvation geht vor sich an der Vereinigungs¬ 
stelle der DiaphyBe mit der Epiphyse, wie auoh in den Fällen von Pierre 
Marie. Die Diaphyse ist von glatter Oberfläche ohne Osteophyten. Die Epi¬ 
physen sind beträchtlich an Volumen vergrössert, kugelförmig und erscheinen zu 
gross för die verhältnissmässig winzigen Gelenkgruben. Die Epiphysen sind un¬ 
durchsichtiger als unter normalen Bedingungen, und man sieht hier nicht diesen 
lichten scharfbegrenzten Streifen von ossificirendem Knorpel, den man bei einem 
normalen 8 jährigen Kinde sonst sieht. Aehnliehe epiphysäre Störungen con- 
statirt man auch an den Vorderarmen und an den Unterschenkeln, aber viel 
weniger ausgeprägt. Die Fibula und der Radius sind weniger lädirt als die Tibia 
und die Ulna. Die Fovea supratrochlearis posterior ist verengert, das Olecranon 
stark verdickt, und das obere Ende des Radius in abnormer Lage. Es entsteht 
dadurch die Unmöglichkeit, den Vorderarm vollständig zu strecken sowie die 
vollständige Supination auszuführen. R. Hirsohberg (Paris). 


V. Mittheilung an den Herausgeber. 

Mit Bezug auf die Aeusserungen von Prof. Bernhardt in diesem Centralbl. 
(1901. S. 1130) muss ich bemerken, dass in meiner Zuschrift von referirenden 
neurologischen Fachblättern die Rede ist, zu denen das Centralbl. f. med. 
Wissensch. nicht gehört. Ich verweise daselbst ferner auf die grossen Handbücher 
der Nervenkrankheiten, vor Allem auf die Werke von Gowers, Oppenheim 
und die neueste Auflage von Dejerine. Dass auch an anderen Orten sich 
nirgends Hinweise auf die Arbeiten von Dinkler und Geigel vorfinden, habe 
ich nicht behauptet. Bernhardt hatte also, sollte man meinen, keinen rechten 
An l a ss zu einer Entgegnung auf meine Zuschrift, zumal er selbst mit Bezug 
auf die Frage der Bauchreflexe nur fremde Anschauungen wiedergiebt, ohne 
letzteren von sich aus etwas hinzufügen zu können. Wenn er nun trotzdem 
mit besonderem Nachdrucke hervorhebt, die Arbeiten von Dinkler und 
Geigel wären von ihm in seinem Buche über Erkrankungen der peripheren 
Nerven, Theil I 1 ausführlich berücksichtigt worden, so ist hierzu Folgendes 
m bemerken. Auf S. 36—37 seines Buches spricht Bernhardt zuerst von 
Dinkler's und sodann von Geigel’s Arbeit, wobei mit Bezug auf den Erst- 
geaannten es folgendermaassen heisst: „Bei Gesunden sind nach diesem Autor 


1 Wien, 1895. Hölder. 


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bei geeigneter Untersuchung (Reizapplication im Epi-Meeohypogastrium, event. 
Leistengegend) auf jeder Seite des Bauches drei gesonderte Beflexzuckungen aus- 
zulöeen; der obere, mittlere und untere Bauchreflex.“ Nach Bernhardt wäre 
also diese Sonderung des Bauchreflexes in mehrere Einseireflexe als Dinkler 
gehörend zu betrachten, während doch wohlbekannt ist, dass schon viele Jahre 
vor Dinkler’s Arbeit Oowers in seinem bekannten Werke 1 den epigastrischen 
Reflex von dem eigentlichen Baachreflex geschieden und die Constanz des ersteren 
hervorgehoben hat* Die gleiche Uebergehung des Autors, der zuerst den oberen 
Bauchreflex von den übrigen Reflexen der Bauchgegend unterschieden hat, findet 
sich auch bei Dinkler. 8 Da nun die erwähnte Veröffentlichung Dinkler’s trotz 
der unrichtigen Behauptung des letzteren selbst 4 später erschienen ist als die 
Arbeit Geigel’s 8 , welcher ebenfalls einen epigastrischen, einen abdominalen und 
einen Obliquusreflex unterscheidet, so ist klar, dass die in Rede stehende Ab« 
sonderung des Bauchreflexes in einen oberen, mittleren und unteren nicht 
Dinkler gehört, sondern vor Allem ein Verdienst von Gowers und Geigel 
darstellt. Von diesen beiden Autoren aber wird bei Bernhardt der erster« 
überhaupt nicht, der letztere erst im Anschlüsse an Dinkler’s Arbeit angeführt. 

Zum Schlosse muss ich betonen, dass der von mir beschriebene hypogastrisohe 
Reflex nicht identisch ist mit Dinkler’s unterem Bauchreflexo. Letzterer 
besteht nach meinen Beobachtungen noch aus zwei getrennten Reflexen, einem 
oberen, der durch Reizung der Seitentheile der unteren Bauchgegend auszulösen 
ist, und einem unteren, von mir als hypogastrischer Reflex beschriebenen, der bei 
Reizung der Innenfläche des oberen Abschnittes des Oberschenkels auftritt Dieser 
untere hypogastrische Reflex entspricht dem Obliquusreflex von Geige 1, aber 
der auch von Gehuohten 0 getheilten Anschauung Geigels, wonach dieser Reflex 
ein vollständiges Aequivalent oder Homolog des Cremasterreflexes bei Frauen dar¬ 
stellen soll, kann ich nicht zustimmen, da aus meinen Beobachtungen hervor¬ 
geht, dass beim männlichen Geschlecht« der Cremasterreflex und der untere hypo¬ 
gastrische Reflex getrennt dargestellt werden können. W. v. Bechterew. 


VI. Vermisohtes. 

Der IV. Band des Jahresberichts über die Leistungen und Fortschritte 
auf dem Gebiete der Neurologie und Psychiatrie ist erschienen. Derselbe enthält 
die Referate der im Jahre 1900 erschienenen Arbeiten. Er ist um 151 Seiten weniger um¬ 
fangreich als der III. Band, deshalb auch handlicher als jener. Es rührt dies hauptsächlich 
daher, dass in diesem Jahrgang die Sitzungsberichte nicht referirt sind; der wesentliche 
Inhalt derselben ist in Original mittheilungen wiedergegeben und erfährt somit entweder im 
vorliegenden oder im nächsten Bande eine Besprechung. 


1 Diagnostic of diseases of spinal cord. S. 18. (Deutsche Ausgabe. Wien, 1885. 8. 19.) 

* Eine Angabe betreffs der Möglichkeit, auf reflectorischem Wege Zuckungen im Ge¬ 
biete des Epigaatrium auszulösen, finden wir auch bei O. Rosenbach (Archiv f. Psych. 
1876. S. 846), doch macht dieser Forscher in seinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen 
keine Sonderung des epigastriscben vom Bauchreflex. 

* Zeitschr. f. Nervenheilk. 1892. Heft 4. 8. 825—850. 

4 8. Neorolog. Centralbl. 1901. Nr. 15. 

s 8. Deutsche med. Wochenschr. 1892. S. 166—167. 

* Növraxe. I. Fase. 3. S. 251. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vzit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wime in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben yod 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

EiBBDdxwanEigster li0!]iTL Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct ron der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 1. Februar. Nr. B. 


Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst 
einem Obductionsbefund (Dr. E. Flatnu), von S. Goldflam in Warschau. 2. Ueber den Augen¬ 
reflex oder das Augenphänomen. von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg. 3. Der 
Cirneo-mandibularreilex, von Dr. Friedrich von SOIder. 4. Ein Fall von infantiler Tabes, 
ron Dr. Martin Bloch in Berlin. 

II. BibliognM>hie. 1. Syphilis und Nervensystem. 17 Vorlesungen von Dr. M. Nonne. 
2. Die Entmündigung Geisteskranker, von Amtsrichter Dr. Otto Levis. 3. Entlassungszwang 
und Ablehnung oder Wiederaufhebung der Entmündigung, von E. Schnitze. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — XXX II- Jahresversammlung der südwestdeutschen Irrenärzte in Karlsruhe am 
2. und 3. November 1901. — Society de neurologie de Paris. — Gesellschaft der Neurologen 
und Irrenärzte zu Moskau. — Aus den wissenschaftlichen Vereinigungen der Aerzte an dir 
.Vervenklinik zu Kasan. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau). 

Von S. Goldflam in Warschau. 

Von allen zur Bezeichnung dieser Krankheit vorgeschlagenen Namen, wie 
Bolbärparalyse ohne anatomischen Befand, bulbäre Neurose, myasthenische Para¬ 
lyse (Oppenheim), Myasthenia gravis pseudoparalytica (Jolly), asthenische Bulbär- 
paraiyse (Strümpell), allgemeine schwere Myasthenie (laqüeb), krankhafte 
Mnskelennödbarkeit, schlechtweg Myasthenie (Unvebricht) 1 u. a. m., scheint 

* Es wird sich vielleicht empfehlen, für diese abnorme Ermüdbarkeit einen ent¬ 
sprechenden griechischen Terminus einzuführen. Die Asthenie (von do&aveia, Schwäche, 
Mattigkeit) bezeichnet eigentlich den Dauerzustand von Schwäche, Müdigkeit, entspricht 
aber nicht dem Begriff Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit, der potentiellen Ermüdung, der 
Erschöpfbarkeit während der Action. Für diesen Begriff scheint mir das Wort „apokam- 
(von and nnd sdjuvo» = mühsam und mit Anstrengung verfertigen, arbeiten, zu 
Stande bringen) besser zu passen. 

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mir die von Fajersztajn 1 gebrauchte und von S. Kalischeb empfohlene Be¬ 
zeichnung „asthenische Lähmung“ einstweilen den Vorzug zu verdienen, da sie 
über den Sitz und das Wesen der Krankheit nichts präjudicirt und auf das hervor¬ 
stechendste Symptom hinweist. 

Die asthenische Lähmung hat bei den Aerzten ein lebhaftes Interesse 
erweckt; es sind seit ihrem Bekanntwerden zahlreiche Beiträge erschienen, und 
sie hat sich schnell auch in den Lehrbüchern das Bürgerrecht erworben. 
Alle Autoren schreiben Erb das grosse Verdienst zu, die Besonderheit und 
Eigenstellung der asthenischen Lähmung erkannt zu haben, das noch um so 
grösser ist, als er keinen Sectionsfall zur Verfügung hatte und lediglich auf 
Grund klinischer Thatsachen die asthenische Lähmung aus der Gruppe der 
Bulbärlähmungen herausschälte. Ich will alle Autoren nicht anführen, die sich 
mit der asthenischen Lähmung beschäftigten — es ginge über mein Ziel hinaus —, 
und nur Wilks, Oppenheim 3 , Hoppe, Jolly, Strümpell, Murri, Pineles 
nennen, die sich um diese Lehre besondere Verdienste erwarben. Oppenheim 

1 Neurolog. Centralbl. 1896. 

* Oppenheim meint, ich hätte seine und Hoppb’s Verdienste, wenn auch nicht ganz 
übersehen, so doch überaus wenig beachtet. Dieser Vorwurf ist ganz ungerechtfertigt, da 
die in Frage stehenden Arbeiten in meiner Publication die ihnen gebührende Würdigung 
fanden. Ebb hat auf Grund der klinischen Daten allein, trotz der Verschiedenheit, die 
seine 3 Fälle boten, dennoch ihre Zusammengehörigkeit zu einer Gruppe erkannt und auf 
einige ungewöhnliche Symptome, so die Ptosis, Parese der Kau-und Nackenmuskeln u.s.w. 
hingewiessen. Dass Ebb das später von Oppenheim so stark betonte — übrigens negative 
— Symptom, nämlich das Fehlen der Atrophie und elektrischen Entartungszeichen nicht 
mit Nachdruck hervorhob, leuchtet ohne Weiteres ein, da in zwei von seinen Fällen that- 
sächlich Abflachung der Nacken- und Masseterengegend mit Verminderung der directen 
faradischen Erregbarkeit bestand. Doch betont Ebb ausdrücklich, dass die Atrophie hier 
keineswegs eine solche Höhe annahm, wie sie bei der typischen progressiven Bglbärparalyße 
die Regel ist. Auch Oppenheim wusste erst nach der Autopsie, dass dem Fall kein ana¬ 
tomisches Substrat zu Grunde lag. Dachte er doch zunächst an organische Läsionen. Da 
aber die sorgfältigste mikroskopische Untersuchung der in Frage kommenden Gebiete (mit 
Ausnahme der Hirnrinde) absolut gar keine Veränderungen nachweisen konnte, musste er 
annehmen, „dass es eine chronisch progressiv verlaufende Neurose giebt, die sich vorwiegend 
durch Bulbärsymptome ohne Atrophieen kennzeichnet". Ueberdies war Oppenheim’s Sections- 
befund nicht der erste, und die, wenn auch nicht so vollkommenen Angaben seines Vor¬ 
gängers Wilks, der bei der sehr sorgfältigen mikroskopischen Untersuchung der Oblongata 
nichts Pathologisches vorfand, sind zu allgemein gehalten. Hoppe hat sich dann ein Ver¬ 
dienst dadurch erworben, dass er für die Sonderstellung des Leidens eintrat, aber auch er 
vermochte die wahre Natur der Paresen nicht zu erkennen. Und obwohl er auf die Ekb’- 
schen Fälle zu sprechen kam, so hat er sie doch nicht richtig zu deuten gewusst, abgesehen 
davon, dass er die Zugehörigkeit der Beobachtungen von Bbbnhabdt, Rbmak und Stabh 
tibersah. Unzutreffend war ferner die Folgerung, „dass die Remissionen nicht das ganze 
Syraptomenbild betreffen, sondern, dass nur einzelne Erscheinungen diesem Wechsel unter¬ 
worfen sind, während die ganze Krankheit einen progressiven Verlauf hat". Von einer 
Diagnose zu Lebzeiten war auch in diesem Fall nicht die Rede, obwohl „Pat. 1 '/* Jahr 
unter der Beobachtung von Oppenheim stand“. Sie wurde erst ermöglicht durch den Hin¬ 
weis auf die eigenartige Gruppirung der Erscheinungen, auf den eigenartigen Verlauf auf 
das Fluctuiren der Symptome, auf die grossen Exacerbationen und Remissionen, namentlich 
aber durch die abnorme Ermüdbarkeit. 


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hat ihr eine erschöpfende Monographie 1 gewidmet, Campbell und Bbamwell 8 ent¬ 
warfen ein gutes Gesammtbild mit Anführung der einschlägigen Casuistik, Wilbrand 
and Saengeb würdigten sie eingehend in ihrem monumentalen Werk „die Neu¬ 
rologie des Auges “ 8 und fügten eigenes Material hinzu. In der allerletzten Zeit 
erschienen, und daher in diesen Werken nicht berücksichtigt, sind Beiträge von 
K. Mendel 4 , Guastoni eLombi 6 , Hall 6 und namentlich von Laqueb und Wei¬ 
gert, auf die wir noch zurückkommen. 

Bei genauer Aufmerksamkeit stellte sich heraus, dass die asthenische Lähmung, 
wie so viele ähnliche Krankheiten, nichts weniger als selten ist Ich möchte 
sogar behaupten — wie dies Schultze für die Syringomyelie im Verhältniss zur 
Seerose en plaques gethan hat —, dass sie nach meiuer Erfahrung häufiger 
vorkommt, als die echte Duchenne ’sche Bulbärparalyse. 

Im Nachstehenden will ich meine weiteren Erfahrungen über diese interessante 
Krankheit mittheilen, znerst aber über das Schicksal der bereits von mir publicirten 
Fälle 7 , die ich glücklicherweise alle verfolgen konnte, berichten. Bezüglich der 
ausführlichen Krankengeschichte verweise ich auf meine frühere Arbeit; hier 
seien nur kurze Auszüge wiedergegeben. 

Beobachtung I. J. 0., 25 Jahre alt, Hausdiener. Ohne bekannte Ursache 
tritt bei ihm (unter Begleitung von Parästhesieen im Nacken) zuerst Beschränkung 
der Kopfbewegungen auf, nach einer Woche eine Sprach- und Schlingstörung 
dann Schwäche der Arme, zuletzt der Beine. Nach Verlauf von 2 Wochen 
steigert sich die Parese derart, dass Pat. sich im Bette nicht umdrehen kann, 
den Kopf überhaupt nicht zu bewegen vermag und gefüttert werden muss. Auf 
dieser Höhe der Erkrankung blieb es nun etwa 4 Wochen, dann begann sich 
Besserung einzustellen. Die Untersuchung (22./XII. 1891) ergab: Lähmung des 
weichen Gaumens, des Rachens, Verminderung der Reflexe daselbst und im Larynx, 
Sensibilität abgestumpft, näselnde Sprache, alle Bewegungen des Unterkiefers ab¬ 
geschwächt, schnelle Ermüdung beim Kauen, Deglutition erschwert und schnell 
erschöpfbar, beiderseitiger Lagophthalmus, Conjunctival- und Cornealreflex ver¬ 
mindert, Gbäfjz’s und STELLWAo’sches Symptom, Kopf tällt nach vorn über, 
Schwäche aller 4 Extremitäten, namentlich an den dem Rumpfe näher gelegenen 
Theilen. Diese Paresen steigerten sich nach Ausübung der Function bis zur voll¬ 
ständigen Lähmung, nach kurzer Ruhe jedoch erlangen die Bewegungen die frühere 
Amplitude. Auch schienen die Kniereflexe zu sinken im Maasse, wie sie aus- 
gelöst worden, und zeigten im ganzen Verlauf ein wechselndes Verhalten, bald 
waren sie leicht, bald schwer auszulösen. Im weiteren Verlauf waren charak¬ 
teristische Remissionen und Exacerbationen im Zustande des Kranken aufgetreten. 
Die Schwankungen in der Intensität der Erscheinungen wechselten von Tag zu 
Tag, sogar im Laufe eines Tages sehr ab. Ebenso wie die Lähmung sich in 
descendirender Weise entwickelte, so trat die Besserung zuerst an den Hirnnerven 


1 Die myasthenische Paralyse (Bulbärparalyse ohne anatomischen Befund). Berlin, 1901. 

* Brain. Sommer 1900. 

* Die Neurologie des Auges. 1898. 

4 Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 3. 

4 Dn nuovo caso di „Malattia di Ebb“. Policlinico. 1900. 

* Bef. in der Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 15. 

T Ueber einen scheinbar heilbaren bulbärparalytischen Symptomencomplex mit Be- 
theiligung der Extremitäten. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1893. IV. 

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auf und machte, durch kleine Exacerbationen unterbrochen, immer grössere Fort* 
schritte. Im April 1892 ging Pat. seinem Berufe nach, obwohl er noch nicht 
schwer arbeiten konnte und bei längerem Gehen ermüdete. Dann verloren Bich 
auch diese Klagen. Objectiv war nichts Abnormes, ausser dem wechselnden Ver¬ 
halten der Kniereflexe, wahrzunehmen. Dieser Zustand von vollkommener Gesund¬ 
heit hielt mehr als 5 Jahre an; während dieser langen Frist hatte ich Gelegen¬ 
heit, Pat. viele Male zu untersuchen — er kam gewöhnlich wegen recidivirender 
Angina, einmal, im August 1896, wegen Contusion der rechten Thoraxhälfte in 
Folge eines Sturzes —, fand aber keine Zeichen von asthenischer Lähmung, auch 
keine MyaR. 

Erst am 7./XII. 1897 stellt sich einRecidiv ein und äussert sich zuerst lediglich 
in eine? ungewöhnlichen Erscheinung, nämlich in Beschränkung des Abwärtsziehens 
des Unterkiefers, welche sich beim Kauen störend erweist, da die schmale Mund¬ 
öffnung nur ganz kleine Bissen durchlässt; sonst keine Beschwerden. 

Pat. sieht gut aus, allgemeiner Ernährungszustand gut. Puls im Liegen 
90. Nach etwa 15 Abwärtsbewegungen des Unterkiefers kann der Mund nicht 
weit geöffnet werden; noch prägnanter tritt diese Erscheinung zu Tage beim 
Kauen, z. B. von Brot, bald kann der Unterkiefer nur 1 cm weit von der oberen 
Zähnereihe gebracht werden, der Kranke empfindet dabei ein schwer definirbares 
Gefühl im obersten Theil des Larynx. Dabei besteht keine mechanische Be¬ 
hinderung, kein spastischer Zustand, da der Unterkiefer passiv leicht herunter¬ 
gezogen werden kann. Schon nach kurzer Ruhe kann der Mund wieder weit 
geöffnet werden. Die Erlahmung betrifft nur die Abductoren des Unterkiefers, 
aber nicht die Adductoren und Seitwärtsbeweger. 

Wenn auch keine weiteren Klagen bestehen, so zeigt die Untersuchung doch, 
dass die Beine nicht vollständig frei sind, da bei Prüfung der Ermüdungs¬ 
erscheinung die Amplitude nach etwa 15—20 Hebungen des Beines zu sinken 
beginnt und die Bewegungen mühevoller werden; bis zu einem lähmungsartigen 
Zustande, wie in der ersten Phase der Krankheit, ist es aber nicht gekommen. 
Die Kniereflexe ermüden nicht. Keine MyR. 

Bald aber gehen die Krankheitserscheinungen auf andere Gebiete über. Am 
l./I. 1898 hat der Pat. selbst das Bewusstsein, dass die Krankheit wiedergekehrt 
ist. Er kann nicht viel arbeiten, nicht viel gehen, da er bald ermüdet; auch den 
Kopf kann er nicht lange aufrecht halten, er fällt nach vorn über. Die läh¬ 
mungsartige Ermüdungserscheinung tritt namentlich an den dem Rumpfe nahe 
liegenden Abschnitten der Glieder zu Tage; die Abductionsbewegungen im Schulter- 
gelenke versagen bald. Der Deltoideus erscheint überdies sehr schwach, ebenso 
die Nackenmuskeln. 

4./I. 1898. Der allgemeine Schwächezustand nimmt zu, auch gesellt sich 
Dyspnoegefühl beim Gehen hinzu. Die Erschöpfungserscheinung in den Beinen 
ist sehr prägnant, bald kann das Heben von der Unterlage nicht geschehen; 
Erholung tritt nach 1—2 Minuten ein. Es scheint, dass die Kniereflexe nach 
wiederholtem Prüfen schwächer werden; sie schwinden aber nicht. Bei Anwendung 
von tetanisirenden faradischen Reizen auf den Deltoideus und Biceps brachii 
werden die Contractionen kleiner, schwinden aber nicht; bei Reizung des E&B’schen 
Punktes konnte man nur am Biceps das Kleinerwerden der Contraction beobachten. 
Am Quadriceps cruris konnte diese Erscheinung überhaupt nicht hervorgebracht 
werden. 

8./L 1898. Auch das Reden macht den Pat. müde. Objectiv ist an den 
Sprachorganen nichts Abnormes zu finden, sogar Abduction des Unterkiefers heute 
besser. Pat. klagt über ein Gefühl von Schwere und Brennen in der rechten 
Schulter (dieselbe Klage äusserte der zweite Pat. W.). Die Ermüdungs¬ 
erscheinungen treten in den Beinen schneller auf, als in den Armen, im Rumpfe 


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schneller als in den Beinen. An den distalen Theilen der Extremitäten, z. B. 
den Fingern, sind keine diesbezüglichen Erscheinungen hervorzurufen. Puls 90. 

3./II. 1898. Pat. hat die schwere Arbeit aufgeben müssen. Das Zukneifen 
der Augen geschieht schwach. Die Ermüdung der Beine beim Heben erfolgt 
hente nicht so rasch, beginnt aber die Amplitude zu sinken, dann tritt bald die 
zeitweilige complete Lähmung ein. Die Kniereflexe sind schwach, mitunter schwer 
hervorzubringen, die Achillessehnenreflexe dagegen lebhaft. Das Nachlassen der Con- 
traction bei faradischer Reizung (es wurden Quadriceps cruris und Deltoideus 
geprüft) erfolgt namentlich bei schnellen Unterbrechungen des Stroms, schwindet 
aber nicht; die Muskeln erlangen ihre ursprüngliche Contractionsfähigkeit erst 
nach längerer Pause. 

9. /H. 1898. Nach einem fieberfreien Schnupfen fühlt sich Pat. noch schwächer 
nnd steif in allen Gliedern, sieht blass und angegriffen aus, scheint abgemagert 
zu sein. Gestern konnte er auch beim ersten Bissen den Mund nicht gut öffnen. 
Linke Lidspalte ein wenig kleiner; fordert man den Kranken auf, die Augen 
weit zu öffnen, so thut er es beiderseits gleich, doch bald hängt das linke 
Oberlid mehr herab. Laryngoskopisch wurde Insufficienz der Mm. thyreo-arythaenoidei 
int ermittelt 

März 1898. Puls constant um 100. Am Condylus int. tibiae sin. hat sich 
ohne greifbare Ursache eine prall elastische, flach kugelige, ziemlich scharf con- 
tourirte Geschwulst gebildet, von der Grösse eines Markstückes, die namentlich 
beim Gehen schmerzt (Bursitis intertendinea). Die Ermüdungserscheinung tritt 
an der rechten oberen Extremität viel später als früher und als in der linken 
oberen Extremität ein. Zur vollständigen Lähmung kommt es jedoch nicht. 
Dieses Phänomen zeigt sich auch bei Flexion des Cubitalgelenks und im Carpal¬ 
gelenk, ebenfalls ohne zu einer vollständigen Erschöpfung zu führen. Man 
kann die Sehnenreflexe durch wiederholte Prüfung herabsetzen, aber nicht zum 
Schwinden bringen. 

20./V. 1898. Die Kniereflexe können nach vielem Beklopfen zum Schwinden 
gebracht werden, erscheinen aber sofort bei Anwendung des JENDBÄBSiK’schen 
Handgriffs, bleiben jedoch unmittelbar darauf wieder aus. Ausser an den früher 
genannten wurde heute die MyaR am Thenar untersucht, und eine starke Ver¬ 
minderung der Contraction, aber kein Schwinden derselben gefunden; auch hier 
vergehen mehrere Minuten, bis die ursprüngliche Contractionsstärke erreicht wird. 
Der durch schnell aufeinander folgende faradische Schläge gereizte Biceps brachii 
scheint in dauernder Contraction zu verharren (Nachdauer der Contraction), und 
es hat dadurch den Anschein, als ob die folgenden Schläge keinen Reiz mehr 
ausüben. 

10. /'VL 1898. Pat. fühlt sich etwas besser, kann ein wenig arbeiten. Ob- 
jectiv keine Aenderung, auch hinsichtlich der MyaR nicht, nur sind die Lidspalten 
beute gleich. 

15./VEL 1898. Die Besserung hält an, wenn auch Pat. über Schwäche 
klagt. Ohne Kenntniss der Anamnese würde man auf den ersten Blick die Dia¬ 
gnose wahrscheinlich nicht stellen können. Allein bei näherer Prüfung zeigen sich 
die früheren Ermüdungserscheinungen von Seiten des Unterkiefers mit dem Unter¬ 
schiede aber, dass auch die Seitwärtsbewegungen heute schwach sind. Ab und 
zu bleiben Nahrungsreste im Rachen stecken, wenn auch seit Beginn der Recidive 
seitens des Palatum molle keine pathologischen Erscheinungen hervortraten und 
über Schlingbeschwerden nicht geklagt wurde (im Gegensatz zum ersten Anfall 
der Krankheit). Unter aseptischen Cautelen wurde eine Excision des linken Del- 
toideus zum Zweck der mikroskopischen Untersuchung vorgenommen, über die 
weiter unten berichtet wird. 

25./X. 1898. Pat. fühlt sich wieder schwächer, ermüdet bald nach leichter 


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Arbeit und kann dann die Glieder Qberhaupt nicht bewegen. Er sieht immer 
blässer aus. Nicht allein die Abductionsbewegung des Unterkiefers ist beschränkt, 
auch die Adduction wird bei Wiederholung immer schwächer. Die Ermüdungs¬ 
erscheinungen an den Extremitäten treten ziemlich schnell, an den Beinen sogar 
plötzlich ein, bis zur vollständigen Lähmung kommt es aber nicht. Die Erschöpfung 
eines Gliedes bleibt ohne Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der nicht geprüften. 
Puls und Respiration bleiben dabei ebenfalls unbeeinflusst. Die Kniereflexe 
werden heute nicht schwächer. Die MyaR ist nicht in allen Muskeln vorhanden, 
so z. B. im Triceps brachii nicht. Nachdem Ermüdung im Deltoideus und Biceps 
brachii hervorgerufen wurde, und diese Muskeln auf Willensreize nur sehr wenig 
antworten, erfolgt bei faradischer Reizung eine Contraction, die aber schwächer 
zu sein scheint, als nach Reizung ohne voraufgegangene Ermüdung. 

25./XI. 1898. Das Sinken der faradischen Erregbarkeit bei schnell aufein¬ 
ander folgenden Reizen in dem heute geprüften Biceps brachii erfolgt ziemlich 
abrupt; die Contraction nimmt einen wurmartigen Charakter an, hält lange an 
und daher erscheint der Effect des nächsten faradischen Reizes schwächer. Auch 
bei wiederholter Reizung des EKB’schen Punktes waren die Contractionen 
schwächer. Die Kniereflexe können heute nicht herabgesetzt werden. Die 
Larynxmuskeln ermüden bei wiederholter Phonation nicht. 

Ich habe wegen Abwesenheit den Pat. längere Zeit nicht selbst verfolgen 
können, bin aber im Stande, das Bild mit Hülfe der mir vom stellvertretenden 
Arzt gütigst zur Verfügung gestellten Notizen zu vervollständigen. Ende Mai 
1899 verspürte der Kranke Stechen in der rechten Thoraxhälfte, leichtes Frösteln, 
Dyspnoe und Husten; er hütete wiederholt das Bett und liess sich wegen dieser 
Beschwerden ins Krankenhaus zum Heiligen Geist aufnehmen, wo er bei einer 
Temperatur von 38° etwa 9 Tage lag. Er trat dann am 13. Juli 1899 ins Kindlein 
Jesu Krankenhaus ein und klagte hauptsächlich über erschwertes Kauen, Schlingen, 
Sprechen und über Gliederschwäche. Die vom Collegen M^czkowski vorgenommene 
Untersuchung ergab in kurzem: Gesichtsausdruck kränklich, depressive Stimmung. 
Die Sprache hat einen schwach nasalen Klang, der nach längerer Rede zunimmt, 
sie wird dann langsamer, die Lippenbewegungen schwächer. Noch leichter erfolgt 
die Ermüdung beim Kauen; schon beim dritten Bissen tritt sichtbare Erschwerung 
dieser Function ein. Die Erscheinungen der Ermüdung an den Extremitäten 
können leicht bis zur zeitweiligen completen Lähmung gebracht werden. Die 
mechanische Muskelerregbarkeit erscheint bedeutend erhöht: nach leichtem Schlag 
mit dem Percussionshammer fibrilläres Zittern, nach stärkerem erheben sich Wülste, 
die langsam schwinden. 

Sehr greifbare Resultate ergab die Untersuchung des Thorax, an dessen 
Vorderfläche eine Dämpfung constatirt wurde, die oben am Sternum an der 
2. Rippe begann, in schräger Richtung nach rechts zog, sich in der L. sternalis 
dextra auf der 3., in der L. mammaria dextra auf der 4. Rippe befand und dann 
entlang der L. axillaris ant. dextra ging; links zog die Dämpfungslinie noch 
schräger herab und befand sich in der Höhe der Mamilla zwei, in der Höhe 
des Processus xyphoideus vier Fingerbreiten vom Sternum. In der rechten 
Axillarlinie bestand eine, im Vergleich mit der linken Seite, unbedeutende 
Dämpfung. Im Bereich der Dämpfung war das Athmungsgeräusch sehr schwach 
hörbar, in der Gegend der rechten Brustwarze Affrictus pleuriticus, sowohl bei 
Respiration, als bei willkürlichem Sistiren der Athmung. In der rechten Axillar¬ 
linie und unter der rechten Scapula ebenfalls geschwächte Athmung ohne Aende- 
rung des Fremitus vocalis. 

An der Stelle der gewöhnlich vorhandenen Herzdämpfung heller Pulmonal¬ 
ton (mit Ausnahme eines kleinen Streifens am Sternum). Ictus cordis nicht 
fühlbar. Unter der 3. Rippe, dicht am linken Sternalrand, ein diastolisches Ge- 


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rausch, das über der Aorta weniger deutlich zu hören ist. Sonst sind die Töne 
auffallend dumpf. 

Die Leberdämpfung überragt nach unten den rechten Rippenbogen um drei 
Finger. 

Probepunctionen in der rechten Axillar- und Mamillarlinie über der 6. Rippe 
blieben negativ. 

19./VIL 1899. Afirictus geschwunden, weder Husten, noch Stechen in der 
Brust, subjective Besserung. 

23./VII. 1899. Das diastolische Geräusch dauert fort. Puls 80. 

Am 26./VII. 1899 gebessert entlassen. 

Ich sah den Kranken wieder am 12./II. 1900, fand ihn sehr verändert, blass, 
abgemagert, fiebernd, Puls 120. Seit der Erkrankung im Mai 1899 hat er sich 
nicht erholen können; er hustet zeitweise, bekommt Röcheln auf der rechten 
Brustseite und Athemnoth; im Kreuze ist er wie gebrochen, kann sich weder 
bücken noch aufrichten; er kann nicht arbeiten und schläft schlecht. In den 
hinteren, unteren Abschnitten beider Lungen crepitirendes Rasseln, r. h. u. geringe 
Dämpfung. An der ganzen rechten Thoraxhälfte ist die Dämpfung eine absolute; 
sie beginnt über der Clavicula, geht in die Herz- und Leberdämpfung über 
und reicht bis zur L. axillaris media dextra. Athmungsgeräusch im Bereich der 
Dämpfung unhörbar. Die Ermüdungserscheinungen treten schnell auf, besonders 
an den Unterextremitäten. Die Kniereflexe sind ungleichmässig, namentlich ist 
der rechte bald stärker, bald schwächer, bald überhaupt nicht hervorzurufen. 
Pat. ist so schwach, dass er sich beim Hinsetzen mit den Händen stützen muss; 
er kann aber nicht lange sitzen bleiben. Er ermüdet schnell beim Kauen, kann 
den Kopf nicht gut aufrecht halten. 

Auf meine Veranlassung hin, wurde er am 28./III. 1900 ins Krankenhaus 
auf die Abtheilung des Collegen Dunin aufgenommen. Hier wurde die Ermüdbar¬ 
keit der Muskeln nach Bewegung bestätigt. Kein Fieber. Am Sternum und an 
der Bauch wand erweiterte Venen, in der Höhe der 3. und 4. Rippe erscheint die 
Thoraxwand vorgewölbt. Im Bereiche der oben beschriebenen Dämpfung leicht 
bronchiales Athmen und schwache Bronchophonie; Fremitus vocalis abgeschwächt. 
Bei der Probepunction hat man das Gefühl, dass man in eine feste Masse hinein- 
gerathen ist. R. h. u. abgeschwächtes vesiculäreB Athmen. Dyspnoe. Husten 
fordert wenig schleimiges Sputum. Die Diagnose wurde auf Neoplasma Mediastini 
ant oder Pulmonis gestellt. 

Nichts verkündete das jähe Ende, das am 12./IV. 1900 erfolgte. Noch tags 
zuvor ging Pat. im Saal umher, unterhielt sich und ass mit Appetit. Um 4 Uhr 
Morgens erwachte er, sagte der barmherzigen Schwester, dass er sich unwohl fühle 
und verschied. 

Aus der Obduction hebe ich nur das Wesentlichste hervor: Der ganze rechte 
obere Lungenlappen und ein grosser Theil des mittleren wird von einer Geschwulst 
eingenommen, die im Oberlappen im Zerfall begriffen ist; im rechten unteren 
Lungenlappen mehrere grauröthliche, hart elastische Tumoren. Ebensolche bis zu 
Kastaniengrösse an der Pleura visceralis und parietalis. Synechia totalis peri- 
cardii. Der Obducent, Prof. Dr. Przewobki, sprach die Geschwülste als Lympho- 
sarcome an, allein die mikroskopische Untersuchung wurde nicht ausgeführt. Sehr 
zahlreiche solitäre Follikel im Dünndarm, namentlich aber im Dickdarm, stark 
vergröesert. Glandulae lyraph. mesaraicae mässig geschwollen. 

Am Nervensystem makroskopisch nichts Abnormes, ausser einer ziemlich 
intensiven Hyperämie der Pia mater cerebralis und Trübung längs ihrer Gefässe. 

Die mikroskopische Untersuchung wurde sowohl am oentralen, als auch am 
peripheren Nervensystem und an den Muskeln vorgenommen. Das gesammte 


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Rückenmark wurde in einzelne Segmente zerlegt und nach der NissL’schen, 
MABcm’schen und WEiGEBT’schen, Methode bearbeitet Die genaue Durch¬ 
musterung der NissL’schen Präparate aus dem Hals-, Dorsal- und Lumbo- 
sacralmark ergab völlig normale Verhältnisse. Die Zahl der Zellen war normal, 
ihre Form gut erhalten; sowohl der Zellkörper, als auch die Dendriten enthielten 
sehr gut tingirte NissL’sche Zellkörperchen. Die Zellkerne zeigten keine Abweichung, 
weder in Bezug auf ihre Lagerung, noch in der Aenderung der feineren Structur. 
Alles dies betraf sowohl die Vorderhornzellen, als auch die übrigen grösseren 
Zellgebilde in der grauen Rückenmarkssubstanz. Was die nach der MABcm’schen 
Methode fertiggestellten Rückenmarkspräparate betrifft, so zeigten auch diese keine 
Abweichungen von der Norm. Man fand zwar in der gesammten weissen Substanz 
zerstreut liegende schwarze Schollen, aber diese finden sich bekanntlich auch 
im ganz normalen Rückenmark vor. Von secundären Degenerationen war nir¬ 
gends die Rede, speciell blieben sowohl die vorderen, als auch die hinteren 
Wurzeln in ihrem extra- und intramedullären Verlauf intact. An einzelnen 
Stellen, besonders im Lumbalmark, sah man an den hinteren Wurzeln eine 
grössere Ansammlung von schwarzen plumpen Schollen, allein auch diesem Be¬ 
funde kann man keine pathologische Bedeutung beilegen. Die nach der 
WEioEBT’schen Methode gefärbten Rückenmarksschnitte zeigten normale Ver¬ 
hältnisse. 

Der Hirnstamm wurde von der Pyramidenkreuzung bis zum Oculomotorius- 
kern (incl.) stückweise in eine ununterbrochene Serie zerlegt, und die einzelnen 
Stücke meist nach der NissL’schen, zum Theil nach der MARcm’schen Methode 
bearbeitet Auch hier lässt sich das Rösumö kurz dahin zusammenfassen, dass 
der gesammte Hirnstamm ganz normal war. 

Nach der NissL’schen und Weigert ’sche Methode wurden ferner Theile 
der Hirnrinde bearbeitet. Es wurden zu diesem Zweck folgende Hirnbezirke 
herausgeschnitten: Gyrus centr. ant. dex., Gyrus centr. post, dex., Gyrus front, 
inf. dex, Gyrus pariet sup. dex., Gyrus centr. ant sin., Gyrus front inf. sin, 
Gyrus pariet. sup. sin. und Gyrus temp. I sin. Die NissL’schen Präparate zeigten 
normale Zellbilder. In den nach Weigert behandelten Schnitten sah man auch 
die feinste Faserung der oberflächlichen Rindenschichten sehr gut erhalten. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurden folgende Nerven entnommen: 
N. medianus, radialis, peroneus und ischiadicus linkerseits. Dieselben wurden 
nach der Weigert ’schen, MABCHi’schen und van GiESON’schen Methode be¬ 
arbeitet und zeigten ganz normale Structurverbältnisse. 

Greifen wir nun auf das im Juli 1898 excidirte Stückchen vom linken Deltoi- 
deus zurück. Ich fand in ihm zahlreiche kleine Herde von kleinen Zellen, hatte 
aber damals keine Gelengeheit, darüber zu berichten. Erst im Februar 1900 — 
die LAQüER-WEiGERT’sche Mittheilung stammt vom Juli 1901 — gab ich meinem 
Assistenten und Freunde Dr. Urstein die Erlaubniss, diesen Befund in seiner 
Monographie 1 zu verwerthen. 


1 Ueber cerebrale Pseudobaibärparalyse. Inaug.-Üissert. Berlin, 1900. S. 159—160. 


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105 


Aus der Leiche wurden links folgende Muskeln entnommen: Quadriceps, 
Soleos, Deltoideus, Biceps brachii, Flexores antibrachii. Die Behandlungs¬ 
methode war dieselbe wie für das in vivo entnommene Stückchen. 

In allen erwähnten Muskeln fanden sich in einigen weniger, in anderen 
mehr zahlreich dieselben Herde, wie bei Lebzeiten. (Abbildung I.) Es sind 
dies meist circumscripte, kleinere und grössere, mikroskopisch wahrnehmbare 
Anhäufungen von kleinen, meist nur einkernigen Zellen, die den lymphoiden 
Zellen .ähnlich sind. Polynucleäre Zellen werden nur in kleiner Anzahl ange- 
troffen. Die Kerne sind meistens rund, aber auch polymorph. Diese Herde 
liegen im Bindegewebe zwischen den Muskelfasern; sie sind bald rundlich, bald 
länglich oval, bald länglich und schmal, oder eckig und zackig; sie gruppiren 



Abbildung I. 


sich am grössere und kleinere erweiterte und mit Blut überfüllte Gefasse. 
Die Bindegewebsfasern sind durch die kleinen Zellen auseinander gedrängt und 
scheinen verdickt zu sein. Es entsteht dadurch ein Netz, das dem adenoiden 
Gewebe ähnlich sieht. In der Nähe der Herde dringen dieselben kleinen Zellen 
zwischen die einzelnen Muskelfasern ein. Die Muskelfasern selbst erscheinen auf 
Querschnitten nur in den Herden selbst alterirt, geschrumpft, atrophisch. Sonst 
ist ihre Streifung überall wohl erhalten und sie stellen sich normal dar. (Ab¬ 
bildung II) Die üblichen Färbungen auf Bakterien blieben negativ. 

Es entsteht nun die Frage: Wie sind diese Veränderungen in den Muskeln 
zu deuten? Sind sie etwa entzündlicher Natur, oder gar als Metastasen der 
Geschwulst der Lungen, die vom Obducenten, dem Prof, der pathologischen Ana¬ 
tomie an der hiesigen Universität, als Lymphosarcom angesprochen wurde, zu be- 


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trachten ? Ich muss gestehen, dass keiner von den Fachmännern, denen ich die 
Präparate vorlegte, im Stande war, darüber zu entscheiden — es fehlt nämlich 
die mikroskopische Untersuchung des Lungentumors, die allein zur Lösung dieser 
Frage beitragen könnte. Wenn man aber bedenkt, dass solche herdweise auf¬ 
tretenden mikroskopischen Entzündungen in den Muskeln etwas ganz ungewöhn¬ 
liches sind, dass bei Lebzeiten gar keine Entzündungserscheinungen vorhanden 
waren — zwischen dem Muskelbefunde zu Lebzeiten und dem nach dem Tode 
lag ein Zeitraum von 1 s / 4 Jahren —, dass von septischen Processen im gegebenen 
Fall gar keine Rede sein konnte, dass die Untersuchung auf Bakterien negativ 
blieb, dann wird man zur Annahme neigen, dass die Herde eher Metastasen 
der Lungengeschwulst darstellen. 











Abbildung II. 

Diese Folgerung gewinnt an Bedeutung im Lichte der WEiGEBT’schen Unter¬ 
suchungen. 1 Er fand in einem von Laqüeb beobachteten Fall von Myasthenie, 
in dem, wie in der Regel, das Nervensystem auch mikroskopisch nichts Patho¬ 
logisches darbot, eine Geschwulst der Thymusdrüse. Neben reichlichen freien 
Blutmassen fanden sich in ihr grössere und kleinere Gewebsinseln, die zum 
allergrössten Theil aus kleinen Zellen mit einem einzigen runden Kern bestanden. 
Es sind das lymphoide Zellen, die auch in der normalen Thymus die Haupt¬ 
masse bilden. Spärlicher waren protoplasmareiche, mit grossem, blassem Kern 
versehene, sogen, epitheloide Gebilde, wie man sie in der normalen Thymus 
ebenfalls antrifft Endlich sah man auch die perlkugelartig geschichteten Zell- 

1 Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 13. 


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massen, die für die Thymusdrüse besonders charakteristischen sog. HASSAi/scheu 
Körperchen. 

Besonderes Interesse nahmen aber die mikroskopischen Befunde an den 
makroskopisch normal erschienenen Muskeln in Anspruch. Es wurden nur Stücke 
vom Deltoidens und vom Zwerchfell „bloss aus Gewissenhaftigkeit“ mitgenommen. 
An vielen Stellen des Perimysium externum und internum, hier und da in 
schmalen Zügen zwischen die Muskelfasern selbst eindringend, sah man neben 
mikroskopischen freien Blutmassen reichliche Zellenauhäufungen, die den in der 
Thymusdrüse geschilderten glichen. Auoh hier waren die kleinen lymphoiden 
Zellen diejenigen, welohe die Hauptmasse bildeten, während die grösseren 
epitheloiden nur spärlich vorhanden waren. Die HASSAL’schen Körperchen 
fehlten ganz. 

Weigebt fasst diese Zellenanhäufungen als Muskelmetastasen des (bös¬ 
artigen) Thymustumors auf. 

Er erwähnt noch einen, zu Lebzeiten durchaus unklaren Fall, der einen 
35jährigen Mann betraf, bei dem die Diagnose zwischen Hirntumor, Bulbär- 
paralvse. vielleicht sogar Myasthenia gravis schwankte, wo ein Mediastinal¬ 
tumor von ähnlicher Beschaffenheit, wie oben, vorgefunden wurde. In den am 
Sammelpräparat gebliebenen und nachträglich untersuchten Muskeln (Rachen, 
Herz, vordere Halsmuskeln) wurden keine Zellherde gefunden. In der Oblongata 
war auch mikroskopisch nichts Pathologisches vorhanden. 

(Fortsetzung folgt.) 


2. Ueber den Augenreflex oder das Augenphänomen. 

Von Prof Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 

Die zuerst von mir als Augenreflex 1 und späterhin von Carthy * unter der 
Bezeichnung „Supraorbitalreflex“ beschriebene Erscheinung hat Veranlassung 
gegeben zu dem Erscheinen einer Notiz von C. Hüdovebnig 3 , worin entgegen 
Cabthy und mehr in Uebereinstimmung mit meinen Angaben festgestellt wird, 
dass nicht Percussion der Gegend des N. supraorbitalis allein, sondern solche 
des ganzen Gebietes des M. frontalis jene Erscheinung hervorruft. Hingegen 
kann nach meinen Beobachtungen Percussion der gesammten Fronto-temporal- 
region und in gewissen Fällen selbst des Jochbogens Contractionen des M. orbi- 
cularis auslöeen. 4 Die Erscheinung selbst bezeichnet H. als leichte Contraction, 

1 Vergl. meinen Vortrag in der Gesellschaft der Aerzte der psychiatrischen und Nerven- 
klinik zu St Petersburg vom 22. Februar 1901 und die hierüber erschienenen Referate im 
Wratsch, in der Zeitschrift zur Erinnerung au Kohssakow, in der Obosrenije psichiatrie u.s.w., 
sowie meine auf Grund des Vortrages veröffentlichte Arbeit: „Ueber Reflexe im Antlitz- and 
Kopfgebiete.“ Neurolog. Central bl. 1901. Nr. 20. 

* Mo Cabtht, Der Supraorbitalreflex. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 17. 

• Hcdovbrnig, Zur Frage des Supraorbitalreflexes. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 983. 

4 Vergl. meinen Vortrag in der Gesellschaft der Aerzte der psychiatrischen und Nerven. 

klinik zu St Petersburg vom 22. Februar 1901. Mehrfach erhielt ich diesen Reflex bei 


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fibrilläre Zusammenziehung und selbst als fibrillären Tremor, und weist in Ueber- 
einstimmung mit mir auf den fast in allen Fällen zu beobachtenden doppel¬ 
seitigen Effect der Percussion hin. Den Angaben von mir und McCabthy 
entsprechend beobachtete H. Abschwächung oder auch Ausbleiben der Erscheinung 
bei Paralysen oder Paresen des N. facialis, wobei er gleich mir die Bemerkung 
machte, dass Percussion der erkrankten Seite zwar auf der entsprechenden Ge¬ 
sichtshälfte keinen Effect auslöst, wohl aber gekreuzt in Gestalt einer Zusammen¬ 
ziehung des Orbioularis des contralateralen Auges zur Wirkung kommt Anders 
ist es nach H. bei Erkrankungen des N. trigeminus. Er untersuchte auf die 
hier in Frage kommenden Verhältnisse hin eine Dame, bei welcher das Ganglion 
Gassen auf operativem Wege entfernt worden war, und konnte constatiren, dass 
trotz bestehender Anästhesie und Analgesie der rechten Gesichtshälfte jene Er¬ 
scheinung dennoch auf beiden Seiten leicht hervorrufbar war. Im Hinblicke auf 
diese Beobachtung und die früher erwähnten Befunde kommt H. zu dem Schlüsse, 
dass das im Obigen beschriebene Phänomen keinen reinen Reflex darstellt, 
sondern durch weitere Verbreitung einer Muskelcontraction auf nachbarliche und 
von den gleichen Nerven versorgte Gebiete, wie dies auch in anderen Körper¬ 
gegenden vorzukommen pflegt, bedingt werde. 

Da zu erwarten war, dass das Phänomen in der wissenschaftlichen Welt 
nicht unbeachtet bleiben werde, so habe ich meinerseits nach meinem schon 
erwähnten Vortrage über diesen Gegenstand vom 22. Februar 1901 eine grosse 
Anzahl gesunder und kranker Personen genauer untersucht und bin dabei zu 
der Ueberzeugung gekommen, dass die Erscheinung, die überhaupt eine be¬ 
deutende Constanz aufweist und bei der überwiegenden Mehrzahl der unter¬ 
suchten Personen angetroffen wird, ein viel ausgedehnteres Auslösuugsgebiet 
besitzt, als dies Cabthy angiebt, in der Voraussetzung, die Erscheinung werde 
nur durch mechanische Reizung des N. supraorbitalis hervorgerufen, und als 
der Ansicht Hüdovebnig entspricht, wonach die Erscheinung sich ausschliesslich 
auf das Gebiet des M. frontalis beschränkt. Schon in meiner vorhin erwähnten 
Mittheilung habe ich hervorgehoben, dass die Erscheinung von der gesammten 
Temporofrontalregion aus mittels Percussion auslösbar ist, sodann aber auch 
durch Percussion des Jochbeins, wie mir spätere Beobachtungen gezeigt haben, 
und auch diese Grenzen sind noch beträchtlich weiter zu ziehen, denn es zeigt 
sich weiterhin, dass das Phänomen ausserordentlich leicht durch Beklopfen der 
Nasenbeine, nicht selten auch des Oberkiefers mit den ihn bedeckenden Muskeln, 
des Jochbogens, in manchen Fällen selbst des Unterkiefers und der Scheitelbeine 
hervorgerufen werden kann. Selbstverständlich wird eine derartige Verbreitung 
des Phänomens nicht in allen Fällen zu beobachten sein. Am öftesten handelt 
es sich um enger begrenzte Gebiete, wie z. B. um ein frontotemporales, ein 
nasales und malares Gebiet, oder um ein temporales und nasales, in seltenen 
Fällen nur um die Supraorbital- und Nasalregion allein. Je lebhafter im All- 

Percussion des Oberkiefers, ja in einer späteren Beobachtung, wo der Orbicularisreflex ge¬ 
steigert war, erhielt ich ihn bei Percussion im Gesammtverbreitungsgebiete des Trigeminus 
bis zum Unterkiefer einschliesslich. 


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gemeinen das Phänomen, desto ausgedehnter das Erregungsgebiet desselben. 
Dabei ist beachtenswerth, dass das Phänomen stets in lebhafter Form auftritt 
bei Percussion dem M. orbicularis nahe gelegener Gebiete, beispielsweise der 
fruntoparietalen, nasalen und malaren Region, dagegen eine merkliche Ab* 
Schwächung bekundet im Falle der Percussion weiter entlegener Gebiete des 
Kopfes oder Antlitzes. 

Was nun den Charakter der Erscheinung selbst betrifft, so muss ich mit 
Rücksicht auf meine eigenen Beobachtungen betonen, dass es sich am häufigsten 
nicht um fibrilläres Zucken oder um Zittern, sondern um eine einfache (partielle 
oder totale) Contraction des M. orbicularis handelt Zuweilen beschränkt sich 
die Contraction auf den unteren Abschnitt des Orbicularmuskels, geht aber in 
anderen Fällen auch auf den oberen Theil desselben über. 

Mit Bezug auf die Frage nach dem Zusammenhänge des Phänomens mit 
dem N. trigeminus muss ich gegenüber der Anschauung McCabthy’s, wonach 
dasselbe durch Beklopfen des N. supraorbitalis hervorgerufen sein soll, meine 
schon früher geäusserten Bedenken aufrecht erhalten. Schon allein die That- 
sache, dass das Phänomen nicht nur von der Stimregion aus, sondern ebenso 
von der Schläfen-Wangenbein- und Nasengegend und manchmal sogar von noch 
weiter entlegenen Stellen des Kopfes auslösbar ist, spricht gegen die Anschauungs¬ 
weise McCabthy’s. Die gleichen Thatsachen sprechen aber auch gegen die von 
Hudovebnig versuchte Deutung, wonach es sich nur um Fortleitung einer 
Muskelcontraction auf nachbarliche, von dem gleichen Nerven versorgte Ge¬ 
biete handeln soll. Man könnte diese Erklärung gelten lassen unter der Voraus¬ 
setzung, dass das Auslösungsgebiet des Phänomens auf das Gebiet des M. fron- 
talis beschränkt sei. Anders, wenn sich nachweisen lässt, dass das Phänomen 
auch von anderen Punkten des Kopfes bezw. des Antlitzes hervorgerufen werden 
kann. Wenn in diesem Falle von einer directen Fortleitung.der Erregung über¬ 
haupt die Rede sein darf, so kann diese Erregung offenbar keine ausschliesslich 
musculöse sein, sondern Folge einer mechanischen Erschütterung, die sich auf 
den M. orbicularis durch Vermittelung des Periostes, der Ligamente und Muskeln 
in ähnlicher Weise fortpflanzte, wie wir bei Erhöhung der Sehnenreflexe der 
unteren Extremitäten durch Beklopfen beispielsweise der Tibia mit dem Per- 
cosBionsbammer einen Knochenreflex hervorrufen können. Ob es sich hier um 
einen wahren Reflex oder um eine Reizfortpflanzung in meinem Sinne handle, 
kann lediglich nur durch Untersuchung von Fällen mit Affectionen des Trige¬ 
minus und Facialis entschieden werden. In dem schon erwähnten Falle von 
Hcdovkbnig war nach operativer Entfernung des Ganglion Gasseri bei be¬ 
stehender Anästhesie im Gebiete des N. trigeminus das Phänomen immer noch 
in der gewöhnlichen Weise auslösbar, doch ist dabei nicht erwähnt, ob eine 
Abschwächung des Phänomens auf der operirten Seite vorlag oder ob dasselbe auf 
beiden Seiten das nämliche Verhalten aufwies. Ich habe das Phänomen eben¬ 
falls bei Affectionen des N. trigeminus nachweisen können, muss aber bemerken, 
dass die Trigeminusaffection nicht oder wenigstens nicht immer ohne Einfluss 
bleibt auf das Verhalten des Phänomens, denn in meinen Fällen von peripheren 


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Trigeminuserkrankungen war ein Unterschied in der Lebhaftigkeit der Con- 
tractionen des M. orbicularis zq bemerken, je nachdem, ob die Percnssion auf 
der gesunden oder auf der kranken Seite ausgeübt wurde. Diese Differenzen 
der Intensität der Muskelcontractionen, die in einer deutlichen Abschwächung 
des Phänomens auf der erkrankten Seite ihren Ausdruck fanden, bezeugen 
offenbar, dass der Trigeminus in bestimmter Weise an dem Zustandekommen 
des Phänomens betheiligt ist. 

Ich beobachte gegenwärtig in der Klinik einen Kranken mit gekreuzter 
Paralyse der Sensibilität in Folge einer Affection der Yarolsbrücke, bei welchem 
ausser geringgradiger, linksseitiger Hemiparese zu constatiren ist: Anästhesie 
der ganzen linken Rumpfhälfte und der Extremitäten und zu gleicher Zeit 
hochgradige Anästhesie im Gebiete des oberen und mittleren Drittels des rechten 
Trigeminus (starke Stiche im Gebiete beider Aeste werden als Berührungen 
empfunden, Percussion der rechten Frontotemporalgegend wird zwar gefühlt, 
aber schwächer als links), und merklich weniger hochgradige Anästhesie im 
Gebiete des unteren Trigeminusastes, wo Stiche gefühlt werden, aber schwächer 
als rechts. 

Auch in diesem Falle, wo es sich dem klinischen Symptomenbilde nach 
unzweifelhaft um eine Erkrankung der Region der Yarolsbrücke unter Ergriffen¬ 
sein der Trigeminuswurzel handelt, trat das in Rede stehende Phänomen bei 
Percussion der rechten Frontotemporalgegend merklich schwächer auf, als auf 
der linken Seite. Von anderer Seite untersuchte mein Assistent Dr. Ossipow 
nach meinem Vorschlag einige Kranken mit Affection des N. trigeminus im 
Petropowlasky-Krankenhause zu St. Petersburg und fand das obenerwähnte 
Phänomen immer auf der afficirten Seite abgeschwächt oder sogar verschwunden. 
Augenscheinlich ist der Trigeminus bei der Entwickelung des Phänomens be¬ 
theiligt, wiewohl nicht zu leugnen ist, dass Erkrankung des Trigeminus das 
Phänomen nur in mässigem Grade abschwächt, ohne es ganz aufzuheben. 

Aus meiner und Hüdovebnig’s Mittheilung geht andererseits hervor, dass 
bei peripheren Facialisparalysen das Phänomen auf der entsprechenden Seite 
ausbleibt, wohl aber auf der entgegengesetzten Seite nicht nur durch Beklopfen 
der gesunden Seite, sondern auch durch Beklopfen der erkrankten Seite aus¬ 
gelöst werden kann. Diese Thatsache habe ich seit dem Erscheinen meines 
vorhin erwähnten Vortrages noch an einer Reihe anderer Fälle weiter geprüft. 
In allen den Fällen von Facialislähmung, wo das Phänomen auf der gesunden 
Seite vorhanden war, konnte es hier durch Beklopfen der Frontotemporal- und 
anderer Gegenden des Gesichtes nicht nur der gesunden, sondern auch der er¬ 
krankten Seite hervorgerufen werden, wogegen auf der Seite der Lähmung es 
weder durch Percussion der gesunden, noch auch durch Peroussion der afficirten 
Seite auslösbar war. Diese Thatsache deutet unzweifelhaft auf nahe Beziehungen 
des Facialis zu dem Reflex und findet eine Erklärung in der Weise, dass 
Lähmung des Facialis zu Erschlaffung des M. orbicularis oculi und somit zum 
Schwunde des normalen Muskeltonus in demselben führt; in Folge dessen geht 
nicht nur das Vermögen reflectorischer Erregung des M. orbicularis oculi ver- 


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loren, sondern auch die Möglichkeit einer Contraction des Muskels auf dem 
Wege unmittelbarer Reizübertragung durch Periost, Ränder und Muskelapparat 
Zu bemerken ist dabei, dass centrale Facialislähmungen, die keine Erschlaffung 
des M. orbicularis oculi bedingen, keine Herabsetzung des Phänomens zur Folge 
haben, worin ein neues Unterscheidungsmerkmal zwischen Erkrankungen des 
peripheren und solchen des centralen Neurons des N. facialis gegeben ist 
Im Hinblicke auf alle obigen Darlegungen kommen wir zu dem Schlüsse, 
dass das von uns hier erörtete Phänomen zum Theile bedingt sei durch reflec- 
torische Einflüsse, zum Theile in Abhängigkeit stehe von unmittelbarer Aus¬ 
breitung mechanischer Reize längs Periost, Bändern und Muskeln bis zum 
K orbicularis oculi. Da der Supraorbitalnerv für die Entstehung des Phänomens 
von keiner besonderen Bedeutung ist, und in Erwägung der Thatsache, dass das 
Phänomen nicht an das Verbreitungsgebiet des M. frontalis gebunden ist, sondern 
mit Leichtigkeit von der gesammten Regio frontotemporalis, von der Nasen¬ 
gegend und nicht selten vom Arcus zygomaticus, manchmal auch von anderen 
Gegenden des Antlitzes aus ausgelöst werden kann, so scheint es mir nicht 
zutreffend, den im obigen betrachteten Vorgang als Supraorbitalreflex zu be¬ 
zeichnen. 


[Aus der II. psychiatr. und Nervenklinik (Hofrath v. Rrafft-Ebing) in Wien.] 

3. Der Corneo-mandibularreflex. 

Von Dr. Friedrich von Sölder, 

Privatdocenten and I. Assistenten der Klinik. 

Ich bin vor längerer Zeit auf einen einfachen, gut charakterisirten Reflex 
im Bereiche des Kopfes aufmerksam geworden, den ich in der mir bekannten 
Litteratur nirgends beschrieben fand. Da ihn auch neuestens v. Bechterew 
in seiner Mittheilung: „Ueber Reflexe im Antlitz- und Kopfgebiete“ 1 nicht er¬ 
wähnt, so vermuthe ich, dass derselbe bis jetzt überhaupt nicht bekannt ge¬ 
worden ist 

Der Reflex, den ich Corneo-mandibularreflex nenne, wird durch Berührung 
der Hornhaut hervorgerufen und äussert sich in einer flüchtigen Verschiebung 
des Unterkiefers nach der der gereizten Cornea gegenüberliegenden Seite. Der 
Auslösungsort ist streng auf die Hornhaut beschränkt; da diese auch die Reiz- 
steile für den Cornealreflex bildet, so ist der Corneo-mandibularreflex unter nor¬ 
malen Verhältnissen immer vom ersteren begleitet. Damit die Kieferbewegung 
ungestört ablaufen kann, muss bei der Prüfung der Mund selbstverständlich 
ein wenig geöffnet sein; für die Beobachtung ist es zweckmässig, die Unterlippe 
zur Entblössung der unteren Zahnreihe abwärts zu ziehen. Die Reflexbewegung 
ist eine reine Transversalbewegung des Kiefers; eine Oeffnungs- oder Schliess- 
bewegung findet dabei nicht statt; es handelt sich somit um eine isolirte Con- 


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1 Neurolog. Centralbl. 1901. S. 930. 


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traction des äusseren Flügelmuskels auf der Seite der gereizten Hornhaut Der 
Reflex verläuft als langsame, selten als rasche Zuckung. Bei Wiederholung des 
Reizes erschöpft sich der Reflex sehr rasch und verschwindet schon nach zwei 
bis dreimaliger Auslösung, doch ist er schon nach ganz kurzer Pause (10 bis 
20 Secunden) wieder nachweisbar. 

Der Corneo-mandibularreflex ist ein physiologischer, wenn auch nicht völlig 
constanter Reflex. Sein Nachweis stösst allerdings sehr oft auf Hindernisse, da 
viele Individuen nicht im Stande sind, alle störenden Bewegungen, die durch 
die Berührung der Hornhaut gleichzeitig hervorgerufen werden, zu unterdrücken, 
dabei aber doch die Kaumuskeln erschlafft zu lassen. Von den Individuen, bei 
denen eine einwandfreie Prüfung möglich ist, zeigt etwa die Hälfte den Corneo- 
mandibularreflex gut ausgebildet; die übrigen lassen der Mehrzahl nach eine 
Andeutung desselben erkennen und nur bei wenigen ist er gar nicht hervor- 
zurufeu. 

Was seine Stellung unter den bekannten Reflexen anlangt, so schliesst er 
sich nicht nur durch den Ort seiner Auslösung (Oberfläche), sondern auch durch 
die Form seines Ablaufes (etwas träge, sehr erschöpf bar) den oberflächlichen 
Reflexen an; jedoch unterscheidet er sich nach zwei Richtungen von den all¬ 
gemeinen Merkmalen dieser Gruppe. Die oberflächlichen Reflexe sind variabel 
in dem Sinne, dass nicht nur bei verschiedenen Individuen, sondern auch bei 
einem und demselben Individuum an der Reflexbewegung bald mehr, bald 
weniger Musculatur theilnimmt, je nach der Intensität des Reizes und der 
Disposition des Individuums; beim Corneo-mandibularreflex findet ein solches 
Variiren nicht statt. Ferner: Die oberflächlichen Reflexe lassen sich im All¬ 
gemeinen ungezwungen als automatische Flucht- oder Abwehrbewegungen zum 
Schutze des Individuums gegenüber dem Reiz deuten; der Corneo-mandibular¬ 
reflex scheint mir einer solchen Auffassung nicht zugänglich zu sein; vielleicht 
ist die vergleichende Physiologie im Stande, eine Aufklärung über die Bedeutung 
der sonderbaren functionellen Verknüpfung der Hornhaut mit dem äusseren 
Flügelmuskel zu geben. Betreffs der anatomischen Bahn, auf der der Reflex 
abläuft, ist aus der bekannten Innervation der Hornhaut und des Flügelmuskels 
zu schliessen, dass der centripetale Schenkel des Reflexbogens im sensiblen, der 
centrifugale im motorischen Theil des N. trigeminus verläuft; das Reflexcentrum 
ist im motorischen Trigemiuuskem zu vermuthen, so dass es sich wahrschein¬ 
lich um einen rein intratrigeminalen Reflex handelt. 

Die functionelle Association zwischen dem M. orbicularis oculi und dem äusseren 
Flügelmuskel, die beim gleichzeitigen Auftreten des Corneal- und des Corneo-mandi- 
bularreflexes nach Berührung der Hornhaut zum Vorschein kommt, steht zweifellos 
mit gewissen Mitbewegungen in causalem Zusammenhang. Es wurde bekanntlich 
öfters beobachtet, dass Lidbewegungen von unwillkürlichen Kieferbewegungen und 
Kieferbewegungen von unwillkürlichen Lidbewegungen begleitet werden. Ins¬ 
besondere sind hier jeue Fälle von Interesse, in welchen als residuäre Störung 
nach destructiven Processen eine pathologische Association zwischen Augenschluss 
und Kieferschluss, also zwischen M. orbicularis oculi und Kaumusculatur bestand. 


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Die gleiche, in Mitbewegungen sich äussemde Verknüpfung von Augen- and 
Kieferschluss wurde aber aach schon bei Gesunden, insbesondere bei Kindern 
festgestellt Es ist somit die bei Reizung der Hornhaut hervortretende functio¬ 
neile Association des M. orbicularis oculi und des äusseren Flügelmuskels keine 
ganz isolirte Erscheinung und kann als Beweis dafür gelten, dass die erwähnten 
Mitbewegungen auf einem präformirten Mechanismus beruhen. 

Ueber das Verhalten des Corneo-mandibularreflexes unter pathologischen 
Verhältnissen stehen mir noch zu wenig Erfahrungen zu Gebote, um allgemeine 
Sätze aufstellen zu können. Erwäbnenswerth scheint mir, dass ich einige 
Male hei Comatösen (multiple Carcinommetastasen im Gehirn, embolische Er¬ 
weichung bei Delirium acutum, luetische Erweichungsherde in der Brücke, 
Coma epilepticum) die Fortdauer des Corneo-mandibularreflexes nach Erlöschen 
des Cornealreflexes feststellen konnte, und dass in diesen Fällen ereterer der 
einzige noch auslösbare Reflex war. Ueber sein Verhalten in der Chloroform- 
Aether-Narcose theilte mir Herr Dr. Exnbr (Klinik Gusbenbaubb) freundlichst 
mit, dass in einer Reihe von Narcosen der Corneo-mandibularreflex nur 2 Mal 
nachgewiesen werden konnte, und zwar beide Male vor dem Erwachen des 
Narcotisirten nach der Wiederkehr des Cornealreflexes. 

Ob und in welcher Richtung der Corneo-mandibularreflex eine klinische 
Verwerthbarkeit gewinnen wird, weiss ich nicht zu sagen; vielleicht könnte ihm 
eine solche in der Localisationsdiagnose von Herderkrankungen im Hirnstamme 
zukommen. 


[Aus der Poliklinik von Prof. Dr. Mendbl.] 

4. Ein Fall von infantiler Tabes. 1 

Von Dr. Martin Blooh in Berlin. 

M. HJ Die Seltenheit tabischer Erkrankungen im Kindesalter und die Be¬ 
deutung derartiger Beobachtungen für die pathogenetische Auffassung der Tabes 
im Allgemeinen rechtfertigt die Mittheilung einer jeden klinischen Beobachtung 
einschlägiger Krankheitsfälle. 

Ich habe bereits im December 1896 die Ehre gehabt, Ihnen einen Knaben 
mit ausgebildetem tabischen Symptomencomplex vorzustellen*, bei dem allerdings 
die Diagnose Tabes nicht mit absoluter Sicherheit zu stellen war, da einige 
complidrende Symptome, und zwar ein gewisser Grad von Schwachsinn und 
ferner epileptische Anfalle, die Möglichkeit einer diffusen Erkrankung des Central¬ 
nervensystems auf hereditär-syphilitischer Basis, sei es Lues cerebro-spinalis, sei 
es infantile progressive Paralyse, offen liessen. Ich habe den Kranken seither 
leider aus den Augen verloren, so dass ich Ihnen über den Fortgang des Leidens 


1 Jitcb einer Demonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nerven- 
bankheiten am 18. Janoar 1902. 

* Nearolog. Centralbl. 1897. 8. 94. 

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za berichten nicht in der Lage bin. Bemerken will ich nur, dass der Fall in 
der litterarischen Kritik eine verschiedene Beurtheilung erfahren hat; während 
er von Kalischee, v. Halb an u. A. als Laes cerebro-spinalis bezw. progressive 
Paralyse anfgefasst wird, rechnet ihn Dydynski in seiner Arbeit über Tabes 
dorsahs im Kindesalter u. s. w. 1 za den reinen Fällen von infantiler Tabes. 

Ich bin nun heute in der Lage, Ihnen abermals aas dem Beobachtungs¬ 
materiale der Poliklinik des Herrn Prof. Dr. Mendel, dem ich für die Ueber- 
lassung des Falles zu Dank verpflichtet bin, einen Fall von Tabes im Kindes¬ 
alter vorzustellen. 

Der 17jähr. Pat. K. stammt aus einer Familie, in der Nerven- oder Geistes¬ 
krankheiten nach Angabe seiner Eltern nicht vorgekommen sind. Sein Vater 
stellt eine specifische Infection entschieden in Abrede, ebenso will seine Mutter 
niemals an Ausschlägen oder Affectionen, die auf eine venerisohe Infection hin¬ 
deuten, gelitten haben. Seine Eltern sind 21 Jahre verheirathet Die Mutter 
des Pat. hat in der Ehe 10 Mal concipirt; zuerst erfolgten 2 Aborte im 3. bezw. 
6. Monat, dann die Frühgeburt einer todten Frucht im 7. Monat, dann wurde 
Pat. als 8-Monats-Kind geboren, es folgte alsdann ein Mädchen, das ausgetragen 
war und im Alter von 4 Monaten an Gehirnentzündung starb, dann ein Knabe, 
der mit 6 Monaten an Zahnkrämpfen starb; dann erfolgte die Geburt einer 
Tochter, der einzigen lebenden Schwester des Pat., dann eines Knaben, der im 
Alter von 3 Wochen an „Lebensschwäche“ starb und schliesslich noch 2 Aborte. 

Pat., der von Geburt an schwächlich war, ist, abgesehen von einigen Kinder¬ 
krankheiten, niemals erheblich krank gewesen. Geistig soll er sich gut entwickelt 
haben; er hat die Volksschule ordnungsgemäss absolvirt und war bis vor Kurzem 
als Lehrling beruflich thätig. Seit Ende September vorigen Jahres leidet er an 
anfallsweise auftretendem Angstgefühl, verbunden mit Herzklopfen, Frösteln und 
unwiderstehlichem Harndrang, das an Intensität so zugenommen hat, dass Pat. 
deswegen seine Thätigkeit aufgeben und den Rath eines Arztes einholen musste, 
der den Pat. der Poliklinik überwies. Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen bestehen 
nicht; ebenso wenig klagt Pat. über Gürtelgefühl, Schmerzen und Parästhesieen 
in den Extremitäten, nur hat er meist kalte Füsse. Der Appetit soll gering, der 
Schlaf gut sein. Seit etwa 3 — 4 Jahren besteht Ischurie, bisweilen 
Incontinenz bei Tage und bei Nacht. Masturbation wird in Abrede gestelllt. 

Zunächst fällt bei unserem Pat. der ausgesprochen infantile Habitus auf, 
Pat., der jetzt 17 Jahre alt ist, macht den Eindruck eines höchstens 13—14jähr. 
Knaben; dem entsprechend ist Stimmwechsel noch nicht eingetreten, die Genital¬ 
organe, an denen die Pubes fast völlig fehlen, sind noch ganz auf infantiler 
Entwickelungsstufe. Es besteht ferner eine gewisse Asymmetrie des Schädels, 
der harte Gaumen ist sehr steil und schmal, die Zähne sind nicht deformirt, am 
rechten Ohr ist ein ÜARWiN’scher Höcker nachweisbar. Intelligenz und Sprache 
lassen Störungen nicht erkennen. Die Bewegungen der Bulbi sind nach allen 
Richtungen hin frei, Nystagmus besteht nicht. Die rechte Pupille ist weiter als 
die linke; letztere ist verzogen und miotisch. Während die rechte Pupille auf 
Lichteinfall und bei Accommodation starr ist, zieht sich die linke bei Convergenz 
ein wenig zusammen, ist aber lichtstarr. Im Bereiche der übrigen Hirnnerven 
sind Störungen nicht nachweisbar. 

Von Seiten der oberen Extremitäten sind Störungen nicht vorhanden, grobe 
Kraft und Sensibilität sind intact, die Tricepsreflexe sind vorhanden, Druck auf 
den Ulnaris ist beiderseits wenig empfindlich. Am Rumpf werden feine Be- 


1 Neurolog. Centralbl. 1900. 


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rührungen in einer handbreiten Zone in der Höhe der Brustwarzen nicht fiberall 
wahrgenommen. 

Beim Stehen mit geschlossenen Augen tritt leichtes Schwanken ein. Der 
Gang des Pat. ist leicht stampfend, beim Gehen mit geschlossenen Augen ent* 
schieden unsicher, doch ist eine erheblichere Ataxie nicht nachweisbar. 

An den Oberschenkeln besteht fleckweise Hypästhesie, an den Unterschenkeln 
Hypästhesie und Hypalgesie. In Rückenlage können complicirtere Bewegungen 
mit den Beinen, besonders dem linken, bei Augenschluss nur unsicher und mangel¬ 
haft ausgeführt werden. An den Zehen, besonders des linken Fusses, bestehen 
deutliche Lagegeffihlsstörungen. Die Musculatur der Beine zeigt einen gewissen 
Grad von Hypotonie. Die Patellarreflexe fehlen beiderseits. 

Die Untersuchung des Augengrundes ergiebt doppelseitige temporale Ab¬ 
blassung der Papillen; Sehstörungen bestehen indessen nicht. Die inneren Organe 
sind gesund, der Urin frei von Eiweiss und Zuoker; es besteht ein mittlerer Grad 
von Phimosis; die Cervicaldrüsen sind leicht vergrössert fühlbar; die Schilddrüse 
vermochte ich nioht zu palpiren. 

Was zunächst die Diagnose des vorliegenden Falles angeht, so dürften 
Zweifel in der Berechtigung, hier eine infantile Tabes anzunehmen, wohl nicht 
vorliegen. Pupillenstarre, WESTPHAL’sches und RoMBEBG’sches Zeichen, Blasen- 
atörungen, und wenn auch geringe, so doch deutliche Storungen der Sensibilität 
und der Coordination dürften genügen, um die Diagnose Tabes zu sichern, und 
die Tbatsache allein, dass es sich um ein so jugendliches Individuum handelt, 
bei dem dieser Complex von Symptomen nachweisbar ist, darf meines Erachtens 
nicht Veranlassung geben, eine Diagnose, die bei einem Erwachsenen ohne jedes 
Bedenken gestellt würde, zurückzuweisen. Auch der vorliegende Fall ist, wie 
eine ganze Anzahl der in der Litteratur mitgetheilten Fälle, ich verweise nur 
auf die jüngsten Publicationen von Brasch 1 und v. Halb an 2 , mehr zufällig 
zur Cognition des Arztes gekommen, dessen Hilfe naohgesucht wurde wegen 
Beschwerden, die mit der Grundkrankheit nicht in Zusammenhang zu stehen 
schienen (bei Brasgh’s Fall Astigmatismus, bei v. Halban’s Fällen einmal 
Hemicranie, einmal Astigmatismus, einmal recidivirende Radialislähmung, in 
meinem Fall Anfälle von Angstgefühl und Herzklopfen). 

Der vorgestellte Fall ist einer der wenigen, in denen eine hereditäre Lues 
nicht sicher nachweisbar ist Brasch stellt in seiner Arbeit (1. c.) 7 sichere 
Fälle von infantiler Tabes, ausser seinem eigenen zusammen, von denen die 
Mehrzahl hereditär-syphilitisch war; auch in den 4 Fällen von v. Halban war 
zweimal sicher, einmal wahrscheinlich Lues vorhanden. Die Vorgeschichte der 
Mutter des vorgestellten Pat, die zahlreichen Aborte und Frühgeburten, der 
Umstand, dass von den sämmtlichen lebend geborenen Kindern nur unser Pat 
und eine Schwester am Leben sind, machen es allerdings sehr wahrscheinlich, 
dass Lues parentum Vorgelegen hat Zeichen hereditärer Lues waren bei meinem 
Pat indes nie nachweisbar. 

Von Interesse ist bei dem vorgestellten Falle noch die Hemmung der 
körperlichen Entwickelung, die bei dem jetzt 17jährigen Knaben noch jegliche 

1 Deutsche Zeitsehr. f. Nervenheilk. XX. Heft 5 n. 6. 

* Jahrb. f. Psych. XX. Heft 2 u. 3. 

8 * 


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ZeicheD der Pubertät vermissen lässt Dieselbe ist wahrscheinlich wohl eine 
Folge des Umstandes, dass Pat erheblich zu früh geboren ist; ob in diesen 
beiden Momenten andererseits eine gewisse Disposition für die Erkrankung des 
Nervensystems zu sehen ist wage ich nicht zu entscheiden. 

Schliesslich bemerke ich noch, dass ich sowohl die Eltern als auch die 
Schwester des Pat einer Untersuchung unterzogen habe; abgesehen von Sym¬ 
ptomen von Skrophulose bei der Schwester des Pat sind alle drei gesund, ins¬ 
besondere sind nervöse Symptome bei keinem von ihnen nachweisbar. (Während 
der Demonstration bekommt Pat einen seiner Anfälle von Herzklopfen und 
Angstgefühl. Der Puls wird dabei beschleunigt das Gesicht wechselt mehrfach 
die Farbe und bekommt einen deutlich angstvollen Ausdruck. Er muss sich 
hinsetzen, drückt eine Herzflasche, die er stets bei sich führt, gegen die Herz¬ 
gegend und verlangt, Wasser zu trinken. Nach etwa */♦—V 2 Minute erholt 
sich Pat wieder.) 

Man wird in der Annahme, dass es sich hier um eine Art von „Herz¬ 
krisen“ handelt, wohl nicht fehlgehen. 


II. Bibliographie. 

1) Syphilis und Nervensystem. 17 Vorlesungen von Dr. M. Nonne. (Berlin, 
1902. S. Karger.) 

Nachdem vor nicht langer Zeit Oppenheim im Nothnagel’schen Hand¬ 
buch die Syphilis des Nervensystems monographisch bearbeitet hatte, muss es 
immerhin als ein etwas kühnes Unternehmen bezeichnet werden, wenn selbst ein 
so trefflicher Autor wie Nonne dasselbe Thema zum zweiten Male vornimmt 
Es erscheint uns indessen niobt zweifelhaft, dass das Unternehmen glücken wird. 
Verf. hat die bewährte Form der Vorlesungen gewählt, die es mehr als irgend 
eine andere gestattet, der an sich vielleicht manchmal trockenen Materie Leben 
zu verleihen. Auch die verschiedenen Wiederholungen, die nach der Natur der 
Sache nicht zu vermeiden sind, werden dadurch ihres störenden Charakters ent¬ 
kleidet. Verf. lässt durchweg seine eigenen Erfahrungen sprechen, die zahlreichen 
(268) Krankengeschichten entstammen, mit ganz wenigen Ausnahmen, eigenen 
Beobachtungen. Es liegt darin ein Vorzug vor manchen anderen Werken, die 
ihren Stoff im Wesentlichen der Casuistik der Zeitschriften entnehmen. Es ist 
klar, dass die veröffentlichten „Fälle“ in der grossen Mehrzahl Ausnahmen, Rari¬ 
täten darstellen, die sich vielleicht an grossen Universitäts-Instituten einmal an¬ 
sammeln, dem Praktiker aber kaum je vor Augen kommen. Die wirklich in- 
structiven, werthvollen Beobachtungen dagegen, die Typen sowohl wie besonders 
auch kleinen, scheinbar unwesentlichen Abweichungen vom Schulbilde kommen 
aus naheliegenden Gründen in den seltensten Fällen zur Veröffentlichung. Und 
doch sind es gerade diese, mit denen der Arzt sich am allermeisten herumzu¬ 
schlagen hat, viel mehr als die Staatsdiagnosen und Renommirfälle. Wenn ihm 
in dieser Beziehung Gelegenheit geboten wird, sich die Erfahrungen eines Anderen, 
in einem grossen Wirkungskreise Stehenden zu Nutze zu machen, so wird er 
sicher gern dieselbe ergreifen. Wir meinen, dass wir Nonne zu Danke ver¬ 
pflichtet sind, dass er auch die mehr oder weniger alltäglichen Fälle in den Kreis 
seiner Beobachtungen gezogen hat, aus deren Summe ein wirklioh brauchbares, 
dem Arzte und nicht nur dem theoretischen Forscher nützliches Buch entstanden 


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ist. — Dass dabei die Ergebnisse der Forschungen anderer Autoren nicht ver¬ 
nachlässigt werden, versteht sich bei Nonne eigentlich von selbst und geht unter 
Anderem auch aus dem 20 Seiten füllenden Litteratur-Nachweis hervor. 

Die Eintheilung des grossen Stoffes geschieht nach den Gesichtspunkten, 
dass erst die arteriitische Form der Hirnsyphilis, dann die Convexitäts-Meningitis, 
die syphilitische Erkrankung der Hirnbasis, die Psychosen und Neurosen bei 
Hirnsyphilis behandelt werden. Es folgt die Meningitis spinalis, die Meningo¬ 
myelitis und die Myelitis acuta, die syphilitische Erkrankung der peripheren 
Nerven, die Heredo-Syphilis. Besondere Kapitel sind der Betrachtung der Be¬ 
ziehungen der Dementia paralytica zur Syphilis, der Tabes-Syphilis-Lehre, der 
eentro-spinalen Form der Syphilis und der Therapie gewidmet. Ueberall gründen 
sich die Ausführungen auf eine eingehende Berücksichtigung der gerade hier ja 
besonders wichtigen pathologisch-anatomischen Verhältnisse. 

Aus dem reichen Inhalt sei nur Einiges hervorgehoben, was von principieller 
Bedeutung erscheint oder des Verf.’s Standpunkt einigen Streitfragen gegenüber 
kennzeichnet. Schon im ersten Kapitel wird betont, dass der Erfolg oder Nicht¬ 
erfolg einer specifischen Kur nur in bedingter Weise als differential-diagnostisches 
Mittel betrachtet werden darf. — Die Heubner’sche Endarteriitis ist nach der 
Meinung der überwiegenden Mehrzahl der Autoren nicht für Lues charakteristisch, 
die Intima-Wucherung ist im Wesentlichen eine secundäre, die Entzündung geht 
von den Vasa vasorum aus. Dem gegenüber wird mehr Werth auf die Endo- 
phlebitis gelegt Es ist auch zur Zeit noch nicht angängig, aus dem makro¬ 
skopischen und mikroskopischen Befund bei Meningitis, sobald keine Tuberkel¬ 
bacillen gefunden werden, zu bestimmen, ob es sich um Tuberkulose oder Lues 
handelt. Wichtig erscheint die Thatsache, die aus einer grossen Anzahl von 
Beobachtungen hervorgeht, dass eine selbst sachgemäss und gründlich durch¬ 
geführte Behandlung der ersten Stadien der Syphilis keine Gewähr für ein späteres 
Verschontbleiben der Gefässe und des Nervensystems bietet. — Bei der basalen 
Meningitis werden die Opticus-Erkrankungen ausführlich behandelt; das Vor¬ 
kommen der hemiopischen Pupillenreaction bei Affection des Tractus hält Verf. 
für erwiesen. Der Oculomotoriuslähmung sind fast zwei Kapitel allein gewidmet; 
berronuheben wäre, dass alternirende Ungleichheit der Pupillen nicht immer als 
Zeichen einer organischen Nervenkrankheit aufzufassen ist, sowie dass eine isolirte 
Lichtstarre der Pupille durch eine Meningitis basilaris luetica zu Stande kommen 
k*nn. — Bezüglich der Epilepsie kommt Nonne wie Binswanger zu dem 
Schluss, dass es eine Epilepsie als functionelle Neurose giebt, die auf dem Boden 
der Syphilis-Durchseuchung des Individuums erwächst. Die Frage einer specifisch 
syphilitischen, als solche an sich diagnosticirbaren Geistesstörung wird verneint; 
dagegen giebt es kaum eine Form der psychischen Störung, die nicht im Gefolge 
der Syphilis zur Beobachtung gelangen könnte. — In der Frage der Aetiologie 
der Paralyse steht Verf. auf dem wohl allgemein getheilten Standpunkt, dass 
dieselbe keine specifisch syphilitische Gehirnerkrankung ist, dass die Syphilis für 
ihr Zustandekommen zwar eine sehr erhebliche Bedeutung besitzt, jedoch keine 
conditio sine qua non darstellt. Die Differentialdiagnose gegen die ähnlichen 
Zustände der diffusen arteriosklerotischen Gehirnerkrankung, der multiplen Ence- 
phalomalacie, der heilbaren postsyphilitischen Demenz u. Aehnl. wird an einer 
Reibe höchst instructiver Krankengeschichten erörtert. — In der Tabesfrage ist 
des Verf’s Standpunkt der gleiohe: die Syphilis ist nicht ausschliesslich die Ur¬ 
sache für die Tabes, es bleibt eine Anzahl von Fällen, in denen Syphilis bei der 
Entstehung der Tabes nicht nachweislich mitgewirkt hat; sie ist jedoch die bei 
Weitem wichtigste und häufigste Ursache, der gegenüber alle anderen in Betraoht 
gesogenen durchaus zurücktreten. Auch hier wird die Differentialdiagnose ein¬ 
gehend behandelt. — In den Kapiteln, die der Büokenmarkssyphilis gewidmet 


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sind, bietet vor Allem der Abschnitt über die Erb’sche Paralysis spinalis syphilitica 
Interesse. Die Schlussfolgerungen, zu denen Verf. nach eingehender Erörterung 
dieses noch ziemlich umstrittenen Gebietes gelangt, sind etwa die folgenden: 
Es giebt drei Möglichkeiten, unter denen wir uns die Erb’sche syphilitische 
Spinalparalyse vorstellen können: 1. eine chronische Myelitis transversa mit auf* 
und absteigender Degeneration; 2. solche mit einer primären Pyramidenseitenstrang¬ 
bahn* Degeneration combinirt; 3. eine solche allein, die entweder ohne oder mit 
einer Erkrankung der Rücken mar ksgefässe verläuft Das Bild der Erb’sehen 
Spinalparalyse kann also unter Umständen aus dem Gebiete der specifisch-syphi* 
litischen Rückenmarkserkrankung heraustreten und sich den Systemerkrankungen 
zugesellen; jedenfalls hat das Krankheitsbild ziemlich weite Grenzen, wenn auch 
Verf die Berechtigung seiner Aufstellung unter diesem besonderen Namen nicht 
direct in Abrede stellt — Bei Besprechung der Differentialdiagnose tritt sehr 
schön hervor, wie die Rückenmarkssyphilis im Stande ist alle möglichen anderen 
Rückenmarkserkrankungen zu copieren. Bezüglich der Prognose wird direct ge¬ 
sagt, dass der Ausgang der Rückenmarkslues unabhängig ist von der früheren 
Behandlung der Syphilis, und dass in jedem Falle die Gefahr des Recidivs droht. 
Da auch echt syphilitische Producte gegen die specifische Therapie refraetär sein 
können, so ist eine Erfolglosigkeit der Behandlung keineswegs einwandsfrei gegen 
die Annahme des luetischen Charakters eines vorliegenden organischen Nerven¬ 
leidens zu verwerthen. — Das häufige Vorkommen cerebraler zugleich mit spinalen 
Symptomen wird in einem eigenen Kapitel noch einmal besonders erörtert. — 
Bei der Besprechung der Syphilis der peripheren Nerven wäre vielleicht eine 
Erwähnung der mercuriellen Neuritiden, auf die neuerdings verschiedentlich auf¬ 
merksam gemacht worden ist, mit am Platze gewesen. — Aus dem Kapitel über 
Heredo*Syphilis sei der Satz hervorgehoben, dass alle Veränderungen an den 
Gefässen, Meningen und der nervösen Substanz selbst, die bei Erwachsenen als 
Folge acquirirter Syphilis beobachtet werden, auch bei der hereditären Syphilis 
Vorkommen. Der Tay-Sachs’schen familiären Idiotie mit Amaurose wird ein 
VerhältniBS zur Syphilis abgesprochen. — Aus dem Dilemma, ob man bei Opticus¬ 
atrophie schmieren soll oder nicht, hilft Verf. in der Weise, die vielleicht vor- 
theilhaft allgemein angenommen werden sollte, dass er jedes Mal nach einigen 
Einreibungen eine Gesichtsfeldaufnahme neben der opthalmoskopischen Untersuchung 
vornimmt und von dem Ergebniss die Fortführung der Behandlung abhängig 
macht. — Die Indicationen zum chirurgischen Eingriff bei nachgewiesener oder 
vermutheter Hirnsyphilis werden formulirt. Der Schüler Erb’s giebt sich darin 
zu erkennen, dass er bei Tabes, falls Lues in der Anamnese ist, zunächst schmiert, 
die Schmierkur aber nicht wiederholt, wenn nicht eine in die Augen fallende 
Besserung erzielt worden ist. 

Das Gesagte wollte bloss den Standpunkt des Verf.’s einigen mehr oder 
weniger actuellen Fragen gegenüber herausheben. Die Bedeutung des Buches für 
den Praktiker ist schon oben betont worden; wir sind überzeugt, dass es der Arzt 
in den schwierigen und häufig so besonders wichtigen Fällen centraler Syphilis 
stets mit Nutzen wird zu Rathe ziehen können. H. Haenel (Dresden). 


2) Die Entmündigung Geisteskranker, von Amtsrichter Dr. Otto Levis. 

(Leipzig, 1901. 327 S.) 

Das vorliegende Werk eines Juristen setzt zu seinem Verständniss juristisches 
Wissen und juristische Denkformen voraus, Bedingungen, die sich beim Mediciner 
und auch speciell beim Psychiater in der Regel nicht erfüllen. Trotzdem recht¬ 
fertigt sich eine Besprechung der umfangreichen monographischen Darstellung an 
dieser Stelle nioht nur durch den Titel des Werkes. Ein Capitel besonders ist 


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es, das für den Uediciner nicht allein von grossem Interesse, sondern auch von 
hervorragender Wichtigkeit ist, will er sich klar darüber werden, was die Recht¬ 
sprechung unter Geistesanomalie, unter Geisteskrankheit und Geistesschwäche ver¬ 
steht. Dass sich diese Klarheit jeder verschaffen müsste, der jemals in die Lage 
kommt, als ärztlicher Sachverständiger bei der Entmündigung Geisteskranker mit¬ 
zuwirken, versteht sich eigentlich von selbst. Dass diese Klarheit bis jetzt, auch 
nur bei den Berufenen, sehr häufig angetroffen wird, könnte man nicht behaupten. 
Immer wieder sind es die im § 6 1 des BGB enthaltenen Worte „Geisteskrankheit“ 
und „Geistesschwäche“, über deren Bedeutung die Ansichten der Mediciner und 
Juristen — und zwar besonders auch der letzteren untereinander — oft weit 
differiren. 

Im vorliegenden Werke befasst sich Capitel III des zweiten Abschnittes („Die 
geistige Erkrankung als Voraussetzung der Entraündigungsreife“) mit dem Be¬ 
griffe der geistigen Anomalie und dem Unterschiede zwischen Geisteskrankheit und 
Geistesschwäche. Für den Mediciner ist es nicht ganz leicht, Bich daran zu ge¬ 
wöhnen, den medicinischen Begriff der Geisteskrankheit vom juristischen streng 
zu scheiden. Diese Soheidung ist aber nothwendig; es kann etwas geistige Ano¬ 
malie im Rechtssinne sein, ohne es auch im medicinisch-psychologischen Sinne 
•ein zu müssen. Und nicht minder schwierig ist es für den Mediciner, den Be¬ 
griff der Geistesschwäche im juristischen Sinne richtig zu erfassen, oder genauer 
gesagt, zu begreifen, dass der Jurist unter „Geistesschwäche“ etwas ganz anderes 
versteht und verstehen muss als der Mediciner. Dass der Gesetzgeber unter 
Geistesschwäche nicht den geistigen Zustand des Schwachsinns (im psychiatrischen 
Sinne) gemeint haben kann, was der oberflächlich urtheilende Mediciner öfters 
anzunehmen geneigt ist, liegt bei genauerer Ueberlegung klar zu tage. Denn 
dann könnte, wie Verf. treffend anführt, „der Geisteskranke, der in der steigenden 
Entwickelung seines Leidens dement und damit geistesschwach im medicinischen 
Sinne wird, aus einem voll Geschäftsunfähigen zu einem nur beschränkt Geschäfts¬ 
unfähigen werden.“ 

Die vom Gesetzgeber statuirte Unterscheidung zwischen Geisteskrankheit und 
Geistesschwäche kann schon deshalb nicht auf medicinisch-psychologischer Grund¬ 
lage basiren, weil von dieser aus betraohtet die beiden Begriffe gar keine graduell 
verschiedenen, ja überhaupt keine commensurablen Grössen sind (Ref.). Es können 
vielmehr zur Erklärung und damit zur Unterscheidung von Geisteskrankheit und 
Geistesschwäche ausschliesslich nur juristische Gesichtspunkte in Betracht kommen. 
Und dabei muss ausgegangen werden von der Erwägung, dass für den Entmündi¬ 
gungsrichter die geistige Erkrankung einzig und allein nur als Voraussetzung der 
Entmündigungsreife Bedeutung und Interesse hat. Das Gesetz kennt zwei Ent¬ 
mündigungsarten: Die Geschäftsunfähigkeits-Entmündigung und die Geschäfts- 
beschränkungs-Entmündigung. Die Folge der ersteren ist eine umfassendere, die 
der letzteren eine enger umschriebene Geschäftsunfähigkeit. Nach der Defini¬ 
tion des Verfi’s ist nun „Geisteskrankheit diejenige Geistesanomalie, 
der zu Folge der Betroffene die einem beschränkt geschäftsfähigen 
Menschen obliegenden Aufgaben nachweisbar nioht mehr erfüllen 
kann; jede andere Art der Geistesanomalie ist Geistesschwäche“. — 
Nun bleibt noch zu erläutern, was unter dem weiteren Begriffe der Geistesanomalie 
zu verstehen ist Allgemein definirt Verf. Geistesanomalie als „denjenigen dauern¬ 
den Zustand eines Menschen, bei welchem die psychischen Thätigkeiten in anor¬ 
maler Weise verlaufen“. 

Das Unbefriedigende dieser allgemeinen Definition fällt für den speciellen 
Fall der Entmündigungsfrage weniger schwer ins Gewicht, da hier die geistige 
Anomalie nur soweit erklärt werden muss, als sie Voraussetzung der Entmündi¬ 
gungsreife ist. Und unter diesem Gesichtspunkte lässt sich geistige Anomalie 


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definiren als diejenige Störung des seelischen Gesammtzustandes eines 
M enschen, der zu Folge er ausser Stande gesetzt wird, seine Ange¬ 
legenheiten zu besorgen. In dem Ausdruck „Gesammtzustand“ ist dann auch 
gleich eine Abgrenzung der Geisteskrankheit gegenüber Verschwendung und Trunk¬ 
sucht gegeben, bei welch letzteren der Jurist annimmt, dass es sich nur um ,,die 
Afficirung einer einzelnen Geisteequalität“ handle. 

Im Verlauf der Betrachtungen über Geisteekrankheit und Geisteeschwäche 
wendet sich Verf. gegen die von Planck gegebene Definition der Geisteskrank¬ 
heit als „diejenige geistige Störung, welche die freie Willensbestimmung aus- 
schliesst“. Verf. fuhrt an dem Beispiele eines Paranoikers in zutreffender Weise 
aus, dass jemand unter Umständen wegen Geisteskrankheit zu entmündigen ist, 
ohne dass man mit liecht behaupten könnte, dass bei ihm die freie Willens- 
bestimmung ausgeschlossen sei. Auf die psychologische Erklärung der „freien 
Willensbestimmung“ sowie auf die Darlegung des Unterschieds in der Auffassung 
dieses Begriffes, je nachdem es sich um Delictsfahigkeit oder um Geschäftsfähig¬ 
keit handelt, näher einzugehen, würde im Rahmen eines Referates zu weit führen; 
doch möchte Ref. gerade auf diese Deductionen noch ganz besonders aufmerksam 
machen. 

Im Vorstehenden hat nur der kleinste Theil des inhaltsreichen Werkes eine 
kurze Besprechung gefunden, dasjenige Capitel nämlich, das als Grenzgebiet 
zwischen Rechtswissenschaft und Psychiatrie für den Mediciner von der gleichen 
Wichtigkeit ist wie für den Juristen. — Noch sei auf einen weiteren Abschnitt 
der Abhandlung ausdrücklich hingewiesen, auf die §§ 73—79 incL, die vom 
Sachverständigenbeweis handeln. Hier findet der zum Sachverständigen be¬ 
stellte Arzt wichtige Aufschlüsse über seine rechtliche Stellung und über die ihm 
gesetzlich zustehenden Hülfsmittel zur Erstattung seines Gutachtens. 

Es wäre zu wünschen, dass jeder Arzt, der als solcher bei der Entmündigung 
von Geisteskranken mitzuwirken hat, sich möglichst eingehend mit dem Studium 
des vorliegenden Werkes befassen möchte. Knapp und klar in der Darstellung, 
von zwingender Logik in der Beweisführung, bildet das Buch eine sehr werth- 
volle Bereicherung unserer gerichtlich-psychiatrischen Litteratur. 

Max Neu mann (Karlsruhe). 


3) Entlassungszwang und Ablehnung oder Wiederaufhebung der Ent¬ 
mündigung, von E. Schultze. (Halle, 1902. C. Marhold. 62 S.) 

Für eine Reihe von Provinzial-Irrenanstalten ordnet das Anstaltsreglement 
an, dass der Kranke entlassen werden muss oder gegen seinen Willen nicht zu¬ 
rückbehalten werden darfj dessen Entmündigung endgültig abgelehnt oder rechts¬ 
kräftig wieder aufgehoben ist. Eine ähnliche Bestimmung findet sich in der 
neuen Anweisung für Privat-Irrenanstalten vom 26. März 1901. 

Verf. führt des Näheren aus, dass die Bestellung einer Vormundschaft und 
die Nothwendigkeit der Anstaltsverpflegung von ganz verschiedenen Voraussetzungen 
ausgehen, so dass es prinoipiell verkehrt ist, diese beiden Momente in einen der¬ 
artigen Zusammenhang zu bringen. In diesem Sinne hat sich auoh der 25. Juristen¬ 
tag ausgesprochen. Die Durchführung obiger Bestimmung führt aber auch in der 
Praxis zu den mannigfachsten Unzuträglichkeiten; Verf. führt ausser einem selbst- 
erlebten Fall, der die Veranlassung der vorliegenden Arbeit war, eine Reihe von 
Fällen an, die er auf Grund einer umfassenden Sammelforschung erfahren hat. 
Mit besonderem Nachdruck weist er darauf hin, dass an diesen unliebsamen Er¬ 
fahrungen noch viele andere Momente schuld sind, wie die mangelhafte psychia¬ 
trische Vorbildung der Juristen, einige Mängel im Entmündigungsverfahren, die 
unzweckmässige Fragestellung der Staatsanwaltschaft an die Anstalt, von deren 


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Beantwortung das weitere Verhalten der Staatsanwaltschaft abhängt. So wird 
der Sachverständige oft genug geradezu gezwungen sein, im Interesse seiner 
Kranken ein dilatorisches Verfahren einzuschlagen. 

Andererseits verlangt man nach einem Rechtsschutz gegen ungerechtfertige 
Einsperrung. Indess ist die Beantragung und Einleitung des Entmündigungs¬ 
verfahrens hierfür nicht nur völlig ungeeignet, sondern oft geradezu bedenklich. 
Genügen doch formale Gründe zu einer Ablehnung der Entmündigung, um den 
Kranken entlassen zu müssen. Es giebt noch andere Wege zur Klarstellung des 
Geisteszustandes, wenn man es nicht vorzieht, ein neues und nur ad hoc bestimmtes 
Verfahren vorzuschlagen. 

Um eine Besserung herbeizuführen, fordert Verf. den psychiatrischen Verein 
der Rheinprovinz, vor dem Verf. diese Frage besprochen hat, zu einer Stellung¬ 
nahme auf und schlagt folgende inzwischen genehmigte Resolution vor: 

„Der Verein der Irrenärzte der Rheinprovinz hält die Bestimmung, nach 
der Kranke nicht mehr gegen ihren Willen in der Anstalt zurückbehalten 
werden dürfen, wenn ihre Entmündigung abgelehnt oder wieder aufgehoben 
ist, für principiell und praktisch höchst bedenklich.“ M. 


HL Ans den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 13. Januar 1902. 

Discussion über den Vortrag des Herrn Salomonsohn (vergl. d. Centralbl. 
1902. Nr. 1). 

Herr Kali sch er hat Bedenken gegen die Diagnose, die der Vortr. gestellt 
hat, Bedenken, die seiner Ansicht nach namentlich für die Therapie bedeutsam 
sind; der schubweise Verlauf, die nächtlichen Schmerzen, die sohnelle Ausdehnung 
und die Localisation der Affeotion sprechen seiner Ansicht nach mehr für eine 
basale syphilitische Meningitis; gegen eine rheumatische neuritisohe Affection 
spricht auch das Freibleiben des Faoialis und der Extremitäten. Auch das Frei¬ 
bleiben einiger Aeste des Oculomotorius sei nicht gegen die Diagnose einer basi- 
laren Meningitis zu verwerthen, die vielleicht noch gestützt werde durch die 
einseitige reflectorische Pupillenstarre und das Fehlen der Patellarreflexe. 

Herr Salomonsohn ist nicht der Ansicht, dass es sich um einen rheuma¬ 
tischen Process gehandelt hat; er glaubte nur den peripherischen Charakter der 
Affection annehmen zu müssen und ist nicht der Ansicht, dass es sich um eine 
basale Meningitis handelt, da auch vom Trigeminus einige Fasersysteme völlig 
frei geblieben sind. 

Herr Martin Bloch: Bin Pall von infantiler Tabee. (Vergl. Original¬ 
mittheilung 4 in dieser Nummer.) 

Discussion: 

Herr Salomonsohn fragt, ob das Gesichtsfeld bei dem Patienten perimetrisch 
untersucht worden ist, ferner, ob der Vortr. einen Versuch gemacht habe, das 
Verhalten der Pupillen nach Cocaineinträufelung zu prüfen, da man danach bis¬ 
weilen ein Wiederauftreten der scheinbar nicht vorhandenen Convergenzreaction 
beobachten könne. 

Herr Bloch verneint letztere Frage, bemerkt aber, dass das Gesichtsfeld in 
der Hirschberg’schen Klinik untersucht und normal befunden worden ist. 

Herr Skodczinski stellt aus der Abtheilung von Geh. Rath Jo 11 y einen 14jähr. 
Knab en vor, der jetzt folgendes Krankheitsbild darbietet: Amaurose, vorgeschrittene 


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Demenz, spastische Lähmung der Beine mit Contracturen und epileptische Anfälle. 
Die Krankheit hat im 5. Lebensjahre mit Abnahme des Sehvermögens begonnen, 
vom 7. Lebensjahre fortschreitende Demenz und körperliche Lähmungserscheinungen 
von Seiten der Beine. Jetzt besteht auch Incontinentia veeicae et alvi. Das 
Gehör ist gut, der Kopf wird nach vorn gebeugt gehalten. Sprechen thut Pat. 
v nicht Ein Bruder des Pat, der 5 Jahre älter war, hat an genau derselben 
Krankheit gelitten und ist völlig verblödet in Wuhlgarten gestorben. Die ana¬ 
tomische Untersuchung hat hier eine Degeneration der Pyramidenbahnen ergeben, 
von Seiten des Gehirns, das aber nicht mikroskopisch untersucht worden ist, 
Verdickung der Pia und Atrophie der Windungen, besonders des Stirnhirns. 

Aetiologisch kommt vielleicht Lues der Eltern in Betracht die Hutter hat 
einmal abortirt, der Vater hat einmal ein Bläschen am Sulous coronarius gehabt 
doch ohne jede Folgeerscheinungen. Sicheres über vorausgegangene Lues ist nicht 
zu eruireru Die Hutter des Pat hat 6 Hai geboren, 3 Töchter, die blond, dem 
Vater ähnlich und gesund sind, und 3 Söhne, die dunkelhaarig und der Hutter 
ähnlich sind; von ihnen ist ausser dem schon erwähnten und dem Pat noch einer 
an Krämpfen gestorben. Der Grossvater der Hutter war epileptisch, ihr Vater 
hat einmal einen Krampfanfall gehabt, eine Tante und eine Cousine sind epilep¬ 
tisch, sie selbst und zwei Schwestern sind sehr nervös, eine der Schwestern hat 
einen Krampfanfall gehabt 

Der Fall des Vortr. lässt sioh in die bisher bekannten Gruppen derartiger 
familiärer Erkrankungen nicht einreihen, es besteht zwar eine gewisse Aehnlich- 
keit mit der von Sachs beschriebenen familiären amaurotischen Idiotie; doch 
befällt diese immer Kinder in den ersten Lebensmonaten und führt vor Ablauf 
des 2. Lebensjahres zum Tode. 

Discassion: 

Herr Oppenheim fragt, ob Veränderungen an der Hacula lutea gefunden 
seien, und ob nicht eine gewisse Aehnlichkeit mit den von Homön beschriebenen 
Fällen bestehe. 

Herr Skodczinski verneint die erste Frage; was die Hom6n’schen Fälle 
angehe, so seien sie von H. selbst als hereditäre Lues aufgefasst worden; eine 
Inunctionskur habe bei diesen auch eine erhebliche Besserung gebracht, während 
sie in seinem Fall gänzlich erfolglos geblieben sei. 

Herr Jolly: Ueber Kopftetanus mit Faeialisl&hmung. 

Der 9jähr. Pat. ist am 6. December 1901 der Klinik von Herrn Remak 
mit der Diagnose Kopftetanus überwiesen worden. Er fiel Hitte November beim 
Spielen auf die Erde und zog sich eine Wunde am Rande der linken Augenhöhle 
zu, die vernäht wurde und nach 8 Tagen verheilt war, so dass Pat wieder in 
die Schule gehen konnte. 10 Tage nach der Verletzung war der Hund nach 
rechts verzogen, einige Tage später das Oeffnen des Hundes erschwert; in den 
nächsten Tagen Zunahme der Symptome, mehrfach Anfälle plötzlicher Athemnoth 
mit Cyanose unter lautem Jammern und Schreien. Bei der Aufnahme fand sich 
völlige Lähmung des linken Facialis mit Contractur im Gebiet der unteren Aeste; 
ferner Contractur im rechten Facialis, dem Platysma, den Sternocleidomastoidei, 
(len Intercostal- und Bauchmuskeln, weniger in den Nacken- und Rückenmuskeln; 
die Extremitäten waren frei. In den nächsten Tagen häufig tetanische Anfälle 
mit Oppressionsgefühl, gesteigertem Trismus und vermehrter Contractur im Ge¬ 
sicht und den Bauchmuskeln. Dauer der Anfälle etwa eine Hinute. Es bestand 
ferner gesteigerte Reflexerregbarkeit und Empfindlichkeit gegen Geräusche. In 
den Anfallen wurden die Schultern nach vorn und die Beine an den Leib ge¬ 
zogen. Kein Fieber. 

Der Fall erschien ziemlich milde mit Rücksicht auf das lange Incubations- 


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Stadium, die allmähliche Entwickelung der Symptome und die Fieberloeigkeit. 
Du bei einer Venaesection entleerte Blut erwies sich für die Mehrzahl der ge* 
impften Mäuse als nicht toxisch, dagegen war die dem Orte der Verletzung ent¬ 
nommene Erde virulent. Am 11. December Injection von 15 ccm Behring’schen 
Serums (100 L-E.). Ein unmittelbarer Effect war nicht zu constatiren, nach 
einigen Tagen Hessen die Contracturen nach, die tetanischen Anfalle schwanden 
allmählich. 

Vom 14.—16. December Temperatursteigerungen auf 38,6—38,8°, dabei 
hämorrhagisches Sputum; objectiv Rasselgeräusche, aber keine Dämpfung. Am 
17. December wieder normale Temperatur. Allmähliches Nachlassen aller Sym¬ 
ptome, besonders auch des Trismus, so dass auch die Ernährung allmählich besser 
wurde. Die linksseitige Facialislähmung ging so weit zurück, dass zu Weih¬ 
nachten nur noch eine geringe Schwäche des Augenschlusses und ein Zurück¬ 
bleiben der linken Wange beim Lachen zu constatiren war. 

Die in Folge der Empfindlichkeit des Pat. sehr erschwerte elektrische Prüfung 
ergab, dass die Erregbarkeit links vielleicht ein wenig herabgesetzt war; sicher 
aber bestand keine Entartungsreaction. 

Am 28. December zeigte sich plötzlich eine deutliche Contractur im Facialis 
der linken Seite: linke Lidspalte sehr eng, deutliche Contractur der linken Wange. 
Reste dieser Contractur sind noch heute zu demonstriren, besonders nach mehr¬ 
maligem Augenschluss erscheint die Unke Lidspalte deutlioh enger als die rechte. 

ErhebHche Schluckstörungen bestanden nie. 

(Demonstration von photographischen Aufnahmen der verschiedenen Phasen 
des ErankheitsverlaufB.) 

Vortr. bespricht kurz die Geschichte der Lehre vom Kopftetanus und wendet 
sich zu den Erklärungsversuchen über die dabei beobachteten Facialislähmungen. 
Die Rose’8che Erklärung, dass es sich dabei um eine von der Wunde ausgehende 
Schwellung des Nerven handele, verwirft er, da niemals bei solohen Fällen Ent¬ 
artungsreaction constatirt worden sei, da ferner schwer einzusehen sei, wie z. B. 
von einer Stirnwunde aus dann eine Lähmung nicht nur des Stirnastes, sondern 
des ganzen Facialis zu Stande kommen solle. Bei Impfversuchen an Thieren tritt 
zunächst eine locale Contractur am Orte der Impfung auf, und es fragt sich, ob 
diese mit der localen Lähmung in Parallele gebracht werden könne. Dass die 
locale Contractur nicht directe Folge einer Affection der peripherischen motorischen 
oder sensiblen Nerven des betreffenden Gliedes sei, haben Experimente ergeben; 
vielmehr sei ihr Sitz in die Vorderhornganglienzellen zu verlegen. Wie es zu 
einer Affection derselben komme, darüber giebt es eine Reihe von Hypothesen, 
von denen keine als sicher angesehen werden könne; und da auch die anato¬ 
mische Untersuchung von Fällen von Kopftetanus mit einseitiger FaciaUslähmung 
bisher keine sicheren Resultate, besonders keine auf die erkrankte Seite be¬ 
schränkten Veränderungen ergeben habe, könnte man nur sagen, dass es sich bei 
der Contractur wie bei der Lähmung um Giftwirkungen auf das peripherische 
motorische Neuron, wahrscheinlich auf dessen spinalen Antheil, ohne bisher be¬ 
kannte anatomische Veränderungen handele. 

Der vorgestellte Fall ist bemerkenswerth, weil von Anfang an neben der 
Lähmung eine leichte Contraotur auch der gelähmten Seite und nach geheilter 
Iühmnng eine stärkere Contractur daselbst bestand; dass es sich nicht um eine 
gewöhnUche secundäre Contractur gehandelt hat, dagegen spricht schon das Fehlen 
von Entartungsreaction. Wahrscheinlich sind Lähmung wie Contractur nuclearen 
Ursprungs. 

Discussion: 

Herr Remak erinnert daran, dass Hadlich im Jahre 1885 dieser Gesell¬ 
schaft auch einen Fall von Kopftetanus, in dem sich Contractur und Lähmung 


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vergesellschaftet fanden, vorgestellt hat, nnd dass diese Mischung von Lähmung 
und Contractur auch von Neri ich in seiner Arbeit aus der Hitzig'schen Klinik 
erwähnt worden ist. Nach R.’s Ansicht ist der elektrische Befund in diesen 
Fällen bisher weder für den peripherischen, noch für den nuclearen Sitz der 
Lähmung charakteristisch, der klinische Befund ebenso wenig. Wenn die Brunner’- 
sehen Versuche, nach denen der erkrankte Facialisstamm selbst auf Thiere toxische 
Wirkung ausübe, als beweisend anzusehen wären, so würden sie für eine toxische 
peripherische Affection sprechen. 

Herr S ch uster erwähnt einen von ihm in der Medicin. Gesellschaft vorgeetellten 
geheilten Fall von sehr schwerem Kopftetanus aus der Mendel’schen Klinik, der 
auch in einer Dissertation (von Bleichröder) bearbeitet worden ist Auch in 
diesem waren Lähmung und Contractur auf derselben Seite gemischt vorhanden. Auch 
hier war der elektrische Befund normal. Pat hatte ausserdem mehrfach schwere 
tonische Zwerchfellskrämpfe, die zwei Mal fest den Exitus des Pat. herbeiführten 
und nur durch Faradisation der Phrenici beseitigt werden konnten. Nach In- 
jection von Tizzoni'schein Serum in den Duralsack war hier erhebliche Ver¬ 
schlimmerung eingetreten. Es wurde dann nach dem Vorschläge von Krokje- 
wicz eine Emulsion von Schweinehirn unter die Bauchwand injicirt. Ob die 
eingetretene Heilung hierdurch in die Wege geleitet worden ist, will Sch. nicht 
entscheiden. Auch hier blieb auf der ursprünglich gelähmten Gesichtshälfte eine 
gewisse Contractur zurück. 

Herr Jolly bemerkt zu Hrn. Remak’s Ausführungen, dass er bezüglich des 
Sitzes der Affection, ob in der Peripherie oder im Kern, keine Entscheidung ab¬ 
geben wolle; er will nur betonen, dass es sich nicht um eine entzündliche 
Affection handele, sondern um toxische, anatomisch bisher noch nicht erkennbare 
Alterationen. Martin Bloch (Berlin). 


XXXII. Jahresversammlung der südvrostdeutschen Irrenärzte in Karlsruhe 
am 2. und 3. November 1001. 

(Schluss.) 

Herr Gaupp: Die Dipsomanie. (Vgl. B. Gaupp, Die Dipsomanie. Eine 
klinische Studie. 1901. — Neurolog. CentralbL 1902. Nr. 1.) 

Nach einigen einleitenden Worten giebt der Vortr. zunächst eine Begriffs¬ 
bestimmung der Dipsomanie. Sie ist gekennzeichnet durch anfallsweisee Auf¬ 
treten eigenthümlicher Zustände, in denen nach Vorausgehen einer depressiven 
Gemüthsverstimmung der unwillkürliche Trieb nach Genuss berauschender Getränke 
erscheint. Der Trinktrieb führt zu heftigen Ausschweifungen, geht mit einer 
mehr oder weniger tiefen Bewusstseinstrübung einher oder löst allmählich eine 
solche aus, bis nach Tagen oder Wochen der Anfall von selbst sein Ende findet 
Die periodischen Gemüthsverstimmungen treten ohne erkennbaren Anlass ein. Die 
Krankheit verschlimmert sich meist und führt oft zum chronischen Alkoholismus. 

Nach dieser Begriffsbestimmung giebt Vortr. eine kurze historische Ueber- 
sicbt über die Entwickelung der Dipsomanielehre, wobei er namentlich klarlegt, 
wie die fortschreitende klinische Erfahrung immer mehr zur Auffassung der Krank¬ 
heit als einer epileptischen Störung drängte. Dabei wird die Frage nach der 
Umgrenzung des Begriffes der Epilepsie, nach der Existenz einer rein psychischen 
Epilepsie im Sinne von Falret und Samt wiederholt gestreift. Vortr. ist auf 
Grund umfangreicher eigener Untersuchungen und eingehender Litteraturstudien 
zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Dipsomanie stets ein Symptom der 
Epilepsie ist. Er setzt die Gründe für diese Annahme aus einander, beriohtet in 


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Kfine Aber das Ergebnis« seiner eigenen Untersuchungen, das er am Schlüsse 
folgendermaassen zusammenfasst: Ein Ueberblick über die ganze Reihe der beob¬ 
achteten Krankheitsfalle zeigte uns, dass am einen Ende der Kette der Epilep¬ 
tiker steht, der neben anderen Zeichen seines Leidens auch periodische Ver¬ 
stimmungen aufweist, am anderen Ende der Dipsomane, bei dem die periodische 
Verstimmung mit ihrem consecutiven Trinktrieb das einzige Symptom darstellt, 
dass aber zwischen diesen beiden extremen Formen sich alle möglichen Ueber- 
gänge finden. 

Im zweiten Theil seiner Ausführungen schildert Vortr. das klinische Bild der 
Dipsomanie, den Verlauf der einzelnen Anfalle, die Getränke der Dipsomanen nach 
Art und Menge, das Ausbleiben der Lähmungssymptome trotz enormer Excesse, 
den Uebergang der Verstimmung in einen Dämmerzustand, das gelegentliche Auf¬ 
treten eines mit epileptischen Zflgen vermischten Alkoholdelirs, den Verlauf des 
Anfalls bei Abstinenz im Schutz der Anstalt, die psychische Persönlichkeit des 
Quartalsäufers ausserhalb der Trinkanfälle. Dann bespricht der Vortr. die Diagnose 
der Dipsomanie, namentlich ihre Unterscheidung vom einfachen Alkoholismus, 
erörtert die Frage der sogen. Pseudodipsomanie und geht weiterhin zur Schilderung 
der Ursachen über. Die Bedeutung der erblichen Belastung wird hervorgehoben, 
der Einfluss von Kopftrauma, organischer Gehirnerkrankung, ohronisohem Alkoholis¬ 
mus besprochen. In der Frage, wie weit die weiblichen Generationsvorgänge 
ätiologisch wirksam sind, nimmt Vortr. einen skeptischen Standpunkt ein, wobei 
er namentlich darauf hinweist, dass hier Vieles als Dipsomanie bezeichnet wird, 
was nicht dazu gehört 

Die Prognose der Dipsomanie wird als meist ungünstig geschildert, da es 
selten gelingt, die Alkoholabstinenz während der Zwischenzeiten bei den Kranken 
durchzusetzen. Bei der Besprechung der Behandlung wird auf die Nothwendig- 
keit dieser Abstinenz hingewiesen und eine länger dauernde Anstaltsbehandlung 
empfohlen. Daran schliesst sich eine Erörterung über die Mittel und Wege zur 
Bekämpfung des Anfalls selbst (Brom, Sulfonal, Bettruhe, Selbsthülfe). Anhangs¬ 
weise wird der Ansichten Smith’s gedacht, der die Dipsomanie als Herzepilepsie 
bezeichnet und sie aus periodischen Herzerweiterungen erklärt. Die Richtigkeit 
dieser Ansicht lässt Vortr. mangels hinreichender eigener Erfahrungen dahin¬ 
gestellt, erkennt jedoch die Gründe, welche Smith gegen die epileptische Natur 
der Dipsomanie anführt, nicht an. Er betont nochmals, dass nach seinen Forschungs¬ 
ergebnissen die periodische Trunksucht als ein psychisch-epileptisches Aequivalent 
anzusehen ist und dass kein Grund vorliegt, den Epilepsiebegriff, welchen wir 
Falret, Morel, Trousseau und Samt verdanken, fallen zu lassen. 

(Autoreferat.) 

Herr Sander (Frankfurt a./M.): Zur Behandlung der aouten Erregungs¬ 
zustände. 

Vortr. giebt zunächst eine Uebersicht über die Methoden, wie sie früher und 
jetzt in den Irrenanstalten bei der Behandlung der acuten Erregungszustände 
geübt wurden und schildert sodann die Behandlungsart wie sie sich in der Frank¬ 
furter Irrenanstalt bei den schwersten Formen acuter Erregung im Laufe der 
letzten Jahre herausgebildet hat. Neben der Bettbehandlung wurden hierbei in 
umfangreichem Maasse hydropathiscbe Proceduren angewandt, besonders feuohte 
Einpackungen und Bäder, deren Technik, Indicationen und Contraindicationen 
eingehend dargelegt werden. Die Dauerbäder werden bei der Behandlung der 
schweren Erregungszustände ganz besonders empfohlen, ihr grosser Werth zeigt 
sieh vorzugsweise dann, wenn sie auch über die Nacht fortgesetzt werden können. 
Nieht nur bei den acut Erkrankten, sondern auch bei den intercurrenten Er¬ 
regungszuständen chronischer Kranker haben sie sich als sehr segensreich erwiesen. 
Die besonderen Einrichtungen, die derartige Dauerbäder für erregte Kranke er- 


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fordern, werden geschildert. Bei amfangreicher Anwendung der hydropathischen 
Proceduren kann man der pharmacentischen Beruhigungsmittel fast völlig ent¬ 
behren, immerhin leisten sie noch gute Dienste, namentlich in den Fällen, wo es 
nothwendig ist, Kranke bei vorübergehenden Erregungszuständen in ruhiger Um¬ 
gebung zu halten. Durch Anwendung der Dauerbäder gelingt es, die Isolirung 
auf ein Minimum einzuschränken, doch giebt es immer vereinzelte Fälle, bei denen 
sie den mildesten und schonendsten therapeutischen Eingriff darstellt, nachdem 
alle anderen legalen Mittel erschöpft sind. Bei genügendem Personal und ge¬ 
eigneten baulichen Einrichtungen ist es vielleicht möglich, auch in diesen wenigen 
Fällen späterhin die Isolirung noch zu vermeiden, die Zahl und Art der aufzu¬ 
nehmenden Kranken spricht dabei das Meiste mit In den schwersten Fällen von 
Delirium acutum, wo eine absolute Indicatio vitalis besteht, und alle anderen 
therapeutischen Maassnahmen nicht anwendbar sind, sowie in den Fällen, wo das 
Leben bedrohende chirurgische Affectionen vorhanden sind und natürlich nur in 
diesen Fällen ist man zur Anwendung mechanischer Zwangsmittel genöthigt. In 
solchen Fällen aus principiellen Gründen den Zwang zu vermeiden, heisst das 
Leben des Kranken unnöthig opfern. Sehr frühzeitig wird bei den schwersten 
Erregungszuständen zur Sondenfütterung geschritten, da erfahrungsgemäss bei der¬ 
artigen Zuständen bei dauernder Unterernährung sehr schnell tödtliche Collapse 
eintreten können. Es wird hierbei die regelmässige Krankenkost (Fleisch, frisches 
Gemüse u. dergl.) aufs Feinste zerhackt und in einer Bouillon verrührt durch 
die Schlundsonde eingeführt, eine Methode, die sich gegenüber der früher üblichen 
einseitigen Ernährung aufs Beste bewährt hat. Neben der Sondenfütterung werden 
bei den schwersten Zuständen mit Vorliebe subcutane Kochsalzinfusionen gegeben, 
die namentlich beim Delirium acutum einen unbestrittenen Werth besitzen. Bei 
sorgfältiger Asepsis kann man diese auch bei erregten Kranken ohne Gefahr an¬ 
wenden, wie die zahlreichen Erfahrungen in der Frankfurter Anstalt beweisen. 
Durch frühzeitige Sondenfütterung in Verbindung mit Kochsalzinfusionen gelingt 
es, selbst die schwersten Fälle von acuten Erregungszuständen durchzubringen, die 
bei dem sonst üblichen abwartenden Verhalten mit Sicherheit ad ezitum gekommen 
wären. Alle diese Methoden müssen unterstützt werden durch eine sachgemässe 
psychische Behandlung, die ihrerseits nur bei geeigneten baulichen Einrichtungen 
ermöglicht wird. Wenn bei den älteren Anstalten in dieser Hinsicht nicht viel 
zu erwarten steht, so muss wenigstens verlangt werden, dass bei Neubauten die 
dem heutigen Stande unserer Wissenschaft entsprechenden Einrichtungen getroffen 
werden. Vortr. schildert sodann, wie er sich selbst eine solche den modernen 
Anforderungen entsprechende Abtheilung für Unruhige denkt. Dass unter der¬ 
artig günstigen äusseren Verhältnissen in Verbindung mit einer sachgemässen und 
streng individuellen Behandlung die Erregungszustände weit milder verlaufen wie 
früher, wird nur der bezweifeln, der diese Methoden nicht aus eigener Anschauung 
kennt; ja, es steht zu hoffen, dass hierdurch nicht nur die Symptome gemildert, 
sondern auch der Krankheitsprocess direct in günstigem Sinne beeinflusst werden 
kann. (Autoreferat) 

Herr Kraepelin (Heidelberg): Ueber die Waohabtheilungen der Heidel¬ 
berger Irrenklinik. 

Die baulichen Veränderungen bestanden zunächst im Niederlegen von Wänden, 
wodurch grosse und übersichtliche Räume geschaffen wurden. Ferner wurden die 
unruhigen und die ruhigen Ueberwachungsbedürftigen getrennt. Sehr gute Er¬ 
fahrungen hat Vortr. mit dem System der „ständigen Nachtwachen“ erzielt; schon 
deshalb ist dieses System dem früheren täglichen Wechsel der Wärter vorzuziehen, 
weil bei letzterem häufig ganz junge Leute für diesen wichtigen Posten verwendet 
werden mussten. Ferner werden vom Vortr. die Dauerbäder auf den Wach¬ 
abtheilungen als zweckmässig empfohlen. Steingutwannen sind zwar theuer, aber 


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am brauchbarsten. Aach in der Nacht werden die permanenten Bäder fortgesetzt. 
Die meisten Einwände gegen diese Behandlungsmethode haben sich als anzutreffend 
erwiesen: so bleiben die Kranken naoh des Vortr. nunmehr 13jähr. Erfahrung 
ganz freiwillig im Bad. Nor Katatoniker machen vermöge ihres Negativismus 
öfter Schwierigkeiten. In diesen Fällen werden Tage lang wiederholte feuchte 
Einpackungen angewandt. Entgegen seinen Befürchtungen hat Vortr. Collapse 
während der Dauerbäder nur sehr selten beobachtet. Dagegen trat Herpes ton- 
sarans — offenbar darch Infection im Bad erworben — öfter auf. Furanculose 
and Menses bilden keine Contraindicationen für Dauerbäder. Am günstigsten 
wirken die letzteren bei Manie und bei paralytischen Erregungszuständen (De¬ 
lirium acutum). 

Epilepsie und Angstzustände sind schwerer zu beeinflussen und scheinen für 
diese Behandlungsmethode nicht geeignet. Für Gelähmte wird über die Wanne 
ein Tuch gespannt, auf das dieselben gelegt werden. Unreinliche Kranke sind 
im Dauerbad sehr gut aufgehoben. Isolirungen werden nach systematischer Ein¬ 
führung der Dauerbad-Behandlung viel seltener. 

Sowohl Isolirungen wie Einspritzung von Medicamenten werden vom Personal 
leicht als Strafen aufgefasst, Bäder natürlich nicht. Das System der Dauerbäder 
ist theuer. Es wird mehr Personal erforderlich. Dagegen wird an zerstörtem 
Material gespart und das Griesinger’sche Ideal der Krankenhausbehandlung 
Geisteskranker wird eher erreicht. 

Discussion. 

Herr Fürstner (Strassburg): In der Heidelberger Klinik wurde seit ihrer 
Eröffnung ein zweiter Wachsaal angestreht, dasB derselbe nicht erreicht worden 
ist, lag an der Ungunst der damaligen Verhältnisse. In das unbegrenzte Lob 
des Vortr. bezüglich der Dauerbäder könne F. nicht einstimmen. Man müsse sich 
vor Extremen hüten. Vortr. habe sich von der dauernden Bettbehandlung nun¬ 
mehr zur dauernden Badebehandlung gewandt. So günstig könnten die Erfolge 
doch wohl nicht sein. Beim wiederholten Einpacken giebt es doch wahrschein¬ 
lich häufig recht grosse Schwierigkeiten. Da ein sehr zahlreiches Personal er¬ 
fordert wird, so müssen die Kosten ausserordentlich steigen. F. fragt, wie viel 
Wärter und Wärterinnen gebraucht werden. Uebrigens habe Beyer in einer 
Veröffentlichung vor 3 Jahren von Misserfolgen berichtet. 

Herr Schüle (Hlenau) stimmt Fürstner zu, indem er gleichfalls die 
Indicationen für das Dauerbad eingeschränkt wissen will. Wenn die Indication 
für dasselbe indessen vorliegt, könne man auch mit Zwangsmaassregeln vorgehen. 
Sch. fragt, wie eine gleicbmässige Temperatur des Badewassers erzielt werde. In 
einer Anstalt habe er Badewannen mit Deckeln gesehen, durch die hindurch 
mittelst Thermometer die Temperatur des Wassers bequem bestimmt werden könne. 
Er halte diese Einrichtung für recht zweckmässig. Sch. hält die Isolirungen für 
kein so schlimmes Mittel, da ja Kranke häufig allein zu Bein wünschten. (Um 
diese Kranken handelt es sich doch in der Regel nicht. Ref.). 

Herr Alzheimer (Frankfurt a/M.): In Frankfurt haben sich die perma¬ 
nenten Bäder gut bewährt. Schwierigkeiten stellten sich nur im Anfang bei der 
Einrichtung (der Gewöhnung des Personals) heraus. Diesen anfänglichen Schwierig¬ 
keiten gegenüber ist der erreichte Vortheil sehr gross. Der Eindruck der Ab¬ 
theilungen ist thatsächlich ein besserer geworden. Besonders auffallend war der 
Unterschied bei periodisch-maniakalischen, die schon bei früheren Anfällen be¬ 
handelt worden waren und nun bei der neuen Behandlungsweise mit den Dauer¬ 
bädern ein ganz anderes Bild boten. A. empfiehlt daher die permanente Bäder- 
behandlung aufs wärmste und räth, sich durch den Augenschein von deren Nutzen 
zu überzeugen. 


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Herr Kreusser (Schussenried) hat vereinzelte Versuche mit Dauerbädern 
gemacht, aber keine grossen Erfolge gesehen. Es könne sich immer nur um 
einzelne Kranke handeln, bei denen ein Nutzen erzielt werde. 

Herr Beyer (Littenweiler bei Freiburg i/B.): Von einem Misserfolg der 
Dauerbäder sei in seiner Veröffentlichung vor 3 Jahren nicht die Rede gewesen. 
Er habe sich damals nur bemüht, speoielle Indicationen in Bezug auf einzelne 
Krankheiten aufzustellen, was indessen nicht gelungen sei. 

Herr Biberbach (Heppenheim) hat ebenfalls günstige Erfolge von Dauer¬ 
bädern gesehen. Die Kranken haben im Bad besser gegessen und weniger an 
Gewicht verloren. Die Regulirung der Temperatur Bei durchaus nicht schwer. 

Herr Kraepelin (Schlusswort) will nicht auf die theoretischen Einwände 
entgegnen, verweist auf seine praktischen — durch etwa 13jährige Erfahrung 
gestützten Erfolge. 

Herr Alzheimer (auf eine Anfrage von Ludwig) erklärt, dass in Frank¬ 
furt a/M. die Behandlung mit Dauerbädern am Tage seit 2 Jahren, bei Nacht 
seit etwa 1 / 2 Jahre eingeführt und bisher für 6 Kranke auf jeder Seite ein¬ 
gerichtet sei. 

Herr Smith (Marbach): Ueber seine Methode der Hersuntersuohung und 
die damit erhobenen Befände. 

Vortr. will vermittelst seiner Methode bei der Melancholie, bei Anfällen von 
Dipsomanie, sowie beim acuten Alkoholismus Herzerweiterung beobachtet haben 
und zwar mit solcher Bestimmtheit, dass Vortr. z. B. bei dipsomanischen Anfällen 
aus dem Herzbefund das Herannahen eines Anfalles Vorhersagen könne. Auch 
könne Vortr. durch eine methodisch vorgenommene Faradisation des Herzmuskels 
die Herzerweiterung beseitigen (!) und damit die durch dieselbe verursachten 
psychischen Symptome bekämpfen. 

Discussion. 

Herr Gaupp (Heidelberg) fragt, wie es denn komme, dass nur der Vortr. 
zu solchen Resultaten komme, während andere die erwähnten Veränderungen 
nicht finden. 

Herr Kraepelin (Heidelberg) findet es auffallend, dass Depressionen bei 
Neurasthenie, bei Melancholie, Dipsomanie, Epilepsie u. s. w. durch dieselbe Methode 
beeinflusst werden. Sollten alle trotz der verschiedenen Pathogenese derselben 
Therapie zugänglich sein? K. hegt daher vorerst an der Richtigkeit der That- 
sachen Zweifel. Sonst wäre K. der erste, der eine solche Methode mit Freuden 
begrüsst hätte. 

Herr Smith konnte aus Zeitmangel nicht die klinische Differenzirung an¬ 
geben. Die Herzerweiterung finde sich nur bei bestimmten Fällen. Das Ver¬ 
fahren heile die Grundkrankheit nicht, sondern mildere es nur, indem es die 
Herzerweiterung bekämpfe, welche ihrerseits Angstzustände und Gemüthsalterationen 
im Gefolge habe. Seine Befunde seien controllirt (auch mittelst Röntgen-Auf¬ 
nahmen) und richtig befunden. Andere z. B. Ref. hätten sich von der Richtig¬ 
keit seiner Angaben überzeugt. 1 Dr. Lilien st ein (Bad-Nauheim). 


1 Zu meinem lebhaften Bedauern konnte ich bei dem letzten Vortrag nicht mehr an¬ 
wesend sein. Dass ich mich von der vollen Richtigkeit der Angaben von Smith überzeugt 
hätte, kann man doch nach meinem Hamburger Vortrag nicht behaupten. 


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Sooidtd de neurologle de Parle. 

Sitzung vom 18. April 1901. 

(Schloss.) 

Herr Maurice Dide und Herr E. Sacqu6p6e: Vorläufige Mittheilung 
über die Giftigkeit der oerobrospinalen Flüssigkeit bei Epileptischen. 

. Die Vortr. haben experimentell die Toxicität der cerebrospinalen Flüssigkeit 
bei Epileptischen untersucht und zwar: 1. in der Zeit zwischen den Anfällen; 

2. nach einem einzigen Anfall und 3. nach einer Serie von Anfällen. Die Flüssig¬ 
keit wurde den Kaninchen intracerebral eingespritzt mit einer Pravaz’schen 
Spritze in die rechte Hemisphäre, etwa 2 mm seitwärts von der medianen Linie. 
Die eingespritzte Flüssigkeit war immer klar wie Quellwasser, nur 2 Mal war 
dieselbe etwas blutig gefärbt. Das Quantum der eingeführten Flüssigkeit variirte 
zwischen 2 und 5 ccm. Die ätiologische Untersuchung der cerebrospinalen Flüssig¬ 
keit hat in allen Fällen ein negatives Resultat ergeben. Auch was einen etwaigen 
Gehalt an Mikroben anbelangt, hat sich die cerebrospinale Flüssigkeit in allen 
Fällen als steril erwiesen. Die erzielten Resultate werden von den Vortr. in 
folgenden Sätzen zusammengefasst: 

1. Ausserhalb der epileptischen Anfälle ist die oerebrospinale Flüssigkeit der 
Epileptiker vollständig harmlos bei Kaninchen. 

2. Nach einem isolirten epileptisohen Anfall ruft die Einführung von oerebro¬ 
spinaler Flüssigkeit in die Gehirnsubstanz beim Kaninchen leichte Erscheinungen 
von Depression, Stupor und manchmal allgemeine Zuckungen hervor. Alle diese 
Erscheinungen dauern nur kurze Zeit und verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen. 

3. Nach einer Reihe von Anfällen ist die intraoerebrale Einspritzung von 
, / 4 ccm von cerebrospinaler Flüssigkeit bei Kaninchen von heftigen allgemeinen 
Zuckungen begleitet. Nach einem '/jCcm tritt der Tod des Thieres unter Erscheinungen 
von einem epileptischen Anfalle ein und dies einige Stunden, ja sogar einige 
Minuten nach der Einspritzung. 

Herr Andrä Thomas: Bin Fall von Webe rischem Bymptomenoomplex 
syphilitischen Ursprungs mit Nekropsle. 

Folgender Fall ist ein sehr hübsches Beispiel von Paralysis alternans hei 
einer Syphilitischen, ansgebrochen 19 Jahre nach den Initialersoheinungen der 
Lues mul bedingt durch multiple gummöse Läsionen. Kranke 46 jährige Wäscherin 
stammt aus der Klinik des Herrn Prof. Dejerine in der Salpetriöre. Syphilis 
im Alter von 27 Jahren. Exoesse in baccho vor 6 Jahren. Beginn der jetzigen 
Krankheit kurz darauf mit Schmerzen und Schwäche im linken Arm. Bei der 
Untersuchung im Jahre 1895 fand man eine Klumpke'sohe Lähmung in der 
lädirten Extremität. Später traten neuralgische Schmerzen in der linken Hälfte 
des Gesichtes auf, dann Erblindung am linken Auge mit Ptosis auf derselben 
Seite. Am 6. August desselben Jahres rechtsseitige Hemiplegie und Lähmung 
des unteren Facialis. Die obere Extremität ist vollständig gelähmt, die untere 
etwas weniger. Incontinentia vesicae. Es trat später Wortamnesie hinzu. Am 

4. October Schlucklähmung. Tod am 28. Ootober nach viertägigem Coma. Bei 
der Autopsie fand man Folgendes: Linker Nervus opticus und oculomotorius auf 
derselben Seite sind in einer weissen Masse eingebettet. Ebenfalls links Ver¬ 
dickung der Dura mater an der Austrittsstelle der 8. Cervicalwurzel und der 
1. Brustwurzel. Bei der mikroskopischen Untersuchung erwies sich diese Ver¬ 
dickung, wie die oben erwähnte weisse Masse, als eine gummöse Infiltration. 
Serienschnitte erwiesen noch gummöse Infiltrationen im Pedunculus cerebri und 
in der inneren Kapsel der linken Gehirnhälfte, mit secundärer Degeneration der 
PedoneoH cerebri und der Pyramidenbahnen. R. Hirschberg (Paris). 

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Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau. 

Sitzung vom 21. October 1900. 

Herr Dr. L. Minor: Die Fortschritte der Nerventherapie su finde des 
19. Jahrhunderte und ihre nftohsten Ziele. 

Herr Dr. G. Rossolimo: Kunst, kranke Nerven und Erziehung. 

Zum Ehrenmitgliede der Gesellschaft wurde einstimmig Prof. v. Krafft- 
Ebing (Wien) gewählt. 

Sitzung vom 17. November 1900. 

Herr Prof. W. Roth demonstrirte einen Kranken, welcher an typisoher 
Form der Wirbelsteiflgkeit litt, und 5 Fälle progressiver Muskelatrophie 
myopathischen Ursprungs. 

Herr Dr. S. Tschemischeff: Anfertigung mikroskopischer Präparate 
des Nervensystems nach der Methode von Dr. B. Stepanoff. 

Ein etwa 1 cm dickes, in irgend einer Flüssigkeit fixirtes Gehirnstück wird 
während 24 Stunden in Alkohol, darauf in Anilin entwässert. Das Anilin wird 
durch ein Gemisch von zwei Theilen Aeth. sulf. und ein Theil Alkoh. abs. ent¬ 
fernt. Darauf wird das Gehirnstück auf 24 Stunden in eine zur Hälfte verdünnte 
„normale“ Celloidinlösung gebracht, welche nach folgendem Recept bereitet wird: 
Dünnste Spähne von Celloidin 1,5, Eugenol oder 01. caryoph. 5,0, Aetb. sulfur. 
20,0, Alkoh. abs. etwa 1,0. Darauf wird das Celloidin bis zur Syrupconsistenz 
eingedickt. Aus dem Celloidin bringt man das Gehirnstück auf 15 Minuten in 
Benzol, danach in 80—85°/ 0 Alkohol auf 24 Stunden, klebt weiterhin das Stück 
an den Korken und schneidet es. Die Dicke der Schnitte kann bei kleinen 
Stücken (Rückenmark) bis 5/u, bei grösseren (Medulla oblong.) 10 ft, aus dem 
Pons Varoli, Hirnschenkel bis zu 15 ft betragen. Die Färbbarkeit der nach dieser 
Methode behandelten Hirnstücke ist dieselbe wie bei anderen Methoden. 

Die vom Vortr. vorgeschlagene Methode der Einbettung des Nervensystems 
in Colloxylin besteht in Folgendem: 10,0 trockenen Colloxylins und 10,0 01. ca- 
ryophil. werden mit 60,0 Aeth. sulf. befeuchtet Das Colloxylin löst sich rasch 
nach Zusatz von einigen Tropfen Alkoh. absol. Das mit Alkohol und Anilin 
entwässerte Stück bleibt in dieser ätber-öligen Lösung des Colloxylins, welche 
vorher stark mit Aether verdünnt worden ist, 24—28 Stunden. Darnach wird 
das Glasgefäss, im welchem das Stück liegt, geöffnet, damit das Colloxylin sich 
verdickt. Nach Behandlung des Gehirnstückes mit 80—85°/ 0 Alkohol im Ver¬ 
laufe mehrerer Stunden wird es mit demselben Colloxylin auf den Korken geklebt 
und geschnitten. Die Schnitte sind ebensogut wie die mit Celloidin behandelten. 

Discussion: 

Herr Dr. Melnikoff-Roswedenkoff theilt. mit, dass er gute Präparate 
aus der Haut nach der Methode von Stepanoff erhalten hat 

Herr Dr. Muratoff glaubt, dass das Wesen der Methode in der Beschleunigung 
besteht Die Durchtränkung mit Nelkenöl wurde schon früher von Prot Niki- 
foroff angewandt. 

An der Discussion betheiligten sich die Herren Korniloff und Versiloft 

Herr Dr. N. Solovzoff: lieber die Veränderungen im Centralnerven¬ 
ayatem bei Spina bifida (Hydrops des 4. Ventrikels). 

Bei Spina bifida werden Veränderungen im ganzen Centralnervensystem be¬ 
obachtet : 

1. Im Grosshirn Hydrops, gewöhnlich im schwachen Grade. 


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2. Der mittlere Th eil des Kleinhirns bleibt mehr oder minder unentwickelt 

3. Der 4. Ventrikel ist nach unten gedehnt und sein unterer Winkel be¬ 
findet sich im Niveau des Halstheils der Wirbelsäule. 

4. Das Velum medull. post senkt sich, zuweilen mit einem Th eil des Klein¬ 
hirns, nach unten und bedeckt den 4. Ventrikel in seiner ganzen Ausdehnung. 

5. Die Medulla oblongata ist nach unten in den Halstheil der Wirbelsäule 
verlagert. 

6 Der Wirbelsaulencanal des Halstheils ist, dank der Senkung der Medulla 
oblong, nach unten, stark erweitert und die Proc. spin. gehen häufig auseinander. 

7. Zuweilen ist nur der hintere Theil des verlängerten Marks verlagert, wo¬ 
bei er sich über das Rückenmark legt, welches auf diese Weise unter das ver¬ 
längerte Mark und vor demselben zu liegen kommt. Der Grund der Veränderungen 
des verlängerten Marks liegt im Hydrops des 4. Ventrikels und alle oben er¬ 
wähnten Veränderungen stehen in Abhängigkeit vom .Hydrops und sind mehr 
oder weniger ausgesprochen. Andererseits fehlen in den Fällen, wo die Spina 
bifida nicht vom Hydrops des 4. Ventrikels begleitet wird, alle oben erwähnten 
Veränderungen. 

Discussion: 

Herr Dr. Weidenhammer fragt, ob der fehlende mittlere Theil des Klein¬ 
hirns nicht durch Zellanhäufung in der Medulla oblong, ersetzt wird. 

Herr Dr. Versiloff: Auf Grund der Abwesenheit deijenigen Systeme, welche 
bei experimentellen Untersuchungen mit Entfernung des mittleren Theils dege- 
neriren, lässt die Annahme zu, dass in den Fällen des Vortr. der mittlere Theil 
fehlte. 

Herr Prof. Roth nahm ebenfalls an der Discussion Theil. 

N. Wersiloff. S. Suchanoff. 

Sitzung vom 19. Februar 1901. 

Herr Dr. N. Iw an off: Demonstration eines Kranken mit symmetrischen 
Exostosen. 

Der Bauer M. W. aus dem Gouvernement Lamara, 15 Jahre alt, erkrankte 
im Herbst 1897. Ohne wahrnehmbare Ursache stellten sich Schmerz und Schwellung 
in den Sprunggelenken ein. Der Schmerz, der sehr intensiv war, zwang den 
Kranken, sich in ein Hospital aufnehmen zu lassen. Eine ausgesprochene Tempe¬ 
raturerhöhung war nicht vorhanden. Nach einigen Tagen wurden nacheinander 
die Knie-, Hüft-, Schulter- und Ellbogengelenke ergriffen. Im Laufe eines Monats 
waren fast- alle Gelenke erkrankt inclusive auch das Unterkiefergelenk. Frei 
blieben nur die Gelenke der vier letzten Zehen. Schon in den ersten Wochen 
war auch die Wirbelsäule afficirt, besonders der Halstheil: die geringste Be¬ 
wegung des Kopfes war sehr schmerzhaft. Einen Monat verblieb der Patient im 
Krankenhause. Darnach Hessen die acuten Erscheinungen allmählich nach, voll¬ 
ständige Heilung trat aber nicht ein. Schmerzen in den Gelenken und Behinde¬ 
rung in den Bewegungen persistirte. Darauf trat mehrmals, hauptsächlich im 
Herbst, Verschlimmerung der Krankheit ein, wonach die Bewegungsbehinderung 
immer zunahm; gleichzeitig verstärkte sich auch die von Anfang der Krankheit 
an sich entwickelnde Steifigkeit der Wirbelsäule. Ungefähr nach Ablauf eines 
Jahres bemerkte der Kranke bedeutende Abmagerung der Extremitätenmuskeln 
und noch nach 1 / a Jahr constatirte er das Auftreten von Exostosen, welche in 
ihrem Wachsthum Progression zeigten. — Gegenwärtig sind beim Kranken fast 
alle Gelenke, sowohl die grossen als auch die kleinen, afficirt. In einigen Ge¬ 
lenken kann auch augenblickUch Exsudat nachgewiesen werden. Die Epiphysen¬ 
enden der Röhrenknochen sind verdickt. In vielen Gelenken hört man bei 

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Bewegung Krepitation. Die Bewegungen in allen Gelenken sind bedeutend be¬ 
schränkt in Folge von Schmerz und Contracturen. Der Kranke geht mit grosser 
Mühe, auf einen Stock sich stützend und kaum die Beine vorwärtsbewegend, 
welche in Folge von Contracturen in Knie- und Hüftgelenken gebeugt sind. Die 
Exostosen sind am stärksten am Kreuz ausgebildet. Sie sind höckerig, von der 
Grösse einer Haselnuss und symmetrisch zu beiden Seiten gelagert. Desgleichen 
finden sie sich an den knöchernen Fortsätzen der unteren und oberen Brustwirbel. 
Mehrere kleine Exostosen beiderseits am inneren Bande der Scapula, auf der 
Spina scapulae am Acromion (drei auf jeder Seite), an den Schlüsselbeinen, 
Humerus, grosse Exostosen am Olecranon. Viele kleine an beiden Patellen, beim 
Capit. fibulae, am Malleolus ext. et int. An den Händen und Füssen sind sie nur 
in geringer Anzahl. Am Schädel fehlen sie vollständig. Fast alle Exostosen sind 
symmetrisch gelagert. Bei der Palpation erscheinen sie theils von knorpeliger, 
theils von knöcherner Consistenz. Die radiographische Aufnahme des Knies zeigt, 
dass die Epiphysen des Femur und der Tibia stark verdickt sind, die Knochen¬ 
substanz ist theils rareficirt, theils haben sich neue Knochenlamellen gebildet. 
Die Rarefication ist besonders stark am Kopfe des Femur ausgesprochen, welcher 
von dem übrigen Knochen fast ganz abgetheilt erscheint. Die Erregbarkeit der 
Muskeln ist sowohl für den galvanischen als auch den faradischen Strom gut 
erhalten. Zeichen von Rhachitis: unregelmässig gestellte und unegale Zähne. 
Keine Zeichen von Lues. Keine Oedeme. Spuren von Eiweiss im Harn. Keine 
Cylinder. Fast alle Autoren rechnen solche Exostosen zu den knorpligen. Als 
Ursache ihres Auftretens wird von Einigen (Vix, Volk mann) Rhachitis, von 
Anderen (Weber) Skrophulose angenommen. Die meisten Autoren aber sehen 
auf die Exostosen als auf eine hereditäre Erkrankung. 

Discussion: 

Herr Dr. L. Minor und Herr Dr. W. Muratoff knüpften an den Vortrag 
einige Bemerkungen. 

Herr Dr. W. Muratoff: Nosologischer Beweis ursächlichen Zusammen¬ 
hangs der progressiven Paralyse von der Syphilis. 

Der Vortr. sucht den Beweis zu führen, dass die Syphilis des Nervensystems 
complicirt werden kann mit Veränderungen, welche der progressiven Paralyse 
eigen sind, mit den entsprechenden klinischen Symptomen. In diesem Sinne 
sprechen drei vom Vortr. in der letzten Zeit gemachte Beobachtungen. 

1. Fall. W. R., 38 Jahre alt, Angestellter an einer Bank, trat in das 
Krankenhaus der Gebrüder Bachruschin am 26. August 1900 ein. 1893 syphi¬ 
litische Infection; es wurden 96 Frictionen gemacht. Nach 8 Monaten Insult — 
beim Versuch vom Tische aufzustehen, fiel der Kranke hin und konnte im Ver¬ 
lauf einer Stunde die Extremitäten nicht bewegen; nach einer Stunde schwanden 
alle Erscheinungen. Nochmals 25 Injectionen. Im Sommer 1894 Wiederholung 
des Insults: Plötzliche rechte Hemiparese; nach einigen Tagen vollkommene 
Restitution. Von 1898 allmähliche Entwickelung von Schwäche in den unteren 
Extremitäten. Status praes. am 27./VIII. 1900: Vollkommen normale psychische 
Thätigkeit, Sprache und Schrift ohne Veränderung. Rechte Pupille > als die 
linke. Parese des linken Armes, Schwäche in beiden unteren Extremitäten, bei 
hochgradiger Ataxie, rechts stärker; Patellarreflexe erhöht. Beiderseitige Paralyse 
des Abducens. Häufiges Erbrechen. Die Vertheilung der Anästhesie der Paralyse 
entgegengesetzt (Brown-S6quard’scher Typus). Stauungsneuritis. Ungeachtet 
der energischen Behandlung mit Quecksilber und Jod Tod nach 5 Tagen unter 
häufigem Erbrechen und Herzschwäche. Bei der Autopsie gummöse Meningo¬ 
myelitis mit Betheiligung der weichen Häute der Med. oblong.; im Grosshirn 
werden bei der Section keine Veränderungen gefunden. Ependymitis granulös» 


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der HirnventrikeL Mikroskopische Untersuchungen: Im Rückenmark hochgradige 
luetische Veränderungen — einzelne Gummata in den Wurzeln, allgemeine Infil¬ 
tration der Pia mater, Peri- und Gndarteriitis. Die luetische Infiltration findet 
sich auch in der Marksubetans; diffuse parenchymatöse Veränderungen in den 
Nervenfasern, Oedem der Neuroglia. In dem mittleren Brusttheil der Marksubstanz 
wuchert eine gummöse Neubildung, welche ungefähr die Hälfte dee Querschnittes 
einnimmt (Brown-Sequard’scher Typus). Unterhalb dieser Stelle absteigende 
Degeneration der Pyramidenbahnen. Im Lendentheil dasselbe wie im HalstheiL 
Im vierten, dritten und Seiten Ventrikel dee Hirns ergab die mikroskopische Unter¬ 
suchung: Entzündung des Ependyms, bedeutende Wucherung der ependymären 
Zellen, an der Peripherie reichliche Entwickelung der Neuroglia. In den Seh¬ 
hügeln frische miliare Blutungen. An Hirnhäuten, an der Convexität wurden 
nirgends Gummata gefunden. In der linken Centralfurche und in dem Lobus 
paracentralis wurden tiefgreifende Veränderungen der Zellen und der Fasern ge¬ 
funden. In der Mehrzahl der Zellen bedeutende Chromatolyse bei seitlicher Ver¬ 
lagerung des Kerns; in einigen fast vollkommene Auflösung des Protoplasma. 
An den Präparaten nach Marchi fettige Degeneration der subcorticalen Fasern. 
Massige Periarteriitis. Keine Blutungen. Gruppiren wir die Befunde unserer 
Untersuchung so sehen wir 1. das ausgesprochene Bild der tertiären Syphilis in 
Form einer luetischen Meningomyelitis und 2. Veränderungen, welche der allge¬ 
meinen Paralyse der Irren eigentümlich sind, in Form einer Ependymitis 
granulöse und parenchymatöse Veränderungen der Zellen und Fasern der Hirn¬ 
rinde. Da sich diese Veränderungen im Verlaufe der Syphilis entwickelt haben, 
so sind wir geneigt ihnen einen parasyphilitischen Ursprung zuzuschreiben. Die¬ 
selbe Beleuchtung erfährt unser Fall vom klinischen Standpunkt, da die von uns 
beschriebenen parenchymatösen Veränderungen der Rinde ihren klinischen Aus¬ 
druck in Form der sich wiederholenden paralytischen Insulte finden. Unzweifel¬ 
haft konnten diese Insulte in keinem Zusammenhang mit irgendwelchen gummösen 
oder vasculären Processen stehen, 1. weil die mikroskopische Untersuchung solche 
Dinge nicht aufgedeckt hat, 2. nach ihrem klinischen Typus selbst: es ist ganz 
unwahrscheinlich, dass irgendwelche vasculäre Processe so kurzdauernde paralytische 
Störungen hätten hervorrufen können. Nach ihrem klinischen Typus sind sie 
vollkommen den paralytischen Insulten bei progressiver Paralyse identisch. 

In den beiden anderen Fällen ohne Autopsie handelt es sich um junge 
Leute im Alter von 25 und 28 Jahren. Beide erfreuten sich vollkommen nor¬ 
maler geistiger Fähigkeiten. Der Eine ist Chef einer Handelsfirma, der Andere 
ein Student der Medicin, welcher zum Examen arbeitete. Bei Beiden nach syphi¬ 
litischer Infection eine Reihe von paralytischen Insulten, wobei die paralytischen 
Erscheinungen nur 1—2 Tage dauerten. Interesssant ist, dass in allen 3 Fällen 
die Insulte während der Quecksilberbebandlung auftraten. 

Schlussfolgerungen: 

1. Im Verlaufe der Lues des Nervensystems ist das Auftreten von anato¬ 
mischen Veränderungen der ependymären und Nervenelemente und der Hirnhäute 
(Pachymeningitis haemorrhagica), welohe der progressiven Paralyse eigenthümlich 
sind, möglich. 

2. Rasch vorübergehende apoplektoide Anfälle kommen im Verlaufe der Lues 
vor. Sie hängen ab von der parenchymatösen Erkrankung der Rindenzellen und 
unterscheiden sich durch ihre geringere Stabilität von den luetischen Hemiplegieen 
vasculären Ursprungs. Wahrscheinlich haben in einigen Fällen die Anfälle der 
Jackson’schen Epilepsie bei der Lues denselben Ursprung. 

3. Die paralytischen Anfälle der Luetiker können eine drohende Bedeutung 
haben, indem sie den Anfang einer diffusen parenchymatösen Erkrankung des 
Gehirns anzeigen. 


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4. Die Combination von Erscheinungen tertiärer Lues mit einzelnen klinischen 
Symptomen der progressiven Paralyse stellt den nosologischen Beweis von der Ab¬ 
hängigkeit der progressiven Paralyse von erworbener oder hereditärer Lues, als 
eine der Ursachen der Krankheit, dar. 

Discussion: 

Herr Dr. A. Jokarsky ist der Ansicht, dass die vom Eef. beschriebenen 
Besonderheiten des klinischen Bildes auch bei anderen Erkrankungen des Nerven¬ 
systems gefunden werden können und desshalb nicht dienen können als noso¬ 
logischer Beweis des Zusammenhangs der Hirnlues mit der progressiven Paralyse. 

Herr Dr. Konstantinowsky hält den ersten Fall für Pseudoparalysis pro¬ 
gressiva. 

Herr Dr. Weydenhammer hat die vom Vortr. beschriebenen anatomischen 
Veränderungen bei verschiedenen organischen Krankheiten des Grosshirns an¬ 
getroffen. 

Herr Dr. Butzke erinnert daran, dass bei sioheren Erscheinungen der Syphilis 
die progressive Paralyse so selten ist, dass Zweifel an der Richtigkeit der Dia¬ 
gnose „progressive Paralyse“ entstehen muss. 

Herr Postowsky weist darauf hin, dass bei Aehnlichkeit und selbst bei 
voller Uebereinstimmung der anatomischen Veränderungen zweier Krankheiten man 
nicht die Berechtigung hat, den Schluss zu ziehen, dass diese Krankheiten gleiche 
Ursachen haben. 

Herr Dr. Serbsky bemerkt, dass, trotzdem der erste Insult (im ersten Falle) 
6 Jahre vor dem Tode eintrat, sich weder klinisch, noch anatomisoh das Bild 
der progressiven Paralyse entwickelt hat. 

Herr Dr. Bernstein meint, dass die Beobachtungen des Vortr. höchstens 
die parasyphilitische Natur der apoplektoiden Insulte der Paralytiker, nicht aber 
das ganze Bild der progressiven Paralyse zu erklären im Stande wären. 

Herr Dr. Wersiloff hält dafür, dass die beschriebenen apoplektoiden In¬ 
sulte sich besser erklären lassen durch vasculäre Erscheinungen, als durch die 
geringen parenchymatösen Veränderungen in der Rinde. 

Herr Prof. Roth hält alle Behauptungen des Vortr. für bestreitbar. 

Herr Dr. L. Minor demonstrirte Präparate: L des Grosshims mit einer 
post operationem entstandenen Hernie und II. des Rückenmarks mit oen- 
tralen Blutungen. 

Von Dr. 'N. Wersiloff wurden in Bezug auf das zweite Referat einige Be¬ 
merkungen gemacht. A. Bernstein. S. Suchanoff. 

Sitzung vom 16. März 1901. 

Herr P. Preobraj ensky: Ein Fall Von bulb&rem Tetanus mit Autopsie. 

Die Kranke, eine 51 Jahre alte Tagelöhnerin, verwundete sich 1 1 / a Wochen 
vor Eintritt ins Krankenhaus bei einem Fall mit einem Nagel das linke untere 
Augenlid in der Nähe des äusBeren Winkels. Die Wunde verheilte nach einigen 
Tagen, aber 3 Tage vor dem Eintritt ins Hospital stellte sich Trismus, Krämpfe 
in der GesichtsmuBculatur und Athmungsbehinderung ein. 

Stat. praes.: Herztöne dumpf, Puls 110, Trismus. Tonische Krämpfe im 
Gebiete beider Faciales; die Augen geschlossen, können willkürlich nicht geöffnet 
werden. Die Augen lassen sich gewaltsam mit einiger Mühe öffnen. Die Papillen 
sind ad maximum verengert, gleich und reagiren nicht auf Liohteinfall. Augen¬ 
bewegungen "nach beiden Seiten von geringer Excursionsweite. Retraction beider 
Augen. Geringe Spannung der Nackenmusoulatur. Erschwerung der Athmung. 
Zeitweilig Krämpfe in den Muskeln des Rachens, des Kehlkopfe, Spasmus der 


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Brustmuskeln, Cyanose des Gesichts. Die Kranke kann sich frei bewegen, zuweilen 
Andeutung von Opisthotonus. Die Sprache der Kranken ist vollständig undeut¬ 
lich und unverständlich, wird aber deutlicher bei gewaltsamer Oeffnung der Lippen. 
Nahrungsaufnahme unmöglich. Vermehrte Schweissabsonderung. Im Harn grosse 
Mengen Eiweiss. Bewusstsein ungetrübt. 37 Stunden nach Eintritt ins Hospital 
Exitus letalis. — Autopsie (35 Stunden post mortem): Nephritis interstitialis chron., 
im Uebrigen unbedeutende Veränderungen in den verschiedenen Organen. Bei der 
mikroskopischen Untersuchung (Färbung mit Tionin, Eosin, Hämatoxylin, nach 
van Gieson und Weigert) fanden sich Veränderungen hauptsächlich in den Zellen 
des verlängerten und des Bückenmarks: diffuse, partielle und perinucleäre Chroma- 
tolyse, Vacuolenbildung, Schwund, Schwellung und randständige Lage des Kerns; 
Terschiedentliche Grade von Zelldegeneration, Schwellung der Zellen (besonders 
ausgesprochen in den Clarke’schen Säulen, wo die Zellen viel grösser erscheinen 
als die Zellen in den Vorderhörnern des Rückenmarks). Im Allgemeinen sind 
diese Veränderungen caudalwärts weniger ausgesprochen als im verlängerten Mark 
und dem oberen Theil des Halsmarks. Bei dieser Form des Tetanus ergaben 
sich ähnliche, von anderen Autoren beschriebene Veränderungen. Was die Be¬ 
zeichnung Tetanus bulbaris anbetrifft, so hält ihn Vortr. für den hier beschriebenen 
Fall passender als andere Bezeichnungen, wie Tetanus facialis, capitis, hydro- 
phobicus. 

Discussion: Herr Wersiloff und Herr Murawjeff stellten an den Vortr. 
einige Fragen. 

Herr G. Bossolimo: Atrophisohe Form der Thomsen’sehen Krankheit. 
(Demonstration des Kranken und mikroskopischer Präparate.) 

Vortr. demonstrirt einen in seiner Klinik stationirten Kranken von 37 Jahren, 
dessen Anamnese keine Hinweise giebt weder auf eine allgemeine neuropathische, 
noch auf eine specielle Heredität; weder auf Lues, noch auf Alkoholismus. Von anderen 
Erkrankungen kann man eine acute Erkrankung des rechten Kniees mit Schwellung 
und Schmerzhaftigkeit desselben notiren, mit hoher Temperatur von 10tägiger 
Dauer und vollständiger Rückbildung. 2—3 Monate naoh dieser Erkrankung 
stellt sieh Schwäche im rechten Bein beim Gehen ein, nach einem Monat auch im 
linken. Seit dieser Zeit ist das Gehen erschwert, namentlich bei den ersten 
Schritten, zu Ende längeren Marsches stellt sich Müdigkeit und Schwäche in den 
Beinen ein. Seit dieser Zeit progressirt sowohl diese Erscheinung als auch die 
Abmagerung in den Beinen und entwickelt sich Schwerbeweglichkeit der Muskeln 
der oberen Extremitäten, der Schultern und des Gesichts. Allgemeine Abmage¬ 
rung begann vor 15 Jahren. 

Stat. praes.: Facies myopathica. Gleichmässige Atrophie der Unterarmmuskeln, 
in geringerem Grade der Hände, in bedeutendem Maasse der Unterschenkel, ge¬ 
ringer in den Füssen und Oberschenkeln. Ausgesprochene myotonische Störungen 
bei willkürlicher Bewegung in den Muskeln des Gesichts, der Zunge, am hoch¬ 
gradigsten in den am meisten atrophirten Muskeln, besonders in den oberen 
Extremitäten. Je atrophischer der Muskel, desto schwerer lässt sich die myo¬ 
tonische Reaction auf mechanischen Reiz auslösen; dasselbe gilt hinsichtlich der 
typischen myotonischen Reaction auf elektrische Reizung; in der Mehrzahl geben 
die Muskeln der Unterschenkel und der Füsse gar keine Reaction; in der unteren 
Gesichternusculatur ist AnSZ = KaSZ, in den Mm. interossei III und IV aus¬ 
gesprochene Entartungsreaction (AnSZ = 3 1 / 2 M.-A., KaSZ = 5 8 / 4 M.-A.). Sehnen¬ 
reflexe herabgesetzt; Beckenorgane normal; ebenso Sensibilität. Am atrophischen 
und myotonische Reaction bietenden, ausgeschnittenen Muskel wird gefunden: 
Dicke der Faser von 25 —165 jii, geringe Querstreifong, colossale Menge von 
Kernen an der Oberfläche und im Innern der Fasern; einige ad maximum ver- 


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dünnte Fasern sind in einem Kerncylinder eingeschlossen; ziemlich grosse Menge 
interstitieller, schlaffer Bindesubstanz. Dieser Fall, vollkommen analog den 
übrigen in der Litterator verzeichneten Fällen, weist auf eine verwandtschaftliche 
Beziehung der Thomsen’schen Krankheit und der progressiven Muskelatrophie 
hin und ebenfalls auf das Wesen der einen als auch der anderen, welches in 
einer angeborenen Schwäche des peripheren motorischen Neurons besteht, das in 
verschiedenen Fällen in seinen verschiedenen Theilen erkrankt. (Autoreferat) 

Discussion: 

Herr A. Korniloff ist nicht sicher, ob die myotonische Reaction sioh leicht 
von einer EntartungBreaction unterscheiden lässt; die Unterscheidung träger 
Muskeloontractionen von Resten myotonisoher Reaction an atrophischen Muskeln 
ist jedenfalls recht schwer. 

An der Disousson betheiligten sioh Herr Wersiloff und Herr Roth. 

Herr S. Wermel: Tetanieepidemie. 

Vortr. hatte Gelegenheit, unter den Arbeitern einer Moskauer Fabrik eine 
Tetanieepidemie zu beobachten, an welcher 11 Personen erkrankten. Den ersten 
Fall beobachtete er im März 1896, 2 Fälle im Januar, einen im November 1900 
und 7 Fälle im Laufe eines Monats, vom 11. Januar bis 12. Februar 1901. 
Diese Fälle betrafen junge Tataren (von 18—22 Jahren), welche in einer Abtheilung 
der Fabrik arbeiteten, wo Gummi gewaschen wird. In dieser Abtheilung arbeiten 
26 Menschen (25 Tataren und ein Russe). Unter allen anderen Fabriksarbeitern 
(700 Mann) und ihren Familien (2 1 / 1 Tausend Menschen) wurde während dieser 
Zeit nicht ein Fall von Tetanie beobachtet. Daraus entspringt der sehr wahr¬ 
scheinliche Gedanke an eine locale Epidemie, um so mehr, als alle Daten dieser 
Epidemie (jugendliches Alter der Kranken, bestimmte Jahreszeit, Fehlen der Er¬ 
krankung unter den anderen, sowohl russischen als tatarischen Fabrikarbeitern) 
vollkommen mit den Ansichten von Frankl-Hochwart über die Tetanie als 
eine endemisch-epidemische Krankheit übereinstimmen. In klinischer Hinsicht 
bieten hauptsächlich 2 Fälle grosses Interesse: im ersten Falle wurden, ausser 
den charakteristischen Zeichen der Tetanie, schwere psychische Complicationen 
beobachtet: tiefer Stupor und Apathie, Paralyse der Sphincteren und Othaematome; 
im anderen verliefen die Erscheinungen der Tetanie parallel mit Erkrankungen 
der Sprunggelenke und mit einem charakteristischen Ausschlage in Form von 
Purpura. Aus diesem Grunde äussert der Vortr. die Vermuthung über die Aehn- 
lichkeit des Tetaniegiftes mit dem Gifte des acuten Gelenkrheumatismus. Alle 
Fälle, selbst der schwerste, endigten mit Genesung. (Autoreferat.) 

Discussion: 

Herr Preobrajensky hält die Fälle von Tetanie nicht für ein seltenes 
Vorkommni88, aber sie werden übersehen wegen der Geringfügigkeit der Er¬ 
krankung. 

Herr Minor maoht darauf aufmerksam, dass auch hysterische Kranke einige 
Symptome der Tetanie aufweisen können. 

Herr Versiloff ist der Meinung, dass gegen die Identität des Gelenk¬ 
rheumatismus und der Tetanie das constante Fehlen eines Herzfehlers bei der 
letzteren spricht. 

Herr Roth erwähnt, dass im Ambulatorium der Nervenklinik die Tetanie 
selten zur Beobachtung kommt. 

Herr G. Rossolimo: Zur Klinik und pathologischen Anatomie der 
gastrischen Tetanie. 

Vortr. führt die Krankengeschichte eines Mannes von 43 Jahren an, hei 
welchem auf dem Boden einer 15 Jahre bestehenden Magenerweiterung in Folge 


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eines Diätfehlers sich das typische Bild einer sehr schweren gastrischen Tetanie 
entwickelte und nach 6 Tagen mit dem Tode endigte. Alle gewöhnlich beobach¬ 
teten Symptome (mit Ausnahme vom Troussoau’scben Phänomen) waren vor¬ 
handen: Erbrechen und MagenBchmerzen (in den ersten 2 Tagen der Erkrankung) 
tonische Krämpfe, stark erhöhte mechanische und elektrische Erregbarkeit, das 
Chvostek’sche Symptom, fast vollständige Anurie bei colossalem Eiweissgehalt 
ohne Formelemente, reichliche Schweisssecretion, Temperatur 39—40°, Delirium, 
Oesichtshallucinationen. Autopsie: Hochgradige venöse Hyperämie der inneren 
Organe, ein grosser Stein in einem der Nierenbecken; Trockenheit und Brüchig¬ 
keit der Muskeln; starke Magenerweiterung bei Fehlen von groben Veränderungen 
in der Schleimhaut des Magens und des Darms; bedeutende Pylorusstenose wegen 
derber und dicker Narbe in seiner Serosa. 

Mikroskopische Untersuchung: Schwach ausgeprägte Querstreifung der Muskel¬ 
fasern bei bedeutender Anzahl von Kernen des Sarcolemma. Einige Nervenzellen 
im Zustande centraler Ohromatolyse, stellenweise excentrische Verlagerung des 
Kerns, Bildung einer grossen Zahl von Myelinschollen in der weissen Substanz, 
hochgradige venöse Hyperämie im Rückenmark und Gehirn. In den peripheren 
Nerven Anfangsstadium parenchymatöser Neuritisrareficirung des Myelins in der 
Nähe der Einschnürungen, weniger in der Mitte der Segmente. An verschiedenen 
Stellen im Verlaufe der Faser runde Schollen veränderten Myelins. In vielen 
Fasern gewundener und korkzieherartiger Axencylinder. 

Discussion: 

Herr W. Murawjeff findet, dass die Veränderungen in den Nerven in 
diesem Falle lebhaft an die verhältnissmässig feinen Veränderungen im centralen 
Stumpf des Nerven nach Durchschneidung desselben sehr erinnern. 

Herr Tokarsky stellt den Beweis über den gastrischen Ursprung der Tetanie 
im gegebenen Falle in Frage. 

An der Discussion nahm auch Herr Korniloff Theil. 

W. Murawieff. S. Suchanoff. 

Sitzung vom 13. April 1901. 

Herr A. Art emo ff: Ueber die Anwendung der Heroinpräparate in der 
psy ohlatriaohen Praxis. 

Vortr. stimmt mit den pessimistischen Ansichten der Aerzte Vialion und 
Jacquin über das Heroin, welche ihre Arbeit im Decemberheft der Annales 
medico-psychologiques publicirt haben, nicht überein, und kommt vielmehr auf 
Grund systematischer Beobachtungen an 20 Kranken zur Ueberzeugung, dass das 
Heroin eine positive Errungenschaft im Sinne eines guten symptomatischen Mittels 
bei depressiven Zuständen in der psychiatrischen Praxis darstellt, wobei hervor¬ 
zuheben ist, dass das Heroin nur von günstiger Wirkung gegen den psychischen 
Schmerz und die melancholische Stimmung und augenscheinlich ohne Einfluss auf 
den Verlauf der Krankheit selbst, wohl aber auf die Intensität des psychischen 
Schmerzes ist. Er constatirt in 11 seiner 20 Fälle eine unzweifelhafte positive 
Wirkung, jedenfalls keine negative, und nur in einem Falle bei Heroingaben 
allgemeine unangenehme Sensationen, welche jedoch Vortr. auf ein mögliches 
Zusammenfällen des Auftretens dieser Sensationen mit der Heroineinnahme zurück- 
zuf&hren geneigt ist. Er notirt ferner, dass ungeachtet der drei Mal täglichen 
Gaben von 0,004 g Heroin im Verlaufe von zwei und auch mehr Monaten bei keinem 
der Kranken Gewöhnung an das Mittel, sowie keinerlei Nebenwirkungen eintraten. 
Er zieht die interne Medication vor und sieht keine Vorzüge der subcutanen 
Anwendung, da diese letztere im mechanischen Sinne den Kranken unangenehm 
ist und stets Erbrechen hervorruft, wie das aus der Arbeit der Herren Viallon 
and Jacqain hervorgeht. 


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Discussion: 

Herr Bernstein weist anf die Abwesenheit von Obstipation selbst bei 
längerem Gebrauch des Heroins hin. 

Herr Tokarsky meint, dass zum Beweise des Vorzugs des Heroins vor 
anderen Präparaten des Opiums consecutive Anwendung beider bei ein und dem¬ 
selben Kranken Grforderniss sei. 

Herr Bernstein findet, dass zwecks Erhaltung der gewünschten Herab¬ 
setzung des psychischen Schmerzes eine ungefährliche Dosis des Heroins genügt, 
während beim Morphium eine toxische Dosis erforderlich sei. 

Herr A. Rosenthal: lieber die sohlfcferzeugende Wirkung des Hedonals 
bei Geisteskranken. 

Vortr. verordnete das Hedonal in Dosen von 1,5 (geringere erwiesen sich 
als wirkungslos) bis zu 3,0 g. Weder Steigerung der Diurese, welche dem Urethan 
eigentümlich ist, noch andere schädliche Nebenwirkungen konnten dabei con- 
statirt werden. Nur in einem Falle, wo im Laufe von 2 Tagen ein Mal 1,0 g, 
das andere Mal 1,5 g Hedonal und am 3. Tage 2,0 g Trional verabfolgt wurde, 
stellte sich zeitweilig Aussetzen des Pulses ein. Im Ganzen beobachtete Vortr. 
19 Kranke, welchen in 44 Einzelgaben 77,0g Hedonal verabfolgt wurde. Die 
Resultate waren folgende: Bei den Kranken (12 Fälle), bei denen die Asomnie 
nur mit gemässigten Aufregungszuständen begleitet wurde, war ein befriedigender 
Effect (mehr als 2 Stunden Schlaf) nur in der Hälfte der Fälle zu erzielen. 
Ueberhaupt dauert der Schlaf nach Hedonal, den Beobachtungen des Vortr. zu 
Folge, am häufigsten 4—5 Stunden, selten 6—7 Stunden und niemals länger. 
Zum Schluss vergleicht der Vortr. seine Beobachtungen mit den Beobachtungen 
anderer Autoren und kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Das Hedonal ist ziemlich 
ungefährlich. 2. Nach seiner schlafmachenden Wirkung ist es zu den schwachen 
Mitteln zu rechnen (zwei Mal schwächer als Chloralhydrat in derselben Dosis). 
In leichten Fällen von Asomnie und Erregung giebt es gute Resultate, aber lange 
nicht immer, in schweren Fällen sehr selten. Sein unangenehmer Geschmack, 
seine Unlöslichkeit in Wasser, seine voluminösen Dosen (2,0—3,0) erschweren 
seine Anwendung bedeutend bei psychischen Kranken, namentlich bei unruhigen. 
Der Vortr. betont auch den hohen Preis des Mittels (10,0 kostet 75 Kopeken) 
und ist der Ansicht, dass in der psychiatrischen Praxis dem Hedonal keine Zu¬ 
kunft bevorsteht. A. Bernstein. S. Suchanoff. 


Aus den wissenschaftlichen Vereinigungen der Aerzte an der Nervenkllnlk 

zu Kasan. 

Sitzung vom 5. Februar 1900. 

Herr Dr. W. Polenow: Ein Pall von pseudobulbärer Lähmung. 

Am 25. Mai 1899 wurde ins Krankenhaus der Nishne-Saldin’schen Fabrik 
der Arbeiter A. K. eingeliefert. Pat. war in halb bewusstlosem Zustande und 
wies in der Gegend des rechten Scheitelbeinhöckers eine unregelmässige, nicht 
Btark blutende, bis auf die leicht eingedrückten Schädelknochen reichende Wunde 
von etwa 2 cm auf. Am ganzen Körper Blutunterlaufungen von verschiedener 
Grösse. Die Blutgefässe des Gesichts und der Augenschleimhäute sind mit Blut 
angefüllt; Lippen bläulich verfärbt; röchelndes, unregelmässiges Athmen, schwacher, 
verlangsamter Puls, arythmisch; Anzeichen von beginnendem Lungenödem; Zuckungen 
in einzelnen Muskeln des Gesichts und der Extremitäten; Temperatur 37,5°; un¬ 
freiwillige Urinentleerung. Die begleitenden Personen gaben an, Pat. sei früher 
immer völlig gesund gewesen, habe nie Syphilis gehabt und mit Maass Schnaps 


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getrunken. Auf dem Heimwege von einer Schmauserei sei er in eine Strassen- 
prügelei hineingerathen, wo er die obengenannten Verletzungen davongetragen 
habe. Pat, wurde verbunden und blieb im Hospital. — Im Laufe von 4 Tagen 
kam er völlig zum Bewusstsein, und alle Allgemeinenoheinungen schwanden ; die 
Temperatur stieg aber auf 38,5°. Bei der Untersuchung des Nervensystems ergab 
sieh Anartbrie, doch ohne Worttaubheit, Agraphie und Alexie; Phonationstörungen, 
lAhmnng des weichen Gaumens, Schwinden des Kehlkopf- und Brechreflexes, Er* 
Weit er u ng der linken Pupille, Herabsetzung der Muskelkraft in den oberen und 
unteren Extremitäten. Kniereflexe und Beckenorgane normal. Hautsensibilität 
nicht gestört. Im Laufe eines Monats heilte die Wunde definitiv; die Temperatur 
wurde normal, die Schlingstörung und Anartbrie nahmen erheblich ab, das All* 
gemeinbefinden besserte sich so erheblich, dass Pat. am 25. Juni 1899 das Hospital 
▼erliess. Einen Monat später erschien Pat. wieder beim Vortr., wobei keines der 
oben aufgezählten Symptome mehr zu constatiren war. — Vortr. erörterte aus¬ 
führlich die Diagnose und führte die in der Litteratur vorhandenen analogen 
Fälle an, wobei er zum Resultat kam, dass er es mit einer sog. pseudobulbären 
Lähmung zu thun hatte, bedingt durch einen traumatischen Blutaustritt in die 
Hirnrinde. Auf Grund seines Falles und der einschlägigen Litteratur kommt 
Vortr. zu folgenden Schlusssätzen: 

1. Pseudobulbäre Lähmungen können durch einseitige Läsionen der Gross- 
hirarin de bedingt sein. 

2. Ausser den Centren der Aphasie und der mit dieser verwandten Zustände 

— der Agraphie, Alexie u. dergl. — giebt es auch noch ein Centrum für die 
Articulation der Sprache. Sehr wahrscheinlich ist die Annahme von Kattwinkel, 
daas dieses Centrum vorzugsweise in der rechten Hemisphäre ihren Sitz bat. 

3. Ausser den bulbären und corticalen Centren der Muskeln, deren Con- 
traction das Schlucken bewerkstelligt, giebt es nooh im Grosshirn, vielleicht auch 
vorzugsweise in der rechten Hemisphäre, ein besonderes Centrum für den Schling¬ 
akt als solchen. 

4. Sehr wahrscheinlich ist das Vorhandensein eines articulatorisehen Sprach- 
oentrums in der Hirnrinde. 

6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Brech- und Kehlkopfreflex eben¬ 
falls ihre besonderen Centren in der Grosshirnrinde besitzen. 

6. Sehr mögüoh ist es, dass auch die Bewegungen des weichens Gaumens 
ihr Centrum in der Rinde besitzen. 

An der Discussion betheiligten sich die Herren Perwuschin, Trosohin 
und Prof. Darkschewitsch. 

Herr Dr. M. Majewski demonstrirt das Gehirn eines Epileptikers, welcher 
im Jahre 1896 ins Kasan’sohe psychiatrische Bezirkskrankenhaus aufgenommen 
worden war. Zu Anfang Januar 1900 traten bei dem Pat. Breohbewegungen 
auf, die zuweilen von tonischen Krämpfen im rechten Bein begleitet waren. In 
den letzten Tagen vor dem Tode stieg die Zahl solcher Anfälle auf 85—100 am 
Tage. Am 13. Januar 1900 traten die Erscheinungen von Aphasie auf, und am 
16. Januar starb Pat. im Status epileptious. Vor dem Tode schwand die Aphasie. 

— Section: Dura gesund, Pia trübe, ihre Gefässe erweitert. Die Furchung der 
Hemisphären weist keine Abnormitäten auf. Im linken Ventrikel viel seröse 
Flüssigkeit. Entzündung des Ependyms der Ventrikel rechts und links. In dem 
hinteren Theile der linken inneren Kapsel eine pfirsiebgrosse Geschwulst mit den 
Eigenschaften des Endothelioms und Cholesteatoms. Dieselbe umfasste auch das 
Gebiet des linken Corpus lenticulare und theilweise das Ammonshorn. 

Dem Vortr. wurden Fragen gestellt von Prof. Darkschewitsch sowie von 
den Herren Kliatsohkin, liewtschätkrn trhcl Faworski. 


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Herr Dr. W. Perwuschin: Bin Fall von Bnlbänymptomen bei ein¬ 
seitiger R indenaff ec tion. 

Nach einer genauen historischen Uebersicht über die bulbaren und pseudo¬ 
bulbären Lähmungen nebet einem Hinweis auf die verschiedenen Arten der letzteren, 
constatirte Vortr. auf Grund der Litteratur das Vorkommen des Symptomen- 
complexes der bulbären Lähmung bei einseitigen Affectionen des Gehirns, be¬ 
sonders der Rinde, und recapitulirte sodann in Kürze die Entwickelung der Lehre 
von den Localisationen im Gehirn und den gegenwärtigen Stand dieser Frage. — 
Im Falle des Vortr. handelt ee sich um einen Arbeiter. P. K-, 37 Jahre alt, ist 
im Allgemeinen gesund, weist aber einen massigen Grad von Arteriosklerose auf, 
wahrscheinlich in Folge von Alkoholmissbrauch. Syphilis nicht vorhanden. Bis¬ 
weilen kommen Kopfschmerzen vor. Am 7. November 1899 Abends wurde er in 
stark betrunkenem Zustande von seinen Kameraden durchgeprügelt und verlor das 
Bewusstsein. Am 18. November kam er zu sich: Erbrechen, starker Kopfschmerz, 
Schwindel, allgemeine Schwäche, kraftlose Stimme, absolute Unmöglichkeit, feste 
oder flüssige Nahrung zu schlucken, totale motorische Aphasie; was die Umgebung 
spricht, versteht er. 2 Tage ass er nichts (im Rachen nichts Krankhaftes), lag 
zu Bett; am 3. Tage trat eine geringe Besserung ein, er begann, Flüssigkeit zu 
sohlucken. Am 12. November wurde er in die Klinik aufgenommen; es ergaben 
sich eine Parese der unteren Facialisäste rechts, Parese des rechten Hypoglossns 
bei normaler Innervation der Extremitäten; unbedeutender Nystagmus; Phonation 
sehr geschwächt, Stimme leise, tonlos, mit nasalem Beiklang. Bei der Phonation 
bleibt die Stimmritze leicht offen. Das Sohlucken hat sich gebessert — Schwierig¬ 
keiten macht nur noch das Schlucken fester Speisen. Die Uvula ist nach links 
abgelenkt. Zittern der Finger. Kniereflexe gesteigert, Schleimhautreflexe leicht 
zu erzielen; der Schlingreflex rechts herabgesetzt. Pupillen, Beckenorgane, Be¬ 
wegungen und allgemeine Sensibilität in allen ihren Qualitäten normal. Geeicht 
und Geruch unverändert; Geschmack herabgesetzt, Gehör rechts schwächer. Moto¬ 
rische Aphasie (sagt nur „ja“ und „nein“); wiederholt zuweilen mit Mühe ein¬ 
silbige Wörter, die man ihm vorspricht; keine Apraxie; geringe Worttaubheit; 
Agraphie, Alexie; copirt die Wörter ziemlich richtig. Grosse Hautabschürfungen 
und Blutaustritte auf der Kopfhaut, doch sind die Knochen heil und nur auf 
Druck in der Occipital- und linken Parietalgegend empfindlich. Die inneren 
Organe sind gesund. Arteriosklerose. Urin ohne Ei weise und Zucker. Klagen 
des Kranken: beständige Kopfschmerzen, besonders links und hinten, Kopfschwindel, 
Ohrensausen, allgemeine Schwäche, gedrückter Zustand. Die Psyche ist normal. 
Die elektrische Erregbarkeit der Muskeln ist ebenfalls normal. In der Klinik 
(vom 12.— 27. November 1899) fand eine Besserung statt: die subjectiven Er¬ 
scheinungen verminderten sich, desgleichen auch die objectiven; die Parese des 
Facialis und Hypoglossns wurde geringer, das Schlucken besserte sich, die all¬ 
gemeine Schwäche, die Aphasie, Agraphie und Alexie wurden auch besser. Nach 
Erörterung des ganzen Bildes schloss der Vortr. eine Erkrankung des Bulbus, 
des Gebiete« der basalen Ganglien und der Corona radiata aus und entschied sich 
für eine Affection der Rinde der linken Hemisphäre, im Gebiete des unteren 
Th eiles der Centralwindungen, auf der Grundlage eines traumatischen Blutergusses. 

An der Discussion betheiligten sich die Herren Lewtschatkin, Kliatschkin, 
Polenow, Troschin und FaworskL 

Herr Prof. W. Bogorodizki: Bin Fall von Aphaste. 

Der von Dr. Perwuschin beschriebene Fall wurde vom Vortr. zum Gegen¬ 
stand einer genauen, speciellen Untersuchung der Sprache gemacht. Zuerst prä¬ 
sent irte der Vortr. ein Schema des Systems von Elementen, aus denen das com- 
plicirte aasociative Aggregat des Wortes zusammengesetzt ist, und erläuterte dann 


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ui der Hand des linguistischen Materials, das er vom 18. bis zum 24. November 
1899 gesammelt hatte, ganz systematisch den Zustand der Verbindungsbahnen 
zwischen den Elementen dieses Lautaggregates beim Kranken. Beim Beginn dieser 
Beobachtungen war Pat schon in der Besserung begriffen, so dass er bereits 
einige Gegenstände benennen und auch Sätze sagen konnte, welche letztere er 
jedoch nicht vollendete; wiederholen konnte er jedes Wort, das erhörte, verstand 
noch Alles, was man ihm sagte. Hinsichtlich der Articulation war eine ab¬ 
geschwächte Aussprache der Aspirata zu bemerken, wenn sie zu einer Gruppe von 
Consonanten gehörten, z. B. „s“ in „spatj“ (schlafen). Die Fehler beim Lesen 
waren von folgendem Charakter: 1. statt des aspirirten „s“ das weiche „s“ (wie 
bei dem Worte „Sense“); 2. in schwierigeren Fällen half Pat. sich mit Buch¬ 
staben, die ihm geläufig waren, besonders „t“, und überhaupt den vorderen Zungen¬ 
lauten; 3. ein Wort wurde durch ein anderes, theilweise gleichklingendes, ersetzt, 
z. B. „doröwa“ (soll heissen: „sdoröwa [gesund]) statt „dorögoi (unterwegs). Die 
Fehler beim Schreiben weisen die gleichen articulatorischen Typen auf; hieraus 
folgt, dass der Kranke beim Dictatschreiben die Wörter vorher die articulatorischen 
Centren passiren lässt, worauf auch das geflüsterte Aussprechen des Wortes beim 
Schreiben schliessen lässt. Die Fehler beim Lesen und Schreiben sind nicht von 
constanter Art, d. h. sie sind verschieden bei einem und demselben Wort; wohl 
aber sind die Typen der Fehler beständig. Die Zahl der Fehler wächst mit zu¬ 
nehmender Ermüdung, und ihre Qualität wird auch gröber. Ebenso wie der 
Kranke jedes beliebige Wort nachzusprechen vermag, kann er es auch abschreiben; 
er eopirt eben dabei Buchstaben für Buchstaben. Die Schwierigkeiten, welche 
dem Pat. das Sprechen, Lesen und Sohreiben verursachen, markirt er durch 
Gesten, und zwar von zweierlei Typen: 1. verneinend, z. B. Kopfschütteln, und 
2. nachhelfend, z. B. indem er beim Sprechen das Kinn mit der Hand stützt; 
überhaupt erinnert Pat. in dieser Hinsicht an einen normalen Menschen, dem 
i. B. irgend ein bekannter Name entfallen ist. Bei Schwierigkeiten und Fehlern, 
welche von einer Vermehrung der Widerstände in den Leitungsbahnen herrühren, 
klagt der Kranke immer über ein Sausen im Kopf und im Ohr, das ihn stört. 
Bald fing er an, in zusammenhängenden Sätzen zu sprechen; während er am 
19. November noch gesagt hatte, wenn er von seinem eigenen Zustande sprechen 

wollte: „Gedanken., aber aussprechen.“, so konnte er sich zwei 

Tage später (am 21. November) schon correct ausdrücken: „Gedanken sind da, 
aber anssprechen kann ich nicht.“ Das Denken des Kranken konnte kein voll¬ 
ständiges sein, weil gewisse Bahnen gehemmt waren: „sowie man anfängt zu 
denken, so lassen’s die Ohren zu nichts kommen.“ Pat. ist zufrieden, dass er 
Alles aussprechen kann, aber das Lesen und Schreiben wollen nicht recht von 
Statten gehen, weil die entsprechenden Bahnen im Ganzen wenig entwickelt sind, 
da Pat in diesen Künsten nicht sehr sicher war; immerhin ist er jetzt auch beim 
Lesen und Schreiben weniger ängstlich, während er früher, wenn er fühlte, dass 
er sich irrt, oft schwieg („ich schweige lieber“, sagte er nachher selbst). In der 
ganzen Zeit klagte Pat niemals über irgend welche Unzulänglichkeiten des 
MnskelgefÜhls in den Sprechorganen, wenn er auch auf den hintersten Abschnitt 
all Sitz dea Hindernisses hinwies, wobei er auf das Zungenbein zeigte und sagte, 
das Zäpfchen störe ihn. Die Monotonie der Sprache hört allmählich auf; der 
Kranke lächelt, wenn man ihn beispielsweise nach seiner Familie fragt. 

Sitzung vom 20. März 1900. 

Herr Dr. W. Mefodiew: lieber wahre Heterotopieen des Büokenmarks. 

Vortr. berichtet über einen Fall von wahrer Heterotopie der weissen und 
grauen Substanz in zwei Abschnitten des Bückenmarks: vom 4.— 5. Hals- bis zum 
1. Brustnerven und im mittleren Brustabschnitt Die Heterotopie betrifft die 


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linke Hirnhälfte. Im 4.—5. Halssegment ist die linke Hälfte der grauen Substanz 
in den linken Seitenstrang hinein verschoben und von dem Rest der grauen Sub¬ 
stanz durch weisse, compacte Bündel von abnormem Verlauf geschieden. Weiter 
ist die heterotopische Hälfte durch abnorm verlaufende Bündel in mehrere einzelne 
Inselchen zerlegt. Im oberen Brusttheil gleicht sich die Abnormität allmählich 
aus; im mittleren äussert sie sioh Anfangs in einer Asymmetrie der grauen Figur 
und erreicht allmählich den Höhepunkt, indem von der ganzen linken Hälfte der 
grauen Substanz nur ein dünner Streifen übrig bleibt, welcher die unmittelbare 
Fortsetzung der grauen Commissur bildet, d. h. auf diesem Niveau (etwa in 2 cm 
Ausdehnung) fehlt das Vorder- und Hinterhorn links. — Auf Grund der Litteratur 
(68 Fälle) und seines eigenen Falles schlägt Vortr. vor, die heterotopischen 
Anomalieen des Rückenmarks in sechs selbständige pathologisch-anatomische 
Varietäten zu gruppiren: 1. Heterotopieen der grauen Substanz (29 Fälle), 2. Hetero- 
topieen der weissen Substanz (5 Fälle), 3. combinirte Heterotopieen in beiden 
Substanzen (5 Fälle), 4. Heterotopieen der Clarke’scben Säule (9 Fälle), 
6. Heterotopieen der grauen Substanz, combinirt mit theilweiser oder totaler 
Verdoppelung des Rückenmarks (10 Fälle). 

Vortr. gelangt zu folgenden Schlusssätzen: 

1. Es ist stets möglich, eine wahre Heterotopie von einer falschen, durch 
mechanische Gewalt bedingten, zu unterscheiden. 

2. Die Bedeutung mechanischer Einwirkungen ist in dieser Hinsicht nicht 
so gross, wie Gieson annahm; davon überzeugte sich Vortr. durch eigene Ver¬ 
suche mit Compreesion und Torsion des Rückenmarks beim Menschen und bei 
der Katze. 

3. Die wahren Heterotopieen sind zweifellos Entwickelungsanomalieen, welche 
in den ersten 2—3 Monaten des embryonalen Lebens entstehen; sie erklären sich 
entweder durch abnorme primäre Anlage der Keime der grauen Substanz oder 
dadurch, dass der ursprünglich normale graue Keim sich später dislocirt, und 
zwar durch Zwischenlagerung von dreierlei Formationen: der weissen Substanz, 
der bindegewebigen Septa, der Auskleidung des Centralcanals. 

4. Die Heterotopieen bevorzugen den Brust- und unteren Halstheil (und 
zwar die linke Seite), speciell die in den Vorderhörnern und Seitensträngen be- 
legenen Gebiet« der grauen und weissen Substanz. 

5. Die Heterotopieen rufen wahrscheinlich keine localen Symptome hervor, 
haben jedoch 

6. die Bedeutung einer zu Rückenmarkserkrankungen prädisponirenden Be¬ 
dingung. 

Während des Vortrages wurden Zeichnungen und Präparate demonstrirt. 

(Autoreferat.) 

An der Discussion nahmen Theil Prof. Darkschewitsch und die Herren 
Mering, Timofejew, Troschin, Lewin und Faworski. 

Herr Stud. G. Troschin: Die oortioale Schleife (sensible Bahnen in 
der inneren Kapsel). 

Eine Umschau in der Litteratur über diese Frage zeigt, dass über den Verlauf 
der sensiblen Leitungsbahnen in der inneren Kapsel nur Vermuthungen existiren. 
Das Vorhandensein dieser Bahnen in der inneren Kapsel ist zwar durch die 
pathologisch-anatomische Casuistik von Türck und Charcot mit seiner Schule 
bewiesen, eine genaue Vorstellung von ihrem Verlauf vermochten sie jedooh nicht 
zu geben; die physiologischen Untersuchungen (Zerstörung der inneren Kapsel 
[Veyssiöre]) beweisen ebenfalls nicht die Concentrirung der sensiblen Bahnen 
auf den hinteren Theil der inneren Kapsel. Ebenso wenig kann auch das sen¬ 
sible Gebiet auf der Oberfläohe der Hemisphären als feststehend angesehen werden: 


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Bach einigen Befanden fällt es mit der motorischen Zone zusammen, nach anderen 
reicht ee weiter als dieee Zone. — Vortr. stellte 9 Experimente an erwachsenen 
Katsen an, and zwar nach dreierlei Richtungen: 1. nach der Charcot’schen 
Lehre wurde der Theil der inneren Kapsel verletzt, welcher dem sog. Carrefour 
sensitif entspricht; 2. wurde der ventrolaterale Theil des Sehhöckers zerstört, wo 
(nach den Untersuchungen des Vortr.) die im Hirnstamm verlaufenden sensiblen 
Bahnen endigen; 3. worden Beschädigungen an den übrigen Theilen des Seh- 
böekers vorgenommen. Das Gehirn der operirten Thiere wurde nach Marchi 
bearbeitet. Es erwies sich, dass die aufsteigende Degeneration die gleiche war 
sowohl bei Verletzung des Carrefour sensitif, als auch bei Zerstörung der ventralen 
Partie vom Sehhöcker, während in den Controlversuchen mit Zerstörung anderer 
Theile des Sehhöckers ausser dem ventrolateralen dieee Degeneration nicht statt¬ 
hatte. — Der Verlauf der sensiblen Bahnen wäre somit folgender: im Sehhöcker 
beginnt ein massives Neuron sensibler Fasern, die Fortsetzung derjenigen Fasern, 
welche aus den Kernen der Hinterstränge des Rückenmarks und den Kernen der 
sensiblen Himnerven in den Sehhöcker eintreten (10., 9. und 5. Paar). Der 
Uebertritt dieser Fasern aus dem Sehhöcker findet in der ganzen Ausdehnung des 
hinteren Schenkels der inneren Kapsel statt, wobei die hintersten Fasern sich 
Anfangs von aussen auf den Hirnschenkel auflagern, dann aber in flächenartigen 
Strängen über dem Corpus lentiforme im äusseren Theile der inneren Kapsel 
verlaufen; die weiter vorn gelegenen Fasern kreuzen den hinteren Schenkel in 
seiner ganzen übrigen Ausdehnung in Form schmaler Streifchen, die durch nor¬ 
male absteigende Fasern von einander getrennt sind. Nach dem Eintritt in die 
innere Kapsel beginnen die sensiblen Fasern in die Substanz der Hirnwindungen 
anszutreten; doch bleiben noch zahlreiche Fasern in denjenigen Theile der inneren 
Kapsel übrig, welcher zwischen dem Kopf des Corpus caudatum und dem Corpus 
lentiforme liegt; in diesem Theile der inneren Kapsel liegen die sensiblen Bahnen 
in der äusseren Hälfte und lassen die innere Hälfte unberührt. Das Gebiet der 
Rinde, wo die sensiblen Fasern eintreten, ist sehr ausgedehnt: es umfasst den 
Gyros coronalis (in erster Reihe), Gyros ectosylvius anterior, Gyrus cruciatus 
posterior, Gyrus sylvius (den vor der Fissura Sylvii liegenden Theil) und das 
vordere Drittel der Gyri suprasylvius und suprasplenius. 

Die wesentlichsten Schlussfolgerungen des Vortr. lauten: 

a) im Sehhöcker beginnt das letzte Neuron der sensiblen Bahnen; 

b) im äusseren Abschnitt des Hirnsohenkels und im hinteren Theil der inneren 
Kapsel (Carrefour sensitif) giebt es sowohl sensible Fasern als auch solche, die 
ahrteigend degeneriren; 

c) die sensiblen Fasern verlaufen sowohl in dem zwischen dem Sehhöcker 
und dem linsenförmigen Körper belogenen Abschnitt der inneren Kapsel, als auch 
in denjenigen Theile, weloher sich zwischen dem Corpus lentiforme und dem 
Caput oorp. caudati befindet; in letzterem Abschnitt sind sie deutlich abgesondert, 
in den übrigen mit anderen Systemen vermengt; 

d) die sensible Sphäre der Rinde reicht viel weiter nach hinten als die 
motorische, wobei sie diese letztere zugleich deckt. 

In der Discusaion sprachen Prof. Darkschewitsch, Dr. Mering und Dr. 
PaworskL 


Sitzung vom 26. März 1900. 

Herr Dr. Mering: Ueber die sogen, reoidivirende Oculomotorius¬ 
lähmung. 

Auf Grund der Litteratur sowie dreier eigener Beobaohtnngen kommt Vortr. 
za folgenden Schlüssen: als das einzige beständige Symptom der genannten Krank¬ 
heit sind von Zeit zu Zeit sich wiederholende Lähmungserscheinungen in den 


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Aesten des Oculomotorius anzusehen. Gewöhnlich erkrankt nur ein Auge, doch 
können auch beide gleichzeitig oder nach einander befallen werden. Hit jedem 
neuen Eecidiv wird die Lähmung stärker, nach mehreren Recidiven wird sie 
stabil. Die von Senator vorgeschlagene Eintheilung der Lähmungen erscheint 
nicht correct, da die Verschlimmerung der Lähmung nur eine Frage der Zeit ist, 
somit das Vorkommen der ersteren Form unwahrscheinlich ist, während anderer¬ 
seits eine Periodicität der Anfalle streng genommen gar nicht vorhanden ist. 
Ausser dem Oculomotorius kann die Lähmung auch den Trochlearis, Abducens 
und Facialis befallen, sowie auch den Trigeminus in seinem ganzen sensiblen 
Gebiet, insbesondere den 1. Ast; auch die vasomotorischen und secretorischen Fasern 
können betroffen sein. Vor dem Beginn der Lähmungserscheinungen oder gleich¬ 
zeitig mit demselben kommt heftiger Kopfschmerz vor, zuweilen mit Uebelkeit und 
Erbrechen. Doch kann der Kopfschmerz auch fehlen. Seinem Sitz und Charakter 
nach erinnert er oft an Migräne, ist aber tiefer, heftiger und hartnäckiger als 
diese, kann auch dem Erbrechen nachfolgen, statt ihm voranzugehen, und ver¬ 
breitet sich bisweilen auf den ganzen Kopf. Es besteht keinerlei Abhängigkeit 
zwischen dem Kopfschmerz und den Lähmungserscheinungen: diese wie jener sind 
klinische Erscheinungen einer organischen Erkrankung des Gehirns, welche sich 
in allen zur Section gekommenen Fällen vorgefunden hat. Man fand Tumoren 
oder Entzündungsherde im peripheren Theil des Oculomotorius an der Schädel¬ 
basis. In Fällen von alternirender Lähmung, sowie bei gleichzeitiger Erkrankung 
beider Augen und bei Corabinationen von Oculomotoriuslähmung mit Erkrankungen 
der übrigen Hirnnerven wurden Sectionen nicht ausgeführt. — Die Ursachen der 
Krankheit sind unklar. Zuweilen ist eine Meningitis der Basis oerebri die ver- 
mnthliche Ursache oder auch ein Hirntumor; in anderen Fällen wurde Auto- 
intoxication angenommen. Alter, Geschlecht, Vererbung spielen keine Rolle; 
psychische Erregung, Alkohol, Schädeltraumen, welche eine Hyperämie des Gehirns 
bewirken, können im Verlaufe der Krankheit das Auftreten von Anfällen zur 
Folge haben. — Die Prognose quoad vitam ist günstig, quoad reetitutionem da¬ 
gegen ungünstig: bis jetzt sind noch keine Fälle von Genesung bekannt. Die 
Behandlung bestand bisher im innerlichen Gebrauch von Brom, Antipyrin, Phena¬ 
cetin u. dgl. — Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Hysterie, organische 
Krankheiten des Nervensystems, bei denen recidivirende Oculomotoriuslähmungen 
Vorkommen, endlich verschiedene Infectionskrankheiten und Intoxicationen, welche 
ebenfalls dieses Symptom aufweisen können. — Keine von den in der Litteratur 
vorhandenen Benennungen befriedigt den Vortr.; am zutreffendsten sei noch 
„recidivirende Oculomotoriuslähmung“, obgleich auch dieser Name eigentlich keine 
hinreichende Vorstellung von der Krankheit giebt. Zum Schluss will Vortr. die 
fragliche Krankheit nicht als eine besondere nosologische Einheit angesehen wissen, 
sondern als einen Symptomencomplex, wie er den organischen Erkrankungen der 
Gehirnbasis eigentümlich ist. (Autoreferat.) 

An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Discussion, an welcher die Herren 
Prof. Darkschewitsch, Lewtschatkin, Skuridin, Kljatschkin und Fa- 
worski theilnahmen. A. Faworski (Kasan). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mszzann & Wmw in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Eiaudiwansigater " B * rlin ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In« und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beiohs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902* 15. Februar. Nr. 4. 


Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Ueber Ermüdung der Sehnenreflexe und die 
diagnostische Bedeutung dieses Symptoms bei nervösen Erkrankungen, von Professor 
V. v. Bechterew in St. Petersburg. 2. Der Trigeminus - Facialisreflex und das Westphal- 
PilPscbe Phänomen, von Dr. Hugo Lukdcz. 3. Weitere Erfahrungen über den Babinskfsehen 
Behex, von Dr. August Hostburger. 4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obduetionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Goldflam in Warschau. 


II. Referate. Anatomie. 1. Zur Lehre vom Kern des oberen Facialisastes. Experi¬ 
mentelle Untersuchung von Kotelewski. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber 
Gef&hlsinterferenzen, von Adamklewicz. 3. Das Beflexcentrum für die ausscheidende Function 
des Paoereas, von Poplelski. 4. Die Grosshirnrindenganglienzelle deB Menschen als selb¬ 
ständiges Organ, von Adamklewicz. — Pathologische Anatomie. 6. Untersuchungen 
Iber das Verhalten des Balkens nach grösseren oorticalen Hirnläsionen, von Kattwinkel. 
6. Contribution ä l’dtude des löeions dee cellules de l’hypoglosse aprös rarrachement du nerf, 

r u- de Berte. 7. Bulla fine struttura ed istogenesi della neuroglia patologica, per Bonome. — 
athologie des Nervensystems. 8. Untersuchungen überden (sensiblen) oculopupillären 
Behex, von Vlrady. 9. Zur Physiologie und Pathologie der Sehnenphänomene an den oberen 
Extremitäten, von Mohr. 10. Ueber das Verhalten der Sehnenrehexe bei totaler Querschnitts- 
Unterbrechung des Bückenroarks, von Kausch. 11. Ueber das Verhalten der Patellarrehexe 
bei hohen Querscbnittsmyelitiden, von BAlinf. 12. Zur Frage von dem Verhalten der Sehnen¬ 
rehexe bei querer Durchtrennung des Bückenmarks, von Schultze. 13. The great toe (Babinski) 
pheaomenon, based on the observation of 156 healthy individuale, by Prince. 14. Ueber das 
Zebenphänomen Babinski’s. Ein Beitrag zur Lehre von den Fusssoblenrehexen, von Schneider. 
15. Untersuchung und diagnostische Verwerthung der Hautreflexe, von Boettiger. 16. Puerperal 
Dolvneuritis and polio-myelitis, by Stewart. 17. Sur un caa de polynövrite gdneralisäe avec 
diplögie faciale d* origine vraisemblablement blennorrhagique, par Raymond. 18. Changes in 
the peripheral nerves in a caae of diabetea mellitus, by Findlay. 19. A case of neuritis affec- 
ting the optio and cervical nerves, complicated by carcinoma of the breast, by Benson. 
20. Neuritis interstitialis plexus sacralis equi und aufsteigende Bückenmarksdegeneratiou 
nach Neuritis peripherica, von Thomassen. 21. Ein Fall von multipler Neuritis nach Kohlen- 
oxydvergiftuog mit Betheiligong der Sehnerven, von Schwabe. 22. Ett fall af beri-beri, af 
Kaiser. 23. Changes in the neuronal centres in beri-beric neuritis, by Wright. 24. Welche 
therapeutischen Maassnahmen indicirt der Mdniöre’sche Symptomenconiplex? Von Heermann. 
25. Et Tilfälde af labyriotär Angioneurose, med Bcmärkninger um den saakaldte Möniöre’ske 
Svgdom og det Mdni&re’ske Symptomkomplex, af Möller. 26. Sechs Fälle von Möniörc’scher 
Erkrankung, von Sarbd. 27. Ein durch galvanischen Strom geheilter Fall von Möniöre’scher 
Krankheit, von DonAth. — Psychiatrie. 28. Ueber Eifersuchtswahn, von Brie. 29. Eifer- 
saehtswabo bei Frauen, von SchDIIer. 30. La folie des foulos, par Rodrlgues. 31. Geistes- 
kraakheiten bei Gefangenen, von Longard. 


t 


HL Bibliographie- 1. Lefons snr les maladies du Bystöme nerveux, par Raymond. 
Ueber Sehreiber- und Pianistenkrampf, von Zabludowtkl. 

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IV. Am Am tm l ufciHw . V. Courh iateraattonaJ de phyBolofie, Tmria, 17. bii 
11. September 1901. — Geaeikehaft der Newologea ud Irrenärzte za Moakaa. 

V. Mttüiettaaf aa dM H i m»|rti r. 

VL W a a rala pltdn aad pzy cMatrtzd » Utttntar vom 1. November bis 31. Deeeaaber 1901. 
VN. VermiscMas. XX Congreas ftr innere Mediein in Wiesbaden am 15.—18. ApriL 
VM. ParsMaliaa. - OL BsHrtriipmi 


L Original mittheilnngen. 

1. Ceber Ermüdung der Sehnenreflexe und 
die diagnostische Bedeutung dieses Symptoms bei nervösen 

Erkrankungen. 

Von Prof. W. v. Bechterew in St Petersburg. 

In einer meiner früheren Arbeiten habe ich eine in manchen Fällen von 
multipler Neuritis zu beobachtende merkwürdige Besonderheit der Patellar- 
sehnenreflexe beschrieben, bestehend in hochgradiger Verlangsamung derselben. 
Diese Erscheinung, die ich seitdem in mehreren Fällen von multipler Neuritis 
im Conyalescenzstadium der letzteren angetroffen habe, geht gleichzeitig mit 
dem allmählichen Nachlassen des neuritischen Proceeses nach und nach zurück. 

Eine andere Veränderung der Erscheinungsweise der Sehnenreflexe, die 
mir unlängst in einzelnen Fällen von Myelitis des unteren Brustmarkes und 
der Lendenansohwellung aufgefallen ist, besteht in hochgradiger Ermüdung der 
Patellarsehnenreflexe zu einer Zeit, wo der myelitische Process bereits theilweise 
im Nachlassen begriffen ist Bei derartigen Kranken rufen — und dies ist das 
Wesen der Erscheinung — nur die ersten die Sehne treffenden Hammerschläge 
den Patellarreflex hervor, der bei jedem neuen Schlage schnell schwächer wird 
und schliesslich ganz verschwindet Unterbricht man die Prüfung, so lässt sich 
nach einiger Zeit wieder ein Reflex von der ursprünglichen Intensität hervor* 
rufen, der jedoch bei fortgesetzter Untersuchung wiederum mehr oder weniger 
schnell nachlässt und vorübergehend gänzlich erlischt Die Erscheinung war in 
meinen Fällen ausgeprägt um die Zeit der Wiederkehr der Sehnenreflexe nach 
langdauerndem Ausfall derselben und dauerte bis zum Zeitpunkte der Rehabili- 
tirung völlig normaler Reflexthätigkeit Die Ermüdbarkeit der Sehnenreflexe 
trat dabei allmählich immer mehr zurück, um schliesslich völlig zu verschwinden. 
Analoge Ermüdungserscheinungen der Sehnenreflexe beobachtete ich mehrfach 
auch in den Anfangsstadien von multipler Neuritis, sowie in den allerfrühesten 
Phasen der Tabes dorsalis vor dem völligen Aussetzen dieser Reflexe. ^ ;Doch 
nahm hier die Ermüdbarkeit der Reflexe mit dem Fortgänge der Erkrankung 
immer mehr zu, bis völlige Reflexlähmung eintrat Demnach ist Ermüdbarkeit 
der Sehnenreflexe zu beobachten einerseits im Convalesoenzstadium, z. B. bei 
Myelitiden, und andererseits während der Entwickelung gewisser Krankheit»- 
processe, wie bei der Tabes und Neuritis. An und für sich weist diese ßeflex- 


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ermüdbarkeit hin auf eine Affeotion des Reflexbogens, die jedoch weniger tief¬ 
gebend ist als beispielsweise bei totalem Verschwinden der Sehnenreflexe. Von 
besonderer diagnostischer Wichtigkeit erscheint jedoch der Umstand, dass die 
reflectorische Ermüdbarkeit in manchen Fällen mit der Zeit zunimmt, in anderen 
mit der Zeit abnimmt Letzteres dentet auf Nachlass, ersteres auf Verschlech¬ 
terung des eigentlichen Krankheitsprocesses. 

Aber anch an nnd für sich und in Verbindung mit anderen Krankheits¬ 
symptomen hat die Erscheinung der Reflexermüdbarkeit eine gewisse diagnostische 
Bedeutung. So kann sie z. B. in den Anfangsstadien der Tabes im Zusammen¬ 
hang mit anderen Merkmalen, laneinirenden Schmerzen, Trägheit der Pupillen- 
reaction u. s. w., bei der genaueren Begründung der Krankheitsdiagnose von 
Werth sein. 


[Ans der Abtheilung für Nervenkranke des St. Stefan-Spitals in Budapest 
(Vorstand: Docent Julius Donath.)] 

2. Der Trigeminus-Facialisreflex and das W estphal-Pilz’sche 

Phänomen. 1 

Von Dr. Hugo Lokäox. 

Vor einigen Wochen hat MoCabthy im Nenrolog. Centralblatt ein durch 
ihn „8npraorbitalreflex“ benannten Reflex beschrieben. Derselbe besteht darin, 
dass, wenn wir den Subraorbitalnerv beklopfen, eine Contraotion des Musculus 
orbieolaris palpebrarum entsteht In den nächsten Nummern erfahren wir von 
y. Bbchtbbbw, dass er diese mit mehreren anderen, im Gesichte auslösbaren 
Reflexen schon beschrieben hat Auch Hudovebnig kennt ihn seit lange, doch 
hält er dies für keinen Reflex. 

Dass vom Trigeminus ans Reflexe im Gebiete des Facialis aasgelöst werden, 
ist längt bekannt! Welcher Neurologe weiss es nicht, dass Reizung des Trige¬ 
minus Contractkmen der Gesichtsmuskeln hervorruft? Und wer hätte es nioht 
bemerkt, dass, wo man auch das Gesicht berühren mag, der Augenschluss die am 
öftesten sich wiederholende Reaction ist? Wir wissen, wie stark diese Reizbar¬ 
keit bä den Neugeborenen ist Die leiseste Berührung genügt, dass auch im 
Schlafe die Augen zugekueift werden. Später vermindert sich diese Reizbarkeit, 
doch bleibt sie im Kindesalter noch gesteigert Aber auch beim Erwachsenen 
tritt die Contractdon des kreisförmigen Augenmuskels immer ein, wenn ein 
schneller, unerwarteter Reiz das Gesicht trifft Wiederholen wir den Reiz öfter, 
dann wird die Contraction immer weniger energisch, bis sie erlösoht Es giebt 
aber im Gesichte einige Punkte, bei deren Beklopfung, mögen wir 
anch den Reiz öfter wiederholen, die Reaction sich immer einstellt 


1 Vortrag, gehalten in der neurologischen Section des königl. nngar. Aeratevereins in 
BwjspMt tm 11. November 1901. 


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Ein solcher Punkt ist auch die Incisura supraorbitalis. Und darauf redueirt 
sich die Neuheit des Mo Cabthy ’schen Reflexes. 

Solche Punkte fanden wir auf der Stirn, an der Nasenwurzel, am Joch¬ 
bein, am Unterkiefer, medial vom Masseter und endlich an dem Austrittspunkte 
des Facialis. Auffallender Weise also überall, wo eine Knochenunterlage vor¬ 
handen ist Dieser Reflex ist von der Stirn stets auszulösen; fast immer vom 
Jochbein, weniger sicher von der Nasenwurzel, am seltensten vom Austritte¬ 
punkte des Facialis. Im letzteren Falle ist die Reflexerregbarkeit wahrschein¬ 
lich schon gesteigert, da wir es bei normalen Individuen nur selten auslösen 
konnten. Wie wir sehen, ist der Grad der Reflexerregbarkeit nicht nur aus der 
Energie des Reflexes ersichtlich, sondern auch daraus zu beurtheilen, von 
welchem Punkte aus wir ihn auslösen können. Doch muss ich hervorheben, 
dass diese Verhältnisse auch beim Gesunden nicht nur individuell, sondern auch 
zeitweilig verschieden sein können. 

Von Wichtigkeit ist es, dass der Reflex, wie bei der Pupille, ein gleichzeitig 
bilateraler ist. Die Facialisinnervation der Erwachsenen ist synergisch, nicht so 
bei den Neugeborenen, wo die Bewegungen der beiden Gesichtshälften sich un¬ 
abhängig vollziehen. Doch ist der Reflex auch bei ihnen ein doppelseitiger, wie 
er auch bei jenem Erwachsenen doppelseitig bleibt, die es erlernen, ihre Augen 
abwechselnd zu schliessen. 

Hudovebnig hält dieses Phänomen für keinen Reflex, nach ihm handelt 
es sich hier um directe mechanische Reize, die den Muskel selbst treffen. Dies 
ist unhaltbar, denn man kann es in weiter Entfernung von dem Muskel auch 
dort auslösen, wo selbst die ohnehin fragliche Leitung der Knochenvibration 
ausgeschlossen erscheint, wie z. B. auf dem Unterkiefer. Die Annahme, dass 
mit dem Beklopfen der Gesichtsnerv selbst mechanisch erregt wird, liegt näher. 
Ein Analogon dafür können wir in dem CHvosTEK’schen Phänomen erblicken. 
Nach den Beobachtungen von Schlesingeb, Hoffmann, Jakboh, Schulze, 
Oppenheim u. A. ist es bekannt, dass bei normalen, noch mehr bei neuropathisch 
veranlagten Individuen es häufig vorkommt, dass bei Beklopfen des Facialis- 
austrittepunktes Zuckungen besonders in den Schliessmuskeln des Auges und 
des Mundes auftreten. Eschebioh n ahm auch bei Tetanie an, dass es sich bei 
dem CHvosTEK’schen Phänomen um einen Reflex handle. Seine Ansicht wurde 
verworfen, da bekanntlich bei Tetanie die Reflexerregbarkeit oft vermindert ist 
Nach meiner Ansicht ist die partielle Contraotion eines Muskels keineswegs mit 
dem CHVOSTBK’schen Phänomen identisch. 

Auffallend in dieser Hinsicht ist das Verhalten dieses Reflexes bei Gesichts¬ 
lähmung. Bei totaler Lähmung bleibt auf Beklopfen des Supraorbitalpunktes 
die Contraction auf der gelähmten Seite aus, erscheint aber auf der gesunden 
Seite normal. War die Erregbarkeit eine gesteigerte, so gelingt durch Beklopfen 
des Austrittspunktes des Facialis dasselbe. Es kommt also die Contraotion auf 
der gesunden Gesichtshälfte auch dann zu Stande, wenn wir den Austrittspunkt 
des gelähmten Facialis beklopfen. Das kann nach meiner Ansicht nur auf 
reflectori8chem Wege möglich sein, und nicht durch eine mechanische Er- 


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sehütterung des Muskels erklärt werden. Ich verweise auf jene Fälle von 
E. Rkmak, Bernhardt und J. Mülleb, in denen irgend ein Reiz (die Cilien 
des entropischen Augenlides, ein entzündliches Infiltrat u. dgl.) durch Reizung 
des Trigeminus auf der gelähmten Gesichtshälfte Blepharospasmus am Auge der 
gesunden Seite verursachte. Wurde die Ursache behoben, so hörte der Krampf 
auf. Hitzig, Bernhardt, Jakobi und Gowbbs suchen die Ursache dieser 
Erscheinung darin, dass durch die fortdauernden Innervationsversuche während 
der Lähmung die Energie und damit die Reflexerregbarkeit der Innervations- 
oentren erhöht wird. Mit dieser Auffassung stimmt es vollkommen überein, 
dass wir bei sich bessernden Gesichtslähmungen durch Beklopfen des Austritts¬ 
punktes des Facialis die Contraction des kreisförmigen Augenmuskels in allen 
Fällen schon dann ausläsen konnten, als die willkürliche Innervation noch 
nicht möglich war. Dasselbe hat auch Hitzig bemerkt 

Dass bei dem Beklopfen des Facialisaustrittes auch Trigeminusäste getroffen 
werden, ist gewiss, da die beiden Nerven ein dichtes Netz bilden. Uebrigens 
haben y. Fbankl und Lichtenbbrg bewiesen, dass der Gesichtsnerv auch 
sensible Fasern führt, die er wahrscheinlich aus dem Trigeminus erhält Gowbbs 
beschrieb aueh sensible Faoialisäste. Filenb behauptet, dass der Trigeminus 
einen gewissen Reflextonus der Gesiohtsmusculatur verleiht, weshalb bei Anästhesie 
des Trigeminus die willkürlichen und mimischen Gesiohtsbewegungen gestört 
sind. Exneb erwähnt, dass dies schon durch Bell und Magendie beschrieben 
wurde. 

Ich glaube nicht zu irren, wenn ich die Contraction des kreisförmigen 
Augenmuskels bei Beklopfen der beschriebenen Gesichtspunkte für reflectorisch 
halte. Sie bleibt aus, wenn die motorische Leitung erkrankt, und ich kann die 
Behauptung MoCabthy’s, dass nach Trigeminusresection, also Unter¬ 
brechung der Leitung der centripetalen Bahn, die Contraction aus¬ 
bleibt, bestätigen. Ich habe keine Gelegenheit gehabt, auch nur einen ein¬ 
zigen Fall von Exstirpation des Ganglion Gasseri zu beobachten, wo die Anästhesie 
eine totale geblieben wäre. Garbe hat schon im Jahre 1898 darauf aufmerk¬ 
sam gemacht, dass auch nach totaler Exstirpation des Ganglions der Trigeminus 
nach einiger Zeit von Neuem functionirt Oft kehrt nicht nur das Gefühl, 
sondern auch die Neuralgie wieder! 

Wir haben schon erwähnt, dass bei allen unerwarteten Berührungen des 
Gesichts eine Contraction des Orbicularis palpebr. erfolgt Diese Bewegung ist 
nach einiger Uebung leicht von der reflectorischen Zuckung, welche weniger 
energisch und nur ausnahmsweise im ganzen Muskel, sondern nur an einigen 
Muskelfasern erfolgt, leicht zu unterscheiden. Daraus folgt, dass man die ersten 
Versuche ausser Acht lasse. Zumal bei amaurotischen Individuen, welche von 
der Berührung unerwartet getroffen werden, muss man eine Weile warten, bis 
diese energischen schnellen Bewegungen aufhören. 

Gleichzeitig mit dem eben beschriebenen Reflex haben wir auch eine Be¬ 
wegung der Pupille beobachtet, die darin besteht, dass die Pupille sich erst 
mbaimal verengt und danach sich erweitert Die Erweiterung ist beträchtlicher, 


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so dass, wenn wir das Beklopfen mehrmals in kurzer Zeit wiederholen, wir die 
Papille dadaroh zur Erweiterung bringen. Diese Reaotion erfolgte, yon wo immer 
wir die Contraction des kreisförmigen Augenmuskels auslöseu, ebenso bei jeder 
normalen, wie bei jeder lichtatarren Pupille, sogar an amaurotischen Augen. 

Wie bekannt, haben Wbstphal und Pilz ein ähnliches Symptom bei Zu* 
kneifen des Auges beschrieben. Wbstphal erwähnt zwar, dass dieses Phänomen 
ausnahmsweise auch bei Gesunden zu beobachten ist, Pilz hat es aber nur in 
pathologischen Fällen beobachtet, Antal hält es für ein prodromales Symptom. 
Schantz sagt in seiner, vor kurzer Zeit erschienenen Abhandlung: „Wenn wir 
am normalen Auge dieses nicht beobachten können, so liegt dies daran, dass 
die Liohtreaotion dieses Phänomen bedeckt“ Und darin hat er liecht, bä 
unserem Vorgehen ist die Liohtreaotion ausgeschlossen, da die Contraction des 
kreisförmigen Augenmuskels nicht so stark ist, dass die Pupille verdeckt würde, 
und damit ist die Möglichkeit gegeben, dass das Phänomen auch bei normalen 
Mensohen zu Stande komme. 

Schantz ist der Meinung, dass es sich bei diesem Phänomen nicht um 
eine reflectorische Bewegung handelt, sondern diese sei auf mechanische Vor* 
gänge zurückzuführen. Bei unserem Verfahren ist die Contraction des Augen¬ 
muskels eine viel zu geringe, aber abgesehen davon, widerspricht der Meinung 
von Schantz, dass das Phänomen bei totaler Gesichtslähmung, wo 
gar keine Contraction des kreisförmigen Augenmuskels zu Stande 
kommt, auoh vorhanden ist Wbstphal hält dieses Phänomen für eine 
Mitbewegung, gerade wie das gleichzeitige Auf* und Seitwärtsrollen des Aug¬ 
apfels. Es wäre das noch zu verstehen, wenn die Mitbewegung der Pupille auf 
denselben Beiz auch dann zu Stande käme, wenn die primäre Bewegung (Augen- 
sohluss) ausbliebe. Doch ist das nicht wahrscheinlich, weil bä unserem Ver¬ 
fahren das Augenrollen nie ächtbar war. 

Schantz stellt in Abrede, dass es eine Mitbewegung, und dass es über¬ 
haupt auf eine Erregung des Oculomotorius zurüokzuführen wäre, da er es auoh 
an atropinisirten Augen, und bei Ophthalmoplegia interna totalis beobachtet 
hatte. Schon Galassi meinte, durch dieses Symptom könne man eine periphere 
Oculomotoriuslähmung von einer centralen unterscheiden. Dem entspräche, dass 
wir bei unserem Verfahren diese Pupillenreaction dort hervorrufen konnten, wo 
die übrigen Pupillenreaotionen erloschen waren. Es scheint also, dass der 
Reflexbogen peripher verläuft 

Besonderen pathognostischen Werth können wir heute weder dem einen, 
noch dem anderen Symptom zumessen. Denn das Wiedererscheinen des Orbicular- 
reflexes könnte höchstens die Besserung der Geächtäähmung an zeigen. Das 
Pupillenphänomen dagegen könnte vielleicht im Sinne Galabsi’s verwerthet 
werden. 


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[Aus dem städtischen Siechenhause za Frankfurt a/M. 

(Oberarzt: Dr. August Knoblauch.)] 

3. Weitere Erfahrungen über den Babinski'sehen Reflex. 

Von Dr7 August Homburger, Assistenzarzt 

Aus anseren ersten, dem BABnreKi’schen Reflex gewidmeten Betrachtungen 1 
ergab sich: 1. dass allein die isolirte reflectorische Dorsalflexion der grossen Zehe 
als ein sicheres Sjmptom einer Läsion der durch die innere Kapsel verlaufenden 
motorischen Faserung anzusehen ist; 2. dass die Dorsalcontractur der grossen 
Zehe vornehmlich bei alten Hemiplegieen vorkommt, die das typische Lähmungs¬ 
bild zeigen; 3. dass der Reflex bei denjenigen Fällen cerebraler Lähmung fast 
immer fehlt, die als Folge zahlreicher Insulte ein von dem gewöhnlichen Läh¬ 
mungstypus erheblich abweichendes Bild spastisch-paretischer Bewegungsstörung 
bieten. Hinsichtlich dieser drei Punkte haben die Erfahrungen der letzten 
Monate nichts hinzugefügt, was eine andere Fassung verlangte oder eine Ab¬ 
weichung darböte; es ist uns aber möglich gewesen, eine Reihe von Beobach¬ 
tungen zu machen, die sich an das früher Gesagte ergänzend und vielleicht 
auch erklärend anreihen. 

Hinsiohtlich des ersten Punktes besteht ein Gegensatz zwischen den Be¬ 
obachtungen, die SoHNHmBB 1 kürzlich veröffentlicht hat, und den unseligen. 
Er legi auf die isolirte Bewegung der Grosszehe wenig Gewicht, glaubt auch 
nicht, dass die Stelle der Application des Reizes von Bedeutung sei. Auf diesem 
Wege kommt er zweifellos dazu, einen echten und falschen Babinski zu unter¬ 
scheiden, dessen Wesen er in einer mit Zurückziehen der Extremität verbundenen 
Doxsalflexion der Zehen ohne vorausgehende Beugung sieht Es ist richtig, dass 
man dieses Phänomen auch bei Stupor und Demenz beobachtet, aber die isolirte 
Dorsalflexion der Grosszehe sahen wir nie bei diesen Zuständen, auch nicht vor, 
in oder nach dem epileptischen Insult, noch bei irgend welcher Art des Comas 
ans funotioneller Ursache; vielmehr zeigten drei Epileptiker, ähnlich wie König 8 
dies schon sah, eine an Intensität die Norm weit übersteigende Plantarflexion 
der Zehen, die noch einige Zeit nach der Reizung in krampfartiger Weise fort¬ 
dauerte. 

Drei Fälle von frischer Apoplexie, die letal verliefen, gaben uns zu sehr 
interessanten Wahrnehmungen Gelegenheit; bei allen dreien konnte sofort 
nach dem Insult die Prüfung des Phänomens vorgenommen werden und als 
kürzeste Frist bis zu seinem Auftreten ergaben sich 5 Minuten; auf der Seite 
des Sitzes der Läsion war normale Plantarflexion; bei allen dreien stellte sich 


1 VergL N eurolog. CentmlbL 1901. Nr. 15. 

' Berliner klin. Woehensehr. 1901. Nr. 87. — Daselbst auch ein vollständiges Ver- 
swriisies der BABonoa-Litteratur bis 1. April 1901. — Vergl. Referat in d. Nummer, 8.167. 
* Archiv f. Psjch. XXX1IL 


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aber später auch auf dieser Seite der Reflex ein and bald darauf erfolgte der 
Tod, spätestens am nächsten Tage. Es fanden sich grosse Blatangen mit Durch¬ 
bruch in den Ventrikel. In Anbetracht dessen, dass wir dieses Verhalten bei 
günstig verlaufenden Fällen von Apoplexie — NB. auch im tiefen Coma — nicht 
sahen, ist es eine sehr wahrscheinliche, dass wir in dem doppelseitigen Auftreten 
des BABiNSKi’schen Reflexes aas acuter Ursache ein Perforationssymptom, ein 
Signum m ali ominis, zu erblicken haben. 

Die Extensionscontractar des Hailax bei typischen Hemiplegieen rührt wohl 
daher, dass der Strecker der grossen Zehe von der Lähmung nicht betroffen ist; 
also gehört dieser Hoskel za den von tieferen motorischen Bahnen im Sinne von 
Wkbniokb, Mann, Rothmann u. A. innervirten Muskeln, and ein Reflex, der 
isolirt za ihm geleitet wird, verläuft nothwendig auf einer solchen Bahn. Da 
dieses Verhalten vor allen Dingen für cerebrale Herde leicht demonstrabel ist, 
worauf 0. Kalkcheb 1 schon hingewiesen hat, so kann unmöglich, wie Schneideb 
meint, ein tiefer spinaler Sitz, der eben nur den Reflexbogen für den Gross- 
zehenstrecker noch freilässt, die Voraussetzung sein, die allererst das Zustande¬ 
kommen der isolirten reflectorischen Dorsalflexion des Hailax ermöglicht Mit 
eingehenden Untersuchungen über die Lähmungsmodalitäten an den unteren 
Extremitäten sind wir noch beschäftigt 

Während bei denjenigen Kranken, die eine typische Hemiplegie in Folge 
eines Herdes in der inneren Kapsel darbieten, meistens schliesslich eine ziem¬ 
lich gute Gebrauchsfahigkeit des Beines bei Gebraachsunfähigkeit der Hand 
resultirt, Blasen- wie Mastdarmstörungen nur vorübergehend auftreten, and in 
der Mehrzahl der Fälle keine eigentliche Demenz sich entwickelt, sieht man im 
Gegensatz hierzu in den Fällen von wiederholten Insalten, bei denen sich ana¬ 
tomisch zahlreiche kleinere und grössere Erweichungsherde in den beiderseitigen 
Linsenkernen und Sehhügeln finden, ein'vorzugsweise Ergriffensein der Beine, 
dauernde Incontinentia vesicae et alvi, einen oft sehr rapid fortschreitenden 
Verfall des Intellects, Schluckbeschwerden, Zwangslachen und Zwangsweinen, 
kurz und gut ein Symptomenbild, welches auch eine Menge ooordinatorischer 
Störungen umfasst und der cerebralen Pseudobulbärparalyse äusserst nahekommt 
ohne dass man in der Hirnrinde und dem Hemisphärenmark andere als die 
gewöhnlichen Altersveränderungen nachweisen konnte. Bei diesen Fällen fehlt 
gewöhnlich die isolirte Dorsalflexion der grossen Zehe. Man hätte keine Ver¬ 
anlassung, hierin etwas Besonderes zu sehen, denn es liegt ja keine Läsion der 
Pyramidenbahn vor. Der Reflex verschwindet aber, wenn, wie wir es in einem 
Falle sahen, zu einem älteren Herde in der inneren Kapsel, späterhin Er- 
weiohungsherde im Linsenkern und Thalamus hinzutreten. Aber abgesehen von 
diesem Falle, bei dem immerhin gewisse Details sich der genauen Feststellung 
entzogen, da die Erkrankung sich über Jahre hinzog, während nur die letzten 
Monate in unsere Beobachtung fielen, verfügen wir über eine Erfahrung, die 
eigentlich durchaus eindeutig ist Eine 42jähr. Patientin, die wegen Imbecillität 

1 ViaoHow'a Archiv. CLV. 


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und hochgradiger Kyphose schon lange Zeit stationär verpflegt wurde, und deren 
Nervensystem absolut intact war, bekam unter unseren Augen eine Apoplexie: 
nach 5 Minuten war links isolirte Dorsalflexion der Grosszehe nachweisbar, es 
handelte sich also um einen rechtsseitigen Herd; 3 Tage später, bei andauerndem 
tiefen Coma, trat der Beflex auch rechts auf; auf Grund früherer Beobachtungen 
diagnosticirtan wir den Durchbruch in den Ventrikel und erwarteten den baldigen 
Exitus; am Abend des gleiohen Tages erlosch der Reflex links, während er rechts 
persistirte; aus dem Verschwinden auf der linken Seite wurde auf eine Aus¬ 
breitung der Blutung in die Sehhügelregion geschlossen; in der Nacht trat der 
Tod ein. Die Obduction ergab eine grosse Blutung, die, in der rechten Capsula 
interna mitstanden, in den Ventrikel durchgebrochen war und den Linsenkern 
und Thalamus opticus bis auf einen kleinen Rest des Pulvinar zerstört hatte. 

Ich halte es für gerechtfertigt, aus diesen Beobachtungen den Schluss zu 
ziehen, dass die isolirte Dorsalflexion der grossen Zehe ein Reflex ist, der auf 
einer tieferen motorischen Bahn thalamo- bezw. tectospinaler Richtung verläuft, 
deren Intaotheit er zur Voraussetzung hat Diesbezügliche anatomische Unter¬ 
suchungen sind im Gange. 

In der Kette dieser Beweisführung fehlt freilich noch ein Glied: das Aus¬ 
bleiben des Reflexes in dem Falle, dass zu Thalamusherden ein solcher in der 
inneren Kapsel hinzutritt, eine Anordnung, der wir noch nicht begegnet sind. 

Wenn diese Theorie richtig ist, so erklärt es sich ohne Schwierigkeit, warum 
man gerade bei der multiplen Sklerose so wechselnde Verhältnisse findet; in 
Fällen, bei denen man aus dem Verhalten der übrigen Reflexe auf eine Pyra- 
midenbahnläaion schliessen muss, fehlt die Halluxextension, in anderen Fällen, 
bei denen sie lange Zeit auslösbar war, verschwindet sie mit einem Male, wohl 
durch das Auftreten von Herden, die irgendwo die thalamo* bezw. tectospinalen 
motorischen Bahnen treffen. Gleiche Erwägungen beziehen sich auf luetische, 
tuberculöee und sonstige entzündliche Processe, sowie auf Tumoren u. s. w., die 
nach und nach die verschiedenen Fasersysteme ergreifen. 

Das Gesagte betrifft, wie ausdrücklich bemerkt sei, das BABiNSKi’sche 
Phänomen zunächst nur, insoweit es sich als isolirte Dorsalflexion der Grosszehe 
darstellt; die Hypertonie des Flexor hallucis bei der typischen Hemiplegie ist 
natürlich der Hypertonie der anderen, im gleichen Maasse von der Lähmung 
verschonten Muskeln gleichsinnig; sie sind dem Einfluss der Kapselfaserung ent¬ 
zogen und ihre Innervation hat eben dadurch ein erhebliches Uebergewicht er¬ 
langt. Diese Ueberlegungen lassen es wohl auch angezeigt erscheinen, von dem 
Gesichtspunkte der ontogenetischen und phylogenetischen Differenzen aus, die 
zwischen der Pyramidenbahn und den übrigen motorischen Innervationswegen 
bestehen, die Halluxextension bei Neugeborenen und Babinski’s ursprüngliche 
Erklärung erneut zu prüfen. 


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4. Weitere« über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau). 

Von S. Ooldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Es muss zagegeben werden, dass An&logieen in dem Sectionsergebniss 
zwischen dem LAQUBB-WsiOEBT’schen und meinem Falle 0. bestehen. Hier 
und dort liegt eine Geschwulstbildung vor, in dem WmaBBT’schen ein bösartiger 
Thymustumor, in dem meinen makroskopisch ein grosses Lymphosarcom der 
Lange — leider wird im Protocoll nichts über die Thymusdrüse erwähnt, be¬ 
hauptet ja Wkigkbt, dass die grossen Mediastinaltamoren auch von der Thymus 
aasgehen —, hier and da sind Anhäufungen kleiner Zellen in den Muskeln 
vorhanden, die im WEiGB&T’schen Falle sicher Metastasen darstellen, in dem 
meinigen jedoch ist diese Behauptung nur mit Reserve aufzunehmen, da die 
mikroskopische Untersuchung des primären (?) Lungentumors fehlt Die Differenz 
im mikroskopischen Bilde der Zellenanhäufungen ist ja durch die Verschiedenheit 
des Ausgangspunkts und vielleicht des Baues der primären Geschwulst er¬ 
klärlich. 

Wenn es also ziemlich fest steht, dass in zwei sioheren Fällen von Myasthenie 
sich bei intactem Nervensystem ausserhalb desselben analoge Veränderungen 
— Geschwulstbildung und Metastasen in Muskeln — vorfanden, dann ent¬ 
steht die Frage, welche Bedeutung ihnen in Bezug auf die Myasthenie bei¬ 
zulegen ist Mit Wbigebt muss zugegeben werden, dass so reichliche An¬ 
häufungen fremder Zellen nioht ohne Einfluss (biologisch-chemischen oder mechanisch- 
ciroulatorischen) auf die Muskelfunction sein konnten, sind ja auch die Erscheinungen 
der Myasthenie in der Hauptsache Störungen der Muskelfunotion. Allein in 
anderen zur Section gelangten Fällen hat man Alterationen der Muskeln vermisst, 
auch ich konnte in excidirten Muskelstückchen von zwei anderen mit Myasthenie 
behafteten Patienten nichts finden. Für Weigkbt ist es denkbar, dass die 
Zellenanhäufungen in den Muskeln keine Conditio sine qua non für das Zu¬ 
standekommen von Bewegungsstörungen bei Thymuserkrankungen darstellen, 
sondern dass hier jene dunklen intermediären Stoffweohselproducte eine Rolle 
spielen. Umgekehrt, wie bei der Schilddrüse, wo die Anwesenheit zum min¬ 
desten eines genügenden Restes der Drüse für die entsprechenden normalen 
Functionen nothwendig ist, wäre ihm zu Folge bei der Thymus gerade die 
Abwesenheit oder Geringfügigkeit des normalen Gewebes nach Abschluss des 
Wachsthums für die Gesundheit erforderlich. 

Man kann diesen Erwägungen eine gewisse Rechtfertigung, speciell für den 
Wbigb BT’schen Fall, nicht abspreohen, allein sie vermögen nicht eine allgemeine 
Geltung zu beanspruchen, da in den meisten zur Section gelangten Fällen von 
Myasthenie sich überhaupt keine Veränderungen, auch kein Tumor, vorfanden; 
in den Fällen aber mit Tumoren waren dieselben anderer Dignität und anders 


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locaüäit Auf die Combinatkm von Myasthenie und Geschwulstbildung wurde 
übrigens schon von einigen Autoren aufmerksam gemacht. 

Senator 1 hat in einem Falle von primären multiplen Myelomen (des 
Tboraxskelete), die, wie jetzt bekannt, gewöhnlich mit Albumosurie einhergehen, 
gewisse nervöse Erscheinungen, wie Zungenlähmung und Schlingstörungen, be¬ 
obachtet, für welche die genaue mikroskopische Untersuchung keine Erklärung zu 
Tage förderte, und die er als zur asthenischen Lähmung gehörig anspricht Er citirt 
ras der spärlichen diesbezüglichen Litteratur noch 5 Fälle mit derartigen Störungen 
and Herderscheinungen ohne anatomisches Substrat und kommt zum Schluss: 
jbm in seinem Fall das Primäre die multiplen Myelome gewesen sind, welche 
einerseits snr Albumosämie mit Ausscheidung von Albumose im Urin und 
Schädigung der Nieren, andererseits zu schwerer Anämie geführt haben, welch 
V&tere bei der durch mangelhafte Entwickelung des Nervensystems disponirten 
Patientin asthenische Lähmung zeitigte“. Ich kann unmöglich den Fall von 
8buxqr, als asthenische Lähmung deuten. Es fehlen hier die am meisten 
charakteristischen Zeichen dieser Krankheit, in erster Linie das Phänomen der 
abaonnen Ermüdbarkeit (die Apokamnose), und es wird lediglich über Hinfällig¬ 
keit and Mattigkeit berichtet, wie sie bei Kachexieen, oder hochgradigen Anämieen 
Vorkommen. Die ganze Entwickelung und der Verlauf der nervösen Erscheinungen 
entsprechen nicht dem Bilde der asthenischen Lähmung. Dazu kommen Er¬ 
scheinungen, die der letzteren Erkrankung fremd sind, wie die vollständige 
Anästhesie im Bereich des 3. Trigeminusastes, Druckempfindlichkeit des N. pero¬ 
neus, auch sollen nach Rosin 1 * in demselben Fall „unerträgliche Kopfschmerzen“ 
vorhanden gewesen sein. Wenn die Autopsie in Betreff der nervösen Erschei¬ 
nungen ein negatives Resultat ergab, so ist der Fall eben als „Lähmung ohne 
anatomischen Befund“ zu deuten, wie sie hei Kachexieen, Intoxicationen (z. B. 
Urämie), Carcinose u. s. w. bekannt ist, wo für ausgesprochene Herderscheinungen, 
Lähmungen u. s. w. kein anatomisches Correlat zu finden ist. 

In dem in der Discusaon zu Sbnatob’s Vortrag erwähnten Fall von 
Gua witz (L c.) waren in einem Deltoideus fibrilläre Zuckungen, Herabsetzung 
der elektrischen Erregbarkeit, partielle Entartungsreaotion, auch deutliche Sen- 
äbilität88töningen, aber keine für Myasthenie charakteristische Erscheinung vor¬ 
handen. 

Auch die nervösen Erscheinungen in anderen Fällen von bösartigen, mul¬ 
tiplen Knochenerkrankungen tragen durchaus nicht das Gepräge der asthenischen 
lähwmng. In einem klinisch gut beobachteten Fall von Kahler 1 bestanden 
Wöge, auf verschiedene Stellen des Knoohensystems localisirte Schmerzanfälle, 
Keoralgieen verschiedener Nerven, viscerale Neuralgieen, Cardialgieen mit Er¬ 
brechen, Entenügie, asthmatische Anfälle, Parästhesieen der Unterextremitäten. 
Ir einem Fall von Wieland 4 waren von nervösen Erscheinungen nnr Schmerzen 


1 Berliner kün. Wochen sehr. 1899. Nr. 8. 

* Berliner klin. Wocheneohr. 1897. Nr. 48. 

• Wiener med. Presse. 1889. 

4 Nacfc Pamm« und Suuatob citirt. 


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im rechten Bein, in dem zweiten Fall Schmerzen in der ganzen linken Seite 
und leichte meningitische Erscheinungen, derentwegen die Diagnose auf Miliar¬ 
tuberkulose gestellt wurde, im dritten ebenfalls Schmerzen, Zuckungen des Kopfes 
und der Arme vorhanden. Im Fall von Stockvis 1 war Paraplegie, Sprach- 
und Schlingbeschwerden, Salivation, Paralyse des Facialis und Trigeminus zu¬ 
gegen; in dem von Rubtizky’ bestanden Schmerzen, Schwäche und Zuokungen in 
den Beinen, Anästhesie, Incontinentia alvi et urinae, Decubitus u. s. w., und in 
Hammkb’s* (primäre sarcomatöse Ostitis mit chronischem Bäckfallsfieber) ebenfalls 
Schmerzen, Athemnotb, Lähmung des Rectus extemus oculi dextri. In anderen 
Fällen von malignen Tumoren des Knochenmarks, wie in dem von örawitz, 
Litten, Zahn wird überhaupt nur von allmählich zunehmender Anämie, von 
Erscheinungen der perniciösen Anämie, von Entkräftung, die allen solchen Fällen 
gemeinsam sind, berichtet 

Sicher ist also nur, dass primäre multiple Myelome mit gewissen nervösen 
Erscheinungen einhergehen, für welche kein anatomisches Substrat zu finden 
ist. Es liegt aber kein authentischer Fall von primären multiplen Myelomen 
mit Erscheinungen der asthenischen Lähmung vor und vermag man einstweilen 
keine Beziehungen zwischen diesen beiden Erkrankungen zu statuiren, auch 
nicht durch Vermittelung der schweren Anämie, die durch die erstere bedingt 
wird. Bei Anämie, sei es primärer, wie pemiciöser, oder secundärer in Folge 
von bösartigen Erkrankungen, finden sich bekanntlich zuweilen sehr ausgesprochene 
nervöse Erscheinungen, zumal in der sensiblen Sphäre, vor, für die auch ana¬ 
tomische Veränderungen im Rückenmarks (Lichthbu, Nonne) festgestellt 
wurden, allein mit der asthenischen Lähmung haben diese Erscheinungen nichts 
zu thun. Ueberdies ist in den meisten Beobachtungen von asthenischer Lähmung 
auch in den meinigen, von Anämie irgend welchen höheren Grades nicht 
die Rede. 

Indessen ist es, wie Oppenheim hervorhebt, auffallend, dass in der nicht 
allzu grossen Zahl der zur Section gelangten unzweifelhaften Fällen von asthe¬ 
nischer Lähmung sich verhältnissmässig oft Neubildungen in diversen Organen 
vorfanden. Im ersten Fall von Oppenheim eine nicht näher untersuchte wallnuss¬ 
grosse Geschwulst am oberen Pole der linken Niere, die an einer Stelle fluctuirte, 
(in seinem anderen, den auch ich, wie er selbst, nicht zur asthenischen Läh¬ 
mung zählen möchte, fand sich ein Lymphosarcom glandulae thymicae), im Fall 
Dbesohfeld’s eine Dermoidcyste des Ovariums, in dem von Sossedorv Lipom 
der rechten Niere, dazu kommt eine käsige Drüse in der Gegend der grossen 
Bronchien im HoppE’schen Fall, und Miliartuberkeln der Nieren im Strümpell’- 
scheu, wofern man auch Tuberkel zu den Neubildungen zählen will. 

Dazu kommt der LAQüER-WEiGKBT’sche und der eben beschriebene Fall 
von Lymphosarcom der Lunge (weiter unten wird noch von einem anderen. 


1 Nach 8rarAroB citirt. 

* Zeitschr. f. Chirurg. III. 

• Virchow’s Archiv. CXXXVU. 8. 280. 


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nur klinisch disgnosticirtem Mediastinaltumor bei eiuem mit asthenischer Läh¬ 
mung behafteten Patienten berichtet). Was diesen letzteren betrifft, so muss be¬ 
tont werden, dass die asthenische Lähmung etwa 7 bezw. 8 Jahre bestand, bevor 
der Muskelbefund erhoben wurde bezw. die ersten Zeichen einer Brusthöhlen¬ 
erkrankung auftraten. Wollte man einen gewissen genetischen Connex zwischen 
Tumoren und asthenischer Lähmung statuiren, so müsste man annehmen, dass 
ein Lymphosarcom der Lunge viele Jahre latent bleiben kann, dass es da im 
Sinne der CoHNHBiM’scben Theorie im Keime liegt und dennoch toxische Pro- 
ducte liefert Eine Gelegenheitsursaohe erst fördert seine Entwickelung. Ein 
solches Moment ist in der Krankengeschichte gegeben, nämlich die Contusion der 
rechten Thoraxhälfte in Folge eines Sturzes, 8 Jahre vor dem Auftreten der ersten 
Symptome einer Lungenerkrankung. Die Myasthenie im LAQUER-WEiGBBT’schen 
¥*lle bestand 4 Jahre, bevor sie zum Tode geführt hat 

Aus ddm Obigen ist das Hypothetische der causalen Beziehung zwischen Neu¬ 
bildung und asthenischer Lähmung und der darauf construirten toxischen Theorieen 
«sichtlich. Welche heterogenen Neubildungen — Dermoidcyste des Ovariums, 
Lipom der Niere, Lymphosarcom der Lunge, bösartiger Thymustumor — sollen 
eine einheitliche Krankheit, wie die asthenische Lähmung sie unbedingt dar¬ 
stellt, hervorrufen? Man kann nicht gut einsehen, wie ein gutartiges Lipom, 
oder eine Dermoidcyste der Ovarien, die ja angeboren ist, beides Zustände, welche 
gewöhnlich ohne besondere Erscheinungen viele Jahre hindurch bestehen, auf 
ein Mal eine giftige Substanz produciren und asthenisohe Lähmung verursachen 
sollen. Man müsste zur weiteren Hypothese greifen, dass es eine specielle Gruppe 
von asthenischer Lähmung mit Tumoren giebt, und aus dieser solche mit 
Muskelmetastasen ausscheiden, da ja in der Mehrzahl der Fälle dieser letztere 
Befand fehlte. Nach meinem Dafürhalten müssen wir einstweilen die That- 
sache des öfteren Zusammentreffens der beiden Erkrankungen registriren, ohne 
allgemeine Theorieen darauf zu construiren. 

Wenden wir uns nun zur klinischen Geschichte unseres Falles. Sie umfasst einen 
Zeitraum von mehr als 9 Jahren, während welcher der Kranke ununterbrochen 
unter ärztlicher Beobachtung stand. Ueber seinen ersten Anfall von Myasthenie 
will ich hier nur so viel sagen, dass er nach etwa 6 Monaten in vollständige Ge¬ 
nesung überging. Patient konnte seine schwere Arbeit wieder aufnehmen, war 
darin vollkommen tüchtig und dieser Zustand der ungestörten Gesundheit währte 
mehr als 5 Jahre. Ich hatte Gelegenheit den Patienten während dieser langen 
Periode viele Male zu untersuchen — er kam gewöhnlich wegen recidivirender 
catarrhalisoher Angina, ein Mal im August 1896 wegen Contusion der rechten 
Rumpfseite in Folge eines Sturzes, was ich noch deshalb erwähne, weil der 
neoplastische Process sich nach 3 Jahren gerade in der rechten Lunge ent¬ 
wickelte — und konnte auch objectiv keine Zeichen der asthenischen Lähmung, 
mch keine MyaB feststellen; nur im Beginn dieser Gesundheitsperiode ist noch 
von Ungleichmässigkeit der Kniereflexe die Rede. 

Dann stellte sich ohne erkennbare Ursache ein Recidiv ein, das eigenthüm- 
iieherweise mit einer einzigen, sonderbaren Erscheinung begann, und zwar mit 


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Schwäche der Abductoren des Unterkiefers. Die Untersuchung zeigte, dass diese 
Schwäche einen ausgesprochenen apokamnotisohen Charakter hatte, sich nach geringer 
Ausübung der Function schnell zur Lähmung steigerte und dass sich nach kurzer Ruhe 
die frühere Functionsbreite wiedereinstellte. Damals hatte der Kranke noch keine 
Ahnung von der ihm drohenden Gefahr; selbst ein Arzt würde ohne Kenntniss der 
Anamnese die richtige Diagnose wahrscheinlich nicht stellen können, es waren keine 
Klagen vorhanden, und Patient fühlte sich ganz kräftig. Doch ergab die Unter¬ 
suchung, dass die abnorme Ermüdungserscheinung in den Beinen, wenn auch 
nicht in prägnanter Weise, vorhanden war, dass aber die MyaR fehlte. Die 
Apokamnose scheint also in Gliedern, die noch vollkommen leistungsfähig 
sind, bestehen zu können; sie stellt gleichsam das erste Zeichen der Störung der 
motorischen Function dar. Bald merkt auch Patient, dass sich ein Recidiv ent¬ 
stellt, und im Laufe von wenigen Wochen befällt ihn eine Schwäche, sowie sohneile 
Ermüdbarkeit der Extremitäten, des Rumpfes und des Nackens, die Erscheinungen 
der abnormen Ermüdbarkeit treten in klassischer Weise auf, auch wird MyaR 
gefunden. Die klinische Physiognomie des Recidivs ist eine andere, als die des 
ersten Anfalls, in welchem die Bulbärerscheinungen und Symptome von Seiten 
der Augen besonders hervortraten und nahezu das ganze Krankheitsbild be¬ 
herrschten. Im Recidiv treten diese letzteren Symptome zurück, erscheinen nur 
flüchtig und ihre Intensität und Ausbreitung ist eine viel geringere. Diesmal 
ist keine permanente Ptose, keine Augenmuskelparese und Diplopie, auch kein 
Regurgitiien der Flüssigkeit vorhanden; der weiche Gaumen bleibt die ganze 
Zeit function8tüohtig, die Stimme ist klangvoll, ausgesprochene Schlingbeschwerden 
fehlen. Gelegentlich wird nur festgestellt, dass eine Lidspalte zeitweise enger 
als die andere ist, dass längeres Reden den Kranken müde macht, dass ab und 
zu Speisereste im Rachen stecken bleiben, und dass die Mm. thyreo -arythenoidei 
int insufficient sind. Im Wesentlichen beschränken sich die Bulbärerecheinungen 
diesmal auf den Unterkiefer, da auch die Adductoren und Seitwärtsbeweger 
bald ergriffen werden. 

Allein, wenn auch die In- und Extensität des Recidivs im Ganzen hinter 
der des ersten asthenischen Anfalles zurüokbleibt, so zeigt sich doch keine 
Neigung zur Rückbildung. Auch diesmal schwankt die Stärke einzelner Er¬ 
scheinungen, aber eine entschiedene permanente Besserung konnte selbst nach 
mehr als einem Jahre nicht festgestellt werden. Dann gesellten sich Symptome 
von Seiten der Brusthöhle hinzu, eine Complication, die sich ganz unab¬ 
hängig von der asthenischen Lähmung entwickelte, und als Patient derent¬ 
wegen das Krankenhaus aufsuchte, bestanden noch ausgesprochene Zeichen 
des Grundleidens, auch eine Schling- und Sprachstörung. Sie sind über 2 Jahre 
nach Beginn desr Reeidivs noch sehr manifest, als die erwähnte Complication 
— eine Neubildung in der Brusthöhle — das ganze Krankheitsbild beherrscht 
Die beiden pathologischen Processe scheinen unabhängig von einander zu ver¬ 
laufen , speciell scheint die Physiognomie, der Charakter und der Verlauf der 
asthenischen Erscheinungen von der Anwesenheit des Tumors in der Brusthöhle 
nicht beeinflusst zu werden. Es ist jetzt sohwer, zu sagen, wodurch der plötx- 


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liehe Tod herbeigeführt wurde, da er ebenso gut durch die asthenische Lähmung, 
wie durch den Tumor verursacht werden konnte, doch erscheint mir die letztere 
Möglichkeit plausibler, da nicht berichtet wird, dass asphyotische Symptome 
vorausgingen, und da die asthenischen Erscheinungen damals zurdckgetreten waren. 

Wie in den meisten Fällen dieser Art, so waren auch hier die asthenischen 
Erscheinungen während des Recidivs nicht gleichmässig stark auf die afficirten 
Körperabschnitte vertheilt, am stärksten wurde der Unterkiefer, wo das Recidiv 
ansetzte, betroffen, der Rumpf inoL Nacken war mehr afficirt als die Beine, 
und diese mehr als die Anna Ebenso wie im ersten Anfall waren im Recidiv 
die Extremitäten nicht gleichmässig stark in ihrer Totalität ergriffen; die proxi¬ 
malen, dem Rumpfe näher gelegenen Theile der Glieder waren eben, wenn 
nicht ausschliesslich, so doch stärker betroffen, als die distalen. Auch Kaubohbb 
betont dies in seinem 2. Falle. Es ist dies gerade das Gegentheil dessen, was 
man bei Lähmungen aus anderen Ursachen (sei es centralen oder peripheren) 
zu oonstaüren pflegt, wo die distalen Theile der Extremitäten am meisten afficirt 
sind. Es soll damit nicht behauptet werden, dass die letzteren Abschnitte von 
der asthenischen Lähmung verschont blieben; auch hier traten im weiteren 
Verlauf Ermüdungserscheinungen von Seiten der Flexoren des Cubitalgelenkes 
und im Garpalgelenk auf. 

Wie alle anderen Symptome, aber ohne Parallelismus, zeigten die Knie¬ 
reflexe während des ganzen Krankheitsverlaufs ein wechselndes Verhalten; bald 
waren sie leicht, bald schwer auszulösen (beinahe oonstant der rechte Kniereflex 
schwieriger als der linke), es gelang sogar in ihnen Ermüdungserscheinungen 
zu demonstriren, indem sie durch wiederholtes Beklopfen schwächer wurden, bis¬ 
weilen sogar ganz schwanden, ganz unabhängig vom Ermüdungszustande der Beine. 
Dasselbe wiederholte sich im Recidiv. Wenn es gelang, die Kniereflexe bis zum 
Verschwinden zu bringen, so brachte sie der jENDBÄssix’sche Handgriff sogleich 
zum Vorschein, bei dessen Unterbrechen sie ausblieben, wofern keine Pause ein¬ 
geschaltet wurde. Sonst habe ich diese Erscheinung in anderen Fällen nicht so gut 
beobachtet, sie wurde nur von einzelnen Autoren gesehen, so von Kalisoheb 1 
in seinem ersten Fall, von Strümpell* und von Ivanow 8 ; im Fall von Collinb 4 
konnten sie schon nach 7—8 Schlägen auf die Patellarsehne zum Schwinden ge¬ 
bracht werden. Dagegen bemerken Buzzabd 5 , Sinkleb 6 und Laquer 7 , dass sie 
nicht vorhanden war. 

ln meiner ersten Publioation wird die Nervenmuskelerregbarkeit für normal 
erklärt, doch vermag ich nicht zu sagen, ob die Untersuchung nach den 
JoLLT’schen Angaben, die erst später bekannt wurden, geschah. So viel steht 


1 Zeitsehr. f. klin. Med. 1897. S. 97. 

* Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. VIII. S. 28. 

* Revue de neurol. 1896. 

4 International Medio. Magaz. 1896. 

* British medio. Journ. 1900. 

* Journal of Nervous and Mental Diseases. 1899. 

1 Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge. 1898. Nr. 206. 


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fest, dass die MyaR in der 5 jährigeu Zeit zwischen dem ersten Anfall nnd 
dem Recidiv nicht vorhanden war; sie fehlte auch im Beginn des Reeidivs, 
als die Diagnose schon sicher gestellt wurde. Wir fanden sie erst etwa einen 
Monat später und zwar nicht in allen von der asthenischen Lähmung ergriffenen 
Muskeln. Auch konnte man es bis zum Versiegen jeder Contraction nicht 
bringen, und es schien, dass prompt aufeinander folgende faradische Reize 
schneller die Contractionen herabsetzten, dass beim Sinken der Contraction eine 
Nachdauer derselben sich einstellte, die den Effect der nächsten faradisohen 
Reizung noch schwächer gestaltete. Im Ganzen war das Auftreten der MyaR 
unabhängig von dem Symptom der Ermüdung, aber ein Mal schien die Stärke 
der Contraction bei faradischer Reizung in den durch den Willen erschöpften 
Muskeln geringer zu sein. 

(Fortsetzung folgt.) 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Zur Lehre vom Kern des oberen Faoialisastes. Experimentelle Unter¬ 
suchung von Dr. Kotelewski. (Dissertation. Warschau, 1901. [Russisch.]) 

Den hauptsächlichen Inhalt der Arbeit bildet die Beschreibung von Ver¬ 
suchen, die vom Verf. zur Entscheidung der Frage angestellt wurden, ob der 
obere Facialisast einen besonderen Kernursprung hat. Zu diesem Zweck wurde 
an einer Reihe von neugeborenen und ganz jungen Katzen und Hunden der 
obere Facialisast ausgeschnitten; die Thiere wurden mehrere Wochen lang, in 
einzelnen Versuchen 7—11 Tage oder mehrere Monate nach der Operation am 
Leben gelassen, dann getödtet, und ihr Gehirn zur mikroskopischen Untersuchung 
in Schnittserien zerlegt. Die Präparate wurden theils mit Hämatoxylin und Carmin 
gefärbt, theils nach Nissl, van Gieson und Marchi bearbeitet. Ausserdem 
stellte Verf. einige Controllversuche nn, in denen der ganze Facialis aus dem 
Foramen stylomastoideum exstirpirt oder der untere Ast allein ausgeschnitten wurde. 
Das Studium der Präparate zeigte, dass für beide Aeste nur ein gemeinsamer 
Kern, der zuerst von Deiters beschriebene Nucl. facialis existirt, dass aber die 
Fasern des oberen Astes in diesem Kern einen gesonderten Ursprung haben. 
Nämlich bei Durchschneidung des oberen Astes wurde mit Beständigkeit Atrophie 
einer Zellgruppe beobachtet, die im Facialiskern eine laterodorsale Lage einnimmt. 
Im Anschluss an seine experimentellen Untersuchungen bringt Verf. eine Zusammen¬ 
stellung klinischer Beobachtungen mit Sectionsbefund (Bulbärparalyse), die eben¬ 
falls gegen das Vorhandensein eines besonderen Kerns für den oberen Facialisast 
sprechen. P. Rosenbach (St. Petersburg). 


Experimentelle Physiologie. 

2) Ueber Gefühlsinterferenzen, von Prof. Albert Adamkiewicz. (Zeitschr. 
f. klin. Med. XLIL S. 72.) 

Besteht bei einem Kranken eine subjective Gefühlsstörung in Gestalt von 
Parästhesieen, deren Sitz Verf. in die Nervencentren (Hinterhörner u. s. w.) ver- 


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legt, ohne den eine objective Gefühlsstörung vorhanden ist, so kann letztere doch 
durch entere secundär herbei geführt werden und umgekehrt auch verschwinden, 
wenn entere aufhört. Es handelt sich dabei nach Verl um das physiologische 
Resultat zweier auf denselben Bahnen ablaufender, aber an verschiedenen Stellen 
(Peripherie und graue Hörner) und durch verschiedene Ursachen (normale peri¬ 
phere Reize, krankhafte Veränderungen der grauen Substanz) angeregter und 
gegeneinander wirkender Wellenerregungen der Empfindung — also um wahre 
Gefühlainterferenzen. Jacobsohn (Berlin). 


3) Das Reflexoemtrum für die aumoheidende Function de« Pan o r o a s, von 

Popielski. (Gazeta lekarska. 1901. Nr. 18 u. 19. [Polnisoh.]) 

Verl hat sich mit der ausscheidenden Function des Pancreas experimentell 
beschäftigt und fand, dass dieselbe auch ohne Mitwirkung des Centralnerven- 
Systems zu Stande kommen kann. Verf. hat zu diesem Zweck bei Hunden und 
Katzen das Rückenmark unterhalb der Medulla oblongata durchschnitten (bezw. 
such die Nn. vagi und sympathicus), dann die Schleimhaut des Duodenum durch 
Salzsäure gereizt und dann die Ausscheidung des Pancreassaftes genau gemessen. 
Es hat sich herausgestellt, dass die ausscheidende Function dieser Drüse auf dem 
Refiexwege zu Stande kommt, wobei die Reizungsstelle im Duodenum und im 
Dünndarm (dagegen nicht im Magen oder im Dickdarm) liegt. Das Reflexcentrum 
Hegt nicht in der Medulla oblongata, weil die Ausscheidung auch nach Durch- 
schneidtmg des obersten Rückenmarks und der Nn. vagi und sympathici stattfindet. 
Das Centrum liegt auch nicht im Rückenmark oder im Ganglion coeliacum, weil 
die Pancreasfunction auch nach Vernichtung dieser Gebilde zu Stande kommt. 
Somit Hess sich feststellen, dass die Function des Pancreas durch die automatische 
Function der nervösen Ganglien bedingt wird, wobei dem Centralnervensystem 
nur die regulatorische Rolle zukommt. Edward Flatau (Warschau). 


4) Die Oroashirnrtndenganglienzelle des Menschen als selbständiges Organ, 

von Prot Albert Adamkiewicz. (Zeitschr. f. klin. Med. XLII. S. 303.) 

Im Lichte des Tages sieht nicht das Auge, hört nicht das Ohr u. s. w., 
sondern die Ganglienzelle des Hinterhauptschläfenlappens, also die Zellen der Hirn¬ 
rinde. Im Schlafe, wo das Auge geschlossen ist, das Ohr nichts aufnimmt, sieht 
und hört der Schlafende trotzdem, und zwar das, was die, wenn auch schlafenden, 
so doch nicht unthätigen Rindenzellen an Gesichts- und Gehörsphänomen u. s. w. 
hervorbringen. Wenn nun die Ganglienzelle der Hirnrinde thatsächlioh sieht und 
hört, sowohl das, was Auge und Ohr u. s. w. ihr zutragen, als auch das, was 
sie, während die Sinne ruhen, an Gesichts- und Gehörsphänomenen hervorbringt, 
so sei es klar, dass die Ganglienzelle der Rinde je nach ihrer Function sieht und 
hört, versteht und begreift und in Töne und Gestalten umsetzt, nicht nur das, 
was sie selbst, sondern auch das, was jede andere Ganglienzelle der Rinde schafft 
(? Ref-X oder was ihr und diesen seit der Geburt von den Sinnen zugetragen 
worden ist und vermöge der Gedächtnisseigenschaft in ihrer Substanz haftet. Da 
das ganze geistige Vermögen der Ganglienzelle nur in der Qualität der Erschütte¬ 
rungen ihrer Substanz beruhen kann, so kann ihr Sehen und Hören nur ein sub¬ 
stantielles, d. h. in der Gangliensubstanz sich vollziehendes sein, ein Vibriren 
ihrer Moleküle, das duroh die die Ganglienzellen untereinander verbindenden 
Nerven sich von Ganglion zu Ganglion vermittelt. Es giebt nicht nur telephonische, 
teleoptische, sondern allgemein, allen Sinnen dienende, also telesthenische intra- 
gangliöse Nervenvermittelungen. Dieser intragangliöse Verkehr entwickelt sich 
«st allmählich und hängt von der Uebung ab. Kommt endlich nach diesem 

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intragangHöeen Zwischenspiel der geistigen Arbeit der Wille seTbet mm Durch¬ 
bruch, und setzt er sieb in Kraft, Bewegung und Leitung um, dann ist die 
psychische Kette geschloeaen, die, so hoch sie über dem Wesen der Materie zu 
stehen scheint, thatsäehlich nicht nur Ton der Materie aasgeht und in der Materie 
endet, sondern auch zwischen diesen beiden Polen ganz materiell ▼ erläuft und 
mit ihrer, wenn auch subtilen, Mechanik dran naturwissenschaftlichen Verständnis» 
kaum noch Schwierigkeiten bietet. Jaeobsohn (Berlin). 


Pathologische Anatomie. 

6) Untersuchungen über das Verhalten des Balkens nach gr öss eren corti- 
ealen HiraUskmen, von Dr. Kattwinke 1. (Deutsches Archiv £ klin. Med. 
LXXL S. 1.) 

Verf. hat 36 Gehirne, die ausgedehnte Zerstörungen einzelner oder mehrerer 
Hirnabschnitte zeigten, theils mit der Marchi’schen (wenn die Herde frisch 
waren), theils mit der Weigert’schen Methode (wenn es sich um ältere Herde 
handelt) daraufhin untersucht, ob sich secundäre Degenerationen nachweißen 
Hessen. Das Resultat war, dass sich in keinem Falle, selbst bei ausgedehnten 
Herden, ja sogar bei Zerstörung ganzer Hirnlappen solche Degenerationen 
nachweißen Hessen. Auffallend war dagegen das relativ häufige Vorkommen von 
primären Herden im Balken (in l /s sämmtHcher Fälle). Auf Grund dieser Er¬ 
gebnisse, die im Gegensatz stehen zu den von anderen Autoren erhobenen Be¬ 
funden, ist Verf. der Ansicht, dass die von letzteren im Balken gefundenen Dege¬ 
nerationen keine secundären gewesen sind, sondern dass es sich dabei auch um 
primäre Herde gehandelt hat. Vielleicht, meint Verf., findet das Ausbleiben von 
secundären Degenerationen im Balken nach corticalen Defecten seine Erklärung 
in der ungeheuren Menge von Collateralen, eine Ansicht, der auch Pierre Marie 
sich hinzuneigen scheint. Jacobsohn (Berlin). 


0) Contributdon 4 l’ötude des lösions des oellules de l'hypoglosse apree 
rarrachement du nerf, par Fritz de Beule. (Revue „le nevraxe“. 1901. 
IU. Fase. 2.) 

Der Verf. hat die Zellen des Hypoglossuskerns an Kaninchen untersucht, denen 
der N. XII vollständig auf einer Seite herausgerissen worden war, und zwar 
wurden die Thiere am 1., 2., 4., 6., 10., 15., 25., 35. Tage nach der Operation 
getödtet. Der Verf. beschreibt verschiedene Etappen des ZeUverfalls in dem Kern 
der operirten Seite, welche im wesentlichen mit denen übereinstinimen, die man 
nach der Durchschneidung dieses Nerven so häufig beobachtet und beschrieben 
hat. Nur in zwei Punkten unterscheiden sich die Folgeerscheinungen der Heraus- 
reissung von denjenigen der Durchschneidung. Die verschiedenen Phasen der 
Chromatolyse und des weiteren Zellzerfalls verlaufen nach einer Heraus reissung 
in einem weit rascheren Tempo als nach der einfachen Durchtrennung mit dran 
Messer; und während man an den Zellen des Kerns hei einer Durchschneidung 
nach Ablauf einer gewissen Zeit sichere Regenerationserscheinungen beobachten 
kann (pyknomorphe Anordnung der Nervenkerne), kommen diese nach der Heraus- 
reisBung nicht zu Stande. Die Zellen des Kerns verschwinden fast vollkommen. 
Ballet und Marinesco führen diese Differenzen im Verhalten der Zellen darauf 
zurück, dass bei der Durchschneidung die durchtrennten Fasern des Nerven 
regeneriren, bei der Herausreissung dagegen nicht. Mit der Wiederherstellung 
des Zusammenhangs zwischen den beiden Nervenstümpfen nach einer Duroh- 
schneidung gewinnt das Neuron seine urspriingHche Integrität wieder und dem- 


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entsprechend tritt eine Separation der Zellen ein. Bei der Herausreissung dee 
Narren dagegen sei der anatomische Zusammenhang des Neurons für immer ge* 
stört and dementsprechend sei der Untergang der Zellen die unausbleibliche Folge. 
Diese Erklärung greift der Verf. an, er sieht keinen principiellen Unterschied 
zwischen den Folgeerscheinungen der beiden Operationen. Es handele sich nur 
um quantitative Differenzen, welche mit den Vorgängen in dem lädirten Nerven- 
stamme nichts zu thnn hatten. In beiden Fällen seien es Ernährungsstörungen 
im Protoplasma, welche die Veränderungen bedingten; nur können dieselben nach 
dam weniger schweren Eingriff der Durchschneidung von der Zelle noch über¬ 
wunden werden, während nach der Herausreissung die Nutrition derselben 
dauernd erlösche. Max Bielschowsky (Berlin). 


7) Soll» flu« struttura ed istogeneei della neuroglia patologioa, per A. Bo- 
nome. (Arch. per le scienze med. XXV. Nr. 7.) 

Ver£ hat zahlreiche pathologische Glianeubildungen mit Hülfe der Weigert’- 
•efeen Methode untersucht. Zwischen dem Bau der Gliome und der sog. Gliose 
glaubt er folgende mikroskopische Unterschiede nachweisen zu können. Bei den 
Ghomen können die Gliafasern sehr spärlich sein, so dass ein Gliafasernetz nicht 
zu Stande kommt; bei der einfachen Gliose fehlt letzteres niemals. Die Glia- 
m eilen sind bei der Gliose nicht so zahlreich, morphologisch stehen sie meist 
im normalen Gliazellen näher, während die Gliomzellen auffällig atypisch sind. 
Die Spärlichkeit der Gliafasern in der Umgebung einer Gliazelle spricht nach 
Verf. für den embryonalen Charakter der letzteren. Er stützt sich dabei auf die 
Thataache, dass er bei normalen 3—5 monatlichen Embryonen mit Hülfe der 
Weigert'sehen Methode niemals blaugefärbte Fasern in der Umgebung der Glia- 
■eüen nachxuweisen vermochte. 

Zur Frage des Vorkommens epithelialer Elemente in den Hirngliomen theilt 
Verf. einen Fall von Gliom des Gyrus uncinatus mit, in welchem trotz der weiten 
Entfernung der Geschwulst vom Ventrikelependym sich zahlreiche unregelmässige 
Epithelformationen ohne centrale HöhlenbÜdung mitten im Gliagewebe fanden. 
Insbesondere waren zahlreiche eigenartige Epithelzellen um einen mikroskopischen 
Spalt angeordnet, welcher tief in die Geschwulst hineinreichte. Diese Zellen zeigten 
ein homogenes Protoplasma, welches sich bei der Weigert’schen Methode gar 
nicht oder leicht gelblich färbte. Ihre Form ist cylindrisch, kubisch oder oval, 
zuweilen auch unregelmässig. Fortsätze und Flimmerhaare fehlen. Die Kerne 
sind gut differenzirt und färben sich intensiv blau. Unmittelbar an diese Zell¬ 
lage anschliessend finden sich gewöhnliche Gliafasern in Form eines dichten Netzes. 
Einzelne Gliafasern dringen zwischen den Epithelzellen bis in das Lumen des 
Spalts vor. An anderen Stellen fanden sich Inseln von Epithelzellen ohne Spalt, 
zuweilen sogar isolirte Epithelzellen. Wie Verf. letztere von Ganglienzellen, 
Gliazellen und Leukocyten zu unterscheiden glaubt, ist im Original (S. 120) nach- 
zoleaen; namentlich scheint ihm auch die relative Kleinheit des Kerns charakte¬ 
ristisch. Karyokinetische Figuren fanden sich nicht. Die Spaltbildungen be¬ 
trachtet Verf. als secundär und führt sie auf den Untergang von Gliagewebe zu¬ 
rück, welch letzterer wiederum neue Proliferation der Epithelzellen durch directe 
Theilung anregen soll. Das Auftauchen der Epithelzellen führt Verf., da eine 
Continuität mit dem Ventrikelependym nicht besteht, auf ein frühzeitiges Aus- 
wandern einzelner Ependymzeilen zurück. Dies Auswandern wäre ein patho¬ 
logisches Analogon des normalen Wandern8 der Spongioblasten. 

In einigen Gliomen fand Verf. Zellen, welche er als „cellule gliogeniche“ 
bezeichnet. Es handelt sich um abgeplattete, bei der Weigert’schen Methode 
mk leicht blau färbende, schon von Buchholz beschriebene Elemente, deren 

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Kern bald mehr, bald weniger gut differenzirt, klein, rund oder länglich ist und 
bald central, bald peripherisch liegt, deren Zellkörper deutlicher Fortsätze ent¬ 
behrt. Verf. betrachtet sie als Zwischenstadien zwischen Epithel* und Gliazellen 
und glaubt Theilungsvorgänge bei denselben constatiren zu können. Sie kommen 
übrigens auch bei oberflächlichen Gliomen (ohne Epithelformationen) vor. 

Auf Grund seiner Untersuchungen unterscheidet Verf. schliesslich 7 patho¬ 
logische Gliazellformen: 

1. Kleine, runde Zellen, 7—10 //; Kern rund, intensiv färbbar („bei allen 
Methoden“); Protoplasmamantel schmal, nicht färbbar, nur an frischen Zupf¬ 
präparaten sichtbar; sie sind fortsatzlos, scheinen aber zuweilen von feinen Glia¬ 
fasern durchzogen zu werden. Fundort: peripherische Abschnitte der Gliome und 
einfache Gliose. 

2. Grössere, längliche, ovale oder spindelförmige Zellen; Kern 8—10// lang, 
intensiv färbbar (grobe Chromatinkörner); spärlicher, nur in der Peripherie 
schwach färbbarer Protoplasmamantel; Gliafasern liegen diesen Zellen nicht selten 
auf. Fundort: die von parallelen Gliafasern reiohlich durchzogenen Abschnitte 
der Gliome bezw. Gliosen. 

3. Dreieckige oder unregelmässig polygonale Zellen mit kürzeren oder längeren, 
fast unverzweigten starken Fortsätzen; das Protoplasma ist reichlich und färbt 
sich bei der Weigert’schen Methode mehr oder weniger intensiv; bald findet 
man 1, bald 2—3 granulirt aussehende, intensiv färbbare Kerne. 

4. Mittelgros8e, unregelmässige Zellen mit kurzen unverzweigten Fortsätzen; 
das Protoplasma färbt sich bei der Weigert’schen Methode in seinen centralen 
Theilen schwach blau; der Kern färbt sich schwach und ist schlecht differenzirt. 
Oft sind sie von Gliafasern durchzogen. 

5. Rundliche, glatte Zellen, 12—18 p gross, ohne echte Fortsätze; Proto¬ 
plasma reichlich, ein oder zwei kleine centrale Kerne; im Allgemeinen keine 
engeren Beziehungen zu Gliafasern. Die cellule gliogeniche sind ihnen verwandt. 

6. Grosse, unregelmässig dreieckige, viereckige oder polygonale Zellen, deren 
reichliches Protoplasma sich blau färbt bei der Weigert’schen Methode und in 
der Peripherie in enge Beziehungen zu Gliafasern tritt 

7. Sehr variable Zellen mit stark färbbarem Kern und sehr spärlichem 
Protoplasma; Fortsätze und Beziehungen zu Gliafasern sollen nicht Vorkommen. 

Die theoretischen Anschauungen, welche Verf. über die Beziehungen zwischen 
Zellen und Gliafasern bei gliÖBen Neubildungen entwickelt, müssen im Original 
nachgelesen werden. Th. Ziehen. 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Untersuchungen über den (sensiblen) ooulopupillären Reflex, von Dr. 

L. V arady. (Orvosi Hetilap. 1901. Nr. 47 u. 48.) 

Verf. befasste sich eingehend mit diesem, bereits von Stefani und Nordera 
beschriebenen Reflex, welchen er in zwei Phasen eintheilt: 1. Bei der ersten Be¬ 
rührung entstehende Erweiterung und Verengerung der Pupillen, 2. nochmalige 
Erweiterung und Verengerung. Dauer der ersten Phase einige bis 30 Secunden, 
des ganzen Reflexes etwa 2 Minuten, dooh ist er in seiner Gesammmtheit nicht 
immer zu beobachten. Die Intensität der Erscheinung variirt je nach der Reiz¬ 
einwirkung, und zwar a) einfache Berührung verursacht nur Erweiterung, b) längere 
Reizung auch die erste Verengerung, c) dauernde Reizung den genannten Vor¬ 
gang. Eine Bestätigung des Befundes von Stefani und Nordera, dass nämlich 
die Intensität des Lichtes den Reflex verschiedenartig beeinflusse, konnte Verf. 
nicht finden. Als Reizeinwirkungen wurden benutzt: a) Reiben der Augenlider 


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mit einer Sonde, b) Nadelstich Aber der Tuberositas malaris des Jochbogens, 
c) gelinder Druck auf die Coqjunctiva bnlbaris im äusseren Augenmuskel mit 
einer Sonde; als bestes Mittel erschien das sub b) angegebene. Die besten Resul¬ 
tate ergaben sich bei schwacher oder mittelstarker Lichtquelle. — Als klinisch 
▼erwerthbare Resultate wären noch hervorzubeben, dass hysterische Sensibilitäts- 
stdrungen (Anästhesie oder Hyperästhesie) den Reflex nicht beeinflussen, doch 
bleibt derselbe aus bei Anästhesieen organischen Ursprungs. Bei einigen Tabikern 
erwies sich, dass der oculopupilläre Reflex selbst dann erhalten ist, wenn die 
Beaetion der Pupillen auf Lichteinfall, Aocommodation und Convergenz aufge¬ 
hoben ist. Hudovernig (Budapest). 


9) Zar Physiologie and Pathologie der Sehnenphänomene an den oberen 
Extremitäten, von Dr. L. Mohr, Assistent an der Poliklinik von Prof. 
Oppenheim in Berlin. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.) 

Ein Theil der Untersuchungen wurde an gesunden Soldaten angestellt, und 
zwar kamen nur die Zuckungen am Triceps und Supinator longus in Betracht. 
Es stellte sich dabei heraus, dass der Triceparefiex in etwa 33°/ 0 und das Supi- 
matorphänomen in etwa 13°/ 0 fehlte. Die Prüfung an Kranken ergab, dass das 
Fehlen der Armsehnenphänomene für die Diagnose ganz bedeutungslos ist, und 
zwar sind sie bei Tabes ebenso häufig nicht vorhanden wie bei Gesunden. 
Fon Bedeutung ist nur und klinisch verwerthbar, wenn die Reflexe in 
normaler oder erhöhter Stärke hervorgerufen werden. Gesteigerte Reflexthätig- 
keit kommt sowohl bei organischen Erkrankungen als auoh bei functioneilen 
Leiden vor. Führt man eine brüske passive Supination aus oder streokt den 
gebeugten Unterarm in gleicher Weise, so wird der Muskeltonus erhöht und dies 
sichert die Annahme einer organischen Erkrankung, während bei den functioneilen 
Zuständen gleiche Erscheinungen nicht nachweisbar sind. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


10) lieber da« Verhalten der Sehnenreflexe bei totaler Quereohnltte- 
unterb&ohung dee Rückenmarks, von Dr. Kausch, Privatdocent in 
Breslau. (Mittheilungen aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie. 
1901. VH.) 

Elin 20jähriges Mädchen leidet seit 3 Jahren an schweren Compressions- 
erscheinungen des Rückenmarks in Folge von Wirbeltuberculose. Zeitweise völlige 
Lähmung der unteren Extremitäten, Störungen der Blase und des Mastdarms, 
Sensibilitätntörungen. Steigerung der Sehnenreflexe und des Muskeltonus. Bei 
Ausführung der Laminectomie tritt totale Querschnittsunterbrechung in der Höhe 
des 9. und 10. Dorsalsegments ein. Nach der Operation völliges Schwinden der 
Reflexe und des Muskeltonus; Sehnen- und Hautreflexe stellten sich 22 Stunden 
nach der Operation gleichzeitig wieder ein, der Muskeltonus 48 Stunden nach der 
Operation. Der Tonus bleibt bis zum Tode, der 6 1 / a Monate später erfolgt, 
erhöht, PateUar- und Aohilleesehnenreflexe nehmen allmählich ab und erlöschen 
vor dem Tode, Sehnenreflexe der Flexoren am Oberschenkel, Periost- und Haut- 
reflexe bleiben gesteigert. Vasomotorische Störungen sind nur vorübergehender 
Natur. Oedem wurde zu keiner Zeit wahrgenommen. 

Verl ist der Ansioht, dass diese Beobachtung das Basti an-Br uns'sehe 
Gesetz für die Fälle acuter Querschnittsunterbrechung des Rückenmarks umstosse 
nad mit absoluter Sicherheit beweise, dass analog dem Thierexperiment auoh beim 
M emch ea die acute Durchtrennung des Rückenmarks nicht das Erlöschen der 
naterhalb der Läsionsstelle durchgehenden Sehnenreflexe zur Folge haben müsse. 


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Es werden dann die einzelnen Theorieen entwickelt, welche das Fehlen der 
Sehnenreflexe bei Querläsionen des Rückenmarks zu erklären versuchen. 

H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle). 


11) Ueber das Verhalten der Patellarreflexe bei hohen Quersohnitts- 
myelitiden, von Dr. Rudolf Bälint. Aus der I. medicinischen Klinik 
(Prof. v. Koränyi) und dem hirnanatomischen Laboratorium des Elisabeth- 
Armenhauses (Prof. Schaffer) in Budapest. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 
heilk. 1901. XIX.) 

Die Tendenz der Arbeit geht dahin, an der Hand der einschlägigen in der 
Litteratur bekannten Fälle und einer eigenen Beobachtung festzustellen, ob in 
Wirklichkeit irgend eine der hohen Läsion des Rückenmarks bei- oder unter¬ 
geordnete Complication die Reflexbahnen unterbricht oder ob die Querläsion als 
solche das Ausbleiben der Reflexe bedingt, ohne die bis jetzt als Reflexbahnen 
angesehenen Bahnen direct oder indirect zu berühren. In dem selbst beobachteten 
Falle bestand vor 1 1 / % Jahren Lues und das Leiden begann 4 Tage vor der 
Aufnahme mit reissenden Schmerzen in der Lumbalgegend, schwerfälligem Gang 
und Schwäche der Beine. Am 3. Tage Paraplegie der Beine, Retentio urinae et 
alvi. Wärme- und Schmerzempfindung noch erhalten, doch wird warm oft als 
kalt angegeben. In diesem Stadium fehlen sämmtliche Reflexe der unteren Extre¬ 
mitäten. Innerhalb der folgenden 14 Tage geht die Schmerzempfindung allmählich 
verloren. Elektrische Erregbarkeit normal. Nach weiteren 14 Tagen Rückkehr 
der Patellarreflexe, die sogar gesteigert sind und 2 Wochen lang nachweisbar 
bleiben, um von da an bis zum Ende vollständig zu verschwinden. Am Ende 
der 5. Woche war die Wärmeempfindung vollkommen erloschen. 

Bei der anatomischen Untersuchung fand sich eine totale Erweichung im 
dorsalen Theil des Rückenmarks. Ober- und unterhalb der erweichten Theile 
besteht auf dem ganzen Querschnitt eine Faserdegeneration und auf- bezw. ab¬ 
wärts von diesen Partieen findet sich Becundärp Degeneration, doch ist die auf¬ 
steigende Degeneration viel stärker ausgebildet, als die absteigende. Im Lenden¬ 
mark selbst sind keine Veränderungen zu erkennen. Hingegen finden sich an den 
Lendenwurzeln und in geringerem Grad auch an den Sacralwurzeln Verdickungen 
der Pia, strotzend gefüllte Venen und Kernvermehrung an deren Wänden. Die 
Wurzeln selbst sind verschmälert, die Markscheiden gequollen und theil weise zer¬ 
fallen. Im Allgemeinen sind die hinteren Wurzeln stärker betroffen als die 
vorderen. Der Fall ist also bemerkenswerth durch das Fehlen der Reflexe und 
eine Degeneration der Nerven wurzeln der Abschnitte, in welchen die Reflexe 
localisirt werden. 

Aus dem Studium der Litteratur ergiebt sich für den Verf. die Gewissheit, 
dass in einzelnen Fällen durch eine totale Leitungsunterbrechung der Rücken¬ 
marksbahnen ein Ausbleiben der Reflexe nicht zu Stande kommt. Andererseits 
erbringen zahlreiche Beobachtungen die Gewissheit, dass bei hohen Läsionen des 
Rückenmarks — einerlei ob vollständig oder nicht — eine schlaffe Lähmung 
der unteren Extremitäten mit Verlust der Reflexe eintritt, indem entweder die 
Reflexbahnen betroffen sind oder auch der Reflexbogen intact gefunden wurde. 
Es folgt daraus, dass bei dem Menschen und bei Thieren nach Leitungsunterbrechung 
keine schlaffe Lähmung der Beine eintritt und die Reflexe verschwinden, sondern 
dass sehr häufig Complicationen auftreten, welche durch Einwirkung auf die 
Reflexwege ein Ausbleiben der Reflexe bedingen. Hierbei spielt häufig ausser der 
Erschütterung die durch den Entzündungsherd bedingte Circulationsstorung eine 
grosse Rolle (collaterales Oedem), welche im weiteren Verlauf leicht in organische 
Veränderungen übergeht. Sind die Reflexe anfangs erhalten und bleiben eret 


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allmählich aus, so spielen Stauungserscheinungen in den Rückenmarkshäuten und 
Zunahme des Druckes in der cerebrospinalen Flüssigkeit eine nicht kleine Rolle. 
Trotzdem kann das Auftreten einer schlaffen Lähmung häufig nicht erkannt 
werden. Daraus zieht Verf. den Schluss, dass die Trennung der Nervenzellen 
von den cerebellaren centrifugalen Bahnen den Tonus der ersteren und somit auch 
der Muskeln verringert und dadurch der Ablauf der Reflexfiinotionen ungünstig 
beeinflusst wird, ln diesen Fällen genügt eine weniger hochgradige secundäre 
Erkrankung des Reflexwegs, um den Ausfall der Reflexfunction hervorzurufen. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


12) Zar Frage von dem Verhalten der Sehnenreflexe bei querer Duroh- 
trennnng des Rückenmarks, von Fr. Schultze (Bonn). (Mittheil. a. d. 
Grenzgeb. d. Med. u. Chir. VIII.) 

Kurze Rechtfertigung gegen den Vorwurf, dass bei einem früher vom Verf. 
pnblicirten Falle, der dem Bastian-Bruns’schen Gesetze zu widersprechen schien, 
unvollkommene Beobachtung vorliege. Verf. kommt zu dem Schluss, dass bei 
hoher Querdurchtrennung die Patellarreflexe nicht jedes Mal sofort dauernd zu 
verschwinden brauchen, dass sie aber bei längerem Bestehen der Unterbrechung 
doch schliesslich definitiv aufgehoben werden. H. Haenel (Dresden). 


13) The great toe (Babinski) phenomenon, based on the Observation of 
166 healthy individuale, by Morton Prince, M. D. (Boston med. and 
surg. Journ. 1901. Januar.) 

Verf. bestätigt die Angaben, auf die Babinski seine Ansicht gründete, da¬ 
hin, dass der normale spinale Reflex bei Reizung der Fusssohlenhaut in einer 
Flexion aller oder der vier letzten Zehen besteht. Tritt bei Gesunden ausnahms¬ 
weise eine Extensionsbewegung auf, so ist dieselbe als Cerebralreflex aufzufassen; 
man kann denselben dadurch vermeiden, dass man den Untersuchten auffordert, 
seine Beinmuskeln völlig erschlaffen und alle Willkür- oder „automatischen“ Be¬ 
wegungen zu vermeiden. Dadurch, dass — wie Verf. selbst zugiebt — diese 
Ausschaltung des Cerebralreflexes oft schwer und manchmal gamicht gelingt, wird 
allerdings die strenge Allgemeingültigkeit des Babinski’schen Gesetzes wieder 
etwas erschüttert. H. Haenel (Dresden). 


14) Ueber das Zehenphänomen Babinski’s. Ein Beitrag zur Lehre von 

den Fusssohlenreflexen, von Dr. Hermann Schneider. (Berliner klin. 

Wochenschr. 1901. Nr. 37.) 

Verf glaubt annehmen zu müssen, dass auf Reiz der normalen Fusssohle je 
nach Stärke des Reizes zwei verschiedene Reflexe ausgelöst werden; auf schwachen 
Reiz erfolgte eine isolirte Plantarflexion besonders der kleinen Zehen: die Be¬ 
wegung entspricht genau dem charakteristischen Bild eines Rindenreflexes 
nach Hermann Munk; auf starken Reiz folgt der kurzen Plantarflexion eine 
Dorsalflexion der Zehen mit combinirter Bewegung im Bein, die die Charakteristica 
eines Gemeinschaftsreflexes im Sinne Munk’s zeigt; der Sitz dieses Reflexes 
wäre im Rückenmark zu suchen. 

Die Bahn des Rindenreflexes liegt innerhalb der Pyramidenbahn; Unter¬ 
brechung der Reflexbahn muss den Ausfall der Plantarflexion bewirken. Das 
Charakteristische des Babinski’schen Phänomens ist das Fehlen der Plantar¬ 
flexion; es kommt zu Stande: 

1. durch Ausfall des Rindenreflexes bei Unterbrechung der Pyramiden¬ 
hahn; die Unterbrechung kann auch in der motorischen Rinde stattfinden (Ba- 


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binski in und nach epileptischen Anfällen). In Folge der allgemeinen Reflex - 
Steigerung bei hohen Läsionen wird der Rückenmarksreflex nun schon auf 
schwachen Reiz auslösbar (Babinski’sches Zeichen durch Vernichtung des 
Rindenreflexes). 

2. Da in der Norm nur die zur Auslösung beider Reflexe nöthige verschiedene 
Reizgrösse eine Trennung der beiden Reflexe ermöglicht, so kann, wenn der 
Rückenmarksreflex leichter auslösbar wird, als der Rindenreflex, der letztere durch 
das dynamische Uebergewicht des ersten unterdrückt werden. Der Rückenmarks¬ 
reflex wird leichter auslösbar durch Strychnin und Krankheiten mit allgemeiner 
Reflexsteigerung; der Rindenreflex wird schwerer auslösbar durch Ablenkung, 
Stupor, Demenz, Oedem. So kann Babinski’sches Phänomen entstehen ohne 
Läsion der Pyramidenbahn (Babinski’sches Zeichen durch Unterdrückung des 
Rindenreflexes; Pseudo-Babinski). 

Beide Formen sind nicht sicher beim einfachen Zusehen zu trennen; doch 
entscheidet in einer langen Untersuchungsreihe eine Plantarflexion auf schwachen 
Reiz (unter vielen Dorsalflexionen) gegen echten Babinski. Ausserdem ist Pseudo- 
Babinski immerhin selten. Das Babinski’sche Phänomen ist also praktisch zur 
Unterscheidung von Pyramidenläsionen von ähnlichen Bildern wohl verwerthbar. 

(Autoreferat) 


16) Untersuchung und diagnostische Verwerthung der Hautreflexe, von 

Boettiger. Vortrag, gehalten im Altonaer ärztlichen Verein am 27. No¬ 
vember 1891. 

Verf. legt seinen Mittheilungen die Ergebnisse der genaueren Untersuchungen 
von etwa 200 Patienten zu Grunde. Veranlassung zu diesen eingehenderen 
Studien gaben dem Vortr. zwei Beobachtungen, ein frischer Fall cerebraler Kinder¬ 
lähmung mit starkem Babinski’schen Phänomen und einer diesem ganz ent¬ 
sprechenden Dorsalflexion der Finger bei Streichen des Handtellers, 
und andererseits ein Fall von Hemitonia apoplectica (v. Bechterew). 

Dieser letztere betraf eine 58jährige Dame, die seit ihrem 50. Lebensjahre 
bereits vier verschiedene schwere Attaquen ihres Leidens durchgemacht hatte. 
Aetiologie fehlte. Die Schlaganfalle traten theils ohne, theils mit Bewusstseins¬ 
verlust auf und erzeugten keine Lähmungen der befallenen rechten Körperseite, 
sondern Hypertonie ihrer gesammten Musculatur. Anfangs gingen diese Symptome 
fast ganz zurück, blieben aber schliesslich dauernd. Vorübergehend besteht Abdu- 
censparese und Hemianopsia dextra. An der Hypertonie war namentlich auch 
die Sprache betheiligt Secundäre Contracturen blieben aus, die Sehnenreflexe 
wurden nicht gesteigert. Eis fehlte das Babinski’sche Phänomen und an der 
Hand bestand bei Streichen des Handtellers sehr energische Palmarflexion 
der Finger im Sinne der Wirkung der Lumbricales und Interossei interni. An 
der gesunden Seite fehlten alle Hautreflexe. Aphasie fehlte. 

Vortr. bespricht im Anschluss an diese Beobachtungen zunächst die Art der 
Untersuchung der Hautreflexe, namentlich der Fusssohlen- und Handtellerreflexe, 
die Art der Reize, die reflexogenen Zonen und die Art der Zuckungen. Bei den 
Fus88ohlenreflexen unterscheidet er 1. das Fehlen jeglicher Zuckungen, 2. den 
normalen Zehenreflex, die Plantarflexion der Zehen, zuweilen begleitet von einer 
Contraction im Tensor fasciae latae; 3. das Babinski’sohe Phänomen, Dorsal¬ 
flexion der grossen Zehe, zuweilen mit ebensolcher der übrigen Zehen, dies als 
die vornehmlichste qualitative Veränderung des Zehenreflexes, und 4. die quan¬ 
titative Veränderung desselben, die Dorsalflexion des Fusses mit sämmtliohen Zehen 
und gleichzeitig JJeugecontraction in Knie- und Hüftgelenk, all dieses vom Cha¬ 
rakter einer „Fluchtbewegung“. Trifft unter Umständen der 3. und 4. Ast des 


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Reflexes gleichseitig auf, z. B. bei multipler Sklerose oder bei Myelitis der Rücken* 
markaluee, so kann der Nachweis des Babinski’schen Phänomen ausserordent¬ 
lichem Schwierigkeiten begegnen. Der Hautreiz muss dann der denkbar kleinste 
sein, um den Reflex noch sicher auslösen zu können. 

Der Vortr. bespricht sodann das Vorkommen aller dieser Reflexbewegungen 
bei den einzelnen Krankheiten, weist namentlich auf die zweifellos sichere Be¬ 
deutung des positiven Befundes des Babinski’schen Phänomens für Erkrankungen 
der Pyramidenbahnen hin und fährt vier scheinbare Ausnahmen von dieser Regel 
an, die dieselbe aber in der That nur bestätigen. In dem Falle von Hemitonia 
apoplectica sind die Pyramidenbahnen offenbar gar nicht selbst befallen, in einem 
Falle von Hirnabscess war die Hemiparese nur als Nachbarschaftssymptom zu 
deuten, dasselbe war bei einem Hirntumor des Scheitelhirns bezw. seines Mark¬ 
lagers der Fall und endlich fehlte Babinski bei einer Hemiparese nach para¬ 
lytischem Anfall, dieselbe war mit Hemianästhesie und Hemianopsie vergesellschaftet 
gewesen. 

Ueber Handtellerreflexe ist fast nichts bekannt Vortr. untersucht die¬ 
selben mit der Nadelspitze, entweder mit einfachem Stich in die Hohlhand oder 
mit Streichen über dieselbe. In der Norm tritt kein Reflex ein. Drei Mal 
kannte Vortr. Streckung der Finger, ganz entsprechend dem Babinski'sehen 
Phänomen, nschweigen, in 2 Fällen von frischer cerebraler Kinderlähmung und 
einem älteren Falle von Porencephalie. Viel häufiger war das Auftreten von 
Palmarbeugung und Adduction entweder nur des Daumens oder auch sämmtlicher 
Finger. Unter etwa 50 Fällen verschiedener Neurosen fand ‘sich nur 5 Mal 
leichte Adduction des Daumens, bei acuten Psychosen nichts, bei acht secundären 
Demenzen jedoch 3 Mal, unter 15 Senilen 10 Mal und bei 3 Idioten jedes Mal 
Palmarreflex. Unter 14 Fällen von Dementia paralytica mit spastischen Erschei¬ 
nungen bestand 5 Mal Palmarreflex. In 10 Fällen von Hemiplegie, die am ge¬ 
lähmten Fuss theils gar keinen Sohlenreflex (ältere Fälle), theils Babinski’sches 
Phänomen darboten, fand sich an der Hand niemals Dorsalreflex der Finger, hin¬ 
gegen 3 Mal Palmarreflex. Am stärksten war dieser Reflex in dem Fall von 
Hemitonia apoplectica. In 3 Fällen von angeborener spastischer Gliederstarre 
bestand stets Palmarreflex, ebenso bei 2 Fällen von Rückenmarkslues, bei Tabes 
(11 Fälle) 3 Mal, bei Hydrocephalus (2), multipler Sklerose (5), Myelitis (1) je 
ein Mal, bei 3 Fällen von spinaler Kinderlähmung jedes Mal an der nicht 
gelähmten oberen Extremität. Schliesslich war bemerkenswert!), dass in 
12 Fällen von Tuberculose 9 Mal Palmarreflex nachgewiesen werden konnte, 
offenbar als Ausdruck einer dyskrasischen Constitution und dadurch bedingter 
erhöhter Erregbarkeit des Nervensystems. Dieselbe oder ähnliche Bedeutung hat 
der Palmarreflex auch vielleicht bei einer Zahl der sonst eben citirten Fälle, nicht 
jedoch dann, wenn er halbseitig blosB nachweisbar ist. Da handelt es sich um 
ein Looalsymptom. Ein Dorsalreflex der Finger tritt anscheinend nur beim 
Sit» der Erkrankung in der grauen Rinde auf, Marklagererkrankung oder innere 
Kapsel u. s. w. scheinen schon zum Palmarreflex zu führen. Vielleicht liegt hier 
ein werthvolles localdiagnostisches Moment vor. (Autoreferat) 

16) Puerperal polyneuritfs and polio-myelitis, by James Stewart (Phila¬ 
delphia med. Journ. 1901. 4. Mai.) 

33jährige Landwirthsfrau, 5 Para, die während der Gravidität an heftigem 
Erbrechen gelitten hatte, klagt im 7.—8. Monat über Taubheitsgefühl erst in den 
unteren, dann in den oberen Extremitäten. 2 Monate später allmählich fort¬ 
schreitende Parese aller Extremitäten, die fast zu völliger Lähmung führte und 
schliesslich auch die Athmungsmusculatur betheiligte. Herabsetzung der Berührungs- 


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empfindung bei normalem Schmerz- und Temperatursinn, Fehlen der Plantar- und 
Patellarreflexe. Erhebliche Atrophie der gesammten Eörpermusculatur, innere 
Reflexe normal; elektrisch anfangs keine Veränderungen, später Mittelform der 
Entartungsreaction. Tod an Pneumonie in Folge von Zwerchfelllähmung. Die 
anatomische Untersuchung ergab an den peripherischen Nerven überall Zeichen 
einer intensiven parenchymatösen Neuritis mit starken vasculären Erscheinungen: 
Gefassdilatation, Verdickung der Wandungen der Gefässe, zahlreiche kleine Hämor- 
rhagieen, Rundzelleninfiltration des interstitiellen Gewebes, der Gefässscheiden u. s. w. 
Erhebliche parenchymatöse Veränderungen waren auch am Vagus und am Phre- 
nicus nachweisbar. Die Untersuchung des Rückenmarks ergab (nach Marchi) 
zerstreute Degeneration in den Hintersträngen, im Lumbalmark den Goll’schen 
und Bur dach'sehen Strang, im Cervicalmark nur den letzteren afficirend, ferner 
Degeneration in den Kleinhirnseitenstrangbahnen im Cervical- und oberen Dorsal¬ 
mark, in den hinteren Wurzeln, während an den vorderen Wurzeln keine Ver¬ 
änderungen nachgewiesen werden konnten. Die Zellen der grauen Vorderhörner 
und der Clarke’schen Säulen zeigten erhebliche Veränderungen bis zu completer 
Atrophie und völligem Schwund der Zellen, letzteres besonders in der Höhe des 
5.—7. Cervicalsegments. Die Ganglienzellen der Spinalganglien Hessen keine 
krankhaften Veränderungen erkennen, die Zellen der Kapseln der letzteren schienen 
entzündlich vermehrt zu sein. 

Verf. hält es für wahrscheinlich, dass es sich in seinem Fall zunächst um 
eine parenchymatöse Neuritis gehandelt hat, und dass der Process erst später auf 
das Rückenmark übergegangen ist, allerdings nicht in dem Sinne, dass die peri¬ 
pherische Erkrankung die medulläre secundär bedingt, sondern dass die gleiche 
Noxe erst das peripherische motorische Neuron und dann das Rückenmark ge¬ 
schädigt hat. Martin Bloch (Berlin). 


17) Sur un cas de polynevrite genöralisee aveo diplegle faciale d’origine 

vraisemblablement blennorrhagique, par Raymond. (ProgreB medical. 
1901. Nr. 30.) 

Interessanter und ausführlichst mitgetheilter Fall von Polyneuritis mit 
syBtemartigen Erkrankungen in den unteren Extremitäten; differentialdiagnostisch 
kam amyotrophiBche Lateralsklerose in Frage. 

Adolf Passow (Meiningen). 

18) Changes in the peripheral nerveg in a case of diabeteg mellitus, by 

J. W. Findlay. (Glasgow med. Journ. 1901. October.) 

41 jähr., stark abgemagerter Diabetiker mit vorgeschrittener Tuberculose und 
beginnender doppelseitiger Cataract, allgemeiner Muskelschwäche, fehlenden Patellar- 
reflexen, aber ohne Störungen der Sensibilität, klagt in den letzten Wochen vor 
seinem an der Phthise erfolgenden Tode hin und wieder über durchfahrende 
Schmerzen in den Beinen; in der letzten Zeit erhebliche Oedeme an den unteren 
Extremitäten. Die anatomische Untersuchung ergab eine erhebliche Degeneration 
am Vagus, das Verhältnis der erkrankten Fasern zu den normalen betrug 1:4; 
die Veränderungen betrafen im Wesentlichen die Markscheiden; ebenso ergab die 
Untersuchung des Sympathicus und des Cruralis weit vorgeschrittene Degeneration. 
An den Mm. recti fand sich trübe Schwellung, mangelhafte Querstreifung und 
interstitielle Wucherung der Bindegewebsfasern und Bindegewebszellen. Die Unter¬ 
suchung des Rückenmarks ergab überall Wucherung der Neuroglia, ohne dass 
dieselbe indes irgendwo den Charakter einer deutlichen Sklerose gewönne. Die 
Vorderhornzellen weisen, besonders im Lendenmark, erhebliche Veränderungen aut 
Die Gefässe des Rückenmarks zeigen hyaline Degeneration. Die Betrachtungen, 


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die Verf. über die Bolle, die möglicherweise die Erkrankung des Vagus bei der 
Erkrankung der Lungen bei Diabetes und für den letzteren selbst spielt, anstellt, 
müssen im Original nachgelesen werden. Martin Bloch (Berlin). 


19) A oaae of neuritis affecting the optJc and oervioal nerve«, oomplioated 
by oaroinoma of the breast, by J. B. Benson. (Brit. med. Journ. 1901. 
13. April.) 

Bei einer 45jähr., an Brustkrebs leidenden Frau, bei der weder Alkohol* 
noch Arsenikgebrauch anamnestisch nachzuweisen, bildete sich eine hochgradige 
multiple Neuritis aus, welche besonders die Cervicalnerven und den linken 
N. opticus befiel. — Hinsichtlich der Augenaffection sei bemerkt, dass die linke 
Pupille nicht auf Licht reagirte. Der M. rectus int paretisch. Die Grenzen der 
Papille an ihrem inneren Bande verschwommen. 

Patientin war auf dem Wege der Besserung, als plötzlich die Athemmuskeln 
ergriffen wurden, so dass die Kranke in höohster Lebensgefahr schwebte. Aber 
auch hiervon erholt sich Patientin bald, so dass man zur Operation eines Krebs- 
recidivs unter Narcose schreiten konnte. Nach der Operation besserten sich die 
neuriti8chen Symptome weiter. E. Lehmann (Oeynhausen). 


20) Neuritis interstitialis plexus saoraüs equi und aufsteigende Büoken- 
marksdegeneration naeh Neuritis peripherica, vonThomassen. (Monats¬ 
hefte f. prakt Thierheilk. 1901. S. 145.) 

Verf hat mit seiner neuesten Publication über die periphere Neuritis 
des Pferdes einen sehr werthvollen Beitrag zur Kenntnis« der comparativen Neu¬ 
rologie geliefert. Die Arbeit darf wegen der besonders sorgfältigen Untersuchungen 
wohl als einer der lange erwarteten Beweise für die Existenz einer eigenartigen, 
scheinbar auf das Pferdegeschlecht beschränkten Perineuritis anzusehen sein, von 
der bis in die neueste Zeit nur das Symptombild bekannt war. 

Bei dem betreffenden Thiere bestand eine so starke Muskelatrophie der linken 
Kreuz- und Hinterschenkelgegend, dass nur noch eine zwei Finger dicke Muskel¬ 
lage das breite Beckenband zu bedecken schien. An der Extremität waren be¬ 
deutende motorische und so starke Sensibilitätsstörungen, dass beispielsweise das 
Pferd die Einwirkung der stärksten Reizmittel an der blossgelegten Huflederhaut 
reactionsloe ertrug. Die elektrische und traumatische Reflexerregbarkeit der 
atrophischen Muskeln war erloschen, der Schweif, After und die Vulva etwas 
seitlich verzogen, die Sphincteren intact. 

Die Section und nachherige pathologisch-histologische Untersuchung des 
Plexus sacralis, der Cauda equina und des Sacralsegments des Rückenmarks demon- 
«trirte aufs klarste das Vorhandensein einer proliferirenden Perineuritis im 
Bereiche des linken Plexus sacralis, der schon makroskopisch ziemlich stark diffus 
▼ergrössert und verdickt war. Central setzte sich der Process bis in den Rücken- 
markscanal fort entlang der drei letzten Sacraläste. Obwohl die Spinalganglien 
rieht untersucht werden konnten, sollen auch sie zum Theil in den Destructions- 
process einbezogen gewesen sein. Peripher zeigte der Ischiadicus noch in einer 
Entfernung von mehreren Centimetern vom Plexus eine pathologische Verdickung. 
Im Sacralmark war eine ascendirende Degeneration in den Burdach’schen 
Strängen an Weigert-Präparaten sichtbar, deren proximale Ausdehnung nicht 
erhoben werden konnte. Nicht ganz aufgeklärt erscheint nur der Umstand, wie 
bei einer chronischen Neuritis, die sich vorwiegend auf das periphere und* nur 
tbeilweiae auf das zweite Neuron erstreckte, eine so bedeutende Degeneration in 
den Vordersträngen rieh etabliren konnte, die sogar an Weigert-Präparaten ab- 


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lesbar war — bei Benutzung einer Methode also, die insbesondere für die Dar¬ 
stellung wenig dichter Faserdegenerationen nichts beweist. Marchi’s Impräg¬ 
nationsverfahren wurde nicht versucht. 

Die Ursache der Erkrankung vermuthet Verf. in seinem Falle in einer 
Zerrung, weil das Thier zu schnellen Gangarten u. s. w. benutzt wurde; darauf 
wiesen kleine Blutextravasate hin, die den Plexus durchsetzten. 

Dexler (Prag). 


21) Bin Fall von multipler Neuritis nach Kohlenoxydvergiftung mit Be¬ 
theiligung der Sehnerven, von Dr. H. Schwabe, Nervenarzt in Plauen i/V. 

(Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 39.) 

An einem Patienten, der sich vor mehr als 3 Monaten eine schwere Kohlen¬ 
oxydvergiftung zugezogen hatte, konnte der Verf. eine Neuritis des rechten 
Ischiadicus feststellen und ausserdem Erscheinungen leichterer Art im Gebiet des 
linken Isohiadicus, der Nn. femorales, der Armnerven, des linken unteren Facialis- 
astes, die der Verf. gleichfalls als den Ausdruck einer leichteren, mehr weniger 
abgelaufenen Neuritis auffasst. Vor Allem konnte aber auch eine doppelseitige 
Neuritis optica retrobulbaris mit erkennbaren Veränderungen an den Papillen, 
relativem, centralem Forbenscotom, sowie eine rechtsseitige Accommodationsparese 
festgestellt werden. 

Auffallend ist nach Ansicht des Ref. die sich gleichbleibende und im Hin¬ 
blick auf die hochgradige Hypermetropie des Patienten ausgezeichnet zu nennende 
centrale Sehschärfe. Umsomehr vermisst man eine Angabe über die weitere Ge¬ 
staltung des Gesichtsfeldes im Verlauf der Heilung. Schliesslich ist zu der rechts¬ 
seitigen Accommodationsparese zu bemerken, dass sie nicht über allen Zweifel 
erhaben ist, da der Patient später auch für das linke Auge wunderliche Angaben 
machte, die der Verf. selbst nicht im Sinne einer Accommodationsparese ver¬ 
wertet, sondern als „hysterisch“ auffasst. Warum sollen die Angaben für das 
rechte Auge mehr Vertrauen verdienen? E. Asch (Frankfurt a/M.). 


22) Btt fall af beri-beri, af Fritz Kaijser. (Hygiea. 1900. LXII. S. 231.) 

Ein 42 Jahre alter Schiftscapitän hatte vor 3—4 Tagen auf der Fahrt, 
nachdem er vage Schmerzen an verschiedenen Stellen im Körper gehabt, sich 
unwohl gefühlt und gefiebert hatte, Schwäche in den Beinen bemerkt, die sich 
zur vollständigen Lähmung steigerte. Im Uebrigen befand er sich bei der Auf¬ 
nahme im Länslazareth zu Hernösand, am 9. Juni 1900, gut und hatte keine 
Schmerzen, aber es war auch Parese in der Musculatur des Rumpfes und der 
Arme eingetreten; bald trat auch Lähmung in der Schlundmusculatur auf, so dass 
Pat mit der Sonde ernährt werden musste, die Spraohe wurde unverständlich, die 
Gesichtsmusculatur wurde gelähmt, die Nackenmuskeln wurden so schwach, dass 
Pat. den Kopf nicht aufrecht halten konnte. Oedem in den Beinen stellte sich 
ein. Die Patellarreflexe waren verschwunden. Sonst aber waren weder Fieber, 
noch Störungen der Sensibilität oder der Harn- und Kothentleerung, noch Ataxie 
vorhanden. Die Behandlung bestand in Anwendung von Antipyrin, China, Jod¬ 
kalium und Stimulantien. Pat, der mit seinem Schiff nach England zurück¬ 
kehren wollte, wurde am 17. Juni auf sein Verlangen entlassen und starb einige 
Tage danach. 

Verf, der diesen Fall in den statistischen Berichten als acut aufsteigende 
Paralyse aufgeführt hat, kam zur Diagnose Beri-Beri durch die Vermuthung des 
Kranken, der aus einer Gegend in Westindien kam, wo Beri-Beri heimisch ist 

Walter Berger (Leipzig). 


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23) Change« in the neuronal oentres in beri-berio neuritia, by Hamilton 

Wright. (Brit. med. Journ. 1901. 22. Juni.) 

Verf. war in der Lage, 8 Fälle Ton Beri-Beri-Neuritis klinisch zu beobachten 
und später Autopsie derselben zu machen. Den Befund von 2 Fällen theilt Verfl 
ausführlich mit, während er von den anderen kurze tabellarische Uebersioht der 
pathologischen Veränderungen giebt. 

Als wichtigstes Resultat ist mitzutheilen, dass Verf. nicht nur an den peri¬ 
pheren Nerven die bestimmten Veränderungen fand (Atrophie), sondern dass in 
allen Fällen auch deutliche Veränderungen der entsprechenden Ganglienzellen be¬ 
obachtet wurden: Chromatolyse, Kernverlagerung. 

Hinsichtlioh des Näheren sei auf das Original verwiesen. 

E. Lehmann (Oeynhausen). 


24) Welche therapeutischen Maassnahmen indioirt der Möni£re’«ohe Sym¬ 
ptomen oomplex P Von G. Heermann (Kiel). (Therapie der Gegenwart. 
1901. Nr. 9.) 

Verf. bespricht in dieser Arbeit nur diejenigen Fälle von M6ni6re’scher 
Krankheit, welche seiner Ansicht nach in das Gebiet der Otologie gehören. Er 
verwirft für die Behandlung dieser Fälle sowohl Chinin als auch Salicyl. Bei 
Erkrankung der knöchernen Bogengänge im Anschluss an eine chronische Mittel- 
ohreiterung ist die operative Freilegung der Bogengänge das einzig wirksame 
Mittel, bei M6ni6re’scher Krankheit im Anschluss an nicht eitrige Mittelohr¬ 
leiden, speciell an den chronischen trockenen Mittelohrkatarrh empfiehlt Verf. 
Luftdouchen mittels Katheter oder Politzer’schen Ballons, Breitung’sche 
Vibrationsmassage des Trommelfells, Lucae’sche Drucksonde und Pilocarpin¬ 
behandlung. Für den echten M6ni6re’sehen Anfall (apoplectiforme Taubheit), 
welchen der Verf. — nach Ansicht des Ref. nicht mit Recht — als in das Be- 
handlungBgebiet des Ohrenarztes gehörend ansieht (die Therapie des Verf.’s zeigt 
eigentlich schon die Zugehörigkeit dieses Leidens zur Neurologie), empfiehlt He er¬ 
mann Rückenlage, strenge Ruhe, Eisblase, event. Blutentziehung, psychische Be¬ 
handlung, Brom. Er warnt vor Chinin auch in diesen Fällen. Bei Fällen, welche 
der Neurologie angehören, wirken otiatrische Eingriffe oft direct schädlich. In 
diesen Fällen mögen Chinin und Elektricität versucht werden. 

Kurt Mendel. 


25) Et Tilfilde af labyrintär Angioneurose, med Bemärkninger om den 
«aakaldte Mönidre'ske Sygdom og det Mdnlöre’ske Symptomkomplex, 

af Jörgen Möller. (Hospitalstidende. 1900. VIII. Nr. 40 u. 41.) 

Ein 42 Jahre alter Lehrer, der früher syphilitisch inficirt worden war und 
im Jahre 1888 eine vorübergehende Parese des rechten Beins gehabt hatte, 1898 
an Hypertrophie der Sohleimhaut der beiden unteren Nasenmuscheln behandelt 
worden war, nervös, hypochondrisch angelegt und zu Congestionen nach dem 
Kopfe geneigt war, bekam im Juli 1899, zu einer Zeit, wo es sehr warm war 
und Pat. viel Arbeit hatte, nachdem er sohon längere Zeit an doppelseitiger 
Schwerhörigkeit gelitten hatte, plötzlich einen Schwindelanfall mit starken sub- 
jectiven Ohrgeräuschen. In Zwischenzeiten von mehreren Tagen kehrten solche 
Anfälle wieder, stets eingeleitet von subjectiven Ohrgeräuschen. Nach dem ersten 
Anfalle war anhaltendes Ohrensausen links zurückgeblieben. Es bestand ein 
Mittelohrkatarrh auf beiden Ohren, der bisher latent gewesen war; wahrscheinlich 
handelt es sich um eine Sklerose, wie nach der Verminderung des Perceptions- 
▼srmögena für hohe Töne und nach dem negativen Ausfall des Gel 16'sehen Ver- 


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snchs angenommen werden konnte. Die Behandlung bestand in Bettruhe, sub- 
cutaner Einspritzung von Pilocarp. muriaticum, innerlicher Anwendung von 
Bromkalium, Karlsbader Salz; später wurde Luftdouche durch die Tuben angewendet. 
Im Februar 1900 befand sich Pat. vollständig wohl. — Pat. war ein kräftiges 
Individuum mit etwas nervösem Temperament und zu vasomotorischen Störungen 
geneigt. Durch angestrengte Arbeit mit vielem Sitzen entstanden stärkere vaso¬ 
motorische Störungen mit acuter Hyperämie des inneren Ohres; die Erkran ku n g des 
Ohres setzte dieses ausser Stand, die in Folge der Hyperämie entstandene Druck¬ 
veränderung auf normale Weise auszugleichen und reagirte mit einem Möniöre’- 
sohen An falle. Was noch für das Vorhandensein einer Angioneurose spricht, ist 
der Umstand, dass die Anfälle bisweilen in ziemlich grosser Anzahl, kurz nach 
einander, auftreten, aber doch mit deutlichen freien Intervallen; ein so rascher 
Wechsel dürfte kaum auf eine andere Weise erklärt werden können, als durch 
eine acute Hyperämie rein vasomotorischen Ursprungs. 

Walter Berger (Leipzig). 


20) Seeth Fälle von Mdniöre’soher Erkrankung, von Doc. A. v. Sarb6. 

(Pester medic.-chirurg. Presse. 1901. Nr. 48.) 

Der Aufforderung Heermann’s (siehe d. Centralbl. 1901. S. 643) nach¬ 
kommend, schildert Verf. 6 Fälle Meniäre’scher Erkrankung. Verf. fand in 
4 Fällen Erkrankung des inneren Ohres (zwei Mal auch Mittelohrerkrankung). 
Bezüglich Zusammenhangs mit anderen Erkrankungen fand Verf. ein Mal Tabes 
(doch besteht M6ni&re seit der luetischen Infection), zwei Mal Alkoholismus (ein 
Alkoholiker war auch Kesselschmied!), zwei Mal vage nervöse Symptome. Wegen 
weiterer Details sei auf das Original verwiesen. Hudovernig (Budapest). 


27) Ein duroh galvanischen Strom geheilter Fall von Mdniöre’soher Krank¬ 
heit, von Doc. J. Donäth. (Budapester Aerzteverein. 19. October 1901.) 

40jähr. Schriftsetzer, welcher seit mehreren Jahren an M6niöre’scher Krank¬ 
heit leidet. Opium anfangs erfolgreich, später resultatlos; Pilocarpin erfolglos. 
Vortr. galvanisirte den Acusticus bezw. die Zweige des N. octav. ampullaris und 
des Cochlearis (bimastoidale Galvanisation). Nach einer Galvanisation Heilung. 

In der Discussion warnen Sugär, Sarbö, Tomka und Szenes vor zu 
rascher Annahme der Heilung, da Recidive überaus häufig Vorkommen. 

Hudovernig (Budapest). 


Psychiatrie. 

28) Ueber Eifsrsnohtswahn, von Brie. (Psychiatrische Wochenschr. 1901. 
Nr. 27.) 

Eifersuchtswahn findet sich hauptsächlich im Gefolge der Alkoholintoxication, 
wo er häufig dem Krankheitsbilde lange Zeit das Gepräge giebt, sodann im Ver¬ 
laufe des hysterischen Irreseins und des Verfolgungswahns in Folge gewisser 
Hallucinationen neben anderen Wahnbildungen und schliesslich. bei psychischen 
Störungen im Anschluss an schwere organische Hirn- und Rückenmarksleiden. 

Aber auch unabhängig von jedem Alkoholmissbrauch, unabhängig von Sinnes¬ 
täuschungen finden sich reine Fälle von Eifersuchtswahn als Unterform der 
chronischen Paranoia, wie Verf. etwa ein Dutzend Mal — und, nebenbei gesagt, 
nur bei Männern — feststellen konnte. Der Eifersuchtswahn beherrscht hier das 
ganze Krankheitsbild; andere Wahnideeen traten nicht auf, wie eine als Typus 


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mitgetbeilte Krankheitsgeschichte beweist, ln der Aetiologie findet sich vielfach 
eine neorasthenische Grundlage, die auf Störungen im sexuellen Leben schliessen 
lisst, und eine Frigidität seitens des anderen Ehegatten. Die Prognose ist un¬ 
günstig. 

Kurz streift Verf. noch die forensische Bedeutung. Die Kranken lassen sich 
leicht zu bedenklichen und gewaltthätigen Handlungen hinreissen, für die § 51 
des Str.G.B. zutreffen wird. Sicherlich wird es oft sohwer sein, im Entmündigungs¬ 
verfahren den vernehmenden Richter vom Vorhandensein einer Geistesstörung zu 
überzeugen; er wird eher geneigt sein, an übertriebene Eifersucht zu denken. 
Handelt es sich um eine Ehescheidung wegen Geisteskrankheit, so kann man er¬ 
warten, dass die geistige Gemeinschaft, falls sie schon aufgehoben ist, nicht wieder 
hergestellt werden wird. Ernst Schultze (Andernach). 


28) Eifersnohtawahn bei Frauen, von A. Schüller. (Jahrbücher f. Psych. 

u. Nervenkrankh. XX. S. 292.) 

Nach einer historischen Studie betont Verf. die grosse praktische Bedeutung 
des Eifersuchtswahnes und das theoretische Interesse des ätiologischen Zusammen¬ 
hangs mit chronischen Vergiftungen (Alkohol, Cocain), das auffällige Vorwalten 
bei klimakterischen und Lactationspsychosen, die mit Wahnbildung einhergehen. 

An der Hand 14 typischer und sehr gut geführter Krankheitsgeschichten 
entwirft Verf. ein klinisches Bild des Auftretens des Eifersuchtswahnes bei Frauen. 

Derselbe findet sich bei der Paranoia, insbesondere bei der vorzugsweise 
combinatorisehen klimakterischen Paranoia; bei Alcoholismus chronicus, Paralyse, 
bei Degenerirten, als Theilerscheinung des senilen Beeinträchtigungswahnes, endlich 
als häufiger Inhalt der Wahnideeen bei Lactationspsychosen. Auf den letzt¬ 
erwähnten Punkt weist Verf. mit besonderem Nachdrucke hin. 

Als berücksichtigungswerthe Momente für die praktisch wichtige Entscheidung 
dieser Frage, ob im gegebenen Falle es sich um Wahnideeen handelt, werden 
besonders die ätiologischen Beziehungen (Klimakterium, Lactation u. s. w.), sowie 
das bei genauerem Krankenexamen fast nie zu vermissende Vorhandensein von 
Sinnestäuschungen angeführt. 

Schliesslich erörtert Verf. die forensischen Beziehungen des Eifersuchtswahnes. 

Pilcz (Wien). 


30) La folie de« foul es, par Dr. NinaRodrigues (Bahia). (Annales medico- 
psychologiques. 1901. Januar bis October.) 

Fleissige Abhandlung, die sich über mehrere Nummern erstreckt und eine 
grosse Menge interessanter Einzelheiten enthält. Verf. bringt hauptsächlich zu 
der Lehre der psychischen Ansteckungen interessante Daten und räth gerade bei 
dieser Krankengattung womöglich noch mehr als sonst zu individualisiren. 

Adolf Passow (Meiningen). 


31) Geisteskrankheiten bei Gefangenen, von Longard. (Psychiatrische 

Wochenschr. 1901. Nr. 39.) 

Wie Verf. in vorliegendem, vor dem Kölner Gefängnissverein gehaltenem 
Vortr. sagt, ist die Zahl der Geistesstörungen bei Gefangenen auf etwa 30°/ o 
simmtlicher Insassen zu schätzen. Bei Untersuchungsgefangenen kann allerdings 
die Einzelhaft acut einsetzende, mit Gesichts- und Gehörstäuschungen einher- 
gehende, heilbare Verwirrtheitszustände auslösen. In der Mehrzahl indess handelt 
es sich schon vor der Inhaftirung um geistig nicht völlig normale, defecte, minder- 
werthige Individuen. Am meisten kommen bei ihnen zur Beobachtung die Para- 


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noift and der Schwachsinn. Gerade die Zahl der Imbecillen ist sehr gross. Die 
gefährlichsten unter den Individuen sollen in einem besonderen gef&ngnissartig 
eingerichteten und geleiteten Gebäude einer Irrenanstalt untergebracht sein. Reine 
Simulation hat Verf. früher nicht gesehen. Ernst Schnitze (Andernach). 


HL Bibliographie. 

I) 11690 ns sur let maladles du systdme nerveux, p&r F. Raymond. (Paris, 

1901. 0. Doin.) 

Der V. Band der Vorlesungen des Nachfolgers von Charcot zeichnet sich, 
wie die vorhergehenden vier Bände, durch die Reichhaltigkeit des Materials und 
durch die Klarheit des Vortrags aus. 

In den ersten acht Vorlesungen wird die partielle Jackson’sche Epilepsie 
besprochen. Verf ist der Meinung, dass es Gerechtigkeit wäre, diese Krankheit 
als Bravais-Jackson’sche zu bezeichnen, da der französische Arzt Bravais im 
Jahre 1827 in seiner Doctor-Dissertation die partielle hemiplegische Epilepsie 
beschrieben hat. An der Hand eigener 2 Fälle, der in der Litteratur bekannten 
und besonders der Abhandlung von Prof Braun, unterwirft Verf die chirurgische 
Behandlung der partiellen Epilepsie einer eingehenden Kritik und kommt zum 
Schluss, dass der operative Eingriff den gehegten Erwartungen nicht entspricht 
und nur spärliche, meistens vorübergehende Besserungen zur Folge gehabt hat. 
Das Wiederkehren der Anfälle nach der Operation schreiben die französischen 
Chirurgen den narbigen Verwachsungen zwischen Gehirn, Hirnhäuten und Schädel 
zu. Verf. ist dagegen der Meinung, dass das Wiederauftreten der Anfälle nach 
der Entfernung eines epileptogenen Herdes ein Beweis dafür ist, dass in solchen 
Fällen die Störung rein dynamischer Natur war und an der Stelle eines entfernten 
epileptogenen Centrums ein anderes sich bilden kann. — Ausschliesslich an die 
sensitive Form der partiellen Epilepsie werden in eingehender Weise unsere 
heutigen Kenntnisse über die Topographie der Gefühlscentra in der Gehirnrinde 
besprochen. 

Die Vorlesung VH ist der interessanten und praktisch so wichtigen Frage 
der psychischen Aequivalente des epileptischen Anfalls gewidmet. Das Material 
zu dieser Vorlesung wurde gesammelt und studirt von Dr. Pierre Janet, Vor¬ 
stand des psychologischen Laboratoriums der Salpetriöre. 

In einer Reihe von Vorlesungen werden typische Fälle von Gehirntumoren 
eingehend klinisch und pathologisch-anatomisch studirt. 

An der Hand zweier gleichzeitig auf der Klinik vorhandenen Kranken werden 
in den Vorlesungen XII und XIH die isolirten Gehirntuberkel besprochen, die zum 
Ausbruch abnorm verlaufender Meningitis tuberculosa Anlass geben. 

In den Vorlesungen XTV und XV werden die Erkrankungen der Gegend 
der Corpora quadrigemina in eingehender Weise besprochen. Das reiche Material 
der Charcot’schen Klinik lieferte in kurzer Zeit zwei Exemplare dieser sonst so 
seltenen Krankheiten. 

In den folgenden acht Vorlesungen werden die Bulbärparalyse, die Pseudo¬ 
bulbärparalyse, die Myasthenia gravis, die atypischen Formen der multiplen 
cerebrospinalen Sklerose studirt. Die Verknüpfung der Symptome dieser patho¬ 
genetisch so verschiedenen und klinisch manchmal doch so leicht zu verwechselnden 
Krankheitsformen sind in höchst klarer und didactischer Weise auseinandergesetzt, 
ebenso die pathologische Anatomie, die Prognose und die Behandlung. 

In den folgenden drei Vorlesungen (XXIV., XXV. und XXVL) werden die 
Störungen der Hautsensibilität bei Tabes dorsalis und bei Syringomyelie und bei 
der multiplen cerebrospinalen Sklerose besprochen. 

In der Vorlesung XXVH werden zwei interessante Fälle von Compression 


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des Rückenmarks in Folge von Pott’scher Erkrankung der Brustwirbel vorgeführt 
und eingehend analysirt. 

In der Vorlesung XXVIII handelt es sich um einen Fall von secundärer 
Sarcomatose des Hinterhauptbeins mit nachfolgender Compression des unteren 
Theils des verlängerten Marks. 

In den Vorlesungen XXIX und XXX wird eine bis jetzt noch nie beschriebene 
Krankheit erörtert, die mit der Spondylose rhizomälique von Pierre Marie 
manche Analogieen hat und für die Verf. den Namen Maladie ankylosante 
progressive et chronique vorschlägt. 

Endlich in den letzten zwei Vorlesungen ist die Bede von Sklerodermie, von 
Polyneuritis mit doppelseitiger Facialislähmung und von hysterischer Worttaubheit. 

Die vorhergehende trockene Aufzählung der verschiedenen Vorlesungen kann 
natürlich nur eine sehr unvollkommene Vorstellung von dem inneren Werthe dieses 
lehrreichen und so gewissenhaft abgefassten Werkes geben. Wenn auch nicht 
Alles darin neu ist, so sind dooh die abgehandelten Gegenstände der Neurologie, 
unter ausführlicher Berücksichtigung der einheimischen und ausländischen Litteratur, 
in ebenso lichtvoller wie erschöpfender Weise erörtert, so dass nicht nur ätudirende 
und Aerzte im Allgemeinen, sondern auch Neurologen vom Fach in diesem Werke 
mit Nutzen lesen würden. R. Hirschberg (Paris). 


2) Ueber Sohreiber- und Pianistenkrampf, von J. Zabludowski. (Sammlung 
klinischer Vorträge. Richard v. Volkmann. Nr. 290 u. 291.) 

In der Einleitung zu seinem Vortrag macht der bekannte Verf. einige recht 
bemerkenswerthe und leeenswerthe Bemerkungen allgemein medioinischen Inhalts 
und Interesses über den heutzutage modernen „Cultus von Stichwörtern“. Es 
werden vielfach einzelne Manipulationen, welche bei der Behandlung von Kranken 
in Anwendung kommen, und welche bei Weitem nicht den Kernpunkt der be¬ 
treffenden Therapie ausmachen, als Therapie sui generis eingeführt. Dieser Stich¬ 
wörtergebrauch führt zu einer Monopolisirung gewisser Methoden und gleichzeitig 
zu einer Verschleierung derselben. Die genannte Erscheinung besteht nicht allein 
für das engere Gebiet der Behandlung, mit welchem sich Verf. beschäftigt, sondern 
sie besteht auch in vielen anderen Zweigen der Therapie und hat überall schon 
viel Unheil angerichtet. 

Seine speciellen Auseinandersetzungen beginnt der Verf. mit einer Darstellung 
der Pathogenese, der Symptomatologie und der Behandlung des Schreibkrampfes. 
Es werden zuerst die allgemeinen Gesichtspunkte auseinandergesetzt, welche bei 
dem Forschen nach der Entstehung des Leidens in jedem einzelnen Falle zu be¬ 
achten sind. Meist werden von den Kranken weit mehr Muskeln angespannt, als 
nöthig wäre, die rationelle Methodik des Schreibens wird nicht inne gehalten, 
ungeeignete Tinte und Federn u. s. w. werden benutzt. Wie auf alle diese an¬ 
scheinend so unbedeutenden Dinge bei der Behandlung Rücksicht zu nohmen ist, 
das setzt der Verf. in einer ausserordentlich anschaulichen und bisher in dieser 
Weise noch nicht specialisirten Form auseinander. Er verschmäht es dabei nioht, 
sich bis an die äussersten Grenzen der ärztlichen Therapie und „Hypurgie“ zu 
begeben und alle diejenigen Dinge ausführlich auseinander zu setzen, welche im 
Allgemeinen in den Hand- und Lehrbüchern mit allgemeinen Redensarten wie 
„zweckmässige Haltung“, „bequeme Lagerung des Papiers“ u. dergl. abgefertigt 
werden. Denn gerade in der Kenntniss jener anscheinend nebensächlichen Kleinig¬ 
keiten liegt nicht selten der Schlüssel für den Erfolg der Behandlung. So lernen 
wir in dem Vortrage, wie der Verf. jede einzelne Form der Sohreiberkrankheit 
behandelt: Wir erfahren warum und in welchen Fällen die gewöhnliche Stellung 
de« Stuhles, auf dem der Schreibende sitzt, geändert werden muss, wir sehen, 
wann das Schreibpapier gerade, wann schief gelegt werden muss, wann ein be- 

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sonderer vierkantiger Federhalter von Nutzen ist u. s. w. Die vorzunehmenden 
Schreibübungen werden sowohl in Bezug auf die zu schreibenden Buchstaben wie 
in Bezug auf die tägliche Dauer besprochen, es wird uns auseinandergesetzt, welche 
kleinen Erleichterungen bei jeder einzelnen Art der Buchstaben z. B. durch 
Unterbrechung an der Niveaulinie geschaffen werden können u. dergL 

Die Eintheilung der Schreiberkrankheit geschieht nach Verf. am Besten in 
1. einer oscendirenden Form (Erkrankung der Muskeln und Nerven des Armes 
mit paralytischen und Schmerzerscheinnngen), 2. einer desoendirenden Form (Er¬ 
krankungen des Gehirns und Rückenmarks), 3. die Schreiberkrankheit als Sym¬ 
ptom der centralen Neurosen und schliesslich 4. die Mischformen. 

Den neurologischen Leser des Vortrages wird es angenehm berühren, dass 
Verf. bei der Behandlung der neurasthenischen und hysterischen Formen nicht 
den sonst von SpecialiBten betonten „Specialstandpunkt“ in der Beurtheilnng und 
Behandlung des betreffenden Leidens einnimmt, sondern dass er dabei durchweg 
die Anschauungen und Auffassungen der Neurologie theilt. Dementsprechend 
widmet Verf. auch der psychischen Behandlung breiten Raum in seinen Ausein¬ 
andersetzungen und betont immer und immer wieder, wie die von ihm eingeschlagene 
Bpecielle Therapie bis in alle Einzelheiten psychisch wirken müsse und wie jener 
psychischen Wirkung ein grosser Theil des Erfolges zuzuschreiben sei. In dem 
Abschnitt seines Vortrags, der sich gerade mit jenen zuletzt besprochenen Dingen 
beschäftigt, finden wir recht hübsohe Bemerkungen, welche von den allgemeinen 
Gesichtspunkten Zeugniss ablegen, von denen aus der Verf. seine Disciplin be¬ 
trachtet. So sagt er z. B.: „Die fertigen Autosuggestionen, diese sog. Massen¬ 
autosuggestionen, sind Hebel, an welchen wir bei unseren Heilungsversuchen ein- 
setzen und die uns unsere Aufgabe sehr erleichtern.“ 

Der zweite Theil der Arbeit beschäftigt sich mit der Klavierspielerkrankheit. 
Er ist entsprechend der geringen Häufigkeit jener Krankheit knapper gehalten. 
Verf. setzt zuerst auseinander, dass die sog. Klavierspielerkrankheit sich dadurch 
von den meisten Schreiberkrankheiten unterscheidet, dass sie in einer traumatischen 
Entzündung der Gelenke an einem oder mehreren Fingern besteht. Die häufigste 
Form der Erkrankung ist nach Verf. die neuritische, wobei die Schmerzen oft 
Gelenke überspringen und sich nach der Schulter, dem Rücken und der Brust 
ausbreiten. Die Schmerzen und Beschwerden treten dabei entsprechend der Natur 
der Krankheit auch ausserhalb des Klavierspielens auf. Die Behandlung besteht 
in Ruhigstellung, Beseitigung der Entzündung, später, wenn die Entzündung sich 
verloren hat, in leichter Massage. Präventiv kämen bei den Klavierspielerkrank¬ 
heiten Aenderungen in der Klaviatur und andere technische Aenderungen in Be¬ 
tracht. Anhangsweise wird auch der Violinistenkrampf von dem Verf. kurz be¬ 
sprochen. 

Als das Gemeinsame können wir in den Ausführungen des Verf.’s und be¬ 
sonders in der Behandlungsweise der genannten Erkrankungen die Thatsache 
begrüssen, dass der Verf. sich nirgends als ein „Massagefanatiker“ zeigt, sondern 
auch den anderen Behandlungsmethoden den ihnen zukommenden Werth lässt. 

Paul Schuster (Berlin). 


IV. Aus den Gesellschaften. 

V. Congrös international de Physiologie, Turin, 17.—21. September 1001. 

(Archives italiennes de Biologie. XXXVI. Fase. 1.) 

A. Anatomie. 

Fräulein M. Stefanowska (Bruxelles): Sur les appendioes piriformee 
des oellulea nerveuses oördbrales. 

Demonstration mikroskopischer Präparate von Hirnzellen, deren Dendriten 


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mit zahlreichen Erhabenheiten besetzt sind, welche Verfasserin als „appendices 
piriformee“ bezeichnen möchte; sie sollen in keinem normalen, vollentwickelten 
Gehirne fehlen. Es ist der Verfasserin gelangen, die „appendices piriformes“ mit 
verschiedenen Metallsalzen und auch mit Methylenblau zu färben. Es sei un¬ 
bestreitbar, dass die „appendices piriformes“ durch ihr blosses Vorhandensein die 
Oberfläche der Ganglienzellen beträchtlich vergrösserten und da¬ 
durch eine wichtige Bolle beim Contact zwischen den Neuronen spielten. Anderer¬ 
seits habe Verfasserin durch ihre Untersuchungen über die Hirnrinde neugeborener 
Hiiere gefunden, dass die „appendices piriformes“ bei der Entwicklung der 
Ganglienzellen als letzter Bestandtheil aufträten Dieser Umstand 
scheine zu beweisen, dass ihnen eine wichtige Rolle bei den psychischen Vorgängen 
zugewieseu sei. Endlich habe Verfasserin zuerst gezeigt, dass unter der Einwirkung 
heftig«: Beize (Elektricität) oder in lang hinausgezogener Narcose die „appendices 
piriformes“ stellenweise im Gehirn verschwänden und erst dann wieder erschienen, 
wenn der Allgemeinzustand des Gehirns sich gebessert habe. Aber dieses regionäre 
Verschwinden könne nicht als Stütze der Theorie vom Amöboismus der Ganglien¬ 
sellen angesehen werden, denn es sei nur bei schweren Störungen zu beobachten. 

Herr Donaggio (Modena): Sur los appareila fibrlllairee endooellulaires 
de oonduotion dans los oentres nerveux des vertdbröa aupdrieura. 

Das Zellelement wird nicht nur durchzogen von longitudinal verlaufenden, 
grossentheils peripherisch gelegenen Fibrillen, die keine Anastomosen eingehen, 
sondern auch von zahlreichen Fibrillen, die durch Theilung ein sehr dichtes 
Netzwerk bilden. Man sieht an den vorgelegten Präparaten, dass das Netzwerk 
einerseits in Beziehung steht zu den Fibrillen der protoplasmatischen Fortsätze, 
andererseits zu jenen des Axencylinders. 

An die Existenz dieses Netzwerks knüpft Verf. einige recht problematische 
physiologische Folgerungen, die uns hier nicht weiter beschäftigen. 

B. Experimentelle Physiologie: 

Herr N. Mislawsky (Expöriences du Dr. Luria) (Eazan): Böle des nerfs 
•enaitifii du dlaphragme dans la reaplratlon. 

1. Beizung des Centrum tendineum des Zwerchfells bewirkt exspiratorisohen 
Stillstand des Brustkorbes. 

2. Durchneidung der Nn. vagi am Halse oder unmittelbar über dem Zwerch¬ 
fell hebt diese Wirkung auf. 

3. Beizung des peripheren Endes des N. phrenicus erzeugt Zwerchfells¬ 
eon traction und dadurch exspiratorisohen Stillstand des Brustkorbes, der mit 
Durch Schneidung der Vagi wieder aufgehoben wird. 

4. Beizungen des centralen Phrenicus stumpfes haben die schon wohlbekannten 
Resultate ergeben. 

Fräulein J. Joteyko et M. Stefanowska (Bruxelles): De la graduation 
des effets des anesthdeiques. 

Durch Versuche am Frosch sind die Verfasserinnen zu folgenden Ergebnissen 
gekommen: 

Die Aufhebung der Gehirnfunctionen unter dem Einfluss der Anästhetica 
erfolgt stufenweise und lässt, wenn man absieht vom Verlust der höheren psychi¬ 
schen Fähigkeiten, zwei Abschnitte erkennen: Verlust der Sensibilität und Ver¬ 
lost der Motilität. 

Reihenfolge der nervösen Gebilde nach Maassgabe ihrer Empfänglichkeit (für 
Anästhetica): 

1. Sensible Rindencentren, 2. motorische Rindencentren, 8. Rückenmark, 

4. Medulla oblongata, 5. sensible Nervenfasern, 6. motorische Nervenfasern, 

7. Muskel. 

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Die Verfasserinnen wollen dies Schema näohstens noch ergänzen, besonders 
in Hinblick auf die nervösen Endapparate und die verschiedenen Rückenmarks- 
gebiete. 

Fräulein J. Joteyko (Bruxelles): De la reaction motrioe differentielle 
du musole et du nerf. 

a) Die Muskelfaser ist gegen alle verändernden Einflüsse (Gifte, Anämie, Tod, 
Ermüdung) widerstandskräftiger als die Nervenendigungen. 

b) Daher ist sie für die gleichen Einwirkungen auch weniger empfindlich. 

c) Zur Contraction direct vom Muskel aus bedarf es grösserer Reizstärke 
als zur Contraction vom Nerven aus. 

Herr N. Vitzou (Bukarest): Reoherohes experimentales sur l’exoita- 
bilitö de la moölle. 

Die bisher allgemein verbreitete Ansicht, dass die graue Substanz des Rücken¬ 
marks für Reize absolut unempfänglich sei, scheint Verf. durch seine Versuche am 
Pferd und an Vögeln widerlegt zu haben. So erhielt er z. B. beim Pferd durch 
elektrische Reizung der grauen Substanz eine musculäre Reaction; diese unter¬ 
schied sich deutlich von der Wirkung, die durch Reizung der Vorderseitenstränge 
erzielt wird. Verf. hebt auch hervor, dass von der grauen Substanz aus bereits 
mittelstarke Ströme tetanische Contractionen erzeugen. Von entscheidender 
Wichtigkeit für das Gelingen der Versuche scheint es zu sein, das zwischen der 
vorbereitenden Operation (Blosslegung des Rückenmarks) und dem eigentlichen 
Experiment ein Zeitraum von mindestens einer Stunde liegt. Bei Anwendung 
mechanischer Reize ist auch die Vermeidung eines nur einigermaassen beträcht¬ 
lichen Blutverlustes Vorbedingung des Erfolges. 

Herr W. M. Bayliss (London): Antidromio vascular dilatation from 
posterior roots. 

1. Die hinteren Wurzeln des 5., 6., 7. Lumbal- und des 1. Sacralnerven 
enthalten Fasern, deren elektrische, mechanische, chemische oder thermale Reizung, 
nach Trennung vom Rückenmark, Gefässerweiterung in der hinteren Extremität 
derselben Seite bewirkt. 

2. Diese Wirkung wird nicht aufgehoben durch Morphium oder andere 
Anästhetika, auch nicht durch Curare. Das Lebensalter hat keinen Einfluss 
auf sie. 

3. Da die fraglichen Fasern nicht in den Bauchtheil des Grenzstranges 
übergehen, so müssen sie direct in den Plexus lumbo-sacralis eintreten. 

4. Sie degeneriren nicht, wenn man einen Schnitt anlegt zwischen Rücken¬ 
mark und hinteren Spinalganglien; deshalb sind sie keine centrifugalen Rücken¬ 
marksfasern. Sie degeneriren aber nach Exstirpation der hinteren Spinalganglien, 
in welchen daher ihre tropbischen Centren gelegen sein müssen. 

5. Sie sind in Wirklichkeit identisch mit den gewöhnlichen centripetalen 
Fasern der hinteren Wurzeln. Der Name „rückläufig“ (antidromic) dient zur Be¬ 
zeichnung der Thatsache, dass sie die Reize in umgekehrter Richtung leiten, 
dass also bei Reizung einer centripetalen Faser an ihrer Endstation im Central¬ 
nervensystem eine Gefässerweiterung an ihrem peripheren Ende im Hörpergewebe 
erzielt wird. 

6. Nach Entfernung der hinteren Spinalganglien erfolgt Degeneration aller 
Vasodilatatoren der hinteren Extremitäten; überdies können weder in der Sym- 
pathiouskette noch in irgend einer vorderen Wurzel Vasodilatatoren für die 
Extremitäten gefunden werden. 

7. Aus diesen Gründen muss jeder gefässerweiternde Reflex für die Extremi¬ 
täten „rückläufiger“ Natur sein. Durch Versuche an Hunden, Katzen und 
Kaninchen, denen die Bauchstränge des Sympathicus und fast alle Baucbeingeweide 
exstirpirt worden waren, gelang es, die Probe auf dieses Ergebniss zu liefern. 


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8. Die entsprechenden Vasodilatatoren für die vorderen Extremitäten sind 
in den hinteren Wurzeln der 6., 7., 8. Cervical- und des 1. Thoracalnerven ge¬ 
legen. 

9. Für Niere oder Darm konnte eine ähnliche Wirkung bislang noch nicht 

erzielt werden. Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau. 

Sitzung vom 27. April 1901. 

Herr N. Wersiloff: Tumor des Plexus braohialis. 

Der Kranke, 43 Jahre alt, trat am 27. August 1900 mit Klagen über 
Schmerzen (rechts) im Halse, in der Subclaviculargegend und im Arm in die 
Klinik für Nervenkrankheiten ein; die Schmerzen waren dumpf und reissend, 
die supraclavicularen Drüsen stark vergrössert. Im weiteren Verlauf verstärkten 
sich die Schmerzen und gingen auf die linke Seite des Halses über; interessant 
war, dass während der Schmerzparoxyßmen der rechte Arm sich mit Schweiss 
bedeckte. Zu den Schmerzen gesellte sich Schwäche in dem rechten Arm, welche 
mit völliger Paralyse endete; Störungen der Sensibilität Hessen sich nicht constatiren. 
Bei zunehmender Schwäche erlag der Kranke am 11. November 1900. Bei der 
Section wurde ein Plattenepithelkrebs gefunden, welcher die Begion des rechten 
Plexus brachialiß einnahm und die Nervenstämme fest umlagerte. Bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung der Nervenstämme, an der Stelle ihrer grössten Com- 
presaion, konnte man die sog. Krebsneuritis nach weisen: Die Krebszellen waren 
unter die Sch wann'sehe Scheide durchgedrungen und hatten Veränderungen im 
Myelin hervorgerufen, welches Erscheinungen des Zerfalls bot und ausserdem 
schlechter färbbar war als in den gesunden Fasern. Diese localen Veränderungen 
der Fasern waren die Veranlassung zu einer absteigenden Degeneration, aber in 
einem sehr schwachen Grade. Dasselbe liess sich auch in den Muskelfasern nach- 
weisen: Die Krebszellen sind durch das Sarcolemma der Muskelfasern gedrungen 
und haben die Muskelsubstanz zerstört; es Hessen sich hohle, mit KrebszeUen 
ausgefüllte Sarcolemma erkennen. Am Bückenmark scharf ausgesprochene vordere 
carcinomatöse Pachymeningitis ohne irgend welche Zeiohen einer Bückenmarks- 
oompression im Halstheile; die Wurzeln waren comprimirt und hatten eine typische 
Degeneration der aufsteigenden Fasern in den Burdach’schen Strängen bis zu 
ihren Kernen in der Medulla oblongata erzeugt, retrograde Degeneration in den 
vorderen Wurzeln bis zu den VorderhornzeUen. Angefangen von der Mitte des 
Halsrückenmarks erscheint der Centralcanal im Verlaufe des ganzen Kückenmarks 
deutHch erweitert, sein Epithel und das der Gefässe in den Vorderhörnern ver¬ 
ändert und das Nervengewebe rarificirt. Metastasen des Tumors in den inneren 
Organen und in den Muskeln der Wirbelsäule. Schlüsse: 1. Die Hinterwurzel¬ 
fasern des Halstheils betheiHgen sich nicht an der Bildung der Goll’schen Stränge; 
in dieser Beziehung steht die Beobachtung deB Vortr. als erster FaU da, wo die 
Krankheit das Experiment der Zerstörung der Bückenmarkswurzeln des Halstheils 
ausgeführt hat; 2. die carcinomatöse Neuritis steUt das typische Bild einer par¬ 
enchymatösen Entzündung der Nervenfasern dar; 3. die Höhlenbildung im Rücken¬ 
mark muss mit der carcinomatösen Pachymeningitis, durch erschwerte Blut- und 
Lymphcirculation im Halstheil der Bückenmarkshäute entstanden, in Abhängigkeit 
gebracht werden. (Autoreferat.) 

Herr W. Semmidaloff: Zum Delirium acutum. 

Die 55 Jahre alte Kranke trat am 17. Juli 1898 in das Aleksjeew’sche 
Krankenhaus ein. Ungefähr am 1. Juli war sie am Scorbut erkrankt. Die 
Temperatur stieg mehrfach bis auf 38,5°. Am 10. Juli steUten sich Anfälle von 
Geisteskrankheit ein. Anfangs bestand Beizbarkeit, bald aber stellten sich Trübung 


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des Bewusstseins, Gehörs-, Gesichts* und Gefühlshallucinationen ein; Nahrungs* 
Verweigerung; Asomnie, Unreinlichkeit, Retentio urinae. Am 15. Juli Zuckungen 
im linken Arm und in der linken Gesichtshälfte. Am 17. Juli Sprachstörungen 
und Wortreime. Das Zahnfleisch gelockert, an Zunge und Lippen viele Borken; 
in der Mundhöhle Blut und viel Schleim, aus dem Munde schwacher Geruch 
Scorbutischer. Gelbrothe Flecken an den Knieen. Antwortet nicht auf Fragen, 
liegt meistentheils mit geschlossenen Augen, die Hände erhoben, durch Aus¬ 
einanderspreitzen der Finger wurden dieselben rhythmisch bewegt. Im Allgemeinen 
unruhig, murmelt häufig. Der Schluckact nicht ganz frei. Vom 17.— 26. Juli 
steigt die Temperatur häufig bis auf 37,7°, und einmal bis auf 38,9° als an 
Bimst und Händen blutige Flecke sichtbar wurden. Darauf verschlimmerte sich 
der Zustand bedeutend; die Unruhe steigerte sich, es stellen sich viele rhythmische 
Bewegungen in Armen und Beinen, Zuckungen im Gesicht und Grimassen ein. 
Die Nahrungsverweigerung hält an, so dass zur Sondenfütterung geschritten werden 
muss. Zuweilen senkt sich der Kopf auf eine Seite, die Augen schielen. Vom 
26. Juli bis 3. August lassen die rhythmischen Bewegungen allmählich nach, das 
Schlucken wird beinahe ganz frei, das Schütteln wird schwächer; es treten starke 
Kopfschmerzen auf, welche 2 Tage andauern; etwas paretischer Gang. Die moto¬ 
rische Unruhe lässt nach, das Bewusstsein erhellt sieb, die Kranke wird sehr 
reizbar, misstrauisch und feindlich gestimmt. Vom 4.—25. August blieb eine 
sehr grosse Ersohöpfbarkeit und verlangsamtes Denken. Im September besserte 
sich das Befinden so weit, dass die Kranke das Hospital verlassen konnte. — 
Indem der Vortr. die Amentia in ihrer schwersten Form ausschliesst, nimmt er 
hier das Bestehen eines Delirium acutum an, dessen Ursache in einer Entzündung 
der Gehirnrinde liegt, und zwar in einer acuten Rindenencephalitis. Gleichzeitig 
mit der Störung der psychischen Thätigkeit waren im gegebenen Falle gleiohsam 
schwache Herderscheinungen angedeutet, wobei die Sohluckstörung und der pare- 
tische Gang am längsten persistirten. Hier ist am Platze, von den Uebergangs- 
formen der Encephalitiden vom Typus des Delirium acutum und der Enoephalitiden 
des Strümpell’schen Typus zu sprechen. Der specifische Krankheitserreger des 
Scorbut ist unlängst von Prof Levin beschrieben worden und damit wird un¬ 
zweifelhaft der infectiöse Boden für die Rindenencephalitis geschaffen, deren 
hämorrhagische Eigenschaft durch die Grundzüge der scorbutischen Erkrankung 
bestimmt wird. (Autoreferat.) 

Discussion: 

Herr Muratoff ist der Ansicht, dass in allen Fällen des Delirium acutum 
die hämorrhagische Encephalitis bewiesen ist. Vortr. hat die Möglichkeit ver¬ 
schiedener parenchymatöser und interstitieller Affectionen ausser Acht gelassen. 
Das vom Vortr. beschriebene Krankheitsbild entspricht nicht dem Bilde des 
Delirium acutum. 

Herr Postowsky weist darauf hin, dass die Frage über den Scorbut als 
infectiöse Krankheit noch lange nicht gelöst ist. 

W. Murawieff. S. Suchanoff. 

Sitzung vom 11. Mai 1901. 

Herr P. Preobrajensky: Zar pathologischen Anatomie der Chorea 
minor. 

Der Kranke, J. P., 21 Jahre alt, Coiffeur, trat am 13. Deoember 1899 in 
das alte Katharinenkrankenhaus mit Klagen über Zuckungen in den Armen ein. 

Aus der Anamnese lässt sioh ein acuter Gelenkrheumatismus (vor 2 Jahren) 
notiren, von welchem der Kranke vollkommen genas und bis zur augenblicklichen 
Erkrankung stets gesund war. 2 Wochen vor Eintritt ins Hospital fingen ohne 
irgend welche sichtbare Ursache die choreatischen Bewegungen an. 


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Stat. praes.: Choreatische Bewegungen in den Muskeln der Augen, des Ge¬ 
sichts, der Zunge, des Rumpfs und der Extremitäten. Kniereflexe abgeschwächt. 
Bewusstsein ungetrübt. Der übrige Nervenstatus und der Befund an den inneren 
Organen negativ. In den ersten Tagen nach der Aufnahme waren die chorea¬ 
tischen Bewegungen nicht constant: bald wurden sie ohne jede Ursache geringer, 
bald nahmen sie zu. Vom 17. December progressirten sie allmählich und zu Ende 
des Lebens des Kranken erreichten sie eine furchtbare Stärke, so dass derselbe 
im Bett hin und her geschleudert wurde, und seine Extremitäten in fortwährender 
Bewegung waren. Keinerlei Vorsichtsmaassregeln waren im Stande, ihn vor Ver¬ 
letzungen an den ihn umgebenden Gegenständen zu sohützen. Die letzten 2 Tage 
Bewusstlosigkeit Am 23. December Exitus letalis. Bei der Autopsie wurde gefunden: 
Pachymeningitis haemorrhagica cerebralis et spinalis. Bronchopneumonia catarrh. 
lobular, pulmon. utriusque. Degeneratio adiposa myocardis et hepatis. Hyper- 
plasia lienis, Ofluscatio parenchymatosa renum. Stellenweise in den Muskeln 
Ecchymosen. Aus verschiedenen Theilen des centralen Nervensystems, aus dem 
Blute und aus den inneren Organen wurden Culturen von Streptokokken erhalten. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung des centralen Nervensystems wurden 
nur in der Pia mater und in der Hirnrinde Veränderungen gefunden: es wurden 
Erscheinungen einer hochgradigen Hyperämie, hämorrhagisches Exsudat und stellen¬ 
weise Zerstörung der periphersten Rindenschicht der Hemisphären und des Klein¬ 
hirns beobachtet; in den Pyramidenzellen der Rinde diffuse Chromatolyse, fettige 
Degeneration des Zellleibes, zuweilen periphere Verlagerung des Kerns; in den 
Purkinje’schen Zellen des Kleinhirns ausserdem Schwellung des Kerns. Im 
Rückenmark sind alle diese Erscheinungen in viel geringerem Grade ausgesprochen. 
In den peripheren Nerven liess sich nichts Abnormes nachweisen. In den Muskeln 
eine massige Vermehrung der Kerne, Blutungen und eine grosse Zahl von Leuko- 
cyten. Somit haben wir vor uns einen Fall von Pachymeningitis (et Lepto- 
meningitis) haemorrhagica acuta infectdosa cerebralis et spinalis durch Strepto¬ 
kokken hervorgerufen. Die Besonderheit des gegebenen Falles ist die Abwesenheit 
einer Endocarditis. Zum Schluss ist auf die Bedeutung des Studiums und der 
Differenzirung der einzelnen Formen von infectiöser Chorea hinzuweisen, da bei 
dem jetzigen Stande der Diagnostik des in jedem gegebenen Falle die Erkrankung 
veranlassenden Mikroorganismus häufig auch eine rationellere Therapie möglich 
wäre, z. B. könnten in ähnlichen Fällen wie der unsrige Injectionen von Anti- 
streptokokkenserum gemacht werden, d. h. die Therapie müsste eine solche sein, 
wie bei schweren infectiösen Erkrankungen, z. B. wie beim Tetanus und der 
Diphtherie, wo die Serumtherapie auf gesichertem Boden steht. (Autoreferat.) 

Discussion: 

Herr Roth weist auf die Wahrscheinlichkeit des Bestehens zweier Krank¬ 
heiten des Nervensystems im gegebenen Falle hin: zur primären Chorea gesellte 
sich noch eine neue Erkrankung. 

An der Discussion betheiligten sich ferner Herr Semidaloff und Herr 
Pribytkoff. 

Herr Jwanoff: Zwei Fälle von Hydromyelie bei Hydrops des 4. Ven¬ 
trikels. 

In beiden Fällen Hernia cerebelli. Die Hernia tritt aus dem Occipitalknochen 
in Form einer weichen Geschwulst von Faustgrösse heraus. Ein Kind lebte 
l 1 /, Monate, das andere 4 Monate. Im ersten Falle bestand ein wenig aus¬ 
gesprochener Hydrocephalus internus, die Hemisphären regelrecht formirt, das 
Kleinhirn sehr verunstaltet und tritt zum Theil aus dem Bruchsack in Folge 
übermässiger Ausdehnung des 4. Ventrikels heraus. Im Rückenmark fast in seiner 
ganzen Länge starker Hydromyelus mit der grössten Erweiterung des Canals in 
den unteren Brust- und Halstheilen. An diesen Stellen ist das Rückenmark an 


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Umfang vergrössert, die graue and weisse Substanz umlagert in Form eines 
schmalen Saums die coloesale Centralhöhle. Bei der mikroskopischen Untersuchung 
erweist sich der erweiterte Centralcanal mit Epithel ausgekleidet, es fehlt an 
verhältnissmässig nur kleinen Partieen. Ueberall Hyperplasie des Epithels, welches 
zusammen mit der darunter liegenden Glia in das Innere des Centralcanals in 
Form von kleinen Warzen hineinwuchert. Häufig finden sich solche Warzen bis 
zu 16 auf einen Schnitt. Stellenweise hat das hyperplasirte Epithel das Aus¬ 
sehen von kleinen Zellen. Der erweiterte Centralcanal ist fast in seiner ganzen 
Ausdehnung von einer kleinen gleichmässigen Schicht gewucherter Glia umgeben, 
ausgenommen des oberen Halstheils, wo die Gliawucherung in Form von einzelnen 
compacten Massen angetroffen wird, zuweilen zieht sich der Gliazug fast über die 
ganze graue Substanz bis an die Seitenstränge. An einer Stelle dieses Abschnittes 
stülpt sich die stark gewucherte Glia in Form einer kleinen runden Geschwulst 
in den erweiterten Centralcanal vor. Sie füllt den Centralcanal vollkommen aus, 
ohne mit seinen Wandungen zu verwachsen. An einer anderen Stelle des oberen 
Halstheils des Rückenmarks beobachtet man theilweise Verwachsung dee Central¬ 
canals. Normale Grösse weist der Centralcanal nur in den unteren Lenden- und 
in den Kreuztheilen auf, in den oberen zwei Halssegmenten ist seine Vergrösserung 
ebenfalls nur gering. Die Gefässe und ihre perivasculären Räume sind im ganzen 
Rückenmark stark erweitert, besonders in der grauen Substanz und rings um den 
Centralcanal. Stellenweise sind die Gefässwandungen verdickt Um die Gefässe 
finden sich hie und da kleinzellige Infiltrate. In der grauen Substanz stösst man 
häufig auf Hämorrhagieen. In der Medulla oblongata ist der Centralcanal eben¬ 
falls stark erweitert und bildet nach den Seiten hin eine Menge DivertikeL 
Besonders stark lädirt sind die Gefässe im Plexus chorioid., im letzteren besteht 
eine reichliche Wucherung des Bindegewebes. In der Structur der grauen und 
weissen Substanzen der Medulla oblongata und des ganzen Gehirnstammes sind 
ausgesprochene Asymmetrieen und Heterotopieen, besonders auffallend die De¬ 
formationen im erhaltenen Theil des Cerebellums. Der Aquaeductus Sylvii ist 
verengt, bildet viele Divertikel und sein Epithel ist ebenfalls verändert (Ependy- 
mitis granulöse). Zur Erklärung des anatomischen Bildes nimmt Vortr. an, 
dass die früh entwickelte Ependymitis dem darauf folgenden Hydrops den 
Anstoss zur Wucherung embryonaler Elemente gegeben hat, d. h. diese Wuche¬ 
rungen entwickelten sich secundär. Vom zweiten Falle blieben für die mikro¬ 
skopische Untersuchung nur einige Stücke aus dem Halstheile erhalten. Hier ist 
die Hydromyelie und die Wucherung der Glia bedeutend geringer, aber die Ge¬ 
fässe sind stärker afficirt. Im Allgemeinen ist das Bild dasselbe wie im ersten Falle. 

Discussion: 

Herr Muratoff bemerkt unter Anderem, dass die Neurogliawucherung 
nicht als secundär betrachtet werden kann, weil sie aus dem Ependym wuchert. 
Der angeführte Fall dient als Bestätigung für die Verwandtschaft des Hydro- 
cephalus mit der Syringomyelie. 

Herr Roth nahm ebenfalls an der Discussion Theil. 

Herr A. Ljubuschin: Zur Lehre von den endogenen Fasern in den 
Vorderaeitenstrftngen des Rückenmarks. 

Zum Zwecke der vorliegenden Untersuchung wurde nach der Methode von 
Münzer und Wiener die Zerstörung der grauen Substanz in der Höhe des 
6. Segmentes des Rückenmarks bei zwei Kaninchen ausgeführt. Diese Thiere 
wurden am 16. Tage post operationem getödtet; das herausgenommene Rückenmark 
wurde nach Marohi behandelt. Bei der Untersuchung des Rückenmarks erwiesen 
sich im mittleren Theil des 6. Halssegmentes das Hinterhorn und der mittlere 
Theil der grauen Substanz der rechten Seite zerstört, die übrigen Partieen der 
grauen Substanz waren intact geblieben. Auf Querschnitten des Rückenmarks, 


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welche im Niveau der Verletzung liegen, sieht man, dass die Degeneration der 
Fasern am intensivsten im Vorderseitenstrange der verletzten Seite, wo die 
degenerirten Fasern mit ziemlich dicker Schicht die graue Substanz umgeben, 
ausgesprochen ist. Auf der contralateralen Seite hat die Degeneration der Fasern 
dieselbe Localisation und ist in bedeutend geringerem Grade ausgesprochen. 
Auf den Querschnitten, welche ein wenig über der Läsionsstelle angelegt wurden, 
umgeben die degenerirten Fasern auf der verletzten Seite in dicker Schicht die 
äussere Peripherie des Vorderhorns, auf der gegenüberliegenden Seite bemerkt 
ihm ausserdem eine bedeutende Zahl von degenerirten Fasern, welohe längs dem 
Sulc. longit. ant. angeordnet sind. Im Hinterhorn der verletzten Seite bemerkt 
man eine grosse Menge degenerirter Fasern, welche zunäohst in der Richtung 
nach vorn verlaufen; im weiteren Verlaufe liegt ein Theil dieser Fasern nach 
aussen und tritt in die weisse Substanz des Seitenstranges, der andere Theil be- 
giebt sich zur vorderen weissen Commissur und geht in den Vorderstrang der 
contralateralen Seite über. Hier zerfallt das Bündel der degenerirten Fasern 
wieder in zwei Theile: ein Theil ist längs dem Sulc. longit. anter. angeordnet, 
der andere umgiebt das Vorderhorn in ziemlich regelmässigen Bogen. Der grösste 
Theil der aus der grauen Substanz in den Seitenstrang derselben Seite ein« 
getretenen Fasern ändert rasch seine Richtung, indem er sowohl auf- als absteigend 
verläuft. Der geringere Theil der in den Seitenstrang der lädirten Seite ein¬ 
tretenden degenerirten Fasern erreicht die Peripherie des Rückenmarks an der Stelle, 
wo für gewöhnlich das Gowers’sche Bündel sich befindet, und nimmt weiterhin 
eine aufsteigende Richtung an. Im unteren Theil der Medulla oblongata geht 
diese Gruppe von Fasern in den Seitenstrang über und liegt vor der spinalen 
Wurzel des Trigeminus. Ein Theil der ihre Richtung ändernden Fasern kann 
gleich nach ihrem Eintritt in den Seitenstrang in aufsteigender Richtung bis zur 
Höhe des 4. Halssegmentes verfolgt werden und in absteigender bis zum mittleren 
Theil des 2. Brustsegmentes. Die degenerirte Fasergruppe, welche durch die 
vordere weisse Commissur in den Vorderstrang eintritt und längs den Sulc. longit. 
ant. verläuft, wurde in aufsteigender Richtung bis zum Niveau des Austritts des 
1. Halsnerven, in absteigender bis zum 3. Sacralsegment verfolgt. Der andere 
Theil der degenerirten Fasern, welcher ebenfalls durch die vordere weisse Com- 
missur in den Vorderstrang der contralateralen Seite eintritt und das Vorderhorn 
in regelmässigen Bogen umgiebt, nimmt in seinem weiteren Verlaufe eine auf¬ 
steigende Richtung an und rückt allmählich zur Peripherie des Rückenmarks und 
betheiligt sich an der Bildung des mittleren Theils des Gowers’schen Stranges. 
In der Medulla oblongata tritt das Bündel dieser Fasern in den Seitenstrang ein 
und kommt ventral von der absteigenden Wurzel des Trigeminus zu liegen. In 
Bezug auf diejenige Gruppe von Fasern, welche nach Eintritt in den Seitenstrang 
derselben Seite ihre Richtung rasch ändert, kann man folgende Schlüsse ziehen: 
1. Diese Fasergruppe, ihren Anfang in der grauen Substanz der Hinterhörner 
nehmend, muss zur Gruppe endogener Fasern zugezählt werden; 2. ein Theil 
dieser Fasergruppe degenerirt in aufsteigender, der andere in absteigender 
Richtung; 3. die Fasern dieser Gruppe müssen als zum System der kurzen 
Bahnen des Rückenmarks zugehörig angesehen werden. Was die Fasern an- 
betrifft, welche längs dem Sulc. longit. ant. angeordnet sind, so müssen sie zum 
System der commissuralen Fasern gerechnet werden, welche von Marie unter 
dem Namen „faisceau sulco-marginal ascendant et descendant“ beschrieben worden 
sind. Das Studium der Degeneration der Fasern, welche in den Gowers’schen 
Strang eingehen, erlaubt den wahrscheinlichen Schluss, dass der letztere, ab¬ 
gesehen von den endogenen gekreuzten Fasern, auch gekreuzte Fasern enthält, 
welche ihren Anfang aus den Zellen der Hinterhörner und aus dem centralen 
Theil der grauen Substanz des Rückenmarks derselben Seite nehmen. 

An der Discussion nehmen die Hrn. Korniloff, Prybitkoff und Minor Theil. 


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Die auf den 25. Mai 1901 anberaumte Sitzung fand wegen des am Vor¬ 
abend desselben Tages erfolgten Todes des Priv.-Doc. Dr. N. M. Wersiloff nicht 
statt. Dr. Wersiloff, ein überaus thätiges Mitglied der Gesellschaft, bekleidete 
einige Zeit lang die Charge des Vice-Secretärs der Gesellschaft. 

A. Bernstein. W. Murawieff. 


V. Mittheilung an den Herausgeber. 

Um die von Herrn v. Bechterew offenbar „mit viel Behagen“ aufgeworfene 
Prioritätsfrage Dinkler-Geigel endlich zu einem Abschluss zu bringen, erkläre 
ich hiermit, dass Herr v. B. darin Recht hat, die Arbeit von Geigel als die 
zuerst erschienene zu bezeichnen. Als Entschuldigung für die von mir ohne 
jede Prioritätsnebenabsicht — dass ich Prioritätsstreitigkeiten nioht hervorrufen 
wollte, geht wohl zur Genüge daraus hervor, dass ich in der betreffenden Mit¬ 
theilung an den Herausgeber meinen Namen als Autor garnicht genannt habe 
— geänderte Reihenfolge gebe ich an, dass ich meine Arbeit 1891 begonnen und 
meines Wissens im December 1891 an die Redaction der Deutschen Zeitsohr. f. 
Nervenheilk. abgeschickt, die Arbeit von Geigel erst im Februar 1892 (bei 
ihrem Erscheinen) gelesen habe. In wieweit hiernach Herr v. B.’s Anschuldigung 
(in der Fussnote), dass ich gleichsam Herrn Geigel’s Recht verkürzt habe, be¬ 
gründet ist, kann ich ruhig der Beurtheilung jedes Einzelnen überlassen; meine 
Arbeit ruhte längst vor Erscheinen der Geigel’schen im Schreibtisch der 
Redaction. — Ob es des weiteren berechtigt ist, bei der Beschreibung eines an¬ 
geblich neuen Phänomens auf neurologischem Gebiet die Durchsicht der 
Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde ganz zu unterlassen, wird 
Herr v. B. als besonders fruchtbarer Autor auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet 
selbst am besten entscheiden. jj r ])j n fcj er 

Oberarzt am Luisenhospital zu Aachen. 


VI. Neurologische und psychiatrische Litteratur 

vom 1. November bis 31. Deoember 1001. 


I. Anatomie. Pedaschenko, Mittelhirn bei Knochenfischen. Archiv f. mikrosk. Anat- 
LIX. Heft 2. — Dröseke, Centetes ecaudatus. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. X. Heft 6- 
— Mosse, Silberimprägnation. Archiv f. mikrosk. Anat. LIX. Heft 3. — Panse, Chro- 
matinfarbung. Centralbl. f. Bakteriologie. XXX. Nr. 21. — Stransky, Conservining von 
Faserfarbungen. Nenr. Centralbl. Nr. 21. — Kodis, Färbung des Centralnervensystems. 
Archiv f. mikrosk. Ant LIX. Heft 2. — Crisafulli, JI telencefalo degli Scyllii. Riv. di 
pat nerv, e ment. VI. Fase. 11. — MOhlmann, Veränderungen der Hirngefasse in ver¬ 
schiedenem Alter. Archiv f. mikrosk. Anat. LIX. Heft 2. — Bickel, Accessorischer Trige¬ 
minuskern. Ebenda. — Köster, Ursprung des N. depressor. Neur. Centralbl. Nr. 22. — 
v. Smlrno, Spinalganglienzellen beim Embryo. Archiv f. mikrosk. Anat LIX. Heft 3. — 
Huber, Neuroglia. American journ. of anatomy. I. Nr. 1. — Minot, Morphologie of pineal 
region. Ebenda. — Bruce, Motor nuclei in the spinal cord. Scott med. and surg. Journ. 
IX. Nr. 6. — v. Kölliker, Nervenzellenkern im Rückenmark der Vögel. Akadem. Anzeiger. 
XXV. — Levinsohn, Nervenendigungen in den äusseren Augenmuskeln. Graefe’s Archiv f. 
Ophthalmologie. IJU. Heft 2. — Ceni e Pastrovicb, Adattamento dellla cellula nervosa. 
Riv. sper. di Freniatr. fase. 3 u. 4. — Foukhanoff, Röseau endocellulaire de Golgi dans les 
ganghons spinauz. Revue neurol. Nr. 24. — La Pegua, Le cellule nervöse giganti etc. 
Ann. di neurol. Fase. 6. 

II. Physiologie. Neumann, E., Beziehungen der Nerven und Muskeln zu den Central¬ 
organen beim Embryo. Archiv f Entwickelungsmechanik. XIII. Heft 3. — Dendrines, 
Froschnerven in der Aethernarcose. Archiv f. Phys. LXXXVUI. Heft 1 u. 2. — Roth- 
mann, Monakow’sches Bündel beim Affen. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. X. Heft 5. — 
Bottazzi, Action du vague et du sympathique sur les oreillettes du cceur de l’Emys europ«a 
Arch. ital. de biologie. XXXVI. Fase. 2. — Förster, Physiologie und Pathologie der 
Coordination. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. X. Heft 6. — Sherrington, Localisation in 


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187 


raotor cerebral cortex. Brit. med. Joarn. Nr. 2139. — Münk, H., Sinnessphären in Gross* 
hirnrinde. Sitzung der KgL Akademie der Wissenschaften. XLVJUI. — v. Bechterew, Cor* 
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Wratsch. Nr. 43. — v. Cyon, Myogen oder Neurogen? Archiv f. ges. Phys. LXXXVIU. 

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Ebenda. — Fraser, Relations of the posterior longitudinal bündle and Deiters’ nucleus. 
Ebenda. — Thompson und 8aki)ewa, Flächenempfindung in der Haut. Zeitsohr. f. Psych. 
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December. 


VIL Vermischtes. 

Vom 15.—18. April wird zu Wiesbaden unter dem Vorsitse des Hrn. Geh. Med.-Rath 
Prof. Dr. Naunyn (Strassburg) der XX. Congrms für innere Medicin tagen. Als 
Verhandlungsgegenstände stehen anf dem Programme: Diagnose und Therapie des Magen¬ 
geschwürs (Referenten die Herren Ewald-Berlin und Fl ein er-Heidelberg) und: Die Lieht- 
therapie (Referent Herr Bie-Kopenhagen). — Ausserdem haben folgende Hrn. Einzelvorträge 
angemeldet: Kam in er (Berlin): Ueber die Beziehungen zwischen Infection und der Jod- 
reaction in den Leukocyten. — Ziemssen (Wiesbaden): Zwei Aortenaneurysmen. — Rumpf 
(Bonn): Zur Entstehung des Coma diabeticum. — Paul Lazarus (Berlin): Die BabnnngB- 
therapie der Hemiplegie. — Manasse (Karlsruhe): Ferratose und Jodferratose. — Köppen 
(Norden): Die tuberculöse Peritonitis und der operative Eingriff. — Po eh 1 (8t Petersburg): 
Der Ersatz der intravenösen Kocbsalzinfusionen durch Klysmen aus künstlicher physiologischer 
Salzlösung. — Ad. Schmidt (Bonn): Zur Pathologie des Magengeschwürs. — Pick (Prag: 
Ueber den Einfluss mechanischer und thermischer Einwirkungen auf Blutstrom und Gefässtonus. 

VIII. Personalien. 

Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. Georg Ilberg, ist an die neubegründete Kgl. 
Sä'-hs. Irrenanstalt zu Grossschweidnitz bei Loebau als Oberarzt und Stellvertreter des 
Directors versetzt wordeni Herr Dr. Ranniger wurde zum Oberarzt an der Irrenanstalt 
„■Sonnenstein“ befördert. Zum Director der neuen Anstalt zu Grossschweidnitz wurde Herr 
Oberarzt Dr. Kroll — bisher an der Epileptikeranstalt in Hochweitzschen — ernannt. 

IX. Berichtigung. 

Auf 8. 121, zweite Zeile v. u., sowie auf 8. 122 (Discussion) d. Centralbl. muss es 
statt „Skodczinski“ heissen: „Skoczyüski“. 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel, 

Berlin, NW. Scbiffbauerdamm 29. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzoke & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Henuugegeben von 


Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithfilfe von Dr. Kurt Mendel) 

Emvidzwanngster Berl,n ' Jahrgang. 








194 


I. Origmalmittheilungen. 


1. Zur pathologischen Anatomie der Tetanie gastrischen 

Ursprungs. 

Von Priv.-Doc. Q. J. RoMolimo in Moskau. 

Das klinische und allgemein-pathologische Interesse der speciellen Form 
allgemeiner Krämpfe, welche sich auf dem Boden der Magenerweiterung ent¬ 
wickeln, wie auch der in der Litteratur der Gegenwart bemerkliche, fast voll¬ 
ständige Mangel an positiven Ergebnissen der mikroskopischen Untersuchung des 
Nerven- und Muskelsystems lassen wohl unseren Wunsch vollkommen berechtigt 
erscheinen, über das bei der Untersuchung eines Falles aus unserer Klinik 1 er¬ 
haltene Material Bericht zu erstatten. 

Basil K., 43 Jahre alt, Universitätspedell, verheirathet, hat einen Sohn von 
9 Jahren; das erste Kind starb im Alter von l 1 /, Jahren, sonst hat seine Fraa 
keine anderen Kinder und auch keinen Abort gehabt Starker Alkoholmissbrauch 
hat bei dem Patienten nicht stattgefunden; kein Hinweis auf Syphilis. Patient 
leidet etwa 15 Jahre lang an einem Magenäbel, das seinen Ausdruck fand in der 
Unfähigkeit des Magens, gewisse Substanzen zu vertragen, in Neigung mit Uebel- 
keit und Erbrechen, in schlechtem Appetit, Verstopfung, seltener Durchfällen; die 
letzten Jahre hat er häufig Magenausspülungen angewandt und eine gewisse Diät 
beobachtet Am 21. December 1900 klagte er gleich am Morgen über Schwere 
im Kopfe, begab sich jedoch auf seinen Posten und verblieb daselbst bis 2 Uhr 
Nachmittags. Am Abend ass er gegen seine Gewohnheit eine Vinaigrette von 
Kartoffeln, Hering und Provenceröl, ferner Fischsuppe mit einem Stück Fisch 
(Hansen), Pilze und Kransbeerengeläe. Die Nacht darauf schlief er schlecht, 
wurde von Aufstossen, Sodbrennen und starken Magenschmerzen geplagt; machte 
sich selbst mittels Schlauches eine Magenausspülung (was er auch sonst in ähn¬ 
lichen Fällen zu thun pflegte) und nahm Soda ein. Am anderen Morgen 
(22. December) trank er 4 Tassen Kaffee und hatte */, Stunde darauf Erbrechen; 
über den Kopf hat er an diesem Tage nicht geklagt. Patient ist schwach ge¬ 
worden, sieht verfallen aus, bleibt den ganzen Tag im Bett liegen; am Abend 
Schwäche in den Händen, beginnender Kopfschmerz; beim Sprechen Schwer¬ 
beweglichkeit der Zunge. In der Nacht vom 22. auf den 23. December 
schlief er nicht; die Hände und Füsse wurden krampfhaft zusammen¬ 
gezogen, dabei bestand eine Empfindung, als wären die Extremitäten 
mit Stricken zusammengeschnürt; die Beweglichkeit der Bulbi verringert; 
reichlicher Schweiss; gegen 7 Uhr Morg. hörten die Krämpfe auf und es erschienen 
Delirien (nach den Angaben der Frau hat Patient etwas irre geredet). Am 


’ Die in unserem Falle zu Lebzeiten des Patienten beobachteten Ercheinungen sind 
ganz typisch und lassen zu dem, was in dieser Hinsicht über die in Bede stehende Krank- 
beitsform bekannt ist, wohl kaum etwas hinxufögen. Denjenigen, welche sich mit der Klinik 
und der allgemeinen Pathologie der auf gastrischen Störungen beruhenden Tetanie eingehend 
bekannt machen wollen, empfehlen wir mit besonderem Vergnügen die in russischer Sprache 
erschienene Arbeit von Dr. Tb. A. Geubikow: Ein Fall von Tetanie bei Magenerweiterung. 
Klinisches Journal. 1900. Nr. 2. 


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195 


28. December hat Patient den ganzen Tag Uebelkeiten und Erbrechen gehabt und 
über Kopfschmerzen geklagt Temperatur Morgens 37,2, Abends 37,0. In der 
Nacht vom 23. zum 24. December hat er wieder gar nicht geschlafen; Schmerzen 
im ganzen Körper und grosse Schwäche. Stuhlgang war die ganze Zeit Aber 
nicht erfolgt; Magenausspülungen wurden jeden Tag gemacht. 

A m 24. December, 4 Uhr Nachmittags, trat Patient in die Klinik ein mit 
Klagen über Uebelkeit, Erbrechen und Schmerzen in der Magengrube. Bei der 
ersten oberflächlichen Untersuchung des Kranken durch den Assistenten wurde 
oonstatirt: Die Sprache des Patienten zusammenhängend, logisch, etwas hastig; 
seine Antworten klar und bestimmt. In den Lungen und am Herzen nichts Ab¬ 
normes; Zwerchfellstand hoch. Bei vertikaler Stellung wurde mittels Percussion 
Vergrösserung des Magens (bis zum Nabel) festgestellt; kein Plätschergräusch. 
Der Kranke weist einen stark schwankenden Gang auf und hält sich mit Mühe 
im Gleichgewicht; sobald er die Augen schliesst, fällt er fast unmittelbar darauf 
um. Patellarreflexe lassen sich nicht auslösen. Scharf ausgeprägte Myosis; die 
Pupillen reagiren nicht. In liegender Stellung ist bei dem Patienten das Epi- 
gastrium eingesunken. Die Unterextremitäten adducirt; in den Beinen Schmerzen 
in Folge der Spannung. 

Der Kranke starb am Abend des 28. December, nachdem er in der Klinik 
4 Tage verbracht hatte, in deren Verlaufe die hauptsächlichsten Störungen stetig 
zogenommen hatten. Das Erbrechen von grünen Massen hörte schon am Ende 
des 1. Tag es auf. Das Schlucken war sehr erschwert, in Folge von progressiv 
zunehmendem Spasmus der Schlundmuskeln: mit Mühe konnten geringe Quantitäten 
von Flüssigkeit hinuntergeschluckt werden. Der Harn musste mit dem Katheter 
entleert werden, wobei täglich nicht mehr als 200 ccm Urins herauskamen, welcher 
ein specifisches Gewicht von 1,017 g hatte und enorme Mengen von Erweise ent¬ 
hielt, bei vollständigem Fehlen von Formelementen. Zucker war nicht vorhanden. 
Die allgemeine Erschöpfung des Kranken nahm von Stunde zu Stunde zu; immer¬ 
mehr trat eine cyanotiscbe Färbung, hauptsächlich des Gesichts und der Extremi¬ 
täten, hervor, der ganze Körper war beständig mit reichlichem Schweiss bedeckt. 
Der Puls, frequent und gespannt, wurde allmählich immer schwächer, Temperatur 
39° und einige Zehntel. Scharf ausgesprochene Reaction der Vasomotoren; die 
Athmung beschleunigt, oberflächlich. 

Vom 25. December an blieb der Kranke im Bette, wie angeschmiedet be¬ 
ständig auf dem Rücken liegend; die Unterextremitäten mit krallenförmig gebogenen 
Zehen gerade ausgestreckt, die Oberextremitäten in halber Beugung, die Finger 
stark flectirt. Scharf hervortretende Spannung aller Muskeln der Extremitäten, 
des Rumpfes, des Halses und des Gesichts; das stark verfallene Antlitz sah wie 
eine Maske aus: der Mund aufgesperrt, die Nasolabialfalten scharf m&rkirt, die 
Augenlider halb geschlossen, die Stirn von parallelen, horizontalen Falten durch¬ 
furcht, die Bulbi mit unbeweglich gerade nach vorn gerichtetem Blicke, dabei die 
Conjunctivae stark injicirt. Im Gesicht, in der Stellung des ganzen Körpers und 
im Zustande der Musculatur der Ausdruck einer gewissen Unruhe, welcher noch 
verstärkt wurde durch ein leichtes nystagmusartiges Zittern der Augäpfel und 
durch kurze klonische Zuckungen der Gesichtsmusculatur. Von Zeit zu Zeit stösst 
der Kranke exspiratorische kurze heisere Laute aus, seine Sprache wird mehr und 
mehr erschwert und unverständlich. Am 2. Tage des Aufenthalts des Patienten 
in unserer Klinik hin und wieder leichte Delirien, anscheinend Gesichtshallu- 
ein&tiouen; das anfänglich etwas verwirrte Bewusstsein wurde mit jedem Tage 
mehr getrübt, um einige Stunden vor dem Tode ganz zu erlösohen. 

Ausser den oben beschriebenen Erscheinungen seitens der Musculatur, d. h. 
dem ununterbrochen gespannten Zustande derselben, waren von Zeit zu Zeit An¬ 
fälle verstärkter Contraction zu bemerken, wobei die Athmung noch mehr stoss- 

18 * 




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196 


weise and oberflächlich vor sich ging and die Flexion der Extremitäten, hauptsächlich 
an den Händen nebst Fingern and an den Fassen nebst Zehen, sich steigerte. 
Passive Bewegungen, namentlich Extensionen, erwiesen sich bei der Untersuchung 
erschwert. Der Muskeltonus bedeutend erhöht Aeosserst scharf aasgeprägt war 
die Erhöhung der mechanischen Erregbarkeit: Ein leichter Schlag mit dem 
Percossionshammer löst eine langdanernde tonische Contraction eines einzelnen 
Muskelbündels oder anch eines ganzen Muskels aas; bei leichtem Beklopfen con- 
trahiren sich die Bauchmuskeln stark and erscheint der Leib eingezogen; der 
Muskelwall tritt reliefartig hervor. Besonders leicht lässt sich das Chw ostul.' sche 
Symptom hervorrufen. Das Tbousskau ’ sehe Phänomen fehlt vielleicht deshalb, 
weil schon ohnehin die Musculatur der Oberextremitäten nicht ans dem Zustande 
tonischer Spannung herauskommt 

Eine Contraction lässt sich erzielen bei einer durchschnittlichen Entfernung 
der Spiralen von 70 mm; 60 mm geben eine tonische Contraction, welche nach 
dem Sistiren des Stromes noch einige Minuten andauert und allmählich schwindet. 
Das ist hauptsächlich an den Muskeln des Stammes und der Oberextremitäten zu 
beobachten; an den unteren Extremitäten ist diese Erscheinung äusserst schwach 
ausgeprägt und am Qesicht fehlt sie ganz. 

Nach Beizung des Stammes des N. medianus durch einen auf der Höhe der 
Mitte des Oberarms applicirten schwachen Inductionsstrom wird die Beugung der 
Finger noch etwas verstärkt. 


Galvanische Erregbarkeit: 


Extensor carpi 

radialis dextri 8 KS bei 7 Elementen 0,8 M.-A. EL 

> A 

Biceps dext 


ii 

0,2 

ii 

n 

N. facialis sin. 



0,5 


n 

Masseter sin. 

.„ „9 


1,7 

I, 

ii 

Gastrocnemius 

dext.„ „ 7 


0,6 



Extensor carpi 

radialis . . Tetanus „18 

ii 

6 

ii i 



wobei der Tetanus während des Durchgangs des Stromes auf seiner Maximalstärke 
verharrt, dagegen beim Oeffhen der Kette rasch vergeht. 

Die Kniereflexe sind sehr schwach. Beim Beklopfen der Sehne des 
M. quadriceps erfolgt eine Contraction der Beugemuskeln des Unterschenkels. Der 
Achillessehnenreflex fehlt. 

Die Biceps- und Tricepsreflexe sind scharf ausgeprägt Der Unterkiefer¬ 
reflex fehlt. 

Die Fusssohlenreflexe sind schwach. 

Die Kremaster-, Scrobiculum- und Bauchdeckenreflexe fehlen. 

Die Pupillarreflexe sind sehr schwach. Ausgesprochene Myosis. Unter dem 
Einflüsse von Atropin erweitern sich die Pupillen stark. Darmausleerungen 
konnten künstlich nicht hervorgerufen werden und fanden auch spontan nicht statt 

Der Urin musste per Katheter entleert werden; Erectionen wurden nicht 
beobachtet 

Zu der Zeit, als der Eiranke noch bei Besinnung war und sich über seine 
Empfindungen mehr oder weniger klar Rechenschaft ablegen konnte, klagte er 
etwas über das Gefühl von Ameisenkriechen in Händen und Füssen. 

Die Empfindlichkeit des Schädels, der Wirbelsäule und der Nervenstämme 
war nioht erhöht. 

Die Hautsensibilität zeigte keine augenscheinlichen Störungen. 

Die Empfindlichkeit der Muskeln war nicht erhöht 

Seitens der höheren Sinnesorgane war nichts Besonderes zu constatiren. 
Augenhintergrond normal. 


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197 


Stark ausgeprägte Steigerung der Vaaomotorenreaction. Reichliche Schweiss- 
aecretion. 

Die Temperatur war die ganze Zeit gegen 39° und stieg am letzten Tage 
bis 40°. 

Autopsie 15 Stunden naoh dem Tode. 

Die Finger der Leiche im Zustande krallenformiger Beugung. Ausgesprochene 
blutige Imbibition der Rückenhaut. 

Bedeutende venöse Hyperämie der Gehirnhäute. 

Die Meningen und die graue Substanz des Rückenmarks im Zustande scharf 
ausgeprägter Hyperämie. Hypostase der Lungen. Die Leber ist klein, hyper- 
ämisch, auf dem Durchschnitte von dunkelblauer Farbe. Die linke Niere ver- 
grössert, cyanotisch, die Grenzen zwischen ihren Substanzen verwischt. Das Par¬ 
enchym der rechten Niere ist atrophisch, dazwischen kleine seröse Cysten; das 
erweiterte Nierenbecken, welches sich in Form eines bindegewebigen Sackes 
präsentirt, enthält einen grossen Oxalatstein. 

Die linke Herzkammer ist gut contrahirt, die rechte etwas dilatirt, der Herz¬ 
muskel hyperämisoh. — Der Magen ist stark erweitert, seine Schleimhaut mit 
einer reichlichen Menge Schleim bedeckt; stellenweise Erscheinungen von chronischem 
Katarrh. Der Pylorus ist verengt, für den kleinen Finger nicht durchgängig. 

Darmcanal und Harnblase bieten nichts Besonderes. Die Muskeln sind dunkel- 
Idrschfarben und äusserst leicht zerreisslich. 

Bei aufmerksamer Untersuchung des Pylorus erwies sich, dass die 
Verengerung seines Lumens von einer an seiner unteren Fläohe befindlichen 
derben, perlmutterfarbenen Narbe von länglicher Form herrtihrte. An gefärbten 
Querschnitten gelingt es zu sehen, dass dieses 2 mm dicke, derbe Gebilde aus 
compactem Bindegewebe besteht, das mit einer grossen Menge von alle Anzeichen 
obliterirender Endarteriitis aufweisenden Gefässen versehen ist, sowie auch mit 
einer bedeutenden Anzahl von Anhäufungen von Infiltrationselementen, welche 
bald in Form von Strängen gelagert sind, bald die Gefässe wie eine Muffe um¬ 
geben, bald endlich in kleinen Gruppen zerstreut liegen. Von der Narbe aus 
verlaufen nach der Tiefe der Muskelschicht hin viele bindegewebige Stränge, 
welche stellenweise in das subseröse Gewebe eindringen. Im Ganzen erinnert das 
BOd der anatomischen Veränderungen am Pylorus an ein umschriebenes gummösee 
Gebilde im Stadium der finalen Sklerose. 

Die Muskeln erwiesen sich sowohl während der Section, als auch beim 
Zerzupfen nach der Bearbeitung mit Formalin und mit MüLLBa’scher Flüssigkeit 
als äusserst brüchig; dennoch gelang es vollkommen, sie zu zerzupfen, und sie 
verhielten sich normal zu den Farbreagentien. 

Mikroskopisch konnte an den Zupfpräparaten und den Schnitten Folgendes 
festgestellt werden: 

Die Fasern von normaler, mehr oder weniger gleichmässiger Dicke; die 
Querstreifung schwach ausgeprägt, die Längsstreifung dagegen mitunter sehr 
deutlich; die Kerne der Sarkolemma stellenweise in vermehrter Anzahl und hin 
nnd wieder reihenweise in Form von Ketten gelagert. 

Die peripheren Nerven und die Wurzeln, die vorderen sowohl wie 
die hinteren, blieben gleichfalls nicht normal: neben normalen Markfasern trifft 
man an den mit Osmiumsäure gefärbten Zupfpräparaten an vielen Fasern in be¬ 
deutender Anzahl Stellen mit Myelinschwund, besonders zu beiden Seiten der 
RAirviKB’schen Einschnürungen, wobei hier die Färbung entweder schwach ist 
oder ganz fehlt, so dass das entblösste achromatische Netz deutlich hervortritt; 
gleichsam als Ersatz des geschwundenen Marks stösst man in den beschriebenen 
Faserabschnitten auf je ein oder einige dunkle, vollkommen runde und stark mit 
Osmium gefärbte Kügelchen. Die Letzteren treten an den nach Busch gefärbten 


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193 


Pr&paraten manchmal in Form der gewöhnlichen Markachollen degenerirender 
Fasern hervor, und besonders viele solcher Schollen sind auf den Quer- und 
Längsschnitten der Rückenmarks wurzeln zu sehen. Ebenso findet man in den 
nach der Formol-Methylen-Methode bearbeiteten Fasern, bei gut conservirten und 
richtig gefärbten Myelinkörnern, an den Einschnürungen an vielen Stellen dichte 
Kaufen von Körnern, welche bald hier, bald da die Gestalt echter Schollen an* 
genommen haben. In den am meisten veränderten Faserabschnitten zeigt sich 
auch der Axencylinder bald spindelförmig verdickt, bald korkzieherartig gewunden, 
wobei er sich mit Methylenblau gut färben lässt. 

In der weissen Substanz des Gentrainervensystems sind in bedeutender 
Anzahl Markschollen zerstreut, welche ohne regelmässige Vertheilung gleicherweise 
in den Formol-Methylen-, wie in den BuscH’sohen Präparaten zum Vorschein kommen. 

In den Zellen des Rückenmarks und des Gehirns finden sich zwar auch 
Veränderungen, jedoch sind sie bei Weitem nicht soharf ausgeprägt und nicht 
häufig; es sind viele normale Zellen vorhanden, etwaige Veränderungen bestehen 
entweder in Dislocation des Kerns oder in centraler Chromatolyse mit Zerstäubung 
der chromatophilen Körner; einige Zellen bieten das Bild totaler Zerstäubung des 
Protoplasmas dar, wobei manche dieser am meisten veränderter Zellen sich als 
von stark hyperämisirten Capillaren umgeben erweitern. 

Sowohl die bindegewebigen Septa in den peripheren Nerven, als auch 
die Glia des Centralnervensystems weisen keinerlei Veränderungen auf. 

Die Wandungen der Blutgefässe sind gleichfalls normal; seitens des 
Circulationsapparates kann man nur auf starke Injection der Venen und Capillaren 
hinweisen. 

Das waren also die Ergebnisse der histologischen Erforschung in unserem 
Falle von Tetanie gastrischen Ursprungs. Die Mittheilung derselben geschah 
hauptsächlich aus dem Grunde, weil die derzeitige Litteratur der Frage, so räch 
sie an klinischem Material ist, sehr dürftig ist in Bezug auf die Resultate ana¬ 
tomischer Forschung; in 30 früheren Fällen mit Sectionen waren die Resultate 
negativ ausgefallen, und nur in einem Falle, erst dem 31., der schon der Epoche 
einer feineren Untersuchung des Nervensystems angehört, und zwar in dem Falle 
von Ferranini \ wurden ausschliesslich die Zellen des Nervensystems betreffende 
Veränderungen constatirt, welche sehr an diejenige erinnern, die sich in unserem 
Falle ergeben haben. Was nun die peripheren Nerven und die Muskeln be¬ 
trifft, so ist es uns zuerst gelungen, überhaupt etwas Pathologisches an diesen 
Organen bei einem Menschen, der an gastrischer Tetanie gestorben ist, zu er¬ 
blicken. Allerdings bieten alle unsere Befunde nichts für diese bestimmte Form 
Charakteristisches; es sind annähernd dieselben Veränderungen, welche man 
auch bei anderen toxischen Erkrankungen findet (wir haben dabei auch die 
toxisch-infectiösen Fälle im Auge); aber gerade dieser ihr Charakter wird vielleicht 
dazu dienen, eine bestimmtere Ansicht über die gastrische Tetanie zur Geltung 
zu bringen, und zwar dass dieselbe als das Resultat einer Autointoxication des 
Organismus durch Producte des gestörten Chemismus bei erweitertem Magen 
anzusehen ist 


1 L. Fkrbaiuni, Histologische Veränderungen des Centralnervensystems und des Magens 
bei Tetanie des Magens. Centralbl. f. innere Medicin. 1901. Nr. 1. 


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199 


[An* dem hydrotherapeutischen Institut der Universität Berlin. 

(Leiter: Geh. Rath Prof. Bbibgeb.)] 

2. Ueber ein neues, der Tetanie verwandtes Krankheitsbild 
bei chronischer Bleivergiftung. 

Von Han s H&enel, Nervenarzt in Dresden. 

Das grosse Gebiet der Erampferscheiiumgen im Muskelapparat ist durch 
die Arbeiten der letzten Jahrzehnte so geklärt worden, dass man zur Zeit im 
Stande ist, eine bestimmte Anzahl wohl abgrenzbarer Krankheitsformen zu unter¬ 
scheiden. Der Tetanus, die Tetanie, Myotonie, die verschiedenen Tics, Beschäf- 
tägungskrämpfe u. s. w. sind so gut beschrieben und gekannt, dass man im ein¬ 
zelnen Falle selten im Zweifel sein dürfte, unter welcher Bezeichnung man 
denselben führen soll. Dass es, wie überall, auch hier Grenzformen und Ueber- 
gangsfälle giebt, mag ein Fall beweisen, den ich auf der Abtheilung des Herrn 
Geh. Raths Prof. Bkiegeb zu beobachten Gelegenheit hatte, und für dessen 
Ueberlassnng ich ihm meinen besten Dank ausspreche. 

Es handelt sich um einen 24jährigen Mann, von Beruf Schriftsetzer. In 
seiner Familie sind keinerlei Nervenkrankheiten, speciell kein dem seinen ähn¬ 
liches Leiden vorgekommen. Er stellt frühere Krankheiten, ebenso geschlecht¬ 
liche Infection in Abrede; zu trinken pflegte er 5 — 6 Glas Bier täglich. Er will 
nie an Eingeweidewürmern gelitten haben. Seit seinem 14. Lebensjahre ist er 
als Schriftsetzer thätig. Schon bevor sein jetziges Leiden auftrat, hat er häufig 
in unregelmässigen Zwischenräumen an Anfällen heftiger Leibschmerzen gelitten, 
die zuweilen so stark waren, dass er sich auf dem Boden winden musste; dabei 
war er einige Tage verstopft; erfolgte Stuhlgang, dann war der Anfall in der 
Regel vorüber. Seit 4 Jahren hat er ein hartnäckiges, trockenes Ekzem an 
beiden Unterschenkeln. 

Vor etwa 2 1 /* Jahren bemerkte Pat. die ersten Anfänge seiner jetzigen 
Krankheit, und zwar zuerst in den Fingern der linken Hand. Dieselben halten 
bei seiner Arbeit stundenlang in der gleichen Stellung den Setzerhaken um¬ 
schlossen, und Pat. bemerkte nun, dass sich dieselben manchmal unter Schmerzen 
unwillkürlich so fast um diesen zusammen krampften, dass er sie nicht frei¬ 
willig wieder öffnen konnte. Nach einiger Zeit beobachtete er, dass die Beine 
beim Stehen leiohter ermüdeten als sonst, besonders das linke, obwohl er dasselbe 
nicht stärker zu belasten pflegte, als das rechte, und dass sich in denselben, be¬ 
sonders in den Waden, ähnliche krampfartige Zustände einstellten; er war genöthigt, 
die Beinstellung beim Stehen öfters zu wechseln. Allmählich breiteten sich diese 
Krämpfe weiter aus, zuerst auf die Muskeln des Vorderarms, dann des Oberarms; 
dann auf die rechte Seite, und zwar dort auch zuerst in drei ersten Fingern, mit 
denen er die Lettern greifen musste; später auch auf die Muskulatur der Hüften und 
des Rumpfes, zuweilen auch des Nackens, hier fast ausschliesslich die linke Seite be¬ 
treffend. Auch die Häufigkeit der Krämpfe vermehrte sich; während sie Anfangs 
nur bei bestimmten Bewegungen oder beim Verharren in einer Lage sich zeigten, 
traten sie später bei jeder Stellung der Glieder auf, befielen regellos die einzelnen 
Muskelgruppen einer Extremität oder das gesamte Glied, wurden sehr schmerzhaft; 
Pat schildert die Empfindung dabei als das charakteristische Schmerzgefühl, das 


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auch der Gesunde von gelegentlichen Waden- oder Zehenkrämpfen her kennt. 
Häufig empfindet er ausser diesem Schmerz noch ein unangenehmes, in die Haut 
localisiertes Knebeln, aber stets nur bei den Anfällen. Besonders leicht kommt 
es zu Muskelkrämpfen, wenn er eine brüske, kräftige Bewegung maohen will, 
z. B. beim Stiefelanziehen, beim festen Händedruck u. s. w. Andererseits ist ihm 
aber ein mässiger Grad von Muskelaction angenehmer als völlige Buhe: in der 
horizontalen Lage, besonders Nachts im Bett, wird er jetzt oft von fast ununter¬ 
brochenen, in den einzelnen Muskeln sich ablösenden Krämpfen gequält, sodass 
sein Schlaf sehr gestört ist. Er steht lieber als dass er sitzt, beim langsamen 
Spazierengehen fühlt er sich relativ am wohlsten. Seit etwa 2 Jahren ist er in 
Folge dessen nur mit häufigen und langen Unterbrechungen arbeitsfähig; er .ist 
von vielen Seiten mit allerhand mechanischen, hydrotherapeutischen und medi- 
oamentösen Kuren behandelt worden, aber ohne wesentlichen Erfolg; einen vor 
einigen Monaten unternommenen Versuch, die Arbeit wieder aufzunehmen, musste 
er nach kurzer Zeit wieder abbrechen. Nie hat Pat. irgendwelche Lähmungen 
in den Armen oder Beinen bemerkt, nie dauernde Gefühlsstörungen, nie Bewusst* 
seinsstörungen. Das Allgemeinbefinden ist ein günstiges, der Appetit ist im 
Ganzen gut, nur leidet Pat. noch jetzt, nachdem er wieder über 2 Monate von 
Blei sich ferngehalten hat, an Unregelmässigkeiten der Verdauung, Verstopfung 
mit gelegentlichen heftigen Durchfällen abwechselnd. Erbrechen hat er nie gehabt. 
In der letzten Zeit hat er ab und zu auch geringe Beschwerden beim Kauen be¬ 
obachtet; Schlucken, Sprechen, Athmen ist stets ohne Störung gegangen. 

Stat. praes.: Mittelgrosser, genügend ernährter Mann von gesunder Gesichts¬ 
farbe, geringem Fettpolster und gut entwickelter Muskulatur. Die Sehschärfe ist 
normal, dessgleichen der Augenhintergrund; die Augen sind nach allen Seiten frei 
beweglich; die Pupillen, gleich weit, reagiren prompt auf Licht und Accommodation. 
Die Sensibilität im Gesicht ist normal; die Kaumuskeln contrahiren sich beim 
Zubeissen fest, können spontan leicht erschlafft und innervirt werden; lässt man 
gegen Pat. den Mund weit aufreissen, so kann er ihn nicht ebenso rasch wieder 
schliessen; man merkt dabei eine Anspannung der Muskeln am Mundboden (Genio- 
hyoideus, hyoglossus u. s. w.), die sich, auch nachdem der Mund geschlossen ist, 
noch hart und contrahirt anfühlen und erst nach einigen Secunden völlig er¬ 
schlaffen. Pat. hat im Oberkiefer nur 3 Incisivi. Am Zahnfleisch der beiden 
oberen Canini bemerkt man einen schmalen grauen Saum; an einem excidirten 
Gewebsstückchen von dieser Stelle sieht man unter dem Mikroskop feine schwarze 
Körnchen um die Papillenspitzen gelagert, die bei Behandlung mit Wasserstoff¬ 
superoxyd verschwinden und bei Schwefelwasserstoffzusatz zum Theil wiederkehren; 
dieselben bestehen also aus Schwefelblei (Rugb). Der N. facialis wird beider¬ 
seits gleichmässig innervirt; in den Gesichtsmuskeln zeigen sich keinerlei Krämpfe. 
Mechanisch, durch Beklopfen oder Streichen sind keine Zuckungen auszulösen, auch 
nicht durch Druck auf den Nervenstamm; die Verhältnisse bei elektrischer Reizung 
von Muskeln oder Nerv zeigen keine Besonderheiten. Gehör, ebenso wie Geschmack 
und Geruch, sind ungestört. Die Zunge wird gerade hervorgestreckt, lässt keine 
abnormen Bewegungserscheinungen erkennen. Die Thyreoidea ist vor der Trachea zu 
fühlen, ist weder verkleinert noch vergrössert. Die Organe von Brust und Bauoh 
sind ohne nachweisbare krankhafte Veränderungen, speciell fehlen alle Zeichen 
einer Ectasie oder sonstigen Erkrankung des Magens. Nirgends sind Drüsen¬ 
schwellungen zu fühlen. 

Die Musculatur ist am ganzen Körper gut entwickelt, nirgends atrophisch 
oder paretisch. Beobachtet man den nackt dastehenden Patienten eine Zeit lang, 
so sieht man, besonders am linken Arm, weniger am rechten, bald hier, bald da, 
einen Muskel oder eine Gruppe von solchen sich tetanisch oontrahiren und den 
zugehörigen Gliedabschnitt in die entsprechende Stellung ziehen. Die Stellung 


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wird dum längere oder kürzere Zeit, einige Secnnden bis 6 Minuten und länger 
beibehalten und kann activ nicht, passiv nur unter Ueberwindung eines erheb¬ 
lichen Widerstandes und unter Schmerzen, manchmal auch gar nicht, geändert 
werden. Die proximalen Muskeln, Deltoideus, Pectoralis u. s. w. sind dabei ebenso 
K&nflgr ergriffen, wie die distalen, die Beuger ebenso häufig, wie die Strecker. 
Eine Bevorzugung der dem N. uInaris angehörigen Muskeln und Entstehung der 
„Gebnrtshelferhand“ kommt so gut wie nie zu Stande; wenn eine Gruppe bevor¬ 
zugt ist, so ist es zur Zeit die Muskulatur der linken Schulter. Fordert man 
Pst. auf^ die Hände zur Faust zu ballen, so kann er dieselben nur mühsam und 
langsam, ruckweise, wieder öffnen, die linke hat dabei constant grössere Schwierig¬ 
keiten als die rechte. Dieses Verhalten erinnert sehr an das bei Myotonie; es 
ist aber bei rascher Contraction in den Finger- und Handstreokern dasselbe; es 
gtöset dann die Beugung auf den gleichen Widerstand; desgleichen in Oberarm- und 
Schnltermuskeln; die Musculatur des Nackens und Halses soheint in dieser Beziehung 
frei zu sein. In den Beinen bemerkt man beim Stehen und Gehen wenig Abnormes, nur 
fällt zuweilen eine starke Flexion der grossen Zehe auf; sowie Pat. aber einige Minuten 
Hegt, treten ohne äussere Beize ausgedehnte Krämpfe auf, die den Fuss bald in 
extreme Plantarflexion mit Einschlagen der Zehen, bald in Dorsalflexion bringen, 
das Knie beugen oder strecken, den Oberschenkel nach innen oder aussen bis 
in die Endstellung rotiren. Die contrahirten Muskeln springen in scharfen Con- 
turen hzollenartig hervor und fühlen sich steinhart an. Auch hier Bind die distalen 
Gruppen kaum stärker als die proximalen betroffen. Häufig sieht man, besonders 
im Quadriceps, rasch hintereinander folgende, kleinere, fruBtiane Contractionen, 
ohne deutlichen oder mit nur geringem motorischen Effect, so dass eine Art 
Moskelwogen entsteht, wie es Schultzb unter dem Namen Myokymie beschrieben 
hat. Wie im Arm, so sind auch im Bein die Krämpfe links heftiger und an¬ 
haltender als rechts. An den Rumpf- und Rückenmuskeln ist äusserlich nichts 
Abnormes zu sehen; doch hat Pat in denen der linken Seite oft ähnliche Sensationen 
als in denen der Extremitäten; Bteht er vom Stuhl a'nf, so sieht man, dass con¬ 
stant die rechte Seite vorangeht, die linke etwas nachfolgt, so dass Pat mit einer 
leichten, sich rasch ausgleichenden rechts-convexen Skoliose aufsteht. Führt Pat. 
eine der ihm schwer fallenden Bewegungen, z. B. das Schliessen und Oeffnen der 
Faust, mehrmals hintereinander aus, so erfolgen die letzten Bewegungen ebenso 
gehemmt, eher noch schwieriger, wie die ersten, jedenfalls wird dadurch keine 
Erleichterung erzielt, wie in den typischen Fällen von Myotonie. Druck auf den 
Sulc. bicipit intern, ruft prompt einen Krampf des Arms hervor; doch sind auch 
andere Nerven, besonders der N. ulnaris, sowie die einzelnen Muskeln schon durch 
geringen Druck, manchmal schon durch blosses Darüberstreichen, in tetanische 
Contraction zu versetzen, die sich meist von dem gereizten Muskel auch auf ent¬ 
ferntere, selbst mit Ueberspringung der benachbarten, ausbreitet (z. B. von den 
Streckern am Vorderarm auf den Deltoideus oder Pectoralis), Ein Uebergreifen 
auf die gegenüberliegende Seite war ebenfalls zu beobachten; oft war es indessen 
schwer, zu sagen, wb der Krampf dort ein spontaner oder ein durch absichtliche 
Reizung hervorgebrachter war. Bei Beklopfen mit dem Percussionshammer ist 
die Zuckung schwerer zu erzielen als der Tetanus beim Comprimiren; die Erreg¬ 
barkeit für diesen Reiz ist jedenfalls nicht gesteigert, auch die idiomuskuläre 
Welle ist nicht erhöht. Die Sehnen- und Periostreflexe sind nicht erhöht. 
Der Zehenreflex ist plantar; Kremaster- und Bauchreflexe lebhaft. 

Die Verhältnisse bei der elektrischen Untersuchung sind nicht leicht fest- 
znstellen wegen der zahlreichen und langdauernden spotanen Krämpfe, sobald das 
Glied einige Zeit in einer bestimmten Stellung gehalten wird. Wird ein Muskel 
in einem Zustande völliger Erschlaffung gereizt, — worauf man oft längere Zeit 
warten muss, — so ist die Zuckung die ersten paar Male eine prompte, beim 


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galvanischen Strom blitzartig, beim faradischen mit der Oefihung des Stromes 
anfhörend; jedenfalls sind die Merkmale der Ejuj’schen MyR nicht gegeben. 
Schon nach wenigen Zuckungen stellt sich aber bei beiden Stromarten eine maxi¬ 
male tetanische, die Reizung lange überdauernde und erst langsam abklingende 
Contraction ein, die dann ebenfalls nicht auf den gereizten Muskel beschrankt 
bleibt, sondern sich auf benachbarte und entfernte ausbreiten kann. Die Erreg¬ 
barkeit für den galvanischen Strom ist, abgesehen von diesem Krampf, nicht 
gesteigert, eher herabgesetzt; bei directer faradiseher Reizung tritt aber die 
Zuckung schon bei einem Rollenabstand ein, der beim Gesunden noch keine 
Zuckung hervorruft; die faradische Erregbarkeit ist also gesteigert Die elek¬ 
trischen Erregbarkeitsverhältnisse der Nerven sind ebenfalls schwer zu beurtheilen, 
weil bei deren Prüfung ein mechanischer Reiz durch den Druck der Elektrode 
noch schwerer, als bei der Muskelreizung zu vermeiden ist und oft sohon das 
Aufsetzen derselben bei geöffnetem Strom genügte, um die Muskeln in Contrac¬ 
tion zu bringen. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes sohien eine erhöhte 
Erregbarkeit für den galvanischen Strom nicht zu bestehen. Arm und Bein ver¬ 
hielten sich in dieser Hinsicht gleich, auch zwischen reohter und linker Seite 
war kein verwerthbarer Unterschied festzustellen. Die mechanische Erregbarkeit 
der sensiblen Nerven schien, soweit die subjectiven Angaben hierüber ein Urtheil 
zulassen, erhöht zu sein (periphere Parästhesieen bei Druok auf den Ulnaris). 
Objective Sensibilitätsstörungen fehlten. 

Der Kranke wurde einer Behandlung mit Lichtbädern und darauffolgenden 
milden Halbbädern unterzogen, ohne bisher eine merkliche Veränderung angeben 
zu können. Hinzugefügt sei noch, dass Herr Dr. Zülzke, welcher die Güte hatte, 
den Pat der Anstalt zu überweisen, nachdem er ihn vorher selbst behandelt und 
auch im Verein für innere Medicin als eine der Myotonie nahestehende Krank- 
heitsform vorgestellt hatte, bei demselben Stoffwechseluntersuchungen vorgenommen 
hatte, die eine Vermehrung der Harnsäure und ein normales Verhalten der Kreatin¬ 
ausscheidung ergeben hatten; ein der Wade probeweise entnommenes Muskelstück 
wurde bei mikroskopischer Untersuchung normal befunden. Herr Dr. Löwbnthal, 
Volontärarzt des Herrn Geh.-Rath Bhibgeb, hatte das Blut des Pat auf die bei Blei¬ 
vergiftung so häufig gefundenen basophilen Granula der rothen Blutkörperchen 
untersucht; dass dieselben fehlten, ist wohl darauf zurückzuführen, dass Pat. schon 
seit mehreren Wochen nicht mehr mit Blei in Berührung gekommen war. 

Fassen wir den vorstehenden Befund zusammen, so sehen wir, dass bei 
einem Schriftsetzer unter dem Einfluss einer chronisohen Bleivergiftung (Koliken, 
BleiBaum) sich eine chronische, progressive Erkrankung im Muskelsystem ent¬ 
wickelt hat, die in fast continuirlichen, bei geringen äusseren Reizen oder bei 
heftigeren Bewegungen, aber auch bei völliger Ruhe entstehenden, schmerz¬ 
haften, titanischen Contraotionen der verschiedensten Muskelgruppen besteht 
Die linke Seite incL Rumpf ist früher betroffen worden und jetzt nooh stärker 
befallen als die rechte; Kopf und Gesicht sind bis auf die Mundöffner frei, 
ebenso, abgesehen von geringen Parästhesieen, die sensible Sphäre und das - 
Sensorium. 

Welcher der bekannten Krampfformen soll man dieses Krankheitsbild zu¬ 
rechnen? Am nächsten steht dasselbe wohl der Tetanie: wir haben wie bei 
dieser die bei voll erhaltenem Bewusstsein auftretenden Anfälle schmerzhafter 
tonischer Muskelcontractionen, die Auslösbarkeit der Krämpfe durch Druck auf 
die peripheren Nervenstämme, das, wenigstens zu Beginn der Erkrankung, vor- 


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wiegende Befiülensdn der peripheren Gliedabechnitte, vielleicht auch die Ueber- 
erregbarkeit der sensiblen Nerven (HoFFMANN’sches Symptom). Dagegen be¬ 
stehen auf der anderen Seite doch sehr wesentliche Unterschiede von dem 
typischen and in der Regel so gesetzmässigen Bilde der Tetanie. Es fehlt vor 
Allem das sog. CHwosTBK’sche Symptom, die gesteigerte Erregbarkeit des N. fa¬ 
cialis, das als so constant gilt, dass man aas seinem isolirten Auftreten ohne 
die charakteristischen Krämpfe schon in manchen Fällen die Diagnose auf 
Tetanie stellen za können behauptet hat Es fehlt das als fast pathognomonisch 
bezeichnete bilateral-symmetrische Auftreten der Krämpfe und das ebenso 
regelmässige Vorwiegen der Beuger und kleinen Handmoskeln, das zur be¬ 
kannten „Geburtshelferhand“ fährt Frankl - Hoch wart , der die Litteratur 
der letzten 2 Jahrzehnte wohl vollständig überblickt, sagt direct, dass eine 
Streckung der Finger im Krampfe kaum je vorzukommen scheine; bei un¬ 
serem Falle konnte diese Haltung nicht selten beobachtet werden. Es fehlt die 
gieichmä8sige, von den Fingern centripetal fortschreitende Ausbreitung der 
Krämpfe, an deren Stelle bei uns eine vollständige, sprungartige Regellosigkeit 
herrscht Oberschenkel und Hüfte, die bei der Tetanie nur ausnahmsweise er¬ 
griffen werden, sind hier in ebenso hohem Grade Sitz der Krämpfe wie die 
Fussmuskeln. In seltenen Fällen kann bei Tetanie durch Betheiligung der 
Kaumuskeln eine Andeutung von Kieferklemme hervorgerufen werden; in unserem 
Falle sind die Kaumuskeln trotz der enormen Ausbreitung der Krämpfe frei, 
dagegen die Mundöflher befallen, was bisher in keinem Falle von Tetanie erwähnt 
wurde. Ferner besteht bei Tetanie eine charakteristische Veränderung der elek¬ 
trischen Muskelerregbarkeit, besonders Steigerung derselben für den galvanischen 
Strom. Bei uns war diese eher herabgesetzt, dagegen die faradische Erregbar¬ 
keit fraglos etwas erhöht Aus der verschiedenen Wirkung der beiden Strom¬ 
arten geht auch hervor, dass die Erregbarkeitssteigerung nicht etwa auf eineu 
verminderten Leitungswiderstand der Haut zu beziehen ist Vor Allem wäre 
bei Tetanie etwas Unerhörtes die eminent chronische Entwicklung des Leidens. 
Fbankl-Hochwabt kennt Fälle, wo sioh Jahre lang Recidive wiederholten, 
durch Monate lange Pausen getrennt; „wirklich chronische Tetanie aber mit 
Monate langen täglichen Anfallen dürfte ein ausserordentlich seltenes Vorkomm¬ 
nis sein.“ In unserem Falle handelt es sich dagegen, wenn man so sagen darf, 
um einen seit über 2 Jahren ist ununterbrochen anhaltenden Anfall. An 
jener Stelle erwähnt Fbankl-Hochwart allerdings, dass das CHVOSTBK’sche 
Phänomen u. A., und besonders manchmal in sonst sicheren chronischen Fällen, 
fehlen kann; unser Fall ist aber, wie wir schon gesehen haben, keinesfalls 
„sonst sicher.“ — Weiter verdient die Aetiologie berücksichtigt zu werden. Bei 
der gewöhnlichen Tetanie kennen wir eine ganze Reihe sicherer ätiologischer 
Momente (8childdrüsenmangel, Magenerkrankung, Laotation, locale und Berufs¬ 
verhältnisse u. s. w.), von denen keines hier vorliegt Unter den Intoxicationen 
wird Blei von Fbankl-Hoohwabt auch erwähnt auf Grund von nur 2 Fällen 
(Go webs, Letullb), von denen es bei dem einen noch nicht einmal sicher 
stand, ob er nicht hysterischer Natur war. Von Jaksch ist bei den Folgen der 


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chronischen Bleivergiftung Tetanie oder eine ähnliche Muskelerkrankung nicht 
erwähnt In unserem Falle kann bei dem sonstigen guten Allgemeinzustand 
und dem Nachweis von Blei im Körper kaum eine andere Ursache in Betracht 
kommen. 

Bei diesen nicht unwesentlichen Verschiedenheiten von der Tetanie darf 
man sich in unserem Falle also fragen, weloher von den anderen Muskelkr&mpfen 
etwa noch in Betracht kommen könnte. Das eine in die Augen springende 
Symptom — Unfähigkeit, die geschlossene Hand rasch zu öffnen — könnte, 
wie schon erwähnt, den Gedanken an Myotonie nahe legen. Dass diese hier 
keine „congenita“ ist, brauchte uns ohne Weiteres nicht irre zu machen; Talma 
hat Fälle beschrieben unter dem Titel: Myotonia acquisita, bei denen unter 
verschiedenen äusseren Ursachen — unter denen sich allerdings Blei nicht 
findet — die wesentlichsten Zeichen der echten, angeborenen Myotonie sioh 
nach weisen liessen. Diese fehlen aber bei unserem Falle sämmtlich, besonders 
vermisst man die pathognomonische MyB und die Erleichterung der Bewegung 
nach mehrmals wiederholter Ausführung; und das Symptom der „myotonisohen 
Hand“ kommt bei so verschiedenen Krankheiten vor, — ausser bei Hysterie, 
multipler Sklerose, Syringomyelie, spinaler Muskelatrophie ist es besonders auch 
bei echter Tetanie (Schulze, Kaspabek) beschrieben worden —, dass auf dieses 
allein die Diagnose unmöglich zu begründen ist 

Wenn wir uns sonst in der Litteratur nach Krankheitsbildern ähnlich dem 
von uns beobachteten und mit gleicher Aetiologie Umsehen, so finden wir sehr 
wenige Angaben. Stewabt beschreibt als „Bleiconvulsionen“ das gelegentliche 
Auftreten von isolirten Zuckungen einzelner Muskeln. Rehak erwähnt bei Be¬ 
sprechung der Bleilähmung in Eulenbubg’s Realencyklopädie, dass bei derselben 
selten auch fibrilläre Zuckungen beobachtet werden. Gowebs spricht von paroxysmal 
auftretenden, tetanieartigen Krämpfen bei Bleivergiftung. In den von Kny beschrie¬ 
benen Fällen bestand eine Steigerung der directen Erregbarkeit für beide Strom¬ 
arten mit Nachdauer der Contraction nach kurzer KSZ und schmerzhaften spon¬ 
tanen Contractionen bei einem Myoclonus fibrillaris multiplex bezeichneten 
Krankheitsbilde; von Blei wird dabei unter den ätiologischen Momenten nichts 
erwähnt Beachtung verdient dagegen die Erkrankung, die Schultzb vor 
6 Jahren zuerst als Myokymie beschrieben hat; bei derselben besteht ausser 
einem continuirlichen starken Wogen eine Veränderung der Muskelthätigkeit 
derart, dass bei kraftvoll ausgeführten Bewegungen schmerzhafte asymmetrische 
Crampi auftreten; die mechanische Erregbarkeit der Muskeln, auch der vom 
Facialis versorgten, ist nicht erhöht, dagegen erzeugt eine Faradisation der 
Gastrocnemii schon bei schwachen Strömen einen exquisiten Tetanus mit minuten¬ 
langer Nachdauer. Die Aehnlichkeit dieser Schilderung mit manchen Punkten 
unseres Falles ist ersichtlich; betreffs der mechanischen Erregbarkeit sei nooh 
besonders darauf hingewiesen, dass Druck auf die gesammte Muskelmasse bei 
uns eine andere Wirkung hervorbrachte als das gewöhnlich bei der Untersuchung 
geübte Beklopfen mit dem Hammer; obwohl Beides mechanische Reize sind, 
war die Erregbarkeit für den ersteren gesteigert, für den letzteren nicht Da 


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8chultze nicht gpeciell erwähnt, ob er auch die Compression der Muskeln in 
toto ausgeftbt hat (das TiioussEAu’sche Symptom fehlte in seinen Fällen), so ist 
immerhin möglich, dass für diesen Reiz eine erhöhte Erregbarkeit wie in unserem 
Falle bestanden haben mag. 

Die Frage nach der Aetiologie lässt Sohultze offen; da ist nun für uns 
eine Arbeit von Bubbb von grossem Interesse. Derselbe beobachtete einen Maler, 
bei dem an den oberen Extremitäten ausgesprochene Bleilähmung bestand, 
während die nicht gelähmten Muskelgebiete, besonders die Beine (Waden), auch 
Rumpf und Triceps, eigenartige, krampfhafte Bewegungsstörungen zeigten, die 
er nicht ansteht, als Myokymie zu bezeichnen. Es bestanden nämlich häufige, 
spontane Zusammenziehungen der Muskeln, manchmal geringfügig, ohne Be¬ 
wegungseffect und schmerzlos, häufig sehr schmerzhaft, wenn die Contraction 
so stark wurde, dass sie einen motorischen Effect erzielte; es bildeten sich dabei 
harte Knollen in den Muskeln, die sich nur langsam wieder ausglichen. Beson¬ 
ders häufig und schmerzhaft traten die Krämpfe in den Beinen beim Liegen 
auf der Seite auf, genau wie bei unserem Patienten, störten desshalb auch die 
Nachtruhe. Die mechanische Erregbarkeit wird als gesteigert angegeben (an¬ 
scheinend nur durch Beklopfen geprüft). Bei elektrischer Prüfung zeigte sich 
eine Steigerung der galvanischen und faradischen Erregbarkeit, die bei directer 
Reizung oft zu nachhaltigem, auch nach Absetzen der Elektrode noch fort¬ 
bestehendem Tetanus führte. Verf. bezeichnet diese Erscheinung als myotonische 
Reaction. Die Krankheit bestand in diesem Falle seit 2 Jahren mit Unter¬ 
brechungen. 

Hier haben wir also einen Fall, in dem das Blei eine offensichtliche 
Schädigung des Nervensystems hervorgerufen hatte: einmal in der Form der 
gewohnten peripheren Lähmnng, zweitens in der ungewöhnlichen Form von be¬ 
stimmt charakterisirten Muskelkrämpfen in den nichtgelähmten Partieen, die 
mit denen in unserem Falle in den wesentlichsten Punkten übereinstimmen. 
Hat dort also das Blei Lähmungen und periphere Krämpfe erzeugt, so ist es 
nicht fernliegend, anzunehmen, dass es unter Umständen auch einmal diese 
Krämpfe allein ohne die Lähmungen veranlassen kann; und damit würde sich 
unser Fall den bereits bekannten Folgen der Bleivergiftung anreihen, eine spe- 
cielle Form derselben in reinster und gleichsam ins Hypertrophische gewachsener 
Ausbildung repräsentiren. — Auf eine Analogie mit der Bleilähmung sei hier noch 
hingewiesen: diese betrifft bekanntlich die stärker angestrengte Hand in der 
Regel zuerst und auch bei voller Ausbildung ist gewöhnlich der zuerst befallene 
Arm auch der am schwersten erkrankte. In unserem Falle hat genau dasselbe 
stattgefunden: in den Muskeln, die durch dauerndes Halten des Setzerhakens 
am stärksten in Anspruch genommen waren, setzte die Erkrankung ein und hat 
diese Seite dauernd bevorzugt; auch rechts befiel sie zuerst die 3 Arbeitsfinger. 
Ob das stärkere Befalleusein des linken Beins ebenfalls auf stärkere Inanspruch¬ 
nahme desselben znrüokgeführt werden kann, ist nicht sicher; in der Regel bildet 
sich bei Leuten mit stehender Beschäftigung die Gewohnheit aus, unbewusst ein 
Bein stärker zn belasten als das andere, so dass die Angabe des Pat, er habe 


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beide Beine gleichmässig gebraucht, nicht ohne Weiteres den Th&tsachen zu 
entsprechen braucht. 

Die Frage, ob etwa das Antimon, das in den Lettern ja ebenfalls in nicht 
geringer Menge enthalten ist, eine Erkrankung wie die vorliegende erzeugen 
könne, wird kurz zu erledigen sein. Das Antimon steht in seinen toxischen 
Wirkungen dem Arsen näher, als irgend einem anderen Metallgifte: die acute 
Vergiftung erzeugt Erbrechen, starke Diarrhöen, Albuminurie; die chronische 
Vergiftung ist selten und nach Jaksoh noch nicht einwandfrei beschrieben; sie 
erzeugt ebenfalls der chronischen As-Vergiftung ähnliche Symptome, vor allen Dingen 
intestinale, dazu Abmagerung, Nierenentzündung; die nervösen Erscheinungen 
treten zurück, wenn auch hie und da Delirien, Tremorerscheinungen und Waden¬ 
krämpfe beobachtet worden sind. Eine Untersuchung von Ciechanowski über 
die Verkeilung des Antimons in den Organen damit vergifteter Thiere ergab, dass 
dasselbe sich hauptsächlich in der Niere und der Leber findet, erst nach längerer 
Zeit in Lunge, Herz und Muskeln, zuletzt in Spuren auch im Gentrainervensystem. 
Vom Blei kennen wir aber seit langem und fürchten wir seine besondere 
Affinität zum peripheren und centralen Nervensystem, und Mabsden und Ab&am 
haben dafür auch den anatomisch-chemischen Nachweis geliefert 

Ueber den Angriffspunkt des Giftes, den eigentlichen Locus morbi, können 
wir in unserem Falle natürlich nur Vermuthungen hegen. Der Gesammt- 
eindruck ist entschieden der einer Erkrankung der Muskeln selbst Das von 
Herrn Dr. Zülzer untersuchte excidirte Muskelstück hatte indessen keine Anomalien 
erkennen lassen. Nun ist aber auch bei der Tetanie das äussere Bild das einer 
Muskelaffection, und doch kommt Frankl-Hochwabt bei der Würdigung der 
pathologisch-anatomischen Befunde, wenn sie auch spärlich und wenig ergiebig 
sind, zu dem Resultat dass am wahrscheinlichsten eine Erkrankung der Vorder¬ 
hörner des Rückenmarks der Tetanie zu Grunde liegt Aus dem Vorkommen 
einer Poliomyelitis anterior chronica saturnina wissen wir, dass das Blei die 
Vorderhörner ebenso schädigen kann, wie die peripheren Nerven und das Ge¬ 
hirn; so ist es wohl möglich sich vorzustellen, dass diese Schädigung unter be¬ 
stimmten Verhältnissen einmal statt zu degenerativen Atrophieen zu tetanie¬ 
ähnlichen Erscheinungen führen mag. 

Mit welchem Namen die Erkrankung in dem vorstehenden Falle zu be¬ 
legen wäre, muss unbestimmt bleiben; da sie in keines der bekannten Bilder 
ganz passt und zur Erfindung eines neuen Namens eine Veranlassung nicht im 
mindesten vorliegt, mag es genügen, zu sagen, dass der Fall eine zwischen 
Tetanie und Myokymie in der Mitte stehende Krankheit darstellt, deren haupt¬ 
sächlichste Bedeutung darin erblickt werden mag, dass sie dem schon so mannig¬ 
faltigen Bilde der durch chronische Bleivergiftung hervorgerufenen Nervenkrank¬ 
heiten eine neue Form hinzufügt. 


Litteratur. 

Bübeb, Neurolog. Centralbl. 1897. Nr. Iß. — Cibchahowbki, Annalea d'hygiene pabl. 
1898. — Eulxhbuhg, Artikel „Tetanie“ in a. Realencydopidie d. ges. Heilk. — Feajckl- 


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207 


Hochwahx, Spec. Path. a. Ther., herausgegeben von Nothnagel. XI, 2. — Gowbbs, Handbuch 
der Nerven kraokh. IIL — Den., Lance t. July 1888. — Hofvmann, Neuro log. Centralbl. 
1895. Nr. 6. — Jaksob, Spec. Path. u. Ther., herausgeg. von Nothnagel, I. — Kaspabbk, 
Wiener klin. Wochenschr. 1890. — Kny, Archiv f. Psych. XIX. — Mabsden und Abbau, 
Lancet. 1897. Januar. — Rshak, Artikel „Bleilähmung“ in Eulbnbubg’s Realenoyclopädie 
d. ges. Heilk. — Rüge, Deutsches Archiv f. klin. Med. LVIII. — Sohtjltzb, Deutsche 
Zeitachr. t Nervenheilk. 1895. — Ders., Berliner klin. Wochenschr. 1874. — Stbwabt, 
Amer. Journ. of Med. Sciences. CIX. Heft 8. — Talma, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 
1892. — ZCleeb, Ref. in d. Deutschen med. Wochenschr. 1901. 14. Nov. 


3. Die Färbung des Nervensystems mit Magentaroth. 

Von Dr. P. Zosin, Rumänien, 

Volontär-Assistent der psychiatr. und Nerven-Universitätsklinik in Berlin. 

Bei den Versuchen zur Färbung mit Magentaroth der zur Weigert’- und 
PAL’8chen Markscheidefärbung vorbereiteten Schnitte habe ich gute Resultate 
erzielt. 

So viel ich weiss, hat Nissl Magentaroth für die Färbung der Ganglien¬ 
zellen angewandt, ohne aber dieselben Erfolge wie mit Methylenblau zu erhalten. 

Ich habe gefunden, dass die Färbung mit Magentaroth nach Härtung der 
Stücke in MüLUBB’scher Flüssigkeit dieselben schönen Resultate wie van Gieson’s 
Methode erzielen lässt, die Untersuchung der verschiedenen Elemente des Nerven¬ 
systems sowie die hierselbst stattgefundenen pathologischen Veränderungen ge¬ 
stattend. So glaube ich, dass es nützlich wäre, diese neue Methode hiermit der 
Oeffentlichkeit zu übergeben. 

Die der Färbung unterworfenen Stücke erfahren folgende Behandlung: 

1. Härtung in MüLLBB’scher Flüssigkeit. 

2. Einbettung in Celloidin. 

9. Einlegen in Alkohol. 

4. Schneiden. 

5. Färben 20 Minuten bis 1 Stunde mit 1% Magentaroth. Die Schnitte 
werden roth. 

6. Abspülen in Wasser, eventuell können die Schnitte bis zu 1 / 2 Stunde 
in Wasser bleiben. 

7. Abspülen der Schnitte in Alkohol absolut., bis keine Farbwolken mehr 
abgehen und die graue Substanz durch rothe Färbung sich von der gelben 
Marksubstanz deutlich abgrenzt. 

8. Xylol, Canadabalsam, Deckglas. 

Die Präparate bieten beinahe denselben Anblick wie diejenigen nach van 
Gisbon ’s Methode dargestellten. Markscheide ist gelb, Axencylinder braun, 
Kerne br&unroth, das sklerotische Gewebe und Glia violettroth und Ganglien¬ 
zellen roth. 

Ein Vortheil dieser Methode gegenüber der van GiEsoN’schen wäre, ausser 
der deutlicheren Färbung, noch die Thatsache, dass sie viel einfacher und 
schneller ist. 


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4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau). 

Von S. Qoldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Beobachtung II. Der zweite damalige Fall betraf den 27jährigen 
kräftigen Mann, Rubin W., bei dem sich die paretischen Erscheinungen im Laufe 
von 2 Wochen entwickelten. Zuerst waren die Arme ergriffen, dann die Ober¬ 
schenkel, der Rumpf (namentlich die Nacken- und Bauchmuskeln) und dann trat 
Ermüdung heim Kauen ein. Bedrohlicher Collaps mit dyspnoischer Athmung. 
Die dem Rumpfe näher gelegenen Abschnitte der Extremitäten erwiesen sich be¬ 
sonders afficirt. Sohnelle Ermüdbarkeit bis zur vollständigen sohlaffen Lähmung 
der afficirten Gebiete, Wiedergewinn der Functionsbreite naoh Ruhe. Ermüdung 
einer Extremität bleibt ohne Einfluss auf andere Muskelgebiete. Unterer Facialis 
beiderseits paretisch. Ermüdung und Dyspnoö beim Sprechen, die Stimme wird 
leise. Stetige Fluctuation der Symptome, Wechsel an Intensität von Tag zu Tag, 
auch im Laufe eines Tages. Dennoch unverkennbare Besserung nach 4—5 Monaten; 
nach 6 1 /, Monaten tritt Pat. aus der Behandlung. Die Sehnenreflexe auf der 
Höhe der Krankheit gesteigert, sogar kurzer, schwacher Fussclonus; mit Eintreten 
der Besserung schwankendes Verhalten, bald sind sie schwer auszulösen, bald 
lebhaft, rechter Kniereflex meistens schwächer als linker, es schien auch, dass der 
rechte Kniereflex durch öfteres Beklopfen der Sehne herabgesetzt werden konnte. 
Klagen über Stechen und Brennen in der Nacken- und Interscapulargegend. Sen¬ 
sibilität, Sinne, elektrische Erregbarkeit u. s. w. normal 

Ebnen Monat nach Entlassung starke Exacerbation, beinahe Recidiv der Er¬ 
scheinungen, die aber die frühere Höhe nicht erreicht haben. Dann wieder all¬ 
mähliche Besserung, auch diesmal durch eine leichte Exacerbation unterbrochen, 
die dann in Genesung übergeht. Mitte Juli 1893 konnte ich abnorme Er¬ 
scheinungen nicht finden; alle Bewegungen waren mit grosser Kraft und ohne 
Spur von Ermüdung ausgeführt, Kniereflexe normal. Seitens der Gehirnnerven 
keine Abweichungen. Es blieb nur das subjective Gefühl von Stechen und Brennen 
in der genannten Gegend und von Schwäche in den Knieen beim Stehen. Pat. 
konnte beliebig weit gehen. Die Besserung hezw. Genesung hielt mehr als ein 
Jahr an; W. fühlte sich so gut, dass er Vorbereitungen zur Heirath machte. Da 
stellte sich plötzlich anfangs December 1893 ein Recidiv ein. Ich notirte am 
20./XII. 1893: Rechtsseitige Ptose, alle mimischen Bewegungen, auch der Orbi- 
cularis palpebrarum schwach, beim Aufblasen der Backen entweicht Luft durch 
die Lippen, Gesichtsausdruck ängstlich. Bewegungen des Gaumensegels, der 
Schlingact gut. Bewegungen des Kopfes schwach. Das Ermüdungsphänomen 
tritt in sehr charakteristischer Weise an allen 4 Extremitäten in den dem Rumpfe 
nahe liegenden Gelenken auf, im Fussgelenke, an den Zehen und Fingern werden 
die Bewegungen schwächer, schwinden aber nicht. Die grobe Kraft der Hände 
ziemlich gut, rechts 33 kg., links 26 kg. Soll Pat. horizontale Lage annehmen, 
so muss er mit den Händen seine Beine hinlegen, beim Aufrichten gebraucht er 
ebenfalls die Hülfe seiner Hände; die Bauchmuskeln spannen sich schwach an. 
Kniereflexe sehr lebhaft, Plantarreflexe sind nicht hervorzurufen, Abdominal¬ 
reflex schwach. Excursionen des Brustkorbes gering, das Diaphragma contrahirt 
sich schwach. Dyspnoö beim Gehen. 

Diese Verschlimmerung gewinnt an In- und Extensität von Tag zu Tag. Bald 
müssen die Speisereste mit den Fingern aus dem Munde herausgeholt werden; der Kopf 


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sinkt nach vorn über und muss mit den Händen unterstützt werden. Dyspno# 
erscheint auch in der Ruhe; Pat. kann nur kurze Strecken gehen und muss bald 
ruhen. Die Ermüdungserscheinungen treten besonders schnell in den Beinen auf. 
Pat. kehrte nach seiner Heimath zurück. 

Am 28./I. 1894 schreibt mir College Rodziewicz: Der Zustand des Pat. W. 
nach seiner Rückkehr aus Warschau verschlimmerte sich progressiv, ungeachtet 
der zeitweisen kurzen Besserungen. Er kann den Mund nicht öffnen und besorgt 
dies mittels Löffel und Gabel; auch beim Gähnen entfernen sich die Kiefer nicht. 
Das längere Sprechen macht ihn müde, das Kauen und Schlingen ist schwierig, 
manchmal kehren Flüssigkeiten durch die Nase zurück, er hat nicht die Kraft 
zu husten, oder zu niesen und kann den Speichel nicht ausspucken. Beim 
Gehen Herzklopfen. Dyspnoe. Schnelle Müdigkeit. Pat. verbringt den grössten 
Theil des Tages liegend. Am 4./V. 1894 entschloss sich Pat. zur Reise nach 
Wien, wo er auf der Abtheilung von v. Kbafft-Ebing Aufnahme fand. Er 
wurde in der Sitzung der Gesellschaft der Aerzte am 18./V. 1894 daselbst von 
Dr. SönDKB 1 vorgestellt: Motorische Schwäche mit ausserordentlich leichter Er¬ 
schöpfbarkeit des gesammten willkürlichen Muskelsystems, in einzelnen Muskel¬ 
gebieten wirkliche Lähmung (N. facialis, hypoglossus, Mm. deltoidei, Hüftmuskeln). 
Als besonders charakteristisch ist die Schwäche der Lidheber, der Kau- und der 
Nackenmu8culatur hervorzuheben; an den Extremitäten sind die näher dem Stamme 
gelegenen Muskeln stärker betroffen, als die peripheren. Die Sehnenreflexe sind 
sehr lebhaft; trophisohe und sensible Störungen fehlen. Die Intensität der 
Symptome weist bedeutende Schwankungen auf; abends treten die Erscheinungen 
regelmässig stärker hervor. Pat. liess mir am 16./VI. 1894 unter Anderem aus 
Wien schreiben, dass er die Augen nicht lange offen halten könne. Er kehrte 
ohne Besserung nach Hause zurück. Der Tod erfolgte am ö./IX. 1894 unter den 
Erscheinungen von höchster Dyspnoö und Lähmung der Respiration. Es war keine 
Cyanose vorhanden; an der sehr oberflächlichen Respiration nahm der Brustkorb 
beinahe gar keinen Antheil; in den Lungen wenig Rasseln. 

Diese Beobachtung umfasst einen Zeitraum von etwa 2 s / 4 Jahren. Sie zeichnet 
sich ans durch das Auftreten mehrerer Exacerbationen bezw. Recidive. Der 
erste Anfall dauerte etwa 4—5 Monate und ging nach mehreren Exacerbationen 
in entschiedene Besserung, dann in Genesung über, die mehr als 1 Jahr an¬ 
hielt Die Erscheinungen des ersten Anfalles entwickelten sich schnell. Etwa im 
Laufe von zwei Wochen hat die Krankheit ihre Höhe erreicht. Es sind zu¬ 
meist die Extremitäten ergriffen, die Arme, in denen die Krankheit eingesetzt 
hat, mehr als die Beine, und von den Rumpfmuskeln namentlich die Nacken¬ 
muskeln. Die Bulbärsymptome sind nicht ausgesprochen, die Seitwärtsbeweger 
des Unterkiefers, weniger die Adductoren, sind afficirt; Ermüdung beim Sprechen. 
Die Stimme verliert beim Reden an Starke und Klang. Unterer Facialis ist 
paretisoh. Frühzeitiges Auftreten dyspnoischer Erscheinungen (sogar ein Anfall 
von bedrohlicher Athemnoth) bei geringster Veranlassung. 

Auch in diesem Falle tritt uns die Erscheinung entgegen, dass die proxi¬ 
malen Theile der Extremitäten viel stärker ergriffen waren, als die distalen. 
Die Apokamnose, die sich hier in prägnanter Weise zeigt, documentirt sich 
besonders an den genannten Abschnitten der Glieder. Man konnte in diesem 
Falle den Einfluss der Ermüdung eines Gliedes auf die anderen nicht wahr- 

1 Neorolog. Centralbl. 1895. S. 574. 

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210 


nehmen. Die Schwankungen in der Intensität der Symptome waren sehr aus¬ 
gesprochen, auch im Laufe eines Tages; abends trat meist Verschlimmerung 
ein. Das Schwanken betrifft auch die Sehnenreflexe (auch den Unterkieferreflei), 
die 8ämmtlich auf der Höhe der Krankheit gesteigert sind, sogar kurzer 
Fussclonus. Beim Eintreten der Besserung sind sie bald schwer auszulösen, 
bald lebhaft; der linke Kniereflex ist starker als der rechte, in dem auch an¬ 
scheinend eine Herabsetzung bervorgerufen werden kann. 

Sensibilität, Sinne, Blase und Mastdarm vollständig intact. In der Remissions¬ 
periode blieb nur die Klage über Stechen und Brennen in der Nacken- und Intra- 
scapulargegend, die in gleicher Weise beim Pat 0. vorhanden war und auch in die 
Besserungszeit fiel Dieselbe Klage kehrt in den Beobachtungen anderer Autoren 
wieder, so empfindet der Kranke Unvbbeicht’s 1 ein unangenehmes Gefühl zwischen 
den Schulterblättern. Die elektrische Erregbarkeit soll angeblich normal gewesen 
sein, allein, auch hier kann nicht behauptet werden, dass genau nach der von 
Jolly angegebenen Methode geprüft wurde. Die mechanische Muskelerregbar¬ 
keit schien gesteigert zu sein. 

Das letzte Recidiv, das etwa 9 Monate anhielt und mit dem Tode endete, 
zeichnete sich von vornherein durch grössere Intensität und Ausdehnung der 
Erscheinungen, durch unaufhaltsame schnelle Progression derselben aus. Nament¬ 
lich sind die Bulbärerscheinungen sehr ausgesprochen. Das Kauen wird hoch¬ 
gradig beeinträchtigt, nicht allein durch Lähmung der Adductoren und Seitwärts¬ 
beweger, sondern auch durch die der Abductoren. Das Schlingen selbst wird 
gestört, der Gaumen und die Zunge werden gelähmt, auch der obere Facialis 
ist ergriffen u.s.w. Diesmal ist Ptose vorhanden. Die Schwäche der respira¬ 
torischen Muskeln steigert sich so sehr, dass reflectorische Acte, wie Husten, 
Niesen unmöglich wird. Schliesslich geht Patient an einer Respirationslähmung 
zu Grunde. 

Beobachtung III. Die Lehrerin T . . ., 22 Jahre alt, meine damalige 
dritte Patientin, kam am 13./IV. 1892 in Behandlung. Der Vater starb im 
37. Jahre an Gehirntumor, die Mutter lebt und hat einen angeborenen Strabismus 
divergens. Das Leiden begann vor 3 Wochen mit Kopfschmerz, Flimmern, 
Photophobie (kurze Zeit soll auch Diplopie bestanden haben) und Oppressions- 
gefühl, und nach 2—3 Wochen trat zuerst Ptosis dextra, dann eine Kau- und 
Sprachstörung, nasale Stimme, endlich Schwäche der Kopf- und Armbewegungen 
auf. Bei der Untersuchung zeigt sich ausserdem noch Parese der unteren Fa- 
ciales, starke Herabsetzung der Reflexerregbarkeit des Gaumens und der hinteren 
Rachenwand, ferner Parese der Rumpfmuskeln. Diese Paresen zeichnen sich da¬ 
durch aus, dass die Ausübung der Function bald eine vollständige Erlahmung 
herbeiführt. Die Erscheinungen sind in den Morgenstunden am schwächsten 
ausgesprochen, nehmen im Laufe des Tages an Intensität zu, so dass der Zustand 
Abends am schlimmsten ist. 

Die Eirankheit ist noch im Zunehmen begriffen; besonders störend ist die 
hochgradige Beeinträchtigung des Schluckvermögens. Speisen kommen durch die 
Nase zurück oder gerathen in Folge der Lähmung des Gaumensegels und Rachens in 
den Larynx und verursachen Erstickungsanfälle. Die respiratorischen Excursioaen 

1 Centralbl. f. innere Medicin. 1898. Nr. 14. 


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des Thorax sind gering, die aecessorischen Muskeln werden auch bei ruhiger Ath- 
mong in Anspruch genommen. Dyspnoe tritt leicht heim Gehen, sogar beim Essen 
auf, der Puls ist beschleunigt, Temperatur subnormal. Die Zunge ermüdet schnell und 
kann manche Bewegungen überhaupt nicht aus führen. Auch der Augenfacialjs 
wird leicht paretdsch. Die Körperschwäche nimmt zu, auch die Beine werden 
schlaff und die Kranke muss das Bett hüten. Ermüdung eines Gliedes wirkt 
erschlaffend auf andere Körpertheile, so wird z. B. die Sprache nach Ermüdung 
der Extremitäten unverständlicher. Die Sehnenreflexe sind sehr lebhaft, Hautreflexs 
normal, ebenso die Sensibilität, Sinne und elektrische Erregbarkeit; keine Atrophie, 
keine fibrillären Zuckungen. 

Diese hohe Entwicklung erreichte die Krankheit nach etwa 2 Monaten. 
Die Prognose erschien ganz zweifelhaft, namentlich wegen des spontanen 
Auftretens von sehr bedrohlichen Dyspnoeanfällen. Bald aber trat eine Besserung 
ein, zuerst im Schlucken, dann in der Athmung, die freier und ausgiebiger 
wurde; die Dyspnoeanfalle erschienen immer seltener. Wie die progressive Ent¬ 
wicklung der Krankheit durch Schwankungen unterbrochen war, so wurde auch 
das Besserungsstadium durch kurzdauernde Exacerbationen hintangehalten. All¬ 
mählich besserte sich die Function der Kaumuskeln und der Arme, auch die Ptosis 
glich sich aus. Sogar eine intercurrente Krankheit (Angina tonsillaris mit 
Absceasbildung) konnte die Erholung für längere Zeit nicht verzögern. Das 
Stadium der Besserung nahm etwa 3 Monate in Anspruch. Manche Functions* 
Störungen, wie die Zungen- und Facialisparese, blieben noch zurück, am längsten 
aber die Gaumenlähmung, als Zeichen dafür, dass die Krankheit noch nicht 
völlig geschwunden war. 

Es war in der That nur eine bedeutende Remission eingetreten. Die Kranke 
kam schon nach einem Monate (im October 1892) wegen einer beträchtlichen Ver¬ 
schlimmerung wieder in Behandlung. Sie sieht blässer aus. Die Sprache ist 
intensiv nasal, der Gaumensegel gelähmt, alle mimischen Bewegungen sind weniger 
kräftig, die Arme werden mit Anstrengung und langsam gehoben. Sie kann 
ohne Anlehnnng nicht sitzen, ermüdet schnell beim Gehen. Gefühl von Schwere 
unter dem linken Schulterblatte und in den Armen. Die Erscheinungen gewinnen 
wieder an Intensität und Ausdehnung und erreichen das Maximum der Entwickelung 
im Monat Januar und Februar 1893, ohne jedoch die frühere Höhe zu erreichen. 
Es fehlten namentlich die so gefürohteten Dyspnoeanfalle; die Schluckbehinderung 
war diesmal nicht so intensiv, die Speisen geriethen nicht so regelmässig durch 
Nase und in den Larynx. Leichte Athemnoth trat auch jetzt beim Gehen, Essen, 
längerem Sprechen u. s. w. ein, das Baissen, Kauen wurde schwierig, der Unter¬ 
kiefer sank herah. Zungenbewegungen beschränkt, Rachenreflex aufgehoben, 
rechte Lidspalte kleiner als die linke; zeitweise Lagophthalmus sinister. Die 
bekannten Remissionen und Exacerbationen hielten Tage bis Wochen an, auch 
die Schwankungen während des Tages blieben nicht aus. Die faradische Erreg¬ 
barkeit des Velum war wiederholt herabgesetzt gefunden. Chlorotische Blutbe¬ 
schaffenheit Anfangs März Cardialgie und vermuthlich Ulcus ventriculi, das nach 
Carlsbader Kur gebessert wurde. Die damalige Beobachtung schloss damit, dass 
die Eiranke allgemein gekräftigt vom Lande zurückgekommen ist (Sommer 1893), 
doch sinkt die Amplitude der Armbewegungen gradatim, das Palatum molle ist 
vollkommen unbeweglich, die Sprache intensiv nasal, die Augen können nicht 
zugekniffen, die Lippen nicht kräftig zugespitzt werden. 

Es war mir dann möglich, den Verlauf bis in die letzte Zeit zu verfolgen. 

Mai 1893. Die mimischen Bewegungen sind beeinträchtigt, das Beissen, 
Kauen, Schlingen erschwert; nicht selten muss die Patientin den Bissen aus der 
Mundhöhle mit den Fingern beseitigen. Nasale Sprache, Athemnoth ohne Ver¬ 
anlassung, aber keine Dyspnoeattaquen. Sie kann gehen, ohne zu ermüden. 

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Juni 1893. Schmerzen in der linken Thoraxhälfte und Husten, die allge¬ 
meine Schwäche hat zugenommeu, das Schlucken ist noch mehr erschwert und 
die Ernährung beeinträchtigt. Der nasale Klang der Sprache deutlicher ausge¬ 
sprochen, das Diaphragma nimmt an der Respiration geringen Antheil. 

November 1893. Pat. fühlt sich beinahe vollständig gesund, allein die Unter¬ 
suchung bringt unverkennbare Zeichen der Erkrankung zu Tage: Gaumen unbe¬ 
weglich bei Phonation und mechanischer Reizung, dennoch hat die Sprache 
keinen nasalen Klang mehr. Am Gaumen festgebliebene Speisereste können mit der 
Zunge nicht beseitigt, die Augen nicht zugekniffen werden, die Bewegungen 
des Kopfes und der Arme werden sehr bald schwächer. 

December 1893. Seit einer Woche Verschlimmerung: Kopfweh, Schwäche 
der Nackenmuskeln, Sprache ab und zu nasal, nach längerem Sprechen versagt 
der Athem und die Stimme. 

März 1894. Fühlt sich besser, hat den Unterricht nicht aufgenommen, da 
die Stimme bald versagt, die Gesichtsmuskeln sind noch wenig kräftig, der 
Gaumensegel bewegt sich sehr wenig, Schlingen gut, die Inspirationen oberflächlich. 

Juni bis December 1894. Besserung hält an, subjectives Befinden ganz 
gut. Nach längerer Rede bekommt die Stimme nasalen Klang, die Excursionen 
des Palatum molle sind noch sehr gering und versiegen bald. Die Gesichts¬ 
muskeln sind stärker, und Pat. kann sogar kurze Lieder hervorbringen. Die 
grobe Kraft hat zugenommen. 

Bis Juni 1896 habe ich sie wiederholt untersuchen und die anhaltende 
Besserung bestätigen können. Gelegentlich Klagen über Kopfschmerzen mit 
Flimmern vor den Augen. Das einzige Symptom der Krankheit war das Fehlen 
der reflectorischen Erregbarkeit des Gaumensegels; auch die mimischen Be¬ 
wegungen haben ihre volle Kraft nicht wiedergewonnen. Nach Beschäftigung 
in der Wirthschaft ein Gefühl von Müdigkeit in den Schultern. 

In dieser Zeit hat die Patientin geheirathet, so wohl fühlte sie sich. Als 
sie mich 2 Monate später (April 1897) anscheinend wegen einer wahrscheinlich 
catarrhalischen Angina aufsuchte, constatirte ich eine geringe rechtsseitige Ptose. 
Der Gaumensegel contrahirte sich bei der Phonation. 

Bald nach der Entbindung, im Januar 1898, hatte sie einen Anfall von 
Gallensteinkolik; im Urin war Harngries vorhanden; Carlsbader Kur. 

Im April 1898 Rückfall der asthenischen Lähmung: Erschwerung und schnelle 
Ermüdung beim Kauen, Ermüdung nach längerem Sprechen. Geringe rechts¬ 
seitige Ptose, alle mimischen Bewegungen schwach, Masseteres, Temporales con- 
trahiren sich wenig. Der weiche Gaumen hebt sich bei der Phonation, aber 
nicht beim Berühren. Auch die Extremitäten sind schwach (sie können nicht 
oft genug gehoben werden), obwohl Patientin sich dessen nicht bewusst ist. 

30./IV. 1898. Die Erscheinungen nehmen zu, Patientin kann beinahe gar 
nicht kauen und spreohen; bald danach stellt sich hochgradige Ermüdung ein. 
Die allgemeine Ernährung hat ziemlich gelitten. Beim Phoniren bleibt der 
weiche Gaumen schon nach der ersten schwachen Contraction unbeweglich. Da¬ 
gegen keine Spur von Ptose. Puls 74. 

10./V. 1898. Patientin liegt vorwiegend im Bett. Sprache nasal. Die 
Bewegungen der Zunge schwach. Manchmal kommen Flüssigkeiten durch die 
Nase zurück. Der Unterkiefer fällt seiner Schwere nach herab und muss mit 
der Hand unterstützt werden. Die Schwäche und eintretende Ermüdung ist in 
den Extremitäten nicht so gross, wenn auch deutlich vorhanden. 

22./V. 1898. Es war schon eine kleine Besserung eingetreten, als nach 
Schnupfen und Husten der obige Zustand wieder einsetzte. Palatum molle ganz 
unbeweglich, Sprache unverständlich. Die Hals- und Nackenmuskeln sehr schwach. 
Puls 100. 


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Bald darauf Besserung; im Juni 1898 erneute Gallensteinkolikamälle mit 
Erbrechen und grosser Schmerzhaftigkeit in der Gegend der Gallenblase, aber 
keine Gelbsucht. Darauf Verschlimmerung, wenn auch nicht bis zur früheren Höhe. 

Juli 1898. Patientin fühlt sich viel besser, die Schmerzen in der Leber¬ 
gegend haben nachgelassen, Nahrungsaufnahme reichlich, Aussehen gut. Die 
mimischen Bewegungen aber sind noch schwach; der Gaumensegel versagt heim 
Phonieren schon nach einmaliger Hebung. 

Die Besserung, man kann wohl von einem freien Intervall sprechen, hielt 
über 2 Jahre an. Unterdessen gebar sie ein zweites Kind und stillte es selbst. 
Ich sah sie wieder am 16./VIII. 1900 (37a Monat nach dieser zweiten Nieder¬ 
kunft). Vor 2 Wochen trat, angeblich in Folge von Kummer, ein Rückfall auf, 
der sich durch Kau-, Schling- und Gesichtsmuskelstörung äusserte. Das Schlucken 
ist beinahe ganz unmöglich, schon der erste Schluck Wasser geräth in den Kehl¬ 
kopf und ruft Würgen und Erstickungssymptome hervor; die Speisen bleiben in 
den Wangentaschen stecken und können nicht herausbefördert werden, die Backen 
hingen schlaff herab. Patientin vermag ihr Kind nicht zu küssen; das Zukneifen 
der Augen erfolgt sehr schwach, links Lagophthalmus. Der Unterkiefer bängt 
herab und muss unterstützt werden. Ausgesprochene Ptosis sinistra. Keine 
Doppelbilder. Die Zungenbewegungen schwach. Weicher Gaumen ganz regungs¬ 
los. Sprache ausgesprochen nasal, wird immer leiser, und Patientin muss sich 
bald der Schrift bedienen. Dyspnoe, Respiration 30, kurz, mühsam, unter 
Zuhülfenahme der accessorischen Muskeln. Im Bereiche der GesichtsmuBkeln 
einige unwillkürliche Zuckungen. Auch die Oberextremitäten sind seit gestern 
schwach, die Beine weniger. Gefühl von allgemeiner Schwäche hinderte sie 
auch am Schlaf. Puls 100. 

Dieser desolate Zustand hielt nur einige Tage an, allmählich und mit 
Schwankungen von schlechteren und besseren Tagen ging es entschieden der 
Besserung zu, ohne dass es diesmal zur vollen Herstellung gekommen ist. Als 
ich Patientin am 16./I. 1901 sah, war seit 2 Wochen wieder Verschlimmerung 
eingetreten, dennoch kann Patientin ausgehen, die Wirthschaft besorgen und ihre 
Kinder pflegen. Sie ist blass, abgemagert, GeBichtsausdruck einförmig, Gesichts¬ 
falten ausgeglichen, von den Facialismuskeln sind die Orbiculares palpebrarum die 
schwächsten. Keine Ptose. Zunge gut beweglich. Gaumensegel vollständig un¬ 
beweglich. Das Kauen ist stark beeinträchtigt, darum wird nur flüssige Nahrung 
langsam eingenommen. Der Unterkiefer fällt nicht herab. Sprache nasal, bald 
unverständlich und führt Ermüdung herbei. Die Erschöpfbarkeit tritt in den 
Armen sofort, in den Beinen weniger schnell ein. Die Kniereflexe ziemlich 
lebhaft, scheinen bei wiederholter Prüfung ein wenig zu sinken. Die allgemeine 
Schwäche ist derart, dass schon das Sitzen die Patientin müde macht. Sie klagt 
über Schmerzen im Kreuz und im linken Schulterblatt, die sich namentlich beim 
Ermüden einstellen. Puls 90. Es wurde auf MyaRe am Deltoideus, Biceps 
brachii, den Gesichtsmuskeln, N. facialis und Perforans Gasseri geprüft, aber die 
elektrische Erregbarkeit war überall normal. Die Kehlkopfbewegungen sind sowohl 
bei der Respiration als auch bei der Phonation normal; keine Ermüdungserscheinungen 
daselbst, Sensibilität und Reflexe normal. Keine abnormen Bestandtheile im Urin. 

Dann wurde Patientin sohwanger und ihr Zustand besserte sich mit einem 
Schlage. 

25./VII. 1901. Die Besserung hielt während der ganzen Schwangerschaft 
an. Man dachte zwar zuerst an eine Unterbrechung der Gravidität, weil schon 
zwei Mal, 3 Monate nach der Entbindung, eine Verschlimmerung aufgetreten ist 
(einerlei ob Patientin gestillt hat oder nicht), allein es wurde davon Abstand ge¬ 
nommen, da Patientin sich so wohl fühlte und die Wirkung des Aborts gar nicht 
Yorauszusehen war. Plötzlich stellte sioh aber vor 9 Tagen eine frühzeitige Geburt 


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ein (Anfang des 8. Monats), die vielleicht durch die Pflege eines kranken Kindes 
und vieles Arbeiten auf der Nähmaschine beschleunigt wurde. Der Foetus, der 
nooh */ a Stunde lebte, musste wegen Mangels an Wehen extrahirt werden. Sonst 
verlief alles glttoklich, der Blutverlust war minimal, Temperatur nur vorüber¬ 
gehend 37,2 (gewöhnlich 86,5). Aber seit 2 Tagen bekommt sie Abends ohn¬ 
machtsähnliche Anfälle, bei erhaltenem Bewusstsein, aber mit clonischen Zuckungen 
in den Gliedern. Nach Anwendung von Reizmitteln tritt nach einigen Stunden 
Besserung ein, jedoch bleiben Kopfschmerzen zurück. Es sind das augenschein¬ 
lich hysterische Anfalle; ein solcher war schon vor mehreren Jahren bei ihr auf¬ 
getreten, als ihr Kind schwer erkrankte. 

Im übrigen fühlt sich Patientin ganz wohl, wäre nur nicht der Gedanke 
an den fatalen Termin von 3 Monaten vorhanden. Dennoch sind objectiv, 
wenn auch leichte, Zeiohen der Krankheit nachweisbar: es besteht eine ganz ge¬ 
ringe rechtsseitige Ptose, das Zukneifen der Lider erfolgt schwach, der weiche 
Gaumen bewegt sich gar nicht beim Phonieren oder bleibt regungslos nach ein¬ 
maliger schwacher Hebung; dagegen contrahirt er sich energisoh bei mechanischer 
Reizung, wodurch wohl das Genossene nicht durch die Nase regurgitirt. Sonst geht 
das Kauen und Schlingen ganz gut von statten. Patientin giebt an, dass der Unter¬ 
kiefer etwas hervortritt, wie das gewöhnlich im Anfall oonstatirt wird (in Folge der 
Lähmung der Adductoren). Die Sprache ermüdet nicht, hat aber einen leichten nasalen 
Beiklang, wenn auch die Kranke dem widerspricht. Der Untersuchung auf 
Apokamnose unterwirft sich die Patientin sehr ungern, jedoch sinkt die Ampli¬ 
tude der Armhebungen zweifellos. Sie kann nicht viel arbeiten; es stellt sioh 
Ermüdung ein, die sie in den Schultern empfindet. Nach mehreren Tagen hatte 
ich Gelegenheit, den Deltoideus, Biceps brachii und Orbicularis oris auf MyaR zu 
untersuchen, aber mit negativem Erfolg. 

(Fortsetzung folgt) 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Zur Kenntniss des Stratum (Fasoloulus) suboallosum (Fasoloulus nuolei 
oaudati) und des Fasoloulus fironto - oooipitalis (retioulirfes oortioo- 
oaudales Bündel), von Prof. Dr. Heinrich Obersteiner und Prof. Dr. 
Emil Redlich. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1902. ' 
8. Heft) 

Die Verff. nehmen in vorliegender Arbeit zu der neuerlich duroh Sohröder 
wieder angeregten Tapetumfrage auf Grund vergleichend-anatomischer Studien 
Stellung. Der Fasciculus subcallosus, bezw. der mit ihm identische Fasoiculus 
nuolei caudati hat mit dem Tapetum und mit dem Fascioulus fronto-oooipitalis 
von Onufrowicz nichts zu thun. Ueberhaupt sind die Befunde an balkenlosen 
Gehirnen für die Frage der normalen Anatomie ganz bei Seite zu lassen. 

Wie Exstirpationspräparate zeigen, enthält der Fasciculus subcallosus keine 
langen Fasern, die auf die andere Seite ziehen. Von dem den N. caudatus be¬ 
deckenden Stratum zonale ist der Fasoiculus suboallosus trotz der innigen räum¬ 
lichen Beziehungen zu soheiden. Der Fasciculus subcallosus ist streckenweise 
durch Ependymzellen von der Umgebung gesondert. Wesentlich verschieden als 
beim Menschen verhält sioh der Fasoiculus subcallosus beim Thiere. Am mäch¬ 
tigsten ist derselbe bei den Ungulaten entwickelt, hier stellt er eine sehr breite 


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Sohicht dar, die sioh längs der ganzen ventralen Fläohe des Balkens hinzieht, in 
ihren Grössenverhältnissen durchaus nicht parallel zum Verhalten des N. caudatus 
ist, im Gegentheil dort, wo letzterer schon stark an Umfang abgenommerf hat, be¬ 
sonders mächtig sich erweitert. Aehnlioh ist es bei anderen Thierklassen, Raub- 
thieren u. s. w. Auch an Basalschnitten ist das Verhalten anders als beim 
Menschen. Was speciell das Unterhorn betrifft, stellt der Fasciculus subcallosus 
dort eine nach innen von der Balkenfaserung gelegene breite Schicht dar, der 
vorwiegend dicht durchflochtene Faserlagen enthält, nur stellenweise eine parallel- 
faserige Anordnung zeigt Darum schlagen die Verff. die Bezeichnung Stratum 
subcallosum vor, während der Ausdruck Fasciculus nuclei caud. mit Rücksicht 
auf die Verhältnisse des Thiergehirns fallen zu lassen ist Die Verff. nehmen 
an, dass im Stratum subcallosum Fasern von der Rinde oder Collateralen, solche 
Fasern zum Nucl. caud., zum Linsenkern, Thalamus u. s. w. enthalten sind. 

Der Fasciculus fronto-occipitalis der balkenlosen Gehirne enthält aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach Balkenfasern. Das, was Dejerine als Fasciculus fronto-occip. 
im normalen Gehirne beschreibt, ist ein schmächtiges Bündel, das sich nur beim 
Menschen, nicht aber beim Thiere abgrenzen lässt. Indem die Verff. genauere 
Angaben über Verlauf und Form dieser Bündel machen, schliessen sie sich Sachs, 
Sehröder u. A. an, die diese Bündel zur Corona radiata rechnen. Sie halten 
ee für wahrscheinlich, dass dieses Bündel die Rinde mit dem N. caud. verbindet 
und schlagen die Bezeichnung reticulirtes cortico-caudales Bündel vor. 

Was nun das Tapetum betrifft, womit nach Burdaoh die das Unterhorn an 
dessen lateraler Seite zunächst auskleidende Schicht zu bezeichnen ist, so hat 
dasselbe mit dem Fasciculus fronto-occipitalis nichts zu thun. Bei Thieren, 
speciell den Ungulaten, käme diese Bezeichnung dem Stratum subcallosum, beim 
Menschen, bei dem diese Schicht im Unterhorn nur sehr dürftig entwickelt ist, 
wieder der Balkenfaserung zu. Darum ist es besser, den Ausdruck Tapetum ganz 
fallen zu lassen und die das Unterhorn auskleidenden Schichten nach ihrer Be¬ 
deutung als Stratum subcallosum, Balkensohicht u. s. w. zu bezeichnen. 

Redlich (Wien). 


2) Untersuchungen über die normale und pathologische Hypophysis des 
Menschen, von Dr. Waldemar Thom. (Arohiy f. mikroskop. Anatomie u. 
Entwiokelungsgeschiohte. LVII. S. 632.) 

Verl hat an 62 theils normalen, theils krankhaft veränderten menschlichen 
Hypophysen die makroskopischen und mikroskopischen Verhältnisse dieses Organs 
studirt. Vergleichende Messungen ergeben gewisse Wechselbeziehungen der ein¬ 
zelnen Durchmesser zu einander, indem Kleinheit des einen häufig mit relativer 
Grösse des anderen einhergeht. Das rascheste Wachsthum vollzieht sich bis zum 
30. Jahre, doch kommt auch über dieses Alter hinaus normalerweise nooh Volum¬ 
zunahme vor. Relativ gross war das Organ bei gewissen dyskrasisohen Zuständen 
(Tubereulose mit Gallertkropf, Sepsis, Carcinom, ohronische Nephritis, Adipositas, 
Eklampsie). 

Was die histologisohen Verhältnisse betrifft, so ist von wesentlicher Bedeutung 
das verschiedene Verhalten der Hypophysiszellen den Farbstoffen gegenüber. Das 
Organ enthält' ausgesprochen ehromophile Zellen, die theils cyanophil, theils 
eosinophil sind und nach Verf. als normale Bestandtheile aufgefasst werden müssen. 
Ausser diesen (grösseren) Zellelementen finden sich noch die früher als Haupt¬ 
sellen bezeiohneten. Diese theilen sioh ein in schwach cyanophile, sohwach 
eosinophile und ungefärbte („ohromophobe“) Zellen. Die Anordnung der Zellen 
ist bald als sohlaneh-, bald als strangförmig zu bezeichnen, je nachdem sie ein 
oolloidhaltiges Lumen umsohlieesen oder nioht. Letzteres ist, wenn überhaupt 


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vorhanden, äusserst spärlich. Dies veranlasst Verf. im Hinhliok auf das sehr 
active Aussehen des Zellprotoplasmas zur Annahme einer Secretion in die inter- 
folliculäfen Lymphräume. Er unterscheidet ein intrafolliculäres, stark färbbares 
Colloid, das die chromophilen Zellen liefern, und ein interfolliculäres, dünnes, von 
den chromophoben Elementen stammendes Colloid. 

Hinsichtlich der Beziehungen der Hypophysis zur Akromegalie verhält sich 
Verf. sehr reservirt. Er constatirt als auffällig das vielfache Zusammentreffen 
von Hypophysisanomalieen mit Krebs und chronischen Krankheiten des Respirations- 
tractus, und weist im Hinblick auf letztere kurz auf die Osteoarthropathie hyper- 
trophiante pneumique hin. Max Neumann (Karlsruhe). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Ueber die Ausdehnung der Sinnessphären in der Grosshirnrinde, von 

Hermann Munk. Dritte Mittheilung (Schluss). (Sitzungsberichte der kgl. 

preuss. Aoademie der Wissenschaften zu Berlin. 1901. XLVIII.) 

Die Arbeit Munk’s, die den Schluss seiner Zusammenfassung der Lehre von 
den Sinnessphären darstellt, beschäftigt sich in ihrem ersten Theil mit der Frage, 
ob „der Stirnrinde unserer Rumpfregion oder der Scheitelrinde unserer Augen¬ 
region eine besondere Stellung bezüglich der höheren psychischen Functionen 
gegenüber der übrigen Rinde zukommt“. Auf Grund der kritischen Sichtung des 
experimentellen Materials (Verf. berücksichtigt vornehmlich die Versuche von 
Ferrier, Hitzig, Goltz, Bianchi und seine eigenen) und der klinischen, durch 
pathologische Befunde erhärteten Erfahrungen kommt Verf. zu dem Schluss, dass 
weder der Stirnlappenrinde noch der Scheitellappenrinde eine besondere Stellung 
nach der bezeichneten Richtung hin zukommt, und dass experimentelle wie patho¬ 
logische Erfahrungen darauf hinauslaufen, dass es an der Grosshirnrinde nicht 
neben und zwischen den Sinnessphären noch andere Rindengebiete giebt, die 
eigens den höheren psychischen Functionen dienen. Hiermit wendet sich Verf. 
im zweiten Theile des besprochenen Aufsatzes zugleich gegen die Flechsig’sche 
Lehre von der Zusammensetzung der Hirnoberfläche aus Sinnessphären oder 
Sinnescentren und Associations- oder Denkcentren. Es kann nicht Aufgabe des 
Referats sein, die Kritik, die Verf. an dieser Lehre übt, in ihren Einzelheiten 
wiederzugeben, ebenso wie Ref. sich das für den ersten Theil der wichtigen und 
überaus lesenswerthen Mittheilung versagen musste. Als Resultat sei hervor¬ 
gehoben, dass Verf. zu einer völligen Verwerfung der Flechsig’schen Lehre 
kommt und sich hierbei nicht nur auf seine eigenen Untersuchungen beruft, 
sondern zum Theil auch Flechsig’s eigene Forschungsergebnisse gegen ihn ver- 
werthet. Verf. betont dabei noch besonders, dass es ihm selbst nie eingefallen 
sei, denjenigen Abschnitten der Rinde, die er mit dem Namen Sinnessphären be¬ 
legt habe, ausschliesslich nur die hierdurch näher bezeichneten Functionen bei¬ 
zulegen und hiermit die Funotion des betreffenden Rindenabschnittes als erschöpft 
anzusehen; ebenso wenig giebt es aber auch besondere Bezirke der Grosshirnrinde, 
die mit den höheren psychischen Functionen betraut sind; vielmehr „stellt sich 
die Rinde als ein Aggregat den verschiedenen Sinnen zugeordneter Abschnitte, 
der Sinnessphären dar; und es kommen in den centralen Elementen jeder Sinnes¬ 
sphäre, die unmittelbar oder fast unmittelbar mit den Projectionsfasern Zusammen¬ 
hängen, die specifischen Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen eines 
Sinnes zustande. Für die darüber hinausgehenden Functionen der Rinde, gebunden 
an Associationsfasern und andere centrale Elemente, die wiederum über die Rinde 
in deren ganzen Ausdehnung verbreitet sind, eine jede Function natürlich an 
bestimmte morphologische Gebilde gebunden, hat bezüglich des Ortes des Zustande- 


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kommen» die Abgrenzung der Sinnessphären keine durchgreifende Bedentung 
mehr; doch sind des weiteren wir nooh im Dunkeln, da bisher der Versuch am 
Thiere versagt und die pathologische Beobachtung nur sehr spärliche und nioht 
genügend durchsichtige Aufschlüsse geliefert hat.“ 

Martin Bloch (Berlin). 


4) Observation« on the physiology of the oerebral oortex of some of the 
Higher Apee (Preliminary oommunioation), by Grünbaum and Sher- 
rington. (Read hefore the Royal society. 1901. 21. November.) 

Die Verff. haben an zehn erwachsenen und einem erst wenige Monate alten 
Exemplar folgender höherer Affen experimentirt: Orang, Gorilla und Chimpanse. 
Zur Reizung haben sie sich der schon früher von Sherrington angewandten 
unipolaren Faradisation bedient. Die motorische Region bei den untersuchten 
Thieren erstreckt sich nach ihren Experimenten über die ganze Lange und Breite 
der vorderen Centralwindung und die ganze Länge des Sulcus centralis ausser 
dessen äusserstem unteren und oberen Ende, niemals aber auf Hirntheile hinter 
dem Snicus. Auf der medianen Hemisphärenfläche reicht die Erregbarkeit der 
vorderen Centralwindung nicht bis zur Fissura calloso-marginalis. Die Erregbar¬ 
keit der vorderen Centralwindung lässt sich bis zum Boden des Sulcus centralis 
nachweisen, und zwar in einer Ausdehnung, die der erregbaren Partie an der 
freien Oberfläche der Hemisphäre mindestens gleichkommt, ja sie vielleicht über¬ 
trifft Verff. haben in der motorischen Region bestimmte Bewegungen der Ohren, 
Nasenflügel, des Gaumens, Saug- und Kaubewegungen, Bewegungen der Stimm¬ 
bänder, der Brust- und Bauchwand, der Beckenmusculatur, der Orificien des Anus 
und der Vagina wohl oharakterisirt localisiren können. Die Anordnung der ver¬ 
schiedenen Regionen der Körpermusculatur gliedert sich in auffallender Weise 
entsprechend der segmentären Anlage der cranio-spinalen Nerven. 

Die VerflF. fanden ferner, dass zur Reizung der motorischen Region bei den 
Anthropoiden keine starken Ströme erforderlich sind, und sie betonen weiter die 
ausserordentliche individuelle Variabilität der Anlagen der Furchen und Win¬ 
dungen, so dass sie ihre eigenen Versuohsergebnisse nur mit Vorsicht verwerthet 
wissen möchten. 

Im Frontalhirn, von der motorischen Region durch nicht erregbare Rinden- 
theile getrennt, fanden die Verff. ein Feld, dessen Reizung conjugirte Bewegungen 
der Bulbi hervorruft, ein gleiches im Occipitallappen an dessen hintersten Ende 
und in der Gegend der Fissura oalcarina, von wo aus Bewegungen der Bulbi, 
aber nur schwer, bervorgerufen werden konnten. 

Die Untersuchung der Pyramidenbahnen nach Exstirpationen von Theilen der 
motorischen Region ergab das Vorhandensein einer ungekreuzten directen Vorder¬ 
strangbahn und gekreuzter Pyramidenseitenstränge, aber auch ungekreuzte Seiten¬ 
strangfasersysteme. Die Degenerationen liessen sich bis tief in das Lendenmark 
verfolgen. In den unteren Cervicalsegmenten fand sich Faserdegeneration in den 
gekreuzten grauen Vorderhörnern. 

Läsionen an der Spitze der vorderen Centralwindung liessen deutliche Dege¬ 
neration des gekreuzten Pyramidenseitenstranges, aber keine Degeneration der 
Vorderstrangbahn und nur sehr geringe der ungekreuzten Pyramidenfasern erkennen. 

Der Arbeit ist eine Tafel beigegeben, auf der die genauere Localisation der 
einzelnen motorischen Felder nach den Experimenten der Verff. verzeichnet ist. 

Martin Bloch (Berlin). 

5) The separate looalizatlon in the oortex and suboortex of the oerebrum 
of the representation of movemente and of musoular and outaneous 


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Arbeit brachte 1900 kurz vor seinem frühen Tode Caselli zum Abschluss. Er 
operirte nach der in(rabuccalen Methode Vassale’s und Saochi’s, zur Ver¬ 
meidung der Difiusions- und Irritationseffecte Thermokauter und Chromsäure durch 
eine kleine Löffelpincette ersetzend, 56 Hunde und Katzen. Er verfügte gleich 
seinen beiden Vorgängern am Ende der ersten Woche nach der Operation über 
drei lebende Thiere; aber wie die der letzteren nur 8, 11 hezw. 14 Tage am 
Lehen blieben, gingen auch die seinigen trotz der verbesserten Technik schon nach 
16, 21 bezw. 22 Tagen zu Grunde. Vergleicht man mit vorstehenden Ergeb¬ 
nissen die jüngste Notiz von Friedmann und Maass, wonach eine nach modi- 
ficirter Methode Vassale-Caselli operirte Katze 3 Monate gesund blieb, und 
die fast glänzenden Resultate Gaglio’s 1900 mit der Hypophysektomie an 
Fröschen, Kröten und Schildkröten, die er 2 Monate, ohne Ausfallserscheinungen 
zu sehen, am Lehen erhielt, so kann man sich dem Eindruck nicht verschliessen, 
dass in den früheren Versuchen die Symptome der Infection das Bild so beherrscht 
und entstellt hatten, dass hier eine Einigung nicht zu erzielen war. Schon 
Caselli’s Ergebnisse und Schlüsse weichen von denen seiner Vorgänger insofern 
ab, als einzelne der bisher geschilderten Phänomene an anderen Stellen der Basis 
ausgelöst, andere (psychische Störungen, Anorexie) der ersten Tage als Symptome 
des Schmerzes (seitens der verletzten Dura und heim Schlucken) zu erklären und eine 
dritte Beihe von Syndromen durch das Trauma verursacht sein sollten. Stützten 
Vassale und Sacchi ihre Theorie andererseits nur auf die Symptome der drei 
länger überlebenden Thiere, so seien dieselben doch weder so schwer noch so 
einheitlich, um die Hypothese einer Autointoxication nahe zu legen. Vielmehr 
sei die Pituitaria als ein Hilfsorgan der Thyreoidea zu definiren, was aus den 
Veränderungen zu folgern sei, welche die Hypophysektomie im Bilde der Cachexia 
thyreopriva und Tetania parathyreopriva hervorbringe. — Zugegeben, dass eine 
so eingreifende Operation die Cacb. thyr. ändere und selbst verschlimmere, so 
gestattet das aber noch keinen beweiskräftigen Schluss in obigem Sinne. Anderen 
Arbeiten über die histologischen Veränderungen des Hirnanhangs nach Exstir¬ 
pation der Thyreoidea (Rogowitch, Hofmeister, Stieda, Tizzoni und Cen- 
tanni, Schönemann) zufolge scheint allerdings erwiesen, dass die Hypophyse 
seoundär erkranken kann, jedoch die Theorie einer vicariirenden Function der 
beiden Drüsen noch verfrüht. 

Zwecks eigener experimenteller Studien griffen Verff. auf eine von Gley 
benutzte Methode, dieselbe wesentlich modificirend, zurück. Sie meisselten das 
Cranium auf dem Scheitel auf, eröffneten die Dura neben dem Sinus long. und 
drangen mit einem feinen, langen, an der Spitze stumpf löffelförmig gestalteten 
und abgebogenen Instrument an der grossen Sichel entlang senkrecht durch Corpus 
callosum und Infundibulum, die Mitte einer die beiden vorderen Ohrzellchenränder 
ideal verbindenden Linie innehaltend, vor, machten mit dem Löffel, dessen Con- 
cavität bisher nach innen offen war, eine Viertelsdrehung, damit er gut in die 
Sella turcica hineinglitte, und führten ihn in quetschender und stampfender Be¬ 
wegung in deren Inhalt umher. Nach Zurückziehen des Instruments in rückläufiger 
Bewegungsfolge wurde eine Doppelnaht angelegt und die Wunde verbunden. 
Indem damit eine Infection fast immer vermieden war, kam als tödtliche Com- 
plication meist nur noch die Hämorrhagie von Basisgefässen oder Shok in Betracht. 

Es wurden 44 Hunde und Katzen operirt und der Autopsie unterzogen. 
Davon misslang die Operation in 16 incl. 5 Fällen mit nur theilweiser Verletzung 
der Hypophyse; sie gelang also vollständig in 63°/ 0 . Bei den 9 Thieren, welche 
den 20. Tag nach der Operation überlebten, war in den meisten Fällen die arti- 
ficielle Communication zwischen dem HL Ventrikel und der Basis cerebri bereits 
wieder verklebt oder verwachsen; Verletzung des Infundibulum bringt das Ver¬ 
suchsthier also nicht in Lebensgefahr. Da in 4 dieser 9 Fälle die Hypophyse 


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bereit« vollkommen resorbirt war, so ist die These, dass dieses Organ eine für 
die Erhaltung des Lebens unerlässliche Function erfülle, sowie die Behauptung 
einiger Forscher, dass die Todesfälle wenige Tage post operationem durch eine 
Cachexia hypophyseopriva bedingt seien, widerlegt. 

Die Phänomene, welche diese Thiere längere Zeit nach dem Eingriff darboten, 
waren in einzelnen Fällen widersprechende. Während bei Hund 3 ein dem 
Vassale-Sacchi’scher ähnlicher Symptomencomplex gefunden wurde, und das 
nach wenigen Tagen wieder erlangte tadellose Allgemeinfinden von Hund 2 den 
Eindruck machte, dass die Hypophyse gar nicht verletzt sein könnte, ergab die 
Autopsie vielmehr, dass dieselbe im ersteren Falle intaot geblieben und im Fall 2, 
welcher 50 Tage p. o. an accidenteller Enteritis zu Grunde ging, gänzlich zer¬ 
stört worden war. Ebenso bei Hund 9, welcher kein bisher als Ausfallssymptom 
gedeutetes Phänomen gezeigt und am 7. Tage sein Anfangsgewicht erreicht hatte, 
als er in Folge zu fester Knebelung beim Ophthalmoskopiren starb. Unwesent¬ 
liche Veränderungen (Urin sp.G. 1004, geringe Gewichtsabnahme, leichte Depression) 
liess Hund 14 erkennen, bis er nach 86 Tagen der Section zum Opfer fiel. — 
Die Symptome partieller Basisverletzung waren verschieden: Läsionen der Seiten- 
partieen der Sella turcica zeigten keine auffälligen Symptome, wenn der Hirn¬ 
schenkel intact geblieben war; wurde nur der vordere Theil der Sella getroffen, 
so war je nach der Gegend (Chiasma oder Opticus) eventuell einseitige Blindheit 
die einzige Folge. Phänomene, wie sie Vassale und Sacchi und Caselli be¬ 
schrieben, trafen die Verff. in Fällen an, in denen das Instrument die Hypophyse 
und dahintergelegene Theile getroffen hatte; hiernach kamen oft schwere Con¬ 
junctivitis und Corneatrübung zur Beobachtung. Wenn (Hund 3) die noch un¬ 
sichere Hand den Löffel tastend über der Sella umhergeführt hatte, so kamen die 
complexen Phänomene dieses Falls zu Stande, während in 3 Fällen, wo das In¬ 
strument sicher und glatt in die Knochenbucht eingedrungen war, irgendwelche 
Symptome überhaupt vermisst wurden. — 4 Thiere überlebten die Operation 
lange, womit bewiesen ist, dass dem Hirnanhang eine Function, deren Aufhebung 
Störungen des Organismus zur Folge hätte, nicht obliegt. Die von den Autoren 
bisher beobachteten Phänomene sind vielleicht auf gleichzeitige Verletzung, zumal 
nach hinten, benachbarter Basistheile des Gehirns, aber nicht (wie Friedmann 
und Maass neuerdings behaupteten) auf Asphyxie in Folge von Paralyse der 
Gaumenbögen zu beziehen. 

Cyon begründet in zahlreichen Arbeiten seine These, dass die Pituitaria 
ein Hilfsorgan der Thyreoidea sei insofern als sie die Function der letzteren in 
Beziehung zum Hirn druck mechanisch oder chemisch regele, mit den Thatsachen, 
dass endovenöse Injection von Hypophysenextract Verlangsamung oder Beschleu¬ 
nigung des Herzpulses und constante Steigerung des Herzdrucks hervorbringt, 
dass dieselben Erscheinungen auch durch mechanische oder elektrische Beizung 
der Hypophyse zu erzielen sind, vor Allem aber mit der Annahme, dass die Hypo¬ 
physe die Schwankungen des Hirndrucks aufnimmt und auf die Vaguscentren über¬ 
trägt; letzteres hatte Cyon daraus gefolgert, dass während der Hypophysektomie 
bei Kaninchen (von denen Verf. glaubt, dass keines die Operation überstanden 
habe) Compression der Bauchaorta nicht die bekannte Verlangsamung des Herz¬ 
pulses, sondern eine Beschleunigung desselben zur Folge hatte. Aehnliches erhielt 
Cyon auch, wenn er den 10. indirect vom 1. und 5. Hirnnerven aus reizte. Die 
Theorie Cyon’s hatte schon angesichts der Arbeiten von Biedl und Reiner 
und vor den Nachprüfungen Caselli’s und Goglio’s nicht Stand gehalten. In 
Anbetracht aber, dass erstere sich nur auf die Effecte electrische Reizung des 
Hirnanhangs und seiner Umgebung auf den Blutdruck bezogen und die letzteren 
an Fröschen angestellt wurden, war es den Verff. erwünscht, auch an solchen 
eigenen Thieren, welche die Verödung der Hypophyse lange genug Überstunden 


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hatten, festzustelleu, in welchem Sinne die Compreesion der Banohaorta die Beizung 
des 1. und 6. Himnervenpaares (durch Application von Ammoniak auf die Nasen* 
Schleimhaut) und die Strychninverabreichung (nach Gaglio) eine Veränderung 
der Herzaction auslösen würden. 

6 operirte Versuchsthiere, bei denen die spatere Autopsie nur in der Hälfte 
die stattgefondene Zerstörung der Hypophyse ergab, wurden diesen 3 Versuchs¬ 
serien unterworfen. Man fand mittels der Pulscurven, dass sowohl die Compreesion 
der Bauchaorta als auoh die Olfactoriusreizung und die durch Strychnin erzeugten 
Anfalle den gleichen Effect bei allen Thieren hatten: die Cnrven ergaben keinen 
Anhalt dafür, ob bei einem Versuchsthier die hypothetische Function des Hira- 
anhangs stattgefunden hatte oder nicht. Daraus also folgt, dass die von Cyon 
gefundenen Phänomene, auf welchen seine Theorie basirt war, wahrscheinlich von 
traumatischen Ursachen abhingen, und dass das Organ jedenfalls einen den Hirn¬ 
druck regulirenden Einfluss nicht ausübt. 

Verff. schliessen: Die Hypophyse ist ein rudimentäres Organ ohne all¬ 
gemeine oder specielle functio'nelle Bedeutung. Die nach Exstirpation 
der Pituitaria beobachteten Erscheinungen sind entweder durch Verletzungen der 
Nachbarschaft oder durch mehr oder weniger acuten Shok oder durch Infection 
bedingt Die morphologische Stütze dieser Folgerungen ist kürzlich von Bossi 
und Corning erbracht worden. Schmidt (Freiburg-SchL). 


9) Heber Exstirpation der Hypophysis oerebri, von Friedmann und Maass. 

(Berliner klin. Wochenschr. 1900. Nr. 52.) 

Den beiden Forschern ist es gelungen eine Operationsmethode aufzufinden, 
durch welche die Exstirpation der Hypophyse bei Katzen in etwa 30 Minuten 
ausführbar ist. Die Einzelheiten des Verfahrens müssen im Original nachgelesen 
werden. Bei 18 Fällen war die Operation gelungen, jedoch gingen alle Thiere 
bis auf eins in Tagen bis Wochen meist an den Folgen der Infection zu Grunde. 
Das eine Thier, dem, wie die Section ergab, die Hypophysis total exstirpirt 
worden war, wurde 3 1 /, Monat nach der Operation beim besten Wohlbefinden 
getödtet Die Verff. ziehen aus ihren Versuchen den Schluss, dass die Hypophysis 
oerebri kein lebenswichtiges Organ ist. Die Vorstellung, dass Ausfall der Hypo¬ 
physenfunction Akromegalie zur Folge hat, fand durch dies Thierexperiment keine 
Stütze. Bielschowsky (Breslau). 


10) Ob8ervations on the physlologioal action of extraote of tbe supra¬ 
renal bodies, by J. N. Langley. (Journ. of PhyBiology. XXVII. S. 237.) 

Verf. hat neue umfangreiche Untersuchungen über die physiologische Wirk¬ 
samkeit des Nehennierenextractes vorgenommen und beschreibt folgende Symptome 
als Resultat der Injection des erwähnten Präparats: 

1. Die Speichel- und Thränensecretion werden erheblich vermehrt (Atropin 
hebt dieses Symptom auf). 

2. Die Gallensecretion wird vermehrt; Seoretionszunahme des Pancreas und 
der SohweiBsdrüsen war nicht zu beobachten. 

3. Die Sphincteren des Magens, des Rectums und der Blase werden gelähmt. 

4. Die Pupille erweitert sich, der Augapfel wird vorgetrieben, die Lidspalte 
erscheint stärker geöffnet. 

5. Uterus und Samenblasen contrahiren sich. 

6. Die Arrectores pilorum contrahiren sich. 

7. Die mittleren und kleinsten Arterien und Arteriolen verengern ui oh stark, 
und steigt dadurch der Blutdruok erheblich. 


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AU« diese Erscheinungen erklärt Verf., nach Ausschluss aller centralen An* 
griüspunkte, als die Folgen direoter peripherischer Reizung, ausgeübt auf Secretiona- 
aellen und glatte Muskelfasern. W. Connstein (Berlin). 


Pathologische Anatomie. 

11) Beiträge rar normalen und pathologischen Histologie der mensob- 
liehen Hypophysis oerebri, von Benda. (Berliner klin. Woohenschr. 
1900. Nr. 52.) 

Die Untersuchungen des Verf.’s baairen auf der Auffindung neuer Härtungs¬ 
und Färbemethoden zur Darteilung der Secretgranula. Durch Nachbehandlung 
von Fermalinmaterial mit Chromsäure oder von Alkoholmaterial mit Salpeter- 
und Chromsäure werden bei verschiedenen Färbemethoden — Blutfärbung von 
Michaelis, Weigert’sche Gliafaserfarbung, Eisenalizarin-Toluidinblaufarbnng — 
die Körnungen der Hypophyse aufs schärfste differenzirt. Das Auftreten der 
Körnchen beruht nicht anf Zelldegeneration; dieselben stellen vielmehr ein 
Functionsproduct der Hypophysis dar. Im Gegensatz zu Schönemann nimmt 
Verf an, dass das ausserordentlich reiohliche Vorhandensein von Körnchenzellen 
bei der menschlichen Hypophysis das normale ist. Verminderung der gekörnten 
Zellen sind beobachtet bei Cretins. Besonderes Interesse beanspruchen die Be¬ 
finde von Hypophysen Veränderung bei Akromegalie. Verf. hat 4 Fälle secirt; 
bei allen war die Hypophyse durch Tumorenbildung entartet; mikroskopisch liess 
sich mit Sicherheit nach weisen, dass die Geschwulst aus dem Drüsengewebe 
hervorgegangen war. Bei 3 Fällen konnte Verf. constatiren, dass das Geschwulst¬ 
gewebe fast ausschliesslich aus den stark gekörnten Zellen bestand. 

Bielschowsky (Breslau). 


Pathologie des Nervensystems. 

12) Zur Aetiologle der Tetanie, von Dr. F. Brandenberg. (Therap. Monats¬ 
hefte. 1901. November.) 

Beschreibung eines Falles von Tetanie hei einem Kranken, der kurz zuvor 
wegen Polyneuritis und alkoholischer hallucinatorischer Psychose behandelt worden 
war. Verf. schreibt dem Alkohol eine wesentliche ätiologische Bedeutung zu. 
Weiter geht er an der Hand der Litteratur auf das Verhältnis von Laryngo- 
spasmus der Kinder zur Tetanie and Rachitis ein, und kommt zu dem Ergebniss, 
dass dem Spasmus glottidis als Hauptsymptom der Tetanie wohl nur ein locales 
Interesse zukomme, derselbe jedenfalls nicht mit der Tetanie identificirt werden 
dürfe. H. Haenel (Dresden). 


13) Tötanie aveo arthropathie, par M. L. Guinon. (Bulletin de la Sooiätä 

de Pädiatrie de Paris. 1901. Nr. 7.) 

Die 6jähr. Patientin war bereits früher wegen einer Polyneuritis nach Keuch¬ 
husten Gegenstand einer Demonstration. Sie bekam nachher Scharlach und, als 
derselbe bereits abgelaufen war, eine acut fieberhafte Erkrankung, die als Sepsis 
nach Hautulcerationen aufgefasst werden musste. Bei dem sehr herabgekommenen 
Mädchen stellten sich nun 16 Tage nach Beginn dieser septischen Affection 
typische tetanische Contracturen der Arme und Beine mit Facialisphänomen ein. 
Trouseeau war wegen der Dauerspasmen nicht auszulösen. Das unregelmässige 
Fieber dauerte während dieser Zustände fort. Am 5. Tage der Tetanie schwollen 
die Metacarpophalangealgelenke beider Zeigefinger an. Die Schwellung hatte da« 


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Aussehen einer gichtischen Affection; zu Eiterung kam es nicht. Verf. zieht eine 
nervöse Arthropathie in differential diagnostische Erwägung, neigt sich aber mehr 
der Auffassung einer septischen Arthritis zu. Alle die Er&nkheitsersoheinungen 
gingen wieder zurück und das bedauernswerthe Kind scheint nun auf den Stand* 
punkt endgültiger Beconvalescenz angelangt zu sein. Zappert (Wien). 


14) Myxödem and Unfall, von Bornträger. (Aerztl. Sachverständigen-Ztg. 

1900. Nr. 28.) 

Verf. berichtet über einen sehr eigentümlichen Fall, in welchem ein operativ 
— nach Schilddrüsenoperation — entstandenes massiges Myxödem sich bedeutend 
und augenfällig verschlimmerte, nachdem der Pat. im Anschluss an eine Daumen* 
Verletzung sich eine schwere Phlegmone des Armes zugezogen hatte. Die Arbeits¬ 
fähigkeit schwand und der Pat. bot nunmehr das Bild des schweren Myxödems. 

Paul Schuster (Berlin). 

15) A oase of mongolism, by W. Winston Hall, M. D., London. (Pediatrics. 

1901. XI. Nr. 12.) 

Ausser den charakteristischen Zeichen des mongoloiden Typus war das nach 
schwerer Geburt zur Welt gekommene Kind auch durch das Unvermögen zu 
saugen, durch einen bereits angeborenen Schnupfen und durch ein systolisches 
Herzgeräuscb auffallend. Im Alter von 3 Monaten bekam es plötzlich einen 
schwer asphyktischen Anfall mit Bewusstlosigkeit und Schwinden des Pulses; mit 
etwa 4 Monaten wiederholte sich ein derartiger Anfall, in welchem das Kind 
verblieb. 

Eine Autopsie konnte nicht gemacht werden, so dass die räthselbaften Stö¬ 
rungen der Athmung unerklärt blieben. Verf. hält die Anwesenheit eines an¬ 
geborenen Herzfehlers für möglich. Zappert (Wien). 

16) Ueber A thyreo Bia im Kindeealter, von H. Quincke. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1900. Nr. 49 u. 50.) 

Im ersten Falle lag ein progressiver, zu totalem Schwund führender Prooess 
in der Schilddrüse vor. Die cretinischen Symptome traten bereits im 1. Lebens¬ 
halbjahre zu Tage, sicher lässt sich der Beginn nicht fixiren. Vorhanden waren 
die charakteristische Physiognomie, die Blödheit, der Mangel coordinirter Be¬ 
wegungen, die Verdickung der Zunge, eventuell auch der Stimmbänder, eine 
welke, schlaffe, etwas verdickte, nicht eigentlich myxödematöse Haut, Verspätung 
der epiphysären Knochenkerne am distalen Ende von Tibia und Fibula. Das 
Längenwachsthum war intact. Auffallend waren ein ziemlich hartnäckiges Kopf- 
und Gesicbtsekzem, vor allem Nystagmus und Schüttelbewegungen des Kopfes. 
Darreichung von Thyroidin beeinflusste den Zustand günstig, in den Behandlungs¬ 
pausen trat Verschlechterung ein, Wiederaufnahme der Schilddrüsentherapie zeitigte 
von neuem Besserung. Schwitzen, Bildung acneartiger Knötchen und leichtes 
Fieber bildeten die Nebenwirkungen der Schilddrüsenbehandlung. — Im zweiten 
Lebensjahre mässige Bhachitis. Tod an Diphtherie. Die Section ergab u. a. 
kleine Thymus, völliges Fehlen der Schilddrüse, keine nachweisbaren Neben¬ 
schilddrüsen. Verf. zählt den Fall dem Cretinismus zu und erblickt in ihm eine 
Stütze der Kocher’schen Anschauung, dass beim Cretinismus Ausfall oder quali¬ 
tative Aenderung der Schilddrüsenfunction ausschlaggebend ist. Beim ende¬ 
mischen Cretinismus ist es unklar, wie weit die Drüsenfunction erhalten ist, 
eventuell sind noch andere Organe oder Functionen durch die specifisohe Noxe 
geschädigt. 


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Im zweiten Falle zeigte das vorher gesunde Kind vom 15. Lebensmonat 
an leichte Abweichungen der Gesichtsbildung und Stillstand der psychischen Ent¬ 
wickelung, vom 19. Monat an Verblödung, Verlust von Sprache und Gehvermögen 
und auffällige Ernährungsstörungen an den Zähnen. Die Schilddrüse 
fehlte anscheinend. Auf Jodothyrindarreichung erfolgte Besserung in 8 Tagen, 
Heilung in 7 Wochen; die Heilung hält dauernd an. Verf. deutet den Zustand, 
der mit dem Myxödem und dem Cretinismus nicht übereinstimmt, als Athyreosis 
subacuta. Die normale Entwickelung des Kindes weist darauf hin, dass die 
Schilddrüse während dee 1. Lebensjahres normal oder annähernd normal functionirt 
hat; Ursache und Art der zum Schwunde der Schilddrüse führenden Erkrankung 
sind unklar. Das andauerrde Wohlbefinden erklärt sich wahrscheinlich aus dem 
vicariirenden Elintreten tiefgelegener Nebenschilddrüsen oder der Thymus. 

Die Eigenthümlichkeiten der rudimentären und abortiven Fälle stützen die 
Anschauung, dass es sich beim Myxödem und beim Cretinismus um die Wirkung 
von im Stoffwechsel erzeugten Giften handelt. Die grosse Mannigfaltigkeit der 
Elinzelbilder resultirt aus der mehr minder grossen Geschwindigkeit, mit welcher 
die Gifte sich in den Körpersäften anhäufen, vielleicht auch aus einer individuell 
verschiedenen Beactionsfähigkeit der einzelnen Organe gegenüber demselben Gift, 
namentlich im Entwickelungsalter. Anscheinend handelt es sich bei den Schild- 
drüsendefecten um verschiedene Gifte und um wechselnde Mischungsverhältnisse. 

R. Pfeiffer. 


17) Zur Pathologie der infantilen Myxidiotie, des sporadischen Cretinis¬ 
mus oder infantilen Myxödems der Autoren, von Dr. F. Siegert 
(Strassburg). (Jahrbuch f. Kinderheilk. LUI. 1901. Nr. 4.) 

Die ungenügende Kenntniss des Myxödems bei den deutschen Autoren ver¬ 
anlasst« den Verf, an der Hand der Litte rat ur und eigener Fälle dieser Frage 
bei der Naturforscher-Versammlung in Aachen eine Besprechung zu widmen. 

Man muss zwischen angeborener und erworbener Myxidiotie unterscheiden. 
Von den Symptomen der ersteren Gruppe sind besonders hervorzuheben: Fehlende 
Schilddrüse, ein unbedingtes Erforderniss; Aufhören bezw. nur ganz geringes 
Fortschreiten dee encbondralen Knochenwachsthums nach der Geburt bei völligem 
Fehlen aller rachitisohen Knoohenveränderungen; Verspätung dee Zahn¬ 
wachsthums, Offenbleiben der grossen Fontanelle bis ins späte Alter; Muskel¬ 
schwäche, welche sowohl die Schwierigkeit des Gehenlernens, als auch die oonstante 
Nabelhernie, sowie den Ballonbauoh erklärt. Veränderung der Haut, Haare, 
Schleimhäute, Zunge, Verminderung der weissen und rothen Blutkörperchen. 

Auch hei der erworbenen Myxidiotie ist das Fehlen der Schilddrüse ein 
constanter Befund. Hingegen ist die Combination von rachitischen und myxöde- 
tnatöeen Knochenveränderungen möglich, da ja heim Einsetzen der letzteren Krank¬ 
heit Rachitis bereits vorhanden gewesen sein kann. Haut- und Muskelerkrankungen 
sind ebenso wie bei der angeborenen Form vorhanden. 

Bei Besprechung von Verlauf und Klinik des infantilen Myxödems bespricht 
Verf. nur einzelne dieser Punkte etwas eingehender. 

So bekämpft er die Ansicht Schein’s, dass die Milch der Mutter den Säug¬ 
ling während der Lactationszeit vor dem Ausbruoh der Myxidiotie bewahre; 
ferner weist Verf. auf die Verschiedenheiten der körperlichen und geistigen Ent¬ 
wickelung bei den Myxödemkranken hin; dieselbe ist in jedem Falle verlangsamt, 
von einem Stillstand oder Rückgang kann aber nur dann die Rede sein, wenn 
die Erkrankung ältere Kinder befallen hat. Nabelhernie und Auftreibung des 
Abdomens ist auch in später erworbenen Fällen zu constatiren, einer Behandlung 
aber leioht zugänglich. 

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Die Schilddrüsentherapie leistet oft sehr gute Dienste; meist aber gelingt es 
bei angeborener Myxidiotie nur, die Kranken etwa auf das geistige Niveau eines 
3—5jähr. Kindes zu bringen. Die Gefahren der Schilddrüsenbehandlung sind 
nicht zu unterschätzen; Verf. hat selbst ein Kind seiner Beobachtung, welches 
versuchsweise wegen Rachitis Thyreoidtabletten bekommen hatte, unter dem Bilde 
des Status thymicus verloren. Zappert (Wien). 


18) Le myxoedöme frano et le myxoedöme fruste de l’enfanoe, par 

E. Hertoghe. (Nouv. Icon, de la Salp. 1900. XIII. S. 411.) 

Verf. berichtet über 2 Fälle von Infantilismus oder „Myxoedöme franc“, die 
durch Thyreoidinbehandlung geheilt wurden. Interessant war, dass die beiden 
Mütter der betreffenden Patienten ebenfalls myxödematöse Symptome zeigten und 
sich nach Thyreoidinbehandlung besserten. 

Schliesslich theilt Verf. noch die Krankengeschichte eines 18jähr. Mädchens 
mit sogen. „Myxoedöme fruste“ mit, die auch nach zweijähriger Schilddrüsen¬ 
behandlung geheilt wurde. Facklam (Suderode). 


19) Ben geval van oongenitaal myxoedem, door A. C. van Brüggen. 

(Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. vor Geneesk. 1900. II. Nr. 3.) 

Bei einem am 15. Juli 1899 geborenen Kinde war der Mutter etwa 4 Wochen 
nach der Geburt aulgefallen, dass es weniger beweglich war als ihre früheren 
Kinder, und später auch, dass es weniger intelligent war, was besonders daraus 
hervorging, dass es bis dahin noch wenig Notiz von seiner Umgehung genommen 
und noch nicht gelacht hatte. Anne und Beine waren immer kalt, Schweiss war 
noch nicht bemerkt worden. Seit ungetähr 10 Tagen hatte die Mutter bemerkt, 
dass das Kind an Händen und Füssen saugte, sehr schläfrig war und unmittelbar 
nach dem Saugen erbrach. Am 16. Octoher 1899 fiel an dem Kinde nur die 
gelblich blasse Hautfarbe und die Schwellung der Glieder auf, die in Folge eines 
harten Oedeme formlos waren, es war kein besonders grosses Missverbältniss 
zwischen der Grösse des Kopfes und der Körperlänge vorhanden. Das Kind wog 
6,300 kg und war 57 cm lang, der Brustumfang war zu gering. Das Gesicht war 
ausdruckslos, die Gesichtshaut geschwollen, die Nase sehr verdickt. Die Bein¬ 
bewegungen waren träg und gering, das Kind griff nicht zu, wenn ihm etwas 
vorgehalten wurde. Patellar- und Cremasterreflex waren aufgehoben. Vom 
19. October an wurde die Behandlung mit Schilddrüsenpulver, täglich 20 mg, ein¬ 
geleitet. Schon am 31. Octoher batte das Kind deutlich an Umfang abgenommen 
und in Folge dessen war das Gewicht auf 6,050 kg gesunken. Am 10. April 1900 
betrug die Körperlänge 64 l / a cm, das Körpergewicht 7,150 kg, der Brustumfang 
war unternormal für das Alter des Kindes und namentlich ungünstig im Ver- 
hältniss zum Schädelumfang. Auoh in geistiger Beziehung entwickelte sich das Kind. 

Verf. betrachtet den Fall nicht als unvollständige Form des angeborenen 
Myxödems, weil eine Reihe von Symptomen fehlte, sondern erklärt das Fehlen 
dieser Symptome, wenn es bei Säuglingen vorkommt, dadurch, dass das Kind mit 
der Muttermilch einen Theil des Schilddrüsenseoretes von der Mutter zu sich 
nimmt, dass das Kind bei der Geburt einen Vorrath von Tbyreoantitoxin von 
der Mutter in seinem Körper hatte, so dass sich die Erscheinungen erst langsam 
mit dem Verbrauch dieses Vorrathes entwickeln, und dass die noch functionirende 
Thymusdrüse die Function der Schilddrüse übernimmt, so dass erst mit der 
Atrophie der Thymusdrüse sich langsam die Erscheinungen des Myxödems ent¬ 
wickeln. Dadurch dürfte es sich erklären, dass im vorliegenden Falle das Myx¬ 
ödem erst einen Monat nach der Geburt auftrat Walter Berger (Leipzig). 


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20) Btt flall af infhntilt myxödem, af Albert de la Chapelle. (Finska 

läkaresällsk. handl. 1900. XLU. S. 717.) 

Eine am 21. Jali 1881 geborene Kranke, die am 11. Jannar 1896 in der 
Kinderklinik in Helsingfors aufgenommen wurde, hatte ohne bekannte Veranlassung 
im 2. Lebensjahre begonnen, in der Entwiokelung in jeder Hinsicht zurückzu- 
bleiben und war auf der körperlichen und geistigen Entwickelungsstufe eines etwa 
zweijährigen Kindes stehen geblieben. Sonst war sie im Allgemeinen gesund 
gewesen und hatte die gewöhnlichen Kinderkrankheiten nicht durchgemacht. Es 
hatten sich die gewöhnlichen Zeichen des infantilen Myxödems entwickelt in Folge 
einer wahrscheinlich angeborenen Atrophie der Schilddrüse; eine Gelegenheits¬ 
ursache zur Entstehung dieser war nicht aufzufinden. Patientin war in ihrem 
Weeen langsam, träg und unbeholfen, musste gefüttert werden, sprach selten von 
selbst und gab auf Fragen langsam Antwort, die immer nur aus einem Worte 
bestand und oft unrichtig war; die Aussprache war undeutlich, die Zunge war 
gross und nach vorn zwischen die Lippen geschoben. Patientin reagirte träg 
auf Schmerzeindrücke. Die Motilität war ungestört, bei passiven Bewegungen 
trat ziemlich starke Starre in allen Muskeln ein. Die grosse Fontanelle war 
offen. Zähne hatte Patientin nicht, ausser einigen Besten von cariösen Milch¬ 
zähnen. Der Bauch war gross und vorstehend, aber weich und ohne Besistenz; 
im unteren Dorsal- und oberen Lumbaltheile der Wirbelsäule bestand Lordose. 
Die Haut zeigte die charakteristischen Eigentümlichkeiten des Myxödems. Vor 
der Erkrankung hatte die Patientin langes und dichtes Haar gehabt, später war 
es aber dünn geworden. Patientin war gewöhnlich ruhig und still, zeigte Neigung 
alles zu Bammeln, was sie erreichen konnte, und etwas Zerstörungstrieb. 

Nach Behandlung mit Thyreoidin stellte sich allmählich Besserung in jeder 
Hinsicht ein, Besserung des Stoffwechsels und des Allgemeinzustandes mit kräftigerer 
Herzthätigkeit, Steigerung der Körpertemperatur, Besserung der Zusammensetzung 
des Blutes, fast vollständiger Bückgang aller Veränderungen der Haut. Die Fon¬ 
tanelle schloss sich, die Dantition kam wieder in Gang und die intellectuelle 
Entwiokelung machte Fortschritte. Die nachtheiligen Wirkungen des Thyreoidins 
waren leioht und gingen nach einem Wechsel des Präparates bald vorüber. 
Nachdem die Thyreoidinbehandlung 4 Jahre lang fortgesetzt worden war, war 
das Körpergewicht, das bei der Aufnahme 17,060 kg betragen hatte, auf 23,350 kg 
gestiegen, die Körperlänge, die im Januar 1896 85,5 cm gemessen hatte, maass 
im April 1900 115,5 cm. Der durch Untersuchung mit Böntgenstrahlen constatirte 
Umstand, dass das Skelett sich fortwährend in Wachsthum befand, schien für die 
weiteren Fortschritte der körperlichen Entwickelung in der Zukunft eine günstige 
Prognose zu stellen. Walter Berger (Leipzig). 


21) Et TilfUde af infantilt Myxödem behandlet med Pili, gland. thyr. aioc., 

ved Carl Biis. (Hospitalstidende. 1900. VIII. S. 14.) 

Die Mittheilung des Verf.’s bildet die Fortsetzung eines früheren (HoBpitalstid. 
1899. S. 2. — Neurolog. Centralbl. 1899. S. 821) von ihm mitgetheilten Falles. 
Das Kind, anfangs eine fast „unbewegliche, vegetative Masse“ hatte sich bis zum 
17. Januar 1900 zu einem intelligenten kleinen Mädchen entwickelt. Vom 
25. Januar 1898 bis zum 17. Januar 1900 waren 1825 Pillen mit je 2 cg Gland. 
thyr. sicc. verbraucht worden. Das Anfangsgewicht von 12650 g war auf 21250 g 
gestiegen, die Körperlänge von 73,5 cm auf 102,75 cm, die Harnstoffausscheidung 
von 7 g täglich auf 23,73 g. Während das Kind anfangs stupid, träg und un¬ 
reinlich war, war es lebhaft geworden, sprach verständig und war reinlich. 

Walter Berger (Leipzig). 


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22) Fall af myxoedema infantile, af K. Beifrage. (Hygiea. 1900. LXIL 

S. 395.) 

Bei einem Kinde begann schon im Alter von 2 Jahren das Wachsthum nicht 
fortzuscbreiten. Die Glieder waren von Geburt an starr und steif gewesen, das 
Kind, ein Mädchen, begann erst im 3. Jahre laufen zu lernen und lernte spät 
sprechen. Von da an blieb das Kind körperlich und geistig zurück und glich 
im Alter von 8 Jahren ungefähr einem Kinde von 4 Jahren in der körperlichen 
und geistigen Entwickelung. Im Alter von 7 Jahren war Myxödem eingetreten. 
Bei Thyreoidinbehandlung stellte sich Besserung ein, die Bpäter rasche Fort¬ 
schritte machte. Walter Berger (Leipzig). 


23) Ein Fall von Myxödem bei einem 2 1 / s jfthr. Mädchen, von Priv.-Doc. 
A. Russow. (Jahrbuch f. Kinderheilk. 1901. LIIL. Nr. 3.) 

Beschreibung eines typischen infantilen Myxödems, bei welchem durch lang¬ 
fortgesetzte Schilddrüsenfütterung recht hübsche Erfolge erreicht worden waren. 
Das Kind starb an einer postmorbillösen Pneumonie; die Section ergab u. A., 
wie erwartet, eine angeborene Kleinheit der Schilddrüse. Zappert (Wien). 


24) Zur Casnlstik des sporadischen OretinismuB, von Dr. Jacob Schiff- 

maoher. (Archiv f. klin. Med. LXXI. S. 470.) 

Es handelt sich um einen 9 Jahre alten Knaben, welcher schon bei der Ge¬ 
burt einen auffallend grossen Kopf zeigte, und welcher fast von der Geburt an 
sowohl in geistiger wie körperlicher Entwickelung zurückgeblieben war. Vom 
3. Jahre an bestand starke Obstipation, so dass sich ein Kothtumor bildete, der 
später exstirpirt wurde. Ein Bruder des Pat. ist Idiot, die Grossmutter (mütter¬ 
licherseits) war vorübergehend geistesgestört. Kein Mitglied der Familie leidet 
an Kropf. Pat. zeigt ausgesprochenen Zwergwuchs und typisch cretinenhaften 
Gesichtsausdruok; Körpergrösse 77cm, Gewicht 13^ kg; Kopf unförmig dick, 
Abdomen breit und stark vorgewölbt. Extremitäten kurz, dick und plump. Mund 
und Lippen dick und gewulstet, die wenigen Zähne gehören noch der ersten 
Dentition an; Schilddrüse anscheinend vollständig fehlend. Leichte Kyphoskoliose. 
Von Rhachitis sind sonst keine deutlichen Zeichen nachweisbar. Haut trocken 
und schuppend und welk. An einzelnen Körperstellen (Augenlidern) ödematöse 
Schwellungen. Der Hämoglobingehalt beträgt 55°/ 0 des Normalen, Verhältniss 
der weissen zu den rothen Blutkörperchen wie 1:321. Pat sitzt stundenlang 
ruhig da, blöd vor sioh hinglotzend. Gehen und Stehen ist unmöglich, Sprache 
fehlt vollständig; Pat muss gefüttert werden. Gefühlsäusserungen fehlen so 
gut wie gänzlich. Nach Darreichung von Thyreoidintabletten besserte Sich sowohl 
der körperliche wie der geistige Zustand merklich, doch erlag Patient einer Pneu¬ 
monie. Die Section ergab: Confluirende Lobulärpneumonie in sämmtlichen Lappen 
beider Lungen; Cretinismus in Folge völligen Defects der Schilddrüse; Hydro- 
cephalus externus, in geringem Grade auch internus; Kothtumor im S-Roman um, 
allgemeine Anämie und Atrophie, Hypoplasie des ganzen Körpers; sehr zurück in 
der Entwickelung erwies sich besonders auch das Knochensystem. 

Jacobsohn (Berlin). 


26) A oase of sporadio cretiniam, by Philip F. Barbour. (Pediatrics. 
1901. XI. Nr. 9.) 

Enthält die Beschreibung eines charakteristischen Falles von Cretinismus, 
der als sporadischer aufzufassen ist, da weder in der Familie noch in der Um- 


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gebung ein ähnlicher Fall vorgekommen war. Verf. sah das Kind zum ersten 
Male als es 6 Monate alt war. Die gleich damals eingeleitete und fortgesetzte 
Thyreoidbehandlung hatte recht gute Resultate in Bezug auf die körperliche und 
geistige Entwickelung zur Folge; Verf. glaubt, diese namentlich dem frühzeitigen 
Beginn der Schilddrüsenbehandlung zuschreiben zu dürfen. 

Verf. entwickelte dann in Kürze die Differentialdiagnose zwischen sporadischem 
und endemischem Cretinismus, mongolischem Typus der Imbecillität, fötaler Rachitis 
und syphilitischen Infantilismus und giebt eine kurze Darstellung des regelmässigen 
Verlaufe dieser Zustände. Zappert (Wien). 

26) Idiotie myxoed&nateufle; traitement thyroldien, par Bourneville et 

Laurens. (Progrös medical. 1901. Nr. 23.) 

Bourneville bereichert mit vorliegendem Falle die seit 1880 gesammelten 
Fälle von infantilem Myxödem um einen neuen: den 14. Dieser ist wie stets 
ausführlichst mitgetheilt und mit Tabellen, Abbildungen u. s. w. versehen. 

Aach dieser Fall wurde durch Gaben von Thyreoiddrüsen gebessert. 

Adolf Passow (Meiningen). 


27) Temporal hemlanopsi p& grund af lesion af ohiasma, af Emil Juselius. 

(Finska läkaresällsk. handl. 1900. XLIL S. 1187.) 

An die ausführliche Mittheilung des schon von Wahlfors (Finska läkaresällsk. 
handl. 1900. XLIL S. 768, s. Refer. auf nächster Seite) in der Gesellschaft der 
finnischen Aerzte mitgetheilten Falles reiht Verf. die Mittheilung eines früher (1884) 
in der Praxis von Wahlfors vorgekommenen. Die 30 Jahre alte Kranke, die seit 
7 Jahren an rheumatischen Affectionen mit Geleukanschwellungen und Schmerzen im 
ganzen Körper, später wiederholt an Kopfschmerz mit Ohrensausen, besonders rechts, 
gelitten hatte, bemerkte vor 2 Jahren eines Morgens, dass der äussere Theil des 
Sehfeldes im linken Auge fehlte; eine Woche darauf begann die Patientin auch 
auf dem rechten Auge schlecht zu sehen und im Laufe eines Monats fand sioh 
auch in diesem ein Gesichtsfelddefect. Im rechten Auge war nur noch der obere 
innere Quadrant des Sehfeldes unbeschädigt, im linken der ganze innere bis auf 
einen kleinen Theil des unteren inneren. Die Ursache der Hemianopsie liess sich 
bei sehr mangelhaften Aufklärungen nicht mit Bestimmtheit erforschen, aber eine 
Affection der Himbasis lag nahe. Walter Berger (Leipzig). 


28) Klinlsoh« und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akromegalie, 

von A. Fraenkel, E. Stadelmann und C. Benda. Aus dem Urban* 
krankenhause in Berlin. (Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin 
am 1. und 29. April 1901.) 

Fraenkel’s Fälle sind typische Akromegalieen. Neben den charakteristischen 
Zeichen waren bei dem ersten Kranken auffallend eine vorübergehende und mässige 
Glycosurie, schwere Herz* und Circnlationsstörungen, sowie ein terminaler Sopor. 
Die Autopeie ergab neben einem Hypophysistumor keine stärkeren Anomalieen 
der übrigen Blutdrüsen, ausgedehnte Arteriosklerose, auch der Gehimgefässe, 
chronische Nephritis und knotige Pancreashyperplasie. — Der zweite Patient 
erlag einem Magenoarcinom. Die Akromegalie war benigner Natur, hatte an¬ 
nähernd 30 Jahre bestanden, es fehlten alle ernsteren Complicationen, insbesondere 
die Glycosurie, und auch der bei der Section gefundene Hypophysistumor hatte 
keine cerebralen Symptome bedingt, da er wesentlich nach unten gegen die Keil¬ 
beinhöhle gewachsen war. Interessant ist, dass Vater, Bruder und Schwester des 
Kranken ansch einen d ebenfalls an Akromegalie gelitten haben. 


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Stadelmann’s erster Fall ist ein Typus der benignen Form von Akro¬ 
megalie: der Kranke starb an typischem Diabetes mellitus und Coma diabetioum. 
Das Pancreas war normal. Die Section ergab ferner eine Vergrösserung der 
Hypophysis neben den sehr ausgeprägten, charakteristischen Veränderungen der 
Knochen, sowie eine abnorme Mächtigkeit der Zunge. — Seine zweite Beobachtung 
deutet St. als Combination von Riesenwuchs und Akromegalie. Es fanden sich 
eine colossale Vergrösserung der Nase, Prognathie, starke Entwickelung der Unter¬ 
lippe und Zunge, Knochen Veränderungen von akromegalem Typus (Verdickungen 
gerade der Knochenenden, Osteophysenbildung, Osteoporose) und daneben eine 
enorme Verdickung und Massigkeit der Knochen, während die Weichtheile im 
allgemeinen weniger akromegalen Habitus zeigten. Die Section ergab auch hier 
einen Hypophysistumor. 

C. Benda charakterisirt zunächst das makro- und mikroskopische Verhalten 
der Tumoren in den vier von Fraenkel-Stadelmann beobachteten Fällen. Er 
betont das völlige Intactbleiben des hinteren Hypophysislappens und die Herkunft 
der Geschwulstzellen aus den epithelialen Elementen des Hypophysisvorderlappens. 
In 3 Fällen zeigten die Geschwulstzellen den Typus der „gekörnten“ Drüsenzellen, 
im 4. Falle fanden sich fast ausschliesslich ungekörnte Zellen, vielkernige Zellen 
und Zellen von stärker abweichendem Typus. Hier kann man von einem malignen 
Adenom sprechen, in den anderen Fällen von einer Struma hyperplastica oder 
adenomatosa. Ursprünglich strumöse Tumoren können später möglicherweise 
in maligne entarten. Weitere Untersuchungen nach Benda’s Vorschriften sind 
dringend wünschenswerte B. hält es nach seinen Befunden für das wahrschein¬ 
lichste, dass die körperlichen Wachsthumsanomalieen bei Akromegalie auf einer 
pathologischen Functionssteigerung der Hypophysis beruhen und hält die ausser¬ 
ordentliche Vermehrung der gekörnten Drüsenzellen für in diesem Sinne be- 
merkenswerth. R. Pfeiffer. 


29) Hypophysiatamor, af Wahlfors. (Finska läkaresällsk handL 1900. 

XH. S. 768.) 

Der 24 Jahre alte Pat. hatte einige Zeit nach einer epidemischen Krankheit, 
die hauptsächlich in Kopfschmerz, Erbrechen und Fieber bestand, im 7. Lebens¬ 
jahre, Veränderung des Charakters gezeigt, war still und verdrossen geworden, 
lernte schwerer in der Schule. In Zwischenzeiten von 4—5 Wochen trat plötz¬ 
lich einige Tage lang Kopfschmerz mit Erbrechen auf, wonach immer langer 
Schlaf folgte, einmal soll Pat. eine Woche lang fortgeschlafen haben. Seit un¬ 
gefähr 3 Jahren hatte Pat. Anfälle von Bewusstlosigkeit mit Zuckungen in Armen 
und Beinen; diese Anfälle, denen Kopfschmerz und Erbrechen vorausgingen und 
tiefer Schlaf folgte, kehrten anfangs 2—8 Mal im Laufe eines Jahres auf, wurden 
aber immer häufiger und heftiger. Das Sehvermögen hatte abgenommen und 
mitunter trat Diplopie auf. Es bestand Facialisparese auf der linken Seite. Der 
Patellarreflex war, besonders links, etwas verstärkt. Die linke Pupille war etwas 
grösser als die rechte. Auf dem linken Auge bestand Parese des Rectus internus, 
auf dem rechten des Rectus inferior. Die Papillen waren atrophisch, die Venen 
etwas erweitert, beide äussere Hälften des Sehfeldes zeigten Defecte mit scharfer 
Demarcationslinie, im linken Auge bestand ausserdem ein Defect im oberen 
Quadranten und eine Zone undeutlichen Sehens etwas nach aussen von der 
Fixationslinie. Auf Grund der bitemporalen Hemianopsie stellte Verf die Dia¬ 
gnose auf Hypophysisgeschwulst. — An die Mittheilung dieses Falles in der 
finnischen Gesellschaft der Aerzte schloss Homön die Bemerkung, dass zur Er¬ 
klärung der bitemporalen Hemianopsie eine Affection des Chiasma vorausgesetzt 
werden müsse, vermuthlioh eine Folge des Druckes der Geschwulst, durch den 
auch die Faoialisparese erklärt werden könne. Walter Berger (Leipzig). 


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80) Akromegalie, door F. S. Meyers. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1900. 

S. 414.) 

Verf. theilt 4 Fälle von Akromegalie mit, von denen drei in der unter 
Leitung Prof. Wertheim Salomonson’s Leitung stehenden Universitätspoliklinik 
für Nervenkrankheiten und Elektrotherapie zu Amsterdam stammen, der vierte 
von Prof. Winkler zur Veröffentlichung überlassen wurde. 

I. Die 38 Jahre alte Eiranke hatte seit 3 1 /* Jahren an Kopfschmerz, seit 
1 l / a Jahren an Schmerzen in den Armen, den Beinen und dem Unterkiefer ge¬ 
litten und seit ungefähr einem Jahre bemerkt, dass ihre Hände und Füsse grösser 
worden, Arme und Beine waren schwach und matt, das Gehen wurde erschwert 
durch das Gefühl von Schwere in den Beinen und Schmerz in den Füssen; die 
Patientin ass seit einiger Zeit weniger wegen Sohinerz im Munde. Die Unterlippe 
stand vor, die Nase war grösser geworden, die Zunge war vergrössert. Der 
Thorax hatte in transversaler Richtung zugenommen, es bestand Kyphose in der 
Rückenwirbelsäule. Die Hände waren vergrössert, die Finger waren dick, aber 
die Nägel waren normal. Ausser Kraftverminderung in den Armen und Beinen 
fanden sich keine Nervenstörungen. Während der Zeit der Beobachtung hörte 
die Menstruation auf. 

DE. Eine 32 Jahre alte Frau hatte seit einem Jahre bemerkt, dass ihre 
Hände grösser und dicker wurden, auch die Füsse wurden dicker, aber in ge¬ 
ringerem Grade. Vor 2 1 /* Jahren war Patientin schwanger geworden und hatte 
ein Kind geboren, das an Krämpfen litt Seit einiger Zeit klagte sie über Kopf- 
scumerz, namentlich in der rechten Sohläfengegend, das Gedächtniss nahm ab, die 
Augen wurden schwächer. Auch im Gesioht zeigten sich Veränderungen, die Nase 
war breiter geworden, der Unterkiefer stand vor. Es bestand starke Kyphose 
mit geringer Skoliose nach rechts. Die Hände waren enorm vergrössert, besonders 
der Breite und Dicke nach, nicht der Länge nach, die Finger waren sehr verdickt, 
die Nägel waren aber nicht vergrössert; bei der Palpation schien die Zunahme 
des Volumens in der Haut und im subcutanen Bindegewebe zu liegen; die Venen 
der Hände und Arme erscheinen ungewöhnlich erweitert, besonders rechts. Ganz 
analog waren die Veränderungen an den Beinen und Füssen. Motilität und 
Sensibilität zeigten keine Abweichungen, an den Augen fanden sich weder Ver¬ 
änderungen der Sehfelder, nooh Störungen der Bewegungen. Von Seiten der 
Hironerven fanden sich keine Störungen. 

TIT- Eine 54 Jahre alte Frau hatte vor 4 Jahren an Icterus gelitten, danach 
an Kopfschmerz, an dessen Stelle später Gliederschmerzen traten. Den Beginn 
ihres Leidens brachte sie mit dem Weghleiben der Menstruation in Zusammen¬ 
hang. Die Füsse, die stets gross gewesen waren, wurden allmählich noch grösser, 
such die Hände nahmen zu und der Unterkiefer wurde vorstehend; das Gesicht 
breiter und plumper, auch die Nase wurde dicker. Bei der Untersuchung fanden 
sich Hände und Füsse ungewöhnlich stark entwickelt, der Unterkiefer stark vor¬ 
stehend. Es bestand Kyphose mit geringer Skoliose. An beiden Armen waren 
die Hautvenen erweitert, auch an den Handrücken bis auf die Finger, ebenso 
verhielt es sich an den Füssen. Sonst zeigte die Haut nichts Abnormes. Patientin 
litt ausserdem an einem Herzfehler und an Diabetes. Von der Anwendung von 
Hypophysistabletten war nicht die geringste Wirkung zu bemerken. Der Diabetes 
nahm zu und, als Verf die Patientin zum letzten Male sah, bestand eine deut¬ 
liche Parese des linken N. radialis. 

IV. (Fall Winkler’s.) Bei einer 28 Jahre alten Frau war seit 1890 die 
Menstruation ausgeblieben, angeblich nach Influenza batte seit 1893 die Körper¬ 
länge zugenommen, und Hände und Füsse waren ausserordentlich grösser geworden. 
1895 hatte die Kranke eine Kehlkopfkrankheit (Syphilis) gehabt, danach waren 


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Gelenkrheumatismus und Endocarditis aufgetreten und im Jahre danach zunehmende 
Muskelatrophie. Die Nase und die Ohren waren gross. Ee bestand doppelte 
Kyphose in der oberen und unteren Brustwirbelgegend, dazwischen Skoliose mit 
der Convexität nach links. Die Schlüsselbeine waren an den Stemalenden ver¬ 
dickt, das Sternum war enorm breit und in der Gegend der 3. Rippe nach innen 
geknickt. Die Armmuskeln waren atrophisch, stärker an den Oberarmen, die 
Vorderarme waren im VerhäUniss zu den Oberarmen lang, die Hände waren gross 
und plnmp. Die Ffisse waren sehr gross, es bestand beiderseits Calcaneusfhss 
mit Equino-Varusstellung, links stärker als rechts, die Muskeln an den unteren 
Extremitäten zeigten starke Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit. Sensi¬ 
bilitätsstörungen waren nicht vorhanden. Nachdem der Zustand eine Zeit lang 
unverändert geblieben war, stellten sich Oedeme ein, Collaps trat ein nnd Patientin 
starb bei zunehmender Schwäche. — Bei der Section fand sich ein Adenom der 
Hypophyse, 8 g schwer. Die Sohilddrnse war gross. Rings um den Centralcanal, 
besonders von Medulla oblongata, bestand beträchtliche Gliawucherung. 

Walter Berger (Leipzig). 


31) Ett &11 af akromegali, af H. Köster. (Hygiea. 1900. LXIL S. 37.) 

Bei einer 62 Jahre alten Frau, deren Mutter an Rheumatismus deformans 
gelitten, aber kleine Hände und Ffisse gehabt hatte, blieb im Alter von 38 Jahren 
ohne bekannte Ursache die Menstruation für immer ans, im Alter von 40 Jahren 
stellte sich Kopfschmerz in der Stirngegend ein, ferner subjective Gehörsempfindungen, 
und das Hörvermögen nahm auf dem linken Ohr ab. Im Alter von 42 Jahren 
bemerkte Patientin, dass Gesicht, Hände nnd Ffisse an Umfang Zunahmen, sie 
hatte heftige Schmerzen in den Gliedern, später das Gefühl von Eingeschlafensein 
in Händen und Füssen, Schwächegeftthl in den Händen, besonders rechts. Das 
linke Auge war allmählich vollständig erblindet Der Zustand verschlimmerte 
sich ganz allmählich und stetig und ee entwickelte sich das typische Krankheits¬ 
bild der Akromegalie. 

Am 11. December 1897 fand man den Kop^ besonders die vorspringenden 
Theile desselben, auch die Weiohtheile vergrössert Die Hände waren besonders 
in der Breitenrichtung, die Ffisse in beiden Riohtungen collossal vergrössert Auch 
die Unterschenkel boten bedeutende Zunahme des Volumens dar, in geringerem 
Grade die Kniee. Die Haut war besonders an Händen und Füssen verdiokt, 
Oedem bestand nicht Ferner fand sich Vergrösserung an der Halswirbelsäule, 
an den Schultern und an einigen Rippen, aber das Brustbein war normal. Die 
Augäpfel waren vorgetrieben, besonders der linke, der nach oben nnd aussen ver¬ 
schoben und ganz unbeweglich war, ausser in der Richtung nach oben, am linken 
Auge fand sich vollständige Atrophie des N. opticus. Die Stimme war etwas 
rauh und heiser, aber der Kehlkopf war nioht vergrössert Patientin klagte über 
Schmerz in der Stirn und den Gliedern, besonders in den Schultern und im 
rechten Mittelfinger. Die Sensibilität war etwas herabgesetzt, namentlich an den 
Stellen, wo sich stärkere Verdickung der Haut zeigte, vielleicht in Folge dieser. 
Der Temperatursinn war bedeutend herabgesetzt, der Schmerzsinn etwas, der Orts¬ 
sinn war gut Die Intelligenz hatte nicht gelitten, die Stimmung war bisweilen 
deprimirt, Patientin nahm an den Arbeiten im Krankenhause Theil und half gern. 
Der Schlaf war gut, der Harn enthielt etwas Eiweiss, einzelne Cylindroide, sonst 
keine Formbestandtheile, keinen Zucker. — Behandlung mit Hypophysentabletten 
brachte keinerlei Besserung, ebenso wenig die Anwendung von Schilddrüsen- 
tabletten. 

Das Bestehen einer Hypophysengeschwulst hält Verf. in diesem Falle für 
sicher wegen der Hervortreibung der Augäpfel, der Abweichung des linken nach 


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oben und aussen mit Lähmung aller Augenmuskeln derselben Seite und wegen 
der Atrophie des linken N. opticus. Ob der Kopfschmerz auf dieselbe Ursache 
zurückzuführen sei, erscheint ihm dagegen zweifelhaft, weil im Uebrigen Symptome 
ron Himgeschwulst fehlten. Walter Berger (Leipzig). 

32) lieber Akromegalie. Casuistische Mittheilungen von Dr. W. Warda in 

Blankenburg. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.) 

Der erste Fall betrifft einen schon früher von Mosler und dessen Schüler 
Kleikamp beschriebenen 48jähr. Apotheker. 1898 trat er in die Behandlung 
des Verf.’s ein. Das Leiden begann 1888 mit Dickenzunahme der Finger, weloher 
1V 2 Jahre später Parästhesieen und vasomotorische Störungen an denselben folgten. 
Ausserdem wurde damals eine Volumszunahme an dem Supraorbitalrand, an Nase, 
Lippen, Zunge und an den Zehen bemerkt. Die Schilddrüse ist nicht vergrössert, 
eher klein, Thymusdämpfung besteht nicht, Händedruck beiderseits etwas schwach, 
geringer statischer Tremor der Hände, leichte cervico-dorsale Kyphose, mechanische 
Muskelerregbarkeit etwas gesteigert, Reflexe normal, Sensibilität überall erhalten, 
Druck auf den Ulnaris, und zwar rechts mehr als links, bewirkt Kribbeln, links 
Tibialis etwas empfindlich. Geruch beiderseits herabgesetzt, auch Geschmack 
weniger scharf, als normal. Hände breit und plump, Finger stark verdickt, die 
Zehen haben etwas Tatzenartiges. Seit einem Jahre stärkere Reizbarkeit. Keine 
Abnahme der Potenz. Mässige Libido. Auf Grund des Ohrbefundes (chronischer 
Catarrh des Ohres und Nasenrachenraumes) konnte man an Lues denken, ferner 
spricht das Zurückbleiben des Pat. im Wachsthum und eine zeitlich nicht sicher 
localisirbare Leberentzündung für eine hereditäre oder in früher Kindheit er¬ 
worbene Lues. So lässt dieser Fall immerhin an die Möglichkeit einer Combination 
von Lu es und Akromegalie denken. In therapeutischer Beziehung ist zu be¬ 
merken, dass die Behandlung mit Schilddrüsensubstanz ohne jeden Erfolg war. 
Bei dem Kind des Pat. finden sich auffällig plumpe Finger und Hände. 

Die zweite Beobachtung betrifft eine 49jähr. Klavierlehrerin, in deren Familie 
mehrere Falle von Gehirn- und Rückenmarksleiden sowie von Carcinom und 
Tuberculose zu verzeichnen sind. Patientin war schon als Kind sehr erregt und 
zu Verstimmung geneigt. Vor dem 15.—20. Jahr in Folge des Klavierspiels (?) 
Sehnenscheidenentzündung an der linken Hand und im Anschluss daran Volums¬ 
zunahme von Hand und Arm, und zwar auch des knöchernen Gerüstes derselben. 
Rechte Hand zeitweise schwach, schmerzhaft und geschwollen, linker Fuss und 
Unterschenkel ebenfalls verdickt. Seit vielen Jahren Reizzustand des Gehörs, seit 
2 1 /* Jahren localisirte Schmerzen im Kehlkopf und in Folge davon Behinderung 
am Sprechen, Schlucken und Athmen. Ausserdem bestehen eine Reihe hysterischer 
Symptome. Seit 8 / 4 Jahren Menopause. Leichte Prognathie des Unterkiefers, 
Ohrläppchen beiderseits angewachsen, Sohilddrüse nicht palpabel, keine Thymus- 
dämpfong, Kyphose der unteren Hals- und oberen Brustwirbel, Weichtheile und 
Knochen beider Hände verdiokt, linker Fuss dicker als rechter. Zunge weicht 
nach rechts ab, Reflexe normal, Sensibilität gut erhalten, Hörweite für Uhrticken 
rechts herabgesetzt, links gleich Null, oraniotympanale Leitung erloschen, Geruch 
rechts stärker als links. Lippen verdickt, und zwar soll diese Veränderung schon 
■eit der Kindheit bestehen. Durch eine Röntgenaufnahme wurde die Diagnose 
nehergestellt und namentlich an den Füssen eine Knochenverdickung constatirt. 

Von Interesse ist das lange Bestehen des Leidens (23 Jahre). Trotzdem 
lind an Thyreoidea, Thymus und Hypophysis keine Veränderungen nachzuweisen. 
Hach zweimonatlicher Behandlung mit Thyreoidintabletten nahm das Körper¬ 
gewicht etwas ab und das subjective Befinden der Eiranken besserte sich deutlich, 
auch gingen die Veränderungen an den Extremitäten ein wenig zurück. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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33) Ein Fall von Akromegalie, von M. A. Trachtenberg. (Zeitschr. f. klin. 

Med. XLII. S. 212.) 

Es handelt sich um eine 31 Jahre alte Frau, welche folgende Krankheits¬ 
zeichen darbot: Vergrösserung der Hände und Füsse, Verlängerung des Gesiebte, 
Vergrösserung und Verlängerung des Unterkiefers, grosse und dicke Nase, ver¬ 
dickte und herabhängende Unterlippe, Verdickung des weichen Gauniens, Ver¬ 
grösserung der Zunge, Verdickung des Brustbeins und der Rippen, leichte Kyphose. 
Ferner bestand Dämpfung des Percussionsschalles am Manubrium sterni, Exoph¬ 
thalmus, Schläfenhemianopsie, Polyurie, allgemeine Schwäche und Schwäche des 
Gedächtnisses. Jacobsohn (Berlin). 


Psychiatrie. 

34) La Psychologie dans 8es rapports aveo la mödioine, par Ed. Claparöde. 

(Rev. möd. de la Suisse Romande. 1901. October.) 

In dem Vortrag, den Verf. bescheiden eine „causerie“ nennt, rechtfertigt er 
zunächst die Psychologie gegen den öfters erhobenen Einwand, dass sie keine 
exacte Beobachtungwissenschaft sei, wie etwa die Physiologie, sondern auf der 
Seite der discredirten Metaphysik stehe. Er erinnert daran, dass ihre Methoden 
zum mindesten ebenso reelle Thatsacben ergeben wie die physikalischen Wissen¬ 
schaften, wenn nicht noch genauere, und dass letztere dauernd mit den Daten der 
Psychologie rechnen müssen. — Verf. setzt kurz das Princip des psycho-physisohen 
Parallelismus auseinander und gebraucht dabei das instructive Bild, dass der 
psychologische Forscher bei Befolgung dieses Princips ähnlich verfährt wie der 
Philologe, der zur Ausarbeitung eines Wörterbuchs die Aequivalente zweier ver¬ 
schiedener Sprachen zu ermitteln sucht; von dem Studium irgend welcher causalen 
Abhängigkeit ist bei beiden nicht die Rede. — Verf. betont ferner die Wichtig¬ 
keit psychologischen Denkens bei allen Fragen der Gehirnlocalisation und schliesst 
mit einer Ausführung darüber, welche Dienste die Medicin und die Psychologie 
sich gegenseitig leisten können bei gutem Einvernehmen, und welche Vortheile 
und Fortschritte auf socialem, criminalistischem und pädagogischem Gebiete von 
den Fortschritten der Psychologie zu erwarten sind. H. Haenel (Dresden). 


35) Ueber die psyoho-physiologischen und pathologischen Beziehungen 

des Gedächtnisses, von Ludwig Wille. (Basel, 1901.) 

Die vorstehende Abhandlung bildet das „Programm“ zu einer Rectoratsrede. 
Der erste Abschnitt ist historischer Natur und beschäftigt sich mit den verschie¬ 
denen Erklärungen, die von Aristoteles bis Ziehen über die Natur des Gedächt¬ 
nisses abgegeben worden sind. Auffallen muss in diesem Abschnitt der Passus, 
in welchem eich Verf. als Gegner des „Ignorabimus“ bezeichnet, indem er erklärt, 
„einer, wenn auch fernerer Zukunft entgegenzuseben, in der nach dem Maasse des 
Beobachtungsmaterials, der Hilfsmittel der Beobachtung und der Verbesserung der 
Untersuchungsmethoden der physischen und psychischen Vorgänge unsere Kennt¬ 
nisse sich erweitern und vertiefen werden.“ Eine solche zukünftige Erweiterung 
und Vertiefung ist von du Bois-Reymond niemals bezweifelt worden, sein 
„Ignorabimus“ bezog sich auf ganz etwas Anderes, nämlich auf die principielle 
Unmöglichkeit, die Thatsache der Empfindung mechanisch resp. physiologisch zu 
erklären. — Im zweiten Abschnitt wird auseinandergesetzt, dass das, was Ge- 
dächtniss genannt wird, ein Complex zahlreicher und mannigfaltiger Erscheinungen 
und das Resultat ebenso mannigfaltiger psycho-physischer Processe ist, unter denen 
besonders eingehend gewürdigt werden die Auf&ssungs- und Einprägungsfähigkeit, 


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die Aufmerksamkeit, die Association, das Verhalten des Bewusstseins, der Gefühls¬ 
tonus, der jeweilige Gemütszustand. Dass bei der Betrachtung der Associationen 
Verf. unter den gesetzmässigen Associationen, d. h. den instinctiven Anlagen, dem 
CausalitätsbedtirfniBS den teleologischen Trieb direct parallel setzt, dürfte angreif¬ 
bar erscheinen: nur das erstere ist nothwendig und ununterdrückbar, die Frage 
nach dem Wozu nach der Ansicht Vieler nicht zu stellen, desshalb in diesem Zu¬ 
sammenhänge zu verwerfen, auch bei centralen Empfindungen oder Gefühlen so 
selten, dass von ihrem gesetzmässigen Charakter kaum die Bede sein dürfte. — 
Verf. geht dann auf die Eintheilung des Gedächtnisses über; er unterscheidet 
Arten und Grade des Gedächtnisses („Merkfähigkeit“), willkürliches und unwill¬ 
kürliches Gedächtniss, dem Inhalte nach Personen-, Sach-, Orts-, Zahlen- u.s.w. 
Gedächtniss; wenn er bei letzterer Eintheilung sagt, dass „die in Frage kom¬ 
menden Vorstellungen und Begriffe je nach ihrem Inhalte gesammelt und ver¬ 
schieden localisirt sind“, so nähert er sich unseres Erachtens phrenologischen 
Vorstellungen, vor denen er kurz darauf selbst eindringlich warnt. Die Eintheilung 
unter dem Gesichtspunkt der verschiedenen Sinnesqualitäten ist dagegen principiell 
nicht angreifbar. 

Den letzten Abschnitt bilden Betrachtungen über die verschiedenen patho¬ 
logischen Erscheinungsformen des Gedächtnisses, die Hypo- und Amnesieen, 
Hypermnesieen und Paramnesieen, wobei die Störungen des Gedächtnisses in ihren 
Beziehungen vor Allem zu Störungen des Bewusstseins in klarer Weise aus¬ 
einandergesetzt werden. Für die Hypermnesieen werden eine Beihe Beispiele 
angeführt, auch anf die Thatsache, dass isolirte Hypermnesieen bei Idioten Vor¬ 
kommen können, hingewiesen. H. Haenel (Dresden). 


36) Nouvelles observatlons sur an oas de somnambolisme aveo glosso- 
lalie, par Th. Flournoy. (Archives de Psychologie de la Suisse Bo- 
mande. I.) 

Es handelt sioh um psychologische Studien an einem berühmten spiritistischen 
Medium in Genf, und zwar bildet die vorliegende Arbeit die Fortsetzung und den 
Schluss eines Buches desselben Verf., das vor l 1 /, Jahren über das gleiche Thema 
erschienen ist. Das Medium, eine MUe. Smith, hatte grosses Aufsehen erregt da¬ 
durch, dass es, ein einfaches Ladenfräulein, anfing, Sanskrit zu reden und zu 
schreiben, in der Gestalt einer Hindu-Prinzessin überraschende Kenntnisse indischer 
Geschichte und Geographie entwickelte, im Trancezustand die Handschrift Ver¬ 
storbener schrieb, schliesslich duroh Vermittelung überirdischer Geister eine Sprache 
und Schrift, sowie Landsohaftsbilder vom Mars, weiter von einem „Ultramars“ 
genannten unbekannten Planeten, dem Uranus und dem Monde producirte. Durch 
ihre systematische Ausbildung, die Art der Schriftzeichen, die Uebersetzungen, — 
aus dem Ultramartischen konnte das Medium nur ins Mariische und erst aus 
diesem ins Französische übersetzen —, konnte in der That auf den ersten Blick 
der Gedanke an etwas vollständig Ueberirdisches erweckt werden. — Durch rast¬ 
loses Suchen, verbunden mit scharfsinnigen Beobachtungen und Berücksichtigung 
psychologischer Gesetze ist es nun Verf. gelungen, bei allen den von ihm selbst 
controllirten Erscheinungen auf die natürlichen Ursprünge und die Quellen zu ge¬ 
langen. Das Medium gehört zu den Persönlichkeiten mit gespaltenem Bewusst¬ 
sein, die ein sehr ausgebildetes unterbewusstes Leben führen; dasselbe ist jeden 
Augenblick bereit, die Stelle des normalen Wachbewusstseins einzunehmen, hat 
Beine eigenen Beminiscenzen, seinen eigenen Gefühlrton, eigene Beactions- und 
Denkweise, die auf einem ziemlich kindlichen, etwa dem Alter von 12—14 Jahren 
angemessenen Standpunkt stehen geblieben ist, ist ausserdem in noch höherem 
Grade suggestibel als das Wachbewusstsein. Verf. ist u. a. im Stande, nachzu- 


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weisen, dass jeder neue „Cyklus“ von Manifestationen eine längere, nach Monaten 
zählende Incubationszeit besass, in der er durch unterschwellige (subliminal) geistige 
Arbeit auBgearbeitet, eingeprägt und fixirt wurde, mit staunenswerther Sicherheit, 
aber doch nicht so untrüglich, dass nicht einzelne reine Gedächtnissfehler vor¬ 
kämen; er weist nach, dass die Syntax der Marssprache vollständig französisch 
ist, aus dem einfachen Grunde, weil das Medium nur das Französische vollkommen 
beherrschte. Er zeigt, dass die psychologischen Gesetze des Widerspruchs, der 
Aebnliobkeit, dass rein ethymologisch-phonetische Gesetze die neuen Sprachen be¬ 
herrschen, dass dieselben Suggestionen und absichtlichen Vexirungen zugänglich 
sind. In dem „orientalischen (indisch-arabischen) Cyolus“ werden eine Reihe 
innerer Widersprüche ans Tageslicht gezogen, die sich nie dadurch würden 
erklären lassen, dass wirklich eine im 16. Jahrhundert verstorbene indische Prin¬ 
zessin sich des Körpers de« Mediums bedient, dagegen aber gut dadurch, dass 
einige Kenntnisse der indischen Verhältnisse, die dem Medium aus nachweisbaren 
Quellen zugeflossen sind, ihre sehr natürlichen Grenzen haben, z. B. die Thatsache, 
dass zu keiner Zeit in Indien Sanskrit von Frauen gesprochen worden ist. 

Die Methode des Verf. bei seinen Untersuchungen kann als vorbildlich be¬ 
zeichnet werden dafür, wie man derartigen Erscheinungen gegenüber zu treten 
hat; dass sie den Spiritisten im höohsten Grade unbequem ist, hat der Erfolg 
seines ernten Buches bewiesen; für einen wissenschaftlich Denkenden ist es aber 
geradezu ein Genuss, seinen Ausführungen, die sich ausser durch ihren Inhalt 
auch durch eine geradezu künstlerische Sprache auszeichnen, zu folgen. 

H. Haenel, Dresden. 


37) Ueber die Bedeutung der Individualstatistik bei der Brbliohkeitsftage 
in der Neuro- und Psychopathologie, von Dr. Wilhelm Strohmayer, 
Hausarzt an der Privatnervenklinik von Prof. Binswanger in Jena. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr. 1901. Nr. 46 u. 46.) 

Um den Einfluss der Vererbung in Bezug auf das Auftreten von Nerven- und 
Geisteskrankheiten richtig zu beurtheilen, muss man von der Massenstatistik ab- 
sehen und dafür die Individualstatistik berücksichtigen. Eis ist bei eintretender 
Erkrankung zu unterscheiden, wie viel der ererbten Anlage und wie viel exogenen 
Ursaohen zuzuschreiben ist. Verf. unterzog die Stammbäume von 56 Familien mit 
1338 nachweisbaren Mitgliedern einer sorgfältigen Betrachtung. Es stellte sioh 
heraus, dass etwa 80°/ 0 trotz erblicher Belastung und trotz der zahlreichen 
Schädlichkeiten des Individuallebens gesund geblieben sind. Eine Vererbungs¬ 
tendenz tritt bei einer Erkrankung beider Eltern am stärksten auf. In Bezug auf 
den Modus der Vererbung machte sich ein bunter Wechsel im Auftreten der ein¬ 
zelnen Krankheitsbilder geltend. Jedenfalls schlossen sich die intellectuellen und 
affectiven Psychosen in auffallender Weise aus. Auch lässt sich nicht selten eine 
Erschöpfung der erblichen Belastung erkennen, ohne dass eine Verbesserung der 
Art oder eine Kreuzung stattgefunden hatte. Von allen Factoren, welohe eine De¬ 
generation bewirken, macht Bich der Alkohol am stärksten bemerkbar, indem er 
auf die Keimzellen der Erzeuger toxisch wirkt. In Bezug auf die Verwandten¬ 
ehen konnte Verf. nur feststellen, dass sie dann verhängnissvoll werden, wenn 
durch sie zwei belastete Familien verbunden werden. Auf die Frage, ob nur 
ererbte oder auch erworbene Charaktere in irgend einem Grad vererbt werden 
können, giebt die Individualstatistik keine Antwort. E. As oh (Frankfurt a/M.). 


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HL Bibliographie. 

Chirurgie des alien&B, p&r Lucian Piquö et Jules Dagonet. (Paris, 1901. 

Maason et Co. 364 S.) 

Die schwierigen Fragen der chirurgischen Diplomatie bei Geisteskranken 
werden im ersten Bande der „Chirurgie des Aliönls“ durch Piqu6 und einige 
seiner Mitarbeiter erschöpfend behandelt. 

Piqu6 stellt die Forderung auf, dass man den Irren als einen Kranken, wie 
jeden andern auch, zu behandeln habe, so dass auch chirurgische Eingriffe nur 
nach den gewöhnlichen Indicationen zu Unternehmern oder zu unterlassen sind. 
Da aber der Kranke in diesem Falle nicht über sich selbst bestimmen kann, so 
hat die Familie zu entscheiden, und nur, wenn diese ein sträfliches Interesse an 
der Verhinderung oder an der Vornahme von Operationen hat, soll man sich auf 
sein Gewissen verlassen. Am besten wären die Chirurgen durch einschlägige, 
neu zu schaffende gesetzliche Bestimmungen gedeckt 

Es werden des Näheren die Einrichtungen hierher gehörender Art im Hospital 
St-Anne, an dem Piqu6 als Chirurg wirksam ist, geschildert Die chirurgische 
Station, ihre Deeinfectionsmittel, die Einrichtung zur Wassersterilisation u. s. w., 
werden in Wort und Bild genau vorgeführt. 

Darauf gehen die Verff. zur Angabe von Einzelheiten über, die sie im Ver¬ 
laufe ihrer chirurgischen Thätigkeit bei Irren gefunden haben, 
f Namentlich bei Frauen geht oft die Erkrankung der Unterleibsorgane mit 
Geistesstörungen einher, und besonders in diesen Fällen von Parallelismus beider 
Erscheinungen sind durch rechtzeitiges operatives Vorgehen die glücklichsten 
Erfolge auch in der Behandlung der Geisteskrankheit erzielt worden. Dabei 
wurde stets streng darauf gehalten, dass nie etwa gesunde Organe lädirt wurden, 
um die Geistesstörung günstig zu beeinflussen. Hysterie und Nervosität wurden 
dem chirurgischen Vorgehen gänzlich entzogen. 

Als Beispiel für die glückliche Wirkung dieses Vorgehens wird ein Fall einer 
Patientin angeführt, bei der nach der Entfernung einer Cyste des Ligamentum 
latum ein grosser Theil der Symptome von Geistesstörung wegfieL 

Ganz besonders studirt wurde aber die sog. „Folie sympatique“, welche duroh 
chirurgisches Eingreifen zur Dauerheilung in zahlreichen Fällen gelangte. 

So litt eine 48jährige Frau an einem Uterusfibroid, und im Anschluss daran 
hatte sich ein melancholischer Zustand ausgebildet. Sie litt an Gesichts- und Ge- 
hörahalluoinationen, unaufhörlicher Unruhe, verweigerte die Nahrung und konnte 
nicht schlafen. Dieser Zustand blieb mit einigen Schwankungen mehrere Monate 
hindurch ziemlich unverändert. Dann wurde die Frau laparotomirt, und ihr psy¬ 
chischer Zustand besserte sich nach Entfernung des Tumors so schnell, dass sie 
schon einen Monat später als völlig ruhig und frei von Delirien und Sinnes¬ 
störungen bezeichnet werden konnte. Sie wurde nach einiger Zeit als völlig ge¬ 
healt entlassen. 

Im Gegensatz zu diesen günstigen Erfolgen operativen Vorgehens steht die 
in mehreren Aufsätzen genauer besprochene Thatsache, dass es ein postoperatives 
Delirium giebt Diese Delirien können von Medioamenten, Giften, Septieaemie 
herrühren, oder sie sind eine reine Psychose. Nur letztere Fälle kommen als 
reine Wirkung der Operation auf den Geisteszustand in Betracht, die anderen 
Ursachen müssen durch sorgfältige Differentialdiagnose ausgeschlossen werden. 

Die Natur der Operation hat auf die Entstehung soloher Psychosen nur in¬ 
sofern Einfluss, als gerade die Operationen, namentlich diejenigen gynäkologischer 
Art, welche ausschliesslich wegen subjectiver Beschwerden der Patientinnen aus¬ 
geführt werden, besonders zur postoperativen Psychose prädisponiren. Denn sehr 


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häufig waren gerade jene subjectiyen Symptome ohne objectiven Befund nur der 
Ausdruck eines bereits bestehenden seelischen Affects, bezw. einer Geistesstörung. 
Daraus soll man also die Lehre ziehen, wenn nicht genftgend objective Symptome 
dazu auffordern, jedes chirurgische Vorgehen zu unterlassen. 

Abgesehen von diesen Fällen haben die Verff. niemals durch eine Operation 
die Verschlimmerung einer bestehenden Geisteskrankheit constatirt. Selten war 
es sogar, dass der Status derselben nach einer Operation der gleiche blieb. In 
weitaus der grössten Anzahl der Fälle wurde Heilung oder Besserung der Geistes¬ 
krankheit erzielt. Adler (Berlin). 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Sooiätö de neurologie de Paris. 

Sitzung vom 2. Mai 1901. 

Herr Georges Guillain: Der arterielle Druck bei Muskelatrophieen 
und bei der Thomsen’sohen Krankheit. Vortr. hat in der Klinik des Herrn 
Marie in Bicetre den arteriellen Druck bei an Muskelatrophieen Leidenden unter¬ 
sucht und denselben sehr vermindert gefunden, namentlich bei 6 Patienten, bei 
welchen der Muskelschwund besonders im Gesichte und an den oberen Extremitäten 
ausgesprochen war. Mit dem Potain’schen Sphygmomanometer fand man an der 
Arteria radialis ausserhalb der Verdauungszeit 11 und 14 cm Quecksilberhöhe, 
statt der normalen Höhe von 16, 17 und 18 cm. Die untersuchten Kranken litten 
weder an Lungentuberculose noch an Herzaffectionen. In einem Falle von Pseudo¬ 
hypertrophie an den unteren Extremitäten war der arterielle Druck normal. Der 
niedrige arterielle Druck scheint bei diesen Kranken unabhängig von ihrer Lebens¬ 
weise zu sein, da diese Erscheinung bei den anderen Kranken nicht vorhanden 
ist, die dieselbe Lebensweise fuhren und unter denselben hygienischen Verhältnissen 
leben. Auch scheint dieses Phänomen unabhängig zu sein vom Muskelschwunde 
als solchem, da es in einer Reihe von Krankheiten fehlt, wie die Syringomyelie, 
Neuritis, Charcot-Marie'sehe Krankheit, und nur bei den sogen, myopathischen 
Atrophieen beobachtet wird. Vortr. glaubt, dass diese Hypotension entweder von 
einer peripheren Gefassläsion, oder von Störungen im Sympathicus abhängen kann. 
Nicht selten constatirt man bei an Muskelatrophieen Leidenden einen bestimmten 
Grad von Abkühlung der atrophirten Glieder, manche Male auch vasomotorische 
Störungen, locale Schweissabsonderung, Symptome, die mit dem sympathischen 
Nerven in Zusammenhang stehen. Man ist deswegen berechtigt anzunehmen, dass 
bei diesen Kranken die arterielle Hypotension in einer Störung der Gefässinner- 
vation zu suchen ist Uebrigens haben manche Kliniker gewisse Amyotrophieen 
durch Störungen im N. sympathicus zu erklären gesucht Neben dieser Hypo¬ 
tension bei myopathischen Kranken hat Vortr. in 2 Fällen von Thomson’scher 
Krankheit eine ausgesprochene Steigerung des arteriellen Druckes gefunden, bei 
Fehlen von jedem Symptom von Arteriosklerose und Bright’scher Krankheit. 
Aus diesen 2 Fällen allein glaubt jedoch der Vortr. sich nicht berechtigt, die 
Hypertension bei der Thomson'sehen Krankheit für so constant anzunehmen, 
wie die Hypotension bei den myopathischen Muskeldystrophieen. 

Herr Raymondund Herr Cestan: Din Fall von angeborenem, essentiellem 
Zittern (seniler Typus). (Mit Krankenvorstellung.) Kleines Mädchen, welches seit 
der Geburt an Kopfzittern leidet. Die Eltern sind beide gesund. Syphilis wird 
geleugnet. Der Vater giebt Excesse in Baccho zu. Das erste Kind, welches jetzt 
4 Jahre alt ist, ist vollkommen gesund. Niemand hat in der Familie gezittert, 
weder von väterlicher, noch mütterlicher Seite. Bei der Untersuchung der Eltern und 


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des Bruders der kleinen Patientin fand man nichts Abnormes. Die Kleine kam 
unter normalen Verhältnissen zur Welt, nach einer normalen Schwangerschaft. 
Sie entwickelte sich normal und fing an zu gehen und zu sprechen im 10. Monat. 
Dagegen seit der Geburt zittert sie mit dem Kopfe. Beim Stehen, wenn der 
Kopf nicht unterstützt ist, ist derselbe von kleinen Rotationsbewegungen von 
rechts nach links und von links nach reohts behaftet (Negationstremor). Die 
Bewegungen sind von mittlerer Geschwindigkeit und von schwacher Amplitude. 
Dabei kein Nystagmus und kein Händezittern. Dos Zittern ist kein beständiges. 
Zuweilen hört dasselbe auf, besonders wenn die Aufmerksamkeit des Kindes auf 
irgend einen Gegenstand gelenkt wird. Während des Schlafes hört das Zittern 
vollständig auf. Auch im wachen Zustande verschwindet dasselbe, wenn der Kopf 
gestützt wird. Das Kind ist im Uebrigen vollkommen normal. Die Patientin ist 
somit von einem ausgesprochenen Typus von Tremor senilis behaftet. Demange, 
Bourgarel u. A. haben festgestellt, dass eine Form von Tremor senilis existirt, 
der allein in Verneinungsbewegungen des Kopfes besteht. 

Herr Joffroy bemerkt, dass in der That der senile Typus von Zittern nicht 
ausschlieaslicch bei Greisen zu finden ist. Wie Bourgarel gezeigt hat, kann 
man diesem Zittern schon im Alter von 18 Jahren begegnen. Nie hat er aber 
dieses Symptom in so frühem Alter beobachtet, wie bei dem von Raymond und 
Cestan vorgestellten Sünde. Die Bezeichnung von senilem Zittern fällt schwer 
in diesem Falle. 

Herr Pierre Marie: Ueber eine eigenartige, primitive und progressive 
Myopathie mit beiderseitiger Ptosis und Betheiligung der Kaumuskeln. 
(Mit Krankenvorstellung.) (Diese Mittheilung wird in extenso in der Revue neuro- 
logique erscheinen.) 

Herr Georges Guillain: Alooholismus und Compressionslähmungen. 
(Mit Krankenvorstellung.) Joffroy, Bernhardt u. A. haben hervorgehobeu, 
dass CompressionBlähmungen des Radialnerven besonders bei Trinkern auftreten. 
Der vorgestellte Kranke ist 72 Jahre alt. Hereditär nicht belastet. Gewesener 
Buohdruoker. Vor 26 Jahren einen Anfall von Bleikolik überstanden. Er war 
immer von guter Gesundheit und soll nicht übermässig getrunken haben. Er 
trägt übrigens keine Zeichen von chronischem Alcoholismus. Im April 1900 
Schenkelfractur. Seitdem geht er auf Krücken. Im April 1901 verspürte er 
Ameisenlaufen der letzten zwei Finger der rechten Hand. Die Bewegungen des 
Armes waren dabei nicht gehemmt. Am 20. April begeht der Kranke einen 
starken Alkoholexcess: er trinkt 8 Glas Absinth, dazu noch verschiedene 
Liköre, Cognac und einen Liter Wein. Am nächsten Tage beim Schneiden des 
Brodes fällt ihm das Messer aus der Hand, die rechte Hand ist gelähmt. 3 Stunden 
darauf kann er auch die linke Hand nicht mehr bewegen. Bei der Untersuchung 
sieht man, dass die rechte Hand die klassische Stellung der Radialislälnnung inne 
behält. Die Lateralbewegungen der Hand sind unmöglich. Die Bewegungen der 
Thenar-, Hypothenarmuskeln und der Interossei sind sehr beschränkt. Ausserdem 
besteht Parese der Fingerbeuger, der Vorderarmbeuger und des Triceps brachii. 
Die Bewegungen des Schultergürtels sind normal. An der linken oberen Extremität 
nur Radialislähmung. Im Gegentheil zur rechten oberen Extremität ist der 
Musculo-cutaneus, der medianus, ulnaris von der Lähmung verschont. Objectiv 
sind keine Sensibilitätsstörungen nachzuweisen. Vortr. ist der Meinung, dass die 
acute Alkoholvergiftung die Lähmung verursacht hat, und zwar im Gebiete der 
Nerven, die in Folge der Krücken einer beständigen Compression ausgesetzt 
waren. 

Herr Joffroy bemerkt, dass die Compressionslähmungen der peripheren 
Nerven nur hei solchen Individuen beobachtet werden, die durch Intoxicationen, 


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namentlich durch Alkoholintoxicationen, oder dnrch organische Rückenmarka- 
krankheiten zu trophischen Störungen geneigt sind. Es ist nicht immer leicht, 
den Mechanismus der Compression zu finden. Er erwähnt folgenden Fall: Ein 
Lastenträger hatte die Gewohnheit, während er schwere Lasten zu tragen hatte, 
die Arme auf der Brust gekreuzt zu halten und dabei mit den Fingern der 
rechten Hand den linken Ellenbogen fest i.u drücken. Dieser Druck hatte eine 
Lähmung des radialen Nerven des linken Armes zur Folge. Es handelte sich 
selbstverständlich um einen Potator. 

Herr Lannois erzählt folgenden Fall: Eine Frau schlief während des Tages 
auf ihrem Stuhle ein und stützte sich dabei mit einem Arme auf die Lehne des 
Stuhles. Sie erwachte mit einem Gefühl von Eingeschlafensein dieses Armes. 
Dieses Gefühl verschwand aber nach einer Weile, so dass die Frau nach einigen 
Stunden ohne Hinderniss schreiben konnte. Abends erzählte sie ihrem Manne, 
was vorgefallen war. Scherzend bemerkte der Mann, sie hätte am Arme gelähmt 
bleiben können. Die Frau wurde durch diese Bemerkung so frappirt, dass Bie 
am nächsten Morgen mit einer typischen Radialisparalyse aufwachte. Die Frau 
Trinkerin und dazu noch hysterisch. Bei dem Ausbruche dieser Lähmung spielten 
somit drei Factoren mit: Alcoholismus, Hysterie und Compression. 

Herr J. B a b i n s k i: üeber den Aohillessehnenreflex. (Mit Krankenvorstellung.) 
Vortr. bemerkt zunächst, dass er schon verschiedentlich auf die Wichtigkeit des 
Achillessehnenreflexes aufmerksam gemacht hat. Namentlich hat er die differential¬ 
diagnostische Bedeutung des Verschwindens dieses Reflexes bei der Ischias hervor¬ 
gehoben zum Unterschiede von der hysterischen Pseudoischias, bei welcher dieser 
Reflex vorhanden ist. Seine Untersuchungen über diesen Reflex bei der Tabes 
dorsalis haben ihn zum Schluss geführt, dass das Fehlen des Achillessehnenreflexes 
bei der Tabes eine ebenso wenn nicht grössere Bedeutung besitzt, als das West- 
phal’sche Symptom. Diese Untersuchungen des Vortr. sind von verschiedener 
Seite bestätigt worden (Paul Janet, Forestier, Charles K. Mills, van 
Gehuchten, Max Biro). Je mehr er sich mit dieser Frage befasst, um so 
tiefer wird seine Ueberzeugung, dass das Fehlen dieses Reflexes ein sehr werth- 
volles Zeichen im initialen Stadium oder bei frühesten Formen der Tabes ist. 
Es werden zwei Tabiker vorgeführt, die neben reflectorischer Pupillenstarre, 
lancinirenden Schmerzen der Beine, MagenkriBen, bezw. Blasenlähmungen Fehlen 
der Achillessehnenreflexe und Vorhandensein der Patellarsehnenreflexe darbieten. 

R. Hirschberg (Paris). 


Um Einsendung von Separatabdröcken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Vertag ron Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Marzass & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben tob 

Professor Dr. E. Mendel 

(»ater Mithülfe von Dr. Kurt ImM) 

Rimnndxwanxiggter *" B * riln ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1902. 


16. März. Nr. 6. 


Inhalt. I. Origisalmittheilongen. 1. Ein Fall von acuter disseminirter Myelitis oder 
Eneephalomyelitis nach Koblenoxydvergiftnng mit Uebergang in Heilung, von Dr. med. 
Alexander Pariski. 2. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem Obduotions- 
befund (Dr. E. Flatau), von 8. Ooldflam in Warschau. 

II. Referate. Anatomie. 1. Ueber Centrosomen und Sphären in menschlichen Vorder- 
hornseüen, von Kelster. 2. Bemerkungen aber die Körnerschicht im Bulbus olfactorius des 
Meerschweinchens, ron Marburg. 3. Ueber eine R&ckenmarksfurohe beim Kinde, von Zappert 
— Experimentelle Physiologie. 4. Ueber den Hirnmeehanismus der Motilität. Experi¬ 
mentelle Untersuchungen über Rindenabtragungen, Schweifkernverletzungeo, Sehhügel- 
Terletzungen u. s. w„ von Probst 5. Beiträge zur Kenntniss der Topographie der Wärme- 
empfiadlichkeit, tob Veraas. — Pathologische Anatomie. 6. Intorno alla patologia dei 
gangli del cuore. Ricerche sperim. per Bianchinl. — Pathologie des Nervensystems. 

7. Ueber den Einfluss des Typhus abdominalis auf das Nervensystem, von Friedllnder. 

8. Myelitis haemorrhagica acutissima transversalis bei Typhus abdominalis (Exitus in 
18 Stunden), von Schiff. 9. Klinische Beiträge zur Lehre von der acuten intestinalen Auto- 
intoxication, von Deutsch. 10. Influenza and the nervous system, by Carslaw. 11. A oase 
of eryBipelas of the scalp with a remarkable nervous seqnels, by Poynton. 12. Ueber nervüse 
Störungen im Verlaufe aes Keuchhustens, von May. 13. D&intoxic&tion du fumeur d’opium 
par la suppression brusque et Temploi momentan^ du ohauvre indien, par Brunet. 14. Chloral- 
nydratvergiftung, von Lückerath. 15. Befund bei Vergiftung mit Höllensteiuatiften, von Edel. 
16. Dipsorexie und Antiaethylin, von Thribaalt. 17. Alkoholismus und Erblichkeit, von Anten. 
18. Die sodologische Bedeutung des Alkoholismus, von Masaryk. 19. Alkoholismus im Kindes¬ 
alter, tob Kassowltz. 20. Un nouveau eigne physique spricial ä l’intoxication alcooliqne: le 
eigne de Quinquaud, par Aubry. 21. Alkohol and arsenic in the etiology of alcoholic neuritis, 
by Buzzard. 22. A case of recurrent alcoholic peripheral neuritis, by Jones. — Psychiatrie. 

23. Action de Talcoolisme sur la production de l’idiotie et de rripilepsie, par Bourneville. 

24. Statistisches über die Trunksucht, von Sauermann. 25. Traitement du delirium tremens 
fribrile par la balnriation froide, par Salvant. 26. Zur Statistik der Anstaltsbebandlung der 
Alkoholisten, von Moeli. 27. Ueber TrinkeranBtalten, von Qelbrflck. 28. Criminal oder Irren¬ 
haus P Ein Beitrag zur Frage der Trinkerasyle. Anlässlich des Antialkoholoongresses mit- 
getheilt von Pellak. 29. Darf eine Trinkerheilanstalt einen Trunksüchtigen kraft Auftrages 
des Vormundes festhalten? von Bratz. SO. Zur öffentlichen Fürsorge für Trunksüchtige, 
von Wulffert 81. Ueber pathologische Rauschzustände, von Heilbronner. 82. Psychosen nach 
Bteuntoxication, von Hoppe. 83. Contributo alla casuistica delle psicosi uremiohe, per Cantani. 
34. Un oas de folie brightique, par Viatlon. 85. The influence of psycboees on nervous 
glyeoeurias, von Blair. 36. Lee delires toxi-infectieux, par Rrigit. 

Bl. Bibliographie. 1. Harnsäure als ein Factor bei der Entstehung von Krankheiten, 
von Half. 2. Die Thatsachen über den Alkohol, von Hoppe. 

IV. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft der Neurologen und Psychiater an der Uni¬ 
versität zu Kasan. — Aus den wissenschaftlichen Vereinigungen der Aerzte an der Nerven- 
khnik zu Kasan. — Niederländischer Verein für Psychiatrie und Neurologie in Utrecht — 
Wissenschaftliche Versammlung der Aerzte der St Petersburger Klinik für Nerven- und’ 
Geisteskranke. 

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I. Originalmittheilungen. 


[Aus der Nervenabtheilung des PozNAtfSKr’schen Krankenhauses zu Fodz.] 

1. Ein Fall von acuter disseminirter 
Myelitis oder Encephalomyelitis nach Kohlenoxydvergiftung 
mit Uebergang in Heilung. 

Von Dr. med. A lexa nder Faneki, ordin. Arzt der Abtheilnng. 

Schon im 18. Jahrhundert haben Freedebious Hoffmanus (1), Casten- 
dyck (2), Tourdes (3) u. A. über verschiedene Störungen des Nervensystems nach 
Kohlendunstvergiftung berichtet, doch ist es mir nicht gelungen, in der mir zu 
Gebote stehenden Litteratur eine einzige Beobachtung von Encephalomyelitis disse¬ 
minata acuta, die in Folge von Kohlenoxydvergiftung entstanden wäre, publicirt 
zu finden. Da diese Krankheit aber meiner Ansicht nach unter vieler Hin¬ 
sicht grosse Aufmerksamkeit verdient, halte ich es für nicht überflüssig, einen 
diesbezüglichen Fall, den ich Gelegenheit hatte, im Januar d. J. auf meiner 
Abtheilung genau zu beobachten, hier zu beschreiben. 

W. J., Droschkenkutscher, 28 Jahre alt, wurde am 30. December v. J. ins 
Krankenhaus in bewusstlosem Zustande gebracht. Zwei Tage vorher war Pat., 
laut den Erzählungen seiner Angehörigen, vollständig gesund und arbeitete den 
ganzen Tag über. Er lebte stets solide, ohne Ezcesse weder im Trinken geistiger 
Getränke noch im Bauchen oder in geschlechtlichem Verkehr zu begehen. Gonorrhöe 
und andere venerische Krankheiten hatte Pat. nicht durchgemacht. Verheiratet 
seit 3 Jahren. Seine Frau brachte ihm ein gesundes Kin d zur Welt. 

Am 28. December v. J. ass Pat., von seiner gewöhnlichen Beschäftigung nach 
Hause zurückgekehrt, zusammen mit seiner Familie und ging ganz heiter ins 
Bett, ohne sich über etwas zu beklagen. Den nächstfolgenden Tag herrschte in 
seiner Wohnung absolute Buhe, was den Nachbarn nicht auffällig schien, da es ein 
Festtag (Sonnabend) war. Jedoch am Sonntag beunruhigte das stille Verhalten 
der ganzen Familie eine Nachbarin, die so lange an die Thüre der Wohnung 
klopfte, bis ihr die Frau des Pat., die trotz Aufwendung aller Kraft kaum aus 
dem Bette herausschlenderte, die Thür aufmachte und desorientirt und verwundert 
frug, warum sie sie an einem* Feiertage im Schlafe störte. Davon, dass ihr Kind 
nicht mehr lebte und ihr Mann schwer krank und besinnungslos dalag, hatte sie 
absolut keine Ahnung. 

Ein von der Bettungsstation hinzugerufener Arzt ertheilte dem Kranken die 
erste Hülfe und brachte ihn ins Krankenhaus. Nebenbei will ich bemerken, dass 
die Frau binnen kurzer Zeit (einige Tage) vollständig genas, und dass alle Wieder¬ 
belebungsversuche, die beim Kinde angewendet wurden, ohne jeden Erfolg blieben 
— das Kind athmete nicht wieder. Im Krankenhause war Pat vollständig 
besinnungslos, im fortwährenden Koma, schnarchte tief und reagirte auf keine 
äusseren Beize, welcher Zustand einige Tage dauerte. Am 8. Januar d. J., d. h. 
am 5. Tage seines Aufenthaltes im Krankenhause, wurde Pat auf meine Abtheilung 
gebracht. 


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Die dazumal vorgenommene Untersuchung ergab: Der Kranke ist von mittlerem 
Wuchs, gutem Körperbau und massigem Ernährungszustände. Das Gesicht von 
tiefrother Farbe. Auf dem Ettoken in der Gegend der Lendenwirbel und auf 
dem Geeäss in der Trochanterengegend breite, um sich und in die Tiefe greifende 
Nekrosen. Auf der rechten Wade und dem linken Oberschenkel mehrere Pemphi¬ 
gusblasen. 

Temperatur bis 38° erhöht. Herztöne rein. Puls kräftig, rhytmisch, 84 Schläge 
in der Minute. Innere Organe befriedigend. Im Urin ausser Eiweissspuren keine 
pathologischen Bestandteile (speciell kein Zucker gefunden). 

Die Untersuchung des Nervensystems ergab Folgendes: 

Im Liegen konnte Pat. keine Bewegung mit den unteren Extremitäten aus- 
führen. Die Bewegungen der oberen Extremitäten frei und gut ausführbar; beim 
Ausstrecken derselben kein Zittern. Die Hautsensibilität an den unteren Extre¬ 
mitäten wie auch am Bumpfe bis zur Nabellinie ein wenig herabgesetzt; leiohte 
Berührung empfindet Pat. nicht überall, auch looalisirt er solche nicht genau; 
auch ist die Schmerz-, Druck-, und Temperaturempfindung bedeutend schwächer, 
wie an den oberen Extremitäten und am Abdomen von der Nabellinie naoh auf¬ 
wärts. Ueber Schmerzen in den gelähmten Gliedmassen klagt der Eiranke nicht. 
Die Nervenstämme wie auch die Muskeln der unteren Extremitäten sind nioht 
druckempfindlich. Muskelschwund nioht wahrnehmbar. Galvanische und faradische 
Muskel- und Nervenerregbarkeit nicht verändert. 

Die Sprache ist exquisit verändert; Worte werden von Pat. sehr langsam 
producirt, einzelne Silben sind durch längere oder kürzere Pausen getrennt, manche 
kommen ausserdem noch etwas verstümmelt heraus (also spurweise dysarthrische 
Sprachstörung). 

Die Bewegungen der Zunge sind frei, vielleicht ein wenig verlangsamt, je¬ 
doch ohne Muskelzittern. Die Augenuntersuchung ergiebt keine Abnormitäten. 
Die Pupillen sind gleioh, von mittlerer Weite, reagiren gut auf Licht und Accom- 
modation. Die Augenbewegungen sind nach allen Seiten hin frei. Es besteht 
kein Nystagmus. Im Nervus opticus nichts Abnormes. Von Seiten der Blase und 
des Mastdarms vollständige Incontinenz: Urin und Fäoes lässt Pat. unter sich, ohne 
es zu wissen und ohne das Bedürfhiss dazu zu empfinden. Die Patellarreflexe stark 
«höht, ausgesprochener Fussklonus rechts, schwächer links. Eiremaster- und Bauch¬ 
reflexe schwach, Plantarreflexe erhöht. 

Es bleibt mir noch Einiges über die Störungen in der intellectuellen Sphäre 
des Pat hinzuzufügen übrig. Der Kranke macht den Eindruck, als ob er das, 
was zu ihm gesprochen wird, nicht auffasse. Die an ihn gestellten und mehrmals 
wiederholten Fragen beantwortet Pat nicht immer richtig. Sein Bliok ist ganz 
stier. Während der Untersuchung ist er oft desorientirt; oft schläft er wieder 
ein. Aus seinem Gedächtnisse sind alle Begebnisse seit der Zeit, als er von seiner 
gewöhnlichen Beschäftigung nach Hause zurückkehrte, bis zum 4. Tage seines Aufent¬ 
haltes im Krankenhause verschwanden, obwohl er schon am 2. und 3. Tage während 
der ärztlichen Visite mehrmals geweckt und über Manches ausgefragt wurde und 
einige an ihn gerichtete Fragen mit mehr oder weniger Ventändniss beantwortete 
(retrograde Amnesie). Pat. kümmert sich um seine Frau und Kind gar nicht; 
ihn interessirt auch nicht sein schweres Leiden, er ist apathisch und muthlos, 
über die Situation, in der er sich befindet, absolut unklar; mit einem Worte, sein 
Gemüthszustand gleicht denjenigen eines Tiefsinnigen. 

Es ist wohl überflüssig, die ganze Krankengeschichte des 3 Monate dauernden 
Spitalaufenthaltes hier wiederzugeben. Ich beschränke mich deshalb nur kurz 
auf die Schilderung der allmählichen Besserung bis zur Genesung. Bemerken will 
ich nur nebenbei, dass die Behandlung in lauwarmen gewöhnlichen Bädern jeden 

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zweiten Tag, in Sorge für Reinlichkeit, Darreichung von Kalium jodatum 0,5 
2 Mal täglich und Milchdiät bestand. 

10./L Schon nach 10 Tagen waren nur noch minimale Sensibilitätsstörungen 
nachweisbar; naoh 2 Wochen des Spitalaufenthaltes ist die Sensibilität zur Norm 
zurückgekehrt. Zu derselben Zeit fing auch an die Besinnung einzutreten. 

l./II. Pat. konnte im Liegen schwache Bewegungen mit den unteren Extre¬ 
mitäten ausführen: es gelang ihm, die Beine im Knie zu beugen, das Strecken 
derselben ging schon viel schwieriger, und die Bewegung war ungeschickt, etwa 
einem Schleudern ähnlich. Beim Ausführen dieser Uebungen vermochte Pat. auch 
den kleinsten Widerstand nicht zu überwinden, und schon bei minimaler An¬ 
strengung traten klonische Zuckungen ganzer Muskelgruppen in den unteren Ex¬ 
tremitäten auf. Auch nahmen die Sprachstörungen allmählich ab; die Pausen 
zwischen den einzelnen Silben waren kaum noch merkbar. 

8./II. Pat. konnte, beiderseits gestützt, stehen, ohne zu wanken. Die Geh¬ 
versuche misslangen aber, auch wenn der Kranke gehalten und geführt wurde. 
Blasenstörungen traten nur noch während des Schlafes auf; im wachen Zustande 
fühlte Pat. das Bedürfhiss, Urin zu lassen, und entleerte seine Blase alle paar 
Stunden. Stuhlentleerung folgte naoh Klysma, welche ihm der Obstipation wegen 
tagtäglich gemacht wurde. 

15./1L Pat. kann, wenn er von beiden Seiten gestützt wird, die Füsse vom 
Boden heben und sich mühsam vorwärts bewegen, die Beine werden aber deutlich 
nachgeschleift (spastisch-paretisoher Gang). 

Die Pemphigusblasen auf der Wade und dem Oberschenkel sind zugeheilt. 
Die tiefen Decubituswunden sind mit frischen Granulationen ausgefüllt. 

25./H. Pat. geht, ohne gehalten zu werden, der Gang ist deutlich spastisch- 
paretisch. Nach einer kurzen Weile tritt exquisite Ermüdung ein, so dass Pat. 
umzufallen droht. Die starken Zuckungen ganzer Muskelgruppen, obwohl nur auf 
die unteren Extremitäten beschränkt, tragen gewiss auch dazu bei 

10./m. Blasenstörungen auch im tiefen Schlafe fehlend. Beim Gehen keine 
Muskelzuckungen bemerkbar. Keine dysarthrische Sprachstörung. 

l./IV. Pat. wird als fast geheilt entlassen. 

Die naoh 3 monatlichem Krankenhausaufenthalte vorgenommene Untersuchung 
ergab: 

Hautsensibilität für Berührung, Schmerz und Temperatur kehrte zur Norm 
zurück. Hautreflexe schwach. Patellarreflexe noch stärk erhöht Fussklonus 
schwach, jedoch deutlich auslösbar. Von Seite der Blase und des Mastdarmes 
keine Störungen. Muskelkraft der unteren Extremitäten befriedigend. Gang 
normal, doch beim längeren Marschiren Ermüdung. Decubitusstellen mit Narben 
bedeckt. Sprache ganz deutlich, nur noch etwas verlangsamt Psychische Thätig- 
keit beschränkt; Pat. ist theilnahmslos, spricht wenig. 

Zwei Monate nach der Entlassung untersuchte ich den Kranken wieder und 
konnte bei demselben, ausser erhöhten Sehnenreflexen und einer gewissen Intelligenz¬ 
schwäche, nichts Krankhaftes nachweisen. Pat. kann viel laufen, ohne zu ermüden, 
und geht jetzt vollständig seinem Berufe nach. Eis fehlt ihm aber jede Lebeus- 
energie und Initiative. 

Was die Ursache des soeben beschriebenen Krankheitsbildes anbetrifft, so 
ist dasselbe zweifelsohne durch Einathmen von Kohlendunst oder, mit anderen 
Worten, in Folge von Kohlenoxydvergiftung entstanden. Im Kohlendunste spielt 
doch das Kohlenoxyd die Hauptrolle, während andere Dunstbestandtheile, obwohl 
sie nicht ohne schädlichen Einfluss für den Organismus bleiben, doch nur als 
nebensächliche Beimengungen, die kaum in Betracht kommen, angenommen 


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werden müssen (Jakboh 1 , Hopmann *). Wie bekannt, beruht die giftige Wirkung 
des Kohlenoxydes auf seiner grossen Affinität zum Hämoglobin des Blutes, welche 
ungefähr 140 Mal so gross ist, wie die des Sauerstoffes (Husemann 9 ); das 
Kohlenoxyd tritt sonach mit dem Hämoglobin eine chemische Verbindung 
ein und hebt die Fähigkeit desselben, sich mit dem Sauerstoff zu verbinden, fest 
vollständig auf, wodurch der respiratorische Gasaustausch stark beeinträchtigt 
oder auch ganz unmöglich wird. Die Folgen davon sind einfach und klar: am 
meisten und am schnellsten werden diejenigen Organe in ihrer Function beein¬ 
trächtigt, welche mit Sauerstoff am besten versorgt werden müssen. Laut der 
allgemein angenommenen Meinung EhbliohV ist sicher, dass der Herzmuskel 
und die graue Substanz der Nervencentren am empfindlichsten in Bezug auf 
das Sauerstoffbedürfhis8 sind, folglich leiden diese Organe bei der Einwirkung 
des Kohlendunstes am meisten. 

Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Leiden unseres Patienten 
und der Kohlenoxydvergiftung ist um so deutlicher, als der Vergiftung sämmt- 
liche Personen, die in demselben Raume waren, erlagen. Auch lag kein Ver¬ 
dacht auf irgend eine andere Vergiftung vor, und ebensowenig konnten wir eine 
andere Ursache, die das Krankheitsbild hervorgerufen hätte, wie z. B. eine In- 
fectionskrankheit, als deren Folge dieselbe Erkrankung hervortreten konnte, aus¬ 
findig machen. 

Die Untersuchung des Blutes auf Kohlenoxydhämoglobingehalt wurde nicht 
vorgenommen, da, wie allgemein bekannt, eine verhältnissmässig kurze Zeit 
von Sauerstoffeinathmung vollständig genügt, um den Nachweis des CO im Blute 
nicht mehr beibringen zu können. Hdsbmann 5 sagt in seiner schon oben citirten 
Arbeit: „Man wird da, wo die Vergifteten erst längere Zeit nach der Vergiftung 
gestorben sind, nachdem sie bereits stundenlang wieder CO-freie Luft geathmet 
haben, auch das spektroskopische Verhalten des CO-Hämoglobin nicht constatiren 
können“. Kionka 6 drückt sich in demselben Sinne aus: „Man kann im Blute 
eines Vergifteten, der Gelegenheit hatte, nachher noch einige Stunden kohlen- 
oxydfreie Luft zu athmen, nur noch wenig CO nachweisen, da, wenn auch die 
Verbindung des Kohlenoxydes mit dem Hämoglobin fester ist als die des Sauer¬ 
stoffes, so sie doch immerhin eine lockere chemische Verbindung ist, und wenn 
sie mit kohlenoxydfreier Luft zusammen trifft, das Kohlenoxyd wieder abgiebt.“ 

Hopmann citirt zwar eine Beobachtung, wo man im Blute des Vergifteten 
2 Stunden nach der Ueberfühmng desselben ins Krankenhaus, CO durch den 
Spektralapparat nachweisen konnte; weiter führt er auch den Fall KochV und 
den Fall PouchetV an, wo es im ersten Falle noch 10 Stunden nach der 

1 Jakboh, Die Vergiftungen. 1897. 

* Hora AKK, Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. 1898. 

* Hdsbhahk , Kohlenoxydvergiftung. Encyklop. Jahrb. der gesammten Heilkunde. 1896. 

4 Ehrlich, Sauerstoffbedllrfhias des Organismus. Berlin, 1885. 

* Husxman, Encyklop. Jahrb. der gesammten Heilk. 1896. 

6 Kiomka, Kohlenoxydvergiftung. Beal-Encyklop. der gesammten Heilk. 1897. XII. 

’ Koch, Zur Encephalomalaoie nach CO-Vergiftung. Dissert. Greifswald 1892. 

* Pouchxt, Annal, d’hyg. publ. refer. Virchow’s Jahresber. 1888. I. 


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Vergiftung, im zweiten Falle sogar nach 60 Stunden gelungen war, Kohlenoxyd 
nachzuweisen. Hopmann hält aber diesen letzten Befund für unwahrscheinlich. 

Auf Grund dieser Erwägungen konnte ich noch weniger ein positives Resultat 
aus der Untersuchung des Blutes auf CO-Hämoglobingehalt erwarten, da ich den 
Kranken zur Behandlung erst am 5. Tage seines Krankenhausaufenthaltes und 
am 7. Tage nach der Vergiftung zum ersten Male gesehen habe. Endlich schien 
die Anamnese eine Kohlenoxydvergifbung zur Genüge zu bestätigen, ebenso wie 
noch manche, auf den ersten Blick unwichtige Symptome, die nach Jaksoh und 
anderen Beobachtern zum Wesen der CO-Vergiftung gehören; ich verstehe 
darunter a) vasomotorische Störungen, die in Anomalieen der Blutvertheilung 
sich manifestiren, wie z. B. die. tief rothe Färbung des Gesichtes; b) trophische 
Störungen, wie Pemphigusblasen und die tiefgreifenden Nekrosen; c) die Tempe¬ 
raturerhöhung (Scheffel 1 ) und d) Eiweissspuren im Urin. 

Da die Kohlenoxydvergiftung hochgradige Athembeklemmungen verursacht, 
gehören Convulsionen auch mit zu den oft beobachteten Symptomen der Ver¬ 
giftung; das Fehlen derselben spricht aber keineswegs dagegen. Die Convulsionen 
gehören zu den Frühsymptomen, welche die Verunglückten schon früher über¬ 
standen haben konnten, ehe ihnen die erste Hülfe ertheilt worden ist, und so 
können die Zuckungen übersehen werden, ausserdem fehlen auch Convulsionen, 
wenn die Beimengung des Kohlenoxydes zur Respirationsluft gewisse Grenzen 
nicht überschreitet und die Vergiftung sehr langsam zustande kommt Der 
letztere Umstand schien bei unserem Kranken stattgefunden zu haben. 

Dass nicht alle Personen, die in demselben Raume der Einwirkung des Kohlen¬ 
dunstes ausgesetzt waren, in gleichem Maasse gelitten haben, kommt öfters vor. 
Aus der Anamnese geht nämlich hervor, dass das Kind todt aufgefunden und 
nicht mehr zu retten war, die Frau leichte Vergiftung (Erbrechen, tiefe Nar¬ 
kose, Verwirrtheit u. 8. w.) aufwies, während Patient, tief betäubt gefunden, 
eine schwere Gehirn- und Rückenmarkskrankheit durchmachte. — Diese That- 
sache findet ihre Erklärung in dem Situationsplane der Oefen, Fenster, Thüren 
und Lagerstellen der Verunglückten in dem betreffenden Raume, denn durch 
die Ritzen der Fenster und Thüren dringt Luft in die Wohnung ein und giebt 
denjenigen, die in der Nähe der Fenster liegen, mehr Möglichkeit, Sauerstoff ein- 
zuathmen, als denjenigen, die von denselben entfernt, näher bei den Oefen schlafen. 
Andererseits spielen individuelle Verhältnisse, wie auch die verminderte Resistenz 
mancher Körperorgane oder Gewebe eine grosse Rolle. 

In vielen Fällen von Massenvergiftungen bemerkte man, dass Kinder mehr 
Widerstandskraft besitzen, als Erwachsene, was in unserem Falle keine Be¬ 
stätigung gefunden hat, und das erscheint desto auffälliger, da das Kind mit 
der Mutter in einem Bette lag. 

Die Diagnose bot in unserem Falle keine besonderen Schwierigkeiten dar: 
a) der acute Beginn der Erkrankung bei einem früher sonst ganz gesunden und 


1 Scheffel, Beitrag zur Kenntniss der CO-Vergiftung. 1891. 


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nüchternen Manne nnd b) das stürmische Fortsohreiten der Krankheit, deren 
Hauptsymptome: spastische, nicht degenerative Lähmung der unteren Extremitäten, 
Incontinentia urinae et alvi, vasomotorische und trophische Störungen, wie 
Pemphigusblasen und Decubitus, tagelangdauernde Somnolenz, getrübtes Be¬ 
wusstsein, langsame, undeutliche Sprache, Amnesie u. s. w. waren, wiesen zur 
Genüge das Krankheitsbild eines acuten Processes, der sich im Hirnstamme, im 
Grosshim und im Bückenmarke abspielen muss, auf. 

All die hier aufgeführten Symptome gehören zu einem Krankheitsbilde, 
dessen nosologische Einheit von allen Autoren anerkannt und als acute Encephalo- 
myelitis oder disseminirte Myelitis beschrieben wird. 

Die Diagnose der acuten disseminirten Encephalomyelitis, die gar nicht so 
oft zur Beobachtung kommt, ist nur dann zur Genüge gesichert, wenn sich die 
Krankheit im Verlaufe oder im Anschluss an eine Infectionskrankheit oder aber 
nach manchen gasförmigen Giften rapid entwickelt hat und die Möglichkeit vor¬ 
handen ist, die multiple Neuritis auszuschliessen, welche ebenfalls an dieselben 
Ursachen sich mit besonderer Vorliebe anschliesst 

Obwohl die multiple Neuritis, wie schon die Bezeichnung der Krankheit 
sagt, gpedell die Nervenstämme ergreift, kann nichts desto weniger das Krank- 
heitsbild dem eines Rückenmarksleidens sehr ähnlich erscheinen. Wenn die 
Neuritis. auf die Beine beschränkt bleibt, kann die Differentialdiagnose grosse 
Schwierigkeiten bereiten, ja unter Umständen sogar unmöglich sein. 

Und in der That bricht die Neuritis manchmal acut aus; es treten zuerst 
lebhafte Schmerzen auf, denen allmählich Extremitätenlähmungen von para- 
plegischem Typus folgen. Nicht selten werden die Lähmungen von geistigen 
Störungen, welche als KoasAKOFF’sche Psychose bekannt sind, begleitet 

Doch vieler ähnlicher Symptome beider Krankheiten ungeachtet, bieten 
sie auch viele Unterschiedsmerkmale. Bei der multiplen Neuritis sind die 
Lähmungen schlaff, die Muskeln unterliegen der Degeneration. Es fehlen in der 
Regel Blasen- und Mastdarmstörungen. Die Nervenstämme, wie auch die 
Muskeln sind druckempfindlich. Die hier für Polyneuritis aufgezählten Symptome 
können auch als Resultat einer Rückenmarkskrankheit auftreten, wie es z. B. 
bei der Poliomyelitis anterior acuta der Fall ist, doch unterscheiden sie sich auch 
von den Symptomen, die unser Patient aufwies, und daher bietet die Differential- 
diagnose in gegebenem Falle absolut keine Schwierigkeiten, ja sie kommt fast 
gar nicht in Betracht 

Viel wichtiger ist hier die Unterscheidung der acuten Encephalomyelitis 
von einem Krankheitsbilde, welches sehr ähnlich dem von unserem Kranken ge¬ 
botenen sein kann. Ich meine hier die Syphilis des Gehirns und des Rücken¬ 
marks, welche sich durch grosse Mannigfaltigkeit der Symptome auszeichnet 
und herdenweise sowohl im Gehirn wie auch im Rückenmarke zu derselben Zeit 
auftreten kann. Auch ist der Verlauf oft ein foudroyanter. Das klinisohe Bild 
der Gehirn- und Rückenmarkssyphilis kann mitunter einer diffusen acuten Ence¬ 
phalomyelitis, die in Folge anderer Ursachen (Infectionskrankheiten, Intoxication) 
entstanden ist, sehr ähnlich erscheinen. 


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In unserem Falle vermissen wir diese differential-diagnostische Schwierigkeit, 
da erstens der Verlauf der Krankheit, den wir bei unserem Patienten zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatten, sehr gewaltig von der Gehirn- und Rückenmarks- 
Syphilis mit ihren Exacerbationen, Remissionen u. s. w. differirt, zweitens der 
Kranke nie Syphilis durchmachte, wenigstens bei ihm absolut keine Zeichen einer 
überstandenen Lues oonstatirt werden konnten, drittens schon mit Sicherheit, 
die keinem Zweifel mehr unterliegen kann, die Erkrankung aller Mitglieder der 
Familie auf eine Ursache hinweist, die von aussen her gewirkt haben muss und 
nicht im Organismus der Vergifteten schon früher bestanden hätte. 

Auf Grund des ätiologischen Momentes können wir bei unserem Kranken 
auch spontane ausgedehnte Gefässrupturen mit nachfolgendem Bluterguss ins 
Rückenmark (Hämatomyelie) ausschliessen, obwohl diese Krankheit auch Sym¬ 
ptome einer foudroyanten Myelitis bieten kann; jedoch entsteht sie, wie be¬ 
kannt, entweder direct im Anschlüsse an ein Trauma, welches sicher hei unserem 
Patienten nicht bestanden hat, oder aber es entwickeln sich ihre Symptome nach 
einer längeren Zeit post Trauma; dann ist aber auch das Resultat des Rücken¬ 
marksleidens ein ganz anderes, und zwar hat es dann mehr Aehnlichkeit mit der 
Syringomyelie. 

Sowohl die Symptome wie auch die Ursache der Erkrankung und der günstige 
Ausgang berechtigen uns somit zu der Annahme der selten vorkommenden und 
noch seltener beschriebenen acuten disseminirten Encephalomyelitis. 

Zur Diagnosenstellung verwerteten wir ausser den Symptomen auch die 
Ursache und den günstigen Ausgang der Krankheit, indem wir mit Bbuns 1 und 
anderen Autoren vollständig übereinstimmen, dass „in der Diagnose der disse¬ 
minirten Encephalomyelitis vor allem der directe Anschluss an eine Infection oder 
Intoxication wichtig ist; — für eine disseminirte Encephalomyelitis in Zweifel¬ 
fällen auch eine rasche Heilung sprechen würde.“ 

Das Krankheitsbild der acuten disseminirten Encephalomyelitis ist ein sehr 
charakteristisches und erregte, obwohl die ersten Beschreibungen dieser Krank¬ 
heitsform seit Jahrzehnten datiren, das Interesse der Aerzte nur in geringem 
Grade. Die Erkennung dieser Krankheitseinheit hat aber entschieden eine 
grosse praktische Bedeutung, da sie relativ häufig nach Infectionskrankheiten 
(Influenza, Typhus, Angina u. s. w.) und Vergiftungen auizutreten pflegt. („Die 
gasförmigen Gifte scheinen besonders leicht eine disseminirte Encephalomyelitis 
hervorzurufen; dies ist jedenfalls z. B, für CO-Gas und SC a nachgewiesen“ [Bbdhb].) 
Die Krankheit bietet ferner einen guten Verlauf und verdient auch deswegen 
von anderen acuten Myelitisformen unterschieden zu werden. 

Auf Grund dieser Auseinandersetzungen (die ich auch am meisten Bbuns 
entnehme) und bei Gelegenheit der Publioation meines Falles wird es vielleicht 
nicht überflüssig sein, diese Krankheitsform kurz zu skizziren. 

Nach Leyden und Goldschetobb* und Bbuns 3 verläuft die acute disseminirte 


1 L. Bruns, Rückenmarksentzündung. Real-Encyklop. 1899. XX. 

* Ls tdkn and Goldschxidbb, Erkrankungen des Rückenmarks. 1895. 
L. Bbuns, Rückenmarksentzündung. Real-Encyklop. 1899. 


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Enoephalomyelitis unter zwei verschiedenen Krankheitsbildern: a) als acute Ataxie 
und b) als Paraplegie der unteren Extremitäten. Die charakteristischen Sym¬ 
ptome der ersten Form bilden: die langsame, skandirende Sprache; Ataxie der 
Extremitäten nebst erhaltener oder nur wenig abgeschwächter Muskelkraft; Fehlen 
von Sensibilitätsstörungen; psychische Störungen. 

Das dominjrende Symptom der zweiten Gruppe ist die Paraplegie der unteren 
Extremitäten; Lähmung der Blase und des Mastdarmes, also Symptome, die das 
Besultat eines entzündlichen Bückenmarksherdes darstellen; ferner Sensibilitäts¬ 
storungen und Decubitus; dann gesellen sich noch Bulbärsymptome und psychische 
Anomaheen hinzu. 

Als häufigste Ursache des Leidens werden Infectionskrankheiten und Ver¬ 
gütungen beschuldet, und von den letzteren kommt die grösste Rolle dem Kohlen¬ 
oxyd zu. 

Wenn wir noch einmal die in unserem Falle dominirenden Krankheits¬ 
symptome aufzählen wollen: die Lähmung der unteren Extremitäten, Blasen- und 
Ma8tdarmstömng (Incontinenz), Decubitus, leichte Sensibilitätsstörungen, dysar¬ 
thrische Sprachanomalieen, Amnesie, geistige Schwäche u. s. w., wenn wir ausser¬ 
dem noch Eins in Erwägung bringen, dass wir als einzige Ursache der Krankheit 
die Kohlenoxyd Vergiftung beschuldigten, so wird es uns nicht schwer fallen, den 
Schluss zu ziehen, dass das Krankheitsbild unseres Patienten zweifelsohne das 
Bild einer nach Kohlenoxydvergiftung entstandenen acuten disseminirten Ence- 
phalomyelitis darstellt. 

In der mir zu Gebote stehenden Litteratur 1 konnte ich keine einzige Be¬ 
schreibung eines analogen Falles von Encephalomyelitis nach CO-Vergiftung 
ausfindig machen. Ich studirte die Litteratur, die sich auf diese Frage bezieht, 
nur für die letzten 10 Jahre, wozu mich schon der Umstand zu berechtigen 
schien, dass Oppenheim in der I. Auflage seines bekannten Lehrbuches (aus 
dem Jahre 1894) in der Aetiologie der disseminirten Myelitis das Kohlenoxyd 
als Ursache dieses Leidens nicht erwähnt 

Da ich bei der Durchsicht der Litteratur nur wenige Beobachtungen über 
nervöse Störungen in Folge von Kohlenoxydvergiftung publicirt gefunden habe, 
wird die Beschreibung der selten beobachteten acuten disseminirten Encephalo¬ 
myelitis nach CO-Vergiftung, welche Krankheit mir nur aus den neuesten Lehr¬ 
büchern und Monographieen bekannt war, vielleicht nicht ohne Interesse bleiben. 

Auoh in der von W. Sachs publicirten vorzüglichen Monographie 1 , in 
welcher der Verfasser etwa 420 Arbeiten — fest alle, die seit jeher bis heute 
erschienen sind — über Kohlenoxydvergiftung gesammelt hat, finden wir keine 
einzige Beobachtung, die der von uns angeführten ähnlich wäre. Und in der 
That drückt sich Sachs über die Rückenmarkskrankheiten nach CO-Vergiftung 


1 Neurolog. Centralbl. 1893, Nr. 4—9. 1900. 1901. — Centralbl. fttr Nervenheilk. 
tl Psyoh. 1895 u. 1896. — Monateachr. f. Nemnheilk. n. Psych. — Die ges&mmten pol¬ 
nischen A erste-Zeitungen. 1890—1900. — Wratsch. 1890—1900. 

* Die Kohlenozydyergiftung in ihrer klinischen, hygienischen and gerichtsärstlichen 
Bedeutung. 1900. 


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250 


mit grosser Reserve aus: „Wie wir über die Veränderungen im Gehirn nach 
Kohlenoxydvergiftung gut unterrichtet sind, so spärlich sind unsere Kenntnisse 
über das Verhalten des Rückgratskanales und des Rückenmarks“, und an anderer 
Stelle lesen wir: „Am häufigsten bleiben die unteren Extremitäten nach Vorüber¬ 
gehen der Vergiftung eine Zeit lang gelähmt und zwar meist in Verbindung 
mit Lähmungen von Blase oder Mastdarm oder beider Organe.“ 

Zuletzt sei mir noch an dieser Stelle gestattet, alle Arbeiten über die Er¬ 
krankungen des Nervensystems nach Kohlenoxydvergiftung der besseren Ueber- 
sichtlichkeit halber in chronologischer Reihenfolge aufzufuhren. Ich entnehme 
die meisten aus der SAOHs’schen Monographie und füge auoh einige hinzu, die 
in derselben keine Berücksichtigung fanden. 


Bereits von vielen Autoren der Vergangenheit wurde die Beobachtung ge¬ 
macht, dass nach einer Kohlenoxydvergiftung Nervensymptome im Vordergründe 
des ganzen Krankheitsbildes stehen; dieselben nannten auch den Kohlendunst 
principium narcotico-sulphurosum. Mit diesen Autoren beginnt auch die Auf¬ 
zählung der diesbezüglichen Arbeiten. 

Litteratur. 

1. Frirdbbioub Hoffmannus. De fnmo carbonum noxio quandoque letali. Med. con- 
sultat. Neapel, 1764. V. S. 186. — 2. Castbndyok, De aeris carbonici vi veneflca et letali. 
Bonn, 1838. — 3. Tourdrs, Relations mödicales des asphyziea occasionnöes ä Strasbourg 
par le gaz de l’öc lairage. (Unter anderen nervösen Störungen — Monoplegie.) 1841. — 
4. Gauohbt, Vollständige Anästhesie der Haut mit Ausnahme der Haut des Kopfes, Halses 
und der Brust. L’Union med. 1857. — 5. Sibbenhaar und Lbhmann, Die Kohlenoxyd¬ 
vergiftung, ihre Erkenntniss, Verhötung und Behandlung. 1858. — 6. Hasse, Hemiplegie 
nach CO. Preuss. m. Vereinszeit 1868. II. — 7. Rbmak, Harte und entzündliche Oedeme 
nach CO-Vergiftung. Oesterreichische Zeitschr. f. prakt. Heilk. 1860. — 8. Friedbrro, Die 
Vergiftung durch Kohlendunst. Pathologie und Therapie der Muskellähmungen. 1862. — 
9. Klkbs, Ueber die Wirkung des CO auf den thierischen Organismus (Hemiplegie). Virohow’s 
Archiv. 1865. XXXII. — 10. Oppolzer, Ueber Kohlensäure- und CO-Gasvergiftung (Hemi¬ 
plegie). Wiener med. Wochenschr. 1865. Nr. 10 u. 11. — 11. Eulbnrcso und Landois, 
Ueber die Wirkung des CO auf das vasomotorische Nervensystem. Wiener med. Wochensohr. 
1867. — 12. M’Gill, Tobsucht bei Leuchtgasvergiftung. Lanoet. 1870. — 18. Bochblt> 
Primärer Blödsinn nach Leuchtgasvergiftung. Wiener med. Presse. 1875. — 14. Bourro, 
Növralgie ä la suite d’asphyxie par le charbon. Arch. de med. nar. 1877. — 15. Knapp, 
Lähmung der Mm. recti supp. Archiv f. Augenheilk. 1880. IX. — 16. Brkdu, Extensoren¬ 
lähmung des Vorderarms und der unteren Extremitäten; Anästhesie der Vola manus und 
Planta pedis. Soc. möd. des höpit. 1882. — 17. Combt, Blindheit und Hemiplegie nach CO. 
Franc, möd. 1882. — 18. Porlohbn, Gehirnerweichung nach CO. Berliner klin. Wochen¬ 
schrift 1882. — 19. Leudrt, Les phönomfenes d’inconsciense de paralysie periphörique. 
Bul. de l’acad. de möd. 1883. — 20. Gnacjok, Verrücktheit nach CO. Charitö-Annal. 1888. 
VII. — 21. Simon, Des paralysies, növralgies, troubles trophiques et vasomoteurs, souvenant 
sous l’influence de l’intoxication par l’oxyd de carbone. Thöse. Paris, 1888. — 22. Simon, 
Gehirnerweichung nach CO. Archiv f. Psych. 1883. I. — 28. Arnazan et Dalbidbt, Neu¬ 
ritis nach CO. Journ. de möd. de Bordeaux. 1883. — 24. Bodchrt, Amnösie rötrograde. 
Franc, möd. 1884. ApriL — 25. Musso, PseudoparalyBe nach CO. Rivista clin. 1885. 
26. Rouillard, Essai sur les amnöaies. Thöse. Paris, 1887. — 27. CaoarriA, Essai sur 
les amnösies toxiques. Thöse. Paris, 1887. — 28. Grimodib, Neuritis peripherica. Thöae. 


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251 


Paris, 1887. — 29. Poblohbn, Encephalomalacie nach CO. Virchow’s Archiv. 1888. CX1L 
— 30. Jacobt, Neuritis peripherica n. peronei et radialis mit folgender Muskeldegeneration. 
G. W. Med. and Surg. Reporter. 1889. — 31. Rokitansky, Poliomyelitis. Wiener med. 
Presse. 1889. — 32. Stkahlbb, Zur Discussion über die Kohlendunstvergiftung (Paralyse 
der Extensoreu). 1889. — 83. Bobsabi, Anaesthesia n. trigem. dextri nach CO (der moto¬ 
rische Theil war nicht mitergriffen). Riforma med. 1889. — 34. Bbiand, Amnösies aprbs 
CO. AnnaL d’hyg. et de m6d. ldgal. 1889. — 35. Pbtbb, Paralysies aprös CO. Gaz. d’höp. 
1889. — 36. Chabcot, Abasie ä forme tröpidante a la suite de l’intoxioation par l’oxyde 
de carbone. Bul. m6d. 1889. — 37. Bodloohb, Des paralysies consöcutivs ä l’empoisonnement 
par la vapeur de charbon (Lähmung des M. biceps). Archiv de neurol. 1890. — 38. Sohwbbin, 
Theorie über die peripheren Lähmungen. Berliner klin. Wochensohr. 1891. — 39. Cbahbb, 
Hyperästhesie über den ganzen Körper verbreitet nach dem Erwachen aus dem Koma in Folge 
von CO-Vergiftung. Centralbl. f. allg. Patholog. u. patholog. Anat. 1891. — 40. Voss, 
Ueber Tetanie bei Kohlendunstvergiftung. Deutsohe med. WoohenBchr. 1892. — 4t. Rüata, 
Delirium nach CO. Gazetta di Torino. 1892. — 42. Fallot, Amnesie rdtrograde. Ann. 
d’hyg. et de med. lög. 1892. — 43. Bbokbb, Zur Lehre von den nervösen Nachkrankheiten 
der Kohlenoxydvergiftung (multiple Sklerose). Deutsche med. Wochenschr. 1893. — 
44. Bbunbaü, De l’intoxioation par l’oxyde de carbone (Hemiplegie, Lähmung des M. biceps). 
Thdse. Paris, 1898. — 45. Broadbbht, Transfusion; anfängliche Besserung; Tod. Er¬ 
weichung des Linsenkerns. Brit. med. Journ. 1893. — 46. Possblt, Ein Fall von CO- 
Vergiftung. Störungen des Centralnervensystems. Wiener klin. Wochenschr. 1893. — 

47. Lanoobab, Verwirrtheit nach CO. Friedreich’s Blätter f. gerichtL Med. 1894. — 

48. Tbkitbl, De quelques symptömes consöcutifs ä l'intoxioation par l’oxyde de carbone 
(geistige Störungen). Gaz. hebd. 1895. — 49. Behb, Hysterie im Anschluss an CO-Ver- 
giftung. Wiener med. Wochenschr. 1896. — 50. Finkklstein, Dementia in Folge von Gaz- 
pauvre-Vergiftung. Jahrb. f. Psych. 1896. — 51. Soott, Psychische Störungen. Lanoet 1896. 
52. Zeblbb, Ueber Nachkrankheiten der Leucbtgasvergiftung. Leptomeningitis serosa, welche 
in Heilung fiberging. Inaug.-Disserti 1897. — 58. M^ozkowski, Ueber das Oedem bei CO- 
Vergiftung. (Hartes Oedem des Armes bis auf den Rumpf fibergreifend, später teigig werdend. 
Fieber. Langsame Resorption.) Medycyna. 1897. 

Pablio&tionen über nervöse Störungen nach Kohlenoxyd Vergiftung, welche 
in der SACHs’schen Monographie keine Berücksichtigung fanden: 

54. Glybn, Kohlenoxyd-Neuritis. (Neuritis from poisoning.) Brit. med. Journ. 1895. 
Ref. im Neurolog. Centralbl. 1895. 8. 778. — 55. Bbbokan und Gbd4ibwbki, Oedem. 
Nekrose, Anästhesie nach CO-Vergiftung. 1896. Pamigtnik Tow. Lek. — 56. Bbuns, 
Disseminirte Encephalomyelitis nach Gasvergiftung. (Die Natur des Gases nicht sicher fest- 
zustellen.) Beobachtung 11. Capitel: Myelitis. Enoyklop. Jahrb. der gesummten Heilk. 
1896. VL — 57. Bbboman und Gbu2bwski, Ueber die Lähmungen nach Kohlendunst¬ 
vergiftung. (In der Litteratur haben die Autoren nur 6 Fälle von Einwirkung des Kohlen¬ 
oxyds auf die peripheren Nerven sammeln können. Kronika lekarska. 1897. Nr. 4. — 
58. MfozKOwsKi, Ueber die Entzfindung der peripheren Nerven in Folge von Kohlenoxyd¬ 
vergiftung. (Beschreibung von 3 Fällen: 2 Fälle von Neuritis multiplex und 1 Fall von Neu¬ 
ritis n. peronei.) Gazetta lekarska. 1899. Nr. 48 u. 49. — 59. Skowbonski, Neuritis in 
Folge von Kohlenoxyd Vergiftung. Ref. in Fortschritte der Medicin. 1901. Nr. 18. 


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2. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau). 

Von S. Goldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Diese Beobachtang erstreckt sich über eine Zeit von mehr als 9 Jahren 
and ist noch nicht abgeschlossen, da Patientin von ihrem Leiden noch nicht 
befreit ist. Während dieser langen Periode hat Patientin Vieles dnrchgemacht 
and oft in Lebensgefahr geschwebt Ich will die Krankengeschichte nicht 
recapituliren, da sie oben knapp wiedergegeben ist, sondern nur auf die mar¬ 
kantesten Züge die Aufmerksamkeit richten. 

Dieser Fall zeichnet sich ans durch das vielfache Auftreten von Anfällen 
asthenischer Lähmung. Man kann in der That von Anfallen sprechen, da die 
Remissionen ganz bedeutend waren, meist lange dauerten, wobei die Kranke 
sich ganz wohl fühlte. In jedem Anfall kann man ein Stadium incrementi 
und decrementi unterscheiden. Während des Anstieges erscheinen die Symptome 
in rascher Aufeinanderfolge und erreichen nach Wochen oder Monaten die 
höchste Entwickelung und Gefahr. Schon glaubt man, die Kranke sei ver¬ 
loren, allein diese Höhe währt nicht lange, es tritt Besserung ein, die Er¬ 
scheinungen nehmen an In- und Extensität ab und nach einigen Monaten 
kommt es wieder zu einer längeren oder kürzeren Remission. Beide Com- 
ponenten des Anfalls sind vielfach durch Schwankungen in der Stärke der 
Erscheinungen unterbrochen, es treten bald Besserungen, bald Exacerbationen 
ein, die Wochen lang anhalten; im Ganzen ist aber während des Anstieges eine 
Progression der Erscheinungen vorhanden, im Stadium decrementi eine Ab¬ 
nahme. Ausser diesen Schwankungen, die Tage und Wochen lang anhalten, 
giebt es kleinere, die sich während eines Tages abspielen und gewöhnlich 
Abends exacerbiren. 

Die Remissionen dauern Monate oder Jahre lang; eine hielt S 1 / i , die andere 
2 Jahre an und bedeutete für die Kranke eine vollständige Genesung, sie 
konnte heirathen und hatte sogar Kinder geboren. Nur die objective Unter¬ 
suchung förderte latente Erscheinungen zu Tage, die den Beweis lieferten, dass 
die Krankheit nicht erloschen war, sondern sozusagen schlummerte. Meist äusserten 
sich diese Erscheinungen in dem Fehlen der reflectorischen Erregbarkeit oder 
phonatorischen Beweglichkeit des Gaumensegels, in Schwäche der mimischen 
Bewegungen, auch in einer geringen Ptose, die als letzte Spur der Krankheit 
zurückblieb. Die Gaumensegelparese war das oonstanteste Symptom, das sich 
meist auch in die Remissionszeit einschlich. 

Die klinische Physiognomie jedes An- bezw. Rückfalles war beinahe gleich, 
und bot nur graduelle Verschiedenheiten in der Intensität der Symptome dar. 
Nur selten blieb dieses oder jenes Symptom während eines Rückfalls ans. Der 
erste Anfall hatte die höchste Intensität erreicht Die Bulbärerscheinungen waren 


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in allen besonders stark ausgesprochen und äusserten sich in Kau-, Schluck-, 
Artäculationsstörungen, Schwäche der Facialee, auch der oberen Aeste, Glosso- 
parese u. s. w.; sonderbarer Weise schienen die Kehlkopfmuskeln bei der laryn- 
go6kopischen Untersuchung intact zu sein. Von Seiten der Augenmuskeln war 
während der ganzen Beobachtungszeit nur eine einseitige Ptose, mit der die 
Krankheit einsetzte, vorhanden, sonst aber keine eigentliche Ophthalmoplegie 
(im Beginne der Krankheit soll kurze Zeit eine Diplopie bestanden haben, die 
ich aber nicht beobachten konnte). Die Ptose war sehr inconstant, bald mehr, 
bald weniger ausgesprochen, in einem Anfall rechts, im anderen linkB, zuweilen 
gar nicht vorhanden. Nicht gering waren die Extremitäten und der Rumpf 
affkrirt, auch in diesem Fall die proximalen Abschnitte der Glieder mehr als die 
distalen; am Rumpf wurden die Nacken- und Halsmuskeln von der Parese 
bevorzugt 

Eins der markantesten Symptome war in jedem An- bezw. Rückfall die 
frühzeitige und regelmässige Betheiligung der respiratorischen Muskeln. Es 
traten nicht allein Erstickungsanfalle wegen des Eindringens der Speisen in den 
Kehlkopf ein (Lähmung der Rachen- und Schlundmoskulatur), sondern es stellte 
sich schon frühzeitig auch in der Ruhe beständige Athemnoth ein (Parese 
bezw. Lähmung der in- und exspiratorischen Muskeln), ferner, scheinbar ohne 
jede Veranlassung, Anfälle von Dyspnoe, die das Leben direct bedrohten. 

Die Erscheinung der schnellen Erschöpfbarkeit war in jedem Anfall meist 
sehr charakteristisch. Auch konnte man den Einfluss der Ermüdung eines Gliedes 
auf die Function anderer Theile erkennen; meist nahm nach Ermüdung der 
Extremitäten die Intensität der Sprachstörung zu. Die Kniereflexe liessen sich 
anscheinend durch Öfteres Beklopfen herabdrücken, allein dieses Symptom war 
nicht deutlich ausgeprägt 

Die elektrische Erregbarkeit wurde noch vor der JoLLT’schen Bekannt¬ 
machung als normal bezeichnet, nur an der Uvula und am Gaumensegel war 
die faradische Erregbarkeit ein wenig herabgesetzt. Auch in der letzten Zeit 
wurde des öfteren sorgfältig in mehreren Nervenmuskelbezirken nach der MyaR 
gefahndet, aber regelmässig mit negativem Erfolg. 

Es wird in der Krankengeschichte wiederholt von geringen klonischen Zuckungen, 
vorwiegend in den Gesichtsmuskeln, berichtet Dieselben waren meist nicht weit 
varbreitet, kamen selten und nur auf der Höhe der Krankheit zum Vorschein, 
hatten aber mit den fibrillären Zuckungen im eigentlichen Sinne nichts Gemein¬ 
sames und schwanden während der Remissionszeit Atrophieen waren nirgends 
vorhanden. Die schmächtige Person magerte nur während des Anfalls in Folge 
der schweren Erscheinungen und besonders dank der ungenügenden Nahrungs¬ 
aufnahme im Allgemeinen ab. 

Sonderbarer Weise wiederholt sich auch in diesem Falle die Klage über ein 
Gefühl von Schwere und Schmerz im Schulterblatt Sonst war die Sensibilität, 
Sinne u. s. w. normal. 

Während dieser langen Beobachtungszeit hat die Kranke 2 Mal Anfälle 
von Gallensteinkolik gehabt, und einige Male eine katarrhalische Angina durch- 


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gemacht. Dieselben verschlimmerten, wenn auch vorübergehend, den Zustand, 
wofern sie im Verlaufe eines Anfalls der asthenischen Lähmung auftraten. Die 
katarrhalische Angina wird in allen obigen Beobachtungen notirt, ohne dass 
man hierfür irgend ein ursächliches Moment finden oder eine besondere Neigung 
der Patienten mit asthenischer Lähmung zur Erkrankung an Angina ableiten 
könnte, da die Fälle jugendliche Personen betreffen, die in der That oft an 
Angina leiden, und die Beobachtungszeit eine sehr lange war. 

Die Schwangerschaft scheint eher vom Vortheil gewesen zu sein. Es trat 
während der Gravidität kein Anfall auf, wenn sich Patientin in der Remis¬ 
sionsperiode befand. Auch war ihr subjectives Befinden während der Gravidität ein 
ausgezeichnetes, und sie behauptete scherzend, sie müsse eigentlich immer schwanger 
sein, um dauernd gesund zu bleiben. Die dritte Conception, die während eines 
in Abnahme befindlichen Anfalls geschah, war von sofortiger und sehr mani¬ 
fester Besserung gefolgt. Dagegen passirte es 2 Mal, dass 8 Monate nach der 
Entbindung ein Rückfall der asthenischen Lähmung sich einstellte; ob das Stillen 
des zweiten Kindes dazu beigetragen hat, ist nicht ausgeschlossen. Ich habe bei 
der Kranken die Erfahrung gemacht, dass leichte infectiöse Processe (fieberhafte 
Angina, Bronchitiden, Angiocholitis), oder allgemein schwächende Momente 
(Wochenbett, Stillen) eine Recrudescenz der asthenischen Lähmung zur Folge 
hatten und sogar das Auftreten eines Rückfalls begünstigten. 

Die gelegentlich, im ganzen selten, auftretenden ohnmachtsähnlichen Anfälle 
mit angeblichen klonischen Zuckungen habe ich selbst nicht beobachten können; 
sie scheinen hysterischer Natur gewesen zu sein, haben mit der asthenischen 
Lähmung, deren Verlauf sie nicht beeinflussen, nichts gemein. 

Vom ätiologischen Standpunkte ist erwähnenswerth, dass der Vater der 
Patientin im 37. Lebensjahre an Gehirntumor gestorben ist 

Beobachtung IV. Frau B., 32 Jahre alt, kam in den letzten Jahren von 
Zeit zu Zeit wegen ihrer Hemiatrophia facialis zu mir. Sie stammt von gesunden, 
noch lebenden Eltern ab, ist seit 7 Jahren verheirathet, war nie schwanger (ebenso 
wie ihre ältere Schwester und zwar angeblich in Folge von infantilem Uterus), 
menstruirte aber normal. Seit früher Jugend waren bei ihr ziemlich hervor¬ 
tretende Bulbi und ein voluminöser Hals bemerkbar (ebenso wie bei der er¬ 
wähnten älteren Schwester), ohne dass diese Erscheinungen im Laufe der Jahre 
zugenommen hätten. Die Symptome der linksseitigen Hemiatrophia facialis 
bildeten sich, ohne dass Patientin etwas davon merkte, im Laufe der letzten 
5 — 6 Jahre allmählich aus. December 1900 wird hierüber notirt (Dr. Bbbn- 
btkin): Blonde Dame, gute Ernährung, kleine Struma, Puls 80. Linke Backe 
deutlich abgemagert, eingefallen, Haut dünner und ein wenig blässer als rechts; 
die Contouren des M. levator labii inferioris und anguli oris heben sich ab. 
Die Atrophie betrifft nur das Fett, das Zellgewebe und die Haut. Die Gesichts¬ 
knochen springen in Folge dessen hervor, der Unterkiefer wird li nks deut¬ 
licher gefühlt als rechts. Die linke Schläfenstirngegend und die linke Nasen¬ 
hälfte bietet im Vergleich zur rechten Seite keinen Unterschied dar, ebenso 
die Augenbrauen, Wimpern und das Kopfhaar. Das Mienenspiel ist auch links 
vollständig normal, desgleichen die elektrische Reaction auf beide Ströme bei 
directer und indirecter Reizung (die directe Reizbarkeit vielleicht sogar gesteigert, 
wahrscheinlich in Folge der Widerstandsherabsetzung von Seiten der atrophischen 


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Haut and des Fettgewebes). Masseteres, Temporales contr&hiren sich beiderseits 
gleich, Zange ohne Besonderheiten. Sensibilität vollkommen erhalten. Patientin 
hat beim Schwitzen keinen Unterschied bemerkt, gelegentlich jedoch ein geringeres 
Erröthen der linken Gesichtsseite wahrgenommen, was aber für die linke Ohr¬ 
muschel nicht gilt. 

Patientin hat sich an die Deformität des Gesichts, die ihr keine Beschwerden 
verursacht, gewöhnt, und es war diesmal nicht dieser Umstand, der sie veranlasste, 
mich Ende 1900 zu besuchen, sondern vielmehr ein Herabhängen des linken Ober¬ 
lids und eine momentane Sprachstörung, eine Art von Lispeln, das sich manch¬ 
mal für kurze Zeit und, wie ich später erfuhr, namentlich des Abends einstellte. 
Die Ptoee trat angeblich gegen den l./VII. 1900 auf und hat sich, wie die 
Sprachstörung, nach Elektrisation gebessert (October). In der That war jetzt 
nur noch eine unbedeutende linksseitige Ptose bemerkbar, die man als Theil- 
erscheinung der Hemiatrophia facialis sinistra anzusehen geneigt sein könnte, 
um so mehr, als die linke Pupille ein wenig enger war, als die rechte (Parese 
des N. sympatbicus?). Eine Sprachstörung konnte ich kein einziges Mal con- 
statiren. Nebenbei fiel mir eine gedrückte Gemüthsstimmung bei der sonst fröh¬ 
lichen Patientin auf; ich wusste, dass sie viel Aerger und Sorgen in der letzten 
Zeit auszustehen hatte. Im Urin (1030 spec. Gew.) Spuren (0,05 °/ 0 ) von Gly- 
kose, viel harnsaure Salze, Krystalle von oxalsaurem Kalk. Patientin klagte noch 
über mässige Schmerzen im linken Bein. Sie verreiste Mitte December 1900. 

Ganz anders gestaltete sich das Bild, als Patientin nach mehr als 2 Monaten, 
am 7./HL 1901, zurückkam. Zu Hause nahm sie wegen der Hemiatrophia 
facialis und einiger Basedow-ähnlicher Symptome Thyreoideatabletten ein(Bourrough, 
Welcome), aber nur kurze Zeit, weil sie ihr Magenbeschwerden, Schwäche- 
geföhl und Gewichtsabnahme verursachten. Gegen Weihnachten überstand sie 
eine nicht näher zu bestimmende Halsaffection; sie hatte Schmerzen beim Schlucken 
und auch spontan, aber kein Fieber, war nicht bettlägerig, zog nicht einmal ihren 
Hausarzt zu Rathe, blieb jedoch 10 Tage zu Hause. 

Vor etwa 10—12 Tagen stellte sich eine erhebliche Störung der Sprache 
ein, die einen nasalen Klang bekam, fast gleichzeitig regurgitirten Flüssigkeiten 
durch die Nase, und es bemächtigte sich der Kranken ein Schwächegefühl, nament¬ 
lich in den Armen, das sich bei den einfachsten Verrichtungen, z. B. Hutaufsetzen, 
kundgab. Das Regurgitiren der Flüssigkeiten durch die Nase hat nachgelassen, 
aber das Schlucken fester Speisen bereitet ihr noch jetzt Schwierigkeiten und 
sie hat das Gefühl eines Fremdkörpers in der Kehle. Die Sprache verschlimmerte 
sich zusehends und wird namentlich Abends unverständlich. 

Aengstlicher Gesichtsausdruck, Puls 90—96, alle mimischen Bewegungen so 
das Zukneifen der Augen, Zuspitzen der Lippen, Auf blasen der Backen u. s. w., 
sind sehr schwach. Linke Lidspalte vielleicht enger, als die rechte, doch unbe¬ 
deutend. Die Zunge kann in der Mundhöhle nicht ruhig gehalten werden, und es macht 
sich selbst in ausgestreckter Lage ein wenig fibrilläres Zucken bemerkbar; sonst 
sind alle Bewegungen frei, wenn auch das Steifmachen nicht energisch vollzogen 
wird. Der weiche Gaumen contrahirt sich schwach bei der Phonation und 
mechanischen Reizung; der zugezogene Laryngologe fand ihn sogar ganz be¬ 
wegungslos, dagegen im Kehlkopf normale Verhältnisse. Stimme ausgesprochen 
nasal, die Sprache wird während der Unterhaltung immer undeutlicher und ver¬ 
sagt bald vollständig; nach kurzer Rast kann Patientin wieder sprechen. An 
allen Extremitäten sind die abnormen Ermüdungserscheinungen demonstrirbar, 
die Amplitude der Bewegungen fallt ziemlich jäh, aber nicht vollständig; nach 
kurzer Ruhe erlangen die Extremitäten ihre frühere Leistungsfähigkeit. Bei der 
Untersuchung tritt schnell Ermüdung ein, Pat. wird sehr schwach, kann sich 


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z. B. ohne Hülfe nicht hinsetzen. Alle Reflexe normal, keine Acoommodations- 
lähmung, keine sensiblen, sensorischen oder psychischen Störungen. 

8. /III. 1901. Nachts schlaflos wegen Hustenreiz, der beim Liegen noch 
grösser ist. Unmöglichkeit den Schleim herauszuwerfen. Die Hustenstösse sind 
kurz, schwach und effectlos. Respiration 40. An der Inspiration betheiligen sich 
auch die Halsmuskeln, das Diaphragma contrahirt sich schwach. Trachealrasseln. 
Puls 90. Grosse Unruhe, Patientin wechselt immerzu ihre Lage, da sie keine 
bequeme finden kann. Allgemeiner Schwächezustand. 

An den Gesichts- und Zungenmuskeln, sowie am N. facialis konnte man 
die MyaR nicht finden, dagegen fiel bei faradischer Reizung des Biceps brachii 
die Zuckung schnell herab und bald sah man (bei dickem Fettpolster) gar keine 
Contraction mehr. Die Zuckungen bei galvanischer Reizung dieser Gebiete 
normal; andere Gebiete konnten wegen Müdigkeit der Patientin nicht geprüft 
werden. Da deswegen auch das Ermüdungsphänomen nicht untersuoht werden 
konnte, so war der Befund der MyaR am Biceps von ausschlaggebender Bedeutung. 

9. /IH. 1901. Ich wurde in der Nacht alarmirt durch die Nachricht, dass 
Patientin ersticke. * Im Laufe des gestrigen Tages wurde ihr sogar besser, und 
sie sprach deutlicher. Gegen Abend wieder Hustenreiz, Dyspnoe, unverständliche 
Sprache. Sie schlief erst gegen 1 Uhr Nachts ein, erwachte schon um 2 1 / 2 Uhr 
plötzlich mit einem Gefühl von Erstickung. Ich fand sie in höchster Angst und 
Aufregung nach Luft ringend, sehr blass, bald im Fauteuil sitzend, bald im 
Zimmer herumlaufend. Die Athembehinderung schien hauptsächlich eine exspira- 
torische gewesen zu sein, die Bauchpresse contrahirte sich nur sehr schwach, die 
Inspirationen waren oberflächlich, costal, 36 in der Minute. Puls 90. Zur per¬ 
manenten Athemnoth gesellten sich noch sehr oft, scheinbar durch Hustenreiz und 
Anhäufung von Schleim im Kehlkopf und in der Trachea verursacht, Anfälle von 
hochgradigster Dyspnoe mit von weitem hörbarem inspiratorischem Rasseln, ver¬ 
bunden mit der höchsten Unruhe und Angst. Patientin kann den sich an¬ 
sammelnden Schleim nicht aushusten, auch den Speichel nicht ausspucken. Ihre 
Sprache ist ganz unverständlich, das Schlucken unmöglich. Das mechanische Ent¬ 
fernen des Schleims aus dem Kehlkopfeingang brachte keine Erleichterung, ebenso 
wenig Kampherölinjectionen. Am meisten Linderung haben der Patientin die 
künstlichen Exspirationen verschafft; sie beruhigte sich einigermaassen gegen 6 Uhr 
Morgens. Athmung gleichmässiger, keine Dyspnoeanfälle, Sprache deutlicher. 
Als ich sie um die Mittagsstunde sah, lag sie zwar im Bett, fühlte sich aber 
besser. Respiration 26—30, Exspiration mässiger. Puls 90. Sprache deutlich. 

10. /UI. 1901. Schlaflose Nacht, permanente Dyspnoe mit Antällen von 
höchster Athemnoth. Respiration 40. Puls 100. Cyanose zuerst an den Fingern 
und Zehen, dann auch an den Lippen sichtbar. Gesichtszüge verzerrt, Sprache 
unverständlich, Worte durch die dyspnoische Athmung zerstückelt. Patientin kann 
keine Nahrung, auch nicht flüssige, zu sich nehmen. Prostration sehr erheblich; 
Patientin kann den Rumpf nicht bewegen: die Beine liegen regungslos, ver- 
hältnissmässig kräftiger sind die Arme. Temperatur Mittags 37,7. L. h. u. sehr 
geschwächte Respiration, vielleicht Dämpfung (Untersuchung sehr erschwert). 
Alle angewandten Mittel, wie Stryohnin und Kampheröl subcutan, künstliche 
Athmung, Inhalationen von O bleiben erfolglos. Im heutigen Urin (1033 
spec. Gew.) sind 0,18 °/ 00 Eiweiss, Spuren von Glykose, spärliche hyaline Cylinder 
vorhanden. 

Diese Erscheinungen der höchsten Athemnoth, der Cyanose, der grössten Un¬ 
ruhe und Angst beherrschten das ganze Bild bis zum Exitus letalis, der Morgens 
am ll./IH. 1901 erfolgte. Der Puls wurde unregelmässig und stieg bis 130. 
Das Bewusstsein war nur in der letzten Lebensstunde getrübt Die Section konnte 
leider nicht gemacht werden. 




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257 


Was diesen Fall auszeichnet, ist der schnelle, fast foudroyante Verlauf, der 
durch nichts aufzuhalten war. Nach etwa 15 Tagen ist der letale Ausgang 
eingetreten. Es haben sich zu den Sprach- und Schluckstörungen sehr schnell 
bedrohliche Athembeschwerden gesellt, und den Erstickungstod, der bei der 
asthenischen Lähmung beinahe die Regel bildet, herbeigeführt. Ich will 
nicht behaupten', dass der ganze klinische Verlauf der asthenischen Lähmung 
in diesem Fall nur etwa 15 Tage umfasste; als solche wurde sie erst damals 
erkannt. Es muss jetzt zugegeben werden, dass der Ptose nicht genug Auf¬ 
merksamkeit geschenkt wurde; man hat sie nicht nach ihrer Bedeutung ge¬ 
würdigt, wegen der seit 7 Jahren bestehenden Hemiatrophia facialis, als deren 
Theilerscheinung sie irrthümlicher Weise angesehen wurde. Leider trat die 
Sprachstörung nur flüchtig auf, so dass sie gar nicht zur ärztlichen Beobachtung 
kam. Der Umstand, dass sie sich namentlich Abends geltend machte, kam 
erst nachträglich zur Kenntniss. Es ist jetzt beinahe sioher, dass die links¬ 
seitige Ptose, die 8 Monate vor dem Tode auftrat, der asthenischen Lähmung 
angehörte und als erste Erscheinung dieser Erkrankung betrachtet werden muss. 
Nach meiner jetzigen Erfahrung sollte man in jedem Fall von isolirter Ptose, 
die auf keine der bekannten Krankheiten, bei denen sie vorkommt, zurück¬ 
zuführen ist, an die asthenische Lähmung denken. Das gleiche gilt von den 
Sprachstörungen, seien sie auch noch so gering und flüchtig — und gerade 
deshalb —, namentlich, wenn sie, wie im obigen Falle leider zu spät erfahren 
wurde, in den Abendstunden auftreten. Ich glaube, und darin stütze ich mich 
auf den Fall 0., dass die' Diagnose auch in den allerersten Stadien der Krank¬ 
heit möglich ist Das Ermüdungsphänomen in den Extremitäten kann so zu 
sagen latent bleiben, aber dennoch bei der Untersuchung selbst da zum Vor¬ 
schein kommen, wo subjectiv darüber nicht geklagt wird. Und wenn irgendwo, 
so kommt es gerade bei der asthenischen Lähmung vor Allem darauf an, 
möglichst frühzeitig die Diagnose zu stellen, um eine Schonungstherapie ein¬ 
zuleiten und von jedem eingreifenderen Mittel, wie Thyreoidintabletten u. s. w., 
Abstand zu nehmen. 

In diesem Fall hat also die asthenische Lähmung, wie so oft, mit einer 
Ptose begonnen, die auch einseitig bestehen blieb. Dazu kam nach etwa zwei 
Monaten eine leichte Sprachstörung, die sich Abends documenlirte und so gering 
war, dass sie zur ärztlichen Beobachtung nicht gelangte und von der Kranken 
selbst nicht genügend beachtet wurde. Der allgemeine Zustand war noch ein 
vortrefflicher, es wurden keine Klagen über Schwäohe vorgebracht, in den vor¬ 
handenen Symptomen war sogar eine Besserung eingetreten. Da entwickelten 
sich nach Verlauf von weiteren 2 Monaten ziemlich plötzlich andere Bulbär- 
eracheinungen, namentlich Kau- und Schlingstörungen, die bald, wie auch die 
Sprachstörung, einen hohen Grad erreichten; dazu kam noch eine allgemeine 
Gliederschwäche. Die Untersuchung zeigte sofort, dass diese Paresen den aus¬ 
gesprochenen Charakter der schnellen Ermüdbarkeit hatten, dass ihre Intensität 
an einem und demselben Tage Schwankungen unterworfen war, und Abends 
meist den Höhepunkt erreichte. Es war eine ganz willkommene Bereicherung 

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der Symptomatologie, als äoh am Bioeps braoim die MyaR vorfand. Es ist 
auffallend, dass sich diese Reaction in den am meisten betroffenen Maske)* 
gebieten, so im Gesicht and in der Zange, nicht naohweisen liess. Wie weit 
sie ansgebreitet war, konnte wegen der rasch eintretenden Ermüdung der 
Kranken nicht erairt werden, umsomehr als sich bald Athmongsstörungen hin¬ 
zugesellten, and zwar Inspirations*, namentlich aber Eispirationsdyspnoe, mit An¬ 
tillen von bedrohlicher Athemnoth, die auch den Tod heibeiführte. Das geringe 
Fieber sab fine ist wohl der Lungenoom plication (Dämpfung, geschwächtes 
Athmen) zuzuschreiben; allein Fälle von asthenischer Lähmung mit meist 
flüchtigem Fieber sind gar nicht so selten (Oppenheim, Raymond, Ballet o. A.). 

(Fortsetzung folgt) 


IL Referate. 


Anatomie. 

1) Ueber Centrosomen and Sphären ln menschlichen Vorderhomzellen, 

von Dr. Rad. Kolster, Dooent für pathologische Anatomie in Helsingfors. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

Um mit der Heidenhain 'sehen Bordeaux-Eisenhämatoxylinmethode die Centro¬ 
somen in den Nervenzellen nachznweisen, muss man dem Pigment ans dem Wege 
gehen, indem man nur frisches Material nimmt und die Nissl'sehen Körper¬ 
chen ans den betreffenden Nervenzellen entfernt. Es geschieht dies dadurch, 
dass man die in Pikrinsäure-Sublimat gehärteten Schnitte durch Zusatz von 
Lithium carbon. zu 75°/ 0 Waschspiritus von Pikrinsäure befreit. Im Anschluss 
daran präparirt man, wenn möglich, die Vorderhörner von der amgebenden 
weissen Substanz frei and behandelt sie mit ammoniakalischem Alkohol im Wärme¬ 
schrank. Später wird das Ammoniak durch Salzsäure neutralisirt. Auf diese 
Weise behandelte Vorderhörner lassen keine Tigroidfärbung mehr zu, während in 
den anderen Geweben die Centrosomen sehr deutlich nachweisbar sind. Ausserdem 
dürfen die Schnitte höchstens eine Dicke von 3 /* haben. Die Präparate zeigen 
bei genügender Enttärbnng einen rothen Zellleib, jede schwarze Chromatinfärbung 
ist ans den Kernen entfernt und nur der Nncleolos ist von dnnkelroth-schwärz- 
lioher Farbe. In gut gelungenen Schnitten sieht man dann Stellen von hellerer 
Farbe und rundlicher Form und von derartigen Flecken strahlen nach aussen 
feine Linien von wechselnder Zahl und Länge ans, die manchmal in regelmässigen 
Abständen angeordnet sind oder Keile verschiedener Grösse begrenzen. Diese 
Strahlen sind viel dunkler als das Protoplasma, gesättigt roth gefärbt, scheinen 
ans aneinander gereihten Körnern zu bestehen und enthalten im Centram winzige, 
schwarze Körner. Oft ist der helle Fleck mit einem Ring ans dunklen gefärbten 
rothen Körnern umgeben, der manchmal die ganze Strahlenfigur abschliesst. 

E. Aseh (Frankfurt a/M.). 


2) Bemerkungen über die Körnerschioht im Balboa olfhotoriua dee Meer¬ 
schweinchens, von Dr. Otto Marburg. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner's 
Laboratorium. Wien, 1902. Heft 8.) 

Verf. beschreibt in der Körnerschioht des Bulbus olfactorins eine neue Zell- 
form, die er bei einem 8 Tage alten Meerschweinehen fand und die er wegen 


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ihrer Form bei der SÜberfärbung ab Pinienzelle bezeichnet. Der Dendrit, der 
an dem den Axen entgegengesetzten Pole der Zelle entspringt, bildet durch 
Theilung ein ungemein dichtes Netzwerk, wodurch der oben erwähnte Anschein 
entsteht. Diese Zellen liegen im äusseren Drittel der Körnereehicht. Zur strittigen 
Frage, ob die übrigen Körner der Kömerschieht Ganglienzellen oder Gliazellen 
sind, erwähnt Verl, dass er öftere bei der Silberfärbung axencyl in derartige Ge¬ 
bilde von denselben abgehen sah. Bei der Nissl-Färbung haben einzelne Körner 
den Charakter von Ganglienzellen; dieselben finden sich vornehmlich in den ober¬ 
flächlichen Schichten der Körnereohioht, aber auch in den tieferen in grösserer 
Zahl, als nach Kölliker’s Angaben sieb vermuthen liesse. Es finden sich da¬ 
neben noch Elemente, deren Bedeutung fraglich ist, die vielleicht eine besondere 
Function haben, die denen der Nervenzellen nahe steht. Redlich (Wien). 


3) Ueber «in« Bflokenmarkafurohe beim Kinde, von Dr. Julius Zappert. 

(Arbeiten aus Prof. Ober steiner’s Laboratorium. Wien, 1902. Heft 8.) 

Verf kommt nochmals kurz auf die von Obersteiner an gleicher Stelle 
genauer beschriebene Furche über den Seitensträngen des Rückenmarks zurück. 
Nach seinen Untersuchungen an 140 kindlichen Rückenmarken finden sich bei 
Kindern häufig, namentlich im Halsmarke, Einkerbungen und Spalten, wie z. B. 
an der Grenze zwischen Goll’schem und Burdach’schem Strang, an der Austritts- 
Stelle der hinteren Wurzeln, am Hellweg’schen Bündel, im Vorderstrange. Am 
Seitenstrange, ähnlich wie bei porencephalischen Defecten, fand sich nioht selten 
eine auf beiden Seiten öftere asymmetrische Furche, die von der Kleinhirnseiten¬ 
strangbahn um säumt wird. Diesen Sulcus konnte Verf. bei 6 Kindern mit 
Sicherheit nachweisen. Später, wenn der Pyramidenseitenstrang gleichfalls mark¬ 
haltig wird, ist die Unterscheidung gegenüber einfachen Spalten schwer. Eine 
Beziehung dieser Furche zum Verhalten des Pyramidenseitenstranges (relativ ge¬ 
ringe Entwickelung desselben) im Sinne von Flechsig konnte Verf. nicht nach¬ 
weisen. Immerhin ist es möglich, dass durch das Fehlen der Pyramidenseiten¬ 
strangbahn die Furche eine besondere Vertiefung erfährt. Redlich (Wien). 


Experimentelle Physiologie. 

4) Ueber den Hirnmeohanizmoz der Motilität. Experimentelle Unter¬ 
suchungen über Bindenabtragungen, Schweif kern Verletzungen, Seh¬ 
hügelverletzungen u. s. w., von Probst. (Jahrbücher f. Psych. u. Nerven- 
krankh. 1901. XX. S. 182.) 

Verf schildert an der Hand zahlreicher und durch Jahre ausgeführter Experi¬ 
mente die von ihm für die Anatomie und Physiologie der motorischen Bahnen 
neu gefundenen Thatsaohen. Die zahlreichen experimentellen Untersuchungen 
waren zugleich mit genauester anatomischer Untersuchung an lückenlosen Serien- 
schnitten verbunden, welche vereinigte physiologische und histologische Unter- 
suohungsmethode als wesentlich wichtig für exaote Ergebnisse angesehen werden 
muss. 

Für die Weiterleitung motorischer Reize kommt nicht nur die Pyramiden¬ 
bahn, sondern auch die vom Verf. beschriebenen Bahnen in Betracht, nämlich 
das Monakow’sche Bündel, die Vierhügelvorderstrangbahn, die Brückenseiten- 
und Vorderstrangbahn, das dorsale Längsbündel, die vom Deiters’scben Kerne 
absteigende Kleinhimvorder- und Vorderseitenstrangbahn, endlich endogene moto¬ 
rische Rückenmarksfasern. Die oerebrale Trigeminuswurzel hat eine bisher un- 

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bekannt gewesene Fortsetzung bis zum Glossopharyngeo-Vaguskerne und wird als 
cerebrale Trigeminus-Vaguswurzel bezeichnet. 

Die Pyramidenbahn wird in allen ihren Varietäten genau festgestellt (Pyra¬ 
midenschleife, gleichseitiges und ungleichseitiges acceesorisches Pyramidenbündel. 
Pick’sobes Bündel). Bezüglich der Varietäten der Pyramidenbahn schildert der 
Verf. ausführlich einen Fall, wobei die Pyramide vollständig fehlte, dafür zog ein 
abnormer, die Pyramide ersetzender Faserzug durch die Haube in das Rücken¬ 
mark. Dieser abnorm verlaufende Zug der Pyramidenbahn wird experimentell 
genau durch die Degenerationsmethode nachgewiesen. 

Als sicher erwiesen muss angenommen werden, dass von einem motorischen 
Rindencentrum Fasern in beide Pyramidenseitenstränge abgehen. Ebenso gehen 
auch Fasern in die vordere Grenzzone. Beim Thiere kann manchmal ein Pyra¬ 
midenvorderstrang bis zum Lendenmarke nachgewiesen werden, meist aber nur 
bis in das Halsmark. 

Die physiologisch-anatomischen Ergebnisse von Rindenahtragungen, Kapsel¬ 
verletzungen, Schweifkem- und Sehhügelverletzungen werden genau erörtert 

Dem Verf. ist es auch bei eigens ausgebilderter Technik gelungen, den Ge¬ 
hirnstamm in der Gegend der hinteren Commissur vollständig zu trennen und die 
physiologischen Erscheinungen zu schildern. 

Ebenso werden auch die Versuche mit Durchschneidung gewisser bisher wenig 
bekannter Bündel erörtert (Durchschneidung beider Monakow’scher Bündel, 
Vierhügelvorderstrangbahn.) Ausserdem werden Halbseitendurchschneidungen in 
der vorderen und hinteren Zweihügelgegend, Brücke, Medulla oblongata und im 
Rückenmarke genau in ihren physiologischen Erscheinungen und anatomischen 
Ergebnissen bezüglich der Leitungsbahnen beschrieben, wobei interessante That- 
sachen zu Tage treten. 

Bezüglich des Hirnmechanismus der Motilität werden alle diese Versuche und 
auch Experimente am Kleinhirn zergliedert und verwerthet Während bisher nur 
die Pyramiden genauer als motorische Bahn bekannt waren, fand Verf. noch die 
oben erwähnten motorischen Haubenbahnen. Sehr wichtig sind diesbezüglich die 
vom Verf. ausgeführten Sehhügelversuche, die zeigten, dass die beschriebenen 
motorischen Haubenbahnen durch Vermittlung des Sehhügels mit dem Cortex in 
Verbindung stehen. Diese motorischen Haubenbahnen sind die primären moto¬ 
rischen Bahnen, erst in höheren Thierreihen bilden sich die Pyramidenbahnen aus. 

Die primäre motorische Bahn besteht aus zahlreichen Bahnen, die alle durch 
Schaltstationen unterbrochen werden. Dieser Aufbau findet sich nicht nur für 
die motorischen, sondern auch für die sensiblen Bahnen, für die Sehbahn u. s. w. 
Die phylogenetisch jüngste motorische Bahn spielt beim Menschen die Hauptrolle, 
dagegen sind beim Thiere die primären motorischen Bahnen besser entwickelt. 

Schliesslich theilt Verf. wichtige Rindenreizversuche mit, die in ihrer Art 
bisher wohl noch nicht ausgeführt worden waren. Nach gewissen umschriebenen 
Läsionen wurden sofort oder nach einigen Wochen Rindenreizversuche von der 
blossgelegten Grosshim- oder Kleinhirnrinde aus vorgenommen und die physio¬ 
logischen Ergebnisse mit den erhaltenen und durchschnittenen Leitungsbahnen in 
Einklang gebracht. So werden Rindenreizversuche bei Hunden, Katzen, Igeln 
und Vögeln geschildert, wobei sich wichtige und interessante Resultate ergaben. 
Es werden die Reizversuche nach Abtragung der Sehsphäre, der Hörsphäre, der 
Fühlsphäre des Scheitellappens, nach Sehhügelläsionen, nach Halbseitendurch- 
schneidung in der Vierhtigel-, Brückengegend, Medulla oblongata und spinalis 
geschildert. Ebenso werden Rindenreizversuche nach isolirter Durchschneidung 
der Pyramidenbündel, nach Abtragung einer Kleinhirnhälfte und sagittaler Durch¬ 
trennung der lateralen Partie der Brücke erörtert. Auch die Gehirne dieser 
Versuchsthiere wurden alle auf lückenlosen Serienschnitten bezüglich der dege- 


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nerirten Leitungsbaimen untersucht. Echte Jackson'sehe Epilepsie kann nur von 
der Grosshirnrinde aus ausgelöst werden. Gewisse Durchschneidungen in der Seh- 
hügel- und Vierhttgelgegend verhindern die Auslösung epileptischer Anfälle, jedoch 
konnten Einzehrackungen noch ausgelöst werden. 

Bezflglich anderer genau geschilderter Ergebnisse der exacten Untersuchungen 
muss auf das Original verwiesen werden. Der Arbeit sind acht photographische 
Tafeln beigegeben. Pilcz (Wien). 


5) Beiträge zur Kenntnis« der Topographie der Wärmeempündliohkeit, 

von E. Veress. (Orvosi Hetilap. 1902. Nr. 2. [Ungarisch.]) 

Kittels eines dem Thennästhesiometer ähnlichen Instruments mit constantem 
Zufluss warmen Wassers und genau graduirtem Thermometer untersuchte Verf. 
an sich selbst die Wärmeempfindliohkeit verschiedener Körperstellen; im Ganzen 
wurde die Körperoberfläche in Theile von 4 ccm eingetheilt und etwa 12000 Mes¬ 
sungen vorgenommen. Verf. bestimmte an jeder Körperstelle die Gradzahl, bei 
welcher die Empfindung der Wärme stattfand, und diejenige, bei welcher die 
Wärme ein Schmerzgefühl hervorrief Die Graddifferenz dieser Werthe zeigt für 
dieselbe Stelle stets die gleiche Zahl von Graden, wenn der untere Grenzwerth 
bei wiederholten Experimenten auch verschieden war. Bei feuchter Haut tritt 
die Wärmeempfindung stets bei geringerer Wärme ein. 

Bezüglich der topographischen Anordnung gelangt Verf. zu folgenden Resul¬ 
taten: 1. Die Wärmeempfindlichkeit der linken Körperhälfte ist im Allgemeinen 
grösser als diejenige der rechten. 2. Die mehr median gelegenen Stellen sind 
weniger empfindlich als die seitlich gelegenen. 3. Der Kumpf ist empfindlicher 
als die Extremitäten. 4. Die Wärmeempfindlichkeit der Extremitäten nimmt 
distal nicht gleichmässig ab, so z. B. ist die Kegio cubiti empfindlicher als die 
Regio deltoidea. 5. Die lateralen Partieen der Extremitäten sind weniger em¬ 
pfindlich als die medialen. An den lateralen Theilen tritt bei steigender Wärme 
eine schmerzliche Nebenempfindung (Stechen) auf, an der medialen Seite jedoch 
findet ein plötzlicher, frappirender Uebergang von Wärme zum Schmerz statt. 

Hudovernig (Budapest). 


Pathologische Anatomie. 

0) Intorno alla patologia dei gangli del oaore. Ricerche sperim. per il Dr. 

S. Bianchini. (Rivista di Patologia nervosa e mentale. 1901. Sept.) 

Verf. bringt einen experimentellen Beitrag zur Frage nach der Art der Ver¬ 
änderungen, welche nach Infectionskrankheiten und Ausschaltung der Vaguseinflüsse 
an den Zellen der Herzganglien auftreten. Durch Impfung mit Typhusculturen, 
Staphylococcus pyogenes aureus und Diphtherietoxin wurden 17 Meerschweinchen, 
Mäuse und Kaninchen inficirt; 8 Mäusen und Meerschweinchen wurde ein Vagus- 
stamm durchschnitten. Zur Präparation der Ganglien und des nervösen Central¬ 
systems der nach einiger Zeit der Intoxication erlegenen bezw. getödteten Thiere 
kam gesättigte Sublimatlösung und 10% Formolalkohol, Tionin und Toluidin 
mit Anilinöl, sowieHämatein la Apäthy, bei den peripheren Nerven 1% Osmium¬ 
säure und Zerfaserung in Anwendung. Herzmuskelstückchen wurden mit Flem- 
ming’scher Lösung und Safranin behandelt. Die Ergebnisse lauten in Kürze: 

Experimentelle Infection ist im Stande, nicht nur in den extracardialerf 
Nervencentren, sondern auch am intraoardialen Nervenapparat Structurveränderungen 
hervorzubringen, welche von demjenigen der Nervenstämme unabhängig sein und 
ihnen vorausgehen können. Auch können sie in gewissem Grade früher einsetzen, 


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als die Erkrankung der Muskelfaser des Myocards. Das Abhängigkeitsverhältniss 
zwischen den Schädigungen der Herzganglien und denen der übergeordneten 
Nervenoentren ist noch ungewiss; möglicherweise erkranken letztere gleichzeitig. 
Die Veränderungen sind vorwiegend parenchymatöser Natur, selten sind die Kerne 
der Kapsel mit betheiligt ln diesem Falle handelt es sich um eine tiefgreifende 
Veränderung des Myocards, aber auch hier sind Beactionsvorgänge angedeutet. 
Der Grad der Schädigung ist mehr von der Dauer als von der Schwere der In- 
fection abhängig. 

Die Veränderungen an den Ganglienzellen beginnen mit vorwiegend peri- 
nuclearer Chromatolyse und schreiten durch alle Stadien bis zu vollständiger 
Achromatose fort; sie befallen aber nicht alle Elemente gleichzeitig und gleich- 
mässig, vielmehr findet man neben schwer veränderten Zellen auoh leichtere Grade 
der Erkrankung und fast normale Elemente. Ein electives Verhalten gewisser 
Zelltypen der Noxe gegenüber kam nur ausnahmsweise vor. Neben schweren irre¬ 
parablen Störungen (Kernschwund, Vacuolenbildung, Atrophie, Achromatose) wurden 
leichtere gefunden, als welche Verf. eine in gewissem Umfang und Grad vorhandene 
Chromatolyse ansieht, wenn selbige mit gewissen Gestaltveränderungen des Kerns, 
Kernkörperchens und des Zellleibes vergesellschaftet ist. 

Die krankhaften Veränderungen der Ganglien sind oft mit solchen der Oentren 
und des Herzfleischee verbunden. Vielleicht findet also auch klinisch nur unter 
ungleichen Widerstandsbedingungen eine elective Entfaltung der Schädigungs¬ 
vorgänge statt. Aber schon die Alteration des intracardialen Nervensystems allein 
kann wahrscheinlich die ausreichende Ursache der sehr zahlreichen und auch der 
schwersten Functionsstörungen des Herzens abgeben. 

Die Einflüsse der Mikroorganismen und ihrer Gifte könnten nicht nur auf 
der Blutbahn, sondern sehr wohl auch durch die Vagus- oder Sympathicusbahn 
zu den Ganglien hingeführt werden. 

Durohschneidung eines Vagus hatte erheblichere, jedenfalls nicht zu unter¬ 
schätzende Veränderungen einer wiewohl beschränkten Zahl von Herzganglienzellen 
zur Folge, welche in ausschliesslich perinuolearer Chromatolyse verschiedenen 
Grades und zuweilen in Auftundung der Zelle, nur selten auch in Verlagerung 
ihres Kerns bestanden. Derartige Zellen finden sich in mehreren Fällen vorwiegend 
in den Zellgruppen des Septum interauriculare, spärlich auch im Wrisberg’schen 
Ganglion und gehören dem mittelgrossen Typ mit reichlichen, gleichmässig ver¬ 
theilten Chromatinschollen an. Daneben sind auch einzelne Doppelkernzellen von 
obiger Veränderung befallen, was die Annahme, dass dieselben vom Sympathicus 
abhängig seien, umstösst. Dagegen ist dieses Verhalten der zuvor genannten 
kleinen Ludwig’schen Zellgruppen wohl geeignet, der Ansicht von Cyon zur 
Stütze zu dienen, wonach sie von dem extraeardialen Nervensystem, mit welchem 
sie in Verbindung ständen, Beize empfangen und den anderen Ganglien über¬ 
mitteln sollen. 

Im Myocard wurden nennenswerthe Veränderungen nicht gefunden; doch hält 
Verf. das genauere Studium desselben an Tbieren, bei denen der Vagus eine 
grössere tonisirende Bolle spielt als hier, noch für erforderlich. 

Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


Pathologie des Nervensystems. 

7) lieber den Einfluss des Typhus abdominalis auf das Nervensystem, von 

Dr. A. Friedländer. (Berlin, 1901.) 

Im ersten Th eil seines fleissigen Werkes berichtet Verf. über 24 Fälle aus 
der psychiatrischen und medioinischen Klinik in Jena, von denen 8 Typhus- 


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26S 


peychoeen, 5 Typhusnervenkrankheiten, die übrigen aber Fälle von Typhös bei 
bestehenden Psychosen and Nenrosen betreffen. Auf Grund dieser Beobachtungen 
bespricht er zunächst die klinischen Symptome des Typhus, dann die Compli- 
cationen und Nachkrankheiten seitens der nervösen Organe, wobei er bezüglich 
der Eintheilung der Psychosen die Kraepelin’sche Nomenolatur: Initialdelirien, 
febrile Psychosen (einschliesslich Fieberdelirien) und asthenische Psychosen zu 
Grunde legt 

Aus seinen Schlussfolgerungen sei Folgendes hervorgehoben: Der Typhus, der 
ein geistesgesundee Individuum befällt, ist im Stande, Geistes- und Nervenkrank¬ 
heiten zu erzeugen. Das Fieber allein kann nicht die Ursache sein. Neben dem¬ 
selben und vielleicht mehr als dasselbe kommt der typhöse Prooess als solcher 
(Infection, Intoxication) in Betracht Psychosen können in jedem Momente des 
Typhus ausbrechen; am häufigsten jedoch sind die sogen. Fieberpsyohosen. Die 
Krankheitsbilder sind ausserordentlich vielgestaltig. — Wird ein Geisteskranker 
von einem Typhus befallen, so zeigt letzterer in den meisten Fällen eine Ein¬ 
wirkung, aber niemals eine ungünstige. Sehr häufig finden wir, aber zumeist nur 
vorübergehend, eine Klärung während und unter dem Einfluss des Fiebere. Da¬ 
gegen tritt im Anschluss an den Typhus, oft aber erst kürzere oder längere Zeit 
nach demselben, deutliche Besserung sowohl als auch Heilung ein. Letztere auch 
in prognostisch völlig ungünstigen Fällen. Wir finden auch hier meist keine 
deutliche Beziehung zwischen Fieber- oder typhösem Krankheitsprocess und 
Beeserung der Psychose. Daher läge die Annahme nahe, dass die durch den 
Typhus herbeigeführten Stoffwechseländerungen langsam und allmählich eine theil- 
weise oder völlige Restitution bewirken. 

Der zweite Theil des Buches enthält eine ausserordentlich gründliche kritische 
Zusammenfassung und Besprechung der einschlägigen Litteratur vom Jahre 1813 
bis 1900, welche in einem Verzeichniss von 621 Nummern znsammengesteilt ist. 

E. Beyer (Littenweiler). 


8) Myelitis baemorrhagioa aoutisaima transversalis bei Typhus abdominalis 
(Exitus in 18 Stunden), von Dr. Arthur Schiff. Aus der HI. medioin. 
Univer sitätsklinik von Hofrath Prof. v. Schrötter. (Arohiv f. klin. Medicin. 
LXVIL S. 175.) 

Bei einem 19jähr. Patienten stellten sich ganz plötzlich am 9. Krankheits¬ 
tage des Verlaufs eines Abdominaltyphus folgende Erscheinungen ein: Pat. liegt 
kraftlos zusammengesunken im Bett und lässt fortwährend Urin und Stuhl unter 
sich. Sensorium frei, keine Schmerzen. Temperatur 38,6. Pulsfrequenz 120. 
Es besteht absolute motorisohe schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten mit 
Erloschensein sämmtlicher Reflexe und eine nahezu vollkommene, schlaffe Lähmung 
beider oberen Extremitäten Motorische Hirnnerven, Pupillenreaction, Kopf¬ 
bewegungen ohne Störung. Ferner findet sich eine absolute Anästhesie für alle 
Empfindungsqualitäten in allen Extremitäten, am ganzen Abdomen und Thorax, 
die sich nach oben bis zu einer Horizontallinie erstreckt, die vorn den 3. Rippen¬ 
knorpel, hinten den Processus spinosus des 2. Brustwi rbels trifft. Daneben be¬ 
stand vollkommene Blasen- und Mastdarmlähmung und schliesslich waren alle 
Respirationsmuskeln bis auf das Zwerchfell und alle Bauchmuskeln gelähmt. Nach 
diesem Beftmde wurde die Diagnose auf Transversalmyelitis an der Grenze 
des 4.—6. Cerviealsegments gestellt. In der 5 Stunden vor dem Tode aus- 
gefÜhrten Lumbalpuaction wurden 20oem einer klaren Flüssigkeit entleert, welche 
keine Mikroorganismen enthielt. Bei der mikroskopischen Untersuchung des 
Rückenmarks ergaben sich 1. multiple, regellos durch das ganze Rückenmuk 
zerstreute kleine frische Blutungen; 2. hämorrhagische Infaroirung des Rücken- 


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marks im unteren Abschnitte des 4. Cervicalsegments, welche im Querschnitt fast 
die ganze graue Substanz des Rückenmarks zerstörte; 3. .enorme Gefässerweiterung 
und strotzende GefässfÜllung im 5.— 8. Cervicalsegment; 4. vorgeschrittene Dege¬ 
neration der Ganglienzellen der Vorderhörner im Cervicalsegment, auch in den 
von Hyperämie und Blutung verschonten Segmenten desselben. Daselbst auch 
Quellung einzelner Axencylinder und Gliawucherung in den Randpartieen der 
weissen Substanz; 5. ausgedehnter Zerfallsherd in den Hintersträngen im unteren 
Drittel des 4. Cervicalsegments, besonders in einer dem Hinterhom anliegenden Zone 
und Durch tränk ung dieser mit einer Exsudatmasse; 6. Mikroorganismen waren weder 
mikroskopisch noch durch Culturen nachzuweisen. Nach Ansicht des Verf.’s 
liefert dieser Fall nach dem unter Nr. 6 gegebenen Resultat einen sicheren Be¬ 
weis für das Vorkommen der infectiös-toxischen Form der Myelitis auch im Ver¬ 
lauf der Infectionakrankheiten des Menschen. Jacobsohn (Berlin). 


9) Klinische Beiträge rar Lehre von der acuten intestinalen Autointoxi- 
oation, von Dr. Richard Deutsch. (Wiener med. Wochenschr. 1900. 
Nr. 5 u. 6.) 

Verf. theilt vier Beobachtungen mit, die er als acute intestinale Autointoxi- 
cationen auffasst. 

1. Fall. Epilepsia acetonica. 15jähriges Mädohen stürzte plötzlich unter 
Krämpfen zusammen. Coma, Mydriasis, erloschene Cornealreflexe, tonisch-klonische 
Krämpfe im Gesicht und den Extremitäten; leichte linksseitige Facialisparese. 
Im Ham reichlich Aceton. Auf Venaesection und Irrigationen rasche Genesung. 
Verf. hält den Fall für eine acute Acetonin toxi cation. 

2. Fall. Pneumonia centralis unter dem Bilde einer Meningitis. lOjähr. 
Mädchen; rasche Erkrankung unter Kopfschmerzen und Bewusstlosigkeit. Tem- 
p eratur 40,2, Mydriasis, Nackencontractur, Trismus. Auf Calomel und kalte Ein¬ 
packungen schwanden diese Symptome bis zum nächsten Tage. Im Ham viel 
Aceton; das Fieber blieb bestehen, einen Tag später die physikalischen Zeichen 
einer rechten Spitzenpneumonie; kein Aceton mehr. Das Verschwinden des Ace¬ 
tons und der meningealen Erscheinungen an einem Tage spricht für eine Aceton- 
intoxication auf Grund der Infection mit Pneumokokken. 

3. Fall. Intermittirende Neuralgia ophthalmica ex autointoxicatione. Der 
Schmerzanfall im linken Auge trat immer um 10 Uhr Vormittags ein. Symptome 
eines Magencatarrbs. Reichlich Indican. Chinin erfolglos. Calomel. Amara und 
Diät brachten Heilung. 

4. Fall. Erythema et Ischias sin. lljähr. Knabe; Erkrankung unter Er¬ 

brechen, Kopfschmerz, scharlachartigem Exanthem, Schmerzen in der linken unteren 
Extremität, Druckpunkt unter dem Capit. fibul., Aceton, leichtes Fieber. Auf 
Calomel rasche Besserung. J. Sorgo (Wien). 


10) Influenza and the nervous System, by James Carslaw. (Brit. med. 

Journ. 1901. 12. Januar.) 

Auf der letzten Jahresversammlung der Brit. med. Association zu Ipswich 
fand eine eingehende Discussion über die durch Influenza verursachten Erkrankungen 
des Nervensystems statt. Veranlasst durch das dort von Bury gehaltene Referat 
(cf. Brit. med. Journ. 1900. 22. Sept.) veröffentlicht Verf 4 Fälle von schwerer 
acuter Erkrankung des Gehirns, welche er während der letzten Epidemie in 
Glasgow zu beobachten Gelegenheit hatte. 

Die Fälle betrafen 9—26jährige männliche Patienten, welche nachweislich 


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vorher gesund gewesen und während der Influenzaepidetnie plötzlich erkrankten. 
Bei zwei Patienten waren catarrhalische Erscheinungen vorhergegangen und ärzt¬ 
licherseits die Diagnose auf Influenza gestellt worden. Bei allen Patienten war 
heftiger Kopfschmerz vorhanden, an den sich rapid schwerste Gehirnsymptome 
anschlossen (Bewusstlosigkeit, Delirien, Zuokungen der Extremitäten; während 
Parese besonderer Muskelgruppen der Extremitäten und Augen nicht vorhanden 
oder nur wenig ausgesprochen waren). 

Die Krankheitserscheinungen deuteten auf Affection der Convexität des Ge¬ 
hirns hin. 3 Patienten starben. Nur bei einem fand Autopsie statt. — Es fand 
sich Leptomeningitis purulenta der Convexität und der Basis; ausserdem ein 
Rundzellensaroom der Hypophysis. In diesem Falle hatte Ptosis, Strabismus und 
Pupillendifferenz bestanden. 

Verf. berichtet noch über einen durch Influenza hervorgerufenen Fall von 
multipler Neuritis bei einer Frau. E. Lehmann (Oeynhausen). 


11) ▲ oase of erysipelas of the soalp with a remarkable nervoua sequels, 

by Poynton. (Brain. 1901. L) 

Verf’s Patient — ein junger Mann von 17 Jahren — erkrankte erst unter 
den Zeichen einer acuten Infectionskrankheit mit meningitischen Symptomen. 
Erst einige Tage später zeigte sich eine Erysipelas capitis. Dann trat eine 
vorübergehende Besserung ein; darauf wieder cerebrale, bezw. psychische Sym¬ 
ptome und solche, die sich nur zurückführen Hessen auf eine Betheiligung des 
Rückenmarks, bezw. Blasenstörungen. Diese Symptome bestanden länger als ein 
Jahr. Dann trat allmählich vollkommene Heilung ein. Details müssen im Original 
nachgelesen werden. Bruns. 


12) lieber nervöse Störungen im Verlaufe des Keuchhustens, von Dr. Cor¬ 
nelius May. (Archiv f. Kinderheilk. 1901. XXX.) 

Theils nach eigener Erfahrung, theils nach Litteraturangaben stellt der Verf. 
die Störungen von Seiten des Nervensystems bei Keuchhusten knapp zusammen. 
Vorerst lenkt er die Aufmerksamkeit auf Convulsionen, die ohne sonstige 
Cerebralsymptome auftreten, mit enorm hohen Temperaturen (41,4° in dem vom 
Verf beschriebenen Fall) einhergehen und zum Tode führen. Bei der Autopsie 
fand sich in diesem Falle ausser einer ödematösen Durchtränkung des hyper- 
ämischen Gehirns nichts Krankhaftes (Finkeistein hat letzthin [Monatshefte 
f. Psych. u. NeuroL] derartige Fälle als seröse Meningitiden recht beweisend zu 
deuten versucht. Ref.). Ferner kommt es bei Keuchhusten zu psychotischen 
Zuständen, namentlich zu vorübergehendem idiotischem Symptomenoomplexe, wofür 
Verf. gleichfalls ein Beispiel bringt. Seelenblindheit sowie thatsächliche Er¬ 
blindung durch Opticuserkrankung finden sich in der Litteratur als Folge¬ 
krankheiten des Keuchhustens beschrieben. Relativ häufig sind cerebrale Läh¬ 
mungen, welche Verf. in zwei Fällen selbst beobachtet hat. Endlich sind schlaffe 
und spastische Rückenmarks!ähmungen aus der Litteratur bekannt. 

Ueber die Entstehungsursache dieser Affection spricht sich Verf. nur reservirt 
aus. Wohl sind Blutungen innerhalb des Centralnervensystems öfter beschrieben 
(Hockenjos), doch wäre trotzdem die von Neurath vertretene Hypothese einer 
Toxinwirkung nicht unabweisbar, da die Neigung zu Hämorrhagieen vielleicht in 
einer krankhaften Veränderung der Gefässwände die Ursache besitze. 

Zappert (Wien). 


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18) D&dntoxiofttUm du fumeur d’opium par la iupp ro a ri on brusquo et 
l'ecnploi moment&nö du ohauvre iudien, par M. Brunet. (Progrös 
medical. 1901. Nr. 25.) 

Interessante Mittheilung einiger Erankengeeohichten von Opiumentsdehung 
durch plötzliches Weglassen und mittels Anwendung indischen Hanfes. Die 
Directiven, die Verf. vor Beginn der Entziehungskur giebt, die Postulat», die 
er an die Kranken, dessen Umgebung, Verwandte u. s. w. stellt, enthalten viel 
Beachtenswertes. Adolf Passow (Meiningen). 


14) Ohloralhydratvergiftung , von Lückerath. (Psych. Wochenschr. 1901. 
Nr. 85.) 

Mittheilung zweier einschlägiger Fälle. Im ersten Fall erhielt ein grosses, 
kräftiges, körperlich gesundes, an acuter haUucinatorisoher Verwirrtheit leidendes 
Mädchen innerhalb 12 Tagen 13,0 Chloral; danach Affection der Haut (Exanthem, 
das an Scharlach, Masern und Urticaria erinnerte) und der Schleimhäute (Con¬ 
junctivitis, Bronchitis), Schwellung beider Parotis, mässige Temperatursteigerung. 
Der zweite Fall betraf eine Paralytica, die innerhalb 3 Tagen 4,0 g Chloral nahm. 
Danach ausgedehntes Exanthem, ähnlich wie Purpura, geringe Conjunctivitis, 
schwere Betheiligung des Allgemeinzustandes, hohes Fieber, katarrhalischer Icterus: 
Exitus. Ernst Schnitze (Andernach). 


15) Befand bei Vergütung mit Höllensteinstiften, von Max Edel. Aus dem 

Asyl für Gemüthskranke in Charlottenburg. (Vierteljahrsschr. f. ger. Med. 

1901. S. 89.) 

Verf. beschreibt den Fall, da er wegen des pathologisch-anatomischen Befundes 
interessant ist. Sonst pflegen Vergiftungen mit Höllenstein in Substanz ohne 
schädliche Folgen zu verlaufen; hier führte eine Pneumonie zum Tode, deren Ent¬ 
stehung vielleicht durch die starke Secretion der Bronchialschleimhaut in Folge 
der Silbernitratwirkung begünstigt wurde. Besonders ausgeprägt waren örtliche 
Verätzungen an Zunge, Bachen, Kehlkopf und Oesophagus; die übrigen Organe, 
besonders auch der Magen, zeigten wenig Veränderungen. 

Stegmann (Dresden). 


16) Dipsorexle und Antiaethylin, von V. Th6bault (Paris). (Klinisch-thera- 

peut. Wochenschr. 1901. 7. April.) 

Der Apotheker Broea stellt zuerst von Meerschweinchen und dann von Pferden 
mittels langsamer Alkoholisirung derselben ein Serum dar, welches — gesunden 
Thieren eingespritzt — angeblich die neuerliche Einnahme von Alkohol unmöglich 
machen soll. Dies Serum benutzte Verf. zu seinen therapeutischen Versuchen am 
Menschen. Er ist mit seinen Erfolgen sehr zufrieden und hat angeblich im Laufe 
seiner Versuche folgende Beobachtung gemacht: 

1. Das Serum übt seine grösste Wirkung in einer bestimmten Periode der 
Alkoholvergiftung. 

2. Dieser Moment ist der Beginn des Alkoholismus, der latente Alkoholismus 
oder — wie Verf. dies Stadium nennt -— die Dipsorexie. 

Verf. betont besonders, dass das Serum nur für das Stadium der Dipsorexie 
geeignet sei. Er präcisirt dabei das genannte Anfangsstadium weiterhin dahin, 
dass nur functioneile Störungen, aber noch keine organischen Veränderungen vor¬ 
handen seien. Sobald klinisch eine anatomische Erkrankung (Leber, Peritoneum 
oder dergL) vorhanden sei, handele es sich um „chronischen Alkoholismus“ und 
nicht mehr um Dipsorexie. 


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Die Quantität des einge führten Alkohols ist angeblich gleichgültig. Wein¬ 
trinker sollen refractär Bein. Eine weitere Einschränkung für die Anwendung des 
Serums macht Verf. durch die Mittheilung, dass Nieren- und Leberleiden, Diabetes, 
Neurasthenie und Hysterie eine Contraindication bildeten. 

Die Wirkung des Serums äussert sich wie folgt: Die Patienten empfinden 
Ekel gegen ihr früheres Lieblingsgetränk, schon der Geruch und Geschmack des 
Alkohols verursachen Ekel. Manchmal tritt sogar Erbrechen ein, nachdem der 
Pat. Alkohol zu sich genommen hat. Auf der anderen Seite setzt der Organismus 
Fett an, die Kräfte kehren zurück, das Zittern und die wüsten Träume ver¬ 
schwinden, der Schlaf und die geistige Buhe kommen wieder. In einigen Fällen 
hat Verl auch unter Einwirkung des Serums Erscheinungen beobachtet, welche 
der Grippe ähnlich sind oder auch Störungen von Seiten des Darmcanals. Eine 
sehr auffallende Erscheinung ist ferner die Abnahme der Libido und Potenz. 

Die ganze Kur braucht nach Ansicht des Verf.’8 nicht in einem Kranken¬ 
haus gemacht zu werden, im Gegentheil sei die ambulatorische Behandlung vor¬ 
zuziehen. 

Verf. giebt schliesslich eine Erklärung der Wirkung des Serums und sieht 
in dem Serum das Mittel zur Lösung der Alkoholfrage. (!) 

Paul Schuster (Berlin). 

17) Alköholismua und Brbliehkeit, von G. Anton. (Psych. Wochensohr. 

1901. Nr. 14.) 

An der Hand zahlreicher Mittheilungen verschiedener Autoren betont Verf. 
den vielfachen Zusammenhang zwischen chronischer Trunksucht der Eltern und 
Nervensieohthum der Nachkommen. Die stetige Alkoholvergiftung verändert das 
Keimplasma des Trinkers derart, dass dadurch eine Degeneration der Nachkommen¬ 
schaft bewirkt wird. Dafür spricht auch der Umstand, dass das Gleiche nach 
chronischer Einwirkung anderer Gifte eintritt. In erster Linie gilt das vom 
Blei. Kinder von Bleiarbeitern zeigen grosse Sterblichkeit; sie werden von Ge¬ 
hirnkrankheiten, von Idiotie und Epilepsie besonders häufig heimgesucht. Nach 
Heilung der Bleivergiftung werden gesunde Kinder gezeugt Aehnliches gilt vom 
Quecksilber (Guislain). Thierexperimente mit Alkoholintoxication fielen ebenfalls 
positiv aus. Bei der Gelegenheit weist der Verf. darauf hin, dass schwere Miss¬ 
bildungen des Gehirns oft mit solchen von Drüsen und darunter auch der Keim¬ 
drüsen einhergeben. 

Die Folgen der Trunksucht stellen ein fortwährendes, in der Nachkommen* 
Schaft sich progressiv vervielfältigendes Elend dar. Es muss nicht nur das ein¬ 
zelne Individuum behandelt, sondern auch Racenhygiene getrieben werden. Cor- 
riger rhöröditö ist der humane Kampfruf französischer Aerzte. 

Ernst Schnitze (Andernach). 


18) Die sooiologlsohe Bedeutung des Alkoholismus, von T. G. Masaryk. 

(Psychiatr. Wochenschr. 1901. Nr. 9.) 

Verl betont den Werth der inneren Beobachtung mit anschliessender psycho¬ 
logischer Analyse gegenüber der objectiveu Methode beim Studium des Alko¬ 
holismus und setzt in recht individuell ausgeprägter Form die Wirkungen des 
Alkoholgebrauchs auf das psychische Leben des einzelnen Individuums wie der 
Massen auseinander. Er tritt energisch für Abstinenz ein, da ein alkoholfreies 
Leben eine höhere Lebensauffassung und damit eine freudigere und reinere 
Lebensstimmung und schliesslich eine schönere Lebensführung garantire. 

Ernst Schnitze (Andernach). 


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19) Alkoholismufl Im Kindeoalter, von Prof. Dr. M. Kassowitz. (Jahrbuch 
f. Kinderheilk. LIV.) 

In Erweiterung eines am Congress gegen den Alkoholismus in Wien ge¬ 
haltenen Vortrages stellt der vorliegende Artikel einen energischen Protest gegen 
die Darreichung von Alkohol im Kindesalter dar. Verf. hat in seiner ärztlichen 
Thätigkeit eine genügend grosse Anzahl von Fällen beobachten können, in denen 
schwere Krankheitserscheinungen auf den directen Einfluss des Alkohols zurück¬ 
zuführen waren. Für den Nervenarzt sind von den angeführten 22 Beispielen 
namentlich jene von Delirium alcoholicum bei Sondern von 7, 9 und 11 Jahren, 
von Geistesstörungen in Form lebhafter Unruhen, Sohreien, ängstlicher Aufregung, 
von habituellen Convulsionen bemerkenswerth. Die übrigen Beispiele beziehen 
sich auf gastrische Störungen sowie auf cirrhotische Erkrankungen der Leher. 

Wer die temperamentvolle, stets die äussersten Consequenzen ziehende Schreib¬ 
weise des Verf,’s kennt, wird sich nicht darüber wundern, dass derselbe den 
Alkohol nicht nur als Nahrungs-, Magen-, Fiebermittel verwirft, sondern auch 
als Exoitans bei schweren Krankheiten des Kindesalters verbietet. 

Der Aufsatz wird sicherlich eine Bedeutung als Agitationsschrift in der Anti¬ 
alkoholbewegung erlangen. Zappert (Wien). 


20) üb nouveau slgne physique spdoial & Fintoxioation alooolique: le 
eigne de Quinquaud, par W. Aubry. (Arch. de neurolog. 1901. Juni.) 

Das Symptom von Quinquaud wurde zuerst von Maridort in einem am 
meisten von Alkohol durchseuchten Bezirk vornehmlich an Alkoholisten untersucht; 
es besteht aus Folgendem: Man lasse den Kranken mit voll gespreizten und steif 
gehalten gestreckten Fingern gegen die Hohlfläche der Hand des Untersuchenden 
gegenstossen; während der ersten Secunden spürt man nichts besonderes, dann 
empfindet man kurze Stösse, als ob die einzelnen Knochen der Finger sich gegen¬ 
seitig zurückstiessen. 

Verf untersuchte alle möglichen Kranken, hatte vielfach Misserfolge, con- 
statirte, dass das Zeichen — was für Alkohol specifisch sein soll — nicht stets 
zutreffe und lässt sich in Vermuthungen aus über die Entstehung. 

Adolf Passow (Meiningen). 


21) Alkohol and arsenio in the etiology of alooholio neuritis, by E. F. Buz- 

zard. (Lancet. 1901. Juni 8.) 

Die grosse Epidemie von Arsenikneuritis, die in jüngster Zeit in einigen 
Gegenden Englands unter den Biertrinkern geherrscht hat, hat eine Anzahl von 
Forschern zu der Ansicht gebracht, dass der Aethylalkohol an sich nicht im Stande 
ist, Neuritiden hervorzurufen, dass Alkoholneuritis nur bei Biertrinkern vorkomme 
und dann nicht eine Folge des Alkohols, sondern des in dem Biere enthaltenen 
Arseniks sei. Verf hat versucht, diese Frage durch statistisch-klinische Unter¬ 
suchungen zu lösen und zu diesem Zweck die Krankengeschichten von 120 Fällen 
von Alkoholneuritis (unter Ausschluss aller Fälle, bei denen noch eine andere 
Intoxication oder chronische Infection in Frage kam) durchforscht, die in den 
letzten 12 Jahren im „National Hospital for the paralysed and epileptic“ zur 
Beobachtung kamen. Er ist dabei zu dem Resultat gekommen, dass excessiver 
Biergenuss allein höchst selten zu multipler Neuritis führt, sehr häufig dagegen 
Excesse in Bier und Schnaps zusammen, aber nicht häufiger als unmässiger 
Schnapsgenuss allein. Gerade die der Arsenvergiftung eigenthümlichen Haut¬ 
veränderungen wurden so gut wie garnicht gefunden, sondern nur Veränderungen, 
wie sie als trophische Störungen bei den verschiedensten Erkrankungen des peri- 


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pherischen motorischen Neurons zur Beobachtung kommen. Gegen die Annahme, 
dass Arsenik immer als die Ursache der neuritischen Processe anzusehen sei, 
spricht auoh der in obigem Hospital häufig erzielte günstige Erfolg der Behand¬ 
lung der Alkoholneuritis mit Fowler’scher Lösung. 

Martin Bloch (Berlin). 


22) A oase of reourrent alooholio peripheral neuritis, by Leslie H. Jones. 

(Brit. med. Journ. 1901. 13. April.) 

Im Anschluss an die im vorigen Jahre in England unter Biertrinkern be¬ 
obachteten Erkrankungen von multipler Neuritis, weloh letztere als Arsenikneuritis 
imponirten, waren Autoren aufgetreten (z. B. Beynoldi), welche dem Alkohol 
jeden Einfluss auf Hervorbringen von Polyneuritis absprechen. 

Demgegenüber reclamirt Verf. mit Recht den schädigenden Einfluss des 
Alkohols auf das Nervensystem. Verf. theilt einen Fall von hochgradiger Alkohol¬ 
neuritis bei einer unverheiratheten Dame mit, welche nur mässige Dosen Alkohols 
regelmässig zu sich genommen hatte. Es entwickelte sich beiderseits Paralyse der 
Extensoren der Füsse und besonders der Hände mit Atrophie der Muskeln (Illu¬ 
stration). Die Affection heilte nach völliger Abstinenz unter geeigneter Behand¬ 
lung, bis die in ihren Kräften reducirte Patientin nach ihrer Verheirathung wieder 
dem Alkoholgenuss sioh ergab (3 Glas Burgunder täglich). Recidiv der Poly¬ 
neuritis. Erneute Heilung nach Abstinenz. E. Lehmann (Oeynhausen). 


Psychiatrie. 

23) Action de r&lcoolisme sur la produotion de l’idiotie et de l'öpilepsie, 

par Bourneville. (Progr6s mödicaL 1901. Nr. 16.) 

Eine weitere Beobachtung Bourne ville’s, die sich über 2*/ 2 tausend Fälle 
von idiotischen, epileptischen, imbecillen und hysterischen Kindern erstreckt und 
speciell den Einfluss des Alkoholismus der Eltern im Moment der Conception und 
auch der Mutter während der Schwangerschaft berücksichtigt. 

Adolf Passow (Meiningen). 


24) Statistische« über die Trunksucht, von Sauermann. (Psych. Wochen¬ 
schrift. 1901. Nr. 29.) 

Verf. vergleicht an der Hand des statistischen Materials der Bonner Provinzial- 
Heil- und Pflegeanstalt Trinker und Nichttrinker hinsichtlich der Erblichkeit, der 
Rückfälligkeit und der Straffälligkeit 12,6 °/ 0 aller Aufgenommenen waren 
Trinker. Erblich belastet waren 31 °/ 0 aller Kranken, hiervon 17,4 °/ 0 lediglich 
durch Trunksucht Von den Trinkern waren erblich belastet 38,3 °/ 0 , von den 
Nichttrinkern 29,9 °/ 0 . Die Vergleichung in Bezug auf die Rückfälligkeit ergiebt 
einen geringen Unterschied zu Gunsten der Trinker (26,8°/o der Trinker zu 
29,1 °/ 0 der Nichttrinker), woraus natürlich nicht auf eine günstigere Prognose 
bei den Trinkern geschlossen werden darf. Unter den Trinkern fanden sich 
doppelt so viel Bestrafte wie unter den Nichttrinkern (16,0 °/ 0 :7,1 °/ 0 ); bei den 
Trinkern überwiegen die Gesetzesverletzungen gegen die Person, bei den Nicht¬ 
trinkern gegen das Eigenthum. Ernst Schultze (Andernach). 

25) Traitement du ddlirium tremens föbrile par la balnöation froide, par 

M. Salvant (Gazette des höpitaux. 1901.) 

Verf empfielt bei Rectumtemperatur von 39° aufwärts Bäder von 18 °C. bei 


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gutem Zustand des Herzens und der Gefasse, bei Gefahr des Collapses solche von 
26—28°C. Das Bad soll, je nachdem es vertragen wird, 6—20 Minuten dauern; 
während desselben sind warme, excitirende (nicht alkoholische) Getränke zu 
reichen. Der Kopf muss beständig benetzt werden. Es ist besser, öfters baden 
zu lassen, bis dreistündlich, als das Bad zu sehr zu prolongiren. Bei niedrigerer 
Körpertemperatur sind laue Bäder zu wählen, desgleichen bei Patienten mit 
Herzcomplicationen, Arteriosklerose, Diabetes u. s. w. B. Hatschek (Wien). 


26) Zur Statistik der Anstaltsbehandlung der Alkohollsten , von Moeli. 

(Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIIL S. 588.) 

Die unbefriedigenden Ergebnisse der Behandlung der Alkoholisten und die 
grossen Verschiedenheiten in der RttokfaHsstatistik haben Verf. zu der dankens- 
werthen Arbeit veranlasst, das grosse Material der Anstalt Lichtenberg (Herz¬ 
berge) genauer zusammenzustellen. In 6 Jahren wurden 742 Männer zusammen 
1567 Mal aufgenommen neben 55 Frauen. Die erste Aufnahme der Männer ge¬ 
schieht am häufigsten durch polizeiliche Einweisungen, ein grosser Theil der 
Kranken wird auch durch Krankenhäuser oder Kassen eingeliefert. Bei den 
weiteren Aufnahmen wirken die Krankenhäuser fast gar nicht mehr, auch die 
Polizei erheblich seltener mit, und es mehrt sich dafür die freiwillige Selbst¬ 
stellung. Die mittlere Dauer der Anstaltsbehandlung betrug 4,2 Monate, die 
Zwischenzeit bis zur Wiederaufnahme 4,9 Monate. Die Verlängerung des Anstalts¬ 
aufenthaltes vergrösserte den Rückfall etwas. 178 Kranke machten ein Delirium 
tremens durch; 564 zeigten eine nachweisbare geistige Sohwäche. Erblich be¬ 
lastet waren 48%; 7% Epileptiker, 22% hatten ein Trauma durchgemacht. 
36,6 führten als äusseren Grund zur Trunksucht ihren Beru£ 12,6 üble Familien¬ 
verhältnisse, 60,8 die Trinksitten und Verleitung, 17,8 unbefriedigenden Erwerb, 
Stellung, Wohnung an, wobei sich natürlich oft mehrere Gründe bei derselben 
Person fanden. 44,88% waren vorbestraft; unter den Delioten überwiegen die 
gefährliche Körperverletzung, Beleidigung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen 
die Staatsgewalt, Bettel und Diebstahl, also bis auf die beiden letzten Gewalt- 
thätigkeitsverbrechen. 

Die Behandlung war unbefriedigend. Mit der einfachen Entlassung ist nichts 
gethan, da die Kranken in dieselbe Umgebung zurückkehren. Auch die Familien¬ 
pflege versagt, da sie die Kranken nicht genügend überwachen kann. Am besten 
bewährt hat sich, auoh in anscheinend verlorenen Fällen, der Anschluss an die 
Enthaltsamkeitsvereine, besonders den Guttemplerorden. Die öffentliche Unter¬ 
stützung dieser Vereine hält Verf. für nothwendig. 

Aschaffenburg (Frankfurt a/M.). 


27) Uebur Trinkersnztalten, von A. Delbrück. (Psych. Wochenschr. 1901. 

* Nr. 32.) 

Verf. giebt einen kurzen Bericht über die im vorigen Jahre geführten Dis- 
cussionen über Trinkeranstalten und begründet seinen eigenen Standpunkt in der 
Frage, dem er in folgenden Thesen Ausdruck giebt: 

L Die eigentlichen Trinkerheilstätten können zur Zeit nur offene Anstalten 
sein. Sie gestatten unter Umständen einen gesetzlichen Zwang zum Aufenthalt, 
vertragen sioh aber nicht mit dem physikalischen Zwang geschlossener Thüren. 

II. Die Irrenanstalten kann man in absehbarer Zeit in der Behandlung der 
Trinker nicht entbehren. Hierher gehören alle Fälle mit eigentlicher alkoholischer 
Psychose, dann die pathologischen Charaktere aller Art, welche aus irgend einem 
Gmnde unter Bewachung sein müssen, schliesslich so lange sie renitent sind, die 
Einsichtslosen, welche in einer Trinkerheilanstalt nicht bleiben wollen. 


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a) Es ist deshalb moralische Pflicht der Irrenanstalten, sich (allmählich) so 
eizaurichten, dass die notwendige Abetinenzsuggeetion auch auf ihren Abtbeilungen 

hemebt 

b) Für die Zukunft ist neben den offenen Trinkerheilanstalten und den ge¬ 
schlossenen Irrenanstalten die Errichtung geschlossener staatlicher Trinkerverwahr¬ 
anstalten im Auge zu behalten, die vielleicht mit den gleichfalls erst postulirten 
Anstalten für moralische Idioten verbunden werden können. 

III. Neben der Unterbringung der Alkoholiker in offenen und geschlossenen 
Anstalten wird auch eine solche in abstinenten Familien in manchen Fällen 
gute Dienste leisten. Doch ist diese Frage streng zu trennen von der jetzt viel 
erörterten „Familienpflege“ im psychiatrischen Sinne. 

Mit nur geringen Abänderungen (Wegfall der Klammer um „allmählich“ in 
IIa und des Wortes „moralische“ in üb) wurden diese Thesen von der 6. Jahres¬ 
versammlung des Vereins abstinenter Aerzte in Hamburg angenommen, wo Verf. 
besagten Vortrag hielt Ernst Schnitze (Andernach). 


28) Oriminal oder Irrenh&usP Bin Beitrag zur Frage der Trinkerasyle. 

Anlässlich des Antialkoholcongresses mitgetheilt von Max Pollak. (Archiv 

für Criminal-Anthropologie und Criminalistik. VII.) 

Ein chronischer Alkoholist der schlimmsten Sorte, der wegen seiner Delicto 
(thätliche Bedrohung, Unzucht) angeklagt war, wurde als unzurechnungsfähig der 
Irrenanstalt übergeben; aus dieser wurde er bald entlassen, um nur bald von 
Neuem und in gleicher Weise wie vordem mit dem Strafgesetz in Confliot zu 
kommen. Das Spiel wiederholte sioh etwa ein halbes Dutzend MaL Bei der 
letzten psychiatrischen Begutachtung wurden reine Charaktermängel (Reizbarkeit 
Brutalität Neigung zum Trunk) bei völligem Mangel einer krankhaften Basis 
als Folge von Erziehungsmängeln angesehen; die ethische Depravation sei keine 
Folge des chronischen Alkoholismus, weil sie schon vorher bestanden habe; 
andererseits habe der Angeklagte hierdurch jeden moralischen Halt verloren. 
Dass er nur je einmal die Erscheinungen eines Deliriums bezw. tobsüchtigen 
Erregungszustandes geboten habe, spreche für die Widerstandsfähigkeit seines 
Nervensystems. In der Irrenanstalt verlange er seine Entlassung mit der Be¬ 
gründung, wenn er etwas angestellt habe, gehöre er ins Criminal; ausserhalb der 
Anstalt tröste er sich bei Delicten mit seinem Indemnitätsbewusstsein: ich bin 
ein Narr, mir kann nichts geschehen. Diese Aeusserung beweise sein Strafbar¬ 
keitsbewusstsein und lasse ihm, der die Gesetze nioht für sich gelten lasse, nur 
um so gemeingefährlicher erscheinen. Er sei zwar trunksüchtig, aber nicht geistes¬ 
krank. Daraufhin erfolgte die Verurtheilung. Das Gutachten erscheint Ref. nicht 
unanfechtbar, wenn man überhaupt Gutachten ohne genaue Kenntniss der Acten 
und besonders der Persönlichkeit kritisiren darf. 

Darin wird man dem Verf. unbedingt beipflichten, dass weder das eine noch 
das andere Vorgehen die Gesellschaft vor solchen Individuen wie dem Angeklagten 
zu schützen vermag. Diese sind nach Verf.’s Vorschlag dauernd unschädlich zu 
machen durch eine anhaltende Internirung in einer gesonderten, ad hoc zu er¬ 
richtenden Abtheilung einer Irrenanstalt, für die auf administrativem Wege vor¬ 
zusorgen wäre. Ernst Schnitze (Andernach). 


28) Darf eine Trinkerheilanstalt einen Trunksüchtigen kraft Auftrages des 
Vormunde« fbsthaltenP von Bratz. (Psych. Wochensohr. 1901. Nr. 14.) 

Auf eine Anfrage des Dresdener Bezirksvereins gegen den Missbrauoh geistiger 
Getränke entschied das Königl. sächsische Ministerium des Innern, nach vor¬ 
herigem Einvernehmen mit dem Justizministerium, dass eine Trinkerheilanstalt 


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im Aufträge des Vormundes nur für die Dauer dieser Ermächtigung berechtigt 
ist, dessen trunksüchtigen Mündel in der Anstalt festzuhalten, auch wider dessen 
Willen. Der Bezirksverein könne aber nicht verlangen, dass der zu gründenden 
Anstalt das Recht verliehen werde, nach eigenem freiem Ermessen über die Unter¬ 
bringung Trunksüchtiger Bestimmungen zu treffen. 

Ernst Schultze (Andernach). 

30) Zar öffentlichen Fürsorge für Trunksüchtige, von Wulffert. (Psych. 

Wochenschr. 1901. Nr. 38.) 

Will man den Alkoholismus mit Erfolg bekämpfen, so bedarf es im Deutschen 
Reiche der Schaffung gesetzlicher und administrativer Voraussetzungen zu einer 
möglicht ausgedehnten Ausnützung der vorhandenen Entmündigungsvorschriften 
für die Anstaltsheilung und Anstaltsversorgung der Trunksüchtigen; in den Einzel¬ 
staaten müssen gesetzliche und administrative Grundlagen für die Errichtung von 
Trinkerheilstätten und die Aufbringung von Pflegekosten geschaffen werden. Es 
muss mit anderen Worten der Wortlaut des § 681 CPO. ein präciserer sein, er 
muss den Kreis der Antragsberechtigten bei der Entmündigung wegen Trunksucht 
erweitern und die hierbei entstehenden Kosten müssen in anderer Weise, etwa 
wie im Entmündigungsverfahren wegen Geistesstörung, vertheilt werden. 

Als Anstalten kommen offene und geschlossene Abstinenzanstalten in Betracht, 
je nachdem, oh es sich um heilbare oder unheilbare Kranke handelt. Diese 
Gruppen sind nur empirisch zu trennen; daher empfiehlt sich immer ein Heil¬ 
versuch in einer offenen Anstalt. 

Hinsichtlich der Kostenfrage ist er wie Colla und Schäfer der Ansicht, 
dass die Natur der Trunksucht als einer Geistesstörung die Verpflichtung der 
Fürsorge für Trunksüchtige den Landesarmen verbänden auferlegt. Diese können 
die Erfahrungen und die Mitwirkung der Abstinenzvereine nicht entbehren; eine 
finanzielle Hilfe des Staates wird nur erwünscht sein. 

Ernst Schultze (Andernach). 


31) Ueber pathologische Rauschzustände , von Priv.-Doc. Dr. Karl Heil- 

bronner in Halle. (Münchener med. Wochenschrift. 1901. Nr. 24 u. 25.) 

Zunächst führt Verf. alle die Symptome an, die für den pathologischen 
Rauschzustand -charakteristisch sind. Als erstes wird der Angstaffect genannt, 
der gewöhnlich die schwersten Grade erreicht. Ausnahmsweise sind vom Verf. 
expansive Affecte beobachtet worden. Fast nie fehlt völlige Desorientirung, häufig 
mit dem Symptom des ängstlichen Beziehungswahnes. Hallucinationen auf 
optischem Gebiet scheinen bedeutend häufiger zu sein als acustische. 

Das motorische Verhalten der Kranken kann zum Theil aus der Angst heraus 
erklärt werden (depressive und aggressive Bewegungen, Selbstmordversuche), zum 
Theil aber auch nicht und ist dann durch rhythmische Bewegungen des Körpers 
oder einzelner Körpertheile charakterisirt. Der Ausbruch erfolgt acut und braucht 
einfache Trunkenheit nicht ausnahmslos vorausgegangen zu sein. Die Zustände 
dauern nur kurze Zeit und gehen gewöhnlich in tiefen Schlaf über. Gegenüber 
diesem acuten Krankheitsbild giebt es auch weniger stürmische, eventuell habi¬ 
tuelle Zustände mit erhaltener Orientirung, welche theils als abortives Delirium, 
theils als abortive Hallucinose aufgefasst werden und die nach der Ansicht des 
Verf. für die Entstehung des Eifersüchtewahns der Trinker von Bedeutung sein 
können. Auf die Menge des genossenen Alkohols ist, namentlich in forensisoher 
Beziehung, kein sonderliches Gewicht zu legen. Von Bedeutung sind prädis- 
ponirende Momente und sind hierher zu rechnen die Epilepsie, Hysterie, an¬ 
geborener Schwachsinn, Kopftrauma und durch chronischen Alkoholmissbrauch 


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gesetzt« Veränderungen des Gehirns. Von Interesse ist, dass analog den 
periodischen -Psychosen auch die einzelnen Anfälle des pathologischen Rausch* 
zustandes bei dem einzelnen Individuum in stereotyper Weise verlaufen. Als 
direct auslösende Momente kommen besonders in Betracht sexuelle Excesse und 
Gern üthsaffecte. 

Während das Fahnden nach psychologischen Symptomen bei directer Beob¬ 
achtung des einzelnen Falles eine Diagnose nicht ermöglichen wird, ist eine 
nachträgliche Entscheidung durch Actenstudium u. s. w. oft nicht mehr sicher zu 
treffen. Vor Allem ist das Verhalten der Erinnerung nicht von ausschlaggebender 
Bedeutung und ferner ist hierbei zu beachten, dass die Erinnerung unmittelbar 
nach einem pathologischen Rauschzustand erhalten, aber etwa am folgenden Tag 
erloschen sein kann. 

Zum Schluss spricht sich Verf. dahin aus, ein gerichtsärztliches Gutachten 
nur über den pathologischen bezw. den mit Krankheit (Epilepsie, Hysterie) com- 
plicirten Rausch abzugeben, wenn eine Entscheidung über § 51 des Str. G. B. 
getroffen werden soll. E. Asch (Frankfurt a./M.) 


82) Psyohosen nach Blelintoxioation , von Dr. Hoppe, Oberarzt der Irren¬ 
anstalt Allenberg. (Vierteljahrsschrift für geriohtl. Medioin. 1901. S. 85.) 

Im Aprilheft der oben genannten Zeitschrift hatte Professor Seydel einen 
Fall von progressiver Paralyse besprochen, bei dem er Bleivergiftung als Krank¬ 
heitsursache anfährte. Da der Kranke sich in einer Remission befand, hatte 
Seydel damals die Aufhebung der über ihn ausgesprochenen Entmündigung 
bewirkt, und ihm dadurch ermöglicht, dass er sich verheirathete. Verf. berichtet 
nun über den weiteren Verlauf des Falles. Nicht ganz ein Jahr nach der Be¬ 
gutachtung durch Professor Seydel traten unter Krampfanfällen schwere Er¬ 
regungszustände ein, die zu erneuter Aufnahme in die Anstalt Allenberg führten; 
dort erfolgte dann einige Monate später der Tod des inzwischen völlig ver¬ 
blödeten Kranken. Stegmann (Dresden). 


33) Contributo alla oasuistioa delle psioosi uremiohe, per il Dott. Arnoldo 

Cantani. (L’arte medica. 1900. II. Nr. 6. Milano.) 

Verf. berichtet die in der Litteratur niedergelegten Fälle von urämisohen 
Psychosen, denen er folgenden Fall anreiht: 

52jähriger Thürsteher (Abusus in venere et nicotini; einmal Gonorrhoe), der 
häufig Erkältungen ausgesetzt war, zeigte seit 6 Jahren psychische Veränderungen: 
Jähzorn und Streitsucht, aber völliger Besitz der geistigen Fähigkeiten; allmählich 
ängstliches Wesen, Vergesslichkeit, selbst für die nächstliegenden Dinge, Verlust 
des Personengedächtnisses; leichte Ermüdbarkeit. Der behandelnde Arzt fand 
Albuminurie und verordnete Milchdiät und Purgantien u. 8. w. Verf. constatirte 
leichte Hypertrophie des linken Ventrikels, vermehrte Spannung des Pulses und 
Arythmie; Urin 2 Liter pro die, blass, granulirte Cylinder. — Die psychischen 
Symptome nahmen zu, es traten Hallucinationen auf, Verfolgungsvorstellungen, 
die Pat. mit Fluchen beantwortete, grosse Unruhe, die in Attaquen auftrat. Einmal 
fiel er plötzlich zu Boden, worauf er einen starken Wutanfall von 8 / 4 ständiger Dauer 
bekam. Allmählich Oedeme an den Beinen, Asoites, Leberschwellung, Dyspnoe; keine 
Kopfschmerzen, kein Erbrechen, keine Gesichtsstörungen. — Neben den schweren 
Erregungszuständen manische Symptome: sinnloses Geschwätz, Karrikiren, Obsoöni- 
täten u. s. w. Nach einem schweren maniakalischea Anfall starb Pat. im Stupor. 
Keine Autopsie. — Verf. führt die psychischen Störungen auf die Nephritis zurück. 
Alkoholismus ist ausgeschlossen. Als unterstützendes Moment soll die Adipositas 

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universalis und Herzschwäche des Pat. in Betracht kommen. Die pathologisch- 
anatomische Grundlage dürfte ein Gehirnödem bilden. H. Gessner (Nürnberg). 


34) Un oa8 de folle brightique, par Viallon-Bron. (Annales medico-psycho- 
logiques. 1901. Mai/Juni.) 

Verf. beobachtete den schon häufiger beschriebenen Wechsel im psychischen 
Verhalten derartiger Kranker, indem bei steigendem Albumingehalte in dem Urin 
die Verworrenheit*- und Angstzustände sich verschlimmern, bei Abnahme dieses 
sich augenfällig bessern und Theils ganz zurücktreten. 

Es sei wegen der fleissigen Abhandlung auf den Fall hingewiesen. 

Adolf Passow (Meiningen). 


85) The influenoe of psychoses on nervoua glycosurias, von Dr. David 

Blair. (Journal of mental Sciences. 1900. October.) 

Wenn man bedenkt, wie häufig nervöse Einflüsse als prädisponirende Mo¬ 
mente beim Diabetes zur Geltung kommen, so überrascht die Thatsache, dass die 
Zuckerhamruhr in verschiedenen Irrenanstalten nur in 2—5°/ 0 der Insassen auf- 
tritt. Die höhere VerhältniBSziffer ist in Anstalten für höhere Stände beobachtet. 
Diabetes mellitus kommt bei Männern 3 Mal häufiger vor als bei Frauen. An 
nicht diabetischen Glykosurieformen sind die Männer mit 5°/ 0 betheiligt, wäh¬ 
rend laut einer anderen Veröffentlichung unter 23 Fällen sich nur 3 Frauen be¬ 
fanden. — Durchschnittlich sind also die Diabetesformen in Anstalten nicht ver¬ 
breiteter als draussen, ja vielmehr beträchtlich seltener, wenn man die Er¬ 
gebnisse von Kleen, Worm-Müller und Nylander an Gesunden vergleicht, 
wonach 14—18°/ 0 derselben Zucker im Urin führen. Sieht man von der phy¬ 
siologischen und der pathologischen Zuckerausscheidung bei Leber- und Pankreas¬ 
krankheiten und bei Vergiftungen ab, so bleiben die nervösen Formen übrig, 
welche als organische und functionelle Störungen zu unterscheiden sind. W 7 enn 
es nicht erwiesen ist, dass organische Störungen des Nervensystems bei Geistes¬ 
kranken gewöhnlicher sind als bei anderen Menschen, so lässt sich das für den 
Diabetes dieser Provenienz noch viel weniger behaupten. Die höchste Ziffer hat 
in letzterer Hinsicht Kahler angegeben, der in 23 Fällen von organischem 
Nervenleiden 4 Mal 'Diabetes fand, Verf. dagegen hatte hier keinen Fall auf¬ 
zuweisen. 

Functionell nervöse Diabetesformen sind nach Rasse und Ständen ver¬ 
schieden häufig. Bei den hochgradig nervösen Hindu verliert fast jede bessere 
Familie in Calcutta ein bis zwei Glieder an diesem Leiden und die Sterblichkeit 
ist für dasselbe hier 10 °/ 0 von der Gesammtmortalität. Dagegen ist diese Ziffer 
bei den Chinesen verschwindend klein und das Leiden bei wilden Völkern un¬ 
bekannt. Mit der zunehmenden Civilisation, nervösen Differenzirung und dem 
ernsteren Existenzkampf hält auch die Verbreitung dieser Krankheitsform gleichen 
Schritt. — Sie ist oft direct vererbt, noch häufiger aber der Ausdruck der Be¬ 
lastung eines Individuums, dessen Vorfahren an einer Form von Geisteskrankheit 
litten. Nicht selten ist Diabetes bei den Eltern oder Grosseltern geisteskranker 
Personen (Mandsley). Dieses Alterniren von Geisteskrankheit und 
Diabetes kommt nicht nur in der Familie, sondern auch zuweilen bei demselben 
Individuum vor (Savage); in dieser Ablösung beider Krankheiten durch einander 
liegt ein Grund dafür, warum Glykosurie bei Geisteskranken so selten ist. — 
Der zweite Grund aber beruht darauf, dass die herabgesetzte Empfindlichkeit 
der Geisteskranken der Wirkung einer Ursache vorbeugt, welche (im Gesunden) 
Diabetes erzeugen würde: ein ähnlicher Vorgang wie das Verschwinden des 


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Asthmas bei Demenz. Z. B. sind Kummer und Entbehrung besonders bei Prä* 
disponirten bekannte Ursachen dieser ConstitutionBkrankheit und der Dauer ihrer 
Einwirkung entspricht oft die begleitende Zuckeraussoheidung. Wird eine solohe 
Person plötzlich maniakalisch, so nimmt die Empfänglichkeit für schmerzliche 
Affecte ab; damit schwindet (so zu sagen) die Ursache der Störung und mit der 
Ursache die Folge. 

Es werden zwei Fälle beschrieben, welche diese Verhältnisse illustriren. 
Bond fand unter 114 frischen Fällen von Melancholie 11 Fälle mit H&rn- 
zseker, dagegen in 82 frischen Fällen von Manie keinen einzigen! Die nahe¬ 
liegende Vermuthung, dass der wegen der Gebundenheit und Muskelruhe der 
Melancholischen nicht in den Muskeln zur Verbrennung gelangende Blutzuoker 
einen Ausweg durch die Nieren finde, hat in dem Falle einer hochgradig agitirten 
und diabetischen Melancholischen keine Bestätigung gefunden. — Bei epileptischen 
Geisteskranken ist Zucker im Harn versohwindend selten. Bond hat bei ihnen 
weder vor noch nach Anfällen Zucker gefunden. — Dass Thyreoideapräparate 
Zuokerharnen verursachen, konnte derselbe bei ausschliesslicher Verwendung eines 
Laotoeepräparats nicht bestätigen, möglicher Weise ist dasselbe, wenn vorkommend, 
alimentär oder aus der hypodermatischen Einverleibung zu erklären. 

Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


36) Lee delfres toxi-infeotieux, par B6gis. (Progröa medical. 1901. Nr. 19.) 

Vortr. bespricht die klinisch genau getrennten Krankheitsbilder des Ver¬ 
worrenheitszustandes und der Traumdelirien und kommt dann in seinen weiteren 
Ausführungen auf die kataleptoiden Zustände, die Tetanie, die eklamptischen 
Anfälle und Aehnliches zu sprechen. Adolf Psbsow (Meiningen). 


UL Bibliographie. 

1) Harnsäure als ein Faotor bei der Entstehung von Krankheiten, von 

Alexander Haig. Uebersetzung aus der 5. Auflage des Englischen von 
M. Bicher-Benner. (Berlin, 1902.) 

Ein auf jeden Fall höchst beachtliches Buch, das auch, wie sein Erscheinen 
in 5. Auflage beweist, in England schon ziemliches Aufsehen erregt hat. Durch 
jahrelange, sorgfältige Untersuchungen des Harns, Blutes, Blutdrucks etc. an sieh 
selbst und Anderen ist Verf. zu der Ansioht gekommen, dass die gewöhnliche 
Ernährungsweise mit gemischter Kost reep. überwiegender Fleischnahrung eine 
Retention von Harnsäure im Körper zur Folge hat; der hohe Harnsäuregehalt 
bei derartig genährten Personen ist fest nie einer vermehrten Bildung, sondern 
hauptsächlich einer mangelhaften Ausscheidung der übermässig eingeführbsn 
Mengen zuzuschreiben; eine „harnsaure Diatheee“ in dem gewöhnliehen Sinne giebt 
es für Verf. nicht. Er hat als gesetzmässig die Thateaohe gefunden, dass alle 
Stoffe, welche die Löslichkeit der Harnsäure steigern, ihre Ausscheidung im Harn 
vermehren und günstig auf diejenigen Gelenkleiden wirken, die durch den Reif 
der Harnsäureablagerung hsrvorgerafan werden; umgekehrt vermindern alle die 
Löslichkeit der Harnsäure herabsetzenden Stoffe auch ihre Abscheidung im Urin 
und vermehren in den Gelenken -und anderen Bindegeweben jene Reifungen, 
welche die Harnsäureablagevung bedingt. Verf. lernte den Harasäuregehalt im 
Blute und seine Ausscheidung dm Urin willkürlich zu verändern und damit ver¬ 
schiedene Krankheitszustände, vor allem einen migräneartigen Kopfschmerz, -au 
dem er seit langen Jahren periodisch litt, he i vor zur ufan oder zu bannen. iHe 
relative Freiheit des Blutes von Harnsäure ist auf 3 Wegen «u cnuielen: en t we de r 

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durch eine Diät, die die im Fleisch, Thee, Kaffee etc. enthaltenen Xanthine ver¬ 
meidet; oder durch Arzneien, welche das Blut in der Weise davon befreien, dass 
sie unlösliche Verbindungen mit der Harnsäure bilden, ohne ihre Ausscheidung 
zu fördern, wodurch dieselbe gewissermassen in Depöt gelegt wird; oder endlich 
durch Arzneien, welche die Ausscheidung durch die Nieren bewirken und dadurch 
das Blut von der Harnsäure befreien. 

Die im Blute kreisende Harnsäure befindet sich nach der Ansicht des Verf., 
— die an dieser einzigen Stelle die Grenze des rein Beobachtbaren ein wenig 
überschreitet — in einem Zustand colloider Kugel -Urate; dieselben obstruiren, 
wenn sie in vermehrter Menge vorhanden sind, die Capillaren, wobei sie einer¬ 
seits den Kreislauf, die Zellernährung, Thätigkeit und Temperatur sämmtlicher 
Gewebe und Organe des Körpers afficiren, andererseits hohen Blutdruck hervor- 
rufen, welober direct Herz und Gefässwandungen, indirect den intracraniellen, 
thoracischen und chylopoetischen Kreislauf beeinflussen. Zur Beobachtung des 
Capillarkreislaufes hat Verf. die Untersuchung des Capillarrückflusses methodisch 
ausgebildet, d. h. er misst die Zeit, die verstreicht, bis sich eine durch Druck 
blutleer gemachte Hautstelle wieder röthet, und hat in den Schwankungen dieses 
Zeitraums, die sich nach halben Secunden bemessen, wichtige Parallelen zur 
Harnsäure-Ausscheidung im Urin, zur Pulszahl, Tagesperioden, arzneiliche Beein- 
flussbarkeit etc. gefunden. Er spricht direct davon, dass eine genaue Bestim¬ 
mung des Capillar-Rückflusses und des Blutdruckes so viel wie eine Messung der 
Harnsäure im Blute und Urin bedeutet. Die Abhängigkeit der Harnsäure von 
der Alcalescenz des Blutes, von Wärme und Kälte, Ruhe und Bewegung, Art 
und Menge der eingeführten Nahrung wird in zahlreichen, mit grosser Sorgfalt 
und Ausdauer jahrelang durchgeführten Experimenten studirt, aus denen eine 
ganz überwältigende Bedeutung der Harnsäure für die gesammte Lebensthätig- 
keit des Organismus hervorzugehen scheint. 

Eine Folge dieser Erkenntniss ist nun, dass Verf. eine ganze Reihe von 
Krankheiten der verschiedensten Organe, Epilepsie, Hysterie, Geisteskrankheiten, 
Asthma, Raynaud’sche Krankheit, Dyspepsie, Albuminurie, Gicht etc. als Harn¬ 
säurekrankheiten bezeichnet, in der Harnsäure die gemeinsame Ursache findet 
und demgemäss auch eine gemeinsame Behandlung für alle hat, die in letzter 
Linie auf eine etwas modificirte vegetarische Lebensweise hinausläuft. Es ist 
nicht zu leugnen, dass der Vegetarismus kaum je eine physiologisch und patho¬ 
logisch so wohl begründete Rechtfertigung erfahren hat; andererseits ist es in¬ 
teressant zu beobachten, dass Verf. der Gefahr der dogmatischen Uebertreibung, 
die jedesmal in dieser Lehre zu schlummern scheint, auoh nicht ganz entronnen 
ist: er zögert nicht es auszusprechen, dass der angebliche Niedergang der mensch¬ 
lichen Rasse, die Vermehrung der Geisteskrankheiten, Verbrechen etc. in den 
Culturländern in letzter Linie auf die Fleischkost, d. h. auf die gewohnheits- 
mässige Ueberladung des Organismus mit Harnsäure, zurückzuführen sei. 

Die Migräne ist nach Verf. ein Zustand unter Collämie — so nennt er die 
Anhäufung colloider Harnsäure im Blute, — hervorgerufen durch übermässige 
Zufuhr von Harnsäure, die bei genügender Acidität des Harns resp. geringer 
Alcalescenz des Blutes in den Geweben zurückgehalten wird; sinkt aus irgend 
einem Grunde die Acidität, so tritt die zurückgehaltene Harnsäure plötzlich in 
grossen Massen ins Blut zurück und der Anfall mit all seinen Begleiterscheinun¬ 
gen ist da. Aus Curven, die die Harnsäureausscheidung vor, während und nach 
einem Migränetag darstellen, ist dieses Verhalten deutlich zu ersehen. Immerhin 
ist darum noch nioht klar, weshalb, wenn wirklich die Harnsäure die einzige 
oder wenigstens wesentlichste Ursache ist, nioht 99 °/ 0 der Menschen, die nach 
Verf. sich täglich mit Xanthinep vergiften, an Migräne leiden; es muss da doch 
noch ein x ausserdem vorhanden sein. 


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Ein ähnliches ist es mit der Epilepsie. Dm Verl nschgewieeen hat, dass 
in manchen Fällen tot den Anfällen eine Harnsäure - Retention, während und 
besonders nach denselben eine gesteigerte Ausscheidung stattfindet, und da ver¬ 
schiedene mit vegetarischer Diät behandelte Fälle sich ohne Arsnei wesentlich 
besserten, so erklärt er auch hier die Collämie für die letste Ursache. Auch 
von der Hysterie und ihren Anfällen sowie vielen ihrer untergeordneten Zeichen, 
überhaupt von den „paroxysmalen Neurosen“ hat er die gleiche Anschauung, 
ohne indessen diese durch specielle Versuche su begründen. An Stelle der Be* 
gründung tritt hier die Anführung von Uebergangsfällen. 

Da die Migräne und überhaupt die ooUämisohen Perioden mit Gemüths- 
depression einhergehen, und „zwischen dieser und der Schwermuth mit Sinnes¬ 
täuschungen keine genaue Grenze besteht“, so ist auch die Brücke geschlagen su 
der Erklärung der Geisteskrankheiten aus der Harnsäure; Verstimmung und Me¬ 
lancholie ist von hohem, Aufregung, Delirium und Manie von niederem Blut¬ 
druck begleitet, was diese Anschauung bestätigt. „Allen diesen Krankheiten liegt 
Collämie mit langsamem Capillardruckfluss su Grunde; je nach dem Vorhanden¬ 
sein oder Fehlen von Herzschwäche zerfallen dieselben in zwei Gruppen: bei 
schwachem Herzen haben wir Aufregung, Hysterie, Manie, Synoope, Epilepsie; 
bei klüftigem Herzen Kopfschmerz, Gemüthsverstimmung, Melancholie, Selbst¬ 
mord, Epilepsie, (mit hohem Blutdruok) Gehirnblutung.“ Auch für Tabes und 
Paralyse wird schliesslich die Harnsäure als ätiologisches Moment herangesogen. 
Das Heilmittel lautet deshalb auoh hier überall: Abkehr von Fleisoh, Thee und 
Kaffee! 

Ein Eingehen auf die Ausführungen über die Reihe der anderen Krank¬ 
heiten — Asthma, Darmgicht, Rheumatismus etc. — erübrigt sich an dieser 
Stelle. Die Arbeiten des Verf. sind trotz oder vielleicht gerade wegen der 
manchmal zum Kopfschütteln reizenden Ergebnisse und bei der verhältnissmässig 
einfachen Methodik jedenfalls der Nachprüfung werth — vielleicht berufen, 
unseren Vorstellungen über pathologische Vorgänge eine neue Richtung zu geben. 

H. Haenel (Dresden). 


2) Die Thataaohen über den Alkohol, von Dr. Hugo Hoppe, Nervenarzt in 
Königsberg. IL Auflage. (Berlin, 1901, S. Calvary u. Co. 376 Seiten.) 

Auf Grund zahlreicher Tabellen -und Statistiken — am Schluss der Arbeit 
sind deren 63 zusammengestellt — mitwirft Verf. mit schwarzen Farben ein Bild 
von dem Unheil, welches der Alkohol dem Menschengeschlecht e bringt Um dieses 
düstre Bild wenigstens etwas freundlicher zu gestalten, aber auoh der Vollständig¬ 
keit halber hätte Verf ein Kapitel noch hinzufügen sollen, in welohem der grosse 
Nutzen dargelegt wird, welchen der Alkohol am Krankenbette — sei es in Form 
äusserer Application, sei es innerlich dargereicht — stiftet In seiner Ereiferung 
gegen das Gift lässt Verf. auch nicht eine gute Eigenschaft an ihm. 

Die fleissige und stellenweise recht interessante Arbeit zeigt zunäohst die 
Grösse des Alkoholoonsums in den verschiedenen Ländern: Deutschland giebt jähr¬ 
lich etwa 3 Milliarden, Grossbritannien 3 1 /*, Nordamerika 4 Milliarden Mark für 
Alcoholica aus. Den grössten Branntwein verbrauch hat gegenwärtig Dänemark, 
dann kommen mit ziemlich gleichem Verbrauch Belgien, Deutschland, Gross- 
britannien und Frankreich, dann die Vereinigten Staaten, Schweden und die Schweiz 
und zuletzt Norwegen, Finnland, Kanada und Italien. Im Bierconsum steht obenan 
Belgien, dann folgt Grossbritannien, dann Deutschland, zuletzt kommt unter den 
grösseren europäischen Staaten Italien. 

Folgendes sind nun die üblen Wirkungen, welohe der Alkohol auf den 
menschlichen Organismus ausübt: er verlangsamt die Verdauung, verringert die 


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Beweglichkeit der farblosen Blutkörperchen, ruft bei den rothen Schrumpfung und 
Abnahme des Hämoglobingehaltes hervor, setzt die Fermentationskraft des Blutes 
herab, legt die Geistesthätigkeit lahm, vermindert Anpassungsfähigkeit und Buch* 
staben gedächtnise, führt zwar beschleunigte, aber mein* fehlerhafte Reacticmen 
herbei, wirkt auf Nerven und Muskeln lähmend, vermindert den Blutdruck, maoht 
die Athmung schneller und oberflächlicher und entbehrt dabei völlig des Nähr¬ 
werth es. 

Auf solche Weise wirkt das Gift besondere schädigend auf Niere, Herz, Ge¬ 
lasse, Leber, Schleimhäute, auf den ganzen Stoffwechsel (Fettleibigkeit,. Diabetes 
als Folgen des Alkohols), auf Gehirn und Nervensystem (Psychosen [etwa der 
5. Theil aller Geisteskranken ist durch Alkoholmissbrauch erkrankt], Epilepsie, 
Neurasthenie, Hysterie, Neuritis, Earsakow’sche Krankheit). 

Die Trinker sind anderen Krankheitsursachen gegenüber weniger resistent 
als normale Personen, sie sind z. B. zur Erlangung der Tuberculose, der Syphilis 
mehr disponirt, erliegen leichter den Intoxicationen und es figurirt der Alkohol 
als wesentliches, direct oder mittelbar wirkendes Moment in den Mortalitäts¬ 
statistiken; so stirbt in den Gemeinden der Schweiz, die über 6000 Einwohner 
zählen, im Alter von 20—40 Jahren jeder 7.—8., im Alter von 40—60 Jahren 
jeder 6. und über 60 Jahren jeder 17. Mann durch Alkohol oder unter Mit¬ 
wirkung desselben. Hierbei kommen ferner die tödtliohen Unfälle und Selbst¬ 
morde, welche dnroh Trunk hervorgerufen werden, in Betracht. Nach Prinzing 
wird mehr als der vierte Theil der Selbstmorde des männliohen Geschlechts und 
im eigentlichen Mannesalter ein volles Dritttheil derselben durch Alkoholmiss¬ 
brauch herbeigeführt — Der „massige“ Alkoholgenuss verkürzt das Leben um 
etwa 8 Jahre, der unmässige noch weit mehr. 

In einem weiteren Kapitel bespricht Verf. die Beziehungen zwischen Alkoho¬ 
lismus und Verbrechen, unter weloh letzteren besonders Körperverletzungen und 
Eigenthumsbeschädigungen in Betracht kommen. 

Wie sehr die Trunksuoht Familienleben und Wohlstand schädigt, zeigt die 
Zunahme der Ehescheidungen in fast allen Ländern, die Zunahme der Fälle in 
Frankreich, in denen den Eltern die elterliche Autorität über ihre Kinder ab¬ 
gesprochen wird, die Zunahme der unehelichen Geburten, der unsittlichen Attentate, 
der Verarmung; bei jedem einzelnen dieser Momente spielt der Alkoholismus eine 
mitwirkende Rolle. 

Die Trunksucht der Eltern rächt sich aber an den Kindern in Form von 
Erkrankungen des Nervensystems (vor allem Epilepsie) und der Psyche (vor allem 
Idiotie, Taubstummheit, verbrecherische Neigungen, Prostitution), und so kommt 
die allgemeine Degeneration des Geschlechts und gamaer Völker zu Stande. 

Besonders betrübend ist, dass der Alkohol gegenwärtig auch bereits unter 
Frauen und Kindern eine grosse Verbreitung erfahren hat. Die wesentlichste 
Ursache des Alkoholismus bilden aber neben den narkotischen Eigenschaften des 
Alkohols die Trinksitten und Trinkgewohnheiten mit dem sioh daraus ergebenden 
Trinkzwange. Kurt Mendel. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Gesellschaft der Heurolegan und Psychiater an der Universität au Kasan. 

Sitzung vom 4. November 1901. 

Herr Dr. Janischewsky: Ueber die Technik der Durohsohneidung das 
Corpus oaUosum bei experimentellen Versuchen. 

Durchschnei dang des Corpus callosum wurde zum ersten Mal an Hunden 


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1819 von Samerotte ausgeführt. Zonget wie* darauf hin, dass bei den Ver¬ 
suchen Samerotte wahrscheinlich zugleich auch tieferliegende Schichten, speoiell 
die Corpus quadrigemina, angeschnitten habe. Später wurde Durchschneidung 
des Corpus callosum von Koranyi, Muratoff, La Monaco, Dotto und 
Pusateri ausgeführt. Koranyi fuhrt nur einen reinen Versuch an, wo zu¬ 
fällig das Corpus calloeum allein getroffen worden war, ohne Verletzung benach¬ 
barter Theile. Bei den Versuchen tfuratoffs überlebten nur in 3 Fällen 
Hunde die Durchschneidung; in allen seinen Fällen trat eine Meningoencephalitis 
im trepanirten Bezirke ein. Dotto und Pusateri konnten in 2 Fällen eine 
Durchschneidung ausführen, jedoch geschah das bei zu jungen Thieren. La 
Monaco modificirte insofern die Technik, dass er, nach beiderseitiger Unter* 
bin düng des Sinus longitudinalis superior vorher den Proc. falciformis durae 
matris entfernte, daraufhin gelang es ihm, das Corpus callosum zu durohschneiden, 
ohne benachbarte Bezirke zu verletzen. 

Vortr. Btiees bei seinen Versuchen, Durchschneidung des Corpus callosum 
bezweckend, auf folgende Schwierigkeiten: Wenn die Dura mater in Form eines 
halbkreisförmigen Lappens, dessen Basis zum Sinus hingewendet ist, durchschnitten 
und nun versucht wird, diesen Lappen zurückzuschlagen, so geschieht es unver¬ 
meidlich, dass dabei eine grössere Vene verletzt wird, die das Blut von der 
Gehirnoberfläche in den Sinus longitudinalis leitet. Bei der Blutstillung ver¬ 
mittelst Tampons kann Verletzung durch Druck entstehen, welche eine Encepha¬ 
litis zur Folge hat. Beim Befolgen des Verfahrens von Monaoo werden ebenso 
durch die Sagittalschnitte zu beiden Seiten des Sinus grosse Venen der Dura 
mater bei ihrer Einmündung durchschnitten, was starken Bluterguss zur Folge 
hat und Tod des Thieres verursachen kann. Das Anlegen einer Ligatur en masse 
und Unterbindung dieser Ge fasse wiederum zieht unerwünschte Druckverletzung 
des Gehirns nach sich. Nach Sistirung des Blutergusses stösst man beim Ver¬ 
such, die Hemisphären auseinanderzubringen, um dadurch die Oberfläche des 
Corpus callosum erreichbar zu machen, auf eine neue Schwierigkeit, da bei er¬ 
wachsenen Hunden über dem Corpus callosum, unmittelbar unter dem Proc. falci¬ 
formis die -Hemisphären an ihren Innenflächen verwaohsen sind. Diese Ver¬ 
wachsung hat gewöhnlich die Grösse. des mittleren Theiles des Corpus callosum, 
und ist mitunter so fest, dass sie nicht ohne Verletzung der Gehirnsubstanz auf¬ 
gehoben werden kann. — Zum Durchschneiden des Corpus callosum, nicht seiner 
ganzen Ausdehnung, sondern gradatim zu Theilen, schlägt Vortr. vor, ein be¬ 
sonderes Messer in Form einer Guillotine zu gebrauchen, welches in einer spatel- 
förmigen Scheide verborgen liegt. Beim Druck springt aus der Scheide die 
Schneide des Messers hervor; die jeweilig erwünschte Tiefe des Schnittes kann 
duroh Graduirung erzielt werden. Der Schnitt duroh die harte Gehirnhaut wird 
auf der einen oder der anderen Seite des Sinus long. sup. geführt; die Länge 
de« Schnittes entspricht der Breite der Guillotine. Indem das Instrument in den 
Schnitt zwischen die grossen Venen geführt wurde, war es möglich, dasselbe in 
die Fissur» palii zu bringen und das Corpus callosum zu durchschneiden, ohne 
die Hemisphären zu verletzen. Am vorderen und hinteren Bezirk des Corpus 
callosum konnte bequem manipulirt werden, während am mittleren Theil die oben¬ 
gedachte Verwachsung der Hemisphären hinderlich war; durch schwankende Be¬ 
wegungen des Spatels konnte das Hinderniss, so gut es ging, überwunden werden. 

Dr. Obrastzoff demonBtrirte einen Pall von Arsenioalparalyse. 

Vortr. ist der Meinung, dass die Frage über die Localisation der Störungen 
bei ArsenVergiftung nooh nicht endgültig entschieden sei. Beim Vergleich mit 
klinischen Beobachtungen, die die einschlägige Litteratur bietet, ist Voitr. geneigt, 
den Schluss zu ziehen, dass das Arsen eine Erkrankung des Bückenmarkes, ebenso 


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auch der peripheren Faser hervorruft, wobei sich bald das Bild einer Polyneuritis, 
bald das einer Poliomyelitis anterior bietet. Pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchungen, wie auoh Experimente an Thieren bestärken die Ansichten, dass bei 
Arsenvergiftungen ebenso der centrale wie der periphere Theil des Neurons der 
Erkrankung unterworfen sein kann (Popoff, Henschen u. A.). Wenn also 
vom jetzigen Standpunkt des Begriffes „Neuron“ als anatomisch - physiologische 
Einheit geurtheilt wird, und man noch den Einfluss der erkrankten Faser auf die 
Zelle und umgekehrt in Betracht zieht, so kann eine scharfe Scheidung der Zelle 
von der Faser nioht gemacht werden, und muss das ganze periphere Neuron als 
ergriffen betrachtet werden. Die klinische Diagnostik kann nur als Mittel zum 
Bestimmen der am meisten ergriffenen Bezirke noch Geltung haben. 

Kliatschkin. 


Ans den wissenschaftlichen Vereinigungen der Aerste an der Nervenklinik 

zu Kasan. 

Sitzung vom 26. März 1900. 

Herr Stud. G. Troschin: L Die Lehre von dem Uebergange der sen¬ 
siblen Leitungen aus dem Rückenmark in die Medulla oblongata. 

Im litterarischen Theil des Vortrages wurde die Geschichte dieser Frage 
dargelegt. Klinische und physiologische Thatsaohen wiesen schon lange auf das 
Vorhandensein gekreuzter sensibler Bahnen im Rückenmark hin. Die vergleichend¬ 
anatomische Methode (Edinger) ergab ein allgemeines Schema dieser Bahnen im 
Rückenmark und im Hirnstamm; die entwiokelungsgeschiohtliche Methode (Bech¬ 
terew) brachte keine Beweise gegen das Edinger’sche Schema bei. Die patho¬ 
logisch-anatomische Casuistik (Schaffer, Patrick, Sölder, Quensel, Rosso- 
limo) und die experimentellen Arbeiten (Mott, Lasurski, Wallenberg) ver¬ 
mochten nur den Uebertritt der aufsteigenden Degeneration aus dem Rückenmark 
in den Hirnstamm zu beweisen, nicht aber eine hinreichende Erklärung dafür zu 
geben. — Von den Versuchen, die Vortr. an Katzen unternommen hat, sind 7 zu 
verwerthen: in 3 Fällen wurde das Rückenmark in der Mittellinie durchschnitten, 
in zweien fand eine laterale Durchschneidung des Rückenmarks auf der einen 
Seite statt, und in zweien eine Zerquetschung einer Rückenmarkshälfte. Die 
Operationen fanden im oberen und mittleren Halstheil und im oberen und unteren 
Brusttheil des Rückenmarks statt; Bearbeitung nach Marohi. In allgemeinen 
Zügen war die Degeneration eine solche: Unmittelbar über der Läsion war eine 
diffuse Entartung der hinteren, vorderen und Seitenstränge zu bemerken, etwas 
höher nahm die Degeneration der Seitenstränge etwas ab (die kurzen Systeme 
hörten auf); beim Uebergang in die Medulla differenzirte sich die Entartung 
deutlich, indem eine Degeneration eines Theiles der Vorder- und Hinterstränge, 
sowie des Kleinhirnbündels und der Gowers’schen Bahn zu sehen war; noch 
höher oben blieb die Degeneration nur in der Mitte der Naht (von den Vorder- 
strängen) und an der Stelle der Gowers’schen Bahn übrig. Die degenerirte 
Gowers’sche Bahn bildet ein complicirtes System: der grösste Theil verlief zum 
Kleinhirn; ausserdem sonderten sich nach und nach folgende Systeme ab: a) zur 
medianen Schleife, b) zur lateralen Schleife, c) zum Höcker der hinteren und 
vorderen Vierhügel, d) zum Hirnsohenkel, e) zur Mittellinie unterhalb der Vier¬ 
hügel. Somit erhielt Vortr. in Uebereinstimmung mit anderen Forschern eine 
sehr complicirte aufsteigende Degeneration, vom Rüokenmark ausgehend. Als 
gekreuzte sensible Bahnen vermag Vortr. nur zwei Systeme anzuerkennen, nämlich 
die unter a) und b) angeführten, was er durch folgende Besonderheiten der ge¬ 
nannten Systeme erklärt: 1. bei longitudinaler Durchsohneidung des Rückenmarks 


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degeneriren sie beiderseitig; 2. im Rückenmark liegen sie in den Vorderseiten¬ 
strängen; 3. im Hirnstamm verlaufen sie zusammen mit der übrigen Masse der 
sensiblen Leitungen (Schleifenschicht); 4. endigen sie im ventralen Abschnitt des 
Höckers, d. i. an der Vereinigungsstelle der sensiblen Bahnen. Das Edinger’sche 
Schema der gekreuzten sensiblen Bahnen aus dem Rückenmark wird vom Vortr. 
bestätigt, wenn auch nicht vollständig, denn der Vortr. erzielte das geschilderte 
Bild der Degeneration in deutlicher Weise nur bei Verletzung des oberen Hals- 
theils; die Operation am unteren Brusttheil gab nioht dasselbe Bild; desgleichen 
ist die vordere Commissur nicht als einzige und wesentlichste Kreuzungsstelle der 
sensiblen Bahnen anzusehen. 

U. Die centralen Verbindungen der sensiblen und motorisohen Hirn¬ 
nerven. 

Um die centralen Verbindungen der sensiblen Hirnnerven zu studiren, machte 
Vortr. Versuche mit Beschädigung des Bodens des 4. Ventrikels bei Katzen. Be¬ 
arbeitung nach Mar oh i. Von zahlreichen Versuchen waren nur 4 zu genanntem 
Zwecke zu verwerthen: im 1. Versuch waren die Kerne des 10. und 9. Nerven- 
paares von ihrer ventralen Seite verletzt (Nadelstich); im 2. Versuch waren die 
centralen Verbindungen des 10. und 9. Nerven paar es auf dem Wege von den 
terminalen Kernen zur Mittellinie und in dieser selbst beschädigt; im 3. Versuch 
hatte eine Verletzung der spinalen Trigeminuswurzel zusammen mit der gelatinösen 
Substanz stattgefunden (im Gebiet der oberen Olive); im 4. Versuch war die 
Verletzung die nämliche, wie im ersten, und ausserdem wurde die gelatinöse 
Substanz im Gebiet des Kerns des 6. Nervenpaares beschädigt In allen Versuchen 
fanden ausser den geschilderten Verletzungen auoh noch Nebenverletzungen statt. 
Die centralen Verbindungen ziehen, nachdem sie die terminalen Kerne des 10. 
und 9. Nervenpaares verlassen haben, als Fibrae internae zur Naht und kreuzen 
dieselbe (hauptsächlich an der Grenze des oberen und mittleren Drittels); auf der 
anderen Seite begeben sie sich zum ventralen Theil der Substantia reticularis; 
hier sammeln sie sich nioht sogleioh zu einem Bündel, sondern sind Anfangs ver¬ 
streut; erst allmählich bilden sie zwei Partieen mit stärkerer Degeneration; eine 
im ventrolateralen Winkel der Substantia reticularis, die andere im ventromedialen 
(über der inneren Schleife). Somit liegen die centralen Verbindungen des 10. 
und 9. Nervenpaares Anfangs gesondert von der Schleife, doch nur in dem Niveau, 
wo die Schleife in grosserer Ausdehnung die Raphe einnimmt; hingegen da, wo 
sie aus der dorsoventralen in die horizontale Richtung übergeht, findet sioh die 
Degeneration der centralen Verbindungen des 10. und 9. Nervenpaares, in Folge 
naheliegender topographischer Beziehungen der Schleife zur Substantia reticularis, 
unmittelbar über der Schleife; die Entartung sieht hier compacter aus; je höher, 
desto mehr vermengen sich die centralen Verbindungen mit der Schleife und 
sind im Bereich der vorderen Zweihügel schon in der Substanz der Schleife be¬ 
findlich; die geschilderte Degeneration endigt im ventralen Gebiet des Thalamus, 
d. L ebendaselbst, wo auoh die Schleife endigt Ein Uebergang der Degeneration 
in den Hirnschenkel findet nirgends statt Die centralen Verbindungen der Sub¬ 
stantia gelatinosa verlaufen ebenso wie die beschriebenen. — Aus der Litteratur 
über die Verbindungen des 6., 9. und 10. Nervenpaares ersieht der Vortr., dass 
der Widerspruch in den Schilderungen der Autoren in dem Verlauf des Systems 
ihre Erklärung findet: da die beschriebenen Verbindungsbahnen nioht sogleich zu 
einem Bündel zusammentreten und sich auch nicht sofort mit der Schleife ver¬ 
einigen, so haben die Autoren, da sie nach verschiedenen Systemen arbeiten, nur 
einen Theil des Systems und nicht ihren ganzen Verlauf beschrieben und 
diese Bahnen bald in der Schleife (Edinger, Flechsig, v. Beohterew u. A.), 
bald ausserhalb derselben gesuoht (Ramön y Oajal u. A.); das gilt besonders 


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284 


jedoch bei der Benutzung in der Klinik am Platz, weil wichtige Modificationen 
des Bewegungsgleichgewichts eingetreten sind, wenn die horizontale Körperaxe 
bei den höheren Primaten für die verticale aufgegeben wurde. 

Schliesslich demonstrirte Vortr. an Marchipräparaten die bei (6) Katzen und 
(3) Kaninchen aufgetretene Degeneration nach ausschliesslicher Exstirpation des 
Flocculus cerebelli. 

Herr Jelgersma demonstrirte eine vollständige Serie Schnitte durch eine 
balkenlose Hemisphäre und disoutirte die Theorieen aber das Entstehen des 
eigentümlichen Balkenlängsbündels; der Onufrowicz’schen Theorie wirft er ent¬ 
gegen, dass ihm zu Folge ein normaliter in der lateraten Seite des Hemisphären¬ 
markes gelegenes Bündel wegen der Balkenatrophie sich „en Masse“ nach der 
medialen Seite der Hemisphäre übersiedeln sollte, was kaum anzunehmen sei. 
Auch die Dejerine’sche Auffassung sei schwierig aufrecht zu halten, welcher 
zu Folge lateral-dorsal des Corpus striatum ein fronto-occipitales Associations¬ 
bündel gelegen sei. Dieses mit dem Balkenlängsbündel zu identificiren geht nicht 
an, weil das ebengenannte Bündel in Fällen von Balkenatrophie auf der gewöhn¬ 
lichen Stelle gefunden wird. Schliesslich meint Sachs, dass die im normalen 
Hirn kreuzenden Fasern in dem balkenlosen Grosshirn auf derselben Seite bleiben, 
dort ein Associationsbündel (das Balkenlängsbündel) zu formiren. Es wird jedoch 
dieses Bündel nicht nur in Fällen von Agenesie des Körpers getroffen, sondern 
auch dann, wenn der Balken frühzeitig, nachdem er schon existirt hat, zu Grunde 
gegangen ist. Die letztere Theorie fand zwar in den genauen Probst’schen 
Angaben eine Stütze, der ja an seinen Präparaten feststellte, dass die Verbreitung 
des abnormalen Bündels dieselbe ist, als diejenige des Balkens. 

Vortr. giebt eine neue Theorie über das Entstehen des Balkenlängsbündels. 
Im normalen Hirn geben die Balkenfasern während ihres Verlaufs Collateralen 
ab. Diese sind bekannt für denjenigen Theil der Balkenfasern, welohe in der 
anderen Hemisphäre sich verbreiten. Wenn nun der Balken nicht zur Entwicke¬ 
lung kommt, oder wo derselbe secundär zu Grunde geht, werden nur diejenigen 
Fasern vermisst werden, welche zu anderen Hemisphären gehen, während diejenigen, 
welche in derselben Hemisphäre verbleiben, behalten werden. Diese letzteren 
Collateralen nun formiren das Balkenlängsbündel. Diese Theorie wird in einer 
besonderen Arbeit mehr ausgeführt werden. 

Schliesslich bespricht Herr Tellegen die grossen Verdienste des abgetretenen 
Hauptinspectors der niederländischen Irrenanstalten nicht nur für die Kranken¬ 
pflege, sondern auch für den medicinischen Unterricht in dieser Branche. 

Muskens (Haag). 


Wissonsohaftliohe Versammlung der Aerste der 8t. Petersburger Klinik 
für Nerven- und Geisteskranke. 

Sitzung vom 23. März 1900. 

Herr Wassiliew: Die Cooalnisation des Büokenmarks als anästhe- 
sirendes Mittel. 

Die Versuche wurden an Hunden ausgeführt, denen unter die Bückenmarks¬ 
häute 1 und 2 °/ 0 Lösungen von Cocain (0,04—0,01g) eingespritzt wurden. Verf. 
ist zu folgenden Resultaten gelangt: 1. In den hinteren Extremitäten trat sofort 
nach der Einspritzung vollkommene Anästhesie und Parese ein, in den vorderen 
Extremitäten ebenfalls Anästhesie und Rigidität. 2. Die vollkommene Anästhesie 
in den hinteren Extremitäten hält 40—45 Minuten an, worauf das Gefühl für 
Schmerz wieder erscheint, um 2 Stunden nach der Einspritzung allmählich zur 
Norm zurückzukehren. 3. Das Gefühl für Schmerz in den hinteren Extremitäten 


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bei Beisang mit dem faradischen Strome ist vor der Einspritzung gleich 10 (d. h. 
die secundäre Spirale des Dubois-Reymond'sehen Apparates ist von der primären 
Spirale anf 10 cm entfernt), nach der Einspritzung aber gleich 0. 4. Auf Nadel* 

Stiche in die Hacke der hinteren Extremität ist während 2 Stunden keine Reaction 
zu erzielen. 5. Die Parese der hinteren Extremitäten Lält 2 1 / J —3 Stunden an, 
das paretische Hohen verschwindet erst nach einem Tage. 6. In den vorderen 
Extremitäten dauert die Rigidität 20 Minuten, die vollständige Anästhesie bloss 
30 Minuten; die Sensibilität wächst allmählich an, um naoh 70 Minuten zur 
Norm surückzukehren. 7. Die Reizung von der hinteren Extremität auf die 
vordere wird im Laufe von 1 1 / a Stunden nicht übertragen, von der vorderen 
Extremität auf die hintere wird die Uebertragung bereits nach 50 Minuten be¬ 
obachtet. 8. Die Pupillen erweitern sich nach der Einspritzung und reagiren 
nicht auf Lichteinfall und elektrische Reizungen (die sowohl an den vorderen, als 
auch an den hinteren Extremitäten applicirt werden) während 25—30 Minuten. 

9. Der Blutdruck steigt und der Puls geht von 100 auf 120 Schläge herauf. 

10. Die Athmung steigt von 20 auf 25. 11. Die Temperatur im Rectum steigt 

allmählich von 39 auf 41,5, bleibt auf dieser Hohe 2—3 Stunden, worauf sie zur 
Norm zurfickkehrt. 12. Die Sphinkteren des Rectum s und der Harnblase werden 
paralysirt, in Folge dessen tritt unwillkürlicher Abgang von Eoth und Ham auf. 

Herr Prof. W. v. Bechterew: Ueber die Läsion der Hirnrinde bei der 
disseminirten Sklerose. 

Vortr. demonstrirte eine Reihe von mikroskopischen Schnitten durch die 
ganze Hirnhemisphäre, die aus dem Gehirne eines an disseminirter Sklerose zu 
Grunde gegangenen Kranken angefertigt waren; auf denselben waren sklerotische 
Inseln von verschiedener Grosse zu sehen, die sowohl in der weissen, als auch in 
der grauen Substanz lagen, sehr viele sklerotische Partieen wurden auch in der 
Hirnrinde gefunden. Diese Läsion der Hirnrinde muss unzweifelhaft als Substrat 
der Veränderungen in der psychischen Sphäre angesehen werden, die gewöhnlich 
bei der disseupnirten Sklerose beobachtet werden (Apathie, Verminderung des 
Intellects, Zwangslachen u. s. w.). Abgesehen davon kommen Fälle von disse¬ 
minirter Sklerose vor, deren klinisches Bild mit den typischen Veränderungen in 
der motorisohen Sphäre, die der disseminirten Sklerose eigen sind, von psychischen 
Störungen begleitet wird, die für die progressive Paralyse der Irren charakte¬ 
ristisch sind. In der Litteratur sind auch einzelne Fälle von gemischten Formen 
beschrieben worden, bei denen sowohl in klinischer, wie auch in pathologisch¬ 
anatomischer Hinsicht Zeichen von disseminirter Sklerose und von progressiver 
Paralyse der Irren gefunden wurden. In einem solcher Fälle, der in der Klinik 
zur Section kam, wurde eine stark ausgebildete chronische Leptomeningitis mit 
einer Periencephalitis gefunden, wie bei der progressiven Paralyse der Irren, 
und eine Menge von sklerotischen Inseln im Rüokenmark. Hinsichtlich der Patho¬ 
genese der disseminirten Sklerose spricht Vortr. die Ansicht aus, dass diese 
Krankheit einen allgemeinen Charakter tragt mit Bildung von Toxinen im Blut, 
die aus dem Gefässsystem in die Hirasubstanz eindringen und dieselbe schädigen. 

Sitzung vom 27. April 1900. 

Herr J. P. Solucha demonstrirte einen 54jährigen Mann, der während der 
letzten 3 Jahre an klonischen Zuckungen der Muskeln der linken Hälfte des Ge¬ 
sichts und des Halses gelitten hatte und der von seinem Leiden (Tic oonvulsif) 
durch das Volta’sche Bogenlicht fast ausgeheilt wurde. Das Volta’sche 
Bogenlicht hatte eine Stärke von 20 Ampöre bei 50—60 Volt. Im Glanzen 
hatten 14 Sitzungen von Belichtung stattgefunden; dieselben wurden 3 Mal in 
der Woche angestellt und dauerten jedes Mal 1 / a Stunde. Beliohtet wurde die 


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linke Hälfte des Gesichte, des Halses und des Schädels. Die Anfälle von Zuckungen 
sind schwächer geworden; es kommen bloss schwache Zuckungen um den linken 
Mundwinkel vor, die bald wieder vorübergehen. Eine Ausbreitung der Zuckungen 
auf die ganze linke Gesichtshälfte und auf den Hals kommt nicht mehr vor. 
Bei der Behandlung mit dem Bogenlicht verschwanden zuerst die Zuckungen am 
Halse. Vortr. hatte eine Behandlung mit dem Volta’sohen Bogenlicht im Ganzen 
an 6 Kranken angestellt, die an Tic convulsif litten. Von denselben trat bei 
einer Frau eine Besserung nach 10 Belichtungen auf, bei 8 Kranken (1 Mann 
and 2 Frauen) wurden keine günstigen Resultate erzielt. In diesen 3 Fällen 
wurde die Belichtung 10 Mal zu je */s Stunde ausgeführt. Die Zuokungen 
waren ausgiebiger, als bei dem demonstrirten Kranken, daher glaubt Vortr., dass 
in diesen 3 Fällen 10 Sitzungen von Beliohtung ungenügend waren, und dass 
überhaupt die Behandlung des Tic convulsif von längerer Dauer sein muss. 

Herr W. v. Bechterew: Ein Fall von Zuokungeb im Sohttltergürtel in 
Form einer pendelartigen Bewegung bald des einen und bald des anderen 
Armes. 

Vortr. demonstrirt eine 16jähr., erblioh nicht erheblich belastete Kranke, bei 
der ganz geringe objective Symptome von Hysterie vorhanden waren, in der 
Anamnese aber ein einziger hysterischer Anfall verzeichnet war (am 26. Januar 
1900), nach welchem die gegenwärtige Erkrankung auftrat. Bei der Kranken 
existirt eine rhythmische Zuckung bald der linken, bald der rechten M. cucullares 
und rhomboidei, die den Eindruck eines pendelnden zweiarmigen Hebels einer 
Waage macht mit einem bestimmten Rhythmus gleich den Bewegungen des 
Pendels. Aufregungen verstärken diese Bewegungen, bei Ablenkung der Auf¬ 
merksamkeit werden sie etwas schwächer, ebenso bei Beschäftigungen der Hände. 
Im Waohzustande verschwindet die Zuckung niemals, ist den activen Bewegungen 
der Hände nicht hinderlich, verschwindet während des Schlafes. In Anbetracht 
der langen Dauer dieser Zuckungen können dieselben, wenigstens in einer be¬ 
stimmten Reihe von Fällen, zu den constanten und sehr charakteristischen Er¬ 
scheinungen der Hysterie gerechnet werden. 

Herr A. J. Karpinsky: Die Behandlung der Schlaflosigkeit. 

Vortragender hatte sechs Kranke während längerer ‘Zeit behandelt und 
ist zu folgenden Resultaten gelangt: 1. Die Schlaflosigkeit kann als selbständige 
Erkrankung existiren, wobei die neurasthenischen Symptome im Hintergründe 
bleiben, erst später manifest werden und bald verschwinden, sobald es dem Kranken 
gelungen ist auszuschlafen. 2. Solche Fälle zeichnen sich durch eine sehr lange 
Dauer aus (6 Jahre in einem Falle des Verf.’s). 3. Im Harn solcher Kranken 
fanden sich beständig folgende Veränderungen: Verminderung der Tagesquantität, 
bald Verminderung, bald Vermehrung der Harnsäure, Verminderung des Poel'* 
sehen lndicators. 4. Die besten Resultate wurden durch faradische Bäder, auch 
durch Schwitzkuren erzielt 6. Die Schlafmittel bewirken gar keine Erleichterung, 
waren sogar schädlich. 6. Bei der in St Petersburg während der „weissen“ 
Frühlingsnächte häufig vorkommenden Schlaflosigkeit wurden die besten Resultate 
bei Anwendung der statischen Elektricität in Form von Douchen und des Windes 
erzielt. 

Herr Pussep: Ueber den Einfluss des Coitus auf die Blutdroulation 
im Gehirn bei den Weibchen. 

Die Versuche wurden an Hündinnen nach der Hürt hie'sehen Methode an¬ 
gestellt. In einigen Fällen wurde ausserdem noch der Blutdruck in der Vene 
gemessen. In Anbetracht der besonderen, sehr capriciösen Art der Versuche 
wurde eine besondere Methode der Untersuchung angewandt: das Thier lag auf 
dem Fussboden; der Kopf wurde an einem unbeweglichen Gegenstand befestigt, 


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der Rumpf aber blieb ganz frei. Vor dem Versuche wurden unter sub- 
eutaner Cocainanästhesie die Arteria carotis und die Venen entblösst und in die¬ 
selben Röhrchen eingestellt; erst dann wurde zum Experiment geschritten. Zum 
besseren Gelingen des Experimentes empfiehlt Verf. keine grosse Wunde am 
Halse zu machen und möglichst söbnell zu operiren. Zu der am Eopfe an¬ 
gebundenen Hündin wurde ein gut dressirter Hund herangebracht. Schon das 
blosse Erscheinen des Hundes bedingt eine Veränderung der Blutcirculation: der 
Puls wird frequenter, die Hirngefässe verengern sioh. Der Hund schmiegt sioh 
an die Hündin, beriecht sie, sofort tritt Erweiterung der Blutgelässe im Gehirn 
ein and vergrössert sich der Druok in der Vene. Die Erweiterung der Blut¬ 
gefässe erreicht einen verhältnissmässig sehr hohen Grad bei Reizung der Genital¬ 
organe der Hündin. Nach einer solchen Vorbereitung tritt der Coitus ein. 
Während der Immissio penis steigt der Blutdruok im Allgemeinen und es findet 
eine Erweiterung der Blutgefässe im Gehirn statt, eine Hyperämie desselben. Die 
Gefasse beginnen nach einigen Minuten sich wieder zu verengern und werden 
noch enger als im Normalzustände. Die grösste Verengerung der Blutgefässe mit 
* bemerkbarem Sinken des allgemeinen Blutdruckes tritt im Moment der Ejaculatio 
seminis auf. Nach 10—20 Secunden erweitern sich die Gefasse von Neuem, der 
allgemeine Blutdruck steigt sehr bedeutend. Diese Erhöhung des Blutdruckes ist 
besonders gross in den Augenblicken, da der Hund sich von der Hündin los- 
reissen will. Beim Ende des Coitus fällt der allgemeine Blutdruck unter die 
Norm und die Gefässe verengern sich etwas. Später, nach 20—40 Secunden, be¬ 
ginnen die Blutgefässe sich zu erweitern und der allgemeine Blutdruck fällt be¬ 
deutend. Anknüpfend an diese Versuche bespricht Vortr. die Frage hinsichtlich 
der Ursache des Todes während des Coitus, der mehrmals beschrieben worden 
ist, und nimmt an, dass derselbe durch das starke Sinken des Blutdruckes nach 
vorausgegangener Erhöhung desselben bedingt wird. 

Sitzung vom 19. Mai 1900. 

Herr Dr. Solucha demonstrirt einen bemerkenswertben Fall von Paranoia 
sexualis. 

Herr Dr. Gorsohkow: Ueber die Looalisation des Qesohmaoksoentrums 
in der Hirnrinde. 

Vortr. hatte seine Untersuchungen an Hunden angestellt, denen er verschiedene 
Gebiete der Hirnrinde entfernte und ist zu folgenden Schlussfolgerungen gelangt: 
1. Nach der beiderseitigen Zerstörung der vorderen-unteren Partieen der dritten 
und vierten primären Windungen (d. h. der Gyri sylviaci anteriores, Gyri ecto- 
sylvii anteriores und Gyri compositi anteriores) verschwindet der Geschmack voll¬ 
kommen. 2. Naoh der einseitigen Zerstörung dieses Gebietes verschwindet der 
Geschmack vollkommen auf der entgegengesetzten Seite und wird geringer auf 
der entsprechenden Seite (ein Hinweis auf eine unvollständige Kreuzung). 3. Eine 
aasgebreitete Zerstörung des Geschmacksgebietes wird auch von einem Verlust der 
tactilen Sensibilität auf der Zunge begleitet. 4. Naoh Zerstörung der übrigen 
Partieen der Hirnrinde ist der Geschmack in keiner Weise alterirt. 6. Der 
Grad der Geschmacksverringerung und die Dauer seiner Veränderung sind ab¬ 
hängig von den Dimensionen der zerstörten Fläohe der Hirnrinde. 6. Das 
Centrum für das Bittere befindet sich im unteren Theile der Gyri sylviaci anteriores, 
für das Salzige etwas höher, für das Sauere im unteren Theile der Gyri ecto- 
sylvii anteriores und für das Süsse etwas höher. 7. Bei Reizung mittels elek¬ 
trischen Stromes des unteren Theiles der Gyri sylviaci anteriores erhält man einen 
corticalen Geschmacksreflex. 8. Das Gesohmacksgebiet hat keine directe Beziehung 
zum Geruohscentrum, von dem dasselbe getrennt wird durch die Fissurae Sylvii, 


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praesylvia, rhinalis und olfaotoria. 9. Die gewonnenen Resultate bestätigen und 
ergänzen im Allgemeinen die Resultate früherer Beobachter. 

Herr Dr. Sobolewsky: Ueber den Einil um des Aderlasses auf die 
Blntoiroulation im Gehirn. 

Herr Dr. Lasursky: Ueber den Einfluss der Muskelbewegungen auf 
die Blutoiroulation im Gehirn. 

*• Herr Prof. W. v. Bechterew: Ueber 2 Fälle von syphilitischer Er¬ 
krankung des Oentralnervensystems. 

Bei einem Kranken waren Symptome vorhanden, die für eine Gehirngeschwulst 
charakteristisch sind, und zwar Kopfschmerz, stark ausgeprägte Apathie, Schwindel¬ 
gefühl, Stauungspapillen auf beiden Augen, Parese und zeitweilig Zuckungen in 
der rechten Oberextremität und in der rechten Geeichtshälfte und Ptosis des 
linken Augenlides. Der Tod trat bei Erscheinungen einer allgemeinen Schwäche 
ein. Bei der Section wurde eine locale Entzündung der Hirnhäute und der Hirn- 
Substanz auf der convexen Oberfläche der linken Hemisphäre mit Gummata in 
der Gegend des unteren Gebietes beider Centralwindungen gefunden. Im zweiten 
Falle waren bei dem Kranken ausser schon früher aufgetretenen cerebralen 
Störungen (erschwerte Aussprache) eine paretische Schwäche der unteren Extre¬ 
mitäten, besonders der rechten, vorhanden, mit Verstärkung der Sehnenreflexe 
auf derselben Seite. Hit der Zeit zeigte sich ein Senkungsabscess auf dem Rücken, 
was auf eine Läsion des Rückgrats hinwies. Exitus in Folge allgemeiner, zu¬ 
nehmender Schwäche. Bei der Section wurde eine gummöse Neubildung in der 
rechten Hälfte des Rüokgrats und Caries der Wirbel gefunden. In beiden Fällen 
wurde eine energische Quecksilber- und Jodkur durchgeführt. 

Sitzung vom 21. September 1900. 

Herr Dr. L. M. Pussep demonstrirte einen 9jähr. Knaben, der an Myx- 
oedem litt. 

Herr Dr. J. P. Gorschkow: Ueber die Looalisation der Geruohsoentra 
ln der Hirnrinde. 

Vortr. hatte Versuche an Hunden angestellt und ist zu folgenden Resultaten 
gelangt: 1. Nach der beiderseitigen Zerstörung des ganzen Gebietes des Lobus 
pyriformis tritt völliger Verlust des Geruches ein. 2. Nach einseitiger Zerstörung 
des Lobus pyriformis tritt vollkommener Verlust des Geruches auf der ent¬ 
sprechenden Seite ein und eine Verringerung desselben auf der entgegengesetzten 
Seite (Hinweis auf eine partielle Kreuzung). 3. Nach Zerstörung aller übrigen 
Gebiete der Hirnrinde wird währen! der ersten Tage eine unbedeutende Ver¬ 
ringerung des Geruchs beobachtet, hauptsächlich auf Seite der Läsion. 4. Das 
Geruchsgebiet erweist sich als ausserordentlich sensibel sowohl bei Gehirn¬ 
operationen, als auch bei verschiedenen pathologischen Zuständen von allgemeinem 
Charakter. 6. Die Dauer und die Intensität der Geruchsverringerung ist pro¬ 
portional der Grösse des lädirten Theiles des Geruchsgebietes. 6. Als Geruchs- 
centra im eigentlichen Sinne sind, wie es scheint, die Gegend der Gyri hippo- 
campi und der Gyri uncinati posteriores aufzufassen. 7. Durch Thierversuche 
gelingt es absolut nicht, eine gesonderte Localisation für die verschiedenen 
Kategorieen der Geruchsempfindungen festzustellen. 8. Bei Reizung mittels fara- 
dischen Stromes der vorderen Fläche des Lobus pyriformis, d. h. eigentlich der 
Gyri uncinati, erscheint der oorticale Geruchsreflex. 

E. Giese (St. Petersburg). 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 

Berlin, NW. Schilfbauerdamm 29. 

Verlag von VniT & Comp, in Leipzig. — Druck von Mztxokb & Wirno in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten» 


Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithtllfe vonDr. Kurt Mendel) 

Eiiudswuiigster " BerUl1 ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 1. April. Nr. 7. 


Inhalt. I. Oriflnalmittheilungen. 1. Richter und Sachverständige, von Prof. Dr. 
k. Hecke. 2. Die Kakodylsäure-Therapie, von Dr. H. Smidt in Krenzlingen. 3. Einiges zur 
Hysterie-Frage. Erwiderung auf Nissl’s Vortrag: „Hysterische Symptome bei einfachen 
Seelenstörungen,“ von Dr. Reecke. 4. Weiteres Ober die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Goldflam in Warschau. 

II. Referate. Anatomie. 1. Eine Eise nim prägnation der Neurofibrillen, von Meyer. 
2. Le cellule nervöse giganti nella rigenerazione ael midollo spinale caudale di tritone, per 
La Pegna. 8. Ueber Clarke’s „Posterior veaicular columns“, von Schacher!. — Experimen¬ 
telle Physiologie. 4. Untersuchungen über die Regulation der Bewegungen der Wirbel- 
thiere. L Beobachtungen an Fröschen, von Merzbacber. — Pathologische Anatomie. 
5. Pathologische und experimentelle Beiträge znr Kenntniss des sogen. Schultze’schen Comma- 
feldes in den HintersträDgen, von Homfn. 6 . Zur Kenntniss der Entwickelungsstörungen der 
Spinalganglienzellen bei hereditär luetischen, missbildeten und anscheinend normalen Neu¬ 
geborenen, von 8ibellM. 7. Zur Pathologie der Spinalganglien, von Marburg. 8. Contributo 
all* anatomia patologica della tabe dorsale, per Sciuti. — Pathologie des Nervensystems. 
9. Studio sulla patologia del ganglio ciliare nell' uomo con i spedale riflesso alla paralisi 
generale ed alla tabe; confronto ool ganglio cervicale del simpatico e oonquello del Gasser. 
Importansa del ganglio ciliare nell' uomo, per Marina. 10. Ueber die angebliche syphilitische 
Aetiologie der Tabes dorsalis. — Ein Fall von Tabes mit ungewöhnlichem Verlauf, von 
Gtlser. 11. Ueber das ungewöhnliche Fortbestehen, Mangeln oder Wiederauftreten des Knie¬ 
sehnenreflexes bei RQckenmarkskrankheit, besonders Tabes, Myelitis transversa und gummosa, 
von Main lack. 12. Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis, von Gross. 13. A case of progressive 
muscular atrophy and tabes with autopsy, by Colllns. 14. Ueber juvenile Tabes, nebst Bemerkungen 
fiber symptomatische Migräne, von v. Halban. 15. Tabiscbe Erkrankung des linken Hüftgelenks, 
Bruch dee linken Oberschenkelhalses, von Bloch. 16. Ein Beitrag zu den Uebergangsformen 
zwischen Friedreich'scher Ataxie und Hörödoataxie cöröbelleuse von Marie, von Margulies. 

17. Die allgemeine progressive Paralyse der Irren (Dementia paralytica), von Binswanger. 

18. De Pimportance des ldsions vasculaires dans l’anatomie patbologique de la paralysie 
gönörale et d’autres psyeboses, par Mahalm. 19. Statistischer Beitrag zur Aetiologie und 
Symptomatologie der progressiven Paralyse, von Raecke. 20. Ueber die Frühsyraptome der 
progressiven Paralyse, von Moravcslk. 21. Multiple Blutungen bei der progressiven Paralyse 
der Irren, von Frey. 22. Clinioal and experimental observations upon general paralysis, by 
Brucs. 28. Observations bearing upon the question of the pathogeneeia of general paralysis 
of the insane, by Robertson. 24. Des actes testamentaires des paralytiques gönöraux, par 
Rooby. 25. Un cas de sclörose en plaques ä tremblement unilateral, pnr Remllnger. 26. Ueber 
8ensibilitätsstörungen bei Sclerosfs polyinsularis, von v. Gebhardt 27. Sur un cas typique 
de sclöroae en plaques cbez une petite Alle de 7 ans, par 8orgente. 28. Insular scleroeis 
with loss of stereognostic sense in the right hand (senses of touch, pain and temperatnre 
preserved), by Monro. 29. A case of roalaria presentiug the Symptoms of disseminated scle- 
roeis with necTOpsy, by Stiller. 80. Ein Fall von multipler Sklerose traumatischen Ursprungs, 
von Flesch. 81. Ein Fall von multipler Sklerose nach Trauma, von Windscheid. 82. Zwei 
Fälle von Rfickenmarkserkrankung nach Unfall, von Mendel. 33. Ein Beitrag zur Aetiologie 

1» 


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der multiplen Sklerose, von Klausner. 34. Die Beziehungen zwischen der multiplen Sklerose 
und Dementia paralytica, von Petroff. 

III. Bibliographie. 1. Encyklopädie der gesammten Chirurgie, von Kocher und de Quervain. 
2. Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, unter besonderer Berücksichtigung der Homo* 
Sexualität, herausgegeben von Hirschfeld. 

IV. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. 

V. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Richter und Sachverständige. 

Von Prof. Dr. A. Hoohe. 

Vor einiger Zeit hat Näoke 1 für eine zukünftige Gestaltung des Verhält¬ 
nisses zwischen Richter und Sachverständigen Vorschläge gemacht, die zum 
Theil, anscheinend unabhängig von jener Veröffentlichung, bei Frank* wieder¬ 
kehren. Es finden sich darunter neben sehr berechtigten Wünschen Forderungen, 
die, bei aller Anerkennung der zu Grunde liegenden Tendenz, nicht unwider¬ 
sprochen bleiben dürfen; es liegt im Interesse der Verständigung zwischen 
Rechtspflege und Psychiatrie, dass die gleich näher zu bezeichnenden Thesen 
als das aufgefasst werden, was sie sind: der Ausdruck der Ansichten eines Ein¬ 
zelnen, hinter dem aber nicht die Gesammtheit der Irrenärzte steht. 

Näoke stellt am Schlüsse seines Aufsatzes als ersten Satz Folgendes auf: 
,,Da der Sachverständige zweifellos mehr in seinem Fache weiss, als selbst der 
bestunterrichtete Richter, so hat sich letzterer seinem Urtheile im Allgemeinen 
unbedingt zu fügen.“ Seine weiteren Ausführungen sehen die Möglichkeit der 
Vernehmung mehrerer Sachverständiger vor. „Im Fall der Dissonanz zwischen 
Experten entscheidet stets das Medicinalcollegium.“ Damit der Richter keinen 
blossen Automaten darstellt, ist eine besondere Ausbildung desselben in Psycho¬ 
pathologie und ihren Grenzwissenschaften wünschenswerte 

Bei Frank findet sich die These: „Die fachmännischen Gutachten unter¬ 
liegen nicht der freien Würdigung des Richters in so weit, als bei Versetzung 
in Anklagezustand nach fachmännischem Beweis Unzurechnungsfähigkeit vorliegt“, 
und weiter: „Jedem Anträge auf Untersuchung des Geisteszustandes eines An¬ 
geklagten ist ohne Weiteres stattzugeben.“ 

Die thatsächliche Erfüllung dieser Forderungen würde nichts Anderes be¬ 
deuten, als dass der ärztliche Sachverständige in Fällen zweifelhaften Geistes¬ 
zustandes aus der Rolle des technischen Berathers in die eines entscheidenden 
Riohters übergeht. 


1 Archiv für Criminalanthropologie und Crimin&listik. 1900. III. S. 99. 
* Paychiatr. Wochenschrift. 1901. Nr. 37. 


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291 


Diese Feststellung allein genügt, um die völlige Aussichtslosigkeit dieser 
Wünsche zu zogen, die ein wesentliches Princip bei der richterlichen Thätig- 
keit, das Princip der freien Beweiswürdigung, an einem wichtigen Punkte durch¬ 
brechen würden. Für den Richter sind alle im Laufe des Verfahrens sich 
ergebenden Momente: Zeugenaussagen, Gutachten von Sachverständigen u. s. w. 
Material zur Crtheilsfindung, die sich in ihm, unter seiner eigenen Verantwortung, 
vollzieht, und es ist nicht zu erwarten, dass hiervon zu Gunsten des ärztlichen 
Sachverständigen abgegangen werden wird. Man stelle sich einmal den Verlauf 
des Rechtsverfahrens vor, wenn die erstrebte Aenderung in der Stellung der 
Sachverständigen, die dann natürlich für alle Arten von Sachverständigen gelten 
müsste, Gesetz würde, wenn z. & die Meinung der Schreibsachverständigen iu 
Fällen anonymer Schmähbriefe die richterliche Entscheidung vorweg festlegen 
sollte! 

Eben wegen dieser principiellen Unerfüllbarkeit ist es bedenklich, solche 
Forderungen überhaupt erst aufzustellen. Was man damit erreioht, ist, dass 
eine der Psychiatrie nicht wohlgesinnte Agitation ein bequem zu verwertendes 
Beispiel „extremer Forderungen“ der Irrenärzte in die Hände bekommt, und 
dass auch bei den sachlich Prüfenden berechtigte Wünsche der Psyohiatrie durch 
die Begleitung dieser über das Ziel hinausgehenden Bestrebungen discreditirt 
werden. 

Abgesehen davon, dass die oben citirten Vorschläge keine Aussioht auf 
Verwirklichung haben, kann man überhaupt in ihneu keine zweokmässige Lösung 
der gelegentlich vorhandenen Schwierigkeiten in der Verständigung zwischen 
Rechtspflege und Psychiatrie erblicken. Diese Schwierigkeiten werden nioht da¬ 
durch beseitigt, dass das Votum des Psychiaters eine Machtverstärkung erfährt; 
sie sind eine notwendige Folge des Versuchs, in der langen Reihe oontinuir- 
licher Uebergänge beim krankhaften geistigen Geschehen vou juristischen, d. h. 
fremden Gesichtspunkten aus eine Abgrenzung vornehmen zu wollen, und sehr 
viel häufiger als jetzt würden in Zukunft die richtenden Psyohiater zu dem 
dann peinlichen Ergebniss kommen: non liquet 

Die von NIgke vorgesehene Zuziehung weiterer Sachverständiger uud event. 
des Medicinaloollegiums würde daran auoh nichts Wesentliches ändern. Die 
bessere Begutachtung durch ein „Collegium“ ist doch, nebenbei gesagt, überhaupt 
nur eine Fiction; das eine für diesen Zweig sachverständige Mitglied eines 
solchen Collegiums macht das Obergutaohten und für die Sache ist es um so 
besser, je mehr sich die anderen Mitglieder der Mitwirkung dabei enthalten. 

Die endgültige Entscheidung eines zweifelhaften forensisch-psychiatrisohen 
Falles würde also in Wirklichkeit diesem einen Mitgliede des Medicinal- 
Collegiums zufallen. Somit wird die Noth der Entscheidung nur von einer Stelle 
an die andere getragen. — 

Es ist bisher auch keineswegs nachgewiesen, dass die Missstände bei dem 
augenblicklich vom Gesetze festgelegten Verfahren, soweit dieses daran die 
Schuld trägt, genügend gross sind, um einschneidende prinoipielle Aenderungeu 
wönschenswerth zu machen. 

19* 


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Die sozusagen groben Fälle von Ignorirung der Ergebnisse ärztlicher Begut¬ 
achtung kommen hauptsächlich vor dem Schwurgerichte vor; daran wird sioh 
nichts ändern, so lange das Institut der Mitwirkung von Laienrichtern bei der 
Rechtssprechung aufrechterhalten bleibt Von Seiten der Berufsrichter — und 
das giebt auoh Näcke zu — wird darin im Ganzen wenig gesündigt, und an 
diesen einzelnen Vorkommnissen trägt, wie eine unbefangene Betrachtung der 
Dinge lehrt, gewöhnlich der ärztliche Sachverständige selber am meisten Schuld. 
NIcke hat (L c.) eine Classification der Richter in ihrem verschiedenen Ver- 
hältniss zu dem Gutachten der Sachverständigen versucht; eine Classification der 
Sachverständigen in ihrem verschiedenen Verhältniss zur Rechtspflege läge näher; 
jedenfalls ist dies der Punkt, wo wir im Stande sind, ohne gesetzgeberische 
Aenderungen, auf eine Besserung vorhandener Missstände hinzuwirken. Wenn 
wir von grossstädtischen Verhältnissen mit zahlreichen und wechselnden Sach¬ 
verständigen ohne Continuität der persönlichen Beziehungen absehen and die 
durchschnittliche Lage, dass ein Gerichtsbezirk einen häufig wiederkehrenden 
Gutachter besitzt, ins Auge fassen, so muss man sagen, dass dieser Sachverständige 
vor Gericht im Allgemeinen die Schätzung erfährt und die Stellung hat, die 
er verdient. 

Die Richter sind, wie die Erfahrung lehrt (wenigstens vor bürgerlichen 
Gerichten), sehr empfänglich für klare, ruhige, sachliche Ausführungen, die sich 
in den Grenzen der ärztlichen Zuständigkeit halten, und ordnen in solchem 
Falle ihr Urtheil dem des Sachverständigen gern unter. Richter, die von vorn¬ 
herein den gutachtlichen Aeusserungen mit Misstrauen begegnen, sind zu diesem 
Standpunkte in der Regel durch frühere persönliche Erfahrungen gebracht 
worden; gelegentliche temperamentvolle Aeusserungen von Staatsanwälten oder 
Vertheidigem darf man, in Anbetracht des jedesmaligen Standpunktes und der 
Interessen in einem contradictorischen Verfahren, nicht allzu tragisch nehmen. 
Wir wollen nur ruhig zugeben, dass von Seiten psychiatrischer Sachverständiger 
Fehler gemacht werden; auoh wenn wir von den einfaoh unwissenden sogenannten 
Sachverständigen absehen, bleiben noch genügend immer wiederkehrende Fehler 
übrig, die die ganze Sachverständigenthätigkeit in der richterlichen Schätzung 
entwerthen müssen: Unkenntniss der Rechte und Pflichten des Sachverständigen, 
Hinausgehen über die gestellte Frage mit Betrachtungen über Entschuldbarkeit 
einer strafbaren Handlung nach dem Motto: „oomprendre c’est pardonner“, 
Hineintragen von Erwägungen de lege ferenda, Vorschläge über die Strafart, 
vorzeitige und unbegründete Verallgemeinerung einseitiger Theorieen oder der 
Ergebnisse schwebender wissenschaftlicher Discussion, eigener Experimente oder 
eigenen Lieblingsstudiums u. s. w. Bei allen diesen Dingen geschieht es leioht, 
dass der Richter mit der ganz richtigen Ablehnung unbewiesener Behauptungen 
oder ungeeigneter Zuthaten auch den vielleicht sachlich begründeten Kern des 
Gutachtens mit abweist. 

Eine Reform der forensischen Stellung des Sachverständigen beginne von 
unserer Seite mit der Einsicht in die Thatsache, dass ärztlicherseits vor Gericht 
vielfach gefehlt wird, und mit dem Bestreben, diesem, uns ohne Aenderung der 


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Gesetzgebung zugänglichen, Mangel atnuhelfen. Diese Einsicht braucht uns 
keineswegs zu verhindern, das Berechtigte in den übrigen Forderungen von 
Nacks und Fbahk in Bezug auf Auswahl der Sachverständigen, Art der Be¬ 
obachtung, bessere psychologische Schulung der Richter u. s. w. anzuerkennen. 

Wir Ifrenärzte haben genügend zu kämpfen gegen das Misstrauen und die 
Abnagung, mit denen unsere Bestrebungen in der Öffentlichkeit vielfach verfolgt 
werden; es ist gar kein wQnschenswerthes Ziel, dass wir in foro aus der 
Stellung des objectiven über den Parteien stehenden Berathers in die einer 
entscheidenden Instanz übergehen und damit unsere Angriffsfläche für übelwollende 
Deutungen beträchtlich vergrtfeBera. Die Verwirklichung der obigen Vorschläge 
würde eine Schwächung, keine Stärkung unserer Stellung in der Rechtspflege 
bedeuten. 


2. Die Kakodylsäure-Therapie. 

Von Dr. H. Smidt in Ereusüngen. 

An Stelle der bisher gebräuchlichen unorganischen Arsenpräparate ist seit 
wenigen Jahren eine organische Arsenverbindung, die K&kodylsäure mit ihren 
Salzen in die Therapie eingeführt worden, die nach den bisherigen Nachrichten 
so mannichfache Vortheile zu haben scheint, dass es um so mehr angezeigt ist, 
über die erschienene Litteratur hier zu referiren, als die Kakodyls&ure bisher 
anscheinend in Deutschland nur bei Hautkrankheiten Beachtung gefunden hat 
Im Folgenden sollen in erster Linie die objectiven Untersuchungsresultate 
hervorgehoben werden, dann die Momente, die den Nervenarzt interessiren. 

Die Priorität der Anwendung der Kakodyls&ure in der Therapie dürfte sich 
Danlos (1) mit Recht zusohreiben, der sie seit 1696 mit Erfolg bei Hautleiden 
anwendet, vor Allem bei Psoriasis. Foubhieb sohloes sich ihm an in der Ver¬ 
werfung de»eiben Präparates bei den gleichen Affectionen, sowie Saalfbld, 
Rille u. a. Dermatotherapeuten. 

Als eigentlichen Begründer der Kakodylther&pie bei inneren Krankheiten 
dürfen wir aber wohl Abmand Gautieb (3) betrachten, der am eifrigsten Theorie 
und Praxis dieser Methode gefordert hat Seine Beobachtungen beginnen 1898. 
Gautieb stützte sich zunächst auf die Untersuchungen Besbedka’s, der faud, 
dass das unorganische Arsenik in den Körper eingeführt, sich an die Leuko- 
oythen, speoiell an das Nadeln derselben binde, und so als organische Arsen- 
Verbindung etwa hundert Mal weniger giftig wirke, wie eine unorganische Arsen- 
Verbindung. Bei directer Application auf das Centralnervensystem wirke sohon 
Vioo d er Dosis von unorganischem Arsen toxisoh, die vom Magen noch gerade 
ertragen werde. 

In der Kakodyls&ure ist das Arsen an zwei Methylmolecüle gebunden. 
Ihre Formel ist As.(C.H 3 ) 2 0.0H. Im kakodylsauren Natrium ist ein Atom H 
durch Na ersetzt: As(CH 3 ) t O,Na. Beide Präparate sind sehr wenig giftig, im 
Gegensätze zu dem Kakodyl, A8 j(CH 8 )\ welohes seinen Namen seinem unerträg- 


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liehen Knoblauchgernch verdankt und ebenso wie das Kakodyloxyd sehr toxisch 
wirkt 

Die Kakodylsäure enthält 54,3 °/ 0 , das kakodylsaure Natrium 46,87 % 
metallisches Arsen. 

Das kakodylsaure Natrium wirkt nun verschieden, je nachdem es subcutan 
oder per os bezw. per anum applicirt wird. Per injeetdonem sind Vergiftungs¬ 
erscheinungen überhaupt noch nicht beobachtet worden. Gautieb citirt 3 Fälle, 
in denen Kranken versehentlich 32, 50 und 60 cg injicirt wurden, ohne jedes 
üble Resultat Dagegen treten bei unvorsichtiger Anwendung per os oder anum 
gelegentlich mehr weniger leichte Vergiftungssymptome auf: Congestionen, all¬ 
gemeine Erregung bis zur Schlaflosigkeit, leichter Leibschmerz, Fieber, Ohr- 
geränsche, bei weiterer Anwendung Magenkrämpfe, Stomatitis, Diarrhöen ge¬ 
legentlich mit Blutbeimengung. Gautieb nimmt an, ebenso wie Hayem, dass 
sich die Kakodylsäure im Verdauungstractus unter dem Einflüsse leicht oxydabler 
Stoffe zu dem sehr giftigen wie das Kakodyl stinkenden Kakodyloxyd reducire. 
Dafür spricht in solchen Fällen der Knoblauchsgeruch von Athem, Faeces und 
Urin, während Kakodylsäure und kakodylsaures Natrium geruchlos sind.. 

Gautieb macht auf die interessante Thatsache aufmerksam, dass die leichten 
Arsenikintoxicationssymptome die gleichen sind, wie bei übermässigem Gebrauche 
des Thyreoidin. Die Thyreoidea enthalt nach seinen Versuchen beim normalen 
Menschen Arsen mit Jod zusammen. Das letztere dürfte von hier aus seine 
physiologische Wirkung auf den Stoffwechsel ausüben. 1 

Die Ausscheidung des kakodylsauren Natriums erfolgt in erster Linie durch 
den Urin, und zwar wird es an zersetzt ausgeschieden, da es ein sehr constanter 
Körper ist, der auoh in Lösung das Kochen gut verträgt, was ja für praktische 
Zwecke von Wichtigkeit ist Imbebt und Badel(4) fanden bei Einführung 
einer einmaligen Dosis von 200 mg kakodylsauren Natriums (= 94 mg metalli¬ 
schen As), dass sich im Urin in den ersten 24 Stunden 36 mg As fanden, am 
zweiten Tage 2—3 mg, vom 8.—10. Tage an nur 1—1,5 mg. Die letzten 
Spuren schwanden am 26.—28. Tage. • Badel fand nach einer Reihe von In- 
jectionen von kakodylsaurem Natrium einige Tage lang in der Haut und in 
den Haaren 0,00015% As, dann in absteigender Menge Spuren in den Lungen, 
Knochen, Zellgewebe, Leber, Nieren, Milz, Muskeln, Blut. — Chiappobi (5) fand 
mit der Gosio’schen Methode 8 , dass das kakodylsaure Natrium nach der Ingestion 
oder Injection rapide in das Blut übergeht, von dort aus in den Urin, den 
Speichel, die Milch (von wo es auf den Säugling übergeht, in dessen Urin es er¬ 
scheint), wahrscheinlich auch in den Schweiss. Dagegen wird es nur bei oolossalen 
Dosen, bei Uebersättigung des Organismus durch die Faeces ausgesohieden. 


1 Ausser in der Thymusdrüse fand Gaütikr (Sitzung der Ac. des Sciences 4./12. 1899) 
das Arsen noch in den Milchdrüsen, der Haut und den epidemischen Producten (Haare 
u. s. w.). 

* Dieselbe basirt auf der Thatsache, dass Culturen von Penicillium brevicaula in Con- 
taot mit einer arsenhaltigen Substanz einen starken Enoblauchgeruch entwickeln (Chiappori). 


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Die Wirkung der Kakodylsäure und ihrer Salze ist nach Gautieb in thera¬ 
peutischen Dosen eine excitirende in Bezug auf Ernährung und rasche Repro- 
duction der Gewebe, nur in toxischer Doee verlangsame sie die Ernährung. Es 
tritt in ersterem Falle eine Vermehrung des Appetites, des Körpergewichtes, der 
Hamstoffausscheidung (Fbassi-Collet), der Ausscheidung der Chlorate und 
Phosphate (Collet, Molon ['S]), des Blutdruckes ein. Pulsbeschleunigung, Fieber, 
Athmungsfrequenz wird vermindert Da das Natriumkakodylat die Gewebs- 
oxydation vermehre, vermehre es auoh die Resistenz gegen Toxine (die Influenza 
wird z. B. von Tuberculösen unter Kakodylsäuregebrauch gut überstanden). 

Von besonderem Interesse ist das Verhalten des Blutes nach Injeotionen 
des kakodylsauren Natrium. Widal (6) beobachtete anscheinend zuerst eine 
erhebliche Vermehrung der rothen Blutkörperchen danach. Die eingehendsten 
Untersuchungen hat darüber Chiappobi angestellt, die durch die Resultate 
Pi8ani’s(7) bestätigt werden. 

Ch. fand, dass sich schon 25—35 Minuten nach der Iiyection (das Quantum 
des injicirten kakodylsauren Natrium scheint ziemlich indifferent) eine mehr 
weniger erhebliche Vermehrung der rothen und eine auch proportional geringere 
der weissen Blutkörperchen nachweissen lässt. Die Vermehrung der rothen 
Blutkörperchen ist um so bedeutender, je geringer ihre Anzahl vorher war 
(Widal). Bei Chlorotischen fand Widal z. B. eine Vermehrung von 1,178,000 
auf 2,821,000 in 45 Minuten. Bei einem Tuberculösen, dessen Blut vor der 
Injection 3,038,000 rothe Blutkörperchen enthielt, stiegen dieselben nach Injection 
von 2 cg kakodylsauren Natriums nach einer halben Stunde auf 3,689,000, naoh 
einer Stunde auf 4,172,000, nach 3 Stunden auf 4,929,000 (Widal, citirt von 
Chiappobi). Controlversuche Chiappobi’s mit Einspritzung indifferenter Lösungen 
fielen negativ aus. Die Vermehrung dauert in maximo 3— 4 Stunden, danach 
ist die Zahl der rothen Blutkörperchen wieder die alte. 

Chiappobi fand als Resultat des Untergangs so zahlreicher Blutkörperchen 
stets bei Injectionskuren eine Vermehrung des Urobilins im Harne. Er fand 
mit der Poooi’schen Methylenfarbung # stets im Blute der Injicirten die jungen 
Blutkörperchen stark vermehrt, und vermuthet, dass diese als noch nicht völlig 
reif auch bald wieder zerstört werden. 

Wichtig ist, dass das Hämoglobin nicht proportional den rothen Blutkörperchen 
zunimmt. Doch tritt eine solche Zunahme ein, wenn die Kakodylsäuretherapie 
mit Darreichung von Eisen combinirt wird, wie Ch. an mehreren Beispielen 
nachweist. 

Was nun die Application des kakodylsauren Natriums anbetrifft, so geht 
schon aus dem Obigen hervor, dass die Injection das Normalverfahren ist. Doch 
heben verschiedene Beobachter (Gbasset, Dalchb, Gaband, Pisani) hervor, 
dass sie auoh mit der Injection per os und anum gute Erfolge und bei vor¬ 
sichtigen Dosen keine bedenklicheren Nebenwirkungen erzielt haben. Knoblauch¬ 
geruch des Athems und der Faeces kommt allerdings dabei viel häufiger vor, 
wie bei hypodermatischer Application (Pisani). Chiappobi hat sogar eine ein¬ 
malige Dosis von 1 g per os gut vertragen. Erst bei 1,20 g stellten sich Diar- 


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rhöen ein. Die Injeotion ist nahezu schmerzlos und giebt bei reinen Lösungen 
keinerlei entzfindliche Reaction. 

Das kakodylsanre Eisen, welches Gilbert und Lebrboüille (9) bei Chlo¬ 
rose und Chloroanämie empfehlen (Gaütier verwirft das Präparat, da es ebenso 
wie das kakodylsaure Quecksilber das Fe bezw. Hg in anorganischer, also schwer 
assimilirbarer Form enthalte), soll nur in schwachen (3 °/ 0 ) Lösungen angewandt 
werden, da es in stärkeren sohmerzhafte Knoten macht 

Merck (Darmstadt) liefert ein reines kakodylsaures Natrium, mit dem z. B. 
Pisani seine zahlreichen Versuche machte. Empfehlenswerth ist auch das Ca- 
codylate de Sonde Clin, welches in Dosen von 5 cg in sterilisirten Tuben für je 
eine Einspritzung von F. Comar et Fils et Cie., Paris, 20 Rue des Fossös 
St. Jacques vertrieben wird. 1 

Die Durchschnittsdose für beide Applicationsmethoden ist 5 —10 cg. Gautirr 
beginnt mit einer Injection von 0,025, steigt am folgenden Tage auf 0,05, bleibt 
bei dieser Dose eine Woche. Hierauf eine Woche Pause. Bei der nächsten 
Injectionsserie beginnt er mit 0,05, steigt dann auf 0,1. Bleibt bei dieser Dosis 
das gewünschte Resultat aus, so steigt er bis zu den ersten Symptomen der 
Intoleranz (Knoblauchsgeruch, Erregung), vermindert die erreichte Dose um 5 cg 
und bleibt dann bei dieser. 

Wichtig erscheint es, nach je 7 Injectionen eine Woche Pause eintreten zu 
lassen, um cumulirende Wirkung zu verhüten. Ferner empfiehlt es sich, einige 
Tage vor und nach den Menses nicht zu injiciren, da das kakodylsaure Natrium 
den Blutverlust sonst zu steigern scheint 

Man kann das kakodylsaure Natrium Jahre lang ohne Inconvenienz fort¬ 
brauchen. Doch tritt nach Gaütier nach 1—2 Jahren Gewöhnung ein. Dann 
ist es gut, für einige Zeit auszusetzen. 

Die einzige Contraindication gegen die Anwendung ist nach Dalch£ und 
Merklen (citirt bei Gautier) die Leberinsufficienz, Krebs, Lebercongestion und 
Leberhypertrophie, Icterus, Cirrhose. Hier scheint schon sehr rasch Intoleranz 
einzutreten. 

Gehen wir nunmehr auf die praktischen Resultate der Kakodylsäuretherapie 
über, so seien zunächst die nicht nervösen Affectionen kurz erwähnt, in denen 
unser Präparat mit Erfolg angewandt wurde. 

Wie schon erwähnt, hatte D anlos schon 1896 Kakodylate mit gutem Er¬ 
folg bei hartnäckiger Psoriasis, die der gewöhnlichen Arsentherapie trotzte, Lupus 
erythematosus u. s. w. gebraucht Gaütier berichtet von einem ähnlichen Falle, 
sowie von einem günstigen Resultate bei Lupus. Saalpell (10), Rille (11), 
Kaposi, Neissek, Naumann haben ähnliche Erfolge erzielt 

Bei Krebs sind die Erfolge sehr zweifelhaft. Immerhin will Chiappori 
gute Resultate bei zwei Magencarcinomen gehabt haben. Petrini hat einen 
Fall von allgemeiner Sarcomatose angeblich geheilt 

1 ln der Februareitzung der Acad4mie de M4decine hat Gaütibr nach einer Notiz im 
„Figaro“ am 21./II. 1902 ein nenes Kakodylsiare-Präparat unter den Namen Arrh4nal vor- 
gefBhrt. Nähere« Ober seine Vorzüge u. s. w. konnte ich nooh nicht erfahren. 


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Chiappobi berichtet von sehr bemerkenswerther Besserung bei Chloroanämie, 
bei 2 Fällen von Anämie nach Hämorrhoiden und uloerirender Enteritis. Aehn- 
liche Resultate sah Oautieb bei solchen Affectionen und empfiehlt bei wahrer 
Chlorose Eisen zugleich zu geben. Die Empfehlung des kakodylsauren Eisens 
durch Gilbxbt und Lbbiboullet bei Chlorose wurde schon erwähnt 

Billet (12) rühmt die gute Wirkung des kakodylsauren Natriums bei 
Malariacachexie nach der Chininkur. Vor Allem ist die Vermehrung der rothen 
Blutkörperchen beträchtlich, doch giebt er nicht an, wie lange dieselbe anhält 
Gautieb und Smionesco stimmen Billet bei 

Besonders gute Wirkung, und das scheint beinahe die Piöoe de r&istance 
der Kakodylsäuretherapie zu sein, wurde nach fast einstimmigem Urtheile der 
Autoren bei Tuberculose erzielt Alle constatiren erhebliche Gewichtszunahme 
und Hebung des Allgemeinbefindens. Mehrere, vor Allem Gautibb, wollen 
auch erhebliche Besserung der örtlichen Symptome gesehen haben. Doch sind 
hierüber die Beobachter nicht einig. 

Unter den nervösen Affectionen möge die Neurasthenie an erster Stelle 
erwähnt werden. Gautibb bringt die Krankengeschichten von 5 Fällen, in denen 
es sich um schwere neurasthenische Symptome nach Erschöpfung, Influenza, 
Anämie handelt, und bei denen allen sich die trophischen und exoitirenden 
Qualitäten des kakodylsauren Natriums in glänzendem Lichte zeigten. Salviou (13) 
hat die Kakodylate im Manicomio di S. Clemente zu Venedig an einer Reihe 
von Patientinnen angewandt, die neben ihren psyohisohen Affectionen an 
schwächenden Leiden, Tuberculose u. s. w., litten. Er rühmt bei all den Kranken, 
die dabei neurasthenische Symptome boten, das besondere Wohlgefühl und die 
Kraftvermehrung, die erzielt wurden. 

Bei Chorea wird von französischen Beobachtern (Gautieb, Garaud, Lan¬ 
kow) die Raschheit der Heilung betont Ein dahingehöriger Fall von Chiappobi 
blieb ungeheilt Pisani constatirt in 2 Fällen Verminderung der Bewegungen 
und Vermehrung des Appetites, jedoch auffallenderweise leichte Gewichtsabnahmen 
(je V* kg), während sonst die Gewichtszunahme eines der constantesten Resultate 
der Kakodylsäuretherapie ist. 

PABKiNsoN’sche Krankheit sah Gautieb in 3 Fällen ganz leicht gebessert, 
in zwei weiteren war die Behandlung ohne jeden Erfolg. Er citirt einen Fall 
von Bublubeatjx, der deutlich gebessert sein soll. Vereinzelte Fälle von Pellagra 
(Galli) und Basedow 'scher Krankheit (Roustan, beide citirt bei Gautieb) 
scheinen leicht gebessert zu sein. Gautieb behandelte mit Magnan zwei Myx- 
ödematöse, von denen die eine etwas regsamer wurde, die andere ganz unver¬ 
ändert blieb. 

Kein Geringerer wie Maqnah hat denn auch Gautieb Gelegenheit gegeben, 
in Saint-Anne eine Reihe von Psychosen zu behandeln. 

Das Urtheil, inwieweit die Kakodylsäure an etwaiger Besserung Schuld ist, 
ist hier besonders schwer, da es sioh anscheinend meist um acute Fälle handelte, 
die auoh bei exspectativer Behandlung geheilt wären. Bemerkenswerth ist die 
häufig constatirte bedeutende Gewichtszunahme, mehrfach wird notirt, dass 


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Sondenfütterung unnöthig wurde, was wohl der Steigerung des Appetites zuzu- 
sohreiben ist. Bei einer Periodica verlängerten sioh die anfallsfreien Zeiten von 
5 Wochen auf 2 1 / i Monate. 

Heiter stimmt der Sohluss eines Krankenberichts des Dr. Paulet (von 
Gaütieb citirt): Ein äusseret erregter Maniacus hat nach vier Injectionsserien 
über 8 kg gewonnen und ist oohärent geworden: „il serait guöri s’il n’avait 
gardö des impulsions ä se frapper la töte ä terre“! 

Gautieb resumirt seine Erfahrungen bei Geisteskranken dahin, dass 1. sehr 
merkliche Besserung in V« der Fälle bei Dementen und Agitirten erzielt sei, 
eine leichte Besserung in der Hälfte der Fälle, dass 2. die maniakalische („deli- 
rante“) Form der Wirkung der Kakodylate zugänglicher sei, als die melan¬ 
cholische. 

Salyioli constatirt bei seinen, wohl meist chronischen Kranken, dass die 
psychischen Phänomene ganz nngebessert geblieben seien. 

Als zusammenfassendes Urtheil möchte ich hier einige Stellen aus einem 
Briefe des sehr erfahrenen Mailänder Neurologen Dr. de Vüjcenti geben (dem 
ich für die freundliche Besorgung der italienischen Litteratur sehr zu Danke 
verpflichtet bin): 

„Die hypodermatischeKakodyl8äureanwendung hat bei uns grosse Verbreitung 
gefunden als bequeme, leicht anwendbare und gefahrlose Methode (wenu die 
aseptischen Cautelen beobachtet werden) in Fällen von physischer und psychischer 
Asthenie und im Allgemeinen als neurotonische Kur. In solchen Fällen 
finden diese Mittel, ohne dass man von ihnen Wunder erwarten dürfte, ihr« 
klinische Indication als Ergänzung anderer tonischer und reoonstituirender 
Kuren. Die hypodermatische Medication hat den Vortheil, keine gastrischen 
und intestinalen Beschwerden zu machen. Specifische Wirkungen bei 
bestimmten Psychopathieen (mit Ausnahme der auf asthenischer oder anämischer 
Basis entstandenen) darf man nicht erwarten.“ 


Litteratur. 

Id das nachfolgende Verzeichniss habe ich nur die wichtigeren Arbeiten aufgenommen. 
Diejenigen Aufsätze, die mir nur in Referaten oder Citaten zugänglich waren, sind mit 
einem * bezeichnet. 

*1. D anlob, Semaine mddioale. 17. Juli 1896. Sooidtd de dermatologie et syphiL 
11. Juni 1896. — *2. Gautibb, Bull, de l’Acad. de Med. Sdance du 6. Juni 1899. — 8. Der¬ 
selbe, La mddioation par PAreönic latent. Extrait du BulL de l'Acad. de M4d. Söances 
des 2. et 9. Juli 1901. — *4. Imbbrt e Badbl, Comptes rendus de l’aoaddmie des Sciences. 
1900. CXXX. S. 681. — 5. Chiappori, Süll’ azione ematopoietica e terapeutica del caco- 
dilato di joda. Biforma medica. 1901. XVII. Nr. 91—95. — *6. Widal, Bulletin mddical. 
18. März 1900. — 7. Pisani, II cacodilato di soda nella terapia infantile. Gazetta medica 
di Torino. 1901. LII. — 8. Molon, Süll' azione del trattamento cacodilico. Gazetta degli 
ospedali e delle clinique. 1901. 21. August. — 9. Gilbbbt e P. Lkbbboullet, II caoodilato 
di ferro. XIII. Congr. intern, de mld. Paris; ref. Rivista critica di clinica medicale. 
1900. 8. Sept. — 10. Saalfbld, Ueber die Anwendung von kakodylsauren Salzen bei Haut- 
erkrankungen. Therap. Monatshefte. 1901. Juni. — 11. Rille, Zur Anwendung der kakodyl- 


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sauren Salze. Ebenda. 1901. Sept. — 12. Billrt, XIII. Congr. intern, de m6d. ä Paris; 
ref. Rirista critica di olinica medieale. 1900. 8. Sept. — 18. 8alvioli, I eacodilati nella 
pratica medica. Birista reneta di scienze mediche. 1901. 15. April. 

VergL auch ihr die älteren chemischen und physiologischen Untersuchungen: Lahqoaabd, 
Acidum cacodylicum und Natrium cacodylicam. Therap. Monatehefte. 1900. Sept. 


3. Einiges zur Hysterie-Frage. 

Erwiderung auf Nissl’s Vortrag: „Hysterische Symptome bei einfachen 

Seelenstörungon.“ 

(Centralbl. f. Nerrenheilk. u. Psych. XXV. S. 2.) 

Von Dr. Raeoke, 

Assistenzarzt der psyohiatr. und Nervenklinik zu Kiel. 

Gegenüber der immer wachsenden Ausdehnung, welohe dem Begriffe Hysterie 
allmählich gegeben worden ist, macht sich neuerdings das Bestreben geltend, 
ans der grossen Zahl mannigfacher Krankheitsbilder eine kleinere, schärfer be¬ 
grenzte Gruppe heranszuheben. Solange man sich bei diesem Versuche bewusst 
bleibt, dass man einen beträchtlichen Theil des Gesammtbegriffes absichtlich 
vernachlässigt, um zunächst für einen Bruchtheil desselben bessere klinische 
Umrisse zu gewinnen, lässt sioh sicherlich nichts gegen ein derartiges Vorgehen 
einwenden. Dieser Vorsicht hat sich z. B. Sommkb 1 befleissigt, als er für die 
von ihm geschaffene Gruppe bestimmter hysterischer Krankheitsbilder den neuen 
Namen „Psychogenie“ vorschlug mit dem ausdrücklichen Bemerken, dass Hysterie 
im alten Sinne der weitere Begriff bleibe. 

Leider hat die Heidelberger Schule Sommeb’s Beispiel nicht befolgt: 

Unbekümmert um alle Anschauungen und Lehren anderer Autoren, die 
einfach unbeachtet bleiben, legt Nissl seiner Untersuchung über die hysterischen 
Symptome bei einfachen Seelenstörungen lediglich die Definition Kbaepelin’s 
zu Grunde und erklärt von vornherein: „Die Hysterie ist eine angeborene 
Krankheit; der ihr zu Grunde liegende pathologisch-anatomische 
Proce8s bedingt einen Zustand des Nervensystems, der andauernd wirksam ist 
und klinisch als hysterischer Charakter zum Ausdruck gelangt Die andauernde 
Wirksamkeit des Zustandes zeigt sich dadurch, dass jederzeit hysterische Sym¬ 
ptome und hysterische Psychosen zur Auslösung gelangen können.“ 2 

Dass Nissl mit diesen zu eng gefassten Voraussetzungen Resultate bekommen 
musste, welche von denjenigen anderer Autoren total abweichen, weil er eben 
mit dem Worte Hysterie einen ganz anderen Sinn verband als jene, ist eigent¬ 
lich selbstverständlich. Trotzdem scheint Nissl das Fehlerhafte seines Verfahrens 
nicht einzusehen, denn er wirft unbefangen die Frage auf, wodurch eigentlich 
die „heillose Verwirrung in die Psychiatrie gebracht und eine gegenseitige Ver- 


* Diagnostik der Geisteskrankheiten. 1901. S. 281. 

* Centralbl. f. Nerrenheilk. n. Psycb. 1902. S. 4. 


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ständigung unmöglich gemacht“ sei, um sobliesslioh die Schuld — auf die 
anderen Autoren zu schieben. Erst wenn alle Psychiater den Begriff „funotionelle 
Krankheiten“ aufgeben wollten, sei eine gegenseitige Verständigung zu erwarten. 1 

Diese auffallende Ansohauung Nibsl’s basirt wieder auf der Voraussetzung, 
dass dem Krankheitsbilde der Hysterie im KsAEPELiM’schen Sinne, d. h. in 
genau derjenigen Ausdehnung, welche Kraepelin dem Hysteriebegriffe zuschreibt, 
ein scharf umgrenzter und spedfisoher pathologisch-anatomischer Befund ent¬ 
sprechen soll. Woher weiss denn aber Nissl so bestimmt, dass es nicht am 
Ende verschiedene anatomisch-pathologische Prooesse sind, welche dem Kbabpblin’- 
schen Krankheitsbilde zu Grunde liegen? Vor allem aber, wie will Nissl be¬ 
weisen, dass die von Kbaepelin ausgeschiedenen Hysterie-Fälle anderer Autoren 
durch gänzlich andersartige Processe hervorgerufen werden? Wenn Nissl hier 
nicht mit wirklichen Tbatsachen aufwarten kann, bleiben alle seine anatomischen 
Betrachtungen über die Abgrenzung der Hysterie werthlos. 

Solange uns aber die Kenntniss einer organischen Grundlage der Hysterie 
fehlt, sind wir leider darauf angewiesen, nach wie vor die Hysterie aus ihren 
klinischen Symptomen zu diagnoSticiren. Es heisst, die thatsächlichen Verhält¬ 
nisse auf den Kopf stellen, wenn Nissl fordert, „dass wir nur da von hysterischen 
Symptomen zu reden berechtigt sind, wo das Vorhandensein der Hysterie nach¬ 
gewiesen werden kann“. 2 — Ich frage, wie soll denn dieses „Vorhandensein“ 
jemals constatirt werden, wenn nicht durch die hysterischen Symptome? Denn 
auch der hysterische Charakter, auf den Nissl so grosses Gewicht legt, wird 
doch in letzter Linie nur aus Symptomen erschlossen. Selbstverständlich wird 
man stets unterscheiden müssen zwischen wesentlichen und unwesentlichen Sym¬ 
ptomen oder, wie die Franzosen sagen, zwischen eigentlichen Stigmaten und 
accidentellen Erscheinungen. Gewiss ist auch der spätere Verlauf der Krankheit 
hochwichtig für ihre Beurtheilung, und unter Umständen sieht man sich einmal 
durch ihn gezwungen, nachträglich die Diagnose zu modificiren. Allein dess- 
halb kann man noch nioht Jahre warten, ehe man überhaupt eine Diagnose 
stellt Andererseits ist die Kenntniss der Vorgeschichte leider oft zu lückenhaft, 
um aus ihr weitgehende Schlüsse zu ziehen. Kurz, der Praktiker bleibt bei 
Stellung seiner Diagnose immer wieder auf die augenblicklichen Symptome angewiesen. 

Uebrigens bringt Kbaepelin selbst in seiner „Einführung in die psychia¬ 
trische Klinik“ einen Traumatiker, bei welchem er die bestehende Hysterie, wie 
er uns offen erklärt, aus den körperlichen Störungen, besonders den Anfällen, 
diagnosticirt hat, und bemerkt dann wörtlich: „Es wird somit hier ganz klar, 
dass nur die starke Gemüthsbewegung als Ursache oder wohl besser Auslösung 
der hysterischen Veränderung anzusehen ist“ (S. 277.) 

Also hat in diesem Falle Kbaepblin aus der Anamnese, obgleich sie aus¬ 
führlich von schwerer Belastung, Arbeitsunfähigkeit, Alkoholismus, Delirium 
tremens, Abnahme des Gedächtnisses erzählte, nichts über hysterische Ante- 


1 Ceutr&lbl. f. Nerve nheilk. u. Psyoh. 1902. S. 87. 
4 Ebenda. S. 81. 


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cedeatien vor dem Unfall «fahren können. Es bleibt daher unentschieden, ob 
die Hysterie hier als solche angeboren war, oder ob nur eine allgemeine Dispo¬ 
sition ererbt wurde, wie es die mosten Autoren bei der Hysterie annehmen; ja 
es könnte Niemand gehindert werden, in diesem Falle ?on einer erworbenen 
Hysterie zu reden. 

Mit einem Worte, Krakpkluc musste den betreffenden Kranken naoh Art 
der „Symptomatologen“ beurtheilen auf Grand seiner augenblicklichen körper¬ 
lichen Störungen; und trotzdem genügte ihm der erhobene Befund, um darauf¬ 
hin eine Brandstiftung, an welche der Kranke keine rechte Erinnerung hatte, 
als im hysterisdien Dämmerzustände begangen zu erachten. Nicht einmal die 
Abnahme des Gedächtnisses und die Unfähigkeit zur Arbeit, also die Entwioke- 
lang eines geistigen SchwächezuBtandes, erschien ihm als eine mit der Diagnose 
Hysterie unvereinbare Complioatkra. 

Somit vertritt hier Kbakpklin im Gegensatz zu Nissl ’s übertriebenen 
Forderungen eine Auffassung, der ich mich gern rückhaltlos anschlieese, indem 
er einen Dämmerzustand auf Grand hysterisoher Stigmata für hysterisch erklärt. 
Dom irgend welchen Dämmerzustand oder Stupor als an und für sioh patho- 
gnomonisch für Hysterie hinzustellen, wie Nissl verstanden zu haben scheint, 
liegt mir gänzlich fern. Das habe ich übrigens auch am Schlüsse meines Auf¬ 
satzes über hysterischen Stupor bei Strafgefangenen ausdrücklich betont: „Man 
soll daher nur dann einen hysterischen Dämmerzustand annehmen, wenn sioh 
die hysterische Grundlage erweisen lässt“ 1 

Sehe ich mich also hier in gewisser Uebereinstimmung mit der Heidel¬ 
berger Schule, so muss ich mich in der Katatoniefrage grundsätzlich von ihr 
trennen. Ich kann mich nicht überzeugen, dass ein Stupor im Verein mit 
Stereotypieen und Negativismus genügt, um die Diagnose Dementia praecox zu 
rechtfertigen. Vielmehr findet sioh ein solcher „katatonischer Symptomenoomplex“, 
wie von den verschiedensten Autoren wiederholt betont worden ist, ziemlich häufig 
auch bei Paralyse, Epilepsie, Hysterie, ferner etwas seltener bei Circul&ren 
nnd Paranoikern, die aber darum noch durchaus keinen merkliohen Intelligenz- 
defect aufzuweisen brauchen. Sogar im Verlaufe eines typischen Delirium tremens 
ist erst kürzlich in der hiesigen Klinik ein mehrstündiger ausgesprochener Stupor 
beobaohtet worden. Indessen würde eine Besprechung dieser interessanten Zu¬ 
stände jetzt za weit führen. Ich behalte mir daher eine zusammenfassende Be¬ 
arbeitung der verschiedenen Stuporformen für später vor. 

Heute möchte ich nur noch znm Schlüsse entschieden Einspruch dagegen 
erheben, dass Nissl auch den GANSEB’schen Dämmerzustand, den Autoren wie 
Jolly*, Webnickk 8 , Binswangeb 4 , Moeli 6 , N*i88BB 6 bereitwilligst anerkanut 

* Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 445. 

* Ebbt*» and Schwalbi, Die Krankheiten dea Nervenayatema. 1900. IV. S. 769. 

* Grundriss der Payehiatrie. 1900. S. 516. 

4 Ueber einen eigenartigen hyiterischen Dämmerzustand (Ganser). Monatsschrift für 
Psychiatrie. UI. 8.175. 

* Ueber Hysterie. Zeitachr. f. Paych. LVIH. 8. 740. 

* Caaoiatiscbe Mittheilnng. Zeitschr. f. Paych. LV. 8. 447. 


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haben, einfach als negativistisches Verhalten im Verlaufe einer Dementia praecox 
deuten will. 

Wohl jeder Psychiater weise, dass widerstrebende wie ausgelassene Kranke 
gelegentlich dazu neigen, absichtlich verkehrte Antworten bei der Exploration zu 
geben. Allein derartige Vorkommnisse sind doch nicht mit dem Symptom des 
Vorbeiantwortens zu verwechseln, wie es Ganser beschrieben hat In jenen 
anderen Fällen sind die Kranken entweder deutlich abweisend und unwirsch 
oder muthwillig-heiter und zu Scherzen geneigt Die Antworten erfolgen ge¬ 
wöhnlich ganz ohne Ueberlegung und stehen meist in keinem associativen Zu¬ 
sammenhang mit der Frage. Vielfach lachen die Kranken wohl selbst über 
ihre Antworten und lassen sich durch energisches Zureden bewegen, dieselben 
zu corrigiren; oder aber noch häufiger werden sie unwillig über das viele Fragen 
und verstummen ganz. Sehr charakteristisch ist, dass es stets zwischendurch 
oder aber bei einer bald darauf wiederholten Exploration gelingt, einzelne voll¬ 
ständig richtige Antworten zu erzielen. Niemals sah ioh wenigstens in solchen 
Fällen ausgesprochenes Vorbeireden Tage bis Wochen gleichmässig anhalten, 
ohne dass sich treffende Antworten dazwischen eingeschoben hätten. 

Vollkommen anders gestaltet sich dagegen das Bild im Ganser 'sehen 
Dämmerzustände. Hier geben sich die Kranken ersichtlich Mähe zu überlegen, 
greifen sich stöhnend nach dem Kopfe und klagen über ihre Schwerbesinnlioh- 
keit. Sie ermüden zusehends bei längerem Fragen, machen einen benommenen, 
rathlosen Eindruck; kurz, man sieht, sie können nicht richtig antworten. Dieser 
eigentümliche Zustand dauert dann längere Zeit gleichmässig an, um endlioh 
in volle Lucidität überzugehen mit Amnesie für die Zeit der Bewussseinstrübung. 
Bemerkt sei noch, dass während des Dämmerzustandes die Kranken oft, in typisch 
hysterischer Art, sich delirirend mit den Erlebnissen beschäftigen, welche dem 
Eintritt jenes kurz voraufgegangen waren oder denselben direct veranlasst hatten. 
Auch der anscheinende Negativismus, wie ihn z. B. meine eine Kranke 1 sehr 
auffällig an den Tag legte, indem sie den rothen Wollfaden nicht aufzuheben ver¬ 
mochte, entspricht durchaus dem Verhalten, wie es Bernheim z. B. bei hyste¬ 
rischer Lagegefühlsstörung beschreibt, wenn die Kranken bei geschlossenen Augen 
nicht mit der gesunden Hand die anästhetische finden können. Bernhhim 8 
sagt wörtlich: „Non seulement la main droite sensible ne trouve pas la main 
gauche anesthösique; mais eile övite de la trouver; eile tourne autour d’elle; 
eile la fuit Je place la main gauche en face de la main droite, de fa 9 on 
que celle-ci ne puisse pas ne pas la toucher; le sqjet ne la touohe pas; ac- 
tionnö par l’idöe qu’il ne doit pas savoir oü eile est, il se comporte 
avec une ingönuitö naive.“ 

Natürlich Hesse sich auch diese interessante Beobachtung Bernheim’s be¬ 
quem mit dem Schlagworte „Negativismus“ abthun. Allein man sieht, es wird 
damit nichts erklärt und nur dem diagnostischen Irrthum Thür und Thor ge- 


1 Zeitschr. f. Paych. LVIII. S. 125. 

* De r&Desth&ie hyaterique etc. Rer. de m6d. XXI. S. 196. 


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öffnet. Hier kann allein die psychologische Betrachtungsweise in der Erkenntniss 
forthelfen. 

Auf die Angriffe, welche Nissl auch gegen diese Methode gerichtet hat, 
brauche ich nicht mehr einzugehen, nachdem Gaupp und Friedmann 1 dieselben 
bereits in der Discussion gebührend zurückgewiesen haben. Ich schliesse daher 
mit Gaupp’s beherzigenswerthen Worten: „Keine noch so weit vorgeschrittene 
anatomische Forschung wird uns je die psychologische Analyse und Therapie 
der Hysterie überflüssig machen.“ 


4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefimd (Dr. E. Flatau). 

Von S. Qoldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Die Ursache blieb auch in diesem Fall in Dunkel gehüllt; Kummer und 
Sorgen wurde hier ebenfalls angeschuldigt. Die leichte Halsaffection um Weih¬ 
nachten kommt ätiologisch gar nicht in Betracht; die asthenische Lähmung hat 
schon damals bestanden (keine Accommodationslähmung). Mit der Hemiatrophia 
facialis hatte die asthenische Lähmung höchstwahrscheinlich nichts zu thun; 
in der ganzen Casuistik finde ich nur einen Fall (Brissaüd-Lantzenberg 1 2 * ), 
der auch mir, wie Oppenheim, nicht sicher zur asthenischen Lähmung zu ge¬ 
hören scheint, in dem von einer Abflachung der rechten Wange und der 
Schläfen die Rede ist. 

Notorische nervöse Anlage bestand bei der Patientin nicht, wohl aber Er¬ 
scheinungen, die an Basedow denken lassen, nämlich eine seit Kindheit bei 
ihr und ihrer Schwester bestehenden mässige Struma und geringer Exophthalmus. 
Die BASEDOw’sche Krankheit geht gewöhnlich mit gewissen allgemeinen hysterisch- 
neurasthenischen Symptomen einher und gehört zweifellos zur sogen, famille 
neuropathique. Es ist auch eine nicht geringe Anzahl von Fällen bekannt ge¬ 
worden, in denen diese Krankheit mit Lähmung der Facialis-, Kau-, Zungen-, 
Schlund- und Kehlkopfmuskeln, auch mit der anderer Körpertheile combinirt 
war. Besonders interessant sind für uns solche Fälle von BASEDOw’scher 
Krankheit, welche mit Symtomen oomplicirt waren, die auch bei der asthenischen 
Lähmung häufig Vorkommen, vor Allem die mit Augenmuskellähmungen im 
Gebiete des ganzen Oculomotorius (Finlayson 8 ), des Trochlearis oder Abducens 
(Möbius 4 * ), oder beider Externi (Stellwag) oder mit partiellen Augenmuskel¬ 
lähmungen, wie des Rectus sup. (Schlesinger 6 ), Rectus internus, obliquus 

1 Centralbl. f. Nerrenheilk. u. Puych. XXV. S. 48. 

* Arch. gln. de M6d. 1897. (Bei Oppenheim.) 

* Brain. 1890. Bef. im Neurolog. Centralbl. 1891. S. 118. 

4 Spec. Path. u. Ther. von Nothnagel. XXII. 

* Sitzung des Wiener med. Club vom 12. December 1892. Ref. im Neurolog. Centr. 

1892. 8.761. 


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inf. u. s. w. Gewöhnlich gingen solche Fälle mit Störungen anderer Hirnnerven 
einher; so mit Baibärsymptomen, wie Schwierigkeiten beim Schlucken, näselnder 
Sprache, tonloser Stimme, Parese der Adductoren und Spanner der Stimm¬ 
bänder (F. Mülles l ) u. s. w. Man muss au diese Fälle umsomehr denken, als 
in manchen zur Section gelangten, die genaueste mikroskopische Untersuchung 
kein anatomisches Correlat entdecken liess (also ebenfalls „Lähmung ohne 
anatomischen Befund“). Berühmt ist in dieser Hinsicht der Fall von Bbistowe* 
geworden. Allein von asthenisoher Lähmung ist hier, wie in ähnlichen Fällen, 
keine Rede. Anders verhält es sich mit dem Falle von Jendeassik (Vom Ver- 
hältniss der Poliomyeloencephalitis zur Basedow ’schen Krankheit 8 ), der nach 
meinem Dafürhalten unbedingt zur asthenischen Lähmung gehört. Hier ent¬ 
wickelten sioh die asthenischen Erscheinungen bei dem 16 jährigen Tuch¬ 
färbergesellen zuerst und bei voller Gesundheit; Pat bekam Flimmern vor den 
Augen und Diplopie, bald darauf Ptosis sin. Nach etwa zwei Monaten Er¬ 
schwerung des Kauens, sein Kinn ermüdete schnell, bald floss das Getränk durch 
die Nase und die Bissen geriethen beim Schlucken in den Kehlkopf; das Lachen 
gelang nicht gut, Pat. ermüdete beim Reden, das bald unverständlich wurde, vermochte 
auch nicht zu pfeifen. Dieser Zustand ging langsam in Besserung über. Nach 
einem Monate Unbeweglichkeit zuerst des linken, dann des rechten Auges und 
allmählich tritt das rechte aus der Augenhöhle hervor; später schwoll der Hals 
an und Athembeschwerden gesellten sich hinzu; Herzklopfen bei schwerer Arbeit 
war seit Beginn. Bei der Aufnahme beiderseitiger Exophthalmus, starrer Bliok, 
Unbeweglichkeit der Augen, Lagophthalmns theils wegen Exophthalmus, theils 
wegen Schwäche des Orbicularis, leichte Ptosis sin., untere Gesichtsmuskeln 
beiderseits paretisch, Bewegungen des Gaumensegels vermindert, Patient er¬ 
müdet sehr rasch beim Kauen, Oberextremitäten in hohem Grade geschwächt, 
besonders die Schultern. Vergrösserung der Glandula thyreoidea. Puls 120, 
schnellschlägiges Zittern. 

Im Verlauf der unverkennbaren asthenischen Lähmung entwickelten 
sich demnach Zeichen der BASEDOw’schen Krankheit Nun ist es auffallend, 
dass in einigen Fällen von asthenischer Lähmung über gewisse charakteristische 
Symptome der BASEDOw’schen Krankheit berichtet wird, so in dem PuNTON’schen 
über leichten Exophthalmus, in dem von Finizio über leichten Exophthalmus, 
zuweilen auch Tachycardie, in dem zweiten Fall von Kalischeb über geringe 
Struma und vielleicht Exophthalmus (es wurde bei der Diagnose zuerst an 
Basedow gedacht), bei K abplus über prominente Bulbi, bei Chabcot-Mablnesco 
über Hypertrophie der Glandula thyreoidea (ebenso wie bei der Mutter der Pat), 
bei Mubbi Prominenz der Augäpfel, im zweiten OppENHEm’schen Fall über leichte 
Struma, stark beschleunigte Herzaction und schnellscblägigen Tremor. In 
meinem ersten Fall war das GßAEPE’sche Symptom im Beginn der Krankheit 


1 Deutsches Archiv f. klin. Med. XLI. Ref. im Neurolog. Centralbl. 1893. S. 621. 
1 Brain. 1885. S. 313. 

• Archiv f. Paych. 1886. XVII. Heft 2. 


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vorhanden, auch Rkmak 1 erwähnt in der Discussion zum Vortrag Senatob’s 
einen Fall von asthenischer Lähmung auf dem Boden eines anomalen Morbus 
Basedowii (Exophthalmus, Tremor, Tachycardie). Am ausgesprochensten scheinen 
die Symptome im erwähnten Fall Jendbässik’s gewesen zu sein, der zweifellos 
ein klassisches Specimen der asthenischen Lähmung darstellt 

Es wird also meist über Bruchstücke der BASEnow’schen Krankheit be¬ 
richtet. Ob ein leichter Exophthalmus oder eine geringe Struma genügt, um den 
Fall als Basedow anzusprechen, selbst als forme fruste dieses Leidens, muss dahin 
gestellt bleiben. Gehören ja prominente Bulbi, leichte Strumata zu den indivi¬ 
duellen oder familiären Eigenthümliohkeiten, die mit Basedow nichts zu thun haben. 
Auch im obigen Fall stellten diese Erscheinungen mehr etwas Familiäres (die 
ältere Schwester hatte sie ebenfalls) als Krankhaftes dar, zumal sie im massigen 
Grade und ohne Progression seit der Kindheit bestanden; andere der BASEDow’schen 
Krankheit eigenen Beschwerden waren nicht vorhanden. Allein eine gewiss* 
Beziehung zwischen beiden Erkrankungen muss zugestanden werden, da die 
Combination der asthenischen Lähmung mit ausgesprochenen Symptomen oder 
nur Bruchstücken der BAssnow’sohen Krankheit zu oft vorkommt, als dass man 
nur von einem zufälligen Zusammentreffen reden könnte. Dies ist auch die 
Meinung von Oppenheim. Sie gewinnt an Bedeutung, wenn man bedenkt, dass 
die toxische Theorie für die Entstehung der BASEDOw’schen Krankheit (Möbius) 
die herrschende ist, ferner dass wir auch bei der asthenischen Lähmung zur 
Annahme einer Giftwirkung gezwungen sind. Allerdings bedarf es bei der 
asthenischen Lähmung der wirksamen Stoffe der Thyreoidea nicht, und ich würde 
vor Gebrauch der Thyreoideasubstanz warnen. 

Beobachtung V. K. Rosalie, 30 Jahre alt, liess sich schon vor 7 Jahren 
behandeln wegen beiderseitiger Ptose und allgemeiner Schwäche, deren Ursache 
sowohl ihr als den Aerzten unbekannt blieb; sie war geneigt, die Ueber- 
arbeitung — sie war als Näherin angestrengt beschäftigt —, namentlich aber den 
grossen Kummer, den sie damals hatte, anzuschuldigen. Nur allmählig besserte 
sich ihr damaliger Zustand unter dem Einfluss der Elektricität und des Land¬ 
aufenthalts. Als sie vor 2 1 / a Jahren heirathete, war ihre Gesundheit zufrieden¬ 
stellend. So blieb es mehr als ein Jahr; sie gebar unterdessen ein Kind, das 
sie selbst 10 Monate lang stillte. Am Ende dieser Stillungsperiode — un¬ 
gefähr vor einem Jahre — bekam sie einen nervösen Anfall, der nach Schil¬ 
derung einem hysterischen ähnelte (einen ebensolchen soll sie schon vor 
7 Jahren gehabt haben) und angeblich auf grossen Kummer und Sorgen zurück- 
zufbhren war. Die Oberlider fielen wieder herab, bald darauf gesellte sich 
Doppeltsehen, dann erschwerte Sprache und erschwertes Schlingen hinzu, und 
es bemächtigte sich der Kranken eine allgemeine Schwäche. Obwohl eine mehrere 
Tage anhaltende Besserung spontan eintrat und angeblich unter dem Ein¬ 
fluss der Galvanisation der Lider und Antlitzmuskeln wiederholt längere Zeit 
anhielt und die Kranke in Stand setzte, stundenlang zu lesen, ohne dass die 
Oberlider herabfielen, stellte sich wieder eine Verschlimmerung ein, und ihr 
ganzer Zustand ist jetzt schlechter als vor einem Jahre. Die Patientin be¬ 
tont, dass die Störungen Abends ausgeprägter sind als Morgens. Sie ist ab- 


1 Berliner klin. Wochenschr. 1899. S. 176. 


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gemagert in Folge von Behinderung der Nahrungsaufnahme. Menstruation vor¬ 
zeitig. 

Der Vater und eine jüngere Schwester starben an Lungentuberculose, die 
Mutter und 4 Geschwister sind gesund. Patientin selbst war nie ernst krank, 
speciell hat sie keine Influenza überstanden. 

Ich sah sie am 12./UL 1901 in Gemeinschaft mit demCollegen Higikb, der die 
richtige Diagnose stellte und mir gefälligst den Fall zur Veröffentlichung 
überliess. Schlanke, blasse Frau, Ernährungszustand nicht dürftig. Innere Or¬ 
gane gesund. Puls 90. Respiration 24. Beiderseitige Ptose, die Oberlider 
fallen bis zur Hälfte der Corneae herab, darum wird der Kopf nach hinten ge¬ 
neigt, Gesichtsausdruck schläfrig und maskenartig. Die Ptose unterliegt leicht 
Schwankungen; schon während der Untersuchung bewirkt das Ansehen des Arztes, 
noch mehr das Fixiren eines Gegenstandes, stärkeres Herabfallen der Oberlider, 
helle Beleuchtung blendet die I^-anke und verstärkt die Ptose, die im Finstern 
geringer ist. Stimrunzeln, Augenblinzeln, Bewegungen der Bulbi namentlich 
nach oben, besonders aber das Lesen steigern die Ptose ebenfalls. Beim Lesen 
wird das Buch gern niedrig gehalten, auch richtet Pat gewöhnlich den Blick 
nach unten, da dabei die Oberlider am wenigsten angestrengt werden. Dann ist 
die Ptose rechts nicht selten grösser als links. Beim Lesen wirkt nicht nur die 
Ptose störend, bald erscheint der Patientin das Gedruckte verschwommen und 
sie muss dann ein Auge schliessen; dies geschieht wahrscheinlich in Folge 
einer Ermüdung der Convergenz und der dadurch entstandenen Diplopie, aber 
nicht in Folge einer Ermüdung der Accommodation oder einer asthenopischen 
Ermüdung. Denn obwohl für gewöhnlich in der Ruhe über Doppelsehen 
nicht geklagt wird und Augenmuskellähmung nicht wahrnehmbar ist, so können 
sie doch leicht hervorgerufen werden. Schon beim Stirnrunzeln weicht der linke 
Bulbus nach oben, der rechte nach aussen, jedoch ohne dass Patientin Doppelbilder 
wahrnimmt. Bei Wiederholung der Seitwärtsbewegungen der Augen tritt indess 
schnell in den äusseren Stellungen Zittern der Bulbi ein; die Intemi versagen 
bald (der rechte früher als der linke) und Diplopie stellt sich ein. Auch bei 
Wiederholung der Aufwärtsbewegungen versagt bald der Rectus superior, und 
Doppelbilder treten auf. Diese künstlichen Ophthalmoparesen schwinden in der 
Ruhe ziemlich schnell. 

Das Stimrunzeln, Zukneifen der Augen geschieht schwach, manchmal bleibt 
beim Augenschliessen eine schmale Spalte zurück; auch alle anderen Gesichts- 
muskeln sind schwach. Die Lippen können nicht zugespitzt werden, lassen 
beim Aufblasen der Backen, das schwach zu Stande kommt, Luft ent¬ 
weichen u. s. w. Die Zunge wird nach allen Richtungen bewegt, doch 
kann sie nicht gut steif gemacht werden. Der weiche Gaumen contrahirt sich 
nicht energisch bei der Phonation, ermüdet aber nicht; seine Reflexerregbarkeit ist 
erhalten. Die laryngoskopische Untersuchung ergab normale Verhältnisse. Die 
Bewegungen des Unterkiefers leidlich gut, feste Speisen werden gemieden, da 


das Abbeissen und Kauen bald versagen und die Kranke ermüden. Das Schlingen 
gelingt nur langsam und mit kleinen Schlucken; werden grössere und schnell ge¬ 
nommen, dann regurgitiren die Flüssigkeiten durch die Nase. Im Beginn geht 
der Schlingact noch leidlich von statten, bald aber wird er mühsam und ermüdet 
V die Kranke. Es kam am Schluss der Mahlzeit vor, dass ein Bissen im Rachen 
stecken blieb, Erstickungssymptome hervorrief und mit den Fingern entfernt 
^prden musste. Auch die Ermüdung, die sich beim Sprechen einstellt, erschwert 
in \hohem Grade das Schlingen und umgekehrt kann die Kranke nach dem Essen 
Vs Stunde nicht sprechen. 


. Das Sprechen ist im Beginn deutlich, klingt aber bald nasal. Am deutlichsten 
tritt Ermüdung der Sprache beim lauten Lesen zu Tage, wobei die Kranke 



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öfters einhält und immer grössere Pansen eintreten lässt. Kühle Luft soll 
ebenfalls erschwerend auf die Sprache einwirken, indem die Lippen dabei steif 
werden. 

Die kühle Luft soll auch die Finger steif machen. Die Kraft der Ober¬ 
extremitäten ist herabgesetzt, Patientin kann ihr Kind nicht auf dem Arm 
tragen. Beim wiederholten Heben der Arme sinkt zwar die Amplitude der Be¬ 
wegungen, aber vorübergehende Lähmung kann nicht hervorgebracht werden. In¬ 
dessen sind abnorme Ermüdungserscheinungen an den Oberextremitäten unzweifel¬ 
haft vorhanden, so versagen die Hände schon nach zweimaligem Brotschneiden, 
Patientin vermag den Sonnenschirm nur kurze Zeit zu halten u. s. w. 

Die Beine ermüden beim Gehen, längere Strecken können nicht zurüokgelegt 
werden. Das Ermüdungsphänomen tritt hier eher zu Tage. Nach vielem Heben 
können die Beine von der Unterlage gar nicht gehoben werden. Kniereflexe 
sehr lebhaft, sogar Träpidation du genou. Kein Fussklonus. 

Die Rumpfmnskeln sind ebenfalls schwach und ermüden leicht: nur mit 
Mühe richtet sich Patientin auf, nach zweimaligem Aufrichten versagt ihr die Kraft. 

Ermüdung der Glieder und des Stammes bleibt ohne Einfluss auf die bul- 
bären Functionen und Augenmuskeln. 

Sinne, Sensibilität, Function der Blase und des Mastdarms vollständig normal 
Im Urin weder Eiweiss noch Zucker. 

An allen zur Untersuchung gelangten Nervenmuskelgebieten gelang es mittels 
tetanisirender faradischer Ströme die MyaR zum Vorschein zu bringen; leider 
konnten bei der Patientin, bei der sich schnell Müdigkeit einstellte, nicht alle 
Gebiete untersucht werden. Es wurde der N. facialis sinister, Mm. mentales, 
orbicularis oris, biceps dexter, deltoideus dexter, M. ulnaris dexter, Mm. thenaris 
geprüft. Vom N. facialis versagten zuerst die Muskeln des oberen Astes, 
nachher die des unteren, in welchem die Contractionen nicht vollständig schwanden, 
sondern nur äusserst schwach wurden. Bis zum totalen Schwinden der 
Contraction konnte man es in den geprüften Muskeln meist nicht bringen, allein 
die Energie und Grösse der Zusammenziehung sank enorm herab, die Contrac¬ 
tionen erschienen bald wellenförmig, stellten sich mit dem Einsetzen des Stroms 
ein und schwanden bald ungeachtet des Weiterwirkens des letzteren. Nach etwa 
einer Minute Ruhe antworten die Nerven und Muskeln auf dieselben faradischen 
Reize mit der ursprünglichen Contractionsstärke. 

5./IV. 1901. Seit einer Woche wieder Doppelsehen, welches Schwankungen 
unterliegt und besonders auf der Strasse hervortritt; die Bilder befinden sich 
übereinander. Patientin ist gezwungen, das linke Auge zu bedecken. Parese des 
Rectus sup. dexter. Auffallend leicht, schon nach etlichen seitlichen Blicken, 
wird eine associirte linksseitige Blicklähmung im Rectus ext. sin. hervorgerufen, 
mit ungekreuzten Doppelbildern im linken Gesichtsfeld. Dieser Ophthalmoplegie 
geht ein Zittern der Augäpfel voraus, und kurze Ruhe bringt sie zum Schwinden. 
Es gelingt nicht, eine solche seitliche Blicklähmung rechts hervorzurufen. Ebenso 
wie früher, vergrößert sich die Ptose nach allen Augenbewegungen, besonders 
nach oben, und wenn sie ausgesprochener wird, dann sind die Ophthalmoplegieen 
leichter hervorzurufen. Blickt die Kranke eine gewisse Zeit nach unten, dann 
wird die Ptose geringer. 

Es wurden heute auch die Mm. peronei und gastrocnemius dextri auf MyaR 
geprüft und gefunden, dass die Energie der Contractionen ziemlich abrupt sinkt, 
aber nicht schwindet; selbst nach langer Reizung mit dem faradischen Strom 
ist noch ein Vibriren der Muskeln sichtbar. 

29./IV. 1901. Die wochenlange Galvanisation der Augen blieb diesmal ohne 
Erfolg. In den Morgenstunden ist der Zustand leidlich, gegen 5 Uhr Nachmittags 
ist schon das Schlingen beinahe unmöglich, die Sprache sehr undeutlich. Die Kranke 

20 * 


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geht möglichst wenig aus, da die Ptose sich auf der Strasse verstärkt und Diplopie 
eintritt. Der Grad der Ptose ändert sich schon während der Untersuchung, die Ober¬ 
lider fallen hei der Unterredung mit dem Arzte immer mehr herab, wenn sie 
diesen anzqsehen sucht; sie hält daher am liebsten die Augen nach unten 
gerichtet (grösste Ruhe der Levatores palpebrarum). Geringer Lagophthalmus, 
rechts grösser, als links. Leichtes fibrilläres Zittern im Orbicularis palpebrarum, 
noch weniger im Orbicularis oris. Auf der Höhe der CartiL cricoidea hat sich 
in den letzten Tagen eine schmerzlose, kuglige, haselnussgrosse, prall elastische, 
leicht bewegliche Geschwulst gebildet (Lymphdriise?) 

Die MyaR trat heute in den Muskeln, die vom EBB’schen Punkt gereizt 
wurden, mit Leichtigkeit ein, dagegen nicht im N. ulnaris. Puls 105. Respi¬ 
ration 22. 

3./Y. 1901. Dieselben Klagen, objectiv idem. Das grelle Sonnenlicht auf 
der Strasse verstärkt die Störungen von Seiten der Augen. Die leichteste An¬ 
strengung ermüdet die Kranke; die Bewegungen der Zunge sind, obwohl gut 
ausführbar, dennoch träge. Beim Waschen des Gesichts werden alsbald die 
Nackenmuskeln so schwach, dass es der Kranken Mühe kostet, den Kopf auf¬ 
recht zu halten. Lagophthalmus heute nicht vorhanden. Die kleine Geschwulst 
scheint abgenommen zu haben. 

23./V. 1901. Puls im Liegen 90, beim Sitzen 105. Respiration 22—24. Die 
ganze verflossene Zeit war es ihr schlecht gegangen, sie sprach undeutlich und konnte 
wegen der sich bald einstellenden störenden Doppelbilder, Verstärkung der Ptose 
u. s. w. nicht ausgehen. Besonders beeinträchtigt war die Ernährung, so¬ 
wohl in Folge von behinderter Nahrungsaufnahme mit den gleichsam steifen 
Lippen, als auch in Folge einer Kau- und Schlingstörung. Die soliden Speisen 
gerathen oft in den Kehlkopf oder haften an den Wangentaschen und müssen 
mit den Fingern entfernt werden. Seit 3 Tagen subjective Besserung, allein 
objectiv ist eher eine Progression zu verzeichnen. Es konnten heute die Er- • 
müdungserscheinungen an den Extremitäten in beinahe typischer Weise demon- 
strirt werden: nach 15—20 Hebungen des Arms oder Beins sank die Ampli¬ 
tude rapid fast bis zur completen Lähmung; nach kurzer Ruhe konnten die 
Glieder zur ursprünglichen Höhe gehoben werden. Charakteristisch für die 
Schwäche der Oberextremitäten ist z. B. die Thatsache, dass Patientin beim 
Schreiben eines kurzen Briefe wegen Ermüdung 3 Mal unterbrechen musste. 
Sie war nicht im Stande, den Brief laut zu lesen, da ihr die Stimme bald ver¬ 
sagte. Die Kraft der mimischen Bewegungen, insbesondere der Lippen- und 
Augenschliesser, ist noch mehr herabgesetzt. Im Orbicularis palpebrarum sind 
fibrilläre Zuckungen sichtbar, die Mundwinkel werden nicht selten durch klonische 
Zuckungen nach der Seite gezerrt. Es besteht heute kein Doppelsehen, sonst 
sind die Erscheinungen von Seiten der Ptose und der Augenmuskeln, wie oben 
geschildert. 

l./VHI. 1901. Puls 90. Respiration 24. Die ganze verflossene Zeit ver¬ 
brachte Patientin auf dem Lande, wo bald Besserung eintrat, und es war schon 
die höchste Zeit, da sie ein Mal Nachts zu ersticken glaubte. Sie hat 9 Pfund 
zugenommen und sieht gut aus. Sie konnte frei herumgehen, ohne dass Blenden, 
Ptose und Doppelbilder sie störten, wenn auch beim Fixiren die Oberlider auf 
kurze Zeit herabfielen. Das Kauen, Schlingen, die Sprache haben sich bedeutend 
gebessert, die Patientin konnte dem gesteigerten Appetit nachkommen. Allein 
der schlechte Schlaf, der seit langer Zeit besteht, hat keine Besserung erfahren. 
Seit 3 Tagen hat sich ohne greifbaren Grund Verschlimmerung eingestellt, die 
sich, wie die Besserung, beinahe auf alle Symptome erstreckt, wenn es auch 
noch nicht zur früheren Höhe gekommen ist. Die Nahrungsaufnahme mit den 
Lippen ist stark behindert, das Kauen erschwert, so dass nach einigen Schlucken 


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oder Bissen bald Ermüdung eintritt; das Schlingen selbst ist noch gut. Die 
Sprache ermüdet und wird bald undeutlich. Es wird zwar über Diplopie und 
Ptose nicht geklagt, allein die Lidspalten sind nicht weit genug und bald — 
wahrend einer Untersuchung — tritt rechts oder links Ptose ein. Auch gelingt 
es bei wiederholten Seitwärtsbewegungen der Bulbi eine conjugirte rechtsseitige 
Lähmung (Rectus ext. dext. und Bectus int. sin.) ohne Doppelbilder hervorzurufen, 
der ein Zittern der Augäpfel vorausgeht und die nach kurzer Ruhe schwindet. 
Eine analoge linksseitige Lähmung kann man nicht hervorrufen. Am schwächsten 
scheinen auch jetzt die Aufwärtsbeweger der Augen zu sein; schon nach wenigen 
Bewegungen nach oben bleiben die Bulbi in der Mittelstellung. Der Gesichts¬ 
ausdruck ist nicht mehr so starr und schläfrig, die Mundwinkel werden ziemlich 
oft von kurzen klonischen Zuckungen nach oben gezerrt. Augen- und Mund- 
schliessen sehr schwach, Contraction der Frontales beinahe unmöglich; die 
Oorrugatores supercilii zieTnlich gut; das Auf blasen der Backen ist unmöglich. 
Der weiche Gaumen ermüdet nicht beim Phoniren, ist mechanisch reizbar. Keine 
nennenswerte Ermüdung der Zungenbewegungen. Die Erschöpfung der Extremi¬ 
täten (an den Schulter- und Hüftgelenken geprüft) tritt prägnant auf, die Ampli¬ 
tude sinkt beinahe bis auf 0. Die MyaR wurde heute am Orbicularis oris, am 
N. facialis sinister, Biceps brachii und Deltoideus geprüft und eine sehr beträcht¬ 
liche Abnahme, aber kein Schwinden der Contraction gefunden. Setzt man die 
faradische Erregbarkeit an einem Deltoideus oder Biceps von einem motori¬ 
schen Punkt aus herab, dann verliert der zweite motorische Punkt desselben 
Muskels seine Erregbarkeit nicht und antwortet auf den faradischen Reiz mit 
guter Contraction. 

Die Kniereflexe Hessen bei wiederholtem Beklopfen der Sehne an Stärke 
nach, sch wanden aber nicht. 

Die kleine Geschwulst an der vorderen Fläche der Trachea ohne Ver¬ 
änderung; nach Ansicht eines erfahrenen Chirurgen (Dr. Krajewski) ist sie 
wahrscheinHch eine Glandula thyreoidea aberrans, da sie beim Schlingen die Be¬ 
wegungen der Trachea mitmacht. 

Angeregt durch die jüngste Mittheilung von Weigert-Laqueb habe ich der 
Kranken in der zweiten Hälfte des Juni Thymussubstanz in Tabletten ä 0,05 bis 
€ Stück täglich verordnet, aber noch keinen Erfolg gesehen. Die Besserung hat 
sich noch vor der Verabreichung eingestellt und die Verschlimmerung war unab¬ 
hängig davon eingetreten. Dennoch Hess ich die Tabletten weiter nehmen. 

5./X. 1901. Puls 90. Auf dem Lande hat sich der Zustand bedeutend 
gebessert, ob auch die Thymustabletten dazu beigetragen, ist schwer zu sagen 
(sie nahm davon 3 Mal zu 0,1 Substanz täglich, zusammen 180 Tabletten). Die 
Besserung giebt sich darin kund, dass Patientin beliebig weit spazieren kann, 
ohne bei Tageslicht von Diplopie und Ptose gestört zu sein; der Appetit und 
Schlaf sind gut geworden. Dennooh wird die Sprache nach längerem Reden nasaL 
Patientin vermag nur 1 / i Stunde lang binocular zu lesen, da sich Diplopie ein¬ 
stellt; beim Lachen empfindet sie ein Gefühl von Steifwerden und Schiefstehen 
des Mundes; nach den Hauptmahlzeiten Ermüdung der Lippen. 

Im Beginn der Untersuchung erscheinen die Augen normal, die Lidspalten 
so weit wie nie zuvor, allein nach längerer Unterredung sinkt nach Wiederholung 
seitlicher Augenbewegungen das rechte Oberiid herab, wobei leichtes Zittern desselben 
sich einstellt; wenn sich Patientin bemüht, die Bulbi nach oben zu richten, so 
fallen beide Oberlider herab, rechts mehr, als links. Nur die Bewegung der 
Bulbi nach oben ist beschränkt, und es gelingt nicht, in den anderen äusseren 
Augenmuskeln eine Parese hervorzurufen, daher keine Diplopie. Von den mimischen 
Muskeln sind die Orbiculares palpebrarum et oris, die Oorrugatores supercüii 

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und frontales schwach, die Zygomatici und Levatores labii sup. stärker. Seitens 
der Zange und des weichen Gaumens keine Abweichungen. Die Unterkiefer¬ 
bewegungen sind ziemlich kräftig, bei Ausführung seitlicher Bewegungen 
ist eine constante Mitbewegung der homolateralen Zygomatici und Lev. lab. sup. 
sichtbar. Das Erschöpfungsphänomen erfolgt an den Oberextremitäten später als 
vorher. Erst nach 70—80 Hebungen tritt vollständige Lähmung der Abductions- 
bewegung im Schultergelenk ein. ln den Fingern ist die Ermüdungserscheinung 
viel weniger ausgesprochen; die Patientin macht darauf aufmerksam, dass bei 
Einwirkung der Kälte die Finger steif und functionsunfähig werden. Im Hüft¬ 
gelenk tritt Erschöpfung schnell ein, nach etwa 15 Hebungen kann das Bein 
von der Unterlage absolut nicht gehoben werden. Die Kniereflexe lebhaft, 
können nicht herabgesetzt werden. 

Die Patientin hatte während der letzten Menstruation, wie so oft, viel an 
Schmerzen in den Beinen zu leiden. 

10./X. 1901. Schon vorgestern meldete sie mir eine Verschlimmerung, 
Ptose, Diplopie haben sich wieder eingestellt. Heute scheinen die Lidspalten im 
ersten Moment ziemlich weit, das rechte Auge nur ein wenig abducirt, sobald 
mich aber Patientin anspricht, sinkt das rechte Oberlid herab, und der rechte 
Augapfel rückt noch mehr nach rechts; dann fällt auch das linke Oberlid. 
Die Ptose nimmt zusehends zu, die Bulbi werden beinahe vollständig bedeckt 
(rechts mehr* als links), und die Kranke ist gezwungen das Haupt nach vorn 
zu neigen; nach mehreren Minuten Buhe tritt Besserung ein. 

Die MyaR ist bei der Kranken sehr ausgebreitet, man- findet sie heute bei¬ 
nahe in allen untersuchten Territorien; in manchen ist sie sehr leicht hervor¬ 
zurufen, in anderen schwieriger. Das Abklingen der Zuckungen erfolgt in allen 
Muskeln eines Nervengebiets nicht zugleich, aber successive; im Gebiet des 
N. facialis bleiben die Contractionen am längsten in den Zygomaticis bestehen, 
schwache Zuckungen sind hier noch immer sichtbar, nachdem sie längst in an¬ 
deren Gesichtsmuskeln geschwunden sind. Die durch den faradischen Strom 
ermüdeten Muskeln contrahiren sich sofort unter dem Einfluss des Willens. 

Ruft man die MyaR vom Stamm des N. facialis hinter dem Ohr hervor, 
und reizt nfctn mit dem faradischen Strom bald darauf den Punkt des N. facialis 
vor dem Ohr, so bekommt man eine gute Zuckung im ganzen Territorium des 
genannten Nerven; hat man die MyaR vom Punkt des N. facialis vor dem 
Ohr hervorgerufen, dann verliert der hintere Punkt ebenfalls seine Erregbarkeit 
nicht. Ruft man die MyaR vom Stamm des N. facialis hervor, und reizt man 
unmittelbar darauf die Gesichtsmuskeln, so bekommt man gute Zuckungen; 
wird aber zuerst die MyaR in einem der Gesichtsmuskeln hervorgerufen, 
dann contrahirt sich derselbe, wenn man bald darauf den N. facialis reizt 
Ebensolche Verhältnisse walten ob in anderen neuromusculären Gebieten; es wurde 
das Ulnaris-, Peroneus- und Cruralisgebiet geprüft. 

Wenn man in einem Muskel, der zwei oder mehrere motorische Punkte be¬ 
sitzt, z. B. der Biceps, Triceps brachii oder Soleus, die MyaR von einem her¬ 
vorruft und unmittelbar darauf den anderen reizt, bekommt man eine gute 
Zuckung, ganz gleich, ob zuerst der proximale oder distale Punkt gereizt wird. 

(Fortsetzung folgt.) 


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n. Referate. 


Anatomie. 

1) Sine Etsenlmprägnation der Neurofibrillen, von Dr. Semi Meyer. (Ana¬ 
tomischer Anzeiger. 1902. XX.) 

Der Verf. benutzte die Berliner Blaureaction, welche bei Ein wirken des 
Ferrocyankaliums auf eine Ferrisalzlösung entsteht, um die Neurofibrillen zu 
imprägniren. Die Methode wird in folgenden Worten zusammengefasst: 

Nicht zu kleine Stücke fixire man 24 Stunden in 10°/o Formalinlösung, 
bringe sie dann für 8—20 Tage in 2 1 / 1 °/o Ferrocyankalium, übertrage direct 
2—4 Tage in 10% Eisenalaun, wasche dann einige Stunden aus. Nachbehand¬ 
lung: Ale. abs. 2 Tage, Xylol 2 Stunden, Paraffin 2—4 Stunden. Die Schnitte 
von 10—60 n werden mit Eiweissglycerin aufgeklebt; Xylol (event Alkohol, 
Wasser, beliebige Nachfärbungen unter Vermeidung von Alkalien, die das Berliner 
Blau sofort zerstören), Canadabalsam. 

Die Methode wirkt in ähnlicher Weise electiv wie die Golgi’sche, d. h. sie 
bringt nicht nur unter den Zellen, sondern auch unter den Fibrillen der einzelnen 
Zellen einzelne Exemplare zur Darstellung. Sie ist demzufolge in ihrer Wirkung 
ebenso capriciös wie die Golgi’sche und deshalb für pathologische Forschungen 
ebenso wenig wie diese verwendbar. Vor anderen Metallimprägnationen soll sie 
aber den grossen Vorzug haben, dass gröbere Niederschläge zwischen den gefärbten 
Elementen fehlen, und dass sie nicht nur die äussere Form dieser Elemente als 
Silhouetten, sondern ihre Structur erkennen lässt. Die Methode, welche dasselbe 
Ziel anstrebt wie die Bethe’sche Molybdänimprägnation, hat vor dieser den 
Vorzug der bei weitem grösseren Einfachheit voraus. Der Verf. sagt aber selbst, 
dass für denjenigen, welcher sich mit histologischen Untersuchungen über die 
Fibrillen beschäftigen will, die Bethe’sche Methode nicht erspart bleiben kann. 
Beide Methoden zusammen sind auch noch nichts weniger als ideal, ergänzen sich 
aber soweit, dass man hoffen darf allmählich vorwärts zu kommen. Gegenüber 
den Fibrillen der Molybdänpräparate erscheinen die Fibrillen dieser Eisenpräparate 
viel zarter und viel dichter gelagert. Die grössere Dicke dieser Gebilde in den 
Bethe’schen Präparaten erklärt der Verf. dadurch, dass dieselben bei jenem Ver¬ 
fahren häufig zusammenbacken, während ein Verkleben der Fibrillen bei seinen 
Präparaten kaum vorkommt. 

Als Untersuchungsmaterial dienten dem Verf. Kalbsgehirne und solche von 
jungen Tauben und Hühnern. Max Bielschowsky (Berlin). 


2) Le oellule nervöse giganti nella rigenerazione del midollo spinale 
oaodale di tritone, per La Pegna. (Annali di neurologia. 1901. XIX. 
S. 486.) 

In niederen Vertebraten, namentlich in Fischen und Amphibien, sind bereits 
häufig und vorzüglich während des Embryonallebens grosse Zellen im Rückenmark 
unter den verschiedensten Namen beschrieben worden, die sich durch ihre Grösse 
und Lage von den übrigen Zellelementen auszeichnen. Beard hat sie besonders 
ab Elemente eines „vorübergehenden, transitorischen Nervensystems“ bezeichnet. 

Dieselben Elemente hat Verf. in ihrem Entstehen und Verschwinden bei 
Triton oristatus während der Regeneration des oaudalen Rückenmarks nach 
Amputation des Schwanzes verfolgen können. 30 Tage nach der Amputation 
findet man zwischen den zahlreichen regenerirten Ependymzellen innen verschiedene 


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Zellen mit grossem granulirten Kerne. Sie finden sich in jedem Schnitt und 
liegen zumeist peripherisch in dem dorsalen und medialen Theil des Rückenmarks. 
Nach 3 Monaten haben sie ihre definitive Grösse und Form erreicht und stellen 
grosse runde Zellen dar mit einem langen dicken Fortsatz, der bis in die weisse 
Substanz verfolgt werden kann. Die Neuroglia umgiebt Zellkörper und Fortsatz 
aufs innigste. Im 4.—6. Monat nach der Amputation setzt bereits der Involutions- 
process ein, beginnend mit einer Deformirung des Zellkörpers und Verschwinden 
des Fortsatzes. Der Kern nähert sich der Peripherie und verliert immer mehr 
seine Färbbarkeit, es bilden sich Vacudlen; er verlässt die Zelle oder bleibt um¬ 
geben von einem Protoplasmahof von unbestimmter Form, der auch schliesslich 
körnig zerfallt, in den Ueberbleibseln des ehemaligen Zellkörpers. Im letzten Stadium 
ist von Kern und Zelle nichts übrig geblieben. 

Ueber die Bedeutung und Entstehung der beschriebenen Elemente giebt 
Verf. keine bestimmte Erklärung ab; möglich, dass sie durch besondere Diffe- 
renzirung aus Neuroblasten des Rückenmarks entstehen. 

L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


3) Ueber Clarke’s „Posterior vesioular oolumns“, von cand. med. Max 
Schacherl. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1902. Wien. 
Heft 8.) 

Nach einer historischen Einleitung, in der Verf. eine chronologisch fundirte 
Uebersicht über die bis jetzt erschienene einschlägige Fachliteratur giebt, schlägt 
er vor, die Bezeichnung Clarke'sche Säule entgegen der bisherigen Gepflogenheit 
auf die sämmtlichen im Rückenmark vorhandenen, analog zu setzenden Gebilde 
auszudehnen, zumal diese Art der Anwendung dem Sinne Clarke’s entspricht, 
der seine Posterior vesicular columns als eine die ganze Länge des Rückenmarks 
durchziehende Formation beschreibt. 

Verf. giebt zunächst eine detailirte Darstellung des Vorkommens der Clarke’- 
schon Säulen. Die Säule findet sich beim Menschen in der Hinterhornbasis, ihr 
Auftreten ist constant in der Höhe des zweiten Cervicalis, häufig findet man auch 
Zellen in der Höhe des ersten Cervicalnerven und ebenso des dritten. Im vierten 
Cervicalsegment verschwindet die Säule gewöhnlich, um im siebenten und achten 
wieder aufzutreten; deutlicher wird die Säule aber erst im Dorsalmark, wo sie 
nach unten zu, und zwar langsam in den proximaleren Partieen, sehr rasch im 
untersten Dorsalmark an Grösse zunimmt. Die stärkste Entwickelung der Säule 
ist zwischen 12. Dorsalis und 1. Lumbalis. Nunmehr nimmt die Säule rapid ab, 
verschwindet im mittleren Drittel des 3. Lumbalsegments und tritt gewöhnlich 
zwischen 2. und 3. Sacralis wieder auf. Im 4. Sacralsegment ist die Säule meist 
recht deutlich ausgeprägt. Die Grössenverhältnisse der Säule unterliegen zahl¬ 
reichen Schwankungen; es giebt Rückenmarke, in denen überhaupt keine Unter¬ 
brechung der Continuität der Clarke’schen Säule in den Anschwellungen statthat. 

Die Säulen liegen im oberen Cervicalmark ziemlich in der Mitte der Hinter¬ 
hornbasis, rücken gegen die Höhe der stärksten Entwickelung immer weiter nach 
hinten und innen und buchten daher in diesen Höhen die Hinterhornbasis in 
einer Protuberantia cornus posterioris medialis gegen den Hinteretrang vor. Von 
der Gegend der stärksten Entwickelung aber nach unten rückt die Säule wieder 
nach vorne. 

Verf. giebt dann eine Tabelle, enthaltend die Grössenverhältnisse bezüglich 
des frontalen und sagittalen Durchmessers der Säule bei Kindern und bei Er¬ 
wachsenen in den einzelnen Segmenten. 

Die Zellen der Clarke’schen Säule bilden einen besonderen Typus bei der 
Färbung nach Nissl. Normale Zelle: Ein- oder mehrreihiger Randschollen- 


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kranz, centrale Pseudochromatolyse, central oder einfach an den Band gelagerter 
heller, runder oder mit seichter Delle aasgestatteter Kern, häufig Kernkappe. 
Pathologische Zelle: Auflösung des Bandsohollenkranzes, Bildung eines Peri- 
nuclearringes, Kerntinction, hernienartige Vorbuchtung der Zellwand durch den 
Kern. — In einer Tabelle sind die Zahl der Zellen und deren Grösse bei Er¬ 
wachsenen und Kindern zusammengestellt. Die Axenfortsätze der Zellen scheinen 
gegen den ventromedialen Antheil der Säule hinzuneigen. Der Kern der Zellen 
zeigt sich bei Kernfärbung mit einem feinen, netzförmigen Gerüste ausgestattet, 
dessen Knoten unmittelbar dem Kernkörperchen aufzusitzen pflegt. 

Die Fasern der Clarke’schen Säule sind 1. afferente: Fasern aus den hin¬ 
teren Wurzeln, die theils direct, theils auf dem Umwege durch den Hinterstrang 
in die Säule gelangen. Die Fasern eines Säulensegments recrutiren sich in den 
Höhen der stärksten Entwickelung theils aus demselben Segmente, theils auch aus 
viel tieferen. Je höher wir hinaufkommen, desto weniger Segmente stehen zur 
Säule in Beziehung. Aehnliche Verhältnisse bieten 2. die efferenten Fasern. Die 
Bündel, die, im Gegensatz zu den dorsoventral eintretenden afferenten, ventromedial 
die Säule verlassen, ziehen theils im selben Segment, theils in viel höheren Seg¬ 
menten in den Seitenstrang. Auch hier steht die Säule in cerebraleren Ebenen 
mit weniger zahlreichen höheren Segmenten in Beziehung, als in den Höhen 
stärkster Entwickelung. Das Vorhandensein von den von Gaskell beschriebenen, 
vielleicht der Visceralinnervation dienenden analogen Fasern, die auf dem Wege 
der Vorderwurzeln das Rückenmark verlassen und aus den Clarke’schen Säulen 
stammen, glaubt Verf nur in einem Falle constatiren zu können. 

Bei den Thieren sind die Säulen am stärksten entwickelt bei den Vögeln, 
und zwar gerade in den Anschwellungen. Bei Dasypus ist nirgends eine deut¬ 
liche Säule zu erkennen, beim Delphin findet sich die Formation continuirlich 
vom unteren Cervicalmark bis ins obere Lumbalmark. Beim Schaf, vielleicht 
auch beim Pferde, fehlt die Säule nur in den Anschwellungen. Beim Kaninchen 
fehlt die Säule in der Cervicalanschwellung und im Sacralmark. Aehnlich beim 
Igel, wo aber in der Halsanschwellung die Säule doch angedeutet ist, und beim 
Seehund. Bei den Carnivoren ist die Continuität der Säule im ganzen Rücken¬ 
mark gewahrt, wenn auch stellenweise die Ausbildung derselben eine recht schlechte 
ist. Beim Affen (Macacus und Cercopithecus) verschwindet die Säule nur im 
Lendenmark und im oberen Sacralmark völlig. Die Befunde bei den Thieren 
werden gleichfalls in einer Tabelle zusammengestellt. 

Die auch bei Thieren, wenn auch nur andeutungsweise, sich findende Be¬ 
sonderheit der Structur der Clarke’schen Zellen lässt eine besondere Function 
derselben vermuthen, eine Vermuthung, die erst künftige Untersuchungen bestätigen 
können. Redlich (Wien). 


Experimentelle Physiologie. 

4) Untersuchungen über die Regulation der Bewegungen der Wirbel- 
thiere. L Beobachtungen an Fröschen, von L. Merzbacher. (Archiv 
f. d. ges. Physiol. LXXXVHI.) 

Durchschneidung der hinteren Wurzeln einer Extremität giebt bei Fröschen, 
im Gegensatz zu höheren Wirbelthieren, keine oder nur höchst geringfügige 
motorische Störungen; das gleiohe ist der Fall nach Entfernung der Hirntheile 
bis zur Medulla oblongata. Verf. hat nun beide Eingriffe in verschiedener Weise 
oombinirt und zieht aus den beobachteten oft sehr erheblichen Störungen folgende 
wichtigen Schlüsse: 

Jede Extremität steht unter dem Einflüsse gleichseitiger Gehimtheile. 


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Der Regulationsmechanismus der Bewegungen einer Extremität setzt sich aus 
drei Componenten zusammen: a) aus der eigenen Sensibilität, b) aus dem Einfluss 
der Hemisphären und der Thalami optici, besonders der letzteren, c) aus der 
Sensibilität und Motilität der analogen Extremität. 

Der Werth dieser Begulation ist in ihrer genannten Reihenfolge gegeben: 
den relativ stärksten Werth hat die Sensibilität; ihr Ausfall bedingt bei nur ein¬ 
seitiger Operation eine geringe Störung, doppelseitig eine etwas stärkere. Aus¬ 
fall der Hemisphären und Thalami zeigt allein keine sichtbare Störung. Der 
Einfluss der beiden Extremitäten auf einander ist in der Stärke seines Werthes 
abhängig von der bestehenden Summe der beiden anderen Regulatoren. Dieser 
letztere Einfluss ist, wenn auch verhältnissmässig gering, doch bisher wohl unter¬ 
schätzt worden; auch an Analogie für denselben bei höheren Wirbelthieren und 
beim Mensohen fehlt es nicht. — Die Sensibilitätstheorie der Ataxie kann in 
diesen Versuchen eine Stütze sowohl als eine Erweiterung finden. Der Unter¬ 
schied, der in Bezug auf die Coordination der Bewegungen zwischen niederen und 
höheren Wirbelthieren aufzustellen ist, ist der, dass bei den enteren die regula¬ 
torischen Functionen den einzelnen besprochenen Regulatoren mehr diffus zu¬ 
kommen, so dass jeder einzelne mehr oder minder ausfallen kann und erst der 
Verlust der Gesammtheit eine hochgradige Störung ergiebt. 

H. Haenel (Dresden). 


Pathologische Anatomie. 

5) Pathologische und experimentelle Beiträge zur Zenntniss des sogen. 
Schultze’sohen Commafeldes in den Hintersträngen, von Prof. E. A. Hö¬ 
rnen in Helsingfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

Bei der anatomischen Untersuchung eines Rückenmarks, das von einem an 
allgemeiner Carcinosis zu Grunde gegangenen Manne herstammte, zeigte sich das 
fünfte linke Cervicalganglion bis zum Volumen einer grösseren Bohne geschwollen. 
Sonst an Gehirn, Rückenmark und den übrigen Ganglien keine Veränderungen. 
Das 6. Cervicalganglion war vollständig in das Carcinom aufgegangen, welch 
letzteres die anliegende motorische Wurzel und ihre Fasern zerstört hatte und 
sich auch ein wenig in die hintere Wurzel erstreckte, wo sich Degenerations¬ 
erscheinungen fanden. Vierte rechte Cervicalwurzel ebenfalls stark degenerirt, 
das entsprechende Spinalganglion war leider bei der Section nicht mit heraus¬ 
genommen worden. Eintretende linke Cervicalwurzel (5. Cervicalsegment) ganz 
degenerirt, ausserdem in allen Schnitten vom 5. Cervicalsegment im rechten Hinter¬ 
strang unbedeutender Degenerationsstreifen von der Gegend des Hinterhornwinkels 
bis nahe zur Peripherie. Im 4. Cervicalsegment sieht man ausser dem linksseitigen 
auch rechts einen Degenerationsstreifen in der Wurzeleintrittszone. Nach oben 
zu verliert sich die Degeneration allmählich im verlängerten Mark, absteigend 
konnte sie bis zum 2.—3. Dorsalsegment verfolgt werden. Im 7. und 8. Cervical- 
segment nehmen die degenerirten Fasern genau den Platz des Sohultze'sehen 
Commafeldes ein. — Um die Natur der Fasern dieses Gebiets zu studiren, prä- 
parirte Verf. an 3 Hunden eine der oberen linken Dorsal wurzeln frei und resecirte 
ein Stück derselben, in einem Fall nebst den zugehörigen Ganglien. Die Thiere 
wurden nach Intervallen von 7, 10 und 17 Tagen getödtet Bei der Heraus¬ 
nahme des Rückenmarks zeigte sich, dass die 2., 3. und 6. Dorsalwurzel ab¬ 
geschnitten war. Die anatomische Untersuchung ergab vollkommen überein¬ 
stimmende und nur dem Grad nach verschiedene Veränderungen, die um so deut¬ 
licher waren, je länger das Versuohsthier am Leben geblieben. Die degenerirte 
Zone betraf das Schultze’sche Commafeld in den Hintersträngen und liess sich 
stets 2—3 Segmente nach abwärts verfolgen. 


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Verf. schließt ans dem klinischen und experimentellen Befund, dass die im 
Schultze’sohen Commafeld befindlichen, nach Rückenmarksläsionen im Cervical- 
oder oberen Dorsalmark abwärts degenerirenden Fasern zum allergrössten Theil 
von absteigenden Hinterwurzelästen gebildet werden. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


6) Zur Kenntn las der Bntwiokelungsstörungen der Spinalgangliensellen 
bei hereditär luetischen, missbildeten und anscheinend normalen Neu¬ 
geborenen, von Dr. Ohr. Sibelius, Docent für pathologische Anatomie in 
Helsingfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

Bei seinen Untersuchungen des Centralnervensystems hereditär Luetischer fand 
Verf. in den Spinalganglien Gruppen von zum Theil abnormen Ganglienzellen, 
welche „Zellencolonien“ wohl ein Product verspäteter oder abnormer Entwickelung 
waren. Es wurden 24 Fälle daraufhin untersucht, von welchen die meisten reife, 
theilweise schon mehrere Monrfte alte Föten waren. Bei den anscheinend normalen, 
ausgetragenen Neugeborenen sind die Colonien mit deformirten Ganglienzellen 
überhaupt selten, doch schien es, als ob sie in einzelnen Fällen Vorkommen 
können. Hingegen fanden sich in den anscheinend normalen Fällen aus den 
letzten Monaten der Schwangerschaft häufiger als bei ausgetragenen die erwähnten 
Bildungen deformirter Ganglienzellen, ln den ganz schweren Fällen hereditärer 
Luee Hessen sich Colonien und atypische Ganglienzellen verhältnissmässig oft und 
in reichlicher Menge nachweisen, und zwar waren sie hier am excessivsten aus¬ 
gebildet. Von Müller sind beim Kaninchen ähnliche Zellencolonien gefunden 
worden. Auch Hessen sich vom Ver£ auffallend dunkel gefärbte, oft unregel¬ 
mässig geformte Kerne erkennen, die theilweise auf veränderte Saftcirculations- 
verhältnisse, theilweise auf Druckstörung in den Zellen zurückzuführen sind. 

Das abnorm reichliche, bezw. verspätete Vorkommen der Colonien mit theil¬ 
weise excessiv atypischen Ganglienzellen wird als eine Hemmungsbildung der 
Syphilistoxine, und zwar der Toxine an und für sich, aufgefasst. Dieser Befund 
entspricht theilweise den Untersuchungen von Karvonen, der bei hereditärer 
Lues an den Nieren Hemmungsbildungen fand, die er ebenfalls auf selbständige 
Einwirkungen der Syphilistoxine zurückfuhrt. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


7) Zar Pathologie der Spinalganglien, von Dr. Otto Marburg. (Arbeiten 
aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. Wien, 1902. Heft 8.) 

Der Verf. untersuchte systematisch bei einer grösseren Zahl von an nervösen 
und nichtnervösen Erkrankungen zu Grunde gegangenen Individuen die Spinal- 
gangHen und kommt in seiner verdienstvoUen Arbeit zu folgenden Resultaten: 

Es fand sich häufig eine Art der Kernveränderung, die als acute Homo- 
genisirung mit Atrophie seit längerem bekannt ist. Da bei derselben die 
Atrophie nicht der absolute Endausgang sein muss, wurde dieselbe unpräjudicirUch 
als „homogene Kernschrumpfung“ bezeichnet, die nur dann pathologisch ist, 
wenn sie in kranken ZeUen vorkommt; sonst ist sie vielleicht dem pyknomorphen 
Zustand der ZeUen, meist aber der Fäulniss eigen. Die ersten Stadien sind einer 
Regeneration fähig, die Endstadien sind für schwere Zellerkrankungen charakte¬ 
ristisch. Wandstellung des Kerns scheint meist pathologisch zu sein; doppelte 
Kerne und Zellcolonien dürften für die Pathologie nioht in Frage kommen. 

Von ZeUdegenerationen ist vor allem die sogenannte axonale (centrale 
Chromatolyse, Randschollenkranz) hervorzuheben, deren vereinzeltes Auftreten in 
dem normaler Weise vorkommenden Zugrundegehen von Zellen seine völlig ge¬ 
nügende Erklärung findet. Ausserdem unterscheidet Verf. noch die pyknotische, 


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die wabig-vacuoläre (Fettdegeneration mit Ablagerungen feiner Fetttröpfchen im 
Inneren des Zellleibes) und die fettig-pigmentöse. Sie haben nur dann für das 
Ganglion eine Bedeutung, wenn sie gehäuft Vorkommen. 

Die Wucherung des Kapselendothels kann secundär sein, d. h. sie ist Folge 
des Zugrundegehens der zugehörigen Zellen und ist dann meist geringfügig; die 
Endothelien übernehmen die Rolle der Phagocyten (secundäre Neurono- 
phagie). Oder der Process ist ein activer, die Wucherung des Endothels beginnt 
bei noch völlig intacter Zelle, die erst bei stärkerer Wucherung leidet; es inter- 
veniren des weiteren bei diesem Processe Leukocyten, so dass man diese Art der 
Neuronophagie — die primäre — wohl als Entzündung bezeichnen kann. Wäh¬ 
rend beim Croup, der Rabies die Leukocyten gegen die Endothelien zurücktreten, 
ist beim Zoster, sowie bei drei untersuchten Pemphigusfällen die kleinzellige In¬ 
filtration gleich beträchtlich. Auch die Localisation dieser Affection ist inter¬ 
essant, indem beim Zoster z. B. das Ganglion in toto, beim Pemphigus nur partiell 
ergriffen wird. 

Die dünnen Nervenfasern des Ganglions zeigen ein doppeltes Verhalten, indem 
ein Theil spiralig von der Zelle entspringt, ein Theil eigentümliche Netze und 
Körbe um die Zellen bildet. Ein Zugrundegehen dieser Netze und Körbe wurde 
von Babes und Kremnitzer als pathognostisch für die Tabes angesehen, was 
jedoch nicht der Fall ist, da sorgfältige Färbungen das Vorhandensein derselben 
auch bei Tabes ergaben. Ueberhaupt sind die Veränderungen des Ganglions, die 
sich bei der Tabes finden, als secundäre aufzufassen. 

Schliesslich macht Verf. noch auf eine bisher nicht beschriebene Affection 
aufmerksam, auf Cystenbildung, die er als Folge von Blutungen ins Spinal¬ 
ganglion (Spinalganglienapoplexie) auffasst, und die bald mehr solitär z. B. ein 
Ganglion befällt, oder diffus die Mehrzahl der Ganglien betrifft. 

Die klinische Seite der Frage anlangend erörtert Verf. die ,trophische Bedeutung 
der Spinalganglien. Neben dem Zoster fanden sich in jenen Fällen (Rabies, Croup 
und ein sonderbarer Tetaniefall werden ausgeschlossen), wo Spinalganglienläsionen 
vorhanden waren, trophische Störungen (Paralyse, Gangraena pedis, 3 Fälle von 
Pemphigus; in letzterem multipel). Ausserdem boten die entsprechenden Ganglien 
eines Vergifteten, der eine Blaseneruption der Hand bekam, zosterähnliche Ver¬ 
änderungen, was auch als Stütze dieser Anschauung gelten könnte. Allein die 
Frage ist noch offen, ob die Spinalganglienaffection Ursache oder Folge der tro- 
phischen Erkrankung sei, oder ob beiden eine gemeinsame Ursache zu Grunde 
liegt. Es ist diese Frage auf dem eingoschlagenem Wege nicht zu entscheiden; 
hier werden entsprechend angeordnete Experimente einsetzen müssen, um die Er¬ 
klärung der räthselhaften Function, die der Name Trophik decken muss, zu finden. 

_ Redlich (Wien). 


8) Contributo all’ anatomia patologioa della tabe dorsale, per M. Sciuti. 

(Annali di neurologia. 1901. XIX. S. 495.) 

Anknüpfend an den anatomischen Befund eines Falles von Tabes bringt die 
Arbeit eine sehr fleissige Zusammenstellung der bestehenden Litteratur mit ihren 
vielen strittigen Fragen über histologischen Befund, Aetiologie, ob System- 
erkrankung oder nicht u. s w., ohne selbst mit wesentlich neuen Gesichtspunkten 
die Litteratur zu bereichern. Die beigegebenen Figuren sind mangelhaft. 

L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


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Pathologie des Nervensystems. 

9) Studio sulla p&tologia del ganglio ciliare nell* uomo oon i speeiale 
riflesso alla parallel generale ed alla tabe; oonfronto col ganglio cer- 
vioale del simpatioo e oonqnello del Gasser. Importansa del ganglio 
oillare nell* nomo, per A. Marina. (Annali di neurologia. 1901. XIX. 
S. 209.) 

Die sehr interessante Arbeit wirft die Frage nach dem complicirten Mechanismus 
der Pnpillenhewegungen auf. Die weit auseinandergehenden Meinungen der Ana¬ 
tomen und Physiologen über Sitz und Ausdehnung der Centren, über die Be¬ 
theiligung des sympathischen und spinalen Nervensystems, über den Antheil des 
Trigeminus, Oculomotorius und Sympathicus, über den Antagonismus von Pupillen- 
erweiterera und Pupillenverengerern findet in dem ersten Theile, dem allgemeinen 
Theil, eine eingehende kritische Beurtheilung. Um dieselbe kurz wiederzugeben, 
sei hier mitgetheilt, dass Verf. auf Grund eigener Experimente und Sichtung 
des vorliegenden klinischen Materials, zu dem Schluss kommt, dass die Localisation 
der Centren für die Pupillenbewegungen noch nicht befriedigend erfolgt ist. 
Pathologische und experimentelle Zerstörung der ganzen Vierhügelgegend, neu- 
ritische Processe im Oculomotorius, ohne dass dadurch der Pupillenreflex eine 
Schädigung erfahrt, weisen auf die Thätigkeit von Apparaten hin, die anderswo 
gesucht werden müssen. So kommt er dazu, dem Ganglion ciliare eine ent¬ 
scheidende Bolle bei der Pupillenbewegung zuzuweisen. Thatsächlich 
konnte er nach Verletzung der Cornea, der Ciliarnerven, der endobulbären Musen- 
latur weitgehende Degenerationszustände auffinden, die zum grössten Theile im 
Ciliarganglion localisirt bleiben; so dass er dasselbe als ein peripheres Centruin 
der Pupillenbewegung anspricht. — Er tritt entschieden, gestützt auf klinische 
Erfahrung, für die Existenz einer activen Pupillenerweiterung auf. 

Im speciellen Theile erstreckten sich die Untersuchungen auf 70 Fälle, uud 
zwar 13 Fälle von progressiver Paralyse mit normalem Pupillenreflex, 23 Fälle 
von progressiver Paralyse mit gestörtem Pupillarreflex, 5 Fälle von Tabes und 
zur Controlle auf 29 Fälle von verschiedenen Erkrankungen. In allen den Fällen 
wurden nach verschiedenen Methoden (die Nissl’sche bewährte sich am besten)- 
die Ciliarganglien und Ciliarnerven, das Ganglion Gasseri, die Cervicalganglien, 
ab und zu die Wurzeln des Ciliarganglions und schliesslich die Kerne des Oculo¬ 
motorius, in einzelnen Fällen Hals- und Brustmark einer eingehenden Untersuchung 
unterworfen. Die Ergebnisse dieser äusserst gewissenhaften Arbeit sind folgende: 

A) Für das Ganglion ciliare: 

1. In allen Fällen von Tabes und progressiver Paralyse, bei 
denen eine Störung des Pupillarreflexes nachzuweisen war, zeigten 
sich Ciliarganglien und Ciliarnerven in Mitleidenschaft gezogen; war 
die Pupillenreactdon intact, fanden sich die genannten Organe auch normal. 

In einem Falle von unilateraler Pupillenstarre war auch nur das eine 
Ganglion degenerirt, während das andere normal sich verhielt. 

Bei den anderen Erkrankungen konnte eben diese Beziehung zwischen Function 
und anatomischem Bild festgestellt werden. 

Was die Art der Schädigung des Ganglions betrifft, so konnte bei Tabes 
und progressiver Paralyse ein chronischer Process, der zur completen Chromatolyse 
führte, wohl von einem mehr acuten Processe bei anderen Erkrankungen unter¬ 
schieden werden, der sämmtliche Zellen in dunkle Flecken verwandelte oder zu 
Zellwucherungen führte. 

2. Für die Wurzeln und Nerven des Ciliarganglions: 

Bei Tabes ist Degeneration der Ciliarnerven ein ständiger, bei progressiver 


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Paralyse ein häufiger Befund. Zumeist sind nur die kurzen Ciliarnerven (die aus 
dem Ganglion hervorgehen) in Mitleidenschaft gezogen. Verf. neigt der Ansicht 
zu, dass die Nervenatrophie ein secundärer. der Affection der Ganglienzellen 
folgender Process sei 

3. Für das Ganglion Gasseri: 

In 16 Fällen von progressiver Paralyse und 4 Fällen von Tabes waren bei 
3 Tabikern und 3 Paralytikern sicher die betreffenden Ganglien erkrankt; in den 
übrigen Fällen war das Ganglion normal oder der Befund zweifelhaft. Bei den 
übrigen Erkrankungen fanden' sich auch Affectionen im Ganglion Gasseri, so sehr 
starke in einem Falle von Tetanus, von Rabies, von acuter gelber Leberatrophie. 

4. Für das Ganglion cervicale superius: 

Zellenwucherungen und Pigmentanhäufung fanden sich in verschiedenen Er¬ 
krankungsfällen, besonders charakteristisch waren beide Erscheinungen für einen 
Fall von Tetanus und einen von Morbus Addisonii. In zwei von 4 Fällen von 
Tabes waren die Alterationen bedeutend; bei den Paralytikern war 1 / 8 der 
Ganglien normal, 1 / s gab zweifelhafte Resultate, bei l / s war die Affection be¬ 
deutend. 

6. Für das Rückenmark: 

Nur in 2 Fällen von Paralyse, bei dem einen bestand Pupillenstarre, in dem 
anderen das Robertson’sche Phänomen, fand man keine histologischen Ver¬ 
änderungen. 

6. Für die Kerne: 

Selbst in den Fällen, wo Pupillenstarre intra vitam constatirt worden war, 
fanden sich die Kerne des Oculomotorius und die Kerne auf dem Boden des 
3. Ventrikels bis zum Ganglion habenulae hin intact. Der Westphal-Edinger’- 
sche Kern war Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit. Er zeigt sich auch stets 
intact. 

Dieser letzte wichtige Befund im Verein mit den Experimenten des Verf.’s 
und den histologisch-klinischen Befunden am Ganglion ciliare könnten die Möglich¬ 
keit nahebringen, dass überhaupt kein cerebrales Centrum für die Pupillenbewegung 
besteht. Gegen diese Annahme spricht die Schwierigkeit den Reflexbogen zu 
construiren, ferner die klinischen Erfahrungen, dass nach Verletzung des Oculo¬ 
motorius, oder der vorderen Zweihügel, oder bei anderen Zerstörungen im Gehirn, 
wenn auch nicht immer, Pupillenstarre beobachtet worden ist. 

L. M erzbacher (Strassburg i/E.). 


10) Ueber die angebliche syphilitische Aetiologie der Tabes doraalls. — 

Bin Fall von Tabes mit ungewöhnlichem Verlauf, von Dr. J. A. Gläser. 

(Hamburg, 1901. Mauke Söhne.) 

Verf. bekämpft in dieser Monographie auf Grund eines grossen, aus den 
Hamburgischen Staatskrankenanstalten gesammelten Materials (437 Fälle), das bis 
1876 zurückreicht, die Erb’sche Lehre von der Syphilis als Ursache der Tabes. 
Leider ist die Schrift fast durchgängig in einem persönlichen, ironischen und 
geradezu gehässigen Tone gehalten, wie er in wissenschaftlichen Discussionen für 
gewöhnlich nicht angeschlagen zu werden pflegt, und durch den auch die Be- 
urtheilung des Thatsächlichen, das sie enthält, nicht erleichtert wird. Verf. kommt 
zu folgenden Schlüssen; 1. Die Abhängigkeit der Tabes von der Syphilis kann 
nicht behauptet werden auf Grund pathologisch-anatomischer Erscheinungen; 2. unter 
54 Sectionen von Tabes konnte nur in vier ein sicherer, in vier weiteren ein 
vielleicht auf Syphilis zu beziehender Befund erhoben werden, ebenso wenig auf 
Grund des Nebeneinandervorkommens von Symptomen beider Krankheiten (nur 




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3,3% der Fälle); 3. erweist sich die von Erb behauptete Thatsache ,.der regel- 
massigen zeitlichen Folge der Tabes nach Syphilis“ als unbegründet (hier liegt 
offenbar ein Missverständnis Erb’s von Seiten des Verf.’s vor. Ref.); 4. findet 
Verf. die Verhältnisszahl zwischen männlicher und weiblicher Tabes wie 4,5:1, 
nicht 10—15:1, wie Erb; 5. lässt der Schluss ex juvantibus, abgesehen davon, 
dass er ohnehin unberechtigt ist, hier im- Stiche. (Von 172 antisyphilitisch be¬ 
handelten Fällen wurde keiner geheilt, 36—60% — je nachdem in der Anam¬ 
nese keine oder sichere Syphilis vorhanden war — gebessert). — Bei Berück¬ 
sichtigung der Anamnese ergiebt sich, dass eine Infection mit fragloser Syphilis 
nur in 24%, eine Geschlechtskrankheit überhaupt (mit Hinzurechnung der 
Gonorrhoe und des Ulcus molle) in 46 % Vorgelegen hat, also kaum die Hälfte 
der von Erb gefundenen Zahl. Die Ausführungen, in denen sich Verf. gegen 
die kritiklose Verwerthung des Aborts in der Anamnese oder der Auffindung 
vereinzelter Drüsenschwellungen für die Diagnose der syphilitischen Infection 
wendet, sind jedenfalls beachtenswerth. Die Schlussfolgerung Erb’s, der allein 
aus der Thatsache des überwiegenden Vorkommens der Syphilis — im weitesten 
Sinne — in der Anamnese der Tabiker einen ursächlichen Zusammenhang beider 
Krankheiten folgert, wird einer eingehenden Kritik unterzogen; die ganze Erb’sche 
Lehre als eine „völlig in der Luft schwebende Hypothese“ bezeichnet, durch die 
jedenfalls die nichts weniger als gleichgültige Quecksilberbehandlung nicht gerecht¬ 
fertigt sei. Wird die Frage umgekehrt gestellt: Wieviel Syphilitische bekommen 
Tabes? statt: Wieviel Tabiker hatten Lues?, so ändern sich die Verhältnisse gleich 
erheblich; und Verf. hält die entere Fragestellung im vorliegenden Falle für die 
einzig erlaubte. — Jedenfalls trägt die Schrift dazu bei, die schon reichlich er¬ 
örterte Frage auoh noch fernerhin auf der Tagesordnung zu halten und man wird 
bei weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete die Gläser’sche Statistik sehr zu be¬ 
rücksichtigen haben. — Der im Anhang geschilderte Fall von — anatomisch 
festgestellter — Tabes war dadurch ungewöhnlich, dass er mit schmerzloser 
Nekrotisirung der Haut über den Trochanteren begann, zu einer Zeit, zu der 
Pat. noch arbeitete, die Patellarreflexe schwach, aber nioht erloschen waren, 
Ataxie und Bomberg’sches Symptom fehlten, desgleichen auch angebliche Sensi¬ 
bilitätsstörungen (ob auf Störungen der Gelenksensibilität untersucht worden ist, 
geht aus dem Befund nicht hervor). Pat. ging an Cystitis und Pyelitis zu Grunde. 

H. Haenel (Dresden). 


11) Ueber das ungewöhnliche Fortbestehen, Mangeln oder Wiederauftreten 
des Kniesehnenreflexes bei Bückenmarkskrankheit, besonders Tabes, 
Myelitis transversa und gummosa. Als Preisschrift von der medicinischen 
Facultät der Universität zu Berlin gekrönt. Von Gotthold Ludwig Mam- 
lock. (Zeitschrift f. klin. Med. XLHI. S. 239.) 

Zum Zustandekommen des Patellarreflexes ist nach Ansicht des Verf.’s an 
dauernd ein bestimmte Grenzen nicht überschreitender Tonus erforderlich; dieser 
soll dem Rückenmark durch Fasern vom Kleinhirn zugetragen werden. Das Ver¬ 
halten der Patellarreflexe ist ein Ausdruck des jeweiligen Tonus, es ist dabei 
gleichgültig, ob es sich um eine Erkrankung handelt, welche die Westphal’sche 
Zone freilässt (Myelitis) oder die sie theilweise mit ergreift (Tabes). Ist sie ganz 
zerstört, so fehlnn die Reflexe natürlich. Zur Annahme tonisirender Bahnen 
kommt Verf. mit anderen Autoren dadurch, dass der reflexhemmende Einfluss des 
Hirns in vielen Fällen das Verhalten der Patellarreflexe nicht erklärt. Sind bei 
theilweiser Affection der Wurzeleintrittszone (Reflexbogen für den Patellarreflex) 
die Clarke’sohen Fasern erkrankt, was bei Tabes gewöhnlich frühzeitig eintritt, 
ist damit der tonisirende cerebello-spinale Einfluss beeinträchtigt, so fehlen die 


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Kniephänomene, können aber, besonder« wenn die cerebello- spinalen Fasern wenig¬ 
gelitten haben, bei Fortfall von Hemmungen wiederkehren. Sind dagegen auch 
bei stärkerer Degeneration der Westphal’schen Zone die Clarke’schen Fasern 
verschont, so wirkt der cerebellare Tonus ungehindert und man beobachtet ausser- 
gewöhnlich langes Fortbestehen der Patellarreflexe. Das Fehlen der Patellarreflexe 
bei hohen totalen Querschnittserkrankungen erklärt sich durch Fortfall der toni- 
sirenden Bahnen. Dieser Tonus erlischt nicht in allen Fällen sofort mit der 
Trennung, so dass für kurze Zeit noch ein Reflex zu erzielen ist. 

Jacobsohn (Berlin). 


12) Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis, von Dr. Alfred Gross. 

(Deutsches Archiv f. klin. Med. LXXL S. 418.) 

Es handelt sich um einen 35jähr. Pat., welcher vor 20 Jahren Lues acquirirt 
hatte, und der im Jahre 1897 zum ersten Mal in die Kieler medicin. Klinik auf« 
genommen wurde. Eis bestanden damals bei dem Pat. mit Obstipation einher¬ 
gehende Koliken, ferner Hämatoporphyrinurie und eine Lähmung beider Nn. radiales. 
Am wahrscheinlichsten schien damals eine primäre Vergiftung, eine Intoxication 
vom Darme her, die zunächst die Kolik verursacht und dann zur Lähmung ge¬ 
führt hatte. Das resorbirte Gift bedingte die zur Hämatoporphyrinurie führende 
Stoffwechselstörung. Nach etwa 1 / s jähr. Krankheit war damals Pat geheilt. An¬ 
fang des Jahres 1901 wurde Pat zum zweiten Male in die Klinik aufgenommen, 
und zwar wegen starker Kurzathmigkeit und Oedeme. Neben einer chronischen 
Nephritis, die zu Herzhypertrophie geführt hatte, ergab sich wiederum Hämato¬ 
porphyrinurie, ausserdem reflectorische Pupillenstarre, beiderseitige Sehnerven- 
atrophie, Romberg’sches Phänomen und Westphal’sches Zeichen; Sensibilitäts- 
Störungen waren nicht sicher nachweisbar, ebenso auch keine nennenswerthe Ataxie, 
dagegen hatte sich zuletzt Incontinentia urinae eingestellt Die Section des 
Nervensystems bestätigte die Diagnose der Tabes. .Diese zweite Beobachtung des 
Pat. ergiebt nach Ansicht des Verf.’s den Zusammenhang des ersten und zweiten 
Krankheitsbildes. Es sei danach anzunehmen, dass die Tabes schon früher „latent“ 
bestanden und zu den Koliken und Neuritiden geführt hatte. Während diese 
erwähnten Erscheinungen aber zurückgegangen wären, hätte sich die Tabes weiter 
entwickelt Eine Erklärung für das Zustandekommen der Hämatoporphyrinurie 
kann Verf. nicht geben. Jacobsohn (Berlin). 


18) A oue of progressive musoular atrophy and tabes with autopsy, by 

Joseph Collins. (Joum. of Nervous and Mental Disease. 1901. October.) 

47jähr. Mann bemerkt im Jahre 1892 Schwäche und Ungeschicklichkeit in 
der linken Hand. Keine Lues, kein Alkoholmissbrauch. Im Laufe der nächsten 
Jahre Entwickelung einer typischen progressiven spinalen Muskelatrophie an 
oberen und unteren Extremitäten. Von Anfang an Störungen von Seiten der 
Blase, des Mastdarms und der Potenz, ausserdem lästige Parästhesieen in den 
Beinen und an anderen Körperstellen, Nachts öfter Zuckungen in den Beinen. 
Die Untersuchung ergiebt hochgradige Miosis mit Lichtstarre der Pupillen, Fehlen 
der Patellarreflexe, keine Sensibilitätsstörungen, Steigerung der mechanischen 
Muskelerregbarkeit an den Armen, eine vollentwickelte Muskelatrophie von spinalem 
Typus an oberen und unteren Extremitäten, keine Entartungsreaction, sondern 
nur quantitative elektrische Veränderungen. Die Krankheit dauerte etwa 8 Jahre, 
unmittelbar vor dem Tode bulbäre Erscheinungen. Die Autopsie ergab Degene¬ 
ration der Hinterstränge, besonders in den Goll’schen und den ventralen Partieen 
der Burdach’schen Stränge vom Lendenmark aufsteigend bis zu den Kernen der 


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Medulla oblongata, Degeneration der Pyramidenseitenstränge, am stärksten im 
Lendenmark, nach oben an Intensität abnehmend, während die Pyramidenvorder¬ 
strangbahnen keine Veränderangen aufwiesen. In den Vorderhörnern keine krank¬ 
haften Veränderungen, auch in der ventralen grauen Substanz nur minimale Ver¬ 
änderungen. Spinalganglien gut erhalten, zahlreiche hintere Wurzelfasern erscheinen 
degenerirt. Ausgedehnte interstitielle Entartung sämmtlicher untersuchter peri¬ 
pherer Nerven, sowie ausserordentlich intensive parenchymatöse und interstitielle 
Erkrankung der Muskeln. Der anatomische Befand spricht allerdings mehr für 
eine Erkrankung des peripherisohen motorischen Neurons als Complication einer 
Tabes. Martin Bloch (Berlin). 


14) Ueber juvenile Tabes, nebst Bemerkungen über symptomatische 

Migräne, von Dr. Heinrich v. Halban, Assistent der Klinik Krafft« 

Ebing. (Jahrbücher f. Psych. u. Neurol. 1901. XX. S. 343.) 

Der Umstand, dass manche Autoren an dem Vorkommen der juvenilen Tabes 
zweifeln, veranlasst den Verf. zur Bearbeitung dieses Themas. Er vertritt die 
Berechtigung, an diesem Krankheitsbegriff festzuhalten. Verf. stützt seine Aus¬ 
führungen auf das Studium von 4 Fällen juveniler Tabes, zwei von juveniler 
Taboparalyse, indem er zum Vergleiche das an Tabes der Erwachsenen sehr reiche 
Material der Nervenklinik heranzieht. Die Kranken standen im Alter von 17 
bis 24 Jahren; die wesentlichen objectiven Symptome des präatactischen Stadiums 
der Tabee der Erwachsenen waren bei ihnen zu constatiren; die subjectiven Sym¬ 
ptome waren nioht vorhanden oder traten ganz in den Hintergrund, weshalb die 
Krankheit, wie in einem Theil der Fälle mit Sicherheit nachzuweisen war, viele 
Jahre unbemerkt geblieben war. 

Besonderes Gewicht wird gegenüber gegnerischen Angaben auf die typischen 
Sensibilitätsstörungen gelegt. Auch manche der selteneren Symptome der Tabes 
der Erwachsenen wiederholen sich gelegentlich bei den juvenilen Fällen. Einer 
der Fälle giebt Veranlassung zu einer ausführlichen Besprechung der Hemicranie 
als Frühsymptom der Tabes und als Symptom der hereditären Lues; die Migräne 
kann nämlich, wie Verf. an vier einschlägigen Fällen nach weist, das einzige 
Symptom der letzteren darstellen und ist dann als Spätsymptom einer Lues here- 
ditaria aufzufassen. 

Aus dem Vergleiche beider Tabesvarietäten gelangt Verf. zum Schlüsse, dass 
die „hereditär-luetische“ und die „acquirirt-luetische“ Tabes dieselbe Krankheit 
ist, doch ist eine Differenz bemerkbar in der Häufigkeit der einzelnen Symptome, 
in ihrer Intensität und am häufigsten im Verlauf, der viel langsamer ist. Fasst 
man alle bekannt gewordenen Fälle juveniler Tabes mit Einschluss derer des 
Verf.’s zusammen, so ist in ihnen Syphilis in einem ebenso hohen Prooentsatz 
nachweisbar wie bei der Tabes der Erwachsenen. Ganz dasselbe gilt für die 
progressive Paralyse. Verf sucht zu beweisen, dass ausser der Lues eine here¬ 
ditäre Disposition des Centralnervensystems zur Entwickelung der Tabes und der 
progressiven Paralyse nothwendig sind: sie bleibt wirkungslos, wenn die Lues 
fehlt. Piloz (Wien). 


15) Tabische Erkrankung des linken Hüftgelenks, Bruch des linken Ober¬ 
schenkelhalses, von Martin Bloch. (Aerztliche Sachverständigen-Zeitung. 
1901. Nr. 6.) 

60jähr. Strassenbahnschaffner, der hin und wieder „Reissen“ hatte und auch 
an Blasenbeschwerden litt, fiel auf die linke Hüfte, konnte sich nioht erheben 
und klagte von da ab über Schmerzen in der Hüfte. 4 Monate später wurde 

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eine Tabes diagnosticirt, eine Rentenzahlung aber abgelehnt. Verf. hatte den 
Fall für das Schiedsgericht zu untersuchen, er bestätigte die Diagnose der Tabes, 
befasste sich aber auch eingehend mit dem localen Befund an der Hüfte und 
stellt hier (auch mit Röntgen-Durchleuchtung) einen Bruch des Schenkelhalses, 
sowie eine Auftreibung des Hüftgelenks fest Er kam in Folge dessen zu dem 
Schluss, dass die Erkrankung des Hüftgelenks und der Bruch des Schenkelhalses, 
wenn dieselben auch Theilerscheinungen der schon früher vorbestehenden Tabes 
seien, dennoch mit Wahrscheinlichkeit mit dem Unfall in Zusammenhang ständen. 

Paul Schuster (Berlin). 


16) Ein Beitrag an den Uebergangaformen awlaohen Friedreioh ’soher 

Ataxie nnd Hörödoataxie oöröbelleoae von Marie, von A. Margulies. 

(Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.) 

Der Fall, den Verf. beschreibt, stammt aus einer Familie, in der seit drei 
Generationen bei zahlreichen Mitgliedern die gleiche Krankheit wie bei der Pat., 
verbunden mit Demenz und Geisteskrankheiten, vorgekommen ist. Die Patientin 
wurde im 28. Jahre krank und bietet jetzt nach 8 Jahren einen leichten Schwach¬ 
sinn, unwillkürliche Bewegungen von Kopf, Gesicht (Grimmassiren), Armen (athe- 
totisch-spastisch, imgeschickt ataotisch) und Beinen (watschelnder, hüpfender, 
stampfender Gang), Sprachstörung (Hervorstossen der Worte), sehr lebhafte 
Pa'.ellarreflexe, starke „Mitbewegungen“ der Arme und Hände beim Gehen, mit¬ 
unter Schwanken beim Kehrtmachen, keinen Romberg (Verf. gebraucht regelmässig 
die Schreibweise Rhomberg), keine Sensibilitätsstörungen. Zwei Mal Ohnmachts¬ 
anfälle; in den oberen Extremitäten ist die „Ataxie“ stärker alB in den unteren. 
— Nach dem gegebenen Status, verbunden mit der Anamnese (genau dieselbe 
Krankheit bei 5 Familienmitgliedern), sieht man sich genöthigt, die Diagnose auf 
Chorea progressiva Huntington zu stellen. Verf. glaubt diese Diagnose aus- 
schliessen zu können, und zwar wegen der nur geringen Intelligenzstörung, der 
vorwiegend heiteren Gemüthsstimmung, der Zunahme der in der Ruhe nur ge¬ 
ringen Bewegungen bei Erregung und beim Sprechen, des Charakters derselben, 
die mehr langsam und schleichend als ausfahrend und wild sind (Anfangsstadium? 
Ref.), der Reflexsteigerung und einer leichten Skoliose der Lendenwirbelsäule, 
sowie geringer Innenrotations- und Supinationsstellung des linken Fusses, was 
beides „sonst nicht bei dem Symptomenbild der Chorea sich findet“. Ref. muss 
gestehen, durch diese Gründe nicht überzeugt zu sein, dass die Patientin nicht 
an Huntington’scher Chorea leidet; wenn es auch stets sein Missliches hat, eine 
abweichende Diagnose nur auf Grund einer Schilderung zu stellen, bo ist die 
Darstellung im vorliegenden Falle doch so charakteristisch und die Discussion 
nach der Seite der vom Verf. gestellten Diagnose so wenig überzeugend, dass 
jedenfalls der Fall in der Casuistik der in der Ueberschrift genannten Krank¬ 
heiten später lieber nicht mitgezählt wird. H. Haenel (Dresden). 


17) Die allgemeine progressive Paralyse der Irren (Dementia paralytioa), 

'von 0. Binswanger. (Deutsche Klinik. 1901. 13.—15. Lief. II. Vor¬ 
lesung.) 

Wenn auch diese Arbeit nichts Neues bringt und auch wohl nioht bringen 
soll, so sei doch in Folgendem ihr Inhalt in Kürze wiedergegeben, da sie Be¬ 
kanntes in übersichtlicher Beschreibung zusammenstellt: 

Der „verheerende Einfluss der culturellen und socialen Schädlichkeiten“ zeigt 
sich auf dem Gebiete der funotionellen Nervenkrankheiten in der Häufigkeit der 
Neurasthenie, auf dem Gebiete der organischen Erkrankungen des Centralnerven- 


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Sy ste m* in dem häufigen Auftreten der 'Dementia paralytioa. Allen Krankheite- 
hildem, welche letalere umfasst, ist gemeinsam der unaufhaltsam fortschreitende 
geistige und körperliche Verfall und der tödtlicbe Ausgang. Nach dem Ent¬ 
wickelungsgange der Krankheit theilt Verf. dieselbe in 4 Stadien ein, deren 
Symptomatologie er des Näheren bespricht: 1. Stadium prodromale, 2. Stadium 
initiale, 3. Stadium anmea, 4. Stadium terminale. 

Das prodromale Stadium besteht aus einer Reihe nervöser Erschöpfungs¬ 
symptome auf psychischem und somatischem Gebiete und deckt sich klinisch mit 
der Neurasthenie. Von letzterer unterscheidet sich die Paralyse in ihrem zweiten 
Stadium bereits dadurch, dass bei dem Paralytiker des Initialstadiums Störungen 
der Urtheilsbildung des Patienten über seinen eigenen Zustand bestehen, während 
der Neurastheniker seinen Seelenzustand aufs genaueste zu analysiren im Stande 
ist und nicht — wie der an Paralyse Leidende — bezüglich seiner ethischen, 
ästhetischen Gefühle und Vorstellungscomplexe gesohädigt ist. Aus dieser Urtheils- 
loeigkeit des Paralytikers entspringen dessen Euphorie und Selbstüberschätzung»* 
ideeen, sie bedingt hauptsächlich den beginnenden Schwachsinn, während die 
Gedäcbtnissstörungen meist erst später auftreten. 

In diesem Capitel des Initialstadiums wendet sich Verf. ausserdem kurz der 
Aetiologie und in längerer Ausführung den somatischen Krankheitszeichen der 
Paralyse zu. Er legt neben der Lues auch besonders der Heredität einen be¬ 
günstigenden Einfluss für die Entstehung der Krankheit hei (40—50°/ 0 der Para¬ 
lytiker besitzen eine deutliche hereditäre Belastung). Die Cardinälsymptome: 
Störungen der Pupillarreaction, Störungen der mimischen Gesichtsinnervatien, der 
Spraohe, Stimme und der Sehnenphänomene werden des näheren besprochen, Verf. 
mahnt zur Vorsicht bei Beurtheilung der Pupülensymptome (die Pupillen differenz 
ist belanglos, so lange keine Störungen der Liohtreaction nachweisbar sind; nicht 
auf die Ausgiebigkeit, sondern auf die Raschheit der Reaction ist das Haupt¬ 
gewicht zu legen), sowie hei Prüfung der Spraohe mittele der bekannten Para¬ 
digmata. Auch er legt dem Achilleereflex einen grossen Werth bei (wie in letzter 
Zeit Babinski u. A.). 

Als inoonstante Symptome der Paralyse bespricht Verf. besonders die para¬ 
lytischen Anfälle. 

Das Stadium acmes bietet diagnostisch keine Schwierigkeiten dar. Der 
weitere geistige Verfall, Grössenideeen, hallucmatorisohe Erregungszustände, deut¬ 
liche somatisobe Störungen, paralytische Anfälle, allgemeine Ernährung»- und 
tropinsohe Störungen ohamkteriziren dieses dritte Stadium, welches dann in das 
vierte, das Stadnm terminale, übergeht. Der Exitus erfolgt durch Schludk- 
pneumonie, paralytische Anfälle, cystüxsche -und pyrio-nephritisohe Proeesse, Decu¬ 
bitus -oder allmähliches Erlöschen der Lebensfimotienen. 

Differentialdiagnostisch kommen besonders in Betracht die Neurasthenie, Lues 
oerebri, peetsyphilitische Demenz, Arterieeclevoa» cerebri, multiple Sklerose und 
Herdarkrankungen des Gehirns. 

Die Dauer der Paralyse schwankt im Einaelfalle zwischen wenigen Monaten 
und awei Deoennien, Durchschnittsdauer ist fl'/j—3 Jahre. 

Mit Rüoksieht auf den Krankheitsverlauf und anatomischen Befund unter¬ 
scheidet Verf. noch besonders 1. die meningitisch-hydrooephale Form, 2. die 
hämorrhagische Form, 3. die Taboparalyse, 4. -die peripher-mauritisch bedingte, 
visoearale Form (schwere Ernährungsstörungen, Kräftewerfall, rasaerale Neurmigieen, 
Demenz). 

Eine kurze Betrachtung der pathologischen Anatomie sowie der Therapie der 
Paralyse b e achte— t die VariaBung. Kirrt Mendel. 


21 * 


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18) De llmportanoe des lösione vasoulaires dans l'aaatomie pathologique 

de 1» paralysie göndrale et d'autres psyohosee, par Dr. A. Mahaim, 

Professeur k l’Universitö de Lausanne. (Bulletin de l’Acadömie royale de 

mödec. de Belg. Bruxelles, 1901.) 

Nach einem kurzen historischen Ueberblick hebt Verf. in der Einleitung 
hervor, dass Bis das Verdienst gebohrt, in der letzten Zeit die Aufmerksamkeit 
auf die Bedeutung der Blutgefässerkrankung bei progressiver Paralyse von Neuem 
gelenkt zu haben. Gegenüber Lancereaux bemerkt Verf., dass begrenzte Alte¬ 
ration der Neuroglia (foyers limitös) bei progressiver Paralyse eine häufige Er¬ 
scheinung sei. 

Nach Verf. ist post mortem die Differentialdiagnose zwischen Paralysis pro¬ 
gressiva und Lues cerebri diffusa an der Hand von Präparaten der Hirnrinde 
unmöglich, da die krankhaften Veränderungen der Ganglienzellen sowohl wie die 
Läsion der Neuroglia dieselben sein können und die Läsion der Gefässe in beiden 
Krankheiten identisch sei. 

Mittels der von van Gebuchten modificirten Nissl’sohen Methode und mit 
der Weigert'schen Neurogliafärbung untersuchte Verf. die Hirnrinde von 36 im 
Asile de Cery verstorbenen Geisteskranken. Darunter waren 14 Fälle von pro¬ 
gressiver Paralyse, 7 von Dementia praecox (Katatonie oder Dementia paranoides), 
5 von Dementia senilis, 2 von Epilepsie, 2 von periodischem Irresein und je 1 
von Idiotismus, Imbecillitas mit Abscessus cerebri und Meningitis, constitutioneller 
Psychopathie, Dementia praecox (mit Gliosarcom des Frontallappens), Chorea von 
Sydenhami, Verwirrtheit in Folge von Erschöpfung. 

Auf Grund seiner Untersuchungen kommt dieser Forscher zu folgenden sehr 
wichtigen Conclusionen: 

1. Die Erkrankung der kleinen Blutgefässe — zellige Infiltration in den 
Lymphscheiden der Gefässe —, welche man bei progressiver Paralyse findet, ist 
die constanteste Veränderung bei dieser Krankheit. 

2. Sie ist sehr wahrscheinlich jedes Mal vorhanden und das Fehlen derselben 
muss über die Diagnose der Dementia paralytica Zweifel erregen. 

3. Diese Veränderung trifft man ebenfalls bei Lues cerebri diffusa an, so 
dass es unmöglich ist, diese Krankheit mikroskopisch von Dementia paralytica zu 
unterscheiden. 

4. Die auf syphilitischer Basis entstehenden Psychosen ausgenommen, findet 
sich diese Läsion bei keiner anderen Form von Geisteskrankheit; sie ist deshalb 
von grosser diagnostischer Bedeutung. 

5. Vom diagnostischen Standpunkte aus ist die zellige Infiltration eine viel 
häufigere und constantere und leichter erkennbare Erscheinung, als das Vorkommen 
von Plasmazellen (Bagnar Vogt). 

6. Bei Dementia senilis, hauptsächlich wenn dieselbe mit Alkoholismus com- 
binirt war, manchmal aber auch bei anderen Psychosen, wird eine besondere 
Läsion der kleinen Blutgefässe der Hirnrinde gefunden; diese Läsion ist aber 
nicht für Dementia paralytica charakteristisch, obwohl man sie dort manchmal 
findet; man kann dieselbe ohne Schwierigkeiten von der zelligen Infiltration unter¬ 
scheiden. 

Zum Schluss sei hier nooh bemerkt, dass die Arbeit Mahaim’s ausgezeichnet 
kurz und klar geschrieben ist. J. Piltz (Warschau). 


18) Statistischer Beitrag rar Aetiologie und Symptomatologie der pro¬ 
gressiven Paralyse, von Dr. Baecke, vormals Assistenzarzt der psychiatr. 
Klinik zu Tübingen, jetzt der psychiatr. und Nervenklinik zu Kiel. Aus der 


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S25 


psych iatr. Klinik zu Tübingen (Profi Siemerling). (Archiv f. Psych. u. 
Nervenkrank!]. 1902. XXXV.) 


In den ersten 13 Semestern der Tübinger psychiatrischen Klinik worden da¬ 
selbst 92 Männer und 18 Frauen mit progressiver Paralyse behandelt. Neuro- 
pathische Veranlagung fand sich bei 31,8%. Lues war sicher vorausgegangen 
bei 57,3%, ausserdem noch bei 20,9°/ 0 wahrscheinlich. Bei 28 geeignet be¬ 
fundenen Fällen wurde eine antiluetische Behandlung vorgenommen, und zwar mit 
Quecksilber allein oder in Verbindung mit Jodkali; bei 12 dieser Eiranken wurde 
eine gewisse Besserung wahrgenommen. Bei der Aufnahme in die Klinik standen 
6 im 3., 38 im 4., 45 im 5., 20 im 6. und 1 im 7. Lebensdecennium. Nur in 
12,7 °/ 0 der Fälle fand sich die einfaoh demente Form ohne Wahnbildung und 
Hallucinationen. Bei 67,3 °/ 0 waren ausgeprägte Wahnvorstellungen vorhanden. 
Vereinzelte Hallucinationen Hessen sich in 27,3% sicher beobachten. Nicht 
weniger als 20,9% haben im Verlaufe ihres Leidens Suicidversuche 
gemacht. Aeusserst heftige und langdauernde Erregungszustände entwickelten 
sich bei 25,5°/ 0 . Die Krankheitsdauer der 32 Fälle, die in der Klinik starben, 
betrug im Durchsohnitt 2,4 Jahre. 


Pupillenstarre fand sich in 58,2 °/ 0 , Veränderung der Pupillenreaction über¬ 
haupt in 92,7 °/ 0 . Pupillendifferenz wurde in 83,6 °/ 0 , Verzogensein der Pupillen 
in 69,1% beobachtet Ein Mal ward Wiederkehr der bereits erloschenen Pupillen- 
reaction, ein Mal paradoxe Reaction oonstatirt. Die Patellarsehnenreflexe waren 
gesteigert in 65%, aufgehoben oder abgeschwächt in 33,6%. Ungleichheit in 
der Stärke dieser Reflexe auf beiden Seiten fand sich in 18,2%. Nur zwei Mal 
wurde dasWestphal’sche Zeichen nach anfängHoher Steigerung der Kniephänomene 
beobachtet Die Wiederkehr eines zweifellos erloschenen Patellarsehnenreflexes 
wurde niemals gesehen. Pupillenstarre fand sich in 64,1 % gesteigerter Knie¬ 
phänomene, Veränderung der Pupillenreaction überhaupt in 93,4 % gesteigerter 
Kniephänomene. Optiousatrophie fand sich sowohl bei erhöhten wie bei herab¬ 
gesetzten Patellarsehnenreflexen, in Summa bei 15,5 % der Paralytiker. Augen¬ 
muskellähmung wurde während des Aufenthalts in der Klinik im Ganzen hei 
18,2% der Paralytiker gesehen, und zwar gleich oft bei Kranken mit gesteigerten 
wie bei solchen mit herabgesetzten Patellarsehnenreflexen. Abweichen der Zunge 
nach einer Seite beim Hervorstrecken kam bei 19,1%, Faoialisdifferenz bei 
68,6 %, articulatorische Sprachstörung bei 79,1% vor. Epileptiforme oder apo- 
plektiforme Anfälle traten bei 34,6 % der Fälle auf. 

Georg Ilberg (Grossschweidnitz). 


20) Ueber die Frühsymptome der progressiven Paralyse, von Ernst Emil 

Moravcsik (Budapest). (Allgem. Zeitschr. £ Psych. LVIII. S. 871.) 

Zusammenstellung der neben neurasthenischen am häufigsten auftretenden 
Frühsymptome der Paralyse: Abmagerung mit und ohne Verdauungsstörungen, 
auffallende Aenderung des Charakters, ungewohnte Reizbarkeit der Stimmung, 
Schlaflosigkeit, ständiger Kopfschmerz, Defecte und Täuschungen des Gedächtnisses, 
hartnäckig isolirte hypochondrische Sensationen, isolirte Hallucinationen, Eifer¬ 
suchtewahn ohne alkoholische Grundlage, Wahnvorstellungen, die Umgebung sei 
erkrankt, zeitweise Aenderung der Form und Grösse der Pupillen, in der einen 
Gesichtshälfte sich zeigende bHtzartige Zuckungen, näohtHche unmotivirte Tempe¬ 
ratursteigerungen, von starker Salivation und Acneeruption begleitet, wandernde 
(rheumatoide) Schmerzen in den Gliedmaassen, vorübergehende Unsicherheit in de» 
Ansführung intendirter Bewegungen, zuweilen wahrnehmbare Schwerfälligkeit der 
Sprache, gesteigerte oder herabgesetzte Kniereflexe. Verf. ist kein Freund der 


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antiluetiechen Behandlung. Das Deutsch dee Aufsatzes verrith manchmal zu 
deutlich den fremdsprachigen Verfasser. Aschaffenburg (Heidelberg). 


21) Multiple Blmtwsgen bei der prograntven Paralyse der Irren, von Frey 
(Frankenthal). (Allgem. Zeitschr. £ Psych. LVIII. S. 632.) 

Bei einem Paralytiker, bei dem ausser zweimaligem Katheterisiren keinerlei 
Bingriff nothwendig gewesen war, auch nur geringfügige Temperatursteigerungen 
vorgekommen waren, entwickelten sich in den letzten Lebenstagen punktförmige 
Blutungen in der Haut Bei der Section fanden sich ausserdem Blutungen in 
Hagen und Blase, Arachnoidea, in der Musoulatur des Herzens, in der Nieren¬ 
rinde und in der Wand des 4. Ventrikels. Eine mikroskopische Untersuchung 
konnte der schnellen Verwesung wegen nicht gemacht werden. 

Aschaffenburg (Heidelberg). 


22) Cllnioal and experimental observations upon general paralyais, by 

Lewis C. Bruoe. (Brit med. Journ. 1901. 29. Juni.) 

Auf Grund seiner klinischen Beobachtungen und Experimente kommt Verf. 
zu folgenden Schlüssen: 

1. Die progressive Paralyse entsteht in Folge Vergiftung durch Texine^ 
welche vom stets erkrankten Magen-Darmcanal aus in den Körper eindringea. 

2. Das Gift ist wahrscheinlich ein zusammengesetztes; einer von den in Be¬ 
tracht kommenden giftig wirkenden Mikroorganismen ist das Baoterium ooli. 

3. Verf. spritzte Serum, welches er aus dem Blut eines sieh im „Remissions- 
stadium“ der progressiven Paralyse befindlichen Patienten gewonnen hatte, zwei 
anderen Kranken im früheren Stadium der Erkrankung ein. — Diese Injectionea 
wurden fast 2 Jahre lang fortgesetzt and hatten günstigen Einfluss auf Besserung 
der Symptome, bezw. bewirkten langsameres Fortsohreiten. 

Verf. glaubt, dass diese Serumbehandlung die eigentliche in Betracht kommende 
therapeutische Maasanahme bei dieser unheilbaren Krankheit sei. (?1 lief.) 

E. Lehmann (Oeynhausen). 


29) Observation« bearfng upon the queotion ot the pathogen «da of general 

paralyais of the inaane, by W. Ford Robertson. (Brit med. Journ. 

1901. 29. Juni.) 

Anch R. halt die progressive Paralyse durch eine Toxämie gastrointesti¬ 
nalen Ursprungs bedingt. Die Tosnne werden resorbirt und rufen degenerative 
Veränderungen in den Gefässen des Centralnervensystems hervor. Diese Gefass- 
verandernngen treten zuerst an denjenigen Theilen des Gehirns hervor, welche 
am besten mit Gefässen versorgt sind. Auch die Tabes dorsalis hängt von der¬ 
selben Form der Toxämie ab. Die Syphilis spielt« bei beiden Krankheitsformen 
hauptsächlich insofern eine Rolle, als sie die natürliche Immunität der Gewebe 
aufhebe. Die Behandlung der progressiven Paralyse wie auch der Tabes sollte 
daher in erster Linie auf Verbesserung des Zustandes dee Magen-Darmeanals ihr 
Augenmerk richten. Wahrscheinlich sei das einzigste Mittel, um der exoeesiven 
Vermehrung der Gastro-in testin al-Bakterien Einhalt zu thun, die Anwendung 
•peeifischer Antitoxine. E. Lehmann (Oeynhausen). 


24) De« aotes testamentalres des paralytlques gönöraux, par Dr. Rouby. 
(Annales mödico-psychologiques. 1901. Sept./Oct.) 

In dem einen Falle erklärte das Gericht nach dem Gutachten des als Expert 


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geladenen Verf.’s das Testament eines Paralytikers für ungiltig, in dem anderen 
Kees es das ebenfalls von einem typischen Paralytiker abgefasste Testament zu 
Recht bestehen. Adolf Passow (Meiningen). 


25) Un cas de solörose en plaque» & tremblement unilateral, par P. Rem* 
linger. (Revue de M6decine. 1899. März. S. 244.) 

Verf. diagnosticirt „multiple Sklerose“ bei einem 46jähr. Patienten, der nur 
im rechten Arm und Bein starkes Intentionszittern hatte, daneben allgemein 
gesteigerte Sehnenreflexe, spastischen Gang, verlangsamte schleppende Sprache und 
beginnende Atrophia n. optici. Alle diese Erscheinungen hatten sich langsam 
ohne besondere Ursache izn Verlauf von 6 Jahren entwickelt. 

Strümpell (Erlangen). 


26) Ueber Sensibilitäteetörungen bei Solerosis polyinaularis, von Dr. Franz 
v. Gebhardt. Mittheilung aus der II. internen Klinik der königl. ungar. 
Universität zu Budapest (Archiv f. klin. Med. LXVIII. S. 154.) 

Verf. hatte Gelegenheit, in den letzten Jahren 28 Fälle von polyinsulärer 
Sklerosis zu beobachten. Bei 18 dieser Patienten bestanden Sensibilitätsstörungen 
verschiedenster Art, und zwar Parästbesieen, Hypästhesieen, reissende Schmerzen, 
Gürtelgefühl, vermindertes und gesteigertes SohmerzgefÜhl, Seh-, Gehör-, in einigen 
Fällen auch Geschmack- und GeruchBtörungen. Diese Gefühlsstörungen bestanden 
dauernd oder sie waren vorübergehender Art. Verf. glaubt, dass in jenen Fällen, 
in welchen die Sensibilitätsstörungen beständig sind, im Rückenmark oder in der 
Hirnrinde anatomische Veränderungen bestehen, welche nie mehr reparabel sind, 
dass aber die bald zum Vorschein kommenden, bald wieder schwindenden Gefühls¬ 
störungen den functionellen Sensibilitätsalterationen sehr gleichen. Diese letzteren 
Störungen, welche durch das rasche Wechseln charakterisirt sind, hätten keine 
anatomische Basis, sie seien den hysterischen Sensibilitätsstörungen gleichwerthig. 

Jacobsohn (Berlin). 

27) Bur un oas typique de solörose en plaques ohea une petite Alle de 
7 ans, par Dr. P. Sorgente. Aus der Kinderklinik in Rom. (Annales de 
mödecine et Chirurgie. 1901. 1. u. 15. März.) 

Vorliegende Arbeit ist nach dem so beliebten Schema aufgebaut, dass ein 
selbstbeobachteter Fall Ausgangspunkt einer Zusammenstellung aller ähnlicher, in 
der Litteratur dargelegten Beobachtungen wird, die ausführlich angeführt und zu 
allgemeinen Schlüssen verwerthet werden. Es ergiebt sich aus dieser Aufstellung, 
dass die multiple Sklerose im Kindesalter häufiger ist, als dies gemeiniglich an¬ 
genommen wird, dass bei der bisher beobachteten Casuistik der 5. Lebensmonat 
die untere Krankheitsgrenze darstellt, und dass Infectionskrankheit, manchmal 
auch Syphilis, eine ätiologische Rolle spielen; aus letzterem Grunde hält Verf. 
eine antiluetische Kur in jedem Falle für rationell. 

Die Arbeit kann immerhin beim Studium der kindlichen multiplen Sklerose 
als eine Art Sammelreferat gelten, die statistischen Schlüsse aus derartigen Zu¬ 
sammenstellungen möchte Ref. nicht allzu hoch anrechnen. 

Zappert (Wien). 


28) Insular solerosis with löse of stereognoatlc sense in the right hand 
(senses of touoh, pain and temperature preserved) , by T. K. Monro. 
(Glasgow med. Journ. 1901. Juni.) 

23jähr. Patientin, die häufig Durchnässungen ausgesetzt, im Uebrigen aber 


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früher im Wesentlichen gesund war, erkrankte vor 5 Monaten mit Kopfschmerzen, 
Schwindel und vorübergehender Schwerhörigkeit erst des rechten, dann des linken 
Ohres. Einen Monat später Unsicherheit der Beine, Schwäche des linken, nach 
abermals 6 Wochen Taubheitsgefühl in den Beinen, besonders im rechten, ver¬ 
bunden mit Kribbeln und Stechen in den Füssen. Zur selben Zeit Steifigkeit, 
Schwäche und taubes Gefühl im rechten Arm, 3 Wochen später im linken. Kurz 
vor der Aufnahme auch Taubheitsgefühl an zwei Stellen des Abdomens. Die 
Untersuchung ergiebt doppelseitigen Nystagmus, vorübergehenden Intentionstremor 
in der rechten Hand, starke Patellarreflexe, Fussklonus angedeutet, Babinski. 
Das auffallendste Symptom ist eine erhebliche Störung des stereognostischen Sinns 
an der rechten Hand bei vollkommen erhaltener tactiler Sensibilität und dem 
Mangel jeder Coordinationsstörung. Verf. stützt die Diagnose wesentlich auf den 
Nystagmus; es bestanden bei der Patientin aber erhebliche, seit der frühesten 
Kindheit datirende Sehstörungen (Hornhautflecke in Folge von Keratitis) bei 
gleichzeitigem Strabismuss, so dass Ref. sich dem in der Discussion geäusserten 
Bedenken, ob nicht diese Veränderungen am Sehapparat den Nystagmus bedingen, 
anzuschliessen geneigt ist, und dann steht die Diagnose einer multiplen Sklerose 
auf schwachen Füssen. Martin Bloch (Berlin). 


29) A case of malaria presenting the Symptoms of disseminated salerosis 

with necropsy, by William G. Spiller. (From the William Pepper 

Clinical Laboratory. 1900.) 

Der Verf. führt zunächst sehr ausführlich die in der Litteratur niedergelegten 
Fälle von Malaria mit Erscheinungen von Seiten des Centralnervensystems an, 
giebt ferner die kurze Beschreibung eines Falles eigener Beobachtung, hei welchem 
der Patient Schwindel, Sprachstörungen, Intentionstremor der Hände, Ataxie an 
den Beinen gehabt hatte, welche Erscheinungen auf Chinin beinahe völlig zurück- 
gegangon waren (Plasmodien waren im Blute aufgefonden worden). Sodann 
citirt er Angaben über hei Malaria gefundene anatomische Läsionen des Central¬ 
nervensystems. 

Angaben über Veränderungen der motorischen Partieen konnte er jedoch 
nirgends auffinden. Die Paralysen wurden von den einen auf die Kachexie, von 
anderen auf Congestion, Blutveränderung oder die Ruptur capillärer, mit Pigment 
gefüllter Aneurysmen zurückgeführt. 

In dem Falle, dessen Krankengeschichte und Ohductionsprotocoll er nun aus¬ 
führlich wiedergiebt, handelte es sich um einen 40jähr. Matrosen, den er 3 Jahre 
im Krankenhause beobachten konnte; derselbe bot die Symptome einer vorwiegend 
einseitig localisirten multiplen Sklerose. 

Der Patient, dessen Temperaturen während der ganzen Zeit (entsprechend 
seiner Somnolenz) subnormale gewesen waren, erkrankte an profusen Diarrhöen 
mit erhöhten Temperaturen von intermittirendem Typus und starb nach wenigen 
Tagen. 

Bei der Obduction fiel vor allem die stark vergrösserte Milz auf. 

Mikroskopisch fanden sich multiple sklerotische Plaques, insbesondere auf 
motorische Herde (Pyramide) der einen Gehirnhälfte beschränkt, die Verf. als das 
Resultat vorausgegangener wiederholter capillärer Blutungen ansieht; Nervenzell- 
veränderungen konnten an den in Müller’scher Flüssigkeit gehärteten, mit Carm- 
ammoniak gefärbten Präparaten nicht festgestellt werden. Die Hirncapillaren 
waren an vielen Stellen mit pigmenthaltigen Parasiten der Autumno-aestivalform 
wie mit schwarzem Pulver injicirt. 

Es handelt sich somit um einen Fall von sozusagen larvirter Malaria. 

Hysterie und terminale Complioation mit Malaria waren auszuschliessen. Die 


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so außerordentlich lange Latenzperiode findet er in mehreren italienischen An¬ 
gaben erklärt, nach welchen die Parasiten unter Umständen jahrelang auf ein 
bestimmtes Organ beschränkt bleiben können, um gelegentlich wieder den ganzen 
Organismus zu invadiren. Bakterienhaufen, die er im Gehirne finden konnte, fasst 
er als postmortales Einwanderungsproduct auf. 

Soweit Verf. in der Litteratur auf Malaria zurtickgeföhrte Fälle multipler 
Sklerose auffinden konnte, ist sein Fall der erste, bei welchem auch der anato¬ 
mische Befund vorliegt. H. Marcus (Wien). 

80) Bin Fall von multipler Sklerose traumatiaohen Ursprungs, von Dr. 

Julius Flesch. (Wiener med. Blätter. 1901. Nr. 7.) 

Der 40jähr. Bahnbedienstete wurde von den Puffern eines Waggons in die 
Kreuzbeingegend gestossen. Schmerzen daselbst und neurasthenische Beschwerden 
blieben durch Monate die einzige Folge. 4 Monate nach dem Unfall Steigerung 
der Periost- und Sehnenreflexe, Patellarklonus, Intentionstremor, rechts auch 
Tremor in der Buhe. Spastischer, unsicherer Gang. Ziehende anfallsweise auf¬ 
tretende Schmerzen vom Kreuzbein gegen den Schädel ausstrahlend, Hyperästhesie 
des Acusticus, allgemeine Muskelschwäche, tremolirende, nicht scandirende Sprache, 
Romberg’sches Phänomen angedeutet, Anfälle von Dyspnoe bei Druck auf 
schmerzhafte Stellen. 

Von diagnostischer Bedeutung gegenüber Meningitis und Neurasthenia spinalis 
hält Verf. die erwähnten anfallsweise auftretenden ziehenden Sohmerzen ohne 
Druckempfindliohkeit der Dornfortsätze. J. Sorgo (Wien). 


81) Bin Fall von multipler Sklerose nach Trauma, von Prof. Dr. Wind¬ 
scheid. (Aerztl. Sachverständigen-Zeitung. 1902. Nr. 1.) 

Verf. berichtet über einen 21jähr. Zimmerer, welcher dadurch verunglückte, 
dass er aus einer Höhe von 90 cm herunter mit dem Kopf auf einen Balken fiel; 
er war sofort bewusstlos, hatte eine Beule an einem Auge und blutete aus dem 
rechten Ohr. 8 Tage darauf Kopfschmerz, Schwindel, Sprachstörung. Lues und 
Alkoholismus negirt. Objectiv: Blöder Gesichtsausdruck. Verminderte Intelligenz. 
Skandirende Sprache. Romberg’sches Phänomen. An den unteren Extremitäten: 
Ataxie, sohleppender, unsicherer Gang, stark gesteigerte Kniereflexe, Fussklonus. 
Keine Sensibilitätsstörungen. Kein Nystagmus. Kein Intentionstremor. Diagnose: 
Multiple Sklerose. Die Krankheit ist eine congenital veranlagte, das Trauma das 
äussere Reizmoment, welches das Leiden zur Entwickelung brachte. Zum min¬ 
desten müsse eine raschere Entwickelung der Krankheit durch den Unfall an¬ 
genommen werden. Pat. muss die Vollrente beziehen. Kurt Mendel. 


82) Zwei Fälle von Rüokenmarkserkrankung naoh Unfall, von Kurt Mendel. 

(Monatsschrift f. Unfallheilk. 1902. Nr. 1.) 

Verf. berichtet über 2 Fälle, welche beide das Bild der multiplen Sklerose 
darboten, sich aber hinsichtlich der speeiellen Symptomatologie sowie hinsichtlich 
ihres Verhältnisses zu dem bei der Begutachtung in Betracht kommenden Trauma 
nicht unwesentlich von einander unterschieden. 

Im ersten Fall bestand das Trauma in der Absprengung eines Stückes der 
rechten Tibiakante mit grossem Bluterguss durch die Puffer eines Kippwagens. 
Unmittelbar an dieses Trauma traten bei dem 37jähr., bisher gesunden Patienten 
unsicherer Gang und Kreuzso hm erzen auf. Nach ungefähr ’/> J a ^ r bemerkte der 
Verletzte eine Schwäche des rechten Beins: ärztlicherseits wurde um diese Zeit 
ein beginnendes Rückenmarksleiden festgestellt; es bestand schon damals eine 


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Peroneusparese. Nach einem weiteren Jahr zeigte der Kranke ausser der Peroneai- 
parese rechts noch Intentionstremor, eine langsame Sprache, spastischen Gang, bis 
zum Clonus gesteigerte Reflexe und Atrophieen am rechten Unterschenkel mit 
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit. Abgesehen von der Peroneallähmung 
wurde die multiple Sklerose in diesem Falle noch durch eine functioneile rechts¬ 
seitige Hypästhesie oomplicirt. Die Peroneallähmung war nach Verf. keine peri¬ 
pherische, sondern auch eine spinale. Ihre Entstehung geschah ebenso wie die¬ 
jenige des sklerotischen Processes durch das Trauma in einem prädisponirten 
Rückenmark. 

Der andere, symptomatologisch durchsichtigere Fall ist insofern interessant, als 
das auslösende Trauma in einem Sturz in kaltes Wasser bestand, eine Aetiologie, 
welche in der Casuistik der duroh Trauma bedingten multiplen Sklerose schon 
einige Male vermerkt ist. Nach jenem Sturz ins Wasser entwickelte sich bei dem 
37jähr. Pat., einem Flösser, eine Schwäche der Beine, welche sehr bald als Bpinal 
erkannt wurde. Der Zustand verschlimmerte sich im Anschluss an ein zweites 
Trauma, einen Fall auf den Rücken, bis zu dem ausgesprochenen Bild der 
Sklerosis multiplex mit Nystagmus, Opticusatrophie, skandirender Sprache, Reflex¬ 
steigerung u. s. w. 

In diesem letzten Fall wurde der Beginn des Leidens durch das erste Trauma, 
den Sturz ins Wasser, ausgelöst und die weitere Entwickelung des Leidens in 
erkennbarer Weise durch den zweiten Unfall beschleunigt. 

Paul Schuster (Berlin). 


33) Ein Beitrag zur Aetiologie der multiplen Sklerose, von Irma Klausner. 

(Archiv £ Psych. XXXIV.) 

Verfasserin hat das Krankenmaterial der psychiatrischen und Nervenklinik 
in Halle a/S. in Bezug auf die Frage nach der Aetiologie der multiplen Sklerose 
verarbeitet Bei 126 Fällen fand sie ein Ueberwiegen des männlichen Geschlechts 
(78 Männer und 48 Frauen). Von ätiologischen Momenten werden genauer, in 
tabellarischen Uebersichten, betrachtet Heredität, Disposition, Infectionskrankheiten 
(Syphilis nur in 8 Fällen gefunden), Intoxicationen (besonders Alkohol), Traumen 
(26 Fälle, ausserdem in 8 Fällen Verschlimmerung des bereits bestehenden Leidens 
nach Trauma, dadurch, dass Entbindungen, Aborte, Coitus, Aerger und Sorgen 
mit in diese Rubrik aufgenommen sind, ist dieselbe grösser geworden als den 
sonstigen Erfahrungen entspricht; eine Erschütterung des ganzen Körpers lag nur 
in 5 Fällen vor); ferner Ueberanstrengung und Erkältungen (letztere in 18 Fällen). 
Bezüglich des Alters, in dem die Erkrankung sich zuerst zeigte, ist erwähnens- 
werth, dass die Altersgruppe von 36—40 Jahren beinahe ebenso häufig erkrankte 
(18 Mal) wie die von 21 — 26 Jahren (19 Mal) und häufiger wie die von 16— 
20 Jahren (12 Mal); in 2 Fällen trat die Krankheit erst im 61. und 63. Lebens¬ 
jahre auf, jenseits des 50. noch in 7 Fällen. Die noch ziemlich verbreitete An¬ 
sicht, dass die multiple Sklerose vorwiegend eine Erkrankung des jugendlichen 
Alters sei, ist also nach dieser Statistik nioht aufrecht zu erhalten. — In der 
Schlussübersicht ergiebt sich, dass keins der betrachteten ursächlichen Momente 
eine überwiegende Rolle spielt, dass sie alle in fast genau gleicher Häufigkeit in 
der Anamnese angeführt werden; Marie wird sich also mit seiner Angabe, den 
Infectionskrankheiten komme die wesentlichste Bedeutung zu, ebenso getäuscht 
haben wie andere Autoren, die andere Momente bevorzugt haben; der Schluss, 
dass keine der gewöhnlichen äusseren Ursachen von Bedeutung bei der multiplen 
Sklerose ist, dass diese der Hauptsache nach endogenen Ursprungs ist, erscheint 
demnach völlig gerechtfertigt. H. Haenel (Dresden). 


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M| Dl» BaMuufM iwhaM dar multiplen Bklero — und PmmiHi 
panlytioa, von Nikolaas Petroff. (Ineug.-Disaert. Berlin, 1901.) 

Y«£ bal in der Literatur Ober 14 Fälle berichtet» in denen sieb eine 
Conabnetion von r—ltipkr Skkroe und progressiver Paralyse feststellen linse. 

Er selbst giebt die Krankengeschichte (ohne Sectionabericht) eines solchen, 
auf der Nerrenklissk der Berliner Charit* beobachteten Fallen Es handelt sich 
oa einen 47jihr. Kanfinaan» dessen Leiden als typische multiple Sklerose mit 

T r1—— - -aksndirender Sprache, Nystagmus n. s. w. begann; dann traten 

psychische Symptome der Paralyse hinan: Grössenwahnideeen, Spraohstörung etc. 
Die Erscheinungen der multiplem Sklerose existirten neben der Paralyse unverändert 
weiter: die paralytische Sprachstörung war au der akanehrenden Sprache der 
Sclsroais multiplex hinaugetreten. Kurt Mendel. 


HL Bibliographie. 

1) Mnoyklopidie der gssarrnnfron Chirurgie, von Th. Kocher und F. de 
Quervain. Lieferung 1 u. 2. Mit aahlreichen Abbildungen. (Leiprig 1901, 
F. C. W. Vogel.) 

Bei den raschen Fortschritten auf chirurgischem Gebiete und bei der stetig 
zunehmenden Zahl der Publicationsorgane wird es trotz aller Sammelreferate, 
Centralblätter und Jahresberichte dem Arzte immer schwieriger gemacht, sich nur 
einigermaassen auf dem Laufenden au erhalten. Mit dem vorliegenden Werke 
soll dem herrschenden Cebelstande abgeholfen werden. Eine grosse Anzahl von 
Mitarbeitern ist gewonnen worden, deren Namen alle Garantie für vollständige 
und zuverlässige Darstellung der anvertrauten Capitel in knapper Form bieten. 
Mögen auch die Ansichten über den Werth der Darstellung einer Disoiplin in 
Form eines Lexicons mit alphabetischer Anordnung vielfach getheilt sein, soviel 
steht ausser Zweifel, dass das Verlangen nach solchen Büchern, welohe vor allem 
eine rasche Orientirung über die wichtigsten Punkte ermöglichen, unter den 
Praktikern sehr verbreitet ist. Freilich wird der praktische Arzt in diesem Nach* 
schlagebuche manchmal gerade dasjenige nicht mit hinreichender Genauigkeit 
erörtert finden, was ihn im speoiellen Falle interessirt. Umsomehr dürfte, zumal 
bei wichtigeren Capiteln, ein Hinweis auf die hervorragendsten litterariBohen 
Erscheinungen auf dem einschlägigen Gebiete nicht fehlen. Litteraturangaben 
erscheinen vor allem unerlässlich bei denjenigen Affeotionen, über deren Behaud* 
lang unter den Antoren noch wesentliche Meinungsverschiedenheiten bestehen 
(vergl. z. B. die Capitel Aderorkrankungen, Appendicitis tr. s. w.). Abgesehen von 
diesem Mangel wäre an den vorliegenden Lieferungen nur noch der kleine Druck 
zu beanstanden. Im Uebrigen ist die Bearbeitung eine durchaus gediegene und 
wir bezweifeln nicht, dass das Werk der gestellten Aufgabe vollauf gerecht 
werden wird. Wir behalten uns vor, auf dasselbe nach dem vollständigen Er¬ 
scheinen nochmals ausführlich zurückzukommen. Adler (Berlin). 


8) Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen» unter beeonderer Berück¬ 
sichtigung der Homosexualität , herausgegeben von Dr. M. Hirschfeld. 
(Leipzig 1901, M. Spohr.) 

Bisher liegen drei an Umfang wachsende Jahrgänge dieses Jahrbuchs vor. 
Sie enthalten eine Fülle des sonst wohl nirgends so reichlioh vorhandenen Materials. 
Die Mitarbeiter sind theils Aerzte (Moll, Krafft-Ebing, Hirschfeld), katho¬ 
lische Prister u. s. w., theils anonyme Schriftsteller. 

Der erste Jahrgang (1899) enthält eine systematische Anleitung zur Unter¬ 
suchung von Urningen, interessante Selbstbiographieen von Kranken dieser Art 


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eine Zusammenstellung der strafrechtlichen Bestimmungen über diesen Punkt ans 
alter und neuerer Zeit in Deutschland und den übrigen Staaten Europas. 

Als das Werth vollste in diesem sowie in den folgenden Jahrgängen erscheint 
die offenbar vollständige, mit grosser Sorgfalt zusammengestellte Bibliographie. 

Im zweiten Jahrgange (1900) ist ein Aufsatz von Moll (Berlin) über die 
Therapie bei Homosexuellen von Interesse. Die aus einer offenbar sehr grossen 
Erfahrang heraus dargestellten Behandlungsprincipien dürften die Zustimmung der 
Neurologen und Psychiater finden, zumal auf die individuellen Verschiedenheiten 
der einzelnen Fälle genügend hingewiesen ist. Für die zu ergreifenden gesetz¬ 
lichen Maassnahmen sind ausser den ärztlichen Urtheilen auch die Darstellungen 
von zwei Geistlichen (eines römisch-katholischen und eines evangelischen) von 
Wichtigkeit. Ausser der Bibliographie finden wir in diesem Band noch eine 
reichliche Blüthenlese aus den Tageszeitungen — meistens sogenannte „Skandal- 
affairen, mysteriöse Vorfälle, Sensationsgeschichten, Sittenbilder u. s. w.“, die nicht 
nur die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse erkennen lassen, unter denen solche Kranke 
mit der Umgebung oollidiren, sondern auch beweisen, wie verbreitet diese psycho¬ 
pathische Disposition ist. 

Der neueste, diesjährige, dritte Band ist der umfangreichste (etwa 600 Seiten). 
Er enthält einen Beitrag von Krafft-Ebing (Wien) über „Neue Studien auf 
dem Gebiete der Homosexualität“. Das Verhalten der Homosexuellen in der Ehe 
wird dargestellt. Dr. Kar sch (Berlin) schildert die Erscheinungen des Uranismus 
und der Tribadie bei den Naturvölkern. Von einigen historischen Persönlichkeiten 
(dem Märchendichter Andersen, dem Kaiser Heliogabel u. A.) wird der Nachweis 
der homosexuellen Veranlagung und Bethätigung geführt. Sehr interessant sind 
noch die Darstellungen über Oscar Wilde und die Selbstbiographie zweier homo¬ 
sexuell veranlagter Frauen. In der feinsinnigen Zergliederung des Charakters, 
besonders der einen, zeigt sich ein wunderbarer Uebergang zum normal-psycho¬ 
logischen. — Auch die „Zeitungsausschnitte“ in diesem Jahrgang enthalten wieder 
reiches casuistisches Material. Lilienstein (Bad Nauheim). 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 10. März 1902. 

Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: Herr Bernhardt. 

Der Vorstand schlägt der Versammlung vor, Herrn v. Leyden zum Ehren¬ 
präsidenten der Gesellschaft zu ernennen; der Vorschlag wird einstimmig an¬ 
genommen. Der Vorsitzende theilt mit, dass der Vorstand der Gesellschaft 
Herrn v. Krafft-Ebing zu seinem 30jährigen Docentenjubiläum ein Glückwunsch¬ 
telegramm im Namen der Gesellschaft übersandt habe. 

Herr Paul Schuster (vor der Tagesordnung): Gestatten Sie, dass ich 
Ihnen in Kürze einen 59 jährigen Patienten vorstelle, dessen Hauptkrankheits- 
symptom in einem tonischen und dann clonischen Krampf des ganzen rechten 
Facialis besteht. Ausser den sämmtlichen Gesichtsmuskeln ist auch das Pla¬ 
tysma und die Masseteren, sowie die Zungenrauskulatur rechts betheiligt. Der 
Krampf tritt jetzt — ohne erkennbare Ursache ungefähr alle Stunde auf und 
dauert 1 — 2 Minuten. Das Bewusstsein ist völlig erhalten, desgleichen die 
Pupillenreaction. Eine deutliche Aura besteht nioht, wenn Pat. auch das Gefühl 
hat, dass der Krampf „von unten, von der Magengrube, emporsteigt.“ Nachher 
keine Benommenheit. Ausser diesen Krämpfen bestehen auch einige sehr un¬ 
bedeutende Lähmungserscheinungen im Bereich der Himnerven: eine ganz 
schwache Parese des rechtsseitigen Facialis und Hypoglossus, ein geringes 
Weitersein der rechten Pupille. Keine elektrische Veränderung im Facialis, 


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keine Betheiligung des sensiblen Quintos oder des Acusticus. Die Sprache ist 
stark nasal, das Schlacken ungestört Sonstiger Befund von Seiten des Nerven¬ 
systems negativ, insbesondere keine Stauungspapille, kein Erbrechen oder sonstige 
Allgemeinerscheinungen. Wenig Eiweiss im Urin. Der geschilderte Befund ge¬ 
winnt noch an Interesse dadurch, dass derselbe schon vor 11 Jahren aufgetreten 
ist, aber seitdem nicht stationär gewesen ist Als der Krampf vor 11 Jahren 
zuerst kam, war er von Zungenbiss begleitet, sonst aber genau wie jetzt (An¬ 
gabe der Frau des Pat) Damals verschwand der Krampf wieder und tauchte in 
der Folgezeit nur alle halbe Jahre ungeiähr einmal aut Sylvester 1898/99 trat 
eine neue Serie von Anfällen auf, welche heftiger war als die frfiheren und länger 
anhielt Der Pat suchte im April 1899 die Prot Mendel’sche Klinik auf, wo 
ich den Pat einen Monat beobachtete. Der Hauptunterschied des damaligen 
Befundes dem jetzigen gegenüber besteht darin, dass die Lähmung des Facialis, 
der Zunge und der Gaumenmuskulatur eine ausserordentlich hochgradige war; 
der Pat konnte weder articuliren noch schlucken. Bemerkenswerth ist, dass in 
dem gelähmten Facialis deutliche ausgiebige Bewegungen beim Affectlaohen ge¬ 
sehen wurden. Die Krampfanfälle waren die gleichen wie heute und kamen noch 
viel häufiger. (Demonstration des Photogramms.) 

Auch damals war Eiweiss im Urin. Letzteres verschwand in dem weiteren 
Verlauf in demselben Grade als die Krämpfe sich verloren. Der Kranke war 
dann 3 Jahre ganz gesund, ohne jeden Krampf und ohne Parese bis vor etwa 
8 Tagen. Seit dieser Zeit jetziger Befund. 

Ich glaube, man kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit trotz des Zungen- 
biBsee und trotz der langen Dauer des Leidens wegen der erhaltenen Pupillenreaction, 
wegen der stets freien Psyche und wegen des negativen Erfolgs einer Brombehandlung 
eine abortive Form der genuinen Epilepsie ausschliessen, wenn auch bei letzterer 
Zustände nachfolgender passagerer Lähmung beschrieben worden sind. 

Bin ich so geneigt, einen organischen Process anzunehmen, so'möchte ich 
diesen wegen der eigenartigen Constellation der befallenen Muskeln nicht in den 
Pons verlegen, trotzdem der Pat. in dem Stadium der Lähmungen durchaus den 
Eindruck eines Ponskranken macht. Die Häufigkeit der Anfälle, das Befallensein 
des ganzen Facialis, des Platysma, der Kaumuskeln, der Zunge spricht mit grosser 
Wahrscheinlichkeit für einen Sitz der Affection im unteren Theile der vorderen 
und hinteren Centralwindung. Hier sind die sämmtliohen in Betracht kommenden 
Muskeln auf einem kleinen Territorium bei einander gelagert. Vielleicht handelt 
es sioh um irgend einen alten kleinen oberflächlichen pialen und corticalen Ent¬ 
zündungsherd, in welchen hinein (unter dem Einfluss der Nephritis?) gelegentlich 
kleine Hämorrhagieen erfolgen. (Autoreferat.) 

Discus8ion. 

Herr Oppenheim stimmt bezüglich der Localisation dee Processes völlig 
mit dem Vortr. überein, ungewöhnlich selten, wenn auch nicht singulär, sind die 
dabei beobachteten Bulbärsymptome. Was die Natur des Leidens angeht, so 
sollte die Diagnose „Tumor“ nicht ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden, 
da eine ganze Reihe von Tumoren, besonders solche, die gewissen regressiven 
Metamorphosen unterlägen (Cysten, Cysticerken) oft lange stationär bleiben, bezw. 
oft lange symptomlos verlaufen; ferner kann im vorliegenden Fall auoh an ein 
Aneurysma gedacht werden. 

Herr Sohuster bemerkt, dass auoh in der Mendel’schen Klinik an die 
Möglichkeit eines Cysticercus gedacht worden wäre, ebenso an die eines 
Aneurysma. Aetiologisohe Anhaltspunkte für die entere Möglichkeit hätten 
sich nicht ergeben. Bei einem Tumor wäre das Fehlen aller sensiblen Reiz¬ 
erscheinungen, die besonders bei solchen Serien von Attaquen fast stets vorhanden 
seien, äusserst merkwürdig. 


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Herr Jolly berichtet ttber 3 Fälle von Äüokenmarkserkrankungen in Folge 
von Wir bei Verletzungen , von denen er die beiden ersten gebessert vorstellen 
kann, während der dritte ad exitum gekommen und anatomisch untersucht worden ist. 

1. Pat. wurde vor l l / 4 Jahr von einem Wagen umgestossen, das Pferd trat 
ihn in den Nacken. Pat war sofort an den Beinen gelähmt; die Lähmung wsrr 
hu nächst eine schlaffe, die Patellarreflexe fehlten, die Hautreflexe waren schwach 
vorhanden. Es bestand ein Gibbus des 1.—3. Brustwirbels. Nach 2 Monaten 
Patellarreflexe lebhaft, allmählich mehr and mehr verstärkt Es bestehen jetzt 
starke Spasmen, die aber überwunden werden können. Bewegungen in den Beinen 
sind in geringem Grade möglich und zwar rechts besser als links und Morgens 
leichter als am Abend. Pat kann, von beiden Seiten gestützt, sich etwas fort¬ 
bewegen. Es besteht Fuseclonus und Babinski’sches Zeichen beiderseits, die 
Hautreflexe sind erhöht. Sensibilität: Temperatur- und Sohmeraempfindung beider¬ 
seits bis zur Höhe der 3. Rippe herabgesetzt; bisweilen Incontinentia urinae. 
Der Rumpf ist steif, Aufriohten aus der Rückenlage ohne Hülfe unmöglich. 
Obere Extremitäten frei, rechte Lidspalte eine Spur enger als die linke, Pupillen 
gleich, Hirnnerven ohne Störungen. Auffallend kt das Freibleiben der oberen 
Extremitäten. Es handelt sich demnach um eine Quetschung im 2. Doreakegment, 
bedingt daroh Wirbelfractur. Affioirt sind nach dem klinischen Bilde vornehmlich 
die vorderen Partieen des Rückenmarkes, und zwar Pyramidenbahnen, Vorder¬ 
stränge, vielleicht auch die G owers*sehen Stränge. Vortr. hält eine weitere 
Besserung für möglioh, völlige Restitution indess für ausgeschlossen. 

2. Vor l 1 /, Jahren Sturz von einem Gerüst; Pat. fiel auf die Füsse, knickte 
zusammen and brach beim Versuch, sich zu stützen, den linken Vorderarm. Sofort 
Lähmung beider Beine mit leiohter Anästhesie. Am dritten Tage Ausbruch eines 
Delirium tremens von sehr mildem Verlauf, während dessen eine Lnmbalpunction 
5 ccm einer bräunlich tingirten Flüssigkeit, die mikroskopisch degenerirte rothe 
Blutzellen Enthielt, entleert wurde, wodurch das Vorhandensein eines Blutergusses 
in den Duralsack siohergestellt wurde. Unmittelbar nach der Punotion wurden 
geringe Bewegungen in den Zehen constatirt, die während eines 14 Tage an¬ 
dauernden und mit Pneumonie oomplicirten Recidivs des Delirium wieder 
schwanden. Nach Ablauf desselben oomplette schlaffe Lähmung der Beine. An¬ 
fangs Incontinentia vesieae et alvi, die nach Ablauf des Delirs allmählich nach- 
Hess. Nach 3 Monaten begannen die ersten spontanen Bewegungen und zwar 
schwaohe Flexion und Rotation der Oberschenkel. Die faradisohe Erregbarkeit 
war in den ernten Monaten fast gleich Null, galvanisch fand sich später Ent- 
artungsrcaction in sämmtliehen Muskeln der Beine, und zwar in den distalen 
Partieen stärker als in den proximalen. Nach dem zweiten Delirium waren 
peripherische Nerven wie die Muskeln stark druckempfindlich. Es findet sich 
jetzt eine P-arese des Quadrioeps beiderseits, links mehr ausgesprochen als rechts. 
Die Patellarreflexe fehlen. Es besteht typische Lähmung der Feronealgruppe 
beiderseits, ausgesprochener Steppergang. Die Functionen der Blase und des 
Mastdarm es sind jetzt nahezu normal. Oben Extremitäten und Sensorium sind 
frei. In der Gegend des -2.—8. Lendenwirbels ■findet sich ein ganz schwaoh 
hervortretender, jetzt nicht mehr schmerzhafter Gibbus. 

Vortr. diagnostiekt eineCauda-Erkraflkung. Der AlkoholismuB mag im vor¬ 
liegenden Fall wohl noch eine besondere Disposition für die traumatische Er¬ 
krankung des peripheren motorischen Neurons gegeben haben. Wahrscheinlich 
wird die Regeneration noch weitere Fortschritte machen. 

3. Starz aus -der 'Höhe wen zwei Stockwerken. Sofort Bewusstlosigkeit und 
complette schlaffe Lähmung der Beine, Blasen- und Mastdarmlähmung, Sensibilität 
bis zur 6.—6. Rippe völlig aufgehoben, andauernder Priapismus, Fehlen der 
Patellarreflexe. Betroffen waren der 5.—8. Brustwirbel. Es bestand demnach 
völlige Leitungsunterbrechung. 


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Bei der 3 Monate nach dem Unfall erfolgten Aufnahme in die Nervenklinik 
der König!. Charite fand sich kein eigentlicher Gibbus, vielmehr nur eine ganz 
geringe Hervorwölbung an der angegebenen Stelle. Ee bestand Lähmnng beider 
Beine, die Patellarreflexe waren schwach auslösbar, also wiedergekehrt. 
FusecleiMis war nicht vorhanden, das Babi'nski’sche Symptom nur auf einer Seite. 
Pat. wurde 3 Jahre beobachtet; der Zustand änderte sich nicht wesentlich. Die 
Lähmung blieb constant, die Sensibilitätsgrenzen verschoben sich um ein Geringes; 
in der letnten Epoche der Krankheit bestand oberhalb des Nabels Hypästhesie, 
stellenweise mit Allochirie bis zur 6.—6. Rippe, unterhalb des Nabels völlige 
Anästhesie. Pat. ging in Folge schwerer Cystitis und Pyelitis an urämischen 
Anfällen zu Grunde. 

Die Seotion ergab keine Wirbelveränderungen, sondern nur eine Ver- 
dOnnung und fibröse Entartung der Bandscheibe zwischen 6.—7. Brustwirbel, 
während der Knochen selbst unverändert war. In dieser Höhe war das Rücken¬ 
mark mit der Dura zu einem fibrösen Strang verwaohsen. 

Vortr. demonstrirt die mikroskopischen Präparate, die zeigen, dass an dm* 
Stelle der stärksten Veränderungen keine Spur von Nervenfasern mehr vorhanden 
ist, die ferner erhebliche Verdickungen der Dura, an den Arterien verbreitete 
Verdickungen der Intima, ferner auf* und absteigende Degenerationen erkennen 
lassen, und macht besonders darauf aufmerksam, dass die Westphal’sohe Stelle 
der Patellarreflexe gut erhalten ist. Am stärksten affioirt ist das 7.—9. Docsalsegment. 

Auffallend ist das Fehlen von Wirbel Veränderungen; im Moment der Ver¬ 
letzung muss eine Verschiebung der Wirbelkörper stattgefunden haben, die sich 
spontan sofort wieder reponirt ha£. Geblieben sind die Veränderungen der 
Bandscheibe. 

Das Verhalten der Patellarreflexe spricht in diesem Fall gegen die Bastian- 
Bruns’sohe Theorie, wie auch bereits zwei andere veröffentlichte Fälle (einer 
davon von Kausch aus Breslau). 

Der Fall zeigt, dass die Patellarreflexe trotz völliger Lähmungsunterbrechung 
wiederkehren, wenn nur die unteren Partieen des Rückenmarks intact geblieben 
sind. Die zahlreichen Fälle, in denen nach völligen Leitungsunterbrechungen die 
Patellarreflexe dauernd geschwunden sind, bedürfen noch einer besonderen Erklärung. 

Harr Henneberg: Ueber Lues spinalis. 

Fall I. Meningitis und Neuritis gummosa, seoundäre Hinterstrangsdegeneration. 

Der 37jähr. Pat., aufgenommen in die Charitö Juli 1896, stellte syphilitische 
Infeotion in Abrede. Das Leiden begann nach einem schweren, durch Sturz 
herbeigeführten Kopftrauma 4 Monate vor der Aufnahme mit Kopfschmerz. Be¬ 
fund bei der Aufnahme: Sehr mangelhafte Reaction der Pupillen, Neuritis optica, 
Parese des rechten N. abducens, Herabsetzung der Hörfähigkeit links, unsicherer 
Gang, Steigerung der Patellarreflexe, keine Störung der Sensibilität; Demenz. 

Krankheitsverlauf: In den ersten Monaten deB Anstaltsaufenthaltes häufiges 
Erbrechen. Ende 1896 völlige Blindheit und Taubheit, starke Unsicherheit des 
Ganges, Ungleichheit der Patellarreflexe, epileptiforme Anfälle. Seit Mitte 1897 
Contracturen in Armen und Beinen, Nackensteifigkeit, Schwinden der Patellar¬ 
reflexe, hochgradige Verblödung, Marasmus. Tod Juli 1899. 

Seotionsbefund: Schwielige basale Meningitis, Rydrocephalus int., Ependy- 
mitis gvan., mistige Verdickung der Dura und Pia spinaüs. Hochgradige gummöse 
Infiltration der Araohnoidea spin. und der hinteren Dorsalwurzeln. Dieselben 
erscheinen makroskopisch enorm verdickt. Arteriitis syph. Endarteriitis oblit. 
Leichte Degeneration der Randbezirke des Rüokenmarkee. Im Hinterstrang De¬ 
generation einzelner den Lumbarwurzeln angehörender Wurzelfelder, totale De¬ 
generation der intramedullären Fortsetzungen sämmtlicher Dorsalwurzeln und des 
8. Cervicalwurzelpaares. Von der 7. Cervicalwurzel an keine Degeneration der 
hinteren Wurzeln und ihrer Fortsetzungen. Das ventrale Hinterstrangsfeld ist 


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durchweg erhalten, der Goll*sehe Strang mässig degenerirt. Das hintere äussere 
Feld (hintere mediale Wurzelzone) im unteren Cervicalmark relativ erhalten. 

Vortr. führt aus, dass es sich in dem vorliegenden Falle nicht um eine 
den übrigen Veränderungen coordinirte genuine Tabes handeln kann. Die Hinter- 
etrangsveränderung ist bedingt durch die intramedulläre aufs teigende Degeneration 
der durch die gummöse Infiltration zerstörten extramedullären hinteren Wurzeln. 
An dem Aufbau des hinteren äusseren Feldes im unteren Cervicalmark betheiligen 
sich, wie sich aus dem Falle ergiebt, aus dem Dorsalmark au&teigende Fasern 
nicht wesentlich. 

Fall II. Meningomyelitis des Cervicalmarkes. Initiale genuine Tabes.. 

Patientin, eine 32 jähr. Frau, aufgenommen in die Charitö am 7. October 1898, 
war früher niemals schwer krank. Vor 7 Jahren Heirath; von ihrem Mann da¬ 
mals syphilitisch infioirt. Patientin litt an Hautgeschwüren, die nach einer Schmier¬ 
kur schwanden. Seit 4 Jahren Reissen in den Beinen, seit einem Jahre Kribbeln 
und Gefühl von Taubheit in den Händen und Nackenschmerzen, dann allmählich 
zunehmende Parese der Arme und Beine, zuletzt öfters Erbrechen. Keine anti¬ 
syphilitische Behandlung. 

Befund bei der Aufnahme: Pupillen ungleioh, verzogen. Beaction auf Be¬ 
lichtung rechts aufgehoben, links gering. Augenhintergrund normal. Function 
der Himnerven intact. Bewegungen der Wirbelsäule und Druck auf die Hals¬ 
wirbel schmerzhaft. Hochgradige Pareee der Arme und Beine. Keine Atrophieen 
und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit. Reflexe an den Armen und 
an den Beinen erhalten, nicht gesteigert, kein Fussclonus. Leichte Herabsetzung 
der Sensibilität an den Armen und am Thorax. Plötzlicher Exitus am 7. Tage 
nach der Aufnahme. 

Sectionsbefund: Leptomeningitis chronica fibrosa an der Convexität und Basis. 
Meningomyelitis des oberen und mittleren Halsmarkee. Keine schweren Gefäss- 
veränderungen. Kein gummöses Infiltrat. Im oberen Dorsalmark Degeneration 
eines hinteren Wurzelfeldes; im Lumbalmark Abblassung der mittleren Wurzelzone. 

Vortr. bespricht die Beziehung zwischen Lues, Meningitis und Hinterstrangs¬ 
degeneration. In dem vorliegenden Fall besteht neben der Meningitis eine be¬ 
ginnende genuine Tabes. Beide Affectionen sind coordinirt und als „metasyphi¬ 
litisch“ aulzufassen. (Autoreferat.) 

Martin Bloch (Berlin). 


V. Vermischtes. 

Die Jahresversammlung des Vereins der dentsohen Irrenärzte wird am 14. und 
15. April in München stattflnden. Beginn Montag Vormittag 9 Uhr im physikalischen Hör¬ 
saal des Polytechnicnms. 

Tagesordnung: 

Referate: a) Die Seelenstörungen auf arteriosklerotischer Grundlage. Ref.: Dr. Alz¬ 
heimer. — b) Vorschläge zur Schaffung einer Centralstelle für Gewinnung statistischen 
Materials über die Beziehungen der Geisteskranken. Ref.: Prof. Dr. Hoche. 

Vorträge: 1. Prof. Dr. Binswanger (Jena): Ueber hysterische Myoklonie. 2. Dr. 
Brosius (Sayn): Ueber den Mangel an Irren-Patronaten in Deutschland. S. Dr. Degen¬ 
kolb (Neustadt): Beiträge zur Pathologie der kleinen Hirngefässe. 4. Prof. Dr. Fürstner 
(Straseburg i/E.): Giebt es eine Pseudoparalyse? 5. Dr. Gudden (Münohen): Beiträge zur 
Anatomie und topographischen Anatomie des Hirnstamms. 6. Dr. Räcke (Kiel): Ueber 
Hypochondrie. 7. Dr. H. Vogt (Göttingen): Ueber Gesichtsfeldeinengung bei Arteriosklerose. 
— 8. Prof. Dr. A. Westphal (Greifswald): Beitrag zur Pathogenese der Syringomyelie. 
9. Priv.-Doc. Dr. G. Wolff (Basel): Die physiologische Grundlage der Lehre von den Dege¬ 
nerationszeichen. 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaotion sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mizzoib & Wrmo in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(nnter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Enudswansigstor " BerMn ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die PostanBtalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

19027 l(TÄprii7 Nr. 8. 


Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Kurze Mittheilung Aber eine neue Färbungs¬ 
methode des Centralnervensystems, von Dr. phil. et med. Hermann von Schrotte r. 2. Ein 
Fall von autochthoner Hirnsinusthrombose, von Dr. Good. 3. Weiteres über die asthenische 
Lähmung, nebst einem Obductionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Ooldflam in Warsohau. 

II. Referate. Anatomie. 1. Ueber einen noch unbekannten Nervenzellenkern im 
Räckenmark der Vögel, von von Koelllker. 2. Zur PräparationBtechnik der Organe des 
Centralnervensystems, von Dexler. — Experimentelle Physiologie. 3. Observations on 
the physiology of the cerebral cortex of some of the higher apes, by Grünbaum and Sher- 
riogton. — Pathologische Anatomie. 4. Ueber secundäre Degeneration in Mittelhirn, 
Brücke und Medulla oblongata nach Zerstörung des Grosshirns, insbesondere des motorischen 
Rindeocentrums, von Kosaka. 5. Bemerkungen über die Entstehung und Bedeutung gewisser 
wandloser Gehiräoysten, von v. Reasz. — Pathologie des Nervensystems. 6. Specimens 
ülustratdng three cases of tumour of brain, by Workman. 7. Hydatid cyst of the left frontal 
region of the brain. Operation. Recovery, by Rennls and Crago. 8. Zur Diagnose der Ge¬ 
schwülste des Stirnhirns, von HSnlger. 9. Fall af tumor cerebri; trepanation; förbättring, af 
Kaiser. 10. Gliomatöse Entartung des einen Tractus und Bulbus olfactorius bei Glioma 
cerebri, von Chlari. 11. Bullet wound of the motor region of the brain: bullet retained-. 
sucoessful extraction, by Drew. 12. Et tilfälde af tab af mnskelsansen, begränset til höire 
haand, af Magnus. 13. Gutachten über einen Fall von Gliom des Gehirns mit tödtlichem 
Ausgang in Folge von Kopfverletzung nach etwa IO 1 /* Jahren, von Uhlsmann. 14. Tumor 
cerebri, door Bouman. 15. Case of cerebral tumour at the parieto-occipital fissure, by 
Willlasison. 16. A case of sarcoma of the brain removed by Operation: subsequent Operation 
for removal of a second tumour: recovery, by Clarke and Lansdown. 17. Tumor oerebri, 
door von ZiegenweldL 18. Zur Klinik der Tumoren der Vierhügelgegend nebst Bemerkungen 
zu ihrer Dinerentialdiagnose mit Kleinhirngeschwülsten, von Nissen. 19. Ein Lipom der 
Vierhügelgegend, von Spieler. 20. Ein Beitrag zur Kenntniss der Brückengesohwülste, von 
Zahn. 21. Un glioma dei plessi ooroidei del IV ventrioolo. Osservazione del Catbla. 22. Ein 
Gliom des 4. Ventrikels nebst Untersuchungen über Degeneration in den hinteren und vorderen 
Wurzeln bei Hirndruck- und bei Zehrkrankheiten, von Becker. 23. Ueber intraoranielle 
Complicationen der Mittelohreiterung, von Merkens. 24. Ein Beitrag zur Erkenntniss einiger 
postotitischer Hirnaffectionen, von Haskovec. 25. Ett fall af hjärnabsess i anslutning tili 
empyem i sinus frontalis, af Linden. 26. Empyem der linken Stirnhöhle mit Durchbruch 
nach der Orbita und vorderen SchädelgTube, Abscees des linken mittleren Stirnlappens, Tod, 
von Trautmann. 27. Zum otitischen Hirnabscess, von 8tenger. 28. Zur Lehre von den 
otitischen Hirnabhcessen, von Müller. 29. Abscessus cerebri; trepanation; död, af Lundmark. 
30. Hühnereigroeser otogener Hirnabscess, extraduraler und subperiostaler Abscess in der 
Schläfengegend, durch Operation geheilt, von Denker. 

IIL Aus den Gesellschaften. Aerztlioher Verein zu Hamburg. 

IV. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. Januar bis 28. Februar 1902. 

V. Vermischtes. 


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I. Originalmittheilungen. 


[Aus der in. medicin. Universitätsklinik (Prof. v. Sohbötteb) in Wien.] 

1. Kurze Mittheilung über eine neue Färbungsmethode 
des Centralnervensystems. 

Von Dr. phil. et med. Hermann von Sohrötter, 
emerit. klin. Assistenten. 

Angeregt durch eine Arbeit von R. Knapp 1 über die Färbung von Harn¬ 
sedimenten mittels alizarinsulfonsaurem Natron versuchte ich diesen Farb¬ 
stoff aus speciellen, hier nicht weiter zu nennenden Gründen zunächst zur Färbung 
von Blutpräparaten und zog denselben dann auch zur Tinction histologischer 
Objecte heran. Die grosse Empfindlichkeit des Reagens gegenüber Alkalien und' 
Säuren, anf welche zuerst E. Fbeund und G. Töpfer* in anderem Zusammenhänge 
hingewiesen haben, liess ja erwarten, dass Färbungen mit dieser empfindlichen Sub¬ 
stanz entsprechende Differenzirung der einzelnen Gewebselemente gestatten würden. 

Gemäss dem Umstande, als ich gerade mit der Bearbeitung eines grösseren 
Materiales von Rückenmarkspräparaten beschäftigt war, prüfte ich nun das 
Verhalten des Farbstoffes namentlich in Rücksicht auf dieses Gewebe und kam 
hier zu so überraschend günstigen Resultaten, dass ich glaube, die Färbung mit 
dieser Substanz wärmstens empfehlen zu können. 

Eine Lösung von alizarinsulfonsaurem Natron (gewöhnlich Alizarin 
genannt) stellt eine braune, einen Stich ins Grünliche aufweisende Flüssigkeit 
dar, welche bekanntlich gegen alkalische Reaction derart empfindlich ist, dass 
schon bei Zusatz minimalster Spuren von Alkali ein deutlicher Umschlag der 
Farbe stattfindet. Während destillirtes Wasser den Farbenton nicht ändert, 
verwandelt schon ein Zusatz von gewöhnlichem Brunnenwasser den Farbenton 
in roth; unter Hinzufügen eines stärkeren Alkali nimmt die Lösung einen schön 
violetten Farbenton an. 

Ich will mich hier kurz fassen und vorläufig nur anführen, dass die Färbung 
von Rückeumarkspräparaten am einfachsten derart vorgenommen wird, dass man 
mit einer 1—2°/ 0 weiter nicht veränderten Alizarinlösung färbt. Man kann 
die Schnitte über 24 Stunden in der Lösung belassen oder dieselbe auch erwärmen, 
ohne dass dies die Präparate sohädigt Die braunen Schnitte werden dann in 
Brunnenwasser etwa 1 / i —1 Minute differenzirt, bis dieselben einen röthlichen 
Farbenton annebmen, dann in absoluten Alkohol gebracht und hierauf mit irgend 
einem der gebräuchlichen Aufhellungsmittel transparent gemacht 

1 Beiträge zur Färbung des Harnsedimentes mit alizarinsulfonsaurem Natron. Central¬ 
blatt f. innere Medicin. 1902. Nr. 1; der Autor bezieht sich hierbei anf eine frühere Mit¬ 
teilung von Qbohz. Wiener klin. Rundschau. 1894. Nr. 41. 

1 Ueber die Bestimmung der Alkalinität and Acidität des Urins. Zeitschr. f. physiolog. 
Chemie. 1894. XIX. 8.84. 


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Sämmtliche Gebilde erweisen sich nun gefärbt, and zwar in electiver 
Weise, wobei zu betonen ist, dass nicht nur keine Ueberfärbung einzelner 
Gewebselemente eintritt, sondern dieselben vielmehr in klarer Weise, wie ge¬ 
zeichnet zum Ausdrucke kommen. Die graue Substanz hat einen violettbraunen, 
die weisse einen gelbbraunen Farbenton angenommen. 

Das Alizarin färbt sowohl den Protoplasmaleib als die Kerne, die 
Nervenfasern und die Glia, und zwar treten an den Ganglienzellen namentlich 
die Structur des Kerns und die Nissi/schen Körper scharf in Erscheinung; über- 
dies differenzirt sich das feinste Maschen- und Netzwerk der Glia in deutlicher 
Weise. Die bindegewebigen Elemente, basophil, färben sich braunviolett bis violett, 
die Markscheiden, acidophil, gelb bis orange, die Kerne, und zwar je nach ihrer 
verschiedenen Dignität, braun, braunviolett, aber immer mit klarer erhaltener 
Structur. Auch degenerirte Partieen — es liegt mir eben ein Präparat von Tabes 
vor — lassen sich schon makroskopisch von intacten Strängen unterscheiden. 

Ich bemerke, dass sich combinirte Färbungen mit anderen Farbstoffen oder 
nachträgliche Behandlungen mit verschiedenen differenzirenden Flüssigkeiten als 
überflüssig erwiesen haben; doch mag es immerhin möglich sein, auch noch in 
dieser Hinsicht Verbesserungen anzubringen. Schon die einfache Alizarinfarbung 
hat sich, wie aus den obigen Andeutungen hervorgeht, für das Studium des 
Rückenmarks als sehr brauchbar erwiesen. Der Farbstoff kann schliesslich auch 
zur Nachfärbung nach PAi/scher Markscheidentinction benützt werden. 

Soweit ich aus dem mir zur Verfügung stehenden Materiale ersehe, besitzt 
die Art der Härtung keinen wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der Färbung; 
am besten scheint jedoch lange Behandlung in MüiiLEB’scher Flüssigkeit zu sein. 

Hinsichtlich Gewebe anderer Provenienz möchte ich nur bemerken, dass 
sich der Farbstoff dort, wo dichtes Bindegewebe oder Musculatur in über¬ 
wiegendem Maasse vertreten ist, weniger eignet, da diese Gewebe den Farbstoff 
in reichlicher Weise speichern und die Kerne daher weniger hervortreten. Das 
Alizar in eignet sich aber namentlich für solche Gewebe, bei welchen die zelligen 
Elemente in überwiegender Weise vertreten und complicirte Structuren 
vorhanden sind. 

Bei vorsichtiger Färbung tritt auch die Elastica in Bindegewebsantheilen 
oder die Elastica der Gefässwände in deutlicher Weise hervor. 

Die Einfachheit des Verfahrens, sowie der Umstand, dass alle Gewebs¬ 
elemente des Centralnervensystems in klarer und scharfer Weise durch die 
Methode zum Ausdrucke kommen, veranlasst mich zu dieser kurzen Mittheilung, 
indem ich annehmen darf, dass sich dieselbe in die neurologische Technik ein¬ 
bürgern wird. Ich führe noch an, dass Versuche mit den übrigen Farbstoffen 
der Alizaringruppe — Alizarinblau, -gelb, -grün, -orange — mir keine Vor¬ 
theile ergeben haben; mit der Eigenschaft dieser Farbstoffe, mit Metalloxyden 
unlösliche Lackfarben zu bilden, bin ich noch beschäftigt 

Ich habe obigen Mittheilungen noch hinzuzufugen, dass es mir mittlerweile 
(seit etwa 8 Wochen) gelungen ist, eine neue elective Markscheidenfärbung zu 
finden. Zu diesem Zweoke versetzt man eine 5°/ 0 Lösung von alizarinsulfonsaurem 

22* 


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Natron mit einigen Tropfen einer 5 °/ 0 Oxalsäurelösung, bis der Farbstoff einen orange- 
gelben Ton angenommen hat. Man belässt die vorher nicht weiter behandelten 
Schnitte etwa 2—3 Stunden in der Lösung und bringt dieselben, nachdem man 
sie in destillirtem Wasser abgespült hat, in eine 3 °l w Sodalösung. Man belässt 
die Schnitte, welche nunmehr eine prachtvoll roth-violette Färbung annehmen 
und sich deutlich differenziren, in dieser Flüssigkeit, bis kein Farbstoff mehr ab¬ 
geht; hierauf absoluter Alkohol und irgend ein Aufhellungsmittel. Die Mark¬ 
scheiden sind dann leuchtend roth tingirt, das übrige Gewebe ungefärbt. 

Diese einfache Methode, deren Gelingen an mehrjährigem und frischem 
Materiale versucht wurde, besitzt nur den einen Nachtheil, dass die DifFerenzining 
in Folge des rothen Farbentones bei künstlicher Beleuchtung nicht so scharf in 
Erscheinung tritt, wie bei Tageslicht. 

Ich war daher bestrebt, noch eine Substanz mit dunklerem Farbentone zur 
Markscheidenfärbung heranzuziehen und glaube eine solche in dem Gal lein 
gefunden zu haben, worüber gleichzeitig an anderer Stelle 1 berichtet werden wird. 

Auch dieser Farbstoff, von den Eingangs genannten Autoren zu chemischen 
Zwecken versucht, zeichnet sich durch grosse Empfindlichkeit gegenüber alkalischen 
Lösungen aus. 

Ich werde in Kurzem Gelegenheit haben, über meine Erfahrungen an der 
Hand entsprechender Zeichnungen ausführlicher Mitteilung zu machen. 

2. Ein Fall von autochthoner Hirnsinusthrombose. 

Von Dr. Good, IL Arzt in Münsingen. 

Man pflegt sich sonst zu entschuldigen, wenn man es wagt, sich auf den 
sonst schon gedrängt vollen Tummelplatz der „casuistischen Beiträge“ zu begeben; 
doch wollen wir diese Entschuldigung unterlassen, weil wir einem Plätzchen 
zusteuern, auf dem selbst die, welche dort arbeiten, sich über zu wenig Gesell¬ 
schaft beklagen. 

Es handelt sich um eine 43jährige, congenital schwachsinnige Jungfer. Die¬ 
selbe soll in ihrer Jugend immer gesund gewesen sein, nur ein paar Hai, zuletzt 
in ihrem 11. Jahre, Krampfanfälle gehabt haben, die aber nicht als Epilepsie 
gedeutet werden dürfen. 

Der Vater der Patientin war Potator und starb an Phthise. 

Patientin selbst diente verschiedentlich als Dienstmagd, wurde aber, weil 
träge, langsam und schwachsinnig, meist schlecht behandelt 

1882 kam sie in die Irrenanstalt Waldau, wo sie anfänglich das Bild einer 
Melancholie bot. Sie wurde dann in Folge von Verfolgungsideeen widersetzlich 
und gewaltthätig, hatte lebhafte Gehörshallucinationen, hörte, wie man sie be¬ 
schimpfte und bedrohte. Sie arbeitete damals gar nichts und musste öfters isolirt 
werden. Im Spätherbst 1883 trat etwas Besserung ein, Patientin wurde heiterer, 
fing an, sich in Haus und Feld zu beschäftigen, so dass sie, da die Besserung 
anhielt, im Januar 1885 in einer Bauernfamilie versorgt werden konnte. Die 
Diagnose bei der Entlassung aus der Anstalt lautete auf Verrücktheit bei con¬ 
genitalem Schwachsinn. 

1 Centralbl. f. patholog. Anatomie. 


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Patientin hat einmal ausserehelich geboren, wurde nach und nach bei 
Privaten unhaltbar und kam dann in eine Armenanstalt, wo sie durch ihr 
zänkisches Wesen und ihre Trägheit auffiel, Verfolgungsideeen äusserte und 
schliesslich wegen Drohungen mit Suicid im August 1899 in die Anstalt Münsingen 
verbracht wurde. 

Bei der Aufnahme hier wurde constatirt: Sehr gut genährte, fette, gesund 
aassehende Person mit blödem Gesichtsausdruck und plumper, läppischer Haltung. 
Schielt etwas, Gehör gut; apoplektischer Habitus. Im Uebrigen normaler Status. 

Die Kranke klagt, sie werde überall verfolgt, auch hier drohe man ihr, und 
doch habe sie nichts Schlechtes gemacht, um so eingekerkert zu werden. Sie 
hat Angst, man schlage ihr den Kopf ab, werde sie erfrieren lassen u. b. w. Sie 
wurde alsbald zum Gespött der jüngeren Patientinnen, die ihr sagten, sie sei so 
fett, dass man sie bald „wursten“ müsse, was die Kranke jeweils in grosse Angst 
versetzte. Patientin arbeitete wenig, ass sehr viel und wurde immer fetter und 
schwerfälliger. 

Nachdem Patientin in ungestörter körperlicher Gesundheit gelebt, bekam sie 
nach einem constatirtermaassen nicht zu heissen Bade am 

28. /XI. 1900 gegen Abend zwei epileptiforme Anfälle mit Zuckungen 
am ganzen Leib, Schaum vor dem Mund, Bewusstlosigkeit. 

29. /XL Ist aufgestanden, obschon sie am frühen Morgen wieder einen Anfall 
gehabt hatte. Sie klagte über Uebelkeit, musste erbrechen, es war ihr schwindlig, 
sie konnte ganz gut laufen, hatte aber Angst umzufallen, sie sehe ja gar niohts 
mehr, sei ganz blind. 

Einen vorgehaltenen Schlüssel erkennt sie nicht, hat aber doch noch Licht* 
empfindung und kann angeben, in welcher Richtung das Fenster ist. Sie klagt 
über Kopfweh. Wird ins Bett gebracht. Mehrmaliges Erbrechen im Laufe des 
Tages. Keine Lähmungserscheinungen, kein Fieber. Stark geröthetes Gesicht. 

30. /XI. Hatte heute 3 Anfalle, ist leicht benommen, schläfriger als sonst; 
isst gehörig, giebt verständige Antworten. Klagt über Schwindel und Kopfweh. 
Blick starr nach rechts gerichtet. Patientin kann nicht nach links blicken. 

2. /XH. Gestern und vergangene Nacht 23 Anfälle von je 3—10 Minuten 
Dauer. Dieselben bestehen in beiderseitig gleich starken klonischen Zuckungen 
des ganzen Körpers, Bewusstlosigkeit, Schaum vor dem Mund; blauroth injicirtes 
Geeicht. Heute Morgen ist die Kranke stärker benommen, geniesst nur mehr 
flüssige Kost, hat seit 24 Stunden nicht mehr erbrochen. Gestern war die ganze 
linke Körperhälfte etwas paretisch, die Augen nach links abgewichen. 
Pupillen gleich, reagiren gut. Heute Abend Deviation der Augen nach rechts, 
Patientin kann nicht nach links blicken. Reagirt noch auf Anrufen. Reflexe 
lebhaft. Sensibilität, so weit eruirbar, nicht gestört Mit einer Nadel gestochen, 
zuckt sie zusammen und ruft: „Biribi tü tü.“ Sohön ausgeprägte Para* 
phasie. Articulation einzelner Wörter, die man ihr vorspricht, ganz deutlich. 
Puls nicht tardus, regelmässig, ausserhalb der Zeit der Anfälle gezählt, einmal 
64, ein andermal 100 p. M. Kein Fieber. Bewegungen des Kopfes frei, scheinbar 
nioht schmerzhaft. Der Augenhintergrund zeigt stark gefüllte Venen, keine 
Stauungspapille. 

3. /XIL, Morgens. Vergangene* Nacht keine Anfälle. Heute beschleunigte, 
keuchende Athmung. Gesioht und Hals blauroth injicirt. Patientin liegt mit 
geöffneten Augen und stierem Blick nahezu bewusstlos da, reagirt immer weniger 
auf äussere Reize, schluckt nicht mehr, hat auch nicht mehr erbrochen. Sehr 
starke profuse Schweisse am ganzen Körper. Kein Nasenbluten. Der ganze 
rechte Faoialis paretisch, ebenso der linke Arm. An den Beinen sind keine 
Lähmungserscheinungen zu oonstatiren. 

4. /XD. Gestern den Tag über und vergangene Nacht, also innerhalb 


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24 Stunden, wurden 34 Anfälle notirt Pule gestern Abend schwach, 100 p. M. 
Temperatur 39,3°. Athmung beschleunigt und erschwert. Komatöser Zustand. 
Auch in den Intervallen zwischen den einzelnen Anfallen ganz benommenes Sensorium. 

Die Anfälle dauern 2—15 Minuten und bieten ganz das Bild eines epilep¬ 
tischen Anfalles, beginnend mit tonischen Krämpfen im linken Arm, klonischen 
Zuckungen im linken Bein, dabei tonische Starre des rechten Beins, Verziehung 
des Gesichts nach links, linker Mundwinkel nach unten verzogen, Deviation der 
Augen zuerst nach links und dann nach rechts, zuletzt klonische sohüttelnde 
Zuckungen des ganzen Körpers, links stärker und ausgiebiger als rechts. Pupillen 
weit, gleich, reagiren träge auf Lichteinfall. Cornealreflexe fehlen während der 
Anfälle. Patientin klappert mit den Zähnen, hat blutigen Schaum vor den 
Lippen und einzelne ziemlich starke Bisswunden in der Zunge, die in den An¬ 
fällen entstanden sind. Starke venöse Stauung an Gesicht und Hals, 
profuse Schweisse, totale Bewusstlosigkeit. 

Exitus Morgens 4 Uhr. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose: 1. Blutungen in einen bisher sym- 
ptomlos verlaufenen Basaltumor in der Gegend des Chiasma opt oder 
2. Thrombose des Sinus longitudinalis. 

Sectionsbefund: 

Mittelgroße, sehr fette Leiche, Todtenflecke an den abhängigen Partieen. 

Hals und Gesicht blauroth injicirt. Todtenstarre vorhanden, an den Armen 
in Lösung begriffen. 

Schädel kurz und klein, symmetrisch, blutreich, wenig Diploe, Nähte erhalten, 
tiefe Gefässfurchen. 

Dura beiderseits gleich und stark gespannt, blutreich. Innenfläche links glatt 
und glänzend; rechts über dem Scheitel, in geringer Ausdehnung, eine rothlich 
gefärbte, dünne, leicht abziehbare, pachymeningitische Membran. 

Sinus longitudinalis bis an sein vorderes Ende völlig ausgefüllt 
durch einen ziemlich frischen, festhaftenden, rothen Thrombus, der 
auch den rechten Sinus transversalis bis etwa 1cm vom Felsenbein 
entfernt ausfüllt und nach links sioh ebenfalls etwa 3 cm weit in den 
Sinus transversalis erstreckt. Der hinterste Theil des Thrombus im Sinus 
longitudinalis ist gemischt. Die Umgebung des Sinus longitudinalis zeigt keine 
entzündlichen Veränderungen, auch sind makroskopisch an der Intima des throm- 
bosirten Sinus keine pathologischen Alterationen erkennbar. Die vom Sinus 
longitudinalis abgeheuden Venen sind fest und prall mit rothen Thromben gefüllt 
und schlängeln sich wie schwarze Würmer über die oberen zwei Drittel der Hirn- 
convexität herab. 

Dura der Basis beiderseits, rechts stärker wie links, mit dünnen pachy- 
meningitischen Membranen von geringer Ausdehnung bedeckt. Arterien der Basis 
zart, enthalten ganz wenig Blut 

Subarachnoidale Blutung rechts über dem ganzen Schläfenlappen, den Central¬ 
windungen und dem Hinterhirn, am stärksten über dem Cuneus. Links besteht 
die Blutung nur um die Centralwindungen herum. 

Pia zart, Arterien fast leer, Venen völlig gefüllt mit rothen Thromben bis 
fast an den Rand der Convexität des Gehirns. Geringes Oedem der hinteren 
Partieen der Pia, weder Verdickung noch Trübung derselben. 

Hirngewicht sammt Pia 1310g. 

Windungen, auch des Stirnhirns, nicht klaffend, aber wenig zahlreich und schmal. 

Hirnoberfläche glatt, Pia löst sich leicht und ohne frische Substanzdefecte. 
(Das Gehirn wird zu genauerer Untersuchung in toto aufbewahrt.) 

Panniculus adiposus über dem Bauch mehr als 6 cm dick, feucht, grosstraubig. 


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Zwerchfell links 4., rechts 3. Intercostalraum. 

Netz und Mesenterium sehr fettreich, Peritoneum ganz normal, Drüsen nioht 
geschwellt, Situs viscerum nichts Abnormes. 

Ziemlich grosse weiche Struma. Venae jugulares nicht thrombosirt. 

Rippenknorpel nicht verkalkt, Knochen hart. Musculatur ordentlich ent¬ 
wickelt, von guter Farbe. Linke Pleura frei, rechts hinten einzelne kleine Ver¬ 
wachsungen. 

Das Herz sieht aus wie ein Lipom, ist von normaler Grösse, schlaff. 

Im Pericard ganz wenig klare Flüssigkeit. An Endocard und Klappen 
normaler Befund, ausser ganz geringen Verdickungen der Intima aortae ascend. 
Musculatur links 11mm, rechts 5 mm, schlaff, gelblich und trüb. Herzgewicht 308 g. 

Linke Lunge blutreich, etwas postmortale Senkung in den hinteren unteren 
Partieen. 

Rechte Lunge: im Unterlappen grosser, obturirender, gemischter 
Thrombus, der die Gefässe völlig ausfüllt, soweit sie sich mit der Scheere ver¬ 
folgen lassen. Keine derbe Infarcirung. Das Gewebe im thrombosirten 
Bezirk bat vermehrten Blutgehalt, ist weniger lufthaltig, nicht brüchig und nicht 
ödematös. 

Milz klein, blutreich, schlaff, Kapsel getrübt, Zeichnung noch deutlich, ob¬ 
schon die Pulpa sohon etwas zerfliesslich ist. 

Linke Niere sehr fettreiche Kapsel, die sich nur mit Substanzverlust löst. 
Binde von normaler Breite, gelblich. Gewicht 135 g. 

Rechte Niere mässig blutreich, wie linke, 125g. 

Nebennieren und Pankreas nichts Besonderes. 

Leber 1630 g, gross, zart, blutreich, verbreiterte, gelbe Peripherie der Acini. 
Zeichnung deutlich. In der Gallenblase viel schleimige Galle. 

Sämmtliche Organe ziemlich blutreich, in sehr viel Fett eingebettet. 

Am angehärteten Gehirn wurde noch festgestellt: Normale Breite 
der Rinde 2 1 /,—3 mm. Weisse Substanz schön weiss, gegen die Rinde scharf 
abgegrenzt. Keine Erweichungsherde. Ependym glatt, Seitenventrikel etwaB 
erweitert. 

Stabkranz beiderseits 15 mm, Tectum ventriculorum 20 mm. 

Von den Centralwindungen nach rückwärts zunehmend, finden sich in der 
Binde, besonders aber in der ihr zunächst liegenden Partie der weissen Substanz, 
zahlreiche capillare Apoplexieen, so dass in den Occipitalwindungeu die 
weisse Substanz der Windungen gesprenkelt, von grösseren und kleineren Blut¬ 
inseln, die bis Bohnengrösse erreichen, mehr oder weniger dicht durchsetzt ist. 

Anatomische Diagnose: 

Adipositas universalis. Thrombosis sin. long. et sin. transvers. Blutungen 
in den Subarachnoidalraum, Pachymeningitis haemorrhagica. Capillare Apoplexieen 
in Binde und weisser Hirnsubstanz. Hydrocephalus internus. Fettherz. Embolie 
im Unterlappen der rechten Lunge. Fettige Degeneration von Nieren und Leber. 

Behufs mikroskopischer Untersuchung wurde das Gehirn in Formol 
mit Zusatz von Karlsbadersalz angehärtet, wobei sich der Blutfarbstoff gut erhielt, 
and dann in Müllbe' scher Flüssigkeit weiter behandelt Einzelne Stückchen 
wurden auch noch auf andere Weise fixirt 

Einbettung und Färbung nach den verschiedensten Methoden, vor Allem 
nach Mabchi, und dann zur Darstellung der Veränderungen an den Ganglien¬ 
zellen nach Nissl. Es wurden auch Serienschnitte durch einzelne der grössten 


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der thrombosirten Venen gemacht, da leider der Sinus longitudinalis nicht auf¬ 
bewahrt worden war. Dabei wurden aber gar keine Veränderungen der 
Gefässwand entdeckt, auch keine Infiltrate in deren Umgebung, noch 
Bakterien, noch überhaupt Entzündungserscheinungen. 

Die Resultate der Untersuchung der verschiedensten Hirnpartieen wollen 
wir nur in aller Kürze hier wiedergeben: 

Bei den thrombosirten Gefassen und den perivasoulären Blutaustritten, 
welch letztere nebenbei gesagt recht hübsche Präparate lieferten, brauchen wir 
uns wohl nicht weiter aufzuhalten. Die capillaren Apoplexieen sind im Occipital- 
hira sehr dicht gesät und finden sich im Stirnhim nur vereinzelt Auch fallen 
im Stirnhim, im Gegensatz zum Occcipitalhim, die schon makroskopisch an den 
Schnitten sichtbaren, stark erweiterten perivasoulären (und pericellulären) Lymph- 
räume auf. 

Weder an den Axencylindem, noch den Markscheiden sind besondere Ver¬ 
änderungen aufgefallen. In der Adventitia der Gefässe fehlen jegliche Kera- 
proliferationen, ebenso fehlt jegliche Wucherung der Glia. An den Fasern der 
Optici fiel die MAscm’sche Methode negativ aus. 

Interessant sind eigentlich nur die Veränderungen der Ganglienzellen, und 
besonders der graduell von hinten nach vom abnehmende Process mit seinen 
verschiedenen Bildern und Stadien des Zellzerfalls. 

So zeigen Schnitte aus Stirn Windungen kleine, zackige, geschrumpfte, sehr 
stark gefärbte, im chromatophilen Zustand sich befindende Ganglienzellen, mit 
kleinem Kern und nicht besonders stark hervortretenden Kemkörperchen. In 
einzelnen dieser Zellen sind die Nissi/schen Körperchen noch sichtbar, am deut¬ 
lichsten um den Kem hemm, freilich geschwollen und gegen den Rand der 
Zelle mit verschwommener Zeichnung, unscharfer Begrenzung der einzelnen 
sog. Tigroidsohollen. Vereinzelt finden sich auch hier Ganglien, die sehr gross 
sind, rundlich, stark geschwellt, hydropisch, die einen mächtigen Kem haben 
mit vergrössertem Kemkörperchen. Der Kem ist an die Peripherie der Zelle 
gedrängt, nicht scharf begrenzt, das Protoplasma der Zelle diffus trüb gefärbt, 
ohne jegliche Structurandeutung. Um die geschrumpften Ganglien sind mächtig 
erweiterte Lymphräume, ebensolche finden sich um die fast blutleeren Arterien 
und die thrombosirten Capillaren. 

Während im Stirnhim kleine Zellen mit erweiterten pericellulären Räumen 
bei weitem vorherrschen, ändert sich nach und nach das Verhältnis und im 
Occipitalhira finden wir hauptsächlich die mächtig gequollenen Zellen, ohne 
sichtbare Lymphräume. Wir finden die verschiedensten Stadien des Zerfalls der 
Ganglienzellen, der NissL’sohen Körperchen, des Kerns u. s. w., immer und 
überall ist aber die Degeneration an der Peripherie der Zellen am stärksten. 
Im Occipitalhira verliert bei vielen Zellen der Kem, der bei anderen noch eine 
hellblau gefärbte Blase mit stark hervortretendem dunklen Kemkörperchen ist, 
seine Conturen gänzlich. Das Zellprotoplasma ist fein gekörnt, die Fortsätze 
theilweise abgebröckelt. Vacuolen in den Zellen wurden nicht gesehen. 

Herdförmige Veränderungen, Erweichungen in der Rinde oder der weissen 


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Substanz fehlen. Wie schon angedeutet, fehlen alle Anhaltspunkte für die An¬ 
nahme eines infectiösen Processes, wobei wir freilich weder Kulturen anlegten, 
noch Impf versuche machten, sondern uns mit Schnitten von Gefassen und Hirn¬ 
stückchen, die wir untersuchten, begnügten. Die Befunde an Partieen der Basis 
cerebri waren sozusagen normal. 

Soweit die anatomische Seite des Falles. 

Klinisch interessirt uns vor Allem die Frage: 

Wäre es in unserem Falle möglich gewesen, eine bestimmte und 
richtige Diagnose zu stellen, auf welche basirt therapeutische Ein¬ 
griffe, selbst schwerer Natur, hätten gewagt werden dürfen? 

Soweit mir die Litteratur über die autochthone und sogenannt autochthone 
Sinusthrombose zur Verfügung stand, fand sich in keinem Falle eine sichere 
und richtige Diagnosenstellung (und wir machen keine Ausnahme), obschon unter 
diese Rubrik Fälle nach Erysipel, Pneumonie, Varicellen, Ohroperationen, hoch¬ 
gradiger Anämie und Marasmus der Kinder mitgerechnet werden und bloss die 
otitisch phlebitischen Sinusthrombosen von den autochthonen abgetrennt zu 
werden pflegen. 

v. Voss (Petersburg), der 9 Fälle von autochthoner Sinusthrombose zu¬ 
sammengestellt hat, nennt als ätiologische Momente: Endocarditis mit Broncho¬ 
pneumonie, Nephritis, Influenza, tuberculöse Peritonitis, Typhus, Eiterungen, 
grosse Blutverluste und überhaupt grosse Anämie, Herzschwäche, kächektische 
Krankheiten, chronische Diarrhöe der Kinder. Hierzu kommt noch ein Fall von 
Wilsbn, der durch Insolation entstanden sein soll. Bei diesen, den Gesammt- 
organismus schädigenden ätiologischen Momenten nimmt man an, dass durch 
dieselben das Gefässendothel defect gemacht werde und es dann leicht zu 
Gerinnungen und zu Thrombosenbildung komme. 

In unserem Fall ist es auch nach der Autopsie nicht ganz leicht, ein 
ätiologisches Moment für die Entstehung der Sinusthrombose zu finden, und kann 
dafür kaum etwas anderes als die Adipositas bezw. die durch fettige Degeneration 
des Myokards geschwächte Kraft des Herzens in Betracht kommen. Doch konnte 
nns diese Herzschwäche, die nebenbei keine klinischen Symptome gemacht, bei 
der Diagnosenstellung nicht behülflich sein. 

Die Symptomatologie des Falles zeichnet uns, kurz wiederholt, folgendes Bild: 

Die bisher ganz gesunde, feste, vollblütige und kräftige Person erkrankt im 
Alter von 43 Jahren plötzlioh mit epileptiformen Anfällen, Schwindelgefühl, 
Uebelkeit, Erbrechen und dabei totaler Amaurose. Sie hat stark gerötheten 
Kopf, Kopfschmerzen, keine Nackensteifigkeit, keine Lähmungserscheinungen, 
keinen halbseitigen Schweiss, kein Fieber. 

Am 2. Krankheitstage 3, am dritten 23 epileptiforme Anfälle, zunehmende 
Benommenheit, wechselnde Deviation der Augen, stark gefüllte Retinalvenen, 
linksseitige Hemiparese, Paraphasie. Sensibilität nicht gestört, Puls regelmässig, 
nicht tardus. 

Am 4. Krankheitstage oomatöser Zustand, Patient schluckt nicht mehr, 


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Parese des rechten Facialis, gehäufte Anfalle, Gesicht und Hals stark cyanotisch, 
starke profuse Schweisse, Fieber, schwacher Puls. 

Exitus am Morgen des 5. Krankheitstages. 

Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: 

Störungen des arteriellen Kreislaufes im Gehirn, Blutungen im Occipitalhira, 
Encephalitis haemorrhagica acuta, Polioencephalitis superior haemorrhagica, Hirn- 
abscess, Typhus, Urämie, Hysterie und dann Sinusthrombose und Blutungen in 
einen Basaltumor. 

Von der acuten Encephalitis sagt Oppenheim, dass sie bis auf die kleinsten 
Züge einer Sinusthrombose gleichen könne, nur soll die Stauung der Venen des 
Schädels und Gesichtes bei Encephalitis fehlen und soll sie einen weniger 
acuten Verlauf nehmen. Die Amaurose sprach in unserem Falle gegen 
Encephalitis. 

Störungen des arteriellen Kreislaufes setzen apoplectiform ein 
und erreichen sofort ihren Höhepunkt Die Art des Fiebers, das Fehlen der 
Nackenstarre und des intensiven Kopfschmerzes und jeglichen ätiolo¬ 
gischen Momentes Hessen uns von Meningitis absehen. 

Lassen wir alle andern leicht auszuschaltenden Affectionen unberührt und 
betraohten wir nur kurz die zwei Eventualitäten, über die wir bei der Diagnosen¬ 
stellung nicht hinauskamen, Blutungen in einen Basaltumor und Sinus¬ 
thrombose. 

Gegen Hirntumor mit Blutung sprach eigentlich nur das Fehlen der Stauungs¬ 
papille bei bestehender Amaurose. 

Bekanntlich können Hirntumoren, überhaupt Tumoren der Schädelhöhle, 
lange bestehen und ziemlich beträchtliche Grösse erreichen, ohne Herd- oder 
Allgemeinsymptome zu verursachen. Die Symptome treten dann auf bei plötz¬ 
licher Drucksteigerung, die wiederum bedingt sein kann durch Blutungen in den 
Tumor. Ein solcher Tumor hätte, in der Gegend des Chiasma n. optici ge¬ 
legen, auch das Initialsymptom, in unserem Falle die Amaurose, neben den 
andern Druokerscheinungen erklären können. Auffallend bei der Diagnose auf 
Tumorbildung war die starke venöse Stauung des Gesichts und die Hemiparese. 

Für die Annahme einer Sinusthrombose fehlte uns jegliches 
ätiologisches Moment. Die Person war bis dahin körperlich ganz gesund. 
Ihre Adipositas machte ihr keine wesentlichen Beschwerden, ebenso fehlten 
klinische Symptome von Fettherz und vermindertem Blutdruck. 

Die Amaurose konnte zwar mindestens ebensowohl durch Verstopfung der 
Venen des corticalen Sehcentrums, was einer Ausschaltung dieser Gebiete wohl 
gleichkommt, erklärt werden, als durch Tumorblutung. Der nicht gerade apo- 
plektiform zu nennende Beginn der Erkrankung, die starke venöse Stauung im 
Gesioht sprechen eher für Thrombose, aber nicht direct gegen Blutungen. Alle 
übrigen Symptome, Druckerscheinungen und alles, was wir puncto Differential¬ 
diagnose in der Litteratur finden konnten, half uns nicht über die Zweifel, nicht 
über eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose hinaus. Und so kamen wir denn zum 
gleichen Schluss, wie Nothnagel schon vor mehr als 20 Jahren, dass es trotz 


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aller Mühe, die man sich gegeben, unmöglich ist bei der autoch- 
thonen, nichj phlebitischen Sinusthrombose, bei welcher Anamnese 
und Aetiologie einen nicht zur Diagnose führen, principiell und mit 
Sicherheit zwischen Thrombose und Hämorrhagie zu entscheiden, 
ln unserem Fall liegt die Sache freilich doch etwas anders. 

Hätten wir die Thrombose im rechten Unterlappen intra vitam diagnosticirt, 
so hätten wir uns sagen müsssen, dass, so gut wie aus einer anderen peripheren 
Yene, auoh aus einem Hirnsinus sich ein Stüokchen von einem Thrombus los- 
löeen und in die Lungen geschwemmt werden kann. 

Diese Lungenembolie hätte für uns ausschlaggebend für Sinusthrombose 
sein müssen, im Zweifel über eine Diagnose auf Tumorblutungen oder Sinus¬ 
thrombose, besonders da ja kein anderer Ausgangspunkt und Entstehungsort für 
den in die Lungen geschwemmten Embolus hätte gefunden werden können, als 
eben die Thrombose im Sinus longitutinalis. 

Therapeutisch dürfte wohl in den Fällen von autochthoner Sinusthrombose, 
einer Krankheit, bei der öfters das Grundleiden unbekannt oder unzugänglich 
ist, nicht viel zu erreichen sein, medicamentös schon gar nicht 

Eine Trepanation zur Seite des Sinus longitutinalis hätte (abgesehen von 
der intra vitam nicht gefundenen Lungenembolie), in unserem Falle auch zu 
einer sicheren Diagnose geführt Hätte es sich um einen Basaltumor gehandelt; 
so hätte man damit für den gesteigerten Druck ein Ventil geschaffen, freilich 
möglicherweise weiteren Blutungen in den Tumor Vorschub geleistet Bei Sinus¬ 
thrombose wäre man auf die verstopften Venen gestossen, wodurch die Diagnose 
auch sicher gestellt worden wäre. Und dann, was weiter? 

Zu verderben war ja in unserem Falle nichts. Wäre wohl chirurgisch 
etwas zu erreichen gewesen, wenn rechtzeitig ein Eingriff gemacht worden wäre 
und hätte wohl ein Chirurg bei dem desperaten Zustande der Kranken und dem 
unbekannten und nicht zu hebenden Grundübel der Krankheit die Indication 
zu einer Operation gestellt oder auch, wie wir, der Sache ihren Lauf gelassen? 


3. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau). 

Von S. Goldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Wir haben es bei der 30jährigen Frau mit einem klassischen Beispiel von 
asthenischer Lähmung zu thun. Der Beginn mit Ptose und partieller Ophthalmo¬ 
plegie, die Jahre lang anhaltende Remission, das erneute Aufflackern der 
Krankheit mit denselben Symptomen, der weitere Entwicklungsmodus, das 
Hinzutreten von bulbären Erscheinungen, die Ausbreitung auf Extremitäten und 
Rumpf, das Zu- und Abnehmen der Erscheinungen, das Schwanken der Inten¬ 
sität derselben während eines Tages, ja während einer Untersuchung, die Er- 


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müdungsphänomene und das künstliche Hervorrufen von vorübergehenden Läh¬ 
mungen und last not least die MyaR, beim Fehlen von Atrophieen, sensiblen 
und sensorischen Störungen u. s. w. lassen darüber keinen Zweifel auf kommen. Die 
Krankheit wurde vor 7 Jahren nicht erkannt, als Ptose und partielle Augen¬ 
muskellähmung auftraten, die unbedingt als das erste Stadium der Krankheit 
anzusehen sind; dieser Fall beweist wieder, welche Bedeutung diesen Symptomen, 
namentlich der Ptose, zuzumessen ist, und dass man in jedem solchen Fall, sei 
die Ptose oder Diplopie noch so passager und vielleicht eben darum, nicht nur 
an Syphilis, Tabes, progressive Paralyse u. s. w. zu denken hat, sondern auch 
die Möglichkeit der asthenischen Lähmung im Auge behalten muss. 

Die Jahre lang anhaltende Remission der Erscheinungen muss wenigstens 
für die Kranke einer Genesung gleich gewesen sein; sie stand während dieser 
ganzen Zeit überhaupt nicht unter ärztlicher Beobachtung, sie heirathete und 
gebar auch ein Kind. Erst nach 10 monatlichem Stillen tritt ein Rückfall ein, 
ein Recidiv der Krankheit, die diesmal viel grössere Dimensionen annimmt und 
zur vollen Entwickelung gelangt. Zu den Augenstörungen gesellen sich in 
schneller Reihenfolge bulbärparalytische Symptome und Schwäche fast der ge- 
sammten willkürlichen Musculatur hinzu. Auch dieser Fall zeichnet sich durch 
das Ueberwiegen von meso- und metencephalitischen Erscheinungen aus, und 
die Apokamnose tritt besonders scharf in diesen Gebieten auf. Es ist nament¬ 
lich hervorzuheben, dass die Levatores palpebrarum sehr leicht ermüden, 
schon beim gewöhnlichen Sehen, noch mehr beim Fixiren, beim Lesen, beim 
Aufwärtsblicken, also bei Zuständen, bei welchen der Muskel in der That mehr 
in Anspruch genommen wird. Hieraus resultirt die Neigung der Kranken, den 
Blick nach unten zu richten, um eine bestmögliche Schonung desselben zu 
schaffen. Aehnliche Erscheinungen der schnellen Ermüdbarkeit sind von Seiten 
der Kau-, Schling-, Sprachapparate und der Gesichtsmuskeln zu verzeichnen. 
Eine besonders interessante und gewiss nur selten in soloher Prägnanz zu 
beobachtende Erscheinung war die in den Augenmuskeln hervorzurufende 
Apokamnose, die sich in Diplopie und partiellen passageren Ophthalmoparesen 
kundgab. Es gelang nämlich durch Wiederholung der associirten Bewegungen in 
gewissen Blickrichtungen Lähmungen hervorzurufen, an einem Tage bei wieder¬ 
holten Seitwärtsbewegungen in den Recti intemi, an einem anderen im Rectus 
externus dexter, oder eine rechtsseitige conjugirte in diesem letzteren und dem 
Internus sinister, oder im Reotus sup. dexter oder bei wiederholten Aufwärts¬ 
bewegungen in beiden Superiores. Diesen passageren Lähmungen ging ein Zittern 
der Bulbi voraus; sie waren meist von Doppeltsehen begleitet und schwanden 
rasch schon nach kurzer Ruhe. Beim Lesen wirkte nicht allein die Ptose störend 
bald war auch das Gedruckte verschwommen, und die Kranke gezwungen, ein 
Auge zu schliessen, um weiter lesen zu können; es geschah dies wahrscheinlich 
in Folge von Ermüdung der Convergenz und der dadurch entstandenen, noch 
nicht zum Bewusstsein der Kranken gelangten Doppelbilder, nicht aber wegen 
Ermüdung der Accommodation oder Asthenopie. Der Accommodatkrasmuskel 
blieb, wie in der Regel, verschont 


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349 


Ebenso interessant ist der Einfluss der Ermüdung eines Gebiets auf andere, 
und auch in diesem Falle im Bereiche der Bulbär- und Augenfunctionen. 
Namentlich beeinflussbar ist wieder die Ptose, die überhaupt so sehr leicht 
Schwankungen unterliegt Das Stirnrunzeln, Augenschliessen, Blinzeln und alle 
Bewegungen der Bulbi verstärken das Herabfallen der Augenlider. Anderer¬ 
seits hat Verstärkung der Ptose Rückwirkung auf die Augenmuskeln, die dann 
leichter ermüden und die künstliche Ophthalmoparesen leichter entstehen lassen. 
In einem ebenso reciproquen Verhältniss stehen die Sprach- und Schling- 
störungen zu einander; tritt Ermüdung des Sprach Vermögens ein, dann wird 
das Schlingen hochgradig erschwert, nach der Mahlzeit aber kann Patientin längere 
Zeit nicht zu Worte kommen. 

Es mag wohl sein, dass bei diesen Functionen manche Muskeln gemeinsam 
in Action treten, allein diese Erklärung ist nicht für alle Combinationen aus¬ 
reichend, so z. B. nicht für den Einfluss der oberen Facialismuskeln, der eigent¬ 
lichen Augenmuskeln auf den Levator palpebri u. s. w. 

In der Krankengeschichte wird öfters erwähnt, dass die Ptose sich auf der 
Strasse verstärkte und Diplopie auch dann eintrat, wenn sie im Zimmer nicht 
vorhanden war; die Kranke schrieb diese Störung der grellen Beleuchtung zu. 
In der That war die Ptose im Dunkeln geringer, und die grelle Strassen- 
beleuchtung mag das Blinzeln verursacht haben, das, wie wir wissen, bei der 
Pat eine Verstärkung der Ptose zur Folge hatte; diese aber wie auch die An¬ 
strengung, die Leute anzusehen und ihnen auszuweichen, führte wohl die Diplopie 
herbei. 

Dagegen wirkte die Ermüdung der Extremitäten und des Rumpfes auf 
die bulbären und Augenmuskelfunctionen nicht ein, wie das bei dem Patienten 
O. der Fall war. Im Fall T. wurde bereits der Einfluss der Ermüdung einer 
Function, auch einer bulbären auf andere, erwähnt Beim Pat von Kalisoheb 1 
war diese Erscheinung ebenfalls vorhanden. Endlich wirkten manche äussere 
Factoren, wie die Kälte, ein, die ein Steifwerden der Lippen, eine Behinderung 
der Articulation und Beeinträchtigung der Fingerbewegungen verursachte, analog 
wie bei der THOMSEN’schen Krankheit 

Das Herabhängen der Augenlider, die Schwäche der Gesichtsmuskeln und 
der Mangel an mimischen Geberden, bedingte ein etwas schläfriges und masken¬ 
artiges Aussehen (HüTcmNSON’sches Gesicht), das den Kranken mit asthenisoher 
Lähmung etwas Eigenartiges verleiht An der Schwäche betheiligte sich der 
obere Facialis in gleichem Maasse wie der untere; zeitweise trat Lag- 
ophthalmus auf. 

Am Rumpfe konnte man gleich bei der ersten Untersuchung die Ermüdungs¬ 
erscheinungen constatiren; besonders waren, wie so oft, die Nackenmuskeln von 
der Schwäche bevorzugt Wenn auch die Apokamnose an den Extremitäten 
zuerst nicht in ganz klassischer Weise demonstrirt werden konnte, so lieferten 
andere Umstände den Beweis, dass eine leichte Erschöpfbarkeit thatsächlich 


1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. X. S. 824. 


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350 


bestanden bat, da Patientin erzählte, dass ihr die Kraft z. 6. schon beim Schnei¬ 
den der zweiten Schnitte Brot versagte. Dagegen war die MyaR damals bereits 
manifest; es verlaufen also die beiden Symptome, die Apokamnose und MyaB, nicht 
parallel, sie scheinen nicht gegenseitig von einander abzuhängen. In der Folge¬ 
zeit trat die Apokamnose an den Extremitäten viel prägnanter, nahezu in typischer 
Weise auf, und doch schwanden die Contractionen beim Beizen mit tetanisirenden 
faradischen Strömen nicht vollkommen, auch nach längerer Einwirkung des 
Stroms blieb zumeist ein Vibriren des Muskels bestehen. 

Die MyaR liess sich dann typisch nachweisen, als Besserung eintrat, sie 
war in diesem Falle so ausgesprochen, wie vielleicht in keinem der von mir unter¬ 
suchten, und konnte jetzt in allen geprüften Nerven und Muskeln, wenn auch 
nicht mit derselben Leichtigkeit, hervorgerufen werden, ln einigen Gebieten, 
z. B. in dem des Facialis, trat sie schnell zum Vorschein, in anderen erst nach 
längerer Reizung. Es zeigte sich regelmässig, dass beim Hervorrufen der MyaR 
vom Nerven aus nicht alle zugehörigen Muskeln zur selben Zeit an Contraotions- 
stärke verloren, sondern successive, die einen früher, die anderen später; in 
den letzteren sah man noch eine schwache Contraction, als in anderen keine Spur 
von Zuckung mehr vorhanden war. Man konnte weiter feststellen, dass die 
MyaR eines Nervenreizpunktes ohne Einfluss auf die Erregbarkeit eines anderen 
Reizpunktes desselben Nerven blieb, wie denn auch die MyaR im Nerven die 
directe Erregbarkeit der zugehörigen Muskeln nicht beeinflusste; ebenso wenig 
wirkte die MyaR im Muskel auf die Erregbarkeit des entsprechenden Nerven. 
Auch liess sich beim Zustandekommen der MyaR keine reciproque Beein¬ 
flussung anderer motorischer Punkte desselben Muskels bemerken. 

Es wird auch in dieser Beobachtung von leichtem fibrillärem Zucken und 
klonischen Contractionen in den Gesichtsmuskeln Erwähnung gethan, allein sie 
treten lange nicht in solcher Constanz und Häufigkeit, wie z. B. bei der atro¬ 
phischen Bulbärparalyse, auf, und in der That war von Atrophie keine Rede. 
Diese Zuckungen scheinen nur auf der Höhe der Krankheit vorzukommen; ist 
der Anfall in der Entwicklung oder in Abnahme begriffen, dann beobachtet 
man sie gewöhnlich nicht 

Der Anfall, in dem sich die Kranke im Augenblick befindet, dauert über 
ein Jahr; er scheint seine Höhe erreicht zu haben. 

In den vom excidirten Stückchen des linken Deltoideus angefertigten Prä¬ 
paraten fanden sich gar keine pathologischen Veränderungen vor. 

Beobachtung VI. Ich führe jetzt den jüngsten meiner Pat. vor, den • 
4 s / 4 jährigen E. aus Fidor, den ich in Gemeinschaft mit dem Collegen J. Rramsztyk 
beobachtete. Ich sah ihn zum ersten Male am 9./V. 1901. Vor 11 Monaten 
fielen ihm die Oberlider herab, sonst keine Erscheinungen, nur leichte Verstimmung; 

4 Wochen später Genesung, angeblich nach Gebrauch von Salzbädern. Pat. blieb 
gesund bis März d. J., dann wurde er wieder verstimmt und die Augen bedeckten 
sich von Neuem. Es fiel den Eltern auf, dass der Mund sich beim Lachen nicht 
in natürlicher Weise verzog, dass der Knabe den Mund offen hielt, dass 
Speichel und Speisen über die nicht fest Bchliessenden Lippen flössen und dass 
Pat. den Unterkiefer stützen musste. Auch bemerkten sie, dass der Knabe undeut¬ 
lich spricht. Der Arzt vermuthete, es könne dies eine Folge der hyperplastischen 


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351 


Tonsillen sein, allein die Excision derselben brachte keine-Besserung, dazu fingen 
die Speisen an durch die Nase zu regurgitiren. Nicht selten vermochte der Knabe 
nur mit äusserster Mühe die im Rachen stecken gebliebenen Speisen herauszu¬ 
würgen. Sonst hat er keine Klagen, läuft herum und spielt mit den Genossen, 
wenn er auch nicht so fröhlich ist wie früher. 

Er wurde zurZeit geboren, war ein wenig rhachitisch, fing mit l 1 ^ Jahren 
an zu gehen und zu sprechen, 2 Mal hatte er im Beginn einer unbestimmten 
fieberhaften Krankheit (im 6. Monat und im Alter von 2 Jahren) Convulsionen. 
In den Wintermonaten litt er ziemlich oft an catarrhalischer Angina, von der er 
jedoch wie auch von jeder anderen Krankheit, in den letzten 2 Jahren, frei blieb. 
Er verlor 2 Geschwister an Diphtherie. Seine ältere Schwester ist gesund. Ein 
Cousin von ihm leidet an spastischer Paraplegie, ein anderer starb im frühen 
Alter angeblich an einer Nervenkrankheit. Sein Grossonkel väterlicherseits starb 
an Epilepsie, zwei Grosstanten väterlicherseits leiden an Morbus sacer. Sein Vater 
ist allgemein nervös. 

Der Knabe ist für sein Alter physisch und psychisch gut entwickelt, ein 
wenig blass. Es fällt sofort die beiderseitige Ptosis auf, die Corneae sind bis zur 
Hälfte bedeckt (die linke ein wenig mehr), die Haut der Oberlider ist glatt und 
der Knabe hält in Folge dessen den Kopf etwas nach hinten geneigt. Er thut 
es noch mehr, falls er aufblicken soll. Schon die Mutter hat bemerkt* dass 
die Ptosis sich beim Fixiren von Gegenständen verstärkt. Kein Strabismus, keine 
Diplopie, auch künstlich können sie durch Wiederholung der Augenbewegungen 
nicht hervorgerufen werden. Die Pupillen sind gleich, reagiren gut auf Licht, 
Convergenz und Accommodation. Es fällt weiter die Einförmigkeit des Gesichts¬ 
ausdrucks auf, keine Grimasse, weder Lächeln noch Weinen während der langen 
Untersuchungszeit. Die Gesichtsmuskeln sind in der That schwach, so der Augen¬ 
schluss und der Kuss; Pat. vermag auch nicht zu pfeifen (was er vorher konnte). 
Die Bewegungen der Zunge sind gut. Der weiche Gaumen contrahirt sich bei 
wiederholtem Phoniren energisch und ermüdet nicht, es ist deshalb auffallend, 
dass Flüssigkeiten durch die Nase regurgitiren und dass die Sprache ausgesprochen 
nasal ist und ganz unverständlich wird. Der Knabe weiss es und schämt sich 
dessen. Seitens der Extremitäten sind keine abnormen Erscheinungen vorhanden, 
speciell keine abnorme Ermüdbarkeit. Die Eltern haben von selbst bemerkt, dass 
das Befinden des Knaben in den Morgenstunden ein leidlich gutes ist, dass sich 
aber die Erscheinungen Abends verschlimmern. 

Puls 130. Respiration 24. Innere Organe gesund. Seitens der Reflexe, 
Sensibilität, Sinne, Blase, Mastdarm u. s. w. keine Abweichungen. 

10./V. 1901. Als er Morgens erwachte, konnte er ganz gut die Augen 
öffnen. Während der Untersuchung, die in den Morgenstunden stattfand, unter¬ 
lag die Ptose einem stetigen Wechsel, zuweilen hielt der Kranke die Augen 
ganz offen, bald fielen die Oberlider herab, besonders stark beim Hersagen von 
Versen. Dann wurde die Sprache, die seit heute Morgen ausgesprochen nasal 
klang, bald unverständlich. Beim Versuch zu pfeifen, entweicht Luft durch die Nase. 

Die elektrische Untersuchung am Gesicht scheitert am Widerstand des Kranken, 
und ist deshalb auch an anderen Theilen nur eine beschränkte. Am Deltoideus 
sin. sinken die Contractionen bei Reizung mit tetanisirenden faradischen Strömen 
stark herab, schwinden aber nicht. Weniger prägnant, wenn auch deutlich, ist 
diese Erscheinung an den Extensoren des linken Vorderarmes, am Biceps brachii 
sinister aber gar nichts zu demonstriren. Nach einer Minute gewinnt die Con- 
traction die frühere Stärke. 1 

1 Anmerkung bei der Correctur. Am 1. December 1901 erhielt ich vom 
dortigen Arzt die Nachricht, dass sämmtliche abnorme Symptome geschwunden sind, und 
Pat vollkommen gesund ist. 


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Bei der Durchsicht der Krankengeschichte wird sich wohl die Ueber- 
zeugung aufdrängen, dass wir es in der That mit einer asthenischen Lähmung 
zu thun haben. Auoh in diesem Fall war es die Ptose, die zuerst die Auf¬ 
merksamkeit auf sich lenkte, als erstes Symptom der asthenischen Lähmung 
auftrat, aber damals unerkannt blieb. Sie verschwand nach etwa 4 Wochen 
und nichts verrieth einen krankhaften Zustand. Es war aber nur eine Inter¬ 
mission eingetreten, da die Krankheit nach 10 Monaten recidivirte. Auch 
diesmal setzte sie mit Ptosis ein, zu der sich bald eine mimische Lähmung, 
sowie Lähmung der Adductoren des Unterkiefers, ferner eine articulatorische 
Sprachstörung und Regurgitation von Flüssigkeiten durch die Nase gesellte. Die 
Erscheinungen sind einem steten Wechsel unterworfen. Morgens befindet sich der 
Kranke gut; Abends ist sein Zustand am schlimmsten, aber auch in der Morgen¬ 
stunde kann diese oder jene Erscheinung schon ausgesprochen sein. Nament¬ 
lich schwankt die Ptose schon während der Zeit einer Untersuchung. Auch ist 
der reoiproque Einfluss einer Function auf die andere wahrnehmbar, so der Ein¬ 
fluss der sich beim Recitiren steigernden Sprachstörung auf die Stärke der Ptose. 
Noch, scheinen die Extremitäten und der Rumpf verschont zu sein, wenigstens 
ist die Apokamno8e an ihnen nicht hervorzurufen, allein das Vorhandensein 
der MyaR an einzelnen Muskeln zeigt, dass sie nicht intact sind, und dieser 
Fall beweist wieder, dass Ermüdungserscheinung und das Vorhandensein von 
Schwäche und Paresen an die MyaR nicht gebunden sind, dass diese Erschei¬ 
nungen nicht nothwendig parallel verlaufen. Es können in denselben Gebieten 
ausgesprochene Schwäche-, typische Ermüdungserscheinungen vorhanden sein 
ohne MyaR und umgekehrt; doch scheint mir die erstere Combination die 
häufigere zu sein, wenn nicht beide Symptome Zusammentreffen. Noch muss 
hervorgehoben werden, dass die MyaR in diesem Fall nicht an allen unter¬ 
suchten Muskeln vorhanden war. Auch hier konnte man die Contractionen zum 
Schwinden nicht bringen, sie liessen nur an Stärke sehr naoh. 

Es wird in der Krankengeschichte wiederholt die Verstimmung hervor¬ 
gehoben. Die ängstlichen Eltern merkten bei dem Kinde die leichteste 
Humoränderung, wobei sie das mangelhafte Mienenspiel falsch deuteten. 

Die nervöse Belastung tritt in diesem Fall stark hervor; diesem Momente, 
das Oppenheim hoch anschlägt, ist aber nach meiner Erfahrung keine so grosse 
Bedeutung beizumessen. Bei den meisten meinqj Patienten war keine nervöse 
Belastung aufzufinden. 

Der Fall zeigt, dass auch das zarte Kindesalter von der asthenischen 
Lähmung heimgesucht werden kann. In der Zusammenstellung von Oppenheim 
ist in der Rubrik zweifelhafter Fälle der Fall von Mailhouse mit 2% Jahren 
angeführt, der auch bei Campbell und Beamwell 1 mit einem Fragezeichen 
versehen ist. So viel man nach Referaten urtheilen kann — leider stand 
mir das Original nicht zu Gebote — gehört der Fall dennoch zur asthe¬ 
nischen Lähmung. Es spricht dafür die Art der Entwicklung der Erschei- 


1 Myasthenia gravis. Bram. Summer 1901. LX. 


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nungen, das Einsetzen mit Nackenmuskelparese, die Kau- und Schling¬ 
beschwerden, die articulatorische Sprachstörung, die ausgesprochene bilaterale 
Ptoee, noch mehr der Wechsel der Erscheinungen, die Remissionen und nicht 
zum mindesten der plötzliche (wahrscheinlich Erstickungs-) Tod beim Trinken. 
Die klinische Physiognomie des Falles scheint dem meinigen sehr ähnlich 
gewesen zu sein; die mimisohe Lähmung, das Fliessen von Speichel aus dem 
offenen Munde u. 8. w. werden ebenfalls betont. Auch bei Mailhoüse über¬ 
wiegen die Bulbär- und Aogenerscheinungen; zeitweise waren nur die Beine 
ergriffen. 

Der Pat. von Remak war 12 Jahre, der von Chabcot-Mabinbsco 13, 
der von Jolly 14 1 /, Jahre alt. 

Es sei hinzugefugt, dass Filatow in seinen „klinischen Vorlesungen über 
Kinderkrankheiten“ 1 eine gute Beschreibung der asthenischen Lähmung giebt. 

Während in den drei ersten Beobachtungen die Erscheinungen bald bei 
dem ersten Einsetzen der asthenischen Lähmung in raschem Tempo aufeinander 
folgten — im Laufe von wenigen Wochen war das volle Krankheitsbild ent¬ 
wickelt —, tritt uns in diesem Fall, wie in dem von B. und K., eine interessante 
Modalität im Verlaufe entgegen, nämlich, dass zuerst ein Symptom, die Ptose, 
die Scene eröffnet und zunächst kein anderes sich hinzugesellt Die Ptose 
vermag nach kürzerem oder längerem, wochen- bis monatelangem Bestehen 
zu sch winden und erst nach Monaten, sogar Jahren kann es zur vollen Ent¬ 
wickelung der asthenischen Lähmung kommen. 

Die asthenische Lähmung befällt vorzugsweise das Alter zwischen 20 und 
30 Jahren, aber auch das hohe bleibt von ihr nicht verschont, wie folgender 
Fall beweisen solL 

(Fortsetzung folgt) 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Ueber einen noch unbekannten Nervenzellenkern im Büokenmark der 
Vögel, von Albert von Koelliker. (Vorläufige Mittheilung. KaiserL 

Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-natur¬ 
wissenschaftlichen Klasse vom 5. December 1901.) 

Es handelt sich um einen Nervenzellenkern, welcher bei Hühnchenembryonen 
von 5—15 Tagen dorsalwärts von der Austrittsstelle der motorischen Wurzeln 
an der lateralen Seite des Marks oberflächlich der weissen Substanz aufsitzt. 
Diesen Kern bezeichnet Verf. als Hoffmann’schen Kern nach seinem Entdecker 
P. Hoffmann, welcher ihn zuerst an einer Schnittserie von einem lOtägigen 
Hühnerembryo wahrnahm. Verf. konnte später den Nachweis führen, dass es sich 
um eine normale typische Bildung handelt, welohe nicht nur an Hühnerembryonen, 
sondern auch bei erwachsenen Hühnchen und Tauben vorkommt Bei der 
erwachsenen Taube und beim erwachsenen Huhne zeigt dieser Kern eine deutlich 


1 Deutsche Uebenetzung. 1901. S. 201. 

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segmentale Anordnung und erlangt in der Sacral- und Lendengegend des Markes 
eine ganz bedeutende Entwickelung. Die Zellhaufen liegen hier wie ausserhalb 
des Markes an den ventralen Ecken des dreieckigen Markquerschnittes, und zwar 
an den dorsalen Seiten eines Bandes, welches von der Dura zur Pia zieht und 
dem Ligamentum denticulatum der Säuger verglichen werden kann. Diese Kerne 
sind also dem Rückenmark bei den erwachsenen Individuen nur angelagert und 
bilden, von der Pia umschlossen, rundliche Auswüchse, die eine bald grössere, 
bald geringere Zahl schöner multipolarer Ganglienzellen enthalten. Die Nerven* 
fasern in diesen Kernen sind spärlich, reichlich dagegen vorhanden ein helles 
Neurogliagewebe, welches dem Gallertgewebe ähnlich sieht, das bei den Vögeln 
den Sinus rhomboidalis, den dorsalen Spalt zwischen beiden Hintersträngen, aus* 
füllt Ueber die Bedeutung dieser Kerne hält der Autor ein Urtheil erst dann 
für möglich, wenn er dieselben weiter verfolgt uud mit der Golgi’schen Methode 
geprüft haben wird. Max Bielschowsky (Berlin). 


2) Zur Präparattonsteohnik der Organe des Centralnervenaystems , von 

Prof. H. Dexler. (Zeitschr. £ Thiermedicin. 1901. V.) 

Verf. giebt ein zusammenfassendes Referat über die zur Zeit gebräuchlichen 
Sectionsverfahren für die Organe des Centralnervensystems bei unseren Haus* 
thieren. Er wägt die Vortheile und Nachtheile der einzelnen Methoden gegen 
einander ah und kommt bezüglich der Schädeleröffnung zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Methode der dorsalen Schädeleröffhung, welche am weitesten verbreitet 
ist, ist anzuwenden bei den Carnivoren und den nicht erwachsenen Pferden und 
Wiederkäuern. Sie ist wenig oder nicht rationell bei Thieren, deren Schädel* 
kapsel tief im Gesiohtstheil versenkt — wie beim erwaclisenen Pferde — oder 
von grossen Lufthöhlen umgeben ist, wie beim Schweine, Rinde, Schafe und der 
Ziege. 

2. Die Methode der ventralen Schädeleröffhung, bei welcher nach Entfernung 
des Unterkiefers die Schädelbasis abgetragen wird, ist bei allen Hausthieren 
brauchbar und nur dann zu vermeiden, wenn das Kopfskelett erhalten bleiben 
soll oder wenn zur Präparation nur wenig Zeit zur Verfügung ist 

Als dritte Methode wird die Aufsägung des Schädels in der sagittalen Mittel¬ 
linie empfohlen, welche bei den Hausthieren verwendbar und nur dann zu um¬ 
gehen ist, wenn das Gehirn nicht durchschnitten werden darf. 

Der Verf. giebt ausserdem noch eine kurze Darstellung der Gehirnsection 
und der gebräuchlichen Conservirungsmethode für dieses Organ bei den Haus¬ 
thieren, welche mit den in der menschlichen Anatomie üblichen Verfahren im 
wesentlichen übereinstimmen. Max Bielsohowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Observations on the physiology of the cerebral oortex of some of the 
higher apes, by Grünbaum and Sherrington. (Proc. of the Royal Soc. 
LXIX.) 

Vorläufige Mittheilung über Reiz- und Exstirpationsversuche am Gehirn von 
Orang-Utang, Gorilla und Schimpanse. Sie ergaben vor allem, dass die hintere 
Centralwindung vollständig frei von motorischen Centren ist. Die Reihenfolge 
der Reizpunkte in der vorderen Centralwindung entspricht der schon bei niederen 
Affen festgestellten. Auf der medialen HemisphärenBeite erstreckte sich die moto¬ 
rische Region nicht bis ganz an den Sulcus calloso-marginalis. Die Störungen 
der Handbewegungen nach Exstirpation des Handcentrums bildeten sich in einigen 


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355 


Wochen so weit zurück, dass das Thier schliesslich zur Nahrungsaufnahme häufig 
wieder nur diese eine, lädirte Hand benutzte. — Nach Läsion des Handcentrums 
liess sich die Degeneration in der gekreuzten Pyramidenbahn bis in die Lumbal* 
region des Rückenmarks verfolgen. (I) Auch zeigte sich dabei in den untersten 
Segmenten der Halsanschwellung Faser- und Zelldegeneration im Vorderhorn der 
gekreuzten Seite. H. Haenel (Dresden). 


Pathologische Anatomie. 

4) Ueber seoundäre Degeneration in Mittelhirn, Brücke und Medulla 
oblongata nach Zerstörung des Qrosshirns, insbesondere des motorisohen 
Bindenoentrums, von EL Kosaka. (Mittheilungen aus der medicinischeu 
Facultät der kaiserL japan. Universität zu Tokio. 1901. V.) 

Die Untersuchungen des Verf. wurden an den Gehirnen von 3 Hunden und 
2 Affen vollzogen, denen das motorische Rindenfeld an einer Hemisphäre in mehr 
oder weniger grosser Ausdehnung zerstört worden war. Die Methode, mit welcher 
die secundäre Degeneration verfolgt wurde, waren die Markscheiden. Aus der an 
Ergebnissen reichen Arbeit seien folgende Resultate hervorgehoben: Zunächst stellte 
der Autor fest, dass beim Affen die Zerstörung einer Grosshirnhemisphäre die 
Degeneration der beiderseitigen Pyramiden zur Folge hat, wobei diejenige der 
entgegengesetzten Seite unbedeutend ist. Die degenerirten Fasern kommen auf 
zwei verschiedenen Wegen in die contralaterale Pyramide. Da schon im Hirn- 
schenkelfuss nach einseitigen Rindenläsionen degenerirte Fasern in derselben an¬ 
zutreffen sind, so sei anzunehmen, dass eine, wenn auch minimale Anzahl dieser 
Fasern von der lädirten Hemisphäre durch den Balken zur Pyramide der ent¬ 
gegengesetzten Seite herabsteigt. Die degenerirten Fasern werden aber je weiter 
man nach unten gelangt um so zahlreicher; besonders in den unteren Querschnitts¬ 
ebenen der Medulla oblongata nehmen sie an Masse zu und in 2 Fällen konnte 
der Verf. im Niveau des oberen Theiles der Schleifenkreuzung Schwarzpunkte von 
der Pyramide der operirten Seite zur anderen übergehen sehen. Es konnte also 
der sichere Nachweis geführt werden, dass ein Uebergang von Fasern von einer 
Pyramide zur anderen stattfindet. Dieses Verhalten gilt aber nur für den Affen; 
beim Hunde treten auch bei ausgedehnter Zerstörung einer Hemisphäre in der 
contra-lateralen Pyramide des Hirnschenkels und des Pons degenerirte Fasern 
nicht auf. Erst im Niveau der Schleifenkreuzung ziehen Schwarzpunkte von der 
Pyramide der operirten Seite zur gesunden hinüber und die letztere enthält von 
da ab caudalwärts ohne Unterbrechung eine geringe Menge Schwarzpunkte. Beim 
Hunde geht ein Theil der Pyramidenfasern in der Kreuzungsstelle sicher in den 
gleichseitigen Seitenstrang über, so dass man hier eine partielle Kreuzung der 
Pyramidenbahn constatiren kann. Diese zum gleichseitigen Seitenstrang gehenden 
Pyramidenfasern sind natürlich viel geringer als die zum gegenüberliegenden 
gehenden; jedoch sind sie in relativ ansehnlicher Zahl vorhanden und machen den 
Hauptbestandtheil der in dem Seitenstrang der lädirten Seite enthaltenen dege¬ 
nerirten Fasern aus. 

Ferner richtete der Verf. seine besondere Aufmerksamkeit auf die cortico- 
nuclearen Fasern, welche zu den motorischen Kernen im Pons und der Medulla 
oblongata ziehen. Seine Befunde führen ihn zu dem Schluss, dass die Pyramiden¬ 
fasern, welche zum Facialis-, Hypoglossus- und motorischen Trigeminuskern der 
entgegengesetzten Seite ziehen, sich zum grossen Theil oberhalb des betreffenden 
Kernes oder auch im Niveau des oberen Endes desselben von der Pyramide ab- 
lösen; etwas tiefer scheinen sich die zu den gleichseitigen Kernen ziehenden 
Pyramidenfasern abzulösen und ebenso tiefer zu verschwinden. Eis erhält also 
jeder dieser Kerne einen Faserzuflass aus beiden Pyramiden. 

28* 


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356 


Was die im lateralen Abschnitt des Hirnschenkel fuBses gelegene cortico- 
pontile Bahn anbetrifft, so glaubt der Verf., dass dieselbe speciell mit dem Tem¬ 
porallappen in einer innigen Beziehung steht, weil dieser Abschnitt des Pedunculus 
besonders stark in derjenigen Fällen degenerirt war, wo der Temporallappen eine 
Läsion erfahren hatte. Für die frontale Brückenbahn konnte der Nachweis ge¬ 
führt werden, dass ihr Gebiet im Pedunculus auch bei Läsion der motorischen 
Sphäre, und zwar der Kopfregion allein degeneriren kann, und dass die Dege¬ 
neration je nach der Intensität der Läsion in sehr verschiedenen Graden auftritt» 
Ein Theil der im medialen Abschnitt des Pedunculus enthaltenen Fasern ent¬ 
stammt den ausserhalb der motorischen Sphäre liegenden Bezirken des Stirnhirns, 
und dieser Bestandteil ist beim Affen viel stärker entwickelt als beim Hunde. 

Im Stratum intermedium des Pedunculus wurden in 3 Fällen degenerirte 
Fasern auf der Seite der Bindenläsion gefunden. Dieselben sollen nach der An¬ 
sicht des Verf.’s einerseits aus der Binde des Stirnlappens und der benachbarten 
Insel, andererseits aus dem Streifenhügel stammen. Diese letzteren würden dem 
Edinger’schen basalen Vorderhirnbündel entsprechen. Schliesslich sei noch er¬ 
wähnt, dass der Verf. in einem seiner Fälle, in welchem der Temporallappen 
lädirt worden war, degenerirte Fasern vom lateralen Abschnitt des Hirnschenkel- 
fus8es zur äusseren Ecke der medialen Schleife und dann nach dem Vierhügel 
verfolgen konnte. Es handelt sich hier wahrscheinlich um Fasern, welche die 
Temporalwindungen, eventuell auch die Inseln mit dem hinteren Vierhügel ver¬ 
binden. Max Bielschowsky (Berlin). 


5) Bemerkungen über die Entstehung und Bedeutung gewisser wand¬ 
loser Oehlrnoysten, von F. von Beusz. (Orvosi Hetilap. 1901. Nr. 34. 
[Ungarisch.]) 

Fortsetzung der bereits veröffentlichten Untersuchungen (ref. in d. Centralbl. 
1901. S. 614) über die Entstehung und Bedeutung der vielfach beschriebenen 
wandlosen Gehirncysten. Verf. stellte- systematische Versuche an menschlichen 
und Thiergehirnen an, und fand speciell, dass es bei Alkoholhärtung unter 
gewissen Umständen (96°/o Alkohol, grössere Stücke, säftereiche Gehirn Substanz) 
sehr leicht zur Bildung bis zu hanfkorngrossen Cysten kommt. Verf. betrachtet 
den Vorgang als rein mechanischen und vergleicht denselben mit der Bildung der 
Vacuolen, welche durch Coagulirung von Eiweissmassen beim Kochen im Inneren 
der Masse entstehen. Diese Erscheinung findet Verf. um so auffallender, da an¬ 
geblich bei Alkoholhärtung ähnliche KunBtproducte nicht Vorkommen, und warnt 
zur Vorsicht bei Beurtheilung von solchen Cysten nach der Härtung. 

Hudovernig (Budapest). 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Speoimens illustratlng three oases of tumour of brain, by Chas. Work- 
man. (Glasgow med. Journ. 1901. Juni.) 

Demonstration I. eines Präparates von einem Fall von Hirntumor, dessen 
Symptome, Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen und Doppeltsehen, seit 10 Jahren 
bestanden; es besteht ein hühnereigrosser Tumor in der rechten Frontalregion, 
dessen innere Theile grösstentheils erweicht sind; die Untersuchung ergab ein 
Gliom; 

II. eines Präparates von Hirntumor, von einem löjähr. Knaben stammend, 
der seit Juli 1900 an Schmerzen im Hinterkopf und Nacken, Uebelkeit, Erbrechen 
und Enuresis nocturna litt. Es bestand allgemeine Abmagerung der Musculatur, 


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erhebliche Schwäche in einzelnen Muskelgruppen (Oberschenkel, Rücken* und 
Nackenmuskeln), ferner P&rese der Schlingmuscalatur. Von Zeit zu Zeit Ohnmächte* 
anfalle, während der Puls bis auf 40 Schläge hinunterging. Sonst keine Sym¬ 
ptome. Die Autopsie ergab ein Rundzellensarcom hauptsächlich der rechten 
Kleinhirnhälfte, mit den Meningen verwachsen, von weicher Consistenz. 

III. Im 3. Fall handelt es sich um einen 89jähr. Pat, der vor 2 Jahren 
zuerst drei epileptische Anfälle hatte, die sich im Februar 1900 und am 22./I. 
1901 wiederholten, jetzt in Status epilepticus übergingen und schnell den Exitus 
herbeifÜhrten. Der Anfall begann mit klonisohen Zuckungen der Bulbi nach 
rechts, es traten dann Zuckungen der rechten Gesichtshälfte auf, der Kopf wurde 
nach rechts gedreht; die Zuckungen gingen dann auf den rechten Arm, bisweilen 
auch das rechte Bein über. Kein Zungenbiss, kein Harnabgang während der 
Anfälle. Bei der Autopsie fand sich ein grosser weicher Tumor, der die vordere 
Hälfte beider Atmosphären einnahm und auf den Balken drückte. In der äusseren 
Partie des Tumors eine Anzahl kleiner Cysten, besonders auf der linken Seite. 
Auch hier handelt es sich um ein Rundzellensarcom. 

Martin Bloch (Berlin). 


7) Hydatid oyst of the left frontal region of the brain. Operation. Beoo- 
very, by George E. Rennie and W. H. Crago. (Australasian medical 
Gazette. 1900. 20. Juli.) 

I3jähr. Junge, aus gesunder Familie, selbst gesund, von guter Intelligenz, 
erlitt mit 7 Jahren eine Gehirnerschütterung durch Fall aus einer Höhe von 
20 Fass, war aber in den folgenden 6 Jahren völlig gesund. Dann erkrankte 
er unter Kopfschmerzen, Erbrechen, Abnahme des Gedächtnisses, Schwäche in den 
Extremitäten (rechts fast völlige Lähmung), linksseitige Ptosis, Lähmung des 
linken R. internus, doppelseitige Neuritis optica (links stärker), träge Pupillen» 
reaction, Parese des rechten unteren Facialis, Schwäche in der Zunge, Salivation, 
Stupor, Articulationsstörung, Agraphie und Alexie. Die Schädelpercussion ergab 
über dem linken Stirnbein eine eigentümliche Resonanz, die Kopfschwarte zeigte 
daselbst eine auffallende Zartheit. Die Plantarreflexe waren beiderseits dorsal 
und lebhaft (wurden nach der Operation zuerst links und mit der Besserung der 
Lähmung auch rechts plantar; also keine absteigende Degeneration). Die Dia* 
gnoee wurde bei dem Fehlen der Tuberculose, bei der langsamen Entwickelung, 
der anainnestisch festgestellten Beschäftigung des Jungen mit Hunden, dem eigen* 
artigen Percussionsbefund auf Hydatidencyste im linken Frontallappen ge¬ 
stellt und durch die Operation bestätigt. — Zurückgeblieben ist nach der Ope¬ 
ration: ein Sensibilitätädefect in den Fingerspitzen der rechten Hand und eine 
geringe Schwäche bei feineren Bewegungen, ferner Alexie, Agraphie und etwas 
Aphasie, wofür Verf. die Läsionen der 3. und 2. Frontalwindung (Bastian’s 
cheiro-kinaesthetisches Centrum) verantwortlich macht 

H. Ges8ner (Nürnberg). 


8) Zur Diagnose der Geschwülste des Stirnhirns, .von Dr. Höniger. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr. 1901. Nr. 19.) 

Mittheilung von drei einschlägigen Fällen. In dem ersten waren die wich¬ 
tigsten Symptome eine depressive Psychose im Beginn, linksseitige Hemiparese, 
taumelnder Gang, kurz vor dem Exitus auftretende beginnende Stauungspapille 
und Witzelsucht Letzteres Symptom möchte Verf. auf eine Reizung des moto¬ 
rischen Sprachcentrumß zurückführen. (So einfach lässt sich nach Ansicht des 
Re£ gerade das Charakteristische, dass es sich immer nur um Witze handelt, 
denn doch nicht erklären.) 


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Ein zweiter Fall war durch frühzeitige Sprachstörung ausgezeichnet 
In dem dritten Fall war die auf Schwäche der beiderseitigen Rumpfmuskeln 
beruhende Stirnhirnataxie für die Diagnose von ausschlaggebender Bedeutung. 
Es fand sich ferner doppelseitige Stauungspapille und die folgenden weiteren 
Symptome ermöglichen die genauere Localdiagnose: Tumor im rechten Stirnhirn, 
vielleicht in der 2. und 1. Windung; 3. Windung frei. 

Vor Allem wurden epileptische Krampfanfalle beobachtet, wobei die linke 
Seite und hier wieder der Arm besonders betheiligt war. Der Anfall wurde ein¬ 
geleitet durch eine Drehung des Kopfes und der Augen nach links. Kurz vor 
dem Tode trat eine Lähmung des linken Armes auf. Bei der Section fand sich 
ein kleinapfelgrosses Endotheliom, das den grössten Theil der ersten rechten 
Stirnwindung zerstört, die zweite und dritte rechte, wie die erste linke Stirn¬ 
windung comprimirt hatte. Der Tumor ging von dem mittleren Theil der ersten 
Stirnwindung aus und spricht der klinische Verlauf des Falles dafür, an dieser 
Stelle das Centrum für die Rumpfmuskeln zu suchen. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


0) Fall af tumor oerebri; trepanation; förbättring, af Fritz Kaijser. 

(Hygiea. 1900. LXII. S. 223.) 

Eine vorher gesunde, 29 Jahre alte Frau begann vor l 1 /, Jahren an Kopf¬ 
schmerz zu leiden, der einige Male von Erbrechen begleitet war. Anfangs seltener 
und gelinder, wurden diese Anfälle häufiger und heftiger. Im März 1899 nahm 
das Sehvermögen rasch ab und es stellte sich Doppeltsehen ein. Pat. litt ausser¬ 
dem an Schwindel, die linken Extremitäten wurden schwächer. Später stellten 
sich Zuckungen ein. Der Kopfschmerz war in der Stirngegend localisirt. Der 
Geruch war herabgesetzt, besonders rechts. Die Pupillen waren stark erweitert 
und reagirten nicht auf Licht. In beiden Augen bestand starke Stauungspapille. 
Der Patellarreflex war links verstärkt. Da die Kranke um jeden Preis Linderung 
ihrer Kopfschmerzen verlangte, entschloss sich Verf. zur Trepanation. Nach den 
Symptomen musste sich im rechten Stirnlappen eine Geschwulst finden, ob sie 
exstirpirt werden konnte, liess sich nicht bestimmen; Verf. operirte aber haupt¬ 
sächlich, um den Hirndruck zu mindern. Er fand die Hirnwindungen am rechten 
Frontallappen abgeplattet, dunkler als normal, keine Pulsationen, keine begrenzte 
Geschwulst, eine Probepunction ergab keine Flüssigkeit. Fieber war 10 Tage 
nach der Operation nicht vorhanden, dann stieg die Temperatur vorübergehend, 
nahm aber bald wieder ab. Der Kopfschmerz war die ersten Tage nach der 
Operation heftig, liess aber dann allmählich nach. Gleichzeitig mit der Fieber¬ 
steigerung hob sich der Knochenlappen etwas. 3 Wochen nach der Operation 
war der Kopfschmerz verschwunden und die Kranke wurde nach wenigen Tagen 
entlassen. Mehr als 3 Monate später hatte Patientin nach eingegangener Nach¬ 
richt keinen Kopfschmerz, das Sehvermögen beschränkte sich auf Erkennen von 
Hell und Dunkel. Walter Berger (Leipzig). 


10) Gliomatöse Entartung des einen Traotus und Bulbus olfactorius bei 

Glloma oerebri, von Prof. Chiari (Prag). (Deutsche med. Wochenschr. 

1901. Nr. 41.) 

In dem mitgetheilten Falle von Gliom im rechten Stirn- und Schläfenlappen 
waren auch der Tractus und Bulbus olfactorius dieser Seite relativ vergrössert 
und, wie die mikroskopische Untersuchung zeigte, in gliomatöses Gewebe um¬ 
gewandelt worden. Klinische Symptome von Seiten des Olfactorius hatten an¬ 
scheinend nicht bestanden. R. Pfeiffer. 


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11) Bullet wound of the motor region of the brain: bullet retained: 

suooessful eztraotlon, by Douglas Drew. (Brit. med. Journ. 1902. 

18. Januar.) 

Ein Officier, welcher 5 Tage nach erlittener Schädelschussverletzung ins 
Hospital aufgenommen wurde, klagte über starken Kopfschmerz in der Stirn - 
gegend, war geistig völlig normal. — Bei der Untersuchung fand sich, dass die 
Kugel im vorderen Theil des rechten Scheitelbeins, etwa 2 Zoll von der Mittel¬ 
linie entfernt, eingedrungen war. — Pat. hatte 50 regelmässige Pulse, unregel¬ 
mässige, mühsame Respiration; die Pupillen waren gleich, etwas dilatirt, reagirten 
träge auf Lichteinfall. — Ferner fand sich: theilweise Lähmung der oberen Partie 
der linken Gesichtshälfte; linker Mundwinkel völlig gelähmt; der linke Arm von 
der Schulter abwärts bis auf die Fähigkeit, den Ellenbogen leicht zu extendiren, 
völlig gelähmt; Gefühl von Taubsein im Unterarm und in der Hand mit ab¬ 
geschwächter Sensibilität. 

Die Röntgendurchleuchtung ergab keinerlei Anhaltspunkt über den Sitz des 
Geschosses im Gehirn. 

Behufs Hebung der durch die Knochensplitterung gesetzten Gefahr und um 
einer Zunahme des Gehirndruckes vorzubeugen, wurde an der Einschussstelle der 
Schädel geöffnet. — Bei der Entfernung der Knochensplitter Btiess man auf die 
Kugel, welch letztere herausgenomraen werden konnte. — Schon 24 Stunden 
später hatten die Kopfschmerzen nachgelassen, die Facialisparalyse war beseitigt. 
2 Monate nach der Operation zeigte Pat. eine an völlige Heilung grenzende 
Besserang. E. Lehmann (Oeynhausen). 


12) Et tilf&lde af tab af muskelsansen, begrünset til höire haand, af Vil- 

heim Magnus. (Norsk. Mag. f. Lägevidensk. 1900. XV. S. 304.) 

Ein 64 Jahre alter Schuhmacher, der im Herbst 1897 in Behandlung kam, 
ohne erbliche Anlage, der nie Alkohol missbraucht oder an Syphilis oder Tripper 
gelitten hatte, erkrankte um Weihnachten 1895 plötzlich mit Fiebersymptomen, 
bekam Kopfschmerz und wurde so schläfrig, dass er den ganzen Tag schlief. 
Nachdem er einige Tage im Bett gelegen hatte, verlor er das Bewusstsein, ohne 
Krampferscheinungen, und kam erst nach einer Woche wieder zu sich und genas 
dann allmählich, aber in der rechten Hand hatte er das Gefühl, als ob etwas 
vom Ellbogen aus bis in die Fingerspitzen rieselte; in den Fingern bestand taubes 
Gefühl, die rechte Hand war bedeutend dicker als die linke, ungeschickt und 
der Kranke konnte, als er nach etwa einem Jahre sich wieder so weit erholt 
hatte, dass er zu arbeiten versuchen konnte, nur noch zuschneiden, wenn er ein 
Messer mit dickem Griff nahm, manche Arbeiten musste er mit der linken Hand 
machen. Der Druck der rechten Hand war weniger kräftig als der der linken. 
Die Sensibilität für Schmerz und Temperatur war in der ganzen rechten oberen 
Extremität herabgesetzt. Pat. localisirte sehr schlecht in der rechten Hand, 
konnte nicht angeben, welcher Finger berührt wurde, welche passiven Bewegungen 
mit der Hand und den Fingern ausgeführt wurden, seine Nasenspitze konnte er 
mit seinem rechten Zeigefinger berühren, aber nicht so rasch, wie mit dem linken, 
er konnte mit geschlossenen Augen eine Papierscheere, die ihm in die rechte 
Hand gelegt wurde, von einem Finger unterscheiden, doch fühlte er, dass die 
entere härter war. Pat. wurde einige Wochen lang poliklinisch mittels Elektri- 
cität und Jodkalium ohne Nutzen behandelt und liess sich dann nicht mehr sehen. 
Als er nach etwa 2 Jahren wiederkam, hatte er Anfälle von Schwindel und 
Synoope, die Sprache begann erschwert zu werden, er konnte einzelne Worte 
schwer aussprechen und musste langsam reden. Der Zustand der rechten Hand 
war ungefähr wie früher, aber die Muskelkraft hatte noch mehr abgenommen und 


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die Sensibilitätestörungen waren noch deutlicher geworden. Ausserdem hatte die 
Kraft im rechten Beine abgenommen. — Verf. nimmt an, dass sich auf der 
Grundlage eines begrenzten meningitischen Processes, der in Heilung überging, 
eine langsam zunehmende Neubildung in der linken Hirnrinde gebildet habe, 
die das Anncentrum betraf und am stärksten das Centrum für die Hand angriff. 
Im Laufe von 2 Jahren war die Neubildung nach oben bis zum Centrum für die 
Unterextremität und nach unten bis zum Facialis- und Hypoglossuscentrum ge¬ 
wachsen. Walter Berger (Leipzig). 


13) Gutachten über einen Fall von Gliom des Gehirns mit tödtliohem 

Ausgang in Folge von Kopfverletzung nach etwa IO 1 /, Jahren, von 

Dr. Uhlemann. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1900. Nr. 6.) 

Ein 38jähr. Maurer erhielt im November 1887 von einer Wagendeichsel 
einen Schlag gegen den Kopf, so dass eine Risswunde der Kopfschwarte und eine 
leichte Knochenimpression entstand. Es erfolgte glatte Heilung: nach 3 Wochen 
arbeitete Patient wieder. Er klagte jedoch von nun ab über Kopfbeschwerden, 
nach einem Jahr über Schwerhörigkeit und in den weiter folgenden Jahren über 
rheumatische und neuralgische Schmerzen. 1896 hatte er Fussklonus und Rom¬ 
berg, 1896 taumelte er beim Gehen, 1898 Pupillendifferenz, Schwäche in den 
Gliedern, Störungen in der Sensibilität. Einige Wochen vor dem Tode, der im 
April 1898 eintrat, bildete sich eine Lähmung und Contractur mit Zuckungen im 
linken Arm und linken Bein aus. Die Section ergab genau der Stelle ent¬ 
sprechend, an welcher die Hautnarbe sass, das ist auf der hinteren Central¬ 
windung, ein zerfallenes Gliom. Verf. hatte für das Schiedsgericht zu begutachten, 
ob ein Zusammenhang mit dem Unfall bestände. Er bejahte diese Frage mit 
grosser Wahrscheinlichkeit und stützte seine Beweisführung mit ähnlichen Fällen 
der Litteratur, in welchen ebenfalls die Geschwulst erst Jahre lang nach dem 
Unfall entdeckt war. Im späteren Recursverfahren entschied das Reichsversicherungs¬ 
amt im Sinne des genannten Gutachtens, nachdem sich auch andere Sach¬ 
verständige in derselben Weise ausgesprochen haben. 

Paul Schuster (Berlin). 


14) Tumor oerebri, door Dr. L. Bouman. (Psychiatr. en neuroL Bladen. 

1900. S. 63.) 

Bei einem 34 Jahre alten Manne waren im Alter von 28 Jahren ohne be¬ 
kannte Veranlassung epileptische Anfälle aufgetreten, die 2 Jahre später nach 
einem Trauma häufiger wurden, während sich langsam ein gewisser Grad von 
Demenz entwickelte. Bei der Aufnahme, 6 Jahre nach Beginn der Krankheit, 
traten die epileptischen Anfälle in den Hintergrund, aber es stellten sich bald 
die allgemeinen Erscheinungen einer Hirngeschwulst ein, Kopfschmerz, Benommen¬ 
heit, Erbrechen, Schmerz in der Gegend des Halses. Pat. zeigte starke Neigung, 
seine Klagen zu übertreiben. Die speciellen Symptome waren zu wenig aus¬ 
geprägt, um eine Localisation zu gestatten, nur dass der Sitz der Krankheit sich 
in der linken Hälfte des Grosshirns befand, liess sich annehmen; die Muskel¬ 
bewegungen und Reflexe erwiesen sich auf der rechten Seite weniger stark als 
auf der linken. Kopfschmerz und Erbrechen nahmen zu und Pat. starb plötzlich 
unter apoplektischen Erscheinungen. Bei der Section fand sich im linken Schläfen¬ 
lappen ein Sarcom von der Grösse eines grossen Apfels, das nach vorn bis 4,3 cm 
vom Frontalpole, nach hinten 5 cm vom Occipitalpole sich erstreckte. 

Nach Verf. sind schon die im Alter von 28 Jahren aufgetretenen epileptischen 
Anfälle als von der Geschwulst abhängig zu betrachten gewesen. Besonders hebt 
Verf. die Neigung des Kranken, seine Klagen zu übertreiben, hervor und führt 


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drei von Thoma in der Versammlung des Vereins siidwestdeutecher Irrenärzte 
im Jahre 1895 mitgetheilte Fälle (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LU) an, in denen 
dasselbe Symptom zu beobaohten war. Walter Berger (Leipzig). 


16) Case of cerebral tumour at the parieto-oooipital fiaaure, by B. T. 

Williamson. (Brit med. Journ. 1901. 6. Juli.) 

Ein 43jähr. Patient hatte seit längerer Zeit an Kopfschmerz, Schlaflosigkeit 
und leichten Krämpfen im linken Bein gelitten; später bekam er drei aufeinander¬ 
folgende Anfalle von hochgradigen Jackson'sehen Krämpfen der ganzen linken 
Körperhälfte, vom Bein beginnend, mit Bewusstseinsstörung. Sodann Abnahme 
der Sehkraft. 

Bei der Aufnahme ins Hospital bestanden keinerlei Lähmungserscheinungen. 
Reflexe normal, Sensibilität unverändert. Pat. klagte besonders in der Gegend 
der rechten Stirnseite über heftigen Kopfschmerz. Beiderseits Neuritis optica, 
keine Hemianopsie, Pupillenreaction normal, keine geistigen Störungen. 

Am Schädeldach fand sich hinter und oberhalb des rechten Tub. frontale 
eine empfindliche Stelle. Bei der Auscultation hörte man hierselbst Flüstern des 
Pat besser als auf der entsprechenden linken Seite. — Pat. wurde apathisch, 
halb bewusstlos. 

Um die unerträglichen Schmerzen zu lindern, • wurde an der genannten Stelle 
trepanirt ohne Eröffnung der Dura. Eine Probepunction ins Gehirn ergab keinen 
Eiter. Besserung der Kopfschmerzen. Später Abnahme der geistigen Functionen, 
Coma, Tod. 

Bei der Autopsie fand sich in der Gegend des Sulcus parieto-occipitalis ein 
ein Zoll im Durchmesser messendes gemischt-zelliges Sarcom. Der Tumor, welcher 
in den genannten Sulcus eingedrückt schien, dehnte sich sowohl nach der con¬ 
vexen als medialen Gehirnoberfläche aus und erstreckte sich mehr auf den Hinter¬ 
haupts- (Theile der ersten Hinterhauptswindung, bezw. des Cuneus), als auf den 
Scheitellappen (Theile des oberen Scheitellappens, bezw. des Praecuneus) aus. 
Hinsichtlich der näheren Details und der localdiagnostischen Bemerkungen des 
Verf.'s sei auf das Original verwiesen. • E. Lehmann (Oeynhausen). 


16) A oase of sarooma of the brain removed by Operation: subsequent 
Operation for removal of a seoond tumour: recovery, by J. Mi che 11 
Clarke and B. G. Lansdown. (Brit. med. Journ. 1901. 13. April.) 

Ausführliche Mittheilung der Krankengeschichte eines 28jähr. Mannes, bei 
dam seit l 1 /, Jahren an Intensität zunehmende, allgemeine cerebrale Krankheits¬ 
symptome — besonders auch zunehmende Stauungspapille beiderseits — bestanden, 
und bei dem 11 Tage nach vorgenommener Trepanation zunächst ein abgekapselter, 
rundlicher Tumor entfernt wurde. Pat erholte sich von dieser Operation, die 
jedoch nicht den erhofften Erfolg hatte. Namentlich besserte sich die Sehkraft 
nicht; die Kopfschmerzen wurden wieder heftiger, die Benommenheit nahm zu, 
die die Trepanationsöfinung bedeckende Kopfhaut wölbte sich vor. — Man ver- 
muthete Becidiv und schritt an derselben Stelle zur zweiten Operation. Jetzt 
fiand sich ein mit der Kopfhaut verwachsener, orangegrosser Tumor, weloher, zu- 
sammen mit kleinen adhärenten Gehirntheilen, stückweise entfernt werden musste. 
Ein halbes Jahr später weitgehende Besserung aller Krankheitserscheinungen; nur 
die Sehkraft blieb gestört — Beide Tumoren waren Spindelzellensarcome. 

In diagnostischer Beziehung ist erwähnenswerth, dass auf das Ergriffensein 
der betreffenden linken Gehirnhälfte nur die grössere Intensität der Stauungs¬ 
papille link«, sowie eine Parese des linken M. externus deutete. 


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Beim Fehlen eigentlicher specifischer Krankheitssymptome war das einzige 
Zeichen zur näheren Localdiagnose des snpponirten Tumors und zur Bestimmung 
der Trepanationsstelle der deutlich abgeschwächte Percussionsschall über einer 
kleinen „Kronstück“ • grossen Schädelstelle in der linken Scheitel-Hinterhaupts¬ 
gegend. 

Die betreffende Schädelpartie war nicht empfindlich; der Knochen daselbst 
nicht verdünnt. Die Dämpfung des Schalles rührt wahrscheinlich von dem ober¬ 
flächlichen Sitz des ersten Tumors und der grossen Festigkeit seines Gewebes her. 

Die Trepanation, welche ursprünglich nur aus palliativer Rücksicht, um den 
Gehirndruck zu beseitigen, gemacht werden sollte, hatte keinen wesentlichen Ein¬ 
fluss auf Besserung der Neuritis optica. Die Verff. rathen daher, in künftigen 
Fällen die Palliativoperation zu einem Zeitpunkt zu machen, bevor völliger Ver¬ 
lust der Sehkraft eingetreten. E. Lehmann (Oeynhausen). 


17) Tumor oerebri, door von Ziegenweidt. (Talma’s Feestbundei. Haarlem, 

1901.) 

Verf. bespricht einen Fall von Tumor cerebri bei einem 44jähr. Manne, bei 
dem seit 3 Monaten Erscheinungen von Schwindel, Schmerzen im Hinterkopf und 
Nackenmuskeln und Erbrechen aufgetreten waren. Pat., der Lues negirt, wurde 
in der letzten Zeit vergesslich. Im rechten Facialis und rechten Arm trat 
Jackson'sehe Epilepsie wie auch Parese auf. Der Gang wurde atactisch, doch 
traten keine Retropulsionsbewegungen auf. Des weiteren war zu constatiren: 
Hyperästhesie der linken Thoraxhälfte und des linken Beins, Patellarreflexe und 
Fussklonus nicht anwesend, Cremasterreflex rechts abgeschwächt, links aufgehoben. 
Bauchreflexe beiderseits schwach. An beiden Seiten Stauungspapille; Absences 
— keine Störungen bei Percussion und Auscultation des Schädels. 

Die Diagnose wurde auf Tumor im linken Lobus front, gestellt. Bei der 
Operation wurde Ventrikelpunction im Coma ausgeflihrt. Pat. wurde klarer und 
am nächsten Tage trat beiderseits Fussklonus auf. Später auch Zuckungen in 
der linken Körperhälfte, so dass die Diagnose geändert wurde in Tumor im 
rechten Lobus pariet. 

Bei der Autopsie fand man den Tumor unter der grauen Substanz des rechten 
Gyrus marginalis. 

In diesem Falle wurde die collaterale Epilepsie und Monoplegie durch 
Ventrikelhydrops von der anderen Hemisphäre verursacht. 

TenCate (Rotterdam). 

18) Zur Klinik der Tumoren der Vierhügelgegend nebs Bemerkungen zu 

ihrer Differentialdiagnose mit Kleinhirngesohwületen, von Dr. W. Nissen 

(St. Petersburg). (Jahrb. f. Kinderheilk. 1901. LIV.) 

Das Kindesalter bietet zum Studium der Gehirngeschwülste günstige Gelegen¬ 
heit, theils wegen der relativen Häufigkeit dieser Erkrankung in frühen Alters¬ 
stufen, theils wegen des besonders reichlichen Vorkommens von Solitärtuberkeln, 
welche nur circumscripte Ausfallserscheinungen darbieten, endlich wegen der sich 
eher bietenden Gelegenheit zur Autopsie im Spital. 

Verf. hat die Symptome bei Vierhügeltumoren an 6 Fällen studirt, von denen 
allerdings nur hei dreien die Diagnose durch die Obduction bestätigt werden 
konnte. Aus diesen Beobachtungen, welche nebst sorgfältigen Krankengeschichten 
genaue epikritische Betrachtungen über die vorhandenen Sectionsbefunde enthalten, 
ergeben sich einige allgemein wichtige Resultate: 

Verf. hält es vor Allem für nothwendig, die Tumoren „des Vierhügels“ da¬ 
nach zu differenziren, ob die Affection im Hirnschenkel fass, in der Haubenregion 


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oder in der Vierhügelplatte (Mittelhirndach) sitzt; in ersterem Falle werden die 
Extremitäten der gekreuzten Körperhälfte gelähmt sein, beim Sitze in der Hauben- 
region ist vorerst gleichseitige Oculomotorius-, eventuell Trochlearislähmung zu 
erwarten, ausserdem sind Gangstörungen und Sensibilitütsanomalien möglich 
(Läsionen der Bahnen vom Kleinhirn durch die Bindearmkreuzung zum rothen 
Kern und der medialen Schleifenschicht). Tumoren der Vierhögelplatte brauchen, 
so lange sie klein sind, überhaupt keine Erscheinungen zu machen; möglicherweise 
sind durch Betheiligung der sensiblen Schleifenbahn Sensibilitätsstörungen und 
Schmerzen von dieser Stelle auslösbar. In praxi kommen diese Schlussfolgerungen 
allerdings auf die bekannte Thatsache hinaus, dass Oculomotorius* und gekreuzte 
Extremitätenlähmung als Hauptmerkmale eines Vierhügeltumor anzusehen sind. 

In den „Allgemeinerscheinungen 1 * ähneln Tumoren der Vierhügel manchmal 
solchen des Kleinhirns, doch glaubt Verf. auf einige Verschiedenheiten hinweisen 
zu können. Kopfschmerz ist bei Vierhügeltumoren nicht so intensiv, so heftig 
und so sehr im Hinterhaupt localisirt, Erbrechen namentlich in späteren Stadien 
nicht so häufig wie bei Kleinhirngeschwülsten. Die Augenmuskelstörungon 
bei Cerebellartumoren bieten mehr den Eindruck von Paresen oder von perio¬ 
dischem Schielen und nicht von ausgesprochenen Oculomotoriuslähmungen. Er¬ 
krankungen des Augenhintergrundes fehlen niemals bei Neubildungen des 
Kleinhirns, häufiger bei solchen in der Vierhügelgegend; damit tritt bei ersteren 
Geschwülsten auch eine raschere Abnahme des Sehvermögens auf als bei letzteren. 
Eine frühzeitig auftretende Neuritis optica wird also ceteris paribus eher für einen 
Kleinhirntumor sprechen. 

Zum Schlüsse der Arbeit verweist Verf. auf die Multiplicität von Tuberkeln 
im Hirn und hält es nicht für ausgeschlossen, dass von einer secundären Tuberkel- 
bildnng vornehmlich jene Hirntheile befallen werden, welche mit dem primären 
Sitze durch Leitungsbahnen in directer Verbindung stehen: Es würde sich durch 
diese Hypothese die Möglichkeit ergeben, bei Diagnose eines bestimmten Primär- 
hecdee Wahrscheinlichkeitsschlüsse auf andere isolirte Tuberkelerkrankungen im 
Hirn zu ziehen und daraus diagnostisch oder eventuell therapeutisch werthvolle 
Thatsachen zu gewinnen. Zappert (Wien). 


19) Ein Lipom der Vierhügelgegend, von Dr. Fritz Spieler. (Arbeiten 

aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1902. Heft 8.) 

Im Gehirne eines 10 Jahre alten, an Tuberculose verstorbenen Knaben fand 
sich an der Kuppe des linken hinteren Vierhügels ein erbsengrosser Tumor, der 
sich histologisch als ein von der Pia mater ausgehendes Lipom erwies, und der 
von dem sonst intacten N. trochlearis durchzogen wurde. In der Höhe des be¬ 
ginnenden hinteren Vierhügels sieht man mächtige Gefässbalken vom Tumor gegen 
die Decke des Aquaed. Sylvii ziehen, die selbst kleinzelliges Infiltrat und eine 
eigentümliche gliöse Verdichtung zeigte. Die Gefässwandungen sind hier verdickt, 
die Lymphscheiden erweitert. Verf. bringt diesen Befund mit einem durch den 
Tumor bedingten Reizzustand in Zusammenhang. 

In der Litteratur finden sich nunmehr 35 Fälle von Hirnlipomen beschrieben; 
davon kommen zwölf auf das Corpus callosum, elf auf die Hirnbasis, fünf auf 
Pons und Medulla oblongata, vier auf die Vierhügelgegend und ebenso viele auf 
die Plexus chorioidei. Multiple Lipome kommen im Hirn nicht vor, nur ver¬ 
einzelt ist zweifaches Auftreten im Gehirn beschrieben worden. Der vorliegende 
Fall spricht für den meningealen Ursprung der Hirnlipome. Im allgemeinen 
herrscht die Neigung vor, auch die Hirnlipome auf Keim Verlagerungen und Ent¬ 
wickelungsstörungen zurückzuführen; die immerhin auffällige Thatsache, dass sie 
meist erst jenseits des 30. Jahres zur Beobachtung kommen, findet vielleicht darin 


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ihre Erklärung, dass sie erst im späteren Alter wachsen und dadurch leichter zur 
Beobachtung kommen. Redlich (Wien). 


20) Bin Beitrag zur Kenn tu iss der Brüekengeschwülste, von Dr. Theodor 

Zahn, Assistent der psychiatrischen Klinik in Würzburg. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

Bei einer 28jährigen, halb idiotischen Puella, bei welcher keine luetischen 
Symptome nachweisbar waren, trat unsicherer, schwankender Gang, Steigerung der 
Patellarreflexe und zeitweise beiderseitiger Fussklonus, später linksseitige, schwache 
Facialislähmung, Schlafsucht, Schwindel und Gefühl von Trunkenheit auf. Oph¬ 
thalmoskopisch fand sich nur venöse Hyperämie, und zwar hauptsächlich rechts, 
Papillengrenzen unverwischt, Hörorgan, Sprach- und Schreibvermögen unversehrt. 
Wegen Verdachtes auf Lues Ueberführung in die syphilitische Klinik, doch wurde 
einer Schmierkur energischer Widerstand entgegengesetzt. Später Gehen ganz 
unmöglich, dauernder comatöser Zustand, schlaffe Lähmung des rechten Armes. 
Exitus. Bei der Autopsie und anatomischen Untersuchung fand sich in der linken 
Ponshälfte ein Herd, der in seiner Umgebung zur Erweichung geführt hatte, 
ausserdem eine vom Sacralmark bis zum Hirnstamm reichende Entzündung der 
Pia mit Verdickung und Rundzelleninfiltration. Innerhalb des Herdes eine Zer¬ 
störung der Pyramidenbahnen, die eine absteigende Degeneration bis an das Ende 
derselben im Gefolge hatte. Ausserdem entzündliche Gefässveränderungen der 
Pia gummösen Charakters, und zwar sind nur Media, Adventitia und Umgebung 
der Gefässe davon betroffen, während die Intima nirgends verdickt und das Lumen 
an keiner Stelle obliterirt ist. 

Klinische Erscheinungen hatte die nicht gerade hochgradige Rückenmarks¬ 
syphilis nicht hervorgerufen, die ersten Symptome (cerebellare Ataxie) waren 
4 Monate vor dem Exitus aufgetreten. Die periphere Facialislähmung links, die 
erst kurz vor dem Tode deutlicher wurde, findet in dem Faserschwund und in 
den Markschollen an der Austrittsstelle ihre Erklärung. In der linken Brücken¬ 
hälfte waren die Pyramidenbahnen zum grossen Theil zerstört und nur ein dorsal 
gelegener, die ganze Breite einnehmender Rest erhalten. 

Der Exitus erfolgte unter den Erscheinungen schweren Hirndrucks. In Folge 
seiner Ausdehnung konnte aber das Gumma im Gehirn nicht die geringste Raum¬ 
verdrängung bewirken. Die Störungen, die trotzdem in dieser Beziehung be¬ 
standen, sind auf eine Vermittelung durch die Med. oblong, zurückzuführen. Das 
Gehirn füllte den Schädelraum mehr als gewöhnlich aus und war statt um 10% 
nur um 6% kleiner als das Schädelinnere. Die hier deutlich ausgeprägte oere- 
bellare Ataxie führt Verf. in Uebereinstimmung mit anderen Autoren auf Druck¬ 
wirkung auf Kleinhirn oder verlängertes Mark zurück, während er einer Schädigung 
der Brücke selbst in dieser Beziehung keinen Einfluss einräumt 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

21) Un glioma dei plessi ooroidei del IV ventrioolo. Osservazione del Dr. 

G. Catöla. (Rivista di Patologia nervosa e mentale. 1901. August.) 

Tumoren der Plexus chorioidei mit dem Charakter von Neubildungen 
der Neuroglia sind noch nicht beschrieben worden. Im vorliegenden Falle handelt 
es sich um einen 41jähr. Goldarbeiter, seit 2 Jahren paralytisch. Epileptiforme 
Anfälle, keine Herderscheinungen. Diabetes 5%«, und Acetonurie, terminales 
(toxisches) Coma. — Leichtes Lungenödem, leichte Nieren- und Leberstauung. 
Liquor cerebrospinalis ext. et int etwas vermehrt. Alle Verhältnisse sonst normal. 
Der hinteren Hälfte des 4. Ventrikels lose aufliegend, den Unterwurm abplattend, 
erhebt sich etwa 2% cm hoch ein cylindrisches Geschwülstchen, umschlungen von 


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den Strickkörpern, mit welchen es nur in kurzer Ausdehnung mittelst dünnster 
fibröser Fädchen zusammenhängt. Farbe weisslich, Maulbeerform, fleischige Con- 
sistenz. Nach dem Ventrikel hin treten aus der Geschwulst 5 Läppchen vor, 
welche an dem Boden desselben entsprechende Eindrücke hervorgebracht haben. 
Der Tumor ist mit einem Kranz hanf- bis erbsengrosser Knöpfchen besetzt, welche 
den Plexus in ihrem ganzen Verlauf nach vorn und seitlich folgen. 

Histologische Verhältnisse des Gehirns normal, insbesondere keine para¬ 
lytischen Gewebeveränderungen. Im Tumor, welcher eine wirbelige Structur 
zeigt und gegen den Ventrikel hin von cubischem Ependymepithel bekleidet ist, 
kann man zwei Partieen unterscheiden: eine gekörnte und lacunäre Grundsubst&nz, 
welche an gewöhnlich helleren Stellen einen mehr concentrisch-fibrillären Charakter 
annimmt, und die zweite Partie, einen dichtgedrängten Kernbezirk, unregelmässig 
umsohliesst. Diese Kerne sind gut umschrieben, stark (dick oder fein) granulirt 
und von den verschiedensten Formen und Ausmaassen. Grosse Zellen und Astro- 
cyten (Weigert) kommen vor. In der vorderen unteren Zone des Tumors sieht 
man eine Anzahl verschieden stark gekörnter Biesenkerne mit ganz eigentüm¬ 
lichen, monströsen (Achter-, Hellebarden-, Raketen- u. s. w.) Formen und mitunter 
schwanzförmigen Anhängen, die spärlicher granulirt und von Fibrillen durchzogen 
sind. Die Structur ersterer ist zuweilen netzförmig, zuweilen im Centrum wie 
zackig, oder blass, gequollen, geborsten und halb des Inhalts entleert. 

Die benachbarten Chorioidealzotten sind durch manchmal colossal ent¬ 
stellende Wucherung ihrer centralen Fibrillen und durch Kernteilungen am 
Proliferationsprocess energisch betheiligt, während ihr einschichtiges 
Epithel überall unverändert bleibt. In manchen der oben genannten Lacunen 
trifft man auf Reste dieser Plexus, welche teils darin freiliegen, teils aber mit 
der Geschwulst, welche in ihre Substanz Zapfen treibt, organisch und con- 
tinuirlich verwachsen. Manche Zotten sind streckenweise ganz normal, ent¬ 
halten weiterhin im Inneren einen feinen fibrillären Streifen neoplastischen Ge¬ 
webes, welches an anderen Stellen ungeheuer anschwillt zu einer Geschwulstinsel, 
die nur noch vom Epithel der Zotte bedeckt ist. Ersichtlich ist der Tumor aus 
solchen grossen neoplastischen Inseln zusammengesetzt, welche im Innern der 
pioarachnoidalen Duplicatur einer Zotte ihren Ursprung genommen haben und in 
einander gewachsen sind, gleichzeitig der Geschwulst Form und Structur mit¬ 
theilend. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


22) Bin Gliom des 4. Ventrikels nebst Untersuchungen über Degeneration 
in den hinteren und vorderen Wurzeln bei Hirndruok- und bei Zehr¬ 
krankheiten, von Dr. Ph. E. Becker. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 
1902. XXXV.) 

Eine 27jähr. Frau erkrankte plötzlich mit Schwindel und Erbrechen. Dann 
bildete sich allmählich eine rechtsseitige, alle Aeste treffende Facialisparese aus, 
Schmerzen traten im rechten Auge auf, die Sehkraft nahm auf einem Auge ab, 
es kam zu einer rechtsseitigen Abducenslähmung, auch Fasern des linken Oculo- 
motorius functionirten nicht mehr. Später stellten sich Sprachstörungen ein, die 
sich ständig steigerten, Kau- und Schluckbeschwerden blieben nicht aus. Der 
Geschmacksinn ging verloren, Parästhesieen der Mundschleimhaut wurden constatirt. 
Ebne zunehmende Schwäche im rechten Arm und Bein, Gleichgewichtsstörungen, 
Beklemmungsgefühl, Stimmbandlähmung, Acusticusstörungen, Störungen der tactilen 
Sensibilität, der Schmerz- und Temperaturempfindung vervollständigen das Krank¬ 
heitsbild. Etwa ein Jahr nach Beginn der Krankheit starb die Patientin plötzlich 
unter dem Bild einer Lähmung des Athemcentrums. Erst sehr spät hatte die 
Frau über Kopfschmerzen geklagt, Stauungspapille fehlte. 


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Bei der Section fand sich eine hochgradige Dilatation des 4. Ventrikels. 
Fast der ganze Raum war eingenommen von einem wallnussgrossen, weichen 
Tumor, der vorwiegend rechts lag, die rechte Seite der Brücke stärker belastete 
und nach Durchschneidung des Wurms und Anseinanderklappen der Kleinhim- 
hemisphären sehr schön zu Tage trat Im Bereich der Tumormasse lag beider¬ 
seits der Glossopharyngeuskern, ebenso die Kerne und Fasern von Vagus, 
Accessorius und Hypoglossus. Trigeminus, Abducens, Facialis und Acustious 
haben angeblich nur durch den Druck des über ihren Kernen gelegenen Tumors 
gelitten. Die Schleifenveränderungen waren rechts stärker. Die Pyramiden fasern 
(diese besonders links) und die Vorderhörner waren degenerirt. Mikroskopisch 
wurde festgestellt, dass die Geschwulst ein typisches, rundzeiliges Gliom dar¬ 
stellte; eine scharfe Grenze zwischen Geschwulstmasse und Medullagewebe bestand 
nicht. Mitten im Tumor verliefen Nervenfasern. Ein grosser Gefässreichthum 
zeichnete die Geschwulst aus. 

Da im vorstehenden Fall auch die hinteren Wurzeln des Rückenmarks 
degenerirt waren, hat Verf. im Anschluss an seine Arbeit die Veränderungen des 
Rückenmarks und seiner Wurzeln bei verschiedenen Processen unter der Leitung 
von Prof. Dinkler genau studirt, und zwar bei Hirntumor, Hydrocephalus, Arterio¬ 
sklerose, Morbus Basedowii, pemiciöser Anämie, Nephritis, Krebscachexie und 
Tuberculose. Die Degenerationen betrafen die hinteren Wurzeln und die Hinter- 
stränge im Allgemeinen am stärksten; zuweilen waren aber auch die vorderen 
Wurzeln und die Vorderhömer befallen. Das Lendenmark war durchschnittlich 
stärker befallen als das Halsmark, am geringsten waren die Degenerationen im 
Dorsalmark. Diese Degenerationen wie die Stauungspapille fanden sich nun weder 
regelmässig noch ausschliesslich bei krankhaften Processen mit intracraniellem 
Druck. Wo die Wurzeldegenerationen vorhanden waren, unterschieden sie sich 
nicht von ebensolchen, die bei Fällen ohne Drucksteigerung gefunden wurden. 
Verf. bezeichnet deshalb mit Prof. Dinkler die Drucktheorie als nicht ausreichend 
für das Zustandekommen der Degenerationen, neigt vielmehr zur Erklärung der 
letzteren durch chemische Einwirkungen. 

Georg Ilberg (Grossschweidnitz). 


23) Ueber intracranielle Complioationen der Mittelohreiterung, von Dr. 

W. Merkens. (Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. 1901. März.) 

An der Hand einiger Fälle eigener Beobachtung bespricht Verf. die be¬ 
stehenden Anschauungen über die Beröse und eitrige Meningitis, die Encephalitis 
und den Hirnabscess. Der serösen Meningitis entsprechend, möchte er für gewisse 
Fälle die Bezeichnung der serösen oder toxischen Encephalitis Vorschlägen, nämlich 
für solche, in denen Symptome auftreten, die für eine greifbare Läsion der Ge¬ 
hirnsubstanz sprechen (Paresen. Sprachstörungen), die aber doch flüchtiger Natur 
sind, eventuell schon durch eine Paracentese des Trommelfells, eine Warzenfort- 
sntzaufmeisselung zum Verschwinden gebracht werden können. Er erinnert an 
das regionäre Oedem um einen Furunkel, das ja in der Regel steril gefunden 
wird und nur eine Wirkung der Bakterientoxine auf die benachbarten Gewebe 
darstellt. Der entzündliche Charakter eines solchen Oedems berechtigt dazu, ein 
analoges locales Hirnödem auch als Encephalitis zu bezeichnen. Die Abgrenzung 
gegen die übrigen intracraniellen Complicationen dürfte mit Sicherheit allerdings 
selten gelingen. — Von den übrigen Ausführungen des Verf.’s erscheint bemerkens¬ 
wert!), dass nach seiner Ansicht für den Kleinhirnabscess sich zur Zeit noch kein 
typisches Krankheitsbild construiren lässt; dass Veränderungen am Augenhinter¬ 
grund differential-diagnostisch keine grosse Bedeutung beizumessen ist; dass die 
Sprachstörung bei linksseitigem Schläfenlappenabscess eine typische sein soll 


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(Wortveretändnise und Nachsprechen erhalten, Bezeichnungen der Dinge verloren 
gegangen, später auch das Wortverständniss; „motorische Aphasie“ angeblich nocli 
nie beobachtet). (Diese Störung als „typisch“ zu bezeichnen, geht wohl nicht 
gut an; die Form des Ausfalls wird wohl, wie überall, von der Localisation des 
Herdes und nicht von den pathologischen Processen abhängen. Ref.) — Es 
ezistiren sichere geheilte Fälle eitriger Meningitis. — Die von Oppenheim u. A. 
▼erfochtene Ansicht, dass manche scheinbar intracranielle Symptome, wie Kopf¬ 
schmerzen, Schwindel, Gleichgewichtsstörung, Erbrechen, Nystagmus u. ä. oft von 
dem Ohrleiden an sich abgeleitet werden können, besteht sicher zu Recht; anderer¬ 
seits ist, wenn die Diagnose: eitrige intracranielle Complication feststeht, der 
sofortige operative Eingriff angezeigt. H. Haenel (Dresden). 


24) Bin Beitrag zur Erkenntniss einiger poatotitiaoher Hirnaffeotionen, 

von Dr. Ladislaus Haskovec. (Wiener med. Blätter. 1900. Nr. 46—48.) 

21jähr. Schneidergehülfe. Vor 10 Jahren Otitis med. supp, chron. Trepa¬ 
nation des linken Proc. mastoid. Bis 1896 zeitweilig Kopfschmerzen und Ohren¬ 
fluss; 1891 Schwindelanfälle bei heftigen Kopfschmerzen und Herzklopfen. 1898 
neuerliches Auftreten der Kopfschmerzen vorwiegend im Hinterhaupt, bei Kopf¬ 
bewegungen sich steigernd, Erbrechen mit cerebralem Typus, Schwindelanfälle, 
cerebellare Ataxie, binoculäre Diplopie, Strabismus conv. in Folge Lähmung der 
N. abducentes, normales Gesichtsfeld; gesteigerte Patellarreflexe, erhöhte vaso¬ 
motorische Erregbarkeit der Haut, Zwangslachen und Zwangsweinen, leichte linke 
Faciahsparese, keine Sensibilitätsstörung, Uvula etwas nach links geneigt, herab¬ 
gesetzte Empfindlichkeit des Gaumens, normale Temperatur. Zu dieser Zeit 
stellte Verf. die Diagnose auf einen chronischen Kleinhirnabscess otitischen 
Ursprungs und begründet diese Diagnose ausführlich. 

Im Laufe des folgenden Jahres stellten sich nach und nach ein: Zittern der 
linken oberen Extremität; linksseitige Hemiparese, Zunahme der Ataxie, Parese 
beider unteren Extremitäten, Zunahme des Strabismus, grössere Schmerzhaftigkeit 
der Haut im Nacken und der Halsdornfortsätze bei Druck, Pulsacceleration, 
Obstipation. 

In diesem Stadium hält es Verf. für unmöglich, sicher zu entscheiden, ob 
eine Kleinhimaffection oder eine basale Affection oder beides vorliegt. 

J. Sorgo (Wien). 


26) Btt fall af hjämabsess 1 anslutning tili empyem 1 sinus frontalis, af 

Linden. (Finska läkaresällsk. handl. 1900. XLH. S. 772.) 

Ein 40 Jahre alter Mann, der viel an Schnupfen litt, hatte seit einigen 
Jahren an intermittirenden Sohmerzen in der linken Temporal- und Stirngegend 
gelitten, die gewöhnlich einen Tag lang dauerten und dann mehrere Wochen bis 
Monate lang aussetzten. In der letzten Zeit war die Sprache langsamer geworden 
und Pat. beantwortete Fragen erat nach einem gewissen Bedenken. Am 18. De- 
cember 1899 erkrankte Pat. mit Frost, Fieber, heftigem Schmerz in der Gegend 
der linken Schläfe, mitunter am stärksten über dem N. supraorbitalis, wo Druck 
intensiven Schmerz hervorrief. Nach einigen Tagen bemerkte man an der Stirn 
erysipelative Röthung bis hinauf zur behaarten Kopfhaut, die sich später über 
den ganzen Kopf ausbreitete. Nach vorübergehender Besserung stellten sich Ende 
Januar 1900 periodenweise heftige Schmerzen ein, die von der Stirn nach der 
linken Schläfengegend ausstrahlten und bisweilen von Erbrechen begleitet waren. 
Pat. war benommen und das Bewusstsein wurde getrübt. Es bestand Stauungs¬ 
papille in mässigem Grade in beiden Augen. Eiter in den Stirnhöhlen und in 


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den Ethmoidealzellen konnte durch Sondirung nicht naehgewiesen «erden. Die 
Somnolenz n»hm zu, Intentionstremor im rechten Arm trat auf und w*hm zu, 
Pat. wurde unruhig, der Puls stieg bis 160—175, die Papillen wurden weit und 
reagirten nicht; Pat starb am 30. Januar. 

Bei der Section fand man an einer kleinen Stelle hinter der Stirnhöhle die 
Dura mater an der Pia mater adhärent, die letztere in groaeer Ausdehnung am 
oberen und vorderen Theile dee linken Stirnlappens adhärent und unter dieser 
Stelle, die Fluctuation zeigte, einen Abecess von 6 cm Durchmesser. Die Wand 
der Stirnhöhle war an der Stelle, wo Dura und Pia mit einander verlöthet waren, 
in einer Ausdehnung von 2 cm nekrotisch. Der Boden dieses Theils der Stirn¬ 
höhle bildete eine trichterförmige Ausbuchtung, durch welche eine Sonde in die 
Nasenhöhle geführt werden konnte. W alter Berger (Leipzig). 


20) Empyem der linken Stirnhöhle mit Durchbruch nach der Orbita und 
vorderen Schädelgrube, Abscess des linken mittleren Stirn« 
lappena, Tod, von Trantmann. (Charite-Annalen. 1900. XXV.) 

20jähr. Arbeiterin leidet seit der Blindheit häufig an Schnupfen. October 
1899 Influenza, im Anschluss daran rechts Ohrenlaufen, Anschwellung der Nase 
und starker Schnupfen. Gravidität im 5. Monat. Ende October Schwellung des 
linken Oberlids. Hervortreten des Augapfels, die Lidspalte kann nicht geöffnet 
werden. Am 11. November Eröffnung des Abscesses durch das obere Lid. Am 
20. November epileptiforme Anfälle, wegen deren Patientin der Charitö überwiesen 
wird. Am 30. November beginnende Stauungspapille links, am l. XIL Frühgeburt, 
am 27./XD. Aufnahme in die Abtheilung des Verf.’s. Patientin liegt apathisch 
im Bett, stöhnt und klagt über heftige Kopfschmerzen. Doppelseitige Stauungs¬ 
papille, Schwanken nach hinten beim Stehen mit geschlossenen Augen, Gang 
schleppend. Gegend über dem linken Sinus frontalis stark druckempfindlich, 
Nasenrücken, Stirn, Augenlid stark geschwollen, dadurch linke Lidspalte voll¬ 
ständig geschlossen. Keine Lähmungen, keine Aphasie, keine Sensibilitätsstörungen. 
Am rechten Ohr eitrige Otitis media, Warzenfortsatz frei. Abends leichte Tem¬ 
peratursteigerungen. Puls regelmässig, nicht verlangsamt Am 5. Januar Er¬ 
öffnung des Stirnhöhlenempyems, Auskratzen massenhafter Granulationen und 
Entleerung reichlicher Eiterungen. Danach erhebliche Besserung der localen 
Symptome und zunächst auch der Kopfschmerzen und des Allgemeinbefindens, da¬ 
gegen bleibt die Stauungspapille unverändert, es treten erneut heftigere Kopf¬ 
schmerzen auf; indessen fühlt sich Patientin zeitweilig so wohl, dass sie für 
Stunden das Bett verlässt und zeitweise auffallend heiter erscheint. 8 Tage nach 
der Operation zum ersten Male unregelmässiger und verlangsamter Puls. In den 
nächsten 3 J /j Wochen auffallender Wechsel in dem Befinden der Kranken. Da¬ 
bei bleibt die Stauungspapille unverändert, ebenso das Bomberg’sche Symptom 
und die Ataxie der Beine. Indessen hielt doch das oft mehrere Tage lang an¬ 
dauernde auffallende Wohlbefinden dar Patientin von einem weiteren operativen 
Eingriff ab. 29 Tage nach der Operation heftiges Erbrechen, Patientin liegt 
apathisch da, klagt über heftige Kopfschmerzen, wird zunehmend benommen, die 
Respiration ist beschleunigt, der Puls unregelmässig, am nächsten Tage Exitus. 
Die Section ergab einen wallnussgrossen Abscess im mittleren linken Stirnlappen. 
In der vorderen Schädelgrube zwischen Crista galli und innerer Wand des Sinus 
frontalis eine fast kreisrunde Knochenöffnung von s / 4 cm Durchmesser, die mit 
Granulationen ausgefüllt ist und mit der Stirnhöhle communicirt. 

Martin Bloch (Berlin). 


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27) Zum otitisohen Hlrnabsoess, von Stenger. (Berliner klin. Wochenschr. 

1901. Nr. 11.) 

Bei einem 13jähr. Mädchen musste wegen Otitis purul. radical operirt werden. 
Vor der Operation bestanden noch keine Symptome einer intracraniellen Compli- 
cation. 5 Tage nachher deutliche doppelseitige Stauungspapille, darauf Puls¬ 
verlangsamung, amnestische Aphasie, Benommenheit. Nach der Trepanation des 
Schläfenbeins wurde ein 2 cm unter der Hirnrinde liegender Abscess eröffnet und 
etwa 250 ccm Eiter und Hirndetritus- entleert. Sofortige Besserung, doch zeigen 
sich 4 Wochen lang Zeichen der Aphasie. Die Stauungspapille ist noch nach 
4 Monaten nicht gänzlich verschwunden. Es bildete sich ein erheblicher Hirn¬ 
prolaps, der durch andauernde Compression nicht zu beseitigen war. Die drei 
Monate nach der Operation vorgenommene Lumbalpunction hatte einen auffallenden 
Erfolg. Der Hirnprolaps bildete sich schnell bis auf einen ganz geringen Best 
xurück und es erfolgte Heilung. Bielsohowsky (Breslau). 


28) Zar Lehre von den otitisohen Himabsoeesen, von Stabsarzt Dr. Richard 

Müller. (Archiv t Ohrenheilk. 1900. L.) 

I. 47jähr. Patient, seit 1898 Ohreiterung rechts, nach Paracentese und Ver¬ 
siegen der Eliterung Sausen und Schmerzen. Aufnahme am 10./IX. 1898. Pat. 
ist nicht ganz klar, einsilbig, Schwindel beim Auffichten. Objectiv Deviation der 
Zunge nach links, Parese, dann Paralyse des linken Facialis, Augengrund normal; 
nwb 8 Tagen plötzlich grosse Unruhe, Bettflucht. Nach wenigen Stunden Läh¬ 
mung der linken Extremitäten, Benommenheit, Fehlen der Patellarreflexe. Tod 
xm nächsten Tage. Die Obduction ergab Abscess des rechten Schläfenlappenfe. 

II. 16jähr. Patient, seit 3 Jahren nach Diphtherie Ohreneiterung links, seit 
8 Wochen stärkere Eiterung und zunehmendes Kranksein. Pat liegt bei der 
Aufnahme apathisch da, ist schwerbesinnlich, klagt über heftige Kopfschmerzen 
links, zeitweiligen Schwindel, beim Sitzen Brechneigung, Gang taumelnd, starker 
Bömberg, Kopf beim Gehen nicht bewegt, Augengrund rechts normal, links Venen- 
sehl&ngelung, partielle amnestische Aphasie, links reiohliohe fötide Ohreiterung. 
Am Tage nach der Aufnahme Radicaloperation des primären Ohrenleidens, dann 
Trepanation, Eröffnung eines Schläfenlappenabscesses, in den näohsten Tagen bei 
normalem Puls und normaler Temperatur guter Verlauf Sensorium freier, kein 
Schwindel und kein Kopfschmerz, Aphasie noch vorhanden. Pat ist leicht erregt, 
geschwätzig und heiter. 16 Tage nach der Operation wird, da zunehmende Puls- 
verlangBanaung und Somnolenz beobachtet werden, von der Hirnrinde naoh hinten 
eingegangen und drei Esslöffel Eiter entleert. Pat. bleibt benommen, die Puls¬ 
zahl sinkt imm er mehr, Exitus 19 Tage nach der ersten Operation. Bei der 
Obduction findet sich eine fast die ganze linke Grosshirnhemisphäre einnehmende 
AbsceBshöhle. 

HL 18jähr. Patientin, seit frühester Kindheit Ohrenlaufen rechts, am 6./VHI. 
1899 heftige Kopfs ohmerzen und Hitzegefühl. Am 9./V1IL Apathie, Kopf überall 
gleichmässig empfindlich, wird beim Gehen eigentümlich fixirt gehalten, starker 
Bömberg, Nystagmus, rechts beginnende Neuritis optioa, Patellarreflexe nicht zu 
«zielen, Spuren Eiweiss im Harn, Proc. mastoid. rechts empfindlich, fÖtider Eiter. 
Temperatur 39,4. Am nächsten Tage Badical- und Kleinhirnabscessoperation. 
Dabei werden 2—3 Esslöffel stinkenden Eiters aus der rechten Kleinhirnhälfte 
entleert. Zunächst Abfall der Temperatur, die aber sohon nach 2 Tagen von 
neuem anstieg, von neuem Apathie, Kopfschmerzen, dann Endocarditis, Lungen- 
Metastasen, Durchfälle, zunehmendes Coma, in dem Patientin 20 Tage nach der 
Operation starb. Die Obduction ergab noch einen zweiten Abscess in der rechten 
Kleinhirnhälfte. 

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IV. lOjähr. Patient, 1897 Fall auf den Kopf, seitdem öfter Kopfschmerzen, 
seit October 1898 Ohrenlaufen links, seit l./XL 1898 Erbrechen, zunehmende 
Kopfschmerzen, am 12./XI. Aufnahme, Temperatur leicht febril, Puls 72, nicht 
ganz regelmässig, Pat. ist schwerkrank, benommen; beim Gehen Schwanken nach 
links, Bömberg, Kopf beim Gehen unbewegt gehalten, keine Nackensteifigkeit, 
linke Papille verwaschen, beiderseits Venenschlängelung; alsdann Erbrechen, Zunge 
dick belegt, zeitweiliger Sopor, keine Aphasie, Pat. delirirt, zeitweilig äusserst 
redselig, zwischendurch lautes Aufschreien, keine Lähmungserscheinungen. Am 
16./XL Antrumoperation und Eröffnung des Kleinhirnabscesses, bei der l 1 /, Ess¬ 
löffel Eiter entleert werden. Am nächsten Tage Temperatur normal, Bewusstsein 
klar; doch bleiben Sohwindel und Erbrechen bestehen, 11 Tage später Sopor, 
Pulsverlangsamung, am linken Auge Stauungserscheinungen, Blick starr; erneutes 
Eingehen in die Hirn wunde, Punction nach hinten oben entleert neuen Eiter, 
daher Erweiterung nach hier und Entleerung von etwa zwei Esslöffel Eiter. Da¬ 
nach allmähliches Schwinden der Krankheitsencheinungen. Nach 3 1 /* Monaten 
ist die Kleinhirnwunde verheilt und Pat. wird am 4./IV. 1899 geheilt entlassen. 
Auch hier hat es sich zweifellos um einen doppelten Kleinhirnabscess gehandelt. 

Die weiteren Ausführungen des Verf.’s über die pathologische Anatomie der 
Hirnabscesse, seine Versuche, dieselbe in zwei Gruppen, eine parenchymatöse und 
eine interstitielle, einzutheilen und daran diagnostische und prognostische Schluss¬ 
folgerungen zu knüpfen, sowie einige symptomatologische und technische Be¬ 
merkungen sind im Original nachzulesen, Martin Bloch (Berlin). 

29) AbsoessuB cerebri; trepanation; död, af B. Lundmark. (Hygiea. 1900. 

LXIL S. 249.) 

Ein 21 Jahre alter Steinhauer hatte einen Schlag mit einem Stein an die 
linke Seite des Kopfes bekommen, wonach zwei Narben in der linken Schläfen¬ 
gegend zurückblieben; 8 Tage vor der am 29. Juli 1899 erfolgten Aufnahme im 
Lazareth von Karlskrona hatte Pat. Schwindel, Kopfschmerz und Ermattung be¬ 
kommen. Der Kopfschmerz war deutlich in der linken Stimgegend charakterisirt 
Der rechte Facialis erschien etwas paralytisch, doch gab Pat. an, dass sein Ge¬ 
sicht immer schief und rechts weniger beweglich gewesen sei. Die rechten 
Extremitäten waren schwächer als die linken und waren am 2. August vollständig 
paretisch. Beim Trinken rann am 12. August die Flüssigkeit duroh die Nase 
wieder aus. Verf. nahm einen Hirnabscess an, da er aber die Lage nioht genau 
bestimmen konnte, trepanirte er zwischen den beiden Narben. Unter der vorderen 
Narbe war der Knochen mit Granulationen durchsetzt und etwas morsch, so dass 
er leicht ausgeschabt werden konnte. Die Dura mater war stark injicirt und 
gespannt, nach ihrer Zertheilung buchtete sich das Gehirn vor und zeigte keine 
Pulsationen; eine Punction ergab Eiter, nach einer Incision wurden noch einige 
Tropfen Eiter entleert. Es wurde ein feines Drainrohr eingelegt und die Wunde 
bis auf einen zur Drainage offen gehaltenen Theil geschlossen. Puls und Tem¬ 
peratur stiegen nach der Operation, der Pat. lag still, war etwas stumpf, aber 
antwortete richtig. In der folgenden Nacht wurde plötzlich der Puls klein und 
heftig, und Pat. starb trotz der Anwendung von Stimulantien in einigen Stunden. 
— Bei der Section fand sich noch ein anderer Abscess in den Centralwindungen, 
Lungenödem und am Lungenhilus eine in eitriger Schmelzung begriffene Lymph¬ 
adenitis. Walter Berger (Leipzig). 


30) Hühnereigrosser otogener Hirnabscess, extraduraler und subperiostaler 
Abscess in der Sohl&fengegend, duroh Operation geheilt, von Alfred 
Denker (Hagen i/W.). (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 2.) 
Abgesehen von der operativen Heilung eines so grossen Abscesses bietet der 
Fall hinsichtlich der Symptomatologie Bemerkenswerthes. Es fand sich Neuritis 


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optica nur auf der kranken Seite, ferner von Herdsymptomen (Schläfenlappen) 
nur partielle Oculomotoriuslähmung, und zwar Mydriaäis, keine Ptosis; keine Ab* 
nähme der Hörweite auf der gesunden Seite. Vor der Operation und mehrere 
Wochen nach derselben war die Temperatur normal bis subnormal (35,5°), einige 
Tage hindurch fiel das Temperaturmaximum regelmässig auf den Morgen, das 
Minimum auf den Abend. R» Pfeiffer. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Aerztlioher Verein zu Hamborg. 

Sitzung vom 4. Februar 1902. 

Herr E. Philippi stellt im Aufträge von Herrn Nonne einen Fall vor von 
sackförmiger Erweiterung des Oesophagus, bedingt durch spastische Con- 
traotion seines unteren Abschnittes auf hysterischer Basis. 

Die 27jährige Patientin befindet sich im Eppendorfer Krankenhaus. Sie ist 
in der Kindheit viel misshandelt und schlecht genährt worden, nachdem ihre 
Eltern früh gestorben waren. Abgesehen von einer Lungenentzündung war sie 
stets gesund, bis vor etwa 7 Jahren bei ihr Schluckbesohwerden mit Er¬ 
brechen und Anfälle von Athemnoth auftraten. Diese Erscheinungen ver¬ 
schwanden wieder für mehrere Jahre und stellten sich vor etwa 2 Jahren von 
Neuem ein. Die Beklemmungen auf der Brust blieben zunächst, während die 
Schluckbeschwerden und das Erbrechen zeitweilig für mehrere Wochen ver¬ 
schwanden. Nur über Kurzluftigkeit klagend, kam sie in das Krankenhaus. 

Patientin bot eine schwer neuropathisch labile Stimmung. Objectiv fand 
sich massiger Tiefstand der Lungengrenzen und von hysterischen Stigmata 
Analgesie der rechten, Hypalgesie der linken Körperhälfte, ausserdem, beiderseits 
Fehlen des Schlundreflexes, Abschwächung der Conjunctivalreflexe und concentrische 
Einengung des Gesichtsfeldes beiderseits. Patientin hatte häufig Anfalle von 
Kurzluftigkeit verschiedener Intensität, besonders nach den Mahlzeiten, begleitet 
von etwas Erbrechen. Letzteres trat immer mehr in den Vordergrund, die An¬ 
fälle von Kurzluftigkeit wurden seltener. Patientin hatte angeblich das Gefühl, 
als ob das Genossene im Halse stecken bleibe, den Eingang zum Magen nicht 
passiren könne. Beim Versuch, den Magen auszuhebern, wurde die Sonde hinter 
dem Ringknorpel auffallend beweglich und stiess bei 40 cm auf federnden Widerstand. 
Etwa 350 ccm liessen sich bei dieser Sondentiefe eingiessen und wieder gänzlich 
aushebern, wobei noch eine Masse unverdauter Speisen entleert wird. Das Aus¬ 
geheberte gab keine Salzsäurereaotion, dagegen positive Zuckerprobe. Mit 
einiger Mühe wurde das Hinderniss überwunden; Wasser floss nun rasch in grosser 
Menge ein, kam nach Senken des Trichters rasch zurück. Oberhalb des Magens 
musste also ein Hohlraum sein, der bei seinem Fassungsvermögen und hohen 
Beginn kein Vormagen nach Luschka und kein Antrium cardiacum (Fleiner) 
sein konnte. 

Doppelsondenversuch nach Kumpel: Neben der sicher in den Magen 
eingeführten Sonde ist eine zweite bis 38 cm in den Oesophagus eingeführt. Das 
hierdurch eingegossene Wasser (etwa 350 cbcm) lässt sich wieder aushebern, ohne 
von einer durch die Hauptsonde in den Magen gegossenen rothen Flüssigkeit 
(Rothwein) gefärbt worden zu sein. Es muss somit alles im Oesophagus Platz 
gefunden haben. Behufs Diflerentialdiagnose zwischen Oesophagusdivertikel 
und gleichförmiger Erweiterung des Oesophagus wurde der Rumpel’sche 
Versuch mit der gefensterten Sonde gemacht, d. h. die in den Magen eingeführte 
Hauptsonde war jetzt seitlich gefenstert: Das durch die Nebensonde nur in den 
Oesophagus gelangende Wasser liess sich nun nicht mehr zurückhebern, da es 
durch die Fenster der Hauptsonde in den Magen abgeflossen war. Das Vor- 

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handensein einer diffusen Erweiterung der Speiseröhre war damit bewiesen, 
wurde aber noch bestätigt, durch die Oesophagoscopie, bei der man eine ausser¬ 
ordentlich weite, trotz gründlicher Spülung noch mit Speiseresten theilweise er¬ 
füllte Höhle sah. Beweisend illustrirt wurde der Befund durch die Untersuchung 
mit Röntgenstrahlen und zwar durch eine einfache Aufnahme, ferner durch eine 
solche nach Eingiessung von 200 g einer 10°/ o Lösung von Bismuth subnitr. 
und vor allem durch die Aufnahme des ausgespülten, mit Luft aufgeblähten 
Oesophagus bei Verweilen der Sonde in demselben. Letztere liegt abnorm weit 
nach rechts und ist bei der Durchleuchtung als frei beweglich zu erkennen. 
(Demonstration der Röntgenbilder mit dem Projectionsapparat.) 

Guter Kräftezustand der Patientin und die Dauer der Erkrankung schliessen 
die Annahme einer malignen Geschwulst als Ursache der Stenose aus. Für 
narbige Processe fehlt jeder anamnestische Anhalt 

Es handelt sich um eine sicher hysterische Person, bei welcher sich der 
Spasmus zuweilen suggestiv beeinflussen lässt, was daraus hervorgeht, dass nur 
bestimmten Personen das Sondiren des Hägens gelingt, während andere, auch in 
der betreffenden Technik sehr geübte Untersucher sich damit vergeblich abmühen. 

Der Spasmus des Oesophagus ist hier auch nicht das einzige Symptom der 
Neurose, denn als solches muss auch das nervöse Asthma aufgefasst werden, 
welches früher das Krankheitsbild beherrschte. 

Obwohl die Patientin noch täglich grosse Mengen erbricht und morgens 
beim Spülen des Oesophagus noch unverdaute Speisereste entfernt werden, bleibt 
ihr Kräftezustand doch ein guter, nimmt sie sogar an Gewicht zu. Der Spasmus 
lässt also wohl zeitweilig nach, sodass wenigstens ein Theil der Speisen in den 
Magen gelangt. 

Aus diesem Grunde wird vorläufig von einer eingreifenden operativen Therapie, 
wie sie für diese Fälle bereits vorgeschlagen ist, abgesehen. (Autoreferat) 

HerrTrömner demonstrirt einen Fall von Gesohlechtstrieb im Kindesalter. 

Ein 8jährige8, von einem neurasthenischen Vater unehelich gezeugtes und 
stets hei Fremden erzogenes Mädchen, welches seit seinem 3. Jahre — damals 
wahrscheinlich von seinem ersten Pflegevater gemissbraucht — masturbirte und 
welches in letzter Zeit wiederholt sexuelle Berührung mit männlichen Personen 
gehabt hatte, und zwar, wie sie selbst zugab, einmal mit zwei jungen Burschen, 
deren jüngerer sie manustuprirte und 2 Mal mit älteren „Kerlen“, welche sie 
selbst aufforderte und welche dann mit ihr coitum interfemoralem ausübten. 
Sie will dabei deutliche Libido nnd zwar mehr als bei Masturbation gefühlt haben. 
Der letzte derartige congressus hatte eine Gonorrhoe für sie zur Folge. Die 
Untersuchung ergiebt keine sog. Degenerationszeichen (ausser abnormer, kirschkern¬ 
grosser clitoris) und keinerlei hysterische Stigmata, dagegen eine deutliche 
psychische Schwäche. Trotz grosser Selbständigkeit im Gebahren fehlen viele 
sonst in diesem Alter vorhandene Vorstellungen und Begriffe. Vor allem zeigt 
ihr Benehmen in der Schule, im Hause und auf der Strasse deutliche Gefühls- 
defecte, besonders fehlt Scheu und Scham. Sie spricht mit jedem ungenirt, lügt, 
fabulirt, ist ungehorsam und trotzig. Zum Schlüsse weist Vortr. auf die Gefahren 
hin, welche ein solches moralisch debiles und zugleich geschlechtlich frühreifes 
Kind bringen könne. (Autoreferat.) 

Sitzung vom 18. Februar 1902. 

Herr Sudeck: Ueber die acute trophoneurotiaohe Knochenatrophie 
nach Entzündungen und Verletzungen der Extremitäten und ihre klinische 
Bedeutung. 

Vortr. zeigt an einer Reihe von projizirten Röntgenbildern, dass nach Ent¬ 
zündungen in erster Linie der Gelenke, dann aber auch der Weichtheile, sowie 


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nach Verletzungen (Knochenbrüchen, Distorsionen, Quetschungen der Gelenke) 
erhebliche Grade von Knochenatrophie nicht nur in den direct betheiligten 
Knochen, sondern auch in den entfernteren Knochen der betroffenen Extremitäten 
auftreten können. Diese Knochenatrophie zeichnet sich durch ihre besondere Form 
(ungleichmäs8ige fleckige Knochenaufhellung, besonders der spongiösen Substanz) 
sowie die Rapidität des Auftretens und ihre Hochgradigkeit aus. Vortr. stellt 
diese Knochenatrophie auf eine Stufe mit der aus denselben Ursachen gelegentlich 
auftretenden acut einsetzenden Muskelatrophie und anderen trophischen Störungen 
(Cyanose, Oedem der Haut, Hypertrichosis u. s. w.); er glaubt alle diese Er¬ 
scheinungen als reflectorische Trophoneurose ansehen zu können und misst 
ihnen eine grosse klinische Wichtigkeit bei. An den Händen beobachtet man 
als Folge der Knochenantrophie Steifigkeit der Finger und Schmerzhaftigkeit bei 
den geringsten Bewegungen, an den Füssen Fixation und hochgradige Schmerz¬ 
haftigkeit bei der geringsten Belastung. Die Knochenatrophie (ebenso wie die 
Muskelatrophie) pflegt sehr hartnäckig zu sein und kann sioh über Jahre erstrecken. 
Der Zustand wurde nach den Beobachtungen des Vortr. meistens verkannt und 
theils als Uebertreibung oder Simulation, theils als Knochentuberculose, sehr häufig 
aber als entzündlicher Plattfuss angesehen. Vortr. glaubt, dass auch ein Theil 
der als Gelenksneurose aufgefassten Zustände hierher gehört Die Therapie beteht 
in orthopädischer Behandlung, Massage, heissen Bädern, HelfencVschen Stauungen. 
Der Fuss soll nicht immobilisirt, aber entlastet werden (Gehschiene). 

Der geschilderte Zustand tritt nicht nur nach schweren Verletzungen ein, 
sondern oft auch nach leichten Traumen wie z. B. Distorsion der Hand oder des 
Fusses. Die Knochenatrophie ist zwar ziemlich oft, aber doch nur als Ausnahme 
bei diesen Verletzungen zu beobachten. Wenn sie auftritt, gewinnt sie aber den 
Charakter eines selbständigen Krankheitsbildes, da die geschilderten, sehr hart¬ 
näckigen Symptome mit der ursprünglichen Verletzung direct nichts mehr zu 
thun haben. (Autoreferat.) 

Discussion. 

Herr Lenhartz bemängelt den Ausdruck „Atrophie“ und fragt, ob bereits 
anatomische Untersuchungen vorliegen, welche diesen Ausdruck rechtfertigen. 
L. betont, dass man bei der Verwerthung der radiographischen Befunde sehr 
auf technische Fehlerquellen achten müsse, nicht selten seien ihm Bilder als 
pathologisch vorgelegt worden, die sich durch technische Fehler erklären Hessen. 

Herr E. Fränkel hält die systematischen Untersuchungen des Vortr. für sehr 
werthvoll und interessant. Die zahlreichen Bilder lassen bei der Deutlichkeit des 
objectiven Befundes keinen Zweifel darüber, dasB hier anatomische Veränderungen 
vorliegen; ob aber der Begriff „Atrophie“ für die genannten Vorgänge zutrifft, 
erscheint vorläufig noch fraglich. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird eine Kalk- 
armuth des Gewebes vorliegen, also Processe, die der Osteomalacie nahe kommen. 
Im Allgemeinen handelt es sich um Veränderungen, die sich sowohl an Traumen 
wie an Entzündungen anschHessen können. Die Vielseitigkeit der Ursachen lässt 
jedenfalls darauf sch Hessen, dass es sich in allen Fällen um einen nervösen Ein¬ 
fluss handelt. Die entzündlichen Erkrankungen sind specifische oder nicht specifische, 
zu den specifischen gehören die tuberkulösen und gonnorrhoischen; es wäre aber 
denkbar, dass, soweit diese Bacterien in Frage kommen, entsprechend anderen 
klinischen Beobachtungen, sowohl die Bacterien selbst als auch ihre Stoffwechsel- 
producte deletär auf den Knochen einwirken. Jedenfalls spielen eine ganze Reihe 
von Momenten bei den Zuständen, die Herr S. angeführt hat, eine Rolle, einmal 
die Inactivität, die entweder spontan oder aus therapeutischem Zweck herbei- 
gefuhrt wird, zweitens Veränderungen der Gewebe, wie sie durch das Trauma 
oder die Entzündung verursacht werden und also auch hier befindliche Nerven 
mit betreffen und. Störungen in der Circulation verursachen können, so dass wir 


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den Einfluss der sogenannten trophischen Nerven garnicht brauchen; es ist jedenfalls 
nicht zu erklären, wie eine peripherische trophische Störung in den Weiohtheilen 
oder in den Knochen durch eine peripherisohe Schädlichkeit bedingt sein soll, 
da bei den den Pathologen bekannten neurotischen Atrophien die Einwirkung 
stets von den trophischen Centren auszugehen pflegt. 

Herr Nonne tritt für die trophische Grundlage der vom Vortr. beschriebenen 
Knochenveränderung ein. Er betont, dass der Begriff der neurotischen Knochenerkran¬ 
kung von den Neurologen geschaffen ist (Charcot u. A.). Die von chirurgischer 
Seite vertretene Auffassung, dass die Arthro- und Osteopathieen bei Spinalleiden 
traumatischen Ursprungs seien, sei wohl damit hinfällig, dass diese Erkrankungen 
nicht ganz selten auch schon gefunden würden im praeatactischen Stadium sowie 
bei noch erst gering ausgesprochener Storung der Sensibilität; ferner weise die 
Thatsache, dass bei Tabes ganz vorwiegend die unteren Extremitäten, bei Syringo¬ 
myelie häufiger die oberen Extremitäten Knochen- und Gelenkerkrankungen 
zeigen, auf eine Beziehung zur spinalen Affection hin. Auch hat schon Volk- 
mann selbst darauf hingewiesen, dass bei der acuten Poliomyelitis die Knochen¬ 
atrophie der Muskelatrophie zuweilen voranging. Den experimentell erzeugten 
Knochenerkrankungen gegenüber sei hingewiesen worden auf die durch die Nerven¬ 
durchschneidung bedingte Inactivität (Lähmung) der Glieder, anf den Reiz, den 
das Trauma als solches darstellt und auf die Schädigung der Vasomotoren, welche 
durch Verhinderung der Blutzufuhr zu Ernährungsstörungen der Knochen führen, 
jedoch hat Schiff bei einseitiger Durchschneidung des motorischen Kiefernerven 
nur einseitige KnocheDatrophie trotz doppelseitiger Unbeweglichkeit des Kiefers 
erzeugt und die Schnelligkeit der bei Nasse’s experimentellen Durchschneidungen 
auftretenden Knochenatrophieen lässt sich auch duroh einfache Inactivität nicht 
erklären. Trotzdem ständen jetzt noch Viele auf dem Standpunkte, dass die Ur¬ 
sache der Knochenatrophieen nach experimentellen Durchschneidungen lediglich 
durch den Fortfall motorischer und sensibler Reize dargestellt werde. Mit Recht 
hat Kienböck den von Nalbandoff als „radiographisohes Knochenresorptions- 
Symptom“ beschriebenen Fall, in dem es sich um eine Knochenatrophie von 
Sudeck’sohem Charakter an den Fingern eines Falles von Syringomyelie ge¬ 
handelt hat, bei dem ein eitriges Panaritium bestand, zurückgewiesen; hier war 
die Knoohenerkrankung auf den entzündlichen Process der Weichtheile zu beziehen. 

N. hat eine Reihe von Rückenmarks- und Gehirnkrankheiten, bei denen 
klinische Symptome seitens des Knoohensystems nicht Vorlagen, systematisch mit 
Röntgenstrahlen untersucht. (Demonstrationen mit dem Projectionsapparat) In 
einem Fall von Poliomyelitis ani acuta bei einem lOjähr. Knaben, welche zu 
einer totalen Paralyse im rechtsseitigen Peroneus- und Tibialisgebiet geführt hatte, 
fand sich bereits 4 Wochen nach dem acuten Einsetzen der Lähmung deutliche 
Atrophie in den Fusswurzel- und Mittelfussknochen, sowie in der Tibia. Bei 
einem I6jähr. Mädchen, bei dem im 5. Lebensjahre eine acute Poliomyelitis die 
ganze obere Extremität gelähmt hatte, fand sich eine geringe Atrophie in den 
Handwurzelknochen und in den Epiphysen, während die Phalangen, abgesehen von 
einem geringen Zurückbleiben im Wachsthum, betreffe ihrer Structur nichts Ab¬ 
normes erkennen Hessen. 

Eine hochgradige chronische Atrophie zeigte sich in einem Fall von chronischer 
Poliomyelitis ant. an den gelähmten Händen und Füssen, ebenso in einem Fall von 
chronischer Myelitis transversa dorsalis, bei welcher eine schlaffe Lähmung der 
unteren Extremitäten seit 5 Jahren bestand. Demgegenüber fanden sich normale 
Knochenstructurbilder in einem Fall von Compression des unteren Halsmarks 
durch Knochencaries, in dem eine spastische Liilimung der unteren Extremitäten 
seit 11 Monaten bestand. In 6 Fällen von Tabes dorsalis, aufschreitend von 
geringer Ataxie zu completer atactischer Paraplegie, fand N. keine nennenswerthen 


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radiographischen Knochenanomalien in den unteren Extremitäten, hingegen wieder 
stark ausgesprochen in einem Fall von Combination von Hinterstrangssymptomen 
mit dem Bilde der Poliomyelitis ant. chronica. Von 4 Fällen von apoplectischer 
Halbseitenlähmung zeigten 2 Fälle, in denen die Lähmung seit 12 bezw. 11 Monaten 
bestand und in denen es nicht zu einer Muskelatrophie gekommen war, nur geringe 
Knochenresorption, während in zwei anderen Fällen, bei denen es zu früh* 
zeitiger Muskelatrophie gekommen war und hei denen die Lähmung 2 hezw. 
6 Monate bestand, die Knochenresorption nachzuweisen war. In einem FaU von 
abgelaufener Polioencephalitis infantilis, in dem die spastische Lähmung im 6. Lebens¬ 
jahre eingesetzt hatte und jetzt seit 13 Jahren bestand, fanden sich die Knochen, 
abgesehen von mässiger Wachsthumshemmung, normal. Dieser FaU scheint also 
ebenso wie der oben angeführte von seit lange abgelaufener Poliomyelitis ant. 
acuta zu beweisen, dass die Inactivität an sich mit der Knochenerkrankung nichts 
za thun hat und dass ein weiteres normales Knochenwachsthum durch den Nicht¬ 
gebrauch der Extremität nicht gehindert wird. 

Im Gegensatz zu den vorerwähnten poliomyelitischen und cerebralen Läh¬ 
mungen zeigen peripherische und functionelle hysterische Lähmungen auch bei 
längerer Dauer nur geringe bezw. gar keine Folgen für die Knochenstructur. 
N. zeigt normale Knochenbilder von einem FaU von durch Druck bedingter, seit 
etwa 1 Jahr bestehender, totaler Peroneuslähmung, ebenso in einem weiteren FaU 
von arteriosklerotisch bedingter Peroneuslähmung (10 Monate), von chronischer 
Polyneuritis alcoholica (Lähmung des Peroneus- und Tibialisgebietes seit 8 / 4 Jahren) 
und von seit 10 Jahren bestehender totaler Ulnarisatrophie in Folge von Durch¬ 
trennung des nervus ulnaris am Vorderarm durch Säbelhieb. Schliesslich führt 
N. das normale Knochenstructurhild einer seit 1 Jahr hysterisch gelähmten oberen 
Extremität vor. 

Nach diesen Untersuchungsresultaten scheint die radiographische Knochen¬ 
resorption bei den Fällen von Rückenmarks- und Gehimerkrankungen vorzukommen, 
bei denen es in Folge von Erkrankung trophischer Centren zu Muskelatrophie 
(Vorderhomerkrankung bezw. entsprechende Herderkrankungen im Hirn) und 
andern trophischen Störungen an den Weichtheilen kommt, sie scheint zu fehlen 
bei denjenigen Rückenmarks- und Hirnerkrankungen, bei denen trophische Weich- 
theilsstorungen nicht zu Stande kommen, sie scheint ferner sehr in den Hinter¬ 
grund zu treten hei peripher-neuritischen und ganz zu fehlen bei functioneilen 
Lähmungazuständen. 

N. betrachtet diese einstweiligen Resultate durchaus nur als vorläufige, welche 
zu Nachuntersuchungen aufzufordern geeignet Bind. 

Herr Kümmell erkennt die Richtigkeit der von S. erhobenen Befunde an, 
er glaubt, dass man den Begriff der trophischen Störung für ihre Erklärung 
nicht nöthig hat und nimmt an, dass die Inactivität als einziges ursächliches 
Moment genüge, auch in den FäUen Nonne’s sieht er nur in der durch die 
Krankheit erzwungenen Inactivität die Ursache der demonstrirten radiographischen 
Knochenanomalien. 

Herr Wiesinger bestätigt ebenfalls die von S. vorgebrachten Thatsachen 
und betont, dass sowohl entzündliche als traumatische Affectionen nach kurzer 
Zeit (3—4 Wochen) die Veränderung am Knochen im Röntgenhilde erkennen 
lassen. Dass er die betreffenden Veränderungen fast nur an Hand und Fuss nach- 
weisen konnte, lag daran, dass nur diese Knochen dünn genug sind, um so feine 
Differenzen erkennen zu können. Auch für W. gilt als erste Ursache die In¬ 
activität. Den grossen Einfluss der Inactivität auf den Bau der Knochen be¬ 
weisen auch die Veränderungen der Knochenstümpfe nach Amputationen. Für W. 
ist es noch fraglich, wie weit die functionellen Störungen (Steifigkeit, hochgradige 
Schmerzhaftigkeit u. 8. w.) von den S.’schen Knochenveränderungen abhängen," denn 


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bei den hochgradigsten, allerdings mehr chronischen Zuständen dieser Art, wie sie 
nach essentieller Kinderlähmung beobachtet werden, treten die functionellen 
Störungen nicht in Erscheinung. Weitere Untersuchungen sollten sich darauf 
erstrecken, wie weit die geschilderten functionellen Störungen vom Trauma seihst 
abhängen, wie weit sie durch die Knochenveränderungen allein bedingt werden. 

(Autoreferat.) 

Herr Arning hat schon 1897 auf der in Berlin tagenden internationalen 
Lepraconferenz eine Reihe von Röntgenaufnahmen lepröser Extremitäten vorgezeigt, 
er wies schon damals auf von ihm als „Kalkschwund“ oder „Kalkresorption“ 
gedeutete Aufhellung der Phalangen hin. In einzelnen Fällen sprach er auch 
von „Atrophie“ der Knochen, wenn neben der Aufhellung auch eine Verschmäch- 
tigung oder Verkürzung der Knochen eingetreten war. Diese Befunde sind mit 
den gleichzeitig von Kalindero mitgetheilten in das 19Ö1 erschienene Werk von 
Babes aufgenommen worden. Die Befunde sind hei den leprösen Knochen um 
so deutlicher, als neben den durch Kalkresorption hellen Stellen die Röntgen- 
durchleuchtung auch auffallend dichte sklerotische Knochenpartieen aufweist. 
A. glaubt, dass diese radiographischen Befunde bei der Lepra die von Sudeck 
und von Nonne vertheidigte Ansicht des trophischen Zustandekommens der 
Knochenveränderungen stützen. A. schlägt anstatt des Ausdrucks „Atrophie“ die 
Bezeichnung „Kalkschwund“ der Knochen vor. 

Betreffs der vorgeführten Projectionshilder erinnert A. als persönlich praktisch 
ungewöhnlich erfahrener Photograph daran, dass in den nach den Originalröntgen¬ 
platten gefertigten verkleinerten Diapositiven sowie durch die Projicirung 
derselben auf die rauhe Leinewand wesentliche Feinheiten der ursprünglichen 
Platte erheblich beeinträchtigt werden können. Es können daraus nicht un¬ 
wesentliche Differenzen zwischen dem, was die Studien dem Untersucher ergehen 
hätten und was die Hörer demonstrirt sähen, entstehen. . (Autoreferat.) 

Herr Emhden weist auf die umfangreiche Litteratur hin, welche sich mit 
der neurotischen Knochenatrophie seit 50 Jahren beschäftigt hat und auf die 
viel erörterten Schwierigkeiten bei der Entscheidung der Frage, ob ein directer 
trophoneurotischer Einfluss auf die Knochen überhaupt nachweisbar Bei, oder ob 
es sich bei den vorliegenden Beobachtungen um indirecte Beeinflussung der 
Skeletttheile auf dem Wege der vasomotorischen und motorischen Nerven handle. 
Der blosse Nachweis von Knochenatrophieen bei Nervenkrankheiten, wie der 
Poliomyelitis anterior, beweist nichts für die vorliegende Frage. — Untersuchungen 
der Knochen bei Nervenkrankheiten können hier nur insofern herangezogen 
werden, als durch die pathologischen Processe die einzelnen, das Knochenwachs¬ 
thum und die Knocbenstructur beeinflussenden Momente (darunter auch das der 
Activität bezw. Inactivität) illustrirt werden. E. zeigt mit dem Projections- 
apparate 20 Actinogramme von Händen und Füssen bei verschiedenen centralen 
und peripheren Nervenkrankheiten (Poliomyelitis anterior, Encephalitis, Encephalo- 
malacia traumatica, Neuritis, Syringomyelie, Hämatomyelie, neurotische MuBkel- 
atrophie, Myotonia acquisita atrophicans, Kiefer bei Hemiatrophia faciei), aus 
welchen sich ergiebt, dass bei demselben Krankheitsprocess zuweilen das zweite 
Stadium des von Sudeck beschriebenen Knocbenprocesses, zweifellos eine eohte 
Atrophie (dünne Corticalis, weites Spongiosamaschenwerk) zu sehen ist, während 
in anderen gleichartigen, zuweilen viel schwereren Fällen die Atrophie fehlt. So 
ist z. B. bei einem Poliomyelitiskranken die KnochenBtructur eines vollkommen 
paralytischen Beines mit den schwersten vasomotorischen Störungen und voll¬ 
kommener Inactivität (der Kranke geht auf Krücken) wohlerhalten. Es ergiebt 
sich also eine grosse Unabhängigkeit der Knochenstructur von den Activitäts- 
und vasomotorischen Einflüssen in den untersuchten Fällen. 

Das zweite Stadium der Sudeck’schen „Atrophie“ ist zweifellos eine echte 


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Atrophie, wie sie z. B. von Roux als „Inactivitätaatrophie“ genau beschrieben 
wurde, Das erste Stadium mit der fleckigen Aufhellung und dem verwischten 
Aussehen der Röntgenbilder ist bisher noch nicht mit Sicherheit anatomisch zu 
classificiren. E. schlägt deshalb vor, den ganzen von Sudeck bei Entzündungen 
und Fracturen beobachteten Knochenprocess einstweilen als Dystrophie, Osteo- 
dystrophia acuta zu bezeichnen, analog der Dystrophia musculorum, bei welcher 
es sich ebenfalls um eine Reihe trophischer Störungen mit dem Ausgang in 
Atrophie, handle. Wolle man den Process als neurotisch (reflectorisch) bezeichnen, 
so dürfe man das wohl nur mit dem schon von Virchow präcisirten Vorbehalten 
thun. (Die Ausführungen stützen sich auf gemeinsam mit Herrn Albers-Schön¬ 
berg gemachte Untersuchungen.) (Autoreferat.) 

Herr Albers-Schönberg betont die Wichtigkeit, nur technisch richtig 
hergestellte Platten für die Diagnose der Knochen atrophie zu benutzen. Er demon- 
8trirt ein Projectionsbild eines Falles von congenitaler Hüftgelenksluxation. Es 
findet sich eine deutlich ausgesprochene Atrophie des oberen Femurendes des Os 
ischii und des os pubis. Es dürfte dieses ein Fall von Inactivitätsatrophie sein. 
Ferner zeigt A.-S. Knochenatrophieen der Füsse von einem Patienten, welcher 
wegen luetischer Kniegelenksaffection seit Monaten an den Rollstuhl gefesselt war, 
ferner Knochenatrophieen der Füsse bei Tuberculose des Talocruralgelenks. 

(Autoreferat.) 

Herr Kawka zeigt die Abbildungen eines histologisch untersuchten Falles 
von Knochenatrophie nach einer Fractur. Es handelte sich um eine 6 Wochen 
alte Fractur bei einem mit florider Rhachitis behafteten Kinde, die Extremität 
hatte sich in verticaler Suspension befunden. Interessant an dem Falle ist, dass 
nicht nur der fracturirte Oberschenkelknochen, sondern auch Tibia und Fibula 
derselben Seite die Anzeichen der Knochen atrophie boten. Der Untersucher des 
Falles, Stötzner von der Heubner’schen Klinik, will eine Einschmelzung des 
Knoohengewebes vom Periost aus, von den intraostalen Markräumen, von den 
Havers’schen Canälchen aus gefunden haben. Stötzner bezeichnet den Fall 
als „acute Osteoporose“ rhachitischer Knochen. (Autoreferat.) 

Herr Sudeck (Schlusswort) constatirt, dass Niemand in der DiscuBsion an 
den von ihm vorgebrachten Thatsachen gezweifelt hat. Betreffs des Ausdrucks 
„Atrophie“ hebt er hervor, dass genügende anatomisch mikroskopische Unter¬ 
suchungen noch nicht vorliegen. Es müsse sich entweder um Decalcination 
(Halisterese) oder um ins Pathologische gesteigerte Resorption handeln. Während 
das Ansgangsstadium des von ihm beschriebenen Processes längst bekannt war 
(gleichmässige zartere Structur der Knochenbälkchen) und früher als „Inactivitäts¬ 
atrophie“ (Knochenresorption ohne ausgleichende Apposition) aufgefasst wurde, 
wurde das Änfangsstadium dieses Processes (fleckige, scheckige, verwaschene Auf¬ 
hellung) erst durch die Röntgenuntersuchungen des Vortr. bekannt Da die chro¬ 
nische Form unbedenklich als „Atrophie“ bezeichnet werden dürfte, so ist es 
auch für die acuten Formen wahrscheinlich, dass es sich um eine neurotische 
Knochenatrophie handelt, S. will deshalb den Namen „Atrophie“ trotz der ge¬ 
machten Einwände beibehalten, bis spätere anatomische Untersuchungen eines 
Besseren belehren sollten. 

Die Inactivitat spielt nur eine untergeordnete Rolle 1. wegen der Schnellig¬ 
keit und Hochgradigkeit des Auftretens (radiographischer Nachweis schon 4 Wochen 
nach einem Trauma bezw. einem Anfall von Poliomyelitis acuta in Nonne’s Fall); 
2. weil sie auftritt in Fällen, wo Inactivitat gar nicht vorliegt und wo im Gegentheil 
die Activität, zu frühe und zu starke Belastung den Knochen ungünstig beeinflusste. 
S. zieht hier die KümmeU’sche Spondylitis traumatica heran, die durch S.’s 
Untersuchungen eine wesentliche Untorstützung im Gegensatz zu den in letzter 
Zeit sich mehrenden gegnerischen Stimmen erhält. Denn es muss jetzt als be- 


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wiesen gelten, dass ein Trauma einen chronisch rareficirenden Knochenprocess 
auslösen kann. Für diese traumatische Erkrankung der Wirbelknochen haben 
auch Mikulicz und Henle trophische Störungen, bedingt durch eine Mit¬ 
erkrankung des Rückenmarkes, als Erklärung herangezogen; 3. sieht S. in den 
von Nonne demoustrirten Fällen eine weitere Stütze dafür, dass die Inactivität 
nicht das wesentliche ursächliche Moment für die „Knochenatrophie“ ist. Auch 
hier handelte es sich, wie in den chirurgischen Fällen, stets tun eine Combination 
mit Muskel- und anderen Weichtheilsatrophieen. Auch für die arthrogene Muskel¬ 
atrophie nimmt S. ein Zustandekommen auf reflectorischem Wege und nicht auf 
dem der Inactivität an (z. B. hochgradige und schnelle Atrophie der Schulter- 
musculatur nach Handverletzungen). Die Annahm e Fränkel’s, dass Infections- 
und Toxinwirkungen bei Circulationsstorungen ätiologisch mitwirken können, sei 
keineswegs bewiesen. Nonne’s und zum Theil auch Embden's Untersuchungen 
sind ihm eine weitere Stütze für die „trophische“ Entstehung der beschriebenen 
Knochenerkrankungen. (Antoreferat.) 

Nonne (Hamburg). 


IV. Neurologische und psychiatrische Litteratur 

vom 1. Januar bis 28. Februar 1002. 


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Centralbl. f. Phys. XV. Nr. 21. — Bouchaud, Destruction du pöle sphenoidal. Revue neur. 
Nr. 3. — Fasola, Dell’ innervazione gustatoria Riv. di patol. nerv, e ment VIII. Fase. 2. — 
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Centralbl. f. Phys. XV. Nr. 28. — Schatemikot! und Friedenthal, Herzhemmende Fasern. 
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„Generelle Urtheilstendenz.“ Zeitschr. f. Psych. XXVIH. Heft 1. — Joteyko, Sitz der Er¬ 
müdung. Przeglad lekarsti. Nr. 7 u. 8. — Adamkiewicz, Wille und mechanische Arbeit. 
Zeitschr. f. klin. Med. XLV. Heft 1 u. 2. 

VI. Psychiatrie. Allgemeines: Neige, Possödöe dans l’art. Icon, de la Salp. 
Nr. 1. — Weygandt, Atlas und Grundriss der Psychiatrie. Münohen, Lehmann. — 
Fiacfch, Die Geisteskrankheiten. Mönchen, 0. Gmelin. 88 S. — Fischer, Max, Zu 
Rolleris 100. Geburtstage. Psych. Wochenschr. Nr. 42. — Ludwig, Psychiatrische Fort- 
bildungscurse für Medioinalbeamte. Ebenda. Nr. 41. — Lugaro, Fenomeni psiohici. Arch. 
per PAntropoL e PEtnolog. XXXI. — Herder, Inheritanoe. Brit. med. Joum. Nr. 2140. 

— McGuyan, Heredity and insanity. Joum. of Amer. med. Assoo. Nr. 6. — d’Ormea, Con- 
trasto psichico nelle malakie mentali. Giomale di Psichiatr. clin. e Tunica manic. Fase. 1. 

— Obici, Resistenza globulare nei vecchi alienati. Riv. di patol. nerv. YII. Fase. 1. — 
Pitcz, Psychoses chez les juifs. Ann. mMico-psychol. Nr. 1. — Rosenberg and Aronstam, 
Suicide. Medic. Age. Nr. 1. — Vialion, Suicide et folie. Ebenda. — Robinowitch, Obsessions 
and impulses. Joum. of Ment Pathol. I. Nr. 4—5. — Hess, Conrad Ferdinand Meyer. 
Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVHL Heft 6. — Mendelssohn, Lage der Geisteskranken in 
St. Petersburg. Russkij Wratsch. Nr. 2 u. 3. — Sommer, Beiträge zur psychiatr. Klinik. 
Berlin u. Wien. Urban u. Schwarzenberg. — Norman, Hallucinations. Joum. of Ment Sc. 
Nr. 200. — Robertson, Psycho-oerebral images. Unilateral hallucinations of Nearing. Ebenda. 

— MBnkemOller, Deckung des ErinnerungsdefecteB durch Hallucinationen. Vierteljahrsschr. 
f. ger ichtl. Med. XXIII. Heft 1. — Angioielia, Negativismo mnemonico. D Manicomio. 
XVll. 3. — Roncoronl e Pratl, Le frenosi con alterazione dell’ emotivita in Sardegna. Arch. 
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Ebenda. — Tomasinl, Oto-ematomo negli alienati. H Manicomio. XY1I. 3. — Edel, M., 
Selbstbeschädigungsversuche. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 4. — Ayres, Mental aberration. 
Joum. of Amer. med. Assoc. Nr. 3. — Ransohoff, Rückenmark bei Tuberculose der Geistes¬ 
kranken. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. Heft 2. — Angl ade, Propagation de la tuberculose 
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Alsberg, Porencephalie. Arch. f. Kinderneilk. XX X I II . Heft 1 u. 2. — TrOper, Anfänge 
der abnormen Erscheinungen im kindlichen Seelenleben. Altenburg, A. Bonde. 32 S. — 
Neige, L’infantüisme. Gaz. des höpit Nr. 22. — Naupatd, Langage chez les idiots. Ann. 
m&L-psych. Nr. 1. — Ley, Un enfant d’idiote. Bulletin de la soc. de m4d. ment de Belgique. 
Nr. 108. — Sklarek, Körperlänge und Gewicht bei idiotischen Kindern. Allgem. Zeitschr. 
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Heller, Th., Mit Thyreoidin behandeltes cretinöses Kind. Wiener klin. Rundschau. Nr. 5. — 
Aaerton, Peut-on guörir la surdi-mutitöP Joum. möd. de Bruxelles. Nr. 7. — Sexuelles: 
Blecfc, Iwan, Psychopathia sexualis. Dresden, Dohm. 272 S. — Bloch, Iwan, Genesis 
sexueller Anomalieen. Wiener med. Blätter. Nr. 3 u. ff. — Ziegelroth, Neurasth. sexualis. 
Archiv f. physik.-diät. Ther. Nr. 2. — Kühn, Yohimbin Spiegel. Deutsche med. Wochenschr. 
Nr. 3. — Funotionelle Psychosen-. Arndt, Geschichte der Katatonie. Centralbl. für 
Ne ryenh . u. Psych. Nr. 145. — Ounton, Dementia praecox. Amer. Joum. of Ment. Sc. 
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Joum. X. Nr. 1. — Brugia, Follia morale ereditaria. Forli 1901. — Derselbe, Follia morale e 
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Ktlpin, Inducirte Psychosen. Archiv f. Psych. XXXV. Heft 2. — Pick, A., Initiale Erscheinungen 
der Paranoia. Neurol. Centralbl. Nr. 1. — Tlling, Paranoiafrage. Psych. Wochenschr. Nr. 43 
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aigu. Gaz. des höp. Nr. 5. — Colo, Acute delirium. Lancet 8. Febr. — Semldalow and 
VoMongammor, Acute delirium. Joum. of Mental Pathol. I. Nr. 4—5. — Clonston, Melan- 
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Paralytische Rindendegeneration. Neurol. CentralbL Nr. 2. — Pick, Paralytic attacks. Philad. 
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Joura. möd. deBrux. Nr. 3. — Forensische Psychiatrie: O caso Josepha Greno pelos 
peritoe doproceeso. Lisboa. Janeiro. — Benedikt, Wiener Schule und Criminal-Anthro- 
pologie. Wiener med. Blätter. Nr. 3. — Fischer, Hans, Grenzgebiete in der Psychiatrie. 



384 


Psych. Wochenschr. Nr. 48. — Hoch«, Praktischer Arzt als psychiatrischer Sachver¬ 
ständiger. Alfs Zwanglose Abhandlungen. IV. Heft 6. — de Blssio, Tatnaggio dei delin- 
auenti napoletani. Riv. mens, di psich. for. Nr. 1. — Pelman, § 1569 BOB. Psych. 
Wochenschr. Nr. 41. — Leppmann, A., Criminalität der Unfallverletzten. Aerztl. Sachverst.- 
Zeitung. Nr. 8. — Siemerling, Testirfähigkeit. Friedreich’s Blätter f. gerichtl. Med. Heft 1. — 
Brugia, Testamenti oppugnati. Nocera infer. 1901. — Gudden, Entm&ndigongsgutachten. 
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Riv. mens, di psich. for. V. Nr. 2. — Mac Donald and Spitzka, Mental Btatus of Czolgosz. 
Journ. of Mental Pathology. I. Nr. 4—5 u. Lancet 1. Febr. u. 8. Febr. u. Med. Record. 
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Garnier, Protection de la fortune des malades dans les asiles d’aliönös. Ann. möd.-psych. 
Nr. 1. — Therapie der Geisteskrankheiten: Nelsser, Zellenlose Behandlung. Psych. 
Wochenschr. Nr. 44—46. — Gallus, Personal in Meerenberg. Ebenda. Nr. 45. — Kaplan, 
Pflegepersonal für Geisteskranke. Krankenpflege. L Heft 5. — Kolb, Atlas für den Bau 
von Irrenanstalten. Halle a/S, Carl Marhold. — Maddsn, Education of the degenerate. 
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Nr. 7. — Laehr, H., Heilung des Orest. Berlin, Georg Reimer. 86 S. 

VII. Therapie. Bresler, Gedächtniskuren. Psych. Wochenschr. Nr. 46. — Silber- 
stein, Bromeiweisspräparate. Therap. Monatshefte, Heft 1. — Meitzner, Hedonal bei Unfall¬ 
nervenkranken. Deutsche Praxis. Nr. 8. — Tendlau, Hedonal. Fortschr. der Med. Nr. 5. — 
Parnell, Treatment of enuresis. Brit. med. Journ. Nr. 2141. — Beichard, Sehnenverpflanzung. 
Berliner klin. Wochenschr. Nr. 7. — Krause, F., Ersatz des gelähmten Quadnceps fern, 
durch die Flexoren des Unterschenkels. Deutsohe med. Wochenschr. Nr. 7 u. 8. — Keoindfy, 
Extension dans le traitement des maladies nerveuses. Arch. de neurol. Nr. 73 u. 74. — 
Speiser, Prognose der Nervennaht. Fortschr. der Med. Nr. 5. — Zanletowski, Voltaisation. 
Neurol. Centralbl. Nr. 1. — Rodari, Permea-Elektroapparat. Correspondenzbl. f. Schweizer 
Aerzte. Nr. 4. — di Luzenberger, Trattamento della vertigine di Menidre. Ann. di elettricita 
med. I. Nr. 2. — Bruns, C., Laufwagen bei Lähmungen der unteren Extremitäten. Münchener 
med. Wochenschr. Nr. 1. — Erb, Balneologie undjphysikal.-diätet. Behandlung. Volkmann’s 
Vortr. Nr. 821. — v. Vogel, Hydrotherapie und „Wasserkuren“. Münchener med. Wochen¬ 
schrift. Nr. 8 u. 4. — Ziegeiroth, Massage. Archiv f. physikal.-diät Ther. Heft 1. — 
8mith, Suggestion. Boston med. and surg. Journ. Nr. 5. 


V. Vermischtes. 

Am 3. Mai 1902, Nachmittags 3 Uhr, findet in Hannover, Lavesstrasse 26, die 

37. Versammlung der Irrenftrste Niedersachsens und Westfalens statt. 

Tagesordnung: 

1. Bruns (Hannover): Neuropathologische Demonstrationen. — 2. Alt (Uchtspringe): 
Zur Genese des paralytischen Anfalls. — 3. Snell (Hildesheim): Irrenhülfsvereine. — 

4. Cr amer (Göttingen): Ueber krankhafte Eigenbeziehung und Beachtungswahn. — 

5. Weber (Göttingen): Ueber einige Neubauten an der Göttinger Anstalt. — 6. Vogt 
(Göttingen): Ueber die Beziehungen zwischen Aphasie und Demenz. — 7. Quaet-Faslem 
(Göttingen): Mittheilungen aus der Universitäts-Poliklinik für psych. und Nervenkranke. — 
8. Behr (Lüneburg): Ueber die Familienpflege in Göttingen. 


Die diesjährige Wanderversammlung der südwestdeutsohen Neurologen 
und Irrenftrste wird am 24. und 25. Mai in Baden-Baden stattfinden. Geschäftsführer 
sind die Herren Prof. Kraepelin (Heidelberg) und Fischer (Pforzheim). 

Um Einsendung von Separatabdrückec an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von VaiT & Coup, in Leipzig. — Druck von Minsu & Win» in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten« 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Eiaudswansigster " B4rün ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 84 Mark. Zu beziehen durch 
aüs Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beioha, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. L M*L Nr. 9. 


Inhalt I. OriftuknittbsUiwfsa. 1. Richter und Sschverstloidiger. Binige Worte der 
Erklärung von Medicinalrath Dr. P. Nicke in Hubertusburg. 8. Notiz zur Frage der 
Charakterveränderungen nach Gehimverletzungen, von Dr. M. Friedmann in Mannheim. 

8. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem Obduotionsb erfand (Dr. E. Flatau), 
von 8. fioldflan in Warschau. 

II. Referats. Anatomie. 1. Zur Kenntniss der Anatomie des Qehims der Blindmaus 
(Spalax typhlus), von v. FrankMtechwart. 2. Betrachtungen über das Gehirn Desider Szilägyfs, 
von tu». — Experimentelle Physiologie. 8. Specific gravity of the brain, by Gss- 
aertz. 4. Experimente am Nuolene caudatus des Hundes, von Schüller. 5. Ueber oorticale 
Innervation der Reetabphincteren, von v. FrankMIochwart und FrüMloh. 6. Zur Theorie der 
Alksholuaraoset tob Meyer und Baun. — Pathologische Anatomie. 7. Beiträge sur 
pathologischen Anatomie der Mikrogyrie und der Mikrokephalie, von Kotschetkowa. — Patho¬ 
logie des Nervensystems. 8. Diagnostic des maladies de l’encdphale, par Sraseet. 

9. Acute haemorrhagic eaoephalitis prevalent among horses in Maryland, by Ruckley and 
Callaa. 10. Eenige waarnemingen antrent reukstoornissen by verhooging van den intra- 
enmieelen druk, door Musketn. 11. Cerebral pressure following trauma, by Cannen. 18. Origine 
dcBa deviazione ooulo-oefalioa e della rigid]tä musoolare pxeeoce nelle malattie cerebrali, per 
Murrt 18. Beitrag zur Prognose der Gehimkrankheiten im Kindesalter, von Oppenheim. 
14. A eaee of polienoephalomyehtis in an adult, by Sherman and 8pWer. 16. Zur Erklärung 
des Lähmaugstypus bei der cerebralen Hemiplegie, von Redlich. 16. A aase of double eortioal 
hemorrhage, by Norris. 17. Right-sided hemipareeis with atrophy of left optio disc, by 
Batteo and Gmhrie. 18. Das Vorkommen von 8tauungeiieurms bei Hirnblutungen, von 
Halbey. 19. Ein Fall von isolirter Erweichung des Gyrus hippoeamjpi und seiner nächsten 
Umgebung. Secundäre Degenerationen, von Bischoff. 20. Ueber Agrammatismus als Folge 
von Herderkraakung, von Pick. 21. Ueber Symptomeneomplexe, bedingt durch die Oom- 
binsäkm suboortwaler Herdaff ec tienen mit seniler Hirnatrophie, von Plok. 22. Ueber ulne 
seltene Form der Paralysis altemaus, von Schlesinger. 28. Ueber einige Fälle von Nerven¬ 
krankheiten. von Schwan. 24. Sulla patologia del ponte di Varolio. Contributo dinico ed 
aaatomo-patolof^eo pell Beevenuti. 25. Ueber ausgedehnte confluireude Capillarhämorrhagieea 
in Pons, Medulla oblonguta und im Grosshim (Obduotionsbefund bei Tod im Statue epilep- 
tScus), von Streppler. 26. Sur deux cas d’hdmipldgie compiiqude d’une paralysie des mouve- 
bmuIb Seeocide des yenx, par Raymund. 27. A oaae of poetapopleotifl hemihypertonia. Hemi- 
tonia apoplectica (▼. Bechterew), by 8plller. 28. Case of irregulär movements of the right 
hand and leg in a patient of middle age, apparently referable fco slight hemiplegia, by Mortre 
and FauMa. 29. Erfolgreiche Behandlung apoplektischer Anfälle, von Ferenczi. 80. Zur 
Kenntniss der Aneurysmen an den basalen Hirnarterien, von Karplus. 81. Zur Kenntniss 
der rhachitischen (P) Deformationen der Schädelbasis und der basalen Schädelhyperostoeen, 
von Benin. — Psyohiatrie. 82. Psychologie der Geeiohtevorstellungen nach Kantfs Theorie 
der Erfahrung, von StHHftf* 88. Ein Fall von sensorieller Idiotie, von Flrsfaer. 84. Sul 
compenao seasonale nei Sordomuti, per Ferrai. 

26 


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988 


NI. BfMitfrufcle. 1. Die traumatischen Neurosen. Unfellnearosen, tod Dt. L Barns. 
2. Die Geisteekränkheiten de* Kindesaltere mit besonderer Berücksichtigung des schulpflichtigen 
Altere, von Ziehe*. 3. Atlas und Grandriss der Psychiatrie, von WHfcela Weygaadt 

IV. Ass den Gesellschaften. Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte 
in Mönchen am 14. und 15. April 1902. — Biologische Abtheilung des Aeretlichen Vereins 
zu Hamburg. 

V. PerseaaHea. 


L Origin&lmittheilungen. 

1. Richter und Sachverständiger. 

Einige Worte der Erklärung von Medicinalrath Dr. P. Nftoke in Hubertusbarg. 

In Nr. 7 dieses Centralblattes S. 290 hat Hoohe ans einer Arbeit von mir 
Aber obiges Thema 1 den Satz beanstandet: „Da der Sachverständige zweifellos 
mehr in seinem Fache weiss, als selbst der bestnnterrichtete Bichter, so hat sich 
Letzterer seinem Urtheile im Allgemeinen unbedingt zu fügen.“ Seinen Ent¬ 
würfen bin ich dort schon begegnet und das Einzige, was noch discutirt werden 
könnte, scheint mir nur die Möglichkeit der Annahme des Vorschlages zu sein. 

Zunächst wird wohl kein logisch Denkender an dem Satze rütteln wollen, 
dass ein vertrauenswürdiger Sachverständiger mehr weiss als ein Laie. Daraus 
folgt, dass der Letztere sich vernünftigerweise dem Urtheile des Ersteren unter¬ 
zuordnen hat, also eventuell auch de? Bichter. Freilich collidirt bei diesem eine 
andere Forderung damit, nämlich, dass nur er entscheidet und entscheiden soll 
Sind beide Forderungen wirklich miteinander nnvereinbar? Die Entscheidung 
soll ja nach meinem Vorschläge dem Bichter verbleiben, sie soll nur in ganz 
bestimmten, zum Glücke ziemlich seltenen Fällen, mehr mechanisch erfolgen. 
Es handelt sich hierbei besonders um schwierige Grenzfälle und Remissionen, 
wenn wir die psychiatrische Sachverständigen-Thätigkeit betrachten. Hier wird 
der Irrenarzt in concreto und za einer bestimmten Zeit den Bichter vielleicht 
nicht von einer Krankheit überzeugen können. Der Bichter wird dann z. B. 
bei einer Entmündigung entweder diese überhaupt nicht aussprechen oder 
den Termin verschieben. Es sollte ein Paralytiker entmündigt werden, der 
gerade in einer grossen Remission sich befand. Er antwortete glänzend und 
körperliche Symptome waren nicht oder kaum da. Ich konnte dem Richter 
nur sagen, dass der Vorgeführte trotzdem ein Paralytiker war, und er ent¬ 
mündigte ihn darauf hin and das war, glaube ich, verständig gehandelt Also 
nur für solche Fälle wollte ich meine Forderang, die an sich logisch und von 
einer Beihe von Psychiatern durchaus unterstützt wird, machen. Anch diese 
Fälle sollen dadurch immer noch mehr eingeschränkt werden, dass einerseits 
der Bichter besser herangebildet wird, um mehr in die feineren psychologischen 


1 Nlcxs, Richter und Sachverständiger. Archiv f. Criminalanthropol. u. Criminaliatik. 
1900. 111. S. 99. 


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387 


Verhältnisse n.&w. einzudringen and so sich etwas leichter überzeugen zu lassen, 
andererseits aber durch richtige Wahl der Sachverständigen. An Einen soll der 
Richter nicht gebunden sein, sondern noch eventuell weitere hören können, 
die ihm die Sache vielleicht plausibler machen werden. Auf keinen Fall soll 
er aber seinem Verstände mehr Zutrauen als dem Wissen des Experten. Wenn 
ich endlich das Medicinalcolleg als Obergutachter empfahl, so erscheint dies um 
so mehr rationell, als ja das psychiatrische Mitglied desselben, der allein das 
Gutachten abgiebt, meist einer der tüchtigsten Irrenärzte des Landes ist. 

Freilich handelt es sich bei obiger Forderung um de lege ferenda, und ich 
weiss wohl, dass die Richter z. Z. principielle Bedenken dagegen erheben werden, 
so vernünftig der Vorschlag an sich gewiss auch sein mag. Ob letzterer aber 
trotzdem wirklich bezüglich der praktischen Durchführung so aussichtslos ist, 
wie Hochk meint, ist mir noch nicht ganz sicher, da dem Richter ja nicht 
die Entscheidung genommen, sondern dieselbe in gewissen, immerhin seltenen 
Fällen nur „mechanisirt“ werden soll, was gewiss, glaube ich, mehr im Inter* 
esse der Wahrheit und des Allgemeinwohles liegt, als wenn der Richter sich 
stets darauf versteift Beweise zu haben. 


2. Notiz zur Frage der Charakterveranderungen nach 
Gehirn Verletzungen. 

Von Dr. M. Friedmann, Nervenarzt in Mannheim. 

In dem soeben erschienenen Heft 3 des XXI. Bandes der Deutschen Zeit¬ 
schrift für Nervenheilkunde findet sich ein interessanter kritischer Aufsatz von 
Ed. Müller „über psychische Störungen bei Geschwülsten und Verletzungen 
des Stirnhirns“, in deren einem Theile die Lehre von der Charakterverschlech¬ 
terung durch 8tirnhirnverletzungen einer scharfen und berechtigten Kritik unter¬ 
zogen wird, nachdem und sowie sie im Wesentlichen durch die bekannten 
Experimentalergebnisse von Goltz und die klinische Arbeit von Leonorb Welt 
maugurirt worden war. So beanstandet er bezüglich der klinischen Fälle unter 
Anderem besonders die durchweg ungenügende Erforschung der in Frage 
stehenden psychischen Zustände, welche den Erfahrungen und Forderungen der 
psychiatrischen Wissenschaft nicht genug Rechnung trägt; denn es sind z. B. 
so wichtige Factoren, wie chronischer Alkoholismus und ausgeprägte psycho¬ 
pathische Belastung bei solchen Patienten kaum beachtet worden. Und dennoch 
ist es sicherlich viel naheliegender, wo solche Factoren bestehen, eine psychische 
Veränderung, welche nach einer Kopfverletzung entsteht, mit diesen in Zu¬ 
sammenhang zu bringen, als sie von der localen Gehirnverletzung selbst als 
eine Art Herdsymptom abzuleiten. Sie würde dann wie andere psychopathische 
Zustände nach Kopftrauma zu beurtheilen und somit auf allgemeine und 
diffuse Gehirnstörungen bezw. Veränderungen zu beziehen sein. In gleicher 
Weise hat ganz neuerdings der zur Zeit wohl auf diesem Gebiete maassgebendste 

25* 


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Forscher, Hitzig, in seinen nettesten Untersuchungen im 2. Hefte des Archivs 
für Psychiatrie, Bd. XXXV auf die Wichtigkeit der Fehlerquelle bei physiologischen 
Gehirnexperimenten aufmerksam gemacht, die dadurch entsteht, dass sich ent¬ 
zündliche und erweichende Processe in grösserer Ausdehnung anschliessen an 
die in dem Experimente vorgenommene Wegnahme und Verletzung bestimmter 
Gehirnpartieen. 

Obwohl es nun gegenwärtig bereits' bekannt ist, dass sich in der That zum 
Theil schwere diffuse Gehirnveränderungen, welche klinisch zu förmliohen Ver¬ 
blödungszuständen führen können, nicht allein an die Gehirnoommotion an¬ 
schliessen können, sondern auch auf einfache locale Gehirnwunden zu folgen 
da und dort im Stande sind, so glaube ich doch, dass es einiges Interesse hat, 
wenn ich im Zusammenhang mit den erwähnten wichtigen Erörterungen die 
Gelegenheit wahrnehme, auf ein älteres Versuchsergebniss zuröckzukommen, 
welches ich bei meiner experimentellen Erforschung der Histologie der acuten 
Encephalitis nebenbei erhalten hatte. Ich darf das um so mehr, als ich dort 
nur eine kurze Andeutung über den uns hier angehenden Tbatbestand gemacht 
habe, die kaum Beachtung hat finden können. Heben den Versuchen über 
Verätzung und über Vereiterung des Gehirngewebes hatte ich auch eine Anzahl 
einfacher Stich- und Abtragungswunden bei Kaninchen und Sperlingen gesetzt 
und zu verschiedener Zeit nach der Verletzung untersucht Nun überraschten 
unter den so operirten Thieren zwei, ein Kaninchen und ein Sperling, ganz 
besonders aber der letztere durch ein eigenartiges Wesen und Verhalten 
nach der an sich leichten und wenig ausgedehnten Verletzung, ein Verhalten, 
welches in auffälliger Weise der Goi/rz’schen Schilderung seiner des Stimhims 
beraubten Hunde entspricht Das Thier war förmlich wüthend geworden, 
ganz und gar ungleich dem halben Dutzend bis Dutzend anderer Sperlinge, 
welche in dem gleichen grossen Käfig gehalten wurden. Alle Bewegungen 
waren hastig und stürmisch, es flatterte fortwährend herum und störte dadurch 
die anderen; namentlich aber unterschied es sich von diesen durch seine Wild¬ 
heit und seine wüthenden Angriffe bei jeder Annäherung an den Käfig. Es 
schien dann nicht verschüchtert und ängstlich wie die anderen Thiere, sondern 
hackte gleich einem Raubvogel heftig gegen die sich nähernde Hand und machte 
Angriffe versuche, und noch längere Zeit nachher flatterte es in heftiger Weise 
im Käfig herum. Ebenso sinnlos wüthend benahm es sich jedes Mal, wenn in 
den Käfig das Futter gebracht wurde, während die anderen Thiere bald zu¬ 
traulicher wurden. In der Fresslust hatte es dabei nicht in auffälliger Weise 
abgenommen. In ähnlich ungebärdiger Weise benahm sich das operirte Ka¬ 
ninchen, wie es auch eine analoge Unruhe permanent zeigte; sonst erschienen 
die übrigen operirten Thiere im Allgemeinen stumpfer und apathischer als 
normale Kaninchen oder Sperlinge. Die beiden Thiere wurden nach 6—7 Wochen 
durch Chloroform getödtet, nachdem sie die ganze Zeit hindurch, soweit ich 
mich erinnere etwa von der 3. Woche ab, das geschilderte Verhalten an den 
Tag gelegt hatten. 

Aach der anatomische Befand war hei beiden Thieren im Wesentlichen 


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der gleiche, am deutlichsten beim Kaninchen, denen Verhalten ich der Schil¬ 
derung zu Grunde lege; makroskopisch fand sich eine diffuse Böthung der Pia 
mater, aber ohne Exsudat, sonst am Gehirn wenig Auffälliges; au der Ober¬ 
fläche jeweils eine flache kleine Narbe als Folge der gesetzten aseptischen 
Wunde. Mikroskopisch dagegen bestand eine sehr ausgedehnte diffuse Ver¬ 
änderung, welche sich ziemlich über das ganze Grosshirn erstreckte. 
Es handelte sich um eine starke lymphoide Infiltration, welche sowohl in den 
Lymphspalten der kleinen Gefässe als in den pericellulären Bäumen der Ganglien¬ 
zellen und zellenförmig angeordnet zwischen den Nervenfasern der weissen Sub¬ 
stanz sich darstellte. Ganz besonders die pericellulären Bäume waren auffällig 
dadurch, dass statt eines oder höchstens zweier Eernelemente bezw. Lymph- 
körper, welche man in der Norm bei Kaninchen trifft, eine ganze Anzahl, 
8—8, die Ganglienzellen umschlossen. Da das bei einem beträchtlichen Theile 
dieser Bäume stattfand, wurde das gewöhnliche mikroskopische Bild der 
Kaninohenhirarinde dadurch erheblich verändert In den kleinen Gefässen lag, 
wie gesagt, nicht sowohl eine Kemneubildung und Verdickung der Wandung, 
als ebenfalls eine Infiltration der Lymphräume in dünner Schichtung vor. 
Der gesammte Zustand, welcher von keinen erhebliohen Alterationen der nervösen 
Elemente begleitet war, unterscheidet sich, wie man sieht, von den gewöhnlichen 
secundären Beizerscheinungen um encephalitische Herde, nieht nur der Aus¬ 
breitung, sondern auch seiner histologischen Beschaffenheit nach; es liegt ein 
chronischer Beizzustand vor, der im Wesentlichen die Blut- und insbesondere 
die Lymphdrculation betrifft Einigermaassen Aehnliches habe ich bei den 
schweren nervösen Folgezuständen gesehen, welche in chronischem Verlaufe nach 
Kopferschütterung folgten und wovon ich zwei Fälle anatomisch habe unter¬ 
suchen können. Doch ist in dieser kurzen Notiz nicht der Ort, um darauf des 
Näheren einzutreten. 

Vielmehr sollte die Mittheilung dieser experimentellen Ergebnisse, auf welche 
ich schon längst die Absicht hatte einmal zurückzukommen, lehren, wie vor¬ 
sichtig man sein muss mit der Deutung von psyohischen Veränderungen, welche 
nach einer Kopfverletzung folgen, und wie eine Verwerthung derselben im 
localistischen Sinne nur dann überhaupt discutirt werden kann, wenn das Vor¬ 
handensein von secundären Alterationen des Gehirngewebes durch genaue mikro¬ 
skopische Untersuchung des Organs ausgeschlossen ist Unsere Beobachtungen 
lehren, dass nicht allein die secundären Degenerationen und Erweichungen, 
welche Hitzig bei seinen Experimenten constatirte, in Betracht kommen, sondern 
auch feinere Veränderungen, welche zwar ausgeprägter Art sein können, welche 
aber doch immerhin zu ihrer Beurtheilung eine gewisse Aufmerksamkeit und 
Vertrautheit mit der pathologischen Histologie des Gehirns erfordern. Auch die 
modernen feineren Methoden, welche jetzt zur Untersuchung dieses Organs zu 
Gebote stehen, sollten wohl selbst bei den physiologischen Exstirpationsversuchen 
zur Anwendung gelangen, dann namentlich, wenn scheinbar psychische Ver¬ 
änderungen der begrenzten Exstirpation gefolgt sind. Denn eben diese resultiren 
nach unseren sonstigen Erfahrungen nicht sowohl aus localisirten als aus diffus 


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— 900 — 

verbreiteten abnormen Zuständen des Gehirns, und En. Müller hat in sehr 
berechtigter Weise diesen Gesichtspunkt * bei seiner Kritik der wichtigen und 
interessanten Frage schärfer, als es hier bisher geschehen war, in den Vorder¬ 
grund gestellt 

Es liegt wohl kein Anlass vor zu bezweifeln, dass der Befund eines sub¬ 
acuten Beizzustandes im Circulationsapparat, wie er in unseren Beobachtungen 
statthatte, eine genägende Erklärung darbietet für das Eintreten der starken 
psychischen Reizbarkeit und des wüthenden Gebahrens der operirten Thiere; 
denn, wie gesagt, es lag da nicht etwa nur eine erhöhte Empfindlichkeit der 
Thiere vor, welche durch die Beschwerden eines schmerzhaften Entzünd ungs- 
processes bedingt gewesen wäre; die mit gewöhnlicher experimenteller Encephalitis 
behafteten Thiere vielmehr verhielten sich still und apathisch. Andererseits 
beschränkt sich das Ergebniss darauf, dass wir einen anatomischen Beleg für 
das diffuse Ergriffensein des Organs erhalten haben; es ist offenbar un¬ 
statthaft, etwa den anatomischen Beizzustand direct in Parallele stellen zu 
wollen mit dem psychischen Beizzustande. Eher wäre es berechtigt, die Frage 
aufzuwerfen, ob nicht die Intelligenz der Thiere durch einen solchen diffusen 
Erkrankungsprocess und durch die wohl mit der gestörten Lymphcirculation 
verknüpfte Ernährungsstörung des Grosshirns Noth leiden konnte. Man wird 
hier an den paralytischen Blödsinn der Hunde erinnert, welchen Mendel durch 
seine bekannten Drehversuohe erzeugt hatte und bei welchem ebenfalls eine 
Beeinträchtigung der Lymphcirculation eine Bolle zu spielen schien. Da auch 
beim Menschen nach Gehimverletzungen psychische Krankheitszustände beob¬ 
achtet sind, welche an die progressive Paralyse gemahnen, so eröffnet sich hier 
eine Frage, welche vielleicht fernerer experimenteller Prüfung werth ist. 


3. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefnnd (Dr. E. Flatan). 

Von 8 . Ooldflam in Warschau. 

(Fortsetxung.) 

Beobachtung VEL Den Synagogensänger S., 61 Jahre alt, sah ich am 
20./V. 1893. Schon vor einem Jahr bemerkte er, dass seine Stimme ihren 
schönen Klang eingebttsst hat, and dass er sie nicht so gut wie früher emittiren 
kann. Das war aber nar eine vorübergehende Erscheinung, da alsbald der 
frühere gesunde Zustand sich einstellte. Seit einer gewissen Zeit versagt ihm 
jedoch die Stimme nicht allein beim Singen, sondern auch beim Spreohen, wobei 
sie bald nasalen Klang bekommt, und Pat. ein Constrictionsgefuhl in der Kehle 
empfindet. Auch ist seit 3 Monaten das Schlingen, besonders fester Speisen, be¬ 
einträchtigt. Er hat nie eine ernste Krankheit durchgemacht. 

Bei dem gut gebauten und ernährten Mann liess sich nur feststellen, dass 
der weiche Gaumen bei der Phonation und mechanischen Beizung beinahe voll¬ 
ständig immobil war, dass der Bachenreflex fehlte. Die Zunge erscheint klein, ist 


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301 


aber nicht deutlich gerunzelt, sie zittert ein wenig, ihre Bewegungen werden 
schwach ausgeführt und sind beschränkt; so vermag die Spitze den Gaumen nicht 
zu berühren. Die Lippenmuskeln sind ebenfalls schwach. Die Sprache hat einen 
ausgesprochen nasalen Klang, der beim längeren Sprechen beinahe bis zur Un¬ 
verständlichkeit zunimmt; in horizontaler Lage ist die Sprache deutlicher als beim 
Stehen. Sonst sind keine abnormen Erscheinungen vorhanden, auch die elektrische 
Erregbarkeit ist normal. 

11./V1U. 1893. Es ist nicht allein keine Progression zu verzeichnen, sogar 
eine Besserung. Keine Atrophie, keine fibrillären Zuckungen. Die Zunge, die 
Lippen können noch nicht zugespitzt werden, das Palatum molle bewegt sich 
nur schwach beim Phoniren. Elektrische Erregbarkeit in manchen Gebieten viel¬ 
leicht ein wenig erhöht (Zunge, Zäpfchen, Lippen bei 13,5 R.-A., 1 / 8 M.-A., 
KaSZ>AnSZ), sonst normal 

17./XL 1893. Er kam vergnügt zu mir, um zu zeigen, dass es ihm im 
Winter besser geht. Die Stimme ist sowohl beim Singen als Spreohen in der 
That ganz klar, allein bei längerer Rede versagt sie ihm auch jetzt. Der weiche 
Gaumen bewegt sich ziemlich gut beim Phoniren, bei mechanischer Reizung 
gar nicht. Die mimischen Bewegungen sind gut ausführbar, allein beim Betasten 
erkennt man, dass sich z. B. die Lippenmuskeln nicht energisch contrahiren, auch 
entweicht Luft durch die Lippen beim Aufblasen der Backen, und vermag Pat 
noch nicht zu pfeifen. Zwar ist die Zunge klein, aber von ganz glatter Ober¬ 
fläche, durchaus nicht atrophisch und ohne fibrilläre Zuckungen. An den Armen 
kann man das Erschöpfungsphänomen nicht hervorrufen. 

19./XIL 1893. Es ging ihm wieder eine Woche lang schlecht, jetzt ist 
wieder Besserung eingetreten. Objectiv wie oben, nur stellt sich heraus, dass 
auch der Orbicularis palpebrarum schwach ist. Noch ist das Schlingen, nament¬ 
lich fester Speisen, beeinträchtigt, zuweilen bleibt ein Bissen im Rachen stecken 
und verursacht grosse Unruhe. Die Untersuchung des Kehlkopfes durch einen 
Specialisten (Dr. Sbjbbbht) ergab normale Verhältnisse. 

22./VL 1894. Er kam wegen Nackenschmerzen, sonst fühlt er sich wohl und 
ist in seinem Beruf thätig. In der That sind alle Bewegungen kräftig, nur das 
Zukneifen der Augen ist schwach, und beim Aufblasen entweicht Luft durch 
die Lippen. Vielleicht geringe rechtsseitige Ptose. 

ll./XLL 1894. Seit einiger Zeit wieder Ermüdung beim Sprechen, Singen 
schon nach wenigen Minuten. Alle mimischen Bewegungen sind schwach. Die 
Zunge kann nioht ruhig am Boden der Mundhöhle gehalten werden, sonst ist an 
ihr nichts Abnormes wahrzunehmen, auch die Bewegungen sind kräftig. Die rechte 
Hälfte des weichen Gaumens hängt mehr herab und bewegt sich weniger beim 
Phoniren als die linke. Die Reflexe des Zäpfchens, des weichen Gaumens und der 
hinteren Rachenwand herabgesetzt Schlingen gut. Kehlkopf normal. 

Seitdem hatte ich keine Gelegenheit S. eingehend zu untersuchen, er war 
ununterbrochen in seinem Beruf thätig bis kurz vor seinem Tode, der im Februar 
1901 erfolgte. Ich sah ihn mehrere Tage vor diesem Ereigniss schwer krank, 
leichenblass und bei vollem Bewusstsein im Bett Ich erfuhr, dass er seit 
einiger Zeit über Schmerzen im Sternum klagte, den Appetit vollständig 
verlor und immer siecher wurde. Am oberen Theil des Brustbeins starke 
Dämpfung. Die Herzdämpfung reicht nach rechts hinüber. Töne rein. Puls 
frequent Stimme ganz klar. Schlingen gut. 

Das UntersuchungBergebniss wies auf einen Tumor im vorderen Mediastinum 
hin. Daa Blut zeigte Eigenschaften, wie man sie bei sehr ausgesprochener 
Anämie findet (477,400 Erythrocyten, 7450 meistens neutrophile, vielkernige 
Leukocytan). Die Autopsie blieb aus. 




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H/wphpeen, Apbnaeen, psytimtben Atterdanm *. *. v. knse Bede war, 
zamai das Kizi+&Jxjitem sieh ganz normal dartte~y Das mehrjährige Be¬ 
steben da Ladens mit langen Uatabreehuaeeri and neHacben Bendirea ad 
die esd g üFi gi s Baanmgra bestätigtes die Diaguae. Wa dien FaÜ noch 
ans rritbaet, ist das Beschränkt Meibea auf bolbäre 8ymptnao; während der gannen 
Däner da Leidens w ar en djt f ftrrnihhrn and da Bnapf nicht einmal veröba- 
gebmd etgnfieiL 8s war offenbar ein sehr leichter, benigner Fall ton s st hwisrJwr 
Lähmung, »wohl betreff« da Ex- als Tntensitäl da Enckanungen. Zn ge- 
fehrdrobeaden SjmpVxnen, wie leida so oft bei da ssthmiarkm Lähmung, 
ist a während da jahrelangen Dana da Krankheit nicht gekommen. Auch 
erfolgte da Tod nicht dnreh die SHtkenisrkp Lähmung, wmdnri mehrere Jahre 
spftta, als Pstäent anecheinead von den Symptomen dieses laden* lange 
Zeit nicht mehr beimgesucht war, wahrscheinlich in Folge einer bösartigen Ge¬ 
schwulst in Media«tino antico, die zn einer hochgradigen Anämie geführt 
hat Also wieder ein Tumor, da aber offenbar in keinem ursächlichen Yerfaält- 
MtM zur asthenischen Lähmung stand, da schon zeitlich zwischen diesen beiden 
Erkzankugsn ein grosses Intervall liegt Leida fehlt die nekroskoymehe 
Bestätigung des Tumors. 


Beobachtung VIIL Krs..., jetzt 35 Jahre alt, sah ich wiederholt im 
Sommer 1896 in Gemeinschaft mit Dr. Spaxbok, dem ich für die Ueberlaasung 
des Falles und der damaligen Notizen meinen Dank ausspreche. Pat erzählte, dass 
sie 6 Wochen ror Ostern 1896 eines Tages beim Aufwachen Schwindel and Ver¬ 
dunkelung des Gesichtsfeldes verspürte, wie betrunken berumging, und dass im 
Laufe desse lben Tages die Oberlider herabfielen. Nach 2 Wochen oonsnltirte sie 
einen hiesigen Augenarzt, der traitement mixte anordnete, ohne Erfolg. Unter- 


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d wm p g w ol Ke mch Diplopie und Mikropüe hinzu. 2 Woehen nach Ostern Schwäche 
» des Armen und Beinen, 6 Wochen nachher entweicht Loft beim Blasen durch 
die Nase, und die Sprache bekommt einen näselnden Klang, nach längerem Beden 
versiegt sie sogar. Darauf stellt sich Schlingstörung ein, ein Gefühl von 
Fremdkörper im Bachen; flüssige Nahrung regurgitirt durch die Nase. 

Sie war nie ernst krank, keine Lues, kein Potus. Schwerer Kummer, 
grosse Anstrengung ist unmittelbar dem Ausbruch der Krankheit vorausgegangen 
(Pflege des sch wer kranken Kindes, schlaflose Nächte). Sie hat 2 Mel geboren 
and selbst gestillt, befindet sich im 2. Monat der 3. Schwangerschaft 

Der Vater starb im frühen Alter an Pneumonie. Die Mutter leidet an 
Arthritis deformans. Die einzige Schwester ist gesund, andere Geschwister starben 
in früher Kindheit 

Von mässiger Statur und Ernährung, in den inneren Organen keine Ver¬ 
änderungen. Beiderseitige Ptose, die Schwankungen unterliegt; zeitweise können 
die Oberlider gehoben werden, sinken aber nach kurzer Weile wieder herab. 
Diplopie bei seitlicher Blickrichtung (über die detaillirte Augenuntersuchung 
wird weiter unten berichtet). Lidschluss schwach, Orhicularis oris ebenfalls. 
Die Bewegungen des weichen Gaumens bei der Phonation und mechanischen 
Beizung schwinden nach etlichen Versuchen. 

Die grobe Kraft der Extremitäten herabgesetzt (Händedruck 20 kg). Der 
linke Kniereflex soll nach wiederholtem Beklopfen schwinden, sonst sind die Sehnen 
und Hautreflexe, wie die Sensibilität normal. MyaR entschieden vorhanden. 

Der Augenbefund wurde wiederholt von specialistischer Seite aufgenommen. 
Am l./VI. 1896 Paresis oculomotorii oc. utr. In dextro ptoais et pareais 
aooommodationis, p. pr. 55 cm, in sin. paresis acoom. c. dilat. pup. p. pr. 
44 cm. V. o. d. Vio- V. o. s. V 6 . Am l./VIL 1896. V. o. d. V 4 . V. o. s. % 
P. pr. o. d. 9 cm / o. s. 11 cm, leichte Verschleierung des Papillenrandes in beiden 
Augen. Von den äusseren Muskeln wirkt nur der Bectus ext. sin. gut. Um 
den 16./VIL 1896 Astigmatismus mjop. simp. utr. oo. V ■* 1. Gesichtsfeld 
normal. Bulbi in leichter Abduction, können nur ein wenig nach aussen, minimal 
nach innen und unten bewegt werden. Ptosis. Die Pupillen reagiren gut auf 
Licht, Accommodation und Convergenz. Besultat: Oculomotorius (mit Aus¬ 
nahme der Pupillen und Ciliarfasern) paralytisch, Abduoens paretisch, Trochlearis? 
Am 30./VH. 1896. Die Ptoee geringer, aber die Oberlider ermüden leicht, 
dasselbe gilt von der Parese der Becti externi (r. > 1.) und Obliqui super. Paresis 
orbioularum palp. Oetober 1896. Ptosis viel geringer. Strabismus div., Diplopie. 
Die Becti int. sind paralytisch, der Bectus ext. sin. wirkt gut, die anderen äusseren 
Bulbusmuskeln schwach. 

Mit Besserung des allgemeinen Zustandes verreiste sie nach Hause. Sie 
fühlte sioh volle 5 Jahre gesund, ging ihren Pflichten als Wirthin und Mutter 
nach, gebar unterdessen 2 Kinder, die sie selbst stillte. Allein es blieb die 
ganze Zeit über das Herabhängen der Oberlider, r.>l., und das Doppeltsehen, 
wenn auch mit Schwankungen zum Besseren und Schlimmeren, bestehen. Dann 
stellte sie sich am 27./X. 1901 wieder vor mit einer bedeutenden Verschlimmerung, 
geradezu einem neuen Anfall, der vor 4 Wochen begann. Zuerst bemächtigte sich 
ihrer eine immer zunehmende Schwäche der Beine, dann der Arme, und sie war ge¬ 
zwungen, das Stillen, das sie seit l 1 /, Jahren besorgte, aufzugeben. Seit 2 Wo oben 
macht ihr die Sprache Mühe und wird nach längerem Reden unverständlich, auch 
Sehlingstörongen stellten sich ein, Flüssigkeiten regurgitiren duroh die Nase, feste 
Speisen bleiben im Rachen haften; die Sprach- und Schlingstörungen gehen parallel 
einher. Ist die Sprache besser, dann geht das Söhlingen gut von Statten 
und umgekehrt; such Ermüdung der Beine beeinträchtigt dieae beiden Functionen. 

Schon da« Aussehen ist jetzt schlechter, als vor 6 Jahren, Pat ist blässer, 


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Dfgitizec 



894 


magerer, sehr schwächlich. Die gerunzelte Stirn giebt ihr einen Ausdruck tob 
Aengstlichkeit. Die Ptoee ist rechts bedeutend grösser als L Die Bulbi in leichter 
Abduction, sind beinahe unbeweglich, nur ganz minimale Seitwärtsbewegungen 
(1. > r.) können ausgeführt werden, Diplopie. Pnpillenreaction auf Licht gut und 
nicht ermüdbar, ebenso bei Convergenz und Accommodation. Das Zukneifen der 
Augen schwach, desgleichen die anderen mimischen Muskeln. Der weiche 
Gaumen hebt sich schwach bei der Phonation. Beim Aufblasen der Backen 
und Versuch zu pfeifen, entweicht Luft durch die Nase. Die Sprache wird bald 
nasal, ändert häufig während der Untersuchung den Timbre, ist bald klangvoll, 
bald beinahe unverständlich. Gefühl von Fremdkörper in der Kehle. Bei 
Nahrungsaufnahme ermüden bald die Lippen und die Zunge, die alle Bewegungen 
ansführt, aber nicht steif gemacht werden kann. Kieferbewegungen ziemlich 
kräftig. Im Nacken Gefühl von Schlaffheit. 

Die grobe Kraft der Extremitäten und des Stammes stark herabgesetzt, Gang 
langsam, paretisch; Patientin bricht in den Knieen schnell zusammen. Treppen¬ 
steigen sehr erschwert. Aus der horizontalen Lage vermag sie ohne Unterstützung 
in die sitzende nicht zu kommen. Die Apokamnose tritt in den Beinen schnell 
und vollständig, in den Armen nicht so prägnant zum Vorschein. Kniereflexe 
können nicht herabgesetzt werden. 

Am nächsten Tage wurde mit schnell aufeinander folgenden tetanisirenden 
faradischen Strömen der N. radialis, ulnaris, perforans Gassen, EnB’scher Punkt, 

M. biceps, triceps, deltoideus, Extensoree et Flexores antibrachii, thenaria, hypo- 
thenaris rechterseits untersucht. Ueberall fand sich die MyaR, mit Ausnahme des 

N. radialis; in den von diesem Nerven versorgten Muskeln, besonders im Trioepe, 
war jedoch die MyaR sogar sehr ausgesprochen. Man vermochte eine sehr starke 
Herabsetzung, aber kein Versiegen der Contractionen zu Stande zu bringen. 
Auch in diesem Falle konnte man feststellen, dass die Hervorrufung der MyaR 
an einem motorischen Punkt auf andere motorische Punkte desselben Muskels 
ohne Einfluss bleibt, wie denn auch die MyaR am Muskel ohne Einfluss bleibt 
auf den zugehöreaden Nerven und umgekehrt. 1 

Wir begegnen in diesem Falle wieder dem rapiden Einsetzen der Krankhat, 
die wieder mit Ptoee eingeleitet wird, zn der sich bald Ophthalmoplegia externa 
hinzugeeellt Ein sehr erfahrener Ophthalmologe glanbte ein traitement mixte 
verordnen zn müssen, allein ohne jeden Erfolg; es lag in der That kein Anhalts¬ 
punkt für Lues vor. Die Krankheit progresssirte weiter, bald waren die Extremi¬ 
täten ergriffen, dann die bulbären Functionen — im Wesentlichen Sprach- und 
Schlingstörungen. In wenigen Wochen war die Krankheit voll entwickelt und 
leicht diagnosticirbar, auch fehlte die MyaR nicht 

Eine gefährliche Höhe hat sie damals nicht erreicht, speciell blieben die 
Respirationsmuskeln verschont Damals beherrschten die Augenmuskelstörungen 
das Bild, die Rose war sehr ausgesprochen, r. < L, und beinahe sämmtliche 
Bulbusmuskeln waren ergriffen. Von specialistischer Seite wurde behauptet, 
dass auch der Acoommodationsmuskel, der sich in der Regel an der asthenischen 
Lähmung nicht betheiligt*, afficirt war; die linke Pupille soll zeitweise erweitert ge- 

1 Nachtrag: In den Präparaten vom excidirten Stückchen des M. qnadrioeps ororis 
sin. fanden sich mikroskopisch keine Veränderungen vor. 

* Im zweiten Fall Kojbwvikoff’b (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. IX) 
wurde die rechte Pupille weiter, als die linke befunden; die vom Allgemeinzustand ab¬ 
hängige abnorme Erschöpfbarkeit in Form von zeitweiliger Schwäche, liees sich auch am 


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wesen sein. Diese letzteren Erscheinungen verloren sich aber ziemlioh schnell, um 
nicht mehr wiederzukehren, auch war bald bei den wiederholten Untersuchungen 
von einer leichten Verschleierung des Papillenrandes nicht mehr die Rede. Die 
Besserung seitens der äusseren Bulbusmuskeln liess länger auf sioh warten und 
war lange nicht so vollständig. Wie gewöhnlich boten diese Erscheinungen 
Schwankungen in der Intensität dar; auch die abnorme Ermüdbarkeit von 
Seiten der Augenmuskeln und Oberlider wird betont In den Extremitäten 
und bulbären Functionen trat vollständige Restitution ein. 

ö Jahre fühlte sich Patientin gesund. Bemerkenswerth ist, dass während 
dieser langen Frist des subjectiven Wohlbefindens Ptose und Diplopie, wenn 
auch mit bedeutenden Schwankungen, bestehen blieb. Dann trat eine Ver¬ 
schlimmerung ein, ein neuer Anfall der Krankheit Dieselben Erscheinungen 
wie zuvor, nur intensiver; besonders stark sind die Beine ergriffen, der Verfall 
der Kräfte ist derartig, dass die Patientin bettlägerig wird. Die gegenseitige 
Beeinflussung der bulbären Functionen — des Sprach- und Schlingvermögens 
— tritt auch in diesem Falle hervor, indem Ermüdung der Beine die genannten 
bulbären Functionen beeinträchtigt 

Soweit die elektrische Untersuchung ausgeführt werden konnte, zeigte die 
MyaR dieselben Eigentümlichkeiten, wie bei der Kranken K. Ermüdung eines 
motorischen Punktes bleibt ohne Einfluss auf die Erregbarkeit anderer desselben 
Muskels, MyaR am Nerven lässt die von ihm versorgten Muskeln unbeeinflusst 
und umgekehrt, MyaR der Muskeln tangirt den entsprechenden Nerven nicht 
Auch in diesem Falle konnte man es bis zum Versiegen jeder Contraction bei 
Anwendung von tetanisirenden faradischen Reizen nicht bringen, nur war das 
Sinken der Zuckungsstärke ein sehr bedeutendes. Die MyaR muss in diesem 
Falle sehr ausgebreitet gewesen sein, sie war in allen geprüften Gebieten vor¬ 
handen, mit Ausnahme des N. radialis; aber auch in dem Ausbreitungsgebiete 
des letzteren war sie zugegen. — Während der ersten Beobaohtungszeit wird 
das Schwinden des linken Kniereflexes bei wiederholtem Beklopfen verzeichnet; 
im zweiten Anfall der asthenischen Lähmung konnte ich es nicht bestätigen. 

Die Schwangerschaft im ersten Anfalle, das lange Stillen im zweiten können 
ätiologisch nicht von Belang gewesen sein, da sich Patientin mehrere Male in 
denselben Zuständen einer guten Gesundheit erfreut bat Sie selbst gab Kummer, 
8orge und grosse Entbehrungen als Ursache der Krankheit an. 1 


M. sphincter iridis and ciliaris naohweisen. Im Fall Eulbnbubg’s (Deutsche med. Wochen- 
sehr. 1898. Nr. 1) war die rechte Papille erweitert and von etwas träger Liohtreaction; 
es wird auch über eine weissliche Färbung der reohten Sehnervenpapille ohne Störung der 
Sehfunotion berichtet; dann waren beide Papillen erweitert and reagirten kaum auf Licht; 
der linke Opticas activ hyperämisch. 

1 Anmerkung bei der Correclur-. Während der Drucklegung dieses Aufsatzes 
hatte ich Gelegenheit, zwei neue einschlägige Fälle zu beobachten, die hier nicht mehr be¬ 
rücksichtigt werden konnten. Der eine Fall (Fall IX) betrifft ein löjähriges Mädchen, der 
andere (Fall X) eine 46jährige Frau, beide mit vorwiegend ooulo-bulbären, sonst aber ganz 
typischen Symptomen (auch MyR). Die Fähe werden von Dr. Rohm, einem Assistenten 
meiner Poliklinik, demnächst eingehend beschrieben. 


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Man hat dem Symptom der Mmkefenehöpfbarkeit seme ehanktaristisehe 
Bedeutung ftr die aathemaehe Lähmnng abspnehen wollen, indem man darauf 
hillwies, da« ea anreflen auch bei anderen Kranthätgnatinden vorkommt Die 
Ermüdbarkeit ist ein physiologischer Vorgang, der allen lebenden Organen 
xakommt; um an Organ in Gesundheitabreite za erhalten, mag nach Thätigkeü 
Rohe eäntreten. Bei fortgesetzter Muskelarbeit sinkt wahrscheinlich in Folge 
von Anhänfimg der Zersetanngsprodode, sog. Ermüdangastofle (Kreatin, Milch¬ 
säure n. & w.), die Leistungsfihigkät sowohl nach änsnren, als naeh Willen»- 
reizen. Bei gesunden Individuen tritt die« Mnskelermödung spät ein, äossert 
sich durch herabgesetzte Function und ein charakteristisches subjectivee Gefühl; 
bis zur Lähmung kann man es in physiologischem Zustande weder durch äonere 
Bebe, noch Wilkmämpulae bringen, da genügen die kurzen Ruhepausen, die 
shh immer einsteUen und mögen die Bebe noch so schnell auf sich folgen, um 
eine gewisse Fanctionsbreite beizubehalten. 1 Es ist nicht zu verwundern, da« 
in pathologischen Zuständen, namentlich beim Vorhandensein von Paresen, die 
sehen physiologisch vorhandene Ermüdung noch mehr zur Geltung kommt 
Wie anders aber stellt sich das Phänomen der Erschöpfbarkeit in Fällen von 
asthenischer Lähmung dar. Hier genügt in optima forma meist eine geringe 
Fanctäonsansübnng, um eine vollständige TAhmnng herbeizuführen. Wenn min 
dem gegenüber Fälle von progressiver Ophthalmoplegie, sog. PolioenoephaL sup., von 
Polioenoephalitw infer., Pöliomjeloencephalitis, von infantilen, familiären Bulbär¬ 
lähmungen o. 8. w. entgegenstellt, wo dks Symptom ebenfalls vorhanden gewesen 
sein soll, so war es eben nur in rudimentärer Gestalt ln solcher Vollkommen¬ 
heit, in solchen Dimensionen und solcher Gonstanz and Schnelligkeit schönt dieses 
Ph ä nome n nur der asthenischen Lähmnng eigen zu sein; es sind das vielleicht 
nur quantitative Unterschiede, die aber doch auffallend genug sind. Dazu kommt 
noch der Umstand, da« die« Erschöpfbarkeit bei der asthenischen Lähmung 
nicht allein in den von der Pare« und Schwäche ergriffenen Gebieten auftritt; 
*e ist meist auch in «leben vorhanden, die anscheinend intact sind, über ihre 
ganze Fanctionsbreite verfügen, wo wenigstens über Schwäche nicht geklagt wird. 


1 Diese tägliche Erfahrung steht im Widerspruch mit den Ergebnissen der experi¬ 
mentellen Untersuchungen, welche Moeeo mittels seines Ergographen am Menschen vor- 
genommen hat (Die Ermüdung. Ans der zweiten italienischen Ansgabe ins Polnische 
übersetzt von Dr. M. Flaum. 1892). Er fand, dass die Höhe der Contractionen bei will¬ 
kürlichen Bewegungen gradatim sinkt (nach den graphischen Figuren zu artheilen ziemlich 
schnell), bis die Leistungsfähigkeit des Muskels vollständig in Folge von Ermüdung 
sistzrt. Die Gestalt der Cnrven wechselt bei verschiedenen Personen. Ein jeder Mensch 
hat eine ihm eigene Ermüdnngscorve, die gewisse Schwankungen im Typus aofweist 
und von der Lebensweise, geistiger Arbeit, psychischen Emotionen, Muskelübungen u. s. w. 
abhängig ist. Dann differirt auch die Zeit der Babe, die nöthig ist, damit der Muskel 
seine ursprüngliche Kraft wieder erlangt — Dieser Widersprach lässt sich in gewissem 
Grade durch die Verschiedenheit der Versnehsanordnung erklären, da die Versuchs¬ 
person bei Moeeo ein Gewicht von 3 kg je 2 Secnnden mit dem Mittelfinger heben, also 
eine nicht anbeträchtliche and nicht gewohnte Maskelleistnng vollbringen musste, während 
hier and bei den Kranken mit asthenischer Lähmnng nur von freien Bewegungen ganzer 
Extremitäten oder Extremitätenabechnitte ohne Belastung die Bede ist 


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— 897 — 

Bb muss erst auf dieses Symptom geprüft werden, nm es sozusagen aus dem latentes 
Zustand manifest zu machen. Das ist der zweite greifbare Unterschied, der 
zwischen der Ermüdbarkeit bei der asthenischen Lähmung und der bei anderen 
KrankheitBzuständen besteht Ueberdies erfolgt die Wiedererlangung der früheren 
Functkmsbreite sehr schnell, schon nach kurzer Ruhe und zwar in solcher 
Schärfe, wie bei keiner der angeführten Krankheiten. 

(Fortsetzung felgt) 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Zur Kenntnis! der Anatomie des Gehirns der Blindmaus (Spalax 
typhlus), von Profi Dr. L. v. Frankl-Hoch wart (Arbeiten aus Profi 
Obersteiner’s Laboratorium. 1902. Heft 8.) 

Die Untersuchungen des Verfl’s beziehen sich auf das Gehirn der Blindmaus 
(Spalax typhi us), also eines wirklich blinden Thieres, und ergeben in dieser Hin¬ 
sicht wichtige Aufschlüsse über den Verlauf der Sehbalwea. Der Sehstiel ist frei 
von markhaltigen Fasern, auch an der Gehirnbasis findet sich kein Sehnerv. An 
der Stelle des Optious findet sich eine schmale weisse Commissur (Meynert’sohe 
und Gndden’sche Commissur). Da die Forel’sche Kreuzung gut ausgebildet ist, 
kann dieselbe mit den Sehbahnen nicht in Verbindung gebracht werden; auch 
der Thalamus opticus ist voll entwickelt, nur fehlt das Stratum zonale. Ganglion 
h a b onul a e, Corpus subthaL und Commissura post lassen keine Abweiohung erkennen. 
Das Corpus geuic. extern, fehlt bis auf einen kleinen Rest, welchem vielleicht eine 
besondere Function zukommt. Dagegen ist das mit dem N. acusticus in Be¬ 
ziehung stehende Corpus genic. intern, auffällig gross, wie auch andere mit dem 
N. acusticus zusammenhängende Gebilde besonders gut entwickelt sind. Es scheint 
also beim Spalax, der besonders feinhörig ist, das Gehörorgan in gewisser Be¬ 
ziehung vicariirend für den N. opticus einzutreten. Der N. olfactorius und seine 
centralen Bahnen zeigen das gewöhnliche Verhalten. 

Noch wären einige Details bezüglich der primären Sehcentren nachzutragen; 
das Stratum zonale des vorderen Vierhügels ist sehr schwach, was aber keinen 
weiteren Schluss gestattet, da dasselbe auch hei anderen Thieren, z. B. der Maus, 
schwach erscheint. Die Opticusschicht W, ist sehr schwach, aber nioht ganz 
faserarm, woraus sich schliessen lässt, dass dieselbe ausser den Sehfasern noch 
andere Fasern enthält. Der Tractns peduncuL transv. fehlt vollständig, desgleichen 
die Augenmuskelkerne. Trotzdem ist das hintere Längsbündel nicht besonders 
schwach; die den Augenmuskelkernen dienenden Fasern dieses Bündels können 
also nicht besonders zahlreich sein. Da der obere Olivenstrang gut entwickelt 
ist, kann derselbe nicht die centrale Verbindung des Abducenskerns, der gänzlich 
fehlt, dantellen. Auch die früher vertretene Meinung, dass der Facialis aus dem 
Abducenskerne Verstärkungen beziehe, ist ans dem gleiohen Grande nicht richtig, 
da der Facialis sehr mächtig entwickelt ist Redli e h (Wien), 


2) Betrachtungen über das Gehirn Deslder Seilägyi’a, von M. Sugär. 
(Orvoai Hetilap. 1902. Nr. 1 n. 2. [Ungarisch.]) 

Verf. untersuchte makroskopisch das Gehirn des anlängst verstorbenen hervor¬ 
ragenden ungarischen Staatsmannes und Redners Desider Szilägyi. Das aus- 


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gesprochen m&krogyriache Gehirn wog 1380 g. Ganz besondere Entwickelung 
zeigt der Frontallappen, und namentlich der dem Sprachcentrum entsprechende 
Theil der linken unteren Frontalwindung, deren Breite bei Sz. 37 mm betrug, im 
Gegensätze zum Durchschnittsmaasse von 23 mm; ähnliches, doch weniger aus¬ 
gesprochenes U eher wiegen zeigt sich bei allen Frontalwindungen. Während die 
übrigen Theile keine auffallendere Entwickelung zeigten, war nur eine mächtige 
Entwickelung der motorischen Centren (Centralwindungen) bemerkbar, was seine 
Erklärung wohl darin findet, dass Sz. auch ein Coloss von Gestalt und ein in 
sämmtlichen Sportzweigen geübter Athlet war. Hudovernig (Budapest). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Speoiflo gravity of the brain, by R. H. C. Gompertz. (Journal of Physio- 
logy. XXVIL S. 459.) 

Von Sir James Crichton Browne war behauptet worden, das specifische 
Gewicht des Gehirns sei beim weiblichen Geschlecht geringer als beim männlichen. 
Verf. hat diese Angabe auf Veranlassung Halliburton’s an umfangreicherem 
Material nachgeprüft, ist jedoch nicht zu dem gleichen Ergebniss gekommen. Er 
fand, dass zwar sehr erhebliche individuelle Differenzen bezüglich des specifischen 
Gewichts bei verschiedenen Leichen vorkamen, dass aber bei Untersuchung 
grösserer Serien ein irgendwie in Betraoht kommender Unterschied zwischen 
männlichen und weiblichen Gehirnen nicht bestand. 

W. Connstein (Berlin). 

4) Experimente am Naoleus eaadatas des Hundes, von Schüller. (Jahr¬ 
bücher f. Psych. XXn. S. 90.) 

Verf. beschreibt eine Methode zur möglichst isolirten Zerstörung des Nncleus 
caudatus beim Hunde: Einstechen eines dünnen Troicarts durch das Stirnhirn in 
das Centrum des Schweifkerns, Zerstörung dieses mittels eines durch die Hülse 
vorgeschobenen Drahtpinsels. 

Es werden die Protocolle zweier so operirter Fälle mitgetheilt. In dem 
einen Falle war beiderseits eine kleine, auf den Schweifkern beschränkte Läsion, 
in dem anderen eine umfangreiche, fast den ganzen linken Nucleus caudatus 
nebst dem vorderen Antheile der inneren Kapsel betreffende Verletzung gesetzt 
worden. In beiden Fällen konnte klinisch keine auf Verletzung des Schweifkernes 
zu beziehende Erscheinung beobachtet werden. Die in der Litteratur mitgetheilten 
Ausfallssymptome nach Schweifkemzerstörung sind wohl zumeist auf Neben¬ 
verletzungen zu beziehen. Bei der Mehrzahl der diesbezüglichen Experimente 
fehlte übrigens die genaue anatomische Untersuchung. Im Anschluss an die Epi¬ 
krise seiner Fälle, deren einer Störungen des Flankenganges und des Zeigerganges 
geboten hatte, bespricht Verf. eingehend die bei Hemiplegieen zu beobachtenden 
Anomalieen dieser Bewegungscombinationen. Bei einer die linksseitigen Extremi¬ 
täten betreffenden Hemiplegie ist der Flankengang nach rechts auffallend gestört. 
Auch am Zeigergange treten gesetzmässige Ausfallserscheinungen zu Tage. Diese 
Störungen erklären sich aus dem Mangel der Ab- und Adductionsfahigkeit der 
gelähmten Gliedmaassen und sind im vorliegenden Falle auf die Nebenverletzung 
der inneren Kapsel zu beziehen. 

Die an Serienschnitten vorgenommene anatomische Untersuchung wird durch 
zwei Tafeln (mit 3 Fig.) illustrirt. 

Ref. möchte speciell die feinen und exacten physiologischen Beobachtungen 
hervorheben, die sich sowohl in den mitgetheilten Protocollen, als auch in der 
Epikrise finden. Pilcz (Wien). 


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ft) Heber oortloale Innervation der Beotalsphinkteren, von v. Frankl-Hoch- 
wart und Fröhlich. (Jahrbücher £ Psych. XXII. S. 76.) 

Verff., deren verdienstvolle Arbeiten über Innervationsverhältnisse der Rectum- 
mnscnlator (Pflüger’s Archiv. LXXXI u. Wiener klin. Rundschau. 1901. 
S. 736) als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, unternahmen eine Reihe von 
Versuchen, um die durch klinische Thatsachen a priori vorauszusetzende corticale 
Constriction und Relaxation der Rectalsphinkteren experimentell nachzuweisen. 
Unter 20 Versuchen gelang es 17 Mal (an 16 Hunden und einem Affen) deutlich 
auf Rindenreizung Constriotion zu erzielen (die Reizung erfolgte meist von der 
linken Hemisphäre aus, 5 Mal rechterseits, 2 Mal doppelseitig). Relaxation, die 
nur nach beiderseitiger Resection der Nn. erigentes gelang, wurde in 15 Versuchen 
9 Mal mit eolatantem und 4 Mal mit mässigem Erfolge erzielt. Die Centren für 
Constriction und Relaxation scheinen identisch zu sein (vielleicht letzteres ein 
wenig mehr basalwärt«). Das Areal, etwa 1 qcm umfassend, liegt nach vorne 
9 mm hinter der Fissura centralis, nach hinten reicht es nicht ganz bis zum 
Gyrus suprasplenialis; die untersten Punkte liegen ein wenig unter der Fissura 
coronalis, die obersten sind etwa 8 mm von der Mantelkante entfernt. Die Latenz¬ 
zeit für die Relaxation scheint eine längere zu sein. 

Zum Schlüsse dieser sehr interessanten Arbeit erinnern Verff. an gewisse 
Defäcationsstörungen bei Neurasthenikern und die Möglichkeit einer suggestiven 
Therapie. 

Bezüglich der Einzelheiten der Versuchsanordnung sei auf die Originalarbeit 
verwiesen. Pilcz (Wien). 


6) Zur Theorie der Alkoholnaroose, von Hans Meyer und Baum. (Archiv 
f. experim. Pathol. u. PharmakoL 1899 u. 1901.) 

Schmiedeberg’s Erklärung, die narcotische Wirkung der Stoffe der Alkohol- 
und Chloroformgruppe beruhe auf ihrem Gehalt an Kohlenwasserstoffgruppen, er¬ 
schien dem Verf. hauptsächlich aus zwei Gründen unzureichend, erstens weil dem 
Stickoxydul und der Kohlensäure ebenfalls die typische Alkoholwirkung zukommt, 
zweitens weil weder eine Jonisirung noch eine radicale Spaltung der Verbindungen 
wahrscheinlich gemacht werden könne, auf welche Vorgänge man die Wirkung 
dieser Körper als eine chemische zurückzuführen versuchte. 

Anknüpfend an ältere Beobachtungen von Harless, v. Bibra u. A. fasst 
Verf. die narcotische Wirkung der genannten Stoffe, zu denen ausser den Inha- 
lationsanästheticis auch unsere meistangewandten Schlafmittel gehören — das 
Trional, Tetronal, Sulfonal, Chloralhydrat, Urethan, Chloralamid — als eine 
Function ihrer Fettlöslichkeit auf und formulirt seine Anschauungen in folgenden 
Sätzen: 

1. Alle chemisch zunächst indifferenten Stoffe, diei’ ür Fett und fettähnliche 
Körper löslich sind, müssen auf lebendes Protoplasma, sofern sie sich darin ver¬ 
breiten können, narcotisch wirken. 

2. Die Wirkung wird an denjenigen Zellen am ersten und stärksten hervor¬ 
treten müssen, in deren Bau jene fettähnlichen Stoffe vorwalten und wohl be¬ 
sonders wesentliche Träger der Zellfunction sind, in erster Linie also an den 
Nervenzellen. 

3. Die verhältnissmässige Wirkungsstärke solcher Narootica muss abhängig 
sein von ihrer mechanischen Affinität zu fettähnlichen Substanzen einerseits, zu 
den übrigen Körperbeetandtheilen, d. i. hauptsächlich Wasser, andererseits; mithin 
von dem Theilungscoöfficienten, der ihre Vertheilung in einem Gemisch von 
Wasser und fettähnlichen Substanzen bestimmt. 

Die Experimente, auf welche diese Theorie sich stützt, wurden derart aus- 


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geführt, dass Froseklarvan in wässrige Lösungen der Kiratfn g e br i cht und dam 
die geringsten moloeuUren Concantmtionen dieser Stoffe, die rar Narooae hin- 
reichten, bestimmt wurden. So gewannen die Verff eine Scala von Schwellenwerthen 

(«, B. bei 80 W C, für Chlornlbydrat ^ Normal, f&r Alkohol y Normal) und in 

deren reoiprolwn Werthen (260 bezw. 7) eine solche der Wirkungsstärken; indem 
sie nun ferner gleiche Theile wässriger Lösung und Oel erschöpfend durchechüttelten 
und den Gehalt an dem Narooticum analytisch bestimmten, stellten sie eine Scala 

TbetluBgÄOoäfftebttten <Ur ' Ver « ki<h der hsi4 “ 

Hoalen ergiebt nun in unsweideutiger Weise, dass der Schwellenwerth, d. h. das 
Ooneentrationsminimum um so niedriger liegt, je grösser der Theilungscööfßcient, 
mit anderen Worten, je grösser die mechanische Affinität zu Fettsubstanzen ist 
(Diese Versuche stimmen sehr gut mit den Erfahrungen fiberein, die man am 
Krankenbett a. B. mit dem Trional gegenüber dem Sulfonal gemacht hat Re£) 
In der dritten Mittheilung erbringt Meyer den experimentellen Beweis dafür, 
dass sich unter dam Einflüsse wechselnder Temperatur Wirkungsstärke und 
Theilungsooäffloient in Uebereinstimmung mit der obigen Theorie gleichsinnig 
ändern. A. Homburger (Frankfurt nfiL). 


Pathologische Anatomie. 

7) Bettrif« aur pathologischen Anatomie der Mikrofyrie and der 

oephalie, von L. Kotsohetkowa aus Samara (Russland). Aus dem hirn- 
auatoudtchen Uruvsroitätalaboratoriam im Zürich (Prot Dr. von Monnkew). 
(Archiv f. Psyoh, u. Nervenkrankh. XXXIV.) 

Ywt hat einen Fall von halbaaitigor Mikrogyrie und einen Fall von Mikro- 
oephalie an ftoilavUäude» Froatabchnitten durch daa ganee Gehirn untiuannht und 
unter Uerfickalohilgung der einsohlägigon Litterutur aufi ssrgfikigrie 
1. dfl jährige«, hochgradig idiotische« Mädchen mit linkaaeitigor, 
oompleter Hemiplegie verbunden mit Contraetur. Rechten Bens leieht h y par- 
tonisch. Bei der Seotion fänden sieh allgemeine Reduetkn und hnnhgrsdige 
Mikrogyrie der rechten Gr ess hiru hs misphir e und Hcmritrophie aowie Mikrogyrie 
der ge kr e mt en K hduhirehemriph&m ln den an meisten afficirtan Partien, die 
äwmeriieh durch g m e h r umpfte, pilzförmige, lederhurte Windungen 
wärest b e m er k te mau zahlreich« kleine^ hold zerstreut«, bedd in G r u ppen in 
MiUarcyetvheu. In den am stärksten veränderten Windungen war die Glia 
taä s m g gewuchert, Aumerdem eo urtati rte Verl »inen uusgmpruchmen Fa 
im rechten Stahkraas und Hireetnmm und intenstTe Veränderungen im Gra n Am 
rechte» Se h hä gels. GWicbueiüg mit dem r eeht ra Suhtäfenluppen nur dhs reckte 
Cwrpeu g e ni cu btum i nrir aum und dar huutms 
zeitig mit dem Gyn» supreysmrgtaal». dem t> 

Windungen der rechte» Serie wureu die reo cm hm Keragteppen an rec ktu u Thalamus 
hochgradig degenervt, lhe Sehiette, das Ferelmh* Feld und die 
waren nahm ana g eep eooh e» aaophnwh Ihr Aarophi« dns rechan 
«ntaprwch »ine seich» dee rechten Puivumrs. Int rechten Corpus 
kennte «nrke I\ g ene ru hca rist g eetali * werden: demaampaeehand 
her«» Funbri» und Fo ra i . m i n J e Air rech tan Serie gesahaeugsdL Aush 
«eilige d Asyr’tahe ftridal war aUrvphirt. Fniimh waren db» 

«creaiung. der hintere Ah ohaift dm Balkans, in* Baihanaspe«» dar: 
suboadoeue, da» Cuiguiuot und an» Comnüssncn an» in 
I>ir reehta r e ri e Kern und dar daaagebOrige 




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waren reducirt. Das linke Corpus dentatnm, das linke Corpus restiforme und die 
rechte untere Olive waren verkleinert. Eine nur massige Reduction wiesen der 
rechte Pednncnlus and die rechte Pyramide auf. Verf. erörtert, warum im linken 
Kleinhirn wie im rechten Thalamus neben der secundären Atrophie noch primäre 
sklerotische Processe anzunehmen, und dass die in den tiefkten Schichten der 
Rinde gelegenen Cystchen, welche in das derbe sklerotische Gewebe eingelagert 
waren und Residuen regressiver Processe zeigten, als kleinste, ausgelaugte Er¬ 
weichungsherde aufzufaasen seien. 

II. 6 1 / 4 j&hriges, mikrocephalisches Mädchen mit epileptischen Krämpfen, 
mit einer seit dem 2. Lebensjahr bestehenden spastischen Paraplegie und mit 
Idiotie. Bei der Section fand sich im hinteren Abschnitte der zweiten linken 
Frontalwindung eine trichterförmige, mit seröser Flüssigkeit gefüllte Höhle, deren 
Boden und Wände von mikrogyrischen Windungen gebildet wurden; eine 
Communication mit dem Seitenventrikel bestand nicht. Das Gehirn wog 360 g. 
Die linke Hemisphäre enthielt im Markkörper in der Nähe der Rinde Anhäufungen 
grauer Substanz, und zwar in abgesohniirten Segmenten; hie und da verriethen 
diese Heterotopieen deutliche Zeichen von Einschmelzung. Der Process beruhte 
zum Theil auf abnormer Entwickelung, zum Theil auf späteren pathologischen 
Erscheinungen. 

Eine bei diesem Falle im 3. Lebensjahre ausgeführte Kraniektomie hatte 
sich ab nutzlos erwiesen. — Abgesehen von den Hemisphären des Grosshirns 
waren in diesem zweiten Falle namentlich noch die Medulla oblongata und das 
Mittelhirn, sowie der linksseitige Thalamus opticuB verkleinert. 

Georg Ilberg (Grossschweidnitz). 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Diagnostic des maladiee de l’enodphale, par Dr. Grasset. (Paris, 1901. 

Bailliöre et Fils. 96 S.) 

Das kleine Büchlein, welches nach Art der übrigen in gleichem Verlage und 
von demselben Autor erschienenen (Anatomie clinique des centres nerveux. 1900 
und Diagnostic des maladies de la moelle. 1901) geschrieben ist, behandelt das 
Thema in folgenden Capiteln: 

1. Symptome seitens der Sensibilität und Motilität (Lähmungen, Krämpfe, 
Contracturen, abnorme Bewegungen, Anästhesieen, organische Hemiplegie); 2. Sym¬ 
ptome seitens des Sehapparates (sensorische, motorische Störungen, Localdiagnose 
bei Erkrankungen des Sehapparates); 3. Gehör, Geruch, Geschmaok; 4. Orientirungs- 
und Gleichgewichtssinn; 5. Sprache (Aphasieen und Paraphasieen, Anarthrieen 
und Dysarthrieen); 6. circulatorische, Secretions-, trophische, Verdauungs- und 
Athmungsstörungen. 

In knapper, präciser Form werden alle diese Capitel vom Verf. behandelt, 
ab besonders gut und klar dargestellt sind diejenigen über Sprache und Seh¬ 
apparat hervorzuheben. Kurt Mendel. 


8) Aoute haemorrhagio enoephalitis prevalent among horses ln Maryland, 

by Buckley and Max Callum. (American veterinary review. 1901. S. 99.) 

Ueber enzootisches Auftreten von hämorrhagischer Encephalitis bei 
Pferden haben die Verff. einen eingehenden Bericht erstattet. 

Die Krankheit wurde unter den Pferden in Marybnd in den letzten 7 Jahren 
nicht selten beobachtet. Sie verlief gewöhnlich unter Allgemeinerscheinungen, die 
am meisten an endembche Genickstarre erinnern und endete entweder mit Tod 

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oder die befallenen Thiere worden Dammkoller; die Krankheit dauerte von 3 bü 
4 Standen bis zu 8 Tagen; gewöhnlich starben sie nach 48—72 Standen. 

Die Autoren untersuchten vier Gehirne von derart verendeten Thieren und 
eines von einem Pferde, das zuletzt Symptome von Dummkoller zeigte und an 
einer intercurrenten Krankheit zu Grunde ging. 

Der Befund an den ersterwähnten Gehirnen war (überall gleich. An den 
verschiedensten Stellen der Hemisphären des Grosshirns fanden sich fluctuirende 
Herde von ziemlich grossem Umfange; sie lagen gewöhnlich in der Marksubstanz, 
waren vom Cortex brückenartig überlagert und enthielten eine halbflüssige, grau¬ 
gelbe Pulpa; dieselbe war stark mit Blut untermengt und bestand aus einem 
klaren Serum, in welchem Blutkörperchen und nekrotische Gewebsreste suspendirt 
waren. In der Wand der Herde fand sich starke Entzündungsreaction längs des 
Gefässbaumes. 

Das Gehirn des „dummy (< zeigte im rechten Stirnlappen eine herdförmige 
Sklero8irung, die im Wesentlichen aus fibrösem Gewebe aufgebaut war. Ein 
Nachweis der Krankheitserreger konnte weder histologisch noch culturell oder 
durch Impfung erbracht werden. 

Die Beobachtungen der Verff. sind umso interessanter, als sie, zusammen¬ 
gehalten mit den Beobachtungen des Referenten, mit grösster Wahrscheinlichkeit 
das Vorkommen einer eigenen, bisher noch nicht genügend beachteten hämor¬ 
rhagischen Polioencephalitis beim Pferde nahe legen. De zier (Prag). 


IO) Eenige waarnemingen antrent reukstoornissen by verhooging van den 

intraoranieelen druk, door Dr. Muskens. (Neederl. Tydschr. v. Geneesk. 

1901. Nr. 18.) 

Verf. bemerkte, dass viele Patienten bei anfangender Schwellung des N. opticus 
nicht allein subjective Gesichtsempfindungen haben, sondern auch manchmal sub- 
jective Geruchsstörungen. Er nahm darum an 15 Fällen, wo der intracranielle 
Druck erhöht war, objective Untersuchungen des Geruches mit dem Olfactometer 
Zwaardemakers vor. Eigentümlicherweise kamen öfter Geruchsstörungen bei 
Tumoren in der hinteren Schädelgrube vor, und wo sie anwesend waren, waren 
die Tumoren sehr gross. 

Auch interessant ist, dass, wo ein Unterschied in der Schwellung der Papillae 
n. optic. und zugleich ein Unterschied in der Geruchsperoeption vorhanden war, 
gerade die stärkste Geruchsabnahme mit der stärksten Schwellung der Papilla 
zusammenfiel. 

Die subjectiven Sensationen waren entweder angenehmer oder unan¬ 
genehmer Art. 

Verf. ist auf Grund der klinisohen Erfahrung der Meinung, dass die Ursache 
in der Anwesenheit einer Neuritis olfactoria zu suchen ist, obwohl in einzelnen 
Fällen eine Verschiebung und Dehnung des N. olfactorius eine Rolle spielen kann. 
Verf. bringt auch für seine Meinung mehrere Fälle aus der Litteratur bei. 

TenCate (Rotterdam). 


II) Oorebral pressure following trauma, by W. B. Cannon. (American 
Journal of Physiology. 1901. 1. Oot.) 

Den Hauptinhalt der Arbeit bilden experimentelle Untersuchungen an Katzen, 
welche Verf. gemeinschaftlich mit Bullard unternommen hat. Ehe diese genauer 
auseinandergesetzt werden, bespricht Verf. die pathologisch-anatomischen Verhält¬ 
nisse bei intracranieilen Verletzungen und die klinische Symptomatologie derselben. 
\>dann setzt er die verschiedenen Theorien auseinander, welehe sich mit der 


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Erklärung der intraorani eilen Druoksteigerung nach einem Trauma beschäftigen 
(Bergmann, Hill, Courtney). 

Auf Grund seiner eigenen Experimente kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 

Im Moment des Traumas steigt der intracranielle Druck. Unmittelbar nach 
dem. Trauma steigt der allgemeine Blutdruck erst für einen Augenblick, fällt dann 
aber wieder und erreicht allmählich die normale Höhe wieder. 

Die Lähmung des respiratorischen Centrums, welche auf ein Kopftrauma 
folgt, kann überwunden werden, wenn das Herz aushält und künstliohe Athmung 
vorgenommen wird. 

Die primäre Bewusstlosigkeit nach einem Trauma des Kopfes ist auf Circu- 
lationsstörungen zurüokzuführen; feinere Zellveränderungen sind wahrscheinlich mit 
dabei im Spiele. 

Der normale Hirndruck beträgt 13 ccm Wasser. Er kann nach Kopftraumen 
auf 26 ccm steigen. Ausser dieser primären Drucksteigerung wird der Druck noch 
secundar durch folgende Momente gesteigert: Ernährungsstörung in den getroffenen 
Theilen und Oedem jener Theile. Paul Schuster (Berlin). 


12) Origine della deviaaione oculo-oefalloa e della rigidita muaoolare 
preoooe nelle malattie oerebrali, per Prof. Augusto Murri, Vorstand 
der medicinischen Klinik in Bologna. (Bivista crit. di clin. medica. 1900. 
Nr. 46—49.) 

In einer ausführlichen Arbeit behandelt der Bologneser Forscher den in Rede 
stehenden Gegenstand mit der ihm gewohnten Gründlichkeit und gelangt hierbei 
zu folgenden Schlussfolgerungen: 

1. Die conjugirte Abweichung des Kopfes und der Augen in seitlicher Rich¬ 
tung stellt einen Mechanismus von hohem biologischen Werthe dar, da sie zur 
regelmässigen Ausführung der visuellen und locomotorischen Functionen sowie 
der Coordinationsfunctionen der Bewegungen u. s. w. dient. Die cortioalen Centren 
dieses so gearteten Mechanismus können nicht in allen Stücken mit irgend einem 
der anderen motorischen Centren der Hirnrinde verglichen werden, weil sie physio¬ 
logisch in höherem Grade durch die centripetalen Eindrücke (Gesichts-, Gehörs¬ 
eindrücke u. s. w.) erregbar erscheinen, als die anderen Centren, weil sie anatomisch 
mehr als einen Sitz haben (Oocipital- und Frontallappen), und weil sie endlich 
pathologisoherweise durch Agentien in den Zustand der Ueberreizung versetzt 
werden können, welche zu gleicher Zeit die Function anderer motorischer Centren 
herabsetzen (Äether, Chloroform u. s. w.). 

2. Dieser doppelte Sitz in jeder Hemisphäre verleiht diesen Centren ein 

Privilegium, nicht bloss im Vergleich zu den anderen motorischen Centren der 

Regio rolandica, sondern auch derjenigen, welche bilateralen Bewegungen vor¬ 
stehen, weil dieselbe Bewegung nicht lediglich von beiden Hemisphären ausgehen 
kann, sondern auch von mehreren Punkten einer und derselben Hemisphäre. Um 
einen Ausfall der Fähigkeit, Augen und Kopf von beiden Seiten des Körpers ab¬ 
zulenken, zu bewirken, würde somit eine Läsion eines grossen Theiles der Rinde 
und von grosser Intensität nöthig sein. Wenn man ferner bedenkt, dass cere- 
belläre und vestibuläre Impulse dieselben Bewegungen auslösen, so geht daraus 

hervor, dass die grauen Massen der Medulla oblongata und des Pons, von wo aus 

in letzter Linie der direote Reiz für die Contraotion der ablenkenden Muskeln 
ausgeht, sioh in einem derartigen Erregungszustände befinden müssen, dass sie 
fortwährend nicht bloss auf die cerebralen Impulse hin reagiren, sondern auch 
auf cerebelläre, acustische Reize u. s. w. Diese letzteren scheinen sogar vor¬ 
herrschend zu sein, da bei den experimentellen cerebellären, vestibulären Läsionen 
u. s. w. die cerebrale Inhibition nicht mehr wirksam ist. 

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3. Die Theorie, die man als eine universelle ansehen kann, und welche die 
Ablenkung der Augen und des Kopfes bei den Apoplexieen auf Rechnung der 
Lähmung einer Hemisphäre setzt, befindet sich in einem Contrast mit einer solchen 
physiologischen Auffassung; diese Theorie geht überdies von der Annahme aus, 
die einleuchtend zu sein scheint, nämlich dass beim apoplektischen Anfalle nur 
encephalitische Einflüsse erloschen oder herabgesetzt seien. Die Sache verhält sich 
jedoch vielmehr so, dass die Willenslähmung, die Bewusstlosigkeit, sogar die 
gänzliche Herabsetzung der corticalen Erregungen des Gehirns sich mit einer 
Steigerung der Erregungen der Kerne an der Hirnbasis, des Pons, des Kleinhirns 
und der Medulla oblongata vergesellschaften können und sich thatsächlicb auch 
vergesellschaften. 

4. Die klinische Beobachtung hat niemals die Lähmung der ablenkenden 
Muskeln nachgewiesen; sie hat vielmehr eine Steigerung ihrer Function dargethan, 
die sich nicht bloss duroh Contracturen oder durch klonische und tonische 
Contractionen cerebralen Ursprungs darthun kann, sondern auch durch Hyper¬ 
tension cerebellären Ursprungs. 

5. Der ablenkende Reiz stammt entweder direct von einer der beiden Hemi¬ 
sphären, oder, auf dem Wege des indirecten Mechanismus, vom Kleinhirn. In 
diesem letztgenannten Falle ist die Ablenkung eine intensive, anhaltende, 
fast oder durchaus dem Willensimpulse gegenüber refraotär, wie es 
die Zwangsstellungen der Thiere sind, die am Kleinhirn operirt wurden. Ueber- 
dies geschieht die Ablenkung cerebellären Ursprungs nach der kranken Hemisphäre 
und vergesellschaftet sich oft mit Erscheinungen der Hypertonie anderer 
Muskeln des Körpers, welche den Einflüssen derselben Kleinhirnseite unterstehen. 
Diese Genese ist die häufigste beim apoplektischen Anfalle (conjugirte apo- 
plektische Ablenkung). 

6. Der ablenkende Reiz kann jedoch auch vom Gehirn ausgehen; in einem 
solchen Falle kann sowohl die anatomisch lädirte Hemisphäre als auch die an¬ 
scheinend gesunde Hemisphäre erregbar sein. — Wegen der verschiedenen Natur 
der corticalen Rolandi’schen Centren und der cerebellären Centren pflegen die 
Ablenkungen cerebralen Ursprungs weniger intensiv, discontinuirlich, und 
nicht durchwegs durch den Willen uncorrigirbar zu sein, auch wenn die 
Erregung einer Hemisphäre sich nur durch Contractur der von ihr innervirten 
Muskeln kundgiebt. In anderen Fällen wieder ist die Erregung eine heftigere 
und drückt sich durch tonisch-klonische Muskelzuckungen aus (conjugirte 
epileptiforme Ablenkung). 

7. Ein krankhafter Gehirnprocess kann sowohl eine tonische, als auch eine 
epileptoide Erregung entweder nur in der Rolandi’schen Region deijenigen 
Hemisphäre, in welcher der ProcesB seinen Sitz hat, hervorrufen, oder in beiden 
Rolandi’schen Zonen, oder in deijenigen, welche der entgegengesetzten Hemi¬ 
sphäre angehört. Dieses zuletzt genannte Vermögen scheint ausschliesslich den 
schwersten Läsionen, sei es acuten, sei es chronischen, zuzukommen. 

8. Die ausschlaggebende Bedeutung, die man der Läsion des Gyrus 
angularis beigemessen hat, sowohl für die Genese der conjugirten apoplektischen 
Ablenkung (Wernicke), als auch hinsichtlich der Entstehung der conjugirten 
epileptischen Ablenkung (Landouzy), wird durchaus nicht von den klinischen 
und anatomischen Thatsachen gestützt. 

9. Auch die acutesten Processe (punktförmige Hämorrhagieen, Pachymenin- 
gitis haemorrhagica, Encephalitis traumatica) können die conjugirte epileptoide 
Ablenkung nach der der lädirten Hemisphäre entgegengesetzten Seite hervorrufen, 
wenn die Läsion in dem Lobus frontalis ihren Sitz hat; dies ist sogar eines 
der häufigsten Vorkommnisse. 

10. Das Gesetz von Pr6vost, wonach bei den Apoplexieen der Kranke nach 


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der Richtung dar ergr iffen en Hemisphäre sieht, bleibt zn Recht bestehen, hingegen 
ist die Regel von Landouzy, nach welcher bei dos Epilepeieen der Kranke 
nach der gesnnden Hemisphäre siebt, nicht immer zutreffend. 

11. Die krankhaften Prooesse, welche die oonjugirte Ablenkung mit epilep- 
toi der Form hervorrufen, pflegen ihren Sita entweder in der Regio Rolandica oder 
in der Regio Praerolandica zu haben; im erstgenannten Falle gesellen sie sich 
zu paretischen Erscheinungen; im zweitgenannten Falle können sie sich (sei es in 
den freien Intervallen, sei es während der Anfalle) zu Phänomenen von tonischer 
und vor allem klonischer Erregung der Muskeln des Nackens und der Wirbel* 
säule, der Muskeln, welche der Phonation und den Bewegungen der Zunge, 
sowie der Muskeln, welche der Mastication dienen, zugeeellen. Der diagnostische 
Werth solcher Erscheinungen nimmt zu, wenn die Epilepsie diese Muskeln zu 
wiederholten Malen ergreift, wenn sie die Muskeln der conjugirten Ablenkung 
und einige oder alle vom Facialiß innervirten Muskeln trifft, ohne dass jedoch 
die Gelenke von der Convulsion mitbetroffen werden. 

Lebovioi (Karlsbad). 


13) Beitrag zur Prognose der Gehirnkrankheiten im Kindeealter, von 

Oppenheim. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 12 u. 13.) 

Verf. berichtet über 6 Fälle, die er bei jugendlichen Individuen im Alter 
von 8—17 Jahren beobachtet hat; dieselben sind nach Symptomatologie und 
Verlauf einander sehr verwandt und bieten ein dem Tumor der motorischen Hirn* 
region entsprechendes Krankheitsbild, jedoch mit Ausgang in Heilung. Zwei 
Symptome: Jackson 'sehe Epilepsie und Monoplegie waren bei allen Kranken zu 
verzeichnen. Daneben traten motorische Aphasie und Gefühlsstörangen gelegentlich 
auf. Erbrechen und heftiger Kopfschmerz kam nicht bei allen Fällen in gleichem 
Maasse vor. In 4 Fällen war Neuritis optica zu constatiren. Tiefe Benommen* 
heit war ausserhalb der Anfalle nicht vorhanden. Deutliche Pulsverlangsamung 
fand sich nur ein Mal. Temperatursteigerangen kamen nie vor. Die Allgemein- 
symptome gingen den Herderscheinungen des öfteren um Wochen und Monate 
voraus. Einige Male offenbarte sich das Leiden durch den Eintritt eines Krampf¬ 
anfalles. Die Anfälle hinterliessen erst passagere, dann persistirende Monoplegieen. 
In allen Fällen wurde mit mehr oder weniger Sicherheit die Diagnose Tumor 
cerebri gestellt. Bei keinem der Patienten war Lues congenita oder aoquisita 
nachweisbar. Bemerkenswertherweise trat bei allen Patienten spontan oder unter 
einer Jod- bezw. einer Brom-Jod-Behandlung oder auch nach hydrotherapeutischen 
Maassnahmen definitive Heilung ein. Es ist bisher pathologisoh-anatomisoh 
kein Krankheitsprocess bekannt, der dieB Krankheitsbild erklären könnte. Die 
Hypothese, dass im Kindesalter eine ohronisch verlaufende, dem Bilde des Hirn¬ 
tumors verwandte Form der Encephalitis Vorkommen und sich vollständig zurüok- 
bilden kann, hat manches für sich, nachdem durch den Verf. naohgewiesen ist, 
dass die acute, nicht eitrige Enoephalitis eine heilbare Krankheit iBt. Verf. selbst 
neigt aber dazu, das anatomische Correlat für sein neues Krankheitsbild in einer 
localen Meningoencephalitis tuberculosa, die besonders von den Franzosen studirt 
worden ist, zu suchen und gieht der hypothetischen Vorstellung Ausdruck, 
dass die localisirte Meningoencephalitis tuberculosa der motoriBohen Zone, vor 
Allem dann, wenn sie im Kindesalter auftritt, eine der Rückbildung und Ver¬ 
narbung fähige Affection ist. Bielschowsky (Breslau). 

14) A oase of pollenoephalomyelitla ln an adult, by De Witt H. Sherman 

and William G. Spill er. (Philadelphia med. Journal. 1900. 81. März.) 

21jähr. Stud. med., erblich nioht belastet und bisher abgesehen von glatt 


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406 


absolvirter Diphtherie völlig gesund. Erkrankte ganz acut mit Kopfochmeiuen, 
Erbrechen und Fieher. Darauf rasch sich generalisirende Lähmung unter dem 
Bild der Landry'sehen Paralyse: Beginn an den Beinen, Uebergreifen auf das 
Zwerchfell und die übrige Athemmusculatur, zuletzt Ergriffenwerden der Arm- 
und Sohlundmusculatur. Ausfall sämmtlioher Haut* und Sehnenreflexe, dabei 
völliges Intaotbleiben der Sensibilität und der Psyche. Trotz frühzeitig begonnener 
künstlicher Respiration und Vornahme der Tracheotomie starb der Kranke 
38 Stunden nach Beginn der alarmirenden Symptome. Vorübergehend war die 
Diagnose auf Hysterie gestellt worden, was im Hinblick auf den Reflexausfall 
und die Temperatursteigerung merkwürdig erscheinen muss. Bei der Autopsie 
fand sioh nur Injection der Hirnrinde und der Pia, sowie eine hypertrophische 
Thymus. Hingegen ergab die mikroskopische Untersuchung umfangreiche Ver¬ 
änderungen im Bereich des Centralnervensystems: Intensive Rundzelleninfiltration 
im Gebiete der Vorderhörner das ganze Rückenmark hindurch. Desgleichen in 
der Pia spinalis und spärlicher in den Hinterhömern und der weissen Substanz 
in Gestalt von perivasoulären Herden. Die Gefässe selber zeigten sich allenthalben 
stark injicirt. Die motorischen Vorderhomzellen erwiesen sich durchweg als hoch¬ 
gradig alterirt, so dass sie kaum mehr als Ganglienzellen zu erkennen waren. 
Der geschilderte Process setzte sich in gleicher Weise durch die graue Substanz 
der Medulla oblongata, des Pons, der Hirnschenkel und der basalen Ganglien 
fort, erreichte aber, von der Gefässdilatation abgesehen, die Hirnrinde nicht. Am 
Boden des 4. Ventrikels fanden sich einzelne frische Hämorrhagieen. Eine Axen- 
cylinder- und Markscheidenquellung in den hinteren Lumbalwurzeln wurde als 
„klinisch bedeutungslos und kurz vor oder kurz nach dem Tode entstanden“ auf¬ 
gefasst. 

Der Fall lehrt, dass' eine Poliomyelitis unter dem Bild der Landry’schen 
Paralyse verlaufen kann^ dass neben den — vorherrschenden — Veränderungen 
der grauen Substanz der Vorderhörner auch solche in den Hinterhömern, der 
weissen Substanz und den Meningen Vorkommen können, ferner dass die Polio¬ 
myelitis der Erwachsenen wesentlich dieselbe Erkrankung ist wie die typische 
spinale Kinderlähmung, und schliesslich, dass die Poliomyelitis in nahem verwandt¬ 
schaftlichen Verhältniss steht zur nichteitrigen Encephalitis und zur Polio¬ 
encephalitis superior von Wernicke. Max Neumann (Karlsruhe). 


16) Zar Erklärung des Lähmu ngstypus bei der cerebralen Hemiplegie, 

von Prof. Dr. Emil Redlich. (Jahrbücher f. Psyoh. u. Neurolog. XXII.) 

Verf. erörtert in vorliegendem Aufsatze kurz die verschiedenen Erklärunga- 
möglichkeiten des Lähmungstypus hei der cerebralen Hemiplegie, wie er ins¬ 
besondere durch Wernicke und Mann nachgewiesen wurde, die zeigten, dass 
bei der cerebralen Hemiplegie bestimmte Muskelmechanismen constant schwer ge¬ 
lähmt sind, andere wieder frei oder relativ frei bleiben. Am längsten gekannt 
ist das Freibleiben des oberen Facialis, welch letzterer physiologisch dadurch vom 
mittleren und unteren Facialis sich unterscheidet, dass er nahezu immer nur 
beiderseitig innervirt wird. Zur Erklärung dieses Verhältnisses ist zunächst an¬ 
zunehmen, dass jeder obere Facialis in der Regel von beiden Hemisphären aus 
innervirt wird. Dafür spricht auch der Umstand, dass Zuckungen im oberen 
Facialis in der Regel beiderseitig erfolgen. Für jene Fälle, wo der obere Facialis 
bei der cerebralen Hemiplegie dauernd eine starke Betheiligung an der Lähmung 
aufweist, ist anzunehmen, dass hier die einseitige Hemisphäreninnervation weiter 
vorgeschritten ist, d. h. bei solchen Individuen auch für die sonst beiderseitig 
innervirten Muskeln der gekreuzten Hemisphäre ein vorwiegender Einfluss zu- 
kommt. Eine Stütze für diese Annahme bietet der Umstand, dass bei solchen 


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407 


Fallen bisweilen nach andere beiderseitig innervirte Muskeln, die sonst bei der 
cerebralen Hemiplegie frei bleiben, die Stamm- und Bauchmusculator, deutlich an 
der L&hmong theilnehmen. Verf. weist übrigens darauf hin, dass der obere 
Facialis auch sonst z. B. bei der Bulbärparalyse, bei der peripheren Facialis- 
lähmnng häufig weniger intensiv gelähmt ist, was auf besonders günstige Inner¬ 
vationsverhältnisse desselben hinweist 

Ee ist anzunehmen, das für das relative Freibleiben des oberen Facialis auch 
noch eine Innervation subcorticaler Centren und durch extrapyramidale Bahnen 
heranzuziehen ist, eine Erklärung, die auoh für das Freibleiben der Augenmuskeln, 
das relative Freibleiben der Schlund- und Kaumusculatur u. s. w. zu benutzen ist 
Auch die geringere Betheiligung der unteren gegenüber der oberen Extremität 
ist in dieser Weise zu erklären. Wenn einzelne Hemiplegiker, trotzdem der Herd 
nur einseitig ist, nicht wieder gehen lernen, ist dies vielleicht auf andere Momente, 
z. B. allgemeinen Marasmus, psychische Insufficienz u.s.w. zurückzuführen. Endlich 
erörtert Verf, die Differenz in der Lähmungsintensität antagonistischer Muskeln, 
z. B. starker Betheiligung der Strecker des Annes gegenüber den Beugern, stärkere 
Lähmung der Beuger des Kniegelenkes und der Dorsalflexoren des Fusses u.s.w. 
Die Erklärung dafür sieht er mit anderen Autoren in der physiologisch stärkeren 
Entwickelung der weniger gelähmten Muskeln, die er auf gewisse mechanische 
Momente zurückzuführen geneigt ist. Beispielsweise wird die Wirkung der Strecker 
des Armes, der Beuger der Kniee, der Strecker des Fusses durch die Schwerkraft 
unterstützt, während ihre Antagonisten gegen die Schwere anzukämpfen haben. 
So erklärt es sioh, dass letztere physiologisch stärker sein müssen und daher bei 
der Hemiplegie nur anscheinend weniger betroffen sind. Autoreferat. 


16) A oaae of double oortioal hemorrhage, by George W. Norrie. (Pro- 
oeedings of the pathological society of Philadelphia. 1901. März.) 

Pat. wurde bewusstlos aufgenommen mit einer Wunde am linken Ohr und 
der linken Stirn, jedoch ohne Schädelverletzung. Eb bestanden Contracturen des 
linken Armes und Beines. Die am nächsten Tage vorgenommene Untersuchung 
des zum Bewusstsein zurückgekehrten Mannes ergab eine Ablenkung der Augen 
nach links, während der Kopf nach rechts gewendet war. Es bestand Incontinentia 
urinae et alvi, linkerseits Facialisparalyse, rechts Zuckungen des Armes und 
Beines, Fehlen der Patellarreflexe, erhaltene Sensibilität. Nach einigen Tagen 
wichen die linksseitigen Contracturen Paralysen. 

Bei der Autopsie wurden zwei von einander getrennte Herde gefunden. Der 
eine entsprach der Mitte des rechten Parietallappens, der zweite war in der Ver¬ 
bindung von Parietallappen und Occipitallappen entsprechend dem unteren Ende 
der Rolando’schen Furche gelegen. H. Marcus (Wien). 


17) Rlght-slded hemiparoeis with atrophy of left optio diao, by R. Batten 
and Leonard Guthrie. (Brit. med. Joum. 1901. S. 1340.) 

Die Verff. stellten in der Londoner klinischen Gesellschaft einen 12 jährigen 
Knaben vor, welcher während eines in Folge linken Oberschenkelbruches bedingten 
längeren Krankenlagers acuten Rheumatismus acquirirte und bald darauf zu¬ 
nehmende Schwäche der rechten Extremitäten zeigte. Am rechten Arm bestanden 
Coordinationsstörungen und Intentionszittern; das reohte Bein war atrophisoh; 
Kniereflex gesteigert, Fussklonus. Keine Facialisparalyse. Normale Sensibilität. 

Später fand sich die linke Sehnervenpapille blass; ausgesprochenes oentrales 
Skotom; das reohte Auge gesund; keine Hemianopsie. An der Herzspitze fand 
■ich ein schwaches präsystolisches Geräusch. Pat. besserte sich sehr wesentlich. 


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Hinsichtlich der Diagnose schwankte man zwisohen Thrombose in der Gegend 
der linken motorischen Region mit retrobulbärer Neuritis des linken N. opticus 
oder beginnender multipler Sklerose. E. Lehmann (Oeynhausen). 


18) Das Vorkommen von Stauungsneuritis bei Hirnblutungen, von K. 

A. Halbey. (Inaug.-Dissert. Kiel, 1902.) 

Verf. berichtet über folgenden auf der Quincke’schen Klinik beobachteten 
Fall: 43jähr. Arbeiter erlitt einen Schlaganfall mit rechtsseitiger Lähmung sowie 
motorischen und sensorischen Sprachstörungen und Pulsverlangsamung. Die oph¬ 
thalmoskopische Untersuchung ergab etwa 14 Tage nach der Apoplexie eine 
beiderseitige, besonders aber links bestehende Stauungspapille. Allmählich ging 
diese Stauungsneuritis in eine Atrophia nervi optici über. 

Im Anschluss an diesen Fall berichtet Verf. über neun in der Litteratur 
beschriebene Fälle von Stauungsneuritis hei cerebralen Hämorrhagieen; er glaubt, 
dass die Stauungspapille bei Hirnapoplexie entweder durch ein Hämatom der 
Sehnervenscheiden oder durch Steigerung des intracraniellen Druckes erklärt 
werden kann, hält das Bestehen der Papillitis bei Hirnhämorrhagieen als ein 
signum mali ominis und legt ihr nur dann eine localdiagnostische Bedeutung zu, 
wenn sie einseitig auftritt, indem das einseitige Auftreten mit Sicherheit den 
Herd auf die Seite des Gehirns verlegt, auf welcher die Stauungspapille in Er¬ 
scheinung tritt. — Nach Ansicht des Ref. erscheint es sehr wohl möglich, dass 
in dem Falle des Verf.’s sowohl Apoplexie wie Neuritis optica durch Lues bedingt 
waren, wenn auch letztere vom Pat. negirt wurde. Auch ist es nicht ausgeschlossen, 
dass es sich um einen Tumor cerebri handelte. Jedenfalls hat Verf. letztere An¬ 
nahme nicht zur Genüge widerlegt. Kurt Mendel. 


18) Ein Fall von isolirter Erweichung des Gyrus hippocampi und seiner 
nächsten Umgebung. Seoundfire Degenerationen, von Bi sch off. (Jahr¬ 
bücher f. Psych. u. Neurol. XXI. S. 229.) 

63jähr. Frau, seit ihrem 42. Lebensjahre an generalisirten epileptischen An¬ 
fällen ohne Localerscheinungen nachweislicher Art leidend. Zeitweilig traten 
Dämmerzustände mit Gehörstäuschungen und Vergiftungsideeen auf. 

Im Gros8hime fand sich neben mässiger Rindenatrophie eine cystische Er¬ 
weichung des ganzen Gyrus hippocampi, des Ammonshorns, der Fascia dentata, 
der Fimbria, sowie eines Theiles des Gyrus uncinatus und fusiformis rechterseits 
mit Erweiterung desselben Unterhornes. 

Das Gehirn wurde an einer fortlaufenden Serie von FrontalBchnitten unter¬ 
sucht. Die secundäre Degeneration ist im Fimbriaantheile des rechten Fornix sehr 
hochgradig. Dieser sowie die rechte Columna fornicis enthalten nur einige Nerven¬ 
fasern. Sehr verkleinert ist das Corpus mammillare, das Vicq d’Azyr’sche 
Bündel, der vordere Sehhügelkern rechts, während die dorsalen Fornixfasern 
(Fornix longus) fast intact sind. Der laterale Sehhügelkern ist rechts sehr 
atrophisch, ohne dass in demselben Residuen einer Herderkrankung sichtbar wären. 
Verf. lässt es unentschieden, ob diese Atrophie in Zusammenhang mit der Er¬ 
krankung der Ammonsregion stehe oder localer Natur sei. 

Aus der genauen Verfolgung der Fornixfasern geht hervor, dass der Fimbria- 
antheil derselben ausschliesslich aus dem Gyrus hippocampi, Ammonshorn und 
Uncus, der Fornix longus dagegen aus Fasern hervorgehe, welche den Balken 
durchziehen. Sie dürften aus den Striae Lancisii hervorgehen, die in diesem 
Falle rechts kaum atrophirt waren. Aus dem Subiculum scheint beim. Menschen 
der Fornix longus keinen Zuwachs zu erhalten, da dieses hier ganz zerstört war. 


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Die Columna fornicis führt ausschliesslich oder fast ausschliesslich Fasern ans der 
gleichseitigen Fimbria. Die Einstrahlung des Foraix in das Septum pellucidum 
ist dagegen theilweise gekreuzt. Die Fasern des Fornix longus enden alle in der 
Umgebung des Septum pellucidum, die Fimbriafasern zum Theil (gleichseitig und 
gekreuzt) daselbst, zum Theil gleichseitig im lateralen Kern des Corpus mammillare. 
Die Taenia thalami scheint keine directe Verbindung mit dem Fornix zu haben. 
Die Basis der ersten Stirnwindung ist secundär atrophirt, was einen engen Zu¬ 
sammenhang derselben mit dem Fornix beweist. Endlich bestätigt dieser Fall 
den Ursprung des Vicq d’Azyr’schen Bündels aus dem Corpus mammillare und 
seine Endigung im vorderen Thalamuskerne. 

Die Befunde werden durch 11 Photogramme reproducirt. 

Pilcz (Wien). 


20) Ueber Agrammatismus als Folge von Herderkrankung, von Pick. 
(Zeitschr. f. Heilk. 1902. XXIII.) 

Schon 1898 hatte Verf. gezeigt, dass das Symptom des Agrammatismus mit 
einer Herderkrankung im linken Schläfelappen Zusammenhänge. 

41jähr. Frau erlitt naoh einer Entbindung einen Schlaganfall mit Convul- 
sionen, in dessen Gefolge Intelligenzverfall, Sprachstörung und periodische 
Erregungszustände sich einstellten. Bei der Aufnahme bot Patientin vorwiegend 
paraphasische Störungen und in ausgezeichnetem Maasse das Symptom des Agram¬ 
matismus („Depeschenstyl“). Ausserdem leichte Halbseitenerscheinungen rechter- 
seits. Im weiteren Verlaufe, nach wiederholten Anfallen, ward die Sprache fast 
unverständlich, während der Agrammatismus mehr in den Hintergrund trat. 
Exitus an Pneumonie. 

Bei der Obduction fand sich der Fuss der mittleren und unteren Stirnwindung 
stark verschmälert und ebenso die Spitze des linken Schläfenlappens. Die linke 
Hemisphäre wog 408, die rechte 430 g. Im Bückenmarke beiderseits (r. > 1.) 
ältere und frischere Pyramidendegeneration; die schon makroskopisoh atrophischen 
Hirnpartieen zeigten auch bei der histologischen Untersuchung deutliche Atrophie. 

Während allgemein der Agrammatismus als psychisch bedingt aufgefasst 
wird („keine coordinatorische Leistung der Sprache, sondern von der associativen 
Verknüpfung der Objectvorstellungen abhängig“, Ziehen), weist Verf. nicht nur 
auf seine eigenen und ähnliche Fälle hin, sondern citirt auch interessante Aus¬ 
führungen von Philologen und Psychologen (Paul, Erdmann), welche in dem¬ 
selben Sinne wie Verf. sich aussprechen. Pilcz (Wien). 


21) Ueber Symptomenoomplexe, bedingt duroh die Combination subcorti- 
oaler Herdaffeotionen mit seniler Hirnatrophie, von Prof. A. Pick. 
(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 46.) 

Der 28jähr. Pat. litt seit mehr als 3 Jahren an Verworrenheit und Auf¬ 
regungszuständen, zu denen später sich Aphasie mit Worttaubheit und rechtsseitiger 
Hemiplegie und Intelligenzabnahme gesellte. Parese des rechten Facialis, Beuge- 
contractur der rechten oberen, Streckcontractur der rechten unteren Extremität, 
Reflexsteigerung, Miosis der gut reagirenden Pupillen. Exitus unter Herzschwäche. 
Die Sprachstörung erwies sich als eine Combination motorischer und sensorischer 
Aphasie, verbunden mit Störungen des Lesens und Sohreibens und partieller 
Asymbolie. Es wurde an die Möglichkeit einer einfachen Hirnatrophie im Gebiete 
der motorischen Zone, der Broca’schen Windung, des Schläfen- und Parietal¬ 
lappens und der linken Hemisphäre und der angrenzenden Abschnitte des Occipital- 
lappens, vielleicht beider Hemisphären gedacht. Carcinoma uteri. Die histologische 


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Untersuchung ergab aber ausser der Atrophia cerebri Erweichungsherde in dar 
Brücke, die Pyramidenbahnen und die Schleife betreffend. Intimawucherung der 
Basilaris. Die Lähmungserscheinungen sind auf die subcorticalen Herde in der 
Pyramidenbahn zu beziehen. Die Aphasie dagegen hängt mit der Bindenatrophie 
zusammen. J. Sorgo (Wien). 


22) Ueber eine seltene Form der Paralysis alternans, von Schlesinger. 

(Jahrbüoher f. Psyoh. u. Neurolog. XXII. S. 281.) 

Apoplektiformer Insult ohne Bewusstseinsverlust, ohne Convulsionen bei älterem 
Manne. Darauf Herabsetzung der Sensibilität für alle Qualitäten im Bereiche des 
reohten Trigeminus (motorischer Ast intact) und linksseitige Facialisparese des 
unteren Astes. Der übrige Befand ergiebt bis auf Steigerung der Sehnenreflexe 
durchaus normale Verhältnisse. Verf. nimmt einen einzigen pontinen Herd an. 
Bezüglich der scharfsinnigen Erörterung der localisatorischen Momente sei auf die 
Originalarbeit verwiesen. Pilcz (Wien). 


23) Ueber einige Fälle von Nervenkrankheiten, von Schwarz. (Prager med. 

Wochenschr. 1900. Nr. 4 u. 6. — Vergl. die vorausgehenden Nummern.) 

IV. Ponserkrankung. '35jähr. Mann bemerkte vor 2 Monaten mit Schwäche 
verbundene Unsicherheit der linken Hand. Bei der Aufnahme im Bereiche des 
rechten Quintus und der ganzen linken übrigen Körperhälfte dissooiirte Sensibilitäts- 
störung derart, dass die tactile Empfindlichkeit ungestört war, während für Tem¬ 
peratur und Schmerz Anästhesie bestand. Leichte Facialisparese links. Abducens- 
parese rechts. Pupillen reagiren (r. > 1.), keine Stauungspapille, keine Allgemein¬ 
erscheinungen. Cerebellare Ataxie, hingegen keine Ataxie bei Kniehackenversuch 
u. 8. w. Bei Prüfung auf Bömberg Neigung nach rechts vorn zu fallen. Moto¬ 
rischer Trigeminus intact, an den Extremitäten bezüglich Motilität, Beflexe u. s. w. 
keine Störung. Von der oben erwähnten dissooiirten Empfindungslähmung war 
eine Zone um die linke Mammilla stets frei geblieben. 

Unter Schmierkur theilweiser Rückgang der Sensibilitätsstörung. 

V. Paralysis agitans mit ungewöhnlichen Beizerscheinungen. 
40jähr. Mann, Beginn der Erkrankung vor 4 Jahren mit Schmerzen im rechten 
Arme, Beine und im Kreuze. Fragliohe epileptiforme Aniälle. Status praesens: 
Maskenartige Starre des Gesichts. Bei ruhiger Bückenlage werden die Arme in 
Beuge-, die Beine in Streckstellung gehalten. Bei passiven Bewegungen besteht 
ein gewisser Rigor der Musoulatur. Motilität im Bereiche der Hand-Fingermusculatur 
eingeschränkt, im übrigen keine Lähmung, nur erfolgen alle Bewegungen sehr 
langsam. Idiomusculäre Wulstbildung, besonders an den unteien Extremitäten. 
Keine myotonische Reaction. Sehnenreflexe allseits lebhaft gesteigert. Kein 
Babinski’scher Reflex. Schäfer’scher antagonistischer Reflex (auf Kneifen der 
Achillessehne Contraction der Zehenstrecker und des M. tibialis ant.). West- 
phaRsche paradoxe Contraction (bei Prüfung auf Fussphänomen wiederholte 
Zuckungen der Extensoren der Zehen und des M. tibialis anticus). 

Für gewöhnlich nur manchmal in den Händen leiohter Tremor. Bei körper¬ 
licher Anstrengung, psychischer Erregung, Abkühlung des Körpers fibrilläre 
Zuckungen in den Streckern des Oberschenkels, dann sehr heftige klonisohe 
Zuokungen. Deutliches Symptom der Betropulsion. Keinerlei Stigmen. 

Pilcz (Wien). 


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84) Sulla patologia del ponte di Varolio. Contributo olinioo ed anatomo- 

patologioo pell Dott. Ezio Benvenuti. (Annali di Nevrologia. 1901. 

XIX. Fase. 2.) 

45jähr. Frau (Abusus spirituosorum, keine Lues) erkrankt plötzlich unter 
Schwindel, Steifheit der rechten Körperhälfte und Sprachverlust; kein Bewusstseins¬ 
verlust, keine Krämpfe. Keine Aura. Status: Kleiner, frequenter Puls, ohne 
Atherose; Kopf auf die rechte Schulter geneigt; totale Lähmung des linken 
Facialis; Augenbewegungen links mit Ausnahme der Rotation nach unten auf¬ 
gehoben, rechts die Function des R. inferior erhalten, Bewegungen naoh rechts 
und oben sehr beschränkt, R. internus völlig gelähmt; zuweilen Diplopie. Seh¬ 
vermögen normal; innere Augenmuskeln ebenfalls. Sensibilität der rechten Gerichts- 
hälfte herabgesetzt, ebenso am Rumpf alle Qualitäten der Sensibilität rechts er¬ 
loschen; motorische Lähmung der rechten Körperhälfte mit gesteigerten Reflexen. 
Tod nach 3 Tagen. Autopsie: Atheromatose der Hirngefässe; hämorrhagischer 
Herd in der linken Ponshälfte, dessen grösste Ausdehnung ungefähr die Grenze 
des mittleren und vorderen Drittels bildet. Im hinteren Ponsabschnitt ist zerstört: 
ein kleiner Theil der Haube (links), speciell ein Theil des Facialiskerns und die 
Substantia reticularis, ferner der Nervenkern mit mehreren Wurzelfasern, ferner 
die Wurzelfasern des Facialisknies, die Oliva superior, theilweise der Lemn. me- 
dialis und der Fase, longitud. superior. Im vorderen Ponsabschnitt: die ganze 
Haube (incl. Radix ascendens des Trigeminus), ferner die Brückenkerne, das Stratum 
profundum und complexum der Fibrae transversae, die Pyramidenbahn. An der 
breitesten Stelle greift der Herd eine Spur nach rechts hinüber (Subst. reticularis). 
Verf. vergleicht die klinischen mit den pathologisch-anatomischen Erscheinungen 
und kommt zu dem Schluss, dass es sich um einen typischen Fall von unilateraler 
Erkrankung des Pons handelt. Die theoretischen, ziemlich gründlichen Erörterungen 
bieten jedoch nichts Neues. H. Gessner (Nürnberg). 


26) Ueber ausgedehnte oonflulrende Oapillarh&morrhagieen ln Pons, tte- 
dulla oblongata und im Grosshirn (Obduotionsbefund bei Tod im 
Status epileptiouB), von Dr. Theodor Struppler, Assistenzarzt an der 
IL medioinischen Klinik in München. (Münchener med. Wochenschr. 1901. 
Nr. 39.) 

Ein 19 Jähriger, der schon seit früher Kindheit an epileptischen Krämpfen 
gelitten hatte, starb im Status epilepticus; allgemeine EpilepBieen fehlten dabei. 
Andererseits bestand gleichzeitig Nephritis parenchymatosa. Die Section ergab 
fast im ganzen Querschnitt von Pons und Medulla oblongata das Vorhandensein 
von Hämorrhagieen sowie auch blutige Flüssigkeit in je einer Windung der 
Insel und des Scbläfenlappens. Das Wichtigste war nun, wie auch die histo¬ 
logische Untersuchung erkennen liess, dass sich die Blutungen aus einzelnen, 
kleinsten bis steoknadelkopfgrossen, vielfach confluirenden Hämorrhagieen zusammen- 
setzten, dass es sich um perivasculär angeordnete, ganz frische Blutungen per dia- 
pedesim handelte, die von keinerlei entzündlichen Erscheinungen, sei es der GefÜsse, 
sei es der benachbarten Nervensubstanz begleitet waren. Die letztere zeigte nur 
leiohte ödematöee Quellung. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


26) Sur deux oas d’hdmlplögie oompliquöe d’une paralysie des mouve- 
ments assooiäs des yeux, par Raymond. (Progräs m6dical. 1902. Nr. 4.) 

Sehr interessanter Fall von rechtsseitiger Hemiplegie centralen Ursprungs, 
d. h. ohne Betheiligung des oberen Facialisastes; die Hemiplegie entwickelte sich 
sehr langsam innerhalb zweier Jahre und zeigte jetzt lebhafte Kniesehnenreflexe, 


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sehr ausgesprochene Hyperästhesie, geringfügige epileptische Attaquen, Kopfschmerz, 
Uebelbefinden und eine Amaurose, die aus einem Oedem des N. optic. resultirte, 
wie auch eine Störung in den associirten Bewegungen der Augen. Letzteres ist 
das im Krankheitsbild besonders hervorstechende Symptom, weswegen der Fall 
auch sehr ausführlich mitgetheilt ist. 

Ein zweiter, mit Exitus ausgegangener Fall leitete den Verf. auf den Herd 
bei derartigen Erkrankungen — nämlich auf die Gegend der Corpora quadrigemina. 

Adolf Passow (Meiningen). 


27) A case of postapopleotio hemihypertonia. Hemitonia apopleotloa 

(v. Bechterew), by William G. Spiller. (Philadelphia med. Journ. 1899. 

16. December.) 

Bechterew hat als Hemitonia apoplectica 3 Fälle beschrieben, in denen im 
Anschluss an einen apoplektischen Insult als bleibende Folgeerscheinung keine 
spastische Lähmung, sondern nur eine erhöhte Tonicität in der Musculatur der 
betroffenen Seite zurückblieb. B. nimmt an, dass es sich in diesen Eällen nur 
um eine leichte, vielleicht indirecte Schädigung der Pyramidenbahn unterhalb der 
Binde, etwa in der inneren Kapsel handelt. Verf. beschreibt einen hierher¬ 
gehörigen ziemlich reinen Fall. Es handelt sich dabei um ein 19jähr. Mädchen, 
das im Alter von 3 Monaten an Convulsionen gelitten hatte. Beim Laufenlernen 
stellte sich dann eine leichte Schwäche und Steifigkeit der rechten Körperhälfte 
heraus, die sich im Laufe der Jahre nicht wieder verlor. Die Untersuchung er- 
giebt leichte Spasmen im rechten Bein und Arm von wechselnder Stärke. Beim 
Heben des rechten Arms, das ohne Mühe geschieht, wird die Hand stark flectirt, 
hei anderen Bewegungen in Flexionsstellung pronirt oder supinirt. Das Wesent¬ 
liche und Charakteristische an der ganzen Störung ist, dass keine dauernde Con- 
tractur besteht, dass die Spasmen durch willkürliche Thätigkeit der Antagonisten 
überwunden werden können, und dass keine Athetosebewegungen vorhanden sind. 
Verf. schlägt vor, an Stelle der Bechterew’schen Bezeichnung „Hemitonia apo- 
plectioa“ den Namen „Hemihypertonia postapoplectica“ für die Störung zu 
adoptiren. 

Ein zweiter Fall, den Verf. noch liinzufügt, und bei dem es sich um eine 
Jackson’sche Epilepsie nach Kopftrauma handelt, mag, da der Fall kein reiner 
ist, hier übergangen werden. Max Neumann (Karlsruhe). 


28) Case of irregulär movement« of the right hand and leg in a patient 
of middle age, apparently referable to slight hemiplegia, hy Monro 

and Faulds. (Glasgow med. Journ. 1901. Mai.) 

46jähr. Pat., aufgenommen am 20./II. 1901, klagt seit 2 Jahren über Kopf¬ 
schmerzen in der linken Kopfhälfte, imwillkürliche Bewegungen in den rechts¬ 
seitigen Extremitäten, in der Intensität wechselnde Gedächtnisschwäche und zeit¬ 
weilige Sprachstörung aphasischen Charakters. Die Symptome waren eines Morgens 
nach dem Erwachen ohne vorhergegangene Vorboten von der Patientin bemerkt 
worden. Die Untersuchung ergiebt beiderseits erhebliche Einschränkung des Ge¬ 
sichtsfeldes, keine Hemianopsie, leichte nystagmusartige Zuckungen der Bulbi, 
geringe Schlaffheit des rechten Facialis, Deviation der Zunge nach rechts, Hemi- 
paresis dextra mit gesteigerten Reflexen, rechtsseitige Athetose, im Harn häufig 
Spuren von Albumen. Martin Bloch (Berlin). 


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20) Srfolgreiohe Behandlung apoplektisoher AnfMle, von A. Ferenozi. 

(Gyögyäszat. 1901. Nr. 41. [Ungarisch.]) 

Die Hirnblutung wird meist durch indirecte Wirkung auf die Med. oblong., 
bezw. Circulations- und Respirationscentra tödtlich; in den meisten Fällen entsteht 
Lähmung der letzteren, doch in manchen Fällen finden wir die Zeichen einer 
Reizung dieser Contra, tiefe Athemzfige, kräftigen Pulsschlag, und dennoch schliesst 
sich auch solchen oft eine hochgradige Cyanose an, welche zum Tode führen kann. 
Die Ursache solcher Hypervenositäten sieht Verf. in Lähmung der Zunge, des 
Gaumens, eventuell auch der Stimmbänder, welche stets eine hochgradige Ver¬ 
engerung des Respirationsweges verursachen. Meist verschliesst der Rückfall der 
gelähmten Zunge den Lufteintritt, so dass der Kranke in Folge dieses mechanischen 
Hindernisses erstickt 

Nach Verf. ’s Ansicht entsteht in solchen Fällen folgender Circulus vitiosus: 
Die Blutung verursacht erhöhten intracraniellen Druck, dieser Lähmung der Zunge, 
diese die Cyanose, dies wieder (KohlensäureWirkung) Vagusreizung, diese Er¬ 
höhung des Blutdruckes und letzteres schliesslich trägt bei zur Beförderung der 
Hirnblutung. 

Nach Verf. besteht eine wirksame Beeinflussung dieser Erscheinungen in einer 
Erweiterung der Luftzutrittsöffnung: entweder durch grösstmögliches Hervorziehen 
«des Unterkiefers oder solches der Zunge; im Nothfalle ist Intubation nöthig. — 
Dieses Verfahren hat Verf. in einem Falle erfolgreich angewendet und fordert 
zur weiteren Vornahme desselben auf. Hudovernig (Budapest). 


30) Zur Kenntnis s der Aneurysmen an den basalen Hirnarterien, von 

Docenten Dr. J. P. Karplus. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Labora¬ 
torium. 1902. Heft 8.) 

Der Arbeit des Verf.’s liegen zwei interessante Fälle zu Grunde. 

Fall I betrifft eine 29jährige Frau, deren Mutter an Migräne litt und an 
einem Schlaganfalle starb. Die Kranke selbst litt seit vielen Jahren an Migräne. 
Januar 1900 hatte sie im Anschlüsse an einen Migräneanfall einen meningitis¬ 
ähnlichen Zustand, der mit einer rechtsseitigen Oculomotoriuslähmung und starker 
Gehörsstörung einherging. Nach vorübergehender Besserung Spitalsaufnahme, bei 
der Kopfschmerz, rechtsseitige Oculomotoriuslähmung aber keine Gehörsstörung 
constatirt wurde. Sonstige nervöse Störungen fehlten. Plötzlicher Exitus am 
7. Februar. Die Obduction ergab eine frische intermeningeale und subdurale 
Blutung nach Beratung eines Aneurysmas der rechten Arteria communicans post., 
Verwachsung des rechten N. oculomotorius mit dem ungefähr erbsengrossen 
Aneurysma. Rostbraune Pigmentirung der weichen Meningen an verschiedenen 
Partieen des Gehirns. Verf. unterzog das Aneurysma, sowie die grösseren Arterien 
des Gehirns einer genauen histologischen Untersuchung, die einen weitverbreiteten 
chronischen proliferirenden, von der Intima ausgehenden Wucherungsprocess der 
Gefasswand aufwies; das Aneurysma selbst war durch Zerreissung der Media 
entstanden. 

Die Oculomotoriuslähmung ist, wie sich aus den topographischen Beziehungen 
ergiebt, geradezu charakteristisch für die Aneurysmen der Art. communic. post., 
die an sich zu den relativ häufigen Aneurysmen gehören. Bezüglich des Zu¬ 
sammenhanges zwischen der seit Jugend bestandenen Migräne und dem Aneurysma 
kommt Verf. nach Erwägung aller in Betracht kommender Möglichkeiten zum 
Schlüsse, dass die Migräne im vorliegenden Falle auf erblicher Basis bestand, 
dass die mit den Migräneanfällen einhergehenden vasomotorischen Störungen zur 
Gefässerkrankung beigetragen' haben, wobei er es für wahrscheinlich hält, dass 
daneben eine vererbte Minderwertigkeit der Gefässwände bestand. Ob die 


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Ruptur des Aneurysma mit einem Anfalle in ursächlichem Zusammenhänge stand, 
lässt Verf. dahingestellt. 

Der zweite Fall betrifft eine 69jährige Frau. Am 8./IIL 1900 plötzlich 
heftiger, stechender Kopfschmerz links, Rauschen im linken Ohre. 3 Tage später 
leichte Ptosis links, die etwas zunahm, und Doppeltsehen. Die Untersuchung 
ergiebt deutliche Arteriosklerose; ausoultatorisch ein lautes, mit dem Pulse syn¬ 
chrones Geräusch am Schädel, links deutlicher wie rechts, besonders laut in der 
linken Scheitel- und Schläfengegend; auch auf Distanz ist das Geräusch hörbar. 
Compression der linken Carotis in der Fossa carotica bringt das Geräusch sofort 
zum Verschwinden. Exophthalmus links, Oculomotorius und Abducensparese links, 
sonst die Himnerven, sowie die Extremitäten frei. 

Es wurde die Ruptur eines Aneurysma der linken Carotis an der Hirnbasis 
diagnosticirt und die Unterbindung und Durchschneidung der linken Carotis com¬ 
munis am 28./11I. gemacht. Nach der Operation Aufhören des Kopfschmerzes 
und Nachlassen des Ohrensausens, auch sonst Besserung des Befindens. Am 30./III. 
stellte sich Hemiplegie und Sprachstörung ein. Tod am 3./IV. 

Die Obduction erwies die Richtigkeit der Annahme eines Aneurysmas der 
Carotis interna im Sinus cavernosus und die Beratung desselben. Ausserdem 
fand sich in der linken Hemisphäre sehr ausgedehnte Erweichung; chronische 
Endarteriitis der Aorta und der grösseren Gefässe. Verf. erörtert hierauf jene 
Momente, die in diesem Falle die Diagnose eines Aneurysmas, bezw. dessen Ruptur 
ermöglichten und ergiebt hierauf eine Uebersicht über die Folgen der Unter¬ 
bindung der Carotis communis. Etwa ein Drittel aller Operirten ging an den 
Folgen der Operation zu Grunde. Von grösster Wichtigkeit ist hierbei die 
Encephalomalacie. Im beschriebenen Falle war dieselbe bedingt durch eine be¬ 
stehende Affection des Herzmuskels. Redlich (Wien). 


31) Zar Kenntni88 der rhaohltisoheii (P) Deformationen der Schädelbasis 
und der basalen Sohädelhyperostosen, von Prof. E. A. Hom6n in Hel- 
singfois. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

Bei einem 22jähr. Manne, in dessen Ascendenz väterlicherseits eine gewisse 
Disposition zu Vorbuohtungen des Hinterkopfes besteht, und welcher nur eine 
Körperlänge von 144 cm htft, in jugendlichem Alter Rhacbitis überstand, findet 
sioh eine Deformation, d. h. Aufwärtsschiebung der Schädelbasis in der Umgebung 
des Foramen occipitale magnum. Dieselbe beruht hauptsächlich auf Verdickungen 
der Cristae und Iuga cerebralia. Das Leiden setzte allmählioh ein, ist aber be¬ 
stimmt auf das 18. Lebensjahr zurück zu datiren, und zwar bestehen seitdem 
Kopfschmerzen, Schwindel, allmählich sich steigernde cerebellare Ataxie, Schling¬ 
end Sprachstörungen, leichte Augenmuskelparesen, Nystagmus, erhöhte Sehnen- 
reflexe, Parästhesieen, sowie allgemeine Schwäche und rasche Ermüdung. Nach 
den Angaben des Patienten machte sich ein oder zwei Jahre nach Beginn der 
Krankheit eine allmählich zunehmende Vorbuchtung der beiden Temporal- und 
Occipitalgegenden bemerkbar, so dass von jener Zeit an eine Steigerung im knöchernen 
Wachsthum der Schädelbasis auftrat, wie sie wohl schon im Anschluss an die in 
der Kindheit überstandene Rhachitis sich zeigte. In Folge der Aufwärtsschiebung 
der Schädelbasis war der Dens des Epistropheus nebst seinem Vorsprung in das 
For. occipitale magnum eingedrungen und hatte auf Pons und Medulla einen Druck 
ausgeübt. Der Exitus war während einer intercurrenten Krankheit erfolgt. Bei 
der mikroskopischen Untersuchung des Rüokenmarks fand sich im Cervicalmark 
eine Höhlenbildung, die im 6.—7. Segment ihre grösste Ausdehnung hatte, ferner 
eine leichte, bis in das Lendenmark nachweisbare* Degeneration der Pyramiden¬ 
bahnen, die im verlängerten Mark etwas ausgesprochener war, ausserdem bestand 


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Chromatolyse in einzelnen Purkinj e’aohen Zellen des Kleinhirns. In einigen 
der nntersnchten Hirnnerven, namentlich in den Nn. oculomotorii liessen sich nur 
ganz unbedeutende Zeichen von Degeneration erkennen. 

In Bezug auf die hier gefundene Höhlenbildung im Cervio&lmark betont 
Vert, dass er unter 12 systematisch untersuchten Fällen von Himdruck 4 Mal 
im oberen Theil des Bückenmarks Hydromyelie mit Gliose und in einem 5. Falle 
eine einfaohe Dilatation des Centralcanals gefunden habe. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


Psychiatrie. 

32) Psychologie der Gesiohtevorstellungen nach Kant’s Theorie der Er¬ 
fahrung, von L. Stilling (Strassburg). (Wien 1901, Urban u. Schwarzen* 
berg.) 

Wie der Verf. im Vorwort bemerkt, ist diese Schrift dem Bedürfniss ent¬ 
sprungen, sich mit denjenigen philosophischen Problemen, die in der Ophthalmo¬ 
logie von Bedeutung sind, abzufinden. Insbesondere werden zwei wenig beachtete, 
1876 und 1886’ erschienene Werke von A. Classen, des ersten und einzigen 
Ophthalmologen, der auf diesem Gebiete zusammenhängende Untersuchungen 
lieferte, berücksichtigt; ein Werk des Kant-Forschers Albert Krause (erschienen 
1876 bei Schauenburg-Lahr) bildet eine weitere Grundlage der Stilling’schen 
Arbeit. Da die Kenntniss der Kant’sohen und Schopenhauer'sehen Philosophie 
eine Voraussetzung der Leotüre bildet, so ist der medicinische Leserkreis ein 
naturgemä88 kleiner; die Physiologen, speciell die Sinnesphysiologen, ferner die 
Oculisten seien hiermit auf das interessante Werk aufmerksam gemacht; eine 
eingehendere Kritik vermag nur derjenige zu geben, der auf diesem Gebiete 
selbständige Forschungen angestellt und entsprechende Einsichten gesammelt. 

B. Laquer (Wiesbaden). 


33) Bin Fall von sensorieller Idiotie, von H. Fürstner. Vortrag, gehalten im 
unterelsässischen Arzteverein in Strassburg am 21. December 1901. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1902. Nr. 6.) 

Vortr. demonstrirt ein 2 1 / 2 jähr., hereditär in keiner Weise belastetes Mädchen 
mit sensorieller Idiotie. Die Geburt verlief glatt, die Entwickelung des Kindes 
war im ersten Halbjahr anscheinend normal, dann stellten sich Krämpfe ein und 
die Eltern bemerkten, dass das Kind auf nichts reagirte. Wachsthum und Zahn¬ 
entwickelung ungestört. In der Klinik machte das Kind zunächst den Eindruck 
eines seinem Alter entsprechend entwickelten, anscheinend normalen Mädchens, 
die genaue Prüfung ergab aber das Fehlen jeder Reaction auf sinnliche Eindrücke. 
Leicht hydrocephalischer Schädel. Der rechte Bulbus ist meist nach aussen ge¬ 
stellt, deutlicher Tonus besteht im rechten mittleren Facialisgebiet. Die im 
übrigen normalen Sinnesorgane haben ihre Function fast völlig eingestellt, auf 
sinnliche Eindrücke erfolgt keine Reaction. Starke motorische Unruhe, Zappeln 
mit Händen und Beinen, Nick- bezw. Beugebewegungen des Kopfes und Rumpfes 
nach vorne, hochgradige Ataxie an den unteren, geringere an den oberen Extre¬ 
mitäten. Das Kind ist über die Lage seiner Beine absolut unklar. Unfähigkeit 
zu stehen und gehen. Steigerung des PateUarreflexes und Babinski, besonders 
links. Inoontinenz von Blase und Mastdarm, Fehlen des Sphinkterreflexes beim 
Einführen des Fingers in den Anus. Vereinzeltes oder serienweises Auftreten 
eigentümlicher Anfalle: sie werden eingeleitet durch Erblassen der Haut, Puls¬ 
verlangsamung, Deviation des Kopfes und der Augen nach rechts, dann erfolgen 
pagodenartige Niokbewegungen, oft so intensiv, dass der Kopf bis gegen die 


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Zehenrüoken geschleudert wird, darauf röthet sich die Haut, der Puls wird fre¬ 
quenter, es kommt zu einem neuen Insult oder mehrstündigem Schlafe. Neben 
den geschilderten Attacken treten noch Zwerchfellskrämpfe auf, niemals Zuckungen 
in der Gesichts- oder Extremitätenmusculatur. — Keine Parese der Glieder. 

Verf. sieht die Ursache in einem Hydrocephalus und schlägt für diese eigen¬ 
artigen, wohl charakterisirten Fälle die Bezeichnung „sensorielle Idiotie“ vor. 

R. Pfeiffer. 


34) Sul oompenso sensoriale nei Bordomutl, per C. Ferrai. (Rivista speri- 

mentale di freniatria e medicina legale delle alienazioni mentali. 1901. 

XXVII. S. 341.) 

Verf. untersuchte in Siena die Entwickelung der Sinnesorgane von 24 Taub¬ 
stummen und verglich sie mit denen von 24 normalen Menschen, um die Frage 
zur Entscheidung zu bringen, ob der fehlende Gehörsinn durch eine besondere 
Schärfung anderer Sinne oompensatorisch ausgeglichen werde. Er theilte die 
Taubstummen wie die Normalhörigen dem Alter nach in zwei Gruppen: 1. Gruppe 
von 10—14 Jahren, 2. Gruppe von 14—19 Jahren. Zur Prüfung kam der Tast¬ 
sinn mit Hülfe des Aesthesiometers (Weber’scher Zirkel), der Muskelsinn (ge¬ 
prüft durch Anordnung verschiedener schwerer gleichgrosser Würfel), die Schmerz¬ 
empfindung (geprüft mit dem elektrischen Strom), Geschmack (geprüft durch ver¬ 
schiedene Concentrationen von Strychninsulfat, Kochsalz und Sacoharin), Geruch¬ 
sinn (geprüft durch Bestimmung verschieden starker Lösungen von Nelkenöl in 
Wasser). 

Als Resultat ergiebt sich: 

1. Die Taubstummen zeigen im Allgemeinen eine geringere functionelle Ent¬ 
wickelung ihrer Sinnesorgane als normalhörende Menschen, doch iBt der Unter¬ 
schied nicht gross. Jedenfalls besteht keine sensorielle Compensation (zu 
den nämlichen Resultaten kam Griesbach bei Untersuchung Blinder). Der 
grösste Unterschied zu Ungunsten der Taubstummen zeigt sich bei Prüfung des 
Geruchsinnes. 

2. Die Sinnesorgane nehmen mit dem vorrückenden Alter (in den hier unter¬ 
suchten Grenzen) an Leistungsfähigkeit zu, der Tastsinn allein ab, sowohl bei den 
Taubstummen als bei den Normalhörenden. 

3. Dieses Verhältniss von Alter zur Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane tritt 
bei den Taubstummen deutlicher zur Anschauung in Abhängigkeit von der un- 
gleichmässigen Entwickelung der Intelligenz bei jüngeren und älteren Individuen. 

4. Die Erscheinungen der Ermüdung treten bei den Taubstummen mehr in 
den Vordergrund, namentlich für geistige Arbeit. 

L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


IIL Bibliographie. 

1) Die traumatischen Neurosen. Unfallnenrosen, vonDr.L.Bruns. (Specielle 
Patholog. u. Therap. XII. Theil I.) 

Das Bruns’sche Buoh stellt eine wesentlich vermehrte Neuauflage des im 
Jahre 1899 in den Encyclopädischen Jahrbüchern erschienenen Aufsatzes dar. 
Die in dem Titel des Buohes gegebene Doppelbezeichnung der traumatischen 
Neurosen und Unfallneurosen erklärt und rechtfertigt Verf. in dem einleitenden 
Capitel dahin, dass unter der Bezeichnung „Unfallneurosen“ diejenigen Fälle zu 
verstehen seien, in welchen es sich um einen „Betriebsunfall“ im Sinne des Unfall¬ 
gesetzes mit den sich stets an einen solchen anschliessenden besonderen, durch 
die Gesetzgebung und deren Handhabung hervorgerufenen Verhältnissen handele. 


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M 


Weiterhin spricht sich der Autor dafür aus, den Namen „traumatische Neurose“ 
für gewisse Fälle beizubehalten. Auf den historischen Ueberbliok und die Be¬ 
sprechung der Aetiologie folgen die der Symptomatologie gewidmeten, breit an¬ 
gelegten Capitel. Der Gang der Besprechung ist in diesen Capiteln im Allgemeinen 
derselbe geblieben wie in der Arbeit aus den enoydopädisohen Jahrbüchern. 

Die Bedenken, welohe Bef. 1899 bei Besprechung der Bruns’schen Schrift 
in Bexug auf die Unveränderlichkeit des hysterisch verengten Gesichtsfeldes bei 
näherer oder weiterer Lage des Objeotes aussprach, möchte er jetzt nicht mehr 
aufrecht halten, trotzdem er an der ausserordentlichen Seltenheit der Geeiohtsfeld- 
einengungen überhaupt feethält Bei den Hörstörungen macht Verf. sehr mit 
Recht auf die grosse Unzulänglichkeit der otiatrischen Untersuchungsmethoden 
quoad „nervöse Schwerhörigkeit“ und „Taubheit“ aufmerksam. 

Im Anschluss an die Besprechung der sensiblen und sensorischen Störungen 
discutirt Verf. auf mehreren Seiten dio von Strümpell gemachten Einwendungen 
betr. des den Sensibilitäts- und ähnlichen Störungen fehlenden objectiven Charactera 
und präcisirt seinen eigenen Standpunkt. Manches von dem, was früher als 
Beweis der Simulation angesehen wurde, muss heute gerade als neuer Beweis 
für die psychische Natur des in Frage stehenden Symptoms angesehen werden. 

Das Schwanken beim Augenschluss wird nach des Yerf.'s Ansicht sehr oft 
übertrieben, ja sogar simulirt. Für die Gehstörungen gilt das Gleiche. Die 
Störungen der Sprache bezeichnet der Verf. auch diesmal als reoht selten; (bei 
dem hiesigen Material sind Sprachstörungen nioht so selten, d. Ref.). Den hyste¬ 
rischen Lähmungen der Hirnnerven gegenüber verhält B. sich recht skeptisch. 
Es ist dem Autor in den letzten Jahren aufgefallen, dass sich speciell bei Trauma- 
tikern privater Versicherungsgesellschaften häufig schwere Herzneurosen fanden. 
Er schreibt dies den gerade bei derartigen Kranken so ausserordentlich grossen 
und häufigen Anstrengungen des Herzmuskels — Affecten — zu. Die hysterisohen 
Athmnngsstörungen erwähnt der Verf. nicht besonders. Da dieselben sioh oft 
zusammen mit den hysterischen Sprachstörungen (Brustcontusionen) finden, so 
ist anzunehmen, dass auoh dies Symptom unter dem Material des Autors seltener 
als hier in Berlin gewesen ist. 

In dem Capitel über das Vorkommen der traumatischen Erkrankungen macht 
der Verf. die interessante Mittheilung, dass er bei Soldaten nur Hysterie nach 
Traumen gesehen habe. Dies stimmt mit dem überein, was Ref. bei einer anderen 
Gelegenheit über den auffallend hoben Procentsatz äusserte, welohen die Soldaten 
und Matrosen (auoh in den französischen Litteraturberiohten) zur männlichen 
Hysterie stellen. 

Nach Erledigung des symptomatologischen Abschnittes tolgen die forensischen 
Capitel. Von grosser praktischer Wichtigkeit ist hier der Hinweis auf die Recurs- 
entscheidung des Reichsversioherungsamtes, dass beim Vorliegen der Symptome 
des Alkoholismus dennoch Entschädigungspfiicht seitens der Berufsgenossenschaft 
bestehe, sobald der Betriebsunfall die Arbeitsfähigkeit aufgehoben bezw. ge¬ 
mindert habe. Die Frage der Simulation wird vom Verf. bis zu den letzten 
Publioationen behandelt Der Autor selbst glaubt in den letzten Jahren mehr 
Simulationen gesehen zu haben. Gebührende Beleuchtung erfahren die in den 
Unfallacten sioh manchmal spreizenden Beriohte der Rechercheure und ihre after- 
wissenschaftliohen Beobachtungen. 

Was die Beantwortung der forensisoh dem Arzte gestellten Fragen angeht, 
so plädirt Verf. auch hier für die breite und ungesoheute Concession des „Non 
liquet“. Hier geht Verf. für den Geschmack des Ref. etwas zu sehr theoretisirend 
vor. Gewiss giebt es viele Fälle, in welchen eine sichere und bestimmte Antwort 
vom Arzte nicht gegeben werden kann. Wir haben aber andererseits ja auch 
nur nöthig uns für oder gegen gewisse Wahrscheinlichkeiten auszusprechen, 

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welche wir sw» And Cemplex der Möglichkeiten — »ach denen entgegen¬ 
gesetzter Tendenz — herausheben. Damit genügen wir den Forderungen in foro; 
wir brauchen unsere Ansprüche an Unfehlbarkeit keineswegs höher zu schrauben 
als es der Rieht« für sein «genes Ultimi thut. Jedenfalls sind wir Aerste aber 
eher im Stande und haben eine grössere Chance bei der Abwägung jener Möglich¬ 
keiten das richtige zu treffen als der Richter und Laie. Mit dem Gesagten soll 
nioht behauptet werden, dass es nicht „non liqnet-fälle“ giebt, es soll vielmehr 
nur der jedesmalige Versuch der Umwandlung derselben in Fälle mit Wabr- 
soheinliohkeitssohlüssen empfbhlen werden. 

In den Ausführungen über die Erwerbsbeeinträchtigung wird auch der darob 
die Novelle zum Unfallgeeets geschaffenen Möglichkeit der Rentenerhöhung bei 
unverschuldeter Arbeitslosigkeit gedacht. Herabsetzung der Rente au Heilzwecke* 
ist nach dem Urtheil des Retohs versichern ngeamteo nicht gestattet 

Die Capitol über Prognose und Therapie besckliessen das Brun »'sehe Werk. 
Ausgezeichnet ist das, was über die Chancen der Therapie und Beernflossbar- 
keit gesagt wird. Die drei vom Verf »»/gestellte» prognostisch differenten 
Kategorieen enthalten m der That alles, wss betreffs der Prognose gesagt 
werden kann. Mit dem gebildeten Hypochonder kommt man neeh einsgermessen 
ans and kann ihn beeinflussen; mit einem solchen geringer Bildung ist wenig 
oder nichts anzufengen, und absolut infaost ist die Prognose bei den „alten 
Unfalkneurotikern“. Dabei ist die Prognose der rein hysterischen Störungen 
noch besser als die der neurasthenisehen und hypochondrischen. 

Ein Moment, auf welches der Verf. zum Schluss« noch hinweist, scheint mir 
praktisch, wenn auoh nioht direct für den Arzt, so doch für die Verletzten uad 
die Begufege noss enschaftep von aller grösster Wichtigkeit zu seh*. Soll bei der Be¬ 
handlung der theüweise erwerbsfähigen Neurotiker die Arbeit ihre heilende Kraft 
entfalten können, so muss die geleistete Arbeit eine wirkliche, nicht soimubun» 
— an medieo-mechanischen Maschinen u. s. w. geleistete — sein. Die Arbeit 
muss unbedingt einen productiven Werth haben und Verdienet bringen. 
Freilich wird sich die Umsetzung dieses Gedankens m eine tbatsäehliche I n sti tu ti on 
nicht so leicht ermöglichen lassen. Es kann jedoek keinem Zweifel bei Sad»> 
kundigen unterliegen, dass in jenem Satze selbst der Schlüssel das Unfallproblems 
liegt, und dass die Gesetzgebung zu ihrer eigenen Conreotur sieh des Br uns'sehen 
Gedankens bemächtigen muss. Paul Schuster (Berlin). 


3t Bl« Geisteskrankheiten des Eindesalters mit besonderer Darflehsiohti 
gong des schulpflichtigen Alters, von Ziehen. (Sammlung von Abhand¬ 
lungen aus dem Gebiet» der pädagog. Psychologie und Physiologie. Berlin, 
1905k 79> &> 

Verf. bespricht hier in seiner bekannten klaren Weise die Psychosen mit 
latolltgenzdefecten kn Kindesalter. 

Diese Defeotpsyohosen sind angeboren — Imbeciliität, oder erworbsn-Dsmenm 
in ausführlich« Weise wird sodann die erstere in ihres Ursachen wie'in ihm* 
psychischen und körperlichen Symptomen erörtert. 

Verf. unterscheidet drei Form«»* besw. Grade derselben: Idiotie, Izsbeeillitit, 
Debilität. Die ärztlich erzieherische Behandlung wird in genau« Weise be¬ 
sprochen. Von den erworbenen Defectpsychosen werden wegen ihr« Häufigkeit 
hervorgehoben: die Dementia paralytiea, epileptica, bei H er d w rkr a nkuagen und 
hebephreniea, von denen im vorliegenden Hefte nur die beiden ersten' besprochen 
werden. 

Die für grössere Kreise geschriebene Arbeit wenden- sicher auch ehe spoci eilen 
Fachgenossen mit grossem Interesse lesen. M. 


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3) Atlas and Grundriss der Psychiatrie, von Wilhelm Weygandt. (Mit 
24 farbigen Tafeln und 276 Textabbildungen und einer Anstaltskarte. (München 
1902. Lehmena’s Verlag. 663 S.) 

Das vorliegende Buch giebt in einer kurzen und gedrängten, durchaus 
klaren Darstellung das, was wir Aber die Geisteskrankheiten wissen, und kann 
schon deswegen von den Fachgenossen sowohl wie von demjenigen, welche in die 
Psychiatrie eingeführt werden sollen, nur mit Freuden begrüsst werden. Der 
Ver£ fügt sich zwar im Wesentlichen an die Kraepelin’sche Psychiatrie an, 
zeigt jedoch nach vieler Richtung hin auch seine Selbständigkeit und erleichtert 
auf der anderen Seite durch Einfügung der Nomenclatur anderer Autoren die 
Möglichkeit der Orientirung in dem Sprachgewirr der modernen Psychiatrie. 

Dem allgemeinen Th eil, in welchem Ve*£ in Bezug auf die psychologischen 
Ausführungen Bich Wnndt anschliesst, folgt der specielle, in welchem die an¬ 
geborene Geistesschwäche, das Entertangsirreeein, die Hysterie, die Epilepsie, das. 
manisch-depressive Irresein, die Paranoia, die Dementia praecox, die progressive 
Paralyse, das Rückbildungsirresein, das Irresein bei Hirnerkrankung, das thyreogene 
Ivrearinj das Irresein bei Nervenkrankheiten, das bei Stoffwechselkrankheiten, das 
ErschöpAngsurosein, die Fieber- tmd Infeotionspeyohoeen, die Intoxications- 
psychosen unterschieden werden. Dass dem Verf. ein einheitliches Eintbeilungs- 
princip, wie diese Aufzählung ergiebt, fehlt, wird man ihm nicht zum Vorwurf 
machen können; es liegt der Mangel an der Unfertigkeit unserer Disciplin. 

Dass der Dementia praecox 90 Seiten, der progressiven Paralyse nur 60 Seiten 
gewidmet sind, liegt wohl in der Vorliebe der Kraepelin’schen Schule für jene 
Form. Wenn man die Häufigkeit der letzteren ia der Praxis und in den 
Irrenanstalten and die relative Seltenheit der enteren in Erwägung und dabei 
noch in Betracht zieht, wie vidi mehr wir nach jeder Richtung hin, besonders 
auch anatomisch, von der Paralyse wissen, wird man nicht umhin können, ein 
gewisses Missverhältnis in der Behandlung der beiden Krankheiten zu finden. 
Die Krankhectshilder selbst sind treffend gezeichnet, sie werden durch 142 Kranken¬ 
geschichten illastriri. 

Während der Verf sich von unnützen theoretischen Erörterungen fern hält, 
bringt er uns ausser den krankhaften psychischen Erscheinungen die eonoinne 
Besehreibung der körperlichen und dar pathologisch-anatomischen Thatsachen. 

Für die zweite Auflage dürfte der Widerspruch 8. 99: der Blutdruck ist in 
Dtopreononszuständen verr inge r t , in der Manie erhöht und S. 309: der Blutdruck 
ist in der Manie gering, in der Depression hoch, wohl beseitigt werden. 

Ueber die Nützlichkeit und Zweckmässigkeit der Abbildungen werden die 
Fachmänner getheilter Ansicht sein; jedenfalls sind sie trefflich ausgeführt; eine 
grosso Reihe der Porträts ist recht charakteristisch, die anatomischen Abbildungen 
sind durchweg vorzüglioh — andere, wie z. B. 8. 126, der am Bettpfosten er¬ 
hängte Geisteskranke, hätten wohl ohne Schaden wegbleiben können. 

Alles in Allem können wir das Buch nur auf das Allerwärmste empfehlen 
und sind überzeugt, dass ihm ein grosser Kreis von Lesern und solchen, welche 
es stodiren, nicht fehlen wird. Dies verdient es aber auch in vollem Maasue. 

Das» die Ausstattung eine sehr gute ist, dafür bürgt der Ruf des rührigen 
Verlegen. M» 


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IV. Aus den Gesellschaften. 

Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte in München 
am 14. und 16. April 1002. 

I. Sitzung am 14. April, 9 1 /* Uhr Vormittags. 

Seit 27 Jahren tagten die deutschen Irrenärzte zum ersten Male wieder in 
München, wo ihnen das Polytechnicum gastliche Aufnahme in seinem physikalischen 
Hörsaal gewährte. Nach der Eröffnung der Versammlung durch den Vorsitzenden 
des Vereins, Herrn Geheimrath Jolly (Berlin), wurde dieselbe durch die an¬ 
wesenden Vertreter der Staatsregierung, der Kreisregierung von Oberbayern, der 
Stadt und der technischen Hochschule, die Herren Grashey, v. Messerer, 
v. Brunner und v. Ti eck begrüsst. Im Namen des Localcomitös hiess Herr 
Prof. Bumm die erschienenen Mitglieder willkommen. Welches Interesse auch 
die Militärbehörden an der Psychiatrie nehmen, wurde dadurch bekundet, dass 
der Generalstabsarzt der Armee, Herr Dr. Berstelberger, den Sitzungen fast 
ununterbrochen beiwohnte. 

Den Vorsitz in allen Sitzungen führte Herr Geheimrath Jolly, zu Schrift¬ 
führern wurden die Herren Gudden (München) und Bäcke (Kiel) gewählt. 

L Referat: Herr Alzheimer (Frankfurt a/M.): Die Seelenstörongen auf 
arteriosklerotischer Grundlage. 

Als Ausgangspunkt unserer Kenntnisse der arteriosklerotischen Seelenstörungen 
können die Untersuchungen angesehen werden, die von dem Bilde der progressiven 
Paralyse die Pseudoparalysen abtrennten. Es war wohl der erste der Franzose 
Klippel, der unter der Bezeichnung „Pseudoparalysie generale arthritique“ eine 
Krankheit beschrieb, die im Wesentlichen mit der arteriosklerotischen Hirnatrophie 
von heute identisch ist. In Deutschland knüpfen sich diese Untersuchungen an 
die Namen Binswanger und Alzheimer an: ersterer beschrieb die Encephalitis 
subcortialis chronica, letzterer die perivasculäre Sklerose. Um die Kenntniss der 
arteriosklerotischen Erkrankungen des Bulbus, der Stammganglien und der inneren 
Kapsel hat sich Jacobson verdient gemacht. Manche Fälle von sogen. Spät¬ 
epilepsie gehören ebenfalls in dieses Gebiet. 

Unter den Ursachen der Arteriosklerose hat Edgren vor allen Dingen 
Syphilis, chronischen Alkoholismus und Erblichkeit namhaft gemaoht; die Athero- 
matose ist von der Arteriosklerose abzutrennen. Frühzeitige Arteriosklerose be¬ 
fällt mit Vorliebe einzelne Gefassgehiete, verläuft manchmal auch unter dem Bilde 
der hyalinen Degeneration. Histologisch ist wesentlich die Spaltung der Elastica 
in einzelne Lamellen, die Verengerung des Gefasslumens durch Intimaverdickung, 
die Gliawucherung, Spinnenzellen, Körnchenzellen-Anhäufung und Gefässneubildung 
in und um die ErweichungBherde. Im Ganzen imponiren die arteriosklerotischen 
Herde weniger als Erweichung, sondern als Verhärtung. — Klinische Anhalts¬ 
punkte für das Vorliegen von Arteriosklerose bieten ausser den palpablen Arterien 
die Retinalgefässe, Schrumpfniere, Diabetes, Coronarsklerose, Herzvergrösserung; 
doch ist der Parallelismus zwischen Arteriosklerose des Centralnervensystems und 
des übrigen Körpers keineswegs ein constanter. 

Vortr. geht dann auf die einzelnen Formen der arteriosklerotischen Seelen¬ 
störung ein und bespricht 1. die nervöse Form der Gehirnarteriosklerose. Nach 
Windscheid, der dieselbe besonders studiert hat, tritt dieselbe oft schon im 
mittleren Lebensalter, in den 40er Jahren, auf. Sie zeigt sich als Ermüdbar¬ 
keit, Kopfschmerzen, Schwindel, Abnahme der Merkfähigkeit und des Gedächt¬ 
nisses, die sich oft subjectiv stärker bemerkbar macht als ohjectiv, Erlahmung 
der Productivität. Der Kopfschmerz sitzt meist in der Stirn, der Schwindel tritt 
leicht bei Wechsel der Körperlage auf. Charakteristisch ist oft die Intoleranz 


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- 4*1 — 

gegen Alkohol, ferner eine gewisse psychische Schwerhörigkeit, eine Erschwerung 
des Wortverständnisses. Sänuntliohe Symptome können erhebliohen Schwankungen 
in ihrer Intensität unterworfen sein. Die Krankheitseinsicht ist bis zu dem Grade 
erhalten, dass sie zu einer wahren Angst vor Verblödung werden kann; doch ist 
der Uebergang in die schwere, paralytische Form selten. Anatomisch findet man 
hier nur selten kleine Erweichungen, dagegen eine Erweiterung der perivasculären 
Bäume, Verdichtung der Glia um dieselben. Die Ganglienzellen zeigen Pigmen- 
tation, sind aber sonst, ebenso wie die Markscheiden, intact. Wenige Spinnen- 
zellen; Körnchenzellen fehlen. Die Gefässe zeigen die charakteristischen Ver¬ 
änderungen. — 2. Die progressive, arteriosklerotische Degeneration, die schwerere 
Form. Beginnt manchmal wie die erste, bald gesellt sich aber Reizbarkeit, Starr¬ 
sinn, rathlose Unruhe, dann Apathie hinzu. Die wirklichen Ausfallserscheinungen 
sind dabei noch immer gering, es liegt im Wesentlichen eine Erschwerung des 
Ablaufs der Auffassung vor, erst später kommt es zu einer gleichmässig fort¬ 
schreitenden Verblödung. Die Interessen verschwinden, die Stimmung ist meist 
leer, manchmal weinerlich. Grössen- oder andere Wahnideeen fehlen, die Krank¬ 
heitseinsicht ist auch hier oft auffallend lange erhalten. Anfälle sind nicht selten, 
sowohl körperliche (Sohwindel), wie solche, die auf rein psychischem Gebiete sich 
abspielen. Manchmal bildet das Vorstadium eine längere Zeit anhaltende, einfache 
melancholische Verstimmung. Betroffen ist das Alter von 50 er bis Mitte 60 er Jahre. 
Anatomisch findet man hier Gewichtsabnahme des Gehirns, Dilatation der Ventrikel, 
atheromatöee Gefässveränderungen, entlang denen die Martinasae grau verfärbt 
ist, manchmal miliare Aneurysmen. Fast constant ist das Corpus dentatum des 
Kleinhirns eingesunken. — Die Ganglienzellen zeigen Pigmententartung, Mark-- 
fasern sind verhältnissmässig wenig ausgefallen. Arteriosklerotische Herde im 
engeren Sinne sind zahlreich: derbes Gliageflecht mit Nestern von Spinnenzellen, 
Körnchenzellen, die sich nach Marchi schwarz färben, streifenförmig dem Ver¬ 
lauf der Gefässe folgend. Unterformen dieser Gruppe sind: a) Die Encephalitis 
subcorticalis chronica Binswanger’s. Hier sind die Binde und die kurzen 
Associationsbahnen frei, das tiefe Mark dagegen stark erkrankt. Klinisch tritt 
hervor die Erschwerung der Gedankenverbindung, Erschwerung, auoh Anfälle im 
Sprachgebiete, epileptiforme Anfälle, Schwindel, Herderscheinungen von oft un- 
gemein isolirter Ausbildung. Nach längerer Dauer können die verschiedenartigsten 
Herderscheinungen neben einander bestehen. Auch hier bleibt die Krankheits- 
einsicht oft lange erhalten; der Ausgang ist Blödsinn. — Anatomisch wäre noch 
hinzuzufügen, dass Erweichungsherde vermisst werden, dass sklerotische Herde 
auch im Stamm und der Brücke häufig sind und zu Unterbrechung der Pyramiden¬ 
bahnen und secundären Degenerationen, meist auf beiden Seiten in verschiedener 
Stärke, im Bückenmark führen (Steigerung des Patellarreflezes). Auch in den 
grauen Vorderhörnern des Hälsmarks sind in einem Falle, der mit Muskelatrophie 
am Arm einherging, Herde gefunden worden. — Differentialdiagnostisch kommt 
besonders die atypische Paralyse LisBauer’s in Betracht, b) Die senile Binden¬ 
verödung Alzheimer’s: charakteristische Form der Herde, die, auf das Er¬ 
nährungsgebiet einer grösseren Arterie beschränkt, keilförmig in der Binde liegen, 
die Spitze nach innen, die Basis aussen; dort zeigt die Hirnoberfläche dann eine 
leiohte Einsenkung. Die Herde bestehen fast ausschliesslich aus dichtem gliösem 
Gewebe; das Mark ist im Gegensatz zur Binswanger’schen Form meist ganz 
intact, die Ganglienzellen aber an den betreffenden Stellen untergegangen, c) Die 
perivasculäre Gliose Alzheimer’s: charakteristische GefÜssveränderung, das Lumen 
ist oft verdoppelt und vervielfacht, die Glia fleckweise gewuchert. A uch diese 
Erkrankung beschränkt sich meist auf das Gebiet einer grösseren Arterie (z. B. Cerebri 
posterior), d) Unter der arteriosklerotischen Epilepsie müssen wieder zwei Unter¬ 
formen unterschieden werden: 1. die cardio-hasale, ohne psychische Anfälle, durch 


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Digitalis oft za bessern; 2. die mit arteriosklerotischen Herden zusammenhängende, 
die sieh der Jacks oa’schcm Epilepsie nähert. 

Es ergiebt sich also bei diesen Untersuchungen, dass die arteriosklerotischen 
Hirnerkrankungen wohl abzutrennen sind von anderen, bekannten Krankheits¬ 
formen, und dass sich hier wie auf wenigen anderen Gebieten ein fruchtbares 
Z usamm enarbeiten von Klinik und pathologischer Anatomie hat ermöglichen lassen. 

Discuraion: 

Herr Fürstner: Die beschriebenen arteriosklerotischen Gehirnerkrankungen 
sind nach seinen Erfahrungen auch bei jugendliohen Individuen nicht allzu selten; 
dabei spielt dann meist die Heredität eine Bolle. — Ans den Abbildungen hat 
ihn interessirt, zu sehen, dass, wie früher auch, die Spinnenzellen mit den sogen, 
dreieckigen Fässchen in nahe Beziehung zur Gefäwwand gebracht werden. 

Herr Degen kolb glanbt, die hyaline Degeneration von der Arteriosklerose 
trennen zu müssen und weist auch auf die Bedeutung der AnasenhautverSndemngen 
hin. Im mikroskopischen Bilde hält er eine Trennung von Syphilis und Arterio¬ 
sklerose für nicht möglich. 

Herr Haenel fragt, ob ein Befund von perivasculärer Bundzelleninfiltration 
der kleinsten Gefässe bei Arteriosklerose der grösseren die Annahme eines weiteren, 
entzündlichen Vorganges nöthig macht, oder ob diese Infiltration durch den arterio¬ 
sklerotischen Process allein auoh hervorgerufen werden kann. 

Herr Degenkolb verneint die letztere Frage; man müsse allerdings ge¬ 
wucherte Adventitiazellen von ausgewanderten Bandseilen unterscheiden; letztere 
habe er nur bei Infectionen und Intoxieatioaen beobachtet. 

Herr Alzheimer (Schlusswort): Die Protoplasmasubstanz der Spinnemellen 
tritt allerdings manchmal mit der GefSsswand in Verbindung, nicht aber die 
Fasern selbst. Das Zusammentreffen von Arteriosklerose and Bundzelleninfiltration 
der Adventitia hält er immerhin für möglich, wenn es auch sicher ungewöhnlich 
ist; den Unterschied zwischen Bund- und Adventitiazellen hält er auch für wichtig. 

Vorträge: 

Herr Hitzig (Halle): Demonstration zur Physiologie des oortioalen 
Sehens. 

Vortr. zeigt Gesichtsfeldaufnahmen von Hunden, die doppelseitig im Gebiete 
des Sehfeldes von Munk operirt worden sind. — Nach Munk, dem Luciani 
durch Versuche, die allerdings einer eingehenderen Kritik nicht Stand halten, 
beigetreten ist, projicirt sich die Netzhaut in allen ihren Tbeilen auf die Binde 
des Hinterhauptslappens, so dass jedem Netzbautelement ein zagehöriges Binden- 
element entspricht Diese Anschauung wird hinfällig, wenn man den Ablauf der 
nach Bindenabtragung gesetzten Sehstörung beobachtet, was bisher noch nicht in 
genügender Weise geschehen war. — Vortr. ging so vor, dass er den unter 
allen Umstanden eintretenden Wiederausgleich der bemiopischen Sehstorung nach 
der Operation des Oocipitallappens abwartete und darnach anoh die zweite Seh¬ 
sphäre exstirpirte. Es zeigte sioh nun, dass nach der zweiten Operation die erste 
Sehstörung von Neuem auftrat, und zwar ebenso hochgradig, zuweilen sogar noch 
hochgradiger als vorher. Ebenso konnte beobachtet werden, dass noch einig« 
Tage nach der Operation eine Verschlimmerung auftrat Die Scotome waren nie 
circumscripter, wechselnder Art, sondern bei Eingriffen jeder Art stets von hemi- 
anopischer Form; der Ausgleich erfolgte stets von medial and unten her, so dass 
der Defect zuletzt noch im äusaeren oberen Theile des Gesichtsfeldes nachweisbar 
war. — Aach die doppelseitig operirten Hunde lernten wieder sehen. 

Alles dies widerspricht der Theorie von Munk: Eine feste Verbindung des 
einzelnen Bindeneiementee mit dem einzelnen Netzhautelement kann nicht bestehen. 


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Discuazion: 

Herr Jolly fragt Bach der Technik der Gesichtsfeldaufaahme bei Hunden. 

Herr Hitzig: Dem in der Schwebe aufgehängten hungrigen Hund wird eine 
FleischaohÜBsel vorgehalten, ohne dass er sie erreichen kann; mit der Pincette 
wird ihm dum von peripherwärts her ein Stückchen Fleisch genähert» nach dem 
er, sobald es in das Gesichtsfeld eintrttt, den Kopf wendet. Die Untersuchung 
dar Hunde erfolgte stets au wiederholten Malen und von verschiedenen Unter* 
sucbern, die demonstrirtsn Gesichtsfelder stellen die Mittel ans mehreren Unter* 
soehungea dar. 

Herr Bann (München): Experimentelle Untersuchungen über des 
Ganglion dünne. 

Vortr. berichtet über die Fortcetaung seiner Untersuchungen am Gangl. ciliare 
der Eintae. — Dasselbe enthält zweierlei Arten von Kellen, grosse, bläschen¬ 
förmige und kleine, spindelförmige, sowie mehrere Arten von Fasern, feinste 
mark haltige, die in markiges übergehen und im Ganglion selbst entspringen, 
stärkere markhaltige, Sysnpathieusfasern, die gröbsten markhaltigan stammen ans 
der OoulomotoriuswurneL — Schon früher hatte man festgeetellt, dass nach 
Bulbusexstirpatioa beew. Durehreissung der retrobulbären Nerven keine voll¬ 
ständige Atrophie des Gangl. ciliare eintrat. Vortr. hat nun zwei anfeinander 
folgende Operationen gemacht, erd die Ciüaroerven durchschnitten, dann das 
Gangl. oervic. suprem. sympathici exstirpirt und jedes Mal eine Zählung der Ganglien¬ 
zellen darnach vorgenommen. Er fand als Mittel im normalen Ganglion ciliare 
8488 Zellen, nach der ersten Operation Verminderung auf 8846 Zellen, nach 
der zweiten weitere Verminderung auf 2587 Zellen. Die suletnt noch zurück- 
bleibenden Zellen sind zu zahlreich, um allein als Schattseiten angesprochen za 
werden; vielleicht sind sie in Verbindung zu bringen mit den Beoerdings von 
Pezchel gefundenen intraorbitalen Gang l ien. Die Fortsetzung der emgetretenen 
Oeulomotoriusfasern durch das Ganglion ciliare in zum Theil glatte Muskelfaser* 
geschieht durch Sympathicusfaaeni, womit dem allgemeinen physiologischen Gesetz 
genügt ist, dass markhaltige Nervenfasern nur für quergestreifte Muskeln bestimmt 
sind. — Die T-förmigen Zellen gehören dem Nerv. V zu, der eine Fortsatz geht 
zur Cornea, der andere zum Gangl Gassen. Sensible sympathische Neurone, mit 
dem Ursprung im Gangl. ciliare, endigen im Geflssplexus der Iris; die Existenz 
von motorischen sympathischen Neuronen zur Iris muss ebenfalls angenommen 
werden. Die complioirten Verbindungen des Ganglion ciliare nach allen Seiten 
werden durch diese, nach der Gudden’eehen Methode gewonnenen Ergebnisse in 
mancher Hinsicht aufgeklärt. 

Diseusuon: Herr Weatphal: Die bisher unerklärliche Pupillenvereagerang 
bei Berührung der Cornea bei Thieren (Tauben) scheint hiernach der Deutung 
keine wesentlichen Schwierigkeiten mehr zu bereiten; beim Menschen tritt dieselbe 
übrigens nicht ein. 

IL Sitzung, Nachmittags 2 */ 4 Uhr. 

Herr Degenkolb (Neustadt): Beiträge zur Pathologie der kleinen Hirn- 
geOnae. 

Vortr. hat sieh die Frage nach dem Ursprung und der Bedeutung der intra- 
adventitiellen Infiltration der Bindengefösse vorgelegt. In Betracht kommen die 
Zellen der Gefässwand selbst und die verschiedenen Sorten der weiseen Blut¬ 
körperchen. Gliaaellen, denen ja neuerdings amöboide Beweglichkeit augeeproohen 
worden ist, können nicht in die Gefässscheide einwandern, ebenso wenig sind 
Zellen aus der Media und Intima betheiligt. Von Bedeutung sind ferner die 
Unna’sohen Plasmazellen, deren oonstantee Vorkommen bei Paralyse wohl fest¬ 
steht; Uw Ursprung, ob sie aus dem Blut oder aus anderen Gewebeelementen 


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(Adventitiazellen) stammen, ist noch nicht genau bekannt. Als Repräsentanten 
einer chronischen Entzündung sind neben Rundzellen auf alle Fälle die Plasma¬ 
zellen hinzustellen. Dass Rundzelleninfiltration für Syphilis und Paralyse charak¬ 
teristisch sei, ist nicht richtig, sie kommt auch unter anderen Umständen vor; 
wenn sie auch bei Paralyse und vasculärer Syphilis schon sehr früh nachweisbar 
ist, so ist sie doch auch gefunden worden bei Delirium tremens (Trömner), 
beim Status epilepticus (Weber), vorwiegend in Form der extraadventitiellen 
Infiltration, bei bakteriitischer Infection, bei posttraumatischen Psychosen in 
einzelnen Fällen; ferner im Rückenmark hei Lyssa, bei anämisohen Strangver¬ 
änderungen. Von Herderkrankungen jeder Art ist bei dieser Zusammenstellung 
abgesehen. — Es zeigt sich also, dass die Rundzelleninfiltration der Adventitia für 
entzündliche und infeetiöse Vorgänge im Centralnervensystem charakteristisch ist. 

Ferner hat Vortr. sich mit den „stark lichtbrechenden Tropfen an den Zellen 
der Intima“, die von Obersteiner beschrieben wurden, beschäftigt; er konnte 
sie durch Alkohol und Aether extrahiren und hehielt im nachträglich gefärbten 
Präparat Dellen in den Intimazellen zurück, die genau an den Stellen sassen, die 
vorher die Tropfen eingenommen hatten. Diese sind also Zeiohen für eine be¬ 
ginnende fettige Degeneration der Intima. Er weist auf die sogen. Vacuole des 
Fettzellenkerns hin, wo die Verhältnisse ebenso liegen. 

Herr Vogt (Güttingen): Ueber Gesichtsfeldeinengung bei Arterio¬ 
sklerose. 

Es handelt sich um Fälle, deren Symptomenbild besonders von Windscheid 
präcisirt worden ist In der charakteristischen Symptomengruppe: Kopfschmerz, 
Schwindel, Abnahme der geistigen Regsamkeit kann das letztere fehlen, es kann 
aber dafür eine ooncentrische Einengung des Gesichtsfeldes vorhanden sein, welche 
auch manchmal der Abnahme der psychischen Leistungsfähigkeit vorangeht Die 
Hauptsache ist, dass in solchen Fällen ein dauernder Nachweis der Erscheinung 
möglich ist. Die Einengung zeigt dann eine Constanz, welche eben der messbare 
Ausdruck für den progredienten Process ist. Diese Constanz spricht auch gegen 
die Annahme einer vorübergehenden funotionellen oder Circulationsstürung. 
Andererseits pflegt die Gesichtsfeldeinengung bei Arteriosklerose nur einzutreten, 
wenn auch die entsprechenden Erscheinungen anderer Art, besonders Kopfdruck 
und Schwindel bestehen. Die Gesichtsfeldeinengung nimmt also bei der arterio¬ 
sklerotischen Erkrankung eine Mittelstellung zwischen Reiz- und Ausfalls¬ 
erscheinungen ein. Zahlreiche Untersuchungen an Gesunden wie an Geisteskranken 
mit Arteriosklerose, aber ohne den charakteristischen nervösen Symptomencomplex 
haben dem Vortr. gezeigt, dass die Erscheinung nur auftritt, wenn die anderen 
für eine Arteriosklerose des Centralnervensystems sprechenden Erscheinungen vor¬ 
handen sind. Ausgeschlossen bei den Controluntersuchungen waren natürlich 
solche Fälle, die eine Einengung aus anderen Ursachen hätten darbieten können. 
In den untersuchten Fällen von Arteriosklerose fand sich stets eine starke 
Schlängelung der Temporalarterie, eine solche der Radialis wurde wiederholt ver¬ 
misst, ebenso Veränderungen der Retinalgefässe. Fortgeschrittene Fälle zeigten 
fast stets die Einengung, nur bei wenigen wurde sie völlig vermisst. Es soll 
der Werth der Gesichtsfelduntersuchung nicht überschätzt werden, doch stellt 
diese bei vorsichtiger und kritischer Prüfung jedenfalls ein feines Reagens auf 
den nervösen Status überhaupt dar, und die Thatsache der ooncentrischen Ein¬ 
engung bei Arteriosklerose des Centralnervensystems verdient deshalb als Beitrag 
zur genaueren Umschreibung dee zur Zeit mit viel Interesse studirten Symptomen- 
bildes Beachtung. (Autoreferat.) 

Herr Räcke (Kiel): Zar Lehre von der Hypochondrie. 

In neueren Lehrbüchern der Psychiatrie existirt kaum noch die Hypochondrie 
als selbständiges Krankheitsbild, weil immer mehr die Anschauung an Boden ge- 


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winnt, nach welcher bei mehr oder weniger allen Psychosen episodisch ein hypo¬ 
chondrischer Symptomencomplex auftreten kann, während es sich in den übrigen 
Fallen sogenannter reiner Hypochondrie lediglich am schwere Neurasthenieformen 
handeln soll. Unter den Autoren, die sich gegen diese Lehre ausgesprochen 
haben, sindJolly, Hitzig, Wollenberg, Erafft-Ebing, Ganser zu nennen. 
Vor 3 Jahren hat Böttiger sich ebenfalls in einer grösseren Arbeit für die 
Selbständigkeit dieses Krankheitsbildee ausgesprochen. 

Unter 2800 Aufnahmen der psychiatrischen Klinik zu Tübingen fanden sich 
nur 18 Fälle reiner Hypoohondrie, die eine längere Reihe von Jahren unverändert 
bestanden hatten. 6 davon waren erblich schwer belastet, 7 Neuropathen, in 
6 Fällen waren äussere erschöpfende Momente zu verzeichnen. — Die Krankheit 
begann in der Regel mit SchwäohegefÜhl, Schlaflosigkeit, Verdauungsbeschwerden 
und zahlreichen Parästhesieen im ganzen Körper. Dann bildete sioh die feste 
Ueberzeugung aus, ein ganz bestimmtes, unheilbares Leiden zu haben, und damit 
trat secnndär eine gewisse traurige Verstimmung ein. Im Uebrigen lagen allen 
Krankheitsäusserungen zwei Momente zu Grunde: 1. Eine veränderte Selbst¬ 
empfindung, die bald mehr den körperlichen, bald den geistigen Antheil der 
Persönlichkeit betraf; 2. Eine eigentümlich wahnhafte, jeder Kritik unzugäng¬ 
liche, aber logisch oonsequente Verarbeitung jener Sensationen. — Die Prognose 
erwies sich meist als infaust trotz gelegentlicher Remissionen; Demenz trat indessen 
niemals ein. — Von der Melancholie unterscheidet sich die Hypochondrie durch 
die secundäre Entstehung der Verstimmung, durch geringere Heftigkeit der Angst, 
den Mangel jeder Hemmung, jeder Selbstvorwürfe und durch die Ablenkbarkeit der 
Kranken. — Für Paranoia fehlt trotz der ausgesprochenen Wahnbildung das 
Projiciren der Sensationen auf die Umgebung, der Beziehungs-, Verfolgungs- und 
Grössenwahn. — Hysteriker unterscheiden sich duroh stärkere Suggestibilität, 
grösseren Wechsel der Symptome, Neigung zu bewussten Täuschungen, Stigmata. 
Die seltenen Anfälle und Lähmungen der Hypochonder werden deutlich duroh 
bewusste Vorstellungen hervorgerufen. 

Die Abgrenzung gegen die Neurasthenie ist schwieriger, weil sioh die Hypo¬ 
ohondrie häufig auf deren Boden entwickelt Dooh braucht diese Entwickelung 
nicht stattzufinden, die meisten Neurastheniker werden niemals Hypochonder; 
namentlich hat aber der charakteristische Zug der Hypochondrie, die wahnhafte, 
kritiklose Verarbeitung der Sensationen mit ihrer zwingenden Beeinflussung des 
ganzen Handelns, nichts mit dem Wesen der Neurasthenie zu thun. Der letztere 
Zug rückt die Hypochondrie unter die Psychosen. 

Vortr. stellt zum Schluss die folgenden Sätze auf: 1. Die Hypochondrie ist 
eine selbständige, in sioh abgeschlossene Krankheitsform, die aber mit Vorliebe 
auf dem Boden der Neurasthenie, seltener der Hysterie sioh entwickelt; zu beiden 
Krankheitsgruppen existiren 'fliessende Uebergänge. 2. Bei scheinbarem Ueber- 
gang einer hypochondrischen in eine andere Psychose handelt es sich meist um 
das hypochondrische Vorstadium einer andersartigen Irreseinsform. Die richtige 
Deutung solcher Fälle von Pseudohypoohondrie stösst nur im Beginn des Leidens 
und bei zu kurzer Beobachtungsdauer auf Schwierigkeiten. 

Herr Brosius (Sayn): Ueber den Mangel an Irrenpatronaten ln 
Deutschland. 

Vortr. giebt zu Anfang einige historische Daten über lrrenhilfsvereine, er¬ 
innert dabei besonders an den Namen Zinn’s. Die Hoffnungen, die sioh an eine 
1875 in München gefasste Resolution zur Förderung derartiger Vereine geknüpft 
hatten, sind nicht in Erfüllung gegangen. Bei 160 öffentlichen Irrenanstalten 
zählt Deutschland nur 16 Hilfsvereine, während die kleine Schweiz allein 10 auf¬ 
weist. Vortr. möchte die vor 27 Jahren gefassten Beschlüsse wieder in die Er¬ 
innerung der Vereinsmitglieder zurückrufen. 


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Discussion: 

Herr Siemens: ln Pommern sollte ein solcher Verein gegründet «erden, 
es stellte sich aber heraus, dass einen grossen Theil der zu erfüllenden Aufgaben 
schon der Verein für innere Mission leistet Die Lege ist offenbar in den einzelnen 
Gegenden Deutschlands verschieden; wo die Gemeinden für die Geisteskranken 
zu bezahlen haben, ist die Frage dringender, als wo, wie in Pommern, die Pro¬ 
vinz die ganze Behandlung, Transport u. s. w. auf eigene Kasse übernimmt und 
ausserdem der Landeshauptmann über einen Fond zur Unt erstttüma g entlassener 
Geisteskranker verfügt 

Herr Beckh fragt, welches die genannten 15 Vereine sind, und welcher 
Unterschied zwischen Irrenpatronaten und Irrenuntentützungsvereinen besteht; von 
letzteren giebt es in Unterfranken mehrere. 

HerrBrosius unterscheidet zwischen Unterstützungskassen und Hülfsvereinen, 
die mit Patronaten ziemlich identisch sind; erstere sind zum Theil wohlthätige 
Stiftungen, wobei München mit an der Spitze steht Die letzteren haben aber 
noch eine höhere Bedeutung: Sie sollen die Irrenpflege überhaupt beben, das 
Volk belehren, Vorurtheile bekämpfen, für frühzeitige Aufnahme der Kranken 
sorgen u. b. w. 

Herr Peretti sohliesst sich dem Appell des Vortr. an, weist auf die Ver¬ 
schiedenheiten der Verhältnisse in den einzelnen Provinzen hin. 

Herr Pelm an dankt dem Vortr. für seine Anregung, für die er selbst in 
der Rheinprovinz mit gutem Beispiel voraugegangen ist 

m. Sitzung am 15. April, 9 l / 4 Uhr Vormittags. 

Mittheilungen geschäftlicher Art. Bewilligung eines Beitrages für das Griesinger- 
Denkmal in Berlin. Die statutenmässig ausscheidenden Vorstandsmitglieder Siemens 
und Kreuser werden durch Aoolamation wiedergewählt. 

II. Referat. Herr Ho che (Strassbnrg): Vorschläge zur Bohafibng einer 
Centralstelle fttr Gewinnung statistischen Materials über die Beziehungen 
der Geisteskranken. 

Die Irrenärzte nehmen unter den Medicinern seit längerer Zeit eine Aus¬ 
nahmestellung ein; die Stimmung, mit der man ihnen entgegentritt, geht durch 
alle Stadien von der Verständnisslodgkeit bis zum Misstrauen. „Schote des 
Publikums vor den Irrenärzten“ heisst das Schlagwort mancher Broschüren; das 
Parlament verhält sioh zum mindesten nicht ablehnend gegen Angriffe, die Tages¬ 
presse öffnet solchen stets bereitwillig ihre Spalten. Alles dies ist ein Hemm¬ 
schuh für unsere Bestrebungen, und den Nachtheil haben in erster Linie die 
Kranken selbst, dann aber auch der Staat und die localen Verbände, durch all 
die Vorkommnisse von Mord, Selbstmord, Sachbeschädigung u. s. w., die Geistes¬ 
kranke so oft zum Urheber haben. — Darüber hinaus eretreokt sich dieser un¬ 
günstige Einfluss auch auf die Rechtspflege: man stösst bei den Juristen auf 
passiven Widerstand, sie empfinden so und so oft gar nicht die Mängel ihrer 
Ausbildung auf diesem Gebiete. In die Militärverhältaisse spielen diese Fragen 
hinein (ungerechte Bestrafung, Selbstmorde bei Soldaten u. ä.), desgleichen in die 
Discussion über die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Es erscheint deshalb 
empfehlenswert^ alles was in der Tagespresse unter der Spitzmarke „widerrecht¬ 
liche Freiheitsberaubung“, „ungerechte Entmündigung“, „Doppelselbstmord“, „Er¬ 
mordung der Kinder durch die Mutter“ u. s. w. erscheint, zu sammeln. Das über¬ 
raschend reiche Ergebniss, das Kräpelin durch privates Vorgehen auf dieeem 
Wege in Bezug auf die Alkoholfrage erzielt hat, ermuthigt, diesen Weg in 
systematischer Weise zu beschreiten. Amtliche Statistiken, auch Anstaltsberiohte, 
sind aus leicht ersichtlichen Gründen für diesen Zweck nioht recht brauchbar. 


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Da die Aufgabe für einen Einoelnea zu große wäre, empfiehlt es sioh, sieh 
mit einem jener Institute (z. 6. Argus) in Verbindung zu setzen, die das Semmeln 
von Zeitungsausschnitten über ein bestimmtes Thema geschäftlich betreiben. Eine 
Commission von 3 Mitgliedern würde dann genügen, um das so gesammelte 
Material zu verarbeiten, alljährlich vor der Versammlung Bericht zu erstatten, 
es eventuell in Broschürenform herauszugeben o. ä. Die Kosten würden, da ein 
Abonnement bei einem der genannten Institute 200 Mark jährlich beträgt, unter 
Hinzurechnung von Porti b, Druckkosten u. s. w„ etwa 300 Mark betragen. 

Die Frage und ihre Bearbeitung erscheint drängend wegen der bevorstehenden 
reichsgeeetzliehen Regelung des Irrenweseas, speciell der Aufhahmefirage. Es ist 
wichtig, dass die Irrenärzte dann anstatt mit Beschwerden und Lamentationen 
mit positiven Thatsaohen aufwarten können. 

Vortr. beantragt deshalb: 1. principielle Zustimmung zu seinem Vorschläge; 
2. Wahl der Mitglieder der zu bildenden Commission; 3. Geldbewilligung. 

Discussion: 

Herr Pelm an bittet um Zustimmung, schlägt als die geeignetsten Persön¬ 
lichkeiten den Vortragenden und Herrn Fürstner vor, glaubt für den vorliegenden 
Zweck lieber 400 Mark aussetzen zu sollen. 

Herr Siemens empfiehlt ebenfalls warm die Annahme des Vorschlags, bittet 
ausserdem, die Sammelarbeit nicht allein der beauftragten Firma zu überlassen, 
sondern fordert jeden einzelnen aufj sioh daran nach Kräften zu betheiligen. 

Herr Jolly schlägt als Namen die nach aussen indifferente Bezeichnung: 
„statistische Commission“ vor. 

Herr Pelm an hält es für nöthig, den Commissionsgliedern die Möglichkeit 
der Cooptation nach eigenem Ermessen zuzugestehen. 

Abstimmung. Die Herren Hoche und Fürstner werden einstimmig ge¬ 
wählt, mit der Ermächtigung, die Zahl der Mitglieder der Commission daroh 
Cooptation zu vermehren; es werden für die Zwecke der Commission vorläufig 
jährlich 300 Mark bewilligt 

Vorträge: 

Herr Fürstner (Strassburg): Giebt es eine PaaudoparalysoP 

Durch einen Vortrag von Mendel vor 2 Jahren wurde die Frage angeregt, 
ob in den letzten Jahren eine Verminderung der Fälle sogen, „klassischer Para¬ 
lyse“ und eine Zunahme der dementen Form, wie sie sich besonders gern an 
Tabes anschlieest, stattgefunden habe. Darin, dass seitdem die Taboparalyse 
vor allem Gegenstand der Forschung geworden ist, sieht Vortr. eine gewisse 
Gefahr der Einseitigkeit Da eine Zunahme der dementen Form auf die Auf¬ 
nahmeziffer in eine Klinik eher im rednoirenden Sinne wirken müsste, ist die 
rtaatainhliche Vermehrung der Anfaahniezahl in der Stcaasburger Klinik am bo 
wichtiger. Ausser der Zunahme der Zahl scheint auch die Abkürzung der Krank- 
heätadauer gegen früher unzweifelhaft (durchschnittlich betrug dieselbe weniger 
als 2 Jahre). — Bei der Vermehrung der Fälle jugendlicher Paralysen ist auf 
die leichte Verwechslung mit anderen Krankheiten (Gliose, multiple Sklerose) zu 
achten. — Die Zahl der paralytischen Anfälle scheint nicht wesentlich verändert 
zu sein, dagegen weist der grobe pathologisch-anatomische Befund in den letzten 
10 Jahren Veränderungen auf: die Pachymeniugitis haemorrhagica, das Haematoma 
durae matris, die starke Hirnatrophie, den Hydrocephalns internus, die Ependymitis 
bekommt man entschieden seltener zu Gesicht. Der von Mendel ausgesprochenen 
Ansicht von dm* Vermehrung der einfaoh dementen Formen stimmt Vortr. ans 
eigener Erfahrung bei; eine Erklärung findet er vielleicht in den auch bei anderen 
Psyohosen (z. B. Paranoia) beobachteten Wechselbeziehungen zwischen Intelligenz- 
schwäche einerseits und Wahnbildung und Stimmungmnomalie andererseits: das 


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Dominiren des Intelligenzdefects hält letztere Anomalieen hintan. — Die Frage, 
ob das häufigere Vorkommen der dementen Form auf eine Vermehrung der 
Taboparalyse zurückzuführen sei, glaubt er verneinen zu müssen; obwohl die 
letztere Diagnose jetzt häufiger gestellt werde, fehlt doch oft die anatomische 
Begründung, zu welcher der Nachweis von irgend welchen ^Veränderungen in den 
Hintersträngen nicht genügt. Ob Anfälle auf spinale Veränderungen zurückgeführt 
werden können (Dissertation von Just), erscheint nooh fraglich; von Bedentung 
erscheinen die Untersuchungen von Schaffer, nach denen bei Paralyse die 
Flechsig’sohen Associationsfelder früher betroffen sein sollen als die Projections- 
felder. Eine weitere Frage ist die, ob bei Paralyse stets Rindenveränderungen 
naohzuweisen sind, und wenn nioht, ob solche Fälle dann noch der Paralyse zu¬ 
zurechnen sind? Ferner, ob die Veränderungen in den Stammganglien primärer 
oder secundärer Natur sind. 

Den Ausdruck „atypische Paralyse“ glaubt Vortr. besser fallen lassen zu 
sollen, dafür wäre entweder „Lissauer'sche“ oder „Paralyse mit Herdsymptomen“ 
zu setzen. In diesen, wie auch in den Alzheimer sehen Fällen subcorticaler 
Atrophie ist zu fragen, ob die Demenz durch die Art oder die Localisation des 
Processes bedingt ist. 

Unter dem Namen „Pseudoparalyse“ begreift man gewöhnlich zwei Formen: 
die alkoholische und die luetische. Beide lassen sich aber von der Paralyse 
trennen. Unterscheidende Merkmale sind: bei Alkoholparalyse: Meist Beginn im 
späteren Lebensalter, Pupillenstarre selten, häufiger Differenz und träge Reaction; 
die scheinbar spinalen Symptome sind wohl meist peripherer, neuritischer Natur 
(Sensibilitätsstörungen, Druckpunkte). Blasen- und Mastdarmstörungen fehlen. Die 
Patellarreflexe zeigen wechselndes Verhalten. Die Sprachstörung ist kein Silben¬ 
stolpern, sondern mehr tremorartig, dazu häufig vorübergehend. Anatomisch 
kommen Systemerkrankungen wohl kaum vor, wohl aber diffuse Veränderungen im 
Gehirn, Rückenmark und Häuten. 

Bei syphilitischer Pseudoparalyse gelingt es meist, Symptome zu finden, die 
nicht mit der Taboparalyse übereinstimmen: Pupillenstarre mit gesteigerten 
Patellarreflexen u. ähnl. 

Der Name Pseudoparalyse ist also am besten für diese beiden Krankheits¬ 
formen zu streichen, weil er Irrthümer hervorruft. Er ist zu reserviren für jene 
recht seltenen Fälle, die, als klassische und unzweifelhafte Paralyse beginnend, zum 
Stillstand kamen oder heilten. In solchen Fällen spielt die Erblichkeit eine Rolle, 
Syphilis ist selten, dagegen häufiger sexuelle Excesse, Gemüthserregungen, Ueber- 
arbeitung. Unter den Symptomen ist Pupillenstarre hervorzuheben, die «wieder 
verschwand. 

DisousBion: 

Herr Schüle bestätigt die Abnahme der Fälle mit schweren anatomischen 
Veränderungen und das Prävaliren der combinirten gegenüber der Hinterstrangs¬ 
erkrankung. Er fordert zur Sammelforschung über die von Fürstner zuletzt 
erwähnte „echte“ Pseudoparalyse auf; die anatomische Untersuchung dieser letz¬ 
teren wird als Gegenexperiment zu den Befunden bei echter Paralyse besonders 
wichtig sein. Er theilt kurz einen Fall mit, in dem eine unzweifelhafte Paralyse 
naoh doppelseitiger Pneumonie und schwerer Otitis media mit profuser Eiterung 
heilte und jetzt 20 Jahre gesund geblieben ist. 

Herr Gau pp kennt auch aus der Heidelberger Klinik Fälle, in denen Para¬ 
lysen in einen jahrelangen Stillstand eingetreten sind. Die Schaffer’sohen Be¬ 
finde sollen demnächst von Nissl einer Kritik unterzogen werden. Er weist auf 
seine eigenen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Erkrankung im 
Cervicalmark und Pupillenstörungen hin. 

Herr Jolly kennt auch solohe Fälle von „Pseudoparalyse s. str.“ Die Zu- 


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bat am des Ftafiakt mpSautM Aifnskeaifkr dock eine Abnahme «W Udv 
süchtigen Formen gegen früher feststellea müssen. IW Grand liegt vielleickt 
darin, dam die Widerstandsfähigkeit beim «sinnlichen Geeoblechte abgenommen 
bat; beim weiblichen hab en ans diesem Grande von jeher die d e m enten Formen 
über wog e n. 

Herr Schäle hat nie eine syphilitische Pseadoparmlyee durch Hg mr Heilung 
bringen können, bittet Herrn Jolly am therapeutische Angaben. 

Herr Jolly bat nur eine typische Schmierkur gemacht, die Heilung war 
vielleicht nur ein günstiger Zufall. 

Herr Ffirstner (Schlusswortj. Heilerfolge nach Hg>Kur beweinen, dam in 
solchen Fällen Hirnsyphilis vorlag, also keine Pseudoparalyse im engeren Sinne. 
Herrn Gaupp gegenüber betont er, dam Papillenerscheinungen wohl häutig, aber 
nicht durchgängig auf das Cervicalmark «urüokxuführen sind. Die Schaffer'»dien 
Fälle hat auch er von Anfang an etwas skeptisch betrachtet, er ist auf Nissl'i 
Kritik sehr gespannt. — Die agitirten Formen sind anscheinend nicht absolut 
seltener, aber wohl transitorischer geworden. 

Herr Wolff (Basel): Die phystologieobe Grundlage der Lehre ton den 
Dagenerettoummtoh« 

Es ist ein causaler Zusammenhang «wischen Anomalieen des Nervensystem« 
und des übrigen Körpers- behauptet worden. Dieser Zusammenhang kann dreierlei 
Art sein: 1. Beide können Folge einer gemeinsamen Ursache sein; S. Die körper¬ 
liche kann Folge der nervösen Anomalie sein; 3. Die nervöse kann Folge der 
körperlichen Anomalie sein. Diese drei Möglichkeiten bestehen auoh in Wirk* 
lichkeit. Die erste liegt s. B. bei der Cyclopenbildung mit mangelhafter Trennung 
der beiden Hemisphären vor, die dritte bei Mikrooephalie in Folge vonudtiger 
Nahtverknöcherung. Bei der «weiten lautet die Frage speoieller: Kann die 
Nervenfanction einen Einfluss auf die Bildung von Körperorganen ausübend Von 
den trophischen Vorgängen im fertigen Organismus ist hierbei abgesehen, die 
Frage ist eine morphogenetisohe. 

Frühere Experimente an niederen Thieren, Wirbellosen, schienen die Frage 
zu verneinen; Vortr. ist naoh Experimenten am Triton su anderen Ergebnissen 
gekommen. 

Der Triton bildet nach Amputation der Hinterextremität eine neue, die aber 
meist statt 5 nur 4 Zehen hat. Vortr. zerstörte naoh Eröffnung der Wirbel¬ 
säule den unteren Theil des Bückenmarks, das Regenerationsproduot war dasselbe 
wie vorher, auch Nerven waren in dem neuen Fusse naohiuweissn. Da die 
Spinalganglien aber erhalten geblieben waren, so war der Versuoh für die vor* 
liegende Frage nicht verwerthbar. 

Vortr. sohritt nun dazu, den gansen unteren Theil der Wirbelsäule «u 
exstirpiren, wobei die Spinalganglien mit entfernt wurden. Die Heilung dieser 
wie der nachfolgenden Amputationswunde erfolgte in normaler Weise, naoh einigen 


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Wochen stellte weh aber, bevor noch die Regeneration m Gang gekommen war, 
ein plötzliches, allgemeines Oedern ein, in dem die Thiere zum grössten Theil 
zu Grunde gingen. 

Wurde hi erdaroh die Beobachtang abgeschnitten, so fragte es sich, ob die 
schon eingeleRete Regeneration nicht operativ beeinflusst werden konnte. Yortr. 
wählte den Moment, wo an der neugebildeten Extremität die Zehenknospen her¬ 
vorzusprossen beginnen und excidirte jetzt den untersten Theil der Wirbelsäule; 
hiernach trat ein Stillstand in der Regeneration ein. Bei einigen fiberlebenden 
Exemplaren lebte nach 4—5 Wochen der Regenerationsprocese wieder auf, führte 
aber zu unvollkommenen Producten (3—0 Zehen gebildet). Gegen den Einwand, 
dass die Operation eine zu schwere Allgemeinschädigung bedeute, die allein zu 
den beschriebenen Folgen führen könnte, sprach u. A. ein Controlvereuch der Art, 
dass die gleichzeitig amputirte obere Extremität nach der Excision der unteren 
Wirbelsäule ruhig weiter wuchs. 

ln der neuen hinteren Extremität fanden sioh auch Nerven; da zugleich Spuren 
von Motilität und Sensibilität wieder nachweisbar wurden, muss eine nachträg¬ 
liche neue Verbindung mit dem Centralnervensystem zu Stande gekommen sein. 

Durch die Versuche ist bewiesen, dass bei Wirbettlrieren das Nervensystem 
einen Einfluss auf morphogenetische Vorgänge ausübt. 

Herr Gudden (München): Beiträge zur topographischen Anatomie des 
Hirnstammes. 

Vortr. demonstrirt mit dem Projectionsapparat Schnittpräparate durch die 
normale Medulla oblongata und den Hirnstamm, die duroh eigenartige Schnitt- 
föhrung, Verbindung von horizontaler mit sagittaler, frontaler mit horizon¬ 
taler u. s. w. Richtung verschiedene Bündel in sehr übersichtlicher Weise zur 
Darstellung bringen. Die Methode erscheint geeignet, über den Verlauf mancher 
Bahnen genauere Aufklärung zu schaffen, eventuell auch neue Verbindungen auf¬ 
zudecken. 

Herr Westphal (Greifswald): Beitrag zur Pathojpaese der Byviaff»» 
myelie. 

Serienschnitte durch die Rückenmarke zweier Fälle von Syringomyelie 
zeigten, dass sich die der Erkrankung zu Grunde liegende Gliose aus einer 
Hämorrhagie entwickeln kann; im ersten Falle war diese letztere traumatischen 
Ursprungs, im zweiten im Gefolge von chronischer Nephritis aufgetreten. Beide 
Male konnte ein directer allmählicher Uebergang des hämorrhagischen Herdes in 
das gliöse Gewebe beobachtet werden, das letztere zeichnete sich an nnd in der 
Nachbarschaft der Uebergangsstelle durch starke Reste von Blutpigment aus. 
Auch an den Stellen, wo die Gliose nicht in directem Zusammenhang mit der 
Blutung stand, bevorzugte sie die Stellen im Querschnitt, die mit Vorliebe auch 
von Röhrenblutungen befallen werden. — Die Höhlenbildung zeigte sich, wie es 
die Regel ist, unabhängig vom Centralcanal. — Als Besonderheit ist noch zu 
erwähnen, dass trotz weitgehender Zerstörung der Clarke’sehen Säulen eine 
nennenswerthe Veränderung der Kleinhirnseitenstrangbahn nicht zu Stande ge¬ 
kommen war; dies weist darauf hin, dass die letztere ihre Fasern doch noch 
anderswoher bezieht. H. Haenel (Dresden). 


Biologteohe Abtheilung des Aentllohen Vereins zu Hamburg. 

Sitzung vom 11. März 1902. 

Herr Luce demonstrirt auf Veranlassung von Director Dr. Deseke, welchem 
der betreffende, auf der „Kunstreise“ befindliche Kranke zu diesem Zweck sieb 
zur Verfügung gestellt hatte, einen Fall von Thomsam'soher Krankheit. 


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28jähr. Mahd, Schuster, Schleswiger, illegitimes Kind. Vater und Grossvater, 
die er nicht gekannt hat, sollen an derselben Krankheit gelitten haben. Weitere 
hereditär© Verhältnisse nicht zu eruiren. Beginn des Leidens in frühester Kind* 
heit. Seine Krankheit wurde inerst 1897 in Köln von Dr. Longaard erkannt. 
Seitdem bat er afe Demonstrationeobject an vielen deutschen Universitäten gedient. 
Multiple Muskelexcisionen. In beiden Sohnltbrgelenkön leichter Grad von Sub¬ 
luxation naeb unten und vorn. Normal entwickelte Muscnlatnr im Bereich des 
RompfeB, der Sehultergärtel, Oberarme, Oberschenkel. Geringe, aber zweifellose 
Abmagerung der Musculatur auf der Beuge- und Streckseite der Unterarme. 
Mächtig© athletenharte, echte Hypertrophie der Muscnlatnr der Unterschenkel. 
In den Leistenbeugen je eine lineare Incisionsnarbe (Cruralisdebnung, 1899 von 
einem Stuttgarter Chirurgen mit dem einzigen Effect aasgeführt, dass rechts eine 
Crurafcsläbmung von 18 wöchentlicher Dauer sich einstellte). Deutliche Hypotonie 
der Musculatur der oberen Extremitäten, leichter Grad von Hypertonie der Muscu¬ 
latur der unteren Extremitäten. Grobe Kraft bei allen Muskeln der oberen 
Extremitäten pathologisch vermindert (Pat klagt, dass er seit etwa */a Jahr eine 
leielrte Abnahme seiner Armkräfte bemerkt habe). Grobe Kraft in den Beinen 
tadellos, nur eine Spur herabgesetzt in den Oberschenkelbengern, den Ad- and 
Abduetoren der Oberschenkel. 

Bei willkürlichen Innervationen ausgesprochen myotonisches Verhalten aller 
Rumpf-, Kopf-, Hak- und Extremitätenmuskeln, ferner der Zunge, besonders schön 
dies alles beim Gange des Kranken hervortretend. Normales Verhalten zeigen 
die Km. frontales, die äusseren Angenmuskeln, die Gaumen- und Schlundmuscu- 
Utur, das Zwerchfell, die- Soaleni, während die exepiratorischen Athemmuskeln 
Myetame aufweisen. Die Myotonie in den bezeichnten Muskelu wird sofort 
eclatant bei allen Präcisionsbewegnngen und betrifft Agonisten und Antagonisten 
gleichmäßig; wenn Pat. aber ganz langsam und sanft die Hand zur Faust ballt, 
die Plattenelektrode gegen das Brustbein drückt, den Mund öffnet u. s. w., dann 
tritt die Myotonie nicht ein und es zeigt die Musculatur dann bei Inspection und 
Palpation normales Verhalten. Der Coitus kann ungenirt vom Kranken ausgeführt 
werden. 

Stark gesteigerte mechanische Mnskelerregbarkeit mit dem für Myotonie 
charakteristischen Verhalten. Beiderseits sehr deutliches Chvostek’sches Phä¬ 
nomen mit klonischer, nicht tonischer Contraction der Facialismusculator, während 
die letztere heim directen Beklopfen die myotonische Reaction giebt. Das 
Troussean’sche Phänomen fehlt, die Schilddrüse ist in normaler Grösse palpabel. 

Die elektrische myotonische Reaction ist überall sehr schön zu demonstriren. 
Bei imttefetarker galvanischer Reizung der Facialisstämme tritt beiderseits zunächst 
eine normale klonische Zuckung im ganzen Facialisgehiet auf, erst bei stärkerer 
Reizung die myotonische Zuckung mit Nachdauer der Contraction. Dasselbe Ver¬ 
halten zeigen beide Peronei. 

Objective Störungen im Bereich der Psyche, der sensorischen, sensiblen 
Sphäre fehlen. Nichts von statischer oder dynamischer Ataxie. Hautreflexe 
überall lebhaft. Babinski’s Reflex 0. Achillesreflexe sehr lebhaft. Patellar- 
refflexe schwach (Crurafisdehnung!), deutlich erst mit Jendr&ssik. 

Der Vortr. erblickt das Wesen der Thomsen’schen Krankheit in einer 
abeolnt unbekannten, pathologischen Modification der in der Contractilität ihren 
äusseren biologischen Effect findenden essentiellen physiologischen Function der 
Muskelfasern. Diese functioneile Zustandsänderung der Muskelzellen ist entweder 
angeboren und ererbt, wie bei der Thomsen’schen Krankheit, oder sie kann 
unter dem Einfluss pathologischer Factoren vorübergehend oder dauernd erworben 
werden. Abgesehen von den Fällen von erworbener Myotonie (Talma), von 
Eulenburg’s Paramyetoaia congenita, wird eise solobe Anschauung gestützt 


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durch Beobachtung von Fällen, wo innerhalb der Breite völlig«- Gesundheit 
vorübergehende myotonische Zustände in einzelnen Munk eigruppen auftreten, be¬ 
sonders in Folge von Ueberanstrengung, z. B. beim Gähnen in den Mundöfinern, 
beim Becken des Körpers in Bettlage in den Wadenmuskeln u. s. w. Erworbene 
Zustände verwandter Natur dürften in den Beschäftigungskrämpfen, in den Myo- 
tonieen nach Pb-Vergiftungen vorliegen. 

Vor allen Dingen bleibt zu berücksichtigen, dass die congenitale Myotonie 
mit anderweitigen nervösen Zuständen sich combiniren kann, mit Pseudohyper¬ 
trophie, mit Tetanie, mit Polyneuritis. Auch der vorgestellte Fall zeigt eine 
Reihe klinischer Anomalieen. Paraparese im Bereich der oberen Extremitäten, 
Abmagerung der Vorderarmmuskeln, übrigens ohne Entartungsreaction, das 
Chvostek’sche Phänomen ohne anderweitige Tetaniesymptome. 

Der Vortr. hält es mit Rücksicht auf die durch weitere Forschung zu 
eruirende Wesensbestimmung der Myotonie für principiell wichtig, dass bei 
mechanischer Reizung der Facialisstämme die zugehörige Musculatur sehr wohl 
klonisch sich oontrahiren kann, obwohl bei directer mechanischer Reizung der 
Gesichtsmusculatur in derselben die tonische Zuckung mit Nachdauer der Con- 
traction sich einstellt. (Autoreferat.) 

Herr Trömner betont als abweichend von dem sonst typischen Falle die 
Atrophie einiger Vorderarmmuskeln, welche anscheinend völlig symmetrisch auf¬ 
trete, und befragt Herrn Luce um seine Meinung, ob, falls andere Ursachen 
fehlen, hier eine Complication mit einer chronischen Vorderhornaffection oder ob 
ein anderer Zusammenhang mit dem Grundleiden denkbar sei. Dem von Luce 
besonders beachteten Facialisphänomen kann T. keine (?) besondere Bedeutung bei¬ 
messen, da es sich bei den verschiedensten Zuständen, bald häufig, bald gelegentlich 
beobachten lasse. (Autoreferat.) 

Ausserdem betheiligten sich Herr Pappenheim und Luce an der Discussiou. 

Nonne (Hamburg). 


V. Personalien. 

Am 20. April d. J. feierte Herr Geheimrath Prot v. Leyden seinen 70. Geburtstag 
unter grosser und allseitiger Theilnahme. 

Den Lesern unserer Zeitschrift sind die hervorragenden Verdienste desselben um die 
Fortschritte der neurologischen Wissenschaft so bekannt, dass wir sie nicht besonders hervor¬ 
zuheben brauchen. 

Seinen klassischen Werken über Tabes (1863 und 1883) gesellen sich „Die Klinik der 
Rüokenmarkskrankheiten** (1874/75), seine Arbeiten Ober Hirndruck (1866) und Neuritis (1880) 
hinzu. Bezüglich letzterer sind seine Verdienste um die Entwickelung der Lehre der Nen- 
ritis multiplex besonders hervorzuheben. 

Wir wünschen dem Jubilar von ganzem Herzen noch für eine ungezählte Reihe von 
Jahren die geistige Frische und körperliche Rüstigkeit, deren er sich jetzt in so hohen 
Maasse erfreut 


Herr Privatdocent Dr. Heilbronner (Halle) wurde zum ausserordentlichen Professor 
ernannt 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag,von Vur & Comp, in Leipzig. — Druck von Manen & Wime in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Eianidxw&nxiggter " B * Mn ’ Jahrgang. 

Monatlieh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beiehs, sowie 
direct ron der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 16. HaL Nr. 10. 


Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Demonstration zur Physiologie des cortiealen 
Sehens, Ton Prof. E. Hitzig in HaUe. 2. Ueber acute oerebellare Ataxie, von Prof. Dr. 
W. v. Bechterew in St Petersburg. 8. Pehlen der Kniesehnenreflexe bei dorsaler Compressions- 
myelitis mit Degeneration der hinteren Wurzeln im Lendenmark, von M. Barteis. 4. Weiteres 
über die asthenische Lähmung, nebst einem Obduktionsbefund (Dr. E. Flatau), von 8 . Qoldflam 
in Warschau. 

II. Referate. Anatomie. 1. Textura de) sistema nervioso del hombre y de los verte- 
brados, por Ramön y Cajal. 2. Einiges über die Beziehungen der Sehbahnen zn dem vorderen 
Zweihügel der Kaninchen, von Berl. 8 . Das Cerebellum vom Scyllium canicula, von Edinger. 
— Experimentelle Physiologie. 4. Ueber Localisation der Geschmackscentra in der 
Hirnrinde, von Borschkoff. 5. Zur Lehre von der centralen Innervation der Kehle, von Onddi. 

6. The movements and the innervation of the large intestine, by Bayliss and Starllng. 

7. Klinische und experimentelle Studien über die Innervation der Blase, des Mastdarms und 
des Genitalapparates, von Müller. 8. Zur anatomischen Grundlegung der Kleinhirnphysiologie, 
von Kohnstamm. — Pathologische Anatomie. 9. Sieben Fälle von Anomafieen des 
Sulcus Rolandi, von Autonowski. 10. Ein porencephalisches Gehirn. Nachträgliche Be¬ 
merkungen zu den seitlichen Rückenmarksfurchen, von Oberztsiner. — Pathologie des 
Nervensystems. 11. Rhinogener Stirnlappenabscess, durch Operation geheilt, von Hsrzfeld. 
12. Ueber die beim otitischen Abscess des linken Schläfenlappens auftretenden Störungen 
der Spraohe, von Merfcens. 18. A patient operated on six months previously for abscess of 
the teinporo-sphenoidal lobe originating in miadle-ear disease, by Rutherfurd. 14. Otitis media 
acuta purulenta et empyema antri et cellul. mastoid. et pachymeningitis suppurativa ext et 
absceseus oerebri (lobi temp.); trepanation och transplantation enL König; hel&a, af Dahlgren. 
15. Otitis med. suppurativa dextra; mastoiditis suppurativa; abscessus lobi temporalis dextri; 
hemiparesis sinistra; trepanation; heisa, af Bauer. 16. Abeba du lobe temporal droit du 
oerveau d’origine inconnue, par Lagriffe- 17. Ein durch Operation geheilter Fall von Gehirn- 
abscess im Scbläfenlappen nach chronischer Mittelohreiterung, von HOIscher. 18. Cerebellar 
lesions without oerebellar Symptoms, by Wadswortb. 19. Ueber KleiDhirngeschwülste, von 
Breg ■an. 20. Ueber die klinischen und anatomischen Ergebnisse eines Kleinbirntumors, von 
Prabst und v. Wieg. 21. A tumor (neuroglioma) of the superior worm of the cerebellum 
associated with corpora quadrigeminal Symptoms, by Gordinlsr. 22. Fünf Fälle von Klein¬ 
hirntumor, von von Vois. 23. Zur Diagnostik und Therapie des Hydrocephalus internus und 
der Kleinbirntumoren, von Sommer. 24. Larve d’hypoaerme dans le bulbe raebidien d’un 
cheval, par Railliot et Ducasse. 25. Anatomischer Befund in einem als acute Bulbäraffection 
(Embolie der Art. cerebellar. post. inf. sin.) beschriebenen Falle, von Wellenberg. 26. Ueber 
eine ungewöhnlich gutartige Bulbäraffection im Kindesalter, von Zapport. 27. Des paralysies 
peeudobulbaires, par Comto. 28. Per l’anatomia patologica della paralisi pseudobulbäre. 
Ricerche dei Buizzetti e Ugolotti. 29. Zur Kenntniss der infantilen Pseudobulbärparalyse und 
der angeborenen allgemeinen Bewegungsstörungen, von Zahn. 30. Pseudobulbärparalyse mit 
einseitiger reflectonscher Pupillenstarre, von Knotz. — Psychiatrie. 81. Beiträge zur 

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Kenntnis* der Kinderpeyehoeen, Ton HriakL 32. Zur Klinik da* Paerpemlpeychoeen, too 
Meyer. 33. Ueber Psychosen in anmittelbarem Anschluss an die Verbeirathung (naptialee 
Irresein), von Obersteiner. 84. Beitrag zur Kenntniss der indudrten Psychosen, von Kälpln. 
3b. Ueber Psychosen durch Autointoxication vom Darme aus, von v. Wafser. 

III. Blbli«|raphie. 1. Ueber die allgemeinen Beziehungen zwischen Gehirn und Seelen¬ 
leben, vdn Ziehe«. 2. Ueber Dämmerzustände. Ein Beitrag zur Kenntniss der pathologischen 
Bewusstseinsveränderungen, von Märchen. 3. Beiträge zur psychiatrischen Klinik. Heraus¬ 
gegeben von Sommer. 

IV. Ans den Gesellschaften. Socidtd de neurologie de Paris. 

V. Vermischtes. 

VI. Personalien. 


L Origmalmittheilungen. 


1. Demonstration zur Physiologie des corticalen Sehens. 1 

Von Prof. B. Hitadg in Halle. 

Die von mir angekündigte kurze Demonstration bezieht sich auf Gesichts¬ 
felder von Hunden, die ich doppelseitig im Hinterlappen, in der von Munk 
sogenannten „Sehsphäre“ operirt habe. Dieser Demonstration will ich einige 
erklärende Worte vorausschicken. Nachdem ich schon lange vorher angegeben 
hatte, dass Exstirpationen im Hinterlappen des Hundes zu einer oontralateralen 
Seh8törung führen, hatte Munk bekanntlich eine complicirte Theorie über die 
Projection der Netzhäute auf die Rinde und das corticale Sehen überhaupt auf¬ 
gestellt Ich will im Uebrigen hierauf nicht näher eingehen und nur hervor¬ 
heben, dass nach dieser Theorie dauernde partielle Blindheit, Rindenblindheit, 
auf jeden partiellen Eingriff in das Occipitalhirn folgen soll. 

Luciani hatte ferner angegeben, dass ein Eingriff in die zweite Hemisphäre 
eine Verschlimmerung der durch einen ersten Eingriff hervorgebrachten Sehstörung 
bewirke. Indessen hat weder er noch, wie ich beiläufig bemerke, sonst Jemand 
den Decursus der Sehstörungen beschrieben und ausserdem haften den Versuchen 
Luciani’s so viele Mängel an, dass sie so gut wie unbeachtet geblieben sind. 

Die Gesichtsfelder, welche ich Ihnen herumgehe, rühren nun mit einer 
Ausnahme von solchen Hunden her, bei denen die nach einer ersten Operation 
entstandene Sehstörung vollkommen verschwunden war, als dann eine zweite partielle 
Exstirpation in der anderen Hemisphäre vorgenommen wurde. Ausserdem befinden 
sich auf einer Tafel noch die Gesichtsfelder eines Hundes, der überhaupt nur 
einer Operation unterzogen wurde. Die Ausnahme betrifft einen Hund, bei dem 
beide Operationen in einer Sitzung ausgeführt wurden. 

Betrachten Sie nun die Gesichtsfelder der ersten bezw. Einzeloperationen, 
so ergiebt sich 1. dass die Sehstörung sich in kürzerer oder längerer Zeit gänz¬ 
lich verliert, wenigstens so, dass mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln 
keine Spur von ihr mehr nachzuweisen ist; 2. dass sie sich sämmtlich insofern 


1 Vortrag, gehalten im Verein der Deutschen Irrenärzte za Manchen im April 1902. 


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gleichen, als die Sehstörung sich immer zuerst medial und unten verliert, so 
dass schliesslich nur noch ein amblyopischer Fleck lateral und oben zurückbleibt. 

Bei Weitem merkwürdiger sind die Gesichtsfelder der doppelseitigen Opera¬ 
tionen. Es würde mich viel zu weit fahren, wenn ich auf alles, was sich darüber 
sagen lässt, eingehen wollte. Ich beschränke mich auf Folgendes: 1. mit zwei 
Ausnahmen bewirkte die zweite Operation stets ein Wiederaufleben der Seh¬ 
störung des zuerst geschädigten Auges. 2. Diese Sehstörung war in mehreren 
Fällen ebenso hochgradig, ja sogar hochgradiger als die Sehstörung des nun¬ 
mehr geschädigten Auges. 8. Gelegentlich wurde beobaohtet, dass die Sehstörung 
auf dem Auge der zuletzt operirten Seite, welohes also der ersten Operation ent¬ 
sprach, nooh eine nachträgliche Verschlimmerung erfuhr, so dass sie also am 
dritten und den folgenden Tagen hochgradiger als am zweiten Tage war. 4. Solche 
Sehstörungen, wie sie nach der Lehre Münk’s zu erwarten gewesen wären, also 
oircumscripte Skotome, wurden insofern nicht beobaohtet, als diese der Haupt¬ 
sache nach den hemianopischen Charakter trugen. 5. Insbesondere verloren 
sich auch die nach doppelseitigen Exstirpationen auftretenden Sehstörungen mit 
der Zeit gänzlich. 

Wenn schon dureh früher von mir publioirte Versuche die Unhaltbarkeit 
der Lehre Münk’s erwiesen war, so wird ihr durch die eben vorgetragenen 
Thatsaohen der Boden vollends entzogen, denn diese Lehre beruht auf der 
Voraussetzung, dass jedes Retinaelement mit einem Rindenelement direct ver¬ 
bunden sei, so dass seine Function mit der Existenz des ihm zugeordneten 
Bindenelements dauernd verlöschen müsse. Wäre dies richtig, so bliebe das 
Wiederaufleben der Sehstörung auf der zuerst geschädigten Seite absolut unver¬ 
ständlich. Natürlich widerspricht das Fehlen von circumsoripten dauernden 
Skotomen, ja von dauernden Sehstörungen überhaupt, gleichfalls dieser Lehre. 
Indessen begnüge ich mich mit den gegebenen Andeutungen. 


2. Ueber acute cerebellare Ataxie. 

Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 

Vor einiger Zeit ist von mir bei Alkoholikern eine eigentümliche Störung 
der Motilität mit acutem Verlaufe beschrieben worden. 1 Das wesentlichste 
Symptom dieses Krankheitszustandes bildet eine bestimmte Störung des Gleich¬ 
gewichtes, sich äussemd in hochgradigem Hin- und Hersohwanken des Körpers, 
unsicherem an die Bewegungsweise eines Trunkenen erinnernden Ganges und 
mehr oder weniger beständigem Kopfschwindel. 

Gemäss den aus der Physiologie bekannten Thatsachen sah ich mich zu¬ 
gleich veranlasst, die Störung als acut sich entwickelnde cerebellare Ataxie auf- 


1 W. y. Bbchtkbbw, Acut sich entwickelnde Störung der Motilität bei Säufern mit den 
Kennzeichen der cerebell&ren Ataxie. Oboerenije psichiatrii. 1900. Nr. 1 (russisch) u. 
Neurolog. Centralbl. 1900. S. 884. 

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zahmen. Wenn kh das Leiden nn Zo-ammeniuut^e mit Alkofcotismus beschrieb, 
m st damit seibrtTexataadlid» nicht gesagt, dass damdbe nicht aaefa als Folge 
anderer ätiologischer Momente auftret» könnte. Jedoch morn ich, wie in 
meiner vorerwähnten Mrtthetlung. so nach g^geuwirtig betonen, dam die hier 
in Bede stehende Erkrankung wohl za unterscheiden ist gegenüber jenen tob 
Lzyhbv, C. Wsstphal, Dmux und Anderen beschriebenen Fällen gewöhn¬ 
licher acuter Ataxie, die grösstentheik im Anschlüsse an die eine oder andere 
Infeetioosfcrankheit zur Entwickelung gelangen. In beiden Fällen handelt es sieh 
am Krank beitifonn», die augenscheinlich mit einander nichtB za than haben. 
Bei der von jenen Autoren geschilderten acuten Ataxie handelt es sich um Ataxie 
einzelner Bewegungen an allen Gtiedmaaaaea, Kampf- and Kopfmaaealatar nicht 
ausgenommen, wobei die Ataxie der Arme za einer Bewegungsstörung fährt, 
die an Intentionszittern erinnert; daneben besteht seandirende and überhaupt 
hochgradig behinderte Sprache, spastische Parese der unteren Extremi¬ 
täten u. s. w. 

Hingegen in meinen Fallen handelt es sich am eine acut emaetzende 
Störung der Motilität mit des Charakteren cerebeDarer Ataxie. Nach einem 
Koma oder nach einem gewöhnlichen Schlafe, hasst es hierüber in meiner obigen 
Schrift, nimmt in solchen Fällen der Kranke zu seinem Erstaunen wahr, das 
er entweder überhaupt unfähig ist za gehen oder nur mühevoll sich auf den 
Beinen zu halt» vermag, und zwar in Folge mehr oder weniger lebhaft» Hin- 
und Herschwankens. Der Kranke erinnert dabei in sein» Bewegungen an 
ein» schwer Betrunkenen. Im Ganzen ist die Alteration der Motilität gekenn¬ 
zeichnet durch hochgradige Störung des Körpergleichgewichtes; subjectiv besteht 
das Gefühl von Schwindel, Schwere im Kopfe, manchmal Uobelkeit, die selbst 
zu Erbrechen führen kann. Diese Allgememsymptome lassen mit der Zeit nach, 
aber die Störung der Motilität bleibt grösstentbeOs längere Zeit fortbesteh». 
Sie änssert sich in seitlichem Hin- und Herschwank» des Körpers, auch im 
Stehen, bei geschlossenen sowohl, wie bei offenen Augen. Versucht da Kranke 
zu geben, so wird das Schwanken häufig noch um vieles lebhafter. Bei Kinzel- 
bewegungen dagegen treten keine offenbaren Anzeichen von Ataxie aut An 
den Augen besteht Nystagmus, die Sprache aber erscheint meistentheils mtact 
Lähmung» oder Sensibilitätsstörang» sind nicht vorhanden, die Patellar- 
reflexe erhalt» oder nur leicht erhöht. 

Aus dieser Aufzählung der Symptome erhellt nun, dass zwischen dieser 
Erkrankungsform und der gewöhnlichen acuten Ataxie ein wesentlicher Unter¬ 
schied obwaltet Erstere habe ich in Folge dessen als acute cerebellare Ataxie 
bezeichnet nnd auf ihre Sonderstellung gleich von vornherein in meiner Arbeit 
Gewicht gelegt 

Unlängst hat Dr. Schnitzes 1 einen Fall von Cerebellarataxie acuten 
Ursprungs beschrieb», der ganz an d» meinigen erinnert Leider betont er 
in seiner Arbeit nicht den Unterschied zwischen gewöhnlicher acuter und oere- 

1 Woproasj nerwno-paioh. medizinj. 1901. (Ranbeh.) 


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bellarer Ataxie und erörtert die Litteratur beider Krankheitsformen gemein¬ 
schaftlich. 1 

In dem erwähnten Falle von Dr. Schnitzer handelt es sich „um einen 
Kranken, der sich beklagte über allgemeine Zerschlagenheit, Anfälle von Schwindel 
bei jedem Bewegungsversuche und Störung des Körpergleichgewichtes, in der Weise 
sich äussernd, dass der Kranke beim Gehen wie ein Trunkener hin- und her¬ 
schwankt, wobei er die Empfindung hat, als störe ihn irgend eine unsichtbare 
Kraft bald nach der einen, bald nach der anderen Seite (zumeist nach links), 
so dass er sehr oft gezwungen ist, sich an irgend einen Gegenstand zu klammern, 
um nicht zu stürzen.“ Der Patient stammt aus neuropathisch veranlagter 
Familie, hatte in seinem 30. Jahre Lues, stellt Alkoholgebrauoh und Mastur¬ 
bation in Abrede. Die Krankheit entwickelte sich angeblich im Anschluss an 
den Genuss einer Fischspeise zweifelhafter Güte, welche Magenstörungen und 
unter anderem auoh Erbrechen hervorrief. Einige Ausspülungen mittels der 
Sonde hatten dem Kranken Erleichterung verschafft. Erscheinungen von cere- 
bellarer Ataxie waren dabei • nicht aufgetreten. Solche zeigten sich erst am 
6. oder 7. Tage nach jenem Ereignisse. „Zu seinem Erstaunen bemerkte der 
Kranke plötzlich, dass er wegen seitlichen Hin- und Herschwankens beim Gehen 
nur mühsam sich aufrecht erhalten konnte. Zugleich hatte er bei jeder Be¬ 
wegung Anfälle von Schwindel, so dass er ohne fremde Beihülfe in der ersten 
Zeit nicht einen einzigen Schritt wagen durfte.“ 

Alle diese Symptome hielten bei dem Kranken durch zwei Wochen an, 
begannen sodann allmählioh nachzulassen und verschwanden zuletzt vollständig. 

Nach Ansicht des Verf.’s handelt es sich im vorliegenden Falle um eine 
acute Ataxie, „im Anschlüsse an einen acuten Magencatarrh, höchstwahrschein¬ 
lich bedingt duroh Intoxication des Körpers mit Gährungsproducten der 
Jngesta.“ 

Eine Vergleichung der Krankheitsbilder in dem SoHNrrzER’schen Falle mit 
dem Bilde der von mir mitgetheilten Fälle lässt, wie ich glaube, keinen Zweifel 
übrig, dass es sich in seinem Falle um die nämliche Erkrankungsform handelt, 
die schon von mir beschrieben wurde. Jedoch bestand in dem ScHNiTZEß’schen 
Falle kein Alkoholismus, wie in meinen Fällen, sondern bestand hereditäre Be¬ 
lastung und Lues, während der unmittelbare Anstoss zum Auftreten einer acuten 
Cerebellarataxie gegeben wurde durch Fischvergiftung und die im Anschlüsse 
daran aufgetretenen, mit mehrfachem Erbrechen verbundenen Störungen. Ob 
in diesem Falle Vergiftung durch faulige Zerfallsproducte unmittelbare Ver¬ 
anlassung der Krankheit war, wie Verf. selbst annimmt, oder ob gar Erbreohen 
hier direct zur Bildung eines Blutextravasates im Cerebellum hat führen 
können, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Jedenfalls aber wird man dem 


1 Ans einer schriftlichen Mittheilong des Verf.’s ersehe ich, dass derselbe seinen Fall 
ursprünglich unter der Beseichnnng „acute cerebrale Ataxie“ aufgeführt wissen wollte; 
die Bezeichnung ab „cerebellare“ Ataxie ist sp&ter durch dritte Hand bei der Drucklegung 
veranlasst worden. Dies best&rkt mich darin, dass der Verf. auch seinen eigenen Fall nicht 
ganz gegenüber der gewöhnlichen Ataxie der Autoren abgrenzt 


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Angeführten zufolge zugeben dürfen, dass die von mir beschriebene acute 
Cerebellarataxie nicht allein auf dem Boden von chronischem Alkoholismus, 
sondern auch unter anderen Verhältnissen zur Entwickelung kommen kann. 
Da Grund vorhanden ist zu der Annahme, dass vorliegende Krankheitsform 
auf einer acuten Affeotion des Kleinhirns, höchstwahrscheinlich vasculären 
Ursprunges beruht, so wird diese Erkrankung sich augenscheinlich entwickeln 
können bei Zugegensein aller jener Ursachen und Momente, welche dem Auf¬ 
treten von Gefassaffectionen im Cerebellum in Gestalt von Blutaustritten, Throm¬ 
bosen u. s. w. Vorschub leisten. 


[Aub der psychiatrischen Klinik zu Strassbnrg (Prof. Dr. Pöbstwssu)] 

3. Fehlen der Kniesehnenreflexe 
bei dorsaler Compressionsmyelitis mit Degeneration der 
hinteren Wurzeln im Lendenmark. 

Von M. Bartels, 

Assistenzarzt der Klinik. 

Hin und her wogt der Streit, wie das Verhalten der Kniesehnenreflexe bei 
Querschnittsverletzungen des Rückenmarkes zu erklären sei. In neuester Zeit 
tritt Nonne 1 an der Hand der Litteratur und auf Grund von vier eigenen 
Fällen der Ansicht derer bei, welche „die Ursache für das Verschwinden der 
Sehnenreflexe nach einer Querschnittsläsion im Rückenmark oberhalb des spinalen 
Reflexbogens in einer Lostrennung des Einflusses der höheren (Gehirn-) von den 
unteren (Rückenmark-) Centren sehen“. Gegen diese BASTiAN’sche, von Bbuns 
unterstützte Theorie wenden sich in jüngster Zeit zwei Arbeiten (vergl. die Nach¬ 
schrift), von denen die Beobachtung von Bbaüeb 2 grundlegende Bedeutung be¬ 
sitzt Das ältere Material haben Nonne und Bbasgh 9 ausführlich bearbeitet, 
und es sei hier darauf verwiesen. 

Während die bisher mitgetheilten Fälle, in denen bei völliger Querlfiaion 
die Sehnenreflexe erhalten waren, von den Anhängern obiger Theorie als nicht 
stichhaltig erklärt wurden, so ist bei dem Fall Bbaubb’s ein Zweifel wohl nicht 
möglich. Hier waren die Sehnenreflexe bis zum Tode vorhanden, ja gesteigert, 
trotzdem das Rückenmark im Dorsaltheil auf eine Strecke von 1 1 J i cm fehlte 
und auch mikroskopisch in dem verbindenden Rest der Häute nichts von 
Nervenfasern nachzuweisen war. Bbaubb zieht zur Erklärung seines Falles 
Thierexperimente heran und erklärt die Anschauung für nicht haltbar, dass das 
Reflexcentrum in der absteigenden Thierreihe eine grössere Selbständigkeit be¬ 
sitze, und dass somit Thierexperimente nichts beweisen könnten. Der Autor 


1 Archiv f. Psyoh. 1900. XXXIII. 8.898. 

* Deutsche Zcitschr. f. Nerveuheilk. 1900. XVUL 8. 884. 

* Fortschr. der Medicin. 1900. XVIII. 8. 191. 


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erinnert weiter an den Einfluss, den die Höhe der Läsion bei den Experimenten 
darauf besitzt, ob die Reflexe erlösohen oder erhalten bleiben. Er kommt wieder 
auf die STBRNBBRG’sche Theorie der reflexhemmenden Wirkung höherer Rücken- 
marbscentren zurück. Möglicherweise sei das Schwanken des Verhaltens der 
Reflexe auch durch Druokschwanknngen unterhalb der Läsion za erklären. Jeden¬ 
falls beweist dieser Fall, dass das Fehlen des Einflusses höherer Centren nicht 
Reflexverlust bedingt. 

Eine andere Anschauung vertritt Bälint . 1 Dieser Autor kommt auf Grund 
seiner Beobachtung bei Durchsicht der Litteratur zu der Ueberzeugung, dass eine 
directeLäsion der Reflexbahnen, die er auch in seinem Falle constatirte, bei fehlenden 
Reflexen angenommen werden müsste. Doch glaubt er nicht, dass diese Schädigung 
allein genügt, sondern zugleich soll eine Trennung der Nervenzellen von cere- 
bellaren centrifogalen Bahnen den Tonus der Nervenzellen und Muskeln ver¬ 
mindern und dadurch ungünstig den Ablauf der Reflexfunctionen beeinflussen. 
Den Beweis für letztere Annahme entnimmt Bälint den experimentellen Klein¬ 
hirnexstirpationen, doch erscheint er absolut noch nicht sichergestellt. Der 
Autor erklärt sämmtliohe Fälle, in denen das Fehlen der Reflexe durch völlige 
Querläsiou erklärt war, für nicht einwandsfrei. Entweder sei der Reflexbogen 
nicht genügend untersucht worden, oder er habe dooh Veränderungen gezeigt 
oder drittens etwaige Veränderungen seien wegen der Kürze der Krankheitsdauer 
nicht nachweisbar gewesen. Die Kritik, welohe Bälint an den Fällen der 
'Litteratur ausübt, bedarf aber zum mindesten bei Hoohb’s Fällen der Revision. 
Bälint führt allerdings bei den Fällen des letztgenannten Autors das Fehlen 
auf eine „Shok“wirkung (20 Tage!) zurück, erklärt aber Hoohb’s Behauptung, 
der Reflexbogen sei intact gewesen, für unbegründet. Bälint schreibt, „im 
mikroskopischen Befund sei vom Lendenmark nur soviel erwähnt, dass das 
Lendenmark auf Weigert 'sehen Präparaten ein ganz normales Bild bietet“. 
Das ist ein Irrthum, wohl ist letzteres erwähnt, aber der Schwerpunkt der 
HocHE’schen Arbeit liegt in den Ergebnissen der MAnem-Methode, die in allen 
Höhen angewandt wurde. Bälint hätte sich auf den beigegebenen Doppeltafeln 
leicht darüber orientiren können, welche Veränderungen in sämmtlichen Lumbal¬ 
segmenten nach Marohi vorhanden waren. Dies nur zur Richtigstellung. 

Uebrigens erklärt Bruns es schon für wahrscheinlich, dass bei unvoll¬ 
ständigen Querläsionen mit fehlenden Reflexen Veränderungen im Reflexbogen 
zu erwarten seien. Zuerst erwähnt solche ausdrüoklioh Eggers, nämlich ein¬ 
seitig geringere Ganglienzellenzahl; Francotte, Leyden, Marinesoo fanden 
Erkrankungen der Vorderhomganglienzellen; Bischöfe Degeneration der hinteren 
Wurzeln, Oppenheim - Sibmbrunq in den Nervenstämmen, hauptsächlich im 
Cruralis. In neuester Zeit constatirte Brasoh, auf den wir noch zurückkommen, 
Veränderungen der Zellen des Vorderhoms und der CLARKE’schen Säulen sowie 
im intramedullären Theil der vorderen Wurzeln (nach Marohi) und der Nn. cru- 
rales. In Bälint’s schon erwähntem Fall bestand Degeneration der hinteren 


1 Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1901. S. 414. 


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und vorderen Wurzeln, bei Mabchi- und WisiGERT-Methode nachweisbar. Der 
Fall dieses letzten Autors ist eigentlich den obigen nicht gleichzustellen, da es 
sich hier um eine luetische Myelitis mit entzündlicher Veränderung der Pia 
handelt 

Bei der geringen Zahl der Mittheilungen über Veränderungen im Reflex¬ 
bogen scheint es angebracht, unsere Beobachtung hinzuzufügen. 

Anamnese nnd Krankengeschichte (abgekürzt). 

M., 30 Jahre alt, Lederarbeiter. Keine hereditäre Belastung, keine Lues. 
Im August und September 1900 weilte Patient in einer Lungenheilstätte wegen 
beginnender Tuberculose der linken Lungenspitze und linksseitiger Pleuritis; er 
wurde als arbeitsfähig entlassen. Mitte Januar 1901 bemerkte Patient Schmerzen 
und eine Anschwellung unter dem linken Schulterblatt, zugleich Schmerzen im 
„Rückgrat“ beim Bücken. Vom 24./I. bis 9./IL 1901 wurde er in der chirur¬ 
gischen Klinik in Strassburg behandelt unter der Diagnose: „Senkungsabscess am 
Thorax in der Höhe des 6.—9. Brustwirbels; Mal um Potii.“ Der Abscess wurde 
zwei Mal punctirt mit nachfolgender Jodoformölinjection, am 9./II. entliess man 
den Patienten zur ambulatorischen Weiterbehandlung. Am 4./IIL 1901 wurde er 
wieder in die chirurgische Klinik aufgenommen; am 5./IIL dritte Punction; am 
13./UL 1901 vierte Punction. Patient klagt über heftige Schmerzen in den 
Beinen, die ihn an Bewegungen hindern. Am 14./IIL wird hochgradige Schwäche 
beider Beine (Patient konnte bis dahin gehen), Schmerzen vom Knie an abwärts, 
Herabsetzung der Sensibilität bis zur Nabelhöhe und Steigerung der Patellar- 
reflexe festgestellt; zugleich besteht Retentio urinae. Die Motilität nimmt rapide 
ab, Blasen- (Detrusor) und Mastdarmlähmung besteht. 

Am 18./DI. 1901 wird der Patient auf die neurologische Abtheilung der 
psychiatrischen Klinik verlegt. 

Status: Patient ist etwas anaemisch und mager. Ueber der linken Lungen¬ 
spitze hört man bronchiales Athmen und Rasselgeräusche. Puls beschleunigt. 
Temperatur 38,0°, Athmung mühsam und schmerzhaft. Die Bauchdecken sind 
schlaff und durch die luftgefüllten Därme vorgewölbt. Starkes Oedem beider 
Beine vor allem in der Gegend der Fussknöchel. Röthung der Haut an beiden 
Fersen und über beiden Gesäasbacken. 

Die 6.—8. Brustwirbeldornfortsätze sind auf Druck empfindlich, es besteht 
aber kein Gibbus. Links von der Wirbelsäule unterhalb des linken Schulter¬ 
blattes ein fluctuirender Abscess. 

Schlaffe, totale Lähmung der Bauchpresse und der unteren Extremitäten, 
nioht die geringste Bewegung kann ausgeführt werden, Aufrichten, Drehen und 
Wenden aus der Rückenlage ist unmöglich. Mastdarm- und Blasen (Detrusor)- 
lähmung, der Urin muss mit dem Katheter geholt werden, er ist frei von Eiweiss 
und Zucker. 

Die Patellarsehnenreflexe fehlen vollkommen. Fussklonus nicht 
vorhanden. Oberer und unterer Bauchreflex, sowie Cremasterreflex sind nicht zu 
erhalten. Oberflächliche Berührung der Fusssohle löst keinen Reflex aus, auf tiefe 
Stiche erfolgt stets Dorsalflexion der grossen Zehe. 

Sensibilität: Subjectiv: Reissende Schmerzen in beiden Beinen, in der Gegend 
des Proc. xyphoides (Hervortreibung der Bauchdecken oder Gürtelgefühl?). 

Objectiv: Lagegefühl der unteren Extremitäten fehlt vollkommen. Tast- 
und Temperaturempfindung völlig erloschen, vorn bis zur Höhe des Proc. xyphoides, 
hinten bis zur Höhe des 6. Brustwirbeldornfortsatzes, ln demselben Gebiet auch 
Analgesie, jedooh lösen in der Fusssohle und an den Zehen tiefste Stiche zeit¬ 
weise eine brennende Nackenempfindung aus, auch besteht daselbst Summation. 


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Patient fühlt die Einführung des Katheters nicht, aber die Ueberwindung des 
Sphincter veeicae. 

Die Schweisssecretion an den unteren Extremitäten fehlt. 

Der Zustand blieb im Wesentlichen derselbe. Es besserte sich die Lähmung 
der .Bauchdecken. Die Grenze der erhaltenen Sohmerzsensibilität ging in den 
nächsten 8 Tagen an der linken Seite vorn bis zum unteren Rande der 9. Rippe 
herab, ohne seitlich die Mittellinie ganz zu erreichen, hinten links bis zum dritten 
Lendenwirbeldornfortsatz. In der Folgezeit, bis Mitte April, wurden am rechten 
Bein zeitlich und local wechselnd vereinzelte tiefe Stiche empfunden; von Mitte 
April nicht mehr. Zeitweilig bestand Ischuria paradoxe. Von Ende April ab 
trat eitrige Cystitis ein, daneben reichliches eitriges Sputum. Patient hatte kein 
Gefühl, ob Stuhlgang abging oder nicht, aber der Sphincter ani funotionirte bis 
zuletzt, wenn auch schwächer, und stets konnte reflectorisch durch Einführung 
von Watte tampons regelmässig Stuhlgang erzeugt werden. 

Die Patellarsehnenreflexe wurden täglich untersucht und fehlten 
bis zum Tode. 

Das Verhalten der Hautreflexe blieb dasselbe, nur war der BÄBnraxi’sohe 
Reflex links ständig stärker wie rechts. In den letzten Wochen löst selbst 
leiseste Berührung der Füsse eine starke Zuckung im ganzen Bein aus. Vom 
Ende März an setzten sehr heftige, schmerzhafte Spontancontractionen der unteren 
Extremitäten ein. 

Der Puls war ständig beschleunigt bei intermittirendem Fieber. Augenhinter¬ 
grund bis zum Tode intact. Der Patient erlag der Cystitis im Verein mit dem 
in den letzten Wochen sich ausbildenden Druckbrand bei enormer Abmagerung 
und Anämie am 21./VII. 1901. 

An Medicamenten hatte Patient wechselnd Salipyrin, später Urotropin und 
Tinctura opii (gegen die Schmerzen) bekommen. 

Auf Grund des Status und der Anamnese war die Diagnose Compressions- 
myelitis in der Höhe des 5. Dorsalsegments selbstverständlich, es wurde eine fast 
völlige Querachnittsläsion angenommen, da bei schlaffer Lähmung die Reflexe 
fehlten, Patient aber noch Schmerzen in den Beinen verspürte, sowohl bei Con- 
tractionen wie bei Stichen. 

Aus dem Sectionsprotoooll (Profi Dr. Schmidt): 

An der Hinterfläche der Dura mater spinalis in der Höhe des 4. und 6. Brust¬ 
wirbels eine 6 cm lange und 1 cm sich erhebende Auflagerung, bestehend aus 
käsigem, brüchigem Granulationsgewebe, dieselbe reicht auf die linke Seite hin¬ 
über, nicht aber nach rechts, vielmehr ist rechts nur an die Austrittsstelle der 

4. Brustnervenwurzel ein kleines käsiges Polster aufgelagert. Das Ligamentum 
longit. post, ist continuirlich vorhanden, an dem rechten Rand tritt in der Höhe 
der 4. Brustnervenwurzel käsige Substanz hervor, welche mit der Auflagerung 
der Dura in Verbindung steht, und unter dieser Stelle liegt der Knochen des 

5. Brustwirbelbogens etwas rauh zu Tage und zwar mit einer rundlichen Partie 
von etwa 1 cm Durchmesser. Im Bereich der Auflagerung ist die Dura mit den 
weichen Häuten durch lockerea Bindegewebe verbunden, aber nur an der Hinter¬ 
flache. Das Rückenmark selbst ist kaum versohmälert unter der Auflagerung und 
etwas platt, aber nicht weich. Auf allen Querschnitten durch das Halsmark er¬ 
scheinen die GoLL’schen Stränge auffallend stark weise und undurchsichtig im 
Gegensatz zu der übrigen weissen Substanz, welche die normale Farbe und Trans¬ 
parenz besitzt. Unterhalb der Auflagerung ist auf den Querschnitten nichts von 
besonderen Färbungen, speciel in den Seitensträngen, zu finden. 

Die Himsection ist ohne pathologischen Befund. 

An den übrigen Organen ist abgesehen vom Decubitus chronische tuberculöse 


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Pericarditis adhaesiva, Pleuritis tuberc. sinistra, miliare Tuberkel in beiden Lungen 
und frische Bronchopneumonie rechts notirt. 

Das Rückenmark und der Hirnstamm wurden in Müller 'scher Flüssigkeit 
gehärtet. 

Nach der Härtung makroskopisch: Auf Schnitten oberhalb der Höhe .der 
epiduralen Auflagerungen vom 4. Dorsalsegment an aufwärts heben sich deutlich 
die hellen Stellen der Gou/schen Stränge, der Kleinhirnseitenstrangbahn und des 
GowERs’sohen Bündels ab. Nach unten vom 6. Dorsalsegment an abwärts deut¬ 
liche Degeneration der rechten Pyramidenvorder- und Pyramidenseitenstrangbahn, 
schwach auch links. 

Auf Schnitten durch das untere Ende des 4. Dorsalsegmentes ist keinerlei 
Zeichnung der grauen Substanz mehr zu erkennen, die Substanz ist im Gegensatz 
zum übrigen Rückenmark brüchig und zerbröckelt leicht beim Schneiden, dann 
folgt ein Stück des 5. Dorsalsegmentes, das verschwommen die Zeichnung erkennen 
lässt. Es heben sich hell die GoLL’schen Stränge, die Stelle der rechten Pyramiden¬ 
vorder- und Pyramidenseitenstrangbahn ab, daneben sind noch fleckweise hellere 
Stellen in der weissen Substanz zerstreut, ohne dass andere Bahnen sich deutlich 
abgrenzten. Das unterste Ende des 5. Dorsalsegmentes lässt wiederum keine 
Zeichnung mehr erkennen und die Substanz ist brüchig. Vom Beginn des 
7. Dorsalsegmentes an ist die Consistenz wieder normal und die graue Substanz 
deutlich sichtbar. 

Bemerkenswerth mt nun, dass an der oberen Stelle der stärksten Rücken- 
marksveränderung in der Höhe des unteren Endes des 4. Dorsalsegmentes die 
epidurale Auflagerung am schwächsten ist, ungefähr 1 / J cm weniger breit wie 
mehr nach unten zu, an der unteren Compressionsstelle (Ende des 6. Dorsal¬ 
segmentes) ist die Auflagerung am stärksten. Es wurden Stücke aus allen Höhen 
des Rückenmarkes mikroskopisch nach Mabchi untersucht; zugleich auch von 
verschiedenen Stellen oberhalb und unterhalb der Compression, sowie von letzterer 
selbst Schnitte nach Weigbbt’s Harksoheidenfärbung und nach van Gieson be¬ 
handelt. An den Compressionsstellen sind bei MARCHi-Schnitten nur wenig ge¬ 
schwärzte Fasern diffus vertheilt nachweisbar. Weigert- und van GiBSON-Schnitte 
zeigen dann, dass die Fasern fast sämmtlich atrophirt und verschwunden sind, 
nur vereinzelt sind normale Faserdurchschnitte zu erkennen. Die Grenzen der 
grauen und weissen Substanz sind verschwunden, Reste des Vorderhomzellkörpers 
liegen in gliösen und bindegewebigen Wucherungen. Im Uebrigen bietet sich 
betreffs Körnchenkugeln und Gefasse das häufig beschriebene Bild. Erwähnt sei 
nur noch, dass sich an der oberen Compressionsstelle, und nur an dieser, sonst 
nirgends im Rückenmark ein bis sechsfacher Centralcanal findet, dessen Cylinder- 
zellen auf van GiESON-Schnitten deutliche Röhrenquerschnitte bilden. 

Combinirt man die Resultate der Marchi- und WaiGBBT-Sohnitte, so ergiebt 
sich eine fast totale Querläsion, wobei allerdings einige anatomisch intacte Fasern 
erhalten sind. 

Nach oben und unten finden sich die schon makroskopisch nach der Härtung 
sichtbaren Degenerationen. Makroskopisch war die Degeneration der linken 
Pyramidenbahn schon nur schwach zu sehen, mikroskopisch ist weder bei Weigert 
noch bei Marchi eine stärkere Degeneration nachweisbar, die Bahn erweist sioh 
somit als grösstentheils intact. Ueber die Resultate, welche die Verfolgung der 
Degenerationen ergab, boffe ich in einer anderen Arbeit berichten zu können. 
Hier interessirt nur folgender Befund: 

Vom 2. Lumbalsegment an abwärts bis in die Höhe des mittleren 
Sacralmarkes zeigte sich auf MABOHi-Präparaten eine Degeneration der 
hinteren Wurzeln. Die Degeneration war am stärksten in der Höhe des 
3. und 4. Lumbalsegmentes. Eine Degeneration wurde nur dann angenommen, 


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•b ach nach **f T iaprfcnitt« Am Fmhi ab a tf m rirt in ütm Vertatf mk 4* 
weisen tieenen. 

Die Schwärzung war hsnpttächlkh anf «ne harne Strecke inüwmedullir von 
der pinlen Einpchnürongsetell* an za atbe-n. «traaKviu'.'ir gjumicht oder nur eine 
sehr kurze Strecke and peripbenrärts waren die Wurzeln gjuxzlich frei. Es er* 
gaben sieb ähnli che Bilder, wie Hochs 1 säe bei Degeneration der hinteren Wurzeln 
durch Hin *—bw abgebildet hat. Kur war in averan Falk* die Degeneration 
schon weiter vorgeschritten and ergab nicht so schöne Befunde. Auf den Länge* 
schnitten lassen sich einzelne Fasan bis weit in das Rückenmark verfolgen, doch 
ist nirgends eine deutliche Th ei lang sichtbar, da die Continuität oft unterbrochen 
ist Wohl sieht man hier und da bogenförmige Fasern, welche als Reste der 
Fasern and der Tbeilang aafzafnssen sind. 

Auf Querschnitten ist bezüglich des weiteren Verlaufs der degenerirten Fasern 
kein sicherer Aufschluss za gewinnen. Einzelne Fasern scheinen die Substantia 
RolaiMÜ zu durchsetaen, einzelne direct in den hinteren Winkel des Hinterhorne 
einzutreten, die Mehrzahl strebt augenscheinlich an dem hinteren Winkel vorbei 
der CLAUs’sehen Säule zu. 

Auf Wmentr’s Schnitten färben sich die Fasern sehr gut in den hinteren 
Wurzeln, hier und da fallen Löcher ohne Substanz auf, in denen bei vjlk Gibbon 
vereinzelt matte Axencylinderreete liegen oder Rundsellen. Im Ganzen ist dis 
Degeneration aber bei den letzten beiden Methoden nicht nachweisbar, die Löcher 
wären eventuell auf Schrumpfringsvorgänge beim Kurten zurückzuführen. ln den 
Hintersträngen sind weder nach oben noch nach unten systematisch Degenerationen, 
ausgehend von der Degeneration der hinteren Wurzeln naohsuweisen. Schwarze 
Punkte finden sich diffus in denselben vertheilt, vielleicht nach oben mehr in der 
Nähe der Mitte der Fissura posterior, nach unten (abgesehen vom ovalen Feld) 
mehr seitlich vom Winkel des Hinterhorns. An den vorderen Wurzeln, an den 
Zellen der Vorderhörner und der CLABKx’schen Säule war mit den angewandten 
Methoden nichts Pathologisches naohsuweisen. NissL-Färbung war in Folge dor 
Härtung und späteren Section nicht möglioh. 

Rückenmarkshänte: Die epiduralen Auflagerungen bestehen aus käsiger 
Substanz von Zellanhäufungen umgeben, in denen sich zahlreiche Riessnaellen 
finden. Die Gefässe sind infiltrirt, theilweise endarteriitisoh obliteriirt. Die ent* 
zündliche Infiltratation, welche sich an der Aussenseite der Dura unter den Auf* 
lagerungen findet, ist nirgends an der Innenseite zu entdecken. An der Stolle 
der Compres8ion im Dorsalmark ist die Araohnoidea und Pia etwas verdiokt, die 
Lymphrätune zeigen geringe endotheliale Wucherungen, die Gefässwände sind 
verdickt. 

Die Pia mater erweist sich am ganzen übrigen Rückenmark intaot und zeigt 
speciell in der Gegend der hinteren Wurzeln im Lendenmark keine Veränderungen. 

Es handelt sich also in unserem Falle um eine mindestens 4 Monate alte 
Drucklähmung in der Höhe des ö. Dorsalsegmentes. Die Reflexe, welche an¬ 
fangs gesteigert waren, erloschen völlig mit dem Eintritt der schlaffen Lähmung 
und blieben aus bis zum Tode. Der Querschnitt des Rückenmarkes ist ana* 
tomisoh nicht vollständig lädirt, da noch einzelne Fasern nachweisbar waren 
und zndem die linke Pyramidenbahn nicht ganz degenerirt war. Auch funotionell 
war die Läsion wahrscheinlich nicht vollständig, da durch die Faserreste noch 
die Schmerzen in den Beinen anf Stiche dem Bewusstsein des Patienten ver- 


1 Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1897. 8. 424. 


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mittelt wurden. Dagegen findet sich nach Mabchi im Lumbalmark, am stärksten 
im 3. und 4. Segment eine Degeneration aller hinteren Wurzeln, hauptsächlich 
in ihrem intramedullären Theil. Bedingt könnte diese Degeneration durch ver¬ 
schiedene Ursachen sein. Auszuschliessen ist wohl zuerst eine allgemeine Ver¬ 
giftung des Organismus, welche, wie etwa bei Pellagra, Diphtherie, Bleiintoxi- 
cation u. s. w. Degeneration der hinteren Wurzeln herbeiführen kann. 

Bei Allgemeintuberculose sind neuerdings mit Mabchi nachweisbare Ver¬ 
änderungen beschrieben worden. So schildert Beckeb 1 bei 2 Fällen einmal 
die hinteren und einmal die vorderen Wurzeln degenerirt. Doch kann es sich 
im Allgemeinen bei diesem Autor, seinen Abbildungen und Beschreibungen nach, 
nicht um allzu erhebliche Veränderungen handeln. Beckeb erwähnt als Befund 
z. B. an einer Stelle „eine Faser degenerirt“ oder „in einem Präparate in der 
Axe der Taille vier schwarze Punkte hintereinander.“ Diese Befunde sind ja für 
die Thatsache, wie vielerlei man mit der MABCHi-Methode bei anscheinend 
normalem Rückenmark finden kann, sehr interessant, ob sie klinisch in Betracht 
kommen und vor Allem, ob man damit die mechanische Theorie, wie Bhckkb 
will, bei Seite drängen kann, ist eine andere Frage. loh habe ähnliche Befände, 
welche ioh an vielen Schnitten in den verschiedensten Höhen erheben konnte, 
aber gar nicht erwähnt oder in Betracht gezogen. Es nimmt ja gewiss nicht 
Wunder, wenn mau bei einem marastischen, an hochgradiger Tuberculose ge¬ 
storbenem Individuum auch geringfügige Zeichen der Erkrankung im Central¬ 
nervensystem findet, wo ja alle übrigen Organe sichtbar gelitten haben. 

Ferner hat Ransohoff in neuester Zeit an 13 Tuberculösen (Idioten) das 
Rückenmark nach Mabchi untersucht. Dieser Autor hat sehr merkwürdige 
Befunde erhoben, so ganze degenerirte Systeme. Unter den 13 Fällen jedoch 
sind nur zweimal die hinteren Wurzeln des Lendenmarkes, worauf es uns hier 
ankommt, mit Schollen durchsetzt geschildert Ransohoff selbst betont aber 
ausdrücklich, dass er die Befunde bezüglich der Patellarsehnenreflexe nicht ver¬ 
wenden will. 

In unserem Falle war zur Zeit, als die Reflexe schon fehlten, von einer 
ausgedehnten Tuberculose nicht die Rede, auf allen Lungen war kaum etwas 
nachweisbar. Selbst bei der Section war die Tuberculose nur gering zu finden. 
Es könnte somit Allgemeintuberculose nur schwer als ätiologischer Factor für 
die Degeneration in unserem Falle herangezogen werden, ausserdem war die 
letztere stärker als in den bisher beschriebenen Fällen von Tuberculose. 

Anämie, Marasmus, Decubitus, die Bisghoff hierfür verantwortlich machen 
will, traten erst später ein, als die Schädigung der Wurzeln klinisch schon längst 
sich kundgegeben hatte durch Fehlen der Reflexe. An Toxine zu denken, 
welche im Wirbelcanal durch den tuberculösen Herd entstanden wären, erscheint 
uns gezwungen. Denn eine Entzündung war an der Innenseite der Dura 
nirgends vorhanden, die Dura und die Pia waren intact Weshalb sollten denn 
gerade die Wurzeln des Lendenmarkes noch dazu in ihrem intramedullären 


1 Archiv f. Psjch. 1902. XXXV. 8.492. 


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Theil darunter leiden? Müssen wir somit eine Vergiftung in unserem Falle 
ausschliessen, so bleibt noch eine mechanische (Kompression, wie sie neuerdings 
auch bei Hirntumoren als ursächliches Moment für die gleichartige Erkrankung 
der Wurzeln herangezogen wird. Die Compression könnte durch überfüllte 
Venen herbeigeführt werden oder durch Drucksteigerung der Spinalflüssigkeit 
oder durch beides. Die Drucksteigerung könnte durch Verlegung der Lymph- 
und Gefässbahnen an der dorsalen Compressionsstelle hervorgerufen sein, zu¬ 
gleich könnte aber noch eine speoielle Lähmung der Vasomotoren des Lenden¬ 
markes durch den Herd den Druck in dieser Gegend steigen lassen. Spinale 
Gefassoentren sind physiologisch ja bekannt Vielleicht ist der Einfluss der 
Segmenthöhe der Läsion bei Thierexperimenten auf das Fehlen oder Erhalten¬ 
bleiben der Reflexe so zu erklären. Man könnte sich denken, dass in bestimmten 
Segmenten die Innervation der Gefasse des Lendenmarkes localisirt sei. Thier¬ 
experimente mit nachfolgender Untersuchung des Reflexbogens würden darüber 
Aufschluss geben. Erfahrungsgemäss ist aber das Lendenmark und seine hin¬ 
teren Wurzeln bei hohem Liquordruck zu Läsionen disponirt, wie die Beob¬ 
achtungen bei Hirntumoren gezeigt haben. Dabei spielt der Rbdligh-Obhr- 
8TBmxB’8che Pia ring eine Rolle und weist auf das Mechanische der Läsion hin. 

Auch in unserem Falle ist die Degeneration augenscheinlich von hier aus 
medullarwärts ausgegangen. Ich glaube also, kurz gesagt, die Läsion der hin¬ 
teren Wurzeln auf das mechanische Moment der Stauung zurückführen zu 
müssen. Es ergäbe sich daraus vielleicht praktisch klinisch die Anregung, bei 
frischer, nachweisbar unvollständiger Compressionsmyelitis mit fehlenden Fatellar- 
sehnenreflexen einmal die Lumbalpunction zu machen. 

Die Erklärung, welche Brasch von seinen Degenerationen im Reflexbogen 
giebt, ist doch ausserordentlich hypothetisch. Die Vorderhornzellen und die 
yorderen Wurzeln sollen degenerirt sein durch den Wegfall des Tonus, den das 
corticospinale Neuron auf das secundäre motorische Neuron ausübt. Brasch 
fand auch eine Degeneration im Nervus oruralis und dass der Fortfall des obigen 
Tonus eine Degeneration des N. cruralis herbeiführen könnte, wird man erst, 
wenn einfachere Erklärungen absolut nicht ausreichen, annehmen können. — 
Die Läsion setzte in unserem Falle früh ein, jedenfalls weisen die reissenden 
Schmerzen in den Beinen (wie bei Tabetikern), die der Patient im Beginn ver¬ 
spürte, darauf hin. Der „Shok“ würde in unserem Falle in einer Compression 
der Wurzeln bestanden haben, die functionellen Ausfall der Reflexe verursachte, 
ohne dass in der ersten Zeit vielleicht mit unseren Methoden etwas nachweisbar 
gewesen wäre. Denn die ShokWirkung, auf die man etwa das Fehlen der Re¬ 
flexe sofort nach der Enthauptung schieben könnte, auf 20 Tage, wie Bälint 
es thut, auszudehnen, ist kaum angängig. Später war die Degeneration in 
unserem Falle nur mit March i nachweisbar, während die auf- und absteigenden 
Degenerationen im Rückenmark auch mit Weigert sich nach weisen liessen, 
erefere war also später eingetreten. Die Degeneration ist in unserem Falle so 
stark, zumal in der Höhe des Reflexcentrums, dass sie zur Erklärung des Fehlens 
der Reflexe völlig ausreicht. 


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446 


Die klinische Wichtigkeit derartig anatomisch festgestellter Läsionen in den 
Reflexbahnen wird sofort klar, wenn man sich auf der einen Seite Bbaubb’s 
Fall vergegenwärtigt, völlige Querläsion mit gesteigerten Reflexen, auf der anderen 
Seite eineu Fall wie den unsrigen, unvollständige Querläsion mit dauernd 
fehlenden Reflexen. Bezüglich der Diagnose und Prognose erwachsen so natur- 
gemäss bedeutende Schwierigkeiten. 

Für oder gegen die BABTiAN-BBüNs’sche Theorie ist unser Fall natürlich 
nicht direct zu verwenden, denn die Läsion war erstens nicht total, zweitens 
ist das Fehlen der Reflexe durch die Degeneration der hinteren Wurzeln aus¬ 
reichend erklärt Aber der Verdacht, dass auch bei länger dauernden totalen 
Querläsionen mit fehlenden Reflexen Veränderungen im Reflexbogen vorhanden 
waren, wird rege. Beim Durohmustem der Litteratur ist man dooh genöthigt, 
den Zweifeln von Bbasch und BAlint zuzustimmen, ob in diesen Fällen der 
Reflexbogen wirklich intact war. Es sei auf die Ausführungen dieser beiden 
Autoren hingewiesen. Erwähnt sei nur, dass auch neuerdings Nonne in seinen 
4 Fällen mit fehlenden Reflexen den Reflexbogen als intact annimmt, dabei 
schreibt er aber selbst, dass mit Mabohi nicht untersucht wurde, somit also 
nach unserer Erfahrung seine Annahme nicht gesichert ist Die Anwendung 
der MABom-Methode muss selbstverständlich gefordert werden, aber wie Roth- 
mann 1 in der Discussion zu dem Fall von Bbasoh hervorhebt, ist gewiss grösste 
Vorsicht nöthig in der Verwerthung einzelner schwarzer Schollen in den Wurzeln. 
Bei unsicheren Ergebnissen der Querschnitte sind unbedingt Längsschnitte zu 
fordern. Nur wenn bei allen zweifelhaften Fällen die genaueste Untersuchung 
mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln ausgeführt wird, kann brauch¬ 
bares Material sich sammeln lassen. Dann steht auch zu hoffen, dass endlich 
Klarheit in die Frage des Verschwindens der Kniesehnenreflexe kommt, die den 
Physiologen, den Anatomen wie den Kliniker gleich lebhaft interessirt. 

Nachschrift: Leider ist mir die wichtige Arbeit von Kausch 8 erst bei 
der Correctur zu Gesicht gekommen. Kausch scheint übrigens die Beobachtung 
von Bbaueb, welche seinem Falle analog ist, ebenfalls entgangen zu sein. 
Kausch berichtet von einem Mädchen mit Compressionsmyelitis und gesteigerten 
Reflexen vor der Operation. Bei der Laminectomie trat eine völlige Zerreissung 
des Rückenmarks ein. Die Patellarsehnenreflexe fehlten 16 Stunden nach der 
Operation und kehrten dann wieder. Sie blieben trotz der völligen Zerreissung 
mehrere Monate nachweisbar, bis sie ailmählioh vor dem (nach 5 7, Monaten 
erfolgenden) Tode erloschen. Auf Grund dieses klinisch und anatomisch sorg- 
faltigst untersuchten Falles glaubt K. das Basti AN-BnuNs-Gesetz als Gesetz 
wenigstens umstossen zu müssen. — Bei der mikroskopischen Untersuchung des 
Reflexbogens konnte K mit Weigert keinerlei Veränderungen nach weisen; 
vielleicht hätte die MABCHi-Methode das Schwinden der Reflexe vor dem Tode 
erklärt in ähnlicher Weise wie in unserem Falle. 


1 Neurolog. Centralbl. 1899. S. 1115. 

* Mittbeilungen aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie. 1901. S. 541. 


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44 ? 


4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau). 

Von S. Goldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Die ganz eigenthümliche Erscheinung, dass Erschöpfung eines Gebiets 
lähmend auf andere in Ruhe befindliche einwirkt, scheint ebenfalls nur der 
asthenischen Lähmung eigen zu sein, kommt aber bei ihr nicht constant vor. 
Mit Recht bezeichnet also Strümpell die abnorme Erschöpfbarkeit der Muskeln 
als die eigentliche Fundamentalerscheinung der Krankheit, und Oppenheim be¬ 
trachtet sie als charakteristisch für die bulbäre Neurosa 1 


1 Ich habe keinen Fall von organischer Läsion finden können, in dem die Apokam- 
nose so deutlich aufgetreten wäre, wie bei der asthenischen Lähmung. Wenn 
S. Kalisohbb in dem Fall von Polioencephalomyelitis sagt: „der Kranke konnte im 
späteren Verlauf Morgens nach der nächtlichen Buhe etwa 1 Stunde die Augen offen halten 
und lesen, sowie auch 1—2 Mal durch das Zimmer gehen; im Laufe des Tages war ihm 
dies nicht möglich; hatte er sich gut ausgeruht, so konnte er kaum eine Minute die Augen 
offen halten u. s. w.“, so ist das eine ganz andere Schilderung, wie die, welche derselbe 
Autor in seinen zwei anderen, unbedingt zur asthenischen Lähmung gehörigen Fällen 
giebt; dort heisst es z. B.: „bei wiederholtem Heben und Senken des Unterkiefers tritt 
schnelle Ermüdung und Functionsunfähigkeit ein“, „die Schultern werden gut gehoben und 
gesenkt, ebenso wie die Arme, allein ein wiederholtes Heben der Arme über die Hori¬ 
zontale ist kaum möglich, die Arme versagen bald völlig“, oder „die Drehungen, Seiten¬ 
bewegungen, das Senken und Heben des Kopfes werden bei mehrfachen Wiederholungen 
kraftlos, ebenso erlahmen die Rumpfmuskeln schnell, während am Anfang das Beugen, 
Strecken, Drehen des Rumpfes kräftig vollzogen wird“ u. s. w. Kausche» giebt dann zu, 
dass eine derartige Erschöpfbarkeit, wie schon Jolly hervorhebt, vielleicht hie und da auch 
bei der gewöhnlichen Bulbärparalyse, oder progressiven Muskelatrophie und Dystrophie 
Vorkommen dürfte; allein sie wird diesen Grad nie erreichen, und die Ermüdung wird 
dort nur nach längerer Thätigkeit oder bei Anstrengungen auftreten, während sie hier 
schon nach einigen einfachen Verrichtungen zum Vorschein kommt. — Gebson konnte 
auch in seinem Fall von hereditärem Nervenleiden Ermüdbarkeit in einzelnen Gebieten 
feststellen (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XVII. Heft I u. 2), die aber lange nicht 
die Dimensionen wie bei der asthenischen Lähmung erreichte; der Dynamometerversuch 
gab bei seinem Kranken noch nach 4 Versuchen Zahlen von 30 kg. — Die Fälle wo das 
Symptom der Erschöpfbarkeit in prägnanter Weise auftritt, gehören eben zur asthenischen 
Lähmung, wenn sie auch unter anderer Flagge circuliren. Das möchte ich vom nioht 
secirten Hiem’sehen Fall von Polyneuritis und Polioencephalomyelitis behaupten 
(Gazeta lekarska. 1894. Nr. 16, 17, 18, 20. Ref. im Neurolog. Centralbl.) und stütze mich 
nicht allein auf das junge Alter der Patientin, das Fehlen von Atrophieen, fibrillären 
Zuckungen, trotz vieljähriger Krankheit und das Ergriffensein des motorischen Quintus 
und oberen Facialis, sondern auch auf den ganzen Verlauf und den Umstand, dass vor 
15 Jahren eine Jahre lang anhaltende Schwäche der Oberlider vorhanden war, und dass 
bei faradischer Reizung des N. ischiadicus und Quadricepspunktes die Amplitude der 
Zuckungen allmählich auf 0 sank, also die MyaR gab. — Bei Guihon et Parmbntixb (De 
l’ophtalmopllgie externe combinöe ä la paralysie glosso-labio-laryngee et ä l’atrophie mus- 
culaire. Nouvelle Ioonogr. de la Salp&ri&re. 1890 u. 1891) finde ich unter anderem die 
Observation XXIII communiquöe par Chabcot et Tboibibb sous le titre: paralysie bulbaire 


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448 


In enger Beziehung zur abnormen Ermüdbarkeit stehen die täglichen 
Schwankungen, die abendlichen Exacerbationen und die geringste Intensität der 
Erscheinungen in den Morgenstunden nach Ruhe. Stbümpell hat darauf hin¬ 
gewiesen, dass die dauernden Paresen in solohen Muskeln auftreten, welche sich 
in einer fast constanten Contraction, somit in einem beständigen Ermüdungs- 
zustande, befinden. Das gilt besonders für den Levator palpebrae, für die 
Nacken- und Halsmuskeln, die mimischen Gesichtsmuskeln, Masseteren und 
Augenmuskeln. Allein Paresen oder Lähmungen kommen, wie Oppenheim 
hervorhebt, auch in solchen Gebieten vor, die sich nicht im Zustande dauernder 
Contraction befinden, wie am Sprech- und Schlingapparat, an den Extremitäten 
u. 8. w., die ebenfalls das Symptom der Apokamnose zeigen. 

Die Schwankungen in der Intensität der Erscheinungen, das Ab- und Zu¬ 
nehmen derselben erstreckt sich auf grössere Zeiträume von Wochen und Monaten. 
Ueberblickt man einen grösseren Zeitraum, z. B. von 10jähriger ununterbrochener 
Beobachtung, so zeigt der ganze Verlauf ein beständiges Fluotuiren der höchsten 
und niedrigsten Entwickelungsstufe der Symptome. Es wurde schon mehr¬ 
mals auf die ganz bedeutenden Remissionen, die sich zu Intermissionen steigern 
können, aufmerksam gemacht Sie kommen auch bei anderen Krankheiten vor, 
z. B. bei der progressiven Paralyse oder der disseminirten Sklerose, aber nur 
sozusagen facultativ, während sie bei der asthenischen Lähmung gleichsam die 
Regel bilden, wenn der Kranke nicht gleich im ersten Anfall stirbt; dort sind 
sie nie so vollkommen, hier aber können sie über Jahr und Tag dauern. 
Allein bei näherer Betrachtung dieser im Remissionsstadium befindlichen In¬ 
dividuen gelingt es zu constatiren eine wenn auch noch so geringe Abweichung, 
z. B. eine kaum bemerkbare Ptose, eine leichte Gaumenparese, oder Gesichts¬ 
muskelschwäche, die den Betreffenden so wenig zum Bewusstsein kommt, 
dass sie sich vollständig gesund fühlen und in ihrem Thun und Wesen absolut 
nicht gehindert werden, — ein Zeichen, dass die Krankheit noch glimmt, nicht 
ganz erloschen ist. Sogar das Symptom der Erschöpfbarkeit kann hier fehlen. 
Nur in dem Fall 0. war im Remissionsstadium absolut nichts zu finden, und 
man konnte von einer Genesung sprechen; allein auch er blieb nicht frei vom 
Recidiv, denn, bevor Patient an einer heterogenen Krankheit (Lymphosarcom 
der Lunge) starb, stellten sich Erscheinungen von asthenischer Lähmung ein. 

Im Anfall der asthenischen Lähmung selbst bleibt, sowohl während der 
Zunahme der Erscheinungen an In- und Extensität, als auch im Stadium 
decrementi, wenn Besserung eintritt, ein beständiges Schwanken nicht aus. 


ä döbut ophtalmoplögiquo and die Observation XXV personelle de paralysie bulb&ire totale 
ä döbut glossoplegique; paralysie faciale; ophtalmoplögie externe; beide sind ohne Section, 
gehören aber meines Erachtens zur asthenischen Lähmung. Wahrscheinlich hierher ge¬ 
hören die Fälle von Raymond (Un cas de ophtalmopldgie nuoldaire extärieure. Gazette 
des höpitaux. 1900. Nr. 26) mit Baibärsymptomen und Ausgang in Heilung, ferner der 
von Goldzibhbb von Ophthalmoplegia externa bilateralis (Ref. im Neurolog. Centralbl. 
1893. S. 746), von SbbliomOllbk (Ein Fall von chronischer progressiver Polioencephalo- 
myelitis. NeuroL Centralbl. 1889. Nr. 6); beide ohne Section. 


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449 


Der Verlauf währt nicht immer so lange, wie im Fall 0. oder T., wo er 
sich fast über Jahrzehnte hinaus erstreckte (im Falle Mubri betrug die Dauer 
ebenfalls 10 Jahre). Manchmal erliegt der Kranke bereits nach einigen Mo¬ 
naten dem ersten Anfall, wie meine Patientin B. 

In manchen Fällen, wo die Krankheit scheinbar acut einsetzt und nach 
Wochen die grösste Entwicklung und Gefahr erreicht, gehen Jahre oder Monate 
lang anhaltende Vorposten voran, die meist flüchtiger und unbestimmter Natur 
sind und bis dahin unerkannt blieben. Wir verweisen auf die Fidle B., K. 
und EL, wo eine Ptose, eine Diplopie, oder eine leichte Sprachstörung Monate 
bezw. Jahre lang dem eigentlichen Anfall voraufging. 

In der Bemissionszeit schwindet die abnorme Ermüdbarkeit oder nimmt 
bedeutend ab; auch die abnorme Beaction auf faradische Ströme macht dem 
normalen Verhalten Platz, wie ich es in einem Falle oonstatiren konnte. Diese 
von Jolly zuerst beschriebene myasthenische Beaction ist eins der interessan¬ 
testen Phänomene der asthenisdien Lähmung. 1 Unter den 6 Fällen, die von 
mir in der von Jolly angegebenen Weise untersucht wurden — es haben sich 
langdauernde, schnell aufeinanderfolgende, tetanisirende, faradische Beize am 
besten bewährt —, kam sie 5 Mal zum Vorschein, woraus schon die grosse 
Bedeutung dieses Symptoms erhellt Es lässt sich meist schwer sagen, wie aus- 


1 Nach Mono (Ermüdung, 1. c.) besteht im physiologischen Zustand eine der 
myasthenischen ganz ähnliche Beaction. Er citirt Ksohzour, dem es gelang, am durch 
einzelne faradische Schläge gereiztem Froechmuskel 1000, sogar 1500 Zusammenziehungen 
zu erhalten; die Höhe dieser Contraction fallt, wie die mit dem Myographen dargestellten 
Cnrven zeigen, in regelmässiger Weise bia zum Verschwinden im Maasse wie die Er¬ 
müdung steigt. Kbokzckbb leitet ans seinen Versuchen folgendes Gesetz ab: „Die Ermüdnngs- 
corve eines belasteten, in gleichen Zeiträumen mittels gleichstarken (maximalen) IndnotionB- 
Schlägen gereizten Muskels ist eine gerade Linie.“ Kbohickbr wiee auf die individuellen Ver¬ 
schiedenheiten hin, die in Betreff der Ermüdung sowohl bei Warmblütern als Fröschen 
vorhanden sind. Bei manchen Händen hört die Erregbarkeit nach 150 Zncknngen auf, oder 
sie zeigen ganz minimale, beinahe unsichtbare Maskelznoknngen, während andere Hunde 
unter denselben Umständen bei Belastung von 40—50 g, 350, 500, sogar 1500 Contractionen 
liefern, bevor die Kraft vollständig erschöpft ist. — Ganz analoge Thatsachen fand Momo 
bei seinen Untersnchnngen über Ermüdung mittels Ergographen am gesunden, geistig nicht 
erschöpften Menschen. Bei Beizung des Muskels oder des zugehörigen Nerven mit dem 
elektrischen Strom bekam er eine Cnrve, die darthnt, dass die Kraft des Mnskels sich 
gradatim erschöpft. Das allmähliche Sinken der Contractionen erfolgt in derselben Weise 
wie in den Versuchen, wo der Muskel sieh unter dem Einfluss des Willens oontrahirte. 
Wie dort bewahrt die Cnrve auch hier ihren individuellen charakteristischen Typus. In 
der That sind die Figuren einander recht ähnlich. — Wie sehr dieee Verhältnisse denen 
bei der myasthenischen Beaction waltenden ähneln, braucht nicht erst hervorgehoben 
zn werden. Die Aehnlichkeit, beinahe Uebereinstimmnng, ist geradezu frappant Es liegt 
auf der Hand, wie sehr unsere Anschauungen über die MyaB infolgedessen modificirt werden 
müssten. Allein es bedarf weiterer Untersnchnngen, auch in Bezug auf die Zeit, 
die nöthig ist um diese Ermüdung und das 8inken der elektrischen Erregbarkeit bis zum 
Verschwinden jeder Contraction am gesunden Menschen herbeizuführen. Jeder, der sich 
mit Elcktrodiagnostik beschäftigt hat, wird zageben, dass Ermüdnngserscheinnngen, wie 
sie oben gesohildert sind, nnd wie sie so auffallend bei der MyaB Vorkommen, sonst nur 
wenig bekannt sind. 

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gebreitet sie ist, da die Untersuchung mit dem faradischen Strom die Kranken 
in hohem Grade ermüdet und sogar eine Verschlimmerung im Gefolge hat 
Allein der Fall K. beweist, dass die MyaR sehr ausgebreitet sein kann. Den¬ 
noch darf man behaupten; dass die MyaR oft nicht überall da nachweisbar ist, 
wo die Apokamnose besteht — Fälle mit MyaR ohne abnorme Ermüdbarkeit 
scheinen überhaupt nicht vorzukommen —, dass die letztere gewöhnlich grössere 
Gebiete ergreift, als die MyaR, die nicht nothwendig in den am stärksten 
afficirten Bezirken vorhanden sein muss. Die MyaR kann dagegen in den 
leichter ergriffenen Theilen zugegen sein Zeitlich scheint die Apokamnose 
meist früher aufzutreten, als die MyaR (Fall 0.). Wie Mubri, habe auch 
ich gefunden, dass die Erschöpfung durch Willensimpulse die faradische Erreg¬ 
barkeit und das Auftreten der MyaR nicht beeinflusst und umgekehrt gehorchten 
die Muskeln dem Willen, deren Contractionen unmittelbar vorher durch directe 
oder indirecte Einwirkung des faradischen Stroms beinahe zum Schwinden ge¬ 
bracht wurden (nur in dem Falle 0. erschien eines Tages die Stärke der 
Contraction bei faradischer Reizung geringer in den durch den Willen erschöpften 
Muskeln). Denn man konnte meist nur eine sehr starke Herabsetzung der 
4irecten und indireoten faradischen Erregbarkeit beobachten, und selbst nach 
längerer Einwirkung des Stroms vermochte man eine schwache Zuckung, eine 
Art Vibriren des Muskels im Moment des Stromschlusses, noch immer zu 
bemerken. Im Falle 0. konnte man, nachdem die Energie der Zuckungen be¬ 
deutend gesunken war, eine Nachdauer der Contractionen beobachten. Für 
andere Resultate des Studiums der MyaR verweise ich auf den Fall K. Hier 
will ich nur hervorheben, dass die MyaR eines Nervenreizpunkts ohne Einfluss 
bleibt auf die Erregbarkeit eines anderen Punkts desselben Nerven, dass die 
MyaR im Nerven die directe Erregbarkeit der zugehörigen Muskeln nicht be¬ 
einflusst, ebenso wenig wie die MyaR im Muskel auf die Erregbarkeit des ent¬ 
sprechenden Nerven einwirkte, dass ferner die motorischen Punkte eines Muskels 
betreffs der MyaR keine reciproque Beeinflussung erfahren. 

Die erforderliche Ruhezeit zum Wiedererlangen der ursprünglichen fara¬ 
dischen Erregbarkeit betrug etwa eine Minute. 

Die Beziehung der asthenischen Lähmung zur Polioencephalomyelitis 1 — 
«einer organischen Erkrankung des Höhlengraus vom Boden des 3. Ventrikels bis 
in die Vordersäulen des Rückenmarks herab — wurde vielfach erörtert und als 
eine so innige betrachtet, dass einige Autoren (besonders Kalischeb, Huukb, 
Fajebztein, Murbi, Guastoni b Lombi, Ballet, Bbissaüd) sie als Ueber- 
gangsform betrachten. Solche Anschauung ist geeignet, der asthenischen Läh¬ 
mung die nosologische Selbständigkeit abzuspreohen. Wir haben es in der 
Pathologie mit Krankheitseinheiten zu thun, die sich combiniren können, aber 
darum ihre Selbständigkeit nicht einbüssen. Wenn aber ein Symptomenoomplex 
in ein anderes übergehen kann, dann stellt es nur eine Abart vom Typus dar. 


1 E. Bbdlioh, Ueber acute Encephalitis, . Centralbl. f. aflg. Path. u. path. Anat 
1900. XI. Nr. 14 u. 15. 


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Die asthenische Lähmung ist es aber nioht, sie ist eine ganz eigenartige, selbständige 
Krankheit, die sich durch eigentümliche charakteristisch mit einander verknüpfte 
Symptome, durch eigenartigen Verlauf, Prognose u. s. w. auszeichnet Es ändert 
gar nichts an der Sache, dass wir die pathologische Anatomie, Pathogenese nioht 
kennen, sind ja unsere Krankheiten vielfach bloss klinische Einheiten. Auch die 
Tabes, Sclörose en plaques waren klinisch bereits scharf begrenzt, bevor noch 
die anatomische Grundlage erforscht wurde, und sind Paralysis agitans, Chorea, 
Tetanus u. s. w. nioht scharf begrenzte Krankheitsbilder? In manchen Fällen 
kann in der That die klinische Abgrenzung der asthenischen Lähmung von 
der Polioencephalomyelitis, in der naturgemäss Ophthalmoplegieen, Bulbär- 
und Extremitätenlähmungen das Bild beherrschen und Genesungen keine Selten¬ 
heit bilden, Schwierigkeiten bereiten, meist aber wird die Diagnose leicht zu 
stellen sein. 

Bei der acuten Polioencephalomyelitis treten fast ausnahmsweise allgemeine 
Erscheinungen, wie Kopfschmerz, Somnolenz, Benommenheit bis zum Coma 
hervor, daneben oft taumeliger Gang, Schwindelanfalle, die der asthenischen 
Lähmung fremd sind. Die Symptome setzen gewöhnlich acut ein, die Lähmungen 
sind mehr permanent; auch kommen Sensibilitätsstörungen 1 , Pupillendifferenzen, 
starre Pupillen, Accommodationsparesen vor.* Bei der subacuten Polioencephalo¬ 
myelitis hat man sogar Schwankungen im Verlauf und Intensität der Er¬ 
scheinungen beobachtet, die dazu beigetragen haben, dass man die beiden 
Krankheitszustände nioht streng auseinander trennen wollte. Allein die Schwan¬ 
kungen erreichen hier lange nioht den Grad, wie bei der asthenischen Lähmung: 
Jahre lang anhaltende Remissionen bezw. Intermissionen kommen gar nicht vor. 
Die Erscheinung der Ermüdbarkeit kann hie und da in einzelnen Gebieten 
angedeutet sein, tritt aber nioht in solcher Intensität, Ausbreitung und 
Prägnanz auf, wie bei der asthenischen Lähmung, wo sie auch in scheinbar 
intaoten Bezirken demonstrabel ist Dabei erkranken hier, meist, wenn auch 
nicht in der Regel, die proximalen Theile der Extremitäten, dort mehr die 
Endglieder (Fall von Kalischeb, Oppenheim 3 ). Dort kommt es auch vor, 
dass die Lähmung eine einseitige ist, z. B. linksseitige totale Faoialislähmnng, 
Lähmung des linken Arms im Falle von Wilbband und Sabnghb, Parese 
des linken Facialis im Falle von Kaiseb, während sie hier beinahe immer 
eine streng symmetrische ist Bei der Polioencephalomyelitis erkranken 
nach meiner Erfahrung nioht selten funotionell zugehörige Muskelgruppen, 
entsprechend der topographischen Lage im Rückenmark, z. B. die Exten¬ 
soren des Vorderarms, die Interossei, was hier nicht der Fall ist Biuskel- 
atrophieen mit meist starker Herabsetzung der neuromusoulären Erregbarkeit, 
vielfach partielle Entartungsreaction und (Schwinden der Sehnenreflexe gehört 
nur der Polioencephalomyelitis an, dagegen fehlt bei ihr nach bisheriger Br- 


1 Kaisbb, Zar Kenntnis« der Polioenoephalomyelitis. Deutsche Zeitsehr. t Nerven«*- 
heilk. VIL 8.859. 

* Wilbband and Sabnoeb, Die Neurologie des Aages. I. 8. 897. 

• Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. VL 8. 875. 

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fahxung die MyaR. In manchen Beobachtungen von Polioencephalomyelitis wird 
von apoplektwchen Zuständen mit Hemiparese berichtet (Eichhobst 1 * * , Bbistove *), 
gar nicht selten von sensiblen objectiven und subjectiven Störungen (Brasch s , 
Kalischeb, Wilbrand und Saengeb), von Pupillendifferenz und Pupillen¬ 
starre (Ealischrb, Schaffer 4 * , Rosenthal, Wilbrand und Saengbb, 
Marina 6 , Sachs), auch von Accommodationslähmung (Mauthneb 6 , Dübots) 
und Sehstörung (Förster), sogar von Blasen- und Mastdarmstörung (Sachs), 
alles Symptome, die der asthenischen Lähmung fremd sind. Naturgemäss treten 
die Zeichen der degenerativen Atrophie noch stärker in den chronischen Fällen 
von Polioencephalomyelitis (Guinon et Parmentier u. A.) auf. 

Ich verweise übrigens für die Differentialdiagnose auf die ausführliche Dar¬ 
stellung in der Oppenh Em’schen Monographie. 

(Schluss folgt) 


n. Heferate. 


Anatomie. 

X) Textura del sietem» nervioso del hombre y de los vertebrados, por 

S. RamönyCajal. Con numerosos grabados en negro y en color. (Madrid 
1901, Nicol&s Moya.) 

In dem vorliegenden V. Bande seines gross angelegten Werkes giebt der 
berühmte spanische Forscher eine eingehende Darstellung von dem feineren Bau 
des verlängerten Markes, der Brücke und des Kleinhirns. Die Untersuchungen 
sind an Präparaten angestellt, die nach den üblichen Färbemethoden behandelt 
sind und vom Menschen, Kaninchen, Meerschweinchen, der Katze und der Ratte 
stammen. Es dürften sich nur wenige Werke über die Histologie des Nerven¬ 
systems finden, welche den mikroskopischen Bau desselben unter Würdigung auch 
der kleinsten Einzelheiten mit der gleichen Ausführlichkeit wiedergeben wie das 
Ramön y Cajal’sche Werk. Die einschlägige Litteratur ist vollständig berück¬ 
sichtigt und wird am Schlüsse der einzelnen Capitel einer kritischen Besprechung 
unterworfen. Daneben finden sioh werthvolle Bemerkungen aus der vergleichenden 
Histologie. Die zahlreichen instructiven Abbildungen erleichtern das Verständniss 
der Arbeit ausserordentlich. Es geht selbstverständlich über den Rahmen eines 
Referates hinaus, ein vollständiges Bild von dem reichen Inhalt des Buches zu 
geben; um ein solches zu gewinnen, ist das Studium des Originals unerlässlich, 
doch sei es mir gestattet, um die Reichhaltigkeit des Werkes ein wenig zu ver¬ 
anschaulichen, beispielsweise denjenigen Abschnitt, welcher das Kleinhirn betrifft, 
mit kurzen Worten zu skizziren. Dieser 140 Seiten lange Abschnitt beginnt mit 
eiqer Schilderung der topographischen Verhältnisse, woran vergleichend anatomische 


1 Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1889. S. 432. 

* Brain. 1885. October. S. 313. 

* Neurolog. Centralbl. 1892. Nr. 8. 

4 Centralbl. f. Nervenheilk. 1891. S. 193. 

4 Ueber multiple Augenrauskellähiaungen. S. 83. 

* Cit nach Wilbrand und Saenobr. 


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und physiologische Betrachtungen geknüpft werden. Es folgt dann eine genaue 
Beschreibung des Baues der Eieinhirnrinde in ihren verschiedenen Schichten; 
daran schliesst sich eine vergleichend histologische Uebereicht, in welcher die 
Vertheilung der Zellen und Fasern bei den Säugethieren, Vögeln, Reptilien, 
Amphibien und Fischen behandelt wird. In zwei anderen Capiteln wird die 
Histogenese des Kleinhirns, die Entwickelung der einzelnen Zellformen, der Fasern 
und der Neuroglia geschildert Sodann lernen wir die Structur der Kleinhim- 
ganglien und der Pedunculi cerebelli kennen. Den Schluss bildet eine Darstellung 
dee Verlaufes der sämmtlichen Faserbahnen im Kleinhirn. 

Hubert Schnitzer (Küokenmühle-Stettin). 


2) Einiges über die Bestehungen der Sehbehnen zu dem vorderen Zwei* 
hügel der Kaninohen, von Dr. Victor Berl. (Arbeiten aus Prof. Ober- 
steiner’s Laboratorium. Heft 8. 1902.) 

Die Untersuchungen des Verf.’s beziehen sich auf Kaninchen, denen einseitig 
das Occipitalhirn abgetragen wurde; anderen~Thieren wurde ausserdem das Auge 
derselben Seite enucleirt. Untersuchung nach Marchi. Nachstehend das Resumö: 
Die Endigung der Rindenzweihügelbahn ist in derselben Schicht des Zweihügels 
(W f ) gelegen wie die Endigung der retinalen Zweihügelbahn. Sie liegt an der 
gleichen Seite, an welcher die Verletzung des Oocipitalhirns stattgefunden hat 
Der Zweihügel der anderen Seite ist frei von Degeneration. Das Stratum zonale 
(W,) ist keine Endigungsstätte der corticalen Bahn. Die beiden Kerne des 
Corpus genicul. laterale sowie die Kerne des Thalamus sind in ihren Beziehungen 
zur cortioalen Sehstrahlung nicht gleichwerthig. Bezüglich einer Zweihügelrinden¬ 
bahn ist Verf. vorläufig noch nicht zu abschliessenden Resultaten gelangt. 

Redlich (Wien). 


8) Das Cerebellum vom Soyllium oanioula, von L. Edinger (Frankfurt a/M.). 

(Archiv £ mikroskop. Anatomie u. Entwickelungsgeschichte. LVIII. 1901.) 

Die vorliegende Arbeit ist für die Structurverhältnisse und besondere für die 
Faserung des Selachierkleinhirns als grundlegend zu bezeichnen. Als Substrat 
für die Erforschung der Faserung dienten dem Verf. Schnittserien, welche nach 
der W eigert’schen Markscheidenmethode gefärbt waren, und Marchi-Präparate, 
welche von Gehirnen stammten, an denen Durchschneidungen der Hirnnerven oder 
auch Verletzungen des Kleinhirns und anderer Hirntheile vorgenommen worden 
waren. Es lassen sich im Cerebellum drei Arten von Fasern unterscheiden: 

1. Eigenfasern des Cerebellums, 

2. Fasern, welche das Cerebellum mit anderen Hirntheilen verbinden, 

3. Fasern, welche direct in die sensorischen Hirnnerven gelangen oder aus 
diesen stammen. 

Die zu der erstgenannten Kategorie gehörigen Fasern bilden eine mächtige 
KreuzungBCommi88ur, welche auf die ganze Mittellinie des Cerebellums ver¬ 
theilt ist 

Mit anderen Hirntheilen besitzt das Cerebellum mindestens folgende Ver¬ 
bindungen: 

1. Einen Tractus cerebello-thalamicus cruoiatus, welcher dem kreuzenden 
Bindearm der Säuger entspricht; 

2. einen Tractus cerebello-mesencephalicus, welcher der Mittelhirnbasis zu¬ 
strebt und frontal und lateral vom Ganglion interpedunoulare zu enden scheint; 

3. eine Verbindung zum Rückenmark, Tractus cerebello-spinalis; 

4. einen Zug zum tiefen Mark dee Mittelhirndaches, und 


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5. Bändel zur Decussatio veli, einer EreuzungscommisBur, welche frontal und 
etwas dorsal von der Trochleariekreuzung direct vor dem Cerebellum gelegen ist; 
ein Theil dieser Fasern lagert sich der Badix mesencephalica des N. V medial- 
warts an, ein anderer, und zwar der mächtigere, gelangt in den lateralen Band 
der Oblongata und dQrfte dem Tractus cerebello-spinalis ventralis (G owers'sehen 
Bündel) der Säuger entsprechen. 

Von allen Verbindungen des Kleinhirns sind aber weitaus am wichtigsten 
und quantitativ am beträchtlichsten diejenigen Fasern, welche aus den sensorischen 
Hirnnerven zu ihm gelangen. Mit Hälfe der Marchi’schen Methode konnte der 
Verf. die topographische Lage der einzelnen sensiblen Hirnnerven zugehörigen 
Fasern in den Eieinhirnarmen annähernd bestimmen. Das Gesammturtheil über 
die von den operirten Thieren gewonnenen Befunde wird dahin zusammengefasst, 
dass das Kleinhirn der Selachier im Wesentlichen nur Endstätte der 
directen sensorischen Bahn aus den Hirnnerven ist, und dass alle 
anderen in dasselbe eingehenden Fasern nur eine kleine räumliche 
Bolle spielen. Max Bielschowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

4) Ueber Localisation der Qesohmacksoentra in der Hirnrinde, von Gorsch- 

koff. (Obosrenije psichiatrii. 1900. Nr. 10.) 

Verf. zerstörte verschiedene Grosshirnrindenbezirke bei Hunden und unter¬ 
sucht dann das Geschmacksvei mögen derselben. Zur Untersuchung nahm er Zucker, 
Kochsalz, Citronensäure, salzsaures Chinin, Digitalin, Aloe und Coloquinta. Auf 
Grund von 42 Versuchen kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 

1. Nach beiderseitiger Zerstörung der Binde des Gyrus sylviacus ant., des 
Gyrus ectosylvius ant. und des Gyrus compositus ant. geht der Geschmackssinn 
vollständig verloren. 

2. Die Zerstörung aller anderen Bindenbezirke übt keinen Einfluss auf den 
Geschmackssinn aus. 

3. Nach einseitiger Zerstörung des obengenannten Geschmackscentrums tritt 
vollständiger Geschmacksverlust auf der contralateralen Seite der Zunge ein und 
eine Verminderung des Geschmackssinnes auf der gleichseitigen Hälfte der Zunge, 
so dass an eine partielle Nervenkreuzung zu denken wäre. 

4. Der Geschmacksverlust wird von einem Verlust der Sensibilität begleitet. 

5. Der Grad des Geschmacksverlustes ist proportional der Grösse der Binden¬ 
zerstörung. 

6. Die Bestitutionsfähigkeit der Geschmacksfunction ist ebenfalls proportional 
der Grösse der Bindenzerstörung. Jedoch tritt bei grösseren doppelseitigen Zer¬ 
störungen nur eine partielle Bestitution ein. 

7. Innerhalb des von ihm umgrenzten Gebietes konnte Verf. eine specielle 
Localisation für die vier Gesohmackscategorieen, sowie für die einfache Berührungs- 
empfindlichkeit constatiren, die auch durch einige klinische Facta bekräftigt wird. 
Doch giebt Verf. selbst zu, dass eine solche genauere Localisation noch un¬ 
sicher ist. 

8. Faradische Beizung des Geschmackscentrums ergiebt eine Contraction der 
Lippen auf der contralateralen Seite. Verf. nimmt an, dass es nicht der Effect 
einer Beizung des Facialiscentrums Bei, sondern eine Reflexbewegung auf einen 
Geschmacksrindenreiz. 

9. Je reiner die Basse des Hundes, desto besser waren die Windungen des 
Geschmackscentrums entwickelt und desto feiner war der Geschmackssinn. 

10. Die Zerstörung der Riechrinde hatte. keinen Einfluss auf den Geschmack, 


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and umgekehrt blieb die Zerstörung der Oescbmacksrinde ohne Einfluss auf die 
Riecbfunction. Die Grenze zwischen Riech- und Geschmaoksrinde wird gebildet: 
von der Fissura Sylvii, Fissura praesylvia, Fissura rhinalis und Fissura olfactoria. 

11. Ob das Weber-Fechner’sche Gesetz auch für den Geschmack volle 
Gültigkeit hat, konnte Verf. nicht sicher entscheiden. Doch schien es ihm, dass 
die Concentration der Probesubstanzen schneller gesteigert werden musste, als die 
Intensität der Geschmacksempfindungen stieg, soviel man wenigstens nach den 
reflectorischen Bewegungen schliessen konnte. Wilh. Stieda. 


5) Zur Lehre von der oentralen Innervation der Kehle, von Prof. A. Onödi. 

(Orvosi Hetilap. 1902. Nr. 11. [Ungarisch.]) 

Verf. untersuchte bezüglich der centralen Innervation der Kehle mehrerd 
perforirte Neugeborene, sowie einen Anencephalon, welcher 61 Stunden lebte und 
bei welchem Phonation vorhanden war; Rückenmark, Oblongata und Pons waren 
gut entwickelt, an Stelle des Kleinhirns ein transparentes Blatt, sonst überall 
eine röthliche gelatinöse Masse. Die Kerne des 3.—11. Gehirnnervenpaares waren 
vorhanden; Corpora quadrigemina und Sehhügel rudimentär entwickelt, an Stelle 
der Hemisphären zwei aus gliösem Gewebe bestehende blasige Gebilde. Ferner 
beobachtete Verf. einen Fall von Hämatomeningoencephalocele, wo bei totalem 
Mangel des Kleinhirns Stimmbildung vorhanden war. 

Nach kurzer Schilderung anderer Untersuchungsergebnisse kommt Verf. zu 
folgenden Resultaten: 

1. Zerstörung des stimmbildenden corticalen Centrums beeinflusst nicht die 
Stimmbildung; 

2. desgleichen ist ohne Einfluss die Zerstörung der grossen basalen Ganglien, 
Linsenkern, Sehhügel, Corpus striatum; 

3. vollständige Abtrennung des Gehirns in der Höhe der vorderen Corpora 
quadrigemina stört nicht die Stimmbildung; 

4. Verletzungen des Kleinhirns sind ohne Einfluss auf die Stimmbildung; 

5. vollständige Durchtrennung der Oblongata oberhalb des Vagusgebietes 
verhindert die Stimmbildung und nur die Athmung bleibt bestehen. 

Auf Grund dieser Ergebnisse bestimmte Verf. das Gebiet des subcerebralen 
Stimmbildungscentrums, welohes denjenigen Theil des 4. Ventrikels umfasst, 
welcher von den Corpora quadrigemina 12 mm nach rückwärts gegen das Vagus¬ 
gebiet gelegen ist. Intactheit dieses subcerebralen Centrums ermöglicht die Stimm¬ 
bildung, selbst bei Zerstörung der übrigen Grosshirntheile, — eine Ausschaltung 
jedoch verhindert jede Phonation. Hudovernig (Budapest). 

6) The movements and the Innervation of the large intestine, by W. M. 

Bayliss and E. A. Sterling. (Journal of Physiology. XXVI. S. 107.) 

Die Bewegungen des Dünn- und Dickdarms werden einerseits durch die 
motorischen spinalen Aeste, andererseits durch die hemmenden sympathischen 
Geflechte und endlich durch den localen nervösen Mechanismus beherrscht Der 
letztere — am leichtesten zu untersuchen an einer herausgeschnittenen isolirten 
Darmschlinge — setzt sich zusammen aus einem aufsteigenden exoitatorischen 
und einem absteigenden inhibitorischen Mechanismus. Beide werden ausgelöst 
durch den Reiz eines im Darminnern vorhandenen Fremdkörpers. 

Die Intensität des localen nervösen Mechanismus nimmt von der Valvula 
ileocoecalis an abwärts mehr und mehr ab, so dass, je mehr man sich dem Anus 
nähert, die von aussen an den Darm herantretenden Nervenreize vor den in ihm 
selbst ausgelösten mehr und mehr die Oberhand gewinnen. 

W. Connstein (Berlin). 


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7) Klinisohe und experimentelle Studien über die Innerration der Blase, 
des Mastdarms und des Genitalapparates, von Priv.-Doc. Dr. L. R. Müller 
in Erlangen. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXL 1901.) 

In der sehr ausführlichen Arbeit, über welche nur in kurzen Umrissen be¬ 
richtet werden kann, ist Verf. bestrebt nachzuweisen, dass die bisherige An¬ 
schauung von dem Sitz der Innervationscentren von Blase, Mastdarm und Ge¬ 
schlechtsapparat in dem untersten Theil des Sacralmarks auf die Dauer nicht 
aufrecht zu halten ist. Bei allen Querschnittserkrankungen des Rückenmarks, 
einerlei auf welche Weise sie zu Stande kommen, tritt zuerst Ischuria paradoxa 
und Retentio faeoium, später Cystitis und unwillkürlicher Harnabgang (Blasen¬ 
lähmung) auf, und zwar ist es ziemlich gleichgültig, in welcher Höhe das Rücken¬ 
mark getroffen ist. Auch bei Erkrankung des Conus und Epiconus kann Erection 
noch recht wohl zu Stande kommen. Somit ist sicher, dass die letzten Centren 
von Blase und Mastdarm und das für die Erection nicht im Rückenmark zu 
suchen sind. 

In dem experimentellen Theil der Arbeit wird durch Durchschneidung des 
unteren Theils des Rückenmarks bei Hunden der Nachweis erbracht, dass dann 
im Wesentlichen die gleichen Störungen in der Harn- und Kothentleerung auf- 
treten wie bei den Querschnittsläsionen des Menschen. Bei Exstirpation des 
Conus, des Sacral- und Lumbalmarks tritt noch Steifung des Gliedes auf, woraus 
sich ergiebt, dass das Centrum der Erection ausserhalb des Rückenmarks liegt 
Und hierfür sprechen auoh eine Anzahl klinischer Erfahrungen. Hieraus folgert 
Verf., dass die Ausstossung des Urins und Stuhls und die Entleerung des Samens 
im Wesentlichen durch Reflexvorgänge in den sympathischen Ganglien zu Stande 
kommen. Diesen vegetativen Lebensäusserungen stehen quergestreifte, vom Rücken¬ 
mark innervirte Muskelgruppen (Compressor urethrae, Spincter ani ext. und der 
M. ischio- und bulbocavernosus) gegenüber, die sowohl willkürlich erregt werden 
können, als auch bei der Entleerung von Urin und Eoth sowie bei der Ejaculation 
reflectorisch wirken. E. Asch (Frankfurt a/M.). 

8) Kur anatomischen Grundlegung der Kleinhirnphyaiologie, von 0. Kohn- 
stamm. (Archiv f. d. ges. Physiol. LXXXIX. 1902.) 

Nach einer Uebersicht über die bekannten Verbindungen des Kleinhirns mit 
dem übrigen Nervensystem kommt Verf. zu dem Schluss, dass nicht nur aus dem 
Rückenmark sensible Fasern aller Qualitäten in dasselbe gelangen, sondern dass 
es auch in den „Associationskreis“ der Grosshirnrinde eingeschaltet ist. (Das 
Wort Association ist hierbei allerdings in einem etwas anderen als dem in der 
Psychologie üblichen gebraucht. Ref.) Ausserdem verfügt es, wie die gesammte 
belebte oder zum mindesten nervöse Substanz, über die Eigenschaft der „Remanenz“, 
ein vom Verf. gewählter, von verschiedenen Physiologen vorgeschlagener, all¬ 
gemeiner Ausdruck für die den Gedächtnissvorgängen zu Grunde liegenden Nerven- 
processe, der keine psychische Begleiterscheinung voraussetzt. Zufolge seiner 
Grosshirnverbindungen ist das Kleinhirn in der Lage, sich an den zu Bewusstseins¬ 
erscheinungen führenden Associationsvorgängen aufs innigste zu betheiligen. Es 
stellt sich dar als ein in erster Linie sensibler Apparat, bestimmt zur Aufnahme 
und Aufbewahrung mannigfacher sensibler Erregungen niederer Art und zu ihrer 
Verwerthung und Umschaltung auf motorische Bahnen. Die Einübung complicirter 
Bewegungen beruht zum Theil auf der Remanenz cerebellarer Reflexe. Dass es 
ausser der Form auoh die Stärke der Bewegungen beeinflusst, geht aus der Be¬ 
obachtung von gleichseitigen Paresen nach Kleinhirnherden hervor. Die tabische 
Ataxie erklärt demnach Verf. als eine centripetal bedingte Functionsstörung der 
motorischen Cerebellarbahnen. — Es ist nicht zu leugnen, dass auf diesem Wege 


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eine Verständigung über die Verschiedenbeiten der tabischen und cerebellaren 
Ataxie sowie auch eine Versöhnung der sensiblen und motorischen Theorie der 
Ataxie überhaupt erzielt werden kann. Die Begriffe: Coordinationskern und 
Coordinationsbahn erhalten eine neue Bedeutung, wenn sie mit nur „virtuellem“ 
Bewusstsein ausgestattet werden, und werden dadurch wieder discutirbar. 

H. Haenel (Dresden). 


Pathologische Anatomie. 

9) Sieben Tille von Anomalleen des Sulous Bolandi, von Autonowski. 

(Oboerenije psich. 1900. Nr. 8.) 

Verf. berichtet über 7 Fälle von Anomalieen dee Sulcus Bolandi, die er 
unter 63 Sectionen im St. Petersburger Irrenhause „Aller Leidtragenden“ gefunden 
hat und kommt zu folgenden Schlüssen: 

1. Es giebt Anomalieen der Rolando’schen Furche in Form einer Gabelung 
in ihrem oberen Theile. 

2. Die Gabelung umfasst Hirnbezirke von 3,75—7,5 qcm Flächeuraum, die 
ihrerseits secundäre Furchen aufweisen. 

3. Andererseits giebt es Varietäten des Sulcus Roland i in Form von Zweigen, 
die ihn mit dem Sulcus centralis ant. et post, verbinden. 

Aus den beigelegten Krankheitsgeschiohten sind irgend welche besonderen 
Symptome intra vitam, die an diese Anomalieen gebunden wären, nicht zu con- 
statiren. Wilh. Stieda. 


10) Ein poronoephalisohe8 Gehirn. Naohtr&gliohe Bemerkungen au den 

seitlichen Rfiokenmarksfurohen, von Prof. Dr. Heinrich Obersteiner. 

(Arbeiten aus dem Laboratorium von Prof. Ob erst einer. Heft 8. 1902.) 

Das Gehirn entstammt einem fünfmonatlichen Kinde mit angeborenem Hydro- 
cephalus, der in der Folge noch beträchtliche Zunahme zeigte. Der Schädel¬ 
umfang betrug 60 cm. Es wurde der Sohädel ptfnctirt und 100 ccm Flüssigkeit 
entleert. Später Wiederholung der Punction, Tod nach 11 Tagen an acuter 
Meningitis. 

Verf. giebt an der Hand zahlreicher instructiver Abbildungen eine genaue 
Schilderung dee makro- und mikroskopischen Befundes. Es handelt sich um einen 
besonders ausgedehnten, nahezu symmetrischen Defect, bei dem das Looh bis in' 
den Ventrikel hinein reichte. Deutlich kenntlich sind der Temporal- und Occipital- 
lappen, links besser wie rechts. Vom Stirnlappen sind beiderseits nur die basalen 
Antheile erhalten. Vom Parietallappen sind nur die marginalen Windungszüge 
übrig, die einen henkelförmigen Bügel darstellen. Eine radiäre Stellung der 
erhaltenen Windungszüge gegen den Porus war nicht vorhanden. Uebrigens hält 
Verf. mit K ah Iden dafür, dass diese Radiärstellung nicht für den foetalen Ur¬ 
sprung der Porencephalie charakteristisch ist. Dura und Arachnoidea waren in 
ganzer Ausdehnung erhalten. Die Pia mater endigte frei am Porus; an sie 
schliesst sich, sie zum Theile überdeckend, Ventrikelependym an. Das Ependyro 
des Seitenventrikels ist verdickt, die Epithelzellen oft in die Tiefe gedrängt, 
stellenweise zu Schläuchen ausgewachsen. Das Unterhorn ist vielfach verwachsen, 
der 3. Ventrikel ist zum Theil durch einen gliösen Zapfen ausgefüllt, der mit der 
Wandung verwachsen ist. Im Aquaeductus Sylvii und im 4. Ventrikel fanden 
sich Ependymgranulationen. 

Der Fall erlaubt wichtige Schlüsse bezüglich der Anatomie der centralen 
Nervenbahnen, und sollen daher einige der Ergebnisse der Arbeit hier kurz wieder¬ 
gegeben werden: 


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Es fehlten die rechte Sehsphäre, der rechte Tractus and das Corpus genic. 
extern, vollständig, während im Sehnerven beiderseits die basalen Antheile, und 
zwar annähernd in gleicher Stärke erhalten waren. Die Gudden’sche Commissar 
war erhalten, desgleichen die Meynert’sche Commissar. Das Pulvinar des 
Thalamas ist nur angedeutet; der vordere Vierhügel rechts verkleinert, seine ober¬ 
flächliche graue und die Opticusschicht sehr reducirt. Der Ausgangspunkt dieser 
Schädigung dürfte im Occipitallappen liegen. Bezüglich der Endigungsstätten der 
Sehfasern in den primären Centren ergiebt sich, dass dieselben hauptsächlich in 
das Corpus genicul. later, eingehen; ein Theil endigt wahrscheinlich im Thalamus, 
während das Strat. zon. thal. nur wenig Bedeutung hat. Im vorderen Vierhügel 
sind das oberflächliche Grau und in zweiter Linie die Opticusschicht Endstätten 
der Sehfasern. Hingegen hat das Gangl. supraopt. keine Beziehungen zum cen¬ 
tralen Sehapparat. 

Die centrale Hörbahn ist rechts durch die Läsion des Schläfenlappens gleich¬ 
falls schwer geschädigt; auch dieser Fall bestätigt, dass Temporallappen, Corpus 
genicul. med., Arm des hinteren Vierhügel und hinterer Vierhügel dieselbe zu¬ 
sammensetzen. Während aber in der Sehbahn sich die Atrophie bis in den 
Opticus erstreckte, ist der analoge Antheil der centralen Hörbahn, laterale Schleife 
und Trapezkörper verschont. 

Die Stabkranzfaserung besteht rechts bloss aus dem vorderen Stiel des 
Thalamus opticus, der Radiatio striothalam., einer schwachen Andeutung von 
Fornixfasern und dem Riechbündel. Links ist ausser den genannten Gebilden auch 
die Stabkranzfaserung des Schläfen- und Hinterhauptslappen vorhanden. Rechts fehlt 
der Hirnschenkelfus8 nahezu vollständig, links enthält er die temporale Brückenbahn. 

In der Haube der Brücke springen tegmento-cerebellare Bahnen deutlich 
hervor. Die Pyramiden in der Med. oblong, fehlen vollständig. Im Seitenstrang 
findet sich beiderseits eine tiefe Einkerbung, die peripherwärts von der Kleinhirn¬ 
seitenstrangbahn eingesäumt wird. Diese Furchen sind nicht ohne weiteres mit 
dem Ausfall der Pyramidenstränge in Zusammenhang zu bringen, da sie sich auch 
unter normalen Verhältnissen finden, wie Verf. gleich Flechsig betont, dann, 
wenn der Pyramidenseitenstrang besonders schwach entwickelt ist, bei entsprechender 
Vergrösserung des Pyramiden Vorderstranges. Da sich aber diese Furchen nicht 
immer unter solchen Umständen oder beim Fehlen der Pyramidenstränge finden, 
ist auch noch eine gewisse Anlage zur Furchenbildung an dieser Stelle anzunehmen. 
Diese Furchen stellen ein Analogon jener dar, die sich in der Gegend der Helweg’- 
schen Bahn findet. 

Von den Basalganglien sind der N. caudat. und lentiformis entwickelt, aber 
in Form und Lage verändert. Hingegen ist der Thalamus opt. stark geschädigt, 
hauptsächlich wohl durch den Ausfall der cortico-thalamischen Bahnen. 

Der Fase. long. inf. ist links wohl ausgebildet, jedoch ist dessen Zugehörig¬ 
keit zu den Associationssystemen neuerdings recht zweifelhaft. Die anderen 
Associationssysteme fehlen. Von den Commissuren ist bloss die vordere, wenn 
auch schwach, ausgebildet, der Balken fehlt ganz. 

Verf. bespricht hierauf die im beschriebenen Gehirn vorfindliche Mikrogyrieen, 
wobei er zugleich einen allgemeinen Ueberblick über die Mikrogyrie und ihre 
verschiedene pathologische Bedeutung giebt. Dieselbe kann bedingt sein durch 
Sklerose der Windungen, dann durch cystöse oder tuberöse Entartung oder durch 
Schwund des Markes. Daneben steht die wahre Mikrogyrie, beruhend auf 
Entwickelungsheromungen und ohne histologische Zeichen der Sklerose. In dem 
Gehirn, das Verf. untersuchte, fand sich an verschiedenen Partieen. darunter auch 
im Kleinhirn, Aenderungen der normalen Structur der Rinde mit mikrogyrie- 
artigen Bildungen, die aber nicht an der Oberfläche sich kenntlich machten, 
innere Mikrogyrie. Daneben fand sich auch Heterotopie der grauen Substanz. 


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Die Pathogenese der Porencephalie in seinem Falle erklärt Verf. folgender* 
maassen: hydrocephalische Erweiterung der Ventrikel mit Zerstörung des Septums 
und eines Theiles des Fornix; Compression und successive Undurchgängigkeit der 
Ausbreitungen der Art. cerebri media, hauptsächlich in der Inselgegend. Dadurch 
ist die weitere Entwickelung der von den verödeten Gefassen versorgten Hirn- 
theilen aufgehoben, dieselben schrumpfen, es erfolgt Durchbruch des Hydrocephalus 
an diesen verdünnten Stellen. Die dem Porus benachbarten Windungen wuchern 
in Form der inneren Mikrogyrie, gleichwie auch das Ependym vom 3. Ventrikel 
abwärts in Wucherung geräth. Eine ähnliche Entstehungsweise dürfte nur für 
solche Fälle von Porencephalie in Frage kommen, die in früher Foetalperiode 
einsetzen und mit Hydrocephalus verbunden sind. Redlich (W’ien). 


Pathologie des Nervensystems. 

II) Bhinogener Stirnlappenabsoesa, durch Operation geheilt, von J. Herz* 

feld. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47.) 

Bei einem 20jähr. Maurer, welcher 6 Wochen vor seiner Aufnahme in die 
Klinik einen Schnupfen bekommen hatte, stellte Verf. aus den Symptomen: äusserst 
starker Kopfschmerz, Fieber, verlangsamter Puls (50 p. M.), Druckschmerzen des 
Bodens und der vorderen Wand des linken Sinus frontalis, Stupidität die Dia¬ 
gnose auf eine Nebenhöhleneiterung mit namentlich starker Betheiligung des linken 
Sinus frontalis. Der sehr niedrige Puls liess den Verf. auch an eine endocranielle 
Erkrankung denken, zumal Pat. im Verlaufe der Beobachtung immer theilnahm- 
loser und gleichgültiger wurde. Geruchsinn völlig erhalten, woraus von vornherein 
geschlossen werden konnte, dass die Gegend der Lobuli olfactorii frei war. Der 
Augenhintergrund hatte trotz wiederholter Untersuchung nie etwas Abnormes 
ergeben; ebenso bot die nervenärztliche Untersuchung bis auf die bei extremer 
Blickrichtung nach links auftretenden geringen nystagmusartigen horizontalen 
Zuckungen keinen wesentlichen Befund. Als sich Nackensteifigkeit einstellte, 
entschloss sich Verf. zur Eröffnung des linken Sinus frontalis; er fand die hintere 
Wand desselben cariös, meisselte sie weg und resecirte, um die sich vorwölbende, 
nicht pulsirende Dura weiter freizulegen, noch ein Stück des Stirnbeines. Es 
quoll äusserst fötider Eiter zwischen Dura und Knochen hervor und ebenso nach 
Spaltung der Dura aus dem Intraduralraum. Dieser fötide Eiter kam aus einer 
Fistelöfihung der Frontalhirnsubstanz. Durch die erweiterte Fistelöfihung gelangte 
der Zeigefinger in eine Abscesshöhle des Frontalhirns, welche so gross war, dass 
zwei Phalangen des Fingers nach oben wie lateralwärts eingeführt werden konnten. 
Die bakteriologische Untersuchung des intradural gewonnenen Eiters ergab in der 
Hauptsache die Anwesenheit von Fränkel<Weichselbaum’sohen Pneumonie¬ 
kokken. Nach 5 Wochen war Pat. völlig geheilt, sein stupides und gleich¬ 
gültiges Wesen vor der Operation war vollkommen gewichen. Verf. betont, dass 
der negative neurologische Befund in diesem Falle nicht weiter wunderbar ist, 
da der Lobus frontalis weder motorische noch sensible Centren enthält. Dies ist 
auch der Grund, warum Stirnlappenabscesse, wenn sie auch noch so gross sind, 
nur schwer zu diagnosticiren sind. Eine Ausnahme machen nur die linksseitigen 
Stirnlappenabscesse, welche die dritte Stirnwindung ergriffen haben, in welchem 
Falle Aphasie beobachtet werden wird. Hirnabscesse rhinogenen Ursprungs sind 
im Verhältnis zu den otogenen Hirnabscessen selten; in der zusammenstellenden 
Arbeit von Dreyfuss lassen sich nur 12 Fälle auffinden, zu denen Verf. ausser 
dem seinigen noch sieben weitere Fälle aus der Litteratur hinzufügt. 

Bielscbowsky (Breslau). 


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13) Ueber die beim otitiiohen Absoess des linken Sohlftfenlappens auf¬ 
tretenden Störungen der Spraohe, von W. Merkens. (Deutsche Zeitschr. 

f. Chirurg. 1901. August.) 

Verf. giebt zunächst einen kurzen Ueberblick über 25 aus der Litteratur 
gesammelte Fälle. Bei diesen war Wortstummheit in 100 °/o» Worttaubheit in 
32°/ 0 , Störungen beim Nachsprechen in 8 °/ 0 , Schreibstörung in 28°/o> L®*®' 
Störung in 36°/ 0 , Seelenblindheit (angedeutet) in l6°/ 0 vorhanden. Verf. stellt 
ein Schema der Sprachstörungen ähnlich dem Grashey’schen auf und erörtert 
an demselben die einzelnen Formen. Bezüglich der „optischen Aphasie“ stellt er 
sich insofern in Gegensatz zu Oppenheim, als er zu beweisen sucht, dass diese 
Fälle keine wirkliche Sprachstörung sind, sondern bei ihnen stets ein leichter 
Grad echter Seelenblindheit im Spiele ist. Den Umstand, dass die Bahn vom 
„Begriffecentrum“ (ein Wort, das trotz seiner verfehlten Bildung in Aphasie- 
schemon unentbehrlich zu sein scheint!) zum Wortklangbildcentrum (Wortstumm¬ 
heit) so viel häufiger betroffen ist als die umgekehrt leitende (Worttaubheit), 
wo doch beide offenbar einander nahe benachbart liegen müssen, erklärt er aus 
der auch anderweitig im Centralnervensystem beobachtbaren grösseren Empfindlich¬ 
keit der centrifugalen Bahnen. Ueberhaupt legt er Werth darauf, dass nur aus¬ 
nahmsweise die Sprachcentren selber, in der Regel nur die Sprachbahnen lädirt 
sind. — Bezüglich der Frage, ob das Schriftbildcentrum einseitig oder doppel¬ 
seitig vertreten ist, weist er darauf hin, dass die Ansicht verschiedener Autoren, 
Seelenblindheit komme nur bei doppelseitiger Oocipitalaffection vor, nioht mehr 
haltbar ist, und dass die Beobachtungen bei Sohläfenlappenabscess mit einer links¬ 
seitigen Vertretung des Schriftbildcentrums wohl vereinbar sind. — Bei der 
Diagnose: Schläfen!appenabscess hat man besonders darauf zu achten, ob Pat. 
vom Begriffe her ungestört reden kann, d. h. beim spontanen Sprechen die Worte 
leicht findet, und vor allen Dingen, ob er im Stande ist, Begriffe, die durch 
Sinneseindrücke erregt werden, präcise zu bezeichnen. Weiter, ob das Verständniss 
für die Lautsprache erhalten ist; endlich Untersuchung der Schriftsprache. Be¬ 
stehen Störungen der letzteren unabhängig von der Lautsprache, so hat man 
Grund, einen mehr occipital gelegenen Herd anzunehmen. 

H. Haenel (Dresden). 


13) A patient operated on six months previously for absoess of the tem- 
poro-sphenoidal lobe originatisg In middle-ear disease, by H. Ruther- 
furd. (Glasgow med. Journ. 1900. December.) 

Bericht über einen mit Glück operirten Fall von otitischem Schläfenlappen- 
abscess bei einem 19jähr. Patienten. Die Symptome waren Somnolenz, Pule¬ 
verlangsamung, doppelseitige Neuritis optica, Parese des rechten Arms und des 
rechten unteren Facialis, Mydriasis links mit träger Pupillenreaction, Ptosis links, 
Deviation der Zunge nach links. Eine vorübergehende Sprachstörung war zwei 
Tage nach der Operation zu constatiren. Pat. wurde geheilt entlassen. 

Martin Bloch (Berlin). 


14) Otitis media aouta purolenta et empyema antri et oellul. mastoid. et 
paohymeningitis suppurativa ext. et absoessus oerebrl Gobi temp.); 
trepanation ooh transplantation enl. König; heisa, af Karl Dahlgren. 
(Upsala läkarefören. förhandl. 1900. S. 481.) 

Ein 2 Jahre 3 Monate alter Knabe hatte im Alter von l'/j Jahren eine 
Beule hinter dem linken Ohre gehabt, die nach Incision rasch geheilt war. Am 
11. Juli 1899 bekam er Erbrechen und Fieber, die Gegend hinter dem linken 


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Ohr wurde roth und geschwollen, es bestand Kopfschmerz und Sohinerz im linken 
Ohr. Am 15. Juli Nachmittags waren die Augen nach rechts gerichtet und 
Zuckungen in den rechten Gliedern stellten sich ein, die Abends wieder aufhörten, 
aber in der Nacht trat Lähmung der rechten Extremitäten mit Bewusstlosigkeit 
auf; der rechte Mundwinkel war paretisch. Es bestand unbedeutender Ohrenfluss 
der bald ganz auf hörte. Am 16. Juli wurde nach Aufmeisselung des Proc. mast, 
die Schädelhöhle von der Pars mastoidea aus geöfihet. In der Höhle und in den 
Zellen des Proc. mast, wie auch im Subduralraum fand sich Eiter, nach dessen 
Entfernung die Spannung der Dura und das Vorhandensein von Hirnpulsationen 
auf tiefer gehende Veränderungen deuteten. Die Dura wurde gespalten und 
einige Centimeter oberhalb des Gehörgangs zeigte sich eine weichere Partie des 
Gehirns, in der mittels einer Sonde ohne Schwierigkeit ein taubeneigrosser Absoess 
geöfihet wurde, der dünnen Eiter enthielt. Als der Abscess geöfihet wurde, be¬ 
wegte Pat. den rechten Arm und die Zwangsstellung der Augen nach rechts 
verschwand; gegen Ende der Operation trat Krampf im rechten Arm auf. Am 
18. Juli trat in der linken Gesichtshälfte ein Oedem auf, das nach Verlauf eines 
Tages wieder verschwand. Gegen Mittag wurden Zuckungen um den Mund herum 
beobachtet, die sich sehr rasch über den ganzen Körper verbreiteten; der Anfall 
dauerte etwa 2 Minuten. Am 20. Juli schien Pat. Beine Eltern zu erkennen. 
Durch den grossen Knoohendefect war ein Vorfall von Hirnmasse, fast von der 
Grösse eines Hühnereies, entstanden, der sich später bedeutend verkleinerte. 
14 Tage nach der Operation begann Pat. zu sprechen, Ende August zu gehen. 
Am 25. September wurde Pat. nach Hause entlassen; er sprach normal und ging 
fast normal; die Beweglichkeit im Arme war viel langsamer wiedergekehrt als 
im Beine. 

Am 15. November wurde Pat. unwohl und die Ausbuchtung hinter dem Ohre 
vergrösserte Bich, wurde empfindlich und pulsirte; ihre Bedeckung bestand zum 
grössten Theile aus dünner narbiger Epidermis. Am 17. November wurde diese 
Haut abgetragen, der Boden der dadurch entstandenen Wunde bestand in der 
Peripherie aus Dura mater, im Centrum aus weicher Hirnhaut, die eine durch¬ 
sichtige Blase bildete, aus der nach der Eröffnung klare Flüssigkeit ausrann. 
Die Wunde wurde durch Haut, Periost und Tabula externa aus der Nachbarschaft 
geschlossen. Die erste Zeit nach der Operation sickerte ziemlich viel klare 
Flüssigkeit aus der Naht, hörte aber Mitte December auf. Die Heilung ging gut 
von Statten, aber als Pat. am 6. Januar 1900 entlassen wurde, war der Defect 
noch nicht vollständig geheilt, verheilte aber später vollständig. Pat. befand sich 
in der Folge gut, griff aber immer noch mit der Hand in Extensions- und Pro¬ 
nationsstellung zu, Abductionsbewegung des Oberarms vermeidend. 

Walter Berger (Leipzig). 


15) Otitis med. suppurativa dextra; mastolditis suppurativa; absoessus 
lobt temporal!« dextri; hemiparesls sinistra; trepanation; heisa, af 

F. Bauer. (Hygiea. 1900. LXIL S. 322.) 

Ein 38 Jahre alter Maurer, der seit 3 Monaten an Ausfluss aus dem rechten 
Ohr litt, hatte seit einem Jahre Anfälle von heftigem Kopfsohmerz über dem 
rechten Ohre nach der Scheitelgegend zu, der seit einiger Zeit heftiger und an¬ 
haltender geworden war. 2 Tage vor der am 19. August 1899 erfolgten Auf¬ 
nahme bemerkte Pat. früh beim Anziehen, dass seine linken Extremitäten schwach 
waren und es entwickelten sich starke Parese im linken Arme, geringere im linken 
Beine. Die rechte Pupille war grösser als die linke und reagirte träg. Die 
Sehnervenpapillen waren an den Grenzen verwasohen. Ausserdem bestand Mastoi- 
deiti*. Der Puls zählte 50 Schläge und war schwach und unregelmässig. Die 


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Temperatur betrug 36,9°. Pat. war benommen, unruhig, hatte Steifheit im Nacken. 
Nach Trepanation des Processus mastoideus fand sich in der Höhle Eiter, Granu¬ 
lationen und ein grösserer Sequester. An der inneren Wand des Antrums war 
ein Defect,. durch den ein feiner Canal in die Schädelhöhle führte. Nach Er¬ 
weiterung der Trepanationsöffnung sah man die blosgelegte Dura verfärbt und 
ohne Pulsation; ein Einschnitt durch die Dura in die Hirnmasse entleerte aus der 
Tiefe von 2 cm dicken Eiter, von dem nach Debrideraent der Höhle 20 ccm ent¬ 
fernt wurden. Der Abscess wurde drainirt, die Wunde mit Jodoformgaze tampo- 
nirt. Nach der Operation stieg die Temperatur, aber Fieber stellte sich nioht 
ein, die Parese nahm ab, die Steifheit im Nacken verschwand, Pat. wurde klarer. 
14 Tage nach der Operation war die Wunde geheilt, alle Krankheitserscheinungen 
waren verschwunden und Pat fühlt nur noch etwas Müdigkeit im Kopf. Später 
befand er sich vollkommen wohl. W T alter Berger (Leipzig). 


16) Aboös du lobe temporal droit du oerveau d’origine inoonnue, par 

Lagriffe (Toulouse). (Archives de neurologie. 1901. April.) 

Ein 36jähr. Kaufmann, der seit vielen Jahren Alkoholist (5 Liter Wein 
pro Tag) war, wurde plötzlich von einem schweren Kopfschmerz befallen, daran 
schloss sich eine Ohnmacht; einige Wochen später trat zu dem nicht zu ver¬ 
mindernden Kopfweh eine Amnesie und sodann Gehör- und Gesiohtshallucinationen. 

Im Krankenhause wurde dann auf Grund der Untersuchung und der Fort¬ 
schritte der Erkrankung die Diagnose einer Neubildung an der Basis gestellt 
Da die Entstehungsweise völlig unklar war, wurde eine specifische Behandlung 
eingeleitet, welche aber ohne jeglichen Erfolg blieb. 

Verhältnismässig plötzlich starb der Kranke unter plötzlich sehr hoch an¬ 
steigendem Fieber; die Section ergab einen Abscess im rechten Temporallappen. 

Der Fall ist genau beobachtet und mitgetheilt; es sei darum auf ihn hier¬ 
durch hingewiesen. Adolf Passow (Meiningen). 


17) Sin daroh Operation geheilter Fall von Qehirnabsoess im Bohl&fbn- 
lappen nach chronischer Mittelohreiterung, von Dr. Hölscher. Aus 
der Universitäts-Ohrenklinik in Tübingen. (Münchener med. Wochenschr. 
1901. Nr. 40.) 

Zuerst war in diesem Falle die Radicaloperation gemacht worden, wobei ein 
grosses Cholesteatom entfernt, aber kein Eiterherd aufgefunden wurde. Danach 
blieben mässiges Fieber und heftige Stirnkopfschmerzen, die in die Augen aus¬ 
strahlten, bestehen. Es traten Schwindel, Nackenschmerzen, Nystagmus, Puls¬ 
verlangsamung hinzu, so dass eine intracranielle Complication zur Gewissheit 
wurde. Bei einer zweiten Operation wurde ein Schläfenlappenabscess gefunden 
und glücklich beseitigt, trotz grossen Hirnprolapses, der ausheilte und ebenso 
wenig wie der Abscess selbst zu manifesten Störungen führte. 

Besonders hervorzuheben ist, dass in diesem Falle zu keiner Zeit Stauungs¬ 
papille beobachtet wurde, obwohl die Steigerung des Hirndrucks sehr deutlich in 
Erscheinung trat. Wie der Verf. weiter mittheilt, ist in sämmtlichen, im Laufe 
der letzten l 1 /, Jahre in Tübingen ophthalmoskopirten Fällen von Gehirnabscessen, 
Sinusthrombosen und extraduralen Abscessen überhaupt nur ein Mal Stauungs¬ 
papille gefunden worden. E. Asch (Frankfurt a/M.). 

18) Oerebellar leeions without oerebellar Symptoms, by S. Wadsworth. 
(Proc. of Path. Soc. of Philadelphia. 1901. Juli.) 

Im ersten, kurz berichteten Falle wurde eine Sklerose der linken Kleinhirn* 


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hemisphare gefunden, die im Leben überhaupt keine Störungen gemacht hatte; 
der zweite Fall, ein Eieinhirntumor, hatte ausser Kopfsohmerzen, die schon seit 
6 Jahren vor dem Tode bestanden, keine Erscheinungen dargeboten, obgleich der 
Wurm fast völlig, im vorderen wie im hinteren Abschnitt, zerstört war. Im 
dritten Fall lag eine Compression des Kleinhirns durch einen Tumor der Vier- 
hügel vor; der Kranke hatte das Bild der amyotrophischen Lateralsklerose dar¬ 
geboten. H. Haenel (Dresden). 


19) Ueber EHeinhirngesohwülste , von Primärarzt Dr. L. E. Bregman in 

Warschau. Aus der Abtheilung für Nervenkranke im israelitischen Spital 

in Warsohau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

I. 6jähr. Knabe aus mit Tuberculose und Krämpfen belasteter Familie. Vor 
einem Jahr tuberculöses Knoohenleiden, seit 5—6 Monaten Anfälle von Kopf¬ 
schmerz mit Erbrechen, in letzter Zeit verbunden mit starker Rückwärtsbeugung 
des Kopfes und Bogenkrümmung des Rumpfes. Nach dem letzten Anfall inner¬ 
halb 2 Tagen Erblindung, seit einigen Wochen unsicherer Gang. Es besteht 
grosse Euphorie, manchmal Schläfrigkeit, unbedeutender Kopfschmerz in der 
Stirngegend, Puls 96, beiderseits Amaurose und Neuritis optica, Augenbewegungen 
nach rechts beschränkt, in der rechten Gesichtshälfte arythmische, choreatische 
Zuckungen, Gang cerebellar-atactisoh-paretisch, Sehnenreflexe erhöht, beiderseits 
Fussklonus. Während der Beobachtung mehrere Anfälle von starkem Kopfschmerz 
mit Erbrechen und hochgradigem Opistho- und Emprostotonus. Es wurde eine 
Geschwulst in der rechten Kleinhirnhälfte angenommen und fand sich auoh in 
derselben bei der Autopsie ein grosser Solitärtuberkel. 

II. 61jähr. Kaufmann, seit einigen Wochen Kopfschmerz, Schwindel, Sausen 
im Kop^ unsicherer Gang, beiderseits Stauungspapille, Pupillen mittelweit, von 
guter Reaction auf Licht, Puls 66, Gang cerebellar-atactisch-spastisch, leichte 
Parese der Beine, Musculatur in allen Extremitäten stark gespannt, Sehnenreflexe 
(wahrscheinlich deshalb) nicht auslösbar. Im Verlauf der nächsten 2 Monate 
Zunahme der Störungen, dauernde Parese des Gesichts und der Extremitäten 
links, Nackensteifigkeit und Rückwärtsbeugung des Kopfes. Ausserdem bestand 
sich allmählich steigernder Torpor cerebri und meist horizontale Lagerung des 
Körpers, sowie Liegen de3 Kopfes auf der linken Seite. Es wurde die Wahr- 
scheinlichkeitsdiagnose auf linksseitige Kleinhirnläsion gestellt, aber auch ein Sitz 
des Tumors in der rechten Grosshirnhemisphäre (psychische Symptome, Ataxie, 
Hemiparese links) nicht bestimmt ausgeschlossen. Die Section ergab das Vor¬ 
handensein eines fast die ganze linke Kleinhirnhälfte und einen Theil des Wurms 
einnehmenden Tumors tuberculösen Charakters und ausserdem noch zwei tuber- 
culöse Herde im Thalamus opticus und in der Convexität des Occipitallappens. 

IIL 9jähriger, nioht belasteter Knabe. Seit 10 Monaten Anfälle von nicht 
localisirtem Kopfschmerz mit Uebelkeit und Erbrechen, vor 4 Monaten zuerst 
taumelnder Gang, seit 2*/j Monaten Gehen unmöglich, plötzlich auftretende 
Amaurose und Vergrösserung des Schädels. Kopfumpfang 56,5, Sagittalnaht 
deutlich auseinandergegangen, Ballotement der Parietalknochen. Percussion des 
Schädels nicht schmerzhaft, Gedächtniss theil weise erhalten, sinnloses Schwätzen, 
Echo- und Koprolalie. Beiderseits Stauungspapille, Anfangs vorübergehende, später 
dauernde Parese der rechten Gesichtshälfte namentlich im unteren Theil, Opistho¬ 
tonus, spastische Spannung aller Extremitäten, Parese der rechten oberen und 
Paralyse der rechten unteren Extremität, beiderseits Fussklonus. Während 
l 1 /* monatlicher Beobachtung bot das Kind stets das gleiche Bild. Entlassung 
aus der Behandlung. Auch in diesem Falle wurde eine Läsion der rechten Klein¬ 
hirnhälfte angenommen. Der Hydrooephalus, welcher das Bersten der Nähte be- 


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dingte, war jedenfalls secundär und die plötzliche Amaurose eine Folge deeseiben, 
durch Druok auf das Chiasma hervorgerufen. 

Die einseitigen motorischen Störungen sowie die seitlichen Blicklähmungen 
und der seitliche Nystagmus bei Geschwülsten des Cerebellums sind als directe 
Kleinhirnsymptome aufzufassen. Ausserdem sind Nackensteifigkeit und Rückwärts* 
beugung des Kopfes charakteristische Symptome bei Tumoren dieses Organs. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

20) Ueber die klinischen und anatomischen Ergebnisse eines Eieinhirn¬ 
tumors, von Probst und v. Wieg. (Jahrbücher f. Psychiatrie u. Nerven- 
krankh. XXI. S. 211.) 

Knabe von 12Vs Jahren. Kopfschmerzen, taumelnder Gang. Abnahme des 
Sehvermögens, cerebrales Erbrechen. Stark erweiterte, auf Licht reactionslose 
Pupillen. Beiderseits Stauungspapille (links Uebergang in Opticusatrophie), linker¬ 
seits Faoialisparese des oberen und unteren Astes, leichte Parese und Hypotonie 
der linksseitigen Extremitäten. In beiden Armen leiohte Ataxie. Romberg’sches 
Zeichen positiv. Cerebellare Ataxie. Patellarreflex rechts >. Plötzlicher Exitus. 
Klinische Diagnose lautete auf Kleinhirntumor. 

Obduction: Hydrocephalus internus. Mittellappen und angrenzende Partieen 
beider Kleinhirnhemisphären von Tumormassen (Gliom) durchsetzt. Zerstört waren 
der vordere innere Antheil des linken Nucleus dentatus, der linke Strickkörper, 
laterale Acusticuswurzel und abgehender Bindearm; der Deiters'sehe Kern war 
beiderseits erhalten. 

An Frontalsohnitten (Marchi) konnte die degenerirte Bindearmfaserung im 
Verlaufe ihrer Kreuzung und ihres Durchzuges durch den rothen Kern nach auf¬ 
wärts als Hauptmasse der sog. Haubenstrahlung von Flechsig und des lateralen 
Markes des rothen Kerns (Monakow) bis zu ihrer Endigung zwischen beiden 
Marklamellen im centralventralen Sehhügelkerne verfolgt werden. Pyramidenhahn 
und mediale Schleife erwiesen sich als intact Ausserdem Degeneration des 
Traptus opticus. Degeneration in beiden hinteren Längsbündeln und den im 
inneren Theile des Strickkörpers verlaufenden absteigenden Kleinhirnfasern („innere 
Strickkörperbündel“); Kleinhirnvorderseitenstrangbahn nioht degenerirt (Deiters’- 
scher Kern erhalten). Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks. 

Die Differentialdiagnose zwischen. Vierhügel- und Elleinhirntumor einerseits, 
Tumor cerebri und chronischem Hydrocephalus andererseits wird eingehend erörtert. 

Die cerebellare Ataxie fassen die Verff. als direotes Kleinhirnsymptom auf, 
ebenso das Symptom einseitiger Muskelschwäche und Hypotonie. Es werden be¬ 
sonders besprochen die Verbindungen des Kleinhirns mit den grossen Stamm¬ 
ganglien und Rückenmark, das Zusammenarbeiten der sensiblen centripetalen 
Kleinhirnbahnen (Kleinhirnseitenstrangbahn, Gowers, Hinterstrang) mit den vom 
Kleinhirn bezw. Deiters’schem Kern ahgehenden motorischen Bahnen und den 
gegen das Grosshirn zu abführenden Kleinhirnhahnen. Die HinterBtrangdegeneration 
führen die Verff. theils auf toxische Einflüsse, theils auf den gesteigerten Hirn¬ 
druck zurück. 

2 Tafeln mit 7 Figuren und eine Abbildung im Texte sind der Arbeit bei¬ 
gegeben. Pilcz (Wien). 

21) A tumor (neuroglloma) of the superior worin of the cerebellum aaso- 
oiated with oorpora quadrigeminal Symptome, by H. C. Gordinier. 
(Journ. of Nervous and Mental Disease. 1901. October.) 

21 jähr. Patient erkrankt April 1898 mit Kopfsohmerzen, Erbrechen, Abnahme 
der Sehkraft und Gehstörungen, sowie Zuckungen in Armen und Beinen. Bei 


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der Aufnahme wird folgender Status erhoben: Mydriasis, linke Pupille etwas > r., 
Reaction auf Accommodation sehr gering, auf Licht nicht sicher vorhanden, leichte 
Convergenz der BulbL Geringer Nystagmus horizontal»; fast völlige Lähmung 
der Auf- und Abwartsbeweger der Bulbi, geringe doppelseitige Ptosis. Beider* 
seits Neuritis optica mit Ausgang in Atrophie. Facialis, Hypoglossus, Trigeminus, 
Glossopharyngeus, Olfactorius und Acusticus frei. Grobe Kraft der Extremitäten 
gut, keine Spasmen, keine Muskelatrophieen. Keine Ataxie an den Armen, stereo* 
gnostischer Sinn intact. Grober Intentionstremor der Hände. Gang oerebellar* 
atactisch mit Neigung nach links zu fallen. Romberg’sqfree und Westphal’scbes 
Zeichen. Ataxie des linken Beins auch in Rückenlage. Starke Cyanose der 
Hände und Füsse. Abnahme des Gedächtnisses und des Auffassungsvermögens. 
Die Autopsie ergab ein Neurogliom, ausgehend vom Oberwurm, von dem es 
Cacumen, Lobulus centralis und Lingula völlig zerstört hat, und das in seinem 
weiteren Wachsthum nach vorn nahezu symmetrisch das hintere Corpus quadri- 
geminum beider Seiten, rechts last vollkommen, links in geringerer Ausdehnung 
zerstört hat. Weiter afficirt sind die Kleinhirnsohenkel, der Aquaeduotus Sylvii 
und dessen Dach. Die mikroskopische Untersuchung, die auch interessante Zell- 
typen an der untersuchten Geschwulst auffinden liess, ergab Veränderungen an 
den rothen Kernen, ferner erhebliche Alterationen am Oculomotorius- und Troch- 
leariskern, fast völligen Untergang der centralen grauen Substanz des Aquaeducts. 
Pons und Medulla waren im wesentlichen normal, auch die Schleifenfaserung zeigte 
keinerlei Degeneration, ebenso wenig die Kerne des Acusticus, Facialis und 
Abducens. Die weiteren Ausführungen des Verf.’s über die Symptomatologie der 
Vierhügelaffectionen und besonders über den Werth der von Nothnagel für 
diese gegebenen diagnostischen Kriterien müssen im Original nachgelesen werden. 

Martin Blooh (Berlin). 

22) Fünf Fälle von Kleinhirntumor, von Dr. G. von Voss, Arzt an der 
Nervenabtheilung des Marienhospitals für Arme in St. Petersburg. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. XXL 1901.) 

Von den fünf unter der Diagnose Kleinhirntumor mitgetheilten Fällen endigten 
zwei letal. Bei der Autopsie erwies sich der eine als ein vom hinteren Theil 
des 4. Ventrikels ausgehendes Angiosarcom, sowie als unerkannt gebliebene Syringo¬ 
myelie, die. vom unteren Brustmark bis zum Beginn des 4. Ventrikels reiohte. 
In der anderen Beobachtung fand sich ein hühnereigrosser Tumor, der von der 
reohten inneren Tentoriumhälfte seinen Ausgang nahm. Von den charakteristischen 
Symptomen war Kopfschmerz stets, cerebellare Ataxie, Schwindel und Stauungs¬ 
papille in 4 Fällen nachzuweisen, Erbrechen fehlte zwei Mal, während Athem- 
Störungen und Pulsverlangsamung nicht bemerkt wurden. Nur zwei Mal kamen 
Traumen in Betracht; eine engere Beziehnung zwischen denselben und dem Beginn 
des Leidens liess sich indessen nicht feststellen. Ausgesprochene Nackensteifigkeit 
war drei Mal vorhanden und kommt diesem Symptom zweifellos eine grosse 
Wichtigkeit bei, falls Meningitis ausgeschlossen werden kann. Sehr grosse 
Schwierigkeiten bieten sich der Diagnose, festzustellen, auf welcher Seite der Tumor 
seinen Sitz hat. Offenbar vermögen in Folge des langsamen Wachsthums der 
Geschwulst die davon direct betroffenen Theile auszuweichen, während die gegen¬ 
überliegenden dem Druck gegen knöcherne Wandungen ausgesetzt sind. 

_ E. Asch (Frankfurt a/M.). 

23) Zur Diagnostik und Therapie des Hydrooephalus internus und der 
Kleinhirntumoren, vonQSommer. Vortrag, gehalten in der medicinischen 
Gesellschaft in Giessen am 22. Februar 1901. (Deutsche med. Wochenschr. 
1902. Nr. 3.) 

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Ein lljähr. Patient batte anfallsweise auftretende Kopfschmerzen mit Er¬ 
brechen, später Schwindel. Hydrocephalische Kopfform, allmählich zunehmende 
Wölbung der Stirn. Frühzeitige Abnahme der Sehschärfe durch Stauungspapille, 
anfangs inconstante rechte Abducensparese, später Strabismus divergens, Deviation 
nach rechts und Nystagmus. Zeitweise Schmerzen im linken, selten im rechten 
Quintusbereich und rechten Arme. Ein Spätsymptom bildete Ataxie der Unter¬ 
extremitäten nebst geringer Pareee und fehlenden Sehnenreflexen. Wahrscheinlich¬ 
keitsdiagnose: Tumor der linken Kleinhirnhemisphäre im oberen Theil mit Druck 
auf den linken Pons nehst oomplicirendem Hydrocephalus. Das zeitweilige Auf¬ 
treten von epileptiformen Anfällen wurde durch Druck auf die Vena magna Galeni 
erklärt. — Bei der Operation wurde kein Tumor gefunden; Exitus. Die Section 
ergab Hydrocephalus und einen ausgedehnten Kleinhirntumor (Sarcom), der an¬ 
scheinend von der Marksubstanz des Oberwurms oder dem Dach des 4. Ventrikes aus¬ 
gehend nach vorne und unten in die Rautengrube hineingewachsen war, den Pons 
von hinten oben, besonders in seiner linken Hälfte, comprimirte und nach vorne 
oben gegen die Einmündungsstelle der Vena magna in den Sinus rectus drückte. 
Im Kleinhirn hatte die Geschwulst sich beiderseits gegen die Markstrahlung ent¬ 
wickelt, die linke Seite aber bevorzugt. 

Verf. glaubt, dass in solchen Fällen durch Eröffnung des Schädels über dem 
Kleinhirn und durch Entlastung der Vena Galeni der Hydrocephalus auch ohne 
Entfernung des Tumors und ohne Ventrikelpunction beseitigt Verden könnte. 
Die Ursache für die nach Hirnoperationen so häufigen Todesfälle, deren klinisches 
Bild auf eine Lähmung der Medulla oblongata hinweist, sieht Verf. in zu plötz¬ 
licher Aenderung der Circulationsverhältnisse und verspricht sich von langsamerem, 
zweizeitigem Vorgehen bessere operative Erfolge. Er empfiehlt bei Kleinhirn¬ 
tumoren mit Hydrocephalus und allen anderen Fällen von Hydrocephalus, in denen 
eine Absperrung der Vena Galeni wahrscheinlich ist, folgende Reihenfolge von 
Eingriffen: 

1. eventuell Lumbalpunction, 

2. Eröffnnung des Schädels hinter dem Kleinhirn zur Entlastung der Venn 
Galeni, 

3. nach einer Reihe von Tagen eventuelle Exstirpation der Geschwulst bezw. 
Punction der Ventrikel. 

Liesse sich in Fällen von beginnendem Hydrocephalus durch blosse Eröffnung 
der Schädelkapsel über dem Kleinhirn Besserung erzielen, so würde in prophy- 
lactischer Hinsicht die beträchtliche Zahl von hydrocephalischen Idioten bei 
rechtzeitiger Diagnose und Operation vermindert werden können. 

R. Pfeiffer. 


24) Larve d’hypoderme dann le bulbe raohidien d’un oheval, parRailliet 

et Duoasse. (Recueil de m6d. vetörinaire. 1901. S. 207.) 

Eine interessante parasitäre Affection der Medulla oblongata sah 
Ducasse. Ein Pferd war ganz plötzlich unter schweren Motilitätsstörungen 
erkrankt und 45 Stunden danach gestorben, ohne dass ein genauer Status hätte 
aufgenommen werden können. Bei der Section wurde im Bereiche der linken 
Pyramide an der Ventralseite der Medulla oblongata ein etwa nussgrosser hämor¬ 
rhagischer Herd aufgedeckt, in dessen Centrum sich eine über centimeter lange 
Hypodermalarve aufhielt. Railliet, der diese Beobachtung von Ducasse mit¬ 
theilt, unterzieht sich der dankenswerthen Mühe dfc* Zusammenstellung aller ein¬ 
schlägigen Arbeiten, die er in der Litteratur auffinden konnte, und theilte seine 
Anschauung über den Einwanderungsmodus mit Auch er kann auf die bisher 


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ungelöste Frage, wie die Larven aus dem Rachenraume und dem Schlunde in die 
Höhle der Wirbelsäule und des Schädels gelangen, nur eine theoretische Antwort 
geben. Dexler (Prag). 

25) Anatomischer Befand in einem als aoute Bolbäraffeotion (Embolie der 

Art. oerebellar. post, int sin.) beschriebenen Falle, von Adolf Wallen¬ 
berg. (Archiv f. Psych. XXXIV.) 

Die anatomische Untersuchung des vom Verf. vor 6 Jahren klinisch be¬ 
schriebenen Falles bestätigte die damals gestellte, genaue Localdiagnose; bis in 
alle Einzelheiten erlaubt der Befund alle die verschiedenen Symptome (Schwindel, 
Schmerz im Auge, Pulsverlangsamung, später Hypästhesie für Schmerz und Tem¬ 
peratur im Gesicht, Mund und Ohr der gegenüberliegenden, Hyperästhesie der 
gleichseitigen Körperhälfe, Herpes im anästhetischen Gebiet, Schlinglähmung, 
Reflexanomalieen, Neigung nach der Seite des Herdes zu fallen, Ataxie der gleich¬ 
seitigen Extremitäten u. a.) auf die zerstörten Bahnen und Kerne zurückzuführen. 
Der etwa 5 mm lange Herd sass in der Med. oblong, in der Höhe der Eröffnung 
des Centralcanals. Das Studium der secundären Degeneration an Weigert- 
Präparaten ergab u. a. als wichtiges Resultat, dass die centrale Quintusbahn beim 
Menschen denselben Verlauf wie beim Kaninchen nimmt; sie theilt sich oberhalb 
des Trigeminuseintrittes in einen dorsolateralen und einen ventromedialen Ab¬ 
schnitt, liegt erst dem hinteren Längsbündel und der Raphe dicht an, rückt dann 
mehr lateral und geht an der caudalen Thalamusgrenze in die Lamina medullaris 
interna über. 

Von den anderen Ergebnissen der Arbeit sind hervorzuheben: 

1. Als anatomische Basis für die Entstehung eines systolischen Geräusches 
am rechten Proc. mastoid. ergab sich eine durch Strictur der linken Basisarterien 
bedingte Druckerhöhung in der rechten Carotis und der rechten, arteriosklerotisch 
veränderten Vertebralis sowie plötzliche Erweiterung des Gefässrohres an der 
Einmündungsstelle der rechten Vertebralis in die Basilaris. Ein systolisches 
Geräusch am Warzenfortsatz ist also nicht immer ein Aneurysmasymptom. 

2. Das motorische Larynxcentrum liegt innerhalb des Nucl. ambiguus im 
wesentlichen caudal und lateral vom Schluckcentrum. 

3. Die Fasern innerhalb der spinalen Quintuswurzel sind so angeordnet, dass 
die Aeste für Mund- und Zungenschleimhaut im dorsalsten und zugleich frontal- 
wärts an Stärke zunehmenden Abschnitt des Wurzelquerschnittes zu suchen sind. 

4. Tastfasem der Rumpf- und Extremitätenhaut laufen getrennt von den 
Bahnen des Temperatur- und Schmerzgefühls. Letztere sind innerhalb der spino- 
tectalen und spino-thalamischen Fasern (E ding er) zu suchen, erstere vielleicht 
in den Hintersträngen und innerhalb der grauen Substanz. 

5. Die bulbäre Ataxie wird wohl hauptsächlich durch eine Läsion spino- 
cerebellarer Fasern verursacht, weniger durch die der Hinterstrangkern-Schleifen¬ 
fasern. 

6. Die Neigung bei Bulbäraffectionen, nach der Herdseite zu fallen, kommt 
wahrscheinlich durch Unterbrechung directer oder indirecter Vestibularisfasern 
sowie absteigender Fasern aus dem Deiters’schen Kern zu Stande. 

7. Eine congenitale Opticuserkrankung kann zu einer compensatorischen 
stärkeren Entwickelung des N. oochlearis führen. 

8. Das Helweg-Bechterew’sohe Olivenbündel lässt sich frontalwärts bis 
in das laterale Mark der ventralen Nebenolive verfolgen. 

9. Die spinale Quintuswurzel reicht bis in das 2. Cervicalsegment hinab und 
beginnt hier vorwiegend dorsomedial von der L iss au er 'schon Zone. 

10. Die Fibrae cerebello-olivares leiten zum grössten Theile in oentrifugaler 
Richtung. H. Haenel (Dresden). 

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20) Ueber eine ungewöhnlich gutartige Bul bäraffection im K i ndeealter, 

von Zappert. (Jahrbüoher f. PBych. u. Nervenkrankh. XXII. S. 126.) 

5 1 /,j&hriger, nicht belasteter, vorher stets gesunder Knabe. Vor 14 Tagen 
„Lungencatarrh“, vor 5 Tagen, nachdem der Kleine schon ganz erholt schien, 
Verschlechterung der Sprache, auffallende Salivation. Status praesens: Deutlich 
bulbäre Sprachstörung, Zunge wenig beweglich, Unvermögen zu pfeifen, der 
Speichel rinnt in langen Zögen aus dem Munde heraus. Uvula hängt als schlaffes 
unbewegliches Anhängsel herab, vorübergehend Schlingbeschwerden, Stimme heiser, 
sämmtliche Sehnenreflexe gesteigert Kopf wird eigentümlich steif nach hinten 
gebeugt gehalten. Im übrigen durchaus keine Störungen. 

Unter Jodkali in wenigen Tagen Besserung, die übrigens schon vor der Be* 
bandlung merkbar war. Als neues Symptom Tremor der Hände (r. > 1.). Nach 
11 tägiger Dauer der Beobachtung vollständige Heilung. Hysterie und Neuritis 
(speciell postdiphtheritische Lähmung) schliesst Verf. mit Rücksicht auf das 
Krankheitsbild (gewiss mit vollem Rechte) aus. 

Verf. nimmt einen postinfectiös oder einen direct etwa nach Art einer Polio¬ 
myelitis einsetzenden acuten Process an, der in der unteren Kemgruppe der 
Oblongata zu localisiren wäre. Bezüglich der Natur dieses Processes spricht sich 
Verf. nach Erörterung der verschiedenen Möglichkeiten (Blutung, Entzündung, 
Embolie, Toxinwirkung) für einen entzündlichen oder der Entzündung nahestehenden 
Process aus. Die localen GefÜssstörungen könnten auch die exquisiten Pyramiden¬ 
reizsymptome bewirkt haben. Pilcz (Wien). 


27) De« paralysieB pseudobulbaires, par Dr. Albert Comte. (Paris, 1900. 

240 S.) 

Das Buch ist eine umfangreiche Monographie der Pseudobulbärparalyse auf 
Grund von Arbeiten im Laboratorium Dejerine’s. Den Haupttheil des Werkes 
bildet die Darstellung von 11 anatomisch genau untersuchten Fällen. Verf. kommt 
zu folgendem Ergebniss: Die Pseudobulbärparalyse ist, wie die gewöhnliche Hemi¬ 
plegie, die Folge einer Läsion der den gelähmten Organen entsprechenden moto¬ 
rischen Rindencentren bezw. deren cortico-bulbärer Projectionsfasern. Die Lähmung 
ist, entsprechend der bilateralen Function der betreffenden Centren, meist eine 
doppelseitige. Sitz der Läsion ist entweder die Rinde im Bereich des Operculum, 
oder das Centrum semiovale, die innere Kapsel, der Grosshirnschenkel; ferner 
häufig die Brücke (Oppenheim und Siemerling). Zwischen der Pseudobulbär¬ 
paralyse und der (apoplektiformen) Bulbärparalyse existiren klinisch zahlreiche 
Uebergangsformen. Es giebt rein pontile Pseudobulbärparalysen (Haliprä). 

Die Theorie, welche das Vorhandensein secundärer Phonations- und Schluck- 
centren im Thalamus opticus annimmt, entspricht nicht der Mehrzahl der bezüg¬ 
lich der Sitzes der Läsion bei der Pseudobulbärparalyse gemachten Erfahrungen. 
Die andere Theorie, die den Sitz dieser secundären Centren in das Putamen ver¬ 
legt, ist weder durch die Entwickelungsgeschichte noch durch die Physiologie, 
noch auch durch die klinische Beobachtung genügend gestützt. 

Die Erfahrung hat gelehrt, dass bei der Pseudobulbärparalyse sich meist 
beiderseits Herderkrankungen finden. Man ist daher nur dann berechtigt, von 
Pseudobulbärparalyse als Folge unilateraler Herderkrankung zu sprechen, wenn 
man sich dabei auf Serienschnittreihen berufen kann, die von der Grosshirnrinde 
bis zur Medulla oblongata völlig durchgefUhrt sind. 

Der anatomische Theil des Buches wird durch zahlreiche Zeichnungen illustrirt 

Max Neu mann (Karlsruhe). 


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28) Per l'anetomi» patologio* dalla paraliai peendobolbere. Rioerohe dei 

Dr. P. Guizzetti e Dr. F. Ugolotti. (Rivista di patologia nervosa e 

mentale. 1901. September.) 

Die Paralysis labio-glosso-pharyngealis oder Pseudobulbärparalyse wurde früher 
(J o 11 y, Joffroy) ab die klassische Manifestation einer, nach Lepine im Linsen* 
kern, nach Leresche speciell im Pu tarnen gelegenen symmetrischen Hemisphären* 
läsion definirt Seitdem aberOppenheim und Siemerling auf kleine Erweichungs¬ 
herde im Pons und in der Oblongata aufmerksam gemacht und die neuesten Arbeiten 
noch andere Gebiete erkrankt gefunden haben, dürfte jeder neue Fall eingehenderen 
Bericht verdienen. 

55jährige Potatrix erwachte eines Morgens mit rechtsseitiger Hemiparese, 
welche sich bald besserte, erlitt 2 Jahre später eine ähnlich verlaufende Ver¬ 
schlimmerung, verlor mit 60 Jahren plötzlich die Phonation und die Energie der 
Articulation, im folgenden Jahre die Schluckfahigkeit und theilweise das Hust- 
und Würgvermögen. Lippen nicht atrophisch, Bewegungen der unteren Gesichts¬ 
hälfte paretisch, Zunge nicht vor die Zahngrenze zu bringen, weder zitternd noch 
abweichend. An den Extremitäten, besonders rechts, gesteigerte Reflexe, rechts¬ 
seitige und fürs Bein auch linksseitige hochgradige Parese, keine Atrophieen. 
Allenthalben normale Empfindlichkeit. Hochgradige Atheromatose. Nach langsamer, 
zuletzt hochgradiger Beugecontractur des rechten, bald auch des linken Beins 
trat unter beginnender Pneumonie Exitus ein. 

Liquor cerebrospinalis um etwa ein Drittel vermehrt Zahlreiche doppel¬ 
seitige Erweichungsherde verschiedenen Alters in beiden Marklagern — darunter 
ein alter Herd im Knie der linken inneren Kapsel —, in den Streifenhügeln, den 
Hirnschenkeln bei Entartung beider Pyramidenstränge; vier kleine Erweichungs¬ 
herde verschiedenen Alters in der Brücke, davon der grösste an der dorsalen 
Oberfläche der Pyramiden nach rechts, die übrigen in der Haube; im Bulbus eine 
kleine alte Narbe, im Rückenmark Schrumpfung des linken Pyramidenstranges an 
der Kreuzungsstelle, doppelseitige absteigende Sklerose unterhalb desselben. Rinden¬ 
zellen, Kerne und Wurzeln der Oblongata, Brücke und des Rückenmarks, peri¬ 
phere Nerven und Muskeln (abgesehen von leichter Atrophie der mimischen) 
normal. Interstitielle Nephritis. 

Verf. charakterisirt hiernach unter Berücksichtigung des gesammten Materials 
die Pseudobulbärparalyse folgendermaassen: Ursache ist stets eine allgemeine Ver¬ 
änderung der Gefasswände, welche zu vielfachen kleinen Erweichungsherden führt. 
Diese können symmetrisch im ganzen Bereich derjenigen Projectionsfasern auf- 
treten, welche von der Rolando’schen Gegend und den Kernen der Oblongata 
und Brücke begrenzt werden. Die grösste pathogenetische Bedeutung scheinen 
die — mit blossem Auge häufig übersehenen — kleinen Herde in der Brücke 
zu haben. _ Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


20) Zur KonntnlM der infantilen Pseudobulbärparalyse und der an¬ 
geborenen allgemeinen Bewegungsstörungen, von Dr. Theodor Zahn, 
I. Assistent an der psychiatrischen Klinik in Würzburg. (Münohener med. 
Wochenschr. 1901. Nr. 42 u. 43.) 

Es handelt sich um 3 Fälle schwerer, cerebraler Bulbärstörungen, welche auf 
eine Entwickelungshemmung der cortioobulbären Bahnen zurückzu führen sind. In 
der einen Beobachtung bestand ausser der Bewegungsstörung der Lippen-, Zungen-, 
Kau- und Gaumenmuskeln ausgedehnte Starre der Gliedmaassen. In dem anderen 
Falle wurde angeborene schlaffe Lähmung der Muskeln des Mundes, der Zunge, 
des Kehlkopfes, Rachens, Rumpfes und aller Gliedmaassen, sowie Ataxie der Arm- 
und Rumpfomskein, Fehlen der Sehnenreflexe und Beeinträchtigung der Blasen- 


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470 


und Mastdarmfunction festgestellt. Der 3. Fall betrifft einen seit der Jugend 
epileptischen und an linksseitiger spastischer Lähmung leidenden Mann mit 
mikrocephalem Schädel. Ausserdem besteht fast völlige Stummheit in Folge von 
starker cerebraler Articulationsstörung im Facialis* und Hypoglossusgebiet. Bei 
der anatomischen Untersuchung fanden sich an beiden Gehirnhälften porencephalische 
Defecte, ausserdem eine Verkümmerung des rechten Hirnschenkelfusses, Verschiebung 
des grösseren linken Brückentheils über die Mitte nach rechts, Veränderungen, 
welche eine bestehende Hypoplasie annehmen lassen, ln keinem der Fälle war 
die Intelligenz beeinträchtigt E. Asch (Frankfurt a/M.). 

30) Pseudobulbärparalyse mit einseitiger refleotorisoher Pupillenstarre, 

von Dr. Ignaz Enotz. (Wiener med. Presse. 1901. Nr. 45.) 

Bei einem 54j ähr., mit Herzklappenfehler behafteten Manne, traten im An¬ 
schluss an einen Sturz Verwirrtheit Somnolenz und totale Lähmung des linken 
Oculomotorius auf. Die Augenmuskellähmung schwand allmählich, die Beaction 
auf Licht und die consensuelle Beaction der linken Pupille kam dauernd abhanden. 

3 1 / a Jahre später Schwindel, Kopfschmerz, Abmagerung, Sprach-, Schling-, 
Geschmackstörung, die unter Jodeinnahme sich besserten. 

Einige Monate später Influenza, Bronchitis und danach Verwirrtheit rechts¬ 
seitige homonyme Hemianopsie, Neuritis optica, wieder Besserung durch anti¬ 
luetische Behandlung. Nur die reflectorische Pupillenstarre blieb. 

Verf. fasst das Krankheitsbild als eine durch luetische Endarteriitis bedingte 
Pseudobulbärparalyse au£ J. Sorgo (Wien). 


Psychiatrie. 

31) Beiträge zur Kenntniss der Kinderpsyohosen , von Infeld. (Jahrbücher 

f. Psych. u. Nervenkrankh. XXII. S. 326.) 

Unter 3200 Aufnahmen männlicher Geisteskranker sah Verf. 11, welche ein 
Alter unter 14 Jahren hatten. Im Ambulatorium kamen unter 1443 männlichen 
Kranken 137 Kinder vor, deren 24 Psychosen aufwiesen. Im allgemeinen scheint 
das Kindesalter zu Nerven- und Geisteskrankheiten weniger disponirt. Es über¬ 
wiegen die mit dauerndem Defect einhergehenden Krankheiten, wozu wesentlich 
die congenitalen Defectzustände beitragen. 

In der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich Verf. nur mit den erworbenen 
krankhaften geistigen Veränderungen. Originäre psychopathische Veranlagung 
liesB sich in 10 von 15 Fällen nachweisen. 

Unter den sehr ausführlich geführten und anschaulich geschilderten 15 Krank- 
heitsgesohiohten finden sich u. a. folgende bemerkenswerthe Fälle: Moral insanity 
als Folge von Schädeltrauma bei einem vorher normalen Knaben; Schreckpsychosen; 
anfallsweise auftretende transitorische, meist delirante Verworrenheitszustände bei 
epileptischen und hysterischen Kindern; ein (allerdings nur flüohtig erwähnter) 
Fall von Delirium tremens inoipiens bei einem 6jähr. Wirthssohne; zwei in einem 
frühen Beconvaleecenzstadium einer acuten fieberhaften Erkrankung einsetzende 
hallucinatorisohe Verworrenheitszustände u. s. w. Von den letzterwähnten ist ein 
Fall besonders interessant einmal wegen des ungewöhnlich frühen Alters (3 l / a Jahr), 
dann wegen des lange Zeit Fortbestehens einer bestimmten iBolirten Wahnidee. 
Verf. macht die hübsche Bemerkung, dass ohne Kenntniss der vorausgegangenen 
Psychose eine derartige ganz isolirte Vorstellung als unverständliche Eigentümlich¬ 
keit, etwa nach Art einer überwertigen Idee oder Zwangsvorstellung erscheinen 
könnte. 

Choreatische Psyohosen scheinen gerade im Kindesalter sehr selten zu sein. 

Pilcz (Wien). 


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82) Zur Klinik der Puerperalpsyohoaen , von E. Meyer. (Berliner klin. 

Wochensohr. 1901. Nr. 81.) 

Verf. bespricht in seiner Arbeit die eigentlichen Puerperal- und Lactations- 
psychoaen und sieht dabei von den Schwangerschaftspsychosen, welche mit ihnen 
kaum Berührungspunkte haben, ganz ab. Unter 1104 geisteskranken Frauen, 
welohe vom November 1894 bis März 1901 in der Tübinger psychiatrischen 
Klinik aufgenommen sind, befanden sich 51, die im Wochenbett oder während 
der Laotation erkrankten. Für die Beantwortung der viel erörterten Frage nach 
den eigentlichen Ursachen der puerperalen Psychosen liefern M.’s Fälle kein neues 
Material. Für einen grossen Theil scheint das Wochenbett und die Lactation 
nur eine Gelegenheitsursache abzugeben. Puerperale Infeotion wurde in fünf von 
den 51 Fällen festgestellt Diese geringe Zahl spricht nicht ohne Weiteres gegen 
die Bedeutung derselben für das Zustandekommen der puerperalen Psychosen; 
gewiss entziehen sich manche derartig ätiologische Fälle der Beobachtung und 
Verf. hält Ohlshausen’s Eintheilung der Puerperalpsychosen in Infections-, idio- 
pathisohe und Intoxicationspeychosetf einstweilen für nioht geeignet Weit gefasste 
hereditäre Belastung fand Verf. in 29 von den 51 Fällen. Eine speoifisch- 
puerperale Psychose vermochte Verf. nioht festzustellen, was auch der sonstigen 
Annahme entspricht Er begegnet keinem Krankheitsbilde, das sioh nicht bei 
anderen ätiologischen Momenten ebenso entwickeln könne, und vermochte auch 
keine besondere puerperale Färbung der Psyohosen nachzuweisen. Die Prognose 
bietet nichts, was von dem abweioht, was allgemein für die betreffenden Psychosen 
Gültigkeit hat Bielschowsky (Breslau). 


38) Ueber Psyohosen in unmittelbarem Anschluss an die Verheirathung 
(nuptiales Irr esei n), von Obersteiner. (Jahrbücher f. Psych. u. Nerven¬ 
kranke XXn. S. 313.) 

Unter 500 weiblichen Kranken (darunter 322 verheirathete Frauen) fanden 
sich 8 Fälle, d. ist 1,6 bezw. 2,5 °/ 0 , bei denen stürmische Erscheinungen einer 
Psychose wenige Tage nach der Hochzeit auftraten. Ganz unberücksichtigt blieben 
selbstverständlich Fälle, wobei schon geisteskranke Individuen verheirathet wurden. 
Aber auch in den hier angeführten Beobachtungen sind — wie Verf. bemerkt 
— nur vier „reine“ Fälle, d. h. ein vorher anscheinend geistig intactes Individuum 
betreffend. Bei anderen Dreien bestanden schon vor der Hochzeit allerlei 
psychische Abnormitäten. (In der Beobachtung I fehlen genauere anamnestische 
Daten, daher Verf. diesen Fall hier nicht weiter berücksichtigt.) Eine ausgesprochfne 
schwere Disposition scheint nioht unerlässlich nothwendig. Auffallend gross ist 
der Procentsatz an Juden (6:8), was Verf. nicht nur aus der bekannten grösseren 
Disposition dieser Rasse zu Psyohosen erklärt, sondern auch aus dem Umstande, 
dass häufig die Ehe nur duroh Uebereinkommen der Eltern zu Stande kommt, 
wobei die Zuneigung oder Abneigung der zukünftigen Eheleute wenig, vielleicht 
gar nicht in Betracht kommt. Der Form nach scheint das nuptiale Irresein am 
häufigsten als manisch gefärbte Amentia oder manisch-depressives Irresein aufzu¬ 
treten, ferner in Form der hysterischen Psychosen. Die leichteren Fälle gewähren 
eine günstige Prognose, in den mit schwereren Erscheinungen einhergehenden 
Fällen ist sie zweifelhaft. Verf. macht übrigens darauf aufmerksam, dass gerade 
die leichteren Fälle aus begreiflichen Gründen eher dem Hausarzte als dem 
Psychiater zu Gesicht kommen. 

Acht detaillirte Krankheitsgesohiohten bilden das Material der Arbeit. 

Pilcz (Wien). 


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34) Beitrag sur Kenntniss der induoirten Psyohoaen , von Dr. 0. Kölpin, 

Assistenzarzt der psychiatr. Klinik in Greifswald (Prof. A. Westphal). 

(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXV. 1902.) 

Verf. giebt die sehr interessanten Krankengeschichten von 2 Fällen von in- 
ducirtem Irresein wieder. Beide Male handelte es sioh um chronisch sich entwickelnde 
Fälschung des Bewusstseinsinhaltes durch Verfolgungs- und Grössenideeen. 

Im ersten Fall erkrankte ein Ehepaar, dessen beide Theile erblich belastet 
und von Hause aus nicht normal waren. Die Frau, eine Lehrersfrau, fühlte sich 
rechtlich benachtheiligt, war eine sehr energische Persönlichkeit und octroyirte 
ihrem Manne ihre Wahnideeen auf. Dieser nahm dieselben an und baute sie 
weiter. Das Wahnsystem war bei beiden identisch. Später übernahm der Mann 
die Führung, die Frau verhielt sich aber auch nicht passiv. Bei beiden ent¬ 
wickelten sich Verfolgungsideeen, die von der Idee einer sehr wohl in den Grenzen 
der Möglichkeit liegenden reohtlichen Benachteiligung ausgingen. Jeder, der 
gezwungen war, ihnen entgegenzutreten, wurde sofort ins System hineinbezogen 
und verdächtigt Die ausgesprochene egocentrische Wahrnehmung liess gering¬ 
fügige Angelegenheiten, wenn sie die eigene Person betrafen, jederzeit als Haupt- 
und Staatsaction erscheinen. Hochgradige Selbstüberschätzung fehlte nicht. 
Querulantenwahn. 

Welche von den im zweiten Fall ebenfalls mit identischem Wahnsystem 
erkrankten Schwestern primär erkrankt ist, war nicht festzustellen. Beide nahmen 
eine total imaginäre Erbschaft unmotivirt für sich in Anspruch. Der Wahn war 
phantastisch ausgebildet. Auch hypochondrische Wahnideeen waren vorhanden. 
Paranoia. 

Im ersten wie im zweiten Fall lebten die betreffenden Personen eng zusammen. 
Die Uebertragung fand auf dem Wege der Nachahmung statt, und zwar der in 
egoistischer Absicht geübten Nachahmung bei gleichzeitiger Autosuggestion. 

Georg Ilberg (Grossschweidnitz). 


3ß) Ueber Psychosen durch Autointoxloation vom Darme aus , von 

v. Wagner. (Jahrbücher f. Psych. u. Nervenkrankh. XXII. S. 177.) 

Seit den ersten Mittheilungen des Verf.’s (Jahrbücher f. Psych. X und 
Wiener klin. Wochenschr. 1896. Nr. 10) hat sich, wie zahlreiche Publicationen 
zeigen, der Begriff der Autointoxication Bürgerrecht erworben, und zwar nicht 
nur in der Psychiatrie. Gleichwohl handelt es sich hier nur um eine Hypothese, 
insolange der Nachweis eines bestimmten gastrointestinal entstandenen Giftstoffes 
nicht gelungen ist, und der Nachweis, dass dieser Giftstoff das beobachtete Krank¬ 
heitsbild hervorzurufen im Stande ist. Für das Bestehen einer gastrointestinalen 
Störung wird sich derzeit nur ein mehr oder minder gelungener Indicienbeweis 
führen lassen; so z. B.: wenn auffallende Magendarmstörungen gleichzeitig oder 
kurze Zeit vor der Psychose auftreten, besonders wenn eine ganz bestimmte 
alimentäre Schädlichkeit nachgewiesen werden kann, wie in folgendem ausführlich 
mitgetheilten Falle: 

21jähr., vorher stets gesunder Mann, erkrankt nach dem Genüsse von Hühner¬ 
leber acut unter Indigestionserscheinungen. Nach wenigen Tagen Ausbruch einer 
Psychose, die das Bild eines schweren Delirium acutum bot. Somatisch u. a. 
Foetor ex ore, Zunge dick belegt, im Urin viel Aceton und Indican. Unter 
energischer Sorge für Entleerung des Darmes (speciell wiederholte Calomeldosen), 
bei Milchdiät allmähliche Besserung, wobei auch der Harn die abnormen Bestand- 
theile verlor. Nach etwa einmonatlioher Dauer Heilung. 

In einem zweiten Falle des Verf.’s handelt es sieh um einen Mann, der wenige 
Tage nach einer Indigestion unter den schweren Erscheinungen einer Encephalitis 


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erkrankte (rasende Kopfschmerzen, Schwindel, linksseitige Hemiopie, Hemianästheeie 
und Hemiataxie, Erbrechen). Auf Calomel, Milchdiät und Irrigationen schwanden 
alle die Erscheinungen binnen zweier Tage (nur ein kleiner hemianopischer Defect 
blieb zurück). 

In einem anderen Falle bestand das Eirankheitsbild der Meningitis seroea, 
in anderen eine Polyneuritis u. s. w. 

Einen Hinweis auf im Darmcanal sich abspielende abnorme Prooeese bei der* 
artigen Fällen liefert, abgesehen von der physikalischen Untersuchung der Ver* 
dauungaorgane, die Harnuntersuchung. Gesteigerte Indicanausscheidung, das Auf* 
treten von Aoeton, Diaceteesig- und Oxybuttersäure sind Indicatoren für abnorme 
Vorgänge im Verdauungstracte, während das Fehlen der genannten Stoffe natürlioh 
nicht letztere ausschliessen lässt. (Verf. tbeilt einen weiteren Fall mit, der die 
Beziehung des Harnbefundes zur Psychose und Verdauungsstörung illustrirt.) 

Auch die bei acuten Psychosen so häufig zu beobachtende Albumin- und 
Albumosurie fasst Verf. als toxisch bedingt auf; in einer Anzahl von Fällen konnte 
sie durch auf Deeinfection und Entleerung des Darmes gerichtete Therapie zum 
Schwinden gebracht werden. 

In manchen Fällen könnte es sich auch um eine Autoinfection von im Darm* 
tracte befindlichen Bakterien aus handeln. Die Bakterien können aber auch duroh 
eitrige Proceese von der Mund* oder Nasenhöhle aus in den Darm gelangen, ein 
Punkt, der insbesondere von hoher praktischer Wichtigkeit ist, wie folgende vom 
Verf. beobachteten Fälle zeigen: 

42jähr. Frau, acut an einem amentiaartigen Zustandsbilde erkrankt. Positiver 
Harnbefund, der auf interne Jodoformmedication zurückging, ohne dass sich der 
psychische Zustand sonderlich geändert hat. Es fand eioh eine Zahnfistel; nach 
Extraction zweier Wurzeln entleert sich reichlicher Eiter; daraufhin rasche 
Besserung. Heilung. 

In einem anderen Falle stellte sich rasche Heilung ein in unmittelbarem 
Anschlüsse an die Entfernung eines zu chronischer Eiterung in der Mundhöhle 
führenden Sequesters (nach Zahnextraotion) bei einem Melancholicus. 

ln einem dritten Falle (anfangs hypochondrisch-neurasthenisohes Zustandsbild, 
dann deliranter Verworrenheitszustand) brachte Eröffnung eines periostitischen 
Abscesses und Entfernung einer Wurzel nur Besserung. Es stellte sich heraus, 
dass eine Zahnwurzel zurückgeblieben war und die eiternde Fistel fortbestand. 
Nach Beseitigung dieses Processes rasche Heilung. Pilcz (Wien). 


in. Bibliographie. 

I) Ueber die allgemeinen Beziehungen zwischen Gehirn und Seelenleben, 

von Th. Ziehen. (Leipzig 1902, J. A. Barth.) 

Als deutsche Ausgabe eines in holländischer Sprache gehaltenen Vortrages 
bietet Verf. eine lehrreiche und interessante philosophische Studie über die Er¬ 
klärung der geistigen Thätigkeit. Dos Problem: giebt es eine „Seele“, einen 
eigenen Factor jegliohen geistigen Lebens, und wenn ja, wo ist der Sitz derselben, 
und welcher Art ihre Natur und Thätigkeit? erweckte von Anbeginn das Inter¬ 
esse des menschlichen Denkens; und diese Bestrebungen naoh der Erkenntniss 
schildert Verf. zu Beginn seines Vortrages in klarer, übersichtlicher Weise, und 
von grossen Studien zeugende literarische Anmerkungen erleichtern das Ver¬ 
ständnis dieser Einleitung. Von demjenigen philosophischen Richtungen, welche 
nach der Erkenntnis, das die Hirnrinde als Sitz jeds geistigen Lebens zu be¬ 
trachten sei, entstanden sind, verwirft Verf. diejenigen, welche den Zusammenhang 
von Körper und geistigem Leben leugnen (Hauptmann, Fichte, Hegel); auoh 


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in denjenigen Philosophieen, welche diesen Zusammenhang auf dualistische Weise 
erklären (Leibnitz’ Parallelismus, Rehmke’s psychophysische Causalität, Geu- 
linx’ Occasionalismus), kaun Verf. keine genügende Basis finden. Er bekennt 
sich als Anhänger der monistischen Richtung, jedoch nicht der u. a. von Boer- 
have vertretenen materialistisch - monistischen noch der spiritualistischen, sondern 
der dritten monistischen Richtung, welche er idealistische nennt. Das Grund- 
princip derselben ist die sogen, „erkenntniss-theoretische Fundamentalthatsache“: 
„gegeben sind uns nur Empfindungen und aus diesen abgeleitete Vorstellungen“. 
Als Ursache etwas Psychischen kann man sich nur wieder etwas Psychisches 
denken; wir müssen daher „im“ Psychischen „bleiben“, daher auch diese (von 
Avenarius und Schuppe begründete und entwickelte) Philosophie als „imma¬ 
nente“ bezeichnet wird. Eine jede Reizeinwirkung verursacht eine Empfindung, 
welche ihrer Beschaffenheit nach von den einzelnen Bezirken der Hirnrinde im 
Sinne der Localisationslehre abhängig ist, doch keineswegs räumlich diesen Sitz 
in der Hirnrinde hat. Der einzige Ort unserer Empfindung sei draussen in der 
Welt. Wir leben in einer Empfindlings- und Vorstellungswelt, deren Qualität 
von unseren Sinnesorganen oder vielmehr unserer Hirnrinde abhängig ist. 

In dieser Philosophie findet Verf. das Wesen unseres geistigen Seins und 
Lebens dargelegt und mit dieser hofft er mit der Zeit alle geistigen Functionen 
— deren Details gegenwärtig noch nicht aufgeklärt erscheinen — deuten zu 
können. Als interessante und anregende Lectüre sei das Büohlein Jedem empfohlen. 

Hudovernig (Budapest). 


2) Ueber Dämmerzustände. Ein Beitrag zur Kenntnis« der pathologischen 
Bewusstseinsveränderungen, von Mörchen. Aus der psychiatr. Klinik zu 
Marburg. (Marburg 1901, Eiwert. 80 S.) 

Verf. giebt verdienstvoller Weise eine Uebersicht über die verschiedenen 
Auffassungen, die der elastische Begriff der Dämmerzustände in der Litteratur 
erfahren hat. Man sieht daraus, wieviel diesem Begriff noch an Schärfe fehlt. 

Verf. geht dann die Eigentümlichkeiten durch, welche den Dämmerzuständen 
bei den verschiedenen Neurosen zugeschrieben werden: bei Epilepsie, Hysterie, 
Imbecillität, Migräne, Neurasthenie, Neuralgie u. s. w. 

Etwas unorganisch angefügt sind 40 summarische Krankengeschichten der 
Marburger Klinik, deren Auswahl eine weite Fassung des Begriffes zu Grunde liegt 

Irrtümlich ist es, wenn Verf. (S. 43) Bonhoefer das Alkoholdelir auf „eine 
Herabsetzung der Sinnesschärfe“ zurückführen lässt B. lehrt mit Recht das 
Gegenteil. L i e p m an n (Dalldorf). 


3) Beiträge zur psyohiatriaohen Klinik. Herausgegeben von Prof. Dr. Robert 
Sommer. (1902. I. Heft 1.) 

Diese in zwanglosen Heften erscheinenden Beiträge sollen „dazu helfen, dass 
aus den Elementen, welche die methodische Analyse der psychopatologisohen 
Erscheinungen ergiebt, nach Prüfung und Ergänzung des uns Ueberlieferten eine 
exacte Symptomen lehre als Grundlage der wissenschaftlichen Psychiatrie entsteht“. 
Die Art der Behandlung psychiatrischer Probleme soll entsprechend den in dem 
Lehrbuch der psychopathologischen Untersuchungsmetoden von dem Herausgeber 
niedergelegten Grundsätzen geschehen. 

Man braucht durchaus nicht mit Allem einverstanden zu sein, wie der Heraus¬ 
geber sioh die Lösung der sich gestellten Aufgabe denkt, — man wird es als 
ein sehr dankenswertes Unternehmen betrachten, wenn ein Mann von dem ernsten 
und unermüdlichen Streben, wie Sommer, die Ergebnisse seiner und seiner 
Schüler Arbeiten in regelmässiger Folge den Fachgenossen mittheilt. 


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Wir wünschen den „Beiträgen“ demnach einen glücklichen Fortgang and 
empfehlen sie auf das Angelegentlichste unseren Fachgenossen. 

Das erste Heft bringt einen Fall von Hydrocephalus internus und Kleinhirn* 
tumor aus der Feder des Herausgebers. Die Diagnose Kleinhirntumor war aus 
prägnanten Erscheinungen richtig gestellt, bei der Trepanation wurde die Ge¬ 
schwulst nieht gefunden, bei der Section dagegen (der lljähr. Patient starb in 
der Nacht nach der Operation) fand sich im Kleinhirn ein weiches Sarcom. Die 
Frage, ob überhaupt die Operation indioirt war, wird sehr verschieden beantwortet 
werden. (Vgl. Referat 23 dieser Nummer.) 

Dr. A. Alber bespricht sodann auf Grund von sorgfältigen und mühevollen 
Untersuchungen den Einfluss des Alkohols auf motorische Functionen des Keuschen, 
speciell auf die unwillkürlichen motorischen Erscheinungen. 

Einmal werden hier die unwillkürlichen Bewegungen an den Fingern mittels 
des dreidimensionalen Zitterapparates, andererseits der cerebrale Einfluss auf den 
Ablauf des Patellarreflexes mittels des Reflexmultiplicators untersuoht. 

Endlich bespricht Sommer Rousselot: Prinoipes de Phonätique experimentale. 
L Theil 1897, IL Theil 1901. M. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Sociötö de nenrologie de Perle. 

Sitzung vom 6. Juni 1901. 

Herr A. Chipault: Ueber eine neue Anwendung der trophizohen 
Elongationsmethode; chronisches Geschwür am Bein. Im vorigen Jahre 
hat Vortr. über erzielte Resultate bei Mal perforant durch Nervendehnung mit- 
getheilt. Ebenso günstige Resultate weist diese Methode bei Behandlung von 
Ulcera cruris auf. Diese Behandlung wurde bis jetzt mit günstigem Erfolg in 
30 Fällen angewandt. Vom Vortr. selbst in 9 Fällen und in 21 Fällen von anderen 
Aerzten (Bardesoo, Jamesco, Paul Delbet, de Buck und Vanderlinden, 
Ottero Acevedo, G6rard Uarohand). Die Methode besteht zunächst darin, 
dass man die Nerven in der Nachbarschaft des Geschwürs dehnt, also den 
N. musculo-cutaneus, saphenus internus, isohiadicus, popliteus externus. Dann wird 
das Geschwür abgetragen und, wenn möglich, die Ränder zugenäht, wenn nioht, 
so wird das Geschwür einfach ausgekratzt. In 4 Fällen, die genäht wurden, fand 
die Heilung per. prim am statt. In den anderen 26 Fällen, die ausgekratzt 
wurden, fand die Heilung statt durch allmähliche Vernarbung in 22 Fällen. Vier 
Fälle konnten nicht zur Heilung gebracht werden. In 17 Fällen, die weiter ver¬ 
folgt werden konnten, constatirte man, dass die Heilung mehr als 3 Jahre dauerte 
in 2 Fällen; mehr als 2 Jahre — 2 Fälle; mehr als 1 Jahr 6 Fälle. Vortr. 
hält diese Resultate für besonders bemerkenswerth, da es sich in allen Fällen um 
veraltete, hartnäckige und ausgedehnte Ulcera gehandelt hat. Die erzielten Re¬ 
sultate sollen beweisen, dass die Beingeschwüre trophische Störungen darstellen. 
Man constatirt übrigens in denselben ziemlich oft Sensibilitätsstörungen, besonders 
Störungen des Temperatursinnee. Die Läsionen der Blutgeiässe lassen sioh eben¬ 
falls auf vasomotorische Störungen zurückführen. Es wird heutzutage allgemein 
angenommen, dass die trophischen Störungen der Gewebe durch Vermittelung von 
vasomotorischen Störungen der Arterien und Venen stattfinden. 

Herr Achard und Herr Laubry: Bin Fall von leichter Form der 
schmerzhaften Fettleibigkeit (mit Krankenvorstellung). 68 jährige Frau, here¬ 
ditär nicht belastet, Typhus im Alter von 22 Jahren. Im Alter von 64 Jahren 
Anfälle von intermittirendem Fieber, die von Gelbsuoht und Schmerzen in der 
Leber begleitet waren. Diese Krankheit hat 1 Jahr gedauert und versohwand 


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dann allmählich. Aber seit dieser Zeit leidet sie an Beklemnftingen, besonders 
bei Anstrengungen, und Abends sind die Beine bis zu den Enieen geschwollen. 
Durch die Bettruhe verschwinden die Oedeme. Vor einem Jahr litt sie an einer 
Radialislähmung, die sich nach kurzer Zeit bedeutend bessert«. Der Appetit ist 
normal. Die Kranke hat zuweilen förmliche Anfälle von Durst. Eis besteht kein 
Erbrechen. Nur Morgens manchmal Würgen. Die Kranke klagt über Schwierig¬ 
keiten beim Gehen und über diffuse Schmerzen in den Beinen. Ab und zu Kopf¬ 
schmerzen, Schwindel, Flimmern vor den Augen. Der Allgemeinzustand ist gut 
Anlage zu Fettleibigkeit. Das Fett ist immerhin regelmässig vertheilt, am Halse, 
am Rumpf, am Bauch, an den oberen Extremitäten. Nur an den Händen und 
an den Füssen fehlt das Fett. In der Nachbarschaft des inneren Knöchels an 
beiden Beinen hat das Fettpolster eine lobulöse Form. Diese Fettlappen sind 
symmetrisch über den inneren Knöcheln gelegen und sind nach unten wie ab¬ 
geschnürt, etwa durch einen aponeurotischen Strang. Nach oben bildet der Lappen 
keine scharfe Grenze. Die Haut ist an den Lappen nicht verändert. Bei der 
Palpation dieser Fettpolster fühlt man lipomatösen Widerstand. Der Druck 
hinterlässt keine Delle. Tiefer Druck ruft heftigen Schmerz hervor, während 
tiefer Druck an anderen Körperstellen und Fettmassen von keinem Schmerz be¬ 
gleitet ist. Die Kranke geht langsam, zögernd, empfindet aber keine Schmerzen 
dabei. Leichtes Zittern. Die Patellarreflexe sind normal, der rechte vielleicht 
etwas schwächer. Die Hautsensibilität ist normal. In der Umgebung der beiden 
Fettlappen ausgesprochene Hyperästhesie. Ein bestimmter Grad von Amblyopie 
und leichte Einschränkung des Gesichtsfeldes. Keine Augenmuskellähmungen. 
Gehör normal. Keine psychischen Störungen. Nichts am Herzen. Nichts an den 
Lungen. Die Leber ist etwas vergrössert, aber nicht schmerzhaft. Der Urin ent¬ 
hält ab und zu etwas Zucker, von 7—25 g pro Liter. Die Kranke wiegt 153 Pfund. 
Körperlänge 1,56 m. Taille 1,03 in. Die Vortr. nehmen in diesem Falle die 
Dercum’sche Krankheit an, obwohl die schmerzhaften Fettlappen nur sehr spär¬ 
liche sind. 

Herr M. C. Simionesco: Schmerzhafte Fettleibigkeit (Dercum’sohe 
Krankheit). 48jährige Frau, die über Schmerzen in den Gliedern und in den 
Rippen klagt. Bei der Untersuchung fand man ungleichmässig vertheilte Fett¬ 
leibigkeit. In der Nachbarschaft der FusBgelenke sind Fettknollen vorhanden, 
ebenso in der Nähe der Kniegelenke. Diese Knollen, die unzweifelhaft aus Fett 
bestehen, sind bei tiefem Druck schmerzhaft. Um die Handgelenke herum, längs 
der Handstrecker und am Ellenbogen, begegnet man einer grossen Anzahl von 
kleinen Knötchen. Am Thorax links in der subcostalen Gegend ist eine grossere 
adipöse Masse vorhanden. Der Druck auf diese Masse ruft Schmerzen und Be¬ 
klemmung hervor. Druck auf die Brustwarzen ist ebenfalls schmerzhaft. Die 
Kranke sagt aus, dass sie seit 1889 an neuralgischen Schmerzen leidet und dass 
allmählich an den schmerzhaften Stellen sich die Knötchen bildeten. Die Knoten 
an den Beinen bemerkt sie seit 1899. Hereditär ist hervorzuheben, dass der 
Vater Arthritiker war und die Mutter nervös. Die Kranke, die sehr intelligent 
und sehr thätig ist, klagt oft über Kopfschmerzen, über Schwindel, über Sausen 
und Pfeifen in den Ohren. 

Herr Dejerine und Herr A. Thomas: Ein Fall von interstitieller hyper¬ 
trophischer and progressiver Neuritis im Kindesalter mit Autopsie (De¬ 
monstration anatomischer Präparate). Das Rückenmark und die Nerven, die vor¬ 
gezeigt werden, stammen von einem Patienten, dessen Krankengeschichte schon 
früher publicirt wurde (Dejerine et J. Sottas, Mömoires de la sociötö de Bio¬ 
logie. 16. März 1893). Die Krankheit begann im Alter von 14 Jahren mit 
Muskelatrophie, Sensibilitätsstörungen und blitzartigen Schmerzen, zunäohst in 
einem Bein, dann in den Händen. Deformation des Fusses (pes equinus). Die 


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Hände nahmen das Aussehen der Aran-Duchenne’schen Hände an. Die Muskeln, 
die auf dem Wege der Atrophie waren, zeigten fibrilläre Zuckungen. Die elek¬ 
trische Reaction dieser Muskeln war geschwächt, jedooh keine. Entartungsreaction. 
Es bestand ausserdem Kyphoskoliose. Ataxie der oberen und unteren Extremi¬ 
täten. Bomberg’sches Symptom. Miosis und Argyll-Robertson’sches Zeichen, 
Nystagmus bei Augenbewegungen. Fehlen sämmtlicher Sehnen- und Hautreflexe. 
Die Hautsensibilität war vermindert von unten nach oben, mit Verlangsamung in 
der Leitung. In der letzten Zeit war der Kranke fast vollständig taub. Das 
Sehen war aber gut conservirk Das urogenitale System war immer gut geblieben. 
Nie wurden trophische Störungen beobachtet. Was aber am meisten bei dem 
Patienten charakteristisch war, das wareine ganz ausgesprochene Hypertrophie 
und Verhärtung aller der Palpation zugänglichen Nervenstämme. Der 
Kranke war Alkoholiker und bekam Syphilis im Alter von 24 Jahren. Sein 
psychischer Habitus war der eines Degenerirten. In den letzten Jahren wurde 
er phthisisch und starb an Lungentuberculose im Januar 1901 in seinem 
42. Lebensjahre. Sohon bei der makroskopischen Untersuchung des Rücken¬ 
markes fällt die colossale Entwickelung der Nerven der Cauda equina auf. Die¬ 
selben sind glatt und ohne Rauhigkeit auf der Oberfläche. Die dorsalen und 
cervicalen Nervenwurzeln sind ebenfalls hypertrophisch, aber doch weniger als 
die der Cauda equina. Die Hypertrophie ist bedeutender in den vorderen Wurzeln 
als in den hinteren nnd nimmt progressiv ab vom Rückenmark bis zum Canal 
der Dura mater. Bei den hinteren Wurzeln ist das Umgekehrte der Fall, d. h. 
gegen die Spinalganglien zu ist die Wurzel stärker als gegen das Rückenmark. 
Dieser Unterschied in der Stärke der Wurzeln ist im Brust- und im Halsmark 
wenigstens makroskopisch nicht wahrzunehmen. Der cervicale Theil des Sym- 
pathicus, sein mittleres Ganglion, der cervicale Theil des Vagus sind ebenfalb 
hypertrophisch. Ebenso hypertrophisch und auf beiden Seiten ist der Plexus 
brachialis, der Ischiadicus, der Saphenus u. s. w. Alle diese Nerven erscheinen 
riesenhaft. Vergleicht man diese Nervenstämme mit den entsprechenden Wurzeln, 
so geht hervor, dass die Hypertrophie nach der Peripherie zu entschieden zunimmt. 
Diese Krankheit ist sehr selten. Mit Ausnahme dieses Falles sind im Ganzen 
nur noch drei bekannt. Ein Fall, der die Schwester dieses Patienten betrifft und 
so ziemlich dieselben anatomischen Veränderungen ergab. Derselbe ist von De- 
jerine in der oben citirten Arbeit veröffentlicht. Ein zweiter Fall von Gom- 
bault und Mailet (Un cas de tabös ayant däbutä dans l’enfance. Arch. de 
m6d. expör. 1889. S. 385). Ein dritter Fall, nur eine klinisohe Beobachtung, 
wurde von Dejerine im Jahre 1896 publicirt in seiner Arbeit: Contribution k 
l’ötude de la n6vrite hypertrophique et progressive de l’enfance. Revue de 
mädecine. 1897. 

Herr G. Etienne (Nancy): Nervöse Arthropathie und Periarthropathie 
(Demonstration anatomischer Präparate). Es wird ein Schultergelenk von einem 
verstorbenen Kranken demonstrirt, der an einer myelopathischen progressiven 
Muskelatrophie gelitten hat. An den Insertionssehnen der Muskeln findet man 
folgende periarticuläre osteophytische Massen: 1. An der oberen Insertion des 
Deltoideus eine 7 cm breite, 5 cm lange und 2 cm dicke knochige Platte. Diese 
Platte stellt das colossal hypertrophische Acromion dar; 2. Eine kugelige 
knochige Masse von 3 cm Durchmesser an der Insertionsstelle des Pectoralis 
minor, des kurzen Kopfes des Biceps und des Coracobrachialis; 3. Eine 2 cm breite 
und 8 cm lange osteophytische Masse längs der Sehne des langen Bicepskopfes; 
4. Ein Knochenknötchen von der Grösse einer Nuss in der Insertionssehne der 
langen Partieen des Triceps brachii; 5. Ein Knötchen von der Grösse einer Erbse 
an der Insertion des Infraspinatus. Vortr. citirt ähnliche Veränderungen, die bei 
Tabes dorsalis von Grasset und Gibert (Nouvelle Ioonographie de la Sal- 


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478 


petriöre. 1900) und von Dupr6 und Devaux (Ebenda. 1901) durch radio¬ 
graphische Untersuchung constatirt wurden. 

Herr Scherb .(Alger): Ueber die Seltenheit nervöser Erkrankungen 
bei syphilitischen Arabern. Vortr. hebt hervor, dass er unter einer grossen 
Anzahl von Arabern, die tertiäre Erscheinungen an Haut und Knochen darboten, 
nur 4 Fälle von syphilitischer Erkrankung des Nervensystems beobachtet hat. 
Eine Paralysis alternans bei einer Frau; eine doppelseitige Hemiplegie in Folge 
von Arteriitis syphilitica der Arterien der Central Windungen; ein Fall von 
Meningomyelitis des Conus terminalis und ein Fall von Oculomotoriuslähmung. 
Im Verlaufe von 3 Jahren hat er keinen einzigen Fall von Tabes dorsalis bezw. 
progressiver Paralyse beobachtet. Die Ursache davon erblickt Vortr. darin, dass 
die Araber, die sich durch eine besondere Faulheit auszeichnen, ihr Nervensystem 
nicht viel anstrengen. Zweitens ist die Syphilis unter den Arabern jungen 
Datums, so dass diese Krankheit noch nicht viel Zeit gehabt hat, auf hereditärem 
Wege das Nervensystem zu neuropathisohen Erkrankungen zu prädisponiren. Er 
glaubt, dass mit der Zeit die Civilisation und der Alkoholismus den günstigen 
neuropathisohen Boden für parasyphilitische Erkrankungen des Nervensystems 
schon schaffen werden. Bemerkenswerth in dieser Beziehung sind die Einzel¬ 
heiten der Fälle, in welchen das Nervensystem durch die Syphilis betroffen war. 
Im ersten Fall handelte es sich um eine Prostituirte, die dem Tabaksgenuss und 
dem Alkohol fröhnte. Diese Person war gleichzeitig hysterisch. Im zweiten Falle 
war der Kranke Abkömmling der türkischen Rasse, sehr nervös und exaltirt, 
Alkoholiker und Haschisohraucher noch dazu. Sein Vater ging zu Grunde unter 
paranoischen Erscheinungen. Der dritte Fall betraf einen Hafenkohlenarbeiter, 
der ausgesprochener Alkoholiker war. Nur im vierten Falle konnte man weder 
Nervosität noch Alkoholismus nach weisen. Dagegen fand Vortr. bei den Juden 
in Algier ausserordentlich häufig Tabes und progressive Paralyse. 

Discussion: 

Herr Babinski fragt den Vortr., ob er bei den syphilitischen Arabern nach 
dem Robertson’schen Zeichen gesucht hat. Dieses Symptom, welches lange Zeit 
den anderen Erscheinungen der Tabes vorauBgehen kann, scheint bei den Arabern 
ziemlich häufig zu sein, wie dies aus einer Mittheilung, die dem Herrn Babinski 
von einem Militärarzt gemacht wurde, hervorgeht. 

Herr Scherb antwortet, dass er mit grosser Sorgfalt die Lichtreflexe bei 
seinen Patienten untersucht hat und das Robertson’sche Symptom bei denselben 
nicht constatiren konnte. 

Herr Gilbert Ballet: Die Statistik, die Herr Scherb uns verspricht, würde 
von grossem Interesse sein, wenn sie seine jetzigen Befunde bestätigt. In der 
That, die Gegner des syphilitischen Ursprunges der progressiven Paralyse stützten 
sich immer auf die Thatsache, dass, während die Syphilis unter den Arabern so 
verbreitet ist, man nie die progressive Paralyse bei ihnen beobachtet. 

Herr Raymond bemerkt, dass bei den Abessiniern dieselbe Thatsache statt¬ 
findet. Es scheint somit, dass bei gewissen Menschenrassen die Syphilis keine 
Macht über das Nervensystem hat. 

Herr Maurice Faure und Herr Laiguel-Lavastine: Ueber das Aus¬ 
sehen und den Moment des Auftretens von Leiohensersetzungen in der 
menschlichen Gehirnrinde. Seit mehreren Jahren stellen die Vortr. Unter¬ 
suchungen an in der Klinik des Herrn Gilbert Ballet nach der Nissl’sehen 
Methode. Es wird allgemein dieser Methode der Vorwurf gemacht, dass man oft 
einfache Leichenproducte an der Gehirnsubstanz für pathologische Läsion an¬ 
genommen hat. Um die Sache ins Klare zu ziehen, haben die Vortr. mit Hülfe 
der Nissl’sehen Methode systematisch die Leichenproducte zunächst an der 


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479 


menschlichen Hirnrinde studirt. Das Material stammte von Individuen her, die 
an den verschiedensten Krankheiten erlagen (mit und ohne Fieber, plötzlicher 
Tod, lange Agonie, mit und ohne Infection, mit und ohne Delirium). Die Gehirn¬ 
stücke wurden nach 2 bezw. 220 Stunden (10 Tagen) gehärtet. Die Gehirne 
wurden aus der Schädelhöhle 20 Stunden besw. 60 Stunden nach dem Tode heraus¬ 
genommen. Es sind in dieser Weise bis 70 Gehirne untersucht worden. Die 
Ree ul täte waren folgende: An einem Gehirn, welches 62 Stunden nach dem Tode 
aus der Schädelhöhle herausgenommen und gleioh gehärtet wurde, waren die Rinden¬ 
zellen absolut normal. Bei Gehirnen, die 82 bezw. 98, 102 und 108 Stunden 
nach dem Tode gehärtet wurden, waren die Veränderungen, die sich später (am 
6. 7. und 8. Tage nach dem Tode) zeigten, kaum angedeutet. 6 besw. 7 und 
8 Tage nach dem Tode findet man folgende Veränderungen: Die weisse Sub¬ 
stanz ist zerdrückt und zerstückelt. Die Präparate enthalten keine Formelemente 
mehr (in der weissen Substanz) und sind farblos. An der Schicht der Pyra¬ 
midenzellen sieht man, dass die kleinen Zellen verunstaltet und stark verändert 
sind. Die grossen Pyramidenzellen sind gut erhalten. Die Conturen derselben 
sind zwar etwas geschlängelt, aber die allgemeine Form und das typische Aus¬ 
sehen sind vollständig erhalten. Die chromophilen Körnchen sind nooh zu er¬ 
kennen, sehen aber dünn und geschrumpft aus. Bei starker Vergrösserung (400 D.) 
sieht man im Innern der Zelle ein gefärbtes Netz, welches dem zeitigen Inhalt 
das Aussehen eines Spinngewebes verleiht. Der Kern der grossen Pyramiden¬ 
zellen ist vergrössert, gefärbt, die Grenzen desselben sind undeutlich. Der 
Nncleolus ist ebenfalls vergrössert und unregelmässig und sehr deutlich zu 
sehen. Nuoleus und Nucleolus bleiben im Centrum der Zelle. Die Fortsätze 
der grossen Pyramidenzellen sind geschlängelt, unregelmässig und ver¬ 
schwinden bald vollständig. Die Blutgefässe widerstehen am längsten und 
zwar deswegen, weil sie von stark gefärbten Bakterien förmlich ausgestopft sind, 
so dass sie förmlich injicirt erscheinen. Also nach 6 Tagen ist von der weissen 
Substanz und von den kleinen Zellelementen niohts mehr zu sehen. Die grossen 
pyramidalen Zellen bleiben bestehen und sind leicht zu erkennen, trotz der starken 
Veränderungen. Dieselben verschwinden ihrerseits erst am 7. Tage. Dann sind 
an den Präparaten nur die Blutgefässe sichtbar. Das Aussehen der Leichen- 
producte ist ganz und gar verschieden von den pathologischen Veränderungen, die 
man mit der Nissl’schen Methode bis jetzt entdecken kann. Nie haben die 
Vortr. an ihren Präparaten die Verlagerung des Kernes naoh der Peripherie der 
Zelle oder kugeliges Aussehen der Zelle oder das Verschwinden der chromophilen 
Körnchen beobachten können. Die Vortr. ziehen aus ihren Untersuchungen folgende 
Schlüsse: 1. Die Leichenveränderungen, die man an der menschlichen Gehirn¬ 
rinde mit Hülfe der Nissl’schen Methode beobachten kann, treten so spät nach 
dem Tode auf, dass sie bei Beurtheilung pathologisch-anatomischer Befunde gar 
nicht in Betracht zu kommen brauchen. 2. Das Aussehen derselben ist so grund¬ 
verschieden von den pathologischen Läsionen, dass der geübte Beobachter un¬ 
möglich einen Fehler der Verwechselung begehen würde. 

Herr Georges Guillain: Ueber die Erhaltung der Bewegungsfunctionen 
in den Oliedmaassen bei der Oharoot-Marie’sohen Amyoftrophle (mit Kranken¬ 
vorstellung). Vortr. zeigt an zwei Kranken, die aus der Klinik des Herrn Pierre 
Marie in Bicetre stammen, dass trotz der vorgeschrittenen Muskelatrophie die 
Kranken, die an der Charcot-Marie’schen Form von Amyotrophie leiden, mit 
ihren Händen weniger unbeholfen sind als Kranke, die von anderen Formen pro¬ 
gressiver Muskelatrophie behaftet sind. Bei dem ersten Kranken begann die 
Krankheit im Jahre 1884 in den unteren Extremitäten. Die rechte Hand wurde 
im Jahre 1889, die linke im Jahre 1892 in Mitleidenschaft gezogen. Heute hat 
der Kranke Klauenhände und sehr ausgesprochene Muskelatrophie an den Händen 


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480 


und an den Vorderarmen. Trotzdem kann der Kranke allein essen, sein Fleisch 
schneiden u. s. w. Bei dem zweiten Kranken, der 32 Jahre alt ist, begann die 
Krankheit in den unteren Extremitäten im Alter von 7 Jahren. 2 Jahre später 
fing die Atrophie auch an den Händen an. Jetzt hat der Patient klauenartige 
Hände und sehr vorgeschrittene Atrophie. Nichtsdestoweniger kann er seine Hände 
zum Essen gebrauchen und sogar zum Arbeiten, da er Schuhmacher ist. Mit 
einem Worte, seine Hände leisten ihm noch viele Dienste. Vortr. stellt gleich¬ 
zeitig einen Syringomyelitiker vor, der anscheinend dieselbe Muskelatrophie hat, 
da bei ihm eine Hand ebenfalls klauenartig deformirt ist, dagegen ist er aber 
mit seiner Hand viel unbeholfener als die vorgestellten zwei Kranken. Die Ur¬ 
sache dieser Erscheinung ersieht Vortr. in der ausserordentlichen Langsamkeit, 
mit der sich die Muskelatrophie in der Charcot-Marie’schen Form entwickelt. 

Herr Raymond bestätigt, dass er bei seinen Kranken der Salpötriire die¬ 
selbe interessante Thatsache conatatirt hat. R. Hirschberg (Paris). 


V. Vermischtes. 

Am 24. und 25. Mai findet in Baden-Baden die ÄXVXL Wanderveraammlung 
der südwestdeutsohen Neurologen und Irrenärzte statt. 

Herr Prof. Hoche (Strassborg) erstattet ein Referat über „Differentialdiagnose zwischen 
Epilepsie und Hysterie“. 

Ferner sind bis jetzt folgende Vorträge angemeldet: 1. Prof. Erb: Bemerkungen zur 
pathologischen Anatomie der Syphilis des centralen Nervensystems. — 2. Prof. v. Strümpell: 
Neurologische Mittheilungen. — 3. Prof. Dinkler: Ueber acute Myelitis (Verdacht auf 
AbBcess; Versuch operativer Behandlung). — 4. Prof. Schwalbe: Ueber Windungsprotuberansen 
des Schädels. — 5. Prof. Fürstner: Zur Kenntnias der vasomotorischen Neurosen. — 6. Prof. 
Edinger: Zur vergleichenden Anatomie des Gehirns: Das Vogelgehirn. — 7. Dr. Bayer¬ 
thal: Zur Diagnose der Thalamus- und Stirnhirntumoren. — 8. Prof. Schnitze: a) Weitere 
Mittheilungen über operativ behandelte Geschwülste der Rückenmarkshäute. b) Das Ver¬ 
halten der Zunge bei Tetanie. — 9. Prof. Hoffmann: Ueber tonischen Faoialiskrampf. — 
10. Dr. Ebers-. Demonstration eines durch Operation geheilten Falles von chronischem 
Krainpf der Nacken- und Halsmusculatur. — 11. Dr. Blum: Ueber experimentelle Erzeugung 
von Geisteskrankheiten. — 12. Prof. Gerhardt: Zur Anatomie der Kehlkopflähmungen. — 
18. Dr. Link: Demonstration von Muskelpräparaten bei Myasthenia gravis. — 14. Dr. Vul* 
pius: Muskelüberpflanzung bei spinaler Kinderlähmung. — 1B. Prof. Nissl: Ueber einige 
Beziehungen zwischen der Glia und dem Gefässapparat. — 16 . Dr. Schröder: Die Katatonie 
im höheren Lebensalter. — 17. Prof. Kraepelin: Die Arbeitscurve. 

Geschäftsführer sind Herr Prof. Kraepelin (Heidelberg) und Herr Dr. Fischer 
(Pforzheim). _ 


Vom 1.—7. September 1902 findet zu Anvers der „Congrös international de l’assistance 
des aliönös et spöcialement de leur assistance familiale“ statt. 

In Bern wird vom 1.—6. September 1902 der zweite internationale Congress für 
medicinische Elektrologie und Radiologie abgehalten. Folgende allgemeine Fragen sind zur 
Discussion auf die Tagesordnung gesetzt worden: I. Der gegenwärtige Stand der Elektro- 
diagnostik. Ref.: Dr. CI uz et (Toulouse), Dr. Mann (Breslau). II. Die chirurgische Elektro¬ 
lyse. Ref.•. Dr. Guilloz (Nancy). III. Die Radiographie und die Radioskopie der inneren 
Organe. Ref.: Dr. Böclöre (Paris), Prof. Grunmach (Berlin). IV. Die von den X-Strahlen 
verursachten Unglücksfälle. Ref.: Dr. Oudin (Paris). V. Die Gefahren der industriellen 
Starkströme. Ref.: Dr. Battelli (Genf). — Als Präsident fungirt Dr. Dubois, als Schrift¬ 
führer Dr. L. Schnyder, Bundesgasse 38, Bern. 


VI. Personalien. 

Herr Dr. Bartels (Villa Frieda, Ballenstedt a/H.) wurde zum Sanitätsrath ernannt. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vaw & Comp, in Leipzig. — Druck von Minsu & Wirne in Leipzig. 


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Neurologisches Cent ralb latt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie*des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Eiiandswansigster " B * rün ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct ton der Verlagsbuchhandlung. 

1902. ^ Juni. ^ ~ Nr. 11. 


I. Originalmittheilungen. 1. Ueber centrale Augenmuskelnervenbahnen, von Dr. J. Piltz. 
2. Spinalneuritische oder mjopathische Muskelatrophie P Von Dr. Toby Cohn. 8. Weiteres 
über die asthenische Lähmung, nebst einem Obduotionsbefnnd (Dr. E. Flatau), von S. Gold- 
Nam in Warschau. (Schluss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Ueber Silberimprägnation der Nervenzellen und der Mark¬ 
scheiden, von Mosse. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber Veränderungen der 
motorischen RQckenmarkszellen noch Resection und Ausreissung peripherer Nerven, von 
Striussler. S. Experimentelle Untersuchungen Ober die motorischen Kerne einiger spinalen 
Nerven der hinteren Extremität des Hundes, von Knaps. — Pathologische Anatomie. 
4. Sülle alterazioni del sistema nervoso centrale siano primitive o secondane alle monstruosita 
per difetto (ectromelia, emimelia), per Perrero. 5. Ueber die mit Hälfe der Marchifärbung 
nachweisbaren Veränderungen im Rückenmark von Säuglingen, von von Tillng. — Patho¬ 
logie des Nervensystems. 6. Syphilis und Tabes, von Erb. 7. Zur Kenntniss der 
Symptomatologie und pathologischen Anatomie der Lues cerebri, von Kopczyriskl. 8. Syphilis 
cdrebrale Simulant une paralysie gdnörale, par Brissaud et Pichln. 9. Endarteriitis syphilitica 
bei einem 2 l /,jähr. Kinde, nebst Bemerkungen über HirnarterienlueB, von Heubner. 10. Syphi- 
litic meningo-myelitia,. erysipelas, recovery, by Trsvelyan. 11. Meningitis syphilitica mit 
fieberhaftem Verlauf, von Dorendorf. 12. Ueber einen Fall von Diabetes mellitus syphilitious, 
von Hemptennacher. 18. Syphilis infantile, par Rothschild. 14. Gingivite syphilitiquo Simu¬ 
lant la stomatite mercurielle, gudrison par le traitement hydrargyrique, par Büret. 15. £tat 
au sang dans la syphilis, le tabes, la paralysie gönörale, par Sabrazls et Mathis. 16. Des 
modes d’utilisation des eaux mindrales Bulfureuses dans le traitement de la syphilis, par 
Vidal. 17. Beretning om en epidemi af Poliomyelitis anterior acuta i Bratsberg amt aar 1899, 
af Leegaard. 18. Zur Poliomyelitis anterior (chronica und acuta) der Erwachsenen, von 
Qranow. 19. Zur Klinik der Schweissanomalieen bei Poliomyelitis anterior (spinale Kinder¬ 
lähmung) und posterior (Herpes zoster), von Hlgier. 20. Cuntributo allo studio delle atrofle 
muscolari progressive nell’ eta avanzata, per Terrio e Rovere. 21. Zur Cosuistik der infan¬ 
tilen progressiven spinalen Muskelatrophie von familialem bezw. hereditärem Charakter, von 
Bruns. 22. The morbid anatomy of a case of progressive atrophy wbicb was olinically one 
of amyotrophic lateral sclerosis, by Philips. 23. Poliomyelitis anterior, von Kirschbaum. 

24. Zur Kenntniss der familiären progressiven Muskelatrophie im Kindesalter, von Senator. 

25. Spinale Muskelatrophie in Folge Bleivergiftung, an eine infantile Poliomyelitis sich an¬ 
schliessend. Beitrag zur Pathologie der Bleivergiftungen, von v. Sarbö. 26. Ein Fall von 
Dystrophia musculorum progressiva, von v. Sarbö. 27. Progressive muscular dystrophie with 
the report of an autopsy, by Sachs and Brooks. 28. Ueber einige Fälle von Nervenkrank¬ 
heiten, von 8chwarz. — Psychiatrie. 29. Regenticides not abnormal as a dass. A proteat 
against the chimera of „degeneraev“, by Spitzka. 80. I. Et tilfälde af mikrocefali, af Bull. 
11. Nok et tilfälde af mikrocefali, af Bull. 31. Verwaltungsberieht der Provinsial-Irrenanatalt 
zu Rittergut Alt-Scherbitz für die Jahre 1898/99 und 1899/1900. Erstattet von Paetz. 

III. Bibliographie. The mental functions of the brain, by Bemard Holländer. 

IV. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank- 
heiten. — XX. Congress für innere Medioin in Wiesbaden vom 15.—18. April 1902. — 
Sociötö de neurologie de Paris, 6 Juni 1901. 

- 31 


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482 


L Originalmittheilungen. 


1. Ueber centrale Augenmuskelnervenbahnen. 

Von Dr. J. Pütz, Nervenarzt in Warschau, 
gew. Vice-Director der psychiatr. Klinik in Lausanne. 

Die folgenden Mittheilungen beziehen sich auf die Resultate einer Reihe 
von Versuchen, die im Sommer 1898 im physiologischen Institut in Zürich an 
16 Kaninchen und 6 Hunden ausgeführt wurden. 

Mittels sehr schwacher Inductionsströme wurden die Stellen der Grosshirn¬ 
rinde festgestellt, von welchen aus isolirte Augenmuskelbewegungen erzeugt 
werden können. Daraufhin wurden diese Stellen exstirpirt; 14 Tage nach der 
Operation wurden die Thiere getödtet und deren Gehirne nach Mabghi be¬ 
handelt und schliesslich in continuirliche frontale Schnittserien zerlegt 

Die mikroskopische Untersuchung der vollständigen Schnittserien in Bezug 
auf die vorhandenen seoundären Degenerationen gewährt uns einen Einblick in 
den Verlauf der centralen Augenmuskelnervenbahnen, d. h. derjenigen 
Bahnen, welche die oben angeführten corticalen Augenmuskel „centra“ mit den 
Kernen der Augenmuskelnerven oder mit ihrer Umgebung verbinden. 

Beim Kaninchen wurde speciell das im Parietalhirn befindliche Augen¬ 
muskelcentrum untersucht. Innerhalb des von Mann 1 angegebenen Centrums 
konnten sowohl für die verschiedenen Bewegungen nach oben, innen, aussen und 
unten, wie auch für die Raddrehbewegungen der Bulbi besondere Stellen con- 
statirt werden. Die Resultate dieser physiologischen und anatomischen Unter¬ 
suchungen beim Kaninchen werden hier vorläufig keine Berücksichtigung finden. 

In der Grosshimrinde des Hundes giebt es bekanntlich 4 Stellen, von denen 
aus Augenmuskellähmungen erzeugt werden können: 

1. Das frontale Augenmuskelcentrum. Dasselbe liegt in der hinteren Partie 
des Lobus frontalis, nach vorn vom Sulcus cruciatus, unmittelbar hinter dem 
Sulcus praecruciatus, ungefähr 1 cm von der Pissura sagittalis entfernt. Dasselbe 
ist medial von der Nackenregion H und lateral von der Kopfregion F von 
Munk 2 begrenzt. Nach hinten grenzt es an den Gyrus sigmoideus (Vorder¬ 
beinregion). 

2. Im Parietaltheil haben Fbitsch und Hitzig 3 eine Stelle gefunden, 
welche im Bereiche des Facialiscentrums liegen soll, von welcher aus sich durch 
elektrische Reizung associirte Augenbewegungen hervorrufen lassen. Dieselbe 
nimmt die laterale Hälfte der vorderen Spitze der 2. Urwindung ein. Sie liegt 
auch innerhalb der sogen. Augenregion F von Munk. 


1 Journal of Anat. and PhyaioL XXX. 

* Munk. Ueber die Functionen der Großhirnrinde. Berlin, 1890. S. 50. Fig. 8. 

* Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. Berlin, 1874. 


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Fig. 2. 

sieht man wie auf der Höhe des Kerns des N. oculomotorius vom Pes pedunculi 
degenerirte Fasern (in Form von linienförmig angeordneten schwarzen Schollen) 
in der Richtung dieser Kerne ziehen. Diese Verhältnisse illustrirt die Fig. 3. 
Nachdem sie die Substantia Soemmeringii passirt haben, ziehen sie weiter dorso- 
medialwärts, indem sie den Nudeus ruber von der lateralen und medialen Seite 
umgeben. Ausser diesen Fasern zu den gleichnahmigen Oculomotoriuskernen 

81 * 


3. und 4. Bekanntlich können auch durch elektrische Reizung des Occipital- 
und Temporallappens Augenhewegungen erzielt werden. 

Meine Untersuchungen beziehen sich nur auf die beiden ersten Centren. 
Ueber die Lage und Ausdehnung der Exstirpationen geben die Fig. 1 u. 2 
Auskunft. Die Resultate der Untersuchungen lassen sich in folgender Weise 
kurz zusammenfassen: 


Nach Exstirpation des frontalen Augenmuskelcentrums fand ich secundäre 
Degeneration in den Nachbarwindungen, im Corpus callosum, in dem vorderen 
Schenkel der inneren Kapsel, in den Laminae medulläres intemae des Globus 
pallidus, im Stratum intermedium der Haubenregion und in der inneren medialen 
Abtheilung des Pes pedunculi. Auf den Schnitten durch den oberen Zweihügel 


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484 


fand ich welche, die gegen die Baphe ziehen, wahrscheinlich zum contralateralen 
Kern dieses Nerven. Es ist mir jedoch nicht gelangen, diese secundäre Dege¬ 
neration in Form von Fasern unmittelbar bis zu den Kernen zu verfolgen; da¬ 
gegen schwarze Schollen (leider ohne festgestellten Zusammenhang mit diesen 
degenerirten Fasern) fand ich beiderseits in der dorsomedialen Partie des hinteren 
Längsbündels zerstreut 

Nach Exstirpation einer ziemlich grossen Partie der Augenregion F zu¬ 
sammen mit dem parietalen Augenmuskelcentrum fand ich secundäre Degene¬ 
ration in den Nachbarwindungen der gleichen Seite, im Cingulum, in der Tan¬ 
gentialschicht der grauen subependymären Substanz, welche das Dach des 
Seitenventrikels bildet, im Corpus callosum, in den mit der Exstirpation sym- 


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Fig. 3. 


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metrischen’Windungen der anderen Hemisphäre, in der inneren Kapsel der 
gleichen Seite, im Thalamus opticus, in der Lamina medullaris externa thalami 
von Fobel, im Corpus Luys, in dem Felde H von Fobel und schliesslich in 
der lateralen Abtheilung des Pes pedunculi. Dies illustrirt zum grossen Theil 
die Fig. 4. Fast in allen Schnitten durch den vorderen Zweihügel sieht man 
nun, wie vom Himschenkelfuss degenerirte Fasern zu demselben hinaufsteigen. 
Dieselben ziehen zum oberflächlichen Grau des Corpus quadrigeminum anterius. 
Die meisten jedoch ziehen zum tiefliegenden Mark desselben, einige lassen sich 
sogar auf die andere Seite verfolgen, und hie und da geben sie Seitenzweige ab, 
die sich im centralen Höhlengrau verlieren. Dies illustrirt die Fig. 5. 

Ausser diesen vom Pes pedunculi kommenden degenerirten Faserzügen fand 
ich bei meinen Parietalhirnexstirpationen einen Faserzug degenerirt, welcher 
direct von der inneren Kapsel zum vorderen Zweihügel zieht Sein Verlauf 
lässt sich kurz folgendermaassen beschreiben: ln den Ebenen durch die vorderste 


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485 



Partie des Ganglion habenolae sieht man degenerirte Fasern ans der inneren 
Kapsel heranstreten. Diese steigen nicht zum Pes pednncnli herunter, sondern 

ßjy 




Fig. 5. 

ziehen gleich medialwärts; sie passiren die Gitterschicht, die WnnNiOKs’sche 
Zone and gelangen zur vorderen Partie der Markkapsel der ventralen Abtheilung 
des Corpus geniculatum laterale. In den Schnitten weiter unten, dort wo die 



. . 1 ■..x 



B 




Ce- 



















486 


ventrale und dorsale Abtheilung des Corpus genicnlatum externum zusammen- 
fliessen, sieht man diesen degenerirten Faserzug schon weit vom Corpus geni- 
culatum externum entfernt und näher der Mittellinie gerückt In den Schnitten, 
welche die vorderste Partie 3er Commissura posterior treffen, sieht man den 
Faserzug schon an der Grenze der Haube (o in Fig. 5); dort liegt dieser Faser¬ 
zug einerseits zwischen der Haube und dem Corpus geniculatum intemum und 
andererseits zwischen den beiden Corpora geniculata, jedoch mehr im Bereich 
des Corpus geniculatum intemum. Ventral von ihm liegt die obere Schleife 
(Kuban de Reil mödian). Auf Schnitten weiter unten kommt dieser Faserzug 
dorsal vom Brachium posticum zu liegen, bis er schliesslich die laterale Grenze 
der Haube passirt, um zum vorderen Zweihügel zu gelangen. 

Noch auf eine Degeneration, die bei den Parietalexstirpationen beobachtet 
wurde, möchte ich aufmerksam machen. In d$n Schnitten, welche die hintere 
Hälfte des Corpus quadrigeminum anterius treffen, ungefähr auf der Höhe der 
Trochleariskeme, sieht man, wie lange degenerirte Fasern vom Pes pedunculi 
entspringen, die laterale Partie desselben lateral wärts umziehen und diejenige 
graue Zone, welche die obere Schleife (Kuban de Reil mödian) vom Brachium 
posticum trennt, dorsal wärts durchziehen; sie verlaufen somit auf der Grenze 
zwischen der Haube und dem Corpus geniculatum mediale. 

Dies ist nichts anderes als die „Fibres aberrantes superficielles postöro- 
exteraes du pied du pödoncule cöröbral“ oder Pes lemniscus profundus von 
Dejebinb 1 (Pes lemniscus von Meynebt, Fascicules aberrants superficiels ex¬ 
ternes von Long 2 ). 

Aehnliche Untersuchungen haben Silex und Gebweb gemacht 

Silex 3 hat vom Hrrzio’schen Centrum aus, d. h. von der vordersten Spitze 
der zweiten Urwindung, dort wo dieselbe nach vom an den Gyrus sigmoideus 
grenzt, durch elektrische Reizung einseitige Bewegungen des entgegengesetzten 
Auges erhalten. Bei Thieren, denen Silex dieses Centrum exstirpirte, konnte 
er Störungen in den Augenbewegungen nachweisen. An den Gehirnen so ope- 
rirter Thiere konnten mit der MABCHi’schen Methode Degenerationen von Fasern 
nach der anderen Seite, nach dem Thalamus opticus, der Capsula interna, dem 
Corpus geniculatum, dem Pes pedunculi und den Vierhügeln erkannt werden. 

Neulich ist aus der BECHTEBEw’schen Klinik eine sehr ausführliche und 
interessante Arbeit des Hm. Collegen Gebweb 4 erschienen. Derselbe sah nach 
Exstirpation des frontalen Augenmuskelcentrums secundäre Degeneration in den 
medialen zwei Vierteln des Himschenkelfusses, in der Substantia nigra Soem- 


1 Dejebinb and E. Losa, Sar quelques d6gdn4rescences secondaires du tronc encepha- 
lique de l'homme ätudiäes par la mdthode de Mabohi etc. Extrait des Comptes rendus 
de la Societd de Biologie (Sitsung vom 30. Juli 1898). Und Dejbbinb, Anatomie des 
centres nerveux. II. 

* E. Lono, Les voies centrales de la sensibilitd g6n4rale. 1899. S. 252. Paris, Steinbeil. 

8 Silex, Ueber die centrale Innervation der Augenmuskeln. Wiesbaden 1899. 

4 Gbbwkb, Ueber die Rindencentren der Augenbewegungen. Dissertation. (Russisch.) 
Petersburg 1899. 


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meringii, im Stratum intermedram, in den Oculomotoriuskemen (wobei die 
Degeneration des gleichseitigen Kernes stärker war), in den Abducenskeraen 
(wobei die Degeneration des ungleichseitigen Kernes stärker ausgeprägt war) und 
schliesslich im hinteren Längsbündel beiderseits. 

In der Pariser Neurologen-Gesellschaft hat neulich Touche 1 einen Fall 
mitgetheilt yoü rechtsseitiger Hemiplegie mit der Unmöglichkeit, die Augen nach 
links zu bewegen. Bei der Section wurde eine suboorticale Blutung in der 
zweiten frontalen Windung rechts gefunden. In der Discussion maohte Prof. 
Raymond darauf aufmerksam, dass dieser Fall ein Beleg ist für die experimen¬ 
tellen Untersuchungen über die corticale Localisation der Augenbewegungen bei 
Thieren. 

Erklärung- der Fifnra. 

Piff. 1. Hundegehirn mit Exstirpation des frontalen Augenmuskelcentrums (Hand C). 
Natürliche Grösse. — Fig. 2. Hundegehirn mit Exstirpation der Aagenregion F von Munk 
(Hand B). — Fig. 8. Schnitt darch die vorderen Zweihügel des Gehirns C. — Fig; 4. 
Schnitt in der Gegend des Ganglion habenolae des Gehirns B. — Fig. 5. Querschnitt darch 
die vorderen Zwemügel des Gehirns B. 

A Sehsphäre, Alv Alveus, AS Aqoaeductos Sylvii, Bro Brachinm anticam, Brp Bra- 
chiom poeticum, C Hinterbeinregion, CA Corna Ammonis, CA 1 ventraler Theil des Cornu 
Ammonis, Cbl Cerebellum, Cc Corpus callosam, Ce Capsula externa, Cfa Colamna fornicis 
anterior, Cged dorsale Abtheilong des Corpus geniculatum externam sea laterale, Cgev ven¬ 
trale Abtheilang desselben, Cgi Corpus geniculatum internem, Cgid Corpus geniculatum in- 
ternom dextram, Ci Capsala interna, Cinf Unterhorn des Seiten Ventrikels, Ving Cingulum, 
CI Claastram, Vormauer, Cm Commissara mollis, CM MsYNEBT’sche Commissar, Cqa Corpus 
quadrigeminam anterius, CR Corona radiata, Stabkranz, de Diverticulum subiculi, E Kopf¬ 
region, F Augenregion F von Monk. f Frontallappen, FQ GANsaa’sohe Faserzüge, in dorso- 
ventraler Richtung das centrale Hönlengrau durchziehende Faserzüge, FO t Faserzüge von 
Ganses, « der Längsachse parallel verlaufende Züge des oentralen Höhlengraues, Flp Hin¬ 
teres Längsbündel, FM Mkynkrt’s Fasciculos retroflexus, For Fornix, FS Fissura Sylvii. 
FT Tüncic’sehes Bündel, FVA Vicq d'Azra'sches Bündel, Oh Ganglion habenulae, B. Feld H 
von Fobbl oder wie Dbjbbinb es einfach nennt: das FoBBL’sche Feld, R (nur Fig. 1 u. 2) 
Nackenregion, h Sulcus hippocampi, h, von Fobbl beschriebener zungenförmiger Fortatz des 
Feldes HL von Fobbl, Rftc Meynbbt'b motorisches Feld der Haabe = Haubenfascikel von 
Fobbl, Ri Gyrus hippocampi, J Rumpfregion, L Schleifenschiobt, L l =*Li Fimbria sea 
Limbas corna ammonis! Lm LemnisouB medialis, LME Lamina medullaris externa, Mo Me- 
dolla oblongata, NL Nucleus lenticularis, NR Nuoleas Raber, NEU Nucleas oculomotorii, 
NV Nacleas nervi trigemini, o Occipitallappen, p Parietal lappen. Fern Pedanculus corporis 
mamillaris. Pich Plexus chorioideus ventriculi later., Pp Pes peduncoli, r, Radiärfasern, die 
aas dem tiefliegenden Mark sich in das centrale Höhlengrau einsenken, EC = BATh von 
Fobbl = „Mächtiges Faserbündel, das ans dem rothen Kern kommend, auf-, lateral- und 
dorsalwärts zum ventralen Theile des Thalamus opticus, zur Gittersohicht, zur Lamina 
medallaris externa u. s. w. zieht, wo seine Fasern sich dann mit anderen so verweben, dass 
ihre Richtnng nicht mehr verfolgbar ist“ (Fobbl), Radiation de la calotte (Dbjbbinb), rFM 
radiäre Fibrillen von Mbynbbt, welche radiär, bezw. dorso-ventral verlaufen, das tiefliegende 
Mark darchbrechend, Scc Sulcus corporis callosi, 8er Salcos craciatas, Sgc Sabstantia grisea 
centralis, Sge Substance grise sousdpendymaire (Dbjbbinb), Spor Sulcus praecrociatos, Sr Sab¬ 
stantia reticularis, SS Sabstantia Soemmeringii, Sli Sabstantia innominata (Rbichbbt), Strz 
Stratum zonale thalami, T Temporallappen, To Tuber cinereom, Tho Thalamus opticus, 
Tro Tractas opticus, U Uncas, V t Ventricalus tertias VI Ventricalas lateralis, Vspk Yen- 
triculus sphenoidalis, vt Velom terminale, xF ventrale Hanbenkreuzang vou Fobbl, xM 
fontainensrtige Haubenkreuzung von Mbynbbt nach Fobbl, + Hirnrindendefect nach Exstir¬ 
pation des frontalen Augenmuskelcentrums, +4- Hirnrindendefect nach Exstirpation der 
Augenregion F von Munk im Parietallappen, 1 Fibrille Deriferiche von Tartuferi = Stratum 
zona/e = Tangentialschicht, 2 zweite weisse Lage «= oberflächliches Mark von Fobbl, 3 dritte 
weisse Schicht = mittleres Mark von Gansbb, 4 vierte weisse Lage <=> tiefliegendes Mark 
der Autoren = Commissara posterior, III N. oculomotorius. 

1 Sitzung vom 6. December 1900. Referat im Nearolog. Centralbl. 1901. S. 184. 


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[Ans der Poliklinik des Hm Prof, Hbvdkl zu Berlin.] 

2. Spinal-neuritische oder myopathische Muskelatrophie? 1 

Von Dr. Toby Cohn. 

Es hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr gezeigt, dass auf dem 
Gebiete der progressiven Moskelatrophieen die gültige Abgrenzung der einzelnen 
klinischen Sonderarten auf der Grundlage scharfer anatomischer Sonderung nur 
cum grano salis zu verstehen ist. Bei aller Anerkennung der Thatsache, dass 
gewisse Symptomencomplexe fortschreitenden Muskelschwundes in ganz bestimmter 
klinischer Gruppirung und auf ganz bestimmter anatomischer Voraussetzung 
Vorkommen, muss doch nach dem vorliegenden Material zugegeben werden, dass 

1. zwischen den einzelnen Formen klinische Uebergänge bestehen, und dass 

2. bei einem und demselben anatomischen Bild das Krankheitssyndrom ein 
gänzlich verschiedenes sein kann. 1895 hat Crameb(I) in einem ausführlichen, 
109 Fälle progressiver Muskelatrophie umfassenden Referat nachgewiesen, dass 
sowohl das Bild der sogen, myopathischen als das der sogen, spinalen Form der 
Muskelatrophie auf derselben anatomischen Grundlage Vorkommen, d. h. dass es 
nicht nur mit den gleichen Rackenmarksveränderungen, sondern auch mit dem 
gleichen Muskelbefnnde einhergehen kann. Auch im Laufe der letzten Jahre 
sind eine Reihe wichtiger (zum Theil später zu erwähnender) Facta bekannt 
geworden, die die Unseharfheit der zwischen den einzelnen Atrophietypen ver¬ 
laufenden Grenzen zu demonstriren geeignet sind. So liegen auoh namentlich 
Beobachtungen (klinische und anatomische) vor, die beweisen, wie schwer es so¬ 
wohl in vivo als selbst post mortem sein kann, die sogen, neurale Form der 
Mugkelatrophie von anderen, besonders auch der myopathischen, abzugrenzen. 
Es würde den Rahmen dieser kurzen Mittheilung überschreiten, wenn hier 
alle8 Hergehörige zusammengestellt werden sollte. Erinnert sei nnr an die 
Rolle, die einigen der zur Abgrenzung der verschiedenen Typen als differential- 
diagnostisch (oder gar für einen von ihnen pathognostisch) zugeschriebenen Sym¬ 
ptome mit der Zeit zugefallen ist; so z. B. der Entartungsreaction, deren 
Nachweis zur Unterscheidung der einzelnen Atrophieformen umsomehr an Bedeutung 
verliert, je mehr sich die Fälle häufen, in denen als myogen anzusprechende 
progressive Muskelatrophieen mit diesem 8ymptom einhergehen. 

Zur Illustration der Thatsache, dass aus den angeführten und einer Reihe 
anderer Gründe die Einordnung eines Falles in eine der bekannten Gruppen 
des progressiven Muskelschwundes, ganz besonders am Lebenden, gelegentlich 
sehr grosse Schwierigkeiten machen oder ganz unmöglich werden kann, diene 
die folgende Mittheilung über den Befund bei einer Patientin aus der Poliklinik 
des Herrn Prof. Mbndbl: 


1 Nach einer Demonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven¬ 
krankheiten vom 11. November 1901. 


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Die 15jähr. Martha R stammt ms einer im allgemeinen gesunden Familie. 
Ee sind ihres Wissens Nervenkrankheiten bei den nahen Verwandten nicht vor- 
gekommen. Nur leidet ihre Mutter an Anfällen, die von der Patientin „Ohn- 
macht s anfl üle“ genannt und in ihnlicher Weise geschildert werden wie die, an 
denen sie seihst leidet. 

Das junge Mädchen, das sonst niemals ernstlieh krank war, bekommt nämlich, 
seitdem sie meastruirt (d. h. seit etwa l 1 /, Jahren) wöchentlich einmal Zustande, 
die mit Schwindel beginnen und au einer Bewusstseinstrübung führen. Sie kommen 
ohne Veranlassung, dauern etwa 15 Minuten und hinterlassen keine merklichen 
Spuren. Zuckungen oder Starre sind dabei niemals beobachtet worden, auch hat 
sich das Midoben niemals einen Zungenbiss oder eine andere Verletzung dabei 
xugesogen. Nachher bat sie eine dunkle Erinnerung an den Anfall. 

Neben dienern Leiden, über welches Näheres nicht su erfahren ist, besteht 
seit S Jahren dasjenige, wegen dessen sie die Poliklinik aufsucht. Es begann 
mit ziehenden Schmerlen in beiden Unterschenkeln bis an den Knieen hinauf. 
Allmähli ch verschlechterte sich auoh ihr Gang; sie ermüdete leicht, ging un¬ 
beholfen und bekam nach kurzen Wegen unter den Sohlen beider Füsse Schmerz. 
In der letzten Zeit sind die Beschwerden noch stärker geworden. Schon nach 
wenigen Minuten Gehen kann sie sich kaum auf den Beinen halten. Auoh hat 
die Patientin bemerkt, dass die Form der Füsse sich mit der Zeit verändert hat 

Patientin ist ein gut genährtes Mädchen, ziemlich gross für ihr Alter, mit 
reichlichem Panniculus adiposus. 

Das Geeicht sieht fett und etwas gedunsen aus, namentlich zeigen die beiden 
oberen Augenlider dieses Aussehen. Die Lidspalten sind nicht sehr weit geöffnet, 
können aber activ in normaler Weise bewegt werden. Die Mimik ist eine auf¬ 
fallend geringe, jedoch ist eine Parese im Gebiete der Gesichtsmuskeln nirgends 
zu bemerken. 

Auch sonst findet sich keine Abnormität im Gebiete der Hirnnerven. Ins¬ 
besondere sind die Augen ohne alle krankhafte Störung. Die Pupillen sind 
gleich weit, reagiren gut auf Licht und Aocommodation, die Augenbewegungen 
geschehen nach allen Richtungen hin frei, der Augenhintergrund ist normal. Die 
Zungen- und Gaumeninnervation ist gleichfalls ohne Anomalie, ebenso zeigen die 
Kaumuskeln das gesunde Verhalten. Die Sensibilität im Trigeminusgebiet ist 
intact, ebenso Geruch, Geschmack und Gehör. 

An den oberen Extremitäten ist der Ernährungszustand der Muskeln, die 
Beweglichkeit und die grobe Kraft vollkommen gut. Die Kraftentfaltung ist 
sogar eine ungewöhnlich grosse. Elektrische Veränderungen sind an den Händen 
und Armen sowie in der Schultermusoolatur nioht vorhanden; ebenso wenig nra 
Gesicht. Anch hier (desgleichen am Rumpf) ist die Sensibilität sowie die Reflexe 
völlig intact. 

Die Rumpfmuskeln bieten in Bezug auf Ernährungszustand, Beweglichkeit 
und Verhalten gegen den elektrischen Strom normale Verhältnisse. 

Die einzigen erheblichen Abweichungen von der Norm finden sich an den 
unteren Extremitäten, und zwar auf motorischem Gebiet, während die Sensibilität 
für alle Qualitäten völlig normal, die Patellarreflexe ein wenig lebhaft und die 
Hautreflexe ohne Besonderheiten sind. Nur ist der Sohlenreflex beiderseits 
nicht an8zalösen. 

Ara Gange fällt zweierlei auf: erstens besteht beiderseits „SteppeP'.Gang: 
die Füsse werden übermässig gehoben, die Beine im Knie stark gebeugt und die 
Füsse mit dem vorderen Tbeile des äusseren Fussrandes zuerst aufgesetzt; zweitens 
sinkt bei Tritt auf das reohte Bein die linke Beckenhälfte und bei Tritt auf das 
linke Bein die rechte Beckenhälfte herunter. Dieses Beokenschaukeln ist nicht 


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sehr stark, aber doch deutlich zu sehen. : (Schw&che der Glutä&lmtukeln, ins¬ 
besondere des M. glutaens medius beiderseits.) 

Stehen gelingt ohne Schwierigkeit, sowohl bei geöffneten als geschlossenen Augen. 

Atrophieen sind nirgends zu bemerken. Dagegen zeigen sowohl die Glutäal- 
gegend als besonders die Waden auf beiden Seiten eine Uber das Maass des 
Normalen hinausgehende Entwickelung. Der Umfang d^r Waden ist annähernd 
dem der Oberschenkel gleich und so erheblich, dass er aus der allgemeinen Fett¬ 
leibigkeit der Patientin allein nicht erklärt werden kann. Die Wadengegend 
fühlt sich weich und teigig an, so dass der Eindruck einer Fetthypertrophie der 
Musculatur vermehrt wird. 

Die Bewegungen in beiden Hüft- und Kniegelenken sind sämmtlich ausführbar 
und geschehen mit normaler Kraft. Auch die Beugung des Fasses .und. der Zehen 
kann gut und ziemlich kräftig ausgefuhrt werden. Dagegen ist die Dorsalflexion 
des Fusses beiderseits gänzlich unmöglich, ebenso die Zehenstreckung. Nur eine 
Hebung des inneren Fussrandes, sowie eine Streckung der Grundphalanx der 
grossen Zehe (M. tibialis anticus und M. extensor hallucis longus) gelingt auf 
beiden Seiten. Hin und wieder treten kleine Streckbewegungen der 5. Zehe 
hinzu. In Bettlage sieht man auch deutlich, dass auf beiden Seiten der Fuss 
andauernd in kräftiger Equino-Yarusstellung mit erhobenem inneren Fussrande 
und mit dem für die Contractur des Extensor hallucis longus charakteristischen 
Ueber8trecken der Halluxgrundphalanx bei gebeugter Endphalanx steht. 

Die mechanische Erregbarkeit' der Muskeln ist Behr gering. Die elektrische 
Untersuchung zeigt: 

Völlige Intactheit der Oberschenkelmusculatur beiderseits; Unterschenkel¬ 
muskeln Bämmtlich auf beiden Seiten sowohl direct als indirect für beide Strom¬ 
arten erregbar, jedoch farädisch erst bei Strömen von etwa 60—70mmR.-A., 
galvanisch bei Strömen von 7—10 M.-A. und darüber. 

Dabei ist überall die Zuckung blitzartig, nur bei directer galvanischer 
Reizung beider Extensores hallucis longi ist deutliche und ausgesprochene 
Zuckungsträgheit vorhanden, während der Muskel hei indirecter Reizung sich 
beiderseits völlig blitzartig contrahirt. Selbst unter Berücksichtigung der von 
mir wiederholt bei Gesunden gesehenen Thatsache, dass die kleinen Fussmuskeln 
auf galvanische Ströme sich nicht so blitzartig contrahiren wie Bonst normale 
Muskeln (besonders am Extens. digitor. cummun. brevis ist das oft nachzuweisen), 
ist in diesem Falle die Zuckungsträgheit sicherlich als pathologisch anzusprechen. 
Umkehr der Zuckungsformel konnte nirgends nachgewiesen werden. 

Die Extensores digitörum communes breves und die Interossei sind weder 
direct noch indirect erregbar. 

An den inneren Organen sind keine Abnormitäten zu finden: Herz, Lunge 
und die Bauchorgane bieten das gesunde Verhalten. Der Urin ist frei von Zucker 
und Eiweiss. 

(Schluss folgt.) 

3. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem 
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau). 

Von S. Gold fl am in Warschau. 

(Schluss.) 

Ueber den Sitz der Krankheit wurden verschiedene Vermuthungen aus¬ 
gesprochen. Es lag nahe, ihn in die Muskeln zu versetzen in Anbetracht des 


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auaKhlie&ticheii Befallenseins des motorischen Apparats und der MyaR. Jollt 
führt an, dass nach Mittheilung von Böhm das Protoveratrin in einem gewissen 
Stadium seiner Wirkung eine ähnliche Erschöpfbarkeit der Muskeln herronuft 
Es wurden Analogieen mit der THOMSBN’scben Krankheit, besonders aber mit der 
paroxysmalen Lähmung, bei welcher eine der myasthenischen ähnliche Reaction 
der Nerven und Muskeln auf elektrische Ströme beobachtet war 1 , herangezogen. Der 
neulich von mir und Wkigkbt erhobene Muskelbefund könnte anscheinend eine 
Stütze für die mycpathische Natur des Leidens sein. 

Die MyaR an sich spricht nicht für den directen Sitz der Affection in den 
Muskeln und könnte ebensogut auf die Nervenendigungen bezogen werden. 
Nach Mubbi spricht gegen den Ursprung im peripheren motorischen 
Endapparate der Umstand, dass die durch den Willen ermüdeten Muskeln 
dennoch auf faradische Reizung reagiren, und zwar mit Contraotionen, die stärker 
sind, als die durch den Willen erzeugten und eine Serie von rasch abnehmenden 
Contractionen liefern, die sich nicht von der nach Ruhe erhaltenen unterscheiden. 
Allein der redproque Einfluss des Willens und der faradischen Ströme auf die 
Muskelcontractionen bedarf noch weiterer Untersuchungen, waren ja im Fall 
Jollt’s die durch den Willen ermüdeten Muskeln für faradisohe Ströme über¬ 
haupt unerregbar, und umgekehrt konnte der durch den faradischen Strom er¬ 
müdete Muskel willkürlich nicht bewegt werden. Ich selbst habe im Fall 
0^ zwar nur an manchen Tagen, eine gewisse Beeinflussung gesehen, indem die 
faradischen Contractionen geringer ausfielen nach Erschöpfung durch den Willen. 
Wenn es sich aber heraussteilen sollte, wie das sehr wahrscheinlich ist, und wie 
ich es in anderen Fällen bestätigen konnte, dass eine gegenseitige Beeinflussung 
nicht besteht, dass die beiden Erscheinungen unabhängig von einander ablaufen, 
dann wird auch die Beweisführung Mübbi’s keine absolut sichere sein, da man 
mit ebenso vielem Recht behaupten könnte, dass das Nervensystem nicht der 
Sitz der Krankheit ist, da der Willensimpuls in den duroh faradische Reizung 
erschöpften Muskeln Contractionen auslöst 

In Betreff der oben angedeuteten weitläufigen Analogieen ist es allerdings 
fraglich, ob bei der Myotonie oder der paroxysmalen Lähmung das Nerven¬ 
system trotz des positiven Muskelbefundes doch nicht in letzter Instanz im Spiele 
ist; das so ausgesprochene hereditäre Moment spricht entschieden dafür. Was 
den von mir und Weigebt erhobenen Muskelbefund anlangt, so vermag er, so 
interessant er auch ist und so sehr er vielleicht die Ermüdungserscheinung und 
die MyaR dem Yerständniss näher rücken würde, andere charakteristische Eigen¬ 
schaften der asthenischen Lähmung, wie die Schwankungen, die Remissionen 
oder die Intermissionen doch nicht zu erklären, und es erscheint fraglich, ob 
darin das Primäre liegt, zumal die Veränderungen in den Muskeln keinen 
constanten Befund darstellen. 

Die im Falle K. erhobenen Eigentümlichkeiten der MyaR scheinen ent¬ 
schieden gegen den Ursprung im peripheren neuromusculären Apparat zu 

1 Goldflam, Zeitschr. für klin. Med. XIX. Suppl. and Deutsche Zeitschr. für 
Nervenheilk. VII. 


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sprechen. Denn wenn der zugehörige Mnskel nach Hervorrufen der MyaR vom 
Nerven aus dennoch seine faradische Erregbarkeit nicht einbüsst, so ist diese 
Thatsache ein Beweis, dass der Muskel und die Nervenendigungen in ihm nicht 
der Sitz der Krankheit sein können. Der periphere Nerv aber kann es auch 
nicht sein, da er seine Reizbarkeit nicht verliert, nachdem die MyaR im Muskel 
hervorgerufen wurde. Gegen den Sitz im Muskel spricht auch die reciproque 
Nichtbeeinflussung seiner motorischen Punkte. 

Es ist einleuchtend, dass die charakteristischen Symptome, (auch das längere 
Bestehen einer Ptose oder einer partiellen Ophthalmoplegie als einzige Manifestation 
der Krankheit) Tiel besser in den Rahmen einer Affection des Nervensystems 
passen. In der That verweisen die meisten Autoren, von Ebb bis Oppenheim, 
den Sitz der Krankheit in die Nervencentren. Mürri verlegt ihn in die Kerne 
des centralen Höhlengraus und des Rückenmarks. Oppenheim stützt sich, 
wie Mubbi, auf die Thatsache, dass die Entwicklung und Gruppirung der 
Lähmungssymptome innige Beziehungen zu der Topographie der entsprechenden 
Kerne erkennen lässt, noch mehr aber darauf, dass es anatomisch nach¬ 
weisbare Erkrankungen der cerebrospinalen Nervenkerne giebt, welche grosse 
Aehnlichkeit mit der asthenischen Lähmung besitzen, (nämlich die combinirten 
Formen der Polioencephalitis sup. und inf., die Polioencephalomyelitis) eine An¬ 
nahme, dass die der asthenischen Lähmung zu Grunde liegenden Vorgänge 
sich in den motorischen Nervenkernen oder in dem gesammten entsprechen¬ 
den Neuron bis in die Musculatur hinein abspielen. 

Mir scheint aber, dass die Möglichkeit eines corticalen Ursprungs nicht 
mit absoluter Sicherheit auszuschliessen ist Die Lähmungen, die durch Er¬ 
krankung der Vordersäulen des Rückenmarks verursacht werden, sind gewöhn¬ 
lich typisch (sog. Localisationstypus). So sehen wir bei der Poliomyelitis acuta 
anterior, sowohl der Kinder als Erwachsener, dass an den Armen besonders der 
Deltoideus allein, oder im Verein mit dem Biceps, Brachialis int und Supinator 
longus, an den Beinen die Extensoren des Fusses und der Zehen, mit Aus¬ 
nahme des Tibialis anticus, der Lähmung, die noch vielseitiger combinirt 
sein kann, anheimfallen. Bei der subacuten und chronischen Poliomyelitis können 
bei Lähmung der Oberarmmuskeln der Triceps frei bleiben, und an den Beinen 
nur das Gebiet des N. peroneus, auch mit Ausschluss des Tibialis anticus oder 
Peroneus longus, betroffen sein. 1 Bekanntlich beginnt die spinale progressive 
Muskelatrophie meist an den kleinen Muskeln der Hände, ein anderes Mal 
am Deltoideus, Infruspinatus, Cucullaris, Serratus anticus major u. s. w. Bei 
der asthenischen Lähmung ist ein solcher Typus durchaus nicht wahrzunehmen. 
Hier verfallen der Lähmung ganze Extremitäten, oder was noch auffallender 
ist, ganze Segmente derselben, namentlich die proximalen Abschnitte, die mit Vorliebe 
betroffen werden und welche die charakteristische Erscheinung der Apokamnose 
zeigen. Diese Localisation an den Extremitäten verträgt sich mehr mit der Lage der 
entsprechenden Centren in der Hirnrinde (vgl. das Schema von Beevor und 


1 Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 2. Aufl. S. 175. 


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Hobslby bei Affen). Die Vertheilang der sensiblen Centren daselbst soll ja 
«ach den Segmenten der Glieder entsprechen (Chabcot). 

Der psychische Theil der willkürlichen Bewegung scheint intact za sein, 
da aber bei wiederholtem Willensimpols Lähmnng eintritt, so könnte man eben- 
sogat eine gewisse anatomisch nicht nachweisbare Läsion der motorischen 
Rindencentren annehmen, welche dieselben unter dem Einfluss des Willens 
leicht in Erschöpfung versetzt. Man darf aber der Hirnrinde einen gewissen 
trophischen Einfluss auf die Muskeln kaum absprechen (Quinokb), der es 
bewirken könnte, dass sie auf den faradischen Strom in abnormer Weise 
reogiren. Wurde doch die Beaction der Erschöpfbarkeit zuerst bei Hemisphären¬ 
läsionen von Benedikt beobachtet Die von Jolly angeführten Erfahrungen 
von M 0880 , „dass bei gesunden Menschen, welche ihr Gehirn durch geistige 
Arbeit ermüden, gleichzeitig eine Ermüdung der in Ruhe gebliebenen 
Muskeln ein treten kann, und zwar eine Ermüdung, welche sich als gesteigerte 
Erschöpfbarkeit nicht nur bei willkürlicher Arbeitsleistung, sondern auch bei 
directer Muskelreizung durch den elektrischen Strom bemerkbar macht,“ bieten 
frappante Analogieen zu der asthenischen Lähmung. Die letztere scheint danaoh 
eine pathologische Steigerung dessen zu sein, was schon physiologisoh im kleinen 
Maassstab stattfindet Mosso nimmt chemische Veränderungen in den Muskeln 
an, welche durch die bei der Gehirnarbeit sich entwickelnden und in die Blut¬ 
bahn übertretenden Stoffwechselproducte bewirkt werden. Es steht aber nichts 
im Wege anzunehmen, dass die Stoffwechselproducte auf die motorischen Centren 
der Rinde selbst erschöpfend einwirken können. 

Noch unsicherer sind unsere Kenntnisse über das Wesen der Krankheit. 
Strümpell hat Recht zu behaupten, dass das Fehlen von anatomischen Ver¬ 
änderungen im Nervensystem eigentlich ein Postulat bildet, angesiohts der so 
ausgesprochenen Labilität der Erscheinungen und der Remissionen (sogar bis zu 
einer scheinbaren Genesung) u. s. w., die bei Anwesenheit von anatomischen 
Läsionen viel schwieriger zu verstehen sein würden. Es kann sich in der That 
nur um dynamische Veränderungen im Nervensystem handeln. Mübbi nimmt 
gewisse anatomisch nicht nachweisbare Alterationen in den genannten cerebro¬ 
spinalen Kernen an, in Folge deren der trophische Einfluss Metabolismus auf 
die Muskeln nicht aasgeübt, sondern derart modificirt wird, dass die Muskeln 
bei intacter histologischer Structur in abnormer Weise auf Willensimpulse und 
faradischen Strom reagiren. Welches aber diese hypothetischen, anatomisch nicht 
nachweisbaren Läsionen sind und wodurch sie verursacht werden — darüber 
können wir fast nichts sagen. Den herrschenden Anschauungen entsprechend 
recurriren die meisten Autoren auf toxische Einwirkung. Ich habe in dieser Riohtung 
einige Versuche mit dem Urin der Patientin K. nach der Methode von Boüchabd 
angestellt, die keine nennenswerthen Resultate ergaben. Es waren keine Unter¬ 
schiede in der Toxicität des Urins vorhanden, einerlei ob er Nachts oder am Tage, 
ob in den Morgenstunden, oder in der Nachmittagszeit abgesondert wurde.* 

1 Fzwbbeo bat einen Fall beschrieben (Nenrol. Centralbl. 1900. Nr. 8), wo am 
dritten Tage eines Ileos stercoralis drohende Erscheinungen seitens des Nervensystems auf- 


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Nach Oppenheim spielt die oongenitale Minderwerthigkeit gewisser Ab¬ 
schnitte des Nervensystems eine wesentliche Rolle; sie reicht allein aus, wahr¬ 
scheinlicher aber müssen bestimmte Schädlichkeiten (Ueberanstrengung, In- 
fectionskrankheiten, Geschwülste) hinzukommen, um den Symptomencomplex der 
asthenischen Lähmung herbeizuführen. Die Neigung der Krankheit zu Recidiven, 
die ausschliessliche Beschränkung der Erscheinungen auf das motorische 
Gebiet spricht nach Stbümpell eher für eine endogene Ursache. Die 
hereditäre Anlage hat nach meinen Erfahrungen und denen Anderer keine 
so grosse Bedeutung Auch eine infectiöse Krankheit konnte in den meisten 
Beobachtungen mit gutem Recht nicht verantwortlich gemacht werden; die 
in meinen Fällen so häufig wiederkehrende Angina follicularis ist eine zu 
banale Krankheit, als dass man sich dabei aufhalten sollte. Was die Geschwülste 
betrifft, so haben wir bei Gelegenheit des Falles 0. gesehen, dass der thatsäch- 
lich vorhandene Symptomencomplex in den zur Stütze herangezogenen Fällen theils 
der asthenischen Lähmung nicht entspricht, theils handelt es sich um eine zu¬ 
fällige Complication und einen parallelen Verlauf zweier Zustände, ohne dass sie 
sich gegenseitig beeinflussen. Dennoch bleibt die häufige Erwähnung von Tu¬ 
moren in Fällen von asthenischer Lähmung beachtenswert; in meinen 8 Fällen 
ist mehrfalls von Tumor die Rede, bei dem Falle 0. traten die ersten Symptome 
des Lymphosarcoms der Lunge im 9. Jahre des Bestehens der asthenischen 
Lähmung auf, er unterlag ihm nach etwa einem Jahre; Pat S. starb an einer 
— nur klinisch-diagnosticirten Mediastinalgeschwulst, die K. hatte eine nicht 
näher bestimmbare kleine Geschwulst an der Vorderfläche der Trachea. Ob 
die Vermutung Weigebt’s, es könne sich in manchen Fällen von asthenischer 
Lähmung um eine von der Thymuserkrankung (wegen Ueberschuss an normalem 
Gewebe) ausgehende toxische Beeinflussung handeln, zu Recht besteht, mu9s 
weiteren Beobachtungen überlassen werden. Wenn in den Versuchen von 
Mos80 geistige Arbeit bei gesunden Individuen gesteigerte Erschöpfbarkeit 
der Muskeln auf Willensimpulse und elektrische Ströme herbeiführt, so 
könnten es am Ende auch normale Stoffwechselproducte sein, die beim Bestehen 
gewisser dynamischer Veränderungen die motorischen Centren leicht zur Er¬ 
schöpfung bringen. / 

Als mir die ersten Fälle von asthenischer Lähmung zu Gesicht kamen, fiel 
es mir auf, dass die Krankheit einer ganz bedeutenden Besserung, ja sogar 
Genesung für Monate und Jahre fähig ist Allein ich war mir der Gefahr, 
der solche Pat. ausgesetzt sind, wohl bewusst, machte auch darauf aufmerk¬ 
sam, dass die Mehrzahl der Fälle, die ich damals auffinden konnte, letal 


getreten sind, die er als asthenische Lähmung in Folge von Autointoxication anspricht; 
mit Herstellung der Passage trat Besserung und nach 6 Wochen Genesung ein. Nach 
meinem Dafürhalten gehört dieser Fall nicht der asthenischen Lähmung an, er hat viel 
Aehnlichkeit mit jener Gruppe von Ophthalmoplegieen, Bulbärparalysen, die durch Fleisch, 
Fisch, Wurstvergiftung hervorgerufen sind, und die mit der asthenischen Lähmung das 
Fehlen von anatomisohen Veränderungen gemein haben. 


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endeten, dass der BxRNHARDT’sche 1 nach einer 3 Jahre anhaltenden Gesund¬ 
heit einem Reddiv erlag, und ich sprach von trügerischen Remissionen, die eine 
Heilung Vortäuschen können. Diesem Bedenken gab ich schon im Titel meiner 
Arbeit Ausdruck, als ich von einem „scheinbar heilbaren bulbärparaly tischen 
Symptomenoomplex mit Betheiligung der Extremitäten“ sprach. 

Auch jetzt, wo das vorliegende Material viel zahlreicher ist, muss betont 
werden, dass die asthenische Lähmung zu ernsten Besorgnissen für die Kranken 
Anlass giebt Wenn unter den 58 Fällen der OppsNHBDf'sohen Statistik 26 und 
unter den 60 von Campbell und Bramwell angeführten 23 Todesfälle vorge¬ 
kommen sind, so ist das eine grosse Mortalitätsziffer. Ueberdies darf keines¬ 
wegs behauptet werden, dass die anderen Fälle endgültig gebessert oder gar 
geheilt sind. Es lässt sich gar nicht voraossehen, ob die Krankheit einen 
langwierigen, sozusagen gutartigen Verlauf, wie in den Fällen 0. und S. 
(9 bezw. 8 Jahre; Tod in Folge einer Neuhildung. der Lungen bezw. eines 
Mediastinaltumors), oder wie bei der Patientin T. (die seit 9 ] / s Jahren ihren 
Pflichten als Mutter und Hausfrau naohgeht und wo Monate, sogar Jahre lang 
anhaltende Remissionen und Intermissionen, die einer Genesung gleichen, vor¬ 
gekommen sind) — die Fälle Dreschpeld 2 und Camtjbet * erstreokten sich über 
* 15 bezw. 35 Jahre —, oder aber einen bösartigen, wie im Falle B., der nach 
V, Jahre und im Fall Widal-Marinesco *, der schon nach 14 Tagen letal 
endete (allein mit Tuberculose der Lungen complicirt). Ebenso wenig kann man 
Voraussagen, ob die Erscheinungen eine mildere Form annehmen, wie beim 
Fall S. und E. oder während des Anfalls eine solche Intensität erreichen werden, 
dass eine unmittelbare Lebensgefahr für den Kranken entsteht, namentlich 
ob die gefürohtete Betheiligung der Respirationsmuskeln eintreten wird. 

Dennoch muss die spontane Neigung der asthenischen Lähmung zu Re¬ 
missionen und Intermissionen, die Jahre lang anhalten können, betont werden. 
Vielleicht wird es in Zukunft beim tieferen Eindringen in das Wesen der 
Krankheit gelingen, diese Besserungen, die einer Genesung gleiohkommen 
können, herbeizuführen. . 

Denn unser therapeutisches Vorgehen ist bis jetzt ein sehr reserviites und 
beschränkt sich wesentlich auf Beseitigung von Einflüssen, die erfahrungs- 
gemäss schädlich sind. Bei Besprechung des Falles B. haben wir darauf hin¬ 
gewiesen — auch Buzzabd thut es in seiner jüngsten Mittheilung —, wie sehr 
es darauf ankommt, die asthenische Lähmung frühzeitig zu erkennen und die 
in manchen Fällen vereinzelt auftretenden Symptome — besonders eine Ptose, 
oder Augenmuskelparese — richtig zu deuten. Bei der Flüchtigkeit der Er¬ 
scheinungen, ihrem Wechsel und den Remissionen wird meist Hysterie an¬ 
genommen und 4ie Kranken mit Hydrotherapie, Massage, Gymnastik be¬ 
handelt. Bei der asthenischen Lähmung aber muss Schonung, sowohl in psy- 
chisoher und noch mehr in physischer Beziehung, als oberste Richtschnur gelten. 
Die Kranken sollen sich möglichst ruhig verhalten und beim Auftreten irgend 

1 Berliner klin. Wochenschr. 1890. Nr. 43. * Brit. med. Joarn. 1898. S. 176. 

• L’nnion mädicale. 1876. S. 906. 4 Presse mödicale. 1897. Nr. 3. 


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welcher bedrohlicher Symptome — es sind besonders Athmungsstörungen getnemt 
— im Bett liegen bleiben. Gemüthserregungen müssen ferngehalten, geistige 
Arbeit beschrankt werden, sogar das Lesen bei Vorhandensein von Ptose und 
Augenmuskelstörungen ist aufzugeben. Ferner ist zu bemerken, dass Ermüdung 
eines Gebiets, besonders im Bereioh der bulbären Functionen, sich anderen mit¬ 
theilt, wobei sich leioht Dyspnoe einstellt Besondere Aufmerksamkeit ist auch der 
Nahrungsaufnahme zu schenken: sie soll langsam mit öfteren Unterbrechungen, 
in geeigneter Zubereitung erfolgen. Die Schlingstörungen gehen oft mit Re- 
spirationsbesohwerden einher, dann bringt selbst das vorsichtigste Schlingen Er¬ 
stickungsgefahr mit sich. Wenn man bedenkt, dass die Einführung der Schlund¬ 
sonde bei manchen Pat Würgen und Erstickung herbeiführt, so wird man, 
zumal beim Bestehen von Athmungsstörungen, am besten davon Abstand 
nehmen.. Oppenheim erwähnt einen Fall, in dem der Tod während der Ein¬ 
führung der Sonde eintrat Anderen Autoren, so Kojewnikof, gelang es, die 
Kranken in dieser Weise zu ernähren. Bei der auf der Höhe des Anfalls vor¬ 
handenen Hinfälligkeit des Patienten wird auch die Anwendung von Rectalklystieren 
auf Schwierigkeiten stossen und die Ernährung, überhaupt sehr unzulänglich 
sein. Den schrecklichen Stunden von Athemnoth steht der Arzt beinahe hülf- 
los gegenüber; die künstliche Athmung scheint noch am meisten die Qual der ' 
Kranken zu lindem. 

Selbstverständlich ist die ärztliche Untersuchung möglichst schonend aus¬ 
zuführen und namentlich muss die faradische Prüfung vorsichtig vorgenommen 
und auf das Nothwendigste beschränkt werden. Nicht selten tritt nach solchen 
Untersuchungen Versohlimmerung ein, die erst nach einigen Tagen abklingt 
Dem galvanischen Strom scheint diese üble Wirkung nicht zuzukommen. Ob 
er einen positiven therapeutischen Werth hat, bedarf weiterer Erfahrungen; bei 
der immanenten Tendenz der Krankheit zu Remissionen, die von inneren, ganz 
unbekannten Factoren abhängen, wird es jedoch schwer sein, dies festzustellen. 

Von der medicamentösen Behandlung habe ich ebenfalls keinen sichtbaren 
Nutzen erlebt. Man wird aber nicht umhin können, die sog. Tonica zu ver¬ 
suchen, trotzdem bei der asthenischen Lähmung von einer anämischen Blut- 
beschafFenheit meist nicht die Rede ist Warnen möchte ich vor Anwendung 
der Thyreoideatabletten, von denen ich in einem Fall entschieden Nachtheile 
sah. Im Fall Buzzabd’s machte die Besserang noch während der Tbyreoidea- 
behandlung einem Relaps Platz; zu gleicher Zeit wurde Strychnin injicirt 

Die Thymussubstanz (in Dosen ä 0,05 bis zu 10 Tabletten täglich) wurde 
gut vertragen; ein greifbarer Effect konnte nicht constatirt werden. 

Die meisten Kranken kamen vom Lande in gebessertem Zustand und mit 
Gewichtszunahme zurück. 

Die Heirath scheint ohne Nachtheil zu sein. Eine meiner Patientinnen 
fühlte sich während der wiederholten Schwangerschaften entschieden besser; ge¬ 
wöhnlich trat bei ihr ein Rückfall etwa 3 Monate nach der Entbindung auf, 
einerlei, ob sie gestillt hat oder nicht 


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IL Referate. 


Anatomie. 

1) Ueber SUberimprägnstion der Nervenzellen and der Mzrksoheiden, von 

Dr. Max Hosse. (Archiv f. mikroskop. Anatomie u. Entwickelungsgeschichte. 

LIX. 1901.) 

Verf. theilt eine Imprägnationsmethode mit, welche genaue Stuctnrbilder der 
Nervenzellen ergehen soll. Sie beruht auf dem Princip, dass aus Silbersalzlösungen 
entweder durch das Sonnenlicht oder duroh Anwendung chemischer Lösungen 
metallisches Silber niedergeschlagen wird. Das Verfahren ist folgendes: 

I. Fixirung in der Carnoy-Gehuchten’schen Flüssigkeit (Alcohol absol. 
6 Theile, Chloroform 8 Theile, Eisessig 1 Theil); 

II. ParafBneinbettung; 

III. die aufgeklebten Schnitte kommen für etwa 2 Minuten in eine 1 bis 
2 °/ 0 Argentaminlösung; 

IV. Abspülen in destillirtem Wasser; 

V. UeberfÜhren für kurz^ Zeit (etwa eine Minute, bis die graue Substanz 
einen bräunlichen Farbenton annimmt) in eine 10°/ 0 Pyrogallollösung; 

VI. Wasser, Alkohol u. s. w. 

Von besonderem Interesse ist es, dass durch diese Methode eine distincte 
Imprägnation der chromophilen Substanz der Nervenzellen erzielt wird. 

Ferner theilt der Verf. ein Verfahren mit, durch welches eine isolirte Silber* 
imprägnation der Markscheiden dargestellt werden kann. Es beruht auf der Ein* 
Führung des Silbers in eine Chromverbindung der Markscheiden. 

1. Härtung in Mü 11 er’scher Flüssigkeit oder anderen Cbromsalzlösuugen. 

2. Nachhärtung in Alkohol ohne Anwendung von Wasser. 

3. Celloidineinbettung. 

4. Einlegen der Schnitte auf 24 Stunden in Müller’sche Flüssigkeit. 

5. Uebertragung der Schnitte auf 10 Minuten in eine 1—2°/ 0 Lösung der 
in den Handel als Argentamin kommenden Flüssigkeit. 

6. Abspülen mit Wasser. 

7. Reduction in etwa 10°/ 0 Pyrogallollösung, bis die Schnitte ganz schwarz 
werden; es geschieht dies in 1—2 Minuten. 

8. Abspülen in Wasser. 

9. Differenzirung nach Pal u. s. w. in der üblichen Weise. 

Die auf diese Weise erzielten Bilder sollen guten Weigert-Präparaten nicht 
nachstehen. Die Markscheiden erscheinen braunschwarz, heben sich von ihrer 
Umgebung scharf ab und lassen sich bis in die feinsten Vertheilungen verfolgen. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

2) Ueber Veränderungen der motorischen Rüokenmarkssellen n&oh Reseotion 
and Ausrelssung peripherer Nerven, von Dr. Ernst Sträussler. (Jahr¬ 
bücher f. Psych. u. Neurol. 1902.) 

Im Hinblicke auf die in allen Ergebnissen des Studiums der Ganglienzellen 
nach den neuen Zellfärbungsmethoden vorherrschende Uneinigkeit der Befunde 
und Ansichten geht der Autor auf die Fundamental versuche Nissl’s der Resection 

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und Ausreissung peripherer Nerven zurück. Es galt hier die Entscheidung 
zwischen drei in der Litteratur niedergelegten Ansichten zu treffen, indem Nissl 
die Eesection und Ausreissung von Nerven für die Zell Veränderungen als gleich- 
werthig betrachtet, Marinesco einen Unterschied im Grade der Zellveränderungen 
je nach der Art der Leitungsunterbrechung, Eesection oder Ausreissung, fest¬ 
gestellt hat, während van Gebuchten das regelmässige Auftreten von Zell¬ 
veränderung nach einfacher Leitungsunterbrechung, Eesection, überhaupt bestreitet. 

Da die von Nissl zuerst beschriebenen Zellveränderungen nach Leitungs¬ 
unterbrechung zur Erklärung und Stütze der „retrograden Degeneration“ heran¬ 
gezogen wurden, prüft der Verf. seine Befunde nach dieser Eichtung hin und 
untersucht diese neuen Argumente für die „retrograde Degeneration“ auf ihre 
Werthigkeit. 

Die Untersuchungen wurden an Katzen vorgenommen und es war theils der 
Plexus brachialis, theils der Ischiadicus Gegenstand eines operativen Eingriffs; 
Eesection an 4 Katzen, welche 5 bezw. 10, 15 und 30 Tage nach der Operation 
zur Untersuchung kamen; Ausreissungen von Nerven in 6 Fällen, Untersuchung 
sofort nach der Operation, bezw. 24 Stunden, 5, 10, 15, 30 Tage nach dem 
operativen Eingriff; ausserdem 3 Fälle von Nervendurchreissung, 4, 10, 15 Tage 
nach der Operation: Die Färbung des Eückenmarks geschah vornehmlich nach 
Ni881*8 verbesserter Methode, nach Eesection und Durchreissung wurden Nerven 
der Behandlung nach Marchi unterzogen. 

Die Ergebnisse der Untersuchungen, welche der Verf. am Schlüsse jeder 
Untersuchungsreihe in einem K6sum6 zusammenfasst, weisen als hervorstechendstes 
Moment den hochgradigen Unterschied zwischen Zellveränderuögen nach Eesection 
einerseits und Ausreissung andererseits in Bezug auf die Easchheit ihrer Entwickelung, 
ihre Qualität und Quantität. Nach Eesection eine vom 5.—30. Tage langsam 
fortschreitende Alteration der Ganglienzellen, welche sich hauptsächlich auf die 
Tigroidsubstanz bezieht und die Lebensfähigkeit der Zellen unmittelbar nicht 
tangirt; nach Ausreissung schon nach 5 Tagen deutliche Veränderungen der 
Kerne, von 5 zu 6 Tagen rasche Zunahme der Zellveränderungen, welche 30 Tage 
nach der Operation zum Untergänge von mehr als der Hälfte der Zellen geführt 
haben. 

Einen Befund von besonderer Wichtigkeit für die Erklärung dieses auf¬ 
fallenden Unterschiedes im Grade der Veränderungen erhob der Verf. an Eücken- 
markssegmenten der ausgerissenen Wurzeln. In allen Fällen von Nervenausreissung 
bestanden in den Austrittsstellen der vorderen Wurzeln im Vorderstrang und bis 
in das Vorderhorn reichend Läsionen der Kückenmarkssubstanz, welche schon 
nach 10, besonders aber nach 30 Tagen von einer reactiven Entzündung gefolgt 
waren; mit diesem Befunde erbringt der Verf. den Beweis, dass die Vorderhorn¬ 
zellen bei Ausreissung von spinalen Nerven einer directen traumatischen Schädigung 
unterliegen und macht alle anderen Erklärungsversuche der Schwere der Ver¬ 
änderungen überflüssig. 

Trotzdem die Veränderung der Zellen nach Eesection vom 5. Tage an nach¬ 
weisbar waren, war die Zahl der Zellen nach 30 Tagen noch unvermindert, für 
das Leben der Zelle ist also die Alteration vorerst nicht von Bedeutung; das 
Fehlen von Degeneration in den centralen Nervenstümpfen, wie Verf. in seinen 
Befunden hervorhebt, beweist, dass auch die trophische Function der Zellen nicht 
sichtbar geschädigt ist. Nach Ausreissung entwickelt sich in den Zellen rasch 
ein degenerativer Process; es ist selbstverständlich, dass diese Zellen ihren tro- 
phischen Aufgaben zu genügen nicht im Stande sind und den Ausgangspunkt von 
Nervendegeneration bilden können; eine solche Degeneration ist aber dann nicht 
der Leitungsunterbrechung, sondern der directen traumatischen Schädigung der 
Zellen zuzuschreiben. 


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Der Yerf. beschäftigt sich noch ausführlich mit der Deutung und Erklärung 
der histologisch-anatomischen Befunde; interessante Zell- und Kern Veränderungen 
sind der Arbeit in guten Abbildungen auf einer Tafel beigegeben. 

Die Ergebnisse der Arbeit fasst Verf. in nachfolgenden Punkten susammen: 

1. Die nach einfacher, uncomplicirter Resection von Rückenmarksnerven in 
den Zellen auftretenden Veränderungen sind unmittelbar ohne Bedeutung für das 
Leben der Zelle und für die trophische Thätigkeit derselben. 

2. Ausreißsung eines Nerven hat schwere degenerative Veränderung der 
Zellen zur Folge, welche nicht auf die Leitungsunterbrechung an und für sioh 
und nicht auf den Ort der Leitungsunterbrechung, sondern auf das Trauma und 
eine durch das Trauma bedingte reactive Entzündung zurückzuführen ist. 

3. Die nach einfacher Leitungsunterbreohung entstehenden Zellveränderungen 

können nicht zur Erklärung von Degenerationen des oentralen Nervenstückes 
herangezogen werden. Schwere Zell Veränderungen aber sind auf andere Ursachen 
als die einfache Leitungsunterbrechung zu beziehen; die Hereinziehung der Nissl’* 
sehen Zellveränderungen in die Frage der „retrograden Degeneration“ kann diese 
in keiner Weise stützen. Pilcz (Wien). 


3) Experimentelle Untersuchungen über die motorischen Kerne einiger 
spinalen Nerven der hinteren Extremität des Hundes, von Ernst V. 
Knape. Aus dem pathologischen Institut der Abtheilung für Nervenkranke 
(Prof. Homen) in HelBingfors. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 
XX. 1901.) 

Aus den früheren Untersuchungen des Verf.’s ging hervor, dass die spinalen 
Nerven in demselben Sinne wie einige der cerebralen Nerven keine motorischen 
Kerne haben. Es wäre deshalb richtiger, die Bezeichung „motorischer Kern“ 
fallen zu lassen und statt dessen von „motorischen Ursprungsgruppen“ zu sprechen. 
In dieser Arbeit theilt Verf. die Versuche mit, welche er beim Hund anstellte, 
um die motorischen Kerne einiger zum Lumbosacralplexus gehörenden Nerven 
(Nn. tibialis, peroneus, obturatorius und cruralis) festzustellen. Im Allgemeinen 
wurde nur an jungen Hunden experimentirt, bei welchen sich ausser den directen 
Veränderungen auch bald Entwickelungshemmungen im Sinne Gudden's hinzu« 
gesellten. Es wurde stets ein so grosses Stück des Nerven resecirt, dass eine 
Restitution unmöglich war. Ein Theil der Thiere wurde nach 14—20 Tagen, 
ein anderer nach 3*/a Monaten getödtet. Das Rückenmark der ersteren wurde 
in Carnoy-van Gehuchten’s Flüssigkeit fixirt und nach Nissl untersucht, 
während das Rückenmark der letzteren Thiere in Forraol gehärtet, die Schnitte 
mit Methylenblau gefärbt und zum Zählen der Vorderwurzelzellen benutzt wurden. 
Aus diesen Untersuchungen ergab sich Folgendes: 

Der Tibialiskern liegt im 4., 5., 6. und 7. Lumbal« und 1. Sacralsegment. 

Der Peroneuskern befindet sich im 6., 6. und 7. Lumbal«, sowie im 1. und 
2. Sacralsegment. 

Der Obturatoriuskern ist im 4., 5. und 6. Lumbalsegment und der Cruralis« 
kern im 3., 4. und 5. Lumbalsegment gelegen. 

Es ist zwar schwierig, diese Befunde auf den Menschen zu übertragen, 
immerhin ist anzunehmen, dass die relativen Lagen der Kerne der betreffenden 
Nerven übereinstimmen. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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Pathologische Anatomie. 

4) Solle alterazioni del siitema nervoso centrale siano primitive o seoon- 
darie alle monstruositä per difetto (eotromelia, emimelia), perE. Perrero. 
(Arch. per le scienze med. 1901.) 

Verf. hat das Halsmark eines 5 jährigen Knaben untersucht, der einen con¬ 
genitalen Defect der rechten Hand (Hemimelie) gezeigt hatte. Er fand eine 
Asymmetrie der Vorderhornentwickelung im unteren Abschnitt des 6., 7. und 
8. Cervicalsegment und zum Theil auch im 1. Brustsegment. Die Vorderwurzel¬ 
zellen waren in diesem Niveau recht spärlich, klein und schwer färbbar. Auf 
Grund der einschlägigen Litteratur glaubt Verf. nachweisen zu können, dass alle 
diese Defectbildungen ganzer Extremitätensegmente nicht vom Nervensystem ab- 
hängen; entweder handelt es sich um Storungen der ersten Anlage (zu einer Zeit, 
wo Myomeren und Neuromeren noch gar nicht in Verbindung stehen) oder um 
intrauterine Amputationen (durch Amnionfäden u. s. w.). Durch primäre Er¬ 
krankungen des Nervensystems soll wohl congenitaler Klumpfuss u. 8. w. zu Stande 
kommen, aber niemals Hemimelie. Verf. hält sonach die Rüokenmarksveränderungen 
für secundär. — 

Aufgefallen ist dem Ref., dass in den Schlusssätzen des Verf.’s der untere 
Abschnitt des 6. Segments nicht mitgenannt wird. Th. Ziehen. 


5) Ueber die mit Hülfe der Marohifärbung nachweisbaren Veränderungen 
im Rückenmark von Säuglingen, von Johannes von Tiling, Assistenz¬ 
arzt am St. Johannes-Hospital in Bonn. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk. 
XX. 1901.) 

Eis handelt sich um die Untersuchung von 26 Rückenmarken, die Früh¬ 
geburten aus dem 7. Monat der Schwangerschaft bis zu Kindern von 23 Monaten 
entstammen. Aus äusseren Gründen konnte die Section meist erst 20—30 Stunden, 
ja in einem Fall erst 40 Stunden post exitum vorgenommen werden. 

Es fanden sich bei allen untersuchten Rückenmarken mit Ausnahme einer 
Frühgeburt bei Anwendung der March i-Methode im intramedullären Antheil der 
vorderen und hinteren Wurzeln schwarze Körnchen. Und zwar waren die Ver¬ 
änderungen bei jüngeren Kindern an den vorderen Wurzeln deutlicher ausgeprägt, 
während sie bei älteren, über 6 Monate zählenden Kindern an den hinteren 
Wurzeln intensiver ausgebildet waren. 

Analoge Alterationen bestanden ausserdem an dem sogen. Krause’schen 
Respirationsbündel und den aus demselben austretenden Accessoriusfasern sowie 
an den von den Clarke'sehen Säulen zum Kleinhirnseitenstrang ziehenden Fasern. 
Diese Veränderungen sind weniger eine Folge bestimmter Krankheiten, als viel¬ 
mehr durch Ernährungsstörungen (Anämie, Fieber, Infection, Intoxication) bedingt, 
welche auf den empfindlichsten Theil des Rückenmarks ihren schädigenden Einfluss 
ausüben. 

Die Ansicht Zappert’s, dass die Veränderungen an den sensiblen Wurzeln 
ebenso wie bei Erwachsenen nach bestimmten Krankheiten gelegentlich Vorkommen, 
und dass in den Alterationen der motorischen Wurzeln einzig und allein der 
charakteristische Befund bei Säuglingen zu suchen sei, findet durch diese Unter¬ 
suchungen keine Bestätigung. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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Pathologie des Nervensystems. 

0) Syphilis und Tabes, von W. Erb. (Jahrbücher f. Psych. u. Neurologie. 
1902.) 

Der in der Form eines offenen Briefes an Herrn Prof. v. Krafft-Ebing 
verfasste kurze Aufsatz soll eine Heerschau geben über das Schlachtfeld der Frage 
nach der Tabesätiologie. Die directe Veranlassung zu demselben bat ersichtlich 
die jüngst von Gläser verfasste Broschüre abgegeben, die das ganze von Erb 
errichtete Gebäude umzustürzen versuchte, allerdings zum Theil unter Aufwendung 
von Mitteln, die in wissenschaftlichen Discussionen nicht üblich sind und deren 
Zurückweisung Erb nicht schwer fällt. Verf. weist besonders auf die Unzulässig¬ 
keit hin, Krankengeschichten in der vorliegenden Statistik zu verwerthen, die bis 
aus dem Jahre 1876 herbeigezogen sind und nur zum allergeringsten Theile 
eigenen Beobachtungen entstammen, ferner auf das Fehlen einer „Gegenprobe“ in 
Gläser’8 Arbeit, auf die falschen Unterstellungen, die unehrlichen Vergleiche 
seiner verschiedenen statistischen Zahlen mit denen des Verf.’s u. a. m. Des 
weiteren hebt Verf. den Umstand hervor, dass von den Forschern in Berlin, die 
sich mit der Frage beschäftigt haben, fast alle zu einem seiner Anschauung 
günstigen Ergebnisse gekommen sind, und dass die wenigen Arbeiten, die ein 
anderes Resultat gefunden haben, zum grössten Theile aus der I. medicinischen 
Klinik der Charitä (Prof. v. Leyden) stammen. — Ausführlicher geht Verf. auf 
die von Virchow ausgesprochene Ansicht ein, betont die in der Natur der Sache 
liegende Einseitigkeit und Unzulänglichkeit des pathologisch-anatomischen Stand¬ 
punktes sowie die vorsichtige Formulirung, die Virchow seiner Anschauung ge¬ 
geben hat und die den Gegnern Erb’s keinen Anhalt giebt, um sie rückhaltslos 
für sich zu fructificiren. — Demgegenüber weist Verf. darauf hin, dass die grosse 
Mehrzahl der neueren und neusten Lehr- und Handbücher es ohne weiteres an¬ 
erkennt, dass die Syphilis die häufigste und wichtigste Ursache der Tabes ist, 
dass 11 grössere und kleinere statistische Arbeiten der letzten Jahre zu einer 
Bestätigung seiner Lehre geführt haben, dass auch auf einige schwächere Punkte 
derselben (z. B. Seltenheit der Tabes in syphilitisch durchseuchten aussereuropäischen 
bezw. ausserdeutschen Ländern) neuerdings mehr Licht fällt (Arbeiten aus Japan, 
Abessinien u. s. w.). — Im Ganzen gewinnt man nach dieser gedrängten Zu¬ 
sammenstellung den unabweislichen Eindruck, dass die Lehre Erb’s von dem 
ätiologischen Zusammenhang von Syphilis und Tabes auf fast der ganzen Linie 
des wissenschaftlichen Kampffeldes siegreich vordringt und von ihrem Ziele der 
allgemeinen* Anerkennung nicht mehr allzu weit entfernt zu sein scheint. 

H. Haenel (Dresden). 


7) Zur Kenntnis« der Symptomatologie und pathologischen Anatomie der 
Lues oeretori, von Dr. St. Kopczyfiski, Assistenzarzt an der Nervenklinik 
in Warschau. Aus dem Laboratorium des Prof. Dr. H. Oppenheim in Berlin. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

42jährige Frau, syphilitisch inficirt, litt seit 2 Jahren an allmählich zu¬ 
nehmender geistiger Schwäche, bald darauf apoplektischer Insult mit consecutiver 
Hemiplegie links. Nach einigen Wochen Oculomotoriuslähmung reohts. Trotz 
energischer antisyphilitischer Kur fast keine Besserung, Fortbestehen der Demenz, 
Bewegungen des rechten Auges etwas freier, die Weite und Reaction der Pupillen 
wechselten beständig; einen Tag vor dem Exitus rechte Pupille, am Tage des 
Todes linke Pupille völlig lichtstarr, Lähmung des reohten Trochlearis, Ulcus 
corneae rechts, beiderseits Patellar- und Fussklonus, kein Fieber. Nach einjähriger 


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Beobachtung Exitus in Folge eines chronischen Nierenprocesses und Herzmuskel¬ 
lähmung. Bei der anatomischen Untersuchung fanden sich zwei Erweichungs¬ 
herde in der Gegend der Capsula interna mit secundarer Degeneration der 
Pyramidenbahnen, specifische Affection der Hirnbasis, zum Theil der Pia des 
rechten und in geringerem Grad auch des linken Oculomotorius, Affection des 
Chiasma, hauptsächlich aber auffallende Veränderung der gröberen und feineren 
Gefässe an der Hirnbasis (Meningitis basilaris syphilitica). In diesem Fall war 
die Hemiplegia altemans von der Erweichung der Capsula interna und der syphi¬ 
litischen Infiltration des gleichseitigen Oculomotorius an der Hirnbasis abhängig. 
Die intermittirende reflectorische Pupillenstarre ist dem Verhalten der Patellar- 
reflexe bei der Rückenmarkssyphilis sehr analog. Hier war sie höchst wahr¬ 
scheinlich eine Folge des gummösen Processes an der Hirnbasis und der Opticus¬ 
kreuzung. Der syphilitische Process an den Gefässen war als End- und Peri¬ 
arteriitis aufzufassen, und zwar handelte es sich um eine gewisse Differenzirung 
der gewucherten Intima mit Entartung in einen bindegewebigen Strang. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


8) Syphilis oerebrale Simulant une paralysie generale, par E. Brissaud 
et Alph. Pechin. (Progrös medical. 1902. Nr. 3.) 

Ein immerhin interessanter und deshalb ausführlich mitgetheilter Fall von 
syphilitischer Erkrankung des Cerebrum, welche im Bilde einer progressiven 
Paralyse einherging, zu zweifelhafter Prognose verleitet hatte und in völlige Gesund¬ 
heit überging. Adolf Passow (Meiningen). 


9) Endarteriitis syphilitica bei einem 2 1 / 2 jSÜu\ Kinde, nebst Bemerkungen 
über Hirnarterienlues, von 0. Heubner. (Charite-Annalen. XXVI. 1902.) 

2 1 /jjähr. Pat., dessen Vater Potator ist, ist das älteste von drei Geschwistern, 
die beiden jüngeren sind gesund. Keine Fehl- oder Totgeburten in der Familie. 
Pat. ist mit Sattelnase geboren, war von Geburt an schwächlich, hat viel an 
Geschwüren gelitten. Zögernde Entwickelung, Dentition mangelhaft; Pat. hat 
nicht laufen und nur wenige Worte sprechen gelernt. I 1 /, Jahr alt erlitt Pat. 
einen Schlaganfall mit innerhalb dreier Tage vorübergehender halbseitiger Läh¬ 
mung. August 1900 heftige epileptische Krämpfe, die 8 Tage lang auftraten 
und mit einer Lähmung der rechten Seite endeten, die nicht mehr zurückging. 
Im Anschluss daran Kräfteverfall und psychische Veränderungen. Bei der Auf¬ 
nahme im October 1900 fand sich: Schädel stark rachitisch, Nasenbein eingesunken, 
Zähne defect, Parese des rechten unteren Facialis, der rechten Gaumensegelhälfte, 
spastische Lähmung des rechten Armes und Beines, am Larynx Lähmung des 
rechten Posticus, ophthalmoskopisch beiderseits typische Retinitis syphilitioa here- 
ditaria, Schwellung der Submaxillar-, Cervical-, Inguinal- und Cubitaldrüsen. Die 
Krämpfe traten nicht wieder auf, in Folge von Bronchitis und Darmcatarrh trat 
zunächst erhebliche Verschlimmerung des Gesammtzustandes ein, nach deren Ver¬ 
schwinden unter Darreichung von Jodkali, warmen Bädern und Faradisation sich 
eine leichte Besserung bemerkbar machte; Pat. inficirte sich dann in der Klinik 
mit Masern, denen er am 9./XII. 1900 erlag. Die Obduction ergab nun hoch¬ 
gradige Veränderungen besonders einzelner Partieen der linken Hemisphäre, und 
zwar in einem Theile der Pars opercularis der 3. Stirnwindung, des untersten 
Fünftels der vorderen, des untersten Drittels der hinteren Centralwindung, der 
1. Schläfenwindung, des Gyrus angularis und supramarginalis, der vorderen 
Hälften der 2. und 3. Ocoipitalwindung. Daselbst ist die Pia trübe, verdickt und 
adhärent, die Rinde schmal, hellgelb verfärbt und theilweise direct erweicht, so 
dass die Sulci tief klaffen. Mikroskopisch erscheint hier die Rinde fast völlig 


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Digitizec 



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geschwunden, die an ihre Stelle getretene gelbe Zone als zum grössten Theil aus 
Fettkörnchenzellen bestehend, die theils in Neuroglia, theils in zell* und gefass- 
reiches Bindegewebe eingebettet sind. Markstrahlung überall unversehrt. Im 
übrigen an der linken und rechten Hemisphäre normales Verhalten der Windungen. 
Sehr erhebliche Veränderungen zeigten sich an den Gefässen der Basis, und zwar 
fanden sich an der rechten A. vertebralis, der A. basilaris, der. linken A. cerebri 
posterior, A. fossae Sylvii sin., die schwersten Erscheinungen einer ausgesprochenen 
syphilitischen Endarteriitis, leichtere Stadien derselben Erkrankung (Verfärbungen, 
Wandverdickungen) auch an anderen arteriellen Gefässen, während in den zuerst 
genannten es stellenweise direct zur Obliteration der Gefasse gekommen ist. 

Bezüglich einer Reihe kritischer Bemerkungen des Verf.’s sei auf das Original 
verwiesen. Martin Bloch (Berlin). 


10) Syphilitio meningo-myelitia, erysipelas, reoovery, by E. F. Trevelyan. 

(Brit. med. Journ. 1901. 6. Juli.) 

Der mitgetheilte Krankheitsfall betrifft eine 32jähr. Frauy welche seit 3 Jahren 
mit einem syphilitischen Manne verheirathet war, und bei welcher sich nach 
vorhergegangenen heftigen Schmerzen in den Beinen innerhalb weniger W T ochen 
Lähmung beider unteren Extremitäten entwickelt hatte. 

Bei der Aufnahme in das Hospital fand sich: Spastische Lähmung beider 
Beine ohne Muskelatrophie; Steigerung der Kniereflexe, kein Fussklonus; Herab¬ 
setzung der Sensibilität, Incontinenz der Blase und des Mastdarms; Decubitus in 
der Sacralgegend. 

Einige Tage nach der Aufnahme acquirirte Patintin ein Gesiohtserysipel und 
wurde deshalb zwei Mal mit Antistreptokokkenserum injicirt. Nach Heilung der 
Rose besserte sich die Lähmung auffällig und in fortschreitender Weise. Patientin, 
welche äusserer Verhältnisse wegen bald aus dem Hospital entlassen werden 
musste, konnte etwa 2 1 / 2 Monate später ohne Hülfe eines Stockes gehen und schien 
nach weiteren 3 Wochen völlig gesund. Die nach Jahresfrist vorgenommene 
Untersuchung ergab ausser einer geringen Schwäche des Sphincter ani völlige 
Heilung. 

Da Patientin vom Beginn der Lähmung bis zu der auffälligen Besserung, 
welche, wie erwähnt, 2 1 /, Monate nach dem Hospitalaufenthalt constatirt wurde, 
keinerlei specifische Behandlung erfahren hatte, so ist Verf. geneigt, anzunehmen, 
dass das Erysipel als ein auf die vorliegende syphilitische Infection gleichsam 
antagonistisch wirkendes infectiöses Mittel heilend auf den Krankheitsprocess ein¬ 
gewirkt hat. E. Lehmann (Oeynhausen). 


11) Meningitis syphilitica mit fieberhaftem Verlauf, von Stabsarzt Dr. 

Dorendorf. Aus der II. medioin. Klinik der CharitA (CharitA Annalen. 

XXVI. 1902.) 

I5jähr. Patient, dessen Mutter mehrfach abortirt und zwei Kinder in ganz 
Jugendlichem Alter verloren hat, von dem aber zwei gesunde Geschwister leben, 
erkrankt am 30./IV. 1901 unter Schüttelfrost und meningitischen Erscheinungen, 
wegen deren er am 2./V. in die Charite aufgenommen wird. Bei der Unter¬ 
suchung finden sich Narben an der Stirn und den Wangen, strichförmige Narben 
an den Mundwinkeln, Lymphdrüsenschwellungen, höckerige Tibiakanten und Rupia 
am behaarten Kopf. Es besteht Liohtscheu, leichte Nackenstarre, allgemeine 
Hyperästhesie bei Klagen über Kopfschmerzen und Schwindel. Im weiteren Ver¬ 
lauf leichte Benommenheit, leichte neuritische Erscheinungen an den Sehnerven, 
ausserordentlioh wechselndes Verhalten der Patellarreflexe, rechtsseitige Abducens- 


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pareee mit gleichnamigen Doppelbildern. Dabei bestanden vom 2.—10./IV. all¬ 
mählich abfallende, anfangs recht erhebliche (bis zu 40°) Temperatursteigerungen 
mit starken Morgenremissionen, während der Puls auch zur Zeit der höchsten 
Temperatur nicht über 80 hinausging. Unter Schmierkur und Jodkaligebrauch 
rascher Rückgang aller Erscheinungen, so dass Pat. am 15./VI. geheilt entlassen 
werden konntn. Martin Bloch (Berlin). 

12) Ueber einen Fall von Diabetes mellitus syphiliticus, von Dr. Hempten- 

macher. (Mittheilungen aus den Hamburgischen Staatskrankenanstalten. 
1901.) 

Patientin, mit Constitutionskrankheiten und speciell mit Diabetes nicht erblich 
belastet, wurde mit 32 Jahren als puella publica luetisch inficirt. Auf eine 
specifische Behandlung trat scheinbar Heilung ein. und es zeigten sich nie secun- 
däre Erscheinungen. Beinahe 10 Jahre nach der Infection stellte sich Polydipsie, 
Polyurie und Abmagerung ein. Nach weiteren l 1 / a Jahren entwickelte sich inner¬ 
halb weniger Tage eine linksseitige Hemiplegie, verbunden mit Reflexsteigerung 
und ParäBthesieen in den betroffenen Extremitäten. Von Seiten der Hirnnerven 
keine Störung, Augenhintergrund und Sprache normal. Der Urin enthielt zwischen 
3 und 4°/ 0 Zucker. Bei gemischter Kost wurde eine energische antisyphilitische 
Kur eingeleitet. Im Verlauf von 7 Wochen ging dabei der Zuckergehalt auf 
0,2 °/ 0 zurück, und im weiteren Verlauf der Behandlung wurde Patientin zucker¬ 
frei. Ein während der Beobachtungszeit auftretendes und unter Quecksilber 
wieder verschwindendes Schädelgumma stützte die Annahme eines luetischen Ur¬ 
sprungs des Gehirnleidens. Die Lähmung ging langsam zurück und war ein Jahr 
nach ihrem Auftreten noch nicht ganz beseitigt, während der Urin dauernd 
zuckerfrei blieb. 

Aus der Verbindung der Umstände, dass hier nach sicher stattgehabter 
luetischer Infection ein Diabetes mellitus und nicht lange Zeit darauf eine 
organische Hirnaffection auftrat, wovon auf antiluetische Behandlung hin der erstere 
völlig, die letztere nahezu schwand, schliesst Verf. wohl mit Recht, dass es sich 
hier um einen reinen Fall von Diabetes syphiliticus handelte. Die Gehirn- 
erkrankung wird ihrer Natur nach als Endarteriitis syphilitica aufgefasst. 
Störungen von Seiten der Leber und des Pankreas lagen nicht vor. 

Max Neu mann (Karlsruhe). 


13) Syphilis infantile, par Rothschild. (Progrös medical. 1901. Nr. 49.) 

Die Abhandlung enthält eine genaue Besprechung der verschiedenen Arten, 
wie Syphilis sich beim Kinde darstellt in frühesten Tagen und ersten Jahren; 
ferner beschäftigt sich der Verf. mit der Behandlung der Krankheit — mittels 
Einreibungen, Sublimatbädern und innerlich als van Swieten’sche Lösung ge¬ 
geben — und giebt zum Schluss beachtenswerthe Dictionen betreffe der Ernährungs¬ 
frage derartig erkrankter und meist recht schwächlicher Kinder. 

Adolf Passow (Meiningen). 

14) Gingivite syphilitique Simulant la atomatite merourielle, guerison par 
le traitement hydrargyrique, par F. Büret. (Progräs medical. 1901. 
Nr. 43.) 

Verf. behandelte 2 Fälle von einer eigenthümlichen Mundschleimhauterkrankung; 
diese traten 8 bezw. 14 Monate nach einer Schmierkur auf, waren auch von 
Speichelfluss begleitet und heilten nach verhältnissmässig kurzer Zeit in Folge 
Subliroatbehandlung (2 ctg pro die). Adolf Passow (Meiningen). 


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15) Etat du sang dans la Syphilis, le tabes, la paralysie gdndrale, par 

Sabraz&s et Mathis. (Progr^s mädical. 1902. Nr. 4.) 

Die Verff. constatirten in der ersten Periode eine leichte Anämie und Leuko- 
cytose mit Vermehrung der Lymphocyten. In der zweiten Periode bleibt die 
Anämie besteben, die Zahl der eosinophilen Zellen bleibt niedrig; mercurielle 
Behandlung vermehrt die rothen und weissen Blutkörperchen. In der dritten 
Periode nähert sich das Blut wieder der Norm. Die Tabiker haben wenig Blut¬ 
körperchen und eine leichte neutrophile Polynucleose. Die Paralytiker neigen zu 
Hyperglobulie und Eosinophilie. Syphilitische Kinder haben normale Blutkörperchen, 
sind aber anämisch und haben Leukocytose mit Kernreichthum. 

Adolf Passow (Meiningen). 


16) Des modes d’utilisation des eaux minerales sulfureuses dans le trat- 

tement de la Syphilis, par Edmond Vidal. (Progrös medical. 1902. 

Nr. 5 u. 6.) 

In erster Linie unterscheidet Verf. drei Gruppen Syphilitischer, denen man 
die schwefelhaltigen Wasser als therapeutisches Hülfsmittel verschreiben kann 
und darf: 

In der ersten Gruppe kommen die Kranken zur Besprechung, die nach einer 
Infection regelrecht behandelt und mindestens ein Jahr von specifischen Erschei¬ 
nungen frei geblieben sind. Für diese galten bisher die W'asser als ausschlag¬ 
gebend und zuverlässig, aber dieses ist nicht der Fall; die W’asser sind aber 
ebenso wenig wie irgend ein chemisches oder physisches Agens fähig, die Sicher¬ 
heit für eine Heilung der Syphilis zu geben. 

In die zweite Gruppe nimmt Verf. alle die hinein, welche an Recidiven leiden, 
tertiäre Erscheinungen haben und die sämmtlich einer intensiven und forcirten 
Quecksilberbehandlung ausgesetzt werden sollten, welche letztere aber häufig wegen 
Intoxicationserscheinungen unterbrochen werden muss. 

Alle diese vermögen aber unter Anwendung der schwefelhaltigen 
Wasser grosse Mengen Quecksilber zu vertragen; die Gingivitiden, der 
Speichelfluss, die Magen-Darmstörungen u. a. m. verschwinden unter der Wasser¬ 
behandlung, man kann sogar unerwartet hohe Quecksilberdosen mit Erfolg an¬ 
wenden. 

Die dritte Gruppe umfasst die schwereren, vorgeschrittenen, kachektiscl.en 
Formen, bei denen man schwer unterscheiden kann zwischen Kachexie in Folge 
syphilitischer Infection und solcher in Folge zu vielen Quecksilbers. Auch auf 
diese Fälle wirken die schwefelhaltigen Wasser sehr günstig ein, gestatten sogar 
wiederum sehr hohe Quecksilbermengen, welche eben durch sie gleichsam paralysirt 
werden und führen zu wesentlichen Besserungen. 

Verf. bespricht sodann die einzelnen Arten der Darreichungen als gewöhn¬ 
liches Bad, Douchen mit Frottage, Dampf- und Kastenbäder; speciell die letzteren 
sind die wirksamsten. Der Zuspruch ist enorm — im Jahre 1900 wurden in 
Aachen 95,000 Bäder verabreicht, natürlich wurde hier ausser den Bädern 
das W’asser auch getrunken —, also eine Combination von Trink- und Bäder¬ 
kuren mit mercurieller Behandlung. Adolf Passow (Meiningen). 

17) Beretning om en epidemi af Poliomyelitis anterior aouta i Brataberg 

amt aar 1809, af Prof. Dr. Chr. Leegaard. (Norsk. Mag. f. Lägevidensk. 

1901. S. 377.) 

Im Jahre 1899 kam im Amte Bratberg im südöstlichen Theile Norwegens 
in den Medicinaldistricten Skien, Kragerö, Holten, Kviteseid und Laardal eine 


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Häufung von Fällen von Poliomyelitis acuta anterior vor; nach den Mittheilungen 
der behandelnden Aerzte bat Verf. 54 Fälle gesammelt. 

Prodromalerscheinungen kamen äusserst selten vor; in den meisten Fällen 
trat die Krankheit auf bei vorher gesunden Individuen jeden Alters von 1 bis 
40 Jahren, bei Kindern im 1. Lebensjahre kam sie nicht vor, am häufigsten bei 
Kindern und jungen Leuten, vorzüglich im Alter von 1—4 Jahren (12 Fälle) 
und von 15—19 Jahren (12 Fälle). Die Anfangssymptome waren Fieber (ge¬ 
wöhnlich leichten Grades) und Schmerzen (Kopfschmerz, Schmerz im Rücken, im 
Nacken, mitunter mit Steifheit in Brust und Gliedern, Hauthyperästhesie und 
Schmerzen in den Muskeln werden oft erwähnt). Meist am 2. oder 3. Tage, 
selten früher oder später, entwickelten sich mehr oder weniger rasch Lähmungen, 
meist an den Gliedern, vereinzelt betraf die Lähmung auch den Facialis, die 
Zunge, die Rachen- und Kiefermusculatur. Am häufigsten (28 Mal) waren die 
Beine, seltener (7 Mal) die Arme ergriffen, Arme und Beine zugleich waren in 
19 Fällen gelähmt. Die Lähmung war schlaff, die Sehnenreflexe fehlten und es 
trat rasch Atrophie ein. Die elektrische Untersuchung, die in einem Falle aus- 
geführt wurde, ergab Entartungsreaction. Die Sensibilität war unverändert oder 
gesteigert. Einige Wochen nach dem Auftreten der Lähmung stellte sich Besserung 
ein, die aber meist nicht zur vollständigen Heilung führte; in 30 Fällen blieb 
Lähmung zurück, die die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte (15 Mal Lähmung eines 
oder beider Beine, 8 Mal eines oder beider Beine, 7 Mal Arm und Bein), in 
10 Fällen trat bedeutende Besserung und Gebrauchsfähigkeit der Glieder ein, in 
12 Fällen Heilung, in 2 Fällen führte die Krankheit zum Tode, ln den Fällen 
mit Ausgang in Heilung handelte es sich selten um vollständige Paralyse, in 

6 Fällen um eine abortive Form der Krankheit, die Dauer der Krankheit betrug 
in diesen Fällen 1—2 Monate, manchmal weniger. In den tödtlich verlaufenen 
Fällen trat der Tod in Folge Respirationslähmung ein, in dem einen Falle handelte 
es sich um absteigende bulbäre Lähmung, im anderen war die Krankheit rapid 
in der ganzen Spinalaxe aufgetreten und auch die Kerne der Herznerven schienen 
ergriffen zu sein. Gelenkanschwellungen, Oedeme, leiche Exantheme kamen 
selten vor. 

Die Diagnose kann in 45 Fällen als Bicher angesehen werden, nach dem 
klinischen Bilde und der Verbindung mit anderen unzweifelhaften Fällen, in den 
übrigen Fällen mit meist leichten Erkrankungen war sie wenigstens in hohem 
Grade wahrscheinlich. 

In ätiologischer Beziehung spielten weder Erblichkeit noch neuropathische 
Belastung eine Rolle; in 6 Fällen wurde Erkältung als Ursache angegeben, in 

7 Fällen körperliche Ueberanstrengung, beides vereint in 9 Fällen. Die Krank¬ 
heit trat am häufigsten in den Monaten Juli bis October (45 Fälle) auf, seltener 
in den übrigen Monaten. Nicht selten kamen mehrere Erkrankungen in derselben 
Familie oder Nachbarschaft vor, manchmal zu gleicher Zeit. Um dieses gruppen¬ 
weise Auftreten aufzuklären, hat Verf. nach besonderen Symptomen gesucht, die 
die Vermuthung einer Ansteckung bestärken könnten, und hat besonders auf 
gastrische Symptome bei den Kranken selbst und in ihrer Umgebung geachtet; 
in 12 Fällen zeigten sich solche bei den Kranken selbst, in 6 Fällen in ihrer 
Umgebung; in zwei Districten herrschten gleichzeitig Icterusepidemieen. Von 
Krankheiten unter den Hausthieren kamen gleichzeitig vor Milzbrand, bösartiges 
Katarrhalfieber und Schweinerothlauf. 

Die Krankheit ging und verbreitete sich von da aus über die übrigen Ortschaften, 
deutlich den Verkehrswegen folgend, mit verschiedener Schnelligkeit und um so 
langsamer, je geringer der Verkehr war. Der Ansteckungsstoff scheint von 
ausseneingeführt worden zu sein; die Quelle konnte man zwar nicht nachweisen, 
wenn man aber bedenkt, dass die drei in den skandinavischen Ländern beobach- 


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toten Epidemieen von Orten mit regem Seeverkehr ausgingen, scheint dies für die 
Einführung von auswärts zu sprechen. 

Der Krankheitsstoff, der in den Monaten Juli bis October seine grösste 
Vitalität zu besitzen, aber nicht zu überwintern scheint, muss, der Ausbreitungs¬ 
weise nach zu urtheilen, ein Cont&gium sein; er wird vom Darmcanale aufgenommen 
und scheint nicht mit Notwendigkeit die Krankheit hervorrufen zu müssen, 
sondern wahrscheinlich nur bei besonderer Disposition, die in den Altersklassen 
von 1—4 und von 15—19 Jahren am stärksten zu sein und mit Erkältung, 
UeberanBtrengung oder diesen beiden Momenten zugleich in Verbindung zu stehen 
scheint. Die Incubationszeit scheint kurz zu sein und wenige Tage, manchmal 
wohl kaum über einen Tag zu betragen. Walter Berger (Leipzig). 


18) Zar Poliomyelitis anterior (ohronioa und aouta) der Erwachsenen, von 

Dr. Grunow, Assistent an der medicinischen Klinik in Kiel. (Deutsche 

Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

Bei einem 56jährigen, früher ganz gesunden Mann entwickelte sich vor 
5 Monaten eine Gehstörung mit nachfolgender schlaffer Lähmung der Musculatur 
der Lumbalgegend und der unteren Extremitäten, Muskelatrophie der Anne und 
Hände, Erloschensein der Patellarreflexe, spontanen fibrillären Zuckungen sowie 
mit partieller und totaler Entartungsreaction in den Muskeln der Beine. Bei der 
anatomischen Untersuchung fanden sich in zahlreichen Muskeln degenerative 
Atrophie und Fettdurchwachsung und ausserdem im ganzen Rückenmark, haupt¬ 
sächlich aber vom mittleren Brustmark an abwärts Degeneration der Vorderhoru- 
ganglienzellen sowie Gefassentzündungen, vornehmlich im Gebiet der Central- 
gefösse. Durch letztere Erscheinung gewinnt der Fall ein erhöhtes Interesse. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


18) Zur Klinik der Bohweissanomalieen bei Poliomyelitis anterior (spinale 
Kinderlähmung) und posterior (Herpes zoster), von H. Hi gier in 
Warschau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

In 2 Fällen von Herpes zoBter stellte sich nach Abklingen der übrigen 
Störungen an den vom Ausschlag betroffenen Stellen eine Vermehrung der Schweiss- 
secretion ein, die noch Monate lang nachweisbar und streng halbseitig angeordnet 
war. Eine verminderte Schweisssecretion wurde zwei Mal bei Poliomyelitis be¬ 
obachtet, und zwar nur an den gelähmten Extremitäten bei vollkommen normaler 
Sensibilität. 

Bei beiden Krankheiten handelt es sich um acute toxisch-infectiöse Processe 
in den Vorderhörnern bezw. Intervertebralganglien, und zwar repräsentiren die 
Vorderhörner eine trophische Centralstelle für die Haut, ebenso wie die Spinal¬ 
ganglien eine solche für das Gefühlssystem darstellen. Bei der Veränderung der 
Vorderhörner sind die Schweisscentren einer Zerstörung erlegen, während in den 
Fällen von Herpes vielleicht die sensiblen Fasern anschwellen und in Folge der 
absteigenden entzündlichen Degeneration die sie begleitenden Schweissfasern durch 
Druck in einen Zustand erhöhter Erregung gelangen. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

20) Contributo allo Studio delle atrofle musoolari progressive nell’ eta 
avansata, per L. Terrio e L. Rovere. (Annali di neuroglia. XIX. 1901.) 

Im Anschluss an einen Fall von progressiver Muskelatrophie bei einem 
76jährigen Manne erläutern die Autoren die Schwierigkeiten, die bei dieser Er¬ 
krankung überhaupt eine sichere Diagnose gestatten. Die Eintheilung in die 


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drei Formen der idiopathischen, neurotischen und spinalen Muskelatrophie ist un¬ 
zureichend, wie an der Hand zahlreicher Beispiele aus der Litteratur erläutert 
wird. Auch der vorliegende Fall lässt keine sichere Diagnose zu. Es handelt 
sich um eine langsam fortschreitende Atrophie der Muskeln, beginnend an den 
Schultern beiderseits symmetrisch und über die Armmusculatur sich erstreckend. 
Es bestehen geringe Sensibilitätsstörungen, einzelne fibrilläre Zuckungen, partielle 
Entartungsreaction. Die mikroskopische Untersuchung eines excidirten Stückes 
des Deltoides ergiebt einfache Atrophie ohne Degenerationserscheinungen und das 
Vorhandensein einzelner hypertrophischer Fasern. 

L. Merzbacher (Strasshurg i/E.). 

21) Zur Caauistik der infantilen progressiven spinalen Muskelatrophie 

von familialem bezw. hereditärem Charakter, von Dr. L. Bruns in 

Hannover. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901.) 

Zu den bisher beschriebenen 22 Fällen dieses Leidens (Hoffmann 19, 
Werdnig 2 und Bruce 1) fügt Verf. drei weitere hinzu, welche drei verschiedenen 
Familien entstammen. Im ersten Fall ist der familiale Charakter sicher, da zwei 
Geschwister an dem gleichen Leiden zu Grunde gingen, im zweiten Fall war 
über die Familie nichts zu eruiren und in der dritten Beobachtung sind sämmt- 
liche drei Geschwister bis jetzt gesund. 

I. Bei dem im Jahre 1894 10jährigen Kinde besteht eine sehr ausgedehnte 
und erhebliche symmetrische Muskelatrophie und Lähmung. Am stärksten befallen 
sind die Cucullares, die Deltoidei, Serrati, Rhomboidei, Supra- und Infraspinati; 
ferner sind die Pectorales und die Oberarmmuskeln atrophisch, während die Unter¬ 
arme und Hände weniger afficirt sind, nur an dem Thenar findet sich Atrophie. 
An den unteren Extremitäten, besonders an den Glutäen, ist der Muskelschwund 
theilweise durch Fettentwickelung verdeckt, doch fühlt sich die Musculatur darunter 
schlaff an. In einem Theil der atrophischen Muskeln bestehen fibrilläre Zuckungen. 
Triceps faradisch und galvanisch unerregbar, auch faradische Reaction der Inter- 
ossei der Finger sehr schwach. Auch in den Beinen mehrfach Verlust oder 
Herabsetzung der Erregbarkeit für beide Ströme und in einzelnen Muskelgebieten 
träge, galvanische Zuckungen. Ausserdem besteht starke, links convexe Skoliose 
der Lendenwirbelsäule und unteren Rückenwirbelsäule, der Brustkorb ist stark 
nach links verschoben und ruht rechts ganz auf dem Beckenrand. Keine Kyphose. 
Im Lauf der folgenden Jahre nahmen die Störungen stark zu, extremste Atrophie 
der Musculatur des Schultergürtels, Rückens, Brust, der Ober- und Unterarme, 
Oberschenkel dünner als die Waden, die Füsse stehen in Varoequinusstellung. In 
einem Theil der atrophischen Muskeln fortwährend fibrilläre Zuckungen. Das 
Kind starb 1900 in seiner Heimath. Eine Autopsie wurde nicht vorgenommen. 

II. Iljährige8 Kind, Waise. Gehen und Stehen unmöglich. Die den Kopf 
bewegenden Muskeln sind sehr geschwächt, Armmusculatur vermindert, aber 
nirgends ganz gelähmt, Flexoren und Extensoren der Oberschenkel sehr schwach, 
Wirbelsäule kyphoskoliotisch verkrümmt (untere Rückenwirbelsäule und Lenden¬ 
wirbelsäule). In der Schultermusculatur sehr lebhafte fibrilläre Zuckungen. 
Mm. deltoidei und quadricipites faradisch unerregbar, in letzteren Entartungs¬ 
reaction. Patellarreflexe erloschen. Sensibilität intact, Hirnnerven frei, In¬ 
telligenz gut. 

III. 3jähriges Kind, seit einem Jahr Abnahme der Kraft beim Gehen und 
Stehen, Zittern der Hände, zunehmende Schwäche des Rückens, dessen Musculatur 
schwach ist. Beide Mm. quadricipites so gut wie ganz gelähmt Musculatur 
überall sehr schlaff, aber nirgends deutliche Atrophie bestimmter Theile nach¬ 
weisbar. An den Beinen erhebliche Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit 


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für beide Ströme, im Peroneusgebiet Entartungsreaction (?). Fibrilläre Zuckungen 
nur an den Fingern beider Hände. An der Lendenwirbelsäule ganz leichte 
Kyphose, Patellarreflexe erloschen, Zehen und vordere Partie des Fusses stark 
plantarflectirt, beiderseits leichte Varusstellung. Seit einem Jahre hat sich haupt¬ 
sächlich die Function der Kopf- und Rumpfmusculatur verschlechtert, untere 
Extremitäten jetzt deutlich atrophisch, auch in beiden Cucullares fibrilläre 
Zuckungen. 

Diese drei Fälle stimmen mit der von Hoffmann und Werdnig zuerst 
gegebenen Symptomatologie ganz genau überein, insbesondere ist die Lähmung 
charakteristisch gruppirt, die in der Rumpf-, Becken- und Oberschenkelmusculatur 
beginnt, allmählich auf Schulter-, Hals- und'Nackenmuskeln übergeht und sich 
von da in oentrifugaler Richtung weiterentwickelt. Auch hier ist die Lähmung 
eine schlaffe, atrophische, die Sehnenreflexe fehlen und handelt es sich dabei um 
eine Erkrankung des ersten motorischen Neurons. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


22) The morbid anatomy of a oase of progressive atrophy whioh was 

olinioally one of amyotrophio lateral solerosis, by Carlin Philips. 

(Journal of Nervous and Mental Disease. 1901. September.) 

36jähr. Patientin, die im Jahre 1897 mit heftigen Stirnkopfschmerzen, Zittern 
der Hände, leichter Ermüdbarkeit und Schwäche der Kopfheber erkrankt, zeigt 
Atrophie der Supraspinati und des rechten Schultergürtels mit fibrillären Zuckungen 
und gesteigerten Sehnenreflexen. 6 Monate später Dyspnoe und Schlingbeschwerden, 
fortschreitende Atrophie der Mnsculatur, die jetzt auch den Trapezius betheiligt 
und in der nächsten Zeit sohneil fortschreitet; dabei wird der Gang allmählich 
deutlich spastisch. Exitus im Mai 1899. Die Untersuchung ergab Intactsein des 
Hirns (das aber nicht mikroskopisch untersucht worden ist, Ref.) und im Rücken¬ 
mark vom 2. Cervicalsegment abwärts Veränderungen nur der grauen Substanz, 
besonders der Vorderhornzellen, stellenweise mit Wucherung der Neuroglia; die 
vorderen Wurzeln waren in wechselndem Grade degenerirt; dagegen waren die 
Pyramidenbahnen intact. Martin Bloch (Berlin). 

23) Poliomyelitis anterior, von Kalev Kirschbaum. (Inaug.-Dissert. Berlin, 

1901.) 

Verf. bespricht pathologische Anatomie, Aetiologie, Symptomatologie, Dia¬ 
gnose, Prognose und Therapie der Poliomyelitis anterior acuta infantum und 
adultorum sowie der Poliomyelitis anterior subacuta et chronica. 

Verf. hat aus der Prof. Mendel’schen Poliklinik 45 Poliomyelitisfalle zu- 
sammengestellt, fand unter denselben 31, bei denen die Lähmung vor Ende des 
2. Lebensjahres aufgetreten war, 14 Kranke standen zur Zeit der Lähmung im 
Alter von 2—8 Jahren; die vier jüngsten Kinder zählten 3 Monate, das eine 
älteste 8 Jahre. 

Von den 45 Kranken waren 26 weiblichen, 19 männlichen Geschlechts. Unter 
den Infectionskrankheiten, welche in den Fällen des Verf.’s in der Aetiologie der 
Poliomyelitis eine Rolle spielten, sind Masern, Influenza, Keuchhusten und Wind¬ 
pocken je ein Mal vertreten. In einem Falle wurde von den Angehörigen die 
Impfung angeschuldigt. 

Unter den 45 Fällen fanden sioh 36 Monoplegieen, 6 Paraplegieen und 
3 Hemiplegieen, und zwar waren monoplegisch gelähmt: das linke Bein 14 Mal, 
das rechte Bein 14 Mal, der linke Arm 6 Mal, der rechte Arm 2 Mal. Die 
Paraplegie bezog sich in allen 6 Fällen auf die Beine, die Hemiplegie in den 
3 Fällen auf die linke Körperseite. Kurt Mendel. 


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24) Zur Kenntniss der familiären progressiven Muskelatrophie im Kindes- 

alter, von H. Senator. (Charitö-Annalen. 1902.) 

Es handelt sich bei der Beobachtung des Verf.’s um zwei Geschwister von 
8 bezw. 5 1 /, Jahr, deren Mutter als Kind einmal Krämpfe gehabt hat und deren 
Grossmutter väterlicherseits nervenleidend war; einige Geschwister der Mutter 
sind in früher Kindheit an Krämpfen gestorben. 

I. 8jähr. Knabe hat mit 11 Monaten laufen gelernt; im Alter von 2 Jahren 
fiel er öfters hin, und zwar immer nach hinten, knickte in den Beinen ein. Im 
Alter von 3 Jahren musste er fast stets getragen werden, da er meist nach wenigen 
Schritten hinfiel. Später Zittern und Zucken in den Armen, auch soll in letzter 
Zeit das Gedächtniss gelitten haben. Die Untersuchung ergiebt: Wirbelsäule im 
unteren Dorsaltheil leioht nach links ausgebogen. Fibrilläre Zuckungen an Armen 
und Beinen, Atrophie der Schulter- und Oberarmmusculatur. Aufsetzen geht nur, 
wenn Pat. sich stützt oder seitlich festhält Pat sitzt mit nach vorn hängenden 
Schultern und Kopf und gekrümmter Wirbelsäule. Beim Aufsetzen klettert er an 
sich selbst hoch. Starke Atrophie der gesammten Rückenmusculatur. Gesäss- 
muskeln und Oberschenkel leicht atrophisch. Bei schnellerem Gehen Schwanken 
in den Hüften. Patellarreflexe fehlen. Sensibilität intact. Elektrische Erregbar¬ 
keit in den atrophischen Muskeln stark herabgesetzt, keine Entartungsreaction. 
1 / i Jahr später scheint die Atrophie weitere Fortschritte gemacht und auch die 
Muskeln der Vorderarme ergriffen zu haben. 

II. 5 1 / a jähr. Mädchen hat mit 10 Monaten zu laufen angefangen; im Alter 
von 2 Jahren Auftreten derselben Erscheinungen, die ihr Bruder dargeboten hatte. 
Objectiv breitbeiniger watschelnder Gang, Wirbelsäule im Lendentheil stark lor- 
dotisch, im Dorsaltheil rechtsconvexe Skoliose. Starke Atrophie der Rücken¬ 
musculatur, geringere der Oberarme und der Pectorales. Gesässmusculatur etwas 
abgeflacht. Schwache fibrilläre Zuckungen. Lose Schultern. Aufsitzen und Auf¬ 
richten aus liegender Stellung wie bei dem Bruder, nur noch mühsamer. Sensi¬ 
bilität intact, Patellarreflexe fehlen, elektrisch nur quantitative Veränderungen. 

Verf. rechnet die beiden Fälle zu der "Werdnig-Hoffmann’schen Form 
der familiären bezw. hereditären spinalen progressiven Muskelatrophie des Kindes¬ 
alters. Martin Bloch (Berlin). 


25) Spinale Muskelatrophie in Folge Bleivergiftung, an eine infantile 
Poliomyelitis sieh ansohliessend. Beitrag zur Pathologie der Blei¬ 
vergiftungen, von Dr. Arthur v. Sarbö, Universitätsdocent in Budapest. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901.) 

Ein 35jäbr. Bleigiesser, der seit dem 13. Jahre mit Blei arbeitet und mehr¬ 
fach an Gelenkschmerzen und Bleikolik gelitten hatte, wird von einer fast über 
den ganzen Körper verbreiteten Muskelatrophie betroffen, von welcher nur die 
Muskeln des Gesichts, Halses und linken Unterschenkels verschont bleiben. Dieser 
Muskelschwund stellte sich zuerst am rechten Bein, welches nach einer in der 
Kindheit überstandenen Poliomyelitis verkürzt geblieben war. Schon seit Jahren 
bestehen fibrilläre Zuckungen, welche in Folge ihrer Intensität mehrfach den 
Charakter der Myokymie haben. Ausserdem besteht seit dem 25. Jahre eine 
Dermatitis herpetiformis mit starkem Jucken und neuerdings eine floride Phthise, 
an welcher der Pat. auch zu Grunde ging. Die elektrische Prüfung der atro¬ 
phischen Muskeln ergab starke Herabsetzung der galvanischen und faradischen 
Erregbarkeit. Lähmungserscheinungen und Bleisaum waren niemals nachzuweisen. 
Das erste Einsetzen der Muskelatrophie erfolgte in der duroh die Poliomyelitis 
geschwächten Extremität, d. h. der durch diese Affection am meisten geschädigte 
Tbeil des Rückenmarks bildete beim Auftreten des weiteren Leidens den Locus 


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minoris resistentiae. Auch sind die Gelenkschmerzen dahin zu deuten, dass sich 
der Process in den Vorderhorazellen entwickelte. 

Verf. schlieset einen peripheren Ursprung des Leidens aus — Pat. arbeitete 
trotz hochgradiger Atrophie bis zuletzt — und nimmt als Ursache des hoch¬ 
gradigen Muskelschwundes eine Poliomyelitis anterior chronica an. Wahrscheinlich 
ist auch die Hautveränderung mit dem Vorderhornprocess in Zusammenhang zu 
bringen. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


26) Bin Fall von Dystrophia mnsoulornm progressiva, von Doc. A. v. Sarb6. 

(Pester med.-chirurg. Presse. 1901. Nr. 43.) 

Schilderung eines Kranken, welchen Verf. im 19. und 25. Lebensjahre unter¬ 
suchte. Erste Untersuchung 1895; Pat. nicht belastet, erlitt (8 Jahre alt) einen 
Bruch des rechten Unterschenkels. Pat. bemerkte seit dem 15. Jahre eine Ab¬ 
magerung des rechten Armes, welcher sich nach 4 Jahren Zuckungen der Muskeln 
und leichte Ermüdbarkeit anschlossen. Objectiv nachweisbare Atrophie der rechten 
Schulter, Arm und Handmusculatur; Sensibilität intact; fasciculäre Zuckungen im 
rechten Pectoralis major. Obwohl sonst keine anderen Anzeichen vorhanden, 
welche an Bleivergiftung erinnern, wurde dem Pat., welcher Schriftsetzer ist, eine 
andere Beschäftigung empfohlen. 

Pat. blieb während mehrerer Jahre der Beschäftigung mit Blei fern und 
kehrte erst in letzter Zeit zu dieser zurück; ungeachtet dessen schritt die Atrophie 
fort, die Musculatur der erkrankten Extremität nahm bis 1901 um 1—1 1 / i cm 
ab; ferner wurden atrophisch der rechte Pectoralis major sowie links die Muscu¬ 
latur der Schulter und des Oberarmes. Ausserdem entstand eine linksseitige 
Skoliose. An den unteren Extremitäten nur stärkere Excavation des Schenkel- 
innern. Sensibilität normal bis auf eine geringe Abstumpfung der Berührungs¬ 
empfindlichkeit des rechten Armes. Triceps- und Bicepsreflex rechts 0; Knie¬ 
reflexe bei Jendr&ssik lebhaft; Cremaster- und Plantarreflexe lebhaft. Fasciculäre 
Zuckungen an beiden Pectorales, idiomusculäre Contraction am linken. Elektrische 
Erregbarkeit der atrophischen Muskeln herabgesetzt, doch keine Entartungsreaction. 

Nach AusschlieBsung möglicher Erkrankungen (Bleivergiftung, Syringomyelie, 
amyotrophische Lateralsklerose, Neuritis) erklärt sich Verf. für eine Dystrophia 
musculorum progressiva type scapulo-humöral (ohne Hypertrophie), lässt jedoch 
die Möglichkeit einer Poliomyelitis anterior chronica offen. 

Hudovernig (Budapest). 


27) Progressive musoular dystrophie with the report of an autopsy, by 

B. Sachs and Harlow Brooks. (American Journal of the Med. Sciences. 

1900. Juli.) 

Der ^Tall ist geeignet, zur Beleuchtung der Erb'sehen Theorie beizutragen, 
dass alle progressiven Myopathieen neuropathischen Ursprungs sind und auf 
functionelle Störungen der trophischen Centren zurückzuführen sind. Der nach 
16jähriger Dauer seines Leidens an Bronchopneumonie und Myooarditis gestorbene 
Patient bot am Rückenmark keinerlei Veränderungen der grauen und weissen 
Substanz. Degeneration einiger Zellen in den Spinalganglien fassen Verff. als 
secundärer Natur, als Folge der Muskelerkrankung auf, ähnlich wie sie nach 
Amputationen gefunden worden sind. Die mikroskopischen Veränderungen der 
Muskeln, die interstitielle Bindegewebs- und Fetthyperplasie stimmte mit den ge¬ 
wöhnlichen Befunden überein; die fettige Degeneration der Muskelfaser ist eine 
secundäre Folge der Hypertrophie und Atrophie des Muskelgewebes. — Verff. 
geben die Möglichkeit zu, dass gelegentlich die progressive Dystrophie nur der 
locale Ausdruck einer allgemeinen Lipomatose als familiäres Degenerationszeichen 


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ist, und betonen ferner, dass in vielen, wenn nicht den meinten Fällen durch 
systematische Uebungen Besserung oder mindestens Stillstand des Leidens erzielt 
werden kann. H. Haenel (Dresden). 


28) Ueber einige Fälle von Nervenkrankheiten, von Schwarz. (Prager 

med. Wochenschr. 1901. Nr. 48.) 

I. 22jähr. Mann, seit früher Kindheit, ebenso wie eine Schwester, choieiforme 
Muskelzuckungen, Sehnenhüpfen; seit etwa 6 Jahren zunehmende Schwäche der 
Beine. Die Untersuchung ergab neben dem typischen Bilde der Dystrophia 
musculorum (Atrophie des Schulter- und Lendengürtels mit Freibleiben der 
Hand- und Fussmusculatur, Lendenlordose, wiegender Gang, Andeutung von 
Pseudohypertrophie der Waden, Fehlen von Entartungsreaction) als atypisch: 
fibrilläre Zuckungen und eine Atrophie der Deltoidei, Supra- und Infraspinati. 

II. 38jähr. Frau, unter allgemeinem Krankheitsgefühle acut einsetzende 
Lähmung der rechten oberen Extremität. Status nervosus (etwa 8 Monate später): 
Atrophie des Deltoideus, Supra- und Infraspinatus rechterseits, Lähmung der 
Rhomboidei, Atrophie der ganzen Arm- und Handmusculatur bis auf den Triceps, 
Sehnenreflexe erloschen, faradische Erregbarkeit fehlend oder herabgesetzt. Keine 
Sensibilitätsstörungen, Nervenstämme nicht druckempfindlich. 

Gegen Polyneuritis spricht der acute Beginn, das Fehlen sensibler Reiz- oder 
Ausfallserscheinungen, die mangelnde Tendenz zur Besserung. 

Bemerkenswerth in diesem Falle von Poliomyelitis acuta adultorum 
ist, dass der Process streng auf eine Extremität beschränkt blieb. 

III. Polyneuritis mit Glycosurie nach Influenza. 47jähriger Mann, 
Potator, bemerkte in der Reconvalescenz nach Influenza plötzliche Schwäche in 
allen Gliedmaassen, welche 3 Tage später vollständig gelähmt waren. Kein Fieber. 
Sensible Reizerscheinungen fehlten anfangs, später traten allerlei Parästhesieen, 
Schmerzen in den Beinen u. s. w. auf. Unter Schmierkur war ein Theil der Er¬ 
scheinungen schon zurückgegangen. 

Bei der Aufnahme (5 Monate später) ausgedehnte Atrophieen der Extremi- 
tätenmusculatur, schlaffe Lähmung derselben, Nervenstämme nicht druckschmerz¬ 
haft, Sensibilität für alle Qualitäten an den unteren Gliedmaassen herabgesetzt, 
und zwar an der Vorder- und Aussenfläche des rechten Oberschenkels bis zum 
Knie und am linken Fussrücken. Hyperalgesie an der Planta beiderseits. Elek¬ 
trische Erregbarkeit einfach herabgesetzt, im Tibialis anterior beiderseits partielle 
Entartungsreaction. Bei Zufuhr von Kohlehydraten Zucker, der bei kohlehydrat- 
freier Kost nicht vorhanden war. 

Im Laufe von 8 Monaten nahezu völlige Heilung, auch der Glycosurie. 

Pilcz (Wien). 


Psychiatrie. 

29) Regontioides not abnormal aa a dass. A protest against the ohimera 
of „degeneraoy“, by E. C. Spitzka. (Philad. med. Journ. 1902. Febr.) 

Die Arbeit ist, wie der Titel sagt, eine Kampfschrift, die sich, zum Theil 
in imgewöhnlich scharfen Ausdrücken, vor allen gegen einen Autor Regia wendet; 
derselbe hatte in einer längeren Schrift nachzuweisen gesucht, dass die Königs¬ 
und Regentenmörder von jeher zu den nicht vollsinnigen Menschen gezählt hätten. 
Mit einem erstaunlichen Aufwand von historischen Einzelthatsachen werden die 
Gründe, die Regis für seine Anschauung vorbringt, der Reihe nach widerlegt; 
statistisch wird nachgewiesen, dass der Procentsatz der nachweisbar geisteskranken 


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Königsmörder nicht mehr als ein Fünftel beträgt, dass die Merkmale, die Regis 
vorbringt, die Unempfindlichkeit gegen Schmerzen, das Fehlen von Mordoomplioen, 
das jugendliche Alter, die Hallncinationen n. a. theils nicht in dem behaupteten 
Umfange vorhanden waren, theils auf andere als pathologische Ursachen zurüok- 
geführt werden müssen. Er kommt zu dem Ergebniss, dass kein wissenschaft¬ 
licher Grund vorliegt, Königsmörder anders als andere Monier zu betrachten und 
weist auf die sociale Gefahr hin, die in der entgegengesetzten Ansicht liegt, 
wenn sie in weiteren Kreisen Anhänger finden sollte. H. Haenel (Dresden). 


30) Et tilfälde af mikrooe&li, af P. Bull (Norsk Mag. f. L&gevidensk. 1901. 

S. 1106.) — Nok et tilAlde af mikrooelhli, af P. Bull. (Ebenda. 1901. 

S. 1230.) 

Der erste Fall betraf einen 16 Jahre alten Patienten, der ohne erbliche An¬ 
lage war und noch vier gesunde Geschwister hatte. Seine Mutter gab an, dass 
sie im ersten Schwangerschaftsmonat über einen grossen, sonderbaren Vogel in 
einer zoologischen Sammlung sich entsetzt habe; die Geburt trat zur normalen 
Zeit auf und verlief leicht und spontan. Das Kind war auffällig klein, besonders 
der Kopf. Der Abstand von der Glabella bis zum Proc. occipit. externus maass 
90 mm, der bitemporale Durchmesser 65 mm, die Entfernung beider Ohren von 
einander 78 mm, die Breite an den Arcus supraciliares 62 mm. Beide Fontanellen 
waren geschlossen. Das Kind konnte wegen Schwäohe nicht saugen und musste 
mit der Flasche ernährt werden bis zum Alter von 6 Jahren. Es lernte weder 
stehen noch laufen nooh sprechen noch mit den Händen etwas umfassen und 
konnte deshalb nicht selbst essen. Harn und Faeces liess Pat. in das Bett. Pat, 
war meist still und vergnügt, er beschäftigte sich mit niohts und sass meist im 
Bett. Gesichtssinn und Gehör schienen gut zu sein, auf seinen Namen hörte er, 
auch sollte er angeblich seine Verwandten kennen, er zeigte aber sonst keinerlei 
Auffassung oder geistige Thätigkeit. Als Kind hatte er eine Lungenentzündung 
gehabt und soll auch die Masern gehabt haben. Er starb am 6. Mai 1901, 
nachdem er einige Tage vorher beständig laut geschrieen hatte. 

Bei der Section fanden sich folgende Maasse: Körperlänge 145 cm, Brust¬ 
umfang 67 cm, horizontaler Umfang des Kopfes 36,5 cm, von einem Ohre zum 
anderen 21,5 cm, von der Nasenwurzel bis zur Protuberantia ocoip. ext. 18,5 cm, 
Durchmesser der Glabella bis zur Protub. occip. ext. 10,6cm, von einem Proo. 
mast, zum anderen 10,2 cm. Der Kopf war dem eines Vogels ähnlich. Am 
Hinterhauptsbein, das flachgedrückt war, fand sich ein nierenförmiger Defect von 
3 cm Länge. Das Gesammtgewicht des frischen Gehirns betrug 245 g, seine 
grösste Länge betrug 10,2 cm, die Breite 9,3 cm. Das Grosshirn deckte das 
Kleinhirn nicht vollständig. Gyri und Sulci zeigten auffallend wenige Verzweigungen, 
die Fissura Sylvii hatte keinen vorderen Zweig, die sehr mangelhaft entwickelte 
Insula Reilii kein Operculum. Die Ganglien des Grosshirns waren theilweise 
rudimentär. Der Sulcus temporalis sup. war stark und deutlich. Es bestand eine 
grosse und deutliche Affenspalte mit unvollständigem Operculum. Die 1. und 
2. Occipitalwindung waren undeutlich und bildeten, wie bei manchen Affen im 
Boden der Affenspalte liegende, statt oberflächliche UebergangsWindungen. Ein 
deutlicher Cuneus bestand nicht. 

Der zweite Fall betraf ein 17 1 /) J&hre altes Mädchen, ohne erbliche Anlage, 
in dessen Familie Alkoholismus nicht vorkam. Das Kind entwickelte sich körper¬ 
lich gut, geistig abnorm zeitig. Nach einer kurzen Krankheit ohne hervorragende 
Symptome im Alter von 7—8 Jahren begann sich allmählich geistige Schwäche 
zu entwickeln, nachdem Sohwäche in den Beinen vorhergegangen war. Die Sprache 
wurde unbeholfen, die Patientin machte den Eindruck von Trägheit und Scblaff- 

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heit, die Arme zitterten, epileptiforme Krampfanfälle traten auf, die Entleerung 
von Harn and Faeces wurde unfreiwillig. Die Menstruation war im Alter von 
12 Jahren vorhanden und regelmässig, blieb aber später wieder aus. Die epilepti- 
formen Anfälle wurden immer häufiger, die Kranke machte einen idiotenhaften 
Eindruck, der Mund war mit zähem Schleim gefüllt, der ab und zu herauslief. 
Auf leichte Fragen antwortete die Kranke, aber sehr langsam und stets mit 
leiohtem Gelächter. Das rechte Auge stand in leichter Divergenz, beide Pupillen 
waren gleich weit und reagirten gut auf Licht, die ophthalmoskopische Unter¬ 
suchung ergab nichts Abnormes. Patientin wurde schlafsüchtig und schlief 
mariohmal bei dem Essen ein. Der Tod trat ohne besondere Erscheinungen ganz 
ruhig im Schlafe ein. 

Das Gehirn wog (2 Tage in Spiritus'aufbewahrt) 660 g. Es fiel die geringe 
Höhe im Verhältniss zur Länge und Breite auf, besonders waren die Temporal¬ 
lappen flach gedrückt und klein. Die Gyri waren ziemlich zahlreich und klein. 
Das Grosshirn war 14,5 cm lang und bedeckte das Kleinhirn vollständig; seine 
grösste Breite betrug 12 cm, die Höhe 6,2 cm, der grösste Horizontalumfang be¬ 
trug 44 cm, der Umfang an den Parietal- und Temporallappen 34 cm, an den 
Frontallappen 28 cm. Die Fissura Sylvii war deutlich, links länger als rechts. 
Die Insula Reilii war auf beiden Seiten ziemlich vollständig von Furchen und 
Windungen bedeckt, auf beiden Seiten ziemlich gleich und gut abgegrenzt Der 
Gyrus frontalis inferior s. tertius war auf der linken Seite nach hinten mit dem 
Gyros praeoentralis weniger deutlich verbunden in Folge von drei Nebenfurchen 
vom Sulcus frontalis inferior, in deren Boden aber die Uebergangswindungen bis 
in den Gyrus praecentralis verfolgt werden konnten; rechts ging der Gyrus prae- 
centralis inferior um den Ramus anterior fossae Sylvii herum, erstreckte sich nach 
hinten um eine tiefe Furche im freien Rand des Operculum und ging hier in das 
untere Ende des Gyrus praecentralis über. 

Nach Verf. ist anzunehmen, dass in diesem Falle die mangelhafte Entwicke¬ 
lung des Gehirns auf einer mangelhaften Anlage beruhte, oder auch auf einer 
hemmenden Einwirkung auf das Gehirn im Fötalleben. Eigenthümlioh ist es 
dabei, dass die Patientin bis 2 mm 7. Lebensjahre trotz des in der Entwickelung 
zurückgebliebenen Gehirns sich geistig normal entwickelte und wohl auch sogar 
andere Kinder übertreffen konnte. Walter Berger (Leipzig). 


31) Verwaltungsberioht dar Provinzial - Irrenanstalt au Rittergut Alt- 
Scherbits für die Jahre 1808/09 und 1800/1000. Erstattet von Sanitäts¬ 
rath Dr. Paetz. 

Die Gesammtzahl der am 1. April 1900 in der Anstalt incl. des Siechen- 
asyls befindlichen Kranken betrug 522 Männer und 399 Frauen. 

Unter den im Berichtsjahre 1899/1900 im Ganzen aufgenommenen 154 Männern 
befanden sich 65, d. h. 42,2 °/ 0 Paralytiker, unter den in demselben Zeitrautn 
aufgenommenen 110 Frauen 14 paralytische, d. h. 12,7 °/ 0 . 

Von besonderem Interesse sind die Ergebnisse der Arbeit der Kranken und 
des landwirtschaftlichen Betriebes. 

Der nach dem Satze von 25 Pfennig für eine Person berechnete Arbeitslohn 
betrug pro 1899/1900 37687,25 Mk., wovon 15°/ 0 an die Arbeitsverdienstkasse 
zu besonderen Gewährungen für die Kranken mit 5653,12 Mk. gezahlt wurden. 

Die Gutsverwaltuug (einschliesslich Brennerei, Ziegelei u. s. w.) brachte einen 
Reinertrag von 40245 Mk. M. 


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m. Bibliographie. 

The mental fonottona at «he brain, by Bernard Holländer. (London. 1901. 

Grant Richerds. 512 S.) 

Der Yerf. versucht, das Geheimniss der fundamentalen psyohisohen Functionen 
und ihrer Looalisation im Gehirn aufzuklären, und glaubt, dass seine Locak'satioü 
diejenige Gail's bestätigen. 

Er localisirt auf Grund einer reichlioh gesammelten Litteratur die Melancholie 
in den Gyrus angularis und supramarginalis, die Manie in die mittlere Partie des 
Lobus temporo-sphenoidalis, während der hintere Theil des Lobus temporalis den 
Verfolgungsvorstellungen den Ursprung giebt. 

Trotz der zahlreichen Fälle, welche die Theorie stützen sollen, werden die 
Psychiater nicht geneigt sein, die Psychosen als Herdaff ec tionen aufzufassen. 

Weniger bedenklich erscheinen die Capitel über die Specialgedächtnisse, ob¬ 
wohl auch hier die Looalisation der Arithmomanie u. a. der Kritik nicht Stand 
halten dürfte. M. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 12. Mai 1902. 

Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: Herr Bernhardt 

Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr T. Cohn einen Fall von Baynaud’- 
schein Symptomenoomplex mit Sklerodermie. 

43 jährige Patientin der Mendel'sehen Poliklinik, deren Vater an Krämpfen 
gestorben ist; vier Partus, ein Abort; sämmtliche Kinder sind tot. Vor 7 Jahren 
Beginn der Erkrankung aus unbekannter Ursache mit Schmerzen und Kribbeln 
in beiden Händen, die, besonders bei Kälte und Nässe, abwechselnd blau und 
weiss wurden. Unter Geschwürsbildung und starken Sohmerzen Verlust der End- 
theile des rechten Zeige- und Mittelfingers, sowie des linken Zeigefingers. Seit 
1—2 Jahren die gleichen Symptome auch an den Füssen, gleichfalls mit Geschwttrs- 
bildung. Seit etwa 2 Jahren an Armen, Beinen und im Gesicht Spannungsgefühl, 
seit 3 Jahren Magenbeschwerden, in letzter Zeit Kopfweh und Schwindel. Ob- 
jectiv: geringe Differenz der Pupillen, lebhafte Patellarreflexe, schwache Herz- 
thätigkeit, kleiner Puls und Combination des Raynaud’schen Symptomencomplexes 
mit Sklerodermie in ungewöhnlicher Ausgeprägtheit. Die Veränderungen der 
letzteren sind am stärksten an den Füssen und Unterschenkeln; die Haut ist hier 
allgemein verdickt, speckig glänzend, fühlt sich hart an, Falten sind schwer ab¬ 
zuheben, ferner am Rücken oberhalb des linken Darmbeinkammes, an beiden 
Händen und den Streokseiten der Vorderarme; einzelne Plaques am Gesicht (tiefe 
skierodermische Einziehung an der rechten Schläfe, Spannung der Haut um den 
Mund und unterhalb des Kinns); auch die Aussenseiten der Oberschenkel zeigen 
Infiltration der Haut. Am ganzen Körper abnorme Pigmentirungen (hell bis 
dunkelbraun), besonders in der Schultergegend, am Rücken, sowie an oberen und 
unteren Extremitäten. Finger livide, Endphalangen theilweise leichenblass, be¬ 
sonders die Nägel. Die Endphalangen beider Zeige- und des rechten Mittelfingers 
sind verstümmelt, die Nägel verkrüppelt An einzelnen Interphalangealgelenken 
der Finger Ankyloeirungen theils in Streckstellung, theils in leichter Beugung; 
passive Bewegungen sohmerzhaft An den Füssen Steifigkeit, besonders in den 
Sprunggelenken, dementsprechend ist der Gang steif und geschieht vorwiegend auf 

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den Hacken; passive Bewegungen schmerzhaft Die Gegend der Malleolen und 
zu beiden Seiten der Achillessehnen ist geschwollen. An der linken Groeszehe 
(plantar) und der rechten kleinen Zehe (dorsal) unweit ihres Basaltheils je ein 
kleines röhrenförmiges, secernirendes Geschwür (aus einer kleinen Eiterblase ent¬ 
standen). Zehenhaut marmorirt, vorwiegend livide oder leichenblass, ebenso die 
Haut des Fussrückens, dazwischen pigmentirte, geröthete oder normale Stellen. 
Die Nägel sind weiss. Die Sensibilität ist für alle Qualitäten normal, nirgends 
sind Atrophieen oder Paresen, nur sind die Hand- und Fussbewegungen, sowie 
die der Fiisse und Zehen schmerzhaft und von geringer Ezcursion. Elektrisch 
keine Veränderungen, weder in Bezug auf die Reaction der Muskeln, noch auf 
den Leitungswiderstand. 

Die Combination der genannten Affectionen ist nicht selten, Cassirer hat 
eine grosse Reihe solcher Fälle zusammengestellt, selten sind aber Fälle, wo bei 
einer Person ausser Sklerodermie und den vasomotorischen Störungen der localen 
Asphyxie und localen Syncope auch, wie bei dem vorgestellten Falle, symmetrische 
Gangrän besteht Autoreferat 

Discussion: 

Auf eine Anfrage des Herrn Oppenheim, ob Vortr. therapeutische Ver¬ 
suche mit Thiosinamin bei der vorgestellten Patientin gemacht hat, erwidert Herr 
Cohn, dass solche beabsichtigt sind. 

Herrn La ehr, der fragt, ob vereinzelte anästhetische Plaques der Haut und 
Verdickungen der Nervenstämme gefunden worden sind, antwortet Herr Cohn, 
dass auf beide Momente geachtet, aber nichts gefunden worden sei, was einen 
Verdacht auf Lepra erwecken könnte. 

Tagesordnung: 

Herr M. Bloch stellt eine 57jährige Patientin vor, die am 6. Januar <L J. 
die Mendel’sche Poliklinik aufsuchte. Patientin war früher nicht erheblich krank, 
stammt aus gesunder Familie. Der Mann der Patientin ist vor 8 Jahren an 
Paralyse gestorben, sie hat vier Mal geboren, von ihren Kindern leben drei. Seit 
10 Jahren, wie Patientin glaubt, in Folge heftigen Schreckes über die plötzliche 
geistige Erkrankung ihres Mannes, bestehen starke Zuckungen in der rechten 
Gesichtshälfte, in der ganzen Zeit fast ununterbrochen, nur hin und wieder Pausen 
von einigen Tagen. Im übrigen hat Patientin keine Klagen. Die Untersuchung 
ergiebt bei der im übrigen, abgesehen von leichter Anämie, völlig gesunden Patientin 
einen typischen Tio convulsif im Gebiet des ganzen rechten Facialis. Der Facialis 
ist an seiner Austrittsstelle stark druckempfindlich, Druck auf denselben vermehrt 
die Intensität der Zuckungen ganz erheblich. 

Patientin wurde zuerst mit Galvanisation und innerlicher Verabreichung von 
Brompräparaten u. dergl. behandelt, und zwar etwa 8 Wochen lang, aber ohne 
jeden Erfolg. Es wurden dann Injectionen einer Lösung von Antipyrin mit 
Aqua dest. zu gleichen Theilen, jedes Mal eine ganze Spritze, gemacht. Schon 
nach der zweiten Injection Nachlassen der Zuckungen, die nach der vierten In- 
jection völlig verschwanden, d. h. also seit Ende Februar. Jedes Mal nach der 
inader Parotisgegend gemachten Injection trat daselbst eine ziemlich erhebliche 
Schwellung auf, und es wurde mit der neuen Injection bis zum mehr oder weniger 
völligen Verschwinden der Schwellung gewartet. Wöchentlich 2—3 Injectionen. 
Am 15. März wurde eine Parese im Gebiet des oberen Facialis constatirt; gleich¬ 
zeitig klagte Patientin über taubes Gefühl in der Wange; es bestand daselbst 
deutliche Hypästhesie. Die elektrische Erregbarkeit, anfangs normal, zeigt jetzt 
Entartungsreaction im M. frontalis, M. corrugator supercilii und M. orbicularis 
oculL Im Gebiet des unteren und mittleren Facialis normale elektrische Erregbar¬ 
keit, vielleicht ganz geringe quantitative Herabsetzung. Vortr. demonstrirt die 


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Lähmung im Gebiet des Stirn facialis, die hauptsächlich den Frontalis und Corru- 
gator betrifft, während der Orbicularis ocnli nur leichte Parese seigt und weist 
auf die völlig normale Function im mittleren und unteren Facialisgebiet hin. 

Der Tic ist bis heute fortgeblieben, nur am 3. und 4. April hat Patientin 
gans geringe Zuckungen von momentaner Dauer beobachtet 

Der Fall bietet in mehrfacher Hinsicht Interesse, ln therapeutischer Be¬ 
ziehung, da die auch sonst schon constatirte krampfstillende Wirkung des Anti- 
pyrins hier einen beachtenswerthen Heilerfolg au Wege gebracht bat, der jetst 
schon 2 l / a Monate andauert, auch in dem Gebiet des Nerven, das keine 
Lähmungserscheinungen erkennen lässt Die Lähmung ist wohl als 
mechanisch bedingt anzusehen; Vortr. stellt sich den Hergang so vor, dass das 
schwerlösliche Antipyrin an Ort und Stelle der Injection ein Depot gebildet hat, 
das einen Druck auf den Nerven ausgeübt und dadurch die Lähmung herbei- 
^ geführt hat Auffallend bleibt dabei — und das ist das dritte interessante 
Moment —, dass die Schädlichkeit, die hier eigentlich alle drei Aeste des Nerven 
(in der Gegend des Pes anserinus major) treffen musste, nur die Rami temporo- 
frontales afficirt hat Insofern stellt der Fall einen interessanten Beitrag zu dem 
Kapitel der überhaupt nicht allzu häufigen partiellen Facialislähmungen dar, 
interessant aus dem eben genannten Grunde, weil die den ganzen Nerven treffende 
Schädlichkeit nur einzelne Aeste desselben gesohädigt hat 

Die Lähmung ist in eine gewisse Parallele zu bringen mit den nach Dehnung 
des Facialis bei Tic convulsif beobachteten Fällen von Lähmung, die von Bern¬ 
hardt in seinem Lehrbuoh angeführt sind. Die Prognose bezüglich des Ausbleibens 
des Tic wird mit Vorsicht zu stellen sein mit Rücksicht auf die von Bernhardt 
citirte Beobachtung, wo in dem in Folge von Dehnung sohwer gelähmten Faoialis 
nach 10 Monaten nach eingetretener Heilung der Lähmung die Zuckungen, wenn 
auch sehr vermindert, von neuem auftraten. 

Discus8ion: 

Herr Bernhardt glaubt auch, dass die Prognose mit Vorsicht zu stellen 
sei. Er erwähnt als Stütze für die günstige Wirkung des Eintrittes einer Läh¬ 
mung auf den FaciaUskrampf den Fall von Ballet, der bei einem seit 30 Jahren 
an Tic leidenden Patienten nach Einsetzen einer Lähmung in dem betreffenden 
Facialis das Ausbleiben des Krampfes auch naoh erfolgter Heilung der Lähmung 
beobachtete. Partielle Lähmungen im Facialisgebiet sind nicht zu selten; ab¬ 
gesehen von den nach Operationen vorkommenden ist auch bei rheumatischen 
Lähmungen nioht selten ein electives Verhalten der einzelnen Zweige zu beobachten. 
Er erwähnt schliesslich den Fall von Kennedy, der bei Tic convulsif den Facialis 
durchschnitt und sein peripheres Ende mit dem Accessorius vereinigte. Die 
Facialislähmung besserte sich, der Krampf hörte auf; eine interessante Beobachtung 
in diesem Falle war, dass bei Erheben des Armee Muskeloontraotionen im Facialis 
zu sehen waren, die aber nur im Moment der Erhebung des Armes selbst auf¬ 
traten. 

Herr Remak hält ebenfalls partielle Facialislähmungen nioht für so selten. 
Was den vorgestellten Fall betrifft, so giebt er zur Erwägung anheim, ob nioht 
das Antipyrin analog den nach Injectionen von Aether, Chloroform, Ueberosmium- 
säure u. s. w. beobachteten Lähmungen die Lähmung des Nerven durch eine 
toxische Wirkung, nicht, wie der Vortr. will, auf mechanischem Wege hervor¬ 
gerufen habe. 

Herr Bloch hat sich über die pharmakologische Wirkung des Antipyrins 
zu orientiren gesucht, aber keinen Hinweis in der ihm zur Verfügung Btehenden 
Litteratur auf eine derartige toxische Wirkung auf die nervöse Substanz gefunden. 
Was die partielle Lähmung in diesem Fall betrifft, so bleibt es — im Gegensatz 


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zu den operativen, doch dann gewöhnlich nur duroh Durchsohneidung eines Astes 
erzeugten partiellen Lähmungen — auffallend, dass die den ganzen Nerven treffende 
Schädlichkeit nur den oberen Ast afficirt hat. 

Herr Henneberg: Hirntumor und Taboparalyse. 

Ein Bruder der 44jähr. Patientin, eine Schlächtersfrau, leidet an Dementia 
paralytica, der Mann seit 7 Jahren an Tabes. Eine syphilitische Infection wird 
von letzterem in Abrede gestellt. Patientin war bis vor 13 Jahren gesund, 
erblindete damals ohne Auftreten weiterer cerebraler Symptome. Kein Partus und 
Abort Seit 10 Jahren litt Patientin an Uterusmyom. Erst in deh letzten Monaten 
Anzeichen von geistiger Störung, zuletzt rasche Verblödung. 

Aufnahmebefund: Amaurose, Opticusatrophie, Pupillenstarre, Abducens- 
und Facialisschw&che beiderseits, paralytische Sprachstörung, Fehlen der Patellar¬ 
und Achillessehnenreflexe, Beugung der Zehen beim Streiohen der Fusssohlen, 
massiger Grad von Ataxie der unteren Extremitäten, Demenz, Apathie, profuse „ 
Uterusblutungen. Tod in Folge von Herzschwäche. 

Sectionsbefund: Atrophie der Stirnwindungen und der Optici, im Lumbal¬ 
mark Degeneration der mittleren Wurzelzonen, im Dorsalmark M- förmige Dege¬ 
nerationsfigur, im Cervicalmark geringe Degeneration der Goll’schen Stränge. 
Leichte Degeneration der Pyramidenseitenstränge. In der Mitte zwischen beiden 
Foramin. opt. auf dem Tuberculum sellae turcicae ein über kirschkerngrosser, 
runder, harter, glatter, weisser, von der Dura ausgehender fibröser Tumor, der 
das Chiasma stark comprimirt hat. 

Vortr. bespricht das Vorkommen schwerer Hinterstrangsdegenerationen bei 
Hirntumor (Demonstration von Rückenmarkspräparaten zweier derartiger Fälle), 
die sich wesentlich von den bei Taboparalyse vorfindenden unterscheiden. In dem 
vorliegenden Falle handelt es sich um ein zufälliges Zusammentreffen von Tabo¬ 
paralyse und Tumor, der die Erblindung bedingte, eine Diagnose desselben war 
unmöglich. Autoreferat. 

Herr Jolly: Vorstellung zweier Fälle von Paralysis agitans. 

I. 32jähriger Patient, vor 2 Jahren mit Kreazschmerzen erkrankt. Jetzt 
typische Haltung, allgemeine Starre, Tremor im ganzen gering, Propulsion und 
starke Retropulsion. Daneben besteht eine deutliche Sprachstörung; die Sprache 
ist imdeutlich, verwaschen, erinnert etwas an bulbäre Sprache. Kein Silben¬ 
stolpern. Pupillen eng, ihre Reaction ist herabgesetzt, Patellarreflexe gesteigert, 
Btarker Fussklonus, kein Intentionszittern, links Babinski. Stimmung euphorisch, 
bisweilen auf geringe äussere Veranlassung — aber nie ohne solche — starkes, 
unbezwingliches Lachen. Vortr. nimmt an, dass es sich im vorgestellten Falle 
um eine Complication von Paralysis agitans mit multipler Sklerose 
handelt. 

IL 54jähriger Patient, der klinisch das" typische Bild der Paralysis agitans 
zeigt, aber ätiologisch von Interesse ist. ‘/ 2 Jahr vor Beginn des Leidens Schlag 
einer Deichsel gegen das rechte Bein von solcher Stärke, dass Pat. über die 
Deichsel hinwegfiel. Eine Contusion des Beines war nach 14 Tagen geheilt, so 
dass Pat. seine Arbeit wieder aufnahm. */, Jahr später Zittern zuerst im 
rechten Bein, dann im linken und dann erst in den Armen. Erst 2 Jahre 
nach Beginn des Leidens wurde Pat arbeitsunfähig. Nachträgliche Meldung des 
Unfalles veranlasste mehrfache Begutachtungen. Pat. ist jetzt in der Klinik zur 
Begutachtung auf Veranlassung des Reichsversicherungsamtes. Vortr. macht darauf 
aufmerksam, dass bestimmte Voraussetzungen gemacht werden müssen, um mit 
Wahrscheinlichkeit den Zusammenhang zwisohen Trauma und Erkrankung an 
Paralysis agitans annehmen zu können; dazu gehört erstens ein gewisser zeitlicher 
Zusa mmenh ang und ferner das Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen in 


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dem traumatisch afficirten Körpertheil. Beide Voraussetzungen treffen im vor- 
gestellten Fall au. Im Allgemeinen sind es jedenfalls innere Ursachen, die die 
Krankheit hervorrufen, die durch das Lebensalter gegebene Disposition, vielleicht 
auch hereditäre Momente. Das Trauma kann aber als auslösendes Moment wirken. 

DiBcussion: 

Herr Oppenheim stimmt bezüglich des ersten durch seine Schwere und das 
frühe Lebensalter des Pat. besonders interessanten Falles in der Diagnose mit 
dem Vortr. namentlich mit Rücksicht auf die spastischen Erscheinungen überein. 
Bezüglich der Sprachstörung fragt es sich, ob sie nicht durch die Schüttellähmung 
bedingt ist, da sie sich durch die der Spraohe bei Schüttellähmung eigentüm¬ 
lichen Merkmale auszeichne, das sind Schwäche und Mangel der Modulation. Bruns 
hat übrigens einige Male bei Paralysis agitans der bulbären ähnliche Sprach¬ 
störungen beobachtet. Zwangslachen kommt wohl bei Paralysis agitans nicht vor. 

Herr Remak fragt nach dem Verhalten der Sehnenphänomene an den oberen 
Extremitäten, dem Masseterphänomen und nach der Function der Sohlingmusculatur. 
R. hat eine derartige Sprachstörung bei Paralysis agitans nicht gesehen; er ist 
geneigt, dieselbe auf die complicirende Affeotion zu beziehen. Möglicherweise 
handelt es sieh um eine Complioation mit amyotrophischer Lateralsklerose. 

Herr Bernhardt giebt zu erwägen, ob die eigenthümliohe Spraohe nicht 
auf eine Rindenläsion (ähnlich wie bei Pseudobulbärparalyse) bezogen werden 
könnte. B. hat in einem Fall Zwangslachen bei Paralysis agitans beobachtet 
(vgl. Eulenburg’s Real-Encyklopädie. 2. AufL VHL S. 96.) 

Herr Oppenheim ist nicht abgeneigt, die Sprachstörung auf eine multiple 
Sklerose zu beziehen; möglicherweise ist sie aber auch durch Spasmen der Sprach- 
musculatur bedingt. 

Herr Remak glaubt, dass eine organische Complication jedenfalls vorhanden 
ist, und dass die Sprachstörung auf diese zu beziehen sei. 

Herr Jolly bemerkt, dass die Sehnenreflexe an dun Armen nicht gesteigert 
seien. Schluckstörungen bestehen nicht. Was die Sprachstörung angeht, so hält 
er gleichfalls für möglich, dass es sich nur um einen besonders hohen Grad der 
bei Paralysis agitans öfter beobachteten Veränderungen der normalen Sprache 
handelt Auch multiple Erweichungsherde der Rinde hält J. nicht für aus¬ 
geschlossen; am wahrscheinlichsten scheint ihm indessen die Combination mit 
multipler Sklerose, auf die er dann auch die eigenthümliche Spraohe zu beziehen 
geneigt ist Martin Bloch (Berlin). 


XX. Congrees für innere Medioin in Wiesbaden vom 15.—18. April 1802. 

Der 70. Geburtstag v. Leyden’s, auf dessen Anregung die Gründung dieses 
Congresses vor 20 Jahren zurückzuführen ist, war für den diesjährigen Verlauf 
desselben von Einfluss. Eine Sitzung war als „Leyden-Feier“ ausschliesslich dem 
Zweck der Huldigung gewidmet, auch beim Festessen war naturgemäss v. Leyden 
der Mittelpunkt des Interesses und der Gegenstand ehrender Ansprachen. 

In der ersten Sitzung des Congresses referirten Herr Ewald (Berlin) und Herr 
Fl ein er (Heidelberg): Ueber die Diagnose und Therapie des Magengeschwüres. 
Für den Neurologen hat ja wohl nur erste re insofern eine praktische Bedeutung, als sie 
bei der Differentialdiagnose der nervösen Dyspepsie, jene crux jedes in der Praxis 
stehenden Arztes, in erster Linie in Betracht kommt Im Uebrigen boten die aus¬ 
führlichen Referate der ersten und die eingehenden Disoussionen der zweiten Sitzung 
kein speeieUes Interesse. — In der dritten Sitzung wurde v. Leyden in ausser¬ 
ordentlich festlicher Weise gefeiert, zum Ehrenmitglied des Congresses, dann 
durch den Oberbürgermeister von Wiesbaden, Herrn v. ibell, zum Ehrenbürger 


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dieser Stadt ernannt. Naunyn (Strassburg), Hecker (Wiesbaden) und Noth¬ 
nagel (Wien) hielten ehrende Ansprachen. Die Vorträge selbst hatten bezüglich 
des Eindrucks, den manche in qualitativer Hinsicht hätten machen können, sehr 
unter ihrer Quantität zu leiden: es waren 63(!) Vorträge angemeldet. Fast alle 
wurden „absolvirt“! Indem ich daher den grössten Theil der Vorträge übergehe, 
möchte ich nachstehend nur einige erwähnen, die neurologisches Interesse bieten 
dürften: 

Herr Jacob (Berlin) sprach über die schon früher von ihm bearbeitete medi- 
camentöse Duralinfasion. 

Als Indicationen kämen in Betracht: Tetanus, syphilitische Processe, acute 
und chronische Entzündungen und Degenerationsprocesse. Die Rückenmarks¬ 
substanz hat grössere Affinität zum Tetanustoxin als die übrigen Körpergewebe. 
Thiere erkranken bei Einspritzung des Toxins in den Duralsack schneller als 
bei subcutaner Einspritzung. Dem entsprechend sind nach Jacob auch die 
Erfolge der Duralinfusion mit Tetanusantitoxin relativ günstig. Jod gelangt 
bei innerlicher Darreichung erst sehr spät in das Centralnervensystem. Daher 
glaubt Jacob die directe Application desselben vermittelst Duralinfusion bei 
Periculum vitae empfehlen zu dürfen. Die Bier'sehe Cocain-Duralinfusion zur 
Anästhesirung der unteren Körperhälfte (welche nach 6—8 Minuten eintritt und 
s / 4 — l l / % Stunde dauert) wird im Allgemeinen nicht, höchstens einmal bei Behr 
starken tabischen Krisen, empfohlen. 

Herr Hezel (Wiesbaden) stellt einen Fall von infantiler centraler Faoialis- 
lähznung vor. 

Patientin, jetzt 8 Jahre alt, hat eine rechtsseitige Facialislähmung, welche 
alle Aeste, auch den Stirn- und Augenast betrifft. Bemerkt wurde die Läh¬ 
mung zuerst, als das Kind 3 Monate alt war, beim Schreien. Seitdem ist 
sie unverändert geblieben. Cöster (Wiesbaden) constatirte damals Erhaltensein 
der elektrischen Erregbarkeit und Fehlen qualitativer Veränderungen derselben. 
Auch jetzt ist die elektrische Erregbarkeit ziemlich gut erhalten und gegen 
die gesunde Seite nur wenig herabgesetzt. Die Willkürbewegung des reohten 
Facialis dagegen ist mit Ausnahme schwachen und nicht ganz vollständigen 
willkürlichen Lidschlussee vollständig aufgehoben. Ebenso fehlen alle psycho- 
reflectorischen Bewegungen. Die Reflexe dagegen (Lidreflex, Uvulareflex) sind 
deutlich vorhanden. Die Lähmung ist eine soblaffe, der Mund in Folge dessen 
nach der linken Seite verzogen. Alle übrigen Hirnnerven (auch der Hypoglossus), 
sowie die Extremitäten weisen nicht die geringste Störung auf. Auf Grund des 
vollständigen Mangels der Willkürbewegung bei ziemlich gut erhaltener elek¬ 
trischer Erregbarkeit und Erhaltensein der Reflexe sowie des Fehlens wesentlicher 
Atrophie der rechtsseitigen Faoialismusculatur schliesst der Vortr. auf eine centrale 
(supranucleäre) Ursache der Lähmung. 

Herr Lazarus (Berlin): Die Bahnungstherapie der Hemiplegie. 

Die Bahnungstherapie der Hemiplegie (und motorischen Aphasie) besteht in der 
compensatorischen Ausnutzung der erhaltenen Leitungswege und in der Ausschleifung 
neuer Bahnen. Die Bahnungstherapie findet ihre Grundlage in der anatomisch 
und physiologisch festgestellten Thatsache, dass die Pyramidenbahn nicht die 
einzige motorische Leitungsbahn darstellt. Ausser ihr existiren noch eine Reihe 
von Reservebahnen, welche durch die suboortioalen Ganglien, insbesondere durch 
den Sehhügel und die Vierhügel zum Rüokenmarke herabziehen. Ueberdies kann 
die gesunde Hemisphäre vermittelst der ungekreuzten Pyramidenvorderstrangbahn 
für die erkrankte vicariirend eintreten. Alle Ganglienzellen des Gehirns stehen 
miteinander in directer oder indirecter Verbindung, welohe durch methodische 
Uebungen gebahnt werden kann. Die Bahnung besteht in Innervationsübusgen 


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jede motorische Willeneerregung bahnt die Willensbewegung. Man unterscheidet 
die Pyramidenbahnung, die Associationsbahn ang, die Commiseuren- bezw. Balken¬ 
bahnung. Die Uebungebehandlung soll bereits möglichst frühzeitig nach Ablauf 
des Beactionsstadiums der Apoplexie vorgenommen werden. 

In der Discussion spricht Herr Gutsmann (Berlin) über die Behandlung 
der Sprachstörungen bei Herderkrankungen und Herr Kohnstamm (Königstein) 
über die vom Vortr. nicht erwähnten Leitungsbahnen. 

Herr Oscar Kohnstamm (Königstein i/T.): Dm Centrum der 8peiohel- 
seeretion (mit Demonstration). 

1. Nach Durchschueidung derjenigen Fasern (der Chorda tympani), die sich 
vom N. lingual» abtrennen und mit Unterbrechung im Ganglion submaxillare sur 
Submaxillardrflse begeben, wurde beim Hunde (Nissl- Degeneration) eine Gruppe 
von Zellen naohgewiesen, für welche die Bezeichnung Nucleus salivatorius vor- 
geechlagen wird, weil sie als Ursprungszellen der im Gangl. submaxillar, endigenden 
„präcellul&ren“ Fasern angesehen werden müssen. 

2. Dieselben liegen zum grösseren Theil gekreuzt, zum kleineren der Operation 
gleichseitig. Sie beginnen kurz vor dem caudalen Pol des Faoialiskernes und 
endigen am frontalen Ende des Kaumuskelkernes (N. trigemini). Die nicht grosse 
Zahl dieser Zellen ist über ein weites Areal zerstreut, das medial von der Raphe, 
lateral vom Deiters’schen Kern, dorsal vom Ventrikelboden begrenzt wird. Die 
ventrale Grenze liegt ein wenig dorsal von der dorsalen Gruppe des Faoialis- 
kern es. Die meisten Zellen liegen ungefähr in der Mitte der medialeren unter 
den aufsteigenden Schenkeln der Faoialiswurzel, also inmitten des Nucleus reti¬ 
cularis lateralis, einige auch noch im Gebiet des Deiters’schen Kernes. 

3. Der Nucleus salivatorius besteht, wie jene Coordinationskerne (Nucleus 
reticularis lateralis und Nucleus Deiters), aus grossen Zellen von Vorderwurzel¬ 
typus (motorischem Typus Nissl’s) und entspricht dem Ursprungskerne der ge¬ 
kreuzten Facialis- und Trigeminusfasern im Sinne von Obersteiner und dem von 
His auf entwiokelungsgeschichtlichem Wege abgegrenzten medialen Antheile des 
NucL masticatorius. Seine Wurzelfasern sind offenbar identisch mit den gekreuzten 
Facialisfasern, die in Fällen von Caries des Felsenbeines mit der Marchi-Methode 
dargeetellt wurden (E. Flatau, Wyrubow). Sie verlassen das Gehirn als 
Nerv, intermedius Wrisbergii grösstentheils im Vestibularnerven. 

4. Der Nucleus salivatorius besorgt die Innervation der Submaxillardrüse. 
Die Ursache für die kleine Anzahl der Zellen liegt in einem früher am Beispiel 
des Zwerchfellkemes einerseits und der Augenmuskelkerne andererseits erläuterten 
Princip: „Die Zahl der Zellen eines Kernes hängt nicht von der absoluten Grösse 
der Arbeitsleistung, sondern von der Differenzirung derselben ab“. 

5. Hiermit sind zum erste? Mal auf directem Wege Ursprungszellen prä- 
cellulärer visceraler Nerven und zwar vom Vorderwurzeltypus nachgewiesen. 
Trotzdem dürfte die Bezeichnung des aus andersartigen Zellen zusammengesetzten 
dorsalen Vaguskernes als Nucleus visceralis medullae oblongatae für andere 
Functionen ihre Berechtigung behalten. 

6. Der N. intermedius ist ein richtiger motorisch-sensibler Hirnnerv, der mit 

dem N. vestibularis ins Gehirn eintritt, seinen sensiblen Antheil ins Solitärbündel, 
seinen motorischen in den Nucleus salivatorius sendet. Autoreferat 

Herr Julius Müller (Wiesbaden): Bin Pall von multipler tropho- 
nenrotizoher Haatgangr&n (Demonstration). 

Fälle dieser Art sind bis jetzt sieben beschrieben, der letzte von Josep',h 
(Archiv für Dermatologie. 1895). Die Krankengeschichte der vorgestellten 
Patientin: Vor 3 Jahren Verbrennung mit heissem Wasser am rechten Unter¬ 
schenkel Seit dieser Zeit oyklisches Auftreten von etwa 40 gangränösen Stellen 


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von Einmarkstückgrösse bis Fünfmarkstückgrösse, ausschliesslich auf der Streok- 
seite des rechten Beines bis zur Inguinalbeuge. Bis zur vollkommenen Gangrän* 
bildung ist nur ein Zeitraum von 7—8 Stunden erforderlich. Die neurologische 
Untersuchung (Dr. Cöster-Wiesbaden) ergab: Hochgradig gesteigerte Palellar* 
reflexe beiderseits, Fussclonus, Schwäche im rechten Bein, angedeutet Peroneus¬ 
lähmung, Störungen der Sensibilität (Hyperästhesie, auch eine Hypalgeeie auf der 
anderen Seite.) Differentielldiagnostisch kamen in Betracht in erster Linie Arte- 
facte auf hysterischer Basis, Herpes Zoster gangraenosus recidivus. Eis handelt 
sich, da diese Krankheiten ausgeschlossen werden konnten, darum, ob es sich um 
eine periphere Trophoneurose, ausgehend von der Verbrennungsstelle, oder, wie die 
neurologische Untersuchung eventuell vermuthen lässt, um eine centrale Störung 
— Syringomyelie handelt Für ersteres spricht in hohem Maasse der bisherige 
klinische Verlauf. Autoreferat 

Herr Gutzmann (Berlin): Zur Frage der gegenseitigen Bestehungen 
zwisohen Banoh* und Brustathmung. 

Während bei den bisherigen derartigen Untersuchungen mit Absicht will¬ 
kürliche Veränderungen der Athmung nach Möglichkeit ausgeschlossen wurden 
(Mosso untersuchte sogar schlafende Personen), hat Vortr. seine Aufmerksamkeit 
gerade auf die willkürlichen Veränderungen der Athmung gerichtet Die Unter¬ 
suchungen wurden mittels des Gutzmann - Oehmcke’schen Gürtelpneumographen 
vorgenommen. Der Moment der wirklichen In- und Exspiration wurde mittels 
einfacher Versuchsanordnung über die Brust- und Bauchcurven geschrieben. Vortr. 
demonstrirt die gewonnenen Curven. Bei gesunden Personen geschieht die In- 
und Exspirationsbewegung am Thorax und Abdomen meist ziemlich gleichzeitig, 
die thoracale Bewegung scheint durchschnittlich etwas früher einzusetzen. Dies 
Bild ändert sioh sofort, wenn die Personen sprechen. Dann zeigt sich in der 
Bewegung der Bauchathmung bereits Exspiration, während der Thorax noch an¬ 
steigt und erst nach durchschnittlich einer Secunde die höchste Inspirationsstelluag 
erreicht. Aus diesen Verhältnissen geht hervor, dass die willkürliche Beeinflussung 
der Athmung durch den Sprechvorgang der thoracalen Athraungsbewegung das 
Uebergewicht über die Abdominalbewegung verleiht. Bei gewissen Störungen der 
Sprache (motorischer Aphasie, Taubstummheit, Stottern) und bei psychischer 
Alteration zeigen sich dagegen die zeitlichen Verhältnisse in den Curven während 
des Sprechens ebenso wie während der Rubeathmung. Autoreferat. 

Herr Goebel (Bielefeld) spricht über Versuche einer Serumtheraple der 
Basedow’sohen Krankheit, welche er, unabhängig von Lautz und Burg¬ 
hardt, seit Januar 1901 angestellt hat. Es wurde anfänglich der Kranken die 
Milch einer der Schilddrüse 5 Monate vorher beraubten Ziege gegeben. Eine 
Cachexia strumipriva ist bei dieser bis jetzt nicht eingetreten, nur eine abnorme 
Wildheit liess sich feststellen. Vortr. erörtert die Möglichkeit einer günstigen 
Wirkung der 7 Monate lang dargereichten Milch. Seit 6 Wochen hat die Kranke 
auch das Serum dieser Ziege, dreimal täglich einen Theelöffel, bekommen. Eis 
war bei der letzten Untersuchung das Graefe’sche Symptom verschwunden. Der 
Puls war von 120 auf 66 gesunken. Immerhin möchte Vortr. noch nicht von 
objectiven Besserungen in Folge des Serums sprechen, dagegen ist subjectiv nach 
den Angaben der sehr intelligenten Patientin, die von dem Wesen der Medioin 
natürlich nichts ahnt, Besserung des Appetites, der Leistungsfähigkeit wohl 
zu erkennen. Während Lautz bei seinem Versuche von der Annahme aus¬ 
gegangen war, es entstünden im schilddrüsenlosen Thierkörper Stoffe, die das Base¬ 
dow'sehe Gift binden oder neutralisiren, ist Vortr. von anderen Voraussetzungen 
ausgegangen. Die Basis derselben bildet natürlich die Moebius’sohe Auffassung 
von dem thyreogenen Ursprung der Basedow’sehen Krankheit Die Ver- 


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ichlimewiigai dieser Krankheit bei Joddarrei chmng, die Besserung ton Myxödem 
durch Schilddrüsen tabletten iiessen Vortr. vermuthen, ee möchte die organische 
Jod verbind ang Baumann’s, das Jodothyrin, in der Schilddrüse dee Basedow- 
kranken übermässig producirt werden und die Störungen hervorrufeu. Diesee 
Jodothyrin bildet sich wahrscheinlich ans der *ugeführten Nahrung. Wenn die 
Schilddrüse das einzige Organ ist, welches diese Jodverbiudung producirt, so 
kann letztere in dem schilddrösenloeen Thierkörper nicht mehr entstehen und es 
wird vielleicht auch die Milch dieses Thieres weniger Jod enthalten, so dass der 
Basedowkranke duroh den Genuss dieser Milch weniger Jod aufnimmt und weniger 
Jodothyrin produciren kann. Bezüglich der Wirkung der kleineren Mengen von 
Serum möchte Vortr. doch annehmen, dass das Serum eine Wirkung derart her- 
vorruft, dass das Basedowgift nicht mehr in Uebermaass producirt werden kann. — 
Die Mittheilungen von Moebius auf der P&ychiaterversammlung su Jena im 
October 1901 bleiben nicht unerwähnt. 

Herr Alexander v. Poehl (St Petersburg): Der Brsata der intravenösen 
Koohsalsinfusionen durch Klysmen aus künstlicher physiologischer Salz¬ 
lösung. 

Ein Salzgemisch, welches die Carbonate, Chloride, Sulfate und Phosphate 
von Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium in denselben quantitativen Ver¬ 
hältnissen enthält, wie wir sie im Blutplasma finden, nennt Vortr. „das physio¬ 
logische Salz“. Das sehr hohe osmotische Vermögen solcher Salzlösungen ent¬ 
spricht dem elektrischen Leitungsvermögen derselben. Die Beobachtungen am 
Krankenbette stehen mit den Laboratoriumsuntersuohungen im Einklänge: 
Dr. Ljubmudroff hat beim Sinken der Herzthätigkeit in Fällen von Typhus, 
Erysipel und Scharlach oonstatiren können, dass die Koohsalzinfusionen, intra¬ 
venöse wie auch subcutane, durch einfache Bleibeklystiere aus physiologischer 
Salzlösung sich mit Erfolg ersetzen lassen. Zu den gleichen Resultaten ist auoh 
Dr. v. Unterberger gelangt. Es ist verständlich, dass die Einführung einer 
solchen in so hohem Grade zur Ionenbildung befähigten Salzlösung osmotische 
Spannung in den Gewebssäften bedingt und damit unter Umständen die Herz¬ 
thätigkeit erleichtert. Vortr. schlägt vor, zur therapeutischen Einführung von 
Jod und Brom in gewissen Fällen Clysmen zu verwerthen, in welchen die Chlo¬ 
ride des physiologischen Salzes duroh Jodide (Sal physiologioum jodatum) bezw. 
durch Bromide (Sal physiologicum bromatum) in äquivalenten Mengen ersetzt 
sind. Klinische Versuche in dieser Riohtung werden ausgefübrt. 

Nach Autoreferat. 

Herr A. Hoffmann (Düsseldorf): Giebt es eine acute Erweiterung des 
normalen Herzens P 

Die widersprechenden Angaben (namentlich neuerer Beobachter) Uber das 
Auftreten aouter Vergrösserungen des normalen Herzens, welche ebenso rasch 
verschwinden sollen, veranlassten den Vortr., eine grössere Anzahl von Personen, 
welche sich der angeblichen Ursachen dieser aouten Herzerweiterung ausgeselzt 
hatten, einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Die Untersuchungen 
wurden mit einem von dem Vortr. construirten Apparat zur Untersuchung des 
Herzens mit Röntgenstrahlen ausgefiihrt. Der Apparat, welcher wie der von 
M oritz u. A. angegebene auf dem Prinoip beruht, dass Lichtquelle und Schreib¬ 
stift bei jeder Lage des letzteren einander gegenüberbleiben und somit wie der 
Orthodiograph von Moritz, den älteren Apparaten von Grunmaoh und Levy- 
Dorn gleiche Vortheile bietet, hat nebenbei die Einrichtung, dass die Punkte 
und Linien der Körperoberfläche durch kreuzweise verschiebbare Metalldrähts 
direct auf dem Röntgenbilde markirt werden und so gleichzeitig mit dem Herz- 
contur aufgeschrieben werden können. Die vorgenommenen Untersuchungen haben 


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non in keinem einzigen Falle eine irgendwie bedeutende Vergrößerung des Herzens 
nach Anstrengung und Alkoholgenuss, sowie bei aouten Krankheiten erkennen 
lassen. Unter diesen Fällen waren einzelne (welche vom Vortr. näher mitgetheilt 
werden), die schwere Schädigungen des Herzrhythmus beobachten liessen, ohne 
dass auch die geringste Dilatation während dieser Zeit sich nachweisen liess. 
Die Fehlerquelle, durch welche eine Dilatation des Herzens vorgetäuscht werden 
kann, sieht Vortr. im Hochstand des Zwerchfelles bei cor mobile^ in einer ver¬ 
stärkten Aotion des angestrengten Herzens und einer damit verbundenen Hyper¬ 
diastole, sowie auch unter Umständen im Herabsinken des Zwerchfelles durch Ein¬ 
tritt des Lungenemphysem, wobei der Spitzenstoß tiefer wandert. Ein Theil der 
früher mitgetheilten Beobachtungen von acuter Herzdilatation beruht auf fehler¬ 
haften Untersuchungsmethoden, so der Bazzi-Bianchi’sohen Friotionsmethode, 
welche keinerlei siohere Resultate nach den eingehenden Untersuchungen dee 
Vortr. giebt (so wenig wie nach den meinigen auf der Hamburger Naturforscher- 
Versammlung dargßtellten. Ref.) Ee muss demnach die acute Herzdilatation 
als ein mindestens seltenes Vorkommniß bezeichnet werden und muß den Mit¬ 
theilungen darüber eine besondere Skepsis entgegengebracht werden. 

Herr Hermann v. Schrötter (Wien): Ueber Veränderungen des Rücken¬ 
markes bei Pemphigus und über die Pathogenese dieser Erkrankung. 

Die Erkrankung setzte bei einer 69 jährigen Frau plötzlich mit Affectionen 
der Schleimhaut ein, um alle Stadien des Pemphigus bis zum schweren Bilde des 
Pemphigus foliaceus zu durchlaufen. Tod nach 3 Monaten. Im ganzen Rücken¬ 
marke fand sich eine Vermehrung der Ependymzellen um den Centralcanal herum, 
mit stellenweiser Verlegung des Canal es und Lockerung des Gewebes. Im oberen 
Brustmarke war Spaltbildung und capilläre Hämorrhagieen besonders im Bereiche 
der grauen Substanz eingetreten. 

In der Discussion berichtet Herr v. Leube (Würzburg) über einen Fall 
von Pemphigus, der bei einer Hemiplegie im Verlauf einß Typhus bei einer 
5 1 /2jührigen Patientin aufgetreten war. Lilienstein (Bad Nauheim). 


Sooidtd de neurologie de Paris. 

Sitzung vom 6. Juni 1901. 

(Schluß.) 

Herr Raymond und Herr Cestan: Oe dem der linken Hand und dee 
Vorderarmes bei einer Hysterisohen (mit Krankenvorstellung). Die vor¬ 
gestellte Kranke ist ein 14jähriges Mädchen, einzigß Kind von gesunden, nicht 
nervösen Eltern. Geboren unter normalen Verhältnissen, hat weder Meningitis 
noch Convnlsionen gehabt. Scharlach mit 6 Jahren, Masern im 11., Wasser¬ 
blattern im 12. Jahre. Hat nie ausserhalb Frankreichs gelebt. Ist sehr nervös 
und empfindlich. Seit ihrer Kindheit Nachtwandlerin und leidet an kleinen 
hysterischen Anfallen, in Folge von freudigen und peinlichen Aufregungen: Gefühl 
von Zuschnüren des Halses, von Erstickung, Zittern der Hände und am Schluß 
Weinkrampf. Ende Januar 1901 bekam sie ein schmerzhaftes Panaritium am 
Rüoken des linken Zeigefingers, welches aufgßchnitten werden musste. Kurze 
Zeit darauf ein zweites ebenfalls sehr schmerzhaftes Panaritium am Ringfinger 
derselben Hand. Trotzdem diße Panaritien sehr schmerzhaft waren und ziemlich 
lange gedauert haben, waren dieselben weder von Fieber noch von Drüsen- 
Schwellungen noch von Oedem begleitet. Anfang April entstand aber ohne jede 
Veranlassung eine starke Anschwellung des linken Handrückens. Die Haut war 
daselbst bläulich gefärbt, kalt und auf Druok sehr schmerzhaft. Der Druck mit 


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dem Finger auf die Schwellung hinterliess keine Delle. Die Hand war weder 
gelähmt noch contracturirt Der Allgemeinzustand war vorzüglich und es bestand 
kein Fieber, keine Drüsenschwellungen, kein Prickeln, kein Stechen in der ödema- 
tösen Stelle. Es wurde vom Arzt ein compressiver Verband angelegt, aber trotz¬ 
dem griff die Schwellung um sich und verbreitete sich vom Handrücken auf den 
Vorderarm. Die Haut über dem Oedem wurde bald weise, die Hand contractu- 
rirte sich in Beugestellung mit eingeschlagenem Daumen. Es stellte sich eine 
absolute Empfindungslosigkeit des Armes ein. An der Stelle, wo der Verband 
aufhörte, bildeten sich um den Vorderarm herum phlyctenenartige Bläschen. Und 
da das Oedem immer höher krooh, wurde der Verband immer höher angelegt 
und jedes Mal bildeten sich am Rande des Verbandes die erwähnten Phlyctenen. 
Ein Chirurg war sogar im Begriff operativ einzuschreiten. In Anbetracht aber 
des eigentümlichen Verlaufes des Leidens wurde beschlossen, die Eiranke zu¬ 
nächst in die Salpetriöre zu schicken, wo man die Eirankheit als hysterisches 
Oedem der linken Hand diagnosticirte. Bei der Untersuchung fand man weisses, 
straffes, schmerzloses Oedem am Handrücken und an den zwei unteren Dritteln 
des Vorderarmes. Am Vorderarm waren ausgesprochene trophische Störungen der 
Haut vorhanden. Zunächst eine Reihe von circulär gelegenen bräunlichen Narben, 
die das successive Fortschreiten des Oedems bezeugten. Am oberen Rande des 
Oedems war eine starke Einschnürung der Haut. Die bläuliche Verfärbung der¬ 
selben an dieser Stelle und das Vorhandensein daselbst von pemphigusartigen 
kirschkerngrossen Bläschen waren die unverkennbaren Zeichen einer drohenden 
Hautnekrose. An den Nägeln war nichts Abnormes wahrzunehmen. Die 
Panaritien am Zeigefinger und am Ringfinger waren vernarbt, die Narben 
schmerzlos etwas ödematös, aber absolut frei von Eiter. Die Hand war in starker 
Beugecontractur, die Finger ebenfalls flectirt, der Daumen eingeschlagen. Die 
Temperatur am linken Handrücken war 32, am rechten 28°. Die Drüsen am 
Ellenbogen und in der Achselhöhle normal. Die Sehnenreflexe an der Hand und 
am Ellenbogen ebenfalls normal. Ueber dem ganzen Oedem ist die Haut voll¬ 
ständig anästhetisch für Tast-, Schmerz- und Temperatursinn. Am übrigen Theil 
des Armes ist die Sensibilität vorhanden. Ausserdem an der Haut des Oedems 
ausgesprochener Dermographismus. Der allgemeine Zustand der Kranken war ein 
ausgezeichneter. Im Harn kein Eiweiss. Hypästhesie an der ganzen linken 
Körperhälfte. Der Geschmack abgeschwächt an der linken Zungenhälfte. Das 
linke Sehfeld verengt um 50 0 und Mikromegalopsie daselbst. Schliesslich hysterisohe 
Ovarialpunkte auf beiden Seiten. Nach der ersten Anwendung während einiger 
Minuten von Elektricität von hoher Frequenz, kehrte die Sensibilität an der Haut 
der ödematösen Hand wieder zurück. Nach einem dritten Versuch von Suggestion 
in wachem Zustande wurde auch die Contractur der Hand bewältigt Es wurde 
dann constatirt, dass die forcirte Flexion der Finger Schrunden in den Falten 
der Haut hervorgebracht hatte, die schmerzhaft waren und eine Steigerung der 
Contractur zur Folge haben mussten. Es bestanden gleichzeitig Gelenkschmerzen 
in den Fingern und im Handgelenk. Nach dem Unterlassen des Compressiv- 
verbandes verschwand das Oedem ziemlich rasch am Vorderarm. Dagegen das 
Oedem an der Hand ging nur allmählich und nur theilweise zurück. Zum Theil 
besteht dasselbe nooh jetzt Die trophische Störung am Rande des Oedems des 
Oberarmes endete mit Hautnekrose, die jetzt auf dem Wege der Heilung ist 
Der Fall bietet somit ein prägnantes Beispiel von hysterischem Oedem. 

Discussion: . 

Herr Joffroy hat ein 14jähriges hysterisches Mädchen beobachtet, welches 
an Parese der rechten oberen Extremität litt mit Schmerzen in den Gelenken, 
Hypästhesie der Haut und starkem Oedem der Hand, die kalt und blau war. 


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Sein Fall, glaubt er, sei insofern dem eben vorgestellten ähnlich, als auch bei 
seiner Kranken in Folge von ganz unbedeutenden Traumen die Haut sich excoriirte. 
Er hat in kurzer Zeit das Oedem dadurch zum Verschwinden gebracht, dass er 
den Arm senkrecht in die Höhe halten Hess. Auch die motorischen und Sensi¬ 
bilitätsstörungen verschwanden ziemlich rasch. 

Herr Etienne (Nancy) hat zwei interesante Fälle von vorübergehendem 
hysterischem Oedem der Hand beobachtet. In beiden Fällen trat das Oedem am 
Anfang der Menstruation ein und verschwand nach einigen Tagen mit dem Auf¬ 
hören derselben. 

Herr Raymond hebt hervor, dass, was seinen eben mitgetheilten Fall 
interessant macht, ist, dass man im Begriffe war die Kranke einer Operation zu 
unterziehen. Die günstige Wirkung der Elektricität ist in diesem Fall entschieden 
einer Suggestion zuzuschreiben. 

Herr Jean Heitz und Herr Xavier Bender: Ein Fall von Jack¬ 
son'scher Epilepsie, die mit conjugirter Drehung des Kopfes und der 
Augen begann. Eekropsie (Demonstration anatomischer Präparate). (Der Fall 
wird in der Revue neurologique in extenso erscheinen.) 

Herr Georges Aubry: Perineuritis in Zusammenhang mit Düngen« 
tuberoulose. Vortr. hat bei einem öl jährigen chronischen Phthisiker Sensi¬ 
bilität«- und motorische Störungen beobachtet, die er als Folge einer tuberculösen 
Polyneuritis deutet. Diese Störungen haben langsam mit Prickeln und Schmerzen 
zunächst im rechten Bein begonnen; allmählich gingen die Schmerzen bis in die 
rechte Hand, dann in den rechten Arm und in die rechte Schulter, ö Tage 
später traten Schmerzen im linken Bein auf und dann in der ganzen linken 
Körperhälfte. Vortr. sah den Kranken einige Tage nach dem Beginne dieser 
Erscheinungen und fand vollständige schlaffe Paraplegie. Auch die Sphinkteren 
waren ab und zu gestört. Die Patellarreflexe sind lebhaft, aber kein Fussklonus. 
Die elektrische Untersuchung der Muskeln ergiebt Abschwächung der galvanischen 
und faradischen Reizung, besonders in der antero-externen Muskelgruppe des 
Unterschenkels. Die Palpation der Muskeln ist schmerzhaft, ebenso der Druck 
an den Austrittsstellen der Nerven. Das Las£gue’scke Zeichen ist in prägnanter 
Weise vorhanden. Objective Sensibilitätsstörungen: die rechte Körperhälfte, Kopf 
inbegriffen, ist vollständig anästhetisch. An der linken Körperhälfte ist nur Hyp- 
ästhesie wahrzunehmen. Nichts an den Augen. Das Schlucken ist normal. Die 
Athmung beschleunigt. Geschmack und Geruch normal. Gehör links normal, 
rechts etwas vermindert. An den Lungen Cavernen. Im Sputum Tuberkel¬ 
bacillen. Die eingeleitete Therapie bestand in allgemeiner roborirender Behand¬ 
lung, Licht, Luft, kräftigende Nahrung, pointes de feu (Wo? Ref.) und Natrium 
cacodylicum in Einspritzungen unter die Haut. Die Schmerzen Hessen rasch nach 
und man konnte bald Elektricität und Massage anwenden. Die Lähmungen ver¬ 
schwanden ziemlich rasch und nach einem Monat konnte der Kranke allein und 
ohne Unterstützung gehen. Auch die Sensibilitätsstörungen, die objectiven ebenso 
wie die subjectiven, verschwanden. Vom Lasegue'sehen Zeichen (Schmerzen im N. 
ischiadicus bei Beckenflexion des gestreckten Beines, Ref.) keine Spur mehr. Vortr. 
discutirt die Diagnose und verwirft Hysterie und Poliomyelitis. In Anbetracht der 
raschen Heilung nimmt er Perineuritis multiplex wahrscheinlich tuberculÖBer 
Natur an. 

Herr L6vi: Beiträge zum Studium des Ursprungs der Myopathieen. 
Die Sehnenreflexe bei Myopathieen (KrankenVerstellung). — Herr A. Thomas 
und Herr G. Hauser: Beiträge zum Studium der pathologischen Anatomie 
der Myelitis syphilitica. (Diese beiden Mittheilungen werden in der Revue 
neurologique in extenso erscheinen.) 


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Herr Touche (BrAvannee): Schmerzhafte Paraplegie bei Carolnom- 
kranken (Demonstration anatomischer Präparate). Eine 55 jährige Frau hatte 
▼or 6 Jahren eine Geschwulst in einer Brust. Diese Geschwulst wurde gleich 
beim Beginne entfernt. Seitdem kein Becidiv in der Narbe, keine Drüsen¬ 
schwellung in der Achselhöhle. Seit einigen Monaten klagte die Kranke über 
Halbgurtelschmerxen an der Basis des Thorax und im Hypochondrium der rechten 
Seite. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus konnte sie noch allein stehen und 
gehen. Kurze Zeit darauf klagte sie über Schwere in den Beinen, die ihr wie 
angenagelt an den Boden schienen. Status präsens am 25. Juli 1900: Der 
Schmers an der Thoraxbasis ist sehr heftig. Während der Verdauung ist der 
Leib sehr aufgetrieben. Die Bewegungen in der linken unteren Extremität sind 
vollständig aufgehoben. Rechts sind Bewegungen nur im Fussgelenke und in den 
Zehen möglich. Der Tast- und Schmerzsinn sind sehr vermindert, fast aufgehoben 
in beiden unteren Extremitäten und am Rumpf bis zu einer transversalen Linie, 
die vierfingerbreit über dem Nabel verläuft. In der linken unteren Extremität 
ist der Patellarreflex und der plantare Hautreflex sehr gesteigert, Fussklonus und 
Babinski'scher Zehenreflex, ln der rechten Extremität ist der Patellarreflex und 
plantare Hautreflex aufgehoben. Etwas Fussklonus und Babinski’scher Reflex 
sind vorhanden. Incontinenz der Blase und hartnäckige Verstopfung. Am 
5. August: Das linke Bein ist ödematös in Abduction mit gebeugtem Schenkel 
und Knie. Patellarreflex lebhaft. Fussclonus und Babinski vorhanden. Plantar¬ 
reflex verschwunden. Im rechten Bein Patellarreflex und Plantarreflex abwesend. 
Fussklonus und Babinski vorhanden. Vollständige Lähmung und complette An¬ 
ästhesie. Das Bewusstsein ist fast vollständig benommen. Der Nacken ist ge¬ 
streckt Das Gesicht ist nach links gewendet, jedoch keine Deviation des Kopfes 
und der Augen. Starker Trismus. Der Muskeltonus in den oberen Extremitäten 
ist verstärkt. Handreflexe gesteigert Unwillkürliche choreaartige Bewegungen in 
den oberen Extremitäten. Decubitus am rechten Ischion. Exitus am 8. August. 
Nekropsie: Carcinomatöse Pachymeningitis auf der rechten Hälfte des ganzen 
achten ßrustsegments. Die achte vordere und hintere Wurzel sind comprimirt 
und von carcinomatoser Masse durchdrungen, die Dura mater ist infiltrirt und um 
das Fünffache verdickt Das Rückenmark ist ebenfalls betroffen und lässt sich 
schwer härten. Die ganze Oberfläche des Durchschnittes sieht alterirt aus. 

Herr Touche (Brövannes): Spontane Ptosts bei Erhaltung des Vermögens 
Willkür lieh das Augenlid zu heben (Demonstration anatomischer Präparate). 
Fall I. 60jähriger Mann wurde vor 3 Monaten unter Bewusstseinsverlust hemi- 
plegisch. Die Bewusstlosigkeit dauerte 3 Tage. Complette Aphasie mit Wort¬ 
taubheit während 2 Monaten. Tactile Hemianästhesie und Hemianalgesie während 
des apoplektischen Anfalles. Nach 2 Monaten konnte der Kranke wieder gehen. 
Status praesens (März 1900): Der Kranke hält den Kopf etwas nach hinten. 
Er scheint mit Mühe die Augenlider offen zu behalten, besonders das rechte. 
Jedoch kann der Kranke, wenn er darauf achtet, ganz gut die Augen öfihen. 
Die Bewegungen der Augäpfel sind beschränkt. Das rechte Auge kann nach 
innen gar nicht bewegt werden. Die Bewegungen nach oben und nach unten 
sind von nystagmusähnlichen Zuckungen begleitet. Die Beweglichkeit nach aussen 
ist normal. Die Bewegungen des linken Auges sind nach allen Richtungen be¬ 
schränkt. Das Sehfeld ist nicht eingeschränkt. Miosis, jedoch normale Pupillen- 
reaction. Keine manifeste Facialispar&lyse, jedoch sind die Muskelcontractionen 
auf der rechten Gesichtshälfte bei Bewegungen weniger energisch als die der 
linken Gesichtshälfte. Die Zunge kann nicht aus dem Munde herausgestreckt 
werden. Auch die Lateralbewegungen der Zunge im Munde sind sehr beschränkt. 
Gaumensegelbewegungen normal. Keine Dysphagie vorhanden. Blepharospasmus 
(klonischer) im rechten Auge bei Bewegungen der Gesiohtamuskeln. Der Kranke 


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528 


spricht langsam. Scheint Schwierigkeiten zu haben die Worte zu finden, besonders 
die Hauptwörter. Er versteht alles, was man ihm sagt. Benutzt oft die Worte 
der Frage zur Antwort. Leichter Grad von Dysarthrie. Der Kranke liest und 
schreibt perfect, nur ist die Schrift etwas zittrig. Die rechte Hand kann alle 
Bewegungen ausführen. Die Contractur ist im Ellenbogen und im Schultergelenk 
localisirt. Der Kranke geht mit kleinen Schritten, mit steifem Rücken, den Kopf 
nach links gesenkt. Der rechte Patellarreflex ist gesteigert. Keine Sensibilitäts- 
störungen. Im November 1900 Exitus nach einem neuen Schlaganfall mit links¬ 
seitiger Hemiplegie. Obduction: Frische Blutung in der Gegend des rechten 
Thalamus opticus. Der Bluterguss hat die Ventrikel erweitert. In der linken 
Gehirnhemisphäre findet man auf einem Horizontalschnitt, der durch den obersten 
Theil des Thalamus gemacht wurde, einen hämorrhagischen Herd, der genau auf 
der Höhe des Knies der inneren Kapsel sitzt. Weiter nach unten verdünnt sich 
dieser Herd und schneidet den Thalamus schräg durch vom Knie der inneren 
Kapsel bis auf 2 mm weit entfernt vom 3. Ventrikel, unmittelbar vor dem 
Pulvinar. Die Blutung hat somit den vorderen Theil des Thalamus förmlich 
sectionirt. 

Fall II. Eine an chronischem Rheumatismus leidende Frau fühlte sich 
plötzlich eines Morgens schlecht. Sie erbrach ihr Frühstück, war agitirt und 
taumelte beim Gehen. Man glaubte zunächst, sie sei betrunken. Bei der Unter¬ 
suchung (3 Stunden nach dem Beginne dieser Erscheinungen) waren keine Läh¬ 
mungen zu constatiren. Die Patellarreflexe waren normal. Keine Sensibilitäts¬ 
störungen. Die Kranke ist bei vollem Bewusstsein. Sie versteht alle an sie 
gerichteten Fragen, nur ist die Sprache unarticulirt. Es besteht starke Dysarthrie, 
aber keine Spur von Aphasie. Die Zunge ist fast vollständig gelähmt; nur einige 
Lateralbewegungen der Zunge sind noch möglich. Es besteht vollständige Ptosis 
links und unvollständige rechts, aber auf Befehl kann die Kranke in ganz nor¬ 
maler Weise die Augen ganz weit öffnen. Sobald sie aber nicht darauf achtet, 
so schliessen sich die Augen allmählich wieder. Es besteht fast vollständige 
Augenmuskellähmung. Die gleichzeitige Bewegung beider Augen nach reohts und 
nach links ist vollständig aufgehoben. Die Bewegungen nach oben und nach 
unten sind kaum angedeutet und mit nystagmusartigen Zuckungen verbunden. 
Die Pupillen sind von mittlerer Weite und reagiren gut auf Schmerz. Exitus 
8 Stunden nach dem Beginne der Erscheinungen in vollständig comatösem Zu¬ 
stande. Autopsie: Frische und ausgiebige Blutung im Kleinhirn. Die Blutung 
ging von den Arterien des rechten Corpus dentatum aus und verbreitete sich 
nach der oberen Fläche des Kleinhirns. Der obere Wurm ist nach links gedrängt 
und zerfetzt. Die Blutung gelangte bis in den 4. Ventrikel. 

Herr Boinet (Marseille): Ueber athetotisohe Bewegungen bei Tabes 
dorsalis. — Herr Destarac (Toulouse): Tortioolis spasmodioa und fUnctio- 
nelle Spasmen. (Diese beiden Mittheilungen werden in der Revue neurologique 
erscheinen. R. Hirschberg (Paris). 


Um Einsendung von Separatabdr ficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von MsnesB & Wirne in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Nsudel) 

Eiinndswauigster " *** Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Za beziehen durch 
all« Bachhandlangen des In- and Aaslandes, die Postanstalten dee Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbachhandlang. 

1902. lß.Jnni. “ Nr. 12. 


I. Orlglnslmitthellungen. 1. Ein neaer Beitrag zur pathologischen Anatomie der amyo- 
trophischen Lateralsklerose, von Dr. Arthur von Sarbö, Universitätsdooent. 2. Ueber den 
diiecten ventro-lateralen Pyramidenstrang, von Dr. William 0. Spilier. 8. Ueber Kothbrechen 
während des Status epilepticos, von Dr. med. H. Götze. 4. Spinal-nearitische oder myopathische 
Moskelatropbie? Von Dr. Tofey Cohn. (Schloss.) 

IL Referate. Anatomie. 1. Ueber den Häinatoxylinchromlack als Mittel zur Färbung 
des Axeneylinden, von Faiertzfain. — Experimentelle Physiologie. 2. Quelquee noa- 
veDes contribations & l'dtade des localisations mödnllaires, par Parhon ct Goldstein. 8. Zar 
Frage dm Function der Pyramiden beim Menschen, von Pllcz. 4. Ueber die fanctioneHe 
Bedeutung der Pyramidenbahn, von Rothmann. 5. Atrofle cerebrali sperimentali, del D’Abunde. 
— Pathologische Anatomie. 6. Degenerations following a tranmatic lesion of the spinal 
cord; with an aocoont of a tract in the monal region, by Stewart 7. Zur pathologischen 
Anatomie der posttranmatischen Erkrankungen dee Rückenmarks, von Lohrisch. 8. Ueber 
Veränderungen des Rückenmarks bei Diphtherie, von Utchida. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 9. Beitrag zur Histologie und Pathogenese der amyotrophiscben Lateralskimose, 
von Czyhlarz and Marburg. 10. Un cas d’amyotrophie progressive d’origino traumatique, par 
San«. 11. Ueber eine eigentümliche Form von progressiver Moskelatropbie nach Trauma, 
von Rose. 12. Ueber das Tibialiaphänomea and verwandte Maskelsynergieen bei spastischen 
Paresen, von Strümpell. 13. Die Segmentdiagnose dm Rücken markserkraokangen, von Brune. 
14. Znr Segiuentdiagnoee dm Rückenmarksgeschwülste, nebst einem neuen durch Operation 
gehellten Fall, von Krause. 15. Ueber ein selten mächtig entwickeltes QUoma earoomatedee 
des Rückenmarks, von Fischer. 16. Ein intradnrales Endotheliom im Bereiche der obersten 
Halssegmente, von Schlagenhaufer. 17. Utbredt sarkom i ryggmarvens tynde hinder, äf 
Helmsen. 18. Ein Sacraltnmer von hirnartigem Ban, von Borst. 19. Ein Fall von Abscese 
des Rückenmarks nebst retrobulbärer Neuritis, von Silfvast. 20. L’dcoulement da liquide 
. odrdbro-spinal par la fistule o^pbalo-rachidienne en conditions normales et sous l’inflnenoe de 
quelques ntedicaments, par CappellettJ. 21. Ueber einen Fall von Abfluss colossaler Mengen 
von Cerebrospinalflüssigkeit nach Rückenmarks Verletzung, von Giss. 22. Le liquide oöphalo- 
rachidien apres la rachicocalnisation, par Revaut et Aubourg. 23. Du cytodiaguosis du liquide 
cdpbaloraehidien cbee l’enfaut, par M6ry et Babennelx. 24. Ponotion sacro-lombaire, par 
Chlpault. 25. Ueber die pathologischen Veränderungen, welche in dem Centralnervensyetem 
von Tbieren durch die Lumbalpunctdon hervorgerufen werden, von Ossipow. 26. Analg&ie 
par injeetion sons-arachnoldienne lombaire de eocafne, par Vulliet. — Psychiatrie. 27. Die 
Anfänge der abnormen Erscheinungen im kindlichen Seelenleben, von I. Trflper. 28. Re¬ 
cherche* experimentales sur la psycho-physiologie des hallucinations, par Vaschide et Vurpas. 
29. Der Unterricht dee Pflegepersonals für Geisteskranke, von Kaplan. 80. Die ärztliche 
Feststellung der verschiedenen Formen des Schwachsinns in den ersten Schaljahren, von 
Laquer. — Therapie. 8t. Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für 
Kranke, von Determaan. 

UL Bibliographie. 1. Sammelatlas für den Bau von Irrenanstalten. Bia Handbuch für 
Behörden. Psychiater und Baubeamte. Herausgegeben von Dr. 8. Kolb. 2. Traite dee mala* 
dies de la moölle öpiuiöre, par J. Dejerlne et Andrä Thomas. 

IV. Aua dan Gesellschaften. XXXVII. Versammlung des Vmeins der Irrenärzte Nieder- 
Sachsens and Westfalens in Hannover am 8. Mai 1902. — XXVII. Wanderversammlung der 
südwestdeutechen Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 24. und 25. Mai 1902. 

V. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. März bis 80. April 1902. 

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I. Originalmittheilungen. 


[Aus dem hirnanatomiscben Laboratorium des Herrn Prof. Dr. Karl Sohaffbb 

in Budapest.] 

1. Ein neuer Beitrag zur pathologischen Anatomie der 
amyotrophischen Lateralsklerose. 

Von Dr. Arthur von Sarb6, Universit&tsdocont 

Im XIIL Band der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde 1 kam ich bei 
der Besprechung des mitgetheilten Falles von amyotrophischer Lateralsklerose 
zu der Schlussfolgerung, dass die unter dem Namen Sclerosis lateralis amyo- 
trophica beschriebene Krankheit sowohl in klinischer wie auch in histologischer 
Hinsicht mehr umfasst, als ihr Name ausdrückt Heute bin ich in der Lage 
diesen meinen Satz durch eine neue klinische und anatomische Beobachtung zu 
bekräftigen; dieselbe weist neben den bis jetzt schon beschriebenen und neuer- 
diugs in Spilleb’8 Arbeit* zusammengestellten anatomischen Befunden einen 
bis jetzt nicht beschriebenen Befund auf; derselbe bezieht sich auf eine sicher 
nachweisbare Degeneration der Kleinhirnseitenstrangbahn, vom Beginn im Rücken¬ 
mark bis in den Vermis superior des Kleinhirns; in klinischer Hinsicht ist der 
Beginn der Erkrankung in den Unterextremitäten besonders hervorzuheben. 

Ich sehe von der ausführlichen Mittheilnng der Krankengeschichte ab und 
begnüge mich, den Krankheitsznstand nur in allgemeinen Zügen wiederzugeben. 

Es handelte sich um einen bei der Aufnahme 56jähr. Tischler, der hereditär 
nicht belastet war. Die Krankheit begann in seinem 55. Jahr mit Schmerzen 
im linken Knie, welche in den Knöchel ausstrahlten. Er führte die Erkrankung 
auf das Arbeiten in einem nassen Kellerlocal zurück. Der linke Unterschenkel 
schwoll auch an und verfärbte sich dunkelblau. Bald, innerhalb von 3 Monaten, 
entwickelte sich eine Schwäche der Füsse, so dass er kaum gehen konnte; es 
kam zu einer spastischen Parese der Beine. In der Beinmusculatur zeigten sich 
fibrilläre und fasciculäre Zuckungen. Hypertonie der Beine. Spastische Knie¬ 
reflexe. Umfang der Beine hat abgenommen. Sämmtliche Qualitäten der Sen¬ 
sibilität waren mtact Oberextremitäten frei. Gehirnnerven frei. Stark herab¬ 
gesetzte galvanische und faradische Erregbarkeit der Muskeln und Nerven der 
Unterextremitäten, an der rechten stärker ausgeprägt, theilweise aufgehoben. 
Nach 7 monatlicher Beobachtung bemerkt Patient selbst, dass sein linker Inter- 
osseus primus atrophisch wird; es treten bald fibrilläre und fasciculäre Zuckungen 


1 Beitrag zur Symptomatologie and pathologischen Histologie der amyotrophisehen 
Lateralsklerose. 

* A case of amyotrophie lateral sclerosis in wbioh degeneration was traoed from the 
cerebral cortex to the moscles. — Contribution from the William Pepper laboratory clinical 
medicine. Philadelphia, 1900. 


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531 


in der Hand und Unterarmmusculatur ein; Atrophie des Thenars. Totale Para¬ 
plegie. — Innerhalb weniger Tage ändert sich das Bild wesentlich, es treten 
Bulbärerscheinungen auf, das Schlucken der Speisen wird erschwert; er kann 



Fig. 1 . Fig. 2 . 


nicht expectoriren. Patient geht unter den Erscheinungen des Lungenödems zu 
Grunde. 

Klinisch weicht der Fall insofern ab, als der Beginn der Erkrankung nicht, 
wie gewöhnlich, in den kleinen Handmuskeln, sondern in der Beinmusculatur 
zu sehen war. Als Ursache der 
Erkrankung fanden wir die Er¬ 
kältung (Arbeiten im nassen Keller¬ 
local) angegeben. 

Mikroskopische Unter¬ 
suchung: 

Wbig bet’ 8che Färbung. 

Medulla oblongata. Die Kerne 
des Hypoglossus enthalten keine 
einzige normale Nervenzelle. An 
Stelle dieser sind entweder homo¬ 
gene blassgelb-gefärbte Gebilde zu 
sehen oder sie sind leer. An 
mehreren Stellen sind Blutungen. 

Deutlicher Faserschwund in beiden 
Hypoglossi, kaum hie und da eine 
Nervenfaser zu sehen; beide Pyra¬ 
miden sehr gelichtet, desgleichen 
die beiderseitigen Kleinhimseiten- 
stränge. 

Cervicalgegend. Hoch¬ 
gradiger Faserausfall in beider¬ 
seitigen Pyramiden, auf der linken 
Seite fast totaler Faserausfall; derselbe ist auch in den übrigen Seitenstrang¬ 
bahnen sowie in den Vorderstrangbahnen deutlich ausgesprochen, ja selbst in 
den Hintersträngen ist ein auffallender Fasermangel, namentlich in der Mitte 
des jeweiligen Hinterstranges. Hochgradigen Faserschwund zeigen auch die 

84* 



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532 


eintretenden hinteren Warzein, die noch erhaltenen sind aach gequollen und 
zerklüftet. Von aastretenden Wurzeln keine Spur. 



Fig. 4. 


Weder in den Vorder-, noch in den Hinterhörnern ist eine Spur von Nerven¬ 
zellen zu sehen. Das sonst stark entwickelte Fasernetz der Vorderhörner ist 
nur durch spärliche, dünne, abgebröckelte, kurze, rosenkranzartige Fäserchen 



Fig. 6. Fig. 7. 


vertreten. Etwas besser erhalten sind die in die Hinterhömer eintretenden 
Wurzelfasern. 

Die vordere Commissur ist schwach entwickelt, enthält durchwegs kranke 
Fasern, die hintere wird durch einige dünne verbröckelte Fasern vertreten. 


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633 


Der Centralcanal ist ausgefüllt. 

Blutungen, Leukocyten, Körnohenzellen nirgends zu sehen. (S. Fig. 1.) 

Dorsal-Lumbalsegment. (S. Fig. 2.) 

In allem gleicher Befund wie im cervicalen Theil. 

Das Beticulum der Clarke’ sehen Säule spärlich; in derselben keine Spur 
von Nervenzellen. 

Cortex. Gyrus prae- und postcentralis zeigen stellenweise deutliche Körnchen- 
zellen auf. 

MABOHi’sohe Färbung. S. Fig. 3—7, aus denen die Degeneration fol¬ 
gender Bahnen ersichtlich ist: Beiderseitige Pyramiden, die beiderseitigen 
Nn. hypoglossi et faciales; beiderseitige Kleinhimseitenstrangbahnen vom Dorsal¬ 
mark bis Yermis superior, Fasciculus long. post Auch im Corpus restiforme 
(schon in der Oblongata) ist eine Degeneration ersichtlich, ob das schon aus den 
Kleinhirnseitenstrangbahnen dahin gelangte Fasern sind oder ob sie aus dem 
BüBDACH’schen ljnd Gou/schen Kern entstammen, bleibt dahingestellt 

Im Cortex wurde mittels der MABcm’schen Methode keine Degeneration 
nachgewiesen. 

NissL’sche Färbung. Vorwiegendes Interesse haben wir dem Cortex 
zugewendet, denn das fast vollständige Fehlen der Nervenzellen im Rückenmark 
machte das nähere Studium desselben mittels dieser Methode überflüssig. Es 
wurden Stücke aus dem Gyrus prae- et postcentralis untersucht , 

Es fällt auf, dass zahlreiche grosse Pyramidenzelleu wie zernagt aussehen, 
die Zellausläufer, namentlich der Axencylinder fehlt bei sehr vielen Zellen. Die 
Anordnung der Nissi/schen Substanz ist in vielen Zellen derart verändert, dass 
dieselbe den Rand der Zelle einnimmt, der Zellkörper aber frei von ihr ist, in 
wieder anderen sind die NissL’schen Körper körnig zerfallen. Viele sehen wie 
betäubt aus, trotzdem ist "bei diesen die Gestalt der Zelle und die Zellausläufer 
gut erhalten. — Zwischendurch sind wohlerhaltene, gesunde Zellen zu sehen. 

Wie aus dem Mitgetheilten ersichtlich, fanden wir in unserem Falle sowohl 
in dem Cortex als in Pons, Oblongata, Rückenmark deutlich nachweisbare Ver¬ 
änderungen; dieselben betreffen sowohl die Zellen als die Fasern. Nach dem 
Grade der Veränderungen zu urtheilen, wäre der Beginn ins Rückenmark zu 
verlegen. Die hervorragendste Thatsache, welche unser Fall entdeckt, ist die 
Degeneration der Clabke’ sehen Säule und der Kleinhirnseitenstrangbahn. Viel¬ 
leicht hängt dieselbe damit zusammen, dass die Erkrankung, von dem Gewöhn¬ 
lichen abweichend, im Lumbaltheil begonnen hat, dies würde auch erklären, 
warum bis jetzt bei der amyotrophischen Lateralsklerose die CiiABKE’schen Säulen 
in den meisten Fällen als gesund gefunden worden sind. Dass übrigens die 
CiiARKE’sche Säule auch bei cervicalem Beginn mitbetheiligt sein kann, beweist 
mein oben citirter Fall, sowie Spilleb’s Untersuchungen. 

Für die freundliche Ueberlassung des Materiales sage ich meinem Freunde 
Prof. Schaffer hiermit besten Dank. 


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[Aas dem William Pbppxr klin. Laboratorium, gegründet von Phbbb A. Hrarst.] 

2. Ueber den directen ventro-lateralen Pyramidenstrang. 

Von Dr. William G. Spiller, 

Assistant Professor in the University of Pennsylvania, Clinical Professor in the 
Wo hak* s Medical College of Pennsylvania and the Philadelphia Polyclinic. 

In dem Journal of Nervous and Mental Disease 1 und später im Bram* habe 
ich ein Faserbündel beschrieben, das sich von dem äussersten lateralen Theile 
des Pyramidenstranges, etwas unterhalb der Ebene des Eintritts des Quintus 
in die Brücke abzweigt. Die Ablösung dieses Bündels geschah Anfangs all¬ 
mählich. Weiter unten in der Brücke zog das Bündel plötzlich nach hinten 
und etwas seitlich vom Pyramidenstrang bis in den Trapezoidkörper. In einem 
Querschnitte dieser Gegend erschien das rückwärts verlaufende Faserbündel als 
ein schmales langes Band von horizontalen Reihen schwarz** Punkte; — dies 
bewies, dass die Fasern in der Längsrichtung durchschnitten waren. An der 
Verbindungsstelle zwischen Brücke und verlängertem Mark fand sich die Faser¬ 
bahn seitlich vom obersten Theile der unteren Olive. Die Vergrösserung der 
unteren Olive drängte das Bündel nach rückwärts und an der Stelle, wo die 
Olive den grössten Durchmesser besass, befand sich das Bündel an der Peri¬ 
pherie der Olive rückwärts und zur Seite. Unterhalb der motorischen Kreuzung 
befand sich das Faserbündel auf derselben Seite wie die Läsion, welche die 
Degeneration verursachte, konnte aber nicht weiter nach unten als bis zur Höhe 
des ersten Halssegmentes verfolgt werden, weil das Rückenmark leider nicht 
untersucht werden konnte. Die Faserbahn bestand aus zahlreichen entarteten 
Fasern. In der Medulla war die Bahn ähnlich wie Gowebs’ Bündel gelagert. 
In meinem Falle handelte es sich um eine Blutung in die Capsula externa 
und den Nucleus lentiformis. Der entartete Strang, den ich beschrieben 
habe, musste daher in derselben Höhe oder höher als die Blutungsstelle ent¬ 
standen sein. Ich war der Meinung, dass ioh als erster den Verlauf dieser Bahn 
beschrieben hatte. J. S. Risien Russell hatte eine Bahn beschrieben, die 
nicht weit von meinem Bündel entfernt way. In seinem Falle handelte es sich 
um eine Geschwulst des Grosshiras. Ausser einer Entartung des Pyramideu- 
stranges, die er nach Makchi’s Methode nachwies, fand Russell einen anderen, 
wohl unterscheidbaren Entartungsstrang auf derselben Seite wie die Läsion, in 
dem ventralen Theile der Medulla oblongata und gerade ausserhalb und gegen¬ 
über dem ventro-extemen Winkel der unteren Olive. Dieser Strang war ein 
Entartungsstrang, der wohl unterschieden und unabhängig von dem entarteten 
Pyramidenstrang zwischen den äusseren Bogenfasern lag, wo sich diese um die 
Medulla oblongata gegenüber der unteren Olive hinzogen. Russell gelang es 
nicht, irgend welche Verbindung zwischen diesem Strang und entarteten Fasern, 


1 1899. M&rs. S. 178. 
* Winter 1899. S. 568. 


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535 


die sich in der Brücke vorfanden, herzustellen. Etwas weiter unten fand sich 
dieses fcündel in der seitlichen Gegend der Medulla oblongata gegenüber der 
ventralen Spitze des Vorderhornes. Er glaubte nicht annehmen zu können, dass 
der Strang von der entarteten Pyramide herstammte, noch gelang es ihm, den 
Ursprung dieses Stranges festzustellen, noch ihn sehr weit zu verfolgen. Sein 
Strang befand sich gegenüber dem ventralen äusseren Winkel der unteren Olive, 
meiner dagegen auf der dorsalen äusseren Seite der unteren Olive; in der Gegend 
des Halsmarkes scheint sich Rubsell’s Strang mehr vorwärts gefunden zu 
haben als meiner. Es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich, dass die Fasern, 
die Russell 1 beobachtete, Helweg’s Bündel waren. 

Der Strang, den ich beobachtete, war nicht gänzlich entartet; an der Stelle, 
wo er in der Brücke direct nach hinten zog, war er so klar gezeichnet, unab¬ 
hängig von entarteten Fasern, dass ich überzeugt war, dass er später wieder 
einmal von einem anderen Forscher würde gesehen werden. Es gelang mir, 
den Strang vom unteren Theile der Brüoke bis zum oberen Theile des Hals¬ 
markes zu verfolgen, was bis dahin Niemandem gelungen war. 

Obersteiner* hat die Meinung geäussert, dass das von mir beschriebene 
Bündel vielleicht Helweg’s Bündel sei; y. Beohtb&ew sprioht dieser Ansicht 
seiue Beistimmung nicht zu, sondern spricht sich dahin aus, dass zwischen 
Hklweg’s Bündel und der Pyramidenbahn keine Verbindung bestehe. In einer 
späteren Arbeit sagt Obersteiner: „Dass das von Spillbb als degenerirt ge¬ 
zeichnete Bündel mit dem HELWBG’schen identisch sei, hält v. Beohtkrew 8 mir 
gegenüber für nicht so ganz sicher.“ Ich hingegen sagte, wenn auch kein 
sicherer Beweis dafür vorliegt, so wäre es immerhin nicht ausgeschlossen, dass 
wir hier den ersten sicheren Fall einer Degeneraiion der Dreikantenbahn .... 
vor uns hätten, also auch hier besteht durchaus nicht die von Bechterew ge¬ 
suchte Divergenz der Meinungen und ich freue mich, eine völlige Ueberein- 
stimmung constatiren zu können. 

Hhlweg’s Bündel, oder, wie v. Bechterew es zu bezeichnen vorzieht, der 
„Fasciculus periolivaris“, ist im Rückenmark vielleicht ein wenig mehr 
ventral gelegen als das von mir beschriebene Bündel; sollte jedoch irgend welche 
Ungewissheit in Betreff der möglichen Identität meines und Helweq’s Bündel 
obwalten, so ist diese schnell beseitigt durch die kürzlich erschienenen Unter¬ 
suchungen von Stanley Barnes 4 ; diesem Forscher gelang es, meine Schluss¬ 
folgerungen durch ein Studium von vier Fällen von Hemiplegie zu bestätigen. 
Der Weg, den mein Strang in der Brücke und Medulla verfolgt, mag variiren, 
das Bündel bleibt jedoch immer ein Ziel der Pyramidenbahn, auch bleibt die 
Bahn immer uugekreuzt; wie Stanley Barnes des Weiteren gezeigt hat, werden 
die einzelnen Fasern, die das Bündel zusammensetzen, in der Gegend des 

1 J. S. Rum Robibll, Brün. XXI. S. 145. 

* Obbsstbutbk, Arbeiten ans dem neurologischen Institute an der Wiener Universität. 
Heft 7. 8. 298. — Neurolog. Centralbl. 1901. 8. 646. 

• v. Bbohtbbbw, Neurolog. Centralbl. . 1901. 8.194. 

4 Stahlst Babnbs, Brain. XXIV. S. 468. 


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dritten Halssegmentes diffus und hören in der unteren Halsgegend auf ein Strang 
zu sein; wie sioh aus zweien von Baumes’ Fällen ergiebt, können die Fasern 
manchmal bis in die Lendenmarkgegend verfolgt werden. 

Seitdem meine Arbeit erschienen ist, haben Mott und Tbbbgold 1 (1900), 
Dejebime 2 (1900) und Pübves Stbwaet 3 (1901) wahrscheinlich Entartung der 
Fasern meines Stranges beobachtet. Es ist heutzutage kaum zweifelhaft, dass 
dieser Strang ein Bündel ist, das sich von der Pyramidenbahn ablöst Die Be¬ 
zeichnung „ventro-laterale Pyramiden bahn“ sollte nicht ohne Weiteres adoptirt 
werden, da dieser Name nur den Weg, den das Bündel im Rückenmark zurück- 
legt, bezeichnet und die Fasern, die in der Medulla und der Brücke ver¬ 
laufen, ignorirt. Die Bezeichnung hat den Vorzug kurz zu sein, es wäre jedoch 
besser, das Wort „direct“ beizufügen, da Abwesenheit einer Kreuzung dieses 
Stranges wichtig ist Wir hätten dann einen directen Pyramidenstrang, einen 
directen ventro-lateralen Pyramidenstrang und einen gekreuzten Pyramidenstrang. 


[Aua der KönigL sächsischen Pflegeanstalt Colditz.] 

3. Ueber Kothbrechen während des Status epilepticus. 

Von Dr. med. H. Götie. 

Zur Ergänzung der in der Litteratur mehrfach erwähnten Fälle von Deus, 
die einem Krampf der Darmmusculatur ihre Entstehung verdanken, möchte ich 
die folgende Beobachtung in Kürze mittheilen. 

Es handelt sich um eine 51 Jahre alte Frau, die seit der Pubertät an 
Epilepsie leidet und schon 19 Jahre in Anstalten untergebracht ist Am 21. April 
1897 bot die Kranke zum ersten Male das folgende Bild: Nach vorherigem, 
völligen Wohlbefinden traten am Nachmittage mehrere heftige epileptische An¬ 
fälle auf, die später in einen Status epilepticus übergingen. Während desselben 
um 9 Uhr Abends erbrach die Kranke mehrmals äusseret fäculent riechende, 
mit braunen Kothbröckeln untermischte Massen. Von 10 Uhr an pausirten 
die Anfälle und das Erbrechen. Zum zweiten Male wiederholte sich derselbe 
Zustand am 8. September 1897. Der Status epilepticus dauerte von Nach¬ 
mittags 6 Uhr bis Abends 9 Uhr und am Ende desselben trat abermals Koth¬ 
brechen ein. Zum dritten Male wurde am 29. August 1899 während eines von 
Nachmittags 4 Uhr bis Abends 8 Uhr dauernden Status wieder vor Aufhören 
des Krampfstadiums Erbrechen kothiger Massen beobachtet. Dagegen kam et 
bei mehrmaligem Auftreten eines Status epilepticus von kürzerer Dauer und 
geringerer Intensität wie die eben erwähnten nicht zum Kothbrechen. In der 
übrigen Zeit war die Patientin vollständig frei von krankhaften Symptomen des 
gastro-intestinalen Tractus; sowohl vor wie nach den 3 Attaquen von Koth- 

1 Mott und Trkdqold, Brain. Sommer 1900. S. 248. 

* M®«. Dkjebinb, .Revue neurologique. 1900. S. 744. 

* Pübves Stbwaet, Brain. XXIV. S. 222. 




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brechen waren die Darmfunctionen ganz normale. Noch sei hervorgehjben, dass 
Koprophagie bei der Kranken nie beobachtet worden ist 

Das anfallsweise Auftreten des Kothbreohens in Zusammenhang mit dem 
Status epilepticus zwingt ans im vorliegenden Falle, da aaoh andere Ent- 
stehungsursachen nicht ausfindig za machen sind, das Kothbreohen als Symptom 
des schweren epileptischen Krampfzustandes aufzufassen. Es ist mir nicht mög¬ 
lich gewesen, in der Litteratur Fille aufgezeichnet zu finden, in denen eine 
•derartige Complicatioir der epileptischen Krämpfe erwähnt wäre. Eine entfernte 
Aehnlichkeit mit unserer Beobachtung hat höchstens die von Rosenstein 1 ver¬ 
öffentlichte Krankengeschichte eines 9 jährigen Knabens, der während eines 
Monates anfallsweise unter klonischen und tonischen Krämpfen Koth brechen 
bekam. Der Fall wird von Rosenstein zur Tetanie gerechnet; jedenfalls sind 
die beschriebenen Anfälle keine epileptisohen. 

Zur Erklärung des Zustandekommens von Kothbrechen während des Status 
epilepticus ist die Annahme die nächstliegende, dass sich die Darmmusoulatur 
in ähnlicher Weise wie die Körpermusculatur an den Krämpfen betheiligt und 
dass durch spastische Contractionen von Darmtheilen ein Dannverschluss er¬ 
zeugt wird. Diese Annahme wird bestätigt vor allem auch durch die neueren 
experimentdien Untersuchungen über Darmoontractionen während des epilep¬ 
tischen Anfalles von Dr. Ossipow 9 , durch die festgestellt wird, dass auch die 
glatte Musculatur des Darmes während des epileptischen Anfalles in heftige 
Contractionen geräth. Es ist mir deshalb für unseren Fall, bei dem die durch 
Kothbrechen complicirten Krampfzustände so ausserordentlich schwere, 3 Standen 
oder länger anhaltende sind, sehr leicht erklärlich, dass auch die Darm¬ 
oontractionen derartig intensive sind, um Ueuserscheinungen hervorznrufen. loh 
möchte daher das bei unserer Kranken mit dem Status epilepticus auftretende 
Kothbrechen als durch eine spastische Contraction von Darmtheilen entstanden 
ansehen und den Ileus als Heus spasticus bezeichnen. 


[Aus der Poliklinik des Hrn. Prof. Mendel zu Berlin.] 

4. Spinal-neuritische oder myopathische Muskelatrophie? 

Von Dr. Toby Oohn. 

(Schluss.) 

Kurz zusammengefasst, handelt es sich also um ein 15jähriges, hereditär 
vielleicht etwas belastetes Mädchen, das seit 3 Jahren über eine allmählich zu¬ 
nehmende Schwäche in den beiden unteren Extremitäten klagt. Es besteht bei 
ihr: eine Lähmung fast der gesammten Peroneusmusculatur beiderseits mit 
Equino-Varuscontractur der Füsse, eine Schwäche der Beckenmuskeln (besonders 

1 Berliner klin. Wochensohr. 1882. 

* Deutsche Zeitsohr. f. Nerrenheilk. XV. 


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des Glutaeus medius) ebenfalls beiderseits, Pseudohypertrophie der Waden, Er¬ 
loschensein bezw. Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in den gelähmten 
Peroneusmuskeln, partielle Entartungsreaotion in beiden Extensores halluc. 
long.; dabei sind die Sehnenreflexe intact, ebenso die Sensibilität (bis auf ziehende 
Schmerzen, die im Beginn des Leidens bestanden). Auoh am Gesicht, am Rumpf 
und an den oberen Extremitäten ist der Befund den normale. Nur ist das 
Gesicht leicht gedunsen, die Mimik ist gering. Nebenbei leidet die Patientin 
seit l 1 /, Jahren an „Ohnmachtsanfällen“, über deren Wesen nichts Näheres zu 
bestimmen ist, die aber wahrscheinlich nicht epileptischer Natur sind. 

Heber die Diagnose wird insoweit kein Zweifel sein, als es sich wohl mit 
Sicherheit um eine progressive Muskelatrophie handelt. Nur über die Gruppe 
der unter diesem Sammelnamen zusammengefassten Krankheitsbilder, der man 
diesen Fall einreihen könnte, oder mit anderen Worten über Art und Ort der 
vermuthlichen anatomischen Läsion, die dem Leiden zu Grunde liegt, wird es 
nicht leicht sein, hier Klarheit zu erlangen. 

Die Hauptechwierigkeit besteht darin, dass sich die vorhandenen Symptome 
und der bisherige Verlauf mit keiner der bekannten Formen progressiver Atro¬ 
phie völlig decken. Die grösste Aehnlichkeit haben sie theils mit dem sogen. 
Peronealtypus (der neurotischen oder besser — nach Bernbabbt (2) — 
8pinal-neuriti8chen Form Chabcot-Mabib-Hoffmann), theils mit der Dystro¬ 
phia muscularis progressiva. 

Der erste Eindruck bei Betrachtung der Gangart der Patientin, sowie bei 
Prüfung der Beweglichkeit ist entschieden der, dass man es mit einem Falle 
des HoFFiiANN’schen Typus zu thun hat, umsomehr als auch der Beginn des 
Leidens an den kleinen Fussmuskeln sowie das Alter der Patientin mit den 
typischen Fällen dieser Art übereinstimmt Das Vorhandensein von partieller 
Entartungsreaotion und von subjectiven Störungen auf sensiblem Gebiete (ziehenden 
Schmerzen) würde diese Diagnose unterstützen. 

Gegen diese Annahme könnte das Fehlen der Heredität nicht verwerthet 
werden, da auch in anderen Beobachtungen neurotischer Atrophie (L1hb[3], 
Saoki [4] u. A.) keine hereditäre Belastung nachgewiesen werden konnte. Ueber- 
dies würde ja bei der anderen in Betracht kommenden Krankheitsform, der 
myopathischen, die Erblichkeit, wenn sie auch nicht unbedingtes Erforderniss 
ist, ebenfalls vermisst werden. Ebenso wenig müssen objectiv-sensible Alterationen 
(Hypästhesieen oder dergL) beim neurotischen Typus immer angetroffen werden, 
wie die Fälle von Bebnhabdt (2), Dübbeuilh (5) u. A. beweisen. 

Aber zwei Dinge sind es, die diesen Fall, wenn wir ihn für einen spinal- 
neuritischen ansehen, als gänzlich atypischen stempeln: das ist 1. das frühzeitige 
Vorhandensein von Paresen in den Beckenmuskeln (Glutaeus medius) und 2. das 
Bestehen von Wadenhjpertrophie. Ich habe keinen als neurotisch angesprochenen 
Atrophiefall in der Litteratur gefunden, bei dem die Beckenmuskeln gleich nach 
der Peroneusgruppe erkrankten. Nach Sainton(6) schliesst sogar eine solche 
Reihenfolge im Befallenwerden der Muskeln die Diagnose „neurotische Atrophie“ 
gänzlich aus. — Pseudohypertrophie bezw. übermässige Fettentwickelung ist 


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allerdings bei nicht myopathischen Formen schon einige Mal kurz erwähnt 
worden (Eülehbübg [7], Dahnhardt [8], van Roon [9]), aber das spinal- 
nenritische Krankheitsbild geht nach dem allgemeinen Urtheil der Antoren 
nicht mit dieser Veränderung einher. 

Die Diagnose „neurotische Atrophie“ wäre also gezwungen und der Fall 
durchaus atypisch. Mit der anderen Diagnose aber geht es nicht anders. 
Nehmen wir einen myogenen Ursprung an, so stösst die Erklärung der Waden¬ 
hypertrophie, mag man sie als echte oder als Psendohypertrophie 1 auffassen, auf 
keine Schwierigkeiten, ebenso wenig die frühe Betheiligung der Beckenmuskeln, 
auch das Erhaltensein der Sensibilität ist bei diesen Zuständen das gewöhnliche, 
und das Alter der Patientin dasjenige, bei dem diese Formen am häufigsten sich 
finden. — Vielleicht könnte man sogar den etwas „hypomimischen“ (sit venia 
verbo!) Gesichtsausdruck mit den hängenden Oberlidern und dem gedunsenen 
Aussehen als Andeutung einer „facies myopathica“ auffassen. Aus der Intact- 
heit der Quadricipites erklärte sich zwanglos das Vorhandensein der Knie¬ 
reflexe. 

Aber hier sind wieder zwei Fragezeichen zu setzen: 1. das Auftreten von 
Entartungsreaction und 2. der Beginn der Lähmung in der Peroneusgruppe. 

Für jedes der beiden Symptome liegen in der Dystrophielitteratur Analoga 
vor, für beide zusammen meines Wissens nicht. Entartungsreaction bei sonst 
als myogen imponirenden Fällen von Muskelatrophie fanden Eisenlohe (10), 
Erb (11), van Roon (9), Kürt Mendel (14a), Oppenheim-Cassirer( 12); citirt 
finde ich noch die Fälle von Schenk, Güinon, Wiersma, Oppenheimer, 
Zimmrrlin, Hoppe, die ich im Original nicht einsehen konnte. Es ist also 
schon eine so stattliche Anzahl von Fällen da, dass die wiederholt schon auf¬ 
geworfene Frage, ob die Entartungsreaction wirklich die localdiagnostische Be¬ 
deutung für „Erkrankung der peripherischen Neurone“ beanspruchen kann, die 
ihr vindicirt wird, recht brennend und actuell geworden ist, und dass man 
angesichts der vorliegenden Thatsachen sie entweder verneinen müsste oder sich 
der Ansicht derjenigen anschliessen, die — Erb an der Spitze — immer mehr 
dahin neigen, an dem thatsächlich myogenen Ursprung der bisher so auf¬ 
gefassten Fälle starke Zweifel zu hegen. Eine dritte Deutung lassen die genannten 
Beobachtungen kaum zu. 

Selten sind die Fälle dystrophischer Form, bei denen die Peroneusmuskeln 
die erstbefallenen waren. Hopfmann (13) selbst hat zwei solche Beobachtungen 
veröffentlicht; ferner haben Brossard (14), Schlesinger (15), Hahn (16) (in 


1 Was von beiden es ist, ist in unserem Falle nicht genau zn entscheiden. Die relative 
Güte der groben Kraft lässt eher an wahre Hypertrophie denken, das schwammige Aus¬ 
sehen und Gefühl an Pseudohypertrophie. Der elektrische Befand giebt keinen Aus¬ 
schlag. Die Thatsache, dass stärkere Ströme als in der Norm nöthig sind, um die Muscu- 
latur zur Zuckung zu bringen, könnte sowohl auf herabgesetzte Erregbarkeit pseudohyper- 
trophischer Muskeln zurückgeführt werden, als auf eine (bei der fetten Patientin leicht 
erklärliche) starke Entwickelung subcutanen Fettpolsters, welches einen Theil der peroutan 
eingeführten Stromscbleifen auflangt und nur einen Bruchtheil bis zum Muskel dorchläsut. 


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Schlesinokb’8 # Fall) und Stbozewski(17) derartigen Beginn gesehen; auch 
Bbeomann’s (18) Fall VI gehört wahrscheinlich hierher. — Entartnngsreaotkm 
und peronealen Beginn zusammen soheinen nur Oppenheim und Cassibeb (12) 
in ihrem sehr lehrreichen, aber im übrigen von dem meinigen erheblioh ab¬ 
weichenden Falle beobachtet zu haben. 

Es würde also im Allgemeinen — wenigstens in diesem Stadium der Krank¬ 
heit — bei meiner Patientin nicht möglich sein, sich für die eine oder die 
andere Diagnose zu entscheiden. Der Fall bleibt atypisch bei jeder Annahme. 
Er zeigt aber wieder deutlich, ebenso wie die in der Litteratur beschriebenen 
Grenzfülle (ausser den genannten die von Linsmateb (19), Bbegmann’s (18) 
Fall YI, Joffboy-Aohabd (20), Stbozewski(17) u. A.), dass auch das Krank¬ 
heitsbild der neurotischen Atrophie nicht immer ein so gänzlich scharf begrenztes 
und in vivo immer sicher zu diagnosticirendes ist, wie man das nach Hoff- 
mann’s neuerlichen Ausführungen glauben möchte, sondern dass offenbar auch 
von dieser Form, wie von allen übrigen, Uebergänge zu Nachbartypen existiren. 


Litteratur. 

1. A. Cbameb. Die pathologische Anatomie der progressiven Muskelatrophie. Centralbl. 
f. allgem. Patholog. u. patholog. Anatomie. 1895. VI. — 2. Bbbnhahdt, Virchow’e Archiv. 
CXXXI1I. — 8. Lähb, Drei verschiedene Formen von progressiver Muskelatrophie, Charite- 
Annalen. 1892. S. 730. — i. Sacki, Zur Casuistik der progressiven neurotischen Muskel¬ 
atrophie. Berliner kliu. Wochenschr. 1893. S. 722. — 5. Dubbboilh, fitudes sur quelques 
cas d’atropbie musculaire etc. Eevue möd. 1890. X. S. 441. (Cit. bei Oppbnheim-Cassibeb.) 

— 6. Saintox, L’amyotrophie type Chabcot-Mabib. Thöse de Paris. 1899. (Bef.: Jahres¬ 
bericht f. Neur. 1899. S. 712.) — 7. Eülbnbubq, Neurolog. Centralbl. 1889. Nr. 7. — 
8. Dähnhabdt, Bemerkungen mr Lehre von der Muskelatrophie. Neurolog. Centralbl. 1890.- 

— 9. van Book, Bef. im Neurolog. Centralbl 1890. S. 28. — 10. Eibbnlohb, Ueber pro¬ 
gressive Muskelatrophie. Neurolog. Centralbl. 1889. S. 564. — 11. Ebb, Dystrophia 
musc. progr. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1891. S. 254. — 12. Oppenheim und 
Cassibeb, Zur Lehre von der sogen, progressiven neurotischen Muskelatrophie. Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. X. S. 148. — 13. J. Hoffmann, Klinischer Beitrag zur Lehre von 
der Dystrophia muscul. progress. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XII. 8. 418. — 
14. Bbossabd, fitude clinique sur uue forme härdditaire d'atrophie musc. progr. Thfese de 
Paris. 1886. (Citirt bei Hoffmann.) — 14a. Kubt Mendel, Casuistischer Beitrag zur 
Lehre von der Dystrophia musc. progr. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 18. — 15. Schls- 
bingbb, Wiener raed. Club. 1899. 25. October; ref. im Neurolog. Centralbl. 1899. — 
16. Hahn, Ueber das Auftreten von Contracturen bei Dystrophia musc. progr. Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 8. 137. — 17. Stbozbwski, Bemerkungen über den progres¬ 
siven Muskelschwund. Gazeta lekarska. 1898. Nr. 8; ref. in Jahresber. f. Neurol. 1898. 
8.739. — 18. Bbbomann, Ein casuistischer Beitrag zur progressiven Muskelatrophie. Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. XIV. 8. 254. — 19. Linsmateb, Ein Fall von Dystrophia musc. 
progr. juvenil. Wiener klin. Wochenschr. 1894. — 20. Joffboy et Achabd, Myopathie 
primitive döbutant a Page de 55 ans etc. Aroh. de m£d. exp4r. 1889. I. 8. 575. 


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n. Referate. 


Anatomie. 

1) Ueber den Hämatoxylinohromlack als Mittel rar Färbung des Axen- 

oylindere, von Dr. J. Faiereztain. (Lemberg, 1901.) 

Während bei der Einwirkung von Chromsäurelösungen auf nervöses Gewebe, 
Welches in Formol fixirt nnd längere Zeit mit Alkohol, Aether (und Celluidin) 
dnrchtränkt war, das Hämatoxylin eine Färbang der Markscheiden hervorruft, 
werden bei Vermeidnng der Alkohol* nnd Aetherwirknng ganz andere Ergebnisse 
erzielt. Es findet alsdann in der Regel die Bildung eines festhaftenden Chrom* 
lackes nicht in den Markscheiden, sondern in den Axencylindern statt, nnd das 
Hämatoxylin kann dementsprechend zur Tinction der Axencylinder benutzt werden. 
Die vom Verf. angegebene Methode setzt sich aus folgenden Maassnahmen zusammen: 

I. Härtung in einer 6—lO°/ 0 Lösung von Formaldehyd (das käufliche Formol 
wird 4—8 Mal mit destillirtem Wasser verd&nnt). Härtungsdauer für kleinere 
Stöcke wenigstens 48 Stunden; für grössere etwa eine Woche. Mehrmonatliohes 
Härten schadet nicht. 

II. Schneiden auf dem Gefriermikrotome. Die Schnitte werden in destillirtes 
Wasser aufgefangen und mehrmals gewaschen. 

III. Beuten der Schnitte in einer 0,25—0,5 °/ 0 Chromsäurelösung 5—24 Stunden 
lang; über 24 Stunden dauerndes Beizen ist eher schädlich. 

IV. Sorgfältiges Abspülen der Chromsäure in destillirtem Wasser. Unter 
mehrmaligem Wechseln des Wassers ist das Waschen in etwa 10 Minuten be¬ 
endigt ; über eine Stunde sollen die Schnitte nie gewässert werden. In gewissen 
Fällen (8. u.) ist es vorteilhaft mit warmem (60—60°) Wasser zu spülen. 

V. Färben in gewöhnlicher l°/ 0 (nach Weigert, aber ohne Zusatz von 
Lithium carbonicum) oder saurer (nach Kultschitzky) Hämatoxylinlösung 1 / > 
bis 24 Stunden lang bei Zimmertemperatur, eventuell 1—2 Minuten in erhitzter 
(bis Dampfbildung) Farblösung. 

VL Differenziren nach der Pal’schen Vorschrift mit denselben Cautelen, 
welche bei der Markscheidenfärbung zu beobachten sind. Es ist zu bemerken, 
dass Querschnitte der Axencylinder sich leichter entfärben, als Längsschnitte. 

VII. Weiterbehandlung in der übliohen Weise. In Harz eingeschlossene 
Präparate blassen erst nach mehreren Monaten ein wenig ab. 

Die Methode soll in der Regel eine tadellose elective Färbung der Axen¬ 
cylinder ergeben; mitunter färben sich aber auch dickere Neurogliazüge und zu¬ 
weilen auch ein Theil der Markscheiden, besonders in der weissen Substanz und 
in den hinteren Wurzeln. Diese Mängel konnten bisher nicht beseitigt werden. 
Ferner ist die Methode nicht für alle Theile des Nervensystems mit gleichem 
Erfolge verwendbar; in der Grosshirn- und Kleinhirnrinde werden nicht alle Axen¬ 
cylinder zur Darstellung gebracht; die besten Resulte erzielte der Verf. an der 
Medulla oblongata, am Rückenmark und an den peripherischen Nerven. 

Max BieUchowsky (Berlin). 

Experimentelle Physiologie. 

2) Quelques nouvelles oontributiona A l’Atude des looaUsatione mddullaires, 

par Dr. C. Parhon et M. Goldstein. (Journal de Neurologie. 1901.) 

Die Verff. haben nach der Nissl’schen Methode das Cervicalmark eines 
Kranken untersucht, welohem eine krebsige Neubildung die Brustmuskeln ergriffen 


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hatte, und welchem die erkrankten Muskeln exstirpirt worden waren. Der Tumor 
war später recidivirt und hatte die ganze Axillarregion in Mitleidenschaft gezogen. 
Der Fall wird als gleichwerthig mit einer Durchschneidung der Fasern des Plexus 
brachialis betrachtet, was aber deshalb nicht einwandsfrei ist, weil man nichts 
darüber erfährt, ob die Zerstörung der Plexusfasern wirklich eine vollkommene 
war oder nicht. Unter den zahlreichen Schlüssen, welche die Verff. aus ihren 
Befunden ziehen, seien folgende hervorgehoben: 

I. Die Zellveränderungen beginnen in der oberen Partie des 4. Cervical- 
segmentes, und es sei anzunehmen, dass in dieser Höhe die proximalsten Fasern 
des Plexus brachialis entspringen; sie erreichen ihr Ende in der untersten Partie 
des 1. Dorsalsegmentes. 

II. Die vordere mediale Gruppe multipolarer Ganglienzellen bleibe intact, 
woraus hervorgehe, dass sie an der Bildung des Plexus brachialis keinen Antheil 
habe; sie müsse mit den Muskeln der Wirbelsäule in Beziehung stehen. 

III. Die Ursprungszellen des Phrenicus liegen proximalwärts vom 4. Segment, 
weil in diesem Niveau und caudalwärts davon keine intacte Zellgruppe mehr vor¬ 
handen war; von Seiten des Phrenicus waren aber krankhafte Veränderungen an 
der Peripherie nicht vorhanden. 

Die Schlüsse, welche die Verff. für die Localisation der Brust- und Arm¬ 
muskeln ziehen, basiren weniger auf den Befunden des vorliegenden Falles als 
auf vergleichenden pathologisch-anatomischen Erwägungen mit den Ergebnissen 
anderer eigener Untersuchungen und derjenigen fremder Autoren in ähnlichen 
Füllen. Dieselben sind deswegen von beschränktem Werthe. Der Referent weist 
noch darauf hin, dass die Resultate derartiger Untersuchungen an Krebskranken 
auch deshalb von fraglicher Art sind, weil die Kachexie als solche häufig Zell¬ 
veränderungen herbeiftihrt, welche sich in nichts von demjenigen der secundären 
Degeneration unterscheiden. 

Einen grossen Raum ihrer Arbeit widmen die Verff. der Vergleichung ihrer 
Resultate mit denjenigen anderer Autoren, und sie erörtern schliesslich eingehend 
die Frage, ob eine scharf begrenzte Localisation der einzelnen Muskeln in den 
Vorderhorngruppen des Rückenmarks vorhanden ist oder nicht. Sie verfechten 
hier mit Entschiedenheit den Standpunkt, dass bestimmte Zellgruppen die Inner¬ 
vation bestimmter einzelner Muskeln besorgen. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


8) Zur Frage der Funotion der Pyramiden beim Mensohen , von Dr. 

A. Pilcz. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 60.) 

Da die Anschauung, dass die Pyramidenbahn der einzige Leitungsweg für 
die willkürlichen motorischen Impulse sei, für das Thier als unrichtig erwiesen 
ist, suchte Verf. in der Litteratur nach Fällen menschlicher Pathologie, welche 
die Rolle der Pyramidenbahn aufhellen könnten. Er theilt eine Anzahl von 
Fällen mit und beleuchtet sie epikritisch, ohne aber einen Fall gefunden zu haben, 
der obige Anschauung zu beweisen oder zu widerlegen im Stande wäre. 

J. Sorgo (Wien). 

4) Ueber die funotionelle Bedeutung der Pyramidenbahn, von M. Roth- 
mann. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 21.) 

Die wichtige Frage, ob eine der Pyramidenbahn allein zukommende Function 
anerkannt werden muss, die schon seit Jahren die Gehirnphysiologen experimentell 
zu ergründen suchten, hat Verf. durch wiederholt vorgenommene Versuche an 
Hunden und neuerdings an Affen zu einem gewissen Abschluss gebracht. Das 
Resultat war die Erkenntniss, dass eine der Pyramidenbahn allein zukommende 


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Function mit Sicherheit nicht bekannt ist, dass vielmehr für die motorische 
Function eine Reihe anderer, in mehrere Neuronencomplexe zerfallende Grosshim- 
Thalamus-Vierhügel-Rtickenmarksbahnen mit in Betracht kommen. Vor allem ist 
«s die als Monakow'sches Bündel bezeichnete Bahn, welche aus dem rothen 
Kern im Gebiet des vorderen Vierhügels entspringt, sich gleich nach ihrem Ur¬ 
sprung in der Forel’schen ventralen Haubenkreuzung kreuzt und nun in den 
Seitentheilen von Pons und Medulla oblongata nach abwärts zieht, um im Rücken¬ 
mark im Hinterseitenstrang zu verlaufen. Da der rothe Kern im Gebiete des 
vorderen Vierhügels wiederum durch reichliche Fasermassen mit dem Thalamus 
opticus und letzterer mit der Hirnrinde verbunden ist, so besteht hier eine aus 
drei Neuronen sich zusammensetzende Bahn, die als Ersatz der Pyramiden in 
Frage kommt. Dann besteht eine Vierhügelvorderstrangbahn, die gleichfalls aus 
dem vorderen Vierhügel entspringt, in der Meynert’schen Haubenkreuzung zur 
anderen Seite zieht, im hinteren Längsbündel oder dicht vor demselben nach ab¬ 
wärts geht und längs des Sulcus anterior den Vorderstrang des Rückenmarks 
«innimmt. Zu diesen Bahnen treten dann nooh Zuzüge aus dem Pons, dem 
Kleinhirn, dem Deiters’schen Kern, so dass eine Fülle von Faserbahnen besteht, 
die Mittel- und Nachhirn direct mit dem Rückenmark verbinden und demselben 
bei Zerstörung und Degeneration der Pyramidenbahn centrale Reize übermitteln. 

Die Ausschaltung der Pyramidenbahn wird am häufigsten und sichersten 
beim Menschen bei der Hemiplegie in Folge einer Zerstörung der inneren Kapsel 
beobachtet. Hier handelt es sich nicht nur um eine reine Zerstörung der Pyra¬ 
midenbahn, sondern zugleich auch um den Ausfall der Mehrzahl der Fasern, welche 
von der Extremitätenregion der GrosBhirnrinde zu den grossen Ganglien herunter¬ 
ziehen. Arbeiten von Wer nicke und Mann haben ergeben, dass bei der typischen 
Hemiplegie die Extremitäten nicht in ihrer Gesammtheit paralytisch sind, sondern 
dass nur bestimmte Muskelgruppen dauernd gelähmt bleiben. Diese Beobachtungen 
zeigen, dass thatsächlioh nur ein Theil der Extremitätenfunctionen vom Grosshirn 
abhängig ist, der Rest auch von tieferen Centren aus regulirt werden kann. Der 
Pyramidenbahn jedooh die ihr zukommende Bedeutung völlig abzusprechen, be¬ 
zeichnet Verf. als verfehlt. Bielschowsky (Breslau). 

6) Atrofle oerebrali sperimentali, del Giuseppe D’Abundo. (Volume in 
omaggio al Prof. S. Tomaselli. Catania 1902, Mattei.) 

Dem experimentellen Theil gehen drei klinische Beobachtungen voraus von 
im extra-uterinen Leben in Folge toxisch-infectiöser Processe erworbener Gehirn¬ 
atrophien. Besonders bemerkenswerth waren in zwei Fällen die compensatorischen 
Hypertrophieen in der gesunden Hemisphäre. 

Ausgehend von der durch klinische Beobachtung gewonnenen Voraussetzung, 
dass durch den Krankheitsprocess bestimmte Theile der Hemisphären ihrer Function 
entzogen werden oder bei jungen Individuen in ihrer Entwickelung gehemmt 
werden, entfernte der Verf. neugeborenen Hunden und Katzen grössere oder ge¬ 
ringere Theile der Hirnrinde und in einer weiteren Versuchsreihe verband er 
diese Operation mit Entfernungen von Theilen des Schädeldaohes, um auch den 
Einfluss des intracraniellen Druckes beobachten zu können. 

Die erhaltenen Resultate, die durch eine Serie gelungener Photograph ieen 
illustrirt werden, sind folgende: Die Vermehrung eines ausgedehnteren Rinden¬ 
stückes bedingt eine allgemeine Entwickelungshemmung auch der nicht verletzten 
Hemisphärenhälfte. Diese Thatsache entspricht der klinischen Beobachtung, dass 
einseitige Gehirnatrophie zu weitgehenden intellectuellen Defecten führt. Auch 
das Kleinhirn zeigt eine gekreuzte Atrophie. — Deutliche Bilder von Hemi- 
atrophieen konnten auch durch blosse Entfernung der Dura und des 


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Schädeldaches gewonnen werden ohne alle Zeichen von Steigerung des intra- 
craniellen Druckes. 

Die Gehirnwindungen ordnen sich um den Defect radienförmig an. Betraf 
dieser hauptsächlich die motorische Zone, so findet man bei der Seotion eine 
Hypertrophie der gleichnamigen Theile der gesunden Seite, die Association** 
zonen und jene Rindentheile, die nur einseitig vertreten sind, erfahren keine 
Compensation im Einklang mit dem klinischen Befund. 

Schliesslich gelang noch der Nachweis, dass Thiere, die kleine Rindendefecte 
erlitten hatten, nach massigem Alkoholgenuss epileptisohen Anfällen ausgesetzt 
waren, eine Erfahrung, die vielleicht einen Ausblick auf eine mögliche Pathogenese 
der Epilepsie gestattet: die Entwickelungshemmung oder die Ausschaltung kleiner 
Rindenbezirke durch krankhafte Prooesse könnte einen Locus minoris resistentiae 
schaffen, der bestimmte toxische Reize mit Krämpfen beantwortet. 

L. Merzbacher (Straesburg i/E.). 


Pathologische Anatomie. 

6) Degeneration* following a trauxnatlo lesion of the spinal oord; with 
an aooount of a traot in the monal region, by Purves Stewart (Brain. 
1901. II.) 

Verf. hat in einem Falle von ziemlich totaler Zerstörung des Rückenmarks 
in der oberen Hälfte des 7. Cervicalsegments die auf- und absteigenden Dege¬ 
nerationen genau verfolgt Die Seitenstrangpyramiden lassen sich bis ins unterste 
Coccygealmark nachweisen; sie liegen weiter unten an der Peripherie des Markes 
und von den Hinterhörnern ab; die Vorderstrangspyramiden kann man als ein 
bestimmtes Bündel bis zum 4. Sacralsegmente verfolgen; dann werden sie diffus 
zerstreut über den Vorderseitenstrang. Der absteigende Tractus sulcomarginalis 
findet sich nach abwärts ebenfalls bis ins 4. Sacralsegment; darunter zerstreuen 
auch seine Fasern sich diffus über die Vorderseitenstränge. Die dicht an der vorderen 
Commissur liegenden Fasern dieser Bahn lassen sich weiter nach unten veifblgen 
als die nach aussen gelegenen. In der vorderen Commissur finden sich degenerirte 
Fasern dreier Segmente unterhalb der Läsion. Die Schultze’schen Commabahnen 
zeigen sich degenerirt bis zum 9. Brustsegmente; von da finden sich Degenerationen 
im Septomarginaltract vom 10. Dorsal- bis 2. Lumbalsegment; im ovalen Felde 
von da bis zur 2. Lumbalwurzel und im medialen Dreieck von da bis zum 
untersten Ende des Rückenmarks; alle diese absteigend degenerirenden Felder 
des Rückenmarks gehören also zusammen und bilden eine continuirliche Bahn. 
Die aufsteigende Degeneration in den Hintersträngen zeigte nichts neues gegen¬ 
über dem bisher bekannten, nur endigt sie nicht vollständig in den Hinterstrangs- 
kernen, sondern es finden sich degenerirte Fasern auch noch in den Fibrae 
arcuatae externae post, und internae. Die Degeneration der Kleinhirnseitenstrang¬ 
bahn war genau die bisher beschriebene. Die Gowers’sche Bahn verläuft durch 
die laterale Schleife und das Velum medulläre anticum, wo sie sich mit der der 
anderen Seite kreuzt zu den hinteren Vierhügeln. Weiter liess sie sich bei dem 
vorhandenen Material — das Kleinhirn fehlte — im vorliegenden Falle nicht 
verfolgen. Auch in den Pyramidenbahnen fanden sich nach aufwärts von der 
Verletzung degenerirte Fasern. Eine ganz neue Bahn fand Verf. ventral aussen 
von den gekreuzten Pyramiden unterhalb der Verletzung, aber nur bis ins 8. Cervical- 
segment. In der Form ähnelt sie Helweg's und Bechterew’s centraler Hauben¬ 
bahn; aber sie ist anders gelegen. Vielleicht ist es ein abirrendes Pyramiden¬ 
bündel. Bruns. 


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545 


7) Zar pathologischen Anatomie der posttraumatisohen Erkrankungen des 
Bflok e n s aa rk s , von Hans Lohrisch. (Inaug.-Dissert. Leipzig, 1901.) 

Im Gegensatz zu den directen traumatischen Rüokenmarkserkrankungen ver¬ 
steht man unter den posttraumatisohen solche, in denen sich unmittelbar im An¬ 
schluss an das Trauma keine oder nur geringe Erscheinungen von Seiten des 
Rückenmarks zeigen und erst nach einer kürzeren oder längeren Zeit schwere 
Erscheinungen Auftreten. Derartige Fälle sind in der Litteratur zahlreich bekannt 
und werden von den meisten Autoren als Folgen einer „Rückenmarksersohütterung“ 
angesehen. Viel weniger zahlreich als die klinischen Berichte über Fälle der 
genannten Art sind Sectionsberichte derselben. 

Verf. bringt folgenden eigenen Fall mit Sectionsbericht und mit sehr sorgsam 
ausgeführter mikroskopischer Untersuchung: 

&8jähriger Hann fiel aus geringer Höhe heftig auf den Rücken und klagte 
14 Tage lang über lebhafte Schmerzen, die ihn an Bewegungen der Glieder 
hinderten. Dieser Zustand ging vorüber, und der Verletzte war anscheinend ge¬ 
sund. Nachdem der Pat. so anscheinend wieder 14 Tage lang völlig hergestellt 
war, trat am 29. Tage nach dem Trauma ein erneutes Kranksein auf: es ent¬ 
wickelte sich schnell völlige motorische und sensible Lähmung beider Beine mit 
B1 asenlähmung. Die Khiesehnenreflexe fehlten. (Leider ist die Krankengeschichte 
sehr kurz und wenig ergiebig). Der Pat. starb 8 Wochen nach dem Unfall Bei 
der Section fand man einen weissen Erweichungsherd in der Höhe des 3. Dorsal¬ 
nerven von 0,6 cm Höhe. 

Die mikroskopischen Präparate zeigten, dass in erster Linie die weisse, und 
erst in zweiter Linie die graue Substanz befallen war; Quellung von Axency lindern 
und Markscheiden, fettiger Zerfall, Fettkörnohenkugeln und Corpora amylacea. 
Deutliche Erkrankung der vorderen und hinteren Wurzeln. Ganglienzellen und 
Neuroglia sind nur sehr wenig verändert Bemerkenswerth ist, dass auch ausser¬ 
halb des genannten Herdes einzelne Nervenfasern degenerirt waren, und zwar 
unregelmässig über den ganzen Querschnitt Auch zeigten manche Vorderhorn¬ 
zellen ausserhalb des Herdes Degenerationsersoheinungen. Dasselbe ist von einer 
Reihe vorderer und hinterer Wurzeln zu sagen. Keine älteren Blutungen und 
nur vereinzelte mikroskopische frische Blutungen. GefässvMinderungen fehlten. 
Auf- und absteigende Degeneration in gewohnter Weise. 

Bei der Erklärung des traumatisch entstandenen Befundes neigt Verf. der 
Sohmaus’schen Auffassung zu. Diese Auffassung ist im Wesentlichen durch die 
Annahme einer prim feen traumatischen Nekrose, durch Erschütterung des Markes 
gekennzeichnet und steht im Gegensatz zu der Ko eher'sehen Ansicht, nach 
welcher stets palpable Markveränderungen, dureh Wirbeldistorsion u. s. w. ent¬ 
standen, vorhanden seien. Paul Schuster (Berlin). 


8) Ueber Veränderungen des Rückenmarks bei Diphtherie, von S. Utchida 
aus Japan. (Archiv f. PSych. XXXV.) 

Verl untersuchte 12 Fälle von Diphtherie ohne nennenswerthe Lähmungs- 
erscheinungen, einen Fall, in dem ausgedehnte poetdiphtherische Lähmungen be¬ 
standen hatten, und als Vergleichsotyect 6 Fälle ohne Diphtherie. Berücksichtigt 
wurde Rückenmark, Medulla oblongata und bei dem Fall von postdiphtherischer 
Lähmung ausserdem der N. vagus, phrenicus und der Plexus iliacus. Angewandt 
wurde die Marchi’sche Methode. 

In keinem Falle fanden sich Hämorrhagieen, Thrombosen, Rundzellen¬ 
anhäufungen, Exsudate, diphtherisohe Infiltrate, meningitische Veränderungen, 
Gliawucherung, Degeneration der grauen Substanz oder Veränderungen der vorderen 
Wurzeln oder motorischen Zellen, wie solche andere Autoren beschrieben haben 

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546 


Die Ganglienzellen im diphtherischen Bückenmark wurden zumeist mit tief* 
schwarzen feinen Fettpünktohen erfüllt gefunden, andere Zellen sind fettfrei mit 
deutlichem Kern und Kernkörperchen. In 3 Fällen zeigten sich hingegen 
sämmtliohe Ganglienzellen als fettfrei, in 2 Fällen beschränkte sich der Fett¬ 
gehalt auf sehr geringe Spuren von Fettpünktchen. Die Fortsätze der Zellen sind 
gut erhalten. 

Gönau ebenso wie die Ganglienzellen des diphtherischen Rücken¬ 
marks verhalten sich die des normalen Rückenmarks in Marchi- 
präparaten. Die Reichlichkeit des Fettgehalts in den Zellen ist vom Alter ab¬ 
hängig (hei Kindern über 4 Jahren viel Fett). 

An Querschnitten der Nervenfasern des diphtherischen Rückenmarks fand 
Verf. in allen Strängen zerstreut schwarze siohel-, halbmond-, ring- oder kugel¬ 
förmige Gebilde um die Markscheiden oder in dieselben eingelagert und auch viele 
kleine schwarze Kügelohen anscheinend zwischen die einzelnen Faserquerschnitte 
eingesprengt. Es sind diese Gebilde nach Verf.’s Ansicht Einlagerungen in die 
Kittsubstanz, sie sind gleichfalls in der grauen Substanz und in den peripherischen 
Faserbündeln sichtbar. 

Genau dieselben Bilder auch hier wiederum bei normalem, nicht diphtherischem 
Rückenmarke! 

Demnaoh ist weder das Fett in den Ganglienzellen, noch die 
Fettablagerung in den Nervenfasern in Form von Sicheln, Halb¬ 
monden u. s. w. in den Marohi-Präparaten pathognostisch für ein 
diphtherisches Rückenmark; beides kommt in gleicher Weise bei 
jedem normalen Rüokenmark vor. Kurt MendeL 


Pathologie des Nervensystems. 

O) Beitrag zur Histologie und Pathogenese der amyotrophisohen Lateral- 
Sklerose, von Dr. Ernst v. Czyhlarz und Dr. Otto Marburg. (Zeitschr. 
f. klin. Med. XLIH. S. 59.) 

Ee handelt sich um eine 62jähr. Frau, welohe ziemlich plötzlich, als sie 
eines Morgens erwachte, eine Sprachhinderung bekam und die Finger der rechten 
Hand nicht ausstreoken konnte. Lähmungserscheinungen bot sie damals weiter 
nicht. Allmählioh trat eine stetig zunehmende Abmagerung der rechten Hand 
auf, welohe nach und nach den ganzen Körper ergriff, in Folge dessen die Kraft 
sich sehr verringerte. Aus dem Status ist Folgendes zu erwähnen: Starke Kypho¬ 
skoliose der Wirbelsäule im Dorsaltheil (schon seit früher Kindheit bestehend). 
Pupillen ziemlich eng, reagiren auf Licht träge; Kopfbewegungen erfolgen langsam; 
Atrophie im M. cucullaris, Zunge leicht nach rechts deviirt, Anzeichen von Atrophie 
derselben, schwerfällige Bewegung derselben. Die Silben werden monoton heraus- 
gestossen, die einzelnen Laute sind dabei verstümmelt. Patientin zeigt im all¬ 
gemeinen eine starke Magerkeit Eine deutliche Atrophie zeigen der M. deltoi- 
deus supra-, infraspinatus, ferner die ganze Ober-, Vorderarm- und Handmusculatur; 
rechts ist die Atrophie stärker als links. Am Stamm und an den unteren 
Extremitäten zeigt sich keine besondere Abnahme der Musculatur. Die Finger 
sind in den Interphalangealgelenken gebeugt, eine Streckung derselben ist activ 
und passiv unmöglich. Bewegungen im Schulter- und Armgelenk frei, wenn auch 
etwas schwenällig. Die Reflexe sind an den oberen Extremitäten an Intensität 
verringert; an den unteren Extremitäten sind die Patellarsehnenrefiexe sehr lebhaft, 
ebenso die Achillessehnenreflexe. Clonus fehlt. Die klinische Diagnose wurde auf 
amyotrophisoheLateralsklerose gestellt. Die histologisohe Untersuchung ergab 
Folgendes: An der Rinde der vorderen Centralwindungen ergab sich bei der Färbung 


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nach Mar ohi ein soholliger Zerfall eines beträchtlichen Theiles der Radiärfasern. 
Die Pyramidenbahn zeigt nach Marchi beträchtliche Degeneration. Der Hypoglosaus* 
kern zeigt besonders im mittleren Theil beträchtlichen Zell- und Faseraasfall; in 
geringer Weise lässt sioh dies anch an den Vaguskernen nachweisen. Das Rücken¬ 
mark ist am stärksten befallen. Verminderung der Vorderhornzellen, Verkleinerung 
des Zellleibes, rundliche Form desselben, kernlos; nach Nissl’scher Färbung zeigen 
sie sich als ein gelber Fleck, nach Marchi’scher als ein schwarzer Klumpen. 
Die sog. Mittelzellen zeigen ein kleineres Volumen. Stärkere Pigmentirung der 
Zellen der Clarke’schen Säule. Rechts ist der Process stärker als links. Die 
weisse Substanz zeigt nach Weigert Aufhellung mäsaigen Grades im Pyramiden¬ 
seitenstrang und im Septum longit. des Hinterstranges (letzteres nur im Cervical- 
und obersten Dorsalmark); die Faserung des Vorderstrangs erweist sich stark ge¬ 
lichtet. Ein ähnliches Betroffensein der weissen Substanz lässt sich mittels 
Marchi’scher Färbung nachweisen. Im Hinterstrang leichte perivasouläre Sklerose. 
Der N. vagus zeigte keine Veränderung, dagegen liess sich solche im M. deltoideus 
(hypervoluminöse und atrophische Fasern ohne Querstreifung) nachweisen. 

Die Autoren fassen den ganzen Process als einen primär degenerativen, im 
Sinne einer parenchymatösen Entzündung, von eminent chronischem Verlaufe auf. 
Man könne ihn als chronisch progressive Primärdegeneration der motorischen 
Geeammtneurone bezeichnen. Jacohsohn (Berlin). 


IO) Un oas d’amyotrophie progressive d’origine traumatique, par Sano. 

(Journal de neurologie. 1899. 20. Nov.) 

Ein 41 jähriger Mann wurde von einer Looomotive gequetscht, so dass ein 
Rippenbrach entstand. Unmittelbar nach der Verletzung bestand kein Symptom 
von Seiten der Beine. Nach 2 1 / i Monaten aber begann das rechte Bein abzu¬ 
magern und wurde bald in seiner Totalität paretisoh. Die Untersuchung zeigte 
eine Atrophie, welche das ganze rechte Bein betraf Herabsetzung der elek¬ 
trischen Erregbarkeit, aber keine Entartungsreaction. Steigerung der Reflexe auf 
der linken Seite, weniger auf der rechten. Fehlen des Achillessehnenreflexes 
rechts. Die Sensibilität ist in allen Qalitäten herabgesetzt, nicht nur auf dem 
rechten Bein, sondern auch auf der rechten Brustseite bis zur Höhe der gebrochenen 
Rippe. Der Verf. sieht den Fall als einen nicht einheitlichen an: es handelt sich 
wahrscheinlich um eine Form der Neuritis oder um einen spinalen amyotrophischen 
Process gleichzeitig mit hysterischen Sensibilitätsstörungen. 

Paul Schuster (Berlin). 


11) Ueber eine eigenthümliohe Form von progressiver Muskelatrophie 
naoh Trauma, von Dr. Ulrich Rose. (Deutsches Archiv f klin. Med. 
LXXI. S. 292.) 

Es handelt sich im ersten Fall um progressiven Muskelschwund ohne Ent¬ 
artungsreaction und ohne fibrilläres Zuoken, dazu Hemianästhesie, Facialistic und 
vasomotorische Störungen, im zweiten Falle um progressiven Muskelschwund ohne 
Entartungsreaction, aber mit fibrillär-fascioulärem Muskelzucken, mit Tremor der 
Arme und Facialispares* Der Muskelschwund betraf ziemlich die gesammte 
Körpermusculatur mit Ausnahme des Gesichts und hatte sioh verhältnissmässig 
schnell naoh einem Trauma entwickelt Per exclusionem kommt Verf. zum 
Schluss, dass es sich in beiden Fällen um eine Muskelatrophie funotioneller Natur 
handelt Zum Schluss führt der Autor die Theorie« darüber auf^ wie man sioh 
die ursächliche Wirkung des Traumas auf die Entwiokelung der Muskelatrophie 
vorzustellen habe. Jaoobsohn (Berlin). 


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12) Ueber dM TIbial isphäaomeii und verwandte Muakel sy ner gleen bei 

spastischen Pw ew ü, von Prof. Dr. Adolph Strümpell in Erlangen. 

(Deutsche Zeitechr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

Unter Tibialisphänomen versteht Verf. eine sicht- und fühlbare Anspannung 
der Sehne des M. tibialis ant. bei Flexion des Oberschenkels. Dasselbe ist bei 
cerebraler und spinaler Hemiplegie sowie bei den meisten Paraplegieen mit 
spastischer Parese der Beine nachweisbar, zu deren charakteristischen Erscheinungen 
es gehört, und steht es der Erhöhung der Sehnenreflexe, der Hypertonie der 
Muskeln und dem Babinski’schen Sehnenreflex symptomatisch vollkommen gleich, 
fehlt indessen bei allen Formen schlaffer Lähmung sowie bei der Tabes. Es 
kommt in Folge einer Affection der Pyramidenbahn zu Stande, indem die Kranken 
die Fähigkeit verloren haben den einen Muskel isolirt zu innerviren. Ferner be¬ 
obachtete Verf. sowohl bei cerebralen wie bei spinalen Lähmungszuständen das 
Auftreten von abnorm starker Mitbewegung der Handextensoren beim Finger¬ 
schluss (Badialisphänomen) sowie eine andere Muskelsynergie, nämlich eine nicht 
zu unterdrückende Pronationsbewegung des Vorderarms bei Hebung des Arms im 
Schnltergelenk (Pronationsphänomen). Diese Erscheinungen sind von wesentlich 
praktisch-diagnostischer Bedeutung, da ihr Auftreten stets auf eine organische 
Erkrankung hinweist E. Asch (Frankfurt a/M.). 


13) Die Segmentdiagnose der Bfiokenmarkserkrankungen, von L. Bruns. 

(Centralbl. f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. IV. Nr. 5.) 

Verf. giebt mit der bei ihm gewohnten erfreulichen Kürze und Klarheit ein 
Sammelreferat über den gegenwärtigen Stand der Segmentdiagnose, das als Er¬ 
gänzung seines Buches über die Geschwülste des Nervensystems dienen kann. 
Voran geht eine genaue Tabelle über die Functionen der einzelnen Segmente des 
Rückenmarks, enthaltend die Versorgung der Muskeln, der Hautsensibilität und 
der Reflexe. Verf. hält an dem Standpunkte fest, dass die Wurzeln und ent¬ 
sprechenden Segmente in ihren Functionen sich nicht unterscheiden, entgegen der 
Brissaud’schen Ansicht. Von den zum Theil erst neuerdings gewonnenen bezw. 
gesicherten Resultaten mögen folgende hervorgehoben sein: Die ExtenBoren und 
Flexoren der Hand auf der einen, Extensoren und Flexoren der Finger auf der 
anderen Seite gehören segmental zusammen; von den Handmuskeln liegen die des 
Daumen- und Kleinfingerballens segmentär am tiefsten. Der M. tibialis antious 
ist ziemlich hochsegmentär, ist bei spinaler Kinderlähmung mit Betheiligung des 
Quadriceps oft der einzige gelähmte Unterschenkelmuskel. Für den M. dilatator 
pupillae kommt ausser der 1. Dorsal auch die 8. Cervicalwurzel in Betracht. 
Fast alle Muskeln sind polysegmentär, zum mindesten tri segmentär; das mittlere 
Segment wird in der Regel das Hauptsegment sein. An den Beinen steigen die 
Lumbalwurzeln an der Vorderseite hinunter, die Sacralwurzeln an der Hinterseite 
hinauf. — Die obersten Symptome einer Rüokenmarksläsion sind immer Segment¬ 
symptome; meist ist die Segmentdiagnose nur eine Diagnose des obersten Randes 
der Läsion. Bezüglich des Zeitpunktes der Operation räth Verf., dieselbe wenn 
möglich frühzeitig verzunehmen, sobald sich der Sitz mit einiger Genauigkeit 
feststellen lässt; auf alle sicheren Zeichen warten, heiast häufig den Erfolg der 
Operation aufs Spiel setzen; die Frage wird im speciellen Falle sich darauf zu¬ 
spitzen, ob die primären Wurzelsymptome, vor allem die atrophischen Muskel- 
lähmungen bestimmt localisirt waten. Allgemeine Regel ist, die Läsion immer 
an dem höchsten für das betroffene Muskel- oder Hautgebiet in Betracht kommen¬ 
den Segmente anznsetzen. — Die übrigen Ausführungen decken sich im wesent¬ 
lichen mit dem bereits früher Bekannten. H. Haenel (Dresden). 


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14) Star üegmentdiftgnose dw Rüokenmarksgeeohwüiate, nebst einem neuen 

daroh Operation geheilten Fell, von Fedor Krause. (Berliner klin- 

Wochensohr. 1901. Nr. 20— 22.) 

Hit der genauen Untersuchung und Beobachtung eines neuen durch Operation 
geheilten Falles von Rückenmarksgeschwulst liefert Verf. einen werthvollen Bei¬ 
trag zur Segmentdiagnose der Rückenmarkserkrankungen. Das Leidem seiner 
65 Jahre alten Patientin begann 3 Jahre vor der Aufnahme in das Kranken¬ 
haus, nachdem ein Jahr zuvor ein leichtes Trauma auf die Wirbelsäule eingewirkt 
hatte, mit SchwächegefÜhl im rechten Knie. Später trat eine abnorme Sensation 
im reohten Oberschenkel auf, der ein brennendes Gefühl an der rechten Fuassohle 
folgte. Diese schmerzhafte Empfindung breitete sich langsam auf die ganze untere 
rechte Extremität, weiterhin auch auf das linke Bein hin aus. Dazu gesellte sich 
ein deutliches Gürtelgefühl. Zugleich stellte sich eine Schwäche im rechten Beiue 
ein, welche vom Februar 1900 an rasch bis zur fast vollständigen Lähmung fort- 
schritt Hypalgeeie des linken, nioht gelähmten Beines. Störungen von Seiten 
der Blase und des Hastdarms gering. Der etwas häufiger eintretende Harndrang 
musste rasch befriedigt werden, sollte nioht unwillkürliche Entleerung erfolgen. 
Verstopfung und unwillkürlicher Abgang von Flatus. Bei der Frau war also 
eine Halbseitenläsion im Sinne Brown-Söquard’s ausgebildet Die reohte untere 
Extremität war fast vollständig gelähmt Der HuBkelsinn (Gefühl für passive 
Bewegungen, Lagegefühl) sehr deutlich herabgesetzt. Die Sehnenreflexe zum Theil 
stark erhöht (Aohillessehnenreflex), zum Theil normal (Patellarreflex). Zwischen 
Kreuzbein und Trochanter m^jor bei Pinselberührung eine vollkommen anästhetisohe, 
bei Nadelstichen hypalgetische handbreite Zone, im ganzen übrigen Gebiet des 
rechten Beines keine sensiblen Störungen, Temperatursinn normal. Links dagegen 
die Schmerzempfindung im Gebiete der ganzen unteren Extremität bis hinauf zum 
Darmbein und an den äusseren Genitalien herabgesetzt, der Temperatursinn ge¬ 
stört, Tastempfindung durchaus normal. Dieser Befund wies auf einen langsam 
«ich entwickelnden, raumbegrenzenden Vorgang im Wirbelcanal hin, der das 
Bückenmark auf der rechten Seite oomprimirte. Es wurde eine gutartige Ge¬ 
schwulst im Inneren des Duralsackes mit dem Sitz rechts hinten angenommen. 
Die Geschwulst konnte sich nioht im Bückenmark gebildet haben, denn das 
Fehlen von Entartungsreaction und Huskeldegeneration sprach für einen von 
aussen auf das Büokenmark wirkenden Druck, da andererseits trotz mehrjährigen 
Bestehens des Leidens die knöcherne Wirbelsäule sioh völlig normal verhielt, so 
konnte auoh deren Erkrankung ausgeschlossen und aus demselben Grunde verneint 
werden, dass sich die Geschwulst zwischen Dura und Wirbelkörpern ent¬ 
wickelt habe. 

Bei der Segmentdiagnose boten sioh dem Verl folgende Anhaltspunkte; das 
Vorhandensein der Patellarrefiexe wies darauf hin, dass der Reflexbogen im 2. bis 
4. Lumbalsegment vollkommen erhalten war, dass also die Geschwulst nicht tiefer 
herab als bis zum 1. Lendensegment reichen konnte. 

Da der Heopsoas gelähmt war, so musste die Schädigung der Pyramiden¬ 
bahn sioh oberhalb des 1. Lendensegmentes, von welchem der Ileopsoas seine 
Fasern empfängt, befinden. In Berücksichtigung des Umstandes, dass die einzelnen 
Huskeln nioht blas von einer Wurzel oder einem Bückenmarkssegment, sondern 
zugleich von dem benachbarten oberen und unteren innervirt werden, musste 
mindestens das 12. Dorsalsegment als obere Grenze der Geschwulst angesehen 
werden. 

Die Sensibilität gab folgenden Aufschluss für die Segmentdiagnoee; Das aus¬ 
gesprochen schmerzhafte Gürtelgefühl der Kranken, welches im Kreuz beginnend 
sich dem oberen Beckenrand entlang nach vorn zog, deutete daraufhin, dass das 
12. und 11. Dorsalsegment eine Beizung erfahren hatte; ebenso wiesen die 


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Schmerzen in der rechten Hüfte auf Reizung im 12. Dorsal- und 1. Lumbal¬ 
segment Von grösserer Wichtigkeit als diese Reizerscheinungen für die Segment- 
diagnose waren die Symptome der Leitungsunterbreohung in den sensiblen Bahnen. 
Am linken Bein war die Schmerzemfindung vorn bis hinauf zu den äusseren 
Genitalien (Innervationsgebiet des 1. Lumbalsegments), hinten bis nahe dem Dann¬ 
beinkamme (12. Brustsegment) herabgesetzt Die in der Zone zwischen Kreuz¬ 
bein und Trochanter major rechts bestehende vollkommene Anästhesie bei Pinsel¬ 
berührung und deutliche Herabsetzung der Schmerzempfindung bei Nadelstichen 
deuteten darauf hin, dass mindestens drei benachbarte Wurzelgebiete (11. und 
12. Dorsal- und 1. Lendensegment) lädirt waren. Als obere Grenze der Geschwulst 
müsste also das 10. Dorsalsegment angesehen werden. Dieses liegt nach Reid 
gegenüber dem 7. und 8., nach Gowers gegenüber dem oberen Rand des 9., 
naoh Henle gegenüber dem 8. Dorealdornfortsatz. Verf. entschied sich, den 9. 
und 8. Wirbelbogen zu entfernen, und da der 7. Brustwirbel den Ueberblick 
hinderte, wurde auch dieser weggemeiBselt. Um nun die am oberen Rande der 
Knochenöffnung unmittelbar unter der Dura auf der rechten Seite fühlbare Ge¬ 
schwulst nach oben hin freier zu bekommen, musste noch der 6. Wirbelbogen 
entfernt werden. Die Geschwulst lag mit ihrer Mitte in der Höhe des 7. Wirbel- 
bogens. Sie liess sich leicht von der unterliegenden Pia ablösen und herausheben; 
die Pia blieb unverletzt. Die Dura musste in der ganzen Ausdehnung und Um¬ 
gebung des Tumors, weil sie mit dem Tumor verwachsen war, exstirpirt werden. 
Der Tumor von der Grösse einer Haselnuss, halbkugelig — die kugelige Fläche 
hatte nach dem Rückenmark, die flache Seite nach der Dura zu gelegen —, stein- 
hart, mit körniger Oberfläche hatte eine Länge von 17 mm, Breite von 15 mm, 
Dicke 11,5 mm. Die Patientin wurde geheilt. Verf. giebt in dem etwa 10 Monate 
nach der Operation aufgenommenen Status an: Die Motilität und Kraft namentlich 
des rechten Beines haben sich unter Faradisation und leichter Massage soweit 
gebessert, dass die Frau kleine Treppen mit Hülfe des Geländers ersteigen konnte; 
sie vermag ohne Unterstützung am Volkmann’schen Bänkchen zu gehen. Es 
bestehen keinerlei Muskellähmungen. Im Liegen kann Patientin das rechte Bein 
mit gestreckten Knieen leidlich heben, auch ist die Kraft der Kniestreckung 
(passive Widerstandsprüfung) entschieden besser geworden. Muskelsinnstörungen 
sind nicht zu constatiren; die ataxieartigen Bewegungen des rechten Beins sind 
auf die Muskelsohwäche zu schieben. Bei der Sensibilitätsprüfung fühlt Patientin 
an der linken unteren Extremität weniger deutlioh; Stecknadelkopf und -Spitze 
werden zuweilen verwechselt. Am linken Bein hat Patientin beim Anlegen des 
mit kaltem Wasser gefüllten Reagenzgläschens das Gefühl der Wärme und gleich¬ 
zeitig einen eigentümlichen Schmerz. Fusssohlenreflex beiderseits deutlich, Fuss- 
sohlenkitzelreflex nicht auslösbar. Patellarreflex wie Achillessehnenreflex beider¬ 
seits in gleicher Stärke. Fussklonus besteht nioht. Bauchdeckenreflexe nicht 
auszulösen. Keine vasomotorischen Störungen. Die Haut beider Beine gleich 
warm, nirgends livid. Subjectiv besteht das Gefühl von Hitze am linken Bein 
und an der linken Hüfte. Die Schmerzen in der linken Seite und im linken 
Bein, namentlich in der linken Fusssohle, welche die Patientin sehr gequält hatten, 
sind erträglich geworden. 

Verf. fügt dann noch zwei ähnliche Fälle von Rüokenmarksgesohwülsten an, 
von denen der eine unoperirt, der andere operirt einen schnellen letalen Ausgang 
nahmen. Im ersteren Falle ergab die Seotion eine in vivo bereits angenommene 
Carcinommetastase des 4. Dorsalwirbelkörpers, ausgehend von einem operirten 
Mammacarcinom. Durch die Wucherungen des Careinoms in den Wirbelcanal 
war das Rückenmark stark abgeplattet, die weisse Substanz erweicht und von 
Blutungen durchsetzt. Im zweiten Fall handelte es sich um ein Rückenmarks- 
sarcom, dessen Sitz am 6.—8. Dorsalsegment angenommen wurde. Verf. entfernte 


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den 4.—7. Wirbelbogen und konnte die Geschwulst, welche in einer flachen Grube 
in der linken Hälfte des Rückenmarks sass, leioht beseitigen. 

Eine Reihe von instructiven Abbildungen erhöht den Werth der lehrreichen 
Arbeit. In einem Nachtrag empfiehlt Verf. das von Seiffer (Berlin) neuerdings 
oonstruirte spinale Sensibilitätsschema zur Segmentdiagnose der Rückenmarks« 
krankheiten auf das Angelegentlichste. Bielschowsky (Breslau). 


16) Ueber ein selten mäohtlg entwickeltes Glioma saroomatodes des 

Rückenmarks« von 0. Fischer. (Zeitsohr. f. Heilkunde. XXIL) 

3jähr. Mädchen, Januar 1899 unter Schmerzen im Kreuz und Schwäche in 
den Beinen erkrankt Stat praes. (Juni 1899): Complette schlaffe Paraplegie der 
Beine, Blasenmastdarmlähmung, Verlust der Sensibilität für alle Qualitäten im 
Bereiche der unteren Gliedmaassen und des Stammes nach abwärts von der 4. 
bis 5. Rippe rechterseits, der 6. bis 7. links und hinten von der 9. Rippe an. 
Decubitus. Wirbelsäule nicht percussions- oder druokschmerzhaft Im November 
auoh beginnende Schwäche der oberen Extremitäten, welche im Februar 1900 zu 
einer vollständigen Lähmung derselben fortgeschritten war. Um diese Zeit auch 
Pupillendifferenz (r. > L), Papille beiderseits stark geröthet, Venen geschlängelt 
Am 6, März Exitus. 

Obduction: Dura spinalis vom 6.—10. Brustwirbel mit der ventralen Rücken« 
marksfläche verwachsen, stellenweise von Aftermassen durchwuchert Das Rücken« 
mark in seinem Volumen verdickt Im Bereiche des Lendenmarkes hat eine 
Aftermasse auoh die Wirbelkörper durchsetzt und ragt in den Bauchraum als 
hühnereigrosser Tumor vor. Das Rückenmark, welches im Lumbalantheile einen 
Querdurchmesser von 40 mm, einen Sagittaldurohmesser von 22 mm aufweist, lässt 
keine Spur der normalen Zeichnung erkennen. Im unteren Halsmarke ist die 
Medulla durch Tumormassen abgeplattet und verdrängt, das Gebiet der Hinter« 
stränge durch diese eingenommen. Die Gesohwulstmassen erstrecken sich weiter 
an und in den dorsalen Antheilen der Oblongata des Funiculus teres, links noch 
bis zum Vierhügel um den Aquaeductus Sylvii. Der hinter und zwischen den 
beiden Tractus optici liegende Theil des Bodens des 8. Ventrikels ist von einer 
weichen gallertigen, grauweissen Geschwulst eingenommen. Im linken Hemisphären« 
marke, vor dem Kopfe des Sch weif kernes, ein haselnussgrosser Tumor. Im 
obersten Halsmarke und unterem Theile der Medulla oblongata Spaltbildung. 

Verf. giebt nun eine genaue Beschreibung des histologischen Befhndes. In 
den Tumormassen konnten bei electiver Färbung (nicht mit der Original« Weigert’« 
sehen Gliamethode, sondern zwei Modifioationen) echte Gliafasern unzweifelhaft 
naohgewieeen werden. 

Auf die Einzelheiten des interessanten und sorgfältig untersuchten Falles 
genauer einzugehen, hiesse den Rahmen eines Referates überschreiten. Das Haupt¬ 
interesse liegt erstens in der ungewöhnlichen Grösse und Malignität des Tumors 
(Wucherung durch Dura und Wirbel in die freie Bauchhöhle), in der Bildung 
von echten Metastasen einer Geschwulst, die Verf. „Glioma saroomatodes“ nennt, 
und in der gleichzeitigen Bildung von syringomyelitisohen Höhlen. 

Zwei Tafeln mit 25 Figuren sind der lesenswerthen Arbeit beigegeben. 

_ Pilos (Wien). 


16) Bin intradurales Endotheliom im Bereiche der obersten Halssegmente, 

von Doo. Dr. Friedrich Schlagenhaufer. (Arbeiten aus Profi Ober¬ 
steiner’s Laboratorium. Heft 8. 1902.) 

Bei einer 61jährigen Frau stellte sioh zunehmende Sohwäche und Oedem des 
rechten Armes, später auch Parese des rechten Beines ein. Die Sensibilität war 


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intact, nur bestanden Schmerzen in beiden Armen nnd im linken Beine. Im 
Verlaufe totale Lähmung aller vier Extremitäten, der Blase und des Rectoms, 
totale Anästhesie der Extremitäten und des Stammes. Die Patellanehenreflexe 
herabgesetzt. Bei der Obduction fand sich ein umfänglicher Tumor am Foramen 
magnum, der von der harten Hirnhaut ausgeht und das oberste Halsmark stark 
comprimirt, so dass dasselbe eine sichelförmige Gestalt hat und torquirt erscheint. 
Histologisch erwies sich der Tumor als ein grosses psammöses Endotheliom der 
Dura mater. Das oberste Halsmark weist die der Compressionsmyelitis zu¬ 
kommenden histologischen Veränderungen au£ Auf- und absteigende Degenerationen 
fehlen. Redlich (Wien). 


17) Utbredt sarkom i ryggmarvens tynde hin der, 4f Holmsen. (Norsk 

Mag. f. Lägevidensk. 1901. S. 318.) 

Ein 8 Jahre alter Knabe erkrankte mit Schmerlen im Krens und Unterleib, 
Parese im linken Beine und Ataxie in beiden Beinen. Der Gang war spastisoh- 
ataetisch. Die Patellarreflexe waren gesteigert. Entartungsreaction war in den 
Nerven und Muskeln der Beine nioht nachzuweisen, als Pat am 26. Januar 1900 
in Prof. Johannessen's Abtheilung im Reiohshospitale zu Christiania aufgenommen 
wurde. Pat. konnte sich schwer im Bett aufrichten. Die Lähmung der Beine 
und des Rumpfes nahm zu, Symptome von Lähmung des Darmes und der Blase 
stellten sich ein, Abnahme der Sensibilität in allen Qualitäten vom Proo. ensifonnis 
an abwärts, im Februar Schmerzen und Parese im linken Arm, Schmerz and 
Steifheit im Nacken, die Pupillen werden ungleioh, der Puls wurde zeitweise un¬ 
regelmässig. Mitte März stellte sich Kopfschmerz ein, manchmal blos links, mit 
Sohweiss an der linken Seite des Kopfes; ferner traten Erbrechen, fibrilläre 
Zuckungen in den Muskeln der Beine au£ Ende März epileptiforme Krampfanfälle 
mit Verlust des Bewusstseins, denen Kopfschmerz auf der linken Seite und Schwedss 
am Kopfe voransgingen. Die Krampfanfälle wurden immer häufiger nnd heftiger; 
nach einem Anfalle am 15. April kehrte das Bewusstsein nicht wieder und die 
Krämpfe dauerten fort bis 2 1 /, Stunden vor dem Tode, der am Nachmittage den¬ 
selben Tages im Collaps eintrat An den Armen waren die Krämpfe ohoreaartig. 

Bei der Seotion fand sich keine Flflssigkeitsansammlnng zwischen den dünnen 
Hirnhäuten, keine Verdickung in diesen. Die Hirnoberfläehe erschien blass, ge¬ 
schwollen und mit abgeplatteten Gyri. Die Ventrikel waren von Flüssigkeit aus¬ 
gedehnt Im Dorsaltheil des Rückenmarks fand sich eine weissliohe, halb 
gelatinöse, mürbe Masse zwischen Dora mater und Rückenmark, das sis vollständig 
umschloss vom oberen Theile des Cerviealtheiles an bis zum Conus medullaris; 
die Masse war nach hinten zu am dicksten, im oberen Dorsaltheil bis zum Cervioal- 
theil 6—7 ram dick, weniger dick vom 4.—2. Dorsalwirbel, hier verschwand sie 
in der Richtung nach oben zu; im Dorsaltheil nach unten zu war sie ebenfalls 
noch dick, nahm im Lendentheil an Dicke ab und verschwand unterhalb des 
Conus. Das Rückenmark war von der Masse, die sich als S&rcom erwies, mehr 
oder weniger zusammengedrückt, in der Höhe des 7. und 8. Dorsalwirbels voll¬ 
ständig erweioht und zerfallen. Walter Berger (Leipzig). 

18) Bin Sner&ltumor von hirnartigem Bau, von M. Borst (Ziegler*s Beitr. 

zur path. Anat u. allg. PathoL XXYT. 1902.) 

Beschreibung einer sehr sonderbaren, congenitalen Gesohwulst, die erst ein 
Geburtshinderniss abgegeben hatte, dann mit Erfolg operirt worden war und schon 
makroskopisch den Eindruck zweier durch Hydropsie ausgedehnter Himhemisphären 
machte. Dieselbe war stark kindskopfgross und setzte sich, den Hinterbacken 
aufeitz«nd, nach innen zwischen Steissbein und Mastdarm fort Der Tumor war 


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cystisch, im Inneren sasa piliförmig ein kleiner, ebenfalls oystischer Tumor auf. 
Mikroskopisch erwies sich die Wand der Hauptcyste als aus unfertiger Nerven- 
substanz und Bindegewebe bestehend, in ersterer fanden sich in einem gliösen 
Faserfilz Gliazellen und rudimentäre Ganglienzellen. Gelegentlich trat die nervöse 
Substanz in gyrusartigen Massen auf, die Anfänge einer Differenzirung von Rinden- 
und Markzone erkennen Hessen und mit ihrer Convexität sämmtlich nach aussen 
gerichtet waren. — Die Cysten des pilzförmigen Centralkörpers waren mit 
cubischem Epithel ausgekleidet, zeigten vielfach papilläre Vegetationen vom Typus 
der Plexus chorioidei. Im Stiel desselben fanden sich drüsenschlauohartige 
Wucherungen von zum Theil pigmentirtem Neuralepithel, von jungem GUagewebe 
umgebene Neuroepithelschläuche, eine von abgeflachtem Pigmentepithel ausgekleidete 
Höhle, Schichten von Bindegewebe, Welche die Typen der Meningen wiedergeben, 
Fettläppchen, periphere Nervenfasern und sogar ein unvollkommen entwickeltes 
Spinalganglion. — Ausführlich behandelt Verf. die Frage, oh es sich um eine 
bigerminale (Teratom-)Bildung oder eine monogerminale Geschwulst, ein Teratoid, 
handelt; er entscheidet sich für das letztere, hauptsächlich aus dem Grunde, weil 
das Gebilde ausschliesslich aus Derivaten des Medullarrohres und seiner binde¬ 
gewebigen Hüllen zusammengesetzt ist und Zellen aus anderen Keimblättern, die 
in wahren Embryonen nie fehlen, vermisst wurden. — Auch die Annahme, dass 
eine compHcirte Myelocystomeningocele voriiege, wird zurückgewiesen und zum 
Schluss die Ansioht ausgesprochen, dass sehr frühzeitig einsetzende Störungen im 
Bereich des oaudalen Abschnittes des Medullarrohres zu einer mehr selbständigen 
Entwickelung dieses Abschnittes geführt haben, und dass so auch am caudalen 
Ende einige der Formenbildungen zu Stande gekommen sind, die sonst ein aus¬ 
schliessliches Reservatrecht des vorderen Abschnittes des Medullarrohres sind. 

H. Haenel (Dresden). 


19) Ein Fall von Absoess des Rückenmarks nebst retrobulbärer Neuritis, 
von Dr. J. Silfvast, Assistent an der Universitäts-Augenklinik in Helsing- 
fors. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

Bei einem 30jährigen, bis vor 1 Jahr ganz gesunden, aber seitdem zeitweise 
an Kopfschmerzen (Stirngegend) leidenden Tagelöhner trat nach mehrstündiger 
Schlittenfahrt bei sehr niedriger Temperatur Sehstörung auf, die sioh im Verlauf 
von 2—3 Tagen zu vollständiger Erblindung auf beiden Augen entwickelte. Da¬ 
bei wurden sehr heftige Schmerzen in der Stirngegend und in den Augenhöhlen 
verspürt, die bei Augenbewegungen Zunahmen. Ophthalmoskopisch ausser einer 
vermehrten Füllung der Netzhautvenen und geringer Hyperämie der Papillen nichts 
Besonderes. In Folge davon wurde mit Wahrscheinlichkeit eine retrobulbäre 
Neuritis angenommen. Nach 2 Wochen, während die Erblindung unverändert 
fortbestand, plötzlich Parese des linken Beines mit erhöhten Sehnenreflexen und 
Hyperästhesie und gleichzeitig sensible Lähmung des rechten Beines. Nach weiteren 
2 Tagen Paraplegie der unteren Extremitäten mit erloschenen Sehnenreflexen, 
complete Anästhesie der unteren Körperhälfte und Parese der oberen Extremitäten, 
Temperaturerhöhung, Exitus. Bei der Section fand sich vorwiegend im oentralen 
Theil des Rückenmarks, und zwar vom 4. Cervical- bis zu den untersten Dorsal¬ 
segmenten ein eitriger Gewebszerfall. An dem Opticus wurden keine Ver¬ 
änderungen gefunden, doch muss erwähnt werden, dass die Autopsie bei Gas¬ 
beleuchtung vorgenommen wurde. Ausserdem enthielt der oberste Lappen der 
rechten Lunge einen Hohlraum angefüllt mit käsig eitrigem Inhalt. Sehr wahr- 
.scheinlich wurden die Mikroorganismen von hier aus auf hämatogenem, embolischem 
Wege nach dem Rückenmark und dem Optious bez. in dessen Markscheide ver¬ 
schleppt E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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10) L’öcoulement du liquide odröbro-spinal par la flstule odphalo-raohi- 
dienne en oonditions normales et sous l’influenoe de quelques mödi- 
oaments, par L. Cappelletti. (Archive« italiennes de biologie. XXXVL) 

Verf. hat an Hunden, denen er (vermittels einer Canüle: Methode Cavazzani) 
eine Kopfwirbelsäulefistel angelegt, die Abflussverhältnisse des Liquor cerebro¬ 
spinalis untersucht: 

a) Der Abfluss unter normalen Bedingungen erfolgt regelmässig, ununter¬ 
brochen und gleichartig, vorausgesetzt, dass er nicht länger als ungefähr eine 
Stunde dauert; jenseits dieser Grenze treten Schwankungen auf, die hauptsächlich 
mit der Unruhe des Thieres Zusammenhängen; 

b) der Abfluss unter der Einwirkung einiger Medicamente: Einathmung von 
Aethyläther bewirkt eine sofortige Vermehrung der Abflussgeschwindigkeit mit 
darauffolgender Verlangsamung. Auch Pilocarpin ruft eine Beschleunigung hervor, 
aber weniger plötzlich und ohne anschliessende Verminderung. Die Wirkung des 
Amylnitrits ist inconstant Atropin und Hyoscyamin verlangsamen den Abfluss 
bedeutend, bis zum Versiegen. 

Diese Verschiedenheit könnte man im Hinblick auf den gefässerweiternden 
Einfluss des Aethers, Pilocarpin und Amylnitrits, den gefässverengernden de« 
Atropins und Hyoscyamins, rein mechanisch durch Steigen bezw. Sinken des sub¬ 
arachnoidalen Druckes erklären. Es muss aber bedacht werden, dass das Pilo¬ 
carpin nicht nur, wie der Aether, ein vasomotorisches, sondern hauptsächlich ein 
secretionsbeforderndes Mittel ist, und dass beide nicht ganz die gleiche Wirkung 
auf den Abfluss des Liquor cerebro-spinalis zeigen (vgL o.). In dieser Thataache 
wäre vielleicht ein Fingerzeig zu erblicken zur Lösung des alten Problems, ob 
der Liquor cerebro-spinalis als ein einfaches Transsudat oder als ein Secret zu 
betrachten sei. Otto Hirsch (Nieder-Sohönhauaen). 


21) Ueber einen Fall von Abfluss oolossaler Mengen von Cerebrospinal- 

flüssigkeit nach Büokenmarksverletzung , von E. Giss. (Mitthlg. a. d. 

Grenzgeb. d. M. u. Chir. VIH.) 

Durch einen Messerstich war in der Höhe des 6. Halswirbels der Duralsack 
— nicht das Bückenmark, wie die Ueberschrift sagt — verletzt worden. Nach 
3 Tagen wurde die abgebrochene Messerklinge, deren Spitze, nach den heftigen 
Schmerzen im Arm zu schliessen, die Wurzeln des Brachialplexus lädirt haben 
musste, entfernt. Schon vorher starker Abfluss von Cerebrospinalflüssigkeit, der 
sich nach der Operation so vermehrte, dass Verband, Betttücher und Matratze 
durchnässt wurden; die abgesonderte Menge betrug schätzungsweise anfangs zwei 
bis drei Liter täglioh, später 2—800 ccm. Als nach einem Monat die Wunde 
sich schloss, waren im Ganzen mindestens 30 Liter Flüssigkeit abgeflossen. 
Während des Heilungsverlaufs traten mehrmals Anfälle von sehr starken Kopf¬ 
schmerzen und Hirndrucksymptomen auf, wenn aus irgend einem Grunde der 
Abfluss stockte. — Ein Vergleich mit Versuohsergebnissen an grossen Thieren 
beweist, dass in diesem Falle eine erhebliche Hypersecretion der Plexus chorioidei 
nach dem Trauma sich entwickelt haben musste. H. Haenel (Dresden). 


22) Le liquide odphalo-rachidlen aprös la raohioooalnisation, par P. Bevaut 
et P. Aubourg. (Gazette des höpitaux. 1901.) 

Um die Beschwerden, die der lumbalen Coca'ininjection folgen (Kopfschmerz, 
Erbrechen, Schwindel u. s. w.), zu vermindern, haben Verff. einige Stunden nachher 
eine neuerliche Punction vorgenommen, um eventuell noch vorhandenes Cocain zu 
entfernen und um den Druck herabzusetzen. Der Eingriff sohien stets günstig 


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einzuwirken. Es zeigte sieh, dass bei starkem Kopfschmerz auch der Druck, 
unter dem der Liquor ausfloss, grösser war. Die histologische Untersuchung ergab 
nur ein Mal in 21 Fällen ganz normalen Liquor, sonst waren reichliche poly- 
nucleäre Leukocyten vorhanden. 3—4 Tage später erwies sioh der Liquor stets 
klarer, die polynuoleären Leukocyten wurden durch mononucleäre und durch 
Lymphocyten ersetzt Nach 8—20 Tagen war der Liquor völlig normal. Da 
durch gleichzeitige bakteriologische Untersuchung eine Infection ausgeschlossen 
werden konnte, wurden die Erscheinungen auf eine durch das Cocain bedingte, 
jedoch bald wieder schwindende Beizwirkung auf die Meningen zurückgeführt 

B. Hatschek (Wien). 


23) Da oytodiagnozlz da liquide odphaloraohidien ohez l’enfhnt, par H. M6ry 

et Babonneix. (Bulletins de la sociötö de pödiatrie. 1902. Februar.) 

Man hat den Formen von Leukocyten, wie sie im Sediment der Punctions- 
flfissigkeit bei Meningitis Vorkommen, eine wichtige diagnostische Bedeutung zu¬ 
geschrieben, welche allerdings nicht unwidersprochen geblieben ist. Die beiden 
Autoren glauben auf Grund ihrer Untersuchungen jedenfalls daran festhalten zu 
können, dass die Anwesenheit geformter Elemente in der Punctionsflüssigkeit für 
Meningitis spreche, bezw. deren Fehlen eine entzündliche Affection der Hirnhäute 
ausschliessen lasse. Sie formuliren in den Schlusssätzen ihrer Mittheilung auch 
die Ansicht, dass bei tuberculöser Meningitis Lymphocyten entweder ausschliesslich 
oder doch vorwiegend im Sedimente sich vorfinden, müssen aber selbst an der 
Hand eines Typhusfalles mit reiner Lymphocytose die Yerwerthbarkeit dieses 
Befundes einschränken. In der Discussion zu dieser Mittheilung geben auoh 
andere Autoren das Vorhandensein ausschliesslich einkerniger Elemente bei Typhus 
zu. Netter verweist darauf, dass er schon makroskopisch das weisse, oompactere 
Coagulum bei tuberculöser Meningitis von dem gelblichen, sich leicht ausbreitenden 
Niederschlag bei Cerebrospinalmeningitis zu unterscheiden pflege. 

Zappert (Wien). 


24) Ponotion sacro-lombaire, par Chipault (Progrös m&dioal. 1901. Nr. 46.) 

Verf. machte 57 Lumbalpunctionen und gesteht in nur 4 Fällen effectiven 
Nutzen gehabt zu haben; aber diese letzteren betrafen die doch immerhin seltenen 
Fälle von specifischen und septischen Meningitiden. Einen mildernden, aber doch 
nicht stets sioheren Erfolg sah er in 14 Fällen bei Hydrocephalus, der auf here¬ 
ditär syphilitischer Basis beruhte, bei Cerebellartumoren, Meningitiden, die auf 
Tuberculose oder Pneumokokken zurückgeführt werden konnten und bei Epilepsie. 

Adolf Passow (Meiningen). 


25) Ueber die pathologischen Veränderungen, welche in dem Central¬ 
nervensystem von Thieran durch die Lumbalpunotion hervorgerufen 
werden, von Dr. V. P. Ossipow. Aus dem Laboratorium von Prof. 
H. Oppenheim in Berlin. (Deutsche Zeitschr. £ Nervenheilkunde. XIX. 
1901.) 

Zur Entscheidung der Frage, inwieweit die einmalige oder öfters vorgenommene 
Lumbalpunotion in dem Centralnervensystem vorübergehende oder dauernde Schäd¬ 
lichkeiten hervorruft, stellte Verf. an kleinen 7—15 kg sohweren Hunden ent¬ 
sprechende Versuohe an. Er bediente sioh dabei des von Krönig angegebenen 
Apparats. Die Thiere wurden mit Aether narcotisirt und in haiblinker Seitenlage 
mit stark gekrümmter Wirbelsäule operirt, indem die Nadel unter dem 4. und 
5. Lendenwirbel eingestoohen wurde. Einige Zeit naoh der letzten Lumbalpunotion 


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wurden die Hunde mittels Carotisdurchschneidung unter Aethernarcose getödtet, 
Gehirn und Rückenmark in Stücke zerschnitten und in die Fixirflüssigkeit gelegt, 
Die Controlversuche bestanden darin, dass die Thiere mehrmals mit Aether narko- 
tisirt und dann durch Aetherchloroform getödtet wurden. 

Bei der anatomischen Prüfung der Präparate stellte es sich heraus, dass 
durch Entleerung der Cerebrospinalflüssigkeit mittels Lumbalpunotion in den Ge- 
Pässen der Hirnhäute sowie in der Substanz des Hirns und Rückenmarks eine 
dauernde Hyperämie hervorgerufen wird. Bei wiederholten Punctionen kommt es 
hauptsäohlioh in der grauen Substanz der Lumbal-, oberen Dorsal- und unteren 
Cervicaltheile des Rückenmarks zu zahlreichen punktförmigen Blutungen. Nach 
mehrmaligen Punctionen treten in den Nervenzellen Hämorrhagieen auf) in deren 
Folge die Verhältnisse der Blutcirculation und Zellernährung ungünstig beeinflusst 
werden. 

Es ergiebt sich daraus, dass das neuerdings relativ häufig angewandte Ver¬ 
fahren doch als kein so harmloser Eingriff anzusehen ist. Bei Sklerose der Ge- 
fässe und bei Aneurysmen im cerebralen Circulationsapparat ist dasselbe direct 
contraindicirt, ebenso bei acuten und chronischen Affectionen des Centralnerven¬ 
systems, bei welchen nicht deutliche Erscheinungen einer Druckerhöhung seitens 
der CerebroBpinalflüssigkeit nachweisbar sind. El As oh (Frankfurt a/M.). 


26) Analgdsie par inj ection sous-araohnoldienne lombaire de oooalne, par 

Dr. Vulliet (Revue mödicale de la Suisse romande. 1901. Nr. 11.) 

Die kleine Arbeit ist ein kritisch gehaltenes Referat über die bisherigen 
Erfahrungen mit der Bi er'sehen Anästhesie. Verf. mahnt vorläufig noch nu 
grosser Vorsicht, ist aber der Ueberzeugung, dass diesem Verfahren eine grosse 
Zukunft bevorstehe. Es selbst verfügt über 66 eigene Beobachtungen. 62 Mal 
war die Anästhesie eine absolute, 6 Mal eine theilweise, doch so, dass ohne 
Zuhülfenahme der Narcose operirt werden konnte; in 8 Fällen wurde gar kein 
Erfolg erzielt, ohne dass die Ursache eruirbar war. Während der Anästhesie 
hatten etwa */« der Fälle leichtere Beschwerden (Blässe, Angstgefühl). Nach der 
NarcoBe fühlten sich 20 völlig wohl; über heftiges Kopfweh migräneartigen 
Charakters klagten 22. 2 Fälle boten bedrohliche Erscheinungen. Der eine, ein 

BOjähriger Herr, durch eine lange Zeit eiternde Wunde sehr geschwächt, bot 
mehrere Stunden nach der Injection (0,02) folgendes Bild dar: unerträgliche Kopf¬ 
schmerzen, allgemeines Zittern, Contractur der oberen Extremitäten, Prostration, 
verlangsamter Puls, fibrilläre Zuckungen im Gesioht Dieser Zustand dauerte 
3 Tage in allmählich abnehmendem Grade. In dem anderen Falle waren die 
Erscheinungen ganz andere: es betraf eine sehr geschwächte Frau mit Myocarditis. 
Die Symptome waren: Herzschwäche, Syncope, ungeheuer beschleunigter, faden¬ 
förmiger Puls. H. Wille (St Pirminsberg). 


Psychiatrie. 

27) Die Anfänge der abnormen Erscheinungen im kindlichen Seelenleben, 

von J. Trüper. (Altenburg, 1902.) 

Die kleine, nach einem Vortrag ausgearbeitete Broschüre wendet aioh vor 
allem an Lehrer, Eltern, Seelsorger u. s. w., die dadurch auf die Nothwendigksit, 
sich mehr als bisher dem Studium der abnormen Kindesseele zu widmen, hin¬ 
gewiesen werden sollen. Im ersten Theil wird die Frage naoh der Grenzlinie 
zwischen Abnorm und Normal gestellt, allerdings, wie das in diesem Zusammen¬ 
hänge auch kaum anders möglich ist, nicht eigentlich beantwortet Interessant 
ist der Exours auf die sooiale Bedeutung der geistig nicht normalen Menschen: 


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Kaum ein« der geschichtlich bedeutungsvollen Persönlichkeiten würde den An¬ 
forderungen an einen „Normalmenschen“ entsprechen. Bei den Fällen einseitiger 
Begabung wird auf die Nothwendigkeit hingewiesen, diese Seite nioht noch be¬ 
sonders eu eultiviren, sondern im Gegentheil gerade den surüokgebliebenen Fähig¬ 
keiten besondere Aufmerksamkeit su widmen. Die Frage dar Ueberbürdung wird 
gestreift und mit ihr der Fehler, der damit begangen wird, dass man schwache 
Schüler durch Nachhülfestunden bessern will, wenn diesen nicht auf der anderen 
Seite eine Entlastung parallel läuft. Bei der Vererbung seelischer Minderwertig¬ 
keiten kommt der Alkoholismus su seinem gebührenden Rechte, die Ergebnisse 
der Statistik wie der Experimentalpeychologie werden in sachkundiger Weise heran- 
gesogen. Unter den Schlusssätzen sei der hervorgehoben, der die Nothwendigkeit 
betont, ernste Ms assnahmen zu treffen zur Verminderung der nervenzerrüttenden 
Ursachen und zur Fürsorge für die psychopathischen Minderwertigen, sei es im 
Rahmen der öffentlichen höheren oder niederen Schulen, sei es durch besondere 
Anstalten. H. Haenel (Dresden). 


28) Recherche« experimentales sur la psyoho-physiologie de« halluoinationa, 

par N. Vaschide et CI. Vurpas. (Arcives italiennes de biologie. XXXVI.) 

Durch experimentelle Untersuchungen über die Psyohophysiologie der Hallu¬ 
cinationen sind die Verff zu folgenden Anschauungen gelangt: 

1. In gewissen Fällen kann eine Hallucination unter denselben Bedingungen 
im Bewusstsein auftauohen und den nämlichen Gesetzen gehorchen wie die objeo- 
tiven Gesiohtsempfindungen und Gesichtswahrnehmungen. 

2. Inmitten der durch äussere Veränderungen oder durch störende physio¬ 
logische Einflüsse hervorgerufenen Umwandlung der objeotiven Bilder kann die 
Hallucination in ihren Grundbestandtheilen fest und unbeweglich bleiben. Der 
Aufbau der Hallucination scheint eine deutlich umrissene Form zu besitzen, deren 
Charakter als Object durch eine ähnliche Abetraction zu Stande kommt wie jener 
einer jeden Wahrnehmung. 

8. Die Zerstreutheit begünstigt die Erzeugung von Hallucinationen; diese 
erscheinen als ein Zeichen von Zusammenhangslosigkeit der Bewusstseinsinhalte. 

4. Die durch Suggestion oder phyBiologisohe Veränderungen hervorgerufene 
Hallucination schämt in vielen Punkten sioh jener Art von Hallucinationen zu 
nähern, die mit organischen Störungen des oentralen oder peripheren Nerven¬ 
systems zusammenhängt. Es handelt sich dabei im grossen Ganzen um den 
qualitativ, wenn nicht auch quantitativ, gleichen Vorgang. Eine organisohe Ver- 
letsung hat Verwirrtheit zur Folge und gleichzeitig einen Verlust gewisser 
Erinnerungsbilder, der sie der Zerstreutheit nahe bringt — aber in erster Linie 
wirkt sie durch Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, welche zwar nicht die 
Hallucination als solche, aber doch die Bedingungen begleitet, unter welchen diese 
entsteht und sich entwickelt. Unsere Wahrnehmungen sind nichts als Hallu¬ 
cinationen, sowohl vom rein psychischen wie vom psychophysiologischen Standpunkt 
aus. Beide machen die gleiehe Entwickelung duroh; die Trennung beginnt, ab¬ 
gesehen von den Unterschieden in der Mitwirkung der Aufmerksamkeit, bei der 
die Hallucination begleitenden Verminderung der Controlfähigkeit; die den gleichen 
Bewusstseinsinhalt umfassende Wahrnehmung hat mehr Kraft und sie baut sich 
ans in einem logisoben System psychischer Bilder oder in einer Phantasie¬ 
vorstellung, deren sämmtliehe Bestandteile geprüft werden können. 

Man könnte also wirklich zu dem Schlüsse kommen, dass es eigentlich gar 
keine Haüucinstioaen giebt, sondern dass wir nur wahre oder falsche Wahr¬ 
nehmungen haben. Otto Hirsoh (Nieder-Sohöahausen), 


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20) Der Unterricht des Pflegepersonals für Geisteskranke, von L. Kaplan. 

(Die Krankenpflege. I. 1901/02.) 

Verf. weist auf die Bedeutung hin, die für den Pfleger das richtige Ver- 
ständniss für das Wesen der Geisteskrankheit hat; weniger noch als anderswo 
kann hier das blinde Befolgen von Einzelvorschriften den an einen guten Pfleger 
zu stellenden Anforderungen genügen. In Herzberge werden seit längerer Zeit 
Anfänger- und Fortbildungscurse für das Pflegepersonal gehalten, in denen u. a. 
das Wesen der dementeren, psychischen Abweichungen und das praktisch wichtigste 
ihrer äusseren Kennzeichen den Hörern klargemacht wird. Besondere Beachtung 
verdient es, dass zu diesem Zwecke in den Cursen auch einige geeignete Kranke 
klinisch vorgestellt werden. Diese Einrichtung hat nicht nur keine Unzuträglich¬ 
keiten, sondern nur Vorth eile gebracht. H. Haenel (Dresden). 


SO) Die ärztliohe Feststellung der verschiedenen Formen des Schwach¬ 
sinns in den ersten Schuljahren, von L. Laquer (Frankfurt a/M.). 

(Deutsche Praxis. Zeitschr. f. prakt. Aerzte. 1901. Nr. 20.) 

Auf Grund seiner Beobachtungen in der Normal(Volks-, Elementar-, Bürger-) 
Schule und in der Hülfsschule bezw. in den HülfsÜassen für schwachbefähigte 
Kinder bespricht Verf. die frühzeitige Erkennung und Beurtheilung des angeborenen 
oder in zarter Kindheit erworbenen Schwachsinns (vergL auch die bekannte 
Schrift des Verf’s über „Die Hül&schulen, ihre ärztliche und sociale Bedeutung" 
[Wiesbaden 1900, J. F. Bergmann]). 

Verf. unterscheidet folgende drei Grade des Schwachsinns: 1. Debilität 
(die Denkprocesse erscheinen gehemmt, die Kinder fassen langsam auf, während 
für concrete Begriffe ein besseres Verständniss und eine gewisse Merkfähigkeit 
vorherrscht), 2. Imbecillität (offenkundige geistige Beschränktheit, schwaches 
Gedächtnus, Lernen, besonders Rechnen, wird den betreffenden Kindern schwer, 
Zerstreutheit, leichte Ermüdung, Entartungszeichen), 3. Idiotie (diese Kinder 
fassen nur sehr geringfügige oder gar keine Eindrücke, können sie weder sammeln 
noch verarbeiten, blöder Gesichtsausdruck, Grinsen, Zwangsbewegungen, Degene¬ 
rationszeichen). Die Debilen kommen in den Schulen — event. mit Nachhülfe- 
stunden und Sitzenbleiben — gerade noch mit, die Imbecillen gehören in be¬ 
sondere Hülfsklassen und Hüllsschulen, die Idioten in Idiotenanstalten. 

Am wichtigsten ist die frühzeitige Erkennung und Absonderung der Imbecillen 
(der stumpfen und erregten Formen), welche in der Normalschule nicht fort- 
kommen können, sich dort selbst unglücklich fühlen und den Unterricht der 
anderen nur hemmen. 

Nothwendig zur Lösung dieser Aufgabe ist vor allem die Anstellung eines 
Schularztes, ferner genaue Erhebungen über die häuslichen Verhältnisse der Kinder 
(über Geburten, Aborte der Mütter, Kindersterblichkeit; Tuberculose, Trunksucht, 
Criminalität, Selbstmorde in der Ascendenz) sowie Erkundigungen über die frühste 
Kindheit der Schüler (Kopfverletzungen, Hirnentzündungen, Art der Ernährung 
in den ersten Lebensmonaten, Zahnbildung, Beginn des Gehens und Sprechens, 
Eklampsie, Epilepsie, Ohnmachtsanwandlungen, Enuresis, Sprachstörungen). Ueber 
alle Kinder, deren geistige Minderwertbigkeit schon nach dem ersten halben Jahre 
erkannt wird, müssten besondere Acten und Charakteristiken (Personalbogen) an¬ 
gelegt werden. 

Beachtung verdient zwecks Herausfindung der Imbeoillen unter anderem auch der 
Standpunkt und das Verhalten der Mitschüler zu den notorisch Schwachen der Klasse. 

Zur Beurtheilung der Verbreitung des Schwachsinns seien folgende Zahlen 
wiedergegeben: in den Hamburger Volksschulen betrug die Zahl der imbecillen 
im Jahre 1900 etwa */a °/o ^ er Gesammtzahl von 80,000 Schulkindern, in Frank¬ 
furt mussten von 56,000 Schulkindern aus Mittel- und Volksschulen im März 1901 


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etwa 100 fÖr imbecill erklärt werden. Die Yernrtheilnngen jugendlicher Ver¬ 
brecher zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr sind von 1882—1896 um 42,3 °/ 0 
gestiegen, die Mehrzahl dieser Verbrecher ist aber intellectuell und moralisch 
schwachsinnig von Kindheit auf. 

Zur Herbeiführung einer Besserung dieser Zustände ist die frühzeitige Er¬ 
kennung des Schwachsinns seitens des Schularztes und UeberfÜhrung der geistig 
Schwachen in die Hilfsschulen von grosser Wichtigkeit. Kurt Mendel. 

Therapie. 

31) Da« Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke, 

von Determann. (Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge. Nr. 308.) 

Die zum Theil im Berliner meteorologischen Institute ausgefdhrte Arbeit 
unterscheidet sich vorteilhaft von den Aufsätzen mancher Bade- und Anstalts¬ 
ärzte, die sich häufig genug nur in allgemeinen Redewendungen und uncontrolir- 
baren Phrasen bewegen. Verf. unterzieht, gestützt auf zahlreiche, übersichtliche 
Tabellen meteorologischer Daten, der Reihe nach die verschiedenen, für die ge¬ 
stellte Frage in Betracht kommenden klimatischen Factoren einer Besprechung. 
Diese sind die Sonnenstrahlung, die tägliche Schwankung der Temperatur, die 
sogen, interdiurnen Temperatursohwankungen, die Möglichkeit eines guten Luft- 
abflusses bei Orten an Berghängen oder in Thälern; der Feuchtigkeitsgehalt der 
Luft, die damit in Zusammenhang stehende Bewölkung und Nebelbildung sowie 
die Häufigkeit und Art der Niederschläge, die in ihrer Form, ob Regen oder 
Schnee, eine verschiedene Beurtheilung finden müssen. Wichtig ist hier u. a. die 
Feststellung der Thatsaohe, dass im Allgemeinen, abgesehen von einigen Gipfel¬ 
stationen, die Niederschlagsmengen im Gebirge im Winter nicht unerheblich ge¬ 
ringer sind als im Sommer. Auoh die Dauer der Schneedecke verdient Berück¬ 
sichtigung. Die Dauer und Kraft des Sonnenscheins ist von grosser Bedeutung, 
in Bezug auf klares Wetter sind die Winter- den Sommermonaten im Gebirge 
in erheblichem Maasse überlegen. Weiter wird der Wind nach Richtung und 
Stärke, ob Local- oder Fernwind, betrachtet; Schutz gegen Nord-, Nord-Ost- und 
Ostwinde wird als ein erstes Erforderniss für einen Winterkurort in der Höhe 
dargestellt. Auoh die Bedeutung des Föhns wird erwähnt. Besonders werthvoll 
ist die Arbeit dadurch, dass sie nicht nur die Alpen, sondern mit gleioher Gründ¬ 
lichkeit auch die deutschen Mittelgebirge, Rieeengebirge, Schwarzwald und Vogesen, 
Thüringer Wald und Harz in den Kreis der Betrachtung zieht. Von der Defi¬ 
nition ausgehend, dass Höhenklima ein solches ist, das besondere charakteristische 
Eigenschaften auf den Menschen ausübt, setzt Verf. die untere Grenze desselben 
in der Schweiz auf 900—1000 m, im Riesengebirge, Schwarzwald und Vogesen 
auf etwa 700 m, im Thüringer Wald und Harz auf etwa 600 m an. Die absolute 
Höhe eines beliebigen Ortes ohne Berücksichtigung der mannigfaltigen anderen, 
das Klima beeinflussenden Facto ren sagt also über seine Bedeutung als Winter¬ 
kurort gar nichts aus. Die Anforderungen, die Verf. an ein Winterhöhenklima 
für Kranke stellt, sind folgende: reine, staubfreie, durchsichtige Luft, günstige 
Exposition der Sonne (SW-Abhang), windgeschützte Lage in einem nicht zu engen 
Thal, günstige Formation der Berge (Windschutz und lange Besonnungsdauer), 
nicht zu hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft, geringe Bevölkerung, nicht zu häufige 
und besonders nicht zu langdauernde Niederschläge, seltene Nebelbildung, seltenes 
Vorkommen von Regen im eigentlichen Winter und lange Dauer einer Schnee¬ 
decke. — Zum Schluss folgt eine Aufzählung der Indioationen für Höhenkuren 
im Winter, unter denen auch den functionellen Nervenkrankheiten ein breiter 
Raum eingeräumt wird, und eine ganz kurze Beschreibung der bekannteren Höhen¬ 
kurorte, welohe jetzt sohon zur Aufnahme von Winterpatienten eingerichtet sind. 

H. Haenel (Dresden). 


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560 


in. Bibliographie. 

1) Sammelatlas für den Bau von Irrenanstalten. Ein Handbaoh für Be¬ 
hörden, Psychiater nnd Baubeamte. Herausgegeben von Dr. G. Kolb (Bay¬ 
reuth). Erste Lieferung. Mit 12 Grundrissen. (Halle a/S.1902, Carl Marhold.) 

Es soll der Zweck dieses Sammelatlanten, welcher in 10—12 Li e fer un gen in 
Pansen von etwa 6 Wochen erscheinen wird, sein, den an dem Bau einer Irren¬ 
anstalt Betheiligten eine rasche Orientirung im Bereiche dee Irrenbauweeens zu 
ermöglichen. Der Atlas soll dem Psyohiater die im Allgemeinen nioht voraus¬ 
zusetzenden bautechnischen Fertigkeiten durch die Zusammenstellung and kritische 
Würdigung einer grösseren Anzahl von Grundrissskizzen ersetzen, dem bautechnischen 
Fachmann wie dem Juristen einen möglichst vollständigen Einblick in die Ziele 
und Bestrebungen der modernen Psychiatrie gewähren und dadurch ein gedeih¬ 
liches, weil verständnissvolles Zusammenwirken aller Faotoren ermöglichen. 

Der Plan, in jeder Lieferung einmal Fragen aus dem praktischen Gebiete 
der Psychiatrie, besonders im Hinblick auf die Eigenthümliohkeiten der Irren- 
anstaltsbauten, in einem zweiten Theil die Grundrisse der Krankengebäude für 
Anstalten verschiedener Grösse wiederzugeben, und die Gesichtspunkte, welche für 
die Construction maassgebend waren, aufzuzählen, ist in dem vorliegenden Hafte 
streng durchgeführt 

Falls auch die folgenden Hefte dieses Werkes ebensolche Sachlichkeit wie 
das vorliegende zeigen, ist zu erwarten, dass dieses Werk einem thatsäohlich be¬ 
stehenden Mangel abhilft. 

Das Heft zeichnet sich durch guten Druck und anerkennenswerthe Aus¬ 
stattung aus. Asoher. 


2) Traitd des maladles de la moölle öpiniöre, par J. Dejerine et Andrö 
Thomas. (Paris 1902, Bailliöre et Fils. 470 S.) 

Jedes neue Werk, dessen Titelblatt den Namen Dejeriue’s tragt, verspricht 
dem Lesenden einen neuen Genuss und fiösst ihm neue Bewunderung für den 
grossen Forsoher ein; auch in dem vorliegenden Buche hat der geniale Meister 
wiederum ein beredtes Zeugniss seines Fleisses und Könnens geliefert Er hat 
sich mit Andrö Thomas, einem Autor, dessen Namen ebenfalls einen guten 
Klang hat, verbunden, um ein Werk zu schaffen, welches sich würdig an seine 
klassischen Arbeiten über die „Anatomie des oentres nerveux“ und über die 
„Sömiologie du systöme nerveux“ anreiht 

Zum Referiren ungeeignet, mehr zum Naohschlagen als zur oontinuirliehen 
Lectüre verwendbar, enthält das Dejerine-Thomas’sche Werk in erschöpfender 
Darstellung die Beschreibung sämmtlioher Erkrankungen des Rückenmarks, ihrer 
Geschichte, Aetiologie, pathologischen Anatomie, Symptomatologie, Piognose und 
Therapie, mit Ausschluss der Rückenmarkssyphilis. Ganz besonders lobend zu er¬ 
wähnen ist die Güte und treffliche Auswahl der 162 Figuren. 

Da, wo die Ansichten über eine Frage nooh getheilt sind, führen die Autoren 
die verschiedenen Hypothesen und Meinungen an, kritisiren die einzelnen und 
fügen die ihrige hinzu. So z. B. treten sie betreffs der Little'sohen Krankheit 
der Ansicht Oddo's bei, dass nämlich dieses Leiden sowohl oerebralen wie spinalen 
Ursprungs sein kann; bezüglich der Tabes sind sie der Meinung, dass der Aus¬ 
gangspunkt der Läsionen gegenwärtig noch nioht mit Sicherheit bestimmt werden 
kann, dass vielmehr neue Studien an Fällen von Tabes incipiens darüber Auf¬ 
klärung geben müssen, jedenfalls nehmen die endogenen Fasern des Rüokenmarks 
am tabischen Process nicht theil. Der Syphilis schreiben die Verff. eine grosse 
Rolle in der Aetiologie der Tabes zu, eine antiluetische Kur sei anzuwenden, 
wenn die Krankheit ganz im Beginne ist, wenn eine frühere Behandlung der 


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Syphilis nicht stattgefunden hat oder ungenügend war, wenn im Verlaufe der 
Tabes Erscheinungen wie Arteriitis, progressive Paralyse, Paraplegie, Hemiplegie, 
Epilepsie, Apoplexie auftreten. Contrain di cirt sei die specifisohe Therapie, wenn 
eine frühere Behandlung ohne Erfolg war oder wenn die Tabes schon vor* 
geschritten ist. Die Kur könne schädlich wirken bei Kachexie, Intolerans gegen 
Quecksilber und bei Atrophia nervi optici. 

Dejerine und Thomas haben in vorliegendem Werke in knapper, präciser 
Form and mit bewundernswerthem Fleiss und Geschick alles Wichtigere zusammen - 
gestellt, was wir im Beginn des 90. Jahrhunderts über die Erkrankungen des 
Rückenmarks wissen. Das Buch wird für jede Bibliothek eine Zierde sein, der 
Pariser Schule maoht dasselbe alle Ehre. Kurt Mendel. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

XXXVXL Versammlung des Vereins der Irrenärzte Niedersachsens 
und Westfalens in Hannover am 3. Mai 1909. 

Vorsitzender: Herr Gerstenberg (Hildesheim); Schriftführer: Herr Snell 
(Hildeeheim). 

Herr Bruns (Hannover): Neuropathologisohe Demonstrationen. 

Vortr. spricht sunächst unter Mittheilung zweier von ihm selbst beobachteter 
Fälle über die Diagnose der otitischen Abscesse des Kleinhirns und 
über den Grad der Sicherheit, den diese Diagnose erreichen kann. Im 
ersten Falle (junger Mann von 14 Jahren) bestand seit einem Jahre linksseitige 
Ohreiterung. Im Laufs der Beobachtung stellten sich dann die Symptome einer 
eitrigen Sinusthrombose mit typischer Fiebercurve ein. Ein inficirter 
Thrombus wurde im linken Sinus transversus gefunden, aus diesem entfernt und 
nachher auch noch die linke Jugularis unterbunden. Darauf zunächst Besserung, 
dann Schmerzen in der rechten Kopfreite, auch bei Beklopfen des Kopfes hier. 
Von ohrenärztlicher Seite wurde jetzt die Diagnose einer rechtsseitigen Sinus* 
thrombose gestellt, aber hier und überhaupt am Ohre recht« nichts gefunden; auoh 
die rechte Kleinhirnhemisphäre wurde bei dieser Operation ohne Erfolg punotirt. 
Vo da an traten bei andauernd niedriger Temperatur allmählioh folgende Er¬ 
scheinungen auf: Schwindel, mässiger Kopfschmerz mit sehr häufigem 
Erbrechen, taumelnder Gang mit Neigung nach rechts und hinten 
zu fallen. Schwindel und Erbrechen traten vor allem bei Lageveränderungen 
des Kopfes und des ganzen Körpers ein; namentlich auch bei gleichzeitig sehr 
starkem Kopfschmerz, wenn Pat. sich auf den Bauch legt. Patellarreflexe 
beiderseits lebhaft; beiderseits auoh Achillesclonus. Rechts deut¬ 
licher ExtensionS'Babinski. Die Beine im ganzen auoh sehr schwach; keine 
Rumpfmuskelsohwäche. Keine Sprachstörung. Die linke Pupille etwas weiter als 
die reehte; Reactionen normal; links leichte Neuritis optica. Kein Nystagmus. 
Keine Dysarthrie. Psychisch frei, aber leicht ermüdbar. Colossale Abmage¬ 
rung, speciell der Beine. Die Haut sehr trocken. Am Puls nichts Besonderes. 

Die Diagnose wurde auf einen Abscess der linken Kleinhirnhemi¬ 
sphäre gestellt und eine Operation für den nächsten Tag beschlossen. An diesem 
Tage befand sich aber der Pat. so gut, dass mit Rüoksioht auf die Möglichkeit, 
dass ein Theil der Symptome, und gerade die für die Kleinhirndiagnose wichtigsten, 
auch durch eine Erkrankung des inneren Ohres allein bedingt sein konnten, wieder 
Zweifel in Bezug auf diese Diagnose sich einstellten und die Operation verschoben 
wurde. Aber schon 9 Tage später setzten speciell die Allgemeinerscheinungen in 
voller Schwere wieder ein und wurde nun die Operation bestimmt auf den 
nächsten Tag festgesetzt. In der Naoht aber starb der Pat. plötzlich. Die Section 
ergab einen abgekapselten, etwa taubeneigrossen incomplioirter Ab* 

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— 562 — 

Bcess am äusseren hinteren Ende der linken Kleinhirnhemisphäre; von der Basis 
des Kleinhirns war er etwa 9 / 4 cm entfernt; die obere Fläche erreichte er bei¬ 
nahe; hier war die Pia verfärbt. In der Umgebung des Absoesses eine geringe 
blutige Erweichung. 

Im zweiten Falle (Knabe von 12 Jahren) bestand eine langjährige linke 
Ohreiterung, die lange behandelt war. Zuletzt war vom Ohrenarzte Dr. Jens 
eine linksseitige eitrige Sinusthrombose operirt Danach trat eine mehr- 
monatl. Besserung ein; dann, etwa 8 Tage vor der Untersuchung durch den Vortr. 
(25. Januar 1901), zuerst wieder Erbrechen; seitdem andauernde heftigste 
Kopfschmerzen, unregelmässiger Puls. Nystagmus rotatorius beim 
Blicken nach rechts und links; keine Augenmuskellähmung; keine Pupillen- 
differenz; die Pupillen reagiren auch auf Licht Gang unsicher, mit leiohter 
Neigung nach links zu fallen. Rechts (also gekreuzt) Achillesclonus; 
Patellarreflexe beiderseits lebhaft Starke Abmagerung. Sensorium frei. Seit 
24 Stunden linke Papille geröthet; Grenzen undeutlich. Am 25. Januar 
1901 (Abends 7 Uhr) wurde aus der linken Kleinhirnhemisphäre etwa l 1 /, Ess¬ 
löffel Eiter entleert Der Zustand des Kranken besserte sich aber nicht Nachts 
sehr unruhig, schreit andauernd. Am nächsten Morgen Tod bei ganz plötz¬ 
lichem Athmungsstillstande; vorher Puls sehr langsam. Keine Section. 

Die Diagnose war in beiden Fällen gestellt, weil sich im Anschluss an 
länger dauernde eitrige Erkrankungen der hinteren Theile des inneren Ohres 
und vor allem auch noch im Anschlüsse an eine eiterige Sinusthrombose im Sinus 
tranBversns charakteristische Symptome eingestellt hatten. Diese waren Kopf¬ 
schmerzen, Erbreohen und Schwindel — im ersten Falle besonders 
bei Lageveränderungen des Kopfes—cerebellarer Gang mit Neigung, 
einmal nach hinten und vom kranken Ohr weg, einmal nach der Seite 
des kranken Ohres zu fallen; im zweiten Falle Nystagmus. Beide Male 
leichte Neuritis optica auf der kranken Seite. Beide Male an den 
unteren Extremitäten Anzeichen, die auf einen beiderseitigen Druck 
auf den Hirnstamm hindeuteten, der aber am gekreuzten Beine stärker 
war, — einmal nur rechts Extensions-Babinski; einmal nur rechts 
Achillesclonus. Beide Male starke Abmagerung. Auch ist hervorzuheben, 
dass bei linksseitiger Ohrerkrankung jedes Herdsymptom vom linken Sohläfen- 
lappen fehlt 

Die Schwierigkeiten der Diagnose eines Kleinhirnabscesses sind ja besonders 
darin begründet, dass eine Anzahl für das Kleinhirn specifischer Symptome auch 
bei Erkrankungen des inneren Ohres Vorkommen können. Dahin gehören: der 
Schwindel — besonders auch bei Lageveränderung des Kopfes —, das Erbrechen, 
der unsichere Gang, der Nystagmus; handelt es sich um eine eitrige Otitis media, 
so kann natürlich hier auch Fieber, Kopfschmerz, ja sogar Neuritis optica be¬ 
bestehen. Wegen dieser differentialdiagnostischen Schwierigkeiten wurde leider 
im ersten Falle auch die schon beschlossene Operation wieder aufgescboben. 
Vortr. glaubt nun, dass das in diesem Falle nicht berechtigt war. Kommen zu 
den erwähnten Symptomen, wie in beiden beschriebenen Fällen, nooh Erscheinungen, 
die auf eine doppelseitige, aber auf der Seite des Ohrleidens stärkere Affeotion 
des Hirnstammes hindeuten (s. oben) — dahin gehört auch z. B. eine Dysarthrie 
und eine Blicklähmung auf der Seite der Affection —, fehlen bei linksseitigen 
Erkrankungen die Symptome des linken Schläfenlappenabscesses, und hat vorher 
besonders eine Erkrankung des Labyrinthes, vor allem aber eine Thrombose des 
Sinus transversus bestanden, so kann man wohl die Diagnose otitischer 
Kleinhirnabsoess mit Sicherheit stellen und wird dann eine Operation 
nicht aufschieben. 

ln zweiter Reihe zeigt Vortr. eine Anzahl von Hirntumoren und be¬ 
spricht sie in symptomatisoher, diagnostischer und therapeutischer 


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«ö 


Beiieknag. Im «ntm Fall« handelte ea sieh um einen bis dahin geeonden 
and kräftigen Mann in den 50. Jahr«. Er war im November 1893 im Dampf¬ 
bad« gefall« and hatte stob auf der reckt« Seite mehrere Rippenbrüche su- 
genogen. Ea schloss sich eine tnberculöee Erkrankung der vertatst« Ripp« 
daran; Fat. musste sich mehrfach« Operation« unterziehen. Ein Jahr später 
(Octobsr 1894) trat in der Nacht ein erst« schwerer, allgemeiner, epilep¬ 
tischer Krampfanfall ein; Anfang 1895 ein zweiter, April 1895 drei gleiohe, 
Deceaabsr 1895 vier gleiche Anfälle, immer in der Nacht. Ende Deoember 1895 
trat nun bei einem Spaziergange ein erster partieller Anfall auf; es zuckt« zuerst 
nur das rechte Geeicht und die Zunge, nachher auch der rechte Arm. Das rechte 
Bein betheiligte sich nicht; psychisch war der Kranke während des Anfalles ver¬ 
worren, aber nicht bewusstlos. Das Spreeh« war wihrend des Anfalles unmög¬ 
lich ; hinterher war es länger behindert, als das Schreiben. Zu dieser Zeit unter* 
suchte Yortr. d« Fat. zum erst« Male. Der Befund war von Seit« dea Nerven¬ 
systems ein absolut negativer; im Urin fand« sich aber 2 °/ 0 Zucker. Dieser 
Diabetes mellitus bestand bis zum Tode fort — die Zuckerm«ge schwankte 
zwischen 0,5 and 3 °/ 9 . 

Yortr. sah dann d« Krank« bis April 1899 ärztlich nicht wieder. Zu 
dieser Zeit wurde er wieder oonsultirt. Es bestand« seit mehreren Wochen alle 
10 Minuten wiederkehrend, and zwar durch Tag und Nacht, Jaokaon’sche An¬ 
fälle, die sich meist auf d« rechten Facialis beschränkt« — der Stirnfacialis 
krampfte auf beiden Seit« —, selten auch den rechten Arm betheiligt«. Die 
Sprache war während der Anfälle ganz unmöglich, der Pat. war aber bei vollem 
Bewusstsein. Eine Stauungspapille bestand nicht; über Kopfschmerz« klagte der 
Kranke nicht, Erbrech« fand nicht statt. Im Urin 2 °/ 0 Zucker. Damals stellte 
Yortr. die Diagnose eines Tumors im linken Facialisoentrum und rieth zu 
einer Operation, die aber abgesohlag« wurde. Allmählich verloren sich die 
Krämpfe — non blieb eine Dysarthrie — ein verlangsamtes, leioht scandirendes 
Sprechen zurück; keine Spur von eig«tlicher Aphasie. Lähmungserscheinungen 
der rechten Extremitäten bestanden nicht. Yortr. hat d« Pat dann durch 
längere Zeit oft geeeh«, aber nicht untersucht Er klagte nie über Allgemein- 
erscheinungen des Tumors, wird aber in dieser Beziehung wohl dissimulirt haben, 
da ihm sehr daran lag, seine Stelle zu behalten. Ab und zu kam« Krämpfe im 
recht« Facialisgebiete vor. Zuletzt hat Vortr. dra Pat. im October 1900 unter¬ 
sucht Es beetend jetzt deutliche Dysarthrie und Paraphasie — schreiben konnte 
Pat aber noch bis in seine letzten Lebenstage. Der Gang war schwankend und 
unsicher, eine deutliche Lähmung der Extremitäten bestand nicht Jetzt wurde 
au oh das Auftreten von Erbrechen und Kopfschmerzen zugegeben, Faoialis- 
krämpfe war« selten. Der Augenhintergrund wurde zu dieser Zeit nicht unter¬ 
sucht Bald darauf Tod unter gehäuften Krämpfen. 

Die Seotion ergab ein von den Häuten ausgeh«des extraoerebrales Saroom 
zwischen Dora und Pia. Seine grösste Länge, die in sagittaler Richtung lag, 
betrag 8 cm, die in transversal« Richtung verlaufende grösste Breite 6om, die 
grösste Dicke etwa 4 cm. Die Form war linsenartig — scharfe Ränder und 
eine untere und obere convexe Fläche. Der Tumor hatte eine tiefe Grube in die 
linke Hirnoberfläche gedrückt, ohne aber in das Gehirn selb« einsudring« oder 
dieses zur Erweichung zu bringen. Die grösste Masse des Tumors lag im Ge¬ 
biete der zweiten Stirnwindung links, die tief eingedrückt und verbreitert war; 
die erste Stirnwindung war kaum, die dritte mässig oomprimirt Nach hinten 
war die untere Hälfte d« vorderen Centralwindung zu einem dünnen, vor der 
Roland’schen Furche lieg«den Bande zueammengedrückt; die obere Hälfte der 
vorderen Centralwindung war kaum oomprimirt; die hintere Centralwindung 
gar nicht. 

Interessant sind im vorlieg«den Falle folgende Umstände: 1. Die lanpe 

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Dauer der Krankheit. Wenn man, was doch wohl richtig sein dürfte, annimmt, 
dass schon die ersten, Herbst 1894 beobachteten allgemeinen Krämpfe auf den 
Tumor zurückzufahren waren, so hat das Leiden volle 5 Jahr gedauert; während 
des grössten Theiles dieser Zeit konnte Pat. seinen Dienst als Portier versehen. 
8. Der Umstand, dass zuerst allgemeine, erst später partiell epileptische Anfälle 
ein treten. Das hat Yortr. mehrfach beobachtet. Hier lag der Tumor wohl zuerst 
in der zweiten Stirnwindung — rückte wohl später auf das Facialiscentrum zu. 
3 Es bestand lange Zeit nur Dysarthrie, keine Aphasie, erst zuletzt leichte 
Paraphasie. Das ist charakteristisch für Tumoren in der Nähe des motorischen 
Sprachcentrums. 4. Es bestand keine Schreibstörung bis zum Tode, obgleioh der 
Tumor den stärksten Druok gerade auf die zweite Stirnwindung, die von Einigen 
als Schreibcentrum angesehen wird, ausübt. 5. Obgleich Lähmungen im rechten 
Beine nicht bestanden, was bei der Lage des Tumors .plausibel, bestand doch 
zuletzt taumelnder und unsicherer Gang, frontale Ataxie. 6. Der Tumor wäre 
im April 1899, wo er sioher diagnosticirt war, gut zu operiren gewesen. Gerade 
bei Tumoren über den Centralwindungen sind aber oft die Allgemeinersoheinungea 
so gering, dass die Patienten auf einen Vorschlag zur Operation nicht eingahen. 

Den zweiten Fall bespricht Vortr. nur kurz als einen Beweis dafür, wie die 
Localdiagnose irren kann, wenn man sieh für dieselbe sehr auf ein einzelnes 
Symptom verlässt. Es handelte sioh um einen jungen Mann, der unter den ge¬ 
wöhnlichen Allgmeinerscheinungen eines Hirntumors im Laufe von 
6 Monaten allmählich erblindet war. Im September 1900 bestand beiderseits 
totale Amaurose und das Bild einer postneuritisohen Sehnerven* 
atrophie. Es liees sich naohweisen, dass das Sehen zuerst nach rechts hin aus¬ 
gefallen — rechte Hemianopsie (?). Es bestanden bei der totalen Amaurose 
nur schwierig genau festzustellende Augenmuskellähmungen; besonders der 
Blick nach oben war behindert; nach anderen Richtungen hin bestand Nystag¬ 
mus. Die unteren Extremitäten waren schwach; sie knickten häufig ein; 
die Patellarreflexe waren beiderseits lebhafter; rechts fand sioh Achilles- 
clonus. Im rechten Arme wird über Sohmerzen geklagt; beiderseits zeigte sioh 
Intentionstremor der Arme. Auf der linken Schläfenseite liess sioh 
ein lautes, auch vom Pat. empfundenes Gefässgeräusch hören. Vortr. 
nahm an, dass dieses Geräusch im Gebiete der linken Carotis interna zu Stande 
käme — entweder Aneurysma oder gefässreioher oder gefässoomprimirender Tumor. 
Die Augen und Augenmuskelsymptome Hessen sioh bei diesem Sitze leicht er¬ 
klären; die Extremitätensymptome führte Vortr. auf eine Compression der Hirn¬ 
schenkel, namentlich des linken, zurück. Die Diagnose des Ortes in der mittleren 
Schädelgrube schien noch sicherer, als Vortr. später eine Neuralgie im linken 
Supraorbitalis und beiderseitige Anosmie constatirte. Als später bei Zunahme 
der Allgemeinerscheinungen auoh unsicherer Gang eintrat, glaubte Vortr. denselben 
als frontale Ataxie ansehen zu können. Die letzten 6 Monate seines Lebens 
hat Vortr. den Pat. nicht mehr gesehen — es bestand zuletzt totale Lähmung 
aller Extremitäten und Decubitus. Die Section ergab keinen Tumor der linken 
mittleren Schädelgrube, sondern eine kinchgrosse, wahrscheinlich von der 
Zirbeldrüse ausgehende Geschwulst auf dem vorderen, dem dritten 
Ventrikel zuneigenden Abhange der Vierhügel; in diese war eine tiefe Grube 
eingedrückt. Das Geräusch war wohl ein venöses gewesen durch Druok auf die 
Vena magna Galeni, die direct mit der oberen Fläche des Tumors zusammenhing. 
Ohne dies Symptom, durch das Vortr. sich auf die mittlere Schädelgrube fest¬ 
ritt, hätte er wohl sioher auch an die Vierhügel gedacht — die Symptome 
waren alle auoh bei diesem Sitze zu erklären; einzelne, wie der Intentionstremor 
der Arme, der ataotische Gang und vielleicht auch die Blioklähmung nach oben, 
wiesen mehr auf diesen Sitz als auf den an der Basis hin. Doch zeigt der Fall 
immerhin, wie sehr die Symptome eines Tumors der mittleren Schädelgrub«, wann 


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er erst doppelseitige Symptome von Seiten der Hirnnerven and von Seiten der 
Hirnschenkel macht, denen einer Geschwulst der VierhQgel ähneln können. 

Ferner zeigt Vortr. einen ans dem linken Armcentrum (speciell Handgebiet) 
einer 40jährigen Frau durch Operation gewonnenen Tumor. Es handelt 
sieh um ein Saroom, das ungefähr die Form und die Grösse eines kleinen Bore¬ 
dorf er Apfels hat. Es hatte sich in der Hirnsubstanz selber entwickelt, mit seiner 
Kappe die Rinde durchbrochen und war hier auch mit der Dura verwachsen. 
Die Symptome waren typisch. Zunächst Parästhesieen in den mittleren 
Fingern der reohten Hand, dann Krämpfe, die zuerst — bei vollem Be¬ 
wusstsein — nur die Finger, später auch die Hand betrafen; nur vereinzelte 
Male traten auch Zuckungen im Ellenbogen, häufiger im linken Gesiohte auf. Die 
Sprache war auch während der Anfalle ungestört. Allmählich cerebrale Lähmung 
der linken Hand — es fehlte die Extension der Finger und die Beugung der Hand, 
während Beugung der Finger und Extension der Hand noch erhalten war; ferner 
fehlten die Interossensbewegungen, Ellenbogen- und Schulterbewegungen waren 
erhalten. Der rechte untere Facialis war etwas paretisch. Am rechten Beine, 
das kaum nachgezogen wurde, Achillesklonus und stärkerer Patellarreflex als links. 
Am rechten Arme auch das Lagegefühl gestört und das Berührungsgefühl un¬ 
sicher. Daneben beiderseitige schwere Stauungspapille mit Blutungen; anfallsweise 
eintretende wüthende Kopfschmerzen, Erbrechen. So war der Zustand am 3. März 
d. J. Eine energische Jodkalikur liess die Allgemeinerscheinungen — Kopf¬ 
schmerzen und Erbrechen — nur für wenige Tage zurücktreten, dann traten sie 
mit voller Heftigkeit wieder ein. Die Operation fand am 22. März statt; in 
der Trepanationsöffnung lag die Oberfläche des Tumors frei zu Tage; er konnte 
stampf aus dem Gehirn entfernt werden. Die ersten 3 Tage nach der Operation 
bestand motorische Aphasie, aber die Fähigkeit, alles nachzusprechen; der rechte 
Arm war ganz gelähmt; das rechte Bein ganz normal beweglich. Dann trat 
unter starkem Druck die Cerebrospinalflüssigkeit am Hirnprolaps auf, der auch 
jetzt (Anfang Mai) noch theilweise besteht, und eine totale motorische Aphasie 
und auch Lähmung des reohten Beines bedingte. Jetzt fangt die Pat. an wieder 
nachzusprechen; sie kann auch Lieder mit guter Wortaussprache singen, aber 
dieselben Lieder nicht einfach sprechen; sie kann lesen. Sie benutzt das rechte 
Bein beim Gehen einigermaassen wieder, der rechte Arm ist noch ganz gelähmt. 
Kopfschmerzen, Erbrechen und Krämpfe sind seit der Operation ganz ausgeblieben; 
psychisoh ist die Patientin ganz frei. Die Stauungspapille ist noeh nicht völlig 
zurüekgegangen (Dr. Stölting). 

Zuletzt demonstrirt Vortr. einen freien Cysticerous im 4. Ventrikel, 
der von ihm mit Bestimmtheit diagnosticirt war. Es handelt sioh um einen 
40jähr. Mann, der seit etwa 5 / 4 Jahren an folgenden Krankheitssymptomen litt: 
Es bestehen Perioden von woohenlanger Dauer mit heftigsten Kopf¬ 
schmerzen und Nackensteifigkeit, andauerndem Erbreohen und leb¬ 
haftestem SchwindelgefühL Diese Perioden wurden abgelöst von ebenso 
lange dauernden Zeiträumen, in denen Pat. sich ganz wohl fühlt, frei von Kopf¬ 
schmerzen und Erbreohen ist; nur muss er sich auch in diesen Perioden vor 
schnellen Umdrehungen des Kopfes und überhaupt des ganzen 
Körpers hüten, weil sonst lebhafte Schwindelerscheinungen auftreten. Eine 
Zeit lang bestand aueh Doppeltsehen, ohne dass dafür eine bestimmte Augen¬ 
muskellähmung angeechuldigt werden konnte. Als Vortr. Anfang März d. J. den 
Pat. untersuchte, bestand wieder eine Kopfsohmerz- und Brechperiode; das Brechen 
trat mit gleichzeitigem Schwindel bei jeder Lageveränderung ein; als der Pat. 
auf Ersuchen des Vortr. den Kopf brüsk nach links drehte, fiel er 
sofort um und wurde sehr übeL Im Uebrigen war von dieser Zeit der Be¬ 
fund von Seiten des Nervensystems ein vollständig negativer; ee bestanden weder 
Lähmungen von Hirnnerven nooh von Seiten der Extremitäten; die Reflexe waren 


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in Ordnung; psychisch war Pat ganz frei. Im Urin, am Herzen und an den 
Lungen fand sich nichts. Einen Bandwurm hatte Pat. nie gehabt. Auf Ver¬ 
ordnung von Jodkali trat zuerst eine leichte Besserung ein, die aber nioht lange 
anhielt; als Vortr. den Pat am 29. März d. J. zum letzten Male sah, bestand 
leichtes Schwanken beim Gehen und Pat äusserte selbst, er habe das Gefühl 
als sei er betrunken. Zu dieser Zeit wurde von Dr. Stölting eine beiderseitige 
beginnende Sehnervenschwellung festgestellt Pat ging nun auf B.’s Rath 
in das städtische Krankenhaus zu Hannover; in einem Briefe an den Chefarzt 
desselben, Prof. Dr. Reinhold, stellte Vortr. die Diagnose eines Hirntumors und 
nahm die Möglichkeit eines Cysticercus im 4. Ventrikel an. Im Kra n ken h aus 
wurden neue Symptome nicht beobachtet; namentlich ist wiohtig, dass irgend 
welche erheblichen Anomalieen in der Respiration und der Herzthätigkeit sich 
nicht feststellen Hessen. Am 6. April verstarb der Pat ganz plötzlich, 
noch ehe ein Arzt dazukommen konnte. Nach diesem plötzlichen Tode 
stellte Vortr. die Diagnose Cysticercus ventriculi IV mit Sicherheit 
Die Section (Prosector Dr. Stroebe) ergab ausser starkem Hydrooephalus internus, 
die zu einer Verbreiterung des Pons geführt hatte, einen an der linken Seite dee 
Calamus scriptorius freiliegenden abgestorbenen Cysticercus. Kein Bandwurm. 
Eine zweite CyBticercusblase verkalkt im rechten Pectoralis; das Gehirn im 
Uebrigen ganz frei. 

Die Diagnose war auf folgende Momente gestützt, die von eigenen und Anderer 
neuesten Erfahrungen ausgehen: 1. Auf den häufigen Wechsel zwischen den 
wochenlang andauernden stärksten sogen. Allgemeinerscheinungen eines Tumore: 
Kopfschmerz, Erbrechen und Sohwindel, und ebenso langen ziemlich freien Stadien. 
2. Auf die innigen Beziehungen, die zwischen starken Schwindelanfällen und 
rascherer Lageveränderung des Kopfes bestanden. 3. Auf das Fehlen und die Un¬ 
bestimmtheit sonstiger objectiver Symptome — Stauungspapille trat erst ganz zu¬ 
letzt au£ wobei zu bemerken, dass die sonst noch beobachteten Symptome, wie 
Doppeltsehen und leichter cerebellarer Gang, doch in einer ganzen Anzahl von 
Fällen von Cysticercus im 4. Ventrikel beobachtet sind und häufig zu der 
irrthümliohen Diagnose Kleinhirntumor geführt haben. 4. Auf den plötzlich ein¬ 
tretenden Tod. 

Erwähnenswerth ist noch, dass in diesem wie in vielen gleichen Fällen deut¬ 
liche Symptome von Seiten der Herzthätigkeit und der Respiration fehlten; ebenso 
Zuckerharn. Vortr. hält es nach dem jetzigen Stande unserer Erfahrungen für 
möglich, bei einem dem vorstehenden gleichen Verlaufe und Symptomencomplexe 
die Diagnose eines Cysticercus im 4. Ventrikel mit grosser Wahrscheinlichkeit zu 
stellen, auch ohne den plötzliohen Tod abzuwarten, der dieser Diagnose 
allerdings besondere Sicherheit verleiht. Ist die Diagnose in solchem Grade 
wahrscheinlich, so würde man wohl an eine operative Behandlung denken können; 
nur müsste es dazu möglich sein, zu erkennen, ob es sich um einen frei schwim¬ 
menden oder im Boden dee 4. Ventrikels festsitzenden Cysticercus handelt; denn 
nur im ersten Falle würde bei einer Entleerung der Hirnflüssigkeit durch An¬ 
stich des 4. Ventrikels die Cysticercusblase sich auch entleeren. Nun scheinen 
die Symptome, die ja meist auf dem wechselnden Hydrooephalus internus beruhen, 
im Uebrigen bei freiem und fixirten Sitze dee Cysticercus im 4. Ventrikel die¬ 
selben zu sein; Vortr. möchte aber annehmen, dass die starken Schwindelanfälle mit 
Hinstürzen bei brüsken Kopfbewegungen besondere bei freien Cysticerken Vor¬ 
kommen und hält diesen Umstand für spätere Beobachtungen der besonderen Be¬ 
achtung empfohlen. Auch verkennt er natürlich nicht, dass die plötzliche Ent¬ 
leerung einer unter starkem Druck stehenden Ventrikelflüssigkeit aus dem vierten 
Ventrikel ihre grosse Gefahr hat; man könnte daran denken diese Operation in 
den von Kopfrehmerz freien Perioden zu machen, in denen wahrscheinlich der 
Hydrocephalus internus nioht so stark ist Zum Schluss erwähnt Vortr. noch, 


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dass, wie er atu persönlicher Mittheilung dee Co liegen Loewenthal in Braun¬ 
schweig weise, auch diesem vor einiger Zeit die Diagnose eines Cysticercus im 
4. Ventrikel gelungen ist. 

In der Discussion geht Herr Loewenthal (Braunsohweig) näher auf den 
von ihm diagnosticirten Fall ein. Er hat die Diagnose ebenfalls gestellt auf 
Grund der häufigen Remissionen und Exacerbationen und des bei Lagewechsel 
eintretenden Schwindels. 

Herr Alt (Uchtspringe) hebt hervor, dass er in der Sitzung des Vereins vom 
Jahre 1807, wo Cramer einen auch von Bruns beobachteten Fall von fest¬ 
sitzendem Cysticercus im 4. Ventrikel vorgestellt habe, auf Grund eines selbst¬ 
beobachteten Falles mit intermittirender Glycosurie die Ansicht ausgesprochen 
habe, dass bei weiterer genauer Beobachtung entsprechender Fälle man wohl dahin 
kommen könnte, eine Diagnose des Cysticercus im 4. Ventrikel zu machen. Bruns 
und Cramer hätten ihm damals widersprochen; er freue sich, dass nun gerade 
Bruns jetzt diese Diagnose gelungen sei. 

Herr Bruns erwidert darauf, dass immerhin auoh jetzt noch etwas 
Gl&ck dazu gehöre, damit die Diagnose richtig sei. Wechselnde 
Perioden von Exacerbationen und Remissionen der Krankheitssymptome kämen 
auch bei anderen Hirntumoren vor; und der Einfluss des Lageweohsels auf die 
Symptome sei namentlich bei Tumoren des Kleinhirns und der hinteren Schädel¬ 
grube oft sehr deutlich. Bruns. 

(Fortsetzung folgt.) 


XXVII. Wanderversammlung der südwestdeutsoben Neurologen und 
Irrenärzte zu Baden-Baden am 24. und 25. Mai 1902. 

L Sitzung vom 24. Mai, Vormittags ll 1 ^ Uhr, j m Conversationshause, zu 
Baden-Baden. Eröffnung durch den ersten Geschäftsführer Herrn Hofrath Profi 
Dr. Kraepelin (Heidelberg). 

Herr Profi Dr. Kraepelin gedenkt in tiefempfundenen Worten des Heim¬ 
ganges eines der eifrigsten und hervorragendsten Mitgliedes der Wanderversamm¬ 
lung, des Strassburger Physiologen Prof. Dr. Goltz. Die Versammlung ehrt das 
Andenken des Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen. 

Zum Vorsitzenden für die I. Sitzung wird Geheimrath Prof. Dr. Hitzig gewählt. 

Schriftführer: Dr. Leop. Laquer (Frankfurt a/M.) und Prof. Dr. A. Hoche 
(Strassburg). 

Anwesend sind 106 Theilnehmer. 

Nach Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten werden folgende Vorträge 
gehalten: 

Herr Prof. Dr. Hoffmann (Heidelberg) stellt drei Kranke vor: 

L Ein junges Mädchen, die an einer Neuritis hypertrophioa interstitialis 
leidet. Es finden sich motorische Lähmungserscheinungen mit leichter Atrophie 
in verschiedenen Schulter-, Arm- und Beinmuskeln bei erhaltener Sensibilität, 
schwachen Sehnenreflexen und starker Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit 
in allen motorisohen Nerven. Alle fühlbaren Nervenstämme sind hart und 
verdiokt, sehr drucksohmerzhaft 

IL Ferner zeigt eine 63 j. Frau, die erschienen ist, einen über Gesichts-, Zungen- 
und Wangenmuskeln, Gaumensegel und Stimmbänder ausgebreiteten Tlo oonvulsif. 

HL Endlich bietet ein 23 jähriger Bauernbursche einen oontinuirliohen 
Factaliskrampf. der in den Gesichtsmuskeln und im Platysma auftritt, mit 
leiohter Parese dar; es war eine periphere Facialislähmung vorausgegangen. 
Der elektrische Befund ergiebt die paradoxe Reaction, die der myotonischen und 
neurotonisohen Reaction ähnlich ist. (Langsam eintretende träge tonische Zuckung 
mit Nachdauer.) 


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variablen, dem Verlauf der Faaerung des M. temporal» entsprechenden Rinnen 
und aus einer eigentümlichen zarten Felderung der Squama ossis. temporum, die 
den feinen Bündelursprüngen des Schläfenmuskels und ihren Zwischenräumen 
entspricht Leop. Laquer (Frankfurt a/M.). 

(Fortsetzung folgt) 

V. Neurologische und psychiatrische Litteratur 

vom 1. März bis SO. April 1902. 


I. Anatomie. Kaplan, Nenrenfärbung. Archiv f. Psych. XXXV. Heft 8. — Zosin, 
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XITI. Nr. 4. — Vogt, Neurofibrillen in Nervenzellen und Nervenfasern der Retina. Monatsschr. 
f. Psych. u. Neur. XI. Heft 8. — Lawdowsky, Anastomosen zwischen Nervenzellen. Russky 
Wratsch. Nr. 12. — Triepel, Einführung in die physikalische Anatomie. Wiesbaden, 
J. F. Bergmann. 282 S. — Ramon y Cajal, Endigung des äusseren Lemniscus. Deutsche 
med. Wochenschr. Nr. 16. — Ferrand, Anatomie des lacunes de dösintdgration odröbrale. 
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schrift f. v. Krafft-Ebing. — Kirchholf, Mimisches Centrum im Sehhögel. Archiv f. Psych. 
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Nr. 25. — Joteyko, Sitz der Ermüdung. Przeglad lekarski. Nr. 9. — Levy, Fatigue of the 
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klin. Rundschau. Nr. 16. — Oixon, Innervation of frog’s stomach. Ebenda. — v. Frankl- 
Hochwart und Fröhlich, Corticale Innervation der Rectalsphincteren. Jahrb. f. Psych. XXII. 
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Grandis, Sopra la percezione delle impressioni tattili. Arch. di psich., sc. pen. XXIII. 
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Voies motrioes dans la moölle du chien. Ebenda. — Grandis, Perception des impressions 
tactiles. Ebenda. — Ottolenghi, Nerfs de la moölle des os. Ebenda. — Stefan!, Muacle 
Bphincter de l’iris aprös l’atropinisation. Ebenda. — Stefan!, Cellules du ganglion ciliaire 
aprös l’atropinisation. Ebenda. — Sommer, R., Problem des Gehens auf dem Wasser. 
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en Boumanie. Progr. mdd. Nr. 14. — Schwiening, Alkoholismus in der Armee. Deutsche 
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XXVIII. Heft 2. — Aschalfenburg, Associationen. 3. Theil: Die Ideeenflucht. Leipzig, 
Engelmann. — Schuppe, Leib und Seele. Wiesbaden, J. F. Bergmann. 67 S. — Ziehen, 
Gehirn nnd Seelenleben. Leipzig, J. A. Barth. 66 S. — Storch, Psychophysiologische Dar¬ 
stellung dqr Sinneswahrnehmungen. Monatssohr. f. Psyoh. u. Neur. XL Heft 8. — 8torch, 
Bewusstsein. Berlin, S. Karger. 140 S. — Gross, Vorstellungszerfall. Ebenda. — Diehl, 
Merkfähigkeit. Ebenda. 89 S. — Meinong, Annahmen. Zeitschr. f. Psyoh. u. Phys. der 
Sinnesorg. Ergänzungsbaod II. — Adamkiewlcz, Wie verrichtet der Wille mechanische 
Arbeit? Zeitschr. f. klin. Med. XLV. Heft 1 u. 2. — Deinhard, Okkulte Psychologie. 
Berlin, Schwetschke u. Sohn. 91 S. — Upps, Psychologische Streitpunkte. Zeitsohr. für 
Psych. u. Phys. d. Sinnesorgane. XXVIII. Heft 8 u. 4. — Wiorsma, Aufmerksamkeits- 
Schwankungen. Ebenda. — Kalischer, Edith, Aesthetische Contemplation. Ebenda. — 


VI. Psychiatrie. Allgemeines: Alber, Atlas der Geisteskrankheiten. Berlin und 
Wien, Urban u. Schwarzenberg. 125 S. — Hess, Psychiatrisches in Hauptmann’s „Rothem 
Hahn". Psyoh. Wochenschr. Nr. 58. — Portigliotti, Un monomane: Savonarola. Arch. di 
raich., sc. pen. XXIII. Faso. 2 u. 8. — Subotic, Busalien in Serbien. Jahrb. f. Psych. 
XXII. Fest sehr, t v. Krafft-Ebing. — Maepherson, Psychiatrical clinique for Edinburgh. 
Edinb. med. Journ. XI. Nr. 8. — Sibbald, Psychiatrioal clinique for Edinburgh. Scott 
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Habsburger. Archiv f. Psych. XXXV. Hefts. — Hoppe, Matteawan state hospital. Psych. 
Wochensohr. Nr. 50. — Viallon, Suioide et folie. Ann. möd.-psych. Nr. 2. — Obersteinei, 
Psychosen im Anschluss an Verheirathnng. Jahrb. t Psych. XXIL Festsohr. f. v. Krafft- 
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med. Wochenschr. Nr. 11.— Baedeker, ArsonvaliBation. Berlin u. Wien, Urban u. Schwarzen¬ 
berg. 44 S. — Stembo, Arsonvalströme. St. Petersb. med. Wochensobr. Nr. 11. — Wallis, 
Lichttherapie. Inaug.-Dissert Berlin. — Simonsohn, Massage des Herzens. Ebenda. — 
Hector, Erfolge der Nervennaht. Ebenda. — Bailance et Stewart, Processus de rEunion de« 
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Therapie. VI. Heft 1. — Forel, Der Hypnotismus. Stuttgart, Ferd. Enke. 4. AufL 266 S. 

— Moll, A^ Gesundbeten. Berlin, Waltner. 47 S. 


Um Einsendung von Separatabdrflcken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vbit & Comp. ia Leipzig. — Druck von Marse kb & Wime in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(nnter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einnndswansigster " B * ri,n ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 1. Jnli. Nr. 13. 


I. Origlnalmittheilungen. 1. Vorläufige Mittheilung zur Pathologie der Tetanie, von Prof. 
A. Pick. 2. Die Silberimprägnation der Azencylinder, von Dr. Max Bielschowsky. 8 . Ueber 
hysterische Blindheit, von Dr. H. Krön. 

II. Referate. Anatomie. 1. Technische Bemerkung zur Carminfärbung des Central¬ 
nervensystems, von Schwalbe. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber die Empfind¬ 
lichkeit der hinteren Theile des Mundraunies für Tast- u. s. w. Beize, von Klesow und Hahn. 
— Pathologische Anatomie. 3. Ueber das Nervensystem eines Hemicephalen, von 
v. Muralt. — Pathologie des Nervensystems. 4. Zur Psychopathologie der Neurasthenie, 
von Pick. 5. Zur Pathogenese der Hysterie und Neurasthenie und ihre Stellung zu Stoff- 
wechselanomalieen, von Higier. 6. Hysterie, von Westphal. 7. Ueber Sensibilitätsstörungen 
der Haut bei Erkrankungen innerer Organe, besonders bei Magenkrankheiten, von Hacncl. 
8 Ueber die physiologische Grundlage der hysterischen Ovarie, von Steinhausen. 9. Ueber 
nenrasthenische Neuralgieen, ron Jendräuik. ' 10. Die subjectiven Beschwerden der Neurasthe¬ 
niker, von Hoeflmayr. 11. Ein Fall von Hysterie mit linksseitiger Hyperhidrosis und Trans- 
fert der Hemihyperaesthesia sinistra auf die rechte Körperhälfte, von Kpdzior. 12. Amaurose 
hystdrique double, par Gallemaerts- 13. Ein Fall von hysterischer Taubheit, von Schultze. 
14. Oreille et hystdrie, par Chavanne. 15. Un cas d’epilepsie jacksonienne hystdrique, traite- 
roent, guerison, par Hartenberg. 16. Deviationen und Contracturen neurotischen Ursprunges 
der Wirbelsäule, von da Paoll. 17. Die hysterische Skoliose, von Muskat. 18. Hysterische 
Höfthaltung mit Skoliose, von Salomonson. 19. Ueber die hysterischen Störungen, von 
Strdzewsky. 20. Diplegia facialis hysterica, von Lukäcs. 21. Monoplegie crurale hystdrique, 
par Simon. 22. Fall af ostasi-abasi. af Küster. 23. Astasie-Abasie, monoplegie brachiale, 
nystdrie infantile, par Comby. 24. Ueber Zwangserbrechen, von v. Bechterew. 25. Larynx- 
neuroser, af Stein. 26. Nervöse Tachypnoe, von Reckzeh. 27. Et tilfälde af hysteriske blöd- 
ninger i hud og slemhinder, af Holth. 28. Involuntary micturition in Children, by Lydston. 
29. Neurasthenie und Hysterie bei Kindern, von Singer. 80. Ein Fall von Encepnnlopathia 
infantilis, von Lukdcs. 31. Hystdric juvdnile chez une fillette de douze ans — Hemianesthdsie 
sensitive-sensorielle gauche compldte. Neuf crises d’amaurose double absolue. Perversion 
de la vision binoculaire, par Crachet. 32. Casuistischcr Beitrag zur Hysterie der Kinder, von 
Leik. 38. Ueber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke, von Löwenfeld. 34. Ueber den 
Aufenthalt von nervenschwachen Personen im Nordseekliraa, von Jde. 35. Bergsteigekuren 
für Nervenkranke, von Keller. 36. Die Behandlung der Neurasthenie, von Weygandt. 37. Sur 
la curabilitd des tics, par Neige et Feindei. 38. Zur Behandlung des nervösen Hustens 
mittelst bahnender und hemmender Uebungstherapie, von Funke. — Psychiatrie. 39. Bei¬ 
trag zur Kenntniss des hysterischen Dämmerzustandes, von Raecke. — 40. Ueber hysterische 
Geistesstörungen, von Fürstner. 41. Malades imaginaircs, par Valentin. 42. Zur Pathologie 
der Angst, von Kornfeld. 48. In welcher Beziehung steht die .Agoraphobie (Platzangst) zu 
gewissen Erkrankungen deB Gehörorganes, von Eitelberg. 44. Ein Fall von Zwangsvorstellungen, 
von Jahrmlrker. 45. The development and genealogy of the Misses Beauchamp. A preli- 
minarv report of a case of multiple personalitv, by Prlnce. — Therapie. 46. Ueber eine 
einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes, von Laquer. 

III. Ahs den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — Berliner med. Gesellschaft. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. — XXVII. Wander¬ 
versammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 24. und 
25. Mai 1902. (Schluss.) — K. k, Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

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I. Originalmittheilungen. 


1. Vorläufige Mittheilung zur Pathologie der Tetanie. 

Von Prof. A. Piok. 

In einer der nächsten Nummern des American Journal of Insanity soll eine 
Arbeit von mir erscheinen, betitelt: „Ueber Verkalkung der feineren Himgefasse 
nebst Bemerkungen über deren klinische Beziehungen“; der Inhalt derselben 
war im Wesentlichen schon im Jahre 1894 der damals bestehenden Prager 
„neurologischen Vereinigung“ mitgetheilt, die Publication aber, durch Zufall mehr, 
bis jetzt verzögert worden; da nun bis zum Erscheinen der Arbeit noch einige 
Zeit verstreichen dürfte, möchte ich, im Hinblick darauf, dass schon in der 
nächsten Zeit eine für meine Auffassung bedeutsame, bestätigende Beobachtung 
folgen dürfte, schon jetzt jene oben citirten „Bemerkungen“ über die klinischen 
Beziehungen der Gefässverkalkung zur Kenntniss der Fachgenossen bringen, 
pour prendre date — wie die Franzosen sagen. Im Jahre 1891/92 hatte ich 
einen Fall von Tetanie bei einem jugendlichen Epileptiker beobachtet und die 
am 11. April 1892 im pathologisch-anatomischen Institute des Herrn Prof. 
Chiabi vorgenommene Section hatte eine typische Verkalkung der feineren und 
feinsten Himgefasse besonders im Grosshirnmark und im Cerebellum ergeben. 

An die Mittheilung des histologischen Befundes knüpfte ich in jener Ver¬ 
einigung nachstehende Erwägungen: 

„Es ist von vornherein ersichtlich, dass die Versuche, zu einer positiven 
Grundlage für eine Theorie der Tetanie zu kommen, von jenen Fällen ausgehen 
müssen, bei welchen die Tetanie nur symptomatisch neben anderen, schweren 
Affectionen des Nervensystems aufgetreten; liegt doch die Annahme nahe, dass 
die diesen letzteren zu Grunde liegenden und mit unseren gegenwärtigen Hülfs- 
mitteln nachweisbaren Veränderungen durch eine eigenthümliche Modification 
ihres örtlichen oder sonstigen Verhaltens oder durch ein Plus von Veränderungen 
zur Tetanie führen und so Licht auf jene Befunde werfen könnten, die, offen¬ 
bar functioneller Art, der einfachen, nicht complicirten, heilbaren Tetanie zu 
Grunde liegen. Bekanntlich liegen nun solche Befunde irgendwie zureichender 
Art bisher nicht vor und auch dem vorliegenden gegenüber ist gewiss grosse 
Vorsicht am Platze; es ist aber immerhin bemerkenswerth, im Hinblick auf die 
von Einzelnen aufgestellte vasomotorische Theorie der Tetanie, dass hier der 
Befand am Gefässsystem im Vordergrund steht. Leider fehlt jede irgendwie 
genauere Anamnese, die über etwaige frühere Anfalle von Tetanie Aufschluss 
geben würde und so bleibt vorläufig nur die Möglichkeit ins Auge zu fassen, 
dass die durch den Verkalkungsprocess herbeigeführte Verengerung und theil- 
weise Verschliessung zahlreicher Lumina im Marke des Grosshirns oder im 
Kleinhirn, sobald sie eine gewisse Höhe und Ausdehnung erreicht, zu einer 
symptomatischen Tetanie geführt hat; um das H} pothetische der hier gegebenen 


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579 


Deutung so recht vor Augen zu führen, habe ich mit Absicht nioht von einer 
pathologischen Anatomie der Tetanie gesprochen. Die vorstehenden Erwägungen 
fanden nun eine bemerkenswerthe Bestätigung durch einen in den letzten Tagen 
(seil, des Jahres 1894) zur Section gekommenen Fall meiner Klinik. 

Derselbe betraf eine, von der Augenklinik (damals Prof. Sattleb), wo sie 
ein Jahr vorher, wegen offenbar mit ihrer jetzt nachweisbaren Tetanie im Zu¬ 
sammenhang stehender Cataract operirt worden war, zur psychiatrischen Klinik 
transferirte, 42 jähr. Frau, die dort verstarb und deren am 21. April 1894 statt¬ 
gehabte Section gleichfalls typische Verkalkung der feinen Gelasse im Gross¬ 
und Kleinhirn betraf.“ 

In der wenige Tage später stattfindenden Sitzung der erwähnten Vereinigung 
betonte ich die durch diesen Fall gegebene Bestätigung meiner Anschauung, da 
es vielleicht mehr als Zufall sei, dass die, doch immerhin nicht allzuhänfige, 
Gefassverkalkung sich auch in diesem Falle vorfand; in meiner jetzt fertig 
gestellten, am 29. Mai abgeschickten Arbeit führte ich aus, dass ich auch jetzt 
noch, trotzdem bisher von anderer Seite 1 etwas Aehnliches bei Tetanie nicht 
nachgewiesen worden, die Befunde für bedeutsam halte, wenn man sich nur 
immer streng meine einleitenden Bemerkungen vor Augen hält, also nicht 
etwa die Verkalkung der Gefässe selbst als den Befund der Tetanie ansieht. 
Der Einwand, dass Gefassverkalkung auch ohne Tetanie vorgekommen, ist natür¬ 
lich ohne weiteres hinfällig, da die Erscheinungen der Tetania mitis erst ge¬ 
sucht werden müssen, sollen sie überhaupt festgestellt werden. 

(Eingegangen am 12. Jani.) 


[Ans dem Laboratorium des Herrn Prof. Mbndel.] 

2. Die Silberimprägnation der Axencylinder. 

Von Dr. Max Bielaohowaky. 

Eine dem Chemiker geläufige Reaction zum Nachweis der Aldehyde beruht 
auf ihrer Reductionswirkuug gegenüber ammoniakalischen Silbersalzlösungen. 
Bringt man im Reagensröhrchen eine Aldehyd- und ammoniakalische Silbersalz¬ 
lösung zusammen, so bildet sich ein Niederschlag von metallischem Silber, 
welcher sich, da die Reduction ohne Gasentwickelung abläuft, an den Wänden 
des Glases als spiegelnder Ueberzug festsetzt. Diese Reduction beruht auf der 
Neigung der Aldehyde, sich zu den entsprechenden Säuren zu oxydiren (Form¬ 
aldehyd zu Ameisensäure, Acetaldehyd zu Essigsäure u. s. w.). Bei der grossen Be¬ 
deutung, welche der Formaldehyd jetzt in der Conservirungstechnib thierischer 


1 Nachträgliche Bemerkung: Von befreundeter Seite erfahre ioh, dass der gleiche 
Befund, wie ich ihn hier mittheile, in einer opbthalmologischen Arbeit der letzten Zeit mit- 
getheilt worden sein soll; ich bin nicht in der Lage die betreffende Publication nachzuweisen; 
sollte eine solche thatsäohlioh vorliegen, dann wären meine obigen Auseinandersetzungen um 
so berechtigter. 

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580 


Gewebe, speciell der nervösen Centralorgane besitzt, war es ein naheliegender 
Gedanke, diese Reaction für die histologische Technik auszunutzen. Die ersten 
Versuche nach dieser Richtung unternahm ich vor mehr als 2 Jahren, und zwar 
an Gefrierechnitten von Gewebsstücken des Centralnervensystems, welche in 
10°/o Formollö8ungen fixirt worden waren. Ich erwartete damals Bilder zu 
gewinnen, welche etwa denjenigen der GoLGi’schen Methode entsprechen würden. 
Thatsächlich näherten sich die gewonnenen Präparate in mancher Beziehung 
dem gewünschten Ziele. Es fiel mir aber schon damals auf, dass die sich 
bildenden Niederschläge die Neigung hatten, in electiver Weise die Axencylinder 
zu imprägniren. Diese Beobachtung war mir die Veranlassung, mich mit dem 
Gegenstände weiter zu beschäftigen. Im vorigen Jahre hat Faiebstain in 
Nr. 8 dieses Centralblattes ein Verfahren zur Darstellung der Axencylinder mit- 
getheilt, welches auf dieser Aldehydreaction beruht Er benutzte Gefrierschnitte 
von formol- und chromgehärtetem Material. Wenn ich nach den ex&cten Aus¬ 
führungen dieses Autors jetzt in dieser Frage das Wort ergreife, so hat dies 
folgende Gründe. Erstens weicht das von mir geübte Verfahren in manchen 
Punkten von dem seinigen ab; zweitens ist es mir in letzter Zeit gelungen, diese 
Imprägnation auch an ganzen Stücken erfolgreich durchzuführen. Derartige 
Blöcke vertragen die Paraffineinbettung und es bedarf keiner Begründung, dass 
dadurch die Brauchbarkeit der Methode erweitert wird. 

A. Gefriersohnitte. 

Zu Gefrierschmtten verwende ich Material, welches in 10°/ 0 Formollösung 
fixirt worden ist. • Zum Schneiden wird der Block aus dieser Flüssigkeit direct 
auf das Mikrotom gebracht. Die Schnitte kommen in 10°/ o Formollösung zurück. 

Imprägnation. Aus der 10°/ 0 Formollösung kommen die Schnitte in die 
nmmoniakalische Silbernitratlösung, welche in folgender Weise hergestellt wird. 
Zu einem beliebigen Volumen des officinellen Liquor ammonii caustici wird tropfen¬ 
weise so viel von einer 10°/ 0 AgN0 3 -Lösung hinzugefügt, bis ein weisslicher, 
sich rasch braun färbender Niederschlag entsteht. Sobald sich dieser bildet, wird 
er durch erneuten Zusatz von Ammoniak zum Schwinden gebracht. Diese 
ammoniakalische Silberlösung muss stets einen geringen Ueberschuss von NH 3 
enthalten, welcher sich dem Gerüche noch deutlich bemerkbar macht. Ein zu 
starker Ueberschuss von NH 3 ist schädlich. Der chemische Vorgang bei dieser 
Lösung ist der, dass zwei Molecüle NH 3 mit einem Molecül AgN0 3 zusammen¬ 
treten, es bildet sich dabei ein Körper, welcher nach Marignac als das Nitrat 
des Ammonium-Silber-Ammoniums zu bezeichnen wäre N(NH 4 )AgH 2 N0 3 . 1 

Reduction. Aus dieser Silberlösung kommen die Schnitte in eine 10°/o 
Formollösung. Das Gelingen der Präparate wird wesentlich gefördert, wenn diese 
Lösung einen geringen Grad von Alkalescenz besitzt, weil dadurch ihre redu- 
cirende Wirkung erheblich gesteigert wird. Vanino 2 hat alkalische Formaldehyd¬ 
lösungen vermöge ihrer starken Reductionswirkung erfolgreich in die quantitative 
Analyse des Wismuts, Goldes und Silbers eingeführt. Es genügt für unsere 


1 Ammoniakalische Lösungen der Halogen Verbindungen des Silbers und einiger organischer 
Silbersalze erwiesen sich als unvorteilhaft. 

* Vanino, Ueber die Anwendung alkalischer Formaldehydlösungen in der quantitativen 
Analyse. Gerichte der deutschen chemischen Gesellschaft. XXXI. S. 1T63. 


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581 


Zwecke die schwache Alkalescenz des Brunnen- bezw. Leitungswassers, die unter 
Umstanden durch Zusatz von einigen Tropfen einer Carbonatlösnng verstärkt 
werden kann. Uan benütze also Leitungswasser für die Herstellung der Formol- 
lösong. Ein zu starker Alkaligehalt wäre aber nachtheilig, weil durch ihn eine 
zn stürmische Reduction hervorgerufen wird. Die Schnitte werden in dieser 
Formaldehydlösung nach kurzer Zeit gelblich. Der richtige Grad der Färbung 
wird dadurch erzielt, dass man nun die Schnitte wiederholt aus der Formol- in 
die Silberlösung bringt und umgekehrt. Es empfiehlt sich, zwischen beiden 
Lösungen die Schnitte durch deetillirtes Wasser hindurchzuziehen. Diese Procedur 
wird so lange fortgesetzt, bis auch die graue Substanz des betreffenden Schnittes 
einen gelblich-braunen Farbton aufweist. Ist dies der Fall, so kommen die 
Schnitte in destillirtes Wasser. Derartige Präparate bieten ,bei mikroskopischer 
Betrachtung folgendes Bild: Alle vorhandenen Axencylinder sind tiefbraun oder 
schwarz tingirt, ebenso sind die Nervenzellen als gelblich oder braun gefärbte 
Gebilde sofort deutlich zu erkennen. Alle übrigen Gewebsbestandtheile sind in 
diffuser Weise gefärbt und bilden einen gelblichen contrastreiohen Grund. Mit 
der vollendeten Reduction ist die Behandlung der Schnitte aber nooh nicht be¬ 
endigt. Das Silber ist in den tingirten Elementen in einer Form niedergeschlagen, 
welche sich in ihren chemischen Eigenschaften dem eolloidalen Silber nähert. Es 
besteht eine geringe Löslichkeit desselben in Alkohol, eine stärkere in Xylol, 
Toluol, Chloroform, Terpentin u. s. w., und es wird dadurch ein unmittelbares 
Einschlieesen der Schnitte in Balsam unmöglich gemacht, weil die Lösungsmittel 
des Harzes (Xylol, Terpentin) auch das Silber auflösen und dadurch ein rasches 
Abblassen bedingen. 

Vergoldung. Um Dauerpräparate zu gewinnen, muss der Silbernieder¬ 
schlag in den Zellen und Axencylindern durch einen Gold- oder Platinüberzug 
haltbar gemacht werden. Eis handelt sich um eine Procedur, welche dem 
Tonungsprocess der Chlorsilberpapiere in der Photographie analog ist. Die 
Schnitte kommen in ein Goldbad von folgender Zusammensetzung: auf je 10 ccm 
Brunnenwasser werden 2 Tropfen einer l°/ 0 wässerigen Goldchloridlösung hinzu¬ 
gefügt, und da bei einem geringen Grade von Alkalescenz der Vergoldungs- 
process rascher von statten geht, empfiehlt es sich, dem Gesammtbade einige 
Tropfen von einer gesättigten Boraxlösung und einige Tropfen einer 10 °/ 0 Kalium- 
carbonicumlösung hinzuzufügen. In diesem Goldbad nehmen die Schnitte einen 
grauen bezw. graubraunen Farbton an. Die imprägnirten Gewebsbestandtheile 
erhalten dadurch eine dunklere und kräftigere Färbung. Wie Fauchstain bereits 
hervorgehoben hat, wirkt dieses Goldbad zugleich als ein Differenzirungsmittel, 
welches den gelbliohen Grundton im Gewebe entfernt. 

Fixirbad. Aus dem Goldbad kommen dann die Schnitte für einige Minuten 
in eine 10°/ o wässerige Lösung von Natriumthiosulfat (NajSjOg). Die Anwendung 
dieses in der photographischen Technik als Fixirnatron viel benutzten Salzes, 
welches ein Lösungsmittel für Silbersalze ist, bezweckt, die letzten Reste un¬ 
genügend reducirten Silbers aus den Schnitten zu entfernen. Unterlässt man 
diese Procedur, so wird der Grundton der Präparate allmählich röthlich bezw. 
violett und die Schärfe der Contraste wird dadurch beeinträchtigt. Ausserdem 
gewinnen die Schnitte durch die Behandlung mit Natriumthiosulfat entschieden 
an Dauerhaftigkeit. 

Nach vollendeter Entwässerung in Alkohol von steigender Concentration 
kommen die Schnitte in Cajeputöl, aus diesem auf den Objeotträger, wo das Oel 
mit Xylol abgespült wird. Einschluss in Canadabalsam. 

Anstatt der Vergoldung kann, wie in der Photographie, auch eine Plati- 
nirung der Schnitte vorgenommen werden und zwar am besten in einem schwach 
alkoholischen Bade; auf je 10 ccm eines 30—40% Alkohols genügen 2 Tropfen einer 


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l°/ 0 Platinchloridlösung (PtCl 4 ). Der Nachtheil dieses Platinbades liegt in der 
zuweilen zu stark wirkenden „Differenzirung“, welche die feinsten Axencylinder 
zum Abblassen bringt. Statt der genannten Lösungen können auch eine grosse 
Anzahl anderer mit Vortheil gebraucht werden, deren Aufzählung zu weit 
fahren dürfte. 


B. Imprägnation ganzer Stücke. 

1. Imprägnation. Das Material wird auch für diesen Zweck aus der 

Leiche in eine 20°/ o , einmal zu erneuernde Formollösung gebracht. Die Blöcke 
erhalten zweckmässig einen Dickendurchmesser von nur etwa 1 cm. Dieselben 
kommen in ein Silberba.l von derselben Beschaffenheit wie es bei der Behandlung 
der Gefrierschnitte angegeben worden ist. Schon nach kurzer Dauer der Ein¬ 
wirkung dieser Silberlösung färbt sich der Block zunächst in seiner Oberfläche 
gelb und bald dunkelbraun; dabei tritt ein deutlicher Contrast zwischen grauer 

und weisser Substanz hervor, und zw&r in der Weise, dass die weisse Substanz 

früher dunkelt als die graue. 1 

Nach kurzer Zeit aber dringt die Silberlösung auch in die Tiefe des Gewebes 
ein. Die Blöcke bleiben 1—4 Tage, je nach ihrer Grösse und Dicke, in dieser 
Lösung. Nach vollendeter Imprägnation werden sie für einige Minuten in einen 
um das zehnfache Volumen mit Wasser verdünnten Liqu. ammon. caust. gebracht. 

2. Reduction. Zum Zweck der Reduction kommen die Blöcke aus der 

Ammoniaklösung in eine schwach alkalische 10% Formollösung, wiederum ganz 
entsprechend dem oben geschilderten Verfahren bei den Gefrierschnitten. In 
dieser Lösung bleiben sie am besten im Brutschrank bei einer Temperatur von 
etwa 30° 1—3 Tage, je nach ihrer Grösse. Es bildet sich in der Flüssigkeit 
zuerst ein weisslicher, bald grauschwarz werdender Niederschlag, welcher auch die 
Oberfläche der Blöcke überzieht. Es empfiehlt sich deshalb, die Flüssigkeit einmal 
zu erneuern. Nach vollendeter Reduction werden die Blöcke in Alkohol von 
steigender Concentration entwässert und dann in der gewöhnlichen Weise in Xylol 
und Paraffinxylol weiter behandelt. In den letztgenannten Flüssigkeiten ent¬ 
weicht aus dem oben angeführten Grunde ein Theil des Silbers, er geht in Lösung 
über. Deshalb suche man den Aufenthalt der Blöcke in ihnen möglichst kurz 
zu gestalten. Da es sich meist um grössere Schnittflächen handelt, so empfiehlt 
es sich, für die Einbettung ein weiches Paraffin von etwa 50° Schmelzpunkt zu 
benutzen. 2 

3. Nun ist das Material zum Schneiden reif. Die Sohnitte an der Ober¬ 
fläche der Blöcke sind von Niederschlägen meist so stark inkrustirt, dass sie für 
die Weiterbehandlung unbrauchbar sind. Taugliche Schnitte erhält man erst, 
wenn man mit dem Messer weiter in die Tiefe des Blockes vorgedrungen ist. 
Schnitte von 10 n Dicke genügen allen Anforderungen. Die Schnitte werden in 
Xylol vom Paraffin befreit. 


1 Diese Erscheinung kann mit Vortbeil für makroskopische Zwecke aasgenutzt werden. 
Schnittflächen von alten Formolgehirnen, an denen die feinere Zeichnung bereits vollkommen 
verwischt war, lassen bei längerem Verweilen in concentrirter ammoniakaliscber Sflber- 
lösung eine deutliche Trennung grauer und weisser Substanz zu Tage treten. lat der ge- 
wünschte Grad der Differenzirung erreicht, so kann das weitere Fortschreiten der Versilberung 
dadurch aufgehalten werden, dass man das betreffende Stück in ein Silberlösungsmittel, am 
besten in eine Lösung von Natriumthiosulfat, legt. Derartige Blöcke sind dann in Alkohol 
conservirbar und für Unterrichtszwecke lange verwendbar. 

* Celloidineinbettungen der imprägnirten Blöcke sind mir wiederholt gelungen; im 
allgemeinen scheinen mir die Resultate aber unsicherer als bei der Parafflneinbettang zu sein. 


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4. Ihre Weiterbehandlang ist eine verschiedene, sie hängt ab von dem 
Grade der Reduction, welchen das Silber in den imprägnirten Axencylindern auf« 
weist; es ist deshalb eine Controlle mit dem Mikroskop nothwendig. Unmittelbar 
unterhalb der inkrustirten Oberfläche sind die Axenoylinder meist tiefschwars 
gefärbt. Diese Schnitte bedürfen, um dauernd haltbar gemacht zu werden, nur 
einer kurzen Behandlung mit einer 10 °/ 0 Natriumthiosulfatlösung, welche den 
diffusen gelben Grundton zum Verschwinden bringt 

Dringt man weiter in die Tiefe vor, so wird der Farbton der imprägnirten 
Gewebselemente ein brauner bezw. gelblichbrauner. Derartige Schnitte müssen, 
um haltbar gemacht zu werden, wie die Gefrierschnitte, im Gold- bezw. Platin- 
und darauf folgendem Fixirbade (Natriumthiosulfatlösung) weiterbehandelt werden. 
Ist die Reduction eine sehr schwache, d. h. heben sich die Axencylinder unter 
dem Mikroskop nur als gelbe Pünktchen und Linien von der Umgebung ab, so 
ist, um brauchbare Präparate zu gewinnen, eine erneute Reduction erforderlioh. 
Die Schnitte kommen zu diesem Zweck am besten in eine 10 °/ 0 Formollösung, 
zu welcher 1 / I0 ihres Volumens Salmiakgeist hinzugefügt wird. 

Durch das Zusammen bringen von NHj und CH a O entsteht eine chemische 
Verbindung, welche als Amidomethylalkohol NH a CH a OH aufzufassen ist. Dieser 
Körper erleidet nach kurzer Zeit Veränderungen und geht unter Austritt von 
Wasser und Ammoniak in complicirte Körper, sogenannte Aldehydbasen 
über, welche die Reductionsfahigkeit der Lösung verstärken. In dieser Flüssig¬ 
keit bleiben die Schnitte wenige Minuten, dann werden sie in derselben Weise 
wie diejenigen der zweiten Kategorie vergoldet bezw. platinirt und schliesslich 
für einige Augenblicke in Natriumthiosulfatlösung weiter behandelt. Es bedarf 
wohl nicht der Hervorhebung, dass die Schnitte, bevor sie aus dem Xylol in 
wässerige Lösungen gebracht werden dürfen, durch absoluten und verdünnten 
Alkohol gehen müssen. Der Einsohluss der Schnitte erfolgt in Canadabalsam in 
der oben geschilderten Weise. 

Es soll an dieser Stelle auf die mikroskopischen Bilder selbst nicht näher 
eingegangen werden, erwähnt sei nur, dass die Nervenzellen an gut gelungenen 
Präparaten häufig eine deutlich fibrilläre Structur, am stärksten in den Den¬ 
driten, erkennen lassen, während die Axencylinder jeglichen Calibers von homo¬ 
gener Beschaffenheit sind. Im Gegensatz zu den bekannten Axencylinderfarbungen 
ist bei diesem Imprägnationsverfahren wohl nicht eine die Neurofibrillen zu¬ 
sammenhaltende Kittsubstanz, sondern das Neuroparenchym selbst tingirt Dafür 
spricht ausser der Imprägnation der Fibrillen in den Zellen die Thatsaohe, dass 
die Axencylinder häufig bis in ihren Ursprungskegel an der Ganglienzelle ver¬ 
folgbar sind. 

Es haften beiden Verfahren, sowohl der Imprägnation der Gefrierschnitte, 
wie derjenigen der Stücke noch grosse Mängel an, welche hauptsächlich in dem 
Auftreten von Flecken und Niederschlägen, in der häufig störenden Imprägnation 
der Gliaelemente und der Gefasse bestehen. Trotz dieser erheblichen Nachtheile 
glaube ich in voller Uebereinstimmung mit Fajebstain die Methode als ein 
brauchbares Forschungsmittel an normalem und pathologisch-anatomischem Material 
empfehlen zu dürfen. 

• Von grossem Interesse wäre die Beantwortung der Frage, weshalb sich der 
Silberniederschlag so electiv in den Axenqylindern bildet. Vielleicht kann man 
für die Beantwortung dieser Frage die Ergebnisse der Untersuchungen von 


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Blum 1 über das Wesen der Formolhärtung heranziehen. Dieser Forscher sieht 
die Wirkung des Formaldehyds als Härtungsmittel darin, dass der Aldehyd mit 
Ämido-, Hydroxyl- oder anderen Gruppen der Gewebsmolecüle (speciell der 
Eiweisskörper) unter Wasseraustritt in Reaction tritt, so dass alsdann feste 
methylenartige Verbindungen resultireD. Bei dieser Verkettung büsst der Form¬ 
aldehyd naturgemäss seine chemischen Eigenschaften und speciell seine redu- 
cirende Kraft ein. Wenn nun der Aldehyd in den Nervenzellen und den 
Axencylindem seine ßeductionsfahigkeit beibehält, so liegt die Annahme nahe, 
dass hier eine so feste Verbindung nicht zu Stande kommt und dass er des¬ 
halb hier seine Wirkung auf die ammoniakalische Silberlösung noch auszuüben 
vermag. Allerdings ist das vorläufig mehr eine Umschreibung als eine Erklärung 
der Thatsaohen. 

Meinem hochverehrten Chef, Herrn Prof. Mendel, sage ich für die gütige 
Ueberlassung des zu diesen Untersuchungen nothwendigen Materiales meinen 
herzlichsten Dank. 

3. Ueber hysterische Blindheit.* 

Von Dr. H. Krön. 

Die Litteratur ist nicht gerade arm an Mittheilungen über den Verlust des 
Sehvermögens auf hysterischer Grundlage. Es sei hier die interessante "Studie 
E. Mendel’8 vom Jahre 1874 besonders hervorgehoben. Wenn ich es dennoch 
unternehme, die Aufmerksamkeit wieder auf dieses Thema zu lenken, so geschieht 
es weniger in der Absicht, die Casuistik zu bereichern. Es kommt mir viel- 
ihehr darauf an, eine grössere Reihe solcher Fälle nebeneinander zu stellen und 
ihre Eigenarten zu prüfen, um für die Beurtbeilung des ja auch in forensischer 
Hinsicht wichtigen Phänomens einen Beitrag liefern zu können. 

Ich möchte zwei eigene Beobachtungen vorausschicken. 

I. A. W., Fernsprechgehülfin, 24 Jahre alt, wurde am 26. Juni 1893, als 
sie, den Hörer am linken Ohr, ihren Apparat im Fernverkehr bediente, von einer 
athmosphärischen Entladung getroffen, die einem Gewitter über Magdeburg ent¬ 
stammte. Ihre linke Backe schien ihr geschwollen, es bestanden Schmerzen in 
der linken Kopf- und Halsseite, sowie im linken Auge, Patientin konnte aber nach 
einer Pause von etwa 20 Minuten ihren Dienst wieder aufnehmen. Nach weiteren 
6—8 Minuten erfolgte eine zweite Entladung. Diesmal war die Wirkung stärker. 
Es wurde der Patientin „schwarz vor Augen“, sie erschien sehr erregt, weinte 
heftig, verlor aber nicht das Bewusstsein. 

Etwa x /j Stunde nach dem Unfälle batte ich Gelegenheit, die Verletzte zu 
untersuchen. Sie sass in ängstlicher Erregung auf einem Stuhle. Respiration 
und Puls waren beschleunigt. Die linke Gesichtshälfte, ein Theil der linkeu Hals- 


1 Blum, Ueber Wesen und Werth der Formolhärtung. Anat. Anzeiger. XI. 1896. 
Nr. 28 n. 24. 

* Nach einem Vortrage in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten am 9. December 1901. 


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«eite und des linken Oberarms war geröthet. Das linke Auge zeigte eine schwere 
Sehstörung, zum mindesten eine hochgradige concentrisohe Gesichtsfeldeinengung, 
wenn nicht schon sofort gänzliche Blindheit. Die Pupillen reagirten gut. Augen¬ 
muskellähmungen bestanden nicht Gehör, Geruch, Geschmack war links völlig 
aufgehoben, Gesicht, Conjunctiva, Hals, sowie der obere äussere Theil des Ober¬ 
arms auf derselben Seite anästhetisch. Die grobe motorische Kraft der linken 
Oberextremität war abgeschwächt. Die Sehnenreflexe erschienen lebhaft. 

Bei den weiteren, schon nach einigen Tagen und später noch oft wieder¬ 
holten Untersuchungen erwies sich das linke Auge anhaltend gänzlich erblindet. 
Eis war innerlich und äusserlich unverletzt, der Augenbintergrund völlig normal. 
Beim Sehen mit beiden Augen fixirte das linke anscheinend gut. Verdeckte 
man das rechte, so irrte das linke sofort planlos ab. Prismen- 
und Stereoskopversuche ergaben, dass dasselbe beim binoculären 
Sehen gut functionirte. Der Cornealreflex war links stark herabgesetzt, der 
Blinzelreflex ganz geschwunden. 

Auch auf dem rechten Auge bestand, wie später festgestellt wurde, eine 
geringe, unregelmässige Einengung des Gesichtsfeldes für weiss. 

Die Gehörsstörung erwies sich stets alB eine absolute. Lautes Sprechen 
wurde links nicht wahrgenommen, ebenso wurden Stimmgabeln für hohe und 
tiefe Töne weder durch die Luft- noch durch die Knochenleitung gehört. 

Auch die Geruchs- und Geschmacksstörung der linken Seite war längere Zeit 
hindurch constant. Der Gaumenreflex fehlte. 

Die Hemianästhesie nahm zunächst etwas ab, verbreitete sich dann aber 
wieder mehr. Das Allgemeinbefinden blieb lange gestört. Bei aufziehendem Ge¬ 
witter hatte Patientin Angst, zugleich Schmerz und Gefühl von Anschwellung im 
linken Auge. Die Handschrift erschien nach Wochen noch unsicher. Dazu kam 
Kopfschmerz, besonders in der linken Augengegend, Herzklopfen, Schlaflosigkeit, 
leichtes Zittern der Hände, doppelseitige Ovarie, Formioation in der linken Hand 
und dem linken Arm. 

Der Zustand blieb während der ganzen Beobachtungszeit (bis 1899) unver¬ 
ändert. Patientin verliess dann Berlin. Späteren Nachrichten zu Folge (die letzte 
vom 19. November 1901) ist auch jetzt keine Besserung eingetreten. Es besteht 
noch Kopfschmerz, Einschlafen und Schmerzen der genannten Stellen, besonders 
Kaltwerden derselben nach Aufregungen. Seh- und Hörvermögen fehlt links noch 
immer. — Es ist nachzutragen, dass Patientin nach heftigen Gemüthsbewegungen 
schon vor dem Unfall hysterische Attacken gehabt hat. 

Bei der Betrachtung des Falles ist zu erwägen, ob eine traumatische Hy¬ 
sterie oder eine directe Blitzverletzung des Nervensystems vorliegt. Mit den 
Zuständen, die von Bbixa 1 u. A., neuerdings von Eulbnbubg* mitgetheilt worden 
sind, hat der uuserige keine Aehnlichkeit Wir wissen aber, dass Hochb 3 an 
der Hand von drei eigenen Beobachtungen elektrischer Unfälle die Ansicht aus¬ 
gesprochen hat, nicht alle Folgeerscheinungen dieser Art dürfen als Hysterie 
gedeutet und dem Schreck, sowie der sich daran schliessenden Vorstellung zu¬ 
geschrieben werden, es sei auch noch an eine directe Beeinflussung der ner- 

1 Bbixa, Blitzverletxung des Auges. Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 
1900. S. 759. 

* A. Eüuxkbobg, Ueber Gehirnerkrankungen im Anschluss an elektrisches Trauma. 
Neurolog. Centralbl. 1901. S. 1057. 

* Hochs, Ueber die nach elektrischen Entladungen auftretenden Neurosen. Neurolog. 
Centralbl. 1901. S. 628. 


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vösen Substanz, an eine functionelle Schädigung ohne psychogene Wirkung zu 
denken. Dieser gewiss richtigen Bemerkung ist unser Fall auch nicht unter¬ 
zuordnen. Schon der Umstand, dass das betroffene Äuge beim gleichzeitigen 
Gebrauche des anderen functionirt, weist auf eine seelische Affection hin. 

U. A. R. 1 , Näherin, damals 35 Jahre alt, ist mir am 12 December 1892 
durch Hrn. Collegen Wertheim überwiesen worden. Patientin ist später wieder¬ 
holt im Moabiter Erankenbause gewesen. Das dort geführte Journal nebst Pboto- 
graphieen hat mir Herr Prof. Rbnvbbs freundlichst zur Verfügung gestellt, wofür 
ich ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ausspreche. Ich gebe 
in Nachstehendem meine Aufzeichnungen mit denen des Krankenhauses verwebt 
wieder. 

Die Schwester der Mutter hat an Krämpfen gelitten. Patientin ist schon in 
früher Kindheit kränklich und leicht erregbar gewesen. 1878, im 20. Lebens¬ 
jahre, ist sie zum ersten Male plötzlich erblindet. 

Schwbigger sah sie im Februar desselben Jahres. Sie hatte damals an¬ 
gegeben, dass sie am Tage vorher beim Erwachen mit dem rechten Auge nicht 
sehen konnte. Am Nachmittag hätte sie sich ungemein matt gefühlt nnd 5 Stunden 
geschlafen, worauf sie mit doppelseitiger Blindheit erwacht wäre. Die Heilung 
erfolgte nach 8 Tagen unter Behandlung mit starken Inductionsströmen. Im 
Februar 1880 meldete sich Patientin wieder mit der Angabe, sie sei Tags zuvor 
vollkommen blind erwacht. Es bestand neben der Amaurose Strabismus convergens 
derart, dass die Augen auf einen in der Medianebene gelegenen, 10—20 cm ent¬ 
fernten Punkt convergirten. Nach 8 Tagen erfolgte wiederum Heilung. Seitdem 
haben sich diese Anfälle oft wiederholt. Ihre Dauer betrug 3 Tage bis 18 Wochen. 
Dazu kamen etwa alle 4 Wochen Krampfanfalle, in denen Patientin bewusstlos 
war, laut schrie, sich aber nie in die Zunge biss oder sich sonst verletzte. Ausser¬ 
dem bestand Schwindel, Ohrensausen, Globus, Zittern, Gefühllosigkeit der rechten 
Seite. Als Patientin in meine Beobachtung trat, hatte der damalige Anfall von 
Erblindung bereits 17 Wochen gedauert. Jede Lichtempfindung wurde in Abrede 
gestellt, nioht einmal hell und dunkel wurde unterschieden, doch war der Gang 
der blassen, schlecht genährten Person nicht ganz so unsicher, wie man es hätte 
erwarten können. Sie bewegte sich leidlich rasch durch das Zimmer, indem sie 
mit den Händen tastend vor sich hinschlug. Die oberen Augenlider bedeckten 
die Bulbi bis auf eine schmale Lidspalte. (Fig. 1.) Die Augen konnten nicht 
willkürlich geöffnet, wohl aber völlig geschlossen werden. Erhob man die oberen 
Augenlider, so sah man die Bulbi stark convergent und nach unten gerollt un¬ 
beweglich feststeben. (Fig. 2.) Die Pupillen waren eng, reagirten aber prompt 
auf Lichtreiz. Ihr Verhalten bei Accommodation liess sich bei der Stellung und 
Unbeweglichkeit der Bulbi nicht prüfen. Der Augenbintergrund war normal. 
Berührung der Cornea wurde beiderseits nioht empfunden, rief aber gesteigerte 
Thränensecretion und mässigen Blepharospasmus hervor. Eis bestand rechtsseitige 
Hemianästhesie, linksseitige Hyperästhesie. Die Patellarreflexe waren lebhaft. 
Als Ursache wurde Schreck angegeben, der zunächst eine vorübergehende Bewusst¬ 
losigkeit zur Folge hatte. Die Blindheit hatte sich unmittelbar daran angeschlossen. 
Am 23. November 1893 liess sich Patientin in das städtische Krankenhaus Moabit 
aufnehmen. Der Augenbefund war der bereits beschriebene. Auch wurde wieder 


1 Der Fall ist schon 1881 von Schweiogbb erwähnt (Untersuchungen über das 8chielen. 
Berlin, 1881. S. 42), auch Oppenheim hat ihn io der 8. Auflage seines Lehrbuohes be¬ 
schrieben und abgebildet. Er möge hier dennoch einen Platz finden, weil ich eisen weiteren 
Ausblick über den Verlauf dieser merkwürdigen Erscheinung geben kann. 


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vollständige Anästhesie der rechten Körperhälfte (einschliesslich der Zangen- und 
Mundschleimhaut) festgestellt. Patient fühlt auch nicht die passiven Bewegungen, 
die mit dem Oberarm gemacht werden. Beim activen Gebrauch der rechten 
Oberextremität zeigt sich Unsicherheit. So wird z. B. die Hand, die auf den 
Kopf gelegt werden soll, erst einige Male in der Luft herumfiihrt. Der rechte 
Hacken findet die linke Kniescheibe nicht Der Händedruck ist rechts schwächer 



Fig. 1. Fig. 2. 


als links. Beim Gehen schwankt Patientin, auch wenn sie an einer Seite unter- 
stüzt wird. Sie giebt als Grund Schwindelgefühl an. In der Narcose gehen die 
Augen aus der Convergensstellung in die normale zurück. Nach der Narcose 
häufigere hysterische Krampfanfälle unter Weinen und Schreien. 

Am 15. December 1893 erscheint die Hemianästhesie plötzlich geschwunden, 
am 20. Januar 1894 ist der Gang sicher, Patientin verrichtet kleine Häkelarbeiten. 
Am 14. Februar 1894 ist das Sehvermögen zurück¬ 
gekehrt. Patientin behauptet, vor einigen Tagen 
Funken und Blitze vor den Augen gesehen und 
schiessende Schmerzen durch die Schläfen empfunden 
zu haben. Die Convergenz der Bulbi ist gehoben, 
ebenso die Ptosis. Patientin behauptet, Schmerzen in 
beiden Bulbi zu haben. Die Augenuntersuchung er- 
giebt Myopie. Am 26. Februar 1894 verlässt Patientin 
beim besten Wohlbefinden die Anstalt (Fig. 3), um 
schon am 7. April desselben Jahres mit allen Erschei¬ 
nungen wiederzukehren. Am 13. Juli wurde sie ge¬ 
bessert entlassen. Anfang 1895 finden wir sie zum 
dritten Mal in der Anstalt. Am 4. Mai kann sie plötz¬ 
lich wieder sehen. Bis auf geringe Myopie normale 
Verhältnisse der Augen. Am 10. Juli ist sie plötz¬ 
lich wieder blind, nachdem sie die Todesanzeige eines Verwandten in der 
Zeitung gelesen. Am 30. Juni vermag sie ebenso schnell ihre Augen wieder zu 
gebrauchen. Als ich die Patientin jetzt wiedersah, theilt? sie mir mit, dass sie 
seit 5 Jahren ununterbrochen rückfällig sei. Der Zustand ist genau derselbe wie 
früher. Seine Eigenart wird vor allem durch die zahlreichen, zum Theil sehr 
langen Recidive, sodann durch die Mitwirkung der äusseren Augenmuskeln in 
Form von Spasmen und Lähmung (Ptosis) bedingt. 



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Wenden wir uns nun den Fragen zu, die das Thema aufwirft Ich habe 
zu diesem Zwecke alle Fälle herangezogen, die mir zugänglich waren. 1 Fs be¬ 
findet sich eine kleine Anzahl darunter, bei der eine geringe Empfindung 
zwar noch nachgewiesen ist, von einem Erkennen aber nicht gesprochen 
werden darf. Ich habe sie verwerthet, weil sie in praktischer Hinsicht doch 
unter die Rubrik der Blindheit fallen, möchte aber doch nicht unterlassen, sie 
anzuführen: 1. Howbhip, ein Auge ganz blind, das andere sah nur undeutlich 
Licht; 2. Landouzy (Fall 1), Tag und Nacht konnte unterschieden werden, 
sonst Verhalten wie bei gewöhnlicher Blindheit; 3. De Witt, kaum hell und 
dunkel konnte unterschieden werden; 4. Düjabdin-Beaümetz und Abadie, 
rechts ganz blind, links wird noch Licht einer Kerze schwach empfunden; 
5. Manz, in der Entfernung von einigen Fuss können kaum Finger gezählt 
werden; 6. Hart,an (1884), noch Lichtstrahlen, sonst ganz blind; 7. Cbameb, 
Sehvermögen bis auf das ganz undeutliche Erkennen von Handbewegungen vor 
dem Auge erloschen, Localisation einer Lichtflamme ganz ungenügend. 

Meine Zusammenstellung macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im 
Ganzen dürfte aber doch die Zahl der Fälle genügen, um gewisse allgemeinere 
Schlüsse zu gestatten. — Unsere oben mitgetheilten Beobachtungen stellen zu¬ 
gleich die beiden Haupttypen der hysterischen Blindheit vor, die beide Augen 
befallen oder sich auf eine Seite beschränken kann. Letztere Art wird von den 
Autoren ziemlich allgemein als die häufigere angesehen. 

Für das Ueberwiegen der doppelseitigen Amaurose tritt eigentlich nur 
Briqüet 2 ein, während Jolly 3 , Gilles de la Toubette 4 * * , Ziehen 8 , Oppen¬ 
heim 8 , Wilbrand San geb 7 , Knies 8 , Löwenfeld 9 u. A. ihr besonders seltenes 
Auftreten betonen. Unser Material ergiebt in dieser Beziehung folgendes Resultat: 

I. Einseitige Blindheit besteht in den Fällen: Watson 10 , Landoüzy 11 
(Fall I), Testelen 12 , de Witt 13 , Secondi 14 15 , Hebteb 18 , Königstbin 16 * , Landes- 

1 Herrn Geheiinrath Hibschbbbo bin ich für die gütige Erlanbniss, seine Bibliothek 
benutzen za dürfen, za grossem Danke verpflichtet 

* Bbiquet, Traitd clin. et thörap. de l’hystdrie. 1859. 8. 294. 

8 Jolly, Hysterie. Zibmsben’s specielle Pathologie u. Therap. XII, 2. S. 466. 

4 Gilles de la Todbette, Die Hysterie. 1894. Deutsch von Gbubb. S. 205. 

‘ Ziehen, Artikel Hysterie in Edlenbübo’s Real-Encyklopädie. 3. Aufl. 8. 386. 

0 Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 2. Aufl. 8. 751. 

7 Wilbband und Sängbb, Ueber Sehstörungen bei functioneilen Nervenleiden. 1892. 8.88. 

• Knies, Die einseitigen centralen Sehstörungen und deren Beziehungen zur Hysterie. 
Neurolog. Centralbl. 1893. S. 570. 

9 Löwenkeld, Pathologie und Therapie der Neurasthenie und Hysterie. 1894. S. 407. 

10 Watson, Lectures on the principles and practioe of physic. London medical gazette. 

New series. I. 1840/41. 8.712. 11 Landoozy, Tratte complet de l’bystörie. 1846. 8. 119. 

19 Testblin, Fiövre larvöe double quotidienne, forme amaurotique. Annal. d’oeulist. 
LVII. 1866. Livre 5 u. 6. 8. 317/18. 

18 de Witt, Amaurosis of the right eye etc. American Journal of Medical sc. 1868. S. 382. 

14 Secondi, Di una amaurosi hysterica. Ref.in Vibohow-Hibsch’s Jahresbericht 1871.8.473. 

15 Hebteb, Hysterische Amaurose. Charitd-Annalen. 1875. S. 527. 

19 Königstein, Fall von täglich wiederkehrender totaler, einseitiger Amaurose. Klin. 

Monatsbl. f. Augenheilk. 1875. XIII. 8.383. 


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beug 1 , H a r l a n* 1884, Baas 5 , Schwkigger*, Färä 5 , Moore® (Fall I und 
III), Harlan 7 1890 (Fall I u. II), Lbber 8 , Wilbrand-Sängbr 9 , Crambb 10 , 
Mobli 11 , in unserem Fall I. 

II. DopelseitigeBindheit führen an: Tälinge 15 ,How8hip 15 , Hocken 14 , 
Tyrrbl ”, Abbrnethy 1# , Monneret 17 , Landoüzy 18 vFall II), Müller ”, Wecker 50 , 
Madthner 11 , Harlan” 1873 (Fall III), Mendel”, Hartwicke 24 , Emmebt 25 , 
Dujardin-Beaumetz et Abadie 2 ®, Manz 27 , Mas 28 , Magnus 29 , Galezowsky 


1 Landbsbbbg, Fall von eingebildeter Blindheit im Woehenbett Philadelphia medical 
times. VII. Rcf. in Schmidt’b Jahrbücher. CLXXVI. S. 55. 

* Hablax, Oase of hysterical monocular blindness etc. Medical News. 1884. S. 596. 

* Baas, Aman rose in Folge einer geringen Verletzung des linken oberen Augenlides. 
Klin. Monatsbl. f. Angenbeilk. 1884. S. 280. 

4 Schwkigger, Zur Stychnintherapie nebst Bemerkungen über hysterische Sehstörungen. 
Klin. Monatsbl. f. Angenbeilk. 1881. S. 415. 

5 F4b t, Note 8nr nn cas d'amanrose bystöro-traumatique. Compt rend. hebdom. de la 
sociötö de Biologie. 1886. S. 1 T 8 . 

* Moore, Hysterical blindness in the male. New York medical Journal. 1888. S. 628. 
7 Hablax, Hysterical blindness of ten years dnration etc. Medioal News. 1890. I. S.S3. 

* Lebbb, Die Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven. Handbuch der Augen¬ 
heilkunde von Gräfe-Sähisch. 1877. S. 972. • Wilbrand-SIngeb, a. a. 0. S. 37. 

10 Crahkb, Einseitige hysterische Erblindung nach unbedeutender Verletzung. Monats¬ 
schrift f. Unfallheilk. 1896. S. 262. 

11 Mobli, Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 740. 

14 TfiLiNGB, Observations sur 1’efFet etc. dans les vapeurs bystöriques. Journal de 
mödecine, Chirurgie etc. 1771. XXXVI. S. 437. 

11 Howship, On surgical disease. S. 24; citirt bei Hookrn. 

14 Hocken, Amaurosis from byateria, acute and chronic, its diagnosis, pathologie and 
treatment. Edinburgh medical and snrgical Journal. 1842. S. 49. 

16 Tyrrbl, citirt bei Hocken. 

14 Abbrnethy, The injuries of the head. 4 edition. S. 89; citirt bei Hockrn. 

17 Monnbbbt, Fall von hysterischer Amaurose. Gazette des höpitaui. 1842. Oct 22; 

Ref. in Schmidt's Jahrbücher. XLI. S. 226. 19 Landoüzy, a. a. O. 

19 MOller, Amaurosis hysterica. Aerztliche Mittheilungen aus Baden. 1861. S. 17. 

90 Wecker und Dblgado, Fälle von Sebstörung bei Zahnneuralgiecn. Annal. d’oeulist. 
LV. S. 130. Fall IV. 

91 Mauthnbr, Oesterreichische Zeitschr. f. prakt. Heilk. 1872; citirt bei Lbbbb, Hand¬ 
buch der Augenheilk. von Gbäpb-Sämisch. V. 8.971. 

99 Harlan, Simulated amaurosis. American Journal of medical Science. 1873. S. 429. 
99 E. Mendrl, Ueber hysterische Amaurose. Zeitschr. f. prakt. Med. von Konzk. 
1874. S. 403. 

94 Habtwickb, Case of hysterical blindness. British medical Journal. 1876. S. 562. 

98 Erhebt, Recidivirende Amaurosis transitoria. Archiv für Augen- u. Ohrenheilkunde. 
1876. S. 401. 

99 Ddjabdin-Bbadmetz et Abadib, C^ciW hystdrique. Gazette des höpitaui. 1879. S. 436. 
97 Mauz, Ein Fall von hysterischer Blindheit mit spastischem SchieleD. Berliner klin. 

Wochenschr. 1880. Nr. 2 u. 3. 

99 Mas, Ein Fall von Amaurosis in Folge von Hysterie. La Union de las scienoias 
medicas de Cartagena. 1881; ref. im Centralbl. f. Augenheilk. 1881. S. 341. 

99 Magnus, Ein Fall von transitorischer Amaurose ohne Befund. Klinische Monatsbl. f. 
Augenheilk. 1886. S. 67. 


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et Dagon et 1 (Fall II), Moobb 1 * * 4 * (Fall II), Mablow s , Fodgbbay et Fouchabd*, 
Adamük 6 (Fall I u. II), Lewy 6 , dazu unser zweiter Fall. 

Nun sind noch 2 Fälle zu verzeichnen, in denen auf einem Auge voll¬ 
kommene Amauroee besteht, während das andere eine geringere Sehstörung 
aufweist: 

1. Hablan 1873, Fall 1: links Blindheit, rechts Sehschwäche. 2. Wolff- 
bebg 7 : rechts Blindheit, links totale Farbenblindheit Sie gehören den ein¬ 
seitigen an, deren Zahl damit auf 23 steigt. 

Nach unserem Materiale ist also die doppelseitige Amaurose 
nicht die seltenere Form (26 Fälle gegen 23 einseitige). Wir stützen uns 
hier allerdiogs nur auf die Litteratur, soweit sie unser Material wiedergiebt. 
Es ist aber zu berücksichtigen, dass einseitige Blindheit leicht übersehen werden 
kann, während doppelseitige wohl stets zur ärztlichen Kenntniss gelangt. In 
Wirklichkeit dürfte sich das Verhältniss also doch vielleicht anders gestalten. 
In einigen Fällen ist die doppelseitige Amaurose nicht auf beiden Augen zugleich 
aufgetreten, fco bei Maüthneb (erst links, 6 Tage später auch rechts); in Lan- 
douzy’s Fall II (das linke Auge erblindete zuerst, der Zustaud verminderte sich, 
kehrte wieder, nach einigen Monaten auch rechts Blindheit); dann auch bei 
Weckeb (erst links, einige Tage später auch rechts). 

Nach Bbiquet 8 befällt die einseitige Amaurose unbestimmt die eine oder 
die andere Seite. In unseren 23 Fällen ist das rechte Auge 13 Mal, das linke 
9 Mal betroffen (in Lebeb’s Beobachtung ist die Seite nicht angegeben). Der 
Unterschied ist jedenfalls nicht gross, irgend eine Bedeutung kommt ihm auch 
nicht zu. 

Wichtiger ist die Untersuchung darüber, wie sich das Geschlecht zu dem 
Auftreten der hysterischen Blindheit verhält: 

Die 23 einseitigen Fälle weisen 7 männliche, 16 weibliche Vertreter auf. 
Die Zahl der ersteren ist also hier eine relativ grosse, wenn wir mit Bbiquet 
das Verhältniss der männlichen zur weiblichen Hysterie wie 1 zu 20 auffassen. 

Bei der doppelseitigen Amaurose finden wir 4 männliche Kranke gegen 
22 weibliche. Diese schwerere Affection befällt darnach doch das weibliche 
Geschlecht in stärkerem Maasse, während das männliche zurücktritt 

Wir wenden uns nun der Form und Dauer der Anfälle zu. 


1 Galbzowsky et Dagonbt, Diagnostic et traitement de affections oculaires. 1886. 
8. 767. 

* Moobb, Hjeterical blindness in the male. New-York medical Joarn. 1888. 8. 628. 

8 Mablow, Hysterical blindness in the male. Ebenda. 1889. 8. 154. 

4 Fooobbay et Foüchahd, Un cas de clcitd absoloe et sondaine. Gazette des höpitaux. 
1889. 8. 981. 

* Adamük. Zur Casuistik der AmaarosiB hysterica. Archiv f. Augenheilk. 1990. I. 8.10. 

6 Joseph Lewy, Ueber hysterische Amaurose. Dissertation. Berlin, 1890. 

7 Wolfpbkbo, Amaurose rechts, totale Farbenblindbeit links auf hysterischer Basis. 
Monatsschr. f. Therapie u. Hygiene des Anges. 1898. 8. 281. 

* A. a. U. 


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Die hysterische Blindheit tritt nicht gleichartig auf. Schon Jünokbn 1 * ist 
eine intermittirende Form aulgefallen, die später auch von Königbtkin * hervor- 
gehoben wird. In naher Beziehung dazu steht Briqüet’s Hinweis auf das 
gelegentliche wiederholte Auftreten der Amaurose. Hocken kennt nur eine 
acute und eine chronische Form. Die Anschauungen der Autoren über die Dauer 
des Leidens sind ziemlich einmüthige. Nach Briqubt hält sie sich zwischen 
einigen Tagen und einigen Monaten, niemals darüber. Für eine Dauer von 
einigen Stunden, höchstens einigen Tagen sprechen Gilles de la Toubette, 
dann Galezowsky und Daqonet, diese aber schon mit dem Hinweise darauf, 
dass es auch Fälle mit fortschreitendem, sehr hartnäckigem Charakter geben 
kann, Pitres 3 , wenigstens bezüglich der doppelseitigen Amaurose, Oppenheim 4 
(mit Anführung einer unserem Fall II entsprechenden Ausnahme), Schwanz. 1 * 
Diesen Autoren schlossen sich an, wenn auch ebenfalls mit dem Vermerke, dass 
der Zustand wohl eine längere Dauer zeigen kann, Gowehs®, Löwknpkld 7 , 
Wilbrand und Sänger. 8 

(Fortsetzung folgt.) 


IL Referate. 


A natomie. 

1) Technische Bemerkung zur Carminl&rbung des Oentralnervensyatems, 

von Schwalbe. (Centralbl. f. allgem. Patholog. u. patholog. Anat. 1901. 

Nr. 21.) 

Bekanntlich liefert die Gerlacb’sche Carminfärbung an behufs Celloidiu- 
einbettong vorher in Alkohol entwässerten Präparaten nur unbefriedigende Resul¬ 
tate, während bei direct aus Müller'scher Flüssigkeit hergestellten Schnitten die 
Bilder sehr schön ausfallen. 

Ganz gute Carminpräparate erhielt Verf. aber auch an Celloidinschnitteu, 
wenn er die Schnitte vor der Färbung der längeren Einwirkung von Müller’- 
scher Flüssigkeit oder schwacher (höchstens 1 °/ 0 ) Chromsäure aussetzte. Die 
Schnitte sollen darin verweilen bis sie einen hräunlioh-gelben Farbenton annehmen. 
Gegen zu lange Einwirkung der Chromsäure httlft einfach öfteres Auswaschen in 
Wasser. War die Chromirung zu sohwach, empfiehlt es sich, dem Alkohol (zum 
Entwässern) Pikrinsäure zuzusetzen. (Ref. möchte hier beiläufig auf ein Verfahren 
hinweisen, das im Laboratorium der Wiener Landesirrenanstalt hei Carminfärbung 
mit gutem Erfolge angewendet wird. Ammoniakcarmin wird stark verdünnt und 


1 Jünokbn, Die Lehre von den Augenkrankheiten. 1682. S. 797. 

* Königstzih, Artikel: Amblyopie und Amanroae. Eulhnbubg’s Real-Encyklopädie. 
8. Aofl. 1894. S. 472. 

* Pitbss, Le^ons clin. de Thystdrie et l'äpileptie. 1891. 8. 101. 

4 Oppbniuix, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 2. Aofl. S. 788. 

* 8chwabz, Die Behandlung der Angenstörnngen für die Diagnose der Hirn* und 
Bückenmarkskrankheiten. 1898. 8.76. 

* Gowzas, Handbuch der Nervenkrankheiten. Deutsch von Gbubi. III. 8. 868. 

T A. a. 0. 

* A. a. O. 


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nun mit Salzsäure tropfenweise unter stetem Umrühren bis zu neutraler ßeaction 
versetzt. Die Carminlösung ändert dabei ihre Farbe in ein helleres Roth. Färben 
duroh 12—24 Stunden bei Brutofentemperatur. Die Bilder erscheinen sehr scharf 
differenzirt.) Pilcz (Wien). 


Experimentelle Physiologie. 

2) Ueber die Empfindlichkeit der hinteren Theile des Mnndranmee für 
Tast- u. s. w. Beize, von F. Kiesow und R. Hahn. (Zeitschr. f. Psych. u. 
Phys. d. Sinnesorgane. XXVI. 1901.) 

Die Untersuchungen, welche an einem grossen, sorgfältig gesichteten Material 
vorgenommen wurden, verfolgen zunächst nur den Zweck einer allgemeinen 
Orientirung. Die Autoren gelangten zu folgenden Feststellungen: Auf den Ton¬ 
sillen und der Mitte der Gaumenbögen fehlen Tastorgane; Schmerzpunkte sind 
vorhanden; am oberen und unteren Ende der vorderen Gaumenbögen existiren 
Tastorgane nur in geringer Anzahl; das untere Ende der hinteren Bögen entbehrt 
der Tast- und Schmerzempfindung.. Unipolare faradischc Reizung am vorderen 
Pfeiler führt zu einer an die Zungenspitze verlegten Geschmacksempfindung, die 
immer mit einem Gefühl von „kalt“, nie von „warm“ verbunden ist, welches mit 
der Stromstärke zunimmt; bei Prüfung mit dem Inductionsstrom wird eine Tast¬ 
wahrnehmung durch das Gefühl der Muskelcontraction vorgetäuscht. Es giebt in 
der Mundhöhle tastempfindliche-schmerzunempfindliche und tastuneropfindliche- 
schmerzempfindliche Stellen, wie v. Frey dies schon früher für Cornea und Con- 
junctiva nachgewiesen hatte. 

Raumwahrnehmung scheint den in Rede stehenden Gebilden fast völlig zu 
fehlen. Die Empfindung von „warm“ ist nur sehr schwach. 

Zur Geschmacksprüfung dienten 40°/ 0 Essigsäure, 10°/ 0 Kochsalzlösung, 
0,2°/ 0 Salzsäure, concentrirte QuasBialösung von Mundhöhlentemperatur. Die 
Uvula liess man in ein löffelartig gestieltes, mit dieser Flüssigkeit gefülltes 
Becherchen eintauchen, während für die übrigen Flächen ein Zusatz von Methylen¬ 
blau zur Lösung die Grenzen der Berührung erkenntlich machte. In keinem 
Falle konnte an der Uvula, den hinteren Bögen und den Tonsillen Geschmacks¬ 
empfindung nachgewiesen werden, während an den vorderen Bögen ausnahmsweise 
eine solche vorkommt. A. Homburger (Frankfurt a/M.). 


Pathologische Anatomie. 

3) Ueber das Nervensystem eines Hemioeph&len, von L. v. Muralt. (Archiv 
f. Psych. XXXIV) 

Ausführliche Untersuchung auf Serienschnitten, deren wesentliche Ergebnisse 
in folgendem wiedergegeben werden können: Im Rückenmark sind die Hinter- 
stränge am wenigsten verändert, was mit dem Vorhandensein der Spinalganglien 
zusammenhängt; doch fehlen die Hinterstrangskerne zum grössten Theil. Die 
Clarke'sehen Säulen fehlen vollkommen, ein an der Stelle der Kleinhirnseiten- 
strangbahn verlaufendes Bündel muss einen anderen Ursprung haben. Die Pyra¬ 
midenbahn fehlt, wenigstens in der Oblongata und höher oben, damit ist eine 
deutliche Veränderung der motorischen Zellen der Vorderhörner gepaart. Auf¬ 
fallend ist daneben die gute Entwickelung der Seitenhornzellen, was ihre Be¬ 
ziehung zu visceralen Nerven, speciell des Sympathicus, zu bestätigen scheint. — 
Verschiedene Atypieen im Verlauf von Fasersystemen sind zu beobachten: eine 
atypische vordere Commissur, eine „hintere Kreuzung“ in der Höhe der Hypo- 
glossuskerne u. a.; die Entstehung derselben ist so zu denken, dass Bahnen, die 


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bei Missbildungen ihre Endstation, z. B. hier die Zellen der Hinterstrangskerne, 
nicht erreichen, oft eine abweichende Verlaufsrichtung annehmen. — Das gliöse 
Stroma überwiegt in allen stärker veränderten Theilen die nervöse Substanz; da 
wo der entwickelnngshemmende Einfluss nioht stark genug ist, das Gewebe ganz 
verkümmern zu lassen, entstehen leicht übermässige Bildungen. — Die bei Hemi- 
und Anencephalen häufig gemachte Beobachtung der Blutungen in den Häuten 
und Geweberesten wird auf den Geburtsact zurückgeführt, auf denselben Mecha¬ 
nismus, der beim normalen Kinde zur Entstehung der Kopfgeschwulst führt. — 
Vom Kleinhirn sind nur zwei undifferenzirte Wülste erhalten; damit in Zusammen¬ 
hang zu bringen ist wohl die erhebliche Beduction der Oliven, in denen die 
Zellen völlig fehlen, ebenso die Bogenfasern und die Kleinhirnolivenbahn. Die 
Brücke ist auf einen schmalen Saum reducirt; die Kerne der Nn. XII, X, EX, 
VH, VI, V sind erhalten, von IV. Spuren, die anderen Augenmuskelkerne fehlen. 
— Trotz Fehlens von Lobus olfactorius und N. olfactorius haben sich die Riech¬ 
schleimhaut vollständig und die Retina zum grossen Theile — mit Ausnahme der 
Ganglienzellen- und Nervenfaserschicht — entwickelt, was dafür spricht, dass die 
Sinnesorgane der Haut in hohem Grade die Fähigkeit der Selhstdifferenzirung 
besitzen. — Der Befund im Ganzen spricht dafür, dass es sich um eine primäre 
Entwickelungshemmung im Gebiete der Medullarplatte handelt — nicht um die 
Folgen eines fötalen Hydrocephalus —, die ihren höchsten Grad am Kopfende 
erreicht und von da oaudalwärts abnimmt. — Der Sympathicus wurde ebenso 
wie die Spinalganglien intact befunden. H. Haenel (Dresden). 


Pathologie des Nervensystems. 

4) Zur Psychopathologie der Neurasthenie, von Prof. A. Pick in Prag. 

(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXV. 1902.) 

Verf. giebt und erörtert die Krankheitsgeschichte einer hereditär belasteten, 
zur Zeit 79jährigen Frau, die von Kindheit an „über alles Herzeleid gehabt hat“. 
Dieser das ganze Leben hindurch bestehende Zustand hielt sich innerhalb physio¬ 
logischer Grenzen, bis er im Senium einen Grad erreichte, der die Frau sooial 
unmöglich machte. Das Charakteristische des Krankheitsbildes besteht darin, dass 
die Reaction auf alle Vorstellungen, welche negative, peinliche Ge¬ 
fühlstöne bieten, eine jedes Maass übersteigende ist. Der psychische 
Tonus ist in der Weise herabgesetzt, dass schon durch die geringfügigsten, nach 
der negativen Seite hin wirksamen Eindrücke eine ganz enorme Gereiztheit zu 
Stande kommt. Die Reizbarkeit betrifft in allererster Linie die peinlichen 
Stimmungsgebiete. Die gesteigerte Schmerzreaction prägt sioh auch im Gebiete 
der Phantasievorstellungen sehr stark aus. Wegen der Häufigkeit und der Maass- 
losigkeit der Reaction bleiben die negativen Gefühlstöne schliesslich die allein 
ausschlaggebenden. Der Zustand behält den Typus des Auftretens in Anfällen; 
die Schmerzäusserung bedarf immer des auslösenden Factors. Der Grundzug der 
Erscheinung ist die ,»reizbare Schwäche“; das Krankheitsbild gehört also zu den 
bei der Neurasthenie vorkommenden Störungen des Gemüths. 

Georg Ilberg (GroBssohweidnitz). 


6) Zur Pathogenese der Hysterie und Neurasthenie und ihre Stellung 
su StofFwechselanomalieen, von Dr. H. Hi gier in Warschau. (Heilkunde. 
1900. Sept./Oct) 

Vorliegende Arbeit ist eine medicinisch-histo rische Studie und stellt die 
wichtigsten Anschauungen über das Wesen der betreffenden Neurosen fest. Auf 

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dem Wege von Hippokrates, mit dem die Vorstellung von der uterinen Entstehung 
der Hysterie einsetzt, über Galen, der die uterine mit einer IntoxicationBtheorie 
verschmolz, gelangt Verf., unter Berücksichtigung der dämonologischen Auffassungen 
der Hysterie und verwandter Neurosen, zur Besprechung der neuesten Theorieen, 
die für die Entwickelung von Hysterie und Neurasthenie Intoxicationen, sei es 
durch Harnsäure, Zucker u. s. w. (Charcot’sche Schule) oder durch Leucomaine 
und Ptoma'ine (Eowalewsky, Löwenfeld u. A.), verantwortlich machen. (Man 
schreibt: Poliomyelitis und Polioencephalitis, nicht Polyomyelitis und Polyence¬ 
phalitis. Die Akromegalie wird nicht auf Erkrankung der Zirbeldrüse bezogen.) 

jH. Gessner (Nürnberg). 


6) Hysterie, von Westphal. Vortrag, gehalten im medicinischen Verein zu 
Greifswald am 4. Mai 1901. (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 23.) 

Vortr. demonstrirt zunächst eine Patientin, bei welcher die hysterischen 
Symptome auf sexuelle Schädigungen direct zurückzuführen sind. Im allgemeinen 
spielen, entgegen Freud und Breuer, sexuelle Traumen bei der Entstehung der 
Hysterie keine bedeutende Bolle. Die „kathartische“ Methode Br euer’s ist mit 
Vorsicht anzuwenden, es existiren zahlreiche und sehr schwerwiegende Contra- 
indicationen: Vortr. betont hierbei u. a. die krankhafte Neigung der Hysterischen 
zur Lüge und Uebertreibung. 

Der zweite Fall ist dadurch ausgezeichnet, dass nach hysterischen Anfallen 
eigenartige Zwangshandlungen auftreten, eine Combination vorliegt von hysterischem 
und Zwangsirresein. Nach Anfällen, auch nach künstlich hervorgerufenen, führt 
der imgelenke und schwerfällige Patient die schwierigsten turnerischen Kunststücke 
mit staunenswerther Geschicklichkeit auf, springt von einer Bettstelle zur anderen, 
ohne je einen der Mitpatienten zu berühren, sohlägt die schwierigsten Purzel¬ 
bäume u. 8. w.; das Bewusstsein ist erhalten. Nach Aussage des Pat. sei es ein 
innerer, ihm selbst sehr peinlicher Zwang, der ihn zu diesen Bewegungen treibe; 
wenn er den Zwang zu unterdrücken suche oder in der Ausführung der Be¬ 
wegungen gestört werde, höre die innerliche Angst nicht auf. — Der Zwang 
treibt ihn mitunter zu sonderbaren sprachlichen Auslegungen, langen sinnlosen 
Reimen, lautem Benennen und Zeigen eines jeden Theils seines eigenen Körpers. 
— Auf der Höhe der spontan und künstlich durch Druck auf die „Ovarialgegend“ 
ausgelösten Anfälle sind die Pupillen fast ad maximum dilatirt und bei centraler 
focaler Beleuchtung starr. Die Starre dauert meist nur wenige Secunden. Be- 
merkenswerth ist noch, dass Pat. früher anscheinend an epileptischen Krämpfen 
litt und auch während seines Aufenthaltes auf der Klinik zwei echt epileptische 
Anfälle hatte. R. Pfeiffer. 


7) Ueber BenslbUltätsstörungen der Haut bei Erkrankungen innerer Or¬ 
gane, besonders bei Magenkrankheiten, von Dr. Hans Haenel, Assistenz¬ 
arzt am Stadtkrankenhaus in Dresden. (Münchener med. Wochenschr. 
1901. Nr. 1.) 

An der Hand eines grösseren Materials unterwarf Verf. die bekannten und 
für eine exacte Untersuchung und Diagnosestellung vielversprechenden Befunde 
Head’s einer eingehenden Prüfung. Mit nur wenig Ausnahmen konnten dieselben 
vollauf bestätigt werden. So erwies sich in erster Linie die Beobachtung He ad’s, 
wonach Erkrankungen innerer Organe sehr häufig mit Gefühlsstörungen einher¬ 
gehen, vollkommen richtig. Sie fanden sich bei Herzkranken mit Compensations- 
störung, in den verschiedensten Stadien der Phthise und besonders auch in deren 
Beginn. Die dabei auftretenden und bisher für rheumatisch angesehenen Be- 


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schwerden in der Schalter and den Oberarmen sind meist refleotirte Schmerzen. 
Ferner treten sie bei gynäkologischen Affeotionen, bei Prostatahypertrophie, haupt¬ 
sächlich nach dem Eatheterismus, bei Cystitis, Nephrolithiasis and verschiedenen 
Leiden des Digestionstractas auf. In etwa 1 / 8 der untersuchten Magenkranken, 
beiderlei, aber vorwiegend weiblichen Geschlechts, fand sich das Symptom der 
Hauthyperalgesie. Enud Fab er konnte es unter 200 Magenkranken nur 29 Mal 
nachweisen. Wenn sorgfältig darauf gefahndet wird, dürfte es naoh Verf. häufiger 
zu entdecken sein. In 14 Fällen von mit Bestimmtheit diagnosticirtem Ulcus 
ventriculi fanden sioh mehr oder weniger ausgedehnte hyperalgetische Zonen. 
Die Länge der seit der Blutung verstrichenen Zeit spielt dabei keine Rolle. 
Diesen 14 positiven stehen 5 Fälle gegenüber, in welchen weder Schmerzen noch 
Hautempfindlichkeit bemerkt wurden. Bei den drei Gruppen, sicheren, wahrschein¬ 
lichen Magengeschwüren und Dyspepsieen Hessen die Storungen der Sensibilität 
keine grösseren Unterschiede bemerken, doch waren sie im Allgemeinen bei Ulcus 
hartnäckiger als bei den functionellen Affectionen. 

Die Lage der von He ad angegebenen zwei Maximalpunkte wird bestätigt, 
und zwar hauptsächlich insofern, als sie bei Heilungen am längsten hyperalgetisch 
bleiben. Nicht ganz so constant erwies sich die Angabe, wonach sie in leichten 
Fällen allein hyperalgetisch sind. 

Verf. entdeckte auf der hinteren Portion des Deltoideus unterhalb des Akro- 
mion einen bisher nicht beschriebenen Maximalpunkt, und zwar sowohl bei Lungen- 
als bei Herz- und Magenkranken. Derselbe gehört in das Gebiet von C6. In 
40 ®/ 0 der Magenstörungen fand sich der Boas'sehe Druckpunkt. Bei der Hyper- 
algesie im Epigastrium dürfte es sich auch um ein Head’sches Maximum handeln. 
Der von Roux kürzlich beschriebene Druckpunkt in der Gegend der 9.—10. Rippe 
in der vorderen Axillarlinie ist nichts Anderes als das vordere Maximum D9 
des He ad'sehen Schemas. Nach demselben wird dem Magen das 4. und vielleicht 
3. Cervical- und das 7.—9., vielleicht auoh das 6. und 10. Dorsalsegment zu¬ 
gesprochen. Von 42 Fällen hielten 22 diese Grenze. ein, 20 überschritten sie, 
zum Theil in erheblichem Grad. Nach den Angaben von Enud Faber soll bei 
Dyspepsie am Arm eine hyperalgetische Stelle Vorkommen, welche D 2 entspricht. 
In verschiedenen Fällen bestanden localisirte Schmerzen am Arm und mehrmals 
Hessen sich nach Besserung des Grundleidens und Rückbildung der Hautempfind¬ 
lichkeit am Rumpf bis auf zwei Maxima an den Armen in D 2 und 3 empfind- 
Hche Stellen erkennen. Bei vier Magenaffectionen waren auch Stellen aus der 
unteren „Lücke“ ergriffen. Verf. glaubt, dass die von He ad angegebenen Magen¬ 
zonen etwas zu eng sind, denn in sämmtlichen Fällen war D 7—9 betheiligt, 
erstreckte sich aber in der Hälfte nach oben und unten über diese Grenzen hinaus. 
Dabei war häufig D2 und 3 am Arm mitbetroffen und wird diese Erscheinung 
in nähere Beziehung zum Magen gebracht. 

In einer nicht kleinen Zahl liess sich in den von He ad beschriebenen Lücken 
Hyperalgesie nachweisen, und zwar war mehrmals C 5—8 oder C 3 und 4 über¬ 
empfindlich. Die obere Lücke wurde 19 Mal, die untere in 6 Fällen hyper¬ 
algetisch gefunden. Danach wäre die Head’sohe Lehre von den Lücken nicht in 
ihrem ganzen Umfang aufrecht zu halten. Sie sollen ein von reflectirten Schmerzen 
in der Regel freies Gebiet darstellen, lassen aber nach den Befunden Haenel’s 
bei inneren Erkrankungen ebenso gut wie die anderen Theile an der Hautober¬ 
fläche Hyperalgesie erkennen. In Bezug auf die serösen Häute werden die An¬ 
gaben Head’s, wonach deren Erkrankungen nicht mit oberflächUcher Hyperalgesie 
einhergehen, bestätigt Der Schmerz wird, falls wirklich vorhanden, durch tiefen 
Druck oder Erschütterung ausgelöst. In therapeutischer Beziehung ist anzunehmen, 
dass durch die engen Beziehungen zwischen inneren Organen und bestimmten 
Hautgebieten durch Einwirkung auf die letzteren auch die enteren funotionell 

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beeinflusst werden. Während Head durch Cooalnsalbe gute Erfolge erzielte, 
empfiehlt Verf. das Auflegen von Senfpflastern. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


8) lieber die physiologische Grundlage der hysterischen Ovarie, von Dr. 

Steinhausen in Hannover. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901.) 

Die Untersuchungen wurden vorgenommen, um festzustellen, ob die durch 
mehr oder weniger plötzlichen und stärkeren Druck auf die seitlichen Unter* 
bauchgegenden hysterischer Personen bedingten Reactionserscheinungen einen be¬ 
stimmten diagnostischen Werth besitzen oder möglicherweise auch bei Gesunden 
Vorkommen. Es wurden 500 gesunde Soldaten daraufhin und zwar in kleineren 
Gruppen und unter peinlichster Vermeidung jeder suggestiven Beeinflussung unter¬ 
sucht. Dabei wurde in der von Charcot angegebenen Weise auf beiden Seiten 
der Unterbauchgegend plötzlich und mit massigem Kraftaufwand Druck ausgeübt 
In 88 °/ 0 der Fälle traten Reactionserscheinungen (Streckbewegungen der Wirbel¬ 
säule, Pupillenerweiterang, Steigerung der Pulszahl, Röthung des Gesichts und 
schreckhafter bez. erotisch-erregter Gesichtsausdruck) auf. Daraus erhellt, dass 
es sich bei dieser Art von „Ovarie“ nicht um Beziehungen zur Hysterie, sondern 
um rein physiologische Vorgänge handelt Wahrscheinlich kommt auch ähnlichen, 
kitzelartigen Erscheinungen bei anderen hysterogenen Zonen ein gleich wichtiger 
Antheil zu, wie bei der Ovarialzone. Nur durch die eigenartige Constanz der 
von ihr ausgehenden Reactionserscheinungen ist ihre besondere Wichtigkeit bei 
der Diagnose der Hysterie zu erklären. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


9) Ueber neuraathenisohe Neuralgieen, von Prof. Jendrässik. (Orvosi 
Hetilap. 1901. Nr. 48 u. 49.) 

In dieser eingehenden, für ein kurzes Referat nicht geeigneten Studie erörtert 
Verf die differentielle Diagnose zwischen den wahren Neuralgieen und den im 
Verlaufe von Neurosen auftretenden, oft scheinbar deren einziges Symptom bil¬ 
denden PBeudoneuralgieen, für welche er den Namen „neurasthenische Neuralgieen“ 
vorschlägt Die genaue Diagnose sei um so nothwendiger, um an neurasthenischen 
Neuralgieen leidende Kranke vor unnöthigen und fruchtlosen zahnärztlichen und 
operativen Eingriffen zu verhüten; Verf. betont die mitunter nothwendige operative 
Therapie bei den wirklichen Neuralgieen, aber erst dann, wenn jede andere 
Therapie erfolglos blieb. Hudovernig (Budapest). 

10) Die subjeotiven Beschwerden der Neurastheniker , von L. Hoeflmayr 
in München. (Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 46.) 

Eine sehr grosse Zahl der subjectiven neurasthenischen Beschwerden sind 
durch eine Störung der Darminnervation und deren Folgeerscheinungen bedingt, 
deshalb ist eine Regulirung derselben durch Abführmittel, Bauchmassage u. s.w. 
stets von dem grössten therapeutischen Erfolg begleitet Eine weitere Gruppe 
dieses Leidens gehört den Vagus-Sympathicusneurosen an. Im Allgemeinen plaidirt 
Verf. dafür, den Sammelbegriff Neurasthenie allmählich fallen zu lassen und den 
Krankheitsherd im speciellen Fall zu bezeichnen. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


11) Ein Fall von Hysterie mit linksseitiger Hyperhidrosis und Transfert 
der Hemihyperaesthesia sinistra auf die rechte Körperhälfte, von 

W. Kgdzior. (Przegl^d lekarski. 1901. Nr. 1. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über einen Fall von linksseitiger Hyperhidrosis und Transfert 
der Hemihyperästhesie von der linken Seite auf die rechte. Der Fall betraf eine 


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20jährige Bäuerin, bei welcher vor 3 Jahren Pareee des rechten und alsbald dee 
linken Beines mit Parästheeieen auftrat. Seit einem Jahre bettlägerig. Hyper- 
hidrosis auf der linken Seite hauptsächlich bei Nahrungsaufnahme, Einschlafen 
und psychische Aufregungen. Nystagmus. Gesicbtsfeldeinsohränkung. Gesohmack- 
und Geruchstörungen. Zittern der Zunge. Langsame Sprache. Kein Intentions¬ 
zittom. Sehnenreflexe gesteigert. Linksseitige Hyperästhesie. Nach einiger Zeit 
Hyperästhesie der rechten Körperhälfte. Verf. nimmt in diesem Fall Hysterie 
(Astasie-Abasie) an. (Nach Meinung des Bei ist in diesem Fall die multiple 
Sklerose mit oder ohne hysterische Begleitersoheinungen nicht ausgeschlossen!) 

Edward Flatau (Warschau). 


12) Amaurose hystdrique double, par E. Gallemaerts. (Policlinique. 1901. 

1. August.) 

Mittheilung eines Falles dieser seltenen Affection; die Amaurose war bei 
einer 24jähr. Frau, die sonst stets gesund gewesen war, kur» nach Entwöhnen 
des Kindes plötzlich beim Nähen aufgetreten. Anästhesie der Corneae und Con¬ 
junctivae und Baohenanästhesie bei negativem Augenbefund Hessen die Diagnose 
stellen; Suggestivtherapie war naoh wenigen Tagen von Erfolg begleitet. 

H. Haenel (Dresden). 


13) Ein Fall von hysterischer Taubheit, von Prof F. Sohultze (Bonn). 

(Deutsche Aerzte-Zeitung. 1901. Nr. 4.) 

Ein 14jähr. Obertertianer wird in Folge eines Schreckes duroh den Knall 
einer zufallenden Klassenzimmerthür plötzUoh auf beiden Ohren taub. Der bis 
dahin absolut gesunde Knabe wies keinerlei sonstige Störungen auf. Naoh mehr¬ 
facher specialärztHoher Untersuchung wurde feetgesteilt, dass keine organischen 
Veränderungen des Gehörapparates Vorlagen. Eine Schreckneurose wurde aus¬ 
geschlossen. Trotz des Fehlens irgend welcher sonstigen hysterischen Symptome 
wurde die Diagnose auf hysterische Taubheit gestellt. Im Verlaufe der Behand¬ 
lung, die hauptsächHoh in der Anwendung hydropathisoher Mittel bestand, stellten 
sich Krämpfe erst einiger Muskelgruppen, dann der gesammten Körpermusoulatur 
ein, die aber bald wieder schwanden. Pat. wurde in die medicinische Klinik in 
Bonn aufgenommen und hier wurde durch einfache Suggestion erreioht, dass das 
Gehör nach etwa 3 Tagen wieder völlig normal wurde. Die Taubheit hatte im 
ganzen etwas über 6 Wochen gedauert und war längere Zeit hindurch das einzige 
Zeichen von Hysterie. Zur Erklärung dieses Falles führt Verf. aus, dass auf 
irgend eine Weise das Bewusstsein für akustische Eindrücke verloren gegangen 
sein müsse, dass eine Art partiellen Dauerschlafs für akustische Eindrücke be¬ 
standen habe. H. Sohnitser (Stettin-Kückenmühle). 


14) Oreille et hyatdrie, par Dr. Fleury Chavanne. (Paris, 1901.) 

Das Werk, dem man naohrühmen muss, dass es seinen Stoff in ebenso über¬ 
sichtlicher wie erschöpfender Weise behandelt, theilt sich, nach einer ausführlichen 
Einleitung, die die Untersuchungsmethoden behandelt, in zwei Hauptabschnitte: 
der erste beschäftigt sioh mit den hysterischen Ohrsymptomen, die erat, wie etwa 
die Gesichtsfeldeinschränkung oder die hysterogenen Zonen, durch die specielle 
Untersuchung aufgedeokt werden; der zweite handelt von den Ohraffectionen, wie 
Taubheit, Ohrenschmerzen, Otorrhagieen u. s. w., die den Kranken zum Arzt führen 
und deren hysterisohe Natur studirt wird (eigentliche monosymptomatische auri- 
culäre Hysterie und in dem Sinne, dass die Ohrsymptome das Krankheitsbild be- 


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herrschen). Dieser Theil trennt die Anästhesieen (Taubheit, Taubstummheit u. ü.) 
von den Hyperästhesieen (Hyperacousie douloureuse, hysterogene Zonen im Bereich 
des Ohres, hysterische Pseudomastoiditis) ab. Ein besonderes Capitel ist der 
seltenen Affection des Meniöre’schen Schwindels auf hysterischer Basis gewidmet, 
ein weiterer Abschnitt den Otorrhagieen, deren Verhältnis zur Menstruation ein- 
gehende Berücksichtigung findet. Den Schluss bildet eine Studie über die trau¬ 
matische Hysterie des Ohres. Die einzelnen Capitel gewinnen dadurch an Lebendig¬ 
keit und Interesse, dasB ihnen jedes Mal eine Beihe Beispiele in Form selbst¬ 
beobachteter und aus der Litteratur zusammengetragener Krankengeschichten bei¬ 
gefügt sind. Die Therapie ist, da sie meist mit der der Hysterie zusammenfallt, 
naturgemäße meist nur kurz abgehandelt, um so mehr Baum ist der nothwendigen 
Differentialdiagnose gegen Erkrankungen anderen Ursprungs gewidmet. An ein¬ 
zelnen Stellen, besonders bei der Besprechung der einseitigen und doppelseitigen 
Taubheit, wäre vielleicht auch ein etwas näheres Eingehen auf die Simulation von 
Vortheil gewesen. — Die besonders für einen Franzosen naheliegende Gefahr, der 
Hysterie einen übertriebenen Einfluss zuzuschreiben, wird glücklich vermieden. 

In unserem Zeitalter der „Grenzgebiete“ füllt das Buch sicher einen Platz 
aus, an dem der Neurologe vielleicht noch mehr wie der Otologe leicht vorüber¬ 
zugehen Gefahr läuft; das Studium des Werkes kann für beide nur von Vortheil 
sein. H. Haenel (Dresden). 


16) Un o&s d’epilepsie jaokaonienne hysterique, traltement, gttörison, par 

P. Hartenberg. (Bevue de psychologie olinique et thörapeutique. 1900. 

April.) 

Patientin, 35 Jahre alt, Trinkhallen Verkäuferin, verheirathet, nervös belastet; 
als Kind häufig Luftwegcatarrhe; vor 5 Jahren nach Aufregung nervöse (?) Bron¬ 
chitis; neue Aufregung durch Tod der Mutter und eines ihrer Kinder; kurz 
darauf Erysipel, heftige Epistaxis, wieder nervöse Bronchitis, welche 5—6 Tage 
anhielt; hierbei heftiger Husten, keine Expectoration; heilte momentan durch die 
ersten beiden Löffel Arznei. Von jetzt ab fortwährend leidend, Schmerzen überall, 
nervös gereizt und reizbar. — Beginn der jetzigen Krankheit am 28./V. 1897 
nach einigen Tagen grosser geschäftlicher Aufregung und Anstrengung: Patientin 
spürte plötzlich ihre linken Wadenmuskeln erstarren, Ameisenkriechen im linken 
Fuss, unfreiwillige Bewegungen in den Zehen, musste im Gehen an halten, sich 
setzen; dies dauerte 5—6 Minuten. Dasselbe 4—6 Tage nachher, von da ab 
bald mehrmals am Tage, bald nach mehrtägiger Pause. Die Erscheinungen traten 
immer in derselben Beihenfolge auf; anfangs eine Aura in Form von Kopfbohmerz 
und Brechen, später in Form von nervösem Zittern. Der leichteste Beiz, z. B. 
eine unbequeme Lage eines Gliedes, konnte einen Anfall auslösen. Die krampf¬ 
artigen Bewegungen bestanden in Flexionen und Extensionen der Zehen, gefolgt 
von klonischen Stössen des Fusses. Bei einer vom Verf. beobachteten Krise 
waren es besonders Spasmen des Extens. hall, long., Extens. communis und Peron. 
long. Während des Anfalls Fubs eiskalt; Krampfbewegungen schmerzhaft, dauern 
nie länger als 5—6 Minuten. Bewusstsein intact Einige Krisen verliefen zum 
Theil anders: so erstreckte sich einmal der Sohmerz durch die ganze linke Seite 
auch an die Finger; ein anderes Mal (November 1897, Nachts) heftige Kopf¬ 
schmerzen, beständiges Gähnen, danach Erstickungsanfall, Schrei, Bewusstseins¬ 
verlust, 20 Minuten lang Somnolenz. Urin hell, reichlich; kein Zungenbiss. Am 
3./IV. 1898 ähnlicher, nur etwas stärkerer Anfall. — Stat. praes. 14./III. 1899: 
Schwächlicher, mittelgrosser Körperbau, Blässe; Herzschlag frequent, Magen¬ 
erweiterung, subjeotive Magenbesohwerden, Obstipation. — Nervöses Temperament, 
mehrere Degeneration« zeiohen. Sensibilität fast normal, nur vage Schmerzen und 


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599 — 


clavas hystericus. Motilität ausserhalb der Antälle o. B. Reflexe mittelstark. 
Schwächegefühl in den Beinen. Psychisch: Niedergeschlagenheit; Pat. beschäftigt 
sich in Gedanken fortwährend mit ihrem Leiden, fürchtet fortwährend Eintritt 
eines Anfalles. Schlaf nngleichmässig. Alpdrücken. 

Ver£ diagnosticirt Jackson'sehe Pseudoepilepsie hysterischer Natur; die von 
anderen Aerzten geleiteten Brom-Wasser- u. s. w. Kuren waren ohne Erfolg ge¬ 
wesen. Verl behandelte Pat. allgemein mit täglichen lauwarmen Waschungen 
gefolgt von Alkoholeinreibungen; alle 2 Tage allgemeine leichte Massage ab¬ 
gesehen vom kranken Bein; strenge Diät, Bekämpfung der Obstipation; alle 
2 Tage subcutane Injection von Lecithin. — Bei der speciellen suggestiven Be¬ 
handlung ging er von der Beobachtung der Kranken aus, dass die Spasmen nie 
allein auftraten, sondern ihnen stets obengenannte Sensationen vorausgingen, welche 
sie zwangen ihre Gedanken auf die späteren Krampfbewegungen zu richten. Er 
suchte diese Gedankenverknüpfung zu lösen, indem er die stabile Elektrode des 
faradischen Apparates auf den Oberschenkel setzte, die mobile auf Fuss und 
Zehen, um hier Sensationen ähnlioh denen, die dem Anfall vorausgingen, hervor¬ 
zurufen. Zugleich Suggestion, dass diese elektrisch hervorgebrachten Sensationen 
keine Spasmen nach sich zögen. Traten diese doch au£ so braohte er die Elek¬ 
trode auf die contrahirten Muskeln und suggerirte, dass diese elektrischen Con- 
tractionen die spontanen am Entstehen hindern würden. — Schnelle Besserung 
des Allgemeinzustandes. Die Krisen wurden seltener und schwächer. Patientin 
schöpfte Hoffnung. April 1900 noch von Zeit zu Zeit einige Sensationen mit 
Neigung zu Spasmhn, doch legt sie ihnen kein Gewicht mehr hei. Verf. be¬ 
trachtete sie damals als geheilt. Meitzer (Grosshennersdorf). 


16) Deviationen und Contraoturen neuro tisoh eh Ursprunges der Wirbel¬ 
säule, von Prof. Dr. Erasmo de Paoli. (Wiener med. Presse. 1901. 

Ni*. 20.) 

1. Fall. Hysterische Skoliose bei einem 12jähr. Mädchen. Die Skoliose 
war als erstes Symptom aufgetreten, ohne andere hysterische Erscheinungen. 
Heftige, neuralgische und intermittirende Schmerzen im rechten Hypochondrium 
und 6.— 8. Intercostalraume. Die Deviation der Wirbelsäule wird durch Suspension 
vollkommen corrigirt. Keine Schmerzen bei Nacht, psychische Steigerung der¬ 
selben, kein Effect des immohilisirenden Apparates auf die Schmerzen, Druck¬ 
schmerzhaftigkeit der Dornfortsätze. Schwinden der Schmerzen und der Skoliose 
unter Bromtherapie. 

2. Fall. Hysterische Contractur der Halswirbelsäule mit Schmerzanfällen 
nach leichtem Trauma bei einem 8jähr. Mädchen. Nach einem leichten Schlag 
in den Nacken Beugecontractur der Halswirbelsäule. Schwinden der Contractur 
und Wiederkehr nach den leisesten Veranlassungen. Später hysterische Convul- 
sionen. Erfolg auf Brombehandlung. 

8. Fall. 35jahr. Patient'ip. Hysterische Anfälle seit dem 17. Jahre. Vor 
5 Jahren Sturz auf Kreuz und Hinterkopf. Danach Neuralgieen im Kopf. Druck¬ 
empfindlichkeit und Schwäche der Wirbelsäule. Später Ovarie, Fieber, lumbale 
linksconvexe Skoliose. Zunahme der Schmerzen im Suspensionsapparate. Hyper- 
ästhetische und anästhetische Zonen. 

Charakteristisch ist das Vorangehen eines Traumas, das Ueberwiegen der 
suhjectiven Beschwerden gegenüber den objectiven, das Schwinden der Schmerzen 
bei Nacht, die Zunahme hei Suspension, die Nichtübereinstimmung der Schmerzen 
und der druckempfindlichen Dornfortsätze mit der Stelle der Difformität, der 
Einfluss de* Therapie. J. Sorgo (Wien). 


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17) Die hysterische Skoliose, von Dr. Gustav Muskat. (Centralblatt für die 

Grenzgebiete der Medicin und Chirurgie. 1901. Nr. 6.) 

Verf. entwickelt das Krankheitsbild der hysterischen Skoliose, die man 
eigentlich besser als „Contractur der Rüokenmusculatur auf hysterischer Basis“ 
bezeichnen würde. Während die indirecte Ursache in einer hysterischen Ver¬ 
anlagung gesehen wird, soll als directe Veranlassung ein Fall, eine heftige Ge- 
müthsbewegung u. s. w. auslösend wirken. In den typischen Fällen ist auf der 
einen Seite die lumbodorsale Musculatur straff gespannt, hart und schmerzhaft 
Die Wirbelsäule ist in der Regel der ganzen Länge nach seitlich verbogen, die 
Convexität der Curve sieht nach der gesunden Seite. Bei dem leisesten Zuge, 
Suspension, Vorüberneigen des Rumpfes oder in Narcose wird die Deformität aus¬ 
geglichen, doch kommen hiervon Ausnahmen vor. Von der echten Skoliose unter¬ 
scheidet sich die hysterische Form dadurch, dass bei der letzteren keinerlei 
Knochenverändemngen an der Wirbelsäule Vorkommen, Torsion der Wirbelsäule, 
Rippen oder Brustbuckel fehlen vollkommen, die Muskelcontractur ist hier die 
primäre Erscheinung, während sie bei der echten Skoliose rein secundärer Natur 
ist Verf. zieht noch einige andere Erkrankungen in den Kreis seiner differential¬ 
diagnostischen Erwägungen und bemerkt bezüglich der Therapie, dass diese eine 
antihysterische sein müsse. Die Prognose ist nach den neuesten Ergebnissen nicht 
absolut günstig. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle). 


18) Hysterische Hüfthaltung mit Skoliose, von Prof Dr. J. K A. Wertheim 

Salomonson in Amsterdam. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk. XIX. 

1900.) 

Diese Art hysterischer Contractur wurde in 2 Fällen beobachtet Im ersten 
war es ein 24jähr. Arbeiter, der noch andere Symptome von Hysterie darbot und 
einige Zeit vor dem Auftreten der Erscheinung einen Fall erlitten hatte. Er 
nahm eine Haltung an, die von Richer als Attitüde hanchöe beschrieben ist 
und die von der physiologischen Hüfthaltung nicht viel abwich. Und zwar stützte 
er sich stets auf das gestreckte, leicht adducirte rechte Bein, der Oberkörper hing 
nach rechts hinüber und die Wirbelsäule zeigte eine Skoliose mit der Convexität 
nach links. Diese schräge Körperhaltung und die Skoliose blieben auch bestehen, 
wenn man den Patienten veranlasste Bich auf das linke Bein zu stützen. Die 
passiven Bewegungen in der linken unteren Extremität zeigten einigen Wider¬ 
stand. Heilung trat spontan ein, als der Kranke seinen zu Boden gefallenen 
Stock aufheben wollte, wobei er in der Hüfte etwas „vergehen“ fühlte. 

Eine- zweite, ganz ähnliohe Beobachtung wurde an einem 17jähr. Mädchen 
gemacht. Heilung trat hier gelegentlich einer starken Faradisirung ein, wobei 
eine Aussenrotation des Beines erfolgte. Die Patientin hatte das Gefühl, als ob 
in der Hüfte etwas zerspränge. 

Der Verf. giebt eine kritische Uebersicht über die in der Litteratur nur in 
spärlioher Zahl vorliegenden, ähnlichen Beobachtungen und verbreitet sich über 
das Wesen der Erscheinung. Er stellt einmal fest, dass es sich nioht um eine 
eigentliche Contractur handele, da in den meisten Fällen die passiven Bewegungen 
ganz frei waren und die geringe Behinderung in den beiden vorliegenden Fällen 
nur auf eine Neigung hindeute eine bestimmte Stellung festzuhalten. Ueber diese 
Stellung selbst spricht sich Verf. dahin aus, dass es sioh um eine Subluxation des 
Femur handele, and zwar könne dieselbe schon normalerweise hervorgerufen 
werden, indem man dem Bein die bekannte „Coxitisstellung“ gebe. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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19) lieber die hysterischen Störungen, von K. Strözewski. (Gazeta 
lekarska. 1901. Nr. 34. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über 18 Fälle von hysterischen Contracturen. Aus der 
klinischen Beobachtung dieser Fälle geht hervor, dass die Contracturen bei 
Hysterie sehr stark ansgeprägt sind. Sie erreichen ihre maximale Höhe sogleich 
bei der Entstehung. Während des Schlafes verschwinden sie nicht. Die Cbloro- 
formnarcose ist nur auf kurze Zeit im Stande die Contraotur zu entfernen. In 
dem von Contractur befallenen Körpertheil lässt sich gleichzeitig sensible Störung 
constatiren. Die Sehnenreflexe bleiben auf der contrahirten Seite ohne Verände¬ 
rung. Die Contracturen treten in der oberen Extremität am häufigsten in Form 
von „geballter Hand“, in der unteren als „pes equino-varus“ auf. Die hysterischen 
Contracturen schwinden meistens plötzlich. Als charakteristisch für diese Art 
von Contracturen kann man das gleichzeitige Befallensein der antagonistischen 
Muskelgruppen (z. B. der Beuger und Strecker) aufstellen. 

Edward Flatau (Warschau). 


20) Diplegia facialis hysterioa, von Dr. Hugo Lukäcs. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift. 1901. Nr. 6.) 

Die 19jähr. Patientin erkrankte an rechtsseitiger totaler Facialislähmung mit 
Entartungsreaction; unter elektrischer Behandlung ging die Lähmung nach 3 a / a Mo¬ 
naten zurück. 6 Monate später wieder rechtsseitige Facialislähmung, die aber 
weder complet noch total war, da der Orbicul. oculi nicht mit einbezogen war. 
8 Tage später linksseitige Lähmung ebenfalls mit Freibleiben des Orbicul. oculi. 
Beim Weinen und Lachen reagiren beide Gesichtshälften normal. Die Diplegie 
besteht seit 3 Jahren, unter elektrischer Behandlung sich immer wieder etwas 
bessernd, bei psyohischen Alterationen und während der Menses sich verschlimmernd; 
keine Entartungsreaction. Keine Contracturen. Hypnose hat vorübergehend 
bessernden Einfluss. Keine Stigmata^ J. Sorgo (Wien). 

21) Monoplögie orurale hystdrique, par L. G. Simon. (Bulletins de la 

Societä de Pädiatrie. 1901. Nr. 8.) 

Ein 13jähr. Knabe erkrankt aus voller Gesundheit mit Zittern, Schwäche 
der Beine, stürzt zusammen, ohne dass das Bewusstsein getrübt ist. Er behält 
eine incomplete Lähmung des linken Beines, ist nicht im Stande allein zu gehen, 
wird bettlägerig. 5 Tage nach Beginn des Leidens spontanes Erheben aus dem 
Bett und gelungener Versuch allein herumzugehen, nach weiteren 2 Tagen völlig 
geheilt. 

Die hysterisohe Natur der Lähmung erschliesst Vortr. nicht nur aus dem 
eben erwähnten Verlauf des Leidens, sondern auch aus dem Erhaltenbleiben der 
normalen Reflexe, aus einer eigentümlichen Sensibilitätsstörung und aus dem 
Verhalten der Sphinkteren. An den Beinen und den unteren Partieen des Stammes 
bestand eine nach oben scharf begrenzte Herabsetzung für Schmerzempfindung 
und für die Erkennung kalter Gegenstände; später verkleinerte sich diese Zone 
gestörter Sensibilität und blieb nur auf das kranke Bein beschränkt. 

Die Sphinkterenfunction war schon vor dem Insult insofern gestört, als 
namentlich bei Tag Incontinentia urinae bestand. Zugleich mit der Lähmung 
stellte sich auch unwillkürlicher Stuhlabgang ein, der auch an dem Tage schwand, 
an welchem das Gehvermögen wieder normal wurde. Sonderbarerweise heilte zu 
gleicher Zeit auoh die Enuresis, trotzdem dieselbe viel älteren Datums war. 

_ Zappert (Wien). 


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22) Fall af astasi-abaai, af H. Köster. (Hygiea. 1900. S. 232.) 

Der erste der beiden vom Verf. mitgetheilten Fälle betrifft eine 23 Jahre 
alte Kranke, die an Dysmenorrhöe, epileptiforxnen Anfällen, Bluthusten und Blut* 
erbrechen gelitten hatte; jedoch war nie in dem Erbrochenen oder in den Dann¬ 
entleerungen Blut nachzuweisen gewesen. Bei der Aufnahme am 9. Nov. 1898 
war die Patientin abgemagert, kraftlos, benommen; sie klagte über Schmerz im 
Bauohe, der eingezogen und überall empfindlich war, am meisten im Epigastrium, 
aber nirgends liess sich Dämpfung oder abnorme Resistenz auffinden. Patientin 
klagte über Erbrechen, so dass sie nichts bei sich behalten konnte, sie konnte 
den Harn nicht spontan entleeren, sondern musste katheterisirt werden; eine Zeit 
lang war vollständige Anurie vorhanden gewesen. Anfangs erbrach Patientin 
noch alles Genossene, allmählich aber begann sie Nahrung bei sich zu behalten. 
Sie wurde isolirt und durch wache Suggestion und ZwangsfÜtterung gelang es 
allmählich, den Ernährungszustand wieder zu heben. Als Patientin das Bett ver¬ 
lassen sollte, konnte sie weder gehen noch stehen, wenn sie aber im Bett lag, 
konnte sie mit den Beinen alle Bewegungen auBführen, wenn auch etwas schwach 
in Folge des langen Liegens. Schon vor einigen Jahren hatte sie lange Zeit im 
Bett gelegen, weil sie sich nicht auf den Beinen zu halten vermochte. Tabes, 
sowie andere organische Leiden des centralen Nervensystems konnten mit Sicher¬ 
heit ausgeschlossen werden. Ausgeprägte Symptome von Hysterie waren zwar 
nicht voi'handen, aber eine geringe Herabsetzung der Sensibilität und das Un¬ 
vermögen, den Harn spontan zu lassen, deuteten auf Hysterie, und der gute Er¬ 
folg der suggestiven Behandlung in Verein mit Massage bestätigten diese An¬ 
nahme. Ausserdem wurde Faradisation angewendet, sie schien indessen keine 
Wirkung zu haben. Die Besserung machte langsame, aber stetige Fortschritte 
und Mitte Juni 1899 konnte die Patientin auf ihr Verlangen entlassen werden; 
ihr Gang erinnerte aber noch sehr an den eines Seiltänzers mit ausgebreiteten 
Händen und stets nach vorn auf den Weg gerichtetem Blick. 

Der zweite Fall betraf ein 12 Jahre altes Mädchen, das nach einem Noth- 
zuchtsversuch auf der Treppe des Hauses, in dem sie wohnte, stets, wenn sie die 
Wohnung verlassen wollte, auf der Treppe umfiel und sich nicht wieder erheben 
konnte, in der Wohnung aber ungehindert gehen und stehen konnte. Auch wenn 
Patientin die Treppe hinab getragen wurde, konnte sie nicht gehen und stehen. 
Schon nach der ersten Behandlung mit kräftiger Faradisation konnte die Kranke 
gestützt die Treppe hinaufgehen; nach vier Sitzungen war sie geheilt. 

Walter Berger (Leipzig). 

23) Astasie-Abasie, monoplegie brachiale, hystörie infantile, par Dr. 

J. Comby. (Archives de Mädecine des Enfants. IV. Nr. 6.) 

Enthält die Krankengeschichten eines 10 und eines 12jähr. Mädchens, von 
denen ersteres das Symptom der Astasie-Abasie, letzteres ein Recidiv einer Arm¬ 
lähmung auf hysterischer Grundlage darboten. Auf Anstalt»- und elektrische 
Suggestivbehandlung gingen die Störungen rasch zurück. Zappert (Wien). 


24) Ueber Zwangserbreohen, von W. v. Bechterew. (Obosrenije psichiatrii. 

1900. Nr. 6.) 

Verf. berichtet über 2 Fälle, in denen bei gewissen Gelegenheiten ein un¬ 
beherrschbares Uebelkeitsgefühl mit nachfolgendem Erbrechen eintrat. In dem 
einen Fall war es ein Sänger, der jedes Mal, wenn er auf der Bühne auftrat, von 
dieser Zwangserscheinung überfallen wurde, im anderen eine 28jährige, ziemlich 
stark belastete Dame, bei der das Erbrechen auftrat, wenn sie das Haus, in dem 


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003 


sie wohnte, verliess. In beiden Fällen konnten die Patienten keine ässociätive 
Veranlassungsursache angeben. Beide hatten ihre Zuflucht zum Cognak genommen. 
Eine grosse Erleichterung, wenn auch nicht volles Schwinden des Symptoms be¬ 
wirkten Bromsalze in Verbindung mit Codein. 

Wilh. Stieda (St. Petersburg). 


25) Larynxnetnroser, af V. Saxtorph Stein. (Hospitalstidende. 1900. Nr. 8.) 

Verf. theilt 3 Fälle von spastischer Aphonie mit, die alle Frauenzimmer im 
Alter von 42, 25 und 31 Jahren betrafen. Im 2. und 3. Falle war der functio¬ 
neile exspiratorische Stimmritzenkrampf mit inspiratorischem complicirt, in Folge 
dessen Athmungsbeschwerden entstanden, die im 3. Falle eine solche Höhe er¬ 
reichten, dass der behandelnde Arzt sich genöthigt sah, die Tracheotomie auszu¬ 
führen. Unter geeigneter Behandlung wurde in allen 3 Fällen Heilung erzielt. 
In einem 4. Falle, den Verf. mittheilt, bestand doppelseitige Posticuslähmung bei 
einem 17% Jahre alten Gärtnerlehrling; auf beiden Seiten des Halses, namentlich 
in der Begio submaxillaris, fühlte man mehrere grosse indolente Drüsengeschwülste; 
nach Verf. lässt sich nioht gut annehmen, dass durch diese Geschwülste ein Druck 
auf die Nn. recurrentes ausgeübt wurde. Walter Berger (Leipzig). 


26) Nervöse Tachypnoe, von Reckzeh. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. 

Nr. 17, 18 u. 19.) 

Im Anschluss an vier eigene Fälle von nervöser Tachypnoe bei jungen 
Männern hat Verf. 1155 Krankengeschichten der Gerhardt’schen Klinik, die 
functioneile Neurosen betreffen, in Bezug auf das Vorkommen und die Häufigkeit 
dieses AthmungstypuB uurchgesehn. Unter diesen 1155 Kranken, meistens Neur¬ 
asthenikern und Hysterischen, fand sich in 40 Fällen, d. h. in 3,46°/ 0 , aus¬ 
gesprochene Tachypnoe, und zwar bei 14 Männern und 26 Frauen. Bemerkens¬ 
werth erscheint, dass 7 Mal das Leiden erblich war. Als Tachypnoe wurde eine 
Erhöhung der Athmungsfrequenz, die entweder eine dauernde ist oder paroxysmal 
eintritt, auf 40 und darüber in der Minute angesehn. Alle Fälle wurden aus¬ 
geschlossen, bei denen die Tachypnoe duroh ein organisches Leiden bedingt sein 
konnte. Die begleitende nervöse Erkrankung war bei den Frauen, abgesehen von 
2 Fällen Basedow’scher Krankheit und zwei schweren Neurosen, durchweg 
Hysterie, bei den Männern Neurasthenie bezw. traumatische Neurose. Das Alter 
der Kranken lag bei dem männlichen (Jeschlecht zwischen 18 und 42, bei dem 
weiblichen zwischen 15 und 62 Jahren. Die Prognose und Therapie ist die des 
Grundleidens. BielschoWsky (Breslau). 

27) Et tilfälde af hysteriske blödninger i hud og slemhInder, af S. Holth. 

(Norsk Mag. f. Lägevidensk. 1901. S. 685.) 

Bei der 23 Jahre alten hysterischen Patientin waren mehrfach nach Gemüts¬ 
bewegungen ohne Trauma und ohne sonstige äussere Veranlassung mit Blut ge¬ 
füllte Blasen, die platzten und sioh in langsam heilende Geschwüre mit nekro¬ 
tischem Grunde verwandelten. Im September 1892 und im Februar 1898 waren 
auf gleiche Weise Blutungen im linken und rechten oberen Augenlide entstanden, 
ebenfalls nach Gemütsbewegungen. Um Hämophilie, wenigstens im gewöhnlichen 
Sinne, konnte es sich nioht handeln, da bei einer Untersohenkelamputation wegen 
eines wahrscheinlich tuberculösen Knochenleidens am Fusse, im 16. Lebensjahre, 
und nach verschiedenen Zahnextractionen keine bedeutenderen Blutungen auf¬ 
getreten waren. Am 28. März 1893, Abends 6 Uhr, machte Verf. mit dem Zeige¬ 
finger, ohne starken Druck, ein Kreuz auf die Aussenseite des OberarmB der 


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Patientin; am anderen Morgen war noch nichts za bemerken, am Mittag begann 
sich eine Verfärbung in Form eines Kreuzes zu zeigen und am 30. März war es 
deutlich zu sehen, blaugrün mit gelblicher Marmorirung und an der Kreuzungs- 
stelle dunkel blauroth. Erst am 7. April war es wieder ganz verschwunden. 
Später traten zeitweise Blutungen an verschiedenen Stellen der Haut und der 
Schleimhäute auf. Bei der Badekur in SandsQord im Sommer 1894 bemerkte 
Prof. Poulsson, dass trotz der schonendsten Behandlung im Bade immer blaue 
Flecke in der Haut entstanden, dass die Neigung zu Blutaustritten aber nach- 
liess, als Patientin weniger schonend behandelt wurde, nachdem ihr die Suggestion 
gegeben worden war, dass durch mechanische Behandlung der Haut die Neigung 
zur Blutung aufhören würde; schliesslich konnte Patientin mit Birkenreis gepeitscht 
werden, ohne dass nennenswerthe Blutungen danach auftraten. Bis gegen Weih¬ 
nachten desselben Jahres blieb die Patientin frei von Blutungen, dann traten sie 
wieder auf. Nach Anwendung von Arsenikpillen, die 2 Jahre lang fortgesetzt 
wurde, erfolgte dauernde Besserung, die Blutungen fanden nur noch selten statt. 
Am 6. Februar 1900 starb die Patientin plötzlich an Pankreasapoplexie; ob eine 
Gemüthsbewegung vorausgegangen war, konnte Verl nicht erfahren. Bei der 
Section fand sich ausserordentlicher Fettreichthum im Unterleib, der wohl eine 
Folge der Arsenkur war, und Nekrose des Pankreas in der Nähe der Blutungen. 

Walter Berger (Leipzig). 

28) Involuntary nüoturition in Ohildren, by G. Frank Lydston, M. D. 

(Chicago). (Pediatrics. 1902. 15. Januar.) 

Unwillkürlicher Urinabgang ist bei Kindern nicht immer als Neurose auf¬ 
zufassen, sondern oft genug Ausdruck von anatomischen Veränderungen der Ham- 
wege oder chemischer Störungen des Urins. Es sind das oft Zustände, bei denen 
auch beim Erwachsenen häufiger, quälender Harndrang auftritt. Derartige Ursachen 
müssen sicher auszuschliessen sein, wenn man eine einfache nervöse Enuresis dia- 
gnosticiren will Letztere findet man nach der Annahme des Verf.’s namentlich 
bei schwächlichen oder sonst dyskrasischen Kindern; gesunde, kräftige Kinder lassen 
den Verdacht auf eine anatomische Grundlage ihrer Enuresis berechtigt erscheinen 
Als Veranlassung der nervösen Enuresis ist eine Hyperästhesie der Blase, eine 
Schwäche der Contractionsmuskeln oder der Sphinkteren anzunehmen, doch ist die 
letzte Ursache dieser Störung trotz mehrfacher Hypothesen noch nicht geklärt. 
Das Leiden betrifft meist Kinder zwischen 3 und 11 Jahren; es kann als Enuresis 
nocturna, diurna und continua auftreten. Aus den ausführlichen therapeutischen 
Angaben des Verf.’s, welche sich auf die verschiedenen Ursachen der Krankheit 
beziehen, seien Strychnininjectionen in der Lendengegend angeführt, von welchen 
Verf. gute Wirkung gesehen haben will. Zapp er t (Wien). 


29) Neurasthenie und Hysterie bei Kindern, von Alfred Sänger. (Berlin» 

1902, S. Karger. 32 S.) 

In dieser nach einem in der Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. IX. Heft 5 
publicirten Vortrage erweiterten Arbeit macht Verf. zunächst auf die Wichtigkeit 
der Kenntniss der kindlichen Neurosen aufmerksam und theilt dieselben in folgende 
vier Gruppen: 

1. Neurasthenie, 2. Hysterie, 3. Gemisch von Neurasthenie und Hysterie, 
4. hereditäre Neuropathie. 

Die Kinder der ersten Gruppe sind meist anämisch, erregbar, zum Weinen 
geneigt, ängstlich, sie ermüden sehr leicht (Gesichtsfeld! Lesen!), klagen fast alle 
über angioneurotische Symptome und zeigen eine erhöhte vasomotorische Erregbar¬ 
keit. Appetit, Stuhlgang und Schlaf sind nicht in Ordnung. Eine grosse Bolle 


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bei den Kindern spielt der Kopfsohmerz, und zwar von der Zeit des Schulbesuches 
an. Derselbe kann ein anämisoher, echt neurasthenischer, hyperämischer oder 
migräneartiger sein. 

Die hysterischen Kinder sind meist intelligenter als die neurasthenisohen. 
Die Kinderhysterie tritt oft monosymptomatisch und mit grosser Massivität auf. 
Sehr häufig sind hysterische Haltungsanomalieen bei Kindern, oft kommen vor 
hysterischer Husten, Aphonie, Stottern, Stummheit, Blindheit, Extremitäten¬ 
lähmungen, PtosiB, Enuresis nocturna, seltener hysterische Krampfanfälle. 

Am häufigsten tritt im Kindesalter die Gruppe DI auf: Combination von 
neurasthenisohen und hysterischen Symptomen. Hierher gehört die 
nervöse Asthenopie. Die dieser Gruppe angehörenden Kinder ähneln in psychischer 
Beziehung den neurasthenisohen, nur zeichnen sie sich durch grössere Einfältigkeit 
und Dummheit aus. 

Bei den hereditär Neuropathischen spielt neben der hereditär-nervösen 
Belastung die Nachahmung eine bedeutende Bolle. Nicht selten ist bei ihnen 
einseitige Begabung. 

ln allen vier Gruppen sind Knaben und Mädchen in nahezu gleicher Anzahl 
vertreten. Am häufigsten wurden die nervösen Störungen zwischen dem 10. und 
14. Jahre beobachtet, was auf den schädlichen Einfluss der Schule hinweist. 
Zwisohen Hysterie und Neurasthenie bestehen — wie Gruppe HI zeigt — 
fliessende Uebergänge. 

Die Prognose der nervösen Erkrankungen im Kindes alter ist für die drei 
ersten Gruppen im allgemeinen günstig, besser als bei Erwachsenen. Hauptsache 
ist frühes Erkennen und energische Ausrottung der ersten Krankheitsersoheinungen. 
Bei den psychopathisch Minderwerthigen (Gruppe IV) ist die Prognose ungünstiger. 

Die Therapie besteht in: Fernhalten vom -ßohulbesuoh, Wachsuggestions¬ 
behandlung (besonders Elektrioität), bei Anämie Eisen und frische Luft, bei 
schwererer Hysterie und Neuropathie Anstaltsbehandlung, in vielen Fällen hülft 
die „bewusste Nichtbehandlung“ sehr gut. Belehrung der Lehrer, Anstellung von 
Schulärzten und Schutz vor Ueberbürdung mit Schularbeiten ist ein weiteres Er¬ 
forderniss. 

Am Schluss seiner Arbeit giebt Verf. noch einiges Allgemeine bezüglich der 
theoretischen Auffassung der Hysterie und Neurasthenie auf Grund seiner an ner¬ 
vösen Kindern gemachten Erfahrungen wieder. 

Die Hysterie fasst er als eine Neuropsychose auf. Die Grundlage derselben 
besteht in „veränderten fonctionellen Störungen im Centralnervensystem, bei denen 
sich später auch psychische Anomalieen im Gebiet des VoretellenB und des 
Willens einstellen“. 

Für die Neurasthenie lenkt Verf. die Aufmerksamkeit auf die nervösen End¬ 
organe in den einzelnen Organbezirken. Während die meisten Forscher als Ort der 
Störung bei der Neurasthenie das Centralorgan annehmen, hält es Verf. für nicht 
ausgeschlossen, dass eine „Unterwerthigkeit der peripheren Neurone an den 
verschiedenen Gebieten den Varietäten der Neurasthenie zu Grunde liege“. Mit 
dieser Hypothese liesse sich erklären: die nervöse Asthenopie (Unterwerthigkeit 
der Sehsubstanz der Retina), das Ueberhandnehmen der Neurasthenie in der Gress¬ 
stadt (Uebermüdung der verschiedenen Sinnesorgane), das Intactbleiben der höheren 
Verstandes- und Vernunftcentren, die Wirksamkeit desjenigen Therapie (Elektricität, 
Massage, Uebungen, Bäder, Kaltwasserkuren), welche direct auf die Nerven¬ 
endigungen in der Haut und Musculatur wirkt, sowie der wohlthuende Einfluss 
der Bettruhe, welcher die übermüdeten, unterwerthigen Sinnesorgane besänftigt. 

Die interessante Arbeit, deren hauptsächlichster Inhalt hier wiedergegeben 
ist, sei hiermit der Lectüre empfohlen. Kurt MendeL 


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30) Bin Fall von Snoophalopathia infantil ia, von Dr. Hugo Luk&cs. 
(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 26.) 

Der 26jähr., hereditär nicht belastete, als Kind immer ungehorsame und 
jähzornige Patient litt bis zu seinem 13. Jahre an Enuresis nocturna. Bis zum 
16. Jahre 2—8monatlich Absencen von 10—12stündiger Dauer mit nachfolgender 
Amnesie. Seit */s Jahr Verwirrtheit, Grössenwahn. Strabismus convergens bilat., 
partielle Atrophie beider Sehnerven, rechtsseitige Facialisparese, aber nicht bei 
mimischen Bewegungen; die rechtsseitigen Extremitäten zeigen das typische Bild 
der infantilen Cerebrallähmung. Der Blutdruck der rechten Badialis ist halb so 
gross als auf der gesunden Seite. 

Verf. schlägt für die Combination dieser drei Symptome (Epilepsie, vermin¬ 
derte Geistesfähigkeit und Hemiplegie), deren jedes für sich als selbständige 
Krankheitsform vorkommt und die in mannigfaltiger Weise combinirt erscheinen 
können, die Bezeichnung Encephalopathia infantilis der Franzosen vor. 

J. Sorgo (Wien). 

31) Hystdrie juvdnile ohes une flllette de douie ans — Hömianeethdaie 
sensitive - sensorielle gauohe oompl&te. Neuf orlses d'amaurose 
double absolue. Perversion de la Vision binooulaire, par Rdne C rach et. 
(Archivee de neurologie. 1901. Nr. 9.) 

Interessanter und genau beschriebener Fall einer jungen Hysterica, welche 
das sehr seltene Phänomen doppelseitiger völliger Amaurose bot; dieses 
letztgenannte Symptom wurde mehrmals von Anfang bis zu Ende ärztlich be¬ 
obachtet und kann dessen Veröffentlichung als authentisoh gelten, so selten das 
Vorkommen ist Adolf Passow (Meiningen). 


32) Casuiatisohor Beitrag zur Hysterie der Kinder, von Bruno Leik. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 20.) 

Plötzlich einsetzende Lähmung der Beine bei einem 9jähr. Knaben, die ohne 
ärztliche Hülfe im Laufe eines Tages zurückging. Dann progressive Verschlech¬ 
terung der Schrift, welche zu einem fast unleserlichen Gekritzel wurde, bedeckt 
mit Klecksen, da die Finger bisweilen die Feder fallen Hessen. Keine Chorea. 
Faradisation mit mittelstarken Strömen brachte in wenigen Minuten Heilung. 

R. Pfeiffer. 


33) üeber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke, von Dr. L. Löwen¬ 
feld. (München, 1901.) 

Einer der wichtigsten klimatischen Factoren in Luftkurorten für Nerven¬ 
kranke ist nach des Verf.’s Ansicht die Intensität der Luftbewegung; naoh ihr 
muss man sich bei der Indicationsstellung viel mehr richten als z. B. nach der 
Meereshöhe, und so kommt es, dass Hochgebirge und Nordsee einerseits und 
mittlere Höhe und Ostsee andererseits ungefähr im allgemeinen auf die gleiohe 
Stufe su stellen sind. Auf die behauptete Vermehrung der rothen Blutkörperchen 
im Höhenklima ist weniger Werth zu legen. — Neurastheniker mit gesteigerter 
Erregbarkeit des vasomotorischen und Herznervanapparates, ebenso solche mit 
Angstzuständen und beträchtlichem Schlafdefioit eignen sich nicht für das hoch¬ 
alpine Klima; geeignet sind dagegen Erschöpfungszustände in Folge geistiger 
Ueberanstrengung, massige Anämie und nervöse Dyspepsieen. — Im allgemeinen 
kann es einen Maassstab abgeben, wenn man die Wirkungen des Höhenklimas 
als tonisirend und anregend, die des Seeklimas als tonisirend und sedativ be¬ 
zeichnet. Epileptikern ist das NordseekHma zu widerrathen, ebenso Rückenmarks- 


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kranken, die nebenbei auch das Hochgebirge schlecht vertragen. Bei Neuralgieen 
ist von Luftkuren im allgemeinen nichts zu erwarten. — Gewisse Acclimatisations- 
beschwerden der Nervenleidenden in den ersten Tagen nach Klimawechsel — 
Schlafstörung, Kopfeingenommenheit, Schwindelanwandlungen u. ähnL — gehen 
gewöhnlich rasch vorüber. H. Haenel (Dresden). 


34) Ueber den Aufenthalt von nerveneohwaohen Personen im Nordsee- 

Mime, von Dr. Jde. (Therap. Monatsh. 1901. Oct.) 

Verf., selbst Badearzt, sucht die Ansicht zu bekämpfen, dass auf nerven¬ 
schwache Personen die Nordsee ungünstig einwirke. Er begründet seine Ansicht 
zuerst durch Aufstellung einer Theorie, nach der die Sauerstoffaufhahme an der 
See erleichtert sein soll; daneben soll „die verminderte thermische Beizung durch 
herabgesetzte Wärmeverdunstung" (!), die „leiohtere Ausgleichung elektrischer 
Spannungsdifferenzen zwischen Körperoberfläche und Umgebung“ (wie hat Verf 
diese beobachtet? Ref.), die Ruhe der Umgebung und die Gleichmässigkeit der 
Gesichts- und Gehörseindrücke beruhigend wirken. Andererseits wirken Sturm 
und Brandung und die „durch Reflexion des Lichtes vom Wasser und weissen 
Dünensande erzeugten lebhaften Gesichtseindrücke“ erregend und oft schädlioh. 
Es kommt also bei Nervenkranken auf die richtige Dosirung dieser Kurmittel an; 
zur Erleichterung derselben empfiehlt Verf. die Errichtung von Heilanstalten an 
der See. H. Haenel (Dresden). 


33) Bergsteigekuren für Nervenkranke, von Dr. Fr. Keller. (Therapeut. 

Monatshefte. 1901. Oot/Nov.) 

Verf. erörtert zunäohst den Werth der Arbeit — nicht bloss Beschäftigung 
— in der Behandlung von Nervenkranken, der Arbeit, die ausser den Mudkeln 
auch das Gehirn in genügender Weise beschäftigt und die hypochondrischen Ge¬ 
danken nioht anfkommen lässt. Nach Besprechung der Schwierigkeiten, die gerade 
solcher Arbeit in den gewöhnlichen Anstalten entgegenstehen, und der Versuche, 
die zu ihrer Ueberwindung gemacht worden sind, führt er aus, dass das Berg¬ 
steigen allen Anforderungen in dieser Hinsicht entspricht: Volle Inanspruchnahme 
von Körper und Geist bei der Thätigkeit, ein lohnendes Ziel am Schluss, das den 
Erfolg der Leistung sofort erkennen lässt, Berücksichtigung aller äusseren 
hygienisohen Anforderungen, Nöthigung der Kranken, alle ihre sonstigen Eigen¬ 
schaften (Unruhe, Aengstlichkeit, Energielosigkeit, Unfähigkeit der Concentration, 
Rücksichtslosigkeit gegen andere u. s. w.) zu überwinden und durch ihr gerades 
Gegentheil zu ersetzen. Dass Bergsteigen eine an sich angenehmere und erfrischen¬ 
dere Thätigkeit ist als Handwerkerei oder die von Vogt vorgeschlagene Her¬ 
stellung mikroskopischer Präparate, oder selbst Gartenbau, ist wohl zweifellos; es 
giebt wenig, was das Gefühl der Leistungstähigkeit in ähnlicher Weise zu steigere 
im Stande wäre. — Verf. schlägt weiter vor, ein solches zu errichtendes Hoch- 
gebirgssanatorium zu verbinden mit einer wissenschaftlichen Sammlung, es zu einer 
Art kleinem Landesmuseum zu machen, an dessen Zustandebringen, Ordnen, Er¬ 
gänzen u. s. w. die Kranken, jeder nach Lust und Fähigkeit, mitzuarbeiten hätten, 
so dass mit den Touren auch noch ein Roherer, ernsterer Zweck Verbünden wäre. 
Eine kurze Besprechung der Wirkungen des Höhenklimas auf Kranke im All¬ 
gemeinen spwie der Indipationen bezüglich der Art der Nervenkranke? schließet 
den anregenden Aufsatz. H. Haenel (Dresden). 


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36) Die Behandlung der Neurasthenie, von Dr. W. Weygandt. (Würz¬ 
burger Abhandlungen aus dem Gesammtgebiet der praktischen Medicin. I. 

1901. Heft 5.) 

In dem Begriffe der Neurasthenie, jenem Complex von psychischen und ner¬ 
vösen Symptomen, unter denen die krankhaft gesteigerte Ermüdbarkeit im Vordem 
gründe steht, sind zwei ätiologisch ganz verschiedene Zustände vereinigt, nämlich 
die erworbene, chronische, nervöse Erschöpfung und die angeborene, oonstitutionelle 
Neurasthenie. Hat man durch eine sorgfältige Differentialdiagnose anderweitige 
Erkrankungen ausgeschlossen, sowohl körperliche Organ- und Stoffwechselerkran¬ 
kungen und Intoxicationen als auch organische Nervenkrankheiten, Hysterie, 
Epilepsie, endlich psychische Störungen (Schwachsinnszustände, leichtere Formen 
des periodischen oder manisch-depressiven Irreseins, Melancholie, Paralyse), so ist 
es unerlässlich, den Fall auf seine Zugehörigkeit zur erworbenen oder zur con¬ 
stitutione! len Neurasthenie zu prüfen, oder auch, da eine Kombination beider 
Formen ungemein häufig ist, eine Analysirung daraufhin zu versuchen, welohe 
Störungen dem Factor der Erschöpfung und welche dem degenerativen Factor 
angehören. Hierzu wie auch zur Feststellung des Grades der Erschöpfung und 
zur Controlle des Verlaufs empfiehlt Verf. die experimentalpsychologische Unter¬ 
suchungsmethode des fortlaufenden Addirens einstelliger Zahlen. 

Exacte Untersuchung ist sohon der erste Schritt zur Therapie: sie gewinnt 
dem Arzt das Vertrauen des Kranken; ihr schliesse sich eine verständige Belehrung 
des Patienten an. Hypnose schafft nur Augenblickserfolge und ist nur bei ein¬ 
zelnen besonders störenden Symptomen zulässig. Bei der Aufstellung des eigent¬ 
lichen Heilplans ist die Hauptsache eine eingehende Individualisirung, schon durch 
die zunächst liegende Frage, wie die bisherigen Schädlichkeiten sofort abzustellen 
sind, sodann, ob die Behandlung zu Hause möglich ist oder nicht. Der aller¬ 
beste Heilfactor bei der Neurasthenie ist die Ruhe, nicht nur geistige Erholung, 
sondern auch Fernhaltung körperlicher Erschöpfung. In jedem Falle ist die Er¬ 
nährung zu berücksichtigen, die Nahrungsaufnahme zu regeln, Verdauungsstörungen 
zu beseitigen. Elektricität ist in verschiedener Form anwendbar, nächstdem 
Massage, Hydrotherapie (nur keine brüske Kaltwasserbehandlung!), Klimatotherapie 
und Gymnastik, endlich Beschäftigung namentlich bei den vorwiegend constitutio- 
nellen Fällen. Medioamente sollen erst in letzter Linie herangezogen werden, 
sind aber nicht* immer zu entbehren. In Betraoht kommen die Sedativa (Brom¬ 
präparate u. s. w.), Tonica (Eisen, Nährpräparate u. s. w.), weniger die Schlaf¬ 
mittel, die möglichst zu vermeiden sind. Prophylaktisch sind nur einige allge¬ 
meine Gesichtspunkte aufzustellen. 

Die Prognose ist um so günstiger, je mehr der Factor der Erschöpfung die 
Genese des Leidens bedingt, vorausgesetzt, dass nicht äussere Umstände die Kur 
vereiteln. Aber auch die Erkenntniss der Degeneration darf von einer ziel¬ 
bewussten Behandlung nicht zurückschrecken, und soll wenigstens einen leidlichen 
Modus vivendi zu erstreben suchen. E. Beyer (Littenweiler). 


37) Sur la curabilite des tios, par H. Meige et E. Feindei. (Gazette des 

höpitaux. 1901.) 

Verf. hält die Ansicht Charoot’s und dessen Schüler von der Aussichtslosig¬ 
keit der Ticbehandlung nicht für ganz begründet. Die Behandlung muss nicht 
nur auf Unterdrückung der Muskelkrämpfe, sondern auch auf Beeinflussung des 
psychischen Verhaltens gerichtet sein. Beiden Anforderungen wird systematische 
Gymnastik gerecht, die — sohon von Trousseau empfohlen — häufig Erfolge 
erzielt. Es handelt sich dabei um streng im Tact nach Commando auszuführende 
Bewegungen theils mit den befallenen Muskeln, theils mit den Antagonisten, theils 


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uM methodische Uebung und Erziehung zur Hemmung der Bewegungen. Elektro¬ 
therapie, Hydrotherapie und Massage dienen nnr als Adjuvantien. Die medica- 
mentöee Behandlung hat wenig Werth. In schweren Fällen kann Bettruhe und 
Isolirung vortheilhaft sein. Mitunter kann auch die hypnotische oder Wach- 
suggestion Nützliches leisten. R. Hatschek (Wien). 


38) Zur Behandlung des nervösen Hustens mittelst bahnender und hem¬ 
mender Uebungstherapie, von Dr. Rudolf Funke. (Zeitschrift f. diät. 

u. physik. Therapie. V.) 

Unter nervösem Husten wird ein solcher verstanden, der nioht durch physi¬ 
kalisch erkennbare Veränderungen in den Respirationsorganen verursacht wird. 
Er tritt anfallsweise als Hustenkrampf oder als continuirlicher rhythmischer Husten 
auf. Zu unterscheiden ist ferner, ob es sich um einen von irgend einem Köper- 
theil (Sinnesorgane, Gehörgang, Haut. Leber, Milz, Magen und Darm, Geni¬ 
talien u. s. w.) ausgelösten Reflexhusten oder um einen „centralen“ Husten handelt; 
in letzterem Falle giebt stets eine Neurose die Ursache ab. Weiter sind abzu¬ 
trennen die Larynxkrisen bei Tabes dorsalis und die von Laryngologen als Chorea 
laryngis bezeichnete Affection; natürlich auch der Husten, der das Anfangssymptom 
bei sonst mit keinem Mittel fu erkennender Phthisis pulmonum darstellt. — Bei 
der Untersuchung ist auf alle die erwähnten Reflexursachen zu achten, dieselben 
sind wenn möglich zu beseitigen. Beim „centralen“ Husten ist der Athmungs- 
typus von Bedeutung: derselbe kann einmal dadurch fehlerhaft sein, dass der 
Thorax in Exspirationsstellung festgehalten und Athmen und Husten nur durch 
oberflächliche Contraction der Bauchmuskeln besorgt wird; in einer anderen 
Kategorie von Fällen handelt es sich im Gegentheil um Schlüsselbeinathmung mit 
krampfhafter inspiratorischer Anspannung der langen Halsmuskeln. Das Athem- 
volum ist in beiden Fällen ein sehr geringes, der Exspirationsstrom von vermin¬ 
derter Stärke. Diese falsche Athmung soll durch die Therapie möglichst rasoh 
behoben werden; zu diesem Zwecke muss der Kranke vor allem orientirt werden 
1. über die zu geringen seitlichen Excursionen des Thorax und die unrichtige 
bezw. ungenügende Betheiligung der Bauchmuskeln, 2. über die schädliche und 
unriohtige Thätigkeit der Halsmuskeln, 3. über die ungenügende Stärke des 
exspiratorisohen Stromes. Mit der Erkenntniss der einzelnen fehlerhaften Inner¬ 
vation ist oft schon der Haupttheil zur Heilung geleistet. Die Athemübungen 
sollen' nach Commando erfolgen, die Inspiration soll energisoh geschehen, die 
Exspiration hauptsächlich passiv durch Erschlaffung der vorher innervirten 
Muskeln. Zur Unterdrückung des Hustenreizes ist es nothwendig, tief zu inspi- 
riren und den Athem darauf eine Zeit lang anzuhalten, besonders in dem Moment, 
in welchem der Hustenreiz einsetzt. Dies muss der Kranke üben; die einfache 
Aufforderung, den Husten zu unterdrücken, beantwortet er meist mit einem starken 
Pressen unter Anspannung der gesammten Rumpfmusculatur, was nur geeignet 
ist, den Reiz noch zu steigern. Zur „Wegsammachung der reflexhemmenden 
Bahnen“ empfehlen sich dabei neben kräftiger Willensbeeinflussung (wohl die 
Hauptsache! Ref.) vor allem streng rhythmische Athembewegungen. Unterstützt 
kann der Erfolg noch werden durch Anwendung des Nägeli’scheu Keuchhusten- 
griffes (Ziehen des Unterkiefers nach vorn und abwärts). 

H. Haenel (Dresden). 


Psychiatrie. 

89) Beitrag zur Kenntniss des hysterischen Dämmerzustandes, von Raecke 
(Tübingen). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 115.) 

Die von Ganser beschriebenen hysterischen Dämmerzustände, die derselbe 

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bei Strafgefangenen beobaohtet hat und während deren die Kranken durch die 
Unainnigkeit ihrer Antworten den Verdacht der Simulation sehr nahelegten, sind 
inzwischen auch von anderen veröffentlicht worden. Verf. hat an der Frankfurter 
Irrenanstalt fünf ähnliche Fälle, darunter vier Straf- bezw. Untersuchungsgefangene 
gesehen, die er eingehend darstellt. Ganz auffällig ist die Absurdität der Ant¬ 
worten und der Wechsel in der Intensität der Symptome. Der Verf. nimmt an, 
dass es sich stets um psychopathische oder schwachsinnige Menschen handle, die 
den Aufregungen der Verhöre, der Haft, der Furcht erliegen; sie werden verwirrt, 
denkunfähig, apathisch oder trotzig, gereizt, tobsüchtig. Die Neigung zu über¬ 
treiben spielt dabei umsomehr mit, alB alle diese Hysterischen besonders suggestibel 
sind. Dementsprechend ist Nichtbeachten, Versetzung in andere Umgebung, Arbeit 
die beste Behandlungsmethode. Die Feststellung solcher Zustände bedingt noch 
nicht die Anwendbarkeit des § 61 auf die dem Anfalle vorangehende Strafthat. 

Die vorzüglich beschriebenen Krankheitsbilder erfordern klinisch die höchste 
Beachtung, vorausgesetzt, dass sie sich bewähren. Dementsprechend aber ist es 
umsomehr nothwendig, solche Kranke länger im Auge zu behalten, da für uns 
doch einstweilen Hysterie fast ausnahmslos eine länger dauernde Krankheit con- 
stitutioneller Art ist. Ref. vermisst sehr die Angaben über die weiteren Schick¬ 
sale aller dieser Kranken, vor allem den Nachweis, dass auch späterhin zwar die 
Hysterie, nicht aber Gesundheit oder den Anfällen ähnliche Zustände dauernd 
bestehen geblieben sind. Aschaffenburg (Heidelberg). 

. 40) lieber hysterische Geistesstörungen, von C. Fürstner. (Die deutsche 

Klinik am Eingänge des 20. Jahrhunderts. VL 2. Abthlg.) 

Die Abhandlung Fürstner’s enthält, entsprechend dem Charakter des 
Sammelwerkes, dem sie angehört, kaum Neues, bringt aber, wenn auch in kurzer 
Form, eine übersichtliche und erschöpfende Darstellung unserer derzeitigen Kennt¬ 
nisse von den Geistesstörungen Hysterischer. Verf. behandelt zunächst die Eigen¬ 
heiten des hysterischen Temperament», die Abnormitäten der Gefühls- und Ver- 
standesthätigkeit und geht dann zu der Schilderung der auf dem Boden der 
Hysterie sich entwickelnden eigentlichen psychischen Störungen über. Traumatisch 
hysterische Psychosen, Melancholie, Paranoia, letztere beiden besonders in Bezug 
auf ihre Abweichungen von den gewöhnlichen typischen Krankheitsformen, die 
postparoxysmalen Psychosen und deren transitorische Formen unter besonderer 
Betonung der Eigenart der Delirien und Sinnestäuschungen, der Schwan kung en, 
welche die Tiefe der Bewusstseinsstörungen aufweist, moriaartige und Dämmer¬ 
zustände werden besprochen, schliesslich auch die Frage der Zurechnungsfähigkeit 
in crimineller und civilrechtlicher Beziehung (Ehescheidung, Pflegschaft, Ent¬ 
mündigung) gestreift und die Schwierigkeiten, die bei derartigen Entscheidungen 
für den sachverständigen Arzt wie den Richter sich ergeben, hervorgehoben. Zum 
Schlüsse widmet Verf. auch der Prognose, der Therapie und der Prophylaxe 
hysterischer Seelenstörungen einige Betrachtungen. Martin Bloch (Berlin). 

41) Malades imaginairea, par Paul Valentin. (Revue de psychologie clinique 

et thörapeutique. 1900. April.) 

Im Anschluss an eine Besprechung von Moliöre’s Gestalt Argan im Malade 
imaginaire skizzirt Verf. kurz die Haupttypen der Neurastheniker und geisselt 
die Aerzte, die auch jetzt noch ähnlich wie Moliire’s Vertreter der Heilkunde 
Diafeirus und Purgon theils aus Lässigkeit oder Ueberbeschäftigung, theils aus 
Unkenntniss der Fortschritte der Wissenschaft solche Kranke, zu-denen zweifellos 
auch Argan zählte, ebenfalls als Malades imaginairea behandeln bezw. nicht oder 
falsch behandeln. Meitzer (Grosshennersdorf). 


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4S) Zar Pathologie der Angst, von Kornfeld. (Jahrbücher f. Psyoh. u. Neu¬ 
rologie. XX1L S. 411.) 

Die prägnanten körperlichen Veränderungen beim Angataffecte, nämlich Ge¬ 
fühl von Beklemmung und Druck in der Herzgegend, Erhöhung des Blutdruckes 
mit Abnahme des capillaren Druckes (gemessen mittels des v. Basch'sehen 
Capillarometers), Kleinerwerden des Pulses, „Gänsehaut“, Schwäche in der Inner¬ 
vation der willkürlichen Musoulatur, Störungen der Drüsenfunctionen (Gefühl von 
Trockenheit im Halse, Obstipation und umgekehrt Steigerung des Stuhldranges, 
Angstschweiss u. s. w.), Weite der Pupillen u. s. w.: lassen sich von einem ein¬ 
heitlichen Gesichtspunkte aus deuten. Wir haben eine Reihe von Erscheinungen 
gesteigerter Reizung peripherer Organe, die wir als direoten Ausdruck der cen¬ 
tralen Erregung auffassen dürfen. Dann finden wir eine Reihe von Erscheinungen 
verminderter Reizung peripherer Organe, die als Folge einseitigen Abflusses der 
Erregung nach der Peripherie gedeutet werden können. Endlich (nicht constant) 
finden sich Erscheinungen, die zur Verminderung der inneren Spannung dienen 
und die als neueröffnete Abflusswege der oentralen Erregung sioh darstellen. 
Verf. wirft die Frage au£ ob nioht im Blutdrucke ein sozusagen einen Mittel¬ 
punkt darstellendes Symptom vorliegt, um das sich alle übrigen Erscheinungen 
gruppiren und das als Gesammtausdruck aller peripherer Veränderungen das ge¬ 
suchte Maass der centralen Erregung abgiebt. Eine Fülle von Thatsaehen der 
experimentellen Pathologie, von klinischen Beobachtungen und Messungen zieht 
Verf. in geistvoller Weise heran, um die obigen Ausführungen zu begründen. 

Psychisoherseits zeigt sich Verminderung der intellectuellen Thätigkeit, eine 
eigenartige Hemmung. Verf. hatte seinerzeit nachgewiesen, dass der durch an¬ 
gestrengtes Denken gesteigerte Blutdruck mit der Vollendung der geistigen Arbeit 
absinkt. Intelleotuelle Arbeit gehört demnach, ebenso wie Muskelarbeit und 
Drüsenthätigkeit zu den Vorgängen, um den Blutdruok zu erniedrigen. So lässt 
sioh der Symptomenoomplex der Angst dahin gruppiren, dass einerseits verminderte 
Drüsen-, Muskel- und intelleotuelle Thätigkeit vorliegt, andererseits vermehrte 
Gefässoontraction u. s. w. als Ausdruck der nur einseitig auf die Peripherie 
wirkenden centralen Erregung. 

Die Angst entsteht entweder im Fortgange bewusster psychischer Prooesse 
oder durch rein somatische Vorgänge (Angina pectoris, Atropinvergiftung, Lyssa 
[! eigene Beobachtung] u. s. w.). Ein organisch vermitteltes Angstgefühl kann 
auch durch psychische Reflexion verstärkt werden bei einer bestimmten individuellen 
Disposition. Diese letztere ist aber auch von Wichtigkeit für die besondere Art 
des Affecte8 überhaupt (Abfliessen der centralen Erregung in ganz bestimmten 
Bahnen neben der verschiedenen Localisation der centralen Erregung: Zorn, Angst, 
Kummer). _ Pilcz (Wien). 


43) ln wolohor Beziehung steht die Agoraphobie (Platzangst) zu gewissen 
Erkrankungen de« Gehörorganes, von Dr. A. Eitelberg in Wien. 
(Wiener med. Presse. 1900. Nr. 28.) 

In den zwei mitgetheilten Fällen bestand eine derartige Beziehung nioht, da 
die Behandlung des Mittelohrcatarrhs ohne Einfluss auf die Agoraphobie blieb. 

J. Sorgo (Wien). 


44) Ein Voll von Zwangsvorstellungen , von Jahrmärker. (Berliner klin. 
Wochensohr. 1901. Nr. 43.) 

An der Hand einer sehr genauen Krankheitsgeschiohte, deren höchst inter¬ 
essante Einzelheiten im Original nachzulesen sind, giebt Verf. einen klassischen 

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Beleg für die Beziehungen zwischen Zwangsvorstellungen und Geisteskrankheiten. 
Wir erfahren, wie eine von Haus aus sehr feinfühlige, 27 jährige, unverheirathete 
Dame durch Zwangsvorstellungen zu einer ganz absonderlichen, unästhetischen, 
ihr selbst widerwärtigen und sie psychisch wie physisch vernichtenden Lebens¬ 
führung gekommen war. Die unverscheuchbaren Zwangsvorstellungen waren so in 
den Vordergrund des Bewusstseins getreten, dass sie jedes normale Denken und 
Handeln durchkreuzten und hinderten. Sie hatten eine derartige Gewalt über 
die Kranke trotz allen Sträubens gewonnen, dass die freie Willensbestimmung 
ausgeschlossen wurde. Das Zurückreichen der Zwangsvorstellungen in die früheste 
Jugend der Dame weist darauf hin, dass es sich bei der Kranken um eine 
Störung handelt, welche auf eine von vornherein pathologische Constitution zurück¬ 
zuführen ist. Wahrscheinlich hat dann, wie so häufig, die Pubertätszeit mit ihren 
Stürmen den Keim zur vollen Entwickelung gebracht. 

Bielschowsky (Breslau). 


46) Tb« development and genealogy of the Mieses Beauohaxnp. A prell- 

minary report of a oase of multiple Personality, by Morton Prince. 

(Proeeedings of the society for psychical research. 1901. Febr.) 

Es handelt sich um einen höchst eigenthümlichen Fall von gespaltener Per¬ 
sönlichkeit, über den Verf. schon auf dem Pariser internationalen Congress be¬ 
richtet hat. Langjährige Beobachtung und scharfsinnige Analyse haben den Verf. 
zu der Anschauung gebracht, dass bei der hysterischen und mehrfach hypnotisirten 
Misses B. 1. ein Unterbewusstsein sich von einem bestimmten Zeitpunkt ab zu 
einer selbständigen Persönlichkeit mit einer continuirlichen, bis in die früheste 
Kindheit herabreichenden Erinneiung entwickelt hat; dass 2. das Oberbewusstsein 
mehrmals Spaltungen erlitten hat, jedes Mal im Anschluss an gewisse, mit starker 
Erregung verbundene Ereignisse, die dazu führten, dass die Patientin 6 Jahre 
lang eine andere war als vorher und nachher, dass dieser Zeitraum von 6 Jahren 
Von de* Moment an, wo er abgeschlossen war, eine Erinnerungslücke darstellte 
für die sich anschliessende Persönlichkeit, diese selbst aber auch nur zum Theil 
mit der ursprünglichen übereinstimmte. Lange Zeit musste es überhaupt fraglich 
bleiben, welcher Zustand der normale, ursprüngliche sei. Die Charaktere waren 
in den einzelnen Zuständen absolut verschieden: das „verselbständigte“ Unter¬ 
bewusstsein, ein kindliches, heiteres, leichtsinniges Wesen, das seinem Mitselbst 
allerhand Streiche spielte und oft geradezu gehässig gegen dasselbe handelte; das 
Oberbewtisstsein I intelligent, musikalisch, religiös, sprachgewandt, II gleichgültig, 
hat die französische Sprache und die Noten verlernt, ist missmuthig, launisch, 
nervös. Es gelang dem Arzt, für einige Zeit I und II durch hypnotische Sug¬ 
gestion zu verschmelzen, diesem „neuen Dinge“ stand dann das selbständige Unter¬ 
bewusstsein anfangs rathlos gegenüber. I und II wussten nichts von der Existenz 
des letzteren, dieses beeass dagegen vollkommene Kenntniss von allem, was I und 
II dachten, sprachen und thaten. 

Von den Sätzen, die Verf. zum Schluss zur Discussion stellt, seien folgende 
hervorgehoben: 

' Das unterbewusste Selbst kann sich zu einer echten unabhängigen Persönlich¬ 
keit entwickeln, das zu gleicher Zeit mit dem ursprünglichen Bewusstsein wach 
sein kann, oder auch allein, während die anderen Persönlichkeiten schlafen. 

Andere sogenannte und offensichtliche Persönlichkeiten sind manchmal nur 
das durch Zerlegung verstümmelte ursprüngliche Selbst. 

Theoretisch ist jede Anzahl von Persönlichkeiten möglioh; jede derselben 
hängt von verschiedenen Zusammensetzungen der einzelnen gespaltenen Stüoke des 
normalen Seihst ab. 


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Dm Unterbewusstsein ist nicht nothwendig dM Aequivalent des hypnotischen 
Selbst. 

Zwei oder mehr Persönlichkeiten können zeitlich auf einander folgende 
Existenz fahren, oder können, wenn eins das unterbewusste Selbst ist, gleichzeitig 
existiren. 

Derartige Persönlichkeiten können unter Umstanden durch die Hypnose noch 
weiter gespalten werden. 

Man wird die in Aussioht gestellte ausführliche Mittheilung ab warten m Assen, 
um den höchst interessanten und wichtigen Fall genügend würdigen zu können. 

H. Haenel (Dresden). 


Therapie. 

46) Ueber «ine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des 
elektrischen Uchtes, von Dr. Leopold Laquer, Frankfurt a/M. (Deutsche 
med. Wochen8chr. 1901. Nr. 22.) 

Verf. beschreibt einen von ihm angegebenen Bestrahlungsapparat (Heliodor), 
welcher far die localisirte Anwendung elektrischer Licht- bezw. Wärmestrahlung 
gute Dienste zu leisten im Stande ist. Es handelt sioh um einen an einem Stativ 
angebrachten, vorn offenen Lichtkasten, weloher in alle den verschiedenen zu be¬ 
handelnden Körpergegenden angepasste Stellungen gebraoht werden kann; der 
Innenraum des Liohtkastens besitzt stark vernickelte, darum spiegelnde, Lioht und 
Wirme reflectirende Wände. 

Mittels dieses Apparates wendet Verf. das elektrische Licht zu Heilzwecken 
an. Er kommt auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen zu folgenden Schlüssen: 

„Die Anwendung von örtlichen elektrischen Lioht- und Wärmereizen auf die 
unbedekte oder leicht verhüllte Oberhaut übt, wenn die erzielte Temperatur 40 
bis 46 0 C. nicht überschreitet, eine beruhigende Wirkung auf Neuralgieen und 
auf sonstige motorisehe und sensible Beizersoheinungen aus und wirkt anregend 
bei einzelnen Formen von funotionellen Nervenstörungen. Es ist nothwendig, die 
Wärmequelle und die bestrahlte Haut ärztlicherseits genau au controliren, vor 
allem die erzielten Temperaturen während der ganzen Zeit der elektrischen Be¬ 
strahlung zu messen. Es empfehlen sich au diesem Zwecke offen* elektrische 
Liohtkastenvorrichtungen, welche in gleicher Weise wie die für Galvanisation be¬ 
stimmten Elektroden in loco morbi vel doloris anzusetzen — den einzelnen Körper¬ 
regionen, Wirbelsäule, Extremitäten u. s. w. parallel zu stellen sind. Die An* 
Wendungen können 3—4 Mal wöchentlich geschehen und sollen die Zeitdauer von 
10—16 Minuten für jede einzelne Körperstelle picht überschreiten.“ 

Kurt Mendel. 


HL Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerve nk ran kh eiten. 

Sitzung vom 9. Juni 1902. 

Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: Herr Bernhardt. 

Herr Kurt Mendel demonstrirt an einem Falle von infantilem Myxödem 
die günstige Wirkung der Organtherapie. 

Die kleine Patientin, welche Vortr. vorstellt, wurde gerade vor einem Jahre 
— damals 7 1 /, Jahre alt — in die Prof. Mendel’sche Klinik aufgenommen und 
bot das typische Bild des Myxödem. In anamnestisoher Beziehung ist erwähnens- 
werth, dass die Mutter einen starken Kropf hat, ebenso eine Tante und Gross- 


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tante mütterlicherseits. Seit dem 3. Lebensjahre soll das Wachsthum bei der 
Patientin völlig aufgehört haben. 

Patientin erhielt in der Klinik Thyreoidintabletten, zunächst 0,1 pro die, 
ansteigend bis 0,8. Unangenehme Nebenwirkungen traten nie auf, vielmehr nahm 
die Beeserung stetig und in auffallendem Maasse zu. Patientin ist jetzt 8 1 / J Jahre 
alt. Sie ist bedeutend lebhafter und reger geworden, ihr Gesichtsausdruck ist 
ein völlig anderer und kindlicherer, bereits 1 / i Jahr nach Beginn der Kur zeigten 
sich zwei neue Schneidezähne am Unterkiefer, die Haare wurden bedeutend stärker 
und dichter, der Leibumfang nahm während der einjährigen Behandlung um 4*/j cm 
ab, die Zunahme der Körpergrösse betrug während dieser Zeit gerade 10 cm 
(94 cm jetzt gegen 84 cm vor einem Jahre). 

Besonders deutlich zeigt sioh aber die Besserung an den Röntgenbildern* 
Es wurden von Herrn Dr. Levy-Dorn zwei Aufnahmen gemacht, die erste Ende 
Juni 1901, die zweite Anfang Mai 1902, demnaoh mit einem Zwischenraum von 
etwa 10 Monaten. 

Während nun das Röntgenbild der ersten Aufnahme demjenigen 
eines 8 Jahre alten Kindes entspricht, entspricht das 10 Monate 
später angefertigte Photogramm bereits einem 7 Jahre alten Kinde. 
Sämmtliche Knochen sind auf dem späteren Bilde an Länge und Dicke bedeutend 
stärker entwickelt als auf dem früheren. Als neu hinzugekommen sind deutlich 
sichtbar: an der Hand die Epiphyse der letzten Phalangen) (mit Ausnahme der* 
jenigen des Daumens, die schon auf dem ersten Bilde sichtbar ist), das Os lunatum 
und multangulum minus (von denen auf dem ersten Bilde keine Spur vorhanden 
ist), die Epiphyse der Ulna; auf dem Kniebilde ist als neu hinzugekommen er¬ 
kennbar: die Patella (auf dein ersten Bilde keine Spur von Schatten, auf dem 
zweiten Bilde sehr deutliche Patella sichtbar), ferner die Epiphyse der Fibula; 
die Epiphysen des Femur und der Tibia sind um vieles grösser geworden; am 
Fussbilde ist neu hinzugekommen die Epiphyse des Metatarsus V, sämmtliche 
Knochen, ferner auch die Epiphyse der Fibula sind bedeutend stärker entwickelt 
als auf dem gleichen, 10 Monate früher aufgenommenen Photogramm. Autoreferat. 

Herr Liepmann: Ueber Apraxie mit Demonstration des makrosko¬ 
pischen Gehirnbefundes des im Märm 1900 vorgestellten einseitig Aprak- 
tisohen, sowie eines zweiten Falles von Apraxie. (Der Vortrag erscheint an 
anderer Stelle in extenso.) 

Vortr. erinnert an das Bild, das der Kranke, Regierungsrath T., geboten 
hatte und erörtert im Anschluss daran die Begriffe der Apraxie im alten Sinne, 
der Ataxie, der Seelenlähmung (Bleuler, Bruns, Oppenheim), der Seelen¬ 
lähmung im Nothnagel’schen Sinne. 

Der Kranke war nach der Auffassung des Vortr. nicht apraktisch (■■ agnostdsch 
■= asymbolisch) im alten Sinne des Wortes, d. h. er gebrauchte die Gegenstände 
nicht verkehrt, weil er sie verkannte oder die Aufforderung nicht verstand. Er 
war apraktisch trotz erhaltenen Erkennens und Verstehens. Vortr. hatte daher 
die Erwartung, dass die Hinterhaupts- und Schläfenlappen im Wesentlichen intact 
seien (Sitz der Apraxie im alten Sinne). 

Der Kranke war auch nicht nennenswerth atactisch. Ataxie betrifft die ele¬ 
mentare Coordination der Bewegungen. Die bei der Apraxie vernichtete Fähig¬ 
keit ist dieser übergeordnet; bei der Apraxie ist der Zweckcharakter der Be¬ 
wegung verloren gegangen. Man hat den Eindruck, dass der Apraktische die 
Erinnerung an die betreffende Zweckbewegung verloren hat oder sie für die 
Innervation des Motoriums nicht verwerthen kann. 

Apraxie verhält sich zur Ataxie wie die aphasischen Störungen, insbeson¬ 
dere Paraphasie, zur ArticulationsstörUng. Ein Theil der Bewegungen 


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des Apraktischen entspricht der verbalen Paraphasie: eine in sich geordnete 
Zweokbewegnng wird statt der verlangten gemacht; Bewegnngsverwechslnng: 
eine Zahnbürste wird etwa wie eine Cigarre gebraucht, ein a statt eines e ge¬ 
schrieben. Dass der Pat. nioht atactisch war, beweist schon seine Schrift: er 
schrieb zwar falsche, aber zierliche Bnchstaben. Ein anderer Theil der Be¬ 
wegungen des Apraktischen entspricht der Kauderwälsch-Paraphasie, es sind 
verstümmelte Bewegungen, die kein Analogon nnter den normalen Zweck¬ 
bewegungen haben; z. B. bei der Aufforderung zum Faustmachen, Herumfuchteln 
in der Luft mit Fingerspreizen. 

Die Seelenlähmung im Sinne von Bruns-Oppenheim darf nicht mit der 
Apraxie verwechselt werden, wenn auch eine gewisse Dosis davon der Apraxie 
beigemischt sein kann. Seelenlähmung in diesem Sinne ist Erschwerung der 
willkürlichen Beweglichkeit; das betroffene Glied ist für gewöhnlich un¬ 
beweglich, wird aber auf starkes Zureden, und wenn ein gewisser Zwang eintritt, 
eupraktisch bewegt. Näher der Apraxie steht der Nothnagel’Bche, leider durch 
kein Beispiel illustrirte Begriff der Seelenlähmung. Dem Seelengelähmten von 
Nothnagel ist „der Arm unter gewissen Bedingungen, z. B. bei geschlossenen 
Augen, zum unbrauchbaren Instrument geworden“. Dem Apraktischen ist er es 
unter allen Bedingungen. 

Der Nothnagel’sdhe Begriff rechnet auch mit dem ausschliesslichen Verlust 
der kinästhetischen Vorstellungen; bei der Apraxie dürfte es sich um eine 
complexere Störung handeln. 

Apraxie ist, wenn man Paradoxe liebt, die Aphasie der Extremitäten¬ 
muskeln, wobei dieselben Varietäten Vorkommen dürften, wie sie die Aphasie 
in ihren verschiedenen Formen aufweist. 

Vortr. berichtet nun über den weiteren Krankheitsverlauf im Falle T. 

Nach geringer Besserung im Sommer 1900 trat im October ein neuer Schlag¬ 
anfall auf, welcher die rechte Seite hemiplegisch machte. Unter Schmierkur 
schnelle Besserung, im December sogar Wiederkehr einer sehr undeutlichen Sprache. 
Im Januar 1901 war die Sprache wieder verloren. Der Arm hatte sich wieder 
erholt, war aber jetzt atactischer; das Bein blieb paretisch. Ende des Jahres 
1901 wurde auch die linke Hand partiell apractisch, im März 1902 dritter 
Schlaganfall mit totaler, diesmal linksseitiger Hemiplegie, von der sich Pat. nicht 
wieder erholte. Eine Pneumonie führte zu schnellem Exitus. 

Vortr. demonstrirt nun das in vier Stücke zerlegte Gehirn; er bemerkt, dass 
eine Controlle der Vorstellungen, die er sich im Einzelnen über das Zustande¬ 
kommen des Krankheitsbildes gemacht habe, natürlich erst nach Zerlegung in 
Serienschnitte vorgenommen werden könne. Die grobe topische Diagnose lässt 
sich schon jetzt bestätigen. 

Vortr. hatte (s. Monatschr. f. Psych. u. Neur. VIII. S. 182) angenommen, 
dass die Centralwindungen, Schläfen- und Hinterhauptslappen im wesentlichen 
verschont seien, dagegen besonders das Mark des linken Gyr. supramarg. und 
oberen Scheitelläppchens, die Broca’sche Windung und vielleicht die Insel 
betroffen sein müssen. In die Tiefe des linken Gyr. angularis könne der Herd 
wegen, der fehlenden Hemianopie nicht dringen. Die Einstrahlungen aus der 
anderen Hemisphäre seien vielleicht durch Balkenläsion, vielleicht durch einen 
kleineren annähernd symmetrischen Herd, den man jedenfalls auf der rechten 
Seite annehmen müsse, unterbrochen. 

Gehirnbefund: Starke Arteriosklerose der grossen Hirnarterien, besonders 
der Basilar- und der linken Art. fo6s. Sylv. Muldenförmige Einsenkung des linken 
Gyr. supramargin. und oberen Scheitelläppchens. Die entsprechenden Win¬ 
dungen atrophisch, aber erhalten; unter ihnen im Mark eine grosse Cyste, deren 
hinteres Ende bis in das vordere Mark des Gyr. angular, reicht, aber die drei 


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sagittalen Marklager verschont. Vordere Central Windung ganz intact, hinten 
Centralwindung bis auf einen oberflächlichen Plaque jaune von Bohnengröaae and 
eine kleine oberflächliche Cyste von Linsengrösse anscheinend intact. In der 
linken Insel eine sohmale Cyste, die Broca’sche Windung sehr atrophisch, aber 
äusserlich frei. Im Mark des linken Stirnlappens bleistiftdicke Degeneration. Im 
Rostruin des Balkens eine kleine Cyste, der ganze Balken sehr atrophisch. In 
der rechten Hemisphäre fand sich der erwartete, annähernd symmetrische kleiner« 
Herd im Gyrus angularis, Rinde und Mark betreffend, und ein erbsengrosser 
Herd in der inneren Kapsel, vielleicht die Ursache der finalen linksseitigen Hemi¬ 
plegie. 

Zum Schluss stellt Vortr. einen zweiten Fall von Apraxie vor, der aber 
die Störungen viel weniger ausgeprägt zeigt, als der erste Fall. Immerhin ist 
der Kranke ausser Stande, eine Menge alltäglicher Verrichtungen vorzunehmen. 
Zwar ist auch die reohte Seite mitbetroffen, aber die linke sehr viel erheb¬ 
licher. Er ist ausser Stande mit der linken Hand zu knipsen, zu etschen, die 
Bewegung des Orgeldrehens u. ähnl. vorzumachen. Soll er Ohr oder Nase zeigen, 
so zeigt er oft das Falsche. Dabei lässt sich das erhaltene Sprachverständniss 
erweisen u. a. durch Benutzung des Umstandes, dass die Gesichtsmuskeln min¬ 
destens für synergische Bewegungen nicht apractisch sind. Doppelhändig ist Pat 
ausser Stande, einen Knoten zu machen, einen Quirl zu gebrauchen, eine Geige 
zu spielen u. s. w. Auf sprachlichem Gebiete Agrammatismus, leichter Grad von 
optisoher Aphasie, zeitweise litterale Paraphasie, totale Agraphie und Alexie. 
Erkennen durch Tasten, partiell besonders zu Zeiten gestört, aber nicht auf¬ 
gehoben, Lage- und Bewegungsempfindung beiderseits gestört Keine Lähmungen. 

Vortr. nimmt auch hier doppelseitigen Scheitellappenherd an, und zwar einen 
grösseren rechts, vermutlich wieder im Gyr. supramarg., einen kleineren links, 
vorwiegend im Gyr. angularis. Der Agrammatismus ist vielleicht ein Rest einer 
fr&heren geringeren Schädigung des linken Schläfenlappens (der Insult ist 7 Jahre 
her) oder einer fast ausgeglichenen Störung des Broca’sehen Centrums. 

Vortr. ist der Ueberzeugung, dass manche apractische Bewegung von älteren 
Autoren als Rindenataxie angesprochen oder auf fehlendes Sprachverständniss be¬ 
zogen wurde, und dass sich unter den alten, als verblödet geführten Gehirn¬ 
kranken der Anstalten bei näherer Prüfung manche Apraxie finden würde. 

Autoreferat. 


Discussion: 

Herr Oppenheim: Der Hinweis des Herrn Vortr. auf meine Stellungnahme 
zu dem von ihm geschaffenen Begriff der Apraxie macht es mir zur Pflicht, 
auseinanderzusetzen, inwieweit seine heutige Darstellung und Demonstration meine 
Auffassung beeinflusst hat. Ich muss ihm von vornherein zugeben, dass das, was 
er durch seine geistvolle Analyse als Apraxie erforscht und charakterisirt hat, in 
seiner äusseren Erscheinung etwas ganz anderes ist als die Ataxie einerseits 
und die Seelenlähmung andererseits. Der Unterschied zwischen Apraxie und 
Ataxie ist ein so durchgreifender und in die Augen springender, dass das keiner 
weiteren Besprechung bedarf. Anders steht es mit der Beziehung der Apraxie 
zur Seelenlähmung. Und ich hatte mich ja so geäussert, dass eine Corabination 
einer unvollständigen — auf dieses Beiwort lege ich grosses Gewicht — Seelen- 
läbmung mit Ataxie vielleicht im Stande sei, die die Apraxie kennzeichnende 
Functionsstörung im Falle Liepmann’s zu erzeugen. Nun scheint es mir, als ob 
Herr Liepmann mir in dieser Deutung des Begriffes heute auf halbem Wege ent¬ 
gegengekommen sei. Denn er hat in seiner heutigen Auseinandersetzung auf die 
verwandtschaftlichen Beziehungen seiner Apraxie zur Aphasie uud Paraphasie 
hingewiesen. Damit hat er aber auch zugegeben, dass die Functionsstörung der 
fieelenlähmung nahe steht. Denn die Aphasie ist eine Art Seelenlähmung oder 


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wenigstens giebt es Formen der Aphasie, die dem Wesen der Seelen lähmung ent¬ 
sprechen. Wir verstehen unter Seelenlähmung eine Functionshemmung, die darauf 
beruht, dass dem motorischen Centrum einer Extremität aus den anderen Binden¬ 
gebieten nicht mehr die Erregungen zuiliessen, die es zur Thätigkeit anspornen u. 8. w. 
Genau dem entsprechend giebt ee Formen der Aphasie, die darauf beruhen, dass 
das Sprachcentrum gewissermaassen isolirt ist, dass die Wege gesperrt sind, auf 
denen die aus den Sinneephären kommenden Impulse dem Sprachoentrum Zu¬ 
strömen. Vielleicht verhält sich nun die Apraxie zur Seelenlähmung 
wie die Paraphasie zur Aphasie. Eine gewisse Stütze erhält meine Auf¬ 
fassung noch dadurch, dass Herr Liepmann als anatomische Grundlage seines 
Krankheitsbildes eine Affection annimmt, und wie es scheint, auch gefunden hat, 
die ihren Sitz gerade in den Gebieten hat, deren Läsion auch für die Entstehung 
der Seelenlähmung in Anspruch genommen wird, nämlich im Scheitellappen. Dis 
genauere anatomische Untersuchung steht ja nooh aus, und ioh würde es sehr be¬ 
klagen, wenn die Vielheit der anatomischen Veränderungen — die schwere Arterio¬ 
sklerose und die Massenhaftigkeit der Herde — e* verhindern würde, dass aus 
diesem Falle beweisende Schlüsse nach dieser Richtung gezogen werden könnten. 

Autoreferat. 

Herr Liepmann: Wenn Herr Oppenheim die aphasischen Störungen Seelen¬ 
lähmungen nennen wolle, so könne er auch die Apraxie so nennen; nur wende 
er dann den Begriff der Seelenlähmung nicht in dem Bruns’schen, von ihm selbst 
adoptirten Sinne an. Denn in diesem Sinne seien die Aphasischen nicht seelen¬ 
gelähmt. Sogar der motorisch Aphasische macht Sprach versuche, innervirt also 
seine Sprachmuskeln, wenn er es auoh meist nur zu unarticulirten Lauten bringt 
Er ist andererseits durch kein Hittel, wie etwa Zureden, zur Production der ge¬ 
wünschten Spraohlaute zu bringen. Der Brnns’sche Seelengelähmte dagegen 
kann die Armmuskeln für gewöhnlich garnicht innerviren, gelingt es, den Wider¬ 
stand zu überwinden, so innervirt er sie ri chtig. Eine Steigerung der Apraxie 
bis zur totalen Bewegungslosigkeit lässt sich ja theoretisch denken; sie würde 
dann dem seltenen Bilde der ganz st umm en motorisch Aphasisohen entsprechen. 
Praktisch wird man kaum damit zu rechnen haben, weil der Extremitätenregion 
von viel mehr Seiten Impulse Zuströmen, als der Sprachmuskelregion, der ja die 
optische Regulirung ganz fehlt. Alle weiteren Schlussfolgerungen können erat 
nach genauerer Untersuchung des Gehirns gemacht werden. Autoreferat. 

Herr Oppenheim: Kranken Vorstellung. 

37jähr. Frau, die über lanciuirende Schmerzen in den Beinen, eine gewisse 
Unsicherheit des Ganges und imperativen Harndrang, der, wenn ihm nicht schnell 
nachgegeben werden kann, zu Incontinenz führt, klagt, bietet folgende Symptome 
dar: Romberg’sches und Westphal’sches Zeichen, Fehlen der Achillessehnen- 
refiexe, leichte Sensibilitätsstörungen (Analgesie an den Beinen, Hypästheeie in der 
Gegend der linken Mamma). Im übrigen normales Verhalten. Diagnose: Tabes 
doraalis. 

Das Eigenartige und Interessante des Falles liegt nicht in der Symptomato¬ 
logie, sondern im Verlauf. Vortr. hat die Patientin vor 17 Jahren mit West- 
phal gemeinsam in der Charitö beobachtet Ihre damaligen subjectiven Be¬ 
schwerden wären als hysterische aufzufassen gewesen, wenn nicht sohon damals 
die Patellarreflexe gefehlt und das Bomb erg ’sche Symptom sowie Sensibilitäts¬ 
störungen bestanden hätten; Patientin klagte schon damals über lancinirende 
Schmerzen. Patientin, damals Virgo, zeigte keinerlei Zeichen einer erworbenen 
oder hereditären Lues. Sie ist jetzt verheirathet, hat fünf gesunde Kinder und 
ein Mal abortirt Sie giebt an, dass es ihr jetzt wesentlich besser gehe als da¬ 
mals, besonders seien die lanoinirenden Schmerzen wesentlich geringer geworden. 


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Der Fall ist jetzt zweifellos schwieriger zu deuten als vor 17 Jahren. Denn 
wenn auch das Krankheitsbild zweifellos einer Tabes entspricht, so muss der 
Verlauf doch als geeignet angesehen werden, die Diagnose schwankend zu machen. 
Nichtsdestoweniger hält Vortr. an ihr fest, da er erstens von seinem früheren 
Skepticismus in Bezug auf die Diagnose einer juvenilen Tabes zurückgekommen 
ist, und da es ferner auch bei Erwachsenen Fälle giebt, die Decennien hindurch 
das Bild einer Tabes incipiens festhalten und keine Neigung zur Progredienz 
zeigen. Brissaud ist der Ansicht, dass die Zahl der benigne verlaufenden Fälle 
von Tabes gegen früher zugenommen hat, und ist geneigt, die antisyphilitische 
Therapie dafür verantwortlich zu machen, im Gegensatz zu Joffroy und Ballet, 
die mit Babinski meinen, dass die Diagnose früher und sicherer gestellt wird. 
Vortr. kann sich beiden Ansichten nicht zuneigen, glaubt aber, dass sich auch 
unsere Erfahrungen mit denen der französischen Autoren decken; seine Ansicht 
bezüglich der Ursache dieser Erscheinung ist, dass die Nervenkrankheiten, wie 
auch andere somatische Erkrankungen, mit dem Wechsel der Generationen ihren 
Charakter ändern, wie das ja auch von der Paralyse behauptet wird. 

Im vorliegenden Falle darf jedenfalls das frühe Auftreten und der benigne 
Verlauf nicht hindern, die Diagnose Tabes zu stellen; ungemein werthvoll würde 
in einem ähnlichen Fall eine anatomische Untersuchung sein; der Schulze’sche 
Fall genügt nach dieser Richtung den zu stellenden Ansprüchen nicht. 

Discussion: 

Herr Bernhardt hat gleichfalls eine Anzahl von Fällen von so benignem 
Verlauf gesehen. Bezüglich der Erklärung dieses Umstandes glaubt er, dass das 
Leiden jetzt meist früher und besser erkannt werde, und dass in Folge dessen 
die Kranken früher und dadurch erfolgreicher zu einem zweckmässigeren Verhalten 
gebracht und so sicherer vor mancherlei Schädigungen geschützt werden. 

Herr Remak, der gleichfalls analoge Beobachtungen gemacht hat, wünscht 
noch sichere Angaben bezüglich der Möglichkeit einer syphilitischen Aetiologie 
im vorgeetellten Falle. Sehr werthvoll wären Mittheilungen über längere Zeit 
hindurch beobachtete Fälle von juveniler Tabes bezüglich ihres Verlaufes. 

Herr Kalischer erwähnt seinen in dieser Gesellschaft vorgestellten Fall, in 
dem directe Heredität vorlag (Mutter und Sohn Tabes). Von den Franzosen sei 
vielfach die Bedeutung neuropathischer Belastung betont. 

Herr Rothmann theilt eine kürzlich gemachte Beobachtung mit. Ein 
I8jähr. Mädchen, bei der keinerlei Verdacht auf hereditäre oder erworbene Lues 
vorlag, suchte seine Poliklinik auf. Bei der Untersuchung fand sich Romberg’- 
sches und Westphal’sches Zeichen und geringe Sensibilitätsstörungen. Bei 
näherem Befragen gab Patientin an, dass eine Schwester auch etwas unsicher 
gehe; deren Untersuchung ergab den gleichen Befund. Hier handelt es sich dem¬ 
nach zweifellos um Friedreich’sche Ataxie. R. giebt zu erwägen, ob nicht eine 
Anzahl von den als juvenile Tabes beschriebenen Fällen als sporadische Fälle von 
Friedreich’scher Ataxie oder solche, bei denen die Familiarität nicht zur Kennt- 
niss gekommen ist, zu deuten sei. 

Herr Brasch hat in seinen Fällen von juveniler Tabes Lues nie vermisst. 
Directe Heredität scheine ihm eine sehr geringe Rolle zu spielen, es wäre nicht 
als etwas besonderes anzusehen, wenn der Sohn einer tabischen Mutter oder eines 
tabischen Vaters Lues acquirirte und dann später auch Tabes bekäme. Hier sei 
dann jedenfalls die Lues das wesentliche ätiologische Moment, ohne dass die 
Heredität eine Rolle zu spielen brauohe. 

Herr Bloch hat wie die meisten Beobachter (vgl. in jüngster Zeit die Ver¬ 
öffentlichung von v. Rad in der Festschrift des Nürnberger ärztlichen Vereins) 
in seinen beiden in dieser Gesellschaft vorgestellten Fällen Lues constatirt. Gegen- 


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Aber den Ausführungen des Herrn Rothmann bemerkt er, dass eine Verwechse¬ 
lung mit Friedreich’scher Krankheit schon aus dem Grunde in nennenswerter 
Häufigkeit nicht wahrscheinlich sei, weil die juvenile Tabes fast stets Pupillen- 
störungen aufweise, die bei Friedreich in der Regel fehlten (vgl. Seiffer, Charite- 
Annalen. 1902). 

Herr Jolly hat gleichfalls beobachtet, dass Fälle von Tabes, auch bei Er¬ 
wachsenen, stationär bleiben. Ob man aber jetzt schon eine Veränderung des 
Krankheitstypus gegen früher festzustellen berechtigt sei, hält er für fraglich, 
zumal da die klassischen Symptome der Tabes, die reflectorische Pupillenstarre 
und das Westphal’sche Zeichen, die uns jetzt die Diagnose häufig schon sehr 
zeitig stellen lassen, seit noch nicht 30 Jahren bekannt sind. Die Zeit scheine 
ihm demnach noch nicht lange genug, in der wir unsere Diagnose sicher stellen 
können, um jetzt schon von einer Aenderung des Charakters und des Verlaufes 
der Tabes sprechen zu können. 

Herr Oppenheim bemerkt in seinem Schlusswort nochmals, dass für Lues 
jeglicher Anhaltspunkt fehlt; neuropathische Belastung ist nachweisbar, da mehr¬ 
fach Geistesstörungen in der Familie vorgekommen sind. Das Stationärbleiben 
des Leidens hat 0. auch bei Erwachsenen mehrfach beobachtet Bezüglich einer 
Aenderung des Krankheitsverlaufes bemerkt er, dass es sich hierbei mehr um 
Eindrücke bei Beobachtung des Krankenmaterials handele als um gesicherte und 
bewiesene Thatsachen. Martin Bloch (Berlin). 


Berliner medloinisohe Gesellschaft. 

Sitzung vom 18. Juni 1902. 

Herr Oppenheim und Herr Jolly: Vorstellung eines Falles von operativ 
behandeltem Bfiokenmarkstumor, mit Demonstration am Projeotionsapparat 

Herr Oppenheim hat die vorgestellte 18jährige Patientin, die früher im 
wesentlichen gesund war und ein Jahr vor dem Auftreten der ersten Krankheits- 
erscheinungen einen Sturz vom Rade ohne irgend welche Verletzungen erlitten 
hatte, zuerst am 28./1. d. J. gesehen; seit August 1901 Klagen über Schmerzen 
im rechten Hypochondrien), im Anschluss daran geringe habituelle Skoliose, im 
October 1901 motorische Schwäche im rechten Bein, verbunden mit Steifigkeit, 
Blasen- und Mastdarmfunction in Ordnung, nur einmal vorübergehend Incon¬ 
tinentia alvi. Objectiv fand sich mässige Skoliose der Wirbelsäule, die auf Druck 
nirgendwo empfindlich war, Parese der Beine, rechts > links, Spasmen, gesteigerte 
Reflexe, Fussklonus und Babinski. Am linken Bein Hypästhesie und Hypalgesie, 
undeutliche Sensibilitätsstörungen am Abdomen, Bauchreflex rechts fehlend, Parese 
der rechtsseitigen Bauohmuskeln. Diagnose: Tumor mit Compression der Medulla. 
Patientin wurde dann in Haus Schönow von Laehr beobachtet und Progression 
der motorischen Ausfallssymptome constatirt. Bei einer Untersuchung am 25./1I. 
wurde Zunahme der Lähmungssymptome, die auoh auf das linke Bein übergegangen 
waren, constatirt. Sensibilitätsstörungen jetzt auoh an beiden Beinen. Unter¬ 
dessen hatte.Jolly die Patientin auch gesehen und, Anfangs skeptisch bezüglich 
der Diagnose eines Tumors, nachdem eine Röntgenuntersuchung ein negatives 
Resultat, eine Tuberculininjection keine Reaction hervorgerufen und Versuche 
einer Extension merkliche Verschlimmerung zuwege gebracht hatten, sioh der 
Diagnose Tumor angeschlossen. Am 19./IV. gemeinsame Untersuchung durch die 
Vortr. und Sonnenburg. Die Schmerzen nahmen das Gebiet der 9., 10. und 
11. Dorsalwurzel rechts ein, waren nur zeitweise besonders heftig; im Bereiche 
der 10. und 11. Dorsalwurzel rechts Sensibilität für alle Reize fast ganz er- 


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loschen; die Grenze nach oben wird rechts durch die Nabellinie, links, wo auch 
Anästhesie constatirt wird, durch eine Linie 2 om unterhalb der Nabellinie be¬ 
grenzt. Abdominalreflex beiderseits fehlend, epigastrischer Reflex links deutlich, 
rechts angedeutet, Parese der Bauchmuskeln rechts, daselbst partielle Ent- 
artungsreaction. Gang schwerfällig, nur mit Unterstützung möglioh, spastisch, 
Patellarklonus, Fussklonus, Babinski. Rechtes Bein wird in Rüokenlage mit 
flectirtem Unterschenkel nur V, Fuss hoch gehoben, Parese links etwas geringer, 
Ischurie; an beiden Beinen unregelmässig vertheilte Sensibilitätstorungen, starke 
Störungen der Lageempfindung. Wirbelsäule nirgends empfindlich. Für intra- 
medullären Sitz des angenommenen Tumors sprach die rasche Entwickelung, die 
Schmerzen, das Fehlen einer Wirbelempfindlichkeit, der Umstand aber, dass im 
Anfang vorwiegend Wurzelsymptome vorhanden waren, sprach mehr für den 
Ausgang desselben von den Meningen, jedenfalls für extramedullären Sitz. Die 
Symptome (Schmerzen, Anästhesie, das Fehlen der Bauchreflexe, die Parese der 
Bauchmuskeln) deuteten auf den Ursprung des Tumors in der Höhe der 9. bis 
11. Dorsal wurzel. Da das Gebiet der 10. Dorsalwurzel völlig anästhetisch war, 
musste auch die 9. mitergriffen sein. 

Die technische Ausführung der am 21./IV. d. J. ausgeführten Operation 
gestaltete sich schwierig in Folge der Skoliose und einer anscheinenden Ver¬ 
knöcherung der Bandscheiben. Es wurde nun der 8. und 9. Wirbelbogen ent¬ 
fernt, die Dura drängte sich vor, in ihr war der Tumor sofort palpabel. Die 
Geschwulst konnte seit Eröffnung der Dura stumpf losgelöst werden trotz einiger 
Verwachsungen mit der Arachnoidea. Der Tumor umgriff das Mark von rechts und 
hinten und drängte dasselbe nach links (Demonstration einer Zeichnung). Normaler 
Wundverlauf, in den ersten Tagen reichlicher Abfluss von Liquor cerebrospinalis, 
Pulsbeschleunigung, hartnäckige Obstipation. Am 26./IV. Spasmen geringer, des¬ 
gleichen die Parese und die Sensibilitätsstörungen; Gürtelschmerzen verschwunden. 
Am 29./IV. Spasmen fast völlig geschwunden, Kniephänomene nicht mehr erheblich 
gesteigert, Klonus und Babinski noch vorhanden, Motilität und Sensibilität erheb¬ 
lich gebessert, am stärksten sind noch die Störungen des Lagegefühls. Am 20./V. 
erste Gehversuche, die zunächst noch grossen Schwierigkeiten in Folge von Zittern 
der Beine begegnen; schnell fortschreitende Besserung. Vortr. stellt die fast völlig 
genesene Patientin vor; es sind jetzt noch geringe Steigerung der Sehnenreflexe, 
rechts Andeutung von Fussklonus, leichte Lagegefühlsstörungen zu oonstatiren, 
im Uebrigen normaler Befund, auch die Skoliose ist verschwunden. 

Der Fall schüesst sich am engsten an einen gleichfalls vom Vortr. mit Sonnen¬ 
burg beobachteten und operirten Fall an, der aber in Folge infectiöser Menin¬ 
gitis letal verlief. Auoh in diesem fehlte Wirbelempfindlichkeit Vortr. verweist 
noch auf die ungünstige Wirkung der Extension bei derartigen Fällen. Die 
Skoliose ist als reflectorisch angenommene Haltung zu deuten, wie Aehnliohee 
auch bei Tumoren der hinteren Schädelgrübe beobachtet wird. Ein Reoidiv ist 
in dem vorgestellten Falle nicht zu fürchten, da es sich um eine gutartige Neu¬ 
bildung, ein Fibrom, handelt 

Herr Jolly demonstrirt mittels des Projectionsapparates Grösse und Lage 
des Tumors. Derselbe ist 3 om lang, zeigte glatte Oberfläche, kleine Extravasate, 
die wohl bei der Herausnahme entstanden sind. Die gleichfalls demonstrirten 
Längsschnitte (Färbung nach van Gieson) zeigen, dass es sich um ein reines 
Fibrom handelt Mittels Weigert-Färbung soll noch nach Nervenfasern, deren 
Vorhandensein aber unwahrscheinlich ist, gesucht werden. Der Ausgang des 
Tumors ist wohl im Arachnoidalgewebe zu suchen; denkbar wäre auch ein Ursprung 
vom perineuralen Gewebe. 

Bezüglich der Diagnose hatte Vortr. zunächst einige Zweifel mit Rücksicht 
auf das voraufgegangene Trauma. Zu erwägen war, ob es sich nicht um rein 


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functioneile Störungen oder aber um Wirbel ca ries bandelte. Erstere Diagnose 
wurde aber bald aufgegeben, gegen letztere sprach das Ausbleiben der Tuberculin- 
reaetion und der verschlimmernde Einfluss der Extension. 

Bezüglich des extra- oder intramedullären Sitzes kann man in derartigen 
Fällen immer nur mit Wahrscheinlichkeiten rechnen, der operative Eingriff ist 
aber auch indicirt, wenn selbst nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für den 
extramedullären Sitz spricht. 

Discussion: 

Herr Hahn verweist darauf, dass die Schwierigkeiten solcher Fälle oft 
unüberwindlich sind. Er hat 6 Operationen ausgeführt, und zwar immer mit 
Segmentdiagnose; in 2 Fällen handelte es sich um Echinococcus, davon verlief einer 
letal, einer glücklich, im 3. Fall handelte es sich um Exostosenbildung des Wirbel¬ 
bogens (starke Schmerzhaftigkeit des Wirbels, Wurzelsymptome), Pat. ist geheilt. 
Ein Fall erwies sich bei der Operation als Syringomyelie, ein anderer als Er¬ 
weichung. Dtr 6. Fall betraf eine 10 Jahre zurückliegende Stich Verletzung; es 
bestanden Tumorsymptome, bei der Operation fand sich ein Fremdkörper im 
Wirbelkörper, dessen Entfernung nicht gelang. Bei der Seotion fand sich ein 
2 cm langes Stück einer Messerklinge im Körper des 10. Brustwirbels. 

Herr Senator berichtet über eine Patientin in den 60er Jahren, die einige 
Jahre vorher wegen Mammacarcinom operirt war. Es bestand motorische und 
sensible Lähmung der Beine mit heftigen Schmerzen, Incontinentia vesicae, 
Empfindlichkeit der Wirbelsäule vom 8.—12. Brustwirbel. Die Grenze der Sen¬ 
sibilitätsstörung entsprach genau der des von Oppenheim vorgestellten Falles. 
Bei der Section fand sich ein extraduraler Tumor (Sarcom?) von derselben Lage 
wie der von 0. demonstrirte Tumor. 

Herr Remak verweist darauf, dass man in einzelnen Fällen die Läsion weit 
ausgedehnter findet, als man erwartet hat. Zur Illustration dessen verweist er 
auf einen gemeinsam mit Krause beobachteten Fall: Dame in den 20er Jahren, 
seit 1 Jahre an schwerer linksseitiger Ischias erkrankt, zu der sich allmählich 
Lähmungssymptome gesellten. R. constatirte Parese der Glutaeen links und 
partielle Peroneuslähmung links, starke Hyperästhesie am linken Bein, Fehlen 
der Patellarreflexe, geringe Sensibilitätsstörungen am linken Unterschenkel, vor¬ 
übergehend Blasenstörungen; also Erkrankung vorwiegend des Gebiets der 3. bis 
5. Lumbalwurzel. Kreuzbeingegend stark druckempfindlich. Im Deceraber 1901 
Aufnahme in das Augustahospital, die gleichen Erscheinungen, nur noch wesent¬ 
lich verstärk! Diagnose: Tumor der Cauda equina. Operation am 27./XII. 
Der 5. Lendenwirbel wurde eröffnet, es gelang, den Tumor nach unten abzu¬ 
grenzen, derselbe Bass intradural. Dagegen gelang es nicht, den Tumor nach 
oben völlig abzugrenzen und herauszuschftlen. Elitüs im Collaps in der folgenden 
Nacht. Bei der Autopsie fand sich das ganze Lendenmark von Sarcommassen 
umwachsen. 

Herr Krause hat in dem von Remak erwähnten Fall den obersten 
Kreuzbeinwirbel, den 6., 4. und 3. Lendenwirbel eröffnet, aber nicht gewagt, 
nooh weiter zu gehen. Der Tumor reioht, wie die Autopsie zeigte, noch 4 Wirbel¬ 
bögen höher hinauf. Für eine derartige Ausdehnung der Neubildung hatte der 
klinische Befund keinen Anhaltspunkt gegeben. 

Herr Oppenheim sohliesst sich der Warnung Remak’s, die Hoffnungen 
bezüglich der operativen Heilbarkeit der Tumoren des Wirbeloanals zu hoch 
zu schrauben, an. Enttäuschungen werden auch in Zukunft bei zahlreichen 
Fällen nioht ausbleiben. Im Gegensatz zu der hier gemachten Beobachtung glaubt 
er, dass Empfindlichkeit der Wirbel in der Mehrzahl der Fälle vorhanden ist. 

Martin Bloch (Berlin). 


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Aerztlioher verein su Hamburg. 

Sitzung vom 29. April 1902. 

Herr Tröinner deraonstrirt 4 Fälle von progressiver Huskeldystrophle, 
speciell von Erb’s infantilem Typus mit primärem Gesichtsschwund. Die Fälle 
betreffen alle Rinder einer Familie, zwei Brüder von 22 und 19, zwei Schwestern 
von 20 und 14 Jahren. Gemeinsam ist allen fast völlige Atrophie der Facialis* 
musculatur, die offenbar schon in frühester Kindheit begonnen hat und Atrophie 
der Sternocleidomastoidei, die in 3 Fällen auf bindfadendfinne Stränge reducirt 
sind. Die Degeneration der übrigen Körpermuskeln nahm verschiedene Wege. 
Beim älteren Bruder, dessen rechter Arm schon in frühester Kindheit auffallend 
dünn war, beschränkt sich die völlige Atrophie auf den rechtsseitigen Pectoralis, 
Latisa. dorn, Serratus, auf die Oberarmmuskeln und den Sup. long. Deltoideus 
und die anderen Schultermuskeln sind weniger befallen; stark hypertrophisch sind 
Supra* und Infraspinatus. In geringem Maasse atrophisch sind Unterarm- und 
Handmuskeln. Linke Schulter und Arm normal Der jüngere Bruder zeigt geringe 
Hypertrophie des Infraspinatus und der beiden oberen Rectus-abdominis-Segmente 
links. Völlig geschwunden sind bis auf sehnige Beste, ausser den mimischen 
Gesichtsmuskeln und den Sternocleidomastoidei, der linke Pect major, Latiss. 
dorsi, Serratus, sodann beide Tricipites und die Supinatores longi; die übrigen 
Muskeln sind beiderseits in mehr oder weniger hohem Grade atrophisch — aus¬ 
genommen Unterarm, Untersohenkel, Hand und Fass. Der Kranke ist in Folge 
dessen sehr unbeholfen: aus Rüokenlage kann er den Kopf nicht, und weder aus 
Rücken- noch Bauohlage den Rumpf aufriohten. Beim Gehen watscheliger Gang 
und auf der Strasse nicht selten Hinfallen. Fast dasselbe Bild bietet die ältere 
Schwester, nur ist die atrophische Schwäche der Arm- und Beinmusculatur durch 
starke Fettentwickeluug verdeckt Durchaus ähnlich auch die jüngere, 14jährige 
Schwester: Hier fehlt Pect major und Latiss. dorsi vollkommen (Agenesie?), alle 
übrigen Muskeln sind äusserst schwach und besonders in Schulter- und Becken¬ 
gegend in erheblichem Grade atrophisch. Aetiologisch ist zu beachten, dass die 
Mutter der Kranken tabisch ist, 5 Aborte hatte und 2 Mal tote Kinder gebar. 
Ob die daraus zu entnehmende Lues für die Krankheit ihrer Kinder von Be¬ 
deutung ist, lässt sich freilich nicht entscheiden. Therapeutisch wird bemerkt, 
dass lange fortgesetzte Galvanisation der atrophisohen Muskeln eine, wenn auch 
geringe, so doch den Kranken fühlbare Besserung bewirkt hat. 

(Autoreferat.) 

Herr Nonne stellt einen 39jähr. Mann vor, bei welchem sich naoh einer 
Pneumonie unter dem Bilde der Oompreealon eine spastische Paraplegia 
superior et inferior entwickelt hatte, welche ausgeheilt war. 

Der Kranke kam im Alkohoholdelirium auf die Abtheilung. Es entwickelte 
sich eine croupöse Pneumonie des rechten Unter- und Mittellappens, welche ohne 
Complication seitens der inneren Organe abfieL Am 3. Tag nach der Krise 
zeigte sich unter erneutem Fieber eine Anschwellung und Druckempfindlichkeit 
am rechten Caput humeri, welohe sich im Laufe einer Woche zurüokbildete. 
Wieder 2 Wochen später traten, ebenfalls unter Temperaturanstieg, heftige 
Schmerzen im Bereich des untersten Cervical- und obersten Dorsalwirbels auf. 
Die Schmerzen strahlten in Schulter und Arme aus, die Halswirbelsäule wurde 
steif gehalten, aotive und passive Bewegungen wurden ängstlich vermieden. Es 
bestand eine auf die genannten Wirbelfortsätze beschränkte Druokempfindlichkeit. 
Von chirurgischer Seite wurde eine Spondylitis angenommen. Symptome seitens 
des Nervensystems bestanden zunächst nicht. 2 Wochen später begann eine 
spastische Parese der oberen und unteren Extremitäten, zu völliger Paraplegie 


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623 


sich steigernd, die Sensibilität war in allen Qualitäten herabgesetzt bis zur Höhe 
der 3. Rippe, am tiefsten alterirt war. das Lagegefühl, und zwar am meisten an 
den distalen Gelenken. Unter Extension bildeten sich im Laufe von 4 Wochen 
die Lähmungserscheinungen zurück, von den spastischen Erscheinungen blieb nur 
eine Lebhaftigkeit der Sehnenreflexe, während die reflectorisohen Muskelcontractionen 
sowie die pathologische Steigerung der Sehnenreflexe aufhörte, die bestandene 
Sphinkterenstörung ging auch langsam zurück, die Schmerzen im Nacken sowie 
die Druckempfindlichkeit versohwanden ebenfalls allmählich, und zur Zeit kann Pat 
die oberen Extremitäten normal gebrauchen und besteht nur noch eine leichte 
Alteration des Lagegefühls in den Fingern, bei Intactheit aller übrigen Qualitäten 
der Sensibilität Pat geht an einem Stock, wenngleich noch etwas unsicher und 
ohne Ausdauer, im Uebrigen ist auch in den Zehen das Lagegefühl noch unsicher. 
Die Musculatur der Ober- und Unterschenkel ist in toto noch etwas abgemagert, 
im Uebrigen der objective Befund normal. Symptome seitens der Gehirnnerven, 
der Pupillen, des Augenhintergrundes u. s. w. hatten nie bestanden. 

Vortr. glaubt, dass es sich hier um eine metastatische postpneumonische Er¬ 
krankung der Wirbel gehandelt hat, und dass diese zu einer Pachymeningitis 
externa geführt hat, welche ihrerseits vorübergehend das Rückenmark comprimirte 
und unter Rückbildung des Exsudats dann ausheilte. Vortr. erinnert an die 
ganz neuerlichen Befunde von E. Fränkel, welcher bei verschiedenen Infections- 
krankheiten, so auch bei Pneumonie, im Knochenmark der Wirbelkörper die 
specifischen Bacillen und auch die gewöhnlichen Eitererreger culturell, und ausser¬ 
dem myelitische Herde im Rückenmark mikroskopisch nachgewiesen hat. Die 
Annahme einer postpneumonischen primären Meningomyelitis schliesst Vortr. aus, 
weil klinisch primär eine Erkrankung der Wirbel sich zeigte, dann das reine 
Bild der Compression auftrat, und weil die Pneumokokkenmeningitis nach den 
bisherigen Erfahrungen stets einen acuten Verlauf nimmt. 

Herr Saenger stellt einen Patienten mit Raynaud’aoher Erkrankung vor. 
Es besteht eine locale Asphyxie der Endphalangen sämmtlicher Finger, der Nasen¬ 
spitze und beider Ohrmuscheln. Am Helix major des linken Ohres befindet sich 
eine 3 cm grosse gangränöse Partie. Die Haut über den Endphalangen der Zehen 
ist eigentümlich fleckig verfärbt. Pat. leidet in den befallenen Theilen sehr 
unter Schmerzen. Als einziges ätiologisches Moment liess sich der Einfluss von 
Temperaturdifferenzen eruiren, da Pat als Quaiarbeiter Wind und Wetter aus¬ 
gesetzt ist 

Im zweiten Fall handelt es sich um eine schon längere Zeit bestehende 
intensive locale Cyanose der Dorsalseite des linken Unterarms und der Hand 
bei einer Locomotivführersfrau. Dabei Hessen sich objectiv keinerlei Abweichungen 
von der Norm bei der sonst ganz gesunden Patientin nachweisen. Subjectiv be¬ 
standen weder Schmerzen noch Parästhesieen, noch Schwächegefühl in der linken 
Hand. Vortr. weist auf die Dunkelheit dieser Fälle und auf die Nothwendigkeit 
hin, ähnHche Beobachtungen zu veröffentlichen. (Autoreferat) 

Nonne (Hamburg). 

XXVTL Wanderveraammlung der südweatdeutaohen Neurologen und 
Irrenärzte za Baden-Baden am 24. und 25. Mai 1002. 

(Schluss.) 

Herr Prof Erb (Heidelberg): Bemerkungen zur pathologieohen Anatomie 
der Syphilis dee oentralen Nervensystems. (Der Vortrag erscheint in ex¬ 
tenso in der Deutschen Zeitschrift f. Nervenheilkunde.) 

Vortr. weist kurz auf die Häufigkeit eventuell Wichtigkeit von Nerven- 


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erkrankungen in allen Stadien der Syphilis hin, and sucht in aller Kürze — unter 
Hinweis auf die bekannten grösseren neueren und neuesten Bearbeitungen des 
Gegenstandes (durch Rumpf, Oppenheim, Kahane, Schmaus, Nonne) — 
die Frage zu beantworten: „Was lehrt 'die pathologische Anatomie fiber diese 
Dinge ?“ Es folgt eine flüchtige Skizze der in den späteren Stadien der Lues 
auftretenden, als besonders charakteristisch und „specifisch“ angesehenen Erkran¬ 
kungsformen, einerseits der zelligen Wucherungen und Infiltrationen (der „gum¬ 
mösen" Qeschwulstbildungen, Infiltrationen und Entzündungen) mit allen ihren 
verschiedenartigen Ausgängen, andererseits der häufigen und viel discutirten 
specifisch-gummösen Erkrankungen der Blutgefässe (Arteriitis und Phlebitis luetica). 
Es wird darauf hingewiesen, dass mit zunehmender Zahl und Oenauigkeit der 
Beobachtungen sich immer mehr herausgestellt hat, dass auch diese Veränderungen 
alle durchaus niohts absolut Specifisches haben, dass sie auch unter anderen 
Umständen und aus anderen Ursachen Vorkommen, dass es keine sicheren 
Kriterien fiir die syphilitische Natur derselben giebt; die Aussprüche der com- 
petenterten Autoren gehen dahin, dass die anatomische Diagnose der centralen 
Nerveusyphilis oft nur mit grosser Vorsicht zu stellen, häufig nicht voll¬ 
kommen sicher, manchmal unmöglich sei.— Entscheidend sei vielfach nur 
das Gesammtbild, das makroskopische Verhalten, die eigentümliche Combination 
der Veränderungen, das Vorkommen speoifischer Läsionen in anderen Organen 
(Leber, Hoden u. s. w.). Es erhebt sich deshalb die Frage: „Wie kommt die 
pathologische Anatomie überhaupt zu der Ueberzeugung, dass diese Dinge syphi¬ 
litischer Natur seien?" und „Wie kommt sie zu der grossen Sicherheit, mit der 
dieselben oft als luetische angesprochen werden ?“ Zweifellos zunächst und in 
erster Linie auf klinischem Wege! Durch das Vorkommen bei früher Syphi¬ 
litischen; durch die Häufigkeit, mit welcher sich bei solchen Läsionen Syphilis 
in der Vorgeschichte nachweisen lässt; durch ihr Zusammenvorkommen mit anderen, 
klinisch als zweifellos erkannten syphilitischen Erkrankungen an der Haut, den 
Schleimhäuten, Knochen u. s. w.; weiterhin ex juvantibus, endlich durch die Ueber- 
einstimmung des histologischen Befundes mit dem der tertiären Syphilismanifesta¬ 
tionen, die ebenfalls klinisch als solche festgestellt sind. Auch das Fehlen aller 
anderen Infectioneu und sonstigen Krankheitsursachen kann unterstützend sein. 
Zweifel sind trotzdem möglich; und die pathologische Anatomie kann noch 
nicht mit genügender Sicherheit sagen, was syphilitisch ist und was nicht; 
sie ist jedenfalls nicht berechtigt zu sagen, dass manche Veränderungen, 
die sich häufig bei Syphilitischen finden, nicht syphilitischen Ursprungs 
seien. Solche Veränderungen kommen häufig vor. Vortr. hat dabei be¬ 
sonders die einfachen Atrophieen und Degenerationen, die sog. parenchymatösen 
Degenerationen an den Nervenfasern und Ganglienzellen im Auge, mit oder ohne 
Gliawueherung, Sklerosen, fleckweise und strangförmige Degenerationen u. s. w. 
Er stellt die Frage, ob nicht auf diese Dinge eine ähnliche klinische (und anato¬ 
mische) Beweisführung anwendbar sei, wie sie zur Anerkennung der sog. gum¬ 
mösen Alterationen als syphilitischer geführt hat. — Klinisch ist ja dieser Be¬ 
weis zum Theil mit grosser Wahrscheinlichkeit geführt; anatomisch werden 
diese Dinge bis jetzt nur schüchtern gewürdigt, immerhin von den neueren Autoren 
einstimmig anerkannt, aber als „unerweislich luetische", oder als „klinisch zweifel¬ 
lose, aber nicht specifische" oder ähnliche bezeichnet. Jedenfalls wäre die Sache 
unter Beweis zu stellen, zu untersuchen, ob diese anscheinend nicht specifischen 
Dinge neben und gleichzeitig mit den sicher syphilitischen Vorkommen, ob 
vorwiegend bei syphilitisch Inficirten (bei Ausschluss anderer ätiologischer 
Momente), bezw. ob in der Vorgeschichte grösserer Reihen solcher Affectionen die 
Syphilis mit besonderer Häufigkeit zu finden? — Wenn sich dies alles im posi¬ 
tiven Sinne beantworten liesse, wäre es doch unerlaubt und eigentlich geradezu 


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unverständig, diese Dinge nicht von der Syphilis abzuleiten; — sie müssen dann 
ebenfalls ab syphilogen angesehen werden. 

Das schon jetzt vorliegende Beobachtungsmaterial hat dem Vortr. ganz über¬ 
raschende Resultate ergeben. Er stellt die in der Literatur vorhandenen Fälle 
in verschiedenen Gruppen zusammen. 

L Gruppe. Fälle mit typischer, gummöser Meningitis — Myelitis — 
Encephalitis — Arteriitis und gleichzeitig mit Strang- und Herddegenerationen 
von nicht specifischem Charakter. Einzelne Fälle werden.angeführt: von 
Valentin, Haenel, die ab „Pseudotabes syph.“ bezeichnten Fälle von Oppen¬ 
heim, Brasch, Eisenlohr u. A., endlich Fälle von Hoppe, Marinesco u. A. 

IL Gruppe. Combination von typischen primären Strangdegenera¬ 
tionen nicht specifbchen Charakters mit zweifellosen, mehr oder weniger er¬ 
heblichen „speoifischen“ Veränderungen an den Meningen, Gefässen u. s. w. 
Hierher gehören die jetzt schon sehr zahlreichen Fälle von Tabes mit gleich¬ 
zeitigen specifbchen Veränderungen an den Meningen, Gefässen u. s. w. (Hoff- 
mann-Kuh, Eisenlohr, Minor, Dinkler [4 Fälle], Pick, Marinesco u. A.); 
vielleicht ein Fall von primärer Laterabklerose von Friedmann, Fälle von 
combinirter Systemerkrankung von Nonne und von Williamson. Auch diese 
Fälle lehren — wie die der ersten Gruppe —, dass die beiden Reihen von Ver¬ 
änderungen, „specifische“ und anscheinend nicht specifbche, gleichzeitig bei 
demselben syphilitisch inficirten Individuum Vorkommen können. 

HL Gruppe. Primäre Sklerosen, Strang- und Herddegenerationen, 
Eernatrophieen u. s. w. ohne specifbchen Charakter und weitere specifische 
Läsionen bei zweifellos luetischen Personen: a) reine Pyramidenseiten¬ 
strangsklerosen — Fälle von Minkowski und Friedmann — beide etwas 
zweifelhaft; b) combinirte Systemerkrankungen (Seiten- und Hinterstrang¬ 
sklerosen); hierher gehören sehr wichtige Fälle von Westphal, Nonne, Eberle, 
dann etwas zweifelhafte von Williamson, Dreschfeld und Strümpell — die 
überraschender Webe sämmtlich das Bild der „syphilitischen Spinalparalyse (Erb)“ 
darboten! o) Hinterstrangsklerosen — also alle Fälle von Tabes, bei welcher 
Syphilis nachgewiesen; hierher dürften dann wohl ohne Bedenken auch die 
klinischen Fälle von Tabes zu rechnen Bein, deren anatombche Grundlage uns ja 
mit Sicherheit bekannt ist, eventuell bei welchen in der Vorgeschichte 70—90 % 
syphilitische Infection nachgewiesen sind; d) primäre Kerndegeneration 
(Kerne der Augenmuskelnerven), Opticusatrophieen u. s. w. 

Aus diesen Beobachtungen ergeben sich zur Zeit die folgenden Sätze: 1. In 
sehr vielen Fällen finden sich neben typisch-luetischen Erkrankungen des 
Nervensystems primäre, einfache Atrophieen und Degenerationen 
(Gruppe I). 2. In zahlreichen Fällen von primären Degenerationen und 

systematischen Sklerosen finden sich daneben auch specifische Läsionen 
(Gruppe H). 3. Primäre Sklerosen (ohne auffallende specifische Läsionen) 

finden sich nicht selten bei Syphilitischen; und bei manohen von diesen 
Läsionen (Tabes!) findet sich in der Vorgeschichte Syphilis in einem 
enorm hohen Procentsatze. 

Vortr. verzichtet auf den Beweb ex juvantibus, weil er glaubt, dass die 
mitgetheilten Thatsachenreihen genügen, um diese anscheinend indifferenten 
Veränderungen mit annähernd dem gleiohen Rechte der Syphilis zu¬ 
zuweisen, wie die specifisch-gummösen. — Der schon längst angetretene 
klinische Beweb dafür wird durch die erwähnten anatomischen Feststellungen 
des häufigen und gleichzeitigen Zusammenvorkommens der beiden 
Arten von Veränderungen bei einem und demselben syphilitischen Individuum 
wesentlich ergänzt. Wer also die „gummösen“ Veränderungen von der Syphilis 
ableiten will, muss zugeben, dass auch diese nieht-specifisohen Läsionen von ihr 

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abzuleiten sind, dass sie jedenfalls von der Syphilis herrühren können. Es darf 
verlangt werden, dass hier mit gleichem Maasse gemessen, die Sache mit 
der gleichen Skepsis oder mit der gleichen Nachsicht behandelt wird. Man kann 
in einem solchen Falle nicht die eine Hälfte der Veränderungen für syphilitisch 
und die andere für nicht syphilitisch erklären; jedenfalls sind beide syphi- 
logen! Vortr. verzichtet auf weitere Erörterungen über die Art und Weise des 
Ursprungs und der Pathogenese der beiden Veränderungsreihen, weist nur knrs 
auf die Schwierigkeiten einer befriedigenden Erklärung hin. Vortr. berührt die 
Wichtigkeit der zusammengestellten Thatsachen für die Frage der Verursachung von 
Systemerkrankungen, besonders der Tabes, durch die Lues und erörtert dann noch 
die Frage, ob man noch ein Recht habe, die besprochenen „indifferenten“ Läsionen 
als post-(para-)syphilitische zu bezeichnen, was ihm nicht ganz richtig er¬ 
scheint. 

Vortr. schließet mit einigen Bemerkungen über die Analogieen der Syphilis 
mit der Tuberculose, aber auch über die specifischen Verschiedenheiten der beiden 
Infectionskrankheiten, speciell im Hinblick auf die Aetiologie der Tabes. 

Herr Prof. Schüle (Freiburg i/B.) demonstrirt zwei Patienten mit Alopeala 
unlversalls congenita und multiplen Neurofibromen der Haut. 

Bei dem einen Manne, welcher wegen eines Traumas begutachtet worden war, 
fand sich eine universelle Anästhesie gegen Schmerz und eine handschuhformige 
Anästhesie der Finger. Vortr. hatte diese Anästhesie in seinem ersten Gutachten 
als eine hysterische aufgefasst, indess war die Frage aufgeworfen worden, ob es 
sich nicht um congenitale, mit den Neurofibromen der Haut zusammenhängende 
Gefühlsstörungen handeln könne. Da der Bruder thatsächlich am Gesicht und an 
den Armen auch Hypästhesie zeigt, möchte Vortr. die Frage eher bejahen oder 
eine Ueberlagerung der angeborenen Sensibilitätsstörung mit Hysterie annehmen. 
(In privater Besprechung über den Fall sprach man eher für die Annahme, dass 
es sich bei dem demonstrirten [Unfalls-] Patienten um eine rein hysterische 
Sensibilitätsstörung handle.) 


Zweite Sitzung am 24. Mai 1902 Nachmittags 2 1 / 4 , Uhr. 

Vorsitzender: Herr Hofrath Prof. Dr. Fürstner (Strassburg). 

Herr Prof. Dr. Hoche (Strassburg) hält das Referat über: Differential¬ 
diagnose zwischen Epilepsie und Hysterie. 

Die Differentialdiagnose wird besonders dadurch erschwert, dass wir es mit 
zwei ihrem Wesen nach unbekannten Krankheiten zu thnn haben. Anlass 
zu diagnostischen Irrthümem geben neben den acut verlaufenden psychischen 
Störungen und den Dauerzuständen vor allem die Anfälle. Das Referat 
beschränkt sich der Hauptsache nach auf letztere. An vergleichend historischer 
Betrachtung wird die Entwickelung der Lehre von den unterscheidenden Merk¬ 
malen und die damit im Zusammenhang stehende von der Hysteroepilepsie 
erörtert. Die Ergebnisse des Referates lassen sich in folgenden Sätzen zusammen¬ 
fassen: Epilepsie und Hysterie sind principiell verschiedene Neurosen; 
die reine Hysterie ist functioneller Natur in dem Sinne, dass sie eine patho¬ 
logische Anatomie weder besitzt noch jemals besitzen wird; die 
genuine Epilepsie ist functionell nur in dem Sinne, dass wir die ihr zu Grunde 
liegenden Veränderungen noch nicht kennen. Für die Majorität der Anfälle 
besteht bei genügender Sachkunde auf Grund feststehender Symptome kein Zweifel 
über die Diagnose; bei einer Minorität lassen sioh aus dem Anfalle sebat 
keine differentialdiagnostischen Anhaltspunkte gewinnen. Es giebt kein Sym¬ 
ptom, welches mit absoluter Sicherheit den epileptischen Charakter eines An- 


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feiles beweise, auch nicht Zungenbiss und Aufhebung der Lichtreaction der Pupille. 
Die „hysterische Pupillenstarre“, deren Vorkommen innerhalb und ausser* 
halb des Anfalles nicht mehr besweifelt werden kann, ist keine eigentliche 
Reflexstörung, sondern eine Unbeweglichkeit der Pupille in Folge 
abnormer Zustände in den inneren Augenmnskeln. Die Existenz einer 
echten Hysteroepilepsie im Sinne eines wirklichen beiden Neurosen ge¬ 
meinsamen Grenzgebietes ist abzulehnen. Abgesehen von anderen Com- 
binationen ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Hysterie, ohne aus 
ihrem Rahmen zu feilen, den dem echten epileptisohen Anfall zu Grunde 
liegenden centralen Vorgang zur Auslösung bringen kann, ebenso wie 
dieser, ohne dass es sioh um Epilepsie handelt, durch andere Umstände (reflec- 
torisch wirkende Reize, Gifte u. s. w.) ausgelöst werden kann. In allen differential- 
diagnostisch zweifelhaften Fällen sind En twiokelung und Verlauf der Störung, 
ebenso wie die dauernden psychischen Veränderungen wesentlichste Hilfe¬ 
momente. 

Zur Discnssion äussern sioh: Bruns, Rumpf, Bäumler, Strümpell, 
Hitzig, Schnitze, Seeligmüller, Weygandt, Sticker, Friedmann und 
F&rstner und in einem Schlusswort der Referent, der als ein wesentliches Er¬ 
gebnis* der DiscussioB bezeichnet, dass in dieser Versammlung der competenteaten 
Beurtheiler sich keine Stimme für die Annahme einer echten Hysteroepilepsie in 
dem alten und neuerdings von Binswanger wieder angenommenen Sinne er¬ 
hoben hat. 

Herr Prof. Dr. Dinkler (Aachen): Ueber acute Myelitis transversa (nach 
Erkältung und Gonorrhoe — nach Typhus — naoh Appendioltis per- 
forativa; Versuch mit ohirurgisoher Behandlung). 

Acute Myelitis tritt als transversale und disseminirte aufj erster® ist häufiger 
und deshalb wichtiger. Anatomisch kann man zwei Typen derselben unter¬ 
scheiden: die Meningomyelitis und die reine Myelitis, vom ätiologischen Stand¬ 
punkt die refrigeratorischen und die infeotiösen Formen. Folgende Fälle als 
Paradigmata der genannten Typen sind der Mittheilung werth. 

L Myelitis acuta dorsalis inferior nach Erkältung, gleichzeitige Gonorrhoe: 
M. G. f 36jähr. Grundarbeiter, stammt aus gesunder Familie, war stets gesund; 

1901 Gonorrhoe aoquirirt, nie ganz ansgeheilt, nie Beschwerden davon; seit 1901 
täglich 8 Standen im Wasser stehend gearbeitet (etwa 6 Monate lang!); Januar 

1902 Schmerzen im Rücken, zunehmend, naeh 3 Wochen Schwäche der Beine, 
Umschnürungsgefühl um den Leib; seit Mitte März ziemlich vollständige Lähmung 
der Beine (L > r.), Schmerzen, Zuckungen in den Beinen, Blaeeasohwäohe. 
Status 6./IV. 1902: Innere Organe normal, aus der Urethra eitriger Ausfluss 
mit massigen Mengen typischer intracellulär gelagerter Gonokokken-, von Seiten 
des Nervensystems: Schwäche dar Rücken* und Bauchmuskeln, linkes Bein schlaff 
gelähmt, das rechte Bein paretkch, Hypästheeie im linken Bein für tactile Reize; 
Localisation unsicher. Patellarreflex links sehr schwach, reohtc gesteigert, Achill ea- 
sehnenrefiexe fehlen; links Babinski’sches Phänomen, Cremasterrefiexe fehlen, 
von den Bauchreflexen ist der untere linke nicht vorhanden, der mittlere und 
obere stark abgeschwächt, die rechtsseitigen sind normal, Atrophie des linken 
Oberschenkels, keine Entsrtongsreaction, Bissenlähmung (Isohuria paradox»), — 
Diagnose: Myelitis dorsalis inferior et lumbalis. Erhebliche Besserung. Aetio* 
logisch liegt es am nächsten, Erkältungsschädlichkeit als wichtigste Ursache an¬ 
zunehmen; nach Leyden kommt auch die Gonorrhoe in Frage. 

II. Myelomeningitis bei Spondylitis typhoea lumbalis. 17 jähr. Mimiker, Tuber* 
culose in der Familie (5 Mitglieder daran gestorben). Pat. hat seit dem 12. Jahre an- 
fallsweise auftretende Magenschmersen, zuletzt August 1896, 1898 Hämopieö. Ende 

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August 1896 Typhus, am 14./X. geheilt entlassen, bald danach Schmerzen im Kreuz 
und in beiden Schulterblättern im Liegen und beim Aufstehen, vorwiegend Nachts, 
Anfang November nur noch in den beiden Lendengegenden Schmerzen, auch am Tage; 
bei Drehungen gürtelförmige Schmerzen um den Leib herum, so heftig, dass der 
Kranke nicht mehr stehen konnte, sondern liegen musste; am 26./XII. waren die 
Beine nicht mehr gut zu bewegen, Stuhlgang seit 8 Tagen angehalten, Körper¬ 
temperatur erhöht, sonst keinerlei Störungen. Status: Temperatursteigerung Abends 
bis 38,4° C.; innere Organe frei, Wirbelsäule im Bereiche der untersten Brust- und 
der oberen drei Lendenwirbel sehr druckschmerzhaft, ebenso die rechts davon 
liegenden Muskelpartieen; Pat. liegt steif und unbeweglich auf dem Rücken, ver¬ 
meidet ängstlich jede, auch die kleinste Bewegung des Körpers (z. B. Kopfdrehung). 
Schmerzen beginnen im Kreuz und umspannen den ganzen Leib unterhalb des 
Rippenbogens, strahlen in die rechte Oefässgegend und das ganze rechte Bein 
aus; erhebliche Hyperästhesie im Bereiche der Kreuz- und Lendengegend und des 
rechten Oberschenkels; Leib stark tympanitiBch, nicht druckempfindlich, Beine 
paretisch, Urinentleerung erschwert, Stuhlgang angehalten — im weiteren Verlauf 
Temperaturen bis etwa 40° C. Bauchreflexe links beinahe erloschen; Domfortsatz 
des 1. Lendenwirbels nach links verschoben, unwillkürliche heftige Zuckungen in 
beiden Beinen, die Patellarsehnenreflexe asymmetrisch, der linke erheblich ge¬ 
steigert, später deutliche Gibbusbildung im Bereiche des 1. und 2. Lendenwirbels; 
am 10./H. wieder normale Configuration der Wirbelsäule; Haut- und Sehnen¬ 
reflexe wieder normal, Blase und Hastdarm gut functionirend, Beine kräftiger; 
am 24./IL geheilt entlassen; typischer Fall der von Quincke, Neisser u. A. 
beschriebenen Spondylitis typhosa lumbalis mit Uebergang in die paravertebrale 
Mu8culatur und die Rückenmarkshäute und das Rückenmark selbst. 

III. Fall von reiner Myelitis acuta transversa ist differentialdiagnostisch von 
besonderem Interesse. 34jähr. Schreiber, keine Belastung, Pat. stets gesund 
gewesen; am l./VHI 1901 schmerzhaftes Druckgefühl in der Hagengegend, keine 
Uebelkeit, kein Fieber; ein Hai täglich mehrere Stunden anhaltend derartiger 
Anfall, ärztliche Behandlung erfolglos; dann vom Apotheker Pulver bekommen, 
Anfang September danach geheilt, wieder ganz gesund, Thätigkeit war überhaupt 
nicht ausgesetzt worden. 4 Wochen später (Anfang November) umschnürendes 
Gefühl um den Leib herum, Angstempfindung, 24 Stunden lang, dann Paraparese 
der Beine, r. > L, Incontinentia urinae, ärztliche Behandlung erfolglos; nach 
Painexpellereinreibung Besserung, nach 14 Tagen wieder alles gut; am 24./XL 
1%ständiger Spaziergang, Erkältung, nicht ermüdet, wieder Lähmung der Beine; 
am 26./XL konnte er nicht mehr gehen und stehen, Blasenschwäche, von Anfang 
Deoember unwillkürliche Blasenentleerung, Stuhlgang angehalten, taubes Gefühl in 
den Beinen, starke Zuckungeo, keine Schmerzen. Status vom 4./XIL: Hittelgroeser 
kräftiger Hann, sehr blass; an der linken Ferse und Wade Brandschorfe (durch 
zu heisse Wärmflaschen), innere Organe frei. Paraparese beider Beine (r. > 1.); 
auffallend starke unwillkürliche Zuckungen in den Beinen; bei raschen Beugungen 
im rechten Kniegelenk tonische Contraction der Waden und Oberschenkelmuskeln, 
keine deutliche Sensibilitätsstörung; Sehnenreflexe an den Beinen asymmetrisch, 
1. < r.; Die Hautreflexe an den Fusssohlen erhalten, rechts Babinski, Bauchreflexe 
fehlen beiderseits gänzlich, Cremasterreflexe sind beiderseits schwach; im weiteren 
Verlauf leichte Besserung, dann pyämisches Fieber; Lumbalpunction erfolglos. 
Zuckungen waren so stark, dass permanentes Wasserbad erforderlich, Blase stets 
gleich gefüllt, unwillkürliche Entleerungen, Priapismus; spontane Blasenbildung am 
linken Fuss und Knie; am 12./XII. rasch fortschreitende Hypästhesie der Beine bis 
zum Nabel herauf, oberhalb hyperästhetische Zone 12 cm hoch, Lumbalpunction 
wieder erfolglos. Am 18./XII. erfolgt Trepanation wegen pyämischen Fiebers; 
fortschreitende motorisohe und sensible Paraparese, Fehlen von meningitisohen 


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besw. Wurzelerscheinungen, acut fortschreitender intraspinaler Prooess. Da nicht 
der ganze Rückenmarksquerschnitt erkrankt war, wurde Absoess vermuthet, trotz 
Fehlens Ton eitriger Meningitis und nur geringer Leukocytose. Der Fall war 
ohne Operation wohl auch verloren. Localisation sehr unsioher bei dem Fehlen 
von Wurzelsymptomen; wegen der Hypästhesie bis zum Nabel etwa 9. und 
10. Dorsalsegment am 18./XII. operirt, nichts Wesentliches gefunden, Verlauf un¬ 
beeinflusst, Wunde tadellos geheilt, pyämische Erscheinungen hielten an; am 
29./XII. Lähmung des linken oberen Lides, linker Mundwinkel hängt herab, starke 
Zuckungen im linken Bein. Temperatur von 41,6° 0. Unter Coma Exitus. 
Diagnose: Pyämie unbekannter Provenienz, Myelitis acuta transversa dorsalis, 
frische Embolie im Bereich der rechten Grosshirnhälfte. Autopsie: Blutung 
in dem rechten Stirnlappen mit Durchbruoh in die Seitenventrikel, Appendioitis 
perforativa (in das S. romanum), subglutä&ler Abscess links. Es war die Appen¬ 
dioitis larvata offenbar der Ausgangspunkt aller Erscheinungen. Myelitis erwies 
sich als nicht eiterig. (Ausführliche Mittheilung erfolgt in der Deutschen Zeit¬ 
schrift für Nervenheilkunde.) 

Herr Hofrath Prof. Fürstner (Strassburg): Zur Kenntnis« der vaso¬ 
motorischen Neurosen. 

Vortr. giebt zunächst einen Ueberblick über die verschiedenen vasomotorischen 
Störungen, die bei hereditär zu Nervenkrankheiten Disponirten oder im Gefolge 
der letzteren auftreten, er erörtert das spontane Erröthen, die Urticaria faotitia, 
die Dermographie, die spontane Urticaria, das ciroumsoripte Oedem und die 
eigentlichen Angioneurosen. Er weist auf die zahlreichen Uebergänge hin, die 
zwischen den einzelnen Erscheinungen bestehen, welche die Nomendatur wesent¬ 
lich erschweren. Im Anschluss an einen früheren analogen Fall (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 34) berichtet Vortr. über einen jungen Mann, bei dem 
zunächst ein durch Schreck bedingtes starkes Stottern bestand, das sich psyohisch 
in hohem Grade beeinflussbar erwies; bei diesem Patienten trat aeute Röthung, 
Schwellung und Blasenbildung im Gesicht, an den Händen — fast ausschliesslich 
auf dem Handrücken, am Sero tum und Penis, vereinzelt am Bumpf auf. Durch 
Confluiren kamen Biesenblasen zu Stande, Begleitsymptome waren Sohmerzen, 
Hitzegefühl, vorübergehend Temperatursteigerung, Diarrhoe. Die Hautaffection 
dauerte 6—8 Tage an, kehrte dann nach kürzeren Intervallen mehrfach wieder, 
blieb schliesslich aber im Gegensatz zum ersten Falle, wo die Menses fast regel¬ 
mässig neue Schübe auslösten, fort. Sodann erinnert Vortr. daran, dass mehrfach 
familiäres Auftreten vasomotorischer Störungen, dass ebenso Wiederkehr derselben 
in mehreren Generationsstufen beobachtet worden sei, so werde nicht selten die 
Neigung zum Erfrieren distaler Körperpartieen, der Ohren, Hände erblich übertragen. 

Vortr. konnte vor Kurzem einen Fall beobachten, wo durch drei Generationen 
hindurch dieselbe Störung wiederkehrte, Mutter und Tochter konnten direct beob¬ 
achtet werden. Die erstere, eine fast 50 jährige Frau, giebt an, dass ihre Mutter 
gleichfalls an Schwellung und Verkrümmung der Finger gelitten habe und da¬ 
durch am Arbeiten gehindert worden sei. Sie selbst sei schon in der Schule 
wegen ihrer ungeschickten Finger, die auch manchmal anschwollen, bestraft worden. 
Als di recte Krankheitsursache müsse sie eine besonders schwere Geburt im 
24. Lebensjahr ansehen, der ein langes Krankheitslager folgte. Im Anschluss 
daran entwickelte sich hochgradige Nervosität, globusartige Empfindungen, starkes 
Hitzegefühl, unruhiger Schlaf, profuse Schweisssecretion. Periodisch treten sehr 
schmerzhafte Anschwellungen zwischen den Brüsten auf, die manchmal Stunden, 
dann wieder länger andauerten. Zeitweise häufige Ohnmächten. Die wesentlichste 
Störung fand sich aber an beiden Händen. Zunächst kam es zu schmerzhaften 
Anschwellungen der Finger, namentlich auf den dorsalen Partieen bis zum Hand- 


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gelenk, die Haut war anfangs gwröthet, an den Fingerspitzen aueh bläulich ver¬ 
färbt. Allmählich entwickelte sich eine Difformit&t beider Hände. Vereinzelt 
kam es auch an anderen Körperpartieen zu Röthung und Blasenbildung, besonders 
bei mechanischer Beizung. Während der Beobachtungszeit traten zwischen den 
Brüsten circumscripte ödematöee Schwellungen auf, ohne besondere Verfärbung 
der Haut, sie dauerten, meist schmerzhaft, mehrere Standen an, verschwanden 
dann wieder. Während der Nacht bestand profuse Schweisssecretion, bei Tage 
klagte die Patientin über unangenehmes Kältegefühl an den Beinen. Die Finger 
beider Hände stehen dauernd in Beugestellnng, die Endphalangen können über¬ 
haupt nicht, die anderen Phalangen nur in geringem Grade gestreckt werden, 
wobei Schmerz ein tritt; die Enden der Phalangen mehrfach etwas verdickt, die 
Haut über den Fingern fühlt sich derb und gespannt an, sie lässt sich nicht in 
Falten legen, das Aussehen ist ein waisslioh glänzendes. Die Finger erscheinen 
dadurch nach vorn zu auffallend zugespitzt und bieten das Kid dm* Sklerodactylie. 
An der dorsalen Partie des Handgelenks lässt sich oft eine ödematöee, schwappende 
Schwellung feststellen, die schnell kommt und ebenso schnell schwindet. An anderen 
Körperpartieen hochgradige Dermographie, zu beiden Seiten der Nase gleichfalls 
eine Partie, die spontan ansohwillt, ebenso auf dem Rücken der grossen Zehen 
periodische Schwellung. Sensibilität völlig intact, nirgends Muskelatrophie. Patellar- 
reflexe sehr lebhaft. 

Die Tochter, 14 Jahre alt, von jeher sehr nervös und unruhig, vielfach an 
Kopfschmerzen leidend, zeigte vom 8. Jahre an ödematöse Sehwellung der Hände, 
die mit cyanotischer Verfärbung vorübergehend auftrat, ebenso Röthung und 
Schwellung des Gesichts. Auch hier standen die Finger, namentlich die End¬ 
phalangen, in leichter Beugestellung, am Daumen and kleinen Finger war die 
Streckung aotiv und passiv unmöglich, auf dem Handrücken fühlt die Haut sich 
vielfach gespannt an, namentlich über den Metacarpophalangealgelenken. Das 
Geeicht erscheint namentlich in den seitlichen Partieen periodisch geschwollen, 
dabei geröthet oder mehr cyanotisch verfärbt. 

Die Menses traten mit dem 13. Jahre auf, ohne .Anomalieen zu bieten; be- 
merkenswerth war der kleine frequente Puls, der fast dauernd vorhanden war, 
auch hier keine Störungen der Sensibilität, kein Muskelschwund. Die Patellar- 
reflexe sehr lebhaft. Während bei den ersten beiden Fällen wohl nur eine 
nervöse Disposition bestand und die vasomotorische Störung erst später auftrat, 
um kürzere oder längere Zeit anzudauern, muss bei den an zweiter Stelle mit- 
getheilten Fällen eine hereditäre Uebertragung der abnormen vasomotorischen 
Erregbarkeit angenommen werden, die in drei Generationsstufen wiederkehrte. 
Neben den vasomotorischen Erscheinungen, die mannigfacher Art waren, ödematöee 
Schwellung, Röthung, Blasenbildung, kam es zu trophisehen Störungen in der 
Haut, zu Veränderungen an den Knochen der Hände; auch hier liessen sich viel¬ 
fache Uebergänge zwischen den einzelnen vasomotorischen Symptomen festeteilen. 

Herr Dr. Bayerthal (Worms): Zur Diagnose dar Thalamus- und 
Stirnhlmtumoren. 

Vortr. knüpft seine diagnostischen Erörterungen an zwei von ihm beobach¬ 
tete Fälle von Hirntumor an. In dem ersten Falle, in dem man an Stelle der 
vorhandenen Sehhügelgeschwulst einen subcortioalen Tumor der motorischen 
Region angenommen hatte, wurde die Trepanation erfolglos ausgefuhrt. Im 
zweiten Falle unterblieb die Operation. Man hatte hier — und wie der Obduc- 
tionsbefuud zeigte — im Wesentlichen zutreffend einen basal gelegenen Tumor 
des linken Stirnhirns diagnosticirt. 

In dem ersten Falle handelte es sich um eine 31jähr., früher stets gesunde 
Frau, die Vortr. Mitte Mai 1901 zum ersten Male sah. Die Patientin litt seit 


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Mitte April (h. a.) an Erbrechen, das wegen mehrmonatlichem Cessiren der 
Mensee und Veränderungen an den Geschlechtsorganen von dem behandelnden 
Arzte als Schwangersohaftssymptom betrachtet worden war. An eine oentrale 
Affeotion dachte man erst, als von Anfang Mai an psychische Symptome in den 
Vordergrund traten. Patientin gab auf Befragen häufig gar keine oder verkehrte 
Antworten, verliess nicht mehr das Bett, lag apathisch da, musste gefüttert werden. 
Urin und Stuhl liess sie unter sich gehen. Bei der Untersuchung fiel zunächst 
die Schlaffheit und Starrheit der Mimik auf; Patientin war zu einem Verziehen 
des Mundes und zu einem Läoheln nicht zu bestimmen. Aphasische und sensibel¬ 
sensorische Störungen bestanden nicht. Der psychische Status entsprach dem 
Bilde der stuporösen Demenz. Ausser Gleichgewichtsstörung beim Stehen und 
Gehen, vorübergehender Pulsverlangsamung bestand Parese des rechten Beines 
und Empfindlichkeit des Schädels gegen Druck und Percussion über dem linken 
Beinoentrum. Die Pupillen reagirten auffällig träge. Der Augenhintergrund blieb 
normal bis zum 27./V. 1901. An diesem Tage wurde beginnende Stauungspapille 
auf dem linken Auge constatirt, nachdem bis dahin unter vorausgehenden Krämpfen 
im rechten Facialisgebiet sich die Monoparese zur Hemiparese bezw. Hemiplegie 
vervollständigt hatte. Da in Folge zunehmender Somnolenz und stertoröser 
Athmung die Kranke verloren schien, wenn nicht in der kürzesten Zeit zugegriffen 
wurde, so entschloss sich Herr Prof. Heidenhain zur Trepanation trotz der 
Bedenken, die das Fehlen typischer Rindenkrämpfe gegen die Annahme eines sub- 
certicalen Tumors wachrufen musste. Indessen schien diese Annahme im Hinblick 
auf die oonstant nachweisbare umschriebene Empfindlichkeit des Schädels gegen 
Druck und Percussion, die topographisch mit den Lähmungserscheinungen über¬ 
einstimmte, berechtigt zu sein. Die Patientin überlebte den operativen Eingriff 
nicht lange. Bei der Section wurde ein Tumor des linken Thalamus (Gliosarcom) 
gefunden, der den Balken etwas nach oben, den gegenüberliegenden Sehhügel 
nach rechts gedrängt und durch Compression der Vierhügel eine Abflachung der 
letzteren bedingt hatte. 

.Vortr. glaubt die Frage, ob bei einem derartigen Symptomencomplex eine 
Fehldiagnose zu vermeiden ist, epikritisch bis zu einem gewissen Grade bejahen 
zu müssen. Er hat in der Litteratur nachträglich einen von Bram well mitgetheilten 
Fall von Thalamusgeschwulst gefunden, in dem gleichfalls die mit den Lähmungs¬ 
erscheinungen übereinstimmende Empfindlichkeit des Schädels zu einem natürlich 
vergeblichen operativen Eingriffe führte. Nach Ansicht des Vortr. gestattet 
daher die umschriebene Empfindlichkeit des Schädels bei Gehirntumoren im Be¬ 
reiche der motorischen Region, die topographisch mit den Lähmungserschei¬ 
nungen übereinstimmt, nur insofern einen sicheren Schluss auf die Localisation, 
als eine die empfindliche Stelle schneidende Frontalebene den Herd trifft Da¬ 
gegen gestattet sie niemals ein Urtheil über die Entfernung des Herdes von der 
Gehirnoberfläche. Vortr. zeigt ferner an der Hand der Casuistik, dass Stupor 
und Intelligenzdefect vor der Steigerung des Hirndruckes für einen 
tiefen Sitz des Herdes und gegen eine ausschliessliohe Localisation 
in oder nahe der motorischen Rinde sprechen. (Betheiligung der Balken¬ 
faserung!) Die Gleichgewichtsstörung und Trägheit der Pupillen- 
reaction führt Vortr. zum Theil uuf den Thalamusherd, zum Theil auf die 
Compression der Vierhügel zurück; diese Symptome stützen daher ceteris paribus 
die Localisation in der Tiefe. Schliesslich weist Vortr. auf den Ausfall 
mimisch-automatischer Bewegungen hin, der in seinem Falle oonstant 
nachweisbar war. Mit der in manchen Fällen von Sehhügeltumor beobachteten 
Steigerung der mimischen AuBdrucksbewegungen zusammengehalten, die als 
Reizungssymptom betrachtet zu werden pflegt, erscheine ihr Ausfall als ein 
durch Lähmung bedingtes Localsymptom des Thalamusherdes. Diese Ansicht 


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erhalte daroh zwei in der Litteratar gefundene Beobachtungen, die zieh in diesem 
Sinne verwerthen lassen, eine weitere Stütze. 

In dem zweiten Falle handelte es sich um eine 37jährige Frau, die eines 
gynäkologischen Leidens wegen am 8. October 1901 in das städtische Kranken¬ 
haus zu Worms aufgenommen wurde. Sehr bald nach der Aufnahme fiel das 
eigenthümliche psychische Verhalten der Patientin auf; sie zeigte einen aus¬ 
gesprochenen Mangel geistiger Regsamkeit und Stumpfheit. Es konnte anam¬ 
nestisch festgestellt werden, dass die Kranke seit Frühjahr h. a. jähzornig und 
zanksüchtig geworden war. In den letzten Monaten sasa die Patientin oft stunden¬ 
lang da, ohne sich um ihre Umgebung zu kümmern. Auch im Krankenhause 
zeigte sie, wie gesagt, zunächst dieses apathische Verhalten. Sie sprach nie 
spontan ein Wort und bei der Untersuchung bedurfte es energischen Zuredens, 
um Antwort zu erhalten. In der Folge änderte sich der Zustand. Patientin 
wurde zugänglicher und gleichzeitig mit dieser Besserung trat eine Aenderung 
ihrer Stimmung ein. Sie machte bisweilen trockene witzige Bemerkungen, die 
zu ihrer sonstigen Apathie in auffallendem Contraste standen. Nach wenigen 
Tagen jedoch wurde sie wieder stumpfsinniger. Ende October atypischer epilep¬ 
tischer Anfall. Von diesem Zeitpunkt an bestanden wechselnde Benommenheit, 
Kopfschmerzen und Pulsverlangsamung. Die Untersuchung des Augenhinter- 
grundes ergab doppelseitige Stauungspapille. Ferner liessen sich jetzt Gleich¬ 
gewichtsstörung, aphasische Symptome und rechtsseitige Hemiparese nachweisen. 
Dazu traten vom 6./XL 1901 ab die Zeiohen einer Hiranervenerkrankung: Er¬ 
weiterung der linken Pupille, leichte linksseitige Ptosis, Schwäche im linken 
Abducens, Hyperästhesie im linken Supra- und Infraorbitalis, schliesslich Hemi¬ 
anopsie. Der letale Ausgang erfolgte ziemlich plötzlich unter den Zeichen der 
Athemlähmung am 13./XI. 1901. 

Die Localdiagnose schien in diesem Falle keine Schwierigkeiten zu bieten. 
Vortr. verweist auf die von Bruns aufgestellten, für die Diagnose der basal 
gelegenen Stirnhirntumoren maassgebenden Grundsätze. Indessen wurde bei der 
Section ein Tumor (borsdorferapfelgrosses Sarcom) gefunden, der von dem basalen 
Theile des linken Schläfenlappens ausgegangen war und erst nach grubiger Ver¬ 
tiefung und theilweiser Zerstörung der direct in seinem Bereiche liegenden 
Windungen die des Stirnhirns in Mitleidenschaft gezogen hatte. Vortr. glaubt 
daher auf Grund des vorliegenden Falles sich dahin aussprechen zu dürfen, dass 
die Differentialdiagnose der basal gelegenen Geschwülste des linken Stimhirns 
gegenüber den von der Basis des linken Schläfenlappens ausgehenden Neubildungen 
nur möglich ist, wenn der Tumor frühzeitig Anopsie erzeugt oder die Gebilde 
der Orbita nach vorn treibt Schliesslich erörtert Vortr. die localdiagnostische 
Bedeutung der Apathie (Verlust der Aufmerksamkeit, Interesselosig¬ 
keit), die sich, wie eine Durchsicht der neueren Casuistik und Statistik ergeben 
hat,- in einem grossen Theile der von Anfang an beobachteten Fälle von Stirn¬ 
lappengeschwulst findet Sie ist möglicherweise im Sinne der Flechsig’schen 
Anschauungen als Functionsstörung seitens des Stimhirns zu betrachten. (Aus¬ 
führlichere Mittheilung erfolgt in diesem Centralblatte.) 

Herr Dr. Bartels (Strassburg): Kyxosaroom des linken Sohläfenlappens 
ausgehend vom Ammonshorn; Zerstörung des Unous, Gyrus hippo- 
oampi u. s. w. ohne Aufhebung des Geruches. (Demonstration von Photo- 
graphieen und mikroskopischen Präparaten.) 

37jähr. Bergmann; als Soldat luetisch inficirt. Gesund bis Ende December 
1901, wo er wegen Abnahme der Sehschärfe und andauerndem Kopfschmerz die 
Arbeit niederlegte. Zu diesen beiden Störungen trat seit Februar schwankender 
Gang, Sprachstörungen und Vergesslichkeit. Am 5./HL 1902 Aufnahme in die 


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psychiatrische Klinik zu Strassbarg, daselbst gestorben 11.[Ul. 1903. Es be¬ 
standen Allgemeinsymptome: Kopfschmerz, Erbrechen, Neuritis optica mit Stauung, 
links starker als rechts, Pulsverlangsamung; ferner grosse Schläfrigkeit, auf den 
ersten Blick machte Pat. den Eindruck eines blöden, deprimirten Paralytikers. 
Doch war die Urtheilskraft Aber seine Lage u. s. w. völlig erhalten, Demenz be¬ 
stand nicht, nur vorgetäuscht durch die Schlaflosigkeit und die aphasischen 
Storungen; Merkfähigkeit sohlecht, Stimmung sehr deprimirt. Sensorische Aphasie, 
optische Aphasie, Agraphie und Alexie, besonders das Naohsprechen gestört. 
Weiter: Neuralgie im linken Supraorbitalis, Geruch beiderseits vorhanden, 
links etwas herabgesetzt, Geschmack beiderseits erhalten; Parese des Facialis 
und der Hand, specieU des Daumens, rechts. Die Patellarreflexe fehlen. 

Die Section ergab reichlich gänseeigrosses Sarcom im Mark des linken 
Schläfelappens, welches, wie die mikroskopische Untersuchung zeigte, vom 
Ammonshorn ausgehend, im Unter- und Seitenhorn vorgewuchert war, und das 
Mark des Schläfenlappens zerstört hatte. Die vorderen Zweidrittel der Gyri 
temp. I, II und UI, des Occipito-temporalis, des Hippocampi und des Uncus waren 
bis auf eine dünne, durchscheinende Schicht von erhaltener Rindensubstanz zer¬ 
stört. Alle anliegenden Theile stark verdrängt und theilweise zum Schwund 
gebracht. Der Tumor ist bemerkenswerth anatomisch wegen seines Ausgangs¬ 
ortes, des Ammonshornes; bisher ist nur ein Fall von Ackermann verzeichnet 
worden. Klinisch bietet er Interesse: 1. wegen des Fehlens von Geruchs- und 
Geschmacksauf hebung bei Zerstörung der Partieen, welche auf Grund anatomischer 
und experimenteller Erfahrungen an Thieren als Rindenoentren für Geruch und 
Geschmack angesehen werden. Die leichte Hyposmie links erklärt sich durch 
Querschnürung des Olfactorius durch die Art. corporis callosi in Folge Zerrung 
durch den Tumor; 2. fehlte trotz der Mächtigkeit des Tumors und des lange 
bestehenden Hirndruckes eine eigentliche Demenz; 3. fehlten epileptische Anfälle 
irgend welcher Form; 4. stimmten die klinischen Beobachtungen über den Sitz 
des Tumors mit den Schwalbe’schen Ergebnissen über Windungsprotuberanzen 
am knöchernen Sohädel. Der Pat. hatte subjectiv sowie auf Beklopfen stets an 
einer Stelle intensive Schmerzen, welche den Protuberantiae Gyri temporalis II 
und III entsprach, welche deutlich palpabel waren. Bei der Seotion erwiesen 

sich diese Stellen als den Gyri entsprechend gelegen, hier hatte der Tumor die 

Windungen gegen das Schädeldach gedrückt. 

Herr Dr. Gerhardt (Strassburg): Zar Anatomie der Kehlkopflähmungen. 

Bei einem Syringomyeliekranken, der 8 Jahre lang isolirte Lähmung des 

rechten Glottiserweiterers gezeigt hatte, fand Vortr. auf dem Querschnitt des 

N. recurrens anscheinend gleichmässige Degeneration mässigen Grades. Erst die 
Untersuchung der Endzweige des Nerven zeigte, dass die zum M. lateralis und 
internus führenden Zweige ebensolche mittelstarke Degeneration aufwiesen, dass 
aber die zum M. posticus ziehenden total degenerirt waren. Offenbar war das 
Bündel der Posticusfasern auf dem Querschnitt des Recurrens nur deshalb nicht 
erkennbar, weil es völlig untergegangen war. 

Der Fall bestätigt also, ebenso wie die von Onodi und Koschier ver¬ 
öffentlichten, die Semon’sche Lehre, dass nicht nur der M. crico-arytaenoideus 
posticus, sondern bereits der ihn versorgende Nerv leichter functionsunfähig werde 
als die übrigen Theile des motorischen Kehlkopfapparates; er giebt zugleich die 
Möglichkeit einer Erklärung dafür, dass in ähnlichen Fällen von früheren Autoren 
bei alleiniger Untersuchung des Reourrensstammes jene vorwiegende Degeneration 
des Posticusbündels nicht gesehen wurde. 


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Dritte Sitzung vom 25. Mai, Vormittags 9 1 / i Uhr. 

Vorsitzender Herr Prof. Dr. Schultze (Bonn). 

Als Referat für 1903 wird die Prognose der Paralyse in Aussicht ge¬ 
nommen; es wird Privatdocent Dr. Gaupp (Heidelberg) übertragen. 

Herr Prof. Schultze (Bonn): Weitere Mitteilungen über operativ be¬ 
handelte Geschwülste der Bfiokenmarfcshäute. 

Vortr. berichtet L über seine Erfahrungen über Tumoren der Rücken¬ 
markshäute und theilt kurz sein ganzes bisheriges Material in dieser Richtung 
mit. Er sah in den letzten Jahren im Ganzen 8 Fälle. In dem ersten bereits 
mitgetheilten handelte es sich um eine Fehldiagnose; in einem anderen erschien 
die Operation unthunlich, da der Tumor in der Höhe des Foramen magnum 
lag. In allen übrigen Fällen war die Diagnose auch der genauen Localisatioa 
der Geschwülste richtig; nur in einem Falle konnte die Localisationsdiagnose 
bei einem Tumor in der Gegend der Cauda equina nicht mit absoluter Bestimmt¬ 
heit gemacht werden. In allen diesen 6 Fällen wurde die Operation vor¬ 
genommen, fünf Mal von Herrn Collegen Schede, ein Mal von Herrn Dr. Graft 
In 3 Fällen wurde Heilung erzielt, zwei Mal völlige, ein Mal mit leichten 
Resterscheinungen von Schwäche, da die Lähmung vor der Operation 13 Monate 
gedauert hatte. 

In einem Falle ist eine Besserung eingetreten, die vielleicht noch weitere 
Fortschritte macht. In 2 Fällen endlich trat der Tod ein; das eine Mal hatte 
es sich um einen sehr grossen Tumor in der Nähe dm* Cauda equina gehandelt, 
der bereits in das kleine Becken hindurchgewuchert war. In dem zweiten konnte 
die ringförmige, tumorähnliche Verdickung der Dura mater nicht völlig ent¬ 
fernt werden. 

Die Erfolge des operativen Eingreifens waren also durchaus befriedigende. 
Auf die Art und Weise desselben, sowie auf die Schwierigkeiten der Diagnose 
geht Vortr. zum Schlüsse nooh kurz ein. 

II. Das Verhalten der Zunge bei Tetanie. Der Vortr. erinnert an 
seine frühere Mittheilung in Baden-Baden über myotonische Störungen und 
Tetaniesymptome bei einer und derselben Kranken. Aebnliches ist seitdem mehr¬ 
fach beobachtet und beschrieben worden. Auch bei echter T ho ms en'scher Er¬ 
krankung kommt das Facialispbänomen vor. 

Die ausführliche Mittheilung über diese Erfahrungen ist bisher noch deshalb 
unterblieben, weil die eingehenden Untersuchungen der Muskeln in den beobach¬ 
teten Fällen noch nicht vollendet waren. Sie wurden von Prof. Schieffer- 
decker vorgenommen, über dessen Untersuchungsergebnisse der Vortr. unter 
Vorzeigung von Präparaten Einzelnes mittheilt. In letzter Zeit beobachtete nun 
der Vortr. mehrfach hei echter Tetanie eine langdauernde Dellenhildung nach 
Beklopfung der Zunge, ohne dass bei elektrischer Reizung Nachdauer der 
Contractiou ein trat. In dem einen Falle hat es sich um eine Magen-Darm-Tetanie, 
in dem anderen um die gewöhnliche „spontane“ Tetanie gehandelt. 

Sollte sich diese Beobachtung bestätigen, so glaubt der Vortr. nicht, dass es 
sich in den auch früher beobachteten Fällen des Zusammenvorkommens von myo- 
tonischen Einzelsymptomen bei Tetanie stets um das Bestehen zweier Krankheiten 
gebandelt habe. Geradesogut wie man z. B. bei Syringomyelie Becundär auf¬ 
tretende myotonische Symptome beobachtet hat, könnte auch eine Reihe myo- 
tonischer Symptome bei der Tetanie in secundärer Weise entstehen. Der Vortr. 
erinnert in dieser Richtung au eine schon 1882 mitgetheilte Beobachtung, bei 
der in einem Falle von gewöhnlicher Tetanie lange Nachdauer der Coutractionen 
bei starken Willkürinnervationeu auftraten. 


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An der Discussion über Operation von Rückenmarkstumoren betheilgten sich 
Edinger, Fuerstner, Hitzig, Rumpf, Dinkler und Bruns. 

Herr Prof. C. v. Monakow (Zürich): Die Varietäten in der Anlage der 
Fissura oaloarina und die Fissura retrooaloarlna. 

Die gewöhnlichen anatomischen Darstellungen der Faltungsverhältnisse im 
Occipitallappen, zumal in der Regio calcarina, sind viel zu schematisch und be¬ 
rücksichtigen den Reichthum der hier vorkommenden Furchungsformen in nur 
unzureichender Weise. In Wirklichkeit sind die normalen Variationsbreiten 
zumal in der Anlage der Fissura calcarina so ausgedehnt, dass wohl nicht ein 
Individuum ganz genau die nämliche Gliederung dieser Furche (in allen ihren 
Abschnitten) wie ein anderes darbietet. Der Vortr., welcher sich längere Zeit 
mit der Ausdehnung der menschlichen Sehsphäre (normale und pathologisch¬ 
anatomische Untersuchungen) beschäftigt hat, kommt auf Grund von Unter¬ 
suchungen an mehr als 80 menschlichen Hemisphären (Föten, Kinder und Er¬ 
wachsene), die zum guten Theil in Serienschnitten vorliegen, zu folgenden 
Resultaten: 

Die Trennung der FisB. calo. nach Cunningham in eine Pan anter., Pars 
media und Pan posterior ist im Allgemeinen gut zu heissen, doch ist zu betonen, 
dass die Cuneolingualfalten (Gyri intercalcarinae), welche als mehr oder weniger 
bis an die Grosshirnoberfläche vordringende Scheidewände jener Caloarinasegmente 
zu betrachten sind, in venchiedener Zahl und Mächtigkeit angelegt sein können. 
Auf Grund der ersten Furchenanlagen beim Fötus (4—5 Monate) lassen sich beim 
Erwachsenen vier Typen von Bildungen der Fiss. calcarina unterscheiden; es 
sind das Typen, auf die bereits Sernow und Cuningham aufmerksam ge¬ 
macht haben. 

1. Typus. Directer Abgang der Fissura calcarina aus der Fissura parieto- 
occipitalis, ziemlich ununterbrochener oder durch (in der Calcarinaspalte versteckte) 
Cuneolingualfalten unterbrochener Verlauf derselben fast bis zum Oocipitalpol, 
in dessen Nähe die Fissura gabelförmig sich spaltet (die gewöhnlichste Form). 

2. Typus. Die Fissura calcarina präsentirt sich in drei Segmenten, von 
denen der vorderste mit der Fissura parieto-occipitalis communicirt, polwärts aber 
durch eine Cuneolingualbrücke unterbrochen wird. Die Pars calcarina« post, 
präsentirt sich in 1—2 ziemlich selbständigen Segmenten, die sich gabelförmig 
spalten; von dem hintersten wird bisweilen der Oocipitalpol tief durchschnitten; 
relativ seltene Form. 

3. Typus. Die Pars med. caloarinae oommunicirt weder mit der Fissura 
parieto-ooeipitalis, noch mit der Pars posterior calcarina«, mit anderen Worten 
es wird die Fissura calcarina schon an der Stelle des Peduncul. cunei und pol¬ 
wärts ebenfalls je durch eine Cuneolingualfalte unterbrochen; rein selten. 

4. Typus. Die Pars posterior und die Pars media sind verschmolzen zu 
einer tiefen Furche, dagegen trennt eine ansehnliche Windungsbrücke diesen 
Abschnitt von der Pars anterior caloarinae derart, dass auch hier die Fissura par.- 
occip. von der Caloarina nicht durchschnitten wird, im Ganzen selten, vielleicht 
pathologisch. 

Ueberdies sind in der Art und Weise, wie das hintere Ende der Fissura 
calcarina sich in Nebenäste spaltet, ausserordentlich zahlreiche Varietäten (Neben¬ 
typen) vorhanden (einer der gabelförmigen Aesle kann fehlen u. s. w.). Dagegen 
konnte der Vortr., insbesondere an Frontalsohnitten, eine relativ constante, 
rücklägerige, oft tief in den Occipitalconns, fast bis 2 mm Hinterhornende vor¬ 
dringende Seitenabzweigung aus der Pars posterior calcarinae beobachten, die 
er als Fissura retrocaloarina bezeichnen will. Diese oft ansehnliche (2 cm 
tiefe) Furohenta8che verleiht der Physiognomie des Occipitalconus an Frontal- 


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schnitten ein ganz eigentümliches Gepräge, sie trennt durch ihr keilförmige« 
Eindringen den Occipitallappen auf eine weite Strecke in eine laterale und 
mediale Hälfte. 

Die FiBsura retrocalcarina, welche bis jetzt noch nicht näher studiert worden 
ist, zeigt histologisch den nämlichen Rindentypus wie er der Fissura calcarina 
eigen ist und gehört somit zur anatomischen Sehsphäre. 

Die später heim Erwachsenen zu Tage tretenden verschiedenen Typen der 
Fissura calcarina sind schon an Fötalhirnen (4—5 Monate) deutlich, wenn 
auch roh, ausgeprägt; schon im 5. Monat bietet das Fötalhim in Bezug auf die 
Anlage der Caloarina eine Fülle von individuellen Verschiedenheiten. Bei der 
Geburt erworbene Defecte einzelner Sinnesorgane (angeborene Blindheit, Taubheit) 
vermögen nach den Beobachtungen des Vortr. den ursprünglichen Charakter in der 
Faltenbildung (wie er bei der Geburt ausgeprägt war) nicht nennenswerth zu 
modificiren; so kann die feinere Gestalt der Fissura calcarina bei er- 
waohsenenen Individuen mit angeborener peripherer Blindheit 
(degen. Vernichtung beider Nn. optici) genau die nämlichen individuellen 
Furchenverhältnisse darbieten, wie bei sehenden Individuen, wenn 
schon bei angeborener Blindheit der ganze Parietooccipitallappen (nicht etwa 
nur die Regio calcarina) eine allgemeine Wachsthumsstörung erfahrt. 

Nach den Erfahrungen des Vortr. kommt den Furchen des Parieto- 
oocipitallappens als Grenzlinien von corticalen Sinnesfeldern (vor 
Allem der Sehsphäre) nicht die geringste Bedeutung zu. Corticale 
Abgrenzungen dürfen hier überhaupt nur grob und nur nach der Einstrahlungs¬ 
weise der Stabkranzfaserung (im Occipitallappen nach der Radiatio optica) oder 
nach Ausdehnung eines besonderen histologischen Rindentypus (z. B. Caloarintypus) 
vorgenommen werden. Da die nämlichen Furchenvarietäten wie beim Erwachsenen 
schon in der ersten Bildungszeit der Furchen sich in den Grundzügen vorfinden, 
so ist nicht anzunehmen, dass der bei einem erwachsenen Individuum vorhandene 
besondere Furchentypus durch äussere functionelle Momente (Erziehung, Lebens¬ 
erfahrung) allmählich erworben wird. 

Herr Prof. Dr. E ding er (Frankfurt a/M.): Ueber das Vogelhirn. 

Vortr. legt die Tafeln einer grösseren Monographie über das Vogelgehirn 
vor, die er in gemeinsamer Arbeit mit Dr. Holmes und Dr. Wallenberg aus¬ 
geführt hat. Die Arbeit erstreckt sich auf über 70 Arten, welche mit der Nissl- 
Methode, der Markscheidenmethode, mit der Methode der Markentwickelung und 
mit der Marchi-Degenerationsmethode studirt worden sind. Behufs Feststellung 
von Anfang und Ende der Faserzüge wurden über 80 Tauben in der mannig¬ 
fachsten Weise operirt und dann auf Faserentartung hin studirt. 

Die Morphologie des Vogelgehirnes war bisher nicht mit Sicherheit zu geben, 
weil die Grenzen von Pallium und Stammhirn nicht feststanden. Diese wurden 
entwickelungsgeschichtlich an Hühnern und Enten studirt. Vortr. fand die Gehirne 
der verschiedenen Familien, soweit Ausbildung des Palliums in Betracht kommt, 
ausserordentlich verschieden. Zwischen einem Gans- oder Papageigehirn und dem¬ 
jenigen etwa der Taube oder des Strauss bestehen Unterschiede, die nicht geringer 
sind als die zwischen Kaninchen- und Affengehirn. Was das Vogelgehirn am 
meisten von den Säugergehirnen unterscheidet, ist die enorme Ausbildung des 
Stammhirnes. 

Ueber das Stammhirn wölbt sich, bei reifen Thieren, fast überall fest mit 
jenem zusammengefloBBen, bei Föten wohl trennbar, das Pallium. Seine ventrale 
Grenze wird lateral durch eine feine Furche, Fissura limbioa, angezeigt Diese 
Furche, welche frontal in das Basalfeld übergeht und immer an ihrem Dorsal¬ 
rande von einem weissen Faserzug — Tr actus frontoepistriaticus — begleitet ist, 


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ist die einzige echte Furche. Die nahe dem Dorsalrande liegende s&gitt&l ver¬ 
laufende Vallecula zeigt nur die Stelle an, wo im Innern dee Gehirnes Mantel 
and Stammhirn zusammengeflossen sind. Man könnte sie etwa der Inselgrube 
vergleichen. Die verschiedenen Rindengebiete des Mantels und ihre oft reichen 
Associationshahnen, namentlich die ausserordentlich wechselnde Entwickelung des 
Frontalmarkes — und dee Temporalmarkes, das eigentlich nur die Papageien 
besitzen — wird geschildert. Die aus der Rinde abwärts ziehende Faserung 
durchbricht in zahlreichen Zügen das ventraler liegende Stammhirn, sich dabei 
mit den dort entspringenden Fasern vereinend. So kommt es nur bei sehr 
reichlicher Faserung, wie sie fast nur die Papageien haben, zu einer in breiten 
das Stammganglion trennenden Zügen angeordneten Capsula interna. Eine 
Capsula externa ist immer zwischen Pallium und Stammhirn nachweisbar. 
Ventral vom Stammganglion sammeln sich alle Züge, welche aus dem Vorderhirn 
stammen oder in dieses hineinziehen, zu den Brachia cerebri. Am Stammhirn 
lassen sich Abtheilungen unterscheiden, die durch ihre Faserbeziehungen und ihre 
Lage gut charakterisirt, immer wiederzufinden sind. An die kleinen Lobi ol- 
factorii stösst mediocaudal die Area parolfactoria. Caudal von ihr liegt 
das wahrscheinlich dem Globus pallidus homologe Mesostriatum, reich gestreift 
durch die es durchquerende Hir nfaserung. Unter ihm, bereits innerhalb der ge¬ 
schlossenen Faserung, der Nuoleus entopeduncularis, welcher mit der Hirn¬ 
faserung zusammen bis an das Mittelhirn hin verfolgbar ist Area parolfactoria 
und Mesostriatum werden von dem dioken Polster des Hyperstriatum bedeckt, 
in welchem man nach Lage und Faserbeziebung Putamen und Nucleus caudatus 
der Säuger erkennen kann. Von der lateralen Seite her sohiebt sich zwischen 
Hyper- und Mesostriatum das lange dünne Ectostriatum ein, dessen reiches 
Markweiss von allen Fasersystemen des Gehirnes zuerst reift. Dem Ganzen sitzt 
lateral und caudal das Epistriatum auf, welches, wie bei Reptilien und Fischen 
einem mächtigen Theile der Commissura anterior Ursprung giebt und den Tractus 
fronto-epistriaticus, der auch schon bei den Reptilien vorhanden ist, aufhimmt. 
Ein Theil dieser Ganglien war bereits früheren Autoren bekannt, war aber, da 
die Faserbeziehungen nicht zur Homologisirung herangezogen wurden, nicht richtig 
benannt. Da es sich hier um Hirntheile handelt, welche von den Fischen an 
mehr oder weniger deutlich sich ausbilden und bei den Schildkröten z. B. zumeist 
schon vorhanden sind, so ist zu erwarten, dass man die einzelnen Theile dee 
Stammhirnes jetzt auch bei Säugern wird auffinden können. Der Vortr. wird 
die Beschreibung der unerwartet reichen Faserung erst in der Monographie geben 
können, deren Tafeln vorliegen. Er erwähnt als zunächst naohgewiesene Züge 
die folgenden: 

A. Ei gen fasern: 1. Intracortioale Fasern, besonders im Frontal- und 
Parietalgebiete. 2. Tractus fronto-occipitalis intrastriaticus. 3. Tractus fronto- 
epistriaticus. 4. Commissura pallii. 5. Commissura anterior. 

B. Im Vorderhirn selbst entspringen: 1. Tractus septo-mesencephalicus. 
2. Tractus fronto-thalamicus. 3. Tractus fronto-mesencephalicus. 4. Tractus 
occipito-meeencephalicus. 5. Tractus strio-mesencephalicus. 6. Tractus -cortico- 
habenularis. 

C. In das Vorderhirn gelangen: 1. Tractus thalamo-striaticus. 2. Tractus 
thalamo-frontalis et parietalis. 3. Zug aus der Gegend des Isthmus zum basalen 
Stirnhirn. Im Ganzen 14 Züge. Es bilden die Faserzüge aus dem Vorderbirn 
und zu demselben ganz bestimmte Marklager, die bei verschiedenen Arten sehr 
verschieden entwickelt sind. 

Das Vogelgehirn scheint aus dem Reptiliengehirn ableitbar, ist aber nicht 
in das Säugergehirn überzuführen, sondern bildet einen eigenen, zu hoher Voll¬ 
endung gelangten Hirntyp. Es ist zu erwarten, dass nun neue Untersuchungen 


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über die Leistungsfähigkeit des beschriebenen Apparate«, verglichen mit dem der 
Reptilien, Untersuchungen, welche der Vortr. begonnen hat, zu für die Psychologie 
brauchbaren Resultaten führen können. 

Herr Dr. Blum (Frankfurt a/M.): Ueber experimentelle Erzeugung tob 
Geisteskrankheiten. (Der Vortrag wird unter den Original - Mittheilungen in 
diesem Centralblatte erscheinen.) 

Herr Dr. Link (Freiburg i/B.) demonstrirt Muskelpräparate von einem Fall von 
Myasthenia gravis aus der medicinischen Klinik in Freiburg i/B., der durch 
wechselnde Ptosis, wechselnde Augenmuskelstörungen, gekreuzte Doppelbilder, sehr 
grosse Ermüdbarkeit der Musculatur mit myasthenischer Reaction bei völligem 
Fehlen von Fieber ausgezeichnet und nach beinahe 5 Vs monatlicher Krankheite- 
dauer durch Athmungsinsufßcenz tödtlich verlaufen war. Es fanden sich bei 
intactem Nervensystem in beiden Mm. recti interai, rechten Rectus internus, 
beiden Supinator longus, beiden Deltoideus und rechten Tibiali« anticus Herde 
von lymphoiden Zellen, die durchaus den von Weigert und Goldflam beschrie¬ 
benen entsprechen. Die Thymus war persistent, zeigte aber keine Zeichen maligner 
Degeneration. Die Frage nach der Natur der Zellanhäufungen lässt Vortr. offen, 
indem er sie weder für Metastasen noch für entzündlich hält. Nachdem er sodann 
über ergebnislos verlaufene Versuche, bei Kaninchen durch Verfütterung oder 
Einnähung von Thymus der Myasthenie ähnliche Symptome zu erzeugen, berichtet 
bat, giebt er der Vermuthung Ausdruck, dass die Zellherde durch Störung der 
Lymphcirculation und damit der Abfuhr der Ermüdungsstoffe das Zustandekommen 
einer abnormen Ermüdbarkeit begünstigen könnten, wenn auch noch nach wie 
vor das toxische Moment für die Erklärung hauptsächlich herangezogen werden 
müsse, und theilt einige Versuche am Lebenden mit, in denen er durch Herbei¬ 
führung einer venösen und gleichzeitig Lymphstauung eine erheblieh früher ein- 
tretende Erschöpfbarkeit der Muskeln für Willenseinfluss und für fiaradiecbe 
Reizungen gefunden hatte. (Der Vortrag erscheint demnächst in extenso in der 
Deutschen Zeitschr. f. Nervenheilkunde). 

Herr Prof. Dr. Nissl (Heidelberg): Ueber eisige Beziehungen zwischen 
der Glia und dem Gefäzzapparat. Vortr. demonstrirt an der Hand von Zeich¬ 
nungen eine Reihe neuer Gesichtspunkte über obiges Thema, die sieh aber in 
Kürze hier nicht wiedergeben lassen. 

Herr Dr. Schröder (Heidelberg): Die Katatonie im höheren L ebe n salter. 

Es giebt klassische Fälle von Katatonie, die bei geistesgesunden Individuen 
erst nach dem 45. Lebensjahre zur Entwickelung kommen. Der älteste der 
16 Patienten ans der Heidelberger Klinik erkrankte mit 69 Jahren. Die grösser» 
Hälfte der Kranken hat einen ausgesprochenen Stupor durchgemaebt, dem ein 
specifisoh gefärbtes Stadium von katatonischer Erregung (wie Stereotypieen, Ne¬ 
gativismus u. & w.) voraufgegangen war, oder aber plötzliche, meist unsinnige Er¬ 
regungen durchbrachen den Stupor, ln einer kleineren Zahl von Fällen boten 
die Kranken bis zur Dauer von mehreren Jahren ausschliesslich das Bild der 
Erregung dar. Einleitende „Depressionsstadien“ fehlen nie. Es scheint auch 
Fälle zu geben, die depressiven Charakter tragen. 

Im Allgemeinen unterscheiden sich die Altersformen nicht von den sehr viel 
häufigeren Erkrankungen an Katatonie bei jagendlichen Individnen. Auffallend 
war an dem dem Vortr. zur Verfügung stehenden Material das Verhältniss zum Ge¬ 
schlecht: 3 Männer, 13 Frauen, ferner das starke Ueberwiegen depressiver 
Stimmungen bei den Kranken und schliesslich die Seltenheit tiefer Verblödung. 

Vier weitere Kranke, über die berichtet wird, hatten 12—26 Jahre vorher 
bereits eine Erkrankung (meist in der Pubertätszeit) durchgemacht, von der sie 
soweit genesen waren, dass sie ihrem Beruf nachgehen konnten und von ihren 
Angehörigen nieht ab krank betrachtet wurden. 


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Vortr. hat sich auf die Mittkeilung typischer Fälle beschränkt, die atypischen 
sind sehr viel häufiger. 

Herr Prof. Dr. Eraepelin (Heidelberg): Die Arbeitoeurve. 

Der Vortrag wird an anderer Stelle mit den mitsprechenden Currentafeln 
in extenso erscheinen; er behandelt den Einfluss der Uebung, der Ermftdnng, 
der Anregung, Gewöhnung und Willenspannung auf die geistigen Arbeits¬ 
leistungen, wie es aus den langjährigen experimentell-physiologisohen Studien des 
Vortr. sich ergiebt. 

Um 12 1 / 4 Uhr wurde die Wanderreraammlung geschlossen, nachdem man 
Baden-Baden wiederum zum Ziele für 1903 und die Herren Prof. Dr. Hoff- 
mann und Direotor Frz. Fischer zu Geschäftsführern bestimmt hatte. 

Leop. Laquer (Frankfurt a/M.). 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung vom 19. October 1900. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 43.) 

Herr Hammerschlag demonstrirt einen Fall von Mittelohreiterung, Kxtra- 
nnd Lstraduralabeoess, Absoess im 8ohläfbnlappen. 

An eine im Jahre 1882 zuerst aufgetretene Otorrhoe schlossen sioh im 
Juni a. e. starke Schmerzen im betroffenen rechten Ohr, wenige Tage danach 
Schwindel, Erbrechen. Temperatur bei Spitalsaufnahme 39°. Bei Pat. wurde 
typische Freilegung der erkrankten Mittelohrräume vorgenommen; Temperatur- 
abfall auf 37,6, jedoch noch am selben Tage 38,0°. Die anfangs gewichenen 
Schmerzen kehrten wieder, betrafen die rechte Körperhälfte, so dass neuerlich 
operirt wurde. Extraduraler Eiterherd; Spaltung der Dura, die durch eine Fiatei¬ 
öffnung Eiter entleerte. Am Schläfelappen äusserlich nichts merkbar, jedoch 
wegen der «ircumscripten Pachymeningitis externa und der Paohyleptomeningitis 
interna Verdacht auf Schläfcnlappenabscess. Bei Inoision des Sobläfenlappens 
reichliche Eiterentleerung, Darauf Heilung, welche jedoch durch Stauungs¬ 
erscheinungen am Augenhintergrund und einige erst nach einer Zeit als hysterisch 
erkannte Symptome (Schwindel, Erbrechen, Betentio urinae, tonischer Nerven- 
krampf der gesunden Seite) complicirt wurde. Heute — 4 Monate nach der 
Operation — völlige Genesung. 

Sitzung vom 26. October 1900. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 44.) 

Herr P&l: Heu« Untersuchungen Aber die Darm Wirkung des Opiums 
und Morphins. 

Intravenöse Injection von Opium oder Morphin hat erst starke Darm- 
oontraction, dann Uebergang in Mittelstellung zur Folge, was nach Untersuchungen 
am entnervten Darm durch Erregung der Darmganglien, also peripher, zu Stande 
kommt. Ein gleiches gilt für den Mastdarm, was die Verstopfung erkläre. Die 
Art der Wirkung sei eine Fernwirkung und betreffe auch vasomotorische Ver¬ 
änderungen (Erweiterung der Darmgefässe). Die lähmende Wirkung des Opium 
auf die Darmwand sei fallen zu lassen, da alles durch die Mittelstellung erklärt 
sei. Unaufgeklärt bleibe die Herabsetzung des Vaguseinöusses und das Verhalten 
der Hemmungsuerven, deren Erregung nicht widerlegt ist. 

Sitzung vom 2. November 1900. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 46.) 

Herr Mahler demonstrirt einen Fall von Thomeen’sohe* Krankheit. (Er¬ 
schien ausführlich in der Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 62.) 

Herr Weiss bemerkt, er hätte zwei Brüder mit Thomßen'scher Krankheit 


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gekannt, deren Eltern und drei Geschwister völlig gesund waren, die hereditär 
unbelastet erschienen und von Kindheit Erscheinungen dieser Affection, anfangs 
nur der unteren Körperhälfte, boten. Bei dem Jüngeren, inzwischen Verstorbenen, 
wurde später auch die obere Körperhälfte ergriffen, bei dem Aelteren spontane 
Besserung. Psychisch normal; es bestand myotonische Reaction, die bekannte 
mechanische Excitabilität. 

Sitzung vom 9. November 1900. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 46.) 

Herr E. Hering: Ueber oentripetale Ataxie beim Mensohen und Affen. 

Einleitend giebt Vortr. eine Uebersicbt über die Störungen nach Durch¬ 
schneidung der hinteren Wurzeln bei Fröschen, Hunden und Affen. Bezüglich 
der Analogie dieser Untersuchungen mit den klinischen Beobachtungen beim 
Tabiker hebt er hervor: Verlust centripetaler Erregungen; um so bedeutender, 
je mehr centripetale Bahnen ausgeschaltet; Lagestörungen; Atonie (stärker bei 
LichtausBchlusB); Muskelschlaffheit; sogenannt trophische Störungen; Muskelatrophie 
geringeren Grades (Affe); Extremitätenbewegungen des ruhenden Thieres (*» un¬ 
beabsichtigte Bewegungen des Tabikers). Die Atonie, als Folge der Ausser- 
functionssetzung centripetaler Bahnen, nennt Vortr. unpräjudicirlich „centri¬ 
petale“ und bezeichnet auch die tabische als solche. Die Frage, ob diese 
letztere nicht als „sensorische“ zu bezeichnen, beantwortet er dahin, dass die 
Störung der Empfindung wohl eine Bolle spiele, die Atonie im wesentlichen jedooh 
durch den Ausfall centripetaler Bahnen zu Stande komme, die beim Menschen die 
unbeabsichtigte, imwillkürliche Regulirung der Bewegungen besorgen. Die Atonie 
der Tabiker sei unterschieden von der nach Läsion centripetaler Bahnen in höher¬ 
gelegenen Abschnitten des centralen Nervensystems auftretenden, die nicht so hoch¬ 
gradig sei und mehr die subtileren Bewegungen betreffe. Gegen die „sensorische“ 
Theorie sei noch anzuführen, dass keine Uebereinstimmung hinsichtlich des Fehlens 
der'Bewegungsempfindung und der Atonie bestehe. Der Wegfall der unwillkürlichen 
Muskelspannungen durch absichtliche Hemmung bedingt schon beim normalen 
Menschen Störung der Prüfung von Lageempfindung, umsomehr beim Tabiker, 
wo diese Spannungen durch Verlust der Function centripetaler Bahnen wegfallen. 

Sitzung vom 16. November 1900. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 47.) 

Herr Erben: Demonstration eines Kranken mit isolirtem Trioepsklonus. 

Der 20jähr., nervös disponirte Pat hat seit 6 Monaten heftiges Schütteln 
des rechten Armes, nur wenn dieser im Ellbogen gebeugt wird. Da der gestreckte 
Ellbogen emporgehoben, Hand- und Fingerbewegungen dabei ausgeführt werden 
können, ist dieses Schütteln nur scheinbar Intentionstremor; da der Bioeps dabei 
tonisch contrahirt ist, im Triceps klonischer Krampf sich findet, so bandelt es sich 
hier um localisirten Tricepsklonus. Dieser kann durch rasch aufeinanderfolgendes 
Armbeugen und Strecken, sowie durch passive Bewegungen gehemmt werden. 
Als Ursache des Klonus sieht Vortr. die Dehnung des Triceps bei der Armbeuge an. 

Herr Redlich kann die Diagnose „Tic“ nicht zulassen, da die Zuckungen 
dafür nicht charakteristisch, eher nach der Art des hysterischen Schütteltremors 
sind. Da er jedoch die Entwickelung des Leidens nicht und den Status nur kurz 
kennt, ist das nur eine Vermuthung. 

Herr Erben glaubt Hysterie ausschliessen zu können und hält daran fest, 
dass die verschiedenen Krampfkrankheiten wohl nebeneinander stehen, aber nicht 
als Theile der Hysterie. Otto Marburg (Wien). 

Um Einsendung von 8eparatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauer dämm 89. 

Verlag von Van & Coup, in Leipzig. — Druck von Mnsnm & Wmn in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten, 

Herauagegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Or. Kurt Mendel) 

EiBsndswanzigster " BwUn ' Jahrgang. 

Monatlieh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Bachhandlangen des In- and Aaslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct ron der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 16. JulL Nr. 14. 


I. Originalmittheilungen. 1. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muakeikrämpfe. 
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Bemerkungen über den Verlauf der cen¬ 
tralen Haubenbahn, von Dr. Josef Sorge. 2. Ueber eine neue Methode der Herstellung feinster 
histologischer Präparate, insbesondere aas dem Gebiete des Nervensystems mittels Scbüttel- 
bezw. Schnittcentrifagirung. Vorläufige Mitteilung von Dr. med. F. Reich. 8 . Ueber 
hysterische Blindheit, von Dr. H. Krön. (Schloss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Rückbildungsvorgänge am Schwänze des Säugethier¬ 
embryo mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse am Mednllarrohre, von Zletzschmann. 
2. Ueber eine neue Methode der Markscheidenfärbung, von v. SchrOtter. 3. Eine Carmin- 
färbung der Axencylinder, welche bei jeder Behandlungsmethode gelingt (Urancarminfarbung 
nach Schmaus modificirt), von Chllesotti. — Experimentelle Physiologie. 4. Studio 
snlla patologia del ganglio ciliare nell’ uomo, per Marina. 5. Note on the prefrontal lobes 
and tne localisation of mental functions, by Mac Donald. 6 . Sopra la percezione delle im- 
pressioni tattili. Osservazioni fatte dal Grandis. 7. Experimental researches on the central 
localization of the sympathetic, with a critical review of its anatomy and physiology, by 
Onuf and Coilins. 8. Die Sensibilitätsverhältnisse des Sympathicus and V&gas mit besonderer 
Berücksicbtigang ihrer Schmerzempfindliohkeit im Bereiche der Bauchhöhle, von Buch. — 
Pathologische Anatomie. 9. Ueber nieder differenzirte Missbildungen des Centralnerven- 
svstems, von Voragufh. — Psychologie. 10. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Gra¬ 
phologie, von Meyer. 11. Lea animaux sont-ils consoients? par Claparäde. 12. Versuoh einer 
psychophysischen Darstellung des Bewusstseins, von Storch. 18. Experimentelle Stadien 
über Associationen. 111. Theil: Ueber Ideeenfiuoht, von Aschaffenburg. 14. Der Zusammen¬ 
hang von Leib und Seele, das Grundproblem der Psychologie, von Schuppe. 15. Ueber die 
Beeinflussung geistiger Leistungen durch Hungern, von Weygandt. 16. Zum Studium der 
Merkfähigkeit, von Dlehl. — Pathologie des Nervensystems. 17. La surditö verbale 
pure. Un cas de surditd verbale pure due ä un absc&s du lobe temporal gauche, trepanation, 

f uärison, par van Gebuchten et Gorls. 18. Aphasie, par Touche. 19. Un point d’hiatoire de 
aphasie, la däcouverte de Broca et Involution de ses idöes sur la localisation de l'aphasie, 
par Ladame. 20. Ueber Aphasie und andere Sprachstörungen, von Bastian. 21. Beiträge 
zur Behandlung der motorischen Aphasie nach cerebralen Störungen, von Vldal. 22. Die 
Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kinder, von Liebmann. 28. Die Sprache schwer¬ 
höriger Kinder, von Liebmann. 24. Ueber die Sprache der Schwerhörigen und Ertaubten, 
von Gutzmann. 25. Synoope et asphyxie locale, par Garrigues. 26. Primaire Erythromelalgie, 
door Kopplus. 27. Paralysis of the oervical sympathetic, by 8tewart. 28. Zur Casuistik der 
vasomotorischen Störungen, von Mager. 29. Schwindel, von Panse. 80. Meni&re’scher Sym- 
ptomencomplex, geheilt mittelst des galvanischen Stromes, von Donath. 81. Die Seekrankheit 
Vorschläge zu ihrer gemeinsamen Bekämpfung durch Techniker und Aerzte, von Schwerdt. 
82. Ueber Seekrankheit von Puhlmann. — Forensische Psychiatrie. 33. Die Unter¬ 
bringung geisteskranker Verbrecher, von Nicke. 84. Welche Gesichtspunkte sind maassgebend 
für die Frage, ob eine Entmündigung auszusprecben ist wegen Geisteskrankheit oder wegen 
Geistesschwäche? — Psychiatrie. 85. Unateoria delF allucinazione, del Tanzl. 36. Gynä¬ 
kologie in Irrenhäusern, von 8chultze. 

III. Bibliographie. Hirnerschütterung, Hirndruck und chirurgische Eingriffe bei Hirn¬ 
krankheiten, von Theodor Kocher. 

IV. Au« den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein zu Berlin. 

V. Mittheilung an den Herausgeber. 

- 4! 


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I. Originalmittheilungen. 


[Aas der III. med. Klinik (Hofrath ▼. Schböttbb) in Wien.] 

1. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. 
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬ 
merkungen über den Verlauf der centralen Hauben bahn. 

Von Dr. Josef Borgo, 

Assistenten der Klinik. 

Obzwar wir bis heute noch kein für eine Läsion der Vierhügelgegend patho- 
gnomonisches Symptom kennen, bietet die Symptomatologie der Tumoren dieser 
Gegend doch mitunter ein so charakteristisches Ensemble, dass die Diagnose 
sich ohne besondere Schwierigkeiten stellen lässt und oft genug richtig gestellt 
wurde. In anderen Fällen kann die Unterscheidung von einem Tumor der 
Thalamusgegend oder der des Pons oder einem Kleinhirntumor, der auf die 
Vierhügelgegend übergreift, unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten. 

Nothnagel 1 hat als erster ein für Tumoren dieser Gegend charakteristisches 
Krankheitsbild zu geben versucht Erst ein-, dann beiderseitige Oculomotorius¬ 
lähmung mit asymmetrischer Entwickelung auf beiden Seiten und Ataxie, die 
meist schon vor der Ophthalmoplegie auftritt, sollen die wesentlichen und eine 
Diagnose ermöglichenden Züge darstellen. 

Beuns hat später darauf aufmerksam gemacht, dass derselbe Symptomen- 
oomplex auch bei Kleinhimtumoren, die auf die Vierhügel übergreifen, angetroffen 
werden könne, und dass das Auftreten der Ophthalmoplegie vor der Ataxie für 
die Vierhügelregion spreche. Die Ataxie hat oft den Charakter der cerebellaren. 
Wenn dazu einseitige Taubheit komme und Hemianopsie, so könne man, wenn 
sonst Anhaltspunkte für einen Tumor da seien, den Sitz desselben mit Wahr¬ 
scheinlichkeit in den Vierhügeln vermuthen. 

Ausser der Ophthalmoplegia bilateralis fand sich in dem im folgenden mit- 
zutheilenden Falle keines der übrigen Symptome deutlich entwickelt; die Taub¬ 
heit fehlte, die Hemianopsie war nur angedeutet und Theilerscheinung einer 
allseitigen Einschränkung des Gesichtsfeldes, und die Ataxie, die eher an In¬ 
tentionstremor erinnerte, hatte nichts von dem Charakter einer cerebellaren 
Ataxie. 

Andererseits trat ein Symptom auf, welches in dieser Form nicht nur in 
der Klinik der Vierhügeltumoren, sondern auch in der Symptomatologie der 
Gehirntumoren überhaupt vereinzelt dasteht und mit unserem heutigen Wissen 
über die Pathogenese cerebraler Krampfformen nicht leicht in Einklang zu 
bringen ist 

1 Nach einer Demonstration in der Gesellschaft ftir innere Medicin in Wien am 
12./XII. 1901 und 24./IIL 1902. 


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643 


Es sei mir gestattet, den auch an sonstigen klinischen and histologischen 
Besonderheiten reichen Fall im Folgenden zunächst mitzutheilen. 

Sp. Mo b e8, 38 Jahre alt, Tagelöhner, anfgenommen am 25./V. 1901. 

Anamnese: Die Eltern des Patienten starben in hohem Alter, vier Ge¬ 
schwister leben and sind gesund, ein Bruder starb lungenkrank. 

Bis zur gegenwärtigen Erkrankung soll Pat. immer gesund gewesen sein. 

Vor 6 Wochen bemerkte er, ohne vorher gegangene Allgemeinerscheinungen, 
dass er schlechter sehe. 3 Wochen später trat Ablenkung des rechten Anges 
nach der Seite und Doppeltsehen auf und bald darauf Herabsinken des rechten 
Augenlides. Zu dieser Zeit stellten sich dieselben Erscheinungen auch am linken 
Auge ein. Auch eine geringe Muskelschwäche des linken Armee und Beines 
machte sich bemerkbar. Kein Kopfschmerz, kein Erbrechen, kein Schwindel. 

Pat. ist kein Potator, kein Raucher; Lues wird negirt Kein Trauma. Er 
hustet nicht und hat keine Nachtschweisse. Appetit und Stuhl sind in Ordnung. 
Keine Abmagerung. 

Status praesens: Mittelgrosser Pat. von gracilem Knochenbau, mässiger 
Musculatur, normalem Pannic. adiposus, ohne pathologischen Befund der Thorax- 
und Abdominalorgane. 

Puls 60—70, Respiration 18—20, Temperatur normal. 

Im Harn weder Zucker noch Albumen. 

Status nervosus: Freies Sensorium, gut entwickelter Intellect, keine Ge- 
dächtnissstdrung, keine Sprachanomalie, durch sein Leiden verursachte erregte 
Gemüthsstimmung. 

Kein Kopfschmerz, kein Schwindel, kein Erbrechen. 

Schädel symmetrisch, keine Schmerzhaftigkeit desselben beim Beklopfen. 
Keine Nackensteifigkeit. 

Hirnnerven: I. ohne Störung. 

II. Die rechte Papille etwas blasser, die Gefässe verengt, beide Papillen 
scharf begrenzt. 

HI., IV., VI. Complette rechtsseitige Oculomotorius- und Trooh- 
learislähmung. Ptosis; der Bulbus in Abduotionsstellung, Hebung und Senkung 
unmöglich, beim Versuche das Auge zu heben tritt auch keine Raddrehung ein; 
es kann nicht bis zur Mittellinie gebracht werden. Pupille weit und vollkommen 
reactionslos. Dieselben Veränderungen links, nur ist hier die Ptosis nooh 
nicht complett, der Bulbus kann etwas gehoben werden, die Papille ist nioht so 
weit als rechts und zeigt noch eine Spur von Reaction bei Lichteinfall. 

VII. Starke Querrunzelung der Stirn in Folge der Ptosis. 

V. u. VIII.—XII. normal. 

Leichte Herabsetzung der groben motorisohen Kraft im linken 
Arm und Bein mit Andeutung einer geringen Ataxie beim Finger-, Nasen- 
und Knie-Haokenversuch. Keine Sensibilitässtörungen. Keine Störung des 
MuskelgefUhls. Keine Atrophie. 

Patellarreflexe beiderseits, besonders links, deutlich gesteigert, leb¬ 
hafte Hautreflexe. 

Gang ohne Anomalie, kein Romberg. 

Therapie. Einreibungen von Ung. cinereum. 

16./VL Auch links besteht jetzt totale Ooulomotorius- und Troch- 
learislähmung. Beide Augen in Abductionsstellung. Beim Versuche einer 
Innervation im Sinne einer Bewegung nach oben, unten oder einwärts deutlicher 
horizontaler Nystagmus. 

l./VII. Quecksilberkur bisher ohne jeden Erfolg. Status idem: Kakodyl- 
injectionen, täglich eine Pkavaz 'sehe Spritze einer 5% Lösung. 

41* 


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644 


19./VII. Ziehen nnd Schwächegefühl im linken Bein. Objeetdv keine 
Aenderung. 

30./VII. Es treten klonische Zuckungen des linken Daumens auf^ 
nach Art eines sehr grohwelligen Zitterns. Der Daumen wird rhythmisch gebeugt 
und opponirt. Zugleich Schmerzen in der linken Schulter. 

2./VIII. Der Krampf im Daumen hält continuirlich an, so lange Pat. wach 
ist und sistirt im Schlafen; es beginnt auch der linke Zeigefinger in einen 
zeitweilig auftretenden klonischen Streck- und Beugekrampf zu verfallen. 

30./VIII. Auch der Krampf im linken Zeigefinger ist während des Wachens 
continuirlich, sowie jener des Daumens. 

Die Zuckungen im Daumen und Zeigefinger halten unverändert an, nur im 
Schlafe sistirend. Es gesellten sich hinzu klonische Dauerkrämpfe des 
linken Supinator longus, des linken Extensor und Flexor carpi ul¬ 
nar is. Die genannten Muskeln fühlen sich auch härter an. 

Der Vorderarm wird demgemäss rhythmisch supinirt und die Hand ulnarwärta 
flectirt. 

Der linke Vorderarm ist stets bedeutend wärmer als der rechte und 
auch der linke Daumen und Zeigefinger fühlen sich häufig wärmer an 
als die übrigen drei linken Finger. 

Die Zitterbewegungen nehmen bei Erregung des Pat. und Untersuchung des¬ 
selben zu, ebenso steigert sich der Tremor bei Bewegungen. Es besteht also 
Intentionstremor. 

Die beiderseitige Oculomotoriuslähmung dauert unverändert an, aller¬ 
dings ist die Ptosis am linken Auge nicht so vollständig wie am rechten 
und auch die linke Pupille ist nioht so weit als rechts. Pupillenstarre 
beiderseits. Die Aufnahme des Gesichtsfeldes ergiebt eine concentrische 
Einschränkung desselben beiderseits mit besonderer Betheiligung der 
beiden rechten Netzhauthälften. Beiderseits scharfe Begrenzung der Papillen, 
deutliche Abblassung der rechten. 

Ohrenbefund: In beiden Gehörgängen Ceruminalpfröpfe; nach ihrer Ent¬ 
fernung rechts das ganze Trommelfell bindegewebig verdickt, undurch- 
hellig, leicht injicirt. Links trockene Perforation hinten oben. Beides Resi¬ 
duen nach chronischer Mittelohreiterung, die vor langer Zeit abgeheilt ist. 

Rinne beiderseits negativ, Weber unbestimmt; leicht verlängerte Kopf¬ 
knochen- und verkürzte Luftleitung. Uhr von Knochen und Luft. 

Keine neuen Hiranervenstörungen. 

Hemiparesis sin. unverändert. Auch sonst Status idem. Sphinkteren normal. 

Kein Kopfsohmerz, kein Erbrechen, ab und zu leichte Andeutung von Schwindel 
mit angeblicher Neigung nach links zu fallen. 

Seit 16./1X. erhält Pat. Natr. jodati 2,0 pro die. 

27./IX. Die beschriebenen Zuckungen dauern ohne Unterbrechung fort und 
es treten hinzu: Krämpfe der langen Fingerbeuger und des Daumen¬ 
beugers der linken Hand. Das linke Bein fühlt Pat. jetzt schwächer 
werden. Beim Gehen wird dasselbe von rückwärts in einem kleinen Bogen 
nach vom geschleppt, kein atactiscber Gang. Deutlicher Intentionstremor, inso¬ 
fern die Spasmen bei intendirten Bewegungen stärker werden. Sensibilität, 
Muskelgefühl, Sphinkteren normal. 

Injectionen mit Sublimat ä 0,01. 

26./X. Unveränderte Fortdauer der Zuckungen des Daumens, der 
Fingerbeuger, des Supinator longus und Flexor et Extensor carpi ulnaris. Einige 
Secunden, ehe Pat. aufwacht, Betzen die Zuckungen ein und dauern in rhyth¬ 
mischer und gleichförmiger Weise an, so lange er wach ist. 

Der linke Facialis deutlich paretisch. 


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645 


Das Stirnrunzeln erfolgt links erst auf stärkere und länger dauernde Inner* 
vation. 

Der linke Mundwinkel steht tiefer, die linke Wangenmuaculatur wird weniger 
gut innervirt und der Augenschluss ist links schwächer als rechts. 

28./XI. Nach 9 Injectionen mit Sublimat und 9 Injectionen mit Hydrarg. 
succinimidatum keine Besserung. Pat. hustet und expectorirt etwas schleimig 
eitriges Sputum. 

Klonischer Krampf im Tibialis ant. sin. von demselben Charakter wie 
die noch immer andauernden Krämpfe der oberen Extremitätenmuskeln. 

Ueber der rechten Spitze hinten scheint der Schall etwas leerer, das Respi¬ 
rationsgeräusch etwas rauher zu sein. 

Keine Tuberkelbacillen im Sputum. 

5./XII. Status nervosus: 

Gehirnnerven: I. normal. 

II. Abblassung beider Papillen, besonders der rechten; concentrische 
Gesichtsfeldeinschränkung mit stärkerer Betheiligung der rechtsseitigen 
Netzhauthälften; wie früher. 

III. , IY. u. VI. Complette links- und rechtsseitige Oculomotorius- 
und Trochlearislähmung. Mydriasis (r. >) und Pupillenstarre. Das linke 
Auge bleibt auch bei Abwärtsbewegungen etwas zurück und ist nicht so stark 
nach aussen abgelenkt als das rechte (linke Abducensparese). 

Es sind horizontal verlaufende klonische Zuckungen an den un¬ 
teren und in geringerem Grade auch an den oberen Augenlidern zu be¬ 
obachten, wobei sie gegen den medialen Winkel gezogen werden, und zwar 

1. bei passivem Oeflhen der Lidspalten mit den Fingern; je länger sie geöffnet 
bleiben, um so geringer werden die Zuckungen, 

2. bei Aufforderung nach abwärts zu sehen, und zwar ausgiebiger bei passiv 
geöffneten als bei geschlossenen Lidern. 

V. Der linkö~ Masseter etwas paretisch. Sensibilität im Trigeminus¬ 
gebiet normal. 

VII. Parese des linken Mund-, Augen- und Stirnfacialis. Supra¬ 
orbitalreflex L > r. 

VÜL Ohrbefund wie früher: alte ausgeheilte chronische Mittelohrentzündung. 

IX.—XI. Gaumenreflexe erhalten, gute Innervation des Gaumensegels. Keine 
Stimmbandlähmung, keine Geschmacksinnsstörung, Kopfbewegungen frei. 

XII. Zungenbewegungen frei, keine Atrophie. Keine Nackensteifigkeit, keine 
Empfindlichkeit des Schädels beim Beklopfen, kein Kopfschmerz, kein 
Schwindel, kein Erbrechen. 

Extremitäten: Beträchtliche Parese der linken oberen, geringe 
der linken unt eren Extremität ohne Bevorzugung bestimmter Muskelgebiete. 

Patellar- und Achillessehnenreflex rechts deutlich, links stark ge¬ 
steigert mit Andeutung von Fussklonus. 

Periost- und Sehnenreflexe an der reohten oberen Extremität schwer auslösbar, 
links nicht zu prüfen wegen des Krampfes. 

Fusssohlen-, Cremaster- und Bauchdeokenreflex beiderseits lebhaft. 

Sensibilität für alle Empfindungsqualitäten überall intact, ebenso der 
Muskelsinn. 

Keine Parästhesieen. 

Gang paretisoh. breitspurig mit Nachschleppen des linken Beines, nicht 
atactisch. 

Die linke obere Extremität zeigt einen deutlichen Schüttelkrampf, 
welcher continuirlich während des ganzen wachen Zustandes des Pat. besteht, 
während des Schlafes sistirt, beim Uebergang in den wachen Zustand noch vor 


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646 


dem völligen Aufwachen dee Patienten neuerdings einsetzt. Dieser Schüttelkrampf 
besteht aber gegenwärtig nicht mehr wie früher in rhythmisch and gleichförmig 
ablaufenden Zuckungen, sondern sie lösen sich ab, bezw. verbinden sich miteinander 
in mannigfaltiger Weise, Ab- und Adductionsbewegungen und Beugekrftmpfe im 
Ellbogen, Rotationsbewegungen des Vorderarms im Sinne von Pro- und Supination, 
Beuge- und Streckkrämpfe der Finger, welch letztere jetzt oft etwas langsamere, 
athetoseartige Bewegungen ausführen. Diese Krämpfe zeigen deutliche Steigerung 
bei psychischer Beeinflussung des Pat. sowie bei intendirten Bewegungen. Nicht 
constant, aber häufig einsetzend ist ein Krampf am linken M. tibialis an- 
ticus, dessen Sehne und Muskelbauch dabei deutlich vorspringt und etwa 
150 Zuckungen in der Minute ausführt. Der Fass wird dabei dorsal flectirt und 
supinirt, ohne Betheiliguug der Zehen. Dagegen maoht zu gleicher Zeit das in 
minimaler Beugung des Kniegelenkes gehaltene Bein deutliche, mit dem Tibialis- 
krampf synchrone Beuge- und Streckbewegungen im Kniegelenke, wobei 
die Mm. semitendinosus und semimembranosus merklich vorspringen. 

Vasomotorische und trophisohe Störungen: Von Seiten des Trige¬ 
minus und Sympathicus keine derartigen Störungen. Die Haut aller vier Extre¬ 
mitäten von gleioher Färbung, doch fühlen sich die linken Extremitäten 
deutlich wärmer an. 

Sphinkteren normal. 

Pat. ist etwas apathisch, aber ohne Intelligenzdefect. 

25./XH. Früh um 8 Uhr hörte plötzlich das Zittern im linken 
Arm und Bein auf. Pat. liegt vollkommen ruhig da. Im übrigen Bilde keine 
Veränderung. 

9./I. Nach 5tägiger Ruhepause stellte sich der Krampf wieder ein, aber 
jetzt anfallsweiße auftretend. Manchmal fangen alle oben erwähnten Muskeln 
scheinbar zu gleioher Zeit zu zittern an, andere Male aber beginnt das 
Zittern in den Fingern und breitet sich in derselben Reihenfolge auf 
die übrigen Muskeln aus, in der'sie früher vom Zittern befallen 
worden waren. Jetzt betheiligt sich an den Schüttelbewegungen 
auoh der Oberarm mit der Schulter; er wird gehoben und adducirt und es 
lässt sich durch Palpation leioht feststellen, dass die Mm. pectoralis major, 
snpraspinatus und die Clavicularportion des Deltoideus sich rhythmisch 
oontrahiren. 

28./I. Es besteht zeitweilig Incontinentia urinae et alvi. 

1. /II. In dar Nacht heftiger Anfall von Schütteltremor der linken 
oberen und unteren Extremität. Letztere im Knie- und Hüftgelenke gebeugt. 
Lippen trocken, kein Schaum vor dem Munde. Pat. schrie in einem fort laut. 
Keine Klage über Kopfschmerzen, richtige Antworten auf jede Frage. Auf die 
Frage, weshalb er geschrieen habe, sagt er nur, er wisse es nicht. 

Morgentemperatnr 38,7. 

Sensibilität überall, auch an den Conjunctiven, normal. Linker Abdu- 
oens und linker motorisoher Trigeminus zeigen keine Störung mehr 
gegenüber rechts (auch der linke Facialis nicht mehr paretisch). 

2. /n. Pat. war gegen 12 Uhr Nachts unruhig, seitdem schläft er ununter¬ 
brochen. Incontinentia urinae et alvi. Temp. 38,3, Puls 72, Respiration 18. 

3. /n. Temp. 38,5, Puls 72, Respiration 18. Er schläft grösstentheils, beim 
Erwachen wieder Schütteltremor. Incontinenz. 

4. /n. Pat. fiebert fort. 3—4 flüssige Stühle. Sonst Status idem. 

5. /U. Die Messung der Temperatur in beiden Achselhöhlen nach¬ 
einander mit demselben Thermometer oder zu gleicher Zeit mit vorher auf ihre 
Angaben ausgeprüften Thermometern ergiebt eine von nun an constante 
Temperaturdifferenz zu Gunsten der linken Seite zwischen 0,1 und 


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2,1° schwankend. Einige Male zeigte die reohte Körperhälfte höhere 
Temperatur, doch scheint hier eine Verwechslung zwischen links und rechts 
von Seiten des Wartepersonals vorzuliegen. Näheres zeigt die beigefügte 
Temperaturtabelle (s. später). 

10./II. Status idem. Kein Kopfschmerz. Schlafsucht. Vormittags starker, 
eine Stunde währender Anfall, welcher in der linken oberen Extre¬ 
mität beginnend auf die linke untere, weiterhin auf die rechte 
untere und die rechte obere Extremität überging. Faoialis und 
Hypoglossus frei. Die rechte untere Extremität fühlte sich sehr kalt an und 
war stark marmorirt. 

12. /Ü. Obstipatio, Sopor; Druckempfindliohkeit deB linken Trigeminusastes. 
Kopf nach links gedreht, starker Widerstand bei Bewegungen desselben. Schluck - 
beeohwerden. Incontinenz. 

13. /IL Coma. Kopf und Wirbelsäule werden steif gehalten. Oberflächliche 
und beschleunigte, bald mehr abdominale, bald mehr thoracale Athmung. Puls 
leicht unterdrückbar, regelmässig, Frequenz nicht erhöht. 

Die Percussion ergiebt links hinten eine drei Querfinger unter dem Angulus 
soapulae beginnende Dämpfung. Verschieblichkeit der Grenzen bei der ober¬ 
flächlichen Athmung nicht nachweisbar. Links vorn Hoohstand des Zwerchfells. 
Singultus den ganzen Tag über andauernd. Trachealrasseln. 

Lumbalpunction ergiebt eine klare, leicht, aber ohne besonderen Druck 
abfliessende Flüssigkeit. 

24./D. Nach 24 Stunden zeigte sich im entleerten Liquor spinalis ein spinne¬ 
webenartiges Gerinnsel. Tuberkelbacillen nicht nachweisbar. Kein 
Singultus. Naokensteifigkeit, beginnender Decubitus am Kreuzbein. 

15./II. Puls frequent, weich. Zitterbewegungen der linken oberen Extremität 
nur mehr selten und von kurzer Dauer; anhaltendes Coma. 

17./II. Pat. erliegt um 5 Uhr Nachmittags einem heftigen Anfalle. 

Klinische Diagnose: Tuberculum solitäre ad pedunculum cerebri 
sin.; Meningitis tuberonlosa. 

Anatomische Diagnose (Hofrath Weichselbaum): Solitärtuberkel 
im rechten Vierhügelpaar, mit Compression des rechten Hirn- 
Schenkels und chronischem Hydrocephalus internus. 

TuberculÖse Leptomeningitis basilaris. 

Einzelne fibröse Tuberkel in der rechten Lungenspitze und Anwachsung der 
rechten Lunge. Kleiner Herd in einer Bronchialdrüse, zahlreiche Lymphome 
der Milz. 

(Fortsetzung folgt.) 


[Aus dem Laborator. der Anstalt Hersberge su Lichtenberg (Dir.: Geh. Rath Prof. Dr. Mokli).] 

2. Ueber eine neue Methode 
der Herstellung feinster histologischer Präparate, insbeson¬ 
dere aus dem Gebiete des Nervensystems mittels Schüttel- 
bezw. Schnittcentrifugirung. 

Vorläufige Mittheilung von Dr. med. F. Beioh. 

Die flbliche Behandlung histologischer Präparate besteht entweder im Zer¬ 
zupfen kleiner Stöcke des zu untersuchenden Objectes auf dem Objectträger, 


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648 


oder in der Herstellung von Schnitten mit Hülfe des Mikrotoms und der weiteren 
Färbung der einzelnen Schnitte. Der Vortheil der Zupfmethode besteht dann, 
dass die einzelnen Bestandtheile in ihrer körperlichen Form gewonnen werden, 
sie hat aber trotzdem nur eine sehr beschränkte Anwendbarkeit, weil die weitere 
mikrochemische bezw. farbentechnische Untersuchung nach den bisherigen Methoden 
nur schwierig und in geringem Umfange möglich ist Bei der bisher üblichen 
Untersuchung auf Schnitten machen sich dagegen folgende Uebelstände bemerkbar: 

1. Es ist überaus schwierig feine zusammenhängende Schnitte von 5—10 p 
zu gewinnen ohne das Object vorher einzubetten. Feinste uneingebettete Schnitte 
der meisten Gewebe zerfallen zu leicht, um weiteren Färbungen in der ge¬ 
wöhnlichen Art zugänglich zu sein. 

2. Die Einbettung der Objecte hat ebenfalls zahlreiche Uebelstände. Die 
Paraffineinbettung schädigt zweifellos die Gewebe, indem sie längere Einwirkung 
von Xylol oder ähnlichen Mitteln bei höheren Temperaturen erforderlich macht 
Sie stellt ganz besonders hohe Anforderungen an die technische Fertigkeit 
Die Celloidineinbettung lässt feinste Schnitte nicht oder doch nur überaus 
schwer gewinnen. Ausserdem stört die Einbettung das Färbungsresultat oft 
sehr erheblich, wegen der Mitfärbung des Einbettungsmittels. Endlich sind 
sämmtliche Einbettungmethoden sehr zeitraubend. 

Die von mir angewendete Methode ist im Stande diesen Schwierigkeiten in 
vieler Hiusicht abzuhelfen. Das Verfahren ist zweierlei Art je nachdem man 
in Analogie zu den Zupfpräparaten oder zu den Schnittpräparaten vorgeht. Ich 
möchte die erstere Art als Schüttelcentrifugirung, die letztere Art als Schnitt- 
oentrifugirung bezeichnen. Bei der ersteren Art werden beliebig — am besten 
natürlich mit Macerationsmitteln vorbehandelte, vorher grob zerkleinerte Objecte 
durch gründliches Schütteln in einem Probirröhrchen zum Zerfall gebracht 
Etwa noch übrig bleibende gröbere Stücke werden durch Absieben entfernt 
Dieselben bestehen nach gründlichem Schütteln, wenigstens wo es sich um 
Präparate aus dem Nervensystem handelt, aus fast völlig isolirten Gefassen und 
Gefassverzweigungen. Die durch das Sieb hindurchgegangenen Nervenfasern 
und deren Bruchstücke, Ganglien-, Neurogliazellen, Blutkörperchen etc. ent¬ 
haltende milchige Flüssigkeit wird dann dem weiteren Verfahren in der Centri- 
fuge unterworfen. 1 

Bei dem Schnittverfahren wird das in Frage kommende Object nach vorher¬ 
gegangener beliebiger Härtung in eine grosse Zahl feinster Schnitte zerlegt 
Die einzelnen Schnitte sammeln sich in Form eines Häufchens auf der Messer¬ 
schneide an, werden mit Hülfe einer Nadel oder eines sonst geeigneten Instru¬ 
mentes in einem mit Wasser oder einem anderen gewählten Medium gefüllten 
Centrifügirglas suspendirt Je nach der Art des zu untersuchenden Materiales 
sind die Schnitte natürlich mehr oder weniger weitgehend zerfallen. 


1 Ausser durch Ausschütteln kann eine Isolirung der Gewebsbestandteile natürlich auch 
in anderer Art etwa durch Auspinseln, Zerreiben, Abecbaben u. s. w. je nach der Besonder¬ 
heit des einzelnen Falles erfolgen. 


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Die weitere Behandlung der so hergestellten Schüttei- oder Schnittpräparate 
erfolgt dann mit Hülfe der Centrifuge. Man centrifugirt die suspendirten Theile 
heraus, giesst die Flüssigkeit von dem Bodensatz ab und ersetzt sie durch 
irgend ein flüssiges Reagens oder einen Farbstoff. Die Wahl des Farbstoffes 
ist natürlich ganz dem Belieben anheimgestellt. Man ist in der Lage den 
Farbstoff heiss oder kalt zu wählen, kann auf Wunsch den Bodensatz im 
Brutofen behandeln, der Verdauung oder ähnlichen Proceduren aussetzen u. s. w. 
Sowie jede beliebige Färbung ist auch jede beliebige Differenzirung möglich. 
Der Grad der differenzirenden Einwirkung lässt sich genau so wie sonst am 
einzelnen Schnitt an der Farbveränderung des Bodensatzes beobachten. Die Farb- 
und Differenzirung8flüssigkeiten werden zur Vermeidung von Verunreinigungen 
vorher auscentrifugirt Nachdem die Präparate gefärbt und differenzirt sind, 
werden die Färbungs- bezw. Differenzirungsmedien, falls erforderlich, durch wieder¬ 
holte Behandlung mit Wasser ausgewaschen, und es wird nunmehr zur Ein¬ 
bettung in Balsam vorgegangen. Das geschieht so, dass man das Wasser, in 
dem die Teilchen zuletzt suspendirt sind, durch Alkohol, dann Alkohol durch 
Xylol, das Xylol durch ein wenig Balsam ersetzt. Man hat nunmehr nur noch 
nöthig, durch Schütteln die einzelnen feinsten Objecte im Balsam zu verteilen 
und dann eine beliebige Anzahl von Objectträgern damit zu beschicken. Da 
das Centrifugiren nur eine sehr kurze Zeit dauert, ist man so im Stande eine 
sehr grosse Anzahl von Präparaten, im wahren Sinne des Wortes, im Hand¬ 
umdrehen herzustellen. Die Methode kann auch in der Weise modificirt werden, 
dass der Bodensatz aus Wasser, Alkohol oder Xylol vor oder nach der Färbung 
auf den Objeotträger gebracht, an denselben angetrocknet und nunmehr in 
diesem Zustande weiter bearbeitet wird. Ausser der Einbettung in Balsam ist 
auch jede andere beliebige Einbettung möglich. 

Ich habe die Methode bisher hauptsächlich für die Bearbeitung des Nerven¬ 
systems angewendet, und es ist mir beispielsweise damit gelungen, feinste Quer¬ 
schnitte des Nerven von 5 n Dicke und darunter uneingebettet und beliebig 
.gefärbt herzustellen, und behalte ich mir vor die so gewonnenen Resultate später 
ausführlicher darzustellen. 

Ich bemerke noch, dass die Methode sich natürlich nur zu feinen histolo¬ 
gischen Zwecken, für die sie erdacht ist, eignet, für topographische Unter¬ 
suchungen, die Uebersiohtsbilder erforderlich machen, ist sie selbstverständlich 
nicht zu verwerten. 


3. Ueber hysterische Blindheit. 

Von Dr. H. Krön. 

(Schloss.) 

Ich möchte unsere Fälle zunächst eintheilen in solche, die nur einmal, 
und in solche, die wiederholt aufgetreten sind. Die enteren mögen zur 
besseren Uebersicht in drei Rubriken untergebraoht werden: 


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650 


1. transitorische Form (bis za einigen Tagen Däner), 

2. kurzdauernde Form (2—6 Wochen), 

3. langdauernde Form (4 Monate bis zu 10 Jahren). 

Die wiederholten Anfälle lassen sich noch scheiden in (regelmässig 
und unregelmässig) intermittirende und reoidivirende. Bei letzteren ist 
das Intervall ein viel längeres, so dass die einzelnen Anfälle keine Gruppe bilden. 

Fügen wir unsere Fälle in dieses Schema ein, so erhalten wir folgende 
Zusammenstellung: 

I. Der einmalige Anfall, a) der transitorische: 11 Fälle. 

1. Hocken („kurze Zeit“), 7. Marlow („kurze Zeit“), 

2. Tybbell (48 Stunden), 8. FouGEBAY-FoucHABD(36Stun- 

3. Howship (einen Tag), den bis 2 Tage), 

4. Monnebbt (wenige Tage) 9. Adamüok (53 Stunden), 

5. Galezowski - Dagonbt (einige 10. Derselbe (eine Nacht), 

Tage), 11. Wilbbandt - SIngeb (einige 

6. FBbE (12 Stunden), Tage). 

b) Der kurzdauernde Anfall: 11 Fälle. 

1. T Klinge (3 Wochen), 6. Dujabdin-Beaümetz u.Abadie 

2. Mauthnbb (3 Wodien), (6 Wochen), 

3. Seoondi (2 Wochen), 7. Schweiggeb (3 Wochen), 

4. Hablan, 1873, Fall HI (vier 8. Baas (3 Wochen), 

Wochen), 9. Moobe, Fall I (3 Wochen), 

5. Landesbebg (2 Wochen), 10. Derselbe, Fall III (18 Tage), 

11. Wecker (5 Wochen). 

c) Der langdauernde Anfall: 10 Fälle. 

1. Landouzy, Fall I (4 Monate), 7. Hablan, 1890, Fall I (18 Mo- 

2. Derselbe, Fall n (16 1 /, Monat), nate), 

3. Mendel (8 Monate), 8. Derselbe, Fall II (10 Jahre). 

4. H abtwicke (4 Monate), 9. Wolffbebg (5 Jahre), 

5. Magnus (4 Monate), 10. Unser Fall I (über 8 Jahre). 

6. Moobe, Fall II (18 Monate u. 
eine Woche), 

IL Der wiederholte Anfall, a) Die intermittirende Form: 
a) regelmässig: 2 Fälle. 1. Testelin, 2. Königstein. 
ß unregelmässig: 2 Fälle. 1. Lewy, 2. Emmebt. 
b) Die reoidivirende Form: 9 Fälle. 

1. Watson, 2. Müller, 3. de Witt, 4. Hebter, 5. Manz, 

6. Mas, 7. Hablan 1884, 8. Crameb, 9. unser zweiter Fall. 
Nichts erwähnt ist hinsichtlich Form und Dauer in 4 Fällen: 

1. Hablan 1873, Fall I, 2. Abebnethy, 3. T.^m^ 4. Mobli. 

Wir haben nun noch einen Blick auf den Verlauf der wiederholten Anfälle 
zu werfen. Im Falle Testelin stellte sich täglich gegen 11 und 4 Uhr 


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651 


für die Dauer >/ 4 — V* Stunde eine Erblindung des linken Auges ein. König- 
btbin’s Kranke hatte alle Tage um 6 Uhr ihre rechtsseitige Erblindung, die 
nach Mitternacht plötzlich verschwand, als wenn ein schwarzes Tuch fort- 
genommen wurde. Der Zustand dauerte 4 Wochen, kehrte aber nach 2 Jahren 
für einige Wochen in gleicher Weise zurück. Bei der Beobachtung Lewy’s 
dauerte der erste Anfall 8 Tage, dann folgten häufige Attaquen mit stunden- 
oder tagelangen Intervallen. Emmebt erwähnt, dass in seinem Falle zunächst 
9 Monate hindurch Anfälle mit unregelmässigen Zwischenräumen 6—7 Mal zu 
verschiedenen Tageszeiten mit einer Dauer von immer nur einigen Tagen auf¬ 
getreten sind. Dann kam einige Monate und zuletzt l /s Jahr danach noch je 
ein Anfall. In Watson’s Fall hielt der erste Anfall wenige Wochen an, nachher 
trat noch einmal Verlust und Wiedergewinn des Sehvermögens auf. (Nähere 
Zeitbestimmungen fehlen.) Müllbb berichtet über eine 5—6 monatliche Dauer 
des ersten Anfalles, dem nach kurzer Pause 14 Tage lang das Recidiv folgte. 
Bei db Witt lagen 8 Wochen zwischen dem ersten und zweiten Anfall. Der 
letztere hielt 6 Tage an, die Dauer des ersteren müsste nach dem Bericht des 
Kranken 12 Jahre betragen haben. (?) Hbbteb’s Fall zeigte 4 Wochen Blind¬ 
heit, die sich nach einem 8tägigen Intervall dann noch einmal 8 Tage lang 
zeigte. Bei Mas dauerte der erste Anfall 6, der zweite 38 Tage, das Intervall 
2 Monate. Hablan (1884) fand wiederholte Wiederkehr der Erblindung im 
Laufe eines halben Jahres. Cbameb heilte beide Anfälle, die durch 8 Wochen 
getrennt waren, schnell. Die Dauer des ersten ist nicht bestimmt. In unserem 
zweiten Falle sind Anfälle von 3 Tagen bis 3 Monaten und zuletzt 5 Jahren 
aufgetreten. Wir sehen also zunächst, dass der einmalige Anfall den 
wiederholten an Zahl erheblich überwiegt (32 gegen 13 Fälle). Immer¬ 
hin hat der letztere noch eine genügende Anzahl Vertreter. Die intermit- 
tirende Form ist ungemein selten (4 Fälle), etwas häufiger die 
recidivirende (9 Fälle). In einigen Fällen sehen wir eine Combination der 
genannten Formen, so bei Königstein die der intermittirenden und recidi- 
virenden, auch bei Emmebt. 

Es ist nun zu untersuchen, wie sich die verschiedenen Formen hin¬ 
sichtlich des Geschlechts, des doppel- oder einseitigen Auftretens 
verhalten. Folgendes Schema soll die Uebersicht erleichtern. 

Tabelle I. 1 



A. Der einmalige Anfall. 


der transitorische i| der kurzdauernde 

der langdaaernde 


m. 

w. ! l m. 

w. 

m. 

w. 

doppelseitig . . . 

3 

6 i ■ 

5 

1 

4 

einseitig .... 


2 | 8 

8 

2 

3 

in Snmma 

3 

8 !; 3 

8 

I 3 

7 


1 Es möge beachtet bleiben, dass die Form bei drei einseitigen Fällen and einem doppel¬ 
seitigen nicht festzastellen war, dass wir es also hier nor mit 25 doppelseitigen and 20 ein¬ 
seitigen F&llen za than haben. 


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652 




B. 

Der wiederholte Anfall. 




die unregelmässig 
intermittirende Form 

die recidinrende 
Form 


m. 

w. 

m. 

w. 

m. 

w. 

doppelseitig . . . 


— 

— 

2 

. — 

4 

einseitig .... 


2 

— 

— 

! 1 

4 

in Summa 

— 

2 


2 

1 

8 


Wir können hieraus folgendes entnehmen: 

1. Geschlecht Beim einmaligen transitorischen kurzdauernden Anfall, 
also bei der leichteren Art des Auftretens, ist das Verhältniss der männlichen 
zu den weibliohen Kranken 8:8. Bei den schwereren Formen treten die ereteren 
weiter zurück. Finden wir beim langdauernden, einmaligen Anfall noch zwei 
gegenüber acht weiblichen Blinden, so erscheint in allen Arten des wiederholten 
Anfalls (13 Fälle) nur ein Mann. 

2. Beziehung der Doppel-und Einseitigkeit zur Form. Wir haben 
neun doppelseitige, zwei einseitige Fälle bei der transitorischen Form, fünf 
doppelseitige, sechs einseitige beim kurzdauernden, fünf doppelseitige, fünf ein¬ 
seitige beim langdauernden Anfall. Die intermittirende Form weist je zwei 
Fälle auf, während die recidivirende duroh vier doppel- und einseitige ver¬ 
treten ist. 

Fassen wir zunächst die einmaligen Anfälle ins Auge, so ist die doppel¬ 
seitige Amaurose zwar überwiegend von kurzer Dauer, aber doch nur in kanm 
der Hälfte der Fälle wirklich transitorisch. Es stehen neun dieser Art fünf 
kurz- und fünf langdauernden gegenüber. 

Von den einseitigen Amaurosen kommen nur zwei auf die Rubrik des 
transitorischen Anfalls. Diese kleine Zahl mag ihren Grund darin haben, dass 
schnell vorübergehende, einseitige Blindheit wohl am seltensten zur ärztlichen 
Kenntniss gelangt. Sechs unserer weiteren Fälle sind dann von kurzer, fünf 
von langer Dauer. 

Unter den 13 Amaurosen mit wiederholtem Auftreten finden wir acht ein¬ 
seitige und drei doppelseitige mit Anfällen von kurzer, zwei doppelseitige mit 
solchen von längerer Dauer. Bei dieser Form handelt es sich also meist um 
kurze, aber auch nur zum Theil transitorische Anfälle, wenn sich auch der 
Gesammtzustand sehr in die Länge ziehen kann. 

Im Allgemeinen wird also die Anschauung derjenigen Autoren, 
die die Dauer der hysterischen Blindheit nur auf einige Stunden 
oder Tage bemessen, durch unsere Erhebungen nicht gestützt Die 
32 einmaligen Anfälle weisen nur 11 auf, die sich auf diese Zeit beschränken. 

Von 2 bis zu 6 Wochen erstrecken sich dann noch 11, während 10 
4 Monate bis zu 10 Jahren in Anspruch nehmen. 

Weiter soll uns die Frage beschäftigen, in welchem Alter das Symptom 
aufgetreten ist Tab. II möge einen Ueberblick darüber geben. 


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653 


Tabelle IL 


Alter ... 1 10—20 Jahre 

21—80 Jahre 

81—40 Jahre 

| 41—50 Jahre 

{ über 50 Jahre 

H 

männlich . . 

3 

1 

3 

1 

2 

1 

weiblich . . :j 

17 

12 

5 

— 

— 

in Summa 

20 

15 

6 

2 

1 


In 5 Fällen ist kein genaues Alter angeführt (Hocken: „mittleres Alter“; 
Abebnetty: „jung“, Manz: ,junge Dame“, Watson und FäeE erwähnen 
gamichts.) Danach bleiben 44 Fälle. Von diesen ist der jüngste 10 Jahre 
(weiblich, einseitig), der älteste 54 Jahre (männlich, einseitig). Am häufigsten 
ist das zweite Decennium, demnächst das dritte betroffen (20 bezw. 15 Fälle). 
Nach dem 30. Jahre zeigt sich eine schnelle Abnahme (6 Fälle bis zum 
40. Jahre), nach dem 40. Jahre ist die hysterische Amaurose eine grösste Selten¬ 
heit Wir haben nur 2 Fälle, über 50 Jahre nur einen Fall gefunden. Dies 
entspricht im Allgemeinen den von Bbiquet und Landouzy 1 gegebenen Zahlen 
des Auftretens der Hysterie überhaupt: 78 °/ 0 zwischen 10 und 30 Jahren, 
10°/ 0 zwischen 30 und 40 Jahren, 3°/ 0 zwischen 40 und 50 Jahren, 1% 
zwischen 50 und 60 Jahren. In unserem Material entsprechen diesen Zahlen 
68^/0, 10 , 4 o /o , 2,4%. 

Was die Art des Auftretens betrifft, so stimmen die meisten Autoren 
darin überein, dass die hysterische Amaurose in der Regel plötzlich erscheint 
und zwar meist im Anschluss an eine voraufgegangene hysterisohe Attaque. 
Nach Gowebs 2 , der auch das plötzliche Auftreten betont, folgt sie nur zuweilen 
einem hysterischen Krampfanfall. Bbiquet erwähnt noch ausserdem heftige 
Gemüthsbewegungen und manohmal auch Verschwinden irgend eines unwich¬ 
tigen hysterischen Symptoms. In einigen Fällen sei das Erscheinen der Blind¬ 
heit brüske und ohne irgend welche Vorboten gewesen. Gilles de la Toubette 
hebt ebenfalls hervor, dass die doppelseitige wie einseitige Amaurose auch 
spontan entstehen kann, ohne dass ein convulsivischer Anfall voraufgegangen sei 
Löwenfeld 3 bemerkt das plötzliche Auftreten nach Trauma. Ausser dieser Art 
des Entstehens kommt nach Wilbband-SIngeb 4 die hysterische Amaurose auch 
dadurch zu Stande, dass sie sich allmählich aus einer zunehmenden coucentrisohen 
Gesichtsfeldeinengung entwickelt 

Der Ansicht Hocken’s, dass die „complete Anästhesie“ der Retina von 
Kopfschmerz eingeleitet wird, schliesst sich Landouzy* an. Die hysterische 
Blindheit scheine sich überhaupt in den Fällen zu zeigen, in denen die 
Cephalalgie und die encephalischen Erscheinungen überwiegen. 

1 Citirt bei Gowraa. HI. S. 852. 

• A. a. 0. S. 868. 

» A. a. 0. 8. 404. 

• A. a. O. S. 88. 

• A. a. O. 8.119. 


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654 


Für diese Anschauung, dass dem Anfälle Kopfschmerz voraufgeht, findet 
sich in unserer Zusammenstellung eine Reihe von Beispielen, so bei Landouzy 
selbst, bei Testelin (leichtes Frösteln und Kopfschmerz), im Falle Dujabdih- 
Beaumetz und Abadie (Abend vorher dumpfer Kopfschmerz), bei Königstein 
(ziehender Supraorbitalschmerz), bei Tybbell (hier trat der Anfall allerdings 
erst nach einer Blutentziehung auf), bei Monnebet (Schmerz im Scheitel, auch 
im Hypogastrium und Magen), bei Howship (heftiger Kopf- und Glieder¬ 
schmerz), bei Mauthner (Stiohe in der Schläfe, Sausen im Kopf), bei Mendel 
(heftige Schmerzen im Hinterkopf, grosse Unruhe, Angst, Delirien), endlich bei 
Manz (bedeutender Kopfschmerz). Die Behauptung Hooken’s, dass gewöhnlich 
gastrische Störungen Vorläufer bilden, wird von Landouzy zurückgewiesen und 
findet auch sonst keine Bestätigung. Wir haben diese Angabe nur bei 
Magnus. 

Ueberblicken wir unsere 49 Fälle, so haben wir für die allmähliche 
Entwickelung der Blindheit nur zwei Beispiele: Den Fall Schweiggeb 
und Hablan 1884. Im ersterem hatte die 14jährige Patientin, die wegen 
asthenopischer Beschwerden eine Convexbrille erhalten hatte, einige Zeit darauf 
geklagt, dass sich das Sehvermögen seit 8 Tagen rasch verschlechtert habe. Im 
zweiten Falle ist nur von zunehmender Schwäche des Auges die Rede. Die 
anderen scheinen sämmtlich plötzlich aufgetreten zu sein. 

Verhältnissmässig wenig finden wir voraufgegangene hysterische 
Attaquen bezw. Krampfanfälle erwähnt. Hierher gehört der Fall Mülleb 
(wobei noch die Möglichkeit einer Complication besteht, es wurden wegen hyste¬ 
rischer Convulsionen kalte Begiessungen des Kopfes gemacht, nach der zweiten 
trat plötzlich die Blindheit auf), dann die Beobachtungen von Mas (beide An¬ 
falle im Anschluss an hysterische Krämpfe), weiter Fall 1 und 2 Landoüzy’s, 
endlich die Fälle TElinge und Watson, d. h. nur 5—6. 

Für Gemüthsbewegungen als unmittelbare Ursaohe der Blind¬ 
heit liegen auch verhältnissmässig wenig Fälle vor: Hocken (leichte Erregung 
bei Gravidität), Mendel (Aufregungen), Galezowskt-Dagonet (Schreck), Lbwt 
(heftige Aufregungen), unser zweiter Fall, dann vielleicht noch Abernethy und 
Moore (Fall 3). Im ersteren Falle hat die psychische Erregung (Schreck durch 
Umfallen eines Wagens) 5 Tage, im letzteren gar einen Monat vorher statt- 
gefunden. Es sind also höchstens 5 — 7 Fälle. 

Trauma gab 8 Mal Veranlassung: Hablan 1893 Fall 2 (Steinwurf 
ins Auge), FerE (Compression des N. supraorbitalis, um einen hysteroepilep- 
tischen Anfall zu coupiren), Baas (ganz geringfügige Verletzung des linken 
oberen Augenlides. Der 54jährige Mann wollte seinen, einen Abhang herab¬ 
fahrenden Wagen hemmen und streifte dabei in der Hast eine Zinke der Heu¬ 
gabel, trug dann 4 Tage das Auge verbunden), Moeli (Verletzung durch Fall). 
Weitere Beispiele geben Landouzy (Fall von einer Leiter, dadurch zunächst 
Gemüthsbewegung), Wilbrand und Sänger (eine gesprungene Nähmaschinen- 
nadel gegen das Auge geschleudert), Crameb (geringe Verletzung der Cornea 
durch einen Strohhalm), unser erster FalL 


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655 — 


Die traumatischen Veranlassungen brauchen also auch bei der hysterischen 
Amaurose nur geringfügig zu sein. 

Wir sohliessen hieran die Entstehung der Anfälle nach gewissen 
schmerzhaften Vorkommnissen oder Eingriffen. Bei Wbckeb trat der 
Zustand nach heftigem Zahnschmerz auf. Im dritten Falle Harlan’s (1873) 
war eine Zahnextraction in Narkose voraufgegangen, de Witt bezieht den An¬ 
fall seines Kranken auf Plombiren der Zähne. Dem Recidiv ging Schmerz¬ 
haftigkeit des Zahnfleisches voraus). Tyrrell hatte vorher eine Blutentziehung 
am Kopfe gemacht 

Wie gering die Veranlassung sein kann, be weist der Fall Hbbter, in dem 
die Blindheit bei der hysterisch veranlagten Patientin nach Aufrichten aus ge¬ 
bückter Stellung ein trat Wahrscheinlich directe psychische Infection liegt dem 
ersten Falle Hablan’s 1890 zu Grunde: Die Mutter des rechtsseitig amau¬ 
rotischen Patienten war auf dem rechten Auge blind. Durch eine rein psychische 
Vermittelung ist ferner der zweite Fall Moobb’s zu erklären. Der 22 jährige 
Patient hatte eine Atropineinträufelung erhalten und glaubte, dadurch blind 
geworden zu sein. Auch der Fall Marlow, in dem das Gefühl voranging, als 
ob etwas ins Auge gekommen sei, gehört hierher. 

Während nun bei Moobb Fall 1 nervöse Erscheinungen, bei Landesberg 
ein 5 bis 6 Tage vorhergegangener Partus, bei Fougeray-Fouchabd Migräne¬ 
anfälle, bei Monnkrjct ein Puerperium, bei Magnus Verdauungsbeschwerden 
mit der hysterischen Amaurose in Verbindung gebracht werden, sind die Fälle 
Emmebt (am Morgen blind aufgewacht), Adamük (Blindheit, plötzlich bei einer 
Unterhaltung am Theetisch entstanden), Dujardin-Beaumetz und Abadee (blind 
erwacht), Harlan 1873, Fall 1 (das Kind schien vorher gesund gewesen zu 
sein, hatte die Blindheit plötzlich bemerkt), ohne jedes nachgewiesene causale 
Moment und, von dem Fall Dujardin-Beaumetz abgesehen, auch ohne irgend 
einen Vorboten aufgetreten. 

Die Frage nach dem Anschlüsse der Blindheit an einen hysterischen An¬ 
fall leitet uns zu der Untersuchung darüber, ob stets oder doch vorwiegend 
noch andere hysterische Symptome vorhanden sein müssen. Wir haben schon 
bemerkt, dass Hookbn und Landouzt auf das Bestehen von Cephalalgie und 
sonstige encephalisohe Störungen Werth legen. Die weiteren Forderungen 
Hockbn’s, spastische Contraotur der Augenmuskeln, Photophobie, Epiphora, 
gastrische Störungen, manchmal „Subdelirium“, werden von Landouzt ab¬ 
gelehnt. Während sich dann Briquet 1 mit der Bemerkung begnügt, dass 
gewöhnlich die Conjunotiva des amaurotischen Auges unempfindlich ist, stellt 
Pichon 2 eine Reihe von Sätzen auf. Die visuelle Anästhesie soll danach u. A 
nie ohne allgemeine Anästhesie der einen oder der anderen Form bestehen, sehr 
seltene Fälle ausgenommen. 

Das Fehlen von sonstigen Sensibilitätsstörungen betont Harlan in seinem 
zweiten Fall (1890) ganz besonders. Auch Gowebs ist der Ansicht, dass das 

‘ A. a. O. 8. 294. 

* 0 Pichon, Des troubles de la riaion che* lee hyitdriqaee. L’Enc4ph*le. 1888. 8.188. 


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656 


Symptom ganz allein bestehen kann. In unseren 49 Fällen ist 16 Mal nichts 
von sonstigen hysterischen Erscheinungen erwähnt [Abernethy 1 , Wecker, 
de Witt, Harlan (3 Fälle), Landebbebq l f Moore (2 Fälle), Baas, Gale- 
zowbkt, Marlow, Adamük (2 Fälle), Craxeb, Leber]. In 4 Fällen wird 
auf das Fehlen derselben direct hingewiesen [Emmert, Schwkigger, Maonus, 
Harlan (1890, Fall 1)]. In den übrigen 29 Fällen sind sie mehr oder weniger 
vertreten. Die heftigsten hysterischen Erscheinungen zeigen in der Regel die 
doppelseitigen Fälle. 

Es befinden sich 17 darunter. 

Jedenfalls hat man mit der Amaurose als monosymptomatische 
Erscheinung zu reohnen. Für die Angabe Piohon’s, die Sehstörung bestehe 
auf derselben Seite, wo die allgemeine Sensibilität verändert ist, treten die Fälle 
Herter und unser erster ein. In den übrigen einseitigen Fällen mit ander¬ 
weitigen hysterischen Symptomen ist nichts von sensiblen Störungen erwähnt 
Von den seltenen Beobachtungen, die Piohon anführt, gekreuzte Sehstörung 
und Hemianästhesie, bietet unser Material kein Beispiel. 

Wir haben nunmehr dem Verhalten der Augenmuskeln unsere Auf¬ 
merksamkeit zu widmen. 

Die Betheiligung der Pupillen an der Hysterie ist erwiesen. Strittig ist 
nur, ob es sich um Lähmung oder Krampf der Binnenmuskeln handelt Man 
wird Schwarz 2 gewiss beistimmen, wenn er die Mydriasis nur dann als Läh¬ 
mungssymptom auffasst, sobald (wie z. B. in Cramer’s Fall), Einträuflung von 
Pilocarpin oder Eserin eine gute Verengerung der Pupille hervorruft. Wo dies 
nicht der Fall sei, müsse, sofern eine Täuschung durch Atropingebrauch aus¬ 
geschlossen ist, eine spastische Mydriasis angenommen werden. Auch ohne diese 
Probe wird man indessen den Fall, welchen Harlan 3 1884 der ophthalm. 
Society vorgestellt hat, als Spasmus ansprechen. Hier gehörten die extrem 
weiten und starren Pupillen zu den Symptomen, die auf die Application einer 
hölzernen Magnetimitation prompt wichen. Für die spastische Natur tritt auch 
Gilles de la Toürette bezüglich der Fälle von Giraud-Teulon und Duboyb 4 * 
ein. Häufiger wird die Miosis als Spasmus gedeutet (Galezowky u. A.). 
Oppenheim 6 stellt nach seinen Erfahrungen das Vorkommen einer Lähmung 
der Binnenmuskeln des Auges bei Hysterie unbedingt in Abrede. Der Spasmus 
der Antagonisten könne die Lähmung Vortäuschen. Was nun unser specielles 
Thema angeht, so trifft man bald Angaben, wie bei Bbiquet 6 , dass die Pupille 
bei der hysterischen Amaurose dilatirt und unbeweglich bleibt, bald wie bei 
Gowebs 7 die Betonung der normalen Pupillenreaction. Nach Oppenheim ist 

1 Diese beiden Fälle habe ich nicht im Original gelesen; möglich, dass sich noch Be¬ 
merkungen darüber finden. 

• A. a. O. 8. 84. 

• Medical News. 1890. 8. 88. 

4 Mydriase. Dictionnaire encyd. des Sciences med. 

• A. a. O. S. 751. 

• A. a. 0. 8. 294. 

1 A. a. O. 8. 863. 


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657 


die Pupillarlichtreaction dabei erhalten, sie kann aber herabgesetzt oder vorüber¬ 
gehend durch Krampf des Sphincter Pupillae selbst aufgehoben sein. Knies 1 
findet die Pupillarreaction bei leichteren Graden der Herabsetzung der Seh¬ 
schärfe nicht wesentlich gestört, bei völliger Blindheit fehle die Reaction meistens, 
könne aber auch noch, wenn auch in verminderter Intensität erhalten sein. 
In unseren Fällen ist 29 Mal die Pupillenbesohaffenheit erwähnt. 15 Mal ist 
sie als normal bezeichnet, 14 Mal ist sie pathologisch. Unter diesen Fällen ist 
8 Mal Starre erwähnt Es sind folgende: 

1. Müller, ganz starr, auch für und starr mit einer kurzen Unter¬ 
hellstes Lioht; brechung, wo sie trotz der Er- 

2. Wecker, reagiren nicht auf Licht- blindung prompt reagirten. Die 

einfall, Dilatation überdauerte die Wieder- 

8. Mendel, Anfangs reagirend, dann kehr des Sehvermögens noch eine 
starr und eng, in einem anderen Zeit lang, 

Stadium weiter und vollständig 6. Adamük, starke Miosis, Starre, 

reactionslos, dann wieder normal 7. Cramer, ad maximum ausgedehnt, 

reagirend, zuletzt weit und rea- ganz starr auch bei Accommodation, 
girend, | 8. Moeli, Aufhebung der Licht- 

4. Dujardin-Beaümetz und Abadie, : reaction bei erhaltener Convergenz- 

mittelweit, reactionslos auf Licht, Verengerung. 

5. Mauthnbb, maximal erweitert 

4 Mal fanden wir schwache Reaction auf Licht verzeichnet: 

1. Landouzy, linke Pupille reagirt 3. Lbwy, Pupillen ziemlich erweitert, 

kaum merklich auf Lichteinfall, schwache Reaction auf Licht, 
rechte normal, 4. Manz, Papillen zeitweise ziemlich 

2. Harlan (1884), rechte Pupille eng (Accommodationskrampf) mit 
dilatirt, unvollkommen auf Licht sehr träger Reaction auf Licht — 
reagirend, 

Consensuelle Reaction erwähnt Baas: Die linke Pupille reagirt ziemlich 
lebhaft, aber nur, wenn die gesunde von Licht und Schatten getroffen wird. 

In unserem zweiten Falle besteht Enge der Pupillen durch Accommodations¬ 
krampf. 

Betrachten wir alle diese, die schwerste hysterische Augenaffection dar¬ 
stellenden Fälle, so finden wir nirgends eine Lähmung der Binnenmuskeln fest¬ 
gestellt, ebenso wenig eine rein reflectorische Starre bei erhaltener Accommodation. 
Moeli nimmt selbst eine Complication. an. 2 

Auch bezüglich der äusseren Augenmusculatur besteht noch keine 
einheitliche Ansioht. Während eine Reihe der Autoren das Vorkommen von 
Contractur wie von Lähmung annimmt, stellt letztere ein anderer Theil in Ab¬ 
rede oder lässt sie doch nur skeptisch zu. 

1 Neorolog. Centralbl. 1898. S. 570. 

* In d«o anderen Fällen ron Lichtstarre oder abgeechw&chter Reaction findet eich anater 
bei Ckaxxb and Mam keine Bemerkung über die Aoeommodation. 

42 

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658 


In unserem Material wird im Ganzen 9 Mal von den äusseren Augen¬ 
muskeln gesprochen. In 8 Fällen (Hablan 1873, Fall 2, Düjardin-Beaumetz 
und Abadie, sowie in unserer ersten Beobachtung) and sie normal. In den 
6 übrigen ist folgendes erwähnt: 


1. Lewt, Bulbi nach links oben ge¬ 
richtet, Lagophtbalmu8 in Folge 
von Krampf des Levator palpebrae 
superioris, 

2. Wolpfberg, Strabismus conver- 
gens alternans, Nystagmus, Ptosis, 
die Lider hängen bis zur halben 
Pupille herab, 

3. Müller, beide Augen nach unten 
gezogen, in Folge von Krampf der 


unteren Recti, mit der Pinoette 
zu überwinden, 

4. Emmebt, Nystagmus oscill. oculi 
utriusque und Strabismus conver- 
gens concomitans, 

5. Manz, rasch aufgetretener, starker 
Strabismus convergens dexter, bald 
auch sinister, Spasmus rect. int, 

6. unsere zweite Beobachtung: doppel¬ 
seitiger Spasmus rect. int. 


Lähmungen bestehen also in den wenigen Fällen, in denen 
Pathologisches an den äusseren Augenmuskeln vorliegt, nicht, mit 
Ausnahme der Ptosis in unserem zweiten Falle und in dem Wolffbebg’s. Eher 
kommt Hocken’8 Forderung einer spastischen Contractur zur Geltung, ohne 
aber, wie schon Landouzy betont hat, eine allgemeine Gültigkeit zu besitzen. 

Die psychische Grundlage der hysterischen Blindheit schliesst eine Be¬ 
theiligung des Augenhintergrundes aus. Leber’s 1 Befund einer weiss- 
lichen Verfärbung der Papille ist denn auch von Knies 2 u. A. bezüglich seines 
Zusammenhanges mit der Hysterie angezweifelt worden. Die bekannte, einen 
Fall von hysterischer Achromatopsie mit Hemianopsie betreffende Mittheilung 
Charcot’s 3 beweist aber doch, dass auf indirectem Wege Alteratiouen des 
Augenhintergrundes Vorkommen können, die hier von Galezowsky auf vaso¬ 
motorische Einflüsse (theils spasmodische Contractur, theils partielle Dilatation 
der Gefasse) zurückgeführt worden sind. 

In unserer Zusammenstellung findet sich nur ein einziges Beispiel von Ver¬ 
änderung des Augenhintergrundes, der Fall Schweiggeb’s, der mit einer doppel¬ 
seitigen, mässigen Neuroretinitis einhergegangen ist Die Möglichkeit einer Com- 
plication ist hier durch den Umstand, dass diese Erscheinung, wenn auch 
geringer, nach der Wiederkehr des Sehvermögens fortbestand, doch wohl nahe 
gerückt. 

Der Verlauf der hysterischen Amaurose ist in der überwiegenden 
Mehrzahl der Fälle gutartig, der Ausgang in Heilung die Regel 38 unserer 
49 Fälle sind wieder hergestellt worden. In den übrigen 11 ist entweder kein 
endgültiges Resultat verzeichnet (Abernethy, Harlan 1890, Fall 2, Levy, 
Moeli) oder es handelt sich um nicht völlige Heilung (Manz, Wolpfberg), 


1 Lbbkb, Ueber peripheriscae Sehnervenaffection bei Hysterischen. Deutsche med. 
Wochenschr. 1892. 8.741. 

* Knies, Neurolog. Centralbl. 1893. S. 573. 

* Chaboot, Klinische Vorträge, übersetzt von Fbtzbb. 1874. S. 366. 


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659 


oder aber dieselbe ist ganz ausgeblieben (Harlan 1873, Fall 1, Monnebet, 
Landoüzy, Fall 2, Baas, unsere zwei Beobachtungen). Die Prognose ist 
demnach als günstig zu bezeichnen. Wie auch sonst bei hysterischen Sym¬ 
ptomen, kann man auch nach jahrelanger Dauer noch auf Heilung rechnen. — 
Die Wiederkehr des Sehvermögens ist meist plötzlich erfolgt Nur 
in einigen Fällen hat die Störung allmählich nachgelassen Zwei davon (Gale- 
zowky-Dagonet, Foügeray-Fouohard) zeigten die merkwürdige Erscheinung, 
dass erst noch einige Tage homonyme Hemianopsie bestand, ehe die Heilung 
eintrat Das Vorkommen dieses Symptomes auf hysterischer Grundlage ist 
allerdings von Gilles de la Tourette 1 und FEbE in Frage gezogen worden, 
Gewisse Formen concntrischer Gesichtsfeldeinsohränkung sollen hier zur Täuschung 
Veranlassung geben. 

Dass die Therapie sich auf rein psychischem Gebiete abspielt, bedarf 
wohl keiner Betonung. Elektrische, magnetische Maassnahmen, Suggestionen 
aller Art kehren dann auch in den von uns herangezogenen Berichten immer 
wieder. Bei Mas’ Kranken hatten Schmerzen durch eine Augenspiegelunter¬ 
suchung Wiederkehr des Sehvermögens bewirkt Die regelmässig intermittirenden 
Fälle von Tebtelin und Königstein schwanden auf Chinin. Zu einem Rück¬ 
schlüsse auf eine Malariagrundlage wird man sich dadurch nicht veranlasst 
fühlen. König8tbin hat selbst seinen Fall als hysterischen bezeichnet 

Einige sehr interessante Beispiele von psychischer Heilung findet man in 
dem Buche von Carrä de Montgebon.* Die Kranken, zwei Männer, eine 
Frau, waren an das Grabmal eines HeiligeD geführt worden und hatten dort 
beten müssen. — 

Die erste unserer Beobachtungen, die sich iD sehr ausgedehntem Maasse 
(8 Jahre) auf forensischem Gebiete abgespielt hat, ist dazu angethan, unsere 
Aufmerksamkeit auoh der Simulationsfrage zuzuwenden. Die Gefahr, in den 
Verdacht der Täuschung zu gerathen, liegt für diese Patientin sehr nahe. Der 
psychisch Blinde pflegt sich im Raume anders zu bewegen als der somatisch 
Blinde. Bei der einseitigen Form liefert die bekannte Thatsache, dass das 
amaurotische Auge beim binoculären Sehact functioniren kann, dem Arg¬ 
wöhnischen noch schlimmere Waffen in die Hand. Prisma und Stereoskop 
werden zu Anklägern, und auch die sinnreiche FLEEs’sche Schachtel kann nur 
zur Verurtheilung des Verdächtigen führen. An den Apparaten gleichen sich 
der Hysterische und der Simulant vollkommen. Nur die genaueste Kenntniss 
psychogener Krankheitsbilder kann hier einen Irrthum verhüten, und auch dann 
dürfte die Aufgabe nicht immer leicht sein, wenn z. B. die Amaurose das einzige 
Symptom der Hysterie ist, wenn es ohne Vorboten, ohne jede, oder doch er¬ 
hebliche Veranlassung aufgetreten ist. Wir sind in unseren Aufzeichnungen 
solchen Vorkommnissen begegnet. Weder diese, noch eine sehr lange Dauer 
der Blindheit dürfen uns aber zu der Annahme einer Simulation verleiten. Ich 


» A. a. O. S. 424. 

* Canti db Mortodo*, La vdritd dei miraclee. Köln, 1739. Bd. I u. 1747. Bd. II. 

42* 


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660 


halte bei einseitiger Amaaroee die Erscheinung für bemerkenswerth, die sich 
bei meiner ersten Beobachtung gezeigt hat, und die auch in Königstkin’s Fall 
erwähnt ist, dass nämlich das blinde Auge beim Yersohliessen des 
gesunden deutlich abirrt, während es beim binoculären Sehact 
fixirt. 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Büokbildungsvorgänge am Schwänze de« S&ugethierembryo mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Verhältnisse am Medullarrohre, von 

Otto Zietzschmann. (Archiv f. Anat. u. Physiol. 1902. Anat. Abthlg. 
S. 225.) 

Verf. hat die Rtickbildungsvorgänge am Schwänze der Säugethiere genauer 
studirt und Folgendes gefunden: Der als Schwanz bezeichnete Rumpfanhang des 
Embryos der Hamalier enthält neben dem Schwanzdarm und der Chorda dorsalis 
auch das Rückenmark. Letzteres reicht im Anfangsstadium der embryologischen 
Entwickelung mit gut ausgesprochenem Centralcanal bis zum Ende des Schwanzes, 
woselbst es sich in dem unsegmentirten Mesenchymrest auf löst. Später stellt sich 
am Medullarrohr eine Reduction ein; es fällt zusammen, der Centralcanal schwindet 
und die Epithelzellenhaufen werden einschichtig und abgeplattet. Ein weiteres 
Stadium ist dadurch charakterisirt, dass der aus dem Rohr sich bildende Zell¬ 
strang in einzelne Zellhaufen zerfällt, die noch einen centralen Hohlraum besitzen 
und allmählich verschwinden, bis als Rest das Filum terminale übrig bleibt Der 
Conus medullaris rückt nach und nach aus dem Aussenschwanz in den Rumpf 
hinein. Im Schwänze werden auch Ganglien angelegt, die sich gleichfalls wieder 
rückbilden. 

Bei dem ganzen Prooess handelt es sich um einen angeerbten Vorgang aus 
der Stammgeschichte der Säugethiere, der anderen ererbten phylogenetischen 
Processen vollständig gleichzustellen ist. D exler (Prag). 


2) Ueber eine neue Methode der Marksoheidenf&rbung, von v. Schrötter. 

(Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat. 1902. S. 299.) 

Die Schnitte (am besten von in Müller’scher Flüssigkeit gehärteten Stücken) 
kommen auf 15—20 Minuten in eine (stets frisch zu bereitende) kalte Lösung 
von Gallein (Grübler), die durch Kochen mit Brunnenwasser bereitet wird. 
Dann Differenziren in einer etwa 5% Sodalösung oder (besser) sehr schwache 
Natronlauge und für einen Augenblick leicht violette Lösung von hypermangan- 
saurem Kali. Abspülen in reinem Wasser, absoluter Alkohol, Carbolxylol. Das 
Mark erscheint violett, ebenso die rothen Blutkörperchen, graue Substanz und 
Bindegewebe ungefärbt. Pilcz (Wien). 


3) Eine Carminf&rbung der Axenoylinder, welche bei jeder Behandlungs¬ 
methode gelingt (Uranoarminfärbung nach Sohmaus modifloirt), von 

Chilesotti. (Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat. 1902. S. 193.) 

lg carminsaures Natron (Grübler) wird mit 1 / J g Uran, nitrio. verrieben, 
das Gemisch durch 1 / a Stunde mit 100 ccm Wasser gekocht Der filtrirten 
Lösung wird vor dem Gebrauche ein wenig 1 °/ 0 salzsaurer Alkohol zugesetzt 


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661 


(pro com 2 Tropfen). In dieser Lösung färben sich Schnitte aus Müller nach 
5—10, aus Formalin, Gefrier-, Paraffin- und Celloidinschnitte nach 15—20 Min., 
ans Weigert’scher Neurogliabeize nach 1 / a — 1 Stunde, aus Marchi nach 2 bis 
4 Stunden. Hierauf Wasser, Alkohol, CarbolxyloL Bei eventueller Ueberfarbung, 
sowie wenn sich ausnahmsweise das Celloidin mitgefärbt haben sollte, genügt 
Eintauchen der Schnitte in 1 / J —1 °/ 0 salzsaurem Alkohol. Pilcz (Wien). 


Experimentelle Physiologie. 

4) Studio 8ulla patologia del gaugllo oiliare nell’ uomo, per Dr. Alessandro 
Marina. (Annali di nevrologia. XIX. 1901.) 

Verf. hat in früheren Experimentalarbeiten die Ueberzeugung gewonnen, dass 
das Gangl. ciliare ein Centrum für die Pupillenbewegung (ein peri¬ 
pheres Centrum des Sphincter iridis) ist. In vorliegender Schrift sind seine 
umfangreichen makroskopischen Studien über die anatomischen Verhältnisse dieses 
und der benachbarten Ganglien bei progressiver -Paralyse mit normalen und 
anormalen Pupillarphänomenen (13 und 23 Fälle), bei Tabes (5) und sonstigen 
Affectionen (26) veröffentlicht, deren Ergebnisse sich flüchtig folgendermaassen 
skizziren lassen: 

Die Nervenzellen sind fast sämmtlich den mittleren und kleinen Spinal- 
gnnglienzellen und nur sohr wenige dem grossen sympathischen Typ ähnlich, ent¬ 
halten nur weniger Pigment als letztere, dagegen mehr als erstere. 

Die schwersten, acutesten Veränderungen (Chromatolyse, Atrophie und 
schwerste pyknomorphe Entartung) der Zellen, Atrophie der Ciliarnerven, waren 
die Folgen krankhafter Processe der Orbita. Alle Infectionen führen meist zu 
primären und secundären Degenerationen nicht charakteristischer Form und zu 
Einwanderung endothelialer Kapselzellen und Leukocyten. Besonderen Typus 
haben die chronischen Zellveränderungen bei Tabes und zum Th eil bei Paralyse: 
Zuerst degenerirt langsam die chromatische Substanz, dann folgt Atrophie und 
Zerfall des Zellleibes, oder es bleiben bei langsam sich vollziehender Auflösung 
des letzteren Zellfragmente mit Chromatinresten sichtbar oder endlich auch diese 
Beste gehen verloren. Die Ciliarnerven Bind constant bei Tabes und sehr häufig 
bei Paralyse entartet, die Wurzeln immer normal, die Gefässe höchstens zuweilen 
erweitert. 

Für die functionelle Bedeutung des Ciliarganglions sind zwei Ergebnisse 
wichtig; dass 1) in allen Fällen von Tabes und in den Fällen von pro¬ 
gressiver Paralyse mit Störung der Pupillarreflexe die Ganglien, 
meist mit ihren Nerven, verändert, bei erhaltenen Lichtreflexen aber 
intact waren, 2) in allen Fällen mit Pupillenstarre die Kerne des 
Nerv. Hl und die Wandzellen des 3. Ventrikels bis hinab zum Gangl. habenulae 
(speciell auch die Westphal-Edinger’schen Kerne) normal blieben. 

Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


6) Note on the prefrontal lobes and the looalisation of mental funotlons, 

by Dr. P. W. MacDonald. (Journal of Mental Science. 1902. Januar.) 

Vorliegende Notiz beschreibt die äussere Configuration eines Gehirns, welches 
neben einer beträchtlichen Entwickelungshemmung das Fehlen der oberen 
Längsfurche im Stirntheil und der vorden Hälfte des Scheitellappens aufweist. 
Die beiden Hemisphären gehen hier continuirlich ineinander über, indem die 
Windungen ohne Unterbrechung hinüber und herüber ziehen. Der Schädel war 
wohl geformt, das Stirnbein aber (stellenweise bis zu l / a Zoll) hochgradig verdiokt. 


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— Das klinische Bild war das eines Idioten mit plumpen Körperverhältnissen und 
congenital-spastischer Paraplegie. Patient konnte nicht lesen, nicht schreiben, 
stammelte, konnte sich aber durch Zeichen verständlich machen und schien zu 
merken, was im Zimmer und draussen vorging. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


6) Sopra la percezione delle Impression! tattili. Osservazioni fatte dal Dr. 

V. Gran di s. (Archivio di psichiatria. XXIII. 1902.) 

Diese breit angelegte Darstellung berichtet von Prüfung der Taatempfind- 
lichkeit mittels eines, mit zwei langen dünnen Platinrheophoren im Abstand 
von 3 mm, mit der Zungenschleimhaut in Contact gesetzten Inductionsapparates, 
der mit einer Unterbrechungsgeschwindigkeit von 0,06 arbeitete. Unter Ver¬ 
meidung jeglichen Druckes wurde zu eruiren versucht, ob die Tastempfindung 
auch anders als durch Deformation der nervösen Endapparate zu Stande komme. 
Reize, deren Intensität soeben die Schwelle überschreitet, lösen anfangs die locale 
Empfindung des Ameisenlaufens aus, welche bald in zwei reine Berührungs¬ 
empfindungen übergeht. Die Perioden der ersten und zweiten Empfindungsqualität 
sind wenig constant; im allgemeinen wird in allen, Belbst nach Stunden dem An- 
fangaversuch folgenden Prüfungen die erste Periode immer kürzer, zuletzt bis auf 
wenige Secunden herabgesetzt. Selbst bei Verschiebung der Rheophoren auf der 
Haut erreicht die dadurch erzielte Verlängerung dieser Periode niemals die An- 
fangsdauer. Verf. stellt fest, dass es Bich bei diesem Phänomen weder um eine 
Nachempfindung oder eine Interferenzerscheinung derselben mit der primären 
Empfindung noch um ein Ermüdungsphänomen der glatten Hautmuskeln, weil 
Stromverstärkung bis zum Effect des MuskeltetanuB die Erscheinung nicht ver¬ 
ändert, noch auch um einen Tetanus der Tastnerven handeln könne, da die dafür 
nothwendige untere Grenze der Reizgeschwindigkeit (0,025) niemals angewandt 
wurde. Es bleibe nur übrig, die geschilderte Parästhesie als cerebrales Er¬ 
müdungsphänomen zu erklären und könne dieselbe zutreffenden Falls zur 
Messung der Aufmerksamkeit benutzt werden. 

Schmidt (Freiburg i/SchL). 


7) Experimental reeearohee on the oentral looalization of the sympa- 
thetio, wlth a critioal review of Its anatomy and pbysiology, by Onuf 
and Colli ns. (Arch. of neurol. and psychopathoL HI. 1900. Nr. 1 u. 2.) 

In dieser gross angelegten Arbeit (das Doppelheft bildet einen Band von 
252 Seiten) geben die Verff. eine monographische Studie über die Anatomie und 
Physiologie des Sympathious, die in literarischer Hinsicht wohl als erschöpfend 
bezeichnet werden muss, und durch zahlreiche eigene Experimente und mikro¬ 
skopische Untersuchungen eine Fülle neuer Thatsachen enthüllt. — Das Werk 
zerfällt in vier grosse Theile. Der erste Teil giebt eine makro- und mikroskopische 
Anatomie des Sympathicus selbst. Hervorgehoben mag aus diesem Theile sein 
die Zurückweisung von Jendr&ssik’s Theorie der drei Systeme im Sympathicus- 
gebiet, die Discussion der verschiedenen Ansichten über hemmende Fasern, die 
genaue Beschreibung des N. sympathicus der Katze, der das sogenannte Ganglion 
stellatum aufweist, eine Verschmelzung des cervicalen mit dem oder den ersten 
thoracalen Ganglien, gelegen zwischen den Articulationsstellen der ersten und 
zweiten Rippe. 

Der zweite Theil behandelt ausführlich die Physiologie des Sympathicus. Er 
stellt fest, dass das gesammte vegetative Leben des Organismus in mehr oder 
minder hohem Grade unter der Controle dieses Systems steht. Im Speciellen 
werden folgende Thatsachen festgestellt: Die Versuche Über den Einfluss auf die 
Thränensecretion lieferten widersprechende Ergebnisse und forderten zu weiteren 


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Forschungen auf. — Bezüglich der Schweisssecretion wurde es sehr wahrschein* 
lieh gemacht, dass nicht alle Fasern für die obere Extremität durch das Gangl. 
stellst, gehen, und dass solche, die einen anderen Weg einschlagen, so gut wie 
vollständig für die durch Exstirpation jenes Ganglion zerstörten coinpenBatorisch 
eintreten können: das Schwitzen nach Pilocarpininjection geschah nach Ablauf 
einiger Zeit wieder an allen vier Gliedern gleichmässig, beim Schwitzen im 
Excitationsstadium der Aethernarkose blieb indessen die Pfote der operirten Seite 
trocken. — Für die Pupille führt der Halssympathicus nicht nur erweiternde, 
sondern höchstwahrscheinlich auch verengende Fasern. Die Miosis nach Entfernung 
des Gangl. stellst, verschwindet nach einigen Monaten fast vollständig wieder, ein 
Beweis, dass nicht alle pupillenerweiternden Fasern von dort Btammen können. — 
Die Milchsecretion zeigt sich unabhängig vom Sympathicus. — Auf die Parotis 
wirkt der Sympathicus mehr durch seine trophische als durch secretorische 
Function, jedenfalls unabhängig von vasomotorischen Vorgängen. — Verdauungs¬ 
störungen, bestehend in Diarrhöen und gesteigerter Fäulniss der Fäces, waren 
nach Entfernung des Gangl. stellst ausgesprochener als nach Operation an den 
tieferen, thoracalen Abschnitten, zeigten übrigens, im Gegensatz zu einer Anzahl 
anderer Störungen, die Neigung zu progressiver Verschlechterung. — Die Unter¬ 
suchungen sprechen gegen die Existenz echter secretorischer Fasern für die Gallen¬ 
bildung im Sympathicus, für das Pancreas scheint er trophische Fasern zu führen. — 
Resection des unteren Theils des thoracalen Sympathicus führte zu Diabetes, der 
ebenfalls die Neigung zur Verschlimmerung hatte. — Im ganzen kann man sagen, 
dass fast alle secretorischen Drüsen unter dem, zum Theil trophischen, Einfluss 
des Sympathicus stehen, während den cerebro-spinalen Fasern eine mehr controlirende 
Rolle zufällt. — Unter den Gefässnerven Überwiegen die vaso-constrictorischen. — 
Auf die Athmung liess sich ein Einfluss insofern nachweisen, als einige Wochen 
nach Entfernung des Gangl. Btellat. mitsammt dem Splanchnicus in dieser Höhe 
Anfälle von Niesen, Husten und Singultus auftraten, dazu eine erst schleimige, 
später eitrige Secretion aus der Nase. Die Hustenanfälle machten den Eindruck 
einer Folge aufgehobener Hemmungen. — Die Blase functionirt nach Trennung 
aller ihrer Verbindungen mit den spinalen Centren wochenlang automatisch weiter 
(auch bei Affen), wahrscheinlich mit in Folge von nervösen Apparaten in ihrer 
Wand. — Die Nerven für die Arrectores pilorum haben eine segmentale Ver¬ 
keilung im Sympathicus; die Folgen ihrer Zerstörung gleichen sich im Laufe 
der Zeit wieder aus. — Die von anderen Autoren beobachteten trophischen 
Störungen an Haut und Knochen u. s. w. nach Sympathicuszerstörung konnten 
Verff. bestätigen. — Die beträchtliche functionelle Unabhängigkeit von spinalen 
und cerebralen Einflüssen konnte an den verschiedensten Punkten festgestellt 
werden, trotzdem müssen motorische Bahnen von der Rinde zu den vegetativen 
Organen vorhanden sein. — Gewicht legen die Verff. auf die lange Beobachtung 
der Versuchsthiere, die Feststellung von Früh- und Spätwirkungen der Operationen 
und der Vorgänge bei der allmählichen Ausgleichung der erhaltenen Störungen, 
wodurch ihnen mancher Aufschluss gegeben worden ist, der früheren Beobachtern 
entgangen war. 

Nicht minder reich an wichtigen Thatsacben ist der dritte Abschnitt, der 
die morphologischen Beziehungen des sympathischen zum cerebro-spinalen Nerven¬ 
system zum Gegenstände bat; sie werden studirt an den Veränderungen, die 
Läsionen des ersteren in letzteren zur Folge hatten. — Bei der Katze entspringen 
die meisten „afferenten“ (sensiblen) Fasern des Sympathicus nicht aus den Spinal¬ 
ganglien, wie Kölliker meint, sondern aus den Ganglien und Plexus des sym¬ 
pathischen Systems selbst. Im Rückenmark Bteht die ganze Zone der grauen 
Substanz zwischen den Vorder- und Hinterhörnern in Beziehungen zum Sympathicus, 
und zwar bilateral. Besonders kommen dabei in Betracht die Zellen der Clarke’- 


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sehen Säulen, einer als „paracentraler Kern“ bezeichneten Gruppe, die dee Seiten¬ 
horns und der zwischen diesen Gruppen gelegenen ;,intermediären Zone“. Die 
Fasern aus den unteren Abschnitten dee Sympathicus nehmen im Rückenmark 
einen aufsteigenden Verlauf, d. h. sie enden in höheren Segmenten als in denen, 
wo ihr Eintritt erfolgt; bei den Fasern aus den oberen Abschnitten (GangL 
stellst) ist das Umgekehrte, wenigstens in Bezug auf zahlreiche Collateralen, der 
Fall. Die „paracentrale Zellgruppe“ kann als echtes Reflexcentrum im Bereich 
des Sympathicussystems betrachtet werden. — 

Im Gebiet der Medulla oblongata werden einige bisher noch nicht beschriebene 
Kerne isolirt, ein „Randkern der Rautengrube“, ein Kern des Marklagers des 
Hypoglossus und ein den Clarke’sehen Säulen homologer Kern, der dem Solitär 
bändel lateral unten direct anliegt Der sogenannte dorsale Vago-Gloesopharyngeus- 
kern ist functioneil das Analogon der Paracentralgruppe im Rückenmark, er ist 
der Ursprung für ausschliesslich viscerale, „efferente“ Fasern dieses Nervenpaaree, 
während der Nud. ambiguus für dessen somatische „efferente“ Fasern reeervirt 
ist. (Nur ersterer zeigte nach Exstirpation dee Gangl. stellat Veränderungen, 
letzterer blieb intact) 

Der vierte Theil bildet eine etwas kürzer behandelte Beobachtung über die 
Rolle, die nach den in den vorhergehenden Kapiteln gewonnenen Anschauungen 
der Sympathicus in der Pathologie des Nervensystems spielt Auf die grosse 
Zahl interessanter Gesichtspunkte, die sich auch hierbei ergeben, kann hier nicht 
genauer eingegangen werden: auf die Tabes, die Syringomyelie, Myelitis trans¬ 
versa, Basedow’sche, Addison’sche Krankheit, die vasomotorischen Neurosen 
u. a. m. fallen neue Lichter. Eine Betrachtung über die Rolle des Sympathicus 
bei den Psychosen stellen Verff. zum Schluss in Aussicht 

Es wird nicht viele gleich ergebnissreiche Arbeiten auf dem von den Verff. 
betretenen Gebiete geben wie die vorliegende, und sie wird von keinem, der sich 
ferner mit diesem Kapitel der Neurologie beschäftigen will, ignorirt werden 
können. Wünschenswert!) wäre, dass sie auch auf die Pathologie befruchtend 
wirkte, wo, wie aus dem vierten Abschnitt hervorgeht, das Studium des Sym¬ 
pathicus, bisher oft vernachlässigt, eine ganze Anzahl noch offener Fragen der 
Lösung näher zu bringen berufen scheint H. Haenel (Dresden). 


8) Die Benaibllit&fVerhältnisse des Sympathicus und Vagus mit beson¬ 
derer Berücksichtigung Ihrer Schmerzempflndliohkeit im Bereiche der 
Bauchhöhle, von M. Buch. (Archiv f. Anat u. Phys. 1901. Physiolog. 
Abthlg. S. 276.) 

Auf Grund in der Litteratur niedergelegter, unvollständig zusammengestellter 
Thatsachen nimmt Verf. an, dass nur der Splanchnicus major constant schmerz- 
empfindlich ist, was darauf beruhen soll, dass der grösste Theil der cerebro¬ 
spinalen Fasern in ihm verläuft. Alle Geflechte und Ganglien des Sympathicus 
werden erst unter pathologischen Verhältnissen schmerzempfindlich. Für die 
spärlichen, unter physiologischen Verhältnissen im Sympathicusgehiet vor¬ 
kommenden Empfindungen genügen die spärlichen cerebrospinalen markhaltigen 
Fasern der Bauchhöhle mit ihren Pacini’schen Körperchen; die unter patho¬ 
logischen Verhältnissen im Sympathicusgehiet auftretenden heftigen Schmerzen 
werden durch Sympathicuselemeute selbst vermittelt. Der Vagus leitet Schmerz¬ 
erregungen wahrscheinlich nur insofern, als er sympathische Fasern enthält 

Th. Ziehen. 


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Pathologische Anatomie. 

0) Ueber nieder differenzirte Missbildungen des Centralnervensystems, von 

Dr. Otto Veragnth. (Habilitationsschrift. Leipzig 1901, W. Engelmann.) 

Der Verf. giebt eine ausführliche und anschauliche Beschreibung von neun 
Missbildungen der nervösen Centralorgane, welche einen Beitrag zu der am 
wenigsten geübten Methode der Hirnforschung, der teratologisohen, bilden sollen. 
Thatsächlich hat er sein seltnes Material in vortrefflicher Weise ausgenutzt und 
zahlreiche, besonders für die Entwickelungsgeschichte werthvolle Befunde erhoben. 
Für das Referat ist die Wiedergabe derselben deshalb nicht geeignet, weil zu 
ihrem Verständniss eine genaue Schilderung der complicirten makroskopischen 
und mikroskopischen Verhältnisse der einzelnen Fälle erforderlich wäre. Als ein 
Hauptergebniss der Arbeit von allgemeiner Bedeutung sei nur der Satz hervor¬ 
gehoben, dass das Studium der Missbildungen des Centralnervensystems werthvolle 
Aufschlüsse nicht nur für die Fragen der Gehirnanatomie, sondern auch für die 
Nervenphysiologie des menschlichen Foetus und des neugeborenen Kindes geben 
wird, so dass die experimentellen Ergebnisse der Thierphysiologie in wirksamer 
Weise werden ergänzt werden können. Max Bielschowsky (Berlin). 


Psychologie. 

10) Die wissenschaftlichen Grundlagen der Graphologie, von Georg Meyer. 

(Jena, 1901, Gustav Fischer.) 

Man kann wohl ruhig behaupten, dass die Graphologie bisher vielfach wenig 
ernst genommen ist; wer das noch bezweifeln sollte, der lese einmal die Arbeit 
von Wittemann in der juristischen Zeitschrift: „Das Recht“ (1901, Nr. 7). An 
dieeem Misseredit sind verschiedene Umstände schuld, vor allem der, dass der 
Graphologie eine streng wissenschaftliche Behandlung bisher wenig zu Theil wurde. 
Um so dankbarer wird man dem Verf. sein, der Mitbegründer der deutschen 
graphologischen Gesellschaft ist, dass er sich dieser Aufgabe angenommen hat; 
und dass er zudem noch Psychiater ist, wird der Arbeit nur zu Gute kommen. 

Die Graphologie hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Beziehungen aufzudecken, 
welche zweifelsohne bestehen zwischen der Handschrift und derjenigen individual¬ 
psychologischen Thatbeständen, die man unter dem Begriff der Charaktere zu¬ 
sammenfasst Die Schrift stellt eine Combination der willkürlichen und unwill¬ 
kürlichen Ausdrucksbewegungen dar; jene sind zu häufig vieldeutig. Diese ver¬ 
dienen, weil sie den Kenner nie trügen, den Vorzug. Zudem bietet sie noch den 
grossen Vortheil, dass sie fixirt wird. 

Verf. giebt zunächst einen beschreibenden Theil der Graphologie, die Hand¬ 
schriftenkunde, und lehrt eine Reihe von psychologisch wichtigen allgemeinen 
Eigenschaften der Schrift kennen. Dabei nimmt er besonders Bezug auf die be¬ 
kannten Untersuchungen von Gross, die das interessante Ergebniss hatten, dass 
jede Person beim Schreiben einen festen, immer wiederkehrenden Curven- 
typus hat 

Der zweite wichtigere Abschnitt behandelt die eigentliche Graphologie. Einige 
der Graphologie gegenüber gemachte Einwände, wie die Abhängigkeit der Eigen¬ 
art der Schriftzüge von der Feder, vom anatomischen Bau der Hand, werden 
kurz abgethan. 

Jede Person hat ihren individuellen, charakteristischen Typus der allgemein 
physiognomischen Bewegungsweise; er drückt jeder Hantirung den Stempel persön¬ 
licher Eigenart auf. 


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Verf. setzt bei seinen Erörterungen bei den Affectzust&nden ein. Exaltations¬ 
zustände zeigen Reizung, Depression«- oder Hemmungszustände Herabsetzung von 
Ausdehnung, Geschwindigkeit und Druck der Schreibbewegung. Ausdehnung, 
Geschwindigkeit und Nachdruck stehen in ganz bestimmten Beziehungen zu ein¬ 
ander; alle drei sind abhängig von einem Factor, der psychomotorischen Trieb¬ 
kraft. Was wir bei Psychosen hypertrophirt und vorübergehend finden, das zeigt 
sich abgeschwächt und dauernd bei Charaktereigenschaften; das gilt auch hin¬ 
sichtlich der Schrift. Insbesondere geht die Schreibgeschwindigkeit parallel dem 
Ablauf von geistigen Functionen, der Schreibdruck der Stärke der Willens¬ 
antriebe. 

Weiterhin bespricht Verf. den Einfluss der Gespanntheit oder Schlaffheit der 
Musculatur, die Bedeutung des Neigungswinkels der Schrift (Ueberwiegen dee 
rein Triebhaften für die schrägere, Ueberwiegen der Ueberlegung für die steilere 
Lage), die Einwirkung willkürlicher Factoren. Der Bindungsgrad, eine der 
stabilsten Eigenschaften der Schrift, gestattet einen gewissen Rückschluss auf die 
individuelle Art der Ged an k enverb i n düngen. 

Immerhin sind unsere Kenntnisse des handschriftlichen Ausdruckes bestimmter 
Charaktereigenschaften fragmentär. Sodann muss gewarnt werden vor eindeutiger 
Verwerthung einer handschriftlichen Eigenart; denn diese kann durch die ver¬ 
schiedensten Factoren wegen deren Combination bedingt sein, und sie muss daher 
im Zusammenhang mit dem Ganzen bewerthet werden. Dass viele Deutungen 
hypothetischer Natur sind, verhehlt sich Verf. nicht, ebensowenig, dass die psy¬ 
chischen Vorgänge sich nicht immer entsprechend ihrer Intensität äussem. Ab¬ 
wesenheit bestimmter Symptome berechtigt nicht zu dem Schluss des Fehlens be¬ 
stimmter Charaktereigenschaften. Der wundeste Punkt der Graphologie ist der, 
dass wir von der Charakterologie fast nichts Bestimmtes wissen. 

Wenn es auch reine Fälle giebt, in denen allein aus der Handschrift ein 
ziemlich erschöpfendes Bild des Charakters der Menschen erschlossen werden kann, 
so räth Verf. doch zur Vorsicht und Zurückhaltung bei der praktischen Anwendung 
der Graphologie. Ernst Schnitze (Andernach). 


11) Lea animauz sont-ils oonsoientsP par Dr. Ed. Claparöde. (Geneve, 1901.) 

Verf. stellt in dieser kleinen Studie Untersuchungen darüber an, ob man den 
Thieren, den höheren sowohl wie den niederen, in ihren Lebensäusserungen und 
Handlungen Bewusstsein zusprechen kann oder nicht. Er kritisirt die Forschungen 
von Loeb, der als objectives Kriterium für das Bewusstsein die associative Ge- 
dächtnissthätigkeit bezeichnet und für die höheren Thiere Bewusstsein annimmt, 
für die niederen Thiere hingegen ein solches in Abrede stellt. Dieser Anschauung, 
der im Grossen und Ganzen auch Bethe huldigt, kann Verf. nicht beistimmen. 
Er verwirft auch die Untersuchungsmethoden, deren sich Loeb bediente, indem 
letzterer beim Menschen beginnend allmählich bis zu dem niedersten Thiere herab- 
stieg, und umgekehrt beim niedersten Thiere anfangend allmählich bis zum 
Menschen hinaufstieg. Vielmehr empfiehlt er der vorliegenden Frage vermittels 
des psycho-physiBchen Parallelismus näher zu treten. Allerdings gelangt er zu 
dem Schluss, dass die Aufstellung eines objectiven Kriteriums für das Bewusstsein 
a priori unmöglich sei. Nach des Verf.’s Ansicht müssen die Physiologen wie 
die Psychologen die Frage, ob den Thieren Bewusstsein innewohne, mit einem 
ne8cimus beantworten. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle). 


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12) Versuch einer psychophysischen Darstellung des Bewusstseins, von 

E. Storch. (Berlin, 1902, S. Karger.) 

Daa Werk, das Verf. hescheiden einen „Versuch“ nennt, ist mehr als dieser 
Name sagt-: es ist ein in überzeugender, zum Theil in der überzeugendsten, der 
mathematischen Form beschriebener Weg zu der Erkenntniss, dass wir nicht 
nöthig haben, für die Functionen des Hirns und seiner Theile mystische und halb 
nebelhafte Vorstellungen zu setzen, mit denen die Mechanik nichts anzufangen 
weiss. Eine Mechanik der Gehirnthätigkeit und des Bewusstseins wird aussichts¬ 
voll, sobald der Grundgedanke erfasst ist, dass die Bausteine aller geistigen 
Thätigkeit auf der psychischen Spiegelung unserer Muskelbewegungen beruhen; 
ohne diese giebt es kein Bewusstsein, keine Wahrnehmung, keine Vorstellung. 
In dem Studium der Muskelactionen, welche die Wahrnehmungen hervorrufen, in 
ihren Beziehungen, unter denen sich diejenigen der letzteren wiederfinden, ist das 
Bindeglied zwischen Physik u. Psychologie gegeben. 

Interessant ist es zu sehen, wie dieses Princip sich schon bei der Be¬ 
trachtung verschiedener grundlegender psychologischer Begriffe, wie Masse und 
Kaum, als völlig zureichend erweist. Verf. kann leicht nachweisen, dass die 
Masse, das Wesentliche aller wirklichen Objecte, nichts ist als Träger der Kraft, 
die den eigenen Muskelbewegungen Widerstand leistet, die Objectivation des 
Bewnstseins der Muskelthätigkeit gegen eine Hemmung; die Objectivation der 
ungehemmten Bewegung, d. h. der Bewegung überhaupt ist der Raum. Gegen 
die Theorie Hering’ von dem Raumwerth der einzelnen Netzhautelemente, der 
auch abgesehen von den Augen vorhanden sein soll, wendet sich Verf. in längerer 
Auseinandersetzung. Er führt als neu zwei Begriffe ein, mit denen er in aus¬ 
giebiger Weise operirt: die Myopsyche und die Pathopsyche. In dem Wahr¬ 
nehmungsvorgang sind nämlich zwei Elemente enthalten: erstens die Empfindung, 
welche der von der Reizstelle zum Gehirn laufenden Nervenwelle entspricht (das 
pathopsychische Moment), und zweitens, da jedes Lebewesen auf Reize mit Be¬ 
wegungen reagirt, die dieser Muskelcontraction parallel gehende Bewusstseins¬ 
änderung (das myopsychische Moment). Das erstere ist allein nicht vorstellbar; 
eine rein pathopsychische Empfindung können wir uns nicht denken, immer haftet 
unseren Wahrnehmungen und Vorstellungen etwas Räumliches an, welches stets 
myopsychischer Natur ist. Der Theil der Myopsyche, in welchem der Massen¬ 
begriff gebildet wird und der an die dynamische oder Skelettmuskulatur gebunden 
ist, als „Ergopsyche“ bezeichnet, wird der an die optische Muskulatur gebundenen, 
keine Energie nach aussen abgebenden Muskelthätigkeit der „Eidopsyche“ ent¬ 
gegengesetzt. Das gemeinsame Element beider ist die RiehtungsVorstellung. 
Ebenso sind die Form Vorstellungen eine Function des ganzen myopsychischen 
Feldes, nicht der Eidopsyche allein. Wird die Thätigkeit der Myopsyche in 
Wellenform vorgestellt, so fassen wir deren Form als Richtung oder Richtungs- 
oomplex, ihre Amplitude als Quantität der Empfindung auf. Die aus diesen 
Grundbegriffen abgeleiteten Anschauungen über den an den optischen Apparat 
gebundenen Theil unserer Psyche sind klar und überzeugend; schwieriger ist es, 
den Beziehungen zu folgen, die auf dem Gebiete der Laut- und Tonwahr¬ 
nehmungen im Sinne solcher myopsychischer Vorgänge erörtert werden; Verf. 
entwickelt darin den Begriff eines „phonetischen Raumes“, und bezeichnet als 
solchen die räumliche Darstellung und Deutung der Kehlkoptbewegungen. Im 
Gegensatz zu den beiden räumlich anschauenden Theilseelen (Ergo- und Eido- 
psyche), die unter dem 1 Namen „Stereopsyche“ zusammengefasst werden können, 
bezeichnet Verf. den Theil des (myopsychischen) Bewusstseins, der intervallär 
wahrnimmt, als „Glossopsyche“. Die Amplitude der glossopsychischen Wellen, die 
als Abbilder der Kehlkopfbewegangen zu betrachten sind, wird als Tonhöhe be- 
werthet. 


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Zum genaueren Verständnis» seiner Deductionen setzt Verf. eine ziemlich 
gründliche mathematische Bildung bei seinen Lesern voraus; seine, wie man sieht, 
zum Theil selbstgeschaffene Terminologie ist glücklich gewählt und bezeichnend, 
sodass sie den Zweck, für die Gedankengänge und ihre Ergebnisse eine kurze 
und einfache Form zu schaffen, in sehr befriedigender Weise erfüllt Neue 
Wort* und Begriffsbildungen, wie die vorliegenden, kann sich bloss derjenige ge¬ 
statten, der wirklich etwas Neues zu sagen, der die Dinge unter neuen Gruppirungen 
und Gesichtswinkeln gesehen und bearbeitet hat; und das ist in diesem Werke 
ohne Frage der Fall. H. Haenel (Dresden). 

13) Experimentelle Stadien über Associationen. UL Theil: Ueber Ideeen- 

fluoht, von G. Aschaffenburg. (Psycholog. Arbeiten, herausgegeben von 

Kräpelin. IV.) 

Verf. veröffentlicht hier die Ergebnisse seiner umfassenden, bis 1891 zurück¬ 
reichenden Versuche, die er an Geisteskranken, und zwar an Manisch-Depressiven, 
angestellt hat. Die Einleitung enthält eine ausführliche Discussion der von 
anderen Autoren (Ziehen, Sommer, van Erp u. s. w.) aufgestellten Ein- 
theilungsprincipien für Associationen mit dem ErgebnisB, dass es ihm am besten 
geschienen hat, an dem von ihm Belbst gegebenen Schema festzuhalten. Die 
grosse Zahl der Versuche (182 Reihen mit 12 900 Einzelreactionen) verleihen den 
daraus gezogenen Schlussfolgerungen ein ganz besonderes Gewicht. Es wurden 
hauptsächlich die Methoden der ein- und zweisilbigen Reizworte mit und ohne 
Zeitmessung, sowie die des fortlaufenden Niederschreibens freier Associationen 
angewendet. — Auf die mannigfachen interessanten Einzelheiten aus den Ver¬ 
suchen einzugehen, würde zu weit führen; das Gesammtergebniss liefert in fast 
jeder Hinsicht eine Stütze der schon in früheren Arbeiten vom Verf. vertretenen 
Anschauungen. Vor allem hat Verf. von neuem Veranlassung, sich gegen den von 
Ziehen aufgestellten Begriff der Hyperprosexie zu wenden, der Steigerung der 
Aufmerksamkeit bei der Ideeenflucht, sowie gegen die auch von anderen Seiten 
aufgestellte Behauptung, die Manischen verfügten über einen vermehrten Ideeen- 
reichthum, würden scharfsinniger und witziger, plastischer in der Diction u. a. 
Demgegenüber lassen die Versuche des Verf. von einer grösseren geistigen 
Regsamkeit nichts erkennen; im Gegentheil, der Gedankengang verflacht, die be¬ 
grifflichen Beziehungen treten gegenüber den sprachlichen und klanglichen zurück. 
Der Begriff der Hyperprosexie ist dadurch zu Stande gekommen, dass man eine 
erhöhte Ablenkbarkeit mit erhöhter Aufmerksamkeit verwechselt hat; gerade die 
Unfähigkeit, aufmerksam zu sein, ist das Charakteristikum dieses Zustandes. 
Diese gesteigerte Ablenkbarkeit fiel bei allen Untersuchungsmethoden vor allem 
anderen in die Augen. — Bezüglich der Dauer des Vorstellungsablaufs musste 
die überraschende Thatsache festgestellt werden, dass die Durchschnittsdauer 
der Reactionszeit überall, wo sie gemessen worden war, kein einziges Mal der 
Norm gegenüber verkürzt war, eine Beschleunigung des Assooiationsvorganges 
also auch bei flotter Manie nicht vorliegt. Der Grund für die weitverbreitete 
gegenteilige Ansicht liegt in der Thatsache der quantitativen sprachlichen 
Mehrleistung, die ihrerseits wieder in der Erleichterung der motorischen Functionen, 
speciell des Sprechens, begründet ist. Jede Erleichterung der motorischen An¬ 
triebe — auch wenn sie künstlich hervorgerufen ist — führt notwendig zur 
Ideeenflucht; diese ist eine Theilerscheinung der ersteren. Die Rede des Nor¬ 
malen unterscheidet sich von der des Manischen durch den Zwang, jedem Ge¬ 
danken auch nach aussen Worte zu verleihen. Die Uebereinstimmung der 
psychologischen Versuche mit der klinischen Beobachtang war eine vollkommene. 

Aus den Schlusssätzen, die der Arbeit angefügt sind, seien, soweit sie in 
dem obigen nicht schon enthalten sind, noch folgende hervorgehoben: 


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Die manische Erregung des circularen Irreseins ändert die Verbindung der 
Vorstellungen, indem an Stelle der engen begrifflichen Beziehungen solche 
Associationen sich einstellen, die der Uebung und den sprachlichen Re minis cenzen, 
schliesslich nur dem gleichen oder ähnlichen Klange ihre Entstehung verdanken. 
Hit dieser inhaltlichen Veränderung geht eine Neigung zu rhythmischer Gliederung 
Hand in Hand (klinisch: das Bestreben, in Versen zu denken und zu sprechen), 
zuweilen auch zur Bildung längerer Associationsreihen aus dem gleichen Gebiete 
(Aufzählungen von Gegenständen). Eine der Norm gegenüber vergrösserte Ein¬ 
förmigkeit des Vorstellungsinhaltes liess sich experimentell nicht nachweisen. 
Während der depressiven Phase ist die Dauer der Association verlängert, während 
ihr Inhalt keine Abweichungen von der Norm erkennen lässt. Das Resultat der 
Versuche über die Einwirkung des Alkohols, des Hungers und der Erschöpfung 
auf den Associationsvorgang ist das Gleiche wie bei der manischen Erregung. 

Abgesehen von den werthvollen Einzelergebnissen sieht Ref. die Bedeutung 
der Arbeit auch darin, dass sie einen neuen nicht zu unterschätzenden Beweis 
für die Anwendbarkeit der psyeho-physichen Untersuchungsmethoden auch auf 
dem Gebiete der Psycho-Pathologie liefert, was noch immer von manchen Seiten 
in Frage gezogen wird. H. Haenel (Dresden). 

14) Der Zusammenhang von Leib und Seele, das Grundproblem der 

Psychologie, von Dr. W. Schuppe. (Grenzfragen des Nerven- und Seelen¬ 
lebens. Wiesbaden, 1902.) 

Verf. hält es für angemessen, sich vor Bearbeitung der eigentlichen, im 
Titel genannten Frage mit dem Begriff der Causalität überhaupt auseinander¬ 
zusetzen. Unter Berufung auf eigene frühere Werke setzt er an Stelle der 
wirkenden Ursache die Nothwendigkeit der Succession, fasst die Verursachung 
als einen Speoialfall der Nothwendigkeit, nämlich den der Succession. Die Noth- 
wendigkeit identificirt er aber mit dem Sein selbst; <L h. er giebt dem Ursache- 
Bein und Noth wendigsein den Sinn: so ist das Sein, das ist es. Es steht dann 
nicht mehr im Gegensatz zu der zu erklärenden Nothwendigkeit, sondern schliesst 
dieselbe ein. Ebenso sind Bewusstsein und sein Inhalt nicht zwei Dinge, sondern 
eins, da es nach dem Begriff und Wesen der Sache kein Bewusstsein geben kann 
ohne Inhalt. In der Ausführung dieser Gedanken polemisirt Verf. wiederholt 
gegen Petzoldt und Lipps. — Bei dem Lösungsversuch des „Grundproblems“ 
geht er von dem Bewusstsein der eigenen Ausgedehntheit aus; das Ich bedarf 
keines Substrates, sondern nur „eines Bewusstseinsinhaltes, welchen durchgängiger 
gesetzlicher Zusammenhang zu dieser Welt, in der es sich findet, macht.“ Das 
Sein besteht demnach nicht mehr aus Seelen und Körpern, sondern aus Bewusst¬ 
sein und seinen Objecten; das Ich und sein Bewusstseinsinhalt sind abstract be¬ 
griffliche Momente, welche sich gegenseitig voraussetzen, real untrennbar Eins, 
das Sein. Der Bewusstseinsinhalt in seiner Individualität, d. h. in seiner räum¬ 
lichen und zeitlichen Bestimmtheit macht die Individualität des Ich aus. Die 
beiden'Gedanken: Bewusstsein überhaupt und reines Subject oder Subject x«i’e'i;o/r / r, 
fallen zusammen. — Der von allen speciellen Empfindungsinhalten vorausgesetzte 
Bewusstseinsinhalt ist die eigene Ausgedehntheit, die eigene Raumerfüllung. Der 
lebendige Leib mit allen seinen Geschehnissen und das Ich sind nicht zwei selb¬ 
ständige Dinge nebeneinander, die nur in gewissen, wenn auch sehr innigen Be¬ 
ziehungen zu einander stehen, sondern sie sind dasselbe, indem das Ich sich un¬ 
mittelbar als diese bestimmte Raumerfüllung weiss. Das Ich weiss und hat sich 
in den Organen, dem Auge, dem Ohr, ist diese selbst, braucht also nicht erst zu 
spüren, dass dieselben empfinden, um dann zu schliessen: also sehe ich. Für eine 
Wechselwirkung von Leib und Seele oder den vom Verf. als „sinnlos“ bezeich- 


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neten psycho-physischen Parallelismus ist in seiner Theorie, wie ersichtlich, kein 
Raum. Der ganze Stoff ist Sicht- und Tastbares, kein geheimnissvolles meta¬ 
physisches Etwas, das erst seine Sicht- und Tastbarkeit durch eine Thätigkeit 
der Seele erhielte, sondern weiter nichts als solcher Bewusstseinsinhalt, Licht, 
Schall u. s. w., hat also schon im Begriffe seiner Existenz die Relation auf Be¬ 
wusstsein. Die Atome existiren, aber nur in dem Gesehenen und Gehörten, als 
Licht und Schall, und sind durchaus ausser Stande, letztere erst hervorzubringen, 
oder erst in letztere verwandelt, als letztere aufgefasst zu werden. Da der 
lebendige Leib nicht existiren kann, ohne dass das Ich sich in ihm und als ihn 
findet und weiss, so lässt sich, dies als Urthatsache hingenommen, die verlangte 
aber unmögliche Einwirkung des Leibes auf die Seele durch diese Unterscheidung 
ersetzen. Und wie für das sensorische, so gilt diese Anschauung auch für das 
motorische Gebiet: wie ich sehe, weil mein Auge sieht oder weil ich dieses 
sehende Auge bin, so will mein motorischer Nerv, weil ich will, weil ich dieser 
Nerv bin. 

Wenn man die Zurückführung eines Problems auf ein anderes schon eine 
Erklärung nennen will, so hätten wir hier eine derartige vor uns; Verf. ist sich 
übrigens der Unzulänglichkeit derselben wohl bewusst. — Das Idiom, in dem die 
Schrift verfasst ist, ist zum grossen Theil ein dermaassen verzwicktes Philosophen- 
deutsch, dass selbst die „Gebildeten aller Stände“, für die die Sammlung heraus¬ 
gegeben ist, meist Mühe haben werden, dasselbe ohne weiteres zu verstehen. 

H. Haenel (Dresden). 


15) Ueber die Beeinflussung geistiger Leistungen durch Hungern, von 

Wilh. Weygandt. (Psycholog. Arbeiten, herausgegeben von Kräpelin. IY.) 

Die Arbeit des auf dem Gebiete der Experimentalpsychologie wohlbekannten 
Verf. stützt sich auf die sorgfältige Bearbeitung zahlreicher Versuohe, die im 
Jahre 1897 und 1898 in der Heidelberger Irrenklinik ausgeführt wurden. Die 
Methodik ist im Allgemeinen die durch frühere Versuohe ausgebildete; neu auf¬ 
genommen sind die Raumschwellenprüfung der Haut, nach Griesbach, die sich 
als nicht verwerthbar für derartige Zwecke herausstellte, und die Methode der 
Ablenkung bei den Auffassungsversuchen, meist durch akustische Reize, d. h. 
lautes Vorlesen. Das wichtigste Ergebniss der Arbeit ist, dass der Hunger in 
gleicher Weise, wie sich das schon früher beim Studium der Wirkung von 
körperlicher und geistiger Ermüdung, Schlafentziehung, sowie von verschiedenen 
Medikamenten gezeigt hatte, eine elective Wirkung auf die verschiedenen geistigen 
Functionen ausübt, d. h. die einen stark, die anderen wenig, wieder andere gar- 
nicht beeinflusst. Im Speciellen liess sich nachweisen, dass die Anpassungsfähig¬ 
keit, die Ermüdbarkeit und die Uebungsfähigkeit im Hungerzustande unverändert 
bleiben. Wahlreactionen zeigen eine geringe Verlängerung, die Fehlreactionen 
stellenweise eine geringe Vermehrung, die Ablenkbarkeit und gemüthlicke Erreg¬ 
barkeit eine geringe Erhöhung, das Addiren wird massig verlangsamt. Am 
schwersten sind gestört die Gedächtnissarbeit des Auswendiglernens, indem vor 
allem der Lernwerth jeder Wiederholung erheblich vermindert wird, während die 
Sprechgeschwindigkeit dabei unverändert bleibt, sowie das associative Denken, 
dessen begrifflicher Zusammenhang gelockert wird (Vermehrung der Associationen 
auf Grund sprachlicher Uebung, Häufung von Klangassociationen). Der zeitliche 
Ablauf der Associationen ist dagegen wieder unbeeinflusst. Gleichzeitige 
Nahrungs- und Flüssigkeitsenthaltung scheint den „Werth“ der Association noch 
mehr herabzusetzen als die blosse Nahrungsenthaltung; andere Unterschiede beider 
Zustände waren nicht deutlich zu erkennen. Nach Aufhören des Hungerzustandes 
glichen sich die gesetzten Veränderungen nicht plötzlich, sondern erst allmählich 


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-wieder aus, schienen nach 2 tägigem Hangern noch nach 48 Standen nachweisbar. — 
Im Ganzen ähneln die psychischen Veränderungen am meisten denen nach 
körperlichen Anstrengungen, ohne doch denselben völlig zu gleichen. Wichtig 
ist auch die Feststellung, dass die psychischen Erscheinungen der sogenannten 
Erschöpfungspsychosen nicht den Veränderungen entsprechen, die durch einfache 
Nahrungsentziehung erzeugt werden. — Ein interessantes Kapitel ist das, in dem 
Verf. seine Ergebnisse vergleicht mit dem, was in populären Anschauungen, 
künstlerischen Darstellungen und durch Beobachtungen und Berichte sogenannter 
Hungerkünstler, sowie Schilderungen bei Hungersnöthen und von Schiffbrüchigen 
berichtet wird. Die Ueberlegenheit der psycho-physischen Messungen gegenüber 
allen, auch scheinbar noch so genauen Selbstbeobachtungen tritt dabei klar zu 
Tage. H. Haenel (Dresden). 


16) Zum Studium der Merkf&higkeit, von August Diehl. (Berlin, 1902.) 

Die Untersuchungen des Verf. bewegen sich auf demselben Gebiete, das vor 
Kurzem von William S t e r n einer Bearbeitung unterzogen worden ist. (Zur Psycho¬ 
logie der Aussage, Referat erscheint in Nr. 15 dieses Blattes.) Die Methodik 
unterscheidet sich von der dort angewandten durch ihre grössere Einfachheit: an 
Stelle von mehr oder weniger complicirten Vorgängen in bildlicher Darstellung 
handelte es sich hier nur darum, ein- und zweistellige Zahlen, die Richtung eines 
Winkels, die Farbe und Form (rund, drei-, viereckig) eines Stückchens Papier sich 
zu merken. Die Ergebnisse beider Untersucher weisen interessante Ueberein- 
stimmungen wie auch Unterschiede auf. Von den ersteren sei hervorgehoben, 
dass Diehl sowohl wie Stern fanden, dass die Ueberzeugung des Aussagenden 
über die Richtigkeit seiner Angaben eine höchst trügerische ist — es fand sich 
unter den Versuchspersonen nicht eine, die nicht unter den sicheren Angaben 
falsche Erinnerungen vorbrachte — und dass Fehler, die anfangs als unsichere 
Angabe bezeichnet wurden, bei Wiederholung in sicherer Form auftraten,. Die 
Zahl der Fehler ist bei Diehl im allgemeinen sogar höher als bei Stern 
(14 °/ 0 gegenüber 8 1 / 2 °/ 0 ). Von zwei gleichförmigen und gleichzeitig gemachten 
'Wahrnehmungen (2 zweistellige Zahlen) prägte sich regelmässig die erste besser 
ein als die zweite. Die Merkfähigkeit zeigte sich als am besten für einfache 
räumliche Darstellungen, gut auch für Farben; falsche Angaben ereigneten sich 
am häufigsten bei Zahlen und Winkelstellungen. Das Erinnerungsvermögen ist 
also sehr abhängig von dem Inhalte, auf den es sich bezieht. Ein bemerkens- 
werther Unterschied gegen die Ergebnisse von Stern ist darin zu finden, dass 
das Erinnerungsvermögen nicht unter allen Umstäden durch die Verlängerung der 
Zeit leidet (Stern glaubte eine ziemlich regelmässige Progression in der Zu¬ 
nahme der Fehlerhaftigkeit mit zunehmender Zeit gefunden zu haben): es kam 
vor, dass Wahrnehmungen, über die am folgenden Tage nur falsche Ver¬ 
muthungen bestanden, bei unvermutheter späterer Nachfrage als in sicherer und 
richtiger Form nachträglich befestigt sich herausstellten. — Die Fehler, die im 
Verlauf einer mehrtägigen Versuchsreihe gemacht wurden, häuften sich zu Ende 
derselben, und entstanden zum grössten Theil durch Nachwirkung fdherer Ein¬ 
drücke. Dagegen konnte nachgewiesen werden, dass, wo die Nachwirkung die 
Angabe eines Tages sehr geschädigt hatte, bei einer längeren Zwischenzeit ein 
Ausgleich stattfand. Stellungsfehler indessen wurden durch längere Zwischen¬ 
zeiten wieder begünstigt. 

Je mehr Untersuchungen über das vorliegende, noch recht wenig erforschte 
Gebiet angestellt werden, umso deutlicher wird es, wie complioirt hier die Ver¬ 
hältnisse liegen und welche Fehler bei der kritiklosen Verwendung von Aus¬ 
sagen besonders auch in juristischer Hinsicht begangen werden können. Jede 


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einzelne neue Arbeit hierüber ist geeignet, bedeutungsvoll und aufklärend zu 
wirken. H. Haenel (Dresden). 


Pathologie des Nervensystems. 

17) La surditä verbale pure. Un oaa de surditA verbale pure due & an 

absoöa du lobe temporal gauohe, tröpanation, gudrison, par A. van Ge¬ 
buchten et Goris. (N6vraxe. III.) 

Wird die reine Worttaubheit durch linksseitigen subcorticalen Herd bedingt, 
wie Lichtheim und Wernicke lehrten und Ref. durch den Fall Gorstelle sowie 
Kritik der gegnerischen Meinungen zu beweisen suchte? Oder ist die reine Wort¬ 
taubheit Folge doppelseitiger Rindenläsionen, wie eine Reihe hervorragender 
Forscher neuerdings annahmen? 

Zu diesem, weit über den Rahmen der Specialfrage hinaus bedeutungsvollen 
Problem bringt der Fall der Verff. einen wichtigen Beitrag. 

Die Verff. schicken eine kritische Besprechung der bisher veröffentlichten 
Fälle von reiner Worttaubheit und der darüber gepflogenen theoretischen Er¬ 
örterungen vorauf. 

Sie machen die Bedenken, die von Thomas und Ref. gegen die Beweiskraft 
des Dej er ine-S6rieux’schen Falles für doppelseitige corticale Verursachung der 
reinen Worttaubheit erhoben worden sind, geltend. 

Ferner können die Verff. sich durchaus nicht den Schlussfolgerungen an- 
schliessen, die Veraguth aus seinem Fall gezogen hat. Sie machen dieselben 
Einwürfe, die Ref. in seiner Besprechung von Veraguth’s Arbeit (Centralbl. f. 
Nervenheilk. u. Psych. XII. 1901) erhoben hat. 

Die Verff. schreiben: „Für uns besteht keinerlei Zusammenhang zwischen den 
Gehirnläsionen, welche V. constatirt hat, und der transitorischen Worttaubheit** 
(S. 73) und „Die Ursache der Worttaubheit in dem Fall von V. entzieht sich 
daher gänzlich unserer Eenntniss. Eins ist indessen sicher, dass die Hirnatrophie, 
welche bei der Autopsie gefunden wurde, sie allein nicht hat machen können 
(S. 75).“ 

Der Fall der Verff. lag folgendermaassen: 

Ein Vierziger bekam im Anschluss an Otorrhoe links einen Schläfenlappen- 
abscess. Sprache intact, Verständnis aufgehoben. Dabei Charakterveränderung: 
Pat. wurde heiter und redselig. 

Aufmeisselung des Warzenfortsatzes. Nach vorübergehender Besserung wieder 
vollkommene Worttaubheit bei erhaltenem Gehör. Keine sonstigen Herd- 
symptome, keine Stauungspapille. 

Lesen erhalten, vollkommen normale Spontansprache, Logorrhoe. 
Verständniss und Nachsprechen gänzlich aufgehoben. 

Schrift nicht geprüft. 

Trepanation, Drainage. Besserung im Verlauf der nächsten 10 Tage. Als 
das Sprachverständniss schon theilweise wiedergekehrt war, traten zum ersten 
Mal einige paraphasische Aeusserungen auf, dann auch, nachdem es gelungen war, 
Pat. zum Schreiben zu bringen, ein gewisser Grad von Paragraphie. 

Weniger als 4 Wochen nach der Trepanation war er vollkommen geheilt. 

Verff. weisen darauf hin, dass hier zum ersten Male reine Worttaubheit duroh 
einen Abscess bedingt war und geheilt ist, constatiren ferner, dass diese Form 
hier durch einseitigen Herd, entsprechend der Meinung von Lichtheim, 
Wernicke und Ref., bedingt war. 

Zu der Frage des corticalen oder subcorticalen Sitzes steuere der Fall nichts 


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bei, da unentschieden bleiben müsse, ob das klinische Bild durch Druck des 
Absceeses auf die Fasermasse oder die Rinde verursacht sei. 

Die Verff. meinen, dass der Grad von Paraphasie und Paragraphie, den Pat. 
nach der Operation zeigte, eine blosse Folge der fehlenden Controle der Worte 
durch das Gehör sei. 

Dem möchte Ref. nicht bei stimmen. Weder Ertaubte, noch Personen mit 
reiner Worttaubheit (z. B. mein Fall) sprechen paraphasisoh. Wie soll nun gar 
Paragraphie durch fehlende Controle des Gehörs zu Stande kommen? Ich glaube 
vielmehr, dass der geringe Grad von Paraphasie und Paragraphie, welche erstere 
vor der Operation nicht bestand (die letztere war vorher nicht geprüft), Folge 
der unvermeidlichen Rindenverletzung bei der Trepanation war. 

Liepmann. 


18) Aphasie, par Touche. (Progrös mädioal. 1901. Nr. 46.) 

Drei interessante Mittheilungen von Aphasie — Autopsieen, in allen Fällen 
war die Insel beträchtlich verletzt. Adolf Passow (Meiningen). 


18) TJn point d’hlstoire de l'aphasie, la döoouverte de Brooa et l’dvolution 
de ses idöes sur la looalisation de l'aphasie, par Dr. Ladame. (Revue 
mödicale de la Suisse romande. 1902. Nr. 3.) 

Yerf. weist in einer chronologischen Zusammenstellung sämmtlicher Arbeiten 
Broca’s nach, dass er thatsächlich schon das Sprachcentrum in den Fuss der 
linken 3. Stirnwindung localisirt hatte, und dass man ihm Unrecht thue, wenn 
man, wie es in letzter Zeit häufig geschah, von ihm behaupte, dass er den Sitz 
nicht näher localisirt habe, sondern die Veränderung im ganzen Frontallappen 
suohe. H. Wille (St. Pirminsberg). 


20) Ueber Aphasie und andere Sprachstörungen, von Dr. H. Charlton 
Bastian. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Moritz Urstein. (Leipzig, 
1902, W. Engelmann.) 

Das treffliche, vielen Lesern dieses Centralblattes im englischen Urtext gewiss 
schon bekannte Buch Bastian's (cf. Neurol. Centralbl. 1899. S. 23) liegt jetzt 
in deutscher Uebersetzung vor. Man kann dem Uebersetzer nur dankbar sein, 
dass er durch seine Uebertragung die wichtigen und interessanten Ausführungen 
B.’s einem grösseren deutschen Leserkreise zugänglich gemaoht hat. 

Das zum Theil aus Vorlesungen entstandene Werk berücksichtigt von den 
verschiedenen Störungen der Sprache und der Schrift vorwiegend die gewöhnlioh 
als „Aphasieen“ bezeichneten. Das erste und zweite Kapitel bringt eine physio¬ 
logische und eine psychologische Einleitung: B. entwickelt die Entstehung des 
Sprechvermögens und der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben beim Kinde, wobei 
besonders die Wichtigkeit der Wiederbelebung akustischer, bezw. akustischer und 
optisoher Eindrücke für alle diese Fähigkeiten hervorgehoben und im Gegensatz 
dazu auf die geringe Rückerinnerungsfähigkeit für kinästhetische Eindrücke 
— im Widerspruch mit anderen Autoren — nachdrücklich hingewiesen wird. 
B. unterscheidet vier Arten des Wortgedächtnisses, wobei er mit Hamilton Ge- 
dächtniss als die Fähigkeit „Gewusstes unbewusst im Geiste zurückzuhalten“, 
Erinnerung als die Kraft, „dieses unbewusst Gewusste in den Zustand des Be¬ 
wusstseins zurückzurufen“, definirt. Das Wortgedächtniss, das an centralste 
Nerveneinheit geknüpft sein muss, kann sein: akustisch, optisch, glosso-kinästhetisoh 
und cheirokinästhetisch. Für alle diese Gedächtnissarten existiren gewisse, nioht 
scharf abgegrenzte, aber functioneil einheitliche Zell- und Faserbezirke, Centra: 

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das akustische in den hinteren zwei Dritteln der oberen Schläfenwindung, das 
optische im Gyrus angularis und Lobul ub supramarginalis, das glosso-kinästhetische 
in der Broca’sehen Gegend, während die Lage des cheirokinästhetischen (vielleicht 
Gyrus frontalis medius) nicht genau bestimmbar ist. Die beiden letztgenannten 
Centren haben keine motorische, sondern eine psychosensorische (cellulipetale) 
Thätigkeit: die motorischen Centra für die Sprache liegen in den bulbären Kernen 
die für die Schrift in den Vorder hörnern. Neben diesen Centra ezistiren Adnexe, 
die den Flechsig’sehen Rin den centren zu entsprechen scheinen. 

Die wirklichen sprachlichen Substrate des Denkens liegen im akustischen und 
optischen Wortgedächtniss, von denen individuell (bei den sogenannten „Hör“* 
und „Seh“-Menschen) bald das eine, bald das andere mit den zugehörigen Centren 
stärker entwickelt sein kann. Die Existenz „sprachmotorischer“ Menschen 
(Galton, Ballet) erkennt B. nicht an. — Durch die begründete Annahme, dass 
bei Wiederbelebung der Worte für die Sprache nicht ein einzelnes Centrum 
isolirt gereizt, sondern gewöhnlich die Nachbarcentra mit in Erregung gebracht 
werden, wird die — überdies psychologisch und klinisch nicht gerechtfertigte — 
Hypothese eines „Begriffscentrums“ für B. unnöthig, und so weicht auch sein 
Aphasieschema von den bekannteren, z. B. dem Lichtheim’sohen, erheblich ab. 
Es besteht aus vier im Quadrat aufgestellten kleinen Kreisen, von denen der linke 
obere das cheirokinästhetische, der rechte obere das optische, der linke untere das 
glossokinästhetische und der rechte untere das akustische Wortcentrum darstellt. 
Das cheirokinästhetische ist mit dem optischen, dieses mit dem akustisohen und 
dieses mit dem glossokinästhetischen durch je eine doppelte Bahn verbunden, in 
der die Reize nach zwei Richtungen verlaufen können. In einer diagonalen 
Doppelbahn zwischen dem akustischen und cheirokinästhetischen und in einer 
diagonalen einfachen Bahn zwischen dem optischen und glossokinästhetischen 
Centrum können in seltenen Fällen ungewöhnliche Reize verlaufen. Das Schema 
hat den Vortheil, dass es auch gleichzeitig eine gewisse hirnanatomische Anschau¬ 
ung erleichtert. 

Für die Sprache sind beide Hirnhemisphären ausgebildet, die linke jedoch 
— offenbar zum Zwecke grösserer Concentrirung — kräftiger entwickelt. 

Das Denken ist nicht, wie z. B. Max Müller glaubt, untrennbar mit der 
Sprache verknüpft, sondern nur ein Theil des Denkvermögens, besonders das ab¬ 
stracto Denken. 

Nach der Einleitung bringt Capitel III die auf ihren Ausführungen basirende 
Classification der Sprachdefecte und die folgenden Capitel die Abhandlung der 
einzelnen. Es ist im Rahmen eines Referats unmöglich, auch nur einen Ueber- 
blick über den grossen Reichthum an klinischem und anatomischem Material 
(114 Fälle werden im Auszug mitgetheilt) und über die werthvollen psycho¬ 
logischen, sprachphysiologischen und pathologischen Erörterungen des Verf.’s zu 
geben. Es soll nur auf einzelne Punkte hingewiesen werden: 

Von den durch structurelle oder functionelle Herabsetzung der motorischen 
(bulbären bezw. spinalen) Centra bedingten Sprach- und Schreibdefecten (Anarthrieen) 
werden die bei Chorea, multipler Sklerose und Bulbärparalyse, sowie das Lallen 
(Stammeln), Stottern und die Aphthongie kurz besprochen und anhangsweise der 
Schreibkrampf und die spinalen Lähmungen erwähnt. Ausführlicher besprochen 
werden die in der Litteratur vielfach unter der Rubrik der motorischen Aphasieen 
gehenden Fälle von Sprachstörung durch Läsion der Pyramidenbahn. B. nennt 
sie Aphemieen und unterscheidet complette (mit totaler Stummheit) und in- 
complette. In beiden Gruppen ist Psyche, Sprachverständniss und — bei fehlender 
Handlähmung — die Schrift unversehrt, während bei den Aphasieen und 
Amnesieen (entere das, was gewöhnlich als „motorische Aphasieen“, 
letztere das, was als „sensorische Aphasieen“ — Worttaubheit, Wort- 


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blindheit u. s. w. — bezeichnet wird) die Psyche in der Regel krankhaft ge* 
stört ist 

Mit den letztgenannten Defecten beschäftigen sich die nächsten Capital. Der 
Reihe nach werden besprochen: die strnctnrelle Erkrankung der kinästhetischen 
Contra, ihre functionellen Beschädigungen durch Congestion, geringfügige Em- 
bolieen, Gefässkrämpfe, Intoxication und Infection, Epilepsie, Psychosen und 
Affecte, reflectorisch bedingte, hypnotische und hysterische. Besonders interessant 
ist dabei der Abschnitt über hysterischen Mutismus, der als doppelseitige functio- 
nelle Läsion der unteren Stirnwindungen (mit Einschluss der vooalen Centra der¬ 
selben) angesehen wird. — Agraphie kann nach B. sowohl die Zerstörung des 
Broca’sehen Gebiets, als der audito-kinästhetischen Commissur begleiten, haupt¬ 
sächlich aber tritt sie ein bei Läsion der audito-visuellen Commissur oder durch 
isolirte Verletzung des cheirokinästhetischen Centrums, dessen Vorhandensein zwar 
nicht sicher feststeht, jedoch mit den von Dejerine, Miralliö u. A. angeführten 
Gründen B. nicht widerlegt erscheint. 

Eingehend werden in den nächsten Capiteln die Erkrankungen der akustischen 
und optischen Wortcentra, die Paraphasie und Paragraphie, sowie die Störungen 
nach Beschädigung der Commissuren besprochen. Hierbei wird Lichtheim’s 
„reine Worttaubheit („Bubcorticale sensorische Aphasie“ Wernicke’s) auf Isolirung 
des linken akustischen Wortcentrums Bowohl von den directen als den (durch 
Balkenfasern vermittelten) indirecten centripetalen Eindrücken zurückgeführt oder 
auf Zerstörung beider akustischer Wortcentren bei einem „Seh“-Menschen. 
Zerstörung des akustischen Wortcentrums hindert das Sprachverständniss, das 
Spontan- und Dictatschreiben und das Nachsprechen und führt zu Aphasie oder 
Paraphasie. 

Die Frage der Restitution und der wiederkehrenden oder gelegentlichen 
Aeusserungen behandelt das 12. Capitel, in dessen Anhang Verf. seine Classification 
mit der Lichtheim’s vergleicht. Interessante Bemerkungen über Zahlenlesen 
und -schreiben, sowie über die Amusie, Amimie und die Spiegelschrift füllen das 
13. Capitel, während die letzten der Besprechung der Aetiologie, Diagnose und 
Therapie gewidmet sind. Im Capitel über Prognose wird auch der im Ganzen 
wenig berücksichtigten Frage von der Fähigkeit der Aphasischen zur Ausübung 
der bürgerlichen Rechte die gebührende Beachtung geschenkt. 

Die Lectüre des Buches, dessen wohlgelungene Uebersetzung eine bei der 
Schwierigkeit des Themas doppelt anerkennenswerthe Leistung darstellt, ist für 
alle, die sich für Sprachstörungen interessiren oder darüber arbeiten, nicht nur 
rathsam, sondern unentbehrlich. Wenngleich zugegeben werden muss, dass eine 
Reihe der vom Verf. angeführten Thatsaohen und Fälle einer anderen Deutung 
als der von ihm gegebenen sehr wohl zugänglich sind, und dass sich auch über 
wichtige Fragen wohl mit ihm streiten liesse (es sei nur auf die Behauptung der 
Unfähigkeit eines willkürlichen Wiederauflebens der Eindrücke des kinästhetischen 
Gedächtnisses hingewiesen), so enthält es eine grosse Menge wichtiger-und neuer 
Beobachtungen und zeichnet sich vor allem durch kritische Sichtung, durch Klar¬ 
heit der Gedanken und Klarheit der Darstellung aus. Toby Cohn (Berlin). 


21) Beiträge zur Behandlung der motorischen Aphasie nach oerebralen 

Störungen, von Dr. Vidal, Specialarzt für Sprachstörungen in München. 

(Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 32.) 

Verf. betont, eine wie dankbare Aufgabe die Behandlung motorischer Apha- 
sieen darstelle, die allerdings grosse Geduld erfordert. Die sensorische Aphasie 
soll der Therapie nicht so gut zugänglich sein. Es kommt darauf an, die Defecte 
in der Sprache zu bestimmen und dann die einzelnen Laute durch Vorsprechen 
methodisch zu lehren. E. Asch (Frankfurt a/M.) 

““ “ 48 * 


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22) Die Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kinder, von Dr. Alb. 

Liebmann. (Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen Psychologie 

und Physiologie. IV. 1901.) 

Bei geistig zurückgebliebenen Kindern findet man durch eine Untersuchung 
sämmtlicher centraler Fähigkeiten (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tast-, 
Druck-, Temperatursinn, Schmerzgefühl, Geschicklichkeit der Körper- und Hand- 
musculatur, spontane Sprache, Fähigkeit des Nachsprechens) bei jedem Patienten 
ganz bestimmte Defecte heraus, die je nach der Art und dem Grade des Falles 
verschieden sind. Eine sehr hervorragende Stellung nehmen dabei die Sprach¬ 
störungen ein; sie geben einen besonders tiefen Einblick in die geistige Structur 
des Patienten und ihre Beseitigung fördert häufig die geistige Entwickelung. 

Die meisten Sprachstörungen sind secundär, beruhend auf der geistigen In¬ 
feriorität des Kindes. Am häufigsten findet sich mehr oder weniger völlige Stumm¬ 
heit, mit fehlendem oder mangelhaftem Sprachverständniss. Die Prognose richtet 
sich danach, ob die Kinder apathisch und unerregbar sind, oder ob man ihre 
Aufmerksamkeit erregen kann. Die Therapie muss zuerst dem Patienten Inte» 
esse für die Dinge der Umgebung einpflanzen und seine acustischen, optischen, 
tactilen und motorischen Fähigkeiten entwickeln. Dann erst beginnt der eigent¬ 
liche Sprachunterricht, zuerst Uebungen im Nacbspreohen, dann in spontaner 
Sprache; endlich ist der Agrammatismus zu beseitigen. Eine zweite secundäre 
Sprachstörung ist das Stammeln, die Unfähigkeit, alle Laute und Lautverbindungen 
in correcter Weise zu bilden. Ferner gehören hierher gewisse Fälle von Stottern 
und Poltern, die auf einer Disharmonie zwischen mechanischer und formaler 
Sprache beruhen. 

Bei primären Sprachstörungen ist das Zurückbleiben der geistigen Entwicke¬ 
lung auf die undeutliche Sprache zurückzuführen. Solche Kinder pflegen an hoch¬ 
gradigem Stammeln zu laboriren, das häufig durch organische Veränderungen be¬ 
dingt ist y in anderen Fällen aber als functionell angesehen werden muss. Am 
meisten leidet die Intelligenz, wenn noch Schwerhörigkeit hinzukommt. 

An der Hand von sieben Krankengeschichten erläutert Verf. eingehend die 
verschiedenartigen Fälle und die dabei angewandten sehr sorgsamen Heilverfahren. 

E. Beyer (Littenweiler). 


23) Die Spraohe schwerhöriger Kinder, von Dr. Alb. Liebmann. (Breegen’s 

Sammlung zwangloser Abhandlungen. V. 1901.) 

Schädigungen der Sprache von Seiten mangelhaften Gehörs treten hervor 
einerseits in dem mangelhaften Sprachverständniss und den daraus resultirenden 
Folgen, andererseits in einer undeutlichen Aussprache. Wesentlich ist der Zeit¬ 
punkt, in dem die Gehörsherabsetzung eintritt, und der Grad der Gehörstörung, 
ferner die Intelligenz des Kindes und das Verhalten der Umgebung. Eine bis 
etwa zum* 7. Lebensjahre auftretende Schwerhörigkeit ist auoh im stände, die 
bereits erlernte Lautsprache wieder zum Verschwinden zu bringen, sei es völlig 
oder doch bis auf Rudimente. Bei späterem Eintritt verliert die Sprache an 
Wohlklang und Deutlichkeit und nimmt charakteristische lautliche Mängel an. 

Hochgradig schwerhörige Kinder bringen es ohne Kunsthülfe meist nur zu 
einer unvollkommenen Sprache. In formaler Beziehung ist bemerkenswerth der 
meist ausserordentlich geringe Wortschatz. Die Kinder suchen dem abzuhelfen, 
indem sie das fehlende Wort durch ein irgendwie verwandtes ersetzen, oder 
durch Zeichensprache. Natürlich muss dabei die geistige Entwickelung sehr er¬ 
heblich Zurückbleiben, und daraus resultirt die Unfähigkeit, in zusammenhängenden, 
geordnet flectirten Sätzen zu Bpreohen (Agrammatismus). 

Die lautlichen Mängel der Sprache bestehen in eigenthümlioh monotonem 


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Klang, mangelhafter Betonung und verwaschener Articulation. Die Klangfarbe 
der Vocale pflegt in charakteristischer Weise alterirt zu sein. Consonanten fehlen 
in hochgradigen Fällen fast alle. Ferner werden Mängel der Lautverbindung be¬ 
obachtet. 

Die Behandlung ist je nach der Lage des einzelnen Falles verschieden: bald 
ist nur die mangelhafte Aussprache zu verbessern, in anderen Fällen muss man 
dem Kranken auch alle fehlenden Worte und Begriffe und eine richtige gram- 
matisch-syntactische Sprache beibringen. Zu warnen ist vor gemeinsamem Unter¬ 
richt mit Taubstummen. Verf. schildert eingehend sein Verfahren, welches ihn 
meist in ungefähr 3 Monaten zum Ziele fährt E. Beyer (Littenweiler). 


34) Ueber die Spraohe der Schwerhörigen und Ertaubten, von Hermann 

Gutzmann. Vortrag, gehalten im Verein für innere Medioin in Berlin. 

(Deutsche med. WochenBchr. 1902. Nr. 18 u. 19.) 

Das Gehör ist für die Peroeption unter normalen Verhältnissen der am 
meisten und stärksten benutzte Sinn und bei der Production der Sprache von 
grosser Wichtigkeit, indem Tonhöhe, Betonung, Timbre der Stimme und die ver¬ 
schiedenen Arten der Geräusche durch das Gehör leicht und gut verglichen werden. 
Das Gehör allein ist aber unmöglich als Controlleur der Sprache an¬ 
zusehen, der wichtigste Controllsinn ist vielmehr das Gefühl in seinen verschie¬ 
denen Hautsinnen und dem Muskelsinn. Die Fähigkeit, die Lage und Bewegung 
der Sprachorgane während der Sprachproduction selbst zu beurtheilen, ist sehr 
verschieden ausgebildet; sie hängt bei den verschiedenen Personen von dem Grade 
der Aufmerksamkeit ab, die sie von früh an den Gefühlssinnen zuwenden, und es 
kann die Benutzung der Gefühlssinne für die Sprachcontrolle durch aufmerksame 
systematische Uebungen bedeutend gesteigert werden. Das iBt aber therapeutisch 
ausserordentlich wichtig, wie Verf. im weiteren Verlauf seiner geistvollen Aus¬ 
führungen darlegt. Das Detail derselben muss im Original studirt werden. 

R. Pfeiffer. 


86) Synoope et asphyxie looale, par A. Garrigues. (Gazette des höpitaux. 
1901.) 

Verf. setzt kurz auseinander, dass Raynaud’sche Krankheit und Sklerodermie 
nur verschiedene Manifestationen eines endarteriitischen Processes sind, der bei 
schwerer Läsion der Capillaren zur Gangrän, bei leichterer zur Sklerodermie führt. 

R. Hatschek (Wien). 


26) Primaire Erythromelalgie, door Dr. W. J. Koppius. (Ned. Tydsohr. van 

Genesk. 1901. Nr. 24.) 

Verf. beschreibt zwei Fälle von Erythromelalgie: 

Der erste Fall betrifft ein 24jähr. Mädchen; es traten starke Schmerzen auf 
in der linken Hand, am meisten in den Fingerspitzen: diese wurden dabei roth 
und geschwollen. Der Fall, heilte aus unter Behandlung mit Sol. Fowleri und 
Mentholvaselin äusserlich; später trat nochmals ein Beoidiv auf, das bei derselben 
Behandlung wieder heilte. 

Der zweite Fall betrifft ein Kind von l 1 / i Jahren; es litt zugleich an Consti- 
pation. Die Händohen und Füsschen waren roth und geschwollen; obwohl das 
Kind schon vorher laufen konnte, that dasselbe es nicht mehr und weinte, wenn man 
ihm die Händchen anfasste. Eine verbesserte Dentition gab keine Erleichterung. 
Es schwitzte viel, hatte aber Fieber. Hände und Füsse sind kalt ausser bei den 
Anfällen. Zuweilen traten Bläschen auf an den Füsschen, die ein seropurulentes 


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Sekret secerniren und danach wieder heilen. Später wurde das Kind wieder 
geeund. 

Perniones, Raynaud’sche Krankheit und Akrodynie waren auszuschliessen; 
auch war in beiden Fällen kein organisches Nervenleiden nachweisbar; beide 
Fälle gehören also zu der primären Erythromelalgie. Auch waren in beiden 
Fällen keine allgemeinen Neurosen zu oonstatiren. Ten Cate (Rotterdam). 


87) Paralysis of the oervioal sympathetio, by Parves Stewart. (Brit med. 

Journ. 1901. 8. Juni.) 

Mittheilung eines Falles von Schussverletzung des Cervicaltheils des Sym- 
pathicus. Einem im Gefecht auf der Erde liegenden Soldaten war ein Mauser¬ 
geschoss etwa l 1 / 8 Zoll unterhalb des Proc. mastoideus in die linke Halsseite 
ein- und, die Frontalseite der Wirbelsäule streifend, in der rechten hinteren 
Axillarlinie ausgetreten. 

Unmittelbar nach der Verletzung hatte vorübergehend völlige Lähmung der 
reohten oberen Extremität bestanden. 

Bei der 2 1 /, Monate später vorgenommenen Untersuchung fand sich noch 
Parese des rechten M. opponens; keinerlei Atrophie. Ferner fand sich eine von 
der Höhe der Achsel sich nach unten über die ganze dorsale sowie die ulnare 
Hälfte der Volarseite des rechten Ober- und Unterarms erstreckende leichte Haut- 
anästheeie, welche letztere auch auf den 6. und die Ulnarseite des 4. Fingers 
herabreichte. 

Rechter Bulbus leicht zurückgewichen; die rechte Augenlidspalte ist verengt. 

Die rechte Pupille kleiner als die linke; erstere reagirte auf Aocommodation 
und Lichteinfall, blieb aber beim Besohatten des Auges contrahirt 

Endlich fand Verf. auf der rechten Körperhälfte eine scharf umschriebene 
Zone mit völliger Anhidrosis. — Die Zone wurde begrenzt von einer Linie, welche 
etwa vorn von der Mitte des Brustbeins — in der Höhe der 3. Rippe — nach 
oben und hinten über die Pfeilnaht zum Dornfortsatz des 3. Brustwirbels ver¬ 
läuft; auch die ganze rechte obere Extremität zeigt Anhidrosis. 

Die Kugel hatte demnach den unteren Theil des Plexus brachialis, speciell 
die Nervenwurzeln vor Abgang der Rami communicantes und hierdurch den Hals- 
8ympathicus verletzt. — Auf die Verletzung des Halstheils des Sympathious deuten 
nicht nur die oculo-pupillären Symptome, sondern besonders die beschriebene 
Anhidrosis. Letztere ist nicht als vasomotorische Störung aufzufassen; denn Pilo- 
carpininjeotionen, welche ohne Wirkung auf die Vasodilatatoren die die Sohweiss- 
secretion erregenden Nervenfasern direot beeinflussen, brachte an der beschriebenen 
Zone auch keinen Schweiss hervor, während der übrige Körper heftigen Schweiss- 
ausbruoh zeigte. E. Lehmann (Oeynhausen). 


28) Znr Casuistik der vasomotoriaohen Störungen, von W. Mager. (Prager 
med. Wochenschr. 1901. S. 316.) 

l&jähr. Mädchen. Im 13. Jahre allmählich Unvermögen zu gehen, indem die 
Beine im Kniegelenk nicht vollständig gestreckt werden konnten. 

Stat praes.: Concentrisohe Gesichtafeldeinschränkung, Fehlen des Comeal-, 
Herabsetzung des Gaumensegelreflexes. 

Am Thorax, den oberen Gliedmaassen und Oberschenkeln ausgezeichneter 
Dermatographismus (Urticaria factitia). Tiefe Reflexe bedeutend gesteigert. An 
den Händen, gegen die Fingerspitzen zunehmend, bläuliches, stellenweise marmo- 
rirtes Aussehen der Haut, Nägel dunkelblau verfärbt 

Musculatur der Unterschenkel mässig atrophisch. Beine im Kniegelenk leioht 
gebeugt; rechts ausgleichbar, links nicht vollständig (Gelenksconstituentien ver- 


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ändert). Patellarsehnenreflexe gesteigert (links Patellarklonus), beiderseits Fuss- 
phänomen. Croralpnls deutlich. Gefässe in der Kniekehle und an den Knöcheln 
nicht zu palpiren. 

Vom Kniegelenk abwärts in peripheriewärts [zunehmender Intensität bläulich- 
rothe Verfärbung der Haut, welche sich kühl anfühlt (auch subjectiv empfindet 
Patientin daselbst Kältegefühl). Bei mechanischen Reizen der verfärbten Stellen 
tritt zuerst eine weisse Zone au£ in deren lütte nach 2—3 Minuten sich eine 
rothe Linie zeigt, welche sich nach beiden Seiten allmählich verbreitert. Nach 
10—15 Minuten ist das ganze Phänomen vorüber. 

Sensibilität normal. Nur in der periphersten Portion der unteren Extremi¬ 
täten besteht leichte Hypästhesie; auch wird warm und kalt nicht sicher unter¬ 
schieden. 

In der Musculatur der unteren Gliedmaassen traten während der Untersuchung 
wiederholt kurzwellige klonische Zuckungen auf. 

Nach Erörterung der Differentialdiagnose, wobei besonders Cassirer’s be¬ 
kannte Monographie eingehend Berücksichtigung findet, fasst Verf. den Fall* als 
Hysterie auf mit an Raynaud'sehe Krankheit sioh anlehnenden Symptomen. 

Pilcz (Wien). 

29) Schwindel, von Dr. Rudolf Panse. (Zeitschr. f. Ohrenheilk. XLL 1902.) 

Unter Schwindol, vielleicht besser Lagesohwindel genannt, verstehen wir eine 
Täuschung über unser Verhältnis zum Raum. Sie wird empfunden entweder als 
Veränderung unserer Körperlage, oder wir beziehen die Empfindung auf unsere 
Umgehung, indem diese sich zu bewegen soheint. 

Ueber das Verhältniss unseres Körpers zum Raum bilden wir uns ein Urtheil 
durch drei verschiedene Sinnesbahnen: durch die Augen, durch das Gleichgewichts¬ 
organ im Labyrinth des Ohres und durch das kinästhetisohe Gefühl, d. h. die 
Haut-, Muskel-, Gelenk-, auch wohl Eingeweideempfindungen. Auf jeder dieser 
Bahnen können krankhafte Reize angreifen, die, wenn sie stark genug sind, zu 
Täuschungen über unsere Lage im Raum, zu Schwindel, führen. 

Verf. gieht eine eingehende Darstellung der hier in Betracht kommenden 
anatomischen, physiologischen und pathologischen Verhältnisse und bespricht die 
in der Litteratur vorliegenden Beobachtungen und Experimente. Die Anatomie 
der Nervenbahnen wird an acht schematischen Abbildungen erläutert 

Die krankhaften Störungen sind zu scheiden in Reiz- und Ausfallserscheinungen, 
und sie können nur eine oder mehrere Bahnen gleichzeitig befallen. Da bei Aus¬ 
fall in einer einzelnen die beiden anderen im allgemeinen hinreichend für sie 
eintreten, so muss ein Reiz sohon eine gewisse Stärke haben, wenn er von einer 
einzigen der drei Sinnesbahnen aus zu Schwindel führen soll. Schwächere Reize 
an zwei verschiedenen Sinnesbahnen können sioh auch zu demselben Enderfolg 
verbinden. Bei Ausfall zweier Sinnesbahnen reiohen schon die gewohnten Haltungen 
und Lageveränderungen hin, um Schwindel auftreten zu lassen. 

Der Sitz der Schädigung kann ein verschiedener sein; die Bahnen können 
von ihrem peripheren Ende bis zu den Stellen getroffen sein, wo die Fasern ab¬ 
gehen, die sie untereinander verbinden. 

Die Versuche, welche schwachen Schwindel bis zum Auftreten sichtbarer Er¬ 
scheinungen steigern können, d. h. zu Taumeln und Nystagmus, können unter 
Umständen auch zur Diagnose führen. Wird eine der drei Bahnen ohne Ver¬ 
mehrung des Schwindels ausgeschaltet, so ist sie nutzlos, gelähmt; wird der 
Schwindel dadurch besser, bo ist sie der Sitz des Leidens; wird er stärker, so 
ist sie zum Ersatz nothwendig und brauchbar, also wenig geschädigt. Verstärkung 
des Reizes fördert die Ortsdiagnose nicht. E. Beyer (Littenweiler). 


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30) Meniöre’seher Symptomen oomplex, geheilt mittelst dee galvanischen 

Stromes, von Dr. Julias Donath. (Wiener klin. Wochen sehr. 1901. 

Nr. 47.) 

Der 40jähr. Schriftsetzer litt an typischem Menidre'schein Schwindel seit 
dem 17. Lebensjahre. Abnahme des Gehörs, Schwindel, Kopfschmerz, Erbrechen, 
Ohrensaasen; Schweissaasbrach im Beginn des Anfalles. Beiderseitiger tfittelohr- 
catarrh and Acasticasanästhesie. Unter Galvanisation des Acusticus (Kathode im 
Nacken, Anode aaf den einen und anderen Tragus 2—5 M.-A.) hörte der Schwindel 
nach der ersten Sitzung auf. Es wurden erst sechs und später noch fünf Sitzungen 
vorgenommen. Es blieben nur Ohrgeräusohe zurück und an Stelle der Anästhesie 
trat Hyperästhesie des Acustious. Jede andere Therapie war erfolglos gewesen. 

J. Sorgo (Wien). 


31) Die Seekrankheit. Vorschläge za ihrer gemeinsamen Bek&mpfang 
daroh Techniker and Aerzte, von Med.-Rath C. Sohwerdt (Jena, 1901.) 

Die kleine Schrift hält nicht das, was der Titel verspricht: sie bringt nach 
einigen allgemeinen Wendungen über das Ersprießliche eines harmonischen Zu- 
sammenarbeitens von Medicin und Technik das dürftige Gerippe eines Vorschlages, 
der dahin geht, durch einige Aenderungen in der SchifisConstruction (vier an den 
Enden des Schiffes angebrachte, mit comprimirter Luft gefüllte Schächte, an deren 
Boden sich die Schrauben, ebenfalls in der Vierzahl und von verschiedener 
Wirkungsrichtung, befinden) die Schwankungen zu vermindern. Die Entscheidung 
über die constructive Möglichkeit und Wirksamkeit dieser „Verbesserungen“ ist 
eine rein technische und keine medicinische Angelegenheit. Zwei sehr grob¬ 
schematisch gehaltene Skizzen, die am Schluss beigefügt sind, tragen nioht viel 
dazu bei, den Leser von der Bedeutung der Neuerung zu überzeugen. 

EL Haenel (Dresden). 


32) Ueber Seekrankheit, von Bob. Puhlmann. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.) 

Verf., selbst seit längeren Jahren Schifisarzt, giebt erst eine Symptomatologie 
der Seekrankheit, wobei er neben den körperlichen auoh den psychischen Sym¬ 
ptomen ihr Recht einräumt. Die Behandlung muss eine symptomatische sein, ein 
Specificum gegen die Krankheit giebt es nicht, so viele auch empfohlen worden 
sind; neben den verschiedenen Medicamenten, Narcoticis, Eisbeutel auf die Wirbel¬ 
säule u. ähnL, ist die Suggestionstherapie oft von überraschendem Erfolge. 
Schliesslich giebt Verf. eine Uebersicht über die verschiedenen bisher aufgestellten 
Theorieen, die zum grossen Theile einen sehr „theoretischen“ Eindruck machen; 
nicht erwähnt wird dabei die eine, nach Ansicht des Ref. recht einleuchtende, die 
das Wesentliche der Krankheit in der Verwirrung des Gefühls vom eigenen 
Körpergewicht sucht, hervorgerufen durch den wechselnden Druck der Fusssohlen 
auf den Boden, der dem erwarteten immer gerade entgegengesetzt ist; bei der 
Abwärtsbewegung Verminderung dieses Druckes, also Gefühl des Leichterwerdens, 
bei der Aufwärtsbewegung Vermehrung, also Gefühl des Schwererwerdens. Jeden¬ 
falls setzt sich, was vielleicht noch mehr hätte hervorgehoben werden können, das 
Gesammtbild der Seekrankheit aus einer ganzen Anzahl von Einzelfactoren zu¬ 
sammen, und der Versuch, auf Grund einer einzigen Theorie alle Symptome 
erklären zu wollen, wird immer-lückenhaft bleiben. EL Haenel (Dresden). 


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Forensische Psychiatrie. 

33) Die Unterbringung geisteskranker Verbrecher, von Medicinalrath Dr. 

P. Näcke. (HaUe, 1902, Marhold. 67 S.) 

Unter Heranziehung fremder Erfahrung (das Litteraturverzeichniss enth&lt 
78 Nummern) und auf Grund eigener reicher Erfahrung beantwortet der Verf. 
die Frage, wo die geisteskranken Verbrecher unterzubringen seien. 

Als solche bezeichnet er mit Recht nur diejenigen Verbrecher, welche in der 
Strafanstalt die eraten Zeiohen von Irrsinn zeigen. 

Principiell gehörten dieselben, da sie Geisteskranke sind, in die Irrenanstalten. 

Hier will man sie aber meist nicht, entweder auB dem „sentimentalen“ 
Grunde, dass man bestrafte und unbestrafte Irre nicht zusammenbringen dürfe, 
ein Grund, welcher nach dem Verf. ein sehr hohler ist, oder weil sie zu gefähr¬ 
lich und störend seien, was nur dann zu trifft, wenn sie in grosser Zahl Vor¬ 
kommen und nicht zweckmässig vertheilt sind oder weil sie durch ihre Anwesen¬ 
heit die Durchführung des no-restraint unmöglich machen, ein Einwand, welcher 
ebenfalls zurückgewiesen wird. Nur der Einwand, dass der Irrenarzt durch die 
Aufrahme jener Elemente eine schwere Verantwortlichkeit zu tragen hat, scheint 
dem Verf. wirklich schwerwiegend. 

Da sich die Gefängnisse ebenso wie die Irrenanstalten sträuben, die geistes¬ 
kranken Verbrecher zu behalten, so hat man drei verschiedene Systeme versucht, 
welche eingehend und kritisch besprochen werden: 1. Centralanstalten für irre 
Verbrecher (England, Amerika, Italien); 2. Adnexe an Irrenanstalten (Frankreich, 
Deutschland, hier besonders Dalldorf, Amerika, Petersburg); 3. Adnexe an Straf¬ 
anstalten (Perth, 1876 Waldheim, Moabit u. s. w.). 

Dies System hat sich, besonders in Deutschland, gut bewährt, und Verf. tritt 
für dasselbe unter ausführlicher Erörterung, wie hier der innere Betrieb zu regeln 
sei, ein. 

Endlich wird die Frage nach der Unterbringung der „verminderten Zurech¬ 
nungsfähigen“ erörtert. 

Die kurze Skizze soll auf die Reichhaltigkeit der Arbeit hinweisen. Sie 
wird jedem, welcher sich für die Frage interessirt, durch die klare und kritische 
Erörterung derselben leicbt über den augenblicklichen Stand der Angelegenheit 
informiren, wie den Beamten und Behörden, welche über die Einrichtung der¬ 
artiger Anstalten zu bestimmen haben, das Material bieten, von dem sie bei 
ihren Entschliessungen auszugehen haben. M. 


84) Welohe Gesichtspunkte sind maassgebend für die Frage, ob eine 
Entmündigung aussuspreohen ist wegen Geisteskrankheit oder wegen 
GeistessohwftoheP Urtheil des vierten Civilsenats des Reicbsgeriohtes vom 
13./H. 1902. (Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen. Bd. L. S. 203.) 
Das vorliegende Urtheil enthält, so viel mir bekannt, die erste Entscheidung 
des höchsten Gerichtshofes über den Begriff der „Geistesschwäche“ des Bürgerlichen 
Gesetzbuches. Dasselbe ist in einer Entmündigungssache ergangen, in welcher 
ich vor dem Kammergericht ein Gutachten darüber abzugeben hatte, ob der 
Provocat geisteskrank oder geistesschwach ist. 1 

Da die Begriffe psychiatrisch einander nicht gegenüberzustellen sind, hatte 
ich in meinem Gutachten ausgeführt, dass zur Entscheidung, ob geisteskrank oder 
geistesschwach, im concreten Falle nachzusehen sei, ob „diejenigen Rechte, welohe 
das Gesetz dem Geistesschwachen gegenüber dem Geisteskranken Vorbehalten 


1 Das Gutachten erscheint demnächst in extenso in der irstl. Sachverst&ndigen-Zeitang. 


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hat, von dem Betreffenden thatsächlich ohne Schädigung für ihn oder Andere 
ausgeübt werden können“. 

Ich erklärte auf Grund der nach diesem Grundsätze angestellten Unter* 
Buchung den Provocaten für geisteskrank. 

Das Kammergericht entschied meinem Gutachten entsprechend, das Reichs¬ 
gericht billigte die Entscheidung und ihre Begründung und wies die gegen die¬ 
selbe eingelegte Revision zurück. 

Der Schluss des Urtheils lautet: 

„Fehlt es nun aber hiernach an jedem zuverlässigen Merkmal eines wesent¬ 
lichen Unterschieds zwischen Geisteskrankheit und Geistesschwäche, so ergiebt sich 
mit Sicherheit doch soviel, dass jene die schwerere und diese die leichtere Form 
ist. Bei der Feststellung, ob die erstere oder die letztere im Sinne des § 6 
Nr. 1 B.G.B. vorliegt, ist man im Wesentlichen darauf angewiesen, aus der Stärke 
der Wirkung auf die Stärke der Ursache zu schliessen und nach diesem Maass¬ 
stab zu bestimmen, ob das Denken, Wollen und Handeln des Kranken durch die 
Störung seiner Geisteskräfte in einem solchen Grade regelwidrig beeinflusst wird, 
dass er entweder, wie ein Kind, gänzlich geschäftsunfähig oder nach Art eines 
Minderjährigen, der das 7. Lebensjahr vollendet hat, nur in beschränkter Weise 
geschäftsfähig erscheint. 

In dem ersten Falle entspricht es der Absicht des Gesetzes, wie sie aus den 
entsprechend normirten Rechtsfolgen erkennbar wird, die Entmündigung wegen 
Geisteskrankheit, in dem zweiten, sie wegen Geistesschwäche eintreten zu 
lassen. Diese Entscheidung ist daher, mangels hierüber feststehender medicinischer 
Begriffe, keine psychiatrische, sondern eine überwiegend thatsächliche, welche der 
Richter trifft und die nur zum Theil auf dem ärztlichen Gutachten, das den 
Stoff zu seinen Schlüssen liefert, beruht.“ MendeL 


Psychiatrie. 

35) üna teoria delT alluoinasione, del Prof. E. Tanzi. (Rivista di patologia 
nervosa e mentale. 1901. December.) 

Eine verbreitete Hypothese sucht das halluoinatorische Phänomen patho¬ 
genetisch aus einem Reizzustand des betreffenden psychosensorischen Centrums, 
der entweder durch eine periphere Erregung oder durch eine Wahnidee oder 
endlich durch einen loco einsetzenden Erregungsprooess verursacht gedacht wurde, 
zu erklären. Seitdem die örtliche Geschiedenheit der Projections- und Associations¬ 
gebiete und die asymmetrische (unilaterale?) Lage der letzteren kaum noch be¬ 
zweifelt wird, erheben sioh auch gewichtige Einwände gegen die obige Doctrin. 
Hält man ihr zu Folge daran fest, die Bildung von Empfindungen und Vor¬ 
stellungen in einem gemeinsamen Centram zu behaupten, so bestreitet man die 
Möglichkeit, dass sich die Hallucinationen anders als quantitativ von den Vor¬ 
stellungen unterscheiden und muss Grenzphänomene zwischen beiden und damit 
die Möglichkeit zulassen, dass der normale Mensch gelegentlich zweifeln müsste, 
ob er vorstellt oder hallucinirt. Wie will man ferner damit das Zustandekommen 
verstandesmässig geformter sinnreicher Hallucinationen erklären, und wie kann 
man die absurde Forderung, dass, um das Auftauchen ganzer, niemals hemiopischer 
Trugbilder zu verstehen, immer zwei gleiche .krankhafte Reize genau comple- 
mentäre Punkte beider Hemisphären treffen müssten, anders vermeiden, als indem 
man die irreführende Hypothese über Bord wirft? 

Wahrscheinlich sind die bilateralen Sinnescentren unter normalen Verhält¬ 
nissen nur Stationen für die Empfindungen, welche von hier aus in Symbole ver¬ 
wandelt und, ohne Spuren zu hinterlassen, auf gleichseitigen und gekreuzten 


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Bahnen in die (einseitigen?) transoortiealen VorsteUongs(Erinnerung8)centren pro- 
jicirt and dort registrirt besw. sa Symbolen aus Symbolen (Begriffen) sublimirt, 
in eine nochmals übergeordnete Zone deponirt werden. — Die Sinnesfelder dienen 
also normaliter aosschlieeslioh besw. als Spiegel, als Resonator, als Sensaphor der 
optischen, acustischen, sensiblen Reise der Aussenwelt. Aber unter pathologischen 
oder ungewöhnlichen Verhältn i ssen können sie auch Vorstellungsbilder, Symbole 
der Wirklichkeit wiedergeben, vorausgesetzt, dass die normale Erregungsrichtung 
der nervösen Energie sich umkehrt. Rückläufige, aus den oberen Centren su 
den Sinnesfeldern herabsteigende Bahnen sind oonstant in allen auf¬ 
steigenden Projectionsbahnen vorhanden; ihnen liegen entweder regulirende Ein¬ 
flüsse auf die Empfindungen (Fleohsig) oder tonisoh-dynamogene Functionen im 
Dienste der Aufmerksamkeit (Ramön y Cajal) oder vielleicht beides sugleich 
ob (Bahnung für brauchbare, Hemmung für störende Empfindungen). Eine ausser- 
gewöhnliche Erregung, welche die rückläufigen Fasern in pathologische Verhält¬ 
nisse versetzt und sie für schwächere Reize als sonst empfänglich macht, eröffnet 
also den hallucinatorischen Elementen eine schon befahrene und zielwärts geneigte 
Bahn. Indem diese Leitung theils durch Zuführung entsprechender Reise vom 
Vorstellungscentrum her das hallucinatorische Phantasma (z. B. eine Vision) ent¬ 
stehen lässt, theils in den von der HaUuoination beherrschten Zellgruppen das 
Bild der Wirklichkeit abschwäoht, setzt sich die Vision an die Stelle eines realen 
Bildes, welches von ihr bedeckt und neutralisirt, zu einem Rindensootom ver¬ 
schwimmt. Die Hallucination besteht also wesentlich in dieser Rückwärts- 
leitung und erhält damit ihre besondere Physiognomie. Sie ist die krank¬ 
hafte Herabsetzung einer Vorstellung, welche aus Empfindung 
entstanden, unter abnormen Bedingungen durch Abbau wieder Em¬ 
pfindung geworden ist; psychologisch ein Involutionsphänomen; 
physiologisch ein ungewohntes Phänomen rückläufiger Assooiation, 
subjectiv eine Empfindung. 

Anwendungen der Theorie. — Wo (im toxischen und Fieberdelir, in der 
Amenz) eine krankhafte Reizung der Hirnrinde angenommen werden muss, da 
kann selbige äusserst umschrieben sein, ein Symbol, eine Idee, einen Theil 
einer solchen betreffen; dennoch wird die resultirende Sinnestäuschung immer als 
vollständiges Phänomen zu Stande kommen. Hierbei wiederholt sich nur der 
normale Wahrnehmungsprocess, in welchem dem neu von aussen ins Sinnesfeld 
eingetretenen Bilde symbolische Residuen ähnlicher Bilder zwecks besserer 
Differenzirung und Auslese seiner Einzelheiten zugeführt werden, jedoch mit dem 
Unterschied, dass dieser Vorgang sich jetzt ohne den auslösenden Reiz einer 
entsprechenden Empfindung idiopathisch in solohem Uebermaass vollzieht, dass der 
Eindruck einer neuen Empfindung resultirt 

Das Auftreten von Hallucinationen bei geschlossenen Augen, ihr Ver¬ 
schwinden beim Oefihen derselben (Symptom der Erschöpfung, Vergiftung, des 
Shoks und Traumphänomen) versteht sich so, dass hier, d. h. in Zuständen, wo 
der pathologische oder Ermüdungsprooess nur eine mässige Höhe erreioht, das 
leere Sinnesfeld ein blasses inneres Bild lebhafter zurückwerfen muss, als es ein 
vollbesetztes und vollbesohäftigtes Gentrum thun kann. Die Traumhalluoination 
wahrt den Zusammenhang mit der Associationstotalität — Subject oder Object — 
aus welcher sie hervortrat. 

Das Phänomen des Gedankenlautwerdens, welohes mehr noch wie die 
vorigen Erscheinungen unter der Voraussetzung eines gemeinsamen Centrums der 
Vorstellungen und Sinnestäuschungen den Erklärungsversuchen spottete, bedarf 
nur der Ablehnung dieser Annahme, um verständlich zu sein. Wenn die Hallu¬ 
cination sich nicht immer als eine Copie des Gedankens darstellt, so beruht das 
entweder darauf, da— die Geschwindigkeit des sensorischen Widerhalls die ideelle 


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Identification unverhältnissmässig übereilt, oder dass die damit in Causalnexns 
befindliche Vorstellung zu flüchtig war, zu weit abseits der Aufmerksamkeit stand, 
oder von ihr als abweichend und fremdartig abgelehnt wurde (neokende Stimmen, 
räthselhaftes Raunen, Schreckvisionen). 

Die Verkehrungen des Gemeingefühls der Paralytiker sind als hallu- 
cinatorische Effecte dauernder autochthoner Reizzustände ihrer Körpergefühlssphäre 
zu betrachten, welche, weil mit den Centren der Objectvorstellungen weniger innig 
associirt als die höheren Sinnescentren, aus ihren Hallucinationen nur jenen charak¬ 
teristischen Zug inhaltloser unmotivirbarer und vager Stimmungsanomalie zu ge¬ 
stalten vermag. 

Trifft einen peripheren Sinnesnerv ein nicht adaequater Reiz, so treten als 
normale Reactionen Parästhesieen ein. Bereits bestehende oder latente trans- 
corticale Krankheitsprocesse können an diese ungewohnte Empfindung an- und sie 
zu einer vollständigen Sinnestäuschung ausbauen; eigentliche periphere Hallu¬ 
cinationen aber giebt es nicht. 

Auf dieselbe Weise vollzieht sich das Phänomen einseitiger Gehörs- 
täuschungen. Da die Wortvorstellungscentren gleich allen übrigen symbolischen 
und abstractiven Transcorticalcentren unpaarig und mit Raumvorstellungscentren 
nicht in unmittelbarem Connex sind, so erfolgt die Projection einer Stimme in 
den Raum (oder in ein Ohr) immer erst unmittelbar durch eine anderweitige 
Association. Die Aufmerksamkeit eines Paranoischen nun, welcher zufällig an 
linksseitigen Akusmen leidet, wird dadurch häufig in dieser Richtung abgelenkt, 
vermittelt die Bahnung eines Assooiationsbogens zwischen dem transcorticalen 
Centrum mit seinem Wahninhalt und dem Sitz des Parakusma, bis nach dem oben 
geschilderten Process allmählich eine Dauerhallucination herauskristallisirt. 

Schmidt (Freiburg i/SchL). 


38) Gynäkologie in Irrenhätuera, von B. S. Schultze. (Monatsschrift für 

Geburtsh. u. Gynäkol. XV. 1902.) 

Verf. erinnert an eine seiner Arbeiten aus früheren Jahren (1880), in der 
er den nicht seltenen Zusammenhang zwischen weiblichen Genitalleiden und 
Psychosen betonte und die Forderung aufstellte, dass an jeder Irrenanstalt einer 
der Assistenten ein fertiger Gynäkologe sein sollte. Er berichtet darauf über 
eine Arbeit von Hobbs (Buffalo med. Journ. 1902), der die Resultate einer 
6jährigen systematischen Behandlung von Geisteskranken in gynäkologischer Be¬ 
ziehung wiedergiebt. Bei 1000 Untersuchten fand sich 253 Mal ein Genitalleiden, 
das einer operativen Behandlung zugänglich war. Von diesen 253 Operirten 
starben 5, 100 wurden von der Psychose genesen, 59 gebessert entlassen. Ueber 
den Einfluss dieser Behandlung auf die Psyohose giebt die folgende Zusammen¬ 
stellung Aufschluss: In den 10 Jahren vor der Einführung der gynäkologischen 
Untersuchung betrug das Verhältnis der geheilt und gebessert entlassenen Männer 
zu der Zahl der Aufgenommenen 35,23 °/ 0 , das der Frauen 37,5 °/ 0 . In der fünf¬ 
jährigen Periode, die der Einführung operativer Therapie folgte, stieg die Zahl 
der weiblichen Entlassungen auf 52,7%, während das der Männer 35% blieb. 
Die Zunahme der Heilerfolge bei den Frauen verhielt sich also etwa wie 100:140, 
ist also sehr beträchtlich. Auch die Dauerhaftigkeit der so erzielten Erfolge liess 
nichts zu wünschen übrig, indem die Zahl der rückfällig erkrankten Frauen gegen 
früher sich nicht veränderte (19%). Auf Grund dieser Zahlen wiederholt Verf 
mit Nachdruck seine früher ausgesprochene Forderung. 

H. Haenel (Dresden). 


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m. Bibliographie. 

Hirnersohütterung, Hirn druck und chirurgisch© Eingriffs bei Hirnkrank¬ 
beiten, von Theodor Kocher. (Wien, 1901. Alfred Hölder. 467 S.) 

Ans Theodor Kocher’s Feder ist ein neues Meisterwerk erschienen, welches 
bei der hervorragenden Bedeutung der behandelten Materie des allgemeinen 
Interesses von vornherein um so sicherer sein dürfte, als der Verf. in Bezug auf 
zahlreiche grundlegende Fragen einen durchaus originellen — wenn auch noch 
nicht allseitig anerkannten — Standpunkt vertritt. 

Nach Verf. sind die Unterschiede zwischen Hirnerschütterung und Hirn- 
druok — so prägnant sie sich gelegentlich auch darstellen mögen — im Wesent¬ 
lichen nur quantitativer Natur. Der Hirndruck kommt zu Stande durch 
eine Raumbeengung innerhalb der Schädelkapsel, welche den Inhalt nöthigt aus¬ 
zuweichen und, sobald ein Ausweichen nicht möglich ist, denselben unter eine 
abnorme Spannung versetzt, welche die Function einzelner Theile und schliesslich 
des ganzen Gehirnes beeinträchtigt. Die Hirnerschütterung kommt ebenfalls 
durch Raumbeengung in der Schädelkapsel zu Stande. Auch bei ihr wird der 
Schädelinhalt, wenn ein Ausweichen nicht möglich ist, unter eine abnorme Span¬ 
nung versetzt. 

Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Zuständen wird nur dadurch 
bedingt, dass die Raumbeschränkung beim Hirndruck allmählich zu Stande 
kommt, während es sich hei der Hirnerschütterung um eine plötzlich ein- 
setzende und rasch nachlassende Raumhesohränkung des Schädelinhaltes handelt. 

Es finden ausserdem nicht nur Uebergänge zwischen beiden Zuständen statt, 
sondern es werden auch Combinationen dieser beiden Formen beobachtet. Aus 
den Experimenten von Maasland und Saltikoff geht unzweifelhaft hervor, 
dass ein und dieselbe Gewalt bald das Bild der Compression, bald der Commotion 
hervorrufen kann, je nachdem man dieselbe allmählich oder plötzlich einwirken lässt. 

Auch die dritte Form der traumatischen Himläsionen, die Contusio cerebri, 
welche durch Zertrümmerung von Hirnsubstanz mit Blutaustritt charakterisirt 
wird, lässt sich nicht mit absoluter Schärfe von der Commotio und Compressio 
cerebri trennen und so sehen wir in einer beträchtlich grossen Zahl von Verletzungen 
Commotio, Compressio und Contusio zugleich an ein und demselben Falle! Stets ist das 
schädigende Moment ein Druck, sei derselbe nun stark oder schwach, plötzlich 
oder langsam, an umschriebener Stelle oder ausgedehnt einwirkend und die Hirn¬ 
masse als Organ verhält sich nicht principiell, sondern bloss quantitativ 
anders in dem einen oder anderen Falle. Wollte man nun die einzelnen Grade 
der schädigenden Druckwirkung abstufen, so würden hierzu nicht nur drei, sondern 
mehr als 30 Stufen erforderlich sein! 

In diesem erweiterten Sinne des Verf. bildet die Lehre vom Hirndruck den 
Schlüssel zum Verständniss der Genese der Symptome bei der Mehrzahl der Hirn¬ 
krankheiten und giebt uns die werthvollsten Anhaltspunkte zur Beseitigung dieser 
Symptome. 

In Bezug auf das eigentliche Wesen des Hirndruckes kommt nun Verf. auf 
Grund überaus sorgfältiger Experimente, welche er im Verein mit A. Kocher, 
Saltikoff, Cussing, Maasland u. A. angestellt hat, zu Resultaten, welche 
geeignet sind, nicht nur die bisherigen Anschauungen wesentlich zu modifiziren, 
sondern auch die Indicationen für unser therapeutisches Handeln erheblich um¬ 
zugestalten. Nicht auf den Zustand der mehr oder weniger starken Anämie oder 
Hyperämie kommt es an, sondern lediglioh darauf, ob in der Zeiteinheit durch 
einen gegebenen Querschnitt des Capillargebietes ein genügendes Quantum sauer¬ 
stoffhaltigen Blutes hindurch strömt 


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Eingehend behandelt Verf. die „Regulatoren der Hirnoirculation“ 
(Einfluss der allgemeinen Circulation and der Respiration auf den Hirnkreislauf^ 
Vasomotorencentrum der Medulla, regulatorischer Einfluss des Liquor cerebrospinalis, 
Compressibilität des Gehirns u. s. w. 

Sobald der Druck im Schädelinnern sich über die Höhe des Blutdruckes in 
den Hirngefassen erhebt, kommt es beim Versagen der Regulatoren zum klinischen 
Bilde des Hirndruckes. 

Die bei zunehmendem intracraniellen Druck eintretende Anämie führt, wenn 
sie umschrieben ist, Lähmungssymptome herbei; werden die Centren der Medulla 
oblongata von dem Druck betroffen, besonders das vasomotorische, so tritt unter 
Coma, Aussetzen der Respiration (Cheyne-Stokes), der Tod ein. 

Besonders ausführlich werden nun die einzelnen Symptome des Hirndruckes 
(Stauungspapille, Störungen der übrigen Hiranerven, Bewusstseinsstörungen, Druck¬ 
puls, Respirationsveränderungen, Kopfschmerzen, Unruhe, Krämpfe) in Bezug auf 
ihre klinische Bedeutung gewürdigt. Den pathologisch-anatomischen und histo¬ 
logischen Veränderungen ist ein besonderes Capitel Vorbehalten. 

Der dritte Hauptabschnitt des Buches ist ausschliesslich der Hirn er- 
sohütterung gewidmet Da die Commotio cerebri in einer einmaligen 
heftigen Zusammenpressung des Gehirnes durch Mittheilung einer plötzlichen 
Bewegung besteht, so hält Verf. den Namen Commotio für schlecht gewählt 
Versteht man doch seit Petit’s und Gama’s Untersuchungen unter Commotio 
eine Erschütterung im Sinne des Hin- und Hervibrirens, wovon bei der gewöhn¬ 
lichen Hirnerschütterung absolut nicht die Rede sein kann. Verf. Bchlägt deshalb 
an Stelle der Bezeichnung „Hirnerschütterung“ den Namen „Hirnpressung“ (acuter 
Hirndruck) vor. 

Eingehend erörtert Verf. nun die Versuche von Meitzer, Horsley, Kramer, 
Deucher, Schultön, Francois Franck, Koch und Filehne, sowie die auf 
seine Veranlassung von Maasland und Saltikoff angestellten Versuohe über 
das Wesen des acuten Druckes, ferner die Versuche von Ferrari, Duret, 
Tilanus, Cirle und Tilmann, welche über die Aetiologie und Symptomatologie 
des acuten Himdruckes neues Licht verbreitet haben. Den Schluss dieses Ab¬ 
schnittes bildet die Therapie der Hirnpressung (Autotransfusion, Transfusion, bei 
Verlangsamung bezw. Stillstand der Athmung künstliche Respiration, bei zu¬ 
nehmendem Druck Trepanation). 

Mehr anhangsweise schliesst sich dem Hauptgegenstande des Werkes ein 
Capitel über die hirnchirurgischen Operationen an, in welchem die Technik 
der Trepanation bezw. Schädelresection, die craniocerebrale Topographie, die 
Indicationen der Trepanation und der explorativen Craniotomie kurz erörtert 
werden. 

Das vorliegende Werk legt von des Verf.’s Schaffensfreude nicht minder be¬ 
redtes Zeugniss ab als von seiner erstaunlichen Beherrschung der schwierigen 
Materie. Auf dem Gebiete der physiologischen Forschung, ebenso wie am Kranken¬ 
bett und am Operationstisch als anerkannter Meister dazustehen, das ist ein 
Lorbeer, den zu erringen bisher nur wenigen vergönnt war! Adler (Berlin). 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Payohlaftriioher Verein in Berlin. 

Sitzung vom 21. Juni 1902. 

Herr Liepmann (Dalldorf): Ueber Seelenblindheit und sensorische 
Asymbolie (mit Demonstration). 

Unter Seelenblindheit versteht man eine Störung, bei der das Sehen vor- 


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h&nden, das Erkennen jedoch aufgehoben ist. tfan unterscheidet zwei Arten von 
Seelenblindheit; die eine, welche entsteht durch Verlust der Erinnerungsbilder, 
die andere, welche auf einer mangelhaften Erweckung derselben beruht. Diesen 
Störungen sind auf anderen Sinnesgebieten analog die Seelentaubheit, Tast- 
lähmung, die Seelengeruchslosigkeit u. s. w. Wenn diese Störungen sich ver¬ 
einigen, so entsteht ein Zustand, welchen man mit Asymbolie bezeichnet. Ein 
Asymbolischer erkennt also von allem, was die Aussen weit von Reizen auf ihn 
einwirken lässt, nichts. Da die Asymbolischen in Folge von Verkennens der 
Gegenstände sie verkehrt gebrauchen, nannte man die Störung früher auch 
Apraxie. Da es aber eine Störung des nqarniv giebt bei erhaltenem Erkennen, 
so ist besser für diese der Ausdruck Apraxie zu reserviren. Besser auch als 
Asymbolie ist Freud’s Ausdruck Agnosie. Die beiden Krankheitsfälle, welche 
Vortr. vorstellt, sind folgende: 

Fall I. 50jähriger Gesanglehrer, welcher seit Pfingsten 1900 krank ist 
mit Erscheinungen allgemein nervöser Art. Im November vorigen Jahres bekam 
Pat einen apoplektischen Insult, und seit dieser Zeit bestehen die Krankheits- 
Symptome, die zuerst das Bild vollständiger Asymbolie darstellten, während gegen¬ 
wärtig noch Seelenblindheit und ein grösserer Grad von Tastlähmung besteht. 
Pat. zeigt emotionelle Incontinenz, insbesondere wird jede Unlustregung in 
Weinen entladen. Dass die Sehschärfe zum Erkennen ausreichend ist, lässt sich 
erweisen: 1. durch Nachzeichnen einfacher Figuren; 2. durch Nachmachen von Be¬ 
wegungen; 3. durch Benutzung des Umstandes, dass Pat. für Zahlen nicht seelenblind 
ist. Er erkennt sehr kleine Ziffern (Sehschärfe fast */ 3 ). Der Farbsinn ist erloschen. 
Gesichtsfeld zeigt einen kleinen Defect im rechten oberen Quadranten. Er erkennt 
grössere Gegenstände meist nicht, auch nicht Personen, sein Spiegelbild nicht, 
nicht einmal seine eigene Frau; er kann nicht schreiben und es besteht ebenso 
Alexie; ferner besteht optische Aphasie. Die anatomische Ursache derartiger 
Fälle kann eine mannigfaltige sein; in den meisten Fällen wurde ein Herd im 
linken Cuneus tief ins Hark gehend getroffen; gewöhnlich daneben ein Herd im 
Hinterhauptslappen oder wenigstens ein Herd, der die Verbindungen zwischen 
rechtem und linken optischen Centrum unterbricht. Wenn zu einer solchen 
Störung noch Seelentaubheit hinzukommt, so entsteht das Bild totaler Asymbolie. 
Dieses Bild bietet der zweite Pat. dar, den Vortr. demonstrirt. 

Fall II betrifft einen Gerichtsdiener, welcher seit 1896 diffuse Gehirn¬ 
erscheinungen hatte. Im Januar 1900 trat ein Schlaganfall ein, nach welchem 
Pat sensorisch aphasisch wurde. Dann zeigten sich schon damals Andeutungen 
von Seelenblindheit. Im September dieses Jahres wurde der Kranke nach neuem 
Insult stark apathisch; er sitzt ziemlich theilnahmslos da, fixirt fast gar nicht; 
man kann vor ihm sprechen, was man will, er versteht es nicht. Pat. hat eine 
rechtsseitige Facialisparese und eine rechtsseitige Hemiopie. Im linken Gesichts¬ 
feld ist er seelenblind. Die vegetativen Functionen zeigen keine Störungen. 
Vortr. nimmt an, dass in diesem Fall beide Schläfen- und Hinterhauptlappen be¬ 
troffen sein müssen. Centralwindungen und Pyramidenbahnen müssen beider¬ 
seits erhalten sein. 

Herr Jastrowitz richtet an den Vortr. die Frage, wie es möglich sei zu 
entscheiden, dass ein Pat. sieht, aber nicht erkennt, wie man ferner aus einzelnen 
Beispielen verallgemeinern könne, dass das Erkennungsvermögen aufgehoben sei. 
Es sei z. B. möglich, dass Pat. die Zahlen benennt, aber nicht erkennt. 

Herr Liepmann erwidert, dass man Benennen und Erkennen auf verschie¬ 
denen Wegen differenziren könne. Dass Pat. kleine Ziffern richtig benennt, dient 
Vortr. nur zum Nachweise seiner guten Sehschärfe. Dass er sie auch erkennt, 
beweist Pat dadurch, dass er die entsprechende Zahl Finger zeigt. Dass Jemand 


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sieht, obgleich er nicht erkennt, erweist er ferner z. B. durch Nachzeichnen. 
Kann Jemand auch Zahlen nicht lesen, so kann sein Sehvermögen eventuell da¬ 
durch festgestellt werden, dass man ihn die Zahl von Punkten auf irgend eine 
Weise kundgeben lässt. 

Herr J. Fränkel (Lankwitz): Zur Caaulstik der Sulfonalwirkung. 

Vortr. giebt zunächst eine erschöpfende' Uebersicht über die den Gegenstand 
betreffende Litteratur, erwähnt dann einzelne Fälle von Sulfonalintoxication ans 
eigener Beobachtung und beschreibt eingehend die Symptome dieser Vergiftung, 
unter denen er besonders dem Auftreten der Hämatoporphyrinurie und dem Nach¬ 
weis derselben eingehende Berücksichtigung widmet. Zum Schluss schlägt er 
Maassnahmen betreffs DarreichungBart des Mittels und Gegenm aassnahmen bei 
eintretender Intoxication vor. 

Herr JaBtrowitz empfiehlt das Mittel trotz einzelner schlechter Erfahrungen; 
man müsse eine Cumulirung vermeiden, indem man das Sulfonal nach Gebrauch 
von wenigen Tagen immer wieder einmal aussetzen lässt. Besonders müsse man, 
wenn man Sulfonal verabreicht, nicht Opium oder dessen Derivate dazwischen 
geben. 

Herr Edel (Charlottenburg) wendet das Sulfonal wegen der schlechten Er¬ 
fahrungen, welche er mit diesem Mittel gemacht hat, nioht an, sondern verab¬ 
reicht dafür das Trional. 

Herr Juliusburger: Anatomische Demonstrationen. 

Vortr. demonstrirt einen Schnitt durch das Rückenmark eines Falles von 
progressiver Paralyse, in welchem die intramedullären Gefasse electiv gefärbt 
sind. Die Härtung des Stückes geschah in Jodjodkaliumlösung, dann Alkohol- 
nachhärtung und Einbettung in Celloidin. Es erweckt den Eindruck, als ob man 
in dem Präparat die Gefasse körperlich sieht; die Begrenzung der Gefasse ist 
korkzieherartig. Eigentümlich ist es ferner, dass bei dieser Methode sich nur 
die intramedullären Gefasse färben, nicht aber die in der Pia liegenden. Die 
Gefasswände zeigen Faserungen; Vortr. glaubt bestimmt, dass es sich nicht um 
elastisohe Fasern handelt. Diese Gefässe kamen im jugendlichen und gesunden 
Rückenmark nicht zur Darstellung. Jacobsohn (Berlin). 


V. Mittheilung an den Herausgeber. 

Da wiederholt bei Besprechung der hysterischen Pupillenstarre ledig¬ 
lich Herr Prof. A. Westphal genannt wurde, möchte ich darauf aufmerksam 
machen, dass eine frühere Publication über diesen Gegenstand von Herrn Dr. 
J. P. Karplus herrührt (Wiener klin. Wochenschr. 1896. Nr. 52) und dass Herr 
Prof. Westphal, welcher schon gleichzeitig mit ähnlichen Untersuchungen be¬ 
schäftigt war, später (Berliner klin. Wochenschr. 1897. Nr. 47) die Angaben von 
Karplus bestätigte. 

Wien 26. Juni. H. Obersteiuer. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbanerdamm 29. 

Verlag von Vur & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtsoxb & Wittjo in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Or. Kurt Mendel) 

Einnndzwanzigster Barl,a Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. PreiB des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
&lle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten deB Deutschen Beichs, sowie 
_v_ direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 1. August. Nr I». 


I. Originalmittheilungen. 1. Ein ungewöhnlicher Fall von Faoialiskrampf (Myokymie, 
beschränkt auf das Gebiet des linken Faoialis), von Prof. M. Bernhardt in Berlin. 2. Ueber 
Geisteskrankheiten im Gefolge von experimentell erzeugten Autointoxicationen: Psychosen 
thyreopriver Hunde, von F. Blum in Frankfurt a/M. 8. lieber subcorticale Entstehung iso- 
lirter Muskelkrämpfe. Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Bemerkungen 
über den Verlauf der centralen Haubenbahn, von Dr. Josef 8orgo. (Fortsetzung.) 

II. Aus den Oeseilschaften. Berliner Gesellschaft fflr Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. — XXXVII. Versammlung des Vereins der Irren¬ 
ärzte Niedersachsens und Westfalens in Hannover am 3. Mai 1902. — Soci6t4 de neurologie 
de Paris. — Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau. 

; III* Vermischtes, n. Internationaler Congress für medicinische Elektrologie und Radio¬ 
logie in Bern am 1.—6. September 1902. 

IV. Personalien. 


L Originalmittheilungen. 


1. Ein ungewöhnlicher Fall von Facialiskrampf 
(Myokymie, beschränkt auf das Gebiet des linken Facialis). 

Von Prof. M. Bernhardt in Berlin. 

Vor Knrzem hatte ich Gelegenheit, eine 27 Jahre alte, seit 8V 2 Jahren 
verhdlrathete Frau zn beobachten, welche folgenden eigentümlichen, von mir 
in dieser Form noch nicht gesehenen Krankheitszustand zeigte. 

Ich beschreibe zunächst die Verhältnisse in der linken Gesichtshäfte, welche 
den Anlass darboten, dass die Patientin überhaupt ärztlichen Rath nachsuchte. 

Der erste Blick zeigte, dass die linke Lidspalte enger war als die rechte 
nnd die linke Nasolabialfalte tiefer und ausgeprägter als dies rechts der Fall 
war. Es konnte so der Eindruck erweckt werden, dass es sioh entweder um eine 
rechtsseitige Facialislähmung handele oder um einen Contracturzustand der linken 
Gesichtshälfte als ein Ueberbleibsel einer vorangegangenen schweren linksseitigen 
Faoialisparalyse, wie dies ja bekannt ist und häufig vorkommt. 

Beide Annahmen mussten aber verworfen werden; einmal gab die Patientin 
bestimmt an, niemals eine Lähmung nnd Bewegungsbeschränkung weder ihrer 

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rechten noch ihrer linken Gesichtshälfte bemerkt zu haben, sodann fand sich, 
dass sie sowohl über die Muskeln der rechten wie der linken Gesichtshälfte die 
vollkommenste Herrschaft bewahrt hatte. Sie konnte nicht nur befderseits die 
Gesichtsmuskeln zusammen in ganz normaler Weise contrahiren, sondern auch 
mit den linksseitigen Gesichtsmuskeln allein alle Bewegungen wie ein Gesunder 
ausführen. Nicht nur mit dem rechten Auge zusammen, sondern auch für sich 
allein konnte das linke gut geschlossen werden, der Mund verzog sich auf Auf¬ 
forderung nach links, die Nase wurde links wie rechts gleich gerümpft, die Stirn 
in Falten gelegt, der linke Mundwinkel allein naoh links hin verzogen, kurz 
von einer Lähmung der Musculatur der linken Gesichthälfte konnte nicht die 
Rede sein. 

AuBser den eben beschriebenen Erscheinungen war nun aber nur an der 
linken Antlitzhälfte bei genauerem Zusehen und günstiger Beleuchtung Folgendes 
zu bemerken: es bestand ein dauerndes Flimmern der linksseitigen Gesichtsmuskeln, 
welches auffallend an fibrilläre Zuckungen erinnerte. Diese fibrillären Zuckungen, 
welche keinen Augenblick aufhören, betreffen besonders die Gegend der Stirn und 
Augenbrauen, ferner in besonderer Deutlichkeit den M. orbic. palpebr., die Muskeln 
der Oberlippe und die gesammte Musculatur der linken Unterlippenkinngegend. 
Wirkliche Locomotionen wurden durch dieses Flimmern, dieses Wogen der 
Muskeln, nicht hervorgerufen; ebensowenig wurde die Kranke subjectiv durch 
dasselbe belästigt. Sie empfand keinen Schmerz in der linken Gesichtshälfte; 
nirgends konnte selbst eine peinliche Untersuchung Schmerz- oder Druckpunkte 
in der betreffenden Antlitzhälfte entdecken; auch gelang es nicht, von irgend 
einem Punkte aus die wogende Bewegung auch nur für eine Secunde zur Ruhe 
zu bringen. 

An den eben beschriebenen Bewegungen nahm der M. stapedius nicht Theil; 
wenigstens konnte trotz eindringlicher, daraufhin an die Patientin gerichteter 
Fragen nichts eruirt werden, was auf ein entotisches Geräusch hätte schliessen 
lassen können. Ebenso zeigte sich das Gaumensegel durchaus frei: es functionirte 
in normaler Weise und bot nicht die geringste, an die Flimmerbewegung der 
linken Gesichtsmusculatur erinnernde unwillkürliche Bewegung dar. 

Auch an der entweder herausgestreckten oder ruhig auf dem Boden der 
Mundhöhle aufliegenden Zunge konnten unwillkürliche Bewegungen nicht gesehen 
werden, desgleichen nicht am Platysma myoideus. Als besonders wichtig für die 
Beurtheilung vorliegenden Falles hebe ich noch hervor, dass die elektrische Er¬ 
regbarkeit der linken Gesichtsmuskeln für beide Stromesarten wohl erhalten und 
an der linken der der rechten, nicht afficirten Seite durchaus gleich war: es 
bestand keine quantitative, keine qualitative Veränderung, keine myotonische 
Reaction u. s. w. Auch eine Erhöhung der Erregbarkeit liess sicht nachweisen. 
Wurden die Muskeln durch einen etwas stärkeren faradischen Strom zur Con- 
traction gebracht, so hörten die wogenden, unwillkürlichen Bewegungen für die 
Zeit der durch den Strom bewirkten Zusamroenziehung auf, um sofort nach Unter¬ 
brechung desselben in alter Kraft und Zeitfolge wiederzukehren. 

Ob die beschriebenen unwillkürlichen Bewegungen im Schlafe aufhören, 
konnte Patientin natürlich aus eigener Erfahrung nicht sagen: eine Beobachtung 
durch die Umgebung hat bisher daraufhin noch nicht stattgefunden. 

Weiter hebe ich als wichtig hervor, dass sich an der afficirten Gesichtshälfte 
auch bei angespanntester Aufmerksamkeit nicht die Spur einer Mitbewegung be¬ 
merkbar machte, wenn Patientin die, wie gesagt, activ sehr gut beweglichen 
linken Gesichtsmuskeln freiwillig contrahirte. Auch bei festem Augenschuss auf 
der linken Seite zeigte sich nicht die mindeste Mitbewegung etwa am Munde, 
Kinn oder umgekehrt, am Auge, wenn die Kranke den Mund öffnete oder fest 
schloss. 


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Störungen der Sensibilität fehlten an der linken Geeichtahälfte durchaus. 
Ganz besonders aber muss ich betonen, dass die beschriebenen unwillkürlichen 
Bewegungen nichts mit den klonischen Zuckungen, wie sie das Charakteristicum 
des sogenannten Tic convulsif ausmachen, gemein haben. Die hier beschriebenen 
fibrillären Zuckungen sind immer da, hören nie auf, verzerren das Gesicht oder 
einzelne Muskeln der betroffenen Antlitzhälfte in keiner Weise, werden durch 
tonische Contractionen niemals abgelöst oder ersetzt. 

Die beschriebenen fibrillären Zuckungen, welche ich am besten mit den bei 
der sogenannten „Myokymie“ beschriebenen vergleichen möchte, hören, wie gesagt, 
nie auch nur für einen Augenblick auf; sie haben daher auch mit den blitz¬ 
artigen Zuckungen, welche spontan oder synchron mit dem Lidschlag nach einer 
abgelaufenen schweren und mit Contracturzuständen zur Heilung gelangten Facialis- 
lähraung so oft beobachtet werden, nichts gemein: sie sind, wie beschrieben, in 
ihrer Kraft so schwach, dass Locomotionen durch sie nicht bewirkt werden. 

Dass es sich im vorliegenden Falle weder um eine frische noch um eine 
abgelaufene Facialislähmung und deren Folgezustände handelt, ist nach dem 
oben ausführlich mitgetheilten Status wohl einzusehen; ich glaube nicht nöthig 
zu haben, den Beweis für diese Behauptung hier noch einmal zu führen. 

Selbstveistündlich drängt sich dem Beobachter nunmehr die Vorstellung 
auf, es in dem geschilderten Symptomencomplex mit einem Facialiskrampf zu 
thun zu haben. Dass sich klonische Zuckungen, wie sie ja das Wesen eines 
solchen Krampfes ausmachen, mit tonischen verbinden können, ist bekannt und 
von mir auch in meinem Buche 1 genügend hervorgehoben worden. Dort (S. 46 
und 47) findet man ebenso wie auch von anderen Beobachtern über eine Form 
von Krämpfen der Gesichtsmusculatur berichtet, welche nicht in wohl charakteri- 
sirten, durch Ruhepausen getrennten Anfällen auftreten, sondern abgeschwächt 
und in leichteren klonischen Zuckungen bald dieses bald jenes Gesichtsmuskels 
sich äussemd gewissermaasen andauernd vorhanden sind. 

Derartige Zustände sind aber meiner Erfahrung nach sehr selten: die 
klonischen, in Pausen auftretenden, die Gesichtszüge deutlich verzerrenden 
Zuckungen überwiegen in dem Symptomenbilde des Facialiskrampfes durchaus: 
von einem in andauernden niemals auch nur für einen Augenblick nachlassenden, 
in fibrillären Zuckungen sich kundgebenden, eine Locomotion nicht bewirkenden 
Gesichtsmuskelkrampf, ist bisher nicht viel bekannt. Den Gedanken, es mit 
einem bulbären Process zu thun zu haben, verwarf ich sofort; dagegen sprach 
nicht allein das jugendliche Alter der Patientin], sondern auch die Einseitigkeit 
der Affection, das Freibleiben der Zunge, die Ungestörtheit des Sprach Vermögens 
und des Sehlingens und das fast ganz ungestörte und normale Allgemeinbefinden. 

Insofern, wie oben auseinandergesetzt wurde, jedes Anzeichen einer dem 
jetzt bestehenden Zustand etwa vorausgegangenen Gesichtslähmung fehlte, konnte 
auch nicht auf diejenigen Zustände recurrirt werden, welche sich an der Facialis- 
und viel deutlicher noch an der Zungenmusoulatur als zitternde und flimmernde 
Bewegungen einige Tage nach einer Durchschneidung des N. hypoglossus bezw. 
facialis (speciell im Thierexperiment) zeigen, wie sie Remak und neuerdings 

1 Die Erkrankungen der peripherischen Nerven. Theil II. 

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Mabina und ich selbst gerade bei peripherischen Hypoglossuslähmungen be¬ 
obachtet hab e n und wie sie, was besonders Remak hervorhebt (ich selbst kann 
dies nur bestätigen) bei neuritischen Facialislähmungen kaum je gesehen werden. 1 

Weiter dachte ich an die Möglichkeit eines langsam fortschreitenden, nur 
auf den Facialiskern beschränkten degenerativen Processes; insofern aber jedes 
andere Symptom einer die Brücke oder das verlängerte Mark betreffenden Er¬ 
krankung durchaus fehlte, musste ich auch diese Annahme, welche übrigens, so 
weit ich sehe, durch die Erfahrung anderer auch nicht gestützt wird, verwerfen. 

Am meisten Aehnlichkeit schien mir das klinische Bild, welches die Kranke 
darbot, mit jener eigenthümlichen Bewegungsstöaung zu bieten, welches zuerst 
von Kny (Jolly) beschrieben, später von Fb. Schültze mit dem Namen 
„Myokymie“ belegt worden ist. 

Es handelt sich da um ein ausgebreitetes Muskelwogen und um fibrilläre 
Zuckungen hauptsächlich in der Wadenmusculatur, welche sich auch an anderen 
Muskelgebieten der unteren Extremitäten, sowie an der Rumpfmusculatur und 
der der oberen Extremitäten zeigt Noch bevor Schxjltze seine dahingehenden 
Beobachtungen veröffentlichte, hatte Mobvan 1890 einen wahrscheinlich hierher¬ 
gehörigen Symptomencömplex beschrieben und ihn mit dem Namen der „Chorde 
fibrillaire“ bezeichnet. Ich beabsichtige bei dieser kurzen Mittheilung nicht, die 
Frage der sogenannten Myokymie in extenso zu discutiren *; erwähnt sei nur 
dass im Anschluss namentlich an die ScHüLTZB’sche Mittheilung, Hoffmann 
im Jahre 1895, C. Meyeb 1897, Bübeb in demselben Jahr, später Biancone 
und Kabcheb, schliesslich Williamson im Jahre 1901 hierhergehörige Kranken¬ 
geschichten veröffentlicht haben. Abgesehen von den MoBYAN’schen Beobach¬ 
tungen betreffen alle übrigen das männliche Geschlecht. Als Hauptursachen 
werden TJeberanstrengungen und Erkältung, zwei Mal chronische Bleivergiftung 
als mögliche Ursache angegeben, ein Mal (C. Meyeb) Verletzungen der Wirbel¬ 
säule und ein Mal (Williamson) wurde das Leiden bei einem in der Kindheit 
an Lähmung eines Beines in Folge von Poliomyelitis ant acuta erkrankten 
21jährigen Manne beobachtet Alle stimmen darin überein, dass das Muskel¬ 
wogen vorwiegend an der Wadenmusculatur auftritt, dass die übrige Bein- 
musculatur, seltener die des Rumpfes, noch seltener die der oberen Extremitäten 
ergriffen werden kann und dass das Gesicht verschont bleibt Eine Ausnahme 


1 Bei einem von Mabina veröffentlichten Fall einseitiger Hypoglossualähmung wies 
die einige Jahre Bpäter nach dem Ableben des Kranken ausgeführte Obdoction nnd die 
mikroskopische Durchforschung der in Betracht kommenden Theile des centralen und peri¬ 
pherischen Nervensystems thatsächlich das Fehlen einer jeden centralen Veränderung und 
das Bestehen einer peripherischen Neuritis des N. hypoglossus nach. Von besonderem Inter¬ 
esse erscheint mir nun. dass in diesem Falle neben den fibrillären Zuckungen der affioirten 
Zungenhälfte auch eine Contractur derselben beobachtet wurde, ein Vorkommniss also, welches 
mit den in meinem Falle beschriebenen Contracturzuständen im afficirten Facialisgebiet wohl 
in Parallele gestellt werden dürfte. — Immerhin hatte, wie gesagt, in dem hier mitgetheilten 
Falle eine Lähmung in dem flimmernden Gebiet nie bestanden. 

* Vgl. mein oben erwähntes Bnch. Theil II. S. 148. 


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hiervon maoht nur William hon, welcher auch die Gesichts- und Zungenmuscu- 
latur betheiligt sah. 

Wie bei J. Hoffmann trat das Muskel wogen auch in meinem (in dem 
oben erwähnten Buohe [Theil II, S. 148] beschriebenen) Fall bei einem Manne 
im Anschluss an ischiadische Beschwerden ein. Ob es sich bei den bisher be¬ 
schriebenen Fällen um eine ueuritische Affection, ob, was ja möglich ist, um 
eine von einer Reizung bezw. Erkrankung der grauen Substanz im Rückenmark 
abhängige Krankheit, oder, wie in manchen Fällen von Neurasthenie, nur um 
eine sogenannte functioneile Störung handelt, will ich nicht entscheiden. Dass 
das Leiden Jahre lang bestehen kann, ohne die Gesundheit des Individuums 
wesentlich zu schädigen, geht aus den Mittheilungen verschiedener Autoren 
hervor: eine sehr erhebliche Besserung, ja sogar Heilung ist durchaus möglich. 
Ich selbst habe den von mir oben erwähnten Kranken neuerdings (fast 5 Jahre, 
nachdem ich ihn zuerst gesehen) wieder untersucht und abgesehen von dem 
auoh jetzt noch bestehenden Muskelwogen keine erheblichere Beeinträchtigung 
seines Gesundheitszustandes nachweisen können. 

Der eingangs von mir beschriebene Fall würde sich also, will man anders 
zugeben, dass er der Kategorie der als Myokymie bezeichneten Affection ein¬ 
gereiht werden darf, dadurch von den bisher bekannten auszeichnen, dass er 
erstens eine Frau betrifft und zweitens ein so umschriebenes Nervengebiet, wie 
es bisher nicht bekannt war. Während ferner gerade dieses (Facialis-) Gebiet 
in der überwiegenden Mehrzahl der bis heute beschriebenen Fälle verschont 
blieb, zeigt es sich im Gegentheil in diesem Fall allein betroffen; keine andere 
Körperprovinz bietet bei unserer Patientin auch nur eine Spur von ähnlichen 
fibrillären Zuckungen bezw. Wogen dar, wie die linke Gesichtshälfte. 

Die im Gesicht bestehende Contractur im Gebiete des linken Orb. palpebr. 
und der linksseitigen Oberlippenheber spricht nicht gegen die Auffassung des 
Falles als einer circumscripten Myokymie, insofern auch die anderen Beobachter 
in ihren Fällen Spasmen und tonische Krämpfe in denselben Muskelgebieten 
beschreiben, welche Sitz der Myokymie sind. 

Will man aber die BenennuDg Myokymie für meinen Fall nicht gelten 
lassen und ihn der Gruppe der auf ein umschriebenes Nervengebiet localisirten 
Krämpfe einreihen, so liegt doch meiner Meinung nach immerhin ein ganz 
eigentümliches Krankheitsbild vor; es unterscheidet sich von denen, welche wir 
sonst unter der Bezeichnung „localisirter Muskelkrampf“ beschrieben finden so 
erheblich, dass es wohl entschuldbar erscheint, wenn ich der Beschreibung des¬ 
selben einen etwas grösseren Raum gegeben habe. 

Was ich in der Absicht, zunächst den mir auffälligen Symptomencomplex 
eingehend zu schildern, bisher vernachlässigt habe, die Schilderung des sonstigen 
Verhaltens der Patientin und des Beginnes und der etwaigen Ursache des Leidens 
hole ich nunmehr nach. Viel kann ich in Bezug hierauf nicht aussagen. 

Die 27 jährige Frau ist seit 8 x / 2 Jahren verheiratet; sie hat zwei Mal ge¬ 
boren. Ein Kind von 7 Jahren lebt und ist gesund, ein anderes starb im Alter 
von 10 Monaten. Das Leiden unserer Patientin hat sich so allmählich enb- 


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wickelt, dass sie selbst es gar nicht merkte, und erst durch Bemerkungen von 
Seiten der Nachbarinnen darauf aufmerksam gemacht wurde. Als sie meine 
Hülfe nachsuchte, bestand das Wogen der linksseitigen Gesichtsmuskeln und 
die Verkleinerung der Lidspalte schon einige Wochen; eine genauere Angabe 
war nicht zu erhalten. Niemals waren Schmerzen, wenigstens nicht im Gesicht 
vorhanden gewesen, nie eine Lähmung, eine Unbeweglichkeit der linksseitigen 
Antlitzmuskeln. Die Kranke macht durchaus den Eindruck einer sonst ge¬ 
sunden jüngeren Frau; in Bezug auf die Psyche, Sprache, Sehvermögen, Augen¬ 
bewegungen, Pupillenreaction (Augenhintergrund normal) war nichts Besonderes 
zu eruiren. 

Die einzige Anomalie, welche ausser dem geschilderten Zustand der linken 
Gesichtshälfte nachzuweisen war, bestand in dem Vorhandensein eines doppel¬ 
seitigen chronischen trocknen Mittelohrkatarrhs (Sklerose) mit Betheiligung des 
Acusticus (Verkürzung der Knochenleitung und geringe Herabsetzung der Hör- 
fahigkeit für hohe Töne: Sohwabach). Im gewöhnlichen Gespräch war übrigens 
von dieser Verminderung der Hörfähigkeit kaum etwas zu merken. 

Obgleich also, wie gesagt, eine besondere Ursache für das Auftreten des 
eigenthümlichen Zustandes in der linken Gesichtshälfte nicht aufzufinden war, 
will ich doch eines Umstandes Erwähnung thun, welcher vielleicht die Diagnose 
„Neurose“ in unserem Falle zu stützen geeignet erscheinen kann. 

Seit einigen Monaten giebt Patientin an, leidet sie an ein bis zwei Mal im 
Monat auftretenden Kopfschmerzen mit Uebelkeiten und Flimmern vor den 
Augen und es erscheint wohl möglich, dass die pathologischen Erscheinungen 
im Gesicht zur selben Zeit und zusammen mit den migräneartigen Symptomen 
sich bei der bis zum Anfang dieses Jahres jedenfalls ganz gesunden Frau ein¬ 
gestellt haben 

Eine Behandlung mit schwachen galvanischen Strömen (Anode in der Fovea 
mastoidea) und die Darreichung von kleinen Dosen Bromkalium haben inner¬ 
halb der drei letzten Wochen thatsächlich eine Besserung, einen Nachlass der 
Contracturerscheinungen und des Muskelwogens an der linken Geaichtshälfte 
herbeigeführt 

Zum Schluss betone ich nochmals, dass Anomalieen der elektrischen oder 
mechanischen Erregbarkeit an der leidenden Gesichtshälfte zu keiner Zeit nach¬ 
gewiesen weren konnten. 

Zur Zeit, wo ich die Correctur dieser kurzen Mittheilung vor mir habe 
(Mitte Juli), kann Patientin als geheilt angesehen werden. Contracturen und 
Muskel wogen sind, nachdem sie etwa 2 1 /*—3 Monate bestanden hatten, ver¬ 
schwunden. Es ist, wie dies erst jetzt ton der Kranken angegeben wird, mög¬ 
lich, dass sie sich in den ersten Wochen einer neuen Schwangerschaft befindet 

Betonen möchte ich noch, dass Hysterie nicht vorliegt; ganz abgesehen 
davon, dass mit diesem Worte das Wesen des beschriebenen Symptomencomplexes 
in keiner Weise erklärt wird, kann ich auch versichern, dass weder somatische 
noch psychische Symptome vorhanden sind, welche berechtigen könnten, die 
Kranke als eine hysterische Person zu bezeichnen. 


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Litteratnr. 

Kby, Deber ein dem Paramyoclonus multiplex Friedreich nahestehendes Krankheitsbild. 
Archiv f. Psych. o. Nervenkrankh. XIX. 1888. S. 577. — Fa. Schultze, Beiträge zur 
Muskelpathologie, Myokymie (Muskelwogen), an den unteren Extremitäten. Deutsche Zeit* 
schrift för Nervenheilk. VI. 1894. S. 65 u. 167. — Mobvan, De la chor£e fibrilläre. Gaz. 
hebd. 1890. Nr. 15 ff. — J. Hoffmann, Muskelwogen in einem Falle von chronischer 
doppelseitiger Ischias. Neurolog. Centralbl. 1895. Nr. 6. — M. Bebnhahdt, Die Erkran¬ 
kungen der peripherischen Nerven. Wien, 1897. Theil II. 8. 6 u. 148. — C. Mayer, Wiener 
med. Wochenschr. 1897. Nr. 12. — 0. Bubbb, Neurolog. Centralbl. 1897. S. 684. — 
E. Rbhak, Neuritis und Polyneuritis. Wien, 1900, Hölder. S. 94. — G. Biakcone, Riv. 
sperim. di freniatr. XXIV. 1898. — J. Kabohbb, Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1898. 
Nr. 9. — R. T. Wiluamsok, Brit. med. Journ. 1900. 15. Dec. —■ Mabina, Neurol. Centralbl. 
1896, Nr. 8 u. 1900, Nr. 8. 


2. Ueber Geisteskrankheiten im 
Gefolge von experimentell erzeugten Autointoxicationen: 
Psychosen thyreopriver Hunde. 1 

Von F. Blum in Frankfurt a/M. 

Im Verlauf der letzten Jahre habe ich in einer Keihe von Arbeiten dar- 
gethan und, wie ich glaube, den unwiderlegbaren Beweis erbracht, dass die 
Schilddrüse ein entgiftendes Organ ist, durch dessen Thätigkeit bestimmte im 
Körper beständig entstehende Gifte aus dem Kreislauf herausgegriffen und un¬ 
schädlich gemacht werden. Fällt die entgiftende Thätigkeit der Thyreoidea 
völlig aus, dann kommt es zu Intoxicationen mit dem freien Gift, die in ihrer 
acutesten Form durch die thyreoprive Tetanie repräsentirt wird. Greift die 
Thyreoidea zwar noch jene freien Gifte auf und bindet sie, wird sie jedoch in 
der Weise insufficient, dass sie das gebundene Gift nicht mehr bis zur endlichen 
Entgiftung zurückzuhalten vermag, dann kommt es zu einer Intoxication mit 
Thyreotoxalbumin, jenem in der Schilddrüse abgelagerten, häufig jodhaltigen 
giftigen Eiweisskörper; hieraus hinwiederum resultiert ein Thyreoidismus, dem 
auch der Thyreoidismus der BASEüow’schen Krankheit angehören dürfte. 

Meine Untersuchungen eigaben nun weiter, dass das Gift, das die Schild¬ 
drüse normaler Weise aufgreift, höchstwahrscheinlich aus dem Magendarmcanal 
stammt und dort bei der Eiweissfaulniss entsteht. Ernährung vorwiegend mit 
Fleisch hatte dementsprechend bei thyreopriven Hunden rasche und schwere Er¬ 
krankung und den baldigen Tod zur Folge, während Milchfütterung, die schon 
geraume Zeit vor der Thyreoectomie begonnen und dann fortgesetzt wurde, 
einen nicht unerheblichen Theil der Thiere über die Folgen des Schilddrüsen¬ 
ausfalles für längere Zeit hinauskommen liess. Einige dieser Milchhunde starben 
noch im weiteren Verlaufe der Milchernährung, aber immerhin nach einer bei 


1 Vortrag, gehalten gelegentlich der 27. Versammlung aüdweetdeutacher Neurologen 
and Irrenärzte in Baden-Baden am 25. Mai 1902. 


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Fleischkost fast nie beobachteten Anzahl von Ueberlebungstagen; andere blieben 
— oft nach anfänglicher Tetanie — gesund, bis mit Fleischfütterang begonnen 
oder völlig zu derselben übergegangen wurde. Eine kleine Anzahl von Thieren 
liess sich übrigens durch ganz vorsichtig einschleichenden Zusatz von Fleisch 
allmählich auch gegen diese giftreiche Nahrung immunisiren, sodass diese Hunde 
dann dauernd gesund und am Leben blieben. 

Die Fleischthiere und die rasch zu Grunde gegangenen Milchthiere boten 
fast ausnahmslos das Bild einer schweren Tetanie dar und nur ein einziges 
Mal unter mehr als 100 Beobachtungen sah ich bei einem solchen Hunde am 
4. Tage nach der Thyreoectomie, nachdem ein heftiger Krampf vorausgegangen 
war, einen eigentümlichen Zustand von psychischer Alteration auftreten, den 
ich aber auch in diesem Falle nicht ausschliesslich als Folgeerscheinung des 
Ausfalles der Schilddrüsenthätigkeit ansprechen kann, da das Thier gleichzeitig 
medicamentös behandelt wurde. 

Ganz anders war aber der Verlauf bei denjenigen Tieren, bei denen es 
durch geeignete Ernährung — sei es ausschliessliche Milchfütterung, sei es 
Michfütterung mit allmählichem Zusatz von Fleisch — gelungen war, das 
Krankheitsbild abzuschwächen und auseinanderzuziehen. 

Von diesen langlebigeren Thieren bot ein grosser Procentsatz für kürzere 
oder längere Dauer Erscheinungen dar, die nicht nur mir, sondern auch ge¬ 
schulten Psychiatern durchaus als Zustände imponirten, die nur schweren 
geistigen Störungen entsprungen sein konnten. 

Solche Thiere litten an Hallucinationen; sie bissen ohne jede äussere 
Veranlassung grimmig in die leere Luft, schnupperten planlos in demselben 
Käfig herum, den sie seit Monaten ruhig bewohnten oder suchten aufgeregt 
den Blechboden ihres Stalles zu durchkratzen, wobei sie manchmal in einen 
solch wütenden Eifer kamen, dass sie zuletzt direct auf der Schnauze standen 
und die Hinterbeine in der Luft hatten. Zuweilen richteten sich auch Tiere 
gegen sich selbst; ich habe z. B. mehrere Hunde beobachten können, die sich 
stundenlang in heftigster Weise die Nase zerkratzten, bis sie tiefe Wunden an 
Nase, Schnauze und Augen hatten. 

Auffällige Charakterveränderungen habe ich wiederholt gesehen: vor 
ihrer psychischen Affection — lange nach der Thyreoektomie — noch zuthun- 
liehe, muntere Tiere wurden plötzlich furchtsam, schlichen, ohne angerufen zu 
sein, geduckt und mit einem eigenthümlich verstörten Wesen im Raum herum; 
liessen Dinge, die sie noch kurz zuvor eifrig beschnuppert hatten, den Hasen¬ 
käfig z. B., ohne jede Beachtung, kümmerten sich nicht um ihr Futter und 
nicht um ihre sonstige Umgebung, sondern schienen nur von einem beständigen 
Wandertriebe und Suchen besessen zu sein. 

Bei anderen Thieren stellte sich eine deutliche Verblödung ein: Regungs¬ 
los standen sie zuweilen viele Minuten lang in ihrem Käfig mit gesenktem 
Kopf und stierem Blick; dann kam wohl die hintere Körperhälfte in ein leichtes 
Schwanken und Wackeln, bis das Thier aus seiner Stellung taumelte, um hin¬ 
zufallen oder einige Schritte entfernt neuerlich stupid stehen zu bleiben. 


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Nahrungsverweigerung mit dem Eintritt des geistigen Rückganges ist die 
Regel bei den vorher recht gefrässigen Thieren. 

Krankhafte Bewegungsphänomene sind bei derartigen Thieren durchaus 
nichts Seltenes gewesen: ein Hund, derselbe dessen Herumscbleichen früher 
aufgefallen war, marschirte bei einer anderen Attaque seiner Psychose wie ein 
Pferd nach der Musik durch den Stall; ein zweiter lief rückwärts mit unsicherem 
Tritt, fiel um, erhob sich, setzte seinen Krebsgang fort und wollte zuletzt durch¬ 
aus mit dem Hinterteil durch die Wand hindurch. Ein dritter gestörter Hund 
zog beständig seinen Bücken krumm bis er fast auf dem Kopfe stand; ein 
vierter lag vollständig auf dem Bücken und streckte die Beine in die Luft; 
kurzum es kamen die mannigfaltigsten motorischen Störungen vor, die normale 
«der einfach tetanische Thiere niemals darbieten. 

Das Krampfmoment verschwindet meist nicht völlig aus dem Krankheits¬ 
bilde, aber es tritt in den Hintergrund, beherrscht nicht mehr die Situation 
irie bei der acuten Tetanie; ja ich habe in manchen Fällen überhaupt keine 
Krämpfe bei dem chronischen Ablauf mehr auftreten sehen; in anderen war 
der Charakter der Krämpfe total verändert So traten bei den einen psychisch 
defecten Thieren, die anfänglich an reiner Tetanie erkrankt waren, im weiteren 
Verlauf immer noch ab und zu klonische Muskelzuckungen oder selbst einmal 
«in kurzer Streckkrampf auf; bei anderen Thieren, ich denke hierbei besonders 
an zwei Hunde mit periodisch wiederkehrenden, stets einige Tage anhaltenden 
Geistesstörungen, unterbrachen auf der Höhe der Verwirrtheit schwere und lange 
anhaltende, in ihrem Charakter der Tetanie nicht entsprechende Convulsionen 
das einfache Bild der psychischen Störung. Wieder in anderen Fällen folgten 
dem verhältnissmässig kurzen Krampfe lang anhaltende Verwirrtheit, aus der 
sich das Thier erholte, um gelegentlich in der gleichen Weise afficirt zu werden. 
Es untermischt sich eben bei diesen chronischen Krankheitsbildern Psychose 
und Krampf in ähnlicher Weise, wie es bei der Epilepsie zu beobachten ist. 

Kurzum es tritt neben das Krampfmoment, oftmals dasselbe vollständig 
zurüokdrängend, die psychische Störung. 

Die Dauer der Psychose war bei meinen Thieren eine verschieden lange. 
Bei den einen spielten sich die charakteristischen geistigen Störungen in ein 
«der zwei Tagen ab; bei den anderen innerhalb ebenso vieler Wochen; wieder bei 
anderen zeigte die Krankheit einen periodischen Typus, sodass grosse freie 
Intervalle mit mehrtägigen, plötzlich einsetzenden Alterationen der Psyche ab¬ 
wechselten, zu denen dann meist Krampfanfalle hinzukamen. 

Der Tod trat entweder unter gleichzeitigem geistigem und körperlichen 
Verfall in Folge von Entkräftung ein — eine Entkräftung, wie ich sie übrigens 
nie in gleicher Intensität bei nur einfach hungernden Thieren beobachtet habe — 
«der es schloss das Krankheitsbild mit einem lautlosen, agonalen Streckkrampf; 
zwei periodisch erkrankt gewesene Thiere verlor ioh in einer Art von Status 
epilepticus. 

Meinen Mitteilungen liegen die positiven Erfahrungen an 18 Thieren zu 
Grunde, von denen 15 mit Milch vorbehandelt waren. 


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Anzugeben, ein wie grosser Procentsatz unter den langlebigeren thyreopriveu 
Hunden überhaupt an Geistesstörungen erkrankt, erscheint mir vorläufig un¬ 
möglich; eine ganze Anzahl von Thieren wird dem Beschauer verdächtig, bietet 
aber doch nicht so evident ins Auge fallende Aufregungs- oder Ausfallssymptome, 
dass man sie mit Sicherheit unter die geistig gestörten einreihen dürfte. — 
Wenn die Diagnostik in der Psychiatrie der Hunde mehr ausgebaut sein wird, 
kann man an eine Statistik herantreten. Bis dahin muss man sioh mit den 
prägnant verlaufenden Experimenten begnügen lassen. Aber diese lehren immer¬ 
hin schon recht bemerkenswerte Thatsachen, die ich im Folgenden nochmals 
zusammenfasse: 

Während sich die durch Sohilddrüsenausfall hervorgerufene Autointoxication, 
wenn sie mit voller Heftigkeit eintritt, ausschliesslich in Form von schweren 
Krampfzuständen geltend macht, treten, sofern es gelingt, die Selbstvergiftung 
abzuschwächen, daneben oder auch allein Verfallserscheinungen auf, die sich 
manchmal als grobe Stoffwechsel- oder Organstörungen wahrnehmen lassen, zu¬ 
weilen aber ausschliesslich sich als schwere Alterationen des Geisteslebens 
kundgeben. 

Die Intoxication wirkt entweder beständig fortschreitend bis zum Tode 
oder — unter scheinbarer Erholung — in periodischen Anfällen. 

Bei allen diesen Zuständen fehlen Anklänge an die Geisteskrankheiten des 
Menschen keineswegs und vielleicht giebt dieser Umstand die Anregung dazu, 
die entgiftenden Organe und die bei ihrer mangelhaften Function auftretenden 
Vergiftungen im Verhältniss zu Geisteskrankheiten zu untersuchen. 

Dass hierbei Myxödem und Cretinismus nicht als die alleinigen Erkrankungen 
in Betracht kommen, beweist Ihnen wohl schon meine Schilderung. Dass aber 
die Schilddrüse sicher nicht das einzige entgiftende Organ des Körpers ist, möge 
bei solchen Studien nicht vergessen werden! 


[Aus der HI. med. Klinik (Hofrath v. Schböttkr) in Wien.] 

3. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. 
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬ 
merkungen über den Verlauf der centralen Haubenbahn. 

Von Dr. Josef Sorgo, 

Assistenten der Klinik. 

(Fortsetzung.) 

Anatomischer Befund: 

Körper mittelgross, von ziemlich kräftigem Knochenbau, gut genährt. Die 
Haut des Gesichts bräunlich, des übrigen Körpers weise. 

Das Schädeldach ist fast rundlich; */ 2 cm dick. Die Dura mater stark ge¬ 
spannt, dünn, Innenfläche glatt und glänzend. Die Oberfläche der Grosshirn- 
hemisphären ist deutlich abgeplattet. Die inneren Hirnhäute an der Convexität 


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zart, mässig injicirt. An der Basis, und zwar in den beiden Sylvi’schen Furchen 
und um das Chiasma nervorum optic., von einem sulzigen graugelben Exsudat 
durchsetzt, ln der Pia mater daselbst kaum sichtbare Knötchen. Bei der Be¬ 
sichtigung der Hirnbasis bemerkt man eine deutliche Verbreiterung bezw. Ab¬ 
plattung des rechten Hirnschenkels. Die Seitenventrikel sowie der 3. Ventrikel 
durch klares Serum stark ausgedehnt, das Ependym stellenweise resistenter, stellen¬ 
weise erweicht. 

Entsprechend der rechten Hälfte der Vierhügel findet sich ein haselnuss- 
grosBer Tumor, welcher nahezu vollständig aus einer trockenen, käsigen Masse, 
nur in der Peripherie aus einer Bchmalen Schicht röthlichen Granulationsgewebes 
besteht. Derselbe ragt etwas in die rechte Hälfte des Ventrikels hinein, woselbst 
die leicht höckrige Oberfläche des Tumors gesehen werden kann. Andererseits 
erstreckt er sich nach abwärts gegen die Basis, bis dicht zur Substantia nigra 
Sömmeringii. 

Die linke Lunge ist allenthalben frei, die rechte dagegen vollständig an¬ 
gewachsen, und zwar durch leicht zerreissliches Bindegewebe. In ihrem Oberlappen 
finden sich ganz vereinzelte, etwa hanfkorugrosse, schiefergraue Knötchen; im 
Uebrigen sind beide Lungen lufthaltig. Die Bronchialdrüsen klein, anthracotisch, 
nur in einer derselben ein etwa erbsengrosser grauer Herd. 

Das Herz zeigt keine Veränderungen. Die Milz nur beiläufig das Doppelte 
vergrössert, ihre Kapsel zart, ihre Aussenfläche mehr oder weniger deutlich grob¬ 
höckerig. Am Durchschnitte ist sie von zahlreichen kirschen- bis kleinnussgrossen, 
scharf abgegrenzten Tumoren durchsetzt, deren Schnittfläche über das übrige 
Niveau stark vorspringt, meist dunkelroth oder röthlichgrau gefärbt ist, sonst 
aber eine ähnliche Beschaffenheit zeigt, wie das übrige Bindegewebe. Nieren, 
Leber, Magen, Darm zeigen keine Veränderung, an den Tonsillen und im Larynx 
ebenfalls keine Veränderung. 

Histologische Untersuchung: 

Gehirn und Rückenmark wurden in Müller-Formol gehärtet. Die Medulla 
oblong, und der Hirnstamm bis zum Tumor wurden nach zweiwöchentlioher 
Härtung in obiger Flüssigkeit in dünne Scheiben geschnitten und nach Marchi 
weiter behandelt. Das Rückenmark wurde theils nach Marchi gefärbt, theils in 
gewöhnlicher Weise weiter gehärtet und nach Weigert-Pal, mit Eosin, Häma- 
toxylin und polychromem Methylenblau gefärbt. 

Die histologische Untersuchung des Rückenmarks ergab eine diffuse, vom 
Sacralmark bis ins Halsmark reichende Leptomeningitis. Die weichen Meningen 
von Rundzellen durchsetzt, die Fasern erweitert, stärker gefüllt. An einzelnen 
Stellen deutliche Epitheloidtuberkel, welche über den tuberculösen Charakter der 
Entzündung keinen Zweifel Hessen. Die Entzündung greift stellenweise längs der 
Bindegewebssepten auf die Substanz des Rückenmarks über, dessen periphere Antheile 
sich allenthalben im Zustande theils entzündlicher ödematöser Durchfeuchtung, 
theils beginnender Erweichung befinden. Ganglienzellen intact. Nach Mabohi 
keine Degeneration der Pyramidenbahnen; an einzelnen Schnitten, sowohl 
des Hals-, Brust- als Lendenmarkes, in den Hintersträngen und in den Seiten¬ 
stranggrundbündeln vereinzelte schwarze Körnchen, offenbar von Degenerationen 
kurzer Bahnen herrührend, in Folge der Leptomeningitis. Auch an Eosin-Häma- 
toxylin- und WsiGEBT-PAL-Präparaten ist weder in den Pyraraidenbahnen, noch 
in anderen Rückenmarksbahnen ein Faserausfall zu constatiren. 

In der Gegend des Tumors sind folgende Fasersysteme zerstört: 

Der vordere und hintere rechte Vierhügel, 

der Oculomotorius- und Trochleariskern beiderseits, 

die rechte cerebrale Trigeminuswurzel, 


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beide Fascic. longit. post., 

beide Bindearme, der rechte stärker, in der proximalen Hälfte ihrer Kreuzung, 

die rechte Schleife, 

die rechte Substantia nigra Sömmeringii, 

alle anderen Faserzüge zwischen Schleife und Aquaeductus links und zwischen 
Substantia nigra Sömmeringii und Aquaeductus rechts, 

beide rothen Kerne, 

die ÜKiNBBT’Bche und Fo&Bi/sche Haubenkreuzung. 

Genauere Untersuchungen, namentlich über das Verhalten der Regio sub- 
thalamica konnten nicht angestellt werden, da das Präparat bei der Autopsie 
gerade in der Gegend des Tumors ziemlich beschädigt wurde. Soviel konnte aber 
doch mit Sicherheit festgestellt werden, dass der comprimirte Hirnschenkelfus» 
an WBIGHBT-Präparaten keinen Faserausfall erkennen Hess. 

Secundäre Degenerationen in der Medulla oblongata und dem 

Hirnstamme. 

1. Pyramidenbahnen nicht degenerirt. 

2. Fasciculus longitud. post, beiderseits degenerirt. 

3. Ausserdem findet sich als lange absteigende Bahn beiderseits ein com¬ 
pactes Bündel degenerirt, welches seiner Lage nach der centralen Haubenbahn 
entspricht und dessen Verlauf sich spinal- und cerebralwärts folgendermaassen 
gestaltet: 

dorsal 


X. 



ventral 

Fig. 1. Schematisches Bild der linken Olive bei starker Vergrösserang 
ans deren unteren Abschnitten. Färbung nach Mabohi. 


Schon in den untersten Enden der beiden Oliven lassen sich in den in den 
Oliven sich radiär ausbreitenden Fasern feinste schwarze Körnchen nachweisen, 
und dieser Befund bleibt constant bis an das obere Ende der Oliven. (Fig. 1.) 
Je mehr man sich den proximalen Abschnitten der Oliven nähert, um so deut¬ 
licher wird eine Degeneration der die Oliven umspinnenden bogenförmigen Fasern, 
welche sich zunächst in den ventralen und dorsolateralen Abschnitten derselben 


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bemerkbar macht (Fig. 2), an In- und Extensität zunimmt, bis schliesslich die 
Olive von einem dicht punctirten schwarzen Faserzug eingeschlossen erscheinen 
(Fig. 3.), welche nur die mediale Seite, den Hilus derselben frei lasst. An dem 



Fig. 2. Aus der Gegend der Mitte der Olive. Fig. 8. Aus dem obersten Ende 

Ol Olive. der Olive. Ol Olive, c oentrale 

Haubenbahn. 


dorsolateralen Rande der Oliven sammeln sich entsprechend deren obersten Ende 
diese degenerirten Fasern zu einem compacten, schon mit freiem Auge sichtbaren 
Bündel (Fig. 4), welches weiter nach aufwärts medial von der Nehenolive liegt 



Fig. 4. Höbe des Abducenskernes und Fig. 5. Aus der Gegend des Rindeneintrittes. 

der austretenden Abducenswurzel. B Bindearm, L Schleife, Po Pons, c centrale 

Po Pons, L Schleife, NO Nebenolive, Haubenbahn, flp Fascic. longit post. 

VI Abducenskern, c centrale Hauben¬ 
bahn, flp Fascic. longit post. 

und am dorsalen Ende der Schleife (Fig. 5) und als solches bis in die Höhe des 
motorischen Trigeminuskernes sich verfolgen lässt. 

An noch höheren Querschnitten ist zu entnehmen, dass die centrale Hauhenhahn 
in jenen Ebenen, in welchen die Bindearme im Querschnittsbilde auftreten, sich von 


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der Schleife etwas entfernt und dorsalwärts rückt; dass diese dorsale Lagerung immer 
ausgesprochener wird, je mehr die Bindearme sich in höheren Schnitten der Median* 
ebene nähern, derart, dass schliesslich die centrale Haubenbahn an die dorsale Fläche 
des entsprechenden Bindearmes zu liegen kommt, dessen Concavität innig anliegend 



Fig. 6. L Schleife, B degenerirter Bindearra, flp Fascio. long. post., Leo Locus 
coeruleus, Yd cerebrale Trigeminuswurzef, c centrale Haubenbahn. 

(Fig. 6) und jenes Feld einnehmend, welches sich als dorsolaterales 
Haubenfeld beschrieben findet. Noch weiter cerebralwärts rückt das dege- 
nerirte Bündel immer weiter dorsal und lateral, in den von dem Bindearm und dem 
dorsalen Längsbündel gebildeten Winkel, wobei der Querschnitt desselben immer 



Fig. 7. S Schleife, B Bindearm, Yd cerebrale Trigeminuswurzel, Leo Locus coeruleus, 
flp Fascic. longit post., c centrale Haubenbahn. Halbschematische Zeiehnang. 

mehr abnimmt, die Körnung immer spärlicher wird. (Fig. 7.) An Stelle der 
querdurchschnittenen Fasern treten in diesen Höhen immer deutlicher werdende, 
längsgetroffene, deutlich scharf punctirte Faserzüge auf (Fig. 8), von denen die 
dorsalsten, dem Fase. long. post, zunächst gelegenen die Mittellinie nicht über¬ 
schreiten und in den Bindearm derselben Seite einstrahlen (Fig. 8). In den 
obersten, noch brauchbaren Höhen, unterhalb des Tumors, d. i. wenig unterhalb 


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des Trochleariskerns, ist von einem quergetroffenen Bündel nichts mehr zu sehen, 
und nur einige zwischen Bindearm und Fase. long. post, gelegene, in den Binde- 
arm einstrahlende degenerirte Faserzüge als Fortsetzung desselben bemerkbar. 

Ventral vom Bindearm, zwischen diesem und der medialen Schleife, ist von 
jenen Höhen an, in welchen die centrale Hauhenbahn die dorsale Ebene der 
Bindearme erreicht hat, keine umschriebene Körnchenanhäufung mehr zu sehen; 
der ganze Baum zwischen beiden Fasersystemen zeigt eine diffuse, sehr wenig 
intensive, cerebralwärts immer geringer werdende, schliesslich aufhörende schwarze 
Körnung. (Fig. 6 u. 7.) 



Fig. 8. L Schleife, B Bindearm, flp Fascic. long. post., Vd cerebrale Trigeminus- 
wnrzel, c centrale Haubenhahn. Halbschematische Zeichnung. 

4. Degenerirt sind ferner die Bindearme, die cerebrale Trigeminus- 
wurzel von der Höhe der Bindearmkreuzung an, woselbst an der Querschnitts- 
forra sich bereits der Druck des Tumors kenntlich macht; ferner in anfangs sehr 
geringer, cerebralwärts zunehmender Stärke die Schleife. 

5. Eine spinale Fortsetzung der centralen Haubenbahn konnte 
nicht degenerirt gefunden werden, ebenso war die Olivenzwischen- 
schicht frei. 

Die Untersuchung des Tumors selbst ergab neben käsigen Herden deutliche 
Epitheloidtuberkel, massenhafte Riesenzellen, und bei Bakterienfärbung das Vor¬ 
handensein von Tuberkelbacillen innerhalb der Riesenzellen. 

Epikrise. Anatomischer Theil. 

Hier wäre nur auf den Ursprung und den Verlauf der centralen Hauben¬ 
bahn näher einzugehen, da zum Studium anderer Fasersysteme die Präparate 
keine Gelegenheit gaben. 

Obwohl die Beziehungen der centralen Haubenbahn zur Olive schon von 
dem Entdecker dieses Bündels (Bechtebbw) ausgesprochen wurden, und man 


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in demselben eine Verbindung der unteren Olive und der Stammganglien ver- 
muthet, herrscht eine vollständige Klarheit über diese Beziehungen noch keines¬ 
wegs. Die frühere Meinung, dass die centrale Haubenbahn eine spinale Fort¬ 
setzung, das Oliven-(HELWEQ’sche)Bündel habe, hat Bbchtbbew selbst auf¬ 
gegeben, da sich eine Beziehung dieses spinalen Bündels zu den Oliven nicht 
nachweisen liess (Fascic. parolivaris). 

In der Arbeit von Collies und Büzzabd über vom Mittelhim absteigende 
Fasersysteme finde ich einige Bilder, in welchem ganz analog meinen Prä¬ 
paraten ein die Olive umspinnendes Degenerationsfeld zu sehen ist; doch be¬ 
zeichnen die Verf. nur dessen dorsalen Antheil als centrale Haubenbahn, während 
angesichts des Umstandes, dass in der Medulla obL bei meinen Fall nur dieses 
Bündel degenerirt gefunden wurde, kein Zweifel obwalten kann, dass auch die 
lateral und ventral von der Olive gelegenen Fasern der centralen Haubenbahn 
angehören, diese also bei ihrem centrifugalen Verlaufe in die Horizontal - 
richtung umbiegend die laterale Hälfte der Olive mit ihren Fasern 
umspinnt 

Collier und James sagen, die meisten Fasern scheinen an der Oberfläche 
der gleichseitigen unteren Olive zu endigen. Aus meinen Präparaten geht aber 
unzweifelhaft hervor, dass sie in die Olive einstrahlen, sich radiärwärts 
in derselben ausbreiten, und zwar lässt sich diese Einstrahlung 
durch die ganze Höhe der Olive verfolgen. 

Einstrahlungen von Fasern der centralen Haubenbahn in die 
Olivenzwischenschicht und in die HELWEö’sche Dreikantenbahn 
konnte ich nicht wahrnehmen. Ersteres verdient umsomehr Beachtung, 
als die centrale Haubenbahn beiderseits isolirt degenerirt war; es dürften also 
die von Collier und Buzzard in die Olivenzwischenschicht einstrahlend ge¬ 
sehenen Fasern wohl einem anderen Fasersysteme angehören. Und was die 
letztere Ansicht betrifft, so stimmen meine Befunde, nähmlich das Fehlen einer 
spinalwärts degenerirten Bahn, gut überein mit den neusten von Bechterew 
und Obersteineb vertretenen Ansichten, wonach die HELWEG’sche Bahn 
mit der centralen Haubenbahn und wahrscheinlich auch mit den Oliven gar 
nichts zu thun hat. 

Nach meinen früher geschilderten und abgebildeten Präparaten, muss ich 
ferner zur Ansicht kommen, dass — bei der der wirklichen Verlaufsrichtung ent¬ 
gegengesetzten Darstellung des Verlaufes von unten nach oben — die centrale 
Haubenbahn sich um die Bindearme dorsalwärts wendet und im 
sogen, dorsolateralen Haubenfelde weiter verläuft und schliess¬ 
lich in die Bindearme einstrahlt Ob in dem dorsolateralen Haubenfelde 
ausserdem noch andere Faserzüge verlaufen, welche nicht der centralen Hauben¬ 
bahn angehören, vermag ich nicht zu sagen. 

Was das Fehlen der absteigenden Pyramidendegeneration betrifft 
so steht dieses Verhalten wohl im Zusammenhänge mit dem Umstande, dass 
der comprimirte Hirnschenkelfuss keinerlei Faserausfall und pathologische Ver¬ 
änderung an WEiGERT-Präparaten erkennen liess. Es dürfte sich also wohl nur 


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um ein Näheraneinanderröcken der Fasern mit functioneller, aber nicht anatomi¬ 
scher Schädigung derselben gehandelt haben, womit auch die nur geringe links¬ 
seitige Hemiparese im Einklang steht 

Klinischer Theil. 

Um vorerst die Symptome noch e inm al kurz zusammenzufassen: 

Bei einem 28jährigen Taglöhner trat im Verlaufe weniger Wochen beider¬ 
seitige Ooulomotorius- und Troohlea.rislähmung ein mit linksseitiger 
Hemiparese. Die Augenspiegeluntersuchung ergab beiderseitige beginnende 
Opticusatrophie, die Gesichtsfeldaufhahme eine allseitige, aber besonders 
rechtsseitige Einschränkung des Gesichtsfeldes. Gesteigerte Sehnen¬ 
reflexe, geringe Ataxie der linksseitigen Extremitäten. Während des 
ganzen, 10 Monate dauernden Krankheitsverlaufes niemals Kopfschmerz, 
Schwindel oder Erbrechen, keine Stauungspapille, keine nachweisbare 
centrale Gehörstörung. Im weiteren Verlaufe vorübergehende Parese 
des linken Facialis, Abduoens und motorischen Trigeminus und Auf¬ 
treten eigentümlicher oontinuirlicher, während des wachen Zustandes 
andauernder, einem grobwelligenTremorvergleichbarer, bei intendirten 
Bewegungen sich steigernder Krämpfe verschiedener Muskelgruppen 
der linken Extremitäten, deren Auftreten folgende Reihenfolge erkennen liess: 

Beginn in den Beugern und dem Opponeus des linken Daumens, 
nach 3 Tagen auoh am linken Zeigefinger. 

3 Wochen später gesellt sich hierzu ein klonischer Dauerkrampf des linken 
Supinator longus, des linken Extensor und Flexor carpi ulnaris, und 
nach einem weiterem Monate der langen Fingerbeuger der linken Hand. 
Nach einem weiteren Monate tritt ein klonischer Krampf des linken Tibialis 
anticus hinzu, an dem eine Woche später auch der Semitendinosus und 
Semimembranosus sich betheiligen. Der Krampf im linken Daumen war 
Ende Juli 1901 aufgetreten und hatte bis 5. Deoember 1901 sich auf die ge¬ 
nannten Muskelgruppen ausgebreitet, die einmal befallenen in oontinuirlicher 
Thätigkeit erhaltend. Am 25. December 1901 plötzliches Sistiren des Krampfes 
ohne anderweitige Veränderung. 5 Tage später Wiederauftreten desselben in 
denselben Muskelgruppen unter Neubetheiligung des Pectoralis major, Supra- 
spinatus und der Clavicularportion des Deltoideus. Alle genannten 
Muskelgruppen fühlen sich während des Krampfes deutlich härter an. Mit dem 
Wiederauftreten gewinnt der Krampf einen anfallsweisen Charakter. Die Anfälle 
dauern Secunden bis Tage und befallen häufig die Muskeln in derselben Reihen¬ 
folge wie oben geschildert, anderemale alle scheinbar zu gleicher Zeit. Zwei 
Mal Steigerung zu allgemeinen klonischen Krämpfen, von der linken 
oberen auf die linke untere, sodann rechte untere und rechte obere 
Extremität übergreifend, ohne tonische Starre und unter Freibleiben 
des Facialis und Hypoglossus. 

Im weiteren Verlaufe Fieber unter auffallender Temperaturdifferenz 
der linken und rechten Körperhälfte, indem erstere fast constant selbst bis zu 2 0 höhere 
Temperatur zeigt, und Tod unter den Erscheinungen tuberculöser Meningitis. 

45 


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Klinische Diagnose vor dem Auftreten der tuberculösen Meningitis. 

Der anfängliche Symptomencomplex, beiderseitige Ophthalmoplegie und 
linksseitige Hemiparese liess sich auf zweifache Weise erklären: 1. durch einen 
Krankheitsherd an der Basis, dem rechten Grosshirnschenkel entsprechend oder 
dem vorderen Ende der Brücke, am Austritte der beiden Nn. oculomotorii; 
2. durch einen Herd in der Vierhügelgegend, bezw. in der Nachbarschaft 
derselben. 

ad 1. In Betracht konnten nur kommen eine chronische Meningitis oder ein 
basaler Tumor. Eine tuberculöse Meningitis war nach dem Verlaufe aus- 
zuschliessen (die später aufgetretene war ja sicher secundär), eine luetische 
mangels aller luetischen Antecedentien, bei dem Fehlschlagen einer specifischen 
Behandlung und bei der dauernden Abwesenheit von Kopfschmerzen kaum an¬ 
zunehmen. Ein Tumor an dieser Stelle war hingegen nicht auszuschliessen. 
Es ist ja bekannt, dass gerade Tumoren an der Basis cerebri häufig alle all¬ 
gemeinen Tumorsymptome vermissen lassen (Oppenheim) und auch die Aus¬ 
bildung einer Stauungspapille durch frühzeitige Compression der Nn. optici bezw. 
deren Tractus verhindern können und in solchen Fällen häufig mit oder ohne 
gleichzeitige Atrophia nervi opt zu einer Verengerung der Gefasse der Papilla 
nerv, opt führen können (Oppenheim), wie sie in unserem Falle an der 
rechtsseitigen Papille zur Beobachtung kam. Die Erklärung der eigentümlichen 
Krampfform war unter der Annahme des Sitzes ebenso schwierig bezw. un¬ 
möglich, wie unter Herbeiziehung eines Herdes in der Vierhügelregion. 

Das war also die eine Möglichkeit und die Latenz der allgemeinen Tumor¬ 
symptome konnte durch die Annahme eines solitären Tuberkels noch plausibler 
gemacht werden. Ich sagte oben absichtlich, die Symptome liessen sich erklären 
durch einen dem Grosshirnschenkel entsprechenden basalen Tumor, und vermied 
es zu sagen, durch einen Tumor des Grosshirnschenkels; denn es war unwahr¬ 
scheinlich, dass ein vom Grosshirnschenkel selbst ausgehender Tumor erst beide 
Oculomotorii und Trochleares lähmen sollte, ehe er zu einer Parese der linken 
Körperhälfte führte, und dass ein derartig localisirter Tumor bei oompleter 
Lähmung beider Oculomotorii während des ganzen späteren Verlaufes nur eine 
relativ geringfügige Hemiparese sollte erzeugt haben. Ich gebrauchte diese vor¬ 
sichtigere Ausdrucksweise auch schon damals, als ich den Fall im December v. J. 
in der Gesellschaft für innere Medicin demonstrirte, obwohl im Allgemeinen der 
Symptomencomplex: Oculomotoriuslähmung mit gekreuzter Hemiplegie (gekreuzt 
mit dem zuerst befallenen Oculomotorius) als typisch für eine Erkrankung des 
Grosshimschenkels gilt 

ad. 2 Herd in der Vierhügelgegend: 

Eine thrombotische oder embolische Erweichung war nach dem 
protrahirten Verlaufe, bei der Jugend des Individuums und dem Mangel aller 
krankhaften Symptome des Circulationsapparates, auszuschliessen. 

Ein Tumor dieser Gegend schien anwahrscheinlich bei dem constanten 
Fehlen aller allgemeinen Tumorsymptome. Es ist zwar bekannt, dass bei 
Vierhügeltumoren Stauungspapille nicht selten vermisst wird, aber es schien 


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707 


doch kaum erlaubt, einen Tumor anzunehmen, der bei diesem Sitze eine Com* 
pression des Aquaeductus Sylvii und damit einen chronischen Hydrocephalus 
herbeiführen musste, wenn alle Symptome des letzteren, Kopfschmerz, Schwindel, 
Erbrechen, niemals, auch nur andeutungsweise, vorhanden waren. Ein Tumor 
dieser Gegend entzog sich also der Diagnose. 

Es blieb nooh übrig, an chronisch entzündliche Veränderungen in der 
Vierhügelgegend bezw. den Oculomotorius- und Trochleariskemen zu denken, 
die weder eine Raumbeschränkung im Schädelinneren noch eine Verlegung des 
Aquaeductus herbeizuführen brauchten. Und Analogieen dafür liessen sich in 
der Litteratur auffinden, indem z. B. Bikmbbijho beobachtete, dass die multiple 
Sklerose unter dem Bilde einer Oculomotoriuslähmung einsetzen kann. Auch 
die Deutung der nach Muskelgruppen fortschreitenden Krämpfe, die die An¬ 
nahme eines cortioalen Ursprunges naherückten, war unter dieser Voraussetzung 
verständlicher, indem die Entstehung derselben aus gleichzeitigen oorticalen oder 
dicht unterhalb des Cortex in der Gegend der motorischen Rindencentren ge¬ 
lagerten Herden sich bei dieser Diagnose gleichsam von selbst aufdrängte. 

Ein solitärer Tuberkel an der Basis cerebri, am vorderen Ende der Brücke, 
bezw. in der Gegend des rechten Grosshirnschenkels, oder multiple Sklerose mit 
atypischer Localisation, das waren die beiden Möglichkeiten, zwischen welchen 
ich eine sichere Entscheidung zu treffen nicht wagte. 

(Fortsetzung folgt.) 


JX Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 14. Juli 1902. 

Vorsitzender: Hern Jolly; Schriftführer; Herr Bernhardt. 

Herr Arndt und Herr Sklarek: lieber Balkenmangel im mensch¬ 
lichen Gehirn. 

Vortr. haben ein „balkenloses“ Gehirn in Serienschnitte zerlegt und demon- 
striren mit dem Projectionsapparat eine grössere Reihe von Frontalschnitten durch 
beide Hemisphären. 

Das Gehirn entstammt einem idiotischen Mädchen, welches erblich nioht be¬ 
lastet war, und dessen Geburt ohne Störung verlief. Im 2. Lebensjahre soll es 
Krampfanfälle gehabt haben; im vierten fing es an zu spreohen und zu gehen. 
Für den Volksschulunterricht erwies das Kind sich als ungeeignet; es wurde deshalb 
im 9. Lebensjahre in die Idiotenanstalt zu Dalldorf aufgenommen. Es lernte hier 
nothdürftig etwas lesen und schreiben, konnte einfache Erzählungen verstehen 
und dem Inhalte nach wiedergeben; es war im Allgemeinen ein gutmüthiges, 
williges und sehr lebhaftes Kind. Körperlich war es nicht so entwickelt, wie 
es seinem Alter entsprochen haben würde. Die Sprache war andeutlich; es be¬ 
stand beiderseits Mittelohrkatarrh und ziemlich erhebliche Schwerhörigkeit. An 
den unteren Extremitäten fanden sioh Spasmen und gesteigerte Reflexe. Im 
Uebrigen hot der körperliche Befund nichts wesentlich Abnormes dar. Das Kind 
befand sich 6 Jahre in der Anstalt und starb im August 1900 an Siebbein¬ 
empyem und eitriger Bronchitis. Das Gehirn wurde in Müller’scher Flüssigkeit 
gehärtet und in Serien schnitte zerlegt; für die Färbung derselben kam besonders 

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die Kultschitzky-Wolters’sche Methode in Anwendung. Ee ergab sich 
folgender Befund: 

Die Querfaserang des Balkens fehlt fast vollständig; nur ein schmales 
Faserbiindelchen von 1—2 mm Breite und Dicke verbindet dort, wo in der Norm 
das Balkenknie liegt, beide Hemisphären. Ein mächtiger Faserzug, das von 
Probst sogenannte „Balkenlängsbündel“, durchzieht jederseits dorsomedial vom 
Seitenventrikel das Gehirn in sagittaler Richtung vom Stirn- zum Hinterhaupts¬ 
lappen und bildet das Tapetum des Hinter- und Unterhorns des Seitenventrikels. 
Von seinem dorsalen Ende gehen Fasern zu den verschiedenen Hirnwindungen, 
mit dem ventralen steht der Fomix jederseits in enger Verbindung. Die Fornix- 
schenkel und -säulen vereinigen sich nicht in der Mittellinie zum Fornixkörper; 
auch fehlt die Commissura fornicis, das Psalterium vollständig. Das erwähnte 
Querfaserbündelchen geht jederseits in die ventrale Spitze des Balkenlängsbündels 
über und verliert sich in der Masse desselben. Ein Septum pellucidum ist nioht 
vorhanden, ebensowenig ein eigentlicher Gyrus fornicatus. Der rückwärts ver¬ 
laufende Schenkel der Commissura anterior ist jederseits unter dem Linsenkern 
bis in den Schläfenlappen zu verfolgen; es fehlt aber die in der Norm vor den 
ansteigenden Fornixsäulen gelegene quere Verbindung dieser Schenkel, es fehlt 
also die eigentliche Commissur. 

Vortr. erörtern kurz die Anschauungen der verschiedenen Autoren über die 
Befunde am balkenlosen Gehirn und ihre Beziehungen zum Faserverlauf im nor¬ 
malen Gehirn. Sie schliessen sich völlig der, in neuerer Zeit besonders von 
Schröder und Probst vertretenen, Auffassung von H. Sachs an, dass ein dem 
Onufrowicz’schen frontooccipitalen Bündel (Probst: Balkenlängsbündel) des 
balkenlosen Gehirnes entsprechender Faserzug im normalen Gehirn nicht existire. 
In dem sogenannten „balkenlosen“ Gehirn fehle der Balken keineswegs; die Fasern 
treten nur nicht nach der anderen Seite hinüber, sondern verliefen in derselben 
Hemisphäre in sagittaler Richtung und verbänden so, das Onofrowicz’sche 
Bündel bildend, verschiedene Punkte derselben Hemisphäre, statt wie in der Norm 
beide Hemisphären. Es handle sich also nicht um ein völliges Fehlen, sondern 
um eine Heterotopie des Balkens (H. Sachs). 

Der vorliegende Fall erscheint deshalb besonders beweisend für diese Auf¬ 
fassung, weil ein kleiner Rest der Balkenquerfaserung vorhanden ist, und dieser 
direct in das Balkenlängsbündel übergeht. Autoreferat. 

Herr F. Strassmann: Demonstration von Präparaten eines Falles 
tranmatisoher Psychose. 

Vortr. secirte am 25. Januar 1902 die Leiche eines Selbstmörders, der sich 
3 Tage vorher durch einen Schuss in die rechte Schläfe getödtet hatte. Man 
fand bei ihm ausserdem eine alte, etwa 6 cm lange, geradlinige Narbe der Kopf¬ 
haut, darunter eine Vertiefung im Knochen, zwischen beiden eingeheilt ein gewöhn¬ 
liches Drainrohr. Der Vertiefung der Aussentafel entsprach innen eine dachförmige 
Impression des rechten Scheitelbeines, zum Theil mit der Dura verwachsen. 
Darunter zeigte das Gehirn eine napfformige Grube mit gelblichem Grunde, ge¬ 
legen im obersten Abschnitte der rechten Centr&lwindung. Anderweitige Ver¬ 
änderungen waren an dem durch den Schuss allerdings zertrümmerten Gehirn 
nicht wahrzunehmen. 

Nachträglich liess sich folgende Krankengeschichte feststellen: 

Der Verstorbene war ein 47jähriger Arbeiter, erblich nicht belastet. Seit 
1878 regelmässiger Trinker (Schnaps für 20 Pf.). Ende der 70 er, Anfang der 
80 er Jahre mehrere Bestrafungen wegen Diebstahl und Arbeitsscheu. Verheirathet 
seit 1882, Vater von vier gesunden Kindern. 

Ende 1882 verunglückte er durch Aufschlagen eines Balkens aus grosser 


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Höhe auf seinen Kopf, wurde bewusstlos ins Krankenhaus gebracht, wo man eine 
Depression des rechten Scheitelbeines, eine bis auf die Dura reichende Kopf¬ 
wunde, eine Parese der linken Seite feststellte. Ein Knochensplitter wurde ent¬ 
fernt, die Wunde drainirt und vernäht, heilte per primam. Am 7. Tage wurden 
die Nähte entfernt, wobei offenbar das in die Tiefe gerutschte Drainrohr vergessen 
wurde. Etwa 5 Wochen nach der Verletzung wurde er gebessert entlassen, doch 
bestanden noch Klagen über Kopfschmerzen, Schwindel, Schwäche im Bein. 

Diese Beschwerden haben seitdem nicht wieder aufgehört. Der Kopfschmerz 
wurde beschrieben, als wenn eine Schale auf dem Kopf läge, als wenn ein Bind¬ 
faden um ihn gewickelt wäre. Daneben bestanden speciell Schmerzhaftigkeit und 
starkes Jucken in der Narbe, als wenn Ungeziefer im Kopfe wäre, das Jucken 
führte öfter zu heftigen Kratzeffecten. Neben der Schwäche in der linken Seite 
besonders im Beine, wurde auch über krampfhaftes Zusammenziehen in den Waden 
und Zehen geklagt Bei den Schwindelanfällen gab der Pat. an, ein aufsteigen¬ 
des Geföhl vom Nabel aus zu fühlen. 

1889 traten die ersten epileptischen Krampfanfälle auf und führten den Pat 
zwei Mal ins Krankenhaus. 

Die epileptischen Anfalle haben sich dann später gehäuft, zumal wenn Pat 
trank, was er anscheinend nie ganz gelassen hat Seit 1892 schlossen sich an 
sie öfter Verwirrungszustände an, die eine wiederholte Aufnahme in die Irren¬ 
anstalt erforderte. Er ist 1892, 1893, 1895, 1896, 1898 zusammen etwa 
1 1 / a Jahre in Anstalten gewesen. Zu gleicher Zeit etwa begann Gedächtniss- 
schwäche sich geltend zu machen, der Kranke wurde eifersüchtig, sexuell überaus 
erregt, sehr reizbar gegen seine Frau und Kinder. Zeitweises Auftreten von 
Sinnestäuschungen, besonders des Gesichtssinnes. Auch in den Anstalten zeigte 
er das Benehmen des Alkoholisten neben Tremor und Alkoholgeruch. Unein- 
sichtigkeit und Neigung zum Selbstloh. Daneben öfter deprimirte Stimmung; 
schon einmal (1898) versuchte er Selbsterhängung. Objectiv wurde stets eine 
Hypästhesie und Analgesie der ganzen linken Körperhälfte, eine Herabsetzung 
des Gehörs, Geruchs und Geschmacks auf der gleichen Seite, eine Erhöhung des 
Patellarreflexes linkerseits festgestellt. Die in den Anstalten beobachteten Anfälle 
verliefen meist so, dass der Kranke hintenüberstürzte, ohne Zuckungen mehrere 
Minuten lang da lag, dann ohne Bewusstsein vom Anfall wieder zu sioh kam; 
Zungenhiss ist nie gesehen worden. Einer der letzten von dem Eiranken selbst 
beschriebenen Anfälle begann mit Schmerzen im linken Arm und Bein; dann 
wurde er aus dem Bett geschleudert, benässte sich diesmal (zum ersten Mal) 
mit Urin. 

Vortr. glaubt nach der Krankengeschichte die Epilepsie auf den Bindenherd 
zurückführen zu können unter begünstigender Mitwirkung des Alkoholismus. Eine 
Narbenepilepsie, bedingt durch den 20 Jahre getragenen Fremdkörper, liege wohl 
nicht vor; Druck auf die Narbe hat nie Krampfanfälle ausgelöst. Andererseits 
sei doch ein nioht unerheblicher Theil der Beschwerden anscheinend durch die 
Narbe bewirkt worden. Für einen operativen Eingriff hätte der Fall insofern 
günstig gelegen, als ein Einschnitt auf Narbe und Knoohendepression alsbald auch 
auf den Bindenherd geführt haben würde; dieser seihst hot freilich seiner Natur 
nach wohl nur geringe Aussichten für einen operativen Eingriff. Wenn aber 
auch die Epilepsie nicht gehoben worden wäre, so würde doch schon durch Be¬ 
seitigung des Fremdkörpers das Befinden des Kranken voraussichtlich gebessert 
worden sein, und insofern enthielte der Fall eine Aufforderung, in Zukunft unter 
ähnlichen Umständen vielleicht öfter einen operativen Eingriff zu versuchen. (Der 
Vortrag wird an anderer Stelle ausführlicher mitgetheilt werden.) Autoreferat. 

Disoussion: Herr Jolly bemerkt, dass in diesem Fall eine Operation indioirt 
gewesen wäre, wenn man von dem Vorhandensein des Fremdkörpers etwas ge« 


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wusst hätte. Bedauerlicherweise war ein Hinweis auf diesen nicht vorhanden 
gewesen. Depression des Schädels findet man bei traumatischer Epilepsie häufiger; 
zur Ausführung einer Operation wäre man aber nur hei dem Vorhandensein von 
Herdsymptomen berechtigt, da ohne diese die Prognose schlecht sei Im vor¬ 
liegenden Falle käme auch noch der epileptogene Einfluss des chronischen Alkohol¬ 
missbrauchs hinzu. 

Herr Docent Dr. L. Minor aus Moskau (a. G.) demonstrirt am Projections- 
apparate eine Reihe mikroskopischer Präparate von verschiedenartigen Formen 
der Hämatomyelie. Neben einer Anzahl von Präparaten, die bereits bekannt« 
Formen dieser Affection darstellen (centrale Zertrümmerung mit Beimischung von 
Blut, compacte centrale Hämatomyelie, localisirte centrale Hämatomyelie gleich¬ 
zeitig das Vorder- und Hinterhorn betreffend, isolirte centrale Hämatomyelie eines 
oder beider Vorderhörner, H. centr. anter.), demonstrirt Vortr. Präparate von 
H. disseminata und einer neuen von ihm unlängst beobachteten noch nicht be¬ 
schriebenen Form der Affection, bei welcher die Blutung die Form eines Ringes 
annimmt, mit nekrotischem Gewebe im Inneren desselben — H. annularis sive 
cricoidea vom Vortr. genannt. Diese Ringe localisiren sich entweder in der grauen 
Substanz der Hinterhörner oder in der der hinteren CommiBBur angrenzenden 
Partie der Hinterstänge, seltener in den Seitensträngen. Vortr. theilt der Ent¬ 
stehung naoh diese Hämatomyelie in eine active bezw. passive, im ersteren Falle 
bahnt sich die Blutung neu den Weg, im letzteren füllt sie schon vorhandene 
Risse aus. 

Weitere Präparate zeigten zwei Hauptformen der späteren Ausgänge trau¬ 
matischer Rückenmarksaffectionen: Verwandlung des Rückenmarkes in ein schmales 
bindegewebiges Band, bezw. colossale ödematöse Durchtränkung und Verdickung 
der Häute, zum Schluss noch einen Fall von ausserordentlicher Erweiterung des 
Centralcanals, deren Zusammenhang mit dem vorhergegangenen Trauma hier leioht 
zu beweisen war. Autoreferat. 

Herr Eulenburg: Demonstration eines Falles von Akromegalie mit 
bitemporaler Hemianopsie. 

Der Fall betrifft einen 27jährigen Mann, aus gesunder Familie stammend, 
gross und kräftig doch ohne Zeichen von Riesenwuchs; hat etwa 6 Jahre gedient: 
zeitweise alkoholische Excesse. Der von A. Graefe aufgenommene Augenbefund 
ergiebt seit April 1901 stationär bleibende bitemporale Hemianopsie (mit über¬ 
schüssigem Gesichtsfelde rechts von 10, links von 5°); Atrophie der Sehnerven¬ 
papille, besonders rechts; leichte Ptosis links, Insufficienz der Reoti interni, 
Nystagmus bei Endstellungen der Bulbi. Die Gesichtsknochen, besonders Jochbein 
und Nasenbein, zeigen erhebliche Zunahme, noch mehr die Knorpel von Ohr und 
Nase. Hände und Füsse sind gross, die Ossa metacarpalia und Phalangen 
stark verdickt und verbreitet; erhebliche Zunahme und Infiltration der Weich- 
theile, starkes Schwitzen der Hände. Von Kopferscheinungen nur leichter Stirn¬ 
kopfschmerz, zuweilen Brechneigung; kein Zucker im Harn; Patellar- und Plantar¬ 
reflexe gesteigert. Wie aus den Drucksymptomen auf Chiasma, Optici und Ooulo 
motorius hervorgeht, handelt es sich unzweifelhaft um eine Vergrösserung der 
Hypophysis; aller Wahrscheinlichkeit nach in Form diffuser hyperplastischer 
Struma des Vorderlappens (Benda), nicht in Form einer malignen Neoplasie. 
Dem entspricht die Einreihung unter den klinischen Typus der in chronischer, 
mehr benigner Weise verlaufenden Form der Akromegalie, die jedoch, abgesehen 
von Complicationen, einen Uebergang in die perniciöse Form (durch Umwandlung 
der Geschwulstelemente) nicht unbedingt ausschliesst. Therapeutisch wäre unter 
solohen Umständen doch die Möglichkeit eines operativen Eingreifens (von der 
Stirn her) in Rechnung zu ziehen. Autoreferat. 


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Discussion: 

Herr Mendel hat bezüglich der Therapie zu bemerken, dass, wenn sich jetzt 
die Ansioht mehr und mehr Bahn bricht, dass die Hypophysiserkrankung nur 
eine Theilerscheinung und nicht die Ursache der Allgemeinerkrankung sei, die 
Frage, ob ein chirurgischer Eingriff indicirt ist, wohl in verneinendem Sinne zu 
beantworten sei. Es entspräche das auch dem bisher in Deutschland bezüglich 
dieser Frage allgemein eingenommenen zurückhaltenden Standpunkte, den er selbst 
auch für durchaus gerechtfertigt halte. 

Herr Maass erinnert an seine mit Friedmann gemachten Untersuchungen, 
die zum Theil auch im Hinblick auf etwaige therapeutische Versuche unternommen 
worden seien und bemerkt, dass die Chancen eines günstigen Erfolges beim 
Menschen zweifellos sehr geringe seien; sohon bei seinen Versuohsthieren (Katzen) 
haben sich sehr grosse technische Schwierigkeiten ergeben. 

Herr Eulenburg glaubt, dass der Zusammenhang zwischen der Akromegalie 
und der Hypophysiserkrankung doch häufig ein engerer ist, als aus den Be¬ 
merkungen von Herrn Mendel hervorzugehen scheint. In Fällen, wie der 
demonstrirte, sei ausserdem nicht zu vergessen, dass der Tumor an sich, selbst 
wenn er nur ein Symptom sein sollte, deletäre Symptome macht, an deren Be¬ 
kämpfung auf chirurgischem Wege zu denken sei. Martin Bloch (Berlin). 


Aentlioher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 27. Mai und 24. Juni 1902. 

Herr Buchholz: Ueber die schnell verlaufenden Formen der Dementia 
paralytioa. 

Vortr. macht, nachdem er in Kürze auf die grosse Bedeutung der frühzeitigen 
Diagnose der Dementia paralytica hingewiesen hat, Mittheilung von den Ergeb¬ 
nissen einer von ihm vor nicht langer Zeit erhobenen Statistik über die Ver¬ 
breitung der Paralyse in dem Aufnahmebezirk der Landesheilanstalt Marburg. 
Ans derselben geht hervor, dass die Erkrankungen an Paralyse in nicht imerheb¬ 
lichem Maasse zugenommen haben; uad zwar in einem stärkeren Verhältniss, als 
es der Zunahme der Bevölkerung entspricht. Sodann zeigt dieselbe, dass sich die 
Paralyse von den grösseren Centren aus allmählich über das platte Land hin aus¬ 
gebreitet hat, so dass jetzt auch in Kreisen, welche vor einer Beihe von Jahren 
von der Paralyse noch frei waren, Erkrankungen an Paralyse zur Beobachtung 
kommen. 

Sehr selten sind die Fälle von sogenannter galoppirender Paralyse. Von 
335 Paralytikern lebten noch ein Jahr nach dem Ausbruohe ihres Leidens 302. 
Von den verbleibenden 33 konnten 9 wegen mangelnder Anamnese nicht in Be¬ 
tracht kommen. Von den restirenden 24 starben nioht an Paralyse oder eng 
mit derselben verbundenen Complicationen 9 (3 vorgeschrittene Tuberculose, 
2 Blasenrupturen, 1 Erstickung, 1 Aspiration von Eiter in die Luftwege, 1 eitrige 
Pericarditis, 1 Embolie der Art. coronaria sinistra). Es würden demnach nur 
16 Kranke der Paralyse als solcher im ersten Jahre erlegen sein. Von diesen 
boten neun abgesehen von dem schnellen Verlaufe nichts besonderes (acute, schnell 
verlaufende Paralysen). Bei zweien begann die Erkrankung chronisch, um dann 
in einem plötzlich einsetzenden Stadium von Delirium acutum-artigem Verlaufe zu 
Ende zu führen. Bei den vier letzten Patienten, deren Krankengeschichte in 
Kürze mitgetheilt wurde, verlief die ganze Erkrankung ausserordentlich stürmisch 
und führte in wenigen Woohen bezw. Monaten zum Ende. Alle diese 4 Fälle 
waren durch sehr schwere Verwirrtheits- und Erregungszustände, einhergehend 


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mit mehr oder minder starker Trübung bezw. vollständiger Aufhebung des Be¬ 
wusstseins ausgezeichnet (galoppirende, foudroyante Paralysen). 

Von diesen 4 Fällen sind drei anatomisch eingehend untersucht Es fanden 
sich in allen dreien Degenerationsprocesse in den Hintersträngen. Bei zweien 
derselben wies der mikroskopische Befund auf einen relativ Arischen Process hin; 
es fand sich nicht der den chronischen alten Sklerosen eigentümliche Filz derber 
Gliafasern vor, sondern vielfach noch jene grösseren, protoplasmareichen Glia- 
zellen; daneben frische Degenerationsprocesse an zahlreichen Axencylindern und 
Markscheiden. 

In dem 4. Falle liess sich neben einem vollkommenen Faserschwunde in den 
Clarke’schen Säulen ein älterer sklerotischer Process in dem Gebiete der Wurzel¬ 
eintrittszonen nachweisen. Hier zeigte sich das Bild der chronischen Sklerose. 
Im übrigen war der Hinterstrang, abgesehen von den centralen Feldern, in ganz 
acuter Weise von einem Degenerationsprocesse befallen. Es waren hier zahllose 
Myelinschollen, zerkrümelnde Myelinscheiden, geschwollene und zerfallende Axen- 
cylinder anzutreffen. Entsprechend diesen Veränderungen wies auoh die Glia die 
Erscheinungen einer frischen Wucherung auf. Eis fanden sich in grosser Zahl 
jene grossen protoplasmareichen Gliazellen, daneben Gliazellen mit reichlichem 
Protoplasma, die aber bereits an ihren Rändern den Beginn einer Differenzirung 
von Fibrillen erkennen liessen. Diese chronischen und acuten Processe sind dabei 
räumlich nicht scharf getrennt, indem einmal die Sklerose allmählich in das 
übrige Gewebe übergeht, und auch innerhalb der sklerotischen Partie, da, wo 
überhaupt noch Nervenfasern erhalten waren, sich jene mehr acuten Processe 
vorfanden. 

In den Gehirnen fiel der ausserordentlich starke Blutreiohthum und die Zahl 
der bereits makroskopisch siohtbaren Gefässe auf. Die Ventrikel waren nicht 
sehr stark erweitert. In den Meningen fanden sich, speciell in dem 4. Falle, 
Ansammlungen von Rundzellen vor, die stärker waren, als man sie im allgemeinen 
hei der Paralyse zu sehen gewohnt ist, sich jedoch ohne weiteres von der Pro¬ 
liferation derartiger Elemente bei der syphilitischen Meningitis unterscheiden. In 
der Rinde der Stirnhirne und auch der Centralwindungen machte sich ein zum 
Theil sehr starker Schwund der Tangentialfasern, sowie der Fasern der supra- 
und infraradiären Netze bemerkbar. Hand in Hand damit ging eine deutliche 
Proliferation der Glia, auch hier herrschten jene protoplasmareichen Formen der 
Gliazellen vor. In dem Gehirn der an letzter Stelle aufgeführten Kranken war 
auch in der weissen Substanz des Stirnhirns eine grössere Menge von Körnchen¬ 
zellen anzutreffen. Während somit der anatomische Befund im allgemeinen mit 
dem klinischen übereinstimmt, muss man in dem 4. Falle doch annehmen, dass 
die Sklerose in den Hintersträngen älteren Datums ist, ernstere Erscheinungen 
jedoch nicht gemacht hat. 

Bei 2 Fällen war übrigens die erhebliche Versohlimmerung nach einer 
Schmierkur eingetreten. Autoreferat 

Discussion: 

Herr Trömner fasst die seltenen acut, bezw. peracut verlaufenden Fälle 
von Paralyse nur als Endkatastrophe (als Eruptionen) einer schon längst unter 
der (klinisoh wahrnehmbaren) Oberfläche begonnenen Erkrankung auf. Mikro¬ 
skopisch sichtbare Rinden Veränderungen können den klinischen Zeiohen voraus¬ 
schleichen, da längst nicht alle Rindenbestandtheile psychische Functionstr&ger 
seien und da das Verhältniss zwischen anatomischem Befund und psychisch-nervösen 
Störungen im Leben noch ein irrationales sei. Die acut verlaufenden Fälle (wie 
die von Herrn B.) seien besonders werthvoll für das Verhältniss der chronischen 
zu den acuten Rindenveränderungen. Die Rückenmarksbilder von Hrn. B. zeigten 
die enge Association beider sehr schön. .Dagegen habe auoh er chronische und 


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acute Bindenveränderungen immer schwer soheiden können. Im Ganzen deuten 
Vermehrung der gliösen Bindenbestandtheile wohl immer auf chronische Processe. 
Was Anordnung und Bau der Nervenzellen betreffe, so halte er die Verschiebung 
und Verlagerung (Destructurirung) des Schichtbaues für ein exquisit chronisches 
Symptom; für ein sicheres Zeichen acuter Processe müsse man — bei gehäuftem 
Vorkommen — gewisse Veränderungen des Zellprotoplasmas, vor allem die, 
welche Nissl als acute Zellerkrankung beschrieben hat, ansehen. Autoreferat. 

Herr Kaes: Ich möohte nur einige Worte anfügen bezüglich der Wahr¬ 
nehmung Mendel ’s (Naturforscherversammlung Düsseldorf), dass in den letzten 
Jahren die rein dementen Fälle bei der Paralyse zunehmen, was eine Verschlim¬ 
merung des Leidens bedeute, eine Wahrnehmung, die Stark bereits Mitte der 
80 er Jahre in Stephansfeld gemacht hatte, und die auch er meines Wissens in 
ungünstigem Sinne deutete. Wenn ich zu dieser Frage Stellung nehme, so ge¬ 
schieht es aus folgenden Gründen: Seit ungefähr 12 Jahren mache ioh Studien 
zu dem Endzwecke, die psychisch Kranken unter möglichst gleichartige Verhält¬ 
nisse zu bringen, um damit möglichst reine, von den Einwirkungen der äusseren 
Umgebung möglichst befreite Krankheitsbilder zu erzielen und auf diese Weise 
zu Behen, ob sich nicht eine Vereinfachung der leider so mannigfachen und dem 
individuellen Urtheil so sehr ausgesetzten Eintheilung der Psyohosen erzeugen 
lasse. Zu diesem Zwecke benutzte ich einerseits die beruhigende Wirkung der 
consequent durchgeführten Bettruhe, andererseits suchte ich das Körpergewicht 
der Kranken soweit zu heben, dass es sich dem Mittelgewichte des Menschen 
(67 kg für die Männer, 56 für die Frauen) möglichst näherte. Wie sehr letzteres 
Verfahren angezeigt ist, lehrte mich eine Statistik, die ich anlegte, als ich 1898 
vorübergehend die ganze weibliche Pflegeabtheilung in Friedrichsberg übernahm; 
es stellte sich heraus, dass von etwa 400 Kranken nur bei 35 °/ 0 ein Gewioht 
von 60kg nachgewiesen werden konnte, und zwar mit Kleidern, eine Control¬ 
wiegung nach einem Jahre ergab den gleichniedrigen Procentsatz, doch diesmal 
ohne Kleidung, so dass für die Gesammtheit etwa 2—2^ kg gewonnen waren, 
während eine Einzelcontrole des Gewichtes für alle Fälle ungefähr alle 8 Tage 
vorgenommen wurde. Zur Hebung des Gewiohtes fand ich am rationellsten die 
Anwendung der Nasensonde bis zu 8 Mal am Tage, als Nahrungsmittel wurde 
Vollmilch mit Extrazugabe von Rahm gereicht. — Das Resultat dieses Verfahrens 
war, dass alsbald eine merkliche Buhe auf den Abtheilungen eintrat, und dass 
bei den verschiedensten Krankheitsgruppen das Bild der reinen Demenz sich 
mehr und mehr in den Vordergrund stellte. Man wird mir einwenden, dass dies 
nichts neues sei, da man die Hebung des Ernährungszustandes allenthalben in den 
Lehrbüohern empfohlen finde, gleichwohl finde ich, dass dies praktisch und ziel¬ 
bewusst in den Anstalten nicht all zu häufig durchgeführt wird, wie ich mich 
gelegentlich durch Studium der Gewichtstabellen in anderen und der eigenen 
Anstalt überzeugte. Ueberraschend war mir, dass von dieser Hinneigung zur 
reinen Demenz auch meine Paralysefälle keine Ausnahme machten; variirte ich 
die Anfälle in der Weise, dass ich obige Maassregeln für einige Zeit ausser Be¬ 
tracht liess, so stellten sich alsbald die Erscheinungen von vermehrter Unruhe, 
Zerstörungssucht, Sammeltrieb, Grössenwahn und labiler Stimmung wieder ein. 
Ausserdem kann ioh die Beobachtung Neusser’s bestätigen, dass bei der Bett¬ 
behandlung sich die paralytischen Anfälle ganz bedeutend vermindern. Ich kann 
somit der Ansioht, dass das häufigere Auftreten der rein dementen Fälle bei 
Paralyse eine Verschlimmerung des Leidens bedeute, nicht beitreten, ich finde 
darin lediglich eine Folge des obigen Regimes, das den Zustand und das Befinden 
der Kranken relativ erträglicher gestaltet. Ich will noch hinzufögen, dass in 
unserer Anstalt in den letzten Jahren bei erheblicher Steigerung der Gesammt- 
aufnahmen die Sterblichkeit ganz erheblich zurückgegangen ist (von 240—180), 


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sodann will ee mir scheinen, dass in der gleichen Zeit die Zugänge von ParaljB©- 
fälien, namentlich bei den Frauen, aber auch hei den Männern, bedeutend geringer 
sind als in früheren Jahren. Autoreferat. 

Herr Buohholz betont, dass ihm die sonstigen Statistiken natürlich nicht 
unbekannt gewesen seien. Bei den für derartige Zwecke gerade sehr günstigen 
Verhältnissen in Marburg hätte er aber einen directen Vergleich zwischen 
der Zahl der Paralyse und der Zahl der Einwohner des Bezirkes ziehen 
können. Insofern unterscheide sich seine Statistik von den sonstigen. Es ist 
wohl möglich, dass einzelne der von mir geschilderten anatomischen Ver¬ 
änderungen etwas älter sind, als die beobachteten Symptome, so lange aber 
eine Krankheit gar keine Symptome macht, kann man sie auch nioht dia- 
gnosticiren. Dass etwas derartiges vorkommt, beweisen unter anderen die Fälle 
von Paralyse, in welchen der Kranke während einer Remission an einer intor¬ 
currenten Krankheit zu Grunde geht. Obgleich dann unter Umständen nur ganz 
wenige und kaum auffallende Krankheitssymptome vorhanden sind, trifft man doch 
oft auf weitgehende anatomische Veränderungen. Zudem habe ich ja auch in 
dem 4. Falle eigens darauf hingewiesen, dass ich die Sklerose der Wurzeleintritts¬ 
zonen für älteren Datums halte. Rinde und Rückenmark sind auch nach der 
Nissl’sohen Methode untersucht worden. Ich habe hier über diesen Befund nicht 
weiter gesprochen, da alle diese Kranken unter schweren Allgemeinerscheinungen, 
speciell unter hohem Fieber, gestorben sind, unter diesen Umständen es sich aber 
nioht auseinanderhalten lässt, in wie weit der erhobene Befund an den Zellen auf 
diese Processe, und in wie weit er auf die paralytischen sich zurückführen lässt 
In der Lagerung der Zellenreiben und Zellenform waren Störungen nicht nach¬ 
zuweisen. Wenn aber auch aus den Veränderungen an den Nervenzellen Rück¬ 
schlüsse auf das Alter des ganzen Processes nicht berechtigt erscheinen, so möchte 
ich dooh den Veränderungen an dem Stützapparate ein um so grösseres Gewicht 
beilegen. Es ist ja richtig, dass wir über die Zeitdauer, in welcher Bich diese 
entwickeln, vorläufig noch nioht näher unterrichtet sind, es erscheinen aber ge¬ 
wisse Analogieschlüsse in Bezug auf die Gliaveränderungen in der Umgebung von 
Blutungen, Tumoren oder bei entzündlichen Processen berechtigt. — Mit Herrn 
Kaes stimme ich darin überein, dass die moderne Behandlung sehr viel dazu 
beigetragen hat, dass die Paralyse im allgemeinen gegen früher einen anderen 
Verlauf nimmt. Ich glaube jedoch nicht, dass dies der alleinige Grund ist, denn 
auch da, wo die moderne Behandlung noch nicht im vollen Maasse durchgeführt 
wird, macht sioh das Vorherrschen der langsam verlaufenden, dementen Form be¬ 
merkbar. Es werden daher wohl auch noch andere Momente hierbei mitspielen, 
die sich vorläufig unserer Kenntniss entziehen, ebenso wie wir ja auoh nicht 
wissen, weswegen bei Frauen gerade diese demente Form der Paralyse sohon 
immer so häufig gewesen ist. Auch ich habe bei Durchsicht der Jahresberichte 
gesehen, dass die Zahl der Aufnahmen wegen Paralyse gegenüber der Zahl der 
Gesa mm taufnahmen in Friedriohsberg nicht zugenommen hat. Es würde diese 
Beobachtung mit allen sonstigen Erfahrungen im Widerspruch stehen. Grade in 
Hamburg, einer Hafenstadt und Grossstadt, sollte man ein besonders schnelles 
Ansteigen der Paralyse erwarten. Eine Erklärung für dieses eigentümliche Ver¬ 
halten kann ich nicht geben, der Möglichkeiten giebt es so manohe, so z. B. wäre 
es ja denkbar, dass etwa nicht alle paralytisch Kranken nach Friedriohsberg 
kommen, sondern in anderen Krankenhäusern verbleiben. Autoreferat. 

Nonne (Hamburg). 


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XXXVII. Versammlung des Vereins der Irrenärzte Niedersachsens 
und Westfalens in Hannover am 3. Mai 1902. 

(Fortsetzung.) 

Herr Alt (Uchtspringe) spricht, anknüpfend an frühere Mittheilungen, aus¬ 
führlicher über den Einfluss der Kost auf die Anfälle der Epileptiker, wo¬ 
rüber sehr zum Nachtheil der Kranken nicht die wünschenswerthe Klarheit und 
Uebereinstimmung in der Litteratur wie in der Praxis herrsche. Die Erfolge 
mancher angeprieBenen neuen Methoden seien nicht selten mehr der Kost als der 
Medication zuzuschreiben. Auch bei der Methode Toulouse-Riehet, mit der 
ja eine genaue Zutheilung der schon in den Rohbestandtheilen nicht nur koch¬ 
salzarmen, sondern überhaupt sehr reizlosen Nahrungsmittel verknüpft sei, habe 
die Kostvereinfachung einen nicht geringeren Antheil an den Erfolgen als die 
Kochsalzunterernährung, die Hypochloration. Wo vorher schon einer zweck¬ 
mässigen Ernährung der Epileptiker gebührend Verständniss und Aufmerksamkeit 
entgegengebracht sei, habe die angepriesene Methode kaum Erfolge aufzuweisen, 
wo hingegen dies nicht der Fall gewesen, seien auffällige Besserungen erzielt, die 
man sehr mit Unrecht allein der Hypochloration, der angenommenen Salzunter¬ 
ernährung, wodurch seitens der salzhungrigen Gewebe eine gierige Aufrahme und 
Ausnützung des Broms erfolgen solle, gutgeschrieben habe. Wenig gesalzene, wie 
überhaupt möglichst würzlose Kraft verdient durchweg den Vorzug, Kochsalz- 
vorenthaltung allein nützt kaum was. Nach einem geschichtlichen Ueberblick, 
welcher Werth der Art der Beköstigung der Epileptiker beigemessen worden sei 
in dem vorexperimentellen wie in dem experimentellen Zeitabschnitt, berichtet 
Vortr. sodann ausführlich an der Hand von eigenen Tabellen über in Uohtspringe 
systematisch angestellte Versuche zur Ermittelung des Einflusses der Kost auf 
die Anfälle der Epileptiker. 24 epileptische Kinder, bei denen weder nachweis¬ 
bare Magendarmstörungen noch Zeichen einer örtlichen Gehirnerkrankung bestanden, 
wurden in drei gleichgrosse Gruppen eingetheilt und je 4 Wochen lang mit nicht 
abgemessener gemischter Kost, sodann mit genau abgemessener gemischter Kost, 
mit Milchkost, mit ausschliesslicher Pflanzenkost und dann wiederum mit nicht 
abgemessener gemischter Kost ernährt. Die Zahl der Anfälle wurde während der 
einzelnen Beköstigungsarten für jede Gruppe einzeln, aber auch für alle drei 
Gruppen zusammen gezählt und graphisch dargestellt. Dabei zeigt sich ganz 
auffällig, dass die Anfälle bei gemischter Kost am zahlreichsten waren, 
sich schon bei genauer Zumessung der gemischten Kost verminderten, noch 
mehr verringerten während der Pflanzenkost, am meisten abnahmen 
während der Milohkost. Einige Kinder, die bei der Michkost mehr Anfälle 
bekommen, erhielten später während einer gleichlangen Periode die Milch sterilisirt, 
wobei die Krämpfe ganz erheblich an Zahl zurückgingen. Die N-Zufuhr kann 
bei der gemischten (Fleisch)kost nicht das wesentliche sein, da nach genauer Be¬ 
rechnung die Kinder bei Milchkost weit mehr N erhielten. Auch die Harnsäure 
scheint keine wesentliche Rolle zu spielen, denn Vortr. hat Controllversuche mit 
nucleinfreier Eiweissernährung angestellt und keine Abnahme der Anfälle beobachtet. 

Kochsalzzusatz zu einer sonst reizlosen und einfachen Kost hat Vermehrung 
der Anfälle nicht herbeigeführt, weshalb Vortr. annimmt, dass bei der Toulouse- 
Richet’schen Methode nicht die Salzentziehung, sondern die Kostvereinfachung 
die Hauptrolle spielt. (Der Vortrag wird ausführlich veröffentlicht.) 

Autoreferat. 

Herr Cramer (Göttingen): Ueber krankhafte Eigenbeziehung und Be- 
aohtnngswahn. 

Vortr. geht aus von der Beobachtung, dass eine Ueberschätzung der Be* 


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deutung, welche die Vorgänge der Aussen weit in Bezug auf die eigene Person 
haben, zu einer Trübung des Urtheils und einer Störung des Bewusstseins der 
Persönlichkeit führt. Die krankhafte Eigenbeziehung manifest irt sich in doppelter 
Art. In der ersten Gruppe von Krankheitsfällen besitzen die Kranken keine 
Einsicht in ihren Zustand (paranoischer Typus). In einer zweiten Gruppe sind 
die Kranken sich des Krankhaften ihres Zustandes bewusst (Typus vom Charakter 
der Zwangsvorstellungen). Es spielen derartige Zustände bei den verschiedensten 
Psychosen, so der Melancholie, dann der Paranoia (als Einleitung zur chronischen 
Form z. B.) eine Rolle, dann aber bei allen mit einer Störung des Bewusstseins 
einhergehenden Erkrankungen, also bei Epilepsie, Hysterie, im traumatischen Irre¬ 
sein, bei der Paralyse. Dazu kommen Zustände nervöser Natur: Neurasthenie, 
degenerative Psychosen, Nervosität, Schwindelerscheinungen und Schwerhörigkeit. 

Für die Genese der krankhaften Eigenbeziehung zieht Vortr. die bei Ge¬ 
sunden zu beobachtende falsche Eigenbeziehung in veranschaulichender Weise heran 
und erläutert sie durch zahlreiche Beispiele. Den krankhaften Boden, auf dem 
die Erscheinung entsteht, können falsche Berichte über die Organgefühle, visoerale 
Veränderungen, Störungen des Bewusstseins, die Angst oder schweres Krankheits¬ 
gefühl abgeben. Es wird ein Gefühl von eigener Insufficienz die Folge sein, das 
in Folge der Projection der veränderten Empfindungen nach aussen, zu einer 
scharfen Beobachtung der Umgebung führt. 

Vortr. erläutert die Prognose der krankhaften Eigenbeziehung, welche natürlich 
in unmittelbarer Beziehung zu der Psychose steht, bei der sie auftritt, so dass 
also die Genese einen Anhaltspunkt abgiebt für die Prognose. 

Discussion: 

Herr Alt erwähnt im Anschluss an den vertigo ab aure laesa, die Platz¬ 
angst u. s. w., dass man in allen solchen Fällen, in denen es sich nicht um schwer 
degenerirte Personen handelt, also allen Grund zu genauer körperlicher Unter¬ 
suchung habe. Man hat dann event. neben der psychischen Beeinflussung noch 
den Vortheil der körperlichen Therapie. 

Herr Bruns erwähnt die Zustände der Alkoholiker mit Eigenbeziehung und 
Zwangsvorstellungen. 

Herr Berkhan (Braunschweig): Das sich Immer-wieder-Aufdrängen der Be¬ 
ziehungsvorstellung führt schliesslich zur Zwangsvorstellung. 

Herr Cramer (Schlusswort) betont, dass eine analoge Erscheinung für die 
berührten Zustände der Höhenschwindel bei Leuten, welche erst im späteren 
Lebensalter zum ersten Mal auf hohe Berge kommen, abgebe. Hier ist die Un¬ 
fähigkeit Höhendifferenzen abzuscbätzen, welche aber nur als Angst zum Bewusst¬ 
sein kommt, Ursache davon, dass sofort eine Beziehungsvorstellung zu dem Ort, 
an dem der Höhenschwindel empfunden wird, eintritt. Am gleichen Orte stellt 
sich daher später auch stets die Angst wieder ein. 

Herr Weber (Göttingen): lieber einige Neubauten der Göttinger Irren¬ 
anstalt. 

Zur Unterbringung siecher, Decubitus verdächtiger Kranker wurde ein leichter 
Barackenbau als Lazarethabtheilung eingerichtet und dort alle derartigen Kranken, 
namentlich Paralytiker, Epileptiker u. s. w. untergebracht. Die Station wird zur 
Hälfte als zweite Waohstation mit Nachtwache betrieben und dadurch das Vor¬ 
kommen von Decubitus, Verunreinigung u. s. w. besser als durch künstliche Mittel 
vermieden. 

Auf der bisher nur aus Einzelzimmern bestehenden Zellstation wurde durch 
Entfernung von vier sogenannten Tobzellen Raum für einen Schlafsaal von zehn 
Betten gewonnen, in dem eine Anzahl bisher isolirter Kranker untergebracht 
werden konnte. 


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Vortr. betont, dass allenthalben das Bestreben nach Verminderung der Iso- 
lirung besteht, hält jedoch, wenigstens für die grösseren Anstalten mit chronischem 
Krankenmaterial, die völlige Abschaffung der Zellen für nicht zweckmässig. Nicht 
die grosse Zahl der wenn auch erregten Neuaufnahmen, wie vielfach behauptet 
wird, sondern gewisse chronische Kranke mit Neigung zu Erregungszuständen und 
Gewaltthätigkeiten machen die Beibehaltung einiger Zellen für Anstalten mit der¬ 
artigen Kranken nothwendig. Autoreferat. 

Herr Vogt (Göttingen): Ueber die Beziehungen zwischen Aphasie und 
Demenz. 

Vortr. bespricht den Einfluss, welchen Ausfallserscheinungen im Gebiete der 
Sprache ausüben, auf den normalen Ablauf des Denkprocesses. Es kommen hierbei 
natürlich nur Störungen im Sprachgebiet in Betracht, sofern dieselben nicht sub- 
cortical, sondern durch Läsionen höherer Gegenden bedingt sind. Einer all¬ 
gemeinen Erörterung der Frage stellt sich die gerade hier so erhebliche Breite 
der individuellen Verschiedenheit hindernd in den Weg. Es liegt dies bekanntlich 
daran, dass das Verhältniss zwischen rein begrifflichem und sprachlichem Denken 
sich im einzelnen Falle ganz verschieden gestaltet. Es kommt hierbei ganz be¬ 
sonders in Betracht, dass denjenigen, der sprachlich denkt, sich die Gedanken 
schon in einer bestimmten Formulirung zu präsentiren pflegen und dass diese 
Formulirung der Worte zu geordneten Sätzen, der Lautcomplexe zu Worten im 
Sprachfelde vor sich geht. Es ist daran zu denken, dass der Wortbegriff selbst 
schon eine Associationsgruppe darstellt, so dass der psychische Werth des ganzen 
Spraohfeldes nur in seinen associativen Verbindungen liegt. Dies zeigen gerade 
die sogenannten unreinen Fälle von Aphasie am deutlichsten. Es lässt sich dies 
zuweilen sogar für den Unterschied feststellen, den der sprachliche Associations- 
complex für ooncrete und abstracto Begriffe hat, analog wie Sachs dies für das 
normale Denken auseinandergesetzt hat. Eine weitere Beziehung ergiebt sich bei 
Herderkrankungen, welche in dem Gebiete, der Sprache einen Ausfall erzeugen, 
durch die Fern Wirkungen. Diese können natürlich nach irgendwo gelegenen 
Herden auftreten und äussern sich in einem Ausfall von Functionen benachbarter 
oder entfernt gelegener Rindenpartieen oder aber in einer allgemeinen Functions¬ 
herabsetzung der Hirnrinde überhaupt, welche letztere bei dem gleichzeitigen 
Functionsausfall der sprachlichen, für das Denken und die Begriffsbildung nöthigen 
Componenten besonders leicht zu einer dauernden Schädigung führen und be¬ 
sonders deutlich in Erscheinung treten wird. 

Herr Quaet-Faslem (Göttingen): Mittheilungen ans der Universitäts- 
Poliklinik für psychische und Nervenkranke zu Göttingen. 

Im October v. J. gegründet, hat die Poliklinik, wie die Besuchszahlen be¬ 
weisen, ihre Existenzberechtigung bewiesen, ja mehr als das, sie war entschieden 
ein Bedürfhiss. Als glücklich muss die Verbindung der Poliklinik mit der 
psychiatrischen Klinik bezw. der Heil- und Pflegeanstalt angesehen werden. Es 
werden acute Psychosen weit eher erkannt und sachgemässer Behandlung zu¬ 
gänglich, die unter dem Deckmantel eines nervösen Leidens in der Poliklinik 
erscheinen. Oft wird es daher möglich sein die Anstaltsbehandlung ganz zu 
vermeiden. 

Von den in der Poliklinik unter einer bisherigen Frequenz von 316 Fällen 
erscheinenden Psychosen brauchten nur zwei in der Anstalt aufgenommen werden. 
Die einzelnen zur Behandlung gelangenden Fälle vertheilen sich auf: 


Krankheiten des Rückenmarks. 9 

. „ der peripheren Nerven . . . x . . 24 

„ des Gehirns.16 

Angioneurosen und Trophoneurosen. 8 


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Intoxication unter Betheiligung des Nervensystems 2 

Psychosen.38 

Neurosen.219 


Die Poliklinik trägt ferner dazu bei, dass beim grossen Publikum noch immer 
bestehende Misstrauen gegen die Irrenanstalten und ihre Aerzte beseitigen zu 
helfen. 

Vortr. bringt dann aus dem Material der Poliklinik einen Fall seltener 
Localisation von Graphospasmus. 

Der Krampf befallt lediglich den Pectoralis major und Deltoideus. 

Der Patient war 17 Jahre Trompeter und spannte in seinem Beruf beim 
Halten seines Instrumentes die beiden erwähnten Muskeln. Er ist jetzt Kaaeen- 
bote und muss viel schreiben. Es scheint ihm nun nicht zu gelingen, das alte 
Coordinationssystem, das er im Dienste des ersten Berufes verwenden musste, im 
neuen Beruf ganz auszuschalten. 

Es liegt eine reine Störung der Coordination vor, die die Bezeichnung des 
Schreibkrampfes als coordinatorische Beschäftigungsneurose (Benedikt) vollkommen 
rechtfertigen muss. 

Vortr. erwähnt dann kurz den seiner Ansicht nach sehr grossen Einfluss der 
Psyche auf die Krankheit. 

Zum Schluss bringt Vortr. einige Angaben über das Nährpräparat „Hygiama**, 
dessen Verwendung sich in der Poliklinik in jeder Hinsicht als auffallend günstig 
erwiesen hat und in ihr jetzt in vielen Fällen zur Anwendung kommt. 

Bei allen Arten von Schwächezuständen (Chlorose u.s.w.), bei neurasthenischen 
und hysterischen Verdauungsstörungen und vor allem auch bei Nahrungsverweige¬ 
rungen in der Anstalt hat es sich sehr gut bewährt. In der Poliklinik wurde 
es bisher in 35 Fällen verwandt. 

Vortr. hält das Mittel namentlich auch im Betriebe grosser Anstalten für 
sehr empfehlenswerth. Die Beobachtungen werden fortgesetzt. Autoreferat. 

Herr Snell (Hildesheim) spricht unter besonderer Bezugnahme auf die Elin¬ 
richtungen im Grossherzugthume Hessen über Irrenhülüsvereine und empfiehlt 
die Errichtungen solcher den Collegen aufs Wärmste. 

Herr Behr (Lüneburg) berichtet über die Erfahrungen, die in Göttingen 
bislang mit der Familienpflege gemacht sind. Die Einrichtung besteht dort seit 
dem Beginn des letzten Jahres, sie hat sioh langsam entwickelt, zur Zeit sind 
26 Kranke (22 Männer und 4 Frauen) in Familienpflege untergebracht, eine ver- 
hältnissmässig noch kleine Anzahl, die nur dem Mangel an geeigneten Kranken 
zuzuschreiben ist. Besonders in der ersten Zeit musste bei der Auswahl äusBerst 
vorsichtig vorgegangen werden. Es wurden daher grundsätzlich alle criminellen 
Kranken, sowie alle zu gewaltthätigen und gefährlichen Handlungen neigenden 
Elemente ausgeschlossen, ebenso sämmtliche Epileptiker und Paralytiker, und die 
siechen Kranken, die einer besonderen Pflege bedurften. Auch die chronischen 
Alkoholisten schloss man anfangs aus, später ist man davon zurückgekommen, 
bisher ohne unangenehme Erfahrungen. Vortr. hält für besonders geeignet zur 
Familienpflege die abgelaufenen Fälle von chronischer Paranoia, die Fälle von 
secundärem Schwachsinn mässigen Grades, vielleicht auch die Imbecillen, die aber 
ständiger, sorgfältiger Beaufsichtigung bedürfen. Die Kranken haben sich mit 
geringen Ausnahmen sehr schnell an die veränderten Verhältnisse gewöhnt und 
fühlten sich durchweg sehr wohl, besonders lebten sich die aus den ländlichen 
Kreisen der Bevölkerung stammenden Kranken sehr leicht ein, während die 
Kranken aus den Städten, deren Gewohnheiten die Lebensweise 'auf dem Lande 
weniger entsprach, grössere Schwierigkeiten machten. Vortr. empfiehlt für diese 
Kranken die Einrichtungen von Pflegestellen in Göttingen seihst. 


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719 


Mehrfach wurden entschiedene Besserungen des psychischen Verhaltens bei 
den Kranken im Anschluss an die Ueberfuhrung in die Familienpflege beobachtet. 

Neben diesen günstigen Besultaten kamen mehrfach Unannehmlichkeiten ver¬ 
schiedener Art vor. In 3 Fällen fanden Entweichungen statt, die sämmtlich 
resultatlos verliefen. Zwei Kranke mussten wegen eingetretener Erregung dauernd 
in die Anstalt zurückgenommen werden. Ein Kranker starb im Hause des Pflegers 
an einer ganz acut verlaufenen Peritonitis, während ein weiterer Kranker einem 
Unglücksfall mit tödtlichen Ausgang zum Opfer fiel, ohne dass den Pfleger dabei 
eine Schuld traf. 

Weiter geht Vortr. näher auf den Charakter der Bauern in der Göttinger 
Gegend und besonders auf ihre Eigenschaft als Pfleger ein. Er hält sie nach 
den bisherigen Erfahrungen für sehr geeignet, sie haben sich bislang in jeder 
Hinsicht bewährt. 

Nachdem er dann noch kurz auf die Vortheile, die auch die Anstalt durch 
ihre Entlastung und durch die billigere Verpflegung von der Familienpflege hat, 
kommt Vortr. zu dem Schluss, dass die Einrichtung der Familienpflege in Göttingen 
ein durchaus glücklicher Schritt war, und dass die überaus günstigen Resultate 
zu einer weiteren Ausdehnung in vollem Maasse berechtigen. L. Bruns. 


Sooiötd de neurologie de Paris. 

Sitzung am 4. Juli 1901. 

Herr Boinet (Marseille): Ueber athetotisobe Bewegungen bei der Tabes; 
ein weiterer Fall nebst Bemerkungen. In der vorhergehenden Sitzung hat 
Vortr. zwei Fälle von athetotischen Bewegungen bei Tabikern mitgetheilt. In 
diesem neuen Falle handelte es sich um eine 50jährige Frau. Sie giebt weder 
Alkoholismus noch Syphilis zu. Sie hat aber acht Mal abortirt. Alle Schwanger¬ 
schaften endeten in Fehlgeburten, auch wurde Bie deswegen verschiedentlich speci- 
fischen Curen unterworfen. Seit etwa 4 Jahren Schwäohe in den Beinen und 
lancinirende Schmerzen in den Unterschenkeln. Seit 1 Jahr tabetisohe Arthro¬ 
pathie mit Subluxation im linken Schultergelenk. Seit Januar 1901 complete 
Ataxie und tiefe Störungen an den Augen: Doppelsehen, Ptosis links, Abduoens- 
lähmung beiderseits; am rechten Auge starke Amplyopie; Argyll Robertson auf 
beiden Augen. Seit 6 Monaten Blasenincontinenz und hartnäckige Verstopfung. 
In den letzten 6 Monaten entwickelten sich auch athetolde Bewegungen zunächst 
in der linken oberen Extremität und dann auch in der rechten. Diese unwill¬ 
kürlichen Bewegungen bestehen auch im Schlafe, sind stärker ausgesprochen hei 
geschlossenen Augen und können durch den Willen nicht beeinflusst werden. Die 
elektrischen Reactionen an den Muskeln und Nerven sind normal. Der Ortsinn, 
der stereognostische Sinn, der Muskel- und Gelenksinn sind an den oberen Ex¬ 
tremitäten vollständig verschwunden. Tactiler Sinn normal. Hyperästhesie für 
Kälte und Verspätung in der Leitung des Schmerzes. Einige unwillkürliche Be¬ 
wegungen bestehen auch an den unteren Extremitäten, besonders am rechten Bein. 
Vortr. discutirt die Frage, ob diese unwillkürlichen Bewegungen nicht von einer 
die Tabes complicirenden Läsion der motorischen Seitenstränge herrühren könnten. 
Kommt aber zu dem Schluss, zu dem auch R. Hirschberg kam, dass die athe- 
tosisähnlichen Bewegungen bei Tabes dorsalis als eine Manifestation der Ataxie 
des Muskeltonus, als eine Störung des Gleichgewichtssinnes zu betrachten sind. 
Dafür spricht der Verlust des Muskel-, Gelenk- und stereognostischen Sinnes und 
die Verstärkung der unwillkürlichen Bewegungen bei geschlossenen Augen. 

Herr E. Brissaud: Syringomyelitteohe Sklerod&otylie. (Mit Krankenvor¬ 
stellung.) Trotz der zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre über Sklerodermie 


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im Allgemeinen und über Sklerodactylie, bleibt die Pathogenesis dieser Störungen 
immer noch dunkeL Trotz mancher Aehnlichkeiten darf die Sklerodactylie mit 
der Raynaud’schen Krankheit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Selbst 
alle unter der Rubrik von Sklerodactylie bezeichneten Fälle sind weit nicht 
identisch. Das einzige, allen solchen Fällen, gemeine Symptom ist die Verhärtung, 
die Sklerose der weichen Gewebe die die Fingerknochen bedecken. Dies ist nicht 
zu leugnen, dass neben der häufigen classischen Form von Sklerodactylie eine 
Reihe von akropathologischen Formen existirt, bei welchen die Sklerose der Finger* 
haut nicht das wesentliche Symptom darstellt und ganz accessorisch ist. Als 
Beispiel dafür boII der vorgeführte Fall dienen: Der Kranke ist 38 Jahre alt, 
war immer von guter Gesundheit, hereditär nicht belastet, keine Syphilis, mässiger 
Trinker seit 15 Jahren. Seit einiger Zeit Steifheit und Ungeschicklichkeit in 
den Fingern, so dass er nur mit Mühe seinen Beruf (Poliren von Pianoforte) 
ausüben kann. Die Steifheit trat zunächst in Anfallen auf, während welcher die 
Finger kalt und schmerzhaft waren. Die in Folge von Contusionen der Finger 
auftretenden Wunden heilten schlecht. Im Verlaufe von 3 Jahren entwickelte 
sich dieser Zustand ganz langsam, und die Steifheit der Finger wurde eine be¬ 
ständige. Im Jahre 1897 wurde folgender Status aufgenommen: Alle Finger 
beider Hände sind leicht flectirt und zwar sind alle Phalangen gegenseitig flectirt 
Mit Ausnahme der ersten Phalange, die fusiform und verkürzt ist, scheinen die 
Finger verdickt zu sein. Die Haut über denselben ist verdickt und hornig und 
hat von ihrer Geschmeidigkeit eingebüst Die Knochen und Gelenke scheinen 
nicht modificirt zu sein. Die Haut an den Fingern ist von einer blassvioletten 
Farbe und die Fingerspitzen ganz weise. Die Finger fühlen sich kalt an; die 
Nägel sind vom Nagelbett abgehoben nach vorne gekrümmt Das Wachsthum 
derselben ist ein sehr langsames; Ovalaere Wunde an der dorsalen Fläche des 
Medius. Schrunde an der vorderen Fläche der Basis des linken Ringfingers, 
die Bewegungen der Finger sind sehr beschränkt. Thenar und Hypothenar sind 
nicht atrophirt. Beim Versuche die Finger par force zu strecken empfindet 
der Kranke Schmerzen. Keine syringomyelitische Sensibilitätßdisso- 
oiation. Nadelstiche bluten leicht Erst im Februar 1901 wurde Pat arbeits¬ 
unfähig und suchte das Krankenhaus auf. Man constatirte dann Folgendes: 
Starke Flexion der Finger beider Hände. Die Endpbalangen scheinen d ünn er 
und kürzer zu sein. Die Nägel sind gekrümmt, die Haut der 2. und 3. Finger- 
phalagen fühlt sich hart an. Sobald der Kranke Kälte verspürt, nimmt die Haut 
der dorsalen Fläche der rechten Hand des inneren Randes und der vorderen 
Fläche des rechten Vorderarmes eine rothbläuliche Farbe an. Die Intentions¬ 
bewegungen der Finger sind sehr beschränkt, ebenso die Beugung wie die 
Streckung. Die Adduction des Daumens ist unmöglich, auch die passive Streckung 
der Finger ist nioht vollständig möglich und ruft heftige Schmerzen hervor. Keine 
Retraction der Aponeurosis palmaris, die Schmerz* und Temperaturempfindung ist 
aufgehoben an den Endphalangen. Der Nadelstioh blutet leicht, sonst ist am 
ganzen Körper die Sensibilität normal. Die Bewegungen der Hände sind normal, 
die Muskeln der Vorderarme und Arme normal. Die Reflexe bieten nichts Ab¬ 
normes. Es ist keine Skoliose vorhanden, Lungen und Herz normal. Harn nor¬ 
mal, Temperatur 37°. Am 5. Juni tritt eine kleine Phlyctaene zwischen dem 
Ring- und kleinen Finger der rechten Hand auf. Dieselbe entwickelt sich zu 
einer Ulceration an der inneren Seite der Wurzel des kleinen Fingers, eine zweite 
Ulceration entsteht an der Wurzel des Ringfingers. Zwischen dem 8. und 24. Juni 
wird die rechte Hand, die am meisten betroffen ist, in heissen Leinensamenmehl- 
cataplasmen Tag und Nacht gehalten. Später werden die Cataplasmen nur Nachts 
gebraucht Gegenwärtig ist die Streckung der Finger fast vollständig möglich. 
Auch spontan kann Pat die Finger bewegen, der Kranke drückt kräftig mit der 


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- 72t - 

Hand, die Adduction des Daumens geht in normaler Weise vor sioh. Die Be¬ 
wegungen der Finger sind nicht schmerzhaft, dagegen langsam, mühsam und mit 
Zittern der Hand verbunden. Die Ulcerationen sind verschwunden, die Sensibi¬ 
lität in dem Finger ist zurückgekehrt Die linke Hand, die nicht behandelt 
wurde, ist unverändert geblieben. Vortr. nimmt an, dass es sich bei diesem Pat 
unzweifelthaft um einen Fall von Sklerodermie handelt Dafür spricht die Ver¬ 
dünnung und Verkürzung der Endphalangen, die Verkrümmung der Nägel in 
Form eines Papageienschnabels. Eigentümlich ist allerdings die Volumver- 
grösserung des übrigen Theiles der Finger und ihre Wurstform, wie man sie bei 
der Acromegalie zu sehen pflegt Endlich erinnert die foroirte Beugestellung der 
Finger an Sehnenretraotion oder an progressive sklerotische Entartung des chro¬ 
nischen Rheumatismus. Analogen Difformitäten begegnet man bei zahlreichen 
Rückenmarkserkrankungen, die bald progressive Muskelatrophie zur Folge haben, 
bald Sklerodermie oder SklerodactyÜe mit oder ohne Hautuloerationeu. Eine 
spinale Krankheit, bei weloher, wenn auch selten, Muskelatrophie und Sklerodermie 
combinirt Vorkommen, ist die Syringomyelie. Brocq, Pelizaeus und Federoff 
haben solche Fälle veröffentlicht. Vortr. glaubt, dass es sich bei seinem Kranken 
am einen leichten Fall von Syringomyelie handelt 

Herr Gilbert Ballet: Sohmenloser Tio des Gesiohtee, der seit 37 Jahren 
bestanden hat und durch eine Faoialisl&hmung geheilt wurde. Ein 

70jähriger Mann, der seit dem Alter von 33 Jahren an einem lästigen, übrigens 
schmerzlosen Tic der linken Gesichtshälfte litt, wurde von einer rechtsseitigen 
Facialisparalyse von mittlerer Schwere befallen. Gleichzeitig bekam er auch eine 
Meralgia paraeethetica. Pat. wurde offenbar von multiplen Neuritiden heimgesucht, 
deren Ursache nicht zu entdecken war, da weder eine äussere noch innere In- 
toxication zu entdecken war. Kein Diabetes. Nach dem Verschwinden der 
rechten Facialislähmung und während die Meralgie noch bestand, trat plötzlich 
linksseitige Faoialisparalyse auf. Diese Lähmung war eine leichte, ohne Ent- 
artungsreaction und heilte in einigen Wochen. Was aber interessant ist, die 
Zuckungen auf dieser Gesichtshälfte, die während der Dauer der Lähmung natür¬ 
lich sistirten, kehrten nach dem Verschwinden der Lähmung nicht wieder. Es ist 
jetzt mehr als 1 Jahr, dass der Kranke von seiner Lähmung und von seinem 
Tic befreit ist. 

Discussion: Herr Henry Meige hat in einem Fall das Gegentheil beobachtet, 
nämlich das Auftreten eines schmerzlosen Tic nach einer Facialislähmung. 

Herr Ch. Aohard und Herr Löopold L6vi: Total« und Uolirte Oculo¬ 
motoriuslähmung in Folge eines Erweiohun gsherdes im HirnschenkeL Die 
Lähmung des Oculomotorius bei Läsion im Pedunculus ist gewöhlich von gekreuzter 
Hemiplegie begleitet. Dagegeu scheint die isolirte Lähmung des 3. Gehiranerven 
unter solchen Umständen viel seltener zu sein. Die Vortr. haben Gelegenheit 
gehabt folgenden Fall zu beobachten: Eine alte Frau bekam plötzlioh einen 
apQplectischen Anfall. Der comatöse Zustand dauerte 1 Tag. Wie sie zu sioh kam 
war die Sprache etwas stammelnd, aber keine Aphasie. Keine Lähmungen an 
den Extremitäten, etwas Steifheit im linken Bein. Die Reflexe waren nicht ge¬ 
steigert weder an den oberen noch an den unteren Extremitäten. Keine Faoialis- 
lähmung; Incontinentia urinae et alvi. Ptosis am linken Auge; die linke Pupille 
ist erweitert, das Auge ist unbeweglich nach oben, nach innen und nach unten. 
Strabismus divergens. Es besteht somit eine isolirte Oculomotoriuslähmung. Der 
Exitus erfolgt nach 23 Tagen in Folge einer senilen Gangrän. Bei der Seetion 
fand man allgemeine Arteriosklerose, im Gehirn kleine Erweichungsherde in den 
Parietalwindungen, ausserdem einen Erweichungsberd auf der unteren Fläche des 
linken P. cerebri in der Mitte zwischen den Pons und dem Tractus opticus. Auf 

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722 


Schnitten constatirt man, dass dieser Herd eine dreieckige Form hat, nach der 
Tiefe eingreift, die Hanbe durchdringt und bis an den Aquaeductus Sylvii reicht. 
Schnitte, die durch das Corpus rubrum gehen, zeigen, dass der Erweichungsberd 
bis in die Gegend zwischen den Aquaeductus Sylvii und das Corpus rubrum 
reichen. Dieser Herd hat somit im Inneren des Pedunculus selbst die Ursprungs- 
fasern des Oculomotorius zerstört. Das anatomische Präparat ging leider verloren 
und die Vortr. bedauern deswegen die Resultate einer eingehenden histologischen 
Untersuchung nicht demonstriren zu können. Nur ein einziges mikroskopisches 
Präparat, nach Pal gefärbt, konnte untersucht werden. Auf demselben sieht 
man, dass die Nervenfasern vollständig verschwunden und durch Granulations¬ 
körperchen ersetzt sind. 

Herr Touche (Brevannes): Cerebrale Form von multipler Herdsklerose 
mit spasmodisohem Lachen und Chorea. Es handelt sich um einen 32 jährigen, 
Mann, der über den Anfang seines Leidens nicht im Stande ist Auskunft zu 
geben. Von der Umgebung des Kranken erfährt man, dass die Krankheit weder 
angeboren noch im kindliohen Alter aufgetreten sein soll. Pat. war beim Militär 
und hat in den Colonieen gedient. Im Jahre 1893 wurde der Gang stei£ gleich¬ 
zeitig trat spasmodisches Lachen auf. Die Sprache war damals sehr verständlich. 
Status im Jahre 1898. Der Pat. ist gross und kräftig. Heftiges, spasmodi¬ 
sches, fast unaufhörliches Lachen, welches noch stärker wird, wenn der Kranke 
sich beobachtet weise. Der Mund wird dabei langsam und progressiv in die 
Breite gezogen, der Hals kommt in Hyperextension, die Augenlider blinzeln und 
man vernimmt eine Art von Jauchzen. Nie hat Pat. spasmodisches Weinen; die 
Sprache ist vollständig verloren. Es besteht eine Art von Brummen, in dem man 
scandirenden Charakter findet. Die Beweglichkeit der Zunge ist beschränkt nach 
allen Richtungen. Das Pfeifen ist nicht möglich; beständiger Speichelfluss. Keine 
merkliche Atrophie der Zunge und der Lippen. Es besteht Lähmung des weichen 
Gaumens und des Zäpfchens. Der Pharyngealreflex ist verschwunden, die Be¬ 
wegungen der Augenlider sind häufiger als normal und von Deviation nach allen 
Richtungen begleitet. Die Pupillen sind ungleich weit, unwillkürliche chorea¬ 
artige Bewegungen in den oberen Extremitäten, besonders rechts und zwar mehr in 
der rechten Hand ausgesprochen. Typisches Intentionszittern bei willkürlichen 
Bewegungen. Unmöglichkeit kleine Gegenstände zu greifen in Folge von Zittern 
der Finger. Starkes Zittern der Beine schon beim einfachen Entblösen des Pat. 
Sehr gesteigerte Patellarreflexe und ausgesprochener Fussklonus auf beiden Seiten. 
Incontinentia urinae et alvi. Es scheinen keine Sensibilitätsstörungen zu bestehen. 
Status im Jahre 1899. Das spasmodische Lachen besteht unverändert. Kein 
Nystagmus vorhanden; der Speichelfluss hat aufgehört; die Spraohe ist bedeutend 
besser. Sie ist immer noch wenig verständlich und stark scandirend, einige Worte 
sind aber doch zu verstehen. Die Zunge ist jetzt ganz bewegungslos; Schluck¬ 
störungen. Es besteht eine ausgesprochene rechtsseitige Hemiplegie, bei welcher 
das Gesicht nicht betheiligt ist. In der linken oberen Extremität choreartige 
unwillkürliche Bewegungen. Status im Jahre 1900: Spastische Lähmung aller 
Extremitäten. Permanenter Spasmus des linken Mundwinkels. Blepharospasmus 
im linken Auge. Der Kranke liegt auf der rechten Seite mit gebeugten Knieen. 
Starke Atrophie des linken Schenkels. Decubitus an beiden Sitzbeinen und am 
linken Knie. Excitus im August 1900. Obduction: Multiple Sklerose in allen 
Theilen des cerebrospinalen Systems, besonders dicht und ausgesprochen im 
Rückenmark, im verlängerten Mark, in den Pons und viel seltener in den cen¬ 
tralen Ganglien des Gehirnes und in der Kapsel. Im Cervicalmark erstrecken 
sich die Herde gleichzeitig auf die Seitenstränge und Hinterhörner. Die Störungen 
sehen absolut classisch aus und sind so zahlreich, dass es nicht möglich ist 
Localisationsstudien anzustellen. Im Centrum ovale des Gehirnes sind nur 


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unbedeutende Herde verbanden. Etwas grössere Herde sind in der Umgebung 
der Oocipitalhörner der Seiten Ventrikel disseminirt. Im vorderen und hinteren 
Segment der inneren Kapsel der linken Hemisphäre sind verschiedene Herde 
von Sklerose vorhanden. Im vorderen Segment erstreckt sich ein Herd bis 
zur inneren Fläche des Nucleus caudatus und der inneren Fläche des N. lenti¬ 
cularis. Das Knie der inneren Kapsel ist normal. Dagegen findet man drei 
Herde von Sklerose im hinteren Segment der inneren Kapsel. Die Pedunculi 
cerebri sind normal, ebenso das Corpus rubrum. Rechte Hemisphäre: Ein grösserer 
Herd befindet sich in der unteren Hälfte des Knies, das Corpus c&llosum zerstört 
das vordere Ende des N. caudatus, durchdringt das vordere Segment der inneren 
Kapsel und reicht bis zum N. lenticularis hin. Im hinteren Segment der inneren 
Kapsel ist ein zweiter Herd vorhanden. Der Thalamus opticus, die Regio sub- 
th&lamica und die Regio peduncularis ist intact Mehrere kleine Herde sind in 
den Pons disseminirt, besonders längs der Pyramidal fasern. Ein etwas grösserer 
Herd hat seinen Sitz im reohten Ped. oerebelli ad pontem. Ein anderer Herd be¬ 
findet sich im mittleren Theile der Schleife links. In der grauen Substanz des 
Aquaeductus Sylvii ist ebenfalls ein Herd vorhanden, der die Longitudinalfasern 
zerstört hat. Dieser Herd erstreckt sich bis zum Ursprungskern des rechten 
Facialis. Der linke Facialiskern ist ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen durch 
die Fortsetzung eines anderen Herdes. Im verlängerten Mark sind mehrere Herde 
vorhanden: ein grösserer Herd erstreokt sich in der reohten Pyramide und in 
der hinteren Hälfte der Olive. Dieser Herd hat somit zur Folge die Zerstörung 
der Hypoglossusfasern. In der linken Hälfte des Bodens des 4. Ventrikels be¬ 
findet sich ein Herd, der die Kerne des 10. und 12. Nervenpaares zerstört hat. 
Im Kleinhirn sind mehrere Herde vorhanden, in der weissen Substanz im Corpus 
dentatum nnd im Vermis infer. 

Vortr. erklärt den Nystagmus und das Blinzeln durch die Herde im Klein¬ 
hirn und Ped. cerebelli ad pontem, das spätere Verschwinden des Nystagmus 
durch die Sklerose des unteren Wurmes, die ohorea&rtigen Bewegungen durch 
die Läsion des Pyramidalstranges. Der Befund beweist ebenfalls, dass das spas¬ 
modische Lachen nicht von einer Läsion im Thalamus abhängt. Er glaubt eher, 
dass die Störungen im N. caudatus dafür verantwortlich gemacht werden könnten. 

Herr Raymond und Herr Philippe: Acute senile Encephalitis. (Demon¬ 
stration mikroskopischer Präparate). Vortr. haben Gelegenheit gehabt in der Sal¬ 
petrige 4 Fälle von acuter Encephalitis mit Section bei alten Frauen zu beobachten. 
Anatomisch war dieselbe charakterisirt durch Entzündung der Gehirnrinde, der 
weissen Substanz und der Grosshirnganglien und gewöhnlich nur auf eine Hemi¬ 
sphäre beschränkt Klinisch bestand zunächst ein prodromales Stadium, 
welohes bald plötzlioh bei voller Gesundheit auftrat, bald im Verlaufe einer Lungen¬ 
krankheit sich zeigte, und durch Kopfschmerz, physische und psychische Asthenie, 
manchmal auoh durch leiohtere Ideeenverwirrung sioh auszeichnete. Auf dieses 
Stadium folgt das Hauptsymptom: motorische Hemiplegie von cerebralem 
Typus mit oder ohne apoplektischen Ictus. Zuweilen treten auch in den ge¬ 
lähmten Gliedern spastische Erscheinungen auf, analog den frühzeitigen Contrac- 
turen mancher Hemiplegiker. Der Tod tritt rasch ein unter Coma und progressiv 
zunehmendem Fieber. 

Das klinische Bild erinnert ja an die ischämische Gehirnerweichung. Die 
Vortr. haben aber polymorphe Läsionen gefunden, dagegen aber keine Gefäss- 
obliteration. Bekanntlich existiren zwei histologische Arten von Encephalitis. 
Die degenerative Art, die man in Deutschland hämorrhagische nennt. Diese 
Encephalitis beschränkt sich aber nicht allein auf Blutungen, perivasculäre und 
interstitielle, sondern mit Hülfe der Nissl’schen und Marchi’schen Methoden 
constatirt man bedeutende Veränderung ebenfalls in den Zellen und in den Nerven- 

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fasen. Auch die Neuroglia bleibt nicht unverändert Kit einem Worte die 
Veränderungen bei dieser Form von Encephalitis erinnern an die acute Myelitis 
von Leyden. Es ist noch eine zweite Art von Encephalitis bekannt: acute 
hyperplastische Encephalitis. Dieselbe ist vor nun 35 Jahren von Hayem 
beschrieben wurden und zeichnet sich durch eine Anhäufung von voluminösen, poly¬ 
gonalen und besonders epithelo'iden Zellen ans. Diese Zellen sind oft von fettigen 
Granulationszellen ausgeföllt Die Beziehungen zwischen den zwei Formen von Ence¬ 
phalitis sind einstweilen schwer festzustellen. Die klinische Beobachtung und die 
pathologische Anatomie beweisen, dass eine acute nicht eitrige Entzündung der 
Gehirnsubstanz existirt, eine Thataaohe die lange bestritten wurde. Und zwar 
ist diese Encephalitis wenigstens ebenso häufig wie die acute Myelitis und bedingt 
eine grosse Zahl von Hemiplegieen und von anderen cerebralen Symptomen bei 
Greisen. 

Discussion: 

Herr Gilbert Ballet fragt, ob die Vortr. in ihren Fällen GefässlUnionen be¬ 
obachtet haben. 

Herr Philippe antwortet, dass man in der degenerativen Form keine Spor 
von solchen Läsionen findet. Dagegen hat er in der hyperplastischen Form oft 
Diapedesis und starke Zellenproliferation gefunden. 

Herr Gilbert Ballet ist der Meinung, dass die Störungen der Arterien 
einen Locus minoris resistentiae schaffen und begünstigen das Auftreten localer 
Infectionen. Er hat vor Jahren in der Soci6t6 mädicale des Höpitaux den ana¬ 
tomischen Befund eines alten Hemiplegikers mitgetheilt, der an einer Broncho¬ 
pneumonie zu Grunde ging. An der Stelle der übliohen Gehirnblutung tand man 
einen Abscess mit starker Leukocytenreaotion. An der Stelle der früheren Blutung 
hat sich somit eine Läsion ausgebildet 

Herr Philippe bemerkt, dass in den von ihm und Prof. Raymond unter¬ 
suchten Fällen im Vergleich zu den parenchymatösen Störungen die Gefässläaion 
ganz unbedeutender Natur war. 

Herr Philippe und Herr Oberthür: Seotionsbefund ln zwei Fällen von 
Friedreioh’soher Krankheit. Vortr. theilen den histologischen Befund mit in 
2 Fällen der Friedreich’schen Ataxie. In einem Falle handelte es sich um einen 
20jährigen Syphilitiker, bei welchem die Krankheit in den ersten Jahren nach 
der Infection auftrat. Der mikroskopische Befund lautet: Sklerose der Hinter¬ 
stränge und der hinteren Wurzel. Besonders ausgesprochene Veränderungen in 
der grauen Substanz der Hinterhörner, der Strangzellen und der Clarke'sehen 
Säulen. Ungleichmässige Sklerose in den anterolateralen Strängen. Bald findet 
man kaum angedeutete Läsionen im gekreuzten Pyramidalstrang allein, bald die 
intensivsten Veränderungen in allen Fasersystemen des Seitenmarks (motorischer 
Strang, Gowers’sches Bündel, directer Kleinhirnstrang, kurze commissurale Fasern). 
Diese Variabilität des anatomischen Befundes erklärt auch, warum man bei dieser 
Art Krankheit mehr oder weniger spastische Erscheinungen constatirt. Die Fried- 
reich’sche Krankheit ist eine ausgesprochene medulläre Krankheit, die nichts mit 
der Tabes zu thun hat, und unabhängig von einer Sklerose oder Entwickelungs¬ 
hemmung des Kleinhirns ist. Diese Krankheit zeichnet sich auch durch eine 
intensive Sklerose der Neuroglia aus. Und zwar findet man die Neuroglia sklerosirt 
nicht nur in den degenerirten Zonen, sondern auch am Ependym des 4. Ven¬ 
trikels, im Aquaeductus Sylvii und unter der Pia mater spinalis. 

Herr Henry Meige: Wechselnde Tios, Haltungstio. Die Tics sind 
innig mit dem psychischen Zustand verbunden. Zeigt der Kranke Neigung zu 
fixen Ideeen, so wird sein Tic auch localisirt sein. Bei Kranken mit Neigung 
zu Zwangsvorstellungen, sind die Tics mehr obsedirender Natur. Ist Pat. von 


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einem wechselnden, unbeständigen, leichtsinnigen Charakter, so tragen seine Tics 
das Gepräge einer grossen Labilität. Tics von wechselnder Natur werden meistens 
bei jungen Individuen beobachtet. Die Labilität des psychischen Zustandes im 
kindlichen Alter eignet sich wenig zu dauerhaften Localisationen. Wechselnde 
Tics haben ihren Sitz bald an der einen, bald an der anderen Körperhälfte und 
folgen aufeinander ohne jeder Ordnung. Ein jeder dieser Tics hat seine Ursache, 
seinen Zweck. Diese Ursachen aber sind flüchtig und nicht immer zu eruiren. 
Die wechselnden Tics haben grosse Analogieen mit der wechselnden Chorea der 
Degenerirten von Brissaud und hängen von demselben psychischen Zustand ab, 
obwohl klinisch die zwei Krankheiten ganz verschieden sind. 

Haltungstic: In der grossen Mehrzahl der Fälle besteht dieser Tic in 
einem klonischen Krampf (klonischer Tic). Manchmal documentirt sich der¬ 
selbe aber au oh als tonischer Krampf (tonischer Tic). Die klonischen Tics 
bestehen in raschen, kurzdauernden Muskelzuckungen, nach denen eine mehr oder 
weniger langdauernde Muskelerschlaffung folgt. Der tonische Tic ist eine weniger 
plötzlich auftretende und eine progressive dauernde Muskelcontraotion. Der 
clonische Tic ist eine Bewegung, eine Gesticulation, während der tonisohe Tic 
eine Haltung darstellt. Beispiele von tonischen Tic sind: psychische Torti- 
collis (torticollis mental de Brissaud) und psychisoher Trismus (trismus 
mental de Raymond et Janet). Vortr. theilt die Krankengeschichte eines 
19jährigen Kranken, mit infantilem psychischen Habitus, mit, der seit seiner 
Kindheit an den verschiedensten wechselnden Tics litt (Köpfschtttteln, Schnürfeln, 
Beissen der Lippen u. s. w.). Dieser Pat. bekam später in Folge einer Verletzung 
des linken Schlüsselbeines einen klonischen Tic in der linken Schulter. Um 
diesen Tic zu bekämpfen suchte der Kranke den Arm und den Vorderarm gegen 
die Brust unbeweglich zu halten, was in einen tonisohen Tic der linken oberen 
Extremität ausartete. 

Herr D. Anglade und Herr Chocreaux: Die topographische Vertheilang 
und die Bedeutung der Lymphocytose bei der tuberoulösen Meningitis 
und bei der progressiven Paralyse. Cytologische Studien der cerebrospinalen 
Flüssigkeit haben ergeben, dass jede Entzündung der Meningen mit einem Ein¬ 
wandern von Formelementen des Blutes in diese Flüssigkeit verbunden ist. Die 
Vortr. stellten sich die Frage auf, wie die Lymphocyten aus dem Blute in die 
cerebrospinale Flüssigkeit gelangen können. Bei der tuberculösen Meningitis ist 
diese Frage leicht zu beantworten, da man von jeher weise, dass bei dieser 
Krankheit die Blutgefässe der Pia mater stark verändert sind und somit den 
Austritt der weissen Blutzellen ermöglichen. Aber auch bei der progressiven 
Paralyse haben die Vortr. starke Veränderungen in den Blutgefässen gefunden, 
der weichen Hirnhaut einerseits und andererseits in den Gefässen des Epithelbelags 
der Hirnventrikel. Letztere Läsion wurde von den Vortr. auch bei der tuber- 
culösen Meningitis constatirt. R. Hirschberg (Paris). 


Gesellschaft der Neuropathologen und Irren&rste zu Moskau. 

Sitzung vom 21. September 1901. 

Die Sitzung eröffnet Herr Prof. Roth mit einem Nachruf an das am 21. Juli 
verstorbene Mitglied der Gesellschaft, den Priv.-Doc. Dr. A. A. Tokarsky, Mit- 
redacteur der „Zeitschrift für Neuropathologie und Psychiatrie“. 

Herr A. Liubuohin: Die Resultate der anmtomo-pathologisohen Unter¬ 
suchung in einem mit Hysterie oombinirten Falle von Dementia para- 
lytioa. Die Kranke M. K. ist in der Gesellschaft der Neuropathologen und Irren- 


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ärzte zu Moskau am 14. Mai 1899 vorgestellt worden. Patientin ist am 15./L 1901 
gestorben. Autopsie: Wucherung der Pacchioni'sehen Granulationen längs dem 
Sinus longitudinalis, Trübung und Verdickung der Pia mater, namentlich längs 
den Blutgefässen, Verwachsung derselben mit der Gehirnoberfläche, Atrophie der 
Gyri. An den Frontalschnitten beider Hemisphären bemerkte man eine bedeutende 
Atrophie der Rindensubstanz. Das Ependym der Seitenventrikel und des 4. Ven¬ 
trikels ist von einer deutlich ausgesprochenen körnigen Beschaffenheit (Ependy- 
mitiH granulosa). An den Querschnitten des unteren Theiles der Medulla 
oblongata bemerkt man kleine graue Streifen in den Hintersträngen. 

In den übrigen Organen sind bei der Autopsie folgende Veränderungen ge¬ 
funden worden: 1. Otitis media purulenta dextra, 2. Bronchopneumonia tuber- 
culosa ulcerosa cum pleuritide fibrinosa-purulenta, 3. Induratio cyanotica hepatis, 
renum et lienis, 4. Atheromatosis aortae und 5. Degeneratio parenchymatosa cordis. 

Mikroskopische Untersuchung: In den Präparaten, die verschiedenen Theilen 
der Hirnrinde entnommen und nach Nissl gefärbt worden sind, erweisen sich 
die Zellen stark verändert: 1. Schrumpfung der Zellen, 2. Centrale Chromatolyse; 
3. Verlagerung des Kernes an die Peripherie der Zelle, 4. Vacuolisation einiger Zellen. 

Alle angeführten Veränderungen der Zellen sind am schärfsten ausgedrückt 
im Frontal- und Temporallappen der linken Hemisphäre. 

An den nach der Methode von van Giesson gefärbten Präparaten war 
Folgendes zu sehen: 1. Erweiterung der Blutgefässe, 2. wandständige Lage der 
Leukocyten, 3. kleinzellige Infiltration längs den Blutgefässen, 4. Zerfall von 
Hämatoidinkrystallen, 5. Vermehrung der Capillaren und Verdickung ihrer Intima, 
6. Wucherung und Oedem der Neuroglia. In den Präparaten, die den Frontal¬ 
lappen boider Hemisphären entnommen und nach der Methode von Marchi, Busch 
und Pal gefärbt worden sind, bemerkt man eine Degeneration sowohl der Bogen¬ 
fasern als auch der Leitungsfasern. In den centralen Gyri beider Hemisphären fehlt 
die obere Schicht der Tangentialfasern fast ganz, namentlich in der linken Hemi¬ 
sphäre erweisen sie sich bedeutend degenerirt. An einer ganzen Serie von Präparaten, 
die aus der Capsula interna, der Brücke und der Medulla oblongata stammen, 
ist eine Degeneration der Fasern der Pyramidenbahn, stärker links ausgedrückt, 
zu bemerken. An den Querschnitten des unteren Theiles der Medulla oblongata, 
die nach der Methode von Marchi und Pal gefärbt sind, ist eine Degeneration 
der GoH'schen und Burdacb’schen Stränge, theilweise auch der Fasern der 
vorderen Seitenstränge, zu sehen. Die Fasern des rechten N. opticus erwiesen 
sich in den nach Pal gefärbten Präparaten bedeutend dünner geworden, die 
Fasern des linken N. opticus als normal. 

Vortr. ist der Ansicht, dass ein grosser Theil der krankhaften Symptome 
mit der chronischen Meningoencephalitis und den sie begleitenden atrophischen 
und degenerativen Vorgängen in Zusammenhang stand. Unter den zahlreichen 
Veränderungen im Centralnervensystem der Patientin ist keine Veränderung vor¬ 
handen, durch welche die beiderseitige Taubheit zu erklären wäre. Es ist un¬ 
möglich einen Zusammenhang aufzustellen zwischen der beiderseitigen absoluten 
Taubheit und der Affection eines der Nn. optici. Ausserdem spricht gegen einen 
Zusammenhang der beiderseitigen Taubheit mit der Affection des rechten N. opticus 
der Umstand, dass die Taubheit schon zu der Zeit vorhanden war, als, nach Aus¬ 
spruch eines Specialarztes, keine organischen Veränderungen im Ohre nachzuweisen 
waren. Hieraus folgt, dass die Taubheit wahrscheinlich eine hysterische gewesen 
ist. Die Analgesie muss in diesem Falle ebenfalls als hysterische Complioation 
aufgefasst werden. Zu Gunsten dieser Auffassung spricht: 1. Das Vorhandensein 
der Hysterie schon im jugendlichen Alter, 2. Die Verbreitung der Analgesie fast 
über den ganzen Körper und 3. die Combination mit einem anderen hysterischen 
Symptom, d. i. mit der beiderseitigen absoluten Taubheit (Walton). 


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Di8CU8sion: 

Herr A. Bernstein bemerkt, dass bei der progressiven Paralyse Analgesieen 
sehr häufig Vorkommen und zwar im frühesten Stadium der Krankheit; dieselben 
scheinen weniger von den anatomischen Veränderungen abzuhängen, als von der 
geschwächten Aufmerksamkeit und der allgemeinen psychischen Stumpfheit der 
Patienten. 

Herr W. Murawieff weist auf die Möglichkeit hin, dass die gefundenen 
Veränderungen der Nervenzellen theils auch mit der tuherculösen Infection der 
Kranken in Zusammenhang stehen. Ueberhaupt wird in den Arbeiten über die 
Pathologie der Zelle den begleitenden Erkrankungen und der Todesursache zu 
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. 

Herr W. Serhsky glaubt, dass die Analgesie zum Theil auch von den 
tabetischen Veränderungen im Bückenmark abhängig gewesen sein kann. 

Herr W. Muratoff meint, dass in dem vorliegenden Falle zu Gunsten der 
Hysterie die Anamnese der Kranken spricht. 

Herr W. Roth ist vom Vorhandensein von Hysterie bei dieser Patientin 
nicht überzeugt. 

Herr P. Preobrajensky: Die Veränderungen im Nervensystem in einem 
Falle von Anaemla perniciosa acuta. In das Alte Katharinenhospital trat am 
31. December 1900 ein Kranker, von 35 Jahren, ein mit der Klage über all¬ 
gemeine Schwäche. Anamnese: Vor 10 Jahren litt Pat. an Geschwüren an den 
Unterschenkeln; in der letzten Zeit entwickelte sich eine allgemeine Schwäche. 
Die Untersuchung ergab Folgendes: Die Haut ist leicht ikterisch gefärbt und 
weist am ganzen Körper einen feinen Ausschlag auf, der hei Fingerdruck nicht 
schwindet. Die Temperatur ist normal. Kopfschmerz. Die objective Unter¬ 
suchung aller inneren Organe ergab nichts besonderes. Im weiteren Verlauf der 
Krankheit klagte Pat. beständig über Kopfschmerz und allgemeine Schwäche. 
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes ergab eine Poikilocytose. Exitus 
lethalis am 23. Januar 1901. Autopsie: Hyperaemie medullae osseae und eine be¬ 
deutende Anämie aller inneren Organe; sonst sind keine anderen Veränderungen 
gefunden worden. DiagnoBis anatomica: Anaemia perniciosa. Befund im Rücken¬ 
mark: Die Zellen der Vorderhörner sind gequollen, Chromatolyse (namentlich 
peripher), die Achromatinsubstanz ist gefärbt, die Zellkörper sind fettig degenerirt, 
der Kern ist verschwommen und seine Contouren sind nicht scharf, im Kern¬ 
körper sind bei Färbung mit Tionin zuweilen 1—6 Bchwarze Körnchen zu sehen. 
In der weissen Substanz der Medulla spinalis, oblongata und des Cerebellum 
findet man einzelne Herde zweier Art: 1. Miliare, längB den Gefässen sich be¬ 
findende, sklerotische Herde, 2. Herde von Zerfall des Nervengewebes (miliare); 
eine mehr oder weniger starke Sohwellung der Axencylinder oder der Nerven¬ 
fasern; bedeutende Verminderung der Zahl der Nervenfasern; Vorhandensein von 
runden homogenen Körperchen verschiedener Grösse und bedeutende Vermehrung 
der Leukocyten. Gleiche Zerfallherde sind auch in den Zellen (hauptsächlich 
in den Hinterhörnern) beobachtet worden. Stellenweise sind auch in den Zellen 
des Kleinhirns und der Pyramiden der Rinde ähnliohe schwarze Körnchen im 
Kernchen gefunden worden wie im Rückenmark. In den Pyramidenzellen der 
Rinde erhält man bei Färbung nach Marchi eine grosse Anzahl feinster, schwarzer, 
runder Körnchen, die hauptsächlich an der Peripherie der Zelle, zuweilen aber 
auch in ihr zerstreut liegen. Die Blutfüllung der Gefässe des Nervensystems ist 
eine schwache. Vortr. schliesst sich der Meinung Minnich’s an, dass diese Ver¬ 
änderungen nicht specifiscb für Anaemia pernioiosa sind. 

An der Discussion betheiligten sich W. Murawieff und W. Muratoff. 


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Herr N. Schataloff: Die pathologische Classification der Krankheiten 
des Nervensystems. Der früheren Eintheilung in Krankheiten des Gehirns, 
des Rückenmarks und der peripheren Nerven kann man keine grosse Bedeutung 
beilegen, da diese Abschnitte keine ganz abgesonderten und anatomisch und 
physiologisch vollkommen ganze Abschnitte darstellen. Ferner ist ans der Physio¬ 
logie und der allgemeinen Pathologie bekannt, dass jede Krankheit eine Störung 
der regelrechten Ernährung dieser oder jener Zellen vorstellt; diese Störung wird 
entweder hervorgerufen durch die Unfähigkeit der Zellen selbst das N&hrmateri&l 
aufzunehmen oder durch eine Abnormität des Nährmaterials in qualitativer oder 
quantitativer Hinsicht. Auf Grund dieser Daten ist es richtiger die Krankheiten 
des Nervensystems folgendermaassen einzutheilen: Abnormitäten in der Structur 
des Nervengewebes (auch bei Betheiligung des Blutgetässsystems des betreffenden 
Gebietes) hereditärer und acquirirter Herkunft und Abnormitäten in der Ernährung 
des Nervengebietes quantitativen oder qualitativen Charakters. Obgleich die im 
Jahre 1898 erschienene Classification von Möbius als eine ätiologische höher zu 
stellen ist alB alle früheren gemischten Classificationen (theils anatomische, theils 
klinische, theils ätiologische), so ist sie doch nicht genügend begründet, da in 
derselben die Krankheiten nach dem Charakter der Ursachen selbst eingetheilt 
sind in exogene und endogene, aber nicht nach dem Charakter der Wirkung 
dieser Ursachen auf den Organismus; dadurch fallen in eine Rubrik der exogenen 
Krankheiten ganz verschiedene Erkrankungen, wie z. B. Trauma des Nerven¬ 
gewebes, d. i. Krankheiten der Structur und Infectionskrankheiten, d. i. Krank¬ 
heiten des Blutes, Krankheiten der Ernährung. Die pathogenetische Classification 
beseitigt diese Unvollkommenheiten, da in ihr die Rubriken der Krankheiten 
nicht nach dem Charakter der Ursachen selbst, sondern nach dem Charakter der 
Wirkung derselben auf den Organismus gebildet sind; als Beispiel dient unsere 
Classification. Der vorgeschlagenen Classification sind pathogenetische Daten und 
ätiologische Momente zu Grunde gelegt, so dass die Eintheilung in Rubriken 
streng begründet ist durch die Abhängigkeit der Krankheiten von bestimmten 
Ursachen, die sie hervorgerufen haben, und nicht von anatomischen oder klinischen 
Bildern, welche, trotz der Einheit der Ursache, sehr verschieden sein können und 
daher auch nicht als Grundlage zu einer Classification dienen können. 

Dieselben pathologischen Daten sind auch für eine Classification anderer 
Specialitäten zu verwerthen, was wegen der Gleichförmigkeit des Materials und 
des daraus resultirenden Nutzens von grossem Werth sein kann. Für andere 
Wissenszweige kann diese Classification auch von Vortheil sein, da sie Rubriken 
der Degenerationen, der psychischen und physischen Einflüsse, der Infectionen, 
Intoxicationen und Erschöpfungen enthält, was auch für die Statistik von grösstem 
Vortheil ist. (Das Nähere über die Classification s. Rev. neurol. 1901. Nr. 23, 
wo die Arbeit im Original abgedruckt ist.) 

Discussion: 

Herr W. Muratoff glaubt, dass die pathogenetische Classification im Wesent¬ 
lichen unmöglich ist. Die Eintheilung der Krankheiten nach der Pathogenese ist 
nicht richtig, da dieselbe nur auf einem Princip basirt, während doch eine Krank¬ 
heit eine aus einzelnen Erscheinungen zusammengesetzte Summe darstellt. Ausser¬ 
dem fällt bei der Classification des Vortr. ein und dieselbe Krankheit in ver¬ 
schiedene Rubriken. 

Herr W. Roth findet, dass zu nosographischen Zwecken die alte gemischte 
Classification bequemer ist, als die Classification des Vortr. mit wenigen Rubriken, 
die nicht als fehlerlos zusammengestellt angesehen werden kann. 

W. Murawieff. S. Suchanoff. 


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Oeffentliche Sitzung vom 1. Ootober 1901 zum Andenken an Prof. S. S. Korsakoff. 

Diese Sitzung war eine combinirte mit der Moskauer psychologischen Gesell¬ 
schaft. Es wurden folgende Vorträge gehalten: 

Herr W. Roth: S. 8. Korsakoff 1. als Mensch, 2. In seiner oommunalen 
Thfttlgkeit. — Herr W. Serbsky: Ueber die wissenschaftliche Bedeutung 
8. 8. Korsakoff’s. — Herr A. Korniloff: 8. 8. Korsakoff als Neuropatholog. 
— Herr N. Postovsky: 8 . 8 . Korsakoff als Kliniker und Lehrer. — Herr 
L. Lopatin: Die Persönlichkeit und Weltanschauung 8. S. Korsakoff’s. — 
Hr. A. Bernstein: Die philosophischen und psyohlologisohen Anschauungen 
8. 8. Korsakoff’s. — Herr N. Bajenoff: 8. 8. Korsakoff’s Thfttlgkeit ausser¬ 
halb der ünlversitftt und seine Bedeutung als Arzt und Lehrer. — Herr 
G. Rossolimo: Dem Andenken Korsakoff’s. 

Sitzung vom 12. October 1901. 

Herr A. Bernstein: Krankendemonstration eines Epileptikers mit 
übermftSsiger Beweglichkeit der Gelenke. Pat., 32 Jahre alt, Setzer einer 
Druckerei, leidet seit seinem 22. Jahre an epileptischen Anfällen, zur Zeit weist 
er stark ausgesprochene Merkmale von epileptischer Geistesschwäche auf. Alle 
Gelenke des Kranken erscheinen quasi losgeschraubt und alle Bewegungen, be¬ 
sonders die passiven in denselben, überschreiten ihrem Umfange nach die Norm 
bedeutend, namentlich die Bewegungen in den distalen Gelenken (Hand, Füss, 
Ellenbogen, Knie), und besonders bei der Flexion. So lassen sich z. B. die Zehen 
bis zur vollständigen Berührung mit der Fusssohle flectiren, in den Knie- und 
Ellenbogengelenken ist die Flexion bis zu einem Winkel von 20° und sogar 
16° möglich. Leider lässt es sich nicht genau feststellen, wann die erwähnten 
Erscheinungen sich entwickelt haben; es ist nur bekannt, dass der Pat. im Alter 
von 14 Jahren an einer Affection der Kniegelenke gelitten hat. 

Herr W. Mu rat off richtete einige Fragen an den Vortr. 

Herr S. Suchanoff: Das endooellul&re Netz Golgi’a ln den Nerven- 
elementen der spinalen Ganglien. Golgi hat mit seiner Chromsilbermethode 
in den Nervenelementen von Wirbelthieren (Säugethieren) ein eigenartiges intra¬ 
celluläres Netz entdeckt. Die variirte und verbesserte Methode, um das endo- 
celluläre Netz Golgi's zu erhalten, besteht in der aufeinanderfolgenden Be¬ 
arbeitung frischer Präparate mit drei Flüssigkeiten. Die erste Flüssigkeit enthält 
30 Theile einer 0,1 °/ 0 Wasserlösung von Kalichlorplatinat, 30 Theile einer 
5 °/ 0 Lösung von dichromsaurem Kali und 15—20 Theile einer l°/ 0 Osmium¬ 
lösung. Die zweite Lösung besteht aus 3 Theilen einer 5°/ 0 Lösung von dichrom¬ 
saurem Kali und 1 Theil einer 5°/ 0 Lösung von Cuprum sulfuricum oder 
1 Theil einer 5 °/ 0 Lösung von Cuprum aceticum (im 2. Falle wird die zweite 
Flüssigkeit filtrirt). Die dritte Flüssigkeit ist eine 1 °/ 0 Lösung von Argentum 
nitricnm. In seinen Ausführungen berührt Vortr. nur das endocelluläre Netz 
Golgi’s in den Nervenelementen der spinalen Ganglien, die er Kaninchen ver¬ 
schiedenen Alters (2—3 Wochen und alte) entnommen hat. Bei dem durch 
Chloroform getödteten Thiere wird das Rückgrat eröffnet und die spinalen Gang¬ 
lien möglichst schnell herausgenommen; letztere werden dann in die erste Flüssig¬ 
keit gelegt, welche auch den Namen Veratti’s führt. Die Ganglien von jungen 
Kaninohen blieben in der Flüssigkeit Veratti’s nicht weniger als 5 Tage, ge¬ 
wöhnlich aber 8—10—12 Tage; die Ganglien aber von alten Kaninchen müssen 
in dieser Flüssigkeit bedeutend länger liegen; Vortr. liess die Ganglien von alten 
Kaninchen in der Flüssigkeit Veratti’s bis zu 35 Tagen. In der zweiten 
iliBchung müssen die Präparate 5 bis 10 Mal kürzere Zeit als in der ersten 
bleiben; wenn die Präparate in der ersten Flüssigkeit 5—8 Tage gelegen haben, 


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so kann man sie in der zweiten 15—20 Stunden, einen Tag oder etwas mehr 
halten. Sind sie in der Flüssigkeit Veratti’s 30—36 Tage gewesen, so mos* 
man sie in der zweiten Mischung 2—3—3 */j Tage liegen lassen. Ans der zweiten 
werden die Ganglien in die dritte Flüssigkeit (1 °/ 0 Losung von Argentum nitri- 
cum) auf 20—24 Stunden oder etwas länger gelegt Um bei der Anfertigung 
solcher Präparate bessere Resultate zu erhalten, muss darauf geachtet werden, 
dass die Ganglien von alten Thieren an den Enden angeschnitten werden, dass 
die Präparate nicht zu lange der Wirkung der Luft ausgesetzt werden, nicht 
austrocknen u. s. w. Das Netz Golgi’s in den Nervenelementen der spinalem 
Ganglien reicht nicht bis an die Peripherie der Zelle, was darauf hinweist, dass 
dieses Netz ein endocelluläres ist; dasselbe stellt ein dichtes Geflecht dar, welches 
zuweilen lobuläre Structur zeigt, es zeigt keinerlei Fortsätze von seinem äusseren 
Theile zur Oberfläche der Zelle. In den Kern dringt das Geflecht nioht ein, 
sondern umgiebt denselben etwas gelichtet Dieses Netz lässt sich sowohl in den 
grossen als auoh in den kleinen Zellen der spinalen Ganglien entdecken. Vortr. 
ist der Ansicht, dass das endocelluläre Netz Golgi’s keine Aehnlichkeit mit dem 
fibrillären Netz Ap&thy’s hat; es unterscheidet sich auch von dem Bilde der 
von Holmgren, Donaggio, Studnicka und Bochenek beschriebenen Kanälchen 
in den Nervenzellen; es gleicht auch nicht dem „6tat spirämateux“ von Nelia. 

Autorreferat 

Für den Wettbewerb um die Prämie auf den Namen des Herrn A. J.Kojew- 
nikoff ist von der Gesellschaft folgendes Thema gewählt worden: „Die traumati¬ 
schen Affectionen des Nervensystems (anatomische und functioneile) vom Gesichts¬ 
punkte der gerichtlich-medicinischen Expertise“. 

Oeffentliche Sitzung vom 22. October 1901. 

Herr P. Preobrajensky: Aua dem Gebiet der psychopathischen 
Litteratur. — Herr V. Worobieff: Die Degenerirten und ihre gesellschaft- 
liohe Bedeutung. — Herr N. Bajenoff: Krankheit und Tod N. Gogol’». 

A. Bernstein. W. Murawieft 

Sitzung vom 16. November 1901. 

Herr Roth demonstrirte 7 Kranke, welche unter anderen Erscheinungen eine 
Atrophie der Muskeln der Hand nach dem Typus von Aran- Duohenne 
aufwiesen; dieser Atrophie lagen bei den meisten der vorgestellten Kranken ver¬ 
schiedene Erkrankungen zu Grunde. Im ersten Falle war eine atrophische 
Lähmung, als Resultat einer acuten Poliomyelitis, mit dem Initialstadium der 
Tabes combinirt. Im zweiten Falle hatte sich eine amyotrophische Lateralskleroee 
im Stadium vor dem Erscheinen der Ataxie einer langsam verlaufenden Tabes 
entwickelt. Der vierte Fall stellte eine Combination von Gliomatosis mit Tabes, 
vielleicht aber auch mit Meningitis spinal is dar. Der fünfte Fall war eine 
Lähmung nach Bleivergiftung, wobei unter Anderem die Mm. supinator longus, 
biceps et deltoideus in Mitleidenschaft gezogen waren. Im sechsten Falle handelte 
es sich um eine Atrophie wegen chronischer Poliomyelitis, welche nach der 
Meinung des Vortr. parasyphilitischer Herkunft ist. Der siebente Kranke litt 
an einer amyotrophischen Lateralsklerose, welche 9 Jahre dauerte. Besonders 
interessant ist der dritte Fall. Pat. M., 40 Jahre alt, Schuhmacher, vor 9 Jahren 
Lues. Seit 3 Jahren lancinirende Schmerzen. Von derselben Zeit an progressive 
Abmagerung der Muskeln der oberen Extremitäten, welche mit den Händen be¬ 
gann. Die Untersuchung ergab eine bedeutende Atrophie der Muskeln der Hände 
und der Unterarme; in vielen Muskeln vollständige EntartungBreaction. Die 
Sehnenreflexe der oberen Extremitäten sind entweder schwach oder fehlen; die 
Patellarreflexe und die von der Achillessehne fehlen. Der Reflex Babinski’s 


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ist nicht vorhanden. Myoms spastica; Fehlen des Lichtreflexes. Das Moskelgeftlhl 
sowie die Tast- und Temperaturempfindung sind normal. Die Sohmerzempfindung 
ist an den unteren Extremitäten ein wenig herabgesetzt. Die Potentia virilis ist 
geschwächt. Die Harnentleerung ist ein wenig erschwert. Nach Ansicht des Vortr. 
hängen die Atrophieen im gegebenen Falle von einer Affection der Zellen der 
Vorderhörner ab, so dass wir hier eine Combination von Poliomyelitis anterior 
chronica und Tabes haben, wobei beide Krankheiten sich selbständig entwickelt 
haben, jedoch unter dem Einflüsse ein und derselben gemeinsamen Ursache; beide 
Krankheiten stehen mit der vorausgegangenen Syphilisinfection in Zusammenhang 
und gehören in die Gruppe der parasyphilitschen Erkrankungen. Das 
Zusammenfallen dieser Krankheit ist hier kein zufälliges. 

W. Murawieff. S. SuchanoffL 

Sitzung vom 21. December 1901. 

Herr Kirilzeff: Ein Fall hypertrophiaoher Osteoarthropathie (Osteo¬ 
arthropathie hypertrophiante) mit Demonstration des Kranken. Pat., 
26 Jahre alt, Tischler. Beide Lungenspitzen sind nicht stark tuberoulös afficirt. 
Auf dem linken Fussrfioken hinter der 2. Zehe befindet sich eine Fistel mit 
stinkendem Eiter. ln der linken Inguinalgegend eine wenig schmerzhafte 
Schwellung der Drüsen von der Grösse eines kleinen JEies. Das ganze linke Bein 
ist von den Zehen bis zum unteren Drittel bedeutend vergrössert und verdickt. 
Exudat im linken Knie und Muskelatrophie des linken Oberschenkels. Die 
Knochen des linken Unterschenkels, das Fuss- und Kniegelenk sind bedeutend 
verdickt, aber nicht schmerzhaft. Die 2., 3. und 4. Zehe beider Füsse gleichen 
Trommelschlägeln und ihre Nägel erinnern in ihrer Form an Uhrgläschen. Auf 
den Radiographieen ist eine deutliche cariöse Affection des ersten Metatarsal¬ 
knochens des linken Fuss es zu sehen und eine Verdickung beider Knoohen des 
linken Unterschenkels ohne Herdaffeotion; ausserdem sind auf den Aufnahmen so¬ 
wohl diese Knochen als auch der Talus und das Os navioulare blasser als die 
entsprechenden Knochen des rechten Beines. Die Vergrösserung der Extremität 
begann sich 11—12 Monate, nachdem sich wegen engen Schuhwerkes ein Abscess 
auf dem Fusse gebildet hatte, der die erwähnte Fistel zur Folge hatte, zu ent¬ 
wickeln. Vor ö—6 Jahren hatte Pat. einen Abscess in der linken Inguinalgegend, 
der keine merklichen Spuren hinterlassen hat 

Auf Grund der erwähnten Daten findet Vortr., Syringomyelie, die Krankheit 
Paget ausschliessend und darauf hinweisend, dass der cariöse Prooess in dem 
ersten Metatarsalknochen das ganze Krankheitsbild nicht erkläre, dass sein Fall 
als hypertrophische Arthropathie anzusehen sei, obgleich derselbe, da fast aus¬ 
schliesslich nur eine Extremität afficirt ist, nicht vollständig und nicht typisch 
erscheine, und dass er andererseits seiner Eigentümlichkeiten wegen die Möglich¬ 
keit gebe, sich einigermaassen die Bedingungen für die Entwickelung der Osteo¬ 
arthropathie zu erklären, Vortr. bemerkt, dass nach den Angaben der Litteratur 
am häufigsten diejenigen Lungenprocesse eine Osteoarthropathie hervorrufen, bei 
welchen günstige Bedingungen für Resorption des Eiters (Bronchiektasie, 
Empyem) gegeben sind und spricht die Vermutung aus, dass neben der tuber- 
culösen Affection der Lungen das wesentliche Moment für die Entwickelung der 
Osteoarthropathie im gegebenen Falle der sich zersetzende Eiterherd im ersten 
Metatarsalknochen ist. Der Gang des Processes ist folgender: bei dem tuber- 
c ul Ösen Pat. entwickeln sich zuerst Trommelschlägelfinger, späterhin durch Trauma 
Caries des ersten Metatarsalknochens mit nachfolgender Affection der Inguinal¬ 
drüsen, welche ihrerseits die Circulation der Lymphe behindert und die Gewebe¬ 
ernährung in der kranken Extremität stört und auf diese Weise günstige Be¬ 
dingungen schafft für die Entstehung einer hypertrophischen Osteoarthropathie 


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unter der Einwirkung der Zersetzungsproducte aus dem Eiterherd in dem ersten 
Metatarsalknochen. Dieser Fall zeigt, nach Meinung des Vortr., dass die localen 
Bedingungen der Lymphcirculation und der Ernährung der Gewebe eine wichtige 
Bedeutung in der Entstehung der Osteoarthropathie haben. Die Ergebnisse der 
Röntgenphotographie stehen in Einklang mit den in der Litteratur sich befinden¬ 
den anatomisch-pathologischen Daten (ossificirende Periostitis, Osteoporose). Die 
Trommelschlägelfinger müssen wohl als schwächerer Ausdruck des osteoporotischen 
Processes aufgefasst werden. Was nun die Frage über diese oder jene Beziehung 
der Schilddrsüe (die bei dem Pat. etwas vergrössert ist) zu dem Processe betrifft, 
so muss dieselbe offen gelassen werden, da keine genauen Daten vorhanden sind. 

Discussion: 

Herr A. Repmann glaubt, dass dem verschiedenen Grade der Durchleuchtung 
auf den Röntgenaufnahmen des kranken und des gesunden Unterschenkels keine 
besondere Bedeutung beigemessen werden kann, da.diese Differenz duroh ver¬ 
schiedene Bedingungen des Photographierens erklärt werden kann. 

Herr W. Predtetschenskiy erklärt die Entwickelung der Knochenverände¬ 
rungen bei dem vorgestellten Pat. durch Blut- und Lymphstauungen in der er¬ 
krankten Extremität, im Zusammenhänge mit dem oariösen Processe der Einochen 
des Fu8B68. 

Herr Roth findet, dass der demonstrirte Fall nur eine äUBserliohe Aehnlioh- 
keit mit der Krankheit Marie’s hat, aber in Wirklichkeit liegt hier nur ein 
locales Leiden vor, das ist ein Fall von tuberoulöser Affection der Knoohen mit 
Complicationen in den benachbarten Geweben. 

Herr Th. Rybakoff demonstrirte den hypnotischen Schlaf an zwei Personen; 
bei einer denselben trug der Schlaf den Charakter der Hypotaxie, bei der zweiten 
den des Somnambulismus. 

An der duroh die Demonstration hervorgerufenen Discussion betheiligten sich 
die Herren W. Roth, W. Muratoff, G. Rossolimo und E. Rig. 

Herr A. Ljubuschin: Die Methode Anglade's in ihrer Anwendung 
beim Studium der Elemente der Neuroglia. Die von An gl ade vorgeschlagene 
Methode, welche sich durch ihre Einfachheit und genügende Electivität auszeichnet, 
hat vor den anderen Methoden schon daher viele Vorzüge, dass sie nicht nur bei 
Färbung der Elemente der Neuroglia beim Menschen, sondern auch bei Thieren 
anwendbar ist. Auf den nach Anglade’s Methode gefärbten Präparaten sind 
die Fasern der Neuroglia sehr dünn, mit gleichen Contouren und blaulila ge¬ 
färbt Die Kerne der Neuroglia erscheinen in zwei Arten: die einen sind gross, 
recht hell, leicht gekörnt und enthalten ein excentrisch gelegenes Kernkörperchen, 
die übrigen sind etwas kleiner und dunkelblau gefärbt Die Nervenzellen sind 
bei dieser Methode gelblichgrün gefärbt. Beim Durchseben einer ganzen Serie 
von Präparaten, die aus verschiedenen Theilen des Centralnervensystems ent¬ 
nommen und nach der Methode Anglade’s gefärbt sind, trifft man keine spinnen- 
fdrmigen oder Deiters’schen Zellen, während man auf den Präparaten, die denselben 
Theilen des Nervensystems entnommen, aber nach der Methode von Golgi ge¬ 
färbt sind, eine bedeutende Anzahl obengenannter Zellen der Neuroglia bemerken 
kann. Auf den Angl ade’sehen Präparaten erscheinen die Fasern der Neuroglia 
ganz unabhängig von den Kernen, sie verlaufen nur in der Nähe derselben und 
schneiden sie nicht selten in verschiedener Richtung. Stellenweise sieht man, 
dass die Fasern der Neuroglia sich den Kernen nähern und dann wieder zurück¬ 
gehen, so dass sie ziemlich regelmässige Bogen bilden. Diese Anordnung der 
Fasern im Verhältniss zu den Kernen erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, 
dass wir eine richtige spinnenförmige Zelle vor uns haben, doch ist es bei näherer 
Betrachtung nicht schwer sich davon zu überzeugen, dass die Fasern der Neuroglia, 


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die anfangs ans den Kernen herauszukommen scheinen, in Wirklichkeit die oben 
geschilderte Anordnung haben und sich ganz unabhängig von den Zellen der 
Neuroglia erweisen. An einigen Stellen bilden die Fasern der Neuroglia dadurch, 
dass sie sich mehrfach kreuzen, ein sehr zartes Netz. Die von einigen Autoren 
beschriebenen Korbgefieohte in der Nähe der Ganglienzellen sind auf den Prä¬ 
paraten Anglade’s nicht zu sehen. Was die Anordnung der Elemente der 
Neuroglia in der Hirnrinde eines erwachsenen Menschen betrifft, so ist sie ganz 
analog derjenigen, welche Weigert durch Färbung der Hirnrinde nach seiner 
electiven Methode erhalten hat. 

Disoussion: 

Herr W. Muratoff bemerkt, dass die Methode Anglade’s als eine rein 
technische nichts wesentlich Neues bietet und noch einer Controle durch andere 
parallele Methoden bedarf. 

An den Vortr. wurden ferner Fragen von den Herren G. Rossolimo und 
A. Korniloff gerichtet. 

Von Herrn 8. Suchanoff wurde das Referat des Herrn J.Jwan off (Warschau): 
Zur Trage über die verminderte Zurechnungsfähigkeit verlesen. Die Be¬ 
stimmung der Zurechnungsfähigkeit muss unbedingt zur Aufgabe der Experten 
der Psychiatrie gehören, und daher muss auch die Initiative zur Modifioation der 
im Gesetze herrschenden Begriffe über die Zurechnungsfähigkeit in ihrer Com- 
petenzsphäre liegen. Es muss als feststehend betrachtet werden, dass die Un¬ 
zurechnungsfähigkeit nicht, dank dpm vom Gesetze vorgeschlagenen Criterium, 
auf alle Fälle der Geistesstörung ausgedehnt werden kann. Als eine absolute 
lässt sich die Unzurechnungsfähigkeit nur für die Fälle „richtigen Irrsinnes“ fest¬ 
stellen, oder für diejenigen „ausgesprochener Psychosen im eigentlichen Sinne des 
Wortes“ als auch für den Wahnsinn und die GeistesabWesenheit. Als eine relative 
wird die Unzurechnungsfähigkeit auch für eine bestimmte, grössere oder geringere 
Anzahl von Fällen sogenannter „angrenzender“ oder „zweifelhafter Geisteszustände“ 
festgestellt. Dennoch bleibt noch eine gewisse Anzahl „angrenzender Zustände“ 
übrig, für welche wir, wenn wir uns nach dem psychologischen Criterium richten, 
nicht im Stande sind die Unzurechnungsfähigkeit zu bestimmen. Aus einem Theile 
dieser Gruppe lassen sich die sogenannten Uebergangsznstände abtheilen, welche 
quasi in der Mitte zwischen psychischer Gesundheit und „sohon ausgesprochener“ 
psyohisoher Erkrankung stehen. Für diese Fälle nun muss ein besonderer Grad 
der Zurechnungsfähigkeit festgesetzt werden. Vortr. weist auf mögliohe Abstufungen 
der veminderten Zurechnungsfähigkeit hin: 1. auf die „verminderte Zurechnungs¬ 
fähigkeit im wahren Sinne des Wortes“; 2. auf die sogenannte „bedingte Ver- 
urtheilung“; 3. auf die sogenannte „bedingte Begnadigung“ und 4. auf die Er¬ 
weiterung der Umstände, die zur Verringerung der Schuld und dadurch auch der 
Strafe dienen. A. Bernstein. W. Murawieff. 

Ausserordentliche Sitzung vom 15. Januar 1902 in Veranlassung des Ablebens 
des Präsidenten der Gesellschaft Herrn Prof. A. J. Koshewnikoff. 

In der Sitzung wurde das Andenken an den Verstorbenen durch Nachrufe 
von folgenden Personen geehrt: Prof. W. Roth, Dr. A. Repmann, Dr. J. Kon- 
stantinowsky, Dr. G. Pribytkoff, Dr. W. Serbsky, Dr. L. Minor, Dr. 
A. Korniloff. 

Sitzung vom 25. Januar 1902 zum Andenken an Prof. S. S. Korsakoff. 

Herr S.Popoff: Bin Fall acuter Medullarataxie organischen Ursprungs, 
oombinirt mit Hysterie. Pat., 64 Jahre alt, alter Alkoholiker, erkrankte plötz¬ 
lich unter folgenden Erscheinungen: Zuerst stellte sich links permanentes Ohren- 


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sausen ein; 3 Tage darauf wurde der Gang wankend, wobei weder Erbrechen 
noch Kopfschmerzen vorhanden waren. Zu derselben Zeit liess sich Pat den 
zweiten Backenzahn extrahiren; unmittelbar nach dieser Operation wurde die 
Ataxie bedeutend starker und begann zu progressiren. Im Laufe der Krankheit 
konnte man mehrere Perioden von Zunahme der Ataxie beobachten, so dass der 
Pat. 4 Monate nach dem Beginn der Krankheit nicht mehr im Stande war zu 
gehen. Ausser der Ataxie waren Druokerscheinungen einiger Nerven zu ver¬ 
zeichnen: des N. acusticus, trigeminus. oculomotorius. Von der Beobachtung aus¬ 
gehend, dass organische Erkrankungen des Nervensystems nicht selten durch 
Symptome functionellen Charakters complicirt sind, unterwarf Vortr. den Pat. der 
Hypnose, wonach die Ataxie bedeutend schwächer wurde; nach dem zweiten Mal 
schwand die Ataxie und der Pat. begann frei zu gehen. Er starb an einer zu¬ 
fälligen Erkrankung: Darmverschlingung. Bei der Autopsie wurde eine sub- 
meningeale apoplectiscbe Cyste gefunden, welche einen kleinen Theil des Cere¬ 
bel] um zerstört hatte. Auf Grund der Resultate der Autopsie schreibt Vortr. 
den Beginn der Ataxie einer submeningealen Hämorrhagie zu, die fernere Ver¬ 
sohlimmerung der Ataxie erklärt er jedoch durch functionelle Störung; zum Be¬ 
weise dafür dienen: 1) die Heilung der Ataxie durch Suggestion und 2) die 
experimentellen Resultate Luciani’s, nach welchen eine AfFection kleiner Theile 
des Cerebellum wohl Ataxie zur Folge hat, letztere jedoch bald wieder schwindet. 
Dank der Fähigkeit des Cerebellum den Ausfall der Function kleiner Theile 
schnell zu compensiren. Da die AfFection ^ des Cerebellum im gegebenen Falle 
nicht gross war, so lässt sich durch diesen einen Herd die so langdauernde 
Ataxie nicht erklären. (Autoreferat) 

Discussion: 

Herr W. Serbskiy sieht keine klaren Hinweise auf das Vorhandensein von 
Hysterie in diesem Falle. 

Herr V. Weidenhammer glaubt, dass die Schwankungen in dem Grade der 
Ataxie sich durch verschiedene Füllungsgrade der Cyste erklären lassen; bei einer 
Cyste, welche durch eine gewöhnliche Hämorrhagie entstanden ist, wären so deut¬ 
liche Symptome von Druck auf die Medulla oblongata nicht vorhanden. 

Herr G. Pribytkoff hält die Veränderungen im Cerebellum für sehr be¬ 
deutend und sieht am Präparat eine deutliche Compression der Medulla oblongata, 
welche auf ein langsames Anwachsen des Druckes von Seiten der Cyste hinweist 
Bedeutende Schwankungen in der Intensität der Krankheitserscheinungen sind bei 
Cysten des Cerebellum die Regel. 

Herr G. Rossolimo bestreitet die Möglichkeit einer hysterischen Complication 
in diesem Falle nicht 

Herr L. Minor erinnert daran, dass Hirntumoren ganz ohne Symptome ver¬ 
laufen können, z. B. das Cholesteatoms. 

Herr V. Murawieff betheiligte sioh gleichfalls an der Discussion. 

Herr P. Preobrashensky: Zur Lehre von der subdortioalen Alexie 
und ähnlichen Störungen. Dem Vortr. sind im Alten Katharinenhospital zwei 
Fälle von Alexie vorgekommen. 

Fall L Pat, Tagelöhner, 60 Jahre alt, Alkoholiker seit vielen Jahren. 
Bis auf die jetzige Erkrankung ist er nie ernstlich krank gewesen. In der Mitte 
des Decembers 1901 stellte sich, ohne dass vorher Bewusstlosigkeit eingetreten 
wäre, Schwäche der linken Extremitäten ein; 3 Tage nach Beginn der Krankheit, 
d. i. den 18. December, trat Pat ins Hospital ein. Beim Eintritte wurde einige 
Abnahme der Aufmerksamkeit und der Auffassungsfähigkeit constatirt Pareaia 
Nn. hypoglossi und der unteren Zweige Nn. facialis sin. Hemiplegia et hemi- 
anaesthesia sin. (aller Arten). Fehlen der Patellarreflexe. • Hemianopeia sin. 


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beiderseits. Pat. kann fast gar nicht lesen, selbst grobe Sohrift; er kann die 
einzelnen Worte nnr schlecht oder gar nicht lesen, zuweilen erräth er nach dem 
Anfänge eines Wortes dessen Ende, wobei er sich natürlich oft versieht. Vom 
Buche abzuschreiben ist er nicht im Stande, er muss erst jedes einzelne Wort 
entziffert haben; hat er aber letzteres entziffert, so schreibt er es schnell und 
richtig. Nach Dictat schreibt er gut, ebenso etwas selbständiges. Geschriebene 
Worte (auch von ihm selbst) entziffert er gleichfalls schlecht. Zeichnungen und 
Bilder begreift er schlecht. Wenn der Pat. der schreibenden Hand folgt» so 
erräth er zuweilen an den Bewegungen der Hand das geschriebene Wort. R othe 
Druckschrift liest er schlechter als schwarze, doch unterscheidet er Farben gut. 
V. oculi utriusque = */ 10 . Beim Lesen verliert er die Zeilen nicht und geht leicht 
von einer Zeile zur anderen über. Das Gehör ist beiderseits gut. Während des 
Aufenthaltes im Hospital sind alle Erscheinungen bedeutend gebessert, ebenso die 
Alexie, welche allmählich schwindet. Pat. macht alles mit der rechten Hand. 

Fall IL Pat., 45 Jahre alt, Fabrikarbeiter, wurde den 17. Juli 1901 in 
bewusstlosem Zustande ins Hospital gebracht. Aus der Anamnese liess es sich 
nur erfahren, dass Pat. im Alter von 20 Jahren Lues gehabt hat, es blieb aber 
unbekannt, wie sich die vorliegende Erkrankung entwickelt hatte. Bei der Auf« 
nähme wurde constatirt, dass das Bewusstsein verwirrt ist und dass Pat. sich in 
seiner Umgebung schlecht orientirt; Pat. begreift nicht gleich, was ihm gesagt 
wird; er macht sich beständig etwas in seinem Bett zu schaffen. Vollständige 
Hemianaesthesia sin. Parese beider linken Extremitäten, Ataxie. Das Verwirrt¬ 
sein begann allmählich zu schwinden und dann war erst die Möglichkeit da, den 
Pat. ausführlicher und genauer zu untersuchen. Stat. praes. am 29. October 1901: 
Deutlich ausgesprochene Hemianopsia sin. V. o. d. =» 7 /io* V. o. d. = */ 10 . Die 
Farben unterscheidet Pat. gut. Er liest eine gewöhnliche Schrift mit einiger 
Mühe. Beim Lesen vergisst er das Gelesene sehr rasch, nicht selten wiederholt 
er dieselbe Zeile oder einen Theil der Zeile mehrere Mal, wenn er aber abseits 
von der Seite blickt, so findet er die Stelle, wo er gelesen hat, nicht mehr: ge¬ 
wöhnlich liest er dann trotz allem Suchen Theile von Sätzen aus verschiedenen 
Stellen der Seite. Zuweilen kann er sich aus dem eben Gelesenen nur einzelner 
Worte erinnern. Was er selbst geschrieben hat, buchstabirt er und zwar nicht 
immer richtig; oft erkennt er seine Handschrift. Er schreibt recht gut, sowohl 
selbständig als auch nach Dictat; das, was er entziffert hat, schreibt er ebenso 
gut ab. Das Copiren verschiedener geometrischer Figuren gelingt nicht immer, 
aber das gröbste Abzeichnen irgend welcher Bilder gelingt ihm gar nicht. In 
Zeichnungen und Bildern findet er sich sehr sohlecht zurecht, wobei er öfters die 
Figuren verwechselt: einen Hund hält er für einen Menschen, Puppen für 
Menschen u. s. w.; den Sinn eines Bildes begreift er ebenfalb fast nie. Das 
Gehör ist beiderseits geschwächt, besonders auf dem linken Ohre. Der Geruchs¬ 
sinn ist schwach. Aphasie ist nicht vorhanden. Der Geisteszustand ist normal. 
Bei dem Pat ist eine anterograde (und theilweise retrograde) Amnesie zu ver¬ 
merken; aus dem Krankenzimmer geht er nur mit Begleitung, da er, trotz fast 
halbjährigem Aufenthalte im Hospital, weder das Zimmer noch sein Bett kennt 
und allein dieselben nicht auffinden kann. Pat macht alles mit der rechten Hand. 

Das Besondere der beschriebenen Fälle ist die Affection der rechten Hemi¬ 
sphäre (gewöhnlich beobachtet man eine isolirte Alexie bei Affection der linken 
Hemisphäre), trotzdem, dass beide Kranken alles mit der rechten Hand machen. 
Vortr. schliesst sich der Meinung derjenigen an, welche annehmen, dass wir mit 
beiden Hemisphären lesen. Das Besondere im zweiten Falle ist ferner die antero¬ 
grade Amnesie ab Herdsymptom und zwar identisch mit der von anderen Autoren 
beschriebenen Störung der Orientirung. Die Alexie ist im zweiten Falle gleich¬ 
falb eine eigenartige, da dieselbe nicht durch Unterbrechung der optischen Bahn, 


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Sondern nur durch eine verringerte Dauer der Eindrücke entstanden ist. Eine 
derartige Alexie ist von Grashey beschrieben worden (Pat. konnte ein Wort 
lesen, wenn er es vor den Augen als ganzes sah, wenn er jedoch buchstabirte, 
so dass er nur einen Buchstaben nach dem anderen sah, so konnte er das Wort 
nicht lesen). _ (Autoreferat). 


111. Vermisqhtes. 

n. Internationaler Congreas für medioinisohe Elektrologie und Radiologie 
in Bern am L—6. September 1903. 

Angemeldete Arbeiten (Ende Juni): 

I. Referate: Dr. Cluzet (Toulouse) und Dr. Mann (Breslau): 1. Der gegenwärtige 
Stand der Elektrodiagnostik. — Dr. Guilloz (Nancy): 2. Die chirurgische Elektrodiagnoatih. 

— Dr. Böclöre (Paris) und Prof. Grunmaoh (Berlin): 8. Die Radiologie und Radiographie 
der inneren Organe. — Dr. Oudin (Paris): 4. Die von den X-Strahlen verursachten Unglücka- 
fälle. — Dr. Battelli (Genf): 5. Die Gefahren der industriellen Starkströme. 

1L Mittheilungen: Prof. Sticker (Giessen): Galvanoskopische Untersuchungen an 
Gesunden und Kranken. — Dr. Fort (Paris): Behandlung der Verengerungen des Oesophagus 
und der Urethra durch die lineäre Elektrolyse. — Dr. Guilleminot (Paris): Gebrauch und 
Regulirung des Spiralresonators bei der Anwendung der Ströme hoher Frequenz. — Dr. 
Zanietowski (Krakau): Beitrag zur Lehre der Summation der Reize in der Syringomyelie. 

— Dr. Kwiatkowski (Krakau): Ueber Myographie bei Polyneuritis. — Dr. Zanietowski 
und Kwiatkowski: Ueber den semeiologischen Werth der Muskelcurven in der klinischen 
Elektrodiagnostik. — Dr. Dubois (Bern): Ueber die Capadtät des menschlichen Körpers. — 
Aus der Klinik von Prof. Mondino (Paria): 1. Dr. Sala: Elektrische Behandlung der Gaatral- 
gieen. Ueber die von X-Strahlen verursachten Läsionen. 2. Dr. Cor belli ni: Ueber Be¬ 
handlung des Morbus Basedowii. 8. Dr. Rota: Ueber Behandlung der Neuralgieen. — 
Dr. von Luzenberger (Neapel): Untersuchungen fiber die Tonicität des Blutes mittelst 
Elektrioität — Prof. Schatzky (Moskau): a) Biologische Betrachtungen zur Behandlung der 
acuten Entsfindung mittelst oonstanter Ströme, b) Ein automatischer Rbeostat für medi- 
cinische Zwecke. — E. K. Malier (Zürich): Ueber elektromagnetische Therapie. — Dr. 
Xavier (St. Paul, Brasilien)-. Behandlung der Lungentuberculose mittelst Ströme hoher 
Frequenz. — Prof. Schiff (Wien): Ueber die Anwendung der Elektricität bei Behandlung 
von Hautkranken. — Dr. Montier (Paris): a) Therapeutische Leistungen der d’Areonvali- 
sation. b) Ueber die elektrische Behandlung gewisser fieberhaften Erkrankungen. — Dr. 
Albert-Weil (Paris): Elekrotherapie bei Orthopaedie. — Dr. Schnyder (Bern): Einfluss 
des galvanischen Stromes auf die Muskelkraft — Prof. Benedikt (Wien): Ueber Röntgen- 
Diagnostik der Schädel-, Hirn- und Wirbelsäuleerkrankungen. — Dr. Bade (Hannover): Die 
Bedeutung der Radiologie ffir die Orthopaedie. — Dr. Weinberger (Wien): a) Ueber die 
Untersuchung der Brustkrankheiten mit Röntgenstrahlen, b) Ueber die durch Erweiterung 
der Pulmonararterie im Radiogramme entstehende Schattenform. — Dr. Holzknecht (Wien): 
Eine neue Dosirungsmethode in der Radiotherapie. — Dr. Strebei (Mönchen): Lieht- 
generatoren in der Lichttherapie. — Dr. Foveau de Cour mell es (Paris): a) Die Photo¬ 
therapie. b) Die Tubereulose und die physikalischen Agente. (Verschiedene Formen der 
Elektricität.) — Dr. Rögnier (Paris): a) Die medicinisehe Elektricität in der Unfallheilknnda. 
b) Radioskopie und Radiographie mittelst der statischen Maschine. — Dr. Walter (Ham¬ 
burg): Ueber Röntgen-Stereoskope. — Dessauer (Aschaffenbürg): Eine neue Röntgen-Röhre. 

— Dr. D’Arman (Venedig): Ueber die beete Abetufungsmethoue der Spulen in der Radio¬ 
graphie. — Espina y Capo (Madrid): Ueber klinische Negatoskopie. — Dr. Sudnik 
(Buenos Ayres): Die Entladung der Condensatoren in der Elektrodiagnostik. 


IV. Personalien. 

Herr Prof. Ho che (Strassburg) wurde zum ordentlichen Professor der Psyahiatrie an 
der Universität in Freiburg ernannt 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vut & Comp, in Leipzig. — Druck von Mnssozn & Wmro in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Heraosgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einnndzwanzigster " B * rilIV Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

19Ö2. 16. August Nr. 16. 


I. Originalmlttheilungen. 1. Papillenträgheit bei Accommodation und Convergenz, von 
Dr. Julius Strasburger. 2. Multiple Neuritis in Verbindung mit Basedow'scher Krankheit, 
▼on Dr. Theodor Oiller in Pittsburg. 8. Rückenmarkaveränderangen in einem Falle alter 
Unterarmamputation, von Dr. Ludwig Rosenberg. 4. Ueber den „Tract X“ in der untersten 
Cervicalgegend des Rückenmarks, von Dr. Purves Stewart. 5. lieber subcorticale Entstehung 
isolirter Muskelkrämpfe. Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Bemerkungen 
über den Verlauf der centralen Haubenbahn, von Dr. loset 8orgo. (Fortsetzung.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zur Kenntnis« des Plezns chorioideus des Menschen, 
von Jmamura. 2. Sui rapporti tra le cellule nervöse e le flbre amieliniche, pel Roncoronl. — 
Experimentelle Physiologie. 3. Ueber die Energetik (präparatorische Thitigkeit) der 
Ganglienzellen und ihre Bedeutung für die functionellen Nerven* und Geisteskrankheiten, 
von Adler. 4. Ueber die Unhaltbarkeit der Theorie der Hirublutleere im Schlafe, von Deutsch. 

5. The isolation of the active principle of the suprarenal gland, von Takamine. 6. Ueber 
den Einfluss des Cocains, der Durchschneidung des Nerven und mechanischer Reizung auf 
die Structur der Gandry’schen Körperchen, von Oasiorowski. 7. Das Problem des Gehens 
auf dem Wasser, von Sommer. 8. Ueber chemische Aenderungen der Musculatur bei der 
Entartungareaction, von Rumpf und Schimm. — Pathologische Anatomie. 9. A lecture 
on abiotrophy, von Gowers. 10. Le alterazioni del sistema gangliaro sympatico nella pazzia 
pellagrosa, del Brugia. — Psychologie. 11. Die normalen Schwankungen der Seelen- *' 
tbätigkeiten, von Flnzl. 12. Zur Phsychologie der Aussage, von Stern. 18. Die Laune, von 
Jentzch. 14. Die Freiheit des Willens vom Standpunkte der Psychopathologie, von Hoche. — 
Pathologie des Nervensystems. 15. Bemerkungen zur klinischen Beobachtung der 
Haut* und Sehnenrefiexe der unteren Körperhälfte, von Schosnbom. 16. A contribution to 
the dinical significancc of absence of the tendo-acbilles jerk, by Bramwell. 17. Beitrag zur 
Aetiologie der Dupuytren’schen Fingercontractur, von Neuda. 18. Ein Fall von Erb’scher 
Lähmung, von Paliski. 19. Ueber intermittirendes Hinken — Claudication intermittente 
(Charcot) — als Symptom von Aiteriosklerose, von Hagels*am. 20. Ein Fall von Claudi¬ 
cation intermittente, von Paliski. 21. Des polynövrites, von Pcrrln. 22. Neuritis acuta uni* 
versalis ascendens (Landry's Paralyse), von Thomson. 28. Zur Lehre vom Anfangsstadinm 
der Polyneuritis, von Popow. 24. Ein Fall von Polyneuritis der Gehirnnerven, von Rudingor. 

25. Ein Fall von Polynenritis oder Poliomyelitis anterior subacuta adultorum, von PafokL 

26. Ein Fall von Polynenritis peripherica als Folgezustand von Typhus abdominalis, von 
Fischer. 27. Ein Fall von postpuerpeialer Entzündung der nervösen Pleins der oberen und 
unteren Extremitäten, von Pulawski. 28. Polynlvrite toiique professionelle, par Soupault et 
Francais. 29. Beechäitignngsnenritis im Gebiet des Plexns brachiaiia, von Hoaftmayr. 80. Rüoken- 
marksveränderungen bei Polynenritis, von Kramer. 81. Ueber einen Fall von polyneuritischer 
Psychose („Korsakow'scher“ Psychose) mit eigenthümlicbem Verhalten der Sehnenrefiexe, 
von Westphal. 82. Ein Fall von progressiver neuritischer Atrophie mit Exacerbationen im 
Frühling, von Goldenberg. 38. Ein Fall von acuter Landry’scher Spinalparalyse bei einem 
Kinde von 7 Jahren, von Marcuse. 34. Uebtr einen Fall von Landry’scner Paralyse nach 
Keuchhusten, von Hagedorn. 35. Ijandry’scbe Paralyse in acutester Form, von Gossner. 
36. Die Pellagra, von Sion. 37. Zur Histologie des myotonisch-hvpertrophischen Muskels 
der Tbomsen’scben Krankheit (Myotonia congenita), von Koch. 88. Thomsen’sche Krankheit, 
von Nartowski. 89. Einige Bemerkungen über die* Thomsen’sche Krankheit, von Rzetkowski. 
40. Beiträge zur Thomsen'schen Krankheit, von Mahler. 41. La maladie de Tbomsen, par 
Bauer. — Psychiatrie. 42. Prognosi delle psiconeurosi e delle parafrenie con prevalente 

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alteratione del tono emotivo, pel Roncoroni. 48 . Bericht über die Wirksamkeit der psychia¬ 
trischen Universitätsklinik in Tübingen, von Riemerling. 44. Ueber Spiritismus und Geistes¬ 
störung, von Henneberg. 45. Zur Frage nach der Bedeutung der Remissionen im Verläufe 
einzelner Formen von acuten Psychosen, von Fuch«. 46. Ueber Entstehung der Katatonie, 
von Plsujatschewiki. 47. Zur Paranoiafrage, von Tiling. 

III. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte za Moskau. 

IV. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. Mai bis SO. Juni 1902. 

V. Vermischtes. 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad 
vom 21.—27. September 1902. 


I. Originalmittheilungen. 


[Aus der medicinischen Klinik zu Bonn (Director Geheimrath Schultze).] 

1. Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz. 

Von Dr. Julius Straßburger, 

Privatdocent, Assistenzarzt der Poliklinik. 

Das Studium feinerer Veränderungen der Pupillenreaction zeigt uns immer 
mehr, in wie mannigfacher und complicirter Art Functionsstörungen der Iris 
auftreten können. Es wird dies namentlich durch die kürzlich veröffentlichten 
Beobachtungen von Piltz 1 illustrirt. 

Wir hatten in der medicinischen Klinik zu Bonn unlängst Gelegenheit, 
einen jungen Mann zu behandeln, der folgende eigenartige Pupillenanomalie 
anfweist: Während die rechte Pupille auf Lichteinfall, direct wie consensuell, 
und auch im Uebrigen normal reagirt, ist die linke Pupille für beide Arten der 
Belichtung vollkommen starr. Die Verengerung bei Convergenz und Accommo¬ 
dation und die nachfolgende Erweiterung verläuft links recht ausgiebig, ist aber 
auffallend träge. Besonders gilt letzteres für die Erweiterung. Genaue Messungen 
zeigen, dass zur Verengerung durchschnittlich vier Secunden nöthig sind, gegen 
höchstens zwei Seounden auf der gesunden Seite. Zur Erweiterung, die etwas 
ruckweise eintritt, braucht die erkrankte Pupille 10—15—20 Secunden, die des 
anderen Auges nur 2—3 Secunden. Nach häufiger wiederholten Accommodations- 
anstrengungen scheint der Ablauf der Reaction etwas schneller zu erfolgen. Bei 
der Erweiterung bemerkt man öfters, dass die linke Pupille zunächst etwas 
grösser wird als vorher, um sich bald darauf wieder entsprechend zu verengern. 
Auch die Formveränderungen der Linse bei Accommodation scheinen langsamer 
als normal zu verlaufen: Lässt man ein nahe gelegenes Object fixiren und dann 
in die Ferne sehen, so dauert es einige Zeit, bis die Gegenstände deutlich 
erkannt werden können. Eine Untersuchung der Pupillengrösse nach den Vor¬ 
schriften von Schibmbb* ergiebt bei Oeffnung beider Augen rechts 2 s / 4 mm, 
links 5 mm. Bei monoculärer Prüfung, nach 2 Minuten langer Adaption vor 
einem hellen Fenster, findet sich dasselbe Resultat. 

Im Uebrigen ist die Krankengeschichte des jungen Mannes in Kürze folgende: 
Joh. Sch., 17 Jahre alt, wurde am 3./IIL 1902 in die Klinik anfgenommen. 
Sein Vater nahm sich vor einigen Jahren in einem Anfall von Melancholie das 


1 S. besonders Nearolog. Centralbl. 1900. S. 484. 
* Deutsche med. Wochenschr. 1902. S. 218. 


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Leben. Sonst findet sich hereditär nichts Abnormes; keine Aborte. Der Patient 
soll als Kind nioht krank gewesen sein. Vor 8 Jahren wurde verschiedene Grösse 
der Pupillen bemerkt. Vor 4 Jahren stellte sich ein leichter Anfall von Rippen- 
entzündung ein. Seit dieser Zeit wird Sch. durch Zittern des rechten Armes 
beim Schreiben gehindert, in letzter Zeit aber nur noch wenig. Seit 3 Jahren 
fühlt Pat. nach 1 / a —®/ 4 ständigem Marschieren Ermüdung im rechten Bein, in 
der letzten Zeit schon nach wenige Minuten langem Gehen. Dabei treten zeit¬ 
weise Wadenschmerzen auf. Auf der rechten Stirnseite soll die Empfindung 
zeitweise herabgesetzt gewesen sein. 

Die Untersuchung ergiebt: Gesundes Aussehen, guter Ernährungszustand. 
Die Cervicaldrüsen links sind etwas vergrössert, die inneren Organe ohne Besonder¬ 
heit. Zeichen von Lues lassen sich nicht auffinden. Der rechte Patellarreflex 
ist etwas gesteigert. Man sieht bei Prüfung des Plantarreflexes rechts deutliche 
Dorsalflexion, links Plantarflexion der grossen Zehen. Links findet sich ferner ein 
Ulnareflex. Die übrigen Reflexe haben mittlere Stärke. Die Prüfung der groben 
Muskelkraft, bei Bettlage des Untersuchten, ergiebt nichts abweichendes. Keine 
Spasmen und Sensibilitätsstorungen. Ausser der beschriebenen Pupillenanomalie 
zeigt die Augenuntersuchung links mässigen Astigmatismus mit etwas Amblyopie. 
Der Fundus erscheint normal. Beim Bliok nach links findet sich Nystagmus. 
Links ist ein deutliches Facialisphänomen auszulösen. — Der Pat. erhält pro die 
iv a g Jodkali und wird am 10./IV. 1902 aus der Klinik entlassen. Sein Zustand 
ist im Wesentlichen unverändert. Am 2./VH. 1902 findet sich Gelegenheit ihn 
wieder zu untersuchen. Er giebt an, sein Gang sei etwas besser geworden. Der 
objective Befund ist aber, bis auf Fehlen des Facialisphänomens, der gleiche wie 
früher. Ausserdem bemerkt man einen mässigen Intentionstremor der Hände, 
namentlich rechts. Auch etwas Nystagmus ist wieder zu finden, diesmal in beiden 
Blickrichtungen. 

Der Befund an den Pupillen legt es zunächst nahe an Lues zu denken. 
Es fehlen aber alle übrigen Symptome dieses Leidens; auch die Anamnese giebt 
uns keinen Anhalt und durch Jodkalium konnte keine Besserung objectiver 
Art erzielt werden. Mit grösserer Wahrscheinlichkeit dürfte es sich um be¬ 
ginnende multiple Sklerose handeln. Dafür spricht die Steigerung einiger 
Sehnenreflexe, der leichte Grad von Nystagmus, der nach 5 Monaten deutlicher 
geworden war, und der, wenn auch geringe, Intentionstremor. Veränderungen 
der Pupillen können bekanntlich auch bei multipler Sklerose gefunden werden 
und sprechen nicht gegen diese Diagnose. 

Was das merkwürdige Verhalten der Pupillen betrifft, so scheint W. König 1 
etwas ähnliches bei einem idiotischen, wahrscheinlich syphilitischen Kinde be¬ 
obachtet zu haben. Auch hier bestand Starre einer Pupille auf Lichteinfall und 
Trägheit der Convergenzreaction. 

In der übrigen Litteratur konnte ich analoge Beschreibungen nicht auffinden. 

Auffallend ist die grosse Trägheit der Verengerung und Erweiterung, bei 
nnd nach Convergenz-Accommodation, trotz ausgiebiger Veränderung in der Grösse 
der Pupille. In der Regel, wenigstens gilt dies für die Lichtreaction, gehen 
Trägheit und geringe Ausgiebigkeit Hand in Hand. Man findet daher in der 
Litteratur häufig bloss die Bezeichnung: „die Pupille reagirt träge“ und ver- 


1 Journal of Mental Science. 1900. Juli. (Das Original stand mir nicht zur Ver¬ 
fügung.) Ref. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 871. 


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misst eine gesonderte Betrachtung der beiden Componenten, der Schnelligkeit 
und des Grades der Form Veränderung. — Betrachtungen Aber den anatomischen 
Sitz der zugrundeliegenden Störungen dürften zur Zeit noch zu keinem Ziele 
führen. Nur soviel lässt sich, gestützt auf die Untersuchung der Popillengrösse 
nach Schlrmeb und das Bestehen einseitiger reflectorischer Starre, sagen, dass 
die centripetale Bahn für den Pupillarreflex nicht erkrankt sein kann. 

Ein ähnliches Papillenphänomen konnte in der Klinik noch bei zwei here¬ 
ditär luetischen Kindern beobachtet werden, allerdings in weniger ausgesprochener 
Weise. Es musste aufgesucht werden, während es bei dem eben geschilderten 
Falle ohne weiteres in die Augen fiel. Ich begnüge mich deshalb mit einer 
kurzen Zusammenfassung des Thatbestandes: 

1. Bei einem 9jährigen Knaben, Jos. W., ist die rechte Pupille lichtstarr, 
die linke reagirt direct und oonsensuelL Bei Convergenz und Accommodation 
zeigt die starre Pupille fast keine Veränderung. Bei der anderen ist die Reaction 
ausgiebig, aber die Erweiterung erfolgt nur langsam. Die Trägheit bei der Er¬ 
weiterung betrifft also die im übrigen normale Pupille; im vorigen Falle war 
es umgekehrt. Bei binocularer Beleuchtung hat die rechte Papille einen Durch¬ 
messer von 7, die linke von 3 1 / J mm. Bei monocularer Beleuchtung und zwei 
Minuten langer Adaption ist die rechte Papille 7, die linke 5 mm weit 

2. Bei einem 16jährigen, infantil entwickelten Mädchen, Anna D., sind 
beide Papillen lichtstarr. Die Convergenz-Acoommodations-Reaction fehlt links. 
Rechts ist sie deutlich vorhanden. Die Erweiterung erfolgt dabei langsam und 
die eine Pupille wird zunächst etwas grösser als die andere, was sich bald wieder 
ausgleicht Die Pupillenweite beträgt binocular beiderseits 5 mm, monocular 
links 5 1 /,, rechts 6 mm. 

In diesen Fällen darf wohl, auf Grund der verschiedenen Pupillengrössen, 
bei Belichtung nur eines Auges, angenommen werden, dass leichte Veränderungen 
auch in dem centripetalen Theil des Reflexbogens bestehen müssen. Der Augen¬ 
hintergrund erwies sich bei beiden als normal. 

Herrn Geheimrath Schültze spreche ich für die gütige Erlaubniss zur 
Veröffentlichung dieser Fälle meinen herzlichsten Dank aus. 


2. Multiple Neuritis 

in Verbindung mit Basedowscher Krankheit. 1 

Von Dr. Theodor DUler, Pittsburg, U. S. A. 

Der Fall betrifft eine 46 Jahre alte Frau. Sie war 8 Jahre verheiratet, 
aber ohne Kinder. Sie hat nie eine Fehlgeburt gehabt Familien- und frühere 
Geschichte an Patientin ist ohne Sonderheit Potus, Lues, infectiöse Krankheiten 
und Vergiftungen sind ausgeschlossen. 


1 Vorlesung in Pittsbnrg Academy of Medieine am 28. Oetober 1901. 


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Seit Mitte Juni ist sie nervös, aufgeregt, erregbar, reizbar, befürchtet, dass 
irgend ein Uebel sie treffen würde. Puls 130, Temperatur normal Wegen 
dieser Symptome oonsultirte sie einen Arzt (25. Juni). Während der nächsten 
Woche blieb ihr Zustand unverändert 

Anfangs Juli zeigte sich ein Zittern der Hände und merkbarer Exophthal¬ 
mus. Zu gleicher Zeit trat Erbrechen auf und hielt fortwährend an bis zu ihrem 
Tode. Nur kleine Quantitäten Wasser und Champagner verblieben im Magen. 

Während dieser Zeit wurde die Nahrung durob das Rectum zugeführt Nach 
10 tägiger Anwendung wurde die Nahrung nicht mehr beibehalten. Trotzdem 
fühlte sie nie Hunger. Bettlägerig wurde sie anfangs Juli und dann wurde 
die Diagnose Morbus Basedowii festgestellt von Dr. Naugheb, dieselbe basirte 
auf dem schnellen Pulsschlag, Zittern, Exophthalmus und den neurosthenischen 
Symptomen. Die Schilddrüse war sowohl zu dieser Zeit wie später vergrössert. 
Der Exophthalmus, obgleich nicht klar ausgesprochen, war dennoch vorhanden, 
etwas mehr auf dem einen Auge wie auf dem anderen und blieb unveränderlich. 
Das Zittern aber entwickelte sich mehr und mehr. 

Nach der ersten Woche des Monats Juli war ein geringes Fieber eingetreten, 
abwechselnd zwischen 99° und 101° F. Es erreichte nie über 101° F. bis 
3 Tage vor dem Tode, dann stieg es auf 103° F. 

Der Puls wechselte bis zum Tode zwischen 120 und 150, meistens 130 bis 
140 Schlägen. Am 25. August entwickelten sioh Schmerzen im ganzen Körper 
und zur selben Zeit Illusionen und halluoinatorische Verwirrtheit. 

Die Schmerzen nahmen von Tag zu Tag zu und verschlimmerten sioh 
durch Druck selbst bei der zartesten Berührung eines Gliedes. Hand in Hand 
mit den wachsenden Schmerzen und der Empfindlichkeit stellten sich Muskel¬ 
schwund und Kraftabnahme in den Muskeln der Glieder und des Rumpfes ein 
und entwickelten sich bis zu einem hohen Grade. 

Die psychischen Symptome entwickelten sich in gleichem Schritte mit den 
körperlichen. Z. B. hatte sie die Einbildung, dass sie nicht in ihrem eigenen 
Hause sei; Verstorbene hielt sie für lebend; sie glaubte, dass gewisse Personen 
sie besuchten, was in Wirklichkeit nicht der Fall war; wähnte sich im Sarge 
liegend, meinte, dass tote Sprösslinge in ihrem Bett sich befinden u. s. w. 
Keine Hallucinationen von Seiten des Gehörs, Geschmacks und Geruchs. 

Ich sah die Patientin mit Dr. Naugheb am 7. September und fand sie 
sehr schwach. Sie beantwortete einfache Fragen beständig, aber war sehr reiz¬ 
bar. Nur wurde ihre Aufmerksamkeit mit Schwierigkeit erreicht Schwäche, 
Empfindlichkeit und Muskelschwund waren vorhanden. Kniepbänomen ge¬ 
steigert Geringer, doch ausgesprochener Exophthalmus, auf einem Auge mehr 
wie auf dem anderen. Ausgeprochenes Zittern. Puls 140, Temperatur 99° F. 
Ich sah die Patientin eine Woche später. Die Schwäche hat überhand ge¬ 
nommen. Urin und Stuhlgang während der ganzen Krankheit normal. 

Einige Wochen vor dem Tode wurde eine kupferbraune Gesiohtsfarbe 
sichtbar, ähnlich deijenigen bei schwangeren Frauen. 3 Tage vor dem Tode 
trat Bewusstlosigkeit (Coma) ein. Die Autopsie wurde verweigert. 


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Epiferise: Die rasche Entwickelung der Symptome weisen meines Er¬ 
achtens auf die Wirkung eines tätlichen Toxins hin. Dass dies Gift von der 
Glandula thyreoidea secemirt wurde, halte ich für äusserst möglich und zwar 
in Anbetracht des früheren gesunden Zustandes der Patientin und der That- 
sache, dass Alkohol, Lues, Blei, Diphtherie u. s. w. als sicher ausgeschlossen 
betrachtet werden müssen. Wenn diese Erklärung als zutreffend angenommen 
werden darf, so haben wir einen sicheren Beweis für die Richtigkeit der Theorie, 
dass die gestörte Secretion der Glandula thyreoidea die Ursache der Basedow* - 
sehen Krankheit ist, ausserdem ist erwiesen, dass sie multiple Neuritis ver¬ 
ursachen kann. Dass der hier beschriebene Fall ein Fall von BASEDOw’scher 
Krankheit complicirt durch multiple Neuritis war, kann meiner Meinung nach 
kaum bezweifelt werden. 

Für die gefällige Unterstützung bei dieser Arbeit bin ich Ern. Dr. S. Naugheb 
zu Dank verpflichtet 

i - 

[Aus der neurologischen Abtheilung des Dr. SsNOKSNBBBo’schen Instituts in Frankfurt a/M.] 

(Prof. Dr. L. Edihqer.)] 

3. Rückenmark8veränderungen in einem Falle alter 
U nterarmampntation. 

Von Dr. Ludwig Bosenberg. 

Die meisten Untersuchungen über die Localisation von Veränderungen im 
Rückenmark nach Amputation der oberen Extremität gehören der Zeit an, wo 
man noch keine genügende Methodik für das Studium der Zellveränderungen 
hatte. Aus neuerer Zeit liegen mit besonderer Berücksichtigung der Zell¬ 
veränderungen zwar mehrere Arbeiten über Lumbalmarkveränderungen nach 
Beinamputationen vor, aber nur ganz wenige, welche sich mit den Veränderungen 
nach Wegnahme der oberen Extremität befassen. Es scheint deshalb nicht 
überflüssig, hier kurz die Ergebnisse zu schildern, welche die Durcharbeitung 
eines Rückenmarks gegeben hat, das von einer 52jährigen Frau stammte, der 
vor 30 Jahren der linke Arm handbreit oberhalb des Ellbogengelenkes amputiert 
worden war. Bei dieser Amputation fallen im wesentlichen die Unterarm- und 
Handmuskeln aus, während die Oberarmmuskeln in ihrer Hauptmasse erhalten 
bleiben. Man wird also vermuthen dürfen, dass nur die Nervenzellen für die 
Unterarm- und Handmuskeln unter dem Einfluss der Wegnahme gestanden 
haben. 

Die bisherigen Erfahrungen gestatten bereits eine bestimmte Localisation 
dieser Muskelnervenkerne sowohl nach Segmenthöhe als nach Zellgruppen. 
Immerhin bestehen zwischen den Angaben der einzelnen Autoren noch gewisse 
Differenzen. 

Am besten übersieht man den heutigen Stand der Frage nach der Locali¬ 
sation dieser Muskeln und ihrer Nachbarn an der folgenden Tabelle, die ich 


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Glieder 


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Cerv. I. 


II 


III 


IV 


VI 


vn . vm ' Do«. 1 .1 n 


Ol. 


! Lange nnd kurze Muskeln des Naokens 
S p 1 e n i u s capitis Splenins 
Alle kleinen 1 ] 

Muskeln 
zwischen 
Schädel und 
Wirbelsäule 

Sternohy oideus 
Omohyoideus 
Thyreohyoideus 
Geniohyoideus 
Digastricus 

I Sternocleido- 
mastoideus 
T r a p e z i u 


Muskeln der Wirbelsäule 
c e r v i o i 8 i 


Diaphragma 
Levator scapulae 
I Rhomboidei 

Supra-infraspinatus 
i 1 Subscapularis 

i Teres inajor et mioor 
I Serratus anterior 
1 Deltoideus 
Brachialis 
Biceps bracnii 


r l c e p s 
i Coraoobrachialis 
Supinator brev. et 
long. 

ßracliioradialis 
Extensores carpi rad. 
Extensorespollicis| 

\ Extensores digitorum 
Extensores carpi ulnares 
Extensores indicis propr. 

Flexor carpi radialis 
1 Pronator teres | 

Flexorcs digitorum 
i Flexores pollicis 
! I Flexor carpi ulnaris 

I Muskeln des Kleinfinger- 
bailens 
Lumbricales 
Interossei 


Pectoralis minor 
ralis major 


c a 


j P c c t o 

Subcla vius 

I | |Sealenns minimus 

l * Scalenus posterior 

Scalenus anterior | j 

ienus medius 


Longus capitis 


Longus colli 


Tabelle der Loealisation Im Halsmark nach Edlnger. 


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Herrn Prof. Edingeb verdanke. Er hat sie unter kritischer Benutzung und 
Synthese der bisherigen Befunde ausgearbeitet. Benutzt für diese Tabelle sind: 
1. die älteren in der bekannten Tabelle Stabe-Edingeb bereits verwerteten 
Erfahrungen, 2. das Buch von Wichmann, 3. die Arbeiten von Bbüns, Saho, 
Stbohmayeb, Stewabd and Tubneb, Babbatt. 

Man erkennt, dass bei einer Amputation, wie sio mir vorlag, ein Zellausfall 
in der Höhe der Segmente Cerv. VI bis Dors. I zu erwarten wäre. 

Unser Rückenmark bot äusserlich keine sicheren Abweichungen von der 
Norm. Nach Härtung in Alkohol worden sorgfältige Theilungen nach Segment¬ 
höhen gemacht und jeder der so erhaltenen Blöcke wieder in ein caudales und 
ein frontales Stück abgetheilt. Diese wurden dann in Serien geschnitten. Im 




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Fig. 1. Qaerschnitt aas dem caadalen Theil des VII. Cervioalsegmentes. 


wesentlichen kam die NissL’sche Zellfärbung in der LenhossEk 'sehen Modi- 
fication (Toluidinblau) zur Anwendung. Aber es wurden auch aus allen Höhen 
nach genügender Beizung der Schnitte Weig ebt ’sche Markscheidenpräparate 
hergestellt. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt sich in der Segmenthöhe 
Cerv. VI bis Dora. I eine leichte Verschmälerung der linken Rüekenmarks- 
hälfte, welche die graue sowohl wie die weisse Substanz betrifft Unser 
Fall ist nicht geeignet, die Frage nach der Ursache dieser diffusen Atrophie zu 
fordern, welche auch in vielen älteren Fällen beobachtet worden ist; so von 
Edingeb in einem Falle von intrauteriner Amputation, ferner von Hayem- 
Gilbebt, Dbesohfeld, Kbause, Fbiedländeb, HomEn, Bignani, Guanebi, 
Mabine8CO u. A. Denn das vorliegende Rückenmark zeigte in Folge multipler 
apoplektischer Hirnherde aus den letzten Lebensjahren sowohl rechts wie links 
Pyramidendegeneration; links war sie stärker. 

Sicher sind auf der amputirten Seite Vorder- und Hinterhorn der grauen 
Substanz etwas kleiner im Querschnitt als rechts. Mit der Nissn-Methode lassen 


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sich aber Zelldefecte nur im Vorderhorn feststellen. Es sind Verkleinerung und 
Verminderung der multipolaren Ganglienzellen. 

Im Cerv. V sind noch keine Differenzen zwischen rechts und links nach¬ 
weisbar. Erst im VI. Cenricalsegmente treten solche auf. Sie sind hier gleich 
ntensiv wie auch im VII. Fig. 1, welche aus dem caudalen Theil des VII. Cer- 
vicalsegmentes stammt, lässt ventral eine antero-interne, eine antero-mediale, 
eine antero-externe und eine externe Zellgruppe erkennen. Die antero-externe 
Zellgruppe ist atrophirt Die drei dünnen Zellrestchen contrastiren stark mit 
den fünf entsprechenden Zellen der rechten Seite, von denen zwei besonders gut 
ausgeprägt sind. Auch die Atrophie des Hinterhorns ist deutlich. 





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Fig. 2. Querschnitt aas dem caudalen Theil des VIII. Cervicalsegmeqtes. 


Weiter caudal, im Cerv. VIII und Dors. I, ändert sich das Querschnitts¬ 
bild dadurch, dass die antero-mediale Zellgruppe verschwindet. Wir unterscheiden 
auf Fig. 2 (Cerv. VIII, caudal) nur eine antero-interne, antero-externe und eine 
externe Gruppe. An der Stelle der antero-externeu Gruppe sieht man links eine 
Lücke. Nur zwei kleine Zellen ohne Fortsätze sind die spärlichen Ueberbleibsel 
der Gruppe, die rechts durch sieben Zellen repräsentirt wird. Fünf von diesen 
sind schöne typische multipolare Ganglienzellen. Das ganze Vorderhorn ist im 
Querdurchmesser verschmälert. Auch das linke Hinterhorn kleiner als das 
anderseitige. 

Das frontale Stück des ersten Dorsalsegmentes (Fig. 3) zeigt fast dasselbe 
Bild. Rechts besteht die antero-externe Gruppe aus zehn Ganglienzellen; acht 
davon sind gross und haben deutliche Fortsätze. Links sieht man nur drei 
motorische Zelleu, sie sind klein und zeigen nicht die charakteristischen Aus¬ 
läufer. Der quere Durchmesser durch das Vorderhorn ist links kleiner als 
rechts. Die Veränderungen des Hinterhorns sind nicht deutlich. 

Der caudale Theil von Dors. I weist keine deutlichen Unterschiede zwischen 


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rechts und links mehr auf. Weiter caudal, also im Dors. II, sind absolut keine 
Veränderungen mehr zu finden. 

Die Localisation der U nterarm- und Handmusculatur von Cerv. VI 
bis Dors.1 stimmt mit der neuesten EDiNGEB’scben Tabelle sowie mit der von 
Brüns überein. Stewabd und Türner fangen auch mit Cerv. VI an. In 
Cerv. VII und VIII stimmen wenigstens alle überein; ferner wird kein caudaleree 
Segment als Dora. I angegeben. Kocheb localisirt ein Segment tiefer (Cerv. VII 
bis Dors. I). Andere steigen höher: Babkatt bis Cerv. V, Flataü bis Cerv. IV, 
Obebsteinbb und Sano bis Cerv. III. Zu einem ähnlichen Resultat wie letztere 
kommen Monakow und Strohmayeb (Cerv. III bis VIII). 




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Fig. 8. Querschnitt ans dem frontalen Theil des 1. Dorsalsegments. 


Unser Fall zeigt deutliche Degeneration nur in der antero- 
externen Gruppe. Bei den neueren Untersuchern besteht noch keine Ueber- 
einstimmung hinsichtlich der Zellgruppe, welche die Hand- und Unterarm- 
musculatur versorgt Babbatt giebt die gleiche Gruppe an wie wir. Derselben 
Ansicht sind Sano und Obbbsteineb, wenn sie auch annehmen, dass die er¬ 
wähnte Gruppe nicht die einzige ist Grbgobiew erwähnt eine anteriore und 
eine externe Gruppe. Für letztere treten Monakow, Flataü und (wenn auch 
nicht ausschliessich) Stbohmaybr ein, während Haybm-Gilbert, Dreschfeld, 
Krause, Friedländeb, HomEn, Campbell für die poetero-laterale Gruppe 
plaidiren. Dejerinb-Mayor, welche die autero-interne Gruppe bezeichnen, 
stehen allein. 


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4. Ueber den „Tract X“ 

in der untersten Cervicalgegend des Rückenmarks. 

Von Dr. Purves Stewart, 

Asaistaut-Physician to the Westminster Hospital, London. 

Obgleich ich nicht die Absicht habe, die vorzügliche Arbeit des Herrn 
Prof. Spilles über einige aberrirende Pyramideufasern in der Brücke und dem 
verlängerten Mark herabzusetzen — besonders das von ihm als directen ventro- 
lateralen Pyramidenstrang beschriebene Bündel —, so möchte ich mir doch 
erlauben, einen Fehler in seiner neulich erschienenen Mittheilung 1 zu berichtigen, 
in der er über ein kleines Bündel: Tract X — welches ich beschrieben hatte* 
— berichtet 

Bei einem Falle von fast totaler Zerstörung des Rückenmarks in der Höhe 
der oberen Hälfte des 7. Cervicalsegments, hatte ich Gelegenheit, mittels der 
MABCHi-Methode die verschiedenen auf- und absteigenden Degenerationen zu 


A 


Fig.l. „AberrirendePyramidenbahn“ 
von Spilles im 1. CervioaUegment. 


Fig. 3. „Tract X“ von Pdbves Stewart 
im 8. Cervioalsegment. 

studiren. Unter den absteigenden Bahnen fand ich ein neues Bündel, von mir 
als „Tract X“ bezeichnet, welches in den Cervicalsegmenten 7 und 8 liegt und 
welches ins Dorsalmark nicht hinübergeht. Diese Bahn liegt ventral-ausseu von 
der gekreuzten Pyramidenbahn, von der sie durch einen bestimmten Zwischen- 

1 Nenrolog. Centralbl. 1902. S. 534. 

* Brain. 1901. 8. 222. 




Fig. 2. „Dreikantenbahn“ von Spillbb u. 
Bechtbbbw im 8. Cervicalsegment. 



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raum getrennt ist Ihre Stelle, am Rande des Marks, hängt mit der Spitze des 
Lateralhorns zusammen; in ihrer Form ähnelt sie etwas der schon von Helweo 
und von v. Bechterew beschriebenen „Dreikantenbahn“, doch liegt sie an ganz 
anderer Stelle: weit von der Mittellinie entfernt, anstatt zwischen den vorderen 
Wurzelfasern. (S. Fig. 1, 2, 3.) Die Helweg ’sohe Bahn ist ausserdem unter 
dem 3. Cervicalsegment nicht zu finden. 

Die SpiLiiER’sche Bahn wurde von ihm durch die Brücke und das ver¬ 
längerte Mark verfolgt, aber nur bis zum obersten Cervicalsegment gefunden. 
Ihr weiterer Verlauf bleibt noch unbekannt Mir scheint es also unzweckmässig, 
eine Bahn im 1. Cervicalsegment für identisch mit der von mir im 7. und 
8. Cervicalsegmente beschriebenen Bahn — Traot X — zu halten. Die Mög¬ 
lichkeit ist natürlich nicht absolut zu leugnen, doch fehlt bisher noch der 
Beweis. 


[Aus der III. med. Klinik (Hofrath v. Schböttbr) in Wien.] 

5. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. 
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬ 
merkungen über den Verlauf der centralen Hauben bahn. 

Von Dr. Josef Sorgo, 

Assistenten der Klinik. 

(Fortsetzung.) 

Klinische Diagnose nach Auftreten der tuberculösen Meningitis. 

Die Annahme einer multiplen Sklerose musste nun fallen gelassen werden, 
da angesichts dieser Complicationen die Präexistenz eines solitären Tuberkels 
sicher schien. Aus den eben erörterten Gründen war er irrthümlicherweise an 
die Basis cerebri localisirt worden. 

Die einzelnen Symptome: 

a) Die beiderseitige Ophthalmoplegie sowie die rechtsseitige Hemi¬ 
parese bedürfen keiner Erklärung, ebenso wie die sub finem vitae aufgetretenen 
Symptome der tuberculösen Meningitis. 

b) Totale Oculomotorius- und Trochlearislähmung bei nur relativ 
geringfügiger und später einsetzender gekreuzter Hemiparese (ge¬ 
kreuzt mit dem zuerst befallenen Oculomotorius). loh habe bereits erwähnt, 
dass mich das Missverhältniss zwischen der totalen beiderseitigen Ophthalmo¬ 
plegie und der nicht beträchtlichen Parese der Unken Körperhälfte veranlasste, 
nicht an einen vom rechten Grosshirnschenkel selbst ausgehenden Tumor zu 
denken. Bei dem Ausgangspunkte des Tumors (rechtes Vierhügelpaar) ist dieses 
Missverhältniss ohne Weiteres verständlich, indem der Tumor erst secundär, bei 
einer gewissen Grösse durch Druck auf den Hirnschenkelfuss zur Parese der 
Unken Körperhälfte führte. In diesem Sinne wird sich dieser Symptomcomplei 


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wohl auch in Zukunft diagnostisch verwerthen lassen: d. h. es würde eine 
totale, nnrmit Hemiparese verbundene beiderseitige Oculomotorius¬ 
lähmung entweder für einen basalen, am vorderen Brückenende ge¬ 
legenen, nicht vom Hirnschenkel ausgehenden, oder für einen dorsal- 
wärts vom Grosshirnschenkel, also in der Vierhügelregion, gelagerten 
Tumor sprechen. Bei gleichzeitiger beiderseitiger Trochlearis- 
lähmung wäre die letztere Localisation wohl die weitaus wahrschein¬ 
lichere. 

c) Berücksichtigung verdient das constante Fehlen allgemeiner Tumor¬ 
symptome. 

Trotz der fast ein Jahr dauernden Erkrankung und trotzdem der Tumor 
den Aquaeductus Sylvii verschlossen hatte, und, wie die Autopsie lehrte, ein 
Hydrocepbalus internus, eine Erweiterung des 8. Ventrikels und der Seiten¬ 
ventrikel erzeugt hatte, war niemals auch nur andeutungsweise Kopfschmerz, 
Schwindel oder Erbrechen aufgetreten und fehlte die Stauungspapille constant, 
ebenso wie die Pulsverlangsamnng. Es war dies, wie erwähnt, ein Grand, eher 
eine multiple Sklerose als einen Tumor anzunehmen. Dass die Stauungspapille bei 
Vierhügeltumoren nicht gar so selten fehlt, ist bekannt, dass aber bei vollkommener 
Verlagerang des Aquaeductus und Ausbildung eines chronischen Hydrooephalos 
internus auch alle anderen allgemeinen Tumorsymptome dauernd vermisst 
werden können, kann wohl nur in besonderen individuellen Verhältnissen be¬ 
gründet sein. Es ist richtig, dass in neuerer Zeit die Beobachtungen über 
Symptom los verlaufende Hirntumoren gegen früher abgenommen haben, da 
heute der Gebrauch des Augenspiegels auch allgemeiner geworden ist und die 
meisten der früher beschriebenen derartigen Fälle an Anamenese und Be¬ 
obachtung zu wünschen übrig liessen (Bbüms). Um so werthvoller ist ein Fall 
wie der vorliegende, der einen Patienten betrifft, der kurz nach Beginn der 
ersten Symptome bis zu seinem Tode in ununterbrochener klinischer Beobachtung 
stand. In einem von Oedt mitgetheilten Falle, ein 8 1 / 2 jähriges Kind betreffend, 
fehlten die Allgemeinsymptome des Tumors ebenfalls. Es handelte sich um 
einen Tuberkel, der von der Mitte des vorderen Vierhügel bis in die Höhe des 
Facialiskernes reichte. Die Erweiterung der Ventrikel war minimal, die Flüssig¬ 
keit konnte also, wie Verf. meint, nach dem 4. Ventrikel hin abfliessen. 

In meinem Falle muss angenommen werden, dass trotz vollständiger Ver¬ 
legung des Aquaeductus Sylvii die in den Ventrikeln sich ansammelnde Flüssig¬ 
keit Abflusswege fand durch die Plexus chorioidei, und dass einerseits die mit 
zunehmender Verlegung des Aquaeductus sich einstellende Flüssigkeitszunahme 
sich aus diesem Grande in gewissen Grenzen hielt, andererseits eine Gewöhnung 
an den sich langsam einstellenden relativ massigen Ventrikelhydrops eintrat. 

Bei Tuberkeln wird, vorausgesetzt dass keine Compression der Plexus chor. 
oder der V. Galeni eintritt, auch der Hydrocephalus externus ausbleiben können, 
da der Tuberkel jedenfalls eine viel geringere Zunahme des Schädelinhaltes 
bedeutet als ein echtes Neoplasma von gleicher Grösse. Der Fall würde lehren, 
dass blosse Verlegung des Aquaeductus Sylvii ohne gleichzeitige Compression 


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der venösen Abflusswege zwar anatomisch einen Hydrops ventriculorum erzeugen, 
dieser aber klinisch latent verlaufen kann bei langsam wachsenden, eine nur 
massige Zunahme des Schädelinneren bewirkenden Tumorbildungen (Tuberkel, 
infiltrirende Tumoren). 

Ob die Abblassung der rechten Papille, die Einschränkung des 
Gesichtsfeldes mit besonderer Betheiligung der rechtsseitigen Hälften desselben 
auf Schädigung in der Nähe des Tumors gelegener Faserzöge der Sehbahn oder 
auf einer Compression des Tractus durch Vorbauchung des 3. Ventrikels beruhte, 
lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Die rechtsseitige vermehrte Ein¬ 
schränkung des Gesichtsfeldes erklärt sich unter beiden Annahmen. Hingegen 
spricht die Verengerung der Gefässe der rechten Papille für eine basale Com- 
pression. Es ist dies nach Oppenheim bei Vierhügeltumoren die gewöhnliche 
Ursache der Sehnervenaffection und hielt dieser Autor die Annahme einer 
Schädigung benachbarter Sehbahufasera wohl für möglich, aber noch durch 
keinen bisher mitgetheilten Fall bewiesen. 

d) Die Temperatursteigerung. Nicht so selten kommen bei Hirntumoren 
Temperatursteigerungen zur Beobachtung, welche mitunter eine beträchtliche Höhe 
erreichen, bis 39° und darüber. So sah, um nur einige neuere Fälle zu erwähnen, 
Mingazzini bei einem solitären Tuberkel des vorderen Hornes des rechten Seiten¬ 
ventrikels und rechten Corpus striatum einige Tage vor dem Tode hohes Fieber 
auftreten, und Spitzer theilt zunehmendes Fieber bei einem Tuberkel am Boden 
der Rautengrube mit. Die Temperatur stieg bis 39,4. Bei einem Falle von Vier¬ 
hügeltuberkel beobachtete Brüns neben vasomotorischen Erscheinungen Fieber ohne 
sonstigen Befund. Es handelt sich bei mit Fieber verlaufenden Hirntumoren meist 
um Tuberkel, ohne dass eine complicirende tuberculöse Meningitis vorhanden zu 
sein braucht, so dass sich, wenn andere Ursachen für das Fieber ausgeschlossen 
werden können und im Uebrigen die Diagnose eines Tumor cerebri sicher steht, 
das Fieber mit einiger Wahrscheinlichkeit für die specielle Diagnose eines 
Hirntuberkels verwenden lassen dürfte. Es fragt sich nun, auf welche Weise 
kommen diese Fieberstöruugen zu Stande und wie erklären sich im Besonderen 
die in meinem Falle aufgetretenen Temperaturdifferenzen zwischen rechts 
und links? 

In ersterer Hinsicht liegen drei Möglichkeiten vor, zwischen denen die 
Entscheidung zu treffen wohl nur unter bestimmten, gleich zu erwähnenden Um¬ 
ständen möglich sein dürfte. Es könnte sich um ein toxisches Fieber handeln 
(solitäre Tuberkel, complicirende tuberculöse Meningitis) oder um eine centrale 
Störung der Wärmeregulirung oder endlich um vasomotorische Veränderungen, 
welche central ausgelöst, an der Stelle der Temperaturmessung in Folge einer 
Vasodilatation zu einer Erhöhung der Körpertemperatur führen. Letzteren 
Einfluss wird man da anzunehmen berechtigt sein, wo die Temperaturerhöhung 
sich auf eine Körperhälfte oder einen umschriebenen Theil des Körpere be¬ 
schränkt Schon für die blosse Hand wahrnehmbare Erhöhungen der Temperatur 
paretischer oder paralytischer Extremitäten bei cerebralen Lähmungen sind ja 
etwas ganz Gewöhnliches und man würde in solchen Fällen bei regelmäsig 


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links und rechts vorgenommenen Temperaturmessungen constante Temperatur¬ 
differenzen der beiden Körperhälften finden müssen. Wärmere paretische Glieder 
erscheinen häufig auch stärker geröthet und fühlen sich trockener an als die 
gesunden. Infectiös- toxische Einflüsse oder centrale Störungen der Wärme- 
regulirung sind in solchen Fällen als Ursache der Temperaturerhöhung natürlich 
ausgeschlossen, da sic{i der Einfluss dieser Momente auf die Körperwärme, 
sofern sie allein wirksam sind, auf den ganzen Körper gleichmässig erstrecken 
müsste. 

Es wird sich daher empfehlen, bei Auftreten von Temperatur¬ 
steigerungen, denen ja mitunter eine grosse diagnostische Bedeutung 
zukommt (Abscess), immerauch die Temperatur der anderen Körper¬ 
hälfte zu messen, um einen vasomotorischen Einfluss als Ursaohe 
der Erhöhung der Körperwärme auszuschlies'sen oder nachzuweisen. 

Bei unserem Patienten war vom l.Febr. an eine deutliche Fiebersteigerung 
und vom 4. Februar an constante Temperaturdifferenz zwischen rechts und links 
vorhanden (s. Tabelle). Vorher war leider auf eine eventuelle Temperaturdiffenz 



zwischen links und rechts nicht geachtet worden, und die bis dahin an der 
reohten, nicht paretischen Körperhälfte vorgenommenen Messungen ergaben bis 
zum 1. Februar immer normale Temperaturen. Es kann aber trotzdem wohl kaum 
einem Zweifel unterliegen, dass an diesem Verhalten der Körperwärme zwei 
ganz bestimmte Elemente mitgewirkt haben müssen, einerseits die sich ent¬ 
wickelnde tuberculöse Meningitis, welche 8 Tage nach Beginn des Fiebers 
auch klinisch manifest wurde, und andererseits vasomotorische Einflüsse, welche 
an der linken paretischen Körperhälfte in Folge Erweiterung der Gefassbahnen 
und dadurch bewirkten vermehrten Zufluss des Blutes noch eine weitere ein- 


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seitige Steigerung der Temperatur hervorrufen mussten. Würde vor Auftreten 
der allgemeinen Temperaturerhöhung beiderseitig gemessen worden sein, so 
würden wahrscheinlich schon viel früher links Temperatursteigerungen gegenüber 
der rechten Körperhälfte sich haben nachweisen lassen. 

Auffallend bleibt immerhin, dass diese Temperaturdifferenzen mitunter 
bis 2,1° betrugen, derart, dass beispielsweise die Temperatur reohts normal 
war, links 39,1° betrüg, woraus folgen würde, dass diese enorme Wärme¬ 
zunahme der linken Körperhälfte lediglich durch vasomotorische Einflüsse be¬ 
dingt gewesen sei Es wird Aufgabe weiterer Prüfungen sein, festzustellen, bis 
zu welchen Werthen eine lediglich durch Aendemngen des Galibers der kleinen 
Gefasse und der daduroh bewirkten erhöhten Blutfülle der Haut und des Unter¬ 
hautzellgewebes bedingte Temperaturerhöhung steigen kann. 

Bemerkenswerth bleibt weiter, dass die Temperaturdifferenzen zwischen 
links und rechts bei fast wechselnden Werthen zwischen 0,1 und 2,1° als 
ausserordentlich weite Grenzen hin- und herschwankten, was unter der Voraus¬ 
setzung der Richtigkeit der gegebenen Erklärung fortwährende Schwankungen 
der vasomotorischen Systeme der paretischen Körperhälfte, eine auffallende 
Labilität derselben annehmen liess. Vielleicht erklärt sich auf diese Weise auch 
der Umstand, dass mitunter die rechte Körperhälfte höhere Temperatur zeigte 
als die linke. Bei bestehendem toxischen Fieber und zeitweiser Verengerung 
der kleinen Gefasse der linken Körperhälfte wäre diese Thatsache verständlich. 

e) Das Fehlen der Gleichgewichtsstörung beim Stehen und Gehen 
scheint mir zu beweisen, dass zum Zustandekommen derselben eine Mitaffection 
des Kleinhirns erforderlich ist, und dass die von einigen Beobachtern gemachte 
Annahme, auf die Yierhügelgegend beschränkte Tumoren (Nothnagel) könnten 
durch Affection der Bindearme oder des rothen Kernes diese Störung ver¬ 
ursachen (Starb, Barth, Eisenlohb u. A.), zum mindesten noch sehr beweis- 
bedürftig ist. In vorliegendem Falle waren beide Bindearme im Bereiche ihrer 
Kreuzung zerstört und ebenso die rothen Kerne, ohne dass jemals cerebellare Ataxie 
zur Beobachtung gekommen wäre. In jenen Fällen, in welchen eine solche be¬ 
steht, ohne dass eine directe Beziehung des Vierhügeltumors zum Kleinhirn 
sich nachweisen lässt, wäre immer noch daran zu denken, ob nicht durch den 
Hydrocephalus, durch Circulationsstörungen, kurz irgendwie durch Fernwirkung 
das Kleinhirn in Mitleidenschaft gezogen worden sein könnte. Damit in Ueber- 
einstimmung stehen auch neuere experimentelle Untersuchungen von Ferbier 
und Türner, wonach Entfernuog der Vierhügel keinen bleibenden Effeet 
hervorruft, sondern alle danach auftretenden Erscheinungen sioh auf Verletzung 
benachbarter Hirntheile, Unsicherheit des Ganges im Besonderem auf Mit¬ 
verletzung des Kleinhirns beziehen lassen. 

Anders steht die Frage bezüglich des Verhältnisses der Tumoren der 
Vierhügelgegend zum Auftreten verschiedener Bewegungsstörungen, wie 
Athetose, Chorea, Tremor, Inteutionstremor, die sehr häufig bei 
Tumoren dieser Gegend, ebenso wie bei Tumoren des Hirnschenkels zur Be¬ 
obachtung kommen. Bonhöffbr hat als Erster die Ansicht ausgesprochen, dass 


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zum Zustandekommen dieser abnormen Bewegungen speciell eine Schädigung 
der Bindearm-Rothkernstrahlung nothwendig sei, was später durch Fälle von 
Müäatow, Menzel und Sandes bekräftigt wurde. Interessant ist in dieser 
Hinsicht auch die Beobachtung Ordt’s, die schon früher Erwähnung fand. Es 
bestanden Ataxie, Intentionstremor, athetoeeartige Bewegungen, ohne dass Paresen 
der Extremitäten vorhanden gewesen wären und ohne dass sich anatomisch eine 
Verschmälerung der Pyramidenbahn hätte naohweisen lassen. 

Auch mein Fall ist geeignet zur Stütze dieser Ansicht beizutragen. Binde- 
arme und rothe Kerne waren zerstört Der rechte Hirnschenkelfuss war com- 
primirt, aber ohne Faserausfall und sonstige nachweisbare pathologische Ver¬ 
änderungen. Linksseitige Hemiparese. Es bestanden links an Paralysis agitans 
erinnernde Dauerkrämpfe mit Zunahme bei intendirten Bewegungen, auf welche 
noch in anderer Hinsicht im Folgenden näher eingegangen werden soll. 

f) Die isolirten Muskelkrämpfe. Das eigentümlichste und nach 
dem heutigen Stande unseres Wissens mit dem ätze des Tumors kaum in Ein¬ 
klang zu bringende Phänomen sind die in langen Intervallen von Muskelgruppe 
zu Muskelgruppe fortschreitenden Dauerspasmen von dem Charakter eines grob- 
welligen Tremors, der bei intendirten Bewegungen zunahm und während des 
ganzen wachen Zustandes des Patienten anhielt 

Der Krampf setzte im Daumen der linken Hand ein, der rasoh hinter¬ 
einander gebeugt, adducirt und opponirt wurde. Nach 1 Monate kamen dazu 
Beugebewegungen des linken Zeigefingers von demselben Charakter; nach 
l 1 /, Monaten ging der Krampf über auf die Supinatoren des Vorderarmes und 
den Flexor oarpi ulnaris, nach einem weiteren halben Monate auch auf die ge¬ 
meinschaftlichen Fingerbeuger und später auf die Beuger des Ellbogengelenkes, 
den Tibialis anticus, Semitendinosus und Semimembranosus der linken unteren 
Extremität, und nach vorübergehendem plötzlichen Sistiren der Krämpfe und 
Wiedereintritt derselben auch auf den M. pectoralis major, supraspinatus und 
die Clavicularportion des Deltoideus. 

Die Krämpfe zeichneten sich also aus durch ihre continuirliche, monate¬ 
lange Dauer, die Zunahme bei intendirten Bewegungen und das Nacheinander¬ 
befallenwerden verschiedener einzelner Muskeln und Muskelgruppen. 

Diese Krämpfe setzten der Diagnose grosse Schwierigkeiten entgegen. Die 
beiden ersterwähnten Eigenschaften, die lange Dauer, der Intentionstremor und 
des ferneren auch der Umstand, dass sie sich nicht generalisirten, schienen für 
einen subcortical gelegenen Herd zu sprechen, da ähnliche an Paralysis agitans 
erinnernde Krämpfe einer Extremität von langer Dauer zu verschiedenen Malen 
bereits bei Tumoren des Hirnschenkels und des Thalamus opticus beobachtet 
wurden. Beizersoheinungen von Säten der Hirnrinde verlaufen zumeist ganz 
anders, in ausgeprägten Anfällen; doch liegen einige Beobachtungen vor, dass auch 
corticale Herde continuirliche, Tage und Wochen dauernde Krampferscheinungen 
zeigten, wie sie z. B. Oppenheim bei einer Geschwulst des Beincentrums in der 
Zehenmusculatur Tage hindurch gesehen hat, (firne dass es zu Anfallen 
jAGKSON’scher Epilepsie gekommen wäre. 

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Das Fortschreiten der Krämpfe von Muskelgruppe za Muskelgruppe liees 
andererseits kaum eine andere Erklärung als die eines corticalen Ursprunges 
zu und befestigte mich lange Zeit in der Meinung, es handle sich um eine multiple 
Sklerose, da nach den sonstigen Symptomen ein Tumor in der Gegend des 
Daumencentrums nicht angenommen werden konnte, wenn auch Groeshirner- 
scheinungen im Allgemeinen eher gegen die Annahme einer multiplen Sklerose 
zu verwerthen sind. 

Es liegen allerdings Beobachtungen vor, aus denen hervorgeht, dass auch 
bei subcorticalen Herden Krämpfe von einzelnen Muskelgruppen aus ausgelöst 
werden können. Dejbrine sah eine Epilepsie, partiell an der Hand beginnend, 
bei einem Tuberkelknoten, der in der weissen Substanz 1 cm unter der Binde 
sass, und hierher gehört auch eine Beobachtung Bbamwell’s , bei welcher zu 
den Erscheinungen einer Geschwulst des Thalamus opticus ein von der grossen 
Zehe ausgehender Krampf gehörte. In Dbjbbine’s Fall ist aber wohl trotz des 
subcortical gelegenen Tumors der corticale Ursprung der Krämpfe ziemlich wahr¬ 
scheinlich, da ein so nahe dem Cortex gelegener Herd durch Druck oder col- 
laterales Oedem und Circulationsstörungen corticale Centren in einen Reizzustand 
zu setzen vermag. In derselben Weise erklärt sich wohl auch der interessante 
von v. Beck mitgetheilte Fall eines faustgrossen, unter der Binde der rechten 
motorischen Beinregion gelegenen, von Czebny operirten Solitärtuberkels, bei 
welchem anfallsweise in den Zehen Krämpfe von mehreren Minuten Dauer auf¬ 
traten, die sich im Laufe von Monaten auch auf die Wadenmuskeln und die 
Obersohenkelmusculatur verbreiteten und später zu echten, von den linken Zehen 
ausgehenden jACKSON’schen Anfällen sich erweiterten mit Betheiligung des 
Facialis und Hypoglossus. 

(Schluss folgt) 


IL Referate. 


Anatomie. 

1) Beiträge rar Kenntniss des Plexus ohorloideua dee Menschen« von Dr. 

Shinkichi Jmamura. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 

1902. Heft 8.) 

Verf. unterscheidet am Plexus chorioideus einen zottigen und einen zotten¬ 
freien Antheil, welch ersterer der Pia, der letztere der Arachnoidea zukommt. 
Im zottenfreien Antheile unterscheidet er eine Epithelschicht, die (piale) Schicht 
des Gefässbindegewebes, die Schicht des arachnoidealen Gewebes und endlich eine 
trabeculäre Schicht, die mit der dritten Schicht innig zusammenhängt und in der 
die Plexuscysten auftreten. Der zottige Theil enthält die bekannten Zotten, in 
deren Mitte sich eine capilläre Schlinge findet; dazwischen findet sich ein der 
Pialschicht dee zottenfreien Antheils entsprechendes Bindegewebe. Das Epithel 
ist sowohl im zottigen, wie zottenfreien Antheile einschichtig. In den Epithel¬ 
zellen finden sich pigmentähnliche Körperchen, andererseits vacuolenähnliohe Ge¬ 
bilde, die beide durch Osmiumsäure schwarz gefärbt werden und dabei eine ver- 


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sohiedenartige Structur aufweisen, einfache Engel* oder Maulbeerform. Von 
regressiven Metamorphosen, die im Alter ziemlich regelmässig anftreten and denen 
eine pathologische Bedeutung nicht zukommt, sind die bereits erwähnten Plexus* 
cysten zu nennen; im zottenfreien Antheile finden sich auch regelmässig Sand* 
körperohen, deren Entstehungsweise bis in die erste Lebenszeit zurückreicht. Im 
zottigen Theile dagegen sieht man nicht selten diffuse sklerose Veränderungen 
des Bindegewebes. Daneben giebt es auch circumskripte Sklerosen, die in der 
Bindegewebsschicht sich finden und die Epithelschicht wie kleine Warzen ver¬ 
treiben. Dabei wird das Bindegewebe homogen, schliesslich kann hier auch Ver¬ 
kalkung anftreten, und zwar in der Regel in der Peripherie soloher Herde. 

Redlich (Wien). 

2) Sol rapporti tra le oellole nervöse e le flbre amiellniohe , pel Prof. 

Luigi Roncoroni. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.) 

Verf. fand beim Studium von solchen Zellgruppen der Ponskerne (Vertebraten, 
auch Mensch), welche in den von Pyramidenfaserbündeln freigelassenen Lücken 
eingelagert sind und unter Behandlung mit Müller'scher Platinchloridmethode 
eine partielle Färbung (des Kerns, KernkörperchenB und der feinen Protoplasma* 
körnung) annehmen — nicht aber bei den total gefärbten Zellen —, auf Lon- 
gitudinalschnitten, dass diese Nervenzellen von einem dichten Geflecht feiner 
markloser Nervenfasern eingeschlossen sind, welches auch den Stamm der Dendriten 
umgiebt. Von diesem Geflecht entspringen feinste, unter einander verfilzte 
Fäserchen, welche den Zellleib und die Protoplasmafortsätze eng umspinnen. Es 
ist nicht klar, ob diese Gebilde Plexus oder einfache Netze sind, obwohl ovale 
oder rundliche Anschwellungen im Verlauf einer oder im Schnittpunkt mehrerer 
dieser Fäserchen für letztere Annahme zu sprechen scheinen. Sicher handelt es 
sich bei diesen Scheibchen, schon wegen ihrer regelmässigen Form und der be¬ 
nützten Färbemethode, nicht um Präcipitate. Ueber das Gesichtsfeld vertheilt 
liegt eine beschränkte Zahl intensiv blass gefärbter Körnchen; die im Protoplasma 
vorhandenen Körnchen sind im Verhältniss zu letzteren zwar zahlreicher, aber 
kleiner und blasser. Auf Querschnitten derselben spärlich um zahlreiche Zell* 
gruppen herziehenden Fasern, sieht man dieselben Verhältnisse. Die marklosen 
Plexus oder Netze stehen weder mit den hier zahlreichen Körnohen der Inter¬ 
cellularsubstanz, noch mit den Granula des Protoplasmas in continuirlioher Ver¬ 
bindung. Schnitte, welche den peripheren Theil einer Zelle treffen, zeigen zwar 
ein Convolut umspinnender Fasern, aber kein Netz. Angesichts der bei der ver¬ 
schiedenartigen Elektivität der Methoden unvereinbar einander gegenüberstehenden 
Zustandsbilder erscheint die Annahme unabweisbar, dass die jeweils benutzte 
Methode das Gefleoht der Elementarfibrillen erhalten oder zerstört hat und die 
oben genannten Anschwellungen entweder im Zusammenhang mit demselben oder 
isolirt zu Gesicht kommen lässt, welche im letzteren Falle als (die beschriebenen) 
Körnohen dem Protoplasma jenes fein granulirte Ansehen verleihen. Gegen diese 
Anschauung würde freilich der offenbare Grössenunterschied dieser feinsten 
Körnchen und jener Anschwellungen einzuwenden sein. Und andererseits ist 
denkbar (Mann), dass die Nervenfibrillen abwechselnd aus hellen und dunklen 
Strecken (Diplokokken oder Muskelfibrillen ähnlich) zusammengesetzt seien und 
aus diesem Grunde ein gekörntes Ansehen bieten. So erscheinen auch die feinsten, 
nicht anastomosirenden Verzweigungen der Protoplasmafortsätze der Purkinje sehen 
Kleinhirnzellen, mit vorliegender Methode behandelt, wie eine Linie von Körnchen 
oder eine Reihe von Strichlein. — Diese Verhältnisse wurden überall, wo Nerven¬ 
fasern Zellen einsohliessen (mit Ausnahme der Spinalganglien) gefunden. Die 
Körnchen sind im Stratum moleculare des Kleinhirns am zahlreichsten und am 
Neugeborenen sehr spärlich. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 

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Experimentelle Physiologie. 

3) Ueber die Energetik (pr&paratorizobe Thätigkeit) der Ganglienzellen 
and ihre Bedeutung für die fhnotionellen Nerven- and Geisteskrank- 
holten, von Dr. Adler in Breelau. (Münchener med. Wochenschr. 1901. 
Nr. 37.) 

Unter Energetik versteht Verf. die auf die Herstellung von Spannkraftmaterial 
gerichtete Thätigkeit der Nervenzelle, von der die Erregbarkeit der Zelle dann 
wieder abhängt. Diese Thätigkeit kann durch Medicamente, physikalische Maaas- 
nahmen, Gemüthsbewegungen u. s. w. gesteigert oder gemindert werden. Die 
pathologischen Veränderungen dieser Ganglienzellenenergetik führen zu den ver¬ 
schiedenartigsten Symptomen, wie sie uns in den Krankheitsbildern der Neurasthenie, 
Hysterie, Epilepsie, Migräne, der localisirten Muskelkrämpfe, der Neuralgie, My¬ 
asthenie, Melancholie, Manie entgegentreten. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


4) Ueber die Unhaltbarkeit der Theorie der Hirnblutleere im Schlafs, 

von Dr. Wilhelm Deutsch. (Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 33.) 

Verf. kommt auf Grund theoretischer Erwägungen, die im Originale naoh- 
gelesen werden mögen, zu dem Schlüsse, dass die Schleioh'sehe Theorie, wonach 
der Schlaf auf einer Reflexhyperämie des Gehirns beruhe und bei Abnahme der¬ 
selben unterbrochen werde, alle Erscheinungen des natürlichen und künstlichen 
Schlafes erkläre, die Theorie hingegen der Hirnblutleere im Schlafe nioht be¬ 
weisend fundirt sei. J. Sorgo (Wien). 


5) The Isolation of the active prlnoiple of the suprarenal gland, by Jo* 
kichi Takamine. (Journal of Physiology. XXVIL) 

Nachdem bereits Abel, v. Fürth u. A. behauptet hatten, das wirksame 
Princip der Nebenniere isolirt zu haben, glaubt jetzt der Verf. in dem von ihm 
Bogenannten „Adrenalin“ diesen wirksamen Bestandteil gefunden zu haben. — 
Zu Gunsten dieser Annahme sprechen einerseits die physikalisch-chemischen, anderer¬ 
seits die pharmakodynamischen Eigenschaften dieses Präparats. Unter den physi¬ 
kalisch-chemischen Kennzeichen des „Adrenalins“ ist vor allen Dingen hervor¬ 
zuheben, dass dasselbe ein krystallinischer Körper ist und eine constante 
Zusammensetzung besitzt, die auf die Formel C 10 Hj 6 NO, hinweist. Der Körper 
ist eine Base, aber kein Alkaloid. — Unter den physiologischen Eigenschaften 
des Präparats ist hervorzuheben, dass ein Tropfen einer Lösung 1:50000 in den 
Conjunctivalsack gebracht, die Schleimhautcapillaren zur Contraction bringt und 
dass durch intravenöse Injectionen von 1 ccm einer 0,001 °/ 0 Lösung bei einem 
8 kg schweren Hunde der arterielle Blutdruck um 30 mm Hg erhöht wird. 

W. Connstein (Berlin). 


6) Ueber den Einfluss des Cocains, der Dnrohsohneidnng des Nerven und 
mechanischer Beizung auf die Struotur der Qandry’schen Körperchen, 

von Gasiorowski. (Polnisches Archiv für Biologie der medicin. Wissen¬ 
schaften. L 1901.) 

Verf. hat experimentelle Untersuchungen über den Einfluss des Cocains, der 
Nervendurchschneidung und der mechanischen Reizung auf die Struotur der 
Gan dry'sehen Tastkörperchen bei Enten an gestellt und kam dabei u. a. zu 
folgendem Resultat: Diese Tastzellen seien auf die Nervendurchschneidung ungemein 
empfindlich. Im Anschluss an die ersten Degenerationsveränderungen, die sich 


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in der Nervenscheibe vorfinden, beginnt sogleich die Atrophie und die Dege¬ 
neration der Tastzellen. Ueberdies überzeugen wir uns, dass in der ganzen 
Reihenfolge von Veränderungen, welche einerseits in der Nervenscheibe und anderer* 
seits der Tastzelle auftreten, eine gegenseitige Abhängigkeit obwaltet. Während 
die Nervenscheibe schrumpft, treten die Tastzellenbogen zusammen und verengen 
hierdurch die Basis der Sanduhr. Bei fortschreitender Atrophie der Nerven¬ 
scheibe verwischt sich das Bild der Sanduhr und verschwindet schliesslich ganz, 
worauf am Protoplasma der Zelle regressive Metamorphosen auftreten. Man muss 
zugeben, dass die Beobachtungen, welche nach der Durchschneidung des Nerven 
gemacht werden, nicht genügen, um den functionellen Zusammenhang zwischen 
der Nervenscheibe und der Tastzelle mit aller Bestimmtheit zu beweisen. Die 
Thatsache aber, dass selbst eine isoosmotische Lösung des Cocalnsalzes charakte¬ 
ristische Structurveränderungen in der Tastzelle bewirkt, dass also das Cocain auf 
dieselbe eine specifische Wirkung ausübt, die nach dem Aufhören der Gefühl¬ 
losigkeit verschwindet, bestärkt uns in der Ueberzeugung, dass zwischen der 
Nervenscheibe und der Tastzelle ein inniger functioneller Zusammenhang bestehe 
und dass die, nach Durchsohneidung des Nerven, in der Tastzelle auftretenden 
regressiven Metamorphosen eben als Folge der Aufhebung ihrer specifischen 
Function, d. h. der Peroeption von äusseren Eindrücken, angesehen werden müssen. 

Edward Flatau (Warschau). 


7) Das Problem des Gehens auf dem Wasser, von B, Sommer. (Leipzig, 
1902.) 

Verf. wurde durch seine Bestrebungen, Registrirapparate für Ausdrucks¬ 
bewegungen mit möglichst geringen Widerständen zu finden, auf das vorliegende 
Problem geführt. Eine Vorrichtung, die die Fortbewegung auf dem Wasser mit 
Hülfe der eigenen Muskelkraft ermöglichen soll, muss mindestens drei Grund¬ 
bedingungen erfüllen: sie muss den Körper über der Wasseroberfläche suspendiren, 
ihn vertdcal halanciren und eine willkürliche Aenderung der Richtung gestatten. 
Diesen Anforderungen genügte, wie die Endversuche bestätigten, ein Doppelboot 
von 2 m Länge — die theoretische Berechnung hat 1 m als genügend ergeben, 
der Unterschied wird nicht erklärt —, von dreieckigem Querschnitt, vorn zu¬ 
gespitzt, am hinteren stumpfen Ende mit je einem Steuer versehen, das durch 
zwei verticalstehende Handgriffe, die zu beiden Seiten des Körpers angebracht 
sind, gelenkt wird. Jedes Steuer ist einzeln beweglioh; ein über je zwei Rollen 
laufendes endloses Seil verhindert eine zu weite Entfernung der beiden Boote. *— 
Bezüglich der Verwendbarkeit als Verkehrs- und event. auoh militärisches Trans¬ 
portmittel giebt sich Verf. vielleicht zu grossen Hoffnungen hin. (Ueberschreitung 
des Canals durch Landtruppen!) H. Haenel (Dresden). 


8) Ueber chemische Aenderungen der Musoulatur bei der Entartungs- 
reaofeton, von Th. Rumpf und 0. Schümm. (Deutsche Zeitschr. £ Nerven- 
heilk. XXL 1901.) 

Die gelähmten Muskeln eines an typischer, alkoholischer Polyneuritis ver¬ 
storbenen Mannes, welche sich intra vitam durch charakteristische Entartungs- 
reaotion ausgezeichnet haben, wurden chemisch untersucht. Es fand sioh eine 
mehr als 16 fache Zunahme des Fettgehalts gegenüber normalen Verhältnissen. 
Wahrscheinlich ist das Fett auf eine Einlagerung in die entartete Musculatur und 
nicht eine fettige Degeneration des Muskels hervorgerufen. Ferner liess sich 
starke Verminderung der Trockensubstanz und beträchtliche Vermehrung des 
Wassergehalts naohweisen. Der Eisengehalt der frischen Substanz ist stärker 


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herabgesetzt, als der Verminderung der Trockensubstanz entspricht, der Gehalt 
an Calcium ist verhältnissmässig hoch, der an Magnesium in entsprechender Weise 
vermindert. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


Pathologische Anatomie. 

9) A leoture on ablotrophy, by W. R. Gowers. (Lancet. 1902. April.) 

Mit dem Worte Abiotrophie oder Ahiosis will Verf. einen Zustand bezeichnet 
wissen, der, im Gegensatz zu dem Tode des Gesammtorganismus, das vorzeitige 
Lebensende einzelner Gewebe oder Gewebscomplexe zur Folge hat, auf Grund 
eines angeborenen Mangels an Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit. Ein grosser 
Theil der als „Degeneration“ bezeichneten Processe wäre unter diesem neuen Be¬ 
griff zu führen, nämlich alle die, bei denen der Gewebstod nicht als Folge einer 
äusseren oder inneren erworbenen Schädlichkeit, sondern eben in Folge dies«: 
mangelhaften Lebensfähigkeit eintritt. Auch solche Krankheitsformen wären 
hierher zu rechnen, bei denen eine einmalige, vorübergehende Schädigung, die den 
ganzen Organismus gleichmässig betraf, zu fortschreitendem, auch nach dem Auf¬ 
hören der ersten Ursache nicht stillstehendem Verfall einzelner Gewebssysteme 
führt. — Ein in die Augen fallendes Beispiel für die gemeinte Affection ist die 
vorzeitige Kahlheit und das vorzeitige Ergrauen der Haare; die meisten Belege 
hierfür bietet aber das Nervensystem. Verf. rechnet hierzu die Dystrophia mus- 
cularis progressiva, die von Hoffmann beschriebene hereditäre progressive spinale 
Muskelatrophie besonders im Kindesalter, manche Formen von Opticusatrophie 
von familiärem Auftreten, auch solche, bei denen eine Tabaksamblyopie nach Aus- 
setzen des Niootins progressive Atrophie nach sich zieht, ferner als besonders 
charakteristisches Beispiel die Friedreich’sohe Krankheit und die H6r6do-Ataxie 
cäröbelleuse. — Weniger in die Augen fallend als diese in jugendlichem Alter 
einsetzenden „Abiotrophieen“ bestimmter Systeme sind einzelne Erkrankungen des 
späteren Alters. Doch glaubt Verf. z. B. die Paralysis agit&ns hierher zahlen zu 
müssen, deren gewöhnlich angegebene Aetiologie sich doch meist als unzulänglich 
erweist, manche Fälle von amyotrophisoher Lateralsklerose. Bei der Tabes und 
progressiven Paralyse, wenn sie auch nicht im eigentlichen Sinne hierher gehören, 
glaubt Verf. doch zum mindesten manche Verlaufseigenthümlichkeiten durch die 
Annahme einer abiotischen Disposition der Systeme erklären zu können. Wenn 
auch Ref. — ebenso wie der Verf. es von sich behauptet — im allgemeinen 
gegen eine Bildung neuer Namen in der Medicin ist, so erscheint es doch in 
diesem Falle angebracht, aus den Begriffen der Degeneration, Prädisposition, erb¬ 
lichen Anlage u. a. den speciellen der „Abiotrophie“, mit dem die Wissenschaft 
ja schon lange arbeitet, auch durch ein eigenes Wort herauszuheben. 

H. Haenel (Dresden). 


10) Le alteraslonl del sistema gangliaro sympatloo nella p&zzia pellagrom, 

del R. Brugia. Aus der Provinzial-lrrenanstalt Bologna in Imola. (Imola, 

1902. 91 S.) 

In 30 Fällen von Pellagra, die bald mehr den Typus des sogen. Typhus 
pellagrosuB, bald mehr durch rein psychische Störungen auffielen, hat Verf sein 
Augenmerk ganz besonders auf die Veränderungen im sympathischen Nervensystem 
gerichtet. Er fand thatsächlich in sämmtlichen Fällen Veränderungen hauptsäch¬ 
lich in den Ganglien des Halssympathicus oder in denen des Plexus coeliacus vor. 
Die Veränderungen sind verschieden je nach dem Alter der Erkrankung: man 
kann verschiedene Formen für die häufig auftretenden Reacerbationen der £h> 


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krankung, für die chronischen und die acuten Fälle, beobachten. Die einzelnen 
zahlreichen Details lassen sich nicht in Kürze wiedergeben. Der Plexus coeliacus 
ist mit Vorliebe der Sitz der Affection und die Veränderungen erscheinen oft 
bedeutender als im centralen Nervensystem, ein Befund, der auch für einige andere 
toxischen Erkrankungen erhoben worden ist, so besonders für die Lyssa. 

L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


Psychologie. 

11) Die normalen Schwankungen der Seelenthfttigkeiten, von Prof. Jacopo 

Finzi in Florenz. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Heft 4. 

Wiesbaden 1900, J. F. Bergmann.) 

Die vierte dieser Einzeldarstellungen für Gebildete aller Stände behandelt 
die noch in die Breit« des Normalen fallenden Schwankungen der psychischen 
Thätigkeiten, wie sie bedingt werden durch physiologische Ursachen. Verf. 
skizzirt die Einflüsse der Ermüdung, der Gewohnheit, der Diät, der Genussmittel, 
wie Kaffee, Thee, Alkohol, der Witterung, des Klimas, des Milieu und der ver¬ 
schiedenen Lebensalter und die Reaction der Psyohe auf diese Factoren. Der 
diesem Gebiet Fernstehende wird auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, 
die sich der Erforschung psyohischer Phänomene, wie sie durch die neuere Experi¬ 
mentalpsychologie angestrebt wird, entgegenstellen. Zugleich bekommt er einen 
Begriff, wie eng sich die Gebiete der Physiologie und Pathologie des Geistes be¬ 
rühren. Der Fachmann wird duroh den Ueberblick, den diese Studie giebt, zur 
Untersuchung dieser für die richtige Auffassung psyohopathologischer Symptome 
dringend nothwendigen, bisher aber noch wenig in den Kreis kritischer Be¬ 
obachtung gezogenen physiologischen Schwankungen angeregt. 

Meitzer (Grosshennersdorf). 


12) Zar Psyohologie der Aussage. Experimentelle Untersuchungen von 

William Stern. (Berlin, 1902.) 

Verf. behandelt die in letzter Zeit wiederholt actuell gewordene Frage, in¬ 
wieweit die normale Zeugenaussage als eine correcte Wiedergabe des objectiven 
Thatbestandes betrachtet werden könne. Er wählte dazu eine Versuchsanordnung 
derart, dass er von einer grösseren Anzahl (33) Personen aus gebildeten Kreisen, 
meist Studenten, drei verschiedene Bilder theils ganz einfachen, theils complicirten 
Inhalts je 8 / 4 Minute lang aufmerksam betrachten lies. Darauf folgte die Auf¬ 
forderung, das Gesehene sofort zu beschreiben, die im Laufe der näohsen 3 Wochen 
1—8 Mal wiederholt wurde. Bei einer letzten Beschreibung wurde dann die 
Aufforderung angeknüpft, diejenigen Punkte der Aussage zu unterstreichen, die 
der Betreffende vor Gericht beschwören zu können glaubte. 

Das Hauptergebniss aus diesen Versuchen kann dahin zusammengefasst werden, 
dass es ein breites Gebiet der normalen psychologischen Erinnerungsfehler giebt, 
das nach Umfang und Bedeutung wohl bisher sehr unterschätzt worden ist. Ein 
bestimmter Grad der Fehlerhaftigkeit ist von vornherein als normales Merkmal 
auch der nüchternen und ruhigen, selbständigen und unbeeinflussten Durohschnitts- 
erinnerung zuzuschreiben. Die fehlerlose Erinnerung ist nicht die Regel, sondern 
die Ausnahme, und der Eid bietet keinen Schutz gegen Erinnerungstäuschungen. 

Die Bearbeitung der erlangten 282 Aussagen bietet im Einzelnen viel Inter¬ 
essantes. Unmittelbar nach der Betrachtung war unter je 17, bei späterer 
Erinnerung unter je 10 Elementen einer Aussage im Durchschnitt eins falsch. 
Zwilchen Männern und Frauen zeigte sich der charakteristische Unterschied,, dass 


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die letzteren weniger vergessen, aber mehr verfälschen als die Männer; aaoh bet 
dem Beeidigungsversuch zeigte sich dies; der beeidigte Theil einer Minneraus- 
sage enthielt durchschnittlich 2, 1, der einer Frauenaussage dagegen 4, 8 
falsche Angaben. — Aus der interessanten und scharfsinnigen Discussion Aber die 
Fehlerarten und Fehlerquellen sei u. a. hervorgehoben, dass sich naohweisen lieas, 
dass ein beträchtlicher Theil des Aussageninhalts nicht eine Erinnerung an Ge¬ 
sehenes, sondern nur eine Erinnerung an die schon früher einmal darüber ab¬ 
gelegte Aussage war. Ein starkes ßeproduotionsvermögen, d. h. die Fähig¬ 
keit, Eindrücke in grosser Zahl aufzuspeichem und sich in intensiver Anschaulich¬ 
keit wieder zurückzurufen, kan n sehr wohl mit einer schlechten Erinnerungs¬ 
fähigkeit vereinigt sein, d. h. der Unfähigkeit, die auf ein bestimmtes einzelnes 
Erlebniss bezüglichen Vorstellungen mit Zuverlässigkeit auszusondern. Der je¬ 
weilige Stand unserer Erinnerungen ist die Resultante aus zwei entgegengesetzten 
Störungen: das Durchschnittliche und Normale in einer Beobachtung wird all¬ 
mählich von dem allgemeinen indifferenten Bewusstseinsbestand unseres Alltags- 
daseins absorbirt, fällt der Vergessenheit anheim; das Abweichende, Auffallende, 
Abnorme dagegen schlägt gerade den umgekehrten Weg ein, entfernt sich in 
seinem Widerstand gegen das Vergeesenwerden immer weiter von der Normalität; 
man kann geradezu von einer Expansionstendenz der Erinnerung in Bezog auf 
das einmal Behaltene sprechen. 

ln einem kurzen Anhänge wird ein experimentelles Gericht in der Weise 
studirt, dass brüh eine kurze Kriminalgeschichte einer Person vorgelesen wird, 
diese dann das Gehörte am Nachmittage niederschreibt, diese Niederschrift dann 
einem zweiten vorgelesen wird, der ebenso verfährt und so fort. Die Ab¬ 
weichungen vom Original schon im vierten Gliede sind überraschend und höchst 
charakteristisch. 

Die Fortführung derartiger Versuche auch von anderer Seite würde, zumal 
dieselben ohne Schwierigkeiten auszuführen und zu variiren sind, gewiss noch 
manche wichtige und interessante Aufklärungen geben. 

H. Haenel (Dresden). 


13) Die Laune, von Dr. Ernst Jentsoh. (Grenzfragen des Nerven- und Seelen¬ 
lebens. XV. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann.) 

Verf. bemüht sich in dieser „Studie“, eine Classificirung und Sonderung alles 
dessen vorzunehmen, was der Sprachgebrauch unter dem vieldeutigen Begriffe 
„Laune“ zusammengefasst hat. Die Vieldeutigkeit erschwert eine Definition ohne 
Frage; wenn Verf. unter Laune im weitesten Sinne des Wortes „geringgradige 
Anomalieen psychischer Vorgänge oder ebensolche Ausfallserscheinungen, von un¬ 
beträchtlicher Tragweite, deren psychologisches Verständniss mit unserer Erfahrung 
nicht oder nicht vollkommen vereinbar ist“, versteht, so ist diese Definition nach 
Ansicht des Bef leicht irreführend; darnach würde sioh die Laune nur graduell 
von der Geisteskrankheit unterscheiden; es besteht doch aber sicher noch ein 
qualitativer Unterschied, der wohl in dem Begriff des Vermeidbaren, Unterdrück¬ 
baren gefunden werden kann; dieser kommt in der angegebenen Definition wie 
auch in den gesammten Ausführungen wenig zur Geltung. — Er betrachtet dann 
die Laune als Stimmungshintergrund, wobei in vielen Fällen die gegenseitige Ab¬ 
hängigkeit von Laune und Stimmung in eine untrennbare Identität tibergeht, die 
Laune als Stimmungswechsel; die Hereinbeziehung von Erscheinungen wie der 
Höhenschwindel, Zweifel- und Grübelneigung mit ihrem Uebergang in Zwangs¬ 
vorstellungen, Gespensterfurcht, das Sichverlieben u. a. erscheint indessen hierbei 
selbst auf dem Umwege über die „abnorme Labilität des Stimmungsgleichgewiohtee“, 
den Verf, einschlägt, etwas gezwungen. Das Kapitel „Theoretisches zur Ent- 


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frtehnng der Lenne" enthalt einen Excors Aber die „kathartische" Methode von 
Breuer und Freud, die Verf. augenscheinlich auch auf die Behandlung der 
Launen angewandt wissen will. Damit ist es schwer zu vereinigen, wenn er im 
letzten Kapitel: „Abhälfe der Laune" u. a. sagt, dass „ein unvermitteltes Abladen 
starker Erregungen auf die jeweilige Umgebung bestenfalls nur eine unvollstän¬ 
dige, vorübergehende Erleichterung bringt, nie auf die Dauer"; das stimmt wenig 
zu der Theorie von der schädlichen Wirkung des „eingeklemmten Affeotes". — 
Die Arbeit schliesst mit einem Aufruf zur Beachtung der beiden grossen Auf¬ 
gaben: Hygiene des gesunden und Sanirung des nicht gesunden Gefühlslebens. 

H. Haenel (Dresden). 


14) Die Freiheit des Willens vom Standpunkte der Psychopathologie, von 

A. Hoche. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. XIV. Wiesbaden 

1902, J. F. Bergmann.) 

Es ist auffallend, dass bisher kaum der Versuch gemacht worden ist, die 
ärztlichen Erfahrungen über abnormes Seelenleben bei der Erörterung der Frage 
nach der Willensfreiheit heranzuziehen. Verf. hat sich diese Aufgabe gestellt und 
behandelt sie in kurzer und klarer, durch philosophische Schulung ebenso wie 
durch psychiatrische Erfahrung auft vortheilhafteste befruchteten Form. Er for- 
mulirt das Problem dahin: wie ist unser Freiheitsbewusstsein zu vereinigen mit 
unserer Ueberzeugung von einer durchgehenden gesetzmässigen ursächlichen Be¬ 
dingtheit allen Geschehens? Nachdem er, besonders durch Betrachtung der Ueber- 
gangsfälle, erwiesen hat, dass die Erfahrungen der Psychopathologie auch für die 
normale Psychologie zu verwerthen sind, dass bei den Fällen der ersteren Art, 
d. h. bei Geisteskranken, keinerlei principiell neue Elemente Vorkommen, zeigt 
er, dass das Gefühl der Freiheit unserer Handlungen für die vorliegende Frage 
nicht maassgebend ist, weil es auch bei zweifellos unfreien Handlungen sich ein¬ 
stellt und überhaupt bei näherer Betrachtung sioh als eine gesetzmäßige Begleit¬ 
erscheinung der Auslösung von Willensvorgängen überhaupt darstellt Einen 
Willen in dem Sinne einer über allen anderen psychischen Vorgängen stehenden 
Oberinstanz mit wählenden und entscheidenden Functionen giebt es gar nicht; 
mit „Willen“ bezeichnen wir nur das unser Handeln begleitende Bewusstsein der 
Selbstthätigkeit Und auch die subjective Ueberzeugung, frei zu sein, ist nicht 
beweisend, da gesetzmässige Mängel der Reproduction das Erinnerungsbild der 
inneren Situation bei der Entschliessung nicht unverfälscht erscheinen lassen, wenn 
darüber reflectirt wird. (Wäre dieser Grund in vollem Umfange sichhaltig, so 
fiele damit allerdings die gesammte „introspective" Psychologie, die es im Grunde 
doch stets nur mit Reflexionen über Erinnerungsbilder zu thun hat. Ref.) — 
Von Interesse sind die Betrachtungen des Verf.’s über das Gewissen bei Gesunden 
und Geisteskranken und im Anschluss daran über die Frage nach dem „intelli- 
giblen Charakter" im Sinne Kant’s; er zeigt, dass das Gewissen bei letzteren 
dieselben Variationen aufweist wie alle anderen Gefühle; dass es schwindet, dass 
spontane, objeotiv unbegründete Gewissensregungen auftreten, dass es von vorn 
herein verkümmert entwickelt sein kann u. A., und deshalb jedenfalls untauglich 
ist, um als Beweis für die Existenz des „intelligiblen Charakters“, d. h. des dem 
empirischen Charakter zu Grunde liegenden Dinges an sich, zu dienen. — Verf. 
kommt zu dem Schlussergebniss, dass die Erfahrungen der Psychopathologie mit 
Nothwendigkeit in der Frage der Willensfreiheit zum Determinismus führen: das 
Princip der Causalität hat nicht nur für die materielle, sondern auoh für die 
geistige Seite des Denkvorgangs Gültigkeit. Deshalb wird aber an dem Gefühl 
der Verantwortlichkeit, das die Handlungen des Einzelnen leitet, und das als 
Regung des Gewissens bezeichnet wird, durch die wissenschaftliche Ueberzeugung 
nichts geändert, dass auch dieses Gefühl nothwendig determinirt ist. 


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Das Ziel der Vortragsaammlung, in der die Arbeit erschienen ist, „für Ge¬ 
bildete aller Stände“ geschrieben zu sein, erfüllt sie anerkennenswerther Weise 
in vollem Maasse. H. Haenel (Dresden). 


Pathologie des Nervensystems. 

16) Bemerkungen zur klinischen Beobachtung der Haut- und Sehnen¬ 
reflex© der unteren Körperhälfte, von Dr. S. Schoenborn, Assistenzarzt 
an der medicinischen Klinik in Heidelberg. (Deutsche Zeitschr. £ Nerven¬ 
heilkunde. XXI. 1902.) 

Der Patellarreflex fehlt nur in 0,04 °/ 0 und der Achill eesehnenreflex nur in 
1 °/ 0 der Fälle bei Gesunden. Bei Tabes ist das Nichtvorhandensein des letzteren 
ebenso typisch, wie das Auftreten des Westphal’schen Zeichens. Der Adductoren- 
reflex fand sich bei 34°/ 0 der Nervengesunden, der Reflex der Sehne des Tibialis 
post, nur bei 20°/ o mit unversehrtem Nervensystem. Unter 100 Fällen war der 
obere Bauchreflex 98 Mal vorhanden, 1 Mal zweifelhaft und fehlte 1 Mal; der 
mittlere liess sich 99 Mal nachweisen, war 1 Mal zweifelhaft, während der untere 
98 Mal festzustellen war, 1 Mal fehlte und 1 Mal unsicher war. Fast die gleichen 
Zahlen fanden sich für den Cremasterreflex; der Analreflex (am besten auslösbar 
als Stich- oder Strichreflex) wurde 80 Mal festgestellt. Der Skrotalreflex wird 
am besten durch 5—6 maliges Streichen der Analgegend ausgelöst und fand sich 
unter 100 Nervengesunden 92 Mal, fehlte 5 Mal und war in 3 Fällen zweifel¬ 
haft. Er zeigt sich als träge, wurmförmige Contraction der Tunica dartos scroti 
und dauert immer mehrere Stunden an. Sein Centrum liegt vermuthlich am 
analen Abschnitt des Perineums. Der Plantarreflex wurde in 98°/ 0 nachgewiesen; 
er fehlt bei krankhaften Störungen in erster Linie bei der Tabes. In Bezug auf 
den Babinski’schen Zehenreflex erwähnt Verf, dass das Centrum der reflexogenen 
Zone stets in der Mitte des inneren Fussrandes liegt. Charakteristisch für ihn 
ist die ausschliessliche Dorsalflexion der grossen Zehe und sein auffallend träger 
Charakter. Er liess sich bei Nervengesunden niemals feststellen. Bei Paralysis 
agitans fehlte er constant. Auch Verf. hält ihn bei Aflectionen der Pyramiden¬ 
bahnen für pathognostisch und gleichwertig mit Steigerung der Sehnenreflexe. 
Seine Ursache bleibt zunächst noch dunkel. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


16) A oontribution to the olinloal signifloanoe of absenoe of the tendo- 

aohilles jerk, by E. Bramwell. (Brain. 1901. Winter.) 

Verf. hat seine Untersuchungen auf über 1000 Gesunde und Kranke jedes 
Alters und Geschlechtes ausgedehnt Er kommt zu folgenden Schlüssen: Der 
Aohillesreflex ist bei Gesunden unter 50 Jahren immer vorhanden; sein Fehlen 
bedeutet hier immer das Vorhandensein eines organischen Leidens. Von 60 Jahren 
an nimmt die Constanz und die Stärke des Achillesreflexes allmählich ab und 
kann bei alten Leuten das Fehlen diagnostisch nicht mehr verwerthet werden 
(60 °/ 0 über 80 Jahre). Meist fehlt der Achillesreflex in den Fällen, wo auoh der 
Patellarreflex fehlt — periphere Neuritis, Tabee dorsaliß; doch kommt es unter 
bestimmten Umständen zum Fehlen der Achillesreflexe bei Vorhandensein des 
Patellarreflexes; so ist z. B. bei Tabes der Achillesreflex gewöhnlich eher erloschen 
als der Patellarreflex, was natürlich in diagnostischer Beziehung von grosser Be¬ 
deutung ist. Häufig fehlt er bei neuritisoher Ischias auf der kranken Seite und 
kann hier viele Jahre nooh fehlen, nachdem die Schmerzen längst vorüber sind. 
Verf. fand den Achillesreflex auch fehlend bei Diabetes und bei Aortenaneurysma; 
in den letzteren Fällen bestand Argyll-Robertson’s Phänomen; hier bestand 


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Syphilis und Yerf. glaubt, dass das Fehlen des Achillesreflexes auch das einzige 
Zeichen überstandener Syphilis sein könne. Manchmal kann das Fehlen des 
Achillesreflexes auch für die Segmentdiagnose von Rückenmarkserkrankungen von 
Wichtigkeit sein. Bruns. 

17) Beitrag zur Aetiologie der Dupuytren’schen Fingeroontraetur, von Dr. 

Wilhelm Neuda. (Wiener klin. Woohenschr. 1901. Nr. 39.) 

Verl theilt einen Fall von beiderseitiger Dupuytren’scher Contractur der 
Hände bei einem 46jähr. Schlosser mit, der ausserdem Symptome von Syringo¬ 
myelie des oberen Brustmarkes, des Halsmarkes und des untersten Abschnittes der 
Medulla oblongata sowie des Lendenmarkes bot: Schwindel, Kopfsohmerz, Schmerzen 
im rechten Arm, Parästhesieen daselbst, nystagmusartige Zuckungen, leichte Kypho¬ 
skoliose, geringe Muskelatrophie des linken Vorderarmes und Thenar, Reflex¬ 
steigerung der rechten oberen Extremität und beider Patellarreflexe; rechts An¬ 
deutung von Fussklonus. Keine trophischen Störungen. Tastempfindung wenig 
verändert; Drucksinn-, Lage- und Bewegungsempfindung normal. Temperatur- und 
Schmerzempfindung besonders rechts herabgesetzt. 

Yerf. fasst die Dupuytren’schen Contractur als trophische Störung auf. Jede 
zu allgemeiner Ernährungsstörung führende Erkrankung könne auoh bei ent¬ 
sprechend langer Dauer Dupuytren’sche Contractur erzeugen. Aetiologisch 
spielen namentlich jene nervösen Erkrankungen eine Rolle, welche mit trophischen 
Störungen einhergehen, vor allem die Syringomyelie. Die Dupuytren’sche Con¬ 
tractur kann zu den ersten Symptomen derselben zählen. Trauma als ätio¬ 
logisches Moment ist nicht auszuschliessen, wird aber oft fälschlich angenommen. 
Die nichtoperative Heilbarkeit ist möglich. J. Sorgo (Wien). 


18) Bin Fall von Erb’aoher Lähmung, von Pafiski. ^Czasopismo lekarskie. 
1901. S. 316. [Polnisch.]) 

Yerf. beschreibt einen Fall von Erb’scher Lähmung bei einem 23jährigen 
Manne, welcher plötzlich bemerkte, dass er die rechte obere Extremität nicht 
mehr heben kann. Status nach 3 Monaten zeigte Atrophie der Mm. supra- et 
infraspinatus, deltoideus, biceps und brachialis internus, keine Sensibilitätsstörungen. 
Quantitative Abschwächung der elektrischen Reaction ohne Entartungsreaction. 
Parese entsprechender Bewegungen. Die Erkrankung entstand nach einer Er¬ 
kältung. Edward Flatau (Warschau). 


19) lieber intermittirendes Hinken — Claudioation intermittente (Charoot) 
— als Symptom von Arteriosklerose, von Dr. Jarl Hagelstam in 
Helsingfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

Es werden sieben Beobachtungen von intermittirendem Hinken mitgetheilt 
und dabei die Symptome des Leidens ausführlich beschrieben. In einem Fall 
verschwanden die Störungen während einer relativ langen Zeit in der einen 
Extremität und localisirten sich mittlerweile in dem anderen Fuss. In der weit¬ 
aus grossen Mehrzahl der Fälle besteht eine unzweifelhafte, zur Arteriosklerose 
disponirende Diathese. So gaben von den sieben Patienten des Yerf.’s fünf an, 
dass ihre Väter Sohlagamälle erlitten haben. Ausser der Arteriitis obliterans 
spielen Entartungs- und Yerkalkungsprocesse dabei eine Rolle, ferner kommen 
auoh nervöse Einflüsse in Betracht, besonders wenn es sich um die hyperplastische 
Form der Endarteriitis handelt. Wahrscheinlich erhöht eine angeborene Dispo¬ 
sition für Erkrankungen des Gefässapparates die Möglichkeit des Auftretens dieses 
Leidens. Bemerkenswerth ist, dass unter sämmtliohen, bis jetzt beschriebenen 


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F&llen mit einer einzigen Ausnahme nur männliche Patienten betroffen wurden 
und dass die meisten Beobachtungen Bussland, Polen und den baltischen Provinzen 
entstammen. Am häufigsten tritt das Leiden zwischen dem 50. und 60. Lebens¬ 
jahre auf, wenn es auch nicht selten bei jüngeren Personen und gelegentlich gar 
vor dem 20. Jahre bemerkt wurde. Sehr häufig wird Tabakmissbrauch betont. 
Verf. hält es für wahrscheinlich, dass verschiedene, unter sich combinirte Reize, 
wie auch chronische Intoxicationsvorgänge eine grosse Bolle spielen, bei Personal 
mit ererbter oder erworbener Disposition für Arteriosklerose unter Vermittelung 
der vasomotorischen Nerven, die starke Blutgefassveränderungen hervorzurufen 
vermögen, die wir als Arteriitis obliterans bezeichnen. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

20) Sin Fall von Claudioation intermittente, von Paiiski. (Czasopiamo 

1902. Nr. 4. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über einen Fall von Claudioation intermittente. Der Fall 
betraf einen 54jähr. Mann, bei welchem vor l 1 /* Jahren sehr intensive Schmerzen 
im reohten Bein und vor 2 Monaten im linken Bein entstanden. Nach etwa 
20 Schritten muss der Kranke ausruhen. Die Füsse sind kalt, cyanotisch mit 
rosigen Flecken. Die erste Zehe des rechten Fusses und zwei Zehen des linken 
sind kalt und völlig weise. Der Puls ist weder in Art. dorsalis pedis, noch in 
Art. tibialis post, fühlbar. Ausserdem Muskelatrophie im reohten Bein. Myo- 
degeneratio cordis. Nervenstämme nicht druckempfindlich. Sonstige nervöse 
Störungen fehlten. Edward Flatau (Warschau). 


21) Des polynövrites, par Maurice Perrin. (Paris, 1901, J. B. Baüliöre 

et Fils. 243 S.) 

Verf. giebt in seiner fleissigen Arbeit den Stand unserer heutigen Kenntnisse 
über die Polyneuritis wieder, er bespricht in ausführlicher Weise unter Bei¬ 
bringung von 32 eigenen Beobachtungen die Symptomatologie, Aetiologie, patho¬ 
logische Anatomie, Pathogenese, Diagnostik, Prognose und Therapie der Poly- 
neuritis. Ein sehr umfassendes und vollständiges Litteraturverzeichniss beschließt 
das Werk. 

Aus dem pathologisch-anatomischen Theil ist hervorzuheben, dass nach An¬ 
sicht des Verf.’s die bei der Section gefundenen Veränderungen der Rückenmarks- 
zellen (Chromatolyse) bei der Polyneuritis secundärer Natur, die Folgen einer 
Femreaction der Nervenzelle (Marinesco) sind und wieder ausgeglichen werden 
können, da das Trophoplasma intact bleibt und nur die Reserveelemente der Zelle 
angegriffen werden. Im Gegensatz hierzu wird bei der Poliomyelitis, bei welcher 
die Zelle primär erkrankt, das Trophoplasma lädirt. Ebenso hält Verf. die bei 
der polyneuritischen Psychose (Korsakoff) gefundenen Zellveränderungen der 
Hirnrinde für secundär und für die Folgen von Axencylindererkrankungen. 

Verf. unterscheidet die reinen Polyneuritiden, bei denen der Nerv isolirt 
erkrankt ist ohne jede Zellveränderung überhaupt oder mit Zellveränderungen 
secundärer Natur (,,r6action k distance“), von den cellulo-neuritischen Formen; bei 
letzteren besteht eine primäre Zellerkrankung im Rückenmark, und zwar ist ent¬ 
weder die Zelle durch Einwirkung desselben Giftes und gleichzeitig wie der Nerv 
lädirt oder aber die Polyneuritis ist in die „poliomyelitische Phase“ übergetreten, 
d. h. das Trophoplasma hat eine Veränderung erfahren, weil seine Zelle zu lange 
Zeit unter der Läsion des Nerven gelitten hat oder die Giftwirkung zu lange 
anhält: zunächst hatte das Gift nur den Axencylinder, den am wenigsten wider¬ 
standsfähigen Theil des Neurons, getroffen, jetzt bricht es auch den Widerstand 
des kräftigeren Theiles des Neurons, des Zellkörpers. 


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£ine Sonderstellung unter den Polyneuritiden, doch zu ihnen gehörig, nehmen 
nach Verf. die Atrophie Charcot-Marie und die „növrite interstitielle hyper- 
trophique“ ein. 

Die Differentialdiagnose zwischen Polyneuritis einerseits und Tabes sowie 
Poliomyelitis andererseits wird ausführlich besprochen und das Verhaltniss der 
Poliomyelitis zur motorischen Neuritis gleichgestellt demjenigen der Tabes zur 
sensiblen Neuritis. Kurt Mendel. 


22) Neuritis aouta universalis aeoendens (Landry’s Paralyse), af Saverin 

Nordenthoft Thomson. (Hosp. Tid. 1901. Nr. 8.) 

Eine 33 Jahre alte Frau wurde, nachdem sie seit 8 Tagen an Schwäche in 
den Knieen und Parästhesieen in den Beinen gelitten hatte, am 18. August 1900 
von Paraparese beider Beine mit Parästhesie in der Zunge befallen; die Parese 
bildete sich zu fast vollständiger Paralyse aus. Am 21. August begann Parese in 
den Armen, die sich ebenfalls zu fast vollständiger Paralyse steigerte. Am 
24. August begannen Sprachstörungen, Schlingbeschwerden, Gesichtslähmung. 
Harn- und Darmentleerungen waren normal, wie auch die Temperatur und die 
Sensibilität. Bei der Untersuchung am 27. August bestand nur nooh minimale 
Beweglichkeit der Zehen und Finger und in den Fussgelenken und den Hand¬ 
gelenken sowie in den Ellenbogengelenken. Patientin konnte keinen Gegenstand 
fassen und ihre Lage nicht verändern. Die Zunge wurde mit Schwierigkeit etwas 
herauagestreckt, sie war dick; die Lippen waren unbeweglich und der Mund 
konnte nur mit Schwierigkeit etwas geöffnet werden. Die Pupillen waren klein 
und reagirten. Die Bewegungen der Augen waren frei, es bestand Lagophthalmus 
und die Augenlider konnten nicht geschlossen werden. Patellarreflexe, Fussklonus 
und Hautreflexe fehlten. Die Temperatur war normal, der Puls hatte 110 Schläge, 
Rhythmus und Fülle desselben waren etwas wechselnd. An den Halswirbeln waren 
die Proc. spinosi empfindlich, es bestand Gürtelgefühl und Hftftschmerz. Der 
Stuhlgang war trag, nach Abführmitteln erfolgten aber reichliche Entleerungen. 
Unter Anwendung von Jodkalium und Quecksilbereinreibungen wurde zunächst 
das Schlingen und die Spraohe etwas besser, am 7. September begannen auch die 
anderen Lähmungen zu schwinden, am 17. September befand sich die Patientin 
wohl und wurde später vollständig gesund. 

Nach dem Verf. handelt es sich um Landry’sche Paralyse, ob die Besserung 
durch die eingeleitete Behandlung herbeigeführt wurde, will er nicht behaupten. 

Walter Berger (Leipzig). 


23) Zur Lehre vom Anfangsstadium der Polyneurltiz, von Popow. (Obos- 

renije psichiatriL 1900. Nr. 7.) 

Die Polyneuritiker kommen meist erst in vorgeschritteneren Stadien ihrer 
Krankheit in ärztliche Behandlung, zu einer Zeit, wo schon starke anatomische 
Veränderungen Platz gegriffen haben. Es wäre daher wichtig, diese Krankheit 
sohon frühzeitig zu erkennen und Verf. giebt nun in seiner Arbeit einige Fälle 
wieder, in denen er Polyneuritis diagnosticiren konnte, nooh ehe irgend ein sub- 
jectives Symptom auf das Leiden hinwiee. Die betreffenden Kranken waren 
anderer Leiden wegen in Behandlung gekommen und bei der nebenbei vor¬ 
genommenen elektrischen Untersuchung fand sich auf einer Seite Entartungsreaction 
und Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit in den kleinen Muskeln der Hand. 
In allen 4 Fällen, die Verf. mittheilt, fehlten jegliche subjectiven Erscheinungen. 
Diese Beobachtung würde mit den Experimentalergebnissen H. Braun’s überein¬ 
stimmen, der bei künstlicher Alkoholneuritis bei Hunden schwere anatomische 
Läsionen der Nerven ohne Paresen oder Störungen der Sensibilität fand, sowie 


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auch mit der Hypothese Erb's, dass die elektrische Erregbarkeit an die Intact- 
heit des Myelins gebunden ist, während der centrale Beiz bei blosser Intaktheit 
des Axencylinders erhalten bleibt. 

Es ist also anzunehmen, dass das AnfangHstadium der Polyneuritis eine lange 
Periode des Latentseins enthält, denn es ist nicht glaubhaft, dass anatomische 
Veränderungen, die schon subjective Beschwerden geben, sich über Nacht ent¬ 
wickeln 'sollten. 

Welchen Werth diese Erkenntniss für die Prophylaxe der professionellen 
Neuritiden hat, liegt auf der Hand. Wilh. Stieda. 


24) Ein Fall von Polyneuritis der Gehimnerven , von Budinger. (Jahrb. 

£, Psych. u. Neur. XXII. S. 141.) 

Sljähr. Frau, Lues fraglich, erkrankt ziemlich acut nach refrigeratorischen 
Schädlichkeiten an Parästhesieen der rechten Gesichtsseite, die später einer Em¬ 
pfindungslosigkeit Platz machten. Dann traten daselbst heftige Neuralgieen auf, 
es entwickelte sich eine Keratitis neuroparalytica rechterseits, weswegen Patientin 
Spitalspflege aufsuchte. Wegen einer nicht näher geschilderten Psychose (an¬ 
geblich pathologischer Angstaffect in imbecilla) Aufnahme auf die psychiatrische 
Klinik, woselbst folgender Befund erhoben wurde: Druckempfindlichkeit der rechten 
Trigeminalpunkte, totale Anästhesie für alle Qualitäten im Bereiche des rechten 
Quintus, rechtsseitige Kaumuskellähmung mit Atrophie und elektrische Unerreg¬ 
barkeit derselben, Subluxation des Unterkiefers, Ageusie in den vorderen zwei 
Dritteln der rechten Zungenhälfte, Keratitis neuroparalytica dextra, Otitis media 
suppurativa rechts und Aflection des rechten Acusticus. Thränen-, Speichel- und 
Schweisssecretion beiderseits ungestört. Im Verlaufe der Erkrankung, welche 
merkwürdige Remissionen und Exacerbationen zeigte, complete linksseitige Facialis- 
lähmung mit Versiegen der Thränensecretion linkerseits. Antirheumatische Be¬ 
handlung erfolglos; specifische Therapie (Sublimatiqjeotionen) brachte Besserung. 
Patientin entzog sich vorzeitig der Behandlung. 

Verf. schliesst eine luetische Meningitis, ebenso ein endocranielles Gumma 
aus und nimmt eine primär syphilitische Erkrankung der Nerven an. Besondere 
erwähnenswerth erscheint hier die Atrophie der Kaumusculatur mit aufgehobener 
elektrischer Erregbarkeit. Mit C. W. Müller bringt Verf. auch die Otitis in 
Beziehung zur Trigeminusaffection, während es dahingestellt bleiben muss, ob die 
Acusticuserkrankung Folge der enteren ist, oder in Analogie zu setzen ist der 
Aflection des Quintus und Facialis. Pilcz (Wien). 


26) Ein Fall von Polyneuritig oder Poliomyelitis anterior subaouta adul¬ 
torum, von Paiiski. (Czasopismo lekarskie. 1901. S. 98. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über eine 20jährige Schneiderin, bei welcher allmählich 
Schwäche hauptsächlich in der rechten oberen Extremität entstand (Mm. extensores 
digitorum, interossei und lumbricales) mit Entartungsreaction und ohne Sensi¬ 
bilitätsstörungen. Keine Schmerzen (im Beginn der Erkrankung waren dieselben 
in den Händen vorhanden). Bechte Pupille enger als die linke. Beaction er¬ 
halten. Das ganze Bild erinnert an die Poliomyelitis oder Polyneuritis beispiels¬ 
weise nach Bleivergiftung. Die letztere fehlte aber in der Anamnese. 

Edward Flatau (Warschau). 

26) Ein Fall von Polyneuritifl paripherioa als Folgeanstand von Typhus 
abdominalis, von Julius Fischer. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.) 

7 Tage nach dem Fieberabfall eines uncomplioirten Typhus stellten sich 
heftige reissende Schmerzen in den Beinen, Schmerzhaftigkeit der Druckpunkte 


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im Verlauf der Nn. isohiadici und peronei, am 11. Tage schon eine Atrophie der 
Musculatur der Beine, verbunden mit verstärkter Druckempfindlichkeit derselben 
ein. Die Schwäche der Beine war eine erhebliche; eine starke Hyperästhesie der 
Haut gesellte sich dazu, die Hautreflexe waren gesteigert, die Sehnen- und Periost¬ 
reflexe blieben während der ganzen Dauer der Krankheit normal, ebenso konnten 
niemals Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit nachgewiesen werden, ein 
Umstand, durch den die verhältnissmässig schnelle, nach 4 Monaten vollständige 
Wiederherstellung des Patienten erklärlich wird. Auffällig war noch eine an¬ 
dauernde Pulsbeschleunigung bei Abwesenheit von Fieber. Blasenstörungen 
fehlten dauernd. Hauptsächlich wegen des Erhaltenbleibens der Reflexe und des 
Fehlens der Entartungsreaction glaubt Verf. die Diagnose auf interstitielle acute 
Neuritis stellen zu müssen. H. Haenel (Dresden). 


27) Ein Fall von postpnerperaler Entzündung der nervösen Flexas der 
oberen und unteren Extremitäten, von W. Pulawski. (Czasopismo 
lekarskie. 1901. Nr. 12. [Polnisch.]) 

Verf. beschreibt folgenden Fall von puerperaler Entzündung der Plexus der 
oberen und unteren Extremitäten. Am zweiten Tage nach der Geburt (mit 
grossem Blutverlust) zeigte sich ein Anfall von intensiven Schmerzen in der 
reohten Halshälfte und im rechten Arm mit Parästhesieen in der ganzen rechten 
oberen Extremität. Gleichzeitig Parese daselbst. Der Anfall dauerte eine Stunde 
und wiederholte sich am nächsten und an folgenden Tagen mehrmals, wobei 
gleichzeitig die Temperatur allmählich stieg. Schmerzanfälle auch in der linken 
oberen Extremität. Grosse Schmerzhaftigkeit in der linken oberen Extremität 
und bei passiven Bewegungen in dem Plexus brachialis (besonders rechts). Nach 
einem Monate sehr intensive Schmerzen im Kreuz und in den Beinen, wobei jede 
active oder passive Bewegung unerträgliche Schmerzen verursachte. Allmähliche 
Besserung und Heilung. Verf. diagnosticirte infectiöse Entzündung des Plexus 
brachialis und Lumbosacralis. Edward Flatau (Warschau). 


26) Polynövrlte toxique professionelle, par Soupault et Frangais. (Pro- 
grto medical. 1901. Nr. 44.) 

Die Verff. theilen Beobachtungen mit über schädliche Einwirkungen des 
Beugens an den oberen und unteren Extremitäten bei Arbeiterinnen der Färberei- 
branohe. Adolf Passow (Meiningen). 


29) Besohäftigungsneuritis im Gebiet des Plexus brachialis, von Dr. 

L. Hoeflmayr in München. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 45.) 

In einer Reihe von Fällen, die mit einer Ausnahme Schreiner und Weiss¬ 
gerber betrafen, welche vorher ganz gesund waren, beobachtete Verf. ausschliess¬ 
lich rechts eine sehr schmerzhafte Bewegungsstörung des Oberarms mit Druck¬ 
punkten am Deltoideus und in der Supraclaviculargrube. Das hauptsächlichste 
Symptom war die Unmöglichkeit, den rechten Arm einwärts zu rollen und auf 
den Rücken zu bringen oder seitwärts hoch zu heben. Sensibilitäts- und trophische 
Störungen fehlten vollkommen, elektrisch fand sich nur erhöhte faradische Erreg¬ 
barkeit für den Nerven. Es handelte sich um eine Neuritis der Nn. subscapulares 
und des N. axillaris, welche die getroffenen Muskeln (M. latdssimus dorsi und 
Deltoideus) innerviren. Offenbar war das Leiden durch stetige Muskeloontractionen 
ohne genügende Entspannung und dadurch eingetretene Ueberreizung des Nerven 
entstanden. Nach 8—9wöchentlicher Behandlung (Ruhe, Wärme, Galvanisation 
und später schwache Faradisation) trat Heilung ein. 

E. As oh (Frankfurt a/M.). 


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30) Röokenmarkaverftndenmgen bei Polyneuritis, von Franz Kramer. 

(Inaug.-Dissert. Breslau, 1902.) 

Verf. berichtet über einen Fall von Polyneuritis mit Sectionsbefand. Ee 
handelt sich um eine 37jährige Potatrix, bei der sich in wenigen Wochen ein 
durch schwerste Ataxie, Schmerzen, fehlende Sehnenreflexe, Hyperästhesie und 
leichte Paresen charakterisirter Symptomencomplex ausbildet. Durch eine acnte 
Versohlimmerung tritt dann in wenigen Tagen eine fast völlige Paraplegie beider 
Beine auf; in diesem Stadium stellen sich auch Pupillenstarre und Blaaenstö rangen 
ein. Darauf Besserung des Zustandes, doch bleiben erhebliche Motilitätsstörungen 
der Beine und Ataxie der Arme zurück. Pupillen- und Blasenanomalieen ver¬ 
schwinden wieder völlig. I 1 /* Jahr nach Beginn der Erkrankung geht die Pat. 
ziemlich schnell an Lungentuberculose zu Grande. — Auch in einem zweiten 
Falle konnte Verf. vorübergehende Pupillenstarre bei einem Alkoholiker feststellen. 

Im Anschluss an den zuerst mitgetheilten Fall bespricht Verf des Näheren die 
Differentialdiagnose zwischen Tabes und Polyneuritis, speciell ihre Verschiedenheit 
betreffs Aetiologie (bei Tabes meist Lues, bei Polyneuritis meist Alkohol), Ver¬ 
laufs und Prognose der beiden Krankheiten. Die Polyneuritis befällt fast regel¬ 
mässig das motorische Neuron und bewirkt stets Veränderungen an den peripheren 
Nerven, die Tabes afficirt immer den centralen Theil des sensiblen Neurons, 
während sie die peripheren Theile desselben sowie das motorische Neuron über¬ 
haupt verschonen kann. „Da nun die Symptomatologie der Erkrankungen dee 
Nervensystems im wesentlichen von der Localisation des Krankheitsproceeeee ab¬ 
hängt, so werden wir entsprechend der eben erwähnten Verschiedenheit der 
Localisation auch Verschiedenheiten der Symptomatologie zu erwarten haben, die 
uns, wie es ja auch in der That der Fall ist, für die Mehrzahl der Fälle 
einen Zweifel an der Diagnose gar nicht aufkommen lassen. Da jedoch die 
Verschiedenheiten der Localisation nur graduelle und keine principiellen sind, 
da jede von beiden Krankheiten die von der anderen bevorzugten LocaHtäten 
afficiren kann, so werden wir auch klinisch alle denkbaren Uebergänge zwischen 
beiden Krankheiten zu erwarten haben.“ 

Die Rückenmarksveränderungen bei Polyneuritis, welche übrigens nicht selten 
beobachtet werden, lassen einen gewissen Typus erkennen, indem sie in der 
grossen Mehrzahl der Fälle nur die intramedullär gelegenen An theile der beiden 
peripheren Neurone betreffen, während diejenigen Rückenmarksstränge, welche die 
centralen Neurone enthalten (Pyramidenbahn, Kleinhirnseitenstrangbahn, Vordsr- 
seitenstranggrundbündel) nur äusserst selten Veränderungen zeigen. 

Kurt MendeL 


31) Ueber einen Fall von polyneuritisoher Psychose („Korsakow’scher“ 

Psychose) mit eigenthümliohem Verhalten der Sehnenreflexe, von Prof. 

Westphal in Greifswald. (Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 5.) 

Der im übrigen typische Fall von polyneuritisoher Psychose zeigte als un¬ 
gewöhnlichen Befund, dass die Patellarreflexe beiderseits, auch mit Jendrissik, 
völlig fehlen und dass bei Percussion der Patellarsehnen regelmässig in dem 
entgegengesetzten Adductorengebiet eine lebhafte, ausgiebige Zuckung auftritt 
Für Erklärung dieser Reflexverhältnisse verweist Verf. auf ein Experiment von 
Sternberg. Letzterer konnte nachweisen, dass die nach Durchschneidung der 
Nerven und Loelösung des Quadriceps von der Patella beim Beklopfen der Pateüar- 
sehne auf der entgegengesetzten Seite auftretende Muskelzuckung Folge eines 
durch den Femur und das Becken auf die andere Seite geleiteten Knoehen- 
(Perioet)Reflexes sei. Verf denkt daran, dass in seinem Falle die Nervendurch¬ 
schneidung des Experimentes durch die neuritische Leitungsunterbrechung ersetzt 


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worden sei und dass auf der gekreuzten Seite, analog der bei Thieren durch 
Rückenmarksdurchschneidung bedingten Reflexerhöhung, vielleicht eine Reflex¬ 
steigerung durch Reizzustände im Gebiet des N. obturatorius vorlag. 

R. Pfeiffer. 


32) Ein Fall von progressiver neuritischer Atrophie mit Exacerbation en 
im Frühling, von Goldenberg. (Csasopismo lekanürie. 1901. Nr. 5. 
[Polnisch.]) 

Verf. berichtet über folgenden Fall von progressiver neurotischer Atrophie 
mit Exacerbationen im Frühling. Der 8jährige Knabe klagte über ziehende 
Schmerzen in den Beinen, besonders in den Füssen, und über Gangstörung. Im 
4. Lebensjahre musste der Knabe im Frühling lange Zeit zu Bett bleiben, weil 
er weder die oberen noch die unteren Extremitäten bewegen konnte. Allmähliche 
Besserung, aber keine völlige Restitution. Seither tritt bei dem Pat. stets in 
der Frühlingszeit eine Verschlimmerung ein, so dass er eine Zeit lang liegen 
muss. Auch im letzten Jahre klagte er zu derselben Zeit über Schmerzen in den 
Füssen. Status: Abmagerung, grosse Schmerzhaftigkeit der Fussgelenke ohne 
Schwellung. Pat. kann auf den untereinander gekreuzten Beinen sitzen. Bein¬ 
streckung erhalten. Beugung im Hüffc- und Kniegelenk schwach. Bewegungen 
des Fussee und der Zehen nicht möglich. Deutliche Atrophie der Dntersohenkel 
und eine geringere der Oberschenkel Patellarreflexe fehlen. Keine fibrillären 
Zuckungen. Die Bewegungen in den Arm- und Ellenbogengelenken erhalten, im 
Handgelenk ist nur die Beugung möglich. Atrophie der Handmuskeln mit Störung 
der Beweglichkeit der Finger. Allmähliche Besserung mit Wiederkehr der Patellar¬ 
reflexe. Pat. läuft herum, die Kraft in den Händen hat zugenommen. Es ist zu 
bemerken, dass ein Bruder des Pat. an ähnlicher Krankheit gelitten hat und in 
seinem 29. Lebensjahre gestorben ist. (Ueber die Sensibilität und die elektrische 
Reactdon findet man keine Notiz in der Arbeit. Ref.) 

Edward Flatau (Warschau). 


33) Ein Fall von aouter Landry’soher Spinalparalyse bei einem Kinde 
von 7 Jahren, von P. Marcuse in Berlin. (Deutsche med. Wochenschr. 
1902. Nr. 4.) 

Das einzig Bemerkenswerthe des Falles ist das jugendliche Alter des Kranken, 
da die Landry’sohe Paralyse in der Kindheit selten ist. R. Pfeiffer. 


34) Ueber einen Fall von Landry’soher Paralyse naoh Keuchhusten, von 

H. Hagedorn. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1902.) 

Landry’sche Paralyse im Kindeealter ist sehr selten. Nach ziemlich aus¬ 
führlicher Wiedergabe der wenigen bisher beschriebenen Fälle berichtet Verf. 
über einen eigenen Fall, in dem sich die lethale Erkrankung mit Lähmung der 
unteren und oberen Extremitäten und der Bulbärnerven, letztere vor der der 
Arme, an Keuchhusten angeschlossen hatte. Die Krankengeschichte ist kurz und 
unvollkommen, die Unterschiede von der Landry'sehen Paralyse trotzdem recht 
wesentliche (hohes Fieber, Kopfschmerz, tagelange Benommenheit — Verf. spricht 
von „mangelhaftem Sensorium“! —, dauerndes Erhaltenbleiben der Reflexe, völlige 
doppelseitige Ptosis; von dem Verhalten der übrigen Augenmuskeln wird niohts 
erwähnt); ein elektrischer Befund ist nicht erhoben worden, ebenso wenig liegt 
eine Autopsie vor. Der Versuoh einer differential-diagnostischen Erörterung wird 
gar nicht gemacht; das Bild sei „ein so vollkommenes und klares, dass es eine 
andere Deutung nioht zulasse“ I (Meningitis? Ref.). Da die ersten drei Viertel 

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der Arbeit nichts als eine Abschrift (ausführliche Krankengeschichten!) der wenigen 
schon anderweitig veröffentlichten Befunde sind, so kann man derselben, auch ab¬ 
gesehen von dem sehr zweifelhaften neuen Fall, irgend eine wissenschaftliche Be¬ 
deutung nicht zusprechen; sie ist typisch für den Tiefstand eines Theiles der 
heutigen Dissertationslitteratur, und es wäre gewiss nur zum Vortheil der Wissen¬ 
schaft im Allgemeinen, wenn die Facult&ten bezw. die Herren Referenten derselben 
bei der Genehmigung zur Drucklegung von Dissertationen einen etwas strengeren 
Maassstab anlegten. H. Haenel (Dresden). 


36) Landry’sohe Paralyse in aouteeter Form, von Oberstabsarzt Dr. Gossner 

in Brandenburg a. d. H. (Münchener med. Wochenschr. 1902. Nr. 20.) 

Bei einem vorher ganz gesunden Soldaten traten nach vorhergehendem Fieber 
und bei ganz freiem Sensorium plötzlich die Erscheinungen von schlaffer Lähmung 
an sämmtlichen Extremitäten auf. Nur im linken Arm bestand noch minimale 
Bewegungsfähigkeit, verschwand aber auch am zweiten Krankheitstage. Keine 
Störungen der Augenmuskeln, des Facialis und der Sprache. Hautreflexe leicht 
gesteigert, Sehnenreflexe geschwunden, Sensibilität erhalten, elektrische Erregbar¬ 
keit normal. Nach 2 Tagen Schling- und Schluckbeschwerden, undeutliche Sprache 
und unter Zunahme dieser Störungen trat am 4. Tag nach Beginn der Extre¬ 
mitätenlähmung der Exitus ein. Eine Infection erscheint nicht ausgeschlossen. 
Die Autopsie musste leider unterbleiben. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


36) Die Pellagra, von Victor Babes und V. Sion. (Nothnagel’s specielle 

Pathologie u. Therapie. XXIV. 1901.) 

Die Pellagra ist aufrufassen als eine chronische und periodisch wiederkehrende 
Intoxicationskrankheit, welche durch eine im verdorbenen Mais gebildete specifisoh 
giftig wirkende Substanz verursacht wird, welch letztere, fortwährend und in 
grossen Mengen genossen, besonders das Nervensystem in eigentümlicher Weise 
schädigt. 

Die vorliegende Monographie giebt zunächst eine geschichtliche und geo¬ 
graphische üebersicht über das Auftreten und Vorkommen der Krankheit im süd¬ 
lichen Europa nebst statistischen Mitteilungen über ihre Verbreitung. Es folgt 
eine auf eigene Untersuchungen gestützte kritische Besprechung der Litteratur 
über die ätiologischen Theorieen, die zeistische Theorie, nach welcher lediglich 
der Mais als ungenügendes Nahrungsmittel Pellagra verursachen soll, und die 
ze'itoxische Theorie (Entstehung durch verdorbenen Mais), ferner über die an- 
gestellten Versuche, welche im verdorbenen Mais verschiedene giftige Substanzen 
nachwiesen, die pellagraähnliche Symptome erzeugen, und die Befunde, wonach 
im Blute Pellagröser eine antitoxische Substanz vorhanden ist. Sporadische 
Pellagra und die Pellagra bei Geisteskranken gehören nioht zur wirklichen Pellagra. 
Zur krankmachenden Wirkung der Maistoxine ist eine Anzahl prädisponirender 
Momente unentbehrlich. 

Von grösstem Werthe sind die pathologisch-anatomischen Untersuchungen der 
Verff., welche zu neuen Befunden im Centralnervensystem führten und für die 
Fragen bezüglich des Wesens des Krankheitsprocesses besonders lehrreich sind 
(S. 37). Eingehend ist sodann die Symptomatologie geschildert, wobei die Verff. 
vier Stadien unterscheiden: ein präerythematöses, ein erythematöses Stadium mit 
Magen-, Darm- und weniger ausgesprochenen nervösen Störungen, H*nn ein Stadium 
mit hauptsächlich psychischen und nervösen Störungen, und endlich ein viertes 
Stadium, in welchem tiefe Depression, Blödsinn, Paralysen, Diarrhoe und Kachexie 
vorherrschen. Zur Diagnose sind Fälle von Pseudopellagra auszusohliessen, ferner 


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andere Intoxi cationen durch Getreide, Alkoholismus, Metallgifte u. s. w., Inanition 
und verschiedene Geisteskrankheiten. 

Das letzte Capitel erörtert die Behandlung, vor allem die Präventivmaass¬ 
regeln, welche in wirksamer Weise nur der Staat durchzuführen vermag, der auch 
durch Asyle für die Pellagrösen den Kranken zu Hülfe kommen kann. Die 
specielle Behandlung soll individuell sein und wird sioh an die verschiedenen 
Symptome halten. Unbedingt ist der Kranke aus seiner krankmachenden Um¬ 
gebung zu entfernen. Ein specifischee Heilmittel gegen die Krankheit giebt es 
nicht, dagegen berechtigt die Herstellung eines Heilserums zu den beeten Hoff* 
nungen auf Erfolg. 

Ein umfangreiches Litteraturverzeichniss sowie einige vorzügliche Abbildungen 
sind dem Buche beigegeben. E. Beyer (Littenweiler). 


37) Zur Histologie des myotonisoh-hypertrophisohen Muskels der Thom- 

sen’sohen Krankheit (Myotonia congenita), von Dr. Jos. Koch. (Virch. 

Archiv. CLXHI.) 

Das Ergebniss der unter der Leitung von Grawitz in einem Fall von 
Thomsen’scher Krankheit an ezcidirten Muskelstückchen ausgeführten histo¬ 
logischen Untersuchungen war folgendes: Verf. konnte constatiren, dass in den 
erkrankten Muskeln neben der am stärksten in die Augen fallenden Hypertrophie 
der meisten Muskelfibrillen auch Neubildung von Fasern durch Längstheilung und 
Spaltung vorkommt, dass ausserdem aber auch vielfach Degenerationsvorgänge 
Platz greifen, und zwar sah Verf. Muskelfasern sowohl in Folge einfacher Atrophie 
als auch durch das Auftreten starker Kernvermehrung und durch die Bildung von 
Muskelzellenschläuchen zu Grunde gehen. — ln diesem gleichzeitigen Vorkommen 
von Degenerations* und Hegenerationsprocessen in der erkrankten Musoulatar sieht 
Verf. eine Erklärung für das eigenthümliohe functionelle Verhalten der Muskeln 
bei der Thomsen’schen Krankheit, das schwer verständlich sein würde, wenn es 
sich lediglioh um hypertrophische Vorgänge handelt. 

Lilienfeld (Gr. Lichterfelde). 

38) Thomaen'aohe Krankheit, von M. NartowskL (Pamietnik jubilenszowy. 

1900. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über einen Fall von Thomsen’scher Eirankheit bei einem 
38jäbr. Manne, welcher dem Alkoholgenuss seit langer Zeit ergeben war. Seit 
6 Jahren Magenbeschwerden. Die Symptome der Thomsen’schen Eirankheit 
zeigten sioh zum ersten Mal vor 8 Jahren. Status: Dilatatio ventriculi cum 
gastritide acida. Typische Erscheinungen der Thomsen'sehen Krankheit bei 
activen Bewegungen. Muskelkraft abgeschwächt. Mechanische Nervenerregbarkeit 
vermindert, Muskelerregbarkeit dagegen gesteigert. Myotonische Beaction bei 
faradischer Beizung des Nerven. Galvanische Nervenerregbarkeit vermindert, 
Muskelerregbarkeit gesteigert (in den Muskeln myotonische Beaction). Nach ent¬ 
sprechender Magentherapie (Diät, Durchspülungen) Heilung nach etwa 6 Monaten. 

Edward Flatau (Warschau). 


30) Einige Bemerkungen über die Thomsen’sohe Krankheit, von K. Rzet- 
kowski. (Medycyna. 1901. Nr. 13 u. 14. [Polnisch.]) 

Verf. schildert zwei Fälle von Thomsen’scher Krankheit. Der erste Fall 
betraf einen 25jähr. Beamten, weloher an dieser Krankheit seit seiner Kindheit 
gelitten hat. Auoh ein Bruder und eine Sohwester zeigen dieselben Krankbeits- 
ersoheinungen. Der Kranke erzählt, dass er stets beim Auftreten (nach längerem 
Sitzen) ein schmerzloses Spannungsgefühl in den Beinen verspürt. Nach einigen 

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Secunden verschwindet dieses Gefühl und Pat. geht ruhig weiter. Bei jedem 
Ausruhen kehrt dieses Symptom stets wieder. Die Steifigkeit tritt ebenfalls an 
den oberen Extremitäten auf, besonders wenn Pat. irgend einen Gegenstand fest 
mit der Hand ergreift und dann dieselbe öffnen will. Das Spannungsgefühl 
merkt Pat. ferner in den Muskeln des Halses, des Gesichts (heim Oeffnen des 
Mundes), der Zunge, der Augen (heim Zukneifen der Augen können die Augen* 
lider nicht sogleich geschlossen werden). Seit 10—16 Jahren heftige, anfallsweise 
auftretende Kopfschmerzen. Mechanische Muskelerregbarkeit normal. Elektrische 
Nervenerregbarkeit normal. Faradische Muskelerregbarkeit gesteigert mit Nach* 
dauerzuckung. Galvanische Muskelerregharkeit ebenfalls gesteigert (leicht ein¬ 
tretender Tetanus). Sensibilität normal. Verf. hebt hervor, dass hei der Schwester, 
welche ebenfalls an Thomson'scher Krankheit leidet, das Fehlen der Patellar- 
reflexe zu constatiren war. Zum Schluss befasst sich Verf. eingehend mit der 
Pathogenese der Krankheit. Edward Flat au (Warschau). 


40) Beiträge zur Thomsen’sohen Krankheit, von Dr. Julius Mahler. (Wiener 

klin. Wochenschr. 1900. Nr. 52.) 

Der 24j ähr., hereditär nicht belastete Pat. liess zwei Symptomenreihen er¬ 
kennen: Bei nach längerer Ruhe energisch ausgeführten Bewegungen trat eine 
hochgradige Härte und Spannung der betheiligten Muskeln ein. Die Contraction 
derselben dauerte nach Aufhören der Innervation noch mehrere Secunden nach. 
Bei Fortsetzung der Bewegungen schwand der Spasmus allmählich. Zur Auslösung 
des Krampfes war aber immer eine energische Bewegung erforderlioh. Kräftige 
Musculatur mit relativ geringer motorischer Kraft. Die Störung erstreckte sich 
auf Rumpf-, Extremitäten-, Kaumusculatur und Zunge; Schlund-, mimische und 
Augenmuskeln sowie Sprache frei. Charakteristische elektrische Reaction nach 
Erb. Soweit ist der Fall ein typischer Thomson. Aber es fand sich noch ein 
anderes Symptom: Bei einfachen und combinirten Bewegungen nach längerer Ruhe 
macht sich deutliche Schwäche der betreffenden Muskeln bemerkbar, die erst nach 
und nach hei fortgesetzter Bewegung schwindet. Eine Abhängigkeit der Schwäche 
von Temperatureinflüssen bestand nicht. 

Der Thomson'sehe Erscheinungscomplex trat immer bei kräftiger, der letzt¬ 
genannte bei mässiger Innervation auf. Verf. reiht die Störung den Paramyotonieen 
an und hält sie wie die Myotonie für ein spinales Leiden. Eine Stoffwechsel¬ 
störung, wie sie von einigen Autoren bei Myotonie angegeben wurde, war nicht 
vorhanden. J. Sorgo (Wien). 


41) La maladie de Thomson, par M. Bauer. (Progräs mödical. 1902. Nr. 28.) 

Unter Vorstellung eines 26jährigen Kellners, welcher das typische Bild der 
Thomsen’schen Krankheit (mit myotonischer Reaction) bietet, bespricht Verf. 
Aetiologie, Symptomatologie, pathologische Anatomie und Therapie dieser Krank¬ 
heit. In dem Falle des Verf.’s war hereditäre Belastung nicht vorhanden, nur 
war der Vater starker Trinker; eine ähnliohe Krankheit war in der Familie nicht 
nachweisbar. Ruhe verminderte die Myotonie; Aufregungen, Anstrengungen und 
Feuchtigkeit vermehrten sie. Pat. zeigte keine psyobischen Störungen. 

Verf. lasst die Thomsen’sche Krankheit als Folge einer Störung der 
chemisohen Constitution der betreffenden Muskeln auf; diese Störung würde ge¬ 
wisse Aenderungen in der Elasticität der Muskelfasern nach sich ziehen und die 
Myotonie erzeugen. 

Ruhe, Bettwärme, Jod, Vichy-Wasser, Massage, Elektricität (hochgespannte 
Ströme) kommen in therapeutischer Hinsicht in Betracht. Kurt Mendel. 


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Psychiatrie. 

42) Prognosi delle psiooneurosi e delle parafrenie oon prevalente alte- 

ratione del tono emotivo, pel Prof. Luigi Roncoroni. (Archivio di 

psichiatria. XXII. 1901.) 

Verf. geht von einer Kritik des „manisch-depressiven Irreseins“ (Kräpelin) 
ans and versucht durch ein anderes Schema der Seelenstörungen mit vor¬ 
wiegender Stimmungsveränderung den prognostischen und klinischen 
Schwierigkeiten zu begegnen. Er unterscheidet zwei Hauptgruppen, Parapsychosen 
und Peychopathieen. 

A. Die parapsychotische Entwickelungsstörung tendirt nicht zu 
tiefer Demenz; die Vorstellungen bleiben (von transitorischen Incohärenzen in 
Abhängigkeit von Aufregungszuständen abgesehen) coordinirt. Erbliche Belastung 
ist das wesentliche ätiologische Moment. Vor Beginn und nach Ablauf der 
Seelenstörung bestehen (ähnlich wie beim werdenden Paranoiker) psychische Ab¬ 
weichungen (gesteigerter Egoismus, stumpfe Affectivität, Anomalie des Gefühls¬ 
tonus, die moralischen Gefühle). Unterformen: 

1. Paramelancholie. 

2. Paramanie. 

3. Circuläre, periodische und alternirende Seelenstörungen mit 
oder ohne Wahnbildung. Prognose des Anfalles günstig (hinsichtlich completer 
und dauernder Heilung, systematischer Wahnbildung ungünstig). — Unterform: 
Verwirrtheit. 

4. Affectives Irresein; Stimmungswechsel sehr vorwiegend, Prognose 
absolut infaust. — Manische und melancholische Varietät (v. Krafft-Ebing). 
Moralische Hypochondrie (Fairet). Die melancholische Form ist durch einen 
grossen Mangel von Affectivität und moralischer Gefühle bei permanenter tiefer 
Veränderung des emotiven Tons gekennzeichnet. 

B. Die Psy choneurosen mit vorwiegender Stimmungsanomalie und Hemmung 
der höheren ideoemotiven Associationen: 

1. Sensorische Psychopathieen; das dominirende Phänomen besteht in 
begrenzter krankhafter Erregung der sensorischen Sphäre. 

2. Manie; ausgebreitete Erregung der ganzen (ausgenommen die höchste) 
ideoemotiven und psychomotorischen Sphäre. 

3. Melancholie; Verlangsamung, zeitweiliger Stillstand der ideoemotiven 
Processe. — Aetiologie dieser seltenen Gruppe: schwere somatische und psychische 
Schädigungen. Prognose absolut gut. 

4. Amenz und Varietäten (Chaston, DelGreco, Morselli u. A.); 
Aetiologie: schwere somatische Schädigungen, erbliche Belastung weniger von Be¬ 
deutung. Prognose der asthenischen Formen günstig. 

5. Demenz (mit Verwirrtheit und Varietäten); neben Formen mit zeitweiliger 
Hemmung einiger Associationsprocesse (Remissionen!) Formen mit dauernder 
Unterbrechung anderer (definitiver und progressiver Verfall) und Mischformen. 
Automatisch-kinetische Secundärphänomene. Prognose je nach Vorliegen von 
Hemmung gut; Ausfall schlecht, im Uebrigen nach Verhältniss der Mischung. 
Aetiologie: erbliche Belastung und innere (Evolutions-)Ursachen (Pubertät, Senium, 
Gravidität, Puerperium). — Unterformen: Depressive und agitirte primäre Demenz. 

Schmidt (Freiburg i/Schl.). 

48) Bericht über die Wirksamkeit der psychiatrischen Universitätsklinik 

ln Tübingen, von Prof. Dr. E. Siemerling. (Tübingen, 1901.) 

Die am 1. November 1893 eröffnete Klinik erfreut sich ausserordentlich er- 


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leichterter Aufnahmebeatimmungen, die sich in jeder Eichtung bewährt haben. 
Sie hat das unbedingte Recht, Aufnahmen abzulehnen oder zu bewilligen. Dem¬ 
entsprechend können auch die Entlassungen ohne weitere Formalitäten vor sieh 
gehen. Wenn von ärztlicher Seite Bedenken Vorlagen, so wurde von den An¬ 
gehörigen die Unterschrift eines Reverses verlangt. Besonders ausgedehnter 
Gebrauch wurde gemacht von den frühzeitigen Entlassungen bei beginnender 
Reconvalescenz. Die Evacuation durch Ueberfiihrung in Pflegeanstalten liess an 
wünschen; es traten oft Zeiten ein, wo sich die Ueberfüllung der Klinik in un¬ 
angenehmer Weise störend geltend machte. 

Ueber das Krankenmaterial in derZeit von der Eröffnung bis zum 81./XII1900, 
1270 Männer und 1238 Frauen, gehen 15 Tabellen Auskunft Auffällig ist das 
Ueberwiegen der sogenannten functionellen Psychosen, insbesondere der depressiven 
Form der SeelenBtörung unter dem Bilde der Melancholie, namentlich im Ver¬ 
gleich mit der Irrenabtheilung der Berliner CharitA Dagegen traten Paralytiker 
sehr zurück, während die Zahl der Alkoholiker ungefähr dem Procentsatz in der 
preussischen Statistik gleichsteht. 

Von besonderem Interesse ist die Entstehungsgeschichte der Klinik, welche 
bis auf das Jahr 1817 zurückgeht. Wie dringend und wohlbegründet hat 
Griesinger schon 1846 dafür gewirkt, dem mit jedem Semester fühlbar werden¬ 
den Mangel einer psychiatrischen Klinik schleunigst abzuhelfen! Und erst 1890 
konnte mit dem Bau begonnen werden. E. Beyer (Littenweiler). 


44) Ueber Spiritismus und Geistesstörung, von R. Henneberg. (Archiv 

t Psych. XXXIV.) 

An der Hand von acht, zum Theil ausführlich wiedergegebenen Kranken¬ 
geschichten eigener Beobachtung bespricht Verf. die verschiedenen Beziehungen 
und Berührungspunkte zwischen Geistesstörungen und Spiritismus. Voran geht 
eine Auseinandersetzung über die spiritistischen Phänomene und Proceduren, soweit 
sie für den vulgären Spiritismus charakteristisch sind, besonders das Tischklopfen 
und -Rücken, das automatische Schreiben (Peychographiren), die ekstatischen und 
Traumzustände. Bezüglich des ersteren weist Verf. auf die Untersuchungen von 
A. Lehmann hin und betont die wichtige Rolle, die schon bei diesen einfachen 
Manipulationen die Erregung und Erwartung der Betheiligten und die Bestürzung 
über unerwartete oder schreckenerregende Nachrichten spielen kann. Das auto¬ 
matische Schreiben kann auf verschiedene Weise zu Stande kommen: einmal ist 
es in manchen Fällen direct auf hallucinatorische Vorgänge zurückzuführen, nnd 
zwar bei Personen, die bereits an einer tiefergreifenden psychischen Störung leiden; 
zweitens kann es geschehen in einem Zustande mehr oder weniger ausgesprochener 
Autohypnose; die Angabe, die Betreffenden wüssten nicht, was sie schrieben und 
erhielten erst durch nachträgliches Lesen davon Kenntniss, ist in solchen Fällen 
ohne Weiteres glaubhaft. Drittens wird oft durch den Wunsch und die feste 
Vorstellung, beeinflusst zu werden und die damit verbundene Erregung die Auto¬ 
suggestion Platz greifen, das Geschriebene sei nicht das geistige Eigenthum des 
Schreibers; auch wird die Thätigkeit und Uehungsfähigkeit der Functionen des 
Unterbewusstseins häufig unterschätzt. Die Neigung zu Autohypnosen, die n. A. 
durch das Peychographiren direct das Delirium des Besessenseins auslöst, tritt in 
besonders hohem Maasse in den sogenannten Trancezuständen zu Tage und wird 
dabei geradezu gepflegt. Dass das häufige Verfallen in solche Zustände eine 
Gefährdung der geistigen Gesundheit und eine Disposition zu psyohischer Er¬ 
krankung mit sich führt, kann keinem Zweifel unterliegen; auf Grund eines 
Ministerialerlasses ist deshalb auch die öffentliche Vorführung Hypnotisirter ver¬ 
boten worden nnd es ist nicht einzusehen, weshalb dieses Verbot nicht auch anf 


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die gleiohwerthigen Vorstellungen von Trancerednern in Spiritistenversammlungen 
ausgedehnt wird. Häufig werden sich diese autohypnotischen Zustände schwer 
von hysterischen Anfallszuständen trennen lassen, und die Fälle sind nicht selten, 
wo diese in ausgeprägter Form im Anschluss an spiritistische Sitzungen auf¬ 
traten. Weil andererseits neuropathische, zur Hysterie disponirte Personen sich 
nioht selten von Spiritismus besonders angezogen fühlen und sich den damit ver¬ 
bundenen Schädlichkeiten in besonderem Maasse aussetzen, werden bei ihnen ver- 
hältnissmässig häufig wirkliche Geisteskrankheiten durch den Spiritismus ausgelöst 
werden. Trotzdem geht es nicht an, jeden Spiritisten, der, geisteskrank wird, 
als ein Opfer dieser Lehre zu bezeichnen, und Verf. verwahrt sich dagegen ebenso 
wie gegen die von einer Reihe anderer Autoren aufgestellte Behauptung, dass 
jeder, der überhaupt an das spiritistische Dogma glaubt, schon deshalb als geistig 
minderwerthig zu bezeichnen ist. — In sechs von den mitgetheilten Fällen steht 
die Entwickelung der Psychose, die meist einen hysterisch-deliriösen, einmal einen 
anscheinend unheilbaren paranoischen Charakter trägt, in directem Zusammenhänge 
mit der Beschäftigung und Pflege spiritistischer Experimente; auch im Inhalt der 
Hallucinationen und Wahnideen spielten diese Vorstellungen die führende Rolle. 
Bei etwa der Hälfte der Fälle bestand eine neuropathische Disposition; einmal 
betraf die Psychose einen erblich belasteten Potator und Vagabunden, bei dem 
augenscheinlich manche aus dem Delirium tremens übernommene Hallucinationen 
in spiritistischem Sinne wahnhaft und zugleich schwachsinnig verarbeitet wurden, 
ein andermal war die Beschäftigung mit dem Spiritismus das Anfangssymptom 
einer Paralyse oder eines senilen Schwächezustandes. Jedenfalls ist es Sache des 
Arztes, nervöse oder irgendwie psychisch-labile Personen vor der Beschäftigung 
mit spiritistischen Experimenten zu warnen. H. Haenel (Dresden). 


46) Zar Frage nach der Bedeutung der Remissionen im Verlaufe einzelner 

Formen von aoaten Psychosen, von Fuchs. (Jahrb. f. Psych. u. Neurol. 

XXII. S. 390.) 

Sich stützend auf 60 Fälle von Erschöpfungsirresein glaubt Verf. den all¬ 
bekannten Remissionen im Verlaufe dieser acuten Psychosen eine prognostische 
Bedeutung vindiciren zu können und zwar zeige sich als „Wahrscheinlichkeits- 
ergebniss“ u. a. Folgendes: Remittirend verlaufende Fälle sind quoad sanationem 
wahrscheinlich, quoad durationem höchst wahrscheinlich, als schwerer zu beurtheilen 
als solohe, deren Continuität nicht unterbrochen ist. 

Ref. kann dem Verf. nur vollkommen zustimmen zu der durch den wieder¬ 
holten Ausdruck „wahrscheinlich“ bewiesenen Vorsicht und Reserve in der Fassung 
seiner Schlussfolgerungen. Die Beobachtungszeit ist bei den allermeisten Fällen 
des Verl viel zu kurz, um von ungeheilten Fällen sprechen zu können (Verf. macht 
übrigens selbst auf diesen Umstand aufmerksam); in noch höherem Grade gilt 
dies Bedenken betreffs der geheilten Fälle. Aber auch bezüglich der Dauer er¬ 
lauben derartige Beobachtungen, wie die des Verf., keinerlei Schlüsse, bei Psyohosen, 
deren Verlauf sich auf mehrere Monate zu erstrecken pflegt 1 Die 60 Fälle sind 
nur in Tabellen zusammengestellt; irgend welche Xrankheitsgeschichten sind nicht 
mitgetheilt, was gerade, wenn es sich um die Prognose acuter Psychosen handelt, 
doch unerlässlich erscheint. 

Zum Schluss möchte sich Ref. noch folgende Bemerkungen erlauben: 

Verf. hat Unrecht, wenn er „dem Vorgänge Eräpelin’s“ zu entsprechen 
glaubte, indem er die willkürliche Eintheilung in Puerperalpsychosen, acuten 
Wahnsinn und postinfectiöse Verwirrtheit vornimmt. In dem von Verf. citirten 
Lehrbuche Xräpelin’s (1899) sind vielmehr richtig die Erschöpfungspsychosen 
eingetheilt in das Collapedelirium, Amentia (Meynert’s) und die chronische 


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nervöse Erschöpfung. Verf. hat ferner auch den Ref. citirt, dass nämlich — 
„Vortr. in der von ihm als periodische Amentia* bezeichneten periodischen 
Psychose — im Prodromalstadium eigenthümliohe, trügerische Remissionen be¬ 
obachtet hat“. In meinem Buohe sagte ich nun das gerade Gegentheil (S. 116). 
Der Beginn des einzelnen Anfalles ist meist ein acuter, ein länger dauerndes 
Stadium prodromorum mit den eigenthümliohen so trügerischen Remissionen fehlt 
bei der periodischen Amentia. Pilcz (Wien). 


46) Ueber Entstehung der Katatonie, von Pisujatsohewki. (Oboerenije 

psichiatrii. 1900. Nr. 9 u. 10.) 

Eine scharfe Kritik der Tschiischen’schen Theorie der Katatonie, nach der 
bekanntlich die Katatonie eine selbständige, durch geschlechtliche Enthaltsamkeit 
hervorgerufene Intoxicationspsychose erblich nicht belasteter Individuen ist. 
Verf. hält diese Genese der Katatonie für nicht bewiesen, auch ist es seiner An* 
sicht nach nicht richtig, solche nicht genügend bewiesene ätiologische Momente 
einer Classification zu Grunde zu legen. Auf Grund theoretischer Erwägungen 
und eigener Beobachtungen, von denen er vier Krankheitsgeschichten ausführlich 
mittheilt, kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Katatonie ist eine vollständige typische Krankheitsform und gehört 
zu den degenerativen Psychosen. 

2. Die Katatonie lällt meist in die 20er Jahre, jedoch giebt es Fälle, wo 
die Krankheit früher oder später beginnt. 

8. Die Katatonie ist unheilbar, doch kommen in ihrem Verlaufe bedeutende 
zeitweilige Besserungen vor. 

4. Die Symptome der Katatonie sind meist ungleichmäßig ausgeprägt: 
bald die einen, bald die anderen stärker ausgebildet. 

6. Herabsetzung des Schmerzgefühles ist ein ebenso beständiges Symptom 
der Katatonie wie Erhöhung des Muskeltonus. 

6. Im Laufe der Katatonie entwickelt sich ein mehr oder weniger stark 
progressirender Schwachsinn aus. Wilh. Stieda. 


47) Zur Faran olafrage, von Tiling. (Psychiatrische Wochenschrift. 1902. 

Nr. 43 u. 44.) 

Unter Hinweis auf das normale Seelenleben betont Verfi die Bedeutung der 
Gefühle, bei denen er eine continuirliche (individuelle Charakteranlage) und eine 
episodische (affeote) Wirksamkeit unterscheidet. Gefühle sind das Grundlegende, 
das Primäre, sowohl in der Entwickelung des Individuums wie im späteren Leben. 
Gebilde und Vorstellungen sind unzertrennbar, innig miteinander verbunden, wenn 
auch ihr wahrer Zusammenhang oft dunkel bleibt. 

Bei der beginnenden Paranoia wirken die Gefühle wegen ihrer leichten Er¬ 
regbarkeit, Nachhaltigkeit und Einseitigkeit so bedenklich, wie er des genaueren 
auseinandersetzt Im gleichen Sinne wirkt die Phantasie. 

Die krankhaften Vorstellungen persistiren, werden durch Uebung und Ge¬ 
wöhnung uncorrigirbar. Die Wahnideeen, deren Genese dem Kranken längst 
entfallen ist, werden ihm zu Erfahrungsthatsachen. Eine Mitwirkung der Gefühle 
wie vordem findet dann nicht mehr statt, wie denn überhaupt das Gemüth des 
Paranoikers erkaltet. 

Wenn auch bei der sich entwickelnden Paranoia die Gefühlssphäre vor allem 
ergriffen ist, so ist doch die ganze Persönlichkeit als erkrankt anzusehen. Das 
ist vor allem maassgebend für die forensische Beurtheilung. 

Ernst Schnitze (Andernach). 


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UL Aus den Gesellschaften. 

Gesellschaft der -Neurologen und Irrenärzte zu Moskau. 

Sitzung vom 16. Januar 1902. 

Discussion zu dem Vortrage des Herrn Preobrashensky: 

Herr W. Murawieff findet, dass die vom Vortr. gegebene Erklärung für 
die Entstehung der Alexie in seinen Fällen mit den allgemein angenommenen 
anatomischen und klinischen Anschauungen nicht übereinstimmt. Er stellt die 
Frage, ob nicht in diesen Fällen etwas einfacheres vorliegt, z. B. eine Störung 
des oculomotori8chen Apparates. 

Herr W. Muratoff hebt hervor, dass die anatomischen Erklärungen des 
Vortr. auf nicht genügend festgestellten Daten aufgehaut sind. 

Herr W. Weidenhammer glaubt, dass in diesen Fällen das Vorhandensein 
einer Affection beider Hemisphären in Form eines disseminirten Leidens, hervor¬ 
gerufen durch Gefässveränderungen, möglich ist. 

Herr W. Serbskiy sieht bei dem zweiten Pat. unzweifelhafte Symptome von 
Dementia, welche auf einen diffusen Charakter des Erankheitsprocesses hinweisen, 
woher ihm die Anschauung des Vortr., die Amnesie als Herdsymptom zu be¬ 
trachten, nicht verständlich ist. An der Discussion betheiligten sich noch die 
Herren G. Pribytkoff und W. Worobjeffi 

Herr S. Suchanoff: Das endooellulare Nets Qolgi’s in den Nerven¬ 
zellen dee Büokenmarkes. Die Methode von Golgi-Veratti giebt die Mög¬ 
lichkeit, in den Zellen des Rückenmarks das Vorhandensein eines eigenartigen 
intracellularen Netzes zu entdecken. Stüokchen des Rückenmarkes werden in der 
Flüssigkeit Veratti’s (2 Theile einer 5% Lösung von bichromsaurem Kali, 
2 Theile einer 0,1 °/ 0 Lösung von Kali-Chlor-Platinat, 1—l 1 /,—2 Theile einer 
1 °/ 0 Osmiumsäure) fixirt. Am besten sind bis jetzt Präparate von jungen (3—6 
Monate) Meerschweinchen gelungen. Vor der Fixirung wurde das Rückenmark 
der Länge nach in einen vorderen und einen hinteren Theil zerschnitten. Am 
besten geriethen die Präparate, wenn die Rückenmarkstückchen 20—30 Tage in 
der Flüssigkeit Veratti’s blieben. Darauf wurden die Stückeben in eine Mischung 
von Chromsalzen (3 Theile einer 5°/ 0 Lösung von bichromsaurem Kali) und 
Kupfersalzen (ein Theil einer 6°/ 0 Lösung von schwefelsaurem oder essigsaurem 
Kupfer) auf 2— 2 1 / i —3 Tage gelegt und von hier wiederum auf ungefähr 2 Tage 
in eine 1 °/ 0 Lapislösung. Aus den auf diese Weise bearbeiteten Stückchen wurden 
Längenschnitte gemacht. Dieses endocellulare Netz erhält man bedeutend häufiger 
und leichter in den Zellen der spinalen Ganglien, als in den Zellen des Rücken¬ 
marks. Das Aussehen des intracellularen Netzes Golgi’s, welches sich in den 
spinalen Zellen befindet, ist sehr verschiedenartig; in den grossen motorischen 
Zellen hat dieses Netz einen complicirteren und vollkommeneren Bau; dasselbe 
besteht aus dickeren oder dünneren Fäden mit unebenen Contouren, welche den 
Zellkörper in verschiedenen Richtungen schneiden; diese Fäden bilden Maschen 
und weisen oft Verdickungen auf. Die Maschen, die zuweilen in einer Richtung 
etwas lang gezogen sind, liegen ihrer Länge nach parallel dem Zellenrande, 
an der Basis der Dendriten oder aber in ihnen selbst parallel der Längen- 
axe derselben. Das endocellulare Netz bildet Nebenzweige, die in die Dendriten 
gehen; zuweilen gelingt es einen solchen Dendrit auf einer verhältnissmässig be¬ 
deutenden Strecke zu verfolgen. Nicht selten sieht man, dass in den Dendrit 
mehrere solcher Nebenzweige eindringen. Zuweilen aber hat das Netz das Aus¬ 
sehen eines verwickelten Knäulchens. Das besagte Netz ist unzweifelhaft ein 
endocellulares; dasselbe geht nicht bis an die Peripherie der Zelle; doch, da kein 
pericellularer Raum vorhanden ist, so treten die Contouren der Zelle nioht deut- 


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lieh hervor. Ist jedoch ein pericellolarer Raum da, so erhält man das endocellnlare 
Netz gar nicht. In der Umgebung des Kernes liohtet sich das Netz; zum Kern 
steht es, wie es scheint, nicht in Beziehung; sein Aussehen hängt von der Form 
der Zelle ab; so behält z. B. das Netz in den spinalen spindelförmigen Zellen im 
Allgemeinen das spindelförmige Aussehen, in den rundlichen Zellen — ein dem 
entsprechendes u. s. w. In den kleinen spinalen Zellen ist das Netz zuweilen so 
einfach, dass von einem Netz eigentlich nicht geredet werden kann. In einigen 
kleinen spindelförmigen Zellen gelang es, die in die Dendriten ein dringenden 
Nebenzweige des endocellularen Netzes auf einer mehr oder weniger bedeu¬ 
tenden Strecke zu verfolgen; dabei konnte man sehen, wie der Abgang dieser in 
einem Dendrit gelegenen Nebenzweige vor sich geht, wenn sich letzterer in zwei 
feinere Fortsätze theilt Auf einem der Präparate konnte man beobachten, wie 
im Dendrit einer kleinen spindelförmigen Zelle zwei Fortsätze von dem endo¬ 
cellularen Netz parallel verlaufen, sich stellenweise mit einander vereinigen und 
dann an der Stelle auseinandergehen, wo offenbar die Theilung des Dendriten 
vor sich geht. Hinsichtlich der Bedeutung dieses Netzes spricht sich der Vortr. 
sowohl hier als auch in den früheren Arbeiten in dieser Frage dahin aus, dass 
dieses Netz in keiner Beziehung zu den eigentlichen Leitungsbahnen der Nerven¬ 
zelle steht. Es stellt ein noch unbekanntes System dar, welches in der Nerven¬ 
zelle eingelagert ist und in ihre Dendriten eindringt; über die Bedeutung dieses 
Netzes lässt sich jetzt noch nichts Bestimmtes sagen. (Autoreferat.) 

An den Vortr. wurden einige Fragen von Herrn L. Minor und Herrn 
W. Murawieff gerichtet. 


IV. Neurologisohe und psychiatrische Litteratur 

vom 1. Mai bis 80. Juni 1902. 


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anstalten. Halle a./S., Carl Marhold. 158 S. — Angeborener Schwachsinn: Oltus- 
zowskl, Psychische mangelhafte Entwickelung und Sprachstörungen. Therap. Monatsh. 
Heft 5. — Benda, Th., Schwachbegabte auf höheren Schulen. Leipzig u. Berlin, Teubner. 
18 S. — Maupate, Langage chez les idiots. Ann. md d.-p sych. Nr. 8. — Oberbock, Morali¬ 
sches Irresein. Deutsche militärärztl. Zeitschr. XXXI. Heft 5. — Delobel, Surmenage 
scolaire. Gaz. des höp. Nr. 56 u. 57. — Frenzei, Organisation der Hfilfsschule. Medio.- 
pädag. MoDatsschr. der ges. Sprachheilk. Mai. — Sexuelles: Müller, Jos., Sexuelles 
Leben der alten Culturvölker. Leipzig, Grieben’s Verlag. — Eulenburg, Sexuale Neurasthenie. 
Deutsche Klinik. 49— 61. Liefer. — FOrbringer, Impotenz. Ebenda. 52. Liefer. — Rohleder, 
Masturbation. 2. Aufl. Berlin. Fischer’s med. Buchh. 1902. 836 S. — Laquerläre, Traite- 
ment dlectrioue de l’impuissance. Progr. mdd. Nr. 16. — Hess, Yohimbin. Therapie der 
Gegenwart Heft6. — Freyhan, Yohimbin. Deutsohe Aerze-Ztg. Heft 9. — Functionelle 
Psychosen: Orr, Acute insanity. Brain. Nr. 98. — Rudolph, Zwangshandlung. Allg. Ztschr. 
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Zeitschr. f. Psych. LIX. Heft 2 u. 8. — Hoppe, Querulantenwahnsinn. Ebenda. — Cramer, 
Beachtungswahn. Berliner klin. Woch. Nr. 24. — Freeborn, Delirium of bronchopneumonia. 
Lancet 14. Juni. — Intoxioations- und Infectionspsychosen: Cornu, Glycosurie 
avec mdlanoolie. Ann. mdd.- p sych. Nr. 8. — Progressive Paralyse: Hurd, Etiology of 
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Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. Heft 5 u. 6. — Kneidl, Statistik und Aetiologie der 
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news. LXXX. Nr. 20. — Suada, Behandlung der paralytischen Aufalle. Spitalul. Nr. 8. 

— Dementia senilis: Colella, Frenosisenile. Vallar di Milano. 107 8. — Forensische 
Psychiatrie: Nicke, Richter u. Sachverständiger. Neurol. Centr. Nr. 9. — Schultze, Ent¬ 
scheidungen auf dem Gebiete der gerichtlichen Psychiatrie. Halle, Carl Marhold. 46 S. 

— Wer nicke], Tagesf ragen. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. Heft 5. — Seydel, Versuchte 
Täuschung duron Selbstmord. Aerztl. Sachv.-Ztg. Nr. 9. — Ziehen, Pathologische Un¬ 
zurechnungsfähigkeit. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. Heft 5. — Dendy, The feeble-ininded 
and crime. Lancet 24. Mai. — Saporito, Sulla delinquenza roilitare. Riv. mens, di psich. 
for. Nr. 5, 6u.7. — Do Biasio, Gli zingari di Napoli. Ebenda. — Aschaffenburg, Unter¬ 
bringung geisteskranker Verbrecher. Centralblatt f. Nenrenheilk. Nr. 148. — Garnier, 
Protection de la fortune dans les Etablissements d’aliönös. Ann. möd.-psych. Nr. 8. — 
Therapie der Geisteskrankheiten: Dheur, Phosphate de codölne. Ebenda. — 
Mönfcemöllor, Irrenbehandlung im 18. Jahrhundert. Allgemeine Zeitschr. f. Psychiatrie. 
LIX. Heft 2 u. 8. — Flacher, M., IrrenfÜrsorge in Baden. Psych.-neurol. Woch. Nr. 8—10. 

— Schliss, Alkoholabstinenz in Irrenanstalten. Ebenda. Nr. 5. — Schultze, B. 8., Gynäko- 


3Qle 


784 


logie in Irrenhäusern. Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkologie. XV (Ergänzungsheft). 

— Starllnqer, Grosse Irrenanstalten. Psych.-neur. Woch. Nr. 9. — Olih , Grösse und Be¬ 
nennung der Anstalten. Ebenda. Nr. 10. — Hoppe, Zellenlose Behandlung. Ebenda. Nr. 13. 

— Scholz, L., Leitfaden für Irrenpfleger. Halle, Carl Marhold. 83 8. — Hoppe, Stellung 
der Aerzte an Irrenanstalten. Ebenda. 158 S. 

VII. Therapie. Witthauer, Leitfaden der Krankenpflege. Halle a./S. C. Marhold. 1888.— 
8adkowsky, Pyramidon. Kusskij Wratsoh. Nr. 18 . — Vincenzo, Piramidon. Gazz. degli osped. 
Nr. 47. — Rabow, Apomorphin als Beruhigungs- und Schlafmittel, r. Levden-Festschr. IL 

— Baucke, Dionin. Psych.-neur. Woch. Nr. 6. — Fritsch, HedonaL Wiener med. Presse. 
Nr. 24. — 8cherf, Hedonal. Wiener med. Blätter. Nr. 21. — Zavoidi, Eroina. Gazz. degli 
osped. Nr. 51. — Helbich, Heroin. Heilkunde. Heft 5. — Fraser, Cacodylates. Scott 
med. and surg. Journ. X. Nr. 5. — Edlefsen, Kakodylsäurebehandlung. Therap. Monatsh. 
Nr. 4. — Neumann, S. u. Vas, Ovariumpräparate und Stoffwechsel. Monatsschr. f. Geburtsh. 
u. Gynäkologie. XV (Ergänzungsheft). — Grohmann, Aus der Schweiz (Colonie Friedau). 
Psycn.-neur. Woch. Nr. 7. — Marcuse, Lichttherapie. Zeitschr. f. diät u. physik. Therap. 
VI. Heft 8 u. Deutsche Medic.-Ztg. Nr. 51. — Cohn, Toby, Elektrodiagnostik u. -therapie. 
2. Aufl. Berlin, S. Karger. 166 S. — Fellner, Elektr. Zweizellenbad. Wiener med. Woch. 
Nr. 26. — Rüge, Muskelmassage. Zeitschr. f. diät. u. physik. Therap. VI. Heft 8. — 
Mainzer, Sehnenfiberpflanzung. Münch, med. Woch. Nr. 21. — Kouindjy, Extensionsmethode 
bei Behandlung von Nervenkrankh. Zeitschr. f. diät. u. physik. Therap. VL Heft 2. 


V. Vermischtes. 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad 
vom 2L—27. September 1902. 

19. Abtheilung: Neurologie und Psyohiatrie. 

Einführende: Dr. Gans (Karlsbad), Prof. Dr. Arnold Pick (Prag). 

Schriftführer: Dr. Förster (Karlsbad), Dr. Margulids (Prag]. 

Vorträge: 

1. Anton (Graz): Ueber Degenerationen im Groeshirne. — 2. Brosius (Sayn): Psy¬ 
chosen der Juden. — 8. Eulenburg (Berlin): Ueber einige neuere elektro-therapeutiache 
Methoden. — 4. Freud (Wien): Thema Vorbehalten. — 5. Hartmann (Gras): Thema Vor¬ 
behalten. — 6. Hirschl (Wien): Geographische Verbreitung der Paralyse. — 7. Kalmus 
(Prag): Skizze des derzeitigen Standes der Irrenpflege in Böhmen. — 8. Kohnstamm 
(Königstein i/T.): Der Begriff der coordinatorischen und der motorischen Zelle. — 9. Löwen¬ 
thal (Braunschweig): Die objectiven Symptome der Neurasthenie. — 10. Marburg (Wien): 
Zur Pathologie der grossen Hirngefässe. — 11. MarineBCO (Bukarest): Untersuchungen 
über spinaleLocalination. — 12. Meschede (Königsberg): Thema Vorbehalten. — 13. Mfinzer 
(Prag): Zur Lehre vom Neuron. — 14. Neisser (Lublinitz): Thema Vorbehalten. — 15. Ober¬ 
steiner (Wien): Thema Vorbehalten. — 16. A. Pick (Prag): Zur pathologischen Histologie 
des Gehirns. — 17. Friedei Pick (Prag): Ueber klinische Temperatursinnsprfifung. — 

18. Pilcz (Wien): Ueber Ergebnisse elektrischer Untersuchungen an Geisteskranken. — 

19. Probst (Wien): Zur Klinik und pathologischen Anatomie eines eigenartigen Verblödungs- 
processes im Kindesalter. — 20. Bai mann (Wien): Demonstration mikroskopischer Präparate 
und Bericht über einen Fall von Polioencephalitis. — 21. Bothmann (Berlin): Ueber die 
Ergebnisse der experimentellen Ausschaltung der motorischen Function und ihre Bedeutung 
für die Pathologie. — 22. Sternberg (Wien): Zur Physiologie des menschlichen Central- 
nervensystems nach Studien an Hemicephalen. — 23. Stransky (Wien): Ueber diseontbuir- 
liche Zerfallsprooeese am peripherischen Nerven. — 24. Sträussler (Prag): Ueber Folge¬ 
zustände fötaler Hydrocepnalie. — 25. v. Wagner (Wien): Neurologisch-psychiatrische Mit- 
theilnngen. — 26. Wiener (Prag) zugleich für Mfinzer (Prag): Das Zwischen- und Mittelhirn 
des Kaninchens. 

Die Abtheilung ladet ein: 
die Abtheilung 12 (Anatomie und Physiologie) zu: 

Stransky (Wien): Ueber discontinuirliche Zerfallsprocesse am peripherischen Nerven. 
— Mfinzer (Frag): Zur Lehre vom Neuron. — Sternberg (Wien): Zur Physiologie des 
menschlichen CentralnervensystemB nach Studien an Hemicephalen. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Bedaotion sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Van & Comp, in Leipzig. — Druck von Manen & Warn in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einondswanngster I. * * * * * * * * 10 Jahrgang. 

Monatlich erscheinen xwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu besiehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 1. September. Nr. 17. 


I. Originalmittheilungen. 1. Ueber das Erstsymptom und die Bedeutung der Achilles' 

sehnenreflexe bei Tabes, von S. Goldflam in Warschau. 2. Zur Caauistik der Epilepsie luetioa, 

von Dr. J. A. Feinberg in Eowno fRussland). 8. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie, 
von Dr. Hubert Schnitzer. 4. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. Ein 
Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Bemerkungen über den Verlauf der centralen 

Haubenbahn, von Josef Sorgt. (Sohluss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zum normalen und pathologischen Baue des 
menschlichen Rüokenmarks, von Helllch. 2. Einführung in die physikalische Anatomie. 1. 
und II. Theil. Von Triepel. — Experimentelle Physiologie. S. On the Stimulation 

and paralysis of nerve-cells and of nerve endings, by Langley. 4. Sectdon intracr&nienne du 
nerf optique chez le lapin (Präsentation d’animaux opäräs), par Marenghi. 5. Geschmack und 
Chemismus, von 8ternberg. 6. Contributo clinico alla conoscenza delT innervazione gustatoria. 
Nota del Fasoia. — Pathologische Anatomie. 7. Les effets de la trdpanation faite 
sur les jeunes animaux, par Demoor. — Pathologie des Nervensystems. 8. Neuro* 
pathologische Beobachtungen, von Bernhardt. 9. Les oonvulsions chez l’enfant. 1. Etiologie, 
Symptomatologie et diagnostic, par d’Esplne. II. Pathogänie, pronostic et traitement, par 

■oussons. III. Discussion. 10. Hemianopsie bei Eklampsie, von Knapp. 11. A oase of 
eclampsia at the sixth month. Successful labour at full time, by Dswar. 12. Notes of six 
cases of puerperal eclampsia treated by saline infusione, by Jardine. 18. Ueber einen Fall 

von totaler retrograder Amnesie, von Binswanger. 14. Die Rolle der Autointoxication in der 
Epilepsie, von Hebold und Bratz. 15. Du parasite trouve dans le sang des äpileptiques, par 
Bra. 16. Nuove proprieta tossiche e terapeutiche del siero di sangue degli epilettioi e loro 
applicaxioni pratiche, del Csnl. 17. Contributo allo Studio dell* asimmetria di pressione negli 
epuettici nei delinquenti e nelle proetitute, pel Audenlno ed Lombroso. 18. Le oscillazioni 
del ricambio materiale nell’ epilettioo, pel Alsasl e Plsrt* 19. Ein Fall von erhaltenem Be¬ 
wusstsein im epileptischen Anfall, von Diehl. 20. Dissociazione dei movimenti respiratorii 
toracici e del diaframma durante l’accesso epilettico. Osservazioni del Beintondo. 21. Report 
of two cases of epilepsy, by Krim. 22. Zur Entstehung der Epilepsie, von v. Voss. 
28. Observations of a case of convulsions by Jackson and 8inger. 24. Ueber die Epi- 
lepsia procurava, von Goldbaum. 25. Ein Beitrag zur Casuistik des acuten umschriebenen 
Oedems (epileptische Insulte im Verlaufe des Hydrops bypostrophos), von v. Rad. 26. Epi¬ 
lepsie larvata, von Tscbisch. 27. Ueber Kinderepilepsie, von Wassiljew. 28. Sur la valeur 
chirurgicale de Täpilepsie Jacksonienne, par Chipault. 29. Zur Frage der Trepanation bei 
oorticaler Epilepsie, von Rasumowsky. 80. Theoretical and praotical considerations on 
the treatment of Jacksonian epilepsy by Operation, with the report of flve cases, by Putnam. 
81. Ueber operative Eingriffe bei Epilepsie choreica, von v. Bechterew. 82. Resection des 
Hals8ympathicus bei Epilepsie, von Hevssl. 88. Die Anwendung des Dormiols bei Epilep* 
tischen. Ein Beitrag zur Behandlung des Status epilepticus, von Hoppe. 84. Observations 
on a case of epilepsy to determine tue value oft the Riehst and Toulouse method of treat¬ 
ment by a chlorine-poor diet, by Eason. 85. Leber die diätetische Behandlung der Epilepsie, 
von Bdlint. 86. La dieta ipoclorurata nella cura bromica della epilessia, pel Cappelietti e 
D’Ormea. 87. Versuche mit der Toulouse und Richet'schen Epilepsiebehandlung, von Halml 
und Bagarus. 88. Bromocoll, ein neues Brommittel in der Behandlung der Epilepsie, von 

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Reich und Ehrcke. 39. Drei Fälle von vollständig geheilter Epilepsie, von Tumuwzky. 
40. Epileptikeranstalt oder NervenheibtätteP Gatachten, erstattet dem Verein norddeutscher 
Irrenärzte, von Bratz. 41. Poblieations da progrfes medical. VoL XXI: Recherches cliniqoes 
et thörapeutiques sur l’dpilepsie, l’hyst&ie et l’idiotie, par Bourneville. — Psychiatrie. 
42. Hallacinations diornes cnez lee enfants, par Vergeljr. 43. Ueber Gehirnerkrankongen mit 
Katatonie, von Anton. 

III. Bibliographie. 1. Epilepsie, von W. R. Gowers (London). II. Auflage. Deutsche 
aatorisirte Aasgabe von Dr. Max Weise (Wien). 2. Neorologia, von Kure and Miura. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Ueber das Erstsymptom und die 
Bedeutung der Achillessehnenreflexe bei Tabes. 

Von S. Ooldflam in Warschau. 

Durch die Erkenntnis, dass die Sehnenreflexe — insbesondere die Knie¬ 
reflexe — bei Tabes eine frühzeitige Störung erleiden (Herabsetzung, Ungleioh- 
mässigkeit und Ermüdbarkeit bei wiederholtem Beklopfen der Patellaraehne, 
Ungleichheit, vollständiges Fehlen), haben wir gelernt, diese Erkrankung 
früher zu diagnosticiren, als es vorher möglich war. Man spricht von initialer 
Tabes, wenn die bekannte Trias — charakteristische Schmerzen, das West- 
PHAL’sche und das AEOTLL-RoBEETSON’sche Symptom — vorhanden ist, ja der 
Verdacht auf dieses allerhäufigste Bückenmarksleiden erscheint sehr gerecht¬ 
fertigt, wenn zwei der letztgenannten Symptome (gewöhnlich die charakteristischen 
Schmerzen und das WESTPBAL’sche oder aber erstere und das Ahgyll- 
RoBEBTBON’sche Zeichen) zugegen sind. Wir abstrahiren hier von anderen 
Symptomen, so den Störungen der Blase, Potenz und cutanen Sensibilität, vom 
RoMBEBo’schen Symptom und dem Gürtelgefühl, von Augenmuskellähmungen, 
Sehstörungen (Opticusatrophie), abnormem Müdigkeitsgefühl in den Beinen, 
gastrischen Krisen, Arthropathieen u. s. w., welche nicht selten im Beginn der 
Erkrankung auftreten und einen grossen diagnostischen Werth haben; wir wollen 
uns nur an den häufigsten Typus der intitialen Tabes mit der vorerwähnten 
Trias halten. 

Es stellte sich heraus, dass Fälle von initialer Tabes in der Praxis viel¬ 
leicht öfters Vorkommen, als ausgesprochene, voll entwickelte mit Ataxie, Läh¬ 
mungen, deutlichen Sensibilitätsstörungen u. & w. Die weitere Erfahrung hat 
gelehrt, dass dieses sogenannte initiale Stadium keineswegs ein frühzeitiges ist, 
denn meist erfahrt man vom Patienten, dass manche Symptome, insbesondere 
die charakteristischen Schmerzen, bereits seit Jahren bestehen. Es wäre daher 
interessant, zu eruiren, welches Symptom des Trias meist das allererste ist Dass 
die Kranken die Schmerzen angeben, ist natürlich, da ihnen das WESTPHAi/sche 
und ABGYLL-RoBEBTSON’sche Zeichen nicht zum Bewusstsein gelangt Kommen 
aber die Patienten unter ärztliche Beobachtung, dann ist eine gewisse Zeit seit 
Beginn der Erkrankung verstrichen, und man findet bereits mehrere Symptome 


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787 


(gewöhnlich die genannte Trias oder nur zwei von ihnen), die anscheinend 
ziemlich schnell anfeinander folgen. 

Zur Lösung der Frage, welches Symptom meist zuerst auftritt, eignen sich 
Fälle, in denen es gelingt, den Patienten seit Beginn seiner Beschwerden jahrelang 
zu beobachten und wo der Verlauf ein sehr protrahirter ist, das erste Stadium 
sich über Jahrzehnte hinausdehnt. Ich verfuge über einige einschlägige Fälle, 
die darthun, dass es thatsächlich die Schmerzen sind, welche gewöhnlich als 
allererstes Symptom auftreten. Ein solcher Fall mag hier angeführt werden: 

Patient T., 46 Jahre alt, suchte mich im Mai 1894 zum ersten Male auf. 
Vor 20 Jahren Ulcus durum. Danach Behandlung mit Ung. ein. (nur 10 Ein¬ 
reibungen, da der Arzt mit der Diagnose Lues schwankte). Bald darauf zeigten 
sich rectale Beschwerden, die zunächst mit Quecksilberpillen behandelt wurden, 
aber erst nach operativer Beseitigung von Hämorrhoidalknoten schwanden. Seit 
10 Jahren anfallsweise auftretende, sehr heftige „blitzartige“ Schmerzen in einer 
circumskripten Stelle der Beine. Die Attacke stellt sich gewöhnlich des Nachts 
ein, dauert */,—3 Tage und kehrt in Intervallen von etwa 1—4 Wochen in 
einem anderen Bezirk wieder. In der Zwischenzeit ist Pat. ganz frei von Be¬ 
schwerden. Die Witterung soll auf das Eintreten der Schmerzparoxysmen, die 
der Kranke für „Rheumatismus“ hält, einen merklichen Einfluss haben. Salicylate 
sind angeblich von günstiger Wirkung. Pat. ist seit mehreren Jahren verheiratet 
und hat ein gesundes Kind. Seine Frau abortirte nicht. 

Trotz der genauesten Untersuchung konnte ich bei dem sehr kräftigen Pat. 
objectiv nichts Abnormes feststeUen. Sehenreflexe, Pupillen, Sensibilität u. s. w. 
absolut intact. Die Schilderung der Schmerzen, das anfallsweise Auftreten in 
einer circumskripten Partie der Beine, der lancinirende Charakter, die ausser¬ 
ordentliche Heftigkeit, die periodische "Wiederkehr und der Wechsel des Ortes 
war jedoch so typisch, dass ich eine Tabes stark verdächtigte, zumal Syphilis in 
der Anamnese vorlag. 

Ich sah Pat. nach 6 Jahren wieder. Die Schmerzattacken haben nicht nach¬ 
gelassen; die letzte hielt den Kranken 3 Wochen im Bett. Die jetzt vor¬ 
genommene Untersuchung ergab, dass die Befürchtungen berechtigt waren. Pupillen 
eng, ungleich (r. < 1.), lichtstarr, reagiren aber gut bei Convergenz und Accom- 
modation. Der linke Achillessehnenreflex fehlt; die übrigen Sehnenreflexe jedoch 
erhalten. Einen Monat später konnte auch der rechte Achillessehnenreflex nicht 
mehr ausgelöst werden, und es stellten sich an den Füssen deutliche Sensibilitäts- 
sörungen ein (Verdoppelung des Gefühls beim Stechen, zuerst Berührungs-, dann 
Schmerzempfindung, Nachdauer und Summation des Schmerzes). 

Im April 1901 stellte sich Pat., der inzwischen in Trenczin eine Schmierkur 
(80 Einreibungen) durchgemacht, wieder vor. Die Schmerzparoxysmen treten noch 
häufiger und heftiger auf. Der linke Achillessehnenreflex fehlt constant, der 
rechte kann ausgelöst werden. Patellarreflexe lebhaft. Sonstiger Zustand un¬ 
verändert 

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass wir es hier thatsächlich mit initialer 
Tabes zu thun haben. Der Fall ist nur insofern bemerkenswerth, als durch 
die ärztliche Beobachtung bestätigt wurde, dass die charakteristischen Schmerzen 
lange Zeit und zwar über 10 Jahre als einziges Symptom vorhanden waren, 
bevor die sogen, objectiven Zeichen (reflectorische Pupillenstarre, Fehlen des 
einen Achillessehnenreflexes, cutane Sensibilitätsstörungen) die Diagnose sicherten. 
Man darf wohl mit Recht behaupten, dass die charakteristischen Schmerzen in 

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diesem Falle das allererste Symptom darstellten und den übrigen jahrelang 
vorausgingen. 

Diese nnd ähnliche Beobachtungen haben mioh gelehrt, dass die charak¬ 
teristischen Schmerzen oft das früheste tabisohe Symptom bilden. Aach Ebb 1 
berichtet über Fälle, in denen subjeotive Beschwerden seit einer Reihe von 
Jahren bestanden haben, trotzdem wenig objective Symptome nashznweisen waren. 
Laimbach 2 spricht sich auf Grund des reichen EaB’schen Materials ent¬ 
schieden dafür ans, dass die lancinirenden Schmerzen in der weitaasgrossen 
Mehrzahl der Fälle als allererstes Zeichen der tabischen Erkrankung aufeufassen 
sind. Ich betone aber nochmals, dass es keineswegs immer so za sein 
braucht Obwohl die Schmerzen nicht allein zu den ersten, sondern aoch 
za den constantesten tabischen Symptomen gehören, können sie manchmal 
nur wenig aasgesprochen sein and vereinzelt auoh ganz fehlen. Meist sind es 
die Schmerzen, welche den Patienten zum Arzt treiben, und sie erreichen oft 
eine solche Höhe, dass sie die Erkrankung zu einer der qualvollsten stempeln. 
Nicht selten aber nehmen die Schmerzen auch während der ganzen Dauer der 
Krankheit eine mildere Form an; die Patienten beachten ihren „Rheumatismus" 
nicht und geben die Schmerzen nur auf Befragen an. Allein der Typus, das 
anfallsweise Auftreten, der blitzähnliche, lancinirende Charakter der einzelnen 
Exacerbationen an einer circumscripten Stelle, der Wechsel des Ortes während 
der nächsten Attaquen beim Bevorzugen mancher Regionen u. a. m. bleiben für 
den Arzt diagnostische Fingerzeige. In solchen Fällen könnte man von einer 
indolenten Tabes, die gewöhnlich einen längeren Verlauf hat, sprechen, zumal 
manche Patienten jedwede Schmerzempfindung entschieden leugnen und nur 
über allerlei Parästhesieen klagen. Ganz vereinzelt stehen wohl die Fälle da, 
in denen weder Schmerzen noch Parästhesieen vorhanden sind; ich habe nie 
einen derartigen gesehen. 

Die tabischen Schmerzen wurden von Duchenne, Rombebg, Leyden u. A. 
meisterhaft beschrieben; es sei nur daran erinnert, dass sie in der Regel 
nicht an einen bestimmten Nerven gebunden sind. Nur ganz vereinzelt habe 
ich sie eine Zeit lang im Verlauf des N. ischiadicus sich abspielen und eine 
Ischias Vortäuschen sehen. Bekannt ist auch die Hyperästhesie am Ort der 
Schmerzen; manchmal schwellen daselbst die oberflächlichen Venen, ja, die 
ganze Haut schwillt an und bedeckt sich mit Bläscheneraptionen, die bald nach 
der Attaque eintrocknen und schwinden. Wie sehr die tabisohen Schmerzen in 
die Oekonomie des Organismus eingreifen können, beweisen die Fälle, in denen 
sich Fieber hinzugesellt Ich habe einen Fall beobachtet, in welchem die Temperatur 
beim Ausbrach besonders heftiger Schmerzen an mehreren Stellen des Körpere 
zugleich, bis auf 40° gestiegen war, andere, in denen die Schmerzen mit einer 
Temperatur von 38° einhergingen. Interessant ist das Alterniren der Schmerzen 
mit einem anderen in Paroxysmen auftretenden Symptom und zwar mit den 


1 Zur Frühdiagnose der Tabes. Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 29. 
* Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. VII. S. 495. 


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gastrischen Krisen. Ich habe Fälle gesehen, wo sich nach Ablauf einer gastrischen 
Krise regelmässig eine Schmerzattaque einstellte und umgekehrt Nioht selten 
beeinträchtigen die Schmerzen die Ernährung des Patienten in hohem Maasse. 

Wo die Schmerzen in typischer Gestalt auftreten, sind sie vielleicht das 
charakteristischste Symptom der Tabes. Das WESTPHAL’sche Zeichen ist ja, 
ausser dieser, noch vielen anderen Erkrankungen eigen (Neuritis, Poliomye¬ 
litis u. 8. w.). Die reflectorische Pupillenstarre kommt ebenfalls nicht nur bei 
Tabes, sondern auch bei Lues, progressiver Paralyse, Hirntumoren u. s. w. vor. 
Aber die Schmerzen, wie sie in typischer Weise bei Tabes auftreten, scheinen 
nur diesem Leiden anzugehören; ich wenigstens habe sie bei keinem anderen 
gesehen, weder bei Diabetes, Polyneuritis, Meningitis, noch bei functionellen 
Neurosen, Phlebektasieen der Beine, Muskelrheumatismus u. s. w. Wo typische 
Schmerzen vorhanden waren, hat sich alle Mal (wenn die Beobachtung lang 
genug währte) eine Hinterstrangsklerose entpuppt, und ich nehme keinen An¬ 
stand, dieselbe auch dann stark in Verdacht zu haben, wenn die Schmerzen als 
isolirtes Symptom auftreten. 

Es lässt sich schwer sagen, wo der Ausgangspunkt der tabischen Schmerzen 
zu suchen ist und noch schwerer, wie die Paroxysmen entstehen. Wenig wahr¬ 
scheinlich ist es, dass die peripherischen Nerven daran Schuld sind. Bekanntlich 
haben Westphal, Dejbeine, Pitbes und Vaillabd, Oppenheim und Siembb- 
ung tl A. an den peripherischen sensiblen Nerven atrophische Veränderungen 
gefunden, allein es handelte sioh meist um vorgeschrittene Fälle von Tabes mit 
deutlichen Sensibilitätsstörungen. Die tabischen Schmerzen jedoch treten in den 
allerersten Stadien der Erkrankung auf, zu einer Zeit, da die exacteste Unter¬ 
suchung keine Sensibilitätsstörungen nachweisen lässt Ebenso wenig kann es 
sich um centrale, vom Rückenmark ans bedingte Schmerzen handeln, da die 
Hinterstränge nach den Ergebnissen der experimentellen Forschung (Sohifp) 
unempfindlich sind. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass die Schmerzen 
durch Erkrankung der hinteren Wurzeln bedingt werden, die bei der Tabes 
regelmässig degeneriren und in welche von manchen Autoren (Leyden) der 
Ausgangspunkt der Krankheit verlegt wird. Die Anfalle könnten durch den 
wechselnden Blutgehalt, durch hyperämische Zustände bedingt sein — hat doch 
tl A. E. Kbadss in den meisten Fällen an den Blutgefässen Veränderungen, die 
er zwar für secundäre hält, gefunden. Man muss noch daran erinnern, dass 
Obebsteineb und Redlich auf Verdickungen der Pia an der Durohtrittsstelle 
der hinteren Wurzeln hin weisen, die auf die letzteren einen Reiz ausüben könnten. 

Dem Verhalten der Achillessehnenreflexe bei Tabes habe ich seit 1888 1 
die Aufmerksamkeit geschenkt Ich wies darauf hin, dass während die Knie- 
und Achillessehnenreflexe in der Regel ein gleiches Verhalten zeigen, d. h. ge¬ 
wöhnlich fehlen, man nicht selten Fällen begegnet, in denen diese Phänomene 
sich ungleich verhalten und der Achillessehnenreflex bei ausgesprochenem Knie¬ 
reflex abgeschwächt erscheint. 


1 Nenrolog. Centralbl. 1888. Nr. 19 a. 20. 


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Tumpowski 1 hat dann bei Prüfung meines Materials über Tabes auf das 
Verhalten des Achillessehnenreflexes (es wurden hierzu 116 Fälle verwandt) zwei 
Gruppen aufgestellt: 

Gruppe L Fälle mit verändertem Patellarreflex bei gleichzeitigem 
beiderseitigem Fehlen des Achillesreflexes . 97 Mal, 
einseitigem „ „ „ .6 „ 

Ungleichheit des Achillesreflexes .... 2 „ 

Abschwächung des „ .... 2 „ 

Gruppe II. Fälle mit normalen Patellarreflexen bei 

beiderseitigem Fehlen des Achillesreflexes . . 5 Mal, 

einseitigem „ „ „ . . 3 „ 

Ungleichheit des Achillesreflexes.1 „ 

Später war es B abinski j , der die diagnostische Bedeutung des Fehlens 
der Achillessehnenreflexe bei Tabes hervorgehoben und Fälle mit erhaltenem 
Knie- bei fehlendem Achillessehnenreflex beschrieben hat 

Brno 8 , der in meiner Poliklinik das Verhalten des Achillessehnenreflexes 
bei der sogen. Ischias besonders studirte, fand in verhältnissmässig kurzer Zeit 
nicht weniger als 12 Fälle (14% der gesammten Ischiasfälle), in denen der 
Reflex auf der afficirten Seite abgeschwächt, meist sogar aufgehoben war und 
hält dieses Symptom (neben den weniger constanten Sensibilitätsstörungen, 
leichten Atrophieen und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit) mit Recht 
für ein sehr werthvolles diagnostisches Merkmal zur Unterscheidung der Neuritis 
ischiadica von der Neuralgie und der hysterischen Pseudoischias. Kurz vorher 
wies Babinski 4 darauf hin, dass Verschwinden oder Abschwächung des Achilles¬ 
sehnenreflexes bei Ischias eine organische Läsion des Nerven anzunehmen und 
die wahre von der hysterischen Pseudoischias zu unterscheiden erlaubt Stebn- 
beeg hat bereits im Jahre 1893 zwei Fälle von Neuralgie des N. ischiadicus 
mit aufgehobenem Achillessehnenreflex auf der afficirten Seite beschrieben. 

In einer zweiten Arbeit aus meiner Poliklinik wies dann Brno 6 nach, dass 
der Achillessehnenreflex bei Neuritis ischiadica mit Besserung des Leidens wieder 
erscheint und sogar zur Norm zurückkehrt In demselben Aufsatz beschreibt 
er neue Fälle von Tabes mit normalen, sogar gesteigerten Knie- bei gestörten 
Achillessehnenreflexen. 

In seiner neuesten Mittheilung geht B abinski 6 so weit zu behaupten, „dass 
der Achillessehnenreflex bei Tabes in der Regel vor dem Kniereflex ergriffen 
wird oder wenigstens häufiger gestört ist, somit in diagnostischer Hinsicht eine 
noch grössere Bedeutung besitzt.“ 


‘ Deutache Zeitgehr. f. Nervenheilk. X. 1897. 

* Soc. möd. des höp. de Paris. Söance du 21./X. 1897. 

* Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XI. 1897. 

4 Soc. m&L des höp. de Paris. Söanoe de 18./XII. 1896. 

* Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 

* Extr. de la Soc. de Neurol. de Paris. Sitzung vom 2. Mai 1901. 


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Die vieljährige Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Achillessehnenreflexe 
eine ebenso regelmässige physiologische Erscheinung darstellen wie die Knie¬ 
reflexe. Die genauen statistischen Angaben von Ziehen 1 und Stbassbübgeb 3 
haben das übrigens zur Genüge erwiesen.® In krankhaften Zustanden unter¬ 
liegen sie denselben Störungen (Abschwächung, ungleichmässiges Auftreten, Er¬ 
müdung, Ungleichheit auf beiden Seiten, totales Schwinden) wie die Kniereflexe. 
Es stellte sich auch heraus, dass die Achillessehnenrefle bei denselben patho¬ 
logischen Processen eine Störung erfahren wie die Patellarreflexe, und in den 
wenigen Fällen, in denen man für die Störung der ersteren noch keine Er¬ 
klärung finden kann, handelt es sich immer um verdächtige, in Entwickelung 
begriffene Fälle, die dann bei weiterer Beobachtung gewöhnlich erkannt werden. 
Wissen wir doch, dass auch das W estphal 'sehe Zeichen sich vereinzelt auf 
einen bestimmten pathologischen Zustand nicht zurückführen lässt. Dasselbe 
gilt vom Achillessehnenreflex, dessen Störungen demnach ein ebensolches patho¬ 
logisches Symptom darstellen und die gleiche diagnostische Bedeutung be¬ 
anspruchen. 

Wie zur Feststellung der Kniereflexe, so bedarf es manchmal zu der 
des Achillessehnenreflexes besonderer Vorsichtsmaassregeln. Die in meiner 
Poliklinik am meisten geübte Methode besteht darin, dass das (bei hori¬ 
zontaler Lage des Patienten) im Knie unter stumpfem Winkel gebeugte Bein 
im Hüftgelenk etwas abducirt, flectirt und ein wenig nach aussen rotirt wird; 
die linken Finger des auf derselben Seite stehenden Untersuchers üben auf die 
Vorderfläche der Planta pedis einen leichten Druck aus, während die rechte 
Hand mit dem Percussionshammer der Achillessehne einen kurzen Schlag ver¬ 
setzt Wie bei den Patellarreflexen, so muss man auch hier auf die Entspannung 
der Muskeln achten und, wo nöthig, zum jENDBAssm’schen Handgriff seine Zu¬ 
flucht nehmen. Bisweilen ist die Mitte der Sehne, manchmal aber deren Kanten 
am leichtesten zu erregen, doch soll man nie zu hoch beklopfen (etwa am 
Muskelansatz), da sonst eine Verwechselung mit der idiomusculären Erregbarkeit 
zu Stande kommen kann. 

Eine andere, insbesondere zur Demonstration der ungleichen Achillessehnen¬ 
reflexe in der Poliklinik geübte Methode besteht darin, dass man den Patienten 


1 Deutsche med. Woohenschr. 1894. Nr. 88 u. 34. 

8 Deutsche Zeitschr. t Nerrenheilk. XVII. 1900. 

8 Ed. Bramwill kommt in seiner Arbeit fiber die klinische Bedeutung der Abwesen¬ 
heit der Achillessehnenrefiexe (Brain, 1901. S. 554) zu etwas abweichenden Resultaten. 
Auch er hält diese Reflexe für ein regelmässiges Symptom bei Leuten unter 50 Jahren, 
meint aber, dass sie jenseits dieses Alters nicht immer nachweisbar sind (und zwar pro¬ 
portioneil den späteren Jahren). Nach meiner Erfahrung ist das nicht richtig, da ich 
selbst im hohen Alter die Achillessehnenreflexe ebenso constant fand wie die Kniereflexe. 
Erst neulich wurde mir eine fiber 90jährige Frau vorgestellt, bei der die Achillessehnen¬ 
reflexe bei erhaltenen Kniereflexen angeblich fehlten, aber auch hier gelang es mit Hfilfe des 
JbkdrA se ik’ sehen Handgriffs dieselben, wenn auch schwach, zum Vorschein zu bringen. 
Bramwill giebt übrigens zu, dass, wenn Beine Fälle nochmals zur Untersuchung kämen, 
man doch in manchen den Reflex henrorbringen würde. 


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die Bauchlage einnehmen lässt und beim im Knie extendirten Bein mit den 
linken auf die Vorderfläche der Planta pedis aufgelegten Fingern eine leichte 
Doraalfleiion herbeiführt und die Sehne kurz anschlägt 

Was nun das Verhalten der Achillessehnenreflexe bei Tabes betrifft, so sind 
sie bekanntlich in der Regel, ähnlich den Kniereflexen, aufgehoben. Es giebt 
indess genug Fälle, in denen das Verhalten ein verschiedenartiges ist, sei es, 
dass die Kniereflexe zugegen, die Achillessehnenreflexe aufgehoben oder — im 
Allgemeinen seltener — die letzteren vorhanden sind, während die ersteren 
fehlen. Es kommt auch nicht selten vor, dass die Achillessehnenreflexe (ebenso 
wie die des Kniees) nicht beiderseits gleichartig gestört sind; bald sind sie auf 
einer Seite stärker, bald aufgehoben, bald schwach, leicht ermüdbar und nieht 
bei jedem Beklopfen auslösbar u. s. w. Diese letzteren Modalitäten fuhren zum 
Versiegen der Reflexe. Ich habe Tabesfalle gesehen, wo von den Sehnenreflexen 
an den unteren Extremitäten nur ein Achillessehnenreflex fehlte. 

Aus der Thatsache, dass Störungen der Achillesreflexe bei normalen Knie¬ 
reflexen häufiger Vorkommen, als die umgekehrte Combination, darf man mit 
Babinski schliessen, dass die Achillessehnenreflexe bei Tabes öfters und ge¬ 
wöhnlich vor den Kniereflexen alterirt werden. Die Störungen der ersteren 
bieten demnach ein sehr werthvolles diagnostisches Moment und können dazu 
beitragen, die Tabes im Frühstadium, noch vor dem Auftreten des Westphal’- 
schen Zeichens, zu erkennen. 

Erwähnt sei noch, dass die Sehnenreflexe bei Tabes manchmal verhältniss- 
mässig schnell schwinden. So habe ich einen Fall beobachtet, in welchem im Ver¬ 
lauf von 4 Monaten die Knie- und Achillessehnenrefiexe total und für immer 
schwanden, einen anderen, in welchem die Patellarrefiexe nach 9 Monaten ungleich 
wurden und bald darauf (3 Wochen) ganz fehlten, einen dritten, in welchem die 
schwachen Kniereflexe schon nach einer Woche nicht auszulösen waren, endlich 
einen vierten, in dem die am 10./XIL noch deutlichen Kniereflexe (bei fehlenden 
Achillesreflexen) bereits am 25./XH. schwächer wurden und am 30./XEL sich 
überhaupt nicht mehr nachweisen Hessen. 


2. Zur Casuistik der Epilepsia luetica. 1 

Von Dr. J. ▲. Feinberg in Kowno (Russland). 

Die Epilepsie ist keine seltene Erscheinung bei Gehirnlues. Wir begegnen 
ihr im Frühstadium, in der Mitte, im Endstadium des specifischen Gehim- 
leidens. Irritative Momente für Auslösung von Krampfattaquen sind zahlreich. 
Meningeale Producte, sklerotische schwielenartige Verdickung der Gehirnhäute, 
Verwachsung mit der Gehirusubstanz; Circulationsstörungen, Compression, 
Thrombose, Obliteration der Gefässe mit consecutiven circumscripten Gehira- 


1 Auszug aus einem ausführlichen Vortrage aber Epilepsia luetica, gehalten in der 
Kownoer medioin. Gesellschaft im Jahre 1900. 


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erweichungen, der Prädilectionssitz der gummösen Entzündung im motorischen 
Felde oder in seiner nächsten Nähe, die Volumschwankungen des gummösen 
Tumors, pro-regressive Metamorphose derselben, gesteigerte Erregbarkeit der 
Gehimsubstanz oder epileptische Veränderung derselben, die bei differentem 
Sitze der luetischen Affection, an der Basis oder anderen Gehimbezirken zu 
Stande kommt und zu convulsiven Entladungen Anlass giebt 

Die luetische Epilepsie präsentirt sich in zwei Typen. 

1. Typus: Epilepsie ohne jegliche Cerebralstörung. 

2. Typus: Epilepsie mit Cerebralphänomenen, die sie einleiten oder ihr 
naehfolgen. 

In beiden Typen unterscheidet sich der Anfall in Nichts von dem der 
fonctionellen Epilepsie. Sie macht alle bekannten Variationen derselben durch, 
kann von Aura begleitet sein, alle drei Componenten des Anfalles, oder nur eine 
Componente desselben besitzen, die Bewusstlosigkeit, petit-mal; jAOKsoN’sche 
Epilepsie, bei freiem Sensorium, Trübung, Verlust desselben bei Generalisirung 
der Krämpfe, Epilepsia sensibilis, psychische Aequivalente sind nicht selten. Im 
1. Typus sind keine klinischen Merkmale einer Cerebralaffection zu constatiren. 
Im zweiten sind sie zahlreich, treten prägnant in allen unten citirten Kranken¬ 
geschichten hervor. Ausser dem specifischen Kopfschmerze, der bekanntlich 
durch Heftigkeit, Hartnäckigkeit und nächtliche Exacerbationen sich auszeichnet, 
waren die Ausfallserscheinungen flüchtiger Natur bald auftauchend, bald ver¬ 
schwindend, so 8prachstockung, kurzdauernde motorische Aphasie, optische 
Aphasie, Paraphasie, Amnesie, Hemiparesen, Hemiplegieen, Neuritis optica, 
passagere Amaurose u. s. w. lieber die Causa efflciens der Epilepsie des 
1. Typus lassen sich nur Vermuthungen aufstellen. Circumscripte, zerstreute 
Herde, die eine gesteigerte Irritabilität des Nervensystems bedingen, Anämie, 
Cachexie, specifische Toxine sind beschuldigt worden. Fälle des 1. Typus ge¬ 
langen selten zur Beobachtung. Gbos und Lanoebeaux berichten über 14 Fälle 
von luetischer Epilepsie von langer Dauer, ohne klinische Erscheinungen einer 
Gehiraläsion. Interessant ist der von Teousseaü und Pmoux citirte Fall eines 
Diplomaten, der, syphilitisch durchseucht, mehrere Jahre hindurch an Epilepsie 
laborirte, die allen Mitteln Widerstand leistete, endlich durch eine Mercurial- 
kur vollständig geheilt wurde. Noch nach 12 Jahren konnte der Bestand der 
Genesung constatirt werden. 

Folgende Krankengeschichten illustriren Fälle des 1. und 2. Typus. 

I. M. B., 44 Jahre alt, Beamter, in den letzten Jahren vom Dienste ent¬ 
lassen. Zar Hülfeleistang, am 8. Mai 1888, za ihm geladen, fand ich ihn im 
Bette mit einer Kopfbinde, in Folge einer Verletzung, die er am verflossenen 
Tage durch einen epileptischen Anfall sich zugezogen. Pat. klagt über Schmerzen 
and Schwere im Kopfe. Nach Angabe der Frau ist es der vierte Anfall, den er 
gestern durchgemacht Pat soll des besten Wohlseins sich erfreut haben. Lues, 
Potus werden geleugnet. Seit vielen Jahren verheirathet, hat er vier Kinder, die 
alle ganz wohl sind. Pat. giebt zu, im Jahre 1885 eine kleine Wunde an der 
Glans gehabt zu haben, die er nicht dem unreinen Beischlafe, aber einer zu¬ 
fälligen Verletzung zugeschrieben hat Die Glans schwoll an, die Wunde ver- 


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breitete sich und als alle häuslichen Mittel fehlschlugen, wandte er sich an einen 
Feldscher, der ihm Pulver zum Einstreuen empfohlen hat. Nach etwa 6 Wochen 
vernarbte das Geschwür — secundäre Erscheinungen will Pat. nicht beobachtet 
haben. Etwa 2 Monate später aoquirirte Pat. eine schwere Halsentzündung, die 
allen Mitteln trotzte. Nach etwa 6 Wochen bekam er eine Jodmixtur und er 
genas. Vollständiges Wohlsein bis zur Periode der Entlassung vom Dienste (im Mai 
1887). An diesem Tage ging er mit einem seiner Collegen in’s Restaurant, trank 
zwei Schnäpse, machte einen Imbiss, da wurde ihm plötzlich dunkel in den Augen. 
Von dem Anfalle hatte er keine Ahnung und war sehr erstaunt, zu Hause, im 
eigenen Bette sich zu finden. Die Frau des Pat. theilte mit, dass er leblos in die 
Wohnung eingeliefert wurde und glaubte, er habe einen Rausch bekommen, fügte 
aber hinzu, er sei kein Trinker. Am 15. Juli 1887 erfolgte der zweite Anfall. 
Er ging in den Hof, stürzte leblos zu Boden und der Körper war von den hef¬ 
tigsten Convulsionen ergriffen. Auch von diesem Anfalle hatte er keine Ahnung. 
In den Intervallen vollständiges Wohlbefinden. Im Januar 1888 kam es zu 
einem dritten Anfalle. Nachts hörte die Frau ein starkes Geräusch und Bie fand 
Pat. ohne Bewusstsein am Boden. Ob Krämpfe gewesen, konnte sie nicht an¬ 
geben. Der vierte, intensivste Anfall, am Tage vor meinem Besuche. Keine 
Aura, keine cerebrale Störung, Intervalle frei. Die Untersuchung ergab negatives 
Resultat. Keine Spuren vorangegangener Durchseuchung, alle Organe normal. 
Cerebrale Nerven intact, weder Sensibilitäts- noch Motilitätsstörung. 

Das vorgeschrittene Alter des Patienten, der Ausschluss aller causalen 
Momente, die eine Epilepsie bedingen, die verdächtigen Erscheinungen seitens 
der Geschlechtsorgane mit der bald darauffolgenden hartnäckigen Rachen¬ 
entzündung, die günstige Beeinflussung derselben durch Jodpräparate mussten 
die Vermuthung auf kommen lassen, dass wir hier eine luetische Epilepsie vor 
uns haben. Der prompte Erfolg einer specifischen Kur musste die Vermuthung 
zur Diagnose erheben. Patient wurde nach Kemmern (Schwefelbad) dirigirt 
Eine energische specifische Kur wurde eingeleitet und seit mehreren Jahren 
sind keine Anfälle vorgekommen. 

II. S. E., Techniker, 38 Jahre alt, Abusus in Venere, theilweise in Baccho. 
Mehrere Male Blenorrhoea urethrae, ein Mal Orchitis, ein Mal Bubo. Im Jahre 
1891 Ulcus, bald darauf deutliche secundäre Erscheinungen. Mangelhafte Be¬ 
handlung, Mercurialpillen, Genesung. Im Jahre 1893 heirathete er, inficirte seine 
Frau, Roseola, Plaques muqueuses an der Lippenschleimhaut wurden bei ihr con- 
statirt. Eine energische specifische Kur befreite sie von ihrem Leiden. Pat. 
verweigerte jede Untersuchung. Im Februar 1894 bekam er einen epileptischen 
Anfall, der nach Aussage der Umgebung (er lebte separirt von seiner Frau) einer 
genuinen Epilepsie vollständig ähnlich war. Die Untersuchung ergab härtliche 
Narbe an der Glans, Drüsenpackete in den Leisten, eine kleine Occipitaldrüse 
rechts. Keine Erscheinungen einer Cerebralläsion. Eine energische Schmiercur 
wurde empfohlen. Pat. ist von hier verzogen. Zwei Jahre später erfuhr ich von 
seiner Frau, dass er im Sommer 1894 das Schwefelbad Busk besuchte und dass 
seine Anfälle nicht mehr zurückkehrten. 

Im vorliegenden Falle waren Primäraflect, secundäre Erscheinungen, 
syphilitische Residuen deutlich zu Tage getreten. Die Epilepsie war unzweifel¬ 
haft luetischer Natur, hatte aber doch grosse Aehnlichkeit mit genuiner Epilepsie, 
da weder vor noch nach dem Anfalle Zeichen irgend einer materiellen Cerebral¬ 
läsion zu finden waren. 


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III. Luetische Epilepsie des zweiten Typus. Pat. Z., hoher Beamter, 
36 Jahre alt, verheiratet, hat vier Kinder, die alle scrofulös sind. Sein Vater 
starb angeblich an einer Halsgeschwulst, seine Mutter an Altersschwäche. Von 
sechs Geschwistern sind drei am Leben. Ein Bruder starb an Lungentuberculose, 
die Todesursache der anderen Geschwister ist ihm unbekannt. Vom 11. bis zum 
23. Lebensjahre Onanie getrieben. Im September 1886 Ulcus acquirirt, vom be¬ 
handelnden Arzte als Ulcus molle aufgefasst. Ungetrübtes Wohlsein bis zum 
1. März 1891. Er begab sich frühmorgens in’s Bureau, verspürte plötzlich auf 
dem Wege dahin eine Kopfschwere, Gedankenverwirrung, und die Unmöglichkeit, 
die gesehenen Gegenstände mit ihren Namen zu bezeichnen. Er erschrak, glaubte 
geisteskrank zu sein, lief schleunigst nach Hause, warf sich aufs Bett und schlief 
ein. Er erwachte mit freiem Sensorium, ohne Spur psychischer Störung. Im 
September 1893 unternahm er eine weite Reise, verzehrte mit grossem Appetite 
sein Abendbrod und schickte sich an, von der Umgebung Abschied zu nehmen. 
Plötzlich befiel ihn eine Sprachstörung. Er fand kein Wort zum Ausdruck seiner 
Gedanken, verwirrt, sprachlos, die Umgebung in Angst versetzend, musste er seine 
Reise aufgeben. Bewusstsein, Lesen, Schreiben intaot. Der Anfall dauerte 
2*/a Stunden. Nach etwa 5 Monaten, im Februar 1894, nachdem er am ver¬ 
flossenen Tage, zu Mittag geladen, 5—6 Glas Wein getrunken, die Nacht ruhig 
schlief, Morgens sich wohl fühlte, stellten sich nachmittags Kopfschmerzen und 
Gedankenverwirrung ein. Er lief zur Apotheke, um Ol. ricin. zu holen. Statt 
russisch „Kastorowoe maslo“ bat er um Köstrow, und als er missverstanden 
war, seines Irrthums bewusst, erinnerte er sich, dass es russisch auch „Ricinus“ 
heisse, bat aber um Recensio. Bestürzt lief er aus der Apotheke fort, stürzte 
zu Boden, wurde von einem Droschkenkutscher aufgegriffen und nach langem 
Wandern wurde er nach Hause transportirt (Erzählung der Umgebung). Nach 
24 stündigem Schlafe erwachte er mit einer Wunde am Gesichte. Bald aber war 
er wieder leistungsfähig und setzte seine Beschäftigung lort. Kopfschmerzen 
sollen in den Intervallen nie vorgekommen sein. Im Jahre 1894 consultirte Pat. 
Professor 0. in Moskau, der die vorangegangene Infection als Ulcus molle auffasste 
und die Diagnose Neurasthenia cerebri stellte. Im October 1894, nach anhaltender 
aufregender Geistesthätigkeit, 4 Uhr Nachmittags, verspürte Pat. die Vorboten, 
die den Anfall verkünden. Er ging in’s Freie, stürzte zu Boden und wurde in’s 
Bureau transportirt, wo ich Pat. zum ersten Male sah. Nach Schilderung der 
Augenzeugen waren die Krämpfe typischer, epileptischer Natur, der Bewusstseins¬ 
verlust hielt noch an. Zum zweiten Male sah ich Pat. am folgenden Tag. Lues 
wurde negirt. Eine Narbe an der Glans, Drüsenpackete in den Leisten, kleine 
Drüsen am Halse, dementirten seine Aussage. Er gestand ein, Ulcus molle ge¬ 
habt zu haben. Die Untersuchung aller Organe ergab negatives Resultat. Meine 
Diagnose lautete Epilepsia luetica. Eine specifische Cur war von glänzendem 
Erfolge gekrönt. Noch vor kurzem begegnete ich Pat. Seine Anfälle kamen 
nicht wieder. 

Epikrise. Im vorliegenden Falle war die Epilepsie manifest luetischer 
Natur. Merkwürdig ist die Abwesenheit secundärer Erscheinungen, die dem 
intelligenten Patienten nicht entgangen wären. Beobachtung verdient auch der 
Umstand, dass im Verlaufe von Jahren drohende Vorboten der epileptischen 
Attaque, wie motorische Aphasie, Paraphasie, optische Aphasie mehrmals wie 
ein Blitz aus heiterem Himmel auftauchten, verschwanden, ohne die geistige 
Sphäre zu tangiren, ohne die Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen, ohne in den 
Intervallen von irgend welchen Beschwerden belästigt zu werden. 

Auch in JACKSON’scher Form erscheint die luetische Epilepsie. Bekannt- 


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lieh setzen die Zuckungen in drcomscripten Muskelgruppen ein, im Facialis- 
gebiete, in oberer, in unterer Extremität, von oben nach unten, oder umgekehrt 
sich verbreitend, entsprechend den im motorischen Rindenfelde localisirten Centren. 
Die Herderkrankung befindet sich in den Centralwindungen oder in ihrer nächsten 
Nähe. Da die Krämpfe aber nicht durch die Natur der Affection, aber durch 
ihre Localisation ausgelöst werden, so werden bei Leugnen der Infection und 
Abwesenheit specifischer Residuen diagnostische Schwierigkeiten sich erheben. 
Alle mögliche pathologische Affectionen müssen ausgeschlossen werden, Aero¬ 
logie, genaue Exploration aller Organe, Krankheitsverlauf, Femwirkungen, Asso¬ 
ciationen mit Leiden anderer Gehirntheile, werden differentiell-diagnostisch zur 
Yerwerthung kommen müssen. Die Consequenzen des Traumas, functionelle 
toxische Störungen, wie Hysterie, Urämie müssen berücksichtigt werden. 

Auf fast unüberwindliche diagnostische Schwierigkeiten stossen wir bei 
Differenzirung der Epilepsie des 1. Typus von Tumor und Dementia paralytica. 
Bei kleinen Tumoren, die intracranielle Drucksteigerung nicht bedingen, werden 
manchmal epileptische Anfälle, partielle oder allgemeine, beobachtet, die Jahre lang 
dem Eintritte manifester Symptome vorangehen. Ebenso verhält es sich mit 
der Paralyse. Lässt uns die Aetiologie im Stich, so muss einstweilen die Diagnose 
in suspenso bleiben. Der Tumor wächst, nimmt an Umfang zu, intracranielle 
Drucksteigerung tritt auf und alle Zweifel sind gehoben. Die Paralyse steigert 
sich, Ausfallserscheinungen aus allen Gebieten des Seelenlebens tauchen auf, die 
Diagnose wird manifest. In allen zweifelhaften Fällen aber dürfen wir nicht 
zu lange zögern. Wir müssen eine specifische Therapie einleiten, die uns 
Klarheit verschafft. 

Es folgen hier 2 Fälle jACKSON’scher Epilepsie. 

I. A. T. trat am 15. Juli 1878 iu’8 städtische Krankenhaus ein. 

Anamnese: 24 Jahre alt, Maitreese eines Officiers, der längere Zeit an 
secundärer Lues laborirte und im geschlechtlichen Verkehr mit ihr verblieben. 
Nach Angabe des behandelnden Arztes sollen während der Schwangerschaft mehrere 
luetische Symptome zum Vorschein gekommen sein. Sie gebar ein totes Kind. 
Während der Geburtsperiode brach ein rechtsseitiger unilateraler Krampf aus mit 
Bewusstseinsverlust. Nach Beendigung der Geburt sistirten die Krämpfe für 
mehrere Tage, bald aber kamen sie wieder zum Vorscheine, wiederholten sich 
recht häufig, und hinterliessen rechtsseitige Hemiplegie. Nach etwa 2 Monaten 
war ich zur Patientin geladen worden, fand rechtsseitige Hemiplegie, zahlreiche 
secundäre Erscheinungen, Papules muqueuses an den Lippen, eine Narbe an der 
Uvula, Drüsenanschwellungen in den Leisten und am Halse. Sie wurde auf 
meinen Rath naoh dem Krankenhause transportirt. 

Stat. praes.: Kräftiger Körperbau, blasse Schleimhäute, Augenmuskeln 
normal, Papillen reagiren auf Licht, Accommodation und Convergenz, Facialis rechts 
etwas paretisch, links normal. Alle anderen Gehirnnerven intact. Hemiplegia 
dextra, Muskeln etwas gespannt, Sehnenreflexe erhöht, Tastgefühl an den Fingern 
herabgesetzt. Sensibilität in allen Qualitäten normal, Sprache ungestört, Sphinderen 
normal. 

Am 26. Juli: Rechtsseitige Krämpfe in der hemiplegischen Körperhälfte. 
Beginn von den Fusszehen, rasch auf Fuss, Unter- und Oberschenkel, obere Ex¬ 
tremität sich verbreitend, Faoialis in Mitleidenschaft ziehend, dabei vollständige 
Bewusstlosigkeit Dauer des Anfalles 4—5 Minuten. 


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Am 27. Juli: Wiederholung des Anfalles in typischer Anordnug von den 
Zehen nach oben sich verbreitend. Bewusstsein intact. Die Insulte wiederholen 
sich alle 2—3 Tage, hei freiem, umnebeltem oder verlorenem Bewusstsein. In 
den Intervallen klagte Patientin über die verschiedensten Sensationen. Die 
Friotionen mussten mehrere Male, in Folge Stomatitis mercurialis, unterbrochen 
werden. Die Ernährung sank zusehends. Zur Cerebrallues trat Hysterie hinzu. 
Auf letztere wurde die strengste Aufmerksamkeit gerichtet. Es war aber, nach 
ihrem Eintritte in die Behandlung, kein einziges hysterisches Symptom zu ent¬ 
decken. 

14 Monate lang blieb sie im Krankenhause. Die Krämpfe sistirten voll¬ 
ständig. Ebne leichte Hemiparese blieb zurück. Ein Jahr später begegnete ich 
Patientin. Sie theilte mir mit, dass sie eine strenge specifische Cur in Petersburg 
durchgemacht und gegenwärtig vollständig hergestellt sei. 

Der vorliegende Fall gehört zur Parasyphilis. Die cerebrale Affection ent¬ 
wickelte sich während der secundären Periode. Es brachen halbseitige Con- 
vulsionen aus, die eine brachio-crurale Monoplegie nach sich zogen. Die Facialis- 
parese war sehr geringfügig. Die Krämpfe befielen die gelähmte Körperhälfte. 
Der constante Ausgang letzterer aus den Zehen, die Verbreitung nach topo¬ 
graphischer Anordnung der motorischen Rindencentren sprachen zu Gunsten 
einer circumscripten gummösen Meningitis, die das obere Drittel der Central¬ 
windungen lädirte. 

II. Epilepsia Jacksoni luetica. Pat. K-n, 33 Jahre alt, trat im Juli 
1888 in meine Behandlung. Nach seiner Angabe soll er des besten Wohlseins 
sich immer erfreut haben. Eltern, Geschwister am Leben, wohl erhalten. Keine 
neuropathologische Belastung, weder Scrofulose noch Tuberculose in der Familie 
zu constatiren. Im Jahre 1879 acquirirte Pat. eine Gonorrhoe mit Ulcus am 
Orificium urethrae. Er musste sein Leiden als Handlungsdiener verheimlichen. 
Die Behandlung beschränkte sich auf Fomenten, Salben u. s. w. Erst nach Monaten 
befreite er sich von seinem Leiden. Im Jahre 1885 bekam er Geschwüre im 
Rachen, die aller Behandlung trotzten. Erst nach 1 / s Jahre kamen sie zur 
Heilung. Nach etwa 4 Monaten traten Knoten, Ulcerationen in der linken Ge¬ 
sichtshälfte, am Halse und den Unterschenkeln. Die Hakdrüsen sollen bedeutend 
geschwollen gewesen sein. Unter Verschlimmerungen und Besserungen dauerte das 
Leiden bis zum Jahre 1887. Nach etwa 4 Monaten, April oder Mai 1887, trat 
plötzlich Amnesie auf. Letztere betraf alle jüngstvergangene Begebenheiten, ver¬ 
schwand erst nach 2 Monaten. Nach einem Intervalle von 7 Monaten befiel ihn 
auf der Strasse ein Zucken in der linken unteren Extremität. Nach mehrtägiger 
Pause Wiederholung des Anfalles, später häuften sich die Anfälle, erschienen bei 
jeder Aufregung, bei Ermüdung. Er musste seine Anstellung aufgeben. Im Hause 
seiner Eltern, ohne jegliche Thätigkeit, verfiel er in sehr gedrückte Stimmung. 
Im November 1888 bekam er plötzlich Syncope und fiel zu Boden. Ob Krämpfe 
gewesen, lässt sich nicht ermitteln. Der Bewusstseinsverlust muss von kurzer 
Dauer gewesen sein, da er nach Hause zu gehen im Stande war. Zu Hause 
angelangt, bekam er eine convulsive Attaque, die an der linken Unterextremität 
beginnend, nach oben sich verbreitete, bei volktändig freiem Sensorium. Auf¬ 
geregt schlief er ein, erwachte am folgenden Tag mit Parese beider linksseitigen 
Extremitäten. Keine Kopfschmerzen, aber Kriebeln in den paretkchen Gliedern. 
Ohne das Bett zu verlassen, trat nach 3 Tagen Aphasie auf. Pat. verstand alles, 
was man mit ihm sprach, konnte aber das geeignete Wort zum Ausdruoke seiner 
Gedanken nicht finden. Ob Agraphie, Alexie gewesen, lässt sich nicht ermitteln. 


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798 — 


Allmählich stellten sich die gesuchten Worte ein, und nach 6 Tagen war die 
Sprachfähigkeit vollständig hergestellt. 

Stat. praes.: Kräftiger Körperbau, massige Ernährung. Links an der 
Wange, in der Richtung des Unterkiefers, strahlenförmige Narbe, ähnliche kleinere 
in der Umgebung des linken Ohres und am Halse hinter dem Sternocleidomastoideua, 
an der linken Tibia grosse sternförmige Narbe, die dem Knochen fest adhärirt 
Haselnussgrosse, indolente Drüsen am Halse und in der Leistengegend beiderseits, 
eine grössere Drüse in der rechten Cubitalgegend. Am Orificium urethrae eine 
durch Substanzverlust bedingte Vertiefung mit härtlicher Narbe. Alle Gehim- 
nerven normal, Pupillen reagiren auf Licht, Accommodation und Convergeoz. 
Facialis, Hypoglossus intact. Sprache ungestört. Intellect normal. Links 
Hemiparese beider Extremitäten, Sehnenphänomene sowohl der unteren als oberen 
Extremitäten gesteigert, leichte Muskelrigidität, Fussphänomen nicht vorhanden. 
Sensibilität, in allen Qualitäten, überall, rechts wie links, intact, stereognostischer 
Sinn links abgeschwächt. Bekannte Gegenstände, wie Messer, Schlüssel werden 
sofort erkannt, weniger im Gebrauche stehende Objecte bleiben unerkannt. 
Elektrische Erregbarkeit der paretischen Muskeln für beide Stromarten normal. 
Normal ist auch die Sphincterenfunction. Die Untersuchung aller Organe ergiebt 
normale Verhältnisse. Weder Herz- noch Lungenaffection. 

Resumiren wir die bei dem Patienten beobachteten klinisohen Erscheinungen, 
so finden wir: 

1. Vorangegangene constitutionelle Syphilis, manifeste Residuen derselben. 

2. Transitorische Amnesie. 

3. Wiederholt auftretende Zuckungen in der linken unteren Extremität 

4. Leichte Parese derselben. 

5. Plötzliche Ohnmacht mit passagerem Bewustseinsverlust. 

6. Bald darauf JACKSON’sche Epilepsie bei freiem Sensorium. 

7. Am folgenden Tag Hemiparese beider linksseitigen Extremitäten. 

8. Nach drei Tagen Aphasie von 6 tägiger Dauer. 

Eine specifische Kur wurde sofort eingeleitet. Nach 40 Frictionen zu 
5,0—6,0 verlor sich die Hemiparese und Patient verliess Kowno. Ob nicht 
später ein Recidiv eingetreten ist, konnte ich nicht erfahren. 

Das klinische Bild sprach zu Gunsten einer Herderkrankung im oberen 
Drittel der Central wind ungen oder in seiner nächsten Nähe. Den Sitz der 
Affection musste man in die rechte Hemisphäre verlegen. Da die syphilitische 
Durchseuchung keine Immunität gegen andere Gehimaffectionen schafft, bei 
Patienten ausgedehnte Narben an der Wange, am Halse, an der linken unteren 
Extremität, beträchtliche Lymphdrösenanschwellungen constatirt worden, so 
musste die Vermuthung auftauchen, ob nicht ein isolirter Tuberkel oder tuber- 
culöse Plaques in der erwähnten Gehirnregion sich localisirt haben. Der isolirte 
Tuberkel ist ein Tumor, der intracranielle Drucksteigerung auslöst. Aber 
die Abwesenheit der Stauungspapille ist differentiell-diagnostisch nicht von 
Belang, da letztere auch bei grösseren Tumoren der Centralwindungen vermisst 
wird oder erst spät in die Erscheinung tritt Das Fehlen von Kopfsohmerz, 
Benommenheit, Pulsverlangsamung könnte der Kleinheit des Tumors zugeschrieben 
werden. Die tuberoulösen Plaques, deren Prädileotionssitz in den Central- 


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Windungen bekannt ist, liefern ein ähnliches Bild. JACKSON’sche Epilepsie, 
Monoparese, Monoplegie einer oder beider Extremitäten, mit oder ohne Aphasie, 
je nach Sitz und Ausdehnung der Affection. Bei Localisation im Paracentral* 
lappen setzen die Zuckungen in der unteren Extremität ein, generalisiren sich 
von unten nach oben fortschreitend, ergreifen oder verschonen das Facialisgebiet, 
wie es im vorliegenden Falle beobachtet wurde. 

Gegen die tuberculöse Natur des Gehimleidens spraohen das Fehlen jeglicher 
hereditärer Disposition zur Tuberculöse, die Abwesenheit einer Lungenaffection 
und der Verlauf der Krankheit Ohne Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen 
und andere Gehirnsymptome stellte sioh nach Heilung der Geschwüre Amnesie 
ein, die nach etwa 2 Monaten spurlos verschwand. Nach einem freien Inter¬ 
valle von 7 Monaten traten Zuckungen in der linken unteren Extremität auf. 
Allmählich entwickelte sich Parese der zuckenden Extremität, später Syncope, 
JACKSON’sche Epilepsie, Hemiparese links, erst nach 3 Tagen Aphasie von 
sechstägiger Dauer. Flüchtigkeit der Gehimerscheinung, rasches Auftreten, 
rapides Verschwinden sind Attribute der Gehirnlues. Letzterem Processe ist Multi- 
plicität der specifischen Producte eigenthümlich. Im Vorliegenden tritt diese 
manifest zu Tage. Die linksseitigen Krämpfe und Lähmungen deuteten auf 
Affection der rechten Hemisphäre und doch trat Aphasie auf. Letztere könnte 
nur durch doppelte circumscripte Herde im oberen Drittel der rechten Central¬ 
windungen und im Fusse der dritten linken Frontalwindung erklärt werden. 
Der Substanzverlust und die narbige ßetraction an der TJrethralmündung in 
Combination mit dem charakteristischen Krankheitsverlaufe, bei Abwesenheit 
tuberculöser Lungenaffection, und der wohlthätige Einfluss der specifischen 
Therapie musste unsere Diagnose Gehirnlues vollauf bestätigen. 

Das Trauma capitis oder anderer Körpertheile, das dem Gehirne sich mit¬ 
theilt, kann nach Jahren Epilepsie auslösen. Letztere wird ihrem klinischen 
Bilde nach sowohl der functioneilen als auch der luetischen Epilepsie ähnlich 
sein. Anamnese, etwaige Narben, Druck, Klopfempfindlichkeit des Schädels bei 
directer Kopfverletzung werden Aufschluss geben. Anders verhält es sich bei 
Combination der Lues mit Trauma. Das Trauma, das von Commotio cerebri 
nicht begleitet gewesen ist, leichten Verlauf hatte, kann dem Gedächtnisse ent¬ 
schwinden und keine Residuen im Gefolge haben. Bei solcher Sachlage ist 
Fehldiagnose nicht unmöglich. In dieser Hinsicht ist folgender Fall recht 
interessant: 

Patientin, 38 Jahre alt, von losem Wandel, seit 9 Monaten epileptisch, trat 
am 6. April 1901 in’s Krankenhaus ein und starb da am 13. Juli desselben 
Jahres. Erstes Kind totgeboren, darauf Sterilität An den unteren Extremi¬ 
täten strahlenförmige Narben, periostitische Knochenauftreibungen an den Tibial- 
knochen beiderseits, in den Leisten indolente Drüsen. Lues, Alcoholismus, Trauma 
geleugnet. Keine Narben, wohl aber Druck- und Percussionsempfindlichkeit an 
den Frontalknochen. Sensorium frei, keine Temperaturerhöhung. Hemiparese 
rechts, epileptische Krämpfe 2—3 Mal täglich, selten eine Pause von 2—3 Tagen. 
Die Erscheinungsweise derselben ist verschieden. Selten typische Insulte mit Be¬ 
wusstlosigkeit, Tonus, Clonus, Erschöpfungszuständen, meistens partielle Krämpfe 


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vom rechten Oberarme ausgehend, auf ihn sich beschränkend oder auf den linken 
übergreifend. Nicht selten beide obere Extremitäten von Convulsionen befallen, 
mit oder ohne Betheiligung des Facialis. Hin und wieder kommen auch halb¬ 
seitige Krämpfe vor, die sich generalisirten. Bewusstsein meistens verloren, 
manchmal nur getrübt. Dauer der Krampfe 5—10 Minuten. Im Beginne der 
Krämpfe Deviation conjuguäe des Kopfes und der Augen nach der krampfenden 
Seite. Specifische Behandlung eingeleitet. Die Hemiparese der rechten Extremi¬ 
täten verschwand, eine Oefuhlsstörung in den Fingern der rechten Hand zurück¬ 
lassend. Facialis, alle anderen Gehirnnerven intact. Am Opticus Neuritis, keine 
Stauungspapille. In den letzten Tagen ihres Aufenthaltes im Krankenhanse 
Status epilepticus, Coma, Tod. Die Autopsie ergab inkapsulirten Abscess im 
linken Frontallappen, der die zweite Stimwindung, den vorderen Theil dee Gyros 
marginalis zerstörte, an die vordere Centralwindung heranreichte. Leztere 
makroskopisch verändert, Consistenz weich, ödematös, von capillären Blutungen 
durchsetzt. (Encephalitis haemorrhagica durch Compression und Oedem.) Das 
untere Drittel der vorderen Centralwindung, die dritte Stirnwindung, alle anderen 
Gehirntheile intact. Die histologische Untersuchung ist unterlassen worden. 

Die Diagnose Epilepsia luetica in Folge circumscripter Convexitätsmeningitia 
mit Syphilom basirte sich, bei Unkenntniss eines vorangegangenen Trauma, auf 
Anamnese, losen Wandel, totgeborenes Kind und postsyphilitische Residuen. 
Das causale Moment, das Trauma, ist erst durch spätere Nachforschungen eruirt 
worden. Das Fehlen jeglicher Eitererscheinung muss der Inkapsulation des 
Abscesses zugeschrieben werden. Tumorwirkung, nicht eitrige Schmelzung 
kam zum Ausdruck. Schwierig ist die Lösung der Frage über Entstehung 
eines Gehirnabscesses ohne eiternde Schädel wunde. Yermuthlich fand Gehirn- 
contusion statt, die Eitererreger sind auf irgend einem Wege später in die lädirte 
Stelle eingedrungen. Die Döviation conjuguöe des Kopfes und der Augen kommt 
bei Frontalabscessen recht häufig vor, ist aber bei genuiner Epilepsie nicht selten, 
wird auch bei Cerebrallues Vorkommen, falls die Convexitätemeningitis oder 
Syphilom aufs Kopf- und Augencentrum im Frontallappen übergreift. 

Zu den Folgeerscheinungen des Trauma gehören nicht nur latenter Abscess, 
sondern auch latente Meningitis, Meningoencephalitis, die Monate, manchmal 
Jahre lang in Ruhe verharren, um zuletzt in drohender Form aufzutauchen, 
unter anderen Erscheinungen auch Epilepsie auslöeen. Differentiell-diagnostisch 
kommen Anamnese, initiale stürmische Gehirnsymptome, stabiler Verlauf, Ab¬ 
wesenheit von luetischer Infection in Betracht. Auch Tumor cerebri und all¬ 
gemeine Paralyse sind nach Traumen beobachtet worden. Die diagnostisch¬ 
differentiellen Momente sind in meiner grösseren Abhandlung über dies Thema, 
die demnächst erscheinen wird, gebührend berücksichtigt worden. Epilepsie 
kommt auoh bei Alkoholintoxication zur Beobachtung. Sie erscheint als Vor¬ 
läuferin oder Begleiterin des Del. tremens und verschwindet nach längerer 
Abstinenz. Die Anamnese sichert die Diagnose. Schwieriger ist letztere bei 
Combination des Alkoholismus mit Lues, da Epilepsia tarda auf Grundlage einer 
durch Alkohol bedingten Gehimgefasssklerose, zur Beobachtung gelangt Für 
Gehirnleiden alkoholischen Ursprungs sprechen: Anamn ese, Sklerose der Aorta, 
etwaige Hypertrophie des Herzens, sklerotischer Puls, Alterationen anderer Organe, 


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stabiler Verlauf; fftr Cerebrallues charakteristisches Schwanken der Symptome, 
Multiplicität der Herde und zuletzt der Erfolg der specifischen Therapie. 

Zur Illustration diene folgender Fall: 

W-er, am 28. Februar 1888 ins Krankenhaus aufgenommen. Pat., 45 Jahre 
alt, Abusus in Bacoho et Venere. Im Jahre 1864 Primäraffect ohne Behandlung. 
Im Jahre 1869 gummöse Geschwüre an den Schenkeln, später Dolores osteocopi 
in den Beinen, die Jahre lang anhielten. Im Jahre 1875 Cur in Stara-Russ, 
Genesung. Im Juli dieses Jahres Hemiparesis sinistra, die im Verlaufe von 
2 Wochen zur Hemiplegie sich steigerte. Cur in einem Krankenhause, Genesung. 
Im Octoher 1886 Recidiv. Hemiplegia sinistra, mit Lähmung des Facialis und 
Hypoglossus, dabei linksseitige Amaurose. Nach Angabe des intelligenten Pat. 
verschwanden sie schon nach 8 Tagen. Im Jahre 1887 (1. Januar) trat zum 
ersten Male ein convulsiver Anfall mit Temperaturerhöhung von 42 0 auf und bald 
darauf folgten Hemiplegia dextra und Hemiparesis sinistra. Eine specifische 
Cur im Iwangoroder Hospitale brachte fast völlige Genesung. Eine leichte 
Muskelschwäche, links, blieb zurück. Im September desselben Jahres wieder 
linksseitige Hemiplegie, verschwand nach Jodgebrauch. Im October desselben 
Jahres convulsiver Anfall, Wiederholung desselben im November und Februar. 
Nach dem Tode eines Bruders häufige Anfälle, 5—6 Mal täglich. Dauer 
4—5 Minuten. Eine Aura, die Empfindung, als greife Jemand gewaltsam seinen 
linken Oberschenkel, soll constant den Anfällen vorangehen. Die beständige 
Wiederholung dieser Empfindung kündigt Pat. den herannahenden Anfall an, er 
stürzt sich in’s Bett und stemmt seine Füsse an’s Bettende. 

Stat. praes.: Kräftiger Körperbau, etwas anämisch, keine Pupillendifferenz, 
normale Pupillenreaction, links Facialis etwas paretisch, sonst alle Gehiranerven 
intact. Sensibilität, in allen Qualitäten normal, nur links leichte Hypalgesie und 
am Rücken Temperatursinn etwas herabgesetzt. Hemiparesis sinistra. Bei passiver 
Bewegung leichte Muskelspannung. Kniephänomen beiderseits gesteigert, stärker 
links. Fussclonus nicht vorhanden. Sphincteren normal, Herz, linker Ventrikel, 
etwas hypertrophisch. Accent auf dem zweiten Aortentone. Art. rad. ge¬ 
spannt, Puls 70 in der Minute. Haraquantität vermehrt, specifisches Gewicht 112, 
keine abnormen Bestandteile. An den Schenkeln beiderseits strahlenförmige 
Narben. 

5. März: Täglich 4—5 epileptische Anfälle, die constant vom linken Ober¬ 
schenkel ausgehen, über die linke Körperhälfte sich verbreiten, bald auch die 
andere Seite ergreifen. Vollständige Bewusstlosigkeit, Amnesie. Die Augenunter¬ 
suchung ergab Neuritis optica. Hypästhesie an der linken Wange und am Rumpfe. 

12. März: Morgens starker Anfall. Nach Angabe des Spitaldieners und der 
Umgebung sollen die Krämpfe beiderseits gewesen sein, links aber stärker aus¬ 
gesprochen. Hypästhesie verschwunden. 

25. März: Anfälle seltener, 1—2 Mal täglich. Constant ist der Beginn der 
Zuckungen an der linken Seite. Ueber die Verbreitung derselben sind die An¬ 
gaben widersprechend. 

16. April: Keine Krämpfe mehr, Hemiparese fortdauernd. Untersuchung er- 
giebt Verlust des stereognostischen Sinnes an der linken Hand, Empfindlichkeits¬ 
abstumpfung der Finger für feinere Verrichtungen, wie Knöpfen der Hemdärmel, 
des Rockes und dergleichen. 

Polydipsie, Polyurie zum ersten Male aufgetreten. Pat. trinkt 10 Glas Thee, 
entleert 5000,0 Harn. Specifisches Gewicht 1008, klar, ohne Sediment, weder 
Eiweiss noch Zucker, keine abnormen Bestandteile. 

In der späteren Zeit nahmen Durst und Harnmenge zu. Krämpfe nicht 
mehr zum Vorschein gekommen. 40 Frictionen zu 5,0, allmähliche Abnahme 

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der Polydipsie und Polyurie, stereognostischer Sinn hergestellt. Die Hemiparese 
bleibt unverändert Nach 6 monatlichem Aufenthalte im Krankenhause wurde 
er mit halbseitiger Parese entlassen. 

Epikrise. Die Diagnose lautete gummöse Basalmeningitis. Für Lues 
sprachen: Primäraffect ohne Behandlung, eiuloerirte Gummata an den Schenkeln, 
Narben an denselben, langanhaltende Dolores osteocopi. Für Basalmeningitis 
mit specifischer Arteriitis sprachen: wiederholt auftretende Hemiparesis sinistra, 
Hemiplegia completa mit Lähmung des Facialis, Hypoglossus und linksseitiger 
Amaurose, später Paraplegie aller vier Extremitäten, der für Lues cerebri 
charakteristische Verlauf des Leidens, das Kommen und Gehen der Symptome, 
das Verschwinden gefahrdrohender Erscheinungen, zuletzt der glänzende Erfolg 
der specifischen Therapie. Letztere wie auch der Krankheitsverlauf sprachen 
gegen nicht specifische Thrombose der Gehimgefässe. 

Auf Grund aller dieser Momente konnte die Diagnose der specifischen basalen 
Affection sicher festgestellt werden. Anders verhalt es sich mit der Beziehung 
der Krämpfe zum Grundprocesse. Sind letztere die Gonsequenz einer circum- 
scripten Meningitis der Convexität mit Localisation im Beincentrum? Diese Ver- 
muthung ist nicht ganz unbegründet Multiple Herde sind bei Lues cerebri 
nicht selten. Der Verlust des stereognostischen Sinnes an der linken Hand, die 
Abstumpfung der feineren Empfindlichkeit an den Fingern derselben sprachen 
zu Gunsten einer corticalen Läsion. Der günstige Erfolg der specifischen Therapie 
könnte diese Vermuthung nur bestätigen. Aber Patient beharrte beim Alkohol¬ 
missbrauche in den freien Intervallen seines langjährigen Leidens, Sklerose der 
peripheren Gefässe und der Aorta wurden constatirt. Sind nicht die Krämpfe, 
deren gesetzmässige Verbreitung unbekannt blieb, nicht Folge einer Alkohol¬ 
epilepsie? Der Erfolg der specifischen Therapie, hinsichtlich Wiederherstellung 
des stereognostischen Sinnes, konnte nur soheinbar sein, da mit Spitalaufenthalt 
Abstinenz verbunden ist Letztere könnte auoh bei organischen kleinen disse- 
minirten Herden der Gehirnsubstanz, wie sie bei Epilepsia alcoholica tarda ver- 
muthet wurde, von wohlthuendem Einflüsse sein. Auch diese Möglichkeit ist 
nicht ganz von der Hand zu weisen. Zuletzt musste man sioh fragen, ob nicht 
Hysterie diese Krämpfe ausgelöst habe. Alkoholismus gilt als Agent provocateur 
der Hysterie. Für letztere sprachen manche geringfügige Erscheinungen: Ab¬ 
stumpfung des Temperatursinnes am Rumpfe bei Intactsein desselben an der 
vorderen Thoraxfläche, die plötzlich auftauchende, bald verschwindende Hypästhesie 
an der linken Wange und am Rumpf. Das Verhalten der Pupillen während 
der Anfälle konnte nicht eruirt werden. Die Diagnose hinsichtlich der Krämpfe 
musste in suspenso bleiben, da die Alkoholintoxication fremde Züge in das 
klinische Bild der Cerebrallues hineingefügt hatte. 


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[Am den Kückenmühler Anstalten xu Stettin.] 

3. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie. 

Von Dr. Hubert Schnitzer, dirig. Arzt. 

Vor einiger Zeit berichtete R. Bälint 1 über eine diätetische Behandlungs¬ 
methode der Epilepsie, welche eine Modification des von Toulouse und Eichet* 
angegebenen Verfahrens darstellt Während nämlich die französischen Autoren 
unter Darreichung von 2—4 g Bromnatrium pro die gewöhnliche Kost von einem 
möglichst geringen Kochsalzgehalt verordneten, setzte Bälint die Nahrung so 
zusammen, dass der Gesammtgehalt an Kochsalz in 24 Stunden etwa 2 g be¬ 
trug, ausserdem verabreichte er täglich 3 g Bromnatrium, welches er an Stelle des 
Kochsalzes im Brote verbacken liess. Die von französischen Autoren angeregte 
diätetische Behandlung mit chlorarmer Kost gab zu einer Reihe von Versuchen 
Veranlassung, welche theilweise zu widersprechenden Resultaten geführt haben. 
Ich erwähne hier die Arbeiten von Ruvpv 1 * 3 , NAoke 4 * , Helmstädt 6 , Lauden- 
heimeb 6 , Schlöss 7 , Lion 8 und SohAtbb . 8 Die Erfolge nun, die Bälint erzielte, 
waren so überraschend günstige, dass ich mich entschloss, in der meiner ärzt¬ 
lichen Leitung unterstellten Epileptiker-Anstalt gleiche Versuche vorzunehmen. 
Das Resultat derselben möchte ich mir gestatten, nachstehend in kurzen Worten 
mitzutheilen. 

Aus dem reichen Krankenmateriale wählte ich 16 weibliohe Kranke, bei 
denen die Diagnose „genuine Epilepsie“ zweifellos feststand. Der Beginn des 
Leidens datirte in allen diesen Fällen aus frühester Kindheit oder aus der 
Pubertät; in einem Falle traten die Krämpfe zuerst im 19. Lebensjahre, in 
allen anderen bereits weit früher auf. Für die Wahl weiblicher Kranker ent¬ 
schied ich mich aus dem Grunde, weil ich dann die Beaufsichtigung und Be¬ 
obachtung der Kranken einer erprobten Diaconissin übertragen konnte, deren 
Gewissenhaftigkeit und langjährige Erfahrung mir für eine peinliche Durch¬ 
führung meiner Intentionen bürgte. 

In der Zusammensetzung der Kost hielt ich mich streng an die von Bälint 
gegebenen Vorschriften. Die Kranken erhielten dementsprechend pro Kopf 
täglich VI 2 Liter Milch, 50g Butter, 3 Eier (ungesalzen), 400g Brot und 
ausserdem Obst, letzteres entweder roh oder eingemacht oder in Form von Obst- 


1 R. Bälint, Berliner klin. Woohenschr. 1901. Nr. 28. 

* Toulouse, Rev. de P§ych. 1901. Nr. 1. 

' Th. Rukpf, Nenrolog. Centralbl. 1900. Nr. 14. 

4 P. NioKB, Nenrolog. Centralbl. 1900. Nr. 16. 

* F. Enk* HhlmstIdt, Psyoh. Woohenschr. 1901. Nr. 8. 

4 Laudbnhbdoh , 26. W andervers&mmlnng südwestdentscher Irrenärzte. Ref. in der 
Berliner klin. Woohenschr. 1901. Nr. 86. 

1 Schlöss, Wiener klin. Woohenschr. 1901. Nr. 47. 

* Lion, Wratach. 1901. Nr. 48. 

* ScHlnn, Nenrolog. Centralbl. 1902. Nr. 1. 

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sappen. Das Brot wurde anstatt mit Kochsalz mit Bromnatrium gebacken und 
zwar so, dass auf die angegebene Tagesmenge von 400 g 3 g Bromnatrium kamen. 
Diese Nahrungsmenge kann als vollkommen ausreichend bezeichnet werden, 
mehr als das, sie überstieg in fast allen Fällen die Bedürfnisse erheblich. Dies 
geht ohne Weiteres aus der Thatsache hervor, dass nur bei einer Kranken eine 
Gewichtsabnahme von 8 Pfund zu verzeichnen war, alle übrigen Kranken hatten 
an Gewicht zugenommen. Die Gewichtszunahmen schwankten zwisohen 2 und 
18 Pfund. Die Dauer des Versuchs, der bei allen 16 Kranken bis za Ende 
ohne Störung durchgeführt werden konnte, betrug 42 Tage. 

Was zunächst die Art der einzelnen Kranken betrifft, so handelte es sich 
in der Mehrzahl der Fälle um langjährige Anstaltsinsassen, die schon geraume 
Zeit mit Brompräparaten behandelt waren; 2 Kranke gehörten der Anstalt 1 
bez. 2 Jahre an, 11 Kranke 4 bis 9 Jahre, 8 Kranke 16 bis 19 Jahre. Die 
epileptischen Anfälle traten bei 3 Kranken in leichter Form, bei 3 anderen in 
vorwiegend leichter Form, bei 4 Kranken in vorwiegend schwerer und bei 6 Kranken 
durchweg in schwerer Form auf. Die Häufigkeit der Anfalle war in den meisten 
Fällen so gross, dass fast täglich ein oder mehr Krampfanfalle zu verzeichnen 
waren. In allen Fällen war es bereits zu mehr oder min der stark ausgesprochenen 
geistigen Schwächezuständen gekommen; in 7 Fällen war nur leichter Schwach¬ 
sinn, in 2 Fällen Schwachsinn mittleren Grades, in 3 Fällen Schwachsinn höheren 
Grades vorhanden und in 4 Fällen war völlige Verblödung eingetreten. Schwer¬ 
fälligkeit in der associativen Thätigkeit und in der sprachlichen Ausdrucksfahig- 
keit, erhöhte Reizbarkeit war fast allen Kranken eigen. 

Die veränderte Koet sagte den Kranken anfangs recht wohl zu, sie wurde 
als etwas Neues, als eine Abwechselung mit Freuden begrfisst, doch die Be¬ 
geisterung schwand sehr bald; in den letzten Woohen nahmen die Kranken die 
vorgeschriebene Nahrung nur mit Widerstreben zu sich, sie sehnten sich wieder 
nach der gesalzenen Kost. Gleichwohl konnten die Versuche in exacter Weise 
zu Ende geführt werden, ohne dass auch nur eine Kranke aussohied. 

Der Erfolg der Behandluug war nun leider nicht so glänzend, wie ich es 
nach den von Bäumt entworfenen Schilderungen erwartet hatte, immerhin war 
er für die Mehrzahl der Fälle ein recht erheblicher zu nennen. 2 Kranke 
blieben während der ganzen Versuchsperiode anfallsfrei, bei 2 anderen Kranken 
trat nur im Beginn je ein Anfall auf, bei einer 5. Kranken, die stets schwere 
Anfalle gehabt hatte, setzten ebenfalls im Beginne zwei leichte Anfäll e ein, dann 
sistirten die Anfälle für die ganze Versuchszeit Eine andere Kranke, die sonst 
fast täglich von Krämpfen befallen wurde, hatte in den 42 Tagen nur 4 An¬ 
fälle, wobei noch zu bemerken ist, dass die Gonvulsionen erheblich schwächer 
waren und kürzere Zeit dauerten. Bei 6 Kranken häuften sich die Anfälle in 
den ersten 3 bis 6 Tagen, dann wurden für die ganze übrige Zeit nur 1 bis 
4 Anfälle beobachtet, die fast durchweg leichter Natur waren. Zwei weitere 
Kranke hatten nur für die letzten 14 Tage eine Abnahme der Anfalle zu ver¬ 
zeichnen und bei den letzten beiden Kranken wurde irgend eine Veränderung 
in Zahl und Art der Krampfanfälle nicht bemerkt 4 Kranke zeigten während 


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der Versuchsperiode eine auffallend erhöhte Reizbarkeit, in keinem Falle konnte 
eine Besserung des geistigen Zustandes festgestellt werden. 

Aus der obigen Darstellung geht hervor, dass ein kritischer Termin für eine 
Wendung im Befinden unserer Kranken, wie ihn BAlint für seine Fälle gesehen 
hat, nicht gefunden werden konnte, dagegen fand — analog den Beobachtungen 
von BAlint — bei den meisten Kranken eine Transformation der Anfalle statt; 
die bis dahin schweren Krampfzustände gingen in leichte Muskelzuckungen von 
verhältnissmässig kurzer Dauer über. Einzelnen Kranken, die sonst in der Regel 
hinfielen, wenn sie vom Krampfanfall überrascht wurden, gelang es, sich bei 
solchen leichten Insulten aufrecht zu erhalten. Dies ist zweifellos als ein sehr 
wesentlicher Erfolg der Behandlung anzusehen, wenn man bedenkt, wie viele 
und wie schwere Verletzungen sioh die Epileptischen oft beim Hinfallen während 
der Gonvulsionen zuziehen. Wenn, wie oben erwähnt, das geistige Verhalten 
unserer Kranken unter dem Einfluss der Behandlung keine Aenderung erfahren 
hat, so ist das bei solchen inveterirten Fällen, wo die geistige Schwäche schon 
seit langer Zeit den Charakter eines Dauerzustandes angenommen hatte, schwerlich 
anders zu erwarten. Dass die an einigen Kranken beobachtete höhere Reizbar¬ 
keit mit der Kostveränderung in Zusammenhang steht, halte ich nicht ffir wahr¬ 
scheinlich, möchte vielmehr annehmen, dass sie auf äussere Umstände zurück¬ 
zuführen ist Hier könnte vor allem die während der ganzen Versuchsperiode 
herrschende aussergewöhnliche Hitze erregend eingewirkt haben. In Ueberein- 
stimmuug mit BAlint konnte ich bei der Rückkehr zu der gewöhnlichen koch¬ 
salzreichen Nahrung auoh das Wiederauftreten zahlreicher Anfälle für die 
Majorität der Kranken feststellen, doch waren 4 Kranke noch 14 Tage nach 
Aussetzen der chlorarmen Diät völlig anfallsfrei. 

Wenn ich nunmehr das Ergebniss meiner Versuche kurz zusammenfasse, 
so konnte während der Versuohszeit in 2 Fällen ein gänzliches Ausbleiben der 
Anfalle, in 10 Fällen eine sehr wesentliche, in 2 weiteren Fällen eine unerheb¬ 
liche Verminderung derselben festgestellt werden, nur für 2 Fälle blieb die Be¬ 
handlung ohne jeden Erfolg. In den meisten Fällen wurde fernerhin die Inten¬ 
sität der Krampfanfälle bedeutend herabgesetzt 

Somit ist man wohl 'nach den vorhegenden, allerdings noch geringfügigen 
Erfahrungen berechtigt zu sagen, dass die mit Bromdarreichung combinirte 
chlorarme Diät eine werthvolle Bereicherung derjenigen Mittel darstellt, die uns 
im Kampfe gegen die Epilepsie zu Gebote stehen. Freilich ist es zweifelhaft, 
ob sich die Kochsalzentziehung, selbst wenn man sich der sehr empfehlenswerthen 
Modification von BAlint bedient, auf Monate hin durchführen lässt Allein da, 
wie wir gesehen haben, schon eine kurzdauernde Anwendung chlorarmer Diät 
eine erhebliche Besserung und Milderung der Krankheitserscheinungen hervor¬ 
ruft, so würde es vielleicht von Nutzen sein, wenn man bei der Behandlung von 
Epileptischen, die sich ja in der Regel über Jahre hinaus erstreckt, von Zeit zu 
Zeit eine 6 bis 8 wöchentliche Periode einschaltet, in der die Kranken nach der 
von BAlint angegebenen Modification chlorarme Nahrung erhalten. 


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[Aas der III. med. Klinik (Hofrath ▼. Schböttbb) in Wien.] 

4. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. 
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬ 
merkungen über den Verlauf der centralen Hauben bahn. 

Von Dr. Josef Borgo, 

Assistenten der Klinik. 

(Schloss.) 

Dieser Fall ist neben dem gleich za erwähnenden Falle EihenI/Ohr’s da 
einzige, den ich auffinden konnte, der einige Aehnlichkeit in dem mnskelweisen 
Fortschreiten der Krämpfe mit dem meinigen hat, und welcher wegen der Lage des 
Tumors in der Nähe des eorticalen Beincentrums neuerdings die bisher als fest¬ 
stehend geltende Thatsache zu beweisen scheint, dass „Krämpfe isolirter Muskel¬ 
gruppen in einzelnen Extremitäten im Ganzen selten sind und ausschliesslich 
bei Reizung umschriebener Felder der motorischen Zone Vorkommen (Monakow)". 

Mein Fall legt aber die Möglichkeit nahe, dass auch von sub- 
corticalen Herden, bezw. subcortioalen Centren aus isolirte Krämpfe 
einzelner Muskelgruppen ausgelöst werden können, und dass auch 
von subcorticalen Centren aus Krämpfe sich von Muskelgruppe zu 
Muskelgruppe, ja von Muskel zu Muskel verbreiten und sohliess- 
lich auch nach den Gesetzen des jACKSON’sohen Anfalles generali- 
siren können. 

Hier wäre nun der Beobachtung Exsenlohb’s Erwähnung zu thun, be¬ 
treffend einen 23jährigen Bäckergehülfen, bei welchem in Folge einer in den 
rechten Vierhügel eingeheilten Revolverkugel u. a. unwillkürliche rhythmische 
Bewegungen des Handgelenkes und der Finger nach allen Bewegungsrichtungen 
hin eintraten, eine Art Tremor, der an Paralysis agitans erinnerte. Später 
schwand der Tremor der linken Hand und es trat Zittern der linken unteren 
Extremität auf, Tremor des Kopfes und Zuckungen im Facialisgebiete. Da 
nach dem Autopsiebefunde eine Verletzung corticaler Centren ausgeschlossen 
war, nahm Eisenlohb eine Verletzung tiefer gelegener Theile der Pyramiden¬ 
bahn als Ursache der Krämpfe an. Es handelte sioh also auch hier um Krämpfe, 
die auf bestimmte Muskelgebiete beschränkt waren und ohne Mitbetheiligung 
des Cortex zu Stande kamen. 

Ehe wir aber diese unseren bisherigen Anschauungen zuwiderlaufende An¬ 
nahme acceptiren, sei vorher kurz die Frage gestreift, auf welche Weise sub- 
oortical gelegene Herde durch Reizung corticaler Centren isolirte 
Muskelkrämpfe und eventuell jACKsoN’sche Anfälle erzeugen könnten? 
Dies wäre möglich: 

a) Wenn der Krankheitsherd, z.B. ein Tumor, nahe dem Cortex liegt 
und durch directen Druck oder collaterales Oedem, kurz durch Störungen der Cir- 


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calation überhaupt einen Reiz ausübt auf ein corticales Centrum in der motori¬ 
schen Region- Diese Erklärung drängt sich von selbst auf bei den erwähnten 
Fällen von Djbjebine und v. Beck. Doch liegt in meinem Falle der Vierhügel* 
tuberkel viel zu tief unter der Rinde, als dass man eine solche Möglichkeit 
annehmen könnte. 

b) Wenn der Tumor bei irgendwelcher Lage zur Erhöhung des intra- 
craniellen Druckes, im Besondem zu chronischem Hydrooephalus internus führt, 
und als Folge davon sich kleinste hemiöee Ausstülpungen der Gehirnrinde aus¬ 
bilden, welche als Reizcentren dienen können. Solche Hirnhernien hat zuerst 
Weinlaud anatomisch genauer beschrieben und abgebildet und dieser Autor 
sprach schon die Yermuthung aus, dass sie auch für die klinische Symptomato¬ 
logie möglicherweise von Bedeutung sein könnten. 

Ich habe anlässlich eines Falles von Acusticustumor 1 , in welohem solche 
Hernien in exquisiter Weise ausgebildet waren, einen Theil der Symptome — 
jacksonartige Anfälle, Gesichtshallucinationen — auf dieselben zurückgeführt und 
betont, dass auch bei makroskopisch-anatomisch noch nicht ausgesprochener Ent¬ 
wickelung derselben die Stellen ihres späteren Auftretens in einem Zustande 
der Reizung sich werden befinden können, der zum Auftreten von Reiz¬ 
erscheinungen Veranlassung werden kann, weshalb eine histologische 
Untersuchung der betreffenden Rindencentren in allen Fällen, in 
denen gewisse mit dem Sitze des Tumors schwer zu vereinbarende 
Symptome auftreten, geboten erscheint 

In meinem Falle ist diese Erklärung nicht acceptabel, da einerseits mangels 
aller klinischen Symptome eines Hydrocephalus das Vorhandensein von Gehim- 
hernien von vornherein unwahrscheinlich war, und andererseits eine genaue 
histologisohe Untersuchung der motorischen Rindencentren keinerlei pathologische 
Abweichungen ergab. 

c) Es wäre daran zu denken, dass subcortioale Herde auf reflectorischem Wege 
gewisse Rindencentren reizen und so zu isolirten Krämpfen Veranlassung geben. 
Eine solche Annahme muss vorläufig Hypothese bleiben. Aber auch diese 
Hypothese würde voraussetzen, dass den im Cortex gelegenen Centren der 
einzelnen Muskelgruppen ebensolche Centren in subcorticalen Theilen des Gehirnes 
entsprechen, mit welchen erstere in Verbindung stehen, so dass wir der Hypo¬ 
these entrathen können und bei Ausschluss der ersten beiden Möglichkeiten zur 
Annahme berechtigt sind, dass entweder die den einzelnen Muskeln und 
functioneil zusammengehörigen Muskelgruppen entsprechenden 
Faserzüge auch im Verlaufe der Pyramidenbahn derart räumlich 
innerhalb derselben untereinander geschieden sind, dass eine isolirte 
Reizung der Fasern einzelner Muskeln oder Muskelgruppen möglich 
ist, oder dass die einzelnen Muskeln und Muskelgruppen auch durch 
subcortical gelegene Centren im Gehirn vertreten sind. 

Für die erstere Annahme fehlen uns bisher alle Anhaltspunkte, ja eine 


1 Monatsohr. t Ohrenheilkunde. 1901. Nr. 7. 


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von Hoche mitgetheilte diesbezügliche Untersuchung scheint, wenn nicht 
vielleicht, was der Autor für möglich hält, individuelle Verhältnisse eine Rolle 
spielen, zu beweisen, dass die aus den corticalen Rindenoentren stammenden 
Pyramidenfasem sich über den ganzen Querschnitt der absteigenden Pyramiden¬ 
bahn gleichmässig vertheilen. 

Die Untersuchung, welche zu diesem Resultate führte, betraf einen kleinen 
Tumor in der Rinde und im Stabkranz mit linksseitiger Monoplegia brachialis. 
Vom Hirnschenkel abwärts erwies sich bei Untersuchung der Pyramidenbahn 
nach Mabchi die Degeneration über den ganzen Querschnitt derselben verstreut 
Gad und Flatau haben allerdings für das Rückenmark des Hundes anf Grund 
elektrischer Reizversuche behauptet, dass die für naheliegende Körpertheile be¬ 
stimmten motorischen Fasern unweit der grauen Substanz der Vorderhömer 
liegen, dagegen die für weiter entfernte Körpertheile bestimmten Fasern im 
Seitenstrang weiter nach hinten und nach der Peripherie hin ihre Lage haben. 

Mein Fall hat in dieser Hinsicht schon wegen des vollständigen Fehlens der 
absteigenden Degeneration keine Aufschlüsse gegeben. Wir müssen annehmen, dass 
trotz Compression des rechten Himschenkelfusses, wohl in Folge der l a ngs a m en 
Ausbildung derselben, eine schwere anatomische Läsion der Fasern desselben 
nicht eintrat, und die in der mässigen Hemiparese sioh äussemde Störung der 
Bahn mehr mit functioneilen Schädigungen derselben zusammenhing, womit 
auch die erwähnte Thatsache stimmte, dass bei WmGEBT-Färbung im Bereiche 
des Tumors ein Faserausfall im comprimirten Hirnschenkelfusse nicht nach¬ 
weisbar war. Daher auch das Ausbleiben der secundären absteigenden De¬ 
generation. 

Es ist heute bekannt und ich kann mir die Anführung aller einschlägigen 
pathologisch-anatomischen und experimentellen Thatsachen wohl ersparen, dass 
ausser der Pyramidenbahn noch andere motorische Systeme im Hirnstamme 
verlaufen, als welche wir heute mit ziemlicher Sicherheit das hintere Läng»- 
bündel, das MoNAKOw’sche Bündel, die Vierhügelvorderetrangbahn, die centrale 
Haubenbahn, dieMETNBBT’sche fontainenartige Haubenkreuzung ansprechen dürfen, 
wenn wir auch die nähere physiologische Bedeutung dieser Fasereysteme erst 
zum allergeringsten Theile kennen. Bechtbbew fand, dass bei neugeborenen 
Hunden nur die unmittelbar aus den Grundbündeln sioh fortsetzenden Systeme 
markhaltig sind, alle anderen Theile der Formatio reticularis und die Pyramiden¬ 
bahnen noch marklos sind, und dass bei Reizung dieser Faserzüge tonische 
Zuckungen der Extremitäten auftreten, auch bei Reizung der medialsten Faser¬ 
züge der Haube in der Vierhügelgegend, was für die motorische Bedeutung der 
hier durchziehenden erwähnten Bahnen spricht 

Eine interessante hierher gehörige Beobachtung theilte Habnhl jüngst mit 
Es handelte sich um einen alten Herd in der Regio subthalamioa, der zur Zer¬ 
störung des rechten Himschenkelfusses geführt hat und sich nach hinten über 
den inneren Kniehöcker bis nach der Oberfläche des hinteren rechten Vierhügels 
erstreckte. Die Extremitäten links waren nicht gelähmt, sondern, wenn auch in 
gestörter Weise, doch zur Ausführung willkürlicher Bewegungen befähigt Es 


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bestand linksseitige Hemiathetose. Es mussten also andere Bahnen für die rechte 
Pyramidenbahn eingetreten sein, und thatsäohlich fand sich bei Unterziehung 
des Hirnstammes nach Mabghi das MoNAKOw’sche Bündel, die Vierhügel¬ 
vorderstrangbahn und das hintere Längsbündel besonders stark entwickelt, 
hypertrophirt und ebenso einige andere Bahnen, welche sich in keine der be¬ 
kannten Fasersysteme mit Sicherheit einreihen liessen. 

Wir haben also Anhaltspunkte genug, um in der Vierhügelgegend 
die Existenz nicht nur motorischer Bahnen, sondern motorischer 
Centren der Extremitätenmuskeln zu vermuthen, innerhalb welcher — 
und diese Annahme drängt sich angesichts solcher Fälle, wie der mitgetheilte, 
von selbst auf — die einzelnen Muskeln und Muskelgruppen eine 
ebenso gesonderte Vertretung finden, wie im Cortex. 

Ob Reizung dieser Centren direct oder reflectorisch durch Vermittelung der 
corticalen Centren zu Krämpfen isolirter Muskelgruppen Veranlassung giebt, 
lässt sich heute natürlich nicht erweisen, doch können wir auf dem Boden 
unserer heutigen physiologischen, aus Experimenten und klinischer Beobachtung 
sich aufbauenden Kenntnisse über die Krampfformen bei Läsion verschiedener 
Theile des Gehirnes wohl der folgenden Anschauung Ausdruck ausgeben. 
Wir wissen, dass Reizung corticaler Centren zu anfallsweise auftretenden und 
nach bestimmten Gesetzen sich generalisirendeu Krämpfen führt, während 
andererseits Dauerspasmen, Chorea, Athetose, die verschiedenen Zitterformen 
nicht bei Reizung corticaler sondern subcorticaler Antheile des motorischen Systems 
zur Beobachtung kommen, und dass Ausnahmen von dieser Regel sehr selten 
sind und sich, wie erwähnt, auch auf andere Weise erklären lassen. Daraufhin 
möchte ich meine Ansicht d ahin aussprechen, dass bei Herden in der Vier¬ 
hügelgegend durch direote Reizung dort gelegener motorischer 
Centren anfallsweise auftretende oder continuirliohe Krämpfe 
isolirter Muskeln und Muskelgruppen ausgelöst werden können, 
und dass von diesen suboorticalen Centren aus, direct oder durch 
reflectorische Reizung corticaler Centren, eine Generalisation dieser 
Krämpfe erfolgen kann. 

Einen reflectorisch vermittelten corticalen Ursprung der genera- 
lisirten Krämpfe werden wir annehmen müssen, wenn die Anfälle 
typisch nach den Gesetzen des JACxsoN’sohen Anfalles verlaufen 
mit Betheiligung des Facialis und Hypoglossus, wogegen ich bei 
Verschontbleiben dieser beiden Nervengebiete (wie im vorliegenden 
Falle) auch für die generalisirten Krämpfe die subcorticale Reizung 
als zur Erklärung ausreichend erachte. 

Die beiden Beobachtungen von Eisenlohb und mir würden des 
Ferneren bei Ausschluss eines corticalen Herdes gestatten, das 
Auftreten isolirter Muskelkrämpfe für einen Herd in der Vierhügel¬ 
gegend diagnostisch zu verwerthen, womit ich keineswegs gesagt 
haben möchte, dass der pathologische Process von den Vierhügeln 
selbst seinen Ausgang nehmen müsse. Wesentlich dürfte nur sein, 


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dass der Herd die ventral von den Vierhügeln gelegene Region 
affioirt, was auch ein vom Thalamus ausgehender Tumor bewirken 
kann. 

Litteratnr. 

Barth, Jahrb. der Hamburger Staatakrankenanstalten. L 1889. — v. Biohtixxv, 
Leitungsbahnen. Neurolog. Centralbl. 1899. — v. Beck, Beiträge zur klinischen Chirurgie. 
1894. Heft 1. — Bonhöpfbb, Monataschr. f. Psych. u. NeuroL 1897 u. 1898. — Bunts, 
Geschwülste des Nervensystems. — J. Collier u. P. Buzzard, Brain. 1901. S. 177. — 
Dbjbrinb, TraiW de path. gdn. par Bouohabd. V. 8. 715. — Eisbnlohb, Jahrb. der Ham¬ 
burger Staatskrankenanstalten. — Haeeel, Deutsche Zeitsehr. f. Nervenheilk. XVII. 1900. 
— Hochs, Ebenda. XVHL 1900. — Menzel, Archiv f. Psych. XXII. — Mimgaxzini, 
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901. — Monakow, Nothnagel’« spec. Path. u. 
Ther. IX. S. 845. — Mueatow, Monatsschr. f. Psych. u. Neur. V. 1899. — Nothnagel, 
Wiener med. Presse. 1889. Nr. 19 u. Wiener med. Blätter. 1889. Nr. 9. — Oberotktnxb, 
Anleitung beim Studium des Baues der nervösen Centralorgane. Neurolog. Centralbl. 1901. 
Nr. 12. — Oppenheim, Geschwülste des Gehirns. Nothnagel' s Handb. IX, 2 . — Oedt, 
Deutsohe Zeitschr. f. Nervenheilk. XVIII. 1900. — Probst, Ebenda. XV. — Sandes, 
Ebenda. XII. — Sobgo, Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1901. Nr. 7. — Spitzes, Jahrb. 1. 
Psych. XVIIL — Stabs, Journ. of Nerv, and Ment Dis. XV. — Wbinland, Archiv f. 
Psych. XXVI. 


n. Referate. 


Anatomie. 

X) Beitr&ge zum normalen und pathologischen Baue des menschlichen 
Rückenmarks, von G. Hell ich. (Sbornik klinicky. HI. S. 261.) 

I. Man findet in normalen und pathologischen Rückenmarken, theils in der 
granen Substanz, theils im vorderem Septnm zu Bündeln and Convoluten an¬ 
geordnete, mit Schwann’scher Scheide bekleidete Nervenfasern, welche theils in 
der Adventitia, theils in den pialen perivasculären Einhüllungen der Centralgefasse 
liegen and für sehr seltene Geschwülste gelten. Verf. fand sie unter 32 Fällen 
6 Mal. Nach seiner Ansioht handelte es sich am sensitive, centripetale Pial- 
nerven, welche durch das vordere Septnm in die Mednlla eintreten und längs der 
Centralgefässe oder in deren Nähe verlaufen; ihr Ziel ist die graue Substanz des 
hinteren Antheils des Rückenmarks und speciell die Clarke’sche Säule. Die 
geschwulstartigen Convolute entstehen in der Weise, dass die Nerven die Glia- 
scheide gegen eine Bindegewebsscheide eintauschen and sich zugleich theilen und 
bei dieser Gelegenheit sich anders anordnen; dabei laufen die Nervenfasern durch¬ 
einander und dieses Gewirr imponirt dann wie eine Geschwulst. 

II. Der Autor beschreibt einen regelmässigen Befand von spinalen Ganglien¬ 
zellen, welche im Rückenmark theils den motorischen Wurzelfasern, theils den 
vorderen Wurzeln unter der Lumbalanschwellung aufsitzen, und zwar regelmässig 
dem inneren Antheil der Wurzelfasern. 

HI. In derselben Gegend fand Autor im äusseren und inneren Winkel des 
Vorderhoms eine von der Zellgrnppe Pick’s verschiedene Gruppe von Ganglien¬ 
zellen, welche ihre Ausläufer direct aus dem Horn mit den motorischen Faser- 
bündeln entsenden; sie dürften sensitiven Charakter besitzen. 

Gustav Mühlstein (Prag). 


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2) Einführung in die physikalische Anatomie. L and II. Theil. Von Her¬ 
mann Triepel. (Wiesbaden, 1902.) 

Die moderne biologisobe Litteratur hat eine zusammenhängende Darstellang 
der mechanischen Gewebseigenschaften bisher nicht aufzuweisen gehabt. Einzelne 
Theile des Gebietes, wie die Lehre von der Muskelelasticität, sind zwar oft und 
eingehend behandelt worden, blieben aber doch aus dem Zusammenhang des 
Ganzen herausgerissen. Verf. hat sich diese einheitliche Darstellung zur Aufgabe 
gemacht; er konnte sich dabei auf eine Reihe eigener Arbeiten aus früherer Zeit 
stützen, und das vorliegende Werk ist zum grössten Theile ebenfalls auf eigene 
Untersuchungen gegründet. Naturgemäße bewegt sich die Darstellung vorwiegend 
auf dem Gebiete der theoretischen Disciplinen, und mathematische Ableitungen 
nehmen deshalb einen nicht geringen Raum ein; obgleich sich Verf. selbst nicht 
verhehlt, dass in Folge dessen der Leserkreis seines Werkes unter den Medicinern 
leider nicht an Umfang gewinnen wird, so wird doch der wirkliche Werth des 
Buches dadurch nur erhöht und eine Präcision und Eindeutigkeit des Ausdrucks 
erreicht, wie man sie bisher eigentlich nur auf dem Gebiete der physiologischen 
Optik zu finden gewohnt war. — Der erste, kleinere Theil giebt eine allgemeine 
Elasticitäts- und Festigkeitslehre in elementarer Darstellung,^ in der die Grund¬ 
begriffe Zug, Druck, Schub, Biegung, Knickung, Torsion logisch und mathematisch 
erörtert und festgelegt werden. Der zweite, fast drei Mal so starke Theil greift 
aus den verschiedenen physikalischen Eigenschaften der Gewebe vorläufig ihre 
Elasticität und Festigkeit heraus und unterzieht die einzelnen Gewebsarten in 
dieser Hinsicht einer ausführlichen Betrachtung. Von neurologischem Interesse 
dürfte vor allem das Capitel über die Muskeln sein; Verf. kommt darin zu dem 
Schluss, dass der Muskel als elastisch vollkommen bezeichnet werden muss; ob 
sich aber diese elastische Vollkommenheit auf alle überhaupt möglichen Dehnungen 
beziehe, ob also eine Elasticitätsgrenze bestehe, und wo sie eventuell liege, das 
entziehe sich vorläufig noch der Beurtheilung. Ueber die „natürliche Länge der 
Muskeln“ sagt Verf. aus: Die Muskeln besitzen ihre natürliche Länge, d. h. die¬ 
jenige, die sie einnehmen würden, wenn keine äusseren Kräfte auf sie einwirkten, 
wenn ihr Ursprung und Ansatz soweit genähert sind, als es die vorhandenen be¬ 
wegungshemmenden Einrichtungen gestatten. Wie sich aus dieser Lage ihrer 
natürlichen Länge ergiebt, sind die Skelettmuskeln im Wachsthum hinter ihrer 
Umgebung zurückgeblieben, das Längenwaohsthum ist bei ihnen theilweise durch 
Dehnung ersetzt worden. Der thätige Zustand ändert die Elasticität des Muskels 
nicht, dieselbe ist vielmehr ausschliesslich von der jeweils eingenommenen Länge 
abhängig. — Auch die glatten Muskeln sind im lebenden Organismus in vielen 
Fällen dauernd oder wenigstens für lange Zeit über ihre natürliche Länge 
gedehnt. 

Die anderen Capitel über das gelbe Bindegewebe, das Sehnen-, Knorpel- und 
Knochengewebe, Arterien, Venen und Nerven sind mehr von allgemeinem Inter¬ 
esse, werden aber bei der Menge von Einzelthatsachen, die sie enthalten, sicher 
in Fachkreisen gebührende Beachtung finden. H. Haenel (Dresden). 


Experimentelle Physiologie. 

3) On the Stimulation and paralysis of nerve-cells and of nerve endings, 

by J. N. Langley (Cambridge). (Archives italiennes de biologie. XXXVI.) 

Nicotin und gewisse andere Alkaloide wirken reizend nicht auf die Endi¬ 
gungen präganglionärer Nervenfasern, sondern direct auf die Substanz von Nerven¬ 
zellen, einschliesslich der Ganglien des Grenzstranges, aber ausschliesslioh der 


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Spinalganglienzellen, auf welche Nicotin weder einen reizenden und wahrscheinlich 
auch keinen lähmenden Einfluss hat. 

Bei der Katze kommt einige Minuten nach dem Tode eine kräftige Erection 
von Haaren zu Stande, die nur von den pilomotorischen Zellen dee Rückenmarks, 
nicht aber yon jenen des Sympathicus ausgelöst wird. 

Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


4) Seotion Intracränienne du nerf optique ohes le lapin (prÖMntatlon 
d'animaux opdrös), par G. Marenghi (Pavie). (Archives italiennes de bio- 
logie. XXXVI.) 

Die mit der bisher ausgeführten intraorbitalen Opticusdurchtrennung noth- 
wendigerweise verbundenen Verletzungen anderer Nerven und von Gefassen und 
Bulbusmuskeln lassen sich durch die vom Verf. angegebene intracranielle Durch* 
schneidung des Opticus an seinem Ursprung vom Chiasma vollständig vermeiden. 
Der Eingriff wird von den Kaninchen leicht ertragen und der Bulbus hält sich 
in normalem Zustand. Sowohl unmittelbar nach der Operation, wie nach Ablauf 
mehrerer Monate reagirt die Pupille auf Lichteinfall. Die Reaction ist träge und 
selbst bei sehr starker Belichtung erhält man nie den gleichen Grad von Ver¬ 
engerung, wie unter normalen Verhältnissen; jedoch ist die Reaction, selbst bei 
schwacher Belichtung, jedes Mal deutlich. Erklärt werden könnte die Reaction 
durch Annahme eines peripherischen Reflexcentrums, wie ein solches bei den 
niederen Thieren vorausgesetzt wird. Die vom Verf. nachgewiesenen, in der 
interglobulären Schicht der Netzhaut gelegenen Nervenzellen, die mit ihren Den¬ 
driten und Neuriten die Retina nicht überschreiten, wären für diese Frage in 
Betracht zu ziehen. 0. Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


5) Geaohmaok und Chemismus, von Dr. Wilhelm Sternberg, prakt. Arzt 
in Berlin. (Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane. XX) 

Wenn aus der vorliegenden chemisch-physiologischen Studie an diesem Platze 
auch nur die psychophysische Frage, die sich Verf. in der Form „Weshalb ist 
der süsse Geschmack der angenehme, der bittere der imangenehme?“ gestellt hat, 
interessirt, so benöthigt man doch zum Verständniss derselben auch die Erwähnung 
und Beantwortung der Vorfragen; nämlich 

1. Weshalb schmecken manche Substanzen und weshalb sind andere nicht 
minder lösliche geschmacklos? 

2. Weshalb schmecken die einen süss, die anderen bitter? 

Verf., der hier nur die zwei reinen Geschmacksempfindungen, süss und bitter, 
im Auge hat, kommt auf Grund seiner Beweisführung zu dem Schlüsse, dass 
sämmtlichen süssen Verbindungen eine Harmonie im ohemischen Bau eigen ist; 
eine Störung der Harmonie im Molekül nimmt nicht nur den süssen Geschmack, 
sondern führt zunächst den bitteren herbei und lässt, wenn sie noch erheblicher 
ist, Geschmacklosigkeit eintreten. Die drei Gruppen der bitter schmeckenden 
Verbindungen stehen mit den drei Gruppen der süssschmeckenden in intensiven 
Beziehungen, so zwar, dass aus dem süssen Molekül leicht ein bitteres und um¬ 
gekehrt erzeugt werden kann. Die Gegensätzlichkeit der Geschmacksempfindungen 
süss und bitter einerseits, die nahe Verwandtschaft der Moleküle ihrer adäquaten 
Reize andererseits, „zeugen ebenso sehr von der Feinheit des Sinnesorgans wie 
von der teleologischen Bedeutung, eine minimale Veränderung der Materie durch 
einen möglichst grossen Effect sicher zu kennzeichnen“. 

Die psychische Lustempfindung im Gebiete des Geschmacks¬ 
sinnes (d. i. die Süssempfindung) kann auf eine Einfachheit der chemi- 


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kalischen Bedingungen der Empfindungen zurückgeführt werden, ebenso 
wie die psychische Lustempfindung im Gebiet der Hörsphäre mit einer 
gewissen Einfachheit im Zahlensysteme der physikalischen Ursachen 
der Empfindungen zusammenfallt. Meitzer (Grosshennersdorf). 


6) Contributo olinioo alla oonosoensa dell’ innervazione gustatoria. Nota 
del Prof. G. Fasola. (Rivista di patologia nervosa e mentale. 1902. Febr.) 

Objecte der Geschmacksprüfungen waren zwei durch Krause-Hartley'sehe 
Reseotion des 2. und 3. Astes des Trigeminus und Amputation des benachbarten 
Theils des Gangl. Gasseri von alter Gesichtsneuralgie befreite Individuen von 66 
und 50 Jahren. Die Prüfungen, täglich wochenlang nach umsichtiger, der Varia¬ 
bilität aller Umstände sorgfältig Rechnung tragender Methode ausgeführt, ergaben 
sofort nach der Operation eine für alle vier Qualitäten fast vollständige Schmeck¬ 
anästhesie, begleitet von Unempfindlichkeit für Berührung und Schmerz in der 
vorderen Hälfte (mit Einschluss der Spitze) der dem Eingriff entsprechenden 
Zungenseite. Nach 10 Tagen begann der Geschmack wiederzukehren. Die Ope- 
rirten unterschieden zunächst manchmal die Qualität richtig, verkannten sie zwar 
auch noch häufig, hatten aber doch schon eine Geschmacksempfindung. In den 
folgenden Wochen gelang das Urtheil, und zwar zuerst und am vollständigsten 
für den Bitterstoff immer treffender und rascher und nach Monaten blieb nur 
eine gewisse Unsicherheit desselben besonders für die saure Beschaffenheit, für 
immer jedoch eine relative, graduelle Herabsetzung der Schmeckempfindungen 
zurück. Die Perception der Tastreize blieb noch lange, nachdem der Geschmack 
schon im wesentlichen zurückgekehrt war, vollständig erlosohen, womit zugleich 
die Unabhängigkeit letzterer Function von ihr bewiesen ist. Auch konnte es 
sich nicht um eine durch vasomotorische oder trophische Störungen bedingte 
Veränderung der Geschmacksfunctionen handeln, weil die Chorda tympani, welche 
diese Reize vermittelt, intact war, die Zungenschleimhaut äusserlich keine Ver¬ 
änderung zeigte und die Aufhebung der Geschmacksfunction sofort nach der 
Operation am intensivsten war. 

Die beiden Resultate beweisen, dass der Trigeminus wirklich eigene 
Geschmacksfasern führt, welche zur Spitze und vorderen Randzone der Zunge 
entweder direct im N. lingualis verlaufen oder auf dem, etwa durch einen Zweig 
des Gangl. oticum vermittelten Umweg durch die Chorda tympani zu ihm ge¬ 
langen. Für erstere Bahn sprechen die Beobachtungen Prävost’s, dass Zerstörung 
beider Chordae tymp. und selbst beider Glossopharyngei nur Herabsetzung, Durch¬ 
trennung des Lingualis aber Verlust der Schmeckfähigkeit in der vorderen Zungen¬ 
region zur Folge hatte. 

Das Beharren einer gewissen Schmeckempfindlichkeit selbst in den ersten 
Tagen nach der Operation und die weitere Besserung der Function zwingt — 
falls man nicht an Anastomosen oder Proliferation anderer specifischer Fasern 
denken will — zu der Annahme, dasB ein Theil der Geschmacksfaserung 
dieses'Bezirks aus einem anderen Gebiet (Glossopharyngeus mit Portio 
intermed. Wrisbergii) stammen muss. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


Pathologische Anatomie. 

7) Lea effeta de la trdpanation falte aur lea jeunee animaux, par D. De¬ 
mo or (Bruxelles). (Archives italiennes de biologie. XXXVI.) 

Auf Grund von Trepanationen, die er bei 3—6 Tage alten Hunden in ver¬ 
schiedenen Schädelgegenden vorgenommen hat, kommt Verf. zu folgenden Ergeb¬ 
nissen: 


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1. Während der ersten Monate schreitet die Entwickelung in normaler Weise 
vorwärts. 

2. Nach Ablanf einer bestimmten Zeit (durchschnittlich innerhalb von 
5 Monaten) zeigt sich eine allgemeine Abmagerung, and unter epileptiformen 
Krämpfen tritt der Tod ein. 

3. Symptomatologie und Autopsie zeigen, a) dass durch die locale Verletzung 
des jungen Schädels der Knochen in grosser Ausdehnung in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen wird, b) dass weder im Stadium der normalen Entwickelung, noch in dem 
der krankhaften terminalen Abmagerung irgend ein besonderes Symptom in den 
peripheren Regionen des Körpers zu Tage tritt. 

Die histologische Untersuchung des Cortex der operirten Thiere ergab: 

1. Die Dendriten sämmtlicher Zellen haben deutlich das Aussehen einer 
Perlenschnur: Ihre Filamente erscheinen in Form stark gefärbter und mit ein¬ 
ander durch eine offenbar hyaline Substanz verbundener Körner. — Die perlen¬ 
schnurartige Anordnung ist die Folge der Reize, die durch die Convulsionen bei 
der Tötung des Thieres gesetzt werden; während der Abmagerungsperiode 
erscheinen die Dendriten nicht perlenschnurförmig, sondern ausserordentlich blass. 

2. Alle Zellen befinden sich im Zustand intensiver ChromolyBe. Die Ver¬ 
armung der Neurone an färbbaren Substanzen ist charakteristisch für die Nerven¬ 
zellen trepanirter Thiere. 

3. Schwund von Neuronen ist nur beobachtet worden am Gehirn eines 

Thieres, bei dem der Tod sehr langsam und nach Voraufgang einer Periode der 
Imbecillität erfolgte. Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Neuropathologisohe Beobachtungen, von Prof. Dr. M. Bernhardt (Max 
Jaffä’s Festschrift S. 27. Braunsohweig, 1901.) 

I. Ueber localisirte Krämpfe in den oberen Extremitäten. — 31 jähr. Arbeiter, 
bisher völlig gesund, bekam nach anstrengender Arbeit (Kistenheben) Schmerzen 
im linken Oberarm und andauernde, angeblich auch während des Schlafes nicht 
auf hörende klonische Krämpfe am linken Vorderarm, hauptsächlich im M. pronator 
teres. Nach 3 wöchiger erfolgloser elektrischer Behandlung plötzlich Spontan¬ 
heilung. 2 Jahre später Quetschung am Nagelglied des rechten Mittelfingers, 
darnach krampfhafte Beuge- und Streckbewegungen der rechten Hand und Finger, 
mehr als 100 Mal in der Minute. Objectiv kein Befund. Wiederum plötzliche 
Spontanheilung nach etwa 6 Monaten. Ein 3. Anfall von klonischen Zuckungen, 
diesmal wieder im linken Vorderarm, trat 9 Monate später ein. 

II. Ueber localisirte Krämpfe in den unteren Extremitäten. — 34jähriger 
Mann, der kurz vorher eine Landwehrübung mitgemacht hatte, bekam in der 
3. Woche nach Leistenbruchoperation ein eigenthümliches Zittern im rechten Bein; 
im Sitzen klonische Zuckungen der Adductorenmusculatur. Im Liegen mindern 
sich die Adductorenkrämpfe; an deren Stelle klonischer Krampf im Gebiet dee 
N. cruralis. Im Stehen abwechselnd kurze Kniebeugungen und Streckungen. Die 
Leistengegend ist druckempfindlich. Beim Stehen auf dem linken Bein allein 
fangen auch in diesem krampfhafte Bewegungen an. Therapie erfolglos. 

IIL Ueber die angeborene Facialislähmung (infantilerKernschwund, Möbius). 
— Das lOmonatige Kind kam in normaler Geburt ohne Kunsthülfe zur Welt, 
hatte nie Krämpfe und zeigt sonst am Körper nichts Abnormes. Sofort nach der 
Geburt fiel auf, dass es nioht saugen konnte; später merkte man, dass es nicht 
weint und lacht Die Augen füllen sich mit Thränen, das Kind jauchzt, aber 
das Gesicht bleibt maskenartig unbeweglich, der Mund steht andauernd offen. 


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Augenbewegungen frei. Faradisch sind die vom Facialis innervirten Muskeln 
beiderseits nicht erregbar; nur an der rechten Unterlippe schwache Reaction bei 
stärkeren Strömen. E. Beyer (Littenweiler). 


0) Lea oonvulsions ohes l’enfant. I. Etlologle, Symptomatologie et dia- 
gnostio, par Prof. A. d’Espine (Genf). — II. Pathogönie, pronoatio et 
traitement, par Prof. Moussons (Bordeaux). — III. Diaooaalon. (Annales 
de m6decine et Chirurgie infantiles. 1902. Nr. 9.) 

Das vorliegende Heft enthält die ausführliche Wiedergabe von Vorträgen 
über Kinderconvulf»ionen, die auf dem medicinisohen Congress zu Toulouse ge¬ 
halten wurden. Da dieselben unsere heutigen Kenntnisse über diese Zustände 
ziemlich erschöpfend wiedergeben, sei die ausführlichere Besprechung gestattet: 

I. Unter den fttiologisohen Bedingungen trennt d’Espine die prädispo- 
nirenden Momente von den auslösenden Ursachen. 1. Prädisponirende 
Momente: a) Heredität spielt eine grosse Rolle, und zwar als neuropathische Be¬ 
lastung, als Alkoholismus, seltener als Ausdruck eines chronischen Saturüismus 
und einer krankhaften Kachexie der Eltern, b) das Alter bis zum 6. Lebensmonat 
zeigt eine besondere Neigung zu Convulsionen. 2. Veranlassende Momente: 
a) Die Zahnung hält Verf. entgegen früheren Berichten für keine Ursache von 
Krämpfen, b) Ebenso glaubt er nicht an eine krampfauslösende Bedeutung der 
Rachitis. c) Bei Neugeborenen führen Frühgeburt, Lebensschwäche, hingegen 
seltener als gemeinhin angenommen, Meningealblutungen zu meist letal endigenden 
Convulsionen. d) Asphyxie in Folge Einathmung schädlicher Gase, oder bei an¬ 
geborenen Herzfehlern, bei Keuchhusten, bei Bronchopneumonieen ist eine wichtige 
Ursache der Krämpfe, e) Unter den Vergiftungen sind solohe mit Alkohol, Blei, 
Opium, Santonin beachtenswerth. f) Autointoxication sind die Hauptursache 
kindlicher Convulsionen, und zwar auf Grund einer Urämie, eines Athyro'idismus, 
eines Status lymphaticus und insbesondere als Ausdruck intestinaler Störungen, 
g) Länger dauernde Krämpfe finden sich bei hohen Fiebergraden, namentlich im 
Beginn acuter Infectionen. h) Bei den einzelnen Infectionskrankheiten hängen die 
eventuellen Krämpfe nioht nur von der Hyperthermie, sondern auch von der 
Malignität des Leidens, von meningitischer Reizung u. s. w. ab und sind bei 
einigen häufiger (Otitis, Pneumonie, Poliomyelitis, Masern u. s. w.), bei anderen 
seltener (Scharlach, Typhus, Diphtherie u. s. w.). i) Traumatische Eklampsie ist 
nicht gerade häufig, da die Symptome der Gehirnerschütterung bei Kindern selten 
Vorkommen. Manchmal sind die Krämpfe von dem ursächlichen Trauma durch 
Stunden und Tage getrennt; nach traumatischen Krämpfen kann eine wahre 
Epilepsie Zurückbleiben, j) Reflexepilepsie ist im Kindesalter äusserst selten; die 
Bedeutung von Eingeweidewürmern ist mehr als zweifelhaft. 

In dem Abschnitt über Symptomatologie und Statistik sehen wir, dass 
Verf. auch die Tetanie und den Laryngospasmus unter dem Sammelnamen der 
Kinderconvulsionen einfügt, doch überragt die Zahl der Fälle von Eklampsieen 
jene der anderen Zustände um ein bedeutendes. Unter den Prodromalsymptomen 
der wahren Convulsionen ist eine Hyperästhesie der Sinnesorgane sowie 
Steigerung der Patellarreflexe erwähnenswerth. Die Form der Krämpfe ähnelt 
nicht oft den epileptischen, sondern ist meist „eine Mischung von Tonismus und 
Clonismus“, die oft durch Stunden mit einem oomatösen Zustand sich vergesell¬ 
schaftet. Meist sind die Krämpfe beiderseitig, doch müssen auch halbseitige 
Zuckungen durch keine cerebrale Läsion bedingt sein. Der Stimmritzenkrampf 
besitzt ähnliche Ursachen wie die Convulsionen; von der Tetanie will Verf. den¬ 
selben getrennt haben. Auffallend sind Fälle von Laryngospasmus bei Neugeborenen, 
die an den congenitalen Stridor erinnern und oft schwere Symptome darbieten 


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können. Bezüglich der Tetanie, die in Genf übrigens selten ist, steht Verl 
auf einem von der herrschenden Ansicht abweichenden Standpunkt, indem er die 
diagnostische Bedeutung des Facialisphänomens, des Trousseau’schen Symptoms, 
der nervösen Uebererregbarkeit einschränkt und in den Krämpfen, die auf gleicher 
Stufe stehen wie die allgemeinen Convulsionen, das wesentliche Merkmal erblickt. 

Einige Bemerkungen widmet d’Espine auch der Diagnostik und nament¬ 
lich den Unterscheidungsmerkmalen gegenüber Hysterie, Epilepsie und Meningitis. 
Zur sicheren Differentialdiagnose gegenüber der letzteren wird man die Ergebnisse 
einer eventuellen Lumbalpunction kaum entbehren können. 

II. Von einer einheitlichen Pathogenese der Kinderoonvulsionen kann nicht 
die Rede sein. Doch lässt sich im Allgemeinen behaupten, dass das kindliche 
Nervensystem eine geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlichkeiten be¬ 
sitzt wie jenes der Erwachsenen, und dass es, von irgend einer Noxe betroffen, 
besonders leicht unter Krämpfen reagirt. Mit den Annahmen einer „Uebererreg- 
barkeit des kindlichen Nervensystems“ und des „Wegfalles der corticalen Hem¬ 
mungen“ ist allerdings zur Erklärung der Kinderoonvulsionen nicht viel geschehen. 
Wir sehen vielmehr, dass die Kinder den normalen nervösen Functionen ganz 
gut gewachsen sind, und dass spec. ungewöhnliche Reize eine Alteration der noch 
ungenügend isolirten Centren hervorrufen. Doch lässt die verschieden leichte 
Auslösbarkeit der Krämpfe in gleichen Altersstufen wohl eine einheitliche Auf¬ 
fassung der Kinderoonvulsionen nicht zu. 

Höchst bedeutsam ist die Frage nach einem eventuellen Zusammenhang der 
Kinderoonvulsionen und einer späteren Epilepsie. Dass Kinder, welche auch 
nach den ersten 2 Lebensjahren die Neigung zur Krampfreaction auf thermische, 
toxische u. s. w. Reize beibehalten, bei irgend welchen cerebralen Erkrankungen 
leichter mit Convulsionen reagiren dürften, ist wahrscheinlich. Grössere Bedeutung 
kommt solchen Convulsionen zu, die im Anschluss an eine organische Affection 
des Centralnervensystems im Kindesalter auftraten, und die auch ohne bleibende 
cerebrale Localsymptome spätere Epilepsie bedingen können. Vielleicht bilden 
auch Defecte anderer Organe, die den Anlass zu den ersten infantilen Convulsionen 
gegeben haben, eine Prädisposition zur Epilepsie. Doch dürfen Kinderkrämpfe 
und epileptische Anfälle beim Erwachsenen doch nioht ohne weiteres als gleich¬ 
artige Affectionen angesehen werden, selbst wenn sie an demselben Individuum 
sich vorfinden. Die kindlichen Krämpfe sind Ausdruck einer grösseren Labilität 
des Nervensystems, das sich später ebenso als Epilepsie wie als Chorea, Tic, 
Neurasthenie äussern kann. 

Die Therapie der Kinderkrämpfe, welche sich meist an die Behandlung 
eines veranlassenden Grundleidens anschliesst, findet in den Darlegungen von M. 
eine kurze, aber recht erschöpfende Darstellung. Warme protrahirte Bäder, bei 
Fieber kalte Einpackungen, ferner kalte Kopfumschläge, Chloroformirung, Caro- 
tidencompression, Blutentziehung, Sauerstoffinhalationen, dann medicamentöse Be¬ 
handlungsweisen (Chloral, Brom, Antipyrin), endlich die Lumbalpunction kommen 
zur Anwendung. Gegen Reizmittel (Senfteig) spricht sich Verf. aus. 

III. Disousslon. 

Ausset verweist auf die vorwiegende ätiologische Bedeutung der acuten oder 
chronischen Magendarmcatarrhe. Das erste Lebensalter stellt das bei weitem 
grösste Contingent an Kindern mit Convulsionen. Dass die Kindereklampsie mit 
Epilepsie nicht viel gemein hat, glaubt auch der Redner. Auch klinisch giebt 
das Fehlen des initialen Schreies und das partielle, wechselnde Auftreten der 
Krämpfe mit oft vorwiegend toxischem Charakter einen differentialdiagnostischen 
Anhaltspunkt. Riberolles findet Kinderoonvulsionen namentlich bei Familien 
mit „hereditärer Herzinsufficienz“. Faure hat bei Convulsionen Hirnrindenunter- 


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Buchungen (nach Nissl) mit negativem Resultate angestellt. Dadurch erhält die 
Auffassung einer toxischen Pathogenese der Convulsionen eine Unterstützung. 
Audebert sucht Beziehungen zwischen einer Albuminurie der Mutter und früh¬ 
zeitigen Convulsionen der Kinder. Cany verweist auf den von Escherich ver¬ 
tretenen Standpunkt der Vereinigung von Laryngospasmus und Tetanie. Bezy 
glaubt ebenfalls nicht an die ätiologische Bedeutung der Eingeweidewürmer. Das 
Vorkommen von Hysterie im frühesten Kindesalter hält er für eine mögliche 
Ursache von Convulsionen. Zappert (Wien). 

10) Hemianopsie bei Eklampsie, von Knapp. (Prager med. Wochenschr. 
1901. 23. Mai.) 

27jähr. Primapara, in tiefem Coma eingebracht. 24 Stunden nach Accouche- 
ment force: Pupillen enge, gleich weit, prompt und nicht hemianopisch reagirend. 
In beiden rechten Gesichtshälften wird die vorgehaltene Hand nur undeutlich, 
wie in starkem Nebel wahrgenommen, in den linken Gesichtshälften ganz scharf 
gesehen. Schon am nächsten Tage vollständiger Rückgang dieser Erscheinung. 

Verf. erwähnt zwei analoge Fälle aus der Litteratur (F. Pick und Leh¬ 
mann). Pilcz (Wien). 


11) A oase of eolampsia at the sixth month. Snooessfnl labour at fall 
time, by Michael Dewar. (Scott med. and surg. Joura. 1901. Febr.) 

Das Wesentliche des Falles ist in der Ueberschrift schon enthalten. In drei 
Serien von Anfällen wurde nur ein Mal eine Spur Eiweis im Urin nachgewiesen. 
Verf. glaubt, dass in Fällen ohne Albuminurie sich ein Bacillus im Blute als 
Ursache müsse finden lassen. H. Haenel (Dresden). 


12) Notes of six oases of puerperal eolampsia treated by saline infas Ions, 

by Robert Jardine. (Glasgow medical Journal. 1900. October.) 

Seinen früheren Mittheilungen über die Behandlung der Eklampsie mittelst 
Koohsalzinfusionen fügt Verf. jetzt eine neue, die über 6 Fälle berichtet, an, so 
dass er jetzt im ganzen über 28 so behandelte Fälle verfügt Die Lösung, die 
er jetzt benutzt, entspricht einer physiologischen Kochsalzlösung mit Zusatz von 
einer der Menge des Kochsalzes entsprechenden Dosis von essigsaurem Natron. 
Von den sechs mitgetheilten Fällen sind fünf geheilt, eine Patientin starb; letztere 
hatte schon in den letzten 24 Stunden vor der Aufnahme 10 sehr schwere An¬ 
fälle gehabt und war bereits vorher behandelt worden. Im ganzen sind von seinen 
23 Fällen 6 gestorben; davon wurde eine Patientin moribund eingeliefert, eine 
starb — von der Eklampsie geheilt — an der Perforation eines Duodenal¬ 
geschwürs. Verf. glaubt, dass die Resultate dieser Behandlungsmethode allen 
anderen Methoden mindestens gleichwerthig, wenn nicht überlegen sind. 

Martin Bloch (Berlin). 

18) Ueber einen Fall von totaler retrograder Amnesie, von Robert Bins- 

wanger. (v. Leyden-Festschrift. DI.) 

Der 47jährige Patient, erblich nicht belastet, nie specifisch erkrankt, kinder¬ 
los verheiratet, hatte bereits zwischen 20 und 30 Jahren Anzeichen von Nervo¬ 
sität (Schwindel, Uebelkeit, beim Gehen Drang nach links); war auch rheumatisch 
und gichtisch. Nach dem 40. Jahre Abnahme des Gedächtnisses durch nervöse 
Erschöpfung, aufsteigende Hitze beim Sprechen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, 
Stimmungswechsel, Zuckungen im linken Facialis, später Platzangst, Schwindel 
und Ohnmachtsantälle, so dass Pat. mit 46 Jahren sein Geschäft aufgeben musste. 

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Im folgenden Jahre (Februar 1891) plötzlich Ausbruch einer tobsüchtigen Erregung 
mit Verwirrtheit und Convulsionen, die in 25 Tagen ablüuft. Danach totale 
Amnesie für den der Erkrankung voraufgehenden Zeitraum von 15 Monaten, in 
welchem sein Austritt aus dem Geschäft erfolgt ist Dann Wohlbefinden, aber 
nur geringe Lockerung der Amnesie. Nach einem Vierteljahr ein Anfall von 
Petit mal mit völliger Amnesie, später Schwindelencheinungen, Neigung nach 
links zu gehen. In den folgenden 10 Jahren häufig Anfälle von Petit mal und 
seltener Grand mal, letztere gewöhnliche epileptische Krämpfe. Die Intelligenz 
soll nicht gelitten haben. Im 66. Jahre ist Diabetes aufgetreten. 

Die Diagnose einer Epilepsie, welche schon nach Ablauf der Psychose im 
Jahre 1891 gegenüber Paralyse und Hysterie gestellt war, ist somit durch den 
weiteren Verlauf bestätigt worden. Eigenartig ist, dass die Amnesie nicht, wie 
sonst, sich direct an typische Krampfanfälle angeschlossen hat, sondern an 
eine epileptische Psychose mit charakteristischem Dämmerzustand. Als dann der 
Patient klar wurde, erstreckte sich die Amnesie zuerst auf diese Phasen und 
nachher, rückschreitend, auf eine Zeitdauer von 15 Monaten. 

E. Beyer (Littenweiler). 


14) Die Bolle der Autointoxioation in der Epilepsie, von Hebold und 

Bratz. Aus der Berliner städtischen Anstalt für Epileptische Wuhlgarten. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 36.) 

Die Verff. suchten methodisch die Körpersäfte Epileptischer während der 
Anfälle und ausserhalb derselben Thieren einzuverleiben und die Wirkungen beider 
Versuchsreihen zu vergleichen. Benutzt wurden der Urin von Epileptischen, un¬ 
mittelbar nach einem Anfalle oder eine Stunde später per Katheter entnommen 
bezw. spontan entleert, ferner Blut, durch Schröpfköpfe, einmal durch Aderlass 
gewonnen. Die Versuche an Hunden ergaben niemals convulsivische oder sonst 
auffallende Folgeerscheinungen, selbst nicht an Thieren, deren Eltern künstlich 
zum chronischen Alkoholismus gebracht worden waren. Für weisse Mäuse waren 
die Körpersäfte ebenfalls meist wirkungslos, nur in der Minderzahl der Versuche 
(einige hundert!) erkrankten die Thiere, meist ohne Convulsionen, zuweilen aber 
mit tötlichem Ausgang. Niemals war eine Regelmässigkeit in der Gift Wirkung 
zu constatiren, auch waren in den positiven Fällen zum Theil wenigstens andere 
Faotoren für die Toxicität verantwortlich: so handelte es sich zwei Mal um 
Pneumonie im Status epilepticus, ein Mal hatte der Patient vorher starke Chloral- 
abgaben erhalten u. s. w. — Die Verff. wollen die Versuche fortsetzen, glauben 
aber nicht, dass das Wesen der Epilepsie in einer Stoffwechselanomalie zu 
suchen ist. R. Pfeiffer. 


16) Du paraalt« trouvö dans le sang des dpilaptlques, par M. Bra. (Revue 
neurologique. 1902. 30. Mai.) 

In der Zeit unmittelbar vor dem epileptischen Anfall und während desselben 
(auch bei den unvollständigen) findet sich in dem Blute ein Parasit, welcher als 
ein Mikrococcus (Coccus, Diplococcus, kurze Ketten, sich verlängernd und die 
Gestalt des Coccobacillus, Diplobacillus, Streptobacillus annehmend) erscheint und 
von dem Verf. Neurococcus genannt wird. 

In der Zwischenzeit selten oder fehlend nimmt der Parasit stetig beim 
Herannahen des Anfalles zu, um nach grossen Anfällen zu verschwinden. 

Verf. hält den Mikroorganismus für das pathogene Agens der Epilepsie. 
Subcutan injicirte Culturen dieses Mikrococcus rufen beim Kaninchen con- 
vulsive Erscheinungen hervor, zuweilen den Tod unter den Erscheinungen des 
Status epilepticus. M. 


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10) Nuove proprietA tosslohe e terapeutiohe del siero di roogu« degli 
epilettioi e loro applioazioni pratiohe , del Dr. Carlo Ceni. Aas dem 
Istituto Psichiatrico di Reggio Emilia. (Riv. speriment. di Freniatria e 
Medic. leg. delle alien. ment XXVII. 1901. S. 761.) 

Verf., der sich bereits in verschiedenen Arbeiten mit den supponirten Toxinen 
der Epileptiker beschäftigt hat, hat hier einen neuen Weg eingeschlagen, der so* 
wohl theoretisch wie praktisch manchen Ausblick gewährt. Freilich ist die Ver¬ 
suchsreihe sohmal und die Zahl der Hypothesen gross! 

Zunächst der praktische Theil. 10 Individuen, die alle Behr schwere Fälle 
von Epilepsie mit psychischen Störungen darboten, wurde Serum theils anderer 
Epileptiker, theils aus ihrem eigenen Blute gewonnen, injioirt. Die Menge 
des eingespritzten Serums beträgt im ersten Monate im ganzen 10—50 ccm, in 
den folgenden werden bis 100 ccm angewandt. In 2 Fällen trat eine Verschlim¬ 
merung ein, in zwei weiteren totale Heilung, in sechs anderen bedeutende Besserung. 
Mit der Ab- oder Zunahme der Anfälle wie der Besserung der Psyche der 
Patienten geht stets Hand in Hand eine Zu- und Abnahme des Körpergewichts. 
In den 2 Fällen von Heilung wurde beinahe das Körpergewicht verdoppelt. Zu 
bemerken ist, dass die Bromkur während der Serumtherapie ausgesetzt blieb. In 
einigen Fällen ist deutlich zu beobachten, wie das Aussetzen der Injectionen eine 
Reacerbation des Krankheitszustandes bedingte. Dem Zustande der Besserung 
geht meist eine kürzer oder länger dauernde Reaotionszeit voraus, in der die 
Anfälle sich verschlimmern und das Körpergewicht abnimmt. Je schneller eine 
Besserung sich zeigt, desto günstiger gestaltet sich die Prognose. Mit einiger 
Reserve — die bei der geringen Zahl beobachteter Fälle auch nöthig ist — 
glaubt Verf. über den Erfolg der von ihm inaugurirten Kur folgendes sagen zu 
können: die hereditären Formen von Epilepsie, die schon frühzeitig in Erscheinung 
treten, bieten sich dem neuen Heilverfahren nicht; am günstigsten wurden von 
ihm Fälle erworbener und noch nicht lange bestehender Epilepsie beeinflusst. 

Den Uebergang vom praktischen zum theoretischen Theil geben Versuche 
von Einspritzung Serums gesunder Menschen in Epileptische. Analogieen mit der 
Einspritzung „epileptischen“ Serams zeigten sich insofern, als auch hier anfangs 
Vergiftungserscheinungen und in Fällen veralteter erworbener Epilepsie eine Zeit 
lang andauernde Verschlimmerung des Zustandes sich zeigten, Verschiedenheiten 
aber darin, dass die Epilepsie als solche durchaus nicht gebessert werden konnte. 

Nachdem Verf. ab unwahrscheinlich nachzuweisen gesucht hat — die Beweis¬ 
führung erscheint Ref. nicht zwingend —, dass durch die Einspritzung des Serums 
Epileptischer eine Immunisirung, sei es durch Gewöhnung an ein specifisches 
Toxin, sei es durch Bildung eines Antitoxins, erfolge, glaubt er die heilsame 
Wirkung seiner Injectionsversuche folgendermaassen erklären zu können: Im Blute 
Epileptischer gebe es zwei wirksame Substanzen: ein freies Toxin, das Schuld sei 
an den anfänglichen Reactionserscheinungei} nach der Einspritzung, und ein an 
feste Blutbestandtheile gebundenes Toxin, das erst ausserhalb der Gefässe bei 
der Serumgewinnung frei werde. Diese zweite Substanz besitze nun die Eigen¬ 
schaft ab Reiz den Stoffwechsel zu beeinflussen und besonders den Stoffwechsel 
gewisser Zellgrappen, deren Alteration die Ausscheidung eines speoiell die Epilepsie 
verursachenden Etwas bedinge. Diese hypothetischen Elemente nun werden durch 
den specifischen Reiz der zweiten im Blute Epileptischer enthaltenen Substanz 
entweder zu stärkerer Thätigkeit veranlasst — Fälle mit negativem Erfolge — 
oder durch Beeinflussung ihres Stoffwechsels zu normaler Thätigkeit zurückgeführt 
— Fälle von Besserung oder Heilung. Das Serum könne also direct therapeutisch 
wirksam sein. Verf. bt sich wohl bewusst, einen hypothesenreichen Aufbau zu 
liefern — bei den vielen von ihm angenommenen Grössen ist es schwer, ihm bei 
seiner Rechnung zu folgen. L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 

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17) Oontributo allo Studio doll’ asimmetria di pressione negli epilettioi 
nei delinquenti e nelle prostitute, pel Dr. E. Audenino ed U. Lom- 
broso. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.) 

Mit Hälfe des Sphygmomanometers (Riva-Rocci), des Ergographen (Mosso), 
des Dynamometers und Bandmaasses wurde festgestellt, dass Ungleichheiten des 
Blutdruckes auf beiden Körperhälften bei Epileptikern, Verbrechern und Prosti- 
tuirten viel häufiger als bei Gesunden Vorkommen, oft wechseln und weder mit 
den anatomischen noch mit den functionellen Verhältnissen der betreffenden 
Glieder und Gefässe etwas zu thun haben. Unter den Gesunden trifft man obige 
Asymmetrie am häufigsten bei schweren Kephalalgieen an. Wahrscheinlich sind 
also vasomotorische Einflüsse allein maassgebend. 

Schmidt (Freiburg i/SchL). 


18) Le osoill&sioiii del rloambio materiale nell* epilettioo, pel Dr. U. Ale ssi 

e A. Pieri. (Archivio di psichiatria. XXIL 1901.) 

Stofiwechselunterouchungen, welche die Menge und das specifische Gewicht, 
den Harnstoff- und Phosphatgehalt des in einer Zeit von 27—37 Tagen von 7 
degenerirten Epileptischen ausgeschiedenen Urins zum Gegenstand hatten, ergaben 
Folgendes: Die Menge war trotz erheblicher Tagesschwankungen, welche eine 
Beziehung zu den epileptischen Phänomenen nicht aufwiesen, immer verhältniss- 
mässig gering. Das specifische Gewicht war fast durchweg vermehrt, stand 
in umgekehrtem Verhältnis zur Harnmenge und zeigte häufige bräske und 
intensive Schwankungen, welche oft mit der Curve der Phosphorsäure parallel 
gingen. Die Harnstoffausscheidung hielt sich auf einer niedrigen Ziffer; erheb¬ 
lichere Schwankungen fanden meist ebenfalls gleichzeitig mit solchen der Phoephor- 
säureourve statt. Das fordert mit Nachdruck zum Studium der letzteren auf. 
Die Menge der Phosphorsäure überschreitet niemals mittlere Werthe. In jedem 
Falle waren — nahezu immer conform mit dem Verhalten des Harnstoffes — 
häufige und intensive Schwankungen ihrer Curve (von 0,13 auf 2,25; von 1,66 
auf 0,01 als Tageswerthe) die Regel, welche unterschiedlos sowohl die inter- 
vallären Perioden als auch die anfallsfreien Zeiten betrafen. Wenn nach diesem 
Verhalten, da eine positive Versuchsreihe in dieser Richtung nooh fehlt, die Aus¬ 
scheidung gewisser hoher oder kleiner Phosphorsäuremengen zwar nicht als epi¬ 
leptisches Aequivalent zu bezeichnen ist, so beweist sie doch, dass die Störung 
der Symmetrie und des Gleichgewichts in dieser Neurose sich bis auf den 
Stoffwechsel erstreckt. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 

10) Ein Fall von erhaltenem Bewusstsein im epileptischen Anflall, von 

Dr. Aug. Diehl in Lübeck. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 41.) 

Der 26jähr. Kranke, erblich in, keiner Weise belastet, litt erst seit den 
letzten 3 Jahren an Krampfanfällen mit Zungenbiss, die in Intervallen von 2 bis 
3 Monaten nach grösserem Alkoholgenuss in der Nacht auftraten. 

Das Auffallende dabei war, dass der Patient den ganzen Verlauf der Anfälle 
bis in ihre Details beschreiben konnte, woraus das Erhaltensein des Bewusstseins 
während des Anfalls hervorgeht. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


20) Diuooiasione dei movimenti reapiratorli toraoioi • del diaflramma du- 
rante Taooeeso epilettioo. Osservazioni del Prof. E. Beimondo. (Bologna, 
1901, Zamorani e Albertazzi.) 

Verf. war bei einer an allgemeiner, seit 4 Jahren bestehenden Epilepsie 
arteriosklerotischen Charakters leidenden 75jähr. Frau, welche zeitweilig Serien- 


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mäsBige Anfälle von „Epilepsie respiratoria“ darbot, bestehend ausschliesslich in 
intensiver Dyspnoe mit Bewusstseinsverlust von wenigen Secunden bis zu einer 
Minute Dauer, in der seltenen Lage, in solchen Anfallen mittels des von Can- 
talamessa verbesserten Riegel’schen Sthetographs gleichzeitig die Brust- und 
die Bauchathmung zu registriren. 

Die Curve der thoracischen Respirationsbewegungen zeigt zu Beginn des 
Anfalls steigendes Ueberwiegen der Inspirationsbewegungen und ihres Volum¬ 
effectes am Thorax über die Exspirien, darauf einen inspiratorischen Tetanus 
in Dilatatiohsstellung, welcher um die Dauer 2—3 vorhergehender Athmungs- 
phasen anhält; nun folgen eventuell noch mehrere tiefe In- und Exspirationen, 
erstere in abortiverem Verlauf zunächst wiederum von der soeben geschilderten 
Beschaffenheit, bis durch die letzteren der Thorax wieder auf den anfänglichen 
Umfang zuriickgefÜhrt ist. 

Gleichzeitig mit den ersten Phasen des Krampfes der Brustathmungsmuscu- 
latur arbeitet das Diaphragma noch rhythmisch und nur die Höhe seiner In- 
spirationsbewegungen nimmt leise ab (also während diejenige des Thorax zunimmt), 
bis es sich plötzlich mit einem mächtigen Ruck oontrahirt. Aber noch 
während der Inspirationstetanus am Brustkorb andauert, löst Bich der Zwerchfell¬ 
krampf ebenso plötzlich wieder und geht unter leichten Zuckungen sofort in die 
schlaffe Exspirationsstellung über. Die folgenden tiefen. Bewegungen der Bauch- 
decke zeigen öfters leichte Dikrotie in der exspirischen Hälfte der Amplitude, 
welche (wie Mos so gezeigt hat) auf dem activen Eingreifen der Bauchpresse zur 
Vertiefung des exspiratorischen Moments beruht. Die Bauchathmung zeigt' nie¬ 
mals die langsame Rückkehr zur Norm, wie sie für die Bewegungen und das 
Volumen des Thorax gilt. 

War der Anfall von sehr flüchtiger Dauer, so fehlte das Initial- und Nach¬ 
stadium und nahm die Zwerchfellathmung an den geschilderten Verände¬ 
rungen gar nicht Theil. Zuweilen imponirte unter solchen Verhältnissen ein 
tiefes Herabgehen der abdominalen Curve auf die Schwelle der Abscisse geradezu 
als Parese, bezw. momentane Paralyse, während zugleich der Thorax in In¬ 
spirationstetanus beharrte. 

Diese Ergebnisse lehren soviel, dass man zur Zeit wenigstens vier moto¬ 
rische Respirationscentren (für Gesicht, Thorax, Diaphragma und Abdomen) 
unterscheiden muss, welche im Anfall in Erregung versetzt, autonome, dissociirte, 
sogar antagonistische Bewegungen ihrer Muskelgebiete entfesseln, und lassen es 
dobh fraglich erscheinen, ob der Reiz einer beschränkten Rindenzone, wie die 
gegenwärtig herrschende Doctrin voraussetzt, so weit auseinander gelegene Centren 
zusammenfassend beherrschen kann. Die störenden Einflüsse der Affecte einerseits, 
elektrischer Reize von beliebigen Stellen der Hirnrinde aus andererseits (Roche- 
fontaine, Francois-Frank), welche den Respirationscharakter modificiren, ver¬ 
dienen hierbei auch Erwähnung. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 

21) Report of two oases of epilepsy, by J. M. Krim (Louisville). (Pediatrics. 

1902. 1. Jan.) 

Von den beiden, jetzt im Pubertätsalter stehenden Kranken hat die eine 
nach einer Cerebrospinalmeningitis, der andere nach einer Schädelverletzung epi¬ 
leptische Anfalle zurückbehalten. Das Mädchen war zur Zeit der Erkrankung 
6 Jahre, der Knabe 8 Jahre alt. Trotz der sorgfältigsten Behandlung, die 
namentlich in Bromdarreichung bestanden hatte, sistirten die Anfälle nicht dauernd. 
Da trat bei dem ersten Fall eine schwere, mit hohem Fieber und gefährlichen 
Allgemeinerscheinungen einhergehende Phlegmone ein, nach deren Heilung die 
Patientin seit 3 Jahren keinen Insult mehr hat. Dieselbe Wirkung zeigte ein 
Typhus, den der Pat. vor 4 Jahren überstanden hatte. 


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Diese günstige Wirkung fieberhafter Processe auf die epileptischen Anfälle 
ist der Grund, weshalb Verf- die beiden Fälle veröffentlicht. 

Zappert (Wien). 


22) Zur Entstehung der Epilepsie, von G. v. Voss. (St Petersburger med. 

Wochenschr. 1902. Nr. 28.) 

Verf. unterscheidet die gelegentliche Ursache eines epileptischen Anfalls von 
der Ursache der epileptischen Veränderung (Nothnagel). Für letztere können 
folgende Momente verantwortlich gemacht werden: neuropathische Belastung, 
Schädeltraumen während und nach der Geburt, zuweilen auch intrauterin, polio- 
encephalitische Processe, Verletzungen peripherer Natur (durch letztere wird 
Refiexepilepsie erzeugt), Intoxicationen (Alkohol, Blei, Absynth), Infectionskrank- 
heiten (Scharlach, Typhus, Keuchhusten, Malaria, Syphilis [die Rolle der letzteren 
in ihrer Beziehung zur Epilepsie ist noch nicht geklärt].) 

Im Anschluss an diese Besprechung der Aetiologie des Morbus sacer berichtet 
Verf. über folgenden Fall: Ein 29jähr. Tischler hatte vor 16 Jahren ein Trauma 
capitis erlitten und erkrankte ein Jahr später an Epilepsie von Jackson'schein 
Typus. Der zweite Anfall trat erst 13 Jahre nach dem ersten ohne bestimmten 
Anlass auf und begann ebenso wie der erste (Parästhesieen und Zuckungen im 
linken Zeigefinger), die späteren Hessen sich durch Umschnüren des linken Arms, 
in dem die Krämpfe stets anfingen, ooupiren. Trotz des 13jährigen Zwischen¬ 
raumes zwischen erstem und zweitem Anfall ist — bei dem Fehlen jegUcher 
anderer ätiologischer Momente — nach Verf. der ursächliche Zusammenhang 
zwischen Epilepsie und Trauma in vorliegendem Falle evident.* Sollten sich die 
Anfälle häufen und durch medicamentöse Therapie nicht eindämmen lassen, so 
läge nach Verf. genügende Veranlassung zu einer Trepanation vor. Eine rechts 
an der Grenze des Scheitel- und Schläfenbeins nachweisbare Narbe mit deutUcher 
Depression und DruckempfindUchkeit deutet auf die Stelle der einst stattgehabten 
Kopfverletzung. Kurt Mendel. 


23) Observation« of a oase of oonvulsions, by H. Jackson and D. Singer. 

(Brain. 1902. Spring.) 

Die Autoren berichten über einen Fall partiell epileptischer Krämpfe, die 
zunächst nur die Muskeln des Nackens, Rückens, der Brust und des Bauches 
sowie des Gesichts betrafen. In der tonischen Periode stand die Athmung still. 
Später nahmen auch noch die Arme an den Anfällen Theil, und zwar zuerst die 
Schulter, zuletzt die Fingermuskeln; auf die Beine ist nicht genau geachtet. Die 
Verff. lassen es zweifelhaft, ob in diesem Falle die Krämpfe von b ul baren oder 
corticalen Centren ausgegangen sind. Bruns. 


24) Ueber die Epilepsia proouraiva, von M. Goldbaum. (Gazeta lekarska. 

1901. Nr. 34 u. 35. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über folgende 2 Fälle von Epilepsia proouraiva: 

Der 1. Fall betraf ein 9jähriges Mädchen, welches vor 5 Jahren nach einem 
Schrecktrauma (Fall in einen Keller) Anfälle bekam, in welchen sie den Kopf 
nach einer Seite drehte und einige Minuten lang einen Punkt starr fixirte. 
Später änderten sich die Anfalle, indem das Kind mit den Händen schlug, sich 
herumdrehte und dann zum Schluss des Anfalls bewusstlos zum Boden stürzte. 
Keine Heredität in der Anamnese. Status zeigte keinerlei nervöse oder sonst 
irgend welche Abnormitäten. Im Krankenhause hatte das Mädchen Anfälle, in 
welchen sie plötzlich das Bett verUess, im Zimmer mit weit geöffneten Augen 


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herumlief und dann im bewußtlosen Zustand zum Boden stürzte. Nach dem 
Anfall Schlaf. 

Im 2. Fall handelte es sich um ein 16jähr. Mädchen, welches seit einigen 
Wochen unruhig wurde und immerfort eigenthümliche Bewegungen mit der linken 
unteren Extremität ausführte. Stat praee.; ganz normales Nervensystem und ge¬ 
sunde innere Organe. Während der Untersuchung merkte man kurz dauernde 
Zuckungen im linken Bein. Nach einigen Monaten Anfälle, in welchen die Kranke 
bewußtlos wurde und der ganze Körper in tonischer Streckung (ohne klonische 
Zuckungen) eine gewisse Zeit verharrte. Als jetzt die Diagnose auf Epilepsie 
hindeutete, ließ sich aus der Anamnese feststellen, dass die Patientin bereits vor 
Jahren plötzlich bewußtlos wurde und in diesem Zustand ziellos herumlief und 
dann wie vom Schlaf aufgeweckt erschien. 

Verf. bespricht sehr eingehend die Litteratur und hebt hervor, daß in seinen 
Fällen, im Gegensatz zu vielen anderen, keine Hallucinationen festzustellen waren 
und dass im ersten seiner Fälle das ziemlich constante Symptom dieeer Abart der 
Epilepsie, nämlich die Folie morale, in der That bestand. 

Edward Flatau (Warschau). 


26) Ein Beitrag zur Casuistik des aouten umaohriebenen Oedems (epilep¬ 
tische Insulte im Verlaufe des Hydrops hypostrophos), von Dr. Carl 
v. Rad in Nürnberg. (Münchener med. Wochenschr. 1902. Nr. 8.) 

Ein 47jähriger, früher gesunder Maler (niemals Bleikolik), der mäßigen 
Potus zugiebt und seit 3 Jahren öfters an Rheumatismus leidet, bekam im 
August 1899 zuerst einen epileptischen Anfall, dem bald darauf noch mehrere 
folgten. Seit November 1899 stellten sich anfallsweise auftretende, sohmerzhafte 
Schwellungen der Gesichtshaut, des Larynx, der Magenschleimhaut und zuletzt der 
Haut beider Unterschenkel ein. Gehirnnerven, Motilität und Sensibilität voll¬ 
kommen normal, Urin frei von Eiweiß und Zucker, Sehnenreflexe gesteigert. 
Bemerkenswerth ist in diesem Fall die Combination von Epilepsie mit den 
Oedemen, die nur ein Mal beschrieben ist. Verf. fasst die epileptisohen Insulte 
als den Oedemen der Haut und Schleimhäute gleichwerthige Symptome einer 
vasomotorisch-trophischen Neurose auf, die unter dem Bild des acuten Oedems 
auftritt. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


26) Bpilepsia larvata, von Tschisch. (Obosrenije psichiatrii. 1900. Nr. 5 

u. 6.) 

Eine sehr ausführliche Mittheilung über einen gerichtlich-medicinischen Fall. 
Ein esthländischer Bauer, 22 Jahre alt, unbelastet, vorher stets gesund, erschlug 
in der Nacht vom 14./V. 1894 Vater, Mutter, Bruder und Schwägerin mit einem 
Holzscheit, wobei er ihnen unzählige schwere Verletzungen beibrachte. Ein 
außerdem noch im selben Zimmer schlafender Bruder und ein Neffe wurden nicht 
angerührt. Der Thäter wurde am anderen Morgen selbst aus einer Kopfwunde 
blutend schlafend im selben Zimmer gefunden, sagte jedoch nichts über das ge¬ 
schehene Verbrechen aus. Bis zum 26./V. blieb er in einer Art halbstuporösen 
Zustandes, aus dem er dann scheinbar plötzlich mit voller Amnesie erwachte. 
Weder vorher noch nachher während einer mehr als ein Jahr dauernden Unter¬ 
suchung wurde auoh nur das geringste Anzeichen einer psychischen Krankheit 
an ihm gemerkt mit Ausnahme eines eigentümlichen metallischen matten Glanzes 
der Augen, den Verf. für charakteristisch für Epileptiker hält. Nach Analyse des 
ganzen Thatsaohenbestandes sowie der Zeugenaussagen kommt Verf. zu der Ueber- 
zeugung, daß es sich hier um niohts anderes als um larvirte Epilepsie handeln 
konnte. 


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Somit erhält die bisher von der Wissenschaft nicht ganz angenommene 
Theorie Lombroso’s, wonach oft Verbrechen im Zustand larvirter Epilepsie be¬ 
gangen werden, ohne dass man weder vorher noch nachher irgend welche An¬ 
haltspunkte für die Existenz der Epilepsie entdecken kann, eine neue Stütze. 

Beiläufig macht Verf. auf den oben erwähnten metallischen matten Glans der 
Epileptikeraugen aufmerksam, den er in allen Fällen von genuiner Epilepsie be¬ 
merkt und ihn auch schon öfters anderen Collegen sowie auch Studenten demon- 
strirt hat. Verf. fordert auf, mehr Gewicht auf dieses Symptom zu legem. 

Wilh. Stieda. 


27) Ueber Kinderepilepsie , von Wassiljew. (Obosrenije psichiatriL 1900. 

Nr. 9.) 

55jähriger, erblich nicht belasteter Bauer erkrankt an gehäuften Krampf¬ 
anfällen, die in der linken Gesiohtshälfte begannen und sich über die ganze linke 
Körperhälfte erstreckten, wobei der Kranke erst im Laufe des Anfalls das Be¬ 
wusstsein verlor. Beginn der Erkrankung vor 15 Jahren, doch bestanden anfangs 
nur tonische Zusammenziehungen der Beuger der linken Hand, später kamen 
Zuckungen in der Gesichtsmusculatur hinzu und erst kurz vor Eintritt ins Kranken¬ 
haus wurden die Anfälle allgemein und es trat Bewusstlosigkeit auf. Im 
Krankenhause kam es bis zu 221 Anfällen am Tage und der Kranke sollte schon 
einer Trepanation unterworfen werden, als er plötzlich an einer croupösen Pneu¬ 
monie erkrankte und 2 Wochen naoh seinem Eintritt starb. 

Bei der Section fand sich ein Bluterguss von Erbsengrösse im mittleren 1 / 1 
der Rolando’schen Furche, jedoch so tief in der Furche selbst gelegen, dass 
man ihn bei äusserer Betrachtung gar nicht sehen konnte. 

Verf. weist auf die Wichtigkeit hin, bei Trepanation zwecks Entfernung 
einer Geschwulst, Schwiele u. s. w. auch die Tiefen der Furchen zu besehen. 
Ferner erwähnt Verf, dass in diesem Falle auf der linken Seite eine Abschwächung 
der tactilen Sensibilität und des Schmerzgefühls zu constatiren war. Angesichts 
der widersprechenden Ansichten verschiedener Autoren darüber, ob die Affection 
des motorischen Bindengebietes von Sensibilitätsstörungen begleitet sei oder 
nicht, meint Verf, dass in den meisten Fällen Störungen wohl vorhanden seien, 
jedoch seien sie individuell verschieden, je nach der Lebens- und Beschäftigungs¬ 
art, je nach der ganzen psychophysischen Entwickelung. „Ich vermuthe,“ sagt 
der Verf., „dass die Zerstörung des Rindenbezirkes, der die rechte Hand innervirt, 
bei einem Arbeiter, einem Musikanten und einem Gelehrten verschiedene Sym¬ 
ptome geben und verschieden verlaufen wird.“ Dadurch seien auch die wider¬ 
sprechenden Befunde zu erklären. Wilh. Stieda. 

28) snr la valeur ohimrgioale de l’dpilepaie Jaoksonienne, par Chipault. 

(Gazette des höpitaux. 1902. Nr. 61.) 

An der Hand einiger summarisch mitgetheilter Fälle kommt Verf u. a. zu 
folgenden wichtigeren Schlusssätzen: Jackson’sche Epilepsie an sich bietet noch 
keine Indication zu einer Trepanation; sie kann aber localisatorische Bedeutung 
haben, und zwar wäre, wenn gleichzeitig ein Verlust der „Motilitö störöognostique“ 
vorliegt, ein vor den Centralwindungen gelegener Herd anzunehmen („öpilepeie 
Jacksonienne frontale“)» während Verlust der „sensibilitö störöognostique“ von 
keiner besonderen localisatorischen Bedeutung sei. Pilcz (Wien). 

29) Zur Frage der Trepanation bei oorticaler Epilepsie, von W. J. Rasu- 

mowsky. (Archiv f. klin. Chirurgie. LXVII. 1902.) 

Die bisherigen Veröffentlichungen und Statistiken über den Erfolg der Tre- 


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panation bei corticaler Epilepsie leiden fast alle an dem Fehler und werden da¬ 
durch unbrauchbar, dass die Fälle nicht lange genug beobachtet worden sind und 
dass Heilungen beschrieben werden, die sich später nur als Besserungen, oft von 
nur kurzer Dauer, herausstellten. Verf. hat 9 Fälle von corticaler Epilepsie 
operirt, davon 7 nach Horsley, d. h. mit Abtragung eines Stückes Rinde, das 
sich durch elektrische Reizung des Gehirns als epileptogene Zone erwiesen hatte. 
Von diesen 7, die 2 Jahre 8 Monate bis 5 Jahre beobachtet werden konnten, 
waren drei unzweifelhafte therapeutische Resultate, darunter zwei sehr gute; in 
zwei weiteren war der Erfolg zweifelhaft, in den zwei letzten negativ. Die guten 
Resultate schreibt Verf. der Abtragung von Hirnrinde und nicht nur der durch 
die Trepanation geschaffenen Ventilbildung zu. Verf. kann also den absolut ab¬ 
lehnenden Standpunkt mancher Autoren der Operation gegenüber nicht theilen 
und rätb, die Methode, die in einem gewissen Procentsatz der Fälle lange an¬ 
dauernde und auch günstige Resultate giebt, weiter auszuarbeiten. Eine aseptisch 
ausgeführte Trepanation und Horsley’sche Operation ziehe an und für sich noch 
keine üblen Folgen nach sich; kein einziger der lange beobachteten Kranken 
erlitt dadurch eine Verschlimmerung in somatischer oder psychischer Beziehung. 
— In einem weiteren Falle von traumatischer corticaler Epilepsie führte die 
Entfernung einer Schädeldepression mit Osteophytbildung zur dauernden Heilung, 
in einem letzten deckte die Operation eine Porencephalocele auf, die darauf aus¬ 
geführte Ventrikeldrainage führte mittelbar durch Infection zum Tode des 
Kranken; Verf. warnt daher vor derselben, weil die Schwierigkeit, dies complicirte 
Höhlensystem ausgiebig zu drainiren, zu gross sei. — Die Einzelheiten der 
Kranken- und Operationsgeschichten bieten neurologisch keine Besonderheiten. 

H. Haenel (Dresden). 


30) Theoretioal and practioal oonsiderations on tb« treatment of Jaok- 

sonian epilepsy by Operation, with the report of flve oases, by James 

Jackson Putnam, M. D., Boston. (Transactions of the association of 

Americ. physicians. 1901.) 

In diesem ausführlichen und interessanten Aufsatz sucht Verf. an der Hand 
von fünf operirten Fällen folgende Fragen zu beantworten: 

1. Ist die Entfernung von Krankheitsherden in der Hirnrinde bei Jackson’- 
scher Epilepsie von klinischem Werth? 

2. Hat die Entfernung von anscheinend unveränderter Hirnrinde einen Ein¬ 
fluss von materieller Bedeutung? 

3. Wie sind die Resultate solcher Maassregeln (1 und 2) am besten zu er¬ 
klären und, vor allem, ist der Nutzen, welcher durch Rindenexcision erzielt wird, 
nothwendigerweise entweder der Entfernung eines Krankheitsherdes oder eines 
besonderen „Auslösungsherdes“ zuzuschreiben? 

4. Welche neue Beleuchtung gewinnt die Physiologie der Hirnrinde durch 
die jüngsten experimentellen Forschungen und klinischen Beobachtungen? 

Wenn Verf. auch betont, dass zweifellos Hirnoperationen oft von grossem 
Nutzen sind, so glaubt er jedoch, dass die guten Erfolge mehr duroh die Frei¬ 
legung der Hirnoberfläche, Loslösung von Adhäsionen u. s. w. zurüokzuführen sind, 
als auf die theilweise vorgenommenen Excisionen von Hirnrindensubstanz. Nach 
seiner Meinung kann die Störung, wegen deren die Operation vorgenommen 
wurde, nur selten in Anatomischen Veränderungen eines kleinen begrenzten Stückes 
Hirnrinde begründet sein. Der Beginn der Hirnrindenthätigkeit, als deren Schluss¬ 
resultat sich ein Anfall von Jackson'soher Epilepsie zeigt, mag ebenso wie bei 
willkürlichen Bewegungen in ganz anderen Hirnrindengebieten liegen als wie sie 
den betreffenden Hirncentren entsprechen. In dieser sozusagen ursächlichen Be- 


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Ziehung steht die genuine Epilepsie der Jackson’schen vielleicht gleich. Die 
epileptisohe „Tendenz“ ist dann zu einem der regelmässigen Th&tigkeitsausdrücke 
des ganzen Gehirns geworden und die Zerstörung eines einzelnen Hirntheiles, 
z. B. des Handcentrums, ist dann, wenn sie die Symptomatologie beseitigt, alz 
den Ausbruch des Anfalles „hemmend“ und dadurch erfolgreich anzusehen. Wenn 
die Anfälle trotz dieser Operation weiterbestehen bleiben, so ist anzunehmen, daaz 
die einleitenden Vorgänge im Gehirn eine zu grosse Verbreitung haben, als daaz 
sie sich durch „Hemmung“ an einer begrenzten Stelle beseitigen Hessen. VerfL 
streift bei dieser Gelegenheit auch die durch Eulenburg hervorgehobenen Be¬ 
obachtungen Wetterstrand’s von erfolgreicher Behandlung der Epilepsie durch 
Hypnose als ebenfalls einer „Hemmungsbehandlung“ der Epilepsie. 

Jedenfalls darf man nach des Verf.’s Ansicht nicht ex juvantibus urtheilen, 
dass die Ursache der Eirankheit mit dem excidirten Hirnstück entfernt war; 
vielleicht hätte eine Blosslegung des Gehirns, eine Ablösung von Adhasionsstellen 
der Dura mater u. s. w. denselben Effect gehabt. Jedenfalls haben letztere ein¬ 
fachere Maassnahmen oft auch schon genügt, um Besserungen oder Heilungen 
hervox-zurufen. Verf. glaubt, dass das Verschwinden der Epilepsie durch Opera¬ 
tionen irgend welcher Art zunächst auf „Hemmung“, sodann auf Einbahnen neuer 
„Gewohnheit“ der Hirnrindenvorgänge beruht. — Nach allen Operationen ist vor 
allem die bessere Reaction auf Brommedication hervorzuheben. 

Für die Auffassung der physiologischen Function der Hirnrinde haben diese 
Betrachtungen des Verf.’s natürlich ihre Folgen. Man muss die Hirnrinde nach 
des Verf.’s Ansicht nicht als ein Mosaik von speciellen Centren ansehen, sondern 
als ein ganz complicirtes Netzwerk, als Ausdruck von eng von einander abhängigen 
Functionen. Verf. kommt dann noch zu sprechen auf die Versuche, welche 
R. Ewald an trepanirten Hunden längere Zeit nach der Operation vornahm, und 
welche die grosse Abhängigkeit der verschiedenen Hirncentren von einander be¬ 
weisen. Ferner hebt er hervor, wie plausibel auf Grund der neueren physio¬ 
logischen Auffassung der Hirnrindenthätigkeit die grosse Restitutionsfähigkeit nach 
Hirnrindenläsionen erscheint: es werden eben neue Verbindungen in dem grossen 
Netzwerk aufgesucht und diese übernehmen, wenn auch vielfach mangelhaft, die 
Thätigkeit der zerstörten Partieen. Das Problem der Hirnthätigkeit liegt mehr 
auf dynamischem wie auf anatomischem Gebiete. — Dies sind die Grundzüge 
der Arbeit. — Es ist hier unmöglich, auf Einzelheiten einzugehen. 

Determann (St. Blasien). 


31) Ueber operative Eingriffe bei Bpilepsia ohoreioa, von Prof. Dr. W. 
v. Bechterew. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXI. 1902.) 

Bei einem Patienten, welcher der Epilepsie und Chorea gemeinschaftliche 
Verändeningen darbot, bei welchem alle inneren Mittel versagten und die chorea¬ 
tischen Zuckungen sowie epileptisohen Anfälle eine derartige Steigerung erfuhren, 
dass er starken Verletzungen ausgesetzt war, wurde zwei Mal die Trepanation 
vorgenommen. Und zwar wurde in einer Pause von 7 Wochen erst das rechte 
und später das linke Schädeldaoh im Gebiet der Centralwindungen eröffnet, die 
Dura entfeint und an drei verschiedenen Stellen der vorderen Centralwindungen 
kleine Stücke der grauen Substanz abgetragen. Beide Operationen brachten 
wesentHches Zurückgehen der Krämpfe und choreatischen Zuckungen. Leider 
ging der Kranke 8 Tage nach dem zweiten Eingriff an „Wunderysipel“ zu 
Grunde. Immerhin glaubt Verf. an der Hand dieses Falles der operativen Be¬ 
handlung der Epilepsie bez. Chorea ein Wort reden zu dürfen! 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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32) Beseotion des Halssympathioua bei Epilepsie, von E. Hevesi. (Vor- 
trag, gehalten im siebenbürgischen Museum-Verein, Section für Medicin u. 
Naturwissenschaften, am 28./DL 1901.) 

Verf. stellt einen 15jähr., an genuiner Epilepsie leidenden Knaben vor, bei 
welchem die Exstirpation beider Halssympathici vorgenommen wurde. Pat hatte 
früher 6—7, mitunter auch 13 epileptische Anfälle, während in den der Operation 
folgenden 26 Tagen bei 12 anfallsfreien Tagen insgesammt 27 Anfälle beobachtet 
wurden. Verf. äussert sich wegen Kürze der Zeit noch nicht über den thera¬ 
peutischen Werth der Operation. Hudovernig (Budapest). 


33) Die Anwendung des Dormiols bei Epileptischen. Ein Beitrag zur 

Behandlung des Status epileptions, von Dr. J. Hoppe. Aus der Landes- 

Heil- und Pflegeanstalt Uchtspringe. (Münchener med. Wochenschr. 1902. 

Nr. 17.) 

Bei gehäuften Anfällen und im Status epilepticus hat sich die Darreichung 
von Dormiol per rectum in Dosen von 2—3 g (10,0:150,0, 2—3 Esslöffel dieser 
Lösung 1 / 4 —Vs Liter lauwarmen Wassers zum Einlauf beigemengt) ausserordent¬ 
lich bewährt, unangenehme Nebenerscheinungen wurden nicht bemerkt. Ob sich 
aber das Mittel zur dauernden Behandlung der Epilepsie eignet, erscheint, ausser 
bei der Epilepsia nocturna, immerhin sehr fraglich. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

34) Observations on a oase of epilepsy to determine the value of the 

Biohet and Toulouse method of treatment by a ohlorine-poor diet, 

by J. Eason. (Scottish med. and surg. Journ. 1902. August.) 

Verf. hat bei einem Fall von Epilepsie eine längere Beobachtung bezüglich 
des Einflusses des Kochsalzgehaltes der Nahrung auf die Zahl der Anfälle an¬ 
gestellt, und zwar theils in klinischer Beobachtung, theils während Pat zu Haus 
lebte. Es ergab sich hieraus, dass die Anfälle am häufigsten eintraten, wenn 
Pat. ohne Medication eine salzreiche Nahrung combinirt mit einer Au fn a hm e von 
noch ausserdem 12 g Chlornatrium zu sich nahm, dass die geringste Zahl der 
Anfälle auftrat bei Combination salzarmer Diät mit Brommedication, und dass 
auch ohne den Einfluss von Medicamenten bei salzarmer Diät die Anfälle mehr 
den Charakter des Petit mal an nahmen. Verf macht aber darauf aufmerksam, 
dass schon der Aufenthalt im Krankenhause mit seiner geregelten Lebensweise an 
sich sehr günstig auf den Verlauf der Epilepsie wirkt; so hatte sein Patient 
6 Wochen lang keinen Anfall, trotzdem er täglich 16 g Chlornatrium zu sich 
nahm; auffallend war auch, dass Pat. diese grösseren Salzmengen, die neben der 
Nahrung noch gewonnen wurden, im Krankenhause gut vertrug, während er zu 
Haus davon Uebelkeit und Brechneigung hatte. Verf. hält für nöthig, dass bei 
kochsalzarmer Diät ein Ersatzmittel des Chlomatriums gegeben wird, für das er 
phosphorsaures Natrium empfiehlt Martin Bloch (Berlin). 

36) Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie, von Rudolf B&lint. 

(Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 28.) 

Vor 2 Jahren empfahlen die Franzosen Toulouse und Eichet in der An¬ 
nahme, dass der Organismus bei Chlorentziehung auf Brom empfindlicher reagirt, 
bei Epilepsie ein diätetisches Verfahren, welches in Entziehung des Kochsalzes 
aus der Nahrung besteht Sie hatten dasselbe an 20 Frauen mit inveterirter 
Epilepsie erprobt Die Zusammensetzung der von den französischen Autoren ge¬ 
reichten Kost war: 100g Milch, 300 g Fleisch, 300 g Kartoffel, 200 g Mehl, 
2 Eier, 50 g Zucker, 10 g Kaffee, 40 g Butter, welche Speisen ungesalzen gegeben 


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worden bei gleichzeitiger Darreichung von täglich 1—2 g Bromkali. Mit dieser 
Diät machte Verf. an 28 Kranken, Männern und Frauen, in 9 frischen und 19 
veralteten Epilepsiefallen Versuche, musste aber bald davon Abstand nehmen, 
weil der Genuss völlig ungesalzenen Fleisches grosse Schwierigkeiten bereitete. 
Verf. ersetzte dann das Fleisch durch 300—400 g Brot und buk dasselbe anstatt 
mit Kochsalz mit Bromsalz. Dadurch erhält das Brot den entsprechenden Ge¬ 
schmack und das Medicament kann mit der Nahrung zusammen eingeführt werden. 
Verf.’ß Diät setzt sich folgendermaassen zusammen: 1—l 1 /, Liter Milch, 40—50 g 
Butter, 3 Eier, 300—400 g Brot und Obst. Der Nährwerth betrug 2300—2400 
Calorien, der natürliche Kochsalzgehalt der Nahrungsmittel nicht viel mehr als 
2 g, die Bromsalzmenge 2 g. Die Franzosen hatten bei ihrer Diät und gleich¬ 
zeitiger Verabreichung von 1—2 g Brom beobachtet, dass sich die Anfalle bereits 
nach einer Woche zu verringern begannen und bei den meisten Kranken nach 
und nach ganz ausblieben. Das Resultat der Diätversuohe des Verf’s war fol¬ 
gendes : Zu Beginn der Anwendung der Diät reagirten die Patienten nicht gleich- 
massig. In einem Theil der Fälle zeigte die Intensität und Zahl der Anfalle 
keine Veränderung, bei einigen Fällen wurde sogar ein Ansteigen der Anfälle am 
2.—3. Tage der Behandlung beobachtet Dagegen gab ee Fälle, in denen schon 
am Anfang der Diät die Anfälle wie abgeschnitten aufhörten. Am 6.—7. Tage 
ist in einem jeden Falle eine Veränderung zu bemerken gewesen. Theils ver¬ 
ringerte sich die Zahl der im Boginn häufiger aufgetretenen Anfälle nun plötzlich, 
gewissermaassen kritisch, theils war zwar eine Verringerung in der Zahl nicht 
zu beobachten, aber die Anfälle wurden schwächer und an Stelle der heftigen 
tonisch-klonischen traten Krämpfe schwächerer Intensität und später Anfälle, die 
in schwachen, dem Zittern ähnlichen Zuckungen bestanden. Das völlige Aus¬ 
bleiben der Anfälle beobachtete Verf in 7 von den 9 frischen, in 15 von den 
19 veralteten Fällen, also bei 70°/ 0 der Fälle. Die Behandlung mit der Diät 
wurde meistens 35—40 Tage durchgeführt, nur in einigen Fällen länger. Mit 
dem Schwächerwerden bezw. Ausbleiben der Anfälle besserte sich auch der geistige 
ZuBtand der Kranken, selbst ganz betäubte, verblödete, stupide Kranke sollen 
während der Behandlung langsam die Besinnung, klaren Blick, lebhaftere Apper- 
ception zurückgewonnen haben. Fast ausnahmslos stieg das Körpergewicht der 
Kranken, ihr Aussehen wurde frischer. Schädliche Nebenwirkung des Broms 
wurde nicht beobachtet. Die Frage nun, ob das Schwächerwerden oder Sistiren 
der Anfalle nur während der Dauer der Behandlung bestehen blieb, oder ob das 
Aufspeichern des Broms im Organismus einen länger währenden Einfluss hat, be¬ 
antwortet Verf. nach seiner Erfahrung dahin, dass in der überwiegenden Zahl 
der Fälle nach Aussetzen der 35—40 Tage dauerden Behandlung die Anfälle 
bald wiederkehrten, wenn auch bei weitem schwächer; erst nach längerer Zeit 
zeigten sioh die früheren starken Krämpfe. Je länger die Diät fortgesetzt wird, 
ein um so länger dauernder Erfolg ist nach dem Aussetzen derselben gesichert. 

-"Verf. hält die Behandlung im Sanatorium, wo für die Exactheit der Durchführung, 
für die körperliche und psychische Ruhe der Kranken Gewähr geleistet ist, für 
sehr wichtig. Dass der günstige Einfluss dieser Behandlung thatsächlich auf der 
Entziehung des Chlors und nicht auf der Reizlosigkeit der Diät beruht, ist da¬ 
durch bewiesen, dass dieselbe Diät ohne Bromverabreichung die Anfälle niemals 
beeinflusste, und dass der Versuch, zwei Patienten, die im Laufe der Behandlung 
anfallsfrei geworden waren, die Gabe von täglich 5 g Chlornatrium in Pulverform 
neben der gewohnten Bromdosis zu geben, die Anfälle sehr bald wieder hervor¬ 
rief. Die günstige Wirkung der diätetischen Behandlung besteht hauptsächlich 
in der hochgradigen Steigerung der sedativen Wirkung des Broms, und daher 
wäre sie auch bei anderen Nervenkrankheiten, in welchen man auf stärkere Brom¬ 
wirkungen angewiesen ist, zu versuchen. Bielschowsky (Breslau). 


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36) La dieta ipoclorurata nella oura bromioa della apUfrii, pel Dr. L. 

Cappelletti e A. D’Ormea. (Manioomio provinciale di Ferrara. Com- 
mun. fatta in Ferrara. 1901. 5. Nov.) 

1899 wurde, von Richet und Toulouse, ausgehend von theoretischen Ueber- 
legungen versucht, die Bromtherapie in der Epilepsie dadurch wirksamer zu ge¬ 
stalten, dass man möglichst wenig Chlorsalze den Kranken reichte. Nur wenig 
und mit zweifelhaftem Erfolge ist die Modification von anderen Klinikern praktisch 
verwerthet worden. Die Verff. haben an 20 Kranken das neue Verfahren erprobt 
und konnten folgende Schlussfolgerungen statuiren: Das Regime von Riohet und 
Toulouse übt bedeutenden Einfluss auf die Zahl, Intensität und Dauer der 
Anfälle. In 26°/ 0 der Fälle verschwanden dieselben, in 42°/o verminderten sie 
sich bedeutend, in 21% blieben sie unberührt, in 11% trat Verschlimmerung 
auf. Ueble Nachwirkungen konnten nicht nachgewiesen werden. Meist tritt eine 
Hebung des allgemeinen Ernährungszustandes ein (in 70% der Fälle). Unter¬ 
brechung des Rögimes wird gut vertragen und die Heilwirkung ist meist eine 
dauernde (in 67% der Fälle). L. Merzbaoher (Strassburg i/E.). 


37) Versuohe mit der Toulouse und Biohet*sohen Epilepsiebehandlung, 

von E. Halmi und A. Bagarus. (Gyögy&szat. 1902. Nr. 7. [Ungarisch.]) 

Die Verff. machten ihre Versuche in der psyohiatrisohen Abtheilung P&ndy’s 
an 15 Kranken, bei welchen die Zahl der Anfälle auch während der gewöhn¬ 
lichen Brombehandlung grössere Schwankungen zeigte. Vor Beginn der Toulouse 
und Riohet’schen Behandlung wurde den Kranken das Brom während zweier 
Monate entzogen, um normale. Verhältnisse zu schaffen (während dieser Zeit er¬ 
höhte sich die Zahl der Anfälle). Während der Toulouse-Richet’schen Kur 
wurde folgende Diät eingehalten: 2 Liter Milch, 2 Eier, 500—750 g ungesalzenes 
Brot, und etwa 3 g Bromsalz in den ersten 2 Wochen, in der zweiten Hälfte des 
Versuchsmonates 1,5 g Bromsalz. Bei 7 Kranken verringerte sioh die Zahl der 
Anfälle, bei 6 zeigte sich eine Erhöhung derselben, und 2 Kranke starben an 
Brom in toxi cation. — Bei Controll versuchen, d. i. Darreichung der salzlosen Kost 
ohne Brom bei nicht-epileptischen Kranken, zeigte sioh bald Verschlimmerung des 
Allgemeinbefindens, wesshalb von weiteren Versuchen Abstand genommen werden 
musste. — Die Verf. kommen zur Schlussfolgerung, dass die Toulouse-Richet'sche 
Epilepsiebehandlung die Epilepsie weder bessern, noch heilen kann; die oligochlore 
Diät ermöglicht zwar eine intensivere Bromwirkung, aber erleichtert auch die 
Möglichkeit einer Bromvergiftung, wesshalb die Behandlungsart als gefährlich be¬ 
zeichnet wird. (Ref. stellte s. Z. an 8 Kranken ähnliche Versuche an, von welchen 
6 lieber die Epilepsie als die „geschmacklose, fade Nahrung“ ertrugen; bei zwei 
Patienten wurde die Toulouse-Ricbet’sche Kur einen Monat fortgesetzt, und 
beide zeigten während derselben eine Verminderung der Anfälle, jedoch eine auf¬ 
fallende Vermehrung derselben nach dem Uebergang zur normalen Diät, so dass 
während einiger Wochen das Doppelte der früheren Bromdosis dargereicht werden 
musste.) Hudovernig (Budapest). 


38) Bromoooll, ein neues Brommittel in der Behandlung der Epilepsie, 

von Dr. Reich und Dr. Ehrcke. (Therap. Monatsh. 1902. Febr.) 

Die in der Anstalt Wuhlgarten von den beiden Autoren zu gleioher Zeit, 
aber unabhängig von einander auf der Männer- und Frauenabtheilung angeetellten 
Versuche mit einem neuen organischen Brommittel (Verbindung des Broms mit 
Leim und Tannin), die etwa 20% organisch gebundenes Brom enthält, haben 
ergeben, dass das Mittel, selbst in sehr grossen Dosen (bis 50 g pro die), un- 


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schädlich, von Seiten des Magens und Darms gut vertragen wird, und Neben¬ 
wirkungen, die bei den K- und Na-Salzen leicht ein treten, vermissen lässt; be¬ 
sonders traten keine Herzstörungen auf und Akne fehlte auch bei dazu disponirtea 
Kranken so gut wie vollständig. Den Anfällen gegenüber leistet es, in der 
seinem geringeren Bromgehalt entsprechend grösseren Menge gegeben (18—20 g 
pro die oder mehr), dasselbe wie KBr. H. Haenel (Dresden). 


SO) Drei Fälle von vollständig geheilter Epilepsie, von Dr. M. Turnowsky. 

(Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 35.) 

Verf. berichtet von drei an Epilepsie leidenden Patienten, wovon zwei, eine 
38, bezw. 34jähr. Frau nach einer Pneumonie, und der dritte, ein jetzt 12jähr. 
Knabe, nach einem im 6. Lebensjahre aufgetretenen Scharlach die Anfälle ver¬ 
loren hatten. Nachbeobachtung im 1. Falle 14 Jahre, im 2. Falle 10 Jahre, im 
3. Falle 6 Jahre. Verf. würde es für gerechtfertigt halten, Epileptiker absichtlich 
einer Infection — sei es croupöse Pneumonie oder Scharlach — auszusetzen. 

J. Sorgo (Wien). 


40) Epileptikeranstalt oder NervenheilstätteP Gutachten, erstattet dem Ver¬ 
ein norddeutscher Irrenärzte, von Bratz. (Psychiatr. Wochenschr. 1901. 
Nr. 28.) 

Verf. bejaht in dem mitgetheilten Gutachten die ihm vorgelegte Frage, ob 
es sich empfehle, eine Anstalt nur für Epileptiker zu bauen, da es eine Beihe 
von Epileptikern giebt, die sich, obwohl sie der Anstaltspflege bedürfen, doch ans 
den verschiedensten Gründen nicht für eine Irrenanstalt eignen. Die Anstalt soll 
aber ausser Epileptikern noch Krampfkranke aller Art (Hysterie, organische Hirn¬ 
erkrankungen, Chorea, Paralysis agitans, Säufer) aufnehmen. Ferner empfiehlt er 
eine Aufnahme von Nervenkranken aller Art sowie eine Zumischung von Geistes¬ 
kranken (etwa 20%). Hinsichtlich der baulichen Einrichtungen schlägt Verf 
vor eine Kinderabtheilung mit Schule, eine grössere Zahl von Landhäusern, ein 
geschlossenes Haus für Unruhige, ein Werkstattsgebäude und Gebäude für die 
Landwirtschaft Am besten führt die Anstalt den Namen Nervenheilstatte. 

Ernst Schnitze (Andernach). 

41) Publioations du progrds mddioal. VoL XXI: Beoherohes oliniques et 
thdrapeutiques sur l’öpllepsle, l’hystörie et l’idiotle, par Bourneville. 
(Paris 1901, Felix Alcan. 286 S.) 

Wie in den früheren Bänden (vgl. d. Centralbl. 1899. S. 600 und 1901. 
S. 473) giebt Verf. zunächst die Geschichte der Idioten- und Epileptikerstation 
zu Bicetre aus dem verflossenen Jahre. Am 1. Januar 1900 befanden sich auf 
der Abtheilung 449 Kinder, davon 406 Idioten, Imbecille oder Epileptiker, 43 
nicht geisteskranke. Hierzu kamen im Laufe des Jahres 1900: 87 Aufnahmen. 
Es starben 16 und es wurden entlassen 86 Kinder, von letzteren wurden 21 ihrer 
Familie wiedergegeben. 

Verf. beschreibt des näheren die Einrichtungen zu Bicetre und die Art des 
Unterrichts und der Erlernung eines Handwerks. 

Der zweite Theil des Buches giebt Krankengeschichten von interessanten 
klinischen Fällen, berichtet über die angewandte Therapie sowie über die Sections- 
befände und ist von guten Photographieen begleitet Derselbe enthält 19 Arbeiten, 
welche besonders das Thema der Epilepsie, Idiotie und des Myxödems behandeln. 

Kurt Mendel 


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Psychologie. 

42) Halluoinations dlurnee ohez les enfhnts, par Dr. P. Vergely (Bordeaux). 

(Rev. mens, des maladies de l’enfance. XX. 1902.) 

Verf. theilt zwei Beobachtungen von Oeeichtshallucinationen grösserer Kinder 
in der Reconvalescenz nach schweren fieberhaften Bauchaffectionen mit: In dem 
einen Falle handelt es sich um ein 7jähriges Kind, das eine Perityphlitis (ohne 
Operation) 'durchgemacht hatte. Das Fieber war bereits geschwunden, der Appetit 
wiedergekehrt und das Kind schon ausser Bett, als sich ohne heftige Initial* 
erscheinungen, ohne voran gegangenen Schlaf bei Tag Qesichtshallucinationen ein¬ 
stellten. Plötzlich, mitten während des Spieles, behauptete das Kind, einen Mohren 
im Zimmer zu sehen, liess sich auch nicht, als der anwesende Arzt ihm die Leer¬ 
heit des Zimmers demonstriren wollte, davon abbringen, erklärte schliesslich, die 
Gestalt sei wieder versohwunden. Irgend welche Epilepsie- oder Absencesymptome 
fehlten während dieser Wahrnehmung vollständig. Die Hallucination kehrte durch 
einige Tage in ziemlich ähnlicher Form wieder, um dann allmählich sich zu ver¬ 
lieren. Später (durch 6 Jahre) haben sich derartige Zustände nicht wiederholt. 
In ähnlicher Weise verlief ein Anfall von Hallucinationen hei einem 12jährigen 
Kinde, das ebenfalls nach einer Perityphlitis sich über krankhafte Wahrnehmungen 
von Menschen, die im Zimmer oder auf der Gasse ihr nachgingen, äusserte; auch 
hier trat dauernde Heilung ein. Zappert (Wien). 

43) Ueber Gehirnerkrankungen mit Katatonie, von G. Anton. (Mittheilung 

des Vereins der Aerzte in Steiermark. 1902.) 

Verf. erörtert an der Hand dreier Krankengeschichten den charakteristischen 
katatonischen Symptomencomplex; aus den Krankengeschichten ist hervorzuheben, 
dass der Blutdruck zwei Mal auffällig niedrig gefunden wurde, dass in einem 
Falle Hallucinationen des Muskel- und Lagesinnes mit im Vordergrund der Er¬ 
scheinungen standen, in einem anderen die Wendung zur Besserung sich direct 
an eine subcutane Kochsalzinfusion anschloss, die im Stadium vorgeschrittener 
Kachexie vorgenommen wurde..— Da die Ergebnisse der Versuche von Hering 
und Sherrington, die bei Reizung einer Muskelgruppe von der Rinde aus eine 
active Erschlaffung der Antagonisten beobachteten, nicht ohne weiteres auf die 
normale Willkürbewegung des Menschen übertragen werden können (Otfrid 
Förster), so sind auch die Folgerungen, die Verf. aus diesen Versuchen für die 
Erklärungen der Muskelspannungen hei Katatonikern zieht, als mindestens ver¬ 
frühte zu bezeichnen. H. Haenel (Dresden). 


HL Bibliographie. 

1) Epilepsie, von W. R. Gowers (London). IL Auflage. Deutsche autorisirte 
Ausgabe von Dr. Max Weiss (Wien). (Leipzig u. Wien 1902, Franz Deuticke. 
336 S.) 

Die erste Auflage dieses Buches hat in diesem Centralblatte (1882, S. 165) 
eine eingehende Besprechung durch Tuozek gefunden. Die in deutscher Ueber- 
setzung vorliegende zweite Auflage stützt sich auf ein Material von 3000 Fällen 
(gegenüber 1450 der ersten) und bringt eine erschöpfende Darstellung der Klinik, 
der Pathologie und der Therapie der Epilepsie. Der Name des Verf.’s, welcher 
auoh in Deutschland einen sehr guten Klang hat, bürgt nicht bloss für die gute 
Beobachtung, sondern auch für die kritische V er wer thung eigenen und fremden Materials. 

Wie schon in der ersten Besprechung hervorgehoben wurde, verleiht der 
Darstellung „das überall hervorleuchtende Streben, für die klinische Beobachtung 
den physiologischen Boden zu gewinnen, einen besonderen Reiz.“ 

Die Klinik der Epilepsie hat durch die Zunahme der ihr zu Grunde ge- 


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740 


misst eine gesonderte Betrachtung der beiden Componenten, der Schnelligkeit 
und des Grades der Form Veränderung. — Betrachtungen Aber den anatomischen 
Sitz der zugrundeliegenden Störungen dürften zur Zeit noch zu keinem Ziele 
führen. Nur soviel lässt sich, gestützt auf die Untersuchung der Pupillengrö«e 
nach Sohibmeb und das Bestehen einseitiger reflectorischer Starre, sagen, dass 
die centripetale Bahn für den Pupillarreflex nicht erkrankt sein kann. 

Ein ähnliches Pupillenphänomen konnte in der Klinik noch bei zwei here¬ 
ditär luetischen Kindern beobachtet werden, allerdings in weniger ausgesprochener 
Weise. Es musste aufgesucht werden, während es bei dem eben geschilderten 
Falle ohne weiteres in die Augen fiel. Ich begnüge mich deshalb mit einer 
kurzen Zusammenfassung des Thatbestandes: 

1. Bei einem 9jährigen Knaben, Jos. W., ist die rechte Pupille lichtstarr, 
die linke reagirt direct und oonsensuell. Bei Convergenz und Accommodation 
zeigt die starre Pupille fest keine Veränderung. Bei der anderen ist die Reaction 
ausgiebig, aber die Erweiterung erfolgt nur langsam. Die Trägheit bei der Er¬ 
weiterung betrifft also die im übrigen normale Pupille; im vorigen Falle war 
es umgekehrt Bei binocularer Beleuchtung hat die rechte Pupille einen Durch¬ 
messer von 7, die linke von 3 1 /, mm. Bei monocularer Beleuchtung und zwei 
Minuten langer Adaption ist die rechte Pupille 7, die linke 5 mm weit 

2. Bei einem 16jährigen, infantil entwickelten Mädchen, Anna D., sind 
beide Pupillen liohtstarr. Die Convergenz-Acoommodations-Reaotion fehlt links. 
Rechts ist sie deutlich vorhanden. Die Erweiterung erfolgt dabei langsam und 
die eine Pupille wird zunächst etwas grösser als die andere, was sich bald wieder 
ausgleicht. Die Pupillenweite beträgt binocular beiderseits 5 mm, monocular 
links 5 1 / 2 , rechts 6 mm. 

In diesen Fällen darf wohl, auf Grund der verschiedenen Pupillengrössen, 
bei Belichtung nur eines Auges, angenommen werden, dass leichte Veränderungen 
auch in dem centripetalen Theil des Reflexbogens bestehen müssen. Der Augen¬ 
hintergrund erwies sich bei beiden als normal. 

Herrn Geheimrath Schültze spreche ich für die gütige Erlaubniss zur 
Veröffentlichung dieser Fälle meinen herzlichsten Dank aus. 


2. Multiple Neuritis 

in Verbindung mit Basedowscher Krankheit. 1 

Von Dr. Theodor Diller, Pittsburg, U. S. A. 

Der Fall betrifft eine 46 Jahre alte Frau. Sie war 8 Jahre verheiratet, 
aber ohne Kinder. Sie hat nie eine Fehlgeburt gehabt Familien- und frühere 
Geschichte an Patientin ist ohne Sonderheit. Potus, Lues, infectiöse Krankheiten 
und Vergiftungen sind ausgeschlossen. 

1 Vorlesung in Pittsburg Academy of Medicine am 28. Oetober 1901. 


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Seit Mitte Juni ist sie nervös, aufgeregt, erregbar, reizbar, befürchtet, dass 
irgend ein Uebel sie treffen würde. Puls 130, Temperatur normal. Wegen 
dieser Symptome consultirte sie einen Arzt (25. Juni). Während der nächsten 
Woche blieb ihr Zustand unverändert 

Anfangs Juli zeigte sieh ein Zittern der Hände und merkbarer Exophthal¬ 
mus. Zu gleicher Zeit trat Erbrechen auf und hielt fortwährend an bis zu ihrem 
Tode. Nur kleine Quantitäten Wasser und Champagner verblieben im Magen. 

Während dieser Zeit wurde die Nahrung duroh das Rectum zugeführt Nach 
10 tägiger Anwendung wurde die Nahrung nicht mehr beibehalten. Trotzdem 
fühlte sie nie Hunger. Bettlägerig wurde sie anfangs Juli und dann wurde 
die Diagnose Morbus Basedowii festgestellt von Dr. Naügheb, dieselbe basirte 
auf dem schnellen Pulsschlag, Zittern, Exophthalmus und den neurosthenischen 
Symptomen. Die Schilddrüse war sowohl zu dieser Zeit wie später vergrössert 
Der Exophthalmus, obgleich nicht klar ausgesprochen, war dennoch vorhanden, 
etwas mehr auf dem einen Auge wie auf dem anderen und blieb unveränderlich. 
Das Zittern aber entwickelte sich mehr und mehr. 

Nach der ersten Woohe des Monats Juli war ein geringes Fieber eingetreten, 
abwechselnd zwischen 99° und 101° F. Es erreichte nie über 101° F. bis 
3 Tage vor dem Tode, dann stieg es auf 103° F. 

Der Puls wechselte bis zum Tode zwischen 120 und 150, meistens 130 bis 
140 Schlägen. Am 25. August entwickelten sioh Schmerzen im ganzen Körper 
und zur selben Zeit Illusionen und hallucinatorische Verwirrtheit. 

Die Schmerzen nahmen von Tag zu Tag zu und verschlimmerten sich 
durch Druck selbst bei der zartesten Berührung eines Gliedes. Hand in Hand 
mit den wachsenden Schmerzen und der Empfindlichkeit stellten sich Muskel¬ 
schwund und Kraftabnahme in den Muskeln der Glieder und des Bumpfes ein 
und entwickelten sich bis zu einem hohen Grade. 

Die psychischen Symptome entwickelten sich in gleichem Schritte mit den 
körperlichen. Z. B. hatte sie die Einbildung, dass sie nicht in ihrem eigenen 
Hause sei; Verstorbene hielt sie für lebend; sie glaubte, dass gewisse Personen 
sie besuchten, was in Wirklichkeit nicht der Fall war; wähnte sich im Sarge 
liegend, meinte, dass tote Sprösslinge in ihrem Bett sich befinden u. s. w. 
Keine Hallucinationen von Seiten des Gehörs, Geschmacks und Geruchs. 

Ich sah die Patientin mit Dr. Naugheb am 7. September und fand sie 
sehr schwach. Sie beantwortete einfache Fragen beständig, aber war sehr reiz¬ 
bar. Nur wurde ihre Aufmerksamkeit mit Schwierigkeit erreicht Schwäche, 
Empfindlichkeit und Muskelschwund waren vorhanden. Kniephänomen ge¬ 
steigert Geringer, doch ausgesprochener Exophthalmus, auf einem Auge mehr 
wie auf dem anderen. Ausgeprochenes Zittern. Puls 140, Temperatur 99° F. 
Ich sah die Patientin eine Woche später. Die Schwäche hat überhand ge¬ 
nommen. Urin und Stuhlgang während der ganzen Krankheit normal. 

Einige Wochen vor dem Tode wurde eine kupferbraune Gesiohtsfarbe 
sichtbar, ähnlich derjenigen bei schwangeren Frauen. 3 Tage vor dem Tode 
trat Bewusstlosigkeit (Coma) ein. Die Autopsie wurde verweigert. 


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742 


Epikrise: Die rasche Entwickelung der Symptome weisen meines Er¬ 
achtens auf die Wirkung eines tätlichen Toxins hin. Dass dies Gift von der 
Glandula thyreoidea secemirt wurde, halte ich für äusserat möglich und zwar 
in Anbetracht des früheren gesunden Zustandes der Patientin und der That- 
sache, dass Alkohol, Lues, Blei, Diphtherie u. s. w. als sicher ausgeschlossen 
betrachtet werden müssen. Wenn diese Erklärung als zutreffend angenommen 
werden darf, so haben wir einen sicheren Beweis für die Richtigkeit der Theorie, 
dass die gestörte Secretion der Glandula thyreoidea die Ursache der Babkdow’- 
schen Krankheit ist, ausserdem ist erwiesen, dass sie multiple Neuritis ver¬ 
ursachen kann. Dass der hier beschriebene Fall ein Fall von BASKDOw’scher 
Krankheit complicirt durch multiple Neuritis war, kann meiner Meinung nach 
kaum bezweifelt werden. 

Für die gefällige Unterstützung bei dieser Arbeit bin ich Hrn. Dr. S. Naughkr 
zu Dank verpflichtet. 

I - 

[Ans der neurologischen Abtheilung des Dr. SBKOKBNBBBe’scben Instituts in Frankfurt a/M.] 

(Prof. Dr. L. Edingbr.)] 

3. Rückenmarksveränderungen in einem Falle alter 
U nterarmamputation. 

Von Dr. Lndwig Bosenberg. 

Die meisten Untersuchungen über die Localisation von Veränderungen im 
Rückenmark nach Amputation der oberen Extremität gehören der Zeit an, wo 
man noch keine genügende Methodik für das Studium der Zellveränderungen 
hatte. Aus neuerer Zeit liegen mit besonderer Berücksichtigung der Zell¬ 
veränderungen zwar mehrere Arbeiten über Lumbalmarkveränderungen nach 
Beinamputationen vor, aber nur ganz wenige, welche sich mit den Veränderungen 
nach Wegnahme der oberen Extremität befassen. Es scheint deshalb nicht 
überflüssig, hier kurz die Ergebnisse zu sohildern, welche die Durcharbeitung 
eines Rückenmarks gegeben hat, das von einer 52jährigen Frau stammte, der 
vor 30 Jahren der linke Arm handbreit oberhalb des Ellbogengelenkes amputiert 
worden war. Bei dieser Amputation fallen im wesentlichen die Unterarm- und 
Handmuskeln aus, während die Oberarmmuskeln in ihrer Hauptmasse erhalten 
bleiben. Man wird also vermuthen dürfen, dass nur die Nervenzellen für die 
Unterarm- und Handmuskeln unter dem Einfluss der Wegnahme gestanden 
haben. 

Die bisherigen Erfahrungen gestatten bereits eine bestimmte Localisation 
dieser Muskelnervenkerne sowohl nach Segmenthöhe als nach Zellgruppen. 
Immerhin bestehen zwischen den Angaben der einzelnen Autoren noch gewisse 
Differenzen. 

Am besten übersieht man den heutigen Stand der Frage nach der Locali¬ 
sation dieser Muskeln und ihrer Nachbarn an der folgenden Tabelle, die ich 


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Cerv. I. 


II 


III 


IV 


VI 


VIT 


vm Dors. I. n 


Lange und kurze Muskeln des Naokens Moakeln der Wirbelsäule 
Splenius capitis Splenius cervicis 
! Alle kleinen ' 

i Muskeln 

. zwischen | , , , | 

1 Schädel und 
’S. ‘I Wirbelsäule 1 

3 ,| Sternohyoideus 
OmohroideuB 
1 Tbyreonyoideus 
Geniohyoideus 
DigaBtricus 

| Sternocleido- 
; mastoideuB 

' Trapezius 


Diaphragma 
Levator scapulae 

I Rhomboidei ! 

lupra-infi 


Supra-infraspinatus 
Subscapularis 
Teres inajor et mioor 
SerratuB anterior 
Deltoideus I 
Brachialiß | 

BicepB braohii 
T r i c e p b 
' Coraoobrachiahs 
!Supinator brev. et 
long. 

ßrachioradialis 
■ Extensores carpi rad. 
ExtensorespolliciBl 
Extensores digitorum 
ExtensoreB carpi ulnares 
i Extensores indicia propr. 

Flexor carpi radialis 
1 Pronator teres | 
i Flexore8 digitorum 
j Flexores pollicis 

I Flexor carpi ulnaris 
Muskeln des Kleinfinger- 
ballens 
Lumbricales 
Interossei 


CQ 


i Pectoralis minor 
jPcctoralis major 
; Subclaviu8 

•1,11 IScalenus minimus 

i I | i Scalenus posterior 

i i Scalenus anterior | 

Scalenus medius 
Longus capitis Longus colli 


Tabelle der Loealisatlon Im Halsmarb nach Edinger. 


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744 


Herrn Prof. Edingeb verdanke. Er hat sie unter kritischer Benutzung und 
Synthese der bisherigen Befunde ausgearbeitet. Benutzt für diese Tabelle sind: 
1. die älteren in der bekannten Tabelle Starb-Edingeb bereits verwerteten 
Erfahrungen, 2. das Buch von Wighmann. 3. die Arbeiten von Bruns, Sano, 
Stbohmayeb, Steward and Turner, Barbatt. 

Man erkennt, dass bei einer Amputation, wie sie mir vorlag, ein Zellausfall 
in der Höhe der Segmente Cerv. VI bis Dors. I zu erwarten wäre. 

Unser Rückenmark bot äusserlich keine sioheren Abweichungen von der 
Norm. Nach Härtung in Alkohol wurden sorgfältige Theilungen nach Segment¬ 
höhen gemacht und jeder der so erhaltenen Blöcke wieder in ein caudales und 
ein frontales Stück abgetheilt. Diese wurden dann in Serien geschnitten. Im 




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Fig. 1. Querschnitt ans dem caudalen Theil des VII. Cervicalscgmentes. 


wesentlichen kam die NissL’sche Zellfärbung in der LENHOssfiK’schen Modi- 
fication (Toluidinblau) zur Anwendung. Aber es wurden auch aus allen Höhen 
nach genügender Beizung der Schnitte Weigert ’sche Markscheidenpräparate 
hergestellt. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt sich in der Segmenthöhe 
Cerv. VI bis Dors. I eine leichte Verschmälerung der linken Rückenmarks¬ 
hälfte, welche die graue sowohl wie die weisse Substanz betrifft Unser 
Fall ist nicht geeignet, die Frage nach der Ursache dieser diffusen Atrophie zu 
fordern, welche auch in vielen älteren Fällen beobachtet worden ist; so von 
Edingeb in einem Falle von intrauteriner Amputation, ferner von Hayem- 
Gilbert, Dbe80hfeld, Krause, Friedländeb, HomEn, Bignani, Guaneri, 
Mabine8CO u. A. Denn das vorliegende Rückenmark zeigte in Folge multipler 
apoplektischer Hirnherde aus den letzten Lebensjahren sowohl rechts wie links 
Pyramidendegeneration; links war sie stärker. 

Sicher sind auf der amputirten Seite Vorder- und Hinterhorn der grauen 
Substanz etwas kleiner im Querschnitt als rechts. Mit der Nissu-Methode lassen 


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sich aber Zelldefecte nur im Vorderhorn feststellen. Es sind Verkleinerung und 
Verminderung der multipolaren Ganglienzellen. 

Im Cerv. V sind noch keine Differenzen zwischen rechts und links nach¬ 
weisbar. Erst im VI. Cervicalsegmente treten solche auf. Sie sind hier gleich 
ntensiv wie auch im VII. Fig. 1, welche aus dem caudalen Theil des VII. Cer- 
vicalsegmentes stammt, lässt ventral eine antero-interne, eine antero-mediale, 
eine antero-externe und eine externe Zellgruppe erkennen. Die antero-externe 
Zellgruppe ist atrophirt. Die drei dünnen Zellrestchen contrastiren stark mit 
den fünf entsprechenden Zellen der rechten Seite, von denen zwei besonders gut 
ausgeprägt sind. Auch die Atrophie des Hinterhorns ist deutlioh. 





Fig. 2. Querschnitt aus dem caudalen Theil des VIII. Cervicalsegmeqtes. 


Weiter caudal, im Cerv. VIII und Dors. I, ändert sich das Querschnitts¬ 
bild dadurch, dass die antero-mediale Zellgruppe verschwindet. Wir unterscheiden 
auf Fig. 2 (Cerv. VIII, caudal) nur eine antero-interne, antero-externe und eine 
externe Gruppe. An der Stelle der antero-externen Gruppe sieht man links eine 
Lücke. Nur zwei kleine Zellen ohne Fortsätze sind die spärlichen Ueberbleibsel 
der Gruppe, die rechts durch sieben Zellen repräsentirt wird. Fünf von diesen 
sind schöne typische multipolare Ganglienzellen. Das ganze Vorderhorn ist im 
Querdurohmesser verschmälert. Auch das linke Hinterhorn kleiner als das 
anderseitige. 

Das frontale Stück des ersten Dorsalsegmentes (Fig. 3) zeigt fast dasselbe 
Bild. Rechts besteht die antero-externe Gruppe aus zehn Ganglienzellen; acht 
davon sind gross und haben deutliche Fortsätze. Links sieht man nur drei 
motorische Zellen, sie sind klein und zeigen nicht die charakteristischen Aus¬ 
läufer. Der quere Durchmesser durch das Vorderhorn ist links kleiner als 
rechts. Die Veränderungen des Hinterhorns sind nicht deutlich. 

Der caudale Theil von Dors. I weist keine deutlichen Unterschiede zwischen 


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rechts und links mehr auf. Weiter caudal, also im Dors. II, sind absolut keine 
Veränderungen mehr zu finden. 

Die Localisation der Unterarm- und Handmusculatur vonCerv.VI 
bis Dors. I stimmt mit der neuesten EDiNGEB’scben Tabelle sowie mit der von 
Bruns überein. Steward und Tübneb fangen auch mit Cerv. VI an. In 
Cerv. VII und VIII stimmen wenigstens alle überein; ferner wird kein caudaleres 
Segment als Dors. I angegeben. Koches localisirt ein Segment tiefer (Cerv. VII 
bis Dors. I). Andere steigen höher: Babkatt bis Cerv. V, Flatau bis Cerv. IV, 
Obebsteineb und Sano bis Cerv. III. Zu einem ähnlichen Resultat wie letztere 
kommen Monakow und Strohmayer (Cerv. III bis VIII). 


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Fig. 3. Querschnitt aus dem frontalen Theil des 1. Dorsalsegmente. 


Unser Fall zeigt deutliche Degeneration nur in der antero- 
externen Gruppe. Bei den neueren Untersuchern besteht noch keine Ueber- 
ein8timmung hinsiohtlioh der Zellgruppe, welche die Hand- und Unterarm- 
musculatur versorgt Babbatt giebt die gleiche Gruppe an wie wir. Derselben 
Ansicht sind Sano und Obbbsteineb, wenn sie auch annehmen, dass die er¬ 
wähnte Gruppe nioht die einzige ist. Gbboobiew erwähnt eine anteriore und 
eine externe Gruppe. Für letztere treten Monakow, Flatau und (wenn anoh 
nicht ausschliessich) Stbohmayeb ein, während Hayem-Gilbert, Dbbsghfeld, 
Krause, Fbiedländeb, HomEn, Campbell für die postero-laterale Gruppe 
plaidiren. Dejebine-Mayor, welche die autero-interne Gruppe bezeichnen, 
stehen allein. 


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747 


4. Ueber den „Tract X“ 

in der untersten Cervicalgegend des Rückenmarks. 

Von Dr. Purves Stewart, 

Auistaut-Physician to the Westminater Hospital, London. 

Obgleich ich nicht die Absicht habe, die vorzügliche Arbeit des Herrn 
Prof. Spilleb über einige aberrirende Pyramidenfasern in der Brücke und dem 
verlängerten Mark herabzusetzen — besonders das von ihm als directen ventro- 
lateralen Pyramidenstrang beschriebene Bündel —, so möchte ich mir doch 
erlauben, einen Fehler in seiner neulich erschienenen Mittheilung 1 zu berichtigen, 
in der er über ein kleines Bündel: Tract X — welches ich beschrieben hatte* 
— berichtet. 

Bei einem Falle von fast totaler Zerstörung des Rückenmarks in der Höhe 
der oberen Hälfte des 7. Cervicalsegments, hatte ich Gelegenheit, mittels der 
MABCHi-Methode die verschiedenen auf- und absteigenden Degenerationen zu 



Fig.l. „AberrirendePyramidenbahn“ Fig. 2. „ Drei kanten bahn“ von Spiller u. 

von Spilles im 1. Cerrioalaegment. JBechtbbbw im S. Cervicalaegment. 



Fig. 8. „Tract X“ von Pürvbs Stewabt 
im 8. Cervicalaegment. 


studiren. Unter den absteigenden Bahnen fand ich ein neues Bündel, von mir 
als „Tract X“ bezeichnet, welches in den Cervicalsegmenten 7 und 8 liegt und 
welches ins Dorsalmark nicht hinübergebt. Diese Bahn liegt ventral-aussen von 
der gekreuzten Pyramidenbahn, von der sie durch einen bestimmten Zwischen- 

1 Nenrolog. Centralbl. 1902. S. 534. 

* Brain. 1901. 8.222. 


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raum getrennt ist. Ihre Stelle, am Rande des Marks, hängt mit der Spitze des 
Lateralhorns zusammen; in ihrer Form ähnelt sie etwas der schon von Hklweg 
und von v. Bbchtebew beschriebenen „Dreikantenbahn“, doch liegt sie an ganz 
anderer Stelle: weit von der Mittellinie entfernt, anstatt zwischen den vorderen 
Wurzelfa8em. (S. Fig. 1, 2, 8.) Die Helweg 'sehe Bahn ist ausserdem unter 
dem 3. Cervicalsegment nicht zu finden. 

Die SpHiLEB’sche Bahn wurde von ihm durch die Brücke und das ver¬ 
längerte Mark verfolgt, aber nur bis zum obersten Cervicalsegment gefunden. 
Ihr weiterer Verlauf bleibt noch unbekannt Mir scheint es also unzweckmässig, 
eine Bahn im 1. Cervicalsegment für identisch mit der von mir im 7. und 
8. Cervicalsegmente beschriebenen Bahn — Tract X — zu halten. Die Mög¬ 
lichkeit ist natürlich nicht absolut zu leugnen, doch fehlt bisher noch der 
Beweis. 


[Aqb der III. med. Klinik (Hofrath v. Schböttbb) in Wien.] 

5. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. 
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬ 
merkungen über den Verlauf der centralen Hauben bahn. 

Von Dr. Josef Borgo, 

Assistenten der Klinik. 

(Fortsetznng.) 

Klinische Diagnose nach Auftreten der tuberculösen Meningitis. 

Die Annahme einer multiplen Sklerose musste nun fallen gelassen werden, 
da angesiohts dieser Complicationen die Präexistenz eines solitären Tuberkels 
sicher schien. Aus den eben erörterten Gründen war er irrthümlicherweise an 
die Basis cerebri localisirt worden. 

Die einzelnen Symptome: 

a) Die beiderseitige Ophthalmoplegie sowie die rechtsseitige Hemi¬ 
parese bedürfen keiner Erklärung, ebenso wie die sub finem vitae aufgetretenen 
Symptome der tuberculösen Meningitis. 

b) Totale Oculomotorius- und Trochlearislähmung bei nur relativ 
geringfügiger und später einsetzender gekreuzter Hemiparese (ge¬ 
kreuzt mit dem zuerst befallenen Oculomotorius). Ich habe bereits erwähnt, 
dass mich das Missverhältniss zwischen der totalen beiderseitigen Ophthalmo¬ 
plegie und der nicht beträchtlichen Parese der linken Körperhälfte veranlasste, 
nicht an einen vom rechten Grosshirnschenkel selbst ausgehenden Tumor zu 
denken. Bei dem Ausgangspunkte des Tumors (rechtes Vierhügelpaar) ist dieses 
Missverhältniss ohne Weiteres verständlich, indem der Tumor erst secundär, bei 
einer gewissen Grösse durch Druck auf den Hirnschenkelfuss zur Parese der 
linken Körperhälfte führte. In diesem Sinne wird sich dieser Symptomcomplex 


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wohl auch in Zukunft diagnostisch verwerthen lassen: d. h. es würde eine 
totale, nur mit Hemiparese verbundene beiderseitige Oculomotorius¬ 
lähmung entweder für einen basalen, am vorderen Brückenende ge¬ 
legenen, nicht vom Hirnschenkel ausgehenden, oder für einen dorsal- 
wärts vom Grosshirnschenkel, also in der Vierhügelregion, gelagerten 
Tumor sprechen. Bei gleichzeitiger beiderseitiger Trochlearis- 
lähmung wäre die letztere Localisation wohl die weitaus wahrschein¬ 
lichere. 

c) Berücksichtigung verdient das constante Fehlen allgemeiner Tumor¬ 
symptome. 

Trotz der fast ein Jahr dauernden Erkrankung und trotzdem der Tumor 
den Aquaeductus Sylvii verschlossen hatte, und, wie die Autopsie lehrte, ein 
Hydrocephalus internus, eine Erweiterung des 8. Ventrikels und der Seiten¬ 
ventrikel erzeugt hatte, war niemals auch nur andeutungsweise Kopfschmerz, 
Schwindel oder Erbrechen anfgetreten und fehlte die Stauungspapille constant, 
ebenso wie die Pulsverlangsamung. Es war dies, wie erwähnt, ein Grund, eher 
eine multiple Sklerose als einen Tumor anzunehmen. Dass die Stauungspapille bei 
Vierhügeltumoren nicht gar so selten fehlt, ist bekannt, dass aber bei vollkommener 
Verlagerung des Aquaeductus und Ausbildung eines chronischen Hydrocephalus 
internus auch alle anderen allgemeinen Tumorsymptome dauernd vermisst 
werden können, kann wohl nur in besonderen individuellen Verhältnissen be¬ 
gründet sein. Es ist richtig, dass in neuerer Zeit die Beobachtungen über 
symptomlos verlaufende Hirntumoren gegen früher abgenommen haben, da 
heute der Gebrauch des Augenspiegels auch allgemeiner geworden ist und die 
meisten der früher beschriebenen derartigen Fälle an Anamenese und Be¬ 
obachtung zu wünschen übrig liessen (Bruns). Um so werthvoller ist ein Fall 
wie der vorliegende, der einen Patienten betrifft, der kurz nach Beginn der 
ersten Symptome bis zu seinem Tode in ununterbrochener klinischer Beobachtung 
stand. In einem von Ordt mitgetheilten Falle, ein 8 7 a jähriges Kind betreffend, 
fehlten die Allgemeinsymptome des Tumors ebenfalls. Es handelte sich um 
einen Tuberkel, der von der Mitte des vorderen Vierhügel bis in die Höhe des 
Facialisbernes reichte. Die Erweiterung der Ventrikel war minimal, die Flüssig¬ 
keit konnte also, wie Verf. meint, nach dem 4. Ventrikel hin abfliessen. 

In meinem Falle muss angenommen werden, dass trotz vollständiger Ver¬ 
legung des Aquaeductus Sylvii die in den Ventrikeln sich ansammelnde Flüssig¬ 
keit Abflusswege fand durch die Plexus chorioidei, und dass einerseits die mit 
zunehmender Verlegung des Aquaeductus sich einstellende Flüssigkeitszunahme 
sich aus diesem Grunde in gewissen Grenzen hielt, andererseits eine Gewöhnung 
an den sich langsam einstellenden relativ massigen Ventrikelhydrops eintrat. 

Bei Tuberkeln wird, vorausgesetzt dass keine Compression der Plexus chor. 
oder der V. Galeni eintritt, auch der Hydrocephalus externus ausbleiben können, 
da der Tuberkel jedenfalls eine viel geringere Zunahme des Schädelinhaltes 
bedeutet als ein echtes Neoplasma von gleicher Grösse. Der Fall würde lehren, 
dass blosse Verlegung des Aquaeductus Sylvii ohne gleichzeitige Compression 


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der venösen Abflusswege zwar anatomisch einen Hydrops ventriculorum erzeugen, 
dieser aber klinisch latent verlaufen kann bei langsam wachsenden, eine nur 
massige Zunahme des Schädelinneren bewirkenden Tumorbildungen (Tuberkel 
infiltrirende Tumoren). 

Ob die Abblassung der rechten Papille, die Einschränkung des 
Gesichtsfeldes mit besonderer Betheiligung der rechtsseitigen Hälften desselben 
auf Schädigung in der Nähe des Tumors gelegener Faserzüge der Sehbahn oder 
auf einer Compression des Tractus durch Vorbauchung des 3. Ventrikels beruhte, 
lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Die rechtsseitige vermehrte Ein¬ 
schränkung des Gesichtsfeldes erklärt sich unter beiden Annahmen. Hingegen 
spricht die Verengerung der Gefässe der rechten Papille für eine basale Com¬ 
pression. Es ist dies nach Oppenheim bei Vierhügeltumoren die gewöhnliche 
Ursache der Sehnervenaffection und hielt dieser Autor die Annahme einer 
Schädigung benachbarter Sehbahufasem wohl für möglich, aber noch durch 
keinen bisher mitgetheilten Fall bewiesen. 

d) Die Temperatursteigerung. Nicht so selten kommen bei Hirntumoren 
Temperatursteigerungen zur Beobachtung, welche mitunter eine beträchtliche Höbe 
erreichen, bis 39° und darüber. So sah, um nur einige neuere Fälle zu erwähnen, 
Mingazzini bei einem solitären Tuberkel des vorderen Hornes des rechten Seiten¬ 
ventrikels und rechten Corpus striatum einige Tage vor dem Tode hohes Fieber 
auftreten, und Spitzeb theilt zunehmendes Fieber bei einem Tuberkel am Boden 
der Rautengrube mit. Die Temperatur stieg bis 39,4. Bei einem Falle von Vier¬ 
hügeltuberkel beobachtete Bbuns neben vasomotorischen Erscheinungen Fieber ohne 
sonstigen Befund. Es handelt sich bei mit Fieber verlaufenden Hirntumoren meist 
um Tuberkel, ohne dass eine complicirende tuberculöse Meningitis vorhanden zu 
sein braucht, so dass sich, wenn andere Ursachen für das Fieber ausgeschlossen 
werden können und im Uebrigen die Diagnose eines Tumor cerebri sicher steht, 
das Fieber mit einiger Wahrscheinlichkeit für die specielle Diagnose eines 
Hirntuberkels verwenden lassen dürfte. Es fragt sich nun, auf welche Weise 
kommen diese Fieberstörungen zu Stande und wie erklären sich im Besonderen 
die in meinem Falle aufgetretenen Temperaturdifferenzen zwischen rechts 
und links? 

In ereterer Hinsicht liegen drei Möglichkeiten vor, zwischen denen die 
Entscheidung zu treffen wohl nur unter bestimmten, gleich zu erwähnenden Um¬ 
ständen möglich sein dürfte. Es könnte sich um ein toxisches Fieber handeln 
(solitäre Tuberkel, complicirende tuberculöse Meningitis) oder um eine centrale 
Störung der Wärmeregulirung oder endlich um vasomotorische Veränderungen, 
welche central ausgelöst, an der Stelle der Temperaturmessung in Folge einer 
Vasodilatation zu einer Erhöhung der Körpertemperatur führen. Letzteren 
Einfluss wird man da anzunehmen berechtigt sein, wo die Temperaturerhöhung 
sich auf eine Körperhälfte oder einen umschriebenen Theil des Körpers be¬ 
schränkt. Schon für die blosse Hand wahrnehmbare Erhöhungen der Temperatur 
paretischer oder paralytischer Extremitäten bei cerebralen Lähmungen sind ja 
etwas ganz Gewöhnliches und man würde in solchen Fällen bei regelmäsig 


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links und rechts vorgenommenen Temperaturmessungen constante Temperatur¬ 
differenzen der beiden Körperhälften finden müssen. Wärmere paretische Glieder 
erscheinen häufig auch stärker geröthet und fühlen sich trockener an als die 
gesunden. Infectiös-toxische Einflüsse oder centrale Störungen der Wärme¬ 
regulirung sind in solchen Fällen als Ursache der Temperaturerhöhung natürlich 
ausgeschlossen, da sicji der Einfluss dieser Momente auf die Körperwärme, 
sofern sie allein wirksam sind, auf den ganzen Körper gleiohmässig erstrecken 
müsste. 

Es wird sich daher empfehlen, bei Auftreten von Temperatur¬ 
steigerungen, denen ja mitunter eine grosse diagnostische Bedeutung 
zukommt (Abscess), immer auch die Temperatur der anderen Körper¬ 
hälfte zu messen, um einen vasomotorischen Einfluss als Ursaohe 
der Erhöhung der Körperwärme auszuschlies'sen oder nachzuweisen. 

Bei unserem Patienten war vom l.Febr. an eine deutliche Fiebersteigerung 
und vom 4. Februar an constante Temperaturdifferenz zwischen rechts und links 
vorhanden (s. Tabelle). Vorher war leider auf eine eventuelle Temperaturdiffenz 



zwischen links und rechts nicht geachtet worden, und die bis dahin an der 
rechten, nicht paretischen Körperhälfte vorgenommenen Messungen ergaben bis 
zum 1. Februar immer normale Temperaturen. Es kann aber trotzdem wohl kaum 
einem Zweifel unterliegen, dass an diesem Verhalten der Körperwärme zwei 
ganz bestimmte Elemente mitgewirkt haben müssen, einerseits die sich ent¬ 
wickelnde tuberculÖ8e Meningitis, welche 8 Tage nach Beginn des Fiebers 
auch klinisch manifest wurde, und andererseits vasomotorische Einflüsse, welche 
an der linken paretischen Körperhälfte in Folge Erweiterung der Gefassbahnen 
und dadurch bewirkten vermehrten Zufluss des Blutes noch eine weitere ein- 


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seitige Steigerung der Temperatur hervorrufen mussten. Wörde vor Auftreten 
der allgemeinen Temperaturerhöhung beiderseitig gemessen worden sein, so 
wörden wahrscheinlich schon viel früher links Temperatursteigerungen gegenüber 
der rechten Körperhälfte sich haben nachweisen lassen. 

Auffallend bleibt immerhin, dass diese Temperaturdifferenzen mitunter 
bis 2,1° betrugen, derart, dass beispielsweise die Temperatur rechts normal 
war, links 39,1° betrog, woraus folgen würde, dass diese enorme Wärme¬ 
zunahme der linken Körperhälfte lediglich durch vasomotorische Einflüsse be¬ 
dingt gewesen sei. Es wird Aufgabe weiterer Prüfungen sein, festzustellen, bis 
zu welchen Werthen eine lediglich durch Aenderungen des Calibers der kleinen 
Gefässe und der dadurch bewirkten erhöhten Blutfülle der Haut und des Unter¬ 
hautzellgewebes bedingte Temperaturerhöhung steigen kann. 

Bemerkenswerth bleibt weiter, dass die Temperaturdifferenzen zwischen 
links und rechts bei fast wechselnden Werthen zwischen 0,1 und 2,1° als 
ausserordentlich weite Grenzen hin- und herschwankten, was unter der Voraus¬ 
setzung der Richtigkeit der gegebenen Erklärung fortwährende Schwaukungen 
der vasomotorischen Systeme der paretischen Körperhälfte, eine auffallende 
Labilität derselben annehmen Hess. Vielleicht erklärt sich auf diese Weise auch 
der Umstand, dass mitunter die rechte Körperhälfte höhere Temperatur zeigte 
als die linke. Bei bestehendem toxischen Fieber und zeitweiser Verengerung 
der kleinen Gefasse der linken Körperhälfte wäre diese Thatsache verständlich. 

e) Das Fehlen der Gleichgewichtsstörung beim Stehen und Gehen 
scheint mir zu beweisen, dass zum Zustandekommen derselben eine Mitaffection 
des Kleinhirns erforderlich ist, und dass die von einigen Beobachtern gemachte 
Annahme, auf die Yierhügelgegend beschränkte Tumoren (Nothnagel) könnten 
durch Affection der Bindearme oder des rothen Kernes diese Störung ver¬ 
ursachen (Stabe, Ba&th, Eisenlohb u. A.), zum mindesten noch sehr beweis- 
bedürftig ist. In vorliegendem Falle waren beide Bindearme im Bereiche ihrer 
Kreuzung zerstört und ebenso die rothen Kerne, ohne dass jemals cerebellare Ataxie 
zur Beobachtung gekommen wäre. In jenen Fällen, in welchen eine solche be¬ 
steht, ohne dass eine directe Beziehung des Vierhügeltumors zum Kleinhirn 
sich nachweisen lässt, wäre immer noch daran zu denken, ob nicht durch den 
Hydrocephalus, durch Circulationsstörungen, kurz irgendwie durch Fernwirkung 
das Kleinhirn in Mitleidenschaft gezogen worden sein könnte. Damit in Ueber- 
einstimmung stehen auch neuere experimentelle Untersuchungen von Febueb 
und Tubner, wonach Entfernung der Vierhügel keinen bleibenden Eflfeet 
hervorruft, sondern alle danach auf tretenden Erscheinungen sich auf Verletzung 
benachbarter Hirntheile, Unsicherheit des Ganges im Besonderem auf Mit¬ 
verletzung des Kleinhirns beziehen lassen. 

Anders steht die Frage bezüglich des Verhältnisses der Tumoren der 
Vierhügelgegend zum Auftreten verschiedener Bewegungsstörungen, wie 
Athetose, Chorea, Tremor, Inteutionstremor, die sehr häufig bei 
Tumoren dieser Gegend, ebenso wie bei Tumoren des Himschenkels zur Be¬ 
obachtung kommen. Bonhöffbb hat als Erster die Ansioht ausgesprochen, dass 


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zum Zustandekommen dieser abnormen Bewegungen specieU eine Schädigung 
der Bindeam-Rothkernstrahlung nothwendig sei, was später durch Fälle von 
Müeatow, Menzel und Sandes bekräftigt wurde. Interessant ist in dieser 
Hinsicht auch die Beobachtung Obdt’s, die schon früher Erwähnung fand. Es 
bestanden Ataxie, Intentionstremor, athetoseartige Bewegungen, ohne dass Paresen 
der Extremitäten vorhanden gewesen wären und ohne dass sich anatomisch eine 
Verschmälerung der Pyramidenbahn hätte nachweisen lassen. 

Auch mein Fall ist geeignet zur Stütze dieser Ansicht beizutragen. Binde- 
arme und rothe Kerne waren zerstört Der rechte Hirnschenkelfuss war com- 
primirt, aber ohne Faserausfall und sonstige nachweisbare pathologische Ver¬ 
änderungen. Linksseitige Hemiparese. Es bestanden links an Paralysis agitans 
erinnernde Dauerkrämpfe mit Zunahme bei intendirten Bewegungen, auf welche 
noch in anderer Hinsioht im Folgenden näher eingegangen werden soll 

f) Die isolirten Muskelkrämpfe. Das eigentümlichste und nach 
dem heutigen Stande unseres Wissens mit dem Sitze des Tumors kaum in Ein¬ 
klang zu bringende Phänomen sind die in langen Intervallen von Muskelgruppe 
zu Muskelgruppe fortschreitenden Dauerspasmen von dem Charakter eines grob- 
welligen Tremors, der bei intendirten Bewegungen zunahm und während des 
ganzen wachen Zustandes des Patienten anhielt 

Der Krampf setzte im Daumen der linken Hand ein, der rasch hinter¬ 
einander gebeugt, adducirt und opponirt wurde. Nach 1 Monate kamen dazu 
Beugebewegungen des linken Zeigefingers von demselben Charakter; nach 
l 1 /* Monaten ging der Krampf über auf die Supinatoren des Vorderarmes und 
den Flexor oarpi ulnaris, nach einem weiteren halben Monate aueh auf die ge¬ 
meinschaftlichen Fingerbeuger und später auf die Beuger des Ellbogengelenkes, 
den Tibi&lis antious, Semitendinosus und Semimembranosus der linken unteren 
Extremität, und nach vorübergehendem plötzlichen Sistiren der Krämpfe und 
Wiedereintritt derselben auch auf den M. pectoralis major, supraspinatus und 
die Clavicularportion des Deltoideus. 

Die Krämpfe zeichneten sich also aus durch ihre continuirliche, monate¬ 
lange Dauer, die Zunahme bei intendirten Bewegungen und das Nacheinander¬ 
befallenwerden verschiedener einzelner Muskeln und Muskelgruppen. 

Diese Krämpfe setzten der Diagnose grosse Schwierigkeiten entgegen. Die 
beiden ersterwähnten Eigenschaften, die lange Dauer, der Intentionstremor und 
des ferneren auch der Umstand, dass sie sich nicht generalisirten, schienen für 
einen subcortical gelegenen Herd zu sprechen, da ähnliche an Paralysis agitans 
erinnernde Krämpfe einer Extremität von langer Dauer zu verschiedenen Malen 
bereits bei Tumoren des Hirnschenkels und des Thalamus opticus beobachtet 
wurden. Beizersoheinungen von Säten der Hirnrinde verlaufen zumeist ganz 
anders, in ausgeprägten Anfällen; doch liegen einige Beobachtungen vor, dass auoh 
corticale Herde continuirliche, Tage und Wochen dauernde Krampferscheinungen 
zeigten, wie sie z. B. Oppenheim bei einer Geschwulst des Beincentrums in der 
Zehenmuseulatur Tage hindurch gesehen hat, ohne dass es zu Anfällen 
Jackson 'scher Epilepsie gekommen wäre. 

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Das Fortschreiten der Krampfe von Muskelgruppe zu Muskelgruppe Hess 
andererseits kaum eine andere Erklärung als die eines oorticalen Ursprunges 
zu und befestigte mich lange Zeit in der Meinung, es handle sich um eine multiple 
Sklerose, da nach den sonstigen Symptomen ein Tumor in der Gegend des 
Daumencentrums nicht angenommen werden konnte, wenn auch Groeshimer- 
scheinungen im Allgemeinen eher gegen die Annahme einer multiplen Sklerose 
zu verwerthen sind. 

Es hegen allerdings Beobachtungen vor, aus denen hervorgeht, dass auch 
bei subcorticalen Herden Krampfe von einzelnen Muskelgruppen aus ausgelöst 
werden können. Dejkrine sah eine Epilepsie, partiell an der Hand beginnend, 
bei einem Tuberkelknoten, der in der weissen Substanz 1 cm unter der Binde 
sass, und hierher gehört auch eine Beobachtung B&amwell’s, bei welcher zu 
den Erscheinungen einer Geschwulst des Thalamus opticus ein von der grossen 
Zehe ausgehender Krampf gehörte. In Dbjebdte’s Fall ist aber wohl trotz des 
8ubcortical gelegenen Tumors der corticale Ursprung der Krämpfe ziemlich wahr¬ 
scheinlich , da ein so nahe dem Cortex gelegener Herd durch Druck oder col- 
laterales Oedem und Circulationsstörungen corticale Centren in einen Beizzustand 
zu setzen vermag. In derselben Weise erklärt sioh wohl auch der interessante 
von v. Beck mitgetheilte Fall eines faustgrossen, unter der Binde der rechten 
motorischen Beinregion gelegenen, von Czebnt operirten Solitärtuberkels, bei 
welchem anfallsweise in den Zehen Krämpfe von mehreren Minuten Dauer auf¬ 
traten, die sich im Laufe von Monaten auch auf die Wadenmuskeln und die 
Oberschenkelmusculatur verbreiteten und später zu echten, von den linken Zehen 
ausgehenden jAGKsoN’schen Anfallen sich erweiterten mit Betheiligung des 
Facialis und Hypoglossus. 

(Schluss folgt) 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Beiträge rar Kenntniss des Plexus ohorioideus des Menschen, von Dr. 

Shinkiohi Jmamura. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 

1902. Heft 8.) 

Verf. unterscheidet am Plexus chorioideus einen zottigen und einen zotten- 
freien Antheil, welch ersterer der Pia, der letztere der Arachnoidea zukommt. 
Im zottenfreien Antheile unterscheidet er eine Epithelschicht, die (piale) Schicht 
des Gefässbindegewebes, die Schicht des arachnoidealen Gewebes und endlich eine 
trabecul&re Schicht, die mit der dritten Schicht innig zusammenh&ngt und in der 
die Plexuscysten auftreten. Der zottige Theil enthält die bekannten Zotten, in 
deren Mitte sich eine capilläre Schlinge findet; dazwischen findet sioh ein dar 
Pialschicht des zottenfreien Antheils entsprechendes Bindegewebe. Das Epithel 
ist sowohl im zottigen, wie zottenfreien Antheile einschiohtig. In den Epithel¬ 
zellen finden sich pigmentähnliche Körperchen, andererseits vacuolenähnliohe Ge¬ 
bilde, die beide durch Osmiumsäure schwarz gefärbt werden und dabei eine ver- 


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sohiedenartige Structur aufweisen, einfache Kugel- oder tfaulbeerform. Von 
regressiven Metamorphosen, die im Alter ziemlich regelmässig auftreten und denen 
eine pathologische Bedeutung nicht zukommt, sind die bereits erwähnten Plexus- 
cy fiten zu nennen; im zottenfreien Antheile finden sich auch regelmässig Sand- 
körperohen, deren Entstehungsweise bis in die erste Lebenszeit zurückreicht. Im 
zottigen Theile dagegen sieht man nicht selten diffuse sklerose Veränderungen 
des Bindegewebes. Daneben giebt es auch circumskripte Sklerosen, die in der 
Bindegewebsschicht sich finden und die Epithelschicht wie kleine Warzen ver¬ 
treiben. Dabei wird das Bindegewebe homogen, schliesslich kann hier auch Ver¬ 
kalkung auftreten, und zwar in der Kegel in der Peripherie solcher Herda 

Redlich (Wien). 

2) Sui rapporü tra le oellule nervöse e le flbre amieliniohe, pel Prof. 

Luigi Boncoroni. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.) 

Verf. fand beim Studium von solchen Zellgruppen der Ponskerne (Vertebraten, 
auch Mensch), welche in den von Pyramidenfaserbündeln freigelassenen Lücken 
eingelagert sind und unter Behandlung mit Müller’scher Platinchloridmethode 
eine partielle Färbung (des Kerns, Kernkörperchens und der feinen Protoplasma¬ 
körnung) annehmen — nicht aber bei den total gefärbten Zellen —, auf Lon- 
gitudinalschnitten, dass diese Nervenzellen von einem dichten Geflecht feiner 
markloser Nervenfasern eingeschlossen sind, welches auch den Stamm der Dendriten 
umgiebt. Von diesem Geflecht entspringen feinste, unter einander verfilzte 
Fäserchen, welche den Zellleib und die Protoplasmafortsätze eng umspinnen. Es 
ist nicht klar, ob diese Gebilde Plexus oder einfaohe Netze sind, obwohl ovale 
oder rundliche Anschwellungen im Verlauf einer oder im Schnittpunkt mehrerer 
dieser Fäserchen für letztere Annahme zu sprechen scheinen. Sicher handelt es 
sich bei diesen Scheibchen, schon wegen ihrer regelmässigen Form und der be¬ 
nützten Färbemethode, nicht um Präcipitate. Ueber das Gesichtsfeld vertheilt 
liegt eine beschränkte Zahl intensiv blass gefärbter Körnohen; die im Protoplasma 
vorhandenen Körnchen sind im Verhältniss zu letzteren zwar zahlreicher, aber 
kleiner und blasser. Auf Querschnitten derselben spärlich um zahlreiche Zell¬ 
gruppen herziehenden Fasern, sieht man dieselben Verhältnisse. Die marklosen 
Plexus oder Netze stehen weder mit den hier zahlreichen Körnchen der Inter¬ 
cellularsubstanz, noch mit den Granula des Protoplasmas in continuirlicher Ver¬ 
bindung. Schnitte, welche den peripheren Theil einer Zelle treffen, zeigen zwar 
ein Convolut umspinnender Fasern, aber kein Netz. Angesichts der bei der ver¬ 
schiedenartigen Elektivität der Methoden unvereinbar einander gegenüberstehenden 
Zustandsbilder erscheint die Annahme unabweisbar, dass die jeweils benutzte 
Methode das Geflecht der Elementarfibrillen erhalten oder zerstört hat und die 
oben genannten Anschwellungen entweder im Zusammenhang mit demselben oder 
isolirt zu Gesicht kommen lässt, welche im letzteren Falle als (die beschriebenen) 
Körnchen dem Protoplasma jenes fein granulirte Ansehen verleihen. Gegen diese 
Anschauung würde freilich der offenbare Grössenunterschied dieser feinsten 
Körnchen und jener Anschwellungen einzuwenden sein. Und andererseits ist 
denkbar (Mann), dass die Nervenfibrillen abwechselnd aus hellen und dunklen 
Strecken (Diplokokken oder Muskelfibrillen ähnlich) zusammengesetzt seien und 
aus diesem Grunde ein gekörntes Ansehen bieten. So erscheinen auch die feinsten, 
nicht anastomosirenden Verzweigungen der Protoplasmafortsätze der Purkinje sehen 
Kleinhirnzellen, mit vorliegender Methode behandelt, wie eine Linie von Körnchen 
oder eine Reihe von Strichlein. — Diese Verhältnisse wurden überall, wo Nerven¬ 
fasern Zellen einschliessen (mit Ausnahme der Spinalganglien) gefunden. Die 
Körnchen sind im Stratum molecnlare des Kleinhirns am zahlreichsten und am 
Neugeborenen sehr spärlich. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 

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Experimentelle Physiologie. 

3) Ueber die Energetik (prftparatorlsobe Thätigkeit) der GengUeBBollen 
and ihre Bedeutung für die funotlonellen Nerven- und Oeiateekrank* 
holten, von Dr. Adler in Breslau. (Münchener med. Wochen sehr. 1901. 
Nr. 37.) 

Unter Energetik versteht Verf. die auf die Herstellung von Spannkraftmaterial 
gerichtete Thätigkeit der Nervenzelle, von der die Erregbarkeit der Zelle dann 
wieder abhängt. Diese Thätigkeit kann durch Medioamente, physikalische Maass¬ 
nahmen, Gemüthsbewegungen u. s. w. gesteigert oder gemindert werden. Die 
pathologischen Veränderungen dieser Ganglienzellenenergetik führen zu den ver¬ 
schiedenartigsten Symptomen, wie sie uns in den Erankbeitsbildern der Neurasthenie, 
Hysterie, Epilepsie, Migräne, der localisirten Muskelkrämpfe, der Neuralgie, My¬ 
asthenie, Melancholie, Manie entgegentreten. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


4) Ueber die Unhaltbarkeit der Theorie der Hirnblutleere im Schlafs, 

von Dr. Wilhelm Deutsch. (Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 33.) 

Verf. kommt auf Grund theoretischer Erwägungen, die im Originale nach¬ 
gelesen werden mögen, zu dem Schlüsse, dass die Schleich’sche Theorie, wonach 
der Schlaf auf einer Reflexhyperämie des Gehirns beruhe und bei Abnahme der¬ 
selben unterbrochen werde, alle Erscheinungen des natürlichen und künstlichen 
Schlafes erkläre, die Theorie hingegen der Hirnblutleere im Schlafe nicht be¬ 
weisend fundirt sei. J. Sorgo (Wien). 


6) The Isolation of the active prinoiple of the suprarenal gland, by Jo- 

kiohi Takamine. (Journal of Physiology. XXVIL) 

Nachdem bereits Abel, v. Fürth u. A. behauptet hatten, das wirksame 
Prinoip der Nebenniere isolirt zu haben, glaubt jetzt der Verf in dem von ihm 
sogenannten „Adrenalin“ diesen wirksamen Bestandteil gefunden zu haben. — 
Zu Gunsten dieser Annahme sprechen einerseits die physikalisch-chemischen, anderer¬ 
seits die pharmakodynamischen Eigenschaften dieses Präparats. Unter den physi¬ 
kalisch-chemischen Kennzeichen des „Adrenalins“ ist vor allen Dingen hervor¬ 
zuheben, dass dasselbe ein krystallinischer Körper ist und eine constante 
Zusammensetzung besitzt, die auf die Formel C 10 Hj S NO 8 hinweist. Der Körper 
ist eine Base, aber kein Alkaloid. — Unter den physiologischen Eigenschaften 
des Präparats ist hervorzuheben, dass ein Tropfen einer Lösung 1:50000 in den 
Conjunctivalsack gebracht, die Schleimhautcapillaren zur Contraction bringt und 
dass durch intravenöse Injectionen von 1 ccm einer 0,001 °/ 0 Lösung bei einem 
8 kg schweren Hunde der arterielle Blutdruck um 30 mm Hg erhöht wird. 

W. Connstein (Berlin). 


0) Ueber den Einfluss des Cooalns, der Durohsohneidung des Nerven und 
meohanisoher Beizung auf die Struotur der Qandry’soben Körperohen, 

von Gasiorowski. (Polnisches Archiv für Biologie der medicin. Wissen¬ 
schaften. L 1901.) 

Verf. hat experimentelle Untersuchungen über den Einfluss des Cocains, der 
Nervendurchschneidung und der mechanischen Reizung auf die Struotur der 
Gan dry'sehen Tastkörperchen bei Enten angestellt und kam dabei u. a. zu 
folgendem Resultat: Diese Tastzellen seien auf die Nervendurchschneidung ungemein 
empfindlich. Im Anschluss an die ersten Degenerationsveränderungen, die sich 


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in der Nerrenscheibe yorfinden, beginnt sogleich die Atrophie und die Dege¬ 
neration der Taatzellen. Ueberdies überzeugen wir uns, dass in der gansen 
Reihenfolge von Veränderungen, welche einerseits in der Nervenscheibe und anderer¬ 
seits der Tastzelle auftreten, eine gegenseitige Abhängigkeit obwaltet. Während 
die Nervenscheibe schrumpft, treten die Tastzellenbogen zusammen und verengen 
hierdurch die Basis der Sanduhr. Bei fortschreitender Atrophie der Nerven¬ 
scheibe verwischt sich das Bild der Sanduhr und verschwindet schliesslich ganz, 
worauf am Protoplasma der Zelle regressive Metamorphosen auftreten. Man muss 
zugeben, dass die Beobachtungen, welche nach der Durohschneidung des Nerven 
gemacht werden, nicht genügen, um den functioneilen Zusammenhang zwischen 
der Nervenscheibe und der Tasteelle mit aller Bestimmtheit zu beweisen. Die 
Thatsache aber, dass selbst eine ieo osmotische Lösung des Cocalnsalzes charakte¬ 
ristische Structurveränderangen in der Tastzelle bewirkt, dass also das Cocain auf 
dieselbe eine specifische Wirkung ausübt, die nach dem Aufhören der Gefühl¬ 
losigkeit verschwindet, bestärkt uns in der Ueberzeugung, dass zwischen der 
Nervenscheibe und der Tastzelle ein inniger functioneller Zusammenhang bestehe 
und dass die, nach Durchschneidung des Nerven, in der Tastzelle auftretenden 
regressiven Metamorphosen eben als Folge der Aufhebung ihrer speoifischen 
Function, d. h. der Peroeption von äusseren Eindrücken, angesehen werden müssen. 

Edward Flat au (Warschau). 


7) Das Problem des Gehens auf dem Wasser, von R. Sommer. (Leipzig, 
1902.) 

Verf. wurde durch seine Bestrebungen, Registrirapparate für Ausdrucks¬ 
bewegungen mit möglichst geringen Widerständen zu finden, auf das vorliegende 
Problem geführt. Eine Vorrichtung, die die Fortbewegung auf dem Wasser mit 
Hülfe der eigenen Muskelkraft ermöglichen soll, muss mindestens drei Grund¬ 
bedingungen erfüllen: sie muss den Körper über der Wasseroberfläche suspendiren, 
ihn vertical balanoiren und eine willkürliche Aenderung der Richtung gestatten. 
Diesen Anforderungen genügte, wie die Endversuche bestätigten, ein Doppelboot 
von 2 m Länge — die theoretische Berechnung hat 1 m als genügend ergeben, 
der Unterschied wird nicht erklärt —, von dreieckigem Querschnitt, vorn zu¬ 
gespitzt, am hinteren stumpfen Ende mit je einem Steuer versehen, das durch 
zwei verticalstehende Handgriffe, die zu beiden Seiten des Körpers angebracht 
sind, gelenkt wird. Jedes Steuer ist einzeln beweglioh; ein über je zwei Rollen 
laufendes endloses Seil verhindert eine zu weite Entfernung der beiden Boote. *— 
Bezüglich der Verwendbarkeit als Verkehrs- und event. auch militärisches Trans¬ 
portmittel giebt sich Verf. vielleicht zu grossen Hoffnungen hin. (Uebersohreitung 
des Canals durch Landtruppen!) H. Haenel (Dresden). 


8) Ueber chemische Aenderangen der Musoulatur bei der Bntartnngs- 
reaoftion, von Th. Rumpf und 0. Schümm. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 
heilk. XXL 1901.) 

Die gelähmten Muskeln eines an typischer, alkoholischer Polyneuritis ver¬ 
storbenen Mann es, welche sich intra vitam durch charakteristische Entartungs- 
reaction ausgezeichnet haben, wurden chemisch untersucht. Es fand sich eine 
mehr als 15fache Zunahme des Fettgehalts gegenüber normalen Verhältnissen. 
Wahrscheinlich ist das Fett auf eine Einlagerung in die entartete Musculatur und 
nicht eine fettige Degeneration des Muskels hervorgerufen. Ferner liess sich 
starke Verminderung der Trockensubstanz und beträohtliohe Vermehrung des 
Wassergehalts nach weisen. Der Eisengehalt der frischen Substanz ist stärker 


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herabgesetzt, als der Verminderung der Trockensubstanz entspricht, der Gehalt 
an Calcium ist verhältnissmässig hoch, der an Magnesium in entsprechender Weise 
vermindert. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


Pathologische Anatomie. 

9) A leoture on abiotrophy, by W. R. Gowers. (Lancet. 1902. ApriL) 

Mit dem Worte Abiotrophie oder Abiosis will Verf. einen Zustand bezeichnet 
wissen, der, im Gegensatz zu dem Tode des Gesammtorganismus, das vorzeitige 
Lebensende einzelner Gewebe oder Gewebscomplexe zur Folge hat, auf Grund 
eines angeborenen Mangels an Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit. Ein grosser 
Theil der als „Degeneration“ bezeichneten ProceBse wäre unter diesem neuen Be¬ 
griff zu fahren, nämlich alle die, bei denen der Gewehstod nicht als Folge einer 
äusseren oder inneren erworbenen Schädlichkeit, sondern eben in Folge dieser 
mangelhaften Lebensfähigkeit eintritt. Auch solche Krankheitsformen wären 
hierher zu rechnen, bei denen eine einmalige, vorübergehende Schädigung, die den 
ganzen Organismus gleichmässig betraf, zu fortschreitendem, auch nach dem Auf¬ 
horen der ersten Ursache nicht stillstehendem Verfall einzelner GewebssyBteme 
führt — Ein in die Augen fallendes Beispiel für die gemeinte Affection ist die 
vorzeitige Kahlheit und das vorzeitige Ergrauen der Haare; die meisten Belege 
hierfür bietet aber das Nervensystem. Verf. rechnet hierzu die Dystrophia mus- 
cularis progressiva, die von Hoffmann beschriebene hereditäre progressive spinale 
Muskelatrophie besonders im Kindesalter, manche Formen von Opticusatrophie 
von familiärem Auftreten, auch solche, hei denen eine Tabaksamblyopie nach Aus- 
setzen des Niootins progressive Atrophie nach sich zieht, ferner als besonders 
charakteristisches Beispiel die Friedreich’Bche Krankheit und die Her6do-Ataxie 
cärebelleuse. — Weniger in die Augen fallend als diese in jugendlichem Alter 
einsetzenden „Abiotrophieen“ bestimmter Systeme sind einzelne Erkrankungen des 
späteren Alters. Doch glaubt Verf. z. B. die Paralysis agitans hierher zählen ztt 
müssen, deren gewöhnlich angegebene Aetiologie sich doch meist als anzulänglich 
erweist, manche Fälle von amyotrophischer Lateralsklerose. Bei der Tabes und 
progressiven Paralyse, wenn sie auch nicht im eigentlichen Sinne hierher gehören, 
glaubt Verf. doch zum mindesten manche Verlaufseigenthümlichkeiten durch die 
Annahme einer abiotischen Disposition der Systeme erklären zu können. Wenn 
auch Ref. — ebenso wie der Verf. es von sich behauptet — im allgemeinen 
gegen eine Bildung neuer Namen in der Medicin ist, so erscheint es doch in 
diesem Falle angebracht, aus den Begriffen der Degeneration, Prädisposition, erb¬ 
lichen Anlage u. a. den speciellen der „Abiotrophie“, mit dem die Wissenschaft 
ja schon lange arbeitet, auch durch ein eigenes Wort herauszuheben. 

H. Haenel (Dresden). 


10) Le alterazioni del sistema gangliaro sympatioo nella pazzia pellagroea, 

del R. Brugia. Aus der Provinzial-lrrenanstalt Bologna in Imola. (Imola, 

1902. 91 S.) 

In 30 Fällen von Pellagra, die bald mehr den Typus des sogen. Typhus 
pellagrosus, bald mehr durch rein psychische Störungen auffielen, hat Verf sein 
Augenmerk ganz besonders auf die Veränderungen im sympathischen Nervensystem 
gerichtet. Er fand thatsächlich in sämmtlichen Fällen Veränderungen hauptsäch¬ 
lich in den Ganglien des Halssympathicus oder in denen des Plexus coeliacus vor. 
Die Veränderungen sind verschieden je nach dem Alter der Erkrankung: man 
kann verschiedene Formen für die häufig auftretenden Reacerbationen der Er- 


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krankung, für die chronischen und die acuten Fälle, beobachten. Die einzelnen 
zahlreichen Details lassen sich nicht in Kurze wiedergeben. Der Plexus coeliacus 
ist mit Vorliebe der Sitz der Affection und die Veränderungen erscheinen oft 
bedeutender ab im centralen Nervensystem, ein Befund, der auch für einige andere 
toxischen Erkrankungen erhoben worden ist, so besonders für die Lyssa. 

L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


Psychologie. 

11) Die normalen Schwankungen der Seelenthätlgkeiten, von Prof. Jaoopo 

Finzi in Florenz. (Grenzfragen deB Nerven- und Seelenlebens. Heft 4. 

Wiesbaden 1900, J. F. Bergmann.) 

Die vierte dieser Einzeldarstellungen für Gebildete aller Stände behandelt 
die noch in die Breite des Normalen fallenden Schwankungen der psychischen 
Thätigkeiten, wie sie bedingt werden durch physiologbche Ursachen. Verf. 
skizzirt die Einflüsse der Ermüdung, der Gewohnheit, der Diät, der Genussmittel, 
wie Kaffee, Thee, Alkohol, der Witterung, des Klimas, des Milieu und der ver¬ 
schiedenen Lebensalter und die Reaction der Psyohe auf diese Factoren. Der 
diesem Gebiet Fernstehende wird auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, 
die sich der Erforschung psyohischer Phänomene, wie sie durch die neuere Experi¬ 
mentalpsychologie angestrebt wird, entgegenstellen. Zugleich bekommt er einen 
Begriff, wie eng sich die Gebiete der Physiologie und Pathologie des Geistes be¬ 
rühren. Der Fachmann wird duroh den Ueberblick, den diese Studie giebt, zur 
Untersuchung dieser für die richtige Auffassung psyohopathologischer Symptome 
dringend nothwendigen, bisher aber noch wenig in den Kreis kritischer Be¬ 
obachtung gezogenen physiologbchen Schwankungen angeregt 

Meitzer (Grosshennersdorf). 


12) Zar Psychologie der Aussage. Experimentelle Untersuchungen von 

William Stern. (Berlin, 1902.) 

Verf. behandelt die in letzter Zeit wiederholt actuell gewordene Frage, in¬ 
wieweit die normale Zeugenaussage ab eine correcte Wiedergabe des objectiven 
Thatbestandes betrachtet werden könne. Er wählte dazu eine Versuchsanordnung 
derart, dass er von einer grösseren Anzahl (33) Personen aus gebildeten Kreisen, 
meist Studenten, drei verschiedene Bilder theib ganz einfachen, theib complicirten 
Inhalts je a / 4 Minute lang aufmerksam betrachten lies. Darauf folgte die Auf¬ 
forderung, das Gesehene sofort zu beschreiben, die im Laufe der nächsen 3 Wochen 
1—3 Mal wiederholt wurde. Bei einer letzten Beschreibung wurde dann die 
Aufforderung angeknüpft, diejenigen Punkte der Aussage zu unterstreichen, die 
der Betreffende vor Gericht beschwören zu können glaubte. 

Das Hauptergebniss aus diesen Versuchen kann dahin zusammengefasst werden, 
dass es ein breites Gebiet der normalen psychologbchen Erinnerungsfehler giebt, 
das nach Umfang und Bedeutung wohl bisher sehr unterschätzt worden ist. Ein 
bestimmter Grad der Fehlerhaftigkeit bt von vornherein ab normales Merkmal 
auch der nüohternen und ruhigen, selbständigen und unbeeinflussten Durchschnitts¬ 
erinnerung zuzuschreiben. Die fehlerlose Erinnerung bt nicht die Regel, sondern 
die Ausnahme, und der Eid bietet keinen Schutz gegen Erinnerungstäusohungen. 

Die Bearbeitung der erlangten 282 Aussagen bietet im Einzelnen viel Inter¬ 
essantes. Unmittelbar nach der Betrachtung war unter je 17, bei späterer 
Erinnerung unter je 10 Elementen einer Aussage im Durchschnitt eins fabch. 
Zwischen Männern und Frauen zeigte sich der charakteristische Unterschied,, dass 


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die letzteren weniger vergessen, aber mehr verfälschen als die Männer; auch bei 
dem Beeidigungsverflach zeigte sich dies; der beeidigte Theil einer Männeraa»- 
sage enthielt durchschnittlich 2, 1, der einer Frauenaassage dagegen 4, 8 
falsche Angaben. — Aus der interessanten und scharfsinnigen Discussion über die 
Fehlerarten und Fehlerquellen sei u. a. hervorgehoben, dass sich naohweisen liess, 
dass ein beträchtlicher Theil des Aussageninhalts nicht eine Erinnerung an Ge* 
sehenes, sondern nur eine Erinnerung an die schon früher einmal darüber ab¬ 
gelegte Aussage war. Ein starkes Reproduotionsvermögen, d. h. die Fähig¬ 
keit, Eindrücke in grosser Zahl aufzuspeichern und sich in intensiver Anschaulich¬ 
keit wieder zurückzurufen, kann sehr wohl mit einer schlechten Erinnerungs¬ 
fähigkeit vereinigt sein, d. h. der Unfähigkeit, die auf ein bestimmtes einzelnes 
Erlebniss bezüglichen Vorstellungen mit Zuverlässigkeit auszusondern. Der je¬ 
weilige Stand unserer Erinnerungen ist die Resultante aus zwei entgegengesetzten 
Störungen: das Durchschnittliche und Normale in einer Beobachtung wird all¬ 
mählich von dem allgemeinen indifferenten Bewusstseinsbestand unseres Alltags- 
daseins absorbirt, fällt der Vergessenheit anheim; das Abweichende, Auffallende, 
Abnorme dagegen schlägt gerade den umgekehrten Weg ein, entfernt sich in 
seinem Widerstand gegen das Vergessenwerden immer weiter von der Normalität; 
man kann geradezu von einer Expansionstendenz der Erinnerung in Bezog auf 
das einmal Behaltene sprechen. 

In einem kurzen Anhänge wird ein experimentelles Gericht in der Weise 
studirt, dass früh eine kurze Kriminalgeschichte einer Person vorgeleeen wird, 
diese dann das Gehörte am Nachmittage niederschreibt, diese Niederschrift dann 
einem zweiten vorgelesen wird, der ebenso verfährt und so fort. Die Ab¬ 
weichungen vom Original schon im vierten Gliede sind überraschend und höchst 
charakteristisch. 

Die Fortführung derartiger Versuche auch von anderer Seite würde, zumal 
dieselben ohne Schwierigkeiten auszuführen und zu variiren sind, gewiss noch 
manche wichtige und interessante Aufklärungen geben. 

H. Haenel (Dresden). 


13) Die Leone, von Dr. Ernst J ent sch. (Grenzfragen des Nerven- und Seelen¬ 
lebens. XV. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann.) 

Verf. bemüht sich in dieser „Studie“, eine Classificirung und Sonderung alles 
dessen vorzunehmen, was der Sprachgebrauch unter dem vieldeutigen Begriffe 
„Laune“ zusammengefasst hat. Die Vieldeutigkeit erschwert eine Definition ohne 
Frage; wenn Verf. unter Laune im weitesten Sinne des Wortes „geringgradige 
Anomalieen psychischer Vorgänge oder ebensolche Ausfallserscheinungen, von un¬ 
beträchtlicher Tragweite, deren psychologisches Verständniss mit unserer Erfahrung 
nioht oder nicht vollkommen vereinbar ist“, versteht, so ist diese Definition nach 
Ansicht des Ref. leicht irreführend; darnach würde sich die Laune nur graduell 
von der Geisteskrankheit unterscheiden; es besteht doch aber sicher noch ein 
qualitativer Unterschied, der wohl in dem Begriff des Vermeidbaren, Unterdrück- 
baren gefunden werden kann; dieser kommt in der angegebenen Definition wie 
auch in den geflammten Ausführungen wenig zur Geltung. — Er betrachtet dum 
die Laune als Stimmungshintergrund, wobei in vielen Fällen die gegenseitige Ab¬ 
hängigkeit von Laune und Stimmung in eine untrennbare Identität übergeht, die 
Laune als Stimmungswechsel; die Hereinbeziehung von Erscheinungen wie der 
Höhenschwindel, Zweifel- und Grübelneigung mit ihrem Uebergang in Zwangs¬ 
vorstellungen, Gespensterfurcht, das Sichverlieben u. a. erscheint indessen hierbei 
selbst auf dem Umwege über die „abnorme Labilität des Stimmungsgleichgewichtee“, 
den Verf einschlägt, etwas gezwungen. Das Kapitel „Theoretisches zur Ehit- 


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Btehung dar Laune“ enthält einen Excars Aber die „kathartisohe“ Methode von 
Brener und Freud, die Verf. augenscheinlich auch auf die Behandlung der 
Launen angewandt wissen will. Damit ist es schwer au vereinigen, wenn er im 
letzten Kapitel: „Abhülfe der Laune“ u. a. sagt, dass „ein unvermitteltes Abladen 
starker Erregungen auf die jeweilige Umgebung bestenfalls nur eine unvollstän¬ 
dige, vorübergehende Erleichterung bringt, nie auf die Dauer“; das stimmt wenig 
zu der Theorie von der schädlichen Wirkung des „eingeklemmten Affectee“. — 
Die Arbeit schliesst mit einem Aufruf zur Beachtung der beiden grossen Auf¬ 
gaben: Hygiene des gesunden und Sanirung des nicht gesunden Gefühlslebens. 

H. Haenel (Dresden). 


14) Die Freiheit des Willens vom Standpunkte der Psyohopathologie, von 

A. Hoche. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. XIV. Wiesbaden 

1902, J. F. Bergmann.) 

Es ist auffallend, dass bisher kaum der Versuch gemacht worden ist, die 
ärstliohen Erfahrungen über abnormes Seelenleben bei der Erörterung der Frage 
nach der Willensfreiheit heranzuziehen. Verf. hat sich diese Aufgabe gestellt und 
behandelt sie in kurzer und klarer, durch philosophische Schulung ebenso wie 
durch psychiatrische Erfahrung aufs vortheilhafteste befruchteten Form. Er for- 
mulirt das Problem dahin: wie ist unser Freiheitsbewusstsein zu vereinigen mit 
unserer Ueberzeugung von einer durchgehenden gesetzmässigen ursächlichen Be¬ 
dingtheit allen Geschehens? Nachdem er, besonders durch Betrachtung der Ueber- 
gangsfälle, erwiesen hat, dass die Erfahrungen der Psychopathologie auch für die 
normale Psychologie zu verwerthen sind, dass bei den Fällen der ersteren Art, 
d. h. bei Geisteskranken, keinerlei principiell neue Elemente Vorkommen, zeigt 
er, dass das Gefühl der Freiheit unserer Handlungen für die vorliegende Frage 
nicht maassgebend ist, weil es auch bei zweifellos unfreien Handlungen sich ein¬ 
stellt und überhaupt bei näherer Betrachtung sich als eine gesetzmässige Begleit¬ 
erscheinung der Auslösung von Willensvorgängen überhaupt darstellt. Einen 
Willen in dem Sinne einer über allen anderen psychischen Vorgängen stehenden 
Oberinstanz mit wählenden und entscheidenden Functionen giebt es gar nicht; 
mit „Willen“ bezeichnen wir nur das unser Handeln begleitende Bewusstsein der 
Selbstthätigkeit. Und auch die subjective Ueberzeugung, frei zu sein, ist nicht 
beweisend, da gesetzmässige Mängel der Beproduction das Erinnerungsbild der 
inneren Situation bei der Entschliessung nicht unverfälscht erscheinen lassen, wenn 
darüber reflectirt wird. (Wäre dieser Grund in vollem Umfange sichhaltig, so 
fiele damit allerdings die gesammte „introspective“ Psychologie, die es im Grunde 
doch stets nur mit Reflexionen über Erinnerungsbilder zu thun hat. Bef.) — 
Von Interesse sind die Betrachtungen des Verf.’s über das Gewissen bei Gesunden 
und Geisteskranken und im Anschluss daran über die Frage nach dem „intelli- 
giblen Charakter“ im Sinne Kant’s; er zeigt, dass das Gewissen bei letzteren 
dieselben Variationen aufweist wie alle anderen Gefühle; dass es schwindet, dass 
spontane, objeotiv unbegründete Gewissensregungen auftreten, dass es von vorn 
herein verkümmert entwickelt sein kann u. A., und deshalb jedenfalls untauglich 
ist, um als Beweis für die Existenz des „intelligiblen Charakters“, d. h. des dem 
empirischen Charakter zu Grunde liegenden Dinges an sich, zu dienen. — Verf. 
kommt zu dem Sohlussergebniss, dass die Erfahrungen der Psychopathologie mit 
Nothwendigkeit in der Frage der Willensfreiheit zum Determinismus führen: das 
Prinoip der Causalität hat nicht nur für die materielle, sondern auch für die 
geistige Seite des Denkvorgangs Gültigkeit Deshalb wird aber an dem Gefühl 
der Verantwortlichkeit, das die Handlungen des Einzelnen leitet, und das als 
Regung des Gewissens bezeichnet wird, durch die wissenschaftliche Ueberzeugung 
niohts geändert, dass auch dieses Gefühl nothwendig determinirt ist 


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Das Ziel der Vortragssammlung, in der die Arbeit erschienen ist, „für Ge¬ 
bildete aller Stände“ geschrieben zu sein, erfüllt sie anerkennenswerther Weine 
in vollem Maasse. H. Haenel (Dresden). 


Pathologie des Nervensystems. 

15) Bemerkungen zur klinischen Beobachtung der Haut- und Sehnen¬ 
reflexe der unteren Körperhälfte, von Dr. S. Schoenborn, Assistenzarzt 
an der medicinischen Klinik in Heidelberg. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬ 
heilkunde. XXI. 1902.) 

Der Patellarreflex fehlt nur in 0,04 °/ 0 und der Aohillessehnenreflex nur in 
1 °/ 0 der Fälle bei Gesunden. Bei Tabes ist das Niohtvorhandensein des letzteren 
ebenso typisch, wie das Auftreten des Westphal’schen Zeichens. Der Adductoren- 
reflex fand sich bei 34 °/ 0 der Nervengesunden, der Reflex der Sehne des Tibialis 
post, nur bei 20°/ o mit unversehrtem Nervensystem. Unter 100 Fällen war der 
obere Bauchreflex 98 Mal vorhanden, 1 Mal zweifelhaft und fehlte 1 Mal; der 
mittlere liess sich 99 Mal nachweisen, war 1 Mal zweifelhaft, während der untere 
98 Mal festzustellen war, 1 Mal fehlte und 1 Mal unsicher war. Fast die gleichen 
Zahlen fanden sich für den Cremasterreflex; der Analreflex (am besten auslösbar 
als Stich- oder Strichreflex) wurde 80 Mal festgestellt. Der Skrotalreflex wird 
am besten durch 5—6 maliges Streichen der Analgegend ausgelöst und fand sich 
unter 100 Nervengesunden 92 Mal, fehlte 5 Mal und war in 3 Fällen zweifel¬ 
haft. Er zeigt sich als träge, wurmförmige Contraction der Tunica dartos scroti 
und dauert immer mehrere Stunden an. Sein Centrum liegt vermuthlich am 
analen Abschnitt des Perineums. Der Plantarreflex wurde in 98°/ 0 nachgewiesen; 
er fehlt hei krankhaften Störungen in erster Linie bei der Tabes. In Bezug auf 
den Bahinski’schen Zehenreflex erwähnt Verf., dass das Centrum der reflexogenen 
Zone stets in der Mitte des inneren Fussrandes liegt. Charakteristisch für ihn 
ist die ausschliessliche Dorsalflexion der grossen Zehe und sein auffallend träger 
Charakter. Er liess sich hei Nervengesunden niemals feststellen. Bei Paralysis 
agitans fehlte er constant. Auch Verf. hält ihn bei Affectionen der Pyramiden¬ 
bahnen für pathognostisch und gleichwertig mit Steigerung der Sehnenreflexe. 
Seine Ursache bleibt zunächst noch dunkel. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


16) A oontribution to the olinioal aignifloanoe of abaenoe of the tendo- 

aohilles jerk, by E. Bram well. (Brain. 1901. Winter.) 

Verf. hat seine Untersuchungen auf über 1000 Gesunde und Kranke jedes 
Alters und Geschlechtes ausgedehnt Er kommt zu folgenden Schlüssen: Der 
Achillesreflex ist bei Gesunden unter 50 Jahren immer vorhanden; sein Fehlen 
bedeutet hier immer das Vorhandensein eines organischen Leidens. Von 60 Jahren 
an nimmt die Constanz und die Stärke des Achillesreflexes allmählich ab und 
kann bei alten Leuten das Fehlen diagnostisch nicht mehr verwerthet werden 
(50 °/ 0 über 80 Jahre). Meist fehlt der Achillesreflex in den Fällen, wo auch der 
Patellarreflex fehlt — periphere Neuritis, Tabes dorsalis; doch kommt es unter 
bestimmten Umständen zum Fehlen der Achillesreflexe bei Vorhandensein des 
Patellarreflexes; so ist z. B. bei Tabes der Achillesreflex gewöhnlich eher erloschen 
als der Patellarreflex, was natürlich in diagnostischer Beziehung von grosser Be¬ 
deutung ist. Häufig fehlt er bei neuritischer Ischias auf der kranken Seite und 
kann hier viele Jahre noch fehlen, nachdem die Schmerzen längst vorüber sind. 
Verf. fand den Achillesreflex auch fehlend bei Diabetes und bei Aortenaneurysma; 
in den letzteren Fällen bestand Argyll-Bobertson’s Phänomen; hier bestand 


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Syphilis and Verf. glaubt, dass das Fehlen des Achillesreflexes auch das einzige 
Zeichen überstandener Syphilis sein könne. Manchmal kann das Fehlen des 
Achillesreflexes auch für die Segmentdiagnose von Bückenmarkserkrankungen von 
Wichtigkeit sein. Bruns. 

17) Beitrag zur Aetiologie der Dupuytren’sohen Fingercontractur, von Dr. 

Wilhelm Neuda. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 39.) 

Verl theilt einen Fall von beiderseitiger Dupuytren’scher Contractur der 
Hände bei einem 46jähr. Schlosser mit, der ausserdem Symptome von Syringo¬ 
myelie des oberen Brustmarkes, des Halsmarkes und des untersten Abschnittes der 
Medulla oblongata sowie des Lendenmarkes bot: Schwindel, Kopfsohmerz, Schmerzen 
im rechten Arm, Parästhesieen daselbst, nystagmusartige Zuckungen, leichte Kypho¬ 
skoliose, geringe Muskelatrophie des linken Vorderarmes und Thenar, Reflex¬ 
steigerung der rechten oberen Extremität und beider Patellarreflexe; rechts An¬ 
deutung von Fussklonus. Keine trophisohen Störungen. Tastempfindung wenig 
verändert; Drucksinn-, Lage- und Bewegungsempfindung normal. Temperatur- und 
Schmerzempfindung besonders rechts herabgesetzt. 

Verf. fasst die Dupuytren’schen Contractur als trophische Störung auf. Jede 
zu allgemeiner Ernährungsstörung führende Erkrankung könne auch bei ent¬ 
sprechend langer Dauer Dupuytren'sche Contractur erzeugen. Aetiologisch 
spielen namentlich jene nervösen Erkrankungen eine Rolle, welche mit trophisohen 
Störungen einhergehen, vor allem die Syringomyelie. Die Dupuytren’sche Con¬ 
tractur kann zu den ersten Symptomen derselben zählen. Trauma als ätio¬ 
logisches Moment ist nicht auszuschliessen, wird aber oft fälschlich angenommen. 
Die nichtoperative Heilbarkeit ist möglich. J. Sorgo (Wien). 


18) Ein Fall von Erb’soher Lähmung, von Pafiski. <Czasopismo lekarskie. 
1901. S. 316. [Polnisch.]) 

Verf. beschreibt einen Fall von Erb’scher Lähmung bei einem 23jährigen 
Manne, welcher plötzlich bemerkte, dass er die rechte obere Extremität nicht 
mehr heben kann. Status nach 3 Monaten zeigte Atrophie der Mm. supra- et 
infraspinatus, deltoideus, biceps und brachialis internus, keine Sensibilitätsstörungen. 
Quantitative Abschwächung der elektrischen Reaction ohne Entartungsreaction. 
Parese entsprechender Bewegungen. Die Erkrankung entstand nach einer Er¬ 
kältung. Edward Flatau (Warschau). 


19) lieber intermittirendes Hinken — Claudioation intermittente (Charoot) 
— als Symptom von Arteriosklerose, von Dr. Jarl Hagelstam in 
Helsingfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

Es werden sieben Beobachtungen von intermittirendem Hinken mitgetheilt 
und dabei die Symptome des Leidens ausführlich beschrieben. In einem Fall 
verschwanden die Störungen während einer relativ langen Zeit in der einen 
Extremität und looalisirten sich mittlerweile in dem anderen Fuss. In der weit¬ 
aus grossen Mehrzahl der Fälle besteht eine unzweifelhafte, zur Arteriosklerose 
disponirende Diathese. So gaben von den sieben Patienten des Verf’s fünf an, 
dass ihre Väter Schlagamälle erlitten haben. Ausser der Arteriitis obliterans 
spielen Entartungs- und Verkalkungsprocesse dabei eine Rolle, ferner kommen 
auch nervöse Einflüsse in Betracht, besonders wenn es sich um die hyperplastische 
Form der Endarteriitis handelt. Wahrscheinlich erhöht eine angeborene Dispo¬ 
sition für Erkrankungen des Gefässapparates die Möglichkeit des Auftretens dieses 
Leidens. Bemerkenswerth ist, dass unter sämmtlichen, bis jetzt beschriebenen 


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Fällen mit einer einzigen Ausnahme nur männliche Patienten betroffen wurden 
und dass die meisten Beobachtungen Russland, Polen und den baltischen Provinz» 
entstammen. Am häufigsten tritt das Leiden zwischen dem 50. und 60. Lebens¬ 
jahre auf, wenn es auch nicht selten bei jüngeren Personen und gelegentlich gar 
vor dem 20. Jahre bemerkt wurde. Sehr häufig wird Tabakmissbrauch betont 
Verf. hält es für wahrscheinlich, dass verschiedene, unter sich combinirte Reize, 
wie auch chronische Intoxicationsvorgänge eine grosse Rolle spielen, bei Personen 
mit ererbter oder erworbener Disposition für Arteriosklerose unter Vermittelung 
der vasomotorischen Nerven, die starke Blutgefässveränderungen hervorzurufen 
vermögen, die wir als Arteriitis obliterans bezeichnen. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

20) Ein Pall von Olaudloation intermlttente, von Paliski. (Czasopismo 

1902. Nr. 4. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über einen Fall von Claudication intermittente. Der Fall 
betraf einen 54jähr. Mann, bei welchem vor 1*/ 4 Jahren sehr intensive Schmerzen 
im rechten Bein und vor 2 Monaten im linken Bein entstanden. Nach etwa 
20 Schritten muss der Kranke ausruhen. Die Fösse sind kalt, cyanotisch mit 
rosigen Flecken. Die erste Zehe des rechten Fusses und zwei Zehen des linken 
sind kalt und völlig weiss. Der Puls ist weder in Art dorsalis pedis, noch in 
Art tibialis post fühlbar. Ausserdem Muskelatrophie im rechten Bein. Myo- 
degeneratio cordis. Nervenstämme nicht druckempfindlich. Sonstige nervöse 
Störungen fehlten. Edward Flatau (Warschau). 


21) Des polynövrites, par Maurice Perrin. (Paris, 1901, J. B. Bailliöre 

et Fils. 243 S.) 

Verf. giebt in seiner fleissigen Arbeit den Stand unserer heutigen Kenntnisse 
über die Polyneuritis wieder, er bespricht in ausführlicher Weise unter Bei¬ 
bringung von 32 eigenen Beobachtungen die Symptomatologie, Aetiologie, patho¬ 
logische Anatomie, Pathogenese, Diagnostik, Prognose und Therapie der Poly¬ 
neuritis. Ein sehr umfassendes und vollständiges Litteraturverzeichniss beschliesst 
das Werk. 

Aus dem pathologisch-anatomischen Theil ist hervorzuheben, dass nach An¬ 
sicht des Verf’s die bei der Section gefundenen Veränderungen der Rückenmarks¬ 
zellen (Chromatolyse) bei der Polyneuritis secundärer Natur, die Folgen einer 
Femreaction der Nervenzelle (Marinesco) sind und wieder ausgeglichen werden 
können, da das Trophoplasma intact bleibt und nur die Reserveelemente der Zelle 
angegriffen werden. Im Gegensatz hierzu wird bei der Poliomyelitis, bei welcher 
die Zelle primär erkrankt, das Trophoplasma lädiri Ebenso hält Verf. die bei 
der polyneuritischen Psychose (Korsakoff) gefundenen Zellveränderungen der 
Hirnrinde für secundär und für die Folgen von Axenoylindererkrankungen. 

Verf. unterscheidet die reinen Polyneuritiden, bei denen der Nerv isolirt 
erkrankt ist ohne jede Zell Veränderung überhaupt oder mit Zell Veränderungen 
secundärer Natur („röaetion k distance“), von den cellulo-neuritischen Formen; bei 
letzteren besteht eine primäre Zellerkrankung im Rückenmark, und zwar ist ent¬ 
weder die Zelle durch Einwirkung desselben Giftes und gleichzeitig wie der Nerv 
lädirt oder aber die Polyneuritis ist in die „poliomyelitische Phase“ übergetreten, 
d. h. das Trophoplasma hat eine Veränderung erfahren, weil seine Zelle zu lange 
Zeit unter der Läsion des Nerven gelitten hat oder die Giftwirkung zu lange 
anhält: zunächst hatte das Gift nur den Axencylinder, den am wenigsten wider¬ 
standsfähigen Theil des Neurons, getroffen, jetzt bricht es auch den Widerstand 
des kräftigeren Theiles des Neurons, des Zellkörpers. 


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Eine Sonderstellung unter den Polyneuritiden, doeh zu ihnen gehörig, nehmen 
nach Verf. die Atrophie Charcot-Marie und die „növrite interstitielle hyper- 
trophique“ ein. 

Die Differentialdiagnose zwischen Polyneuritis einerseits und Tabes sowie 
Poliomyelitis andererseits wird ausführlich besprochen und das Verhältniss der 
Poliomyelitis zur motorischen Neuritis gleichgestellt demjenigen der Tabes zur 
sensiblen Neuritis. Kurt Mendel. 


22) Neuritis acuta universelle asoendens (Landry’s Paralyse), af Saverin 

Nordenthoft Thomson. (Hosp. Tid. 1901. Nr. 8.) 

Eine 33 Jahre alte Frau wurde, nachdem sie seit 8 Tagen an Schwache in 
den Knieen und Parästhesieen in den Beinen gelitten hatte, am 18. August 1900 
von Paraparese beider Beine mit Parästhesie in der Zunge befallen; die Parese 
bildete sich zu fast vollständiger Paralyse aus. Am 21. August begann Parese in 
den Armen, die sich ebenfalls zu fast vollständiger Paralyse steigerte. Am 
24. August begannen Sprachstörungen, Schlingbeschwerden, Gesichtslähmung. 
Harn- und Darmentleerungen waren normal, wie auch die Temperatur und die 
Sensibilität. Bei der Untersuchung am 27. August bestand nur noch minimale 
Beweglichkeit der Zehen und Finger und in den Fussgelenken und den Hand¬ 
gelenken sowie in den Ellenbogengelenken. Patientin konnte keinen Gegenstand 
fassen und ihre Lage nicht verändern. Die Zunge wurde mit Schwierigkeit etwas 
herausgestreckt, sie war diok; die Lippen waren unbeweglich und der Mund 
konnte nur mit Schwierigkeit etwas geöffnet werden. Die Pupillen waren klein 
und reagirten. Die Bewegungen der Augen waren frei, es bestand Lagophthalmus 
und die Augenlider konnten nicht geschlossen werden. Patellarreflexe, Fussklonus 
und Hautreflexe fehlten. Die Temperatur war normal, der Puls hatte 110 Schläge, 
Rhythmus und Fülle desselben waren etwas wechselnd. An den Habwirbeln waren 
die Proc. spinosi empfindlich, es bestand Gürtelgefühl und Hüftschmerz. Der 
Stuhlgang war trag, nach Abführmitteln erfolgten aber reichliche Entleerungen. 
Unter Anwendung von Jodkalium und Quecksilbereinreibungen wurde zunächst 
das Schlingen und die Sprache etwas besser, am 7. September begannen auch die 
anderen Lähmungen zu schwinden, am 17. September befand sich die Patientin 
wohl und wurde später vollständig gesund. 

Naoh dem Verf. handelt es sich um Landry’sche Paralyse, ob die Besserung 
durch die eingeleitete Behandlung herbeigeführt wurde, will er nicht behaupten. 

Walter Berger (Leipzig). 


23) Zur Lehre vom Anfan gsstadium der Polyneurltie, von Popow. (Obos- 

renije psichiatriL 1900. Nr. 7.) 

Die Polyneuritiker kommen meist erst in vorgeschritteneren Stadien ihrer 
Krankheit in ärztliche Behandlung, zu einer Zeit, wo schon starke anatomische 
Veränderungen Platz gegriffen haben. Es wäre daher wichtig, diese Krankheit 
schon frühzeitig zu erkennen und Verf. giebt nun in seiner Arbeit einige Fälle 
wieder, in denen er Polyneuritis diagnosticiren konnte, noch ehe irgend ein sub- 
jeotives Symptom auf das Leiden hinwiee. Die betreffenden Kranken waren 
anderer Leiden wegen in Behandlung gekommen und bei der nebenbei vor¬ 
genommenen elektrischen Untersuchung fand sich auf einer Seite Entartungsreaction 
und Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit in den kleinen Muskeln der Hand. 
In allen 4 Fällen, die Verf. mittheilt, fehlten jegliche subjectiven Erscheinungen. 
Diese Beobachtung würde mit den Experimentalergebnissen H. Braun's überein¬ 
stimmen, der bei künstlicher Alkoholneuritis bei Hunden schwere anatomische 
Läsionen der Nerven ohne Paresen oder Störungen der Sensibilität fand, sowie 


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auch mit der Hypothese Erb’s, dass die elektrische Erregbarkeit an die Intakt¬ 
heit des Myelins gebunden ist, während der centrale Reiz bei blosser Intactheit 
des Axencylinders erhalten bleibt. 

Es ist also anzunehmen, dass das Anfangsstadium der Polyneuritis eine lange 
Periode des Latentseins enthält, denn es ist nicht glaubhaft, dass anatomische 
Veränderungen, die schon subjective Beschwerden geben, sich über Nacht ent¬ 
wickeln ^sollten. 

Welchen Werth diese Erkenntniss für die Prophylaxe der professionellen 
Neuritiden hat, liegt auf der Hand. Wilh. Stieda. 


24) Ein Fall von Polyneuritis der Oehimnerven, von Rudinger. (Jahrb. 

£. Psych. u. Neur. XXII. S. 141.) 

31jähr. Frau, Lues fraglich, erkrankt ziemlioh acut nach refrigeratorischen 
Schädlichkeiten an Parästhesieen der rechten Gesichtsseite, die später einer Em¬ 
pfindungslosigkeit Platz machten. Dann traten daselbst heftige Neuralgieen auf, 
es entwickelte sich eine Keratitis neuroparalytica rechterseits, weswegen Patientin 
Spitalspflege aufsuchte. Wegen einer nicht näher geschilderten Psychose (an¬ 
geblich pathologischer Angstaffect in imbecilla) Aufnahme auf die psychiatrische 
Klinik, woselbst folgender Befund erhoben wurde: Druckempfindlichkeit der rechten 
Trigeminalpunkte, totale Anästhesie für alle Qualitäten im Bereiche des rechten 
Quintus, rechtsseitige Kaumuskellähmung mit Atrophie und elektrische Unerreg¬ 
barkeit derselben, Subluxation des Unterkiefers, Ageusie in den vorderen zwei 
Dritteln der rechten Zungenhälfte, Keratitis neuroparalytica dextra, Otitis media 
suppurativa rechts und Affection des rechten Acusticus. Thränen-, Speichel- und 
Scihweisssecretion beiderseits ungestört Im Verlaufe der Erkrankung, welche 
merkwürdige Remissionen und Exacerbationen zeigte, complete linksseitige Facialis- 
lähmung mit Versiegen der Thränensecretion linkerseits. Antirheumatische Be¬ 
handlung erfolglos; specifische Therapie (Sublimatinjectionen) brachte Besserung. 
Patientin entzog sich vorzeitig der Behandlung. 

Verf. schlieast eine luetische Meningitis, ebenso ein endocranielles Gumma 
aus und nimmt eine primär syphilitische Erkrankung der Nerven an. Besonders 
erwähnenswerth erscheint hier die Atrophie der Kaumusculatur mit aufgehobener 
elektrischer Erregbarkeit Mit C. W. Müller bringt Verf. auch die Otitis in 
Beziehung zur Trigeminusaffection, während es dahingestellt bleiben muss, ob die 
AcuBticuserkrankung Folge der ersteren ist, oder in Analogie zu setzen ist der 
Affection des Quintus und Facialis. Pilcz (Wien). 


25) Ein Fall von Polyneuritia oder Poliomyelitis anterior subacuta adul¬ 
torum, von Paliski. (Czasopismo lekarskie. 1901. S. 98. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über eine 20jährige Schneiderin, bei welcher allmählich 
Schwäche hauptsächlich in der rechten oberen Extremität entstand (Mm. extensoree 
digitorum, interossei und lumbricales) mit Entartungsreaction und ohne Sensi¬ 
bilitätsstorungen. Keine Schmerzen (im Beginn der Erkrankung waren dieselben 
in den Händen vorhanden). Rechte Pupille enger als die linke. Reaction er¬ 
halten. Das ganze Bild erinnert an die Poliomyelitis oder Polyneuritis beispiels¬ 
weise nach Bleivergiftung. Die letztere fehlte aber in der Anamnese. 

Edward Flatau (Warschau). 


26) Ein Fall von Polyneuritis peripherica als Folgesustand von Typhus 
abdominalis, von Julius Fischer. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.) 

7 Tage nach dem Fieberabfall eines uncomplieirten Typhus stellten sich 
heftige reissende Schmerzen in den Beinen, Schmerzhaftigkeit der Druokpunkte 


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im Verlauf der Nn. ischiadici und peronei, am 11. Tage schon eine Atrophie der 
Musculatur der Beine, verbunden mit verstärkter Druckempfindlichkeit derselben 
ein. Die Schwäche der Beine war eine erhebliche; eine starke Hyperästhesie der 
Haut gesellte sich dazu, die Hautreflexe waren gesteigert, die Sehnen- und Periost- 
reflexe blieben während der ganzen Dauer der Krankheit normal, ebenso konnten 
niemals Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit nachgewiesen werden, ein 
Umstand, durch den die verhältnissmässig schnelle, nach 4 Monaten vollständige 
Wiederherstellung des Patienten erklärlich wird. Auffällig war noch eine an¬ 
dauernde PulBbeschleunigung bei Abwesenheit von Fieber. Blasenstörungen 
fehlten dauernd. Hauptsächlich wegen des Erhaltenbleibens der Reflexe und des 
Fehlens der Entartungsreaction glaubt Verf. die Diagnose auf interstitielle acute 
Neuritis stellen zu müssen. H. Haenel (Dresden). 


27) Bin Fall von postpuerperaler Entzündung der nervösen Plexus der 
oberen und unteren Extremitäten, von W. Pulawski. (Czasopismo 
lekarskie. 1901. Nr. 12. [Polnisch.]) 

Verf. beschreibt folgenden Fall von puerperaler Entzündung der Plexus der 
oberen und unteren Extremitäten. Am zweiten Tage nach der Geburt (mit 
grossem Blutverlust) zeigte sich ein Anfall von intensiven Schmerzen in der 
rechten Halshälfte und im rechten Arm mit Parästhesieen in der ganzen rechten 
oberen Extremität. Gleichzeitig Parese daselbst. Der Anfall dauerte eine Stunde 
und wiederholte sich am nächsten und an folgenden Tagen mehrmals, wobei 
gleichzeitig die Temperatur allmählich stieg. Schmerzanfälle auch in der linken 
oberen Extremität. Grosse Schmerzhaftigkeit in der linken oberen Extremität 
und hei passiven Bewegungen in dem Plexus brachialis (besonders reohts). Nach 
einem Monate sehr intensive Schmerzen im Kreuz und in den Beinen, wobei jede 
active oder passive Bewegung unerträgliche Schmerzen verursachte. Allmähliche 
Besserung und Heilung. Verf. diagnosticirte infectiöse Entzündung des Plexus 
brachialis und Lumbosacralis. Edward Flatau (Warschau). 

26) Polynövrite toxique professionelle, par Soupault et Fran$ais. (Pro- 
gr&j mädioaL 1901. Nr. 44.) 

Die Verff. theilen Beobachtungen mit über schädliche Einwirkungen des 
Beugens an den oberen und unteren Extremitäten bei Arbeiterinnen der Färberei¬ 
branche. Adolf Passow (Meiningen). 

29) Beschäftigungeneuritis im Gebiet des Plexus brachialis, von Dr. 

L. Hoeflmayr in München. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 45.) 
In einer Reihe von Fällen, die mit einer Ausnahme Schreiner und Weiss¬ 
gerber betrafen, welche vorher ganz gesund waren, beobachtete Verf. ausschliess¬ 
lich reohts eine sehr schmerzhafte Bewegungsstörung des Oberarms mit Druck¬ 
punkten am Deltoideus und in der Supraolaviculargrube. Das hauptsächlichste 
Symptom war die Unmöglichkeit, den rechten Arm einwärts zu rollen und auf 
den Rücken zu bringen oder seitwärts hoch zu heben. Sensibilität»- und trophische 
Störungen fehlten vollkommen, elektrisch fand sich nur erhöhte faradische Erreg¬ 
barkeit für den Nerven. Es handelte sich um eine Neuritis der Nn. subscapulares 
und des N. axillaris, welche die getroffenen Muskeln (M. latissimus dorsi und 
Deltoideus) innerviren. Offenbar war das Leiden durch stetige Muskelcontractionen 
ohne genügende Entspannung und dadurch eingetretene Ueberreizung des Nerven 
entstanden. Nach 8—9wöchentlicher Behandlung (Ruhe, Wärme, Galvanisation 
und später schwache Faradisation) trat Heilung ein. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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SO) BüokenmarksTerftndenmgen bei Polynaoritis, von Franz Kramer. 

(Inaug.-Dissert. Breelau, 1902.) 

Verf. berichtet Aber einen Fall von Polyneuritis mit Sectionsbefund. Es 
handelt sich tun eine 37jährige Potatrix, bei der sich in wenigen Wochen ein 
durch schwerste Ataxie, Schmerzen, fehlende Sehnenreflexe, Hyperästhesie und 
leichte Paresen charakterisirter Symptomenoomplex ausbildet. Durch eine acute 
Verschlimmerung tritt dann in wenigen Tagen eine fast völlige Paraplegie beider 
Beine auf; in diesem Stadium stellen sich auch Pupillenstarre und Blasenstörungen 
ein. Darauf Besserung des Zustandes, doch bleiben erhebliche Motilitätsstörungen 
der Beine und Ataxie der Arme zurück. Pupillen- und Blasenanomalieen ver¬ 
schwinden wieder völlig. l x / 4 Jahr nach Beginn der Erkrankung geht die Pat. 
ziemlich schnell an Lungentuberculose zu Grunde. — Auch in einem zweiten 
Falle konnte Verf. vorübergehende Pupillenstarre bei einem Alkoholiker feststellen. 

Im Anschi 088 an den zuerst mitgetheilten Fall bespricht Verf des Näheren die 
Differentialdiagnose zwischen Tabes und Polyneuritis, speciell ihre Verschiedenheit 
betreffs Aetiologie (bei Tabes meist Lues, bei Polyneuritis meist Alkohol), Ver¬ 
laufs und Prognose der beiden Krankheiten. Die Polyneuritis befällt fast regel¬ 
mässig das motorische Neuron und bewirkt stets Veränderungen an den peripheren 
Nerven, die Tabes afficirt immer den centralen Theil des sensiblen Neurons, 
während sie die peripheren Theile desselben sowie das motorische Neuron über¬ 
haupt verschonen kann. „Da nun die Symptomatologie der Erkrankungen des 
Nervensystems im wesentlichen von der Localisation des Krankheitsprooesses ab¬ 
hängt, so werden wir entsprechend der eben erwähnten Verschiedenheit der 
Localisation auch Verschiedenheiten der Symptomatologie zu erwarten haben, die 
uns, wie es ja auch in der That der Fall ist, für die Mehrzahl der Fälle 
einen Zweifel an der Diagnose gar nicht aufkommen lassen. Da jedoch die 
Verschiedenheiten der Localisation nur graduelle und keine principiellen sind, 
da jede von beiden Krankheiten die von der anderen bevorzugten Locaütäten 
afficiren kann, so werden wir auch klinisch alle denkbaren Uebergänge zwischen 
beiden Krankheiten zu erwarten haben." 

Die Bückenmarksveränderungen bei Polyneuritis, welche übrigens nicht selten 
beobachtet werden, lassen einen gewissen Typus erkennen, indem sie in der 
grossen Mehrzahl der Fälle nur die intramedullär gelegenen Antheile der beiden 
peripheren Neurone betreffen, während diejenigen Bückenmarksstränge, welohe die 
centralen Neurone enthalten (Pyramidenbahn, Kleinhirnseitenstrangbahn, Vorder- 
seitenstranggrundbündel) nur äusserst selten Veränderungen zeigen. 

Kart KendeL 


31) Ueber einen Fall von polynenritisoher Psychose („Korsakow’soher“ 

Psychose) mit eigentümlichem Verhalten der Sehnenreflexe, von Prof. 

Westphal in Greifswald. (Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 5.) 

Der im übrigen typische Fall von polyneuritischer Psychose zeigte als un¬ 
gewöhnlichen Befund, dass die Patellarreflexe beiderseits, auch mit Jendräasik, 
völlig fehlen und dass bei Percussion der Patellarsehnen regelmässig in dem 
entgegengesetzten Adductorengebiet eine lebhafte, ausgiebige Zuokung auftritt. 
Für Erklärung dieser Reflexverhältnisse verweist Verf. auf ein Experiment von 
Sternberg. Letzterer konnte nachweisen, dass die nach Durchschneidung der 
Nerven und Loslösung des Quadriceps von der Patella beim Beklopfen der Patellar- 
sehne auf der entgegengesetzten Seite auflretende Muskelzuckung Folge eines 
durch den Femur und das Becken auf die andere Seite geleiteten Knochen- 
(Periost)Beflexes sei. Verf. denkt daran, dass in seinem Falle die Nervendurch¬ 
schneidung des Experimentes durch die neuritische Leitungsunterbrechung ersetzt 


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worden sei and da» auf der gekreuzten Seite, analog der bei Thieren durch 
B&ckenmarksdnrchschneidang bedingten Reflexerhöhung, vielleicht eine Reflex¬ 
steigerang durch Reizzustände im Gebiet des N. obturatorius vorlag. 

R. Pfeiffer. 


32) Bin Fall von progressiver neuritisoher Atrophie mit Bxaoerbationen 
im Frühling, von Goldenberg. (Czasopismo lekarskie. 1901. Nr. 5. 
[Polnisch.]) 

Verf. berichtet fiber folgenden Fall von progressiver neurotischer Atrophie 
mit Exacerbationen im Frühling. Der 8jährige Knabe klagte über ziehende 
Schmerzen in den Beinen, besonders in den Füssen, und über Gangstörung. Im 
4. Lebensjahre musste der Knabe im Frühling lange Zeit zu Bett bleiben, weil 
er weder die oberen noch die unteren Extremitäten bewegen konnte. Allmähliche 
Besserung, aber keine völlige Restitution. Seither tritt bei dem Pat. stets in 
der Frühlingszeit eine Verschlimmerung ein, so dass er eine Zeit lang liegen 
muss. Auch im letzten Jahre klagte er zu derselben Zeit Uber Schmerzen in den 
Füssen. Status: Abmagerung, grosse Schmerzhaftigkeit der Fussgelenke ohne 
Schwellung. Pat. kann auf den untereinander gekreuzten Beinen sitzen. Bein* 
Streckung erhalten. Beugung im Hüft- und Kniegelenk schwach. Bewegungen 
des Fasses und der Zehen nicht möglich. Deutliche Atrophie der Unterschenkel 
und eine geringere der Oberschenkel. Patellarreflexe fehlen. Keine fibrillären 
Zuckungen. Die Bewegungen in den Arm- und Ellenbogengelenken erhalten, im 
Handgelenk ist nur die Beugung möglich. Atrophie der Handmuskeln mit Störung 
der Beweglichkeit der Finger. Allmähliche Besserung mit Wiederkehr der Patellar¬ 
reflexe. Pat. läuft herum, die Kraft in den Händen hat zugenommen. Es ist zu 
bemerken, dass ein Bruder des Pat. an ähnlicher Krankheit gelitten hat und in 
seinem 29. Lebensjahre gestorben ist. (Ueber die Sensibilität und die elektrische 
Reaction findet man keine Notiz in der Arbeit. Ref.) 

Edward Flatau (Warschau). 


33) Bin Fall von acuter Landry'scher Spinalparalyse bei einem Kinde 
von 7 Jahren, von P. Marcuse in Berlin. (Deutsohe med. Wochenschr. 
1902. Nr. 4.) 

Das einzig Bemerkenswerthe des Falles ist das jugendliche Alter des Kranken, 
da die Landry’sche Paralyse in der Kindheit selten ist. R. Pfeiffer. 


34) Ueber einen Fall von Landry'scher Paralyse nach Keuchhusten, von 

H. Hagedorn. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1902.) 

Landry’sche Paralyse im Kindeealter ist sehr selten. Nach ziemlioh aus¬ 
führlicher Wiedergabe der wenigen bisher beschriebenen Fälle berichtet Verf. 
über einen eigenen Fall, in dem sich die lethale Erkrankung mit Lähmung der 
unteren und oberen Extremitäten und der Bulbärnerven, letztere vor der der 
Arme, an Keuchhusten angeschlossen hatte. Die Krankengeschichte ist kurz und 
unvollkommen, die Unterschiede von der Landry’sohen Paralyse trotzdem recht 
wesentliche (hohes Fieber, Kopfschmerz, tagelange Benommenheit — Verf. spricht 
von „mangelhaftem Sensorium“! —, dauerndes Erhaltenbleiben der Reflexe, völlige 
doppelseitige Ptosis; von dem Verhalten der übrigen Augenmuskeln wird nichts 
erwähnt); ein elektrischer Befund ist nicht erhoben worden, ebenso wenig liegt 
eine Autopsie vor. Der Versuch einer differential-diagnostischen Erörterung wird 
gar nicht gemacht; das Bild sei „ein so vollkommenes und klares, dass es eine 
andere Deutung nicht zulasse“ 1 (Meningitis? Ref). Da die ersten drei Viertel 

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der Arbeit niohts als eine Abschrift (ausführliche Krankengeschichten!) der wenigen 
schon anderweitig veröffentlichten Befände sind, so kann man derselben, auch ab¬ 
gesehen von dem sehr zweifelhaften neuen Fall, irgend eine wissenschaftliche Be¬ 
deutung nicht zusprechen; sie ist typisch für den Tiefstand eines Theiles der 
heutigen Dissertationslitteratur, und es wäre gewiss nur zum Vortheil der Wissen¬ 
schaft im Allgemeinen, wenn die Facultäten bezw. die Herren Beferenten derselben 
bei der Genehmigung zur Drucklegung von Dissertationen einen etwas strengeren 
Maassstab anlegten. H. Haenel (Dresden). 


35) Landry’sohe Paralyse in acutester Form, von Oberstabsarzt Dr. Gossner 

in Brandenburg a. d. H. (Münchener med. Wochenschr. 1902. Nr. 20.) 

Bei einem vorher ganz gesunden Soldaten traten nach vorhergehendem Fieber 
und bei ganz freiem Sensorium plötzlich die Erscheinungen von schlaffer Lähmung 
an sämmtlichen Extremitäten auf. Nur im linken Arm bestand noch minimale 
Bewegungsfähigkeit, verschwand aber auch am zweiten Krankheitstage. Keine 
Störungen der Augenmuskeln, des Facialis und der Sprache. Hautreflexe leicht 
gesteigert, Sehnenreflexe geschwunden, Sensibilität erhalten, elektrische Erregbar¬ 
keit normal. Nach 2 Tagen Schling- und Schluckbeschwerden, undeutliche Sprache 
und unter Zunahme dieser Störungen trat am 4. Tag nach Beginn der Extre¬ 
mitätenlähmung der Exitus ein. Eine Infection erscheint nicht ausgeschlossen. 
Die Autopsie musste leider unterbleiben. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


36) Die Pellagra, von Victor Babes und V. Sion. (Nothnagel’s specieUe 

Pathologie u. Therapie. XXIV. 1901.) 

Die Pellagra ist aufzufassen als eine chronische und periodisch wiederkehrende 
Intoxicationskrankheit, welche durch eine im verdorbenen Mais gebildete specifisch 
giftig wirkende Substanz verursacht wird, welch letztere, fortwährend und in 
grossen Mengen genossen, besonders das Nervensystem in eigentümlicher Weise 
schädigt. 

Die vorliegende Monographie giebt zunächst eine geschichtliche und geo¬ 
graphische Uebersicht über das Auftreten und Vorkommen der Krankheit im süd¬ 
lichen Europa nebst statistischen Mitteilungen über ihre Verbreitung. Eis folgt 
eine auf eigene Untersuchungen gestützte kritische Besprechung der Litte ratur 
über die ätiologisohen Theorieen, die zeistische Theorie, nach welcher lediglich 
der Mais als ungenügendes Nahrungsmittel Pellagra verursachen soll, und die 
zeitoxische Theorie (Entstehung durch verdorbenen Mais), ferner über die an- 
gestellten Versuche, welche im verdorbenen Mais verschiedene giftige Substanzen 
nachwiesen, die pellagraähnliche Symptome erzeugen, und die Befunde, wonach 
im Blute Pellagröser eine antitoxische Substanz vorhanden ist Sporadische 
Pellagra und die Pellagra bei Geisteskranken gehören nicht zur wirklichen Pellagra. 
Zur krankmachenden Wirkung der Maistoxine ist eine Anzahl prftdisponirender 
Momente unentbehrlich. 

Von grösstem Werthe sind die pathologisch-anatomischen Untersuchungen der 
Verff., welche zu neuen Befunden im Centralnervensystem führten und für die 
Fragen bezüglich des Wesens des Krankheitsprocesses besonders lehrreich sind 
(S. 37). Eingehend ist sodann die Symptomatologie geschildert, wobei die Verff. 
vier Stadien unterscheiden: ein präerythematöses, ein erythematösee Stadium mit 
Magen-, Darm- und weniger ausgesprochenen nervösen Störungen, dann ein Stadium 
mit hauptsächlich psychischen und nervösen Störungen, und endlich ein viertes 
Stadium, in welchem tiefe Depression, Blödsinn, Paralysen, Diarrhoe und Kachexie 
vorherrschen. Zur Diagnose sind Fälle von PseudopeUagra auszusohliessen, ferner 


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andere Intoxicationen durch Getreide, Alkoholismus, Metallgüte u. s. w., Inanition 
Hnd verschiedene Geisteskrankheiten. 

Das letzte Capitel erörtert die Behandlung, vor allem die Präventivmaass- 
regeln, welche in wirksamer Weise nur der Staat durchzufahren vermag, der auoh 
durch Asyle fiir die Pellagrösen den Kranken zu Hülfe kommen kann. Die 
Bpecielle Behandlung soll individuell sein und wird sich an die verschiedenen 
Symptome halten. Unbedingt ist der Kranke aus seiner krankmachenden Um* 
gebung zu entfernen. Ein specifisches Heilmittel gegen die Krankheit giebt es 
nicht, dagegen berechtigt die Herstellung eines Heilserums zu den besten Hoff* 
nungen auf Erfolg. 

Ein umfangreiches Litteraturverzeichniss sowie einige vorzügliche Abbildungen 
sind dem Buche beigegeben. E. Beyer (Littenweiler). 


37) Zur Histologie des xny otonisoh-hy pertr ophisohen Muskels der Thom- 

sen’sohen Krankheit (Myotonie congenita), von Dr. Jos. Koch. (Viroh. 

Archiv. CLXHI.) 

Das Ergebniss der unter der Leitung von Grawitz in einem Fall von 
Thomsen’scher Krankheit an excidirten Muskelstückchen ausgeführten histo¬ 
logischen Untersuchungen war folgendes: Verf. konnte constatiren, dass in den 
erkrankten Muskeln neben der am stärksten in die Augen fallenden Hypertrophie 
der meisten Muskelfibrillen auch Neubildung von Fasern durch Längstheilung und 
Spaltung vorkommt, dass ausserdem aber auch vielfach Degenerationsvorgänge 
Platz greifen, und zwar sah Verf. Muskelfasern sowohl in Folge einfacher Atrophie 
als auch durch das Auftreten starker Kernvermehrung und durch die Bildung von 
Muskelsellenschl&uchen zu Grunde gehen. — ln diesem gleichzeitigen Vorkommen 
von Degenerations* und Regenerationsprocessen in der erkrankten Musculatur sieht 
Verf. eine Erklärung für das eigentümliche functioneile Verhalten der Muskeln 
bei der Thomsen’schen Krankheit, das schwer verständlich sein würde, wenn es 
sich lediglioh um hypertrophische Vorgänge handelt. 

Lilienfeld (Gr. Liohterfelde). 

38) Thomsen’sohe Krankheit, von M. NartowskL (Pamietnik jubilenszowy. 

1900. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über einen Fall von Thomsen’scher Krankheit bei einem 
38jähr. Manne, welcher dem Alkoholgenuss seit langer Zeit ergeben war. Seit 
6 Jahren Magenbeschwerden. Die Symptome der Thomsen’schen Krankheit 
zeigten sich zum ersten Mal vor 3 Jahren. Status: Dilatatio ventriculi cum 
gastritide acida. Typische Erscheinungen der Thomsen’schen Krankheit bei 
activen Bewegungen. Muskelkraft abgeschwächt. Mechanische Nervenerregbarkeit 
vermindert, Muskelerregbarkeit dagegen gesteigert. Myotonische Reaction bei 
faradischer Reizung des Nerven. Galvanische Nervenerregbarkeit vermindert, 
Muskelerregbarkeit gesteigert (in den Muskeln myotonische Reaction). Nach ent¬ 
sprechender Magentherapie (Diät, Durchspülungen) Heilung nach etwa 6 Monaten. 

Edward Flatau (Warschau). 


39) Einige Bemerkungen über die Thomsen’sohe Krankheit, von K. Rzet- 
kowski. (Medycyna. 1901. Nr. 13 u. 14. [Polnisch.]) 

Verf. schildert zwei Fälle von Thomsen’soher Krankheit. Der erste Fall 
betraf einen 25jähr. Beamten, welcher an dieser Krankheit seit seiner Kindheit 
gelitten hat Auoh ein Bruder und eine Schwester zeigen dieselben Krankheits¬ 
erscheinungen. Der Kranke erzählt, dass er stets beim Auftreten (nach längerem 
Sitzen) ein schmerzloses Spannungsgefühl in den Beinen verspürt Nach einigen 

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Seounden verschwindet dieses Gefühl und Pat. geht ruhig weiter. Bei jedem 
Ausruhen kehrt dieses Symptom stets wieder. Die Steifigkeit tritt ebenfalls an 
den oberen Extremitäten auf, besonders wenn Pat. irgend einen Gegenstand fest 
mit der Hand ergreift und dann dieselbe öffnen will. Das SpannungsgefÜhl 
merkt Pat. ferner in den Muskeln des Halses, des Gesichts (beim Oeffnen des 
Mundes), der Zunge, der Augen (beim Zukneifen der Augen können die Augen¬ 
lider nicht sogleich geschlossen werden). Seit 10—16 Jahren heftige, anfallsweise 
auftretende Kopfschmerzen. Mechanische Muskelerregbarkeit normal. Elektrische 
Nervenerregbarkeit normal. Faradische Muskelerregbarkeit gesteigert mit Nach¬ 
dauerzuckung. Galvanische Muskelerregbarkeit ebenfalls gesteigert (leicht ein¬ 
tretender Tetanus). Sensibilität normal. Verf. hebt hervor, dass hei der Schwester, 
welche ebenfalls an Thomsen’scher Krankheit leidet, das Fehlen der Patellar- 
reflexe zu constatiren war. Zum Sohluss befasst Bich Verf. eingehend mit der 
Pathogenese der Krankheit. Edward Flatau (Warschau). 

40) Beiträge zur Thomsen’sohen Krankheit, von Dr. Julius Mahler. (Wiener 

klin. Wochenschr. 1900. Nr. 52.) 

Der 24jähr., hereditär nicht belastete Pat. liess zwei Symptomenreihen er¬ 
kennen: Bei nach längerer Buhe energisch ausgeführten Bewegungen trat eine 
hochgradige Härte und Spannung der betheiligten Muskeln ein. Die Contraction 
derselben dauerte nach Aufhören der Innervation noch mehrere Secunden nach. 
Bei Fortsetzung der Bewegungen schwand der Spasmus allmählich. Zur Auslösung 
des Krampfes war aber immer eine energische Bewegung erforderlich. Kräftige 
Musculatur mit relativ geringer motorischer Kraft. Die Störung erstreokte sich 
auf Bumpf-, Extremitäten-, Kaumusculatur und Zunge; Schlund-, mimische und 
Augenmuskeln Bowie Sprache frei. Charakteristische elektrische Beaction nach 
Erb. Soweit ist der Fall ein typischer Thomsen. Aber es fand sich noch ein 
anderes Symptom: Bei einfachen und combinirten Bewegungen nach längerer Buhe 
macht sich deutliche Schwäche der betreffenden Muskeln bemerkbar, die erst nach 
und nach bei fortgesetzter Bewegung schwindet. Eine Abhängigkeit der Schwäche 
von Temperatureinflüssen bestand nicht. 

Der Thomsen’sche Erscheinungscomplex trat immer bei kräftiger, der letzt¬ 
genannte bei mässiger Innervation auf. Verf. reiht die Störung den Paramyotonieen 
an und hält sie wie die Myotonie für ein spinales Leiden. Eine Stoffwechsel¬ 
störung, wie sie von einigen Autoren bei Myotonie angegeben wurde, war nicht 
vorhanden. J. Sorgo (Wien). 


41) La maladie de Thomsen, par M. Bauer. (Progrta medical. 1902. Nr. 28.) 

Unter Vorstellung eines 26jährigen Kellners, welcher das typische Bild der 
Thomsen’schen Krankheit (mit myotonischer Beaction) bietet, bespricht Verl 
Aetiologie, Symptomatologie, pathologische Anatomie und Therapie dieser Krank¬ 
heit. In dem Falle des Verf.’s war hereditäre Belastung nicht vorhanden, nur 
war der Vater starker Trinker; eine ähnliche Krankheit war in der Familie nicht 
nachweisbar. Buhe verminderte die Myotonie; Aufregungen, Anstrengungen und 
Feuchtigkeit vermehrten sie. Pat. zeigte keine psychischen Störungen. 

Verf. lasst die ThomBen’sche Krankheit als Folge einer Störung der 
chemischen Constitution der betreffenden Muskeln auf; diese Störung würde ge¬ 
wisse Aenderungen in der Elasticität der Muskelfasern nach sich ziehen und die 
Myotonie erzeugen. 

Buhe, Bettwärme, Jod, Vichy-Wasser, Massage, Elektricität (hochgespannte 
Ströme) kommen in therapeutischer Hinsicht in Betracht. Kurt Mendel. 


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Psychiatrie. 

42) Prognosi delle psioonenrosi e dolle parafrenie oon p re Talente alte- 

ratione del tono emotlTO, pel Prof. Luigi Roncoroni. (Archivio di 

psichiatria. XXII. 1901.) 

Yerf. geht von einer Kritik des „manisch-depressiven Irreseins“ (Kräpelin) 
aus und versucht durch ein anderes Schema der Seelenstörungen mit vor¬ 
wiegender Stimmungsveränderung den prognostischen und klinischen 
Schwierigkeiten zu begegnen. Er unterscheidet zwei Hauptgruppen, Parapsychosen 
und Psyohopathieen. 

A. Die parapBychotische Entwickelungsstörung tendirt nicht zu 
tiefer Demenz; die Vorstellungen bleiben (von transitorischen Incohärenzen in 
Abhängigkeit von Aufregungszuständen abgesehen) coordinirt. Erbliche Belastung 
ist das wesentliche ätiologische Moment. Vor Beginn und nach Ablauf der 
Seelenstörung bestehen (ähnlich wie beim werdenden Paranoiker) psychische Ab¬ 
weichungen (gesteigerter Egoismus, stumpfe Affectivität, Anomalie des Gefühls¬ 
tonus, die moralischen Gefühle). Unterformen: 

1. Paramelancholie. 

2. Paramanie. 

3. Circuläre, periodische und alternirende Seelenstörungen mit 
oder ohne Wahnbildung. Prognose des Anfalles günstig (hinsichtlich completer 
und dauernder Heilung, systematischer Wahnbildung ungünstig). — Unterform: 
Verwirrtheit. 

4. Affectives Irresein; Stimmungswechsel sehr vorwiegend, Prognose 
absolut infaust. — Manische und melancholische Varietät (v. Krafft-Ebing). 
Moralische Hypochondrie (Fairet). Die melancholische Form ist durch einen 
grossen Mangel von Affectivität und moralischer Gefühle bei permanenter tiefer 
Veränderung des emotiven Tons gekennzeichnet. 

B. Die Psy choneurosen mit vorwiegender Stimmungsanomalie und Hemmung 
der höheren ideoemotiven Associationen: 

1. Sensorische Psyohopathieen; das dominirende Phänomen besteht in 
begrenzter krankhafter Erregung der sensorischen Sphäre. 

2. Manie; ausgebreitete Erregung der ganzen (ausgenommen die höchste) 
ideoemotiven und psychomotorischen Sphäre. 

3. Mel ancholie; Verlangsamung, zeitweiliger Stillstand der ideoemotiven 
Proces8& — Aetiologie dieser seltenen Gruppe: schwere somatische und psychische 
Schädigungen. Prognose absolut gut. 

4. Amenz und Varietäten (Chaston, DelGreco, Morselli u. A.); 
Aetiologie: schwere somatische Schädigungen, erbliche Belastung weniger von Be¬ 
deutung. Prognose der asthenischen Formen günstig. 

6 . Demenz (mit Verwirrtheit und Varietäten); neben Formen mit zeitweiliger 
Hemmung einiger Associationsprocesse (Remissionen!) Formen mit dauernder 
Unterbrechung anderer (definitiver und progressiver Verfall) und Mischformen. 
Automatisch-kinetische Secundärphänomene. Prognose je nach Vorliegen von 
Hemmung gut; Ausfall schlecht, im Uebrigen nach Verhältniss der Mischung. 
Aetiologie: erbliche Belastung und innere (Evolutions-)Ursachen (Pubertät, Senium, 
Gravidität^ Puerperium). — Unterformen: Depressive und agitirte primäre Demenz. 

Schmidt (Freiburg i/Schl.). 

48) Bericht über die Wirksamkeit der psychiatrischen Universitätsklinik 

in Tübingen, von Prof. Dr. E. Siemerling. (Tübingen, 1901.) 

Die am 1. November 1893 eröffnet« Klinik erfreut sich ausserordentlich er- 


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leichterter Aufnahmebeetimmungen, die sich in jeder Richtung bewährt heben. 
Sie hat das unbedingte Recht, Aufnahmen abzulehnen oder zu bewilligen. Dem¬ 
entsprechend können auch die Entlassungen ohne weitere Formalitäten vor sieh 
gehen. Wenn von ärztlicher Seite Bedenken Vorlagen, so wurde von den An¬ 
gehörigen die Unterschrift eines Reverses verlangt. Besonders aasgedehnter 
Gebrauch wurde gemacht von den frühzeitigen Entlassungen bei beginnender 
Reconvalescenz. Die Evacuation durch Ueberführung in Pflegeanstalten liess zu 
wünschen; es traten oft Zeiten ein, wo sich die UeberfÜllung der Klinik in un¬ 
angenehmer Weise störend geltend machte. 

Ueber das Krankenmaterial in derZeit von der Eröffnung bis zum 31 ./XII1900, 
1270 Männer und 1238 Frauen, geben 15 Tabellen Auskunft Auffällig ist das 
Ueberwiegen der sogenannten functionellen Psychosen, insbesondere der depressiven 
Form der Seelenstorung unter dem Bilde der Melancholie, namentlich im Ver¬ 
gleich mit der Irrenabtheilung der Berliner CharitA Dagegen traten Paralytiker 
sehr zurück, während die Zahl der Alkoholiker ungefähr dem Procentsatz in der 
preussischen Statistik gleichsteht 

Von besonderem Interesse ist die Entstehungsgeschichte der Klinik, welche 
bis auf das Jahr 1817 zurückgeht Wie dringend und wohlbegründet hat 
Griesinger schon 1846 dafür gewirkt, dem mit jedem Semester fühlbar werden¬ 
den Mangel einer psychiatrischen Klinik schleunigst abzuhelfen! Und erst 1890 
konnte mit dem Bau begonnen werden. EL Beyer (Littenweiler). 


44) Ueber Spiritismus und Geistesstörung, von R. Henneberg. (Archiv 

£ Psych. XXXIV.) 

An der Hand von acht, zum Theil ausführlich wiedergegebenen Kranken¬ 
geschichten eigener Beobachtung bespricht VerfL die verschiedenen Beziehungen 
und Berührungspunkte zwischen Geistesstörungen und Spiritismus. Voran geht 
eine Auseinandersetzung über die spiritistischen Phänomene und Proceduren, soweit 
sie für den vulgären Spiritismus charakteristisch sind, besonders das Tischklopfen 
und -RückeD, das automatische Schreiben (Psychographiren), die ekstatischen und 
Traumzustände. Bezüglich des erst eren weist Verf. auf die Untersuchungen von 
A. Lehmann hin und betont die wichtige Rolle, die schon bei diesen einfachen 
Manipulationen die Erregung und Erwartung der Betheiligten und die Bestürzung 
über unerwartete oder schreckenerregende Nachrichten spielen kann. Das auto¬ 
matische Schreiben kann auf verschiedene Weise zu Stande kommen: einmal ist 
es in manchen Fällen direct auf hallucinatorische Vorgänge zurückzuführen, und 
zwar bei Personen, die bereits an einer tiefergreifenden psychischen Störung leiden; 
zweitens kann es geschehen in einem Zustande mehr oder weniger ausgesprochener 
Autohypnose; die Angabe, die Betreffenden wüssten nicht, was sie schrieben und 
erhielten erst durch nachträgliches Lesen davon Kenntniss, ist in solchen Fällen 
ohne Weiteres glaubhaft Drittens wird oft durch den Wunsch und die feste 
Vorstellung, beeinflusst zu werden und die damit verbundene Erregung die Auto¬ 
suggestion Platz greifen, das Geschriebene sei nicht das geistige Eigenthum dee 
Schreibers; auch wird die Thätigkeit und Uebungsfähigkeit der Functionen des 
Unterbewusstseins häufig unterschätzt. Die Neigung zu Autohypnosen, die u. A. 
durch das Psychographiren direct das Delirium des Besessenseins auslöst, tritt in 
besonders hohem Maasse in den sogenannten Trancezuständen zu Tage und wird 
dabei geradezu gepflegt. Dass das häufige Verfallen in solche Zustände eine 
Gefährdung der geistigen Gesundheit und eine Disposition zu peychisoher Er¬ 
krankung mit sich führt, kann keinem Zweifel unterliegen; auf Grund eines 
Ministerialerlasses ist deshalb auch die öffentliche Vorführung Hypnotüdrtar ver¬ 
boten worden und es ist nicht rinzusehen, weshalb dieses Verbot nicht auch auf 


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die gleiohwerthigen Vorstellungen von Tranoerodnern in Spiritistenversammlungea 
ausgedehnt wird. Häufig werden sich diese autohypnoti sehen Zustände schwer 
vc« hysterischen Anfallszuständen trennen lassen, und die Fälle sind nicht selten, 
wo diese in ausgeprägter Form im Anschluss an spiritistische Sitzungen auf¬ 
traten. Weil andererseits neuropathische, zur Hysterie disponirte Personen sich 
nicht selten von Spiritismus besonders angezogen fühlen und sich den damit ver¬ 
bundenen Schädlichkeiten in besonderem Maasse aussetzen, werden bei ihnen ver- 
hältnissmässig häufig wirkliche Geisteskrankheiten durch den Spiritismus ausgelöst 
werden. Trotzdem geht es nicht an, jeden Spiritisten, der, geisteskrank wird, 
als ein Opfer dieser Lehre zu bezeichnen, und Verf. verwahrt sich dagegen ebenso 
wie gegen die von einer Reihe anderer Autoren aufgestellte Behauptung, dass 
jeder, der überhaupt an das spiritistische Dogma glaubt, schon deshalb als geistig 
minderwerthig zu bezeichnen ist. — In sechs von den mitgetheilten Fällen steht 
die Entwickelung der Psychose, die meist einen hysterisch-deliriösen, einmal einen 
anscheinend unheilbaren paranoischen Charakter trägt, in directem Zusammenhänge 
mit der Beschäftigung und Pflege spiritistischer Experimente; auch im Inhalt der 
Hallucinationen und Wahnideen spielten diese Vorstellungen die führende Rolle. 
Bei etwa der Hälfte der Fälle bestand eine neuropathische Disposition; einmal 
betraf die Psychose einen erblich belasteten Potator und Vagabunden, bei dem 
augenscheinlich manche aus dem Delirium tremens übernommene Halluoinationen 
in spiritistischem Sinne wahnhaft und zugleich schwachsinnig verarbeitet wurden, 
ein andermal war die Beschäftigung mit dem Spiritismus das Anfangssymptom 
einer Paralyse oder eines senilen Schwächezustandes. Jedenfalls ist es Sache des 
Arztes, nervöse oder irgendwie psychisch-labile Personen vor der Beschäftigung 
mit spiritistischen Experimenten zu warnen. H. Haenel (Dresden). 


46) Zur Frage naoh der Bedeutung der Remissionen im Verlaufe einzelner 

Formen von aouten Psychosen, von Fuchs. (Jahrb. f. Psych. u. Neurol. 
XXII. S. 390.) 

Sich stützend auf 60 Fälle von Erschöpfungsirresein glaubt Verf. den all¬ 
bekannten Remissionen im Verlaufe dieser acuten Psyohosen eine prognostische 
Bedeutung vindiciren zu können und zwar zeige sich als „Wahrscheinlichkeits- 
ergebnira“ u. a. Folgendes: Remittirend verlaufende Fälle sind quoad sanationem 
wahrscheinlich, quoad durationem höchst wahrscheinlich, als schwerer zu beurtheilen 
als solche, deren Continuität nicht unterbrochen ist. 

Ref. kann dem Verf. nur vollkommen zustimmen zu der durch den wieder¬ 
holten Ausdruck „wahrscheinlich“ bewiesenen Vorsicht und Reserve in der Fassung 
seiner Schlussfolgerungen. Die Beobachtungszeit ist bei den allermeisten Fällen 
des Verl viel zu kurz, um von ungeheilten Fällen sprechen zu können (Verf. macht 
übrigens selbst auf diesen Umstand aufmerksam); in noch höherem Grade gilt 
di es Bedenken betreffs der geheilten Fälle. Aber auch bezüglich der Dauer er¬ 
lauben derartige Beobachtungen, wie die des Verf., keinerlei Sohlüsse, bei Psychosen, 
deren Verlauf sich auf mehrere Monate zu erstrecken pflegt! Die 60 Fälle sind 
nur in Tabellen zusammengestellt; irgend welche Krankheitsgeschichten sind nicht 
mitgetheilt, was gerade, wenn es sich um die Prognose acuter Psychosen handelt, 
doch unerlässlich erscheint 

Zum Schluss möchte sich Ref. noch folgende Bemerkungen erlauben: 

Verf. hat Unrecht, wenn er „dem Vorgänge Kräpelin’s“ zu entsprechen 
glaubte, indem er die willkürliche Eintheilung in Puerperalpsyohosen, acuten 
Wahnsinn und postinfectiöse Verwirrtheit vornimmt In dem von Verf. citirten 
Lehrbuche Kräpelin’s (1899) sind vielmehr richtig die Erschöpfungspeychosen 
eingetheilt in das Collapedelirium, Amentia (Meynert’s) und die chronische 


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nervöse Erschöpfung. Verf. hat ferner auch den Eef. citirt, dass nämlich — 
„Vortr. in der von ihm als , periodische Amentia* bezeichneten periodischen 
Psychose — im Prodromalstadium eigentümliche, trügerische Remissionen be* 
obachtet hat“. In meinem Buche sagte ich nun das gerade Gegentheil (S. 116). 
Der Beginn des einzelnen Anfalles ist meist ein acuter, ein länger dauerndes 
Stadium prodromorum mit den eigenthümliohen so trügerischen Remissionen fehlt 
bei der periodischen Amentia. Pilcz (Wien). 


46) Ueber Entstehung der Katatonie, von Pisujatschewki. (Oboerenije 

psichiatrii. 1900. Nr. 9 u. 10.) 

Eine Bcharfe Kritik der Tschiischen’schen Theorie der Katatonie, nach der 
be kann tlich die Katatonie eine selbständige, durch geschlechtliche Enthaltsamkeit 
hervorgerufene Intoxicationspsychose erblich nicht belasteter Individuen ist. 
Verf. hält diese Genese der Katatonie filr nicht bewiesen, auch ist es seiner An¬ 
sicht nach nicht richtig, solche nicht genügend bewiesene ätiologische Momente 
einer Classification zu Grunde zu legen. Auf Grund theoretischer Erwägungen 
und eigener Beobachtungen, von denen er vier Krankheitsgeschichten ausführlich 
mittheilt, kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Katatonie ist eine vollständige typische Krankheitsform und gehört 
zu den degenerativen Psychosen. 

2. Die Katatonie lällt meist in die 20 er Jahre, jedoch giebt es Fälle, wo 
die Krankheit früher oder später beginnt. 

3. Die Katatonie ist unheilbar, doch kommen in ihrem Verlaufe bedeutende 
zeitweilige Besserungen vor. 

4. Die Symptome der Katatonie sind meist ungleichmässig ausgeprägt: 
bald die einen, bald die anderen stärker ausgebildet 

5. Herabsetzung des Schmerzgefühles ist ein ebenso beständiges Symptom 
der Katatonie wie Erhöhung des Muskeltonus. 

6 . Im Laufe der Katatonie entwickelt sich ein mehr oder weniger stark 

progressirender Schwachsinn aus. Wilh. Stieda. 


47) Zur Paranoiafrage, von Tiling. (Psychiatrische Wochenschrift 1902. 

Nr. 43 u. 44.) 

Unter Hinweis auf das normale Seelenleben betont Verf die Bedeutung der 
Gefühle, bei denen er eine continuirliche (individuelle Charakteranlage) und eine 
episodische (affecte) Wirksamkeit unterscheidet Gefühle sind das Grundlegende, 
das Primäre, sowohl in der Entwickelung des Individuums wie im späteren Leben. 
Gebilde und Vorstellungen sind unzertrennbar, innig miteinander verbunden, wenn 
auch ihr wahrer Zusammenhang oft dunkel bleibt 

Bei der beginnenden Paranoia wirken die Gefühle wegen ihrer leichten Er¬ 
regbarkeit, Nachhaltigkeit und Einseitigkeit so bedenklich, wie er des genaueren 
auseinandersetzt Im gleichen Sinne wirkt die Phantasie. 

Die krankhaften Vorstellungen persistiren, werden durch Uebung und Ge¬ 
wöhnung uncorrigirhar. Die Wahnideeen, deren Genese dem Kranken längst 
entfallen ist, werden ihm zu Erfahrungsthatsachen. Eine Mitwirkung der Gefühle 
wie vordem findet dann nicht mehr statt, wie denn überhaupt das Gemüth des 
Paranoikers erkaltet. 

Wenn auoh bei der sich entwickelnden Paranoia die Gefühlssphäre vor allem 
ergriffen ist, so ist doch die ganze Persönlichkeit als erkrankt ansusehen. Das 
ist vor allem maassgebend für die forensische Beurtheilung. 

Ernst Schnitze (Andernach). 


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777 


HL Aus den Gesellschaften. 

Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau. 

Sitzung vom 15. Januar 1902. 

Discusaion zu dem Vortrage des Herrn Preobrashensky: 

Herr W. Murawieff findet, dass die vom Vortr. gegebene Erklärung für 
die Entstehung der Alexie in seinen Fällen mit den allgemein angenommenen 
anatomischen und klinischen Anschauungen nicht übereinstimmt Er stellt die 
Frage, ob nicht in diesen Fällen etwas einfacheres vorliegt, z. B. eine Störung 
des oculomotorischen Apparates. 

Herr W. Muratoff hebt hervor, dass die anatomischen Erklärungen des 
Vortr. auf nicht genügend festgestellten Daten aufgebaut sind. 

Herr W. Weidenhammer glaubt, dass in diesen Fällen das Vorhandensein 
einer AfFection beider Hemisphären in Form eines disseminirten Leidens, hervor¬ 
gerufen durch Gefässveränderungen, möglich ist. 

Herr W. Serbskiy sieht bei dem zweiten Pat. unzweifelhafte Symptome von 
Dementia, welche auf einen diffusen Charakter des Krankheitsprocessee hinweisen, 
woher ihm die Anschauung des Vortr., die Amnesie als Herdsymptom zu be¬ 
trachten, nicht verständlich ist. An der Discussion betheiligten sich noch die 
Herren G. Pribytkoff und W. Worobjeff. 

Herr S. Suchanoff: Das endooellulare Nota Golgi’s ln den Nerven¬ 
zellen des Büokenmarkes. Die Methode von Golgi-Veratti giebt die Mög¬ 
lichkeit, in den Zellen des Rückenmarks das Vorhandensein eines eigenartigen 
intracellularen Netzes zu entdecken. Stückchen des Rückenmarkes werden in der 
Flüssigkeit Veratti’s (2 Theile einer 5% Lösung von bichromsaurem Kali, 
2 Theile einer 0,1 °/ 0 Lösung von Kali-Chlor-Platinat, 1—l 1 /,—2 Theile einer 
1 °/ 0 Osmiumsäure) fixirt. Am besten sind bis jetzt Präparate von jungen (3—5 
Monate) Meerschweinchen gelungen. Vor der Fixirung wurde das Rückenmark 
der Länge nach in einen vorderen und einen hinteren Theil zerschnitten. Am 
besten geriethen die Präparate, wenn die Rüokenmarkstückchen 20—30 Tage in 
der Flüssigkeit Veratti’s blieben. Darauf wurden die Stückohen in eine Mischung 
von Chromsalzen (3 Theile einer 5°/ 0 Lösung von bichromsaurem Kali) und 
Kupfersalzen (ein Theil einer 5°/ 0 Lösung von schwefelsaurem oder eBsigsaurem 
Kupfer) auf 2—2 1 / a —3 Tage gelegt und von hier wiederum auf ungefähr 2 Tage 
in eine 1 °/ 0 Lapislösung. Aus den auf diese Weise bearbeiteten Stückchen wurden 
Längensohnitte gemacht. Dieses endocellulare Netz erhält man bedeutend häufiger 
und leichter in den Zellen der spinalen Ganglien, als in den Zellen des Rücken¬ 
marks. Das Aussehen des intracellularen Netzes Golgi’s, welches sich in den 
spinalen Zellen befindet, ist sehr verschiedenartig; in den grossen motorischen 
Zellen hat dieses Netz einen complicirteren und vollkommeneren Bau; dasselbe 
besteht aus dickeren oder dünneren Fäden mit unebenen Contouren, welohe den 
Zellkörper in verschiedenen Richtungen schneiden; diese Fäden bilden Maschen 
und weisen oft Verdickungen auf. Die Maschen, die zuweilen in einer Richtung 
etwas lang gezogen sind, liegen ihrer Länge nach parallel dem Zellenrande, 
an der Basis der Dendriten oder aber in ihnen selbst parallel der Längen- 
axe derselben. Das endocellulare Netz bildet Nebenzweige, die in die Dendriten 
gehen; zuweilen gelingt es einen solchen Dendrit auf einer verhältnissmässig be¬ 
deutenden Strecke zu verfolgen. Nicht selten sieht man, dass in den Dendrit 
mehrere soloher Nebenzweige eindringen. Zuweilen aber hat das Netz das Aus¬ 
sehen eines verwickelten Knäulchens. Das besagte Netz ist unzweifelhaft ein 
endocellulares; dasselbe gebt nicht bis an die Peripherie der Zelle; doch, da kein 
pericellularer Raum vorhanden ist, so treten die Contouren der Zelle nioht deut- 


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778 


lieh hervor. Ist jedoch ein pericellularer Raum da, so erhält man das endooellulare 
Netz gar nicht. In der Umgebung des Kernes lichtet sich das Netz; zum Kern 
steht es, wie es scheint, nicht in Beziehung; sein Aussehen hängt von der Form 
der Zelle ab; so behält z. B. das Netz in den spinalen spindelförmigen Zellen im 
Allgemeinen das spindelförmige Aussehen, in den rundlichen Zellen — ein dem 
entsprechendes u. s. w. In den kleinen spinalen Zellen ist das Netz zuweilen so 
einfach, dass von einem Netz eigentlich nicht geredet werden kann. In einigen 
kleinen spindelförmigen Zellen gelang es, die in die Dendriten eindringenden 
Nebenzweige des endocellularen Netzes auf einer mehr oder weniger bedeu¬ 
tenden Strecke zu verfolgen; dabei konnte man sehen, wie der Abgang dieser in 
einem Dendrit gelegenen Nebenzweige vor sich geht, wenn sich letzterer in zwei 
feinere Fortsätze theilt. Auf einem der Präparate konnte man beobachten, wie 
im Dendrit einer kleinen spindelförmigen Zelle zwei Fortsätze von dem endo¬ 
cellularen Netz parallel verlaufen, sich stellenweise mit einander vereinigen und 
dann an der Stelle auseinandergehen, wo offenbar die Theilung des Dendriten 
vor sich geht. Hinsichtlich der Bedeutung dieses Netzes spricht sich der Vortr. 
sowohl hier als auch in den früheren Arbeiten in dieser Frage dahin aus, dass 
dieses Netz in keiner Beziehung zu den eigentlichen Leitungsbahnen der Nerven¬ 
zelle steht. Es stellt ein noch unbekanntes System dar, welches in der Nerven¬ 
zelle eingelagert ist und in ihre Dendriten eindringt; über die Bedeutung dieses 
Netzes lässt sich jetzt noch nichts Bestimmtes sagen. (Autoreferat.) 

An den Vortr. wurden einige Fragen von Herrn L. Minor und Herrn 
W. Murawieff gerichtet. 


TV. Neurologisohe und psychiatrische Litteratur 

vom 1. Mal bis 30. Juni 1902. 


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V. Vermischtes. 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad 
vom 2L—27. September 1902. 

19. Abtheilung: Neurologie und Psychiatrie. 

Einführende: Dr. Gans (Karlsbad), Prof. Dr. Arnold Pick (Prag). 

Schriftführer: Dr. Förster (Karlsbad), Dr. Margulids (Prag]. 

Vorträge: 

1. Anton (Graz): Ueber Degenerationen im Grosshirne. — 2. Brosius (Sayn): Psy¬ 
chosen der Juden. — 8. Eulenburg (Berlin): Ueber einige neuere elektro-therapeutiecbe 
Methoden. — 4. Freud (Wien): Thema Vorbehalten. — 5. Hartmann (Gras): Thema Vor¬ 
behalten. — 6. Hirschl (Wien): Geographische Verbreitung der Paralyse. — 7. Kalmus 
(Prag): Skizze des derzeitigen Standes der Irrenpflege in Böhmen. — 8. Kohnstamm 
(Königstein i/T.): Der Begriff der coordinatorischen und der motorischen Zelle. — 9. Löwen¬ 
thal (Braunschweig): Die objectiven Symptome der Neurasthenie. — 10. Marburg (Wien): 
Zur Pathologie der grossen Hirn ge fasse. — 11. Marin esco (Bukarest): Untersuchungen 
über spinale Localisation. — 12. Meschede (Königsberg): Thema Vorbehalten. — 18. Münzer 
(Prag): Zur Lehre vom Neuron. — 14. Neisser (Lublinitz): Thema Vorbehalten. — 15. Ober¬ 
steiner (Wien): Thema Vorbehalten. — 16. A. Pick (Prag): Zur patholograben Histologie 
des Gehirns. — 17. Friedel Pick (Prag): Ueber klinische Temperatursinnsprüfong. — 

18. Pilcz (Wien): Ueber Ergebnisse elektrischer Untersuchungen an Geisteskranken. — 

19. Probst (Wien): Zur Klinik und pathologischen Anatomie eines eigenartigen VerbiÖdungs- 
processes im Kindesalter. — 20. Rai mann (Wien): Demonstration mikroskopischer Präparate 
und Bericht über einen Fall von Polioencephalitis. — 21. Rothmann (Berlin): Ueber die 
Ergebnisse der experimentellen Ausschaltung der motorischen Function und ihre Bedeutung 
für die Pathologie. — 22. Sternberg (Wien): Zur Physiologie des menschlichen Central- 
nerven Systems nach Studien an Hemicephalen. — 23. Stransky (Wien): Ueber disoontinuir- 
liche Zerfallsprocesse am peripherischen Nerven. — 24. Sträussler (Prag): Ueber Folge¬ 
zustände fötaler Hydrocephalie. — 25. v. Wagner (Wien): Neurologisch-psychiatrische Mit- 
theilnngen. — 26. Wiener (Prag) zugleich für Münzer (Prag): Das Zwischen- und M ittd b ini 
des Kaninchens. 

Die Abtheilnng ladet ein: 
die Abtheilnng 12 (Anatomie und Physiologie) zu: 

Stransky (Wien): Ueber discontinuirlicbe Zerfallsprocesse am peripherischen Nerven. 
— Münzer (Prag): Zur Lehre vom Neuron. — Sternberg (Wien): Zur Physiologie des 
menschlichen CentralnervensjBtems nach 8tndien an Hemicephalen. 



Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 


Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel» 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 


Verlag von Vsit & Comp, in Leipzig. — Druck von Maxien & Wittib in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einnndiwaiudgster " Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis dee Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten dee Deutschen Beichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 1. September. N r. 17. 


I. Origfnalmlttheilungen. 1. Ueber das Erstsymptom und die Bedeutung der Achilles' 
sehnenreflexe bei Tabes, ron S. fieldflsm in Warschau. 2. Zur Casuistik der Epilepsia luetica, 
Ton Dr. J. A. Feinberg in Kowno (Russland). 3. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie, 
ron Dr. Hubert Schnitzer. 4. Ueoer subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpte. Ein 
Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Bemerkungen über den Verlauf der centralen 
Haubenbahn, ron Josef Sorge. (Schluss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zum normalen und pathologischen Baue des 
menschlichen Rückenmarks, von Helllch. 2. Einführung in die physikalische Anatomie. I. 
und II. Theil. Von Triepel. — Experimentelle Physiologie. 3. On the Stimulation 
and paralysis of nerve-cells and of nerve endings, by Langley. 4. Section intracranienne du 
nerf optdque chez le lapin (Präsentation d’animaux opäräs), par Marenghl. 6 . Geschmack und 
Chemismus, von 8ternberg. 6. Contributo clinico alla conoscenza dell' innervazione gustatoria. 
Nota del Fasela. — Pathologische Anatomie. 7. Lee effets de la träpanation faite 
sur les jeunes animaux, par Demeor. — Pathologie des Nervensystems. 8. Neuro- 
pathologische Beobachtungen, von Bernhardt. 9. Les oonvulsions chez l’enfant. 1. Etiologie, 
Symptomatologie et diagnostic, par d’Espine. II. Pathogänie, pronostic et traitement, par 
Moussons. 111. Discussion. 10. Hemianopsie bei Eklampsie, von Knapp. 11. A oase of 
eclampsia at the sixth month. Sucoessful labour at full time, by Dewar. 12. Notes of six 
cases of puerperal eclampsia treated by saline infusions, by Jardine. 18. Ueber einen Fall 
von totaler retrograder Amnesie, von Binswanger. 14. Die Rolle der Autointoxication in der 
Epilepsie, von Hebold und Bratz. 15. Du parasite trouve dans le sang des epileptiques, par 
Bra. 16. Nuove proprietä tossiche e terapeutiche del siero di sangue degli epilettioi e loro 
applicazioni pratiche, del Csni. 17. Contributo allo studio dell* asimmetria di pressione negli 
epilettioi nei delinquenti e nelle prostitute, pel Audenino ed Lombroso. 18. Le oscillazioni 
del rioambio matenale nell’ epilettioo, pel Alessi e Pieri. 19. Ein Fall von erhaltenem Be¬ 
wusstsein im epileptischen Anfall, von Diehl. 20. Dissociazione dei movimenti respiratorii 
toracici e del diaframma daran te l’acoesso epilettico. Osservazioni del Belmondo. 21. Report 
of two cases of epilepsy, by Krim. 22. Zur Entstehung der Epilepsie, von v. Voss. 
28. Observations of a case of convulsions by Jackson ana Singer. 24. Ueber die Epi¬ 
lepsie procursiva, von Goidbaum. 25. Ein Beitrag zur Casuistik des acuten umschriebenen 
Oedems (epileptische Insulte im Verlaufe des Hydrops hypostrophoB), von v. Rad. 26. Epi¬ 
lepsia larvata, von Tschisch. 27. Ueber Kinderepilepsie, von Wasslljew. 28. Sur la valeur 
chirurgicale de l’dpilepsie Jaoksonienne, par Chlpault. 29. Zur Frage der Trepanation bei 
corticaler Epilepsie, von Rasumowsky. 80. Theoretical and praotical consiaerations on 
the treatment of Jacksonian epilepsy by Operation, with the report of five cases, by Putnam. 
31. Ueber operative Eingriffe bei Epilepsia choreica, von v. Bechterew. 32. Reseetion des 
Halssympathicus bei Epilepsie, von Hevesi. 88 . Die Anwendung des Dormiols bei Epilep¬ 
tischen. Ein Beitrag zur Behandlung dee Status epilepticus, von Hoppe. 34. Observations 
on a case of epilepsy to determine the value oft tne Eichet and Toulouse method of treat¬ 
ment by a chlorine-poor diet, by Eason. 85. Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie, 
von Bdllnt. 86. La dieta ipoclorurata nella cura bromioa della epilessia, pel Cappelletti e 
D’Ortnea. 87. Versuche mit der Toulouse und Richet’schen Epilepsiebehandlung, von Halml 
und Bagarus. 88. Bromocoll, ein neues Brommittel in der Behandlung der Epilepsie, von 

50 


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Reich and Ehrcke. 89. Drei Fälle von vollständig geheilter Epilepsie, von Tnreewsky. 
40. Epileptiker&nstalt oder NervenheilstätteP Gatachten, erstattet dem Verein norddeotueber 
Irrenärzte, von Bratz. 41. PablieationB da progrfee mddicaL VoL XXI: Recherche« cUniqoee 
et thdrapeatiqaes sar l’dpilepeie, l’hjstdrie et l’idiotie, par Besmevilie. — Psychiatrie. 
42. Hallacination8 diurnes cnez lee enfants, par Verfely. 43. Ueber Gehirnerkrankongen mit 
Katatonie, von Anton. 

ill. Bibliographie. 1. Epilepsie, von W. R. Oowers (London). II. Auflage. Deateche 
aatorisirte Aasgabe von Dr. Max Weise (Wien). 2. Neurologia, von Kure und Minra. 


L Original mitthellungen. 


1. Ueber das Erstsymptom und die 
Bedeutung der Achillessehnenreflexe bei Tabes. 

Von S. Gold fl am in Warschau. 

Durch die Erkenntniss, dass die Sehnenrefleze — insbesondere die Knie¬ 
reflexe — bei Tabes eine frühzeitige Störung erleiden (Herabsetzung, Ungleioh- 
mässigkeit und Ermüdbarkeit bei wiederholtem Beklopfen der Patellaraehne, 
Ungleichheit, vollständiges Fehlen), haben wir gelernt, diese Erkrankung 
früher zu diagnosticiren, als es vorher möglich war. Man spricht von initialer 
Tabes, wenn die bekannte Trias — charakteristische Schmerzen, das West- 
pHAL’sche und das ABGTLL-RoBEBTSON’sche Symptom — vorhanden ist, ja der 
Verdacht auf dieses allerhäufigste Rückenmarksleiden erscheint sehr gerecht¬ 
fertigt, wenn zwei der letztgenannten Symptome (gewöhnlich die charakteristischen 
Schmerzen und das WESTPHAL’sche oder aber erstere und das AegyiJ/- 
Robeetson 'sehe Zeichen) zugegen sind. Wir abstrahiren hier von anderen 
Symptomen, so den Störungen der Blase, Potenz und cutanen Sensibilität, vom 
RoMBEBo’schen Symptom und dem Gürtelgefühl, von Augenmuskellähmungen, 
Sehstörungen (Opticusatrophie), abnormem Müdigkeitsgefühl in den Beinen, 
gastrischen Krisen, Arthropathieen u. s. w., welche nicht selten im Beginn der 
Erkrankung auftreten und einen grossen diagnostischen Werth haben; wir wollen 
uns nur an den häufigsten Typus der intitialen Tabes mit der vorerwähnten 
Trias halten. 

Es stellte sich heraus, dass Fälle von initialer Tabes in der Praxis viel¬ 
leicht öfters Vorkommen, als ausgesprochene, voll entwickelte mit Ataxie, Läh¬ 
mungen, deutlichen Sensibilitätsstörungen u. s. w. Die weitere Erfahrung hat 
gelehrt, dass dieses sogenannte initiale Stadium keineswegs ein frühzeitiges ist, 
denn meist erfahrt man vom Patienten, dass manche Symptome, insbesondere 
die charakteristischen Schmerzen, bereits seit Jahren bestehen. Es wäre daher 
interessant, zu eruiren, welches Symptom des Trias meist das allererste ist Dass 
die Kranken die Schmerzen angeben, ist natürlich, da ihnen das W estph Ai/sche 
und AßGTLL-RoBEBTSON’sche Zeichen nicht zum Bewusstsein gelangt Kommen 
aber die Patienten unter ärztliche Beobachtung, dann ist eine gewisse Zeit seit 
Beginn der Erkrankung verstrichen, und man findet bereits mehrere Symptome 


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(gewöhnlich die genannte Trias oder nur zwei von ihnen), die anscheinend 
ziemlich schnell aufeinander folgen. 

Zur Lösung der Frage, welches Symptom meist zuerst auftritt, eignen sich 
Fälle, in denen es gelingt, den Patienten seit Beginn seiner Beschwerden jahrelang 
zu beobachten und wo der Verlauf ein sehr protrahirter ist, das erste Stadium 
sich über Jahrzehnte hinausdehnt Ich verfüge über einige einschlägige Fälle, 
die darthun, dass es thatsächlioh die Schmerzen sind, welche gewöhnlich als 
allererstes Symptom auftreten. Ein solcher Fall mag hier angeführt werden: 

Patient T., 46 Jahre alt, sachte mich im Mai 1894 zum ersten Male auf. 
Vor 20 Jahren Ulcus durum. Danach Behandlung mit Ung. ein. (nur 10 Ein¬ 
reibungen, da der Arzt mit der Diagnose Lues schwankte). Bald darauf zeigten 
sich rectale Beschwerden, die zunächst mit Quecksilberpillen behandelt wurden, 
aber erst nach operativer Beseitigung von Hämorrhoidalknoten schwanden. Seit 
10 Jahren anfallsweise auftretende, sehr heftige „blitzartige“ Schmerzen in einer 
circumskripten Stelle der Beine. Die Attacke stellt sich gewöhnlich des Nachts 
ein, dauert 1 / 1 —3 Tage und kehrt in Intervallen von etwa 1—4 Wochen in 
einem anderen Bezirk wieder. In der Zwischenzeit ist Pat. ganz frei von Be¬ 
schwerden. Die Witterung soll auf das Eintreten der Schmerzparoxysmen, die 
der Kranke für „Rheumatismus“ hält, einen merklichen Einfluss haben. Salicylate 
sind angeblich von günstiger Wirkung. Pat. ist seit mehreren Jahren verheiratet 
and hat ein gesundes Kind. Seine Frau abortirte nicht. 

Trotz der genauesten Untersuchung konnte ich bei dem sehr kräftigen Pat. 
objectiv nichts Abnormes feststellen. Sehenreflexe, Pupillen, Sensibilität u. s. w. 
absolut intact. Die Schilderung der Schmerzen, das anfallsweise Auftreten in 
einer circumskripten Partie der Beine, der lancinirende Charakter, die ausser¬ 
ordentliche Heftigkeit, die periodische Wiederkehr und der Weohsel des Ortes 
war jedoch so typisch, dass ich eine Tabes stark verdächtigte, zumal Syphilis in 
der Anamnese vorlag. 

Ich sah Pat. nach 6 Jahren wieder. Die Schmerzattacken haben nicht nach¬ 
gelassen; die letzte hielt den Kranken 3 Wochen im Bett. Die jetzt vor¬ 
genommene Untersuchung ergab, dasB die Befürchtungen berechtigt waren. Pupillen 
eng, ungleich (r. < 1.), lichtstarr, reagiren aber gut bei Convergenz und Accom- 
modation. Der linke Achillessehnenreflex fehlt; die übrigen Sehnenreflexe jedoch 
erhalten. Einen Monat später konnte auch der rechte Achillessehnenreflex nicht 
mehr ausgelöst werden, und es stellten sich an den Füssen deutliche Sensibilitäts- 
sörungen ein (Verdoppelung des Gefühls beim Stechen, zuerst Berührungs-, dann 
Schmerzempfindung, Nachdauer und Summation des Schmerzes). 

Im April 1901 stellte sich Pat., der inzwischen in Trenczin eine Schmierkur 
(30 Einreibungen) durchgemacht, wieder vor. Die Schmerzparoxysmen treten noch 
häufiger und heftiger auf. Der linke Achillessehnenreflex fehlt constant, der 
rechte kann ausgelöst werden. Patell&rreflexe lebhaft. Sonstiger Zustand un¬ 
verändert. 

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass wir es hier thatsächlioh mit initialer 
Tabes zu thun haben. Der Fall ist nur insofern bemerkenswerth, als durch 
die ärztliche Beobachtung bestätigt wurde, dass die charakteristischen Schmerzen 
lange Zeit und zwar über 10 Jahre als einziges Symptom vorhanden waren, 
bevor die sogen, objectiven Zeichen (reflectorische Pupillenstarre, Fehlen des 
einen Achillessehneureflexes, cutane Sensibilitätsstörungen) die Diagnose sicherten. 
Man darf wohl mit Recht behaupten, dass die charakteristischen Schmerzen in 

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diesem Falle das allererste Symptom darstellten und den übrigen jahrelang 
vorausgingen. 

Diese und ähnliche Beobachtungen haben mich gelehrt, dass die charak¬ 
teristischen Schmerzen oft das früheste tabisehe Symptom bilden. Auch Ebb 1 
berichtet über Fälle, in denen subjeotive Beschwerden seit einer Reihe von 
Jahren bestanden haben, trotzdem wenig objective Symptome nashzuweisen waren. 
Laimbach 1 spricht sich auf Grund des reichen EBB’sohen Materials ent¬ 
schieden dafür aus, dass die lancinirenden Schmerzen in der weitausgrossen 
Mehrzahl der Fälle als allererstes Zeichen der tabischen Erkrankung aulzufassen 
sind. Ich betone aber nochmals, dass es keineswegs immer so zu sein 
braucht Obwohl die Schmerzen nicht allein zu den ersten, sondern auch 
zu den constantesten tabischen Symptomen gehören, können sie manchmal 
nur wenig ausgesprochen sein und vereinzelt auch ganz fehlen. Meist sind es 
die Schmerzen, welche den Patienten zum Arzt treiben, und sie erreichen oft 
eine solohe Höhe, dass sie die Erkrankung zu einer der qualvollsten stempeln. 
Nicht selten aber nehmen die Schmerzen auch während der ganzen Dauer der 
Krankheit eine mildere Form an; die Patienten beachten ihren „Rheumatismus 44 
nicht und geben die Schmerzen nur auf Befragen an. Allein der Typus, das 
anfallsweise Auftreten, der blitzähnliche, lanoinirende Charakter der einzelnen 
Exacerbationen an einer circumscripten Stelle, der Wechsel des Ortes während 
der nächsten Attaquen beim Bevorzugen mancher Regionen u. a. m. bleiben für 
den Arzt diagnostische Fingerzeige. In solchen Fällen könnte man von einer 
indolenten Tabes, die gewöhnlich einen längeren Verlauf hat, sprechen, zumal 
manche Patienten jedwede Schmerzempfindung entschieden leugnen und nur 
über allerlei Parästhesieen klagen. Ganz vereinzelt stehen wohl die Fälle da, 
in denen weder Schmerzen noch Parästhesieen vorhanden sind; ich habe nie 
einen derartigen gesehen. 

Die tabischen Schmerzen wurden von Duchenne, Rombebg, Leyden u. A. 
meisterhaft beschrieben; es sei nur daran erinnert, dass sie in der Regel 
nicht an einen bestimmten Nerven gebunden sind. Nur ganz vereinzelt habe 
ich sie eine Zeit lang im Verlauf des N. ischiadicus sich abspielen und eine 
Ischias Vortäuschen sehen. Bekannt ist auch die Hyperästhesie am Ort der 
Schmerzen; manchmal schwellen daselbst die oberflächlichen Venen, ja, die 
ganze Haut schwillt an und bedeckt sich mit Bläscheneruptionen, die bald nach 
der Attaque eintrocknen und schwinden. Wie sehr die tabischen Schmerzen in 
die Oekonomie des Organismus eingreifen können, beweisen die Fälle, in denen 
sich Fieber hinzugesellt Ich habe einen Fall beobachtet, in welchem die Temperatur 
beim Ausbruch besonders heftiger Schmerzen an mehreren Stellen des Körpers 
zugleich, bis auf 40° gestiegen war, andere, in denen die Schmerzen mit einer 
Temperatur von 38° einhergingen. Interessant ist das Alterniren der Schmerzen 
mit einem anderen in Paroxysmen auftretenden Symptom und zwar mit den 


1 Zar Frfibdiaguose der Tabes. Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 89. 
* Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. VII. S. 495. 


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gastrischen Krisen. Ich habe Falle gesehen, wo sich nach Ablauf einer gastrischen 
Krise regelmässig eine Schmerzattaque einstellte and umgekehrt. Nicht selten 
beeinträchtigen die Schmerzen die Ernährung des Patienten in hohem Maaase. 

Wo die Schmerzen in typischer Gestalt auftreten, sind sie vielleicht das 
charakteristischste Symptom der Tabes. Das WESTPHAL’sche Zeichen ist ja, 
ausser dieser, noch vielen anderen Erkrankungen eigen (Neuritis, Poliomye¬ 
litis u. s. w.). Die reflectorische Pupillenstarre kommt ebenfalls nicht nur bei 
Tabes, sondern auch bei Lues, progressiver Paralyse, Hirntumoren u. s. w. vor. 
Aber die Schmerzen, wie sie in typischer Weise bei Tabes auftreten, scheinen 
nur diesem Leiden anzugehören; ich wenigstens habe sie bei keinem anderen 
gesehen, weder bei Diabetes, Polyneuritis, Meningitis, noch bei funotionellen 
Neurosen, Phlebektasieen der Beine, Muskelrheumatismus u. s. w. Wo typisohe 
Schmerzen vorhanden waren, hat sich alle Mal (wenn die Beobachtung lang 
genug währte) eine Hinterstrangsklerose entpuppt, und ich nehme keinen An¬ 
stand, dieselbe auch dann stark in Verdacht zu haben, wenn die Schmerzen als 
isolirtes Symptom auftreten. 

Es lässt sich schwer sagen, wo der Ausgangspunkt der tabischen Schmerzen 
zu suchen ist und noch schwerer, wie die Paroxysmen entstehen. Wenig wahr¬ 
scheinlich ist es, dass die peripherischen Nerven daran Schuld sind. Bekanntlich 
haben Westphal, Dbjebinb, Pitbes und Vaillabd, Oppenheim und Siemeb- 
uno tl A. an den peripherischen sensiblen Nerven atrophische Veränderungen 
gefunden, allein es handelte sich meist um vorgeschrittene Fälle von Tabes mit 
deutlichen Sensibilitätsstörungen. Die tabischen Schmerzen jedoch treten in den 
allerersten Stadien der Erkrankung auf, zu einer Zeit, da die exaoteste Unter¬ 
suchung keine Sensibilitätsstörungen nachweisen lässt Ebenso wenig kann es 
sich um centrale, vom Rückenmark aus bedingte Schmerzen handeln, da die 
Hinterstränge nach den Ergebnissen der experimentellen Forschung (Schiff) 
unempfindlich sind. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass die Schmerzen 
durch Erkrankung der hinteren Wurzeln bedingt werden, die bei der Tabes 
regelmässig degeneriren und in welohe von manchen Autoren (Leyden) der 
Ausgangspunkt der Krankheit verlegt wird. Die Anfälle könnten durch den 
wechselnden Blutgehalt, durch hyperämische Zustände bedingt sein — hat doch 
tl A. E. Kbauss in den meisten Fällen an den Blutgefässen Veränderungen, die 
er zwar für secundäre hält, gefunden. Man muss noch daran erinnern, dass 
Obebsteineb und Redlich auf Verdickungen der Pia an der Durohtrittsstelle 
der hinteren Wurzeln hinweisen, die auf die letzteren einen Reiz ausüben könnten. 

Dem Verhalten der Achilleesehnenreflexe bei Tabes habe ich seit 1888 1 
die Aufmerksamkeit geschenkt Ich wies darauf hin, dass während die Knie- 
und Achillessehnenreflexe in der Regel ein gleiches Verhalten zeigen, d. h. ge¬ 
wöhnlich fehlen, man nicht selten Fällen begegnet, in denen diese Phänomene 
sich ungleich verhalten und der Achillessehnenreflex bei ausgesprochenem Knie¬ 
reflex abgeschwächt erscheint. 


1 Neurolog. CentralbL 1888. Nr. 19 u. 20. 


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Tümpowski 1 * hat dann bei Prüfung meines Materials über Tabee auf das 
Verhalten des Achillessehnenreflexes (es wurden hierzu 116 Fälle verwandt) zwei 
Gruppen aufgestellt: 

Gruppe L Fälle mit verändertem Patellarreflex bei gleichzeitigem 
beiderseitigem Fehlen des Aohillesreflexes . 97 Mal, 
einseitigem „ „ „ .6 „ 

Ungleichheit des Achillesreflexes .... 2 „ 

Abschwächung des „ .... 2 „ 

Gruppe II. Fälle mit normalen Patellarreflexen bei 

beiderseitigem Fehlen des Achillesreflexes . . 5 Mal, 

einseitigem „ „ „ . . 3 „ 

Ungleichheit des Achillesreflexes.1 „ 

Später war es Babinski *, der die diagnostische Bedeutung des Fehlens 
der Achillessehnenreflexe bei Tabes hervorgehoben und Fälle mit erhaltenem 
Knie- bei fehlendem Achillessehnenreflex beschrieben hat 

Brno 3 , der in meiner Poliklinik das Verhalten des Achillessehnenreflexee 
bei der sogen. Ischias besonders studirte, fand in verhältnissmässig kurzer Zeit 
nicht weniger als 12 Fälle (14°/ 0 der gesammten Ischiasfalle), in denen der 
Reflex auf der afficirten Seite abgeschwächt, meist sogar aufgehoben war und 
hält dieses Symptom (neben den weniger oonstanten Sensibilitätsstörungen, 
leichten Atrophieen und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit) mit Recht 
für ein sehr werthvolles diagnostisches Merkmal zur Unterscheidung der Neuritis 
ischiadica von der Neuralgie und der hysterischen Pseudoischias. Kurz vorher 
wies Babin Ski 4 * darauf hin, dass Verschwinden oder Abschwächung des Achilles- 
sehnenreflexes bei Ischias eine organische Läsion des Nerven anzunehmen und 
die wahre von der hysterischen Pseudoischias zu unterscheiden erlaubt Stebn- 
bebg hat bereits im Jahre 1893 zwei Fälle von Neuralgie des N. ischiadicus 
mit aufgehobenem Achillessehnenreflex auf der afficirten Seite beschrieben. 

In einer zweiten Arbeit aus meiner Poliklinik wies dann Brno 6 nach, dass 
der Achillessehnenreflex bei Neuritis ischiadica mit Besserung des Leidens wieder 
erscheint und sogar zur Norm zurückkehrt In demselben Aufsatz beschreibt 
er neue Fälle von Tabes mit normalen, sogar gesteigerten Knie- bei gestörten 
Achillessehnenreflexen. 

In seiner neuesten Mittheilung geht Babinski 6 so weit zu behaupten, „dass 
der Achillessehnenreflex bei Tabes in der Regel vor dem Kniereflex ergriffen 
wird oder wenigstens häufiger gestört ist, somit in diagnostischer Hinsi cht eine 
noch grössere Bedeutung besitzt.“ 

1 Deutache Zeitachr. t Nervenheilk. X. 1897. 

* Soc. möd. des höp. de Paria. Sdance du 21./X. 1897. 

* Deutache Zeitachr. f. Nervenheilk. XI. 1897. 

4 Soc. m&L dee höp. de Paria. Sdanoe de 18./XII. 1896. 

* Deutsche Zeitachr. f. Nervenheilk. XIX. 

* Extr. de la Soc. de Neurol. de Paria. Sitzung vom 2. Mai 1901. 


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Die vierjährige Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Achillessehnenreflexe 
eine ebenso regelmässige physiologische Erscheinung darstellen wie die Knie¬ 
reflexe. Die genauen statistischen Angaben von Ziehen 1 und Stbassbuboeb* 
haben das übrigens zur Genüge erwiesen. 8 In krankhaften Zuständen unter¬ 
liegen sie denselben Störungen (Abschwächung, nngleichmässiges Auftreten, Er¬ 
müdung, Ungleichheit auf beiden Seiten, totales Schwinden) wie die Kniereflexe. 
Es stellte sich auch heraus, dass die Achillessehnenrefle bei denselben patho¬ 
logischen Processen eine Störung erfahren wie die Patellarreflexe, und in den 
wenigen Fällen, in denen man für die Störung der ersteren noch keine Er¬ 
klärung finden kann, handelt es sich immer um verdächtige, in Entwickelung 
begriffene Fälle, die dann bei weiterer Beobachtung gewöhnlich erkannt werden. 
Wissen wir doch, dass auch das W ebtphal ’sche Zeichen sich vereinzelt auf 
einen bestimmten pathologischen Zustand nicht zurückführen lässt Dasselbe 
gilt vom Achillessehnenreflex, dessen Störungen demnach ein ebensolches patho¬ 
logisches Symptom darstellen und die gleiche diagnostische Bedeutung be¬ 
anspruchen. 

Wie zur Feststellung der Kniereflexe, so bedarf es manchmal zu der 
des Aohille88ehnenreflexe8 besonderer Vorsichtsmaassregeln. Die in meiner 
Poliklinik am meisten geübte Methode besteht darin, dass das (bei hori¬ 
zontaler Lage des Patienten) im Knie unter stumpfem Winkel gebeugte Bein 
im Hüftgelenk etwas abducirt, flectirt und ein wenig nach aussen rotirt wird; 
die linken Finger des auf derselben Seite stehenden Untersuchers üben auf die 
Vorderfläche der Planta pedis einen leichten Druck aus, während die rechte 
Hand mit dem Percussionshammer der Achillessehne einen kurzen Schlag ver¬ 
setzt. Wie bei den Patellarreflexen, so muss man auch hier auf die Entspannung 
der Muskeln achten und, wo nöthig, zum JENDBAssiK’schen Handgriff seine Zu¬ 
flucht nehmen. Bisweilen ist die Mitte der Sehne, manchmal aber deren Kanten 
am leichtesten zu erregen, doch soll man nie zu hoch beklopfen (etwa am 
Muskelansatz), da sonst eine Verwechselung mit der idiomusculären Erregbarkeit 
zu Stande kommen kann. 

Eine andere, insbesondere zur Demonstration der ungleichen Aohillessehnen- 
reflexe in der Poliklinik geübte Methode besteht darin, dass man den Patienten 


1 Deutsche med. Wochenachr. 1894. Nr. 88 u. 84. 

* Deutsche Zeitschr. £ Nervenheilk. XVIL 1900. 

* En. Bramwbll kommt in seiner Arbeit über die klinische Bedeutung der Abwesen¬ 
heit der AchUlessehnenreflexe (Brain, 1901. S. 654) zu etwas abweichenden Resultaten. 
Auch er hält diese Reflexe für ein regelmässiges Symptom bei Leuten unter 50 Jahren, 
meint aber, dass sie jenBeitB dieses Alters nicht immer nachweisbar sind (und zwar pro* 
portionell den späteren Jahren). Nach meiner Erfahrung ist das nicht richtig, da ich 
selbst im hohen Alter die Achillessehnenreflexe ebenso constant fand wie die Kniereflexe. 
Erat neulich wurde mir eine Ober 90jährige Frau Torgestellt, bei der die Achillessehnen¬ 
reflexe bei erhaltenen Kniereflexen angeblich fehlten, aber auch hier gelang es mit Hfllfe des 
JkndbAb8Ik’ sehen Handgriffs dieselben, wenn auch schwach, zum Vorschein zu bringen. 
Braxwkll giebt übrigens zu, dass, wenn seine Fälle nochmals zur Untersuchung kämen, 
man doch in manchen den Reflex hervorbringen würde. 


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die Bauchlage einnehmen lässt und beim im Knie extendirten Bein mit den 
linken auf die Vorderfläcke der Planta pedis aufgelegten Fingern eine leichte 
Doraalfleiion herbeiführt und die Sehne kurz anschlägt. 

Was nun das Verhalten der Achillessehnenreflexe bei Tabes betrifft, so sind 
sie bekanntlich in der Regel, ähnlich den Kniereflexen, aufgehoben. Es giebt 
indess genug Fälle, in denen das Verhalten ein verschiedenartiges ist, sei es, 
dass die Kniereflexe zugegen, die Achillessehnenreflexe aufgehoben oder — im 
Allgemeinen seltener — die letzteren vorhanden sind, während die ersteren 
fehlen. Es kommt auch nicht selten vor, dass die Achillessehnenreflexe (ebenso 
wie die des Kniees) nicht beiderseits gleichartig gestört sind; bald sind sie auf 
einer Seite stärker, bald aufgehoben, bald schwach, leicht ermüdbar und nicht 
bei jedem Beklopfen auslösbar u. s. w. Diese letzteren Modalitäten führen zum 
Versiegen der Reflexe. Ich habe Tabesfälle gesehen, wo von den Sehnenreflexen 
an den unteren Extremitäten nur ein Achillessehnenreflex fehlte. 

Aus der Thatsache, dass Störungen der Achillesreflexe bei normalen Knie¬ 
reflexen häufiger Vorkommen, als die umgekehrte Combination, darf man mit 
B abinski schliessen, dass die Achillessehnenreflexe bei Tabes öfters und ge¬ 
wöhnlich vor den Kniereflexen alterirt werden. Die Störungen der ersteren 
bieten demnach ein sehr werthvolles diagnostisches Moment und können dazu 
beitragen, die Tabes im Frühstadium, noch vor dem Auftreten des Westphal’- 
schen Zeichens, zu erkennen. 

Erwähnt sei noch, dass die Sehnenreflexe bei Tabes manchmal verhältniss- 
mässig schnell schwinden. So habe ich einen Fall beobachtet, in welchem im Ver¬ 
lauf von 4 Monaten die Knie- und Achillessehnenreflexe total und für immer 
schwanden, einen anderen, in welchem die Patellarreflexe nach 9 Monaten ungleich 
wurden und bald darauf (8 Wochen) ganz fehlten, einen dritten, in welchem die 
schwachen Kniereflexe schon nach einer Woche nicht auszulösen waren, endlich 
einen vierten, in dem die am 10./XII. noch deutlichen Kniereflexe (bei fehlenden 
Achillesreflexen) bereits am 25./XIL schwächer wurden und am 80./XIL sich 
überhaupt nicht mehr nackweisen liessen. 


2. Zur Casuistik der Epilepsia luetica. 1 

Von Dr. J. ▲. Feinberg in Kowno (Russland). 

Die Epilepsie ist keine seltene Erscheinung bei Gehirnlues. Wir begegnen 
ihr im Frühstadium, in der Mitte, im Endstadium des specifischen Gehirn¬ 
leidens. Irritative Momente für Auslösung von Krampfattaquen sind zahlreich. 
Meningeale Producte, sklerotische schwielenartige Verdickung der Gehirnhäute, 
Verwachsung mit der Gehirusubstanz; Circulationsstörungen, Compression, 
Thrombose, Obliteration der Gefässe mit consecutiven circumsoripten Gehim- 


1 Auszug aus einem ausf&hrliohen Vorträge aber Epilepsia luetica, gehalten in der 
Kownoer xnedicio. Gesellschaft im Jahre 1900. 


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erweichungen, der Prädileetioussitz der gummösen Entzündung im motorischen 
Felde oder in seiner nächsten Nähe, die Volumschwankungen des gummösen 
Tumors, pro-regressive Metamorphose derselben, gesteigerte Erregbarkeit der 
Gehirnsubstanz oder epileptische ^Veränderung derselben, die bei differentem 
Sitze der luetischen Affection, an der Basis oder anderen Gehirnbezirken zu 
Stande kommt und zu convulsiven Entladungen Anlass giebi 

Die luetische Epilepsie präsentirt sich in zwei Typen. 

1. Typus: Epilepsie ohne jegliche Cerebralstörung. 

2. Typus: Epilepsie mit Cerebralphänomenen, die sie einleiten oder ihr 
nachfolgen. 

In beiden Typen unterscheidet sich der Anfall in Nichts von dem der 
functioneilen Epilepsie. Sie macht alle bekannten Variationen derselben durch, 
kann von Aura begleitet sein, alle drei Componenten des Anfalles, oder nur eine 
Componente desselben besitzen, die Bewusstlosigkeit, petit-mal; jAOKSON’sche 
Epilepsie, bei freiem Sensorium, Trübung, Verlust desselben bei Generalisirung 
der Krämpfe, Epilepsia sensibilis, psychische Aequivalente sind nicht selten. Im 
1. Typus sind keine klinischen Merkmale einer Cerebralaffection zu constatiren. 
Im zweiten sind sie zahlreich, treten prägnant in allen unten citirten Kranken¬ 
geschichten hervor. Ausser dem specifischen Kopfschmerze, der bekanntlich 
durch Heftigkeit, Hartnäckigkeit und nächtliche Exacerbationen sich auszeichnet, 
waren die Ausfallserscheinungen flüchtiger Natur bald auftauchend, bald ver¬ 
schwindend, so Sprachstockung, kurzdauernde motorische Aphasie, optische 
Aphasie, Paraphasie, Amnesie, Hemiparesen, Hemiplegieen, Neuritis optica, 
passagere Amaurose u. s. w. Ueber die Causa efficiens der Epilepsie des 
1. Typus lassen sich nur Vermuthungen aufstellen. Circumscripte, zerstreute 
Herde, die eine gesteigerte Irritabilität des Nervensystems bedingen, Anämie, 
Cachexie, specifische Toxine sind beschuldigt worden. Fälle des I. Typus ge¬ 
langen selten zur Beobachtung. Gbob und Lanceeeaüx berichten über 14 Fälle 
von luetischer Epilepsie von langer Dauer, ohne klinische Erscheinungen einer 
Gehirnläsion. Interessant ist der von Tbotjssbau und Pedoüx citirte Fall eines 
Diplomaten, der, syphilitisch durchseucht, mehrere Jahre hinduroh an Epilepsie 
laborirte, die allen Mitteln Widerstand leistete, endlich durch eine Merourial- 
kur vollständig geheilt wurde. Noch nach 12 Jahren konnte der Bestand der 
Genesung constatirt werden. 

Folgende Krankengeschichten illustriren Fälle des 1. und 2. Typus. 

I. M. B., 44 Jahre alt, Beamter, in den letzten Jahren vom Dienste ent¬ 
lassen. Zur Hülfeleistung, am 8. Mai 1888, zu ihm geladen, fand ich ihn im 
Bette mit einer Kopfbinde, in Folge einer Verletzung, die er am verflossenen 
Tage durch einen epileptischen Anfall sich zugezogen. Pat. klagt über Schmerzen 
und Schwere im Kopfe. Nach Angabe der Frau ist es der vierte Anfall, den er 
gestern durchgemacht. Pat. soll des besten Wohlseins sich erfreut haben. Lues, 
Potus werden geleugnet. Seit vielen Jahren verheirathet, hat er vier Kinder, die 
alle ganz wohl sind. Pat. giebt zu, im Jahre 1885 eine kleine Wunde an der 
Glans gehabt zu haben, die er nicht dem unreinen Beischlafe, aber einer zu¬ 
fälligen Verletzung zugesohrieben hat. Die Glans schwoll an, die Wunde ver- 


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breitete sich und als alle häuslichen Mittel fehlschlugen, wandte er sich an einen 
Feldscher, der ihm Pulver zum Einstreuen empfohlen hat. Nach etwa 6 Wochen 
vernarbte das Geschwür — secundäre Erscheinungen will Pat nicht beobachtet 
haben. Etwa 2 Monate später aoquirirte Pat. eine schwere Halsentzündung, die 
allen Mitteln trotzte. Nach etwa 6 Wochen bekam er eine Jodmixtur und er 
genas. Vollständiges Wohlsein bis zur Periode der Entlassung vom Dienste (im Mai 
1887). An diesem Tage ging er mit einem seiner Collegen in’s Restaurant, trank 
zwei Schnäpse, machte einen Imbiss, da wurde ihm plötzlich dunkel in den Augen. 
Von dem Anfalle hatte er keine Ahnung und war sehr erstaunt, zu Hause, im 
eigenen Bette sich zu finden. Die Frau des Pat. theilte mit, dass er leblos in die 
Wohnung eingeliefert wurde und glaubte, er habe einen Rausch bekommen, fugte 
aber hinzu, er sei kein Trinker. Am 15. Juli 1887 erfolgte der zweite Anfall. 
Er ging in den Hof, stürzte leblos zu Boden und der Körper war von den hef¬ 
tigsten Convulsionen ergriffen. Auch von diesem Anfalle hatte er keine Ahnung. 
In den Intervallen vollständiges Wohlbefinden. Im Januar 1888 kam es zu 
einem dritten Anfalle. Nachts hörte die Frau ein starkes Geräusch und sie fand 
Pat. ohne Bewusstsein am Boden. Ob Krämpfe gewesen, konnte sie nicht an¬ 
geben. Der vierte, intensivste Anfall, am Tage vor meinem Besuche. Keine 
Aura, keine cerebrale Störung, Intervalle frei. Die Untersuchung ergab negatives 
Resultat. Keine Spuren vorangegangener Durchseuchung, alle Organe normal. 
Cerebrale Nerven intact, weder Sensibilitäts- noch Motilitätsstörung. 

Das vorgeschrittene Alter des Patienten, der Ausschluss aller causaien 
Momente, die eine Epilepsie bedingen, die verdächtigen Erscheinungen seitens 
der Geschlechtsorgane mit der bald darauffolgenden hartnäckigen Rachen- 
entzündung, die günstige Beeinflussung derselben durch Jodpräparate mussten 
die Vermuthung auf kommen lassen, dass wir hier eine luetische Epilepsie vor 
uns haben. Der prompte Erfolg einer specifischen Kur musste die Vermuthung 
zur Diagnose erheben. Patient wurde nach Kemmern (Schwefelbad) dirigirt 
Eine energische specifische Kur wurde eingeleitet und seit mehreren Jahren 
sind keine Anfalle vorgekommen. 

II. S. E., Techniker, 38 Jahre alt, Abusus in Venere, theilweise in Baccho. 
Mehrere Male Blenorrhoea urethrae, ein Mal Orchitis, ein Mal Bubo. Im Jahre 
1891 Ulcus, bald darauf deutliche secundäre Erscheinungen. Mangelhafte Be¬ 
handlung, Mercurialpillen, Genesung. Im Jahre 1893 heirathete er, inficirte seine 
Frau, Roseola, Plaques muqueuses an der Lippenschleimhaut wurden bei ihr con- 
statirt Eine energische specifische Kur befreite sie von ihrem Leiden. Pat 
verweigerte jede Untersuchung. Im Februar 1894 bekam er einen epileptischen 
Anfall, der nach Aussage der Umgebung (er lebte separirt von seiner Frau) einer 
genuinen Epilepsie vollständig ähnlich war. Die Untersuchung ergab härtliche 
Narbe an der Glans, Drüsenpackete in den Leisten, eine kleine Occipitaldrüse 
rechts. Keine Erscheinungen einer Cerebralläsion. Eine energische Schmiercur 
wurde empfohlen. Pat ist von hier verzogen. Zwei Jahre später erfuhr ich von 
seiner Frau, dass er im Sommer 1894 das Schwefelbad Busk besuchte und dass 
seine Anfälle nicht mehr zurückkehrten. 

Im vorliegenden Falle waren Primäraffect, secundäre Erscheinungen, 
syphilitische Residuen deutlich zu Tage getreten. Die Epilepsie war unzweifel¬ 
haft luetischer Natur, hatte aber doch grosse Aehnlichkeit mit genuiner Epilepsie, 
da weder vor noch nach dem Anfalle Zeichen irgend einer materiellen Cerebral¬ 
läsion zu finden waren. 


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III. Luetische Epilepsie des zweiten Typus. Pat. Z., hoher Beamter, 
36 Jahre alt, verheiratet, hat vier Kinder, die alle scrofulös sind. Sein Vater 
starb angeblich an einer Halsgeschwulst, Beine Mutter an Altersschwäche. Von 
sechs Geschwistern sind drei am Leben. Ein Bruder starb an Lungentuberculose, 
die Todesursache der anderen Geschwister ist ihm unbekannt. Vom 11. bis zum 
23. Lebensjahre Onanie getrieben. Im September 1886 Ulcus acquirirt, vom be¬ 
handelnden Arzte als Ulcus molle aufgefasst. Ungetrübtes Wohlsein bis zum 
1. März 1891. Er begab sich frühmorgens in’s Bureau, verspürte plötzlich auf 
dem Wege dahin eine Kopfschwere, Gedankenverwimmg, und die Unmöglichkeit, 
die gesehenen Gegenstände mit ihren Namen zu bezeichnen. Er erschrak, glaubte 
geisteskrank zu sein, lief schleunigst nach Hause, warf sich aufs Bett und schlief 
ein. Er erwachte mit freiem Sensorium, ohne Spur psychischer Störung. Im 
September 1893 unternahm er eine weite Reise, verzehrte mit grossem Appetite 
sein Abendbrod und schickte sich an, von der Umgebung Abschied zu nehmen. 
Plötzlich befiel ihn eine Sprachstörung. Er fand kein Wort zum Ausdruck seiner 
Gedanken, verwirrt, sprachlos, die Umgebung in Angst versetzend, musste er seine 
Reise aufgeben. Bewusstsein, Lesen, Schreiben intact. Der Anfall dauerte 
2 1 / 8 Stunden. Nach etwa 5 Monaten, im Februar 1894, nachdem er am ver¬ 
flossenen Tage, zu Mittag geladen, 5—6 Glas Wein getrunken, die Nacht ruhig 
schlief, Morgens sich wohl fühlte, stellten sich nachmittags Kopfschmerzen und 
Gedankenverwirrung ein. Er lief zur Apotheke, um Ol. ricin. zu holen. Statt 
russisch „Kastorowoe maslo“ bat er um Köstrow, und als er missverstanden 
war, seines Irrthums bewusst, erinnerte er sich, dass es russisch auch „Ricinus“ 
heisse, bat aber um RecenBio. Bestürzt lief er aus der Apotheke fort, stürzte 
zu Boden, wurde von einem Droschkenkutscher aufgegriffen und nach langem 
Wandern wurde er nach Hause transportirt (Erzählung der Umgebung). Nach 
24 stündigem Schlafe erwachte er mit einer Wunde am Gesichte. Bald aber war 
er wieder leistungsfähig und setzte seine Beschäftigung lort. Kopfschmerzen 
sollen in den Intervallen nie vorgekommen sein. Im Jahre 1894 consultirte Pat. 
Professor 0. in Moskau, der die vorangegangene Infection als Ulcus molle auffasste 
und die Diagnose Neurasthenia cerebri stellte. Im October 1894, nach anhaltender 
aufregender Geistesthätigkeit, 4 Uhr Nachmittags, verspürte Pat. die Vorboten, 
die den Anfall verkünden. Er ging in’s Freie, stürzte zu Boden und wurde in’s 
Bureau transportirt, wo ich Pat. zum ersten Male sah. Nach Schilderung der 
Augenzeugen waren die Krämpfe typischer, epileptischer Natur, der Bewusstseins¬ 
verlust hielt noch an. Zum zweiten Male sah ich Pat. am folgenden Tag. Lues 
wurde negirt. Eine Narbe an der Glans, Drüsenpackete in den Leisten, kleine 
Drüsen am Halse, dementirten seine Aussage. Er gestand ein, Ulcus molle ge¬ 
habt zu haben. Die Untersuchung aller Organe ergab negatives Resultat. Meine 
Diagnose lautete Epilepsia luetica. Eine specifische Cur war von glänzendem 
Erfolge gekrönt. Noch vor kurzem begegnete ich Pat. Seine Anfälle kamen 
nicht wieder. 

Epikrise. Im vorliegenden Falle war die Epilepsie manifest luetischer 
Natur. Merkwürdig ist die Abwesenheit secundärer Erscheinungen, die dem 
intelligenten Patienten nicht entgangen wären. Beobachtung verdient auch der 
Umstand, dass im Verlaufe von Jahren drohende Vorboten der epileptischen 
Attaque, wie motorische Aphasie, Paraphasie, optische Aphasie mehrmals wie 
ein Blitz aus heiterem Himmel auftauchten, verschwanden, ohne die geistige 
Sphäre zu tangiren, ohne die Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen, ohne in den 
Intervallen von irgend welchen Beschwerden belästigt zu werden. 

Auch in jAOxsoN’scher Form erscheint die luetische Epilepsie. Bekannt- 


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lieh setzen die Zuckungen in circumscripten Muskelgruppen ein, im Facialis» 
gebiete, in oberer, in unterer Extremität, von oben nach unten, oder umgekehrt 
sich verbreitend, entsprechend den im motorischen Rindenfelde localisirten Centren. 
Die Herderkrankung befindet sich in den Central Windungen oder in ihrer nächsten 
Nähe. Da die Krampfe aber nicht durch die Natur der Affection, aber durch 
ihre Localisation ausgelöst werden, so werden bei Leugnen der Infection und 
Abwesenheit specifischer Residuen diagnostische Schwierigkeiten sich erheben. 
Alle mögliche pathologische Affectionen müssen ausgeschlossen werden, Aetio- 
logie, genaue Exploration aller Organe, Krankheitsverlauf, Fernwirkungen, Asso¬ 
ciationen mit Leiden anderer Gehimtheile, werden differentiell-diagnostisch zur 
Verwerthung kommen müssen. Die Consequenzen des Traumas, functionelle 
toxische Störungen, wie Hysterie, Urämie müssen berücksichtigt werden. 

Auf fast unüberwindliche diagnostische Schwierigkeiten stossen wir bei 
Differenzirung der Epilepsie des 1. Typus von Tumor und Dementia paralytica. 
Bei kleinen Tumoren, die intracranielle Drucksteigerung nicht bedingen, werden 
manchmal epileptische Anfalle, partielle oder allgemeine, beobachtet, die Jahre lang 
dem Eintritte manifester Symptome vorangehen. Ebenso verhält es sich mit 
der Paralyse. Lässt uns die Aetiologie im Stich, so muss einstweilen die Diagnose 
in suspenso bleiben. Der Tumor wächst, nimmt an Umfang zu, intracranielle 
Drucksteigerung tritt auf und alle Zweifel sind gehoben. Die Paralyse steigert 
sich, Ausfallserscheinungen aus allen Gebieten des Seelenlebens tauchen auf, die 
Diagnose wird manifest. In allen zweifelhaften Fällen aber dürfen wir nicht 
zu lange zögern. Wir müssen eine specifische Therapie einleiten, die uns 
Klarheit verschafft 

Es folgen hier 2 Fälle jACKSON’scher Epilepsie. 

I. A. T. trat am 15. Juli 1878 in’s städtische Krankenhaus ein. 

Anamnese: 24 Jahre alt, Maitresse eines Officiers, der längere Zeit an 
seenndärer Lues laborirte und im geschlechtlichen Verkehr mit ihr verblieben. 
Nach Angabe des behandelnden Arztes sollen während der Schwangerschaft mehrere 
luetische Symptome zum Vorschein gekommen sein. Sie gebar ein totes Kin d. 
Während der Geburtsperiode brach ein rechtsseitiger unilateraler Krampf aus mit 
BewusBtseinsverlust. Naoh Beendigung der Geburt sistirten die Krämpfe für 
mehrere Tage, bald aber kamen sie wieder zum Vorscheine, wiederholten sich 
recht häufig, und hinterliessen rechtsseitige Hemiplegie. Nach etwa 2 Monaten 
war ich zur Patientin geladen worden, fand rechtsseitige Hemiplegie, zahlreiche 
secundäre Erscheinungen, Papulös muqueuses an den Lippen, eine Narbe an der 
Uvula, Drüsenanschwellungen in den Leisten und am Halse. Sie wurde auf 
meinen Rath nach dem Krankenhause transportirt. 

Stat. praes.: Kräftiger Körperbau, blasse Schleimhäute, Augenmuskeln 
normal, Pupillen reagiren auf Licht, Accommodation und Convergenz, Facialis rechts 
etwas paretisch, links normal. Alle anderen Gehirnnerven intact. Hemiplegia 
dextra, Muskeln etwas gespannt, Sehnenreflexe erhöht, TastgefÜhl an den Fingern 
herabgesetzt. Sensibilität in allen Qualitäten normal, Spraohe ungestört, Sphinoteren 
normal. 

Am 26. Juli: Rechtsseitige Krämpfe in der hemiplegischen Körperhälfte. 
Beginn von den Fusszehen, rasch auf Fuss, Unter- und Oberschenkel, obere Ex¬ 
tremität sich verbreitend, Facialis in Mitleidenschaft ziehend, dabei vollständige 
Bewusstlosigkeit. Dauer dee Anfalles 4—6 Minuten. 


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Am 27. Juli: Wiederholung des Anfalles in typischer Anordnug von den 
Zehen nach oben sich verbreitend. Bewusstsein intact. Die Insulte wiederholen 
sich alle 2—3 Tage, bei freiem, umnebeltem oder verlorenem Bewusstsein. In 
den Intervallen klagte Patientin über die verschiedensten Sensationen. Die 
Frictionen mussten mehrere Male, in Folge Stomatitis mercurialis, unterbrochen 
werden. Die Ernährung sank zusehends. Zur Cerebrallues trat Hysterie hinzu. 
Auf letztere wurde die strengste Aufmerksamkeit gerichtet. Es war aber, nach 
ihrem Eintritte in die Behandlung, kein einziges hysterisches Symptom zu ent* 
decken. 

14 Monate lang blieb sie im Krankenhause. Die Krampfe sistirten voll¬ 
ständig. Eine leichte Hemiparese blieb zurück. Ein Jahr später begegnete ich 
Patientin. Sie theilte mir mit, dass sie eine strenge specifische Cur in Petersburg 
durchgemacht und gegenwärtig vollständig hergestellt sei. 

Der vorliegende Fall gehört zur Parasyphilis. Die cerebrale AfFection ent¬ 
wickelte sich während der secundären Periode. Es brachen halbseitige Con- 
vulsionen aus, die eine brachio-crurale Monoplegie nach sich zogen. Die Facialis- 
parese war sehr geringfügig. Die Krämpfe befielen die gelähmte Körperhälfte. 
Der constante Ausgang letzterer aus den Zehen, die Verbreitung nach topo¬ 
graphischer Anordnung der motorischen ßindencentren sprachen zu Gunsten 
einer circumscripten gummösen Meningitis, die das obere Drittel der Central¬ 
windungen lädirte. 

II. Epilepsia Jacksoni luetioa. Pat. K-n, 33 Jahre alt, trat im Juli 
1888 in meine Behandlung. Nach seiner Angabe soll er des besten Wohlseins 
sich immer erfreut haben. Eltern, Geschwister am Leben, wohl erhalten. Keine 
neuropathologische Belastung, weder Scrofulose noch Tuberculose in der Familie 
zu constatiren. Im Jahre 1879 acquirirte Pat. eine Gonorrhoe mit Ulcus am 
Orificium urethrae. Er musste sein Leiden als Handlungsdiener verheimlichen. 
Die Behandlung beschränkte sich auf Fomenten, Salben u. s. w. Erst nach Monaten 
befreite er sich von seinem Leiden. Im Jahre 1885 bekam er Geschwüre im 
Bachen, die aller Behandlung trotzten. Erst nach 1 / s Jahre kamen sie zur 
Heilung. Nach etwa 4 Monaten traten Knoten, Ulcerationen in der linken Ge- 
siohtshälfte, am Halse und den Unterschenkeln. Die Halsdrüsen sollen bedeutend 
geschwollen gewesen sein. Unter Verschlimmerungen und Besserungen dauerte das 
Leiden bis zum Jahre 1887. Nach etwa 4 Monaten, April oder Mai 1887, trat 
plötzlich Amnesie auf. Letztere betraf alle jüngstvergangene Begebenheiten, ver¬ 
schwand ent nach 2 Monaten. Nach einem Intervalle von 7 Monaten befiel ihn 
auf der Strasse ein Zucken in der linken unteren Extremität. Nach mehrtägiger 
Pause Wiederholung des Anfalles, später häuften sich die Anfälle, enchienen bei 
jeder Aufregung, bei Ermüdung. Er musste seine Anstellung aufgeben. Im Hause 
seiner Eltern, ohne jegliche Thätigkeit, verfiel er in sehr gedrückte Stimmung. 
Im November 1888 bekam er plötzlich Syncope und fiel zu Boden. Ob Krämpfe 
gewesen, lässt sich nicht ermitteln. Der Bewusstseinsverlust muss von kurzer 
Dauer gewesen sein, da er nach Hause zu gehen im Stande war. Zu Hause 
angelangt, bekam er eine convulsive Attaque, die an der linken Unterextremität 
beginnend, nach oben sich verbreitete, bei vollständig freiem Sensorium. Auf¬ 
geregt schlief er ein, erwachte am folgenden Tag mit Parese beider linksseitigen 
Extremitäten. Keine Kopfschmerzen, aber Kriebeln in den paretischen Gliedern. 
Ohne das Bett zu verlassen, trat nach 3 Tagen Aphasie auf. Pat. verstand alles, 
was man mit ihm sprach, konnte aber das geeignete Wort zum Ausdrucke seiner 
Gedanken nicht finden. Ob Agraphie, Alexie gewesen, lässt sich nicht ermitteln. 


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Allmählich stellten sich die gesuchten Worte ein, und nach 6 Tagen war die 
Sprachfähigkeit vollständig hergestellt. 

Stat praes.: Kräftiger Körperbau, mässige Ernährung. Links an der 
Wange, in der Richtung des Unterkiefers, strahlenförmige Narbe, ähnliche kleinere 
in der Umgebung des linken Ohres und am Halse hinter dem Sternocleidomastoidens, 
an der linken Tibia grosse sternförmige Narbe, die dem Knochen fest adhärirt. 
Haselnussgrosse, indolente Drüsen am Halse und in der Leistengegend beiderseits, 
eine grössere Drüse in der rechten Cubitalgegend. Am Orificium urethrae eine 
durch Substanzverlust bedingte Vertiefung mit härtlicher Narbe. Alle Gehirn¬ 
nerven normal, Pupillen reagiren auf Licht, Accommodation und Convergeus. 
Facialis, Hypoglossus intact. Sprache ungestört. Intellect normal. Links 
Hemiparese beider Extremitäten, Sehnenphänomene sowohl der unteren als oberen 
Extremitäten gesteigert, leichte Muskelrigidität, Fussphänomen nicht vorhanden. 
Sensibilität, in allen Qualitäten, überall, reohts wie links, intact, stereognostischer 
Sinn links abgeschwächt. Bekannte Gegenstände, wie Messer, Schlüssel werden 
sofort erkannt, weniger im Gebrauche stehende Objecte bleiben unerkannt. 
Elektrische Erregbarkeit der paretischen Muskeln für beide Stromarten normal. 
Normal ist auch die Sphincterenfunction. Die Untersuchung aller Organe ergiebt 
normale Verhältnisse. Weder Herz- noch Lungenaffection. 

Resumiren wir die bei dem Patienten beobachteten klinischen Erscheinungen, 
so finden wir: 

1. Vorangegangene constitutionelle Syphilis, manifeste Residuen derselben. 

2. Transitorische Amnesie. 

3. Wiederholt auftretende Zuckungen in der linken unteren Extremität 

4. Leichte Parese derselben. 

5. Plötzliche Ohnmacht mit passagerem Bewustseinsverlust. 

6. Bald darauf jACKSON’sche Epilepsie bei freiem Sensorium. 

7. Am folgenden Tag Hemiparese beider linksseitigen Extremitäten. 

8. Nach drei Tagen Aphasie von 6 tägiger Dauer. 

Eine specifische Kur wurde sofort eingeleitet. Nach 40 Frictionen zu 
5,0—6,0 verlor sich die Hemiparese und Patient verliess Kowno. Ob nicht 
später ein Recidiv eingetreten ist, konnte ich nicht erfahren. 

Das klinische Bild sprach zu Gunsten einer Herderkrankung im oberen 
Drittel der Centralwindungen oder in seiner näohsten Nähe. Den Sitz der 
Affection musste man in die rechte Hemisphäre verlegen. Da die syphilitische 
Durchseuchung keine Immunität gegen andere Gehirnaffectionen schafft, bei 
Patienten ausgedehnte Narben an der Wange, am Halse, an der linken unteren 
Extremität, beträchtliche Lymphdrüsenanschwellungen constatirt worden, so 
musste die Vermuthung auftauchen, ob nicht ein isolirter Tuberkel oder tuber- 
culöse Plaques in der erwähnten Gehirnregion sich localisirt haben. Der isolirte 
Tuberkel ist ein Tumor, der intracranielle Drucksteigerung auslöst. Aber 
die Abwesenheit der Stauungspapille ist differentiell-diagnostisch nioht von 
Belang, da letztere auch bei grösseren Tumoren der Centralwindungen vermisst 
wird oder erst spät in die Erscheinung tritt Das Fehlen von Kopfschmerz, 
Benommenheit, Pulsverlangsamung könnte der Kleinheit des Tumors zugeschrieben 
werden. Die tuberoulösen Plaques, deren Prädilectionssitz in den Central- 


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Windungen bekannt ist, liefern ein ähnliches Bild. JACKSON’sche Epilepsie, 
Monoparese, Monoplegie einer oder beider Extremitäten, mit oder ohne Aphasie, 
je nach Sitz und Ausdehnung der AfTection. Bei Localisation im Paracentral¬ 
lappen setzen die Zuckungen in der unteren Extremität ein, generalisiren sich 
von unten nach oben fortschreitend, ergreifen oder versohonen das Facialisgebiet, 
wie es im vorliegenden Falle beobachtet wurde. 

Gegen die tuberculöse Natur des Gehimleidens sprachen das Fehlen jeglicher 
hereditärer Disposition zur Tuberculöse, die Abwesenheit einer Lungenaffection 
und der Verlauf der Krankheit Ohne Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen 
und andere Gehirnsymptome stellte sich nach Heilung der Geschwüre Amnesie 
ein, die nach etwa 2 Monaten spurlos versohwand. Nach einem freien Inter¬ 
valle von 7 Monaten traten Zuckungen in der linken unteren Extremität auf. 
Allmählich entwickelte sich Parese der zuckenden Extremität, später Syncope, 
JACKSON’sche Epilepsie, Hemiparese links, erst nach 3 Tagen Aphasie von 
sechstägiger Dauer. Flüchtigkeit der Gehimerscheinung, rasches Auftreten, 
rapides Verschwinden sind Attribute der Gehirnlues. Letzterem Processe ist Multi- 
plieität der specifischen Producte eigentümlich. Im Vorliegenden tritt diese 
manifest zu Tage. Die linksseitigen Krämpfe und Lähmungen deuteten auf 
Affeotion der rechten Hemisphäre und doch trat Aphasie auf. Letztere könnte 
nur durch doppelte circumscripte Herde im oberen Drittel der rechten Central¬ 
windungen und im Fusse der dritten linken Frontalwindung erklärt werden. 
Der Substanzverlust und die narbige Betraction an der Urethralmündung in 
Combination mit dem charakteristischen Krankheitsverlaufe, bei Abwesenheit 
tuberculöser Lungenaffection, und der wohlthätige Einfluss der specifischen 
Therapie musste unsere Diagnose Gehimlues vollauf bestätigen. 

Das Trauma capitis oder anderer Körpertheile, das dem Gehirne sich mit¬ 
theilt, kann nach Jahren Epilepsie auslösen. Letztere wird ihrem klinischen 
Bilde nach sowohl der fnnctionellen als auch der luetisohen Epilepsie ähnlich 
sein. Anamnese, etwaige Narben, Druck, Klopfempfindlichkeit des Schädels bei 
directer Kopfverletzung werden Aufschluss geben. Anders verhält es sich bei 
Combination der Lues mit Trauma. Das Trauma, das von Commotio cerebri 
nicht begleitet gewesen ist, leichten Verlauf hatte, kann dem Gedächtnisse ent¬ 
schwinden und keine Residuen im Gefolge haben. Bei solcher Sachlage ist 
Fehldiagnose nicht unmöglich. In dieser Hinsicht ist folgender Fall reoht 
interessant: 

Patientin, 38 Jahre alt, von losem Wandel, seit 9 Monaten epileptisch, trat 
am 6. April 1901 in’s Krankenhaus ein und starb da am 13. Juli desselben 
Jahres. Erstes Kind totgeboren, darauf Sterilität. An den unteren Extremi¬ 
täten strahlenförmige Narben, periostitische Knochenauftreibungen an den Tibial- 
knochen beiderseits, in den Leisten indolente Drüsen. Lues, Alcoholismus, Trauma 
geleugnet. Keine Narben, wohl aber Druck- und Percussionsempfindlichkeit an 
den Frontalknochen. Sensorium frei, keine Temperaturerhöhung. Hemiparese 
rechts, epileptische Krämpfe 2—3 Mal täglich, selten eine Pause von 2—3 Tagen. 
Die Erscheinungsweise derselben ist verschieden. Selten typische Insulte mit Be¬ 
wusstlosigkeit, Tonus, Clonus, Erschöpfungszuständen, meistens partielle Krämpfe 


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vom rechten Oberarme ausgehend, auf ihn sich beschränkend oder auf den linken 
übergreifend. Nicht selten beide obere Extremitäten von Convulsionen befallen, 
mit oder ohne Betheiligung des Facialis. Hin und wieder kommen auch halb* 
seitige Krämpfe vor, die sich generalisirten. Bewusstsein meistens verloren, 
manchmal nur getrübt. Dauer der Krämpfe 5—10 Minuten. Im Beginne der 
Krämpfe Deviation conjuguäe des Kopfes und der Augen nach der krampfenden 
Seite. Specifische Behandlung eingeleitet. Die Hemiparese der rechten Extremi¬ 
täten verschwand, eine Gefühlsstörung in den Fingern der rechten Hand zurück¬ 
lassend. Facialis, alle anderen Gehirnnerven intact. Am Opticus Neuritis, keine 
Stauungspapille. In den letzten Tagen ihres Aufenthaltes im Krankenhause 
Status epilepticus, Coma, Tod. Die Autopsie eigab inkapsulirten Absoess im 
linken Frontallappen, der die zweite Stirnwindung, den vorderen Theil des Gyrua 
marginalis zerstörte, an die vordere Centralwindung heranreichte. Leztere 
makroskopisch verändert, Consistenz weich, ödematös, von capillären Blutungen 
durchsetzt. (Encephalitis haemorrhagica durch Compression und Oedem.) Das 
untere Drittel der vorderen Centralwindung, die dritte Stirnwindung, alle anderen 
Gehimtheile intact. Die histologische Untersuchung ist unterlassen worden. 

Die Diagnose Epilepsia luetica in Folge circumscripter Convexitätsmeningitis 
mit Syphilom basirte sich, bei Unkenntniss eines vorangegangenen Trauma, auf 
Anamnese, losen Wandel, totgeborenes Kind und postsyphilitische Residuen. 
Das causale Moment, das Trauma, ist erst durch spätere Nachforschungen eruirt 
worden. Das Fehlen jeglicher Eitererscheinung muss der Inkapsulation des 
Abscesses zugeschrieben werden. Tumorwirkung, nicht eitrige Schmelzung 
kam zum Ausdruck. Schwierig ist die Lösung der Frage über Entstehung 
eines Gehirnabscesses ohne eiternde Schädelwunde. Yermuthlich fand Gehirn- 
contusion statt, die Eitererreger sind auf irgend einem Wege später in die lädirte 
Stelle eingedrungen. Die Döviation conjuguöe des Kopfes und der Augen kommt 
bei Frontalabscessen recht häufig vor, ist aber bei genuiner Epilepsie nicht selten, 
wird auch bei Cerebrallues Vorkommen, falls die Convexitätsmeningitis oder 
Syphilom aufs Kopf- und Augencentrum im Frontallappen übergreift. 

Zu den Folgeerscheinungen des Trauma gehören nicht nur latenter Abscess, 
sondern auch latente Meningitis, Meningoencephalitis, die Monate, manchmal 
Jahre lang in Buhe verharren, um zuletzt in drohender Form anfzutauchen, 
unter anderen Erscheinungen auch Epilepsie auslösen. Differentiell-diagnostisch 
kommen Anamnese, initiale stürmische Gehirnsymptome, stabiler Verlauf, Ab¬ 
wesenheit von luetischer Infection in Betracht. Auch Tumor cerebri und all¬ 
gemeine Paralyse sind nach Traumen beobachtet worden. Die diagnostisch- 
differentiellen Momente sind in meiner grösseren Abhandlung über dies Thema, 
die demnächst erscheinen wird, gebührend berücksichtigt worden. Epilepsie 
kommt auoh bei Alkoholintoxioation zur Beobachtung. Sie erscheint als Vor¬ 
läuferin oder Begleiterin des Del. tremens und verschwindet nach längerer 
Abstinenz. Die Anamnese sichert die Diagnose. Schwieriger ist letztere bei 
Combination des Alkoholismus mit Lues, da Epilepsia tarda auf Grundlage einer 
durch Alkohol bedingten Gehirngefässsklerose, zur Beobachtung gelangt Für 
Gehirnleiden alkoholischen Ursprungs sprechen: Anamnese, Sklerose der Aorta, 
etwaige Hypertrophie des Herzens, sklerotischer Puls, Alterationen anderer Organe, 


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stabiler Verlauf; für Cerebrallues charakteristisches Schwanken der Symptome, 
Multiplidtät der Herde und zuletzt der Erfolg der specifischen Therapie. 

Zur Illustration diene folgender Fall: 

W-er, am 28. Februar 1888 ins Krankenhaus aufgenommen. Pat., 45 Jahre 
alt, Abusus in Baccho et Venere. Im Jahre 1864 Primäraffect ohne Behandlung. 
Im Jahre 1869 gummöse Geschwüre an den Schenkeln, später Dolores osteocopi 
in den Beinen, die Jahre lang anhielten. Im Jahre 1875 Cur in Stara-Russ, 
Genesung. Im Juli dieses Jahres Hemiparesis sinistra, die im Verlaufe von 
2 Wochen zur Hemiplegie sich steigerte. Cur in einem Krankenhause, Genesung. 
Im October 1886 Recidiv. Hemiplegia sinistra, mit Lähmung des Facialis und 
Hypoglossus, dabei linksseitige Amaurose. Nach Angabe des intelligenten Pat. 
verschwanden sie schon nach 8 Tagen. Im Jahre 1887 (1. Januar) trat zum 
ersten Male ein convulsiver Anfall mit Temperaturerhöhung von 42 0 auf und bald 
darauf folgten Hemiplegia dextra und Hemiparesis sinistra. Eine specifische 
Cur im Iwangoroder Hospitale brachte fast völlige Genesung. Eine leichte 
Muskelschwäche, links, blieb zurück. Im September desselben Jahres wieder 
linksseitige Hemiplegie, verschwand nach Jodgebrauch. Im October desselben 
Jahr es convulsiver Anfall, Wiederholung desselben im November und Februar. 
Nach dem Tode eines Bruders häufige Anfälle, 5—6 Mal täglich. Dauer 
4—5 Minuten. Eine Aura, die Empfindung, als greife Jemand gewaltsam seinen 
linken Oberschenkel, soll constant den Anfällen vorangehen. Die beständige 
Wiederholung dieser Empfindung kündigt Pat. den herannahenden Anfall an, er 
stürzt sich in’s Bett und stemmt seine Füsse an’s Bettende. 

Stat. praes.: Kräftiger Körperbau, etwas anämisch, keine Pupillendifferenz, 
normale Pupillenreaction, linkB Facialis etwas paretisch, sonst alle Gehiranerven 
intact. Sensibilität, in allen Qualitäten normal, nur links leichte Hypalgesie und 
am Rücken Temperatursinn etwas herabgesetzt. Hemiparesis sinistra. Bei passiver 
Bewegung leichte Muskelspannung. Kniephänomen beiderseits gesteigert, stärker 
links. Fussolonu8 nicht vorhanden. Sphincteren normal, Herz, linker Ventrikel, 
etwas hypertrophisch. Accent auf dem zweiten Aortentone. Art. rad. ge¬ 
spannt, Puls 70 in der Minute. Haraquantität vermehrt, specifisches Gewicht 112, 
keine abnormen Bestandteile. An den Schenkeln beiderseits strahlenförmige 
Narben. 

5. März: Täglich 4—5 epileptische Anfälle, die constant vom linken Ober¬ 
schenkel ausgehen, über die linke Körperhälfte sich verbreiten, bald auch die 
andere Seite ergreifen. Vollständige Bewusstlosigkeit, Amnesie. Die Augenunter¬ 
suchung ergab Neuritis optica. Hypästhesie an der linken Wange und am Rumpfe. 

12. März: Morgens starker Anfall. Nach Angabe des Spitaldieners und der 
Umgebung sollen die Krämpfe beiderseits gewesen sein, links aber stärker aus¬ 
gesprochen. Hypästhesie verschwunden. 

25. März: Anfälle seltener, 1—2 Mal täglich. Constant ist der Beginn der 
Zuckungen an der linken Seite. Ueber die Verbreitung derselben sind die An¬ 
gaben widersprechend. 

16. April: Keine Krämpfe mehr, Hemiparese fortdauernd. Untersuchung er- 
giebt Verlust des stereognostischen Sinnes an der linken Hand, Empfindlichkeits¬ 
abstumpfung der Finger für feinere Verrichtungen, wie Knöpfen der Hemdärmel, 
des Rockes und dergleichen. 

Polydipsie, Polyurie zum ersten Male aufgetreten. Pat. trinkt 10 Glas Thee, 
entleert 5000,0 Harn. Specifisches Gewicht 1008, klar, ohne Sediment, weder 
Eiweiss noch Zucker, keine abnormen Bestandtheile. 

In der späteren Zeit nahmen Durst und Harnmenge zu. Krämpfe nicht 
mehr zum Vorschein gekommen. 40 Frictionen zu 5,0, allmähliche Abnahme 

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der Polydipsie und Polyurie, stereognostiBcher Sinn hergestellt. Die Hemiparese 
bleibt unverändert. Nach 6 monatlichem Aufenthalte im Krankenhause wurde 
er mit halbseitiger Parese entlassen. 

£pikrise. Die Diagnose lautete gummöse Basalmeningitis. Für Lues 
sprachen: Primäraffect ohne Behandlung, exuloerirte Gummata an den Schenkeln, 
Narben an denselben, langanhaltende Dolores osteocopi. Für Basalmeningitis 
mit specifisoher Arteriitis sprachen: wiederholt auftretende Hemiparesis sinistra, 
Hemiplegia completa mit Lähmung des Facialis, Hypoglossus und linksseitiger 
Amaurose, später Paraplegie aller vier Extremitäten, der für Lues cerebri 
charakteristische Verlauf des Leidens, das Kommen und Gehen der Symptome, 
das Verschwinden gefahrdrohender Erscheinungen, zuletzt der glänzende Erfolg 
der specifischen Therapie. Letztere wie auch der Krankheitsverlauf sprachen 
gegen nicht specifische Thrombose der Gehimgefässe. 

Auf Grund aller dieser Momente konnte die Diagnose der specifischen basalen 
Affection sicher festgestellt werden. Anders verhält es sich mit der Beziehung 
der Krämpfe zum Grundprooesse. Sind letztere die Consequenz einer circum- 
scripten Meningitis der Convexität mit Localisation im Beincentrum? Diese Ver- 
muthung ist nicht ganz unbegründet Multiple Herde sind bei Lues cerebri 
nicht selten. Der Verlust des stereognostischen Sinnes an der linken Hand, die 
Abstumpfung der feineren Empfindlichkeit an den Fingern derselben sprachen 
zu Gunsten einer corticalen Läsion. Der günstige Erfolg der specifischen Therapie 
könnte diese Vermuthung nur bestätigen. Aber Patient beharrte beim Alkohol¬ 
missbrauche in den freien Intervallen seines langjährigen Leidens, Sklerose der 
peripheren Ge fasse und der Aorta wurden constatirt. Sind nicht die Krämpfe, 
deren gesetzmässige Verbreitung unbekannt blieb, nicht Folge einer Alkohol¬ 
epilepsie? Der Erfolg der specifischen Therapie, hinsichtlich Wiederherstellung 
des stereognostischen Sinnes, konnte nur soheinbar sein, da mit Spitalaufenthalt 
Abstinenz verbunden ist Letztere könnte auch bei organischen kleinen diase- 
minirten Herden der Gehimsubstanz, wie sie bei Epilepsia alcoholica tarda ver- 
muthet wurde, von wohlthuendem Einflüsse sein. Auch diese Möglichkeit ist 
nicht ganz von der Hand zu weisen. Zuletzt musste man sich fragen, ob nicht 
Hysterie diese Krämpfe ausgelöet habe. Alkoholismus gilt als Agent provocateur 
der Hysterie. Für letztere sprachen manche geringfügige Erscheinungen: Ab¬ 
stumpfung des Temperatursinnes am Rumpfe bei Intactsein deeseiben an der 
vorderen Thoraxfläche, die plötzlich auftauchende, bald verschwindende Hypästhesie 
an der linken Wange und am Rumpf. Das Verhalten der Pupillen während 
der Anfälle konnte nicht eruirt werden. Die Diagnose hinsichtlich der Krämpfe 
musste in suspenso bleiben, da die Alkoholintoxication fremde Züge in das 
klinische Bild der Cerebrallues hineingefügt hatte. 


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[Am den Kfiekenmfihler Anstalten su Stettin.] 

3. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie. 

Von Dr. Hubert Sohniteer, ding. Arat 

Vor einiger Zeit berichtete R. Bälint 1 * * über eine diätetisobe Behandlungs¬ 
methode der Epilepsie, welche eine Modification des von Toulouse und Richet* 
angegebenen Verfahrens darstellt Während nämlich die französischen Autoren 
unter Darreichung von 2—4 g Bromnatrium pro die gewöhnliche Kost von einem 
möglichst geringen Kochsalzgehalt verordneten, setzte BAlutt die Nahrung so 
zusammen, dass der Gesammtgehalt an Kochsalz in 24 Stunden etwa 2 g be¬ 
trug, ausserdem verabreichte er täglich 3 g Bromnatrium, welches er an Stelle des 
Kochsalzes im Brote verbacken liess. Die von französischen Autoren angeregte 
diätetische Behandlung mit chlorarmer Kost gab zu einer Reihe von Versuchen 
Veranlassung, welche theilweise zu widersprechenden Resultaten geführt haben. 
Ich erwähne hier die Arbeiten von Rumpf 8 , Näcke 4 , HelmstAdt 5 * , Lauben- 
heim er B , Schlö88 7 , Lion 8 und SghAfeb. 9 Die Erfolge nun, die BAlint erzielte, 
waren so überraschend günstige, dass ich mich entschloss, in der meiner ärzt¬ 
lichen Leitung unterstellten Epileptiker-Anstalt gleiche Versuche vorzunehmen. 
Das Resultat derselben möchte ioh mir gestatten, nachstehend in kurzen Worten 
mitzutheilen. 

Aus dem reichen Krankenmateriale wählte ich 16 weibliche Kranke, bei 
denen die Diagnose „genuine Epilepsie“ zweifellos feststand. Der Beginn des 
Leidens datirte in allen diesen Fällen aus frühester Kindheit oder aus der 
Pubertät; in einem Falle traten die Krämpfe zuerst im 19. Lebensjahre, in 
allen anderen bereit« weit früher auf. Für die Wahl weiblicher Kranker ent¬ 
schied ich mich aus dem Grunde, weil ich dann die Beaufsichtigung und Be¬ 
obachtung der Kranken einer erprobten Diaconissin übertragen konnte, deren 
Gewissenhaftigkeit und langjährige Erfahrung mir für eine peinliche Durch¬ 
führung meiner Intentionen bürgte. 

In der Zusammensetzung der Kost hielt ich mich streng an die von BAlint 
gegebenen Vorschriften. Die Kranken erhielten dementsprechend pro Kopf 
täglich l 1 /» Liter Milch, 50g Butter, 3 Eier (ungesalzen), 400g Brot und 
ausserdem Obst, letzteres entweder roh oder eingemacht oder in Form von Obst- 


1 R. BAlint, Berliner klin. Woch entehr. 1901. Nr. 23. 

* Toulouse, Rer. de Psjch. 1901. Nr. 1. 

* Th. Rumpt, Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 14. 

4 P. Niou, Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 16. 

* F. Enks HklmhtIdt, Psjch. Woehenachr. 1901. Nr. 8. 

8 Laudsxhuhsb, 26. Wanderrersammlung sfldwestdeutseher Irrenirrte. Rel in der 
Berliner klin. Woehenachr. 1901. Nr. 36. 

T Schlöss, Wiener klin. Woehensehr. 1901. Nr. 47. 

* Lioh, Wrataeh. 1901. Nr. 43. 

* SchIpir, Neurolog. Centralbl. 1902. Nr. 1. 

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suppen. Das Brot wurde anstatt mit Kochsalz mit Bromnatrium gebacken und 
zwar so, dass auf die angegebene Tagesmenge von 400 g 3 g Bromnatrium kamen. 
Diese Nahrungsmenge kann als vollkommen ausreichend bezeichnet werden, 
mehr als das, sie überstieg in fast allen Fällen die Bedürfnisse erheblich. Dies 
geht ohne Weiteres aus der Thatsache hervor, dass nur bei einer Kranken eine 
Gewichtsabnahme von 3 Pfund zu verzeichnen war, alle übrigen Kranken hatten 
an Gewicht zugenommen. Die Gewichtszunahmen schwankten zwischen 2 und 
13 Pfund. Die Dauer des Versuchs, der bei allen 16 Kranken bis zu Ende 
ohne Störung durchgeführt werden konnte, betrug 42 Tage. 

Was zunächst die Art der einzelnen Kranken betrifft, so handelte es sich 
in der Mehrzahl der Fälle um langjährige Anstaltsinsassen, die schon geraume 
Zeit mit Brompräparaten behandelt waren; 2 Kranke gehörten der Anstalt 1 
bez. 2 Jahre an, 11 Kranke 4 bis 9 Jahre, 3 Kranke 16 bis 19 Jahre. Die 
epileptischen Anfälle traten bei 3 Kranken in leichter Form, bei 3 anderen in 
vorwiegend leichter Form, bei 4 Kranken in vorwiegend schwerer und bei 6 Kranken 
durchweg in schwerer Form auf. Die Häufigkeit der Anfälle war in den meisten 
Fällen so gross, dass fast täglich ein oder mehr Krampfanfalle zu verzeichnen 
waren. In allen Fällen war es bereits zu mehr oder minder stark ausgesprochenen 
geistigen Schwächezuständen gekommen; in 7 Fällen war nur leichter Schwach¬ 
sinn, in 2 Fällen Schwachsinn mittleren Grades, in 3 Fällen Schwachsinn höheren 
Grades vorhanden und in 4 Fällen war völlige Verblödung eingetreten. Schwer¬ 
fälligkeit in der associativen Thätigkeit und in der sprachlichen Ausdrucksfähig¬ 
keit, erhöhte Reizbarkeit war fast allen Kranken eigen. 

Die veränderte Kost sagte den Kranken anfangs recht wohl zu, sie wurde 
als etwas Neues, als eine Abwechselung mit Freuden begrüsst, doch die Be¬ 
geisterung schwand sehr bald; in den letzten Wochen nahmen die Kranken die 
vorgeschriebene Nahrung nur mit Widerstreben zu sich, sie sehnten sich wieder 
nach der gesalzenen Kost. Gleichwohl konnten die Versuche in exacter Weise 
zu Ende geführt werden, ohne dass auch nur eine Kranke aussohied. 

Der Erfolg der Behandlung war nun leider nicht so glänzend, wie ich es 
nach den von Bälint entworfenen Schilderungen erwartet hatte, immerhin war 
er für die Mehrzahl der Fälle ein recht erheblicher zu nennen. 2 Kranke 
blieben während der ganzen Versuchsperiode anfallsfrei, bei 2 anderen Kranken 
trat nur im Beginn je ein Anfall auf, bei einer 5. Kranken, die stets schwere 
Anfalle gehabt hatte, setzten ebenfalls im Beginne zwei leichte Anfälle ein, dann 
sistirten die Anfälle für die ganze Versuchszeit Eine andere Kranke, die sonst 
fast täglich von Krämpfen befallen wurde, hatte in deD 42 Tagen nur 4 An¬ 
fälle, wobei noch zu bemerken ist, dass die Convulsionen erheblich schwächer 
waren und kürzere Zeit dauerten. Bei 6 Kranken häuften sich die Anfälle in 
den ersten 3 bis 6 Tagen, dann wurden für die ganze übrige Zeit nur 1 bis 
4 Anfälle beobachtet, die fast durchweg leichter Natur waren. Zwei weitere 
Kranke hatten nur für die letzten 14 Tage eine Abnahme der Anfälle zu ver¬ 
zeichnen und bei den letzten beiden Kranken wurde irgend eine Veränderung 
in Zahl und Art der Krampfanfälle nicht bemerkt 4 Kranke zeigten während 


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der Versuchsperiode eine auffallend erhöhte Reizbarkeit, in keinem Falle konnte 
eine Besserung des geistigen Zustandes festgestellt werden. 

Aus der obigen Darstellung geht hervor, dass ein kritischer Termin für eine 
Wendung im Befinden unserer Kranken, wie ihn Bälint für seine Fälle gesehen 
hat, nicht gefunden werden konnte, dagegen fand — analog den Beobachtungen 
von Bälint — bei den meisten Kranken eine Transformation der Anfalle statt; 
die bis dahin schweren Krampfzustände gingen in leichte Muskelzuckungen von 
verhältnissmässig kurzer Dauer über. Einzelnen Kranken, die sonst in der Regel 
hinfielen, wenn sie vom Krampfanfall überrascht wurden, gelang es, sich bei 
solchen leichten Insulten aufrecht zu erhalten. Dies ist zweifellos als ein sehr 
wesentlicher Erfolg der Behandlung anzusehen, wenn man bedenkt, wie viele 
und wie schwere Verletzungen sich die Epileptischen oft beim Hinfallen während 
der Convulsionen zuziehen. Wenn, wie oben erwähnt, das geistige Verhalten 
unserer Kranken unter dem Einfluss der Behandlung keine Aenderung erfahren 
hat, so ist das bei solchen inveterirten Fällen, wo die geistige Schwäche schon 
seit langer Zeit den Charakter eines Dauerzustandes angenommen hatte, schwerlich 
anders zu erwarten. Dass die an einigen Kranken beobachtete höhere Reizbar¬ 
keit mit der Kostveränderung in Zusammenhang steht, halte ich nicht für wahr¬ 
scheinlich, möchte vielmehr annehmen, dass sie auf äussere Umstände zurück¬ 
zuführen ist Hier könnte vor allem die während der ganzen Versuchsperiode 
herrschende aussergewöhnliche Hitze erregend eingewirkt haben. In Ueberein- 
stimmung mit Bälint konnte ich bei der Rückkehr zu der gewöhnlichen koch¬ 
salzreichen Nahrung auoh das Wiederauftreten zahlreicher Anfälle für die 
Majorität der Kranken feststellen, doch waren 4 Kranke noch 14 Tage nach 
Aussetzen der chlorarmen Diät völlig anfallsfrei. 

Wenn ich nunmehr das Ergebniss meiner Versuche kurz zusammenfasse, 
so konnte während der Versuohszeit in 2 Fällen ein gänzliches Ausbleiben der 
Anfälle, in 10 Fällen eine sehr wesentliche, in 2 weiteren Fällen eine unerheb¬ 
liche Verminderung derselben festgestellt werden, nur für 2 Fälle blieb die Be¬ 
handlung ohne jeden Erfolg. In den meisten Fällen wurde fernerhin die Inten¬ 
sität der Krampfanfalle bedeutend herabgesetzt 

Somit ist man wohl 'nach den vorliegenden, allerdings noch geringfügigen 
Erfahrungen berechtigt zu sagen, dass die mit Bromdarreichung combinirte 
ohioranne Diät eine werthvolle Bereicherung derjenigen Mittel darstellt, die uns 
im Kampfe gegen die Epilepsie zu Gebote stehen. Freilich ist es zweifelhaft, 
ob sich die Kochsalzentziehung, selbst wenn man sich der sehr empfehlenswerthen 
Modification von Bälint bedient, auf Monate hin durchführen lässt Allein da, 
wie wir gesehen haben, schon eine kurzdauernde Anwendung chlorarmer Diät 
eine erhebliche Besserung und Milderung der Krankheitserscheinungen hervor¬ 
ruft, so würde es vielleicht von Nutzen sein, wenn man bei der Behandlung von 
Epileptischen, die sich ja in der Regel über Jahre hinaus erstreckt, von Zeit zu 
Zeit eine 6 bis 8 wöchentliche Periode einschaltet, in der die Kranken nach der 
von Bälint angegebenen Modification chlorarme Nahrung erhalten. 


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[Aas der III. med. Klinik (Hofrath v. Schböttib) in Wien.] 

4. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. 
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬ 
merkungen über den Verlauf der centralen Hauben bahn. 

Von Dr. Josef Borgo, 

Assistenten der Klinik. 

(Schloss.) 

Dieser Fall ist neben dem gleich zu erwähnenden Falle Eibenlohb’s der 
einzige, den ich auffinden konnte, der einige Aehnliohkeit in dem muskelweisen 
Fortschreiten der Krämpfe mit dem meinigen hat, und welcher wegen der Lage des 
Tumors in der Nähe des corticalen Beincentroms neuerdings die bisher als fest¬ 
stehend geltende Thatsache zu beweisen scheint, dass „Krämpfe isolirter Muskel¬ 
gruppen in einzelnen Extremitäten im Ganzen selten sind und ausschliesslich 
bei Reizung umschriebener Felder der motorischen Zone Vorkommen (Monakow)". 

Mein Fall legt aber die Möglichkeit nahe, dass auoh von sub- 
corticalen Herden, bezw. subcorticalen Centren aus isolirte Krämpfe 
einzelner Muskelgruppen ausgelöst werden können, und dass auch 
von subcorticalen Centren aus Krämpfe sich von Muskelgruppe zu 
Muskelgruppe, ja von Muskel zu Muskel verbreiten und schliess- 
lich auch nach den Gesetzen des JAOKSON’sohen Anfalles generali- 
siren können. 

Hier wäre nun der Beobachtung Eisenlohb’s Erwähnung zu thun, be¬ 
treffend einen 23jährigen Bäckergehülfen, bei welohem in Folge einer in den 
rechten Vierhügel eingeheilten Revolverkugel u. a. unwillkürliche rhythmische 
Bewegungen des Handgelenkes und der Finger nach allen Bewegungsrichtungen 
hin eintraten, eine Art Tremor, der an Paralysis agitans erinnerte. Später 
schwand der Tremor der linken Hand und es trat Zittern der linken unteren 
Extremität auf, Tremor des Kopfes und Zuckungen im Fadalisgebiete. Da 
nach dem Autopsiebefunde eine Verletzung cortioaler Centren ausgeschlossen 
war, nahm Eisen lohe eine Verletzung tiefer gelegener Theile der Pyramiden¬ 
bahn als Ursache der Krämpfe an. Es handelte sioh also auch hier um Krämpfe, 
die auf bestimmte Muskelgebiete beschränkt waren und ohne Mitbetheiligung 
des Cortex zu Stande kamen. 

Ehe wir aber diese unseren bisherigen Anschauungen zuwiderlaufende An¬ 
nahme acceptiren, sei vorher kurz die Frage gestreift, auf welche Weise sub- 
oortical gelegene Herde durch Reizung cortioaler Centren isolirte 
Muskelkrämpfe und eventuell jACKsoN’sche Anfälle erzeugen könnten? 
Dies wäre möglich: 

a) Wenn der Krankheitsherd, z.B. ein Tumor, nahe dem Cortex liegt 
und durch directen Druck oder collaterales Oedem, kurz durch Störungen der Cir- 


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calation überhaupt einen Reiz ansübt auf ein corticales Centmm in der motori¬ 
schen Region. Diese Erklärung drängt sich von selbst auf bei den erwähnten 
Fällen von Dejebine und v. Beck. Doch liegt in meinem Falle der Vierhügel- 
tuberkel viel zu tief unter der Rinde, als dass man eine solche Mögliohkeit 
annehmen könnte. 

b) Wenn der Tumor bei irgendwelcher Lage zur Erhöhung des intra- 
craniellen Druckes, im Besondem zu chronischem Hydrooephalus internus führt, 
und als Folge davon sioh kleinste hemiöse Ausstülpungen der Gehirnrinde aus¬ 
bilden, welche als Reizcentren dienen können. Solche Hirnhernien hat zuerst 
Weinland anatomisch genauer beschrieben und abgebildet und dieser Autor 
sprach schon die Vermuthung aus, dass sie auch für die klinische Symptomato¬ 
logie möglicherweise von Bedeutung sein könnten. 

Ich habe anlässlich eines Falles von Acusticustumor *, in welchem solche 
Hernien in exquisiter Weise ausgebildet waren, einen Theil der Symptome — 
jacksonartige Anfälle, GeachtshaUucinationen — auf dieselben zurückgeführt und 
betont, dass auch bei makroskopisch-anatomisch noch nicht ausgesprochener Ent- 
wiokelung derselben die Stellen ihres späteren Auftretens in einem Zustande 
der Reizung sich werden befinden können, der zum Auftreten von Reiz¬ 
erscheinungen Veranlassung werden kann, weshalb eine histologische 
Untersuchung der betreffenden Rindencentren in allen Fällen, in 
denen gewisse mit dem Sitze des Tumors schwer zu vereinbarende 
Symptome auftreten, geboten erscheint 

In meinem Falle ist diese Erklärung nicht acceptabel, da einerseits mangels 
aller klinischen Symptome eines Hydrooephalus das Vorhandensein von Gehim- 
hernien von vornherein unwahrscheinlich war, und andererseits eine genaue 
histologisohe Untersuchung der motorischen Rindencentren keinerlei pathologische 
Abweichungen ergab. 

c) Es wäre daran zu denken, dass subcorticale Herde auf reflectorischem Wege 
gewisse Rindencentren reizen und so zu isolirten Krämpfen Veranlassung geben. 
Eine solche Annahme muss vorläufig Hypothese bleiben. Aber auch diese 
Hypothese würde voraussetzen, dass den im Cortex gelegenen Centren der 
einzelnen Muskelgruppen ebensolche Centren in subcorticalen Theilen des Gehirnes 
entsprechen, mit welchen erstere in Verbindung stehen, so dass wir der Hypo¬ 
these entrathen können und bei Ausschluss der ersten beiden Möglichkeiten zur 
Annahme berechtigt sind, dass entweder die den einzelnen Muskeln und 
functioneil zusammengehörigen Muskelgruppen entsprechenden 
Faserzüge auch im Verlaufe der Pyramidenbahn derart räumlich 
innerhalb derselben untereinander gesohieden sind, dass eine isolirte 
Reizung der Fasern einzelner Muskeln oder Muskelgruppen möglich 
ist, oder dass die einzelnen Muskeln und Muskelgruppen auch durch 
subcortical gelegene Centren im Gehirn vertreten sind. 

Für die erstere Annahme fehlen uns bisher alle Anhaltspunkte, ja eine 


1 Monateohr. I Ohrenheilkunde. 1901. Nr. 7. 


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von Hoche mitgetheilte diesbezügliche Untersuchung scheint, wenn nicht 
vielleicht, was der Antor für möglich hält, individuelle Verhältnisse eine Bolle 
spielen, zu beweisen, dass die aus den corticalen Rinden oentren stammenden 
Pyramidenfasern sich über den ganzen Querschnitt der absteigenden Pyramiden¬ 
bahn gleichmässig vertheilen. 

Die Untersuchung, welche zu diesem Resultate führte, betraf einen kleinen 
Tumor in der Binde und im Stabkranz mit linksseitiger Monoplegia brachial«. 
Vom Hirnschenkel abwärts erwies sich bei Untersuchung der Pyramidenbahn 
nach Mabchi die Degeneration über den ganzen Querschnitt derselben verstreut 
Gau und Flatau haben allerdings für das Rückenmark des Hundes auf Grund 
elektrischer Beizversuche behauptet, dass die für naheliegende Körpertheile be¬ 
stimmten motorischen Fasern unweit der grauen Substanz der Vorderhörner 
liegen, dagegen die für weiter entfernte Körpertheile bestimmten Fasern im 
Seitenstrang weiter nach hinten und nach der Peripherie hin ihre Lage haben. 

Mein Fall hat in dieser Hinsicht schon wegen des vollständigen Fehlens der 
absteigenden Degeneration keine Aufschlüsse gegeben. Wir müssen annehmen, dass 
trotz Compression des rechten Himschenkelfusses, wohl in Folge der langsamen 
Ausbildung derselben, eine schwere anatomische Läsion der Fasern desselben 
nicht eintrat, und die in der massigen Hemiparese sich äussemde Störung der 
Bahn mehr mit fnnctionellen Schädigungen derselben zusammenhing, womit 
auch die erwähnte Thatsaobe stimmte, dass bei WsiQEBT-Färbung im Bereiche 
des Tumors ein Faserausfall im comprimirten Hirnschenkelfusse nicht nach¬ 
weisbar war. Daher auch das Ausbleiben der secundären absteigenden De¬ 
generation. 

Es ist heute bekannt und ich kann mir die Anführung aller einschlägigen 
pathologisch-anatomischen und experimentellen Thatsachen wohl ersparen, dass 
ausser der Pyramidenbahn noch andere motorische Systeme im Hirnstamme 
verlaufen, als welche wir heute mit ziemlicher Sicherheit das hintere Läng»* 
bündel, das MoNAKOw’sche Bündel, die Vierhügelvorderstrangbahn, die centrale 
Haubenbahn, dieMEYNBBT’sche fontainenartige Haubenkreuzung ansprechen dürfen, 
wenn wir auch die nähere physiologische Bedeutung dieser Fasersysteme erst 
zum allergeringsten Theile kennen. Bechtkrew fand, dass bei neugeborenen 
Hunden nur die unmittelbar aus den Grundbündeln sich fortsetzenden Systeme 
markhaltig sind, alle anderen Theile der Formatio reticularis und die Pyramiden- 
bahnen noch marklos sind, und dass bei Beizung dieser Fasersüge tonische 
Zuckungen der Extremitäten auftreten, auch bei Beizung der medialsten Faser¬ 
züge der Haube in der Vierhügelgegend, was für die motorische Bedeutung der 
hier durchziehenden erwähnten Bahnen spricht 

Eine interessante hierher gehörige Beobachtung theilte Hahnbl jüngst mit 
Es handelte sich um einen alten Herd in der Regio subthalamioa, der zur Zer¬ 
störung des rechten Hirnschenkelfusses geführt hat und sich nach hinten über 
den inneren Kniehöcker bis nach der Oberfläche des hinteren rechten Vierhügels 
erstreckte. Die Extremitäten links waren nicht gelähmt, sondern, wenn auch in 
gestörter Weise, doch zur Ausführung willkürlicher Bewegungen befähigt Es 


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bestand linksseitige Hemiathetose. Es mussten also andere Bahnen für die rechte 
Pyrainidenbahn eingetreten sein, und thatsächlich fand sich bei Unterziehung 
des Him8tanune8 nach Mabohi das Monako w’sche Bündel, die Vierhügel- 
vord erstrang bahn und das hintere Längsbündel besonders stark entwickelt, 
hjpertrophirt und ebenso einige andere Bahnen, welche sich in keine der be¬ 
kannten Fasersysteme mit Sicherheit einreihen liessen. 

Wir haben also Anhaltspunkte genug, um in der Vierhügelgegend 
die Existenz nicht nur motorischer Bahnen, sondern motorischer 
Centren der Extremitätenmuskeln zu vermuthen, innerhalb welcher — 
und diese Annahme drängt sich angesichts solcher Fälle, wie der mitgetheilte, 
von selbst auf — die einzelnen Muskeln und Muskelgruppen eine 
ebenso gesonderte Vertretung finden, wie im Cortex. 

Ob Beizung dieser Centren direct oder reflectorisch durch Vermittelung der 
corticalen Centren zu Krämpfen isolirter Muskelgruppen Veranlassung giebt, 
lässt sich heute natürlich nicht erweisen, doch können wir auf dem Boden 
unserer heutigen physiologischen, aus Experimenten und klinischer Beobachtung 
sich aufbauenden Kenntnisse über die Krampfformen bei Läsion verschiedener 
Theile des Gehirnes wohl der folgenden Anschauung Ausdruck ausgeben. 
Wir wissen, dass Beizung corticaler Centren zu anfallsweise auftretenden und 
nach bestimmten Gesetzen sich generalisirenden Krämpfen führt, während 
andererseits Dauerspasmen, Chorea, Athetose, die verschiedenen Zitterformen 
nicht bei Beizung corticaler sondern subcorticaler Antheile des motorischen Systems 
zur Beobachtung kommen, und dass Ausnahmen von dieser Regel sehr selten 
sind und sich, wie erwähnt, auch auf andere Weise erklären lassen. Daraufhin 
möchte ich meine Ansicht dahin aussprechen, dass bei Herden in der Vier¬ 
hügelgegend durch directe Beizung dort gelegener motorischer 
Centren anfallsweise auftretende oder continuirliohe Krämpfe 
isolirter Muskeln und Muskelgruppen ausgelöst werden können, 
und dass von diesen subcorticalen Centren aus, direot oder duroh 
reflectorische Reizung oorticaler Centren, eine Generalisation dieser 
Krämpfe erfolgen kann. 

Einen reflectorisch vermittelten corticalen Ursprung der genera- 
lisirten Krämpfe werden wir annehmen müssen, wenn die Anfälle 
typisch nach den Gesetzen des jAOKSON’schen Anfalles verlaufen 
mit Betheiligung des Facialis und Hypoglossus, wogegen ioh bei 
Verschontbleiben dieser beiden Nervengebiete (wie im vorliegenden 
Falle) auch für die generalisirten Krämpfe die subcortioale Reizung 
als zur Erklärung ausreichend erachte. 

Die beiden Beobachtungen von Eisgnlohb und mir würden des 
Ferneren bei Ausschluss eines corticalen Herdes gestatten, das 
Auftreten isolirter Muskelkrämpfe für einen Herd in der Vierhügel¬ 
gegend diagnostisch zu verwerthen, womit ich keineswegs gesagt 
haben möchte, dass der pathologische Process von den Vierhügeln 
selbst seinen Ausgang nehmen müsse. Wesentlich dürfte nur sein, 


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dass der Herd die ventral von den Vierhügelu gelegene Region 
affioirt, was auch ein vom Thalamus ausgehender Tnmor bewirken 
kann. 

Litteratnr. 

Barth, Jahrb. der Hamburger Staatskrankenanstalten. L 1889. — ▼. Bbchrmv, 
Leitungsbahnen. Neurolog. Centralbl. 1899. — ▼. Bzcz, Beiträge zur klinischen Chirurgie. 
1894. Heft 1. — Bonhöevbb, Monateschr. f. Psyoh. u. NeoroL 1897 u. 1898. — Barnes, 
Geschwülste des Nervensystems. — J. Collier q. F. Buzzabd, Brain. 1901. S. 177. — 
Dbjbrinb, Traitd de path. gdn. par Bouchabd. V. S. 715. — Eisbnlohk, Jahrb. der Ham¬ 
burger Staatskrankenanstalten. — Habbel, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XVII. 1900. 
— Hochs, Ebenda. XVIIL 1900. — Menzel, Archiv f. Psych. XXII. — MiHOAZznn, 
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901. — Monakow, Nothnaobl’b spec. Path. u. 
Ther. IX. S. 845. — Mukatow, Monateschr. f. Psych. u. Neur. V. 1899. — Nothnagel, 
Wiener med. Presse. 1889. Nr. 19 u. Wiener med. Blätter. 1889. Nr. 9. — Oberst enkr, 
Anleitung beim Studium des Baues der nervösen Centralorgane. Neurolog. Centralbl- 1901. 
Nr. 12. — Oppenheim, Geschwülste des Gehirns. Nothnagel 's Handb. IX, 2. — Oedt, 
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XVIII. 1900. — Probst, Ebenda. XV. — Sandes, 
Ebenda. XII. — Sorgo, Monateschr. f. Ohrenbeilk. 1901. Nr. 7. — Spitzer, Jahrb. f. 
Psych. XVIIL — Starr, Journ. of Nerv, and Ment Dis. XV. — Weihland, Archiv f. 
Psych. XXVI. 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Beiträge sum normalen und pathologischen Bane des menschlichen 
Bfiokenmarks, von G. Hellich. (Sbornik klinicky. HL S. 261.) 

I. Man findet in normalen and pathologischen Bflckenmarken, theils in der 
grauen Substanz, theils im vorderem Septum za Bündeln und Convoluten an* 
geordnete, mit Schwann’scher Scheide bekleidete Nervenfasern, welche theils in 
der Adventitia, theils in den pialen perivascnlären Einhüllungen der Centralgefaase 
liegen und für sehr seltene Geschwülste gelten. Verf. fand sie unter 32 Fällen 
6 Mal. Nach seiner Ansicht handelte es sich am sensitive, centripetale Pial- 
nerven, welche durch das vordere Septum in die Medulla eintreten und längB der 
CentralgefÜsse oder in deren Nähe verlaufen; ihr Ziel ist die graue Substanz des 
hinteren Antheils des Rückenmarks und speciell die Clarke’sche Säule. Die 
geachwuletartigen Convolute entstehen in der Weise, dass die Nerven die Glia* 
scheide gegen eine Bindegewebsscheide eintauschen and sich zugleich theilen und 
bei dieser Gelegenheit sioh anders anordnen; dabei lanfen die Nervenfasern durch¬ 
einander und dieses Gewirr imponirt dann wie eine Geschwulst. 

II. Der Antor beschreibt einen regelmässigen Befund von spinalen Ganglien¬ 
zellen, welche im Rückenmark theils den motorischen Wurzelfasern, theils den 
vorderen Wurzeln unter der Lumbalanschwellnng aufsitzen, und zwar regelmässig 
dem inneren Antheil der Wurzelfasern. 

IH. In derselben Gegend fand Autor im äusseren and inneren Winkel des 
Vorderhoms eine von der Zellgruppe Pick’s verschiedene Gruppe von Ganglien¬ 
zellen, welche ihre Ausläufer direct aus dem Horn mit den motorischen Faser* 
bündeln entsenden; sie dürften sensitiven Charakter besitzen. 

Gustav Mühlstein (Prag). 


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2) Einführung in die physikalische Anatomie. L und II. Theil. Von Her¬ 
mann Triepel. (Wiesbaden, 1902.) 

Die moderne biologisohe Litteratur bat eine zusammenhängende Darstellung 
der mechanischen Gewebseigenschaften bisher nicht aufzuweisen gehabt. Einzelne 
Theile des Gebietes, wie die Lehre von der Muskelelasticität, sind zwar oft und 
eingehend behandelt worden, blieben aber doch aus dem Zusammenhang des 
Ganzen herausgerissen. Verf. hat sich diese einheitliche Darstellung zur Aufgabe 
gemacht; er konnte sioh dabei auf eine Reihe eigener Arbeiten aus früherer Zeit 
stützen, und das vorliegende Werk ist zum grössten Theile ebenfalls auf eigene 
Untersuchungen gegründet. Naturgemäss bewegt sich die Darstellung vorwiegend 
auf dem Gebiete der theoretischen Disciplinen, und mathematische Ableitungen 
nehmen deshalb einen nicht geringen Raum ein; obgleich sioh Verf. selbst nicht 
verhehlt, dass in Folge dessen der Leserkreis seines Werkes unter den Medicinern 
leider nicht an Umfang gewinnen wird, so wird doch der wirkliche Werth des 
Buches dadurch nur erhöht und eine Präcision und Eindeutigkeit des Ausdrucks 
erreicht, wie man sie bisher eigentlich nur auf dem Gebiete der physiologischen 
Optik zu finden gewohnt war. — Der erste, kleinere Theil giebt eine allgemeine 
Elasticitäts- und Festigkeitslehre in elementarer Darstellimg l in der die Grund¬ 
begriffe Zug, Druok, Schub, Biegung, Knickung, Torsion logisch und mathematisch 
erörtert und festgelegt werden. Der zweite, fast drei Mal so starke Theil greift 
aus den verschiedenen physikalischen Eigenschaften der Gewebe vorläufig ihre 
Elasticität und Festigkeit heraus und unterzieht die einzelnen Gewebsarten in 
dieser Hinsicht einer ausführlichen Betrachtung. Von neurologischem Interesse 
dürfte vor allem das Capitel über die Muskeln sein; Verf kommt darin zu dem 
Schluss, dass der Muskel als elastisch vollkommen bezeichnet werden muss; ob 
sich aber diese elastische Vollkommenheit auf alle überhaupt möglichen Dehnungen 
beziehe, ob also eine Elastioitätsgrenze bestehe, und wo sie eventuell liege, das 
entziehe sich vorläufig noch der Beurtheilung. Ueber die „natürliche Länge der 
Muskeln“ sagt Verf. aus: Die Muskeln besitzen ihre natürliche Länge, d. h. die¬ 
jenige, die sie einnehmen würden, wenn keine äusseren Kräfte auf sie einwirkten, 
wenn ihr Ursprung und Ansatz soweit genähert sind, als es die vorhandenen be¬ 
wegungshemmenden Einrichtungen gestatten. Wie sich aus dieser Lage ihrer 
natürlichen Länge ergiebt, sind die Skelettmuskeln im Waohsthum hinter ihrer 
Umgebung zurückgeblieben, das Längenwachsthum ist bei ihnen theil weise durch 
Dehnung ersetzt worden. Der thätige Zustand ändert die Elasticität des Muskels 
nicht, dieselbe ist vielmehr ausschliesslich von der jeweils eingenommenen Länge 
abhängig. — Auch die glatten Muskeln sind im lebenden Organismus in vielen 
Fällen dauernd oder wenigstens für lange Zeit über ihre natürliche Länge 
gedehnt. 

Die anderen Capitel über das gelbe Bindegewebe, das Sehnen-, Knorpel- und 
Knochengewebe, Arterien, Venen und Nerven sind mehr von allgemeinem Inter¬ 
esse, werden aber bei der Menge von Einzelthatsachen, die Bie enthalten, sioher 
in Fachkreisen gebührende Beachtung finden. H. Haenel (Dresden). 


Experimentelle Physiologie. 

3) On the Stimulation and paralysis of nerve-oellj and of nerve endin gs, 

by J. N. Langley (Cambridge). (Archives italiennes de biologie. XXXVI.) 

Nicotin und gewisse andere Alkaloide wirken reizend nicht auf die Endi¬ 
gungen präganglionärer Nervenfasern, sondern direct auf die Substanz von Nerven¬ 
zellen, einsohliesslich der Ganglien des Grenzstrangee, aber ausschliesslich der 


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Spinalganglienzellen, auf welche Nicotin weder einen reizenden und wahrscheinlich 
auch keinen lähmenden Einfluss hat. 

Bei der Katze kommt einige Minuten nach dem Tode eine kräftige Erection 
von Haaren zu Stande, die nur von den pilomotorischen Zellen des Rückenmarks, 
nicht aber von jenen des Sympathicus ausgelöst wird. 

Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


4) Seotion intraoränlenne du nerf optique ohes le Upin (Präsentation 
d'animaux opdrds), par G. Marenghi (Pavie). (Archives italiennes de bio- 
logie. XXXVI.) 

Die mit der bisher ausgeführten intraorbitalen Opticusdurchtrennung noth- 
wendigerweise verbundenen Verletzungen anderer Nerven und von Gefassen und 
Bulbusmuskeln lassen sich durch die vom Verf. angegebene intracranielle Durch¬ 
schneidung des Opticus an seinem Ursprung vom Chiasma vollständig vermeiden. 
Der Eingriff wird von den Kaninchen leicht ertragen und der Bulbus hält sich 
in normalem Zustand. Sowohl unmittelbar nach der Operation, wie nach Ablauf 
mehrerer Monate reagirt die Pupille auf Lichteinfall. Die Reaction ist träge und 
selbst bei sehr starker Belichtung erhält man nie den gleichen Grad von Ver¬ 
engerung, wie unter normalen Verhältnissen; jedoch ist die Reaction, selbst bei 
schwacher Belichtung, jedes Mal deutlich. Erklärt werden könnte die Reaction 
durch Annahme eines peripherischen Reflexoentrums, wie ein solches bei den 
niederen Thieren vorausgesetzt wird. Die vom Verf. nachgewiesenen, in der 
interglobulären Schicht der Netzhaut gelegenen Nervenzellen, die mit ihren Den¬ 
driten und Neuriten die Retina nicht überschreiten, wären für diese Frage in 
Betracht zu ziehen. 0. Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


6) Gesohmaok und Chemismus, von Dr. Wilhelm Sternberg, prakt Arzt 
in Berlin. (Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane. XX.) 

Wenn aus der vorliegenden chemisch-physiologisohen Studie an diesem Platze 
auch nur die psychophysische Frage, die sich Verf. in der Form „Weshalb ist 
der süsse Geschmack der angenehme, der bittere der unangenehme?“ gestellt hat, 
interessirt, so benöthigt man doch zum Verständniss derselben auch die Erwähnung 
und Beantwortung der Vorfragen; nämlich 

1. Weshalb schmecken manche Substanzen und weshalb sind andere nicht 
minder lösliche geschmacklos? 

2. Weshalb schmecken die einen süss, die anderen bitter? 

Verf., der hier nur die zwei reinen Geschmacksempfindungen, süss und bitter, 
im Auge hat, kommt auf Grund seiner Beweisführung zu dem Schlüsse, dass 
sämmtlichen süssen Verbindungen eine Harmonie im chemischen Bau eigen ist; 
eine Störung der Harmonie im Molekül nimmt nicht nur den süssen Geschmack, 
sondern führt zunächst den bitteren herbei und lässt, wenn sie noch erheblicher 
ist, Geschmacklosigkeit eintreten. Die drei Gruppen der bitter schmeckenden 
Verbindungen stehen mit den drei Gruppen der süssschmeckenden in intensiven 
Beziehungen, so zwar, dass aus dem süssen Molekül leicht ein bitteres und um¬ 
gekehrt erzeugt werden kann. Die Gegensätzlichkeit der Geschmacksempfindungen 
süss und bitter einerseits, die nahe Verwandtschaft der Moleküle ihrer adäquaten 
Reize andererseits, „zeugen ebenso sehr von der Feinheit des Sinnesorgans wie 
von der teleologischen Bedeutung, eine minimale Veränderung der Materie durch 
einen möglichst grossen Effect sicher zu kennzeichnen“. 

Die psychische Lustempfindung im Gebiete des Geschmacks¬ 
sinnes (d. i. die Süssempfindung) kann auf eine Einfachheit der chemi- 


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kalisehen Bedingungen der Empfindungen zurückgeführt werden, ebenso 
wie die psychische Lustempfindung im Gebiet der Hörsphäre mit einer 
gewissen Einfachheit im Zahlensysteme der physikalischen Ursachen 
der Empfindungen zusammenfällt. Meitzer (Grosshennersdorf). 


6) Oontributo olinioo alla oonosoensa dell’ innervaalone gustatoria. Nota 
del Prof. G. Fasola. (Rivista di patologia nervosa e mentale. 1902. Febr.) 

Objecte der Geschmackspräfungen waren zwei durch Krause-Hartley’sche 
Resection des 2. und 3. Astes des Trigeminus und Amputation des benachbarten 
Theils des Gangl. Gasseri von alter Gesichtsneuralgie befreite Individuen von 66 
und 50 Jahren. Die Prüfungen, täglich wochenlang nach umsichtiger, der Varia¬ 
bilität aller Umstände sorgfältig Rechnung tragender Methode ausgeführt, ergaben 
sofort nach der Operation eine für alle vier Qualitäten fast vollständige Schmeck¬ 
anästhesie, begleitet von Unempfindlichkeit für Berührung und Schmerz in der 
vorderen Hälfte (mit Einschluss der Spitze) der dem Eingriff entsprechenden 
Zungenseite. Nach 10 Tagen begann der Geschmack wiederzukehren. Die Ope- 
rirten unterschieden zunächst manchmal die Qualität richtig, verkannten sie zwar 
auch noch häufig, hatten aber doch schon eine Geschmacksempfindung. In den 
folgenden Wochen gelang das Urtheil, und zwar zuerst und am vollständigsten 
für den Bitterstoff immer treffender und rascher und nach Monaten blieb nur 
eine gewisse Unsicherheit desselben besonders für die saure Beschaffenheit, für 
immer jedoch eine relative, graduelle Herabsetzung der Schmeokempfindungen 
zurück. Die Perception der Tastreize blieb noch lange, nachdem der Geschmack 
schon im wesentlichen zurückgekehrt war, vollständig erlosohen, womit zugleich 
die Unabhängigkeit letzterer Function von ihr bewiesen ist. Auch konnte es 
sich nicht um eine durch vasomotorische oder trophische Störungen bedingte 
Veränderung der Geschmacksfunctionen handeln, weil die Chorda tympani, welche 
diese Reize vermittelt, intact war, die Zungenschleimhaut äusserlich keine Ver¬ 
änderung zeigte und die Aufhebung der Geschmacksfunction sofort nach der 
Operation am intensivsten war. 

Die beiden Resultate beweisen, dass der Trigeminus wirklich eigene 
Geschmaoksfasern führt, welche zur Spitze und vorderen Randzone der Zunge 
entweder direct im N. lingualis verlaufen oder auf dem, etwa durch einen Zweig 
des GangL oticum vermittelten Umweg durch die Chorda tympani zu ihm ge¬ 
langen. Für erstere Bahn spreohen die Beobachtungen Prävost’s, dass Zerstörung 
beider Chordae tymp. und selbst beider GlosBopharyngei nur Herabsetzung, Durch¬ 
trennung des Lingualis aber Verlust der Schmeokfähigkeit in der vorderen Zungen¬ 
region zur Folge hatte. 

Das Beharren einer gewissen Schmeckempfindlichkeit selbst in den ersten 
Tagen nach der Operation und die weitere Besserung der Function zwingt — 
falls man nicht an Anastomosen oder Proliferation anderer specifischer Fasern 
denken will — zu der Annahme, dass ein Theil der Geschmacksfaserung 
dieses' Bezirks aus einem anderen Gebiet (Glossopharyngeus mit Portio 
intermed. Wrisbergii) stammen muss. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


Pathologische Anatomie. 

7) Los effets de la trdpanation falte sur les jetmee animaux, par D. De¬ 
mo or (Bruxelles). (Archives italiennes de biologie. XXXVI.) 

Auf Grund von Trepanationen, die er bei 3—6 Tage alten Hunden in ver¬ 
schiedenen Schädelgegenden vorgenommen hat, kommt Verf. zu folgenden Ergeb¬ 
nissen: 


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1. Während der ersten Monate schreitet die Entwickelung in normaler Weise 
vorwärts. 

2. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit (durchschnittlich innerhalb von 
5 Monaten) zeigt sich eine allgemeine Abmagerung, und unter epileptiformen 
Krämpfen tritt der Tod ein. 

3. Symptomatologie und Autopsie zeigen, a) dass durch die locale Verletzung 
des jungen Schädels der Knochen in grosser Ausdehnung in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen wird, b) dass weder im Stadium der normalen Entwickelung, noch in dem 
der krankhaften terminalen Abmagerung irgend ein besonderes Symptom in den 
peripheren Regionen des Körpers zu Tage tritt. 

Die histologische Untersuchung des Cortex der operirten Thiere ergab: 

1. Die Dendriten sämmtlicher Zellen haben deutlich das Aussehen einer 
Perlenschnur: Ihre Filamente erscheinen in Form stark gefärbter und mit ein* 
ander durch eine offenbar hyaline Substanz verbundener Körner. — Die perlen¬ 
schnurartige Anordnung ist die Folge der Reize, die duroh die Convulsionen bei 
der Tötung des Thieres gesetzt werden; während der Abmagerungsperiode 
erscheinen die Dendriten nicht perlenschnurförmig, sondern ausserordentlich blass. 

2. Alle Zellen befinden sich im Zustand intensiver Chromolyse. Die Ver¬ 
armung der Neurone an färbbaren Substanzen ist charakteristisch für die Nerven¬ 
zellen trepanirter Thiere. 

3. Schwund von Neuronen ist nur beobachtet worden am Gehirn eines 

Thieres, bei dem der Tod sehr langsam und nach Voraufgang einer Periode der 
Imbecillität erfolgte. Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Neuropathologtsohe Beobachtungen, von Prof. Dr. M. Bernhardt (Max 
Jaff6 ’s Festschrift S. 27. Braunsohweig, 1901.) 

I. Ueber localisirte Krämpfe in den oberen Extremitäten. — 31 jähr. Arbeiter, 
bisher völlig gesund, bekam nach anstrengender Arbeit (Kistenheben) Schmerzen 
im linken Oberarm und andauernde, angeblich auoh während des Schlafes nicht 
auf hörende klonische Krämpfe am linken Vorderarm, hauptsächlich im M. pronator 
teree. Nach 3 wöohiger erfolgloser elektrischer Behandlung plötzlich Spontan¬ 
heilung. 2 Jahre später Quetschung am Nagelglied des rechten Mittelfingers, 
darnach krampfhafte Beuge- und Streckbewegungen der rechten Hand und Finger, 
mehr als 100 Mal in der Minute. Objectiv kein Befund. Wiederum plötzliche 
Spontanheilung nach etwa 6 Monaten. Ein 3. Anfall von klonischen Zuckungen, 
diesmal wieder im linken Vorderarm, trat 9 Monate später ein. 

II. Ueber localisirte Krämpfe in den unteren Extremitäten. — 34jähriger 
Mann, der kurz vorher eine Landwehrübung mitgemacht hatte, bekam in der 
3. Woohe nach Leistenbruchoperation ein eigenthümliches Zittern im rechten Bein; 
im Sitzen klonische Zuckungen der Adductorenmusoulatur. Im Liegen mindern 
sich die Adductorenkrämpfe; an deren Stelle klonischer Krampf im Gebiet des 
N. cruralis. Im Stehen abwechselnd kurze Kniebeugungen und Streckungen. Die 
Leistengegend ist druckempfindlich. Beim Stehen auf dem linken Bein allein 
fangen auch in diesem krampfhafte Bewegungen an. Therapie erfolglos. 

III. Ueber die angeborene Facialislähmung (infantilerKernschwund, Möbius). 
— Das lOmonatige Kind kam in normaler Geburt ohne Kunsthülfe zur Welt, 
hatte nie Krämpfe und zeigt sonst am Körper nichts Abnormes. Sofort nach der 
Geburt fiel auf, dass es nicht saugen konnte; später merkte man, dass es nicht 
weint und lacht. Die Augen füllen sich mit Thränen, das Kind jauchzt, aber 
das Gesicht hleibt maskenartig unbeweglich, der Mund steht andauernd offen. 


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Augenbewegungen frei. F&radisch sind die vom Facialis innervirten Muskeln 
beiderseits nicht erregbar; nur an der rechten Unterlippe schwache Reaction bei 
stärkeren Strömen. E. Beyer (Littenweiler). 


9) Lea oonvulaions ehe* l’enfant. I. Etlologle, Symptomatologie et dia- 
gnostio, par Prof. A. d’Espine (Genf). — IL Pathogönie, pronostdo et 
traitement, par Prof Moussons (Bordeaux). — III. Disoassion. (Annales 
de mödecine et Chirurgie infantiles. 1902. Nr. 9.) 

Das vorliegende Heft enthält die ausführliche Wiedergabe von Vorträgen 
über Kinderconvuleionen, die auf dem medicinisohen Congress zu Toulouse ge¬ 
halten wurden. Da dieselben unsere heutigen Kenntnisse über diese Zustände 
ziemlioh erschöpfend wiedergeben, sei die ausführlichere Besprechung gestattet: 

I. Unter den ätiologischen Bedingungen trennt d’Espine die prädispo- 
nirenden Momente von den auslösenden Ursachen. 1. Prädisponirende 
Momente: a) Heredität spielt eine grosse Bolle, und zwar als neuropathische Be¬ 
lastung, als Alkoholismus, seltener als Ausdruck eines chronischen Saturnismus 
und einer krankhaften Kachexie der Eltern, b) das Alter bis zum 6. Lebensmonat 
zeigt eine besondere Neigung zu Convulsionen. 2. Veranlassende Momente: 
a) Die Zahnung hält Verf entgegen früheren Berichten für keine Ursache von 
Krämpfen, b) Ebenso glaubt er nicht an eine krampfauslösende Bedeutung der 
Rachitis, c) Bei Neugeborenen führen Frühgeburt, Lebensschwäche, hingegen 
seltener als gemeinhin angenommen, Meningealblutungen zu meist letal endigenden 
Convulsionen. d) Asphyxie in Folge Einathmung schädlicher Gase, oder bei an¬ 
geborenen Herzfehlern, bei Keuchhusten, bei Bronchopneumonieen ist eine wichtige 
Ursache der Krämpfe, e) Unter den Vergiftungen sind solche mit Alkohol, Blei, 
Opium, Santonin beachtenswerte f) Autoin toxi cation sind die Hauptursache 
kindlicher Convulsionen, und zwar auf Grund einer Urämie, eines Athyro'idismus, 
eines Status lymphaticus und insbesondere als Ausdruck intestinaler Störungen, 
g) Länger dauernde Krämpfe finden sich bei hohen Fiebergraden, namentlich im 
Beginn acuter Infectionen. h) Bei den einzelnen Infectionskrankheiten hängen die 
eventuellen Krämpfe nicht nur von der Hyperthermie, sondern auch von der 
Malignität des Leidens, von meningitischer Reizung u. s. w. ab und sind bei 
einigen häufiger (Otitis, Pneumonie, Poliomyelitis, Masern u. s. w.), bei anderen 
seltener (Scharlach, Typhus, Diphtherie u. s. w.). i) Traumatische Eklampsie ist 
nicht gerade häufig, da die Symptome der Gehirnerschütterung bei Kindern selten 
Vorkommen. Manchmal sind die Krämpfe von dem ursächlichen Trauma durch 
Stunden und Tage getrennt; nach traumatischen Krämpfen kann eine wahre 
Epilepsie Zurückbleiben, j) Reflexepilepsie ist im Kindesalter äusserst selten; die 
Bedeutung von Eingeweidewürmern ist mehr als zweifelhaft. 

In dem Abschnitt über Symptomatologie and Statistik sehen wir, dass 
Verf auch die Tetanie und den Laryngospasmus unter dem Sammelnamen der 
Kinderconvnlsionen einfügt, doch überragt die Zahl der Fälle von Eklampsieen 
jene der anderen Zustände um ein bedeutendes. Unter den Prodromalsymptomen 
der wahren Convulsionen ist eine Hyperästhesie der Sinnesorgane sowie 
Steigerung der Patellarreflexe erwähnenswerte Die Form der Krämpfe ähnelt 
nioht oft den epileptischen, sondern ist meist „eine Mischung von Tonismus und 
Clonismus“, die oft durch Stunden mit einem oomatösen Zustand sich vergesell¬ 
schaftet. Meist sind die Krämpfe beiderseitig, doch müssen auch halbseitige 
Zuckungen durch keine cerebrale Läsion bedingt sein. Der Stimmritzenkrampf 
besitzt ähnliche Ursachen wie die Convulsionen; von der Tetanie will Verf. den¬ 
selben getrennt haben. Auffallend sind Fälle von Laryngospasmus bei Neugeborenen, 
die an den congenitalen Stridor erinnern und oft schwere Symptome darbieten 


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können. Bezüglioh der Tetanie, die in Genf übrigens selten ist, steht Verl 
auf einem von der herrschenden Ansicht abweichenden Standpunkt, indem er die 
diagnostische Bedeutung des Facialisphänomens, des Trousseau’schen Symptoms, 
der nervösen Uebererregbarkeit einschränkt und in den Krämpfen, die auf gleicher 
Stufe stehen wie die allgemeinen Convulsionen, das wesentliche Merkmal erblickt 

Einige Bemerkungen widmet d’Espine auch der Diagnostik und nament¬ 
lich den Unterscheidungsmerkmalen gegenüber Hysterie, Epilepsie und Meningitis. 
Zur sicheren Differentialdiagnose gegenüber der letzteren wird man die Ergebnisse 
einer eventuellen Lumbalpunction kaum entbehren können. 

II. Von einer einheitlichen Pathogenese der Kinderoonvulsionen kann nicht 
die Rede sein. Doch lässt sich im Allgemeinen behaupten, dass das kindliche 
Nervensystem eine geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlichkeiten be¬ 
sitzt wie jenes der Erwachsenen, und dass es, von irgend einer Noxe betroffen, 
besonders leicht unter Krämpfen reagirt Mit den Annahmen einer „Uebererreg¬ 
barkeit des kindlichen Nervensystems“ und des „Wegfalles der corticalen Hem¬ 
mungen“ ist allerdings zur Erklärung der Kinderoonvulsionen nicht viel geschehen. 
Wir sehen vielmehr, dass die Kinder den normalen nervösen Functionen ganz 
gut gewachsen sind, und dass spec. ungewöhnliche Reize eine Alteration der noch 
ungenügend isolirten Centren hervorrufen. Doch lässt die verschieden leichte 
Auslösbarkeit der Krämpfe in gleichen Altersstufen wohl eine einheitliche Auf¬ 
fassung der KinderconvulBionen nicht zu. 

Höchst bedeutsam ist die Frage nach einem eventuellen Zusammenhang der 
Kinderoonvulsionen und einer späteren Epilepsie. Dass Kinder, welche auch 
nach den ersten 2 Lebensjahren die Neigung zur Krampfre&ction auf thermische, 
toxische u. s. w. Reize beibehalten, bei irgend welchen cerebralen Erkrankungen 
leichter mit Convulsionen reagiren dürften, ist wahrscheinlich. Grössere Bedeutung 
kommt solchen Convulsionen zu, die im Anschluss an eine organische Affection 
des Centralnervensystems im Kindesalter auftraten, und die auch ohne bleibende 
cerebrale Localsymptome spätere Epilepsie bedingen können. Vielleicht bilden 
auch Defecte anderer Organe, die den Anlass zu den ersten infantilen Convulsionen 
gegeben haben, eine Prädisposition zur Epilepsie. Dooh dürfen Kinderkrämpfe 
und epileptische Anfälle beim Erwachsenen doch nioht ohne weiteres als gleich¬ 
artige Affectionen angesehen werden, Belbst wenn sie an demselben Individuum 
sich vorfinden. Die kindlichen Krämpfe sind Ausdruck einer grösseren Labilität 
des Nervensystems, das sich später ebenso als Epilepsie wie als Chorea, Tic, 
Neurasthenie äussern kann. 

Die Therapie der Kinderkrämpfe, welche sich meist an die Behandlung 
eines veranlassenden Grundleidens anschliesst, findet in den Darlegungen von M. 
eine kurze, aber recht erschöpfende Darstellung. Warme protrahirte Bäder, bei 
Fieber kalte Einpackungen, ferner kalte Kopfumschläge, Chloroformirung, Caro- 
tidencompression, Blutentziehung, Sauerstoffinhalationen, dann medicamentöee Be¬ 
handlungsweisen (Chloral, Brom, Antipyrin), endlich die Lumbalpunction kommen 
zur Anwendung. Gegen Reizmittel (Senfteig) spricht sich Verf. aus. 

III. Disousslon. 

Ausset verweist auf die vorwiegende ätiologische Bedeutung der acuten oder 
chronischen Magendarmcatarrhe. Das erste Lebensalter stellt das bei weitem 
grösste Contingent an Kindern mit Convulsionen. Dass die Kindereklampsie mit 
Epilepsie nicht viel gemein hat, glaubt auch der Redner. Auch klinisch giebt 
das Fehlen des initialen Schreies und das partielle, wechselnde Auftreten der 
Krämpfe mit oft vorwiegend toxischem Charakter einen differentialdiagnostischen 
Anhaltspunkt. Riberolles findet Kinderoonvulsionen namentlich bei Familien 
mit „hereditärer Herzinsufficienz“. Faure hat bei Convulsionen Hirnrindenunter- 


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suohungen (nach Nissl) mit negativem Resultate angestellt. Dadurch erhält die 
Auffassung einer toxischen Pathogenese der Convulsionen eine Unterstützung. 
Audebert sucht Beziehungen zwischen einer Albuminurie der Mutter und früh¬ 
zeitigen Convulsionen der Sander. Cany verweist auf den von Escherich ver¬ 
tretenen Standpunkt der Vereinigung von Laryngospasmus und Tetanie. Bezy 
glaubt ebenfalls nioht an die ätiologisohe Bedeutung der Eingeweidewürmer. Das 
Vorkommen von Hysterie im frühesten Eindesalter hält er für eine mögliche 
Ursache von Convulsionen. Zappert (Wien). 

10) Hemianopsie bei Eklampsie, von Knapp. (Prager med. Wochenschr. 

1901. 23. Mai.) 

27jähr. Primapara, in tiefem Coma eingebracht. 24 Stunden nach Accouche- 
ment forc6: Papillen enge, gleich weit, prompt und nicht hemianopisch reagirend. 
In beiden rechten Gesichtshälften wird die vorgehaltene Hand nur undeutlioh, 
wie in starkem Nebel wahrgenommen, in den linken Gesichtshälften ganz scharf 
gesehen. Schon am nächsten Tage vollständiger Rüokgang dieser Erscheinung. 

Verf. erwähnt zwei analoge Fälle aus der Litteratur (F. Pick und Leh¬ 
mann). Pilcz (Wien). 


11) A oaae of eolampaia at the sixth month. Suooesaful labour at füll 
time, by Michael Dewar. (Scott, med. and surg. Journ. 1901. Febr.) 

Das Wesentliche des Falles ist in der Ueberschrift schon enthalten. In drei 
Serien von Anfällen wurde nur ein Mal eine Spur Eiweis im Urin nachgewiesen. 
Verf. glaubt, dass in Fällen ohne Albuminurie sich ein Bacillus im Blute als 
Ursaohe müsse finden lassen. _ H. Haenel (Dresden). 


12) Notes of six oases of puerperal eolampsia treated by saline infosiona, 

by Robert Jardine. (Glasgow medical Journal 1900. October.) 

Seinen früheren Mittheilungen über die Behandlung der Eklampsie mittelst 
Kochsalzinfusionen fügt Verf. jetzt eine neue, die über 6 Fälle berichtet, an, so 
dass er jetzt im ganzen über 28 so behandelte Fälle verfügt. Die Lösung, die 
er jetzt benutzt, entspricht einer physiologischen Kochsalzlösung mit Zusatz von 
einer der Menge des Kochsalzes entsprechenden Dosis von essigsaurem Natron. 
Von den sechs mitgetheilten Fällen sind fünf geheilt, eine Patientin starb; letztere 
hatte schon in den letzten 24 Stunden vor der Aufnahme 10 sehr schwere An¬ 
fälle gehabt und war bereits vorher behandelt worden. Im ganzen sind von seinen 
23 Fällen 6 gestorben; davon wurde eine Patientin moribund eingeliefert, eine 
starb — von der Eklampsie geheilt — an der Perforation eines Duodenal¬ 
geschwürs. Verf. glaubt, dass die Resultate dieser Behandlungsmethode allen 
anderen Methoden mindestens gleichwerthig, wenn nicht überlegen sind. 

Martin Bloch (Berlin). 

13) Ueber einen Fall von totaler retrograder Amnesie, von Robert Bins- 

wanger. (v. Leyden-Festschrift. HI.) 

Der 47 jährige Patient, erblich nicht belastet, nie specifisoh erkrankt, kinder¬ 
los verheiratet, hatte bereits zwisohen 20 und 30 Jahren Anzeiohen von Nervo¬ 
sität (Schwindel, Uebelkeit, beim Gehen Drang nach links); war auch rheumatisoh 
und gichtisch. Nach dem 40. Jahre Abnahme des Gedächtnisses durch nervöse 
Erschöpfung, aufeteigende Hitze beim Sprechen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, 
Stimmungswechsel, Zuckungen im linken Facialis, später Platzangst, Schwindel 
und Ohnmachtsantälle, so dass Pat. mit 46 Jahren sein Geschäft aufgeben musste. 

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Im folgenden Jahre (Februar 1891) plötzlich Ausbruch einer tobsüchtigen Erregung 
mit Verwirrtheit und Convulsionen, die in 25 Tagen abläuft. Danach totale 
Amnesie für den der Erkrankung voraufgehenden Zeitraum von 15 Monaten, in 
welchem sein Austritt aus dem Geschäft erfolgt ist Dann Wohlbefinden, aber 
nur geringe Lockerung der Amnesie. Nach einem Vierteljahr ein Anfall von 
Petit mal mit völliger Amnesie, später Sohwindelerocheinungen, Neigung nach 
links zu gehen. In den folgenden 10 Jahren häufig Anfälle von Petit mal und 
seltener Grand mal, letztere gewöhnliche epileptische Krämpfe. Die Intelligenz 
soll nicht gelitten haben. Im 56. Jahre ist Diabetes aufgetreten. 

Die Diagnose einer Epilepsie, welche schon nach Ablauf der Psychose im 
Jahre 1891 gegenüber Paralyse und Hysterie gestellt war, ist somit durch den 
weiteren Verlauf bestätigt worden. Eigenartig ist, dass die Amnesie nicht, wie 
sonst, sich direct an typische Krampfanfälle angesohlossen hat, sondern an 
eine epileptische Psychose mit charakteristischem Dämmerzustand. Als dann der 
Patient klar wurde, erstreckte sich die Amnesie zuerst auf diese Phasen und 
nachher, rückschreitend, auf eine Zeitdauer von 15 Monaten. 

E. Beyer (Littenweiler). 


14) Die Bolle der Aatointoxioation in der Epilepsie, von Hebold und 

Br atz. Aus der Berliner städtischen Anstalt für Epileptische Wuhlgarten. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 36.) 

Die Verff. suchten methodisch die Körpersäfte Epileptischer während der 
Anfälle und ausserhalb derselben Thieren einzuverleiben und die Wirkungen beider 
Versuchsreihen zu vergleichen. Benutzt wurden der Urin von Epileptischen, un¬ 
mittelbar nach einem Anfalle oder eine Stunde später per Katheter entnommen 
bezw. spontan entleert, ferner Blut, durch Schröpfköpfe, einmal durch Aderlass 
gewonnen. Die Versuche an Hunden ergaben niemals convulsivische oder sonst 
auffallende Folgeerscheinungen, selbst nicht an Thieren, deren Eltern künstlich 
zum chronischen Alkoholismus gebracht worden waren. Für weisse Mäuse waren 
die Körpersäfte ebenfalls meist wirkungslos, nur in der Minderzahl der Versuche 
(einige hundert!) erkrankten die Thiere, meist ohne Convulsionen, zuweilen aber 
mit tätlichem Ausgang. Niemals war eine Regelmässigkeit in der Giftwirkung 
zu constatiren, auch waren in den positiven Fällen zum Theil wenigstens andere 
Factoren für die Toxicität verantwortlich: so handelte es sich zwei Mal um 
Pneumonie im Status epilepticus, ein Mal hatte der Patient vorher starke Chloral- 
abgaben erhalten u. s. w. — Die Verff. wollen die Versuche fortsetzen, glauben 
aber nicht, dass das Wesen der Epilepsie in einer Stoffweohselanomalie zu 
suchen ist. R. Pfeiffer. 


15) Du parazit« trouvö dans le sang des dpilsptlques, par M. Bra. (Revue 
neurologiqne. 1902. 30. Mai.) 

In der Zeit unmittelbar vor dem epileptischen Anfall und während desselben 
(auch bei den unvollständigen) findet sich in dem Blute ein Parasit, welcher als 
ein Mikrococcus (Coccus, Diplococcus, kurze Ketten, sich verlängernd und die 
Gestalt des Coccobacillus, Diplobacillus, Streptobacillus annehmend) erscheint und 
von dem Verf. Neurococcus genannt wird. 

In der Zwischenzeit selten oder fehlend nimmt der Parasit stetig beim 
Herannahen des Anfalles zu, um nach grossen Anfällen zu verschwinden. 

Verf. hält den Mikroorganismus für das pathogene Agens der Epilepsie. 
Subcutan injioirte Culturen dieses Mikrococcus rufen beim Kaninchen oon- 
vulsive Erscheinungen hervor, zuweilen den Tod unter den Erscheinungen des 
Status epilepticus. M. 


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819 


16) Nuove proprieta toesiehe e torapeutloh» del siaro di aangu« dagli 
epilettici e loro appliouioni pratiohe, del Dr. Carlo Ceni. Aus dem 
Istituto Psichiatrico di Reggio Emilia. (Riv. speriment. di Freniatria e 
Medic. leg. delle alien. ment. XXVIL 1901. S. 761.) 

Verf., der sich bereits in verschiedenen Arbeiten mit den snpponirten Toxinen 
der Epileptiker beschäftigt hat, hat hier einen neuen Weg eingeschlagen, der so¬ 
wohl theoretisch wie praktisch manchen Ausblick gewährt. Freilich ist die Ver¬ 
suchsreihe schmal und die Zahl der Hypothesen gross! 

Zunächst der praktische Theil. 10 Individuen, die alle sehr schwere Fälle 
von Epilepsie mit psychischen Störungen darboten, wurde Serum theils anderer 
Epileptiker, theils aus ihrem eigenen Blute gewonnen, injioirt. Die Menge 
des eingespritzten Serums beträgt im ersten Monate im ganzen 10—50 ccm, in 
den folgenden werden bis 100 ccm angewandt. In 2 Fällen trat eine Verschlim¬ 
merung ein, in zwei weiteren totale Heilung, in sechs anderen bedeutende Besserung. 
Mit der Ab- oder Zunahme der Anfalle wie der Besserung der Psyche der 
Patienten geht stets Hand in Hand eine Zu- und Abnahme des Körpergewichts. 
In den 2 Fällen von Heilung wurde beinahe das Körpergewicht verdoppelt. Zu 
bemerken ist, dass die Bromkur während der Serumtherapie ausgesetzt blieb. In 
einigen Fällen ist deutlich zu beobachten, wie das Aussetzen der Injeotionen eine 
Reacerbation des Krankheitszustandes bedingte. Dem Zustande der Besserung 
geht meist eine kürzer oder länger dauernde Reactionszeit voraus, in der die 
Anfälle sich verschlimmern und das Körpergewicht abnimmt. Je schneller eine 
Besserung sich zeigt, desto günstiger gestaltet sich dio Prognose. Mit einiger 
Reserve — die bei der geringen Zahl beobachteter Fälle auoh nöthig ist — 
glaubt Verf. über den Erfolg der von ihm inaugurirten Kur folgendes sagen zu 
können: die hereditären Formen von Epilepsie, die schon frühzeitig in Erscheinung 
treten, bieten sich dem neuen Heilverfahren nicht; am günstigsten wurden von 
ihm Fälle erworbener und noch nicht lange bestehender Epilepsie beeinflusst. 

Den Uebergang vom praktischen zum theoretischen Theil geben Versuohe 
von Einspritzung Serums gesunder Menschen in Epileptische. Analogieen mit der 
Einspritzung „epileptischen“ Serums zeigten sich insofern, als auch hier anfangs 
Vergiftungserscheinungen und in Fällen veralteter erworbener Epilepsie eine Zeit 
lang andauernde Verschlimmerung des Zustandes sich zeigten, Verschiedenheiten 
aber darin, dass die Epilepsie als solche durchaus nicht gebessert werden konnte. 

Nachdem Verf. als unwahrscheinlich nachzuweisen gesucht hat — die Beweis¬ 
führung erscheint Ref. nicht zwingend —, dass durch die Einspritzung des Serums 
Epileptischer eine Immunisirung, sei es durch Gewöhnung an ein specifisches 
Toxin, sei es durch Bildung eines Antitoxins, erfolge, glaubt er die heilsame 
Wirkung seiner Injectionsversuche folgendermaassen erklären zu können: Im Blute 
Epileptischer gebe es zwei wirksame Substanzen: ein freies Toxin, das Schuld sei 
an den anfänglichen Reactionsersoheinungeq nach der Einspritzung, und ein an 
feste Blutbestandtheile gebundenes Toxin, das erst ausserhalb der Gefässe bei 
der Serumgewinnung frei werde. Diese zweite Substanz besitze nun die Eigen¬ 
schaft als Reiz den Stoffwechsel zu beeinflussen und besonders den Stoffwechsel 
gewisser Zellgruppen, deren Alteration die Ausscheidung eines speciell die Epilepsie 
verursachenden Etwas bedinge. Diese hypothetischen Elemente nun werden durch 
den gpecifhchen Reiz der zweiten im Blute Epileptischer enthaltenen Substanz 
entweder zu stärkerer Thätigkeit veranlasst — Fälle mit negativem Erfolge — 
oder durch Beeinflussung ihres Stoffwechsels zu normaler Thätigkeit zurückgeführt 
— Fälle von Besserung oder Heilung. Das Serum könne also direct therapeutisch 
wirksam sein. Verf. ist sich wohl bewusst, einen hypothesenreichen Aufbau zu 
liefern — bei den vielen von ihm angenommenen Grössen ist es schwer, ihm bei 
seiner Rechnung zu folgen. L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 

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17) Oontributo allo Studio doll’ asimmetria di pressione negli epilettioi 
nei delinquenti e nelle prostitute, pel Dr. E. Audenino ed U. Lom- 
broso. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.) 

Mit Hülfe des Sphygmomanometers (Riva-Rocci), des Ergographen (Mosso), 
des Dynamometers und Bandmaasses wurde festgestetit, dass Ungleichheiten de« 
Blutdruckes auf beiden Körperhälften bei Epileptikern, Verbrechern und Prosti- 
tuirten viel häufiger als bei Gesunden Vorkommen, oft wechseln und weder mit 
den anatomischen noch mit den functionellen Verhältnissen der betreffenden 
Glieder und Gefässe etwas zu thun haben. Unter den Gesunden trifft man obige 
Asymmetrie am häufigsten bei schweren Kephalalgieen an. Wahrscheinlich sind 
also vasomotorische Einflüsse allein. maassgebend. 

Schmidt (Freiburg i/SchL). 


18) Le osoillasioni del rioambio materiale nell' epilettioo, pel Dr. U. Ale sei 

e A. Pieri. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.) 

Stoffwechseluntersuchungen, welche die Menge und das specifische Gewicht, 
den Harnstoff- und Phosphatgehalt des in einer Zeit von 27—37 Tagen von 7 
degenerirten Epileptischen ausgeschiedenen Urins zum Gegenstand hatten, ergaben 
Folgendes: Die Menge war trotz erheblicher Tagesschwankungen, welche eine 
Beziehung zu den epileptischen Phänomenen nicht aufwiesen, immer verhältniss- 
mässig gering. Das specifisohe Gewicht war fast durchweg vermehrt, stand 
in umgekehrtem Verhältniss zur Harnmenge und zeigte häufige brüske und 
intensive Schwankungen, welche oft mit der Curve der Phosphorsäure parallel 
gingen. Die Harnstoffausscheidung hielt sich auf einer niedrigen Ziffer; erheb¬ 
lichere Schwankungen fanden meist ebenfalls gleichzeitig mit solchen der Phosphor- 
säurecurve statt. Das fordert mit Nachdruck zum Studium der letzteren auf. 
Die Menge der Phosphorsäure überschreitet niemals mittlere Werthe. In jedem 
Falle waren — nahezu immer conform mit dem Verhalten des Harnstoffes — 
häufige und intensive Schwankungen ihrer Curve (von 0,13 auf 2,25; von 1,66 
auf 0,01 als Tageswerthe) die Regel, welche unterschiedlos sowohl die inter- 
vallären Perioden als auch die anfallsfreien Zeiten betrafen. Wenn nach diesem 
Verhalten, da eine positive Versuchsreihe in dieser Riohtung noch fehlt, die Aus¬ 
scheidung gewisser hoher oder kleiner Phosphorsäuremengen zwar nicht als epi¬ 
leptisches Aequivalent zu bezeichnen ist, so beweist sie doch, dass die Störung 
der Symmetrie und des Gleichgewichts in dieser Neurose sich bis auf den 
Stoffwechsel erstreckt. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 

18) Ein Fall von erhaltenem Bewusstsein im epileptischen Anflall, von 

Dr. Aug. Diehl in Lübeck. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 41.) 

Der 26jähr. Kranke, erblich in. keiner Weise belastet, litt erst seit den 
letzten 3 Jahren an Krampfanfällen mit Zungenbiss, die in Intervallen von 2 bis 
3 Monaten nach grösserem Alkoholgenuss in der Nacht auftraten. 

Das Auffallende dabei war, dass der Patient den ganzen Verlauf der Anfälle 
bis in ihre Details beschreiben konnte, woraus das Erhaltensein des Bewusstseins 
während des Anfalls hervorgeht. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


20) Dissooiasione dai movimenti respiratorli toraolol e del diaframma du- 
rante l’aooeeso epilettioo. Osserv&zioni del Prof. E. Belmondo. (Bologna, 
1901, Zamorani e Albertazzi.) 

Verf. war bei einer an allgemeiner, seit 4 Jahren bestehenden Epilepsie 
arteriosklerotischen Charakters leidenden 75jähr. Frau, welche zeitweilig serien- 


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massige Anfälle von „Epilepsia respiratoria“ darbot, bestehend ausschliesslioh in 
intensiver Dyspnoe mit Bewusstseinsverlust von wenigen Secnnden bis zu einer 
Minute Dauer, in der seltenen Lage, in solchen Anfällen mittels des von Can- 
talamessa verbesserten Riegel’schen Stbetographs gleichseitig die Brust- und 
die Bauchathmung zu registriren. 

Die Curve der thoracischen Respirationsbewegungen zeigt zu Beginn des 
Anfalls steigendes Ueberwiegen der Inspirationsbewegungen und ihres Volum¬ 
effectes am Thorax über die Exspirien, darauf einen inspiratorischen Tetanus 
in Dilatationsstellung, welcher um die Dauer 2—3 vorhergehender Athmungs- 
phasen anhält; nun folgen eventuell noch mehrere tiefe In- und Exspirationen, 
erstere in abortiverem Verlauf zunächst wiederum von der soeben geschilderten 
Beschaffenheit, bis durch die letzteren der Thorax wieder auf den anfänglichen 
Umfang zurückgeführt ist. 

Gleichzeitig mit den ersten Phasen des Krampfes der Brustathmungsmuscu- 
latur arbeitet das Diaphragma noch rhythmisch und nur die Höhe seiner In¬ 
spirationsbewegungen nimmt leise a b (also während diejenige des Thorax zunimmt), 
bis es sich plötzlich mit einem mächtigen Ruck contrahirt. Aber noch 
während der Inspirationstetanus am Brustkorb andauert, löst sich der Zwerohfell- 
krampf ebenso plötzlich wieder und geht unter leichten Zuckungen sofort in die 
schlaffe Exspirationsstellung über. Die folgenden tiefen. Bewegungen der Bauch- 
decke zeigen öfters leichte Dikrotie in der exspirischen Hälfte der Amplitude, 
welche (wie Mos so gezeigt hat) auf dem activen Eingreifen der Bauchpresse zur 
Vertiefung des exspiratorischen Moments beruht. Die Bauchathmung zeigt' nie¬ 
mals die langsame Rückkehr zur Norm, wie sie für die Bewegungen und das 
Volumen des Thorax gilt. 

War der Anfall von sehr flüchtiger Dauer, so fehlte das Initial- und Nach¬ 
stadium und nahm die Zwerchfellathmung an den geschilderten Verände¬ 
rungen gar nicht Theil. Zuweilen imponirte unter solchen Verhältnissen ein 
tiefes Herabgehen der abdominalen Curve auf die Schwelle der Abscisse geradezu 
als Parese, bezw. momentane Paralyse, während zugleich der Thorax in In¬ 
spirationstetanus beharrte. 

Diese Ergebnisse lehren soviel, dass man zur Zeit wenigstens vier moto- 
risohe Respirationscentren (für Gesicht, Thorax, Diaphragma und Abdomen) 
unterscheiden muss, welche im Anfall in Erregung versetzt, autonome, dissociirte, 
sogar antagonistische Bewegungen ihrer Muskelgebiete entfesseln, und lassen es 
dobh fraglich erscheinen, ob der Reiz einer beschränkten Rindenzone, wie die 
gegenwärtig herrschende Doctrin voraussetzt, so weit auseinander gelegene Centren 
zusammenfassend beherrschen kann. Die störenden Einflüsse der Affecte einerseits, 
elektrischer Reize von beliebigen Stellen der Hirnrinde aus andererseits (Roche- 
fontaine, Frangois-Frank), welche den Respirationscharakter modificiren, ver¬ 
dienen hierbei auch Erwähnung. Schmidt (Freiburg i/Sohl.). 

21) Beport of two oases of epilepsy , by J. M. Krim (Louisville). (Pediatrics. 

1902. 1. Jan.) 

Von den beiden, jetzt im Pubertätsalter stehenden Kranken hat die eine 
nach einer Cerebrospinalmeningitis, der andere nach einer Schädelverletzung epi¬ 
leptische Anfälle zurüokbehalten. Das Mädchen war zur Zeit der Erkrankung 
6 Jahre, der Knabe 8 Jahre alt. Trotz der sorgfältigsten Behandlung, die 
namentlich in Bromdarreichung bestanden hatte, sistirten die Anfälle nicht dauernd. 
Da trat bei dem ersten Fall eine schwere, mit hohem Fieber und gefährlichen 
Allgemeinerscheinungen einhergehende Phlegmone ein, nach deren Heilung die 
Patientin seit 3 Jahren keinen Insult mehr hat. Dieselbe Wirkung zeigte ein 
Typhus, den der Pat. vor 4 Jahren überstanden hatte. 


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Diese günstige Wirkung fieberhafter Processe auf die epileptischen Anfalle 
ist der Grund, weshalb Verf* die beiden Fälle veröffentlicht. 

Zappert (Wien). 


22) Zur Entstehung der Epilepsie, von G. v. Voss. (St. Petersburger med. 

Wochenschr. 1902. Nr. 28.) 

Verf. unterscheidet die gelegentliche Ursache eines epileptischen Anfalls von 
der Ursache der epileptischen Veränderung (Nothnagel). Für letztere können 
folgende Momente verantwortlich gemacht werden: neuropathische Belastung, 
Schädeltraumen während und nach der Geburt, zuweilen auch intrauterin, polio- 
encephalitische Processe, Verletzungen peripherer Natur (durch letztere wird 
Reflexepilepsie erzeugt), Intoxicationen (Alkohol, Blei, Absynth), Infectionskrank- 
heiten (Scharlach, Typhus, Keuchhusten, Malaria, Syphilis [die Rolle der letzteren 
in ihrer Beziehung zur Epilepsie ist noch nicht geklärt].) 

Im Anschluss an diese Besprechung der Aetiologie des Morbus sacer berichtet 
Verf. über folgenden Fall: Ein 29jähr. Tischler hatte vor 16 Jahren ein Trauma 
capitis erlitten und erkrankte ein Jahr später an Epilepsie von Jackson’schem 
Typus. Der zweite Anfall trat erst 13 Jahre nach dem ersten ohne bestimmten 
Anlass auf und begann ebenso wie der erste (Parästhesieen und Zuckungen im 
linken Zeigefinger), die späteren Hessen sich durch Umschnüren des linken Arms, 
in dem die Krämpfe stets anfingen, coupiren. Trotz des 13jährigen Zwischen¬ 
raumes zwischen erstem und zweitem Anfall ist — bei dem Fehlen jeglicher 
anderer ätiologischer Momente — nach Verf. der ursächliche Zusammenhang 
zwischen Epilepsie und Trauma in vorliegendem Falle evident. Sollten sich die 
Anfalle häufen und durch medicamentöse Therapie nicht eindämmen lassen, so 
läge nach Verf. genügende Veranlassung zu einer Trepanation vor. Eine rechts 
an der Grenze des Scheitel- und Schläfenbeins nachweisbare Narbe mit deutlicher 
Depression und Druckempfindlichkeit deutet auf die Stelle der einst stattgehabten 
Kopfverletzung. Kurt Mendel. 


23) Observationa of a oase of oonvulsions, by H. Jackson and D. Singer. 

(Brain. 1902. Spring.) 

Die Autoren berichten über einen Fall partiell epileptischer Krämpfe, die 
zunächst nur die Muskeln des Nackens, Rückens, der Brust und des Bauches 
sowie des Gesichts betrafen. In der tonischen Periode stand die Athmung still. 
Später nahmen auch noch die Arme an den Anfällen Theil, und zwar zuerst die 
Schulter, zuletzt die Fingermuskeln; auf die Beine ist nicht genau geachtet. Die 
Verff. lassen es zweifelhaft, ob in diesem Falle die Krämpfe von bulbären oder 
corticalen Centren ausgegangen sind. Bruns. 


24) Ueber die Epilepsia prooursiva, von M. Goldbaum. (Gazeta lekarska. 

1901. Nr. 34 u. 35. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über folgende 2 Fälle von Epilepsia procursiva: 

Der 1. Fall betraf ein 9jähriges Mädohen, welches vor 5 Jahren nach einem 
Schrecktrauma (Fall in einen Keller) Anfälle bekam, in welchen sie den Kopf 
nach einer Seite drehte und einige Minuten lang einen Punkt starr fixirte. 
Später änderten sich die Anfälle, indem das Kind mit den Händen schlug, sich 
herumdrehte und dann zum Schluss des Anfalls bewusstlos zum Boden stürzte. 
Keine Heredität in der Anamnese. Status zeigte keinerlei nervöse oder sonst 
irgend welche Abnormitäten. Im Krankenhause hatte das Mädchen Anfälle, in 
welchen sie plötzlich das Bett verHess, im Zimmer mit weit geöffneten Augen 


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herumlief und dann im bewusstlosen Zustand zum Boden stürzte. Nach dem 
Anfall Schlaf. 

Im 2. Fall handelte es sich um ein löjähr. Mädchen, welches seit einigen 
Wochen unruhig wurde und immerfort eigentümliche Bewegungen mit der linken 
unteren Extremität ausführte. Stat praes.: ganz normales Nervensystem und ge¬ 
sunde innere Organe. Während der Untersuchung merkte man kurz dauernde 
Zuckungen im linken Bein. Nach einigen Monaten Anfälle, in welchen die Kranke 
bewusstlos wurde und der ganze Körper in tonischer Streckung (ohne klonische 
Zuckungen) eine gewisse Zeit verharrte. Als jetzt die Diagnose auf Epilepsie 
hindeutete, liess sich aus der Anamnese feststellen, dass die Patientin bereits vor 
Jahren plötzlich bewusstlos wurde und in diesem Zustand ziellos herumlief und 
dann wie vom Schlaf aufgeweckt erschien. 

Verf. bespricht sehr eingehend die Litteratur und hebt hervor, dass in seinen 
Fällen, im Gogensatz zu vielen anderen, keine Hallucinationen festzustellen waren 
und dass im ersten seiner Fälle das ziemlich constante Symptom dieser Abart der 
Epilepsie, nämlich die Folie morale, in der That bestand. 

Edward Flatau (Warschau). 


25) Ein Beitrag zur Casuistik des acuten umschriebenen Oedems (epilep¬ 
tische Insulte im Verlaufe des Hydrops hypostrophos) , von Dr. Carl 
v. Rad in Nürnberg. (Münchener med. Wochenschr. 1902. Nr. 8.) 

Ein 47jähriger, früher gesunder Maler (niemals Bleikolik), der mässigen 
Potus zugiebt und seit 3 Jahren öfters an Rheumatismus leidet, bekam im 
August 1899 zuerst einen epileptischen Anfall, dem bald darauf noch mehrere 
folgten. Seit November 1899 stellten sich anfallsweise auftretende, schmerzhafte 
Schwellungen der Gesichtshaut, des Larynx, der Magenschleimhaut und zuletzt der 
Haut beider Unterschenkel ein. Gehimnerven, Motilität und Sensibilität voll¬ 
kommen normal, Urin frei von Eiweiss und Zucker, Sehnenreflexe gesteigert. 
Bemerkenswerth ist in diesem Fall die Combination von Epilepsie mit den 
Oedemen, die nur ein Mal beschrieben ist. Verf. fasst die epileptischen Insulte 
als den Oedemen der Haut und Sohleimhäute gleichwerthige Symptome einer 
vasomotorisch-trophischen Neurose auf, die unter dem Bild des acuten Oedems 
auftritt. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


26) Bpilepsia larvata, von Tschisch. (Obosrenije psichiatrii. 1900. Nr. 5 

u. 6.) 

Eine sehr ausführliche Mittheilnng über einen gerichtlich-medicinischen Fall. 
Ein esthländischer Bauer, 22 Jahre alt, unbelastet, vorher stets gesund, erschlug 
in der Nacht vom 14./V. 1894 Vater, Mutter, Bruder und Schwägerin mit einem 
Holzscheit, wobei er ihnen unzählige schwere Verletzungen beibrachte. Ein 
ausserdem noch im selben Zimmer schlafender Bruder und ein Neffe wurden nicht 
angerührt. Der Thäter wurde am anderen Morgen selbst aus einer Kopfwunde 
blutend schlafend im selben Zimmer gefunden, sagte jedooh nichts über das ge¬ 
schehene Verbrechen aus. Bis zum 26./V. blieb er in einer Art halbstuporösen 
Zustandes, aus dem er dann scheinbar plötzlich mit voller Amnesie erwachte. 
Weder vorher noch nachher während einer mehr als ein Jahr dauernden Unter¬ 
suchung wurde auch nur das geringste Anzeichen einer psyohischen Krankheit 
an ihm gemerkt mit Ausnahme eines eigentümlichen metallischen matten Glanzes 
der Augen, den Verf. für charakteristisch für Epileptiker hält. Nach Analyse des 
ganzen Thatsachenbestandes sowie der Zeugenaussagen kommt Verf. zu der Ueber- 
zeugung, dass es sich hier um nichts anderes als um larvirte Epilepsie handeln 
konnte. 


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Somit erhält die bisher von der Wissenschaft nicht ganz angenommene 
Theorie Lombroso’s, wonach oft Verbrechen im Zustand larvirter Epilepsie be¬ 
gangen werden, ohne dass man weder vorher noch nachher irgend welche An¬ 
haltspunkte für die Existenz der Epilepsie entdecken kann, eine neue Stütze. 

Beiläufig macht Verf. auf den oben erwähnten metallischen matten Glanz der 
Epileptikeraugen aufmerksam, den er in allen Fällen von genuiner Epilepsie be¬ 
merkt und ihn auch sohon öfters anderen Collegen sowie auch Studenten demon- 
strirt hat. Verf. fordert auf, mehr Gewicht auf dieses Symptom zu legen. 

Wilh. Stieda. 


27) Ueber Kinderepilepsie, von Wassiljew. (Obosrenije psichiatrii. 1900. 

Nr. 9.) 

55jähriger, erblich nicht belasteter Bauer erkrankt an gehäuften Krampf¬ 
anfällen, die in der linken Gesichtshälfte begannen und sich über die ganze linke 
Körperhälfte erstreckten, wobei der Kranke erst im Laufe des Anfalls das Be¬ 
wusstsein verlor. Beginn der Erkrankung vor 15 Jahren, doch bestanden anfangs 
nur tonische Zusammenziehungen der Beuger der linken Hand, später kamen 
Zuckungen in der Gesichtsmusculatur hinzu und erst kurz vor Eintritt ins Kranken¬ 
haus wurden die Anfälle allgemein und es trat Bewusstlosigkeit auf. Im 
Krankenhause kam es bis zu 221 Anfällen am Tage und der Kranke sollte schon 
einer Trepanation unterworfen werden, als er plötzlich an einer croupösen Pneu¬ 
monie erkrankte und 2 Wochen nach seinem Eintritt starb. 

Bei der Section fand sich ein Bluterguss von Erbsengrösse im mittleren 1 f s 
der Rolando’schen Furche, jedoch so tief in der Furche selbst gelegen, dass 
man ihn bei äusserer Betrachtung gar nicht sehen konnte. 

Verf. weist auf die Wichtigkeit hin, bei Trepanation zwecks Entfernung 
einer Geschwulst, Schwiele u. s. w. auch die Tiefen der Furchen zu besehen. 
Ferner erwähnt Verf., dass in diesem Falle auf der linken Seite eine Abschwächung 
der tactilen Sensibilität und des Schmerzgefühls zu constatiren war. Angesichts 
der widersprechenden Ansichten verschiedener Autoren darüber, ob die Affection 
des motorischen Rindengebietes von Sensibilitätsstörungen begleitet sei oder 
nicht, meint Verf., dass in den meisten Fällen Störungen wohl vorhanden seien, 
jedooh seien sie individuell verschieden, je nach der Lebens- und Beschäftigungs¬ 
art, je naoh der ganzen psychophysischen Entwickelung. „loh vermuthe,“ sagt 
der Verf., „dass die Zerstörung des Rindenbezirkes, der die rechte Hand innervirt, 
bei einem Arbeiter, einem Musikanten und einem Gelehrten verschiedene Sym¬ 
ptome geben und verschieden verlaufen wird.“ Dadurch seien auch die wider¬ 
sprechenden Befunde zu erklären. Wilh. Stieda. 

28) Bur la valeur ohirurgioale de l’öpilepsie Jaoksonienne, par Chipault. 

(Gazette des höpitaux. 1902. Nr. 61.) 

An der Hand einiger summarisch mitgetheilter Fälle kommt Verf. u. a. zu 
folgenden wichtigeren Schlusssätzen: Jackson’sche Epilepsie an sich bietet noch 
keine Indication zu einer Trepanation; sie kann aber localisatorische Bedeutung 
haben, und zwar wäre, wenn gleichzeitig ein Verlust der „Motilitfi störöognostique“ 
vorliegt, ein vor den Centralwindungen gelegener Herd anzunehmen („Epilepsie 
Jacksonienne frontale“), während Verlust der „senaibilitä stör&ignostique“ von 
keiner besonderen localisatoriscben Bedeutung sei. Pilcz (Wien). 

29) Zur Frage der Trepanation bei oortioaler Epilepsie, von W. J. Rasu- 

mowsky. (Archiv f. klin. Chirurgie. LXVII. 1902.) 

Die bisherigen Veröffentlichungen und Statistiken über den Erfolg der Tre- 


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panation bei corticaler Epilepsie leiden fast alle an dem Fehler und werden da¬ 
durch unbrauchbar, dass die Fälle nicht lange genug beobachtet worden sind und 
dass Heilungen beschrieben werden, die sich später nur als Besserungen, oft von 
nur kurzer Dauer, herausstellten. Verf. hat 9 Fälle von corticaler Epilepsie 
operirt, davon 7 nach Horsley, d. h. mit Abtragung eines Stückes Binde, das 
sich durch elektrische Beizung des Gehirns als epileptogene Zone erwiesen hatte. 
Von diesen 7, die 2 Jahre 8 Monate bis 5 Jahre beobachtet werden konnten, 
waren drei unzweifelhafte therapeutische Besultate, darunter zwei sehr gute; in 
zwei weiteren war der Erfolg zweifelhaft, in den zwei letzten negativ. Die guten 
Besultate schreibt Verf. der Abtragung von Hirnrinde und nicht nur der durch 
die Trepanation geschaffenen Ventilbildung zu. Verf. kann also den absolut ab¬ 
lehnenden Standpunkt mancher Autoren der Operation gegenüber nicht theilen 
und rätb, die Methode, die in einem gewissen Procentsatz der Fälle lange an¬ 
dauernde und auch günstige Besultate giebt, weiter auszuarbeiten. Eine aseptisch 
ausgeführte Trepanation und Hör sley’sche Operation ziehe an und für sioh noch 
keine üblen Folgen nach sich; kein einziger der lange beobachteten Kranken 
erlitt dadurch eine Verschlimmerung in somatischer oder psychischer Beziehung. 
— In einem weiteren Falle von traumatischer corticaler Epilepsie führte die 
Entfernung einer Schädeldepression mit Osteophytbildung zur dauernden Heilung, 
in einem letzten deckte die Operation eine Porencephalocele auf, die darauf aus- 
geführte Ventrikeldrainage führte mittelbar durch Infection zum Tode des 
Kranken; Verf. warnt daher vor derselben, weil die Schwierigkeit, dies complicirte 
Höhlensystem ausgiebig zu drainiren, zu gross sei. — Die Einzelheiten der 
Kranken- und Operationsgeschiohten bieten neurologisch keine Besonderheiten. 

H. Haenel (Dresden). 


30) Thooretioal and praotioal oonsiderationa on tha treatment of Jaok- 

sonlan epilepsy by Operation, with the report of flve oasoa, by James 

Jackson Putnam, M. D., Boston. (Transactions of the association of 

Americ. physicians. 1901.) 

In diesem ausführlichen und interessanten Aufsatz suoht Verf. an der Hand 
von fünf operirten Fällen folgende Fragen zu beantworten: 

1. Ist die Entfernung von Krankheitsherden in der Hirnrinde bei Jackson’- 
scher Epilepsie von klinischem Werth? 

2. Hat die Entfernung von anscheinend unveränderter Hirnrinde einen Ein¬ 
fluss von materieller Bedeutung? 

3. Wie sind die Besultate solcher Maassregeln (1 und 2) am besten zu er¬ 
klären und, vor allem, ist der Nutzen, welcher durch Bindenexcision erzielt wird, 
nothwendigerweise entweder der Entfernung eines Krankheitsherdes oder eines 
besonderen „Auslösungsherdes“ zuzuschreiben? 

4. Welche neue Beleuchtung gewinnt die Physiologie der Hirnrinde durch 
die jüngsten experimentellen Forschungen und klinischen Beobachtungen? 

Wenn Verf. auch betont, dass zweifellos Hirnoperationen oft von grossem 
Nutzen sind, so glaubt er jedoch, dass die guten Erfolge mehr durch die Frei¬ 
legung der Hirnoberfläche, Loslösung von Adhäsionen u. s. w. zurückzuführen sind, 
als auf die theilweise vorgenommenen Excisionen von Hirnrindensubstanz. Nach 
seiner Meinung kann die Störung, wegen deren die Operation vorgenommen 
wurde, nur selten in anatomischen Veränderungen eines kleinen begrenzten Stückes 
Hirnrinde begründet sein. Der Beginn der Hirnrindenthätigkeit, als deren Schluss¬ 
resultat sich ein Anfall von Jackson’scher Epilepsie zeigt, mag ebenso wie bei 
willkürlichen Bewegungen in ganz anderen Hirnrindengebieten liegen als wie sie 
den betreffenden Hirncentren entsprechen. In dieser sozusagen ursächlichen Be- 


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Ziehung steht die genuine Epilepsie der Jackson'sehen vielleicht gleich. Die 
epileptische „Tendenz“ ist dann zu einem der regelmässigen Thätigkeitsausdrücke 
des ganzen Gehirns geworden und die Zerstörung eines einzelnen Hirntheiles, 
z. B. des Handcentrums, ist dann, wenn sie die Symptomatologie beseitigt, als 
den Ausbruch des Anfalles „hemmend“ und dadurch erfolgreich anzusehen. Wenn 
die Anfälle trotz dieser Operation weiterbestehen bleiben, so ist anzunehmen, dass 
die einleitenden Vorgänge im Gehirn eine zu grosse Verbreitung haben, als dass 
sie sich durch „Hemmung“ an einer begrenzten Stelle beseitigen Hessen. Verl 
streift bei dieser Gelegenheit auch die durch Eulenburg hervorgehobenen Be¬ 
obachtungen Wetterstrand’s von erfolgreicher Behandlung der Epilepsie durch 
Hypnose als ebenfalls einer „Hemmungsbehandlung“ der Epilepsie. 

Jedenfalls darf man nach des Verf.’s Ansicht nicht ex juvantibus urtheilen, 
dass die Ursache der Krankheit mit dem excidirten Hirnstück entfernt war; 
vielleicht hatte eine Blosslegung des Gehirns, eine Ablösung von Adhäsionsstellen 
der Dura mater u. s. w. denselben Effect gehabt. Jedenfalls haben letztere ein¬ 
fachere Maassnahmen oft auch schon genügt, um Besserungen oder Heilungen 
hervorzurufen. Verf. glaubt, dass das Verschwinden der Epilepsie durch Opera¬ 
tionen irgend welcher Art zunächst auf „Hemmung“, sodann auf Einbahnen neuer 
„Gewohnheit“ der Hirnrindenvorgänge beruht — Nach allen Operationen ist vor 
allem die bessere Reaction auf Brommedication hervorzuheben. 

Für die Auffassung der physiologischen Function der Hirnrinde haben diese 
Betrachtungen des Verf.’s natürlich ihre Folgen. Man muss die Hirnrinde nach 
des Verf.’s Ansicht nicht als ein Mosaik von speciellen Centren ansehen, sondern 
als ein ganz complicirtes Netzwerk, als Ausdruck von eng von einander abhängigen 
Functionen. Verf. kommt dann noch zu sprechen auf die Versuche, welche 
R. Ewald an trepanirten Hunden längere Zeit nach der Operation vornahm, und 
welche die grosse Abhängigkeit der verschiedenen Hirncentren von einander be¬ 
weisen. Ferner hebt er hervor, wie plausibel auf Grund der neueren physio¬ 
logischen Auffassung der Hirnrindenthätigkeit die grosse Restitutionsfähigkeit nach 
Hirnrindenläsionen erscheint: es werden eben neue Verbindungen in dem grossen 
Netzwerk aufgesucht und diese übernehmen, wenn auch vielfach mangelhaft, die 
Thätigkeit der zerstörten Partieen. Das Problem der Hirnthätigkeit liegt mehr 
auf dynamischem wie auf anatomischem Gebiete. — Dies sind die Grundzüge 
der Arbeit. — Es ist hier unmöglich, auf Einzelheiten einzugehen. 

Determann (St Blasien). 


31) lieber operative Eingriffe bei Epilepsie ohoreioa, von Prof. Dr. W. 
v. Bechterew. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXI. 1902.) 

Bei einem Patienten, welcher der Epilepsie und Chorea gemeinschaftliche 
Veränderungen darbot, bei welchem alle inneren Mittel versagten und die chorea¬ 
tischen Zuckungen sowie epileptischen Anfälle eine derartige Steigerung erfuhren, 
dass er starken Verletzungen ausgesetzt war, wurde zwei Mal die Trepanation 
vorgenommen. Und zwar wurde in einer Pause von 7 Wochen erst das rechte 
und später das linke Schädeldaoh im Gebiet der Centralwindungen eröffnet die 
Dura entfernt und an drei verschiedenen Stellen der vorderen Centralwindungen 
kleine Stücke der grauen Substanz abgetragen. Beide Operationen brachten 
wesentliches Zurückgehen der Krämpfe und choreatischen Zuckungen. Leider 
ging der Kranke 8 Tage nach dem zweiten Eingriff an „Wunderysipel“ zu 
Grunde. Immerhin glaubt Verf. an der Hand dieses Falles der operativen Be¬ 
handlung der Epilepsie bez. Chorea ein Wort reden zu dürfen! 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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32) Beseotion des Halssympathlous bei Epilepsie, von E. Hevesi. (Vor¬ 
trag, gehalten im siebenbürgischen Museum-Verein, Section für Medicin u. 
Naturwissenschaften, am 28./DL 1901.) 

Verf. stellt einen 15jähr., an genuiner Epilepsie leidenden Knaben vor, bei 
welchem die Exstirpation beider Halssympathici vorgenommen wurde. Pat. hatte 
früher 6—7, mitunter auch 13 epileptische Anfälle, während in den der Operation 
folgenden 26 Tagen bei 12 anfallsfreien Tagen insgesammt 27 Anfälle beobachtet 
wurden. Verf. äussert sich wegen Kürze der Zeit noch nicht über den thera¬ 
peutischen Werth der Operation. Hudovernig (Budapest). 


33) Die Anwendung des Dormiols bei Epileptisohen. Ein Beitrag zur 

Behandlung des Status epileptious, von Dr. J. Hoppe. Aus der Landes- 

Heil- und Pflegeanstalt Uchtspringe. (Münchener med. Wochenschr. 1902. 

Nr. 17.) 

Bei gehäuften Anfallen und im Status epilepticus hat sich die Darreichung 
von Dormiol per rectum in Dosen von 2—3 g (10,0:150,0, 2—3 Esslöffel dieser 
Lösung l / 4 — 1 / 3 Liter lauwarmen Wassers zum Einlauf beigemengt) ausserordent¬ 
lich bewährt, unangenehme Nebenerscheinungen wurden nicht bemerkt. Ob sich 
aber das Mittel zur dauernden Behandlung der Epilepsie eignet, erscheint, ausser 
bei der Epilepsia nocturna, immerhin sehr fraglich. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

34) Observations on a oase of epilepsy to determine the value of the 

Biohet and Toulouse method of treatment by a ohlorine-poor diet, 

by J. Eason. (Scottish med. and surg. Journ. 1902. August.) 

Verf. hat bei einem Fall von Epilepsie eine längere Beobachtung bezüglich 
des Einflusses des Kochsalzgehaltes der Nahrung auf die Zahl der Anfälle an¬ 
gestellt, und zwar theils in klinischer Beobachtung, theils während Pat. zu Haus 
lebte. Es ergab sich hieraus, dass die Anfälle am häufigsten eintraten, wenn 
Pat. ohne Medication eine salzreiche Nahirnng combinirt mit einer Aufnahme von 
noch ausserdem 12 g Chlornatrium zu sich nahm, dass die geringste Zahl der 
Anfälle auftrat bei Combinatdon salzarmer Diät mit Brommedication, und dass 
auch ohne den Einfluss von Medicamenten hei salzarmer Diät die Anfälle mehr 
den Charakter des Petit mal annahmen. Verf. macht aber darauf aufmerksam, 
dass schon der Aufenthalt im Krankenhause mit seiner geregelten Lebensweise an 
sich sehr günstig auf den Verlauf der Epilepsie wirkt; so hatte sein Patient 
6 Wochen lang keinen Anfall, trotzdem er täglich 16 g Chlornatrium zu sich 
nahm; auffallend war auch, dass Pat. diese grösseren Salzmengen, die neben der 
Nahrung noch gewonnen wurden, im Krankenhanse gut vertrug, während er zu 
Haus davon Uebelkeit und Brechneigung hatte. Verf. hält für nöthig, dass bei 
kochsalzarmer Diät ein Ersatzmittel des Chlornatriums gegeben wird, für das er 
phosphorsaures Natrium empfiehlt Martin Bloch (Berlin). 

35) Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie, von Rudolf Bälint. 

(Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 28.) 

Vor 2 Jahren empfahlen die Franzosen Toulouse und Rieh et in der An¬ 
nahme, dass der Organismus bei Chlorentziehung auf Brom empfindlicher reagirt, 
bei Epilepsie ein diätetisches Verfahren, welches in Entziehung des Kochsalzes 
aus der Nahrung besteht Sie hatten dasselbe an 20 Frauen mit inveterirter 
Epilepsie erprobt Die Zusammensetzung der von den französischen Autoren ge¬ 
reichten Kost war: 100 g Milch, 300 g Fleisch, 300 g Kartoffel, 200 g Mehl, 
2 Eier, 50 g Zucker, 10 g Kaffee, 40 g Butter, welche Speisen ungesalzen gegeben 


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wurden bei gleichzeitiger Darreichung von täglich 1—2 g Bromkali. Mit dieser 
Diät machte Verf. an 28 Kranken, Männern und Frauen, in 9 frischen und 19 
veralteten Epilepsie fällen Versuche, musste aber bald davon Abstand nehmen, 
weil der Genuss völlig ungesalzenen Fleisches grosse Schwierigkeiten bereitete. 
Verf. ersetzte dann das Fleisch durch 300—400 g Brot und buk dasselbe anstatt 
mit Kochsalz mit Bromsalz. Dadurch erhält das Brot den entsprechenden Ge¬ 
schmack und das Medicament kann mit der Nahrung zusammen eingeführt werden. 
Verf.’s Diät setzt sich folgendermaassen zusammen: 1—1 1 / 1 Liter Milch, 40—50 g 
Butter, 3 Eier, 300—400 g Brot und Obst. Der Nährwerth betrug 2300—2400 
Calorien, der natürliche Kochsalzgehalt der Nahrungsmittel nicht viel mehr als 
2 g, die Bromsalzmenge 2 g. Die Franzosen hatten bei ihrer Diät und gleich¬ 
zeitiger Verabreichung von 1—2 g Brom beobachtet, dass sich die Anfalle bereits 
nach einer Woche zu verringern begannen und bei den meisten Eiranken nach 
und nach ganz ausblieben. Das Resultat der Diätversuche des Verf’s war fol¬ 
gendes : Zu Beginn der Anwendung der Diät reagirten die Patienten nicht gleich- 
mässig. In einem Theil der Fälle zeigte die Intensität und Zahl der Anfälle 
keine Veränderung, bei einigen Fällen wurde sogar ein Ansteigen der Anfälle am 
2.—3. Tage der Behandlung beobachtet Dagegen gab es Fälle, in denen schon 
am Anfang der Diät die Anfälle wie abgeschnitten aufhörten. Am 6.—7. Tage 
ist in einem jeden Falle eine Veränderung zu bemerken gewesen. Theils ver¬ 
ringerte sich die Zahl der im Beginn häufiger aufgetretenen Anfalle nun plötzlich, 
gewissermaassen kritisch, theils war zwar eine Verringerung in der Zahl nicht 
zu beobachten, aber die Anfälle wurden schwächer und an Stelle der heftigen 
tonisch-klonischen traten Krämpfe schwächerer Intensität und später Anfälle, die 
in schwachen, dem Zittern ähnlichen Zuckungen bestanden. Das völlige Aus¬ 
bleiben der Anfälle beobachtete Verf. in 7 von den 9 frischen, in 15 von den 
19 veralteten Fällen, also bei 70°/ 0 der Fälle. Die Behandlung mit der Diät 
wurde meistens 35—40 Tage durchgeführt, nur in einigen Fällen länger. Mit 
dem Schwächerwerden bezw. Ausbleiben der Anfälle besserte sich auch der geistige 
Zustand der Kranken, selbst ganz betäubte, verblödete, stupide Kranke sollen 
während der Behandlung langsam die Besinnung, klaren Blick, lebhaftere Apper- 
ception zurückgewonnen haben. Fast ausnahmslos stieg das Körpergewicht der 
Kranken, ihr Aussehen wurde frisoher. Schädliche Nebenwirkung des Broms 
wurde nicht beobachtet. Die Frage nun, ob das Schwäoherwerden oder Sistiren 
der Anfälle nur während der Dauer der Behandlung bestehen blieb, oder ob das 
Aufspeichern des Broms im Organismus einen länger währenden Einfluss hat, be¬ 
antwortet Verf. nach seiner Erfahrung dahin, dass in der überwiegenden Zahl 
der Fälle nach Aussetzen der 36—40 Tage dauerden Behandlung die Anfälle 
bald wiederkehrten, wenn auch bei weitem schwächer; erst nach längerer Zeit 
zeigten sich die früheren starken Krämpfe. Je länger die Diät fortgesetzt wird, 
ein um so länger dauernder Erfolg ist nach dem Aussetzen derselben gesichert. 

—'Verf. hält die Behandlung im Sanatorium, wo für die Exactheit der Durchführung, 
für die körperliche und psychische Ruhe der Kranken Gewähr geleistet ist, für 
sehr wichtig. Dass der günstige Einfluss dieser Behandlung thatsächlich auf der 
Entziehung des Chlors und nicht auf der Reizlosigkeit der Diät beruht, ist da¬ 
durch bewiesen, dass dieselbe Diät ohne Bromverabreichung die Anfälle niemals 
beeinflusste, und dass der Versuch, zwei Patienten, die im Laufe der Behandlung 
anfallsfrei geworden waren, die Gabe von täglich 5 g Chlornatrium in Pulverform 
neben der gewohnten Bromdosis zu geben, die Anfälle sehr bald wieder hervor¬ 
rief. Die günstige Wirkung der diätetischen Behandlung besteht hauptsächlich 
in der hochgradigen Steigerung der sedativen Wirkung des Broms, und daher 
wäre sie auch bei anderen Nervenkrankheiten, in welchen man auf stärkere Brom¬ 
wirkungen angewiesen ist, zu versuchen. Bielschowsky (Breslau). 


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86) La dieta ipoolorurata nella oura bromioa della epilessia, pel Dr. L. 

Cappelletti e A. D’Ormea. (Manioomio provinciale di Ferrara. Com- 
mun. fatta in Ferrara. 1901. 5. Nov.) 

1899 wurde, von Richet und Toulouse, ausgehend von theoretischen Ueber- 
legungen versucht, die Bromtherapie in der Epilepsie dadurch wirksamer zu ge¬ 
stalten, dass man möglichst wenig Chlorsalze den Kranken reichte. Nur wenig 
und mit zweifelhaftem Erfolge ist die Jlodification von anderen Klinikern praktisch 
verwerthet worden. Die Verff. haben an 20 Kranken das neue Verfahren erprobt 
und konnten folgende Schlussfolgerungen statuiren: Das Regime von Richet und 
Toulouse übt bedeutenden Einfluss auf die Zahl, Intensität und Dauer der 
Anfälle. In 26% der Fälle verschwanden dieselben, in 42°/ 0 verminderten sie 
sich bedeutend, in 21°/ 0 blieben sie unberührt, in 11% trat Verschlimmerung 
auf. Ueble Nachwirkungen konnten nicht nachgewiesen werden. Meist tritt eine 
Hebung des allgemeinen Ernährungszustandes ein (in 70% der Fälle). Unter¬ 
brechung des Regimes wird gut vertragen und die Heilwirkung ist meist eine 
dauernde (in 67% der Fälle). L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


37) Versuche mit der Toulouse und Riohet’sohen Epilepsiebehandlung, 

von E. Halmi und A. Bagarus. (Gyögy&szat 1902. Nr. 7. [Ungarisch.]) 

Die Verff. machten ihre Versuche in der psychiatrischen Abtheilung P&ndy’s 
an 15 Kranken, bei welchen die Zahl der Anfälle auch während der gewöhn¬ 
lichen Brombehandlung grössere Schwankungen zeigte. Vor Beginn der Toulouse 
und Rieh et'sehen Behandlung wurde den Kranken das Brom während zweier 
Monate entzogen, um normale. Verhältnisse zu schaffen (während dieser Zeit er¬ 
höhte sich die Zahl der Anfälle). Während der Toulouse-Richet’schen Kur 
wurde folgende Diät eingehalten: 2 Liter Milch, 2 Eier, 600—750 g ungesalzenes 
Brot, und etwa 3 g Bromsalz in den ersten 2 Wochen, in der zweiten Hälfte des 
Versuchsmonates 1,5 g Bromsalz. Bei 7 Kranken verringerte sich die Zahl der 
Anfälle, bei 6 zeigte sich eine Erhöhung derselben, und 2 Kranke starben an 
Bromintoxication. — Bei Controllversuohen, d. i. Darreichung der salzlosen Kost 
ohne Brom bei nicht-epileptisohen Kranken, zeigte sich bald Verschlimmerung des 
Allgemeinbefindens, wesshalb von weiteren Versuchen Abstand genommen werden 
musste. — Die Verf. kommen zur Schlussfolgerung, dass die Toulouse-Richet’sche 
Epilepsiebehandlung die Epilepsie weder bessern, noch heilen kann; die oligochlore 
Diät ermöglicht zwar eine intensivere Bromwirkung, aber erleichtert auch die 
Möglichkeit einer Bromvergiftung, wesshalb die Behandlungsart als gefährlich be¬ 
zeichnet wird. (Ref. stellte s. Z. an 8 Kranken ähnliche Versuche an, von welchen 
6 lieber die Epilepsie als die „geschmacklose, fade Nahrung“ ertrugen; bei zwei 
Patienten wurde die Toulouse-Richet’sche Kur einen Monat fortgesetzt, und 
beide zeigten während derselben eine Verminderung der Anfälle, jedoch eine auf¬ 
fallende Vermehrung derselben nach dem Uebergang zur normalen Diät, so dass 
während einiger Wochen das Doppelte der früheren Bromdosis dargereicht werden 
musste.) Hudovernig (Budapest). 


38) Bromoooll, ein neues Brommittel in der Behandlung der Epilepsie, 

von Dr. Reich und Dr. Ehrcke. (Therap. Monatsh. 1902. Febr.) 

Die in der Anstalt Wuhlgarten von den beiden Autoren zu gleicher Zeit, 
aber unabhängig von einander auf der Männer- und Frauenabtheilung angestellten 
Versuche mit einem neuen organischen Brommittel (Verbindung des Broms mit 
Leim und Tannin), die etwa 20 % organisch gebundenes Brom enthält, haben 
ergeben, dass das Mittel, selbst in sehr grossen Dosen (bis 50 g pro die), un- 


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schädlich, von Seiten des Magens und Darms gut vertragen wird, und Neben¬ 
wirkungen, die bei den K- und Na-Salzen leicht ein treten, vermissen lässt; be¬ 
sonders traten keine Herzstörungen auf und Akne fehlte auch bei dazu disponirten 
Kranken so gut wie vollständig. Den Anfallen gegenüber leistet es, in der 
seinem geringeren Bromgehalt entsprechend grösseren Menge gegeben (18—20 g 
pro die oder mehr), dasselbe wie KBr. H. Haenel (Dresden). 


30) Drei Fälle vom vollständig geheilter Epilepsie, von Dr. M. Turnowsky. 

(Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 36.) 

Verf. berichtet von drei an Epilepsie leidenden Patienten, wovon zwei, eine 
38, bezw. 34jähr. Frau nach einer Pneumonie, und der dritte, ein jetzt 12jähr. 
Knabe, nach einem im 6. Lebensjahre aufgetretenen Scharlach die Anfalle ver¬ 
loren hatten. Nachbeobachtung im 1. Falle 14 Jahre, im 2. Falle 10 Jahre, im 
3. Falle 6 Jahre. Verf. würde es für gerechtfertigt halten, Epileptiker absichtlich 
einer Infection — sei es croupöse Pneumonie oder Scharlach — auszusetzen. 

_ J. Sorgo (Wien). 


40) Epileptikeranstalt oder NervenheilatfttteP Gutachten, erstattet dem Ver¬ 
ein norddeutscher Irrenärzte, von Bratz. (Psychiatr. Wochenschr. 1901. 
Nr. 28.) 

Verf. bejaht in dem mitgetheilten Gutachten die ihm vorgelegte Frage, ob 
es sich empfehle, eine Anstalt nur für Epileptiker zu bauen, da es eine Reihe 
von Epileptikern giebt, die sich, obwohl sie der Anstaltspflege bedürfen, doch aus 
den verschiedensten Gründen nicht für eine Irrenanstalt eignen. Die Anstalt soll 
aber ausser Epileptikern noch Krampf kranke aller Art (Hysterie, organische Hirn¬ 
erkrankungen, Chorea, Paralysis agitans, Säufer) aufnehmen. Ferner empfiehlt er 
eine Aufnahme von Nervenkranken aller Art sowie eine Zumischung von Geistes¬ 
kranken (etwa 20 °/ 0 ). Hinsichtlich der baulichen Einrichtungen schlägt Verf. 
vor eine Kinderabtheilung mit Schule, eine grössere Zahl von Landhäusern, ein 
geschlossenes Haus für Unruhige, ein Werkstattsgebäude und Gebäude für die 
Landwirtschaft. Am besten führt die Anstalt den Namen Nervenheilstätte. 

Ernst Schnitze (Andernach). 

41) Publioationa du progrös mödioal. VoL XXI: Beoherohes oliniquoe et 
thörapeutiques sur l’öpilepaie, l’hystdrie et l'idlotie, par Bourneville. 
(Paris 1901, Felix Alcan. 236 S.) 

Wie in den früheren Bänden (vgl. d. Centralbl. 1899. S. 600 und 1901. 
S. 473) giebt Verf. zunächst die Geschichte der Idioten- und Epileptikerstation 
zu Bicetre aus dem verflossenen Jahre. Am 1. Januar 1900 befanden sich auf 
der Abtheilung 449 Kinder, davon 406 Idioten, Imbecille oder Epileptiker, 43 
nioht geisteskranke. Hierzu kamen im Laufe des Jahres 1900: 87 Aufrahmen. 
Es starben 16 und es wurden entlassen 86 Kinder, von letzteren wurden 21 ihrer 
Familie wiedergegeben. 

Verf. beschreibt des päheren die Einrichtungen zu Bicetre und die Art- des 
Unterrichts und der Erlernung eines Handwerks. 

Der zweite Theil des Buches giebt Krankengeschichten von interessanten 
klinischen Fällen, berichtet über die angewandte Therapie sowie über die Sections- 
befande und ist von guten Photographieen begleitet. Derselbe enthält 19 Arbeiten, 
welche besonders das Thema der Epilepsie, Idiotie und des Myxödems behandeln. 

Kurt Mendel. 


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Psychologie. 

42) Hallnoinatioxui dlurnes ohez les enfents, par Dr. P. Vergely (Bordeaux). 

(Rev. mens, des maladies de l’enfance. XX. 1902.) 

Verf. theilt zwei Beobachtungen von Qesichtsballucinationen grösserer Kinder 
in der Reconvalesoenz nach schweren fieberhaften Bauchaffectionen mit: In dem 
einen Falle handelt es sich um ein 7jäbriges Kind, das eine Perityphlitis (ohne 
Operation) 'durchgemacht hatte. Das Fieber war bereits geschwunden, der Appetit 
wiedergekehrt und das Kind schon ausser Bett, als sich ohne heftige Initial- 
erscheinungen, ohne vorangegangenen Schlaf bei Tag Gesichtshallucinationen ein* 
stellten. Plötzlich, mitten während des Spieles, behauptete das Kind, einen Mohren 
im Zimmer zu sehen, liess sich auch nicht, als der anwesende Arzt ihm die Leer¬ 
heit des Zimmers demonstriren wollte, davon abbringen, erklärte schliesslich, die 
Gestalt sei wieder versohwunden. Irgend welche Epilepsie* oder Absencesymptome 
fehlten während dieser Wahrnehmung vollständig. Die Hallucination kehrte durch 
einige Tage in ziemlich ähnlicher Form wieder, um dann allmählich sich zu ver¬ 
lieren. Später (durch 6 Jahre) haben sich derartige Zustände nicht wiederholt. 
In ähnlicher Weise verlief ein Anfall von Hallucinationen bei einem 12jährigen 
Kinde, das ebenfalls nach einer Perityphlitis sich über krankhafte Wahrnehmungen 
von Menschen, die im Zimmer oder auf der Gasse ihr nachgingen, äusserte; auch 
hier trat dauernde Heilung ein. Zappert (Wien). 

43) Ueber Gehirnerkrankungen mit Katatonie, von G. Anton. (Mittheilung 

des Vereins der Aerzte in Steiermark. 1902.) 

Verf. erörtert an der Hand dreier Krankengeschichten den charakteristischen 
katatonischen Symptomencomplex; aus den Krankengeschichten ist hervorzuheben, 
dass der Blutdruck zwei Mal auffällig niedrig gefunden wurde, dass in einem 
Falle Hallucinationen des Muskel- und Lagesinnes mit im Vordergrund der Er¬ 
scheinungen standen, in einem anderen die Wendung zur Besserung sich direct 
an eine subcutane Kochsalzinfusion anschloss, die im Stadium vorgeschrittener 
Kachexie vorgenommen wurde..— Da die Ergebnisse der Versuche von Hering 
und Sherrington, die bei Reizung einer Muskelgruppe von der Rinde aus eine 
active Erschlaffung der Antagonisten beobachteten, nicht ohne weiteres auf die 
normale Willkürbewegung des Menschen übertragen werden können (Otfrid 
Förster), so sind auch die Folgerungen, die Verf. aus diesen Versuchen für die 
Erklärungen der Muskelspannungen bei Katatonikern zieht, als mindestens ver¬ 
frühte zu bezeichnen. H. Haenel (Dresden). 


UL Bibliographie. 

1) Epilepsie, von W. R. Gowers (London). II. Auflage. Deutsche autorisirte 
Ausgabe von Dr. Max Weise (Wien). (Leipzig u. Wien 1902, Franz Deuticke. 
336 S.) 

Die erste Auflage dieses Buches hat in diesem Centralblatte (1882, S. 165) 
eine eingehende Besprechung durch Tuczek gefunden. Die in deutscher Ueber- 
setzung vorliegende zweite Auflage stützt sich auf ein Material von 3000 Fällen 
(gegenüber 1450 der ersten) und bringt eine erschöpfende Darstellung der Klinik, 
der Pathologie und der Therapie der Epilepsie. Der Name des Verf.’s, welcher 
auch in Deutschland einen sehr guten Klang hat, bürgt nicht bloss für die gute 
Beobachtung, sondern auch für die kritische Verwerthung eigenen und fremden Materials. 

Wie schon in der ersten Besprechung hervorgehoben wurde, verleiht der 
Darstellung „das überall hervorleuchtende Streben, für die klinische Beobachtung 
den physiologischen Boden zu gewinnen, einen besonderen Reiz.“ 

Die Klinik der Epilepsie hat durch die Zunahme der ihr zu Grunde ge- 


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legten Fälle eine weitere Bereicherung erfahren. Wie in der ersten Auflage, so 
protestirt auch jetzt Verf. gegen die Aufstellung einer Hystero-Epilepsie im Sinne 
Charcot’s, nennt die bei dieser beobachteten Anfälle „hysteroide“, während er 
auf der anderen Seite (S. 106) in Uebereinstimmung mit Trousseau anerkennt, 
dass es „intermediäre“ Anfälle giebt. 

So lange wir über das Wesen der Epilepsie und der Hysterie nioht genauere 
Kenntnisse besitzen als bisher, wird die differentielle Bezeichnung der Symptome 
nicht ohne eine gewisse Willkür stattfinden. 

Dass wir aber in den letzten zwei Jahrzehnten thatsächliche Fortschritte 
nach jener Richtung hin nicht gemacht haben, ergiebt die Besprechung der 
Pathologie der Epilepsie, wenn auch hier vielleicht ein näheres Eingehen auf 
die Autointoxicationstheorieen der Epilepsie erwünscht gewesen wäre. 

Die Toxicität des Blutes der Epileptiker nach epileptischen Anfällen halt 
Verf. nicht für genügend sichergestellt. 

Aus der Besprechung der Behandlung der Epilepsie ergiebt sich, dass wir 
auch hier im wesentlichen auf demselben Standpunkt stehen, wie vor 20 Jahren. 

Die Brompräparate, unter welchen das Bromkalium der Erfahrung nach das 
wirksamste ist, bleiben nach wie vor das souveräne Mittel gegen die Epilepsie. 

Die „Heilung“ der Epilepsie durch Bromide betrachtet Verf. als die Folge 
einer andauernden Aenderung der Stoffwechselverhältnisse. 

Den vielfachen neueren Methoden der Bromdarreichung gegenüber (Brom- 
kampher, Bromalin, Bromipin, Flechsig'sehe Methode) verhält sich Verf. abweisend. 

Der vegetabilischen Kost legt Verf. eine wesentliche Bedeutung nicht bei, 
die salzarme erwähnt er nicht. 

Der vollen Uebereinstimmung der meisten Neurologen dürfte sich der Verf. 
mit den Sätzen erfreuen, dass er die Trepanation bei der idiopathischen Epilepsie 
verwirft, dieselbe da, wo es sich um eine organische Epilepsie ohne Zeichen einer 
Schädelverletzung handelt, nur unter ganz bestimmten Indicationen gelten lässt, 
sie dagegen bei Epilepsie mit Schädelverletzungen als einen „chirurgischen Zwang“ 
erachtet. 

Ein Buch von Gowers bedarf einer besonderen Empfehlung nioht. 

Die Uebersetzung ist tadellos, die Ausstattung des Buches, wie es bei der 
rührigen Verlagsbuchhandlung nicht anders zu erwarten, eine gute. M. 


2) Unter dem Titel „Neurologia* 1 erscheint von den Professoren Kure und 
Miura herausgegeben ein neues Centralblatt für Neurologie, Psychiatrie, 
Psychologie und verwandte Wissenschaften in Tokio. 

Es liegen die beiden ersten Hefte vor (April und Juni 1902). Das erste 
enthält Originalien in deutscher Sprache von Miura (über amyotrophische Lateral* 
sklerose), Kure (über die Beziehungen der Glia zu den Gefässen), das zweite, 
v. Krafft-Ebing zu seinem Jubiläum gewidmet, solche von Okada (über das 
Zehenphänomen Babinski’s), von Imura (über Othaematom bei Geisteskranken), 
von Sakaki (über das Tumbaco). Wir kommen auf die Arbeiten referirend zurück. 

Der übrige Inhalt ist in japanischer Sprache. Ausstattung wie Abbildungen 
sind vorzüglich. 

Wir wünschen der neuen Zeitschrift einen recht guten Erfolg und zweifeln 
an demselben bei der anerkannten Tüchtigkeit seiner Herausgeber wie der grossen 
Zahl seiner Mitarbeiter nicht. M. 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mstsokb & Wittxo in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Hernnsgegeben tob 

Professor Dr. E. Hendel 

(unter Mithülfe tob Dr. Kurt ImM) 

Eiautiwaudggter “ B * Ba Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 84 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Poetanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct Ton der Verlagsbuchhandlung. 


1902. 16. September. Nr. 18. 


f 

Rudolf Virchow 

Am 5. September erlöste der Tod von längerem Leiden den 
Altmeister der medidnischen Wissenschaft. 

Vor länger als einem halben Jahrhundert begann Vibchow 
der wissenschaftlichen Forschung in der Medicin die Wege zu zeigen, 
auf welchen sie zu einer fruchtbringenden Erkenntniss kommen 
konnte, rasch folgten die Entdeckungen, welche das bis dahin Gül¬ 
tige, soweit es nicht das Ergebniss sicherer naturwissenschaftlicher 
Beobachtung war, umstürzten, und unter seinem Namen und unter 
seiner Führung eroberte sich sohneil seine Schule die Herrschaft 
in der Medicin der ganzen Welt Welche Umwälzungen hierbei 
die Disdplin, welcher speciell diese Blätter gewidmet sind, erfuhr, 
soll Gegenstand einer besonderen Betrachtung werden. 

Ein Fürst der Wissenschaft ging dahin und mit ihm ein 
Charakter, der als Vorbild den Trefflichsten aller Zeiten gelten 
wird. Die Mitwelt, seine ungezählten Schüler in allen Erdtheilen, 
sie werden ihm ein nie erlöschendes dankbares Andenken bewahren, 
ferne Zeiten aber werden noch den R uhm des VntGHOw’ sehen 
Namens verkünden. 


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Inhalt: I. Originalmittheiiungen. 1. Ueber einen besonderen Kern der Formatio reti- 
cnlaris in der oberen Brflckenregion, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in 8t Petersbarg. 
2. Ueber den Lnmbofemoralreflez, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in 8t Petersburg. 8. Ueber 
myotonisohe Pnpillenbewegung, von Dr. Alfred Saenger. 4. Der Infraepinatasrefiex: ein 
bisher unbekannter Reflex der oberen Extremität des Menschen, von Prof. Dr. Steiner in 
Köln. 6 . Weiteres zur Kenntniss des Supraorbitalreflexes, von Dr. D. J. McCarthy. 6 . Ueber 
die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie, von Dr. med. August Dlehl in Lübeck. 

II. Referate. Anatomie. 1. On the natural preservation of the brain in the anoient 

Egyptians, by Smith. 2. Der Nucleus salivatorius ohordae tympani (nervi intermedii), von 
Kohnstamm. — Experimentelle Physiologie. 8. Recherche* experimentales rar les 
voies acoustiques, par Dantchakoff. 4. On the supposed reversal of the law of contraction 
in degenerated muscles, by May. 5. Ueber die corticalen sekretorischen Centren der wich¬ 
tigsten Verdauungsdrüsen, von v. Bechterew. 6. Leber die spinalen Atbmungsbahnen, von 
Rothmann. 7. Ueber das Verhalten der Blutgefässe im Gebiet durchschnittener vasomotorisch« 
Nerven, von Jores. — Psychologie. 8. Bestimmungen der einfachen Reactionszeit bei 
Europäern und Malayen, von Grl|ns. 9. Grundxüge der Psychologie. Bd. 1. Allgemeiner 
Theil: Die Principien der Psychologie, von Münsterberg. — Pathologische Anatomie. 
10. Zur pathologischen Anatomie der Hemiathetose. Zugleich Beitrag zur Kenntniss der 
ans der Vierhtigelgegend absteigenden Bahnen beim Menschen, von Haenel. 11. Endarterütis 
cartilaginoaa der grossen Hirngefässe, von Marburg. 12. Degeneration in hemiplegia, vrith 
Bpecial reference to a ventro-lateral pyramidal tract, the accessory fillet and ricks bandle, 
by Barnes. 18. Des foyers lacnnaires de desintdgration et de differente autree &ats eavitaires 
da cerveau, par Marie. — Pathologie des Nervensystems. 14. Tronblee trophiqaaa et 
troubles de la sensibilite chez les hemiplegiques, par Chatin. 15. Essai snr l’hömiplegie des 

vieillards. Les lacunes de ddsintögration cördbrale, par Ferrand. 16. Snr un cas d'ndmor- 

ragies multiples de l'encöphale chez le oheval, par Lesbre et Forgeot. 17. On intracranial 
thrombosis as the cause of donble optic nenritis in cases of chlorosis, by Hawthorne. 18. 8or 
quelques symptömes interessante ddterminös par des ldsions circonscriptes de l'encdphale etc, 
par Toubert. 19. Ueber einen Fall von Erweichung im dorsalen Theil der Brücke, von 
Ransohoff. 20. Two cases of astereognosis, by Oiller. 21. Die Beziehungen der Arterio¬ 
sklerose zu Erkrankungen des Gehirns, von Windscheid. 22. Ein Beitrag zur Kenntniss der 

Encephalitis, von Spielmeyer. 28. Beitrag zu der Lehre von der infantilen Hemiplegie, von 
Marinesco. 24. Beiträge zur Klinik der cerebralen Kinderlähmungen, von Koenig. 25. Cere¬ 
brale Kinderlähmung und Idiotie, von Wachsmuth. 26. L'adipose douloureuee, syndröme de 
Dercum, par Fird. 27. Slow pulse, with special reference to Stokes-Adams’ disease, by Edes. 
— Psychiatrie. 28. Ueber coordinirte und assimilirte Geisteskrankheiten, von FerenezL 
29. Die functionellen Psychosen des Greisenalters, von Salgd. 80. Vom Verhältnis* der 
psychischen mangelhaften Entwickelung zu verschiedenen Kategorieen der Sprachstörung, vsa 
Oltuszewski. 81. Un oaso di solerosi tuberosa ipertrofica della cortecoia cerebrale con idiosm, 
per Qavazzenl. 32. Un p&re cocaiuomane engendrant des enfants idiots, par Marfan. 33. Ua 
idiota microcefalo, per O’Ormea. 34. Idiotie microcöphalique: cerveau pseudo-kystique, par 
Bourneville et OberthOr. 85. Ein Fall von tiefstehender Idiotie mit iSkeletverinderungen, von 
Weygandt. 86. Agrammatismus infantilis, von Liebmana. 37. A contribution of the sympfeo- 
matology of cretinism and other forme of idiocy, by Koplik and Lichtenstein. 38. The eye 
defects which may cause apparent mental dullness and deficiency in children, by ML 
89. L’hdrdditd et la dögöndrescence en obstetrique, par Larger pire et fils. 40. Das Simolirea 
von Geisteskrankheiten, von Nemeth. 41. Ueber „innere“ somatische Entartungszeichen, vea 
Nicke. 42. Wichtige Entscheidungen auf dem Gebiete der gerichtliehen Psychiatrie, von 
Schultze. 43. Strafrechtlich-psychiatrische Gutachten als Beiträge zur gerichtlichen Psychiatrie 
für Juristen und Aerzte, von Pfister. 

III. Bibliographie. 1. Specielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein Handbuch für 
Aerzte und Studirende, von Laube. 2. Opere complete, del Dr. Seraffao BHR. 3. Anatomie 
dee ceutres nerveux, par J. Dejerine, avec la oollaboration de Madame Dejerine-Klua^ke. 

IV. Aus den Gesellschaften. Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 

V. Vermischtes. 

VI. Berichtigung. 


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1 


— 885 — 

L OriginalmittheUungen. 


1. Ueber einen besonderen Kern der Formatio reticularis 
in der oberen Brückenregion. 

Von Prof. Dr. W. v. Beohterew. 

Den Untersuchungen von Roller, mir und Anderen ist es in letzter Zeit 
gelangen, die Anzahl der schon früher wohl bekannten Kerne in der Formatio 
reticularis (dazu gehört die obere OMve u. s. w.) zu bereichern und eine 
Reihe neuer, wenig bekannter grauer Gebilde in bestimmter Weise zu isoliren. 
Unter diesen letzteren and in der Reihenfolge ihrer aufsteigenden topographischen 
Lagerung zu nennen: 

1. Der Nucleus funiculi anterioris s. respiratorin von Misslawski 
in dem verlängerten Mark theils medial, theils lateral von den Wurzeln des 
N. hypoglossus gelegen. 

2. Der Nuoleus centralis inferior von Roklhb, in der Medulla oblon- 
gata über dem cerebralen bezw. oberen Abschnitt der grossen Oliven befindlich. 

3. Der Nuoleus reticularis tegmenti pontis von mir, über dem 
nledialen Thal der Schleifenschicht 

4. Der Nucleus centralis superior (s. N. medianus, s. unten) von 
mir, zu beiden Seiten der Raphe in der Höhe des hinteren Vierhügelganglions. 

5. Der Nuoleus innominatus, ebenfalls von mir beschrieben, in der 
Höhe des vorderen Vierhügels nach innen und dorsal von der Schleife, die in 
dieser Gegend auf Durchschnitten Siohellorm darbietet 

6. Der Nucleus tractus peduncularis transversi (von mir und Dr. 
Kleilzbn beschrieben), noch weiter proximalwärts gelegen, von konischer Form. 

Zu diesen Gebilden tritt nun noch ein weiterer wichtiger Kern in der Formatio 
reticularis hinzu. Derselbe findet sich im Niveau der Varolsbrücke unmittelbar 
hinter dem Corpus quadrigeminum posterius in den tiefen Theilen der Haube. 1 

Den Nachweis des in Rede stehenden Kernes habe ich zuerst an mit Pikro- 
carmin gefärbten Serienschnitten des Hirnstammes der Katze geführt Hier 
besteht er aus spärlichen multipolaren grossen Nervenzellen, die an gefärbten 
Schnitten bereits mit unbewaffnetem Auge als kleine Punkte wahrnehmbar sind. 
Ihrer Grösse nach stehen diese Elemente nirgends den motorischen Vorderhorn* 
zellen des Markes nach, ja übertreffen letztere in manchen Fällen. 

Seinem histologischen Verhalten nach erinnert der Kern durch seine in¬ 
mitten weisser Markmassen lagernden ansehnlichen Zellelemente sehr lebhaft an 
den unteren Centralkem. Wie dieser, lagert er in jenen Theilen der Formatio 
reticularis, welche sich als Fortsetzungen der Seitenstranggrundbündel des Rücken¬ 
marks darstellen. Man kann ihn im Hinblick hierauf als Nucleus centralis 

1 Abgebildet ist dieser Kern und seine topographischen Beziehungen zn den Nachbar* 
theilen in dem ersten Bande meiner „Leitangsbahnen* 4 (1896. St. Petersburg. Fig. 91. S. 148) 
als nete. Im Text ist auf 8.148 von ihm die Bede. 

53* 


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836 


superior lateralis oder kurzweg als Nucleus centralis superior be¬ 
zeichnen. Der früher von mir beschriebene obere Centralkem würde zum 
Unterschiede von dem vorigen Nucleus centralis superior medialis oder 
besser Nucleus medianus zu heissen haben. 

Ich habe den Nucleus centralis superior in der vorhin näher bezeichneten 
Gegend auch bei dem Hunde, sowie ferner beim Menschen darstellen können. 
Allein bei dem letzteren treten seine Nervenzellen an Grösse etwas zurück, und 
auch der Kern selbst erscheint hier weniger scharf ausgeprägt als am Kafczen- 
und Hundegehirn. 

Was die Verbindungen dieses Kerns betrifft, so lässt sich über dieselben 
augenblicklich nur aussagen, dass er ähnlich dem unteren Centralkem in die 
Bahn jener Faserzüge eingeschaltet ist, die sich an die Seitenstranggrundbündel 
des Markes anschliessen. Zu letzteren steht er aller Wahrscheinlichkeit nach 
in näheren Beziehungen. 


2. Uebör den Lumbofemoralreflex. 

Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 

• Man ist neuerdings mit Becht auf gewisse reflectorische Erscheinungen 
aufmerksam geworden, die unter pathologischen Verhältnissen auftreten, dagegen 
unter normalen gewöhnlich nicht beobachtet werden. Bekannt ist, welche Be¬ 
deutung in dieser Beziehung noch ganz unlängst jene Varietät des Fusssohlen- 
reflexes erlangt hat, welche jetzt als BABmsKi’scher Reflex bezeichnet wird. Man 
darf wohl mit liecht annehmen, dass die weitere Forschung in der angegebenen 
Richtung noch eine Reihe anderer unter normalen Bedingungen nicht oder nur 
selten zu beobachtender Reflexerscheinungen, die unter Umständen diagnostische 
Bedeutung erlangen können, zu Tage fordern wird. 

In diesem Sinne möchte ich hier eine eigenartige Reflexerscheinung hervor- 
heben J die nicht selten bei Kranken mit Herderkrankungen des Brusttheiles, 
des Rückenmarkes, welohe zu Paresen und Reflexsteigerang der abwärtigen 
Körpergebiete führen, angetrofien werden kann. Bringt man einen solchen 
Kranken in halbgeheugte Stellung des Rumpfes bei leicht flectirten Knieen, so 
erhält man bei Percussion (direct oder mit Plessimeter) des oberen Sacral- oder 
unteren Lumbalgebietes Contractionen der Oberschenkelmusculatur, insbesondere 
der Strecker, unter gleichzeitiger Contraction der Streckmuskeln der Wirbelsäule. 

Uebt man demnach mit dem Hammer methodisch Schläge auf jene Gegend 
aus, so erhält man als Resultat eine Art Tanzbewegung des Rumpfes an Ort 
und Stelle. In seltenen Fällen genügen bereits 1—2 Hammerschläge, um 
vielfache Hebe- und Senkungsbewegungen des Rumpfes auszulösen. Bringt man 
einen derartigen Kranken in sitzende Stellung, so führt Percussion der gleichen 
Gegend in der Regel ebenfalls zur Contraction von Obersohenkelmuskeln. In 
einigen Fällen beobachtete ich in sitzender Stellung des Kranken Contraction 
der Adductoren beider Oberschenkel constant bei Percussion des unteren Lendea- 


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887 


markes; in anderen Fällen geht dabei gleichzeitig Contraction der Untereohenkel- 
strecker vor sich. 

Die vorstehend geschilderten Eeflexerecheinnngen wurden von mir beob¬ 
achtet bei Herderkrankungen, die von spastischen Paraparesen oder Paralysen 
der unteren Gliedmaassen begleitet werden, ganz besonders oft bei syphilitischen 
Myelitiden, wenn dieselben über der Lendenanschwellung localisirt waren. Ausser¬ 
dem wurden die gleichen Erscheinungen von mir beobachtet in einem Falle von 
bilateraler Gelenkatrophie der unteren Extremitäten bei hochgradiger Steigerung 
der Patellarsehnenreflexe. 


3. Ueber myotonische Pupillenbewegung. 

Von Dr. Alfred Saenger. 

In Nr. 16 d. Centralbl. wurde von Herrn Dr. J. Strasbüegee eine Be¬ 
obachtung aus der SoHULTZE’sohen Klinik mitgetheilt, die ich auf Grund meiner 
Pnpillenuntersuchungen bestätigen kann. 

Unter der Bezeichnung „myotonische Pupillenbewegung“ hatte ich die Ab¬ 
sicht, das in Bede stehende Phänomen in dem nächsten Band der Neurologie 
des Auges mitzutheilen. Da jedoch Dr. Wilbband und ich in Rücksicht auf 
die Bearbeitung des grossen anatomischen Sehnervenmaterials unseren Plan ge¬ 
ändert haben, indem wir im nun folgenden HL. Band uns mit den Sehnerven 
beschäftigen werden, die Pupillen aber als V. Band den Schluss des ganzen 
Werkes bilden sollen, so theile ich jetzt schon die folgende Beobachtung mit, 
weil nun einmal die Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen gelenkt worden ist 

Die myotonische Pupillenbewegung beobachtete ich zuerst bei einer 
34jährigen Dame, die am 22. November 1901 mich consultirt batte. Sie klagte 
über diffusen Kopfschmerz, der sich manchmal, wenn auch selten, bis zur Uebel- 
keit mit Erbrechen steigerte. Besonders nach Blendung trat der Kopfschmerz auf. 

Mit Sicherheit giebt Patientin an, erst seit 10 Jahren links eine erweiterte 
Pupille zu haben. 

12 Jahre ist sie verheirathet; hat zwei gesunde Kinder; niemals Abort 

Der Vater starb an Paralyse. 

Eine Schwester war geisteskrank. 

Dass Patientin eine Bluterin ist, verdient besonders erwähnt zu werden. 

Bei der Untersuchung der gross gewachsenen, kräftigen Dame fällt sofort 
eine beträchtliche Pupillendifferenz auf. Die linke Pupille ist ziemlich 
weit, etwa 6 1 / i mm im Durchmesser, nicht ganz rund, eckig und ganz 
starr auf Lichteinfall. Bei Accommodation und Convergenz zieht 
sich die Iris langsam zusammen und bleibt längere Zeit, 7s—5 Min., 
eng, um ganz allmählich dann sich wieder zu erweitern. Einmal 
dauerte es 10 Minuten, bis die linke Pupille ihre ursprüngliche Weite 
erlangt hatte. Bei energischer Contraction des Orbicularis oculi 
verengert sich die linke Pupille ebenfalls langsam und bleibt eine 
Zeit lang eng; jedoch ist die Miosis nicht so hochgradig und nicht 
so langdauernd wie bei der Accommodation und bei der Convergenz. 

Die rechte Pupille ist enger, etwa 3 mm; sie ist ebenfalls lichtstarr, reagirt 


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aber etwas prompter bei Accommodation and Convergenz als die linke. Sie 
bleibt aber auch längere Zeit eng und erweitert sich ganz langsam. 

Unter dem WxsTiBN’schen Homhautmikroskop ist die linke Pupille absolut 
starr auf Licht. Hie und da sieht man einige hippische Bewegungen, das Ge¬ 
webe der Iris ist etwas rareficirt, und der Irisrand erscheint etwas verschärft. 

Die rechte Pupille zeigt unter dem WnsnsN'sehen Hornhautmikroekop nach 
unten aussen ganz geringe Bewegung. Das Irisgewebe erscheint wenig verändert; 
nur an einer Stelle abgeflacht. 

Der Augenhintergrund ist beiderseits normal. Der Nahepunkt ist links in 
6 cm, rechts in 5 1 / a cm. S R—3,5 O cyl — 0,6 e / 9 , S L—3,6 O cyl — 05 ™ ®/ 8 . An den 
Himnerven findet sich nichts Pathologisches. 

Die Sehnen- und Hautrefiexe sind sämmlich vorhanden, beiderseits gleich 
und normal (speciell die Patellarreflexe). 

Die Sensibilität ist intaot, ausser dass im rechten Ulnarisgebiet sich leichte 
Hypalgesieen finden. 

Patientin klagt hie und da über kurze „rheumatische“ Schmerzen im linken 
Arm, ferner über Congestionen nach dem Kopf und Kopfschmerz, besonders nach 
Blendung. 

Was die Diagnose betrifft, so lässt sich dieselbe mit Sicherheit nicht stellen. 
Eine luetische Infeotion konnte nicht nachgewiesen werden. Bei der Differential¬ 
diagnose zwischen cerebraler Lues, Tabes, beginnender Paralyse und multipler 
Sklerose könnte man im Hinblick auf das AnoYLirRoBEBTSON’acbe Phänomen 
am ehesten eine langsam verlaufende Tabes annehmen. 

Das Interessante nun in diesem Falle besteht darin 

1. dass die Patientin ein Gefühl der Weite der Pupillen hat: 

Sie giebt nämlich jedes Mal mit Bestimmtheit richtig an, ob die Pupillen 
weit oder eng sind. Wenn die linke Pupille sehr gross war, so hatte sie ein 
unangenehmes Gefühl (nach meiner Meinung wohl durch Blendung bedingt). War 
die linke Pupille verengt, so bekam sie eine krampfhafte Empfindung, die sich bis 
zu einem Schmerzgefühl in der linken Kopfseite steigerte. 

2. dass Patientin von selbst darauf gekommen ist, sich die Pupillen zu 
verengern. 

Sie benutzt dazu die Accommodation, indem sie sich den Zeigefinger dicht 
vor das Auge hält und denselben längere Zeit fixirt. 

3. dass diese quasi willkürliche Verengerung der Pupille abnorm 
lange anhält, und dass die nun folgende Erweiterung sehr langsam 
vor sich geht (myotonische Pupillenbewegung). 

Hierbei möchte ich bemerken, dass die Verengerung bei Accommodations- 
anstrengung viel intensiver ist, als bei Convergenz, oder beim Zukneifen des 
Auges. 

4. dass bei der acoommodativen Verengerung der linken Pupille sich 
auch die rechte verengt und umgekehrt. 

Hierbei muss ich noch hinzufügen, dass der Patientin, wenn sie längere Zeit 
geschrieben hatte und dann den Blick gegen die Zimmerthür wendete, zuerst 
Alles verschwommen erschien, erst ganz allmählich trat alsdann die Einstellung 
fttrdie Ferne ein. Das Analoge fand auch in umgekehrter Weise statt. 


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Ausser Strasburges hat Piltz l , der neuerdings vielfach sich mit dem Studium 
der Pupillenphänomene beschäftigt hat, die myotonische Bewegungsform bei 
reflectorisch lichtstarren Pupillen von Paralytikern beobachtet, aber nur nach 
willkürlicher kräftiger Contraction des Orbicularis oculi; während 
der Erstgenannte die Pupillenträgheit nur bei Aocommodation und Con- 
vergenz beobachtet hat 

In meinem Falle trat die myotonische Pupillenbewegung sowohl bei der 
Aocommodation, wie bei der Convergenz, wie beim Lidschluss auf. 

Was nun die Erklärung des in Bede stehenden Phänomens betrifft, so 
stimme ich zwar Strasburges zu, dass Betrachtungen über den anatomischen Sitz 
der zu Grunde liegenden Störungen zur Zeit noch zu keinem Ziele führen 
dürften, trotzdem möchte ich aber jetzt schon den Gedanken aussprechen, dass 
möglicherweise der Sitz der Störung nicht central, sondern peripher in der Iris 
selbst gelegen sei, etwa analog der myotonischen Störung bei der Thomben’- 
schen Krankheit Zur Aufstellung dieser Hypothese gelangte ich durch zahl¬ 
reiche Untersuchungen der Iris, die ich zusammen mit Dr. Wilbrand mittels 
des WBSTiEU’schen Coraealmikroskops in den letzten Jahren angestellt habe. 
Wir haben uns oft überzeugt, dass man häufig bei den lichtstarren Pupillen 
der Tabiker und Paralytiker sichtbare Veränderungen im Irisgewebe deutlich 
constatiren kann. Die zahlreichen einzelnen Untersuchungen werden wir in dem 
Papillenbande der Neurologie des Auges publioiren. Es sei mir nur jetzt schon 
gestattet, als Paradigma dieser Untersudbungen folgenden Befund bei einer Tabes 
mitzutheilen: 

„Die linke Papille ist längsoval, besitzt einen schmalen Pigmentsaum; haupt¬ 
sächlich in der nasalen Hälfte ist die Zeichnung des kleinen Irisringes unmittel¬ 
bar nach innen vom verticalen Meridian in einem schmalen Sector unterbrochen. 
An dieser Stelle ist der Irisring abgeflacht und die entsprechende Partie des 
Pupillenrandes flacher, wodurch hauptsächlich die längsovale Form der Pupille 
bewirkt wird. Die letztere ist reflectorisch liohtstarr, dabei ist sie fortwährend 
in leichten Oscillationen begriffen. 

Die rechte Pupille ist eckig, namentlich nach unten und aussen hin. Der 
ganze innere Irisring erscheint in der äusseren Hälfte stark abgeflacht und sichel¬ 
förmig zugeschärft. Er zeigt einen schmalen Pigmentsaum, während der innere 
Irisring normale Plastik erkennen lässt Zeitweise ganz minimale zuckende Ver¬ 
engerungen. Die Pupille ist lichtstarr.“ 

Zum Schluss möchte ich noch hiuzufügen, dass ich eine ausgesprochene 
myotonische Störung der Pupillenbewegung in letzter Zeit in mehreren Fällen 
von Tabes und bei einem Paralytiker gefunden habe, jedoch dauerte niemals die 
Verengerung so lange wie in dem mitgetheilten Fälle, bei dem möglicherweise 
eine congenitale Veranlagung mit im Spiele sein kann. 

Wahrscheinlich existiren fliessende Uebergänge von der Trägheit der Pupillen 
zu der von mir geschilderten myotonischen Reaction. Es wird die nächste 
Aufgabe sein, mit Hülfe verfeinerter Untersuchungsmethoden Klarheit in diese 
verwickelten Verhältnisse zu bringen. 

1 Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 10. 


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4. Der Infraspinatnsreflex: ein bisher 
unbekannter Reflex der oberen Extremität des Menschen. 1 

Von Pro£ Dr. Steiner in Köln. 

Wenn man eine bestimmte Stelle anf dem Schulterblatte eines entkleideten 
Menschen mit dem gewöhnlichen Percussionshammer zweckmässig beklopft, 
während der Arm ungezwungen und natürlich in leichter Pronation am Rumpfe 
herabhängt, so sieht man ohne Schwierigkeit eine Bewegung des Armee auf- 
treten, die eine leichte Rollbewegung nach aussen darstellt 

Man erhält sogleich den Eindruck, dass es sich um eine Reflexbewegung 
handelt; nicht um eine directe Wirkung des mechanisch erregten M. infra- 
spinatus. Dass letzteres nicht zu trifft, folgt direct aus der Thatsache, dass es 
nur ein beschränktes Gebiet der Muskelfläche ist, deren Reizung jene Bewegung 
auslöst und dass gerade die Gegend, wo seine Bündel sich convergent gegen den 
Oberschenkelkopf zusammendrängen, wo der Reiz also die grösste Summe von 
Muskelbündeln auf einmal trifft, jene Bewegung niemals zu erzeugen vermag. 
Dass es sich um eine Reflexbewegung handelt, dafür sind vorläufig folgende 
Thatsachen anzuführen: 1. Wenn man die Auswärtsbewegung des Armes 
genau beobachtet, so sieht man dass sie begleitet ist von einer Streckung 
des Vorderarmes d. h. einer gleichzeitigen Thätigkeit des Triceps brachii. Ein 
Mal auf dieses Verhältniss aufmerksam gemacht finde ich, dass auch jede 
willkürliche Auswärtsdrehung des Armes von einer Streckung des Vorder¬ 
armes begleitet wird. Das will heissen, dass man bei der angegebenen Erregung 
des M. infraspinatus nicht nur eine Thätigkeit dieses einen Muskels hervorruft, 
sondern vielmehr eine coordinirte Wirkung wenigstens zweier Muskeln (wahr¬ 
scheinlich ist auch als dritter Muskel der Teres minor betheiligt) und zwar in 
der gleichen Coordinaton, wie diese Muskeln Zusammenwirken, wenn man jene 
Bewegung (Auswärtsrollung) willkürlich erzeugt 2. in einigen pathologischen 
Fällen, bei denen durch anatomische Processe im Gehirn und Halsmark eine 
einseitige Erhöhung der Sehnenreflexe erzeugt war, erschien in gleiohem Maasse 
auch diese eben beschriebene Bewegung des Armes gesteigert, während die 
Reflexe der anderen Seite unverändert und viel weniger lebhaft geblieben waren. 

Es kann sonach keinem Zweifel unterliegen, dass die oben beschriebene, 
durch Beklopfen des M. infraspinatus ausgelöste Auswärtsrollung des Armes ein 
Reflexvorgang ist Wir wollen ihn künftighin als Infraspinatnsreflex be¬ 
zeichnen. 

Um die Stelle auf dem Schulterblatte genauer zu bestimmen, deren 
Beklopfung den Reflex auslöst, sucht man den Winkel auf, den die Spina 
scapulae mit dem inneren Rande des Schulterblattes bildet Wenn man sich 
von hier aus in diagonaler Richtung nach dem gegenüberliegenden Rande des 


1 Nach einem Vortrage, gehalten in der raed. Seetion der Niederrbeinisehen Gesellschaft 
fftr Natur- und Heilkunde in Bonn am 16. Juni 1902. 


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Schulterblattes, etwa 2—3om weit, hin bewegt, so trifft man die Reizstelle, 
welche einen etwas unregelmässig begrenzten Kreis darstellt in der Grösse etwa 
eines Fünfmarkstückes. Ausserhalb dieser Umgrenzung pflegt die Reizung zu 
versagen, um so sicherer, je mehr man sich von dem Kreise entfernt 

Der Infraspinatusreflex ist nach meinen bisherigen Erfahrungen ausnahms¬ 
los vorhanden: ich habe 50 Fälle numerisch aufgenommen, ohne ihn zu ver¬ 
missen; darüber hin ans habe ich in der Praxis eine weitere Zahl von positiven 
Beobachtungen gesammelt. Schliesslich habe ich es riskirt, für die Demon¬ 
stration in unserem Verein den ersten besten Mann aus dem Bedienungs¬ 
personal zu wählen, um den Reflex zu zeigen, ohne eine Enttäuschung zu 
erfahren. 

Den Reflex zu prüfen ist genau so bequem wie die Prüfung des Patellar- 
reflexes es ist, insofern als man ihn am bekleideten Menschen durch die Kleider 
hindurch genau so sicher findet wie den Kniereflex, den wir im Allgemeinen ohne 
Entkleidung prüfen. Der Infraspinatusreflex hat aber einen anderen grossen 
Vortheil, worin er die bisher bekannten Reflexe sämmtlich übertrifft, nämlich 
den, dass das psychische Moment, das bei jenen Reflexen häufig so störend ist, 
ganz wegfällt, da wir auf dem Rücken des Individuums hantiren, welches deshalb 
nach keiner Seite hin psychisch in Anspruch genommen ist 

Wir kommen nunmehr zu der Frage nach der sensiblen Bahn, welche 
dieser Reflex benöthigt 

Nach unseren bisherigen Erfahrungen sind vornehmlich zwei Wege in 
Betracht zu ziehen: der Reflex könnte vom Knochen oder von sensiblen 
Muskelnerven ausgehen. Dass es der Knochen nicht ist, folgt aus der That- 
sache, dass man das Schulterblatt an allen übrigen Stellen percutiren kann ohne 
den Reflex zu erzeugen. Bleibt also noch der Muskelnerv. 

Unter der Voraussetzung, dass die reizbare Stelle des Infraspinatus auch 
der ausgiebigste Verbreitungsbezirk des Nerven ist, wurde bei einem jungen 
Manne zunächst eine Injection von 0,04 Cocain in diese Stelle gemacht, 
möglichst tief in den Muskel hinein. Der Erfolg war ein negativer, denn eine 
halbe Stunde nach der Injection, lange nachdem die Haut unempfindlich ge¬ 
worden war, konnte der Reflex durch Beklopfen immer noch ausgelöst werden. 

Zwei Tage darauf wurden demselben Manne auf der anderen Seite 0,06 Cocain 
injicirt, worauf nach 20—80 Minuten der Reflex bis auf Spuren verschwunden 
war. Es unterliegt keinem Zweifel, dass bei weiterer Steigerung der Cocaindose 
der Reflex spurlos verschwunden sein würde. Indess genügt dieser Versuch aus¬ 
reichend, um zu lehren, dass die centripetale Bahn der sensible Muskelnerv und 
dass der Infraspinatusreflex ein Muskelreflex ist 

Die Annahme, dass die Fascie, welche den M. infraspinatus in ziemlicher 
Stärke bedeckt, der Ausgangspunkt des Reflexes sein könnte, ist abznlehnen, 
nachdem M. Stbbnbebg die Fascien-, Periost- und Gelenkphänomene auf das 
Knochenphänomen zurückgeführt hat 

Der vorliegende Reflex zeigt uns in ausserordentlich deutlicher Weise die 
günstigsten Bedingungen, welche für sein Zustandekommen nothwendig sind: 


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ein platter Mnskel ausgebreitet über einen flächenhaft gebildeten Knochen, so 
dass das vom Schlage getroflene Mnskelbündel bezw. der sich daselbst aus¬ 
breitende Nerv wie auf einem Amboss gehämmert wird, während die Verhältnisse 
umgekehrt recht ungünstig liegen bei den dickbäuchigen Muskeln, die auf einem 
Röhrenknochen mit convexer Oberfläche liegen, wo sie dem mechanischen Reize 
leicht ausweichen. 

Dass der Infraspinatusreflex für die Pathologie des Nervensystems von Be¬ 
deutung ist, geht aus den oben mitgetheilten Beobachtungen schon hervor; 
wie gross seine Bedeutung sein wird, können erst weitere Ermittelungen lehren. 
In 10 Fällen von landläufiger dorsolumbaler Tabes, die bis 8 Jahre alt sind, 
die ich eigens auf diesen Reflex geprüft habe, ist er in keinem Falle vermisst 
worden; nur ein Mal war er rechts stärker, als links. 

Unter der Voraussetzung, dass der Infraspinatusreflex in seiner Eigenschaft 
als echter Muskelreflex prinoipiell denselben Vorgang darstellt, wie die bekannten 
Sehnenreflexe, dürfte sein oben mitgetheiltes Verhältniss zur Tabes sehr geeignet 
sein, eine Streitfrage zu entscheiden, die zwischen Fbenkel (Heiden) und Mohb 
auf diesem Qebiete besteht Der um die Therapie der Tabes so wohlverdiente 
Forscher glaubt nämlich beweisen zu können, dass bei der landläufigen dorso- 
lumbalen Tabes die Sehnenreflexe an den oberen Extremitäten constant fehlen. 
„Im Frühstadium fehlen dieselben bei etwa 70°/ 0 , während der Patellarreflex 
in diesem selben Stadium nur etwa in 50°/ 0 fehlt“. 1 Praktisch würde diese 
Erfahrung also darauf hinauslaufen, dass für die Frühdiagnose der Tabes der 
Ellenbogenreflex (an welchem jene Erfahrungen gesammelt sind) noch wichtiger 
wäre als der Kniereflex. 

Dem gegenüber kommt Mohr nach Prüfung an dem Krankenmaterial der 
Oppenheim’schen Poliklinik zu dem Schluss, dass das Fehlen der Armsehnen- 
phänome ganz bedeutungslos ist Bei Gesunden fehlt der Ellenbogenreflex in 
etwa 33°/ 0 ; bei 16 Tabesfallen, in denen der Kniereflex stets fehlt, fehlte der 
Ellenbogenreflex nur acht Mal, also in der Hälfte der Fälle.* Man muss 
darnach zugeben, dass der Widerstand von Mohb gegen die FaENXEL’sche Be¬ 
hauptung wohl begründet ist Das oben mitgetheilte, an 10 Tabikern gefundene 
Resultat würde Fbbnkel in’s Unrecht setzen. 

Nebenbei sei noch bemerkt, dass der Tricepsreflex den Infraspinatusreflex 
für die Diagnostik nicht ersetzen kann, da nach der mir von Koches vor¬ 
liegenden Tafel jener im sechsten, dieser aber im fünften Cervicalsegment wurzelt 
d. h. die beiden Reflexe sind nebeneinander für die Segmentdiagnoee des 
Rückenmarkes recht brauchbar und werthvoll. 

Zum Schluss möchte ich noch einer Erscheinung gedenken, die man beim 
Aufsuchen des Infraspinatusreflexes bezw. Beklopfen des Schulterblattes zu sehen 
bekommt: Wenn man sich nämlich percutirend der Gegend des Oberarmkopfes 


1 Fkbnkkl, Mechanische Mnskelerregb&rkeit und Sthnenreflexe bei Tabes donalia. 
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. 8. 279. 

1 Mohb, Zar Physiologie und Pathologie der Sehnenpbänomene an den oberen Extre¬ 
mitäten. Deutsche Zeitschr. fl Nervenheilk. 1901. 8. 197. 


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849 


nähert, so erscheint neben dem Infraspinatosreflex ab nnd zu noch eine andere Arm- 
bewegung, die sich darstellt als Entfernung des Armes vom Rumpfe bezw. Erhebung 
des Armes. Man beklopft nämlich die hinteren Theile des Deltamuskels. Ich 
habe den Eindruck, dass es sich auch hier um einen Reflex (Deltareflex) handelt, 
denn es ist schwer zu verstehen, wie die directe Reizung einer nicht grossen 
Anzahl von Muskelfasern eine so wohl charakterisirte Bewegung des Armes soll 
erzeugen können. Aber beweisen kann ich die reflectorische Natur dieser Be¬ 
wegung vorläufig nicht (habe mich übrigens damit auch noch nioht beschäftigt), 
glaubte aber diesen eventuellen Deltareflex hier erwähnen zu sollen, um jeder 
Verwechslung mit dem Infraspinatusreflexe vorzubeugen. 


5. Weiteres zur Kenntniss des Supraorbitalreflexes. 

Von Dr. D. J. MoCarthy, 

Asaociate in William Pepper Clinioal Laboratory, 

Univ. of Pennsylvania, Phila.Pa.U.S.A. 

Vor einiger Zeit habe ich in diesem Centralblatt 1 einen neuen Reflex be¬ 
schrieben, dem ich den Namen Supraorbitalreflex gab. Auf S. 930 desselben 
Jahrgangs änssert sich v. Bechterew dahin, dass er den Namen Supraorbital¬ 
reflex nicht für gerechtfertigt halte. Er begründete seine Bedenken folgender- 
maassen: „dass der Reflex . . . nicht als fibrilläre, sondern als gewöhnliche 
Contraction des M. orbicularis in die Erscheinung tritt und ferner, dass er 
auslösbar ist, nicht bloss duroh Percussion im Verästelungsgebiete des Supra¬ 
orbitalnerven, sondern auch von der ganzen Regio fronto- temporalis, ja vom 
Jochbein aus hervorgerufen werden kann, wo Verästelungen des genannten 
Nerven nicht Vorkommen. Bei solcher Sachlage glaube ich, dass der betrachtete 
Reflex nicht eigentlich ein Reflex des Stammes des N. supraorbitalis sei, sondern 
einen gewöhnlichen periostalen Reflex darstelle. (< Dies ist entschieden nicht der 
von mir beschriebene Reflex. In manchen Fällen sieht man überhaupt keine 
Bewegung der Lider. Der Reflex ist nioht, wie gesagt, eine Muskelreaction, 
sondern eine fibrilläre Contraction. Die fibrillären Zuckungen dieser Muskel¬ 
fibrillen des Unterlides und nioht die Bewegung der Lider machen den Reflex 
aus. Gröbere Zuckungen der Lider, oder gar Zukneifen der Augen, sind will¬ 
kürliche oder halbwillkürliche Bewegungen, die durch die Furcht vor dem 
Schlag oder dem Schmerz des Beklopfens ausgelöst werden. Ein weiteres 
Moment muss berücksichtigt werden, nämlich die mechanische Reizbarkeit der 
Facialisfasem (CHVosTEK’sches Symptom). Bei normalen Individuen findet 
man diese Reizbarkeit öfter als im allgemeinen angenommen wird; sie erklärt 
wahrscheinlich die Zuckungen, die man beim Beklopfen des Jochbeins zu sehen 
pflegt Aber diese Reaction ist keineswegs die fibrilläre Reaction, die ich be¬ 
schrieben habe. 


1 1901. S. 800. 


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In meiner Mittheilung behaupte ich, dass dieser Reflex nicht ausgelöst 
werden konnte: 1. nach Durchschneidung des N. supraorbitalis. 2. in einem 
Falle von Gehirnsyphilis mit Gumma des Quintus innerhalb des Schädels. 3. bei 
Facialislähmung. ln dem folgenden Falle wurde der N. supraorbitalis zweimal 
durchschnitten; da jedoch einzelne Fasern sich wieder regenerirten, wurde eine 
dritte Operation ausgeführt. Hierbei gelang es nicht den Nerven zu finden; 
jedoch fand sich nach der Operation ein Gebiet, das sich fächerförmig von 
der Narbe nach oben ausdehnte und vollständig anästhetisch blieb. Fibrilläre 
Zuckungen konnten im Unterlid beobachtet werden, sobald man ausserhalb 
dieser anästhetischen Zone beklopfte; beklopfte man jedoch innerhalb dieser Zone, 
so blieben die Zuckungen aus. 

Auf Vorschlag des Herrn Dr. S. Weib Mitchell untersuchte ich, ob bei 
einer normalen Person der Reflex durch Nadelstiche, Kälte oder Wärme in der 
Supraorbitalgegend ausgelöst werden konnte. Es fand sich in der That, 
dass Nadelstiche, Kälte- und Wärmereiz die charakteristischen 
Zuckungen hervorbrachte, ln einem Falle, wo der Reflex sehr lebhaft war, 
konnten Nadelstiche in der gesammten Supraorbitalis-Verbreitung den Reflex 
im Unterlide auslöse n. In keinem Falle gelang es mir jedoch, den Reflex im 
Unterlide durch Nadelstiche in die Haut über dem Jochbein auszulösen. 

Alle diese Thatsachen beweisen zur Genüge, dass der von mir beschriebene 
Reflex kein Periostreflex ist 


Erwiderung auf Dr. Hudovernig. 

Hudovebnig 1 erklärt den Supraorbitalreflex folgendermaassen: „das fibrilläre 
Zittern im M. orbicularis palpebrarum ist nur eine Weiterverbreitung der 
mechanischen Muskelreizung auf einen benachbarten und von demselben Nerv 
innervirten Muskel.“ Ich hatte vor kurzem Gelegenheit, zusammen mit Herrn 
Prof. Spilles einen Fall zu untersuchen, in dem die sensorische Wurzel des 
Ganglion Gasseri durchschnitten worden war. Weder Prof. Spilleb noch mir 
gelang es, auf der anästhetischen Seite den Reflex auszulösen. Die mechanische 
Reizbarkeit des M. frontalis und der anderen vom N. facialis innervirten Muskeln 
war vollkommen erhalten, ja sogar gesteigert; nichts desto weniger gelang es 
nicht, den Supraorbitalreflex auszulösen. Hieraus erhellt, dass der Reflex nicht 
„eine Weiterverbreitung der mechanischen Muskelreizung u. s. w.“ ist, wie Hudo- 
vebnig sagt. Hudovebnig wurde zu seinen Schlussfolgerungen durch die Be¬ 
obachtung geführt, dass der Reflex in einem Falle von Tic douloureux, in 
welchem das Ganglion Gasseri entfernt worden war, noch ausgelöst werden 
konnte. In dem oben erwähnten Falle von Durchschneidung der sensorischen 
Wurzel des Quintus und in noch einem andern Falle, in dem Prot Keen das 
Ganglion Gasseri im Jahre 1895 entfernte (und in welchem die Quintusgegend 
noch heute anästhetisch ist) fehlte der Reflex gleichfalls. Diese beiden Fälle 
und der oben erwähnte Fall von Gehimlues wurden vor der Philadelphia 


1 Neurolog. CentralbL 1901. S. 988. 


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Neurological Society gezeigt und die Abwesenheit des Reflexes demonstrirt. loh 
möchte noch besonders hervorheben, dass das (Janglion Gasseri in der Mehrzahl 
der Fälle, wo seine vollständige Entfernung auf operativem Wege angestrebt 
wird, nur zum Theil wirklich entfernt wird. Spilles hat drei derartige Fälle, 
die von Keen operirt worden waren, untersucht und fand, dass das Ganglion 
Gasseri nur in einem der drei Fälle vollständig entfernt worden war. Fälle 
dieser Art können daher nicht zum Beweise für die Gegenwart oder Abwesen¬ 
heit meines Reflexes nach „Entfernung“ des Ganglion Gasseri herangezogen 
werden. 

Zum Schluss möchte ich den Herren Dr. S. Weib Mitchell und Prot 
Spilles für ihren Rath in dieser Untersuchung und Herrn Dr. Wm. J. Taylob 
für die freundliche Ueberlassung der Fälle meinen Dank aussprechen. 


6. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie. 

Von Dr. med. August Diehl, Nervenarzt in Lübeck. 

Bei dem Versuche, die Erankheitsbilder eines grossen, etwa poliklinischen 
Materiales nach Diagnosen einzuordnen, vermag man gewiss viele reine Fälle 
unter dem Titel Hysterie, viele unter constitutioneller Neurasthenie, viele unter 
erworbener Neurasthenie unterzubringen. Dann stösst man auf Fälle, wo die 
Neurasthenie in ihrer Unterscheidung, ob constitutionell oder erworben, Schwierig¬ 
keiten bietet Das liegt in der Natur des Leidens und ist dem Fach¬ 
manne ohne Weiteres verständlich. Aber eine Unklarheit und eine Uneinigkeit 
herrscht über eine grosse Gruppe von Krankheitsfällen, die heute noch mancher¬ 
orts aus Verlegenheit unter dem Titel Hystero-Neurasthenie zusammengefasst 
werden müssen, weil die genaue Untersuchung ein so grosses Symptomengewirr 
zu Tage fordert, dass man aus der Menge der Angaben nicht das Mehr zu 
übersehen vermag, was ausschlaggebend für Hysterie oder Neurasthenie sein muss. 
Wird derselbe Fall von mehreren Fachmännern beurtheilt, so hält sich der eine 
an diese, der andere an jene Auffassung. Soll nun jeder eine Begründung 
geben, die überzeugend für den andern ist, so bringt er Momente vor, die nirgends 
als streng hysterisch bezw. neurasthenisoh gekennzeichnet und erwiesen sind. 
Und wie selten bleibt da der herrliche Beweis aus: Der Fall erinnert mich in 
allem so sehr an diesen oder jenen, der sicher etwa hysterischer Natur ist u. s. w. 
Dann muss statt des Beweises jenes Unaussprechliche genügen, was Manchem 
ans eigner langer Erfahrung zur persönlichen Verwerthung unstreitig ein werthvolles 
Hülfsmittel im Diagnoeticiren sein kann. Aber damit überzeugt man nicht von 
der Gültigkeit einer Diagnose. Klarheit in diese dunklen Gebiete gewinnen wir 
nur dadurch, dass mit der fortschreitenden Erkenntniss die Eigenart der einzelnen 
Symptome, ihr Specifisches festgestellt wird. Wir dürfen nicht zweifeln, dass 
auf jedem Gebiete ein und dieselbe Aeusserung des Kranken psychologisch sehr 
verschiedene Quellen haben kann, und in der Erforschung dieser Quellen, der 


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Wurzeln dessen, was oberflächlich genug ist, um sinnenfaUig zu werden, erblicke 
ich den einzigen Weg, der uns in der Psychologie und Psychopathologie da 
weiterführen kann, wo an der Aehnlichkeit der Bilder ihre präcise Beurtheikmg 
und Einordnung in anerkannte, aber möglichenfalls sogar falsche Gruppen scheitert. 
Derselbe Weg in der Forschung wird unsem leider nur zu oft gebrechlich«! 
diagnostischen Gruppen das Maass ihrer Existenzberechtigung zuweisem 

Zum Verständniss muss ich vorausschicken, dass ich mich des Wortes „Neur¬ 
asthenie“ in seinem grossen Umfange bediene. Darin folge ich einer fast all* 
gemein verbreiteten Gewohnheit, obwohl nach meiner Ansicht manche Formen 
psychischer Degeneration, wie das Bild des Zwangsirreseins, der oonstitutioaellen 
Verstimmung und andrer rein psychopathischer Zustände, säur wohl von der 
grossen Gruppe Neurasthenie bereits losgelöst werden können. 

Keine andern Kranken treten dem Arzt mit so regem Bedebedürfniss ent¬ 
gegen, wie die mit den hier behandelten Leiden Behafteten. Der Arzt, der durch 
ein Einhaltgebieten der langathmigen Erzählungen bei diesen Patienten gleich 
sehr viel an therapeutischem Einfluss verlieren würde, muss mit grosser Geduld 
die meist nur wenig rankenden Schilderungen über sich ergehen lassem Da 
hört man über das geringfügigste Symptom den Kranken die kühnsten Ver¬ 
muthungen und Vorschläge zur Beseitigung aufstellen. Mit entsetzlicher Ge¬ 
wissenhaftigkeit berichtet er, dass er sich Abends 2 Mal umlegen müsse, bis 
er einschlafe, dass er nur schlafen könne, wie er ausprobirt habe, wenn die 
Waden ohne die Füase feucht abgerieben seien u. a. w. Nun fiel nur von jeher 
auf, dass von hysterischen Kranken über das allerdings in den Vordergrund ge¬ 
hobene Symptom der schrecklichen Angst so wenige Einzelheiten spontan aus¬ 
geführt wurden. Das stand so gar nicht im Einklänge mit ihrer Art, detaillirt 
zu schildern, und dieses Verhalten bildete einen überraschenden Gegensatz zum 
Benehmen constitutionell Neurasthenischer, die über ihre Angst und Angst¬ 
zustände eine. Fluth von Mittheilungen hervorbringen müssen. Diesem Punkte 
wandte ich, seitdem er nur aufgefallen war, in allen weiteren Fällen meine Auf¬ 
merksamkeit zu und möchte an zwei ausgewählten Krankengeschichten den Unter¬ 
schied illu8triren. 

Ein Brief aus der Hand eines Freundes des Pat X kündigte mk diesen 
an und enthielt die Bitte, dem Selbstmordcandidaten so lange beizustehen, bis 
er aus seinen Verhältnissen losgelöst sei. 

Patient X, 27 Jahre alt, kam in die Sprechstunde mit der Bemerkung, er 
sei ganz degenerirt, er leide an einer entsetzlichen Angst bei Allem und überall 
und wolle nur wissen, ob es Melancholie oder Hypochondrie(1) sei. Familiir 
ist er neuro- und psychopathisch schwer belastet. Ein Onkel war hochgradiger 
Alkoholist und ging dabei zu Grunde; ein Vetter ist epileptisoh; die Eltern sind 
„übernervös“; ein Bruder ist ein genialer Phantast, der es zu Nioht* bringt. Pat 
sei als Kind schon sehr erregbar, zornig, trotzig gewesen, ln der Dentition traten 
Krämpfe auf. Als Schüler zeigte er Talent für Sprachen; er separirte sich mög¬ 
lichst von seinen Altersgenossen, grübelte gerne nach und las sehr früh „ungeheuer 
viel“. Masturbation wird vom 13.—16. Jahre in massigem Grade zugegeben. 
Dann erlahmten die sexuellen Regungen, ohne sich bisher fordernd geltend ge- 


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macht za haben. Mit 16 Jahren habe er seine Degeneration erkannt, nachdem 
er alles, was ihm nur erreichbar war, darüber durchstudirt hatte. Seither leidet 
er unter dem Bewusstsein seiner Minderwertigkeit. Die kaufmännische Thätig- 
keit, die ihn garnicht befriedigte, musste er immer auf’s Neue unterbrechen, so¬ 
bald er nur etwas gearbeitet hatte; dann war er so müde, so herunter, dass er sich 
nicht zu halten wusste. Allen erdenkbaren Kuren unterzog er sich mit der Zeit. 
Weder Massage noch Licht und Ueberernährung, weder Wasser noch 10 Wochen 
in Lehm besserten ihn nennenswerth. Sobald er nach halbjähriger Pause sich der 
Arbeit zuwandte, lähmte ihn das alte Leiderf. Seit 2 Jahren traten neue Qualen 
in Form der Angstzustände hinzu; sie charakterisirten sioh als ZwangsbefÜroh- 
tungen. Zunächst packte ihn die Erythrophobie bei jeder nur etwas ausser- 
gewöhnliohen Gelegenheit; dann kam die Angst, ein Herzleiden zu haben, weil 
Herzklopfen mit Schweissausbruch sich einstellte, sobald er etwas leisten wollte. 
Langsam gesellte sich schon damals die Befürchtung, geisteskrank zu werden, 
hinzu. Während des ganzen letzten Jahres hatte Pat. sich Ruhe gegönnt und 
„alles für sich gethan“. Als er die Arheit nun wieder aufhahm, lag er ganz im 
Banne der Angst, die von Zwangsvorstellungen und Zwangsbefürchtungen meist 
ausging. Im Zimmer schliesst er die Fenster, damit er sich nicht hinausstürzen 
kann; er vermeidet ihre Nähe. Im Theater stemmte er sioh über 1 Stunde gegen 
die Rückenlehne, als er in der 1. Reihe des H. Ranges sass, und drückte sich mit 
den Händen von der Brüstung weg, die genügend hoch war, um ein Herunterfallen 
unmöglich zu machen, damit er nicht hinunterspringe. So lief er endlich hinaus, 
weil er Angst hatte, er könne laut hinunterbrüllen, während lautlose Stille 
herrschte. Auf die Strasse wagt er sioh nur ungern; er könne zusammenbrechen, 
man merke seine Degeneration und Zittrigkeit. Die Häuser drohten in der Ferne 
über die Strasse zusammenzustürzen. Der Boden war ihm weich und filzig unter 
den Füssen u. s. w. u. s. w. Diese Befürchtungen engten ihn immer mehr ein, 
und in seiner Angst vor Allem habe er vor 8 Tagen sieh erschlossen wollen. Da 
sei Abends sein Freund gekommen, der ihn wieder etwas ermunterte. Er komme 
nun nochmals zum Arzt und wolle Viesen, ob es Melanoholie oder Hypoohondrie 
sei(ü); eines dieser Leiden sei ob bestimmt, das lasse er sich nioht ausreden. 
Pat. schilderte seine Qualen in glühenden Farben und mit Gebärden, die seine 
tiefe Ergriffenheit verriethen. Die Angst malte sich in seinen Zügen so deutlich, 
wie seine Verzweiflung darüber. Er müsse dem Arzt ja alles sagen und darum 
erzähle er auch jedes. Ein reicher Wortschatz stand ihm dabei zu Gebote. 

Die körperliche Untersuchung ergab Unsicherheit und Tremor in den Händen, 
den Beinen, an der Zunge und in jedem angespannten Muskelgebiet. Hände und 
Füsse sind kalt und besetzen sich mit Schweisströpfchen. Alles ist in steter Un¬ 
ruhe; die Sprache ist Überstürzt, die Mimik excessiv; daneben besteht unwillkür¬ 
liches Zucken im Gesicht und vorübergehendes Trillern des linken Augenlides. 
Die Augen sind verschwommen, liegen tief im Kopfe und lauern misstrauisch auf 
alles. Die Pupillen sind sehr weit. Die Sensibilität ist am ganzen Körper normal. 
Gaumenreflex ist erhalten; alle Sehnenreflexe sind erhöht. Die Psychopathie seines 
Wesens ist noch illustrirt durch seine enragirte Theilnahme an der Bewegung 
der Alkoholabstinenz und des Vegetarismus. 

So oft und eingehend ich den Kranken auch nach seiner Angst fragen mochte, 
immer stellte sioh heraus, dass seine Vorstellung einen bestimmten Inhalt hatte, 
auf den sich die Angst bezog. Immer konnte er sagen, warum er sich ängstigte. 
Eine Angst, die gegenstandslos war, stellte er trotz direct suggerirender Fragen 
entschieden in Abrede. 

(Schloss folgt.) 


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IL Referate. 


Anatomie. 

1) On the natural proeervatlon of the brain in the anoient Egyptians, bj 

ö. Elliot Smith. (Journ. of Anat. and Phys. XXXVL 1902.) 

Verf. giebt die Abbildung der lateralen Convexität und der Median fläche 
eines mumificirten Gehirnes, welches einem Schädel aus der Zeit der 12.—15. 
egyptischen Dynastie (etwa 2000 v. Chr.) angehört. Die Hälfte dar Insel ist 
unbedeckt (Kunstproduot?). Die Deutung der Furchen der Medianfl&che scheint 
dem Ref. noch sehr zweifelhaft. Th. Ziehen. 


2) Der Nnoleus salivatorius ohordae tympani (nervi intermedii), von Dr. 

Oscar Kohnstamm. (Anatomischer Anzeiger. XXI. 1902.) 

Verf. konnte nach Durchschneidung deijenigen Fasern der Chorda tympani, 
welche die Submaxillardrüse innerviren, beim Hunde Nisal-Degeneration einer 
Gruppe von Zellen nachweisen, für welche er die Bezeichnung ,.Nucleus sali* 
vatoriua“ vorschlägt, weil sie als Ursprungszellen der im Ganglion submaxillare 
endigenden, „präcellulären Fasern“ anzusehen sind. Diese Zellen beginnen kurz 
vor dem caudalen Pol des Facialiskerns aufzutreten und enden am frontalen Ende 
des motorischen Quintuskems. Sie sind demnach über ein weites Areal zerstreut, 
das medial von der Raphe, lateral vom Deite re'sehen Kern, dorsal vom Ventrikel* 
boden begrenzt wird. Die Zellen nähern sich morphologisch den motorischen 
Zellen des Vorderhoms und der motorischen Himnervenkerne und entsprechen in 
ihrer Gesammtheit dem Ursprungskern der gekreuzten Facialis- und Trigeminus¬ 
fasern. Der grösste Theil der aus ihnen hervorgehenden Wurzeifasera verläuft 
gekreuzt und ist offenbar identisch mit den unter dem. Ventrikelboden „kreuzenden 
Facialisfasern“, die von Flatau und Wyrubow in Fällen von Cariee des 
Felsenbeins mit der Marchi-Methode nachgewiesen worden sind. Sie verlassen das 
Gehirn grösstentheils als N. intermedius Wrisbergii. Mit ihnen zusammen treten 
auch die im Ganglion geniculi vorhandenen sensiblen Antheile des Intermedius ein. 

Der Nucleus salivatorius steht vermuthlich der Innervation sämmtlicher 
Speicheldrüsen vor. Der N. intermedius, dessen Fasern von der Peripherie Chorda 
tympani genannt werden, erscheint nunmehr als ein vollständiger (und selb¬ 
ständiger) motorisch-sensibler Hirnnerv der Trigeminus*Vagusgruppe. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Recherohes experimentales sur lee voiee acoustiques, par M“ Wera 
Dantchakoff. (Bulletin de l’Academie royale de mödecine de Belgique. 
1902. 22. März.) 

Die Verfasserin hat auf experimentellem Wege die Bedeutung und histo¬ 
logische Stellung der hinteren Vierhügel und besonders der Corpora geniculata 
interna innerhalb der centralen Acusticusbahn aufzuklären versucht. An 14 Kaninchen 
wurden in mehr oder weniger vollständiger Weise die betreffenden Centren von 
ihrer Umgebung durch Einschnitte getrennt. In 3 Fällen gelang die Isolirung 
des Corpus geniculatum intern um auf einer Seite von seinen proximalen und 
caudalen Verbindungen vollkommen. Bei anderen Thieren wurde dieses Ganglion 


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entweder von den nach vorn oder von den nach hinten angrenzenden Hirntheilen 
durch Messer getrennt. Die Operation war bei der Mehrzahl der Thiere von 
Prof. Maheim ausgeführt worden. Von den erhobenen Befunden ist zunächst 
bemerkenswert!!, dass ein grosser Theil der Zellen des Ganglion genic. int. nach 
vollkommener Isolirung von den Gebilden der Nachbarschaft erhalten bleibt, und 
zwar sollen dies in seinem oberen Kern etwa die Hälfte, ferner die laterale Zone 
der mittleren Partie und ausserdem zerstreute Exemplare in seinem caudalen 
Theile sein. Aus dieser Thaisaohe zieht die Verfasserin den Schluss, dass diese 
erhalten gebliebenen Exemplare die Bolle von Schaltzellen (cellules intercalaires) 
im Sinne Monakow’s spielen. 

Ueber die Beziehungen zwischen Corpus genioulatum und hinterem Vierhügel 
giebt die Verfasserin Folgendes an: Das Corpus quadrigemin. posterius ist dem 
Corpus geniculatum als Centrum nicht untergeordnet und ist auch durch den 
hinteren Verbindungsarm mit dem Corpus geniculatum gar nicht oder nur in 
geringer Weise verbunden, da die Zerstörung dieses Faserzuges die Zellen des 
hinteren Vierhfigels im allgemeinen intact lässt. 

Die einzige Möglichkeit einer Verbindung dieser beiden Centren könnte durch 
Fasern gegeben sein, welche aus dem oberen Kern des Corpus geniculatum in* 
ternum nach dem hinteren Vierhügel ziehen, weil hier gelegentlich nach Durch* 
trennung des hinteren Armes eine partielle Chromatolyse der Zellen be¬ 
obachtet wird. 

Die hinteren Vierhügel stehen mit der Hirnrinde in directer Verbindung, 
dieselben haben als Centren im histologischen Sinne eine ähnliche Bedeutung wie 
die äusseren Eniehöcker. Bei Zerstörung der temporalen Verbindung tritt in den 
Zellen der hinteren Vierhügel eine deutliche ChromatolyBe ein. Diese Verbindung 
zwischen hinterem Vierhügel und der corticalen Hörzone Munk’s geschieht zum 
Theil auf gekreuzten Wegen, weil die Zerstörung der temporalen Verbindungen 
auf einer Seite ^ellveränderungen in beiden hinteren Vierhügeln zur Folge hat. 

Bei ihren experimentellen Untersuchungen konnte die Verfasserin eine be¬ 
stimmte Degenerationsform der Zellen häufig beobachten, welche sie als pykno- 
morphe Degeneration bezeichnet: der Kern dieser Zellen erscheint geschrumpft, 
die Nissl’schen Körper sind dicht gedrängt bezw. aufgestäubt, der Zellleib dabei 
dunkel gefärbt; in der Umgebung der so veränderten Zellen sind die Kerne der 
Neuroglia gewuchert. Dieser pyknomorphe Zustand sei möglicherweise das 
Vorstadium einer weiteren Veränderung, welohe man als Petrification der Zelle 
zu bezeichnen berechtigt ist. In diesem handelt es sich um eine Imprägnation 
des Zellleibes mit Kalksalzen. Speciell die Kaninchen, deren Körpersäfte einen 
grossen Beichthum an Kalksalzen aufweisen, seien zu dieser Petrification kranker 
Zellen prädisponirt. Max Bielschowsky (Berlin). 


4) Ob the supposod reversal of the law of oontraetion In degenerated 
m usoles, by May. (Brain. 1902. Spring.) 

Die Angabe der Kliniker, dass im degenerirten Säugethiermuskel die AnSZ die 
KSZ überwiegen kann, widerspricht dem Pfüger’schen Gesetze und auoh sonstigen 
physiologischen Erfahrungen. Nach May’s Untersuchungen ist diese Umkehr der 
Zuokungsformel nur eine scheinbare. Braucht man, wie die Kliniker beim Menschen, 
am degenerirten Thiermuskel eine breite Elektrode, so kommt es zu der schein¬ 
baren stärkeren Wirkung der Anode, nimmt man aber feine nadelförmige Elek¬ 
troden zur Beizung und beobachtet genau die Muskelfasern, die direct von der 
Elektrode berührt werden, so überwiegt auch hier die KSZ. Die scheinbar über¬ 
wiegende AnSZ bei Anwendung breiter Elektroden ist in Wirklichkeit eine peri¬ 
polare Kathodenwirkung; denn auch wenn man die Anode einwirken lässt, hat 

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doch jede Muskelfaser anodische und kathodische Funkte; die kathodischen Punkte 
breiten sich aber weiter im Muskel aus, als die anodischen. Da nun bei der 
Degeneration der Muskel zugleich eine gesteigerte elektrische Erregbarkeit hat, 
so wird die weit ausgedehnte peripolare Kathodenwirkung deutlich sichtbar und 
imponirt als Anodenwirkung. (Für die Diagnose einer degenerativen Muskel¬ 
lähmung ist nicht die sogenannte Umkehr der Zuckungsformel, sondern die Träg¬ 
heit der Zuckung mit eventuell gleichzeitiger erhöhter Erregbarkeit charakteristisch; 
AnSZ > KSZ beweist allein nichts für Entartungareaction; es ist das ein Irrthum, 
den man manchmal noch, besonders bei niohtdeutschen Autoren, findet. Bef) 

Bruns. 


5) lieber die oortioalen sekretorischen Centren der wichtigsten Ver¬ 
dauungsdrüsen , von W. v. Bechterew. (Archiv £ Anat, u. Phys. 1902. 
Phys. Abthlg.) 

Verf. giebt zunächst eine kritische Uebersicht über die Experimente bezüglich 
der corticalen Centren der Speichelsekretion. Er hält gegenüber den Ein¬ 
wänden von Eckhard und Fluck daran fest, dass im Gebiet des Gyrus supra- 
sylvius anterior (s. coronalis) ein Centrum für die Speichelabsonderung (Chorda- 
speichel) gelegen ist. Er stützt sich dabei namentlioh auf die neuen Versuchs¬ 
ergebnisse von Bary (1899) und Kerber (1900). Ebenso nimmt Verf. auf 
Grund der Versuche von Gerwer (1899) an, dass ein umschriebenes, lateral 
vom Gyrus praecruciatus gelegenes Gebiet bei dem Hund die chemische Thätig- 
keit der Magendrüsen beeinflusst. Dieser Einfluss wird durch die Nn. vagi 
vermittelt. Nach noch nicht veröffentlichten Versuchen von Narbut bedingt 
ferner Beizung der Grosshimrinde im mittleren Abschnitt des Gyrus praecruciatus 
eine Absonderung von Pankreassaft Endlich soll nach Versnoben von Wirsa- 
ladse der innere Abschnitt des Gyrus praecruciatus die Gallensekretion beein¬ 
flussen. Bemerkenswerth ist, dass in diesen Versuchen, ebenso wie z. B. auch in 
den Bary’sChen, die bez. Sekretion bei Bindenreizung nicht stets, sondern nur 
in der Mehrzahl der Fälle auftrat Th. Ziehen. 


6) Ueber die spinalen Athmongsbahnen, von M. Roth mann. (Archiv f. 

Anat. u. Phys. 1902. Phys. Abthlg.) 

Auf Grund von Versuchen an Hunden im Munk’schen Laboratorium kommt 
Verf zu dem Ergebniss, dass die von der Oblongata zum Bückenmark gelangenden 
respiratorischen Erregungen mit dem Hinterseitenstrang und dem Processus 
reticularis des Bückenmarks niohts zu thun haben. Die spinalen Athmongsbahnen 
laufen vielmehr grösstentheils im vorderen Seitenstrang, und zwar vorwiegend im 
ventralen Theil desselben, zum kleinen Theil auch im lateralen Theil des Vorder¬ 
strangs. Ausschaltung beider Seitenstränge hebt die Athmung nicht sofort auf, 
wohl aber Ausschaltung beider Vorder- und Vorderseitenstränge. Die für die 
Zwerchfellinnervation bestimmten Fasern verlaufen ganz oder beinahe ausschliesslich 
durch den Vorderseitenstrang, die für die Thoraxathmung bestimmten Fasern 
grösstentheils durch den lateralen Abschnitt des Vorderstrangs. 

Th. Ziehen. 


7) Ueber das Verhalten der Blutgefässe im Gebiet durchschnittener vaso¬ 
motorischer Nerven, von L. Jo res. (Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat. 
XXXII.) 

Verf durchsohnitt bei einer Beihe Kaninchen den Halssympathicus und er¬ 
hielt dadurch eine bis 9 Monate andauernde Gefässerweiterung des Ohres, die 


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durch tägliches Beiben desselben unterhalten bezw. noch gesteigert wurde. Diese 
GefäsBerWeiterung konnte auch post mortem noch durch mikroskopische Messung 
festgestellt werden, ln keinem Falle konnte er dagegen irgendwelche Verände¬ 
rungen der Intima finden, und dadurch stellt er sich in Gegensatz zu den von 
anderen Untersuohern (Fränkel, v. Czyhlarz, Thoma u. A.) erhobenen Be¬ 
funden. Die von jenen gefundenen endarteriitischen Veränderungen führt er in 
Hauptsache auf begleitende trophische Störungen, Geschwulstbildungen u. ähnl. 
zurück, die bei seiner Versuohsanordnung fehlten. H. Haenel (Dresden). 


Psychologie. 

8) Bestimmungen der einfachen Beaotionsseit bei Europäern und Malayen, 

von G. Grijns. (Archiv f. Anat. u. PhyB. 1902. Phys. Abthlg.) 

Verf. hat bei in den Tropen lebenden Europäern und Malayen mit Hülfe 
des Engel mann'sehen Pantokymographions die einfache Beactionszeit für elek¬ 
trische Hautreize bestimmt, leider ohne den wichtigen Unterschied zwischen 
musculärer und sensorieller Beaction zu beachten. Bei neuangekommenen 
Europäern betrug die Beactionszeit 296 Tausendstelsecunden, nach langem Aufent¬ 
halt in den Tropen 321; bei Eingeborenen beträgt sie 253. Th. Ziehen. 


0) Grundsüge der Psychologie. Bd. I. Allgemeiner Theil: Die Prinoipien 
der Psychologie, von Hugo Mttnsterberg. (Leipzig, 1900. Joh. Ambrosius 
Barth. 565 S.) 

Das vorliegende Werk des aus seinen Einzelheiten, neuerdings besonders 
durch seine „Psychology and Life“ (1899), schon weiteren Kreisen bekannt gewordenen 
Bostoner Psychologen bedeutet in der Geschichte der Psychologie einen namhaften 
Fortschritt Betitelt „Grundzüge der Psychologie“ vermehrt es nicht, wie sich 
vermuthen Hesse, die Beihe derjenigen Bücher, die in diese Wissenschaft ein- 
führen sollen; es ist kein Lehrbuch, kein Sammel- oder Nachschlagewerk. Die 
Tendenz dieses ersten mehr philosophischen Bandes ist am ehesten dem politischen 
Weckrufe zur „Sammlung“ zu vergleichen. Dies Buch „will nicht darstellen, 
sondern discutiren, und auch wenn es sich um Thatsachen handelt, will es weniger 
berichten als aussondern und verbinden, damit aus der unendlichen 
Mannigfaltigkeit der Züge sich wirklich einheitliche Grundzüge heraus¬ 
bilden“. Die Grundbegriffe, die Voraussetzungen, die Grenzen und die Ideale der 
Psychologie sollen hier erst einmal eine logische Erörterung und Läuterung von 
den Schlacken erfahren, die sich immer wieder duroh Vermengung einer mehr 
subjectiven und objectiven Anschauungsart ansetzen und den mühsam errungenen 
Wissensschatz zu verschütten drohen. 

Könnte man aus den vorangegangenen Schriften des Verf.’s vielleicht zu der 
fälsohUchen Meinung geführt worden sein, dass er die Psychologie zur positivisti¬ 
schen Philosophie erheben wolle, oder dass er auf Schopenhauer recurrire, so 
lässt dieser Band keinen Zweifel darüber, dass nach ihm die Psychologie „mit 
allen ihren radicalen Forderungen in das System des ethischen Idealismus ein- 
geschlossen und aufgenommen werden muss“. Wir finden hier eine consequente 
Vereinigung von Idealismus und Wissenschaft Das Thema des Buches ist, wie 
Verf. im Vorwort selbst sagt, „die Synthese von Fichtes ethischem Idealismus 
mit der physiologischen Psychologie unserer Zeit 

Der gesammte Inhalt ist in drei Theile getheilt Im ersten wird die Auf¬ 
gabe der Psychologie präoisirt; erörtert werden die Tendenzen der gegenwärtigen 
Psychologie, ihre erkenntnisstheoretische Grundlage, ihre Stellung zu den Geschichte- 

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und Norm Wissenschaften und ihre Bedeutung für das praktische Leben. — Der 
zweite Theil beschreibt die psychischen Objecte und stellt sie dar in ihrer Be¬ 
ziehung zum Bewusstsein, der dritte Theil behandelt den psychischen Zusammen¬ 
hang. In diesem erfahren die Apperceptions- und Associationstheorieen eine 
weitgehende Würdigung und Kritik und werden im Schlusscapitel durch die 
Actionstheorie des Verf.’s ergänzt. 

Durch den ersten Theil zieht sich wie ein rother Faden der Kampf gegen 
die immer wiederkehrende Vermischung der psychologiscen und teleologisch- 
historischen Betrachtungsweise. Verf strebt nach einer Grenzregulirung der 
Psychologie, vor allem nach einer reinlichen Scheidung zu den Geistes- und Natur¬ 
wissenschaften. Im Widerspruch zu der Wundt’schen Auffassung, nach der die 
Psychologie gegenüber allen anderen Geisteswissenschaften die Bedeutung einer 
grundlegenden Disciplin hat, ist sie nach ihm vielleicht die wichtigste Hülfs- 
disciplin der Geisteswissenschaften, aber nicht selbst eine solche. Psychologie und 
Naturwissenschaften ohjecti viren, die Geistes Wissenschaften, die geschichtlichen 
wie die normativen subjectiviren. „Psychologische Probleme gehen Schritt für 
Schritt neben den historischen und normativen Problemen der Ethik einher“; „es 
ist einseitig und kurzsichtig einerseits die Berechtigung psychophysischer Unter¬ 
suchungen zu bestreiten, andererseits in solchen psychophysischen Untersuchungen 
die einzig mogliohe Antwort auf ethische Probleme zu sehen“ und „gefährlich ist 
jene Achtlosigkeit, durch die psychologische Fragen mit subjectiven Lösungen, 
ethische Probleme mit causalen Betrachtungen beantwortet werden“. Er will 
„gegenüber dem materialistischen Monismus, dem idealistischen Monismus und dem 
realistischen Dualismus die vierte Möglichkeit festgehalten haben, dass weder 
Psychisches noch Physisches real sind, dass beide Beihen nur nothwendige Con- 
structionen und Hülfsbegriffe sind, während alle Realität im Willen und den 
Werten liegt, die als solche nur gelten und nioht sind und somit weder physisches 
noch psychisches Object sein können“. „Die Causalkategorieen auf die Willens¬ 
beziehungen angewandt, zerstören das Reich der menschlichen Wirklichkeit, die 
Werthkategorieen, auf die physischen und psychischen Objecte angewandt, zer¬ 
stören die Ordnung der Wissenschaft. Dort tauschen wir den idealen Gehalt des 
Lebens für einen werthlosen Mechanismus ein, hier geben wir die ewigen Gesetze 
der Welt für Laune und Zufall hin“. 

Diese wenigen zum Theil aus ihrer Verbindung herausgenommenen und nur 
in losem innerem Zusammenhänge stehenden Sätze verdeutlichen dem Leser viel¬ 
leicht am besten, worauf es Verf. in diesem ersten Theile ankommt. Er fasst 
vollständig auf philosophischem Denken, und wem dieses nicht fremd, der wird 
das Werk, insbesondere seine ersten zwei Theile mit Genuss lesen und darin 
eine sympathische Weltanschauung finden können. Der Nur-Neurolog oder Nur- 
Psychiater wird wenig, fast nichts für seine Zwecke entdecken; es müsste denn 
sein, dass ihm ein Verständniss dafür erweckt wird, dass viele Begriffe, mit denen 
er fast täglich operirt (das psychisch Unbewusste, Vielheit des Bewusstseins) 
eigentlich unmögliche Gebilde sind und den Anforderungen einer strengen Logik 
nicht standhalten. 

Als den einfachsten Bestandteil der Wahrnehmung, der noch in noetischem 
Verhältnisse zu Bestandteilen des Wahrnehmungsobjectes steht, charakterisirt 
Verf. im zweiten Theile die Empfindung. Diese ist nioht weiter zerlegbar. Aus 
Empfindungen fügen sich zusammen die Vorstellungen. Die räumlichen und zeit¬ 
lichen Gestalten der Vorstellungen sind nioht Ordnungsformen der Vorstellungs¬ 
elemente, sondern sind selbst Vorstellungsbestandteile, die sich bei der Zerlegung 
der Vorstellung als noetische Elementgruppen erweisen; sie sind für sich be¬ 
stehende Inhalte der Vorstellungen, die sich mit den übrigen Empfindungen ver¬ 
binden, aber nie diese selbst erst verbinden. „Die Vorstellung ist eine unendlich 


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oomplieirte Mannigfaltigkeit, in der jedoch kein Factor enthalten ist, welcher nicht 
der Forderung vollständiger Beschreibbarkeit entspräche. Nichtvorstellungen wie 
Affecte, Triebe, Willen sind nur soweit beschreibbar, als sie sich aus Vorstellungs¬ 
elementen d. h. aus Empfindungen zusammensetzen. Für den Willen ist kein be¬ 
sonderes Willenelement characteristisch. Er lässt sich durchaus in Elemente 
möglicher Vorstellungen analysiren. Willenshandlung wie Willen stellen ein zeit¬ 
loses Zusammensein von mannigfaltigen Qualitäten vor, von denen jede principiell 
den Vorstellungselementen coordinirt ist“. Des Weiteren werden die Gefühle, 
Triebe, das Aufmerken, der Urtheilsaot besprochen und die Möglichkeit ihrer 
Zurückführung auf Vorstellungen und deren Elemente. 

Es schliesst dieser zweite Theil mit der Erwägung, dass wie der Physiker 
vom Molecularbegriff zum Atombegriff vorschreitet, so auch der Psycholog über 
die Empfindungen zu psyohischen Urelementen hinausgehen dürfe. Verf. skizzirt 
kurz in welchen Bichtungen sioh ein Versuch eine Atomistik des Bewusstseins¬ 
inhaltes zu construiren bewegen müsste. 

ln der Einleitung des dritten Theil es „der psychische Zusammenhang“ werden 
zunächst die für die objectivirende Psychologie — und nur diese kommt hier in 
Betracht — unhaltbaren Seelentheorieen zurückgewiesen. Sodann stellt sich Verf. 
aus erkenntnisstheoretischen Gründen auf den Boden der introjioirenden Parallelis¬ 
mustheorie. In Widerspruch zu dem Postulat des ausnahmslosen Parallelismus 
tritt die Apperceptionstheorie. Sie verneint die Möglichkeit einer psychophysi¬ 
schen Erklärung der Willensentsoheidung und der Werthgefühle und fordert eine 
reine psychische Causalität. Dadurch wird sie inconsequent. Denn eine objectiv- 
psychologische Apperception, die ohne psychophysisohe Ursache entscheidet, 
stellt sich in Widerspruch zu dem Sinne der Objectivirung. Die apperceptiven 
Vorgänge sind zum Theil äusserst verwickelt, sind deswegen aber nicht unerklärbar 
und können mit anderen psychologischen Vorgängen durchaus auf eine Stufe ge¬ 
stellt werden. Ebenso kann jeder Werth Variation eine Veränderung der physio¬ 
logischen Vorgänge parallel gesetzt werden. „Es giebt keine Bewerthung, die 
nicht irgendwie die Contractionen unserer Muskeln beeinflusst. Da diese physisohe 
Aenderung ihre vollständige physische Ursachenreihe haben muss, so kann keiner 
Werthbestimmung das physische Parallelismusglied im Centralnervensystem ab¬ 
gesprochen werden.“ In zutreffender Weise vergleicht Verf. die Bolle, die die 
Apperceptionstheorie in der Psychologie spielt, mit derjenigen, die der Vitalismus 
in der Naturwissenschaft gespielt hat. Zugleich würdigt er aber die Bedeutung 
dieser beiden Theorieen für die Wissenschaft und charakterisirt zuletzt den Apper- 
ceptionismus als die gesunde conservative Gegenbewegung gegen die oberflächliche 
Ueberschätzung der Associationstheorie. 

Diese letztere sei zwar psychophysisch oonsequent, wäre aber selbst mit 
Hülfe ihrer sämmtlichen Ergänzungstheorieen nicht geeignet den Reichthum des 
psyohischen Geschehens zu erklären. Dadurch, dass sie die psychologischen 
Mannigfaltigkeiten auf die Unterscheidung der Intensität und Qualität beschränke 
und das Princip der Bahn geringsten Widerstandes einführe, vermöge sie wohl 
die Herbeischaffung des Gedächtniss- und Phantasiematerials den Anforderungen 
der Parallelismustheorie gemäss darzustellen, könne aber nicht die wirkliche Ge¬ 
staltung der psychischen Mannigfaltigkeit verständlich maohen, besonders nicht 
das Phänomen der Aufmerksamkeit, der bewussten Wahl, die Lebhaftigkeit der 
Inhalte, der inneren Hemmung. Das thue die Apperceptionstheorie, doch schreibe 
sie diese ordnende Einwirkung einer physiologisch nicht determinirten psychischen 
Potenz zu. Wenn die Assooiationstheorie in der Nothwehr gegen die von dieser 
Seite herkommenden berechtigten Angriffe das Constellationsprincip einftihre, so 
sei sie da zweifellos auf richtiger Fährte, könne aber aus ihren eigenen An¬ 
schauungen dafür keine Erklärung liefern. Es fehle ihr ein Einblick in den 


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Mechanismus, der die Answahl der psychophysischen Erregungen vollziehe und 
zwar hauptsächlich deswegen, weil sie einer Psychophysik der Lebhaftigkeitswerthe 
entbehre, welche letztere man vielfach fälschlich mit der Intensitätsreihe oder 
ähnlichem zusammengeworfen habe. 

Hier setzt nun die Actionstheorie des Verf. ein. Sie versucht die Lebhaftig¬ 
keitswerthe der Empfindungen auf centrifugale Action zurückzuführen und zwar 
auf die von der sensorischen Endstation zum motorischen Apparat ausströmenden 
Erregungen. Nach Verf. ist es ein Hauptfehler der Apperceptions- und Associa¬ 
tionstheorie, dass sie einseitig die sensorische Seite des psychophysischen Ge¬ 
schehens berücksichtigen. Sie sind rein sensorische Theorieen; daran ändert auch 
wenig die Verwerthung einer Muskel- oder Innervationsempfindung. Für sie sind 
die centrifugalen Phänomene nur Beactionen bezw. rein physiologische Vorgänge, 
die die Psychologie nichts angehen. Im Gegensatz dazu behauptet die Actiona- 
theorie, dass der motorische Factor sich nicht wie eine Nachwirkung an den 
psychophysisch-sensorischen Vorgang anschliesst, sondern selbst ein Theil der 
Bedingungen für den psyohophysischen Vorgang ist. Es giebt keine Empfindung, 
der nicht ein motorischer Impuls zu Grunde liegt; „in diesem Sinne ist da nn 
jede einzige Empfindung und daher jedes Element des Bewusstseinsinhaltes eine 
Innervationsempfindung." Die Physiologie beweist, dass thataächlioh jede psycho¬ 
physische Erregung Ausgangspunkt centrifugaler Processe ist. Jede Sinnes¬ 
empfindung verändert das System unserer Bewegungen und Spannungen; und 
dasselbe gilt für die Vorstellung. 

Die Actionstheorie behauptet also mit der Associationstheorie zusammen, dass 
die Empfindung bezüglich ihrer Qualität von der räumlichen Lage der Erregunga- 
bahn zur sensorischen Endstation, bezüglich ihrer Intensität von der Stärke der 
auf oentripetaler Bahn zugefuhrten Erregungen und über jene Theorie hinaus¬ 
gehend, bezüglich ihrer Lebhaftigkeit von der Stärke der fortgeführten centri¬ 
fugalen Erregung oder kurz von der Stärke der Entladung abhängig ist. Das 
heisst: die physiologische sensorische Erregung an sich ist gar nicht von psychi¬ 
schen Vorgängen begleitet, erst beim Uebergang in die Entladung wird sie 
psychophysisch. Sensorische Erregung ohne Entladung entspricht der vollständigen 
Hemmung; je vollständiger die Entladung, desto lebhafter die Empfindung. Ob 
dabei die sensorische Beizung peripher oder associativ erfolgt, ist gleichgültig. 
Nun schickt die Hirnrinde ihren Bewegungsanstoss nicht direct zum Muskel, 
sondern erst über die subcorticalen Centren; dort steht jedes motorische Centrum 
zu einem antagonistischen in Beziehung. Die physiologische These der Actions¬ 
theorie sagt nun, dass die Erregung eines subcorticalen motorischen Centrums 
zugleich eine Hemmung im antagonistischen Centram hervorruft, das heisst die 
von der übergeordneten Binde ausgehehnde Entladung wird unwirksam, weil das 
gehemmte Centrum ihr Widerstand entgegensetzt. „Eine Empfindung ist also ge¬ 
hemmt, wenn die Entladungsbahn der sensorischen Erregung zu einem suboorti- 
calen motorischen Centrum führt, das wegen der gleichzeitig ablaufenden Er¬ 
regung des antagonistischen Centrums selbst gehemmt ist und so der Entladung 
Widerstand entgegensetzt. So ist das gesammte Spiel der Verstärkungen und 
Hemmungen in den Millionen der psychophysisohen Elemente bedingt durch die 
reciproken Hemmungswirkungen der antagonistischen rein physiologischen Be* 
wegungsoentren unterhalb der Binde." 

Die Actionstheorie belehrt uns also nicht nur wie die Associationstheorie 
über die Existenz der Hemmungen und Förderungen centraler Vorgänge, sondern, 
indem sie sich gründet auf die physiologische Gegensätzlichkeit aller motorischen 
Impulse, die ihren typischen Ausdruck im Verhältnisse der Strecker und Beuger 
findet, auch über die Art des Zustandekommens dieser Phänomene. „Alle sen¬ 
sorischen Erregungen des Gehirns können als solche friedlich nebeneinander be* 


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stehen; deswegen erschien es hoffnungslos, das Spiel des wechselseitigen Fördems 
und Hemmens aus dem Verhältnisse der sensorischen Proceese selbst abzuleiten, 
nur die Handlungen, die ihnen entsprechen, lassen sich nie zusammen ausführen.“ 
Eine Action kann nie sein, ohne dass eine entgegengerichtete ausgeschlossen wird. 

Es wird nun des Näherem ausgeführt, wie dies antagonistische Verhältniss 
der subcorticalen motorischen Centren, das Verf. zunächst ganz einfach schematisch 
darstellt, äusserst complicirt sein kann; wie die Intensität der corticalen Entladung, 
die ihrerseits den Grad der Lebhaftigkeit des Bewusstseinsinhaltes bedingt, ab¬ 
hängt von der Assimilation und Dissimilation, vom Widerstand oder der Be¬ 
wegungsbereitschaft eben dieser subordinirten Centren. 

Werden ausser dem Lebhaftigkeitswert noch andere Werthqualitäten aner¬ 
kannt (Bekanntheit, Gültigkeit, Zukünftigkeit, Baumrichtung), so versucht die 
Actionstheorie auch für diese physiologische Begleiterscheinungen wahrscheinlich 
zu machen. Sie besagt: „schon in der einzelnen Zelle braucht die Entladung 
nicht immer auf einem Wege vor sich zu gehen, sondern kann zu verschiedenen 
Fibrillen gehen und in verschiedenen Collateralen enden. So können in derselben 
Zelle räumlich verschiedene Entladungsvorgänge möglioh sein; und diese räum¬ 
lichen Variationen der Entladung sind es, welche den wechselnden Werthnuancen 
der Empfindungen zu Grunde liegen. Wie also die Lebhaftigkeit der Empfindung 
von der Stärke der Entladung, so würde die Werthnuance der Empfindung von 
der räumlichen Lage der Entladungsbahn abhängig sein. 

Der Schluss dieses dritten Theiles des Buches skizzirt die Anwendung der 
Actionstheorie auf die strittigen Phänomene der Aufmerksamkeit der Apperception 
im engeren Sinne, des UrtheileB. Die Durchführung der Theorie auf die einzelnen 
Probleme soll einem später folgenden specieUen Theile Vorbehalten bleiben. 

Ueber ein Werk von der Grösse und Bedeutung des Verf lässt sich weder 
ein erschöpfender Ueberblick geben — es muss, um verstanden und gewürdigt 
werden zu können, durchaus im Orginal gelesen werden —, noch wäre es an¬ 
gebracht, jetzt schon ein abschliessendes Urtheil darüber zu fällen. Für die Theorie 
des Verf. spricht ihre logische Construction, ferner der Umstand, dass die That- 
saohen der empirischen Physiologie sie bestätigen und die der anatomisch-histo¬ 
logischen Forschung ihr nicht widersprechen. Vorbereitet sind die Ausführungen 
des Verf. durch eine Menge physiologischer und psychologischer Arbeiten; und es 
sind nioht neue Thatsachen oder Entdeckungen, auf denen er frisst Er zieht nur 
das Schlussfacit, das gewissermaassen schon in der Luft lag. Zu theilweise demselben 
oder sehr ähnlichem Besultat scheint E. Storch in seiner neuesten Arbeit „Ver¬ 
such einer psychophysischen Darstellung des Bewusstseins“ (Berlin, S. Karger. 
1902) zu kommen, die Bef. zunächst allerdings nur aus einem Beferat kennt 

Meitzer (Grosshennersdorf). 


Pathologische Anatomie. 

10) Zar pathologischen Anatomie der Hemiathetoae. Zugleich Beitrag 
aur Kenntniss der aus der Vierhügelgegend absteigenden Bahnen 
beim Mensohen, von Dr. Hans Haenel, Assistenzarzt am Stadtkranken¬ 
haus Dresden-Friedrichstadt. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XXL) 

21jähr. Mann, seit der Geburt oder frühesten Kindheit an oerebraler Kinder¬ 
lähmung leidend, seit einem Jahr wegen syphilitischer Infection mit Secundär- 
erscheinuDgen in Behandlung und seit 1 / s Jahr an Phthise erkrankt Es finden 
sioh folgende Störungen: Atrophie der oberen und unteren Extremitäten links, 
starker Pes equino-varus links, Athetose der linken Hand bei kaum verminderter 


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grober Kraft, Spasmen mittleren Grades im linken Arm, Sehnenreflexe auf der 
linken Seite aufgehoben, linker Facialis bei der Mimik eine Spur schlaffer als 
rechts, im Uebrigen gleich gute Innervation beider Geeichtahälften, Pupillen gleich 
weit und prompt reagirend, kein Nystagmus, Zungen und Gaumen gerade, keine 
Sensibilitätsstörungen, keine Epilepsie. Exitus in Folge der Langen tuberculoee. 
Es fand sich die Narbe eines alten Herdes im Beginn des rechten Hirnschenkel* 
fusses unterhalb der Linsenkernschlinge mit Fortsetzung nach abwärts durch den 
inneren Kniehöcker und auf die Oberfläche des hinteren Vierhügels. Durch dienen 
Herd ist der Himschenkelfuss vollkommen zerstört, die ganze Pyramidenbahn 
secundär geschwunden und die reohte Brückenhälfte stark atrophisch. Während 
somit in den ventralen Theilen des Mittelhirns und der Med all» oblongata ein 
Defect besteht, ist es in den dorsalen Abschnitten za einer unter normalen Ver¬ 
hältnissen nicht vorhandenen Entwickelung von Nervenfasern gekommen, indem 
die in der unteren Hälfte fehlenden Fasern gleichsam in die obere hineingerutscht 
sind. Dieselbe beginnt dicht unterhalb des Herdes, bedingt im Mittelhirn eine 
Volumsvermehrung der rechten dorsalen Hälfte und lässt sich bis unterhalb der 
Pyramidenkreuzung nach weisen, von wo an die abnormen Fasern in der weissen 
Substanz des Rückenmarks untergehen. Ein Theil derselben entspricht sohon be¬ 
kannten Bahnen: Vierhügelvorderstrangbahn und Monakow’sches Bündel, acces- 
sorische Schleife (Bechterew) links. Die drei Bahnen sind motorische Leitungen 
für die unwillkürlichen und reflectorischen Impulse der Bewegung. Sie sind so¬ 
mit durch diesen Befund auch beim erwachsenen Menschen sicbergestellt und 
haben vielleicht hier die Athetosebewegungen, möglicherweise auch die Willkür¬ 
bewegungen zu Stande gebracht 

Die anderen hypertrophischen Faserbündel der Haubenetage konnten nicht 
zu bekannten Bahnen in Beziehung gebracht werden. Sie wenden sich zum Theil 
mit dem Bindearm nach dem Kleinhirn, theils verbinden sie die rechte und linke 
Hälfte, besonders in der Gegend der hinteren Vierhügel, in abnormer Weise oder 
verlieren sich in der Gegend der Himnervenkerne. Verf. fasst dieselben als 
Bahnen auf, welche für durch den Herd unterbrochene vicariirend eintreten und 
sich in Folge davon stärker entwickelt oder neugebildet haben. 

Der Fall beweist, dass im Gegensatz zu Monakow die Pyramidenbahn ftr 
das Auftreten von posthemiplegischen Bewegungsstörungen nicht nothwendige Vor¬ 
bedingung ist und stützt die zuerst von Bonhöffer abgegebene Anschauung, 
nach welcher die Athetosebewegungen in einer Störung der Verbindung «wischen 
Kleinhirn und Regio subthalamica, speciell dem rothen Kern, zu suchen sind. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


II) Endarteriitis oartilaginosa der grossen Hlrogefässe, von Marburg. 

(Centralbl. £ allg. Patholog. u. patholog. Anat. 1902. Nr. 8 u. 9.) 

Verknorpelung des Endausgangs von Gefässproceesen, bisher nirgends erwähnt, 
konnte Verf. in 3 Fällen beobachten; diese betrafen alle hochgradiges Atherom 
mit entzündlichen Erscheinungen. Im ersten Falle war die Arteria cerebri media, 
im zweiten die Basilaris, im dritten die Arteria cerebri posterior afficirt 

Der Knorpel, der sich von dem gewucherten Bindegewebe der Intima aus zu 
entwickeln schien, bot das Aussehen des echten hyalinen Knorpels. Denselben 
als Vorstufe einer Verknöcherung aufzufassen, verbietet die regressive Veränderung, 
die derselbe eingeht, sowie das Fehlen von Kalk in seiner Umgebung. Deeshalb 
neigt Verff. der Meinung zu, dass es sich hier um einen echten metaplastischen 
Process handelt, der als Endausgang von Endarteriitis vielleicht als Endarteriitis 
oartilaginosa zu bezeichnen wäre. Piles (Wien). 


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12) Degeneration in hemiplegia, with speoial referenoe to a ventro-lateral 
pyramidal traot, the aooessory flllet and Pioks bandle, by Stanley 
Barnes. (Brain. 1901. Autumn.) 

Die Untersuchungen des Verf/s sind an 5 Gehirnen mit Marchi-Methode ge¬ 
macht. Sie ergeben, dass sioh ein entweder in der motorischen Rinde oder von 
dem Corpus lenticulare stammendes, proximal mit der Pyramide zusammenlaufendes 
Bündel im Pons oder tiefer unten von der Pyramidenbahn abzweigt, auf der¬ 
selben Seite bleibt und in der Gegend des Gowers’schen Bündels im ventro- 
lateralen Theile des Seitenstranges sehr verschieden weit als oompaotes Bündel 
nach unten läuft (ventrolaterales Pyramidenbündel). Im Bezug auf die acoessorische 
Schleife, die er immer degeneriit fand, stimmt Verf. so ziemlich mit Ho che 
überein; es handelt sich um Pyramidenfasern, die sioh eine Zeit lang der Schleife 
beimischen und schliesslich zum motorischen Trigeminus- und Facialiskern der¬ 
selben und der anderen Seite gelangen. Zum Hypoglossuskern und zu den Augen¬ 
muskelkernen gelangen diese Fasern nicht. Die acoessorische Schleife bekommt 
im Pons Verstärkungen von den dorsalsten Lagern der Pyramiden. Auch 
Bechterew’s mediale aocessorisohe Sohleife fand sioh degenerirt. Pick’s Bündel 
stammt wahrscheinlich aus der Pyramidenbahn gleioh nach der Kreuzung, steigt 
von da aufwärts und verliert sich in der Gegend des Nucleus ambiguus und 
vielleicht des Facialiskernes. Es hat also dieselbe Function wie die aocessorisohe 
Sohleife für mehr medullarwärts gelegene motorische Kerne, aber' vor allem für 
die gekreuzte Seite. Bruns. 

13) Des foyers laounalros de ddsintdgration et de dlffdreats autres öfeata 
eevftalree da eerveau, par Pierre Marie. (Revue de Mädecine. 1901. S. 281.) 
Verf. betont, dass als anatomische Ursache der Hemiplegie der Greise 

verhältnissmässig selten eine grössere Hämorrhagie oder Erweichung gefunden 
wird; der häufigste anatomische Befand sind vielmehr kleine, etwa linsen- bis 
erbeengrosse lacunäre Herde, die in geringerer Oder grösserer Anzahl (bis zu 8—10 
und mehr) ihren Sitz hauptsächlich im Linsenkern und Thalamus, doch auch in 
der inneren Kapsel, im Centrum ovale, im Balken u. a. haben. Auch in der 
Brücke kommen diese kleinen Herde vor, nur selten im Kleinhirn, niemals in den 
Himschenkeln, in der Oblongata und im Rüokenmark. Die Entstehung der Herde 
geht sioher von den Blutgefässen aus. Es handelt sich um die Folgen einer 
(sehr oft localen) Arteriosklerose der Gehirnarterien. Das Gehirn im Ganzen 
ist atrophisch, die Windungen sind schmal, die Furchen vertieft. Die Dura ist 
meist mit dem Schädel verwachsen, die Pia ist trübe und verdickt, die Ventrikel 
sind erweitert. Die klinischen Symptome dieses Zustandes bestehen meist in 
einer zwar ziemlich plötzlich, aber ohne stärkeren Insult auftretenden, meist un¬ 
vollständigen Hemiplegie. Der Arm ist nicht gelähmt, aber schwach und un¬ 
geschickt. Der Gang geschieht mit kleinen Schritten und etwas vorgebeugtem 
Körper; das stärker betroffene Bein schleppt ein wenig nach. Diese Gangart 
(marche & petita pas) ist ungemein charakteristisch für den „6tat laounaire“ des 
Gehirns. Oft ist die Spraohe etwas gestört, häufig auch das Schlucken. Die 
Intelligenz ist abgeschwächt, die Kranken sind zum Lachen und Weinen geneigt. 
— Von „6tat lacunaire“ unterschieden ist der „6tat cribl6“ des Gehirns, den 
Durand-Fardel genau beschrieben hat. Auch diesen Zustand beobachtete man 
oft im Gehirn der Greise. Er beruht auf einer Erweiterung der perivasoulären 
Lymphräume. Endlich ist noch eine wiederholt beschriebene Form der cystösen 
Entartung (porose c6r6brale) des Gehirns zu erwähnen, die aber, wenigstens in 
vielen Fällen, sicher eine postmortale Fäulnisserscheinung ist, abhängig 
von der Anwesenheit gasbildender Bakterien. Strümpell (Erlangen). 


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Pathologie des Nervensystems. 

14) Troublea trophiques et tronblea de la aenaibilitd ohes lea hemiplögiqaea, 

par P. Chatin (Lyon). (Revue de Mödecine. 1900. S. 781.) 

Verfi geht von der zuerst von Morat, Brissaud u. A. ausgesprochenen 
Ansicht aus, nach welcher auch der Ansfall sensibler (centripetaler) Er¬ 
regungen auf die Nervenzellen von bemerkbar schädlichem trophischem Einflüsse 
ist. Er stellte sich die Frage, ob das Vorkommen trophischer Störungen bei der 
Hemiplegie daher vielleicht zu den Sensibilitätsstorungen der Hemiplegiker in 
Beziehung steht, ln 19 Fällen von Hemiplegie wurden daher die trophiachen 
und sensiblen Störungen genau untersucht und mit einander verglichen. Ea zeigte 
sich, dass in 11 Fällen von Hemiplegie mit deutlichen trophischen oder vaso¬ 
motorischen Störungen 10 Mal deutliche Sensibilitätsstörungen vorhanden waren, 
während in 8 Fällen von Hemiplegie ohne trophische Störung auch die Sensi¬ 
bilität nicht in bemerkenswerther Weise verändert war. Die trophischen 
Störungen bestanden hauptsächlich in Muskelatrophieen (besonders im Deltoideus, 
ausserdem aber auch im Oberarm, Vorderarm und in den kleinen Handmuskeln, 
in viel geringerem Grade in der unteren Extremität), Kälte und Cyanoee der 
Haut, Oedem am Handrücken, glossy-skin und Veränderungen der Nägel. Die 
Sensibilitätsstörungen waren stete am stärksten ausgesprochen an der Hand 
und den Fingern und nahmen nach dem Arm und der Schulter zu rasch ab. 
Auch an der unteren Extremität sind sie am Fuss am deutlichsten nachweisbar. 
Die Schleimhäute (Zunge, Mund, Conjunctiva) zeigten normale Sensibilität. Die 
Störung bezog sich nach dem Verf. ziemlich gleiohmässig auf alle Qualitäten der 
Empfindung. Oft war die Störung für thermische Reize noch stärker als für 
tactile Reize. Dabei war die Wärmeempfindung oft stärker gestört als die Kälte¬ 
empfindung. Wiederholt zeigte sich insbesondere stark verlangsamte Perception 
der Wärmeempfindung, eine Erscheinung, die nicht auf vasomotorische Störungen 
bezogen werden konnte, wie besondere Versuche an Hautstellen, in denen künst¬ 
lich durch Schröpfköpfe vasomotorische Störungen hervorgerufen wurden, zeigten. 
Störungen des Muskelsinns wurden häufig gefunden. Der sogen, stereognoetische 
Sinn stand in directer Beziehung zu den erhaltenen einzelnen Sinnesempfindungen 
und der erhaltenen Motilität. 

Somit ist also ein Einfluss der Sensibilitätsstörungen auf die trophischen 
Störungen im höchsten Grade wahrscheinlich. Allein sicher sind letztere nicht 
allein von den ersteren abhängig, sondern mindestens ebenso sehr oder noch mehr 
von den centrifugalen (motorischen) Erregungen. Die Annahme besonderer „tro- 
phischer Nerven“ ist überflüssig und gänzlich unerwiesen. Die trophischen Ver¬ 
änderungen sind das Ergebniss einer jeden Störung im gesammten Reflexbogen, 
in den die motorische Zelle eingeschaltet ist Sie treten daher um so stärker 
hervor, wenn beide Abschnitte dieses Reflexbogens erkrankt sind. Die Muskel¬ 
atrophie der Hemiplegischen ist also das gemeinschaftliche Resultat des Ausfalls 
einerseits der sensiblen (refleotorischen), andererseits der motorischen und vaso¬ 
motorischen Erregungen. Strümpell (Erlangen). 

15) Essai sur l’hömiplegie des vieillards. Lea laoones de döaintögration 

odröbrale, par Jean Ferrand. (Paris, 1902.) 

Ein genaues, auf zahlreiche Einzelfälle sich gründendes Studium des Krankea- 
und Obductionsmaterials zu Bicetre hat es Verf. ermöglicht, eine neue Krankheits¬ 
form des Greisenalters aufzustellen, für deren nosologische und pathologisch¬ 
anatomische Selbständigkeit er zahlreiche Thatsachen anführt Das Auffallendste 
dabei ist, dass nach seinen Angaben diese Eirankheitsform nicht nur keine Selten¬ 
heit ist Bondern die Ursache von 90°/o a ^ er Hemiplegieen jenseits des 60. Lebens- 


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jahree darstellt. Dass sie bisher übersehen wurde, liegt haupts&chlieh daran, dass 
die üblichen Seotionsschnitte die Herde nicht oder nur sehr unvollkommen sur 
Geltung kommen lassen; sie sind deutlich nur auf einem durch die Stammganglien 
gelegten Horizontal schnitt, dem sogen. Flechsig’sohen Schnitt. Auf einem solchen, 
der die kleinen Gefässe senkrecht su ihrer Axe durchschneidet, sieht man, fast 
stets auf die grauen Kerne der Stammganglien beschränkt, nur selten in die 
innere Kapsel, nie in andere Gebiete übergreifend, kleine rundliche oder läng* 
liehe, unregelmassig geformte Zerfallsherde bezw, Gewebslücken („Lacunen“), mit 
ungleichmässiger, rauher Wand, die eine graue, manchmal schwach ockergelbe 
Farbe zeigt, im Inneren nervöse Zerfallsproducte und regelmässig einen Gefäss- 
querschnitt enthalten. Die Grösse schwankt von der eines Hirse- oder Hanfkorns 
bis zu der einer Erbse oder Bohne. Meist zeigt die Lacune Neigung zur Ver¬ 
narbung, Sklerosrirung des umgebenden Gewebes. Im übrigen fand man bei' dem 
betreffenden Individuum meist eine Adhärenz zwischen Dura und Schädel und 
eine Dilatation der Ventrikel, häufig Arteriosklerose in verschiedenen Gefässgebieten. 

Histologisch unterscheidet Verf. zwei Phasen der Entwiokelung: die erste 
ist charakterisirt durch eine einfache Rarefication des Gewebes um eine Arteriole, 
die zweite durch eine Trennung zwischen dieser und dem Gewebe, die Ausbildung 
eines Gewebsdefectes, einer eigentlichen Lacune. Das centrale Gefäss zeigte 
hauptsächlich Veränderungen der Media, Verdickung derselben, Ersatz des Muskel- 
durch Bindegewebe, war aber nie obliterirt oder aneurysmatisch verändert und 
enthielt stets nooh rothe Blutkörperchen; die Intima war normal. Die nächste 
Umgebung, sowie die Wand der Lacune zeigten zahlreiche ausgewanderte Leuko- 
cyten, Körnchenzellen und Detritus von Glia, Mark, weissen und rothen Blut¬ 
körperchen. Die Rarefioation des Gewebes (Markzerfall nach Marchi) ist noch 
eine Strecke weit in die Umgebung nachweisbar, Ganglienzellen fehlen in dieser 
Zone. In späteren Stadien wird die Lücke meist durch fibröse und gliöse Fäden 
zum Theil wieder ausgefüllt 

Diesem wohlcharakterisirten anatomischen entspricht nach dem Verf. ein 
ebenso umschriebenes klinisches Bild: Der Kranke bekommt einen leiohten Anfall, 
ohne Bewusstseinsverlust, fällt um, kann sich aber gleich wieder aufrichten, und 
zeigt eine partielle und incomplete, schlaffe Hemiplegie, manchmal mit dys¬ 
arthrischen, aber ohne jede Sensibilitätsstörungen. Diese Hemiplegie dauert einige 
Minuten bis höchstens einige Wochen, um dann bis auf kaum nachweisbare 
Störungen zu verschwinden. Contr&cturen stellen sich nie ein, nur die Reflexe 
bleiben allgemein erhöht. Die gewöhnlichste und auffallendste Folge ist eine 
Veränderung des Ganges, der Gang mit kleinen Schritten, häufig auch eine Ver¬ 
minderung der geistigen Regsamkeit, und die als „rire spasmodique“ bezeiohnete 
Veränderung des Geeichtsausdrucks. — Die Kranken sterben, meist erst lange 
Zeit nach dem ersten Anfall, an intercurrenten Krankheiten oder an einer in die 
Höhle der Lacune erfolgenden grösseren Hämorrhagie, durch Ruptur des seines 
Wanddruckes beraubten Gefässes veranlasst, oder unter Wiederholung der „lacu- 
nären“ Anfälle an geistiger und körperlicher Schwäche, mit Blödsinn und In- 
continenz. 

Die Aetiologie fällt im Allgemeinen mit der der Arteriosklerose zusammen. 

Ausführlich geht Verf. auf die Differentialdiagnose und die Abtrennung seiner 
Krankheitsform von der Pseudobulbärparalyse, von der Hämorrhagie, der Er¬ 
weichung, der entzündlichen Encephalitis ein, ferner auf die Unterschiede des 
anatomischen Bildes von dem sogen. 6tat criblö und der als Porose bekannten 
cadaverösen Veränderung des Gehirns. Bei der Erörterung der Pathogenese 
kommt er zu dem Ergebniss, dass die lacunären Zerfallsherde abhängig sind von 
arteriellen Gefässveränderungen: die Sklerose der kleinen Arterien führt zu einer 
Art chronischer Encephalitis, die von selbst durch Sklerosirang heilt; vielleicht 


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spielt der Liquor cerebro-spinalis in den Gefässscheidou dabei eine reizende Rolle. 
(Schwierig bleibt bei dieser Anschauung nur die Erklärung der Anfälle, da Verf. 
bei der reinen Form yon einer Hämorrhagie oder Erweichung nichts wissen 
wilL Ref.) 

Verf. bezeichnet die Affection pathologisch-anatomisch als: Encephalitis 
chronica solerotica senilis und hält sie für die häufigste Ursache der leichten 
heilbaren Hemiplegieen der alten Leute. H. Haenel (Dresden). 


16) Sur un oas d’hemorragies multiples de l’enodphale ohes le ohewal, 

par Lesbre et Forgeot. (Journal de möd. vet. de Lyon. 1902. S. 154.) 

Die Verff. erbringen einen interessanten Beitrag zum Capital der Hirn¬ 
blutungen bei den Thieren. 

Es handelte sich in der vorliegenden Beobachtung um ein 7jähriges Reit¬ 
pferd, das ganz unvermittelt an leichten Gangstörungen erkrankte, die sehr rasch 
unter Temperatursteigerung Zunahmen und in eine allgemeine motorische Paralyse 
übergingen. Tod nach 2 Tagen im Coma. 

Die Section ergab in den Organen des Brust- und Bauchraumes nur die 
Existenz unbedeutender subepithelialer Hämorrhagieen am Blasenhalse und iss 
Becken beider Nieren. 

Am Grosshirn fanden sich sehr zahlreiche Blutungen in der Pia und des 
centralen Markmassen, wogegen der Cortex überall frei geblieben war. Die um¬ 
fangreichste Hämorrhagie lag an der Convexität der rechten Hemisphäre, an der 
sie etwa ein Drittel ihrer Oberfläche einnahm. In der Mitte der Blutung war 
die Gehirnsubstanz in der Ausdehnung eines Zwei-Francstüokes erweicht. Der 
Herd der Consistenzverminderung war von der anscheinend intacten Hirnrinde 
überdeckt und reichte in die Tiefe bis nahe an das Corpus callosum. Kleinere 
Blutungen ohne begleitende Erweichung fanden sich in der Gegend beider 
Ammonshörner, an der linken Hemisphäre und an mehreren Stellen der Klein¬ 
hirnoberfläche. Eine Embolie konnte nicht nachgewiesen werden. Eine bakterio¬ 
logische Untersuchung wurde nicht vorgenommen. Diesem letzteren Umstande 
ist es wohl zuzuschreiben, dass die entzündliche Natur des Processes übersehen 
werden konnte, die sich durch die Multiplicität der Herde, die Erweichung, die 
Fiebersteigerung und die Ecohymosirungen der Schleimhaut des Harnapparatas 
ziemlich deutlioh verrieth. Dexler (Prag). 


17) On iutraoranial thrombosis as the oauae of double optio neuritis In 
oasea of ohloroais. by C. 0. Hawthorne. (Brit med. Jo um. 1902. 
8. Februar.) 

Bei einem 17jährigen, an Chlorose leidenden Mädchen trat plötzlioh beider¬ 
seits Neuritis optica und gleichzeitig Doppeltsehen in Folge Lähmung des rechten 
M. externus ein. — Beide Affectionen verschwanden ebenfalls gleichzeitig nach 
einigen Wochen unter Ruhe und Darreichung von Eisenpräparaten. Verf. nimmt 
für die Entstehung der genannten Krankheitserscheinungen eine gemeinschaftliche 
Ursache, und zwar eine intracranielle Thrombose an. Verf. verweist auf das von 
anderen Autoren (u. A. Welsch) gefundene relativ häufige Vorkommen von 
Sinusthrombosen bei Chlorotischen. E. Lehmann (Oeynhausen). 


18) Sur quelques symptömes interessante ddterminds par dee ldeion* 
oiroonsorlptes de l’enoephale eto M par Toubert (Gazette des höpitaux. 
1901. S. 1373.) 

Selbstmordversuch durch Schuss in die linke Schläfe. Darauf Erscheinungen 


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von Hirn druck. Bei der Trepanation wird ein endooraniellee Hämatom nicht ge¬ 
funden. Rechtsseitige Hemiparese der Gesichts- and linksseitige der Extremitäten* 
musoulatur. Rechtsseitige Mydriasis; beide Papillen starr. 12 Stunden später 
vorübergehende Hyperthermie. Albuminurie und Glycosurie. Exitus am 4. Tage. 
Bei der Obduction u. a. eiterige Bronchopneumonie, für welohe Verf. auch die 
cerebrale Affection verantwortlich machen will (Vagustheorie). Bulbärer Genese 
sei die Glycosurie; die Erscheinungen von Compressio sind zurüokzuführen auf 
Contusio oerebrL Durch den Schuss waren in Mitleidenschaft gezogen der rechte 
Oculomotorius, der Tr actus opticus und der rechte HirnschenkeL Die transi¬ 
torische Hyperthermie sei auoh cerebrales Reizsymptom. Pilcz (Wien). 


10) Ueber einen Fall von Erweichung im dorsalen Theil der Brftoke, von 

Dr. Albert Ransohoff in Hoerdt i/E. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 

XXXV. 1902.) 

Bei einer Frau, die vom 26. bis zum 82. Jahr und ausserdem im 60. Jahr 
psychisch krank gewesen war, trat eine den früheren geistigen Erkrankungen 
ähnliche Alienation nach einem Schlaganfall im 55. Jahre auf. Im 67. Jahre 
erfolgte der Tod. Ausser den in schreckhaften und drohenden Sinnestäuschungen 
mit Depression der Stimmung bestehenden Symptomen fanden sich im Anschluss 
an den Insult Lähmung des linken Facialis, beider Abducentes, vorübergehend 
des rechten, dauernd des linken Rectus internus. Die mit Ataxie verbundene 
Parese der rechtsseitigen Extremitäten ging später auch auf den linken Arm und 
das linke Bein über. Ausserdem wurden articulatorisohe Sprachstörung, rechts¬ 
seitige Sensibilitätsstorungen und anhaltendes Zwangslachen sowie sub finem 
trophische Störungen constatirt. 

Bei der Section fanden sich Hypertrophie des Herzens, besonders des linken 
Ventrikels, Verdickung und Verkürzung der Mitralklappen, massige Schrumpf¬ 
niere, Arteriosklerose, besonders Verkalkung der Arterien der Hirnbasis sowie ein 
thrombotischer Erweichungsherd im dorsalen Theil der Brücke, der namentlich 
den linken Abducenskera, den linken Facialiskern, das rechte hintere Längs¬ 
bündel, beide Pyramiden und die linke Schleife zerstört hatte. Die Gehirn¬ 
windungen waren verschmälert. Auf beiden Himhälften fanden sich lacunäre 
Einsenkungen besonders im Stirn- und Scheitellappen. 

Verf. hat u. a. auch das Zwangslachen in den Bereich seiner Betrachtungen 
gezogen und erklärt es für eine Störung in den reflexhemmenden Bahnen, wahr¬ 
scheinlich im Gebiet der thalamospinalen Züge, die in der Haube der Brücke ge¬ 
schädigt waren. Der Kranken war gar nicht lächerlich zu Muthe, wenn sie 
lachte; sie musste wider Willen lachen. Der das Lachen hervorrufende Reiz 
gelangte offenbar nicht zu dem corticalen Centrum. 

Georg Ilberg (Grossschweidnitz). 


SO) Two oEises of astereognosis, by Diller. (Brain. 1901. Winter.) 

In den beiden Fällen des Verf.’s handelte es sich um einen Verlust des 
stereognostischen Sinnes in der rechten Hand. Im ersten Falle, in dem zugleioh 
Tabes bestand, war die Ursache eine Verletzung der mittleren Theile der Central¬ 
windungen. Tast-, Temperatur- und SohmerzgefÜhl war erhalten; neben der 
Artereognosis bestand noch Mangelhaftigkeit des Lage-, Bewegungs- und Raum¬ 
gefühls. Im zweiten Falle handelte es sich, da Convulsionen und Neuritis optica 
bestanden, wahrscheinlich um einen Tumor. Die Krämpfe waren nicht localisirt 
und Lähmungen bestanden nicht; trotzdem möchte Yert in Analogie zu seinem 
ersten Falle den Tumor über den Central- und nicht über den Parietalwindungen 


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localisiren. Die Rinde der Parietallappen ist das Centrum nur für die einfacheren 
sensorischen Eindrücke: Tast-, Schmerz-, Temperaturempfindungen. Die com- 
plicirteren wie Lage-, Bewegungs- und MuakelgefÜhl sowie der Raumsinn leiden 
hei Läsionen der Central Windungen. Bruns. 


21) Die Beziehungen der Arteriosklerose zu Erkrankungen des Gehirns, 

von Prof. Dr. Windscheid in Leipzig. (Münchener med. Wochensohr. 

1902. Nr. 9.) 

Die Erscheinungen der Arteriosklerose des Gehirns treten durch eine gewisse 
geistige Ermüdung und Erschöpfung und namentlich dadurch hervor, dass die 
betreffenden Patienten ganz plötzlich aufhören auf geistigem Gebiet etwas 
Neues zu leisten, indem die Conceptionsfahigkeit für neue Gedanken gestört ist 
Es tritt dann eine Vereinigung von Kopfschmerzen, Schwindel und Gedächtaiss- 
schwäche sowie eine auffallende Intoleranz gegen Alkohol hinzu. Sehr häufig 
stellten sich nach einem relativ leichten Kopftrauma schwerere Störungen des 
Nervensystems ein und waren dann meist vorher arteriosklerotische Veränderungen 
an den Gehirnarterien vorhanden. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


22) Ein Beitrag zur Kenntniss der Encephalitis , von Walther Spiel¬ 
meyer, Assistent am pathologischen Institut in Halle. (Archiv f. Psych. u. 
Nervenkrankh. XXXV. 1902.) 

Ein Fabrikarbeiter erlitt im 55. Lebensjahre einen Unfall, in Folge dessen 
einige Finger der rechten Hand amputirt werden mussten, bekam einige Zeit 
später Krampfanfalle ohne Bewusstseinsstörung mit klonischen Zuckungen, die vom 
rechten Arm ausgingen und beide Beine in Mitleidenschaft zogen, wurde im 
59. Jahr stumpf und unruhig, musste in die Hallenser Klinik gebracht werden 
und starb daselbst nach wenigen Tagen. In der Klinik wurden Parese des 
rechten Facialis, Abweichen der Zunge nach rechts, vorsichtiger, kleinschrittiger 
Gang, aphasische Symptome, Benommenheit und Verworrenheit constatirt. Die 
von aussen fühlbaren Arterien waren sklerotisch. 

Bei der Section fanden sich feste Verwachsung der Dura mit dem Cranium, 
starker Hydrops meningeus, Trübung der Arachnoidea über dem Stirnhirn, Atrophie 
der Stirnwindungen, Erweiterung der Seitenventrikel, mässige Granulirung ihres 
Ependyms. Ausser drei alten Cysticerken wurden zahlreiche Herde in der weissen 
Substanz beider Grosshirnhemisphären und des Kleinhirns entdeckt, welche theils 
punktförmige, theils hirsekorngrosse, theils hanfkorngrosse Ausdehnung hatten 
und dem Mark nach der Conservirung in Formalinlösung ein Aussehen gaben, 
als ob es mit Sommersprossen übersät sei. Mikroskopisch wurde ein 
nichteitriger encephalitischer Process festgestellt. Die Aehnlichkeit der Herde 
mit denen bei Aetzenoephalitis war auffallend. Ein entzündlicher Reiz hat sich 
auf dem Weg der Blutbahn verbreitet und in erster Linie zu starker Proliferation 
grosser epitheloider Zellen aus Neurogliaelementen geführt. Eine Betheiligung 
der leukocytären Elemente hatte nicht statt, weil im Centralnervensystem bei Ent¬ 
zündungsprocessen die Neurogliazellen eine ähnliohe Aufgabe wie die weissen 
Blutkörperchen in anderen Geweben haben. Der Process verlief in Attaquen und 
wurde immer wieder acut. Klinisch äusserte sich diese Hirnerkrankung in epi* 
leptiformen Anfällen und zuletzt als seniler Blödsinn. 

G. IIberg (Grosaschweidnitz). 


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28) Beitrag zu der Lehre von der infantilen Hemiplegie , von G. Marinesco. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 16.) 

Die infantile Hemiplegie ist ein Symptomencomplex, abhängig vom jugend¬ 
lichen Alter des Individuums, von der Theilnahme der Hirnrinde an den Ver¬ 
änderungen und von einem für die volle Entwickelung der Symptome genügend 
langen Zeitraum. Das constante Auftreten vasculär-entzündlicher Processe ist 
nicht sicher und bei der nioht einheitlichen Krankheit auch nicht zu erwarten. 

Verf. untersuchte histologisoh 7 Fälle von infantiler Hemiplegie in den ver¬ 
schiedensten Entwickelungsstadien: meist waren Infectionskrankheiten voraus¬ 
gegangen, einmal Hydrocephalus die Ursache. In 3 Fällen fand sich einfache 
Mikrogyrie (ohne Meningitis, ohne Erweiohungsherde u. s. w.), in zwei anderen 
Herdaffectionen. 

Bei einfacher Mikrogyrie fanden sich in directem Zusammenhang mit der 
Hemiatrophie des Hirns und entsprechend dem Grade derselben Zellveränderungen 
in mehreren Schichten, mit besonderer Vorliebe an den mittleren und grossen 
Pyramidenzellen. Die Ursache dieser gewissermaassen systematisirten Atrophie 
liess sich nicht sioher ergründen, jedenfalls waren nicht ausschliesslich vasculäre 
Processe im Spiele. 

Die Riesenzellen der sensomotorischen Zone sind bei einfacher Mikrogyrie 
der atrophischen Hemisphäre auf der kranken Seite reducirt, an Form und Ge¬ 
stalt verändert. Die Atrophie der Windungen bedingt naturgemäss Atrophie und 
Sohwund der oonstituirenden Fasern und Fibrillen: die Tangentialfaserschicht ist 
verschmälert, die Badialfasern und das interradiäre Netz atrophisch. — Die ge¬ 
nannten Veränderungen betreffen nicht nur die Rolandi’sche Zone. Sehr häufig 
ist bei der cerebralen Hemiatrophie die Atrophie der entgegengesetzten Klein¬ 
hirnhemisphäre. Verf. vermisst sie nur einmal: hier waren die Veränderungen 
oberflächlich, es handelte sich um eine Meningoencephalitis, wahrscheinlich here¬ 
ditär syphilitischen Ursprungs. Die Kleinhirnatrophie ist wahrscheinlich abhängig 
von der Zerstörung der basalen Ganglien: Genauere Angaben sind zur Zeit unmög¬ 
lich, jedenfalls kann die Atrophie auch bei normalem Thalamus opticus ein- 
treten. Die feineren Veränderungen der Kleinhirnrinde variiren im Einzelfalle, 
besonders interessirt die erhebliche Atrophie und der Schwund der Purkinje’- 
schen Zellen. 

Bei ausgesprochener Hemiatrophie können die Pedunculi cerebelli atrophisch, 
der contralaterale rothe Kern degenerirt sein. — Die Pyramidenbahn ist zuweilen 
nicht nur atrophisch, sondern auch, namentlich bei grösseren Herden im Gross¬ 
hirn, degenerirt _ R. Pfeiffer. 


24) Beiträge zur Klinik der cerebralen Kinderlähmungen , von Medicinal- 

rath Dr. W. Koenig. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

In dieser Arbeit des um die Erforschung der cerebralen Kinderlähmung hoch¬ 
verdienten Verf.’s werden noch eine Anzahl Fragen erörtert, die in seinen früheren 
Veröffentlichungen nur flüchtig gestreift werden konnten. So bespricht er vor 
allem das Verhalten der Sensibilität, die Reizerscheinungen und Coordinations- 
störungen, die Sehnenreflexe, den Tonus der Musculatur, die Stellung des gelähmten 
Armes und die Störungen des Ganges. Unter 55 Fällen war 34 Mal die tactile 
Sensibilität und Schmerzempfindung normal, in 4. Fällen war letztere sogar ge¬ 
steigert. Unter den hemiplegisohen Fällen fand sich nur ein extremer: schlaffe 
Lähmung mit gesteigerten Reflexen; unter den paraplegischen 2 Fälle von schlaffer 
Lähmung mit erhöhten Reflexen und unter den cUplegischen nur ein derartiger 
Fall. Häufiger als diese extremen Fälle finden sich Mischformen, halb spastisch, 
halb schlaff. Zum Schluss berichtet Verf. über das negative Resultat mit sub- 


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cutanen Pilocarpininjectionen, indem das Schwitzen niemals halbeeitag auftrat oder 
aasblieb, sondern sich entweder symmetrisch einstellte oder gar nicht nachweisbar 
war. Allerdings wurde niemals äber die Dosis von 0,01 hinausgegangen. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


26) Cerebrale Kinderlähmung und Idiotie, von H. Wachsmuth. (Archiv 

f. Psych. XXXIV.) 

22 Krankengeschichten und eine sorgfältige Berücksichtigung der Litteratur 
führen den Verf. zu folgenden Schlüssen: Die erbliche Belastung, besonders der 
Potus der Eltern spielt in der Aetiologie der cerebralen Kinderlähmung eine 
grössere Bolle als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist. (Hier in 11 von 
22 Fällen.) Syphilis der Eltern ist dagegen eine sehr seltene anamnestische An¬ 
gabe. Die geistige Störung geht der Intensität der Lähmung nicht parallel. 
Die Folgezustände der acuten cerebralen Kinderlähmung können in 4 Gruppen 
getheilt werden: 1. solche Fälle, die in körperlicher und geistiger Hinsicht zu 
einer Restitutio ad integrum führen, 2. Fälle, die psychisch keine dauernden 
Schädigungen erkennen lassen, wohl aber auf körperlichem Gebiete Lähmungen 
oder andere complicatorische Symptome zeigen, 8. Fälle, die psychische Schädigungen 
aufweisen, aber keine somatischen, 4. Fälle, die psychische und somatische Störungen 
erkennen lassen. Wenn auch nicht jede Idiotie auf diese Weise aus der cere¬ 
bralen Kinderlähmung bezw. deren Initialläsion, der Encephalitis, abzuleiten ist, 
so wird doch die cerebrale Kinderlähmung hierbei häufiger sein als durchschnitt¬ 
lich angenommen wird. Die Aetiologie ist für beide Krankheiten in vielen Fällen 
die gleiche: Belastung, Infectionskrankheiten und Trauma. 

H. Haenel (Dresden). 


26) L’adipose douloureuse, syndröme de Deroum, par Ch. F6r& (Revue 
de MSdecine. 1901. S. 641.) 

Verf. theilt vier neue Beobachtungen mit von abnormer subcutaner Fett¬ 
entwickelung, verbunden mit lebhaften Sohmerzempfindungen. Die Fettbildung 
ist bald mehr eine diffuse, bald mehr unscheinbare nach Art der Lipome. Zu¬ 
weilen zeigen sich einzelne besonders schmerzhafte Knoten, die an die bekannten 
„Tubercula dolorosa“ der Haut erinnern. Alle 4 Fälle F6r6’s betrafen Personal 
mit ausgesprochener allgemein-neuropathischer Constitution. Die Adipositas dolo¬ 
rosa ist daher meist mit sonstigen neurasthenischen und hysterischen Symptomen 
vereinigt. Manche Fälle erinnern an die Möbius’sche Akinesia algera. Deroum 
selbst glaubt auf Grund einer Autopsie an eine Beziehung der Adipositas dolorosa 
zur Schilddrüse. Doch ist diese Vermuthung höchst zweifelhaft. Wenn auch 
nicht in allen, so ist doch gewiss in vielen Fällen die Dercum'sche Krankheit 
nichts anderes als eine gewöhnliche hysterische Algie bei einem Fettleibigen. 

Strümpell (Erlangen). 


27) Slow pulse, with speolal referenoe to Stokes-Adams’ disease, by Bob. 

T. Edes. (Transact. of the Assoc. of Americ. Phys. 1901.) 

Verf. giebt die Krankengeschichten von 4 Fällen von extremer Pulsverlang- 
samung, verbunden mit nervösen Symptomen, und hat im Anschluss daran aus 
der Litteratur eine grosse Anzahl (121) Fälle zusammengestellt, die dieses Sym¬ 
ptom, mit oder ohne Complicationen, zum Theil unter Anführung von patho¬ 
logisch-anatomischen Befanden, darboten. Unter Stokes-Adams* Krankheit 
versteht Verf. eine permanente Pulsverlangsamung mit acuten Verschlimmerungen, 
begleitet von Schwindel- und Ohnmächte-, auch epileptifonnen und apoplektiformen 


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Anfällen. Unter der Caauistik ist bemerkenswert!*, dass nach verschiedenen Nach¬ 
richten Napoleon I. an dies«: Krankheit gelitten hat. — Verf. streift die Pols- 
verlangsamnng im Puerperium, bei Bleivergiftung, Rüekenmarksverletzungen, con- 
statirt, dass Tabakmissbraooh mit der Aetiologie des langsamen Pulses niobts zu 
thun hat, ebenso wenig Arteriosklerose, geht weiter auf die Gefahr ein, die in 
einer Verwechselung der echten Bradyoardie mit dem langsamen Puls liegt: Fälle, 
in denen wegen Herzschwäche nicht alle Herzcontraotionaa zu fühlbarem oder 
aufschreibbarem Puls führen, sind nioht hierher zu rechnen. Sicher giebt es 
Fälle von Pulsverlangsamung, in denen es nur zu Vorhofeoontractionen kommt — 
wie am Venenpuls nachgewiesen werden kann —, von denen nur ein Theil von 
Ventrikelcontractionen gefolgt sind. 

Die nervösen Symptome der Anfälle sind nach Art and Schwere ziemlichen 
Schwankungen unterworfen; auch in ein und demselben Falle wechseln sie von 
einfachem Sohwindel bis zu vollständiger Bewusstlosigkeit mit Krämpfen. Manch¬ 
mal waren sie so gering, dass sie kaum die Aufmerksamkeit des Patienten und 
Arztes erregten, und dooh starb der Kranke in einem solchen Anfall. Oft leitet 
Gesichtsblässe den Anfall ein; die Dyspnoe ist meist weniger ausgesprochen als 
man bei der extremen Pulsverlangsamung — bis auf 14, ja 9 und 6 Schläge in 
der Minute — erwarten sollte. 

Nur in wenigen Fällen hat sioh die anatomische Untersuchung auch auf die 
intracardialen Ganglienzellen und den Sympathious erstreckt Einige Fälle, in 
denen aus anderen Gründen die Herzganglien untersucht und pathologisch ver¬ 
ändert gefunden waren (bei Tuberculose, Pneumonie, acute Leberatrophie u. s. w.), 
boten intra vitam Pulsbeschleunigung dar. Nur in 3 Fällen wurden Veränderungen 
in der Oblongata und dem obersten Halsmark gefunden. — Gegen die Zurück¬ 
führung der dauernden Pulsverlangsamung auf eine Vagusreizung wird u. a. geltend 
gemacht, dass im Thierversuch niemals eine fortdauernde Reizung des N. X. eine 
dauernde Herzverlangsamung erzielen liess, dass vielmehr nach kurzer Zeit das 
Herz trotz des fortwirkenden Reizes seine normale Schlagfolge wieder aufnahm. 
Dagegen hängt sicher eine grosse Gruppe von Fällen von einer lähmenden Läsion 
der Centren des N. aocelerans im unteren Halsmark ab, und auch wenn die 
Störung den Aocelerans in seinem weiteren Verlaufe trifft, einschliesslich der 
Herzganglien, wird die Wirkung der dauernden Pulsverlangsamung zu Stande 
kommen. Für die paroxysmalen Erscheinungen in der Stokes-Adams’schen 
Krankheit giebt die Theorie einer Vagusreizung viel eher eine Erklärung; die 
Erfahrung, dass eine der häufigsten auslösenden Ursachen für die Anfälle Ver¬ 
dauungsstörungen sind, würde jedenfalls nicht gegen dieselbe sprechen. 

Jeder Fall von dauernder Puleverlangsamung fordert zu genauester Unter¬ 
suchung des Herzens und des Nervensystems auf; die geringsten nervösen Sym¬ 
ptome, seien es auch nur vorübergehende Schwindeleracheinungen, trüben die 
Prognose; die Lebensführung solcher Kranker muss eine absolut regelmässige sein. 
Für die Behandlung werden die Nitrite und, trotz der scheinbaren Irrationalität, 
die Digitalis empfohlen. Muskelanstrengungen und Verdauungsstörungen sind zu 
vermeiden. Im entwickelten Anfall ist vor allem Atropin 0,001—0,002, suboutam 
gegeben, angezeigt, daau Tieflagerang des Kopfes. H. Haenel (Dresden). 


Psychiatrie. 

&6) Ueber ooordlnlrteunda—imlllrloQ«lzt—krankhaft—I, vonDr. Alexander 
Ferenozi in Budapest. (Gyögyiszat. 1901. Nr. 28 u. 29. [Ungarisch.]) 
Verf. analysirt die in der Litteratur veröffentlichten und die von ihm be¬ 
obachtete* Fälle von oombinirten Psychosen und gelangt zur Schlussfolgerung, 

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dass es zweierlei Formen der Combin&tion giebt, je nachdem zwei (im Sinne 
Möbius) heterogene oder aber zwei homogene Erankheitsformen sich combiniren. 
Kommt es zur Combination zweier exogener Psychosen (z. B. Paralyse und Alco- 
holismus) oder zweier endogener Geisteskrankheiten (z. B. Hysterie und Paranoia, 
Hysterie und Manie, Imbecillität und Paranoia, Neurasthenie und Melancholie): so 
vereinigen sich die zwei Symptomcomplexe unlösbar zu einem dritten Syndrom. 
Dies sind Fälle assimilirter Geisteekrankheiten. Wenn dagegen eine exogene 
und eine endogene, d. h. heterogene Psychosen sich combiniren (z. B. Paralyse und 
Paranoia, Morphinismus und Hysterie, Alcoholismus und Schwachsinn), so ist die 
Vereinigung beider Symptomenreihen nicht so vollständig, dass sie nicht isolirbar 
und nebeneinander gesondert erkennbar wären. Diese Form der Combination 
nennt Verf. die Coordination von Geisteskrankheiten. Die endogenen Psychosen 
sind nicht eigentlich Krankheiten, sondern Entwickelungsanomalieen (Möbius), 
während die exogenen von materiellen Läsionen der Hirnsubstanz verursacht 
werden. Combiniren sich zwei Krankheiten oder zwei Abnormitäten, so kommt 
es zur Assimilation; wenn aber ein ab ovo abnormer Mensch krank wird, werden 
die Symptome der Krankheit und die der Abnormität gesondert, coordinirt, er¬ 
kennbar bleiben. Verf. befasst sich dann ausführlich mit einem von ihm be¬ 
obachteten Fall der Coordination von Paralyse und Paranoia. Der 56 jährige 
Mann ist seit Kindheit abnorm, war 11 Jahre lang Zuchthäusler (wegen wieder¬ 
holter Diebstähle); zur Zeit weist er die Symptome der beginnenden Taboparalyse 
auf (Ataxie, Bobertson, Bömberg, Dysarthrie, Facialisparese) sowie systematische 
Verfolgungswahnideeen, deren Mittelpunkt die tabischen Schmerzen sind. Sonst 
sind nur geringe Spuren der Geistesschwäche zu entdecken. Das Wahnsystem 
ist ein typisch paranoisches und hat mit den paranoiden Zuständen der Paralytikeer 
nicht die geringste Aehnlichkeit. Die Coordination dieser Psychosen ist relativ 
selten, wahrscheinlich weil Degenerirte metasyphilitischen Consequenzen gegenüber 
widerstandsfähiger sind (Pilcz). Interessant war, dass die schmerzstillenden Mittel 
zugleich auf die Wahnideeen beruhigend wirkten. Hudovernig (Budapest). 


20) Die fonotionellen Psychosen des Greisenalters, von Docent J. Salgö. 

(Gyögyäszat. 1902. Nr. 19. [Ungarisch.]) 

Neben den durch die senilen Bttckbildungen bedingten Geistesstörungen be¬ 
zeichnet Verf. als „functioneile“ Psychosen des Greisenalters diejenigen, bei welchen 
nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit des günstigen 
Verlaufes vorhanden ist. Auch bei diesen nimmt Verf. eine anatomische Basis 
an, und weist auf die senilen arteriosklerotischen Veränderungen des Central- 
nervensystems, welche wohl ganz leicht der Grund sind, auf welchem sich 
die „functionelle“ Psychose zu entwickeln vermag. Und so ist Verf. nicht 
geneigt, die vorübergehenden Psychosen des Seniums als solche transcorticale 
Processe zu betrachten, welche jeder cerebralen Veränderung entbehren. Als 
hauptsächliche Charakteristika jeder im Greisenalter und in Folge desselben auf¬ 
tretenden Psychose bezeichnet Verl den durch die Gehirnatrophie bedingten 
geistigen Verfall, und die durch Arterienveränderung hervorgerufene topische Zer¬ 
störung und die damit verbundenen Herdsymptome. 

Als „functionelle“ Geistesstörungen des Seniums bezeichnet Verl die senile 
Melancholie, welohe das eigentliche klassische Beispiel der Melancholie bietet, 
welche häufig unter dem Bilde der sogenannten Melancholie agitata verläuft. Die 
zweite Form der functioneilen Psychosen des Seniums bezeichnet Verl als „acute 
senile Blödheit“, deren Züge einerseits Bewusstseinstrübung, andererseits eine 
ständige hochgradige motorische Unruhe bilden; Die letztere ist roh, zwecklos, 
weder durch Wahnideeen, Hallucinationen noch durch Stimmungsschwankungen 


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bedingt; die Kranken sind desorientirt, es mangelt ihnen jedes ethische Gefühl, 
die Stimmung ist schwankend; hochgradige geistige Defecte und bedeutender 
Verfall der Intelligenz dominiren in diesem Krankheitsbilde, dessen Prognose meist 
schlecht ist, doch kommt auch restitutio ad integrum vor. 

Hudovernig (Budapest). 


30) Vom Verhältnis« der psychischen mangelhaften Entwlokelung an ver¬ 
schiedenen Kategorieen der Sprachstörung, von W. 0 ltuszewski. (Therap. 
Monatsh. 1902. Mai u. Juli.) 

Eine ausführlichere Darstellung der Anschauungen des Verf.’s, die er schon 
früher an anderen Stellen wiederholt ausgesprochen hat und die auch in diesem 
Centralblatte verschiedentlich wiedergegeben worden sind (1898, S. 163; 1900, 
S. 879; 1901, S. 1094). Da gegenüber den genannten Arbeiten die vorliegende 
keine wesentlich neuen Gesichtspunkte enthält, kann eine Besprechung hier unter¬ 
bleiben. H. Haenel (Dresden). 


31) Un oaso di solerosi tuberosa ipertrofioa della oortecoia cerebrale oon 
idiosta, per S. Gavazzeni. (Aroh. per le scienze med. 1902.) 

Es handelt sich um eine 18jährige Idiotin. Eine nennenswerthe erbliche 
Belastung war nicht nachzuweisen. Die Geburt und die Entwickelung in den 
ersten 6 Lebensjahren verlief im Wesentlichen normal. Mit dem 6. Jahr setzten 
kurz nach einem schweren Schrecken Krampfanfälle ein, die sich mehr und mehr 
häuften und zu progressiver Verblödung führten. Der Sectionsbefund entsprach 
ziemlich genau den Angaben Bourneville’s. Herdsymptome hatten gefehlt. 

Th. Ziehen. 


33) Du pöre oooainomane engendr&nt des enfbnts idiots, par Prof. Dr. 

Marfan. (Revue mensuelle des maladies de l’enfance. XIX. 1901. Sept) 

Der bekannte Pariser Paediater referirt über folgende Beobachtung: Es wird 
hier ein 6jähriges Kind mit den Zeichen deutlicher Idiotie, welche angeblich an¬ 
geboren ist, vorgeführt; die eingeleitete Thyreoidbehandlung ist objectiv ganz ohne 
Erfolg. Einige Zeit später bekommt Verf. auch das 10 monatliche Brüderchen des 
Pat. zu Gesicht, welches ebenfalls ausgesprochen idiotisch ist. Verf. erfährt nun, 
dass der Vater seit einigen Jahren Cocainoman sei. Nach einigen ärztlicherseits 
behufs Nasenoperationen ausgeführten nasalen Cocainisirungen habe sich Pat. 
das Aufschnupfen von salzsaurem Cocain angewöhnt und sei jetzt bei 3 g täglich 
angelangt. Ohne dasselbe sei er nicht im Stande zu athmen. Seit der Gewöhnung 
an das Cocain sei er fett, arbeitsnnlustig, appetitlos, aufgeregt geworden; nament¬ 
lich nach dem Elinschlafen stellen sich Hallucinationen mit heftigem Aufschreien 
ein. Von den vier Kindern des Pat. sind die zwei nach der chronischen Cocain¬ 
vergiftung Gezeugten idiotisch. Zappert (Wien). 


33) Un idlote miorocefklo, pur A. D’Ormea. (Manicomio Prov. di Ferrara. 

Bologna, 1901.) 

Ein 4jähriger Knabe ohne erbliche Belastung zeigt fast keine Spur von 
Intelligenz, so dass selbst keine Nahrung verlangt wird. Die körperliche Ent- 
wiokelung ist normal bis auf den Sohädel, der einen horizontalen Umfang von 
435 mm zeigt (bei normalen Kindern im gleichen Alter 470—528 mm). Den 
intellectuellen Defeot sowie die Mikrocephalie führt der Verf. auf eine Ursache 
zurück, nämlich auf einen nicht näher definirbaren, während des intrauterinen 
oder im Beginn des extrauterinen Lebens erworbenen Intoxicationsprooess, der 

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lediglich die psychischen Centren in Mitleidenschaft gezogen hat, ohne irgend 
•welche Störung motorischer oder sensibler Natur zu hinterlassen. Es würde sich 
um einen Fall von Cerebroplegia psychica handeln mit dem einzigen Sym¬ 
ptom der Idiotie. Der frühzeitige Verschluss der Schädeln&hte sei auf denselben 
Process zurückfiihrbar. L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


34) Idiotie mioroodphalique: oerveau pseudo-kystique, par Bourneville 
et Oberthür. (Archives de neurologie. 1901. April.) 

Es handelt sich um einen jährigen mikrocephalen Idioten, der hereditär 
schwer belastet war. Der Fall ist wie alle von Bourneville oder auf seine 
Veranlassung veröffentlichten Fälle genau und ausführlichst mitgetheilt und bietet 
eine Bereicherung der Casuistik. Adolf Passow (Meiningen). 


35) Ein Fall von tielbtehender Idiotie mit skeletverftndernngen, von Priv.- 

Doc. Dr. W. Weygandt in Würzburg. (Münchener med. Wochenschrift. 

1901. Nr. 52.) 

Bei einem 34jährigen Idioten, dessen Körperlänge nur etwa 145 cm beträgt, 
besteht Totalskoliose der Wirbelsäule, hochgradige Contracturbildung an den 
unteren Extremitäten und Abknickung des rechten Unterschenkels, welch letztere 
wohl die Folge einer intrauterin oder intra partum entstandenen, schlecht ge¬ 
heilten Fractur ist. Ausserdem findet sich am Halse eine harte, tauben ei groeae 
Geschwulst (Dermoid ?), von einem Kiemengangrest ausgehend. Intellectuell macht 
sich ein Gegensatz zwischen der ziemlich lebhaften Auffassung und den sehr 
mangelhaften Ausdrucksbewegungen, besonders der Sprachlosigkeit, bemerkbar. 
Pat. entstammt einer stark degenerirten Familie und war lange Zeit hindurch 
sehr verwahrlost. Die wesentlichste Ursache des Leidens ist in der Entwickelungs¬ 
hemmung des Hirnes zu suchen. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


36) Agrammatismas infantilis, von Dr. med. Alb. Liebmann, Arzt für Sprach¬ 
störungen in Berlin. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIV.) 

Verf. bespricht in seiner sehr interessanten Abhandlung drei Formen von 
Agrammatismus. 

Die erste besteht darin, dass Kinder nach dem 3.—4. Lebensjahre Sätze 
weder spontan bilden noch nachsprechen können. Die Kinder sind absolut un¬ 
fähig, sich der grammatischen und syntaktischen Form zu bedienen. Bei ihnen 
finden sioh Defecte in der optischen, acustisohen, taktilen und motorischen Sphäre, 
welche auf einer Anomalie der betreffenden Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses 
beruhen. Die Betroffenen nehmen viel zu ungenau wahr, als dass sie eines so 
complicirten Apparates bedürften, wie er zur Mittheilung mit spontaner Satz¬ 
bildung nöthig ist. Ihre acustisohen Fähigkeiten sind so gering, dass sie einen 
gehörten Satz in Bezug auf Syntax und Grammatik nicht auffassen und eine 
Reihe von aufeinander folgenden Worten nicht im Gedächtniss deponiren können; 
deshalb können sie nicht nachsprechen. Die Betreffenden haben meist spät laufen 
gelernt, ihre Hände sind ungeschickt, ihre Sprachmusculatur functionirt un¬ 
genügend. Da sie meist erst im 8. oder 4. Jahre sprechen lernten und dann in 
der Regel noch schwer stammelten bezw. hörstumm waren, blieben sie van ihrer 
Umgebung geistig isolirt. 

Bei der zweiten Form können Sätze spontan nicht gebildet und Worte 
nicht flectirt werden. Zwar kommen beim Nachsprechen wenigstens manche kleine 
Sätze mit richtiger Flexion zu Stande, bei emigermaaawn eompHoirteren Sätzen 
jedoch versagen die Kinder, weil ihrem Verständnisse viele Worte und Flexionen 


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und damit das ganze Satzgefüge verschlossen sind. Auch bei ihnen functioniren 
Aufmerksamkeit und Gedächtnis auf dem optischen, acustischen, taktilen und 
motorischen Gebiete noch mangelhaft, doch immerhin besser als bei den Agramma- 
tikera der ersten Form. Immerhin sind ihre geistigen Fähigkeiten noch nicht 
so weit, dass sie sich beim spontanen Sprechen der Syntax und Grammatik be¬ 
dienen könnten. 

Während die besprochenen Formen etwa bis zum 8. Lebensjahre beobachtet 
werden, kommt die dritte Form bei älteren Kindern von 10, 12, ja von 
15 Jahren vor. Hier wird spontan in Sätzen gesprochen, aber Ausdruck, Syntax 
und Flexion sind häufig sehr verschroben. Die Phraseologie ist sonderbar, die 
Flexionen sind eigentümlich, der Satzbau ist unvollkommen; Worte werden aus¬ 
gelassen oder an unrichtigen Stellen gebracht. Man muss sich den Sinn eines 
Satzes immer erst combiniren; kleinere Sätze werden richtig nachgesprochen, bei 
grösseren kommt es zu zügellosem Agrammatismus, da das Gedächtniss versagt 
Bei diesen Kindern finden sich articulatorische Sprachstörungen verschiedener 
Art in Form von Stottern, Stammeln, Näseln oder Poltern. Bei den Stotterern 
handelt es sich um fiinctionelle Schädigung des Sprachcentrums. Bei den Stammlern 
liegen manchmal organische Fehler an Ohr, Gaumen, Nase oder Bachen vor, bei 
den meisten Stammlern und bei den Polterern handelt es sich dagegen um eine 
rein functionelle Störung, welche auf einer Herabsetzung der motorischen und 
acustischen Aufmerksamkeit basirt 

Verf. macht darauf aufmerksam, dass ein undeutlich sprechendes Kind auch 
in Bezug auf seine formale Sprache ausserordentlich zurückbleibt und citirt be¬ 
treffs der Behandlung aller drei Formen seine Vorlesungen über Sprach¬ 
störungen, Berlin 1898, in denen hierüber Genaueres nachzulesen ist. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


37) A oontributton of the Symptom atology of oretinisxn and other forma 
of idiooy, by Henry Koplik, M. D., and Jacob Lichtenstein, M. D. 
(New York). (Archives of Pediatrics. 1902. Febr.) 

Bei sämmtlichen untersuchten Fällen von Cretinismus, bei Mikrocephalen und 
anderen Idioten sowie bei anderweitig degenerirten Kindern, niemals aber bei 
normalen Individuen, fanden die Verff. eine eigentümliche Abnormität der Hände. 
Dieselbe besteht in einer Vorwölbung am Antithenar, entsprechend der Lage des 
Os pisiforme, welche knapp an der Furche zwischen Handteller und Vorderarm 
gelegen ist, und, von der Seite betrachtet, wegen ihres steilen Anstieges aus der 
Gelenksfurche ein bayönettförmiges Aussehen besitzt. Die Verff. glaubten anfangs, 
dass diese Abnormität mit dem bei derartigen Kindern meist lange dauernden 
Kriechen Zusammenhänge, konpten aber diese Meinung nicht aufrecht halten, als 
sie die gleiche Veränderung an der Hand eines 3 monatlichen Cretins vorfanden. 
Ob die Difformität angeboren ist, ob sie vielleicht ein Analogon bei höheren 
Affenarten aufweist, müssen erst weitere Studien lehren; jedenfalls dürfte diese 
Anomalie der Hand die Bedeutung eines Degenerationszeichens besitzen. 

Zapp er t (Wien). 

38) The eye defeots whioh may oause apparent mental dullneas and 
deflolenoy in ohildren, by Charles Stedman Bull, M. D. (New York). 
(Archives of Pediatrics. 1902. 15. Febr.) 

Geistige Trägheit oder mangelnde Intelligenz wird bei Kindern nicht selten 
durch Augenstörungen vorgetäuscht. In erster Linie verdient pathologische Hyper- 
metropie hervorgehoben zu werden, welche gerade bei Schulkindern zu Kopf¬ 
schmerz, leiohter Ermüdbarkeit und den Zeichen von Stumpfsinn fuhren kann. 


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Daran schließen sich in Bezug auf die Häufigkeit Astigmatismus, Miopie und 
— oft mit einem der genannten Leiden oombinirt — Augenmuskelsohwäche. 
Verf. schildert in recht anschaulicher Weise, wie jede dieser Störungen, so lange 
sie unerkannt ist, das Seelenleben des Kindes zu schädigen im Stande ist, wie 
aber auch eine Behebung des Leidens eine sofortige geistige Erfrischung der 
Kinder zur Folge hat. Weniger häufig begegnet man angeborenem Cataracte, 
Dislocation der Linse, Albinismus, Kolobom und Fehlen der Iris als Ursache 
einer derartigen Geistesträgheit bei Sondern. Endlich giebt es noch eine eigen¬ 
tümliche, wahrscheinlich central bedingte Störung, die „Wortblindheit“, welche 
durch das Unvermögen lesen zu lernen sich äussert und meist verkannt wird. 

Zappert (Wien). 


89) L’höröditä et la degöneresoenoe en obstötrique, par Larger pöre et 
fils. (Progrös mödical. 1902. Nr. 2.) 

Die Verff. wollen in mehreren Fällen constatirt haben, dass die Kinder erb¬ 
lich schwer Belasteter und Degenerirter durch Generationen hindurch nie in Schädel¬ 
lagen geboren wurden, sondern in Steiss-, Quer- und Gesichtslagen. Bisher ist 
die Anzahl der Beobachtungen nur eine geringe. 

Adolf Passow (Meiningen). 


40) Daa Simuliren von Geisteskrankheiten, von E. Nömeth. (Gyögyäszat 

1902. Nr. 23—27. [Ungarisch.]) 

In einer längeren, für ein kurzes Referat nicht geeigneten Arbeit beschäftigt 
sich Verf. mit der forensischen Wichtigkeit der Simulation und auch des Dis- 
simulirens von Geisteskrankheiten, sowie mit der Art und Weise, wie Simulanten 
entlarvt werden können. Die oberflächliche Narcose, Anwendung von Douchen 
u. s. w. hält Verf. hier vollkommen überflüssig; es genügt meist, vor dem Simu¬ 
lanten zu bemerken, dass zum klassischen Krankheitsbilde noch einzelne Symptome 
fehlen, worauf dieselben in der kürzesten Zeit ebenfalls producirt werden; auch 
das Vorstellen bei einem Vortrag als Simulant wird manchmal genügen, den 
Simulanten zur Einbekennung zu bringen. Verf. weist anch darauf hin, dass 
Geistesschwache oder Geisteskranke eine Geisteskrankheit simuliren, doch ist dies 
meist die Folge psychisoher Defecte und verschwindet bei psychischer, suggestiver 
Beeinflussung; auch giebt es Fälle, in welchen das Simuliren das erste Zeichen 
einer beginnenden Geisteskrankheit ist. Sechs eingehend mitgetheilte Krankheits- 
gesohichten vervollständigen die interessante Arbeit, an. deren Schlüsse Verf, 
hervorhebt, dass die Simulanten in der Anwendung von blödsinnigem und un¬ 
sinnigem Verhalten wohl unermüdlich consequent sind, dooh inconsequent im 
Simuliren selbst. • Hudovernig (Budapest). 


41) Ueber „innere“ somatisohe Entartungszelohen, von P. Näcke. (Archiv 

f. Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik. IX.) 

„Innere“ Degenerationszeichen sind bisher wenig studirt; dazu bedarf es 
einer grossen Zahl von Autopsieen von normalem und pathologischem Material, 
die in der gleichen Weise verarbeitet werden müssen. 

Verf. hat nur Lungen, Herz, Leber, Milz, Nieren berücksichtigt, insoweit 
deutliche Abweichungen in Grösse, Gestalt — sei es im ganzen oder bezüglich 
einzelner Theile —, Vermehrungen oder Verminderungen normaler Lappen-, Spalt¬ 
bildungen u. s. w. vorliegen. 

Diese seltenen Bildungen, die auf Entwickelungshemmungen oder Ernährungs¬ 
störungen im frühesten fötalen Zustande beruhen und kaum jemals einem echten 


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Rückschläge entsprechen, sind als Degenerationszeiohen ans folgenden Gründen 
anzusprechen: sie sind bei Normalen viel seltener als bei Paralytikern, Geistes¬ 
kranken, Verbrechern u. s. w.; sie zeigen sich bei diesen gern gehäuft, stärker 
aasgebildet; die selteneren, also wichtigeren Anomalieen sind hier eher anzutreffen: 
die Zahl dieser Bildungen nimmt mit dem Grade der Entartung zu. Immerhin 
sind auch sie nur von relativem, nioht von absolutem Werth; sie weisen nur hin 
auf die Möglichkeit des Bestehens einer Entartung, die durch anderweitige 
klinische Beobachtungen sicher festgestellt werden muss. 

Ernst Sohnltze (Andernach). 


42) Wiohtige Entscheidungen auf dem Gebiete der gerichtlichen Psychiatrie, 

von Ernst Schultze. (Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift 1902. 

Nr. 1 u. 2.) 

Verf. stellt aus den zwei bekannten und inhaltsreichen juristischen Zeit¬ 
schriften, der „Juristischen Wochenschrift“ und dem „Recht des Jahres 1901“, 
alle für die gerichtliche Psychiatrie in Betraoht kommenden Entscheidungen zu¬ 
sammen. Sie sind nach den Paragraphen des Strafgesetzbuchs, der Strafprooess- 
ordnung, des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen 
Gesetzbuch, der Civilprocessordnung und des Handelsgesetzbuchs geordnet 

Dass diese verschiedenen Entscheidungen, deren Zahl übrigens ziemlich be¬ 
deutend ist, nicht zerstreut, sondern an einer Stelle vereinigt und leioht auffind¬ 
bar sind, wird sich sicherlich für den praktischen Gebrauch bewähren, zumal 
wenn derartige Zusammenstellungen auch fernerhin regelmässig veröffentlicht 
werden; das ist sicherlich sehr zu wünschen. 

Dass gerade die Entscheidungen auf dem Gebiete des Civilreohts uns ein 
tieferes Eindringen in den Geist des Bürgerlichen Gesetzbuches erleichtern werden, 
darauf sei noch besonders hingewiesen. M. 


43) Straflreohtlioh-psyohiatrisohe Gutachten als Beiträge zur gerichtlichen 

Psychiatrie für Juristen und Aerzte, von Hermann Pfister. (Stutt¬ 
gart 1902, Enke. 376 S.) 

An die Leotüre einer Sammlung von Gutachten geht man im allgemeinen 
mit gemischten Gefühlen heran. Verlockend ist die Erfahrung, dass da in der 
Regel interessante und lehrreiche Fälle mitgetheilt werden, von denen man er¬ 
wünschte Förderung erwarten kann, zumal wenn sie von so oompetenter Seite 
mitgetheilt werden wie die vorliegenden. Dagegen wird der Genuss wesentlich 
dadurch beeinträchtigt, dass die Fälle eben in den umständlichen Apparat foren¬ 
sischer Gutachten eingekleidet sind, durch den man sioh durcharbeiten muss. 

Dieser Uebelstand findet sich naturgemäss auch in dem vorliegenden Buche. 
Allerdings hat Verf. bei der Veröffentlichung dieser Gutachten u. a. auch den 
Zweck gehabt, dem Lernenden Vorbilder für die Abfassung brauchbarer Gutachten 
zu liefern; aber war es dazu nöthig, immer wieder die Formation abzudrucken 
und in allen Fällen die Ergebnisse der Untersuchung und Beobachtung mit allen 
unwesentlichen Details ausführlich wiederzugeben? Ich denke, ein Schema hätte 
zu diesem Zwecke genügt, allenfalls ein wörtlicher Abdruck einiger weniger Gut¬ 
achten. Die übrigen hätten dann umsomehr durch mancherlei Kürzungen lesbarer 
gemaoht werden können. 

Das ist es, was ioh an Verf.’s Buch auszusetzen habe; wer sich durch 
diese Aeusserliohkeiten nicht abschreoken lässt das Buoh zu lesen, wird es sicher 
nioht bereuen. 

Neun unter den 14 Gutachten betreffen Epileptiker, eine wahre Muster- 
collection, welohe die vielseitige Criminalität dieser Kranken deutlioh zur An- 


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schaumig bringt. Die Nutzbarkeit, der jähe unmotivirte Stimmungswechsel der 
Epileptiker, ferner die so wichtigen tiefen Bewusstseinsstörungen bei äusseriiA 
eorreotem Verhalten werden anschaulich geschildert. Besonders für die juristische« 
Leser dürften diese Fälle recht lehrreich sein: Verurtheilungen solcher Kranker 
ohne Hinzuziehung von Sachverständigen werden nicht leicht Vorkommen, wenn 
dem Riohter derartige Fälle bekannt sind. Das Gleiohe gilt such von den vier 
Fällen angeborenen Sehwachsinns, bei denen besonders das triebsaässige, unüber¬ 
legte Handeln trefflich geschildert ist Besonders dankenswerth ist dabei der 
Hinweis, dass sowohl bei Schwachsinnigen, wie auch bei jugendlichen Normalen 
„vielfach der Thäter kurz nach der That eine wesentlich andere (reifere) geistige 
Persönlichkeit ist, als er vorher war“, weil die ernsten Erfahrungen bei und nach 
der Verhaftung für einen „schab* und sprungweisen Entwickelungsprocess“ 
(Emminghaus) die beste Gelegenheitsursache abgaben. — Die jammervolle Ver¬ 
elendung durch Morphinmissbrauch wird durch die beiden ersten Fälle, ein 
morphiumsüchtiges Ehepaar, drastisch vor Augen geführt Die weiteren Fälle 
betreffen einige Paranoiker, einige Simulanten, Dementia senilis, Ent&rtungsirre- 
sein u. s. w. Besonders schön und instruotiv ist auch die Schilderung eines 
Melancholikers, der sich fälschlich selbst wegen Brandstiftung angezeigt hatte. 
Dass nachgewiesene Simulation keineswegs geistige Gesundheit beweist, wird ge¬ 
bührend betont 

Viel Wissenswerthes wird in Anmerkungen beigefügt, unter welchen die für 
Juristen und Mediciner bestimmten äusserlich kenntlich gemacht sind. 

Deiters (Andernach). 


ITT. Bibliographie. 

1) Bpeoielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein Handbuch für Aerzte 
und Studirende, von Wilhelm Leube. Zweiter Band. 6. neubearbeitete 
Auflage. (Leipzig, F. C. W. Vogel. 1901.) 

Der vorliegende Band behandelt neben den Blut-, Stoffwechsel- und Infections- 
krankheiten in seiner grösseren Hälfte die Diagnose der Nervenkrankheiten und 
das reohtfertigt eine Besprechung an dieser Stelle. 

Verf. erörtert zunächst die Diagnose der Krankheiten der peripheren Nerven, 
dann der des Rückenmarkes und der einzelnen Hirnpartieen sowie die der diffosen 
Erkrankungen des Gehirnes. Jedem Abschnitte ist eine klar geschriebene und 
durch anschauliche Zeichnungen erläuterte anatomisch-physiologische Elinleitung 
mit einer Erörterung allgemeiner klinisch-diagnostischer Gesichtspunkte voraus- 
geschickt. Des Weiteren setzt Verf. die Diagnose der functionellen Hirnkrank¬ 
heiten und der sogenannten Tropho- und Angioneurosen aus einander. 

Wie sehr Ver£ die Aufgabe gelungen ist, eine für Aerzte und Studirende 
gleich brauchbare Diagnostik der inneren Krankheiten zu schreiben, das lehrt 
schon der äussere Erfolg, dass in einem Zeitraum von etwa 12 Jahren 6 Auflagen 
nöthig wurden, und dass dann Verf. Zeit und Müsse fand, die neueren Fort¬ 
schritte zu verwerthen, dafür wird ihm der Leser besonders dankbar sein. 

Gerade eine Vergleichung der Diagnostik der Nervenkrankheiten in ihrem 
ersten und in ihrem heutigen Gewände zeigen die inzwischen errungenen Fortschritte. 
So sind, um nur einige zu erwähnen, hinzugekommen Bemerkungen über die 
Neurontheorie, die Migraine ophthalmoplegique, die polyneuritische Psychose (oder 
besser Korsakow’sches Psychose genannt), die Segmentaldiagnoee der Rücken¬ 
markserkrankungen, die Lumbalpunction, die neurale Muskelatrophie, die Myasthenia 
pseudoparalytica gravis, die seröse Meningitis. Andere Kapitel sind entsprechend 
dem heutigen Stande unserer Wissenschaft umgearbeitet, wie die Schilderung der 


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Friedreioh’schen Krankheit, der Rückenmarkstumoren, der Kleinhirnaffectionen. 
ln zahlreichen Einzelheiten zeigt eich die bessernde Hand des Verf. 

Wenn Verf. bei Besprechung der Histologie der Gehirnrinde auf die Flechsig’- 
sohen Theorieen kommt, so dürfte sich dabei, besonders mit Rücksicht auf 
den angehenden Mediciner, ein Hinweis auf deren zahlreiche und doch wohl nicht 
unberechtigte Gegnerschaft empfehlen. Wenn ferner Verf. die als Neurasthenie 
diagnosticirten Krankheiten als einfache Abarten der Hysterie anspricht, bo wird 
er damit sicherlich nicht auf die allgemeine Zustimmung rechnen können. Schliess¬ 
lich wird, um auch dies noch zu bemerken, hervorgehoben, dass die circulare 
Form der Neurasthenie von vielen Psychiatern mit triftigen Gründen nicht nur 
als ein Analogen der Folie circulaire, sondern geradezu als eine Form dieses 
Leidens, wenn auch sehr milde Form, angesprochen wird. Doch das sind nur 
unwesentliche Ausstellungen. 

Es unterliegt Bef. keinem Zweifel, dass Verf. seine Absioht, den Sinn für 
die Diagnose zu heben, vollauf gelungen ist und dass er auch mit der neuen 
Auflage den gleichen Erfolg erzielen wird wie mit ihren Vorgängerinnen. 

Ernst Sohultze (Andernach). 


2) Opere complete, del Dr. Serafino Biffi. (Milano 1902, Ulrico Hoepli.) 

Die Neffen Biffi’s, Dr. Angelo de Vincenti und Dr. Eugenio Medea 
haben in fünf starken Bänden die Arbeiten ihres Onkels gesammelt. 

In denselben zeigt sich die gewaltige Arbeitskraft Biffi’s (geboren 1822, 
gestorben 1899), welcher mit zu den Begründern der modernen italienischen 
psychiatrischen Schule gehört. 

Der erste Band, welcher die Arbeiten über experimentelle Physiologie und 
Physiopathologie enthält, bringt auch die wichtige Arbeit über die Nerven der 
Zunge. 

Der zweite und dritte Band ist den psychiatrischen Arbeiten gewidmet, unter 
denen die über den Cretinismus (2. Band) hervorzuheben und als für uns Deutsche 
von besonderem Interesse die Beminiscenzen an eine Reise nach Deutschland 
(3. Band) zu nennen sind. 

Der vierte Band: „Riformatosi pei giovani“ enthält ausser einer Darstellung 
der Fürsorgeerziehung und der Correctionsanstalten in Holland, Belgien, Frank¬ 
reich, der Schweiz und Italien eine erschöpfende Zusammenstellung der nach dieser 
Riohtung hin bestehenden privaten Einrichtungen in Italien, eine reiche Fund¬ 
grube für alle diejenigen, welche sich mit dieser besonderen Frage beschäftigen. 

Der fünfte endlich (Psichiatria forense e Discipline carcerasie) bringt eine 
grosse Reihe von forensischen Gutachten, unter denen das im Process Curti ab¬ 
gegebene (Brief an Verga) seiner Zeit in Mailand das grösste Aufsehen erregte 
(1858). 

Das Denkmal, das die Neffen dem Onkel setzten, wird in der psychiatrischen 
Wissenschaft nicht vergessen werden. M. 


3) Anatomie des oentres nervenx, par J. Dejerine, avec la collaboration de 
Madame Dejerine-Klumpke. Tome deuxiöme. Fase. 1, avec 485 Figures 
dans le texte, dont 180 en couleurs. (Paris 1901, Rueff.) 

Dem im Jahre 1895 erschienenen ersten Band der Anatomie der Nerven- 
centren ist jetzt der erste Theil des zweiten Bandes gefolgt, welcher mit den 
Projectionsfasern der Hirnrinde beginnt und der Structur und Textur des Klein¬ 
hirns schlieest (der noch ausstehende zweite Theil des 2. Bandes wird die Ana¬ 
tomie des Rückenmarks enthalten) und 720 Seiten zählt. 


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Es ist selbstverständlich unmöglich, auf die einseinen Capitol oder gar auf 
die Einzelheiten des monumentalen Werkes einzugehen, das in knapper und 
präciser Darstellung alles das bringt, was wir über die Anatomie des Nerven¬ 
systems wissen, fast durchgängig geprüft durch eigene Forschung an selbst- 
hergestellten Präparaten mit beinahe erschöpfender Berücksichtigung der Litteratur, 
besonders auch der deutschen. 

Besonders hervorgehoben sollen hier nnr werden einmal die eingeh end en 
Beschreibungen und Abbildungen der secundären Degenerationen, welche auf um¬ 
schriebene corticale Läsionen folgten (S. 108—198), und dass die Verff. sich ein¬ 
gehend mit der Localisationsfrage in der Hirnrinde (S. 219—262) und mit der 
Localisation in der inneren Kapsel beschäftigen, und auch in Bezug auf den 
übrigen Theil des Hirns die physiologische Würdigung der anatomischen Dar¬ 
stellung hinzufügen. 

Es ist selbstverständlich, dass das Buoh nicht bloss in der Bibliothek des 
Anatomen, sondern auch in der des Neurologen und Psychiaters nicht fehlen darf. 

Die Ausstattung, speciell die Abbildungen sind vorzüglich. M. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 

Sitzung vom 12. Juni 1900. 

(Jahrbücher £ Psych. 1901. S. 392. 

Herr Zappert berichtet über den weiteren Verlauf des in der vorigen 
Sitzung vorgeeteilten Meningitisfalles mit initialer Aphasie. 

ln der Folgezeit bot Pat das typische Bild der tuberculösen Meningitis; un¬ 
gefähr eine Woche vor dem Tode traten gehäufte Krämpfe vorwiegend im linken 
Facialis und Arm auf; die rechtsseitige Hemiparese wurde undeutlicher, die Aphasie 
blieb fast unverändert Dauer der Krankheit 23 Tage. Obductionsbefund: sub¬ 
acute tuberculöse Meningitis in der Gegend der Sylvi’schen Furche links mit 
Tuberkelknötchen bis Hanfkorngrösse auf der unteren Stirnwindung; frisches 
Exsudat an der Basis, vereinzelte kleine Knötchen der rechten Hemisphäre; diffuse 
Organtuberculose. 

Es war die Diagnose somit bestätigt, nur wäre zur Erklärung der terminalen 
linksseitigen Convulsionen noch anzufügen, dass die frische Tuberkeleruption von 
der Basis her wohl auf beide Hemisphären übergreift, jedoch nicht im Stande 
war, die mit älterem Exsudat bereits überzogene Hirnpartie zu schädigen. 

Herr Zappert stellt ferner einen lOjähr. Knaben mit neurotischer Muskel¬ 
atrophie vor. 

Beginn der Erkrankung nach einer acuten Affection im December 1899 mit 
Schwäche im linken, später auch im rechten Bein; ausserdem konnte Z. da m a l s 
eine leichte Parese mit Atrophie der Hände constatiren. Jetzt besteht Parese 
beider Peronealmuskelgruppen mit geringer Atrophie, ziemlich starke Abmagerung 
und Functionsschwäche des Thenar, Antithenar, der Interoesei beider Hände, und 
zwar links > rechts. Sensibilitätsstörungen fehlen (anfangs Schmerzen in den 
Beinen). Keine Druckempfindlichkeit der Nervenstämme. Patellarsehnenreflexe 
sohwer auslösbar, Achillessehnenreflexe fehlend. Muskeln und Nerven elektrisch 
erregbar (die atrophisohen Muskeln sowie N. ulnaris und peroneus entsprechend 
erhöht). 

Z. diagnosticirt trotz Fehlens der Familiarität und der anscheinend ungestörten 
Sensibilität neurale Muskelatrophie (Hoffmann). 


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Herr Eaimann: Bericht über die bisherigen Brfiahmngen am der Klinik 
Wagner .über das Hedonal. 

Experimentelle Untersuchungen zur Bestimmung der dosi$ letalis an Thieren 
ergaben, dass Sohlaf (bis 27 Stunden) bei allen Thieren zu erzielen war, Puls, 
Athemfrequenz, Temperatur durch das Mittel herabgesetzt wurde, die dosis letalis 
pro 1 kg Thier 10 g betrage. 

Versuche am Menschen — psychischen Kranken — (1,0 g in wässrig-wein- 
geistiger Lösung oder in Oblaten) ergaben, dass 1,0 g bei Männern eine zu geringe 
Dosis sei und die Darreichung in flüssiger Form (wegen der raschen Resorption) 
nioht genügend nachhaltige Wirkung siohere. 2,0 g dieses Mittels führten (11 Ver¬ 
suche an 7 Männern, 1 negativ, 3 Mal?, 7 Mal positiv) meist Schlaf herbei; doch 
sank die Körpertemperatur biB auf 35,6°, was sich in Kürze wieder ausglich; 
keine sonstigen Nebenwirkungen. Vortr. hebt die Schwierigkeit, die Wirkung 
eines Mittels zu bestimmen, hervor, da eine grosse Reihe der Factoren (Zufällig¬ 
keiten, Suggestiv Wirkung) zu Täuschungen Veranlassung geben können. 

Discussion: 

Herr Prof. Obersteiner, der selbst an neurasthenischer Schlaflosigkeit leidet 
und mit 1—3 g Amylenhydrat Schlaf erzielt, schlief nicht auf 0,5 Hedonal, wohl 
aber auf 1,0 g. 

Herr Dr. Schüller bemerkt, dass Hedonal (1,0 g mindeste Dosis) bei Neur¬ 
asthenikern indicirt sei, und hält die Darreichung von Oblaten — schon wegen 
des schlechten Geschmackes — als die zweckmässigste. 

Herr v. Frankl*Hochwart und Herr Dr. Alfred Fröhlich: Ueber Tonus 
und Innervation der Sphinoteren des Anus. 

Auf Grundlage anatomischer Studien und experimenteller Forschung (95 Vivi« 
sectionen) kamen Vortr. zu folgenden Resultaten: Der Verschluss des Rectum wird 
durch die Musculatur — vom Willen unabhängig — besorgt, und zwar sind die 
Schliessmuskeln der glatte Sphincter internus und der quergestreifte Sphincter 
extemus. Dieser zeigt ein den glatten Muskeln ähnliches Verhalten (Nichtentartung 
nach Durchschneidung des zugehörigen Nerven, ähnliohe Zuckungscurve, langer 
Widerstand gegen Curare). Dem Extemus gebührt 1 / 3 — x /i d® r Tonus erhaltenden 
Kraft. 

Der periphere, die Constriction erzeugende Nerv ist beim Hunde der Erigens, 
der dilatirende der Hypogastricus; im Rückenmark ist eine Vorrichtung sowohl 
für Constriction als Dilatation vorhanden, indem man reflectorisch von der Medulla 
Erhöhung oder Herabminderung des Tonus erreichen kann. Ein zweites solches 
Centrum ist das Gangl. mesentericum, da es nach Zerstörung des Rückenmarks 
in gleicher Weise wie dieses wirkt Aber selbst wenn Rückenmark, Ganglion 
mesentericum, sämmtliche Rectalnerven zerstört sind, kann man durch Muscarin 
noch immer Constriction erzielen, die durch Atropin wieder aufgehoben ward. 

Sitzung vom 13. November 1900. 

(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 396.) 

Herr Hofrath v. Krafft-Ebing demonstrirt zwei Fälle mit myoklonisohen 
Krämpfen. 

L 38jähriger Hausbesorger, unbelasteter Tabiker (atactisohes Stadium) mit 
hysterischen Stigmen (strumpflörmige Hypästhesie am linken Bein, rechtsseitige 
Hemihypästhesie, Geschmack, Geruch, Gehör herabgesetzt, Gesichtsfeld eingeengt, 
Gaumen-, Raohen-, Ohrreflex fehlend) stürzt am 14. Juli l l l t m tief, ohne sich zu 
verletzen; heftiger Schreck; am 21. August Streit mit einem Arzte; danach Auf¬ 
treten von Zuckungen im Gesichte, den Halsmuskeln, oberen Extremitäten; auch 


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isolirt im II. supiuator longus, pectoralis, triceps, nie coordinirt. Yortr. hält die 
Erkrankung für Myoklonie. Hypnose erzielte keine Wirkung. 

1L 17jähriges, degeneratives, aber unbelastetes Mädohen hat die Zuc ku ngen 
nach einem Selbstmordversuch durch Lysol bekommen. Keine hysterischen Stig¬ 
mata. Es besteht Blepharoklonus, Zucken um die Mundwinkel, den Muskeln des 
Halses und Nackens, Emporziehen der Schultern; Zucken der Bauc hm uskeln, der 
distalen Abschnitte der Finger. Diese Zuckungen haben locomotorischen Effect, 
sind complicirt, so dass man an willkürliche Auslösung denken könnte. Abhängig¬ 
keit von Emotion. Yortr. hält diese myoklonie-ähnlichen Krämpfe für Hysterie. 

Herr A.Pilcz: Ueber myxödematösee Irresein and Sohilddrfisenthernpfte 
bei Geistesstörungen. 

45jähr., belastete Frau bietet ein melancholisches Zustandsbild mit asthenischen 
Affecten. Die Kranke erscheint torpide; argwöhnisches Wesen. Nach einem Jahr 
Entwickelung des typischen Bildes von Myxödem. Unter Thyreoidbehandlnng 
Schwinden beider Zustände, nach wiederholtem Aussetzen Recidiv (über 3monatL 
Beobachtung). 

Beim Myxödem hat man nach dem Vortr. den myxödematösen Geisteszustand 
(Verlangsamung und Hemmung der psychischen Leistungen, Apathie, Schlafsucht, 
Verlust des Gedächtnisses) und das myxödematöse Irresein zu unterscheiden, 
manische, melancholische Zustandsbilder, Wahnideeen, Sinnestäuschungen, die durch 
den gleichzeitig bestehenden, eben erwähnten Geisteszustand nur eigenartig ge¬ 
färbt sind. Ob irgend eine Psychose mit Myxödem oder myxödematöses Irresein 
vorhanden, kann diagnostisch ex juvantibus durch den Erfolg der Schilddrüsen- 
therapie gestellt werden (selbst nach 12jährigem Bestehen). 

Das myxödematöse Irresein kann früher oder (gewöhnlich viel) später als 
das Myxödem auftreten, befällt vorwiegend weibliche Individuen. 

Schliesslich bespricht Vortr. die Schilddrüsenbehandlung der Psychosen über¬ 
haupt und kommt zum Schlüsse, dass einige Fälle secundärer Demenz sicher 
geheilt wurden, die übrigen einer strengen Kritik nicht standhalten. Die 5 Kranken 
mit secundärer Demenz, die Vortr. derart behandelte, zeigten negativen Erfolg, 
ja boten zum Theil schwere körperliche Begleiterscheinungen wie Tachycardie, 
Sinken des Blutdruckes, Gewichtsabnahme, Albumosurie, Acetonurie, Indicanurie, 
gastrische Störungen. 


Sitzung vom 11. December 1900. 

(Jahrb. f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 398.) 

Herr Prot. Redlich demonstrirt einen Fall mit der Wahrscheinlichkeita- 
diagnose Ponstumor. 

P. K, 82 Jahre alt; 1892 apoplektischer Insult mit totaler rechtsseitiger 
Lähmung und Erschwerung der Sprache. Im Frühjahr 1898 suchte Pat. den 
Vortr. im Kaiser Franz Josefs-Ambulatorium wegen Schmerzen der linken Geeichts- 
seite (seit 1894 bestehend) auf; damals leichte Parese rechts, die jedoch in der 
Folge mit den Gesichtsschmerzen zunahm. Aus dem Status im October 1900 sei 
hervorgehoben: leichte Facialisparese rechts im mittleren und unteren Aste, links 
Atrophie des Masseter und Temporalis, Hypästhesie für tactile und Schmerzreise 
im ganzen linken Trigeminus. Parese der Kiefer- und Kaumusculatur links; 
elektrische Reaction, soweit erhalten, normal. Deviation der Zunge nach links, 
Beweglichkeit derselben herabgesetzt. Sensibilität der Wangen- und Lippen- 
schleimhaut herabgesetzt. Zäpfchen nach rechts stehend, Gaumenbogen links 
flacher. Sprache verwaschen, gepresst. Spastische Parese der rechten oberen und 
unteren Extremität mit gesteigerten Reflexen. 


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ln den letzten Wochen mehrere Anfälle von Bewusstlosigkeit; keine Geeichte- 
schmerzen, jedoch deutliches Zunehmen der Gesichtsatrophie links; auch die Haut 
ist dünner. 

Localisation: Herd in den lateralen Antheilen der linken Fonshälfte. Be¬ 
züglich der Natur des Processes möchte Vortr., wegen der langsamen allmählichen 
Progression, nicht an einen vasculären Vorgang, sondern an einen Tumor denken 
(eventuell derart, dass eine bindegewebige Narbe Geschwulstcharakter an¬ 
genommen hat). 

Herr Elzholz demonstrirt mit Osmium behandelte Zupfpräparate von Nerven 
eines Falles von seniler Demenz. 

Vortr. hebt die Convergenzen der senilen Demenz und der Polyneuritis¬ 
psychose hervor, weist auf die senile Polyneuritis Oppenheim’s hin, auf die 
Incongruenz der oft fehlenden klinischen Symptome mit den anatomischen Befunden 
hei diesen (ähnliches bei der Polyneuritispsychose) und spricht dann über Beine 
Präparate. Es finden sich -— der Pat. war typisch senil dement und zeigte 
keine groben motorischen Defecte — im Tibialis, Peroneus, Communicans surae 
auffallend viele Fasern mit dünnen, varicösen Markscheiden, des weiteren solche, 
die alternirend dickere und dünnere Antheile besitzen; diese dünnen Fasertheile 
(Schaltstücke) stellen meist ein inte rann ul är es Segment dar. Einige Fasern zeigten 
Markzertall. Das Zwischengewebe gewuchert, zu Bändern geformt, wie in den 
Nervenstümpfen Amputirter. Der Process sei der Neuritis einzuordnen. Vortr. 
sohliesst, indem er Einiges über die periaxiale Neuritis, die relativ selten ist, 
anführt, mit dem Hinweis auf die Bedeutung, die ähnlichen Befunden für die 
Kenntniss der senilen Demenz und ihr Verhältniss zur Polyneuritispsychose zukäme. 

Herr Starlinger demonstrirt ein neues Reichert’sches Sohlittenmikrotom 
zum Schneiden unter Wasser, mit neuer Hebevorrichtung und Messerführung. 

Herr Hofrath von Krafft-Ebing demonstrirt einen Kranken, der unter dem 
klinischen Bilde der Manie eine Reihe von epileptischer Geistesstörung zukommen¬ 
den Zügen darbietet, als manische Form eines epileptischen Irreseins. 

Herr Dr. Bi sch off: Ueber die sogenannte sklerotische Hemisphären¬ 
atrophie. 

Vortr. demonstrirt zwei Fälle, deren erster eine epileptische Frau betrifft, 
die im 2. Lebensjahre unter dem Bilde einer acuten Cerebralerkrankung Epilepsie 
acquirirte; es bestand später neben dieser Schwachsinn, allgemein gesteigerter 
Muskeltonus, erhöhte Sehnenreflexe; deren zweiter ebenfalls eine Frau betrifft, die 
nach einem Fraisenanfall im 2. Lebensjahre dauernd linksseitige Hemiparese und 
Hemihyperästhesie mit besonderer Betheiligung der linken Hand, epileptische 
Krämpfe von Jackson-Typus darbot. Im ersten Falle abnorme Kleinheit der 
linken, im zweiten der rechten Hemisphäre bei sonst durchaus normalen makro¬ 
skopischen und mikroskopischen Verhältnissen. 

Als Ursache kann, wegen Fehlens ähnlicher Asymmetrieen bei Hirnmiss¬ 
bildungen und des acuten Einsetzens, abnorme Keimanlage nicht gelten; ebenso 
fehlte abnorme Gefässenge. Es bleibt noch die Annahme eines vorzeitigen Still¬ 
standes der Hemisphäre im Wachsthum, bedingt durch eine diffuse Encephalitis 
des Gehirntheils, die milde verlaufend, anatomisch spurlos heilt, nur eine trophische 
Schädigung hinterlässt. Ferner entsteht dadurch die Disposition zur Epilepsie. 
Aehnliche Fälle aus der Litteratur zeigten noch Residuen der Entzündung, was 
für die Annahme des Vortr. zu sprechen scheint. 

Hervorgehoben wird ferner, dass ein histologisch normales, aber zu kleines 
'Gehirn (deshalb nicht Atrophie, Bondern abnorme Kleinheit der Hemisphäre) nur 
■unvollkommen functiouirt. Vortr. spricht noch einiges zur Symptomatologie und 


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differentiellen Diagnose gegenüber der diffusen Hirnsklerose und der Pseudo- 
sklerose. 

Herr Hirschl: Demonstration eines Falles von Osteomalaoie bei Myx- 
oedem. (Erscheint ausführlich.) 

Sitzung vom 15. Januar 1901. 

(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 403.) 

Herr Infeld stellt einen 32 Jahre alten Locomotivfuhrer mit schlaffer 
Paraplegie mit geringer Volumsverminderung ohne Entartungsreaction vor. Freie 
Rumpfbewegungen unmöglich; Storungen der Blasen-, Mastdarm- und Geschlechts- 
thätigkeit; hochgradige proximalwärts abnehmende Störung der Bewegung»- und 
Lageempfindung. Aufhebung hezw. oben leichtere Störung der Hautempfindong 
bis in eine unterhalb der Brustwarzen befindliche Ebene. Der 4. Brustwirbel, der 
im Beginn des Leidens (Juni 1900) stark druckschmerzhaft war, jetzt wenig 
druckempfindlich. October 1900 Schwäche, Gefühl von Todsein, Empfindungs¬ 
losigkeit der linken, 14 Tage darauf auch der rechten Unterextremität, zu welchen 
Symptomen die eingangs erwähnten nach und nach hinzukommen. Patellar- und 
Achillesreflexe anfangs gesteigert, dann allmählich geschwunden. Da Pat. vor 
3 1 /, Jahren Lues gehabt hat und specifische Behandlung Besserung erzielte, ist 
es gerechtfertigt, das Leiden zunächst als luetisch aufzufassen. 

Bauch- und Cremasterreflex sind nicht auslösbar, aber Streichen des Bauches 
an anderen Stellen löst (z. B. im Sprunggelenk derselben Seite) Reflexe ans. 
Babinsk i’scher Reflex vorhanden. Ferner ist bei Fehlen des Patellar- und 
Achillesreflexes der Adductorenreflex erhalten. 

DteouiBion über den Vortrag des Hrn. BisohofTs: Ueber die sogenannte 
sklerotische Hemisphärenatrophie. 

Herr v. Wagner meint, dass die beiden Fälle an Sklerosen mehr um¬ 
schriebener Art, z. B. solche der Ammonshörner, erinnern, die auch in dem einen 
der beiden Fälle stark ausgeprägt schien. Ihm erscheint die Annahme, dass die 
Sklerose Endproduct vorangegangener Entzündungen sei, am plausibelsten. 
Wünschenswerth wären Aufklärungen über feinere histologische Details, besonders 
die Wucherung der Glia. 

Herr Bischoff antwortet, dass er Weigert’s Gliafärbung zwar nicht an* 
gewendet habe, aber nach anderen Methoden keinen Unterschied in den Verhält¬ 
nissen der Glia beider Hemisphären gefunden hätte; auch die Grösse der Elemente 
schien beiderseits gleich. Secundäre Atrophieen waren nicht zu finden. 

Herr Redlich erinnert an einen aus dem Laboratorium Obersteiner's 
durch Weiss veröffentlichten Fall diffuser Hirnsklerose, der mikroskopisch ein 
fast negatives Resultat ergab, bei dem der Autor gleichfalls eine Entzündung mit 
Ausgang in Sklerose annahm. R. fragt, ob Piaveränderungen vorhanden waren 
und bemerkt, dass man hier auch den experimentell erzeugten Schwund der Pyra¬ 
miden bei jungen Thieren erwähnen könnte, wo der Umfang der Bahn durch 
Ausfall von Fasern verkleinert wird, an deren Stelle andere Fasern wirken. 

Herr Bischoff erwidert, dass die Pia unverändert war; weiter, dass trotz 
des Mangels eines nachweisbaren histologischen Befundes die einfache Kleinheit 
einer Hemisphäre ein erworbener Zustand sein könnte. 

Herr Obersteiner hebt hervor, dass die geringe Vermehrung der Glia ü® 
Falle Weiss in keinem Verhältniss zur Knorpelhärte des Orgnns stand; auch in 
einem Falle von Olivensklerose war der histologische Befund ein negativer. Die 
Methode Weigert’s ist kein umumgänglichee Postulat zum Nachweis vermehrter 
Glia, da eine solche durch van Gieson-Färbung recht gut erkennbar ist. Eine 


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Kleinheit der nervösen Elemente reicht zur Erklärung der Sklerose nicht hin, es 
muss daneben zweifellos noch eine Consistenzvermehrung angenommen werden. 

Herr HirBchl: Ueber Osteomalaoie bei Morbus Basedow!! und Myx- 
oedem. (Nicht referirt.) 

Sitzung vom 12. Februar 1901. 

(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 406.) 

Herr Sternberg demonstrirt Befunde an peripheren Nerven bei Tuber- 
oulose und senilem Marasmus. 

Im Anschlüsse an die von Elzholz (Sitzung vom 11. December 1900) ge¬ 
zeigten . Veränderungen an Nerven bei seniler Demenz kann Vortr. an Nerven 
marastischer Individuen ähnliches an Präparaten dreier Fälle zeigen. Dieselben 
betreffen einen senilen Marasmus, einen senilen und einen jugendlichen Tuber- 
culosen. 

Deutlich waren besonders die Schaltstüoke (Gombault’s segmentäre Neuritis), 
die beim jugendlichen Individuum kürzer waren als bei den bejahrten Personen. 
Auch die dicken Fasern, an die sich die Schaltstücke schliessen, sind leicht ver¬ 
ändert. Bezüglich der spiralig gewundenen feinen Fasern sind Täuschungen 
möglich. Ein Zusammenhang zwischen dem Verlaufe des Allgemeinleidens und 
der Nervenveränderung besteht nicht. Schliesslich wendet sich Vortr. gegen den 
Ausdruck segmentäre Neuritis für die Schaltstücke, mangels jeglicher entzündlicher 
Kriterien; gegen Regenerationserscheinung sprechen die Befunde bei progressiv 
zum Exitus führenden Processen. Da also die Genese dieser Veränderung nicht 
sicher ist, sollte man den nichts präjudicirenden Ausdruck „Schaltstücke“ 
dafür anwenden. 

DiBCussion: 

Herr Elzholz bemerkt dagegen, dass die „segmentäre Neuritis“ experimentell 
durch Bleiverfütterung erzeugt werden könnte, eine Noxe, die bekanntlich Neuritis 
erzeuge. Auch fanden sich intercaläre Segmente bei ausgesprochener Entzündung 
der mehr peripheren Antheile des Nerven (D6gön6ration praewalörienne). Bei 
Fehlen neuritisoher Erscheinungen könnte man an abgelaufene entzündliche Pro- 
cesse denken, weshalb man den Namen „segmentäre Neuritis“ wohl beibehalten 
kann. 

Herr Otto Marburg demonstrirt Präparate einer in Gemeinschaft mit Dr. 
v. Czyhlarz untersuchten und beobachteten amyotrophisohen Lateralsklerose. 

Das anatomische Substrat dieses klinisoh keine Besonderheiten bietenden 
Falles bildeten Degenerationen der Vorderwurzelzellen vorwiegend im Halsmark 
mit solchen der Vorderwurzelfasern, solche des 12. und zum Theil 10. Kerns der 
Medulla oblongata, eine Pyramidendegeneration am stärksten im Cervicalmark (nach 
Marchi und Weigert nachweisbar), schwächer im Hirnstamm und der Rinde 
(nur nach Marchi nachweisbar). 

Der Vergleich dieses Befundes mit anderen ergiebt, dass bisher nur der 
exacte Beweis dafür erbracht ist, dass in der Hirnrinde bei der amyotrophischen 
Lateralsklerose die Pyramidenfasern mit, aber auch ohne die Pyramidenzellen 
erkranken, und, nach dem stärksten Befallenwerden zu erschliessen, der Process 
ein ascendirender sei. 

Die oft beschriebene Miterkrankung der Hinterstränge habe andere Ursachen 
als sie der vorliegenden Erkrankung (Lues, Strangzellendegeneration, vasculäre 
Sklerose) entsprechen. Hier sei keine secundäre Degeneration, auch keine Atrophie 
Ursache der Pyramidenläsion, sondern eine „primäre Degeneration“ charakterisirt 
durch Zerfall der Markscheiden mit relativ langem Erhaltenbleiben der Axen- 
cylinder, die Leitungsrichtung der Degeneration (retrograd), eine mässige Geiäss- 
wandinfiltration. 


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Als ätiologischer Factor wird besonders „Ueberfunction bei Unterernährung* 
betont (Edinger’s Ersatztheorie). 

Herr Latzko: Demonstration von 5 Fällen von Osteomalacie mit Morbus 
Basedow!!; Bericht über einen 6. Fall. 

Allen diesen Fällen ist eigen, dass neben florider Osteomalacie gleichfalls 
florider Morbus Basedowii bestand, dass beide Affeotionen der Phosphortherapie 
— theilweise wenigstens — wichen. 

Vortr. begründet nun seine Anschauung, dass es sich hier nicht um zufälliges 
Zusammentreffen, sondern organischen Zusammenhang beider Affectionen handle; 
er betrachte die Osteomalacie als Blutdrüsenerkrankung, eine abnorme, innere 
Secretion der Ovarien als Quelle des Uebels. Er schliesst, dass zwischen innerer 
Secretion der Ovarien und Thyreoidea Wechselbeziehungen bestehen, und Störungen 
der einen Function solche der anderen nach sich ziehen können, wodurch das 
Zusammentreffen von Osteomalacie und Morbus Basedow eine Erklärung fände. 

Herr Elzholz: Weitere Mittheilung Aber Delirium tremens. 

Anschliessend an frühere Arbeiten über dasselbe Thema, wonach das Delirium 
seine Ursache in einem Gifte besitze, das den Toxinen von Infectionserregern 
gleiche, durch den chronischen Alkoholmissbrauch erzeugt, durch plötzliche Absti¬ 
nenz aber frei werde, berichtet Vortr. über ein Symptom, das gleiche Bedeutung 
hätte, nämlich den Coqjunctivalcatarrh der Deliranten, den er in ungefähr 60% 
der Fälle beobachtet hätte. Derselbe beschränkte sich meist auf die Lider und 
schwindet wenige Tage nach dem kritischen Abschluss des Deliriums durch Schlaf. 

Neben diesem Catarrh, den das Deliriumgift erzeuge, rufe dasselbe gewiss 
auch einen Theil der complicirenden Bronchitiden, Verdauungsstörungen und 
Appetitlosigkeit hervor. 

Als ätiologischen Factor für den Ausbruch des Deliriums müsse Vortr. die 
Abstinenz ansehen (Beleg durch ein drastisches Beispiel), was durch Jacobsohn 
wohl negirt, aber nicht hinreichend widerlegt erscheint. 

Otto Marburg (Wien). 


V. Vermischtes. 

Für die neurologische Section der Carlsbader Naturforscher-Versammlung 
sind noch nachstehende Vorträge angeseigt worden: 

Döllken (Leipzig): Die Oberfläche der Gehirne geistig h er v or ragender Männer (mit 
Demonstration). — Zanietowski (Lemberg): Ueber Leitungsgeschwindigkeit, Erregbarkeit 
und Temperatursinn. — 0. Förster (Breslau): Die Grundlagen der motorischen Uebunga- 
behandlnng von Bewegungsstörungen bei Nervenerkrankungen (mit Kraiikendemonstrataom). 
— 0. v. Leonowa (Würzburg): Ueber die Entwickelungsabnormitäton bei Cyklopie. — 
L. Braun and A. Fuchs (Wien): Ueber ein neurastheniscnes Pulsph&nomen. 


VI. Berichtigung. 

ln Nr. 16 d. Central hl., 8. 776, Zeile 2 v. o., muss es heissen: „Pilos" statt Vortr. 


Um Einsendung von 8eparatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof Dr. K.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag yon Vnrr & Comp, in Leipzig. — Druck von Mraan k Wirme in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithttlfe von Dr. Kurt MendtI) 

Einnndswansigster " BerlIn ‘ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen duroh 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 1. October. Nr. 19. 


Inhalt: I. Orlglnalmlttheilungen. 1. Ueber die Bestimmung des Tastsinns vermittels 
eines neuen Aesthesiometers, von J. J. Graham Brown. 2. Ueber die Beziehungen des unteren 
L&ngsbOndels zur Schleife und über ein neues motorisches Stabkranzsystem, von Priv.-Doc. 
Dr. H. Schütz. 3. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie, von Dr. med. August 
Dlehl in Lübeck. (Schluss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Alte und neue Untersuchungen über das Gehirn. II., 
DI., IV., von Hitzig. 2. Das basale Riechbündel des Kaninchens, von Wellenberg. — Experi¬ 
mentelle Physiologie. 3. Contribution to the study of the cortioal sensory areas, by 
Walton and Paul. 4. Ein mimisches Centrum im medialen Kern des Sebhügels, von Kirch¬ 
hof!. 5. Ueber die physiologische Contraotur, von Lhotdk. — Pathologische Anatomie. 
6. Aufsteigende Degeneration im Rüokenmark nach Destruotion der 5. Cervicalwurzel, von 
Reepinger. 7. A case of complete absence of visual System in an adult, by Spiller. — Patho¬ 
logie des Nervensystems. 8. Der Zusammenhang von Nervenerkrankungen mit Störungen 
der weiblichen Geschlechtsorgane, von Theilhaber. 9. Untersuchungen über Reflexhyper- 
ästhesieen bei Lungentuberculose, von Egger. 10. L’hdrdditd de l’odeur, par Fdrd. 11. Ueber 
familiäre Erkrankungen des Nervensystems, von BSumlin. 12. La paralysie pdriodique 
familiale, par Oddo et Audlbert. 13. Congenital nvstagmus in father and cbild, by Fisher. 
14. La parapldgie spasmodique familiale et la sclerose en plaques familiale, par Cestan et 
Guillain. 15. A case of sclerotic atrophy of cerebrura and cerebellum, familial type, occuring 
in a boy, by Clarke. 16. A brief report of the oiinical, physiologioal and ohemioal study of 
three cases of family periodic paralysis, by Mitchell, Flexner and Edsall. 17. A case of 
fainily periodic paralysis with a critical digest of the literatnre, by Singer. 18. Amanrotic 
family idiocy, by Cotton. 19. Zur Aetiologie der Chorea minor im Kindesalter, von Rabert. 
20. Bidrag nl studiet af chorea minor’s ätiologi, af Frölich. 21. Ueber 65 Fälle von Chorea 
minor aus dem Leipziger Kinderkrankenhaus, von Brüning. 22. Ueber die ätiologischen Be¬ 
ziehungen der Chorea minor zu den Infectionskrankheiten, insbesondere zur rheumatischen 
Infectdon, von Köster. 23. Ueber die ätiologischen Beziehungen zwischen Rheumatismus 
artic. acut., Endooarditis und Chorea minor, von Schulz. 24. Nuovo caso di corea mortale 
con setticopiaemia da stafilococco piogene aureo, per Gulzettl. 25. Zur pathologischen Ana¬ 
tomie der Chorea minor, von Reichardt. 26. Zur pathologischen Anatomie der Huntington’- 
sehen Chorea, von Stier. 27. Etüde sur la localisation des symptömes de la chorde de 
Sydenham, par Oddo. 28. A propos de la chorde des ddgdndres, par Mousson. 29. Three 
cases of hereditary chorea, by Riggs. 30. Ueber Chorea chronica progressiva, von Westphal. 
31. Behandlung chronischer Chorea durch hypnotische Beeinflussung, von Schilling. 32. A 
note on the knee-jerk in chorea, by Gordon. 83. Les chorees symptomatiques, par Rdnon. 
84. Chorea hysterica arythmica, von Vftek. 35. Un cas de chorde dlectrique (vandtd de tic 
curable juvenile), par Varlot. 36. Ein Fall von Chorea senilis, von Blschoff. 37. L’dtat 
mental des tiqueurs, par Meige et Felndel. 88. Tic et fonction, par Neige. 39. Tic et doriture, 
par Neige. 40. Une observation de tic de Salaam, par Simon. 41. Les tics et leur traitement, 

S ar Meige et Feindei. Mit einer Vorrede von Brissaud. — Psychiatrie. 42. Ueber die 
ntersuchung von Vererbungsfragen und die Degeneration der spanischen Habsburger, von 
Kekuld von Stradonitz. 43. Selbstbiographie eines Falles von Mama acuta, von Forel. 44. A 
contribution to the pathology of acute msanity, by Orr. 45. Deux cas de manie gudris ä la 

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doch jede Muskelfaser anodische und kathodisohe Punkte; die kathodischen Punkte 
breiten sich aber weiter im Muskel aus, als die anodischen. Da nun bei der 
Degeneration der Muskel zugleich eine gesteigerte elektrische Erregbarkeit hat, 
so wird die weit ausgedehnte peripolare Kathodenwirkung deutlich sichtbar und 
imponirt als Anodenwirkung. (Für die Diagnose einer degenerativen Muskel¬ 
lähmung ist nicht die sogenannte Umkehr der Zuckungsformel, sondern die Träg¬ 
heit der Zuckung mit eventuell gleichzeitiger erhöhter Erregbarkeit charakteristisch; 
AnSZ > KSZ beweist allein nichts für Entartungsreaction; es ist das ein Irrthmn, 
den man manchmal noch, besonders bei niohtdeutschen Autoren, findet. Bef.) 

Bruns. 


5) Heber die oortloalen sekretorlsohen Oentren der wichtigsten Ver¬ 
dauungsdrüsen , von W. v. Bechterew. (Archiv £ Anat u. Phys. 1902. 
PhyB. Abthlg.) 

Verf. giebt zunächst eine kritische Uebersicht über die Experimente bezüglich 
der corticalen Centren der Speichelsekretion. Er hält gegenüber den Ein¬ 
wänden von Eckhard und Fluck daran fest, dass im Gebiet des Gyrus supra- 
sylvius anterior (s. ooronalis) ein Centrum für die Speichelabsonderung (Chorda- 
speichel) gelegen ist. Er stützt sich dabei namentlich auf die neuen Versuchs¬ 
ergebnisse von Bary (1899) und Kerber (1900). Ebenso nimmt Verf. auf 
Grund der Versuche von Gerwer (1899) an, dass ein umschriebenes, lateral 
vom Gyrus praecruciatus gelegenes Gebiet bei dem Hund die chemische Thfttig- 
keit der Magendrüsen beeinflusst. Dieser Ei n fluss wird durch die Nn. vagi 
vermittelt. Nach noch nicht veröffentlichten Versuchen von Narbut bedingt 
ferner Beizung der Grosshimrinde im mittleren Abschnitt des Gyrus praecruciatus 
eine Absonderung von Pankreassaft Endlich soll nach Versuchen von Wirsa- 
ladse der innere Abschnitt des Gyrus praecruciatus die Gallen Sekretion beein¬ 
flussen. Bemerkenswerth ist, dass in diesen Versuchen, ebenso wie z. B. auch in 
den Bary’schen, die bez. Sekretion bei Bindenreizung nicht stets, sondern nur 
in der Mehrzahl der Fälle auftrat. Th. Ziehen. 


6) lieber die spinalen Athmungsbahnen, von M. Bothmann. (Archiv f. 

Anat. u. Phys. 1902. Phys. Abthlg.) 

Auf Grund von Versuchen an Hunden im Munk’schen Laboratorium kommt 
Verf. zu dem Ergebniss, dass die von der Oblongata zum Bückenmark gelangenden 
respiratorischen Erregungen mit dem Hinterseitenstrang und dem Proceesus 
reticularis des Bückenmarks nichts zu thun haben. Die spinalen Athmungsbahnen 
laufen vielmehr grösstentheils im vorderen Seitenstrang, und zwar vorwiegend im 
ventralen Theil desselben, zum kleinen Theil auch im lateralen Theil des Vorder- 
strangs. Ausschaltung beider Seitenstränge hebt die Athmung nicht sofort au£ 
wohl aber Ausschaltung beider Vorder- und Vorderseitenstränge. Die für die 
Zwerchfellinnervation bestimmten Fasern verlaufen ganz oder beinahe ausschliesslich 
durch den Vorderseitenstrang, die für die Thoraxathmung bestimmten Fasern 
grösstentheils durch den lateralen Abschnitt des Vorderstrangs. 

Th. Ziehen. 


7) lieber das Verhalten der Blutgefässe Im Gebiet durohsohnittener vaso¬ 
motorischer Nerven, von L. Jo re s. (Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat 
XXXII.) 

Verf. durchsohnitt bei einer Beihe Kaninchen den Halssympathicns und er¬ 
hielt dadurch eine bis 9 Monate andauernde Gefässerweiterung des Ohres, die 


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durch tägliches Reiben desselben unterhalten bezw. noch gesteigert wurde. Diese 
Gefässerweiterung konnte auch post mortem noch durch mikroskopische Messung 
festgestellt werden. In keinem Falle konnte er dagegen irgendwelche Verände¬ 
rungen der Intima finden, und dadurch stellt er sich in Gegensatz zu den von 
anderen Untersuchern (Fränkel, v. Czyhlarz, Thoma u. A.) erhobenen Be¬ 
funden. Die von jenen gefundenen endarteriitischen Veränderungen führt er in 
Hauptsache auf begleitende trophisohe Störungen, Geschwulstbildungen u. ähnl. 
zurück, die hei seiner Versuchsanordnung fehlten. H. Haenel (Dresden). 


Psychologie. 

8) Bestimmungen der einfachen Reaotionsseit bei Europäern und Malayen, 

von G. Grijns. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1902. Phys. Abthlg.) 

Verf. hat bei in den Tropen lebenden Europäern und Malayen mit Hülfe 
des En gelmann'sehen Pantokymographions die einfache Reactionszeit für elek¬ 
trische Hautreize bestimmt, leider ohne den wichtigen Unterschied zwischen 
muBculärer und sensorieller Reaction zu beachten. Bei neuangekommenen 
Europäern betrug die Reactionszeit 296 Tausendstelsecunden, nach langem Aufent¬ 
halt in den Tropen 321; bei Eingeborenen beträgt sie 253. Th. Ziehen. 


9) Grundzüge der Psyohologie. Bd. I. Allgemeiner Theil: Die Prinoipien 
der Psyohologie, von Hugo Münsterberg. (Leipzig, 1900. Joh. Ambrosius 
Barth. 56öS.) 

Das vorliegende Werk des aus seinen Einzelheiten, neuerdings besonders 
durch seine „Psychology and Life“ (1899), schon weiteren Kreisen bekannt gewordenen 
Bostoner Psychologen bedeutet in der Geschichte der Psychologie einen namhaften 
Fortschritt. Betitelt „Grundzüge der Psychologie“ vermehrt es nicht, wie sich 
vermuthen Hesse, die Reihe derjenigen Bücher, die in diese Wissenschaft ein¬ 
führen sollen; es ist kein Lehrbuch, kein Sammel- oder Nachschlagewerk. Die 
Tendenz dieses ersten mehr philosophischen Bandes ist am ehesten dem politischen 
Weckrufe zur „Sammlung“ zu vergleichen. Dies Buch „will nicht darstellen, 
sondern discutiren, und auch wenn es sich um Thatsachen handelt, will es weniger 
berichten als aussondern und verbinden, damit aus der unendlichen 
Mannigfaltigkeit der Züge sich wirklich einheitliche Grundzüge heraus¬ 
bilden“. Die Grundbegriffe, die Voraussetzungen, die Grenzen und die Ideale der 
Psychologie sollen hier erst einmal eine logische Erörterung und Läuterung von 
den Schlacken erfahren, die sich immer wieder durch Vermengung einer mehr 
subjectiven und objectiven Anschauungsart ansetzen und den mühsam errungenen 
Wissensschatz zu verschütten drohen. 

Könnte man aus den vorangegangenen Schriften des Verf.’s vielleicht zu der 
fälschlichen Meinung geführt worden sein, dass er die Psychologie zur positivisti¬ 
schen Philosophie erheben wolle, oder dass er auf Schopenhauer recurrire, so 
lässt dieser Band keinen Zweifel darüber, dass nach ihm die Psyohologie „mit 
allen ihren radicalen Forderungen in das System des ethischen Idealismus ein¬ 
geschlossen und aufgenommen werden muss“. Wir finden hier eine consequente 
Vereinigung von Idealismus und Wissenschaft. Das Thema des Buches ist, wie 
Verf. im Vorwort selbst sagt, „die Synthese von Fichtes ethischem Idealismus 
mit der physiologischen Psychologie unserer Zeit. 

Der gesammte Inhalt ist in drei Theile getheilt Im ersten wird die Auf¬ 
gabe der Psychologie präoisirt; erörtert werden die Tendenzen der gegenwärtigen 
Psychologie, ihre erkenntnisstheoretische Grundlage, ihre Stellung zu den Geschichts- 

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und Norm Wissenschaften und ihre Bedeutung für das praktische Leben. — Der 
zweite Theil beschreibt die psychischen Objecte und stellt sie dar in ihrer Be¬ 
ziehung zum Bewusstsein, der dritte Theil behandelt den psychischen Zusammen¬ 
hang. In diesem erfahren die Apperceptions- und Associationstheorieen eine 
weitgehende Würdigung und Kritik und werden im Schlusscapitel daroh die 
Actionstheorie des Vert’s ergänzt. 

Durch den ersten Theil zieht sich wie ein rother Faden der Kampf gegen 
die immer wiederkehrende Vermischung der psychologisoen und teleologisch- 
historischen Betrachtungsweise. Verf. strebt nach einer GTenzregulirung der 
Psychologie, vor allem nach einer reinlichen Scheidung zu den Geistes- und Natur¬ 
wissenschaften. Im Widerspruch zu der Wundt’schen Auffassung, nach der die 
Psychologie gegenüber allen anderen Geisteswissenschaften die Bedeutung einer 
grundlegenden Disciplin hat, ist sie nach ihm vielleicht die wichtigste Hülfe* 
disciplin der Geisteswissenschaften, aber nicht selbst eine solche. Psychologie und 
Naturwissenschaften objectiviren, die Geistes Wissenschaften, die geschichtlichen 
wie die normativen subjectiviren. „Psychologische Probleme gehen Schritt für 
Schritt neben den historischen und normativen Problemen der Ethik einher"; „es 
ist einseitig und kurzsichtig einerseits die Berechtigung psychophysischer Unter¬ 
suchungen zu bestreiten, andererseits in solohen psychophysischen Untersuchungen 
die einzig mögliche Antwort auf ethische Probleme zu sehen“ und „gefährlich ist 
jene Achtlosigkeit, durch die psychologische Fragen mit subjectiven Lösungen, 
ethische Probleme mit causalen Betrachtungen beantwortet werden“. Er will 
„gegenüber dem materialistischen Honismus, dem idealistischen Monismus und dem 
realistischen Dualismus die vierte Möglichkeit festgehalten haben, dass weder 
Psychisches noch Physisches real sind, dass beide Beihen nur nothwendige Con- 
structionen und Hülfsbegriffe sind, während alle Bealität im Willen und den 
Werten liegt, die als solche nur gelten und nioht sind und somit weder physisches 
noch psychisches Object sein können“. „Die Causalkategorieen auf die Willens¬ 
beziehungen angewandt, zerstören das Beich der menschlichen Wirklichkeit, die 
Werthkategorieen, auf die physischen und psychischen Objecte angewandt, zer¬ 
stören die Ordnung der Wissenschaft Dort tauschen wir den idealen Gehalt des 
Lebens für einen werthlosen Mechanismus ein, hier geben wir die ewigen Gesetze 
der Welt für Laune und Zufall hin“. 

Diese wenigen zum Theil aus ihrer Verbindung herausgenommenen und nur 
in losem innerem Zusammenhänge stehenden Sätze verdeutlichen dem Leser viel¬ 
leicht am besten, worauf es Verf. in diesem ersten Theile ankommt Er fasst 
vollständig auf philosophischem Denken, und wem dieses nicht fremd, der wird 
das Werk, insbesondere seine ersten zwei Theile mit Genuss lesen und darin 
eine sympathische Weltanschauung finden können. Der Nur-Neurolog oder Nur- 
Psychiater wird wenig, fast nichts für seine Zwecke entdecken; es müsste denn 
sein, dass ihm ein Verständnis dafür erweckt wird, dass viele Begriffe, mit denen 
er fast täglich operirt (das psychisch Unbewusste, Vielheit des Bewusstseins) 
eigentlich unmögliche Gebilde sind und den Anforderungen einer strengen Logik 
nicht standhalten. 

Als den einfachsten Bestandtheil der Wahrnehmung, der noch in noetischem 
Verhältnisse zu Bestandteilen des Wahrnehmungsobjectes steht, charakterisirt 
Verf. im zweiten Theile die Empfindung. Diese ist nicht weiter zerlegbar. Ans 
Empfindungen fügen sich zusammen die Vorstellungen. Die räumlichen und zeit¬ 
lichen Gestalten der Vorstellungen sind nioht Ordnungsformen der Vorstellungs¬ 
elemente, sondern sind selbst Voratellungsbestandtheile, die sich bei der Zerlegung 
der Vorstellung als noetische Elementgruppen erweisen; sie sind für rieh be¬ 
stehende Inhalte der Vorstellungen, die sich mit den übrigen Empfindungen ver¬ 
binden, aber nie diese selbst erst verbinden. „Die Vorstellung ist eine unendlich 


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oonaplicirte Mannigfaltigkeit, in der jedooh kein Factor enthalten ist, weloher nicht 
der Forderung vollständiger Beschreibbarkeit entspräche. Niohtvorstellungen wie 
Affecte, Triebe, Willen sind nur soweit beschreibbar, als sie sich aus Vorstellungs¬ 
elementen d. h. aus Empfindungen zusammensetzen. Für den Willen ist kein be¬ 
sonderes Willenelement characteristisch. Er lässt sich durchaus in Elemente 
möglicher Vorstellungen analysiren. Willenshandlung wie Willen stellen ein zeit¬ 
loses Zusammensein von mannigfaltigen Qualitäten vor, von denen jede prinoipiell 
den Vorstellungselementen coordinirt ist“. Des Weiteren werden die Gefühle, 
Triebe, das Aufmerken, der Urtheilsact besprochen und die Möglichkeit ihrer 
Zurückführung auf Vorstellungen und deren Elemente. 

Es schliesst dieser zweite Theil mit der Erwägung, dass wie der Physiker 
vom Molecularbegriff zum Atombegriff vorschreitet, so auch der Psycholog über 
die Empfindungen zu psychischen Urelementen hinausgehen dürfe. Verf. skizzirt 
kurz in welchen Richtungen sich ein Versuoh eine Atomistik des Bewusstseins¬ 
inhaltes zu oonstruiren bewegen müsste. 

ln der Einleitung des dritten Theil es „der psychische Zusammenhang“ werden 
zunächst die für die objectivirende Psychologie — und nur diese kommt hier in 
Betracht — unhaltbaren Seelentheorieen zurückgewiesen. Sodann stellt sich Verf. 
aus erkenntnisstheoretischen Gründen auf den Boden der introjioirenden Parallelis¬ 
mustheorie. In Widerspruch zu dem Postulat des ausnahmslosen Parallelismus 
tritt die Apperceptionstheorie. Sie verneint die Möglichkeit einer psyohophysi- 
schen Erklärung der Willensentscheidung und der Werthgefühle und fordert eine 
reine psychische Causalität. Dadurch wird sie inconsequent. Denn eine objectiv- 
psyohologische Apperoeption, die ohne psy chophysisohe Ursache entscheidet, 
stellt sich in Widerspruch zu dem Sinne der Objectivirung. Die apperceptiven 
Vorgänge sind zum Theil äusserst verwickelt, sind deswegen aber nicht unerklärbar 
und können mit anderen psychologischen Vorgängen durchaus auf eine Stufe ge¬ 
stellt werden. Ebenso kann jeder Werth Variation eine Veränderung der physio¬ 
logischen Vorgänge parallel gesetzt werden. „Es giebt keine Bewerthung, die 
nicht irgendwie die Contractionen unserer Muskeln beeinflusst. Da diese physische 
Aenderung ihre vollständige physische Ursachenreihe haben muss, so kann keiner 
Werthbeetimmung das physische Parallelismusglied im CentralnervensyBtem ab¬ 
gesprochen werden.“ In zutreffender Weise vergleicht Verf. die Bolle, die die 
Apperceptionstheorie in der Psychologie spielt, mit deijenigen, die der Vitalismus 
in der Naturwissenschaft gespielt hat. Zugleich würdigt er aber die Bedeutung 
dieser beiden Theorieea für die Wissenschaft und charakterisirt zuletzt den Apper- 
ceptionismus als die gesunde conservative Gegenbewegung gegen die oberflächliche 
Ueberschätzung der Associationstheorie. 

Diese letztere sei zwar psychophysisch consequent, wäre aber selbst mit 
Hülfe ihrer sämmtliohen Ergänzungstheorieen nicht geeignet den Reichthum des 
psychischen Geschehens zu eiklären. Dadurch, dass sie die psychologischen 
Mannigfaltigkeiten auf die Unterscheidung der Intensität und Qualität beschränke 
und das Princip der Bahn geringsten Widerstandes einführe, vermöge sie wohl 
die Herbeischaffung des Gedächtniss- und Phantasiematerials den Anforderungen 
der Parallelismustheorie gemäss darzustellen, könne aber nicht die wirkliche Ge¬ 
staltung der psychischen Mannigfaltigkeit verständlich maohen, besonders nicht 
das Phänomen der Aufmerksamkeit, der bewussten Wahl, die Lebhaftigkeit der 
Inhalte, der inneren Hemmung. Das thue die Apperceptionstheorie, doch schreibe 
sie diese ordnende Einwirkung einer physiologisch nicht determinirten psychischen 
Potenz zu. Wenn die Associationstheorie in der Nothwehr gegen die von dieser 
Seite herkommenden berechtigten Angriffe das Constellationsprincip einführe, so 
sei sie da zweifellos auf richtiger Fährte, könne aber aus ihren eigenen An¬ 
schauungen dafür keine Erklärung liefern. Es fehle ihr ein Einblick in den 


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Mechanismus, der die Auswahl der psychophysischen Erregungen vollziehe und 
zwar hauptsächlich deswegen, weil sie einer Psychophysik der Lebhaftigkeitswerthe 
entbehre, welche letztere man vielfach fälschlich mit der Intensitätereihe oder 
ähnlichem zusammengeworfen habe. 

Hier setzt nun die Actionstheorie dee Verf. ein. Sie versucht die Lebhaftig¬ 
keitswerthe der Empfindungen auf centrifugale Action zurückzuführen und zwar 
auf die von der sensorischen Endstation zum motorischen Apparat auaströmenden 
Erregungen. Nach Verf. ist es ein Hauptfehler der Apperceptions- und Associa- 
tionstheorie, dass sie einseitig die sensorische Seite des psychophysischen Ge¬ 
schehens berücksichtigen. Sie sind rein sensorische Theorieen; daran ändert auch 
wenig die Verwerthung einer Muskel- oder Innervationsempfindung. Für sie sind 
die centrifugalen Phänomene nur Beactionen bezw. rein physiologische Vorgänge, 
die die Psychologie niohts angehen. Im Gegensatz dazu behauptet die Actions¬ 
theorie, dass der motorische Factor sich nicht wie eine Nachwirkung an den 
psychophysisch-sensorischen Vorgang anschliesst, sondern selbst ein Theil der 
Bedingungen für den psychophysischen Vorgang ist. Es giebt keine Empfindung, 
der nicht ein motorischer Impuls zu Grunde liegt; „in diesem Sinne ist dann 
jede einzige Empfindung und daher jedes Element des Bewusstseinsinhaltes eine 
Innervationsempfindung.“ Die Physiologie beweist, dass thatsächlioh jede psycho¬ 
physische Erregung Ausgangspunkt centrifugaler Processe ist. Jede Sinnes¬ 
empfindung verändert das System unserer Bewegungen und Spannungen; und 
dasselbe gilt für die Vorstellung. 

Die Actionstheorie behauptet also mit der Associationstheorie zusammen, dass 
die Empfindung bezüglich ihrer Qualität von der räumlichen Lage der Erregungs¬ 
bahn zur sensorischen Endstation, bezüglich ihrer Intensität von der Starke der 
auf oentripetaler Bahn zugeführten Erregungen und über jene Theorie hinaus¬ 
gehend, bezüglich ihrer Lebhaftigkeit von der Stärke der fortgeführten centri- 
fugalen Erregung oder kurz von der Stärke der Entladung abhängig ist. Das 
heisst: die physiologische sensorische Erregung an sich ist gar nicht von psychi¬ 
schen Vorgängen begleitet, erst beim Uebergang in die Entladung wird sie 
psychophysisch. Sensorische Erregung ohne Entladung entspricht der vollständigen 
Hemmung; je vollständiger die Entladung, desto lebhafter die Empfindung. Ob 
dabei die sensorische Reizung peripher oder associativ erfolgt, ist gleichgültig. 
Nun schickt die Hirnrinde ihren Bewegungsanstoss nicht direct zum Muskel, 
sondern erst über die subcorticalen Centren; dort steht jedes motorische Centrum 
zu einem antagonistischen in Beziehung. Die physiologische These der Actions¬ 
theorie sagt nun, dass die Erregung eines subcorticalen motorischen Centrums 
zugleich eine Hemmung im antagonistischen Centrnm hervorruft, das heisst die 
von der übergeordneten Rinde ausgehehnde Entladung wird unwirksam, weil das 
gehemmte Centrum ihr Widerstand entgegensetzt. „Eine Empfindung ist also ge¬ 
hemmt, wenn die Entladungsbahn der sensorischen Erregung zu einem subcorti¬ 
calen motorischen Centrum führt, das wegen der gleichzeitig ablaufenden Er¬ 
regung des antagonistischen Centrums selbst gehemmt ist und so der Entladung 
Widerstand entgegensetzt. So ist das gesammte Spiel der Verstärkungen und 
Hemmungen in den Millionen der psychophysischen Elemente bedingt durch die 
reciproken Hemmungswirkungen der antagonistischen rein physiologischen Be- 
wegungscentren unterhalb der Rinde.“ 

Die Actionstheorie belehrt uns also nicht nur wie die Associationstheorie 
über die Existenz der Hemmungen und Förderungen centraler Vorgänge, sondern, 
indem sie sich gründet auf die physiologische Gegensätzlichkeit aller motorischen 
Impulse, die ihren typischen Ausdruck im Verhältnisse der Strecker und Beuger 
findet, auch über die Art des Zustandekommens dieser Phänomene. „Alle sen¬ 
sorischen Erregungen des Gehirns können als solohe friedlich nebeneinander be- 


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stehen; deswegen erschien es hoffnungslos, das Spiel des wechselseitigen Förderns 
und Hemmens aus dem Verhältnisse der sensorischen Processe selbst abzuleiten, 
nur die Handlungen, die ihnen entsprechen, lassen sich nie zusammen aus führen.“ 
Eine Aotion kann nie sein, ohne dass eine entgegengerichtete ausgeschlossen wird. 

Es wird nun des Näherem ausgeführt, wie dies antagonistische Verhältniss 
der subcorticalen motorischen Centren, das Verf. zunächst ganz einfach schematisch 
darstellt, äusserst complicirt sein kann; wie die Intensität der cortioalen Entladung, 
die ihrerseits den Grad der Lebhaftigkeit des Bewusstseinsinhaltes bedingt, ab¬ 
hängt von der Assimilation und Dissimilation, vom Widerstand oder der Be¬ 
wegungsbereitschaft eben dieser subordinirten Centren. 

Werden ausser dem Lebhaftigkeitswert noch andere Werthqualitäten aner¬ 
kannt (Bekanntheit, Gültigkeit, Zukünftigkeit, Raumrichtung), so versucht die 
Actionstheorie auch für diese physiologische Begleiterscheinungen wahrscheinlich 
zu machen. Sie besagt: „schon in der einzelnen Zelle braucht die Entladung 
nicht immer auf einem Wege vor sioh zu gehen, sondern kann zu verschiedenen 
Fibrillen gehen und in verschiedenen Collateralen enden. So können in derselben 
Zelle räumlich verschiedene Entladungsvorgänge möglioh sein; und diese räum¬ 
lichen Variationen der Entladung sind es, welche den wechselnden Werthnuancen 
der Empfindungen zu Grunde liegen. Wie also die Lebhaftigkeit der Empfindung 
von der Stärke der Entladung, so würde die Werthnuanoe der Empfindung von 
der räumlichen Lage der Entladungsbahn abhängig sein. 

Der Schluss dieses dritten Theiles des Buches skizzirt die Anwendung der 
Actionstheorie auf die strittigen Phänomene der Aufmerksamkeit der Apperception 
im engeren Sinne, des Urtheiles. Die Durchführung der Theorie auf die einzelnen 
Probleme soll einem später folgenden speoiellen Theile Vorbehalten bleiben. 

Ueber ein Werk von der Grösse und Bedeutung des Verf. lässt sich weder 
ein erschöpfender Ueberblick geben — es muss, um verstanden und gewürdigt 
werden zu können, durchaus im Orginal gelesen werden —, noch wäre es an¬ 
gebracht, jetzt sohon ein abschliessendes Urtheil darüber zu fällen. Für die Theorie 
des Verf. spricht ihre logische Construction, ferner der Umstand, dass die That- 
sachen der empirischen Physiologie sie bestätigen und die der anatomisch-histo¬ 
logischen Forschung ihr nicht widersprechen. Vorbereitet sind die Ausführungen 
des Verf. durch eine Menge physiologischer und psychologischer Arbeiten; und es 
sind nioht neue Thatsachen oder Entdeckungen, auf denen er fasst. Er zieht nur 
das Schlussfacit, das gewissermaassen schon in der Luft lag. Zu theilweise demselben 
oder sehr ähnlichem Resultat scheint E. Storch in seiner neuesten Arbeit „Ver¬ 
such einer psyohophysischen Darstellung des Bewusstseins“ (Berlin, S. Karger. 
1902) zu kommen, die Ref. zunächst allerdings nur aus einem Referat kennt 

Meitzer (Grosshennersdorf). 


Pathologische Anatomie. 

10) Zur pathologisohen Anatomie der Hemiathetose. Zugleloh Beitrag 
zur Eenntniss der aus der Vierhügelgegend absteigenden Bahnen 
beim Menschen, von Dr. Hans Haenel, Assistenzarzt am Stadtkranken¬ 
haus Dresden-Friedriohstadt. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XXI.) 

21jähr. Mann, seit der Geburt oder frühesten Kindheit an oerebraler Kinder¬ 
lähmung leidend, seit einem Jahr wegen syphilitischer Infeotion mit Secundär- 
erscheinungen in Behandlung und seit */, Jahr an Phthise erkrankt. Es finden 
sich folgende Störungen: Atrophie der oberen und unteren Extremitäten links, 
starker Pes equino-varus links, Athetose der linken Hand bei kaum verminderter 


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grober Kraft, Spasmen mittleren Grades im linken Arm, Sehnenreflexe auf der 
linken Seite aufgehoben, linker Facialis bei der Mimik eine Spur sc h la ff er als 
rechts, im Uebrigen gleioh gute Innervation beider Geeichtshäliten, Pupillen gleieh 
weit und prompt reagirend, kein Nystagmus, Zungen und Gaumen gerade, kein* 
Sensibilitätsstörungen, keine Epilepsie. Exitus in Folge der Lungentuberculoee. 
Es fand sich die Narbe eines alten Herdes im Beginn des reohten Hirnsch e n kel» 
fusses unterhalb der Linsenkernschlinge mit Fortsetzung nach abwärts durch den 
inneren Kniehöcker und auf die Oberfläche des hinteren Vierhügels. Durch diesen 
Herd ist der Hirnschenkelfuss vollkommen zerstört, die ganze Pyramidenbahn 
secundär geschwunden und die reohte Brückenhälfte stark atrophisch. Während 
somit in den ventralen Theilen des Mittelhirns und der Medulla oblongata ein 
Defeot besteht, ist es in den dorsalen Abschnitten zu einer unter normalen Ver¬ 
hältnissen nicht vorhandenen Entwickelung von Nervenfasern gekommen, indem 
die in der unteren Hälfte fehlenden Fasern gleichsam in die obere hineingerutscht 
sind. Dieselbe beginnt dicht unterhalb des Herdes, bedingt im Mittelhirn eine 
Volumsvermehrung der rechten dorsalen Hälfte und lässt sich bis unterhalb der 
Pyramidenkreuzung nachweisen, von wo an die abnormen Fasern in der weissen 
Substanz des Rückenmarks untergehen. Ein Theil derselben entspricht schon be¬ 
kannten Bahnen: Vierhügelvorderstrangbahn und Monakow’sches Bündel, acces- 
sorische Schleife (Bechterew) links. Die drei Bahnen sind motorische Leitungen 
für die unwillkürlichen und reflectorisohen Impulse der Bewegung. Sie sind so¬ 
mit durch diesen Befund auch beim erwachsenen Menschen sichergestellt und 
haben vielleicht hier die Athetosebewegungen, möglicherweise auch die Willkür¬ 
bewegungen zu Stande gebracht 

Die anderen hypertrophischen Faserbündel der Haubenetage konnten nicht 
zu bekannten Bahnen in Beziehung gebracht werden. Sie wenden sich zum Theil 
mit dem Bindearm nach dem Kleinhirn, theils verbinden sie die rechte und linke 
Hälfte, besonders in der Gegend der hinteren Vierhügel, in abnormer Weise oder 
verlieren sich in der Gegend der Himnervenkerne. Verf. fasst dieselben als 
Bahnen auf, welche für durch den Herd unterbrochene vicariirend ein treten und 
sich in Folge davon stärker entwickelt oder neugebildet haben. 

Der Fall beweist, dass im Gegensatz zu Monakow die Pyramidenbahn für 
das Auftreten von posthemiplegischen Bewegungsstörungen nicht nothwendige Vor¬ 
bedingung ist und stützt die zuerst von Bonhöffer abgegebene Anschauung, 
nach welcher die Athetosebewegungen in einer Störung der Verbindung zwischen 
Kleinhirn und Regio subthalamica, speciell dem rothen Kern, zu suchen sind. 

E. As oh (Frankfurt a/M.). 


11) Endarteriitis oartilagiaosa der grossen Himgefftsse, von Marburg. 

(Centralbl. £ allg. Patholog. u. patholog. Anat. 1902. Nr. 8 u. 9.) 

Verknorpelung des Endausgangs von Gefassprocessen, bisher nirgends erwähnt, 
konnte Verf. in 3 Fällen beobachten; diese betrafen alle hochgradiges Atherom 
mit entzündlichen Erscheinungen. Im ersten Falle war die Arteria oerebn media, 
im zweiten die Basilaris, im dritten die Arteria cerebri posterior afficirt. 

Der Knorpel, der sich von dem gewucherten Bindegewebe der Intima aus zu 
entwickeln schien, bot das Aussehen des echten hyalinen Knorpels. Denselben 
als Vorstufe einer Verknöcherung aufzufassen, verbietet die regressive Veränderung, 
die derselbe eingeht, sowie das Fehlen von Kalk in seiner Umgebung. Deeshalb 
neigt Verff. der Meinung zu, dass es sich hier um einen echten metaplastischen 
Process handelt, der als Endausgang von Endarteriitis vielleicht als Endarteriitis 
oartilaginosa zu bezeichnen wäre. Pilcs (Wien). 


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12) Degeneration in hemiplegia, with special referenoe to a ventro-lateral 
pyramidal traot, the aooesaory flllet and Fioks bandle, by Stanley 
Barnes. (Br&in. 1901. Autumn.) 

Die Untersuchungen des Verf/s sind an 5 Gehirnen mit Marchi-Methode ge¬ 
macht. Sie ergeben, dass sich ein entweder in der motorischen Rinde oder von 
dem Corpus lenticulare stammendes, proximal mit der Pyramide zusammenlaufendes 
Bündel im Pons oder tiefer unten von der Pyramidenbahn abzweigt, auf der¬ 
selben Seite bleibt und in der Gegend des Gowers'schen Bündels im ventro- 
lateralen Theile des Seitenstranges sehr verschieden weit als compactes Bündel 
nach unten läuft (ventrolaterales Pyramidenbündel). Im Bezug auf die acoessorische 
Sohleife, die er immer degenerirt fand, stimmt Verf. so ziemlich mit Ho che 
überein; es bandelt sich um Pyramidenfasern, die sich eine Zeit lang der Schleife 
beimischen und schliesslich zum motorischen Trigeminus- und Facialiskem der¬ 
selben und der anderen Seite gelangen. Zum Hypoglossuskern und zu den Augen¬ 
muskelkernen gelangen diese Fasern nicht. Die aocessorisohe Schleife bekommt 
im Pons Verstärkungen von den dorsalsten Lagern der Pyramiden. Auch 
Bechterew’s mediale accessorisohe Schleife fand sich degenerirt. Pick’s Bündel 
stammt wahrscheinlich aus der Pyramidenbahn gleich nach der Kreuzung, steigt 
von da aufwärts und verliert sich in der Gegend des Nucleus ambiguus und 
vielleicht des Facialiskem es. Es hat also dieselbe Function wie die accessorisohe 
Schleife für mehr medullarwärts gelegene motorische Kerne, aber vor allem für 
die gekreuzte Seite. Bruns. 

13) Das foyers laounaires de dösin tögration et de diffdreats autres ötats 
eavRairee du oerveau, par Pierre Marie. (Revue de Mödecine. 1901. S. 281.) 
Verf. betont, dass als anatomische Ursache der Hemiplegie der Greise 

verhältnissmässig selten eine grössere Hämorrhagie oder Erweichung gefunden 
wird; der häufigste anatomische Befund sind vielmehr kleine, etwa linsen- bis 
erbsengrosse lacunäre Herde, die in geringerer öder grösserer Anzahl (bis zu 8—10 
und mehr) ihren Sitz hauptsächlich im Linsenkern und Thalamus, doch auch in 
der inneren Kapsel, im Centrum ovale, im Balken u. a. haben. Auch in der 
Brücke kommen diese kleinen Herde vor, nur selten im Kleinhirn, niemals in den 
Himschenkeln, in der Oblongata und im Rückenmark. Die Entstehung der Herde 
geht sioher von den Blutgefässen aus. Es handelt sich um die Folgen einer 
(sehr oft localen) Arteriosklerose der Gehirnarterien. Das Gehirn im Ganzen 
ist atrophisoh, die Windungen sind schmal, die Furchen vertieft. Die Dura ist 
meist mit dem Schädel verwachsen, die Pia ist trübe und verdickt, die Ventrikel 
sind erweitert. Die klinischen Symptome dieses Zustandes bestehen meist in 
einer zwar ziemlich plötzlich, aber ohne stärkeren Insult auftretenden, meist un¬ 
vollständigen Hemiplegie. Der Arm ist nicht gelähmt, aber schwach und un¬ 
geschickt. Der Gang geschieht mit kleinen Schritten und etwas vorgebeugtem 
Körper; das stärker betroffene Bein sohleppt ein wenig nach. Diese Gangart 
(marche k petita pas) ist ungemein charakteristisch für den „6tat lacunaire“ des 
Gehirns. Oft ist die Spraohe etwas gestört, häufig auch das Schlucken. Die 
Intelligenz ist abgeschwächt, die Kranken sind zum Lachen und Weinen geneigt. 
— Von „6tat laounaire“ unterschieden ist der „6tat criblö“ des Gehirns, den 
Durand-Fardel genau beschrieben hat. Auoh diesen Zustand beobachtete man 
oft im Gehirn der Greise. Er beruht auf einer Erweiterung der perivasculären 
Lymphräume. Endlich ist nooh eine wiederholt beschriebene Form der cystösen 
Entartung (porose cöröbrale) des Gehirns zu erwähnen, die aber, wenigstens in 
vielen Fällen, sicher eine postmortale Fäulnissersoheinung ist, abhängig 
von der Anwesenheit gasbildender Bakterien. Strümpell (Erlangen). 


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Pathologie des Nervensystems. 

14) Troubles trophiques et troubles de la sensibilitö ohes les hdmlpl6giquee. 

par P. Chatin (Lyon). (Revue de MSdecine. 1900. S. 781.) 

Verf. geht von der zuerst von Morat, Brissaud u. A. ausgeeprochenen 
Ansicht aus, nach welcher auch der Ansfall sensibler (centripetaler) Er¬ 
regungen auf die Nervenzellen von bemerkbar schädlichem trophischem Einflüsse 
ist. Er stellte sich die Frage, ob das Vorkommen trophischer Störungen bei der 
Hemiplegie daher vielleicht zu den Sensibilitätsstörungen der Hemiplegiker in 
Beziehung steht, ln 19 Fällen von Hemiplegie wurden daher die trophischen 
und sensiblen Störungen genau untersucht und mit einander verglichen. Es zeigte 
sich, dass in 11 Fällen von Hemiplegie mit deutlichen trophisohen oder vaso¬ 
motorischen Störungen 10 Mal deutliche Sensibilitätsstörungen vorhanden waren, 
während in 8 Fällen von Hemiplegie ohne trophische Störung auch die Sensi¬ 
bilität nicht in bemerkenswerther Weise verändert war. Die trophischen 
Störungen bestanden hauptsächlich in Muskelatrophieen (besonders im Deltoideua, 
ausserdem aber auoh im Oberarm, Vorderarm und in den kleinen Handmuskeln, 
in viel geringerem Grade in der unteren Extremität), Kälte und Cyanoee der 
Haut, Oedem am Handrücken, glossy-skin und Veränderungen der Nägel. Die 
Sensibilitätsstörungen waren stets am stärksten ausgesprochen an der Hand 
und den Fingern und nahmen naoh dem Arm und der Schulter zu rasch ab. 
Auoh an der unteren Extremität sind sie am Fuss am deutlichsten nachweisbar. 
Die Schleimhäute (Zunge, Mund, Conjunctiva) zeigten normale Sensibilität. Die 
Störung bezog sich naoh dem Verf. ziemlich gleichmässig auf alle Qualitäten der 
Empfindung. Oft war die Störung für thermische Reize noch stärker als für 
tactile Reize. Dabei war die Wärmeempfindung oft stärker gestört als die Kälte¬ 
empfindung. Wiederholt zeigte sich insbesondere stark verlangsamte Perception 
der Wärmeempfindung, eine Erscheinung, die nicht auf vasomotorische Störungen 
bezogen werden konnte, wie besondere Versuche an Hautstellen, in denen künst¬ 
lich durch Schröpfköpfe vasomotorische Störungen hervorgerufen wurden, zeigten. 
Störungen des Muskelsinns wurden häufig gefunden. Der sogen, stereognoetiscbe 
Sinn stand in directer Beziehung zu den erhaltenen einzelnen Sinneeempfindungen 
und der erhaltenen Motilität. 

Somit ist also ein Einfluss der Sensibilitätsstörungen auf die trophischen 
Störungen im höchsten Grade wahrscheinlich. Allein sicher sind letztere nicht 
allein von den ersteren abhängig, sondern mindestens ebenso sehr oder noch mehr 
von den centrifugalen (motorischen) Erregungen. Die Annahme besonderer „tro¬ 
phischer Nerven“ ist überflüssig und gänzlich unerwiesen. Die trophischen Ver¬ 
änderungen sind das Ergebniss einer jeden Störung im gesammten Reflexbogen, 
in den die motorische Zelle eingeschaltet ist. Sie treten daher um so stärker 
hervor, wenn beide Abschnitte dieses Reflexbogens erkrankt sind. Die Muskel¬ 
atrophie der Hemiplegischen ist also das gemeinschaftliche Resultat des Ausfalls 
einerseits der sensiblen (reflectorischen), andererseits der motorischen und vaso¬ 
motorischen Erregungen. Strümpell (Erlangen). 

15) Essai sur l’hömiplögie des vieillards. Les laonnes de däelntdgration 

oöröbrale, par Jean Ferrand. (Paris, 1902.) 

Ein genaues, auf zahlreiche Einzelfälle sich gründendes Studium des Kranken- 
und Obductionsmaterials zu Bicetre hat es Verf. ermöglicht, eine neue Krankheits¬ 
form des Greisenalters aufzustellen, für deren nosologische und pathologisch¬ 
anatomische Selbständigkeit er zahlreiche Thatsachen anfährt. Das Auffallendste 
dabei ist, dass nach Beinen Angaben diese Krankheitsform nicht nur keine Selten¬ 
heit ist, sondern die Ursache von 90°/o a ^ er Hemiplegieen jenseits des 60. Lebens- 


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jahres darstellt. Dass sie bisher übersehen wurde, liegt haupts&chlich daran, dass 
die üblichen Sectionsschnitte die Herde nicht oder nur sehr unvollkommen zur 
Geltung kommen lassen; sie sind deutlich nur auf einem durch die Stammganglien 
gelegten Horizontalsohnitt, dem sogen. Flechsig’schen Schnitt. Auf einem solchen, 
der die kleinen Gefasse senkrecht zu ihrer Aze durchschneidet, sieht man, fast 
stets auf die grauen Kerne der Stammganglien beschränkt, nur selten in die 
innere Kapsel, nie in andere Gebiete übergreifend, kleine rundliche oder läng* 
liehe, unregelmässig geformte Zerfallsherde bezw, Gewebslücken („Lacunen“), mit 
ungleichmässiger, rauher Wand, die eine graue, manchmal schwach ockergelbe 
Farbe zeigt, im Inneren nervöse Zerfallsproducte und regelmässig einen Gefäss- 
querschnitt enthalten. Die Grösse schwankt von der eines Hirse* oder Hanfkorns 
bis zu der einer Erbse oder Bohne. Meist zeigt die Lacune Neigung zur Ver¬ 
narbung, Sklerosirung des umgebenden Gewebes. Im übrigen fand man bei' dem 
betreffenden Individuum meist eine Adhärenz zwischen Dura und Schädel und 
eine Dilatation der Ventrikel, häufig Arteriosklerose in verschiedenen Gefässgebieten. 

Histologisch unterscheidet Verf. zwei Phasen der Entwickelung: die erste 
ist charakterisirt durch eine einfache Rarefication des Gewebes um eine Arteriole, 
die zweite durch eine Trennung zwischen dieser und dem Gewebe, die Ausbildung 
eines Gewebsdefectes, einer eigentlichen Lacune. Das centrale Gefäss zeigte 
hauptsächlich Veränderungen der Media, Verdickung derselben, Ersatz des Muskel- 
durch Bindegewebe, war aber nie obliterirt oder aneurysmatisch verändert und 
enthielt stets noch rothe Blutkörperchen; die Intima war normal. Die nächste 
Umgebung, sowie die Wand der Lacune zeigten zahlreiche ausgewanderte Leuko- 
cyten, Körnchenzellen und Detritus von Glia, Mark, weissen und rothen Blut¬ 
körperchen. Die Rarefication des Gewebes (Markzerfall nach Marchi) ist noch 
eine Strecke weit in die Umgebung nachweisbar, Ganglienzellen fehlen in dieser 
Zone. In späteren Stadien wird die Lücke meist durch fibröse und gliöse Fäden 
zum Theil wieder ausgefüllt. 

Diesem wohlcharakteriBirten anatomischen entspricht nach dem Verf. ein 
ebenso umschriebenes klinisches Bild: Der Kranke bekommt einen leichten Anfall, 
ohne Bewusstseinsverlust, fällt um, kann sich aber gleich wieder aufrichten, und 
zeigt eine partielle und incomplete, schlaffe Hemiplegie, manchmal mit dys¬ 
arthrischen, aber ohne jede Sensibilitätsstörungen. Diese Hemiplegie dauert einige 
Minuten bis höchstens einige Wochen, um dann bis auf kaum nachweisbare 
Störungen zu verschwinden. Contracturen stellen sich nie ein, nur die Reflexe 
bleiben allgemein erhöht. Die gewöhnlichste und auffallendste Folge ist eine 
Veränderung des Ganges, der Gang mit kleinen Schritten, häufig auch eine Ver¬ 
minderung der geistigen Regsamkeit, und die als „rire spasmodique“ bezeichnete 
Veränderung des Gesichtsausdrucks. — Die Kranken sterben, meist erat lange 
Zeit nach dem ersten Anfall, an intercurrenten Krankheiten oder an einer in die 
Höhle der Lacune erfolgenden grösseren Hämorrhagie, durch Ruptur des seines 
Wanddruckes beraubten Gefässes veranlasst, oder unter Wiederholung der „lacu- 
nären“ Anfälle an geistiger und körperlicher Schwäche, mit Blödsinn und In- 
continenz. 

Die Aetiologie fällt im Allgemeinen mit der der Arteriosklerose zusammen. 

Ausführlich geht Verf. auf die Differentialdiagnose und die Abtrennung seiner 
Krankheitsform von der Pseudobulbärparalyse, von der Hämorrhagie, der Er¬ 
weichung, der entzündlichen Encephalitis ein, ferner auf die Unterschiede des 
anatomischen Bildes von dem sogen. 6tat crible und der als Porose bekannten 
cadaverösen Veränderung des Gehirns. Bei der Erörterung der Pathogenese 
kommt er zu dem Ergebniss, dass die lacunären Zerfallsherde abhängig sind von 
arteriellen Gefässveränderungen: die Sklerose der kleinen Arterien führt zu einer 
Art chronischer Encephalitis, die von selbst durch Sklerosirung heilt; vielleicht 


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spielt der Liquor oerebro-spinalis in den GefÜssscheiden dabei eine reisende Rolle. 
(Schwierig bleibt bei dieser Anschauung nur die Erklärung der Anfälle, da Verf. 
bei der reinen Form von einer Hämorrhagie oder Erweichung nichts wissen 
will. Ref.) . 

Verf. bezeichnet die Affection pathologisch •anatomisch als: Encephalitis 
chronica sderotica senilis und hält sie für die häufigste Ursache der leichten 
heilbaren Hemiplegieen der alten Leute. H. Haenel (Dresden). 


10) Sur un oas d’hemorragies multiples de l’enoephale ohes le cheral, 

par Leabre et Forgeot. (Journal de möd. v6t. de Lyon. 1902. S. 154.) 

Die Verff. erbringen einen interessanten Beitrag zum Capital der Hirn¬ 
blutungen bei den Thieren. 

Es handelte sich in der vorliegenden Beobachtung um ein 7jähriges Beit¬ 
pferd, das ganz unvermittelt an leichten Gangstörungen erkrankte, die sehr rasch 
unter Temperatursteigerung Zunahmen und in eine allgemeine motorische Paralyse 
übergingen. Tod nach 2 Tagen im Coma. 

Die Section ergab in den Organen des Brust- und Bauchraumes nur die 
Existenz unbedeutender subepithelialer Hämorrhagieen am Blasenhalse and im 
Becken beider Nieren. 

Am Grosshirn fanden sich sehr zahlreiche Blutungen in der Pia und den 
centralen Markmassen, wogegen der Cortex überall frei geblieben war. Die um¬ 
fangreichste Hämorrhagie lag an der Convexität der rechten Hemisphäre, an der 
sie etwa ein Drittel ihrer Oberfläche einnahm. In der Mitte der Blutung war 
die Gehirnsubstanz in der Ausdehnung eines Zwei-Francstüokes erweicht. Der 
Herd der Consistenzverminderung war von der anscheinend intacten Hirnrinde 
überdeckt und reichte in die Tiefe bis nahe an das Corpus callosum. Kleinere 
Blutungen ohne begleitende Erweichung fanden sich in der Gegend beider 
Ammonshörner, an der linken Hemisphäre und an mehreren Stellen der Klein- 
himoberfläche. Eine Embolie konnte nicht nachgewiesen werden. Eine bakterio¬ 
logische Untersuchung wurde nicht vorgenommen. Diesem letzteren Umstande 
ist es wohl zuzuschreiben, dass die entzündliche Natur des Processes übersehen 
werden konnte, die sich durch die Multiplicität der Herde, die Erweichung, die 
Fiebersteigerung und die Ecchymosirungen der Schleimhaut des Harnapparates 
ziemlich deutlich verrieth. Dexler (Prag). 

17) On intracranial thrombosis as the oauae of double optio aeuritia in 

oases of ohlorosls, by C. 0. Hawthorne. (Brit med. Jours. 1902. 

8. Februar.) 

Bei einem 17jährigen, an Chlorose leidenden Mädchen trat plötzlich beider¬ 
seits Neuritis optica und gleichzeitig Doppeltsehen in Folge Lähmung des rechten 
M. externus ein. — Beide Affectionen verschwanden ebenfalls gleichzeitig nach 
einigen Wochen unter Ruhe und Darreichung von Eisenpräparaten. Verf. nimmt 
für die Entstehung der genannten Krankheitserscheinungen eine gemeinschaftliche 
Ursache, und zwar eine intracranielle Thrombose an. Verf. verweist auf das von 
anderen Autoren (u. A. Welsch) gefundene relativ häufige Vorkommen von 
Sinusthrombosen bei Chlorotischen. E. Lehmann (Oeynhausen). 


18) Sur quelques symptomes interessante döterminös par des lösten« 
oiroonsorlptes de l’enoephale etc., par Toubert. (Gazette des höpitaux. 
1901. S. 1373.) 

Selbstmordversuch durch Schuss in die linke Schläfe. Darauf Erscheinungen 


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von Hirn druck. Bei der Trepanation wird ein endocranielles Hämatom nicht ge¬ 
funden. Rechtsseitige Hemiparese der Geeichte- und linksseitige der Extremitäten- 
muscnlatur. Rechtsseitige Mydriasis; beide Pupillen starr. 12 Stunden später 
vorübergehende Hyperthermie. Albuminurie und Glycosurie. Exitus am 4. Tage. 
Bei der Obduction u. a. eiterige Bronchopneumonie, für welche Verf. auch die 
cerebrale Affection verantwortlich machen will (Vagustheorie). Bulbärer Genese 
sei die Glyoosurie; die Erscheinungen von Compressio sind surückzufiihren auf 
Contusio oerebri. Duroh den Schuss waren in Mitleidenschaft gezogen der rechte 
Oculomotorius, der Tr actus opticus und der rechte Hirn schenket. Die transi¬ 
torische Hyperthermie sei auch cerebrales Reizsymptom. Pilcz (Wien). 


19) Ueber einen Fall von Erweichung im dorsalen Theil der Brftoke, von 

Dr. Albert Ransohoff in Hoerdt i/E. (Archiv £ Psych. u. Nervenkrankh. 

XXXV. 1902.) 

Bei einer Frau, die vom 26. bis zum 82. Jahr und ausserdem im 50. Jahr 
psychisch krank gewesen war, trat eine den früheren geistigen Erkrankungen 
ähnliche Alienation nach einem Schlaganfall im 55. Jahre auf. Im 57. Jahre 
erfolgte der Tod. Ausser den in schreckhaften und drohenden Sinnestäuschungen 
mit Depression der Stimmung bestehenden Symptomen fanden sich im Anschluss 
an den Insult Lähmung des linken Facialis, beider Abduoentes, vorübergehend 
des rechten, dauernd des linken Rectus internus. Die mit Ataxie verbundene 
Parese der rechtsseitigen Extremitäten ging später auch auf den linken Arm und 
das linke Bein über. Ausserdem wurden articulatorische Sprachstörung, rechts¬ 
seitige Sensibilitätsstörungen und anhaltendes Zwangslachen sowie sub finem 
trophische Störungen constatirt. 

Bei der Section fanden sich Hypertrophie des Herzens, besonders des linken 
Ventrikels, Verdickung und Verkürzung der Mitralklappen, mässige Schrumpf¬ 
niere, Arteriosklerose, besonders Verkalkung der Arterien der Hirnbasis sowie ein 
thrombotischer Erweichungsherd im dorsalen Theil der Brücke, der namentlich 
den linken Abducenskera, den linken Facialiskern, das rechte hintere Längs¬ 
bündel, beide Pyramiden und die linke Schleife zerstört hatte. Die Gehirn¬ 
windungen waren verschmälert. Auf beiden Hirnhälften fanden sich lacunäre 
Einsenkungen besonders im Stirn- und Scheitellappen. 

Verf. hat u. a. auch das Zwangslachen in den Bereich seiner Betrachtungen 
gezogen und erklärt es für eine Störung in den reflexheramenden Bahnen, wahr¬ 
scheinlich im Gebiet der thalamospinalen Züge, die in der Haube der Brücke ge¬ 
schädigt waren. Der Kranken war gar nicht lächerlich zu Muthe, wenn sie 
lachte; sie musste wider Willen lachen. Der das Lachen hervorrufende Reiz 
gelangte offenbar nicht zu dem corticalen Centrum. 

Georg Ilberg (Grossschweidnitz). 


20) Two oaees of astereognosia, by Diller. (Brain. 1901. Winter.) 

In den beiden Fällen des Verf.’s handelte es sioh um einen Verlust des 
stereognostischen Sinnes in der rechten Hand. Im ersten Falle, in dem zugleich 
Tabes bestand, war die Ursache eine Verletzung der mittleren Theile der Central¬ 
windungen. Tast-, Temperatur- und Schmerzgefühl war erhalten; neben der 
Arte reo gnosis bestand noch Mangelhaftigkeit des Lage-, Bewegungs- und Raum¬ 
gefühls. Im zweiten Falle handelte es sich, da Convulsionen und Neuritis optica 
bestanden, wahrscheinlich um einen Tumor. Die Krämpfe waren nicht localisirt 
und Lähmungen bestanden nicht; trotzdem möchte Verf in Analogie zu seinem 
ersten Falle den Tumor über den Central- und nicht über den Parietalwindungen 


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localisiren. Die Rinde der Parietallappen ist das Centrain nur für die einfacheren 
sensorischen Eindrücke: Tast-, Schmerz-, Temperaturempfindungen. Die com- 
plicirteren wie Lage-, Bewegungs- und Muskelgefühl sowie der Ranmsinn leiden 
bei Läsionen der Centralwindungen. Bruns. 


21) Die Beziehungen der Arteriosklerose za Erkrankungen des Gehirns, 

von Prot Dr. Windscheid in Leipzig. (Münchener med. Wochenadir. 

1902. Nr. 9.) 

Die Erscheinungen der Arteriosklerose des Gehirns treten durch eine gewiae 
geistige Ermüdung und Erschöpfung und namentlich dadurch hervor, dass die 
betreffenden Patienten ganz plötzlich aufhören auf geistigem Gebiet etwas 
Neues zu leisten, indem die Conceptionsfähigkeit für neue Gedanken gestört ist 
Es tritt dann eine Vereinigung von Kopfschmerzen, Schwindel und Gedächtniss- 
schwäche sowie eine auffallende Intoleranz gegen Alkohol hinzu. Sehr häufig 
stellten sich nach einem relativ leichten Kopftrauma schwerere Störungen des 
Nervensystems ein und waren dann meist vorher arteriosklerotische Veränderungen 
an den Gehirnarterien vorhanden. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


22) Ein Beitrag zur Kenntnis« der Encephalitis, von Walther Spiel¬ 
meyer, Assistent am pathologischen Institut in Halle. (Archiv £ Psych. u. 
Nervenkrankh. XXXV. 1902.) 

Ein Fabrikarbeiter erlitt im 55. Lebensjahre einen Unfall, in Folge dessen 
einige Finger der rechten Hand amputirt werden mussten, bekam einige Zeit 
später Krampfanfälle ohne Bewusstseinsstörung mit klonischen Zuckungen, die vom 
rechten Arm ausgingen und beide Beine in Mitleidenschaft zogen, wurde im 
59. Jahr stumpf und unruhig, musste in die Hallenser Klinik gebracht werden 
und starb daselbst nach wenigen Tagen. In der Klinik wurden Parese des 
rechten Facialis, Abweichen der Zunge nach rechts, vorsichtiger, kleinschrittiger 
Gang, aphasische Symptome, Benommenheit und Verworrenheit constatirt. Die 
von aussen fühlbaren Arterien waren sklerotisch. 

Bei der Section fanden sich feste Verwachsung der Dura mit dem Cranium, 
starker Hydrops meningeus, Trübung der Arachnoidea über dem Stirnhirn, Atrophie 
der Stirnwindungen, Erweiterung der Seitenventrikel, mässige Granulirung ihres 
Ependyms. Ausser drei alten Cysticerken wurden zahlreiche Herde in der weissen 
Substanz beider Grosshirnhemisphären und des Kleinhirns entdeckt, welche theil* 
punktförmige, theils hirsekorngrosse, theils hanfkorngrosse Ausdehnung hatten 
und dem Mark nach der Conservirung in Formalinlösung ein Aussehen gaben, 
als ob es mit Sommersprossen übersät sei. Mikroskopisch wurde ein 
nichteitriger enoephalitischer Process festgestellt. Die Aehnlichkeit der Herde 
mit denen bei Aetzenoephalitis war auffallend. Ein entzündlicher Reiz hat sich 
auf dem Weg der Blutbahn verbreitet und in erster Linie zu starker Proliferation 
grosser epitheloider Zellen aus Neurogliaelementen geführt. Eine Betheiligung 
der leukocytären Elemente hatte nicht statt, weil im Centralnervensystem bei Ent¬ 
zündungsprocessen die Neurogliazellen eine ähnliohe Aufgabe wie die weissen 
Blutkörperchen in anderen Geweben haben. Der Process verlief in Attaquen und 
wurde immer wieder acut. Klinisch äusserte sich diese Hirnerkrankung in epi- 
leptiformen Anfällen und zuletzt als seniler Blödsinn. 

G. IIberg (Groesschweidnitz). 


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23) Beitrag zu der Lehre von der infantilen Hemiplegie, von G. Marinesco. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 16.) 

Die infantile Hemiplegie ist ein Symptomencomplex, abhängig vom jugend¬ 
lichen Alter des Individuums, von der Theilnahme der Hirnrinde an den Ver¬ 
änderungen und von einem für die volle Entwickelung der Symptome genflgend 
langen Zeitraum. Das oonstante Auftreten vasculär-entzündlicher Processe ist 
nicht sicher und hei der nicht einheitlichen Krankheit auch nicht zu erwarten. 

Verf. untersuchte histologisch 7 Fälle von infantiler Hemiplegie in den ver¬ 
schiedensten Entwickelungsstadien: meist waren Infectionskrankheiten voraus¬ 
gegangen, einmal Hydrocephalus die Ursache. In 3 Fällen fand sich einfache 
Hikrogyrie (ohne Meningitis, ohne Erweichungsherde u. s. w.), in zwei anderen 
Herdaffectionen. 

Bei einfacher Mikrogyrie fanden sich in directem Zusammenhang mit der 
Hemiatrophie des Hirns und entsprechend dem Grade derselben Zellveränderungen 
in mehreren Schichten, mit besonderer Vorliebe an den mittleren und grossen 
Pyramidenzellen. Die Ursache dieser gewiBBermaassen systematisirten Atrophie 
liesB sich nicht sicher ergründen, jedenfalls waren nicht ausschliesslich vasculäre 
Processe im Spiele. 

Die Riesenzellen der sensomotorischen Zone sind bei einfacher Mikrogyrie 
der atrophischen Hemisphäre auf der kranken Seite reducirt, an Form und Ge¬ 
stalt verändert. Die Atrophie der Windungen bedingt naturgemäss Atrophie und 
Schwund der constituirenden Fasern und Fibrillen: die Tangentialfasersohicht ist 
verschmälert, die Radialfasern und das interradiäre Netz atrophisch. — Die ge¬ 
nannten Veränderungen betreffen nicht nur die Rolandi’sche Zone. Sehr häufig 
ist bei der cerebralen Hemiatrophie die Atrophie der entgegengesetzten Klein- 
himhemisphäre. Verf. vermisst sie nur einmal: hier waren die Veränderungen 
oberflächlich, es handelte sich um eine Meningoencephalitis, wahrscheinlich here¬ 
ditär syphilitischen Ursprungs. Die Kleinhirnatrophie ist wahrscheinlich abhängig 
von der Zerstörung der basalen Ganglien: Genauere Angaben sind zur Zeit unmög¬ 
lich, jedenfalls kann die Atrophie auch bei normalem Thalamus opticus ein- 
treten. Die feineren Veränderungen der Kleinhirnrinde variiren im Einzelfalle, 
besonders interessirt die erhebliche Atrophie und der Schwund der Purkinje’- 
Bohen Zellen. 

Bei ausgesprochener Hemiatrophie können die Pedunculi cerebelli atrophisch, 
der contralaterale rothe Kern degenerirt sein. — Die Pyramidenbahn ist zuweilen 
nicht nur atrophisch, sondern auch, namentlich bei grösseren Herden im Gross¬ 
hirn, degenerirt. _ R. Pfeiffer. 


24) Beiträge zur Klinik der cerebralen Kinderlähmungen , von Medicinal- 

rath Dr. W. Koenig. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.) 

In dieser Arbeit des um die Erforschung der cerebralen Kinderlähmung hoch¬ 
verdienten Verf.’s werden noch eine Anzahl Fragen erörtert, die in seinen früheren 
Veröffentlichungen nur flüchtig gestreift werden konnten. So bespricht er vor 
allem das Verhalten der Sensibilität, die Reizerscheinungen und Coordinations- 
störungen, die Sehnenreflexe, den Tonus der Musculatur, die Stellung des gelähmten 
Armes und die Störungen des Ganges. Unter 55 Fällen war 34 Mal die tactile 
Sensibilität und Schmerzempfindung normal, in 4. Fällen war letztere sogar ge¬ 
steigert. Unter den hemiplegischen Fällen fand sich nur ein extremer: schlaffe 
Lähmung mit gesteigerten Reflexen; unter den paraplegischen 2 Fälle von schlaffer 
Lähmung mit erhöhten Reflexen und unter den diplegischen nur ein derartiger 
Fall. Häufiger als diese extremen Fälle finden sich Mischformen, halb spastisch, 
halb schlaff. Zum Schluss berichtet Verf. über das negative Resultat mit sub- 


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outanen Pilocarpininj ectionen, indem du Schwitzen niemals halbseitig auftrat oder 
ansblieb, sondern sich entweder symmetrisch einstellte oder gar nioht nachweisbar 
war. Allerdings wurde niemals über die Dosis von 0,01 hinausgegangen. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


26) Cerebrale Kinderläh m ung und Idiotie, von H. Wachsam th. (Archiv 

f. Psych. XXXIV.) 

22 Krankengeschichten und eine sorgfältige Berücksichtigung der Litteratnr 
führen den Verf. zu folgenden Schlüssen: Die erbliche Belastung, besonders der 
Potus der Eltern spielt in der Aetiologie der cerebralen Kinderlähmung eine 
grössere Rolle als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist (Hier in 11 von 
22 Fällen.) Syphilis der Eltern ist dagegen eine sehr seltene anamnestische An¬ 
gabe. Die geistige Störung geht der Intensität der Lähmung nicht parallel. 
Die Folgezustände der acuten cerebralen Kinderlähmung können in 4 Gruppen 
getheilt werden: 1. solche Fälle, die in körperlicher und geistiger Hinsicht zu 
einer Restitutio ad integrum führen, 2. Fälle, die psychisch keine dauernden 
Schädigungen erkennen lassen, wohl aber auf körperlichem Gebiete Lähmungen 
oder andere complicatorische Symptome zeigen, 8. Fälle, die psychische Schädigungen 
aufweisen, aber keine somatischen, 4. Fälle, die psychische und somatische Störungen 
erkennen lassen. Wenn auch nicht jede Idiotie auf diese Weise aus der cere¬ 
bralen Kinderlähmung bezw. deren Initialläsion, der Encephalitis, abzuleiten ist, 
so wird doch die cerebrale Kinderlähmung hierbei häufiger sein als durchschnitt¬ 
lich angenommen wird. Die Aetiologie ist für beide Krankheiten in vielen Fällen 
die gleiche: Belastung, Infeotionskrankheiten und Trauma. 

H. Haenel (Dresden). 


26) L’adlpose douloureuse, syndröme de Deroum, par Ch. FörA (Revue 
de Mödecine. 1901. S. 641.) 

Verf. theilt vier neue Beobachtungen mit von abnormer subcutaner Fett¬ 
entwickelung, verbunden mit lebhaften Schmerzempfindungen. Die Fettbildung 
ist bald mehr eine diffuse, bald mehr unscheinbare nach Art der Lipome. Zu¬ 
weilen zeigen sich einzelne besonders schmerzhafte Knoten, die an die bekannten 
„Tubercula dolorosa“ der Haut erinnern. Alle 4 Fälle Förö's betrafen Personal 
mit ausgesprochener allgemein-neuropathisoher Constitution. Die Adipositas dolo¬ 
rosa ist daher meist mit sonstigen neurasthenischen und hysterischen Symptomen 
vereinigt. Manche Fälle erinnern an die Möbius’sche Akinesia algera. Deroum 
selbst glaubt auf Grund einer Autopsie an eine Beziehung der Adipositas dolorosa 
zur Schilddrüse. Doch ist diese Vermuthung höchst zweifelhaft. Wenn auch 
nicht in allen, so ist doch gewiss in vielen Fällen die Dercum’sche Krankheit 
nichts anderes als eine gewöhnliche hysterische Algie bei einem Fettleibigen. 

Strümpell (Erlangen). 


27) Slow pulse, with special reference to Stokes-Adams' disease, by Roh. 

T. Edes. (Transact. of the Assoc. of Amerio. Phys. 1901.) 

Verf. giebt die Krankengeschichten von 4 Fällen von extremer Pulsverlang¬ 
samung, verbunden mit nervösen Symptomen, und hat im Anschluss daran aus 
der Litteratur eine grosse Anzahl (121) Fälle zusammengeetellt, die dieses Sym¬ 
ptom, mit oder ohne Complioationen, zum Theil unter Anführung von patho¬ 
logisch-anatomischen Befunden, darboten. Unter Stokes-Adams’ Krankheit 
versteht Verf eine permanente Pulsverlangsamung mit acuten Verschlimmerung«!, 
begleitet von Schwindel- und Ohnmächte-, auch epileptiformen und apoplektiformaa 


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Anfällen. Unter der Casuistik ist bemerkenswert!!, dass nach verschiedenen Nach¬ 
richten Napoleon I. an dieser Krankheit gelitten hat. — Verf. streift die Pula- 
verlangsamong im Puerperium, bei Bleivergiftung, Rüekenmarksverletzungen, con- 
statirt, dass Tabakmissbrauch mit der Aetiologie des langsamen Pulses nichts zu 
thun hat, ebenso wenig Arteriosklerose, geht weiter auf die Gefahr ein, die in 
einer Verwechselung der echten Bradyoardie mit dem langsamen Puls liegt: Fälle, 
in denen wegen Herzsohwäche nicht alle Herzcontraotionan zu fühlbarem oder 
aufschreibbarem Puls führen, sind nicht hierher zu rechnen. Sioher giebt es 
Fälle von Pulsverlangsamung, in denen es nur zu Vorhofsoontraetionen kommt — 
wie am Venenpuls nachgewieeen werden kann —, von denen nur ein Theil von 
Ventrikelcontractionen gefolgt sind. 

Die nervösen Symptome der Anfälle sind nach Art und Schwere ziemlichen 
Schwankungen unterworfen; auch in ein und demselben Falle wechseln sie von 
einfachem Schwindel bis zu vollständiger Bewusstlosigkeit mit Krämpfen. Manch¬ 
mal waren sie so gering, dass sie kaum die Aufmerksamkeit des Patienten und 
Arztes erregten, und doch starb der Kranke in einem solchen AnfalL Oft leitet 
Gesiohtsblässe den Anfall ein; die Dyspnoe ist meist weniger ausgesprochen als 
man bei der extremen Pulsverlangsamung — bis auf 14, ja 9 und 6 Schläge in 
der Minute — erwarten sollte. 

Nur in wenigen Fällen hat sioh die anatomische Untersuchung auch auf die 
intraoardialen Ganglienzellen und den Sympathious erstreckt. Einige Fälle, in 
denen aus anderen Gründen die Herzganglien untersucht und pathologisch ver¬ 
ändert gefunden waren (bei Tuberculose, Pneumonie, acute Leberatrophie u. s. w.), 
boten intra vitam Pulsbeschleunigung dar. Nur in 3 Fällen wurden Veränderungen 
in der Oblongata und dem obersten Halsmark gefunden. — Gegen die Zurück- 
führung der dauernden Pulsverlangsamung auf eine Vagusreizung wird u. a. geltend 
gemacht, dass im Thierversuch niemals eine fortdauernde Reizung des N. X. eine 
dauernde Herzverlangsamung erzielen liees, dass vielmehr nach kurzer Zeit das 
Herz trotz des fortwirkenden Reizes seine normale Sohlagfolge wieder aufhahm. 
Dagegen hängt sicher eine grosse Gruppe von Fällen von einer lähmenden Läsion 
der Centren des N. aocelerans im unteren Halsmark ab, und auch wenn die 
Störung den Accelerans in seinem weiteren Verlaufe trifft, einschliesslich der 
Herzganglien, wird die Wirkung der dauernden Pulsverlangsamung zu Stande 
kommen. Für die paroxysmalen Erscheinungen in der Stokes-Adams'schen 
Krankheit giebt die Theorie einer Vagusreizung viel eher eine Erklärung; die 
Erfahrung, dass eine der häufigsten auslösenden Ursachen für die Anfälle Ver¬ 
dauungsstörungen sind, würde jedenfalls nicht gegen dieselbe sprechen. 

Jeder Fall von dauernder Pulsverlangsamung fordert zu genauester Unter¬ 
suchung des Herzens und des Nervensystems auf; die geringsten nervösen Sym¬ 
ptome, seien es auch nur vorübergehende Sohwindelersoheinungen, trüben die 
Prognose; die Lebensführung solcher Kranker muss eine absolut regelmässige sein. 
Für die Behandlung werden die Nitrite und, trotz der scheinbaren Irrationalität, 
die Digitalis empfohlen. Muskelanstrengungen und Verdauungsstörungen sind zu 
vermeiden. Im entwickelten Anfall ist vor allem Atropin 0,001—0,002, suboutan 
gegeben, angezeigt, dazu Tieflagerung des Kopfes. H. Haenel (Dresden). 


Psychiatrie. 

Ä8) üeber ooordlnlrteundMrtmlllrteQalaWskrankhuitan, vonDr. Alexander 
Ferenozi in Budapest. (Gyögyiszat. 1901. Nr. 28 u. 29. [Ungarisoh.]) 
Verf. analysirt die in der Litteratur veröffentlichten und die von ihm be¬ 
obachteten Fälle von oombinirten Psychosen und gelangt zur Schlussfolgerung, 

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dass es zweierlei Formen der Combination giebt, je nachdem zwei (im Sinne 
MObius) heterogene oder aber zwei homogene Krankheitsformen sich oombiniren. 
Kommt es zur Combination zweier exogener Psychosen (z. B. Paralyse and Alco- 
holismus) oder zweier endogener Geisteskrankheiten (z. B. Hysterie und Paranoia, 
Hysterie und Manie, Imbecillität und Paranoia, Neurasthenie und Melancholie): so 
vereinigen sich die zwei Symptomcomplexe unlösbar zu einem dritten Syndrom. 
Dies sind Fälle assimilirter Geisteskrankheiten. Wenn dagegen eine exogene 
und eine endogene, d. h. heterogene Psychosen sich combiniren (z. B. Paralyse und 
Paranoia, Morphinismus und Hysterie, Alcoholismus und Schwachsinn), so ist die 
Vereinigung beider Symptomenreihen nicht so vollständig, dass sie nicht isolirbar 
und nebeneinander gesondert erkennbar wären. Diese Form der Combination 
nennt Verf. die Coordination von Geisteskrankheiten. Die endogenen Psychosen 
sind nicht eigentlich Krankheiten, sondern Entwickelungsanomalieen (Möbius), 
während die exogenen von materiellen Läsionen der Hirnsubstanz verursacht 
werden. Combiniren sich zwei Krankheiten oder zwei Abnormitäten, so kommt 
es zur Assimilation; wenn aber ein ab ovo abnormer Mensch krank wird, werden 
die Symptome der Krankheit und die der Abnormität gesondert, coordinirt, er¬ 
kennbar bleiben. Verf. befasst sich dann ausführlich mit einem von ihm be¬ 
obachteten Fall der Coordination von Paralyse und Paranoia. Der 56 jährig» 
Mann ist seit Kindheit abnorm, war 11 Jahre lang Zuchthäusler (wegen wieder¬ 
holter Diebstähle); zur Zeit weist er die Symptome der beginnenden Taboparalyse 
auf (Ataxie, Bobertson, Bömberg, Dysarthrie, Facialisparese) sowie systematische 
Verfolgungswahnideeen, deren Mittelpunkt die tabischen Schmerzen sind. Sonst 
sind nur geringe Spuren der Geistesschwäche zu entdecken. Das Wahnsystan 
ist ein typisch paranoisches und hat mit den paranoiden Zuständen der Paralytikeer 
nicht die geringste Aehnliohkeit. Die Coordination dieser Psychosen ist relativ 
selten, wahrscheinlich weil Degen erirte metasyphilitischen Consequenzen gegenüber 
widerstandsfähiger sind (Pilcz). Interessant war, dass die schmerzstillenden Mittel 
zugleich auf die Wahnideeen beruhigend wirkten. Hudovernig (Budapest). 


29) Die funotlonellen Psychosen des Qreisenalters, von Docent J. Salgö. 

(Gyögy&szat. 1902. Nr. 19. [Ungarisch.]) 

Neben den durch die senilen Rückbildungen bedingten Geistesstörungen be¬ 
zeichnet Verf. als „fonctionelle“ Psychosen des Greisenalters diejenigen, bei welohen 
nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit des günstigen 
Verlaufes vorhanden ist. Auch bei diesen nimmt Verf. eine anatomische Basis 
an, und weist auf die senilen arteriosklerotischen Veränderungen des Central¬ 
nervensystems, welche wohl ganz leicht der Grund sind, auf welchem sich 
die „fonctionelle“ Psychose zu entwickeln vermag. Und so ist Verl nicht 
geneigt, die vorübergehenden Psychosen des Seniums als solche transcorticale 
Processe zu betrachten, welche jeder cerebralen Veränderung entbehren. Als 
hauptsächliche Charakteristika jeder im Greisen alter und in Folge desselben auf¬ 
tretenden Psychose bezeichnet Verl den durch die Gehirnatrophie bedingten 
geistigen Verfall, und die durch Arterienveränderung hervorgerufene topische Zer¬ 
störung und die damit verbundenen Herdsymptome. 

Als „fonctionelle“ Geistesstörungen des Seniums bezeichnet Verl die senile 
Melancholie, welohe das eigentliche klassische Beispiel der Melancholie bietet, 
welche häufig unter dem Bilde der sogenannten Melancholie agitata verläuft. Die 
zweite Form der funotionellen Psychosen des Seniums bezeichnet Verf. als „acute 
senile Blödheit“, deren Züge einerseits Bewusstseinstrübung, andererseits eine 
ständige hochgradige motorische Unruhe bilden; Die letztere ist roh, zwecklos, 
weder durch Wahnideeen, Hallucinationen noch durch Stimmungsschwankungen 


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bedingt; die Kranken sind desorientirt, es mangelt ihnen jedes ethische Gefühl, 
die Stimmung ist schwankend; hochgradige geistige Defecte und bedeutender 
Verfall der Intelligenz dominiren in diesem Krankheitsbilde, dessen Prognose meist 
schleoht ist, doch kommt auch restitutio ad integrum vor. 

Hudovernig (Budapest). 


30) Vom Verh&ltniss der psychischen mangelhaften Entwickelung au ver¬ 
schiedenen Kategorieen der Sprachstörung, von W. 0 ltuszewski. (Therap. 
Monatsh. 1902. Mai u. Juli.) 

Eine ausführlichere Darstellung der Anschauungen des Verf.’s, die er schon 
früher an anderen Stellen wiederholt ausgesprochen hat und die auch in diesem 
Centralblatte verschiedentlich wiedergegeben worden sind (1898, S. 168; 1900, 
S. 879; 1901, S. 1094). Da gegenüber den genannten Arbeiten die vorliegende 
keine wesentlich neuen Gesichtspunkte enthält, kann eine Besprechung hier unter* 
bleiben. H. Haenel (Dresden). 

31) Un oaso di sclerosi tuberosa ipertrofloa della oortecoia cerebrale oon 
idioaia, per S. Gavazzeni. (Aroh. per le scienze med. 1902.) 

Es handelt sich um eine 18jährige Idiotin. Eine nennenswerthe erbliche 
Belastung war nicht nachzuweiseo. Die Geburt und die Entwickelung in den 
ersten 6 Lebensjahren verlief im Wesentlichen normal. Mit dem 6. Jahr setzten 
kurz nach einem schweren Schrecken Krampfanfälle ein, die sich mehr und mehr 
häuften und zu progressiver Verblödung führten. Der Sectionsbefond entsprach 
ziemlich genau den Angaben Bourneville’s. Herdsymptome hatten gefehlt. 

Th. Ziehen. 


32) Un pöre oooainomane engendrant de« enfhnts idiots, par Prof. Dr. 

Marfan. (Revue mensuelle des maladies de l’enfance. XIX. 1901. Sept.) 

Der bekannte Pariser Paediater referirt über folgende Beobachtung: Es wird 
hier ein 6jähriges Kind mit den Zeichen deutlicher Idiotie, welche angeblich an* 
geboren ist, vorgeführt; die eingeleitete Thyreoidbehandlung ist objectiv ganz ohne 
Erfolg. Einige Zeit später bekommt Verf. auch das 10 monatliche Brüderchen des 
Pat. zu Gesicht, welches ebenfalls ausgesprochen idiotisch ist. Verf. erfährt nun, 
dass der Vater seit einigen Jahren Cocainoman sei. Nach einigen ärztlicherseits 
behufs Nasenoperationen ausgeführten nasalen Cocainisirungen habe sich Pat. 
das Aufschnupfen von salzsaurem Cocain angewöhnt und sei jetzt bei 3 g täglich 
angelangt. Ohne dasselbe sei er nicht im Stande zu athmen. Seit der Gewöhnung 
an das Cocain sei er fett, arbeitsunlustig, appetitlos, aufgeregt geworden; nament¬ 
lich nach dem Einschlafen stellen sich Hallucinationen mit heftigem Aufschreien 
ein. Von den vier Kindern des Pat. sind die zwei nach der chronischen Cocain¬ 
vergiftung Gezeugten idiotisch. Zappert (Wien). 


38) Un idiota miorocefhlo, per A. D’Ormea. (Manicomio Prov. di Ferrara. 

Bologna, 1901.) 

Ein 4jähriger Knabe ohne erbliche Belastung zeigt fast keine Spur von 
Intelligenz, so dass selbst keine Nahrung verlangt wird. Die körperliche Ent¬ 
wickelung ist normal bis auf den Schädel, der einen horizontalen Umfang von 
436 mm zeigt (bei normalen Kindern im gleiohen Alter 470—528 mm). Den 
intellectuellen Defect sowie die Mikrocephalie führt der Verf. auf eine Ursache 
zurück, nämlich auf einen nicht näher definirbaren, während des intrauterinen 
oder im Beginn des extrauterinen Lebens erworbenen Intoxicationsprooess, dar 

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lediglich die psychischen Centren in Mitleidenschaft gezogen hat, ohne irgend 
welche Störung motorischer oder sensibler Natur zu hinterlassen. Es würde «ich 
um einen Fall von Cerebroplegia psyohica handeln mit dem einzigem Sym¬ 
ptom der Idiotie. Der frühzeitige Verschluss der Schädelnahte sei auf denselben 
Process zurückführbar. L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


34) Idiotie miorocdphalique: oervoeu pseudo-ky stique , par Bourneville 
et Oberthür. (Archiven de neurologie. 1901. April.) 

Es handelt sich um einen 2 1 / 2 jährigen mikrocephalen Idioten, der hereditär 
schwer belastet war. Der Fall ist wie alle von Bourneville oder auf seine 
Veranlassung veröffentlichten Fälle genau und ausführlichst mitgetheilt und bietet 
eine Bereicherung der Casuistik. Adolf Passow (Meiningen). 


35) Ein Fall von tiefbtehender Idiotie mit Skeletveränderungen, von Priv.* 
Doc. Dr. W. Weygandt in Würzburg. (Münchener med. Wochenschrift 
1901. Nr. 52.) 

Bei einem 34jährigen Idioten, dessen Körperlänge nur etwa 145 cm beträgt, 
besteht Totalskoliose der Wirbelsäule, hochgradige Contracturbildung an den 
unteren Extremitäten und Abknickung des rechten Unterschenkels, welch letztere 
wohl die Folge einer intrauterin oder intra partum entstandenen, schlecht ge¬ 
heilten Fractur ist. Ausserdem findet sich am Halse eine harte, taubeneigrosse 
Geschwulst (Dermoid ?), von einem Kiemengangrest ausgehend. Intellectuell macht 
sich ein Gegensatz zwischen der ziemlich lebhaften Auffassung und den sehr 
mangelhaften Ausdrucksbewegungen, besonders der Sprachlosigkeit, bemerkbar. 
Pat entstammt einer stark degenerirten Familie und war lange Zeit hindurch 
sehr verwahrlost Die wesentlichste Ursache des Leidens ist in der Entwickelung«- 
hemmung des Hirnes zu suchen. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


36) Agrammatismus lnfantilis, von Dr. med. Alb. Liebmann, Arzt für Sprach¬ 
störungen in Berlin. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIV.) 

Verf. bespricht in seiner sehr interessanten Abhandlung drei Formen von 
Agrammatismus. 

Die erste besteht darin, dass Kinder nach dem 3.—4. Lebensjahre Sätse 
weder spontan bilden noch nachsprechen können. Die Kinder sind absolut un¬ 
fähig, sich der grammatischen und syntaktischen Form zu bedienen. Bei ihn» 
finden sich Defeote in der optischen, acustisohen, taktilen und motorischen Sphäre^ 
welche auf einer Anomalie der betreffenden Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses 
beruhen. Die Betroffenen nehmen viel zu ungenau wahr, als dass sie eines so 
complicirten Apparates bedürften, wie er zur Mittheilung mit spontaner Satz¬ 
bildung nöthig ist. Ihre acustisohen Fähigkeiten sind so gering, dass sie einen 
gehörten Satz in Bezug auf Syntax und Grammatik nicht auffassen und eine 
Reihe von aufeinander folgenden Worten nicht im Gedächtniss deponiren können; 
deshalb können sie nicht nachsprechen. Die Betreffenden haben meist spät laufen 
gelernt, ihre Hände sind ungeschickt, ihre Sprachmusculatur functionirt un¬ 
genügend. Da sie meist erst im 8. oder 4. Jahre sprachen lernten und dann in 
der Regel noch schwer stammelten bezw. hör stu mm waren, blieben sie von ihrer 
Umgebung geistig isolirt. 

Bei der zweiten Form können Sätze spontan nioht gebildet and Worte 
nicht flectirt werden. Zwar kommen beim Nachsprechen wenigstens manche kleine 
Sätze mit richtiger Flexion zu Stande, bei einigermnassen eompürirteren fllt ns a 
jedoch versagen die Blinder, weil ihrem Verständnisse viele Worte und Flexienen 


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und damit das ganze Satzgefüge verschlossen sind. Auch, bei ihnen fuaotioniren 
Aufmerksamkeit und Gedächtniss auf dem optischen, acustischen, taktilen und 
motorischen Gebiete noch mangelhaft, doch immerhin besser als bei den Agramma- 
tikern der ersten Form. Immerhin sind ihre geistigen Fähigkeiten noch nicht 
so weit, dass sie sich beim spontanen Sprechen der Syntax und Grammatik be¬ 
dienen könnten. 

Während die besprochenen Formen etwa bis zum 8. Lebensjahre beobachtet 
werden, kommt die dritte Form bei älteren Kindern von 10, 12, ja von 
15 Jahren vor. Hier wird spontan in Sätzen gesprochen, aber Ausdruck, Syntax 
und Flexion sind häufig sehr verschroben. Die Phraseologie ist sonderbar, die 
Flexionen sind eigentümlich, der Satzbau ist unvollkommen; Worte werden aus¬ 
gelassen oder an unrichtigen Stellen gebracht. Man muss sich den Sinn eines 
Satzes immer erst combiniren; kleinere Sätze werden richtig nachgesprochen, bei 
grösseren kommt es zu zügellosem Agrammatismus, da das Gedächtniss versagt. 
Bei diesen Kindern finden sich artioulatorische Sprachstörungen verschiedener 
Art in Form von Stottern, Stammeln, Näseln oder Poltern. Bei den Stotterern 
handelt es sich um functionelle Schädigung des Sprachcentrums. Bei den Stammlern 
liegen manchmal organische Fehler an Ohr, Gaumen, Nase oder Rachen vor, bei 
den meisten Stammlern und bei den Polterern handelt es sich dagegen um eine 
rein functionelle Störung, welche auf einer Herabsetzung der motorischen und 
acustischen Aufmerksamkeit basirt. 

Verf. macht darauf aufmerksam, dass ein undeutlich sprechendes Kind aueh 
in Bezug auf seine formale Sprache ausserordentlich zurückbleibt und citirt be¬ 
treffe der Behandlung aller drei Formen seine Vorlesungen über Sprach¬ 
störungen, Berlin 1898, in denen hierüber Genaueres nachzulesen ist. 

G. IIberg (Sonnenstein). 


37) A oontribution of the Symptomatology of oretinlsm and other forma 
of idlocy, by Henry Koplik, M. D., and Jacob Lichtenstein, M. D. 
(New York). (Archives of Pediatrics. 1902. Febr.) 

Bei sämmtlichen untersuchten Fällen von Cretinismus, bei Mikrocephalen und 
anderen Idioten sowie bei anderweitig degenerirten Kindern, niemals aber bei 
normalen Individuen, fanden die Verff. eine eigenthümliche Abnormität der Hände. 
Dieselbe besteht in einer Vorwölbung am Antithenar, entsprechend der Lage des 
Os pisiforme, welche knapp an der Furche zwischen Handteller und Vorderarm 
gelegen ist, und, von der Seite betrachtet, wegen ihres steilen Anstieges aus der 
Gelenksfurche ein bayönettförmiges Aussehen besitzt. Die Verff. glaubten anfangs, 
dass diese Abnormität mit dem bei derartigen Kindern meist lange dauernden 
Kriechen Zusammenhänge, konpten aber diese Meinung nicht aufrecht halten, als 
sie die gleiche Veränderung an der Hand eines 3 monatlichen Cretins vorfanden. 
Ob die Difformität angeboren ist, ob sie vielleicht ein Analogon bei höheren 
Affenarten aufweist, müssen erst weitere Studien lehren; jedenfalls dürfte diese 
Anomalie der Hand die Bedeutung eines Degenerationszeichens besitzen. 

Zappert (Wien). 

38) The eye defeota whioh may oause apparent mental dullness and 
defloienoy in ohildren, by Charles Stedman Bull, M. D. (New York). 
(Archives of Pediatrics. 1902. 15. Febr.) 

Geistige Trägheit oder mangelnde Intelligenz wird bei Kindern nicht selten 
durch Augenstörungen vorgetäuscht. In erster Linie verdient pathologische Hyper- 
metropie hervorgehoben zu werden, welche gerade bei Schulkindern zu Kopf¬ 
schmerz, leiohter Ermüdbarkeit und den Zeichen von Stumpfsinn führen kann. 


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Daran schliesaen sich in Bezug auf die Häufigkeit Astigmatismus, Miopie und 
— oft mit einem der genannten Leiden combinirt — Augenmuskelschwiche. 
Verf. schildert in recht anschaulicher Weise, wie jede dieser Störungen, so lange 
sie unerkannt ist, das Seelenleben des Kindes zu schädigen im Stande Ist, wie 
aber auch eine Behebung des Leidens eine sofortige geistige Erfrischung der 
Kinder zur Folge hat. Weniger häufig begegnet man angeborenem Cataraote, 
Dislocation der Linse, Albinismus, Kolobom und Fehlen der Iris als Ursache 
einer derartigen Geistesträgheit bei Kindern. Endlich giebt es noch eine eigen* 
thiimliche, wahrscheinlich central bedingte Störung, die „Wortblindheit“, welche 
durch das Unvermögen lesen zu lernen sich äussert und meist verkannt wird. 

Zappert (Wien). 


89) L’hdrdditd et la dögöneresoenoe en obstdtrique , par Larger pöre et 
fils. (Progrös medical. 1902. Nr. 2.) 

Die Verff. wollen in mehreren Fällen constatirt haben, dass die Bonder erb¬ 
lich schwer Belasteter und Degenerirter durch Generationen hindurch nie in Schädel¬ 
lagen geboren wurden, sondern in Steiss-, Quer- und Gesiohtslagen. Bisher ist 
die Anzahl der Beobachtungen nur eine geringe. 

Adolf Passow (Meiningen). 


40) Das Simuliren von Geisteskrankheiten, von E. N6meth. (Gyögyäszat 

1902. Nr. 23—27. [Ungarisch.]) 

In einer längeren, für ein kurzes Referat nicht geeigneten Arbeit beschäftigt 
sich Verf. mit der forensischen Wichtigkeit der Simulation und auch des Dis* 
simulirens von Geisteskrankheiten, sowie mit der Art und Weise, wie Simulanten 
entlarvt werden können. Die oberflächliche Narcose, Anwendung von Douchen 
u. s. w. hält Verf. hier vollkommen öberflössig; es genügt meist, vor dem Simu¬ 
lanten zu bemerken, dass zum klassischen Krankheitsbilde noch einzelne Symptoms 
fehlen, worauf dieselben in der kürzesten Zeit ebenfalls producirt werden; auch 
das Vorstellen bei einem Vortrag als Simulant wird manchmal genügen, den 
Simulanten zur Einbekennung zu bringen. Verf. weist anch darauf hin, dass 
Geistesschwache oder Geisteskranke eine Geisteskrankheit simuliren, doch ist dies 
meist die Folge psychischer Defecte und verschwindet bei psychischer, suggestiver 
Beeinflussung; auch giebt es Fälle, in welchen das Simuliren das erste Zeichen 
einer beginnenden Geisteskrankheit ist. Sechs eingehend mitgetheilte Krankheits¬ 
geschichten vervollständigen die interessante Arbeit, an. deren Schlüsse Vert 
hervorhebt, dass die Simulanten in der Anwendung von blödsinnigem und un¬ 
sinnigem Verhalten wohl unermüdlich consequent sind, doch inconsequent im 
Simuliren selbst. * Hudovernig (Budapest). 


41) Ueber „innere“ Bomatisohe Entartongszeiohen, von P. Näcke. (Archiv 

f. Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik. IX.) 

„Innere“ Degenerationszeichen sind bisher wenig studirt; dazu bedarf es 
einer grossen Zahl von Autopsieen von normalem und pathologischem Material, 
die in der gleichen Weise verarbeitet werden müssen. 

Verf. hat nur Lungen, Herz, Leber, Milz, Nieren berücksichtigt, insoweit 
deutliche Abweichungen in Grösse, Gestalt — sei es im ganzen oder bezüglich 
einzelner Theile —, Vermehrungen oder Verminderungen normaler Lappen-, Spalt- 
bildungen u. s. w. vorliegen. 

Diese seltenen Bildungen, die auf Entwickelungshemmungen oder Ernährungs¬ 
störungen im frühesten fötalen Zustande beruhen und kaum jemals einem echten 


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Rückschläge entsprechen, sind als Degenerationszeiohen ans folgenden Gründen 
anzusprechen: sie sind bei Normalen viel seltener als bei Paralytikern, Geistes¬ 
kranken, Verbrechern u. s. w.; sie zeigen sich hei diesen gern gehäuft, stärker 
ausgebildet; die selteneren, also wichtigeren Anomalieen sind hier eher anzutreffen: 
die Zahl dieser Bildungen nimmt mit dem Grade der Entartung zu. Immerhin 
sind auch Bie nur von relativem, nicht von absolutem Werth; sie weisen nur hin 
auf die Möglichkeit des Bestehens einer Entartung, die durch anderweitige 
klinische Beobachtungen sicher festgestellt werden muss. 

Ernst Schnitze (Andernach). 


42) Wichtige Entscheidungen auf dem Gebiete der geriohtliohen Psychiatrie, 

von Ernst Schnitze. (Psyohiatrisch-neurologisohe Wochenschrift 1902. 

Nr. 1 u. 2.) 

Verf. stellt aus den zwei bekannten und inhaltsreichen juristischen Zeit¬ 
schriften, der „Juristischen Wochenschrift“ und dem „Hecht des Jahres 1901“, 
alle für die gerichtliche Psychiatrie in Betracht kommenden Entscheidungen zu¬ 
sammen. Sie sind nach den Paragraphen des Strafgesetzbuchs, der Strafprocess- 
ordnung, des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Einführungsgesetz es zum Bürgerlichen 
Gesetzbuch, der Civilprocessordnung und des Handelsgesetzbuchs geordnet 

Dass diese verschiedenen Entscheidungen, deren Zahl übrigens ziemlich be¬ 
deutend ist, nicht zerstreut, sondern an einer Stelle vereinigt und leicht auffind¬ 
bar sind, wird sich sicherlich für den praktischen Gebrauch bewähren, zumal 
wenn derartige Zusammenstellungen auch fernerhin regelmässig veröffentlicht 
werden; das ist sicherlich sehr zu wünschen. 

Dass gerade die Entscheidungen auf dem Gebiete des Civilreohts uns ein 
tieferes Eindringen in den Geist des Bürgerlichen Gesetzbuches erleichtern werden, 
darauf sei noch besonders hingewiesen. M. 


43) Straflreohtlioh-psyohiatriaohe Gutachten als Beiträge zur geriohtliohen 

Psyohiatrie für Juristen und Aerzte, von Hermann Pfister. (Stutt¬ 
gart 1902, Enke. 376 S.) 

An die Lectüre einer Sammlung von Gutachten geht man im allgemeinen 
mit gemischten Gefühlen heran. Verlockend ist die Erfahrung, dass da in der 
Regel interessante und lehrreiche Fälle mitgetheilt werden, von denen man er¬ 
wünschte Förderung erwarten kann, zumal wenn sie von so oompetenter Seite 
mitgetheilt werden wie die vorliegenden. Dagegen wird der Genuss wesentlich 
dadurch beeinträchtigt, dass die Fälle eben in den umständlichen Apparat foren¬ 
sischer Gutachten eingekleidet sind, durch den man sioh durcharbeiten muss. 

Dieser Uebelstand findet sich naturgemäss auch in dem vorliegenden Buche. 
Allerdings hat Verf. bei der Veröffentlichung dieser Gutachten u. a. auch den 
Zweck gehabt, dem Lernenden Vorbilder für die Abfassung brauchbarer Gutachten 
zu liefern; aber war es dazu nöthig, immer wieder die Formation abzudrucken 
und in allen Fällen die Ergebnisse der Untersuchung und Beobachtung mit allen 
unwesentlichen Details ausführlich wiederzugeben? loh denke, ein Schema hätte 
zu diesem Zwecke genügt, allenfalls ein wörtlicher Abdruok einiger weniger Gut¬ 
achten. Die übrigen hätten dann umsomehr durch mancherlei Kürzungen lesbarer 
gemacht werden können. 

Das ist es, was ioh an Verls Buch auszusetzen habe; wer sich durch 
diese Aeusserliohkeiten nioht absohrecken lässt das Buch zu lesen, wird es sicher 
nicht bereuen. 

Neun unter den 14 Gutachten betreffen Epileptiker, eine wahre Muster- 
collection, welohe die vielseitige Criminalität dieser Kranken deutlioh zur An- 


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Behauung bringt. Die Nutzbarkeit, der jähe unmotivirte Stimmungswechsel der 
Epileptiker, ferner die bo wichtigen tiefen Bewusstseinsstörungen bei i nwerl ieh 
eoxrectem Verhalten werden anschaulich geschildert. Besonders für die juristische« 
Leser dürften diese Fälle recht lehrreich sein: Verurtheilungen solcher Kranker 
ohne Hinzuziehung von Sachverständigen werden nicht leicht Vorkommen, wenn 
dem Richter derartige Fälle bekannt sind. Das Gleiche gilt auch von den vier 
Fällen angeborenen Schwachsinns, bei denen besonders das triebmässige, unüber¬ 
legte Handeln trefflich geschildert ist. Besonders dankeuwerth ist dabei dar 
Hinweis, dass sowohl bei Schwachsinnigen, wie auch bei jugendlichen Normalen 
„vielfach der Thäter kurz nach der That eine wesentlich andere (reifere) geistige 
Persönlichkeit ist, als er vorher war“, weil die ernsten Erfahrungen bei und nach 
der Verhaftung für einen „schab- und sprangweisen Entwickelungsprocees“ 
(Emminghaus) die beste Gelegenheitsursache abgaben. — Die jammervolle Ver¬ 
elendung dnreh Morphinmissbrauch wird durch die beiden ersten Fälle, ein 
morphiomsüchtiges Ehepaar, drastisch vor Augen geführt. Die weiteren Falle 
betreffen einige Paranoiker, einige Simulanten, Dementia senilis, Entartungsirre- 
8ein u. s. w. Besonders schön und instrnotiv ist auch die Schilderung eines 
Melancholikers, der sich fälschlich selbst wegen Brandstiftung angezeigt hatte. 
Dass nachgewiesene Simulation keineswegs geistige Gesundheit beweist, wird ge¬ 
bührend betont. 

Viel Wissenswerthes wird in Anmerkungen beigefügt, unter welchen die für 
Juristen und Mediciner bestimmten äusserlich kenntlich gemacht sind. 

Deiters (Andernach). 


in. Bibliographie. 

1) Bpeoielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein Handbuch für Aerzte 
und Studirende, von Wilhelm Leube. Zweiter Band. 6. neubearbeitete 
Auflage. (Leipzig, F. C. W. Vogel. 1901.) 

Der vorliegende Band behandelt neben den Blut-, Stoffwechsel- und Infections- 
krankheiten in seiner grösseren Hälfte die Diagnose der Nervenkrankheiten und 
das rechtfertigt eine Besprechung an dieser Stelle. 

Verf. erörtert zunächst die Diagnose der Krankheiten der peripheren Nerven, 
dann der des Rückenmarkes und der einzelnen Hirnpartieen sowie die der diffusen 
Erkrankungen des Gehirnes. Jedem Abschnitte ist eine klar geschriebene und 
durch anschauliche Zeichnungen erläuterte anatomisch-physiologische Einleitung 
mit einer Erörterung allgemeiner klinisch-diagnostischer Gesichtspunkte voraus¬ 
geschickt. Des Weiteren setzt Verf. die Diagnose der functionellen Hirnkrank¬ 
heiten und der sogenannten Tropho- und Angioneurosen aus einander. 

Wie sehr Ver£ die Aufgabe gelungen ist, eine für Aerzte und Studirende 
gleich brauchbare Diagnostik der inneren Krankheiten zu schreiben, das lehrt 
schon der äussere Erfolg, dass in einem Zeitraum von etwa 12 Jahren 6 Auflagen 
nöthig wurden, und dass dann Verf. Zeit und Masse fand, die neueren Fort¬ 
schritte zu verwerthen, dafür wird ihm der Leser besonders dankbar sein. 

Gerade eine Vergleichung der Diagnostik der Nervenkrankheiten in ihrem 
ersten und in ihrem heutigen Gewände zeigen die inzwischen errungenen Fortschritte. 
So Bind, um nur einige zu erwähnen, hinzugekommen Bemerkungen über die 
Neurontheorie, die Migraine ophthalmoplägique, die polyneuritische Psychose (oder 
besser Korsakow’sches Psychose genannt), die Segmentaldiagnose der Rücken- 
markserkrankungen, die Lumbalpnnction, die neurale Muskelatrophie, die Myasthenia 
pseudoparalytica gravis, die seröse Meningitis. Andere Kapitel sind entsprechend 
dem heutigen Stande unserer Wissenschaft umgearbeitet, wie die Schilderung der 


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Friedreich’schen Krankheit, der Rückenmarkstumoren, der Kleinhirnaff ec tionen. 
In zahlreichen Einzelheiten zeigt sich die bessernde Hand des Verf. 

Wenn Verf. bei Besprechung der Histologie der Gehirnrinde auf die Flechsig*- 
sehen Theorieen kommt, so dürfte sich dabei, besonders mit Rücksicht auf 
den angehenden Mediciner, ein Hinweis auf deren zahlreiche und doch wohl nicht 
unberechtigte Gegnerschaft empfehlen. Wenn ferner Verf, die als Neurasthenie 
diagnosticirten Krankheiten als einfache Abarten der Hysterie anspricht, so wird 
er damit sicherlich nicht auf die allgemeine Zustimmung rechnen können. Schliess¬ 
lich wird, um auch dies noeh zu bemerken, hervorgehoben, dass die circuläre 
Form der Neurasthenie von vielen Psychiatern mit triftigen Gründen nicht nur 
als ein Analogen der Folie circulaire, sondern geradezu als eine Form dieses 
Leidens, wenn auch sehr milde Form, angesprochen wird. Doch das sind nur 
unwesentliche Ausstellungen. 

Es unterliegt Ref. keinem Zweifel, dass Verf. seine Absicht, den Sinn für 
die Diagnose zu heben, vollauf gelungen ist und dass er auch mit der neuen 
Auflage den gleichen Erfolg erzielen wird wie mit ihren Vorgängerinnen. 

Ernst Schultze (Andernach). 


2) Oper© oomplete , del Dr. Serafino Biffi. (Milano 1902, Ulrico Hoepli.) 

Die Neffen Biffi’s, Dr. Angelo de Vincenti und Dr. Eugenio Medea 
haben in fünf starken Bänden die Arbeiten ihres Onkels gesammelt. 

In denselben zeigt sich die gewaltige Arbeitskraft Biffi’s (geboren 1822, 
gestorben 1899), welcher mit zu den Begründern der modernen italienischen 
psychiatrischen Schule gehört. 

Der erste Band, welcher die Arbeiten über experimentelle Physiologie und 
Physiopathologie enthält, bringt auch die wichtige Arbeit über die Nerven der 
Zunge. 

Der zweite und dritte Band ist den psychiatrischen Arbeiten gewidmet, unter 
denen die über den Cretinismus (2. Band) hervorzuheben und als für uns Deutsche 
von besonderem Interesse die Reminiscenzen an eine Reise nach Deutschland 
(3. Band) zu nennen sind. 

Der vierte Band: „Riformatosi pei giovani“ enthält ausser einer Darstellung 
der Fürsorgeerziehung und der Correctionsanstalten in Holland, Belgien, Frank¬ 
reich, der Schweiz und Italien eine erschöpfende Zusammenstellung der naoh dieser 
Richtung hin bestehenden privaten Einrichtungen in Italien, eine reiche Fund¬ 
grube für alle diejenigen, welche sich mit dieser besonderen Frage beschäftigen. 

Der fünfte endlich (Psichiatria forense e Discipline carcerasie) bringt eine 
grosse Reihe von forensischen Gutachten, unter denen das im Process Curti ab¬ 
gegebene (Brief an Verga) seiner Zeit in Mailand das grösste Aufsehen erregte 
(1858). 

Das Denkmal, das die Neffen dem Onkel setzten, wird in der psychiatrischen 
Wissenschaft nicht vergessen werden. M. 


3) Anatomie des oentres nerveux, par J. Dejerine, avec la coll&boration de 
Madame Dejerine-Klumpke. Tome deuxiöme. Fase. 1, avec 485 Figures 
dans le texte, dont 180 en couleurs. (Paris 1901, Rueff.) 

Dem im Jahre 1895 erschienenen ersten Band der Anatomie der Nerven- 
centren ist jetzt der erste Theil des zweiten Bandes gefolgt, welcher mit den 
Projectionsfasern der Hirnrinde beginnt und der Structur und Textur des Klein¬ 
hirns schlieest (der noch ausstehende zweite Theil des 2. Bandes wird die Ana¬ 
tomie deB Rückenmarks enthalten) und 720 Seiten zählt. 


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Es ist selbstverständlich unmöglich, auf die einseinen C&pitel oder gar auf 
die Einzelheiten des monumentalen Werkes einzugehen, das in knapper und 
präciser Darstellung alles das bringt, was wir über die Anatomie des Nerven¬ 
systems wissen, fast durchgängig geprüft durch eigene Forschung an selbst- 
hergestellten Präparaten mit beinahe erschöpfender Berücksichtigung der Litteratnr, 
besonders auch der deutschen. 

Besonders hervorgehoben sollen hier nur werden einmal die eingehenden 
Beschreibungen und Abbildungen der secundären Degenerationen, welche auf um¬ 
schriebene corticale Läsionen folgten (S. 108—198), und dass die VerfiL sich ein¬ 
gehend mit der Localisationsfrage in der Hirnrinde (S. 219—252) und mit der 
Localisation in der inneren Kapsel beschäftigen, und auch in Bezug auf den 
übrigen Theil des Hirns die physiologische Würdigung der anatomischen Dar¬ 
stellung hinzufügen. 

Eb ist selbstverständlich, dass das Buch nicht bloss in der Bibliothek des 
Anatomen, sondern auch in der des Neurologen und Psychiaters nicht fehlen darf 

Die Ausstattung, speciell die Abbildungen sind vorzüglich. M. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Verein für Psyohiatrle und Neurologie in Wien. 

Sitzung vom 12. Juni 1900. 

(Jahrbücher £ Psych. 1901. S. 392. 

Herr Zappert berichtet über den weiteren Verlauf des in der vorigen 
Sitzung vorgestellten Meningitisfalles mit initialer Aphasie. 

ln der Folgezeit bot Pai das typische Bild der tuberculösen Meningitis; un¬ 
gefähr eine Woche vor dem Tode traten gehäufte Krämpfe vorwiegend im linken 
Facialis und Arm auf; die rechtsseitige Hemiparese wurde undeutlicher, die Aphasie 
blieb fast unverändert. Dauer der Krankheit 23 Tage. Obductionsbefund: Bub¬ 
acute tuberculöse Meningitis in der Gegend der Sylvi’schen Furche links mit 
Tuberkelknötchen bis Hanfkorngrösse auf der unteren Stirnwindung; frisches 
Exsudat an der Basis, vereinzelte kleine Knötchen der rechten Hemisphäre; diffuse 
Organtuberculose. 

Es war die Diagnose somit bestätigt, nur wäre zur Erklärung der terminal» 
linksseitigen Convulsionen noch anzufügen, dass die frische Tuberkeleruption von 
der Basis her wohl auf beide Hemisphären übergreift, jedooh nicht im Stande 
war, die mit älterem Exsudat bereits überzogene Hirnpartie zu schädigen. 

Herr Zappert stellt ferner einen lOjähr. Knaben mit neurotischer Muskel¬ 
atrophie vor. 

Beginn der Erkrankung nach einer acuten Affection im Deoember 1899 mit 
Schwäche im linken, später auch im rechten Bein; ausserdem konnte Z. damals 
eine leichte Parese mit Atrophie der Hände constatiren. Jetzt besteht Parese 
beider Peronealmuskelgruppen mit geringer Atrophie, ziemlich starke Abmagerung 
und Functionsschwäche des Thenar, Antithenar, der Interossei beider Hände, und 
zwar links > rechts. Sensibilitätsstörungen fehlen (anfangs Schmerzen in den 
Beinen). Keine Druckempfindlichkeit der Nervenstämme. Patellarsehnenreflexe 
schwer auslösbar, Achillessehnenreflexe fehlend. Muskeln und Nerven elektrisch 
erregbar (die atrophischen Muskeln sowie N. ulnaris und peroneus entsprechend 
erhöht). 

Z. diagnosticirt trotz Fehlens der Familiarität und der anscheinend ungestörten 
Sensibilität neurale Muskelatrophie (Hoffmann). 


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Herr Raimann: Berioht über die bisherig« Erfahrungen an der Klinik 
Wagner .über das HedonaL 

Experimentelle Untersuchungen zur Bestimmung der dosiß letalis an Thieren 
ergaben, dass Schlaf (bis 27 Stunden) bei allen Thieren zu erzielen war, Puls, 
Athemfrequenz, Temperatur durch das Mittel herabgesetzt wurde, die dosis letalis 
pro 1 kg Thier 10 g betrage. 

Versuche am Menschen — psychischen Kranken — (1,0 g in wässrig-wein- 
geistiger Lösung oder in Oblaten) ergaben, dass 1,0 g bei Männern eine zu geringe 
Dosis sei und die Darreichung in flüssiger Form (wegen der raschen Resorption) 
nioht genügend nachhaltige Wirkung sichere. 2,0 g dieses Mittels führten (11 Ver¬ 
suche an 7 Männern, 1 negativ, 3 Mal?, 7 Mal positiv) meist Schlaf herbei; doch 
sank die Körpertemperatur bis auf 35,6°, was sich in Kürze wieder ausglich; 
keine sonstigen Nebenwirkungen. Vortr. hebt die Schwierigkeit, die Wirkung 
eines Mittels zu bestimmen, hervor, da eine grosse Reihe der Factoren (Zufällig¬ 
keiten, Suggestiv Wirkung) zu Täuschungen Veranlassung geben können. 

Discussion: 

Herr Prof. Obersteiner, der selbst an neurasthenischer Schlaflosigkeit leidet 
und mit 1—3 g Amylenhydrat Schlaf erzielt, schlief nicht auf 0,5 Hedonal, wohl 
aber auf 1,0 g. 

Herr Dr. Schüller bemerkt, dass Hedonal (1,0g mindeste Dosis) bei Neur¬ 
asthenikern indicirt sei, und hält die Darreiohung von Oblaten — schon wegen 
des schlechten Geschmackes — als die zweckmäßigste. 

Herr v.Frankl-Hochwart und Herr Dr. Alfred Fröhlich: Ueber Tonus 
und Innervation der Sphinoteren des Anus. 

Auf Grundlage anatomischer Studien und experimenteller Forschung (95 Vivi- 
sectionen) kamen Vortr. zu folgenden Resultaten: Der Verschluss des Rectum wird 
durch die Musculatur — vom Willen unabhängig — besorgt, und zwar sind die 
Schliessmuskeln der glatte Sphincter internus und der quergestreifte Sphincter 
externus. Dieser zeigt ein den glatten Muskeln ähnliches Verhalten (Nichtentartung 
nach Durohschneidung des zugehörigen Nerven, ähnliche Zuckungscurve, langer 
Widerstand gegen Curare). Dem Extemus gebührt 1 / 8 — 1 / i der Tonus erhaltenden 
Kraft. 

Der periphere, die Constriction erzeugende Nerv ist beim Hunde der Erigens, 
der dilatirende der Hypogastricus; im Rückenmark ist eine Vorrichtung sowohl 
für Constriction als Dilatation vorhanden, indem man reflectorisch von der Medulla 
Erhöhung oder Herabminderung des Tonus erreichen kann. Ein zweites solches 
Centrum ist das Gangl. mesentericum, da es nach Zerstörung des Rückenmarks 
in gleicher Weise wie dieses wirkt Aber selbst wenn Rückenmark, Ganglion 
mesentericum, sämmtliche Rectalnerven zerstört sind, kann man durch Muscarin 
noch immer Constriction erzielen, die durch Atropin wieder aufgehoben ward. 

Sitzung vom 13. November 1900. 

(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 396.) 

Herr Hofrath v. Krafft-Ebing demonstrirt zwei Fälle mit myoklonisohen 
Krämpfen. 

I. 38jähriger Hausbesorger, unbelasteter Tabiker (atactisohes Stadium) mit 
hysterischen Stigmen (strumpfförmige Hypästheeie am linken Bein, rechtsseitige 
Hemihypästhesie, Geschmack, Geruch, Gehör herabgesetzt, Gesichtsfeld eingeengt, 
Gaumen-, Rachen-, Ohrreflex fehlend) stürzt am 14. Juli lVi m tief, ohne sich zu 
verletzen; heftiger Schreck; am 21. August Streit mit einem Arzte; danach Auf¬ 
treten von Zuckungen im Gesiohte, den Halsmuskeln, oberen Extremitäten; auoh 


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iaolirt im M. supinator longus, pectoralis, triceps, nie coordinirt. Vortr. hält die 
Erkrankung für Myoklonie. Hypnose erzielte keine Wirkung. 

IL 17jähriges, degeneratives, aber unbelastetes Mädchen hat die Zuckungen 
nach einem Selbstmordversuch durch Lysol bekommen. Keine hysterischen Stig¬ 
mata. Es besteht Blepharoklonus, Zucken um die Mundwinkel, den Muskeln des 
Halses und Nackens, Emporziehen der Schultern; Zucken dm- Bauchmuskeln, dar 
distalen Abschnitte der Finger. Diese Zuckungen haben locomotorischen Effect, 
sind complicirt, so dass man an willkürliche Auslösung denken könnte. Abhängig¬ 
keit von Emotion. Vortr. hält diese myoklonie-ähnlichen Krämpfe für Hysterie. 

Herr A. Pilcz: Ueber myxödematösez Irresein und Schilddrüaentherapie 
bei Geistesstörungen. 

45jähr., belastete Frau bietet ein melancholisches Zustandsbild mit asthenischen 
Affecten. Die Kranke erscheint torpide; argwöhnisches Wesen. Nach einem Jahr 
Entwickelung des typischen Bildes von Myxödem. Unter Thyreoidbehandlung 
Schwinden beider Zustände, nach wiederholtem Aussetzen Recidiv (über 3monatL 
Beobachtung). 

Beim Myxödem hat man nach dem Vortr. den myxödematosen Geisteszustand 
(Verlangsamung und Hemmung der psychischen Leistungen, Apathie, Schlafsucht, 
Verlust des Gedächtnisses) und das myxödematöse Irresein zu unterscheiden, 
manische, melancholische Zustandsbilder, Wahnideeen, Sinnestäuschungen, die durch 
den gleichzeitig bestehenden, eben erwähnten Geisteszustand nur eigenartig ge¬ 
färbt sind. Ob irgend eine Psychose mit Myxödem oder myxödematöees Irresein 
vorhanden, kann diagnostisch ex juvantibus durch den Erfolg der Schilddrüsen* 
therapie gestellt werden (selbst Dach 12jährigem Bestehen). 

Das myxödematöse Irresein kann früher oder (gewöhnlich viel) später als 
das Myxödem auftreten, befällt vorwiegend weibliche Individuen. 

Schliesslich bespricht Vortr. die Schilddrüsenbehandlung der Psychosen über¬ 
haupt und kommt zum Schlüsse, dass einige Fälle secundärer Demenz sicher 
geheilt wurden, die übrigen einer strengen Kritik nicht standhalten. Die 6 Kranken 
mit secundärer Demenz, die Vortr. derart behandelte, zeigten negativen Erfolg, 
ja boten zum Theil schwere körperliche Begleiterscheinungen wie Tachycardie, 
Sinken des Blutdruckes, Gewichtsabnahme, Albumosurie, Acetonurie, Indicanurie, 
gastrische Störungen. 


Sitzung vom 11. December 1900. 

(Jahrb. f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 398.) 

Herr Prot. Redlich demonstrirt einen Fall mit der Wahrscheinlichkeit»- 
diagnose Ponstumor. 

P. K., 82 Jahre alt; 1892 apoplektischer Insult mit totaler rechtsseitiger 
Lähmung und Erschwerung der Sprache. Im Frühjahr 1898 suchte Pat. den 
Vortr. im Kaiser Franz Josefs-Ambulatorium wegen Schmerzen der linken Gesichts- 
seite (seit 1894 bestehend) auf; damals leichte Parese rechts, die jedoch in der 
Folge mit den Gesichtsschmerzen zunahm. Aus dem Status im October 1900 sei 
hervorgehoben: leichte Facialisparese rechts im mittleren und unteren Aste, links 
Atrophie des Masseter und Temporal», Hypästhesie für tactile und Schmerzreize 
im ganzen linken Trigeminus. Parese der Kiefer- und Kaumusculatur links; 
elektrische Reaction, soweit erhalten, normal. Deviation der Zunge nach links, 
Beweglichkeit derselben herabgesetzt. Sensibilität der Wangen- und Lippen- 
schleimhaut herabgesetzt. Zäpfehen nach rechts stehend, Gaumenbogen links 
flacher. Sprache verwaschen, gepresst. Spastische Parese der rechten oberen und 
unteren Extremität mit gesteigerten Reflexen. 


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In den letzten Wochen mehrere Anfälle von Bewusstlosigkeit; keine Geeichts- 
schmerzen, jedoch deutliches Zunehmen der Gesichtsatrophie links; auch die Haut 
ist dünner. 

Localisation: Herd in den lateralen Antheilen der linken Ponshälfte. Be¬ 
züglich der Natur des Processes möchte Vortr., wegen der langsamen allmählichen 
Progression, nicht an einen vasculären Vorgang, sondern an einen Tumor denken 
(eventuell derart, dass eine bindegewebige Narbe Geschwulstcharakter an¬ 
genommen hat). 

Herr Elz holz demonstrirt mit Osmium behandelte Zupfpräparate von Nerven 
eines Falles von seniler Demenz. 

Vortr. hebt die Convergenzen der senilen Demenz und der Polyneuritis- 
psychose hervor, weist auf die senile Polyneuritis Oppenheim’s hin, auf die 
Inoongruenz der oft fehlenden klinischen Symptome mit den anatomischen Befunden 
bei diesen (ähnliches bei der Polyneuritispsychose) und spricht dann über seine 
Präparate. Es finden sich -— der Pat. war typisch senil dement und zeigte 
keine groben motorischen Defecte — im Tibialis, Peroneus, Communicans surae 
auffallend viele Fasern mit dünnen, varicösen Markscheiden, des weiteren solche, 
die alternirend dickere und dünnere Antheile besitzen; diese dünnen Fasertheile 
(Schaltstücke) stellen meist ein interannuläree Segment dar. Einige Fasern zeigten 
Markzertall. Das Zwischengewebe gewuchert, zu Bändern geformt, wie in den 
Nervenstümpfen Amputirter. Der Process sei der Neuritis einzuordnen. Vortr. 
schliesst, indem er Einiges über die periaxiale Neuritis, die relativ selten ist, 
anführt, mit dem Hinweis auf die Bedeutung, die ähnlichen Befunden für die 
Kenntniss der senilen Demenz und ihr Verhältniss zur Polyneuritispsychose zukäme. 

Herr Starlinger demonstrirt ein neues Reichert’sches Sehlittenmikrotom 
zum Schneiden unter Wasser, mit neuer Hebevorrichtung und Messerführung. 

Herr Hofrath von Krafft-Ebing demonstrirt einen Kranken, der unter dem 
klinischen Bilde der Manie eine Reihe von epileptischer Geistesstörung zukommen¬ 
den Zügen darbietet, als manische Form eines epileptischen Irreseins. 

Herr Dr. Bischoff: Ueber die sogenannte sklerotisohe Hemisphären- 
«trophie. 

Vortr. demonstrirt zwei Fälle, deren erster eine epileptische Frau betrifft, 
die im 2. Lebensjahre unter dem Bilde einer acuten Cerebralerkrankung Epilepsie 
acquirirte; es bestand später neben dieser Schwachsinn, allgemein gesteigerter 
Muakeltonus, erhöhte Sehnenreflexe; deren zweiter ebenfalls eine Frau betrifft, die 
nach einem Fraisenanfall im 2. Lebensjahre dauernd linksseitige Hemiparese und 
Hemihyperästhesie mit besonderer Betheiligung der linken Hand, epileptische 
Krämpfe von Jackson-Typus darbot. Im ersten Falle abnorme Kleinheit der 
linken, im zweiten der rechten Hemisphäre bei sonst durchaus normalen makro¬ 
skopischen und mikroskopischen Verhältnissen. 

Als Ursache kann, wegen Fehlens ähnlicher Asymmetrieen hei Hirnmiss- 
bildungen und des acuten Einsetzens, abnorme Keimanlage nicht gelten; ebenso 
fehlte abnorme Gefässenge. Es bleibt noch die Annahme eines vorzeitigen Still¬ 
standes der Hemisphäre im Wachsthum, bedingt durch eine diffuse Encephalitis 
des Gehirntheils, die milde verlaufend, anatomisoh spurlos heilt, nur eine trophische 
Schädigung hinterlässt. Ferner entsteht dadurch die Disposition zur Epilepsie. 
Aehnliche Fälle aus der Litteratur zeigten noch Residuen der Entzündung, was 
für die Annahme des Vortr. zu sprechen scheint. 

Hervorgehoben wird ferner, dass ein histologisch normales, aber zu kleines 
'Gehirn (deshalb nicht Atrophie, sondern abnorme Kleinheit der Hemisphäre) nur 
•unvollkommen functionirt. Vortr. spricht noch einiges zur Symptomatologie und 


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differentiellen Diagnose gegenüber der diffusen Hirnsklerose and der Pseudo¬ 
sklerose. 

Herr Hirschl: Demonstration eines Falles von Osteomalaoie bei Myx- 
oedem. (Erscheint ausführlich.) 

Sitzung vom 15. Januar 1901. 

(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 403.) 

Herr Infeld stellt einen 32 Jahre alten Locomotivfuhrer mit schlaffer 
Paraplegie mit geringer Volumsverminderung ohne Entartungsreaction vor. Freie 
Rumpfbewegungen unmöglich; Störungen der Blasen-, Mastdarm- und Geschlechts- 
thätigkeit; hochgradige proximalwärts abnehmende Störung der Bewegungs- und 
Lageempfindung. Aufhebung bezw. oben leichtere Störung der Hautempfindung 
bis in eine unterhalb der Brustwarzen befindliche Ebene. Der 4. Brustwirbel, der 
im Beginn des Leidens (Juni 1900) stark druckschmerzhaft war, jetzt wenig 
druckempfindlich. October 1900 Schwäche, Gefühl von Todsein, Empfindungs¬ 
losigkeit der linken, 14 Tage darauf auch der rechten Unterextremität, zu welchen 
Symptomen die eingangs erwähnten nach und nach hinzukommen. Patellar- und 
Achillesreflexe anfangs gesteigert, dann allmählich geschwunden. Da Pat vor 
3Jahren Lues gehabt hat und specifische Behandlung Besserung erzielte, ist 
es gerechtfertigt, das Leiden zunächst als luetisch aufzufassen. 

Bauch- und Cremasterreflex sind nicht auslösbar, aber Streichen des Bauches 
an anderen Stellen löst (z. B. im Sprunggelenk derselben Seite) Reflexe aus. 
Babinski’scher Reflex vorhanden. Ferner ist bei Fehlen des Patellar- und 
Achillesreflexes der Adductorenreflex erhalten. 

Di8oussion über den Vortrag dea Hm. BisohofiTs: Ueber die sogenannte 
sklerotische Hemisphärenatrophie. 

Herr v. Wagner meint, dass die beiden Fälle an Sklerosen mehr um¬ 
schriebener Art, z. B. solche der Ammonshörner, erinnern, die auch in dem einen 
der beiden Fälle stark ausgeprägt schien. Ihm erscheint die Annahme, dass die 
Sklerose Endproduct vorangegangener Entzündungen sei, am plausibelsten. 
Wünschenswert^ wären Aufklärungen über feinere histologische Details, besonders 
die Wucherung der Glia. 

Herr Bischoff antwortet, dass er Weigert’s Gliafärbung zwar nicht an¬ 
gewendet habe, aber nach anderen Methoden keinen Unterschied in den Verhält¬ 
nissen der Glia beider Hemisphären gefunden hätte; auch die Grösse der Elemente 
schien beiderseits gleich. Secundäre Atrophieen waren nioht zu finden. 

Herr Redlich erinnert an einen aus dem Laboratorium Obersteiner’s 
durch Weiss veröffentlichten Fall diffuser Hirnsklerose, der mikroskopisch ein 
fast negatives Resultat ergab, bei dem der Autor gleichfalls eine Entzündung mit 
Ausgang in Sklerose annahm. R. fragt, ob Piaveränderungen vorhanden waren 
und bemerkt, dass man hier auch den experimentell erzeugten Schwund der Pyra¬ 
miden bei jungen Thieren erwähnen könnte, wo der Umfang der Bahn durch 
Ausfall von Fasern verkleinert wird, an deren Stelle andere Fasern wirken. 

Herr Bischoff erwidert, dass die Pia unverändert war; weiter, dass trotz 
des Mangels eines nachweisbaren histologischen Befundes die einfaohe Kleinheit 
einer Hemisphäre ein erworbener Zustand sein könnte. 

Herr Obersteiner hebt hervor, dass die geringe Vermehrung der Glia im 
Falle Weiss in keinem Verhältniss zur Knorpelhärte des Orgnns stand; auoh in 
einem Falle von Olivensklerose war der histologische Befund ein negativer. Die 
Methode Weigert’s ist kein umumgänglichee Postulat zum Nachweis vermehrter 
Glia, da eine solche durch van Gieson-Färbung recht gut erkennbar ist Eine 


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Kleinheit der nervösen Elemente reicht zur Erklärung der Sklerose nicht hin, es 
muss daneben zweifellos noch eine Consistenzvermehrang angenommen werden. 

Herr Hirschl: Uebor Osteomalaoie bei Morbus Baaedowil und Myx- 
oedem. (Nicht referirt.) 

Sitzung vom 12. Februar 1901. 

(Jahrbücher £ Psych. u. Neurolog. 1901. S. 406.) 

Herr Sternberg demonstrirt Befunde an peripheren Nerven bei Tuber* 
oulose und senilem Marasmus. 

Im Anschlüsse an die von Elzholz (Sitzung vom 11. December 1900) ge¬ 
zeigten . Veränderungen an Nerven bei seniler Demenz kann Vortr. an Nerven 
marastischer Individuen ähnliches an Präparaten dreier Fälle zeigen. Dieselben 
betreffen einen senilen Marasmus, einen senilen und einen jugendlichen Tuber- 
culosen. 

Deutlich waren besonders die Schaltstücke (Gombault’s segmentäre Neuritis), 
die beim jugendlichen Individuum kürzer waren als bei den bejahrten Personen. 
Auch die dicken Fasern, an die sich die Schaltstücke schliessen, sind leicht ver¬ 
ändert. Bezüglich der spiralig gewundenen feinen Fasern sind Täuschungen 
möglich. Ein Zusammenhang zwischen dem Verlaufe des Allgemeinleidens und 
der Nervenveränderung besteht nicht. Schliesslich wendet sich Vortr. gegen den 
Ausdruck segmentäre Neuritis für die Schaltstücke, mangels jeglicher entzündlicher 
Kriterien; gegen Regenerationserscheinung sprechen die Befunde hei progressiv 
zum Exitus führenden Processen. Da also die Genese dieser Veränderung nicht 
sicher ist, sollte man den nichts präjudicirenden Ausdruck „Schaltstücke“ 
dafür anwenden. 

Discussion: 

Herr Elzholz bemerkt dagegen, dass die „segmentäre Neuritis“ experimentell 
durch Bleiverfütterung erzeugt werden könnte, eine Noxe, die bekanntlich Neuritis 
erzeuge. Auch fanden sich intercaläre Segmente bei ausgesprochener Entzündung 
der mehr peripheren Antheile des Nerven (Dögönöration praewal6rienne). Bei 
Fehlen neuritischer Erscheinungen könnte man an abgelaufene entzündliche Pro- 
ce8se denken, weshalb man den Namen „segmentäre Neuritis“ wohl beibehalten 
kann. 

Herr Otto Marburg demonstrirt Präparate einer in Gemeinschaft mit Dr. 
v. Czyhlarz untersuchten und beobachteten amyotrophisohen Lateralsklerose. 

Das anatomische Substrat dieses klinisch keine Besonderheiten bietenden 
Falles bildeten Degenerationen der Vorderwurzelzellen vorwiegend im Halsmark 
mit solchen der Vorderwurzelfasern, solche des 12. und zum Theil 10. Kerns der 
Medulla oblongata, eine Pyramidendegeneration am stärksten im Cervicalmark (nach 
Marchi und Weigert nachweisbar), schwächer im Hirnstamm und der Rinde 
(nur nach Marchi nachweisbar). 

Der Vergleich dieses Befundes mit anderen ergiebt, dass bisher nur der 
exacte Beweis dafür erbracht ist, dass in der Hirnrinde bei der amyotrophisohen 
Lateralskleroße die Pyramidenfasern mit, aber auch ohne die Pyramidenzellen 
erkranken, und, nach dem stärksten Befallenwerden zu erschliesBen, der Process 
ein ascendirender sei. 

Die oft beschriebene Miterkrankung der Hinterstränge habe andere Ursachen 
als sie der vorliegenden Erkrankung (Lues, Strangzellendegeneration, vasculäre 
Sklerose) entsprechen. Hier sei keine secundäre Degeneration, auch keine Atrophie 
Ursache der Pyramidenläsion, sondern eine „primäre Degeneration“ charakterisirt 
durch Zerfall der Markscheiden mit relativ langem Erhaltenbleiben der Axen- 
cylinder, die Leitungsrichtung der Degeneration (retrograd), eine mässige Geiäss- 
wandinfiltratdon. 


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Als ätiologischer Factor wird besonders „Ueberfuoction bei Unterernährung“ 
betont (E ding er ’s Ersatztheorie). 

Herr Latzko: Demonstration von 5 Fällen von Oeteomalaoie mit Morbus 
Basedowii; Bericht über einen 6. Fall. 

Allen diesen Fällen ist eigen, dass neben florider Osteomalacie gleichfalls 
florider Morbus Basedowii bestand, dass beide Affeotionen der Phosphortherapie 
— theilweise wenigstens — wichen. 

Vortr. begründet nun seine Anschauung, dass es sich hier nicht um zufälliges 
Zusammentreffen, sondern organischen Zusammenhang beider Afifectionen bandle; 
er betrachte die Osteomalacie als Blutdrüsenerkrankung, eine abnorme, innere 
Secretion der Ovarien als Quelle des Uebels. Er schliesst, dass zwischen innerer 
Secretion der Ovarien and Thyreoidea Wechselbeziehungen bestehen, und Storungen 
der einen Function solche der anderen nach sich ziehen können, wodurch das 
Zusammentreffen von Osteomalacie und Morbus Basedow eine Erklärung fände. 

Herr Elzholz: Weitere Mifttheilung über Delirium tremens. 

Anschliessend an frühere Arbeiten über dasselbe Thema, wonach das Delirium 
seine Ursache in einem Gifte besitze, das den Toxinen von Infectionserregern 
gleiche, durch den chronischen Alkoholmissbrauch erzeugt, durch plötzliche Absti¬ 
nenz aber frei werde, berichtet Vortr. über ein Symptom, das gleiche Bedeutung 
hätte, nämlich den Coiyunotivalcatarrh der Deliranten, den er in ungefähr 50°; o 
der Fälle beobachtet hätte. Derselbe beschränkte sich meist auf die Lider und 
schwindet wenige Tage nach dem kritischen Abschluss des Deliriums durch Schlaf 

Neben diesem Catarrh, den das Deliriumgift erzeuge, rufe dasselbe gewiss 
auch einen Theil der complicirenden Bronchitiden, Verdauungsstörungen und 
Appetitlosigkeit hervor. 

Als ätiologischen Factor für den Ausbruch des Deliriums müsse Vortr. die 
Abstinenz ansehen (Beleg durch ein drastisches Beispiel), was durch Jaeobsohn 
wohl negirt, aber nicht hinreichend widerlegt erscheint. 

Otto Marburg (Wien). 


V. Vermischtes. 

Für die neurologische Section der Carlsbader Naturforscher-Versammlung 
sind noch nachstehende Vorträge angeseigt worden: 

Döllken (Leipzig): Die Oberfläche der Gehirne geistig hervorragender Männer (mit 
Demonstration). — Zanietowski (Lemberg): Ueber Leitungsgeaohwindigkeit, Erregbarkeit 
und Temperatursinn. — 0. Förster (Breslau): Die Grundlagen der motorischen Uebnnga- 
behandlung von Bewegungsstörungen bei Nervenerkrankungen (mit Kraukendemonstration). 
— 0. v. Leonowa (Würzbürg): Ueber die Entwickelonesabnormitäten bei Cyklopie. — 
L. Brann und A. Fuchs (Wien): Ueber ein nearasthenisches Pulsphänomen. 


VT. Berichtigung. 

ln Nr. 16 d. CentralhL, S. 776, Zeile 2 v. o„ muss es heissen*. „Pilci* statt Vortr. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Rodaction sind zu richten an Prof Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vmr & Cour, in Leipzig. — Druck von Mnsem & Wime in Leipzig. 


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Neurologisches Cent ralb latt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herauagegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einnndzw&nzigster 10 B * rl,n ‘ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Za beziehen daroh 
alle Bachhandlangen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 
direct von der Verlagsbachhandlang. 

1902. 1. October. Nr. 19. 


Inhalt: I. Orlginalmitthellungen. 1. Ueber die Bestimmung des Tastsinns vermittels 
eines neuen Aesthesiometers, von J. J. Graham Brown. 2. Ueber die Beziehungen des unteren 
Längsbttndels zur Schleife und über ein neaes motorisches Stabkranzsystem, von Priv.-Doc. 
Dr. H. Schütz. 8. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie, von Dr. med. August 
Dlehl in Lübeck. (Schloss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Alte and neae Untersuchungen über das Gehirn. II., 
III., IV., von Hitzig. 2. Das basale Riechbündel des Kaninchens, von Wallenberg. — Experi¬ 
mentelle Physiologie. 8. Contribution to the study of the cortical sensory areas, by 
Walton and Paul. 4. Ein mimisches Centrum im medialen Kern des Sehhügels, von Kirch- 
hofl. 5. Ueber die physiologische Contraotnr, von Lhotik. — Pathologische Anatomie. 
6. Aufsteigende Degeneration im Rückenmark nach Destruction der 5. Cervicalwurzel, von 
Resplnger. 7. A case of complete absence of visual System in an adult, by Spiller. .— Patho¬ 
logie des Nervensystems. 8. Der Zusammenhang von Nervenerkrankungen mit Störungen 
der weiblichen Geschlechtsorgane, von Theilhaber. 9. Untersuchungen über Reflexhyper- 
äathesieen bei Lungentuberculose, von Egger. 10. L’hdrdditd de l'odeur, par Fdrd. 11. Ueber 
familiäre Erkrankungen des Nervensystems, von BSumlin. 12. La paralysie pöriodique 
familiale, par Oddo et Audlbert. 18. Congenital nystagmus in father and cnild, by Fisher. 
14. La parapldgie spasmodique familiale et la solerose en plaques familiale, par Cestan et 
Guillain. 15. A case of sclerotic atrophy of cerebrum and cerebellum, familial type, occuring 
in a boy, by Clarke. 16. A brief report of the clinical, physiological and chemioal study of 
three cases of family periodic paralysis, by Mitchell, Flexner and Edsall. 17. A case of 
family periodic paralysis with a critical digest of the literature, by 8inger. 18. Amanrotic 
family idiooy, by Cotton. 19. Zur Aetiologie der Chorea minor im Kindesalter, von Rabert. 
20. Bidrag fil studiet af chorea minor’s ätiologi, af Frölich. 21. Ueber 65 Fälle von Chorea 
minor aus dem Leipziger Kinderkrankenhaus, von Brüning. 22. Ueber die ätiologischen Be¬ 
ziehungen der Chorea minor zu den Infectionskrankheiten, insbesondere zur rheumatischen 
lnfection, von Küster. 23. Ueber die ätiologischen Beziehungen zwischen Rheumatismus 
artic. acut., Endocarditis und Chorea minor, von 8chulz. 24. Nuovo caso di corea mortale 
con setticopiaemia da stafilococco piogene aureo, per Guizetti. 25. Zur pathologischen Ana¬ 
tomie der Chorea minor, von Reichardt. 26. Zur pathologischen Anatomie der Huntington’- 
sehen Chorea, von Stier. 27. Etüde sur la localisation deB symptömes de la ohorde de 
Sydenham, par Oddo. 28. A propos de la chorde des ddgdndres, par Houston. 29. Three 
cases of hereditary chorea, by Riggs. 30. Ueber Chorea chronica progressiva, von Westphal. 
31. Behandlung chronischer Chorea durch hypnotische Beeinflussung, von Schilling. 32. A 
note on the knee-jerk in chorea, by Gordon. 38. Les chorees symptomatiques, par R6non. 
84. Chorea hysterica arytbmica, von Vltek. 85. Un cas de chorde dlectrique (vandtd de tic 
curable juvenile), par Variot. 86. Ein Fall von Chorea senilis, von Bischof!. 87. I/dtat 
mental des tiqueurs, par Meige et Felndel. 38. Tic et fonction, par Neige. 89. Tic et doriture, 
par Meige. 40. Une observation de tic de Salaam, par Simon. 41. Les tics et leur traitement, 
par Meige et Feindei. Mit einer Vorrede von Brissaud. — Psychiatrie. 42. Ueber die 
Untersuchung von Vererbangsfragen und die Degeneration der spanischen Habsburger, von 
Kekuld von Stradonitz. 48. SelbBtbiograpbie eines Falles von Mama acuta, von Forel. 44. A 
eontribution to the pathology of acute msanity, by Orr. 45. Deux cas de manie gudris ä la 

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suite d'une infeotion grave, par Az fair. 46. Beitrag *ur Aeüologie der periodiaehea Psychoeen, 
von Neisser. 47. Uet>er periodischen Wahnsinn, von Bleuler. 48. Note snr la fr6qne»oe de 
la rätraotion de l’apondvroee palmaire ohez les aU4u&, par Fird et Francülua. 49. Die 
Stellnng der Aerzte an den öffentlichen Irrenanstalten, von Heppe* 

III. Aus den Gesellschaften. Wanderversammlung des Vereins (Br Psychiatrie und 
Neurologie in Wien am 11. und 12. October 1901. 

IV. Personalien. 

V. Berichtigung. _ 


I. Origin&lmittheilungen. 

1. Ueber die Bestimmung 

des Tastsinns vermittels eines neuen Aesthesiometers. 

Von J. J. Graham Brown, M. D., F. R. C. P. Edin., 

Assistant Physician, Royal Infirmary of Bdinbnrger, Leetorer on the Practice of Mediene, 
School of Medicine of the Royal Collegee, Edinburgh. 

Jeder Kliniker muss beim Studiren der Nervenkrankheiten sehr oft gefunden 
haben, dass ihm ein passendes Instrument fehlt, welches den bestimmten Grad 
Anästhesie in besonderen Fällen messen kann. 

Ein Aesthesiometer, wenn er für klinische Zwecke von Werth sein sollte, 
muss entschieden mehr oder weniger genau den Grad der Tastempfindung an 
irgend einer beliebigen Stelle der Haut messen können. Er muss alle Unter¬ 
suchungen mit Schnelligkeit machen können, damit der Kranke nicht erschöpft 
wird, noch sein Tastsinn sich durch verlängerte Untersuchung abstumpft 
Schliesslich muss er auch von bequemer Grösse und Construotkm sein, damit 
der Kliniker ihn leicht bei sich tragen k ann. Ich glaube, dass das Instrument, 
dessen Beschreibung nun folgt, diese Erfordernisse besitzt 

Wenn die Wahrnehmung des Gefühls der Rauheit, bezw. der Glätte, die 
Hauptfunction des Tastsinns ist, so muss die Schärfe dieses Sinnes nach seiner 
Fähigkeit, das Gefühl von Rauheit abzuschätzen, gemessen werden. 

Mit diesem Instrument ist ein Versuch gemacht worden, diese Idee aus¬ 
zuführen. 

Eine kurze Beschreibung des Instruments erschien zuerst in dem Journal 
of Physiology. XXVII. S. 85. (Fig. 1.) 

Das Instrument ist von sehr einfacher Construotion und besteht haupt¬ 
sächlich aus einer Schraube (A in Fig. 1), welche von der mit Kreistheilnngen 
versehenen Drehscheibe (B) gedreht wird, und welche am untersten Ende auf 
die Platte (C) drückt Auf diese Weise regulirt diese Sohraube mit Hülfe einer 
Springfeder (D) die Auf- und Abbewegungen eines kreisförmigen, ans Stück¬ 
metall gemachten Stäbchens (E). 

Durch die Bewegung der Schraube kann dieses Stäbohen auf irgend eine 
abgemessene Entfernung durch die glatte, gebogene, aus Stückmetall gemachte 
Oberfläche {FF) herauskommen. Obgleich seine Construction sehr einfach ist, 
so muss doch das Instrument mit der grössten Sorgfalt und Genauigkeit gemacht 
werden; denn wenn die mit Kreistheilnngen versehene Drehscheibe auf Null 


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steht, muss das untere Ende des Stäbchens {E) so ganz genau auf der Fläche 
der gebogenen Oberfläche {FF) sein und auch in die Oeffnung so genau passen, 
dass die Oberfläche sich vollkommen 
glatt fühlt, wenn man sie über 
das Weiche des Zeigefingers streicht 
Wenn nun die Schraube abwärts 
gedreht wird und das Stäbchen auf 
diese Weise ausläuft, so findet man, 
wenn der Grad des Auslaufens 
ungefähr 0,01 mm erreicht hat, 
dass die Oberfläche rauh zu werden 
anfängt, sowie man sie über das 
Weiche des Fingers streicht. Auf 
allen anderen Theilen des Körpers 
wird sie sioh aber noch immer voll¬ 
kommen glatt fühlen. Einen un¬ 
bedeutend grösseren Grad des Aus¬ 
laufens muss man haben, ehe die 
Rauheit auf der Haut der flachen 
Hand gespürt wird. Noch mehr 
muss man für die Haut in der Fig. / 

Region des Handgelenks haben 

und noch viel mehr für die Haut des Unter- und Oberarms. 

Die Curven der Fig. 2 geben ungefähr eine Idee von den Differenzen in 


m. m. 



% - 2 . 


der Schärfe des Tastsinnes, wenn man ihn auf Hand und Arm mit diesem 
Instrument prüft (Fig. 2.) 

56 * 




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864 


In dem neueren Modell dieses Instruments, welches in Fig. 3 illustrirt ist 
wird das eine Stäbchen durch sechs kleinere Stäbchen ersetzt (EBB). Drei von, 
diesen kleinen Stäbchen sind in Fig. 3 zu sehen. Ein jedes hat einen Durch¬ 
messer von 1 mm. Dieselben laufen von der glatten Oberfläche (FF) vermittels 
einer Schraube (A) aus, und diese wird von der mit Kreistheilungen versehenen 
Drehscheibe (£) gedreht. Eine vollkommene Umdrehung dieser Schraube ver¬ 
ursacht eine abwärtsgerichtete Bewegung von 0,25 mm. Diese Schraube drückt 
auf eine harte, aus Stahl gemachte Oberfläche (G) und dadurch geht ihre ab¬ 
wärtsgerichtete Bewegung auf den aus 8tückmetall gemachten Stempel (HE) 
über, in welchem die sechs kleinen Stäbchen befestigt sind. Dieser Stempel 

wird mit der Schraube vermittels 
B einer Spiralfeder (DB) in accurater 
Berührung gehalten. Diese Spiral¬ 
feder liegt in einer tiefen, kreis¬ 
förmigen Aushöhlung, die in ihrer 
unteren Fläche eingeschnitten ist 
Das Instrument kann leicht 
gelesen werden bis zu dem Grade 
von Feinheit, welcher einem Aus¬ 
laufen der Stäbchen von 0,0025 mm 
entspricht. Die Thatsache, dass in 
diesem Instrument die glatte Ober¬ 
fläche durch das gleichzeitige und 
gleichmä8sige Auslaufen der sechs 
kleinen Stäbchen rauh gemacht 
wird, statt eines einzigen, wie in 
dem ersten Instrument, macht es 
empfindlicher. Das Gefühl der Rau¬ 
heit kann mit sehr wenig Auslaufen 
empfunden werden, manchmal so¬ 
gar mit nur 0,004 mm. Als Instrument für physiologische Untersuchungen 
ist dieser Grad Feinheit wahrscheinlich genügend. Jedenfalls genügt es, wenn 
der Aesthesiometer zu klinischen Zwecken gebraucht wird. Es besitzt beson¬ 
dere Vorzüge bei klinischer Arbeit wegen seiner Kleinheit und Bequemlich¬ 
keit, besonders aber wegen der Schnelligkeit, mit welcher die Feinheit des Tast¬ 
sinns an irgend einer Stelle der Haut gemessen werden kann. Jeder Kliniker 
weiss wohl, dass eine längere Untersuchung der sensorischen Phänomene leicht 
Erschöpfung bei einem Kranken verursacht, und gerade diese Erschöpfung 
schwächt die Schärfe des Tastsinns. Es ist daher höchst rathsam, dass die 
Untersuchung möglichst rasch gemacht werden kann, und dies kann geschehen, 
wenn man diesen Aesthesiometer gebraucht. 

Beim Gebrauch dieses Instruments sind gewisse Vorsichtsmaassregeln zu 
beobachten. Erstens muss die Temperatur des Metalls so genau wie möglich 
wie die der Haut sein, auf welche es gelegt werden soll. Irgend eine Erregung 



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885 


in den Organen des Temperatnrsinns würde die Genauigkeit der gewonnenen 
Resultate stören. 

Wenn man die relative Tastempfindlichkeit an zwei oder mehr Stellen 
messen will, und überhaupt, wo eine sehr genaue Untersuchung gemacht werden 
soll, muss der Benutzende darauf aufmerksam sein, dass der Druok des In¬ 
struments auf der Haut überall möglichst ein gleicher ist, und auch, dass die 
Schnelligkeit, mit welcher die Oberfläche des Instruments über die Haut gezogen 
wird, möglichst einförmig ist. Die Richtung der Bewegung ist auch von Wichtig¬ 
keit Rauheit ist meiner Meinung nach vielleicht etwas leiohter zu bemerken, 
wenn man den Aesthesiometer über die Haut von der Peripherie aus central- 
wärts bewegt. Wenn man Vergleichungen anstellen will, so muss die Bewegung 
nach einer einzigen Richtung hin gehen. 

Die Haut ist natürlich leichter zusammengedrückt, wo sie dicht an einem 
Knochen liegt Solche Stellen muss man vermeiden. 

Man muss bestimmt darauf sehen, dass die Haut, die untersucht werden 
soll, nicht bemerkbar feucht ist An feuchten Stellen wird die Oberfläohe des 
Aesthesiometers leicht kleberig und dies verursacht ein gewisses Zerren an der 
Haut, welches die Resultate der Untersuchung stört Man weiss auch, dass das 
Befeuchten der Haut die Schwelle der Schmerzempfindung erniedrigt Es kann 
sein, dass es auch auf die Schärfe des Tastsinns Einfluss ausübt. Es ist also 
rathsam, dass man die Haut abtrocknet, ehe man sich des Instruments bedient 
An jenen Stellen der Haut, die grösseren Auslaufens der kleinen Stäbchen be¬ 
dürfen, bevor eine Empfindung von Rauheit bemerkt wird, veranlasst das Instru¬ 
ment leicht ein gewisses Zerren. Die Haut an solchen Stellen muss daher ein 
wenig geölt werden, ehe man das Instrument gebraucht Es ist kaum nöthig 
zu sagen, dass alle Versuche an möglichst haarlosen Stellen gemacht werden. 

Das Instrument hat Mr. A. H. Baird, Scientific Instrumentmaker, 33 Lothian 
Street, Edinburgh, mit grösster Sorgfalt für mich construirt. 


2. Ueber die Beziehungen des unteren Längsbündels zur 
Schleife und über ein neues motorisches Stabkranzsystem. 1 

Von Privatdocent Dr. H. Schütz, 
an der Universität Leipzig. 

Den Anlass zu den Untersuchungen, deren Ergebnisse in Nachstehendem 
mitgetheilt werden sollen, gab der Befund an zwei Gehirnen mit Mikrogyrie. 
Hier war trotz eines fast völligen Fehlens des Schläfen- und Hinterhauptslappens 
das untere Längsbündel (Fascicnlus longitudinalis inferior, Stratum sagittale 
extern um) ganz gut erhalten, und es war deutlich zu sehen, dass es seinen 


1 Nach einem in der medicinischen Gesellschaft zn Leipzig am 26. Mai d. J. gehaltenen 
Vortrag. 


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— 886 — 

Verlauf vom Hinterbauptspol ab nioht nach dem Sohläfenlappeu, sondern nach 
dem Mittelhirn zu nahm. 

Dieser Befund stand nioht in Uebereinstimmung mit der üblichen Auf¬ 
fassung vom Verlauf und den Functionen des unteren Längsbündels, wie sie 
auch in den gebräuchlichen himanatomischen Lehrbüchern ausgedräokt ist» wonach 
dieses Bündel ein Associationsbündel ist, welches den Hinterhaupteiappen mit 
dem Schläfenlappen verbindet. 

Dieser Auffassung ist auch in neuerer Zeit Fuschsig entgegengetreten. 
Nach ihm ist das untere Längsbündel ein Projectionsbündel, das seinen Ur¬ 
sprung bezw. sein Ende im Thalamus opticus nehmen soll. 

Für meine Untersuchungen standen mir eine Anzahl von Sohnittsaoen 
(im Ganzen sechs) in frontaler Richtung, vom 7 monatlichen Fotos bis nun 
6 Wochen alten Kind zur Verfügung, welche mit der PAi/sohen Modifikation 
der WsiGBBT’schen Markscheidenfärbung behandelt worden waren. 

Die Fasern des unteren Längsbündels werden verhältnissmässig schon frühzeitig 
markhaltig. Beim Neugeborenen ist das Bündel sohon vollständig entwickelt; 
auch bei einem 8 monatlichen Fötus habe ich Spuren davon sehen können, 
während es bei einem 7 monatlichen Fötus noch keine markhaltigen Fasern auf- 
wies. Die sogenannte GBATiOLwr'sohe Sehstrahlung oder das Stratum sagittale 
intemum wird wesentlich später, ungefähr um die 8.—4. Woche markhaltig. 
Es ist deshalb auch ziemlich leicht an Gehirnen von Neugeborenen, den weiteren 
Verlauf des unteren Längsbündels zu verfolgen. 

Das Bündel hat seine grösste Stärke in einer Schnittgegend, welche ungefähr 
der Gegend des Corpus geniculatum eitern um entspricht, wenn der Schnitt 
frontal durch das ganze Gehirn gelegt ist Es umgiebt das Hinterhorn des 
Seitenventrikels in einem ziemlich weiten Bogen. Zwischen dem Ventrikel und 
dem unteren Längsbündel befindet sich der Raum für die G&anoLET’sehe Seh¬ 
strahlung und das Tapetum. Die Fasern des unteren Längsbündels verlaufen 
im oberen Theile dieses Bogens von der medialen naoh der lateralen Seite im 
lateralen Theile des Bogens in sagittaler Richtung und im unteren Theile wieder 
von der lateralen nach der medialen Seite, nach dem Ajnmonshom zu. Sie 
machen demnach zwei Mal eine Biegung in eine andere Richtung durch. Das 
Ammonshorn selbst erreichen sie jpdoch nioht Sie rücken zwar, je weiter 
die Schnitte occipitalwärts liegen, um so mehr, nach dem Ammonshora zu, er¬ 
reichen die Rinde aber erst im Gyrus lingualis. In denjenigen Schnitten, welche 
von dem Hinterhanptspol ungefähr 2—3 cm entfernt sind, umgiebt das untere 
Längsbündel den Ventrikel vollständig. Es befindet sich aber auch hier ein 
breiter Saum zwischen Ventrikel und dem unteren Längsbündel, der, nachdem 
die GnATionET’scbe Sehstrahlung markbaltig geworden ist, von deren Fasern 
und den Fasern des Tapetum, die sich noch später entwickeln, ausgefüllt wird. 
Man sieht hier auch deutlich, dass aus dem unteren Längsbündel Fasern von 
oben her in den Cuneus einstrahlen und in den noch weiter polwärte zu ge¬ 
legenen Schnitten ist dann der Cuneus mit dem Gyrus lingualis durch feine 
Bogenfasera verbunden. Nur der Cuneus und Gyrus lingualis sind zu dieser 


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Zeit mit markhaltigen Fasern versehen. Die übrigen Windungen des Hinter¬ 
hauptlappens erhalten ziemlich schnell markhaltige Fasern, sobald die Gratio- 
LET’sche Sehstrahlung markhaltig geworden ist 

An der oben erwähnten Stelle nun, an welcher das untere Längsbündel 
seine grösste Stärke hat, in der Gegend des äusseren Kniehöckers, ist weiterhin 
wahrzunehmen, dass es ans zwei Arten von Fasern zusammengesetzt ist 

1. Seitlich vom äusseren Kniehöcker ist hier ein unregelmässiges ovales 
oder rundes Feld von Fasern zu sehen, aus dem Fasern in das untere Längs¬ 
bündel einstrahlen, dessen Stärke nach dem Hinterhauptspol zu immer mehr 
abnimmt, und das sich schliesslich durch Abgabe von Fasern an das untere 
Längsbündel völlig erschöpft Verfolgt man dieses Feld weiter nach dem Stirn¬ 
pol zu, so sieht man, dass es seine Fasern direct aus dem N. opticus bezieht 
Der N. opticus rückt so nahe an dieses Feld heran, dass man den Uebergang 
seiner Fasern in dasselbe scharf sehen kann. Weiter frontalwärts ist es nicht 
mehr wahrzunehmen. Es ist ein relativ grosser Antheil der optischen Fasern, 
welcher an dieses Feld und damit an das untere Lftngsbündel abgegeben wird, 
denn der Querschnitt des Opticus ist nachdem wesentlich kleiner. 

2. Einen weiteren beträchtlichen Zuzug von Fasern erhält das untere 
Längsbündel aus dem Mittelhirn bezw. von der Schleife her. Diese Fasern ge¬ 
hören dem nun zu beschreibenden Stabkranzsystem an. 

An dem Gehirne eines 12 Tage alten Kindes lassen sich die nachfolgenden 
Einzelheiten, die aber auch an den übrigen von mir untersuchten Schnittreihen 
sich vorfanden, mit grosser Deutlichkeit wahrnehmen. 

Von der lateralen Seite der medialen Schleife trennt sich ungefähr in der 
Gegend des äusseren Kniehöckers ein starkes Faserbündel ab, das einen aus¬ 
gesprochenen Verlauf seitwärts nimmt Ungefähr in der Gegend des äusseren 
Kniehöckers und dicht über ihm, breitet sich dieses fächerartig aus, indem es 
sich in einzelne Faserbündel spaltet, die sich wieder gefleohtartäg aneinander¬ 
legen und dann wieder auseinandergehen, in der Weise, wie sich die Stabkranz- 
fasem an Längsschnitten durch das Grosshirn, der Stabkranz des äusseren 
Kniehöckers u. a. darzustellen pflegen. 

Die Ausbreitung dieses Stabkranzes geschieht nun nach vier Riohtungen: 

1. Nach dem unteren Langsbündel, zu dessen Zusammensetzung es beiträgt 

2. Nach der ersten Schläfenwindung und zwar nach ihrem vorderen Dritttheil. 

3. Nach den Central Windungen. Diese Fasern befinden sich auf Frontal- 
sehnitten seitlich von den Fyramidenbahnen und ziehen, indem sie theils 
am distalen Ende des Linsenkernes, theils an seinem lateralen Bande aus 
der medio-lateralen in die ventro-dorsale Richtung hin umbiegen, in die Central¬ 
windungen. An den Präparaten ist übrigens mit Sicherheit wahrzunehmen, 
dass ein grosser Theil der medialen Schleife durch den Thalamus optious hin¬ 
durch in die innere Kapsel zieht Ich möchte dies bemerken, mit Hinsicht 
darauf, dass die direote Verbindung der Schleife mit der inneren Kapsel und 
den Centralwindungen noch mehrfach in Zweifel gezogen wird. 

4. Der Rest der Fasern verläuft am äusseren Rande des Linsenkernes, 


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schräg in ventraler Riohtnng nach dem Stirnpol und endigt hier in der Nähe 
der vorderen Commissur, die aber auf dieser Entwicklungsstufe noch keine 
markhaltigen Fasern führt, im Mandelkern, wo er mit den vom N. olfactorins 
herkommenden Fasern ein Netzwerk bildet, dessen letzte Ausläufer sich noch 
eine Strecke in das Ammonshorn hineinziehen und in der Nähe der medialen 
Spitze des Unterhorns des Seitenventrikels in Form kurz abgeschnittener, dicht 
aneinanderliegender feiner Fasern sichtbar sind. 

Verfolgt man das Stabkranzbündel weiter distalwärts, so kann man wahr¬ 
nehmen: 

1. Dass seine Fasern zum kleineren Theil, nachdem sie eine kurze Strecke 
der Schleife gefolgt sind, von ihr abbiegen und in die Substantia nigra hinein¬ 
ziehen und sich dort in ein Fasernetz auflöeen, das ungefähr Aas laterale Drifct- 
theil dieser grauen Masse einnimmt, während die anderen zwei Dritttheile noch 
kein Fasernetz aufweisen. 

2. Dass der grösste Theil seiner Fasern zum lateralen Theile der medialen 
Schleife wird. Auf den mir zur Verfügung stehenden Präparaten lassen sich 
diese Fasern dann nicht mehr von den übrigen Schleifenfasem unterscheiden. 

Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass von dem lateralen Theile der 
Schleife aus ein Stabkranz sich entwickelt, welcher in den Mandelkern bezw. das 
Ammonshorn, die vordersten Theile der ersten Scbläfenwindung, die Central¬ 
windungen und in den Gyrus lingualis und den Cuneus ausstrahlt Es fragt 
sich nun, welcher Art diese Fasern sind, ob sie cortioofugale oder cortico- 
petale Leitungen darstellen. Durch Untersuchungen aus neuerer Zeit ist fest¬ 
gestellt worden, dass die Schleife neben centripetalen auch centrifugale Leitungen 
führt Dies ist namentlich durch die Untersuchungen von Soblesinoeb 1 und 
Hochs 2 festgestellt worden. Beim Vergleich der Abbildungen, welche Schlb- 
singeb und Hochs ihren Arbeiten beigegeben haben, mit meinen Präparaten 
ist es zweifellos, dass das oben von mir beschriebene Stabkranzbündel aus der 
Schleife identisch ist mit den „lateralen pontinen Bündeln“ Schlesingkk’s 
oder der „motorischen Schleifenbahn“ von Hochs. Es besteht demnach 
im menschlichen Gehirn ein Stabkranz mit motorischer Leitung, welcher 
von bekannten Centren des Olfactorius, Opticus, Acusticus und der Gefühls¬ 
empfindung im Grosshirn ausgeht, und den ich als primäre motorische 
Bahn bezeichnen möchte. 

Wie ich schon bemerkte, ist eine weitere Verfolgung der primären motori¬ 
schen Bahn über die Schleife oder die Substantia nigra hinaus nach unten an 
meinen Präparaten mir nicht möglich gewesen. 

Die Untersuchungen von Hochs haben aber ergeben, dass der von ihm 


1 ScHLBsnoKB, Beiträge zur Kenntnis* der Schleifendegeneration. Arbeiten atu dem 
Institut für Anatomie and Physiologie des Centralnerrensystenu an der Wiener Univerait&t 
1896. Heft 4. 

* Hoch*, Beiträge zur Anatomie der Pyramidenbahn and der oberen Schleife, nebst 
Bemerkungen über die abnormen Bündel in Pons and Med all* oblongata. Archiv f. Psyoh. 
Bd. XXX. 


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als motorische Schleifenbahn bezeichnet Faserzug — welchen er auch als Stab¬ 
kranzsystem auffasst — Verbindungsfasern zu den motorischen Hirnnerven führt, 
die aber getrennt von den zu diesen Nerven von den Pyramidenbahnen aus¬ 
gehenden Fasern verlaufen. 

Eine Thatsache möchte ich aber hier anführen, die immerhin geeignet er¬ 
scheint, den weiteren Verlauf der primären motorischen Bahn im Rückenmark 
vermuthen zu lassen. Bei der Geburt sind einerseits wie alle Kerne der Hirn¬ 
nerven, insbesondere der motorischen, so auch die* Vorderhörner des Rücken¬ 
markes mit einem deutlich wahrnehmbaren Fasemetz versehen, andererseits sind 
auch die vorderen Wurzeln bereits markhaltig, obgleich die Pyramidenbahnen 
noch nicht markhaltig sind. Es liegt die Annahme nahe, dass schon vor der 
Entwickelung des Markes in den Pyramiden bahnen die vorderen Wurzeln der 
Leitung von Reizen gedient haben. Ausserdem ist der Umfang der primären 
motorischen Bahn so massig, dass sie höchstwahrscheinlich mit der Abgabe von 
Fasern an die Hiranerven bei Weitem noch nicht erschöpft ist Nach Unter¬ 
suchungen, die aber noch nicht abgeschlossen sind, vermuthe ich den weiteren 
Verlauf der Bahn in den Vorderstranggrundbündeln. 

Es erübrigt vielleicht noch, einige Bemerkungen physiologischer bezw. patho¬ 
logischer Art hier anzuknüpfen. Ich habe schon oben erwähnt, dass der von 
mir beschriebene 8tabkranz motorischer Fasern seinen Ursprung von den Centren 
für die Sinnesempfindung nimmt Er geht insbesondere von denjenigen Theilen 
der Grosshirnrinde aus, welche Flechsig für seine Sinnescentren in Anspruch 
nimmt Diese wären demnach als sensomotorische Centren anzusehen. Be¬ 
merkenswerth ist hierbei, dass ihre centripetale Verbindung mit der Peripherie 
in der ersten Zeit des Lebens eine directe ist, d. h. ohne Unterbrechung im 
Thalamus opticus oder einer grauen Masse des Zwischenhirn. 

Das Vorhandensein einer motorischen Leitung vom Grosshirn aus, neben 
den Pyramidenbahnen, ist schon lange vermuthet worden. Ich kann im 
Einzelnen hier nicht auf Litteraturangaben eingehen und will nur die Be¬ 
obachtung anführen, dass Hemiplegiker mit vollständigen Läsionen der Pyra¬ 
midenbahnen bei starken Reizen im Stande sind, mimische Bewegungen zu 
machen, den Schlingaot auszuführen und dergleichen. Ebenso dürften wohl 
auch die Bewegungen Neugeborener, bei denen die Pyramidenbahnen noch nicht 
entwickelt sind, sobald irgend welche Reize die Neugeborenen treffen, in dieser 
Bahn verlaufen. Es ist dies um so wahrscheinlicher, als auf Reize, welche das 
Auge, das Ohr des Neugeborenen treffen, heftige Abwehrbewegungen zu folgen 
pflegen. Hier kann die Auslösung des Reizes nur direct von den betr. Sinnes¬ 
centren aus erfolgen, da ja zu dieser Zeit Verbindungen associativer Art zwischen 
den einzelnen Sinnescentren und dem Ausgangspunkte der Pyramidenbahnen, 
den Centralwindungen noch nicht vorhanden sind. Möglicherweise verläuft auch 
ein Theil des Reflexbogens für die Lichtreaction der Pupille in dieser Bahn. 
Man könnte sie daher auoh mit Recht etwa als cortico-motorische Reflexbahn 
bezeichnen, wenn man dem nicht mit Recht entgegenhalten könnte, dass auch 
der Pyramidenbahn diese Function zugestanden werden kann. 


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Nioht ohne Bedeutung scheint mir auch die Kenntniss dieser Bahn au sein 
für die Auffassung über das Zustandekommen epileptischer Convulatonen. Es 
könnte z. B. der von einem Sinnescentrum ausgehende Beizzustand, wie er sieh 
bei vielen Epileptikern in Form der sogenannten Aura in verschiedenen Sinnes- 
gebieten darstellt, genügen, um, ohne dass der Beiz auf weiter entfernte Tbeile 
der Grosshimrinde übergeht, sofort eine motorische Beaction herbeizuführen. 

Die Vorstellung, dass jedem Sinnescentrum auch eine entsprechende moto¬ 
rische Bahn beigegeben sei, ist übrigens keineswegs neu. Diese Vorstellung 
war aber bis jetzt über die Hypothese noch nicht hinausgegangen. Es fehlte 
noch der anatomische Nachweis, den ich im Vorstehenden geführt zu haben 
glaube. 

Ausführlichere Mittheilung behalte ich mir vor. 


3. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie. 

Von Dr. med. August Diehl, Nervenarzt in Lübeck. 

(Sohlass.) 

In dem 2. Falle, den ich ale Paradigma anführen will, wurde ioh zu einer 
Dame gerufen, die ioh seit Jahren kenne und die an ausgesprochener Hysterie 
leidet. Am Abend vorher stellte sich ein für die Pat. offenbar enorm eindrucks¬ 
volles Ereigniss ein, das ab Anfall einer „namenlosen Angst“ gleich bezeichnet 
wurde. Pat. hatte während langen Wochen ihren schwerkranken Mann, einen 
Arzt, unter vielen gemüthlichen Aufregungen in hervorragender Aufopferung ge¬ 
pflegt und erlitt dabei Einbusse an Gewi oh t, an gesundem Aussehen und an Wohl¬ 
befinden. Pat ist eine der Kranken, die es gelernt haben, ihre gemüthliche Labi¬ 
lität durch Uebung zu beherrschen; sie ist weit über das gewöhnliche Maasw 
hinaus gebildet, ist intelligent von gutem Urtheil, zuverlässig und wenig bestimmbar 
im Thun und Denken. Von der Pat. und deren Manne erfahr ioh Folgendee: 
Pat war am Abend vor dem Schlafengehen in die vorderen Zimmer ihrer Wohnung 
gegangen, fand das Arbeitszimmer des Mannes schlecht gelüftet und glaubte, 
die üble Gerucbsempfindung ab Leichengeruch deuten zu können. Das bewegte 
sie einen Moment; sie dachte dann mit dem ihr eigenen Interesse für psychisches 
Geschehen darüber nach, oh die längere Abwesenheit des Mannes ans dem Zimmer 
bei ihr wohl den Eindruck des Leichengeruches wachgerufen hätte. Ein Gefühl 
der Furcht, der Angst hatte sie dabei nicht Sie öffnete die Fenster, ging in 
die Nebenräume, begoss die Blumen und fand, dass drei frische Blätter an der 
ins Zimmer versetzten Aralie abgefallen waren. Die Blätter zeigte sie im Schlaf¬ 
zimmer ihrem Manne. Ab sie dieselben in den Händen hielt, traf sie plötzlich 
ein Schreck, der in der plötzlich auftanchenden Vorstellung „Todtenbouquet“ seinen 
Grund hatte. Das dauerte nur einen Moment, und dann erzählte sie laohend die 
eigenthümliohe innere Bewegung ihrem Manne. In irgend eine der Patientin be¬ 
wusste Beziehung zum Leiden und Zustande des Mannes wurde Leiohengeruoh und 
Todtenbouquet so wenig gebracht, wie von ihr dieses Auftauchen soloher Vor¬ 
stellungen ab Ahnung für ihr Wohl gedeutet wurde. Patientin ist ganz frei von 
irgendwelchen abergläubischen Gedanken und erkennt weder in religiöser Beziehung 
noch sonstwo unnatürliche Vorgänge an. Für sie bedeuteten diese beiden das 
Gemüth affioirenden Vorstellungen etwas Unverknüpftes; eine assoeiative Thätigkeit, 


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891 


t: die zwischen ihnen bewusste Verbindungen mit ihrer Lage schuf, ist streng in 

t Abrede gestellt. Nachdem sie das Zimmer verlassen und verschiedene häusliche 

, Dinge geregelt hatte, kam sie mit entstellten Zügen zu ihrem Manne zurück, 

sagte noch mechanisch, dass sie nicht wohl sei, ging 2 Mal im Zimmer ziellos auf 
und nieder und setzte sich auf die Bettkante mit duroh die Hände verdeckt ge- 

1 haltenem Gesicht Wie erstarrt verharrte sie in dieser Stellung; ein Versuch, sie 

2 anzureden, führte zu einer kurzen abwebrenden Antwort. Jede Bewegung liess sie 

. t zusammenschrecken; einer Berührung wich sie aus und sie berichtete dem bestürzten 

^ Manne in abgerissenen Worten, sie habe eine sie vernichtende Furcht Respiration 

und Puls waren unverändert Sie bat dann um Cognac, trank ihn hastig, fragte, 
ob es wohl vorübergehe, ob etwas passire, wo sie Hülfe finden könne. Der Schweiss 
brach aus; die Züge blieben starr, der Ausdruck der Augen war unsäglich rathloB 
und Hülfe suohend. Der Zustand hatte im Ganzen eine Dauer von 10—15 Minuten; 
2 Mal versuchte sie, sioh mit Worten zu ermuntern und den Platz zu wechseln, 
um über die Zwangslage hinwegzukommen. Nachher wurde sie ruhiger, war bis 
zum Aeussersten erschöpft, spürte nichts von der Wirkung grosser Mengen Cognac, 
vermied jedes Geräusch, alles, was sie erschrecken konnte, entfernte vom Fenster 
r die im Winde bewegte Gardine, u. s. w. In kurzen Worten erläuterte sie ihrem 

Manne, was sie da durchgemacht habe, könne kein Mensch verstehen, der nicht 
selbst Aehnlichea erlebt habe; der Gedanke zu sterben sei ihr erträglicher als zu 
denken, dass dieser Zustand nochmals wiederkommen könne. Sie sei wie ange¬ 
packt gewesen, habe das Bedürfhiss gehabt, sich garnicht mehr zu rühren. Sie 
stand unter dem Einfluss einer vernichtenden Furcht, der sie preisgegeben war; 
die Nachwirkung zeigte sich im Verlauf der Naoht durch unruhigen Schlaf und 
die mehrfache ängstliche Frage, ee könne doch nichts passiren. Meine Fragen 
nach allen Bichtungen bin wurden von der willigen Patientin in ihrer intelligenten 
Art beantwortet. Den Zustand könne man nicht Angst nennen, das sei Furcht, 
entsetzliche Furcht, wie sie wohl bei Kindern sein mag, wenn sie mit der er¬ 
wachenden Phantasie Abends vor dem Einschlafen duroh phantastische Gebilde 
ihrer Vorstellung so gequält werden, dass jeden Menschen ihr markerschütterndes 
Aufschreien mit dem sinnlosen Anklammern und Beben des ganzen Körpers er¬ 
greifen muss. Ihre Furcht habe keinen Gegenstand gehabt; sie dachte nicht an 
Tod, Untergang, Gefahr oder Unglück. Eine nichts sagende, aber um so mehr 
angsterfüllte Ahnung sei da Über sie gekommen; ihr sei sie ganz preisgegeben 
gewesen. Das hätte sie empfunden, als sei Allee und Jedes in ihr bis auf’s 
Höchste gespannt, und jede Bewegung an sieb wie in der Umgebung sei ihr 
so qualvoll geworden, weil sie etwas auslösen könnte, was sie wie ein dunkles Ver- 
hängniss ahnte. Die Hand habe sie vor den Augen still halten müssen, um nicht 
durch deren Bewegung sich zu entsetzen. Die Gedanken richteten siob auf nichts, 
sie waren wie angehalten. In der Schilderung sah man, wie Patientin sich ab¬ 
mühte, das Grausige 4er Situation in Worte zu fassen. Ihr ganzes Wesen har- 
monirte mit der Aeusserung; „Gegen solche Qual einer Furcht kann nichts in der 
Welt etwas bedeuten.“ 

Bei näherer Erkundigung erfuhr ich, dass Patientin weitere Male etwas Aehn- 
liches durchgemacht hatte, nur in geringerem Maasse. Immerhin waren die Zu¬ 
stände der Furcht so eindrucksvoll und eigenartig für die Kranke gewesen, dass 
sie sofort über Anlass und Verlauf der Furchtanfälle mit reger Theilnahme er¬ 
zählen konnte. Kein Mal richtete sich die Furcht auf ein bestimmtes Object; 
das war das Eigentümliche und gab der denkenden Patientin das Gefühl, es 
müsse solche Furcht der Ausdruck eines grossen Schwäohezustandes des Nerven¬ 
systems sein. Dieee Schwäche lähme das Seelenleben mit elementarer Gewalt wie 
etwa ein Sohlaganfall die Gliedmassen lähmen könne. Von Bedeutung waren mir 
noch zwei Bemerkungen. Patientin forderte mich auf, das Vorgefallene nicht mit 


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892 


der Angst zu verwechseln, die sie auch natflrlioh kenne. Besonders früher habe 
sie zeitweise Angst mit Herzklopfen und Engigkeit auf der Brust gehabt. Dann 
habe die Angst sich an die Vorstellung angelehnt, der Athem könne ausgehen, 
sie könne sterben oder diese nervöse Erscheinung könne von Andern bemerkt 
werden. Die Furcht habe mit dieser Angst nichts gemeinsam; jene komme wie 
aus heitrem Himmel und lege den Menschen in Fesseln. Wichtig und interessant 
war es zu erfahren, dass Patientin nie im Leben ängstlich war, etwa vor Dunkel¬ 
heit, Einsamkeit. Gespensterfurcht war ihr ein Räthsel. Der Mann klagte, dass 
seine Frau unvorsichtig abends weite Besorgungen machte, dass sie sich nach dem 
Theater nicht abholen lassen wolle, obwohl sie bis zur Wohnung ausserhalb der 
Stadt verlassene und nicht geheure Wege zu machen habe. In ihrer Sorglosig¬ 
keit hatte sie, als sie einmal allein zu Hause war, das Haus mittags nicht ab¬ 
geschlossen; als sie vom Mittagsschlafe aufwachte, beschäftigte sich vor ihren 
Augen ein Landstreicher mit den Gegenständen im Zimmer. Gleich fuhr sie aus 
dem Lehnsessel, wies den Eindringling unter gehöriger Maassregelung zur Thür 
hinaus und hatte sich nach eigner Angabe nicht einmal sehr erschrocken. Das 
beweist, dass die Patientin alles andere als furchtsam ist; auch als Kind kannte 
sie keine Aengstlichkeii 

Die beiden Krankheitsbilder sind absichtlich in den wesentlichen Punkten 
mit aller Ausführlichkeit gegeben und halten sich streng an die Unterredung 
mit den Patienten selbst. Daduroh kann ich mir ein ausführliches Eingehen 
auf das Wesen der Angstformen, die bei der Hysterie Vorkommen, bei der Neur¬ 
asthenie aber nicht, ersparen und den Kernpunkt der Abhandlung dahin zu- 
sammenfassen, dass bei beiden Leiden eine Angst vorkommt, die sich mit einer 
bestimmten Vorstellung einstellt, aus ihr ihren Ursprung nimmt, sie als Be¬ 
gleiterscheinung hat oder vielleicht sich diese Vorstellung als Grund zur Angst 
erst schafft, dass aber daneben nur bei der Hysterie eine Angst beobachtet 
wird, die sich als gegenstandslose Furcht, als dunkles, angsterfülltes Ahnen ver- 
räth, die nichts von Inhalt zurücklässt, sondern nur die Erinnerung an den hohen 
Grad einer vernichtenden Furcht 

Wie schon erwähnt, nahm ich zur Schilderung dessen, was ich zor Sprache 
bringen wollte, die durchsichtigsten Fälle meiner Krankheitsberiohte heraus. Ke 
stammen zufälligerweise aus dem letzten halben Jahre; in ihnen ist mit greller 
Farbe das gezeichnet, was ich seit Jahren in mässigen Graden immer und immer 
wieder finden konnte, seitdem ich mein Augenmerk auf den Punkt gerichtet hatte. 

Während meiner Assistentenzeit an der Heidelberger Universitäts-Irrenklinik 
hatte ich Gelegenheit, dieselben hysterischen Kranken lange Monate hindurch 
jeden Tag häufiger zu sehen. Wer im Anstaltsleben für seine Ruhe in dienst¬ 
freien Stunden etwas thun will, findet sehr bald heraus, wie wichtig es ist, bei 
den Visiten auf der Abtheilung sich den hysterischen Kranken besonders an¬ 
gelegentlich zu widmen. So gebt man fast unfreiwillig allen ihren Regungen 
nach und lernt dabei, was alles im Leben den Menschen ärgern kann, wie leicht 
man selbst, ohne es zu wollen, tief verletzt u. s. w. Nun findet man gar nicht 
selten, dass diese Kranken den Grund für ein sonderbares Verhalten nicht ver- 
rathen. Glaubt man zuerst noch, sie seien abweisend, so überzeugt man sich 
bald, dass z. B. eine Aeusserung der Angst nicht immer albernes Gethue oder 


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übertriebene Abneigung vor bestimmten Mitkranken ist, sondern dass in ihrem 
Innern ein Vorgang sich abspielt, über den sie um so weniger berichten können, 
je mehr sie darunter leiden. Bei Kranken, die mit Anfallen behaftet sind, konnte 
ein solcher Zustand, der sich in grosser Rathlosigkeit im Ausdruck und in Ge¬ 
bundenheit im Wesen kenntlich machte, sehr häufig in Verbindung mit dem 
Anfall, etwa als dessen Prodrom, gebracht werden. Man gewöhnte sich an diesen 
Zusammenhang und schrieb beides der gerade bestehenden geringen psychischen 
Widerstandsfähigkeit zu. Aber auch ohne dass Anfalle vorkamen, trug die Angst 
den oben gezeichneten Charakter. Was die Kranken dann über den Grund, den 
Inhalt, über die Empfindung im Angstzustande berichten konnten, war durch¬ 
weg so dürftig, dass ich lange daran festhielt, die Abneigung der in solcher Zeit 
wohl besonders abweisenden Kranken lasse mich über ihre seelischen Vorgänge 
ganz unaufgeklärt In der That konnten die Kranken nicht mehr sagen, weil 
sie aus der Erinnerung nichts zu schöpfen hatten, was jemals bei ihnen zur 
Vorstellung wurde. — Die Grösse dieser Furcht nimmt alle Grade an. Man 
sieht die Kranken oft nur für Minuten, oft für Stunden mässig geängstigt, wo¬ 
bei sie auf keine Weise irritirt werden wollen. Dann ist ihre Sprache klanglos; 
die Augen suchen, fragen, manchmal beobachtet man ein rathloses Kopfschütteln, 
als könnten sie sich trotz aller Mühe nicht Rechenschaft geben. In den höheren 
Graden beginnen plötzlich ganz ruhige Kranke mit dem Schrei des Entsetzens 
zu weinen, meist sinnlos hinauszuschreien; dabei suchen sie sich allem zu ent¬ 
winden, sie drücken sich in die Ecken, laufen hin und her, zeigen aber keine 
Angst vor etwas, was sie halluciniren; nur in ihrem Innern sind sie in Zwie¬ 
spalt. Auskunft, die uns das sonderbare Benehmen genügend erklärlich machen 
könnte, ertheilen die oft nach Minuten beruhigten Kranken nicht Die „Angst“ 
fasste sie, aber sie fürchten keinen Menschen, kein Verderben. Die Angst kam 
von innen heraus. „Daran kann man sterben“, sagte mir eine mit langen 
Dämmerzuständen behaftete Hysterica. 

Von den Angehörigen der Kranken erfahrt der Arzt wohl in der Vor¬ 
besprechung, man fürchte, sie könnten geisteskrank werden. Oft scheinen die 
Kranken für Minuten ganz abwesend zu sein, sie schauen die Umgebung wie 
etwas Fremdes an, weinen dabei, schütteln mit dem Kopf, haben „sehr nach¬ 
denkliche Augen“, und man darf ihnen nichts sagen. Nach der Art der Wieder¬ 
gabe solcher Erscheinungen muss der Zustand für den Beobachter etwas Be¬ 
ängstigendes, Eigreifendes haben. Erkundigt man sich dann über diesen Punkt 
bei den Kranken selbst, so wissen sie aus diesen Zuständen nichts zu berichten, 
als dass eine „unheimliche Angst“ — wie sich eine Kranke ausdrückte, die ihrer 
Tochter es sehr übelnahm, dass sie dem Arzte davon erzählt hatte — sie über¬ 
wältige. 

Seitdem ich bei den Patienten nach dieser Form der Furcht forschte, fand 
ich sie wieder bei fast allen Hysterischen, welche spontan Angst als quälendes 
Symptom ihres Leidens unter den ersten aufzählten. Dann ergab das weitere 
Befragen, dass es sich mit grosser Regelmässigkeit um die Furcht handelte. 
Erst ein besonderes Aufmerksammachen auf die allgemeine Form der Angst 


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vor bestimmten Dingen bestätigte diese auch, ohne dass ihr von Seiten der 
Kranken besondere Bedeutung beigemessen wurde. Auffallend ist die häufig 
überraschende Antwort, die man anf die Frage nach dem Wesen der Angst von 
Hysterischen erhält Eine ungebildete Patientin antwortete z. B. gleich so: „Die 
Angst kommt, es ist wie eine grosse Strafe, und ich denke dann gleich: ich 
habe doch nie was Schlechtes gethan.“ So sucht sie dm fa—ahsng für 
das ihr Unerklärliche, das für sie gar nichts Beschreibbaree hat 

In derselben Weise, wie die hysterischen Kranken ausgefragt wurden, ge¬ 
schah es auch bei den Neurasthenikern. Es muss mehr als Zufall sein, dam bei 
ihnen trotz genauen Zusehens nicht ein einziges Mal die Kenntnis« von dem 
Zustande einer inhaltslosen Furcht angetroffen wurde. In allen Fällen wussten 
sie, was sie in ihrer Angst befürchteten, war es auch nur, einen Anfall zu be¬ 
kommen, am Gehirnschlag zu sterben u. s. w. Aufmerksam muss ich noch 
machen auf das leicht irreführende Benehmen der beiden Kranken. Wie der 
Neurastheniker zu sehr geneigt ist, auf Fragen nach den verschiedensten Sym¬ 
ptomen kritiklos eine bejahende Antwort zu geben — er hat ja alles durch¬ 
gemacht —, so ist er auch gleich bereit, auf die erste Frage nach einer un¬ 
bestimmten Furcht bejahend zu erwidern. So passirte es mir gar nicht selten; 
erst ein genaues äichveretändigen klärt darüber auf, dass das gesuchte Symptom 
ihm doch fremd ist Zählt man den Hysterischen Störungen vor, so keimen 
sie wohl ähnliche Zustände; es ist nicht ganz so, wie der Arzt meint — sie 
haben etwas Besonderes. — Je nach der Eigenart der Kranken werden Details 
an den Symptomen als bemerkenswert hervorgehoben. Diesem Unterschied im 
Verhalten der Kranken ist es zuzuschreiben, dass bei einer oberflächlichen Prüfung 
es scheinen kann, als seien die Neurastheniker mehr mit dem Symptome der 
Furcht vertraut als die Hysterischen. 

Wenn ich über die Stellung der Erscheinung der „Furcht“ in der Symptomen- 
reihe der Hysterie noch eine Meinung äussem darf, so möchte ich deren nahe 
Verwandtschaft mit den Dämmerzuständen hervorheben. Die letzteren können 
so gar viele Formen in Art und Dauer annehmen, dass ich glaube, einen Ueber- 
gang von rudimentären Dämmerzuständen zu den Zuständen der Furcht ohne 
scharfe Trennung erkennen und annehmen zu dürfen. Wir müssen bedenken, 
dass die Patienten sich in diesem Zustande sehr verändert fühlen, dass dem 
ausgesprochenen Zustande geringe eigenartige Störungen vorausgehen können, 
welche auf die Labilität der psychischen Verfassung hinweisen. Eine Kranke 
sagte geradeheraus: „Ich weise genau, dass ich nicht mehr ich selbst war, denn 
ich kenne gar kein Fürchten und in dem Zustande fürchte ich midi zu Tode.“ 
Ausserdem haben die Kranken das Gefühl ihrer inteDectuellen Unfreiheit, wie 
aus obigen Angaben überzeugend hervorgeht Nachdem der Zustand vorüber 
ist, stehen sie ihm wie einer fremden Sache, etwa wie einem Bausehzustande 
gegenüber, abgesehen davon, dass ihnen eine Erinnerung an die Vorgänge des 
Seelenlebens sehr erschwert zu sein scheint Nach dieser Auffassung würde sich 
die Gruppe der Dämmerzustände sehr aasdehnen; sie würden zu den sehr häufig 
beobachteten Symptomen der Hysterie rechnen. 


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Die vorstehenden Angaben resultiren aus den Erfahrungen eines Einzelnen, 
der danach allerdings an die Bedeutung der Angstform als die eines oft weiter¬ 
helfenden differentialdiagnoetischen Momentes festhalten möchte. Seit Jahren bin 
ich der Frage nähergetreten und fand gamicht selten in der Angstform ein 
HOlfsmittel für die Gruppirung der Krankheitsbilder, das mich nicht in Wider¬ 
sprach mit den allgemeinen Erfahrungen braohte. Die Vielgestaltigkeit der in 
Betracht kommenden Leiden legt die Möglichkeit zu Angriffspunkten auf die 
vorstehenden Erörterungen allein schon nahe. Der alte Praktiker mag sehr bald 
zur Aeusserung geneigt sein: ja, wenn die Sache nur so einfach läge; die Formen 
verwischen sich allzusehr. Dieser Gedanke war von Anfang an mein Bedenken. 
Die Anzahl der Fälle jedoch, welche die ausgestellte Unterscheidung unzweifel¬ 
haft bestätigte, giebt mir, wie ich glaube, die Berechtigung, meine Beobachtung 
bekannt zu geben, um dadurch Andere anzuregen, im Sinne dieser Arbeit das 
eigene Krankenmaterial einer genauen Prüfung zu unterziehen. Aus den Ergeb¬ 
nissen vieler, die im gleichen Sinne und mit gleicher Aufmerksamkeit sich der 
Frage widmen, wird die definitive Entscheidung hervorgehen, ob meine Ansicht 
richtig, ob zu sehr verallgemeinert, ob vielleicht ganz unrichtig ist, „dass bei 
der Neurasthenie allein die „Angst", bei der Hysterie neben der Angst noch 
die „Furcht" den Kranken qualvoll zusetzt" 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Alte und neue Untersuchungen Aber das Gehirn. II., III., IV., von 
Eduard Hitzig. (Archiv £, Psych. XXXV u. XXXVI.) 

Die Entwickelung, welche die Lehre von den Funotionen des Gehirnes und 
speciell die Looalisationslehre genommen hat, und die mancherlei Widersprüche, 
die auf diesem Gebiete noch herrschen, haben Verf. veranlasst zu diesen Fragen, 
die er mit Recht als sein ureigenstes Gebiet betrachten kann, noch einmal in 
einer umfangreichen Arbeit das Wort zu ergreifen. Neben der Festlegung und 
zum Theil neuen Begründung dessen, was als gesicherter Besitz unserer Erkenntniss 
gelten kann, bemüht sich Verf. besonders, das hervorzuheben, was als Lücken 
und Unklarheiten hier herrscht, und die Wege anzugeben, auf denen die künftige 
Forschung weiter vorzudringen haben wird. Der erste Aufsatz ist hauptsächlich 
historisch-kritischer Art Er beschäftigt sich zuerst mit den Operationsmethoden, 
wobei die seoundären Folgen des Eingriffes, besonders die Blutungen und Er¬ 
weichungen in von der AngrifEsstelle entfernten Regionen in ihrer Bedeutung für 
die Ausfallserscheinungen hervorgehoben werden; ferner mit den Untersnchungs- 
methoden und zuletzt mit den Theorieen des corticalen Sehens und der Gehirn¬ 
mechanik. In ausführlicher, theil weise recht scharfer Weise wird an den Arbeiten 
der Vertreter gegnerischer Anschauungen, besonders von Goltz, Loeb, Luciani, 
Tamini, Munk Kritik geübt. Von den zahlreichen Sätzen, die sich Verf. bei 
diesen Untersuchungen ergaben, seien hier nur die wichtigsten hervorgehoben: 

Die Frage der Loc&lisation, soweit das Prinzip in Frage kommt, kann für 
entschieden gelten und bedarf keiner weiteren experimentellen Begründung. Im 


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einzelnen bleibt dagegen selbst auf den beststudirten Gebieten der senso-motorischen 
und visuellen Function sehr viel zu thun; so ist die Richtigkeit der Localieation 
der einzelnen Muskeln und Bewegungsformen auf bestimmte Gyri, die Bedeutung 
des Stirnlappens und die Repräsentation der Rumpfmusculatur, die Localisatioii 
des Facialis noch weiter zu erforschen. Die motorische Region wird wahrschein¬ 
lich zur Bildung von Gefühlsvorstellungen benutzt, ohne indessen die einzige 
Region zu sein, die diesem Zwecke dient. — Die Restitution der motorischen 
und sensiblen Functionen ist, wenn auch oft weitgehend, so doch niemals voll¬ 
ständig; sie beruht zum Theil auf dem Verschwinden der Nachbarschaftssymptome, 
zum Theil (vielleicht) auf der Erstarkung der zweiten Hemisphäre oder auf 
Bahnung im Gebiete der Haubenbahn. — Die Hemmung spielt nach Eingriffen 
in die motorische Zone wohl nur insofern eine Rolle, als durch sie vorübergehend 
sensible subcorticale Centren ausser Function gesetzt werden; besonders ist dies 
wohl bei denjenigen des Opticus der Fall, doch ist bei Eingriffen in die Seh¬ 
region die sichere Abgrenzung der directen corticalen von der indirecten sub- 
corticalen Schädigung noch nicht gelungen. — Für die senso-motorische Seite 
ist es höchst wahrscheinlich, dass in subcorticalen Centren eine allmählich fort¬ 
schreitende Ausarbeitung der Bewegung und gewisser zugehöriger Empfindungen 
stattfindet, deren Endresultat in der Formation von Bewegungsvorstellungen 
niederer Ordnung besteht: diese werden von dem Bewusstsein durch Vermittelung 
der zugehörigen corticalen Regionen als Bewegungsvorstellungen im Ganzen apper- 
cipirt. Gleicherweise ist es wahrscheinlich, dass auch die anderen von den Sinnee- 
organen aufgenommenen BewegungRVorgänge der Aussenwelt subcortical verknüpft 
und ausgearbeitet werden, um endlich cortical in ihrem Ganzen zur Apperception 
zu gelangen, ohne dass dem Bewusstsein ein Eindringen oder die Analyse jener 
vorbereitenden Processe gestattet wäre. Verf. kennt also nicht, wie Munk, Fühl-, 
Seh- u. s. w. Sphären, sondern nur Vorstellungs- oder Bewusstseinssphären, er 
localisirt in diesen nicht die Gefühle selbst, sondern nur die Gefühlsvorstellungen 
ebenso wie alle anderen Vorstellungen. 

Die dritte Arbeit hebt aus den verschiedenen Streitfragen die durch prin- 
cipielle Wichtigkeit ausgezeichnete Localisation des Sehvermögens heraus, enthält 
also vor allen eine Auseinandersetzung mit Munk. Die gestellten Fragen sind 
hauptsächlich die, ob corticale Sehstörungen auch von anderen Stellen als von 
der sogenannten Sehsphäre Munk’s aus hervorgerufen werden können, welcher 
Art diese Sehstörungen sind, und ob sie sämmtlioh oder zu welchem Theile sie 
auf die Rinde selbst oder auf die subcorticalen Gebilde zu beziehen sind. — 
Verf. stellte fest, dass schon die blosse Freilegung der Pia ohne jegliche Ver¬ 
letzung der Gehirnsubstanz zu Ausfallssymptomen führt, die sich nur quantitativ 
von denen nach Exstirpationen der gleichen Gegenden unterscheiden. Da bei 
dieser Operationsmethode Neben Verletzungen, Versuchsfehler u. s. w. ausgeschlossen 
waren, muss es als erwiesen gelten, dass auch von anderen Regionen als der 
„Sehsphäre“ aus, nämlich vom Gyrus sigmoideus Sehstörungen hervorgerufen werden 
können, wodurch die Lehre Munk’s widerlegt ist. Die Ausfälle sind stets 
hemiopischer Natur, wie dies in der vierten Arbeit ausführlich begründet und 
durch zahlreiche Versuchsprotocolle, denen die Abbildungen der operirten Gehirne 
beigegeben sind, nachgewiesen wird. Die Untersuchungen wiesen hier besonders 
die Unabhängigkeit der Sehstörungen von den Störungen der optischen Reflexe 
nach; es zeigte sich, dass Verletzungen des Gyrus sigmoideus Sehstörungen und 
Störungen der optischen Reflexe, Verletzungen des Orbiculariscentrums solche der 
optischen Reflexe allein, beides als unmittelbare Operationsfolge bewirkten. Die 
vorderen Schenkel der 2.—4. Urwindung, einschliesslich des vorderen Tlieiles 
des grossen Marklagers und der inneren Kapsel konnten dagegen in jeder Weise 
verletzt sein, ohne dass hieraus jemals eine directe Sehstörung reeultirte. — Die 


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nach derartigen Operationen zu beobachtende Erweiterung der Lidspalte, vielleicht 
auch ihre gelegentliche Verengerung, ist auf eine Stufe mit dem schlaffen Herab¬ 
hängen der geschädigten Pfoten von in der Schwebe aufgehängten Hunden zu 
Btellen, d. h. sie ist ein Zeichen fiir die Herabsetzung des normalen cerebralen 
Tonus. — Auch die Frage, ob Sehstörungen durch Verletzung der Markstrahlungen 
des Gyrus sigmoideus bedingt sein können, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit zu 
bejahen. H. Haenel (Dresden). 


2) Daa basale Bieohbündel des Kaninchens, von Adolf Wallenberg in 
Danzig. (Anatomischer Anzeiger. XX. 1901. Nr. 7.) 

Verf. hat an der Hand zahlreicher Degenerationsversuche mit der Marc hi'sehen 
Methode den genaueren Verlauf einer Fasermasse festzustellen gesucht, welche 
aus dem Lobus olfactorius entspringt und zu den caudalwärts gelegenen Hirn- 
theilen verläuft. Honegger hatte bereits im Jahre 1890 auf dieselbe hinge¬ 
wiesen und Edinger als der erste diese basale „ßiechstrahlung zum Zwischen- 
tind Mittelhirn“ ausführlich beschrieben und abgebildet. Verf. bezeichnet die 
Faserung als das basale Riechbündel. Es entspringt beim Kaninchen zum grössten 
Theile aus der basalen Rindenschioht der Area olfactoria, und es erhält während 
seines Verlaufes Zuflüsse aus dem frontalsten Theile des Striatums und aus dem 
„Kerne des basalen Längsbündels“. Diese Ursprungsstätten sind nach Verf.’s 
Ansicht als Riechfeld im weiteren Sinne aufzufassen. Der grössere laterale Theil 
seiner Fasern endigt ungekreuzt in der Haube des Mittelhirns und der frontalen 
Brückenhälfte. 

Die am meisten medialwärts gelegenen Fasern kreuzen in der Decussatio 
hypothalamica posterior (Ganser), in der Bindearmkreuzung und innerhalb der 
Brücke. 

Von den mittleren Fasern endet ein Theil in einem rundlichen .Ganglion 
zwischen der Substantia nigra und der Foraixkreuzung; ein anderer Theil zieht 
zu beiden Seiten des Fasoiculus retroflexus in das centrale Höhlengrau; ein dritter 
konnte in den Fasciculus longitudinalis posterior (seu dorsalis) verfolgt werden. 
Das Riechfeld muss daher als Ursprung von Fasern dieses Bündels bezeichnet 
werden. Schliesslich sei noch erwähnt, dass Ausläufer des basalen Riechbündels 
in das centrale Höhlengrau des Aquaeductus und des proximalen TheileB der 
Rautengrabe, in die Ooulomotorius- und Trochleariskerae und die Ganglien der 
Formatio reticularis lateralis der Brücke und in die Vorderstränge bezw. Vorder- 
höraer des Rückenmarkes gelangen; und zwar erreichen sie diese letzteren auf 
dem Wege durch den Fasciculus longitudinalis posterior. 

Max Bielsohowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Contribution to the study of the oortdoal sensory areas, by Walton 
and PauL (Brain. 1901. Autumn.) 

Die Autoren sind der Ansicht, dass in den Centralwindungen ausser den 
reinen motorischen Functionen looalisirt sind: der sogenannte stereognostische 
Sinn, das Lagegefühl, der Raumsinn, das LocalisationsgefÜhl für Tastreize, also 
nicht einfache Sinneeempfindungen, sondern höhere Combinationen; dass dagegen 
das einfache Berührungsgefühl, die Schmerz- und Temperaturempfindung für die 
Arme in den Parietallappen, für die Beine vielleicht im Gyrus fornicatus liege. 
In den Centralwindungen müssen besondere Zellenlager für die sensorischen und 
andere für die motorischen Functionen vorhanden sein; die ersteren liegen vielleicht 

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oberflächlicher; es giebt Fälle von Central windunguläsionen, in denen Gefühle¬ 
störungen allein vorhanden waren oder allein fibrig blieben. Die Bedeutung der 
Centralwindungen für die genannten höheren sensorischen Empfindungen der be¬ 
treffenden Extremitäten ist durch viele Fälle sicher gestellt Es fehlen noch Fälle 
von reiner Tast-, Schmerz- und Temperaturainnaelähmang bei Parietallappentamoren: 
hier könnten natürlich auch die „höheren Gefühle“ auf aasociativem Wege mit 
gestört sein und es ist in vielen Fällen schwer, Druck auf die hinteren Theik 
der inneren Kapsel auszuschliessen. Ganz fehlen auch die Beweise für die Be¬ 
deutung des Gyrus fomioatus für die einfacheren Empfindungen der Beine. In 
späteren Fällen wird es nöthig sein, jede Art des Gefühls gesondert genau zu 
untersuchen. Bruns. 


4) Bin mimisches Oentrum im medialen Kern des Sehhügels, von Prof. 

Dr. Kirchhoff in Neustadt in Holstein. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 

XXXV. 1902.) 

Ein früher immer gesund gewesener Buohdruoker erlitt im 43. Jahr eines 
Sturz mit schwerer Hirnerschütterung, von der er sich nur langsam erholte und 
dauernd geistig schwach blieb. Verf. constatirte im 54. Lebensjahr Parese und 
Contractur der linksseitigen Extremitäten und eine leichte Facialisparese auf der 
linken Seite. Bei unwillkürlichem Mienenspiel, z. B. bei Lachen im 
Affect, versagte die linke Gesichtshälfte im Mundtheile ganz, bei 
auf Geheiss stärker ausgeführter willkürlicher Mimik aber arbeitete 
der gesammte Facialis normal. Im 61. Jahr wurde Pat stumpf bekam 
Schwindelanfälle, zeigte athetotische Fingerbewegungen, wurde motorisch immer 
unruhiger, verfiel und starb. Bei der Section fand man einen Erweiohungaherd 
im rechten Sehhügel. Derselbe war 2 cm lang, 1 cm breit und war in der Hefe 
verflüssigt. Dieser Herd nahm die mediale und vordere Fläche des Thalamus 
ein und umfasste — abgesehen von Theilen des Kapselknies, dem Kopf des 
Nucleus caudatus und dem oberen Theile des Linsenkerns — den ganzen medialen 
Kern des Thalamus. 

Der Fall bestätigt also, dass die gekreuzte Gesichtshälfte nach Thalamus- 
erkrankungen bei Affeotbewegungen völlig starr bleibt Der mediale Kern des 
Thalamus scheint ein mimisches Centrum zu sein. Die beobachtete Athetose wird 
mit Ausdehnung des Herdes nach dem Pulvinar zu Zusammenhängen. 

G. 11b erg (GTOSsacbweidmta). 


6) Ueber die physiologisohe Contractur, von Dr. K. Lhot&k. (Öasop. öes. 
lek. 1902. S. 687.) 

Tiegel beobachtete bei den Winterfröschen nach einmaliger Beizung durch 
den Inductionsstrom eine dauernde Contractur des Muskels, welche durch noch¬ 
malige Beizung erhöht wird. Ueber den Grund dieses Phänomens ist niohts 
bekannt Tiegel suoht in der Temperatur der Umgebung einen Zusammenhang 
mit dieser Contractur. Verf. fand bei Beinen Versuchen (im physiologischen 
Institute des Prof. Marefi) über die Function des isolirten Muskels einen auffällig 
analogen, ja identischen Zustand, wenn er den Muskel vor dem Experiments der 
CO,-Atmosphäre SO—40 Minuten hinduroh unterwarf Es ist somit höchst wahr¬ 
scheinlich, dass auch die sogenannte physiologisohe Contractur mit dem Ein¬ 
flüsse der Kohlensäure in irgend einer Verbindung steht Ueber die 
Art dieser Wirkung lassen sich nur mehr weniger wahrscheinliche Hypothesen 
aufs teilen. Pelnir (Prag). 


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Pathologische Anatomie. 

6) Ansteigende Degeneration im Rückenmark naoh Destruotien der 
5. Cervioal Wurzel, von Dr. Wilhelm Respinger. (Festschrift zum 25jähr. 
Jubiläum des Herrn Prof. Massini. Basel, 1901.) 

Verf berichtet über die Befunde an einem nach der Marohi’schen Methode 
untersuchten Rückenmark, in welchem durch einen Wirbeltumor eine isolirte 
Degenaration der fünften hinteren Cervicalwnrzel bedingt worden war. Die da* 
generirte Partie liegt im 6. Cervicalsegment dem hinteren Dritttheil des linken . 
Hinterhornes dicht an, und es strahlen aus ihr mehrere Bündel in den Burdach’- 
schen Strang ein, , In den weiter proximalwärts gelegenen Segmenten rückt das 
Degenerationsfeld vom Hinterhorn und der Peripherie des Hinterstranges allmäh¬ 
lich ab und nimmt dabei eine oommaformige Gestalt an. Zugleich nimmt der 
Degenerationsstreifen oonstant an Ausdehnung ab. Schon in der Höhe des 
1. Cervicalsegmentes sieht man nur noch einen parallel dem Septum intennedium 
und nahe bei demselben verlaufenden naoh vom sioh verjüngenden Streifen vor 
sich. Im verlängerten Mark wird derselbe entsprechend der Zunahme des Bur* 
dach’schen Stranges kürzer und etwas breiter. In den weiter frontalwärts ge¬ 
legenen Qaerschnittsebeaen dieses Kernes werden die degenerirten Fasern spär¬ 
licher und liegen mehr zerstreut um und in denselben. Oberhalb desselben war 
keine Degeneration mehr zu constatiren. Ebensowenig konnten in der Schleifen* 
kreuzung und im Corpus striatum degenerirte Fasern naohgewiesen werden. 

Max Bielschowsky (Berlin), 


7) A oase of oomplete absenoe ot vlsual System in an adult, by W. G* 

Spiller. (Brain. 1901. Winter.) 

In Spiller’s sehr bedeutsamem Falle handelt es sich um einen 22jährigen 
Idioten. Es fehlten beide Augen; ob in den Augenhöhlen Muskeln waren, liess 
sieb nicht feststeUen. Die Foramina optica fehlten, ebenso Sehnerven, Traofus, 
Corpora genioulata externa; die Hinterhauptslappen waren schmal Mikroskopisch 
zeigte sich vollständiges Fehlen der Corpora genioulata externa bei normal er¬ 
haltenen interna; Vierhügel alle normal; in den hinteren Theilen der Sehhügel 
geringe Fasermassen; optische Strahlungen und Ganglien der optischen Hirnrinde 
vorhanden, aber geringer als normal; es handelt sich hier nach dem Verf. um 
Monakow’* portioofugale Bahnen, Habenola und Meynert’s Commissur erhalten. 
Augenmuskelkerne und -nerven erhalten, aber besonders die Abducentes sklero¬ 
tisch, was wiohtig ist, da sie ja jedenfalls keine Function hatten; allerdings ist 
über die Augenmuskeln nichts Bestimmtes zu sagen. Vordere linke CentraJ- 
windung klein; mikroskopisch hier nichts Besonderes, ebenso keine Degeneration 
im Rückenmarke, obgleich Paraplegie der Beine und spastische Zähmung des 
rechten Armes bestanden hatten. Bruns, 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Der Zusammenhang von Nervenerkrankungen mit Störungen 4er weib¬ 
lichen Geschlechtsorgane, von A. Theilhaber. (Sammlung zwangloser 
Abhandlg. aus dem Gebiete der Frauenheilk, u. Geburtshülfe. Halle, 1902.) 

Dis Zusammenhänge können wechselseitige sein, entweder ist das Genital* 
leides eine Folge das Nervenleidens oder umgekehrt. Der letztere Fall ist der 
häufigere, und Verf. giebt eine Aufzählung der Momente des Sexuallebens (Pubertät, 

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Menstruation, Onanie, Blutverluste, Schwangerschaft und Puerperium, Gelrarta¬ 
traumen, chronische Entzündungen u. s. w.), die locale oder allgemeine nervöee 
Störungen zur Folge haben können. Von Wichtigkeit ist, dass hier von gynä¬ 
kologischer Seite her die Seltenheit der eigentlichen Reflexneurosen betont wird; 
die Aufzählung der verschiedenen Genitalleiden, die im Laufe der Zeit ebenso 
laut als Hauptursache von Reflexneurosen, speciell Hysterie erklärt wie nachher 
rasch wieder vergessen werden (Anschwellung dee Cervix, Risse desselben, Ulcera- 
tionen der Portio, Flexionen und Versionen, Pelviperitonitis u. s. w.) ist in dieser 
Beziehung lehrreich. Verf. steht auf dem Standpunkte, dass speciell die Retro- 
flexio uteri non gravidi gar keine, auch keine nervösen Symptome macht, und dass 
die sämmtlichen Störungen, die als Folgeerscheinungen dieser Anomalie ausge¬ 
sprochen worden sind, auf Complicationen beruhen. Speciell aus den Wunder* 
heilungen hysterischer Symptome durch Aufrichtung des Uterus oder andere locale 
therapeutische Maassnahmen könne man gar kpine ätiologischen Schlüsse ziehen, 
ein Satz, der ohne Weiteres zu unterschreiben ist. (Im Uebrigen vergleiche das 
Referat über Schultze, Gynäkologie in Irrenhäusern, in Nr. 14 d. Centralblattes.) 

H. Haenel (Dresden). 


9) Untersuchungen über Beflexhyperftsthesleen bei Lungentuberouloee, von 

Prof. F. Egger. (Festschrift zum 26jähr. Jubiläum dee Herrn Prof. MassinL 

Basel, 1901.) 

Verf. hat an 313 Patienten die Head’schen Angaben über oberflächliche 
Hauthyperästhesieen — He ad selbst bezeichnet sie genauer als Hyperalgeei een — 
nachgeprüft und in ungefähr 16% der Fälle ein positives Resultat erhalten. Das 
weibliche Geschlecht wies eine grössere Betheiligung auf als das männliche, das 
jugendliche Alter schien eine vermehrte Disposition zu besitzen. Auoh, was 
Head über den Zusammenhang der örtlichen Erkrankung mit dem Sitz der 
Reflexhyperästhesie gesagt hat, konnte bestätigt werden, dagegen Hessen sich sichere 
Beziehungen zwischen der Art der localen Erkrankung und dem Auftreten des 
reflectirten Schmerzes nicht ausfindig machen. Bei initialen Fällen und frisohen 
Nachschüben fand sich das Symptom seltener als nach Head zu erwarten gewe s e n 
wäre, wodurch seine diagnostische Brauchbarkeit beeinträchtigt wird. Im Gegen¬ 
sätze zu Head konnte mehrmals bei trockner und exsudativer Pleuritis — übrigens 
auch 2 Mal bei Pneumonia crouposa — Hauthyperästhesie nachgewiesen werden; 
ebenso fand sich entgegen Head’s, aber in Uebereinstimmung mit den Unter¬ 
suchungen des Ref., wiederholt ein Uebergreifen der EmpfindUchkeit auf das 
Gebiet der 6.—8. Cervicalzone, der sogenannten „ oberen Lücke “. Fieber 
hatte keinen Einfluss auf das Auftreten der Hyperästhesie, wohl aber auf die 
Generalisation der empfindHchen Zonen; dagegen schien das Bestehen einer All¬ 
gemeinerkrankung des Nervensystems (Neurosen) von begünstigendem Einfluss auf 
das Vorkommen des Symptoms zu sein, sogar in dem Sinne, dass nach Ausheilung 
dös Organleidens bei neuropathisohen Personen die Hyperästhesie der Hautsone 
fortbestehen kann. H. Haenel (Dresden). 


10) I/hdrdditd de l'odeur, par Ch. F6r6. (Revue de Mödecine. 1902. 

S. 333.) 

Der Geruch des Schweisses und der Ausdünstungen vieler Menschen hat 
etwas durchaus Charakteristisches. Zuweilen haben die Mitglieder derselben 
Familie denselben besonderen Geruch. Verschiedene nervöee Störungen haben 
Einfluss auf den Geruch, wofür Verf. zahlreiche Beispiele anführt, die aber wohl 
nicht alle die gleiche Glaubwürdigkeit haben. SchHesslich berichtet Verf, über. 


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eine Frau, deren Ausdünstung stets sofort nach dem Beginn einer Schwanger¬ 
schaft ihren charakteristischen Geruch verlor. Erst mit dem Eintritt der Menses 
nach der Entbindung kehrte der Geruch zurück. Die Mutter und die Sohwester 
zeigten dieselbe Eigenthümliohkeit. Strümpell (Erlangen). 


11) Ueber familiäre Erkrankungen des Nervensystems, von J. B&umlin, 

Assistenzarzt an der medioinischen Klinik und dem Kinderspital in Basel. 

(Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

In der sehr sorgfältigen Arbeit, in welcher auoh die umfangreiche Litteratur 
genügende Berücksichtigung findet, berichtet Verf über drei Familien, in welchen 
er das Auftreten ähnlicher Störungen beobachten konnte. Es handelte sich dabei 
in erster Linie um ein Brüderpaar, dann um Bruder und Sohwester und schliess¬ 
lich um vier Geschwister, von welchen zwei, mit den gleichen Störungen behaftet, 
nicht mehr am Leben sind. Bei dem jüngsten, erst 2 1 /, Jahre alten Schwesterchen 
findet sioh jetzt schon Ungeschicklichkeit beim Gehen und Steigerung der Patell^r- 
reflexe. Am meisten Interesse verdient aber in dieser Familie das Leiden des 
etwa 6jährigen Mädchens, das längere Zeit klinisch beobachtet und da der Fall 
letal endigte, auch schliesslich anatomisch verwerthet werden konnte. 

I. 2 Brüder, 34 und 40 Jahre alt, Eltern blutsverwandt, Vater starker 
Potator, Beginn des Leidens mit 11 bez. 5 Jahren mit Unsicherheit in den Beinen, 
später auoh in den Armen. In der Folge hochgradige Ataxie der oberen und 
unteren Extremitäten, schwankender Gang, beiderseitiger Nystagmus horizontal is, 
Strabismus convergens, Pupillenreaction und N. opticus normal, vorübergehende 
Diplopie bei dem einen, Schwindelanfälle bei dem anderen Bruder. Intelligenz 
etwas beeinträchtigt, Sprache eintönig, ausdruckslos zum Uebergang in Fistel¬ 
stimme neigend, Bombe rg’sches Symptom, Kyphose, kurzer Hohlfuss in Eqino- 
varus-Stellung, Hyperextension der grossen Zehen, Fehlen der Patellarreflexe, 
andere Reflexe schwach oder nicht auslösbar, Hautreflexe wechselnd, bei dem 
jüngeren Parese, bei dem älteren Bruder Paralyse der Beine, bei dem letzteren 
Störung der Sensibilität an Händen, Unterschenkeln und Füssen, bei dem jüngeren 
normales Verhalten derselben. Niemals Beeinträchtigung der Blasen- und Mast¬ 
darmfunction. Ausserdem bei dem einen ohoreiforme Bewegungen der Arme und 
Hände, bei dem anderen Atrophie und Pseudohypertrophie der oberen Extremi¬ 
täten ohne Entartungsreaction und fibrilläre Zuokungen. 

Es handelt sioh hierbei um Friedreich’sche Krankheit, bei welcher aber 
ausser den klassischen Symptomen auch Störungen der Sensibilität Bowie Atrophie 
und Pseudohypertrophie des Muskelapparates auftreten können. 

II. Beginn der Erkrankung beim jetzt beinahe 15jährigen Knaben in früher 
Jugend, bei dem 17jährigen Mädohen vor 2—3 Jahren mit Unsicherheit der 
Beine, später auoh der Arme, Kreuzschmerzen, Strabismus convergens, Optious- 
atrophie, Astigmatismus, Nystagmus (Mädchen), schwankender, dem eines Be¬ 
trunkenen ähnelnder Gang (Knabe), atactisoh stampfender Gang (Mädchen), 
Romberg’sohes Symptom, Patellar- und übrige Sehnenreflexe erhöht, Hautreflexe 
vorhanden, Blase und Mastdarm normal, Sensibilität an den Füssen mässig gestört, 
Intelligenz und psychisches Verhalten gut, Sprache bei dem Knaben langsam, 
leicht näselnd, bei dem Mädchen gut. Auoh hier besteht, wenn auoh entfernte, 
Blutsverwandtschaft der Eltern; drei ältere Geschwister sind gesund. 

Wenn auch in dem Krankheitsbild vieles für multiple Sklerose spricht, so 
glaubt dooh Verf., hauptsächlich gestützt auf den frühzeitigen Beginn und den 
familiären Charakter, beide Fälle der Pierre Marie’sohen H6r6doataxie c4r&- 
belleuse, dem spastisohen Gegenstück der Friedreioh’schen Krankheit, zurechnen 
zu sollen. Er schlägt aber vor, beide Leiden in der gemeinschaftlichen Gruppe 


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der hereditären Ataxie in Zukunft zueammemmfaasen und ist dem nur bedza- 

pflichten. 

UI. 4 Schwertern, Ton welchen die jüngste (s. o.) erst 2 1 / i Jahr alt ist. 
Bei den übrigen im 9.—4. Lebensjahre Schwache und Unsicherheit in den Beinen, 
häufiges Hinfallen, Unruhe der Muskeln, Intentionstremor und oscillatoriaches 
Zittern, Nystagmus, vorübergehend Strabismus, erhöhte Sehnenreflexe, geistige 
Schwache und psychische Reizbarkeit. Bei dem 6jährigen Mädchen schliesslich 
epileptiforme Anfälle, die sich bis zum Status epilepticus steigerten, in welchem 
auch der Exitus erfolgte. Die anatomische Untersuchung ergab das Vorhanden* 
sein einer chronischen Leptomeningitis, vornehmlich des Rüokenmarks, in den 
Randzonen der weiseen Substanz ganz geringe Veränderungen. Nirgends sklero¬ 
tische Herde nachweisbar. 

Verf. reiht diese Beobachtungen in die von Westphal und Strümpell 
beschriebene Gruppe der Pseudoeklercse, welch’ letztere vornehmlich durch moto¬ 
rische Reizerscheinungen charakterisirt ist, aber auch hereditär-familiär aufxn treten 
vermag. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


12) Laparalysie pdriodique famlllale, par C. Oddo et V. Audibert. (Archiv« 

g6n6r. de mödecine. 1902. Januar /Mai.) 

Die Verff. sind in Frankreich die ersten, welche der familiären periodischen 
Lähmung eine umfassende Studie widmen und bringen die Krankengeschichte 
eines sehr typischen Fall« dieser Krankheit, welohe sie als ein meist, doch nicht 
immer hereditär auftretend« Leiden bezeichnen, das charakterisirt ist durch einen 
vorübergehenden, periodisch auftretenden Verlust der Willkürbewegungen mit 
Fehlen der Sehnenreflexe und starken Störungen dm* elektrischen Reaction ohne 
Störung der Sensibilität and der Intelligenz. 

Die Verff. geben zunächst einen ausführlichen Ueberblick über die Geschichte 
der Krankheit (bisher sind 64 Fälle publioirt), besprechen deren Aetiologie, 
Symptomatologie, Diagnose, Pathogenese, Behandlung und berichten über eins 
eigene Beobachtung, bei welcher Grossmntter, Mutter, Tochter und Sohn von der 
fämiliären periodischen Lähmung befallen waren. 

Die Krankheit tritt zwischen dem 6. und 36. Lebensjahre, meist zwischen 
dem 10. und 20. Jahre, auf, wird häufiger bei Männern als bei Frauen beobachtet, 
in gewissen Familien zeigt di«elbe ganz besondere Eigenthümliohkeiten, die sich 
hei jedem von dem Leiden befallenen Mitgliede der Familie wiederfinden. In 
einzelnen Fällen löst Uebetmüdung den Anfall aus, in anderen treten die Anfälle 
während der Ruhe, meist im Schlafe, auf. Andere auslöeende Momente sind 
psychische Erregungen, Erkältung, Excerae im Essen, sexuelle Einflüsse. 

Der Anfall selbst tritt mit oder ohne Vorboten auf, unter letzteren sind be¬ 
sonders Mattigkeitsgefühl in den Beinen, Hitzegefühl, Durst and Charakter¬ 
veränderungen zu nennen. Im Anfall besteht eine motorische schlaffe absoluta 
Lähmung. Charakteristisch ist eine Unmöglichkeit den Kopf zu beugen bei gleich¬ 
zeitigem Erhaltensein der Seitwärtsbewegnngen d« Kopf«, was aof eine Lähmung 
der Sterno-cleido-maetoidei bei Intactsein der Splenii deutet. Die Gesichtsmuskeln 
sowie die Augenmuskeln sind nie befallen. Die Spraohe ist nur in einaelnen 
Fällen gestört, ebenso die Schluekfunotion. Die aceessorischen Athmungsmnskeln 
sind stets mit afficirt, die Zwerohfellathmnng ist intact, die Athmung selbst ober¬ 
flächlich. Die Lähmung tritt stets symmetrisch auf. Die Muskeln erhalten ihre 
Function wieder in umgekehrter Reihenfolge als wie sie gelähmt wurden. Die 
Sensibilität ist völlig intact. Die elektrische Reaction der Muskeln und Nerven 
ist je nach dem Grade der Affection leicht oder stark verändert und wird naoh 
Aufhören des Anfalls wieder normal. Die Sehnenreflexe fehlen in fast allen Fällen, 


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während das Verhalten der Hautreflexe unbeständig ist. Nach Schluss des An¬ 
falls kehren die Reflexe zurück. Sphinkteren, geschlechtliche Kraft und Intelligenz 
bleiben fast stets normal, nur in einzelnen Fällen wurde Somnolenz während der 
Anfälle beobachtet. Am Herz wurden während des Anfalls zuweilen Alterationen 
(Hypertrophie, Mitralinsufficienz, Arythmie) gefunden. Der Urin bot in dem mit- 
getheilten Falle nichts Besonderes. Sehr häufig wird eine ausgiebige Transpiration 
während des Anfalls beobachtet, bei starker Appetitlosigkeit besteht häufig grosses 
DurstgefühL Dauer der Anfälle: 15 Minuten bis eine Woche (meist 2—3 oder 
24—48 Stunden). Zuweilen besteht nur Parese, keine Paralyse. 

Der Intervall zwischen den Anfällen beträgt von einem Tag an bis zu Jahren. 
Man kann einen täglichen und einen wöchentlichen Typus besonders abtrennen. 
Zwischen den Anfällen besteht meist völlig normales Befinden. Differential¬ 
diagnostisch kommen in Betracht: Landry’sche Krankheit, Hysterie, post-epilep¬ 
tische Lähmung, Neurasthenie, Malaria, Myasthenie, vertige paralysant. 

Betreffs der Theorieen, die zur Erklärung der Krankheit aufgestellt wurden, 
ist im Original nachzulesen (S. 428—439). Die Verff. halten die Localisation 
des Processee in den Muskeln („Myoplegie“) für am wahrscheinlichsten, bezeichnen 
demnaoh das Leiden als eine musculäre Affection. 

Die Therapie soll hauptsächlich in Gymnastik und Faradisation bestehen. 

Kurt Mendel. 


18) Congenital nystagmus ln father and ohild, by T. Fisher. (Brit. med. 
Journ. 1902. 6. September.) 

Es handelt sich um ein 5 Monate altes, im übrigen gesundes, mit nervösen 
Leiden oder Störungen seitens des Sehens nioht behaftetes Kind, bei welchem 
seit Geburt Nystagmus besteht Der Vater des Kindes sowie ein naher Ver¬ 
wandter desselben litten gleichfalls an angeborenem Nystagmus. 

Kurt Mendel. 


14) La paraplögie spaamodique familiale et la soldrose en plaques fluni- 

liale, par R. Cestan et G. Guillain. (Revue de Mddecine. 1900. S.813.) 

Die Verff. berichten aus dem Krankenmaterial der Salpetrige zunächst über 
einen vollkommen typisohen Fall von hereditärer spastischer Spinal¬ 
paralyse. Der zur Zeit der Untersuchung 16jährige Knabe war bis zu seinem 
8. Jahr ganz gesund. Dann entwickelten sich bei ihm ohne äussere Veranlassung 
eine spastische Muskelrigidität an den Beinen mit spastischem Gange, Steigerung 
der Sehnenreflexe, BabinBki’schem Zehenreflex. Seit dem 12. Lebensjahr auch 
geringe Rigidität der Arme. Keine Spur von Ataxie, keine Störungen der Sensi¬ 
bilität, der Blase, der Sprache, der Gehiranerven u. s. w. Seit 3 Jahren deut¬ 
licher Torticollis spastica (klonischer Krampf im reohten Sternocleidomastoideus). 
Letzteres Symptom muss wohl als Complication betrachtet werden. — Der Vater 
und eine Schwester des Pat. (nicht ärztlich untersucht) sollen genau dieselbe 
Gehstörung haben. 

Ausserdem beschreiben die Verff. den Krankheitszustand zweier Geschwister, 
Leontine und Henry B., in deren Ascendenz keine ähnliche Affection vorgekommen 
ist. Zwei andere Geschwister leiden an Epilepsie. Von hereditärer Syphilis ist 
nichts nachzuweisen. Der 16jährige H. B. hat nie ganz normal, aber doch 
ausdauernd gehen können. Vor einem Jahr traten Sprachstörungen (scandirende 
langsame Sprache) hinzu. Der Gang cerebellar-spastisch, vorwiegend cerebellar 
(schwankend). Patellarreflexe gesteigert, typischer Friedreich’scher Fuss, Nystag¬ 
mus, leichte Ataxie der Arme, Abblassung der Sehnerven mit herabgesetzter Seh- 
schärfe. Die 82jährige Schwester L. B. leidet seit ihrem 20. Jahr ebenfalls 


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an Sprachstörung, hat stark spastischen Gang, Intentionstremor der Arme, Nystag¬ 
mus, gesteigerte Sehnenreflexe, Babinski’schen Zehenreflex, F ried reich'sehen 
Fuss, keine Störung im Augenhintergrund. 

Das Krankheitsbild dieser beiden Geschwister entspricht somit keineswegs 
der reinen spastischen Spinalparalyse, sondern vielmehr dem Krankheitsbilde der 
multiplen Sklerose. Ob freilich wirklich eine derartige anatomische Ver¬ 
änderung vorliegt, ist durchaus zweifelhaft In der Litteratur existirt bereits 
eine ganze Reihe von derartigen Beobachtungen „familiärer multipler Sklerose“ 
— aber alle ohne Sectionsbefund! Man thut daher vorläufig gut, neben der 
reinen, wohl hereditären spastischen Spinalparalyse noch eine andere Form here¬ 
ditärer Nervenerkrankung anzunehmen, deren klinisches Krankheitsbild fast 
vollständig den Symptomen der multiplen Sklerose ähnelt, während ihre anato¬ 
mische Grundlage noch unbekannt ist Strümpell (Erlangen). 


16) A oase of aolerotlo atrophy of oerebrum and oerebellum, famtllal 

type, ooouring in a boy, by Mitchell Clarke. (Brain. 1902. Summer.) 

7jähr. Knabe. Zwei Kinder der Mutter offenbar an demselben Leiden ge¬ 
storben. Langsam schleichender Beginn des Leidens, ohne greifbare Ursache; 
jedenfalls keine hereditäre Syphilis. Zuerst choreiforme Bewegungen der Glieder 
und Abnahme des Sehvermögens, allmählich deutliche cerebellare Ataxie, 
Erblindung ohne nachweisbare Erkrankung der Augen und der optischen 
Centren — keine Sehnervenatrophie, erhaltene Pupillenreaction auf Licht —; un¬ 
deutliche Sprache, erhöhte Sehnenreflexe und spastische Rigidität der Beine, 
Neigung nach hinten zu fallen; später geistige Stumpfheit, spastische Lähmung 
aller Glieder mit schmerzhaften Krämpfen, zunehmende Demenz. Tod an Er¬ 
schöpfung. Es konnte nur das Gehirn und der Hirnstamm untersucht werden. 
Es fand sich eine Atrophie der corticalen Neurone in der grauen Substanz und 
nachfolgende Sklerose des Markes am stärksten in den beiden Hinterhauptslappen, 
speciell in der Gegend der Fissura calcarina, weniger stark in der motorischen 
Region, fast fehlend in den Stirnlappen; ferner Sklerose der weissen Substanz des 
Kleinhirns, secundäre Degeneration der Pyramidenbahnen; eine Delle in der linken 
inneren Kapsel. Die pathologisch-anatomischen Befunde erklären vor allem die 
auffälligsten Symptome der Erkrankung: die cortioale Erblindung und die cere¬ 
bellare Ataxie. Klinisch steht der Fall nach dem Verf. in der Mitte zwischen 
der hereditären Ataxie und der cerebralen Diplegie und nimmt grade duroh die 
starke Betheiligung des Hinterhauptlappens und des Kleinhirns eine Sonder¬ 
stellung aus. Bruns. 


16) A brief report of the olinioal, physiologloal and ohemtoal study of 
three oases of family periodio paralysls, by Mitchell, Flexner and 
Edsall. (Brain. 1901. Spring.) 

Die Autoren berichten zunächst über die klinischen Symptome ihrer 3 Fälle. 
In den ersten beiden Fällen handelte es sich um Mutter und Tochter und auch 
der Grossvater hatte an derselben Krankheit gelitten. Im 8. Falle handelte es 
sich um einen jungen Mann. Die Symptome waren die typischen — namentlich 
war auch die so schwer zu erklärende Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit 
bis zum Fehlen vorhanden, ebenso das Fehlen der Sehnenreflexe. Im 3. Falle war 
während der Anfälle auch das Allgemeinbefinden gestört, das Schlucken erschwert. 
Versuche über die Toxicität des Harns, des Blutserums und einzelne andere 
Experimente ergaben negative Resultate. Interessant war, dass in Fall 8 vor 
den Anfällen die Kreatininaussoheidung immer sehr herabgesetzt war, nach den- 


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selben sehr anstieg, and dass einmal ein Anfall länger aasblieb, als aas nicht zu 
erklärenden Gründen auch in der Zwischenzeit die Kreatininaosscheidong zunahm. 

Bruns. 


17) A oase of family periodio paralysls with a critioal digest of the 

literature, by Douglas Singer. (Brain. 1901. Part. II.) 

Verf. beschreibt einen typischen Fall periodischer Lähmung, den er längere 
Zeit klinisch beobachten konnte. Es war der einzige Fall in der betreffenden 
Familie. Die Anfälle hatten bei dem jungen Manne mit 14 Jahren begonnen 
und folgten in abnehmenden Zwischenräumen, so dass im ganzen jetzt etwa jede 
Woche ein Anfall vorkommt. Die Anfälle kamen ohne Vorboten, sie setzten ge¬ 
wöhnlich zuerst an den Beinen ein, ergriffen dann den unteren Rumpf, dann den 
Nacken, schliesslich die Arme, meist so, dass Finger und Zehen zuletzt gelähmt 
wurden. Die Hiranerven waren meist frei, nur in einigen schweren Anfällen be¬ 
stand Ptosis und verstärkte sich eine auch in den Intervallen vorhandene ein¬ 
seitige Mydriasis. Die Lähmung war eine ganz schlaffe; bei vollständiger Läh¬ 
mung fehlten alle Haut- und Sehnenreflexe und ebenso fehlte die elektrische 
Erregbarkeit. Blase und Mastdarm sowie die psychischen Functionen intaot. 
Die Herzdämpfung während der Anfälle etwas verbreitert; die Herztöne nicht 
ganz rein. Athmung rein diaphragmatisch und manchmal erschwert. Dauer der 
Anfalle 12—24—48 Stunden. Urin während der Anfälle Bpärlich; die chemische 
Zusammensetzung des Urins während der Anfälle und der Intervalle nicht ver¬ 
schieden; die Toxicität des Urins während der Anfälle sehr erhöht; ein Extract 
der Faeces während der Anfälle zeigt keine besondere Toxicität. Durch reich¬ 
liche Wasser- bezw. Mineralwassergaben konnte man die Zahl der Anfälle sehr 
verringern. Stücke des Sartorius, die während eines Anfalles entfernt waren, 
zeigten nach Einbettung in Paraffin reichliche Spalten in den Muskelfasern; viel 
weniger nach Einbettung in Celloidin. Verf. hält die Spalten für Kunstproducte. 

Es folgt eine ausführlich kritische Uebersioht über die gesammten Symptome 
des eigenartigen Krankheitsbildes unter Benutzung aller bisher beschriebenen 
Fälle. Nach Verf. handelt es sich um eine Autointoxication. Vielleicht leiden 
bei der periodischen Paralyse die Muskeln leichter wie gewöhnlioh an den bei 
der Muskelarbeit gebildeten toxischen Ermüdungsstoffen und werden diese — bei 
Abnahme der Urinsekretion beim Anfalle — auoh im Körper zurückbehalten. 
Therapeutisch sind deshalb wohl grössere Einnahmen von Flüssigkeiten, die in 
diesem Falle sicher Erfolg hatten, zu versuchen. Bruns. 


18) Amaurotio family idiooy, by A. C. Cotton (Chicago). (Arohives of 

Pediatrics. 1902. Januar.) 

Der vorliegende Aufsatz enthält die Krankengeschichte eines recht typischen 
Falles dieser in letzter Zeit immer häufiger beschriebenen Krankheit. Wie die 
Mehrzahl der bekannten Fälle stammte das Kind von jüdisohen Eltern und zeigte 
die ersten Eirankheitssymptome erst im zweiten Halbjahr. Im Alter von 2 Jahren, 
als Verf. das Kind kennen lernte, weist dasselbe Idiotie, spastische Lähmungen 
der Extremitäten sowie die charakteristischen Veränderungen an der Macula auf. 
Ausser diesen stets vorhandenen Symptomen der amaurotischen Idiotie besteht 
hier auch noch Nystagmus, Strabismus, Neigung zu Krämpfen, Hyperacusie, hoch¬ 
gradige Reflexsteigerung. Die sonst häufige Familiarität ist in diesem Falle 
nicht recht ausgesprochen. Leider stimmte auch die absolut schlechte Prognose, 
indem das Kind 2 Monate nach der ersten Untersuchung unter Convulsionen 
starb. Eine Autopsie war nicht durchführbar. Zappert (Wien). 


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19) Zar Aetiologle der Chorea minor im Kindesalter , von Fritz Rabert 
(Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.) 

Statistische Untersuchungen über 80 dem Material der Charite - Poliklinik 
entnommene Falle, die zu wesentlich neuen Ergebnissen nicht geführt haben. 
Vorausgegangener Rheumatismus konnte in 28,75 °/ 0 festgestellt werden, andere 
Infectionskrankheiten (Angina, Soharlach, Diphtherie, Influenza und Pneumonie) 
in 26,25%, eine infectiöse Ursache überhaupt also in 55%. Psychische Ursachen 
allein (Schreck, Angst) spielen keine nennenswerthe Rolle (4 Fälle). Auf Grund 
der ausführlicher erörterten bakteriologischen Befunde anderer Autoren kommt 
Verf. zu dem Schluss, dass eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen 
einer Chorea infectiösen Ursprungs bestehe, dass aber noch eine ganze Anz a hl 
Fälle übrig bleibe, bei denen jeder Zusammenhang zwischen Chorea und In« 
fectionskrankheit bezw. Rheumatismus ausgeschlossen werden könne. 

H. Haenel (Dresden). 


20) Bidrag fll stndiet af ohorea minor’g ätlologi, af Theodor Frölich. 

(Norsk Mag. f. Lägevidensk. 1900. S. 901.) 

Unter 47 Fällen von Chorea minor, die in der unter Prof. Axel Jo hannes¬ 
sen’s Leitung stehenden pädiatrischen Abtheilung des Reichshospitals in den 
Jahren 1893—1900 behandelt waren, betrafen 37 Mädchen, 8 Knaben (4,9:1), 
im Alter von 8—16 Jahren, in 28 Fällen war die Chorea zwischen dem 7. und' 
11. Jahre aufgetreten. In 24 Fällen waren rheumatische oder psychische Affectionen 
in der Familie nachzuweisen. In 15 Fällen war acuter Rheumatismus entweder 
vor der Chorea vorhanden gewesen oder er trat während des Verlaufes derselben 
auf (11 davon hatten Herzfehler, bei 8 bestand Fieber, bei 7 traten Recidive 
auf); in 16 Fällen waren Fieber, Angina, Erythema nodosum, Gelenkschmerzen, 
Gelenkgesohwulst vor oder während der Chorea vorhanden (8 davon hatten Harz¬ 
fehler, 6 Fieber, 8 Recidive); andere acute Infectionskrankheiten waren in 4 Fällen 
der Chorea vorhergegangen (3 hatten Herzfehler, 1 Fieber, in keinem Falle traten 
Recidive auf); in 12 Fällen war keine infectiÖBe Krankheit der Chorea vorher* 
gegangen (3 hatten Herzfehler, 3 Fieber, 5 Recidive), doch ist auch in diesen 
Fällen die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, dass eine Infection Vorgelegen 
haben, ihr Verlauf aber vielleicht so leicht gewesen sein kann, dass sie übersehen 
wurde. Sohliesslich theilt Verf. noch einen Fall von Chorea nach Gonokokken- 
infection mit, in dem die Chorea nach gonorrhoischer Vulvovaginitis aoftrat, dann 
sich Herzfehler einstellte und schliesslich Gelenkentzündung am linken Handgelenk 
eintrat. _ Walter Berger (Leipzig). 


21) Ueber 65 Fälle von Chorea minor aus dem Leipziger Kinderkranken¬ 
haus, von Hermann Brüning. (Deutsche Aerzte-Zeitung. 1902. Heft 11 
bis 13.) 

Verf. hat 65 Fälle von Chorea minor idiopathica, welche im Kinderkranken¬ 
haus zu Leipzig zur Beobachtung kamen, znsammeng es teilt, davon 15 Knaben 
(m 23%) und 50 Mädchen (« 77%), demnach mehr als 3 Mal so viel Mädchen. 
Tuberculöse Belastung fand sich 10 Mal, nervöser Kopfschmerz der Mutter 7 Mal, 
in 3 Fällen wurde Geisteskrankheit bezw. Epilepsie und Delirium tremens als 
belastendes Moment angegeben, mehrfach stammten die Kinder von Potatoren. 
In 5 Fällen war Lues der Eltern wahrscheinlich. Ein Einfluss der Jahreszeit 
auf die Häufigkeit der Chorea konnte nicht ermittelt werden. Skrophulöee und 
anämische Kinder kamen häufig als choreakrank zur Beobachtung. Das Alter 
der Erkrankten schwankte zwischen 4 und 16 Jahren, die meisten Fälle standen 


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zwischen dem 9. and 14. Lebensjahr, ln 15 Fällen war die eine, meist die 
rechte, Seite stärker befallen, ausgesprochene Hemichorea bestand jedoch nur 
4 Mal. Bei 21 Patienten traten Reoidive auf (bis za 6 Mal). Die Durchschnitts* 
dauer der Erkrankung betrug 4—8 Wochen. Aetiologisch kommen in Betracht: 
neoropathische Belastung, infectiöse Erkrankungen (34 Mal unter den 65 Fällen, 
davon 25 Mal acuter Gelenkrheumatismus), psychische Momente (in 11 Fällen). 
Die Fälle ohne Angaben aber stattgehabte Infeotion hatten relativ grössere Nei¬ 
gung zu recidiviren als diejenigen mit diesbezüglichen an amnestischen Daten. In 
51 Fällen (■» 78,46°/ 0 ) fanden sich Störungen von Seiten des Herzens, und zwar 
war 43 Mal ein typischer Herzfehler vorhanden, d. h. in a / 8 aller Fälle. Fast stets 
war die Mitralklappe erkrankt, der Herzfehler war meist gut compensirt. Inter¬ 
currente Krankheiten wirkten bei den einzelnen verschieden auf den Verlauf der 
Chorea, in einzelnen Fällen bessernd, in anderen verschlimmernd. 10 Mal fanden 
sich Störungen von Seiten des Urogenitalapparates (Albuminurie, Nephritis), 
25 Mal war der Patellarreflex lebhaft. Die Stimmung war im allgemeinen weiner¬ 
lich und deprimirt, in 4 Fällen bestand starke Reizbarkeit. Oft hatten die 
Kinder schreckhafte Träume. In 3 Fällen zeigte sich Spiegelschrift mit der 
linken Hand. 

Die Prognose ist, sofern nicht eine floride Herzaffection gleichzeitig besteht, 
günstig. In 2 Fällen von den 65 des Verf’s trat der Exitus ein, und zwar im 
comatösen Zustand, geheilt entlassen wurden 45, gebessert 18. 

In therapeutischer Hinsicht empfiehlt Verf.: möglichste Ruhe, zweckmässige 
Ernährung, laue Bäder, Salicyl, Brom, Arsen, Chloralhydrat. bei grosser Unruhe 
event. Morphium, ferner schwache galvanische Ströme. Kurt Mendel. 


22) lieber die fttiologisohen Beziehungen der Chorea minor zu den In- 
feotionskrankheiten, insbesondere zur rheumatischen Infeotion, von 
Priv.-Doc. Dr. Georg Köster. (Münchener med. Wochensohr. 1902. 
Nr. 82.) 

Verf. stellt die verschiedenen Theorien betreffs der Aetiologie der Chorea 
zusammen und fügt seine eigenen Erfahrungen hinzu. Von seinen 121 Fällen 
sind 51 männlich, 70 weiblich, 19 hatten eine Hemichorea dextra, 16 eine Hemi¬ 
chorea sinistra und 86 eine über den ganzen Körper ausgedehnte Chorea. Die 
meisten Erkrankungen fielen zwischen das 7. und 13. Lebensjahr, 32 erwarben 
die Chorea im Frühling, 18 im Sommer, 17 im Herbst, 45 im Winter, bei 9 war 
die Jahreszeit nicht sicher festzustellen. Bei 86 Kranken (=> 71,15°/ 0 ) Hess sich 
eine infectiöse Aetiologie mit Sicherheit nachweisen. Das Krankheitsbild wird 
eingeleitet durch Gelenkrheumatismus, Endooarditis, Angina, Bronchitis, Laryngitis, 
Otitis, Sohnupfenfieber. In 3 Fällen beobachtete Verf. das gleichzeitige Auftreten 
von Gelenkerkrankung und Chorea, in 76 trat die Chorea Bpäter als die Poly¬ 
arthritis auf. Bei 11 Eiranken recidivirte die Chorea. Dass die Fälle ohne 
infectiöse Aetiologie eine grössere Neigung zu Recidiven haben sollen — wie 
Brüning meint (s. das vorige Referat), fand Verf. nicht bestätigt. 

Bei 85 Fällen war anamnestisch weder eine rheumatische noch anderweitige 
Aetiologie nachweisbar. Bei 4 von diesen 35 lag immerhin der Verdacht auf 
eine infeotiöse Aetiologie vor, 5 konnten zur hysterischen Pseudoohorea gerechnet 
werden. Bei den anderen Kranken bestand neoropathische Ascendenz und mangel¬ 
hafte Körperentwickelung; in 9 dieser Fälle war Sohreck das auslösende Moment. 

„So lange es nioht gelingt, aus dem Blute des Choreatischen den Infeotions- 
fträger einer irgendwie latent erworbenen rheumatischen Infeotion nachzuweisen, 
so lange muss die Heranziehung anderer ätiologisch wirksamer Momente nicht 
infeetiöser Art als durchaus zulässig gelten.“ Die meisten Choreaerkrankungen 


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sind zwar infectiös, doch kann auf dem Boden einer ererbten oder erworbenen 
neoropathisohen Disposition in gewissen Lebensperioden (speoiell in der Pubertät 
oder Gravidit&t) ein psychisches Trauma sehr wohl choreogen wirken, ohne dass 
eine infectiöse Aetiologie besteht. Kurt MendeL 


23) Ueber die ätiologischen Beziehungen zwisohen Rheumatismus artto. 

aout., Endooarditis und Ohorea minor, von Medicinalrath Prot Dr. 

Richard Schulz (Braunschweig). (Deutsche Aerzte-Zeitung. 1902. Heft 1 

und 2.) 

Verf. beobachtete 20 Choreafälle, 6 bei männlichen, 14 bei weiblichen Per¬ 
sonen, im Alter von 7—26 Jahren. Alle Fälle waren schwerer Art; in 14 Fällen 
fand sich eine Herzaffection, meist Mitralinsufficienz, in 8 Fällen Gelenkrheuma¬ 
tismus, in 6 beide Affectionen. Bei 2 Mädchen trat die Chorea in der Gravi¬ 
dität ein. 

Verf. tritt für den rheumatisch-infectiÖBen Ursprung der Chorea minor ein. 
Es handelt sich bei der Chorea namentlich um Diplokokkenembolieen in den 
basalen Hirntheilen, besonders im Corpus striatum, diese Emboli een finden von 
den erkrankten Herzklappen aus statt, oder die im Blut kreisenden Bakterien 
haben sich in den Hirngefässen festgesetzt Bei den drei zur Autopsie gelangten 
Fällen des Verf.’s fanden sich schwere Veränderungen der Mitralis, in einem der¬ 
selben auch PericarditiB, in einem anderen Sinusthrombose. In allen 3 Fällen 
konnten Staphylokokken und zarte Diplokokken in den endocarditischen Anf¬ 
lagerungen nachgewiesen werden. 

Die Therapie besteht in Salicyl, warmen Bädern, Chloralhydrat, Arsen. 

Kurt MendeL 


24) Nuovo oaao di oorea mortale oon settioopiaemia da staflloooooo pio- 

gene aureo, per P. Guizetti. (Rivista sperim. di freniatria e medic. leg. 

delle alien. ment XXVII. 1901. S. 426.) 

Verf. beschreibt einen zweiten Fall von Chorea mit gleichzeitiger Septioo- 
pyämie. Es handelte sich um eine Frau, die in 11 Jahren 5 Mal einige Wochen 
lang an Chorea litt, ferner war sie epileptischen Insulten ausgesetzt Bei der 
Aufnahme zeigte sie sehr heftige choreatisohe Bewegungen doppelseitig, weitere 
nervöse Symptome fehlten. 3 Tage vor dem Exitus mässiges Fieber, Bewusst¬ 
losigkeit bei Abnahme und gänzlichem Aufhören der choreatischen Erscheinungen. 
Die Section ergab frische Endocarditis, Abscesse in der Milz, alte Geschwüre im 
Colon. Aus dem Gehirn, Blut, Milz, Herz konnten zahlreiche Colonieen von 
Staphylococcus aureus gewonnen werden. Im Gehirn fanden sioh kleinzellige 
Infiltrationen, Entzündungsherde, die Staphylokokken beherbergten. Die Herde 
sassen in den tiefen Schichten der Rinde und im Mark. Ferner zeigten sich auoh 
einige Erweiohungsherde in der Umgebung duroh Embolie verschlossener Ge- 
fässe. Die Zellen der Gehirnrinde zeigten sich nach Nissl bedeutend alterirt 
Aus dem bakteriologischen und anatomischen Befunde folgt, dass die Affectionen 
im Gehirn in Abhängigkeit zu bringen sind von der Infection, und dass, wenn 
man das klinische Bild der Chorea mit den Befunden am Gehirn in Verbindung 
setzen will, man ebenfalls an die Infeotion zu denken hat. Aehnliohe Befunde 
an der Gehirnrinde sind bereits von anderen Autoren gemacht worden und auch 
vom Verf. selbst in einem anderen Falle von Chorea. Allerdings zeigte sich das 
klinische Bild der Septicopyämie im vorliegenden Falle sehr undeutlich entsprechend 
den relativ geringfügigen anatomischen Befunden, die für Septioopyämie sprechen. 
Diese Thatsache und die Erwägung, dass in dem Falle bereits 6 Mal choreatisohe 


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Erkrankung, und dass ferner eine neuropathische Disposition vorlag, lässt den 
Schluss zu, dass eine besondere individuelle Prädisposition existirte, bei der jedes 
Mal eine leichte Infection mit Pyogenes aureus dieselben hier eigentümlichen — 
choreatischen — Krankheitserscheinungen machte. Experimentell und klinisch ist 
die sioh wiederholende Empfänglichkeit für den Pyogenes bekannt. — Die in« 
fectiöse Aetiologie der Chorea wird durch die so häufige gleichzeitige Endo« 
carditis wahrscheinlich gemacht, ihre Vergesellschaftung mit Gelenkrheumatismus 
betont, und mehrere Fälle citirt, bei denen ebenfalls derselbe Krankheitserreger 
gefunden wurde. Ueber die Specifioität desselben sowie über den intimeren 
Zusammenhang zwischen Affeotionen der Kinde und Chorea geben diese und 
ähnliche Befunde noch keine genügende Uebersicht. 

L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


26) Zur pathologischen Anatomie der Chorea minor, von M. Reichardt. 

(Archiv f. klin. Med. LXXII. 8. 604.) 

Verf. hatte Gelegenheit bei 2 Fällen von Chorea minor die mikroskopische 
Untersuchung des Centralnervensystems zu machen und theilt die erhobenen Be¬ 
funde ausführlich mit. 

Es handelt sich im ersten Falle um ein 17 Jahre altes Dienstmädchen, 
welohes 14 Tage vor Beginn der Chorea an leichtem Gelenkrheumatismus gelitten 
hatte. Die Patientin zeigte im Krankenhaus die typischen choreatischen Zuckungen 
und war ausserdem in deprimirter Stimmung; sie hatte kein Fieber; das Herz 
war etwas nach rechts verbreitert, der erste Ton von einem leisen Geräusche be¬ 
gleitet; Puls 110. Die Zuckungen lieesen in den ersten Tagen des Krankenhaus« 
aufenthaltes nach, die psychische Depression blieb bestehen. In der Folge ent¬ 
wickelte sich das Bild eines hallucinatorischen Deliriums, während die choreatische 
Unruhe zurückging. Einen Tag vor dem Tode stellte sich unter Ansteigen der 
Temperatur ein comatöser Zustand ein, dem die Patientin erlag. Dauer der 
Chorea etwa 4—6 Wochen. 

Der zweite Fall betrifft einen 15jährigen Lehrling, der ein Jahr vor Be¬ 
ginn der jetzigen Erkrankung 8 Monate lang an Veitstanz gelitten hatte, aber 
von letzterem wieder vollkommen geheilt war. Die jetzige Erkrankung dauerte 
nur wenige Tage, ohne dass Gelenk- oder Muskelschmerzen voraufgegangen waren. 
Die choreatischen Bewegungen, welche nicht nur die Glieder, sondern auch 
Kumpf-, Gesichts«, Zungen- und Kehlkopfmusculatur ergriffen hatten, waren von 
enormer Heftigkeit. Temperatur 39°, Puls 120. Herz verbreitert, Spitzenstoss 
von einem blasenden lauten Geräusche begleitet. Die Bewegungen blieben in der 
ganzen Zeit in gleicher Heftigkeit bestehen. Nach 6 tägiger Krankheitsdauer trat 
plötzlich der Tod ein. 

Die Section, welche im ersten Falle 4 Stunden, im zweiten Falle 20 Stunden 
post mortem ausgeführt wurde, ergab in beiden Fällen bezüglich des Cor und des 
Centralnervensystems dasselbe. Am Cor fanden sich beide Male endocarditische 
Auflagerungen, am Centralnervensystem fand sich makroskopisch nichts Besonderes. 
Die mikroskopische Untersuchung indessen, welohe in sehr eingehender Weise und 
mit den neuesten Methoden durchgeführt wurde, förderte sehr interessante Be¬ 
funde zu tage. Es lieesen sich nämlich circumskripte Entzündungen, 
Blutungen und Degenerationen von Nervenfasern nachweisen. Die Ent¬ 
zündungen waren charakterisirt durch perivenöse, zum Theil mehr diffuse, 
kleinzellige Infiltration; sie befielen in ganz kleinen, makroskopisch nicht sicht¬ 
baren Herden ziemlich das ganze Gehirn. In erheblioher Weise war im ersten 
Falle die Gegend des centralen Höhlengraues, des Aquaeductus Sylvii und der 
linke Sehhügel, in denen Bich hämorrhagische entzündliche Herde finden, und im 


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zweiten Falle das suboorticale Marklager betroffen. Am wenigsten waren die 
Ganglienzellen selbst beschädigt, an denen sichere Veränderungen nicht festxnsteUan 
waren. Die zahlreichen, zumTheil auch schon makroakopisch sichtbaren Blutungen 
waren regellos zerstreut, so dass es sich möglicherweise um Blutungen auf Grand 
entzündlicher Gefässalteration handelt Die kleinen Venen waren zum groes o n 
Theil beträchtlich erweitert und stark mit Leukocyten gefüllt Die Degene¬ 
ration von Nervenfasern erwies sioh ihrem Sitze nach unabhängig von der 
Entzündung; sie war in auffallender Weise vorhanden in der Gitterschicht des 
Sehhügels, im hinteren Abschnitte der inneren Kapsel sowie im lateralen Marke 
des Pulvinar. Im Rückenmark waren vornehmlich Wurzelfaeern degenerirt Das 
bakteriologische Ergebniss war, soweit das Gehirn in Frage kommt, im 
ersten Falle ganz negativ, im zweiten zweifelhaft Im ersten Falle konnte aus 
dem Herzblute der Staphylococous aureus, und aus den Auflagerungen an den 
Herzklappen des zweiten Falles Streptokokken gezüchtet werden. 

Das mikroskopische Bild stellt den Process, der sich abgespielt hat, als eine 
Encephalitis dar. Beide Fälle liefern eine weitere Stütze dafür, dass die Chorea 
minor auf infectiöser Grundlage entstehen kann. Es lässt sich nach Ansicht des 
Verf.’s wohl denken, dass die anatomische Untersuchung in vielen Fällen von 
Chorea versagt, welche trotzdem der infectiösen Gruppe zuzurechnen sind. Uebesr 
die Natur des Sitzes im Centralnervensystem, von dem aus event. die choreatischen 
Bewegungen ausgelöst werden, geben diese Untersuchungen keinen Aufschluss. 

Jacobsohn (Berlin). 

26) Zar pathologischen Anatomie der Huntington'eohen Chore*, von Stier. 

(Dentsohe med. Wochenschr. 1902. Nr. 22.) 

In einem typischen Falle ergab die Section starken Schwund dee Gehirns 
(Gewicht 1073 g), leichte Erweiterung der Ventrikel und Ependymverdicknng. 
Histologisch zeigten sich leichte Degeneration einzelner Fasern in den verschie¬ 
densten Rückenmarkssträngen und geringe ChromatolyBe sowie beginnende Sklerose 
in einzelnen Vorderhornzellen. Das Marklager des Gehirns wies in allen Gegenden 
und Schichten eine diffuse und gleichmässig vertheilte Vermehrung der Gliaxellen 
auf. Die Gefässe in der Rinde waren vermehrt, nicht krankhaft verändert. Ge¬ 
ringe kleinzellige Infiltration einzelner perivascnlärer, pericellulärer and Lymph- 
räume. In der verschmälerten Hirnrinde Schwund der Tangentialfasern und des 
supraradiären Flechtwerkes, deutliche Vermehrung der kleinen runden Zellen, 
Verminderung und ungeordnete Lagerung der Ganglienzellen mit allen Zeichen 
beginnender und fortgeschrittener chronischer Erkrankung des Zellleibes. Die 
Zellzerstörung and die Gliawucherung waren am stärksten in den motorischen 
Centren, am geringsten in der Hirnrinde, die Betz’schen Riesenzellen relativ 
wenig betheiligt. 

Verf. nimmt eine wirkliche, vielleicht sogar primäre Wucherung der Glia an 
und deutet die Krankheit als eine primäre embryonale Entwickelungsanomalie. 

R. Pfeiffer. 


27) Etüde zur la looaliaation des symptömes de 1 a ofcoröe de Bydonham, 

par Dr. G. Oddo (Marseille). (Revue de Mädecine. 1901. S. 27 u. 138.) 

Verf. hat seit Jahren alle ihm vorkommenden Choreafälle (im Ganzen 144) 
genau untersucht und berichtet in dieser Arbeit ausführlich über seine Befände. 
Die choreatischen Symptome zeigten rieh selten von vornherein in geoeralisixter 
Weise. Dies kommt nur in besonders schweren Fällen vor. Gewöhnlioh beginnt 
die Chorea zunächst einseitig (als Heariohorea). Verf, sah dieses Verhalten 
117 Mal. In der Regel traten die Zuckungen zuerst im Arm, seltener soerst im 


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bein auf. In seltenen Fällen bleibt die Krankheit auf die eine Körperhälfte 
Beschränkt, gewöhnlich greift sie alsbald auf die andere Körperhälfte über, wobei 
sie aber meist auf der anfangs befallenen Seite stärker bleibt. Auf der Höhe 
ihrer Entwickelung angekommen, zeigt sich also die Chorea als reine Hemiohorea 
(21 Fälle), als allgemeine Chorea mit einseitigem Ueberwiegen der Zuckungen 
(91 Fälle) oder als allgemeine symmetrische Chorea (29 Fälle). Die allgemeine 
symmetrische Chorea ist zu betrachten als zusammengesetzt aus zwei Hemichoreen, 
die in ihrer Dauer und Intensität übereinstimmen. Beschränkung der Chorea auf 
eine einzige Extremität ist nur äusserst selten zu beobachten. 

Die Absohwäohung der Muskelkraft ist ein oonstantes Symptom der 
Chorea. Besteht eine Hemiohorea, so ist auf der Seite der choreatischen Be¬ 
wegungen auch eine deutliche Amyosthenie vorhanden. Die Sensibilitäts¬ 
störungen sind grösstentheils als Complioationen zu betrachten (nervöse Kopf¬ 
schmerzen, hysterische Anästhesie und Hyperästhesie, letztere nioht selten in Form 
der hysterischen Ovarie). Ausserdem beobachtet man nicht selten auch in den 
befallenen Extremitäten Myalgieen und Arthralgieen ohne gröbere anatomische 
Veränderungen. — Sehr genaue Untersuchungen hat Verf. über das Verhalten 
der Sehnenreflexe bei den Choreatisohen gemacht. Das Verhalten der Reflexe 
ist in den einzelnen Fällen recht verschieden. In 14 Fällen verhielten sich die 
Sehnenreflexe normal, 75 Mal waren sie herabgesetzt oder fast völlig fehlend, 
23 Mal waren sie gesteigert. Zwischen der Looalisation der choreatisohen Be¬ 
wegungen und dem Verhalten der Reflexe bestehen keine engeren Beziehungen. 
Auch bei der Hemichorea können sioh die Reflexe auf beiden Seiten gleich ver¬ 
halten. Strümpell (Erlangen). 


28) A propoa da la ohorda de« ddgdndrds, par M. A. Mousson. (Revue 

mens, des maladies de l’enfanoe. XIX. 1901.) 

Brissaud hat im Jahre 1889 eine eigentümliche Form der Unruhe bei 
schwer neuropathischen Individuen als Chorea der Degenerirten von den übrigen 
Formen dieser Krankheit isolirt. Die Bewegungsstörungen bei diesem Zustande 
tragen den uncoordinirten zwecklosen, langsamen Charakter der ohoreatischen 
Agitationen, sie sind aber durch den Willen beeinflussbar und gehen nicht mit 
psychischen Alterationen einher, wie sie bei der Sydenham’schen Chorea so 
häufig sind. In Folge der bestehenden Willensherrschaft sind Sprache, feinere 
Handgriffe, z. B. Sohreiben, nicht geschädigt. Die Krankheit beginnt oft nach 
starken körperlichen oder psychischen Traumen. Am auffallendsten ist ihre lange 
Dauer. 

Verf. kennt eine 60jährige Dame, welche seit ihrer Kindheit diese Art von 
Bewegungen aufweist. In anderen Fällen traten Besserungen und auch Heilung 
des Leidens auf. Die Patienten sind meist auch in anderweitiger Beziehung, 
namentlich in der psychischen und geistigen Beschaffenheit, neuropathisoh, doch 
findet sich keine gleichnamige Belastung. Niemals jedoch zeigen die Patienten 
die progressive geistige Abnahme noch eine Steigerung der Unruhe wie bei 
Huntington’scher Chorea. Ebenso sicher ist die Diflerentialdiagnose gegenüber 
der Sydenham’schen Chorea, mit der sie höchstens ganz im Beginn verwechselt 
werden kann und von der sie sich durch die Willensbeeinflussung der Bewegungen 
und durch den Verlauf wohl unterscheidet. 

Von Gilles de la Tourette wurde behauptet, dass die Chorea der Dege¬ 
nerirten (ebenso wie die Chorea gravidarum, Ref.) nur Aeusserungen seiner Maladie 
des Tics sei. Verf weist diese Identificirung aus logischen Gründen zurück. 
Sowohl die Bezeichnung „Chorea“ als der Name „Tio“ gelten nicht für ein be¬ 
stimmtes Grundleiden, sondern seien Benennungen von charakteristischen patho- 


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logischen Bewegungsformen. Selbst wenn für beide Krankheitsformen sich dieselbe 
Grundlage in einzelnen Fällen finden Hesse, so berechtige dies nicht dazu, die 
durch ihre Eigenart völfig differente choreatische und ticartige Bewegung zu 
identificiren und daher zwei Krankheitsformen zu vereinigen, die diese verschieden* 
artigen Bewegungen aufweisen. 

Schliesslich führt Verf. aus, dass die Chorea der Degenerirten auch mit 
Hysterie nichts zu thun habe, so dass sie als selbständige Krankheitaform fest* 
gehalten werden muss. Zappert (Wien). 


29) Three oases of hereditary ohorea, by C. Eugene Riggs. (Journal of 
Nervous and Mental Disease. 1901. Sept) 

Mittheilung dreier Fälle von Hjuntington’scher Chorea ohne besondere Ab¬ 
weichungen von dem typischen Bilde. Martin Bloch (Berlin). 


SO) Ueber Chorea ohronioa progressiva, von Prof. A. Westphal. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1902. Nr. 4.) 

Kurze Mittheilung zweier einschlägiger Fälle. Bei Fall I wirkte bei be¬ 
stehender Heredität das Wochenbett als Agent provocateur, bei dem zweiten, 
hereditär nicht belasteten Eiranken ein Trauma als Entstehungsursache. 

R. Pfeiffer. 


31) Behandlung chronischer Chorea daroh hypnotische Beeinflussung, 

von Dr. Schilling in Leipzig. (Münchener med. Wochenschrift 1901. 

Nr. 27.) 

Verf. theilt einen Fall von Chorea bei einem 7jährigen Kinde mit, welche 
durch ein psychisches Trauma entstanden war und aller Behandlung mit Arsen, 
Bädern u. s. w. trotzte. Erst die hypnotische Suggestion im Verein mit Elektri- 
siren, Massage u. s. w. brachte die Zuckungen zum Schwinden. (Ob es sich in 
diesem Falle nioht doch um Hysterie gehandelt hat? Ref.) 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 

82) A note on the knee-jerk in ohorea, by W. Gordon. (Brit med. 

Journ. 1901. 30. März.) 

Bei Patienten, welche an Chorea minor litten, beobachtete Verf häufig fol¬ 
gende Modification des Patellarreflexes: Wenn man beim Hegenden Patienten den 
Kniereflex in gewöhnlicher Weise (bei aufiitehendem Hacken und erschlaffter 
Musculatur) hervorruft, so fällt der Unterschenkel nioht gleich wieder auf seine 
Unterlage zurück, sondern bleibt eine Zeit lang in erhobener Stellung stehen 
und fällt dann langsam hinunter. Einige Male blieb das schon im Herabfallen 
begriffene Bein plötzlich eine Zeit lang schwebend stehen oder schnellte sogar 
wieder in die Höhe, und zwar höher, als unmittelbar nach dem Hervorrufen des 
Reflexes. Endlich fand Verf. nach dem Hervorrufen des Reflexes ein Uebergeben 
des letzteren in eine anscheinend willkürlich hervorgerufene, mehr oder weniger 
persistirende starre Extension der betreffenden unteren Extremität — Die Er¬ 
scheinungen erklären sich daraus, dass der Kniereflex selbst ungewollte Bewegungen 
auslöste. 

Gerade ganz leichte Erkrankungsformen, bei denen die ungewollten Bewegungen 
noch gering, zeigen die geschilderten Reflexformen am besten. 

Verf. hält daher bei leichten und zweifelhaften Fällen von Chorea minor 
das geschilderte Verhalten des Kniereflexes für ein wichtiges diagnostisches Hülfs- 
mittel und erwähnt Fälle, bei denen es verwerthet werden konnte. 

E. Lehmann (Oeynhausen). 


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33) hei ohorees symptomattquas, par Louis £4non. (Gaz. des höpitaux. 

1902. Nr. 1.) 

Verf. unterscheidet unter den symptomatischen Choreafüllen 1. die hemi- 
plegische Hemichorea mit Athetose, 2. die angeborene Chorea und 3. die all¬ 
gemeine symptomatische Chorea (als Symptom einer organischen Läsion, wie 
Paralyse, Tumoren, Meningitis u. s. w.). Verf. bespricht Aetiologie, Klinik, Dia¬ 
gnose, pathologische Anatomie und Therapie dieser verschiedenen Formen. Allen 
gemeinsam ist die ungünstige Prognose. Kurt Mendel. 


34) Chorea hysterloa arythmioa, von Dr. V. Vitek. (Archiv, bohöm. de m6d. 

clin. 1902. S. 397.) 

Bei einem 18jähr. Dienstmädchen entwickelte sich nach einem psychischen 
Choc ein typisches Bild der Sydenham’schen Chorea. Nur der Gang zeigte eine 
Störung, die mehr als hysterischer saltatorischer Krampf imponirte als eine 
choreatisohe Dysbasie. Zahlreiche Stigmata der Hysterie. Druck auf die Ovarien 
hatte einen irritativen, Druck im Epigastrium einen sedativen Einfluss auf die 
Bewegungen. In Folge von Faradisation mit Bürstenelektrode schwanden zuerst 
die hysterischen Stigmata, dann hörte die Störung des Ganges auf und die chorea- 
tisohen Bewegungen blieben auf eine Körperhälfte beschränkt und waren viel 
schwächer als vorher. 

Verf. führt aus dem Materiale der inneren Klinik Maizner’s noch 5 Be¬ 
obachtungen hysterischer Chorea an. Peln&r (Prag). 


36) Un oas de ohoröe öleotriqae (v&riötä de tio our&ble juvönile), par 

M. G. Variot. (Bulletins de la Sooiötö de P6diatries. 1901. Nr. 9.) 

Bei der lljähr. Patientin stellten sich in Pausen von 1 / i —5 Minuten kurze, 
heftige Anfälle von Zuckungen im Gesicht, rechten Arm und an der reohten 
Halsseite ein. 

Verf. glaubt, den Fall als eine Art von „Chorea electrica“ hinstellen zu 
können, doch weist G ui non in der Discussion (wohl mit Hecht, Eef.) darauf hin, 
dass es sich anscheinend nur um einen Tio mit etwas brüskeren Bewegungen wie 
gewöhnlich handelt. Zappert (Wien). 


30) Ein Fall von Chorea senilis, von cand. med. Hildegard Bisohoffi 

(Archiv f. klin. Med. LXIX. S. 406.) 

73jährige Patientin; im 68. Lebensjahr nierenkrank, seit dem 64. Lebens¬ 
jahr Kopfschmerzen; 6 Jahre vor Beginn der jetzigen Erkrankung Fall auf den 
Hucken; 1896 Beginn des Leidens naoh einer psychischen Aufregung mit Athem- 
noth, schwerer Beweglichkeit der Zunge und allgemeiner Mattigkeit. Diese An¬ 
falle wiederholten sich mehrmals kurz hintereinander, wobei von der Umgebung 
ein starkes Zucken des linken Armes und Beines, manchmal auch dee ganzen 
Rumpfes wahrgenommen wurde. Diese Bewegungen nahmen mit der Zeit an 
Häufigkeit zu und wurden schliesslich beständig. Status bei der zweiten Auf¬ 
nahme in die Klinik: Mittelgrosse Patientin, Klagen über heftige Schmerzen im 
Kreuz, Arteriosklerose. Fortwährende Bewegungen des Kopfes, des Gesichtes, des 
Mundes, der Zunge; dadurch articulatorische Sprachstörung; am linken Arm und 
Bein in Intervallen auftretende zuckende Bewegungen der ganzen Gliedmaassen. 
Auch der Schlund ist in ständiger Bewegung; ähnliches an den Stimmbändern. 
Keine gröberen Sensibilitätsstörungen. Während der 4 wöchentlichen Beobachtung 
treten zeitweise starke Aufregungszustände (Delirien) ein; bei ruhigem Schlaf tritt 

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auch körperliche Rahe ein, auch am Tage wird zeitweise vollkommene Rabe be¬ 
obachtet; sobald Patientin aber angesprochen wird, zeigt sich die motorische 
Unrahe wieder intensiv. Patientin ging an einer intercorrenten Krankheit za 
Grande. Ausser einer Wirbelcaries, die mit der Krankheit selbst nicht im Zu¬ 
sammenhänge steht, wurde post mortem sowohl makroskopisch wie mikroskopisch 
nichts Wesentliches gefunden. Auf Grand einer tabellarisch zusammengestellten 
Litteratur ergiebt sich: 

1. Männer and Frauen sind in gleicher Anzahl (bei dieser Krankheit) be¬ 
fallen. 

2. Rheumatismus und Herzleiden erscheinen als seltene Complicationen; 
letztere in etwa l2,3°/ 0 . 

3. Bei 60 °/ 0 sind die geistigen Fähigkeiten normal 

4. Die beiderseitige Affection wiegt vor, die rechte and linke Seite sind 
gleioh häufig erkrankt. 

5. 20°/ 0 der Fälle sind heilbar. Hier erfolgt die Heilung in spätestens 
einem Jahr. 

6. Die bis jetzt erhobenen wenigen anatomischen Befunde geben keine Er¬ 
klärung über Ursache und Sitz der Erkrankung. Jacobsohn (Berlin). 


37) L'6tat mental de« tlqueurs, par Meige et Feindei. (Progrds medicaL 

1901. Nr. 36.) 

Excerpt des in Limoges d. J. gehaltenen Vortrages, dessen Quintessenz ist: 
die an den verschiedensten Tics leidenden Kranken sind vor ihrer Behandlung 
auf ihren Geisteszustand zu untersuchen, weil es sich bei ihnen meist um erblich 
belastete, mehr oder weniger Degenerirte handelt. 

Adolf Passow (Meiningen). 

38) Tic et fonotion, par Henry Meige. (Revue neurol. 1902. Nr. 9.) 

Verf. giebt zunächst eine Definition von dem, was er unter dem Worte 
„fonction“ verstanden wissen will. Es giebt Functionen, welche durchaus noth- 
wendig sind für unsere Existenz (z. B. Athmen) und solche, welche nicht direct 
unentbehrlich für unser Leben, wohl aber von Nutzen sind (Gehen, Kauern, 
Schreiben u. s. w.). 

Eine grosse Anzahl der Tics bedeutet nur eine Störung in der normalen 
Function gewisser Körpertheile, in diesen Tics kann man functionelle Acte er¬ 
kennen, deren Rhythmus und Ausgiebigkeit über das Ziel, welches das Individuum 
erreichen will, hinausschiessen oder dasselbe nicht erreichen. Oder aber der 
functionelle Act geschieht zu einer Zeit, wo kein Grund für sein Geschehen be¬ 
steht (z. B. Lachen ohne Grund, Kratzen ohne Jucken u. s. w.). Wie jedem 
functioneilen Acte ein Bedürfniss zu demselben vorangeht, eine Befriedigung folgt, 
ebenso gilt dies auch für die Tic-Bewegung, nur ist hierbei das Bedürfniss und 
die Befriedigung übertrieben stark. 

Zu den Tics gehören ferner die Beschäftigungskrämpfe, Beschäftigungs¬ 
spasmen und Beschäftigungsneurosen. Dieselben unterscheiden sich von den Tics 
jedoch dadurch, dass sie nur dann auftreten, wenn gerade der functionelle Act, 
dessen Anomalie sie darstellen, geschehen soll, während bei Ruhigstellung der 
Function auch die Störung anfhört: der an Sohreibkrampf Leidende bekommt 
diesen Krampf nur, wenn er zu schreiben beginnt. 

Schliesslich kann ein Tic bedingt sein durch eine psychische Alteration, 
durch eine krankhafte Idee: jemand bemerkt z. B. beim Armheben ein Knacken 
in seiner Schulter, er vermuthet daselbst etwas Abnormes, wiederholt die Be- 


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wegung, das Knacken tritt wieder auf. Die Vermuthang wird zur fixen Idee, 
zur Phobie. Die Wiederholung der Bewegung wird automatisch und wird zum 
Tic. Auch hier also Wiederholung der Bewegung, Bedürfniss dieselbe auszuführen, 
der Bewegung folgende Befriedigung, unzweckmässige Handlung! 

In allen Fällen von Tic fehlt die Willensenergie, welche im Stande ist, die 
frühere normale und gleiohmässige Function wieder herzustellen, es fehlt die 
Kraft, die wie ein Parasit das Individuum befallende Störung wieder fortzuschaffen. 
Es kommt demnach schliesslich bei dem Tic auf eine Unvollkommenheit des 
psychischen Zustandes, speciell auf einen Mangel an Willensstärke hinaus, wie 
auch die klinisohe Beobachtung deutlich zeigt. Kurt Mendel. 


39) Tio et öoriture, par Henry Meige. (Gaz. hebdomadaire de m6d. et de 

Chirurgie. 1902. Nr. 47.) 

Störungen der Schreibfunotion sind Ausnahmen bei Tic-Kranken, hingegen 
entwickelt sich ein Tic zuweilen im Anschluss an Schreiben, besonders wenn 
letzteres längere Zeit fortgesetzt wird. 

Etwas anders als Tio ist der Schreibkrampf, indem bei letzterem die Störung 
nur dann auftritt, wenn das Individuum schreibt, während sich der Tic ohne 
Gelegenheitsursache einstellt Allerdings sind Tic und Schreibkrampf nahe ver¬ 
wandt: beide entwickeln sich bei neuro- oder psychopathischen Personen mit 
gleichen psychischen Anomalieen. Auch können beide gleichzeitig bei ein und 
demselben Individuum bestehen. In therapeutischer Beziehung empfiehlt Verf., 
die Patienten mit beiden Händen zugleich schreiben zu lassen. 

Kurt Mendel. 


40) TJne Observation de tio de Salaam, par L. G. Simon. (Revue mensuelle 
des maladies de l’enfance. XX. 1902. Mai.) 

Beschreibung eines ziemlich typischen Falles von Spasmus nutans bei einem 
15 Monate alten, gering rachitischen Kinde. 

Ref. möchte das Bemerkenswerthe dieser Mittheilung darin erblicken, dass 
der Spasmus nutans, welcher in Wien ein nicht seltenes Leiden darstellt, in Paris 
rar genug zu sein scheint, um die Veröffentlichung eines nicht ungewöhnlichen 
Falles zu rechtfertigen; ähnlich verhält es sich ja auch mit der Verbreitung der 
Kindertetanie. Zappert (Wien). 


41) Lea tiofl et leor traitement, par Henry Meige et E. Feindei. Mit einer 

Vorrede von Brissaud. (Paris 1902, Masson et Co. 633 S.) 

Das vorliegende, ausserordentlich angelegte Werk ist das Resultat eingehen¬ 
der, sich über 10 Jahre erstreckender Studien der beiden Verff. Das Buch be¬ 
ginnt mit der von einem Tic-Kranken selbst verfassten, ausgezeichneten und sehr an¬ 
schaulich geschriebenen Geschichte seiner Krankheit. In diesem Krankheitsbericht 
findet man schon alle die von den Verfassern in den einzelnen Capiteln des Buches 
besonders betonten Momente enthalten; besonders gut weise der Kranke in seiner 
Krankengeschichte seinen psyohischen Zustand zu sohildern. Die eigentliche Be¬ 
handlung des Stoffes wird mit einer historischen Uebersicht, die sich vor allem 
mit der Geschichte des Wortes Tic beschäftigt, eröffnet. Man hat fälschlicher 
Weise sehr viele klinische Erscheinungen mit der Bezeichnung Tic benannt, ob- 
schon dieselben mit dem wirklichen Tic nichts gemein haben. Verff. schränken 
den Begriff des W T ortes Tic ein. 

In einer 60 Seiten grossen „ßtude pathog6nique u erläutern die Verff. 
in eingehender Weise das Verhältniss des Tics zum Spasmus, zu den Reflex- 

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bewegungen, zu den wilkürlichen Bewegungen, zu den Gewohnheitsbewegungen u.s.w. 
Vom Spasmus unterscheidet sich der Tic dadurch, dass hei jenem die Grosshirn- 
rinde an der motorischen Reaction niemals theilnimmt. Sehr instructiv ist der 
Abschnitt über die Genese des Tics: Eine zuerst heim Vorliegen einee be¬ 
stimmten sensiblen Reizes zweckentsprechende Bewegung wiederholt sich, auch 
wenn der sensible Reiz schon fortgefallen ist, in stereotyper Weise und wird mn 
Tic. Der normalen motorischen Function gegenüber kann der Tic angesehen werden 
als eine durch ein übertriebenes, plötzlich vorbrechendes Bedürfhiss veranlaaste 
und von einer übertriebenen und deplacirten Befriedigung gefolgte Handlang. 

Der Geisteszustand der Tic-Kranken ist nach den Verff. niemals ein normaler. 
Da die Tiqueurs zu denjenigen Individuen gehören, welche man „Degenerirte“ 
nennt, so zeigt ihr Geisteszustand den gleichen Polymorphismus, wie er sich bei 
den Degenerirten überhaupt findet. Willensschwäche, Unbeständigkeit, „Emotivität, 
Zwangsvorstellungen, Phobieen und Manieen“ oharakterisiren das psychische Ver¬ 
halten der Tickranken. In dem Capitel über die Aetiologie der Krankheit 
wird neben der Heredität auch den so sehr wichtigen Verhältnissen der Um¬ 
gebung des Kranken, besonders der jugendlichen Kranken, Rechnung getragen. 

Die der pathologischen Anatomie und die den accessorischen Sym¬ 
ptomen (Reflexen, Sensibilitätsstörungen) gewidmeten Seiten bieten eine voll¬ 
ständige Uebersicht über das vorhandene Material, bieten jedoch naturgemäas 
wenig positive Daten. Der grösste Abschnittt des Buches, der mit ausserordent¬ 
licher Vollständigkeit und Ausführlichkeit behandelt ist, beschäftigt sich mit den 
einzelnen Formen des Tics. Besonders interessant ist der „Kratztic“ (Tic de 
grattage), bei dem die Individuen nach überstandenen kleinen Hautaffectionen wie 
Acne u. s. w. das Kratzen fortsetzen, an den Fuss- oder Fingernägeln herum¬ 
arbeiten u. dergl. Differentialdiagnostisch interessiren die Bemerkungen über den 
Schreibkrampf und die ticartigen Störungen beim Schreiben. Zu den Ticformeo 
müssen auch gezählt werden die sogenannte Jumpingkrankheit in Amerika, die 
Latahkrankheit auf den Malayischen Inseln und die Myriachitkrankheit in Sibirien. 
Auch sei noch auf den Luftschlucktic und auf den Tic der Respiration und 
Sprache (Echolalie, Coprolalie) hingewiesen. Die letzten Capitel des klinisch be¬ 
schreibenden Theiles der Arbeit sind der Differentialdiagnose und dem Verhältnias 
des Tics zur Hysterie, Neurasthenie, Epilepsie und Idiotie gewidmet Den Namen 
der Gilles de la Tourette’schen Krankheit reserviren die Verff. für diejenigen 
Fälle, welche unter der progressiven Entwickelung zur Verallgemeinerung der 
convulsivischen Zustände führen und welche ausserdem von Coprolalie und ähn¬ 
lichen Zuständen begleitet sind. 

Der dem Leser willkommenste Abschnitt und das den Verff. eigenste Gebiet 
enthalten die 100 letzten Seiten des Buches. In demselben haben die Verff. 
niedergelegt, welche Methode sie im Laufe der Jahre zur Behandlung des Tic 
angewandt haben und welche Erfolge sie mit dieser Methode erreicht haben. 
Nach Besprechung der bisher meist angewandten Mittel, der Massage, Elektro- 
und Hydrotherapie, der medicamentösen Behandlung u. s. w., therapeutischer Fac¬ 
to ren, welchen die Verff. selbst übrigens volle Würdigung zu theil werden lassen, 
folgt die Beschreibung des von Brissaud und von den Verff. geübten „Traite- 
ment r66ducateur“. Diese Behandlungswqise gehört den jetzt in ihrem grossen 
Werthe erkannten Behandlungsmethoden „durch die Function“ an and stellt eine 
Art „Uebungstherapie“ dar. 

Die zur Anwendung gelangenden Uebungen sollen den Pat lehren einmal 
für eine gewisse Zeit bewegungslos zu bleiben und andererseits seine Bewegungen 
derart zu reguliren, dass die Ticbewegung durch eine normale Bewegung ersetzt 
wird. Die zuerst unter Aufsicht des Arztes vorgenommenen Uebungen müssen 
von dem Kranken zu Hause vor dem Spiegel wiederholt werden. Unter Hinweis 


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auf die Natur der sogenannten Spiegelschrift legen die Autoren dar, welchen 
Einfluss die Bewegungen des gesunden Gliedes auf die anormalen motorischen 
Acte des symmetrischen Gliedes ausüben. Aus diesem Grunde ziehen die Verff. 
bei einseitigen Tics auch die gesunde Seite zu den Uebungen heran. Die Details 
der von den Verff. ausgearbeiteten Methode sind in dem Werke selbst nach¬ 
zulesen. 

Das verdienstvolle Geeammtwerk der Verff. bildet eine den Gegenstand er¬ 
schöpfende Darstellung des grossen Gebietes der Ticzustände. Das besonders 
Bemerkenswerthe in der Arbeit stellt der Umstand dar, dass es dem Verf. in 
überzeugender Weise gelungen ist, dem Worte „tic“ eine ganz bestimmte und 
schärfer als bisher ausgedrückte Bedeutung zu geben, sowie ferner der Nachweis, 
wie viel bei den Tickranken durch eine zielbewusste geduldige Behandlung er¬ 
reicht werden kann. 

Die Anordnung des Stoffes ist eine übersichtliche, die Darstellung leidet 
zwar ein wenig an Wiederholungen und Abschweifungen, ist jedoch im Allge¬ 
meinen eine klare und angenehm zu lesende. Jedem, der sich eingehender mit 
der Materie zu beschäftigen hat, ist die Lecture des Buches unentbehrlich. 

Paul Schuster (Berlin). 


Psychiatrie. 

42) Ueber die Untersuchung von Vererbungsfragen und die Degeneration 
der apanl8ohen Habsburger, von Stephan Kekul6 von Stradonitz, 
Dr. jur. utr., Dr. phil., Fürstl. Schaumburg-Lippischem Kammerherrn. (Archiv 
f. Psych. 1902. XXXV.) 

Nachdem Verf. die formale Seite des Ahnenproblems erörtert und auseinander- 
geeetzt hat, wieviel Personen eine Ahnenreihe und wieviel eine Ahnentafel um¬ 
fasst, zeigt er an einem besonders interessanten Beispiel, nach welcher Methode 
er genealogisch Vererbungsfragen studirt wissen will. Dies Beispiel ist die Familie 
der spanischen Habsburger. An Don Carlos, Philipp III., Philipp IV. und 
Karl II. werden die psychopathischen Merkmale auf Grund historischer Berichte 
geschildert. Bei Jedem der Genannten wird der Grad der erblichen Belastung 
nach geschickt berechneten Zahlenwerthen festgestellt. 

Verl hat die Ansicht gewonnen, dass je weiter die Ahnenreihe zurückliegt, 
in der der belastende Ahne vorkommt, um so mehr sich die Energie des krank¬ 
machenden Elementes vermindert, dass die Folge der erblichen Belastung jedoch 
wieder stärker hervortritt, wenn durch Verwandtenheirath dem Blut eine gleich¬ 
artige Erbschaftsmasse wieder zugeführt wird. Die Gleichartigkeit der Erbschafts« 
massen hält er für das wirksamste Princip, so zwar, dass wiederholtes Vorkommen 
in jeder Beziehung gesunder Ahnen günstig, wiederholtes Vorkommen kranker, 
d. h. belastender Ahnen schädlich auf die Nachkommenschaft wirkt. 

G. Ilberg (Grossschweidnitz). 


43) Selbstbiographie eines Falles von Mania acuta, von A. Forel. (Archiv 
f. Psych. XXXIV.) 

Einer kurzen ärztlichen Krankengeschichte folgen ausführliche, naoh der 
Heilung verfasste Aufzeichnungen der sehr intelligenten und gebildeten Kranken, 
die nach verschiedenen Seiten von hohem Werthe sind. Einmal zeigen sie, dass 
auch die scheinbar unsinnigsten und zusammenhanglosesten Handlungen derartiger 
— und wohl auch wieder anderer — Kranker eigentlich nie der psychologischen 
Begründung, der Logik entbehren, wenn auch die Voraussetzungen und Prämissen 


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in Folge der krankhaften Zustände, Hallucinationen n. s. w. falsche sind (s. B.: das 
Luftzug aus dem Gitterfenster hält Patientin für eine räthselhafte Einrichtung, durch 
welche sie mit vermeintlichen Helfern und Verbündeten correepondiren könne; deshalb 
steckt sie allerhand Kleinigkeiten in das Gitter und Drahtgeflecht, um Zeichen ihrer 
Anwesenheit zu geben). Ferner thun die Aufzeichnungen dar, dass Wahnideeea und 
Gedankenfolgen, die man für charakteristisch für die Paranoia zu halten gewohnt 
ist, bei reiner Manie eine grosse Bolle spielen können (geradezu Beziehung»- und 
physikalischer Verfolgungswahn, Umdeutung der Umgebung im Sinne einer Ver- 
Bchwörerbande u. s. w.). Weiter geht aus den Aufzeichnungen hervor, daa» der 
Patientin die Beurtheilung ihres eigenen Verhaltens sehr häufig abhanden ge¬ 
kommen war: sie glaubte, zu Zeiten, wo sie ganz besonders unruhig war, ihr 
Los geduldig zu ertragen, hatte von ihren Gewalttätigkeiten keine Vorstellung, 
ärgerte sich, wenn Bie sich als „aufgeregt“ bezeichnen hörte. Trotzdem kam ihr 
während der ganzen Krankheit ein Pflichtgefühl nicht abhanden; es that ihr leid, 
wenn sie sich wissentlich vom Zorn hatte hinreissen lassen. — Grosse Perioden 
der Krankheit — die im ganzen 13 Monate gedauert hatte — waren nachträglich 
„wie aus ihrem Gedächtniss ausgelöscht“. Ueber Einzelheiten der Ideeenflucht, 
Beimsucht, Wortspiele und Worterfindungen, macht Patientin interessante Angaben, 
desgleichen über die Zellen, das Deckelbad, die Kleidung, die Umgebung: Patientin 
fühlte unangenehm den Mangel einer gebildeten Umgebung, die paar Worte, die 
sie mit den Aerzten wechseln konnte, thaten ihr wohl; während sie für Besserung 
und Verschlimmerung ihres eigenen Zustandes kein deutliches Gefühl hatte, merkte 
sie sehr wohl, dass die anderen Patienten nicht bei Verstände waren. — Noch 
viele interessante und für die Beurtheilung der Psychologie der Geisteskranken 
wichtige Einzelheiten enthält das Document; die Thatsache, dass es erst 10 Jahre 
nach der Genesung niedergeschrieben wurde, ist bei der Exactheit der Beobach¬ 
tungen, die alle den Stempel der Wahrheit tragen, nicht geeignet, seinen Werth 
zu vermindern; die Lectüre ist, abgesehen von ihrem wissenschaftlichen Interesse, 
wohl geeignet, auch für den Verkehr mit Geisteskranken manche wichtige Winke 
zu geben; es könnte nichts schaden, wenn diese Art „Krankengeschichten“ mehr 
gepflegt würden. H. Haenel (Dresden). 


44) A oontribution to the pathology of acute Inaaiiity, by D. Orr. (Brain. 

1902. Summer.) 

Verf. hat das Nervensystem in 6 Fällen rasch tödtlich verlaufenen acuten 
Irreseins nach den neuesten Methoden untersucht und namentlich auf die Nerven¬ 
zellen Rücksicht genommen. Es fanden sich in allen Fällen Veränderungen in 
den Zellen der Binde, der Spinalganglien und der Vorderhörner des Rückenmarks. 
Die Veränderungen bestanden in mehr weniger starker Chromatolyse und Exoentri- 
cität des Kernes. Markzerfall fand sich namentlich in den Hinter- und Seiten¬ 
strängen des Rückenmarks. Die bisherige Litteratur ist eingehend berücksichtigt. 

Bruns. 


46) Deuz oas de manie guörlt & la suite d’une infection grave, par 

Ch. Azömar (Ariöge). (Annales mödico-psychologiques. 1901. Juli/August) 

Verf. theilt 2 Fälle von Heilung von Manie nach schweren Infectionskrank- 
heiten mit. In dem einen Falle erkrankte der Patient an einer schweren Lungen¬ 
entzündung, in dem anderen an einer diffusen Phlegmone des Vorderarms. 

Die Fälle sind ausführlich mitgetheilt und als Bereicherung dieser inter¬ 
essanten Frage aufzufassen. Adolf Passow (Meiningen). 


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46) Beitrag zur Aetiologie der periodischen Psychosen, von Dr. Clemens 

Ne iss er, Director der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Lublinitz. (Archiv 

f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXVL 1902.) 

Seit langer Zeit weiss man, dass erbliohe Belastung und Schädeltraumen in 
der Vorgeschichte von Kranken mit periodischer Seelenstörung eine Bolle spielen. 
Im Anschluss an die Studien von Pilcz macht Ne iss er darauf aufmerksam, dass 
für die Auslösung periodischer Psychosen auch organische oerebrale Er¬ 
krankungen, die als Hirnnarben angesehen werden können, in Betracht 
kommen. Zu den von Pilcz beobachteten Fällen periodischer Seelenstörung nach 
Apoplexie fügt Neisser einen Krankenbericht über circuläres Irresein nach 
Schlaganfall bei einem 51jähr. Fräulein hinzu, welches später auch aphasische 
Störungen transcorticalen motorischen Charakters zeigte. Er erinnert an den 
einen Befund von Pilcz, dass Fälle periodischen Irreseins mit grobem organisch¬ 
cerebralem Befund ausgeprägte Tendenz zur Verblödung zeigen, und an den 
anderen, dass in der Vorgeschichte periodisch Geisteskranker oft Zustände wie 
Fraisen, Gehirnhautentzündung u. dergl. erwähnt werden, die einen Hin¬ 
weis auf ein in der Kindheit durchgemachtes cerebrales Leiden enthalten. End¬ 
lich bringt Verf. noch ein Beispiel, das zu einer kleinen Gruppe von periodischer 
Seelenstörung gehört, bei der in unmittelbarem Anschluss an Traumen in 
Einzelanfällen verlaufende Erregungszustände auftreten, welche einen manischen 
Grundzug haben, durch Bewusstseinstrübung, gehäufte Hallucinationen und moto¬ 
rische Störungen mit dem Charakter mehr selbständiger Beizsymptome ausgezeicnet 
sind und eine sehr günstige Prognose haben. Verf. fand, dass in seinem Falle 
die Pupillen in der Zwischenzeit zwischen den Anfällen immer noch abnorm 
weit und labil blieben und glaubt hieraus allein schon mit einiger Sicherheit den 
Fortbestand der Krankheit und das Wiedereinsetzen der Anfälle bestimmen zu 
können. G. IIberg (Grossschweidnitz). 


47) Ueber periodischen Wahnsinn, von Bleuler. (Psychiatrisch-neurologische 

Wochenschr. 1902. Nr. 11.) 

Verf stellt sich ganz auf den Standpunkt der Lehre Kräpelin’s hinsichtlich 
des manisch-depressiven Irreseins. Er verwirft aber den ausdrücklichen Hinweis 
auf Wahnsinnsformen, die durch Störungen auf intellectuellem Gebiete und Zurück¬ 
treten bezw. Fehlen von Anomalieen des Gemüths charakterisirt sind. Kräpelin’s 
Beschreibung lehrt zwar, dass er solche Fälle auch gesehen hat. Die zwei Haupt¬ 
gruppen des Wahnsinns, je nachdem ob Hallucinationen oder Wahnbildung vor¬ 
wiegen, gehen ineinander über; ebenso wenig verdient Fehlen oder Vorhandensein 
von Verworrenheit und Traumzustand Berücksichtigung bei der Unterscheidung. 
Fasst man periodischen Wahnsinn als Unterform des manisch-depressiven Irreseins 
auf so wird man geschützt vor der Annahme einer heilbaren chronischen Paranoia 
und in manchen Fällen zu einer richtigen Prognose geführt. Eine solche Auf¬ 
fassung ist aber berechtigt, wenn auch typische Anfälle des manisch-depressiven 
Irreseins vorhanden sind oder deren Symptome sich mit dem Wahnsinn, wenn 
auch nur vorübergehend, mischen. Mitten in vollem Wohlbefinden können ein¬ 
zelne Hallucinationen, Beziehungs- oder Verfolgungswahnideeen auftreten. 

Maassgebend für die Diagnose ist der eigentümliche Verlauf in Anfällen, 
der Mangel an Intelligenzstörungen in den Intermissionen, die Mischung mit 
manisch-depressiven Symptomen, die Mischung von manischen bezw. depressiven 
Anfällen mit den manischen beim gleichen Kranken und schliesslich wohl auch 
die gleichartige Heredität. Ernst Schultze (Andernach). 


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48) Note sur la frdquenoe de la rötraotion de l’apontaofle palmalre otm 

les aliönds, par Ch. F6r6 et M. Franoillon. (Revue de Mödecine. 1902. 

S. 539.) 

Die Yerff. fanden bei 226 Geisteskranken 14 Fälle von Schrumpfung der 
Fascia palmaris (sogen. Dupuytren’sche Fasciencontractur). Sie glauben daher 
diese Schrumpfung als Stigma neuropathischer Veranlagung auffassen zu können. 

Strümpell (Erlangen). 

49) Die Stellung der Aerzte an den öffentliohen Irrenanstalten, von Hoppe. 

(Carl Marhold, Halle a/S. 158 S.) 

Bereits in früheren Aufsätzen hat sich Yerf. der wirtschaftlichen Lage der 
Irrenärzte zugewandt und ist in denselben für die Aufbesserung der Stellung der¬ 
selben eingetreten. Selbstverständlich kommen hier nur die an öffentlichen An¬ 
stalten angestellten Aerzte in Betracht. In vorliegender Broschüre wird dieses 
Thema nun weiter ausgeführt. Mit emsigem Fleiss hat Ver£ sein Material ans 
dem In- und Ausland zusammengetragen und führt nun übersichtlich aus, wie 
hoch sich an den einzelnen Anstalten das Einkommen der Aerzte beläuft, wie die 
AvancementsverhältniBse sind u. 8. w. Die Schlüsse, welche Yerf. aus diesem 
Material zieht, dass nämlich die pecuniäre Lage des Standes der Irrenärzte eine 
sehr missliche ist, dass die Carriöre nur zu langsam ist, dass dagegen die Forde¬ 
rungen, welche an den strebsamen, mit der Sache es ernst nehmenden Arzt ge¬ 
stellt werden, enorm hohe sind, sind zweifellos berechtigt. Kann man sich nun 
noch das Leben in den Anstalten in der Nähe grosser Städte gefallen lassen, da 
hier reichliche geistige Anregung geboten wird, so ist es meist recht traurig be¬ 
stellt mit den in einsamen Gegenden auf dem Lande gelegenen Anstalten. Von 
aussen dringt keine geistige Anregung in die Anstalt hinein, das wissenschaft¬ 
liche Streben, insbesondere wenn der Director mit Verwaltungsgeschäften überhäuft, 
zufrieden, wenn er seine Obliegenheiten ohne Unannehmlichkeiten von Seiten der 
Vorgesetzten Behörde erledigen kann, sich um wissenschaftliche Fortschritte nicht 
kümmert und den jüngeren Aerzten keine Anregung giebt, schläft, in Blüthe 
steht dagegen Anstaltsklatsch, kleinliche Rivalitäten und ähnliche Ungelegenheiten; 
da kann es dann nicht ausbleiben, dass auch bei dem arbeitsfreudigsten Arzte 
die Lust weiter zu streben versagt. Dass aber unter solchen Verhältnissen die 
Anstalten selber leiden, liegt auf der Hand. Zu verlangen ist daher, dass nur 
solche Aerzte zu Directoren ernannt werden, welche wissenschaftlich zu arbeiten 
verstehen und dies durch Facharbeiten bewiesen haben. Ferner thut eine Hebung 
der wirthschaftlichen Lage der Aerzte noth, damit sie durch häufigere Beurlaubungen 
zu wissenschaftlichen Arbeiten Gelegenheit finden und neue Kräfte gewinnen, um 
nicht in dem eintönigen Anstaltsleben zu ersohlaffen. 

Manche Unbilden hat Yerf. selber in seiner Anstaltsthätigkeit erlitten. Das 
hat seine Feder scharf gemacht und der Leser hat zuweilen das Gefühl, als ob 
Yerf. mit seinen Anklagen zu weit geht. Thut man einen allgemeinen Ueber- 
blick über die wissenschaftliche Production auf dem Gebiet der Psychiatrie und 
Neurologie und Hirnanatomie, beachtet man, wie fast in allen Anstalten, auch in 
den Provinzialanstalten, fern von den grossen Städten, den neu auftretenden 
Problemen, ich erinnere hier gerade an die in neuester Zeit empfohlene familiäre 
Verpflegung der Irren, an die Bettbehandlung, an die Ausschliessung der Isolirung 
in den Zellen, — das regste Interesse entgegengebracht wird, sieht man, wie aus 
allen Gegenden Deutschlands und nicht zuletzt aus den entlegensten Irrenanstalten 
die Collegen zu den allgemeinen und Specialcongressen eilen, um neue Anregungen 
in sich aufzunehmen, so tauchen in dem Unbefangenen Zweifel auf, ob nicht 
Yerf. zu schwarz geschildert hat. Immerhin mag zugegeben werden, dass des 
Yerf.’s Schilderung für diese oder jene Anstalt zu trifft. 


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Sicherlich aber gebührt dem Verf. der Dank der Irrenärzte, dass er einmal 
die Misere des Standes grell beleuchtet hat und im Interesse dieses Standes ist 
es zu hoffen, dass die Broschüre an maassgebender Stelle gelesen und beachtet 
wird. Ascher. 


in. Aus den Gesellsoh&ften. 

Wanderversammlung des Vereins für Psychiatrie and Neurologie in Wien 
am 11. and 12. Ootober 1901. 

L Sitzung am 11. October 1901, Vormittags 9 Uhr. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 46.) 

Vorsitzender: Hofrath v. Krafft-Ebing, Schriftführer: Dr. v. Sölder. 

Der Vorsitzende eröffnet die Versammlung, begrüsst die Theilnehmer, be¬ 
spricht den erfreulichen Aufschwung, den der Verein genommen, der zum Theil 
wohl auf seine Umgestaltung zum Vereine für Psychiatrie und Neurologie zurück¬ 
zuführen sei. Es wäre ein glückliches Zusammentreffen, dass an der Wiener 
Universität neben den beiden psychiatrischen Kliniken auch die normale und patho¬ 
logische Anatomie im neurologischen Institute des Prof. Obersteiner eine Stätte 
der Pflege gefunden habe. 

Herr A. Pick bringt neue Thatsachen herbei für die von ihm in früheren 
Arbeiten gegebene Deutung der Eoholalie als einer Schwächeerscheinung, eines 
Nachlasses von Hemmungen, deren Sitz im linken Schläfelappen zu suchen ist, 
indem bei einem nach Schlaganfall aufgetretenen Falle von Echolalie dieselbe 
sieb immer beim Hinzutritt von Schwächeerscheinungen verstärkte. Sitz der 
Läsion: Gyrus angularis links und angrenzender Schläfelappen. Weiter wird 
Echolalie bei acuter Verwirrtheit und in den postepileptischen Zuständen be¬ 
sprochen und darauf hingewiesen, dass auch an den Fällen der Litteratur sich 
die vom Redner gegebene Deutung erweisen lässt (vgl. die Fälle von Romberg). 

Herr Sterz fand Echolalie bei einer hebephrenischen Dementia praecox 
(motorische und sensible Störungen fehlen), jedoch nur, wenn sich dieselbe statt 
ihres slovenischen Idioms des deutschen bediente. 

Herr Josef Stärlingen Tubereulose and Irreupflege. 

Ausgehend von dem Cornet’schen Untersuchungsergebniss, dass die Tuber- 
culose nur vom Tuberculösen stamme, fordert Redner strengste prophylaktische 
Maassregeln in dieser Richtung für die Irrenanstalten; möglichst frühe Diagnose mit 
allen zu Gebote stehenden Hülfsmitteln (Tuberculininjection); Ausscheidung der 
Kranken und selbst schon der Verdächtigen in eigene Pavillons. Vortr. bespricht 
an der Hand von Skizzen Anlage und Einrichtung eines solchen, erörtert schliess¬ 
lich noch die Organisation, Hausordnung und Pflegebelehrung in einem solchen 
Pavillon. 

Herr Clemens Neisser: Die Isolirung der Tuberculösen sei in Leubus 
schon längere Zeit durchgeführt; die betreffenden Kranken finden jedoch dabei 
nicht die für ihren psychischen Krankheitszustand wünschenswerthen Heil¬ 
bedingungen, da mit ihrem Auswurf unsauberen und unruhigen Kranken nicht 
Tag und Nacht ein Wärter in das Einzelzimmer beigegeben werden kann und 
dieselben verwahrlosen. Allerdings würde bei Einrichtung von isolirten Pavillons 
viel von diesen Uebelständen wegfallen. 

Herr Sch löse betont, dass in der Irrenanstalt Ybbs wenig Tuberculose — 
meist als Gelenktuberculose beginnend — vorkomme, vielleicht wegen der Lage 
in stürmischer Gegend und dadurch bedingter guter Ventilation. Den Boden in 


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den Räumen anlangend, sei der Terazzo- bezw. der ans Mettlacherplatten der 
beste. Derselbe müsse gut erwärmt werden können, was in Ybbs durch einen 
Calorifer, von dem die warme Luft über den Boden hinstreicht, um an der 
Gegenseite von einem Exbaustor angesaugt zu werden, besorgt wird. 

Herr Sterz erwähnt als vorzüglichen Boden den nach Patent Rosmann, in 
Cement gelegte Elinkerplatten, darunter eine geschlossene Heissluftheizung. 

Herr Bock constatirt, dass die Troppauer Irrenanstalt einen Infectionspavillon 
besitze, in dem alle Fälle ausgesprochener Tuberculose untergebracht werden. 

Herr Starlinger wendet sich erst gegen Neisser und meint, dass nach 
Thunlichkeit neben der Tuberculose auch die Psychose behandelt werden müsse; 
er kann den Terazzoboden von Schloss nicht acceptiren wegen Fusskälte, Rissen und 
Ausbrüchen und hält den heizbaren Mineralfussboden für das anstrebenswerthe IdeaL 

Herr v. Wagner schlägt eine Resolution im Sinne des Vortr. vor, dahin 
gehend, dass die Isolirung der Tuberculosen in Irrenanstalten notbwendig sei, 
dass beim Baue solcher für geeignete Baulichkeiten zur Isolirung der Tuber- 
culösen vorgesorgt werden müsse. 

Herr A. Pick: Zusatzantrag, dass diese Resolution den Behörden bekannt 
gegeben werde. 

Beides einstimmig angenommen. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47.) 

Herr Clemens Neisser: Zur Aetiologie der periodisohen Psyohoaen. 
(Siehe auch das Referat auf S. 919.) 

Im Anschlüsse an Pilcz, dass organische Cerebralerkrankungen (Himnarben) 
eine ätiologische Rolle bei periodischen Psychosen spielen, die ferner durch Ein¬ 
treten rascher Verblödung charakterisirt sind, bringt Vortr. einen weiteren der¬ 
artigen Fall eigener Beobachtung vor. 

Frl. E. J., 56 Jahre alt, 20./XI. 1896 Schlaganfall, wovon Hemiparese links 
und geringe Erschwerung der Sprache dauernd zurückblieb. Danach durch 
Monate Kopfschmerz, verzweifelte Stimmung, Schwäche. Nachher Besserung des 
Schmerzes; Patientin wird zänkisch, macht unnütze Einkäufe, lärmt, so dass sie 
Mai 1897 in eine Privatirrenanstalt aufgenommen wurde. Dort war sie mani- 
akalisch. Nach Beruhigung, 2. October 1897, entlassen. Vom Frühjahr 1898 
bis Mai 1899 ausgesprochene Manie (Zwischenzeit depressives Verhalten). Juli 
August Depression. September 1899 bis Januar 1900 Manie, dann TJebergangs- 
zustand mit Residualwahnideeen; Februar bis April normal, Mai bis Juli De¬ 
pression, danach schwere Manie mit deutlicher Intelligenzstörung, namentlich 
Gedächtnissabnähme. Während der manischen Zeiten mehrfach transitorische 
Anfälle von Aphasie (Pilcz). 

Ein zweiter Fall periodischer Psychose depressiven Charakters hatte als 
einziges ätiologisches Moment ein in frühester Kindheit erlittenes Kopftrauma, 
ein dritter (ausgeprägt circuläre Psychose) Blitzschlag vor Jahren aufzuweisen. 
Schliesslich citirt Vortr. Fälle, die sich unmittelbar an Kopftraumen anschliessen 
und günstige Prognosen geben (ein Fall Heilung, schon 15 Jahre Bestand haltend). 

Herr Schloss: Ueber den Einfluss der Nehrung auf den Verlauf der 
Epilepsie. 

Die widerspruchsvollen Angaben bezüglich des Nahrungseinflusses bei gemeiner 
Epilepsie hat Vortr. durch systematische Versuche richtig stellen wollen und 
bekam folgende Resultate: 

Milch- und vegetabilische Diät vermindern, Fleischnahrang vermehrt nicht 
die Anzahl der Anfälle, 

Kochsalzarme Kost mit gleichzeitiger Bromdarreiohung reducirt die Anfälle, 
ändert jedoch das psychische Verhalten nicht; dagegen tritt Schwäohe und Hin¬ 
fälligkeit sowie Sinken des Körpergewichtes au£ 


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Fett* und säurereiche Kost sind ohne Einfluss; mässige Alkoholgaben (bis 
1 Liter leichten Bieres täglich) vermehren die Anfälle bei gemeiner Epilepsie nicht 

Discussion. 

Herr v. Frankl-Hoch wart stimmt bezüglich der Diät mit Vortr. überein, 
tritt jedoch für absolute Alkoholentziehung ein. 

Herr v. Wagner wendet sich auch gegen den Alkoholgenuss und hält das 
Material (geisteskranke Epileptiker), das Schlöss zur Verfügung stand, nicht 
geeignet zur Entscheidung der Frage über den Einfluss der Diät; schliesslich 
fragt Redner, ob man die ungünstige Wirkung der salzarmen Kost nicht durch 
NaBr-Zusatz verringern könnte. 

Herr Sternberg hält die Zeit der Versuche für zu kurz, um einwandsfreie 
Resultate zu erhalten. Er verweist auf die Erfahrungen bei Qicht, wo monate- 
bis jahrelang fleischarme Diät nöthig sei, um einen Erfolg zu erzielen. Ausser¬ 
dem überdauern durch langsame Giftwirkung hervorgerufene toxische Veränderungen 
die Zeit der Verabreichung des Giftes lange, ja nehmen noch zu (Blei). So 
könnte die Giftwirkung der Fleischperiode erst in der darauffolgenden Milch¬ 
periode zum Ausdruck gekommen sein, oder es hat die entgiftende Nachwirkung 
einer Milohperiode die darauf folgende Fleischperiode unschädlich gemacht. 

Herr Schlöss meint, dass in der Privatpraxis der Alkoholgenuss nicht so 
überwacht werden könnte wie in der Anstalt; die Gewichtsabnahme der Epilep¬ 
tiker sei thatsächlich Wirkung der Kochsalzentziehung, da Abstinenz ausgeschlossen 
werden kann. Die Wirkung der Fleischnahrung (Fleischbasen, phosphorsaures 
Kali) stelle er sich als eine bald eintretende vor. 

Herr Starlinger verweist auf die Versuche von Paelz, die zeigen, dass 
nur bei einseitiger Kost (vegetarische Japaner) die Koständerung eine Reaction 
setze, die heim Omnivoren Europäer fehle. 

Herr Böck berichtet von 2 Fällen, die nach Toulouse behandelt wurden: 
18 jähr. Mädchen, seit 1 Jahr Anfälle; die stricte Durchführung der Behandlung 
nach Toulouse lässt mit 2 g Bromnatrium das Auslangen finden (dieses wird 
zum Salzen der Speisen verwendet). Im Falle 2 (18 Jahre alter, junger Mann) 
dasselbe Ergebniss. Anfallsfreie Zeit im ersten Falle 2, im zweiten 2 1 /, Jahr. 

II. Sitzung am 11. October 1901, Nachmittags 1 / s 4 Uhr 

im Hörsaale des Instituts für allgemeine und experimentelle Pathologie. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 51.) 

Vorsitzender: Prof. Obersteiner; Schriftführer: Dr. v. Sölder. 

Herr Zuckerkandl: Heber Neben Organe des Sympathious. 

Ausgehend von den chromaffinen Zellen (A. Kohn), die sich im Sympathicus 
in den Suprarenalkörpern, der Marksubstanz der Nebenniere fanden, bespricht 
Vortr. zwei im Anschluss an den Plexus aorticus gelegenen Körper der Gruppe 
der chromaffinen Organe. Sie finden sioh bei Embryonen und Neugeborenen con- 
stant, und zwar zu beiden Seiten der A. mesenterica inf. vor der Aorta; beim 
Neugeborenen rechts 12,8, links 8,8 mm lang; oft oben durch einen Isthmus ver¬ 
bunden und umgeben von kleineren, ähnlichen, sich unmittelbar an Pacini’sche 
Körperchen anschliessenden Gebilden. Die reichlichen Gefässe bestimmen die 
innere Architectur dieser Organe. In diesen Nebenorganen fehlen Sympathicus- 
elemente völlig; sie sind „chromaffine Organe“ reinster Art Die chromaffinen 
Zellen mangeln dagegen den Visceralganglien, aus deren Anlagen sich die chrom¬ 
affinen Organe entwickeln. In diesen Anlagen ist eine Differenzirung zwei ver¬ 
schiedener Gewebsarten der chromaffinen Körper und der dorsal von ihnen gelegenen 
eigentlichen Ganglienschichte zu beobachten. Dabei scheint eine völlige Aus- 


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Wanderung der chromaffinen Elemente atattzufinden, da solche Zellen in viaoeraleo 
Ganglien nicht Vorkommen. .i 

Anfangs vom Plexns solaris bis in die Beckenhöhle reichend, tritt später 
Theilung in einen cranialen und caudalen Abschnitt ein. Der candale Thal 
persistirt in der Form der grossen Nebenorgane, der craniale zerfallt in kleinere 
Körper, die wahrscheinlich früher als accessorische Nebennieren (Rokitanskj) 
gedeutet wurden, die allerdings neben den chromaffinen Organen auch zu finden 
sind. Im embryonalen Leben nehmen sie zu, beim Neugeborenen sind sie doppelt 
so gross als beim Fötus. Später (einjähriges Kind, Erwachsener) zeigen sie 
Rückbildung. 

Die sympathischen Nebenorgane stellen ein den Suprarenalkörpern und der 
Marksubstanz der Nebenniere verwandtes Gewebe dar. Ueber diesbezügliche ta¬ 
gleichende anatomische Forschungen behält sich Vortr. einen ausführlichen Be¬ 
richt vor. 

Discussion: 

Herr Biedl: Die Function dieser Organe betreffend, müssten sie nach ihrer 
Analogie mit den Suprarenalkörpern der Selachier, gleich diesen und wie die 
Marksubstanz der Nebennieren von Säugern, eine den Tonus der glatten Musculatur 
erhöhende Substanz produciren. Man könnte ihnen eine vicariirende Function 
beim Ueberleben von Thieren, denen die Nebennieren exstirpirt worden sind, zu¬ 
schreiben. Dem ist nicht so, da der lebenswichtige Antheil die Rindensubstanz 
bezw. der Interrenalkörper der Selachier ist, während Marksubstanz und Supra¬ 
renalkörper nur die Blutdruck steigernde Substanz produciren. 

Herr Obersteiner: Ein Fall von Porenoephalie. 

Das Gehirn eines 5 Monate alten Knaben zeigte makroskopisch die Form 
eines Körbchens; es bestand ein bilateral ziemlich symmetrischer grosser Defect; 
neben den basalen Gebilden war jedoch ein medianer, den Marginalwindungen 
entsprechender Bügel erhalten. Die Defecte (rechts > links) waren von Arachnoidea 
schleierartig gedeckt; die Pia mater endete in der Nähe des Porus meist mit 
einem gröberen Gefäss und wird von dem an dieser Stelle nach aussen um¬ 
geschlagenen Ependym wie von einem Vorhang überkleidet Die Ependym- 
wucherungen zeigen oft drüsenähnliche Bilder, besonders in der Gegend der Rauten¬ 
grube und des Aquaeductus. 

Beide Nn. optici enthielten in ihren basalen Antheilen Markfasern, die hinter 
dem Chiasma und dem Tractus der rechten Seite fehlten (partielle Kreuzung). 
Gudden’sche und Meynert’sche Commissur waren vorhanden. Corpus geniculatum 
rechts fehlend. Der rechte vordere Vierhügel war etwas abgeflacht; sein Stratum 
zonale jedoch gleich dem des Thalamus erhalten und in der Opticusschicht noch 
reichlich Fasern. Sehstrahlung und Occipitalfasern (Ausgang der Agenesie) waren 
stark geschädigt. 

Die rechte centrale Hörbahn vom Temporallappen an fehlend; rechtes Geni¬ 
culatum mediale und Arm des hinteren Vierhügels fehlend, dieser merklich 
kleiner, von hier peripherwärts alles intact. 

Von Stabkranzfasern fehlten die Pyramiden völlig bis ins Rückenmark, des¬ 
gleichen bestand Balkenmangel. Fasciculus longitudinalis inferior links, desgleichen 
kurze Associationsfasern vorhanden. Die Mikrogyrie in diesem Falle präsentirte 
sich erst bei mikroskopischer Untersuchung, und zwar derart, dass die einzelnen 
Schichten der verbreiterten Rinde vielfach mäanderartig gewunden und geschlängelt 
verlaufen, so dass man von einer inneren Mikrogyrie sprechen kann, die sich 
auch im Kleinhirn fand. 

Die Genese der Porencephalie in diesem Falle (nicht in allen) war vielleicht 
derart: Ein primärer Hydrooephalus mit Zerstörung des Septum hatte eine 
successive Compression der Ausbreitungen der Arteria cerebri media zur Folge, 


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wodurch es zur Störung der Weiterentwickelung in diesem Gefässgebiete kam; 
diese widerstandsunfahigen Hirntheile wichen dem Druck des Hydrocephalus, es 
erfolgte Durchbruch nach aussen (umgeschlagenes Ependym), woran sich abnormes 
Wachsthum der dem Porus benachbarten Windungen schloss. 

Herr Biedl: Zur Sohilddrüsenfrage. 

Einleitend wird die historische Entwickelung der Auffassungen von nach 
Strumaexstirpation auftretender Tetanie, Kachexie und Myxödem erörtert, besonders 
die Frage der Glandules parathyräoidiennes (Gley, Moussu, Sandström), 
deren Natur Kohn festgestellt hak Sie sind keine Nebenschilddrüsen, sondern 
epitheloide, reichlich vascularisirte Zellstränge, Epithelkörper, die selbständige 
Organe sind. Es giebt äussere und innere, d. h. in oder auch an der Thyreoidea 
gelegene. Sie entwickeln sich als Abkömmlinge der Kiementaschen. Nach den 
Untersuchungen Vassales und Generalis soll die Exstirpation der Parathyreoidea 
zu Tetanie, die der Schilddrüse zu Kachexie führen, ferner nach Exstirpation 
beider die Tetanie später auftreten. Während sonst die Parathyreoidea Entgiftung 
eines von der Schilddrüse erzeugten Giftes besorgt, fehlt nämlich in dem letzt¬ 
erwähnten Falle der gifterzeugende Körper und daher das Spätauftreten der 
Tetanie. Vortr. demonstrirt einige derartig operirte Thiere, die im Widerspruche 
zu den eben angeführten Ausführungen stehen, was sich übrigens an früheren 
Experimenten auch schon gezeigt hat. Weiter zeigt Vortr. einen Hund, der 
nach Exstirpation der Schilddrüse und der Epithelkörper hochgradige Wachsthums- 
störungen bot (erster Fall bei einem Fleischfresser). 

Discussion: 

Herr v. Wagner weist darauf hin, dass die Experimente über die Bedeutung 
der Epithelkörper auch auf die Anschauungen in der Pathologie einen Einfluss 
übetf müssen. Bei Cretinismus, wo nie tetanieähnliche Erscheinungen zu finden 
seien, könnte es sich um eine Erkrankung der Schilddrüse, nicht aber der Epithel¬ 
körper handeln (ein Fall aus Chiari’s Institut, Prag), v. W. hat gelegentlich 
bereits auf die Aehnlichkeit der Zuckungen bei Paramyoklonus mit denen der 
thyreopriven Katzentetanie hingewiesen; ähnlich bringt Lundborg familiäre 
Myoklonie, Paralysis agitans, Katatonie unter sich und mit der Schilddrüse in 
Beziehung. 

Herr Zuckerkandl weist auf die noch keineswegs gefesteten Anschauungen 
bezüglich der Genese der Epithelkörperchen hin. Die Function derselben beim 
Erwachsenen dürfte belanglos sein, da sie gleich der Thymus verfetten. 

Herr Biedl bemerkt, dass bei Thyreoideaoperationen am Menschen bald die 
Parathyreoideen geschont werden, bald nicht. Im ersten Falle kam es zur Kachexie, 
im zweiten zur Tetanie (mindestens ein Epithelkörper erhalten). Moussu hat 
tetanische Thiere ohne Parathyreoideen erfolglos mit Parathyreoidea gefüttert; bei 
Thyreoideabehandlung trat jedoch Heilung der Tetanie ein. 

Herr Elschnig: Die Pathogenese der Stauungspapille. 

Vortr. referirt zunächst über die neueren diesbezüglichen Arbeiten und kann 
an weiteren Fällen seine im Jahre 1894 aufgeetellten Behauptungen erweisen. 
Dieselben gehen dahin, dass die Stauungspapille bei Hirntumor ebenso Neuritis 
sei wie die bei Meningitis; es wird durch diesen Namen nur jene Form derselben 
bezeichnet werden, welche durch beträchtlichere Niveaudifferenz zwischen Papillen¬ 
kuppe und Netzhaut sich auszeichnet 

In Fällen von Hirntumor findet man nun meist diese typisohe Stauungs¬ 
papille, mitunter Neuritis ohne Schwellung, mitunter normale Papille; in den 
beiden ersten Fällen findet sioh im Sehnerven immer herdweise chronische Ent¬ 
zündung, in allen drei (im letzteren nur mitunter) Perineuritis, niemals Oedem 
allein. Vortr. vertheidigt Leber’s Entzündungslehre gegen die mechanischen 


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TheorieenMann’s, Schmidt-Rimpler’s, Parinaud’s, desgleichen gegen Hoche'i 
Identificirung mit der Hinterworzelaffection bei Hirntumoren, sowie gegen Mani 
und Deyl’s Erklärungsversuche. Eine Reihe von demonstrirten Präparaten soll 
die Anschauungen des Vortr., dass es sich um eine durch vom Tumor stammende 
Toxine erzeugte Neuritis handle, stützen. 

Discussion: 

Herr Pick fragt nach der Stellungnahme des Vortr. zu den klinischen Ein¬ 
wänden, die Bruns diesbezüglich machte. 

Herr Elschnig: Bruns’ Fall (Verschwinden der Stauungspapille nach Auf¬ 
hören der Drucksteigerung der Trepanation hervorgebracht; dauerndes Abfiiesaen 
des Liquor) sei nicht beweisend, da mit dem Liquor auch die Toxine entfernt 
werden, jedenfalls in geringerer Menge zum Sehnerven gelangen. 

Herr Bischoff: Die pathologische Anatomie der infantilen hereditären 
spaatlsohen Spinalparalyse. 

Die Unterscheidung der cerebralen Form der spastischen Spinalparalyse von 
der spinalen basirt lediglich auf dem Fehlen cerebraler Symptome bei dieser 
letzteren. Doch geht man darin zu weit, da ja hier auch der Prooess durch 
Uebergreifen auf die Medulla oblongata zu cerebralen Symptomen führen kann, 
oder solche nebenherlaufen. 

Während für die Strümpell’sche Form der familiären spastischen Spinal¬ 
paralyse Schwund der Pyramidenbahn im Rückenmark festgestellt wurde, konnte 
Vortr. bei zwei Brüdern, die vom 10. Jahre an an chronischer spastischer auf¬ 
steigender Diplegie der Beine litten, gleichzeitig idiotisch wurden und vom 
25. Jahre an leichte Bulbärsymptome zeigten, sowie 1—2 Jahre vor dem Tode 
(Exitus im 30. Lebensjahr an Tuberculose) allmählich eintretende Atrophie der 
gelähmten Musculatur, folgenden anatomischen Befund erheben: Schwund der 
Pyramidenseitenstränge vom Lendenmark bis zur Pyramidenkreuzung; in der 
Medulla oblongata Pyramidenschwund kaum angedeutet, Hirnfaserung sonst normal. 
Massiger Schwund der Goll’schen Stränge, Atrophie der Vorderhornganglien be¬ 
sonders im Lendenmark; die Pyramidenzellen der motorischen Hirnrinde rareficirt; 
mässiger Hydrocephalus. 

Vortr. stellt die Diagnose auf infantile familiäre spastische Spinalparalyse. 
Hydrocephalus und Demenz seien Complicationen, die Vorderhornatrophie secundär 
durch die langjährige abnorme Function herbeigeführt, beschleunigt durch die 
febrile, toxische oder Inanitionswirkung der Tuberculose. 

Diese Fälle bilden ein Beispiel, wie fliessend die Uebergänge der verschiedenen 
Systemerkrankungen im Centralnervensystem seien. 

HI. Sitzung am 12. October 1901. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1902. Nr. 1.) 

Vorsitzender: Hofrath v. Krafft-Ebing; Schriftführer: Privatdocent Dr. 
Elzholz. 

Herr Alfred Fröhlich stellt einen Fall von Tumor der Hypophyse 
ohne Akromegalie vor. 

Beginn der Erkrankung vor 2 Jahren mit Kopfschmerz, Erbrechen; dann 
rapide Zunahme des Körperfettes; seit einem Jahre Amblyopie links, progredient 
Seit Juli 1901 neuerlich Kopfschmerz und Erbrechen. Erblindung am linken 
Auge, Abnahme der Sehkraft rechts. Pat. hat auch zur Sommerszeit das Gefühl 
von Kälte. Seit Beginn der Erkrankung Haarausfall. 

Objectiv: Links Fossa temporalis percussionsempfindlich. Intelligenz normal. 
Linke Pupille lichtstarr, rechte prompt reagirend. Sonst Atrophia nervi optici links, 
rechts Fundus normal. Visus: links Amaurosis, rechts temporale Hemianopsie, 6 / n ; 


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durch Gläser keine Besserung. Seit 23. September 1901 beträchtliche Besserung. 
Kein Kopfschmerz, Erbrechen; Hebung der Sehkraft des rechten Auges; Gewichts¬ 
abnahme von 54 kg im Mai 1901 auf 60 1 /* hg- Vermehrtes Durstgefühl. Hara- 
menge 2000 ccm pro die. 

Therapie: Vom 9.—30./IX. 1901 Schilddrösentabletten, seit 1. October 1901 
Acid. arsenicosum. 

Vortr. stellt die Diagnose auf Hypophysentumor vorwiegend wegen der neben¬ 
herlaufenden trophischen Anomalieen: die Adipositas, HaarausfaU, trockene, blasse, 
hie und da (Finger, Hände) verdickte Haut, rasches Wachsthum der Nägel. 
(Schilddrüse nachweisbar, keine Akromegalie.) 

Von 10 Fällen von Hypophysentumor aus der Litteratur fand sich bei Fehlen 
von Akromegalie Adipositas nimia, mitunter auch Myxödem. Deshalb müsse man 
bei Neubildungen, die auf die Hypophysengegend hinweisen, und Fehlen von 
Akromegalie bei gleichzeitigem Auftreten anderweitiger trophischer Anomalien an 
die Hypophyse selbst als Sitz des Tumors denken. 

Discussion: 

Herr v. Wagner weist auf den vom Vortr. (wegen Fehlens näherer Angaben) 
nicht erwähnten Tic und fragt, ob Schilddrüsenbehandlung vorgenommen worden 
sei. Auf die bejahende Erwiderung (temporäre Besserung dabei) führt er aus, 
dass ein möglicher Zusammenhang von Myoklonie und Schilddrüsenerkrankung 
bestehe, dass es Uebergänge von Tic und Myoklonie gebe, und dass dieser bei 
Myxödem nicht selten vorkomme. Redner habe Fälle von Tic jugendlicher, in 
der Pubertät befindlicher Patienten mit Thyreoidin behandelt und dabei auffallende 
Besserung erzielt. 

Herr Pineies: Erkrankungen, die mit Drüsen mit innerer Secretion in Ver¬ 
bindung stehen (Akromegalie, Myxödem, Basedow’sche Krankheit, Cretinismus), 
haben oft in ihrem Verlauf anatomische oder functioneile Störungen anderer Drüsen 
mit innerer Secretion zur Folge. Der Functionsausfall der Genitaldrüse hat meist, 
der Hypothyreoidismus chronicus nicht selten Obesitas zur Folge. Im Falle von 
Froehlioh findet sich Obesitas bei Hypophysiserkrankung; es wird also die 
Obesitas als Symptom bei einer Anzahl von Blutdrüsenerkrankungen beobachtet 
(auch beim Diabetes). • 

Herr Arthur Berger: Zur Kenntniss der Athetose. 

Ein 62jähr. Mann, der in seinem 3. Lebensjahre eine Hemiplegie erlitt, hatte 
seither typische Athetose der rechten oberen Extremität und der rechten Genick- 
hälfte. Im linken Nucleus lentiformis fand sich (Pat. war an Magencarcinom 
gestorben) ein etwa kir sch grosser, mit verkalkten Massen ausgefüllter Hohlraum, 
der auf die innere Kapsel und durchs Claustrum bis zur Insel Übergriff. Mikro¬ 
skopisch war nur eine leichte Aufhellung der Hinterstränge (Gliavermehrung) zu 
bemerken. Vortr. kommt naoh Erörterung der herrschenden Lehren von der 
Athetose zum Schlüsse, dass dieselbe von allen Punkten der Pyramidenbahn, 
sowie vom Kleinhirn durch centripetale Erregungen von Zellcomplexen der Hirn¬ 
rinde hervorgerufen werden könne. 

Herr A. Margulies: Ueber ein Teratom der Hypophyse bei einem 
Kaninchen. (Vergl. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 22.) 

Herr v. Wagner: Ueber die Versorgung crimineller Geisteskranker 

(Erscheint anderwärts.) 

Die Schlussfolgerungen lauten: 

Der Staat soll eigene Anstalten für criminelle Geisteskranke errichten. In 
dieselben kommen: 

a) Jene Personen, welche wegen eines Verbrechens oder Vergehens in Unter- 


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suohungs- oder Ankiagezustand versetzt worden sind, aber wegen Geistesstörung 
ausser Verfolgung gesetzt oder freigesprochen wurden. 

b) Jene Personen, die in der Strafhaft geistig erkrankt sind, wenn die 
Geistesstörung eine dauernde ist. 

c) Jene geisteskranken Personen, welche in einer Irrenanstalt eine als schweres 
Verbrechen gegen die Person zu qualificirende Handlung begangen haben. 

Die Unterbringung in die Staatsanstalt soll für diese drei Kategorieen eine 
facultative sein und nur jene Individuen treffen, die von Ha'us aus criminelle, 
antisociale Neigungen haben, die sogenannten Verbrechematuren, ferner solohe, die 
besonders schwere oder scheussliche Verbrechen begangen haben. 

Die Entscheidung über die Unterbringung — die aber keineswegs unwider¬ 
ruflich ist — soll dem Richter Vorbehalten sein, desgleichen die Entlassung. 

Bei criminellen, in gewöhnlichen Anstalten untergebrachten Geisteskranken 
soll die Geheiltentlassung vorher dem Geriohte angezeigt werden, welches die 
eventuelle Heilung in der Staatsanstalt überprüfen lassen kann. 

Die Verpflegungsgebühren für die in der Anstalt Befindlichen sollen von den 
Ländern getragen werden. 

In der nun folgenden lebhaften Discussion ergriffen das Wort die Herren 
Schlöss, Hövel, Neisser, Starlinger, Benedict, v. Wagner. 

Herr v. Wagner: Die Aufnahme in die Irrenanstalten. (Der Vortrag 
wird ausführlich veröffentlicht werden.) 

An der Discussion betheiligten sich die Herren Hövel, Böck, Scheim- 
pflug, Pick, Ohersteiner, Neisser, v. Wagner. 

Otto Marburg (Wien). 

(Schloss folgt) 


IV. Personalien. 

Unser sehr verehrter Mitarbeiter Medicinalrath Dr. Näcke wurde zum ärztlichen Vor¬ 
stand der Anstalt A (Hubertusburg) ernannt 

Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Pilci ist zum Docenten für Psychiatrie und 
Neurologie an der Wiener Universität ernannt worden. 

Am 20. September endete der Tod das junge, arbeite- und erfolgreiche Leben unseres 
verehrten Mitarbeiters, der Herrn Dr. L. Kaplan (Herzberge). Ehre seinem Andenken. 

Am 19. September starb der Ober-Medicinalrath Direotor v. Zeller, langjähriger Vor¬ 
stand der Irrenanstalt Winnenthal, 70 Jahre alt 

Am 4. September d. J. starb zu Paris im Alter von 79 Jahren Dr. Dagonet, früher 
Professor an der Universität Strassbnrg and Chefarzt von Stepbansfeld und St Anne sowie 
Präsident der Socidtd mädico - psychologique in Paris. Durch sein Lehrbuch der Geistes¬ 
krankheiten hat er sich weit über die Grenzen seines Vaterlandes ein ehrendes Andenken 
gesichert 


V. Berichtigung. 

In Nr. 18 d. Centralbl., S. 851, Zeile 21 v. o. muss es heissen: „Einzelschriften“ 
statt „Einzelheiten“. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wrmo in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einnndzwanziggter “ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Bnchhandlnngen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 16. October. Nr. 20. 


Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Ein Fall von Arseniklähmung, von Dr. J. Kren. 
2. Ein Fall von Katatonie im Anschluss an die erste Menstruation, von Dr. H. Mucha in 
Franz. Buchholz b/Berlin. 8. Die paradoxe Pupillenreaotion und eigene Beobachtung von 
Verengerung der Pupillen bei Beschattung der Augen, von Dr. J. Piltz. 

II. Referate. Anatomie. 1. Leistung und Erkrankung des menschlichen Stirnhirns, 
von Anten und Zingerle. 2. Studien on the neuroglia, by Huber. 8. On the arrangement and 
function of the ceU groups of the sacral region of the spinal cord in man, by Onuf. — 
Experimentelle Physiologie. 4. Di alcuni questioni riguardanti la fisiopathologia del 
vago, del Daddi. 6 . Deber die Vertheilung des Chloralhydrats und Acetons im Organismus, 
von Archangelsk. — Psychologie. 6. Vorlesungen öber Psychopathologie in ihrer Be¬ 
deutung für die normale Psychologie mit Einschluss der psychologischen Grundlagen der 
Erkenntnisstheorie, von Störring. — Pathologische Anatomie. 7. Beitrag zur Pathologie 
des 11. Gehirnnerven, von Simerka. 8. Ueber periependymäre Wucherung, Canalbildung und 
abnorme Entwickelungsvorgänge am kindliohen BQokenmarkscanal, von Rolly. 9. Zwei Fälle 
von Anencephalie, von Wichnra. 10. Untersuchungen Ober Hydranencephalie (Cruveilhier). 
Ein Beitrag zur Kenntniss der angeborenen Hirnerkrankungen, von Klug«. — Pathologie 
des Nervensystems. 11. Stereoagnosie, von Hsveroch. 12. Zwei Fälle von Akathisie, 
von Halkovsc. 18. Beitrag zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Wal¬ 
baum. 14. Physiopathologie de la contraction musculaire volontaire (.JSdaladie de Parkinson“), 
par Negro et Treves. 16. Paralysis agitans and sarcoma, by Dana. 18. Altörations anato- 
miques et hiatologiquea du systöme nerveux dans la maladie de Parkinson, d’aprös Burzio. 
17. Ein Fall von Panüysia agitans mit verschiedenen Myxödemsymptomen combinirt. Studien 
und Gedanken Ober die Pathogenese der Paralysis agitans, von Lundborg. 18. Bemerkungen 
zur Kenntniss der Paralysis agitans, von Thomayor. 19. Paralysie des membres införieurs 
chez un gar$on de huit ans causöe par l’usage d'une tromjpette ä embouchure de plomb, par 
Variot. 20. Eine bisher noch nicht beschriebene Localisation der Bleilähmnng, von Köster. 

21. Seltene Ursachen der Bleivergiftung. — Behandlung der Koliken mit Atropin, von Weber. 

22. Zur Pathologie der chronischen Bleivergiftung, von SeeligmDller. 23. Zur Kenntniss der 
psychischen Erkrankungen der Bleivergiftung, von Quensel. 24. Zur Kenntniss der metallischen 
Nervengifte (Ober die chronische Manganvergiftung der Braunsteinmüller), von Embden. 
25. Ein Fall von Polyneuritis nach acuter Arsenvergiftung, von Korzou. 26. Bleivergiftung 
bei den Blattstichwebern in Appenzell a/Rh., von Schultr. 27. Les paralysies saturnines, 
par Dobove. 28. Drei Fälle von Neuritis arsenicalis, von Janowsky. 29. Ein Fall von Anti- 
pyrinintoxication, von Seilor. 80. Elektricität und Chloroforms arcose, von Jellinek. 31. Sur 
un cas d’amndsie continue consöcutif ä une tentative de suicide par l’oxyde de carbone, par 
Truolle et Petit. 32. Zur Pathogenese der Kohlenoxydlähmungen, von v. Sölder. 33. Ein 
zur Heilung gekommener Fall von Kohlenoxydvergiftung mit ausschliesslich psychischen 
Störungen, von Bloch. 34. Deux cas de psyohoees nicotiniques, par Zalackas. 86 . Beiträge 
zur Kenntniss des Delirium tremens der Morphinisten, von Abraham. 36. Ueber die An¬ 
wendung des Kamphers bei der Morphiumentzienung, von Hofmann. — Therapie. 87. Zur 
klinischen Würdigung einiger neuer Arzneimittel (Agurin, Purgatin, Yohimbin), von Hess. 

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88. Die therapeutische Verwendung des kakodylsauren Natrons und die intravenöse Anm 
behandlung, von F. Mendel. 

RI. Bibliographie. Das Pathologische bei Nietleche, von P. J. Meebins. 

IV. Aus den Gesellschaften. LXXIV. Versammlung deutscher Naturforscher und Aenfte 
in Karlsbad am 21.-26. September 1902. — Wanderversammlung des Vereins für Psychiatrie 
und Neurologie in Wien am 11. und 12. Oetober 1901. (Schluss.) 

V. Neurologische und psychiatrische Utteratur vom 1. Juli bis 31. August 1902. 

VI. Personalien. 


L Originalmittheilungen. 

1. Ein Fall von Arseniklähmung. 1 

Von Dr. J. Krön, 

Assistenzarzt an der Pro t Mjaroii/schen Klinik. 

Die eigenartigen Umstände, unter denen diese Erkrankung zu Stande kam, 
und einige seltene Symptome mögen die Veröffentlichung dieses Falles recht- 
fertigen. 

Fräulein E. H., Cassirerin, 21 Jahre alt, wurde am 2./VILL 1901 in die 
Prof. MsNDEL'sche Klinik aofgenommen. Der Vater der Patientin ist nervös and 
leidet an Kopfschmerzen. Eine weitere hereditäre Belastring liess sich nicht nach- 
weisen. Sie hat keine Kinderkrankheiten durchgemacht, seit ihrem 5. Jahre leidet 
sie an Kopfschmerzen, die 1—2 Mal wöchentlich auftraten, oft mit Erbrechen 
und Benommenheit einhergingen. Weihnachten 1898 hat sie nach anstr en g en der 
Thätigkeit einen Krampfanfall gehabt, in welchem ihr Schaum aus dem Monde 
kam, sie biss sich in die Zange und war einige Stunden bewusstlos. Die Men¬ 
struation begann mit 17 Jahren, war anfangs unregelmässig. Vor 2 Jahren blieb 
dieselbe */j Jahr ans, seitdem ist sie regelmässig, geht jedoch mit Schmerzen 
einher. Patientin war von jeher reizbar, leicht zum Weinen geneigt, sonst aber, 
abgesehen von der Migräne, bis zum 7./XI. 1899 völlig gesund. Der Kopf¬ 
schmerzen wegen hatte sie am 6./XI. einen Arzt consultirt, letzterer verordnet« 
ihr Arsenikpillen. Am 7./XI. wollte Patientin einen Tanzabend mitmachen, da 
sie aber an dem Tage starke Kopfschmerzen hatte, nahm sie, kurz bevor sie sich 
zur Gesellschaft begab, mehrere Pillen. Als die Kopfschmerzen während dar Nacht 
noch intensiver wurden, nahm sie wieder einige Pillen zu sich. Am nächsten 
Morgen begab sich Patientin an ihre Beschäftigung. Im Laufe des Tages hatten 
die Kopfschmerzen an Intensität zugenommen, Patientin nahm in Folge dessen 
immer wieder von den Pillen. Gegen Abend stellten sich Parästhesieen in den 
Beinen und im Rücken ein, zu denen sich in der Nacht heftige Schmerzen da¬ 
selbst hinzugesellten. Die pflichtgetreue Patientin nahm am nächsten Tage ihren 
Beruf wieder auf, musste aber schon nach 2 Stunden wegen der immer mehr zu¬ 
nehmenden Schmerzen in den Beinen und einer daselbst auftretenden Schwache 
nach Hause. Am Abend fiel Patientin plötzlich bei vollem Bewusstsein um, das 
linke Bein schien ihr wie abgestorben. In der Nacht wurde auch das rechte 
Bein völlig gelähmt. Am nächsten Morgen waren beide Arme, und zwar gleich- 


1 Nach einer Demonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven¬ 
heilkunde am 11. November 1901. 


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zeitig, ergriffen; das Erheben der Arme war nicht mehr möglich, nur die Finger 
konnten ein wenig gebeugt w/erden. Patientin war nicht im Stande eine Tasse 
in der Hand zu halten. Am selben Tage bemerkte sie, dass sie sioh weder auf¬ 
richten noch sitzen konnte, sie konnte weder pressen noch husten, ln den Beinen 
und Armen, ebenso im Rücken und im Leibe • hatte sie furchtbare Schmerzen. 
Schluck-, Sprach- und Athembeschwerden bestanden nicht. Psychisch war Patientin 
völlig frei. Erbrechen und Diarrhöen waren nicht vorhanden. Am ersten Tage 
bestand Incontinentia urinae et alvi, nachher war wochenlang hartnäckige Obsti¬ 
pation vorhanden. Pat. musste in den ersten 3 Monaten täglich katheterisirt werden. 
Eine Magenausspülung oder Gegenmittel kamen nicht in Anwendung, weil die 
Aetiologie des Leidens erst nach einigen Wochen eruirt wurde. Patientin hatte 
von dem Gebrauch der Arsenikpillen keine Mittheilung gemacht, weil sie einen 
Zusammenhang zwischen den Pillen, die gegen den Kopfschmerz verordnet waren, 
nnd ihrem Leiden für völlig ausgeschlossen hielt. Patientin war einige Monate 
im St Hedwigskrankenhause, über ihren Aufenthalt daselbst verdanke ich Herrn 
Oberarzt Dr. Websuto folgende Notizen: 

Patientin klagt viel über Schmerzen im Rücken, Armen und Beinen, sie be¬ 
kommt zwei Mal täglich Morphiuminjectionen. Sie leidet öfters an Herzbeklemmungen 
und aufBteigender Hitze. Die Hirnnerven und der Augengrund sind frei. Die 
Schwäche in dem Rücken und in den Armen ging in dem ersten Monat ihres 
Aufenthalts hierselbst zurück. Die Sensibilität ist am ganzen Körper gut er¬ 
halten, auch in den völlig gelähmten Beinen. N. cruralis und die Musculatur der 
Beine sind stark druckempfindlich. Die Temperatur war immer afebril. Der 
Urin enthält Spuren von Albumen, weisse Blutkörperchen und Plattenepithelieen. 

Nachdem Patientin die Klinik verlassen hatte, gerieth sie in Behandlung von 
Kurpfuschern, welche sie, mit grosser Consequenz, viele Monate magnetisirten, 
dabei jede andere Behandlungsmethode aufs stricteste verboten. Aus dem Status 
bei der Aufnahme in die Klinik 1 hebe ich Folgendes hervor: Patientin ist eine 
mittelgrosse Person von gracilem Knochenbau. Die Musculatur des Rumpfes und 
der oberen Extremitäten ist gut entwickelt. Das Gesicht und die sichtbaren 
Schleimhäute sind blass. Die Hirnnerven und der Augengrund sind ohne Sonder¬ 
heiten. Am Zahnfleisch ist nichts Abnormes zu constatiren. An den oberen 
Extremitäten sind Motilität, Sensibilität, Reflexe, mechanische und elektrische 
Erregbarkeit der Muskeln normal. Es besteht keine Ataxie. Das Aufrichten aus 
liegender Stellung gelingt gut. Das Gehen und Stehen ist unmöglich. Die Beine 
liegen schlaff nebeneinander, sind etwas nach aussen rotirt. Die Abduction und 
Answärtsrotation des Oberschenkels ist rechts in geringem Grade möglich, links 
unmöglich. Die Abduction der Beine ist beiderseits unmöglich. Das rechte Bein 
kann im Kniegelenk nur sehr ungenügend und mit minimaler Kraft gebeugt 
werden, Streckung in diesem Gelenk ist unmöglich. Links ist keine Bewegung 
im Kniegelenk möglich. Im Fussgelenk ist beiderseits absolut keine Beweglich¬ 
keit vorhanden, daselbst Schlottern. Die Zehen des Fusses können links ein 
wenig, rechts gar nicht gebeugt werden. Die Füsse befinden sich in Equinovarus- 
Stellung, sie hängen, dem Gesetz der Schwere folgend, herab und bilden eine 
Linie, die man sich als die Fortsetzung der Crista tibiae denken kann. Die 
Fusshöhlungen sind beiderseits stark ausgeprägt, der äussere Fussrand steht nach 
unten. Die Gegend der Achillessehne ist stärker gewölbt als normal. Die grosse 
Zehe des linken Fusses ist sowohl im Metatarsophalangealgelenk, als auch im 
Phalangealgelenk gebeugt, die kurzen Zehen sind im Metatarsophalangealgelenk hyper- 
extendirt, in den Endphalangen gebeugt, rechts ist die erste Phalanx der grossen 


1 Die Untersuchungen wurden in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Kubt Mbhdkl ausgefllhrt. 

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Zehe gegenüber dem Metatarsus noch hyperextendirt. Wir hätten also links da* 
dritte, rechts das zweite Stadium der Fussdeformitäten, die Boss bei langwierigen 
Alkohollähmungen beschrieben hat. 

Die Musculatur der Ober- und Unterschenkel ist hochgradig atrophisch. Die 
Contouren der Tibiae und Fibulae sind sehr deutlich sichtbar. Maasse: 15 cm 
oberhalb der Patella: Rechts 36, links 36 cm. 15 cm unterhalb der Tuberoeitae 
tibiae: Rechts 22, links 22 cm. 

Die Musculatur und Nerven sind nirgends druckempfindlich. Patellarreflexe 
und Achillesreflexe fehlen. Der Sohlenreflex ist links normal vorhanden, rechts nicht 
auslösbar. Die Hände und Füsse sind mit Schweiss bedeckt, letztere fohlen 
sich kühl an. Die Haut ist dünn. Sensibilität für alle Qualitäten in Ordnung. 
Die inneren Organe bieten nichts Abnormes. Die Wirbelsäule ist nicht klopf¬ 
empfindlich. Die Untersuchung des Urins mittels des MABSH’schen Apparates 
ergiebt die Abwesenheit von Arsen. 

Das Urinlassen und der Stuhlgang sind in Ordnung. 

Die Blutuntersuchung ergiebt folgendes Resultat: Specifisches Gewicht 1065, 
Hämoglobingehalt 80°/ 0 , Zahl der rothen Blutkörperchen 4,550,000, Zahl der 
weissen 7000. Verhältniss der rothen zu den weissen Blutkörperchen 650:1. 

Weder im morphologischen noch im tinctoriellen Verhalten der rothen und 
weissen Blutkörperchen ist eine Abweichung von der Norm. Die procentuale 
Zusammensetzung der verschiedenen Formen der weissen Blutkörperchen ist die 
gewöhnliche, speciell sind die eosinophilen Zellen nicht vermehrt. 


Die elektrische Untersuchung ergab: 


N. tibialis (in der Kniekehle) 
N. tibialis (am Knöchel) . . 

Gemeinsamer Quadriceps . . 

N. peroneus. 

Quadriceps. 

Bioeps. 

Triceps surae. 

Extensor digit commun. longus 
N. cruralis. 



Faradisch 


Galvanisch 

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Mit der Besserung der elektrischen Erregbarkeit ging auch die Z unahm e der 
Motilität einher. Die Abduction und Auswärtsrotation des rechten Oberschenkels 
geschah mit genügender Kraft, des linken Oberschenkels mit mässiger Kraft Das 
rechte Bein konnte im Kniegelenk mit ziemlich guter Kraft gebeugt und gestreckt 
werden. Links war die Beugung im Kniegelenk unmöglich, die Streckung kam 
daselbst zwar zu Stande, jedoch mit Hülfe der Beckenmusculatur. Dagegen waren 
die Bewegungen der Zehen und des Fussgelenkes links gut möglich, rechts fehlten 
sie völlig. Die Equinovarusstellung ist weit weniger ausgeprägt, als ip der ersten 


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Zeit. — Patientin kann, am Arm leicht gestützt, gehen; das linke Bein wird 
dabei nur im Hüftgelenk bewegt; die Fussgelenke müssen beim Gehen durch Ver¬ 
bände künstlich fixirt werden. 

Die gastrointestinalen Symptome, welche in den ersten Tagen und Wochen 
nach der Arsenikvergiftung das Krankheitsbild meist beherrschen, deren Aus¬ 
bleiben manchen Autor (Goldflam) veranlasst haben, den Gedanken an eine 
Arsenikintoxication fallen zu lassen, waren bei unserer Patientin geringfügiger 
Natur. Nur Schmerzen, die auch im Unterleib localisirt wurden, wiesen auf 
dieselbe hin. Der metallische Geschmack, die Trockenheit und heftiges Brennen 
im Munde fehlten. Erbrechen und Diarrhöen wurden völlig vermisst Das 
Fehlen dieses wohlthätigen Selbstschutzes des Organismus mag wohl das rapide 
Auftreten und die Schwere der Nervenaffection mitbedingt haben. Während 
sonst die nervösen Symptome bei dieser Vergiftung subacut einsetzen, hatten 
sich hier im Laufe eines Tages sensorische Reizerscheinungen und Lähmungen 
ausgebildet Freilich existirt eine Beobachtung, wo die neuritischen Symptome 
wenige Stunden nach dem Tragen eines grünen Ballkleides auftraten. Trotz 
der unheimlichen Schnelligkeit, mit der sich die Symptome ausbreiteten, war 
die Reihenfolge derselben für die Polyneuritis typisch. Schnell hinter einander 
traten zuerst Parästhesieen, dann Schmerzen, schliesslich Lähmungen und 
Atrophieen auf. Das Vorhandensein dieser Erscheinungen vereint mit dem 
Freibleiben der bulbären Nerven sprachen von vornherein gegen den Verdacht 
der LANDBY’schen Paralyse. Der fast apoplektiforme Beginn der Lähmungs¬ 
erscheinungen, die furchtbaren, ununterbrochenen Schmerzen, welche in den 
ersten vier Monaten die Anwendung des Morphiums nothwendig machten, die 
in den ersten Monaten vorhanden gewesene Druckempfindlichkeit der Nerven 
und Muskeln bilden wichtige Momente für die Bestätigung unserer Diagnose. 
Zu Gunsten derselben sprachen ferner das fast gleichzeitige Ergriffensein der 
oberen und unteren Extremitäten, die völlige Heilung des Rumpfes und der 
oberen Extremitäten, der Verlauf der Erkrankung in der hiesigen Klinik und 
einige andere Symptome, auf welche ich nun kurz eingehen möchte. 

Seit den ersten Tagen der Erkrankung litt Patientin an Herzklopfen. Hin 
und wieder hatte sie Anfälle, welche sich in Praecordialangst und Ohnmachts¬ 
anwandlung äusserten. Während des Aufenthaltes in der Klinik war der Puls 
immer beschleunigt, 95—130. Einmal hatte sie ganz ohne äusseren Anlass 
einen Anfall, in welchem sie ängstlich und unruhig aussah, das Gesicht wurde 
blass, der Puls sehr frequent Objective Veränderungen am Herzen liessen 
sich während dieses Zustandes, welcher ca. 5 Minuten dauerte, nicht nachweisen. 
v. Stbümpell und Viebobdt haben zuerst die gesteigerte Pulsfrequenz bei der 
Neuritis auf eine Erkrankung des cordialen Anteiles des Vagus zurückgeführt 
Nachdem es Dejerdje gelang, in einem Falle von Tachycardie eine parenchy¬ 
matöse Neuritis des Vagus nachzuweisen, ist diese Ansicht von allen Autoren 
getheilt worden. Oppenheim und Dejebinb konnten wahrend eines solchen 
Anfalles ein systolisches Geräusch an der Herzspitze und eine Dilatation des 
Herzens constatiren, welche nach Aufhören des Anfalles zurückging. 


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Eine häufige Begleiterscheinung der Polyneuritis bilden die vasomotorischen 
Störungen. Unsere Patientin klagte oft über Hyperidrosis, besonders der Füaae 
— man konnte an denselben oft grosse Schweisstropfen sehen — und über 
Kältegefühl in den Beinen. Auch an warmen Sommertagen musste die Patientin 
in Decken eingehüllt werden, wenn sie sich im Garten aufhielt, trotzdem fror 
sie häufig und hatte dann das Gefühl, als ob ihr die Beine abgestorben wären. 
Die Menstruation war in dem ersten halben Jahre nach der Vergiftung ausgeblieben, 
doch kann diese Erscheinung nicht mit Bestimmtheit als directe Folge der In- 
toxication aufgefasst werden, weil sie auch vorher unregelmässig war; ich erwähne 
diesen Umstand, weil Störungen der Menstruation nach Arsenikvergiftungen 
wiederholt beobachtet worden sind (Facklam, SeeligmüIiLeb, Mabok). Auch 
dem Haarausfall, als Ausdruck einer trophischen Störung, würde ich keinen be¬ 
sonderen Wert beimessen, weil dieser in geringem Grade auch früher bestand 
und Patientin von jeher an starken Kopfschmerzen litt; seit der Erkrankung 
soll das Haar „viel mehr“ ausfallen; eher könnte in diesem Sinne der ziemlich 
reichliche Haarwuchs an den atrophischen Unterschenkeln verwertet werden, 
welcher früher nicht da war. Ein beachtenswerthes Symptom bildet auch das 
Muskelzittern, welches in der rechten Oberschenkelmusculatur, wo Motilität und 
elektrische Erregbarkeit zur Norm zurückkehrten, in den letzten Wochen hin 
und wieder auftrat. Das fibrilläre Zittern erreichte nie die Höhe von Spontan¬ 
bewegungen und ist öfters bei der Restitution neuritischer Lähmungen be¬ 
obachtet worden (Remak, Luchsinger). 

Bis vor kurzer Zeit galt es ausnahmslos als Regel, dass bei der Neuritis 
die Innervation der Blase und des Mastdarmes ungestört bleibt Abstrahiren 
wir die Fälle, wo psychische Störung oder hochgradige Schwäche Vorlagen oder 
locale Processe diese Erscheinungen bedingten, so kommt dieses Symptom bei 
der Polyneuritis ausserordentlich selten vor. In den spärlichen anatomischen 
Befunden konnte man thatsächlich spinale Veränderung nach weisen, abgesehen 
von dem von Ross citirten und dem von Francotte beobachteten Falle. Bei 
Arseulähmungen sind Blasenstörungen ganz vereinzelt und von kurzer Dauer 
beobachtet worden (Marie, Eichhorst und Comley). Eine totale Harn¬ 
verhaltung, wie sie bei unserer Patientin auftrat und welche Monate lang 
dauerte ist meines Wissens bei der Arsenneuritis nicht beschrieben. Da in unserem 
Falle die lumbalen und sacralen Nerven von der Affection ergriffen waren, so 
liegt es nahe anzunehmen, dass die Lähmung des Detrusor eine Folge der 
Läsionen der centrifugalen motorischen Nerven des Detrusorcentrum ist. Aus 
den 1., 2. und 3. Sacralnerven kommen die Nn. erigentes, welche die motorischen 
Fasern für den Detrusor enthalten. 

Christinson ist der einzige Autor, welcher über Darmstörungen bei der 
Arsenlähmung berichtet hat. Bei unserer Patientin musste der Stuhlgang wochen¬ 
lang künstlich regulirt werden. Der Plexus hypogastricos, der sich aus den 
Aesten des 2.—4. Sacralnerven zusammensetzt, versorgt die Muskelschicht der 
mittleren Abtheilung des Rectums mit motorischen Nervenfasern. Die Obsti¬ 
pation liesse sich zum Theil durch Läsion dieser Fasern erklären. Von grosser 


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Bedeutung für die Stahlträgheit war aber in unserem Falle auch die L ä hm u n g 
des Bauchmusculatur. Bei der Inscenirung der Miction hat dieselbe keine 
Bedeutung (Bora, Mosso u. A.). Die Fälle von Kmminghaus lassen vermuten, 
dass aueh dem N. splanchnicus bei der Obstipation eine Rolle zukommt Dieser 
Nerv ist aber bei der Arsenlähmung meist betroffen. 

Es liegt in der Natur der Erkrankung, dass anatomische Befunde nur selten 
erhoben werden — die acuten tödtlichen Arsenlähmungen verlaufen zu schnell, 
um beträchtliche Veränderungen am Patienten hervorzurufen — die chronischen 
Fälle gehen aber in Genesung über, ln den zur Section gekommenen Fällen 
war immer eine Degeneration der peripheren Nerven, in einzelnen Fällen auch 
der Vorderhornganglienzellen vorhanden (Erlitzky und Rybalkin). Die Be¬ 
funde an den Vorderhomganglienzellen vermögen jedoch keineswegs die sensiblen 
Reizersoheinungen und die oft objectiv nachweisbaren Störungen im Bereich der 
Sensibilität zu erklären. Sind doch die ausserordentlich heftigen Schmerzen 
geradezu pathognomonisch für Arsenlähmungen! Wir müssen also auch in den 
Fällen, wo eine Veränderung der Ganglienzellen im Rückenmark vorliegt, an 
eine Erkrankung der peripheren Nerven denken. Die Läsion des centralen 
Theiles des peripherischen Neurons könnte auch als retrograde aufgefasst werden; 
es lässt sich jedoch nicht in Abrede stellen, dass häufiger als man es anfänglich 
glaubte, bei der Polyneuritis disseminirte Rückenmarksherde in der weissen und 
grauen Substanz gefunden werden, welche der peripherischen Degeneration wohl 
äquivalent sind (Oppenheim, Flatau, Pal, Heilbonn u. A.). Auch in unserem 
Falle, der vorzugsweise eine Affection des peripheren Nervensystems repräsentirt, 
ist eine geringe centrale Betheiligung nicht von der Hand zu weisen. Er be¬ 
stätigt die von Jolly betonte Auffassung, dass das chemisch-toxische Gift eine 
grössere Affinität zu dem peripheren Theile des Neurons besitzt, es besteht aber 
auch eine Disposition zur Erkrankung in den Vorderhömem; je länger und 
intensiver das Gift einwirkt, um so eher kann der centrale Theil des Neurons 
in Mitleidenschaft gezogen werden. Wahrscheinlich spielt auch hierbei die 
individuelle Disposition eine Rolle. 

Die Prognose der Arsenlähmungen wird von allen Autoren als günstig be¬ 
zeichnet. Alexander konnte unter 130 Fällen nur von drei berichten, welche 
ihre Gehfähigkeit einbüssten; auch bei diesen schloss er die Möglichkeit einer 
Heilung nicht aus, thatsächlich konnte er auch von einem Patienten die inzwischen 
erfolgte Heilung mittheilen. Stöcker berichtet über eine Patientin, welche 
nach 5 Jahren die Beine normal bewegen konnte. Während die nervösen 
Störungen bei den Arsenlähmungen, welche im Gegensatz zu den Bleilähmungen 
meist die unteren Extremitäten befallen, von der Peripherie aus beginnen und 
centripetal zunehmen, geht die Besserung centrifugal absteigend vor sich. Die 
zuerst ergriffenen Partieen kommen am spätesten zur Heilung. Auch in unserem 
Falle ist die am spätesten erkrankte Rücken- und Rumpfmusculatur am ehesten 
zur Heilung gelangt, ihr folgten dann die oberen Extremitäten, während an den 
unteren Extremitäten die Oberschenkel erst jetzt zur Norm zurückkehren, die 
Musculatur der Unterschenkel und Füsse ist noch aufs Erheblichste ge- 


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schädigt. 1 Der ausserordentlich langsame Verlauf der Krankheit ist vielleicht zum 
Theil der irrationellen Behandlung von Seiten der Kurpfuscher znzuschreiben. — 
Die therapeutischen Maassnahmen in der Klinik bestanden in Massage und Galvani¬ 
sation der Beine; dreimal wöchentlich bekam Patientin ein Soolbad, in welchem 
methodische Uebungen vorgenommen wurden; täglich wurden Strychnininjectionen 
gemacht. Um einer Contraction der Beugemuskeln der Füsse vorzubengen, 
wurden die Füsse gegen den Unterschenkel gebeugt und in dieser Stellung 
durch einen Verband fixirt. In den letzten Wochen sind täglich Uebungen im 
Gehstuhl ausgeführt worden. 

Der fortgesetzte medicamentöse Gebrauch ist in der Litteratur über Arsen¬ 
vergiftungen wiederholt als ätiologisches Moment angeschuldet worden, noch 
jüngst in der Festschrift für Nothnagel ist ein solcher Fall mitgetheilt worden. 
An den Arsengenuss gewöhnte Individuen vertilgen enorme Dosen, trotzdem sind 
sie sowohl subjectiv als auch objectiv gesund. Die toxische Dosis der arsenigen 
Säure beträgt 0,1, bei Areenikophagen 1,0 — 6,0. Am giftigsten ist es in 
Lösungen (z. B. Sol. Fowleri). Unsere Patientin hat im Laufe von 20 Stunden 
55 Pillen ä 0,005, also 0,275, genommen, das 2 1 / a fache der Maximaldoeis. 

Ein derartig sorgloser, ja leichtfertiger Gebrauch des Arsen, der ein junges, 
gesundes Mädchen auf ein so schweres und langwieriges Krankenlager geworfen 
hat, legt ej uns nahe bei der Verordnung dieses Mittels, das doch lange Zeit 
hintereinander gebraucht wird, die Aufmerksamkeit der Patienten auf eventuelle 
eintretende Prodromalsymptome der Intoxication, wie Kopfschmerzen, Uebelkeit, 
Trockenheit im Munde u. s. w. zu lenken. Ferner wäre, bei dem sich immer 
mehr einbürgemden Gebrauch von Originaltabloids in der Praxis, darauf zu 
achten, dass die Flaschen mit genauer Signatur versehen werden. Die mündliche 
Verordnung wird, was auch dieser Fall lehrt, leicht überhört oder vergessen. 
Das geschriebene Wort prägt sich dem Gedächtniss besser ein. 

Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Mendel, spreche ich auch 
an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank für die Ueberlassung dieses Falles aus. 


Eine genaue Litteraturangabe befindet sich bei E. Remak, Neuritis und 
Polyneuritis (NoTHNAGEL’sches Sammelwerk. S. 683—687). 

Berücksichtigt wurden ferner die daselbst nicht erwähnten Arbeiten von 
Lugabo (Neurolog. Centralbl. 1897. 8 . 955), Mabinesoo (Ebenda. S. 912), 
Langebeaux (Ebenda. S. 360), Kabplus (Wiener klin. Rundschau. 1901. Nr. 41), 
Emminghaüs, Münchener med. Wochenschr. 1894. Nr. 5 u. 6. 


1 Gelegentlich einer Untersuchung der Patientin am 19. Juli 1902 konnte ich keine 
beträchtliche Veränderung constatiren. 


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2. Ein Fall von Katatonie im Anschluss an die erste 

Menstruation. 

Von Dr. H. Muoha in Franz. Buchholz b/Berlin. 

Ich hatte kürzlich Gelegenheit einen Fall zn beobachten, welcher mir in 
mehrfacher Hinsicht einiges Interesse zu bieten scheint 

Es handelte sich um ein 15jähriges Mädchen, welches nach den Angaben 
der Angehörigen in keiner Weise erblich belastet war. In der Schule, die sie 
bis zum 14. Lebensjahre besuchte, soll sie nur mässige Fortschritte gemacht haben, 
jedoch regelmässig versetzt worden sein. Sie soll immer ein etwas scheues, 
zurückhaltendes Wesen gehabt, im Uebrigen aber keinerlei geistige Abnormitäten 
gezeigt haben. Krank soll sie früher nie gewesen sein. Nachdem sich bei der 
Patientin schon einige Tage lang eine gewisse Unruhe bemerkbar gemacht hatte, 
trat am 8./V. d. J. zum ersten Mal die Menstruation au£ ziemlich sohwach. Tags 
darauf äusserte sie, es steche sie überall mit Nadeln, benahm sich aber im Uebrigen 
noch ganz correct, ebenso wie an den beiden folgenden Tagen. Am 11. wurde 
sie sehr aufgeregt, glaubte sich verfolgt und schloss sich in ihr Zimmer ein. 
Die Erregung steigerte sich in den nächsten Tagen bis zur Tobsucht, Patientin 
schien äusserst ängstlich, behauptete, ihre Grossmutter wolle sie erwürgen. Sie 
drängte heftig aus dem Zimmer heraus, indem sie wohl 2 Stunden lang immer 
dieselben Worte wiederholte: „ich habe nichts gethan“, „ich brauche mich nicht 
zu fürchten“. Solche unaufhörlichen Wiederholungen derselben Worte kehrten öfters 
wieder: „ach Gott s / 4 12, ach Gott 8 / 4 12“ u. s. w. oder „Tante Johanna, Tante 
Johanna“ u. s. w. Nach mehreren Tagen wurde die Kranke äusserlich ruhiger. 
Der Kreisarzt, welcher sie behufs Unterbringung in einer Anstalt untersuchte, 
fand sie auf ihrem Bett sitzend, mit aufgelöstem, zerzaustem Kopfhaar, apathisch 
vor sich hinstierend, von Zeit zu Zeit den Kopf rhythmisch hin- und herbewegend. 
Aus dem Munde fliesst Speichel mit Resten der Milch, die ihr vor Kurzem bei¬ 
gebracht worden. Die Augen sind verschleiert, der Blick matt und nichtssagend, 
der Gesichtsausdruck stumpf. Ab und zu murmelt sie leise unverständliche Worte. 
Auf Fragen giebt sie keine Antworten. Die Kranke fing an, hartnäckig jede 
Nahrung zu verweigern. Seit dem 16./V. wurden bei ihr mehrfach krampfartige 
Zustände von etwa x / a ständiger Dauer beobachtet: sie machte krampfartige Schüttel¬ 
bewegungen mit dem rechten Arme, aus dem Munde trat dicker, weisser Schaum, 
die Zunge wurde vorgestreckt; anscheinend war die Kranke während dieser An¬ 
falle völlig ohne Bewusstsein. 

Am 18./V. wurde sie der v. Karczewski’schen Heilanstalt zu Kowanowko bei 
Posen zugeführt, wo sie sich mehrere Wochen lang in meiner Behandlung befand. 

18. /V. Muss mit Gewalt aus der Droschke, in der sie transportirt worden 
ist, herausgehoben und in die Anstalt gebracht werden, wo sie sofort zu Bett 
gebracht wird. Aeusserlich ziemlich vernachlässigt, die Haare verfilzt. Aengstlich 
gespannter Gesichtsausdruck, auf Fragen keinerlei Antwort. Setzt allen Manipu¬ 
lationen heftigen Widerstand entgegen. Starke Spannungen in der Musculatur 
der Arme und Beine. Erhebt sich oft aus dem Bett, steht im Zimmer herum, 
schreit manchmal laut auf. Isst nichts, beisst fest die Zähne zusammen. 

19. /V. War die ganze Nacht sehr unruhig, schrie und lief im Zimmer 
herum. Vormittags heftige krampfhafte Zuckungen beider Arme, Cyanose des 
Gesichts, wobei sie die Augen verdreht und Schaum vor dem Munde hat; der 
Zustand dauert etwa 1 Stunde. — Antwortet auch heute nicht auf Fragen, 
schenkt überhaupt den Vorgängen in ihrer Umgebung nicht die mindeste Be- 


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achtung. Mehrere Stunden lang wiederholte sie in einem fort: „ach lieber Onkel, 
ach lieber Onkel“ u. s. w. Verweigert jede Nahrung. Heftiger Widerstand bei 
passiven Bewegungen der Extremitäten. Unrein mit Urin und Koth. 

Von nun an änderte sich der Zustand der Kranken in der Anstalt nicht 
mehr. Sie lag starr, ohne sich zu bewegen, zu Bett, sprach nicht, kümmerte sich 
nicht im mindesten um das, was um sie herum vorging; den wiederholten Besuch 
ihrer liebsten Angehörigen ignorirte sie vollständig. Die Muskeln der Extremi¬ 
täten blieben in einem Zustand heftiger Spannung; allem, was mit ihr vorgenommen 
wurde, setzte sie einen starken Widerstand entgegen. Die Arme hielt sie oft 
Standen lang in derselben, höchst unbequemen Stellung, z. B. etwas in die Höhe 
gehoben; manchmal lag sie viele Stunden mit wenig vom Lager erhobenen 
Schultern und Kopf. Zuweilen erschien auf ihrem sonst stumpfsinnig drein¬ 
blickenden Gesicht ein starres Lächeln. Ein Auge, abwechselnd das rechte und 
das linke, wurde oft für längere Zeit geschlossen gehalten und konnte gewaltsam 
nicht geöflnet werden. Sehr oft machte sie langsame Drehbewegungen nach 
beiden Seiten mit dem Kopf, auch Stunden lang hintereinander. Nahrung nahm 
sie von selbst nicht zu sich, biss bei allen Versuchen, sie zu füttern, die Zähne 
fest zusammen. Da sie in Folge dessen sehr herunter kam, wurde sie täglich 
zwei Mal mit der Sonde gefüttert, wodurch sie sich körperlich bald erholte nnd 
allmählich sichtlich an Körperfülle zunahm. Urin und Koth liess sie oft unter 
sich. Die Krampfanfälle wiederholten sich fast täglich und dauerten bis zu 
drei Stunden: Patientin wurde blau im Gesicht. Schaum trat ihr vor den Mond, 
dabei machte sie heftige schüttelnde und schleudernde Bewegungen mit Armen 
und Beinen. 

Leider wurde die Kranke bereits am 16./VI. von ihren Angehörigen, denen 
die von ihnen erhoffte Heilung zu lange auf sich warten liess, aus der Anstalt 
fortgeholt, so dass mir die weitere Beobachtung des Falles unmöglich gemacht wurde. 

Was den klinischen Charakter des vorliegenden Krankheitsbildes anlangt, 
so handelt es sich zweifellos um eine ausgeprägte Katatonie: an ein mehrtägiges 
Stadium der motorischen Erregung mit schreckhaften Delirien schließt sich ein 
Stupor mit stereotypen Haltungen und Bewegungen, Mutacismus, Nahrungs¬ 
verweigerung, Spannungen in der Körpermusculatur an. Häufige katatonische 
Krampfanfälle unterbrechen die gewöhnliche Starre. Auch Verbigeration war, 
solange die Kranke noch sprach, vorhanden. Bemerkenswerth scheint mir an 
dem Fall der unmittelbare Anschluss der Erkrankung an das Auftreten der 
ersten Menstruation. Die Beziehungen zwischen Menstruation und Geistes¬ 
krankheiten sind ja längst bekannt Wir wissen, dass zur Zeit der Menses bei 
Geisteskranken sich oft heftigere Erregungszustände einstellen; wir kennen ferner 
die Fälle von periodischem menstrualem Irresein, welche bei meist hereditär 
belasteten, jedenfalls stets mit einer neuropathischen Constitution behafteten 
Individuen Vorkommen. Indessen gehört es sicherlich zu den Seltenheiten, wenn 
bereits der erste Eintritt der Menstruation eine so gewaltige Erschütterung des 
Nervensystems hervorruft, dass eine derartig schwere, in Bezug auf ihre Prognose 
höchst bedenkliche Geisteskrankheit entsteht wie in dem vorliegenden Falle, 
noch dazu bei einem soheinbar erblich nicht belasteten, allerdings nur massig 
begabten, aber doch vorher anscheinend geistig ganz normalen Individuum. 
Auch das ausserordentlich jugendliche Alter von 15 Jahren ist jedenfalls un¬ 
gewöhnlich für den Ausbruch einer Katatonie. 


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[Aus dem städtischen Krankenhauae in W&rscbau-Praga. (Abtheilung für Nervenkranke 

von Dr. J. Piltz.)] 

3. Die paradoxe Pupillenreaction 
und eigene Beobachtung von Verengerung der Pupillen 
bei Beschattung der Augen. 1 
Von Dr. J. Piltz. 

Mit dem Namen der paradoxen Lichtreaction der Pupillen bezeichnet man 
die in einigen Fällen gemachte Beobachtung, dass die Pupille durch einfallendes 
Licht nicht verengert, sondern erweitert wird (Fbenkel). Solche Umkehrung 
des Lichtreflexes der Pupillen ist nach Siemerling * eine ausserordentlich 
seltene Erscheinung. 

Bereits 1885 machte Baggi 3 bei einem Paralytiker die Beobachtung, dass 
das Schlieesen der Augenlider stets eine intensive Verengerung der Pupillen 
hervorrief; beim Oefihen der Augen stellte sich jedes Mal nach einigen 
vorhergehenden Oscillationen, die einen wahren Hippus darstellten, eine Er¬ 
weiterung der Pupillen ein. Gleichzeitig mit dem allmählichen Eintreten der 
Lichtstarre schwand auch dieses Phänomen. Auf Grund seiner Beobachtung 
kam Raggi zu folgenden Schlössen: 1. unter die bei progressiver Paralyse 
seltener vorkommenden Pupillenstörungen muss auch die Umkehrung des Lioht- 
reflexes eingereiht werden; 2. dieses Phänomen hat sein physiologisches Analogon 
(im Schlaf sind die Pupillen verengt, Bef.); 3. dieses Phänomen steht unter dem 
Einfluss der nervösen Pupillencentren und wird wahrscheinlich von einem psychisohen 
Moment, das noch nicht genauer erforscht ist, nicht ganz unabhängig sein. 

Da ich einmal Gelegenheit hatte mit Dr. Be&tschimgeb einen Fall von 
Tabes 4 zu untersuchen, wo schon nach leisestem Schliessen der Augen — ohne 
energische Muskelanstrengung — beide Pupillen im Moment des Wiederöffnens 
der Augen verengert erschienen und sich erst allmählich bei geöffneten Augen, 
scheinbar unter dem Einfluss des einfallenden Lichtes, wieder zur gewöhnlichen 
Weite erweiterten, kann ich den Fall von Raggi nicht für einwandsfreie Beob¬ 
achtung von umgekehrter Lichtreaction der Pupillen halten. Meiner Meinung 
nach handelte es sich in dem Falle von Baggi ganz einfach um die von 
Albbeoht y. Gbaefb, G allassi und Glpford zuerst beobachtete und in der 
letzten Zeit von A. Westphal und von mir eingehend studirte Orbicularis- 
reaction der Pupille, die eine paradoxe Lichtreaction vortäuschte. 

1 Der Redaction xugegangen im April d. J. 

* SmuRLiHO, Ueber die Verinderongen der Papillenreaction bei Geisteskranken. 1896. 
Nr. 44. 

* Ra ooi, Inversione del movimento papilläre in an individao affetto da paralisi pro¬ 
gressiva degli alienati. Rendi Conti del B. Institut» Lombardo di Scienze et Lettre. Milano, 
1895. Serie II. XVIII. S. 684. 

4 Piltz, Weitere Mitteilungen über die beim energischen Aagensehlnss stattfindende 
Papillenverengerong. Nearolog. CentralbL 1900. Nr. 18. (Fall HL) 


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Bei Beschreibung seiner eigenen Beobachtung sagt Ftbnkel unter Anderem: 
Mein Fall entspricht gänzlich dem Fall von Raggi, wo unter dem Einfluss des 
Lichtes ebenfalls ein Hippus schliesslich zu einer nachträglichen Pupillen- 
erweiterung führte. Wir sehen daraus, dass Fbenkel die Beobachtung von 
Raggi auch nicht für einen Fall von paradoxer Lichtreaction der Pupillen hält 

Mobselli 1 sah ebenfalls bei Dementia paralytica einen Fall von Erwei¬ 
terung der Pupillen unter dem Einfluss des Lichtreizes. Er verwirft die von 
Raggi durchgeführte Analogie mit dem gewöhnlichen Schlaf, indem er sich auf 
die Untersuchungen von Plötoke stützt, welcher festgestellt hat, dass der Licht¬ 
reflex der Pupillen während des gewöhnlichen Sohlafes normal erhalten sä. 
Mobselli wäre geneigt im Gegentheil zu Raggi hier eher eine Analogie mit 
dem hypnotischen Schlaf anzunehmen; er macht aber besonders auf die in seinem 
Fall vorhandenen tiefen sklerosirenden und atrophirenden Störungen des Central¬ 
nervensystems aufmerksam. 

Sowohl die Annahme von Mobselli wie die von Raggi, dass man das 
Zustandekommen der von ihnen gemachten Beobachtung auf ein psychisches 
Moment zurückführen könnte, scheint mir nicht richtig zu sein. 

Algebi 8 hat 1886 ebenfalls bei Paralyse ein Mal perverse Pupillenreaction 
auf Lichteinfall gesehen. 

Kahleb 8 hat bei Beschreibung eines Falles von Basilarmeningitis, wobei 
der Krankheitsprocess auf das Mittelstück des Chiasmas übergegriffen und zu 
der Erscheinung von bitemporaler Hemianopie geführt hat, in einem kurzgefassten 
Status u. a. folgendes erwähnt: „.. .Die Pupillarreaction bei Lichteinfall war 
erhalten; bei continuirlicher Beleuchtung sah man die Pupille sich bald er¬ 
weitern, bald verengern.“ Nur auf Grund dieser paar Worte wird Kahlkb 
unter den Autoren citirt, die Fälle von paradoxer Lichtreaction der Pupillen 
beschrieben hätten. Aus seiner Beschreibung geht klar hervor, dass es sich in 
seinem Fall ganz einfach um die Erscheinung des Hippus gehandelt hat; be¬ 
kanntlich sind ja eben die Hippusosoillationen der Pupillen von der Beleuchtung 
unabhängig. In Eahleb’s Fall hat es sich durchaus nicht um paradoxe Licht¬ 
reaction gehandelt, da er selbst deutlich betont, dass „die Pupillarreaction bei 
Lichteinfall erhalten war“. Dementsprechend reiht auch in ganz richtiger Weise 
Damsoh 4 den Fall von Kahler unter die, bei Erkrankung des Centralnerven¬ 
systems vorkommenden Fälle von Pupillenunruhe (Hippus) ein. 

Ueber das Resultat der Autopsie des Falles von Raggi berichtet G. Ree- 
zonioo . 5 Er beschreibt ganz besondere Körperchen, welche er in den Him- 

1 Mob8rlli, Un secondo caso d’inveraione del reflesao papilläre in an alienato paralitieo. 
Arch. di paioh., scienze penali etc. Torino, 1886. VII. S. 248. 

* Citirt nach G. D’Abumdo, Inveraione della reazione papilläre allo stimalo laminoeo 
in an tabetico. La paichiatria etc. 1889. S. 286. 

* O. Kahlhb, Beobachtungen über Hemianopsie. Prager med. Wochenachr. 1887. S.134. 

4 O. Damsoh, Ueber Papillenanrahe (Hippus) bei Erkrankungen des Centralnerven- 
aysteniB. Göttingen. 

5 G. Rbzzonioo, Oaeer. d’anat patol. aulla paral. progr. degli alienatL Arch. ital. 
maL nerv. 1887. S. 499. 


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gefassen gefunden hat, ohne selbstverständlich irgend ein Licht auf die Locali- 
sation der von Raggi beschriebenen Erscheinung werfen zu können. 

Maeina 1 hat in einem Fall von Tabes (unter 9 2 Untersuchten) paradoxe 
Pupillenreaction gesehen, die er folgendermaassen kurz beschreibt: „beide 
Pupillen waren erweitert, die rechte war unbeweglich, die linke erweiterte sich 
noch stärker unter dem Einfluss des Lichtes. Bei Accommodation blieben die 
Pupillen unverändert.“ Derartige Darstellung ist ungenügend und wir können 
hier nicht mit Sicherheit paradoxe Lichtreaction annehmen, da nicht aus¬ 
geschlossen ist, ob sich die Pupillen nicht schon einfach unter dem Einfluss der 
Wärme der Lichtquelle erweiterten, d. h. ob Mabina nicht einfach mit der 
sogen, sympathischen Pupillenreaction zu tbun halte, die eino paradoxe Licht¬ 
reaction eventuell vortäuschen kann. 

G. d’Abündo 1 beschreibt ebenfalls einen Fall von Umkehrung des Pupillen¬ 
reflexes bei Tabes. Beide Pupillen waren mydriatisch, die rechte reagirte gar- 
nicht, weder auf Lichteinfall, noch bei Accommodation; die linke blieb ebenfalls 
bei Accommodation unverändert, dagegen verengerte sie sich in der Dunkelheit 
und bei Lidschluss und erweiterte sich, sobald künstliches oder Tageslicht auf 
sie einwirkte; übrigens erfolgte die Beaction nur träge. Auch diese Beobachtung 
von G. d’Abundo scheint mir nicht einwandsfrei zu sein; es kann sich mög¬ 
licher Weise nur um Verengerung der Pupille bei Lidschluss, d. h. um die 
Orbicularisreaction gehandelt haben, die eine Inversion des Lichtreflexes vor¬ 
täuschte. Wenigstens hat G. d’ Abundo diese Eventualität nicht ausgeschlossen. 

Monney 3 sah manchmal bei Tabes, dass die auf Licht sich nicht ver¬ 
engernden Pupillen bei Annäherung eine Lichtquelle, eine Dilatation zeigten. 
Er hatte den Eindruck, dass das intensive Licht und die Wärme der Licht¬ 
quelle auf die Conjunctiva bezw. die Trigeminusendigungen in der Weise wirkt 
wie die Hautreize (Kneifen und faradischer Strom). Die Licht- und Wärme¬ 
dilatation der Pupillen in den Fällen von Monney war jeweilen sehr gering 
im Vergleich zur Dilatation auf Hautreize. Nur in einem Fall, wo sie gut 
ausgeprägt war, bewirkte dagegen das Kneifen der Nackenhaut nur eine geringe 
Dilatation der Pupille, ln diesen Fällen war Convergenzreaction der Pupillen 
erhalten. Monney ist geneigt, diese Pupillendilatation mit der Einwirkung der 
Wärme der Lichtquelle in Beziehung zu bringen und er discutirt nicht einmal 
die Möglichkeit, ob es sich in seinen Fällen um paradoxe Lichtreaction der 
Pupillen hätte handeln können. 

Bubohabdt 4 stellte in der Gesellschaft der Gharitö-Aerzte zu Berlin einen 

1 Al. B. Makina (Triest), Zar Symptomatologie der Tabes dorsalis mit besonderer 
RQcksicht auf Ohren, Kehl- and Schlandkopf. Revista sperim. di fren. XV; Archiv für 
Psych. 1889. 8. 156. 

* Q. IPAbühdo, La psycbiatria etc. 1889. S. 286. 

* Angbl Monby, M. D., On the dilatation of the pupil in looomotor ataxy. Lancet. 
1889. S. 170. 

4 Bubchakdt, Vorstellung eines Falles von paradoxer Pupillenreaction in der Gesell¬ 
schaft der Charitä-Aerzte za Berlin am 28. November 1889; Referat in der Berliner klin. 
Woche na ehr. 1890. S. 40. 


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Fall von scheinbarer paradoxer Pupillenreaction vor, im Gegensatz za dar sog», 
wahren paradoxen Lichtreaction der Papillen. Bei syphilitischer Iritis wurde 
links die Iridectomie ausgeführt. Nach dem Schwinden der reactiven Ent¬ 
zünd ungsersohein ungen zeigte sich das eigentümliche Phänomen, dass, wenn 
man von der Aussenseite her die linke Pupille grell belichtete, eine ganz leb¬ 
hafte, allerdings nicht sehr ausgiebige Erweiterung der Pupille eintrat Die von 
Bubohardt gegebene und von Uhthoff 1 in der Discussion unterstützte Er¬ 
klärung ist sehr einfach und klar. Bei der Operation wurde der M. sphincter 
iridis in seiner unteren Hälfte vollständig durchtrennt Nun zieht sich derselbe 
bei Lichteinfall nach wie vor zusammen und entfernt natürlicherweise, da er 
oben festgeheftet ist, die beiden freien Enden von einander, so dass ein eigen- 
thümliches Klaffen der Pupille eintreten muss. Daraus folgt, dass es sich hier 
nicht um einen umgekehrten oder paradoxen Liohtreflex, sondern einfach um 
eine in Folge der Contraction des Sphincter iridis eintretende jedesmalige Ver- 
grösserung des Coloboms bei Belichtung des Auges gehandelt hat 

Obstreicher * berichtet über einen Fall von Meningitis diffusa syphilitica 
basilaris, wo er angeblich paradoxe Lichtreaction der Pupillen gesehen haben 
will. Leider ist die Beschreibung der Prüfung des Lichtreflexes so ungenügend, 
dass man nicht mit Sicherheit acceptiren kann, dass da wirklich paradoxe Licht¬ 
reaction vorhanden gewesen wäre. Im Gegentheil, es scheint mir, dass Obst¬ 
reicher die Orbicularisreaction der Pupille für paradoxe Liohtreaotion ge¬ 
halten hat 

Im Beginn der Beobachtung zeigte der Kranke einen heftigen Aufregungs- 
z ns tan d, amnestische und sensorische Aphasie, Agraphie, Alexie, rechtsseitige 
homonyme bilaterale Hemianopsie, Anisokorie, Fehlen der Patellarreflexe und 
Pupillenstarre mit starker Miosis. Nach einiger Zeit schwand die Pupillen- 
starre und es trat zunächst träge, etwas später prompte normale, dann plötzlich 
eine deutliche umgekehrte Lichtreaction ein, während die Aocommodationereaction 
ungestört war. In dem Umstand, dass dos Verhalten der Pupillen sich so auf 
einmal änderte, erblickt Obstreicher einen Beweis für die Oppen HKm’scbe 
Ansicht der Unbeständigkeit der Erscheinungen der Hirnsyphilis. 

Ich würde diesen Fall nicht so ausführlich besprechen, wenn Obstreicher 
nicht noch die Vermuthung ausgesprochen hätte, dass, wenn sioh bei syphi¬ 
litischen Affeotionen des Centralnervensystems noch andere Beobachtungen vor 
paradoxer Pupillenreaction beibringen liessen, es nahe läge, im Zusammenhänge 
mit den anderen oben erwähnten Symptomen dieselbe als ein pathognomiscbes 
Zeichen der Hirnsyphilis anzusehen. Diese Schlussfolgerung scheint mir nicht 
richtig zu sein, um so mehr, wenn wir uns überzeugen, dass die von Obst¬ 
reicher gemachte Beobachtung nicht die selten vorkommende paradoxe Licht¬ 
reaction, sondern die sehr häufig sogar bei Gesunden vorkommende Orbicularis- 


1 Uhthoff, Sitzungsbericht der Gesellschaft der Charite-Aerzte vom 28. November 1889. 
Berliner klin. Wochen sehr. 1890. S. 40. 

* Carl Obstruchrx, Ein Beitrag zur Meningitis diffusa basillaris syphilitica. Para¬ 
doxe Pupillenreaotiou. Berliner klin. Woohensohr. 1890. S. 128. 


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reaction der Pupillen (larstellte. Die Beschreibung der Prüfung des Lichtreflexes 
ist, wie ich das schon bemerkt habe, so spärlich, dass die Analyse dieser Beob¬ 
achtung etwas erschwert ist. Aus den diesbezüglichen Angaben geht jedoch 
* hervor, dass eine Umkehrung des Lichtreflexes nicht bestanden hat, sondern 
dass das allmähliche zum Vorscheintreten der Orbicularisreaotion der Pupillen 
für paradoxe Lichtreaction gehalten wurde. 

Am Anfang waren die Pupillen gleioh, aber stecknadelkopfgross und 
accommodations- wie lichtstarr. Am zweiten Tage der Beobachtung waren die 
Pupillen schon nicht mehr so contrahirt und es bestand eine Differenz, die 
rechte Pupille war grösser als die linke. Letztere war starr, die rechte dagegen 
reagirte träge auf starken Lichteinfall. Am achten Tage war deutliche normale 
Reaction auf Licht und Accommodation vorhanden. Erst am 14. Beobaohtungs- 
tage bemerkte Oestbkichbb, dass die Pupillen gegen Lichtreiz ein auffälliges 
Verhalten zeigten, sie erweiterten sich nämlich bei Lichteinfall bis zur Grösse 
einer Erbse, zogen sich dagegen bei Lidschluss eng zusammen. Diese 
paradoxe Pupillenreaotion wechselte öfters in ihrer Intensität Am besten 
trat sie hervor, wenn Patient das Auge auf die Ferne einstellte und 
wenn Sonnenlicht einfiel. Diese Reaction war prompt, nur war es nicht mit 
Sicherheit auszumachen, ob die Erweiterung der Pupillen (im Moment des 
0effnen8 der Augen? Ref.) auf Lichteinfall augenblicklich jedes Mal eintrat 
oder ob ihr eine kurze Contraction vorausging. 

Daraus geht, meiner Meinung nach, klar hervor, dass es sich in dem Fall 
von Oestheicheb nicht um paradoxe Lichtreaction, sondern um die sehr häufig 
vorkommende und nichts für Hiralues Pathognomonisches darstellende Erscheinung 
der Orbicularisreaction gehandelt hat, welche anfangs, bei starker Myosis nicht 
zu sehen war, die im Weiteren von der gewöhnlichen Lichtreaction verdeckt 
war und die noch später bei besonderer Versuchsanordnung zur Prüfung des 
Lichtreflexes (durch die Aufforderung des Patienten, in die Feme zu sehen und 
nun die Augen zu schliessen und zu öffnen! Ref.) deutlich zum Vorschein kam. 

Von A. Wbstphal 1 und von mir a ist allerdings erst in der neuesten Zeit 
besondere Aufmerksamkeit gelenkt worden auf die Erscheinung, dass bei 
kräftigem 8 Lidschluss Pupillenverengerung eintritt Im Moment des Oeffnens 
der Augen erscheinen die vor dem Augenschluss weiten Pupillen oft stark ver¬ 
engert Diese Erscheinung tritt jedes Mal besonders deutlich hervor, wenn 
der Patient, vor dem Versuch, die Augen zu schliessen, sie auf die Feme 
eingestellt hatte. Nach dem Oeffnen der Augenlider kehren die Pupillen wieder 
zu ihrer früheren Weite zurück, d. h. sie erweitern sich scheinbar unter dem 


1 A. Wbstphal, Ueber ein bisher nioht beschriebenes Papillenphänomen. Nearolog. 
Centralbl. 1899. Nr. 4. 

* J. Piltz, Ueber nene Papillenphinomene. Nearolog. CentnlbL 1899. Nr. 6. 

' Ich habe selbst Fälle gesehen, wo schon das leiseste Schliessen der Angenlider za 
einer Pupillenverengernng führte, die nach den Oeffnen der Augen in eine Dilatation fiber¬ 
ging. Daraas geht klar hervor, dass man sich wohl hüten muss, den Lichtreflex in der 
Weise za prfifen, dass man den Patienten aaffordert, die Aagen sa schliessen and sa öffnen. 


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Einfluss des einfallenden Lichtes. Diese secundäre Pupillenerweiterung hielt 
Oestbbigheb für eine unter dem Einfluss des Lichtes eintretende Dilatation der 
Pupillen bezw. um eine paradoxe Lichtreaction. 

In einer späteren Mittheilung machten Antal 1 und ich 2 darauf aufmerksam, 
dass bei absolutem Argyll-Robertson diese Erweiterung jeweilen unmittelbar nach dem 
Oeflhen der Augen eintritt, dass aber bei noch vorhandener träger Lichtreaction 
dieser Dilatation eine kurzdauernde, oft schwer wahrnehmbare Verengerung der 
Papillen vorausgeht. Es ist nun klar, dass diese endgültige Pupillenerweiterung 
trotz des Lichteinfalls und somit unabhängig von demselben vor sich geht und 
dass man sie nicht für paradoxe Lichtreaction bezw. Inversion des Lichtreflexes, 
wie das Oestbeioheb gethan hat, halten darf. 

Muchin 8 hat in der Poliklinik des Prof. Kowalewski in Charkow einen 
Fall von Tabes beobachtet, welcher von Seiten der Pupillen folgende Er¬ 
scheinungen darbot: Die linke Pupille ist weiter als die rechte, sie ist von 
ovaler Gestalt, ihr Längsdurchmesser geht von rechts nach links. Die Licht¬ 
reaction links ist bei gewöhnlicher Beleuchtung gamicht wahrzunehmen, bä 
Lupenbeleuchtung kommt sie in ganz geringer Weise zum Vorschein. Die 
rechte Pupille ist verengert, die Lichtreaction ist hier auch nur bei künstlicher 
und Lupenbeleuchtung zu sehen und dabei ist sie paradoxal Bei Belichtung 
erweitert sich die Pupille und kehrt nach Beseitigung der Belichtung wieder 
zur früheren Enge zurück. Die Accommodationsreaction ist beiderseits erhalten. 

Nach Verlauf von 3 Wochen schwand dieses Phänomen und die Pupille 
ist vollkommen lichtstarr geworden. 

Da hier auch nicht ausgeschlossen wurde, ob nicht diese Pupillendilatation 
das Resultat der Wärme Wirkung der Lichtquelle war, sind wir nicht in der 
Lage, diesen Fall für einen unzweifelhaften Fall von paradoxer Lichtreaction 
der Pupillen aufzufassen. 

Im April 1896 hat Henri Fbenkel 4 in der Lyoner medicinischen Gesell¬ 
schaft einen Fall von paradoxer Lichtreaction der Pupillen vorgestellt Dieser 
Kranke zeigte u. a. noch Aorteninsufficienz und links eine leichte Parese des 
M. internus und des Oberlides. Wenn man (bei diesem Kranken) das Licht 
auf die Augen richtete, erweiterten sioh die Pupillen. Dieses Phänomen war 
hauptsächlich links deutlich ausgeprägt 

In der Discussion, die sich an diese Kranken Vorstellung knüpfte, hat Dos 
noch darauf die Aufmerksamkeit gelenkt, dass in diesem Fall auch bei Be¬ 
lichtung des rechten Auges die linke Pupille sich erweitert Dob hat die Ver- 
muthung ausgesprochen, dass es sich da um eine Keraläsion handeln müsse. 


1 E. Antal, Ueber das WxsTPAL-PiLTZB’sche sog. paradoxe Papillenphinomen. New. 
Centralbl. 1900. Nr. 4. 

* J. Piltz, Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 10, 11 u. 18. 

3 Muchin, Ein Beitrag zur Casuistik der paradoxalen Lichtreaction der Papillen. 
Archiv Psychiatrii, Nenrologii etc. 1898. S. 89 (russisch). 

4 Hbnki Frenkkl, Presentation d’an malade ä la soci4td des scienoes medical es en 
avril 1896, Lyon medical 1896. S. 124. 


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Frbnkel bat sich von nun an mit der sogen, paradoxen Beaction der 
Pupillen eingehend beschäftigt. Er hat die spärlichen, hierüber in der Litteratur 
enthaltenen Angaben, sowie zwei eigene Beobachtungen in seiner sehr inter¬ 
essanten Arbeit 1 einer eingehenden Analyse unterworfen. 

Fbbnkel’s erste Beobachtung betrifft einen 38 jährigen Mann mit leichter 
Ptosis, hauptsächlich links, mit leichter Parese des rechten M. internus, mit Diplopie, 
Einengung des Gesichtsfeldes, Tremor digitalis alcoholicus u. s. w. Von Seiten 
der Pupillen wurde folgendes festgestellt: die rechte Pupille ist 2—3 mm, die 
linke 3 1 /,—4 mm weit Die Accommodationsreaction ist beiderseits erhalten. 

Bei der Prüfung des Lichtreflexes zeigten die Papillen ein merkwürdiges 
Verhalten, welches bei gewöhnlicher Tagesbeleachtung nur schwer deutlich zu 
sehen war. Dasselbe trat aber in ganz frappanter Weise auf bei künstlicher 
Beleuchtung mit Zuhilfenahme einer Lupe. Wenn man ins linke Auge Lioht 
einfallen lässt, bleibt die linke Pupille zuerst stationär während 5—10 Secunden, 
dann erweitert sie sich langsam, um eine Weite von 4—5 oder noch mehr 
Millimeter zu erreichen. Sie bleibt auf dieser Höhe erweitert, so lange das Auge 
demselben Lichte ausgesetzt ist und verengert sich rasch beim Auf hören der 
Beleuchtung. Diese Erscheinungen von Seiten der linken Pupille treten auch 
auf, wenn man anstatt des linken jetzt das rechte Auge beleuchtet; somit ist 
auch die consensuelle paradoxe Lichtreaction vorhanden. 

Rechts bestehen andere Verhältnisse. Hier bewirkt die plötzlich einsetzende 
Beleuchtung des rechten Auges eine geringe, rasch eintretende Verengerung der 
rechten Pupille, die dann sofort in eine Erweiterung übergeht, indem die Pupille 
entweder zur früheren Weite zurückgeht oder etwas darüber hinaus, d. h. er¬ 
weitert wird. Das Gleiohe sehen wir an der rechten Pupille auch bei Belich¬ 
tung des linken Auges. 

Nach eingehender Untersuchung, sagt Fbenkel, stellte es sich heraus, dass 
diese Erscheinung durchaus nichts Paradoxes an sich trage. Es zeigte sich 
nämlich, dass, wenn man z. B. das linke Auge untersucht bezw. beleuchtet, die 
inneren geraden Augenmuskeln sehr rasch ermüden, wodurch es zu einer Seit¬ 
wärtsablenkung des rechten Auges kommt, welche von einer Pupillenerweiterung 
begleitet wird. Bei der Untersuchung bezw. Beleuchtung des rechten Auges 
kommt es fast regelmässig zu einer Deviation des linken Auges, die auch 
wiederum von einer Pupillenerweiterung begleitet wird. In Folge dessen bringt 
Fbenkel die hier beobachtete Erweiterung der Pupilllen in Abhängigkeit von 
der Divergenzbewegung der Bulbi. 

Fbenkel’s zweite Beobachtung betrifft einen Fall von Syphilis mit Er¬ 
scheinungen der Pseudotabes. Eine 32 jährige Frau mit ataotischem Gang, 
erhaltenen Kniereflexen, einer completten Paralyse des linken Oculomotorius, 
einer Einengung des Gesichtsfeldes und Chorioiditis bietet folgenden Pupillen¬ 
status dar: Die Pupillen sind gleich weit und zeigen in der Ruhelage keinen 


1 Henri Fbenkbl, Sur la reaction dito paradoxale de la pupille. 
1896. S. 502. 


Revue de Mddecine. 
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946 


Hippus, auch nicht bei Bewegungen der Augäpfel. Accommodationsreaotion ist 
beiderseits in normaler Weise erhalten. Der Lichtreflex der Pupillen ist er¬ 
halten, er zeigt aber folgendes Verhalten: unter dem Einfluss des lichtes tritt 
zuerst eine initiale Pupillenverengerung ein, daraufhin erweitern sich die Pupillen, 
dann verengern sie sich und erweitern sich wieder u. s. w. Je länger man das 
Licht einwirken lässt, desto weiter werden schliesslioh die Pupillen. 

Dieser Fall, sagt Frenkbl, ist ganz dem Fall von Raggi ähnlich, wo 
unter dem Einfluss des Lichtes ebenfalls ein Hippus schliesslich zu einer nach¬ 
träglichen Pupillenerweiterung führte. 

Auf Grund von eingehender Analyse der diesbezüglichen Mittheilungen 
anderer Autoren sowohl wie auch auf Grund eigener Erfahrung ist Frkhcrl 
zu der Ueberzeugung gekommen, dass die sogen, paradoxe Lichtreaotion eine 
nur scheinbare paradoxe Lichtreaotion der Pupillen darstellt, indem ganz andere 
PupillenersGheinungen für umgekehrten Lichtreflex gehalten wurden. Fbjebtkel 
fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen folgendermaassen kurz zusammen: 

1. Die sogen, paradoxe Beaction der Pupillen bietet nichts eigentlich Para¬ 
doxes dar. 

2. In fast allen bisher beobachteten Fällen handelt es sich um Tabes, 
Paralyse oder Lues cerebri. 

3. In allen Fällen waren die accommodativen Veränderungen der Pupille 
in normaler Weise erhalten. 

4. Fast stets war, wie eine genauere Untersuchung zeigt, die Erweiterung 
der Pupille die assooiirte Folge einer Divergenzbewegung der Bulbi, nicht selten 
bei gleichzeitiger Parese der Adductoren. 

5. Nicht selten stellte sich die Erscheinung auch dar als sogen. Hippus 
und schloss sioh dem an, was man auch bei normalen Pupillen nach längerer 
Belichtung sehen kann. 

6. In einigen Fällen können psychische und sensorielle Einflüsse eine 
Pupillenerweiterung bewirken, zumal wenn die normale reflectorische Verengerung 
aufgehoben ist. 

7. Somit ist also das Vorhandensein des Argyll-Robertson’schen Zeichens 
die Grundbedingung beim Zustandekommen der scheinbar paradoxen Erweiterung, 
welche nicht durch die Beleuchtung, sondern während der Beleuchtung der 
Pupille eintritt. 

8. Nur bei Hysterischen kann auch ohne das Vorhandensein des Robebtsok*- 
schen Zeichens die scheinbar paradoxe Beaction gelegentlich beobachtet werden. 

LfipiNK 1 hat nämlich in der Lyoner medioinischen Gesellschaft einen Fall 
von sogen. paradoxer Pupillenreaction bei Hysterie mitgetheilt Es handelte sich 
um einen Somnambulen, weloher schliesslich an der B right’ sohen Krankh eit 
unter urämischen Erscheinungen zu Grunde ging. Dieser Kranke nahm jeweilen 
nur diejenigen Geräusche wahr, auf welche seine Aufmerksamkeit gerichtet war, 


1 B. LtpnfK, Sur an cas de Bomnambnlisme. Lyon mddieal 1896. 17. Mai; Borne 
de mädecine. 1894. S. 714 a. 1896. S. 646. 


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er hörte weder die Worte einer Person, auf die seine Aufmerksamkeit nicht 
gelenkt wurde, noch die Töne einer grossen Glocke, wenn er dieselbe nioht sah, 
oder er nichts von ihr wusste. Dagegen hat er jeweilen auch die leisesten 
Geräusche ganz gut wahrgenommen, denen seine Aufmerksamkeit zugewendet 
wurde. In Bezug auf das Sehen hat LBpene bei ihm etwas ähnliches constatiren 
können. Dieser Kranke sah diejenigen Gegenstände, auf welche seine Auf¬ 
merksamkeit nioht geriohtet war, nur ganz unvollständig; man che vor ihm 
stehende Personen sah er überhaupt gamicht, wenn er von ihrem Dasein nichts 
wusste u. s. f. Während seines ersten Aufenthaltes im Hötel Dieu war es un¬ 
möglich, seine Augenlider auseinanderzuziehen, in so starker Contraction be¬ 
fanden sie sich. Der Kranke schien eine so intensive Photophobie zu haben, 
dass man mit dem Kranken einen wahren Kampf, beim Versuch seine Pupillen 
besichtigen zu wollen, ausstehen musste. Während seines zweiten Aufenthaltes 
im Spital — zwei Jahre später — ist es LBpine wiederholt gelungen, die Augen¬ 
lider auseinanderzuziehen; es zeigte sich dabei, dass der Bulbus immobil stand 
mit nach vorn gerichteter Pupille, welche im Moment, wo man sie dem Liohte 
aussetzte, mässig verengt war. Merkwürdiger Weise erweiterte sie sich nach 
einigen Secunden und blieb deutlich erweitert. Gleichzeitig aber verlor der 
Patient die Möglichkeit, diejenigen Gegenstände und Personen, welche er vordem 
zwischen den Cilien deutlich sah, klar zu unterscheiden. Es ist sehr wahr¬ 
scheinlich, sagt LfcpiNE, dass das hineinfallende Licht eine bedeutende Störung 
der Accommodation bewirkte — wenigstens mache die gleichzeitig eingetretene 
Erweiterung der Pupille diese Vermuthung sehr wahrscheinlich. 

LföPiNE nahm, wie mir scheint, mit Recht an, dass es sich in seinem Fall 
um eine in Folge der intensiven Belichtung eingetretene Accommodationsstörung 
handelte. Die Pupillenerweiterung wäre also nur eine Nebenerscheinung. Dieser 
Fall von Lupine beweist also, dass eventuell eine in Folge der Belichtung ein¬ 
tretende Störung der Accommodation eine paradoxe Lichtreaction der Pupillen 
Vortäuschen kann. Dr. Kbamstyk, mit dem ich Gelegenheit hatte mich über 
diesen Fall von Lupine näher zu unterhalten, glaubt die Eventualität annehmen 
zu können, dass bei der starken Photophobie sehr bald ein Nachlassen der 
Empfänglichkeit (Empfindlichkeit) der Retina eingetreten sei (wodurch die Gegen¬ 
stände und Personen wie verschwommen erschienen). Nach Dr. Kbamstyk 
ist auch die nachträglich eingetretene Pupillenerweiterung ein Resultat des 
Nachlassens der Empfänglichkeit der Retina. Schon unter normalen Verhält¬ 
nissen, wenn wir eine Zeit lang einen Gegenstand fixiren, kommt es schliesslich 
zu einer geringen aber zweifellosen Pupillenerweiterung, die nach Dr. Kbam¬ 
styk nichts anderes darstellt, als das Resultat des Nachlassens der Empfäng¬ 
lichkeit der Retina. Von dieser Dilatation der Pupillen konnte ich mich bei 
Herrn Dr. Kbamstyk thatsächlich sehr leicht überzeugen. Dr. Kbamstyk, der 
seine Accommodation nach Belieben ändern kann, hat wohl darauf geachtet, 
seine Accommodation beim Betrachten eines in 4 m entfernten Gegenstandes 
nicht zu ändern. Trotzdem kam es bei ihm auch in relativ kurzer Zeit zu einer 
merklichen Pupillenerweiterung. 

60 * 


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Ausserdem ist auch nicht ansgeschlossen, ob nicht in dem Fall von L&pdxb 
die Orhicularisreaction in irgend welcher Weise im Spiele war. Ans diesen 
Gründen kann man den sehr interessanten Fall von L£pihe nicht für paradoxen 
Lichtreflex halten. Dies wäre so, wenn L£pdte während des Anseinanderhaltens 
der Augenlider jedes Mal bei Belichtung der Pupille und zu wiederholten Malen 
eine Dilatation derselben constatirt hätte. Die diesbezüglichen Untersuchungen 
konnten aber in Folge plötzlich und unverhofft eingetretenen Todes des Patienten 
nicht ausgeführt werden. 

(Fortsetzung folgt) 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Leistung und Erkrankung des menschlichen Stimhirns, von Dr. G. Anton 
und Dr. H. Zingerle. I. Theil. Festschrift der Grazer Universität für 1901. 
(Graz 1902, Leuschner u. Lubensky.) 

Die Monographie, welche die Verff. dem Stirnhirn widmen, bringt zunächst 
referirend, was über dessen Function bekannt ist. Es ist herzlich wenig sicher. 
Aus der Mehrzahl der Untersuchungen geht hervor, dass Kopf* und Rumpfmuskeln 
dort Centren haben; während Munk diese an der Convexität findet, verlegt sie 
Horsley an die mediale Fläche des Randwulstes. Sicher scheint auch, dass vor 
dem Sulcus praecentralis ein Centrum für die Augenbewegungen liegt, ebenso der 
Einfluss des Stirnhirns auf die Erhaltung des Gleichgewichts. Die motorischen 
Centren liegen alle im hinteren Theil des Lappens, der vordere Theil sowohl wie 
der dort entspringende Stabkranz lässt sich nicht elektrisch erregen und über 
seine Function liegen keine eindeutigen Angaben vor. Man hat ihn bekanntlich 
vielfach zu den höheren seelischen Leistungen in Beziehung gebracht. Die äussere 
Gestaltsbeschreibung des Stirnhirns ebenso wie die mikroskopische Durchsicht von 
Schnitten normaler Gehirne, deren zahlreiche abgebildet sind, folgen, dann schildern 
die Verff. die anatomischen Untersuchungsergebnisse in einer ganzen Anzahl von 
Erkrankungen im Stirngebiet, immer auf Grund jedesmal angefertigter Schnitt- 
Serien, und schliesslich bringen sie, wohl der werthvollste Abschnitt des Buches, 
eine zusammenfassende Beschreibung der Markfasersysteme des Stirnhirns. Der 
Stirnlappen ist durchaus nicht wesentlich anders gebaut wie die übrigen Gross- 
hirntheile, die Lagerung der Einzelfasersysteme, Stabkranz, Associationsbahn u. s. w, 
auch das gegenseitige Verhältniss zu einander ist dasselbe wie an anderen Orten. 
Die Hauptmasse der Associationsfasern liegt lateral vom Ventrikel, die Projections- 
und Commissurenstrata diesem und der medialen Rinde näher. Der Stabkranz 
als Ganzes zeigt nicht, wie Flechsig angiebt, specifische Verhältnisse. Allerdings 
werden durch die massigen Associationslager der Convexität seine Fasern mehr 
auseinander gedrängt und sie erscheinen dadurch spärlicher als an anderen Orten. 
Das gilt namentlich für die mediale Abtheilung, die auch Bahnen aus der ganzen 
Randwindung bekommt. Diese, ebenso wie die aus dem Fuss der vorderen Central¬ 
windung, der ganzen unteren Stirnwindung und der mittleren Stirnwindung konnten 
auch degenerativ verfolgt werden. Die Hauptmasse des Stabkranzes stammt aus 
dem vorderen und medialen Sehhügelkern, ein weiterer Antheil gelangt durch das 
mediale Drittel des Pedunculus in die Brücke. Mindestens ein Theil dieser fron¬ 
talen Brückenbahn liegt im ventralen Theil der Capsula interna Als Stratum 


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— 949 


sagittale intemum bezeichnen die Verff. die dem Ventrikel zunächst liegenden 
Stabkranzantheile, dieselben, welche als fronto-occipitale Associationsbahn be¬ 
schrieben worden sind, conform mit Sachs und mit Schröder. An einem 
Degenerationsfall konnten sie nachweisen, dass das Längsbündel im Ventrikelgrau, 
der Fasciculus nuclei caudati von jenem Stabkranzbündel zu trennen ist. Es 
blieb bei der Degeneration desselben intact. Dieses letztere, nicht auf lange 
Strecken degenerirende System des subependymären Graus wollen sie als Fasciculus 
longitudinalis medialis bezeichnen. Sie widmen ihm eine genaue Schilderung, 
weil sie es für ein wichtiges, ganz medial liegendes Associationsstratum halten, 
welches zur Verknüpfung der Rindentheile auf kürzere oder längere Strecken 
dient und auch eine Verbindung der medialen Rindentheile mit der Convexität 
vermittelt. Ref. kann nicht finden, dass für die letztere Auffassung der Beweis 
voll erbracht ist. In diesem System sollen speciell die Fasern des Fasciculus 
nuclei caudati diesen mit der übrigen Rinde in Beziehung bringen. Balkenfasern 
wurden in allen Verbindungen nachgewiesen, nur für die Inselgegend sind sie 
sehr fraglich. 

Der Fasciculus uncinatus besteht, wie ein Degenerationsfall lehrt, nur zum 
kleinen Theil aus Fasern zwischen Stirn- und Schläfenlappen, zum grösseren aus 
solchen, welche auf ihrem Wege in der Insel eine Unterbrechung erfahren haben. 
Ganz ähnlich sind die Beziehungen der Insel zum Fasciculus arcuatus. Das 
Cingulum gehört jedenfalls auch zu den Associationssystemen und war in allen 
Fällen, in welchen der Stabkranz degenerirt war, erhalten, auch soheint es nur 
zum geringen Theil aus langen Fasern zu bestehen. 

Es ist erfreulich, dass diese genaue Gesammtdarstellung doch nur in un¬ 
wesentlichen Theilen von den trefflichen anderen Schilderungen abweicht, welche 
wir auf Grund analoger Untersuchungen an normalem und pathologischem Material, 
namentlich durch Dejerine, dann auch durch Sachs und Schröder erhalten 
haben. Doch muss natürlich für die Einzelheiten auf das Original verwiesen 
werden, dessen klare Darstellung überall ausreichend auch die vorhandene Litte- 
ratur berücksichtigt. 

Der Schlussabschnitt enthält die Anschauungen, zu welchen die Verff. über 
die Function des Stirnhirns gekommen sind. Sie legen hier nur das zu Grunde, 
was sie aus ihren anatomischen Ergebnissen glauben folgern zu dürfen, und be¬ 
tonen wesentlich die Verbindungen des Stirnhims via Sehhügel und via Brücke 
zum Kleinhirn. Auf einen engen Zusammenhang beider Himtheile verweist auch 
die bekannte Erfahrung, dass bei Stirnhirnverletzungen allmählich Atrophie des 
gekreuzten Cerebellum sich einstellt. Die Verff. meinen, dass die anatomischen 
und physiologischen Thatsachen sowie die zahlreichen Krankheitsexperimente an 
Menschen zur Annahme nöthigen, dass im Stirnhirn eine Centralstelle deB 
Grosshirns für das Kleinhirn anzunehmen sei. Da es zweifellos gerade 
im Stimhirn Rindengebiete giebt, welchen Stabkranzfasem nur in geringer Zahl 
zukommen, so ist zu erwarten, dass deren Verletzung besonders in die Augen 
springende Störungen der Associationsthätigkeit mit sioh bringen wird. Hierin 
stimmen also die Verff. mit Flechsig überein. Nicht die Architectonik des 
Stirnhirns, sondern seine eigenartigen Verbindungen, meinen sie aber, befähigen 
diesen Hirntheil zu besonderen Leistungen. Sie sind sehr geneigt, im Stirnhim 
ein Centrum für die Körperbalance zu sehen, dem dann Kopf-, Hals-, Nacken- 
und Augencentren angehören, schliessen aber natürlich nicht aus, dass diesem 
Hirntheil eine wichtige Rolle für die Intelligenzleistungen zukomme, denn in den 
Fällen von beiderseitiger Stirnhirnerkrankung schien ihnen die Fähigkeit zur 
Aufmerksamkeit und Concentration neben anderen Functionen schwer alterirt. Die 
Verff. sind in ihren Schlüssen so vorsichtig, dass man klar erkennt, wie weit man 
auf diesem Gebiete noch vom Ziele, der Erkenntniss der Function der Stira- 


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Uppen, entfernt ist. Hoffentlich bringt ans der zweite in Aussicht gestellte Th eil 
des Buches, der sich mit dem klinisch-psyohologischen Stadium der Stirnhirn¬ 
erkrankungen beschäftigen soll, ein Stück weiter. 

Darstellung, Uebersichtlichkeit, Abbildungen u. s. w. machen das Buch zu 
einer leichten Lectüre. Edinger (Frankfurt a/M.). 


2) Studie« on the neuroglia, by G. Carl Huber. (American Journal of Ana- 
tomy. I. 1901. Nr. 1.) 

Verf. hat mit Hülfe einer eigenen Färbetechnik das Verhalten der Neuroglia 
bei Hunden, Katzen, Kaninchen, Tauben, Schildkröten und Fröschen untersucht 
und bei diesen Thieren dieselben chemischen und morphologischen Unterschiede 
zwischen Neurogliafasern und Neurogliazellen festgestellt, welche wir bei Menschen 
bereits seit der grundlegenden Arbeit von Weigert kennen. Die sehr sorg¬ 
fältigen Studien enthalten im wesentlichen eine volle Bestätigung der Weigert’- 
schen Anschauungen. Die Neurogliafasern emancipiren sich bei verschiedenen 
Thierklassen in verschiedenem Grade von dem Protoplasma der Neurogliazellen; 
und diese Selbständigkeit der Fasern ist am meisten beim Hunde, der Katze und 
der Schildkröte, weniger beim Kaninchen und Frosch und am wenigsten bei der 
Taube ausgesprochen. 

Bezüglich der recht umständlichen Färbemethode, welche sich theils an das 
Weigert’sche, theils an das Benda’sche Verfahren anlehnt, muss auf das Ori¬ 
ginal verwiesen werden. Max Bielschowsky (Berlin). 


3) On the arrangement and funotion of the oell groups of the «aoral 
region of the spinal oord in man, by B. Onuf. (Archives of Neuro- 
logy. m. 1902.) 

Die Arbeit enthält die Ergebnisse einer genauen mikroskopischen Unter¬ 
suchung der einzelnen Sacralsegmente beim Menschen bezüglich der Anordnung 
der Nervenzellen in der grauen Substanz. Die einzelnen Segmente zeigten nach 
dieser Richtung erhebliche Abweichungen, welche im Referat nioht wiederzugeben 
sind. Als wesentlicher Befund sei hervorgehoben, dass eine postero-mediale 
Gruppe von motorischen Vorderhornzellen sich nur im 3. und im proximalen 
Th eile des 4. Segmentes findet. In Verbindung mit der klinisch festgestellten 
Thatsache, dass die perinealen Muskeln und die Sphinkteren der Blase und des 
Reotums in der Höhe des 3. Sacralsegmentes und unmittelbar caudalwärts davon 
localisirt sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese postero-mediale Gruppe diese 
Muskeln versorgt. Im Bereiche des 2. Sacralsegmentes trennt der Verf. von den 
motorischen Zellen der antero-lateralen Gruppe eine besondere nahe der vorderem 
Peripherie des Vorderhoms gelegene Kategorie etwas kleinerer Zellen ab, welche 
er mit dem Ischiocavernosus bezw. Erector clitoridis und dem Bulbocavernosus 
bezw. Sphincter vaginae in Zusammenhang bringt. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

4) Dl alotxni questlonl rlguardanti la fisiopathologia del vago, del G. Daddi. 
(Riv. critica di clin. medica. III. 1902. Nr. 11—13.) 

Verf. stellt sich hier die Aufgabe, drei Fragen aus der Physiopathologie des 
Vagus zu lösen: 1. Wie steht es mit der vielumstrittenen trophischen Function 
des Vagus für das Myocard? 2. Begünstigt eine Schädigung oder Aufhebung 


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der Vagusfunciion die Wirkung bestimmter Herzmuskelgifte (die Frage fällt 
eigentlich mit der ersten zusammen). 3. Werden durch Verletzung der Vagi die 
Herzganglien sichtlich alterirt? Sämmtliche Fragen müssen auf Grund eines zahl¬ 
reichen Versuchsmaterials negirt werden. 

Zur Untersuchung dienten Kaninchen und Hunde. Die Methodik bietet kein 
besonderes Interesse; statt der Durchschneidung wurde in vielen Fällen der Vagus¬ 
stamm durch Zerrung stark insultirt oder durch Inoculation von Rabiesgift schwer 
geschädigt. Einseitig operirte Thiere konnten bis zu 45 Tagen am Leben er¬ 
halten werden, doppelseitig geschädigte 12—25 Tage. Nur diejenigen Thiere, 
die schwere Erscheinungen von Seiten der Lungen zeigten, boten Degenerationen 
(meist trübe Schwellung) des Herzmuskelfleisches. Verf. konnte feststellen, dass 
zwar Pneumonie ohne Myocarditis sich zeigen kann, nie aber Myocarditis ohne 
Pneumonie. 

Was die zweite Frage betrifft, so konnte kein Unterschied zwischen Thieren 
gefunden werden, die lediglich einer Phosphorvergiftung unterworfen wurden und 
solchen, bei denen noch dazu der Vagus ein oder doppelseitig resecirt oder ver¬ 
letzt worden war. Auch liess sich der Nachweis erbringen, dasB Vagusdurch¬ 
schneidung das Bild bestehender Phorphorvergiftung nicht zu alteriren vermag. 

Die Ganglienzellen des Herzens endlioh (die Methodik ist im Original nach¬ 
zulesen) erwiesen sich bis auf kleine Modificationen in einem Falle, die jedoch 
auf andere Gründe zurückzuführen sind, unverändert, selbst bei Thieren, die 
lange Zeit die Vagotomie überlebt haben. Dieser Befund, gewonnen von einem 
Autor wie Daddi, der sich viel mit der Anatomie der Nervenzellenelemente des 
Herzens beschäftigt hat, erscheint besonders beachtenswerth. 

L. Merzbacher (Strassburg i/E.). 


5) Ueber die Vertheilnng des Ghloralhydrats und Acetons im Organismus, 

von Archangelsky. (Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. 

1901.) 

Verf. wirft im Anschluss an die Untersuchungen von Meyer die Frage auf, 
ob die Verhältnisse der Vertheilnng der Narcotica im menschlichen Körper den 
allgemeinen Anforderungen der Meyer’sehen Theorie entsprechen und sucht 
zunächst den Nachweis eines specifischen Anziehungsvermögens des Nervengewebes 
für narcotische Substanzen zu erbringen. Die Versuche wurden mit Chloralhydrat 
und Aceton an Hunden und Kaninchen angestellt und der Gehalt des Blutes, der 
Leber und des Gehirns an diesen Stoffen bestimmt. Aus den Versuchen geht 
hervor, 1. dass diese beiden Gifte nicht gleichmässig im Blute vertheilt circuliren, 
sondern vornehmlich an die rothen Blutkörperchen bezw. deren fettartige Be- 
standtheile gebunden sind, 2. dass nach längerer Dauer der Chloroform- und 
Acetonnarcose das Gehirn giftreicher ist als das Blut und immer giftreicher als 
die Leber, sowie dass das Gehirn das Gift länger zurückhält, 3. dass beim Ab¬ 
klingen der Acetonvergiftung der Giftgehalt der Leber mit dem des Blutes gleich¬ 
zeitig sinkt, woraus hervorgeht, dass die Leber nicht wie das Gehirn im Stande 
ist, das Gift zurückzuhalten. A. Homburger (Frankfurt a/M.). 


P syohologie. 

6) Vorlesungen über Psyohopathologie in ihrer Bedeutung für die nor¬ 
male Psychologie mit Bin Schluss der psychologischen Grundlagen der 
Brkenntnisstheorie, von Dr. phil. et med. Gustav Störring, Priv.-Doc. der 


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Philosophie an der Universität Leipzig. (Leipzig, 1902, Wilhelm Engel mann. 

451 Seiten.) 

Neuerdings ist eine grosse Reihe werthvoller psychologischer Arbeiten aas 
der Feder von Psychiatern hervorgegangen; ein Beweis dafür, dass die vertiefte 
Forschung auf dem Gebiete der Psychopathologie zur Psychologie hinleitet und 
sie befruchtet, ebenso wie die Pathologie der körperlichen Organe ein wesent¬ 
liches Hülfemittel zur Erkenntniss ihrer normalen Functionen ist. In vorliegendem 
Werke hat nun auch ein Psychologe aus der Schule Wundt’s, dem das Buch 
gewidmet ist, es unternommen, diese in der Sohulpsychologie noch wenig fructi- 
ficirte pathologische Methode systematisch zur Lösung psychologischer Probleme 
zu verwerthen. Er stutzt sich dabei einestheils auf eine reiche eigene Erfahrung 
am psychiatrisch und psychologisch interessanten Krankenmaterial aus seiner 
früheren Thätigkeit als Psychiater, anderntheils auf eine umfassende Kenntniss 
der einschlägigen Litteratur, insbesondere derjenigen pathologischen Fälle, die 
wie z. B. Grashey’s Aphasiefall, von jeher zu vielseitiger Erörterung und Auf¬ 
stellung von Theorieen Anlass gegeben haben. 

Es würde hier nicht der Platz sein, wollte man auch nur die Ueberschriften 
der 25 Vorlesungen, in denen der Stoff abgehandelt ist, wiedergeben. Um es kurz 
zu sagen, es werden die Anomalieen des Gefühls-, Vorstellungs- und Willenslebens 
besprochen, die über diese aufgestellten Theorieen kritisirt, im Anschluss daran 
die eigene Theorie entwickelt und die daraus sich für die normale Psychologie 
ergebenden Schlussfolgerungen gezogen. Die Ausbeute für letztere ist keine 
geringe, theils insofern, als alte Wahrheiten, die durch andere Methoden psycho¬ 
logischer Forschung bereits sicher gestellt sind, durch die psychologische Methode 
des Verf. weiter erhärtet werden, theils dadurch, dass neue Wahrheiten, neue 
Gesichtspunkte und neue fruchtbare Fragestellungen gewonnen werden. Besonders 
umfassende Abschnitte sind der Besprechung der Hallucinationen, der Aphasieen, 
Amnesieen, Zwangsvorstellungen und Wahnideeen gewidmet, während die Psycho¬ 
pathologie der Willensvorgänge und die psychologischen Grundlagen der Er¬ 
kenntnistheorie etwas zu kurz kommen. 

In vielen seiner Ansichten wird Verf, natürlich auf Widerstand stossen, so, 
um Einzelnes herauszuheben, in seiner Auffassung der Affecte, die sich nach ihm 
von den einfachen Gefühlen wesentlich unterscheiden. Nicht überzeugend ist 
seine Beweisführung gegen die Auffassung der Associationspsychologen von den 
Urtheilsacten. In der Frage des Vorkommens unbewusster Mittelglieder der Re¬ 
producti on bevorzugt er die Annahme dunkelbewusster Vorstellungen bexw. 
Empfindungen. Thatsachen, die zur Annahme unbewusster Phänomene zwingen, 
sind ja in der That nicht nachzuweisen; indessen der Ersatz derselben durch 
„unbewusste“ Vorstellungen heisst doch auch nur für ein x ein y in die Gleichung 
einsetzen. — Sehr beachtlich erscheint, was er über die Genese der Verfolgungs¬ 
ideen schreibt: „Verfolgungsideen entstehen oft im Anschluss an üble Er¬ 
fahrungen, die das Individuum in Folge seiner reizbaren Schwäche und der 
damit herabgesetzten Leistungsfähigkeit macht. Hier erzeugen üble Er¬ 
fahrungen misstrauische Affectzustände, und aus diesen wieder geht eine 
misstrauische Verstimmung hervor, die in Erzeugung von Beeinträchtigungs¬ 
ideen productiv ist. — Für das Phänomen der Uncorrigirbarkeit der Wahnideen 
macht Verf. die abnorme Intensität des emotionellen Factors verantwortlich. Mit 
Recht polemisirt er hier gegen Wernicke’s vorläufig wenigstens noch unhaltbare 
Theorie (Continuitätstrennung durch Wucherung des Nervenparenchyms). Im 
Gegensatz zu Hitzig und Kräpelin hält er daran fest, dass Verrückte im Anfang 
ihrer Erkrankung nicht Schwachsinn zeigen. — In der besonders interessanten 
12. Vorlesung wird bewiesen, dass bei epileptisohen Dämmerzuständen die ver¬ 
änderten Organempfindungen eine ganz wesentliche Rolle spielen, und dass sie 


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wohl im Stande sind, die Amnesie zu erklären. Bei der Besprechung der 
hysterischen Dämmerzustände erfährt die Theorie vom Ober* und Unterbewusstsein 
eine sachliche Kritik. Anschliessend an die Erörterung des Grashey'sehen 
Aphasiefalles berührt er das Verhältniss der Eigenschafts Vorstellungen zur Gegen* 
Standsvorstellung. Er trifft den Kern der Sache, wenn er am Schlüsse dieses 
Abschnittes schreibt: „Die Eigenschaftsvorstellungen entwickeln sich erst mit und 
in der Gegenstandsvorstellung und werden von den Individuen erst relativ spät 
aus derselben herausgehoben.“ Im Capitel „Idiotie und Imbecillität“, in dem dies 
Verhältniss noch einmal berührt wird, kommt er zu dem Satz, dass die Grösse 
der Aufmerksamkeitsleistung von dem Grade der gesammten psychischen Ent¬ 
wickelung des Individuums relativ unabhängig ist. Die Richtigkeit beider 
Folgerungen kann Ref.. täglich an imbecillem Krankenmaterial bestätigen. 

Nachzurühmen ist dem Verf., dass er die abweichenden Ansichten der Ver¬ 
treter anderer psychologischer Richtungen im Gegensatz zu manchem Heisssporn 
im Lager der Associationspsychologie nie in abfälliger Weise beurtheilt. Seine 
Beweisführung ist einfach und einleuchtend, seine Schreibweise klar und durch¬ 
sichtig. Nur hier und da operirt er mit von ihm nicht klar umgrenzten Be¬ 
griffen, wie z. B. dem der Aufmerksamkeit, für die der weniger in der Schul¬ 
psychologie orientirte Leser gern ebenso eine Definiton wird haben wollen, wie 
er sie für die Affectzustände, Stimmungen u. s. w. erhält. 

Voraussichtlich wird das Buch mehr den Psychiater anziehen, als den Nur- 
Psychologen, dem der Mangel praktischer Erfahrung an psychopathologischem 
Krankenmaterial immer hinderlich bei der vom Verf. eingeschlagenen Methode 
psychologischer Forschung sein wird. Ersterer dagegen findet in ihm, auch wenn 
er ganz von den Folgerungen für die Psychologie absieht, ein Lehrbuch der all¬ 
gemeinen Psychologie, das die bisherigen Werke zu ergänzen wohl geeignet ist. 
Hoffentlich regt es aber auch viele Psychiater an, psychologisch zu denken und 
die Psychologen, der Psychopathologie mehr Beachtung zu schenken, als es bisher 
geschehen ist. Meitzer (Grosshennersdorf). 


Pathologische Anatomie. 

7) Beitrag zur Pathologie des 11. Qehiranerven, von Dr. C. Simerka. 
(Arch. bohäm. de möd. clin. HI. 1902. S. 249.) 

Auf der Klinik des Prof. Maixner beobachtete Verf. einen Fall traumatischen 
Ursprungs (enucleatio lymphomatum). Die unteren zwei Drittel des M. cucullaris 
wurden total, das obere ein Drittel partiell gelähmt und atrophisch, M. Btemo- 
cleidomastoideus und Levator scapulae normal. Die elektrische Erregbarkeit war 
nur quantitativ verringert auf den atrophischen Partieen und am Kopfnicker. 
Das Schulterblatt auf der betroffenen Seite war von der Wirbelsäule mehr ent¬ 
fernt, der untere Winkel stand vom Thorax ab, keine Schaukelstellung vorhanden. 
Diese abweichende Stellung des Schulterblattes erklärt Verf. aus der Hypertrophie 
der M rhomboidei derselben Seite (Muskelsubstitution — Thomayer). 

Pelnaf (Prag). 


8) Ueber periependymftre Wucherung, Oan&lbildung und abnorme Ent* 
wiokelungsVorgänge am kindliohen Büokenmarkoanal, von Dr. Rolly. 
Aus der Heidelberger Kinderklinik. (Deutsche Zeigehr. f. Nervenheilkunde. 
1902. XXL) 

In 3 Fällen allgemeiner congenitaler Muskelstarre fand Verf. stets eine diffuse 
Wucherung der Glia und zwei Mal auch eine solche der Gefässe nebst Lepto- 


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meningitis. Daneben bestand aosser einer Entwickelnjngsanomalie (OfffblwiWe 
des Centraleanals) eine Wucherung der Ependymzellen um den Centralcanal 
herum, letztere charakterisirt durch das Auftreten von Strängen, Zellnestern, 
Canälen und Vortreibungen der Ependymsohicht des Centralcanals. Während en 
bei der diffusen Gliose wohl ein entzündlicher Process sein dürfte, erblickt Verf. 
in der Wucherung des Ependymgewebes eine Neubildung. Es handelt sich dabei 
um eine autochthone Zellproliferation auf dem Boden einer entwickelungsgeechicht- 
lichen Anomalie. 

Die drei Beobachtungen beweisen, dass neben einer diffusen Glioee eine 
Ependymwucherung auftreten kann. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


9) Zwei Fälle von Anenoeph&lie, von Dr. Max Wichura. Heubner’s Kinder¬ 
klinik. (Jahrbuch für Kinderheilkunde. IV. 1902.) 

Verf. hatte Gelegenheit, zwei Anencephalen genauer zu beobachten, von denen 
einer 3 Tage lebte. Bei demselben waren die vegetativen Functionen, Saugen, 
Schlucken, Defäcation, vorhanden; Schreien erfolgte nur auf starke Hautreize. 
Puls und Temperatur waren kurz nach der Geburt sehr niedrig (70 bezw. 32,3'*), 
nahmen dann allmählich zu (vor dem Tode 126 bezw. 37,8°). Die Athmung war 
anfangs dem Cheyne-Stokes’schen Typus ähnlich, wurde bald regelmässiger. 
Die Pupillen waren lichtstarr, der Cornealreflex auf einem Auge vermindert, mm 
anderen fehlend; doch waren die Augen durch eine von der Schädelbasis herab¬ 
ziehende, die Nase verbildende Geschwustmasse zum Theil verdeckt, ihre Conjunc- 
tiven stark gereizt. Die Reflexerregbarkeit der Muskeln ist gesteigert, Aufdeckeo 
und Berührung der Haut genügen, um Zuckungen der Musculatur hervorzurufen; 
demgemäss sind auch die Haut- und Sehnenreflexe gesteigert. Hingegen gelingt 
es nicht, die Muskeln mit elektrischen Strömen zu erregen, die bei Erwachsenes 
Contracturen auslösen. Die Erregung der peripheren Nerven gelingt bei einer 
Stromstärke von 5 M.-A. Eine active Muskelbeweglichkeit scheint zu bestehen, 
doch sind selbständige Bewegungen selten. Der zweite Fall starb zu kurz nach 
der Geburt, um Untersuchungen über seine Lebensäusserungen zu ermöglichen. 

Die Obduction ergab in beiden Fällen die charakteristischen Defecte des 
Grosshirns, Kleinhirns sowie des Schädeldaches. Die Medulla oblongata ist in 
beiden Fällen vorhanden; bei dem einen Kinde war sie mit einem Reste der 
Brücke verbunden, bei dem anderen endete sie kolbig. Leider war eine mikro¬ 
skopische Untersuchung nicht möglich. 

In eingehender Weise bespricht Verf. die heutigen Anschauungen über die 
Entstehung derartiger Hirnmissbildungen. Er nimmt an, dass nicht nur Traumen 
während der Schwangerschaft, locale mechanische Einflüsse im Uterus, sondern 
vielleicht auch psychische Affecte der Mutter in der ersten Graviditätszeit die 
normale Körperentwickelung des Fötus hemmen können. In beiden vorliegenden 
Fällen wäre Gelegenheit zu einer derartigen Bedingung der Missbildung vorhanden 
gewesen. Welcher Art die durch diese äussere Veranlassung bedingte Erkrankung 
des Eies gewesen sein kann, lässt sieb nach unseren Kenntnissen derzeit noch 
nioht entscheiden. Doch ist wahrscheinlich eine pathologische Wasseransammlung 
in der Hirnblase als Ursache der Missbildungen anzusehen und in beiden be¬ 
schriebenen Fällen sprechen auoh die anatomischen Thatsachen für eine solche 
Deutung. 

Hervorzuheben ist aus dem anatomischen Befund noch das normale Aussehen 
der in solohen Fällen oft hypoplastischen Nebennieren. Zappert (Wien). 


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10) Untersuchungen über Hydranenoephalie (Gruveilhier). Ein Beitrag 

zur Kenntnis« der angeborenen Hirnerkrankungen, von Klage. (Zeit¬ 
schrift f. Heilkunde. XX1TL 1902. S. 208.) 

I. Ausgetragenes, todtgeborenea Kind. An Stelle des Gehirns fand sich eine 
klare, gelbliche, Beröse Flüssigkeit; an der Schädelbasis Gehimreste in Form 
zwei taubeneigrosser, kugeliger Harkknoten, dahinter starre oberflächlich aus 
grauer Substanz bestehende Wülste von leicht S-förmiger Krümmung. Mit einem 
Stiele anhängend in der rechten hinteren Schädelgrube ein taubeneigrosses kugeliges 
Harkgebilde. Ueber der ganzen Schädelbasis eine zarte, gefäsBreiche, der Dura 
nicht adhärente Membran (Leptomeninx), ebenso im Bereiche des Schädeldaches; 
an derselben hie und da makroskopische, hirsekorngrosse, graue Knötchen (Reste 
von Hirnsubstanz). 

II. 20 Tage altes Kind (!), das keinerlei auffällige Symptome geboten hatte. 
Im Schädelinneren seröse, gelb-bräunliche Flüssigkeit und ein feinmaschiges Netz¬ 
werk braun gefärbter Fibrinfäden. Eine Membran umfasst symmetrisch gelegene 
Gehirnreste, deren hintere Gebiete den Hinterhörnern der Seiten Ventrikel ent¬ 
sprechende spaltartige Höhlen in sich schliessen. Dies Rückenmark erscheint 
makroskopisch normal. 

In beiden Fällen lagen durchaus normale Schädelmaasse vor, kein Anhalts¬ 
punkt für Lues hereditaria. Genaue Untersuchung des Stammes, der Carotis 
interna, Vertebralis und (wo möglich) der Basilaris wie ihrer grösseren Aeste 
ergab keinen pathologischen Befand. Die histologische Untersuchung (Hämatoxylin- 
Eosin — Verf. hat dabei auch Schnitte durch die entkalkte Schädelbasis vor¬ 
genommen —) fördert eine Reihe interessanter Einzelheiten zu Tage, als deren 
wichtigste wir hier folgende aufzählen (die mikroskopische Untersuchung betrifft 
den 2. Fall vorzugsweise). Innere Pachymeningitis, richtiger Arachnitis, an der 
besonders die Endothel Wucherung auffallend ist, zahlreiche Blutungen. Mikrogyrische 
Herde, welche Rindentheile und -fortsätze Verf. als aus Neuroblasten, bezw. Spongio- 
blasten entstandene und bestehende regenerative Bildungen auffasst. Parenchy- 
matös-encephalitische Veränderungen, interstitielle und perivasculäre encephalitische 
Bilder. An der lateralen Seite des Unterhornes ein umschriebener porencepha- 
lischer Defect. Erweichungsherde im Thalamusgebiete, in der lateralen Wand des 
Unterbornes. Regressive Zellenveränderungen in den centralen Ganglien. An den 
kleinen Gefässen Peri- und Endothelwncherungen, Leukocytenanhäufung, klein¬ 
zellige Infiltration, atretisch gewordene Capillaren u. s. w. Als bemerkenswerthes 
Detail sei auch erwähnt, dass im 2. Falle sich keine Spur des Tractus oder 
Chiasma N. optici fand, während am Bulbus die Eintrittsstelle des Sehnerven 
deutlich sichtbar war. (Im 1. Falle war auch der cranielle, allerdings bedeutend 
verschmälerte, Theil des N. opticus vorhanden.) 

Das ganze Rückenmark des 2. Falles erschien biB auf Blutanhäufung im 
Centralcanal normal; dasselbe Hess sich vom Fall I sagen, von dem allerdings 
nur das Halsmark untersucht wurde. 

Der hier kurz resumirte Befund ist sehr ausführlich beschrieben und auch 
auf 8 Tafeln durch 21 Figuren veranschaulicht. Pilcz (Wien). 


Pathologie des Nervensystems. 

11) Stereoagnosie, von Doc. Dr. A. Heveroch. (Mittheilungen aus der int. 
Klinik des Prof. Maixner. H. 1902. S. 40.) 

Auf Grund eines zahlreichen Materials kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 
1. Stereoagnosis ist nicht immer eine Folge der Störungen der Grosshirnrinde; 


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2. Stereoagnosis kann von Störungen aller Qualitäten der Sensibilität begleitet 
werden, kommt aber constanter mit den Störungen des Muskelsinnes alt 
der Hautsensibilität vor; 3. selbst grosse Störungen der Motilität müsse® 
Stereoagnosis nicht zur Folge haben (Arthritis deformans); 4. bei der Stereoagnosis 
fand er immer eine Ungeschicklichkeit beim Fassen der Gegenstände; 5. bei 12 
progressiven Paralytikern fand er nie Stereoagnosis. PeinAf (Prag)- 


12) Zwei Fälle von Afeathisie, von L. HaSkovec. (Sbornik klinickf. IT. 

S. 193.) 

I. 40j ähr. Mann, zittert, kann nicht stehen, weil ihn Schwindel und Ohn¬ 
macht befällt; gehen kann er gut. Neben anderen nervösen Symptomen — 
Kribbeln in den Fingern, Verzerrung des Mundes, Polyurie, vasomotorische Heil¬ 
barkeit, typische Puncta dolorosa — fällt am meisten folgendes Symptom auf: 
wenn der Kranke ruhig sitzen will, springt er unwillkürlich in die Höhe und 
muss sich ebenso rasch wieder niedersetzen. Die ganze Bewegung ist unwillkür¬ 
lich, gezwungen, automatisch und wiederholt sich so oft, dass Patient längere 
Zeit überhaupt nicht sitzen könnte; das Bewusstsein ist dabei vollkommen erhalten. 

II. 54jähr. Mann, früher stets gesund, fiel vor 8 Jahren auf der Strasse, 

ohne das Bewusstsein verloren zu haben; seitdem Zittern des ganzen Körpers, 
Gemüthserschütterung. Seit einem Jahre kann Patient nioht sitzen; wenn er sich 
setzt, wirft es ihn in die Höhe, so dass er sich, um sitzen zu können, fest In¬ 
halten muss. Später verschwand dieses Symptom. Ausserdem bestanden noch 
verschiedene Zeichen von Neurasthenie. Gustav Mühlstein (Prag). 


13) Beitrag zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Dr. 

Walbaum. (Virchow’s Archiv. CLXV.) 

Verf. ist bei der Untersuchung des Centralnervensystems eines Falles von 
Paralysis agitans zu dem gleichen Ergebniss gekommen wie frühere Autoren 
d. h. er konnte keinerlei für die Krankheit charakteristischen makroskopischen 
oder mikroskopischen Veränderungen constatiren. Die mannigfachen pathologischen 
Befunde an den Gefässen, der Glia und den nervösen Elementen, die Gehirn und 
Rückenmark darbot, liessen sich vollkommen durch das vorgeschrittene Senium 
erklären — die Patientin war 80 Jahre alt gewesen; irgend welche Beziehungen 
dieser Altersveränderungen zur Paralysis agitans bestreitet Verf. (im Gegensatz 
zu Sander), da solche sich nicht selten in weit höherem Maasse bei der Section 
finden, ohne dass Paralysis agitans bestanden hat. Auch in der ausserordentlich 
starken Verkalkung der Hirngefasse im vorliegenden Fall sowie in dem Vor* 
handensein ungewöhnlich zahlreicher Corpora amylacea sieht Verf. nur einen zu¬ 
fälligen, für die Krankheit nicht charakteristischen Befund, da derartig marcante 
Veränderungen sicherlich auch schon von anderen Autoren constatirt worden 
wären. — Somit kommt Verf zu dem Schluss, dass auch angesichts dieses Falles 
die Paralysis agitans bis auf Weiteres zu den functioneilen motorischen Neurosen 
zu zählen ist. Lilienfeld (Gr. Lichterfelde). 


14) Physiopathologie de la oontraotion musoulaire volontalre („Maladl e 
de Parkinson")» par C. Negro et Z. Treves (Turin). (Archives italiennes 
de biologie. XXXVL) 

Elin noch nicht beschriebenes charakteristisches Symptom der Paralysis agi¬ 
tans: Es handelt sich um Muskel wellen, besonders deutlich ausgeprägt im Triceps 
brachii, die, durch die Haut hindurch sichtbar, Beugung und Streckung im EUen- 


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bogengelenk begleiten. Ihre Curve (pneumatisch aufgenommen; Abbildung im 
Original) unterscheidet sich von jener der normalen Muskelzuckung einzig durch 
die verminderte Frequenz der Schwingungen: 5,6—6,4 in der Secunde bei will¬ 
kürlicher Bewegung, 7,5—9,1 bei willkürlichem, bis zur Erschöpfung ausgehaltenem 
Tetanus (Schwingungsfrequenz der normalen Muskelwelle: 10—12 pro Secunde). 
Da nun, nach den experimentellen Untersuchungen von Schäfer, der Rhythmus 
der zum Muskel gelangenden Impulse regulirt wird von der motorischen Nerven¬ 
zelle, so glauben die Verff. in dem von ihnen beschriebenen Symptom eine Basis 
zur Anstellung weiterer Untersuchungen über das Wesen der Parkinson'sehen 
Krankheit gefunden zu haben; schon vom rein physiologischen Standpunkt aus 
ist es interessant, dass durch krankhafte Processe der regelmässige, charakte¬ 
ristische Functionsrhythmus der motorischen Nervenzelle verändert werden kann. 
Die Langsamkeit, mit der bei Paralysis agitans die Impulse im Muskel ankommen, 
eine gewisse Schwäche der Impulse selbst und die daraus folgende Unmöglichkeit 
einer Summirung ihrer Wirkung zu einer einheitlichen und kräftigen Contraction 
erklären uns das tiefe Darniederliegen der Muskelkraft bei dieser Krankheit. 

Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen). 


16) Paralysis agitans and sarooma, by Charles Dana. (American Journal 

of the Medical Sciences. 1899. November.) 

Ein 61jähr. Mann litt seit 5 Jahren an Zittern der Hände, zeigte monotone 
Sprache, maskenartigen Gesichtsausdruck, schlürfenden Gang; kurz, das aus¬ 
gesprochene Bild der Paralysis agitans. Ausserdem zeigte er multiple Hautsarcome. 
Der Tod erfolgte nach 8jähr. Dauer der Krankheit Die mikroskopische Unter¬ 
suchung des Rückenmarks nach Nissl zeigte starke Pigmentation der Vorderhorn¬ 
zellen aller Höhen, Chromatolyse, Atrophie, Schwund des Kerns und der Dendriten. 
Besonders das Fehlen der Dendriten bildete ein sehr häufiges Vorkommniss. Die 
Zellen der Clarke’schen Säulen waren zwar auch etwas verändert, aber viel 
weniger als die der Vorderhörner. Das Stützgewebe war leicht vermehrt beson¬ 
ders in den peripherischen Abschnitten des Querschnittes. Die Marchi’sche 
Methode liess keine Veränderungen erkennen. 

Von dem Grosshim wurden nur die Centralwindungen untersucht. Die 
Muskelfibrillen boten in vielen Präparaten das Bild der fettigen Degeneration 
(Metamorphose im Virchow’schen Sinne. Ref.). Die peripherischen Nerven 
waren normal. 

Verf. stellt an der Hand des Befundes sowie der in der Litteratur nieder¬ 
gelegten Befunde eine Theorie in der Pathogenese der Paralysis agitans auf, nach 
welcher das Wichtigste im Krankheitsbilde die durch Verlust der Dendriten be¬ 
wirkte partielle Abtrennung der Vorderhornzellen von den Endauffaserungen der 
Pyramidenbahn sein soll. Vielleicht spielt, so meint der Verf., in der Aetiologie 
dieser Veränderungen irgend ein Gift eine wichtige Rolle. Vielleicht ist es das 
Gift der bei Paralysiskranken so häufigen rheumatoiden Arthritis. (Die Möglich¬ 
keit, dass die GanglienzeMenveränderungen durch die Sarcomatose oder durch die 
Kachexie u. s. w. bedingt waren, erwähnt Verf. nicht. Ref.) 

Paul Schuster (Berlin). 


16) Alterations anatomlques et histologiques da systöme nerveux dans la 
maladle de Parkinson, d’apräs Francesco Burzio. (Gaz. hebdom. de 
m6d. et de ohir. 1902. Nr. 60). 

Verf. hat 2 Fälle von Paralysis agitans anatomisch untersucht und fand 
Sklerose der Hinterstränge und der Pyramidenbahnen, Veränderungen der Vorder- 


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hornzellen und der Spinalganglien, Verengerung des Centralcanals, Venmadarung 
der Tangentialfasem und Zelly er Änderungen in der motorischen Rindenregion. 

Die Läsionen der motorischen Zellen in Hirnrinde und Rückenmark und die¬ 
jenigen in der Pyramidenbahn würden die Muskelsteifigkeit bei Paralysis agitans. 
die Skerose der Hinterstränge die Gleichgewichts- und Sensibilitätasrtö rangen bei 
diesem Leiden erklären. Die anatomischen Veränderungen sind die gleichen wie 
bei experimentell erzeugten chronischen Intoxicationen, und würde sonach die 
Parkinson'sehe Krankheit auf durch Autoin toxication bedingte Ernährung* 
Störungen der Nervenzellen beruhen und deshalb aus der Liste der Neurosen zh 
streichen sein. Kurt MendeL 


17) Ein Fall von Paralysis agitans mit verschiedenen Myxödemsymptomen 
oombinirt. Stadien and Gedanken über die Pathogenese der Para¬ 
lysis agitans, von Hermann Lundborg. Aus der medicinischen Klinik 
des Prof. Ribbing in Lund (Schweden). (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 
XIX. 1901.) 

Eine 54jähr. Frau, welche einer neuropathisch belasteten Familie entstammt, 
empfand vor 9 Jahren zuerst ein leichtes Zittergefühl im linken Ringfinger und 
in den Zehen des linken Fusses, bald darauf Schmerzen in der linken Hand, im 
Unterarm, Ellenbogen und in der Wade der gleichen Seite. Ein Jahr später 
ging der Tremor auf den linken Arm und das linke Bein und nach mehreren 
Jahren auf die rechte Extremitätenhälfte, auf die Brust- und Bauchmuskeln sowie 
auf Hals, Zunge, Unterkiefer und Lippen über, während der übrige Theil des 
Gesichts verschont blieb. Zu gleicher Zeit Steifigkeit und Mattigkeit des gansen 
Körpers, Abnahme des Gedächtnisses, langsamere und tiefere Sprache mit rascher 
Ermüdung, deprimirte Gemüthsetimmung. Seit einigen Jahren am linken Auge, 
an der linken Hand und den Füssen plötzlich auftretendes und dann wieder ver¬ 
schwindendes Oedem. Der Unterkiefer ist nach hinten und ein wenig nach rechts 
gerückt. Gesichtshaut eigentümlich röthlich mit einem Stich ins Blaue verfärbt. 
Haut an Backen, Nase und Kinn verdickt und infiltrirt. Gesichtszüge rauh, 
Nase dick und stumpf. Augenlider häufig etwas angeschwollen. Sensibilität 
überall normal. Kopf tief herabgesunken, so dass das Kinn die Brust berührt. 
Gehen unmöglich, Arme bis zu einem rechten Winkel flectirt. Die gleichmäsaigen 
Zitterbewegungen in den Händen und Unterarmen nehmen bei Erregung beträcht¬ 
lich zu und greifen dann auf die übrigen Körperteile über. Haut an den Unter¬ 
schenkeln dick, fest, blaurot verfärbt und etwas schuppend. Patellarreflexe 
herabgesetzt. Urin frei von Eiweiss und Zucker. 

Es traten also hier zu dem typischen Bilde der Paralysis agitans eine Reibe 
von Erscheinungen, welche als eine Art von Elephantiasis anzusehen sind, in 
welchen sich des Weiteren noch myxödematöse Symptome hinzugesellten. Offenbar 
haben sich die Veränderungen der verschiedenen Krankheiten neben einander 
entwickelt, ohne dass das eine Leiden in das andere übergegangen ist 

Bei der Autopsie fand sich in der linken Kleinhimhemisphäre eine mehr als 
wallnussgrosse Geschwulst von fester Consistenz, die aber im Leben keine weiteren 
Störungen hervorgerufen hatte (!). In der Schilddrüse waren stärkere Verände¬ 
rungen zu erkennen, und zwar bestand im rechten Lappen eine Reduction der 
Drüsensubstanz, während der linke Lappen cystisch verändert war. Unter solchen 
Umständen ist anzunehmen, dass die Thyreoidea ein pathologisch verändertes 
Secret liefert E. Asch (Frankfurt a/M.). 


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18) Bemerkungen nur Kenntniss der Paralysis agitans, von Prof. Dr. 

J. Thomayer. (Arch. hohem. de m6d. clin. III. 1902. S. 297.) 

Ein klinisches Bild der Paralysis agitans ist bis heute noch nicht vollkommen 
fertig; es werden immer Fälle beobachtet, die in keine bisher beschriebene Formel 
vollständig passen und die lange Zeit hindurch diagnostische Schwierigkeiten be¬ 
reiten können. Verf. theilt 5 Fälle mit: in einem war ein leichtes Zittern an 
einem Fusse beim Stehen 6 Jahre lang das einzige Symptom der entstehenden 
Krankheit, die sich im 6. Jahre auf die andere untere Extremität ausbreitete und 
erst im 7. Jahre das gewöhnliche Bild der steifen Statur, aber immer noch ohne 
jedes Zittern der oberen Extremitäten ergab, ln einem anderen Falle war es 
wieder eine einfache Schwäche und Schwerfälligkeit der unteren Extremitäten, zu 
der sich erst nach 3 Jahren ein Zittern im Gehen und eine Schwäche der oberen 
Extremitäten gesellten, aber erst nach 6 Jahra machte die typische Steifheit und 
ein Zittern in den oberen Extremitäten die Diagnose deutlich. So auch in einem 
3. Falle. Im 4. Falle hat die Krankheit, die jetzt durch steife Körperhaltung 
und ein typisches Zittern der Extremitäten kaum eine diagnostische Schwierig¬ 
keit bereitet, vor 5 Jahren mit einem apoplektischen Insult angefangen, weshalb 
man diesen Zustand als progressive Paralyse bezeichnen wollte, und wo ein leichtes 
Zittern der unteren Extremitäten bei der Arbeit die Diagnose ungemein schwer 
machte. In einem analogen Falle (5. Beobachtung) mit ähnlichem Zittern in den 
unteren Extremitäten nach zwei apoplektiformen Insulten ohne jeden Tremor der 
oberen Extremitäten war die Diagnose nur mit Rücksicht auf vorangeführten 
Fall mit einiger Wahrscheinlichkeit möglich. 

Im Anhänge führt Verf. einen Fall an, wo er bei einer typischen Paralysis 
agitans ein rhythmisches Zittern in beiden Rumpfbeugern beobachtete. 

Peln&f (Prag). 


18) Paralysie des membres införieurs ohez un ganjon de huit ans oausöe 
par l’usage d’une trompette 4 embouohure de plomb, par Variot. 
(Gazette des höpitaux. 1902. Nr. 49.) 

Seit etwa 2 Monaten zunehmende Parese der Beine. Patellarsehnenreflexe 
erloschen. Keine Blasenmastdarmstörungen, keine der Sensibilität, kein Bleisaum. 
Als ätiologisches Moment liess sich erheben, dass das Kind etwa einen Monat 
hinduroh vor dem Auftreten der Lähmungserscheinungen mit einer Trompete 
spielte, deren Mundstüok aus Blei verfertigt war. Unter Jodkali, Faradisation 
und Massage naoh etwa 4 Monaten Heilung. Pilcz (Wien). 


20) Eine bisher noch nicht beschriebene Looalisation der Bleilähmung, 

von Privatdocent Dr. Georg Köster in Leipzig. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift. 1902. Nr. 15.) 

Der Fall betrifft einen 37jährigen, seit 27 Jahren in diesem Berufe thätigen 
Schriftsetzer, der bis vor 12 Jahren von Vergiftungsersoheinungen frei war, da¬ 
mals Gelenkschmerzen bekam, an welchen er jetzt noch manchmal leidet. Während 
dieses Zeitraums traten 4 Mal typische Kolikanfälle auf, 1896, 1897 und 1898 
wurde von drei verschiedenen Seiten Bleivergiftung diagnosticirt, als deren Folge 
heute noch Arteriosklerose und Tremor der Hände vorhanden ist. Seit 1898 
besteht eine symmetrische Lähmung und Atrophie der Mm. interossei und abduc- 
tores hallucis, so dass ein der „Krallenhand“ ähnlicher „Krallenfuss“ entstanden 
ist, der reohts stärker entwickelt ist als links. Sensibilitätsstörungen Hessen sich 
niemals nachweisen. Verf. hält es nicht für ausgeschlossen, dass hier eine auf 
dem Boden der Bleivergiftung entstandene Erkrankung der motorischen Vorder- 


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hornzellen vorliegt, wofür vor Allem das Fehlen der GefÜhlsstörong und das 
symmetrische Auftreten des Leidens spricht. Jedenfalls handelte ee sich um eine 
sehr seltene Localisation in den genannten Muskeln der unteren Extremitäten. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


21) Seltene Ursachen der Bleivergiftung. — Behandlung der Koliken mit 

Atropin, von Dr. Adolf Weber in Alsfeld. (Münchener med. Wochenschr. 

1902. Nr. 17.) 

In einem Falle handelte es sich um eine Bleilähmung hei einem 19jährige« 
Mädchen, das Wasser einer mit Bleiröhren versorgten Leitung getrunken hatte. 
Bald darauf erkrankten in drei verschiedenen, je 6 km von einander entfernt 
liegenden Ortschaften 20 Personen an Bleivergiftung, die drei Haushaltungen 
angehörten. In diesen Fällen wurde das Leiden durch das Mehl übertragen, in¬ 
dem eine Anzahl von Vertiefungen am Mühlstein durch Blei ausgefüllt waren, 
das an einigen Stellen fehlte oder durch vorstehende Nagelköpfe ausgelocht war. 
Die gesammte abgeriebene Bleimenge wurde dem Mahlgut zugetheilt. In einer 
ganzen Anzahl von Bleikoliken, in welchen Opium und Extr. Belladonnae versagte, 
waren suhcutane Atropininjectionen von bestem Erfolg begleitet. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


22) Zur Pathologie der chronischen Bleivergiftung, von Prof. Seeligmüller 
in Halle. (Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 18.) 

In diesem ersten Artikel einer anscheinend längeren Serie weist Verf. durch 
Beispiele auf einige seltene Quellen der Bleivergiftung hin: bleihaltigen Tabak, 
Löthen der grossen Bleikammern, welche im Mansfelder Bergwerksgetriebe die 
in den Rösthütten gewonnene Schwefelsäure enthalten, anhaltendesEinathmen von 
Hüttenrauch und Bleistaub. 

Das Symptom der saturninen Encephalopathie wird durch zwei kurz mit- 
getheilte Krankengeschichten illustrirt, der eine Fall ist dadurch von Interesse, 
dass hier ein syphilitisches Gehirnleiden differentialdiagnostisch in Frage kam. 

R. Pfeiffer. 


23) Zur Kexmtniss der psychischen Erkrankungen der Bleivergiftung, von 

Dr. med. F. Quensel. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankheiten. XXXV. 1902.) 

Verf. beschreibt zwei bei weiblichen Personen beobachtete, ziemlich überein¬ 
stimmende Fälle von Bleipsychosen. Nach vorausgegangenen Bleikoliken entwickelte 
sich ein Zustand von Verworrenheit und Bewusstseinstrübung mit zusammenhang¬ 
losen, flüchtigen Wahnideeen und verhältnissmässig seltenen Sinnestäuschungen; 
vorwiegend war eine hochgradige motorische Erregtheit von intermittirendem 
Verlauf bemerkbar, vermischt mit HemmungBerscheinungen und unterbrochen durch 
stark abgesetzte, unvermittelte stuporöse Zwischenzeiten. Ein Fall ging in Heilung 
über, der andere kam zum Exitus. 

Ausser dem eben geschilderten Krankheitsbild, der Bleimanie, giebt es 
nach dem Verf. als weitere saturninische Psychosen noch die hallucinatorischen 
Delirien. Letztere sind entweder hallucinatorische Bleidelirien oder Delirium 
tremens-ähnliche Zustände, die durch combinirte Einwirkung von Blei und Alkohol 
entstanden sind. Alle drei Formen haben Verwandtschaft zur Epilepsie. Nach 
Ansicht des Verf.’s soll die Bleimanie unter den Bleipsychosen ungefähr die¬ 
selbe charakteristische Stellung einnehmen, die das Delirium tremens unter den 
alkoholischen Geistesstörungen inne hat. Da nun die chemische Analyse in den 
meisten Fällen Blei im Centralnervensystem gefunden hat, so wird es recht wahr¬ 
scheinlich, dass diesem Metall eine direct schädigende Wirkung zuzuschreiben ist 


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Die Angriffspunkte der Giftwirkung sind 1. die Gefässe, an denen man 
gröbere Veränderungen nachweisen kann, und 2. nervöse Centren und Elemente, 
durch deren Schädigung dann Druckveränderungen und Circulationsstörungen im 
Gehirn auftreten. 

Diese zweite Vermuthung des Verf.’s ist um so plausibler, als bei Blei¬ 
lähmungen die Nervenzellen, bei Bleikoliken ausser den Gefässen die Darmwand¬ 
ganglien in der Kegel ergriffen sind. 

Nissl hat auf Grund von Versuchen an Kaninchen den Nachweis erbracht, 
dass die acuten Ercheinungen der saturninischen Hirn affection durch directe Ein¬ 
wirkung des Giftes auf Kindenelemente zu Stande kommen. Diese Befunde sind 
natürlich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar, da man ja bereits 
in den directen Gefässveränderungen und allgemeinen Circulationsschwankungen 
Factoren kennen gelernt hat, die zweifellos als Grundlage gewisser Erscheinungen 
der Encephalopathia Batumi na zu deuten sind, ohne primäre und directe Rinden- 
einWirkungen darzustellen. Trotzdem sind die Veränderungen in der Rinde und 
insbesondere in deren Zellen, wie sie der Verf. bei dem zum Exitus gekommenen 
Fall fand, sehr beachtenswert und sie dürften mit Recht als Vergleichsmaterial 
für künftige Beobachtungen heranzuziehen sein. 

Heinicke (Grossschweidnitz). 

24) Zur Kenntniss der metallischen Nervengifte (über die chronische 
Manganvergiftung der Braunsteinmüller), von EL Einöden. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1901. Nr. 46.) 

Das Krankheitsbild entwickelt sich nach mehrmonatlicher Beschäftigung in 
der vom feinsten Braunsteinstaub erfüllten Atmosphäre der Mühlen, und zwar 
Oedeme an den Beinen, Schwäche im Kreuz und den Unterextremitäten, Unsicher¬ 
heit, dann werden die Arme ergriffen, Sprach- und Stimmstörungen bemerkbar. 
Es besteht Unfähigkeit zur Arbeit trotz guten Allgemeinbefindens. Paresen ohne 
Atrophieen und Entartungsreaction. Erhebliche Spannungen, die bei activen und 
passiven Bewegungen zuweilen ab-, meist aber zunehmen. Maskenartiger Ausdruck 
des Gesichtes. Pfeifen unmöglich. Unsicherheit bei Bewegungen, Retropulsion 
bei verwickelten Verrichtungen und beim Versuche, spontan rückwärts zu gehen. 
Kein Romberg. Lebhafte Patellarreflexe; in einem Falle Babinski. Grobschlägiger 
Tremor des Kopfes, Rumpfes und der Extremitäten bei etwas gespannter körper¬ 
licher Haltung und starker Actionstremor der Arme bei Verrichtungen, die genaue 
Coordination und einen gewissen Druck erfordern. Schreiben häufig gestört, 
dabei Tremor und in Folge zunehmender Muskelspannung continuirliches Kleiner¬ 
werden der Buchstaben bis zur Unmöglichkeit, fortzufahren. Undeutlich bulbäre 
Articulation, selten ausgesprochenes Stottern. Kein Nystagmus. Augenmuskeln, 
Pupillenreaction, Gesichtsfeld und Augenhintergrund normal, ebenso die übrigen 
Sinnesfunctionen. Psyche intact, doch wird eine psychische Alteration vor¬ 
getäuscht durch den maskenartigen Gesichtsausdruck und das häufige Zwangs¬ 
lachen. Parästhesieen und Schmerzen im Beginn des Leidens; Sensibilität sonst 
ungestört. Sphinkterenfunction erhalten. — Verf. deutet das Krankheitsbild als 
chronische Manganvergiftung und konnte die Resorption des Braunsteins bei den 
Braunsteinmüllern durch den Nachweis des Mangans im Urin erhärten. Verf. 
betont die interessanten Beziehungen zu den übrigen Metallvergiftungen und zahl¬ 
reichen Nervenkrankheiten, namentlich der multiplen Sklerose. Die Prognose 
ist günstig nach Entfernung der Kranken aus ihrer Beschäftigung. Prophylaktisch 
genügt staubfreies Arbeiten und Entfernung der Arbeiter aus dem Betriebe beim 
Auftreten leisester Gesundheitsstörungen. Diese Forderung genügt, da ein grosser 
Theil der Menschen gegen den Braunstein sehr tolerant ist. R. Pfeiffer. 

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26) Ein Fall von Polyneuritis nach acuter Arsenvergiftung, von Korzou. 

(Gazeta lekarska. 1901. Nr. 25. [Polnisch.]) 

Verf. beobachtete folgenden Fall von Poly.neuritis nach acuter Arsen- 
Vergiftung. Die 34jährige Frau iiberetand vor 10 Monaten eine acute Arsen¬ 
vergiftung, in Folge deren nach drei Tagen heftige Schmerzen in den Händen 
und Beinen aufgetreten waren. Nach einer Woche Lähmung der oberen nnd 
unteren Extremitäten. 7 Monate nach der Vergiftung sollte die Kraft in den 
oberen Extremitäten zurückgekehrt sein, die Kranke konnte aber wegen grosser 
Schwäche und Schmerzen in den Beinen nicht gehen. Contracturen (Flexio 
plantaris). Status praesens: Puls 92. Pupillenreaction erhalten. Allgemeine 
Hyperästhesie. Temperatursinn erhalten. Tastsinn an den Händen fehlend, eben¬ 
falls der stereognostische Sinn. Tricepsreflexe nicht vorhanden. Patellarrefleze 
schwach. Nerven und Muskeln druckempfindlich. Keine Blasen- oder Mastdarm- 
Störung. Verf. hebt besonders hervor, dass im Gegensatz zu der gewöhnlichen 
Form von Polyneuritis auf Grund der chronischen Arsenvergiftung in seinem 
Fall die neuritischen Erscheinungen bereits 3 Tage nach einer acuten Vergiftung 
aufgetreten waren. Verf. wandte ausser den Bädern, Faradisation und Massage 
noch die innere Darreichung von Arsen an, welchem letzteren er geneigt ist, 
eine günstige Wirkung zuznschreiben. Edward Flatau (Warschau). 


26) Bleivergiftung bei den Blattetiohwebern in Appenseil a/Rh., tos 

Dr. Schüler. (Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1902. Nr. 3.) 

Die Weberkeller der Blattstichweber sind überaus feucht und schlecht be¬ 
leuchtet, die Arbeit anstrengend und den ganzen Körper beanspruchend, die 
Arbeitsdauer zwischen 11 und 13 Stunden, der Erwerb ein geringer. Die Arbeiter 
in den Blattsticbwebereien kommen auf folgenden Wegen mit Blei in Berührung: 
1. Die Spulen, welche das Garn für die einzuwebenden Figuren liefern und sich 
in grosser Zahl an jedem Stuhl vorfinden, bestehen aus einer Legirung, welche 
32,5 °/ 0 Blei enthält. 2) An die Fäden des Harnisches sind in ungeheurer Anzahl 
Bleistäbchen angehängt, die sich stets an einander reiben. Der Bleigehalt der 
direct unter diesen Gewichten befindlichen Erde des Fussbodens ist ein sehr 
bedeutender. 

Somit ist die Möglichkeit einer Bleivergiftung bei der Blattetichwebera 
nicht in Abrede zu stellen. Trotzdem hält Verf. die Angaben eines Appenzella 
Arztes, wonach derselbe von Anfang 1895 bis Ende 1899 329 Erkrankungsfällt 
an Bleiintoxication in der betreffenden Industrie beobachtet haben will, für un¬ 
richtig und auf Täuschung, vorgefasster Meinung oder mangelhaften Untersuchungs¬ 
methoden beruhend. Verf. fordert auf, dem Gegenstand jedenfalls grössere Auf¬ 
merksamkeit zuzuwenden. Kurt MendeL 


27) Les paralysies saturnines, parDebove. (Gaz. hebdom. 1902. Nr. 8.) 

Verf. berichtet über 2 typische Fälle von Bleilähmung; der eine betrifft 
einen in einer Accumulatorenfahrik Angestellten, der andere einen Maler. Beide 
hatten vor Beginn der Lähmung Verdauungstörungen und mehrmals Bleikolik 
durchgemacht. Es bestehen bei beiden Lähmung, Atrophie und elektrische Ver¬ 
änderungen an den oberen Extremitäten und Schultern, in dem einen Fall sind 
die Gesichtsmuskeln mit betheiligt und es besteht horizontaler Nystagmus. 

Verf. bespricht im Anschluss an diese Fälle die pathologische Anatomie 
der Bleilähmungen und hält es für sehr wahrscheinlich, dass bei denselben auch 
die Vorderhornzellen mit afficirt sind. Die Bleilähmungen unterscheiden sich von 
den Arsen- und Alcoholneuritiden durch die Localisation an den oberen Extremi- 


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taten sowie das Fehlen von heftigen Schmerzen und SensihilitätsstÖrnngen. Die 
rheumatische Radialislähmung ist stets einseitig und tritt plötzlich auf. Bei 
Berücksichtigung der Differentialdiagnose mit progressiver Muskelatrophie kann 
man sich nicht allein anf die elektrische Untersuchung verlassen,* man; muss die 
Aetiologie (Blei) und den Verlauf des Leidens (bei progressiver Muskelatrophie 
Fortschreiten der Atrophie, bei Bleilähmung Neigung zur Heilung, sofern der 
Kranke dem Bleieinfluss entzogen wird) mit berücksichtigen. 

Die Behandlung der Bleilähmungen besteht in Entfernung des schädlichen 
Metalls, in Begünstigung seiner Ausscheidung aus dem Körper (Milch, viel Flüssig- 
keitsaufnahme, Purgantien) und Electrisation der Muskeln. Kurt Mendel. 


28) Drei Fälle von Neuritis arsenioalis, von W. Janowsky. (Zeitschr. f. 

klin. Medicin. XXXXIV. S. 60.) 

Verf. theilt die Krankengeschichten dreier Fälle von Neuritis arsenicalis mit 
und schliesst daran eine Darstellung der Symptomatologie dieser Neuritisform auf 
Grund der in der Litteratur mitgetheilten Fälle. 

Fall L 22 Jahre alter Patient; Vergiftungsversuch mit Schweinfurter Grün. 
Darauf Erbrechen und Durchfall mehrere Tage und längere Zeit starke Schmerzen 
im Leib. Nephritis acuta, welche nach einer Woche wieder verging. 8 Tage 
nach der Vergiftung Auftreten eines scarlatinösen Exanthems fast über den ganzen 
Körper mit Temperatursteigerung (39° C.) mit folgender Abschuppung nach etwa 
7 tägigem Bestehen. Danach Auftreten sehr heftiger Schmerzen in allen Ex¬ 
tremitäten mit Abschwächung der motorischen Kraft Rechte obere Extremität 
noch schwächer als linke. Bei allen Bewegungen der oberen Extremitäten deut¬ 
liches Zittern in denselben. Druck auf einzelne Nerven und Muskeln der Arme 
wird als sehr schmerzhaft empfunden; es besteht Hypästhesie vom Ellenbogen bis 
zu den Fingern, am stärksten in den Händen. Ebenso wie an den oberen besteht 
auch an beiden Unterextremitäten erhebliche Schwäche, besonders im Peroneus- 
gebiete, daneben heftige Schmerzen in ihnen und Parästhesieen. Verminderung 
des Temperaturgefühls. Sehnenreflexe aufgehoben, Hautreflexe vorhanden; keine 
Ataxie, keine Störung von Seiten der Blase und des Rectums. Diese Symptome 
bleiben lange Zeit bestehen; zu der Schwäche in den Extremitäten gesellt sich 
Atrophie einzelner Muskeln (Mm. interossei, lumbricales und des Thenar). Die 
elektrische Untersuchung in den betroffenen Nerven und Muskeln ergab nur stets 
eine Herabsetzung der Reaction auf beide Ströme, aber keine EntartungBreaction. 
Intercurrent auftretendes und drei Monate andauerndes starkes Schwitzen an beiden 
Händen und Füssen. Allmähliche Besserung. 

Fall II. 33 Jahre alter Patient, nahm wegen Psoriasis Solutio arsenioalis 
Fowleri; da er mit den Tropfen dieser Lösung täglich steigen sollte, so kam er 
schliesslich bis zu 100 Tropfen pro die. In Folge dessen stellten sich Erbrechen, 
Durchfall, Brennen im Munde, Magen und am ganzen Körper ein; hierzu trat eine 
Schwäche der Beine, die an Intensität immer mehr zunahm, so dass Pat. ins 
Krankenhaus gebracht wurde. Der Status ergab: Erhebliche Schwäche sämmt- 
licher Muskeln beider Oberextremitäten, ferner des rechten Serratus anticus und 
des rechten Latissimus dorsi. Die rechte Seite ist überall stärker betroffen als 
die linke; am meisten betroffen sind die Mm. interossei und die kleinen Hand- 
muskeln. Erhebliche Atrophie der Muskeln beider Vorderarme und der Hände. 
Entartungsreaction nur im M. opponens. Ebenso wie in den Armen findet sich 
deutliche Schwäche in beiden Beinen, besonders der Extensoren, ebenso Atrophie 
und in einzelnen Muskeln der Extensorengrnppe Entartungsreaction. Ausser spon¬ 
tanen brennenden Schmerzen, die *Pat. an den Gliedern hat, sind die Nerven und 
Muskeln sehr druckempfindlich; es finden sich ferner anästhetische Zonen in den 

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betroffenen Theilen, an einzelnen Stellen andererseits Hyperalgeeieen. Die Sehnen* 
reflexe sind erloschen. Keine Störung von Seiten der Blase und des Rectum*. 
Zu erwähnen ist noch das Bestehen trophischer Störungen an den Nägeln, ferner 
Störungen des Muskelsinnes und Ataxie leichteren Grades. Allmähliche Besserung. 

Fall III. 31 Jahre alter Patient, an chronischer Nephritis und Neurasthenie 
leidend. Beginn der Krankheit mit Gefühl des Erstarrens in der linken üand 
und Schwäche des linken Armes, die immer erheblicher wird. Die zu wiederholten 
Zeiten im Verlaufe der Krankheit vorgenommene Untersuchung ergiebt stets nur 
eine Monoplegie des linken Armes, mit Atrophie von Muskeln des Vorder¬ 
armes und der Hand. Der linke Plexus hrachialis ist sehr druckempfindlich, 
ebenso der Thenar; es besteht ferner leichte Hypästhesie und deutliche Hyper- 
algesie an den Fingern und schliesslich ist das stereognostische Gefühl der linken 
Hand vollkommen erloschen. Alle diese Erscheinungen sind nach Ansicht des 
Autors die Folgen einer Intoxication mit Arsen, das in sehr grosser Menge naeh 
vielfachem Suchen in einem im Wohnzimmer hängenden ausgestopften Vogel ge¬ 
funden wurde. Jacobsohn (Berlin). 


29) Ein Fall von Antipyrinintozioation, von Dr. Seiler (Interlaken). (Corre- 

spondenzblatt f. Schweizer Aerzte. 1902. Nr. 15.) 

Bei einer 26 Jahre alten, seit längerer Zeit an Gelenkrheumatismus leidenden 
Frau verordnete Verf. zweistündlich 0,5 g Antipyrin. Schmerzen und Schwellung 
gingen zurück, am 4. Tage, nach Darreichung von etwa 12 g Antipyrin im ganzen, 
trat jedoch Oedem im Gesicht, scharlachartiges Exanthem am ganzen Körper au£ 
Temperatur 40,5, Puls 145 — 160, trockene Zunge, Schwindelgefühl, Brechreiz, 
am nächsten Tage (nachdem bereits Antipyrin ausgesetzt worden war) hochgradige 
Prostration, starke Hypalgesie, schwache Reflexe. Am 3. Tage wieder annähernd 
normales Befinden. Verf. nimmt an, dass eine accumulative Wirkung des Anti¬ 
pyrin s stattgefunden habe und mahnt zur Vorsioht bei der Darreichung von 
Antipyrin. Kurt MendeL 


30) Elektrioität und Chloroformnaroose, von Dr. S. Jellinek. (Wiener klin. 

Wochenschr. 1901. Nr. 45 u. 48.) 

Verf. fand, dass „der hochgespannte Wechselstrom mit bestimmter Perioden¬ 
zahl und Polanordnung Rachen-Rectum, der Kaninchen im wachen Zustande tödtete 
oder sie schwer zu verletzen im Stande war, sich bei Thieren derselben Art in 
tiefer Narcose als lebensrettend erwies: die Kaninchen wurden nicht nur aus 
tiefster Narcose momentan aufgerüttelt, es war auch keinerlei schädigende Nach¬ 
wirkung der Elektricität in Chloroformnarcose zu constatiren. Während ferner 
andere Reizmittel bei tief chloroformirten Kaninchen nicht den geringsten Effect 
hervorzurufen im Stande waren, die Centra des Gehirns und des Rückenmarkes 
auf dieselben als ganz unerregbar sich darboten, da schien der Wechselstrom das 
Gegentheil bewirken zu können.“ 

Theoretisch bemerkt Verf. noch dazu, dass aus dem Mangel schädigender 
Nachwirkung der Einwirkung elektrischer Ströme auf chloroformirte Thiere er¬ 
hellt, dass die Wirkung hochgespannter elektrischer Ströme auf den mensch¬ 
lichen Organismus keine materiell destructive zu sein braucht. 

J. Sorgo (Wien). 


31) Sur un oas d’amnesie oontinue oonsecutif ä une tent&tive de suioide 
par 1'oxyde de carbone, par Truelle et Petit. (Archives de neurologie. 
1901. Nr. 68.) 

Interessante, genau mitgetheilte Krankengeschichte eines 54 Jahre alten 


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Möbeltischlers, der im Anschluss an Einathmen von Kohlendämpfen aus selbst* 
mörderischer Absicht eine sehr weit umfassende Amnesie erlitt. Näheres kann 
Ref. leider nicht mittheilen, weil er den Raum eines Referates überschreiten 
müsste. Die Mittheilung muss als wichtiger casuiBtischer Beitrag gelten. 

_ Adolf Passow (Meiningen). 

32) Zur Pathogenese der Kohlenoxydlähmungen, von v. S öl der. (Jahr¬ 
bücher f. Psych. u. Nervenkrankh. XXI I. S. 287.) 

Von den nach Kohlenoxydvergiftung auftretenden Lähmungen sind die ence- 
phalomalacischen und neuritischen bekannt. Verf. bringt nun einen Fall von 
primär myopathischer Lähmung nach Kohlenoxydintoxication. 

41jähr. Frau, Suicid mit Kohlendunst. Bewusstlosigkeit, tonische Krämpfe, 
Trismus; rasche Erholung. Nach 10 Tagen psychische Störungen; es entwickelte 
sich das Bild einer Korsakow’schen Psychose. Körperlicherseits: Fingertremor, 
schwankender Gang, Patellarreflexe gesteigert; allmähliche, bis zu den höchsten 
Graden fortschreitende Atrophie der willkürlichen Musculatur, der Atrophie voll¬ 
ständig parallel gehende Abnahme der Kraft, niemals fibrilläre Zuckungen, keine 
Entartungsreaction, einfaches Absinken der elektrischen Erregbarkeit bis zum 
Schwinden derselben in den am meisten atrophischen und gelähmten Muskeln; und 
zwar handelte es sich an den oberen Gliedmaassen um einfache, der allgemeinen 
Abmagerung entsprechende Volumsabnahme der Musculatur, die nicht druck- 
schmerzhaft war, mit normaler elektrischer Erregbarkeit, während an den Beinen 
es zu localisirten, echten Atrophieen und den oben erwähnten schweren Lähmungs¬ 
erscheinungen kam. Keine Sensibilitätsstörungen. Sphinkterenfunction intact 
Gehirnnerven frei. Marasmus. Decubitus. Exitus. 

Histologisch: Degeneration der Vorderhornzellen im Hals- und Brustmarke, 
im Lenden- und Sacralmarke viel weniger. Vordere Wurzeln normal. An den 
Nerven der oberen Extremitäten degenerative Neuritis, an denen der unteren 
sind nur wenige atrophisch, der grösste Theil der Nervenfasern normal. An der 
Musculatur hyaline Degeneration der kleineren Arterien, fettige und hyaline Dege¬ 
neration der Muskeln der oberen Extremitäten. Verschmälerung eines Theil es 
der Fasern. An der Musculatur der -unteren Gliedmaassen hochgradige Ver¬ 
schmälerung aller Fasern mit theilweisem Zerfall der Fibrillen. Vemehrung des 
interstitiellen Gewebes, sehr wenig recente Zerfallsproduote. 

Mit Rücksicht auf das grobe Missverhältniss zwischen den geringfügigen 
Veränderungen im Lenden- und Sacralmarke und in den Nerven der unteren 
Gliedmaassen einerseits, und andererseits den schweren Befunden an der Muscu¬ 
latur daselbst nimmt Verf. eine primär myopathische Erkrankung an. 

Trotz der Veränderungen des nervösen Apparates der oberen Extremitäten 
glaubt Verf. aber auch hier einen primär myopathischen Process annehmen zu 
dürfen mit Rücksicht auf den klinischen Verlauf und den anatomischen Befund. 
Die Genese der Muskelerkrankung dürfte auf direct toxischem Wege hervorgerufen 
worden sein, welche Vergiftung auch die Veränderungen am Nervensystem bewirkt 
haben könnte. 

Verf. stellt zum Schluss tabellarisch die differentialdiagnostischen Momente 
neuritischer und primär-myopathischer Lähmung zusammen. 

Der Decursus morbi und der histologische Befund sind in musterhafter Exact¬ 
beit geschildert Zwei Abbildungen im Texte. Pilcz (Wien). 


33) Ein zur Heilung gekommener Fall von Kohlenoxydvergiftung mit 
ausschliesslich psyohisohen Störungen', von Dr. Ernst Bloch. (Fort¬ 
schritte der Medicin. 1902. Nr. 16.) 

Verf. bringt sehr summarisch die Krankengeschichte eines durch „austretende 


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Wetter“ vergifteten Steigers, welcher keine somatischen Symptome bot und an 
psychisch alterirt war (retrograde Amnesie und Gedächtnisstörung), spedell 
fehlten Zeichen von peripherischer Neuritis. Verf. erklärt die beobachtete Ge¬ 
dächtnisstörung dadurch, dass bei dem Pat., der stets überaus viel und gern ge¬ 
lesen hatte, das Gehirn den Locus minoris resistentiae darstellt, an welchem die 
Vergiftung angegriffen hat(!). Verf. betrachtet den Fall als eine leichte Fora 
der Korsakoff’schen Erkrankung. Kurt MendeL 


34) Denx cas de psyohosee nicotiniques, par C. Zalackas. (Progrös medical. 

1902. Nr. 6.) 

Auf Grund seiner Untersuchungen empfiehlt Verf. ai Antidot gegen schwere 
Niootinvergiftungen mit psychischen Begleiterscheinungen Nasturtium officinale — 
Brunnenkresse, die er mit Cafeine zusammen injicirt —; man soll vor der Asphyxie 
die Injectionen wiederholen und nioht über drei Injectionen hinausgehen. 

Adolf Passow (Meiningen). 

36) Beiträge zur Kenntniss des Delirium tremens der Morphinisten, von 

Dr. Karl Abraham. (Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych. 1902. Nr. 149.) 

Verf. beschreibt einen in der Irrenanstalt zu Dalldorf beobachteten Fall von 
Delirium bei einem Morphinisten, um im Anschluss hieran einen Vergleich 
zwischen diesem Delirium und demjenigen hei AlkoholiBten zu ziehen. Es han¬ 
delte sich um einen 53jährigen Kaufmann, welcher mit Unterbrechungen seit 
30 Jahren Morphium spritzte. Am 5. Tage der Entziehung begann das Delirium. 
An den vorhergehenden Tagen bestand motorische Unruhe, Schlaflosigkeit und 
verstärkter Tremor. Zugleich mit den Hallucinationen traten krampfartige 
Zuckungen auf. Die Dauer des Delirs betrug 11—12 Tage, die Unruhe war 
Nachts stärker. Am Schluss des Deliriums verfiel Pat. in Schlag aus welchem er 
völlig klar erwachte. 

Ein Unterschied des beobachteten Delirs zu den Alkoholdelirien zeigte sich 
nun in folgenden Punkten: 

Es bestanden nie Angstaffecte (im Gegensatz zu dem bei Alkoholdeliranten 
Beobachteten), die Bewusstseinstrübung und Aufmerksamkeitsstörung erreichten 
nicht den Grad wie im Alkoholdelirium, Ablenkbarkeit wurde völlig vermisst, 
Pat erfasste meist die Situation richtig, die Merkfahigkeit war intact, Hallu¬ 
cinationen überwogen die Illusionen. 

Hingegen waren in Verf.’s Fall — ebenso wie bei Alkoholdeliranten — vor¬ 
handen: Visionen bei Druck auf die Augen (Liepmann), die Suggestibilität für 
Sinnestäuschungen, das Charakteristische des körperlichen Gesammteindruckes. 

Kurt MendeL 


30) Ueber die Anwendung des Kamphers bei der Morphiumentziehung, 

von Julius Hofmann. (Therap. Monatsh. 1902. Juli.) 

Ausgehend von der Erfahrung, dass Morphium Herzvergrösserung und Blut- 
druckerniedrigung, Kampher Herzverkleinerung und Blutdrucksteigerung zur Folge 
hat, ist Verf. zu der Anwendung des letzteren bei der Entziehungskur gekommen, 
und hat auch in einer Reihe von Fällen eine Verminderung der Abstinens- 
symptome dadurch erzielt; er wartete mit der Darreichung, bis sich Abstinenz¬ 
erscheinungen zeigten, und gab dann innerlich täglich 0,1—0,26 g. Ein will¬ 
kommener Nebenerfolg dieser Medication war, dass die Schlafmittel, wie Trion&l, 
Dormiol u. ähnl. darnach besser und sicherer wirkten als vorher. Die Kur wurde 
unterstützt durch Validol, mehrmals täglich 15 Tropfen, und elektrische Bäder. 

H. Haenel (Dresden). 


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Therapie. 

37) Zur klinischen Würdigung einiger neuer Arzneimittel (Agurin, Pur* 
gatin, Yohimbin), von Dr. A. Hess. (Therapie der Gegenwart. 1902. 
Juni.) 

Von den in der Ueberschrift genannten Mitteln interessirt hier nur das 
Yohimbin, das Verf. auf der Abtheilung von Fürbringer bei über 20 theih 
nervengesunden, theils neurasthenischen Patienten gegeben hat Suggestive Be¬ 
einflussung wurde in allen Fällen absichtlich vermieden. Verf. kommt auf Grund 
seiner Erfahrungen zu einem im wesentlichen negativen Resultate bezüglich des 
Werthes des Mittels als Aphrodisiacnm; nur zwei seiner Patienten hatten über 
unruhige geschlechtlich erregende nächtliche Träume zu berichten; sonst war in 
keinem Falle ein sicherer Einfluss auf die Geschleohtssphäre zu constatiren. 

Martin Bloch (Berlin). 


38) Die therapeutische Verwendung des k&kodylsauren Natrons und die 
intravenöse Arsenbehandlung, von F. Mendel (Therapeut Monatshefte. 
1902. April.) 

Verf. hat den Heileffect des Arsens in Form des kakodylsauren Natrons bei 
intravenöser Injection von 0,2 g pro die am zuverlässigsten gefunden, er hat mehr 
als 400 solcher Injectionen ohne jeden Nachtheil gemacht und empfiehlt diese 
Methode als die beste. Erfolge sah er bei Anämie und Chlorose, bei Tuberculose, 
Diabetes, Kropferkrankungen u. s. w. Von Nervenkrankheiten hebt er hervor 
Ischias (bei der er auch intraneurale Injectionen mit Erfolg anwandte), Druck¬ 
lähmung des Radialis, die unter dieser Behandlung „auffallend rasch heilte“ 
hysterische Muskelschwäche, Migräne, gegen die das bo eingeführte kakodylsaure 
Natron geradezu ein Specificum sein soll; eine solche Kur bedarf zu ihrer Durch¬ 
führung 4 Wochen. H. Haenel (Dresden). 


in. Bibliographie. 

Das Pathologlsohe bei Nietzsche, von P. J. Moebius. (Grenzfragen des Nerven- 
und Seelenlebens. XTL) 

Der Neurologe wird das Problem Nietzsche unter anderem Gesichtswinkel 
betrachten als der Gebildete überhaupt, der nicht gleich an die Beziehungen 
von Nietzsche zu den — Sprechstunden der Nervenärzte denkt. Die Frage, ob 
und in wie weit ein Schriftsteller von solch suggestiver Kraft seine Leser, ins¬ 
besondere jugendliche, noch nicht immune Köpfe ungünstig beeinflusst, eine Frage, 
welche z. B. der verehrte Herausgeber, wie mir bekannt, bejaht — oder ob nicht 
die neuropathisch Veranlagten zu Nietzsche als dem Exponenten ihrer Lebens¬ 
auffassung unbewusst und aufs stärkste sich hingezogen fühlen und in ihm nur 
in glänzender Wiedergabe finden, was sie selbst dunkel empfinden — das sind 
Dinge, die zu dem schwierigen und wenig beackerten Gebiet des Verhältnisses 
zwischen Nervosität und Kunstgenuss, Lectüre, kurz der psychischen Diät gehören. 
Einen ansehnlichen Beitrag hierzu liefert P. J. Moebius in seinem Aufsatze, der 
Beine „Vordermänner“ in den von demselben Verf. herrührenden in gleicher 
Richtung zielenden Abhandlungen Uber Rousseau, Goethe, Schopenhauer 
besitzt. 

Prof. Ziehen konnte schon 1894 gelegentlich eines Besuches der Jenenser 
Irrenanstalt dem Ref. Ursache und Diagnose des Leidens nennen, unter welchem 


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Nietzsche Januar 1890 zu Turin im ersten paralytischen Anfall niederbrai. 
Dass die neuzeitliche Paralyse ihren Typus, ihre Dauer verändert, beweist aach 
der langsame und mehr die Erschöpfungsform darbietende Verlauf bei Nietzsche: 
die Beziehungen derselben zu der unzweifelhaften neurop&thischen Anlage und zo 
derjenigen Krankheit (schwerste Form der Migräne), die N. 20 Jahre lang quälte, 
ihn frühzeitig dienstunfähig machte, leugnet Verf. unter Hinweis auf die exogene 
Ursache der Paralyse. 

Das Prodromalstadium der Paralyse setzt Verf. ungewöhnlich lange, etwa 
8 Jahre dauernd an; somatische Beweise aus erster Hand bringt er nicht herbei, 
sondern er schliesst seine Annahme mittelbar aus den in euphorischen Stadial 
hervorgegangenen Capiteln des Zarathustrawerkes. Nun sind ja sicher gewisse 
Theile des Zarathustra werk es in dem manisch-dithyrambischen Iktus verfasst; dass 
diese trotz alledem grossartig concipirten Gedanken nun etwa in einer Art von 
Intervallum lucidum einer beginnenden Paralyse geschrieben seien, das möcht« 
wir doch bezweifeln; das stimmte ganz und gar nicht mit den Leistungen, welche 
auch von Hause aus so genial beanlagte Paralytiker in ihren besseren Zeiten 
hervorzubringen pflegen, überein. Das Wort „An ihren Früchten sollt ihr sie 
erkennen“ gilt ganz besonders von den fälschlich, weil nur e contrario überschätzten 
Werken der Geisteskranken, und die Theorie, welche Verf. aufstellt, dass, wie 
im Alkoholrausch, eine surexcitation ceröbrale bei Nietzsche statthabe, will uns 
ebenfalls nicht einleuchten. Das, was Nietzsohe krank machte, war die neuro- 
pathische Anlage, die Enttäuschungen über die Erfolge seiner Erstlingswerke, für 
welche die nach dem 70 er Kriege lebende Generation nicht aufnahmefähig war, 
das einsame, liebe- und pflegelose Leben, Belbst körperliche Entbehrungen. Da 
mag nun die periodische Neurasthenie — eine solche dürfte den diagnostisch« 
Summandus für die Migräne uud die euphorischen Zustände abgeben — sicherlich 
Zeiten geliefert haben, in denen Nietzsche leichter und rascher concipirte. Das 
sind unsere sachlichen Ein wände. Im Uebrigen enthält die Abhandlung, wie stete 
bei Moebius-Schriften, viel Kluges und Kritisches in klarer Form, und ab¬ 
kühlend mag und soll sie auch auf die Nietzsche-Verhimmler wirken. Die 
gute Absicht des Verf.’s möge den stellenweise respectlosen Ton gegenüber einem 
unleugbar genialen Denker etwas entschuldigen, welcher nicht nur ein tief unglück¬ 
licher, ein in gesunden Zeiten feinfühliger und edler Mensch war, sondern auch 
ein Schriftsteller, wie ihn die deutsche Sprache seit der klassischen Periode 
unserer Litteratur nur noch in zwei oder drei Exemplaren aufweist. Nietzsche’s 
Prosa ist nach Meinung des Ref. das romantischste Deutsch, das wir besitz«. 
Aphorismen, welche in 15 Worten sagten, worüber Andere dicke Bücher schreiben, 
hat Nietzsche in der ihm eigenen Form als Urerster geschaffen — vielleicht 
ad aeternum. B. Laquer (Wiesbaden). 


IV. Aus den Gesellschaften. 

LXXTV. Versammlung deutscher Naturforscher uud Aerzte in Karlsbad 
am 21.—26. September 1802. 

19. Abtheilung: Neurologie und Psychiatrie. 

Sitzung vom 22. September. 

Vorsitzender: Herr Prof. Wagner (Wien). 

1. Herr Eulenburg (Berlin): Ueber einige neuere elektro-therapeuüsche 
Methoden, 

Durch die Hertz’sche Wellenlehre und die Starkstromtechnik (Tesla, 


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d’Arsonval) sind der Elektrotherapie einige neue Wege eröffnet worden. Es 
zeigte sich, dass starke Ströme u. a. heilende Wirkungen bei völliger Gefahr¬ 
losigkeit aufweisen, auch auf andere als Nervenleiden. Besonders aus Frankreich 
und Italien sind gute Erfolge gemeldet worden. Eine Modification haben die 
Apparate Tesla’s neuerdings durch den Ingenieur Hob. Scharf erfahren, die 
angeblich die Spendung ungeheurer Elektricitätsmengen ermöglichen soll. — 
Einen Ersatz für die kostspieligen und complicirten Tesla-Apparate sollen die 
von Stembo eingeftthrten „monodischen Voltströme“ abgeben, die eine vom 
negativen Pol allein ausgehende elektrische Ladung des Körpers erzeugen Bollen. 
Es soll durch dieselben gelingen, auch in Fällen vorgeschrittener Entartungs- 
reaction noch Zuckungen zu erzielen, wenn andere Methoden versagen, was Vortr. 
allerdings nicht bestätigen konnte. — Eine weitere Methode ist in der sogen, 
„elektro-magnetischen Therapie“ nach dem System des Schweizer Ingenieurs Eugen 
Konrad gegeben. Bei derselben werden Ströme von hoher Intensität, aber ge¬ 
ringer Spannung und relativ wenigen (100) Polwechseln in der Secunde an¬ 
gewendet, die ein Magnetfeld erzeugen; dessen Kraftlinien werden als Träger der 
Wirkung angesehen. Dass eine Beeinflussung des Körpers durch dieses Magnet¬ 
feld stattfindet, geht aus der Beobachtung eines entoptischen Phänomens hervor, 
das bei rascher Annäherung des „Radiators“ an den Kopf der Versuchsperson auf- 
tritt. Die Erklärung dieses Phänomens steht noch aus. Auch eine Steigerung 
des Oxyhämoglobingehaltes unter der Behandlung hat man beobachtet. Die Er¬ 
folge beruhen zumeist auf einer sedativen, antineuralgischen und hypnotischen 
Wirkung; von 177 im Berliner Institut behandelten Fällen konnten 14°/ 0 als 
geheilt, 53°/ 0 als gebessert angesehen werden. — Schliesslich sei noch das von 
dem Karlsbader Arzt Schnöe angegebene elektrische Vierzellenbad angeführt; die 
Angabe des Erfinders, dass es durch dasselbe gelinge, dem elektrischen Strom 
eine bestimmte Richtung im Körper vorzuschreiben, hält Vortr. für fraglich; die 
Wirksamkeit konnte er trotzdem bestätigen, nur bei Paralysis agitans versagte 
sie stets. Eine kataphorische Wirkung bei Zusatz bestimmter Medicamente in das 
Wasser konnte Vortr. nicht beobachten; doch wurden vielleicht die Lösungen zu 
schwach gewählt. — Aus all dem geht hervor, dass die Elektrotherapie noch 
lebenskräftig ist. 

2. Herr Anton (Graz): Wahre Hypertrophie des Gehirns mit Befanden 
an Thymus und Nebennieren. 

Klinisch handelt es sich um einen hereditär schwer belasteten Epileptiker, 
der niemals Herderscheinungen, nur eine gewisse Erschwerung der spontanen Be¬ 
wegungen dargeboten hatte. Die Intelligenz war stets eine gute; der Tod erfolgte 
im 20. Lebensjahre im Status epilepticus. — Anatomisch fand sich ein fast auf 
Papierdünne reducirtes Schädeldach, auch die Knochen der Basis waren verdünnt, 
die Hinterhauptsschuppe fast horizontal gestellt. Das Gehirn war von auffallender 
Grösse und wog nicht weniger als 2055 g. Die Vergrösserung betraf alle Theile 
gleichmässig, die Proportionen waren nicht gestört; so wog z. B. das Kleinhirn 
ll°/ 0 des Gesammtgehirns, wie bei Normalen. Die Furchen waren sehr tie£ doch 
war das Verhältniss von grauer und weisser Substanz normal, es bestand nur ein 
mässiger Hydrocephalus internus. Eine Zusammenstellung der bisher beschriebenen 
Maximalgewichts zeigt, dass das vorliegende Gehirn zu den schwersten gehört. — 
Die Section zeigte weiter, dass die Thymus in auffallender Grösse erhalten war, 
ihre Arterien entsprangen direct aus der Art. anonyma; das Herz zeigte Myo¬ 
degeneration; die Nebennieren waren oystisch degenerirt, und zwar so, dass die 
Marksubstanz gänzlich verloren gegangen, die Rinde erhalten geblieben, wenn 
auch pathologisch verändert war. 

Persistente Thymus und Degeneration der Nebennieren ist bei monströsen 


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Gehirnen — die »och sämmtlich geschädigte Function aufwieeen — verschiedent- 
lieh beobachtet und beide Anomalieen in ursächlichen Zusammenhang gebracht 
worden. Worin dieser Zusammenhang im Speciellen besteht, ist noch nicht auf¬ 
geklärt; zu denken hat man an die neuerdings nachgewieeene vaeooonstrictoriache 
Wirkung der Nebennierensubstanz, die ihren Einfluss nicht nur auf Missbildungen, 
sondern auch auf andere Gehirnkrankheiten (congenitalen Hydrocephalus) er¬ 
strecken mag. 

Discussion: 

Herr Obersteinßr: Beine Hypertrophie des Gehirns ist ein sehr seltene« 
Vorkommniss. Er erinnert an einen von ihm vor Jahren beschriebenen Fall, 
eines 8jährigen Knaben, dessen Gehirn (ohne Ventrikelflässigkeit) 1920 g wog. 
Auch bei diesem fehlten, wie in dem Falle des Vortr., schwere Intelligenxdefecte. 

Herr Anton erwähnt noch, dass die schwere Herzdegeneration vielleicht auf 
den übermässigen Bromgebrauch bei dem Pat. zurückzu führen sei. Das gestörte 
Gleichgewicht vom allgemeinen Blutdruck und Gehirndruck hat man auch für 
die Pathogenese der epileptischen Krämpfe herangezogen. 

Herr Stekel hat bei seinen Migränestudien bei der angiospastischen Fora 
mit ziemlicher Regelmässigkeit Temperaturherabsetzung beobachtet; das gleiche 
ist bei einem Fall von Sarcom der Nebennieren beschrieben. Er hält deshalb 
für die Gehirntemperatur die Intactheit der Nebennieren für wichtig, und findet 
darin auch Hinweise für die Migränepathologie. 

3. Pilcz (Wien): Ueber Ergebnisse elektrischer Untersuchungen an 
Geisteskranken. 

Ausgehend von der bekannten Beobachtung, dass ein und dieselbe Schädlich¬ 
keit (Alkohol u. ähnl.) sowohl Psychosen als auch Polyneuritis hervorrufen kann, 
kam Vortr. auf die Vermuthung, dass auoh bei anderen Formen von Psychosen, 
bei denen nur eine toxische Schädlichkeit im allgemeinen angenommen wird 
(Amentia u. ähnl.), eine Mitbetheiligung peripherer Nervengebiete zu erwarten sei 
Er hat bei Alkoholpsychosen, progressiver Paralyse, Amentia exacte Unter¬ 
suchungen auf Zuckungsträgheit bei Beizung der Muskeln mit dem galvanisches 
und faradischen Strome angestellt und durch myographisohe Aufzeichnungen der 
Zuckungscurven die Möglichkeit gewonnen, selbst geringe Abweichungen zahlen- 
mässig festlegen zu können. (So stieg die Zuckungsdauer von 0,1—0,18 auf 0,25 
bis 0,68 Secunden am M. extens. digit. commun.) — Von 10 Fällen von Amentia 
zeigten 6 galvanische und faradische Zuckungsträgheit. Zwischen Delirium tremens 
und anderen Alkoholpsychosen konnten Unterschiede insofern nachge wiesen 
werden, als bei ersterem sich im Allgemeinen die schwereren Veränderungen 
zeigten (neben galvanischer auch faradische Trägheit). Auch bei progressiver 
Paralyse konnte einige Male träge Zuckung nachgewiesen werden, doch ist hierfür 
die Zahl der untersuchten Fälle noch zu gering. — Vortr. demonstrirt die erhal¬ 
tenen Myogramme. 


Sitzung vom 23. September, Vormittags. 

Vorsitzender: Herr Prof. Obersteiner (Wien). 

4. Herr Marinesco (Bukarest): Untersuchungen über spinale I«ooaU- 
sation. 

Vortr. hat am Hunde experimentirt und ausserdem Beobachtungen am Menschen 
gesammelt, in denen ganze Extremitätenabschnitte, Nerven oder einzelne Muskeln 
verloren gegangen waren, und hat dabei nach Nissl sehr umschriebene Ver¬ 
änderungen einzelner Zellgruppen nachweisen können. Er fand dieselben sowohl 


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bei einfacher Durchschneidung der Nerven, als auch bei der Entfernung einzelner 
Muskeln; die Ausreissung von Nerven führte er absichtlich nicht aus. — Er fand 
als allgemeines Gesetz, dass nicht die Extremitätenabschnitte oder die Nerven, 
sondern die Muskeln durch diatincte Kerngruppen in den Vorderhömern vertreten 
sind, allerdings nur insofern, als sie eine isolirte Function haben; Muskeln mit 
associirter Thätigkeit haben nur eine einzige, gemeinsame Kerngruppe. So zeigte 
sich z. B., dass der N. accessorius im 1. —3. Cervicalsegment vertreten ist, dass 
aber in Beinern Kern die Zellen, die nach Ausrottung des M. sterno-cleido-mastoideus 
degeniren, sämmtlich medial, die nach Zerstörung des M. cucullaris degenerirenden 
lateral gelegen sind. Ebenso hat der im 6. Segment vertretene N. subscapularis 
•zwei differente Kerne, entsprechend den beiden verschieden functionirenden 
Muskeln, die er versorgt; im 7. Segment ist die median gelegene Zellgruppe dem 
M. pectoral. major, die laterale dem Serrat. antic. major zuertheilt Im Gebiet 
der oberen Extremität (7. Cervical- bis 1. Dorsalsegment) haben die Flexoren 
und Extensoren je verschiedene Kern gruppen, dagegen der N. median us und 
ulnaris, die beide der Flexion am Unterarm vorstehen, ein und dieselbe Kern¬ 
gruppe. Auch kann man im Allgemeinen sagen, dass die der Medianlinie näher 
liegenden Muskeln auch im Rückenmark die Zellen der medialen Kerngruppen 
innehaben, ein Verhältniss, das besonders bei der unteren Extremität deutlich ist. 

Discussion: 

Herr Rothmann macht auf das Problem der Wiederherstellung der Function 
bei kreuzweise vorgenommener Vernähung durchschnittener Nerven aufmerksam; 
wie steht es in solchen Fällen mit dem Centrum? 

Herr Marinesco verspricht, auch diese Verhältnisse in den Kreis seiner 
Beobachtungen zu ziehen. 

6. Herr Münzer (Prag): Zur Lehre vom Neuron. 

Auf der 72. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte waren in dem 
Referat über Nervenfaser und Nervenzelle Verworn und Nissl entgegengesetzter 
Meinung; die Lücke, die damals Nissl’s Ausführungen aufwiesen, hat sich in¬ 
zwischen Bethe auszufüllen bemüht, indem er auf Grund von Thierversuchen zu 
den Schlüssen kam: 1. der Axencyünder entsteht multicellulär, 2. der periphere 
Nerv regenerirt unter Umständen aus sich selbst, 3. der so regenerirte Nerv 
degenerirt nach nochmaliger Durohschneidung nur an seinem distalen Ende. — 
Die in dem letzten Satze ausgesprochene Mystik eines immanenten Verhältnisses 
von proximal und distal findet schon bei den Vorgängen nach Trennung der 
Wurzeln des Spinalganglions ihre einfache Erklärung. 

Den vorletzten Versuch Bethe’s hat Vortr. nachgeprüft: er durchschnitt bei 
jungen Kaninchen einen peripheren Nerven, und untersuchte nach 54 und 
160 Tagen die Schnittstellen und den peripheren Stumpf mikroskopisch. Eine 
Wiederkehr der elektrischen Erregbarkeit des peripheren Stumpfes, wie Bethe 
sie gefunden hatte, konnte Vortr. nicht beobachten, doch legt er hierauf weniger 
Werth. Er fand die Schnittstelle stets mit den benachbarten Muskeln fest ver¬ 
wachsen; nach 54 Tagen sah er in dem peripheren Stumpfe nur leere Schwann’sche 
Scheiden und Reste zerfallenen Markes, an dem kolbig verdickten proximalen Ende 
desselben aber markhaltige junge Nervenfasern. Nach 150 Tagen konnte er sehen, 
dass sich an der genannten Verwachsungsstelle ein Fettklumpen, mit Muskel¬ 
fasern vermengt, gebildet hatte, dem angelagert ein dichter Filz junger mark¬ 
haltiger Nervenfasern, von dem aus lange Ausläufer in die Bahn des alten Nerven 
hinein zu verfolgen waren. Er erklärt diese Fasern für Auswachsungsproducte 
der in dem angelagerten Muskel enthaltenen Fasern, und hält damit die An* 
schauung, dass in dem Bethe’schen Versuch die Fasern sich aus sich selbst, un¬ 
abhängig von der Zelle, regenerirt hätten, für widerlegt. 


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Er erinnert ferner daran, dass der 3. Versuch Bethe’s (zweite Degeneration 
des schon einmal regenerirten Nerven) schon 1869 von Philippean und Vul- 
pian angesteilt worden ist, dass diese Autoren dieselbe Erklärung wie Bethe 
dafür gaben, sie aber nach einer Entgegnung Ranvier’s, der auch genau die 
Verdickung des proximal-grichteten Stumpfendes untersucht hatte, widerriefen. 

Die Neuronlehre ist also hiernach durch den Bethe’schen Versuch nicht 
gestürzt 

Discussion: 

Herr Raimann hat ebenfalls den Bethe’schen Versuch nachgeprüft und ist 
zu denselben Resultaten wie der Vortr. gekommen: er fand an der Verwachsungs¬ 
stelle Muskeln und feine Nervenfasern bunt durcheinander gemischt, und konnte 
eine strangartige Verbindung zwischen den durchschnittenen Nervenenden aberall 
nach weisen. Seine Versuche sind noch nicht abgeschlossen. 

Herr Lilienstein betont, dass Bethe Werth auf die Verwendung nur 
neugeborener Thiere gelegt hat; bei älteren kam eine Regeneration nicht an 
Stande. 

Herr Obersteiner hält nach den vorgetragenen Untersuchungen das Bethe'- 
sche Argument gegen die Neuronlehre ebenfalls für hinfällig. 

6. Herr Sträussler (Wien): Ueber eine Missbildung des Centralnerven¬ 
systems und ihre Beziehung zu fötaler Hydraplegie. (Mit Demonstration.) 

9 tägiges Kind mit enormem Hydrocephalus internus, lumbosacraler Rachischisis 
und Unterentwickelung des Kleinhirns. Mikroskopisch wurde eine Verlagerung 
der Medulla oblong, gefunden, sowie als Wichtigstes ein Einschluss im Central¬ 
canal, der sich mikroskopisch als Kleinhirnsubstanz erwies. Von einem ent¬ 
sprechenden Falle Chiari’s unterschied sich der vorliegende nur dadurch, dass 
der Einschluss dieser Kleinhirnsubstanz sich über den grössten Theil des Medullar- 
rohres, vom Aquaeduct. Sylvii bis in den caudalen Theil des Rückenmarks ver¬ 
folgen Hess. — Ausserdem bestanden im ganzen CentralnervensyBtem noch eine 
grosse Anzahl anderer Missbildungen (Fehlen von Fornix und Balken, Persistenz 
der Deckplatte des Nachhirns, Verlagerung der Oliven, Heterotopieen grauer Sub¬ 
stanz, Verdoppelung von Rückenmark und Spinalganglien u. a.). 

Die von Chiari bei seinem Falle angenommene Erklärung, dass die Ent¬ 
wickelungsstörung besonders des Kleinhirns eine Folge des Hydrocephalus und 
der dadurch bedingten Raumbeengung im Schädel sei, hält Vortr. für seinen Fall 
für ausgeschlossen, vor allem, weil die Störungen in eine ausserordentlich frühe 
Embryonalperiode zu datiren sind und auch in Theilen auftreten, die von den 
Druckverhältnissen in der Schädelhöhle gänzlich unabhängig sind. Eher ist an¬ 
zunehmen, dass der Hydrocephalus eine Folge der Verlagerung des Aquaeductus 
durch Kleinhirnmasse ist. 

7. Fräulein J. v. Leonowa (Würzburg): Ueber die Entwiokelungsnbxior- 
mitäten des Centralnervensystems bei Cyclopie. 

In dem untersuchten Falle bestand ausser Cyclopie noch Mikrocephalie und 
Arhinencephalie; erhalten waren vom Centralnervensystem Rückenmark, Med. 
oblong., Vierhügel und Zwischenhirn, das Kleinhirn war stark verkümmert. Viel¬ 
fach fanden sich Heterotopieen grauer und weisser Substanz. Nach genauerer 
Schilderung der abweichenden Bildungen im Einzelnen geht Vortr. auf die Theorie 
von Dareste über die Entstehung der Cyclopenbildung ein, durch die das häufige 
Zusammentreffen dieser Missbildung mit Mikrocephalie erklärt werden kann. Die 
Ergebnisse stehen mit den schon früher von ihm mitgetheilten Thatsachen in 
schönstem Einklang. (Ausführliche Publication in Gräfe’s Archiv £. Ophthal¬ 
mologie.) 


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Discussion: 

Herr Sternberg weist besonders auf das Verhalten der Hinterstrangskerne 
in den von der Vortr. untersuchten Fällen hin, deren Zellen sehr schwach ent¬ 
wickelt sind; dies ist in solchen Fällen fast stets der Fall, trotzdem sind die 
Hinterstränge selbst ganz gut entwickelt. Es kommt also hei der normalen 
Ausbildung nicht nur der Ursprungs-, sondern auch der Endkern wesentlich in 
Frage, was in gewissem Sinne gegen die Neuronentbeorie verwendet werden kann. 

Herr Anton bestreitet die Allgemeingültigkeit der Amniontheorie von Dar es te 
für die Erklärung von Missbildungen wie die vorliegende. Es darf nicht ver¬ 
gessen werden, dass beim sich entwickelnden Organismus ganz andere Wachs- 
thumskräfte wirksam sind als beim erwachsenen Individuum. Das für die Embryonal¬ 
periode so wichtige Neuroepithel z. B. ist später ein vollkommen bedeutungsloses 
Gewebe. Er weist wie der Vorredner auf die Beziehungen solcher Fälle zur 
Neuronfrage hin: Es besteht dabei nicht selten eine auffallende Incongruenz 
zwischen der Entwickelung der Kerne und Ganglienzellen einer- und der Fasern 
resp. Muskeln andererseits; im Wachsthum scheinen beide bis zu hohem Grade 
unabhängig von einander sein zu können, der Zusammenhang wird erst durch die 
Function bestimmt. Auch in anderen Gegenden des Nervensystems kann man 
ähnliches beobachten (Retina ohne N. opticus, Acusticus- Endorgane ohne Med. 
oblong, u. a.). 


III. Sitzung vom 23. September. 

Vorsitzender: Herr Prof. Marinesco (Bukarest). 

8. Herr Marburg (Wien): Zur Pathologie der Hirngefässe. 

Es besteht seit längerer Zeit die Frage, ob die Elastica der Gefässe 
activ oder passiv bei Entzündungsvorgängen betheiligt sein kann. Jores 
zeigte bei jugendlichen Individuen isolirte Verkalkung der Elastica. Vortr. 
fand dasselbe bei einem 6 jährigen, an Rachitis und Scharlach gestorbenen Kinde 
und bei einem 24 jährigen Manne, der einer acuten Eiterung erlag, bei beiden an 
der Carotis interna. An einzelnen Stellen zeigten sich dabei auch Intima¬ 
veränderungen, wie bei echtem Gefässatherom. Verf. glaubt, dass vielleicht diese 
Elasticäpetrification als frühes Symptom einer Gefässerkrankung, als prädisponi- 
rendes Moment — neben der Syphilis und der angeborenen schwachen Anlage 
der Gefässe — für manche Frühapoplexieen heranzuziehen sei. Weiter fand 
Vortr. bei Endarteriitis der Hirngefässe echte Knorpelbildung in der gewucherten 
Zone der Intima, und zwar konnte er nachweisen, dass es sich um eine reine 
Metaplasie handelte: Umwandlung des Bindegewebes direct in Knorpelgewebe. 

9. Herr v. Jaksch (Prag): Ueber die im Manganbetriebe vorkommen¬ 
den nervösen Affeotionen. (Mit Krankendemonstration.) 

In der Manganindustrie sind Vortr. seit längerer Zeit Erkrankungsfälle auf¬ 
gefallen, die auf eine diffuse Erkrankung des Gehirns und Rückenmarks hinwiesen 
und manche Analogieen mit dem Symptomenbilde der multiplen Sklerose dar¬ 
boten. Eine genauere Beobachtung zeigte, dass von den verschiedenen in Be¬ 
tracht kommenden Manganverbindungen nur das Manganoxydul schädliche und 
specifisoh giftige Wirkungen hat. Das Krankheitsbild ist ein sehr scharf um¬ 
schriebenes: Nie fehlt das sehr charakteristische Symptom der Retropulsion: 
beim Rückwärtsgehen kommen die Kranken schon nach wenigen Schritten ins 
„Schiessen“ und fallen, wenn sie nicht aufgefangen werden, heftig auf den Rücken. 
Der Gang ist ausgesprochen spastisch; die Sprache scandirend; häufig besteht 
Zwangslachen oder -weinen, häufig leidet auch die Intelligenz. Nystagmus ist 
ein inconstantes Vorkommniss. Stets fehlen Intentionstremor, Ataxie, Romberg’- 


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Bchee Phänomen, Sensibilitätsstörungen, Schmerzen. Die Zeitdauer, während welcher 
das Gift einwirken muss, um zur Erkrankung zu führen, ist, wie das ja aa«h 
bei anderen Metallgiften beobachtet wird, sehr verschieden, schwankt von weniges 
Wochen bis zu mehreren Jahren. Die Prognose ist in den meisten Fällen infausL 
Der Nachweis von Mangan im Harn ist nicht gelungen. 

Discussion: 

Herr Marinesco: Im Gegensatz zu dem Wechsel- und Formenreichthm 
der Symptome der multiplen Sklerose steht hier die ausserordentliche Einförmigkeit 
der Fälle, ein Umstand, der, bei dem Fehlen jeder pathologischen Anatomie, die 
Gleichstellung beider Krankheiten etwas gewagt erscheinen lässt. Er fragt ferner 
nach dem Gesichtsfeldbefand. 

Herr v. Wagner findet die Aehnlichkeit mit der multiplen Sklerose, be¬ 
sonders in Bezug auf die Symptome des Zwanglachens und der scandirendea 
Sprache, doch sehr überzeugend. 

Herr Obersteiner hebt hervor, dass bei dem einen der vorgestellten Krankes 
kleinschlägiger Nystagmus in der Mittelstellung der Augen zu beobachten ist 

Herr Haenel führt gegen Herrn Marinesco an, dass bei Ueberainstimmuog 
in den übrigen Punkten die Vielgestaltigkeit der multiplen Sklerose aUein noch 
kein Grund sei, die vorgestellten Fälle nicht in pathologischer Hinsicht zu diese 
zu rechnen: jene Vielgestaltigkeit ist durch den wechselnden Sitz der Herde be¬ 
stimmt; stellt man sich vor, dass hier ein gleicher pathologisch-anatomischer 
Process durch eine constante Localisation, etwa in der Gegend der Bnlbärkerne, 
ausgezeichnet ist, so würde der von Herrn Marinesco hervorgehobene Unter 
schied an Bedeutung verlieren. 

Herr Rothmann fragt nach dem Verhalten der Babinski’schen Reflexe. 

Herr v. Jaksch: Das Babinski’sche Phänomen fehlt in den vorliegenden 
Fällen. Er glaubt doch ebenfalls, die Manganvergiftung in die Groppe der 
multiplen Sklerose einreihen zu können und hebt noch einmal hervor, von welcher 
Wichtigkeit es ist, dass wir hier zum ersten Male für diesen schon seit langes 
bekannten Symptomencomplex eine einheitliche und eindeutige Aetiologie haben 

10. Herr Friedei Pick (Prag): Ueber klinische Temperatunbu»* 
Prüfung. 

Vortr. hat einen kleinen Apparat construirt, in welchem ein kleiner Wasser¬ 
behälter durch eine vom electrischen Strom glühend gemachte Platinspirale er¬ 
wärmt wird; die Erwärmung ist dadurch genau abstufbar und kann an einem in 
das Wasser eintauchenden mit dem Handgriff fest verbundenen Thermometer ab¬ 
gelesen werden. Verwendet wurde der Apparat zur Feststellung der Schwelle 
der Wärmeempfindung überhaupt und dann des Wärmeschmerzes. Herr Neo- 
mann hat eine Reihe systematischer Untersuchungen mit demselben vorgenommen; 
er fand, in Uebereinstimmung mit Goldscheider, an verschiedenen Körperstellen 
die Wärmeschwelle sehr verschieden hoch (Unterschiede bis zu 12°C.). Durch 
den faradischen Strom, duroh Menthollösung wird diese Schwelle erhöht, durch 
Morphium und Cocain herabgesetzt, ebenso durch venöse Anämie und Hyperämie. 
Bei Tabes fanden sich Veränderungen der Empfindlichkeit fast in allen Fällen; 
bei Myelitis war zwar die Empfindlichkeits- nicht aber die Schmerzschwelle erhöbt, 
ähnlioh war das Verhalten bei der Neurasthenie. Bei Hysterie wurde ein gänz¬ 
licher Verlust der Wärmeempfindlichkeit stets vermisst. Bei Fieber war die 
Wärmeschwelle erhöht, doch stand diese Erhöhung nicht in directem Verhältnis 
zu der Steigerung der Hauttemperatur. 

11. Herr Sternberg (Wien): Zur Physiologie des Centralnervenaystcaus 
nach Studien an Hemioephalen. 

Gemeinsam mit Dr. W. Latzko hat Vortr. die Lebens&uaserungen einer 


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hirnlosen Missgeburt studirt und nach ihrem am 3. Tage erfolgten Tode das 
CentralnervenBystem untersucht. Es war vorhanden Rückenmark und Med. obl. 
bis in die Gegend des Loc. coeruleus, ferner ein höchst rudimentäres Kleinhirn. 
Der innere Aufbau zeigte eine gewisse Thierähnlichkeit. Es fehlte die Pyramiden¬ 
bahn, Monakow’sches, Gower’sches Bündel, die Kleinhirnverbindungen der Olive 
und des Pons. Die Lebensäusserungen unterschieden sich nur wenig von denen 
normal entwickelter Neugeborener. Das Wesen stiess den ersten Kinderschrei 
aus, saugte an dem in den Mund geführten Finger, legte die aus ihrer Lage ge¬ 
brachten Arme wieder zurück. Das Stimmcentrum reicht also nicht höher als 
bis in die Gegend des Loc. coeruleus. Die Beruhigung des Schreiens durch das 
Saugen am eingeführten Finger beruht auf einer Reflexhemmung, die sioh in der 
Med. oblong, vollzieht (Wirkung des „Schnullers“). Die ziemlich complicirte Coordi- 
nation des Zurücklegens der Arme geschieht'ohne Mitwirkung der Pyramidenbahn. 
Schob man einen Finger in das Händchen, so wurde dieser ergriffen und fest¬ 
gehalten; auch diese Bewegung ist also nichts als ein tiefsitzender Reflex. Das 
Geschöpf führte spontanen und reflectorischen Lidschluss aus, was gegen Mendel’s 
Ansicht vom Ursprung des Augenfacialis aus dem 3. Kern spricht. — Auf 
unangenehme Reize reagirte das Geschöpf mit verschiedenen, Schmerz und Un¬ 
willen ausdrückenden Grimassen des Mundes. Unterhalb des im Sehhügel locali- 
sirten mimischen Centrums (Nothnagel, Bechterew) muss also noch ein Centrum 
für reflectorische Mimik in der Med. oblong, liegen. Unter den beobachteten 
Grimassen ist besonders eine in Wien als „Schnofern“ bezeichnete Geberde be- 
merkenswerth, die nach Darwin schon bei Schimpansen, Orang-Utang beobachtet 
wird, auch bei Kaffernweibern häufig ist, bei Europäern sich aber in späterer 
Kindheit verliert. Auch das Festhalten deB Fingers mit der Hand ist wahr¬ 
scheinlich ein phylogenetisch alter Reflex, der für ein auf Bäumen lebendes Wesen 
sehr wichtig sein musste. Es fehlten einige Abwehrbewegungen der Extremitäten 
(z. B. beim Kitzeln der Nasenschleimhaut), die sonst Neugeborene ausführen, 
ebenso alle Reactionen auf Licht und Schall; ferner bestand eine sehr ungenügende 
Temperaturregulirung, die wohl vor allem an der Unmöglichkeit des Fortlebens 
Schuld war. 

Discussion: 

Herr Anton erinnert daran, dass die Möglichkeit einer Athmung ohne 
Medulla oblong, schon durch einen Fall von Leonowa erwiesen war, ferner dass 
die Temperatur solcher Missgeburten öfters tagelang bis auf 25° herabgesetzt 
gefunden worden ist. Die Anschauung von Petr6n, dass solche Fälle eine Art 
Atavismus darstellen, ein Stehenbleiben auf tiefer Entwickelungsstufe, hält er 
für unzutreffend; es handelt sich stets um ein Abweichen von der normalen Ent¬ 
wickelung; er hält neben dem Intactsein des Neuroepithels die Wachsthums- 
beziehungen der einzelnen Nervengebiete unter einander für das Wichtigste, wie 
sie sich erst allmählich durch die Function herausstellen. — Für die in so vielen 
Fällen beobachteten und auch hier nicht fehlenden kleinen Blutungen im Gehirn, 
besonders in den höheren Niveaus, kann er weder in dem Geburtstrauma noch 
in der Asphyxie eine Erklärung erkennen; vielleicht sind auch hierfür die Neben¬ 
nieren von Bedeutung. 

Frl. von Leonowa fragt nach der Untersuchung der Augen. 

Herr Sternberg: Dieselbe war nicht möglich, weil der Schädel als Ganzes 
zu Demonstrationszweoken aufgehoben worden war. 

12. Herr Wiener (Prag), zugleich für Herrn Münzer (Prag): Das Zwisohen- 
und Mittelhirn des Kaninchens. 

Ausführliche Darstellung der die genannten Theile zusammensetzenden und 
durchsetzenden Bahnen; für kurzes Referat nicht geeignet. — Die Thalamuskerne 


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stellen gewissermaassen eine Projection der Himrindengebiete auf kleinerem Mim- 
stabe dar. Die Pyramidenseitenstrangbahn enthält ausser den directen motorisch« 
Bahnen noch andere, aus tieferen Theilen, selbst aus den Strangzellen des Röekee- 
marks stammende Fasern. Den Namen der Schleife will Vortr. reservirt wi«n 
für die aus den Hinterstrangkernen stammenden Bahnen; die Bezeichnung „laterale 
Schleife“ soll fallen gelassen werden. (Ausführliche Veröffentlichung in der 
Monatsschr. f. Psych. u. Neurologie. XII. October.) 

Discussion: 

Herr Roth mann glaubt, dass kein Grund vorliegt, den einmal eingebürgert« 
Namen „Monakow’sches Bündel“ durch einen anderen (Tractus rubro-spinala) 
zu ersetzen. Die Pyramiden vorderstrangbahn beim Menschen und Affen ist da* 
Ergebniss der höheren physiologischen Bedeutung der cortico-spinalen Bahn bei 
diesen Species. 

Herr Wiener erinnert an die Beschlüsse des Anatomencongreeses, die ih* 
bei seiner Nomenclatur maassgebend gewesen sind und die auf eine möglichste 
Vermeidung der Eigennamen hinausgehen. 

Herr Münzer ist derselben Ansicht, um so mehr, als das nach v. Monakow 
benannte Bündel ja schon vor diesem von Held beschrieben worden ist. 

13. Herr Raimann (Wien): Ueber einen Fall von Polioenoephalitis 
(mit Demonstration mikroskopischer Präparate). 

Der vorliegende Fall bietet besonders ein ätiologisches Interesse: Es be¬ 
standen seit Jahren chronische Verdauungsstörungen; die Symptome der Polio- 
encephalitis waren zum Schluss von einer ausgesprochenen Psychose analog der 
Korsakoff’sehen begleitet. Weder Alkoholismus noch fieberhafte Krankheit« 
kamen sonst ursächlich in Betracht. — Anatomisch fand sich eine Lympbo- 
sarcomatose des Darmes mit schwerem Katarrh und Perforationsperitonitis, and 
Vortr. glaubt, dass die Polioencephalitis wohl Folge der Auto int oxication vo® 
Darm her gewesen ist. Er macht darauf aufmerksam, dass eine ähnliche Aetiologi« 
vielleicht in einer Anzahl der Fälle von Polioencephalitis in Betracht kommt, in 
denen die Anamnese Alkoholismus vermissen lässt. 

IV. Sitzung vom 24. September. 

Vorsitzender: Herr Prof. Meschede (Königsberg). 

14. Herr Rosenfeld (Karlsbad): a) Raynaud’sober Symptomencomplw 
mit Sklerodermie. 

Demonstration einer 31jähr. Kranken, die die beiden Symptome in fliessendem 
Uebergange aufweist, was ein Argument für die Natur der Sklerodermie all 
einer vasomotorisch-trophiBchen Neurose darstellt 

b) Sklerodermie mit Myosklerose. 

Demonstration eines 8jähr. Kindes mit Sklerodermie im Gesicht und in Fom 
zweier schmaler Streifen am rechten Arm und linken Bein. Eine hochgradige 
Volumsverminderung der Musculatur des linken Beins führt Vortr. auf einen der 
Hauterkrankung ähnlichen Process (sog. Myosklerose) zurück. 

15. Herr Meschede (Königsberg): Ueber die Gruppirung der Psychosen 
und die dabei au berücksichtigenden Gesichtspunkte. 

Vortr. unterscheidet in der Eintheilung der Psychosen scharf den sympto- 
matologischen von dem nosologischen Standpunkte: Hat man den enteren im Auge, 
so muss man von Geistesstörung, bei letzterem von Geisteskrankheit sprechen. 1 b 
ersteren Falle kommt eine Gruppirung auf die vier Grundformen der Manie, 
Melancholie, Verrücktheit und Demenz hinaus; leider sind diese symptomatologischen 
Namen auch im nosologisohen Sinne gebraucht worden. Bei letzterer Eintheilung 
fragt sich ferner, ob man besser thut, den Ausgangszustand, <L h. die Aetio- 


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logie, oder den Endzustand als nosologisch maassgebend zu betrachten. Vortr. 
schlägt vor, jene alten Grundbezeichnungen nur im symptomatologischen Sinne 
zu gebrauchen, die Stellung in nosologischer Beziehung durch ein einschränkendes 
Adjectivum auszudrücken, also z. B. von einer Mania epileptica, paralytica u. ähnl. 
zu reden. Will man den nosologischen Begriff allein hervorheben, so geschieht 
das am besten unter dem jedesmaligen Zusatz: Psychosis (epileptica, paranoica eto.) 
Für die Fälle, in denen die nosologische Stellung des Zustandsbildes noch nicht 
genauer fizirt ist, schlägt er als provisorisch, d. h. bis das letztere einmal der 
Fall ist, den Zusatz: „essentiell oder idiopathisch“ vor. 

Eine nosologische Gruppirung ist heutzutage noch nicht systematisch durch¬ 
führbar, eine solche vom symptomatologischen Standpunkt ist aber möglich, wenn 
man ihr die vier Grundstörangen der Bewegung: Hemmung, Beschleunigung, Ver¬ 
änderung derselben und Verringerung der bewegenden Kräfte zu Grunde legt. 
Diese finden wir in den vier Grundformen geistiger Störung wieder. Eine 
Identificirung der Hemmungs- mit den Schwächezuständen, wie sie Wernicke 
will, ist nach Ansicht des Vortr. nicht zutreffend. Er hofft, dass bei Beachtung 
dieser Gesichtspunkte in der Eintheilung die Verständigung in der Psychiatrie 
erleichtert werde. 

Discnssion: 

Herr Asohaffenburg fürchtet, dass eine Eintheilung nach rein logischen 
Regeln, wie die des Vortr., für die Bedürfnisse der Praxis nicht ansreichend sein 
werde; hier wird stets die Prognose das Maassgebende sein und diese werde des¬ 
halb am besten auch der Eintheilung zu Grunde gelegt. 

Herr Meschede betont, dass in seinen nosologischen Bezeichnungen Prognose 
und Therapie schon mit enthalten sind. 

16. Herr Roth mann (Berlin): Ueber die Ergebniase der experimen¬ 
tellen Ausschaltungen der motorischen Functionen und ihre Bedeutung 
ftir die Pathologie. 

Vortr. schliesst seine Ausführungen mit folgenden Schlusssätzen: 

1. Bei allen höheren Säugethieren bis zum Menschen zeigt die experimentelle 
Pathologie, dass die Pyramidenbahn weder die alleinige Leitungsbahn für die 
motorische Function ist, noch eine ihr allein zukommende Bedeutung für die 
letztere besitzt Doppelseitige Zerstörung der Pyramidenbahn führt zu keinen 
wesentlichen Ausfallserscheinungen von längerer Dauer. 

2. Die RestitutionBkraft der motorischen Function ist auch bei den höheren 
Säugethieren eine derart grosse, dass selbst völlige Zerstörung der motorisohen 
Leitungsbahnen einer Rückenmarkshälfte keine dauernde Lähmung herbeiführte, 
auch beim Affen nicht. 

3. Eine Untersuchung der mit Erkrankung oder Unterbrechung der Pyra¬ 
midenbahn resp. der extrapyramidalen motorischen Bahnen einhergehenden Hirn- 
und Rückenmarksaffectionen beim Menschen hat folgende Ergebnisse: a) Acute 
Zerstörung der Pyramidenbahn allein (Erweichung einer Pyramide in der Med. 
oblong.) führt zu einer mässigen Parese der entsprechenden Extremitäten, b) Acute 
Zerstörung der Pyramidenbahn und der übrigen Leitungsbahnen in' der inneren 
Kapsel oder einer Rückenmarkshälfte bewirkt eine anfangs schlaffe Lähmung, die 
nach einigen Wochen einer allerdings unvollkommenen Restitution der motorischen 
Function Platz macht. Selbst bei vollkommen durchtrennter Rückenmarkshälfte 
wird das ursprünglich gelähmte Bein wieder zum Gehen gebrauchsfähig, c) Die 
als reine Form der spastischen Spinalparalyse beschriebenen, seltenen, sehr chro¬ 
nischen Fälle von doppelseitiger Erkrankung der Pyramidenseitenstrangbahn oder 
ihres Areals ohne wesentliche Affection anderer Rückenmarkstheile gehen ohne 
eigentliche Lähmung einher. Auch die Hypertonie der Beinmusculatur darf nicht 
auf den Ausfall der Pyramidenleitung bezogen werden, da sie bei Seitenstrang- 

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affectionen fehlen kann und andererseits sicher auch ohne dieselben beobachtet 
wird, d) Es bleibt daher als einziges dauerndes Symptom des Ausfalls der Pjrv 
midenbahnleitung nur die Reflexsteigerung übrig, e) Die Betrachtung der Halb- 
seitenläsionen in der Med. oblong, lehrt, dass die Pyramidenbahn allein bei Ausfall 
der übrigen motorischen Leitungbahnen im Stande ist, die motorische Functioc 
ohne Störung aufrecht zu erhalten. 

4. Die Uebereinatimmung zwischen Thierexperiment und menschlicher Patho¬ 
logie ist also eine weitgehende. Beim Menschen ist die Bedeutung der Pyranriden- 
bahn etwas grösser, ihr Ersatz durch die übrigen Bahnen vollzieht sich nur all¬ 
mählich; doch ist die Restitutionskraft der motorisohen Function beim Mensch« 
kaum geringer als bei den höheren Säugethieren. 

Disoussion: 

Herr Anton: Die Beziehungen des Tonus zu den Pyramidenbahnen gestaltet 
sich 80 , dass das Endergebnis von dem Verhältnis zwischen der Function der 
Seiten* und Hinterstränge abhängt. Elin Beispiel hierfür ist u. A. das Neugeborene, 
das physiologisch spastich, hypertonisch ist. Der Einfluss der Pyramidenbahn 
auf die trophiche Sphäre bleibt auch nach den Ausführungen des Vortr. dunkel 

Herr Haenel: Für das vicariirende Eintreten der phylogenetisch alten rubro- 
und thalamo-spinalen Bahnen an Stelle der ausgefallenen Pyramidenbadin auch beim 
Menschen gab ein von ihm anatomisch untersuchter Fall eine schöne Illustration: 
ein encephalitischer Herd hatte in frühester Jugend den einen ganzen Hirnschenkel- 
fuss mit Einschluss der Pyramidenbahn vollständig zerstört. Die motorische 
Funktion war trotzdem in weiten Grenzen erhalten, es bestanden seit lang« 
Jahren Athetosebewegungen, post mortem zeigte sich eine hypertrophische Ent¬ 
wickelung des Monakow’schen Bündels sowie einiger anderer Bahnen ndt 
motorischer Leitung, die die Function der Pyramidenbahn übernommen hatten. 

Herr Roth mann: Schlusswort. 

17. Herr Stransky (Wien): Ueber diaoontinuirliohe Zerflülsprooeasa 
am peripheren Nerven. 

Die bisherigen anatomischen Forschungen haben die Faser gegenüber der 
Zelle oft vernachlässiget. Gombault war der erste, der discontinuirliche, der 
Restitution fähige Zerfallsprocesse an der Nervenfaser beschrieb. In Anlehnung 
an seine Versuche hat Vortr. kleine Dosen von Bleisalzen lange Zeit per os an 
Kaninchen verfüttert; die Thiere starben meist nach 1 bis 5 Wochen in ein« 
Art Status epilepticus. Von den Nerven werden Zupfpräparate und Querschnitte 
angefertigt, von Färbungen meist die nach Marchi angewendet. Vortr. faod 
eine Vermehrung der Myelinkugeln, wie sie Elzholz am centralen Stumpfe 
amputirter Nerven beschrieben hat, in einzelnen Segmenten, meist in der Nachbar¬ 
schaft des Axencylinders gelegen; später dehnte sich der Zerfall über mehrere 
Segmente aus, die Kerne der Schwann’schen Scheide waren vermehrt, das 
Protoplasma derselben in Spindelform angehäuft. Der Axencylinder war in viel« 
Fällen intact, in anderen zeigte er bei der Färbung Veränderungen, wurde blasser, 
breiter, selbst unfärbbar, ohne dass doch Vortr. sich für berechtigt hält, ihn 
deshalb für* zu Grunde gegangen anzusehen. Auch zeigte sich niemals echte 
Wall er'sehe Degeneration in den peripher von der erkrankten Stelle gelegenen 
Abschnitten, der Axencylinder war dort stets erhalten. — In späteren Stadien 
konnte dann eine Phase der Restauration beobachtet werden, die aber nicht ah 
directe Fortsetzung von den gesunden Abschnitten aus sich darstellte, sondern, 
ebenso wie der Zerfall, diacontinuirlich auftrat, oft durch erkrankte Strecken 
nach beiden Seiten vom gesunden Nerven getrennt. — Lähmungserscheinungen 
waren im Gebiete der erkrankten Nerven nie zur Beobachtung gekommen. Die 
Versuche stellen einen Beweis für die trophische Selbständigkeit der Ranvier'* 
Segmente dar; die Intactheit oder der Zustand der Schwann’schen Scheide 


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überhaupt scheint für dieselbe von wesentlicher Bedeutung zu sein. Die Degeneration 
ist hier echt parenchymatöser, nioht entzündlicher Natnr. 

18. Herr Fuchs (Wien), zugleich für Herrn Braun (Wien): Ueber ein 

neuraethenieohee Pulzphänoraen. 

Es handelt sioh um die Frage, in wieweit der Vagus als Herzregulator bei 
der leichten Arhythmie in Betraoht kommt, die bei Neurasthenikern nioht selten 
bei leichter Muskelarbeit oder bei Aenderung der Athemfrequenz beobachtet wird. 
Vortr. machten deshalb folgenden Versuch: Bei einem auf dem Bücken ruhenden 
Neurastheniker wurde das Sphygmogramm in fortlaufender Weise aufgeechrieben. 
Schon nach der leichten Arbeit des einmaligen Hebens des gestrebten Beines 
gegen Widerstand wurde auf der Pulscurve regelmässig eine Arhythmie bemerkbar. 
Dieselbe blieb aus, wenn ein Vagusgift, d. h. Atropin in der Gabe von 0,001g 
gereicht wurde. Verschwand die Wirkung des Atropins allmählich, so kehrte 
die Irregularität wieder, die sich hierdurch als Vaguswirkung zu erkennen gab. 

19. Herr Kalmus (Prag): Skizze de« derzeitigen Standes der Irren¬ 
pflege in Böhmen. 

Für 6 1 / 2 Millionen Einwohner bestehen in Böhmen fünf öffentliche Irren* 
anstalten: Prag, Dobrzan, Kosmanos und die Filialaastahen Ober-Berkowicz und 
Woporan. Dobrzan mit 1600 Kranken ist von diesen die modeniste. Insgesammt 
standen 1901 4176 Plätze zur Verfügung (d. i. 0,661 auf 1000 Einwohner). 
Die Folge hiervon ist eine dauernde UeberfÜllung der Anstalten, worunter am 
meisten die Prager zu leiden hat (800 Plätze mit 1446 Kranken belegt!). Durch 
Neubauten ist die Zahl der verfügbaren Plätze heute auf 4412 gestiegen; aber 
auch, wenn die II. psychiatrische Klinik, deren Errichtung in Prag geplant ist, 
vollendet ist, würde die wünschenswerthe, in Deutschland übliche Zahl der Betten 
(2 auf 1000 Köpfe der Bevölkerung) erst erreicht sein, wenn weitere 6000 Plätze 
geschaffen würden. Vortr. glaubt, dass die Gründung von Irrenhülfsvereinen eine 
gewisse Besserung schaffen könnte. Ausserdem seien anzustreben die Errichtung 
von besonderen Anstalten je für Schwachsinnige, für Epileptiker und für Trinker. 
1901 wurden in Böhmen nicht weniger wie 26,000 „notorische Trinker“ gezählt. 

20. Herr Löwenthal (Braunschweig): Die objeotlven Symptome der 
Neurasthenie. 

Man hat zu unterscheiden zwischen rein objectiven Symptomen und bedingt 
objectiven, bei deren Zustandekommen oder Nachweis die Mitwirkung des Patienten 
nothwendig ist. Zu den ersteren gehören: 

Störungen der Ernährung in der allgemeinsten Form, die selten ganz fehlen, 
zum mindesten in der Form auffälliger Gewichtsschwankungen. Zu erwähnen ist hier: 
Haarausfall, Hämoglobinmangel, alimentäre Glycosurie, Oxalurie. Weiter dispo- 
niren neurasthenisch veränderte Zellen zu spastischen Störungen in den verschie¬ 
densten Körperabschnitten, einmal der glatten Musculatur der Gefässe (dauernde 
Röthe des Gesichts, der Ohren, Conjunctiven, Mannkopff’s, Erben’s Phänomen), 
dann der dee Inteetinaltractus (Cardioepasmus mit Cardialgie, Pyloruscontraction, 
spastische Obstipation, Colica mucosa, Enterospasmus, Spasmus dee Sphincter ani, 
externuB sowohl wie internus, Dysmenorrhoe); ferner im Gebiete des Respirations- 
tractus (Asthma nervosum, Zwerchfellsasthma) und des Drüsenapparates (Schweiss- 
vermehrung an Händen und Füssen, verminderter galvanisoher Leitungswider* 
stand, Speichelfluss, Secretionsneurose des Darms, Spermatorrhoe). Im Gebiete 
der quergestreiften Musculatur gehört zu den rein objeotiven Symptomen ein be¬ 
stimmter, nicht simulirbarer Tremor und die Steigerung der Reflexe. 

Zu der zweiten Gruppe gehören alle die verschiedenen Störungen der Sen¬ 
sibilität; am objectivsten zu prüfen ist hierbei die Erhöhung der faradocutanen 
Schmerzempfindlichkeit mit der Erb'sehen Elektrode, sowie die Herabsetzung der 
Empfindlichkeitssch welle bei der Temperatursinnsprüfnng. Für die Localisation 

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der objectiven Symptome zieht Vortr. die Edinger’sche Theorie dee ungenügend« 
Ersatzes heran. 

21. Herr Mari na (Triest): Ueber die PupUlenreaotion bei der Convertern. 

Ein Centrum für die Convergenzreaction der Pupillen ist bisher nicht be¬ 
kannt. Um sich über die Existenz eines solchen klar zu werden, stellte Vortr. 
folgende Versuche an: er durchschnitt bei Affen den Reet, internus und d« 
0bliquu8 super, und nähte die Sehne des letzteren an die Insertionsstelle de« 
ersteren an; das gleiche machte er mit dem Abducens: auch dieser liees sich an 
die Stelle des Internus anheilen. Es stellte sich heraus, dass nach einiger Zeit 
die Conyergenzbewegung wieder normal wie vor der Operation außgefuhrt wurde, 
und dass bei der jetzt durch die anderen Muskeln bewirkten Convergenz dk 
Pupillenverengerung ebenso wie früher eintrat. Er konnte dieselbe Pupillen- 
reaction auch erzielen, wenn er die neuimplantirten, blossgelegten Convergenx- 
muskeln faradisch zur Contraction brachte, ja sogar, wenn er mit der Pincetw 
an denselben zog und so eine mechanisch erzeugte Einwärtswendung hervorbrachte. 

Vortr. kommt also zu dem Schlüsse, dass die Annahme eines Convergarz- 
centrums gar nicht nöthig ist, die Reaction der Pupille ist in diesen Fällen nur 
eine auf die Accommodation. Aber auch ein Centrum für die Seitwärtswendung 
ist hiernach nicht nur überflüssig, sondern sogar unwahrscheinlich; das Gehirn 
kennt überhaupt keine einzelnen Muskeln und Nerven, sondern nur Richtung« 
und Bewegungsformen, in dem Sinne, wie Hitzig schon von Anfang an seine 
„Centren“ verstanden wissen wollte. 


Aus den anderen Abtheilungen: 

Abtheilung für Anatomie und Physiologie: 

Herr S. Garten: Ueber die elektrischen Erscheinungen am markloMO 
Nerven. (Vortrag mit Projectionsbildern.) 

An einer Reihe von Capillarelektrometercurven, welche bei Untersuchung d® 
marklosen Riechnerven des Hechtes gewonnen wurden, zeigt der Vortr., dass für 
wichtige Fragen der allgemeinen NervenphyBiologie mehr, als es bisher geschehen 
ist, die Erscheinungen an den marklosen Nerven zu berücksichtigen sind. 

Folgende Erscheinungen werden durch Beispiele erläutert: Das Doppel- 
phasischwerden des Actionsstromes bei Längsquerschnittsableitung, und hieran 
knüpfte sich der Beweis, dass die zweite Phase durch Vorgänge bedingt ist, die 
sich in der Nachbarschaft des Querschnittes abspielen müssen. — Die Ermüdung 
deB ganzen Nervenstammes in Folge von Reizungen am einen Ende und ins¬ 
besondere die nachfolgende Erholung des Nerven. — Die auffallend rasche Er¬ 
müdung an dem mit Veratrin vergifteten Nerven, — dagegen am frischen Nerven 
Treppenphänomen und positive Nachschwankung. 

Von den Curven, die den Ablauf der elektrotoniscben Ströme wiedergeben, 
sei insbesondere auf den Anelektrotonus hingewiesen, wie er bei kurzer Schluss 
zeit erst nach Oeflhung des constanten Stromes auftritt Er entwickelt sich dann 
so langsam, dass man als Ursache für denselben wohl nur solche chemische Pro- 
cesse annehmen kann, die erst 8ecundar in der lebendigen Substanz durch den 
vorher auf sie wirkenden constanten Strom ausgelöst werden. (Autoreferat) 

2. Herr Ascher (Bern): Ueber peripheren Nerventonus. 

Vortr. hat vor Allem den Gefässnerventonus untersucht Man macht die 
Erfahrung, dass auch nach Entfernung des Centralnervensystems ein hoher Blut¬ 
druck, also ein Gefässtonus bestehen bleibt Zur genaueren Feststellung dieser 
Verhältnisse führte Vortr., nach dem Vorgänge von Francois Franck, die 
locale Naroose der Medulla oblongata aus, und zwar mit Eucain, weil Cocain, 
das bisher öfters gebraucht wurde, anämisirend und deshalb vielleicht reizend 


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wirkt. Dabei beobachtet man, dass der Blutdruck sinkt, bei Aufhören der Nar- 
cose wieder steigt. Der Geiasstonus wird also von dem Gefässnervencentrum in 
der Medulla oblongata unterhalten. — Ein zweiter Versuch bestand darin, dass 
Vortr. das Ohr des Kaninchens von sämmtlichen nervösen Verbindungen trennte 
und eine Wiedervereinigung verhinderte: der Gefässtonus blieb auch bei langer 
Beobachtung dauernd versohwunden, woraus geschlossen werden muss, dass der 
centrale Tonus nicht durch den peripheren ersetzt werden kann. 

Abtheilung für innere Medicin. 

Herr 0. Ziemssen (Wiesbaden): Gesichtsfeldanfnahm e alt Oontrole in 
der Behandlung der Hirn* und Büokenmarksluea. 

Vortr. kommt zu folgenden Sohlusssätzen: 

1. Hirn- und Rückenmarkslues ist selbst bei ungestörtem allgemeinem Ge¬ 
sichtsfelde oft vereinigt mit einer Erkrankung des N. opticus, die Gesichtsfeld* 
einengung für roth und grün bewirkt. 

2. In den Veränderungen der Grenzen für die Farben Wahrnehmung hat man 
eine Controle für die Besserung oder Verschlimmerung des Hauptleidens. 

3. Die Besserung ist im Allgemeinen eine langsame. 

4. Bei einzelnen Patienten änderte sich der Zustand während scharfer 
Inunctionskur zum Besseren, während des Aussetzens derselben zum Schlechteren 
und bei erneuter Kur wieder zum Besseren. 

5. Scharfe Inunctionskuren von 15—20 g täglich bewirkten nie eine Ver¬ 
schlimmerung (auch nicht bei Fällen, in denen die Diagnose auf Tabes gestellt 
worden war). 

6 . Je höher die Tagesdosis genommen und je länger die Kur fortgesetzt 
wurde, um so besser war das Endresultat. 

Abtheilung für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

1. Herr Neubauer (Wien): lieber das Wesen der Oanriumaohwäraung. 

Vortr. hat die chemische Constitution der Stoffe und Verbindungen unter¬ 
sucht, die mit Osmiumsäure Schwarzfärbung ergaben, und hat gefunden, dass das 
Gemeinsame aller der hierbei in Betracht kommenden Verbindungen das Vor¬ 
handensein einer doppelten Bindung der C- oder CH-Atome ist: von verschie¬ 
denen chemisch ganz ähnlioh zusammengesetzten Stoffen zeigt nur der die Osmium¬ 
schwärzung, in dessen Formel eine doppelte Bindung des C-Atoms vorkommt; 
geht in einem Körper durch Umlagerung der Atome die vorher vorhandene 
doppelte Bindung in die einfache über, so geht die Eigenschaft der Schwärzung 
durch Osmiumsäure verloren, und umgekehrt. Das Osmium ist also kein Reagens 
auf Fett, sondern nur auf doppelte Bindung; wenn beim Markscheidenzerfall 
Schwärzung auftritt, so ist damit kein Fett nachgewiesen, sondern es ist dieselbe 
sehr gut vielleicht so zu erklären, dass aus dem Lecithin, das den C in einfacher 
Bindung enthält, Neurin entstanden ist, das zwei doppelte Bindungen aufweist. 

2. Herr Fischer (Prag): Ein Fall von Paohymeningitia ohronioa ex¬ 
terna spinalis „idiopathioa“. 

Im Bereiche des 3.—6. Dorsalsegmentes hatte sich bei einer 44 jährigen 
Frau eine schwielige Auflagerung auf der Aussenseite der Dura entwickelt, die 
erst Wurzel-, später Compressionssymptome gemacht hatte. Mikroskopisch Hessen 
sich in der schwieligen Masse einige wenige tuberkelähnliche Knötchen nach- 
weisen, die aber in ihrer histologischen Beschaffenheit auf Syphilis deuteten. 

3. Herr Fischer (Prag): Einige Bemerkungen über die Färbung 
pathologischer Gliafbrmationen. 

Vortr. demonstrirt Schnitte von GHom und multipler Sklerose, die er auf 


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die Weise gefärbt hatte, dass er Schnitte bei 45—50° C. in 0,2 °/ 0 wäaeriga 
Chromsäurelösung durch 4—8 Stunden färbte und dann nach Pal differemirw. 
Als Nachfärbung diente eine concentrirte Orangelösung mit einer Spur Siara- 
fuchsin. Normale Glia wird durch dieee Methode nur sehr unvollkommen gefärbt, 
bei pathologischer Glia erscheinen Fasern und Kerne scharf und schön schwan, 
Bindegewebe, Axencylinder und Protoplasma gelb in verschiedenen Nüanceu, Mark, 
scheiden blau. Die durch Einfachheit ausgezeichnete Methode spricht dafür, da» 
die chemische Beschaffenheit der pathologischen Glia eine andere ist als die der 
normalen. — In der wuchernden Glia kann man mit dieser Methode den Ueber- 
gang von Zellfortsätzen in Gliafasern nachweisen; in der „ruhenden“ Glia erhält 
man die gleichen Bilder, wie sie Weigert beschrieben hat. 

Ausserdem erwähnt Vortr. eine Modification der Ma 11 ory’sehen Phosphor- 
molybdänsäurehämatoxylinfärbung: differenzirt man nach der Färbung mit einer 
schwachen Lösung von Lith. carbon., so erhält man eine Trennung der Gliafasern 
von den Zellfortsätzen; erstere erscheinen dunkelblau, letztere graublau. 

Abtheilung für gerichtliche Medicin. 

Herr Schäfer (Bingen): Zur Pathologie der posttraumatischen Kücken- 
markserkrankungen. 

Vortr. beobachtete und untersuchte anatomisch einen Fall, der an den Spät¬ 
folgen einer RückenmarkBerschütterung starb. 21 jähriger, bisher gesunder Mann, 
durch Fusstritte in den Rücken misshandelt. 4 Tage lang ohne jede Beschwerde: 
am 6. Tage ziehende Schmerzen im Kreuz und Leib. Fehlen jeder äuseeren Ver¬ 
letzung; am 10. Tage Harnverhaltung, Beschwerden beim Gehen, ging aber bii 
zum 14. Tage noch seinem Berufe voll nach, an diesem Abend sogar noch rar 
Kirchweih. Am 15. Tage wegen rascher Zunahme der Schwäche in den Bein« 
bettlägerig, Blasen- und Mastdarmlähmung; nach 6 Wochen beginnender Decubitus, 
totale Paraplegie der unteren Extremitäten, Verlust der Sensibilität vom 10. Brust¬ 
wirbel abwärts; nach 4 T /' 2 Monaten Tod an Pyelonephritis und Decubitus. 

Anatomisch: Wirbelsäule völlig unversehrt, weder alte noch neue Blu¬ 
tungen. Mikroskopisch: Erweichungsherde im unteren Sacralmark; unter« 
Lumbalmark normal, im oberen Lumbalmark Erweichung in den Hintersträng« 1 - 
im unteren Dorealmark totale Querschnittsdestruction mit Erweichung, im ober« 
Dorsalmark systemlose Degenerations- und Nekroseherde, Oedemspalten, secundire 
Gliose im ventralen Hinterstrangsfeld, au&teigende Degeneration der Go 11’sehen 
Stränge. Vom 6. Cervicalsegment an wieder alles normal Auch hier nirgends 
Spuren von Blutungen oder Blutreste. — Die Degenerationen charakterimra 
sich histologisch als rein ischämische Erweichungen; da Blutungen, Quetschungen» 
Zerrungen bestimmt ausgeschlossen werden können, bleibt nur die Annahme ein« 
directen traumatischen Nekrose (Schmaus-Obersteiner) übrig. Audi 
Kocher erkennt ja neuerdingB das Vorkommen einer „degenerativen Quetschung 
ohne Blutung“ an, wenigstens für das Gehirn; da bei völlig unversehrter Wirbel¬ 
säule schon Gefässzerreissung oft erheblichen Umfangs am Rückenmark vor ‘ 
kommen kann, so ist es wohl begreiflich, wenn auch einmal das ja noch n® 
vulnerablere Nervengewebe direct geschädigt wird. 

Das Fehlen aller bedenklichen Symptome in der ersten auf das Traum» 
folgenden Zeit kann wegen der fehlenden Nöthigung zur Schonung für den Ver¬ 
letzten verhängnissvoll werden und ist es im vorliegenden Falle vielleicht auch 
geworden. 


Im Anschluss an die Versammlung hielt der Verein abst i n en ter AM** 
des deutschen Sprachgebietes seine Jahressitzung ab. Vorträge: 


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I. Herr Eassowitz (Wien): Ueber Nahrung and Gift. 

J. R. Meyer sagte auf Grund seiner Ansicht von den Nahrungsmitteln als 
Brennmaterial, dass die Spirituosen, aus Gährung aus den Kohlehydraten ge¬ 
wonnen, ebenso wie diese selbst ein vorzügliches Brennmaterial seien. Nun wird 
aber die Nahrung nicht vollständig verbrannt, sondern zum Theil zum Körper¬ 
aufbau verwendet und erst secundär wieder abgebaut; ein Beweis für einen Vor¬ 
gang, in dem Nahrungsmittel nur verbrannt, nicht erst zum Theil mit zum Auf¬ 
bau verwendet werden, ist noch nicht erbracht. Mit anderen Worten: dass aller 
Stoffwechsel ein metabolischer ist, ist sicher; ob es auch einen rein katabolischen 
giebt, ist noch nicht nachgewiesen. 

Vom Alkohol steht unzweifelhaft fest, dass er ein Gift ist (Pflanzen-, Proto¬ 
plasma-, Fütterungsversuche u. s. w.). Dass er daneben und zugleich auch ein 
Nahrungsmittel sein soll, wäre eine einzig dastehende Thatsache, ein unverständ¬ 
licher Widerspruch. Vortr. berichtet über Experimente von Chauveau, der ver¬ 
suchte, bei einem im Tretrade arbeitenden Hunde einen Theil des Zuckers und 
Eiweisses der Nahrung durch die gleiche Calorienmenge Alkohol zu ersetzen. Der 
Hund, der vorher bei täglich 20 km Laufleistung an Gewicht zugenommen hatte, 
lieferte dann trotz dauernder Anstachelung nur noch 17 km, und nahm trotzdem an 
Gewicht ab. Also hat der Alkohol, abgesehen von seiner narcotischen Wirkung, 
auch als Protoplasmagift auf die Körperzellen gewirkt, er ist nicht gleichzeitig 
nützlich und schädlich, nicht Nahrung, nur Gift; demnach sollte man endlich 
aufhören, ihn als Stärkungsmittel bei Kranken, Reconvalescenten, schwächlichen 
Kindern zu geben. 

Discussion: 

Herr Hüppe wendet sich dagegen, dass die Begriffe „Nahrung“ und „Gift“ 
unvereinbare Gegensätze seien. Er erinnert an die giftigen Stoffwechselproducte, 
die im Körper selbst aus der Nahrung entstehen (Fettsäuren, Peptone). Der 
Körper verfügt eben über Entgiftungsmechanismen, die auch gegenüber dem Al¬ 
kohol wirksam sind; die letzteren werden aber heute im Uebermaass, täglich, 
fast stündlich in Anspruch genommen. — Alkohol braucht also nicht schlechthin 
ein Gift zu sein; seine sparende Wirkung kann aber erst dann in Kraft treten, 
wenn man die Giftwirkung in Kauf nimmt, und darin liegt die grosse Gefahr. 
Geringe Mengen werden zwar durch Entgiftung unschädlich gemacht, nützen aber 
auch nichts. 

Herr Rosenmann vertritt den gleichen Standpunkt wie Herr Hüppe und 
kritisirt ausserdem die Chauveau’schen Versuche: in diesen sind viel zu grosse 
Alkoholgaben gereicht worden, die offenbar eine schwere Betrunkenheit des Hundes 
hervorgerufen haben. Dann kann man dieselbe Arbeitsleistung nicht mehr gleich 
demselben Aufwand von potentieller Energie setzen; Ermüdete, Ungeübte, Betrunkene 
brauchen zur selben absoluten Leistung mehr potentielle Energie wie Normale, 
die Gewichtsabnahme des Hundes findet also hierin eine ausreichende Erklärung. 
Ausserdem ist es prinzipiell nicht ausgeschlossen, dass der Körper nicht auch 
die Spannkräfte eines giftigen Körpers zu seiner Ernährung ausnützt. 

Herr Lenzmann hält den Vergleich des Herrn Hüppe zwischen Alkohol 
und Pepton nicht für überzeugend; letzteres wird nicht als solches vom Körper 
ausgenutzt, sondern nur, wenn es, weiter umgesetzt, wieder aufbauendes Eiweiss 
liefert; beim Alkohol ist dieser Kreislauf ausgeschlossen. 

Herr Kassowitz (Schlusswort) hält seine Anschauung, dass Nahrung und 
Gift unversöhnliche physiologische Gegensätze seien, durch die vorgebrachten Ein¬ 
wände nicht für erschüttert. 

2. Herr Friok (Zürich): Die Behandlung fieberhafter Krankheiten ohne 
Alkohol. 

Vortr. ist in der I^age gewesen, an gut vergleichbarem Krankenmaterial die 


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Heilresultate bei Infectionskrankheiten unter Alkoholdarreichung und ohne denselben 
zu studiren. Er kommt bei Erwägung aller Gründe zu dem Endresultat, das 
die plötzliche Entziehung des Alkohols bei Potatoren ohne alle Gefahr ist, und 
dass fieberhafte Krankheiten, speciell die fibrinöse Pneumonie in allen Lebens¬ 
altern, ohne Alkoholdarreichung besser und leichter verlaufen und weniger Todes¬ 
fälle mit sich bringen, als mit Alkohol. 

Discussion: 

Herr Haenel erinnert an die Beobachtungen Bonhöffer’s, der nach Studien 
an GefängnissinBassen zu dem Ergebniss kam, dass u. Umst. die plötzliche Alkohol¬ 
entziehung allein bei Potatoren genügt, um ein wenn auch leichtee, milde ver¬ 
laufendes Delirium tremens hervorzurufen, also doch nicht unter allen Verhält¬ 
nissen ohne jede Gefahr ist. 

Herr Aschaffenburg theilt mit, dass er als Gef&ngnissarzt in Halle a S. 
dieselben Erfahrungen wie Bonhöffer in einigen Fällen hat machen müssen. 

H. Haenel (Dresden). 


Wanderveraammlung des Vereins für Psychiatrie und Neurologie in Wien 
am 11. und 12. Ootober 1801. 

(8chluss.) 

IV. Sitzung am 12. October 1901. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1902. Nr. 4.) 

Vorsitzender: Prof. Obersteiner; Schriftführer: Docent Dr. Elzholz. 

Herr Schlöss: Die Alkoholabstinenz in öffentlichen Irrenanstalten. 

Als therapeutisches Mittel könne Alkohol in Irrenanstalten nicht entbehrt 
werden; als Genussmittel soll er nur in jenen Anstalten eliminirt werden, in 
welchen solche Kranke, denen der Alkoholgenuss überhaupt versagt bleiben muss, 
in grösserer Anzahl vertreten sind; d. i. bei Alkoholikern und jenen unbotmäasigen, 
zu Gewalttätigkeiten geneigten Degenerirten, die gerade nicht immer Alkoholiker 
sind, wenn sie auch in der Regel als solche bezeichnet werden. Im übrigen ist 
nur mässiger Alkoholgenuss zu gestatten, und nur solchen Kranken, deren geistiges 
und körperliches Befinden nioht dadurch beeinträchtigt wird. 

Discussion: 

Herr Pick betont, dass er nicht aus Principienreiterei, sondern durch äussere 
Momente bewogen, den Alkohol (mit Ausnahme medicamentöser Verwendung) seit 
2 Jahren abgeschafft habe, eine Maassregel, die der seitherige Erfolg gerechtfertigt 
erscheinen lässt. 

Herr v. Wagner meint, der in Irrenanstalten verordnete Alkohol sei meist 
Genussmittel; die Frage der Abstinenz der Anstalten sei eine offene, da der Unter¬ 
schied von abstinent und nicht abstinent hier nur darin bestehe, dass in den 
einen öffentlich, in den anderen geheim getrunken werde. 

Herr v. Krafft-Ebing bemerkt, dass der Alkohol aus der Beobachtungs- 
Station des allgemeinen Krankenhauses fast ganz geschwunden sei, höchstens als 
Excitans werde er verwendet, doch ersetzen ihn hier Kampfer und Aether völlig. 
In ländlichen Irrenanstalten mit Feldarbeit könne man gegen Most und leichtes 
Bier nichts einwenden. Schliesslich verweist Redner auf das russische National- 
getränk „Kwass“, das nur 1 °/ 0 Alkohol enthalte, sehr erfrischend und billig sei 
und Einführung in Irrenanstalten verdiene. 

Herr Obersteiner empfiehlt gleichfalls den Kwass. 

Herr Schlöss vertheidigt sich gegen die Anschauung, dass er den Nährwerth 


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des Alkohols überschätze und stimmt sonst mit den Ausführungen v. Wagner’s 
überein. 

Herr Marburg: Zur Pathologie der Spinalganglien. 

Ausgehend vom Entzündungsprocess der Spinalganglien, der anfangs lediglich 
als Wucherung des Zellkapselendothels aufgefasst wurde und als soloher bei der 
Rabies eine Bolle spielte, dann aber, von Head und Campbell in ätiologische 
Beziehung zum Herpes zoster gebracht, sich in dem Ganglion findet, das der 
Blaseneruption entsprach, kam Vortr. auf seine Untersuchungen, welche diese Ver¬ 
änderungen wiederholt zeigten. Besonders war auch hier Zoster, aber auch Pem¬ 
phigus betheiligt, welch letzterer sich von ersterem durch Art der Anordnung der 
Entzündung, die hier mehr regionär (im Ganglion) war und Ausbreitung über 
die Mehrzahl der Ganglien unterschied und schliesslich in einem Falle noch durch 
schwere cystöse Veränderung im Ganglion complioirt war. Dort, wo sich diese 
Läsion sonst fand, bestand als Gemeinsames eine trophische Störung (unter anderem 
Blaseneruption der Hand bei einer Vergiftung; in den entsprechenden Ganglien 
Entzündung). Obwohl die Experimentaluntersuohungen den Einfluss der Spinal¬ 
ganglien auf die Trophik darthun, kommt man auf Grund histologischer Unter¬ 
suchungen über die drei Möglichkeiten: die Veränderung im Ganglion ist Ur¬ 
sache oder Folge der trophischen Störung oder beiden kommt eine gemeinsame 
Ursache zu, sie sind gleichzeitig, aber unabhängig von einander entstanden, nicht 
hinaus. 

Herr G. Alexander: Ueber einen Pall von rheumatischer Faoialis- 
lähmung mit anatomischer Untersuchung. 

Während einer Bahnfahrt acquirirte ein 47 Jahre alter Pat., der an Oeso- 
phaguscarcinom litt, durch Luftzug eine complete, linksseitige Facialislähmung 
(20. August). Dieselbe bestand bis 16. September 1900, an welchem Tage Pat 
seinem Leiden erlag. 

Bei der Untersuchung des N. facialis, Ganglion geniculi, der Chorda tympani, 
des N. petrosus superficialis major der linken Seite fand sich degenerative Ent¬ 
zündung, und zwar kleinzelliges Infiltrat im Knieganglion und in dem im Facialis- 
canal verlaufenden Abschnitt des Gesichtsnerven, sonst reine Degeneration. Die 
Infiltration folgt dem Endoneurium. Der im inneren Gehörgang verlaufende Ab¬ 
schnitt des Facialis war normal. Trotz Fehlens von Bakterien wird die Möglich¬ 
keit einer infectiösen Erkrankung angenommen, wobei die Erkältung als prä- 
disponirendes Moment aufzufassen sei. 

Herr Erwin Stransky demonstrirt Präparate zur Hlustration der oonser- 
virenden Wirkung des Paraffinöls. (Bereits in d. Centralbl. erschienen.) 

Herr v. Krafft-Ebing: Ueber Entmündigung. 

Während Frankreich, Italien und Deutschland neben einer „mangelnden 
Dispositionsfahigkeit“ eine „beschränkte Dispositions- bezw. Geschäftsfähigkeit“ 
besitzen, so dass man hier milderen Graden von Geistesgestörtheit (originäre oder 
secundäre Geistesschwäche, viele Fälle von Paranoia, Irresein in Zwangsvorstellungen, 
Mania und Melancholia sine delirio u. s. w.) gerecht wird, indem ein gerichtlicher 
Beistand denselben zur Seite steht, ohne dessen Zustimmung die Acte der gerichtlich 
Geschützten null und nichtig sind, ist das in Oesterreich nicht der Fall. 

Deshalb wäre diese Gesetzgebung folgendermaassen umzugestalten: 

Jede Geisteskrankheit soll angezeigt und für den Kranken sofort ein provi¬ 
sorischer Curator bestellt werden, der für Person und Habe des Erkrankten ein- 
tritt Dieser Curator soll möglichst Jurist sein (für grössere Anstalten ein 
Justitiarius). 

Der Rechtsschutz erfolgt definitiv als „Verbeiständung“ und „Ent¬ 
mündigung“. 


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Die erstere, mildere Form kann durch außergerichtliches Verfahren, im Falk 
von Seite des Verbeistandeten keine Einsprache erhoben wird, erlangt werden. 
Erfolgt jedoch Einsprache, dann tritt contradictorisches Verfahren ein. 

Dasselbe ist unerlässlich bei Entmündigung und muss mit allem Cautelen 
umgeben sein (Staatsanwalt, zwei Gerichtsärzte, Berufung durch alle Instanzen). 
Die Entmündigung wird jedoch in der Praxis oft entbehrlich sein, wenn dieselbe 
— wie im deutschen Gesetz — nicht eintreten muss, sondern, sofern es die 
Verhältnisse des individuellen Falles verlangen, eintreten kann. 

Die Bestellung von Beiständen soll immer Sache des Richters sein; Juristen 
(Notare, Advocaten) wären zu solchem Amte in erster Linie berufen und nach 
bestimmten Normen dafür zu honoriren. 

Als verschiedene Gradstufen der Schutzbedürftigkeit wären „geistige Krank* 
heit“ und „geistige Gebrechlichkeit“ vorzuschlagen; erstere würde Entmündigung, 
letztere Verbeiständung erfordern. Die Verlautbarung der erfolgten Entmündigung 
brauchte nicht in den Zeitungen publicirt werden, sondern es genüge ein An¬ 
schlägen des Erkenntnisses an der Gerichtstafel des Bezirksgerichtes und an da 
Bureaux der Notare im Bezirk. Der Entmündigte wäre rechtlich dem Kind unter 
7 Jahren, der Verbeistandete dem Mindeijährigen gleichgestellt; nur sei dsa 
Testiren lediglich mündlich vor Gericht gestattet, die Ehe während dieser Zeh 
aber unstatthaft. 

Discussion: 

Herr Sterz und Starlinger haben Bedenken wegen Bestellung der Curatoreo, 
denen jedoch schon Herr Hövel nicht beipflichten kann. 

Herr Neisser erwähnt die Pflegschaften des deutschen bürgerlichen Gesetz¬ 
buches und fragt, ob die Wiederaufhebung der Entmündigung vorgesehen sei. 

Herr v. Krafft-Ebing hält die Pflegschaften für eine veraltete Institution 
und verweist bezüglich der letzten Frage auf bestehende Einrichtungen. 

Otto Marburg (Wien). 


V. Neurologisohe und psyohiatrisohe Litteratur 

vom 1. Juli bis 31. August 1902. 


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Ebenda. — Therapie der Geisteskrankheiten: Toogood, Treatment of early mea Cal 
cases. Lancet. 12. Juli. — Rayner, Sleep in treatment of mental disease. Journ. of neat 
scienc. Nr. 202. — Pändy , Bettbehandlung. Klin.-therap. Wochenschr. Nr. 48 u. 44. — 
Deiters , Irrenwesen innerhalh des deutschen Sprachgebietes 1900/01. Psych.-neurol. 
Wochenschr. Nr. 16 u. ff. — Saigö, „Schutz des Publikums vor den Psychiatern“. Ebenda 
— Sneli, Irrenhölfsvereine. Ebenda. Nr. 15. — Bresler, Antwerpener Congress. Ebenda 
Nr. 22. — Anstalt in Mauer-Oehling. Ebenda. — Newratzkl, Familienpflege. Allg. Zeit¬ 
schrift f. Psych. LDL Heft 4. — Deptron, Colonie de Lierneux. Bull, de la soc. de noi 
ment, de Belg. Nr. 105. — Pontoppidan, Psychiatric wards in the Copenhagen hospitaL 
Journ. of ment, scienc. Nr. 202. — Weichalt, Wachabtheilung für Unreinliche. Psych.- 
neurol. Wochenschr. Nr. 19. — Lehmann, Ueberwaohungsabtbeilungen in Dösen. Ebenda 
Nr. 20. — Shaw, Surgical treatment of delusional insanity. Journ. of ment, scienc. Nr. 201 
— Macmlllan, Treatment of asylum dysentery. Ebenda. — Picquf, Chirurg. Pavillon der 
Irrenanstalten des Seinedepartement. Psych. - neurol. Wochenschr. Nr. 14. — WeygaaA. 
Irrenanstalt in der Levante. Ebenda. — Weber, L. W., Neubauten an der Göttinger Ansttlt 
Ebenda. Nr. 15. 

VII. Therapie. Collins, Treatment of chronic nervous diseases. Med. news. LXXXL 
Nr. 1. — F6rf, Valöriane et valörianates. Archiv de neurol. Nr. 80. — Bosbieri e Latftt»- 
Azione di alcuni ipnotici sul polso e respiro. Ferrara, Taddei-Soati. 88 S. — Osberst 
Organ ic extracts. Medio, news. LXXXI. Nr. 2. — Weygandt, Anstaltsbehandlung d« 
Geistes- und Nervenkranken. „Moderne Heilmethoden“. Braunschweig, 1902. — Lkd«- 
mann, Physikalische Therapie. Thera p. Monatsh. Heft 8. — Macintyr«, Electro-therapeutk 
work. Glasgow med. Journ. LVHI. Nr. 2. — Hellmer, Elektro-Medicin. Med. Blätter 
Nr. 29. — Wilson, Static electricity. Medical Age. Nr. 15. — Axmann, Elektrisches Luft¬ 
bad. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 84. — Schweizer, Luftkuren fftr Nervöse. Deutsche 
Med.-Ztg. Nr. 57. — Büdingen, Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die 
Reflexerregbarkeit Zeitschr. f. diätet. u. physik. Ther. VI. Heft 5. — Mary, Fangokur- 
Ebenda. — Martin, Fahrrad. Ebenda. — Giertsen, Gymnastik og massage. Norak Magaß® 
for Laegevidensk. Nr. 8. — Soler, Masaje. Rev. de med. y cirurg. Nr. 7. — $«K jFtn, 
Fisioterapia. Ebenda. 

VI. Personalien. 

Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. J. Zappert, hat sich an der Wiener Universitit 
als Docent für Kinderheilkunde habilitirt. 


Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen f&r die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. SchifFbauerdamm 29. 

Verlag von Vbjt & Comp, in Leipzig. — Druck von Mhuu & Wims in Leipzig- 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(anter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einnndswansigster BeTHn ’ ^ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Za beziehen durch 
alle Bachhandlangen des In- and Aaslandes, die Postanst&lten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbachhandlang. 


1902. 


1. November. 


Nr. 21. 


Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Zar Psychologie der motorischen Apraxie, von 
Prof. A. Pick. 2. Ueber die sogen, „myotonisohe“ Convergenzträgheit lichtstarrer Papillen, 
von Dr. Nenne. 8 . Beitrag zar Localisation der cerebralen Hemianästhesie, von Prof. Dr. 
Karl 8chafler in Budapest. 4. Die paradoxe Popillenreaction und eigene Beobachtang von 
Verengerung der Papillen bei Beschattung der Aagen, von J. Piltz. 

II. Referate. Anatomie. 1. Ueber die absteigenden Verbindungen der 8ehhögel and 
vorderen Vierhügel, von Ernst. 2. Ueber die Beziehangen der Glia zu den Gerissen, von 
Kure. 3. Ein Beitrag zar Frage vom Verlaufe der Bahnen der Haatsinne im Rückenmark, 
von Petrin. — Experimentelle Physiologie. 4. Ueber die Gehirncentren der Erection 
des Penis and der Samenabsonderang, von Puszep. — Psychologie. 5. La mesare da 
temps de räaction simple des sensations olfactives, par Vaschide. 6. Inflaence des sons sar 
le travail, par Firl et Jatll. 7. La suggestibilitl dans la fatigue, par Firl. — Pathologische 
Anatomie. 8. Beiträge zar pathologischen Anatomie der Malaria perniciosa mit besonderer 
Berücksichtigung der Gehirnveränderangen, von Pjewnltzki. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 9. 1 Zitat du systime nerveux chez les phtbisiques et son inflaence sur le cours 
de la taberoalose, par Chelmonski. 10. Contribation ä l'itude des accidents nivropathiqaes 
de l’indigestion, par Firi. 11. Paralysie labio-glosso-laryngie probablement liie a une lision 
conginitale de l’ecorce etc., par Variot et Roy. 12. Ueber Bolbirparalyse bei Sarcomatose, 
von Hensen. 13. Zar Klinik der angiosklerotischen paroxysmalen Myasthenie („Claudioation 
intermittente“ Charoot's) and der sogen, spontanen Gangrän, von Hlgler. 14. Ricerche speri- 
mentali sali' affisticamento elettrico masoolare e snlla reazione miasteuica, dell Flora. 15. Bei¬ 
träge zur Kenntniss der Myasthenie and der verwandten 8ymptomencomplexe, von Fajersztajn. 
16. A case of asthenic baibar paralysis, by Jacoby. 17. Myasthenia gravis, by Patrick. 
18. Ein Fall von Erb-Goldflam’scher Krankheit, von Prlszner. 19. Ein Fall von asthenischer 
Baibärparalyse mit Sectionsbefund, von Liefmann. 20. Ein Fall von fanctioneller Bulbär- 
paralvse, von Grösz. 21. Beitrag zur Klinik der myasthenischen Paralyse, von HOdlmoser. 
22. Un cas de syndröme d’Erb (paralysie bulbaire asthenique), par Long et Wlkl. 23. Ueber 
einen Fall von myasthenischer Paralyse, von Auerbach. 24. Ä case of myasthenia gravis, 
by Down. 25. Myasthenie and Ophthalmoplegie, von Gowert. 26. Ueber symptomlose Hydro- 
myelie im Kindesalter, von Utchlda. 27. Kinderrückenmark und Byringomyelie, von Zappert. 
28. La forme spaemodique de la syringomyllie; la nevrite ascendante et le trauraatisme dans 
Pltiologie de la Syringomyelie, par Guillain. 29. Syringomyelie nach Lues, von Huismans. 
30. Sur denx cas de Syringomyelie ä topographie radiculaire des troubles sensitifs et des 
troublea moteors, par Huet et Cestan. 81. Beitrag zur Casaistik der Syringomyelie and über 
die bei dieser Krankheit vorkommenden Haatstörangen, von Fleger. 82. Syringomyelie — 
Gelenkerkrankung — Trauma, von Stolper. 88 . Des nlvromes intramldallaires dans la 
syringomyllie, par Hauser. 34. A case of mveloma of the spine with compression of the 
cord, by Thomas. 35. Ueber Blasenstörangen bei Syringomyelie, von Albarran und Guillain. 
86. Zar Frage der Pathogenese von Rückgratsverkrümmangen bei Syringomyelie, von Nal- 
bandoff. 87. Kritik der sogenannten traumatischen Syringomyelie. Mit besonderer Berück- 

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sichtigang der anatomischen und klinischen Differentialdiagnose der (chroniacb-progres«iv-i». 
gliösen) Syringomyelie gegenüber der traumatischen R&ckenmarkslision u.s.w., von KiesMcfc. 
88. Crises gastriques et Syringomyelie, par Pauly et Pauly. 39. Fracturen bei Syringomyelie, 
von Kühler. 40. Four cases of acute haemorrbagic meningo-royelitis in eoeker-spauiels with 
some remarks of the etiology of myelitis, by Brown and OphOls. 41. Haemorrhage iuto the 
spinal cord during pregnancy, by Bruce. 42. A case of metastatie carcinoma ot the spine 
and meninges, by Buckley. 43. Ueber die sogenannten Neurome und Leiomyome des Rücken¬ 
marks, ron Helllch. 44. The oecurence of optic ncuritis in lesions of the spinal cord. Injury, 
tumour, myelitis (an account of twelve cases and one antopsy), by Taylor and Cellier. — 
Psychiatrie. 45. Essai sur la Classification en psychiatrie, par Lagriffe et Itfaoai 
46. Die functionellen Psychosen des Seniums, von Salgö. 47. Zur Bexiehong ron Aber* 
glauben und Geisteskrankheiten, von KSppen. 48. Ueber geisteskranke Brandstifter, von 
llberg. 

III. Mitthoilung an den Herausgeber. 

IV. Personalien. 

V. Berichtigung. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Zur Psychologie der motorischen Apraxie. 

Von Prof. A. Piok. 

Die grundlegende Studie Ldbpmahm's über die durch motorische Asymbolie 
zu Stande kommende Form von Apraxie bat uns durch eine sinnreiche Analyse 
der Erscheinungen einen maassgebenden Einblick in die Mechanik der dabei in 
Betracht kommenden Vorgänge gebracht; doch kann es meines Erachtens keinem 
Zweifel unterliegen, dass dieselbe einer Vertiefung zunächst nach der Richtung 
hin bedarf, dass der davon Befallene, vielleicht in Folge Beschränkung der cere¬ 
bralen Störung auf ein Gebiet (der Kranke Liepmann’s war ja aphatisch), in 
der Lage wäre, bei entsprechender Intelligenz über die während derselben ach 
abspielenden psychischen Vorgänge nähere Aufschlüsse zu geben. Eine solche 
Beobachtung, der ambulatorischen Beobachtung entstammend, halte ich für 
wichtig genug, um von derselben an dieser Stelle Kenntniss za geben. Aller¬ 
dings handelt es sich nur um sichtlich functionell bedingte, and ihres transir 
torischen Charakters wegen auch nicht von mir selbst beobachtete Erscheinungen, 
dieselben sind aber, wie ich glaube, von dem geistig hochstehenden Kranken so 
gut beobachtet und beschrieben, dass der ans denselben zu ziehende Gewinn 
nicht hinter jenem steht, wie er uns auch sonst ans der Beobachtung functioneller 
Störungen für das Verständniss grober, stationärer Erscheinungen erwachsen 
ist; dafür dass ein solcher aber nicht von der Hand zu weisen ist, brauche ich 
wohl Beispiele nicht erst anzuführen, so wie es auch nicht des Beweises bedarf, 
dass wir allmählich jeder, durch eine Herdaffection zu Stande gekommenen Aus¬ 
fallserscheinung eine solche, fnnctionell bedingte, an die Seite zu stellen ge¬ 
lernt haben. 

Der Kracke, ein 62jähr. Bahnbeamter, präsentirte sich wegen verschiedener 
Anfalle, von denen einige in der letzten Zeit so eigenthfimlich gewesen wären, 


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dass sie ihn bedenklich hinsichtlich einer Gefährdung seiner geistigen Gesundheit 
durch dieselben gemacht hätten. Er erweist sich als ein Mann von guter Bildung, 
der eine sehr genaue Anamnese geben kann und schon durch die ganze Art seines 
Auftretens den Verdacht auf ein progressives Leiden, speciell Paralyse, aussohliesst. 
Vor Jahren litt er an Gallensteinen, die ebenso wie eine Leberansohwellung naoh 
einer Karlsbader Kur verschwanden. Als ihm vor etwa 3 Jahren seine Frau starb 
und bei ihm in Folge dessen ein Depressionszustand eintrat, wurde er wieder nach 
Karlsbad geschickt, diesmal jedoch ohne den gewünschten Erfolg; vielmehr trat 
etwa 3 Wochen nach Abschluss der Kur ein Anfall ein, der, da der Kranke an¬ 
scheinend über alle Details desselben Angaben macht und es auch selbst angiebt, 
wahrscheinlich nicht von Bewusstlosigkeit begleitet war; derselbe bestand darin, 
dass Pat. plötzlich, wie er selbst berichtet, die Worte nicht herausbringen konnte; 
er sprach vielmehr alles verkehrt, konnte niobt lesen — es verschwamm alles vor 
den Augen — konnte nicht schreiben, oder, wie er selbst erläuternd berichtet, 
konnte die Züge nicht finden, ein Wort zu schreiben; irgendwelche Lähmung war 
nicht vorhanden; während des Anfalles hörte er die Aerzte sprechen, musste 
später selbst erst sprechen lernen; er wurde „auf Schlaganfall“ behandelt; nach 
3 Tagen war er „sozusagen“ wieder normal; seither wiederholen sich alle paar 
Wochen solche Anfälle, die, wie Pat. spontan ganz präoise angiebt, mit einem 
tonischen Krampf in der Gegend der Masseteren einsetzen: einmal sah er Nebel 
oder feurige Ringe, dabei blieb die Sprache frei; ein ander Mal wurde er plötz¬ 
lich ängstlich, konnte nicht reden was er wollte, hörte dabei alles, was um ihn 
herum vorging. 

Einen der letzten Anfälle beschreibt er folgendermaassen: „es war gerade 
auf einem Spaziergange, als mich plötzlich ein eigenthümlicher ,'Traumzustand* 
befiel, der panoramaartig wechselte“, so glaubte er dabei ein Mal in Wien, dann 
wieder in Prag zu sein; dabei war er in so weit klar, dass er auf dem Wege 
jedem Stein genau auswich, ihm begegnende Bekannte richtig erkannte und auch 
grüsste; kaum war ein solcher Passant vorbei, so ging der Traumzustand sofort 
wieder an; besonderen Schrecken jagten ihm aber Anfälle ein, die in der letzten 
Zeit auftraten und die er selbst in ihrer Absurdität als solche peychischer Aber¬ 
ration erkannte und derenwegen er den „Psychiater“ consultirt mit der Frage, 
ob das nicht etwa Vorzeichen geistiger Krankheit sein könnten. Der erste „An¬ 
fall“ war dadurch charakterisirt, dass Pat. des Morgens, während der Toilette, 
eben als er sich vorbereitete das Closet aufzusuchen, plötzlich von einer gewissen 
Angst, einem „Gefühl von Unheimlicbkeit“ befallen wird, dabei das Gefühl des 
Fremdartigen der Umgebung bekommt und nun anstatt, wie er es beabsichtigt, 
der vor ihm liegenden Dienstkappe den pot de chambre erfasst und nun mit 
demselben, ihn in der Hand vor sich hertragend, jenen Ort aufsucht und ihn 
erst dort niedersetzt; Pat. giebt ganz genau an, dass dem Ganzen keinerlei be¬ 
sondere Vorstellung vorangegangen, dass sein Bewusstsein dabei, wenn auch 
vielleicht nicht vollständig, doch aber soweit klar war, dass er die Situation voll¬ 
ständig richtig beurtheilen konnte, was vor Allem daraus hervorgeht, dass er die 
Vorstellung dabei hatte, was nun die Bedienerin dazu sagte, wenn sie ihn so sehen 
würde. Dabei giebt er ganz präcise an, es wäre keinerlei Verkennung der ge¬ 
sehenen Dinge und speciell des Topfes dabei im Spiele gewesen, was auch schon 
aus der eben erwähnten affectuösen Beurtheilung der Situation hervorgeht; es 
müsse, sagt er, eine Art Zwang gewesen sein, den er sich nicht erklären könne, 
der aber derartig gewesen, dass eine Ueberlegung nicht statthatte, sondern offen¬ 
bar die auftauchende Vorstellung unmittelbar in die Handlung umgesetzt worden 
wäre. Nicht minder wurde er durch einen zweiten, ähnlichen „Anfall“ erschreokt, 
der unter gleichen Erscheinungen auftrat und in der Weise verlief, dass Pat. im 
Bureau eben im Begriffe war, ein Glas aus dem daneben stehenden Wasserkruge 

63* 


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zu füllen und nun, obne sich aber dabei zu unterbrechen, mit dem Glaee aas dem 
gleichfalls dastehenden Waschbecken schmutziges Wasser schöpfte; zum Beweise 
seiner yollständigen Besinnung konnte dienen, dass er, unmittelbar nachdem er 
das Glas so gefüllt hatte, zu dem im Bureau befindlichen zweiten Beamten sagte: 
„nun sehen Sie, was ich da gethan“. Auch bezüglich dieses „Anfalles“ giebt der 
Kranke ganz stricte an, er habe während dieses Vorganges deutlich das Absurde 
seiner Handlung gemerkt, dieselbe hätte sich aber so unaulhaltsam und zwang¬ 
artig vollzogen, bezw. die Stelle der beabsichtigten Handlung eingenommen, dass 
eine Aenderung während des Ablaufes derselben ganz unmöglich war. 

Gab schon die ganze Darstellung von Seiten des Kranken den Beweis für 
die Intactheit seiner Intelligenz, so wurde diese zur Gewissheit durch ein darauf 
gerichtetes eingehendes Examen, so wie die somatische Untersuchung ausser den 
Erscheinungen eines ziemlich vorgeschrittenen Seniums nichts ergab, was irgend¬ 
wie auf eine centrale Veränderung hindeuten würde; einer geringen Differenz 
im Gebiete des Mundfacialis zu üngunsten der linken Seite konnte ein Gewicht 
nicht beigelegt werden, als sich dieselbe bei mimischer Innervation wieder aus- 
glich; sonst fand sich nur noch gesteigertes Kniephänomen. 

Fragt man sich, um was es sich bei den vorstehend beschriebenen „Anfällen“ 
im Allgemeinen gehandelt, so bedarf es an dieser Stelle, glaube ich, wohl keines 
Beweises, dass, wie namentlich die erstbeschriebenen es sicher machen, es sich 
um solche handelt, wie sie als Ausdruck atheromatöser Gefässdegeneration und 
seniler Hirnatrophie so häufig im Senium Vorkommen; man wird auch im Be¬ 
sonderen diejenigen, die sich als verkehrte Handlungen darstellten, nicht von 
den übrigen genetisch abtrennen müssen, weil ja die Begleiterscheinungen der¬ 
selben, ebenso wie die Thatsache, dass beide Anfallsformen unregelmässig neben¬ 
einander Vorkommen, gegen eine Differenzirung sprechen. 

Hinsichtlich der psychologischen Analyse dieser letzteren „Anfalle“ glaube 
ioh nun meine Ansicht dahin aussprechen zu sollen, dass ich dieselben als 
„anfallsweise“ auftretende Zustände von motorischer Apraxie auffasse; denn 
einerseits erhellt aus dem ganzen Examen deutlich, dass die Annahme einer 
sensorischen Apraxie unzulässig, das genaueste Examen vielmehr immer und 
immer wieder feststellen liess, dass der Kranke während des Anfalles auch 
keinen Moment die Objecte seines verkehrten Handelns irgendwie verkannt hatte, 
andererseits erscheint die Annahme einer Zwangshandlung oder einer Zwangs¬ 
vorstellung durch die ganzen Erscheinungen ohne weiteres ausgeschlossen. 

Gegen diese hier gegebene Deutung werden sich jedoch manche Ein¬ 
wendungen erheben lassen, deren Widerlegung nun im Einzelnen versucht 
werden soll. 

Zunächst wird sich ein solcher Einwand ergeben aus der anscheinenden 
Nichtübereinstimmung mit der von Liepmann, dem in dieser Frage maass- 
gebendsten Autor gegebenen Umschreibung dessen, was als motorische Apraxie 
anzusehen ist. Auf Seite 73 seiner Arbeit 1 definirt Liepmakn dieselbe als die 
Unfähigkeit zu zweckgemässer Bewegung, welche Definition sich ihm aus folgen- 


1 Das Krankheitsbild der Apraxie and motorischen Asymbolie. Sep.-Abdr. 1900. 


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deu, behufs des Verständnisses zum Theil wörtlich anzuführenden Erwägungen 
ergiebt Eine Bewegung ist (subjectiv) zweckgemäss, sofern sie den Torgestellten 
Erfolg herbeiführt; nicht immer ist dieselbe auch objectiv zweckgemäss, d. h. zweck¬ 
mässig; dazu gehört noch, wenn es sich um den Gebrauch eines Gegenstandes 
handelt, dass die Zweck Vorstellung mit dem objectiven Zweck des Gegenstandes 
übereinstimmt Diese Uebereinstimmung ist bei Liepmann’s Kranken vorhanden, 
beim Agnostischen (sensorisch Asymbolischen) nicht; der letztere handelt des¬ 
halb unzweckmässig, weil er in Folge Verkeunens der Gegenstände falsche 
Zweckvorstellungen hat, denen aber dann seine Bewegungen gemäss sind. Der 
Apraktische handelt unzweckmässig, weil er seinen Zweck nicht realisiren kann, 
der Agnostwche, weil er beim Manipuliren verkehrte Zwecke verfolgt Hält man 
sich streng an diese Auseinandersetzungen, dann scheint allerdings der Wider¬ 
spruch gegenüber unserem Fall unlösbar, doch aber glaube ich, dass dies nicht 
der Fall ist, und dass auch hier (motorische) Apraxie und nicht, um mit Liep- 
mann zu sprechen, Agnosie den Erscheinungen zu Grunde liegt Ich willl das 
nun nicht erst an den Erscheinungen unseres Falles erweisen, was sich über¬ 
flüssig breit gestalten würde, sondern- nur darauf hinweisen, dass auch die Fälle 
unserer Litteratur und der geläufigen klinischen Beobachtung, die Llepmann 
selbst gelten lässt, nicht seiner eigenen Auseinandersetzung vollständig entsprechen. 
Die altbekannte Beobachtung z. B., dass der Aphasische, aufgefordert an die 
Nase zu greifen an’s Ohr fasst, die schon Gbiesingeb 1 als eine Verwechselung 
der Bewegungen auffasst, werden wir jetzt mit Recht, in Uebereinstimmung 
mit Llepmann, als motorische Apraxie dort auffassen, wo keine Störung des 
Wortverständnisses vorliegt; und mit diesen Fällen zeigt unser Fall doch voll¬ 
ständige Uebereinstimmung. (ln einer neuerlichen, zunächst als Autoreferat ge¬ 
gebenen Mittheilung 8 erörtert Liepmann die Stellung der [motorischen] Apraxie 
und das von ihm gegebene Beispiel: „eine Zahnbürste wird etwa wie eine 
Cigarre gebraucht“ rechtfertigt jetzt nachträglich das von mir zuvor Gesagte.) 

Aber auch diejenigen, die diese Auffassung acceptiren und den Fall mit 
mir als einen solchen motorischer Apraxie aufzufassen geneigt sind, könnten 
noch aus anderen Gründen zögern, dieser Deutung beizutreten. 

Zunächst könnte sich ein Einwand in der Richtung ergeben, dass man Be¬ 
denken trüge, diese Deutung deshalb zu aoceptiren, weil dieselbe in Liepmann’s 
Fall erst auf Grund umständlicher Erwägungen und Versuchsanordnungeu ge¬ 
geben werden konnte, das Wesen der Krankheit, wie er selbst sagt, sich derartig 
verbarg, dass es erst nach 2 1 / a monatlichem Bestehen der Krankheit erkannt 
wurde, während es sich im vorliegenden Falle, um gleich seine Redewendung 
zu gebrauchen, so zu sagen von selbst präsentirte. 

Das hat nun hauptsächlich darin seinen Grund, dass sich die Erscheinung 
jedesmal ganz rein präsentirte und dass weiter auch keine Störung, vor Allem 
keine solche aphasischer Art zurückblieb, die, wie in Liepmann’s Fall, die Mit- 

1 Siebe Libpmanx, L. c. S. 66. 

* Siehe Nearolog. Centralbl. 1902. S. 615. 


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theilung unmöglich machte oder wenigstens erschwerte. Liepmann weist darauf 
hin, dass die Einseitigkeit der Erscheinungen in seinem Falle die Möglichkeit 
der Erkennung bot und dass bei Doppelseitigkeit der Erscheinung die dadurch 
mitbedingte Apraxie der Sprachmusculatur die Unterscheidung der Störung von 
der sensorischen Apraxie unmöglich machen würde; im vorliegenden Falle, der 
nur auf der eigenen Beobachtung des Kranken beruht, lässt sich bezüglich der 
Spraohe während des Anfalles nichts aussagen, die innere Sprache scheint jeden¬ 
falls intact gewesen zu sein und das Fehlen jeder nachträglichen Störung er¬ 
möglichte, wie gesagt, die Diagnose. Es wird sich auch theoretisch gegen die 
Möglichkeit einer isolirt auftretenden motorischen Apraxie nichts einwenden 
lassen und ich zweifle nicht, dass jetzt, nachdem einmal duroh die schöne Arbeit 
Liepmann’s das Verständniss für die Beurtheilung einschlägiger Fälle geschärft 
ist, sich früher oder später die bestätigenden Fälle einstellen werden. 

Ein zweiter, viel wichtigerer Ein wand ergiebt sich jedoch aus Folgendem: 
Liepmann 1 beschreibt von seinem Falle „gewisse ganz bizarre und vertrackte 
Bewegungen, die der Kranke bei den Prüfungen machte und die sich ebenso 
vorfanden bei einem kürzlich von Neissbb 2 beobachteten Falle, den er als durch 
functioneile, eine Psychose begleitende, Störungen bedingte motorische Apraxie 
deutete und den ich bei ihm gemeinschaftlich mit Webnicke zu sehen Gelegen¬ 
heit hatte. Ich halte nun den daher genommenen Einwand nicht für stich¬ 
haltig, um die hier gegebene Deutung der Erscheinungen unseres Falles 
anzuzweifeln. Zunächst deshalb, weil Liepmann’s Kranker diese vertrackten, 
sonderbaren Bewegungen nicht immer machte; so ist von verschiedenen Prüfungen 
berichtet, dass er bei einer bestimmten Aufforderung förmlich blitzschnell 
und ohne jedwelche Reaction die verlangte apraktisohe Bewegung ausführt So 
heisst es z. B. S. 18 „Zeigen Sie den Sohlüsselbundl“ Noch ehe das Wort 
Schlüsselbund ausgesprochen ist, hebt Patient die vor ihm liegende Cigarre hoch. 
Und S. 14 berichtet Liepmann selbst vom Kranken: „Zu Anfang wiederholte 
sich gewöhnlich das oben geschilderte Verhalten, dass er, ehe noch die Auf¬ 
forderung zu Ende gesprochen war, anscheinend ganz ohne Ueberlegung 
planlos auf gut Glück den ersten besten vor ihm liegenden Gegenstand aufbob** 
und später heisst es von dem Kranken „man musste ihn gewöhnlich nach einer 
plötzlichen Reaction antreiben weiterzusuchen. Erst in neuerer Zeit bim es oft 
vor, dass er sich selbst nicht bei der falschen Wahl beruhigte und spontan 
weiter suchte“. 

Bei der Erwägung, warum nun unser Kranker gleichfalls ganz ohne Ueber¬ 
legung und anscheinend auch blitzschnell zugreift, warum es bei ihm nicht 
auch zu den bizarren und vertrackten Bewegungen des LiEPMANN’schen Kranken 
kommt, können wir an die Erörterungen anknüpfen, die Liepmann dem, wie 
eben gezeigt, zuweilen ebenfalls gegensätzlichen Verhalten seines Kranken widmet* 

* L. c. S. 7. 

* Einer Mittheilung des Collegen entnehme ich., dass er Ober den Fall im Berliner 
psychiatrischen Verein berichtet hat 

* L. c. S. 68. 


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Das eine Moment, das er zur Erklärung der Erscheinung, dass sein Pat., 
namentlich in der ersten Zeit, die falsche Reaction nicht corrigirt, heranzieht, 
die Tastlähmung desselben, kann natürlich für unseren Fall nicht wirksam ge¬ 
wesen sein; dagegen wird etwas dem anderen, von Liepmann herangezogenen 
Momente ähnliches für unseren Fall angewendet werden können: Liepmann ist 
geneigt das Hauptgewicht für die Erklärung der Nichtcorrectur namentlich 1 
auf den relativen Tiefstand seiner habituellen Aufmerksamkeit zu beziehen, und 
um etwas dem Aehnliches handelt es sich in unserem Falle; unser Kranker, bei 
dem die Erscheinung eben nur anfallsweise auftritt, gleicht dem LiEPMANN’schen 
Kranken insofern, als auch er anscheinend ganz ohne Ueberlegung sofort 
auf die in seinem Denken auftauchende Zielvorstellung reagirt und dass er eben 
falsch reagirt, weil die Reaction wie beim LiEPMANN’schen Kranken so rasch 
erfolgt, dass ,die sonst in der Norm während der Ausführung sich vollziehende 
Correctur der drohenden Fehlreaction ausbleibt; und dass sie ausbleibt, das liegt 
bei unserem Kranken eben an seinem „Anfalle“, der, wenn auch keine Bewusst¬ 
losigkeit, so doch gewiss Herabsetzung der centralen Tbätigkeit in der Richtung 
bedingt, dass die eben besprochene Correctur ausbleibt; daraus erklärt sich auch 
das Ausbleiben der Correctur bei der fortgesetzten Handlung, was dadurch er¬ 
wiesen wird, dass mit dem Aufhören des „Anfalles“ die Correctur sofort eintritt 
und die dieser vorangehenden psychischen Processe auch sprachlich noch im 
Abklingen des Anfalles zum Ausdruck gebracht werden. 

Eine Bestätigung dieser Deutung möchte ich gerade von der Beobachtung 
des NBissER’schen Falles abstrahiren. ln diesem, wo die Erscheinung nicht 
anfallsweise auftretend, sondern andauernd war und auch nicht von irgendeiner 
stärkeren Herabsetzung der Bewusstseinsthätigkeit begleitet zu sein schien, war 
die Sonderbarkeit der Bewegungsimpulse eine so auffällige, dass dadurch das 
ganze Bild, das der Kranke darbot, förmlich beherrscht war, sichtlich also im 
Gegensatz zu meinem Kranken die während der Impulse sich vollziehende Cor¬ 
rectur thätig war und dadurch zu jenen während der Prüfung andauernden 
bizarren und vertrackten Bewegungen führte. 

Ueberblickt man die hier in Betracht kommenden Erscheinungen, so bedarf 
es nach der zutreffenden und einer Erläuterung gar nicht mehr bedürfenden 
Beschreibung derselben seitens des Kranken nicht erst des Beweises, dass die¬ 
selben, um einen Passus der Arbeit von Liepmann zu benützen, Fehlreactionen 
Dicht auf Rechnung aufgehobener Auffassung der gegenständlich optischen Ein¬ 
drücke (die sprachlich-acustischen kommen natürlich gar nicht in Betracht), 
vielmehr sichtlich auf falscher motorischer Ausführung beruhen; man könnte 
freilich noch der hier gegebenen Deutung der zwei „Anfälle“ die durchaus 
nahe liegende Deutung entgegenbalten, dass es sich dabei um solche von 
Bewusstseinstrübung gehandelt; aber es lässt sich leicht zeigen, dass diese nioht 
bloss bezüglich des Wesentlichen der Erscheinungen nicht zutrifft, sondern dass 
mit einer solchen Erklärung eigentlich auch gar nichts besagt ist Ich brauche 


1 Siehe auch bei ihm L. c. S. 80. 


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nicht des breiteren erst auszuführen, dass man seit etwa 20 Jahren bemüht 
ist, den ebenso vagen wie dunklen Begriff der Bewusstseinsstörung auf seine 
Componenten hin zu analysiren und dass es gelungen, vorläufig festzustellen, dass 
dabei zweierlei Factoren concurriren; ein Mal die Intensität der peychischeu 
Processe, dann aber weiter qualitative Störungen dieser letzteren, vor Allem 
nachweislich solche der Perception eine Bolle spielen. Betrachten wir von diesem 
Gesichtspunkte aus die hier als motorisohe Apraxie aufgefassten Erscheinnngen, 
so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass angesichts der präcisen Er¬ 
zählung derselben durch den Kranken und auch aller übrigen begleitenden Um¬ 
stände nicht daran zu denken ist, dass die Erscheinungen durch irgend eine 
apperceptive Störung bedingt waren; eine gewisse Herabsetzung der Bewusst¬ 
seinsvorgänge im Allgemeinen möchte wohl vorhanden gewesen sein und haben 
wir ja gerade diese zur Erklärung des Umstandes zuvor herangezogeu, dass 
keinerlei Correctur der apraktischen Thätigkeit sich vollzog; wir kommen also 
auch auf diesem Wege der Analyse zur Annahme, dass eine motorische Apraxie 
Vorgelegen haben müsse, wie es zuerst Meynebt in genialer Weise eigentlich 
mehr concipiit als klinisch erfasst hat. Damit scheint mir auch ein weiterer 
wichtiger Beitrag zur Lehre von den sogenannten Dämmer- und Traumzuständen 
oder wie man all die verschiedenen einschlägigen Störungen benennen mag, 
gewonnen zu sein, insofern der vorliegende Fall zeigt, dass die Erscheinung der 
motorischen Apraxie auch anfallsweise und nicht durch gröbere Herdaffection 
bedingt auftreten kann, unter Umständen, die denjenigen, welche als Dämmer¬ 
zustände bezeichnet werden, so nahe stehen, dass der Schluss nicht unberechtigt, 
dass auch im Rahmen dieser letzteren der motorischen Apraxie zuzuschreibende 
Erscheinungen Platz greifen könnten. 

Daran endlich, dass solche Beobachtungen wie die hier mitgetheilte auch 
lür ein grosses Gebiet der durch eigentümliche Störungen der Motilität cha- 
rakterisirten Psychosen auf klärend wirken können, brauche ich wohl nur zu 
erinnern; topisch-diagnostische Erwägungen schliessen sich begreiflicher Weise 
von selbst aus, doch wird man nicht fehlgehen anzunehmen, dass den hier be¬ 
obachteten Erscheinungen transitorische Störungen in denjenigen Gebieten zu 
Grunde liegen, die Llepmabn neuerlich für seinen Fall als vorhanden erwiesen hat. 


2. lieber die sogenannte 

„myotonische“ Convergenzträgheit lichtstarrer Pupillen. 

Von Dr. Nonne, 

Oberarzt am Allgemeinen Krankenbaas Hamborg-Eppendorf. 

ln jüngster Zeit wurde die Aufmerksamkeit auf ein bisher noch nicht be¬ 
schriebenes Pupillenphänomen gelenkt. 

In Nr. 16 d. Central bl. hat Stbassbubgeb 1 einen Fall beschrieben von 

1 St&assbubou, Papillenträgheit bei Accommodation ond Convergenx. Neorokf. 
Central bl. 1902. Nr. 16. 


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Pupillenträgheit lichtstarrer Papillen bei Accommod&tion und Convergenz. Der 
Pall zeichnete sich besonders dadurch aus, dass die Erweiterung der Pupillen 
ungewöhnlich langsam vor sich ging. In Nr. 18 d. Gentralbl. hat dann 
Saenger 1 einen Fall beschrieben, in dem er dasselbe Phänomen beobachtete, 
nur war die Langsamkeit der Erweiterung der Pupillen noch eine weit exqui¬ 
sitere. Dieselbe Erscheinung der ungewöhnlich langsamen Erweiterung der 
Pupillen hatte Piltz 2 bereits vor 2 Jahren an lichtstarren Pupillen beobaohtet, 
wenn sie sich bei energischem Augenschluss verengerten. 

Ich habe in den letzten Monaten 2 Fälle beobachtet, welche den genannten 
Fällen in einigen Punkten gleichen, in anderen Beziehungen aber von ihnen 
abweichen, und will dieselben, da das Interesse für dies bisher entweder nicht 
beobachtete oder nicht beschriebene Phänomen jetzt geweckt worden ist, mit- 
t heilen: 

Im ersten Falle handelte es sich um einen 40jährigen Herrn, welcher be¬ 
stimmt keine Syphilis gehabt hatte, welcher früher im Wesentlichen gesund 
gewesen war, und hei dem vor 3 Jahren ein Diabetes mellitus constatirt 
wurde. Dieser Diabetes ist bei ihm ein gutartiger insofern, als Patient bei 
strenger Zuckerdiät den Zucker verliert, bei nicht strenger Diät P/a—2°/ 0 aus¬ 
scheidet und bei gewöhnlicher gemischter Kost zwischen 3 und 4 °/ 0 Zucker im 
Urin hat. Derselbe Kranke leidet seit ungefähr anderthalb Jahren an den Sym¬ 
ptomen eines chronischen Rheumatismus der Wirbelgelenke, welcher die 
gesammte Wirbelsäule, am stärksten den Lumbaltheil, befallen hat. Im Uebrigen 
sind die inneren Organe gesund, speciell liegt keine Arteriosklerose vor. Die 
Untersuchung des Nervensystems ergab, als ich den Herrn consultativ sah, Fehlen 
beider Patellarreflexe, im Uebrigen kein einziges Symptom von Tabes, auch lagen 
keine subjectiven Beschwerden vor, welche auf eine Tabes oder ein anderes 
spinales Leiden hindeuteten. 

Die rechte Pupille war abnorm weit — 6 mm — wenn Patient 
vor einem hellen Fenster stand, den Blick in die Ferne gerichtet. 
Die Pupille war nach unten rechts leicht entgrundet, Adhäsionen 
der Pupille bestanden nicht. Sie war auf Licht bei directer und 
consensueller Prüfung absolut starr, bei einseitig geprüfter Acoom- 
modation (Lesen bei verdecktem linken Auge) zeigte sie keine Spur von 
Verengerung, bei Convergenz zog sie sich tonisoh langsam zusammen 
und zwar abnorm Btark. Sie wurde fast Stecknadelkopf eng. Sie 
blieb zunächst so eng und erweiterte sich nur ganz ausserordentlich 
langsam. Während der Patient mir gegenüber sass und ich mich weiter mit 
ihm unterhielt, sah ich, wie sie ganz allmählich erst die Weite der linken — 
anderen — Pupille (3*/ 2 nim) erreichte, und erst nach über 5 Minuten hatte 
sie ihre frühere Weite wieder erreicht. 

Bei energischer Contraction des Orbicularis — bei passiv verhindertem Lid¬ 
schluss — contrahirte sich die Pupille nicht. 

Die linke Pupille zeigte normale Weite (3*/ 2 mm) bei Position des Kranken 
vor einem grossen, hellen Fenster hei mittlerer Tagesbeleuohtung. Sie reagirte 
auf Licht direct und indirect prompt und normal ausgiebig, bei einseitiger Accom- 
modation sowohl wie bei Convergenz ebenfalls normal prompt und normal aus- 

1 Sabhgkb, Ueber myotonische Pupillenbewegung. Neurolog. Centralbl. 1902. Nr. 18. 

* Piltz, Experimentell erzeugter reciproker Wechsel der Pupillendifferenz bei pro¬ 
gressiver Paralyse. Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 10. 


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giebig und kehrte bei Entspannung der Accommodation und Nachlassen der Coc- 
vergenz wieder mit normaler Schnelligkeit zu ihrer ursprfinglichen Weite zurftck. 
Auoh hier keine Contraction der Pupille bei Lidschluss. 

Die Accommodation wurde beiderseits prompt entspannt, so dass Patient auch 
mit dem rechten Auge allein, wenn er den Blick von dem Buche in die Fern 
richtete, die in der Ferne befindlichen Gegenstände gleich scharf erkannte. 

Ferner soll betont werden, dass bei dreimaliger Wiederholung des Convergen*- 
Versuches das Phänomen der abnormen Langsamkeit der Erweiterung der reehta 
Pupille immer in derselben WeUe auftrat und nicht, wie in Strassbubgkb’s Fall, 
bei Wiederholung an Intensität der Erscheinung einbüsste. 

Augenhintergrund, Sehschärfe, Gesichtsfeld waren beiderseits normal. 

Wenn ich diesen Fall vergleiche mit dem Fall von Piltz, so bandelt es 
sich in dessen 2 Fällen um Dementia paralytica. Das Phänomen trat auch 
hier bei vollkommen lichtstarren Papillen nnd zwar auch bei der weiteren 
auf. Die nicht vollkommen lichtstarren Pupillen verengerten sich bei ener¬ 
gischem Lidschluss nur wenig und kehrten rasch zur früheren Wate 
zurück. 

In dem Falle von Strassburger zeigte sich das Phänomen ebenfalls nur 
auf der einen, direct und indirect lichtstarren Pupille. Die Verengerung war 
bei Convergenz und bei Accommodation ausgiebig und langsam, und be¬ 
sonders langsam war die Erweiterung. Wie schon betont wurde, ging die Er¬ 
weiterung bei Wiederholung des Versuches allmählich schneller vor sich, auch 
war in diesem Falle die Accommodationsentspannung auf dem betreffenden Ao ge 
langsamer als normal. 

Es handelte sich in Strassburgeb’s Fall möglicherweise um eine be¬ 
ginnende multiple Sklerose. 

Während der erste Fall Strassburger’s mit meinem übereinstimmt, ban ¬ 
delte es sich in seinem zweiten Falle um eine einseitige Trägheit der Erweiterung 
der Pupille nach Convergenz und nach Accommodation, bei doppelseitiger 
LichtstaiTe, und in dem dritten Falle Srabsburger’s fand sich das Phänomen 
der abnormen Langsamkeit der Erweiterung der Pupille auf dem Auge, wf 
dem die Pupille auf Lichteinfall normal reagirte, während die andere Papille 
directe und indirecte Lichtstarre zeigte. 

In diesen beiden letzten Fällen Srassbubgeb’s lag hereditäre Syphilis vor. 

In dem Fall Saenger’s reagirte die direct und indirect lichtstarre Pupille 
bei Convergenz und bei Accommodation langsam, blieb 1 / i bis 5 Minute» 
lang enge und erweiterte sich ungemein langsam (bis zu 10 Minuten!). 

In diesem Falle wurde dasselbe Phänomen auch bei ContractioD des 
Orbicularis oculi beobachtet Die andere, ebenfalls direct und indirect licht- 
starre Papille zeigte im Wesentlichen dasselbe, wenngleich quantitativ geringer 
ausgesprochene Phänomen. 

Die Diagnose war nicht sicher zu stellen, schwankte zwischen Lues cerebri, 
Dementia paralytica, multipler Sklerose und beginnender Tabes dorsalis. 

Mein Fall unterscheidet sich von den bisherigen dadurch, dass 

1. das Phänomen nur auftritt bei Convergenzbewegung des Auges, 



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2. dass weder ein spinales Leiden noch Syphilis vorliegt (letztere 
konnte auch in Saenger’s Fall nicht nachgewiesen werden), 

3. dass es bei einem Diabetiker zur Beobachtung kam. Der Ausfall 
der Patellarreflexe kann nur mit dem Diabetes mellitus in Zusammenhang ge¬ 
bracht werden. 

In meinem zweiten Falle handelte es sich um einen Fall von chronischem 
Alkoholismus. Der betreffende Kranke kam zum zweiten Male wegen Delirium 
alcoholicum auf meine Abtheilung. Er negirte, aufs Eingehendste befragt, eine 
syphilitische Infection und trug keine Zeichen frischer oder ab¬ 
gelaufener Syphilis an seinem Körper. Die inneren Organe waren normal, 
irgendwelche spinalen Symptome Hessen sich bei wiederholten eingehenden 
Untersuchungen bei ihm nicht finden. 

Die rechte Pupille war weiter als die linke — bei mittlerer Be¬ 
lichtung 4mm. Sie war bei directer und consensueller Belichtung 
absolut starr, bei Convergenz und bei einseitig geprüfter Accommo- 
dation zog sie sich träge zusammen. Sie wurde nicht abnorm enge, er¬ 
weiterte sieb aber ungewöhnlich langsam. Bei oft wiederholten Unter¬ 
suchungen schwankte die Dauer der Rückkehr zur früheren Weite 
zwischen 3 — 5 Minuten. 

Die linke Pupille reagirte auf Licht direct und indirect normal ausgiebig 
und prompt, ebenso bei Convergenz und einseitig geprüfter Acoommodation. 

Beiderseits keine Contraction der Pupillen bei forcirtem Lidschluss. 

Dieser Fall unterscheidet sich wieder von den früher beschriebenen dadurch, 
dass man nicht berechtigt ist, ein spinales Leiden anzunehmen, und 
dass das Individuum nicht syphilitisch inficirt war. Andererseits lag hier 
schwerer Alkoholismus vor; es ist bekannt, dass der Alkoholismus auf ver¬ 
schiedene Weise zur Störung der Pupillenfunction führen kann. 

Es ist klar, dass man in meinen beiden Fällen nach dem klinischen Ver¬ 
halten der Pupillen die Functionsstörung in den centrifugalen Schenkel 
des Reflexbogens localisiren muss. Weil in meinem ersten Falle eine 
Wirbelsäulensteifigkeit vorlag, lag es nahe, anzunehmen, dass die Pupillen¬ 
anomalie Zusammenhänge mit einer secundären Schädigung der in der ersten 
Dorsalwurzel verlaufenden Pupillenfasern (Kldmpke) , erzeugt durch eine Ver¬ 
änderung der knöchernen Begrenzung des Foramen intervertebrale VII, doch 
kaon die beschriebene Pupillenstörung mit dem Sympathicus nichts zu thun 
haben. 

Es steht heute fest, dass die Verengerung der Pupille bei Convergenz auf 
einer Mitbewegung des Sphinkter der Papille beruht, und ist deshalb der Ge¬ 
danke, den Saenger zuerst ausgesprochen hat, ob diese tonische Veränderung 
der Convergenzbewegung lichtstarrer Pupillen peripher, und zwar musculär be¬ 
dingt ist, von vornherein einleuchtend. Wenn Saenger daraufhin das Phänomen 
als „myotonisebe“ Papillenbewegung bezeichnet, so ist aber daran zu erinnern, dass 
von der „myotonischen“ Muskelreaction, wie wir sie beim Morbus Thomsen durch 
Erb’s Untersuchungen kennen gelernt haben, hier nur eine Componente vor¬ 
liegt, nämlich der langsame Ausgleich der Muskelcontraction. Ob das charak¬ 
teristische Verhalten der elektrischen Erregbarkeit der „myotonischen“ Ver- 


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änderung an den Pupillen vorliegt, konnte begreiflicherweise nicht consUürt 
werden. Ein weiteres Charakteristicum der „myo tonischen“ Muskelreacüoa. 
darin bestehend, dass die Bewegung zuerst langsam und mühsam ist und erst 
bei Wiederholung allmählich prompt wird, finden wir in einer Beobachtung 
Stbassbübgeb’s angedeutet. Ich habe in meinen beiden Fällen mit dem Cornal- 
mikroskop die Pupillen untersucht und in dem ersten Falle eine Abflachung der 
Iris am äusseren Rande der Pupillen constatiren können, ohne sonstige Ver¬ 
änderungen an der Iris. Im zweiten Falle konnte ich eine solche nicht coi- 
statiren. Jedenfalls erscheint es nöthig, wenn spätere einschlägige Fälle wr 
Obduction kommen, die Iris mikroskopisch zu untersuchen. 

Ich glaube, dass von jetzt an derartige Fälle öfter mitgetheilt werden and 
wird es sich mit der Zeit zeigen, ob das beschriebene Ensemble der Veränderung 
der Pupillenreaction eine Localisationsdiagnose gestattet. 


3. Beitrag zur Localisation der cerebralen Heraianästbesie. 

Von Prof. Dr. Karl Schaffer in Budapest 

Die Frage bezüglich der anatomischen Localisation der cerebralen Hemi- 
anästhesie erfuhr in neuerer Zeit durch die vorzüglichen Arbeiten von Dejshixi 
nnd Long 1 einen auf anatomisch-klinischer Untersuchung begründeten Ausbau; 
ihre Forschungsergebnisse fassten sie in mehreren Sätzen zusammen. 

1. Der Sehhügel, wie dies übrigens bereits v. Monakow als erster nach- 
wies, steht mit dem ganzen Grosshirnmantel, wie auch letzterer mit dem Seb- 
hügel in Verbindung; wir unterscheiden also thalamo-corticale und cortico- 
thalamische Neuronen. 

2. Sämmtliche centripetalen Bahnen, wie dies in letzterer Zeit besonders 
auf experimentell-anatomischem W f ege Peobst 8 exact nachwies, endigen in 
Thalamus, von welchem aus ein neues, zur Hirnrinde strebendes System — d» 
thalamo-corticalen Neuronen — entspringt. Wie Pbobst’s Beobachtung in eine« 
Falle von reiner Sehhügelblutung zeigt, ziehen die thalamo-corticalen Neuro«* 
durch die Lamina medullaris externa in den lateralen Theil der inneren Kapßd, 
legen sich dem Linsenkem an, den sie zum Theil in seinen Marklamellen durch¬ 
ziehen und gelangen nun zur Hirnrinde, namentlich in die Central Windungen, 
ins Scheitelläppchen, in den Gyrus fornicatus. Die zum Hiuterhauptelapp® 
strebenden Strabkranzfasem entspringen vom Pulvinar und verlaufen im Strato* 
sagittale externum. Speciell die Fasern aus der lateralen und ventralen Kern* 
gruppe strömen den Centralwindungen zu. Diese Angabe Pbobst’s erhält durob 


1 Ich verweise hier auf die klassisch-gründliche Arbeit von Eduard Lono: Le» TW- 
centrales de la sensibilitö generale. fCtude anatomo-clinique. Paris 1899, Steinheil. 

* M. Probst, Physiologische, anatomische and patbologisch-aaatomUcbe Untersuchung«» 
des Sehhflgeis. Archiv f. Psych. XXXIII. Heft 8. 


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Flechsig’s 1 Beobachtungen am Gehirn des Neugebornen seine vollste Bestätigung. 
Flechsig unterscheidet drei sensible Systeme und zwar Nr. 1, 2 und 8. Nament¬ 
lich das System Nr. 1 liegt in der inneren Kapsel unmittelbar hinter dem Areal 
der Pyramidenbahn, seine Fasern entspringen dem lateralen Sehbügelkern sowie 
dem schalenförmigen Körper und gelangen ausschliesslich in die Binde der 
Centralwindungen. Nach Flechsig sollen zum Theil auch direct aus der 
Hauptschleife Fasern zur motorischen Zone ziehen. System Nr. 2 führt Fasern, 
welche in den Lobulus paracentralis und in den Fuss der ersten Stimwindung 
endigen; zum Theil aber biegen gewisse Fasern nach innen, um mit fast der 
ganzen Länge des Gyrus fornicatus in Verbindung zu gelangen. Dieses System 
Nr. 2 geht gleichfalls aus dem lateralen Kern (mehr basal) des Sehhügels hervor 
und liegt etwas dorsal vom System Nr. 1. System Nr. 3 tritt im mittleren 
Theil der Kapsel aus dem vorderen Abschnitt des lateralen Kerns aus, seine 
Fasern gelangen zum Fuss der dritten Stirnwindung ferner zum Gyrus fornicatus. 

8. Nach Dejerine 1 und Long existirt kein distinctes sensibles System im 
hinteren Schenkel der inneren Kapsel; die oortico-petalen also thalamo-corticalen 
Fasern sind mit den übrigen transversalen und verticalen speciell aber mit den 
Fasern der Pyramidenbahn vermengt, welche vom Kapselknie angefangen bis 
zum retrolenticulären Segment der inneren Kapsel sich verbreiten. 

4. Hemianästhesie, bedingt durch centrale Läsion der Hemisphären, gelangt 
unter zwei Bedingungen zur Beobachtung: a) Bei Sehhügelläsion, welche die 
bulbo-tbalamischen und zugleich die thalamo-corticalen Neuronen, erstere in 
ihrer Endigung, letztere in ihrem Anfang, zerstört, b) Bei Zerstörutfg der Ver¬ 
bindung zwischen Sehhügel und Hirnrinde. Hierbei ist der Thalamus intact, 
die Läsion aber immer sehr ausgebreitet. Nach Long ist speciell die auf Seh¬ 
bügelzerstörung entstandene Hemianästhesie eine beständige. 

5. Die anatomisch-klinische sowie die experimentelle Methode weisen 
übereinstimmend nach, dass die Motilität, die cutane Sensibilität sowie der 
Muskelsinn dieselbe corticale Localisation haben; namentlich ist es die motorische 
Zone, welche gleichzeitig sensible Function besitzt, daher richtig sensitivo- 
motori8che Zone genannt werden soll (Dejerine, Long). 

Aus diesen Ergebnissen der Dejerine -LoNo’schen Forschungen geht also 
hervor, dass die CHAncoT’sche Lehre von einem distincten sensiblen Bündel im 
retrolenticulären Segment der inneren Kapsel nicht mehr bestehen kann. Wir 
müssen vielmehr eine Vermengung der sensiblen Fasern mit der motorischen 
Bahn im hinteren Schenkel der inneren Kapsel annehmen, wie die eine dies¬ 
bezügliche nachfolgende eigene Beobachtung auch zeigt. 

Robert P., 18 Jahre alter Taglöhner, wurde aro 26. Deoember 1899 im 
Rochusspital auf die interne Abtheilug des Prim. Prof. Ängyän aufgenommen. 
Nach Angabe der Umgebung soll Patient am 24. December 1899 plötzlich 
Schüttelfrost und heftige Kopfschmerzen verspürt sowie mehrraal gebrochen haben. 

1 P. Flbohsiö, Die Localisation der geistigen Vorgänge, insbesondere der Sinnes- 
empfindangen aes Mensehen. Leipzig 1806, Veit & Comp. 

1 Dbjibiki, Centre» nervenx. II. 


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Am 26. December fand seine Aufnahme im Spital statt, wohin er deshalb ge¬ 
bracht wurde, weil er am 26. Dezember in Bewusstlosigkeit fiel. Prof. Areiia 1 
constatirte ein verändertes psychisches Verhalten, denn auf die an ihn gerichtete« 
Fragen antwortete er nur sehr zögernd, einsilbig und unverständlich. Seine 
einzige Klage bestand in Kopfschmerz; er griff thatsächlich oft an seinen Kopf 
Im übrigen liegt Patient ruhig, hält seinen Kopf stark nach rückwärts gezogen 
und ist meist somnolent. Gesicht ist geröthet; an der Haut der Brust zeigen 
sich verschieden grosse, manchmal handtellergrosse, auf Druck abblaasende rothe 
Flecken. Dermographismus. Die Hautempfindlichkeit, besonders an den Extremitäten 
stark gesteigert. Herpes labialis. Zunge und Gingiva trocken, mit brauner 
Kruste belegt, Pupillen etwas verengt, reagiren auf Licht träge. Der Nackrn 
ist steif; Cervical- und Dorsalwirbeln sind druckempfindlich. Aufgesetzt, ergreift 
Patienten Schwindel. Seitens der Sinnesorgane ist ausser Hyperästhesie nichts 
zu constatiren. — Ueber den Lungen mässig katarrhalische Erscheinungen; das 
Herz zeigt nichts Abnormes. Puls 66. Bauch stark eingezogen. Patient verlangt 
kein Essen, trinkt jedoch die dargebotene Milch gerne. Milzdämpfung zwischen 
8. und 11. Rippe. Stuhl auf Klysma, normal. Urin geht unwillkürlich ah. 
Temperatur am Tage der Aufnahme variirte zwischen 38,9—39,6°. 

Dieses Krankheitsbild führte Prof. Ängyän zur Aufstellung einer Meningitis 
cerebrospinalis epidemica. 

Am 11. Krankheitstage (am 2. Januar 1900) erwachte der Kranke nach 
ruhigem Schlaf des Morgens mit heftigen Schmerzen in seiner linken untere« 
Extremität. Prof. Ängyän constatirt bei der Frühvisite die complete motorische 
wie sensible Paralyse der linken Körperhälfte nebst vollkommen klarem 
Bewusstsein. Pupillen mittelweit, reagiren auf Licht gut; Hörvermögen auf beiden 
Ohren gut; Schmeck vermögen der linken Zungenhälfte fehlt. Puls 76. — Nach 
einigen Tagen wurde Patient afebril, auch die Nackenstarre verlor sich. 

Patient kam bald hierauf auf meine Abteilung, wo am 23. Juni 1900 kurs 
folgender Status erhoben wurde: 

Pupillen gleichweit, reagiren in jeder Beziehung prompt. Bulbusbewegungea 
frei. Die Horizontalfalten der Stirne sind links etwas weniger ausgeprägt. Mund¬ 
stellung schief. Linke Nasolabialfalte verstrichen. Linke Mundhälfte bleibt bei 
Bewegung zurück. Linker Oberarm adducirt, der Unterarm befindet sich in 
einer Flexionscontractur von 90°; passive Extension möglich. Vollkommene 
Lähmung der linken oberen Extremität, welche zugleich atrophisch erscheint 
Circumferenz des linken Oberarmes 24 cm, des rechten 26 cm, des linken Unter¬ 
armes 20,5 cm, des rechten 23 cm. Linke untere Extremität in gestreckter 
Haltung und wird beim Gang stelzenhaft circumducirt bewegt. Patellarreflexe 
beiderseits clonisch gesteigert, ebenso der linke Achillessehnenreflex, während der 
rechte normal erscheint. Totale Analgesie sowie sämmtliche Empfindungs¬ 
qualitäten betreffende Anästhesie der linken Körperhälfte. Spedell 
hat Patient absolut kein Lagegefühl. Die Anästhesie nähert sich der Median¬ 
ebene, wo sie succesive in das normale Gebiet der rechten Körperhälfte über¬ 
geht. — Sinnesfunctionen normal. 

Bezüglich der inneren Organe sei hervorgehoben, dass Patient an aus¬ 
gesprochener Aorteninsofficienz litt; nebst dem diastolischen Geräusch oberhalb 
der Aorta war noch schnellender, gespannter Puls fühlbar. Infolge Compensations- 
störungen erfolgte der Tod am 4. Februar 1901. 

Bei der Herausnahme des Gehirns fiel an der rechten Hemisphäre ein Er¬ 
weichungsherd auf, welcher topographisch so ziemlich der SyiiVius’schen Spalte, 

1 Ich entnehme die folgenden Daten einer Demonstration Prof. Ahgyäm*s, gehalten am 
21. Febrnar 1900 im Verein der Spitalsärzte in Budapest. 


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namentlich deren hinterem horizontalem Aste entsprach, wie dies aus beigefügter 
Abbildung (Fig. 1) hervorgeht Der Herd occupirt den untersten Theil der 
vorderen und hinteren CentralWindung und greift entlang des hinteren Astes der 
SYLVius’8chen Fissur auf die erste Temporal Windung über. Die Erweichung 


Fig. i. 



reicht auch in das Innere der rechten Grosshirnhemisphäre hinein; wir wollen 
die diesbezüglichen topographischen Verhältnisse an Frontalschnitten, nach 
\V®iGEBT-WoLTEB8-Färbung behandelt, vorführen. 

Fig. 2 zeigt einen Frontalschnitt hart am vorderen Ende des Thalamus. 
(Der Schnitt ist aus Versehen umgekehrt auf den Objectträger gebracht worden.) 



Fig. 2. 


Man sieht die vorderste Spitze des Sehhügels (Nucleus anterior, iVa), den vorderen 
Schenkel der inneren Kapsel (Ci), lateral den Globus pallidus (Gp) und basal 
von diesem die vordere Commissur (ca). Hart an der lateralen Grenze des 
Thalamus beginnt ein ausgedehnter Erweichungsherd, welcher den oberen Theil 
der vorderen inneren Kapsel (zwischen Putameu und Nucleus caudatus liegend) 
zerstörte; ferner erscheint in den Bereich der Encephalomalacie einbezogen der 


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Körper des Nucleus caudatus, das Putamen (P), die Insel (7), sowie die u- 
stossenden Partieen der vorderen Centralwindung und oberen Temporal windrar 
(T x ), welche gleichsam die Lippen des Ramus horizontalis fossae Sylvii büden. 
(Fernere Bezeichnungen der Figur: F Fomix; OF occipitofrontales Bündel; 
Fnc Fasciculus nuclei caudati, L Lobus limbicus s. fornicatus, F x Gyr. front L 
f x Sulo. front I, F 2 Gyr. front. II, pF Sulc. praerolandicus, R Sulcus centralis. 
Ca Gyr. centralis anterior, Fu Fascic. uncinatus, A Ämygdala, Spa Sab?, 
perforata anterior, II N. opticus). 

Fig. 8 ist ein Schnitt aus dem vorderen Schenkel der inneren Kapsel 
etwas occipitalwärts von Fig. 2. Man sieht hier vom Thalamus den Nucleus 
anterior {Na), den Nucleus lateralis und externus (Ne), die Tänia thalami (7*:. 



Fig. 8. 


das Kapselknie (GC), den vorderen Kapselschenkel (da), den Nucl. caudatus (NC:. 
das Occipitofrontalbündel (OF), den Fascic. nuclei caudati (i^ic); lateral von der 
der Kapsel: das Putamen. (P), den Globus pallidus (Gp), die vordere Commis- 
sur (ca), die Linsenkernschlinge (AZ); ferner: F Fornix, Ch Chiasma, A Amyg- 
dala, I Insel, S Fossa Sylvii, T obere Temporal Windung, R Sulc. Rolandii. 
L Gyr. fornicatus. — Der Herd occupirt genau dasselbe Gebiet wie in der 
vorangehend geschilderten Ebene (Fig. 2), er reicht also genau an die laterale 
Grenze des Sehhügels ohne in denselben einzudringen, zerstörte den oberen 
Theil der da, das Putamen, den Nucleus caudatus, die Insel und die Lippen 
der STiiyiüB’schen Spalte. Die innere Kapsel, welche ausserhalb des Herdes 
liegt, weist hier bereits eine Degeneration auf. Besondere Beachtung verdient 
der Thalamus; er erscheint atrophisch; jene Marklamelle, welche den vorderen 
und lateralen Kern trennt, ist nicht so distinkt wie auf der gesunden Seite, 
sichtbar; besonders aber erscheint der laterale Kern, verglichen mit der 
contralateralen identischen Stelle, verschmälert. Ebenso fehlt das Stratnm 
zonale. 


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Fig. 4 zeigt einen Schnitt ans dem hinterem Segment der inneren Kapsel. 
(Das Präparat kam abermals aus Versehen verkehrt auf den Objectträger). Der 
Herd ist nurmehr in der seitlichen Ecke des Seitenventrikels genau an der 
Stelle des Sohweifkerns, dessen Grösse entsprechend, sichtbar; die Rinde, theil- 
weise auch die Marksubstanz der I. Schläfewindung (7^), der Insel (7), sowie 
der untersten Partie der hinteren Centralwindung (Op) zeigen Erweichung; 
während die Kapselfaserung, wenngleioh etwas lichter getönt, normal erscheint — 
Der Sehhögel auf der Seite der Läsion weist eine distinkte Atrophie auf: mit 
der normalen Seite verglichen, stellt sich heraus, dass besonders der dorsale 
Theil des lateralen Kernes geschrumpft ist Jener Buckel, welchen der normale 
Sehhögel zwischen dem Gewölbe (F) und Schweifkern (NC) bildet, und welcher 



Fig. 4. 


dem Nucleus lateralis dorsalis entspricht, fehlt auf der kranken Seite; der 
Sehhögel ist abgeplattet. Diesem Umstande, fernpr dem zerstörten Sch weif kern 
entsprechend ist der Seitenventrikel auf der Seite der Läsion bedeutend 
dilatirt; diese Ventrikel-Dilatation finden wir übrigens an allen Frontalsohnitten 
auf. Bemerkenswert ist ferner, dass die Nuclei dorsales disseminati thalami, 
welohe an diesem Schnitt auf der gesunden Hälfte distinkt entwickelt sind (Nd), 
auch eine evidente Reduction erfuhren; ferner ist das Stratum zonale thalami 
auch hochgradig atrophisch. Die Tänia thalami (T) ist unversehrt Die 
FoBBL’schen Bündel normal; ebenso der Linrs’sche Körper. Der, im vorderen 
Abschnitt sowie in der Kniegegend der inneren Kapsel stattgefundenen Zer¬ 
störung entsprechend ist im Hirschschenkel (Pp) eine absteigende Degeneration 
sichtbar. Auch möchte ich bemerken, dass der Breitendurchmesser der krank¬ 
haften Hemisphäre auffallend verkleinert ist; dieser Umstand ist duroh die 
Malacie der Inselgegend bedingt und ist an allen Frontalschnitten anzutreffen. 

Fig. 5 entspricht dem hintersten Abschnitt der inneren Kapsel und zeigt 
den hinteren Theil des Sehhügels. Wenngleich die Sohnittrichtung der beiden 

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Hemisphären nicht genau identisch ist (die gesunde Hälfte entspricht einer 
etwas proximaleren, die kranke Hälfte einer etwas distaleren Frontalebene), h- 
ist es dennoch auffallend, welche hochgradige Atrophie der Sehhügel auf der 
Seite der Läsion erfuhr. Während der normale Sehhügel die bekannten Kera- 
gruppen (Nucleus medialis Nm, Nucl. lateralis dorsalis Nid , Nucl. lateralis 
ventralis externus Nlve, Nucl. lateralis ventralis inferior Ntoi) ohne Schwierig¬ 
keit erkennen lässt, weist hingegen der andere, der Läsionsstelle entsprechende 
Thalamus eine hochgradige Atrophie auf. Er ist abgeplattet, fast faserleer and 
zeigt nur das Ganglion habenulae, sowie das MEYNEBT’sche Bündel Fl Fascic. 
retroflexus). Die Regio hypothalamica (Nucleus ruber, dessen Radiation) ferner 
das corpus geniculatum laterale ( gl) sowie das WEENicKE’sche Feld ) er- 



Fig.ft. 


scheinen normal. Der Hirnschenkelfuss weist in seinem inneren */ 3 einen 
Faserausfall auf ( Pyd ). Der Seitenventrikel stark dilatirt Die Gegend der 
SYLvius’schen Lippen zeigt Reste der Erweichung. 

Fig. 6 entspricht der Hirnschenkelfussgegend. Es sei hier nur soviel berwr- 
gehoben, dass das mittlere s / 6 des Pos pedunculi degenerirt ist {Pyd). 

Recapitulirend sei folgendes hervorgehoben: 

In der rechten Hemisphäre befindet sich eine, von den Lippen der Sylviüs’- 
schen Fissur in die Tiefe sich erstreckende Malacie, welche den Kopf uod 
Körper des Schweifkerns, ferner den vorderen Schenkel sowie das Knie der 
inneren Kapsel occupirt. Hierauf entstanden consecutive Veränderungen wesent¬ 
lich in zwei Richtungen. Erstens entwickelte sich eine ausgeprägte Sehhügel¬ 
atrophie, zweitens eine absteigende Pyramidendegenration, welche — nebenbei 
bemerkt — im Verlaufe der pontinen, bulbären und contralateralen spinalen 
Pyramide sich verfolgen lässt. Die Sehhügelatrophie besteht hauptsächlich in 
der Reduction des lateralen Kerns, namentlich des dorsal-lateralen Kerns, und 
ist durch die Unterbrechung der Verbindung zwischen Hirnrinde und Sehhügel 








1011 


bedingt. Hierbei kommen sicherlich in erster Linie die cortico-thalamischen 
Neuronen in Betracht. Hervorzuheben ist, dass der Sehhügel als solcher direct 
nicht lädirt ist. denn die Erweichung erstreckt sich nur bis zur ÄRNOLD’schen 
Gitterschicht. 

Das Hauptinteresse unseres Falles beansprucht die Localisation des Herdes 
und die mit letzterer verbundene constante flemianästhesie und Hemianalgesie. 
Hierzu erscheint es von Vortheil, wenn wir die an Frontalschnitteu gewonnenen 
topischen Veränderungen auf einen Horizontalschnitt projiciren. Bei dieser 
Reconstruction stellt sich heraus, dass die Läsion ausser dem vorderen Schenkel 
und dem Knie der inneren Kapsel noch etwa die vordere Mitte des hinteren 
Kapselschenkels occupirt; somit lässt die Läsion eben den hinteren Theil des 
hinteren Schenkels frei, welcher nach der älteren CHAScoT’schen Anschauung 



Fig. 6. 


sensible Fasern führen soll. Nun aber ersehen wir aus vorliegendem Fall,'dass 
hier eben nur der motorische Theil der inneren Kapsel vernichtet wurde und 
gerade in Verbindung mit einer typischen Hemiplegie eine klinisch scharf aus¬ 
geprägte Hemianästhesie vorhanden war. Hieraus würde folgen, dass mit den 
motorischen Fasern zugleich sensible, jene der Hautsensibilität, verlaufen, wie 
dies Dejemne und Eduard Long behaupten. Die corticalen Erweichungen 
des vorliegenden Falles bieten für die Localisation der Sensibilität keinen An¬ 
griffspunkt. 

Es wäre schliesslich noch des Umstandes zu gedenken, dass die Läsion den 
Sehhügel direct nicht traf und dennoch eine unverrückt feststehende Hemi¬ 
anästhesie bewirkte. Diesen Umstand hebe ich aus dem Grund hervor, weil 
E. Long in jenen Fällen, in welchen die Läsion den Thalamus selbst traf, der 
Hemianästhesie eine grössere Beständigkeit zuschreibt. Ich denke, dass mein 
Fall beweist, dass ausserhalb des Sehhügels liegende Herde, welche aber die 
Verbindung zwischen Thalamus und Hirnrinde zerstören, auch constante Hemi¬ 
anästhesie zu bewirken vermögen. 


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[Aas dem städtischen Kranken hause in W arachau-Praga. (Abtheilung für Nerveaknak* 

von Dr. J. Piltz.)] 

4. Die paradoxe Pupillenreaction 
und eigene Beobachtung von Verengerung der Pupillen 
bei Beschattung der Augen. 

Von Dr. J. Pütz. 

(Fortsetzung.) 

W. Vy8in 1 veröffentlichte zwei Falle von perverser Pupillenreaction. Die 
Perversität der Pupillenreaction bestand in der sehr interessanten Beobachtang, 
dass die Papillen beim Accommodationsacte sich erweiterten, während sie beim 
Blick in die Feme sich verengten. Um dem Vorwnrfe zu entgehen, dass beim 
Blick in die Feme die Augen dem Lichte mehr aasgesetzt waren als beim 
Blick in die Nähe, liess Vysin als Femobject eine dunkle, etwa 10 m entfernte 
Wand fixiren und machte den Nachversuch auch derartig, dass er die Augen 
mit concentrischem Licht (Sammellinse) beleuchtete. Selbst die unter der 
Wirkung der intensiven Beleuchtung verengten Papillen erweiterten sich ganz 
deutlich bei der Fixation eines nahen Gegenstandes, während sie beim Fernblick 
sich noch mehr verengten. In einem Falle handelte es sich am traumatisch 
Neurose, der zweite Fall zeigte dieses Phänomen der perversen Pupillarreaction 
nur temporär zur Zeit von Migräneanfällen. Mit dem Nachlassen der Anfälle 
hörte auch jedes Mal das abnorme Phänomen an den Pupillen auf. Nach Vyhs 
ist dieser zweite Fall ein Beweis dafür, dass 1. die Migräne eine dnrcfa Ver¬ 
änderungen in der Hirnrinde bedingte Erkrankung sei und 2. dass die Accommw- 
dationsreaction gleichfalls unter dem Einfluss der Hirnrinde steht 2 * Die erkrankte 
Hirnrinde wirkt nicht in richtiger Weise auf die Bewegungen der Pupillen. Als 
bei diesem Kranken die Migräneanfalle nachliessen und die Function der Hirn¬ 
rinde sich wieder herstellte, machte sie wiederum ihren Einfluss auf die reflee- 
torische Pupillenbewegung geltend. 8 

Schon aus diesem kurzen Referat geht klar hervor, dass es sich in dies® 
von Vysin beobachteten Fällen nicht um paradoxe Lichtreaction, sondern am 
eine paradoxe Accommodationsreaction bezw. um eine Inversion der Accommo- 
dation8reaotion der Pupillen gehandelt hat 

In einer sehr interessanten Arbeit berichtet v. Bechtnbew 4 * ausführlich 
über einen Fall von beschränkter Meningitis luetica basilaris mit BetheiliguDg 

1 W. Vysin, Zwei Fälle von perverser Pupillenreaction. Zeitsohr. f. böhmische Aerxte. 

1896. Nr. 44 a. 45. 

* Biblitzki hat auf experimentellem Wege ein oorticales Aocommodationscentram i» 
Hinterhaaptslappen gefunden. Siehe v. Bechterew, Neurolog. CentralbL 1900. Nr. 9. 

* Ausgezeichnetes Referat der Arbeit von Vysin im Archiv für Augenheilkunde (1897. 
Nr. 689) von Hbrbnhbissbr. 

4 W. v. Bbohtbekw, Ueber paradoxe Lichtreaction der Papillen. Nearolog. Westait 

1897. S. 165 (rassisch). 


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1018 


der Augenmuskelkerne, bei welchem sich in der Periode der Besserung dieser 
krankhaften Erscheinungen die paradoxe Lichtreaction einstellte. Bei der ersten 
Untersuchung wurde Folgendes oonstatirt: Störung der Sensibilität in beiden 
Gesichtshälfteu und des Geschmacksinnes, Paresis nervi oculomotorii dextri (beim 
Fixiren mit dem rechten Auge kam es jeweilen zu einer seoundären Deviation 
des linken Auges) und Diplopie beim Blick nach unten, aber hauptsächlich 
beim Blick nach links und aufwärts. Visus war normal. Die rechte Pupille 
war deutlich erweitert und reagirte auf Licht gar nicht, die linke reagirte auf 
Licht, wie es scheint, auch nicht Die Pupillenreaction auf Schmerz fehlte. 
Rechts fehlte auch die Accommodationsreaction, links war sie bedeutend ab¬ 
geschwächt lu der Periode der Besserung der krankhaften Erscheinungen zeigte 
sich nun die paradoxe Lichtreaction. Die anfangs vollkommen unbewegliche 
rechte Pupille zeigte jetzt unter dem Einfluss des Lichtes eine deutliche Er¬ 
weiterung, direote wie consensuelle (d. h. bei Belichtung des linken Auges). An 
der linken Pupille war die paradoxe Lichtreaction schwächer ausgeprägt und 
zwar nur die directe; ausserdem war sie nicht so beständig wie die rechte, denn 
wenn man sie ein oder zwei Mal hintereinander hervorrief, schwand sie und 
die Pupille wurde für einige Zeit wieder unbeweglich; nach einer Pause konnte 
man diese Reaotion von Neuem erhalten. An einer anderen Stelle seiner Arbeit 
fügt v. Bechterew noch hinzu, dass bei Belichtung jedes Mal zuerst eine ge¬ 
ringe Verengerung der Pupille eintrat, welche nun unter dem Einfluss des Lichtes 
sofort in eine langsame länger oder kürzer dauernde Erweiterung überging. 

v. Bechterew nimmt an, dass die syphilitische Erkrankung der Blutgefässe, 
welche durch die Lamina cribrosa posterior in die Himsubstanz eindringen, zur 
Obliteration derjenigen kleinen Zweige geführt hat, welche die Augenmuskelkerne 
und den Iriskern versehen. Unter dem Einfluss der Therapie, durch Wieder¬ 
herstellung der Blutcirculation wurde der grösste Theil der erkrankten Him¬ 
substanz vor dem völligen Untergange gerettet, wobei auch die meisten oben 
beschriebenen Symptome wieder zurüekgetreten sind. Wir wissen, führt 
v. Bechterew im Weiteren aus, dass gewöhnlich das sich restituirende Nerven¬ 
gewebe eine ausserordentliche Ermüdbarkeit zeigt Wir haben keinen Grund, 
nicht anzunehmen, dass auch die sich restituirenden Pupillarfasem bezw. der in 
Regeneration begriffene Iriskem von einer solchen Ermüdbarkeit ausgezeichnet 
wird. Dementsprechend constatirte v. Bec h t e rew auch jedes Mal bei mässiger, 
z. B. bei Tagesbeleuchtung, eine geringe Verengerung der Pupille; dagegen bei 
einem sehr starken Liohtreiz hörte die Hervorrufung des Lichtreflexes durch 
Lichterregung der Retina schon gleich im ersten Moment auf und machte Platz 
einer vorübergehenden Unterdrückung der Thätigkeit des Pupillarcentrums, 
welche sohliesslich in einer Pupillenerweiterung ihren Ausdruok fand. Diese von 
v. Bechterew gegebene Erklärung scheint mir in diesem Fall ganz richtig zu 
sein, sie verdient volle Beachtung; durch dieselbe verliert das Phänomen der 
paradoxen Lichtreaction in dem Fall von v. Bechterew das Paradoxe, welches 
es an sich trug. Es ist ja überhaupt wenig wahrscheinlich, dass es irgend 
etwas Paradoxes in der Natur giebt 


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Albebt Leitz 1 hat in einem Fall von Meningitis tubereulosa, welche acb 
secundär nach einer tuberculösen Coxitis bei einem 9jährigen Knaben ent¬ 
wickelte, das Phänomen der paradoxen Pupillenreaction beobachtet Die Pupillen 
waren in der Dunkelheit bis auf Stecknadelkopfgrösse zusammengezogen und 
erweiterten sich um so mehr, je stärker die Augen belichtet wurden. Die Reactk» 
der Pupille hielt bis zum Tode des Patienten an. 

Hibschl 2 beschäftigte sich in der v. Kb afft- EBiNo’schen Klinik neuer¬ 
dings sehr eingehend mit der „sympathischen Pupillenreaction“ und mit da 
sogen, paradoxen Lichtreaction der Pupillen bei der progressiven Paralyse. Be¬ 
kanntlich verstehen wir unter der sympathischen ßeaction eine Pnpillenerweiteruns 
auf Reizung sensibler Nerven. Die Methodik zur Prüfung dieses Vorgang« ist 
eine ungemein einfache; der zu Untersuchende wird mit einer Nadel in die 
Wange gestochen oder gekneipt oder seine Haut in der Schläfen-, Hals- oder 
Nackengegend wird durch Stechen oder mit dem faradischen Pinsel gereut, 
oder es wird an irgend einer Körperstelle ein massig starker faradischer Strom 
applicirt — dabei kommt es gewöhnlich zu einer nachträglichen Pupillen¬ 
erweiterung. Es giebt aber auch Fälle, in welchen schon z. B. die Wärme der 
Lichtquelle für die Cornea, Conjunctiva oder überhaupt für das ganze Trigeminns- 
gebiet einen genügenden sensiblen Reiz darstellt, der eine „sympathische Pupillen¬ 
reaction“ hervorrufen kann. Es ist nun klar, dass man diese Erscheinung, 
welche z. B. bei Annäherung einer Lichtquelle eintreten kann, nicht für paradoxe 
Lichtreaotion der Pupillen halten darf. Hibschl beobachtete 4 Fälle von sog«, 
paradoxer Pupillenreaction. Zwei von diesen Fällen sollen den FBBNKEL’schen 
Fällen entsprechen, bei denen mit der Erweiterung der Pupille auf Belichtung 
eine Abductionsbewegung des Bulbus einherging. Für diese Fälle nimmt Hibschl 
mit Fbenkel an, dass in Folge der Insufficienz der Intemi, bei Annäherung 
einer Lichtquelle der Adductor des Bulbus erlahme und eine Abduction des 
Bulbus eintrete, worauf bei erhaltener Divergenzreaction der Pupillen eine Er¬ 
weiterung der Pupille eintreten müsse. In dem dritten Falle zeigte sich eine 
Erweiterung der Pupille schon bei blosser Annäherung eines warmen Gegen¬ 
standes (Eprouvette mit heissem Wasser), andererseits fehlte dieselbe bei Be¬ 
lichtung des Auges mit kalten Lichtstrahlen (GÄBTNEB’sche Lampe). Den 
vierten Fall hat Hibschl nicht genauer untersucht Auf Grund seiner Unter¬ 
suchungen kommt Hibschl in Bezug auf die uns beschäftigende Erscheinung 
zu folgenden Schlüssen: 

„Die sogen, „paradoxe Lichtreaction der Pupillen“ tritt ein:- 

a) bei ABGYLL-RoBEBTsoN’schem Phänomen, wenn die sympathische Reaction 
vollkommen erhalten ist; 

b) bei ABGYLL-RoBEBTsoN’schem Phänomen und sympathischer Pupillenstarre 


1 Albert Leitz, Anomalous pupillary reaction iu meningitis. Medical Record. LVl. 
Nr. 23. 

* Hirschl, Ueber die sympathische Pupillarreaction und über die paradoxe Lichtwaetio» 
der Pupillen bei progressiver Paralyse. Wiener klin Wochensohr. 1899. Sr. 22. 


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1015 


dann, wenn im Zusammenhänge mit lusuffieienz der Recti interni bei Belich¬ 
tung Abductionsbewegung des Bulbus ausgelöst wird. 

Beide Arten der „paradoxen Lichtreaction der Pupillen“ bieten ihrem Wesen 
nach nichts Paradoxes dar. Im ersten Falle bringt die Wärme der Lichtquelle 
die erhaltene sympathische Reaction zum Vorschein, im zweiten Falle tritt 
Abduction des Bulbus ein und mit dieser die entsprechende Erweiterung der 
Pupille.“ 

In der Discussion im Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien am 
25. April 1899, die sich an den Vortrag von Hibsghl ansohloss, bemerkte 
Sternbebg 1 u. A., dass die „sympathische Pupillenreaotion“ vorübergehend sei, 
während die paradoxe Reaction in zwei von ihm gesehenen Fällen von pro¬ 
gressiver Paralyse dauernd bestehen blieb. Ueber diese 2 Fälle hat Stebnbbbg 
nichts Näheres mitgetheilt. 

Schliesslich hat Silex 5 am 12. Juli 1899 in der Berliner Medicinischen 
Gesellschaft einen Fall von „wahrer paradoxer Pupillenreaotion“ vorgestellt. Es 
handelte sich um eine schwache, nervöse, erschöpft aussehende und leicht auf¬ 
geregte Patientin, welche vor 7 Jahren einen Schlag auf den Hinterkopf mit 
vorübergehendem Verlust des Bewusstseins erlitten hat Ihre Pupillen waren 
eng wie sie bei Ueberanstrengung des Auges duroh vieles Nahesehen, in Folge 
Angewöhnung an den accommodativen Zustand, Vorkommen. 

Mit Hülfe der Spiegellampe wurde nachgewiesen, dass der Sphincter sich 
nicht contrahirte, sondern dass die Pupille sich bis auf 6 mm im Durchmesser, 
bisweilen auch noch mehr, langsam erweiterte. Waren beide Augen im Schatten 
und wurden sie jetzt plötzlich durch grelles Sonnenlicht belichtet, so er¬ 
weiterten sich die Pupillen beider Augen, links jedoch mehr als rechts, bis¬ 
weilen aber änderte sich rechts nichts an der Grösse. Consensuell konnten 
beide Pupillen nur in ganz geringem, oft kaum wahrnehmbarem Maasse beein¬ 
flusst werden. 

Am schönsten konnte Silex diese Erscheinung hervorrufen, wenn er im 
Dnnkelzimmer, in dem die Patientin mehrere Minuten ruhig gesessen, plötz¬ 
lich die Gasflamme hell aufleuchten liess. Die bis zu diesem Moment trotz 
der Dunkelheit kleinen Pupillen wurden dann direct gross. Dieser Erweiterung 
der Pupillen unter dem Einfluss des Lichtes ging nicht die geringste Ver¬ 
engerung voraus. 

In der Mehrzahl der in der Litteratur bekannten Fälle von paradoxer 
Pupillenreaotion stellte sich die Erweiterung als associirte Folge einer Divergenz¬ 
bewegung, bei gleichzeitiger Parese der Adductoren dar. Wird z. B. die 
Accommodation auf ein nahes Object gerichtet, so bleibt bei gleichzeitiger Be¬ 
leuchtung die Pupille eng; sobald aber die inneren, geraden Augenmuskeln 
dabei ermüden und die Augen abweichen, tritt eine Pupillendilatation ein. 


1 Stkbnbrbq, Discuasion im Anschluss an den Vortrag von Hihsohl im Verein ffir 
Psychiatrie und Neurologie in Wien am 25. April 1899. Wiener klin. Wocbenßchr. 1899. 
Nr. 22. 

1 Sllkx, Ueber paradoxe Pupillenreaction. Zeitechr. f. Augenheilk. 1900. S. 498. 


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Eine Abduetionsbewegung der Bnlbi beobachtete Silex in seinem Faü 
nicht. Auch bestand kein Hippus. 

Durch Kneifen der Wange der Patientin erweiterten sich die Pupillen jedes 
Mal. Doch war diese sympathische Pupillenerweiterung viel geringer als die 
Erweiterung der Pupillen auf Lichtreiz. 

Dafür, dass es sich in seinem Fall nicht um eine durch Wirkung des 
Wärmestrahlen bedingte Pupillenerweiterung handelte, spricht schon dieser Um¬ 
stand, dass Silex dieselbe auch bei minimalster Lichtmenge, bei der von Wärme 
kaum noch die Rede war, noch deutlich hervorrufen konnte. 

Da Silex in seinem Fall der Erweiterung keine, auch nicht die geringste 
Verengerung vorausgehen sah, hält er die von ihm beobachtete Pupillenerweiternng 
für eine wirkliche paradoxe Erweiterung der Pupille, welche durch die Erregung 
des Nervus opticus zu Stande kommt 

Die bei der Patientin für gewöhnlich bestehende Verengerung der Pupillen 
will Silex auf folgende Weise erklären: entweder, sagt er, handelt es sich um 
eine Beizung von Seiten einer Schwarte, die nach dem Fall auf den Hinterkopf 
sich entwickelte, d. h. wir haben es mit derselben Verengerung der Pupille n 
thun, die wir bei Hirnhautentzündungen finden. Möglicher Weise ist es aber 
auch ein Verharren der Pupille in dem zu der anhaltenden Näharbeit noth- 
wendigen Accommodationszustande. Oder es handelt sich um den Ausdruck 
einer erhöhten Erregbarkeit und geringer Widerstandskraft des ganzen Nerven¬ 
systems, mithin auch der Pupillarfasern: bei Liohteinfall eine schnelle Ermüdung 
dieser Fasern mit Herabsetzung der Funotion und um Entfaltung der Dilatate- 
kraft Als Beweis dafür führt Silex den Umstand an, dass seine Patientin bei 
intensiver Lampenbeleuchtung schlechter sah als bei gewöhnlicher Zimmer* 
beleuchtung. (Schloss folgt) 


IL Referate. 


Anatomie. 

1) lieber die absteigenden Verbindungen der Sehhügel und vorderen 
Vierhügel, von Dr.E. Ernst. (Dissertation. 1902. St Petersburg. [Russisch.]) 

ln Anbetracht der mannigfachen Controversen über die anatomischen Be¬ 
ziehungen der Sehhügel und vorderen Vierhügel zu den benachbarten und ent¬ 
fernten Bildungen des Hirnstammes unternahm Verf. im Bechterew’scheo 
Laboratorium eine experimentelle Prüfung dieser Fragen. Seine Versuche wurde® 
an Hunden angestellt, denen er auf mechanischem Wege eine Läsion der genanntes 
Theile beibrachte. Er benutzte zu diesem Zweck ein von ihm constroirtes In¬ 
strument in der Art einer Hakencanüle, die daroh eine durch die Schädelbasis 
vom Rachen aus gebohrte Oefihung in die Substanz des Thalamns oder der 
Corpora qnadrigemina eingeführt wurde. In der 1 mm dicken Canüle war ein 
feiner Haken versteckt, der innerhalb des Gehirns herausgestossen werden konnte 
und dabei eine Läsion der Gehirnsubstanz verursachte. Selbstverständlich waren 
bei dieser Methode viele Versuche misslungen, aber in 16 Fällen gelang es, die 
Läsion nach Wunsch zu localisiren und die Thiere gegen 2—3 Wochen lang 


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Leben zu erhalten. Das Gehirn wurde dann nach Marchi zum Studium secun- 
därer Degenerationen bearbeitet. 

Die Versuchsergebnisse zeigen, dass Sehhugelverletzungen nur dann von 
absteigender Degeneration begleitet werden, wenn die caudalen Theile der medialen 
Sehhügelkerne lädirt sind; bei ausschliesslicher Verletzung anderer Theile der 
Sehhügel treten keine Degenerationen absteigender Bahnen auf. In den Fällen, 
wo die Läsion streng auf die medialen Kerne (med. v. Monakow) beschränkt 
war, liess sich secundäre Degeneration in folgenden Bahnen nachweisen: in einem 
Faserbündel, welches in der dorsalen Schicht des medialen Sehhügelkerns verläuft 
und im oberflächlichen Grau der vorderen Vierhügel endet; in einem Bündel, 
welches zum gleichseitigen rothen Kern verläuft; ein Theil desselben überschreitet 
die Raphe und endet im contralateralen rothen Kern; ferner degenerirt ein 
Bündel, welches nach Austritt aus dem medialen Sehhtigelkern lateral vom Fas- 
ciculus longitud. posterior bis zur Varolsbrücke verläuft, wo es sich im Gebiet 
des centralen Haubenkerns zerstreut; ausserdem ein Bündel in unmittelbarer 
Nachbarschaft des Meynert’Bchen Fasciculus retroflexus, welches dann im weiteren 
Verlauf ins laterale Feld der Formatio reticularis übergeht und hier im Niveau 
des Nucleus centralis inferior verschwindet. Bei Verletzung des Ganglion habenulae 
degenerirt der Fasciculus retroflexus bis zum gleichseitigen Ganglion interpedun- 
culare. Bei Verletzung der vorderen Vierhügel degeneriren zwei Fasersysteme — 
ein kurzes, welches im verlängerten Mark endigt (Münzer’s Tractus tecto-bulbaris 
superficialis non cruciatus), und ein langes, welches durch die fontäneartige 
Kreuzung geht und sich durch die Formatio reticularis hindurch bis zu den 
Vordersträngen des Rückenmarks verfolgen lässt. 

P. Rosenbach (St. Petersburg). 


2) Ueber die Beziehungen der Olia zu den Gefäsaen , von Prof S. Kure. 

(Neurologia. I.) 

Verf. studirte in Nissl’s Laboratorium die Veränderungen der Hirnrinde 
bei experimenteller Tuberculose und kam dabei zu sehr interessanten Ergebnissen 
bezüglich der Neubildung von Gefässen. Vorerst konnte er die alte, durch 
Weigert’s Gliafärbung ins Wanken gebrachte Anschauung wieder stützen, dass 
Gliazellen direct mit der Endothelwand der Gefässe verwachsen bezw. durch 
protoplasmatische Ausläufer mit breiter Basis der Gefässwand aufsitzen (die sogen, 
„dreieckigen Füsschen“ früherer Autoren). Des weiteren fand er aber, dasB die 
Gliazelle unter Umständen direct an der Bildung der Gefässe theilnehmen kann. 
Er sah nämlich Zellen mit allen Eigenschaften der Gliazellen, die mitten in ihrem 
Protoplasma eine Höhlung mit deutlichem Contour und zwei flachen Kernen auf- 
wiesen. Verglich er zweifellose Capillaren mit diesem Gebilde innerhalb der Glia¬ 
zelle, so ergab sich, dass nicht der geringste Unterschied zwischen dem Quer¬ 
schnitte einer Capillare und dem letzteren bestand. An anderen, die Längs¬ 
schnitte zeigenden Zellen konnte er direct beobachten, wie eine Gliazelle im 
Begriffe ist, von einem benachbarten Gefässchen ausgehöhlt zu werden: längs des 
dem Gefäss aufsitzenden länglichen Protoplasmafortsatzes schiebt sich ein Endothel¬ 
kern nach ^ dem Zellleib hin vor, ein anderer ist schon im Zellinnern angekommen 
und liegt am Rand einer kleinen Vacuole. Streckenweise wird die Wand des 
Gefässes überhaupt nur durch Protoplasmasubstanz gebildet, zum mindesten auf 
der einen Seite, was durch die in Querschnittsbildern ersichtliche, meist excentrische 
Lage des Lumens in der Zelle erklärt wird. Verf. sieht es also als eine That- 
sache an, dass die neugebildeten Gefässe unter Umständen dadurch entstehen, 
dass sie die Protoplasmamasse der Gliazellen durchbrechen, „wie ein Tunnel durch 
eine Gebirgsmasse gebrochen wird“. 


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Eine Anzahl trefflicher, klarer Abbildungen — allerdings keine Photo* 
graphieen — lassen an der Richtigkeit dieser merkwürdigen Angaben kann 
Zweifel aufkommen. H. Haenel (Dresden). 


3) Ein Beitrag zur Frage vom Verlaufe der Bahnen der Hautsinne im 
Rüokenmark, von Karl Petren. (Skandinavisches Archiv für Physiologie. 
XIII. 1902.) 

Auf Grund einer kritischen Sichtung eines sehr grossen Materials, das in 
der vorliegenden Arbeit literarische Verwerthung gefunden hat, kommt Verf. zu 
folgenden Schlüssen: 

I. In anatomischer Beziehung: 

1. Der Drucksinn verfügt im Rückenmark über zwei Bahnen, 

2. die eine wird von der aufsteigenden exogenen Bahn des Hinterstranges 
gebildet, welche bekanntlich ungekreuzt ist, 

3. die andere Bahn des Drucksinnes verläuft zusammen mit den Bahnen der 
übrigen Hautsinne, 

4. diese Bahnen der sämmtlichen vier Hautsinne passiren zuerst durch das 
Hinterhorn derselben Seite und kreuzen sich dann vollständig in der Mittellinie, 

5. was die betreffenden Bahnen für die unteren Extremitäten betrifft, iat 
diese Kreuzung im 1. Lendensegmente oder sicher wenigstens im 12. Brust¬ 
segmente vollendet, nicht aber auf einem tieferen Niveau, 

6. nach der Kreuzung passiren diese Bahnen durch den Seitenstrang 
nach oben, 

7. sie müssen nach der lateralen Hälfte des Seitenstranges verlegt werden, 
verbleiben aber — wenigstens im oberen Theil des Rückenmarks — im Verlauf 
von 5—7 Segmenten der medialen Hälfte des Seitenstranges, so dass man eine 
allmähliche Verschiebung dieser Bahnen innerhalb des Seitenstranges in lateraler 
Richtung annehmen muss, 

8. in anatomischer Hinsicht entsprechen diese Bahnen aller Wahrscheinlich¬ 
keit nach einem Theile der Fasern der Gowers’schen Bahn, 

9. diese Bahnen der vier Hautsinne nehmen offenbar zum grossen Theile 
dieselben Gebiete des Querschnittes ein, sie können aber nicht völlig miteinander 
zusammenfallen. 

II. In klinischer Beziehung: 

1. Obgleich Fälle von Halbseitenläsion nur verbältnissmässig selten anatomisch 
untersucht worden sind, können wir in Folge der grossen und in diesem Punkte 
fast einstimmigen klinischen Erfahrung bestimmt behaupten, dass eine reine Halb¬ 
seitenläsion, wenn dieselbe nicht zu tief gelegen ist, gekreuzte Anästhesie, und 
zwar nur gekreuzte, verursacht. 

2. Diese Anästhesie kommt unter zwei verschiedenen Formen vor: 

a) Schmerz- und Temperatursinn gestört, Drucksinn normal. 

b) Störung der sämmtlichen Hautsinne. 

Andere Typen von Anästhesie scheinen nicht aufzutreten. Jener ist wahrscheinlich 
gewöhnlicher als dieser. Jedenfalls ist die Störung des Drucksinnes nur bei einer 
verhältnissmässig geringen Zahl der Fälle ebenso dauerhaft und hochgradig ge¬ 
wesen als diejenige der übrigen Hautsinne. 

3. Eine vorübergehende Lähmung auch des anästhetischen Beins wird oft 
beobachtet. Dies trifft für die Fälle mit Störung auch des Drucksinnee weit 
öfter zu als für die anderen Fälle. Ein Unterschied dieser Art tritt bei den 
durch Rückenmarkssyphilis bedingten Fällen nicht hervor. 

4. Beachten wir nun die Fälle von Messerstich, so finden wir, dasB doppel¬ 
seitige Lähmungserscheinungen — hier fast immer nur im Anfänge des Krank- 


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heitsverlaufes — bei den Fällen mit ungestörtem Drucksinn niemals Vorkommen. 
Die grosse Mehrzahl der Fälle mit Herabsetzung auch des Drucksinns hat vorüber¬ 
gehende Lähmung auch des anderen Beines gezeigt. Es kommen einige Ausnahmen 
von der letztgenannten Regel vor; bei denselben ist der Stich — unter den zu¬ 
sammengestellten Fällen — niemals tiefer als im obersten Brustmark gelegen 
gewesen. 

5. Bei der Mehrzahl der Fälle mit Störung auch des Drucksinnes ist der 
Stich auf der der eigentlichen Läsion des Rückenmarks entgegengesetzten Seite 
durch die Haut passirt. Folglich muss der Schnitt hauptsächlich (aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach sogar ausschliesslich) nur im hintereu Theile des Rückenmarks 
die Mittellinie überschritten haben. Martin Bloch (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

4) Ueber die Gehirnoentreu der Ereotion des Penis und der Samen¬ 
absonderung, von Dr. L. Pussep. (Dissertation. 1902. St. Petersburg. 
[Russisch.]) 

Verf. stellte sich die Aufgabe, den Einfluss des centralen Nervensystems auf 
die Erection des Penis und die Samenabsonderung auf experimentellem Wege zu 
studiren und unternahm zu diesem Zweck eine Reihe von Versuchen, hauptsäch¬ 
lich an Hunden, im Bechterew’schen Laboratorium. Die Veränderungen im 
Schwellungszustand des Penis wurden auf graphischem Wege notirt; ausserdem 
wurden in einigen Versuchen die Veränderungen der Blutcirculation in den Ge- 
schlechtstheilen durch graphische Messung des Blutdruckes in den betreffenden 
Arterien bestimmt. Bei elektrischer Reizung der Gehirnoberfläche fand Verf. ein 
begrenztes kleines Gebiet unmittelbar hinter dem Sulcus cruciatus, ungefähr 2 mm 
von der Fissura cerebri magna entfernt, von welchem aus Erection und Ejaculatio 
seminis ausgelöst werden können. In nächster Nachbarschaft dieses „Erections- 
centrums“ liegt ein anderes, dessen Reizung das entgegengesetzte Resultat bewirkt. 
Im ersteren Falle beruht die Wirkung auf vasodilatatorischem Effect auf die 
Gefässe der Geschlechtstheile, im letzteren auf vasoconstrictorischem. In einer 
anderen Versuchsreihe wurde das Erectionscentrum exstirpirt, und dann stellte 
sich am Thier Verlust der Libido sexualis ein. Ausser der bezeichneten Stelle 
der Gehirnrinde bewirkt auch Reizung eines bestimmten Gebietes deB Sehhügels 
zwischen dessen vorderem und mittlerem Drittel, ferner der hinteren Vierhügel 
und der Rautengrube unmittelbar neben den Vaguskernen Erection und Ejacu- 
lation. Bei Reizung des Kleinhirns und der vorderen Vierhügel erhielt Verf. 
negative Resultate. Bei elektrischer Reizung des Rückenmarks stellt sich Erregung 
und Samenabsonderung ein, wenn die Reizung im Gebiet der Lendenanschwellung 
von der Austrittsstelle der 4. Lumbalwurzel bis zu deigenigen der 2. Sacralwurzel 
applicirt wird. In einer Versuchsreihe, wo das Erectionscentrum exstirpirt und 
das Thier dann mehrere Wochen lang am Leben gelassen war, wurde das Gehirn 
nach Marchi untersucht, und dabei fand Verf. Andeutungen secundärer Degene¬ 
ration, die sich durch die innere Kapsel bis zu den Pyramiden in der Oblongata 
verfolgen Hess. P. Rosenbach (St. Petersburg). 


P sychologie. 

5) La mesure du temps de röaction simple des sensations olfactives, par 

N. Vaschide. (Trav. du labor. de psychol. experimentale de l’6cole des 
hautes 6tudes, Acad. Villejuif.) 

Verf. benutzte Kampherlösung von bestimmter Concentration; zugleich mit 


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der Oeflhung der Flasche, die die Lösung enthielt, wurde der Strom im Chrono- 
skop geöffnet, mit dem Signal der erfolgten Wahrnehmung geschlossen. Es ergab 
sich, in genügender Uebereinstimmung mit den Versuchen von Moldenhauer, 
dagegen abweichend von anderen Untersuchern, eine durchschnittliche Reactions- 
zeit von 0,235 Secunden bei Männern, 0,29 Secunden bei Frauen. Auch das 
Maximum und Minimum lag bei Männern niedriger als bei Frauen. Die Reaction 
zeigte unter dem Einfluss der Uebung eine Verkürzung ziemlich beträchtlichen 
Grades, ebenso wie bei Ermüdung eine erhebliche Verlängerung. Die Intensität 
der Empfindung stand im umgekehrten Verhältniss zur Reactionszeit: je stärker 
die Empfindung war, umsomehr schien sich die Reactionsdauer zu vermindern. — 
Verf. will seine Ergebnisse nur auf die untersuchte Substanz, d. h. Kampher, 
angewendet wissen, und verwahrt sich gegen eine Verallgemeinerung. 

H. Haenel (Dresden). 

6) Influenoe des sons sur le travail, par Ch. Fere et M®*. M. Jaell. (Comptes 
rendues de la soc. de biologie. 1902.) 

Die Verff. untersuchten den Einfluss verschiedener Toneindrücke mus ik a lis cher 
Art auf die Arbeitsleistung am Ergographen. Die Versuchsperson war abeolut 
unmusikalisch; die Toneindrücke erfolgten im selben Rhythmus wie die Hub¬ 
bewegungen. Aus den Ergebnissen seien die folgenden hervorgehoben: Die 
dissonirenden Intervalle drücken ohne Ausnahme die Leistung herab, die ver¬ 
minderte Quinte am meisten, die consonirenden erhöhen sie. Wenn dagegen die 
Versuchsperson im ermüdeten Zustand arbeitet, wirkt auch die verminderte Quinte 
erregend. — Bezüglich der Dur- und Molltonarten liees sich ein gleicher durch¬ 
greifender Unterschied nicht feststellen: wenn dagegen in regelmässigem Wechsel 
z. B. H-dur und B-dur wirkten, so war fast durchgängig die H-dur-Tonart van 
einer Steigerung begleitet, eine Steigerung, die umsoweniger deutlich war, je 
grösser der Abstand der beiden Tonarten gewählt wurde. Bei Tonleitern wurde 
feetgestellt, dass die aufsteigend gespielten die Leistung vermehrten bezw. die 
Ermüdung auf hielten, die absteigenden das umgekehrte bewirkten; am auffallendsten 
war dieser Erfolg, wenn abwechselnd eine aufsteigende Dur- und eine absteigende 
Moll-Tonleiter gespielt wurden. Von den verschiedenen Rhythmen zeigte der, 
wo ganze und halbe Tacttheile abwechseln, einen günstigeren Einfluss als der, 
wo die Tacttheile einander gleichen. H. Haenel (Dresden). 


7) La suggestibilite dans la fhtigne, par Ch. Förö. (Journal de l’anatomie 

et de la physiol. 1902. Nr. 4.) 

Verf. stellte folgende Versuchsanordnung auf: Eine Versuchsperson arbeitet 
durch Bewegung und Streckung des Mittelfingers am Mosso’schen Ergographen. 
Vor ihr sitzt eine andere Versuchsperson, die dieselben Fingerbewegungen im 
selben Tacte ausführt, aber leer, ohne ein Gewicht zu heben, und die von der 
ersten genau beobachtet wird. Es zeigte sich, dass die Wirkung dieser „Sug¬ 
gestion“ ganz verschieden war, je nachdem, ob sie zu Beginn der Arbeit oder bei 
schon eingetretener Ermüdung, ob sie kurze oder lange Zeit wirkte. Dauert die 
der Arbeit vorangehende Suggestion nur wenige Secunden, so wirkt sie im Sinne 
einer Steigerung der Leistung; dauert sie länger als 30 Seounden, so kann sie 
eine Verminderung derselben zur Folge haben. Diese Thatsache ist mit der vom 
Verf. schon früher gefundenen verwandt, dass die blosse lebhafte Vorstellung einer 
Bewegung ebenso wie die wirkliche Ausführung derselben ermüdet: unterbricht 
man eine im absteigenden Schenkel sich befindende Ergographencurve während 
einiger Hebungen und stellt sich im gleichen Rhythmus die eben ausgeführte 
Muskelbewegung vor, so verläuft bei Wiederaufnahme der Hebungen die Curve 


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so weiter, ja senkt sich sogar tiefer, als ob gar keine Unterbrechung stattgefonden 
hätte. — Wird bei schon vorgeschrittener Ermüdung die Suggestion ausgeführt, 
so schnellt die Leistung wieder in die Höhe, und zwar zu wiederholten Malen 
hintereinander, und häufig über die Anfangsleistung hinaus. Verf. folgert daraus 
eine Erhöhung der Suggestibilität während der Ermüdung, was für ihn ein neuer 
Anhaltspunkt ist für die Analogieen zwischen Hysterie und Ermüdung, die er 
auch anderweitig constatirt hat. H. Haenel (Dresden). 


Pathologische Anatomie. 

8) Beiträge zur pathologischen Anatomie der Malaria perniciosa mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Gehirn Veränderungen, von Dr. A. Pjew- 
nitzki. (Dissertation. 1902. St. Petersburg. [Russisch.]) 

Das Material der Arbeit besteht aus 9 Fällen, in welchen der Tod durch 
einen schweren Fieberanfall mit acutem Verlauf bewirkt war. 7 Fälle stammen 
aus Odessa, zwei aus Tiflis, ln allen wurden bei der pathologisch-anatomischen 
Untersuchung gleichartige Veränderungen constatirt, die für Malaria charakte¬ 
ristisch sind — dunkle Verfärbung der parenchymatösen Organe, Anschwellung 
der Leber, Erweichung und theilweise Nekrose der Milz u. s. w.; dazu kommt der 
Befund von Plasmodien und veränderten, in Zerstörung begriffenen rothen Blut¬ 
körperchen in den Capillaren verschiedener Organe. Was das Gehirn betrifft, 
so notirt Verf. in allen Fällen Oedem der Pia und der Gehirnsubstanz mit zahl¬ 
reichen punktförmigen Blutextravasaten. Die nach Nissl’s Methode vorgenommene 
mikroskopische Untersuchung des Gehirns ergab verbreitete Veränderungen der 
Nervenzellen. In einem Falle, wo der Process am stärksten ausgeprägt war, fand 
Verf. völligen Schwund der Nissl’schen Körperchen, die Zellen selbst waren ein¬ 
geschrumpft, von veränderter Gestalt, ohne Fortsätze, mit Ausnahme des Axen- 
cylinderfortsatzes; der Zellkern diffus verfärbt, ohne innere Structur. ln einigen 
anderen Fällen, besonders in zweien, wo die Kranken energisch mit Chinin be¬ 
handelt worden waren, wurden weniger ausgeprägte Erscheinungen der Chromato- 
lyse vorgefunden. Die Kleinhirnrinde wies ebensolche Veränderungen der Nerven¬ 
zellen auf als die graue Substanz des Grosshirns. Die Capillargefässe des Gehirns 
waren in allen Fällen erweitert mit starker Anschwellung ihrer Endothelzellen. 

P. Rosenbach (St. Petersburg). 


Pathologie des Nervensystems. 

9) L’ötat du systöme nerveux ohez les phthisiques et son influenae sur 
le ooura de la tuberoulose, par A. Chelmonski (Warschau). (Revue de 
mädecine. 1902. S. 309.) 

Verf. behauptet, dass man „fast bei allen Phthisikern die Zeichen der Neur¬ 
asthenie, Hysterie oder Hysteroneurasthenie constatiren könne“! Dieser Zustand 
des Nervensystems beeinflusst den Verlauf der Tuberoulose und muss daher bei 
der Behandlung der Krankheit besonders berücksichtigt werden. 

Strümpell (Erlangen). 

10) Contribution 4 l’ötude des aeoidents növropathiques de l’indigestion, 

par Ch. F6r6. (Revue de mädecine. 1902. S. 1.) 

Ausführliche, auf ausgedehnter Litteraturkenntniss beruhende Zusammen¬ 
stellung aller möglicher nervöser Symptome (Ohnmächten, Neuralgieen, motorische 
Schwächezustände, Delirien, Angstzustände, Schweissausbrüche, Contraoturen u.s.w.), 


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die sich im Anschluss au „Indigestionen“ einstellen können und mit der Beseitigung 
der Verdauungsstörung wieder aufhören. Bei vielen Beobachtungen wäre übrigens 
eine strengere Kritik sehr angebracht — Die auftretenden nervösen Störungen 
sind zum Theil auf Intoxicationen zu beziehen, zum Theil sind sie „reflectorischeo 
Ursprungs“. Sie werden begünstigt durch die allgemeine individuelle Disposition 
und den besonderen Zustand der Reizbarkeit während der Verdauungsarbeit. 

Strümpell (Erlangen). 


11) Paralysie labio-glosso-laryngee probablement liee a une leeion con¬ 
genitale de l’öooroe eto., par Variot et Roy. (Gazette des höpitaux. 

1902. S. 109.) 

9^2jähriges Kind, seit dem Alter von 6 Wochen an epileptischen Anfällen 
leidend, bietet ausser rechtsseitigen Halbseitenerscheinungen (Paresen, Spasmen) 
das Bild der Bulbärparalyse; die betroffene Musculatur zeigt aber normale elek¬ 
trische Erregbarkeit, keine fibrillären Zuckungen. Strabismus convergens, leichte 
Mikrocephalie. 

Verf. erwähnt die analogen Fälle von Oppenheim u. A. 

Pilcz (Wien). 


12) Ueber Bulbärparalyse bei Sareomatose, von Dr. H. Hensen, Privat- 
docent und Oberarzt an der medicinischen Klinik in Kiel. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Nervenheilk. XXL 1902.) 

19jähriges Dienstmädchen erkrankte unter den Symptomen eines fieberhaften 
Magencatarrhs, ausserdem Ohrensausen und Schwindel. Nach 3 Wochen schlaffe 
linksseitige Facialislähmung, ausgesprochene Abducensparese rechts und links, 
deutliche Parese und Atrophie der Zunge, Sprache tonlos und undeutlich, Schluck¬ 
störung ohne Lähmung der Kau- und Schlundmuskeln, Augenhintergrund normal, 
Sensibilität bis auf geringe Geschmackstörungen gut. Linker Leberlappen uneben 
und höckerig, Milz gut palpabel und hart Nach 3 Wochen doppelseitige Opticus- 
affection und der umgebenden Retinapartieen, Veränderungen, wie sie für Morb. 
Brightii charakteristisch sind. Bei der Autopsie fand sich eine allgemeine Sarco- 
matose (beide Ovarien, Leber, Niere, Magen, Dünn- und Dickdarm, Uterus, Vagina 
und Wirbelsäule), Derbheit des Centralnervensysteras, vereinzelte gräuliche Herde 
der weissen Hirnsubstanz, geringer Hydrocephalus und sarcomatöse (?) Pachy- 
meningitis ext. Bei der anatomischen Untersuchung fanden sich in der Medulla 
oblongata zahlreiche Herde nebst Degeneration vieler markhaltiger Nervenfasern, 
die sich ausserdem in der Vierhügelgegend und im Lumbaltheil des Rückenmarks 
nachweisen Hessen. 

Bemerkenswerth ist in diesem Fall das Auftreten der Bulbärparalyse als 
erstes Symptom der Sareomatose. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


13) Zur Klinik der angiosklerotischen paroxysmalen Myasthenie („Claudi- 
oation intermittente“ Charoot’s) nnd der sogen, spontanen Gangrän, 
von Dr. H. Higier in Warschau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde. 
XIX. 1901.) 

An der Hand von 23 eigenen Beobachtungen stellt Verf. die Aetiologie, 
Pathologie und Therapie dieses Leidens fest. Danach kommt dasselbe in Russiscb- 
Polen und in den litthauischen Provinzen, und zwar vorwiegend unter der jüdischen 
Bevölkerung vor. Es werden meist Individuen im jugendlichen Alter oder im 
vorgeschrittenen Mannesalter, und zwar fast ausschliessüch männlichen Geschlechts 
betroffen. Aetiologisch spielen neuropathische Disposition und angeborene Schwäche 


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des Circulations&pparates eine grosse Rolle, während der Gicht und Lues dabei 
gar keine, dem Diabetes nur eine geringe Bedeutung zukommt. Am häufigsten 
localisirt sich die eigenartige Angiosklerose in den Beinen, und zwar nicht selten 
symmetrisch. Die Schmerzen treten entweder beim Gehen neben dem inter- 
raittirenden Hinken auf, oder stellen sich als permanente Parästhesieen ein oder 
begleiten das Ausbrechen der Gangrän. Neben den Gefässverengerungen kommt 
es zu vasomotorischen Störungen, die unter der Form gesteigerter Erregbarkeit 
oder Aufhebung im Gleichgewicht der vasomotorischen Centren das Auftreten der 
Gangrän erleichtern. Differentiell - diagnostisch sind die Fälle am unklarsten, 
welche neben bestehender Gefässobliteration und paroxysmaler Myasthenie das 
Bild der Erythromelalgie oder der Raynaud’schen Krankheit erkennen lassen. 
Wahrscheinlich bandelt es sich in den meisten Fällen um eine primäre End- 
arteriitis und nur seltener um eine vorangegangene Nervendegeneration (neuro¬ 
tische Angiosklerose). Rationelle hygienische und diätetische Maassregeln, be- 
sonders absolute geistige und körperliche Ruhe, beugen oft dem Auftreten der 
Gangrän vor. In verzweifelten Fällen mit sehr starken Schmerzen und Neigung 
zu Ulceration kommt neben der Amputation und Exarticulation die Elongation, 
Torsion und Resection der grossen Nervenstämme oder der die grossen Gefässe 
umgebenden sympathischen Geflechte in Betracht E. Asch (Frankfurt a/M.). 


14) Bioerche sperimentali sull’ affaticamento elettrico muscolare e sulla 

reazione miastenica, dell U. Flora. (Riv. critica di clin. medica. III. 
1902. S. 280.) 

Das Wesentliche der experimentellen Untersuchungen besteht darin, dass der 
Autor sich bemüht, nach Methoden, wie sie namentlich von Mos so und seiner 
Schule ausgebildet wurden, eine Serie von Ermüdungscurven direct und indirect 
gereizter Muskeln Kranker mit denen an Gesunden gewonnenen zu vergleichen. 
Erst eine solche Vergleichung kann qualitative Unterschiede der Reaction illu- 
striren und einen wesentlichen Beitrag zur Lehre der myasthenischen und 
myotonischen Reaction liefern. 

Die „elektromusculäre“ Ermüdungscurve ist abhängig von der Grösse des 
Reizes, von seiner Dauer und von der Reizfrequenz. Der Ermüdung selbst gehen 
voraus als Einleitung zu derselben: Contracturen, d. h. die Zuckungscurve erreicht 
nicht die Abscisse; die ,.fase ondulante“, d. h. ein Auf- und Abwogen der Zuckungs¬ 
höhen mit periodischem Charakter und weitere Unregelmässigkeiten. Der fara- 
dische Strom führt schneller zur Ermüdung als der galvanische. Bemerkenswerth 
ist die auch hier wieder von neuem bewiesene Thatsache, dass Willensimpulse 
weniger schnell zur Ermüdung führen bei gleicher mechanischer Arbeits¬ 
leistung als elektrische Reizung desselben Muskels. Ist Ermüdung für einen 
Muskel nach elektrischer Reizung erfolgt, so vermag der Willensimpuls noch er¬ 
hebliche Arbeit zu leisten; das umgekehrte tritt nicht ein. Aus diesem Ver¬ 
halten ist nach Ansicht des Ref. nur der Schluss zu ziehen, dass der elektrische 
Reiz eben kein adaequater Reiz ist, dass der Muskel auf einen willkürlichen Im¬ 
puls hin anders zur Thätigkeit veranlasst wird als durch elektrische Reizung. 

Soweit die Ergebnisse an Gesunden. An Kranken wurde der Typus der 
myasthenischen Reaction — besonders gekennzeichnet durch schnell einsetzende 
Ermüdungserscheinungen — sowohl bei functioneilen als organischen Leiden 
nachgewiesen. Verf. fand sie in 2 Fällen von Erb-Gol dfl am’scher Erkrankung, 
in einem Falle von spinaler Sklerose, bei traumatischer Neurose, bei Neurasthe¬ 
nikern, Tabikern, Hysterikern, in Fällen von Kleinhirntumoren. Die Curven, die 
in reicher und übersichtlicher Zusammenstellung der Abhandlung beigegeben sind, 
sind charakterisirt durch den schnell ablaufendeu Verlauf, durch die deutlichen 


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Zeichen der Contracturen, durch ihre Unregelmässigkeiten. Hier gilt wieder das 
bereits oben am Gesunden geschilderte Verhältniss der Willkürinnervation zun 
Erfolge künstlicher Muskelreizung; auch lässt sich nachweisen, dass indirecte 
Reizung viel weniger schnell zur Ermüdung führt als directe. Die vom Verf. 
angewandte Methode giebt durch die Curvenbilder dem Arzte ein objectivea 
Beweismaterial in die Hand in den Fällen, in welchen Verdacht auf Simulation 
besteht. L. Merzbacher (Straaburg i/E.). 


15) Beiträge zur Kenntniss der Myasthenie and der verwandten 8ym- 

ptomenoomplexe, von J. Fajersztajn. (Tübingen 1902, F. Pietzcker. 

55 Seiten.) 

Verf. berichtet zunächst über vier Beobachtungen von Myasthenie, von denen 
eine zu pathologisch-anatomischen Untersuchungen verwerthet werden konnte. In 
ätiologischer Hinsicht war in keinem der Fälle irgend ein Anhaltspunkt zu ge¬ 
winnen. Infectionskrankheiten spielten als ätiologisches Moment sicher keine Rolle, 
eine neuropathische Veranlagung und Ueberanstrengung waren nicht nachweisbar. 

Es handelte sich um drei Frauen (20, 27 und 30 Jahre alt) und einen Mann, 
bei welch letzterem die ersten Erscheinungen erst im 62. Lebensjahre aufgetreten 
sind. In allen Fällen war die Weiterentwickelung der Krankheit eine chronische 
und zwar so, dass in einem längeren Zeitabschnitte sich einzelne Attaquen langsam 
summirten. Bedeutende Remissionen fanden sich nur in einem Falle. 

Die Krankheit betraf nur das motorische Gebiet, Schmerzen oder Sensi¬ 
bilitätsstörungen bestanden bei keinem Kranken. In allen 4 Fällen bestand Ptosis 
sowie hochgradige Muskelermüdbarkeit In einem Falle war die myasthenische 
Reaction andeutungsweise vorhanden, im zweiten war sie an den Bicipites und 
Interossei, im dritten an zahlreichen Extremitätenmuskeln, im 4. Fall im Gebiete 
des Facialis und motorischen Trigeminus nachweisbar. 

Der pathologisch-anatomische Befund des zur Section gekommenen Falles 
ergab: Pralle Füllung besonders der kleinsten Gefässe im centralen Grau mit 
unbedeutenden ganz frischen capillären Hämorrhagieen (agonale Erscheinungen). 
In den intramedullären Wurzelfasern des Oculomotorius, Hypoglossus und Abdu- 
eens Hessen sich mit Marchi Anzeichen eines Myelinzerfalles nachweisen, besonders 
stark im Abducens, weniger im Hypoglossus, am geringsten im Oculomotorius. 
Die Frage nach der Bedeutung dieses letzteren Befundes (Degeneration im N. III, 
VI, XII) kann nicht mit Bestimmtheit beantwortet werden, jedenfalls wird man 
bei späteren Myasthenie-Sectionen alle Kerngebiete mit der Marchi-Färbung 
methodisch durchuntersuchen müssen, um zu erforschen, ob die genannten Dege¬ 
nerationen constantere Erscheinungen bei der Myasthenie darstellen. Denkbar ist 
es immerhin, dass das unbekannte (wahrscheinHch toxische) Krankheiteagens, 
welches die Myasthenie bedingt, auch einmal das lange Zeit hindurch functioneil 
geschädigte Nervengewebe zu einer mikroskopisch nachweisbaren Schädigung 
bringt. 

Uebrigens Hessen in dem secirten Fall weder die Nn. phrenici und vagi 
etwas Pathologisches erkennen, noch fand sich eine persistirende Thymus oder 
ein Tumor der letzteren (Fall Weigert-Laquer!). 

Diesen 4 Fällen von Myasthenie schliesst Verf. noch zwei Beobachtungen an, 
die das charakteristische Gepräge nucleärer Ausfallssymptome haben, eines tiefer 
greifenden anatomischen Substrats wahrscheinHch entbehren und doch mit der 
Myasthenie nicht identisch sind: 

L Bei einem 28 Jahre alten Manne mit subacutem Tripper entwickelt sich 
nach einer verrauthHch fieberhaften Krankheit von 6 tägiger Däner eine acute 
Gastroenteritis mit starkem Hautjucken, der sich in rascher Folge zuerst motorische 


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Ausfallserscheinungen mit nucleärem Typus (Ptoeis, Diplopie, Dysarthrie, Dys¬ 
phagie, Schwäche der Nacken-, Beeinträchtigung der Beinrnuskeln) und endlich 
allgemeine Krämpfe anBchliessen. Noch 7 tägigem Bestehen der Lähmungs¬ 
erscheinungen erfolgt der Tod im Status epilepticus. Die Autopsie ergiebt: Magen- 
dormcatarrh, Cystitis, Pyelitis, Stauungserscheinungen in den Nieren; am Nerven¬ 
system weder makro- noch mikroskopisch etwas Abnormes. Gegen Myasthenie 
sprach der ganz acute und in allen betroffenen Gebieten gleichzeitige Beginn der 
Lähmungen, das Fehlen von Ermüdungssymptomen, die terminalen Krämpfe. 
Urämie und Botulismus sind auch nicht wahrscheinlich. Der Fall muss als bulbo- 
spinale Paralyse ohne anatomischen Befund (was nicht mit Myasthenie zu ver¬ 
wechseln ist) gedeutet werden. 

II. Eine 32jährige, an Migräne leidende Frau erkrankt in acuter Weise mit 
Ophthalmoplegie, Parese beider Faciales, Dysarthrie, Dysphagie, Parese der Bein¬ 
muskeln, Fehlen der Kniereflexe, passagerer Harnverhaltung. Bald darauf Besserung, 
nach 2 Wochen kommt der linke und bald darauf der rechte Patell&rreflex 
wieder, nach 5 Wochen Heilung. Verf. deutet diesen Fall als eine toxisch be¬ 
dingte bulbo-spinale Kernlähmung, vermuthlich ohne anatomisches Substrat. Der 
Symptomencomplex ähnelt sehr der Myasthenie und darf doch nicht mit dieser 
identificirt werden. Kurt Mendel. 


16) A oaae of asthenlo baibar paralysis, by George W. Jacoby. (Journal 
of Nervous and Mental Disease. 1902. September.) 

Vorstellung eines 20jährigen Mädchens in der New Yorker neurologischen 
Gesellschaft, das seit Mai 1901 krank, Störungen der Sprache, Doppeltsehen, 
Schluckstörungen, leichte Schwäche der rechten Hand bekommen hat. Vortr. 
macht besonders auf den starren Gesichtsausdruck, die Breite des Mundes und 
doppelseitigen Lagophthalmus aufmerksam. Erschöpfungsreaction der Sehnenreflexe. 

Martin Blooh (Berlin). 


17) Myasthenia gravis, by Hugh T. Patrick. (Journal of Nervous and 

Mental Disease. 1902. Februar.) 

Verf. stellte der neurologischen Gesellschaft zu Chicago einen 25jähr. Neger 
vor, der, früher gesund, seit 5 Jahren an Schwäche zuerst der oberen, dann auch 
der unteren Extremitäten leidet. Anfangs trat nach kurzen Ruhepausen bei der 
Arbeit Erholung ein, seit 3 Jahren indes ist er arbeitsunfähig. Die Untersuchung 
ergab myasthenische Erscheinungen der gesammten Körpermusculatur, und zwar 
überall ungefähr gleichmässig, nur die Schulter-, Nacken- uud Becken-Oberschenkel¬ 
muskeln schienen etwas stärker befallen. Myasthenische Reaction positiv, leichte 
Ermüdungsreaction der Sehnenreflexe. Martin Bloch (Berlin). 


18) Ein Fall von Erb-Goldflam’aoher Krankheit, von Julias Priszner. 

(Wiener med. Presse. 1902. Nr. 34.) 

Verf. berichtet über eine 36jähr. Bauersfrau, welche an Myasthenia pseudo- 
paralytica litt uud bei der die bulbären Symptome verhältnissmässig stärker aus¬ 
geprägt waren als die asthenischen. Auf die Jolly’sche Reaction hin scheint der 
Fall nicht untersucht worden zu sein. Der Tod erfolgte in einem Erstiokungs- 
anfall. Kurt Mendel. 


19) Ein Fall von asthenischer Bulbärparalyse mit Seotionsbefund, von 
Dr. Emil Liefmann. Aus der medicinischen Klinik und dem patho- 

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logischen Institut in Freibarg i/Br. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilkunde. 
1902. XXI.) 

Bei einem 19jährigen Mädchen aus gesunder Familie, welche« vorher an 
schwerer Diphtherie gelitten, entwickelte sich seit 1898 eine allmählich sunehmeode 
Lähmung im Gebiet sämmtlicher Hirnnerven. Anfangs bestand linksseitige Ptosi» 
und Facialisschwäche und jetzt ist ausgebildete Diplegia facialis, Ophthalmoplegia 
ext. duplex, sowie Dysarthrie, Dysphagie und Schwäche der Kaumuskeln vorhanden. 
Ausserdem besteht hochgradiges Ermüdungsgefühl in der ganzen Körpermusculatur. 
Sprache undeutlich, näselnd, Zunge rechts leicht atrophisch, an derselben geringe 
fibrilläre Zuckungen, unteres Facialisgebiet beiderseits hochgradig paretisch, keine 
Atrophie der Lippen, elektrische Erregung im M. frontalis quantitativ herabgesetzt. 
Keine Sensibilitätsstörungen. Bei der anatomischen Untersuchung fanden sich 
abgesehen von eigenartigen Schollenbildungen im Gebiete der Pyramiden, der 
Corpora restiformia und der Schleife, keine Veränderungen, namentlich waren die 
Nervenkerne in Oblongata, Pons und am Boden des Aquaeductus Sylvii ganz 
normal. Nach der Ansicht des Verf.’s beweisen die erwähnten Herde ohne 
Zweifel, dass es sich hier um ein Nervensystem handelt, das in der Neigung zu 
nutritiven Veränderungen in seinem Gewebsaufbau unterwerthig ist. In der Zunge 
fand sich Verschmälerung der Muskelbündel, Kernvermehrung und Zunahme des 
interstitiellen Fett- und Bindegewebes. Der elektrisch veränderte und stark atro¬ 
phische M. frontalis ging leider bei der Untersuchung verloren. 

Was die Aetiologie dee Leidens betrifft, so befinden wir uns noch ganz im 
Unklaren. Wahrscheinlich spielt eine congenitale Schwäche des - motorischen 
Systems und eine sich daran anschliessende Schädlichkeit, Intoxication oder Ueber¬ 
aus trengung, bei dem Zustandekommen desselben eine grosse Bolle. 

E. Asch (Frankfurt a/M.). 


20) Bin Fall von fonotioneller Bulbftrparalyse, von Dr. Julius Grösx. 
(Archiv f. Kinderheilk. XXXIV. 1902.) 

Bei einem Mädchen ohne luetische Antecedentien stellte sich 3 Wochen nach 
einem unbedeutenden Husten eine Sprachstörung ein, die sich innerhalb weniger 
Tage zu einem ausgesprochen bulbären Krankheitsbilde steigerte. Es bestand 
Schwäche in den Bewegungen der Gesichtem usculatur, Dysphagie, Unbeweglichkeit 
der Zunge, Incoordination der Hände, Gehschwäche; der Kopf wurde nach rück¬ 
wärts gehalten. Fieber fehlte ebenso sehr wie eine schwerere Betheiligung dee 
Allgemeinbefindens. Ueberraschender Weise gingen diese Krankheitssymptome, 
nachdem sie durch mehrere Tage in gleicher Intensität angedauert hatten, rasch 
zurück, und nach 2 Wochen war das Kind wieder völlig wohL Ein Recidiv 
der Lähmungen hat sich bisher nicht eingestellt. 

Verf. ist nach differentialdiagnostischen Erwägungen geneigt, den Fall in die 
Gruppe der „asthenischen Bulbärparalyse“ einzureihen, wie sie in letzter Zeit so 
vielfach beschrieben wurde. Er giebt aber selbst zu, dass eines der markantesten 
Symptome dieser Krankheit, die rasche Ermüdbarkeit der Muskeln und damit das 
Schwanken der Erscheinungen fehlen. 

Aus diesem letzteren Grunde hat Ref. einen ganz ähnlichen von ihm letzthin 
beschriebenen Fall (s. Ref. im Neurolog. Centralbl. 1902. Nr. 10) nicht in diesem 
Sinne aufgefasst, sondern eine anatomische, allerdings schwer definirbare Grund¬ 
lage dieser „gutartigen Bulbärlähmung im Kindesalter“ angenommen. 

Zappert (Wien). 


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21) Beitrag zur Klinik der myasthenischen Paralyse, von Hödlmoser. 

(Zeitschrift f. Heilkunde. XXXIII. 1902. S. 279.) 

18jähriges, nicht belastetes Mädchen, Beginn der Erkrankung Jahr 

nnte exitum) mit plötzlicher, etwa eine Stunde anhaltender Schwäche der Hände, 
Ptosis des linken Auges, Doppeltsehen. Aetiologisch angebliche körperliche lieber- 
anatrengung durch längere Zeit. 8 Tage später neuerlicher Schwächeanfall. — 
Status praesens: Rohe Muskelkraft anfangs stets intaot, nach wenigen Bewegungen 
aber rapide zunehmende Schwäche (in der Lippen-, Zungen- und Kaumusculatur, 
ebenso an den Extremitäten). Patientin verschluckt sich leicht. Elektrische 
Prüfung ergiebt keine Ent&rtungsreaction, aber typische myasthenische („Ermüdungs“-) 
Reaction. Sehnenreflexe leicht gesteigert, keine Sensibilitätsstörungen, keine Atro- 
phieen, Blase und Mastdarm intact. 

Abgesehen von zeitweiligen bedeutenden Besserungen (Patientin konnte zwei 
Mal das Spital verlassen) stetige Progression. Zuletzt Schlinglähmung (Sonden¬ 
fütterung), Cyanose, Somnolenz, enorme Tachycardie (180!) bei verlangsamter 
Respiration. Exitus. 

Obduction: Status thymico-lymphaticus. Centralnervensystem makroskopisch 
and histologisch ohne den geringsten pathologischen Befund (Marchi-Präparate 
wurden nicht angefertigt; als Zellfärbung bediente sich Verf. nicht der Original¬ 
methode von Nissl, sondern [an in Müller gehärteten Präparaten] der Sorgo- 
Luithlen'schen Färbung). 

Verf. erörtert dann die wichtigsten differential - diagnostischen Momente. 
Er nimmt eine angeborene geringere Widerstandsfähigkeit des Nervensystems 
an; möglicherweise komme ätiologisch die Surmenage in Betracht Der Sitz der 
Erkrankung sei wohl ein nucleärer. Pilcz (Wien). 

22) Un o&s de syndrome d’Brb (paralysie bulbaire asthönique), par E. Long 

et B. Wiki. (Rev. m6d. de la Suisse romande. 1901. 20. Juli.) 

Die Verff. berichten über einen 46jährigen Patienten, der, im April 1899 
an einer fieberhaften Bronchitis erkrankt und Mitte Mai gebessert aus dem 
Krankenhause entlassen, dasselbe wieder aufsuchen musste und jetzt das typische 
Bild einer Myasthenie mit Betheiligung des Facialis, der Kau- und Schling- 
musculatur und des Levator palpebrae darbot. Pat. starb plötzlich im October 
1899 in einem Anfall von schwerer Dyspnoe. Die Autopsie ergab Verdickung 
der Pia im Lendenmark, Zeichen einer Sklerose der Gefasse, die sich bis in das 
obere Halsmark verfolgen Hessen, am stärksten im Lenden- und Brustmark aus¬ 
gesprochen waren, ferner Verdickung der NeurogUa und interstitielle Bindegewebs¬ 
wucherungen, die vom Lendenmark aufsteigend an Intensität zunehmen und in 
der Halsanschwellung zur Bildung eines sklerotischen Herdes von nicht unbeträcht¬ 
licher Grösse geführt haben. Dabei erscheint das Volumen der linken Hälfte der 
Cervicalanschwellung, die Sitz dieses Herdes ist, erheblich verringert. Diese 
Volumverminderung betrifft hauptsächlich die graue Substanz, deren Zellen 
übrigens, wie auch an den anderen Partieen des Centralnervensystems, insbesondere 
auch die Zellen der Kernregion, wesentliche Veränderungen nicht erkennen lassen. 
Der sklerotische Herd nimmt weiter nach oben an Ausdehnung ab und ist in 
der Höhe der oberen Partie der Pyramidenkreuzung bereits fast völlig verschwunden. 

Martin Bloch (Berlin). 

23) Ueber einen Fall von myasthenisoher Paralyse, von Dr. Siegmund 

Auerbach in Frankfurt a/M. (Archiv f. Psychiatrie u. Nervenkrankheiten. 

XXXV. 1902.) 

Verf. behandelte eine 37jährige Dame, bei der Beit Eintritt der Menses im 

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13. Lebensjahre nervöse Symptome beobachtet worden waren. Nachdem sie jahre¬ 
lang an heftigen und häufigen Anfällen von Hemikranie mit Erbrechen gelitten 
hatte, bildeten sich nach einem Unfall im 20. Jahre allgemeine Ermüdungs¬ 
erscheinungen aus, die in Sprach-, Kau-, Schluck- und Athembeschwerden, bald 
stärkerer bald geringerer Ptosis, Doppelbildern und Schwäche in den Gliedern 
bestanden. Die Zeit der Menstruation war besonders schwer. Häufige Influenza- 
anfälle steigerten die Symptome. Somatisch fanden sich allgemeine Anämie, 
grosse Magerkeit und herabgesetzter Rachenreflex. Das Charakteristische der 
Neurose war eine abnorm schnelle Erschöpfbarkeit, für welche Verf. eine ana¬ 
tomisch nicht nachweisbare Affection aller der motorischen Nervenkerne annimmt, 
welche vom Boden des 3. Ventrikels bis hinab ins Lenden- und Sacralmark 
placirt sind. Mit leidlichem Erfolg wurden namentlich in Schonung bestehende 
Arbeitshygiene, gelinde Massage, Ueberernährung, Eisen, Arsenik und gegen den 
Blutverlust bei den Menses Stypticin angewendet. 

Georg Ilberg (Grosssch weidnitz )- 

24) A oase of myasthenia gravis, by Edwin A. Down. (Journal of Nervoos 

and Mental Disease. 1902. Februar.) 

23jähriger, erblich nicht belasteter Patient, nicht Alkoholist, hat keine Lues 
durohgemacht, der sechste von 16 Geschwistern, von denen acht jung gestorben 
sind, ist vor 10 Monaten erkrankt Die ersten Symptome waren doppelseitige 
Ptosis und gleichzeitiges Unvermögen, die Augen völlig zu schliessen. Daneben 
bestand vorübergehend Diplopie. Den Symptomen von Seiten der Augen waren 
unangenehme Sensationen am Kopfe vorhergegangen. Gleichzeitig mit den Angen¬ 
symptomen waren Störungen der Sprache bezw. der Articulation von ausgeprägt 
myasthenischem Typus aufgetreten, ferner Störungen beim Essen von Seiten der 
Zungen- und Lippenmusculatur, sowie der Schlingmuskeln. Die Untersuchung 
ergab neben den genannten Symptomen eine Parese des rechten Velum palatimuc, 
myasthenische Erscheinungen von Seiten der Respirationsmuskeln sowie aller 
Extremitätenmuskeln. Verf. konnte myasthenische Reaction nachweiaen. 

Martin Bloch (Berlin). 

26) Myasthenie und Ophthalmoplegie, von R. Gowers. (Deutsche med. 

Wochenschr. 1902. Nr. 16 u. 17.) 

Die drei mitgetheilten Fälle von Myasthenie zeigen das vielleicht für dieses 
Leiden pathognostische Symptom des Nasenlächelns. Die M. zygomatici ziehen 
normalerweise beim Lachen die Mundwinkel nach aussen und erzeugen eine tiefe, 
von der Nachbarschaft der Nase um die Ecken des Mundes herum verlaufende 
Nasolabialfurche, zugleich erhebt sich die Oberlippe (M. levatores). Der Ausfall 
der Zygomatici bei der Myasthenie bedingt, dass die Bewegung der Mundwinkel 
nach aussen ausbleibt, rechts von der Nasolabialfalte der äussere Theil fehlt und 
die Oberlippe durch das Ueberwiegen der M. levatores abnorm in die Höhe steigt, 
zuweilen so hoch, dass die Haut neben der Nase runzlich wird. 

Die Inactivität bezw. Schwäche der Gesichtsmuskeln bei Myasthenie hat nabe 
Beziehungen zum Muskelschwund bei facialer Dystrophie. Diese Thatsache und 
das Vorhandensein der myasthenischen Reaction machen es wahrscheinlich, dass 
der Myasthenie eine Ernährungsstörung der Muskeln zu Grunde liegt, eine An¬ 
nahme, an welcher das gleichzeitige Auftreten von Ophthalmoplegie nichts ändern 
kann. Bei weiteren Untersuchungen wäre auf das histologische Verhalten der 
Nervenfibrillen zu achten. Vor der Hand ist Vorsicht und Zurückhaltung gegen¬ 
über voreiligen Schlussfolgerungen dringend anzurathen. Therapeutisch gehört 
die Myasthenie zu denjenigen Krankheiten, bei denen keine bestimmte Behand¬ 
lungsmethode vorgeschlagen werden kann. R. Pfeiffer. 


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26) Ueber symptomlose Hydromyelie im Kindesalter, von S. Utchida. 

(Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat. u. allg. Pathol. XXXI. 1902.) 

Verf. fand zufällig bei verschiedenen Kindern eine Erweiterung des Central¬ 
canals, untersuchte darauf systematisch eine grössere Anzahl kindlicher Rücken¬ 
marke und konnte die erwähnte Anomalie unter 78 Fällen 7 Mal feststellen. In 
allen Fällen fehlten Symptome intra vitam, die auf eine spinale Erkrankung hin¬ 
gewiesen hätten. Die Erweiterung war 4 Mal im Hals- und Brustmark, 2 Mal 
im Lendenmark und 1 Mal im <Brustmark allein localisirt, erstreckte sich also 
nicht über den Centralcanal in seiner ganzen Länge. — Das Ependymepithel ist 
an den erkrankten Stellen häufig aus der cubischen in die cylindrische, auch 
mehrschichtige Form übergegangen, die Kerne werden stäbchenförmig. Es wuchert 
zu drüsenartigen Sprossen, divertikelähnlichen Ausstülpungen und papillomatösen 
Bildungen, kann stellenweise zu einer Verdoppelung und Vervielfältigung des 
Centralcanals Anlass geben. Niemals wurde dagegen die im späteren Alter so 
häufige Obliteration beobachtet. In den Divertikeln kann secundär das Epithel 
wieder verloren gehen. Nur in 2 Fällen fehlte dem erweiterten Centralcanal 
jede Gliederung, doch war dann stets die Spitze des birnförmigen Querschnitts 
nach hinten gerichtet Das um den Centralcanal gelegene Gliagewebe betheiligt 
sich lebhaft an dem Processe, ist vielfach in intensiver Wucherung begriffen und 
umgiebt mit mächtigen Zügen die vielgestaltigen Höhlungen. Irgendwelche activ 
entzündliche Vorgänge sind dabei nicht zu bemerken, der Process ist offenbar ein 
sehr langsamer. — In der Mehrzahl der Fälle sind diese Veränderungen ohne 
sichtbaren Einfluss auf die nervösen Elemente geblieben, nur zwei Mal wies die 
graue und auch die weisse Substanz Defecte auf, die aber, wie erwähnt, symptomloB 
blieben. — Verf. erklärt die Bilder als aus einer congenitalen Anomalie ent¬ 
standen, wozu ihn besonders auch die an die ursprüngliche T-Form des Central¬ 
canals erinnernde Bildung in manchen Fällen veranlasst Die Ependymwucberungen 
setzt er mit den schon seit langem bekannten Ependymgranulationen in den Ven¬ 
trikeln des Gehirns in Parallele. H. Haenel (Dresden). 


27) Kinderrüokenmark und Syringomyelie, von Dr. Jul ius Zappert. (Wiener 

klin. Wochenschr. 1901. Nr. 41.) 

Verf. untersuchte 200 Kinderrückenmarke naoh Veränderungen, welche even¬ 
tuell mit der Syringomyelie der Erwachsenen in Beziehung zu bringen wären. 

Ein Fall von intra partum entstandener beiderseitiger Hinterhornblutung im 
Halsmarke bei einem 7 Tage alten Kinde giebt Veranlassung an die Beziehungen 
dieser Hämorrhagieen zur Syringomyelie zu denken. Der Sitz der Blutung ent¬ 
spricht dem häufigen Vorkommen der Höhlenbildung. Ob beim Weiterleben des 
Kindes die regressiven Veränderungen zu Höhlenbildung geführt hatten, ist nicht 
zu entscheiden. Vielleicht, dass anamnestische Geburtsdaten bei Syringomyelie¬ 
kranken diese Frage etwas aufhellen. 

Angeborene Veränderungen des Centralcanals fand Verf. in einer grösseren 
Anzahl von Rückenmarken. 10 Mal erwies er sich in der Weise verändert, dass 
er nach rückwärts zugespitzt und die graue Commissur durchbrechend seine Spitze 
bis in das hintere Septum hineintrieb. Diese Formen einfacher Hydromyelie 
fanden sich fast ausschliesslich im Lendenmarke, zeigten alle Uebergänge zu nor¬ 
malen Bildungen und nahmen mit dem Alter der Kinder an Häufigkeit ab, was 
Verf. veranlasst, dieselben als nicht pathologisch aufzufassen, wenn er auch die 
Möglichkeit, dass sich daraus coraplicirtere Höhlenbildungen entwickeln, nicht 
ausschliesek Gliawucherungen fanden sich nirgends. 

Solche fanden sich dagegen in der Umgebung eines erweiterten und nach 
hinten ausgebuchteten und geschlängelten Centralcanals im Rückenmark eines 


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lOmonatlichen Kindes; die Erweiterung und Schlängelung reichte in diesem Falle 
auch höher hinauf und war selbst im Halsmarke noch angedeutet. Diese Hydro- 
myelie fasst Verf. als pathologisch auf uud giebt ihre Beziehung zur Syringo¬ 
myelie zu. 

Einen bemerkenswerthen Befund bot das Rückenmark eines Anenoephalos. 
Beträchtliche, Dach abwärts geringer werdende Hydromyelie des Halsmarkes: 
Rückenmarksblutungen, am stärksten im Halsmarke und hier vorwiegend in der 
Umgebung des Centralcanals angeordnet. Im Lendenmarke eine Hämatomyelie 
und von ihr durch die hintere Commissur getrennt, eine compacte isolirte Blutung, 
an welche ein Epithelstück des Centralcanals angelagert ist. 

Solche Fälle legen es nahe, der traumatischen Entstehung der Syringomyelie 
ein weiteres Augenmerk zuzuwenden. J. Sorgo (Alland). 

28) La forme spasmodique de la Syringomyelie; la nevrite asoendante ei 

le traumatisme dans l’ötiologie de la Syringomyelie, par Georges 

Guillain. (Paris 1902, Steinheil. 186 S.) 

Auf Grund von 5 Beobachtungen trennt Verf. von den Fällen von Syringo¬ 
myelie eine bestimmte Kategorie ab, welche in klinischer und pathologisch¬ 
anatomischer Beziehung eine Sonderstellung einnimmt und als „ forme spasxno- 
dique“ (Pierre Marie) bezeichnet wird. Diese Form der Syringomyelie ist 
charakterisirt durch eine bestimmte Körper- und Handhaltung des Kranken: die 
Arme hängen am Rumpf entlang herab, der Vorderarm mehr oder minder gegen 
den Oberarm gebeugt, die Hände vor der Schamgegend, die Schultern sind er¬ 
hoben, nach vorn geneigt, der Kopf gebeugt, die Fossae supraclavicul&res ein¬ 
gesunken, die Kranken sind nach vorn geneigt, ihre ganze Haltung erinnert an 
Paralysis agitanB. Die Hand neigt zur Stellung der „main de pr&licateur“ (auch 
wenn Pachymeningitis cervicalis fehlt), die drei letzten Finger sind gegen die 
Hohlhand gebeugt., der Zeigefinger und Daumen behalten lange eine gewisse Be¬ 
weglichkeit, später biegt sich der Zeigefinger nach innen, der Daumen beugt sich 
leicht und Btellt sich in Adductionsstellung. (Diese Stellung, speciell der Unter¬ 
schied zwischen Stellung der drei letzten und derjenigen der beiden ersten Finger 
hat allerdings, wie sich Ref. in Paris auf der Abtheilung von Pierre Marie 
überzeugen konnte, etwas überaus Charakteristisches.) Ausserdem bestehen bei 
der „forme spasmodique“ der Syringomyelie Gangstörung, lebhafte Reflexe an den 
unteren Gliedmaassen, Fussklonus, Babinski, Blasen Störungen. Bei 3 der 5 Kranken 
bestand „thorax en bäteau“. Die spastisohe Form nimmt einen langsamen Fort¬ 
schritt. Differential-diagnostisch kommen in Frage amyotrophische Lateralakleroee, 
Rückenmarkscompression durch Wirbelverletzung, Malum Pottii, Wirbelcandnom, 
Lues spinalis, Paralysis agitans, Spondylose rhizomelique, Pachymeningitis cervicalis. 

Pathologisch-anatomisch (2 der 5 Fälle kamen zur Autopsie) zeigt sieh bei 
der „forme spasmodique“ eine ausgesprochene Degeneration der Pyramidenseitee- 
stränge beiderseits in der ganzen Ausdehnung des Rückenmarks. 

Im zweiten Theile seiner Arbeit sucht Verf. an der Hand mehrerer Beobach¬ 
tungen darzuthun, dass in einzelnen Fällen die Syringomyelie die Folge and 
letzte Phase einer aufsteigenden Neuritis ist, dass von einer Wunde ans durch 
Vermittlung der Lymphbahnen die Entzündung der Nerven sich aufwärts und in 
das Rückenmark hinein, dort die Syringomyelie erzeugend, fortpflanzen kann, so 
dass die Wunde die Ursache und nicht, wie man allgemein annimmt, schon die 
Folge der Syringomyelie ist. Wenngleich Verf. diese seine Ansicht durch klinische 
und experimentelle Thatsachen zu stützen sucht, so hat dieselbe doch nach Meinung 
des Ref. zu viel Theoretisches und Unwahrscheinliches an sich, als dass sie ernst¬ 
haft in Betracht gezogen werden könnte. 


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Hingegen scheint in der That dem Trauma in der Aetiologie der Syringo¬ 
myelie eine grössere Bolle zuzukommen als gemeinhin angenommen wird. Auch 
kann eine Verletzung den Verlauf des Leidens stark beschleunigen und eine deut¬ 
liche Verschlimmerung desselben herbeifuhren. Möglicherweise sind viele Fälle 
von Syringomyelie auf Rückenmarksverletzungen (Blutungen) während der Geburt 
zurückzuführen. • 

Die Arbeit des Verf.’s ist fleissig und klar geschrieben und sei hiermit ihre 
Lectüre empfohlen. Kurt Mendel. 

20) Syringomyelie naoh Lues, von L. Huismans. (Aerztl. Sachverst.-Zeitung. 
1902. Nr. 13.) 

51 Jahre alter Schlosser aus gesunder Familie. Vor 32 Jahren Lues, vor 
6 Jahren Fall auf die rechte Schulter, seitdem Schmerzen im rechten Arm, Ab¬ 
magerung der rechten Schulter und des rechten Oberarms, allmählich vollkommene 
Functionsunfähigkeit des rechten Armes, später Gürtelgefühl sowie Schmerz und 
Schwäche im linken Bein. 

Objectiv: Abmagerung der reohten Schulter und des rechten Armes mit 
fibrillären Zuckungen und Entartungsreaction in den Schulter- und Oberarm¬ 
muskeln. Am ganzen Oberkörper dissociirte Empfindungslähmung. Kyphoskoliose. 
Es entwickelte sich in der Lebergegend nach Auflegen eines Capsicnmpflasters 
ein Carbunkel ohne Schmerz. Links Patellar- und Achillessehnenreflex gesteigert. 
Babinski positiv. 

Diagnose: Syringomyelie im Cervical- und Brustmark mit Mitergriffensein der 
Pyramidenseitenstrangbahn. (Forme spasmodique de la syringomyölie [Guillain], 
s. voriges Referat.) 

Aetiologisch kam nach Verf.’s Meinung zunächst Lues in Betracht, das Trauma 
war „das letzte auslösende Moment“, es liess die subjectiven Beschwerden der 
Syringomyelie in die Erscheinung treten. (Nach Ansicht der französischen Schule 
[Pierre Marie, Guillain] käme sicherlich nur das Trauma in ätiologischer 
Beziehung bei vorliegendem Falle in Betracht. Ref.) Kurt Mendel. 


30) Sur deux cas de syringomyölie & topographle radioulaire des troubles 
sensitifs et des troubles moteurs, par E. Huet et R. Cestan. (Revue 
neuroL 1902. Nr. 1.) 

Verff. berichten über 2 Fälle von Syringomyelie, welche zeigen, dass die 
Sensibilitäts- und Motilitätsstörungen bei diesem Leiden nach bestimmten Wurzel¬ 
gebieten angeordnet sein können. Bei der ersten Kranken entsprechen die sen¬ 
siblen Störungen dem Gebiete der oberen Wurzel des Plexus brachialis und dem¬ 
jenigen des Plexus cervicalis, die ergriffenen Muskeln entsprechen gleichfalls den 
oberen Wurzeln des Plexus brachialis sowie der 3. und 4. Cervioalwurzel. In 
ähnlicher Weise war auch im zweiten Falle die Vertheilung in motorischer und 
sensibler Beziehung eine radiculäre. Kurt Mendel. 

31) Beitrag nur Oasuistik der Syringomyelie und über die bei dieser 
Krankheit vorkommenden Hautstörungen, von Paul Fleger. (Wien«: 
klin. Wochenschr. 1902. Nr. 33 u. 34.) 

Im Anschluss an einen typischen Fall von Syringomyelie beschreibt Verf. 
die verschiedenen bei dieser Krankheit beobachteten Hautstörungen: 1. Secretions- 
anomalieen (Abnormität der Schweissabsonderung, meist einseitig; Asteatosis in 
Verbindung mit Hyperkeratosis), 2. vasomotorische Störungen an der Haut (Hyper¬ 
ämie, Urticaria, spinale Oedeme), 3. acut und ohronisch entzündliche Affectionen 


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(Erytheme, Dermatitiden, Combustionen, Panaritien, Bläschenaffectionen, Kkarae, 
Herpes zoster, pemphigusartige Geschwüre, Mal perforant), 4. atrophische and 
hypertrophische Veränderungen in der Haut (Pigmentanomalieen, Atrophie an das 
Fingern, Hemiatrophia faciei, Glossy skin, Raynaud'sehe Affection, Sklerodermie 
— die drei letzteren Affectionen werden ihrer Folgezustande wegen an die« 
Stelle besprochen —, Schwielen,, Keloide, Elephantiasis, Akromegalie, Nägel- 
affectionen). . Kart MendeL 

32) Syringomyelie — Gelenkerkrankung — Trauma, von P. Stolper. 

(Aerztl. Sachverst.-Zeitung. 1902. Nr. 2 u. 3.) 

Verf. weist an der Hand einer eigenen Beobachtung (Syringomyelie mit 
Arthropathieen, durch einen Fall auf die Hand Verschlimmerung des Leidens bis 
zur Gebrauchsunfähigkeit des betreffenden Armes. 60 °/ 0 erwerbsunfähig) auf die 
bei Syringomyelie vorkommenden Gelenkerkranknngen und ihre Versicherung»- 
rechtliche Bedeutung hin. Knrt MendeL 

33) Des növromes intramedullaires dans la syringomydlie, par Georges 

Hauser. (Revue neurol. 1901. Nr. 22.) 

Verf. hat in 3 Fällen von Syringomyelie die bereits von anderen Autoren 
bei dieser Krankheit gefundenen intramedullären Neurome gefunden und schliewt 
hieraus, dass dieser Befund bei der Syringomyelie häufiger ist, als man gewöhn¬ 
lich annimmt. Diese Neurome sind Knötchen, welche in charakteristischer Weise 
angeordnete und geformte Nervenfasern enthalten. Sie finden sich meist in dem 
Cervicaltheil des Rückenmarks, und zwar in dessen vorderen Hälfte. 

Kurt MendeL 


34) ▲ oaae of myeloma of the spine witb compresaion of the oord, bj 

J. J. Thomas. (Journal of Nervous and Mental Disease. 1902. Februar.) 

Verf. berichtet in der American neurological association über folgenden Fa 11: 
39jähr. Mann erkrankt unter heftigen, 4—5 Tage anhaltenden Schmerzen zwischen 
den Schulterblättern, 6 Woeben später leichte Unsicherheit und Taubheitsgefuhl 
in den Beinen und Gürtelgefühl. Abermals 8 Wochen später wird Hypästhesie 
unterhalb der 8. Rippe und leichte Parese der Beine ohne Reflexsteigerung con- 
statirt. Wirbelsäule frei beweglich, nicht empfindlich, geringe Kyphose im oberen 
BrusttheiL 4 Monate nach dem Auftreten der ersten Erscheinungen Paraplegia 
inferior mit Steigerung der Reflexe, Analgesie und Thermanästhesie, aber nur 
Hypästhesie bis zur 4. Rippe, Sphinkterenlähmung. Wirbelsäule zeigt keine 
weiteren Symptome; leichte Schwellung der linken 6. Rippe. Pat, wurde operirt; 
es fand sich eine weiche, röthliche Geschwulstbildung, die einen grossen Theil des 
4. Brustwirbels zerstört hatte. Pat. wurde völlig geheilt. Der Tumor erschien 
mikroskopisch aus kleinen, grosskernigen Rundzellen zusammengesetzt, zwischen 
denen ein sehr feines Reticulum bestand. Der Harn des Pat. enthält Ei* 

weiss, Cylinder und 1 / 4 % Alb um ose. Hämoglobingehalt des Blutes 70 ®/o* ge¬ 
ringe Leukocytose. 6 Monate post operationem noch völliges Wohlbefinden. 
Seitdem sind auch an anderen Rippen druckempfindliche Tumoren aufgetreten 
und wieder verschwunden; Pat. erhielt innerlich Knochenmark und „Coley’s 
toxins“ (? Ref.). An der Diagnose „Myelom“ dürften Zweifel nicht bestehen. 

Martin Bloch (Berlin). 


36) Ueber Blasenstörungen bei Syringomyelie, vm Prof. J. Albarrnn und 
G. Guillain. (Wiener med. Blätter. 1901. Nr. 51.) 

Die Verff. halten die Binsenstörungen bei Syringomyelie für häufiger als mW 


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gewöhnlich angegeben findet Sie theilen 2 Fälle von Retentio, Hämaturie und 
Cystitis mit; bei dem einen Trabekelblase, Cystitis diffusa mit Ulcerationen, bei 
dem anderen ein grosses Geschwür mit scharfzackigen Rändern. 

Von vier anderen Syringorayeliekranken zeigten drei latente Retentio, indem 
nach dem Uriniren 60, 80 und 175 g Urin mit dem Katheder noch entleert 
werden konnten. J. Sorgo (Alland). 


36) Zur Frage der Pathogenese von Büokgratsverkrümmungen bei Syringo¬ 
myelie, von Dr. S. Nalbandoff in Odessa. Aus der Klinik von Prof. 

W. Roth in Moskau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.) 

40jährige Frau aus gesunder Familie, ihre Kinder starben alle in früher 
Jugend. Vor 21 Jahren an fast sämmtlichen Fingern beider Hände schmerzhafte 
Abscesse, vor 15 Jahren Gangrän am linken Mittelfinger, Exarticulation desselben, 
vor 3 Jahren Phlegmone am rechten Vorderarm und rechter Hand, Exarticulation 
des rechten Mittelfingers, seit 10—12 Jahren Behinderung und Knirschen in den 
Schultergelenken, im Laufe der letzten 10 Jahre langsam progrediente Rückgrats¬ 
verkrümmung, vor 4—5 Monaten Schwäehegefühl in den Beinen. Bei der Unter¬ 
suchung finden sich starke Veränderungen an den nooh vorhandenen 8 Fingern, 
die fast sämmtlich flectirt und ankylotisch verändert Bind. Linkes Schultergelenk 
weniger abgerundet alB das rechte, Hyperplasie der Oberarmhöcker links, starke 
Kyphoskoliose nach hinten und rechts mit Bildung eines Rippenhöckers im oberen 
Brusttheil. Active Bewegungen in beiden Schultergelenken und in den Fingern 
sehr beschränkt, Gehen erschwert, Muskelkraft in den Beinen, besonders rechts, 
herabgesetzt, Atrophie der Rücken- und Schultermusculatur mit quantitativer 
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit. Patellarreflexe stark gesteigert, Fuss- 
klonus. Schmerz- und Teraperaturempfindung an den oberen Extremitäten und 
theilweise am Rumpf herabgesetzt. N. cruralis und peroneus druckempfindlich. 
Sensibilität an den Beinen stets normal. Im Verlauf des Leidens heftige Schwindel- 
nnfalle, Behinderung beim Schlucken und Athmen, Aphonie. Exitus in Folge von 
Athmungslähmung. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung des Rückenmarks fand sich eine 
Höhlenbildung, die sich durch dasselbe von dem Niveau der 1. Halswurzel an bis 
zur Höhe des 11.—12 BruBtsegments erstreckte. Ara Schädeldach und linken 
Schultcrgelenk bestanden Veränderungen, die als deformirende Arthritis und 
OssitiB aufzufassen sind. Am meisten Interesse verdient vor allem die Erweichung 
des Knochengewebes der Wirbelsäule, und zwar vornehmlich des Hals- und Brust- 
theils derselben. Eis handelt sich um einen ProcesB, der zur Arthritis deformans 
zu rechnen ist. Die chemische Untersuchung der Wirbelknochen ergab eine Ver¬ 
minderung des Fettgehalts um mehr als 5°/ 0 und eine Vermehrung des Ossein¬ 
gehalts und der Eiweissstoffe um mehr als 8 °/ 0 . In den untersuchten Brust- und 
Rückenmuskeln bestanden Veränderungen, welche als neuritische Amyotrophie zu 
deuten sind. 

Verf. zieht den Fall als Stütze der knochentrophischen Entstehung der Wirbel¬ 
säulenverkrümmung bei Syringomyelie an und ist nicht in Abrede zu stellen, dass 
derselbe in Bezug auf seine Entwickelung und pathologischen Ergebnisse viel 
Beweiskräftiges enthält. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


37) Kritik der sogenannten traumatischen Syringomyelie. Mit besonderer 
Berücksichtigung der anatomischen und klinischen Differentialdiagnose 
der (ohronisch-progressiven, gliösen) Syringomyelio gegenüber dor 
traumatischen Rückenmarksläsion u. s. w., von Kienböck. (Jahrbücher 
f. Psyoh. u. Neur. XXI. 1902.) 

Eine Arbeit von geradezu erstaunlichem Fleisse, der nicht nur ein hohe? 


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theoretisches Interesse innewohnt, sondern die auch von der grössten Wichtigkeit 
ist för Begutachtung und Unfallsversicherungsangelegenheiten. 

Verf. gebraucht den Ausdruck „ Syringomyelie ** im strengen Sinne von 
Schlesinger’s „Syringomyelie gliosa“ (primäre centrale Gliose des Rückenmark«). 
Mehrfach wurde in den letzten Jahren die Anschauung ansgesprochen, dass sich 
auf traumatische Läsionen des Rückenmarkes hin Syringomyelie entwickeln könne. 
Verf. hat nun zahlreiche in der Litteratur niedergelegte Beobachtungen aus einem 
ungemein grossen Materiale zusammengetragen, gesichtet und fügt dem auch etwa 
30 eigene Fälle hinzu, welche zu dieser Frage Bezug haben. 

Das ganze Material (die einzelnen Beobachtungen sind ausführlichst wieder¬ 
gegeben) umfasst 400 Fälle, welche in folgende Gruppen geordnet sind: 

I. Fälle, welche aus dem Rahmen der „traumatischen Syringomyelie** be¬ 
stimmt auszuscheiden sind. 

A. Nicht als Syringomyelie, sondern als apoplektiform sogleich nach dem 
Trauma mit schweren Lähmungen ersetzende partielle (meist centrale) rein trau¬ 
matische Spinalläsion (traumatische Myelodeleee) zu erkennende Fälle, sowohl 
klinische Beobachtungen als auch Sectionsbefunde (cystische Vernarbung). 

B. Fälle, die zwar echte Syringomyelieen sind, wobei aber der ätiologische 
Zusammenhang mit einem Trauma abgewiesen werden muss. (Anamneetiache An¬ 
gaben, dass schon vor dem Unfälle Erscheinungen von Syringomyelie bestanden 
f Spontan fractur, Analgesie] oder das Trauma war ein zu geringfügiges, „banales") 
Besonders eingehend wird hier die Frage nach der Entstehung von Syringomyelie 
nach peripherem Trauma (und aufsteigender Neuritis) besprochen. 

II. Fälle, welche wegen der Unsicherheit der Diagnose nicht weiter ver¬ 
wertet werden können. (Diagnose ganz unklar oder auf Tumor, Myelomeningitis 
syphilitica u. s. w. zu stellen.) 

C. Fälle sicher gestellter Syringomyelie, wobei das Zeitintervall zwischen 
Trauma und Anfangserscheinungen des Spinalleidens zu lange ist, als da» an 
einen ätiologisohen Zusammenhang gedacht werden kann. 

D. Fälle, in denen eine traumatische Aetiologie angenommen werden könnte. 
(Entweder einige Wochen bis Monate oder sofort nach dem Trauma progrediente 
Symptome von Syringomyelie.) 16 Beobachtungen, deren jede einzelne für sich 
betrachtet wohl den Gedanken an traumatische Syringomyelie erwecken könnte. 
Von den persönlichen Beobachtungen des Verf.’s würden vier hierher zu 
rechnen sein. 

IIL 60 Fälle, aus denen sich ergiebt, da» sich im weiteren Verlaufe selbst 
Jahrzehnte währender Beobachtung auf dem Boden eines traumatischen Destructions- 
herdes nie ein chronisch progre»ives Spinalleiden entwickelte, weder nach spinalen 
Entbindungslähmungen, noch auch, wenn das Trauma in einer späteren Lebens¬ 
zeit stattfand. 

IV. werden Fälle zusammengestellt, welche für die Existenz der „traumatischen 
Syringomyelie“ als beweisend galten (6 Fälle), die sich aber bei strenger Kritik 
als einfache spinale traumatische Läsion herausstellten. 

Es bleiben also von 140 Fällen nur 16 übrig (dazu 4 eigene), bei denen 
eine traumatische Entstehung von Syringomyelie nach schwerem Unfälle als mög¬ 
lich zu bezeichnen ist. 

Das Ergebniss der Arbeit ist, da» keine sicheren Fälle von traumatischer 
Syringomyelie, d. h. rein „per se“ duroh Gewalteinwirkung erzeugter (chronisch 
progredienter gliöser) Syringomyelie gefunden wurden, und da» auch entgegen 
der Vermuthung mancher Autoren das Vorkommen einer einfaoh chronischen (all¬ 
mählich entstehenden) und einer hämatomyelogenen (nach apoplektiform einsetxen- 
dem schwerem Lähmungszustand, namentlich zur Paraplegie sioh entwickelnden) 
traumatischen Syringomyelie derzeit nicht als wahrscheinlich zu bezeichnen ist 


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Nach der Ueberzeugung des Verf.’B ist die Frage als entschieden zu be¬ 
trachten, wie die Benrtheilnng der ätiologischen Rolle eines Traumas bei Syringo¬ 
myeliefällen in der Praxis auszufallen habe, und ferner die Frage, wie die Prognose 
bei leichteren oder schwereren, aber nicht zu Exitus führenden traumatischen 
Spinalläsionen zu lauten habe — ein Ergebniss von praktischer, speciell auch 
forensischer Bedeutung. 

Man kann dem Autor für diese schöne Arbeit dankbar sein. Es wurden 
über 400 Aufsätze studirt und davon 222 Arbeiten in Betracht gezogen. 

Pilcz (Wien). 


38) Oriaet gaitriques et Syringomyelie, par R, Pauly et R. Pauly. (Revue 
de mödeoine. 1900. S. 1031.) 

Krankengeschichte eines 40jähr. Patienten mit angenommener Syringomyelie 
(Deformation des rechten Fusses durch Osteoarthropathie und ausgesprochene 
Sensibilitätsstörungen mit charakteristischer Dissooiation in beiden Unterschenkeln). 
Seit Beginn des Leidens im 38. Jahr häufige gastrische Krisen mit heftigen 
Schmerzen und reichlichem Erbrechen, die etwa 8—14 Tage lang andauern. 
Sonstige Zeichen einer Tabes fehlten (normale Pupillen, vorhandene Patellarreflexe). 

Strümpell (Erlangen). 


38) Praoturen bei Syringomyelie, von Dr. Alban Köhler. (Fortschritte auf 
dem Gebiet der Röntgenstrahlen. V.) 

Mittheilung eines interessanten Falles von Fractur beider Vorderarmknochen 
der linken Seite bei einer 39jährigen Patientin, die wegen einer Sohwellung des 
linken Vorderarms das Krankenhaus aufsuchte. Patientin hat bis zur Aufnahme 
ohne wesentliche Beschwerden gearbeitet und glaubte erst nach längerem Fragen 
sich zu erinnern, dass sie vor 3 Monaten auf den betreffenden Arm gefallen sei. 
Die Untersuchung ergab charakteristische Sensibilitätsstörungen nur am linken 
Arm, leichte Kyphoskoliose und Trommelschlägelfinger an beiden Händen. Die 
Untersuchung mittels Röntgenstrahlen ergab an den Knochen der linken Hand 
massige Kalkgehaltsverminderung, an der rechten Hand eine Auftreibung am 
distalen Ende, ausserdem fehlte das Köpfchen der 4. Endphalange. An den Bruch¬ 
stellen fand sioh eine Atrophie ziemlich beträchtlichen Grades. Eine 3 Monate 
später aufgenommene Röntgenphotographie der Bruchstellen liess interessanter 
Weise excessiv hypertrophische Processe an den Knochen erkennen; der Kalk¬ 
gehalt erschien deutlich vermehrt. Verf. ist der Ansicht, dass in seinem Fall die 
Fractur nicht mehrere Monate vorher entstanden war, sondern dass es sich, wie 
so häufig bei Syringomyelie und Tabes, um eine erst kurz vor der Aufnahme 
entstandene Spontan fractur an vorher schon atrophischen Knochen gehandelt hat. 

Martin Blooh (Berlin). 

40) Four casea of acute haemorrhagio meningo-myelitis in ooeker-spaniels 
with lome remarka of the etiology of myelitis, by Brown and Ophüls. 
(Journal of medical research. 1901. S. 344.) 

Die Arbeit ist eine sehr verdienstvolle zu nennen. Die vorgenommenen 
Untersuchungen sind sehr exact durchgeführt und daher für das Studium der 
Anatomie myelitischer Processe verwendbar. Insbesondere haben es sich die 
Autoren angelegen sein lassen, für gewisse, bereits seit langem bekannte, aber 
noch nicht klargelegte structurelle Eigentümlichkeiten aouter myelitischer Herde 
eine Erklärung zu suohen. 

Das Beobachtungsmaterial Btammte von 4 Hunden, Spaniels, die an plötzlich 
auftretenden acuten Paraplegieen erkrankt waren; Fieber war stets zugegen, ein- 


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mal Pneumonie. Die Aetiologie war unbekannt, Staupe wurde nicht in Betracht 
gezogen. Die Functionsstörungen begannen stete im Hintertheile (totale Lähmung 
der Bewegung und Empfindung, Sphinkterenparalyse) und hatten einen aacen- 
direuden Charakter. 

Die pathologischen Veränderungen betrafen mit Ausnahme eines Falles nur 
das Centralnervensystem, und dieselben bestanden im wesentlichen in ausgedehnten 
Blutungen in der Rückenmarkssubstanz, der Pia mater und dem epiduralen Fett¬ 
gewebe; nekrotische Erweiobungsherde fanden sich meist in der Umgebung der 
iutermedullären Blutherde, letztere an Ausdehnung meist übertreffend. Der dege- 
nerative Process zeigte sich in der grauen und weissen Substanz ganz gleich- 
massig, manchmal im ganzen Querschnitt der Medulla spinalis, und steht in 
keiner besonderen räumlichen Beziehung zum Gefössbaume. Bakterien wurden 
niemals weder im Ausstrichpräparat, noch durch Caltur gefunden. 

Die Diagnose hämorrhagische Meningomyelitis war begründet durch die 
Gegenwart von Entzündungsprocessen, wenn diese auoh nicht sehr intensiv waren. 
Die Blutungen allein konnten der ganzen Reihe von Störungen kein genügendes 
Substrat geben; die nekrotischen Herde folgen weder den Hämorrhagieen, noch 
beschränken sie sich auf die Nachbarschaft der Gefässe. Der nicht gelungene 
Nachweis der Krankheitserreger konnte nicht gegen die infectiöee Natur des 
Leidens sprechen, weil, wie die Autoren mit Beziehung auf die Arbeiten von 
Grasset, Lamy, Babinski, Vincent u. A. aus führen, das häufige Fehlen 
eines solchen Befundes in allen Fallen von acuten Myelitiden berichtet wird und 
daher eine Eigenthümlichkeit dieser Processe darstellt. Schliesslich müssen die 
Beobachtungen der Verff. abermals als Beleg für jene Eigentümlichkeiten acuter 
Entzündungsprocesse im Rückenmark herbeigezogen werden, die wir in der un¬ 
bedeutenden leukocythären Infiltration, der ausgedehnten Parencbymnekrose, der 
Neigung zu Blutungen bei scheinbarer Integrität des Gefässbaumes zu erblicken 
haben. In allen vier berichteten Fällen bestand keine Thrombosirung oder 
Hyalinisirung, überhaupt keine optisch nachweisbare Anomalie der Blutgefässwände. 

Dexler (Prag). 


41) Haemorrhage into the spinal cord during pregnanoy, by Alexander 

Bruce. (Scotish med. and surg. Journal. 1902. August.) 

41jähr. Septimipara erkrankt während ihrer 8. Schwangerschaft im 5. Monat 
während des Brechactes plötzlich unter Schmerzen im Nacken und Rücken an 
einer acut einsetzenden Lähmung der Beine und des rechten Armes sowie der 
Rumpfmu8culatur. Die Lähmung des Armes hielt nur wenige Stunden an; sofort 
Eintreten von Harn- und Stuhl Vorhaltung. Die Untersuchung ergab eine schlaffe 
Paraplegia inferior mit Fehlen des linken Patellarreflexes, während der rechte 
noch schwach auszulösen war, Babinski vorhanden. Völlige Anästhesie von einer 
Linie 2 l / 2 Zoll oberhalb des Schwertfortsatzes des Brustbeines; auf der linken 
Seite lag die obere Grenze der Anästhesie etwas tiefer als rechts und folgte etwa 
dem Verlauf der 12. Rippe. Im weiteren Verlauf schwand nach 6 Tagen auch 
der rechte Patellarreflex; derselbe konnte rechts wie links 10 Tage später schwach 
ausgelöst werden; vorübergehend traten Paresen in beiden Armen auf. I 1 /, Monat 
nach Einsetzen der Erkrankung völlig schmerzlose Entbindung von toten Zwillings- 
früchten. 3 Monate nach Beginn der Erkrankung ging Patientin nach Auftreten 
eines ausgebreiteten Decubitus unter den Erscheinungen schwerer diffuser Bronchitis 
an Erschöpfung zu Grunde. Die Untersuchung des Rückenmarks ergab hoch¬ 
gradige Erweiterung und Thrombosen der pialen Gefässe auf der Dorsalfläabe des 
Markes, ferner eine röhrenförmige Blutung von der Höhe des 6. Cervicalaegments 
bis zum 1. Lumbalsegment, die aber in den verschiedenen Höhen des Rücken - 


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raarks von sehr wechselnder Beschaffenheit war. Während sie in dem mittleren 
Dorsaltheil fast den ganzen Querschnitt einnimmt, nimmt sie naoh unten zu stetig 
ab, so dass die Höhlenbildurig tiefer hinabreicht, als die Blutung selbst. In den 
Höhen des 5. Cervicalsegments fand sich ein kleiner Tumor von der Hinterfläche 
der Pia bis zum Centralcanal reichend, der mit der Blutung nicht in Zusammen¬ 
hang steht. Ebenso fanden sich im mittleren Dorsalmark zwei kleine tumorartige 
Bildungen, die theils mit der Pia in Zusammenhang stehend, theils auch die 
weisse Substanz mitergriffen hatten. Diese Tumoren trugen den Charakter von 
Angiogliomen. Aehnliohe noch kleinere Neubildungen finden sich im Rückenmark 
zerstreut noch ziemlich zahlreich; manche von diesen lagen mitten in hämor¬ 
rhagischen Herden. Im linken Lobus lateralis cerebelli fand sich ein gleicher 
Tumor. Die erwähnte Höhle hat nach Ansicht des Verf.’s sicher schon vor dem 
Auftreten der Hämorrhagie bestanden. 

Auffallend ist, dass weder die erwähnten Tumoren noch die Höhlenbildung 
jemals ’ vorher irgendwelche Symptome gemacht hatten. 

Martin Bloch (Berlin). 


42) A oase of metastatio oaroinoma of the spine and meninges, by Albert 

C. Buckley. (Journal of Nerv, and Ment. Dis. 1902. April.) 

63jähr. Frau, früher gesund, hat vor 6 Jahren an Rheumatismus gelitten, in 
demselben Jahr Stoss gegen die linke Brust. Vor einem Jahr heftige, einen Tag 
andauernde Rückenschmerzen, im Anschluss daran allmählich zunehmende Geh- 
Bt drang, die nach s / 4 Jahren Patientin ans Bett fesselte. Patientin klagt bei 
der Aufnahme ausserdem über Schmerzen in der linken Schulter und Harn¬ 
träufeln. Die Untersuchung ergab an den Armen keine Lähmungsersoheinungen, 
wohl aber Schwäche und Zittern derselben, die Wirbelsäule zeigte in dem oberen 
Brusttheil eine leichte Krümmung nach hinten, aber keinen Gibbus; völlige Läh¬ 
mung der Beine, Pes equinüs, Oedeme, Muskelschwund an den Hüften und Ober¬ 
schenkeln, Fehlen der Patellarreflexe, des rechten Achillessehnenreflexes, Babinski’- 
sches Phänomen beiderseits vorhanden, 1. > r. Von Seiten der Sensibilität bestanden 
an den Beinen nur Störungen der Localisation. An der linken Mamma fand sich 
ein Scirrhus. Patientin kam mit Decubitus in das Krankenhaus und starb am 
11. Tage naoh der Aufnahme. Die Autopsie ergab ein nicht ulcerirtes Carcinom 
der linken Mamma ohne Drüsenschwellungen und ohne Metastasen ausser im 
Wirbelcanal. In der Höhe des 4. Brustwirbels fand sich eine etwa 6 cm breite 
Vereiterung der mit dem Knochen verwachsenen Dura. Der Knochen selbst war 
erweicht, aber frei von Tumormassen, wie sich auch mikroskopisch zeigte. Am 
Rückenmark fand sich eine Verdickung der Dura vom 6.—9. Dorsalsegment. Im 
Cervicalmark erschien die Pia mit Rundzellen reichlich infiltrirt, die Neuroglia 
der weissen Substanz stark vermehrt. Die Go 11'sehen Stränge sind deutlich 
beiderseits degenerirt, zeigen auch bei stärkerer Vergrösserang eine grosse Zahl 
gut erhaltener Fasern, aber starke Gliawuoherung. Im Dorsalmark sind die ge¬ 
nannten Veränderungen sehr viel stärker ausgesprochen. Im 3.—6. Dorsalsegment 
finden sich in den Lymphräumen der Dura zahlreiche Nester von Krebszellen, an 
einer Stelle des 5. Segments auch innerhalb einer austretenden Wurzel. Im 

6. Dorsalsegment Degeneration der Pyramidenseitenstränge. In der Höhe des 

7. Dorsalsegments auch erhebliohe Alterationen der Vorderhornzellen. Weiter 

nach abwärts nehmen die meningitisohen Veränderungen an Intensität ab, ebenso 
die Gliawucherung, Degenerationserscheinungen sind in den Pyramidenbahnen noch 
diffus nachweisbar, ebenso noch Zellveränderangen. Verf. betont, wie auffallend 
das Fehlen stärkerer und länger anhaltender Schmerzen in dem mitgetheilten 
Fall ist. Martin Blooh (Berlin). 


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43) TJeber die sogenannten Neurome und Leiomyome des Rückenmarks, 

von Dr. B. Hell ich. (Archiv, bohöm. de möd. clin. 111. 1902. S. 261.) 

Verf. beschreibt 6 Fälle, wo er im Rückenmark bei verschiedenen Affectionen 
dasselbe fand, was Raymond, Pick, Heveroch, Fickler, Bielschowsky. 
Seybel, Saxer und Schlesinger in einem oder zwei Fällen beobachtet haben. 
Es handelt sich nämlich nm Durchschnitte der Nerven in den lymphatischen 
Räumen der centralen Rückenmarksgefässe. Diese Nerven, die an die Gefasse 
ansitzen, haben eine Schwan’sche Scheide, verlaufen schräg wie die Gefasse and 
lassen sich von der peripheren Pia bis zu den Clarke’schen Säulen verfolgen. 
Hie und da sind sie zu Knäueln gewickelt, deren transversale Durchschnitte als 
Neurome oder bei blosser Carminfärbung als Leiomyome (Pick) imponiren. Nach 
einer ausführlichen Kritik der diesbezüglichen Litteratur spricht sich Ver£ dahin 
aus, dass es sich hier um piale sensitive centripetale Nerven handelte 
— also um ein Analogon dessen, was schon Bochdalek im Pons und Medolla 
oblongata beobachtet hat. Peln&F (Prag). 


44 ) The ooourenoe of optio neuritis in leeions of the spinal oord. In¬ 
jury, tumour, myelitis (an acoount of twelve oases and one autopay), 
by J. Taylor and J. Collier. (Brain. 1901. Winter.) 

Die Autoren berichten über 12 Fälle. Drei Tumoren des Halsmarkes 
(einer mit Autopsie), eine Fractur der Halswirbelsäule, eine Caries daselbst and 
7 Fälle von acuter bezw. chronischer Myelitis. In allen Fällen fand sich Neuritis 
optica: in den Fällen der Caries und der Fractur der Halswirbelsäule trat Heilung 
sowohl deB Rückenmarks- wie Sehnervenleidens ein; auch sonst war die Functione- 
störung der Augen meist keine dauernde; nur in 2 Fällen blieb die Sehschärfe 
sehr herabgesetzt. Die Autoren weisen nun aus den Krankenjournalen des 
Nationalhospitals in London und aus der Litterator nach, dass diese begleitende 
Neuritis optica fast nur bei Affectionen des Hals- und oberen Dorsalmarkee sich 
findet. Was die Myelitisfälle anbetrifft, so hat es sich nur sehr selten um eigent¬ 
liche disseminirte Myelitis gehandelt. Sie glauben, dass die Neuritis optica bei 
cervicalen Markerkrankungen in Beziehungen zum Orte der Läsion stehe: in 
welchen, wissen sie nicht. Bei hochsitzenden Tumoren im Wirbelcanale and bei 
ebensolchen Fracturen kann man sich sehr wohl vorstellen, dass eine Stauung auch 
im Schädelinneren entsteht. Was die Myelitis anbetrifft, so kann die Dieseminirnng 
sich doch auf einen Herd im Rückenmark und die Optici beschränken; bei der 
multiplen Sklerose müssen wir ein solches Verhalten doch sogar als relativ häufig 
annehmen. Ob es sich freilioh in den Fällen der Verff. um multiple Sklerose 
gehandelt hat, ist fraglich; Ref. möchte es keineswegs für alle Fälle an nehmen, 
namentlich nicht für die, wo erhebliohe Schmerzen und ausgeprägte Anästhem'een 
bestanden oder wo schwere Sehstörungen die Folge der Neuritis und Atrophia n. 
optici waren. Bruns. 


Psychiatrie. 

45) Essai sur la Classification en psychiatrie, par Lagriffe et Remond 
(Gazette des höpitaux. 1902. S. 973.) 

Auf Grund hypothetisch-speculativer Erörterungen versuchen Verff. folgende 
Classifioation: 

L Polioencephalitis (Erkrankungen der Nervenzellen). 

A. mit vorübergehender Zellenerkrankung: Manie, Melancholie, acute Delirien 
(Amentia, Karsako ff’sche Psychose, toxische Fieberdelirien, Delirium acutum U.S.W.). 


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B. mit zeitweiliger, periodischer Zellenerkrankung: periodisches circuläres 
Irresein, Irresein bei den grossen Neurosen (Hysterie, Epilepsie, Neurasthenie), 
Irresein der Entarteten (degenerative Formen). 

C. mit dauernder, aber nicht totaler Zellenerkrankung: „Incomplets ou dege- 
neres“ (Zwangsvorstellungen, impulsives Irresein, sexuelle Perversion), Schwachsinn, 
Idiotie. 

II. Leukoencephalitis (Erkrankung der Zellenfortsätze). Paranoia. (? Ref.) 

III. Encephalitis totalis: progressive Paralyse, Demenz (Dementia praecox, 
senilis, secundärer Blödsinn u. s. w.). Pilcz (Wien). 


46) Die functionellen Psychosen des Seniums, von J. Salg6. (Pester med.- 

chir. Presse. 1902. Juli.) 

Dem viel versprechenden Titel folgt ein bescheidenes Aufsätzchen, das erst 
einige Zeilen über die typische senile Melancholie bringt und dann eine kurze 
Schilderung des als „acute senile Demenz“ bezeichneten Zustandes, der plötzlich 
auftritt, mit Desorientirung, Verwirrtheit, Unreinlichkeit, auch körperlichen Sym¬ 
ptomen (Pupillendifferenz, Facialisparese), einhergeht und nach einigen Wochen 
schon in Heilung übergehen kann. Verf. weist auf die forensische Bedeutung der 
guten Prognose hin; aus der Heilbarkeit glaubt er auf die functionelle Natur 
einen Schluss ziehen zu können, da er vorher erklärt hat, dass „functioneil“ und 
„vorübergehend, heilbar“ für ihn identisch ist. H. Haenel (Dresden). 


47) Zur Beziehung von Aberglauben und Geisteskrankheiten, von Prof. 

Dr. Köppen. (Charite-Annalen. XXXVI. 1902.) 

Sehr interessanter Beitrag zur forensischen Psychiatrie, dessen Grundlage 
ein seinerzeit starkes Aufsehen erregender Criminalfall abgab. Es handelt sich 
um einen hereditär schwer belasteten Epileptiker, bei dem sich allmählich para¬ 
noische Symptome herausgebildet hatten. Zum Referat ist die Arbeit leider nicht 
geeignet, sei aber zur Leotüre empfohlen. Martin Blooh (Berlin). 


48) Ueber geisteskranke Brandstifter, von Georg Ilberg. (Mittheil, für die 

öffentl. Feuerversicherungsanstalten. XXXIV. 1902. Nr. 11, 13 u. 20.) 

Verf geht in drei an einen Staatsanwalt gerichteten und gemeinverständlich 
geschriebenen Briefen die verschiedenen Gemüthskrankheiten durch, bei denen 
Brandstiftungen beobachtet werden. Es sind dies: Melancholie (Brandstiftung im 
Angstaffect oder hervorgerufen durch die Versündigungsideeen), angeborener 
Schwachsinn (Moral insanity), Hysterie, Neurasthenie, Epilepsie (Dämmerzustände), 
Dementia praecox, progressive Paralyse, Dementia senilis, Alkoholismus, Dementia 
postapoplectica, Paranoia (persecuteur pers6cut6), Zwangsvorstellungsirresein. 

Verf. bekennt sich als Anhänger der verminderten Zurechnungsfähigkeit und 
will dieselbe in unser Strafgesetz eingeführt wissen. 

Um Brandstiftungen zu verhüten, empfiehlt Verf. die — eventuell zwangs¬ 
weise — Unterbringung verdächtiger Kranker in Humanitätsanstalten, Familien¬ 
pflege oder Irrenanstalten. 

Für die Juristen verlangt Verf. eine bessere Ausbildung in der Psychiatrie. 
Denselben müssten die wichtigsten Formen der Geisteskrankheiten an Kranken 
selbst vorgeführt und bo ein Gefühl dafür beigebracht werden, wann man an die 
Möglichkeit psychischer Krankheit und demnach an die Einholung eines Sach- 
verständigen-Gutachtens zu denken hat. Kurt Mendel. 


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III. Mittheilung an den Herausgeber. 


Nach Dr. D. J. Mc.Carthy’s erster Mittheilung über den sogen. Supraorbital- 
reflex (d. Centralbl. 1901. 8. 800) veröffentlichte ich ebenda (1901. S. 933) 
eine Notiz, wonach ich dus geschilderte Phänomen nicht als einen reinen Reflex 
zu betrachten vermag, weil dasselbe auch bei unterbrochener Leitung im centri- 
pet&len Bogenantheile nachweisbar war; ich gab der Ansicht Ausdruck, dass die 
Erscheinung „nur eine Weiterverbreitung der mechanischen Muskelreizung“ sei. 

In einer jüngst in d. Centralblatte erschienenen „Erwiderung“ (1902. S. 844) 
beschäftigt sich Herr Mc.Carthy hauptsächlich mit meiner Ansicht über die 
Weiterverbreitung der Muskelreizung; diese acceptirt er nicht. Dies ist Sache 
der Ansicht und Erfahrung sowie eingehender Studien; ist doch der eigentliche 
Vorgang bei manchen längst bekannten reflectorischen Erscheinungen noch immer 
nicht klargestellt und Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten. 

Auf den imzweifelhaften und objectiven Theil meiner Notiz äussert sich Herr 
Mc.Carthy nur im Allgemeinen: da „das Ganglion Gasseri in der Mehrzahl der 
Fälle, wo seine Entfernung angestrebt wird, nur zum Theil wirklich entfernt 
wird,“ . . . „können Fälle dieser Art nicht zum Beweise für die Gegenwart oder 
Abwesenheit meines Reflexes nach „Entfernung“ des Ganglion Gasseri herangeioges 
werden.“ Diese Aburtheilung dürfte denn doch etwas zu summarisch und weit* 
gehend sein! Wenn auch so manche der Exstirpationen nicht gelingt, daran* 
folgt noch nicht, dass jede misslungen sein muss. In dem von mir dtirten 
Falle bestehen vollkommene Heilung der Neuralgie sowie Anästhesie und Analgesie 
der rechten Gesichtshälfte; überdies ist das entfernte Ganglion vollkommen un¬ 
versehrt, fehlerlos noch jetzt aufbewahrt. Beweise genug, dass das Ganglion voll¬ 
ständig entfernt und die Leitung im Quintus unterbrochen ist; und dennoch be¬ 
steht der Reflex; leider giebt Mc.Carthy keine Erklärung, wo in diesem Falle 
der centripetale Weg sein könnte. 

Schon damals hatte ich noch einen Fall von Exstirpation zur Verfügung; 
das entfernte Ganglion scheint intact, doch bestanden auch nach der Operation 
Schmerzen, auch ist die Gesichtshälfte nicht anästhetisch: diesen Fall hielt ich 
nicht für einwandsfrei, zog ihn auch nicht in Betracht, obwohl auch hier 
Mc.Carthy’s Symptom nachweisbar ist 

Mir weitere Mittheilungen vorbehaltend, bemerke ich nur, dass die Priorität 
für diesen „Reflex“ Walker Overend für sich in Anspruch nimmt, da er ihn 
schon 1896 (The Lancet) beschrieb. 


Budapest, 6. October 1902. 


Dr. Carl Hudovernig. 


IV. Personalien. 

Im 88. I<eben8jahr starb am 11. October einer der Senioren der deutschen Psychiater, 
der Geheime Sanitätsrath Dr. M. O. Fraenkel zu Dessau, früher Director der Irrenanstalt 
zu Bernburg. Bis in die letzten Jahre seines Lebens war er littcrarisch thitig. 


V. Berichtigung. 

In Nr. 20 d. Centralbl. muss es auf 8. 977, Zeile 24 v. u. heissen: Bei allen höheres 
Sängethieren bis znm ,,Affen“ statt bis zum „Menschen“. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten, 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vut & Comp, in Leipzig. — Druck von Mmeu & Wime in Leipzig. 


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Neurologisches Centr alb latt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben tob 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einnndswaniigster “ B * riln ’ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 16. November. Nr. 22. 


Inhalt: I. Orlglnaimltthsilungen. 1. Ueber die Verschiedenheit der Prognose der 
Plexus- und Nerrenstammlähmungen der oberen Extremität, von Dr. med. L Bruns in 
Hannover. 2. Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz oder myotonisohe Pupillen¬ 
bewegung? Von Dr. Julius Strasburger. 8. Die paradoxe Pupillenreacbon und eigene Be¬ 
obachtung von Verengerung der Pupillen bei Beschattung der Augen, von J. Piltz. 

II. Referate. Anatomie. 1. Nervenf&rbungen (Neurokeratin, Markscheide, Axencylinder). 
Ein Beitrag zur Kenntniss des Nervensystems, von Kaplan f. 2. Ueber die Anwendung des 
Gallein zur Färbung des Centralnervensystems, von Aronson. 8 . Sur le r&eau endocellulaire 
de Golgi dann les eldments nerveuz de l'dcorce cdrdbrale, par 8oukhanofl. — Experimen¬ 
telle Physiologie. 4. Ueber die Wirkung gleichzeitig auf den Geist einwirkender homo¬ 
gener und heterogener Reize, mit Rücksicht auf die Entstehung der Illusionen, von Ransch- 
bürg. 5. Farbiges Hören, von Chalupeckf. 6. Azione dei lobi prefrontali sugli scambi or- 
ganioi. Analogie col ricambio nella pazzia morale, pel Modlca e Audenino. 7. Ueber das 
Verhalten der Blutgefässe im Gebiet durchschnittener vasomotorischer Nerven, von Jores. 

8. Observations, chiefly by the degeneratdon method, on posaible efferent fibres in the dorsal 
nerve-roots of the toad and frog, by Dale. — Pathologische Anatomie. 9. I. La 
struoture et le fonctionnement da systöme nerveux d’un anencdphale. II. De la Constitution 
de la rdtine en l’absenoe congenitale du cerveau. UL Considdrations pathologiques ä propos 
d’un cas de monstre anenodpbale, par Vaschlde et Vurpas. 10. Ueber das Vorkommen late¬ 
raler Forchen am Rückenmarke bei Porenoephalie, von Paitauf. 11. On a case of congenital 
porencephalus, in which the porenoephalie area corresponded to the area of distribution of the 
left middle cerebral artery, by Shirret. — Pathologie des Nervensystems. 12. La pato- 
genesi della malattia di Stokes-Adams, pel Medea. 18. Die ParroPschen Pseudoparalysen bei 
angeborener Syphilis, von 8cherer. 14. Secundär luetische Nervenkrankheiten, von Sztahovtzky. 
15. Luetische Jackson-Epilepsie, von Ldvy. 16. Le eigne pupillaire d’Argyll-Robertson, sa 
valeur söradiologique; ses relatdons avec la syphilis, par Cestan et Dupuy-Dutemps. 17. Warum 
erscheint Hirnlues schwerer heilbar? von Ziemssen. 18. A clinical lecture on two cases of 
spinal cord disease consequent on syphilis, by Bradshaw. 19. Ueber einen Fall von Rücken- 
markssyphilis mit Brown-Sdquard’schem Typus, von Strözswski. 20. Hemispasmus glosso- 
labialis als SpäterscheinuDg einer organischen Hemiplegie. Klinische Stuaie von Minor. 
21. Case of tumour of the cerebral cortex, by Barlow. 22. A successful case of removal of 
tumour from the left pre-frontal lobe of the brain, by Eider, Leith and Mlles. 28. Trois cas 
de ndoplasiee-cdrdbrales, par Ballet et Armand-Deillle. 24. Ueber eine mit Erfolg operirte 
Cyste des linken Hinterhauptslappens nebst Bemerkungen, von Cramer. 25. Ueber die Hemi- 
anopsieen, von Votruba. 26. Contribution ä l’dtude de l’anatomie pathologique de l’hömianopsie 
d'origine intra-cdrdbrale, par Joukowsky. 27. Langage et cerveau, par Colelia. 28. Ein Fall 
von Schädelscharte mit fühlbarer Gehirnpulsation und amnestischer Aphasie, combinirt mit 
Seelentaubheit und Seelenblindheit und articulatorischem Stottern, von Szuman. 29. Zur Kritik 
der „subcorticalen“ sensorischen Aphasie, von Strohmayer. SO. Cdcitä verbale pure, par 
Brlstaud. 81. Ein Fall von motorischer Aphasie funotionellen Ursprungs, von Goldblum. 
82. Zur Kenntniss der Rückbildung motorischer Aphasieen, von BonhoeiTer. 

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1042 


IH. Bibliograph!«. 1. Psychiatrie. Ftr Aerste and Stadirende bearbeitet tob Tb. ZWml 
2. Die Neurologie du Auges. Bd. IL Ein Handbuch ftr Nerven* and Aigeointe, t*b 
H. Wilbraod und A. Saeager. 8. Das dritte Geschlecht Beiträge zum homosexuellen Probien, 
von M. Braunschweig. 4. Geisteskrankheit and Irrenanstalten. Sechs gemeinverständliche 
Vorträge, von Tucztk. 5. Vier Vorlesongen aas der allgemeinen Pathologie des Nerven¬ 
systems, von Frederlck W. Mott. 6. Russische medicinische Bundsehau, tob Lfpflawtfcy and 
Welsbein. 

IV. Aus den Gesellschaften. VIII. Versammlong mitteldeutscher Psychiater and Neuro¬ 
logen in Dresden am 25. and 26. Ootober 1902. 


L Originalmittheilungen. 


1. Ueber die Verschiedenheit der Prognose der 
Plexus-und Nervenstammlähmnngen der oberen Extremität 1 

Von Dr. med. L. Bruns in Hannover. 

M. H.1 Meine heutige kuize Mittheilung soll einen mehr informatorischen 
Charakter haben. Eine Frage, die mich seit langer Zeit beschäftigt, ist die, 
woher es kommt, dass die Lähmungen der Nervenplexus, speoieU die des 
Plexus braohialis, eine so viel ungünstigere Heilungsaussicht haben als die der 
einzelnen peripheren Nervenstämme und ihrer Aeste. Ich habe eine ganze An* 
zahl von Dingen, die möglicherweise als Ursachen für diese Differenz in de 
Prognose in Betracht kommen, nach allen Richtungen hin geprüft und werde 
Ihnen diese Prüfungen auch zur kritischen Würdigung vorlegen; zu einem 
sicheren, die ganze Frage entscheidenden Schlüsse aber bin ich nicht gekommen. 
Es liegt mir deshalb daran, vor einem grösseren Kreise von Fachgenossen, die, 
wie ich sicher glaube, thatsachlich so ziemlich dieselbe Erfahrung gemacht haben, 
diese Frage einmal anzuregen, und ich hoffe, dass es dadurch gelingen wird, 
dieselbe der Lösung wenigstens näher za bringen, oder dass zum mindesten 
neue, von mir bisher übersehene Erklärungen für dieselbe bei der Debatte zu 
Tage gefördert werden. 

Zunächst möchte ioh Ihnen mein eigenes Thatsacheumaterial auf diesem 
Gebiete mittheilen. Ich habe unter etwa 8500 Nervenkranken 95 Fälle von 
Lähmung einzelner peripherer Nerven und 88 Fälle von Plexuslähmungen he* 
obachtet, im Ganzen also 138 Fälle. Ich rechne zu diesen Lähmungen alle mit 
traumatischer Aetiologie im weitesten Sinne und die mehr isolirten Neuritiden 
eines Nervenstammes oder eines Plexnsantheils, namentlich solche, bei denen 
ein bestimmtes ätiologisches Moment nicht nachzuweisen war. Ausgeschlossen 
sind die multiplen Neuritiden, meist sicherer Aetiologie. Auf die einzelnen 
Nervenstämme und Plexusantheile vertheilen sioh diese Fälle folgend ermaassen: 


1 Vortrag, gehalten in der Versammlung mitteldeutscher Psychiater and Neandogsa 
za Dresden am 26. October 1902. 


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1043 


I. Periphere Nervenlähmungen: 

Badialis . . . ..28 

Ulnaris.22 

Medianus.6 

Medianns und Ulnaris oder alle 3 Armnerven 7 

Thoracicus longns.7 

Axillaris.5 

Snprascapnlaris.. . 3 

Aocessorins spinalis.1 

Peroneus.11 

Peroneus und Tibialis.2 

Tibialis poetions.1 

Obturatorins.1 

Ischiadicus.1 


Summa 95 

n. Plexuslähmungen: 


1. Plexus brachialis 

1. obere.16 

2. untere.4 

3. totale.10 

4. unbestimmten Ortes.8 

2. Plexus lumbosacrali8.5 


Summa 38 

Um bei den Plexuslähmungen gleich die Aetiologie anzuführen, so betrafen 
die des Plexus brachialis 

1. 10 Entbindungslähmungen: 6 obere 

2 untere 
2 totale 

2. 5 Luxationslähmungen: 2 obere 

3 totale 

3. 2 fast totale Naroosenlähmungen: 2 

4. 12 traumatische Lähmungen anderer Aetiologie: 8 obere 

1 untere 
3 totale 

5. 3 neuritisqhe Plexus-brachialis-Lähmungen. 

6. 1 untere Plexuslähmung durch Druck eines Aneurysma der Arteria 
anonyma. 

Von den 5 Lähmungen des Plexus lumbosacralis waren 8 bedingt 
durch maligne Beckentumoren, 1 durch eine septische Pelveoperitonitis; 1 war 
eine materae Geburtslähmung im linken Peroneusgebiet durch Druck des Kinds¬ 
kopfes. 

66 * 


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Von diesen 95, bezw. 38 Fällen kann ich mm aber nur einen kleinen 
Theil gebrauchen, wenn ioh sie für die von mir behauptete Verschiedenheit in 
der Prognose zwischen den peripheren Lähmungen der Nervenstämme und der 
Plexus verwenden will. Es muss mir dabei natürlich darauf ankommen, ätio¬ 
logisch möglichst gleichartige Fälle zum Vergleiche zu verwenden. Ich möchte 
hier zunächst ausschalten die 5 Lähmungen im Gebiete des Lumbo- 
sacralplexu 8 — erstens weil es sehr wenige sind, zweitens weil es sich bei 
dreien von ihnen um Druck durch maligne Tumoren handelte, also um Läh¬ 
mungen, deren Prognose auf jeden Fall infaust war. Die Lähmung in Folge 
septischer Pelveoperitonitis ist ganz, die materae Geburtslähmung im rechten 
Peroneusgebiete ist nur theilweise geheilt In zweiter Linie fallen diejenigen 
Fälle aus, über deren Verlauf ich nicht orientirt bin, die ich entweder nur 
einmal oder nur kurze Zeit gesehen habe; es sind das 81 Lähmungen peripherer 
Nervenstämme und 10 Lähmungen im Plexus brachialis. Drittens kann ich die 
neuritischen Lähmungen nicht gut mit zum Vergleiche heranziehen, da ja 
bei der Prognose dieser alles auf das ätiologische Moment und die Möglichkeit 
oder Unmöglichkeit seiner Beseitigung ankommt; schalte ich diese aus, so fallen 
noch 10 Fälle von Nervenstammlähmungen fort; die Plexus-neuritis-Fälle kommen 
hier nicht mehr mit in Rechnung, da sie alle auch zur Kategorie der Fälle mit 
unbekanntem Verlauf gehören. Ich würde dann also noch die Fälle mit be¬ 
obachtetem Verlaufe und traumatischer Aetiologie im weitesten Sinne haben — 
also Verletzungen durch Stoss, Druck, Quetschung, Zerrung, Zerreissung, Durch¬ 
schneidung. Auch hier möchte ich aber diejenigen Lähmungen, die auf voll¬ 
ständiger Continuitätstrennung der Nerven beruhen, ausschliessen; diese 
geben eine einigermaassen gute Prognose nur bei primärer oder secundäier 
Nervennaht, und diese ist nur in zweien meiner Fälle combinirter Ulnaris- 
und Medianusverletzung mit gutem Erfolge ausgeführt Auf diese Weise 
fallen noch 6 Nervenstammlähmungen fort; Plexus-brachialis-Lähmungen auf 
Grund von Durchschneidungen der Nerven habe ich mit Sicherheit nicht be¬ 
obachtet; diese schwerste Lähmungsform fallt also hier fort Schliesslich 
möchte ich noch ausser Berechnung lassen eine sogenannte Spätlähmung 
eines Ulnaris nach Verletzung am Ellenbogen, da dieser Fall noch in der 
Entwickelung ist 

Aus allen diesen Gründen fallen also 48 Lähmungen der peripheren Nerven- 
stämme und 15 Plexulähmungen fort; ich habe also noch zur Verfügung 47 Läh¬ 
mungen der peripheren Nerven und 23 des Plexus brachialis auf Grund von 
Traumen im weitesten Sinne, mit Ausnahme der directen Contmuitätstrennungen. 
Ich will diese 70 für mich brauchbaren Fälle nun nochmal einzeln aufzählen 
und zugleich dabei ihre Heilungsziffer mit genauerer Berücksichtigung ihrer 
Aetiologie angeben. Ich will hier gleich bemerken, dass unter diesen 70 Fällen 
sich auch alle die befanden, die lange Zeit, spedell auch elektrisch be¬ 
handelt sind. 


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1045 


L Brauchbare Lähmungen peripherer Nerven: 47 Fälle. 


A. Radialislähmung. 

a) Schlaflähmungen zum Theil oombinirt mit 
Alkohol: 11, alle geheilt 

b) Fractur des Oberarmee oder Callusdruck: 10, 
7 geheilt, 3 ungeheilt 

c) 1 Narcoselähmung, Druck auf die eisernen 
Seitenlehnen des Operationstisches: 1 geheilt 

B. Ulnarislähmungen. 

a) Quetschung, partielle Durchschneidung u.s.w. 
4, 2 geheilt, 2 ungeheilt 

b) Callus: 1 geheilt 

c) Spätlähmung bei Verletzung am Ellenbogen: 
1 ungeheilt 

C. Ulnaris und Medianus. 

a) 1 Quetschung durch festen Verband durch 
mehrere Tage und Bildung eines Aneurysma 
traumaticum der Arteria brachialis. Geheilt 

b) 1 Zerrung. Ungeheilt 

D. Ulnaris, Medianus und Radialis. 

a) 1 Zerrung, geheilt 

b) 1 fester Verband, ungeheilt 

c) 1 Druck durch Esmaech 'sehen Schlauch, 
geheilt 

E. Thoracicus longus. 

Trauma durch Fall: 4 Fälle, 3 ungeheilt, 1 ge¬ 
heilt 


22 19 geheilt 
3 ungeheilt 


6 2 geheilt 

4 ungeheilt 


2 1 geheilt 

1 ungeheilt 


3 2 geheilt 

1 ungeheilt 


4 8 ungeheilt 

1 geheilt 


F. Axillaris. 1 

Quetschung: 2 Fälle, geheilt. J ^ 

G. Peroneus. \ 

Druck oder Zerrung, daruntr 2 Schlafdruck- } 7 

lähmungen: 7 Fälle, 3 geheilt, 4 ungeheilt. ) 

H. Ischiadicus. \ 

Partielle Durohschneidung bei Neuromexatir- i 1 

pation: 1 Fall geheilt J_ 

Summa 47 


geheilt 

4 ungeheilt 
3 geheilt 

geheilt 


peripherische Nervenlähmungen traumatischer Natur; davon 31 geheilt: 
16 ungeheilt — das sind 66% Heilungen; 34% Nichtheilungen. 

Ich möchte hier gleich auf zwei Umstände aufmerksam machen. Erstens 
auf die ausserordentlich günstige Heilungsprognose der Radialis- 
lähmungen, die nicht nur die Schlafdruoklähmungen, sondern auch die 


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1046 


mit Fracturen des Oberarmes and mit starker Callusbildung betrifft; 
die Schlafdrucklähmungen sind alle geheilt; von 10 mit Armbrüchen nur 3 
nicht; darunter ist ein Fall mit Bruch und fehlerhafter Verwachsung beider 
Unterarmknochen. Die Radialislähmungen allein würden einen Heilungsprooent- 
satz von beinahe 87 % geben. Diese meine Erfahrung stimmt mit der aller 
Autoren überein. Auf der anderen Seite findet sich bei den 4 S er rat us- 
lähmungen nur eine Heilung — also nur 25°/ 0 ; diese Lähmungen sind ateo 
viel ungünstiger. Auch das ist wohl bekannt; so bebt Bbrnhahdt ganz neuer¬ 
dings wieder hervor, dass eine Serratuslähmung niemals ein leichtes Leiden sä. 

n. Brauchbare Lähmungen des Plexus braohialis: 23 fölle. 

A. Entbindungslähmungen. 

a) Obere Plexuslähmung: 4, alle ungeheilt 

b) Untere „ : 2, ungeheilt 

c) Totale „ : 1, ungeheilt. 

Oft bestand erst totale Plexuslähmung, die 
nachher in bestehenbleibende partielle über¬ 
ging- 

B. Luxationslähmung. 

a) Obere Plexuslähmung: 3 ungeheilt 

b) Totale „ : 3 ungeheilt. 

C. Narooselähmungen. 

a) Fast total: 2, 1 geheilt, 1 ungeheilt 

D. Aneurysma der Arteria anonyma. 

Untere Plexuslähmung: 1 ungeheilt 

E. Fälle mit kürzer wirkendem Trauma: Fall, 

Stoss, Clavicularfractur; zum Theil mit starkem 

Blutergusse. 

a) Obere Plexuslähmung: 4 geheilt, 1 ungeheilt 

b) Untere „ : 1 geheilt, 2 ungeheilt 

Also in Summa 23 

mit 6 Heilungen und 17 Nichtheilungen, das sind 26% Heilungen 
und 74% Nichtheilungen bei den Plexuslähmungen des Armes 
gegenüber 66 % Heilungen und 34% Nichtheilungen bei den Läh¬ 
mungen der peripheren Nerven. Danach hatten nach meinen Er¬ 
fahrungen die traumatischen Lähmungen der peripheren Nerven- 
Stämme eine 2% Mal so gute Heilungsaussicht wie die der Nerven- 
plexus. Ich will aber aus meiner Tabelle bestimmt hervorheben, und komme 
darauf noch zurück, dass sich unter den 14 Fällen von Entbindung»-, Luxations¬ 
oder Narcoselähmung nur ein Fall von Heilung findet; unter den 8 Fällen mit 
rascher vorübergehendem Trauma dagegen 5 Heilungen; das bedeutet nach 
meinen Erfahrungen für die ersten Fälle einen Heilungsprooentsats von nur 7% 
für die letzteren dagegen einen von 62,5%. 


7 alle ungeheüt 


| 5 ungeheilt 

12 1 gehritt 

' 1 ungeheilt 

| 1 ungeheüt 

8 5 geheilt 
3 un g e heü t 


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1047 


Dass die Prognose der traumatischen Lähmungen der Plexus, speciell des 
Plexus brachialis eine ungünstigere ist wie der peripheren Nerven, wird im 
Allgemeinen so ziemlich von allen Autoren angegeben; im Einzelnen bestehen 
allerdings ziemlich grosse Meinungsverschiedenheiten. Einstimmig sind die 
Antoren Aber die schlechte Prognose der Luxationsllhmungen; volle Heilung 
tritt hier kaum ein. Die Prognose der Entbindungslähmungen wird dagegen 
von verschiedenen Autoren sehr verschieden angegeben. Bubb und Loybtt er¬ 
klären sie fOr aussichtslos; Ebb, Bbbnhabdt und Jolly für ungünstig; Oppen¬ 
heim sieht dagegen ihre Prognose als günstig an; Ssblioküllbb ebenfalls, 
aber doch ans mehr theoretischen Gründen, weil er annimmt, dass bei den 
kleinen Kindern die Nerven restitutionsfähiger wären als bei Erwachsenen. Die 
Prognose der Narcoselähmungen hält Oppenheim nicht für günstig; auch 
von den Fällen mit kürzer wirkendem Trauma, die in meiner Tabelle wesent¬ 
lich günstiger dasteben, sagt er, „die Heilung tritt nicht immer ein.“ Ziemlich 
allgemein wird die Wichtigkeit einer sorgfältigen elektrischen Behandlung für 
die Prognose dieser Lähmungen hervorgehoben; unter dieser soll z. B. nach 
Oppenheim auch nach Jahren noch Besserung eintreten können; nach meinen 
Erfahrungen kann ich mich dieser Ansicht nicht ganz anschliessen. Ueber die 
eigentlichen Ursachen der schlechteren Prognose der Plexus¬ 
lähmungen sprechen sich die meisten Autoren nur ganz allgemein 
aus, ohne tiefer in die Sache einzudringen, oder sie führen ein einzelnes 
der von mir später zu erwähnenden Momente an; es wird die besondere Schwere 
und Dauer der Läsion, das Vorhandensein schwerer Störungen der elektrischen 
Erregbarkeit bervorgehoben; nur Oppenheim ist eingehender und weist speciell 
bei den Entbindungslähmungen unter Berufung besonders auf französische 
Autoren auch auf einige die Pathologie der Plexuslähmungen erschwerende 
Momente hin, auf die ich später eingehender zu sprechen kommen werde. Ich 
möchte nun erst einmal alle die eventuell für die Verschiedenheit der Prognose 
der Lähmungen der peripheren Nerven und des Plexus in Betracht kommenden 
Momente, soweit sie mir aufgestoesen sind, Bevue passiren lassen und sie einzeln 
einer Kritik unterziehen. Man könnte zunächst an anatomische oder phy¬ 
siologische Differenzen für die Erklärung der Verschiedenheit dieser 
Prognose denken. Wir wissen ja, dass zwischen dem Centralnervensystem 
und den peripheren Nerven in Bezug auf die Heilung von Läsionen grosse 
Differenzen zu Ungunsten der ersteren bestehen, wenn auch hier partielle 
Heilungen nicht ganz so selten zu sein scheinen, als man noch vor einigen 
Jahren annahm, und dass diese Differenzen zum Theil auf Unterschieden des 
anatomischen Baues beruhen. Zwischen den Fasern des Nervenplexus und der 
peripheren Nervenstämme finden sich aber solche anatomische Unterschiede 
nicht Es ist ferner bekannt, dass bei Verletzungen und Durchschneidungen 
peripherer Nerven der Functionsausfall von vornherein oder nach einiger Zeit 
oft viel geringer ist, als man nach der anatomischen Ausbreitung dieses Nerven 
erwarten sollte, namentlich sensible Störungen fehlen oft ganz und man hat 
das, wohl mit Beeilt, auf ganz periphere oder mehr proximal gelegene Anar 


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1048 


ßtomosen zwischen den Ausläufern der einzelnen Nervenstämme oder zwischen 
diesen Stämmen selbst znröckgeföhrt; Anastomosen, die ziemlich viele indi¬ 
viduelle Verschiedenheiten zeigen, so dass sich dadurch auch die Verschieden¬ 
heiten im Krankheitsbilde nach Durchschneidung bestimmter Nerven bä ver¬ 
schiedenen Individuen erklären. Aber diese für die Pathologie der peripheren 
Nervenläsionen günstig in die Wagschale fallenden Umstände müssen natürlich 
von vornherein oder sehr bald vorhanden sein; sie können nicht erklären, wes¬ 
halb im Anfang und für längere Zeit vorhandene Functionsausfälle bä den 
peripheren Nervenlähmungen sich schliesslich so viel häufiger verlieren als bä 
den Plexuslähmungen. Auch physiologische Unterschiede zwischen den Nerven¬ 
fasern der peripheren Nervenstämme und des Plexus sind mir nicht bekannt 
Elektroph y Biologisch verhalten sich beide gleich. Von Etzold wurde durch 
Beobachtung von Nervendurchschneidungen festgestellt, dass die Heilung nach 
Durchsohneidungen an den Plexus und nachfolgender Naht sehr viel länger auf 
sich warten lasse und häufiger unvollkommen bleibe, als bei solchen an den 
Nervenstämmen. Das ist bei der doch auch heute immer noch zu Recht be¬ 
stehenden Lehre von der Heilung der Continuitätstrennungen der Nerven dureh 
peripheres Auswachsen der Nervenfasern des centralen Stumpfes wohl nicht 
anders zu erwarten; ich habe bei einer ganzen Anzahl von peripheren Radiahs- 
lähmungen am Oberarme gesehen, dass die Function zuerst wieder in denjenigen 
gelähmten Muskeln eintrat, die ihre Innervation weiter proximal empfangen, 
also in den Supinatoren und den Streckern der Hand eher als in denen der 
Finger, ein Umstand, der sich kaum anders als durch die erwähnte Annahme 
des Wiederauswachsens der Nervenfasern vom centralen Stumpfe aus erklären 
lässt Aber auch diese Dinge sind nicht im Stande einen Grund dafür abzu¬ 
geben, weshalb die Heilung überhaupt in den Fällen von Plexuslähmungen so 
viel häufiger ausbleibt, als bei denen der peripheren Nervenstämme. 

Es wäre ferner möglich, dass für die schlechte Prognose der Lähmungen des 
Nervenplexus die Dauer der schädigenden Wirkung wesentlich in Betracht käme, 
indem diese nämlich bei diesen Lähmungen im Allgemeinen eine längere sei, 
als bei den Läsionen der peripheren Nerven. Wenn das im Allgemeinen zu träfe, 
so wäre dieser Umstand natürlich ein plausibles Erklärungsmoment für die Ver¬ 
schiedenheit der betreffenden Prognose, denn es ist leicht ersichtlich, dass bä 
gleicher Stärke eine länger dauernde Schädigung einen Nerven schwerer und 
dauernder treffen muss als eine kurze. Ganz besonders lange pflegt nun in 
vielen Fällen von Oberarmluxation, die nicht so selten im Anfänge nicht 
erkannt werden, die Schädigung des Plexus brachialis zu bestehen; in einzelnen 
meiner Fälle wurde die Luxation erst nach Tagen, und in einem Falle erst 
nach Wochen erkannt und wieder eingerichtet; dazu kommt, dass auch die 
manchmal ungeschickten und vergeblichen Einrenkungsversuohe noch eine erheb¬ 
liche Schädigung für die Nerven des Plexus braohialis abgeben können. Sicher 
muss dieser Umstand für die allgemein anerkannte schlechte Prognose der 
Luxationslähmungen mit in Betracht gezogen werden. Auch bä den Ent- 
bindungs- und den Narooselähmungen ist manchmal die Dauer der Schädigung 


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1049 


eine ziemlich lange, aber doch nicht gerade eine übermässig lange. Sicher ist 
wohl, dass bei den einfachen Schlaflähmnngen des Radialis auch die Dauer des 
Drucks keine sehr ausgedehnte ist, und dass das für die günstige Prognose 
dieser Lähmungen in Betracht kommt, aber bei den Radialis-Calluslähmungen 
kann dieser Druck doch durch viele Wochen dauern, also bei Weitem länger 
als bei der längsten Geburt und auch sie bieten noch hervorragend günstige 
Heilungsaussichten. Wenn man schliesslich auch für die prognostisch nicht 
besonders günstigen Narcoselähmungen die ziemlich lange Dauer der schädigenden 
Wirkungen in Betracht ziehen will, so möchte ich darauf hinweisen, dass die 
Lähmungen durch den Esm^ech’ sehen Schlauch, der seine schädigenden 
Wirkungen doch auch durch die ganze Dauer der Narcose entfaltet, prognostisch 
ganz besonders günstig sind und dass ich auch einen Fall von Drucklähmung 
des Radialis mit partieller Entartungsreaction gesehen habe, die dadurch ent¬ 
standen war, dass der betreffende Radialis während der ganzen Dauer der Nar¬ 
cose (Laparotomie) gegen eine eiserne Seitenlehne des Operationstisches gedrückt 
war; auch dieser Fall ging schnell in Heilung aus. Ganz besonders lang- 
dauernd und schwer war schliesslich der Druck bei einer von mir beobachteten 
combinirten Lähmung des Ulnaris und Medianus am Oberarme gewesen. Hier 
war der Patientin ein Messer so in die Arteria brachialis hineingefallen, dass, 
wie sich später herausstellte, ein Längsschnitt der hinteren und vorderen Wand 
dieses Gefasses entstanden war. Um die starke Blutung zu stillen, hatte der 
Arzt einen festen Tampon auf die blutende Stelle gelegt und diesen mit einem 
circulären Verbände fest angedrückt. Dieser Tampon war mehrere Tage 
liegen geblieben. Nachher fand sich eine totale Lähmung im Ulnaris- und 
Medianusgebiete und ein Aneurysma der verletzten Arteria brachialis. Wir 
nahmen natürlich zunächst eine Durchschneidung der beiden Nerven an und 
wollten mit gleichzeitiger Operation des Aneurysma eine Nervennaht vornehmen. 
Bei der Operation aber zeigte sich, wie gesagt, dass die Arteria brachialis längs- 
duroh8chnitten war, die Nerven hatte das Messer nicht berührt, sie waren erst 
durch den Druck des Verbandes lädirt worden. Trotz der langen Dauer 
und Schwere des Druckes, der auch an den blossgelegten Nerven zu er¬ 
kennen war und der auch zu completer Entartungsreaction im gelähmten 
Gebiete geführt hatte, trat hier unter elektrischer Behandlung doch volle 
Heilung ein. Also auch eine längere Dauer der Läsionswirkung, speciell eines 
Druckes kann für die schlechte Prognose der Plexuslähmungen gegenüber 
den Nervenstammlähmungen im Allgemeinen nicht ausschlaggebend sein, denn 
sie findet sich auch in vielen Fällen der letzteren Lähmungen; von Bedeutung 
an und für sich ist die Dauer der lädirenden Wirkung natürlich stets; ich will 
in dieser Beziehung nur noch einmal darauf hinweisen, wie viel günstiger die 
Heilungsprognose in meiner Tabelle bei den Plexuslähmungen mit rasch ein¬ 
tretender und vorübergehender Schädigung ist als bei den Entbindungs-, 
Luxations- und Narcoselähmungen. 

Schliesslich könnte die Intensität der Läsion bei den Plexuslähmungen 
im Allgemeinen eine grössere sein als bei denen der peripheren Nervenstämme. 


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1050 — 


Ich möchte hier vorausschicken, dass man hier bei den peripheren Nerven¬ 
lähmungen auf die Intensität der Läsion aus der Schwere der elektrischen 
Störungen schliesst. Wenn das aber richtig ist — und ich zweifle nicht 
daran —, so sind von diesem Gesichtspunkte aus die Läsionen in meinen zum 
Vergleich herangezogenen Fällen von peripheren Nervenlähmungen im All¬ 
gemeinen nicht besser gewesen als in denen von Plex uslähm u n gen; in fhrt 
allen handelte es sich um partielle, meist sogar um complete Entartungsreaetioo. 
Eine Ausnahme machen hier nur die meisten Fälle von Radialisachlafl ähmga g, 
während in den Fällen von Radialislähmung in Folge von Humerusfraetor und 
Callusbildung immer deutliche qualitative Veränderungen der elektrischen Er¬ 
regbarkeit vorhanden waren. Ich will bemerken, dass es mir auch bei den 
länger beobachteten Entbindungslähmüngen der Kinder stets gelungen ist, 
wenigstens in einem Theil der gelähmten Muskeln Entartungsrenctio»- 
erscheinungen aufzufinden, bei ganz kleinen Kindern hat das ja seine 
Schwierigkeiten. 

Auf die Intensität der einwirkenden Läsion kann man bestimmtere 
Schlösse natürlich auch machen, wenn man die Art der Läsion, mit anderen 
Worten ihren Entstehungsmodus genauer kennt Es ist hier nicht 
der Ort, specieller auf die vielumstrittene Frage der genauen Pathogenese der 
traumatischen Plexuslähmungen und ihre einzelnen Formen einzugehen, ich will 
hier nur erwähnen, dass über die Art und den Ort der hier vorkommenden 
Druckwirkungen noch keine Einigkeit unter den Autoren herrscht Immer¬ 
hin kann man nicht sagen, dass die hier in Betracht kommenden Druckwirkungen 
nothwendig intensiver sein mussten, als in Fällen schwerer Druckläsion der 
peripheren Nerven. Verschlechternd für die Prognose werden natürlich chirur¬ 
gische Complicationen wirken; bei den verschiedenen Formen der trauma¬ 
tischen Plexus-brachialis-Lähmung kommen Brüche der Clavicula, des Oberarmes, 
Luxation des Oberarmes, Epiphysenabreissung in Betracht. Aber man mua da 
wieder anführen, dass auch z. B. periphere Radialislähmungen nicht 90 selten 
durch Humerusfractur entstehen und dass die Prognose dieser so complidrtea 
Radialislähmungen keineswegs eine besonders schlechte ist Nur auf einen Um¬ 
stand möchte ich hier hinweisen, der nach meiner Ansicht am meisten im 
Stande sein dürfte, eine Erklärung für die schlechte Prognose vieler trauma¬ 
tischer Plexuslähmungen abzugeben und der erst in neuerer Zeit mehr gewürdigt 
ist Man hat nämlich — und an diesen Arbeiten haben eine ganze Anzahl 
von Autoren theilgenommen — herausgefunden, dass mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit wenigstens ein grosser Theil der Lähmungserscheinungen bei den 
Läsionen des Plexus brachialis, und vielleicht gerade der schwersten, nicht durch 
Druck auf, sondern durch Zerrung an den Fasern des Plexus brachialis und 
seiner Wurzeln bedingt seien. Das stimmt sowohl für die Entbmdungslähmungoi, 
wie für die Luxations- und Narcoselähmungen. Genauer kann ich auch auf 
diese Dinge nicht eingehen. Bei den Entbindungslähmungen kommen je 
nach der Art der Entbindung Zerrungen an den Nerven des Plexus brachialis 
durch die in der Schulter nach oben geschlagenen Arme, speoiell bei Steias- 


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1051 


lagen, durch die starke Neigung des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite, 
durch den Zug des Geburtshelfers am Kopf bezw. am Rumpf und den Beinen, 
bei noch im Becken liegenden Kopfe bezw. Schultern und Rumpfe, duroh 
directen Zug an den Fasern des Plexus brachialis durch den Finger oder die 
Instrumente des Geburtshelfers in Betracht; für die schädigende zerrende Wirkung 
der starken Neigung des Kopfes nach der von der Lähmung abgewendeten Seite 
spricht auch das häufige Vorkommen von Hämatomen im Stemocleidomastoideus 
auf Seite der Lähmung. Ein Theil dieser schädigenden Zerrungen kann 
natürlich auch bei Spontangeburten Platz greifen, neuerdings hat man die 
Zerrung der betreffenden Nervenfasern bei Geburten auch experimentell naoh- 
gewiesen (Feeux, Sohokmaker). Bei den Narcoselähmungen tritt ganz 
ähnlich, wie bei manchen Geburten, eine Zerrung der Fasern des Plexus bra¬ 
chialis speciell bei Bauch- und Brustoperation dadurch ein, dass auf Seite der 
Operation die Arme nach oben geschlagen und da der Narootiseur meist auf 
der anderen Seite steht, der Kopf nach der entgegengesetzten Seite gedreht und 
geneigt wird. Auch bei den Luxationslähmungen fehlen solche zerrende 
Umstände nicht, vielmehr haben Duval und Guillain, wie ich einer Arbeit 
Kienböok’s entnehme, gerade für diese Lähmungsförm schwere zerrende Momente 
naohgewiesen. Selbstverständlich kann sie auch Vorkommen in meiner 4. Gruppe, 
in der es sich um rascher in ihrer primären Wirkung vorübergehende Schä¬ 
digung handelt Man kann sich nun sehr wohl vorstellen, und Duval 
und Guillain haben das für die Luxationslähmungen, Cestan und 
Philipps (nach Oppenheim) in einem Falle von Entbindungslähmung 
mit Zerreissung spinaler Wurzeln naohgewiesen, dass die zerrende 
Wirkung an den Plexusfasern nicht Halt macht, sondern sich über 
die Rüokenmarkswurzeln bis ins Rückenmark fortpflanzen kann. 
Aehnliohes hat man ja auch nach Dehnungen des Nervus ischiadicus gesehen. 
Namentlich für die Entbindungslähmungen wird eine solche Annahme plausibel 
erscheinen, wenn man sich erinnert, welche Kraft bei schweren Entbindungen 
der Geburtshelfer manchmal sowohl bei Extractionen am Kopfe wie am Rumpfe 
anwenden muss und daran denkt, dass von einer Anzahl von Autoren nach 
solchen Entbindungen Blutungen im Rückenmarke und seinen Hüllen, ja in 
einem Falle sogar eine totale Zerreissung des Rückenmarkes beobachtet sind. Für 
diese Lähmungen hat auch früher sohon Bubb eine spinale Aetiologie an¬ 
genommen. Ich selber habe 2 Mal neben Plexuslähmungen Symptome gesehen, 
die auf eine Betheiligung des Rückenmarkes hindeuteten; einmal spastische 
Erscheinungen in beiden Beinen bei einer totalen Plexuslähmung und Fractur 
des linken Armes nach Entbindung, hier waren die spinalen Symptome vorüber¬ 
gehender Natur, während die Plexuslähmung ungeheilt blieb; im zweiten Falle 
fand sich spastische Parese des rechten Beines und obere rechtsseitige Plexus¬ 
lähmung nach einem Falle aus der Höhe; hier heilte die Plexuslähmung, während 
die spastische Parese des Beines bestehen blieb. Das sind nicht gerade sehr viele 
Fälle, aber man kann sich doch sehr wohl vorstellen, dass die Rückenmarksläsion 
sich auf die vordere graue Substanz beschränkt und neben den Zeichen der 


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Plexuslähmung weitere Symptome nicht macht Jedenfalls, wenn man an¬ 
nähme, dass bei Plexuslähmungen eine solche Betheilignng de« 
Markes häufiger vorkäme, würde das bei den bekannten sehlechten 
Heilungsaussichten der Rückenmarksverletzungen die schlechte 
Prognose dieser Lähmungen ausreichend erklären. Es würde sich dann 
auch gut verstehen lassen, weshalb auch Lähmungen an den oberen Aesten 
des Plexus brachialis, speciell die Serratuslähmungen, in ihrer Prognone un¬ 
günstig sind und sich nach meinen Erfahrungen in dieser Beziehung den eigent¬ 
lichen Plexuslähmungen anschliessen. Denn es ist ja leicht erklärlich, dass 
eine zerrende Wirkung, die den Nervus thoradous longus trifft, sich leichter 
auf das Rückenmark fortpflanzen kann als eine solche, die den Ulnaris, Radial» 
oder Medianus lädirt. Ich selber bin sehr geneigt anzunehmen, dass 
solche Läsionen der Nervenwurzeln am Rückenmarke oder des 
Rückenmarkes selbst bei sogenannten Plexuslähmungen hinfiger 
Vorkommen, als man bisher annimmt; aber den Beweis für diese An¬ 
nahme müssen fernere Beobachtungen und vor allem die hier recht seltenen 
Sectionen erst liefern. Ehe das geschehen, wird man auch diese Dinge nicht 
ohne Weiteres als einen ausreichenden Grund für die schlechten Prognosen der 
Plexuslähmungen gegenüber denNervenstammlähmungen der Arme ansehen können. 

Damit wäre ich zum Ausgangspunkt zurückgekehrt Es giebt wohl eise 
ganze Anzahl von Momenten, die für die schlechte Prognose der Plexuslähmungen 
Berücksichtigung verdienen, aber zu voller Erklärung dieses Umstandes sind 
sie alle nicht ausreichend. Man muss sich zunächst mit der Thatsache be¬ 
gnügen, dass die Plexuslähmungen ln Bezug auf ihre Heilungsaussichten eine 
Art Mittelstellung zwischen den sehr günstigen durch Läsion der 
peripheren Nerven und den sehr ungünstigen durch Rückenmarks« 
affection bedingten einnehmen; welche Gründe für diese Thatsache 
ausschlaggebend sind, muss erst die Zukunft lehren. 

Wegen der bei der vorliegenden Arbeit hauptsächlich benutzten Litter&tur 
verweise ich speciell auf Oppenheim’s Lehrbuch, 3. AufL, die Arbeit Km- 
böck’s: „Ueber progressive Muskelatrophie und Trauma“ in der Monatsschrift 
für Unfallheilkunde. 1901. Nr. 11 und das Sammelreferat von St&ahbkt: 
„Ueber Entbindungslähmungen der oberen Extremität beim Kinde“, Central¬ 
blatt für die Grenzgebiete. 1901. 


[Ans der medicinischen Klinik zu Bonn (Director: Geheimrath Schultz»).] 

2. Pupilleuträgheit bei Accommodation 
und Convergenz oder myotonische Pupillenbewegung? 

Von Dr. Julius Strasburger, 

Privatdocent, Assistenzarzt der Klinik. 

Im Anschluss an meine Veröffentlichung aus der Bonner Medirimsohen 
Klinik über „Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz“ theilte 


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Herr Dr. A. Sänger in Nr. 18 dieses Centralblattes einige analoge Fälle unter 
der Bezeichnung „über myotonisehe Pupillenbewegung“ mit 

So sehr es mich freuen muss, meine Beobachtungen von so oompetenter 
Seite bestätigt zu sehen, so kann ich mir es doch nicht versagen, gegen die 
Berechtigung der von Sänger gewählten Bezeichnung einige Bedenken geltend 
zu machen. 

Der Leser, welcher die Bezeichnung „myotonisehe Pupillenbewegung“ 
findet, wird meines Erachtens an dreierlei verschiedene Möglichkeiten gemahnt 
werden: 1. dass es sich um ein Symptom der Myotonia oongenita handeln 
kann, 2. dass das Leiden mit der THOMSEN’schen Krankheit im Grunde nichts 
zu thun hat und dass nur die äussere Aehnlichkeit mit einem Symptom der 
Myotonie bezeichnet werden soll, 3. dass die gleiche anatomische Grundlage zu 
finden ist wie bei Thomsen’s Krankheit 

Sehen wir in Kürze zu, wie weit die beobachteten Thatsachen diesen drei 
Annahmen oder auch nur einer von ihnen gerecht werden. 

1. Auch wir wurden durch den eigenartig trägen Ablauf der Pupillen¬ 
bewegung an das gut charakterisirte Bild der Myotonie erinnert und haben 
deshalb genau nach anderen Zeichen dieser Krankheit geforscht Es war aber 
auch nicht ein hierher gehöriges Symptom, einschliesslich der Erblichkeitsver¬ 
hältnisse, zu entdecken. Im Besonderen bemerken wir, dass die Zunge auf 
Beklopfen keine Dellenbildung erkennen liess, ein Zeichen, das bei Myotonie 
besonders gut ausgeprägt ist und unter Umständen auch bei Tetanie (wie Beob¬ 
achtungen der Bonner medicinischen Klinik bewiesen) gefunden wird. Ferner 
sollen bei Myotonie die Augenmuskeln Oberhaupt nur ausnahmsweise befallen 
sein, während es sich hier bloss um diese handelt 2. Auch der Ablauf der 
Pupillenbewegung, für sich allein betrachtet, stimmt nur theilweise mit den 
Muskelphänomenen der THOMssN’schen Krankheit überein. Gemeinsam ist 
beiden offenbar der langsame Ablauf der Zusammenziehung und die von Sänger 
beschriebene Nachdauer der Contraotion. Dagegen ist das für Myotonie sehr 
charakteristische und stets zu beobachtende Nachlassen bezw. Aufhören der 
Steifigkeit nach mehrfachen Bewegungen der betreffenden Muskeln bei der von 
uns beobachteten Pupillenreaction höchstens in sehr bescheidenem Maasse zu 
verzeichnen. Ich habe häufig nacheinander, mit der Uhr in der Hand, die Dauer 
der Accommodationsverengerung und Accommodationserweiterung beobachtet und 
schliesslich in meinem Bericht bemerkt, dass danach der Ablauf der Reaction 
etwas schneller zu erfolgen scheint Das ist aber auch alles. Von einem so 
auffälligen Wechsel wie es bei Myotonie regelmässig zu finden ist (u. a. auch 
in einem von uns beobachteten Fall), konnte gar nicht die Bede sein. 3. Be¬ 
züglich der anatomischen Grundlage ist Sänger geneigt, den Sitz in der Iris 
selbst zu suchen und dies hat ihn offenbar wesentlich mit veranlasst, den 
Namen „myotonisehe Pupillenbewegung“ zu wählen. Herr Dr. Sänger fand 
vermittelst des Hornhautmikroskopes bei lichtstarren Pupillen häufig Rare- 
ficirungen des Irisgewebes, und das war auch bei seinem Fall von träger 
Reaction zu beobachten. Nun muss man aber sagen, dass gerade bei Myotonie 


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die anatomischen Verhältnisse auf das Gegenthedl, ein Hypervofauaen der Muskels, 
hin weisen und nur in späteren Stadien und an einseinen Muskeln Sohwtmd der 
Substanz zu sehen ist Des Weiteren beweist Verdünnung eines Muskels auch 
nicht, dass es sich um ein idiopathisches Muskelleiden handelt 

Ich komme nach alledem zu dem Schluss, dass der Name „myotoniech* 
Pupillenbewegung“ im klinischen Sinne nur zum Theil berechtigt ist und dass 
er anatomisch zur Zeit noch nicht gestützt werden kann. Unter diesen Um¬ 
ständen erlaube ich mir den Vorschlag, bis auf Weiteres die Bezeichnung 
„Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz“ zu acceptiren, die, wenn 
auch umständlich, nur den beobachteten Thatsachen gerecht zu werden sucht 
ohne Weiteres präjudioiren zu wollen. 


[Aas dem städtischen Krankenhaus« in Wanchau-Pragiu (Abtheilung ffir Nervenkranke 

ron Dr. J. Put*.)] 

3. Die paradoxe Pupillenreaction 
und eigene Beobachtung von Verengerung der Papillen 
bei Beschattung der Augen. 

Von Dr. J. Pilts. 

(Schloss.) 

Meine eigene Beobachtung betrifft einen Fall von wahrer Lichtreaction bexw. 
Dunkeireaction der Pupillen, welche darin besteht, dass die Beschattung 
eines Auges jedes Mal eine sehr ausgiebige Pupillenverengerung 
zur Folge hat Es kommt dabei nicht nur zur directen PupiUenverengerung 
des beschatteten Auges, sondern auch zur ausgiebigen, schon von Weitem be¬ 
merkbaren consensuellen PupiUenverengerung des anderen Auges. 

39jähriger A. W. leidet an Atrophia nervornm opticorum. 

Anamnese: Der Vater des Patienten litt an Asthma, die Matter leidet an 
chronischem Magencatarrh, die Schwester an einem Herzfehler. Mit 18 Jahren 
aoquirirte Patient die Syphilis: das Geschwür wurde seiner Zeit mit Höllenstein 
aasgebrannt and mit Carbolsäare aasgewaschen. Eruptionen hat Patient später 
nie gehabt. Vom 23. Lebensjahr, als GehtLlfe in einer Weinhandlang, trank 
Patient ziemlich viel Wein. Von 1897 bis 1899 als Bäcker hat Patient täglich 
bis 8 Gläschen Schnaps getrunken. Im Herbst 1899 begann seine gegenwärtig« 
Krankheit mit einer Abnahme der Sehkraft auf dem linken Auge; zuweilen des 
Morgens erschien ihm alles wie mit einem Schleier bedeckt. 6 Wochen später 
zeigte sich dasselbe am rechten Ange. Gleichzeitig mit der Aogenerkrmnkong 
litt Patient damals während etwa 4 Wochen an heftigen, plötalich einsetmndea, 
zusammenziehenden oder bohrenden Sohmerzen in den Waden and in den Fingen 
der Hände. Im Mai 1900 wurde Patient in das Warschauer Kindlein-Jeso- 
Krankenhaus aufgenommen. Patient erinnert sich, unmittelbar vor seinem Eintritt 
ins Spital zwei heftige AnfaUe von Kopfschwindel mit starkem Ohrensausen gehabt 
zu haben. Im Spital bekam Patient während 10 Monaten Jodkali dargereicht 
and maohte eine Schmierkur (80 Einreibungen ä 4 g) durch. Am 19. Mai 1901 
kam er auf meine Abtheilung. 


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Status praesens: Patient ist gut gebaut und wohlgenährt Von Seiten 
der inneren Organe bietet er nichts Besonderes dar. Er klagt über zeitweise 
auftretende Schmerzen im Hinterhaupt und im linken Knie. Letzten Herbst klagte 
Patient während einer Woche lang über Schmerzen in der Tiefe der Augenhöhlen. 
Irgend welche Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen fehlen. Das Stehen auf einem 
Fusse ist etwas unsicher. Sehnen*, Periost- und Bioepsreflexe der Arme sind 
normal, Tricepsreflexe sind beiderseits leicht gesteigert, Bauoh- und Cremaster- 
reflexe sind normal. Aohillessehnenreflexe sind ebenfalls normal, die Patellaiv 
sehnenreflexe sind eher leicht gesteigert, der Babotbki ’sche Reflex fehlt. Die 
ophthalmoskopische Untersuchung des Augenhintergrundes und der Sehschärfe 
wurde gütigst ausgeführt von Hrn. Dr. Bhtn, Augenarzt am Ambulatorium unseres 
Krankenhauses. Im Centrum der rechten Hornhaut fand sich eine grauweisse 
runde Trübung von 2 mm Durchmesser; die Opticuspapille ist rund, scharf ab¬ 
gegrenzt, von kreideweisser Farbe mit leioht grauem Schimmer; die Arterien 
sind verengt Im Centrum der linken Cornea befindet sich eine leichte runde 
Trübung von 1 mm Durchmesser. Der linke Augenhintergrund zeigt dieselben 
Verhältnisse wie der rechte. Patient ist blind, Visus oculi dextri = l/OO, Visus 
oc. sin.: Wahrnehmung der Handbewegungen in einer Entfernung von i j i m ist 
erhalten. 

Folgende interessante Beobachtung hat Patient an sioh selbst gemacht: Bei 
bewölktem Himmel sehe er besser als bei hellem Sonnenschein. Beim Mondschein 
z. B. orientire er sich beim Spazierengehen im Hof auf dem Fusspfade viel besser 
als am Tage beim grellen Sonnenschein (Nyctalopie). Darauf werde ich übrigens 
noch einmal zurückkommen. 

Die Augenspalten sind weit geöffnet, so dass man den Eindruck hat, als ob 
ein geringer Grad von Exophthalmus bestände. Es ist auch ein leichter Grad 
von Strabismus divergens vorhanden und eine Insuffioienz der Interni, indem das 
Canvergiren, z. B. beim Versuch die Augäpfel auf die Nasenspitze zu richten, 
unmöglich ist. Es bestehen keine Augenmuskellähmungen, die Augen sind in 
allen Richtungen frei beweglich. 

Bei blosser Betrachtung bemerkt man ein leichtes Oscilliren der Pupillen, 
welches jedoch den Rahmen des Physiologischen nicht überschreitet, so dass man 
diese Oscillationen nicht als Erscheinungen des Hippus bezeichnen kann. Beide 
Pupillen sind erweitert (Mydriasis). Bei mässiger Beleuchtung des Versuchs¬ 
zimmers ist die linke Pupille weiter als die rechte (Anisokorie). 

Patient hält in der Hand, in einer Entfernung von 20 cm vom Gesicht, einen 
Bleistift Er wird nun aufgefordert, ein Mal auf den Bleistift, das andere Mal 
auf die Wand seine Augen zu richten. Im ersten Falle tritt eine sehr geringe 
Verengerung (etwa um 1 mm), im anderen eine geringe Erweiterung der Pupillen 
(etwa um 1 mm) ein, dabei reagirt die linke Pupille besser als die rechte. Somit 
ist die Convergenz- und Accommodationsreaction nicht gänzlich er- 
losohen, aber nur spurweise angedeutet 

Beim Kneipen oder Stechen der Wange oder der Haut am Halse mit einer 
Nadel tritt jedes Mal eine deutlich sichtbare Erhebung der Oberlider ein, welche 
von einer nachträglichen geringen, aber zweifellosen Pupillenerweiterung begleitet 
wird (Claude Bernard), d. h. die „sympathische Pupillenreaction“ ist 
in unserem Falle vorhanden. Dagegen beim Annähern bis auf 3 cm vom Auge 
eines rothgeglühten Stück Eisens wurde keine Pupillenveränderung wahrgenommen. 
Auch bei plötzlichem Entfernen des eine Zeit lang in der Nähe des Gesichts ge¬ 
haltenen heissen Eisens konnte keine Pupillenveränderung, eventuell eine Ver¬ 
engerung, weder links noch rechts, constatirt werden, trotzdem das Eisen so heiss 
war, dass das Auge des Patienten während des Experiments roth wurde und ganz 
mit Thränen überfloss. 


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Nach energischem Schliessen beider Augen erscheinen die vor dem Angea- 
Schluss weit gewesenen Papillen im Moment des Wiederöffnens verengert and 
kehren erst allmählich zur früheren Weite wieder zurück. 

Beim Auseinanderhalten der Augenlider des rechten Auge« mit den Fingen 
sieht man bei intendirtem Angenschluss Folgendes: der rechte Bnlbos weicht ean 
wenig nach unten und seitwärts ab und dabei verengert sich seine Pupille ein 
wenig; bei der Aufforderung, die Augen ganz kräftig zu schlieesen, weicht 
schliesslich der rechte Bulbus nach oben and seitwärts ab, wobei sich die Papille 
sehr deutlich verengert. 1 Beim Nachlassen des Angenschliessens kehrt der Bulbus 
in die Geradstellung wieder zurück; dabei bleibt die Papille etwa 1 — 3 Secunden 
verengert, um sich dann wieder ziemlich rasch zu erweitern. Am linken Auge 
wird dasselbe constatirt. Nur in diesem Moment, wo die linke Pupille unter 
dem Oberlid hervortritt, wird eine nochmalige minimale Verengerung constatirt 
(in Folge des hineinfallenden Lichtes), welche erst dann in eine Erweiterung 
übergeht. 

Bei der blossen Vorstellung einer grossen elektrischen Strassenlampe (welche 
dem Patienten noch von früher her gut in Erinnerung geblieben ist) tritt fast 
regelmässig eine sehr schwer wahrnehmbare minimale, aber zweifellose Verengerung 
der Pupillen ein. Bei der blossen Vorstellung eines schwarzen Papiers, schwarzer 
Oelfarbe oder der Dunkelheit im Walde Nachts, erweitern sich die Papillen ein 
klein wenig (Vorstellungsreflex der Pupillen*). Abgesehen von diesen 
zwei Arten der Gedankenvorstellungen, bei welchen Schwankungen in der Pupillen- 
weite constatirt wurden, ist Patient nicht im Stande willkürlich seine Pupillen 
zu verengern oder zu erweitern. 

Die Untersuchung des Lichtreflexes geschah jedes Mal bei folgender Versuche- 
anordnung: Patient sass ganz ruhig, seine Augenlider wie auch die Bulbi selbst 
waren während der Untersuchung vollkommen unbeweglich. Die Lichtquelle stand 
etwas nach vorn und zur Seite vom Patienten. Zwischen dem Gesichte des 
Patienten und der Lichtquelle wurde eine mit Eiswasser gefüllte 5 Liter-Flasche 
placirt, welche die Wärmestrahlen der Lichtquelle zurückhielt. Das Auge wurde 
mit Hülfe einer gewöhnlichen Lupe beleuchtet, die sich in einer Entfernung von 
10 cm vom Auge befand. Und nun durch das Hin* und Herbewegen eines kleinen 
schwarzen Schirmes, welcher unmittelbar hinter der Lupe (d. h. zwischen Lupe 
und Flasche) sich befand, wurde nur das zu untersuchende Auge entweder be¬ 
leuchtet oder beschattet; die Beleuchtungsbedingungen des anderen Auges blieben 
dabei jedes Mal unverändert. Bei solcher genauen Prüfung des Lichtreflexes zeigte 
sich nun Folgendes: 

1. directe Lichtreaction; a) links: bei plötzlicher Beleuchtung des linken 
Auges (Wegnahme des Schirmes 1) keine Eeaction der linken Pupille. Bei plöta- 
lloher Beschattung des linken Auges tritt jedes Mal eine minimale 
rasoh vorübergehende, aber zweifellose Verengerung der linken Pupilla 
ein; b) rechts: bei plötzlicher Beleuchtung des rechten Anges eine deutliche 
geringe und rasch vorübergehende Verengerung der rechten Pupille. Bai plötz¬ 
licher Beschattung des rechten Auges — deutliche, sehr ausgiebige Ver¬ 
engerung der reohten Pupille (ohne vorhergehende Erweiterung I). 

2. Consensnelle Lichtreaction; a) links: bei plötzlicher Beleuchtung 
des rechten Auges keine Beaction der linken Pupille; dagegen bei plötallchsr 
Beschattung des reohten Auges deutliche Verengerung der linken Papilla; 


1 Das von Grarpb, Gifford, A. Wkstphal, mir and von Antal, Kcbohnib, W. C. Rom, 
Frank*. Schanz and Charles Vidal beschriebene Papillenphinomen. 

* J. Piltz, Nearolog. Centralbl. 1899. Nr. 16 (and Nr. 1 n. 11). 


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b) rechts: bei plötzlicher Beleuchtung des linken Auges eine geringe, rasch 
vorübergehende Verengerung der rechten Pupille. Bei plötzlicher Beschattung 
des linken Auges tritt jedes Mal eine sehr deutliche, sehr ausgiebige, 
rasch eintretende, schon von Weitem sichtbare Verengerung der rechten 
Pupille ein (von 8 mm bis auf 3 mm Durchmesser!). 

Neu, auffallend und unbegreiflich ist also dies, dass eine (die linke) Pupille, 
die jedes Mal bei Lichteinfall sich sehr schwach contrahirt, hei der Beschattung 
auch eine sehr starke Verengerung zeigt. 

Ausserdem möchte ich ganz besonders noch auf eine sehr auffallende Er¬ 
scheinung bei meinem Patienten aufmerksam machen. 

Wenn sein linkes Auge in oben angeführter Weise beleuchtet ist und man 
dasselbe auf einmal plötzlich in einer für den Patienten unbekannten Weise rasch 
beschattet, giebt Patient an, dass er dabei jedes Mal eine Empfindung von 
plötzlich erscheinender Helligkeit habe, er nimmt dabei einen Glanz wahr. Wenn 
man dagegen das beschattete linke Auge auf einmal plötzlich dem Lichte aus¬ 
setzt, empfindet der Patient keinen merklichen Unterschied. Der Patient ist so 
intelligent, dass diese Angaben durchaus keinem Zweifel unterliegen. Um Irrthum 
womöglich auszuschliessen, habe ich dem Patienten z. B. angegeben, dass wir den 
Zustand des Beschattetseins des Auges mit 1 und den Zustand bei Beleuchtung 
des Auges mit 2 bezeichnen wollen und habe dann in einer für den Patienten 
unbekannten Weise das Auge entweder beleuchtet oder beschattet und umgekehrt. 
Dabei stimmten aber die Angaben jedes Mal überein: jedes Mal erregte die Be¬ 
schattung des Auges bei unserem Patienten eine Empfindung der Helligkeit oder 
eines „Glanzes“, dagegen den Uebergang von Beschattung zur Beleuchtung hat 
Patient nie wahrgenommen. 

Alle diese oben angeführten Erscheinungen von Seiten der Pupillen bei 
unserem Patienten habe ich unzählige Male wiederholt und immer mit gleichem 
Erfolg. 

Ausserdem hat Herr Dr. Krambtyk, Specialarzt für Augenkrankheiten, die 
Güte gehabt alle diese von mir angegebenen Beobachtungen nachzuprüfen und 
hat sie in allen Details vollkommen bestätigt. 

Bei der Prüfung des Lichtreflexes wurde selbstverständlich darauf geachtet, 
ob nicht bei der Beschattung des Auges irgendwelche Bulbusbewegungen, z. B. 
Convergenzbewegungen, erfolgten, welche die dabei eintretende Verengerung der 
Pupillen erklären würden. Die Bulbi blieben dabei aber ganz unbeweglich. 

Da der Versuch mit dem Annähem eines zur Glühhitze erhitztem Stück 
Eisens negativ ausfiel und die plötzliche Entfernung desselben keine Pupillen¬ 
veränderungen nach sich zog, und da durch die Einführung der Flasche mit 
dem Eiswasser die Wirkung der Wärmestrahlen bei der Prüfung des Liohtreflexes 
vollkommen ausgeschlossen wurde, bleibt nur die einzige Möglichkeit übrig, dass 
die bei der Beschattung eintretende Verengerung der Pupille von der plötzlichen 
Abnahme der Stärke des Lichtreizes auf die Retina bezw. auf den N. opticus 
abhängig sei. Dementsprechend ist auch die Grösse der Verengerung bei der 
Beschattung des Auges abhängig von der Stärke der Belichtung der Augen. 
Bei gewöhnlicher Tagesbeleuohtung ist die Verengerung bei Beschattung des 
Auges sehr gering, dagegen ist sie sehr ausgiebig und sehr deutlich, wenn die 
Augen, z. B. im Dunkelzimmer, von einem intensiven künstlichen Lichte be- 

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leuchtet werden. Je stärker das Auge beleuchtet ist, desto ausgiebiger ist dann 
die Verengerung der Pupille bei plötzlicher Beseitigung dieser Belichtung. 

Daraus ergiebt sich also weiter, dass die betreffende Verengerung der 
Pupille im Wesentlichen eigentlich nicht yon der Beschattung, sondern yon der 
Belichtung, welcher die Augen yor der Beschattung ausgesetzt sind, abhängt 
Wenn bei gewöhnlicher Tagesbeleuchtung das linke Auge zugedeckt wird, sehen 
wir nur eine sehr geringe Verengerung der rechten Pupille; wenn aber die 
Augen im Dunkelzimmer yon einer starken Lampe beleuchtet werden, und wir 
jetzt das linke Auge beschatten, dann tritt eine sehr deutliche Verengerung 
auch der rechten Pupille ein. Also die Entfernung eines sehr starken Licht¬ 
reizes hat eine Verengerung der Pupille zur Folge! 

Wie könnten wir uns diese scheinbar paradoxe Erscheinung erklären? In 
der Natur giebt es ja, wie wir wissen, überhaupt nichts Paradoxes. Wie die 
kritische Besprechung der bisher beschriebenen Fälle yon sogenannter paradoxer 
Lichtreaction der Pupillen gezeigt hat, wurden ganz andere, von den Forschern 
unbeachtete, und gar nicht paradoxe Erscheinungen unrichtigerweise für um¬ 
gekehrte Lichtreaction gehalten. 

Vielleicht ist auch in unserem Fall die bei der Beschattung eintreteude 
Pupillenverengerung ganz einfach von einem Moment abhängig, welches wir 
noch nicht kennen und das wir übersehen haben, welches aber zu gleicher Zeit 
während der Beschattung des Auges (bezw. während der Unterbrechung des 
intensiven Lichtreizes) zur Geltung kommt 

Wenn dies nicht der Fall sein sollte, werden wir vielleicht annehmen 
müssen, dass geradeso wie bei der Entartung der Nerven und der Muskeln die 
elektrische Beizung eventuell ein umgekehrtes Resultat liefert, auch in unserm 
Fall der Zustand der Atrophie der Sehnerven ein derartiger ist, dass ein plötz¬ 
licher Lichtreiz eine ganz geringe Papillenverengerung zur Folge hat, dagegen 
dass die plötzliche Beseitigung eines starken Lichtreizes eine ausgiebige und 
rasche Pupillenverengerung nach sich zieht 

Darüber, welche Erscheinungen fälschlicherweise für paradoxe Lichtreaction 
gehalten werden können, kann ioh auf Grund der Uebersicht der diesbezüglichen 
Litteratur sowie auf Grund eigener Erfahrung Folgendes sagen: 

Bei starker Photophobie kann unter dem Einfluss eines intensiven Licht¬ 
einfalles eine Störung der Acoommodation beobachtet werden, die von einer mit 
ihr associirten Pupillenerweiterung begleitet wird (Läpine); oder es kommt dabei 
zu einer sehr rasch eintretenden Abnahme der Empfänglichkeit der Retina, die 
von einer Dilatation begleitet wird; so erklärt Dr. Kbamstyk die von Lftpun 
in seinem Fall beobachtete Pupillenerweiterung. 

Die Convergenz-, Divergenz- und Acoommodationsreaction der Pupillen kann, 
wie F kenkel und Hibschl gezeigt haben, eine paradoxe Lichtreaction Vortäuschen. 
Es giebt nämlich Fälle von Insuffioienz der Interni, in welchen es bei An¬ 
näherung einer Lichtquelle zuweilen zur Erlahmung eines Adductore kommt, 
wodurch eine Abduction des Bulbus eintritt, welche schliesslioh von einer 
Divergenzerweiterung der Papille begleitet wird. 


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Die Erscheinungen des Hippus können ausnahmsweise die paradoxe Licht- 
reaotion der Papillen Vortäuschen. 

In einigen Beobachtungen von sogenannter paradoxer Lichtreaction der 
Pupillen hat es sich um eine Papillenerweiterung gehandelt, die durch die 
Wirkung der Wärme der Lichtquelle bedingt war, wie das von Hibsohl gezeigt 
wurde. Auch Monnby hat diese Möglichkeit schon früher angenommen. Jetzt 
wissen wir, dass, wenn bei lichtstarren Papillen die Annäherung einer Licht¬ 
quelle eine Pupillenerweiterung hervorruft, diese Dilatation nicht unbedingt eine 
paradoxe Lichtreaotion zu sein braucht. Wenn das nicht eine Divergenz- 
erWeiterung der Papille ist, kann sie einfach die sogenannte „sympathische 
Reaction“ bezw. die Wärmereaction der Papillen darstellen, welche so zu Stande 
kommt, dass die Wärmeetrahlen der Lichtquelle auf die Trigeminusendigungen, 
welche die Gesichtshaut, Conjunctiva, Cornea versorgen, einwirken, und durch 
diese Reizung des Trigeminus eine Dilatation hervorgebracht wird. 

Jedoch die häufigste Fehlerquelle liegt in der Unkenntniss der Orbioularis- 
reaction der Pupillen. Die nach dem Wiederöffnen der Augenlider bemerkte 
Erweiterung der (in Folge des Augeuschliessens verengten) Pupillen, wurde sehr 
häufig, wie wir das gesehen haben, für eine Dilatation, die unter dem Einfluss 
des einfallenden Lichtes eintritt, gehalten. 

Eine ganz besondere Stellung in unserer Classification der Fälle von para¬ 
doxer Pupillenreaction nimmt der v. BsoHTBBBw’sche Fall ein. Die in diesem Fall 
beobachtete Dilatation war ein seoundäres Resultat der Einwirkung des Lichtes. 
Es bestand dort eine sehr grosse Ermüdbarkeit des Spinkterenoentrums. Bei 
schwacher Beleuchtung bemerkte man eine geringe Pupillenverengerung, welche 
bei stärkerem Lichtreiz in eine nachträgliche Pupillenerweiterung überging. 
Dieser Dilatation ging also eine sehr kurze, oft kaum wahrnehmbare Verengerung 
der Papillen voraus. 

In dem Fall von Silex handelte es sich um eine unter dem Einfluss der 
Beleuchtung eintretende Pupillenerweiterung, ohne vorhergehende Verengerung. 

Und schliesslich kommt der heute beschriebene Fall hinzu, in welchem es, 
bei plötzlicher Abnahme der Stärke des Liohtreizes, jedes Mal zu einer sehr 
ausgiebigen Verengerung der Papille kam, ohne vorhergehende Erweiterung. 

Wir können also die Ergebnisse unserer Untersuchungen jetzt in folgender 
Weise kurz zusammenfassen: 

L Es giebt verschiedene Formen von paradoxer Reaction der 
Pupillen, nämlich: 

1. Die paradoxe Accommodationsreaotion der Papillen. Da¬ 
runter verstehen wir einen solohen Zustand der Pupillen, wo eine 
Verengerung der Pupillen eintritt beim Fernsehen und eine Er¬ 
weiterung derselben beim Fixiren eines nahen Gegenstandes, wobei 
die Beleuohtungsbedingungen unverändert bleiben. Diese Erschei¬ 
nung ist von Vysin beobachtet und unter dem Namen der perversen 
Pupillenreaction beschrieben worden. 

«7* 


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2. Die. scheinbar paradoxe Liohtreaction der Pupillen. Diese 
Erscheinung besteht darin, dass in Folge einer Läsion der Iris die 
unter dem Einfluss der Belichtung entstehende Contraotion des 
Sphincter iridis eine Erweiterung der Pupille bezw. des Colobomas 
nach sich zog und so eine paradoxe Lichterweiterung der Papille 
vortäuschte, wie das Bubohabd gezeigt hat. 

3. Die wahre paradoxe Liohtreaction der Pupillen. Darunter 
verstehen wir eine Erweiterung der Pupille unter dem Einfluss des 
Lichtes und eine Verengerung der Pupille unter dem Einfluss der 
Beschattung. Wir wollen hier drei verschiedene Unterabtheilungei 
auseinanderhalten: 1. die Erweiterung der Pupille unter dem Ein¬ 
fluss der Belichtung, ohne vorhergehende Verengerung (Mobsblli, 
Lbitz, Silex), 2. die Erweiterung der Pupille unter dem Einfluss 
des Lichtes, mit unmittelbar vorhergehender Verengerung (v. Bech- 
tebew) und 3. die Verengerung der Pupille bei Beschattung der 
Augen, ohne vorhergehende Erweiterung (Piltz). 

£L Die paradoxe Acoommodationsreaction der Pupillen ist vor¬ 
läufig nur bei functionellen Krankheiten des Centralnervensystems 
beobachtet worden. 

III. Die scheinbar paradoxe Liohtreaction der Pupillen ist nur 
in einem Fall von Irideotomie beobachtet worden. 

IV. Die wahre paradoxe Liohtreaction der Pupillen ist eine sehr 
seltene Erscheinung. Dieselbe kann eventuell vorgetäuscht werden: 
1. durch die Convergenz-, Divergenz- und Aocommodationsreaotion 
der Pupillen, 2. durch Hippus der Pupillen, 3. duroh die Wärme- 
reaction bezw. duroh die „sympathische“ Beaction der Pupillen und 
schliesslich 4. durch die Orbioularisreaotion der Pupillen. 

V. Nach Ausschluss aller heute bekannter Fehlerquellen bleibeu 
uns nur fünf einwandsfreie Beobachtungen der paradoxen Licht- 
reaction der Pupillen übrig, nämlich: der Fall von Mobsblli bei 
Dementia paralytica, der Fall von v. Bechtebbw bei Lues cerebri, 
der Fall von Leitz bei Meningitis tuberculosa, der Fall von Silbx 
bei einem starken Erschöpfungs- und Aufregungszustande trauma¬ 
tischen Ursprungs und mein Fall bei Atrophia nervorum opticorum 
luetica. 

VL Die wahre paradoxe Liohtreaction der Pupillen ist ein 
äusserst seltenes Symptom, welches bis jetzt fast ausnahmsweise 
bei schweren organischen Leiden des Nervensystems beobachtet 
wurde. 


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n. Referate. 


Anatomie. 

1) Nervenfärbungen (Neurokeratin, Marksolieide, Axonoy linder). Bin. 

Beitrag zur Kenntnlss des Nervensystems, von Dr. L. Kaplanf. (Archiv 
f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXV. 1902.) 

Färbt man mit Müller'scher Flüssigkeit behandelte Präparate mit S&ure- 
fucbsin und differenzirt nach Pal, so kann man das Neurokeratingerüst 
darstellen. Geschieht die Färbung an gleichbehandelten Präparaten mit Anthraoen- 
eisengallustinte, so gelingt es an markhaltigen Nervenfasern sowohl die peri- 
fibrilläre Axencylinderkittsubstanz wie an den Einkerbungen und 
Schnürungen die Zwischentrichterkittsubstanz sichtbar zu maohen. 

Eine Beihe interessanter, physiologischer Erwägungen, die Verf. an seine 
Präparate anschliesst, verdienen im Original nachgelesen zu werden. 

G. Ilberg (Grosssohweidnitz). 

2) Ueber die Anwendung des Qalleln zur Färbung des Oentralnerven- 
systems, von Aronson. (Centralbl. f. allgem. Pathol. u. pathoL Anatomie. 
1902. Nr. 13.) 

Verf. macht darauf aufmerksam, dass die von v. Schrötter (Ebenda. 1902.' 
Nr. 8 u. 9) publicirte Färbungsmethode schon 1890 im Centralblatte für medi- 
cinische Wissenschaften vom Verf. angegeben wurde. 

Die Schnitte erwiesen sich noch jetzt tadellos gefärbt. Verf. erinnert nebenbei 
daran, dass er damals in der Pia mater Nervenendkörperchen (ähnlich den 
Meissner’schen) gefunden und beschrieben hat, ferner, dass durch die Gallein¬ 
vorbehandlung sich das basische Methylenblau auf Elemente fixirt, die es für sich 
allein niemals distinct färbt (also Anwendung eines sauren Farbstoffes als Vor¬ 
bereitung füfr eine spätere Färbung mit einem basischen Körper). 

Pilcz (Wien). 


3) Sur le rösoau endooellulatre de Qolgi dans lea öldments nervoux de 
l'dooroe oeröbrale, par S. Soukhanoff. (N6vraxe. IV.) 

Aus seinen ausgedehnten Versuchen, das Golgi’sche intracelluläre Netzwerk 
auf die vorteilhafteste Weise darzustellen, theilt Verf. vorläufig folgenden Vor¬ 
gang mit: Kleine Stückchen der Hirnrinde von 3 —10 Wochen alten Kaninchen 
(welche durch Chloroform getödtet werden) kommen für 6—7 Tage in Veratti’sohe 
Flüssigkeit, sodann für 12 — 14 Stunden in eine Mischung von Kupfersalz und 
Kalibichromat, hierauf für 1 / > —2 Tage in eine l°/ 0 Lösung von Argentum 
ni tri cum. (Weitere Details der Technik sind im Original nachzusehen.) — Bei 
gutgelungenen Präparaten sind die Conturen der Zelle intaot, der pericelluläre 
Kaum nicht sichtbar, der Zellkörper gelblich homogen. Im Inneren des Zell¬ 
körpers ist das Golgi’sche intracelluläre Netz klar sichtbar; der vom Netzwerk 
erfüllte Theil des Zellkörpers ist von einem helleren protoplasmatischen Streifen 
umgeben, was für die endocelluläre Natur des Netzwerkes spricht. Das Netz 
erreicht nie den Rand des Zellkörpers, und erfüllt auoh nie den Raum des Zell¬ 
kernes; dieses Netzwerk ist in Spinalganglienzellen dichter als in den Cortioal- 
zellen. Die Form des Netzwerkes entspricht meist der Form der Nervenzelle; in 
den Nervenzellen der Hirnrinde ist das Netzwerk so einfach, dass es kaum Netz 


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genannt werden kann; einzelne, mitunter an oh 2—3 parallel verlaufende Aue* 
lftufer des Netzwerkes gehen in Protoplasmafortsätze über. Das Netzwerk b es t e ht 
aus verschiedenen dünnen Fäden, deren Ränder mitunter scharf, mitunter ungleich¬ 
mäßig, stellenweise verdickt erscheinen. In einzelnen Nervenzellen ist das Netz¬ 
werk nur theilweise imprägnirt, auch zeigen hier die Nervenzellen eines Präparates 
verschiedene Grade, einzelne zeigen nur das imprägnirte Netzwerk, andere sind 
ganz schwarz; die letzteren erscheinen bedeutend grösser als die Ausdehnung eines 
benachbarten Netzes, worin Verf. einen neuen Beweis für die endocelluläre Natur 
des Netzwerkes sieht. — lieber die Natur und das 'Wesen dieses Netzwerkes 
bildet sich Verf. nooh keine definitive Meinung, glaubt jedoch, dass dasselbe mR 
den intracellulären Canälchen identisch sein könnte. 

Hudovernig (Budapest). 


Experimentelle Physiologie. 

4) lieber die Wirkung gleichzeitig auf den Geist einwirkender homogener 
und heterogener Beize, mit Rüoksioht auf die Entstehung der Illusionen, 

von P. Ranschburg. (Orvosi Hetilap. 1902. Nr. 37 u. 88. [Ungarisch.]) 

Mehrere gleichzeitig oder in rascher Folge auf unsere Sinne ein wirkende 
Reize beeinträchtigen die Apperception derselben; derartige Apperceptionsirrthümer 
entstehen entweder durch Vermengung der einwirkenden Elemente oder durch 
Verfälschung mit bereits vorhandenen Erinnerungsbildern. Um die Gesetzmässig¬ 
keit dieser Fehlerillusionen nachzuweisen, bediente sich Verf. seines (in der Monats¬ 
schrift f. Psych. u. Neurol. X geschilderten) Apparates zur Untersuchung des 
Gedächtnisses; als Reize waren optische gewählt, und zwar sechsstellige Zahlen, 
deren jede x /s Secunde dem Auge exponirt war; 1—4stellige Zahlen werden 
leicht und simultan aufgefasst, doch sechsstellige stets durch einen zusammen¬ 
gesetzten, successiven Process. Bei sechsstelligen Zahlen beziehen sich die Apper- 
ceptionsfehler in üher 90 °/ 0 der Fälle auf die 4. und 5. Ziffer, und geschehen 
a) entweder anf Grund der Aehnlichkeit, z. B. 8 mit 6 oder 3 verwechselt oder 
h) tritt eine benachbarte Zahl an die Stelle der mangelhaft aufgefaesten („Irra¬ 
diation“) oder c) durch Verwechslung der Reihenfolge. Im Laufe seiner Unter¬ 
suchungen fand Verf., dass aus verschiedenen (heterogenen) Ziffern bestehende 
Zahlen leichter appercipirt werden als solche, welche aus ähnlichen (homogenen) 
Elementen bestehen. Verf. folgert hieraus: gleichzeitig zur ApperceptioD strebende 
homogene Reize wirken gegenseitig hemmend, während heterogene Reize die 
Apperoeption erleichtern. 

Zur weiteren Untersuchung construirte Verf „immune“, d. h. aus heterogenen 
Elementen bestehende Zifferntafeln, und „belastete“, d. h. solche, welche aus homo¬ 
genen Elementen bestehen. Die Versuche wurden an denselben Individuen an¬ 
gestellt; als Fehler traten auf a) Transformationen, d. i. Verwechslung ähnlicher 
Elemente, b) Permutationen, d. i. Verwechslung der Reihenfolge, c) Auslassungen; 
als eigentliche Fehler kommen nur die sub a) und c) genannten in Betracht, und 
bildeten bei den immunen Tafeln 9,2°/ 0 , bei den belasteten 61,4 °/ 0 . (Näheres 
vide Original bezw. demnächst in Zeitschr. f. Physiol. der Sinnesorgane.) 

Hudovernig (Budapest). 

5) Farbiges Hören, von Docent Dr. Chalupeck^. (Öasop. öes. 16k. S. 465.) 

Ein junges intelligentes Mädchen hat eine „farbige“ Vorstellung für jeden Laut, 
für jeden Ton der Seals, für einzelne Wochentage, Ziffern, Glockentöne u. ähnL 

Nach einer literarischen Uebersicht spricht sich Verf. für die Annahme aus, 


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es handle sich hier um eine angeborene Hyperästhesie der Grosshirnrinde und 
das Syndrom sei zu den Störungen der Assooiation zu zählen. 

Pein kl (Prag). 


0) Arione dei lobi prefrontali sugli soambi organloi. Analogie ool ri- 
oaxnbio nella pazsia morale, pel Dr. 0. Modioa e Dr. E. Audenino 
(Archivio di peichiatria. XXII. 1901.) 

Vorläufige Mittheilung über die Ergebnisse der Stoffwechseluntersnchungen 
bei 7 jungen ausgewachsenen Kaninchen und Hunden, welchen unter Schonung 
der Seitenventrikel und der Riechlappen die graue Substanz des Frontallappen 
abgetragen worden war. Die Analysen wurden nach vollständiger Heilung auf¬ 
genommen, in mehrtägigen Perioden 1 — 2 Monate lang durchgeführt und er¬ 
streckten sich auf die Zufuhr, den Urin und die Faeces. Resultate: 1. Verminde¬ 
rung der StickBtoffausscheidung durch den Urin, 2. Verminderung aller Phosphate, 
3. Verminderung (bis zum vollständigen Verschwinden zuweilen in der letzten 
Zeit) der Erdphosphate. — Die Ergebnisse ad 3 und theilweise ad 2 hatten die 
Verff. auch im 24 Stunden-Urin von 10 (unter 11) erwachsenen moralisch 
Irren zu verzeichnen. Schmidt (Freiburg i/Schl.). 


7) Ueber das Verhalten der Blutgefässe Im Gebiet durohsohnittener vaso¬ 
motorischer Nerven, von Prof. Dr. L. Jores. (Beiträge zur pathol. Anat. 

u. zur allg. Patholog. XXXII. 1902.) 

Die Arbeit des Verf.’s liefert einen werthvollen experimentellen Beitrag zur 
Beantwortung der Frage, ob Gefässveränderungen als Folge von Nervenläsionen, 
speoiell nach Durchschneidung der zugehörigen vasomotorischen Nerven auftreten 
können. Er ging in der Weise zu Werke, dass er den Halssympathicus auf 
einer Seite an 8 Kaninchen durchtrennte. Die Operationswunde heilte reaotionslos, 
die Thiere zeigten nie eine Störung ihres Wohlbefindens. Gleich nach der Ope¬ 
ration machte sich eine Gefässerweiterung an der Ohrmuschel der operirten Seite 
bemerkbar, kenntlich an der Röthung des Ohres und an erhöhter Temperatur 
desselben. Diese Erscheinung liess bei der Mehrzahl der Thiere nach einigen 
Tagen nach; hei einem Kaninchen aber blieb die diffuse Röthung, ein starkes 
Hervortreten der Gefässe und Temperaturerhöhung 4*/ a Monate bestehen. Bei 
allen Thieren aber konnte während ihres Lebens eine leichte vasomotorische Er¬ 
regbarkeit nachgewiesen werden; insofern als die ursprüngliche Hyperämie durch 
Reiben des Ohres leicht wieder hervorgerufen wurde. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung der Ohrgefässe dieser Thiere ergab den constanten Befund, dass die 
Intima sich durchaus normal verhielt; nirgends waren auch nur Spuren 
eines endarteriitischen Processes nachweisbar. Die Befunde des Autors stehen 
hierin im Widerspruch mit den Angaben von Thoma, Lapinsky u. A. Da¬ 
gegen konnte durch genaue Messung festgestellt werden eine Erweiterung der 
Gefässlumina und eine hypertrophische Verdickung der Muscularis. (Ref. möchte 
bemerken, dass eine einfache Durchschneidung des Halssympathicus zur Erzeugung 
der fraglichen Intimawucherung vielleicht nioht genügt, weil die durchtrennten 
Nervenfasern einer raschen Regeneration fähig sind. Möglicherweise würde die 
Resection einer längeren Nervenstrecke zu anderen Resultaten geführt haben.) 

Max Bielschowsky (Berlin). 


8) Observation*, ohiefly by fche degeneration method, on possible efferent 
fibres in the dorsal nerve-roots of the toad and frog, by H. H. Dale. 
(Journal of Physiology. XXVH. S. 360.) 

Steinach glaubte bekanntlich, eine Abweichung von dem Bell’schen Gesetz 


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in der Beobachtung gefunden zu haben, dass man bei Beizung des peripheren 
Stumpfes der durchschnittenen hinteren Wurzeln Bewegungen einiger Organe 
(Blase, Rectum ext,) her vorrufen kann. Verf. stellte sich die Aufgabe, diese An¬ 
gabe dadurch zu controlliren, dass er die peripherischen Enden durchschnittener 
hinterer Wurzeln auf Wall er'sehe Degenerationsersoheinungen untersuchte. — 
Da nun solche in keinem einzigen Falle mit Sicherheit nachweisbar waren und 
auch entsprechende Reizungsversuche (nach Steinach) negative Ergebnisse 
zeitigten, so spricht sich Verf. gegen die von Steinach behauptete Abweichung 
vom Bell-Magendie’schen Gesetze aus. W. Gonnstein (Berlin). 


Pathologische Anatomie. 

9) I. La struotore et le fonotionnement da Systeme nerveax d’un anenod- 
phale. — II. De la oonstitution de la rötine en l’absenoe congenitale du 
oerveau. (Comptes rend. de l’Academ. des Sciences. 1901. 8. u. 29. Juli.) 
— in. Conaidörations pathologiques a propos d’un oas de monstre anen- 
cephale, par Vaschide et Vurpas. (Arch. de möd. expör. 1902. Ifai.) 

Die drei Arbeiten behandeln denselben Fall, einen Anencephalus, der eine 
längere Lebensdauer erreichte. Die genaue mikroskopische Untersuchung fährt« 
zu dem Nachweise, dass es sioh dabei nicht um eine Hemmungsmissbildung, 
sondern um die Reste einer lebhaften Entzünd un g handelte, in Folge einer In- 
fection, deren Entstehung und genauere Natur allerdings nioht mehr nachzuweisen 
war. Diese Entzündung hatte das ganze Centralnervensystem betroffen, zerstörend 
aber nur auf den obersten Abschnitt desselben gewirkt. Der Umstand, dass auf 
beiden Augen die Retina vollkommen normale Ausbildung zeigte, spricht im selben 
Sinne, d. h. für eine Zerstörung, die das Gehirn in einem schon vorgeschrittenen 
Stadium seiner Entwickelung erlitten hatte, mit anderen Worten, es lag kein 
teratologisches, sondern ein pathologisches Product vor; Verflf. glauben, dass es 
sich in der Mehrzahl aller ähnlicher Missgeburten um das gleiche handelt. — 
Bemerkenswerth ist, dass trotz der Degeneration der Nervenzellen in allen Höhen 
des Centralnervensystems, auch in den makroskopisch erhaltenen Theilen, die 
vorderen und hinteren Wurzeln kaum eine Veränderung gegen die Norm aaf- 
wiesen, die Fasern innerhalb der grauen Substanz ebenfalls in normaler Ausbildung 
erschienen, desgleichen das Muskelsystem, das einer ganzen Reihe sensitiv-moto¬ 
rischer Reactionen fähig war. Die letzteren gingen hier also ohne Vermittelung 
von Ganglienzellen von statten. Ausser den Pyramidenbahnen fehlten vollständig 
die Oliven, die Nebenoliven, die Corpp. restiformia und die Fibrae arcifonnes, 
8ämmtlich in Folge der Zerstörung des Kleinhirns. H. Haenel (Dresden). 


10) Ueber das Vorkommen lateraler Forchen am Rückenmarks bei Por- 
enoephalie, von Prof. R. Paltauf. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr.42.) 

An dem Rückenmarke eines Falles von Porencephalie fand Verf. im oberen 
Halsmarke beiderseits zwischen den seitlichen Hörnern und der Spitze der Hinter¬ 
hörner eine 2 mm tiefe, senkrecht auf die Oberfläche gestellte Furche, welche 
scharf begrenzt und von der Pia überbrückt war. Die Furche ist umsäumt von 
einer Zone intensiv gefärbter Nervenfaserquerschnitte. An diese Schicht schliezst 
Bich im hinteren Antheile des Seitenstranges ein dreieckiges bis zum Hinterhorn, 
aber nicht bis zur Peripherie reichendes Feld, welches heller ist, nur feinste 
Fasern und vermehrtes Gliagewebe enthält. 

Die Furchen werden nach unten hin immer seichter und sind im Brust- 
marke auf je eine zwisohen Seitenstrang und Spitze des Hinterholms gelegene 


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reducirt, an die sich längs des Hinterhorns ein lichtes, streifiges Degenerationsfeld 
anschliesst. 

Die Erklärung des Befundes liegt nach Verf. in der Agenesie der Pyramiden- 
bahn; „während die ihr peripher anliegende directe Kleinhirnseitenstrangbahn zur 
yollständigen Entwickelung gekommen war, und mit ihrem Wachsthume eine viel 
grössere Peripherie einnahm, als bei der mangelhaft entwickelten und sich rück¬ 
bilden den, ihr anliegenden Pyramidenseitenstrangbahn zur Verfügung stand, so 
senkte die erstere sich ein; durch Bildung einer Furche wurde Baum für die 
nothwendige Oberflächenausdehnung geboten/ 

Dafür spricht auch die mit der Abnahme der Pyramidenseiten- und Pyra- 
midenhinterstränge Hand in Hand gehende Verkleinerung der Furchen nach unten. 

Dass in den bisher mitgetheilten Fällen von Porencephalie mit Rückenmarks- 
untersuchung solche Furchenbildung nicht zur Beobachtung kam, kann in drei 
Factoren liegen: zu geringer Defect des Hemisphärenmantels, daher keine com- 
plette Agenesie der Pyramidenseitenstränge, Entstehung der Porencephalie zu 
einer Zeit, da die Anlage der Pyramiden Bchou vollendet war; endlich gleich¬ 
zeitige Entwickelungshemmung der Kleinhirnseitenstränge. J. Sorgo (Wien). 


11) On a case of congenital porenoephalus, in whioh the porenoephalio 
area oorresponded to the area of distribution of the left middle 
oorebral artery, by David A. Shirres. (Studies from the royal Victoria 
Hospital. Montreal. I. Nr. 2.) 

Die Arbeit enthält die ausführliche Krankengeschichte eines Falles von Por¬ 
encephalie mit Sectionsbefund. Es handelte sich um eine 60jährige Frau, bei 
welcher angeblich seit der Geburt bezw. seit den ersten Lebenswochen eine 
spastische Parese der rechten Extremitäten bestand. Bei der Section fand Bich 
im Gebiete der Arteria cerebri media eine Höhle, welche der Verf. geneigt ist 
auf eine fötale Thrombose dieses Getässes zurückzuführen. Der Herd hatte einen 
grossen Theil der linken Hemisphäre zerstört» ln der motorischen Region dieser 
Seite fand sich ein deutlicher Ausfall der Pyramidenzellen und der aus diesem 
Gebiete hervorgehenden Projectionsfasern. Von secundären Erscheinungen ist be- 
merkenswerth eine allgemeine Atrophie des linken Thalamus opticus, an welcher 
Zellen und Fasern aller seiner Kerne gleichmässig betheiligt waren, und eine 
deutliche Schrumpfung des mittleren und hinteren Theiles der inneren Kapsel. 
Die Degeneration der linken Pyramide liess sich bis ins Rückenmark verfolgen. 
Ferner wurden secundäre Veränderungen im linken Tactus opticus, in beiden 
No. optici, den zur linken Hemisphäre gehörigen directen und indirecten cere¬ 
bralen Verbindungsbahnen und der linken Schleifenbahn nachgewiesen. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


Pathologie des Nervensystems. 

12) La patogenesl della malattia di Stokes-Adams, pel Dr. Eugenio Medea. 
(Boll. Poliamb. di Milano. 1902. Nr. 1, 3, 5.) 

Nachdem Verf. viele Fälle von Bradycardie aus verschiedenen Ursachen und 
3 Fälle von Stokes-Adams’scher Krankheit klinisch beobachtet hat, berichtet 
er über 2 Fälle von Stokes-Adams’soher Krankheit mit Obduction und mikro¬ 
skopischer Untersuchung (in Golgi’s Laboratorium) der Medulla oblongata: der 
Befund war, bezüglich der Kerne IX und X, negativ. Atherom der Arteria basi- 
laris und des Circulus Willisii. Nach der Analyse und Kritik der verschiedenen 
Theorieen über die Pathogenese der Stokes-Adams'sohen Krankheit zeigt Verf. 


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die Verschiedenheit der Pulsfrequenz nach Atropineinspritzungen zwischen den 
Fällen von Bradycardie und den Fällen von Stokes-Adams’soher Krankheit, 
erklärt zwei von ihm klinisch beobachtete Fälle von seniler arteriosklerotischer 
Epilepsie and nimmt an, dass die Stokes-Adams’sohe Krankheit eine Zusammen* 
Setzung von seniler arteriosklerotischer Epilepsie mit Polsus rarus sei: Pulsas 
rarus ist von anderen Symptomen unabhängig. 

Die Arbeit, durch Pulscurven veranschaulicht, schliesst mit einer Wiedergabe 
von Napoleon’s 1. Pulsus rarus. E. Me des. 


13) Die Parrot’sohen Pseudoparalysen bei angeborener Syphilis, von 

Scherer. (Deutsche Dermatolog. Zeitschr. IX. 1902.) 

Neben den an der Haut und den Sohleimhäuten congenital sy philit isc her 
Kinder beobachteten Erscheinungen sind sowohl wegen der Mannigfaltigkeit der 
Krankheitsbilder als wegen der grossen Verschiedenheit der Zeit ihres Auftretens 
die visceralen Erkrankungen von grossem Interesse. 

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den „Parrot’schen Pseudo* 
paralysen“, die von Parrot auf eine specifische Knochenerkrankung an den Epi¬ 
physen grenzen und auf die damit verbundene grosse Schmerzhaftigkeit bei activen 
und passiven Bewegungen zurüokgeführt wurden. 

Nach einem kurzen Rückblick auf die Berichte in der Litteratur, in denen 
die Affection von einigen Autoren als ausgehend vom Centralnerven System, von 
anderen als Erkrankung der epiphyseren Grenze betrachtet und die Wirksamkett 
bezw. Erfolglosigkeit der antiluetischen Therapie in diesen Fällen erörtert wird, 
bringt Verf. die Krankengeschichten zweier von ihm aus seinem reichen Be¬ 
obachtungsmaterial herausgesuchter Fälle mit epikritischen Bemerkungen. 

Die aus mehr als einem Gesichtspunkte interessanten vom Verf. mitgetheüten 
Krankengeschichten congenital syphilitischer Kinder schildern ein völliges Fehlen 
der passiven Bewegungen der paralytischen Extremitäten; dagegen zeigten die 
Säuglinge, soweit der Nachweis in solchen Fällen möglich ist, eine prompte 
Reaction der Sensibilität der Haut bei der Anwendung des galvanischen oder 
faradischen Stromes. Verf. beziffert den Procentsatz der bei luetischen Kindern 
vorkommenden Paralysen nach 60 eigenen Beobachtungen auf 22 °/ 0 , die stets die 
oberen Extremitäten betrafen, und von denen ein Theil auf eine antiluetisohe 
Therapie sehr gut, ein Theil gar nicht reagirte. 

Der Verf. bespricht die differential-diagnostischen Momente für die cerebralen, 
spinalen, peripheren, traumatischen Paralysen luetischer Kinder — hierfür wie 
für die Details der Krankengeschichten muss auf das Original verwiesen werden 
— und meint, es handle sich bei den Parrot’schen Pseudoparalysen meist um 
brachiale Monoplegieen, seltener um cervicale Paraplegieen. 

Die sehr interessanten Sectionsbefunde der beiden Fälle — die Sectiones 
konnten sehr bald (2 Stunden) post mortem gemacht werden — zeigen als be¬ 
deutsamstes Merkmal: im Mark, im Cervicalganglion die Blutgefässe erweitert 
und überall eine Unmasse von Streptokokken; die Capillaren an vielen Stellen 
derart durch Streptokokkenmassen erfüllt, dass es den vollen Eindruck einer regel¬ 
rechten Streptokokkenembolie macht. Auch in Leber, Milz, Magen, Darm und 
Nieren fanden sich Streptokokkenembolieen. 

Der Verf. hält nach seinen Erfahrungen bei hereditärer Lues die bullösen 
und ulcerösen Formen der Haut- bezw. Schleimhauterkrankungen prognostisch für 
besonders ungünstig, weil er in diesen Fällen meist eine Sepsis bezw. Septieo- 
pyämie constatiren konnte, die er auf eine in Folge der kleineren oder grösseren 
Substanzverluste sehr leicht zu der bestehenden hereditären Lues hinzutretcnde 
secundäre septische Infection zurückführt. 


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Verf. ist nun geneigt anzunehmen, dass ebenso wie bei anderen chronisoh 
verlaufenden Infectionakrankheiten in Folge von. Vergiftung des Organismus durch 
Toxine Paresen oder Paralysen entstehen können, auch in den Fällen von Parrot’- 
schen Paralysen bei congenital luetisohen Kindern, bei denen keine Knochen* 
Veränderungen nachweisbar sind und das Centralnervensystem und die peripheren 
Nerven intact sind, die sonst unerklärte Aetiologie dieser Lähmungen auf eine 
toxisohe Einwirkung des luetischen Toxins oder der Toxine der verschiedenen im 
Blute kreisenden Mikrobenarten zurückzuführen sei. Lasch (Breslau). 


14) Seoundär luetische Nervenkrankheiten, von A. Sztahovszky. (Magyar 

Orvosok Lapja. 1902. Nr. 30. [Ungarisch.]) 

30jährige Frau erkrankte an einem indurirten Geschwür der linken Mamma, 
mit infUtrirten Drüsen der linken Aohselhöhle; nach einigen Wochen Roseolen; 
nach vierwöchentlicher Inunctionsknr Heilung, welche ihr jedoch als nicht end¬ 
gültig bezeichnet wurde, trotzdem entzog sich Patientin der weiteren Behandlung. 
Nach mehreren Monaten traten nach psychischem Trauma Erscheinungen von 
Geistesstörung mit Hallucination und Delirien auf; welche nach Jodkalibehandlung 
(4 g pro die) am 5. Tage schwanden. 

Verf. supponirt einen luetischen Process des Gehirns, dessen Natur er nicht 
bezeichnet, und der durch Jodkali beseitigt wurde. — Anschliessend an diesen 
Fall lässt Verf. die auf luetischer Basis entstehenden Nervenkrankheiten Revue 
passiren. Hudovernig (Budapest). 

16) Luetiaohe Jackson-Epilepsie, von L. L6vy. (Gyögyäszat. 1902. Nr. 25. 

[Ungarisch.]) 

30jähriger Mann wurde wegen acuter Blenorrhoea ins Spital gebracht, wo 
sich nach einigen Tagen eine Hemiplegia sinistra einstellte; Pat. giebt an seit 
einiger Zeit an Bewusstlosigkeitsanfällen mit Convulsionen zu leiden. Die be¬ 
obachteten Anfälle zeigten das Bild Jackson’scher Epilepsie: Beginn der Con* 
vulsionen im linken Arme, dann Uebergehen auf das linke Facialisgebiet; hierauf 
auf das Gebiet des rechten Facialis, rechten Arm, mitunter rechtes Bein; hierbei 
Bewusstlosigkeit, Zungenbiss und spontaner Urinabgang. — Aus dem Status 
praesens wäre zu bemerken: Linksseitige Hemiplegie mit Parese des linken 
Facialis; Pupillenbefund normal (beiderseits Papillitis); Nacken in der Höhe de« 
2.—3. Halswirbels druckempfindlich, daselbst vergrösserte Drüsen. — Unter An¬ 
wendung antiluetischer Behandlung (2gUng. einer, und 2,5—3,0 g Jodkali) fort¬ 
schreitende Besserung der Lähmung mit Verminderung der Zahl der Antälle. 
Nach etwa zweimonatlicher Behandlung im Deoember 1901 gehäufte Anfälle (am 
6. December 57, am 6. 84 Attaquen), welche rasch nachlassen; am 17. Januar 
1902 neuerlicher Status epilepticus, Exitus am nächsten Tage während eines 
Anfalles. — Bei der Autopsie wurden nebst anderen luetischen Veränderungen 
drei Gummata am rechten Gyrus frontalis medius gefunden. 

Verf. betont die Intactheit der psychomotorischen Zone bei Erkrankung des 
Stirnhirns, und meint, dass die Ansicht Ko eher’s, wonach das Anwachsen des 
intracranieilen Druckes die psychomotorische Zone reizen und somit die Anfälle 
hervorrufen würde, für diesen Fall anwendbar wäre, findet jedoch keine Erklärung 
für das periodische Anwachsen des intracraniellen Druckes. Im plötzlichen 
Auftreten und Aufhören der Anfälle und des Status epilepticus sieht Verf. einen 
Hinweis auf die Erkrankung des Stirnhirns bei Intactheit der psychomotorischen 
Zone. Bezüglich der Therapie zieht Verf, entgegen der Ansicht Gowers’, die 
combinirte Behandlung (Einreibungen und Jodkali) der ausschliesslichen Jodkali- 
behandlnng vor. _ Hudovernig (Budapest). 


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16) Le eigne pupillaire d’Argyll-Bobertaon, es valeur sdmdlologiqua; eee 
relatione aveo la Syphilis, per Cestan et Dupuy-Dutemps. (Gaaertte 
des hopitaux. 1901. S. 1433.) 

Abgesehen von Tabes und progressiver Paralyse fanden Verff. reflec torische 
Pupillenstarre in 5 Fällen cerebraler Hemiplegie (darunter ein Mal nur auf der 
gelähmten Seite), in 4 Fällen von Meningomyelitis syphilitica, in einem Falle 
Fried reich'scher Krankheit und einmal bei amyotrophischer Lateralski eroee. In 
allen diesen Fällen war vorausgegangene Lues sicher oder höchst wahrscheinlich. 
In einwurfsfreier Weise wurde das fragliche Symptom noch beobachtet bei Syringo¬ 
myelie und der „Nevrite interstitielle hypertrophique“ (Dejerine-Sottas). 

Piloz (Wien). 


17) Warum ersoheint Hirnlues schwerer heilbar? von Ziemssen (Wies¬ 
baden). (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 18.) 

Die Gründe für die Misserfolge bei der Behandlung der Hirnlues sind za 
suchen in der Schwierigkeit der Diagnose des Aufangsstadiums, in der Furcht 
vieler Aerzte, dass das kurmässig genommene Hydrargyrum mit Vorliebe neuritiscbe 
Leiden hervorruft und in der irrigen Annahme, dass die Quecksilberbehandlung 
keinen Nutzen mehr bringen kann, wenn derselbe nicht schon in den ersten 
3 Wochen eingetreten ist Verf. empfiehlt möglichst kräftige, immer wieder von 
neuem aufzunehmende mercurielle Behandlung mit gleichzeitigem Gebrauch von 
Kalium jod. Diese scharfen Kuren müssen fortgesetzt werden, so lange selbst 
nur leichte Symptome der Hirnlues bestehen. Bielschowsky (Breslau). 


18) A olinioal leoture on two oases of spinal cord disease oonsequent ob 

Syphilis, by T. R. Bradshaw. (Brit. med. Journ. 1902. 8. März.) 

Gegenüberstellung zweier Fälle von Rückenmarkserkrankung, bei denen Lues 
als ätiologisches Moment anzusehen ist. 

Der erste Fall betrifft einen 40jährigen, an progressiver Tabes dors. leidenden 
Mann mit den gewöhnlichen Krankheitssymptomen. Die stattgehabte luetische 
Infection konnte Verf. erst nach mehrfacher genauer Untersuchung des Pat. fest- 
steilen. Eine Narbe auf der Hand führte bei wiederholtem Krankenexamen zu 
der Angabe, dass Pat. vor 18 Jahren an rissigen Händen gelitten und damals 
von einem Bettgenossen, der an einem Geschwür des Handrückens gelitten, an- 
gosteckt sei (es folgten Hauteruption und Rachengeschwüre; Behandlung mittels 
Pillen). Pat. hatte vorher jede syphilitische Infection geleugnet. 

Verf. hat, seitdem er bei Tabikern sein Augenmerk auf etwa vorausgegangene 
Lues richtet (etwa 10 Jahre), noch keinen Fall ohne dieses ätiologische Moment 
gesehen. 

Beim zweiten Fall handelte es sich um einen 46jähr. Mann, welcher vor 
23 Jahren Lues acquirirte. Vor einem Jahre Amblyopie des linken Auges, welche 
nach Hercurialbehandlung heilte. Bald darauf heftige Schmerzen in der rechten 
Lendengegend und allmählich an Intensität zunehmende spastische Lähmung des 
rechten Beines, während das linke erst in der letzten Zeit anfing afficirt so 
werden. Die Muskeln des rechten Beines schlaff, aber nicht atrophisch. Rechter- 
seits Kniereflex gesteigert, deutlicher Fussklonus (links nur schwach). 

Pat. klagte über TaubBein in den Zehen des rechten Fusses, während objectiv 
keine Sensibilitätsstörungen nachzuweisen waren. Blase und Rectum intact. 

Verf. nimmt als wahrscheinliche anatomische Diagnose das Bestehen eines 
Gumma in der Pia mater der Medulla spinalis rechterseits in der Nähe der 
Lendenanschwellung an. 


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Im Anschluss an die Mittheilung der Krankheitsfälle macht Verf. dann thera¬ 
peutische Bemerkungen besonders hinsichtlich der event. specifischen Behandlung. 
Wahrend letztere beim zweiten Falle eine gute Prognose giebt, wird im ersten 
Falle, wo es sich um einen fortschreitenden Degenerationsprooess handelt, eine 
an tisyphili tische Kur keinen Einfluss auf den Krankheitaprocess mehr ausüben. 

E. Lehmann (Oeynhausen). 

19) Ueber einen Fall von Büokenmarkssyphllls mit Brown-Sdquard’sohem 
Typus, von Strözewski. (Gazeta lekarska. 1901. Nr. 36. [Polnisch.]) 

Verf. beschreibt folgenden Fall von Bückenmarkssyphilis mit Brown- 
S6quard'schem Typus. Der 26jährige Kutscher merkte vor 3 Wochen, an¬ 
geblich in Folge einer Erkältung, Schmerzen im Halstheil der Wirbelsäule, dann 
in der linken oberen und später in der linken unteren Extremität. Lues et 
Alcoholismus negantur. Status: Drüsen vergrössert. Weisse Flecken am Halse 
und Rücken. Bechte Pupille weiter als die linke. Die letztere reactionslos. 
Schwellung und Schmerzhaftigkeit der linken Halsgegend. Lähmung der linken 
oberen Extremität. Sensibilität in derselben erhalten, Tricepsreflex lebhaft. 
Parese des linken Beines. Patellarreflex links stärker als rechts. Clonus pedis 
sin. Babinski’sches Symptom links. Hypalgesia und stellenweise Analgesia 
dextra. Thermohypästhesia dextra. Tastgefühl mitunter schwächer in der rechten 
oberen Extremität als in der linken. Muskelsinn erhalten. Keine Atrophieen. 
Keinerlei Störungen seitens der Blase und des Mastdarms. Allmähliche Besserung 
und völlige Heilung nach Verlauf von etwa 3 Monaten unter Quecksilberbehand¬ 
lung. Edward Fla tau (Warschau). 


20) Hemispasmus glosso-labialis als Spätersoheinung einer organischen 

Hemiplegie. Klinische Studie von L. Minor. (Festschrift für Geh.-Bath 

Prof. Dr. von Leyden. 1902.) 

Verf. analysirt in seinem vorliegenden Beitrag zur Leyden-Festschrift in 
gewohnt scharfsinniger Weise ein klinisches Syndrom oder auch nur Symptom, 
welches — anscheinend fast geflissentlich — in den Lehrbüchern und in der Litteratur 
entweder mit Stillschweigen übergangen wird oder doch nur stiefmütterlich und 
oberflächlich in der Besprechung behandelt wird. In der Regel ist nur von dem 
Spasmus glosso-labialis als hysterische Erscheinung die Bede. Verf. zeigt jedoch, 
dass er auch als organische Erscheinung Vorkommen kann. Der Verf. stellt in 
übersichtlicher Weise die Möglichkeiten und Combinationen, in welchen der Hemi- 
spasmus glosso-labialis überhaupt auftreten kann, folgendermaassen zusammen: 

1. Hemispasmus glosso-labialis mit gleichzeitiger Contractur der oberen und 
unteren oder nur der oberen Extremität. Verf. beriohtet über eine derartige Be¬ 
obachtung, welche einen Hysteriker (psychisches Trauma) betraf. 

2. Hemispasmus glosso-labialis und schlaffe Hemiplegie. Hier sind vier 
Varianten möglich: Hemiplegie und Hemispasmus können auf ein und derselben 
Seite sein, sie können weiterhin gekreuzt bestehen, es kann drittens Hemiplegie 
und Facialiscontractur auf der nämlichen Seite sein, während die Zunge nach 
der anderen Seite abweicht oder schliesslich kann das Bild der vulgären organi¬ 
schen Hemiplegie auftreten: Verzerrung des Mundes nach der gesunden Seite und 
der Zunge nach der hemiplegischen Seite. In all den genannten vier Modifica- 
tionen handelt es sich um einen hysterischen Charakter der Erscheinungen. 
Ausser den genannten Combinationen kommen nun recht häufig Combinationen 
vor von organischer Hemiplegie und hysterischem bezw. functionellem Krampf in 
den Gesichts- und Zungenmuskeln. Schliesslich, und das ist das Wichtigste aus 
der Arbeit, giebt es aber auoh Fälle, in welchen sowohl die Hemiplegie wie 


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auch der Hemispasmus organischer Natur ist Einen solchen Fall hat Verl 
beobachtet: Bei einer jnngen Frau, die vor 3 Jahren Loee gehabt hatte, ent¬ 
wickelte sioh während einer Infectionskrankheit eine schwere Hemiplegie mit Be¬ 
theiligung des Facialis und Hypoglossns. Der Befund zeigte zuerst Aphasie 
sensorisoher und motorischer Natur, primäre rechtsseitige Facialisllhmnng mit 
Verzerrung des Mundes nach links, complete Hemiplegie rechts mit beginnender 
Contractur. Sensibilitätsprüfung und Vorstrecken der Zunge konnte bei der tiefes 
Benommenheit zuerst nicht geprüft werden. 

Unter einer Schmierkur hob sioh das Allgemeinbefinden und die Benommen¬ 
heit schwand, die Contracturen nahmen jedoch zu. Jetzt konnte die Zunge vor¬ 
gestreckt werden und wurde nach reohts abweichend gefunden, während dar 
Mund noch nach links verzerrt war. Dann allmählich bildet sich folgender 
interessante Zustand heraus: Der Mund wich beim Sprechen nicht wie früher 
nach links ab, sondern jetzt nach rechts. Die Zunge zeigte auf der linken Seite 
fibrilläre Zuckungen und wich beim Vorstrecken jetzt stark nach links, also 
Dach der der Hemiplegie entgegengesetzten Seite hin ab. 

Der Umstand, dass der Spasmus in Zunge und Gesicht gleichseitig mit dem¬ 
jenigen in den Extremitäten auftrat und dass ihm ein Stadium der Lähmung 
voranging, spricht für den organischen Charakter des Hemispasmus gloeso-labialis. 
Ein solcher organischer Hemispasmus ist bei Hemiplegieen selten beobachtet. Die 
Gründe für die Seltenheit der Erscheinung erörtert Verf.. ausführlich. In der 
Litteratur findet sich nicht viel über eine organische Hypoglossuscontractur bei 
Hemiplegie, mehr allerdings über die Facialisspätcontractur. In dem Falle des 
Verf.’s stellt der Hemispasmus also eine der Extremitätencontractur durchaus 
gleichwerthige Erscheinung dar. Dass die Zunge dabei nach der gesunden 
Seite abweicht entspricht in der That unseren theoretischen Vorstellungen, nach 
welchen wir bei Lähmung des Hypoglossns das Abweichen der Zunge nach der 
gelähmten Seite zu erklären gewohnt sind. In dieser Schlussfolgerung ist dem 
Verf. entschieden beizustimmen und auch Bef., auf dessen Angaben in seinem 
Buche über die Untersuchung bei traumatischen Erkrankungen Verf. hinweist, 
muss zugeben sich hinsichtlich der Hypoglossuscontractur in einem Irrthum be¬ 
funden zu haben. 

Jedenfalls müssen wir Verf. dankbar sein, dass er die Schullehre betreffe der 
Betheiligung der Hirnnerven an den hemiplegischen Contraoturzuständen einmal 
revidirt und verbessert hat. Paul Sohuster (Berlin). 

21) Case of tumour of tbe oerebral cortex, by H. Cecil Barlow. (Brit. 

med. Journ. 1902. 8. März.) 

Ein 57jähriger Patient, der früher stets gesund gewesen, und bei dem weder 
Lues noch Alkoholmissbrauch anamnestisch nachzuweisen, erkrankte an Krämpfen 
der linken Körperhälfte, besonders des Gesichts und des Armes ohne Bewuseteeins- 
störung. Hierzu gesellte sich später erschwerte Sprache, Abnahme der moto- 
risohen Kraft der linken Hand. Die Reflexe waren an der afficirten Seite erhält, 
während das Berührungs- und Schmerzgefühl daselbst vermindert und verlangsamt 
waren. — Zu erwähnen ist ferner namentlich, dass Erbrechen fehlte, dass Kopf¬ 
schmerz kaum vorhanden war und dass keine Neuritis optica bestand. 

Nach 33 tägigem Kranksein trat plötzlich Tod ohne vorhergehendes Costa 
ein. — Bei der Autopsie fand man oberhalb der rechten Rolando'sohen Furche 
Hyperämie der weissen Hirnhaut und unterhalb der Gehirnoberfläche ein wallnuss¬ 
grosses alveoläres Sarcom der Centralwindungen. Der grösste Theil des Tumors 
sass in der unteren Partie der vorderen Centralwindung. 

E. Lehmann (Oeynhausen). 


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22) A auooeufol oase of removal of tomoor from the left pro-frontal lobe 

of the brain, by Dr. W. Eider, Leith and Mr. Miles. (Brit med. Journ. 

1902. 1. Februar.) 

In der Edinburger medio.-Chirurg. Gesellschaft berichtete Edler über eine 
von den genannten Aerzten mit glücklichem Erfolge auBgefÜhrte Entfernung eines 
Tumors aus dem linken Stirnlappen. Edler bespricht die localdiagnostische 
Schwierigkeit derjenigen Gehirntumoren, die keine charakteristischen Herdsymptome 
verursachen (Tumoren der sogenannten „latent“ oder „silent“ Gehirnregionen). 

Der mitgetheilte Fall betrifft einen 47jährigen Mann. Patient, welcher Lues 
leugnet (seine Frau hatte drei Aborte gehabt), litt seit 6 Monaten an Schmerzen 
im Hinterhaupt, Nacken, in den Beinen, später besonders in der linken Stirn¬ 
gegend. Zeitweiliges Erbrechen. Bald stellte sich psychische Alteration ein: Pat. 
wurde deprimirt, erregbar, zeigte Gedächtniss- und UrtheilBSchwäche sowie ver¬ 
mindertes Schamgefühl u. s. w. 

Bei der Aufnahme in das Krankenhaus bestand leichte Parese des unteren 
Theiles des rechten N. facialis, Dysarthrie. Keine Aphasie. Keine Neuritis op¬ 
tica. Einige Tage später Benommenheit, stertoröses Athmen, leichte Starrheit 
des rechten Armes. Die Percussion über dem linken Stirnhöcker war schmerzhaft; 
die Haut über demselben ödematös. Hier wurde der Schädel eröffnet und aus 
dem obersten Theil des Stirnlappens ein 2 Zoll langer, etwa l 1 ^ Zoll breiter 
Tumor entfernt, der sich als Syphilom erwies. Heilung. 

E. Lehmann (Oeynhausen). 


23) Trois oas de neoplaaies-odröbrales, par Ballet et Armand-Delille. 

(Nouvelle Iconographie de la Salpetriere. 1902. Nr. 3.) 

Fall I und II haben das Gemeinsame, dass sie trotz ihrer Lage bezw. Aus¬ 
dehnung auf die dritte linke Stirnwindung keine Aphasie erzeugten; der III. Fall 
ist deswegen interessant, weil man nach seinem Verlauf an eine Bulbäraffection 
denken könnte. 

Fall I. 33jähriger Mann, Artist, erblich stark belastet, immer gesund ge¬ 
wesen, erkrankte im Sommer 1900 mit Kopfschmerzen und unfreiwilligem Urin¬ 
abgang. Wenig später wurde ihm die Spraohe schwer und es stellte sioh eine 
Gesichtslähmung ein. Deswegen wird er der Klinik zugeführt; sein vorher leioht 
aufbrausender Charakter soll in dieser Zeit sanfter geworden sein. 

October 1900: Pat. gab an, seit ungefähr 15 Jahren an Sohmerzen zu leiden, 
als wenn ihm ein glühender Eisenstab durch die Beine gestossen würde. Diese 
Schmerzen werden aber nicht als blitzartige geschildert. Lähmung des reohten 
unteren Facialis. Sensibilität intact. Kein Bömberg, doch werden die Muskeln 
des Pat. über Gebühr angestrengt. Patellarreflexe stark, Sprache zögernd und 
von einem Tremor der Lippen begleitet. Pupillen reagiren gut, ebenso sind die 
Augenmuskeln in Ordnung. Intelligenz intact, nur macht der Kranke einen etwas 
müden, schläfrigen Eindruck. Unfreiwilliger Abgang von Stuhl und Urin. 

Im weiteren Verlauf verfällt die Intelligenz des Kranken. Contractur der 
oberen Extremitäten. Links reagirt er auf Nadelstiche, während dies rechts nicht 
der Fall ist. 

12. November 1900: Rechte Pupille > links, Steigerung der Temperatur auf 
41,5° unmittelbar ante exitum. 

Obduction: Ein 5 Francs-Stück grosser gliomatöser Tumor im hinteren 
Theil des Lohns frontalis, der die 3. Stirnwindung plattgedrüokt hat. 

Fall II. 14jähriger Schlosserlehrling. Mit 10 Jahren 2 Jahre hindurch 
epileptische Krämpfe ohne Bevorzugung einer bestimmten Seite. Besserung, je¬ 
doch Zurückbleiben einer rechtsseitigen Facialislähmnng. Im Juni 1900 Auf- 


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treten von Erbrechen, etwas später von Articulationsstörung und neoralgiscba 
Schmerzen. 

Am 20. September 1900 Eintritt in die Salpetriöre. 

Etwas benommener Patient, bei dem Schwierigkeiten bestehen, einzelne Worte 
zu articuliren. Alopecia in einzelnen Flecken über dem Sitze der Kopfscbmena 
in der linken Temporo-Occipitalgegend, die Haut in dieser Qegend verdünnt, bläulich 
gefärbt. Hechts Parese des Rectus ezternus; Facialislähmung rechts, Zunge weicht 
nach links ab. Keine Störung der Motilität, Sensibilität und keine trophischn 
Störungen der Extremitäten, nur beim Drücken (?) der linken Temporalseite erfolgt 
eine Flexion des rechten Beines mit Extension der grossen Zehe. Sehnenreflexe 
normal, die subjectiven Störungen der Sensibilität bestehen in einer Neuralgie V, 1. 
In der Folgezeit Erbrechen, Puls 54, Kältegefühl und ein Gefühl von Schwere 
im rechten Arm. Pat. giebt an, nicht deutlich zu sehen. Die Au genuntersuch unf 
ergiebt eine Herabsetzung der Sehschärfe auf beiden Augen auf */ 10 . Pupillea- 
reaction auf Licht rechts gut, links träge, beim Sehen in der Nähe gut. Stauungs¬ 
papille. Am 9. November 1900 Krampfanfall „type Jacksonienne“ beginnend im 
rechten Arm. Der Kranke verfällt in Stupor, Krämpfe, Untersichlassen von Koth 
und Urin, Puls steigt auf 92 i. d. M., Pupillen reagiren beide nicht auf Licht 
Exitus am 26. Januar 1902. 

Autopsie: Links ein Spindelzellensarcom, 12 cm lang, 6 cm breit, der kleine 
Durchmesser beträgt 10 cm. Es bedeckt den hintersten Theil der 3. Stirn¬ 
windungon, lässt nur 2 cm der ersten Stirnwindung frei, erreicht nach hinten die 
Scheitelwindung und erstreckt sich nach unten bis zur 2. Schläfenwindung. 

Bemerkenswerth ist, dass bei den Tumoren (Gliom und Sarcom) trotz ihrer 
Lage keine motorische (und im 2. Falle auch sensorische) Aphasie bestand. In 
2. Falle entschuldigen sich die Verff. ausdrücklich, dass sie keinen Chirurgen 
zugezogen hätten; die Symptome wären zuerst nicht genügend ausgesprochen 
gewesen. 

Fall III. Ein 19jähriger Kutscher, immer gesund gewesen, erhielt Anfang 
März 1899 einen heftigen Faustschlag über die linke Kopfseite. Bewusstseim¬ 
verlust scheint nicht dagewesen zu sein. Am nächsten Tage klagte er über 
Kopfschmerzen, den Tag darauf stellte sich eine doppelseitige Ptosis und Klagen 
über Doppeltsehen ein. Letzteres und die Ptosis rechts ging nach einigen Tages 
von selbst zurück, während die Kopfschmerzen bestehen blieben, nur gesellte sieh 
Uebelkeit und Brechreiz dazu. Bei seinem Eintritt in die Klinik (9. Mai 1900) 
fand sich ausser subjectiven Beschwerden und der Ptosis links und Störungen 
des Geruchs und des Gehörs, die links schwächer waren, nichts. Am 9. und 
10. Mai Krämpfe (Bewusstlosigkeit u. s. w.). Der Kranke erholte sich bald darauf 
und verliess die Salpetrtöre am 16. Mai 

Während seines Aufenthaltes ausserhalb der Klinik konnte er seine Arbeit 
vollständig wieder aufnehmen, nur stellte sich folgende Erscheinung bis zu 10 Xsl 
am Tage bei ihm ein: Plötzlich stieg ein Hitzegefühl von den Beinen nach dem 
Kopfe auf, der sich alsbald mit Schweiss bedeckte. Dauer einige Secunden. Am 
15. August bemerkte er, dass sein rechter Arm taub und steif wurde, einige 
Tage darauf machte er dieselbe Beobachtung an seinem rechten Bein. Zugleich 
stellten sich Schluckstörungen und eine unbezwingliohe Schlafsucht ein. 

Am 12. October 1900 Neuaufnahme: Hemiparesis dextra, bilaterale Ptos» 
r. > 1., Ophthalmoplegie externa bilateralis, Pupillen reagiren gut Das Gesichts¬ 
feld erscheint ein wenig eingeschränkt. Schlingstörung, Erbrechen. Sprache nicht 
direct näselnd, aber stotternd. Verstopfung von 8 Tage Dauer. Pupillen 
ad maximum dilatirt Vollständiger Stupor. Exitus am 1. December. 

Bei der Section fanden sich die Meningen, die Hemisphären, die Basis voll- 


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ständig frei. Bei der Trennung der Hemisphären sieht man links die Innenfläche 
der unteren beiden Stirnwindungen von neugebildetem Gewebe erfüllt, dessen 
Oberfläohe wie punctirt aussieht Es setzt sich fort auf die Commissura anterior 
und media des Balkens, dessen Septum pellucidum sich ganz aus der Neubildung 
zusammensetzt. Auf dem Querschnitt zeigt sich, dass es sich um eine zellenreiche 
Gliomatose handelt, welohe diffus in das umgebende gesunde Gewebe übergeht. 

Die mikroskopische Untersuchung aller drei Tumoren, die mit grosser Sorg¬ 
falt ausgeführt ist und durch zahlreiche Abbildungen und Tafeln illustrirt ist, 
bietet nichts Bemerkenswerthes. Ernst Bloch (Kattowitz). 


34) Ueber eine mit Erfolg operlrte Cyste dee linken Hinterhauptslappens 
nebst Bemerkungen, von Dr. Ehrenfried Cramer. (Zeitschr. f. Augen- 
heilk. VH.) 

Der 37jährige Kohlenarbeiter war im Sommer 1901 an einer fieberhaften 
mit schweren Kopfschmerzen einhergehenden Krankheit erkrankt, die vom Kassen¬ 
arzt als Influenza angesehen wurde. Wenige Wochen später ergab die vom Verf. 
vorgenommene Augenuntersuchung beiderseits eine ausgedehnte Neuroretinitis 
haemorrhagica, und das Gesichtsfeld beider Augen zeigte eine deutliche Ver- 
grösserung des blinden Fleckes und eine sectorenförmige rechtsseitige Hemianopsie. 
Die Pupillenreaction war normal, Pat klagte zeitweise über Ohrensausen, Puls 
war verlangsamt, voll und gespannt. 

Wenige Tage nach der ersten Untersuchung trat eine typische Stauungs¬ 
papille auf, und die Hemianopsie nahm zu. 

Die Diagnose wurde auf einen Hirntumor im linken Ocoipitallappen gestellt, 
und am 22./X. 1901 die Schädelaufmeisselung von Prof. Thiem vorgenommen. 
Etwa in der Höhe der 2. Occipitalwindung 2—3 cm nach aussen von dem grossen 
Hirnspalt wurde die klare Flüssigkeit aus dem etwa hühnereigrossen cystischen 
Tumor entfernt, die sioh in fontainenartigem Strahle entleerte. Am 21 ./XII. 1901 
ist das Gesichtsfeld für weise und alle Farben wieder völlig normal, es findet 
sich noch eine ganz geringe Schwellung der rechten Papille. Beide Papillen 
sind wieder scharf begrenzt, keine weiteren krankhaften Erscheinungen im Augen- 
hintergrunde. Subjectiv keine ernsteren Klagen. Fritz Mendel. 


26) Ueber die Hemianopaieen, von Dr. Fr. Votruba. (Mittheil, aus der 
medic. Klinik Maixner-Prag. IL 1902. S. 218.) 

Zwei Fälle von homonymer lateraler Hemianopsie. Bei einem 62jährigen 
Manne mit Lues in Anamnese entwickelten sich innerhalb 2 Jahren nach und 
nach rechtsseitige Hemiparese, Hemihypästhesie, rechtsseitige Störung des Gehörs 
und Sehens; objectiv wurde eine rechtsseitige homonyme laterale Hemianopsie mit 
Atrophie der Papillen, rechtsseitige Störung der Motilität und Sensibilität con- 
statirt. Nach 7 monatlicher Einnahme von Jodkalium je 3 g pro die schwanden 
alle Symptome bis auf die Hemianopsie und den ophthalmoskopischen Befund. 
Verf. echliesst auf syphilitischen Prooess im linken Carrefour sensitif. 

Im zweiten Falle erlitt ein 26jähr. Bäcker in seinem 12. Jahre einen Schlag 
auf die linke Schädelseite; seit diesem Trauma haben sich bei ihm Symptome 
eines Gehirntumors mit Stauungspapille und rechtsseitiger Hemianopsie und Hemi¬ 
parese gezeigt. Da es Verf. gelang, an den Ausläufern der Aeste der Carotis 
cirsoide Erweiterungen zu constatiren, und weil die Symptome des Tumors seit 
14 Jahren bestanden, so schliesst er auf ein Aneurysma cirsoides mit Com- 
pression des linken Tr actus opticus sowie des linken Hirnschenkels. 

Peln&r (Prag). 

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26) Contribution 4 l’ötnde de l’an&tomie pathologlqae de rhdmieaopeto 
d’origine intra-odrdbrale, par Joukowsky. (Nouv. Iconogr&phie de 1s 
Salpetrige. XIV. 1901. S. 1.) 

Verf. hat 2 Fälle von Erweichung des oortioalen Sehcentrums beobachtet 
und untersucht: 

Fall I betraf einen Greis, bei dem sich ausser einer etwas stotternden Sprache 
und Abschwächung der Patellarreflexe als einziges Symptom eine linksseitige 
homonyme laterale Hemianopsie fand. Die Autopsie zeigte in der rechten 
Hemisphäre einen Erweichungsherd im Gebiet der Art cerebr. post, welcher di« 
Gegend der Fissura calcarina, die benachbarte Partie des Occipitalpolee, den Lob. 
lingualis und oocipito-temporalis(fusiformis) zerstört hatte; ausserdem einen kleinen 
Erweichungsherd in der Gegend der 1. und 2. Occipitalwindung. Der erste Herd 
reichte bis an die innere Wand des Hinterhorns und hatte eine Skleroee der 
Fasern der Gratiolet’schen Sehstrahlung, des unteren Theiles der hinter dem 
Linsenkern gelegenen Caps. int. und des hinteren unteren Theils des Thal opt 
zur Folge gehabt. — In der linken Hemisphäre hatte eine Cyste die vorder« 
Partie des Cuneus zerstört, während die OccipitalWindungen atrophisch und die 
Ventrikel dilatirt waren. 

Fall II betraf ebenfalls einen Greis, der 3 Jahre vor seinem Tode eines 
Insult mit nachfolgender rechtsseitiger Hemiplegie, sensorischer Aphasie, links¬ 
seitigem Facialistic und doppelseitiger Hemianopsie (bei erhaltener Sehkraft im 
centralen Th eil des Gesichtsfeldes) erlitten hatte. Die Autopsie zeigte in der 
rechten Hemisphäre einen Erweichungsherd, welcher die Gegend des corticaleo 
Sehcentrums zerstört hatte (von der Mitte des Gyr. hippocampi nach hinten bis 
zum Hinterhauptslappen reichend): in der linken Hemisphäre einen Erweichungt- 
herd in der weissen Substanz des Gyr. angularis und der benachbarten Theile des 
Schläfen- und Scheitellappens. Dieser Herd reichte in die Tiefs bis zur Aussen- 
wand des Hinterhorns und hatte eine Unterbrechung der Gratiolet’schen Seh¬ 
strahlung und der Fasern des unteren Längsbündels bewirkt 

Bemerkenswerth in beiden Fällen war, dass es sich trotz der Grösse der 
Erweichungsherde in der Sehstrahlung um keine sogenannte secundäre Degeneration 
handelte, sondern nur um eine Faseratrophie. Facklam (Suderode). 


27) Langags et oerveau, par B. Co 1 eile. (Revue de psychol. olinique et 

thbrapeutique. 1901.) 

Ein Vortrag zum Semesteranfang, der zwar keine neuen Thatsaohen bringt 
und auch nicht bringen will, aber in übersichtlicher, allgemeinverständlich ge¬ 
haltener Form eine Entwickelungsgesohichte der Sprache giebt Der erste Tbeil 
bewegt sich auf linguistisch-psychologischem Gebiete, macht auf die mannigfach« 
Beziehungen zwischen der Sprachentwickelung des Kindes und der primitir« 
Völker aufmerksam, in denen man eine Wiederholung und Bestätigung des bio¬ 
genetischen Grundgesetzes finden kann. Die beiden psychologischen Grund* 
phänomene der Empfindung und der Association, desgleichen die Thataache de> 
Nachahmungsinstinctes, werden nach ihrer Bedeutung gewürdigt, es wird an¬ 
geführt, dass Sprache und Wort nichts Einfaches, Einheitliches, sondern ein aebr 
zusammengesetztes Ding sind, in dem zum mindesten 4 Grunddemente enthalt« 
sind: das acustische und optische Gedächtnissbild und auf motorisch een Gebiet« 
die articulatorische und die graphische Eirinnerang. Die Art und Weise, wie rieh 
diese verschiedenen Gedächtnisse im Gehirn an verschiedene Oertlichkeiten ge¬ 
bunden entwickeln, die Beweise, die die Pathologie durch das Studium dar 
isolirten Ausfallserscheinungen (Worttaubheit, Agraphie u. s. w.) für diese Be- 


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trachtungsweise geliefert hat, bilden den übrigen Inhalt dee anregend and klar 
geschriebenen Vortrags. H. Haenel (Dresden). 


28) Bin Fall von Sohädelaoharte mit fühlbarer Qehirnpulaation und am* 
nestiaoher Aphasie, oombinirt mit Seelentaubheit und Seelenblindheit 
und artioulatoriaohem Stottern, von S. Szn man. (Przeglad lekaraki. 1901. 
Nr. 9. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über folgenden Fall von Schädelscharte, in welchem die Gehirn- 
pulsatdon durchzufühlen war lind Aphasie mit Stottern auftrat. Der Fall betraf 
einen 32jährigen Arbeiter, welcher in Folge eines Kopftraumas das Bewusstsein 
verlor, delirirte and nach Erwachen aphatisch wurde. Er wusste die Benennung 
der Gegenstände, war aber nicht im Stande die betreffenden Worte auszuspreohen. 
Pat. klagte über Kopfschmerzen, Ohrensausen, Schwindelgefühl, Schmerzen im Ge¬ 
biete der Schädelscharte. Status: Im Winkel des Os sphenoid. sin. deutliche 
Einsenkung. Beide Pupillen erweitert. Nystagmus verticalis beiderseits. Rom- 
berg’sches Phänomen. Zittern der Zunge. Druckempfindlichkeit der linken 
Nn. supra- et infraorbitalis, ferner der Hals- und oberen Dorsalwirbel. Hyper¬ 
ästhesie der linken Gesichtshälfte, des linken Armes und der linken Wade. PateÜar- 
und Hautreflexe erhöht. Puls entsprechend dem emotionellen Zustand 64—112. 
Bei jeder geistigen Anstrengung (Rechnen u. a.) oder bei Erregung fühlt man an 
der oben bezeichneten Einsenkung deutliche Pulsation dee Gehirns. Beim Ver¬ 
such zu sprechen Wiederholung einiger Silben (Anfangssilben der Worte). Sehr 
leicht eintretende Ermüdung und Reizbarkeit. Im gereizten Zustande Seelentaub¬ 
heit und Seelenblindheit. Amnestische Aphasie. Edward Flatau (Warschau). 


28) Zar Kritik der „suboortioalen“ aenaorlaohen Aphasie, von Dr. Wil¬ 
helm Strohmayer in Jena. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 
XXL 1902.) 

Bei einem 86jährigen Arzte, Rechtshänder, der im Anschluss an eine geburts- 
hülfliehe Operation vor 8 Jahren eine luetische Infection acquirirt hatte, bestehen 
die Symptome einer „subcorticalen“ sensorischen Aphasie im Sinne von Wernioke* 
Lichtheim. Bei der anatomischen Untersuchung fand sich in beiden Schläfen - 
lappen eine diffuse, chronische Meningoencephalitis mit den Zeichen frischerer, 
luetischer Entzündung und zwar am ausgeprägtesten in der Rinde. Im Marklager 
sind nur die Gefässe vermehrt und deren Wandungen verdickt, grob anatomische 
und mikroskopische Herde lassen sioh indessen nicht erkennen. In dieser schweren 
Veränderung der Rinde der Schläfenlappen, in welcher wir die Endausbreitung der 
Schneckennerven suchen, und die wir mit der motorischen Sprachfunction in Zu¬ 
sammenhang bringen, erblickt Verf. die entscheidende Rolle beim Auftreten der 
„subcorticalen“, sensorischen Aphasie, giebt aber zu, dass wir bis jetzt noch nicht 
bestimmt in der Lage sind, dieselbe eindeutig zu localisiren. 

E. Asoh (Frankfurt a/M.). 


80) Odoitd verbale pure, par Brissaud. (Nouvelle Iconographie de la Salpe¬ 
trige. 1902. Nr. 4.) 

Ein 57jähriger Mann wird ins Hospital gebracht, weil er wiederholt Personen, 
die er täglich sah, nicht erkannt hätte und zuweilen sich gewisse Gegenstände 
(wie Brille, Tasohentuch, Streichhölzer u. s. w.) unrichtig bedient hätte. 5 Tage 
vorher hatte er plötzlioh gesagt, er wisse nicht, ob Tag oder Nacht wäre. 

Der Kranke hat Hemianopsia dextra. Von links her in sein Gesichtsfeld 
gebrachte Gegenstände bezeichnet er richtig und ohne zu zögern. Temperatur 39,1. 

«8* 


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Pat. ist ohne Krankheitsgefühl und ist zu Zeiten unfähig zu lesen. Er sieht nur 
„schwarz auf weissem Grunde“. Es wird ihm sein geschriebener Name vorgelegt: 
„Das ist etwas, was ich gewöhnlich schreibe, ich weiss, was es ist, ich kann es 
nur nicht sagen.“ Abschreiben gelingt nicht, dagegen schreibt er auf Aufforderung 
seinen vollen Namen, kann ihn aber nachher nicht lesen. 

Schon bei Lebzeiten wurde die Diagnose auf eine Läsion des linken Occipital- 
lappens gestellt. Ausser Fieber, Hemianopsia dextra und der Seelen blindhat 
(„C6cit6 verbale et litt&rale“) hat der Kranke, wie es scheint, niohtB. 

Autopsie: Erweichung des hinteren Endes der linken Hemisphäre, hervor¬ 
gerufen durch Embolie der Art. calcarina. Der Herd nimmt ein im Occipital- 
lappen den ganzen Cuneus (ausgenommen den Pol selbst), den Lobus lingualis und 
längs des ganzen Verlaufs die Fissura calcarina nach vorn bis zur Gratiolet’- 
schen Sehstrahlung. Rechts Degeneration des Spleniums des Balkens und des 
Tapetums, herrührend von einer Embolie der Art. oerebri anterior (Sagitta l s ch n i tt). 
Ausser einigen Adhärenzen der Pia mater war das übrige Gehirn intact. 

Ernst Bloch (Kattowitz). 


31) Bin Fall von motorisoher Aphasie funotionellen Ursprungs, von Gold¬ 
blum. (Czasopismo lekarskie. 1901. S. 184. [Polnisch.]) 

Verf. berichtet über einen Fall von functioneller motorischer Aphasie bei 
einem 3jährigen Knaben, welcher vor einiger Zeit vom Stuhl fiel (keine Kopf¬ 
verletzung). Am nächsten Tage fast völlige motorische Aphasie (spricht nur 
wenige am meisten gebräuchliche Worte aus). Pat. verstand alles, sprach nicht 
nach. Besserung nach Faradisation. Edward Flatau (Warschau). 


32) Zur Kenntniss der Büokbildung motorisoher Aphasieen, von Bon- 

hoeffer. (Mittheilungen aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie. 

X. 1902.) 

Verf’s Arbeit stellt einen sehr wichtigen Beitrag zur Frage der motorischen 
Aphasieen, insbesondere über das Verhalten der sogenannten transcorticalen mo¬ 
torischen Aphasie zu den übrigen motorischen Aphasieen, speciell der corticalen 
Form dar. Seine beiden Fälle scheinen die Ansioht Freud’s, Sachs’ und 
Dejerine’s, dass die sogenannte transcorticale motorische Aphasie lediglich einen 
Zustand herabgesetzter Erregbarkeit der motorischen Sprachsphäre, nach Dejerine 
sogar nur ein Stadium der Besserung der corticalen motorischen Aphasie bedeute, 
bis zu einem gewissen Grade zu bestätigen. 

L Im ersten Falle handelt es sich um einen 56 jähr„ auf ziemlich niedriger 
Bildungsstufe stehenden polnischen Pat., der 1870 eine Granataplitterverletsung 
des Kopfes erlitten hat, als deren Folge eine Narbe mit stumpfwinkliger Ver¬ 
tiefung über dem linken Scheitelbein zurückgeblieben war. Folge dieser Ver¬ 
letzung waren Charakterveränderungen und später eine eigenartige periodische 
Psychose mit Desorientirung und katatonischen Symptomen. Zur Zeit der Be¬ 
obachtung rechtsseitige centrale Facialisparese, unregelmässige Mitbewegungen 
der Zunge, des Kopfes und der Mundmusculatur. Früher kurzdauernde epilep¬ 
tische Zustände. Pat. wurde von v. Mikulicz trepanirt, ohne dass sich an der 
inneren Knochentafel oder am Gehirn und seinen Häuten etwas Krankhaftes fand. 
Bei der Operation wurden einige Venen der Pia in dem hinteren Drittel der 
2. Stirnwindung verletzt. Nach der Operation ist Pat. im Gegensatz zu seinem 
vorherigen Befinden völlig klar; es besteht aber völlige Wortstummheit, starke 
centrale Parese des rechten Facialis, des rechten Hypoglossus, vorübergehende 
Parese der rechten Hand; hierzu traten oorticale Krämpfe im rechten Facialis 
und Arm. Spontansprache zunächst nur auf einige Silben beschränkt; dagegen 


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geht die Fähigkeit nachzusprechen der Wiederkehr der Spontan- 
spräche um einige Tage voraus. Einzelne Symptome von Worttaubheit, 
Leseverständniss, anfangs gänzlich geschwunden, bildet sich langsamer zurück alB 
die Sprache. Spontan- und Dictatschrift gänzlich erloschen, einzelne Zahlen werden 
richtig geschrieben. Sämmtliche Erscheinungen nach 1—2 Monaten zurückgebildet. 

II. Im zweiten Falle handelt ee sich um einen 26jähr., seit dem 12. Lebens¬ 
jahre an Epilepsie leidenden Pal, bei dem zuerst eine osteoplastische Schädel- 
resection über dem rechten Scheitelbein ohne wesentlichen Erfolg vorgenommen 
war, und der am 19. Juni 1901 abermals trepanirt wurde. Die Operation wurde 
in derselben Weise vorgenommen, wie in Fall I. Auch hier wurden wie in 
Fall I einige Piavenen in der hinteren Partie der linken 2. Stirnwindung ver¬ 
letz! Nach der Operation Parese des rechten Facialis und totale motorische 
Aphasie. Wort- und Leseverständniss für einfache Sätze erhalten. Lautlesen 
unmöglich. Paragraphie. Einige Tage später gelingt Nachschreiben relativ gut, 
Benennen ist paraphasisch möglich, Spontansprache dagegen noch sehr erheblich 
gestört, nur vereinzelt werden verständliche Worte gesprochen. Lautleeen gelingt, 
aber paraphasisch und schlechter als Nachsprechen. Paragraphie bei Spontan- 
und Dictatschrift. Copiren und Abzeichnen gut. Nach etwa 4 Wochen völlige 
Rückbildung, eine gewisse Verlangsamung der Spraohe dauert etwas länger an. 

Bei beiden Kranken zeigte sioh ferner anfangs eine eigenartig übertriebene 
Innervation der gesammten mimischen Musculatur, ferner ein eigenthümliches 
Dehnen sowie geringe Modulation und Monotonie der einzelnen Laute und Silben. 

Verf. glaubt, dass seine Fälle beweisend dafür sind, dass die Rückkehr der 
Rindenfunction der Broca’sehen Gegend sich zunächst in der Wiederkehr des 
Nachsprechens äussert. Eine gewisse Parallele bietet dieser Vorgang zu der nor¬ 
malen Sprachentwickelung beim Menschen überhaupt; diese Parallelität äussert sich 
auch in der relativ früh wiederkehrenden Fähigkeit, vorgelegte Gegenstände zu 
benennen. Beide Fälle beweisen ferner, dass gewisse Schädigungen des Wort¬ 
verständnisses (bei längeren Sätzen und Fragen) auch bei der motorischen Aphasie 
zu Stande kommen und bestätigen damit die dahingehenden Behauptungen 
Dejerine’s. 

Die weiteren interessanten Ausführungen des Verf. über die paraphasisohen 
und paragraphischen Störungen seiner Pal, den Agrammatismus, dessen Ursache 
Verf. in Läsionen des Stirnhirns sieht im Gegensatz zu Heilbronner und Pick, 
welche Störungen des sensorischen Sprachfeldes dafür verantwortlich machen, u. a. 
sind im Original, das zweifellos für die Lehre von den Sprachstörungen von 
wesentlicher Bedeutung ist, nachzulesen. Martin Bio oh (Berlin). 


m. Bibliographie. 

I) Psychiatrie. Für Aerzte und Studirende bearbeitet von Th. Ziehen. 

II. Aufl. (Leipzig 1902, S. Hirzel. 750 S.) 

Dass ein psychiatrisches Lehrbuch, dessen I. Auflage 1894 erschienen ist, in 
II. Auflage „vollständig umgearbeitet“ erscheinen würde, war fast vorauszusehen. 
Verf. hat die 13. Auflage denn auoh in diesem Sinne angekündigt. Eine Ver¬ 
änderung seines principiellen psychologischen und psychiatrischen Standpunktes 
ist allerdings — wie ebenfalls zu erwarten war — mit dieser Umarbeitung nicht 
verknüpft. Maassgebend ist nach wie vor in der allgemeinen wie speoiellen Psycho- 
patbalogie der Gesichtspunkt der Associationspsychologie, über deren Berechtigung 
zu discutiren an dieser Stelle freilich nicht der Ort ist. Da diese Grundlage die 
gleiche geblieben ist, hat der allgemeine Theil denn auch die wenigsten Ver¬ 
änderungen erfahren. Unter den Affectstörangen ist als ein neuer Begriff die 


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„krankhafte Ergriffenheit“ eingeführt, worunter Verf. eine allgemeine Steigerung 
der affectiven Erregbarkeit, das Gegentheil der Apathie versteht; die Kranken 
sind für alle Gefühlseindrücke in abnormem Maasse empfänglich. Die anf dienern 
Boden entstehenden Wahnvorstellungen werden als „eknoische Zustände“ be¬ 
zeichnet. Statt der Pseudodemenz (Magnan) erscheint der Begriff der GefÜhla- 
einengung glücklich gewählt. Die früher gänzlich fehlenden „überwerthigen Vor¬ 
stellungen“ werden unter dem ebenfalls neu eingeführten Kapitel: Störungen des 
normalen Vorstellungswechsels gebracht, dem ein ähnliches: Störungen des normalen 
Wechsels des Handelns entspricht. Bei den somatischen Begleitsymptomen der 
Psychosen wird u. A. das Stottern als „eine eigenartige Form spastischer Mit¬ 
bewegungen im Bereiche der Phonationsmusculatur“ bezeichnet, wohl nicht ganz 
mit Recht: Mitbewegungen können sich wohl dazu gesellen, das ursprüngliche 
Stottern ist aber in erster Linie eine reine Krampferscheinung. Die Echopraxie 
und Echolalie mancher Schwachsinnigen wird unter den automatischen Bewegungen 
genannt; hier passt sie wohl auch besser hin als zu den Zwangshandlungen, wo 
sie dann zum zweiten Male angeführt wird. 

In der allgemeinen Aetiologie sind jetzt den calorischen Schädlichkeitim und 
den physiologischen Processen in den weiblichen Genitalien besondere Abschnitt« 
gewidmet; ganz neu hinzugekommen ist ein kurzes Capitel über die allgemeine 
pathologische Anatomie (Untersuohungsteohnik). — Die mehrfach angefeindete 
„Hyperprosexie“, die Verf. z. B. bei der Manie findet, wird dadurch annehmbarer, 
dass er die normale Aufmerksamkeit in zwei Eigenschaften trennt: die Weckbar- 
keit (Vigilität) und die Haftfähigkeit (Tenacität); beide Eigenschaften können in 
entgegengesetztem Sinne verändert sein und sind es bei der Hyperprosexie auch 
insofern, als Hypervigilität mit Hypo tenacität verbunden ist. 

.In der speoiellen Psychopathologie, d. h. besonders in der Eintheilung der 
Psyohosen, beschreibt Verf. wie früher den empirischen oder klinischen Weg, wo¬ 
durch allerdings der Nachtheil entsteht, dass Krankheiten, deren Einheitlichkeit 
auf der Hand liegt, wie der Alkoholismus, die Hysterie u. ä., an 4, 5 verschie¬ 
denen Stellen behandelt werden. Ueber den praktischen und didactischen Werth 
dieser Classification sind bekanntlich die Meinungen sehr getheilt; das Prineip 
läuft auf die Darstellung von Quersohnittsbildern hinaus, während von vielen 
Seiten der „Längsschnitt“ der Psychose als das maassgebende Betrachtungsprincip 
gefordert wird. Dieser Forderung sucht Verf. zu genügen, indem er bei jedem 
klinischen Einzelbilde neben der Schilderung der Störungen des Empfindens, der 
Vorstellungen, des Affectes, der Handlungen, der körperlichen Symptome, der 
Varietäten Uebergangsformen, auch Verlauf, Ausgang und Prognose gebührend 
berücksichtigt. — Da als Paranoia alle funotionellen Psychosen zusammen getarnt 
werden, deren Hauptsymptome primäre Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen 
sind, wird diese Gruppe natürlich sehr umfassend und muss z. B. auch dem 
Delirium tremens noch Unterkunft gewähren, während die früher auch hier unter¬ 
gebrachten epileptischen und hysterischen Dämmerzustände jetzt abgetrennt sind. — 
Während der der Katatonie gewährte Raum von einer halben Seite in der 
L Auflage jetzt nur auf eine Seite gewachsen ist, werden dem circuliren 
Irresein jetzt 20 Seiten — statt wie früher 2 — eingeräumt, und die De¬ 
mentia hebephrenica, die früher ganz fehlte, ist mit 13 Seiten völlig neu auf- 
genommen. Dass bei der Therapie des circulären Irreseins bei Gelegenheit der 
Empfehlung des Opiums zur Coupirung der depressiven Phase „in sehr hohen 
Dosen (mindestens 0,15 pro die)“ angegeben wird, ist wohl nur ein numerisches 
Versehen, obwohl es im Druckfehlerverzeichnis nicht oorrigirt ist. Neu sind 
ebenfalls die Abschnitte: Dämmerzustände, begleitende Delirien und psycho¬ 
pathische Constitutionen; dass die Neurasthenie aus der Gruppe der affectiven 
Psychosen Manie und Melancholie, wo sie früher stand, in die letztere hinüber- 


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versetzt ist, ist wohl nur als Fortsehritt zu bezeichnen. Als ein weiterer Gewinn 
sind die jedem Paragraphen zugefügten Zeilen über die forensische Bedeutung zu 
begrüssen, sowie ein Anhang, der die für den Psychiater wichtigsten Gesetzes¬ 
paragraphen enthält. Die beigefügten physiognomischen und mikrophotographischen 
Tafeln sind unverändert geblieben. 

Im Ganzen kann man jedenfalls sagen, dass die Veränderungen und Er¬ 
weiterungen der neuen Auflage nur zum Vortheil gereichen und geeignet sind, 
die weitere Verbreitung des Lehrbuches zu befördern. H. Haenel (Dresden). 

2) Die Neurologie des Auges. Bd. IL Ein Handbuch für Nerven- und Augen¬ 
ärzte, von Dr. H. Wilbrand und Dr. A. Saenger in Hamburg. (Wiesbaden 
1901, J. F. Bergmann.) 

Der erstaunliche Fleiss, der bei der Besprechung des L Bandes des Werkes 
schon rühmend hervorgehoben wurde, zeichnet auch den IL Band der „Neurologie 
des Auges“ aus. Auf 307 grossen Druckseiten werden die Thränensecretion und 
die Trigeminusaffectionen besprochen, und nach Kritisirung der Ansichten der 
verschiedensten Autoren bilden die Verff. auf Grund ihrer reiohen Erfahrung ihr 
eigenes UrtheiL 

Ganz besonders genau und eingehend ist die Besprechung der Keratitis 
neuroparalytica und des Herpes zoster ophthalmicus, die mit ihren reichlichen 
und anschaulichen Abbildungen ein klares Bild der betreffenden Erkrankungen 
liefert. Auch der zweite Theil, dem ein dritter über Accommodation und Pupillen- 
verhältmsse noch folgen soll, kann den Neurologen und Ophthalmologen aufs 
Wärmste empfohlen werden. Fritz MendeL 

3) Das dritte Qesohleoht. Beiträge zum homosexuellen Problem, von H. Braun- 
sohweig. (Halle 1902.) 

Die sensationelle Umschlagzeichnung der vorliegenden Broschüre lässt er¬ 
kennen, dass diese nicht nur für Aerzte, sondern für das grosse Publicum ge¬ 
schrieben ist, und es könnte fraglich erscheinen, ob es nothwendig oder nützlich 
ist, diese Frage, die schon allzu reichlich vor dem breitesten Forum der Oeffent- 
lichkeit verhandelt worden ist, zum hundertundersten Male dort zu tractiren. 
Neue Thatsachen bringen diese „Beiträge“ nioht zum Vorschein, dagegen alt¬ 
bekannte in zum Theil falscher oder zum mindesten unvollkommener Darstellung 
(z. B. den Exhibitionismus als Anlockungsmittel des männlichen Prostituirten für 
seine Geschlechtsgenossen). Der Standpunkt des Verf„ dem man im Allgemeinen 
die Zustimmung nioht wird versagen können, kommt in folgenden Sätzen zum 
Ausdruck: „Dem geborenen Weibsmann soll sein Hecht, wenn er es durohaus 
will, unangetastet verbleiben; er mag sich des vorhandenen Defectes erfreuen. 
So lange er nicht mit der Oeffentlichkeit in Conflict kommt, soll er von keinem 
Paragraphen des Strafgesetzbuchs angefasst werden können. — Nicht der spär¬ 
lich vertretene Natur-Urning, die üppig wuchernde angewöhnte Homosexualität 
gebiert die Schäden. — Der Natur-Urning, der geborene Homosexuelle, ist ein 
kranker Mensch; der Gewohnheitsurning steht auf der Grenze zwischen krank¬ 
haft und lasterhaft; der Geschäftsurning gehört vor den Richter. — Bürgerrecht 
wird die Homosexualität nie finden, bedingtes Gastrecht sioher; „. . . in der ver¬ 
kehrten Geschlechtsempfindung eine oftmals durch die Natur bewirkte Erscheinung 
anerkennen, erlaubt noch nicht, uferlose Consequenzen daraus zu ziehen.“ Die 
Mahnung an Eltern und Erzieher, pathologische sexuelle Keime schon bei Kindern 
zeitig zu entdecken und jede mit ihnen in Verbindung stehende Regung einzu¬ 
dämmen, abzusohwächen, umzumodeln, ist gewiss nicht unangebracht; Verf. giebt 
auch einige greifbarere R athschläge zur Durchführung dieses oft leichter gegebenen 
als befolgten Rath es. H. Haenel (Dresden). 


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4) Geisteskrankheit und Irrenanstalten. Sechs gemeinverständliche Vorträge, 
von Tuczek. (Marburg 1902. Elwert’sche Verlagsbnchhdlg.) 

Diese Vorträge wurden als ein „volkstümlicher Lehrgang von Hochschul¬ 
lehrern“ im Anfang dieses Jahres gehalten. Verf. will durch diese richtige 
Anschauungen über das Wesen der Geisteskrankheiten sowie über die Thitigkeit 
und Ziele der modernen Anstalten für Geisteekranke verbreiten. Das ganze in 
Betracht kommende Gebiet wird in einer Weise abgehandelt, welche für derartige 
populäre Zwecke als vorbildlich bezeichnet werden kann. Ascher. 


5) Vier Vorlesungen aus der allgemeinen Pathologie des Nervensystems, 

von Frederick W. Mott. (Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann.) 

Aus der allgemeinen Pathologie des Nervensystems hielt Verf. im Sommer 1900 
vier Vorträge vor dem „Royal College of Physicians of London“, welche nun 
mit den begleitenden Worten Edinger’s in deutscher Sprache erschienen. Ein 
stellenweise nur zu tiefes Eingehen in Detailfragen geht mitunter Aber den 
Rahmen des Titels hinaus, doch kann man hierfür dem Verf. nur Dank und An¬ 
erkennung zollen, da wir gerade dadurch mit bisher nicht veröffentlichten oder 
schwer zugänglichen Untersuchungen Verf’s und seiner Schüler bekannt werden. 
In der ersten Vorlesung bekennt sich Verf. als überzeugter Anhänger der Neuron¬ 
theorie und ist diese Vorlesung ganz dem anatomischen und physiologischen 
Studium des Neurons sowie der Beziehungen der verschiedenen Neurasysteme ge¬ 
widmet. In der zweiten Vorlesung befasst sioh Verf. mit den pathologischen 
Veränderungen, welche bei Krankheiten und Verletzungen im Neuron Vorkommen; 
besonderes Interesse verdienen Verf.’s systematische Untersuchungen über die 
Wirkung zeitweisen und dauernden Blutmangels, ferner von Blutungen und Hyper- 
pyrexie; in interessanter Weise äussert sich Verf. über den Einfluss verschiedener 
Gifte und Toxine. Die dritte Vorlesung behandelt die chemischen Vorgänge bei 
der Entartung und ihre Beziehungen zur Autointoxiction; Verf. bespricht die sich 
bei Markscheidenzerfall bildenden chemischen Producte und deren toxische Wirkung 
auf den thierischen Organismus auf Grund von Thierexperimenten. Manch Neuss 
und Wichtiges erwähnt Verf. nur skizzenhaft, doch genügend, um neuen Unter¬ 
suchungen neue Bahnen zu weisen. Die vierte Vorlesung ist der Besprechung 
einiger chronischer Vergiftungszustände gewidmet. Verf. weist auf die enge Ver¬ 
wandtschaft in der Aetiologie und Pathologie der Tabes und allgemeinen Paralyse 
hin und betont die besondere Rolle, welche der Syphilis bei diesen zufällt, und 
führt verschiedene Beweise dafür ins Treffen, dass das Primäre bei diesen Er¬ 
krankungen die Degeneration der Nervenelemente sei, während Gliawucherung u.aw. 
nur secundärer Natur sind. Den Bemerkungen über primäre Erkrankungen der 
zuführenden und ausführenden NeurasyBteme sowie über Polyneuritis, folgt als 
Sohluss eine kurze Darstellung der Erblichkeit und ihre Beziehungen zur Dege¬ 
neration des Neurons. 

Bezüglich der vielen interessanten Details sei das Original empfohlen, welches 
auf 112 Seiten Text 59 sehr instructive Abbildungen bietet (Mikrophotogramme, 
Athmungs- und Blutdruokcurven, Photogramme). Hudovernig (Budapest). 


6) In Berlin erscheint, herausgegeben von Dr. Lipliawsky und Dr. Weis¬ 
bein, jetzt eine russische medicinische Rundschau als Monatsschrift für die 
gesammte russische medicinische Wissenschaft und Litteratur. 

Die vorliegende Nr. 1 enthält neben Referaten aus allen Zweigen der Mediän 
einen Originalartikel aus der chirurgischen Universitätsklinik in Moskau von Dr. 
Diwawin: Zur Frage der operativen Behandlung der Graves'schen Krankheit 


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IV. Aus den Gesellschaften. 

vm, Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen 
in Dresden am 26. und 26. Ootober 1902. 

I. Sitzung am 26. October, Vormittags 9 1 / a Uhr. 

Vorsitzender: Herr Prof. Hitzig. 

1. Herr Bruns (Hannover): Ueber die Verschiedenheit der Prognose 
«wischen den Plexus* und Nervenstammlähmungen der oberen Extremität. 

(Vergl. Original 1 in dieser Nummer.) 

DiscuBsion: 

Herr Adolf Schmidt: Zu den Entbindungslähmungen, die ja in der vom 
Vortr. angeregten Frage eine grosse Bolle spielen, bin ich in der Lage einen 
Fall anzuführen, der später zur Section gekommen ist und bei dem sich ergab, 
dass die oberen Plexuswurzeln vollständig zerrissen und durch Narbengewebe er¬ 
setzt waren. Die umgebenden Knochen waren dabei intact geblieben. Dieser 
Fall — der von anderer Seite ausführlicher veröffentlicht werden wird — zeigt, 
dass die Verletzungen des Plexus bei den Entbindungslähmungen, ganz wie Vortr. 
vermuthet hat, schwererer Natur sein können, als das durchschnittlich bei den 
peripher gelegenen Druck- und Zerrungslähmungen der Fall ist. 

Herr 0. Förster möchte für die Auffassung des Vortr., dass bei den trau¬ 
matischen, dem Bückenmark näher gelegenen, Läsionen der Nervenstämme ge¬ 
legentlich eine Betheiligung der Medulla spinalis im Spiele ist, einen weiteren 
Beleg mittheilen. Es handelte sich um einen Mann, dem ein Wagenrad über die 
rechte Schulter und unteren Hals gegangen war. Er hot anfangs totale Lähmung 
aller Muskeln, welche die rechte Hand und Finger bewegen, daneben bestanden 
spastische Erscheinungen in beiden Beinen und eine Anästhesie an der Innenseite 
des Oberarmes, Vorderarmes und der Hand einschliesslich des kleinen Fingers, 
also im Bereiche der 8. Cervical- und 1. und 2. Dorsalwurzel. Die spastisohen 
Erscheinungen und die Sensibilitätsstörung verloren sioh, die Lähmung heilte bis 
auf eine totale Lähmung des N. ulnaris, die dauernd unverändert blieb. 

Herr Hitzig glaubt, dass hei der guten Prognose der Badialisdrucklähmungen 
des Nerven relativ geschützte Lage zwischen Muskelbäuchen in Betracht kommt, wo¬ 
durch der Druck ein mehr indirecter wird. Ausserdem erinnert er daran, dass 
vielleicht auch physiologische Verhältnisse dabei eine Bolle spielen, besonders das 
sogenannte „lawinenartige Anschwellen“ des Reizes oberhalb der Läsionsstelle. 

Herr Haenel führt eine Arbeit von Viannay an, der für die sensiblen 
Nervenfasern wie für die den einzelnen Muskeln zugehörigen Nervenfasern in den 
verschiedenen Nervenstämmen ganz bestimmte Stellen im Nervenquerschnitt nach¬ 
gewiesen hat. Da bei Druckwirkungen die central gelegenen Fasern weniger von 
der Schädlichkeit getroffen werden — beim N. radial, sind diese z. B. sensibler 
Natur — wie die an der Peripherie des Querschnittes gelegenen, so wird dadurch 
manche anscheinende Zufälligkeit in der Vertheilung der peripheren Lähmung 
wie in der Beihenfolge bei der Bestitution erklärlich. 

Herr Bruns (Schlusswort): Das „lawinenartige Anschwellen“ kommt jeden¬ 
falls bei der Frage mit in Betracht, dies kann aber nicht ausschlaggebend sein; 
auoh er möchte anatomische und physiologische Gründe nicht ausschliessen. 

2. Herr Aschaffenburg (Halle a/S.): Beitrag sur Psychologie der 
Sittliohkeitsverbreohen. 

Vortr. demonstrirt an der Hand zweier Tafeln nach einer französischen und 
deutschen Beiohsstatistik die eigentümliche Vertheilung der Sittlichkeitsverbrechen 
auf die einzelnen Monate des Jahres, wobei im Juni und Juli ein Höhepunkt 


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erreicht wird. Auf allen Gebieten dee Geschlechtslebens ist eine solche Periodi- 
cität nachweisbar, und zwar kann man eine Scala aufstellen, die vom erlaubt« 
zum unerlaubten Geschlechtsverkehr fortschreitend, diese Periodieität umso su- 
geprägter zeigt, je weiter sie sich vom normalen Verkehr entfernt: eheliche, va- 
eheliche Conoeptionen, Unzucht, Nothzucht, Unsucht begangen an Sündern unter 
14 Jahren. — Oie eigenartige Abhängigkeit des Geschlechtslebens von beetürnnt« 
Zeiten legt die Frage nach der Art der Sittlichkeitsverbrecher nahe. Vortr. hat 
deshalb seit 1 1 / J Jahren sämmtliche Sittliohkeitsverbreoher, die in das Straf- 
gefängniss zu Halle a/S. eingeliefert wurden, einer psychiatrischen Beobacht»* 
unterworfen. Es waren das 95 Fälle, die sioh folgendem)nassen vertbdhes: 
Doppelehe (1), Blutschande (2), unzüchtige Handlungen mit Gewaltanwendung (2), 
an Geisteskranken oder Bewusstlosen (4), an Personen unter 14 Jahren (64), 
Nothzucht (10), Huppelei (10). 

Für die Bedenklichkeit der Zuhälter spricht, dass sie bei einem Durch¬ 
schnittsalter von 30 Jahren, fünf davon unter 22, im Mittel 6 Vorstrafen erlitt« 
hatten. Einer war verblüdet, sieben wenig intelligent. 

Die beiden wegen Päderastie Verurtheilten litten an Dementia praecox. Unter 
den wegen Unzucht und Nothzucht bestraften 80 Fällen waren 26, denen Vortr. 
den Sohutz des § 51 zuerkennen möchte, 18, bei denen die Zurechnungsfähigkeit 
eingeschränkt erschien. Ganz gesund waren nur 20. 

Die Formen der bestehenden geistigen Anomalieen vertheilten sioh auf 


Epilepsie. 

Unzucht u. Nothzucht 

8 

Unzuchthandlungaa 
an Kindern allein 

8 

Neurasthenie .... 

3 

2 

Hysterie. 

1 

1 

Senile Demenz .... 

8 

8 

Imbecillität. 

22 

13 

Imbecillität hohen Grades 

15 

12 

Dementia praecox. . . 

1 

1 

Gefangenenwahnsinn . . 

1 

1 

Suicid. 

1 

1 

Normal. 

20 

17 


80 

64 


Die Dementia praecox und der Gefangenenwahnsinn traten erst nach der Ver 
urtheilung nachweislich zu Tage. Der Selbstmord erfolgte 8 Tage nach Be¬ 
lieferung in die Strafanstalt, ohne dass der Gefangene irgendwie auffällig ge»** 
wäre. Von den Senilen standen sieben im Durchschnittsalter von 71 Jahren nsd 
waren alle zum ersten Male bestraft worden. 

Vortr. weist ferner auf die Beobachtung hin, dass die abnorme Neigung d* 
Geschlechtslebens oft auf bestimmte Jugendeindrücke sich zurückführen Il*t; 
einige der Verurtheilten hatten nie normalen Geschlechtsverkehr gehabt 

Die grosse Zahl der psychisoh Abnormen zeigt, wie nothwendig es ist, i> 
allen Fällen von Sittlichkeitsverbrechen eine psychiatrische Begutachtung s> w 
langen; in den vorliegenden Fällen war dies nur zwei Mal geschehen; bei da 
senil Dementen war trotz der Unbescholtenheit und des hohen Alten nicht sinn*! 
der Gedanke an Krankheit geäussert worden. — Von besonderer Wichtigkeit nt 
noch, wie wenig die mildere, d. h. kürzere Strafe bei all den wegen Schwachsinn, 
Epilepsie, Hysterie u. s. w. Minderwertigen im Interesse der allgemein«) Rechts¬ 
sicherheit angebracht ist Nach Autoreforat 

Discussion: 

Herr Moeli vermisst die Erwähnung der Exhibitionisten in dem Vortrag* 


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des Hrn. Aschaffenburg. Bei diesen handelt es sich häufig um ein Lustgefühl, 
das durch Erregung eines Gefühles bei der Person, gegenüber der die EntblOssung 
stattfindet, erzeugt wird. Sein Wesen ergiebt sich aus der Art der Gewählten: 
Frauen und kleine Mädchen, bei denen schon eine gewisse Empfindung voraus¬ 
gesetzt werden kann. Wesentlich erscheint ihm auoh die Erregung des sexuellen 
Schamgefühles, nicht immer nur anderer sexueller Empfindungen oder der Libido. 
Es fragt sich, ob dieser mehr psychisch ausgeprägten Sexualhandlung des Exhibi¬ 
tionisten eine Besonderheit der Mehrzahl der Thäter entspricht; durchgängig ist 
dies sicher nicht der Fall, rein äussere Umstünde (geringere Gefahr, leiohtere 
Ausführung) geben wohl oft den Ausschlag. Trotzdem ist auf die besondere Art 
des sexuellen Reizes bei dieser Gruppe immerhin Gewicht zu legen. 

Herr Ganser: Häufig wird die That des Exhibitionisten ohne Frage im 
alkoholischen Rausch oder im epileptischen Aequivalent begangen, wo dann natür¬ 
lich ein psychisch abnormer Zustand vorliegt. 

Herrn Hitzig fällt auf, dass die ausgestellten Curven der monatlichen Sitt- 
lichkeitsverbrechen aus Deutschland und Frankreich so vollständig sich deoken; 
er fragt nach dem Grunde dieser bemerkenswerthen Uebereinstimmung. 

Herr Aschaffenburg (Schlusswort): Eine Abhängigkeit der Curven von 
der Jahrestemperatur allein scheint nioht vorzuliegen; vielleicht spielen die 
physiologischen Schwankungen des psychischen Gleichgewichtes, wie wir sie bei 
der Frau in der Menstruation sehen, eine Rolle; auoh beim Manne scheint eine 
entsprechende Periodicität nicht ganz zu fehlen (Havelock Ellis). Ueber die 
Exhibitionisten hat Vortr. keine neuen Erfahrungen gesammelt; unter den zuletzt 
beobachteten fünf waren drei hochgradig, zwei mässig schwachsinnig; in Heidelberg 
standen die Epileptiker an erster Stelle. Ueber die Motive zu den Unzuchts¬ 
handlungen, speciell ob dabei die Erweckung des Schamgefühles bei der ange¬ 
griffenen Person eine Rolle spielt, hat er von seinen Untersuchten keine verwert¬ 
baren Aufschlüsse erhalten; die meisten waren überhaupt ausser Stande, sich 
genügende Rechenschaft über die Motive ihres Handelns zu geben. 

3. Herr Förster (Breslau): Die Grandlagen der methodischen Uebungs- 
therapie von Bewegungsstörungen. 

Vortr. giebt einen Auszug aus seinem jhngst erschienenen Buche: Die 
Physiologie und Pathologie der Coordination, der sich zum kurzen Referat nicht 
eignet Das Wesentliche ist, dass er drei über einander gelagerte Coordinations- 
systeme beschreibt, das spinale, cerebrale und cerebellare, also nicht bloss die 
bewusste Sensibilität zur Leitung der Bewegungen heranzieht, und aus der ver¬ 
schiedenen Betheiligung dieser Systeme an den Läsionen die einzelnen Arten der 
Coordinationsstörungen entwickelt. 

Discussion: Herr Binswanger hält es nioht für ausgeschlossen, dass die so 
wichtigen Analysen des Vortr. auoh auf funotionelle Störungen zu übertagen sind; 
besonders interessant würde sioh die Untersuchung gestalten bei hysterischen 
Lähmungen, bei denen ja ein anatomischer Ausfall centripetaler Bahnen nicht 
vorliegt Vielleicht spielt dann statt dessen der psychische Factor der erhöhten 
oder herabgesetzten Schmerzempfindlichkeit eine Rolle. 

4. Herr Bennecke: Aus meiner psychiatrischen Thätlgkeit am Dresdner 
Garnlsonlasareth. 

Die sächsischen Militärbehörden tragen seit einiger Zeit auoh für die psychi¬ 
atrische Ausbildung der jungen Militärärzte Sorge. — Unter den seiner Aufeicht 
unterstellten Kranken waren der Zahl nach Schwachsinn, psychopathische, nament¬ 
lich Angstzustände auf degenerativer Basis und epileptische Geistesstörungen am 
stärksten vertreten. Besonders betont Vortr. das seltene Vorkommen von Alko¬ 
holismus, auch unter den Unteroffioieren. — Ausführlich giebt Vortr. die Kranken» 


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Digiti: 


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gSsohichten Von drei Leuten mit Wandertrieb (Poriomanie) wieder; zwei tob 
diesen waren erblich neuropathisch belastet; bei keinem bestand echte Epilepsie 
mit Krampfanfällen; allen gemeinsam war die erhaltene, zum Theil auf die kleinste« 
Einzelheiten sioh erstreckende Erinnerung, das ruhelose, nur im Zustande grömter 
Ermüdung für einige Zeit unterbrochene Umherlaufen, das stark herabgesetzte 
Nahrungsbedürfhiss und vor allem das Unbezwingliohe und völlig Dominireodt 
des Wandertriebes, das Reflexionen wie Gedanken an die Folgen dee Thuns nickt 
oder erst ganz spät aufkommen lässt. 

Discussion: 

Herr Ilberg begrüsst die Einrichtung einer psychiatrischen Beobachtungs- 
Station im Dresdener Garnisonlazareth als einen dankenswertken Fortschritt und 
möchte die Aufmerksamkeit der Militärärzte immer mehr auf die Insassen der 
Militärstrafanstalten gerichtet wissen. Der Alkoholismus, dessen geringe Ver¬ 
breitung unter den Mannsohaften Vortr. hervorhob, dürfte in den Officiereorpe 
leider noch erhebliche Verbreitung besitzen; vielleicht wäre es empfehlenswert^, 
wenn bei ehren- und kriegsgerichtlichen Verhandlungen über Excesse in der 
Betrunkenheit die Beschränkung der Zurechnungsfähigkeit noch mehr gewürdigt 
würde. Fälle von Dementia praecox, die während der Militärzeit zum Ausbruch 
kamen, ohne jedoch im Zusammenhänge mit dem Dienste zu stehen, hat er ziemlich 
häufig gesehen. 

Herr Bruns fragt nach der Verbreitung der Hysterie, besonders der trau¬ 
matischen, in der Armee; nach seinen Erfahrungen ist sie nicht selten. 

Herr Bennecke: Hysterie ist allerdings verhältnissmässig häufig; in den 
letzten zwei Jahren kamen sieben ausgesprochene Fälle zur Aufnahme. — Da 
jetzt wohl alle Fälle zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit zur psychiatrischen Begut¬ 
achtung kommen und nach Feststellung der Krankheit vom Militär entlassen 
werden, dürfte eine Anhäufung soloher Elemente in den Festungsgefängnissen 
ausgeschlossen sein. 


II. Sitzung: 1 Uhr NaohmittagB. 

Vorsitzender: Herr Prof. B.inswanger. 

5. Herr Haenel (Dresden): Gedanken zur Neuronenfrage. 

Vortr. giebt einen kurzen Abriss der Entwickelung der Neuronenlehre von 
1891 bis heute. Die Thatsachen, die für dieselbe sprechen, werden den Eis¬ 
wänden, die vor längerer Zeit bis in die jüngste Zeit dagegen vorgebracht worden 
sind, entgegen gestellt. Für die Neuronenlehre sprioht: das anatomische Bild in 
Golgi-Präparat, die His’sche Darstellung der Embryogenese der Nervenfaser, 
viele Thatsachen der Pathologie und pathologischen Anatomie, vor allem die 
secundäre Degeneration und die System-Erkrankungen; die Physiologie hat ihrer¬ 
seits keine neuen bestätigenden Thatsachen vorgebracht, sie hat hei genaueren 
Zusehen ‘kein wesentliches Interesse an der Erhaltung der Neuronenlehre. Gegen 
dieselbe sprechen die histologischen Nachweise der continuirlioh verlaufenden, 
wahre Anastomosen und Gitter bildenden Neurofibrillen, die alten und neuen 
Beobachtungen einer multicellulären Entstehung derselben und der Axencylinder, 
aus dem Gebiete der pathologischen Anatomie alle transneuralen trophisebes 
Störungen, discontinuirliche Zerfallaprocesse, manche Beobachtungen an Mim¬ 
geburten u. a. In der Physiologie ist die Anschauung, dass nur die Fibrill« 
das eigentliche, nervös fiinotionirende Element darstellen, die durch blosse Un¬ 
lagerung die Verschiedenheiten der Function ergäben, ebenso wenig befriedige»! 
wie die entgegengesetzte, dass Faser und Zelle, im Grunde Elina, durch Diffsreo- 
ziruog so verschiedene Eigenschaften erlangt hätten. — Diese Schwierigkeit« 
erscheinen leiohter lösbar, wenn man anstatt der anatomischen eine funetio- 


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nirende Einheit annimmt unter der Hinzufügung, dass die anatomisohe In¬ 
tegrität an das Vorhandensein der physiologischen Beize gebunden ist. Unter 
Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes und unter Aufgabe der entwickelungs¬ 
geschichtlichen Einheit kann man sich dazu das „Neuron“ als eine Art 
Organ vorstellen, dessen Einheitlichkeit erst mit der Function und nach Mass- 
gabe derselben entstanden, nicht Ton vornherein gegeben ist. Die trophische 
Abhängigkeit der einzelnen Elemente dieses Organs von einander wäre dann 
ebenso verständlich wie die mannigfachen Variationsmögliohkeiten der Erkran¬ 
kungen desselben. Der Streit um die Frage nach der functionellen Allein- oder 
Oberherrschaft der Zelle oder der Fibrillen u. s. w. würde bis zu einem gewissen 
Grade hinfällig: Fibrille mit Tigroid wird natürlich andere Eigenschaften auf- 
weisen als Fibrille mit Interfibrillärsubstanz oder Fibrille mit Fibrille. — Wir 
können zum Schluss sagen: der Begriff des Neuron als einer anatomischen, embryo¬ 
logischen, pathologischen und trophisohen Cellulareinheit ist nicht mehr aufrecht 
zu erhalten. Setzt man aber an seine Stelle eine Einheit nach Art eines Organs, 
so entspricht diese Vorstellung den heutigen histologischen und entwicklungs- 
geschichtlichen Anschauungen, erklärt die Thatsachen der Pathologie ebenso gut, 
vielleicht besser und lässt die physiologischen Verhältnisse verständlicher er¬ 
scheinen. Obgleioh die Eigenschaften dieser neuen Einheit in manchen Punkten 
mit denen des Neurons übereinstimmen, so ist doch dieser Begriff so fest mit der 
Vorstellung der cellularen Einheit verwachsen, dass es sich empfehlen dürfte, 
einen neuen Namen zu wählen: Vortr. schlägt deshalb den Namen eines Ergon 
für das morphologische und physiologische Bauelement des Nervensystems vor. 

Discussion. 

Herr Bins wanger hält die Vorstellung einer Organeinheit für werthvoll zur 
Erklärung mancher pathologisoh-anatomisoher Eigentümlichkeiten; besonders hat 
er dabei die Partialschädigungen der Ganglienzellen im Auge, wie sie z. B. in 
den Anfangsstadien der Paralyse beobaohtet werden können; vielleicht können 
wir in solchen für die Erklärung „functioneller“ Symptome einen Hinweis finden. 
— Er glaubt übrigens, dass eine ähnliohe Anschauung, wie die des Vortr., sohon 
vor Jahren einmal von Herkel ausgesprochen wurde. t 

Herr Hoppe: Hensen hat bereite gegen His betont, dass bei Embryonen 
das Nervenrohr mit dem peripheren Organ dauernd durch eine Reihe Zellen ver¬ 
bunden ist, die sioh später in den peripheren Nerven umbilden. 

Herr Haenel (Schlusswort) erkennt in dem letzteren Hinweis eine werth¬ 
volle Bestätigung der Bethe’schen Angaben; die His’schen Beobachtungen brauchen 
deshalb nicht falsch zu sein, die Neuroblasten mit ihren Faserforteätzen existiren 
gewiss, nur sind sie nicht die einzigen Componenten der späteren Nerveneinheit. 

6. Herr Böhmig (Dresden): Hysterisohe UnfiaUaerkrenknngen bei Tele¬ 
phonistinnen. (Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.) 

Vortr. hat eine Anzahl Telephonistinnen in Behandlung gehabt, die durch 
einen Blitzschlag in die Leitung oder durch einen Inductionssohlag getroffen 
worden waren. Elinzeine Fälle waren deshalb interessant, weil die Verletzten 
sehr bald — 8—70 Stunden nach dem Unfall — zur Untersuchung kamen und 
sofort das Bild der Unfallsneurose boten, andere deshalb, weil sie schon wegen 
anderer Störungen in Behandlung dee Vortr. standen und dieser so constatiren 
konnte, dass kein Symptom der späteren Neurose vorher bestanden hatte. Die 
Fälle selbst zeigten die verschiedensten Erankheitsbilder: von leichten, rasch 
vorübergehenden bis zu den hartnäckigsten, selbst dauernden Störungen der 
Sensibilität, mit schweren Allgemeinerscheinungen, trophischen Störungen u. s. w. 
In keinem Falle traten trotz jahrelangen Bestehens organische Veränderungen ein. 

(Autoreferat) 


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Disctueion: 

Herr Bruns: Unter den Symptomen der Blitzschlagneuroeen, die meüt woW 
hysterischer Natur sind, kommen doch auch organisohe tot, wie ein Pall seiner 
Beobachtung zeigte, in dem sich eine ausgesprochene organische, einsaitig« 
Trigeminusneuralgie mit Ausfall der Zähne und anderen trophiechen Störung« 
entwickelte. 

Herr Binswanger hält die Fälle für wichtig, weil wenige ä hnlic h e nr- 
öffentlicht sind. Unter seinen Fällen hat er mehrfaoh grobe Simulation entdeckt 

Herr Hitzig hat in seiner Klinik ebenfalls einige Fälle beobach t en k ön nen, 
dabei war keine Simulation im Spiel. Ein Unterschied zwischen gew öhnlich« 
Blitzschlag und Telephontrauma ist schon darin gegeben, dass gelegentlich die 
Telephonistin gänzlich unvermuthet yon dem Schlage getroffen wird, wenn da« 
Gewitter an einem entfernten Orte stattfand; in solchen Fällen fällt ein etwaiger 
vorheriger, ungünstig wirkender Angstaffeot natürlich fort Die Prognose war 
bei seinen Fällen im Gegensätze zu denen des Vortr. in der Regel schlecht 

Herr Böhmig (Schlusswort): Organisohe Nervenerkrankung hat er nkht 
beobachtet, dagegen ebenfalls Fälle von Simulation, desgleichen solche von Auto¬ 
suggestionen, wo früher hysterische Personen nach Anhören von Unfallsfolgen die 
alten Beschwerden allmählich als Unfallsfolgen um deuteten, ln einem seiner Fälle 
wurde die in Dresden arbeitende Patientin von einem in Chemnitz niedergehend « 
Gewitter betroffen, stand also nicht unter Gewitterfurcht Schädlich wirkt sicher 
auch der Umstand, da« die Telephonistinnen den Hörer am Kopfe befestigt 
tragen, also unter Umständen mehrere Schläge kurz hinter einander bekoanMu 

7. Herr Strohmayer (Jena): Ueber die Bestehungen zwischen Kpiloptos 
und Migräne. 

In Anbetracht der Thatsache, da« es eine symptomatische Migräne bei Ep** 
lepsie giebt, soll man sich hüten, ohne Weiteres von „Uebergäagen“ beider Krank¬ 
heiten in einander zu reden; trotz ihrer engen Anlehnung trennt sie doch ent¬ 
scheidend die Thatsaohe, dass bei Migräne trotz schwerster and gehäufter Anf äl l e 
niemals Schwachsinn als Folgezustand, wie bei der Epilepsie, aufiritt. Beide 
kommen ö%r als gleichwertige Erkrankungen hei demselben Individuum vor, 
doch hat sich noch kein einwandfreier Fall finden lassen, der für einen echt« 
Uebergang der einen in die andere spräche. Wo ein solcher vomdiegeu eehiea, 
war die Migräne nur ein Symptom der epileptischen Grunderkrankung, oder die« 
trat als etwas Neues zur Migräne hinzu. Bei der Mitigation einer Epilepsie zur 
Migräne wird das Verhältniss in der Regel das sein, da« die Epilepsie als solche 
weiter besteht and nur Higränetypus angenommen hat. — In atypischen Fllku 
war der Unterschied, ob Migräne oder Epilepsie vorlag, nicht immer eindeutig 

8. Herr Pierson (Lindenhof): Ueber Entmündigung wege n Geistes¬ 
schwäche. 

Vortr. berichtet über einen Fall eines Patienten, der 1894 wegen Geistes¬ 
krankheit nach den Bestimmungen RGJB.’s für Sachsen entmündigt worden war 
and 1900 die Umwandlung der Entmündigung in eine solche wegen Geistes¬ 
schwäche im Sinne des neuen B.G.B.’s beamtragt hatte, weil er sich zu varheintkea 
beabsichtigte. Das zuerst eingeholte gerichtsärztliche Gutachten sprach sich geg« 
diesen Antrag ans, ebenso ein Obergutaohten d« Landee-Medicinaloollegia— 
Nunmehr beantragte der Anwalt des Patienten, ein« typischen Fall« von degsoe- 
rativem Schwachsinn (angeborener Imbeoillität), da« eine juristische Autorität 
um ihr Gutachten angegangen werden solle, da nach seiner Ansicht die juris tis ch « 
Schlussfolgerungen der beiden ärztlichen Gutachten nicht zutreffend seien. Diese» 
Anträge wurde seitens des Amtsgerichts Folge gegeben und ein hervorragender 
Professor der juristischen Facultät an der Landesuniversität mit der Erstattung 


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des Gutachtern beauftragt Dasselbe spricht sich nun für die Umwandlung der 
Entmündigung wegen Geisteskrankheit in eine solche wegen Geistesschwäche aus, 
wobei besonders hervorgehoben wurde, dass dem Kranken durch diese Aenderung 
lediglich die Geschäftsfähigkeit eines Kindes von 7 Jahren zugesprochen werden 
solle, die er im Wesentlichen auch schon vorher besessen hatte. Das Amtsgericht 
eignete sich diese Auffassung an und beschloss demgemäss. Ein Einspruch ist 
von keiner Seite erfolgt. Die geplante Heirath ist nicht zu Stande gekommen. 

Vortr. spricht als seine persönliche Ansicht aus, dass auoh er die Gewährung 
dieser immerhin sehr beschränkten Geschäftsfähigkeit für den betreffenden Kranken 
als unbedenklich erachte. In diesem Falle komme sehr viel auf die Persönlich¬ 
keit des Vormundes an, dem allerdings dann auch eine grössere Verantwortung 
zufalle. Vortr. ist der Meinung, man könne bei der Mehrzahl von derartigen 
Imbecillen mit der Entmündigung wegen Geistesschwäche auskommen; dieselbe 
sei ausreichend, um zu verhüten, dass sie sich und andere schädigen und man 
mache damit der Laienauffassung eine Conoession, die keine grossen praktischen 
Consequenzen nach sich ziehe. 

Discussion: 

Herr Weber ist an dem Falle als Referent des Landes-Medicinaloollegiums 
persönlich interessirt. Das Gutachten dieses Collegiums war ein sehr ausführliches 
und kam zu dem Schlüsse, dass Geisteskrankheit vorliege. Es ist zu bedauern, 
dass der juristische Gutachter das Landee-Medioinalcollegium nicht nochmals zur 
Aussprache zugezogen hat; er hätte dadurch Missverständnisse verhindert, z. B. dass 
das Kriterium der Geisteskrankheit der Verlust des Vernunftgebrauohs sei, ein Be¬ 
griff, den das gegenwärtige Gesetz garnicht kennt. Auch darin befindet sich das 
juristische Gutachten im Irrthum, dass es Geisteskranke mit Kindern bis zu 
7 Jahren, Geistesschwache mit Mindeijährigen bis zu 21 Jahren vergleicht; das 
Gesetz will zweifellos keine Identificirung dieser unvergleichbaren Zustände, sondern 
nur daa Rechtsverhältniss damit bezeichnen. 

Herr Pierson (Schlusswort) hat sich absichtlich auf das juristische Gut¬ 
achten beschränkt, um einer Versammlung von Psychiatern Gelegenheit zu geben, 
sich darüber zu äussern, umsomehr als dem Landee-Medioinalcollegium seitens 
des Amtsgerichts keine Füglichkeit gegeben worden war, zu demselben Stellung 
zu nehmen. 

9. Herr Ganser (Dresden): Zur Lehre vom hysterischen Dämmer¬ 
zustand. (Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.) 

Der Symptomenoomplex, den Vortr. zuerst 1897 beschrieben hat, ist in seiner 
Eigenart und seiner grossen forensischen Bedeutung allseitig anerkannt worden. 
Vortr. beschreibt die wesentlichen Symptome desselben unter Anführung eines 
skizzirten Krankheitsfalles, verbreitet sich ausführlich über das Symptom der 
„unsinnigen Antworten" und der Bewusstseinsstörung, die nicht in einer Ein¬ 
engung, sondern in einer Trübung mit nachfolgender Amnesie bestehe, sowie über 
die körperlichen Begleiterscheinungen, nämlich Sensibilitätsstörungen nach Art 
der Stigmata und Stirnkopfsohmerz. 

Vortr. wendet sich sodann gegen die Nissl’schen Anschauungen, wonach der 
beschriebene Symptomoomplex nichts anderes sei als eine Form des katatonischen 
Negativismus und Einzelerscheinungen als hysterische Zeiohen nur dann angesehen 
werden dürften, wenn der „hysterische Charakter“ (im Sinne Kräpelin’s) durch 
die klinische Methode (Berücksichtigung des gesammten Lebens- und Krankheits¬ 
verlauf es) erwiesen sei. Auch Vortr. hat Fälle von Katatonie beobaohtet, bei 
denen vorübergehend der beschriebene Symptomenoomplex auftrat; er deutet sie 
als Fälle von Katatonie bei Personen mit hysterischer Anlage bezw. katatonischer 
Erkrankung bei entwickelter Hysterie. Nach Autoreferat. 


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10. Herr Seifert (Dresden): Ueber einen Fall von Unfkllhyterifi mH 
oat&ner and sensorisoher Anästhesie. (Ausführliche Veröffentlichung an 
anderer Stelle.) 

Vortr. demonstrirt einen Beranken, der vor 10 Jahren eine Gehirnerschütterung 
erlitten hat und im Anschluss daran hysterisch wurde: 2 Monate nach dem Un¬ 
fälle 2 tägiger hysterischer Dämmerzustand, aus dem er mit completer sensibler 
und sensorischer linksseitiger Hemianästhesie erwachte. Dämmerzustände von na 
Theil tagelanger Dauer und Bewusstseinsstörungen wiederholten sich in unregel¬ 
mässigen Zwischenräumen, gefolgt zum Theil von doppelseitiger Taubheit, eis 
Mal von einem 73 tägigen Mutismus, auch verschiedentlich von Blutbrecben. 
Jetzt stehen dem Kranken noch immer nur die Sinnesorgane der rechten Seite 
zur Verfügung, an den linksseitigen Extremitäten besteht auoh Verlust der Lage- 
und Bewegungsempfindung. Während er aber bei offenen Augen mit beiden 
Händen normale Bewegungen ausführt, ist ihm dies sofort unmöglich, sobald das 
rechte, nicht amaurotische Auge geschlossen wird: die begonnene Bewegung hört 
im selben Augenblicke auf, obgleich Pat. der Meinung ist, dass er sie noch us- 
föhrt. Aehnlich verhält sich das Ohr zur Sprache: mitten im Satze hörte Pat. 
auf zu sprechen, wenn man ihm das noch hörende rechte Ohr verschloss. Bet 
Verschluss des rechten Auges und Ohres sinkt Pat. nach wenigen Secunde® um 
und verfällt in einen schlafähnliohen, seinen spontanen Dämmerzuständen analogen 
Zustand. — Seit etwa 1 Jahre hat sich eine Besserung bemerkbar gemacht, 
insofern als die spontanen Dämmerzustände sich verloren. — Vortr. bezeichnet 
das ganze Bild ab eine Erkrankung des Bewusstseins und entwickelt hieraas die 
Genese der einzelnen Symptome. 

11. Herr Stegmann (Dresden): Ueber 8nggeetjvbehandlqng von Trinkern. 

Vortr. hat seit 1899 im Ganzen 28 Trinker in Behandlung mit hypnotischer 
Suggestion genommen. Fünf davon entzogen sich innerhalb der ersten Woche 
der Behandlung, sieben verfielen nach längerer Behandlung nach der Entlassung 
wieder dem Trünke, 16 sind zur Zeit noch völlig enthaltsam; unter diesen er¬ 
litten allerdings sieben in der Zwischenzeit Rückfälle. Von den neun bisher 
freigebliebenen Fällen leben zwei seit über 2 Jahren, vier seit 1 Jahre, drei seit 
kürzerer Zeit enthaltsam. Die in das Stadtirrenhaus aufgenommenen Kranken 
wurden, soweit sie sioh zur Behandlung bereit finden lieesen, zunächst in der 
Anstalt einige Wochen, zum Theil auch mehrere Monate lang intensiv mit Suggestion 
im Wachzustand und hypnotischem Schlafe behandelt, nach der Entlassung noch 
längere Zeit 1—2 Mal wöchentlich in die Anstalt bestellt. Es wurde verlangt 
und mit wenigen Ausnahmen auch erreicht, dass die Kranken nach der Entlassung 
in den Guttemplerorden eintraten. 

Schwere psychische Degeneration erschwert die Behandlung und trübt die 
Prognose. Lange Dauer des Alkoholismus an sieh schliesst Heilung nicht aus, 
macht nur längeren Anstaltsaufenthalt erforderlich. Nach Autoreferat 

H. Haenel (Dresden). 


Um Einsendung von Separatabdr&cken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauer dämm 29. 

Verlag von Vnra & Comp, in Leipzig. — Druck von Mnaasn & Wim in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) 

Einundzwaiizigster ” B * rlln ' Jahrgang. 

Monatlich erseheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen daroh 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

19027 1* December. Nr. 23. 


Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Oiebt es eine autogenetische Regeneration der 
Nervenfasern? Ein Beitrag zur Lehre vom Neuron, von Privatdocent Dr. Egmont Münzer 
in Prag. 2. Bemerkungen über Winterkuren im Hochgebirge, von Dr. Benno Laquer in 
Wiesbaden. 

II. Referate. Anatomie. 1. Znr Kenqtniss des hinteren Marksegels, von Steindler. 
— Experimentelle Physiologie. 2. Die centrifngale Leitung im sensiblen Endnerven, 
von Kohnstamm. 3. Theorie du sommeil, par Fleury. 4. La fonction du nerf glossopharyngien 
dans la rumination, par Krueger. — Pathologische Anatomie. 5. Cucullarisdefeot als 
Ursache des congenitalen Hochstandes der Scapula, von Kausch. — Pathologie des 
Nervensystems. 6. Die physiologischen und psychologischen Beziehungen zwischen Sprache 
und Schrift, mit besonderer Berücksichtigung der Stenographie, von Kronsbein. 7. Klinische 
und anatomisch-pathologische Beiträge Uber Aphasieen, von Mingazzini. 8 . Ueber Wesen und 
Behandlung der Sprachstörungen, von Gutzmann. 9. Surditö corticale avec paralexie et hallu- 
cinations de l’ouie due ä des kystes hydatiques du cerveau, par Sdrleux et Mignot. 10. Con- 
tribution ä l’ötude des troubles du langage par löaion de ses centres d’arröt, par Touche. 
11. Ueber die Geberdenaphasie, von Mazurkiewlcz. 12. Ein Fall von Alexie, von Kulfner. 
13. Erfahrungen über „aphathische Demenz“, von Kuffner und Janskf. 14. Beiträge zur Lehre 
von der Echolalie, von Pick. 15. Behandlung und Ausgänge von 44 Depressionsfracturen am 
Schädel, von Franke. 16. Geheilte Schädelschüsse, von v. Bergmann. 17. Plaie pönötrante 
du cr&ne par arme ä feu, par Villemin. 18. Zur Frage über die Heilung der Hirnwanden, 
von Chenzinski. 19. Report as to the condition of a man tbrongh right cerebram a ballet 
passed from before backward eleven years ago, by Diller. 20. Penetrating bullet-wound of 
the brain: removal and recovery, by Laurle. 21. Zur Kenntniss der Bedeutung des Traumas 
ab ätiologisches Moment der Entstehung infectiöser Cerebralerkrankungen, von Ehmrooth. 
22. Zur Kenntniss der Starkstromverletzungen, von Jessen. 23. La mort et les accidents par 
les courante industrieb, par Battelil. 24. Blitzschlag und elektrische Hochspannung, von 
Jelllnek. 25. Note sur un caa d’hystero-traumatisme; paralysie faciale complete et trismus 
chez une enfant de treize ans, par Quyot et Pery. 26. Ein Fall von psendospastiscber Parese 
mit Tremor, von Respinger. 27. Ueber die acate (trophoneurotbche) Knochenatrophie nach 
Entzündungen and Traumen der Extremitäten, von Sudeck. 28. Ueber die Geisteskrankheiten 
nach Kopfverletzungen, von Werner. — Psychiatrie. 29. Ueber Ergebnisse elektrischer 
Untersuchungen an Geisteskranken, von Pilcz. 30. Ueber schwachsinnige Schulkinder, von 
Laquer. 81. Zur Casuistik der Zwangsvorstellungen, von Lundborg. 32. Deckung eines 
Erinnerungsdefectes durch Hallucination, von MOnkemBller. 38. Die Mörderinnen. Eine 
anthropologische Untersuchung von M®«. Tarnowskaia. 84. Ueber Othämatom bei Geistes¬ 
kranken, von Imura. — Therapie. 35. Leitfaden der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie 
für Praktiker und Studirende, von Cohn. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — XXXIII. Versammlung der südwestdeutschen Irrenärzte in Stuttgart am 1. und 
2. November 1902. — Medicinische Gesellschaft in Warschau. 

IV. Mlttheiiung. — V. Personalien. 


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I. Originalmittheilungen. 


1. Giebt es eine autogenetische Regeneration 
der Nervenfasern? Ein Beitrag zur Lehre vom Neuron. 1 

Von Privatdocent Dr. Egmont Münzer in Prag. 

Die Frage nach den Beziehungen der Nervenfasern zu den Nervenzellen 
war anlässlich der 72. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte Gegen¬ 
stand des Referates einer gemeinschaftlichen Sitzung der medicinischen Haupt- 
gruppe. 

Die beiden Referenten, die Herren Vebworn und Nissl, kamen in ihren 
Auseinandersetzungen zu entgegengesetzten Schlüssen, und währeud ersterer die 
Auffassung „des Ganglienzellkörpers mit seinem Nervenfortsatz und seinen 
Dendriten als cellulare Einheit“ in eingehender Weise verteidigte, zog Nisbl 
in seiner temperamentvollen Art gegen die Neuronenlehre zu Felde, betonte die 
Selbständigkeit und Unabhängigkeit der fibrillären Substanz gegenüber den 
Nervenzellen und findet es „allerhöchste Zeit definitiv mit einem Begriffe m 
brechen, der so viel Unheil und Verwirrung schon angerichtet hat“. 

Diese Worte Nissl’ s enthalten viel Ungerechtigkeit; denn, dass der Neuron¬ 
begriff, didactisch genommen, das Verständniss vom Auf baue und der Thätig- 
keit des Nervensystems ausserordentlich gefordert hat, wird keiner von uns im 
mindesten bezweifeln. Aber wenn nur didactische Gründe für die Beibehaltung 
dieses Begriffes sprächen, er andererseits eine unrichtige Vorstellung in unser 
Wissen hineinbrächte, dann wäre ich nicht minder wie Nissl der Ansicht, dass 
es allerhöchste Zeit sei mit diesem Begriffe zu brechen. 

Vorderhand scheint es nicht so weit zu sein und Nissl’ s stärkster Bundes¬ 
genosse, Bethe, hat wohl ebenfalls die Unzulänglichkeit der von Nissl gegen 
die Neuronenlehre erhobenen Einwände erkannt und sich beeilt die vorhandene 
Lücke auszufüllen. 

In einem ganz kurzen kritischen Aufsatze hatte ich in Uebereinsümmosg 
mit vielen anderen Autoren zwei meiner Ansicht nach das Neuron weeentikfa 
und scharf charakterisirende Merkmale hervorgehoben. 

„Der Begriff des Neuron — so heisst es im zweiten Schlusssätze dieses 
Aufsatzes — kann entwickelungsgeschichtlicb gefasst werden: — Alle 
Fasern, die aus einer Nervenzelle hervorgehen, gehören zu einem Neuron — 
und vom trophisehen Standpunkte d. b. wir fassen unter dem Begriffe eines 
Neurons alle Nervenfasern zusammen, die nutritiv von einem Protoplasten ab- 
hängen.“ 


1 Nach einem in der neurologischen Section der 74. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher nnd Aerzte zn Karlsbad gehaltenen Vorträge. 


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Gegen beide eben erwähnte Grundpfeiler des Neuronbegriffes brachte 
Bethe, wie wir einem Berichte des Neurologischen Centralblattes entnehmen 1 , 
in der 26. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte 
zu Baden-Baden (Juni 1901) eine Reihe schwerwiegender Argumente vor und 
erschütterte dieselben — die Richtigkeit seiner Folgerungen vorausgesetzt — 
bis auf den Grund. 

Zunächst theilte Bethe eine Reihe von Beobachtungen mit, durch die er 
sich berechtigt hält, der Entstehung der Nervenfasern aus dem Neuroblasten im 
Sinne von His sen. zu widersprechen und für die multicelluläre Entstehung des 
Axencylinders einzutreten. Die in dieser Richtung anzustellenden Untersuchungen 
entwickelungsgeschichtlicher Natur dürften wohl bei der Eigenthümlichkeit des 
zu bewältigenden Materiales noch längere Zeit keine endgültige Entscheidung 
zulassen. 

Anders steht es mit einer zweiten Versuchsreihe Bethe’s, die sich mit der 
Regenerationsfähigkeit der Nervenfasern beschäftigt Hier kommt er zum Schlüsse, 
dass der periphere Stumpf eines durchschnittenen Nerven — ohne jede Ver¬ 
wachsung mit dem centralen Theile — sich aus sich selbst regenerire. Und 
er verleiht dieser Thatsache, zu deren Zustandekommen Vornahme des Eingriffes 
am ganz jugendlichen bezw. neugeborenen Thiere gehört, erhöhte Bedeutung 
durch Mittheilung einer weiteren Versuchsreihe, deren Ergebniss ich wörtlich 
nach dem Referate im Neurologischen Centralblatte mittheilen will: 

„Durchschneidet man einen solchen Nerven, der sich aus sich selber (also 
ohne Betheiligung der Ursprungszellen) regenerirt hat und der in keiner Ver¬ 
bindung mit dem Rückenmark steht, zum zweiten Mal, so degenerirt nur das 
periphere Ende, während das centrale Ende (welches centralwärts stumpf zwischen 
den Muskeln endet) erhalten bleibt. Hieraus ergiebt sich, dass es bei der Durch¬ 
schneidung eines normalen Nerven nicht, wie man bisher bestimmt behaupten 
durfte, die Abtrennung von einem in der Ganglienzelle gelegenen trophisohen 
Centrum ist, was den peripheren Stumpf zur Degeneration bringt, und dass es 
nicht die Verbindung mit eben diesem trophischen Centrum ist, was den cen¬ 
tralen Stumpf vor der Degeneration bewahrt, sondern dass wir es hier mit uns 
bisher unbekannten und unverständlichen Unterschieden zwischen dem relativen 
Verhältniss von distal und proximal zu thun haben.“ 

Diese Angaben Bethe’s, vor allem aber die den Nervenfasern zugeschriebene 
mystische Eigenschaft bei Durchschneidung distal zu degeneriren und proxi¬ 
mal erhalten zu bleiben, waren es, welche die Kritik jedes, die Verhältnisse 
überschauenden, Lesers hervomifen mussten. — Aehnlich wie Nissl in seinen 
Auseinandersetzungen 2 hat zu unserer Ueberraschung auch Bethe übersehen, 
dass die Verhältnisse des (trophischen) Zusammenhanges von Nervenzellen und 
Nervenfasern an einem Theile des Centralnervensystems studirt werden können 


1 Gegen dieses Referat hat Bbthk bisher keinerlei Einwendungen erhoben, so dass wir 
dasselbe seinen Anschauungen entsprechend anseben dürfen. 

* Verhandlungen der 72. Natnrforscherversamuilnng 1900, S. 220—222. 

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und bereits studirt wurden, an welchem der Zusammenhang beider mit einander 
viel sicherer überschaut, Zelllflsionen viel eindeutiger gesetzt werden konnten, 
ich meine die Spinalganglien. 

Und was ergaben diese Studien? Zerstörung des Spinalganglions war ge¬ 
folgt von einer Degeneration des peripheren und des centralen Fortsatzes; bei 
Durchschneidung der hinteren Wurzel zwischen Ganglion und Rückenmark, 
degenerirte das centrale — proximale — Stück und das distale blieb er¬ 
halten und umgekehrt gestalten sich, wie bekannt, die Verhältnisse bei Durch- 
scbneidung des peripheren Fortsatzes. Doch diese, die trophische Bedeutung 
der Spinalganglienzellen für die von ihnen abgehenden Nervenfibrillen klar be¬ 
weisenden Thatsachen sind ja zu bekannt, als dass hier näher darauf eingegangen 
werden müsste. Bethe aber könnte uns, wollten wir uns in unserem UrthäJe 
auf diese Versuche stützen, den Vorwurf machen, wir hätten der ersten Be¬ 
dingung, Kritik üben zu dürfen nicht entsprochen, die Experimente des Kriti- 
sirten in der von ihm angegebenen Weise zu prüfen. Und so entschloss ich 
mich gleich nach Bekanntwerden der BETHE’schen Auseinandersetzungen za 
einer Nachuntersuchung seiner Versuche über die Regeneration durchschnittener 
peripherer Nerven, zu welcher ich mich auch aus dem Grunde ein wenig für 
berufen hielt, als ich selbst seit vielen Jahren auf einem benachbarten Gebiete, 
dem Studium der secundären Degeneration im Nervensystem, thätig war und bin. 

Als Versuchsthiere dienten ausschliesslich Kaninchen im Alter von 8 bezw. 
6 Wochen; im Ganzen wurden bis jetzt 10 Thiere operirt, d. h. der N. ischia- 
dicus (meist der linken Seite) frei gelegt und ein 1—2 cm langes Stück desselben 
excidirt. Selbstverständlich wurde immer aseptisch vorgegangen 1 ; die Wunden 
heilten per primam. Nach verschieden langer Zeit wurden die Thiere getödtet, 
nachdem zuvor das Operationsterrain genau freipräparirt, Nerv und Muskel 
bezüglich ihres elektrischen Verhaltens geprüft worden waren. Die folgende 
Tabelle über das Resultat bei vier Thieren dürfte am raschesten zur Orientinmg 
dienen. 

In keinem der Fälle war eine Verwachsung des peripheren mit dem cen¬ 
tralen Nervenstumpfe eingetreten; letzterer fand sich stets hoch oben zwischen der 
Hüftmu8culatur und zeigte meist eine kolbenartige Verdickung der Schnittstelle, 
eine Veränderung, auf welche bereits vielfach aulmerksam gemacht wurde. Der 
periphere Stumpf war hochgradig atrophisch; Diese Atrophie erschien am inten¬ 
sivsten im Falle A, d. h. nach 54 Tagen, vorher und — was auffallender — 
nach dieser Zeit war der periphere Stumpf deutlicher und sicherer nachweisbar. 
Seine Farbe war stets eine matte, glanzlose. Sehr bemerkenswert!] war das 
Verhalten der Schnittstelle des peripheren Stumpfes; diese hatte sich ausnahms¬ 
los in allen Fällen an einer. Oberschenkel muskel angelegt und war mit dem¬ 
selben innig verwachsen, so dass eine Ablösung des Nerven von der betreffenden 


1 Es ist mir ein aufrichtiges Vergnügen, an dieser 8telle meinem Freunde, Herrn Dr. 
Camill Hihsch, für die unermüdliche Hülfe bei Ausführung der Experimente berzlichst n 
danken. 


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Muskelfläche nicht möglich war; es handelte sich eben nicht um einfache Ver- 
löthung, sondern um innige Verwachsung, wie bereits vorhin bemerkt, und 
musste behufs genauer mikroskopischer Untersuchung die ganze Narbe mit 
einem Stücke des anhaftenden Muskels mit excidirt werden. 

Bethe berührt diesen Punkt, so viel ich sehe, gar nicht In dem be¬ 
treffenden Referate heisst es, bezüglich des centralen Endes des peripheren 
Stumpfes: „welches centralwärts stumpf zwischen den Muskeln endet“, und doch 
ist es mir wahrscheinlich, ja es erscheint mir unabweislich, dass auch bei 
Bethe’s Versuchen die gleichen Verhältnisse, wie bei mir vorhanden waren. 
Welche Bedeutung aber diesem Befunde zukommt, das wird uns gleich die 
Besprechung der mikroskopischen Befunde ergeben. Zur mikroskopischen Unter¬ 
suchung kamen der periphere und centrale Nervenstumpf, Rückenmark und 
Wadenmusculatur. Der periphere Nervenstumpf wurde mit der Verwachsungs¬ 
stelle an der Oberschenkelmusculatur herausgenommen; der centrale Stumpf 
wurde bis zu seinem Ursprung bezw. Eintritt ins Rückenmark freigelegt, die 
entsprechenden Rückenmarkstheile in Müller-Formol gehärtet und in Celloidin 
eingebettet. Centraler und peripherer Nervenstumpf und Muskeln wurden in 
7 4 °/o Osmiumsäure gebracht und theils nach Bethe behufs Fibrillenfarbung 
weiter behandelt, theils in der gewöhnlichen Weise nach der Härtung in Paraffin 
eingebettet und geschnitten. 

Die erste zu beantwortende Frage lautet: Sind in diesem peripheren 
mit dem Centrum anscheinend nicht zusammenhängenden Nerven¬ 
stumpfe Nervenfasern zur Entwickelung gekommen also nachweis¬ 
bar oder nicht? 

Vielleicht ist einer oder der andere der Ansicht, dass sich diese Frage 
schon durch das Ergebniss der elektrischen Untersuchung beantworte, und auch 
mir selbst schienen diese Resultate anfangs für die Abwesenheit von Nerven¬ 
fasern zu sprechen. Bei näherer Ueberlegung aber sieht man, dass die hoch¬ 
gradige Degeneration bezw. Atrophie der Wadenmusculatur an und für sich den 
Ausfall der electrischen Reaction bei Reizung vom Nerven aus erklären könnte 
und so müssen wir uns in der Beantwortung dieser Frage auf die mikro¬ 
skopische Untersuchung des Nerven selbst stützen. 

Als ich zunächst den Nerven des 54 Tage nach der Durchschneidung ge- 
tödteten Thieres untersuchte, fand ich jenes Bild, das wir Monate nach der 
Durchschneiduug eines peripheren Nerven im peripheren Stumpfe zu sehen ge¬ 
wohnt sind d. h. der Nerv erschien bei Osmiumbehandlung in toto blassbrann 
gefärbt, zeigte sich ganz marklos und enthielt ziemlich zahlreiche schwarze 
Schollen in grösseren Klümpchen und Reihen, die letzten Reste des zerfallenen 
Markmantels; normale markhaltige Nervenfasern waren nirgends sichtbar. — 
Sehr interessant gestaltete sich das Bild an der Verwachsungsstelle: hier zeigte 
sich eine bolbige Verdickung der Schnittstelle, jener ähnlich, welche sich an 
der Schnittstelle des centralen Stumpfes entwickelt, eine Thatsache, welche sich 
ebenfalls bei den älteren Autoren bereits registrirt findet. Dieser hier befind¬ 
liche Knoten erschien bei Osmiumbehandlung blassbraun gefärbt und erwieB 


• • 


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sich bei der mikroskopischen Untersuchung als aus zahlreichen kreuz und quer 
verlaufenden Fäserchen bestehend. Bei oberflächlicher Betrachtung konnte man 
glauben einen aus Bindegewebe bestehenden Knoten vor sich zu haben; bei 
genauer Durchmusterung liess sich mit Sicherheit feststellen, dass wir es hier 
mit ganz jungen, zarten, sich mit Osmium eben bräunenden Nervenfäserchen 
zu thun haben, die diesen Knoten auf bauen. Aus diesem Nervenknoten strahlten 
die dünnen Nervenfäserchen in den central gelegenen alten Nerven, während 
eine mächtige, aus diesen Fäserchen bestehende Nervenmasse den alten Nerven 
eine Strecke weit umkleidete. 

Noch deutlicher gestaltete sich das Bild in den beiden 100 bezw. 150 Tage 
nach der Durchschneidung getödteten Thieren. Hier findet man zunächst — 
ich verweise auf die beigegebenen zwei Abbildungen, welche Schnitten durch den 
peripheren Nervenstumpf (Nervenknoten) des in der Tabelle unter F geführten 
Versuchtsthieres entsprechen — die Verwachsungsstelle hügelartig verdickt. Der 
Hügel besteht, wie man an den Schnitten mit freiem Auge feststellen kann, 
aus einem in den Bildern nur seiner Lage nach angedeuteten grossen Fett- 
klumpen (F), dessen Theile vielfach zwischen die oberflächlich gelegenen Muskel¬ 
fasern ( M .) eingedrungen waren, während demselben der durch Osmium ge¬ 
bräunten Nervenknoten ( N.k.) auf lag. Eine genauere Betrachtung der beiden 
Abbildungen, von denen Fig. 1 dem 110., Fig. 2 dem 176. Schnitte durch den 
Nervenknoten entspricht, lässt eine Reihe wesentlicher Details erkennen. Zu¬ 
nächst finden wir in Fig. 1 eine Zahl tbeils quer, theils schräg getroffener 
Bündel (a, a v a 2 ), welche sich schliesslich gänzlich in dem Nervenknoten auf- 
lösen, ein Vorgang, dessen Anfangsstadium wir in a. x feststellen, während wir 
nahezu dessen Ende in a. 2 vor uns haben. Diese Bündel sind offenbar von 
der Seite in den Knoten eintretende Nervenbündel, welche bei unserer der 
Länge des Nerven entsprechend geführten Schnittrichtung mehr weniger quer 
getroffen wurden, während der von oben — proximal — eintretende Zug ( A ., 
Fig. 2) seiner Länge nach getroffen erscheint und sehr schön den Zusammen¬ 
hang des Knotens mit der oberflächlichen Bindegewebsschicht illustrirt. In 
Fig. 2 überblicken wir deutlich die Lage des Fettklumpen {F.) im Verhältniss 
zu jener Muskelfläche (J/.,), welcher die Nervenschnittstelle auf liegt, constatiren 
sehr sicher den massenhaften Zuzug von Nervenfasern durch die die Muskel¬ 
oberfläche deckende Bindegewebsschichte (bei A.) und sehen vor allem den Zu¬ 
sammenhang des peripheren Nervenstumpfes {N.p.) mit dem Nervenknoten {NX). 

Alle diese den Nervenknoten bildenden Fasern imponiren zunächst als Binde¬ 
gewebsfasern, könuen aber sobald man genauer zusieht, als nichts anderes denn 
junge zarte Nervenfasern aufgefasst werden, welche sich (in Folge ihres geringen 
Markmantels?) gerade nur mit Osmiumsäure bräunen, während nur ganz, ganz 
wenige von ihneu die schöne schwarze Osmiumreaction zeigen. 

Diese hier nachgewiesene in verschwenderischem Umfange vor sich gehende 
Luxusbildung von Nervensubstanz, welche zur Entstehung eines Nervenknotens 
führt, entspricht einer bereits von Ranvier festgestellten, von 8. Mayer be¬ 
stätigten Eigenschaft der Nervenfasern, welcher zu Folge es, wie Ranvier zeigte, 


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zur Bildung ausserordentlich reichlicher Nervenfasern im Bindegewebe zwischen 
den beiden Theilen eines durchschnittenen anscheinend nicht verwachsenem 
Nerven kommt. 

Höchst beachtenswerth ist es, dass nicht alle Faserbündel des peripheren 
Stumpfes eines durchschnittenen Nerven später markhaltige Fasern führen; 




neben vollkommen marklos gebliebenen Bündeln finden sich solche, in denen 
der ganze Quer- bezw. Längsschnitt von jungen markhaltigen Nervenfasern er¬ 
füllt erscheint Wodurch diese Differenz zu Stande kommt, ob hier die functio- 
nelle Verschiedenheit der Fasern des gemischten Nerven zu Tage tritt, ist eine 
Frage, deren Entscheidung weiterer Untersuchung Vorbehalten bleiben moss. 


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Die eingangs gestellte Frage aber müssen wir folgendermaassen beant¬ 
worten: 

Die Angabe Bbthe’s, dass in dem peripherenStumpfe eines durch¬ 
schnittenen, mit dem centralen Stumpfe nicht verwachsenen Nerven, 
längere Zeit nach der Durchschneidung, neugebildete Nervenfasern 
nachweisbar seien, ist richtig. Der weitere Schluss Bbthe’s, dass 
diese Fasern sich aus sich selbst regenerirt hätten, ist als un¬ 
genügend gestützt zu bezeichnen. Diesbezüglich zeigen unsere Unter¬ 
suchungen, dass es an der Nervenschnittstelle zur Entwickelung eines Nerven¬ 
knotens kommt, dessen Bestandteile innig mit den Nervenfasern der Umgebung 
Zusammenhängen und dass aus diesem Nervenknoten die in den peripheren 
Nerven eintretenden jungen Nervenfasern abstammen. Die von Bethe an¬ 
genommene Selbständigkeit der neugebildeten Nervenfasern des 
peripheren Stumpfes bezw. deren Unabhängigkeit von Centralstellen 
ist somit nicht nachgewiesen. 

Die Ergebnisse unserer Untersuchung berechtigen auoh zu begründeten 
Zweifeln an den weiteren Schlussfolgerungen Bethe’s und erlauben die Ver¬ 
mutung auszusprechen, dass die in seinen Beobachtungen naoh zweiter Durch¬ 
schneidung des peripheren Stumpfes zu Tage getretene distale Degeneration 
nicht aof „uns bisher unbekannten und unverständlichen Unterschieden zwischen 
dem relativen Verhältnis von distal und proximal“ beruhen, sondern auf dem 
Zusammenhänge des peripheren Stumpfes durch die Narbe hindurch mit central 
gelegenen Theilen — den Nervenzellen. Weitere nahe liegende Untersuchungen 
(Behinderung der Verwachsung des peripheren Stumpfes mit der Umgebung; 
Umschneidung der Verwachsungsstelle; Aortencompression), Ober deren Resultate 
ich bald berichten zu können hoffe, werden wohl die sichere Entscheidung dieser 
und anderer Fragen bringen. 

Bethe aber mag sich mit dem Gedanken trösten, dass das gleiche Versehen 
schon anderen vor ihm zustiess. Philippkaux und Vulpian hatten 1859 die 
Regeneration durchschnittener peripherer Nerven aus sich selbst behauptet und 
diesem Vorgang den Namen der „rögönöration autogönique“ gegeben. Ja 
es findet sich bei diesen Autoren selbst das von Bethe als besonders schlagend 
angeführte Experiment, denn es heisst dort: 

„Chez lui (un chien) oinquante jours aprös l’opöration, il y a une rögönö- 
ration d’une grande quantitö de tubes nerveux. On a enlevö un segment du 
bout pöriphörique pour faire cet examen. Dix jours plus tard, un nouvel examen 
montre que tous les tubes rögönörös se sont altörös de nouveau.“ 

Und Ranvibr sagt (1878) bei Besprechung dieses Experimentes: 

„Je crois pour ma part qu’il y a eu en röalitö dans le nerf sciatique du 
chien sur lequel a 6tö faite cette expärience des relations entre le segment cen¬ 
tral et le segment pöriphörique, mais qu’elles ont öchappö par suite d’une 
observation insuffisante ...“ 

Vdlpian hat 15 Jahre nach seiner ersten Arbeit (1874) die Angaben be¬ 
züglich der autogenetischen Regeneration widerrufen; wir wollen hoffen, dass 


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führungen über Bergsteigekuren für Nervenkranke bedürfen in dieser Hinsicht 
mancherlei Einschränkungen 1 , die hier zu geben zu weit fuhren wurde. Welche 
Nervenkranke im Winter ins Hochgebirge gehören und welche nicht, darüber noch 
einige Worte: Vor Allem nur functioneil Kranke, Neurastheniker eher und lieber 
als Hysteriker, von beiden jugendliche und beginnende Formen, Kinder und junge 
Leute, vor allem die sog. Prophylaktiker, die unter dem Einfluss ihrer Familie, 
ihres nervösen Milieus alle Chancen haben, selbst einmal zu erkranken. Manehes 
junge Mädchen, mancher Gymnasiast oder Student, der so geartet, sollte anstatt 
in die Pension am Genfersee oder auf die Universität lieber ohne Bücher, ohne 
„Stunden“, ohne Vorlesungen den Winter in St. Moritz oder in Grindelwald oder 
in und bei Davos zubringen! Dass der Sport das wirksamste Antidot der Trink Sitten 
unserer studirenden Jugend darstellt, das hat ein geistvoller deutscher Arzt, 
R. Hessen, im Januarheft der preussischen Jahrbücher 1901 meisterhaft dar¬ 
gestellt, man vergleiche einmal Haltung und Aussehen junger gebildeter Eng¬ 
länder mit unseren Akademikern. Sexualneurasthenikern, auch jungen, früh cor- 
pulenten, gichtischen Nervenleidenden mit Neigung zu Hämorrhoiden u. s. w. ist 
das Hochgebirge zu empfehlen; für jugendliche Kranke existirt in St Monu 
das kleine, aber familiär zugeschnittene Heim des Dr. Hössli. Ebenso sind an 
Morb. Basedowii leidende Eiranke, wenn auch nach meiner Erfahrung nicht 
solche der schwersten Form, z. B. nicht solche mit schweren Herzsymptomen, 
wie dies auch A. Hoppmann 3 , Eichhobst 3 , Ewald 4 bezeugen, im Hochgebirge 
gesund geworden. Auch leicht Verstimmte, Forrnes frustes von Psychopathie«», 
wie Grübelsucht, Cyclothymieen, vor Allem aber chlorotische und anämische, in 
ihrem Blutbestand durch tropische und Malaria-Erkrankungen decimirte Kranke 
(Binswanger) 6 gehören ins Hochgebirge; die zuerst durch Fb. Miesch kr. den 
zu früh der Arbeit erlegenen Forscher und seinen Schüler A. Jacquet nach¬ 
gewiesene Regeneration der rothen Blutkörperchen und des Hämoglobins ist ja 
eine allseitig anerkannte Thatsache; sie bildet das Wesen der Heilwirkungen, 
die zum grossen Theil das Hochgebirge auf Gesunde und Kranke ausübt 4 ; in 
Bälde werden wir auch eine wissenschaftliche Darlegung der Stoffwechsel¬ 
veränderungen erhalten, welche die ZüNTz’sche Expedition im vorigen Jahn 
auf dem Rothhom (2850 m) und auf der Königin Margheritahütte (4ö5Q m„ 
der Gnifettispitze des Monte Rosa im Sommer 1901 studirte. Auch die Ab¬ 
härtung gegen Witterungsverhältnisse ist nicht zu unterschätzen; Erkältungen 
sind selten. 

1 S. a. Binswanqrb, Neurasthenie. 1900. S. 874 u. Th. Duhih, Grundsätze dar 
Behandlung der Neurasthenie und Hysterie. Berlin, 1902. 

* Pathologie und Therapie der Herzneuroaen. 1901. 

3 Handbuch der physikalischen Therapie. Cap. II. 1901. 

* Berliner klin. Wocbenschr. 1900. S. 587. 

6 Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie. 1900. 3. 875. 

* Näheres darüber in der Schilderung von A. Lobwy (Berlin), Deutsche med. Wochen¬ 
schrift. 1901. Nr. 50 u. 51. — L. hat auch die physiologischen Grundlagen der Hötaen- 
lufttherapie in Goldschbidkb-Jacob’s Handbuch der physikalischen Therapie vortrefflich 
dargestellt. 


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Als Contraindicationen sind höheres Alter bei allgemeiner Schwäche, ferner 
Gefass- and Herzerkrankungen, Nephritis, Epilepsie und schwere organische Nerven- 
affectionen zu betrachten; bei diesen Krankheiten würden durch die Reize und 
durch die Reizung, welche das Hochgebirge setzt, nur Schaden entstehen; 
Neuralgieen recidiviren nicht selten im Hochgebirge. 

Die Kosten des Aufenthaltes in St. Moritz oder Davos überschreiten keines¬ 
falls die angemessenen Preise; wenn man die Schwierigkeiten der Zufuhr aller 
Heiz- und Nahrungsmittel auf Schlitten bedenkt, sind die Pensionspreise, die von 
10 Frcs. — tout compris — beginnen, keineswegs hoch, sonstige Nebenausgaben 
sind naturgemäss geringe und auf täglich 1 — 3 Frcs. zu halten. — Etwa 600 Per¬ 
sonen, davon 1 / i Nichtdeutsche, überwintern zur Zeit in St. Moritz; ist erst etwa 
in 3—4 Jahren der Albulatunnel von Berggün nach Samaden fertig, so wird der 
Besuch des Engadins-Samaden (Dr. Bebnhaedt) ist ebenfalls für Kranke ge¬ 
eignet — ebenso rasch zunehmen, wie sich der von Davos durch die Rhätische 
Bahn entwickelte. — Bei der Rückkehr zum Tief lande ist langsamer Abstieg von 
der Höhe zu empfehlen. Im Ganzen gilt auch für die Winterkuren im Hoch¬ 
gebirge: „Probiren geht über Studiren“. 


II. Referate. 


Anatomie- 

1) Zur Kenntniss des hinteren Marksegels, von Arthur Steindler. (Ar¬ 
beiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1902. Heft 8.) 

Dem Marksegel sitzen an seiner Aussenfläche kleine Verdickungen auf, die 
versprengten Keimen des Kleinhirns entsprechen; ein direct er Zusammenhang mit 
dem Kleinhirn ist nur selten zu sehen. Verf. macht dann genauere Angaben 
über die histologische Structur des hinteren Marksegels. Die dem 4. Ventrikel 
zugewendete Seite ist von "Sem einschichtigen Epithel der Rautengrube überzogen. 
Daran anschliessend findet sioh eine an Zellen arme Schiebt, die ein dichtes 
Fasergewirr aufweist. In der 3. Schicht finden sich die Nervenfasern, die einer¬ 
seits eine sagittale Richtung zeigen und aus dem Nucleus dentatus des Kleinhirns 
stammen, andererseits frontal ziehende, aus dem Flockenstil stammende Fasern. 
Die in dieser Schicht vorfindlichen Kerne entsprechen in Form und Gestalt den 
Kernen des Kleinhirns. Darauf folgt wieder eine mehr homogene, aus der Mole- 
cularschicht des Kleinhirns stammende Lage, endlich die Pia. Sowohl in den 
erwähnten versprengten Kleinhirnantheilen, als auch sonst im Marksegel finden 
sich Purkinje’sche Zellen. Das Marksegel ist reich an Gefässen; speciell ist 
eine dasselbe sagittal durchsetzende und dann frontal nach dem Kleinhirn ab¬ 
biegende Vene zu erwähnen. Verf. bespricht dann die Verhältnisse des hinteren 
Marksegels bei den verschiedenen Säugethierklassen, bei denen es sich constant 
findet; beim Dasypus enthält dasselbe eine deutliche Körnerschicht, die aus dem 
Kleinhirn sich abzweigt. Die geschilderten Befunde sprechen nach der Ansicht 
des Verf.’s für eine embryologische Zugehörigkeit des hinteren Marksegels zum 
Kleinhirn; es handelt sich demnach um einen in Rückbildung begriffenen Antheil 
des Kleinhirns, eine Ansicht, die schon Reil vertreten hatte. 

Redlich (Wien). 


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Experimentelle Physiologie. 

2) Die oentrifugale Leitung im sensiblen findnerven, von Dr. Oscar Kohn- 

stamm in Königstein i/T. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1902. XXL) 

Für die Hypothese von der centrifugalen oder antidromen Leitung im sensiblen 
Endneuron, welche durch die Versuche von Bayliss beim Hund eine Bestätigung 
gefunden, führt Verf. eine Reihe weiterer Erscheinungen ins Treffen. So bietet 
ihm das Phänomen des Reflexes von hinterer Wurzel auf hintere Wurzel, die 
vasomotorisch-trophischen Neurosen sowohl experimenteller als klinischer Natur, 
die Trigrolyse der Spinalganglienzelle nach Durchschneidung ihres peripheren 
Fortsatzes und namentlich die Pathologie deä Herpes zoster (Head and Camp¬ 
bell) eine weitere Stütze seiner Annahme. Aus der Pathologie der Gürtelrose 
ergiebt sich, dass eine eigenartige Reizung des sensiblen Endneurons eine krank¬ 
hafte Veränderung der Haut hervorzubringen vermag. Und zwar kommt dieselbe 
wahrscheinlich dadurch zu Stande, dass der Reiz direct im peripheren Fortsatz 
der Spinalganglienzelle absteigt und in die Haut gelangt. 

E. Asch (Frankfurt a’M.). 


8) Theorie du Bommeil, par Fleury. (Progres m6dical. 1901. Nr. 44.) 

Auf Grund seiner Ueberlegungen kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 

1. Der Schlaf ist ebenso wenig ausschliesslich an de nZustand der Ermüdung 
geknüpft wie das Erwachen an den des Ausgeschlafenseins. 

2. Häufig folgt auf eine starke Nervenüberreizung bezw. Erschöpfung — 
welche durch eine schwere Krankheit, starken Kräfteverlust oder ähnl. mehr be¬ 
dingt ist — Schlaflosigkeit und nicht vermehrtes Bedürfniss nach Schlaf. 

3. Die Fähigkeit mancher Menschen, unter allen Umständen zu schlafen und 
auch stets zu gleicher Zeit zu erwachen, erscheint dem Verf. für die psycho- 
mechanische Theorie des Schlafes zu sprechen. 

Adolf Passow (Meiningen). 


4) La fonotion da nerf glossopharyngien dans la rumination, par E. Krueger. 

(Archives italiennes de biologie. XXXVIL) 

Der N. glossopharyngeus ist beim Act des Wiederkauens insofern betheiligt, 
als er eine momentane Erschlaffung der Gardia bewirkt; gleichzeitig wird durch 
die Bauchpresse der Inhalt des Rumehs (Pansens) herausgedrückt. (Versuche aa 
Hammel ergaben übrigens auch, dass der Glossopharyngeus nur die Geschmacks¬ 
empfindung des Bitteren vermittelt) Otto Hirsch (Nieder-Schönhaueen). 


Pathologische Anatomie 

5) Cuoullarisdefeot als Ursache des congenitalen Hoohstandes der Scapula, 

von Dr. W. Kausch. (Mittheilungen aus dem Grenzgebiete der Medicin und 
Chirurgie. IX. 1902.) 

Der Verf. berichtet über seine Untersuchungsergebnisse an 5 Fällen, in denen 
ein congenitaler Hochstand der Scapula bei Kindern bestand. Zwei von diesen 
Fällen sind in genauester Weise klinisch beobachtet worden. Die fehlerhafte 
Stellung der Skeletttheile wird in diesen beiden durch zwei schematische Zeich¬ 
nungen in anschaulicher Weise illustrirt Den wichtigsten Befund, der allen 
Fällen gemeinsam ist, bildet ein Defect in den unteren Abschnitten des M. tra- 
pezius, den der Verf. als die Ursache der abnormen Schulterblattstellung bezeichnet 


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Die abwärts ziehende Componente des unteren Trapezius fällt aus und das 
Schulterblatt rückt in die Höhe, besonders mit seinem inneren Winkel, an welchem 
der überaus kräftige Antagonist, der Levator scapulae, inserirt Auch die mit 
dem Hochstand verbundenen anderweitigen Stellungsfehler des Schulterblattes 
sowie die dabei vorkommenden Deformationen am Knochen selbst, werden von 
dem Verf. in überzeugender Weise auf einen Ausfall der genannten Muskelportion 
zurückgeführt. Ob alle Fälle von congenitalem Hochstand der Scapula durch die¬ 
selbe Ursache bedingt sind oder ob das Krankheitsbild ätiologisch und klinisch 
verschiedenartig ist, das sei zur Zeit mit Sicherheit noch nicht zu entscheiden. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Die physiologischen und psyohologisohen Beziehungen zwischen 
Sprache und Schrift, mit besonderer Berücksichtigung der Steno¬ 
graphie, von Dr. W. Kronsbein. (Wiesbaden 1902, Rud. Bechtold’s Ver¬ 
lag. 69 Seiten.) 

Während die Sprache seit Langem ein Lieblingsgegenstand der wissenschaft¬ 
lichen Forschung ist, iBt die Schrift bisher oft vernachlässigt worden, und speciell 
die Wechselwirkungen zwischen beiden selten einer eingehenderen Betrachtung 
unterzogen worden. Das vorliegende Buch erscheint geeignet, diese Lücke aus- 
fullen zu helfen; es enthält auf verhältnissmässig knappem Raume vielseitige Be¬ 
trachtungen über eine Menge der hier in Betracht kommenden interessanten 
Fragen. Das Missverhältnis zwischen sprachlichem und schriftlichem Ausdruck, 
wie es sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat — reger Fluss der Bil¬ 
dung bezw. abschleifenden Verbildung einerseits, Erstarrung der historisch ge¬ 
wordenen Schrift andererseits —, wird eingehend erörtert und die schon früh 
aus der Erkenntniss desselben sich ergebenden Versuche einer Stenographie dar¬ 
gestellt. Die Unterschiede des historischen und phonetischen Schriftprincips werden 
besprochen, die Entstehung des Alphabets, die individuellen Verschiedenheiten 
beim Sprechen und Schreiben, die Graphologie erfahren eine kurze, aber anschau¬ 
liche Darstellung. In den Ausführungen über Pathologie des Schreibens sind. 
Verf. einige Unrichtigkeiten bezw. Nachlässigkeiten untergelaufen, die diesen Ab¬ 
schnitt nicht zu seinem Vortheil von den anderen unterscheiden (z. B. motorisches 
Sprachcentrum in der „dritten Grosshirnhemisphäre“; atactische Schrift regel¬ 
mässig bei Trunksucht; Zitterschrift physiologisch in der Kindheit; reine atac¬ 
tische Agraphie als Folge des Anfalls centro-motorischer Impulse; „corticale 
motorische Dysgraphie“ bei Geisteskranken, die ganze Folioseiten mit denselben 
wenigen Zeichen vollschreiben, wie Kinder ihre Schreibhefte, Aehnlichkeit der 
Schrift von Verwandten erklärt durch den ähnlichen Bau der grauen Substanz 
des Rückenmarks u. a.). Am interessantesten sind die auf die Stenographie be¬ 
züglichen Ausführungen des Verf.’s; er beleuchtet ihr Verhältniss zur Graphologie, 
giebt Berechnungen und Untersuchungen über Sohreibgeschwindigkeit, Schreib¬ 
flüchtigkeit, Häufigkeits- und Deutlichkeitsuntersuchungen, den vermeintlichen 
Einfluss der Stenographie auf Handschrift und Stil. Der Stenographie als einem 
Kunstproducte wird die Fähigkeit abgesprochen, in Zukunft einmal ganz an die 
Stelle der Currentschrift zu treten, wenn sie auch in technischer Hinsicht als die 
höchste Stufe der Schrift bezeichnet werden kann. Etwas überraschend erscheint 
es, dass die Arbeit mit der Anführung des Phonographen schliesst, der „eine 
ganz einzigartige Beziehung zwischen Spraohe und Schrift geschaffen hat“; nur 
wenige werden sich damit einverstanden erklären, die Eindrücke auf der Phono¬ 
graphenwalze mit Schriftzeichen in irgendwelche Vergleichung zu setzen, weil sie 


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vor allen Dingen das nicht sind, was jedes Schriftzeichen schon seiner Definition 
nach sein muss: ein Symbol für einen Laut oder ein Wort. 

H. Haenel (Dresden). 


7) Klinische und anatomisoh-pathologisohe Beitrüge über Aphaaieen, res 

Dr. G. Mingazzini in Rom. Aus dem pathologisch-anatomischen Labora¬ 
torium der Irrenanstalt in Rom. (Deutsche Zeitschrift für NerveDheilknnde. 
XXI. 1902.) 

Bei einer 67jährigen Frau, die vor 4 Jahren einen Fall auf den Hinterkopf 
erlitt, bestehen seitdem namentlich in der Stirngegend localisirte Kopfschmerzes 
von zunehmender Stärke. Bald nach dem Trauma Charakterveränderung, Sprach¬ 
störung, tonisch-klonische Krampfanfälle in den Extremitäten. Pupillen gleichweit, 
von träger Reaction auf Licht, besonders links, Arme und Hände in Beoge- 
contractur, Sprach vermögen auf die stereotype Wiederholung einiger Silben be¬ 
schränkt (acustische und motorische Aphasie, Asymbolie). Bei der Autopsie fand 
sich Atrophie der Gehirnwindungen besonders links mit dunkelgrauer Verfärbung 
und Erweiterung der Seitenventrikel. Die anatomische Untersuchung ergab ei» 
ausgedehnte pigmentöse Degeneration aller Zellelemente, besonders in der Schicht 
der grossen Pyramidenzellen in der Rinde der Pars opercularis der 3. Stirn¬ 
windung und enorme Abnahme der Chromsubstanz des Citoplasma in der Rinde 
der Lippen der Fissura calcarina und der linken oberen Schläfenwindung. Es 
entspricht also der anatomische Befund den klinischen Erscheinungen (Abnahme 
der receptiven und ejectiven Sprachfunction). E. Asch (Frankfurt a.M.). 


8) Ueber Wesen und Behandlung der Sprachstörungen, von H. Güte¬ 
rn ann. (Die deutsche Klinik am Anfänge des 20. Jahrhunderts. VI.) 

Entsprechend dem Charakter des Sammelwerkes, dem vorliegende Abhandlung 
angehört, verzichtet Verf. darauf, wesentlich neue Thatsachen oder Hypothesen zu 
bringen und entwickelt in grossen Zügen die Lehre von den Sprachstörungen, di« 
einzelnen Formen derselben, einzelne Momente der Untersuchungsmethoden und 
giebt vor allem werthvolle therapeutische Fingerzeige. Von besonderem Interesse 
sind von den letzteren seine Methoden zur Uebungsbehandlung der Aphasischen. 
Auch für die functionellen Sprachstörungen der hysterischen Aphonie und der 
Aphonia spastica empfiehlt Verf. die Uebungshehandlung. Der grössere Theil der 
Abhandlung ist der Lehre vom Wesen und der Behandlung der peripher-expres¬ 
siven Störungen im Articulationsorgan (Gaumenlähmungen und Gaumendefecte, 
Zahn- und Zungenfehler), besonders des Sigmatismus, gewidmet. Im ganzen ge¬ 
währt die Abhandlung ausreichende Orientirung und werthvolle praktische Winke. 

Martin Bloch (Berlin). 


8) Surditö oortioale aveo paralexie et halluoinations de l'oaie dae i des 
kystes hydatiques du oerveau, par Paul Serieux et Roger Mignot. 
(Nouv. icon. de la Salp. XIV. 1901. S. 39.) 

Der Fall betrifft einen 75jähr. Mann, welcher zum ersten Mal vor 8 Jahren 
einen epileptischen Anfall hatte. Seit 2 Jahren kehren die Anfalle periodisch 
wieder und sind in letzter Zeit von psychischen Störungen gefolgt, welche 2 bis 
3 Tage andauern. Nach dem letzten Anfall traten totale Taubheit, maniakalisehe 
Erregung und Gesichts- und Gehörehallucinationen auf. Keine motorische Aphasie, 
keine Wortblindheit noch paraphasische Störungen. Dagegen ist die TÜbheit 
coi-ticalen Ursprungs verbunden mit Paralexie, Verlust des Verständnisses für ge¬ 
lesene Worte und Schreibstörungen. — Die maniakalische Erregung und die 


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Haliacinationen bessern sich rasch, nur die Taubheit bleibt bis zum Tode be¬ 
stehen, der 3 Wochen nach dem letzten Anfall unter infectiösen Erscheinungen 
eintritt Bei der Autopsie findet man im Gehirn über 20 erbsengrosse Echino¬ 
kokkencysten, von denen 6 in den beiden Schläfenlappen liegen. 

Facklam (Suderode). 


10) Contribution 4 l’ötude des troubles da l&ngage pap ldsion de ses 
oentres d'arröt, par Dr.R. Touche. (Arch. g6n6r. de M6decine. 1902. Aug.) 
Auf Grund von 15 Beobachtungen, von denen 10 zur Autopsie kamen, sohliesst 
sich Verf, der Meinung Pick’s über die Wichtigkeit der Läsion der Hemmungs- 
centren bei den Aphasieen an. In der Klasse der letzteren nimmt die Logorrhoe 
eine besondere Stellung ein, sie stellt ein verschiedenen Affectionen gemeinsames 
Symptom dar. Die Läsion der betreffenden Rindenregion kann eine vorüber¬ 
gehende (Urämie, acute Alkoholintoxication u. s. w.) oder dauernde (chronische 
Meningitis auf alkoholischer oder syphilitischer Basis, Erweichung) sein. Die be¬ 
treffende Stelle ist naoh Dejerine und Verf. in der ganzen Zone der sensorisohen 
Aphasie (Gyrus supramarginalis, Gyros angularis, hintere Partie der 1. und 
2. Schläfenwindung) zu suchen, deshalb auch die zahlreichen Berührungspunkte 
zwisohen Logorrhoe und sensorischer Aphasie. In mehreren Fällen des Verf.’s war 
die Logorrhoe mit gewissen automatischen Bewegungen vergesellschaftet. 

Kurt Mendel. 


11) lieber dl© Geberdenaphasie, von Mazurkiewicz. (Pamietnik towanystwe 

lekarskiejo. 1901. [Polnisch.]) 

Verf. beschreibt im Anschluss an seine früher publicirten drei Fälle von 
Geberdenaphasie (s. Jahrbücher f. Psychiatrie. 1900) noch einen vierten Fall. 
Es handelte sich um einen 69 jährigen Mann, welcher stets leicht erregbar war, 
sonst aber keinerlei Störungen zeigte. Vor 13 Jahren rechtsseitige Hemiplegie 
und motorische Aphasie. Man konnte sich damals mit dem Kranken sogar mit 
mimischen Bewegungen nicht verständigen. Nach einigen Monaten grosse Reiz¬ 
barkeit (Delirium furibundum), wobei er Gegenstände zerschlug, seine Frau und 
Kinder misshandelte u. a. Motorische Aphasie blieb unverändert. Status: Rechts¬ 
seitige Hemiplegie. Pat. versteht die Worte, spricht aber fast gar nicht (nur 
, ja“ und „nein“). Nachsprechen — nicht möglich (spricht nur einige Buchstaben 
nach). Kann die Gegenstände nicht henennen. Laut kann er nicht lesen, liest 
dagegen leise gern und ziemlioh viel, wobei er augenscheinlich das Gelesene ver¬ 
steht. Eine aufgeschriebene Forderung führt er aber nicht aus, identificirt nur 
einige aufgeschriebene Worte mit den betreffenden Gegenständen. Erkennt ziem¬ 
lich gut die Abbildungen. Kann nur seinen Namen unterschreiben, sonst nichts. 
Abschreiben gut erhalten. Schreiben unter Dictat — nicht möglich bezw. fehler¬ 
haft. Der Pat. behielt aber ziemlich gut seine „Geberdensprache“ (im Gegensätze 
zu den früheren Fällen des Verf.) und versteht gut die mimischen Bewegungen 
im Gesicht der ihn umgehenden Personen. Die Schlussfolgerungen des Verf.’s 
findet man in seiner früheren Publication. Edward Flatau (Warschau). 


12) Ein Fall von Alexie, von Prof. K. Kuffner. (Cas. ies. 16k. 1902. S. 90.) 

71jähr. Weib, leidet an Arteriosklerose. Anfälle von Ohnmacht mit transi¬ 
torischem Verlast der Spraohe, des Gehörs und rechtsseitiger Hemiplegie. Auf 
der Klinik wurde Demenz mit megalomanischen und perseoutorisohen Vorstellungen, 
cerebellare Ataxie, rechtsseitige Hemiparästhesieen, linksseitige Hypästhesie und 
Schwindel festgestellt. 

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Die verbal -acustißche Peroeption war ungestört sowie auch die Sprache. 
Vollständige Alexie. Die Sohrift erhalten, sie sieht und erkennt die Gegen¬ 
stände. Keine Apraxie. Partielle Verbalamneeie. 

Bei der Obduction fand Verf. 1. eine hämorrhagisohe Cyste im Harke der 
linken Kleinhirnhemisphäre; 2. Erweichung der linken Qrosshirnhemisphire von 
der hinteren Partie des Gyrus supramarginalis bis sur dritten Occipitälwindnng. 
Unter dem Gyrus angularis die Radiatio optica und Faso. long. inf. vollständig 
erweicht, Tapetum erhalten. Pelnär (Prag). 

13) Erfahrungen über „aphatiaohe Demens“, von Profi K. Koffner und Dr. 

J. Jansk^. (Casop. 6es. 16k. 1902. S. 819.) 

36jähriges Weib erlitt im Laufe eines Jahres sechs apoplektiforme Anfälle 
mit folgenden transitorischen Störungen der Sprache. Auf der psychiatr i s ch — 
Klinik wurde eine cerebropathisohe Demenz diagnosticirk Die spontane 8pra A e 
war sehr spärlich und oft durch Paraphasieen gestört Die Patientin v erstand 
aber gut die Sprache, erkannte die Gegenstände und schrieb. Au sse r d em litt mt 
an einer Hemiparese der linken Körperseite. 

Bei der Obduction fand man eine hämorrhagische Cyste in rechter Para- 
central windung als Grund der Hemiparese, das motorische Sprachgebiet war voll¬ 
ständig normal, aber die hinteren zwei Drittel aller drei Temporal w indnng— 
Hnha total erweicht und die graue sowie weisse Substanz daselbst vernichtet 
Die Patientin war nioht linkshändig, hatte keine sensorische Aphasie und doch 
war alles, was als Centrum der verbalacustisohen Vorstellungen betrachtet wird, 
vollständig vernichtet. Die Störung der spontanen Sprache ist durch diese Ver¬ 
nichtung des verbalacustischen Centrums genügend motivirt, jedoch das Erhalten 
der verbalacustisohen Perception dabei schwer zu erklären. Die 
Hypothese von der vioariirenden Function der rechten Hemisphäre bringt kein— 
grossen Gewinn, da diese sonst unbegründete Ansioht alle theoretischen Deduk¬ 
tionen von den verbalen Bahnen problematisch macht. Es ist sicher, da— das 
Erhaltensein der linken ersten Temporal windung für die verbalacustische Pereeptk» 
keine conditio sine qua non ist. Pelnaf (Prag). 


14) Beiträge zur Lehre von der Echolalie, von Pick. (Jahrbücher fl Ptych. 

u. Neur. XXL 1902. S. 283). 

.ln früheren Arbeiten hatte Verf. bezüglich der acut einsetzenden Echolalie 
gelehrt, dass sie als eine Form des Verlustes der hemmenden Function des link— 
Temporallappens auf das motorische Spraohcentrum aufzufassen sei und da— sie 
ganz besonders häufig bei Läsion des Sohläfelappens vorkomme. 

42 jähr. Hann, Lues anamnestdsch sichergesteil, vor einigen Wochen Doppeft- 
sehen. Acutes Einsetzen der Krankheitserscheinungen. 

Rechtsseitige, besonders die Hand betreffende Hemiparese. Linksseitige Facialis- 
parese (conjugirte Bulbusbewegungen allseits frei). Parese des rechten Facialis, 
an der auch der obere Ast ein wenig mitbetheiligt ist. Linke Pupille > r., reagixt 
auf Licht weniger gut, Sehnenreflexe sehr lebhaft; Bauch- und CremasterrcAsx 
links > r., Sensibilität nicht grob gestört, bis auf Astereognosie der recht— 
Hand (später erschien daselbst auch leichte Hypalgesie). Sprachverständnis 
anscheinend intact; Sprachschatz theilweise eingeschränkt: ausgezeichnete Echolalie, 
die später noch eine Zunahme erfuhr. Unfähigkeit zu schreiben. Beim Leo— 
werden grossen Theils dem Ansehen nach ähnliche, unrichtige Worte gelesen. 
Aach bei Singversuchen zeigt sich das Phänomen des „Klebenbleibene“. Im Vr 
laufe Besserung und Verschlimmerung, bis sich endlich ein stationärer w—entlieh 
gebesserter Zustand einstellte. Dabei besonders bemerkenswert!*, da— trota weit 


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vorgeschrittener Besserung des Lesens das Schreibvermögen schwer gestört bleibt 
(Verf. nimmt an, dass bei besserer Bestitatioa dar Binde des Gyros angularis die 
Bahn von diesem zu den motorischen Handcentren dauernd lädirt ist). Die Echo- 
lalie und zwar beide Formen: reine Eeholalie und Wiederholung der Fragen in 
entsprechender Umstellung auf die „lohform“ war auch zurückgegangen, trat aber 
gelegentlich episodenweise auf^ z. B. mitten während des Lesens. 

Verf. nimmt einen (wahrscheinlich Erweichungs -) Herd an im receptiven 
Antheile des Sprachgebietes, voxwiegend im Gyrus angularis mit Betheiligung der 
angrenzenden Partieen des Sohläfelappens. 

Verf. fährt noch folgende Beispiele an, welche geeignet sind, die Auffassung 
der Eeholalie als einer Schwächeerscheinung zu stützen (im Gegensätze zu einem 
Beizungsphänomen): Eine Kranke in einem Zustande von Verwirrtheit nach einem 
längeren stuporösen Stadium; besonders interessant exquisite Eeholalie bei einem 
4jähr. Knaben, der durch Typhlitis mit Peritonitis und Operation sehr herab¬ 
gekommen war. Verf. erinnert auch an die postparoxysmelle Eeholalie bei Epi¬ 
leptikern. Pilcz (Wien). 

15) Behandlung und Ausgänge von 44 Depreerionsfraotnron am Sohftdai, 

von Ernst Franke. Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Berlin. 

(Dissertation. 1901. Berlin.) 

Die Arbeit hat vorzugsweise chirurgisches Interesse. Die Trepanation wurde 
■aus folgenden Indicationen gemacht: 

4 Mal wegen Infection der Knochenwunde, 2 Mal wegen Meningitis puru¬ 
len ta bezw. Hirnabscess, 3 Mal wegen erheblicher Hirndrucksteigerung (Blutung), 
11 Mal wegen ausgedehnter Zersplitterung und Depression, 12 Mal wegen moto¬ 
rischer Beizersoheinungen oder Lähmungen. 12 Fälle wurden nicht trepanirt 

Von den trepanirten Fällen starben 14. Die Todesursache ist bei den meisten 
die schwere Verletzung, und der Tod tritt bei den meisten ein, ohne dass die 
Patienten das Bewusstsein wiedererlangt hätten. Geheilt entlassen wurden von 
den trepanirten 18; 2 derselben starben später noch. Von den Geheilten zeigten 
sich nur bei 6 Patienten in der Folgezeit keine weiteren Folgeerscheinungen, 
alle anderen zeigten nachher noch beträchtliche nervöse Störungen: Sprachstörungen, 
psychische Störungen, Sensibilitätsstörungen, Epilepsie u. s. w. 

Von den 12 nicht trepanirten Fällen starben 2. 

_ Paul Schuster (Berlin). 

16) Geheilte Sohädelsehüsse, von E. v. Bergmann. (Deutsche med. Wochen» 

schrift 1902. Nr. 14.) 

Beim Eindringen kleiner Geschosse (der 5, 6, 7, ja 9 mm Geschosse) in das 
Gehirn thut man am besten, duroh Vermeidung jeder Infection für rasche Wund¬ 
heilung zu sorgen und das Gesohoss im Hirn einheilen zu lassen. Das Suchen 
nach dem Geschoss setzt häufig grössere Läsionen, als sie die Kugel selbst be¬ 
dingt hat, auch sind die Schwierigkeiten, ein nahe dem Knochen an der Schädel¬ 
basis sitzendes Geschoss zu entfernen, nicht selten selbst naoh genauester Er¬ 
mittelung des Sitzes duroh Böntgenaufnahmen gross. — Complette Hemiplegieen 
nach Schussverletzungen können völlig zurückgehen, möglich, dass es sich in 
eolohen Fällen um Fernwirkungen z. B. durch kleine Extravasate gehandelt hat 
Beispiele illustriren das Gesagte. B. Pfeiffer. 

17) Plato pönätrante du oräne par arme 4 fsu, par Dr. Villemin. (Bulle¬ 
tins de la sooi6t£ de pödiatrie. 1902. Nr. 3.) 

Ein 13 1 / a jähriger Knabe wurde durch einen Revolverschuss, dessen Eingangs- 

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stelle zwischen den Angen sioh befand, sohwer verletzt. Er kam somnolent, mit 
Erbrechen, Pnlsverlangsamnng, aber ohne locale Ausfallserscheinungen ins Spital 
Einige Tage später erwachte er ans dem Halbschlaf zeigte sich bis auf eine ge¬ 
ringe Schwäche des rechten Händedruckes normal und war nach 3 Wochen völlig 
geheilt. Als man vor der Entlassung eine radiographische Untersuchung des 
Schädels vornahm, ergab sich der überraschende Befund der Einheilung des Pro- 
jectilB an der Innenseite der Hinterhauptsschuppe. Die Kugel hatte also das 
ganze Gehirn im anteroposterioren Durchmesser durchquert, ohne pathologische 
Störungen zu hinterlassen. Zappert (Wien). 


18) Zur Trage über die Heilung der Hirnwunden, von ChenzinskL 

(Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat. 1902. Nr. 5.) 

I8jähriger Mann schoss sich am l./VI. 1893 eine Revolverkugel in die 
rechte Schläfe. Trepanation. Auoh während der Wundheilung stieesen sich 
wiederholt Gehirnpartikelchen ab. Dann blieb Pat. vollständig gesund bis auf 
häufigen Kopfsohmerz. 27 Monate später (am 3./XL 1895) neuerdings Selbst¬ 
mordversuch (Schuss in den Kopf). Lähmung der linken Körperseite. Exitus. 

An der Basis des linken Stirnlappens, im äusseren Theile der Sy lvi* sehen 
Grube, lag unter der verdickten Pia die abgeplattete Kugel, vom ersten Suicid- 
versuche herrührend. Abgesehen von den frischen Verletzungen des Schädels und 
seines Inhaltes ergab sich folgender interessanter Befund: Durch beide Stirn¬ 
lappen zog sich von rechts unten nach links oben hinten ein etwa 6 mm breiter 
Canal, der in der grauen Substanz des mittleren Theiles der 2. Stirnwindung 
endete. In nahezu rechtem Winkel zu diesem Canale führt ein zweiter nach 
unten hinten (etwa 6—9 mm) bis zum oben erwähnten Fundorte des Projectiles. 

HistologiBoher Befund (in beiden Canälen identisch): Im Lumen des Canale* 
blutgefässreiches Granulationsgewebe. Um den Schusscanal zuerst fibröses Narben¬ 
gewebe, das nach aussen von einer Zone Gliawucherung umgeben ist. Die Glia¬ 
fasern verflechten sich innig mit den proliferirenden Bindegewebsfasern, ohne in 
dieselben überzugehen. Wo der Canal durch graue Substanz ging, zeigen aneh 
die Ganglienzellen der nächsten Umgebung schwere Veränderungen (zwei Ab¬ 
bildungen im Texte). _ Pilcz (Wien). 


19) Beport as to the condition of a man through whoae right corebrum 
a ballet paued from before back ward eleven years ago, by Th. Dill er. 
(Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1902. Mai.) 

Es handelte sich um einen 24jährigen Patienten, der vor 11 Jahren einen 
Schuss gegen die rechte Stirnseite, Mitte der rechten Augenbraue, erhalten hak 
Ausschussöfinung 0,5 cm links von der Protuberantia occipitalis. Bewusstlosigkeit 
von 3 Wochen, dann völlige Sprachlähmung und complete Hemiplegia sin. 
Erstere besserte sich schnell, letztere nur, was das Bein anbetrifft Jetzt hat 
Pat spastische Lähmung des linken Armes, der nur ganz wenig im Schulter¬ 
gelenk bewegt werden kann, Parese des linken Beines, geringe Parese de* linken 
Mundfacialis. Reflexe erheblich gesteigert. Sensibilität der ganzen linken Seite 
(inclusive Gesicht, Zunge, Bindehaut des linken Auges und linke Nasenschleim- 
haut) stark herabgesetzt, am linken Vorderarm und der Hand völlige Anästhesie 
und Stereoagnosie. Starke Reflexsteigerung links. Linksseitige Hemianopsie. 
An der rechten Schädelseite grosser Knochendefect mit sicht- und fühlbarer 
Pulsation des Gehirns. Ein Photogramm illustrirt denselben. 

Martin Blooh (Berlin). 


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20) Penetrating bullet-wound of the brain: removal and reoovery, by 

J. Laurie. (Glasgow med. Journal. 1901. October.) 

Bericht über die glückliche operative Entfernung einer Engel aus dem Hirn 
eines 15jährigen Knaben. Die Einschussöffnung befand sioh an der Stirn, die 
Kugel hatte fast die ganze linke Hemisphäre durchbohrt und wurde zwischen 
Meningen und Binde des OooipitaUappens bei der Trepanation gefunden und ent- 
lernt. Die klinischen Symptome waren Bewusstlosigkeit, Zuckungen der fast 
völlig gelähmten rechtsseitigen Extremitäten und Aphasie. Nach der Operation 
fangsames Verschwinden der Symptome. Martin Blooh (Berlin). 


21) Zur Kenntnis« der Bedeutung des Traumas als ätiologisches Moment 
der Entstehung infeotiöser Oerebralerkrankungen» von Dr. Ernst Ehrn- 
rooth. (Deutsche Zeitschr. £ Nervenheilk. XX. 1901.) 

Zu den bereits bekannten Fällen infectiöser Cerebralerkrankungen, die im 
Anschluss an ein Kopftrauma auftraten, fügt Verf. zwei weitere Beobachtungen. 
In der ersten handelt es sich um einen Schlag auf den rechten Hinterkopf ohne 
äussere Verletzung. Von Symptomen wurden festgestellt: vorübergehende Be¬ 
wusstlosigkeit, taumelnder Gang, Injection des rechten Trommelfells, später Krämpfe, 
Genickstarre und zeitweise Pulsverlangsamung. Bei der Autopsie fand sich Menin¬ 
gitis cerebrospinalis. 

Der zweite Fall betraf einen 23jähr. Arbeiter, dem aus einer Höhe von 1 / a m 
eine Bohle auf die rechte Kopfhälfte fiel. Keine Wunde, vorübergend Schwindel. 
Nach 10 Tagen Schmerzen an der Stirn und rechten Scheitelhälfte, Phlegmone 
am rechten Schenkel, nach Incision starke Eiterentleerung, bald darauf Steifigkeit 
des linken Beins, Zuckungen in den Fingern der linken Hand, Krampfanfälle ohne 
Bewusstseinsverlust, Gedächtnissschwäche. Trepanation über der motorischen 
Region (rechts?), Abscessbildung im obersten Theil der Central Windungen, vorüber¬ 
gehend Besserung, nach 3 Wochen nochmalige Punction und nach 5 Wochen 
weitere Operation, bei weloher sich eine grosse Höhle fand, die anscheinend mit 
dem Seitenventrikel communicirte. Meningitis, doppelseitige Pneumonie, Exitus. 
Bei der Autopsie fand sich am Gehirn und Rückenmark eine ausgebreitete, puru¬ 
lente Meningitis, die sohon erwähnte Absoessbildung in den obersten Theilen der 
Centralwindungen und eine grosse, bronohiektatische Höhle im obersten Lappen 
der rechten Lunge. 

Verf. nimmt an, dass durch das Trauma in der Hirnrinde rechts kleine 
Gefässverletzungen, vielleicht Blutungen, bewirkt wurden und dass an diesem Locus 
minoris resistentiae die von dem Suppurationsprocesse im rechten Schenkel in die 
Blutbahn gelangten Streptokokken haften blieben, sich vermehrten und den Ab- 
scess veranlassten. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


22) Zur Kenntnis« der Starkstromverletsungen, von Dr. F. Jessen im Ham¬ 
burg. (Münchener med. Wochensohr. 1902. Nr. 5.) 

Ein 46jähriger, früher gesunder Mann erlitt durch den Leitungsdraht der 
Strassenbahn einen Sohlag (600 Volt, Gleichstrom). Der Strom ging angeblich 
mehrere Minuten durch den Körper, denn Pat. konnte sich nicht losmaohen: un¬ 
mittelbar naohher starke Benommenheit, später Schwindelanfälle, Kopfschmerzen, 
Zuokungen und Kribbeln im reohten Arm, Neigung nach rechts zu fallen, Ab- 
weiohen der Zunge nach links, geringe Facialisschwäche links. 6 Wochen nach 
dem Trauma fand sioh Steigerung der Patellar- und Plantarreflexe sowie der 
Cremaster-, Bauch- und Conjunctivalreflexe, deutlich vorhandenes Romberg'sches 
Symptom, ringförmige Herabsetzung des Temperatursinnes an den Beinen, später 


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Schwindelsnf&ll mit starkem Kopfschmerz und erhaltenem Bewusstsein sowie sut 
Zuckungen in den linksseitigen Extremitäten, Aufschreien und Zähneknirschen. 
Nach Wiederaufnahme der Arbeitsthätigkeit verschwinden bald wämmtJiche 
Störungen. Es trat also nach einem Starkstromtrauma ein Krankbeitsbild auf, 
das im Gänsen rein functioneller Natur eine Mischung von hysterischen Zügen 
und von solohen Erscheinungen darbot, die vorübergehend an eine organisohe 
Läsion denken lassen. E. Asch (Frankfurt a/M.). 


28) La mort st Im aooldents par Im oourants industrial*, par E. BattellL 

(Revue mödicale de la Suisse romande. 1902. Nr. 9.) 

Im ersten Th eile dieser Arbeit referirt Ver£ über verschiedene Untersuchungen 
von Prevost und ihm, die schon früher in d. CentralbL (1899, S. 932 u. 979) 
besprochen wurden. Er betont hier wieder im Gegensatz su anderen Autoren, 
dass es zwei verschiedene Ursachen des Todes gebe, und zwar gilt dies sowohl 
für den constanten als auch den Wechselstrom. Ströme hoher Spannung (1200 Voh 
u. mehr) bewirken Asphyxie in Folge centraler Respirationslähmung. Das Her» 
schlägt weiter und steht erst in Folge der Asphyxie. Ströme niederer Spannung 
(nicht unter 120 Volt) töten durch Herzlähmung, während die Respiration noch 
einige Zeit weiter geht. Die Herzlähmung manifestirt sich unter dem Bilde der 
sogen, fibrillären Zuckungen des Herzmuskels. Für die Wirkung sind ferner von 
Wichtigkeit die Natur des Stromes, bei Wechselströmen die Schwingungszahl, der 
Widerstand an der Stelle des Contactes und die Art der Uebertragung, die Dauer 
der Einwirkung und die Stromdiohtigkeit in den einzelnen Organen. 

In einem zweiten Abschnitte wird die Hinrichtung mittels des elektrisches 
Stromes besprochen. Seit dem Jahre 1899 bediente man sich folgenden Ver¬ 
fahrens: man leitet zuerst durch das betreffende Individuum einen Strom hoher 
Spannung (1700—2000 Volt) während etwa 7 Seounden, dann schwächt man 
ihn auf 300—400 Volt ab und lässt ihn so während 30 Secunden ein wirken. 
Alsdann wird die Wirkung beobachtet, und zeigen sioh noch Athembewegungea, 
so wiederholt man die Procedur noch einmal. Eine einmalige Application hat 
bis jetzt nie den Tod herbeigeführt; in einem Falle brauchte es fünf Wieder¬ 
holungen. 

Der dritte Theil handelt von den Unfällen. Die unmittelbaren Folgen des 
Contactes eines Menschen mit industriellen Strömen sind verschiedene: 

1. In den schwersten Fällen ist es der Tod, und zwar ein rascher Tod; es 
ist nur ein Fall bekannt, wo derselbe erst 20 Minuten nach der Einwirkung ein¬ 
trat. Diese Thatsaohe spricht dafür, dass es sich um Tod durch Herzparalyse 
handelt. Bei diesen Unglüoksfällen ist die Stromdichtigkeit in den inneren 
Organen niemals eine hohe, auch nicht bei hochgespannten Strömen, in Folge des 
grossen Widerstandes an der Berührungsstelle, auffallend ist nur, dass sich in 
keinem Falle die Respiration wieder erholt hat, wie z. B. bei den Hinrichtungen. 
Für die Praxis ist wichtig, dass die Einleitung der künstlichen Respiration ohne 
Wirkung ist. 

2. In zahlreichen Fällen handelt es sich um eine einfache Bewusstlosigkeit, 
die schnell wieder vorübergeht und ohne weitere Folgen ist Von Interesse ist 
dass beim Mensohen niemals vor Wiederrüokkehr des Bewusstseins Convukionen 
beobachtet wurden, wie z. B. beim Hunde. 

3. Die so häufigen Brandwunden sind den Temperaturerhöhungen an Stelle 
des Contactes zuzuschreiben. Sie sind immer scharf umschrieben, gehen gewöhnlich 
sehr tief, an den Händen meist bis auf die Knochen, eitern nur selten und seigeo 
eine grosse Heilungstendenz. 

Von den bis jetzt bekannten Todesfällen soll der Tod 3 Mal durch einen 


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Strom yon nur 115 Volt verursacht worden sein (Berührung des Stromleiters 
mittels nasser Füsse, Contact mit der Brust); in der Mehrzahl der Fälle betrug 
jedoch die Stromstärke etwa 400 Volt bei Wechselströmen, 1000 Volt bei con- 
stanten Strömen. Es sind jedoch auch eine grosse Zahl von Fällen bekannt, wo 
bei Berührung mit den Händen trotz sehr hoher Spannung (bis 2000 Volt) die 
Wirkung nur eine vorübergehende Betäubung war. Eine grosse Rolle spielt 
hierbei immer die Beschaffenheit der Haut der Hände; die trockene Haut setzt 
an und für sich dem Strome Bchon grossen Widerstand entgegen, verkohlt aber 
auch sehr rasch, wodurch der Widerstand noch bedeutend erhöht wird. Viel 
ungünstiger sind die Verhältnisse bei feuchter Haut. Tritt nioht sofortige Hers* 
paralyse ein, so braucht auch ein längerer Contact nicht zu töten, da auch hier 
die Haut schnell verkohlt und dadurch der Strom geschwächt wird. 

Verf. empfiehlt bei Unglücksfällen folgende Maassregeln: 

1. Ist der Verletzte noch mit dem Strome in Contact, so soll derselbe vor 
allem unterbrochen werden; ist dies aus irgend einem Grunde nicht möglich, so 
versucht man, den Betreffenden mittels eines Fusstrittes davon zu befreien; der 
Strom, der von Bein zu Bein geht, verursacht keine Gefahr. 

2. Es ist nun vor allem von Wichtigkeit, ob das Herz noch sohlägt oder 

schon im Zustande der fibrillären Zuckungen ist In letzterem Falle ist jede 
Mühe vergebens. Schlägt das Herz noch, so ist die Hauptaufgabe für die Ath- 
mung zu sorgen durch Hervorziehen der Zunge und Einleitung der künstlichen 
Reepiration. H. Wille (St Pirminsberg). 


24) Blitzschlag und elektrische Hochspannung , von Dr. S. Jellinek. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 29.) 

Aus der Arbeit, die sich auf ein ziemlich reichhaltiges eigenes Beobachtungs¬ 
material stützt, sei nur hervorgehoben: 

1. die Ansicht des Verf.’s, dass neben der mechanischen Wirkung des elek¬ 
trischen Stromes als Ursache der Commotio cerebri auch ein thermischer Effect 
mitspiele, eine Erwärmung der Cerebrospinalflüssigkeit mit consecutiver Volums¬ 
zunahme derselben, dass also neben der Commotio auch eine Compressio cerubri 
sich geltend mache. Bei Tödtung von Eaninohen mit Wechselströmen von 2000 
bis 6000 Volt fiel Verf. sofort naoh der Tödtung eine abnorme Temperatur¬ 
erhöhung in der Gegend des Herzens auf. 

2. Ein Fall von Blitzschlag bei einer 28jähr. Frau. Brandwunde und Blitz¬ 

figuren in der Kreuzbeingegend. Bewusstlosigkeit durch ®/ 4 Stunden. 8 Tage 
später fand Verf. eine Parese der reohten unteren Extremität mit Reflexsteigerung 
und Hyperästhesie. Nach 14 Tagen Erscheinungen einer traumatischen Hysterie. 
Heilung nach einem Monate. J. Sorgo (Wien). 

25) Not« zur un oas dTiystöro-traumatiame; paralysie faoiale oomplöte et 

trismus ohez une enfhnt de treise ans, par J. Guyot et J. Pery. 

(Journal de Mödecine de Bordeaux. 1902. Nr. 9.) 

Verf. veröffentlicht einen Fall von traumatischer Hysterie bei einem lSjähr. 
Mädchen, welches in Folge eines Fehltrittes aus einer Höhe von etwa 2 m von 
einer Leiter herabfiel. Der Fall erfolgte auf die rechte Stirngegend. Keine Be¬ 
wusstlosigkeit, keine Krämpfe, keine Kieferluxation, keine Basisfractur. Es 
wurden weder aus der Nase noch aus dem Ohre Blutungen beobachtet, ebenso 
wenig konnte ein subooqjunotivaler oder pharyngealer Bluterguss festgestellt 
werden. Es entstand nur eine Sohwellung an der getroffenen Stelle, die auf die 
rechte Wangen- und Schläfengegend Übergriff. Schwellung und Sohmerzhaftigkeit 
schwanden sehr schnell, so djum das Kind bald wieder arbeiten konnte. Da 


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plötzlich, nach 14 Tagen, traten die Erscheinungen einer oompletten rechtzeitig«! 
Facialislähmung verbunden mit Trismus auf: der Mund nach links verzogen, die 
rechte Wange schlaff, Lagophthalmus rechts, die Kiefer fest aufeinandergeprezst, 
so dass sie sich nur 1 cm von einander entfernen lassen. Etwa 4 Wochen nach 
dem Unfall kam das Mädchen in die Klinik. Daselbst fand man, dass ausser den 
Erscheinungen einer oompletten Facialislähmung und Trismus auffallende Sensi¬ 
bilitätsstörungen bestanden. Hypo- und anästhetisohe Inseln an beiden Armen, 
eine hypoästhetische Zone unterhalb der linken Mamma. Es waren ferner eoo- 
centrische Gesichtsfeldeinschränkungen auf beiden Augen vorhanden. Die inneren 
Organe, Reflexe, Beweglichkeit, Sinnesorgane zeigten nichts Abnormes. 

Die Anamnese bot nichts besonderes, nur wurde festgestellt, dass das Mädchen 
Abends das rechte Auge sehr gut sohliessen konnte. Es wurde eine Miinp 
behandlung eingeleitet und nach 2—3 Tagen waren die Erscheinungen fast ge¬ 
schwunden, eine weitere Behandlung mit Brom vervollständigte den Erfolg, so 
dass in kurzer Zeit Heilung erzielt wurde. 

Verf. knüpft an den Fall einige Bemerkungen über das Wesen der hyste¬ 
rischen Facialislähmung. Er stellt zunächst fest, dass das Vorkommen e i ne r 
solchen als sicher gelten muss. Sodann geht er auf differential-diagnostische Er¬ 
wägungen ein. Er schliesst die rheumatische sowie die rein traumatische Läh¬ 
mung, aus hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie in so überraschend kurzer Zeit 
zum Schwinden gebracht wurde. Eine oentrale Ursache käme nicht in Betracht, 
auch um einen Hemispasmus glosso-labialis könne es sich nicht handeln. Verf. 
begründet zum Schluss seine Diagnose, indem er die einzelnen für Hysterie 
charakteristischen Symptome noch einmal zusammenfasst. 

H. Schnitzer (Kückenmühle-Stettin). 

26) Ein Fall von pseudospastisoher Parese mit Tremor, von Dr. Eespinger. 

(Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1901. Nr. 22.) 

63jährige, früher gesunde und nicht belastete Frau, die sich durch Sturz 
eine Fraotur von zwei rechtsseitigen Rippen und eine Contusion der rechten 
Schulter zuzog. Nach Heilung der Verletzung blieb immer noch eine starke 
Schmerzhaftigkeit der rechten Thoraxseite und der Schulter bestehen, und es ge¬ 
sellte sich ein Tremor des rechten Armes hinzu, der sich später auch auf des 
Kopf und die untere Extremität erstreckte. Auch die Schmerzhaftigkeit dehnte 
sich später auf die ganze rechte Seite aus. Eine */s Jahr nach der Verletzung 
vorgenommene Sensibilitätsprüfung ergab rechtsseitige Hyperästhesie, die einige 
Monate später in eine vollständige Anästhesie überging. Bei passiven Bewegungen 
fühlt man einen erheblichen Widerstand in Folge von Spasmen der Muscolatur. 

H. Wille (St. Pirminsberg). 


27) Ueber die aoute (tropboneurotisohe) Knochenatrophle nach Ent¬ 
zündungen und Traumen der Extremitäten, von P. Sudeck. Vortrag, 
gehalten im ärztlichen Verein zu Hamburg am 4. Februar 1902. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1902. Nr. 19.) 

Die acute Knochenatrophie zeigt sich nach Entzündungen der grossen und 
kleinen Gelenke und nach Weichtheilphlegmonen in der Regel an sämmtliebea 
Knochen der ergriffenen Extremitäten von dem Erkrankungsherde abwärts; sie 
kommt ferner nach Traumen der Gelenke, Knochen und Weiohtheile vor, jedoch 
nicht constant, ohne dass im Einzelfalle der Grund für ihr Erscheinen bezw. 
Ausbleiben nachweisbar ist. Radiographisch zeigt die Spongiosa kleine, sehr dicht 
an einander liegende, ganz unregelmässige Lücken, wodurch das Ganze eigenartig 
scheckig aussieht, später sind auch in der Corticalis deutliche Knochenreeorptioncn 


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sichtbar. Es kann Heilung eintreten oder in ohronischen Fällen eine gleich¬ 
mäßige pathologische zarte Zeichnung der Structur resultiren, ja das Strnctnrbild 
vollkommen schwinden (echte Knochenresorption oder Halistere?). Hand in Hand 
mit der Knochenatrophie gehen Veränderungen der Musculatur (Atrophie, Herab¬ 
setzung der elektrischen Erregbarkeit), ferner vasomotorische und sonstige tro- 
phische Störungen (Cyanose, Kältegefühl, chronisches Oedem, sammetartige Weich¬ 
heit der Haut, Abschilferung der Haut, Hypertrichosis, Bissigkeit der Nägel). 
Verf. deutet die Knochenatrophie als trophoneurotische Atrophie, durch einen 
peripheren Beiz reflectorisch ausgelöst. 

Die Functionsstörungen sind sehr mannigfaltig. An der Hand findet sich 
Steifigkeit des Handgelenkes und der Finger, mehr oder minder starke Be¬ 
schränkung der activen und passiven Bewegungen, gelegentlich spontane Schmerzen, 
am Fusse meistens Fixation, namentlich bei Pro- und Supination, ferner ein 
sehr hochgradiger Belastungsschmerz beim Auftreten. Seltener sind Knochen¬ 
verbiegungen in Folge von Atrophieen. Therapeutisch wichtig ist, dass man 
die Immobilisation nicht weiter ausdehnt als unbedingt nöthig ist, d. h. noch im 
acuten Stadium sind passive Bewegungen erforderlich, nach Ablauf der acuten 
Entzündungserscheinungen Massage und orthopädische Uebungen. Nützlich sind 
heisse Bäder, ferner die venöse Blutstauung, täglich mehrere Male angewandt. 
Bei Knochenatrophie an den Unterextremitäten ist es zweckmässig, die Füsse 
nicht zu immohilisiren, aber die Belastung durch einen Apparat nach dem Princip 
der Thomas-Schiene auszuschalten. 

Die Prognose kann günstig sein, aber eine große Zahl von Patienten behält 
dauernde Steifigkeit der Finger und die Beschwerden an den Füssen ziehen sich 
oft durch Jahre hindurch. 

Wichtig ist die Differential diagnose. Viele Patienten werden für Simulanten 
gehalten, andere als verdächtig angesehen der secundären Tuberculoee, seltener 
der Syphilis, ferner können der entzündliche Plattfuß und die sogen. Gelenk¬ 
neurosen Schwierigkeiten machen. B. Pfeiffer. 


28) Ueber die Geisteskrankheiten nach Kopfverletzungen, von Dr. R. Werner 

(Dalldorf). ( Vierte^ ahrsschr. f. gerichtl. Medicin. 1902. Suppl. S. 151.) 

Ueber die mechanische Wirkung von Kopfverletzungen auf das Gehirn, wie 
sie experimentell nachgewiesen und bei Unfallverletzten, die zur Section kamen, 
beobachtet wurden, bringt Verf. aus der Litteratur ein umfangreiches Material 
zusammen — die psychische Wirkung bespricht er nicht näher. Er führt die 
diffusen Erkrankungen der Hirnrinde nach Hirnerschütterung in der Hauptsaohe 
auf Alterationen des Gefässsystems zurück und legt grossen Werth auf die Fest¬ 
stellung, ob die Verletzung ein vorher rüstiges oder ein sohon geschwächtes Ge¬ 
hirn betroffen hat. Von den functioneilen Störungen wird ausführlicher nur die 
„Cerebrasthenie“ besprochen, die Psychosen werden nur kurz erwähnt Verf. geht 
dann sehr ausführlich auf die mit mehr oder weniger intensiven organischen 
Läsionen einhergehenden Krankheitsbilder ein, in erster Linie die organisoh be¬ 
dingten psychischen Schwächezustände, und bespricht hierbei auch den Zusammen¬ 
hang zwischen Verletzung und progressiver Paralyse. Er meint, daß Kopf¬ 
verletzung allein wohl niemals Paralyse erzeuge, daß sie aber bei bestehender 
Disposition den letzten Anstoß zum Ausbruoh der Krankheit geben und auch 
eine bestehende Paralyse wesentlich verschlimmern könne. Epilepsie und Hysterie 
bespricht er besonders. Er hält es für wahrscheinlich, dass für die Entstehung 
von Epilepsie nach Kopfverletzung Störungen im Bereich des Gefäßsystems ver¬ 
antwortlich zu machen seien, während die Hysterie durch den psyohischen Shok 
bei der Verletzung hervorgerufen werde. Als Complioation des Krankheitsbildes 


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wird der Alkoholismos nur kure besprochen. Schliesslich giebt Verf. «wen Ueb«r- 
bliok über die verschiedenen Versuche einer Einthedlung der t na—tiwhs 
Geistesstörungen und lässt denn seine eigene £intheüung folgen, bei der vier 
Grundformen unterschieden werden: 

1. Delirium traomatiouin, 

2. organisch bedingte Sohwächezostände, 

3. traumatisch bedingte epileptische Geistesstörung mit oder ohne Krampf 
anfälle, 

4. Geistesstörung auf Grundlage wesentlich fonctioneller tra nmatie ch be¬ 
dingter Störungen. 

Endlich werden noch die Fälle kurz besprochen, in denen Kopfverletzung 
als auslösendee, verschlimmerndes oder prädisponirendes Moment für Geistes* 
krankheit in Betracht kommt. Stegmanu (Dres d e n ). 


Psychiatrie. 

29) Ueber Ergebnisse elektrischer Untersuchungen an Geisteskranken, tos 

Pilcz. (Jahrbücher f. Psych. u. Neur. XXI. S. 313.) 

Ausgehend von theoretischen Erwägungen über den Zusammenhang und dis 
Beziehungen von Polyneuritis und acuten Geistesstörungen (gemeinsame infecdös* 
toxische Aetiologie, Korsakoffsche Psychose u. s. w.) ging Verf darauf ans mit 
Hülfe elektrodiagnostischer Untersuchungsmethoden nach leichtesten neuritäscbea 
Veränderungen zu fahnden in Fällen, die im übrigen keinerlei Symptome euer 
Mitbetheiligung dee peripheren Nervensystems erkennen liessen. Verf. achtete 
dabei auf „Zuckungsträgheit“ und bediente sioh, um auoh geringfügige Verände¬ 
rungen in objectiver und Messung zugänglicher Weise darzustellen, der graphisches 
Methode. Jede der (durch den constanten Strom oder durch Oeffnungsindoetioa»- 
schläge ausgelösten) Contractionen wurde mittels dee Knoll-Boche'sehen Poly¬ 
graphen registrirt, die Zeit mittels einer geaiehten Stahlfeder bestimmt, die ia 
der Secunde 60 Schwingungen macht. Das Untersuchungsmaterial betrifft 60 Indi¬ 
viduen mit etwa 1200 Einzeluntersuchungen. 

Durch Prüfung von 19 bezüglich ihres peripheren Nervensystems sicher als 
normal anzusehenden Individuen wurde zunächst ein normales Vergleichsmaterial 
geschaffen, Maximal-, Minimal- und Dnrchschnittswerthe der Contractionsdaner für 
einzelne Muskelindividuen für den faradischen and galvanischen Strom bestimmt 
Es stellte sich dabei u. a. heraus, dass, soweit Oeffnungsindnctionsechläge in Be¬ 
tracht kommen, die Werte der einzelnen Myogramme ganz dieselben bleiben bei 
schwachen und starken Intensitäten (abgesehen natürlich von Stromstärken, dis 
wenig grösser sind als die zur Erzielung der Minimalsnckung erforderlichen'. 
Bezüglich des galvanischen Stromes ergab sich, dass der Uebergang von der für 
das Auge noch deutlich sichtbaren „blitzartigen 14 Zuckung zum ebenfalls ohne 
weiteres durch Inspection wahrnehmbaren KSTe kein plötzlicher, sondern ein all¬ 
mählicher ist, d. h. dass mit steigender Stromstärke das Myogranun eines and 
desselben Muskels immer länger wird und die endliche Bestimmung der einen 
oder der anderen Contraction als „Dauerzuckung“ mehr oder minder arbiträr 
bleiben muss. Bei verschiedenartigem Aufsetzen der Pelotte des Schreibers auf 
den zu prüfenden Muskel, bezw. dessen Sehne fällt das Myogramm gleichwohl 
ceteris paribus identisch aus u. s. w. 

Als Paradigmata sicherer nenritischer Veränderungen dienten 4 Fälle, bei 
denen die Diagnose „Polyneuritis“ auch ohne elektrische Untersuchung über jedes 
Zweifel erhaben war (Korsakoffsche Psychose, Dementia senilis, Dementia acuta, 
ParalysiB progressiva und Alkoholneoritis). Die Krankheitsgeschichten dieser 


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' Fälle sowie die elektrischen Befunde werden genauer mitgetheilt. Als besonders 
bemerkenswerth sei hier ein Fall mitgetheilt (Dementia acuta), bei welchem die 
L ' zur Zeit der Anstaltsaufhahme noch vorhandenen Patellarsehnenreflexe im weiteren 
Verlaufe schwanden; ausserdem andere exquisite neuritisohe Symptome. Zuckunga- 
trägkeit. Mit beginnender psychischer Eeconvalescenz wiesen die geprüften Muskeln 
auch wieder blitzartige Zuckung auf, während der Patellarsehnenreflex auf einer 
* Seite noch nicht wiedergekehrt war. 

Die oonstanteaten Veränderungen fanden sich an der kleinen Hand* und 
- Fussmusculatur (M. extensor digitorum communis brevis etc.). 

Das eigentliche Untersuohungsmaterial umfasst nuu Psychosen, bei denen 
r Symptome einer Neuritis zu fehlen schienen. 

Von 9 Fällen von Amentia (sec. Meynert) wiesen 6 exquisite galvanische 
und faradiBche Zuokungsträgheit auf; ebenso ein Fall von Delirium acutum (der 
nach schon eingetretener Klärung untersucht wurde). 

An 21 Fällen von Alkoholpsychosen (Delirium tremens, Alkoholparanoia etc.) 
ergab sioh ein bemerkenswerther Unterschied zwisohen den Deliranten und den 
übrigen Formen. Bei enteren waren die gefundenen neuritischen Veränderungen 
1 erstens häufiger (in 76°/ 0 gegenüber 40 °/ 0 bei den nicht deliranten Formen), 
zweitens schwerer (faradische Zuckungsträgheit u. s. w.). Es steht diese That- 
sache im Einklang mit anderen Befunden beim Delirium tremens (cythologisches 
Bild, kritische Lösung, Albuminurie u. s. w.), welche für die Annahme eines auf 
dem Boden der chronischen Alkoholvergiftung sich bildenden „alkohologenen“ Giftes 
spreohen (v. Wagner, Elzholz). 

Sohlieeslich zog Verf. auch noch 6 Paralytiker in den Kreis seiner Unter* 
Buchung. Einige der Fälle zeigten Zuckungsträgheit, andere durchaus normale 
Myogramme. Verf. will bezüglich der letzteren Categorie von Geistesstörungen 
angesichts des einstweilen zu geringen Materials von irgend welchen Schlüssen 
absehen. 

4 Abbildungen von Myogrammen und detaillirte Zahlenangaben der ge¬ 
fundenen Werte für die einzelnen Contractionen befinden sich im Text. 

Autoreferat. 

30) Ueber sohwaohsinnlge Schulkinder, von Dr. Leopold Laquer. (Hallea/S. 

1902, C. Marhold. 44 S.) 

Verf., der um die mustergültigen Verhältnisse des Schularztwesens in Frank¬ 
furt a/M. selbst nicht geringe Verdienste sich erworben hat, giebt in der vor¬ 
liegenden Abhandlung mit der Darstellung des dort eingeführten Hülfsschulwesens 
zugleich werthvolle Betrachtungen und Belehrungen über die Erkennung und Be¬ 
handlung des Schwachsinns in der Schule überhaupt. Er geht von dem Stand¬ 
punkt aus, dass für die Prüfung des Geisteszustandes in dem in Betracht 
kommenden Kindeealter bis auf weiteres kein besserer methodischer Weg existirt 
als die Schule selbst, dass mit anderen Worten den beiden ersten Sohuljahren 
die wesentlichste und erfolgreichste Aufgabe bei der Feststellung des kindliohen 
Schwachsinns zufällt. Daraus geht hervor, dass ein Zusammenarbeiten von Päda¬ 
gogen und Aerzten nach einheitlichen Gesichtspunkten nicht nur wünschenswerth, 
sondern direct erforderlich ist, soll die Arbeit wirklich erfolgreich sein. — Die 
Beobachtung schwachsinniger Kinder vor Eintritt in die Schule wird, dem Thema 
der Arbeit entsprechend, nur kurz erledigt. — Der Aufnahme und Beobachtung 
der Schwachsinnigen in der Normalschule ist ein grösserer Abschnitt gewidmet. 
In Frankfurt geschieht schon die Ausmusterung der Schulpflichtigen insoweit mit 
Hülfe der Schulärzte, als ee den Rectoren anheimgestellt ist, in zweifelhaften 
Fällen deren Rath in Anspruch zu nehmen. Die Grundlage der weiteren ärzt- 


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Hohen Ueberwachung bildet der vom PreuBsisohen Cultusministerium empföhle«« 
„Gesundheitsschein“, in dem jedes Semester die Eintragungen für Grösse, Gewicht, 
Brustumfang, Constitution, Hauterkrankungen, Augen, Ohren, Mund, Sprache u. a. w. 
Torgenommen werden. Neuerdings ist diesen Rubriken auch eine solche für 
psychische Anomalien zugefügt worden, in der als allgemeine Bezeichnungen Air 
die Höhe der psychischen Leistungen die Worte Normal, Zurückgeblieben oder 
Defect zugelassen werden. Aus praktischen Gründen wird die Sch- und Hör¬ 
prüfung in der Regel erst einige Monate nach Beginn des Unterrichts vorgenonuaeo. 
Nach Ablauf des halben Schuljahres werden die Lehrer oder Lehrerinnen in der 
Regel im Stande sein, ein Urtheil darüber zu füllen, ob ein Kind so schwach 
veranlagt sei, dass es voraussichtHch das Klassenziel der untersten Stufe ni ch t 
erreichen werde, und dann ist der Zeitpunkt für den Arzt zu weitergehenden und 
umfangreicheren Erhebungen gekommen. Bestätigen seine Eindrücke bei einer 
wiederholten Prüfung besonders der Sinneswerkzeuge am Ende des ersten Schul¬ 
jahres die Wahrscheinliohkeitsdiagnoso des Lehrers, so trägt der Rector das Kind 
in die Vorschlagsliste der Candidaten für die Hülfsschule ein. In besonderes 
Fällen wird noch ein zweites Jahr abgewartet zur endgültigen Entscheidung, ob 
jene Minderleistungen weiterbestehen. In jedem Falle wird noch während des 
Besuches der Normalschule mit der Aufstellung bezw. Ausfüllung des „Beobachtungs- 
bogens für schwachsinnige Schulkinder“ begonnen, der in 18 Spalten einen voll¬ 
ständigen psychischen Status des Kindes zusammenstellen lässt; auch hier ist vor¬ 
gesehen, dass die Eintragungen nicht nur während des Besuches der Norraal- 
und bei Eintritt in die Hülfsschule, sondern in dieser auch jedes Jahr von Neuem 
vorgenommen werden. — Den einzelnen Fragen dieses Beobachtungsbogens widmet 
Verf. eine eingehende Betrachtung; hervorgehoben sei daraus die Bedeutung, die 
wochenlangem ununterbrochenem Schreien der Kinder beigelegt wird, die Hervor¬ 
hebung des häufigen Fehlens der Farbenvorstellungen bei intactem Farbeo- 
empfinden. Auffallen muss dagegen die Erwähnung der Linkshändigkeit unter 
den „körperHchen Missbildungen“. Bei der Erforschung des geistigen Niveaus 
jener Schüler der Unterstufe räth Verf. dringend, dem Lehrer vor dem Arzte den 
Vortritt zu lassen, ebenso müsse es Sache der pädagogischen Beobachtung bleiben, 
die Einzelheiten der Entwickelung nach Kenntnissen und Fertigkeiten zu verfolgen. 
Den exact psychologischen Untersuchungen über Ermüdbarkeit, Aufmerksam ke it 
u s. w. räumt er vielleicht einen grösseren Raum in der Zukunft ein, für die 
Gegenwart müsse man sich aber an die bereits gegebenen Schnleinrichtungen halten. 
— Bei dem Uebergang der Schwachsinnigen ans der Normal- in die Hülfsschule 
legt Verf. grössten Werth darauf dass an der Aufnahmeprüfung ein oder mehrere 
Aerzte theilnehmen, wie das ausser in Frankfurt bei der Mehrzahl der prenannehen 
Hülfsschulen schon eingeführt ist. Epileptiker sind, wie auch schon bei früherer 
Gelegenheit vom Verf. gefordert wurde, von der Aufnahme in die Frankfurter 
Hülfsschulen ausgeschlossen. — Um den Erfolg des Hülfsschulunterrichte« nicht 
wieder in Frage zu stellen, ist es nothwendig, dass Lehrer und Aerzte die Schüler 
auch nach der Entlassung noch möglichst lange im Auge und unter Controlle 
behalten; als Muster für eine solche weitere Beaufsichtigung wird der „Verein 
zur Fürsorge für Schwachsinnige zu Königsberg“ angeführt. — Verf. schlieast mit 
der Forderung, im öffentlichen und individuellen Interesse die Schwachsinnigen 
unter den Sohülern aller Schulen in den beiden ersten Schuljahren, wenn irgend 
möglich, sogar mit gesetzlichen Mitteln auszusondern und so in einem recht frühen 
Lebensalter den Hülfeschulen und damit einer individuellen Erziehung znsuführeo. 

H. Haenel (Dresden). 


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31) Zur Caauiatik der Zwangsvorstellungen, von Landborg. (Jahrbücher 

f. Psych. n. Nenr. XXL S. 294.) 

Verf. schliesst sich der Friedenreich’soben Eintheilong an, der bei den 
Zwangsvorstellungen drei Stadien unterscheidet. Im ersten Grade ist der Kranke 
noch Herr seiner selbst, kann seinen Zustand noch unterdrücken. Im zweiten 
Stadium kann der Kranke seine Vorstellungen weder bekämpfen noch geheim 
halten; er vertraut sich Anderen an, sucht sich dabei möglichst zu isoliren: seine 
Arbeitskraft nimmt ab. In der dritten Periode wird Patient apathisch, giebt den 
Versuch auf gegen seinen Zwang zu kämpfen. Keine Demenz. 

40jähriger, schwer belasteter Kontier; mit 8 Jahren Masturbation, sexuell 
stets ungemein activ, seit der Pubertät an Zwangsvorstellungen leidend (Grübel¬ 
sucht); zuletzt auch allerlei unzweifelhaft paranoische Züge, wodurch er auch ge¬ 
meingefährlich zu werden drohte. Intermittirender Verlauf. 

Von der recht ausführlichen Krankengeschichte erwähnt Verf als bemerkens¬ 
wert}), dass (im Gegensätze zur Behauptung Friedenreich’s) derartige Fälle 
auch forensische Bedeutung gewinnen können und betont die Beziehungen von 
religiösen Grübeleien und Sexualität. Pilcz (Wien). 

32) Deckung eines Erinnerungsdefeotes duroh Halluoination , von Dr. 

Mönkemöller, Oberarzt an der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt zu 

Osnabrück. (Vierteljahrschr. f. geriohtl. Medicin. 1902.) 

Als Beitrag zu der oft schwer zu entscheidenden Frage, ob ein Erinnerungs- 
defect echt oder vorgetäuscht sei, schildert Verf. einen Fall, bei dem man leicht 
Simulation annehmen könnte, wenn nicht aus anderen Gründen unzweifelhaft 
hervorginge, dass eine krankhafte Störung vorlag. 

Ein Tagelöhner war unter dem dringenden Verdacht, seine eigene Wohnung 
in Brand gesteckt zu haben, in Haft genommen worden, behauptet aber, nicht zu 
wissen, wie das Feuer entstanden sei, obgleich er zur Zeit des Brandes allein im 
Hause gewesen war. Sein Benehmen während des Feuers war auffällig gewesen; 
man hatte ihn, der als Trinker bekannt war, für angetrunken, aber nicht sinnlos 
betrunken gehalten; er selbst bestritt während der fraglichen Zeit betrunken ge¬ 
wesen zu sein. Nachdem er einige Tage in Haft gewesen war, legte er plötzlich 
spontan ein Geständniss ab; er gab an, die That begangen zu haben aus Ver¬ 
zweiflung darüber, dass er keine Arbeit bekommen hatte und aus Aerger über 
seine Frau. Es liess sich nachweisen, dass der Angeklagte seit langer Zeit dem 
Trunk ergeben war, körperliche Zeichen des chronischen Alkoholismus darbot, 
ausgeprägten Eifersuchtswahn hatte und bereite seit langer Zeit an Sinnes¬ 
täuschungen litt. Im Sommer hatte er Schwindelanfälle gehabt, bei denen er 
umfiel und sich auf die Zunge biss; wiederholt hatte er, statt zur Arbeit zu 
gehen, einen falschen Weg eingeschlagen, ohne nachher zu wissen, wie er dorthin 
gekommen sei. Es liess sich feststellen, dass er vom Tag der That fast keine 
Erinnerung mehr hatte, auch nicht von der That selbst. Er gab an, eine „innere 
Stimme“ habe ihm in der Haft Nachts zugerufen, dass er der Thäter sei, und so 
sei er zu der Ueberzeugung gekommen, dass er das Feuer angelegt habe, wenn 
er sich auch auf die Einzelheiten nicht besinnen könne. Es lag also hier eine 
nachträgliche Ausfüllung der Erinnerungslücke durch eine Sinnestäuschung vor; 
der Angeklagte war daher für krank und nicht zurechnungsfähig im Sinne des 
§ 61 Str.G.B. zu erachten. Stegmann (Dresden). 

33) Die Mörderinnen. Eine anthropologische Untersuchung von M me . Dr. 

P. Tarnowskaja. (St. Petersburg. 1902. [Russisch.]) 

Verfasserin, die bereits seit einer Reihe von Jahren auf dem Gebiet der 


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criminellen Anthropologie thätig ist und früher werthvolle Untersuchungen über 
Prostituirte und Diebinnen angestellt hat, theilt in vorliegendem Boche Duc 
anthropologischen Untersuchungen über Mörderinnen mit. Das neue Werk im 
eis* stattlicher Band von über 600 Seiten mit zahlreichen photographischen Ab¬ 
bildungen und anthropometrischen Tabellen. Ihre Aufgabe bestand darin, fest- 
zustellen, ob die Mörderinnen im Grossen und Ganzen anthropologische Ab¬ 
weichungen von der gesunden, nicht verbrecherischen Bevölkerung aufweisen. Za 
diesem Zwecke untersuchte sie 160 Mörderinnen aus verschiedenen Gefängnissen, 
aber nur solche, die aus rein russischen bäuerlichen Familien stammten, und zun 
Vergleich 150 rein russische Weiber aus dem Bauernstände. Die Untemchnsg 
wurde an allen Subjecten nach einem einheitlichen Plan ausgeführt and betraf 
ausser den craniometrisohen Verhältnissen den Zustand der Sinnesorgane (Haut¬ 
sensibilität, Gesichtsfeld u. s. w.) und der Kniephänomene. Ausserdem worden is 
jedem Falle die psychischen Degenerationszeichen notirt. In jeder ein n e l ne a 
Beobachtung bringt Verfasserin ein kurzes Bösumö des Verbrechens und seiner 
Motive, soweit sie aus den Aoten zu ersehen waren, ferner Angaben über die 
psychischen Eigentümlichkeiten, Heredität u. s. w., und eine photographische 
Abbildung. 

Die 160 Mörderinnen zerfallen nach dem Wesen und Ausgangspunkte des 
Verbrechens in fünf Gruppen. Zur ersten gehören diejenigen, die den Mord 
unter dem Einflüsse eines leidenschaftlichen Impulses begangen hatten — aas 
Habsucht, Eifersucht, Bachsucht, Hass; ferner gehören hierher Fälle, wo eine 
Mutter ihren Schwiegersohn ermordet, um ihre Tochter von ihm zu befreien — 
also aus Mutterliebe, oder wo sexuelle Liebe im Spiel ist und in Folge d es s en 
der Mann oder Liebhaber ermordet wird. In der zweiten Gruppe handelt es sich 
hauptsächlich um Abstumpfung des moralischen Sinnes; der Mord wird kalt¬ 
blütig, in grausamer Weise, aus einer geringfügigen Veranlassung begangen (viele 
Kindesmörderinnen). Die dritte Gruppe umfasst vorzüglich ganz junge Weiber, 
die im Alter von 17—20 Jahren ihren Mann ermordeten, weil ihnen der sexnelle 
Verkehr mit ihm widerwärtig war; sehr viele Morde kommen im Bauernstands 
vor, wo keine andere Veranlassung als diese sich constatiren lässt, and häufig 
handelt es sich hier um solche Fälle, wo Bauernmädchen im Alter von 16—18 Jahren, 
vor Eintritt der Menstruation verheirathet werden, und wo vom Anfang des Ehe¬ 
lebens an Bich Absoheu gegen den geschlechtlichen Verkehr einstellt. Merkwürdig 
ist die Einförmigkeit des Verbrechens in diesen Fällen, fast in jedem Proceaee 
stösst man auf die nämlichen Umstände — der Mann ist der jungen Frau wider* 
wärtig geworden, und sie hat ihm Arsenik oder Sublimat im Essen verabrei c ht 
Die vierte Gruppe besteht aus Mörderinnen, die an ausgesprochener Geisteskrank¬ 
heit litten. Zur letzten Gruppe gehören fünf Fälle, wo der Mord zufällig, im 
Streit, ohne besondere Motive begangen wurde. 

Im SchlusBcapitel stellt Verfasserin die Resultate ihrer anthropologischen 
Untersuchungen zusammen und bringt die an den Mörderinnen gefundenen Dates 
mit den normalen in Vergleich. Die wesentlichen Unterschiede bestehen ia 
Folgendem: Die horizontale Circumferentia des Kopfes und der Diam. antero- 
poster. mai, und transvers. mar sind bei den Mörderinnen kleiner, als bei daa 
zum Vergleich dienenden 150 Bäuerinnen aus der freien Bevölkerung, und zwar 
sind die Zahlen dafür bei ersteren durchschnittlich 629,7, 177,6, 143,5; bei 
letzteren 534,0, 180,0 und 144,7. Der Gesichtswinkel (nach Cloquet) beträgt 
bei den 160 Mörderinnen durchschnittlich 71,512; bei den nicht verbrecherischen 
Weibern 72,012. Was die psychischen Degenerationszeiohen anbetrifft, so wann 
von 160 Mörderinnen damit behaftet 78°/ 0 , von 150 gesunden nicht ver b re ch e- 
rischen Weibern 17,83°/ 0 . Die Schmerzempfindlichkeit der Haut ist bei den 
Mörderinnen nicht herabgesetzt. Die Kniephänomene bieten bei ihnen Abnorai- 


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* täten dar in 40%, während bei gesunden Weibern nur 20% gefunden wurden. 

* Andere Details über Menstruationseintritt, Heredität, Verhalten des Gehörs, Ge- 

1 schmackes, Gesichtsfeld u. s. w. müssen in den Originaltabellen nachgelesen werden. 

- Im Zusammenhang mit ihren Untersuchungen bespricht Verfasserin die Bedeutung 

L der criminellen Anthropologie überhaupt, die Lombroso’schen Theorieen im 

' besonderen, und stellt sich diesen Fragen gegenüber auf einen sehr gemässigten, 

- streng wissenschaftlichen Standpunkt. Hoffentlich erscheint das Werk in einer 

deutschen oder französischen Uebersetzung, um einem grösseren Leserkreise zu¬ 
gänglich zu werden. Es ist unzweifelhaft eine hervorragende Leistung auf diesem 
Gebiete und von grossem Interesse sowohl für Anthropologen und Irrenärzte 
als auoh für Juristen. P. Eosenbaoh (St Petersburg). 


34) Ueber Oth&matom bei Geisteskranken, von Ch. Imura. (Neurologia. 

I. Nr. 2.) 

Verf. fand das Othämatom unter 4268 Geisteskranken bei etwa 2% der¬ 
selben ; er bestreitet, dass dasselbe immer dem Trauma seine Entstehung verdankt, 
weil „% dieser Kranken überhaupt nicht mit Zwangsmitteln behandelt wurden, 
zur Zeit der Entstehung ruhig und bei relativ klarem Bewusstsein waren“. (Aus 
diesen Gründen allein das Trauma auszuschliessen, erscheint Bef. doch etwas vor¬ 
eilig.) Es kommt bei progressiver Paralyse [am häufigsten vor, ist im Ganzen 
ein Zeichen für schlechte Prognose. H. Haenel (Dresden). 


Therapie. 

36) Leitfaden der Blektrodiagnostik und Elektrotherapie für Praktiker und 

Studirende, von Dr. Toby Cohn. (Berlin 1902, S. Karger.) 

Für den Unterricht in der Elektrodiagnostik und -therapie haben sioh die 
Zeiten bedeutend geändert Derartige Curse waren in früheren Jahren fast ge¬ 
sucht, das Interesse dafür war ein sehr reges. Man hatte das Hecht, dickleibige 
Bücher darüber zu schreiben, die auch eifrig benützt wurden. Dieses Interesse 
ist in den letzten Jahren vielfach zurüokgegangen. Die Hoffnungen, welche man 
auf die Elektrodiagnostik gesetzt hatte, hatten sich nicht erfüllt, in die Elektro¬ 
therapie hat sich ein Skeptioismus eingeschlichen, der langsam in Nihilismus übergeht. 
So ist denn in dem ganzen Gebiet ein Verfall eingetreten, der nun droht, auch 
den gesicherten Bestand des Wissenzweiges zu verniohten. Unsere medicinische 
Jugend verlangt, wenn sie sich überhaupt noch der Sache widmet, kurze, nur das 
Wichtigste umfassende Curse und dementsprechend brauchen wir kurze, klar ge¬ 
schriebene, jedes unnütze Detail vermeidende Lehrbücher. Ieh verwende nun seit 
1899 das Buch von Toby Cohn, und ich muss sagen, dass sich das kleine Werk 
beim Unterricht ausgezeichnet bewährt hat. Die übersichtliche Darstellung, die 
Zweckmässigkeit der Hlustrationen haben dem Buche immer viel Freunde unter 
meinen Hörern verschafft. 

Nun benützen wir seit einigen Monaten die zweite Auflage, welche gegen¬ 
über der ersten zahlreiche Verbesserungen aufweist sowie auoh einige wesent¬ 
liche Neubearbeitungen enthält. loh finde, dass das Buch bedeutend gewonnen hat. 
Man trifft wirklieh nur den reellen Bestand geschildert; in allen anderen Dingen 
herrscht wohlthuende Kürze. In einem kleinen Capitel werden die neueren An- 
wendungsformen der Elektricität kurz und klar erörtert. Bezüglich der Teslaisation 
äussert sioh Verf. übrigens sehr skeptisch. Selbst der ganz neuen Methode der 
Behandlung mit Wechselstrommagneten wird ein kurzer Abschnitt gewidmet, ohne 
dass Verf. jedoch über persönliche Erfahrungen berichtet Auch im übrigen ist 


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der therapeutische Theil zum Vortheil der Sache nicht unwesentlich « w eit e st 
worden. Bef. ist überzeugt, dass das Buch in seiner eenen Gestalt wieder eine 
grosse und wohlverdiente Verbreitung finden wird. 

v. Frankl-Hochwart (Wial 


III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 10. November 1902. 

Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: Herr Bernhardt 

Vor der Tagesordnung widmet Herr Jolly dem verstorbenen Ehrenmit- 
gliede der Gesellschaft, Rudolf Virchow, sowie den verstorbenen Mitgliedern 
Wulfert und Kaplan einen warmempfundenen Nachruf! Die Mitglieder der 
Gesellschaft ehren das Andenken der Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen. 

Tagesordnung: 

Herr S. Kalischer stellt ein 14jähr. Mfidchen vor, das seit Kindheit an einer 
eigenartigen Gangstörung (schwerfällig und watschelnd) leidet Diese Gehstörong 
hatte in den letzten Jahren zugenommen, und dazu sind vor einem Jahre xwaa 
Mal tonische Krampfe in den Armen aufgetreten, jetzt hin und wieder mach 
Krampf beim Schreiben. Die Untersuchung ergab eine Schwäche der Höftbeuger 
und Lendenmuskeln, fast völligen Verlust der Patellarreflexe und deutliche Sym¬ 
ptome der Tetanie, wie Facialisphänomen, erhöhte mechanische und elektrische 
Erregbarkeit der Nerven, Trousseau’sches Phänomen. Vom N. uln&ris aus war 
die KaSZ bei 0,1 M.-A. zu erzielen; KaOeZ bei 0,7; AnOeZ bei 0,6; AnSZ bei 
0,8; KSTe bei 1,0; auch AnTe war bei stärkeren Strömen auszulöeen. Es han¬ 
delt sich demnach um eine bis vor kurzem latent gebliebene Tetanie, die seboa 
frühzeitig als hervortretendstes Symptom eine Schwäche der Hü ft- und Lenden- 
muskeln und dadurch die Gehstörung erzeugt hatte. Drei ähnliche Falle vom 
chronischer recidivirender Tetanie mit dieser Gangstörung sind von J. Hoffmans 
1888 auf der Erb’schen Klinik beobachtet; in einem derselben lag wie hier ein 
Genu valgum vor, in einem anderen wies alles zunächst auf eine Erkrankung der 
Beckenmuskeln hin. Muskelatrophieen waren in dem vorgestellten Falle nicht 
vorhanden. Vortr. geht sodann auf die bei Tetanie vorkommenden Lähmungen, 
Atrophieen und Contracturen ein; auf der Basis einer chronischen Tetanie komme« 
ganz vereinzelt Lähmungen und Contracturen vor, welche ohne gleichzeitige Be¬ 
gleiterscheinungen der Tetanie vorhanden sein und diagnostische Schwierigkeiten 
machen können, wenn die Anamnese mangelhaft ist und die Untersuchung gerade 
in dem latenten Stadium stattfindet. Hier treten anscheinend erst viele Jahr« 
nach der Gehstörung die ersten manifesten Erscheinungen der Tetanie auf 
Während die Tetanie bei Erwachsenen in Berlin sehr selten ist, konnte Vortr. 
die Tetanie bei Kindern in den ersten Lebensjahren recht häufig in der Neu- 
mann’schen Kinderpoliklinik beobachten, woselbst er die Mann-Thiemich’schee 
Befunde bestätigen konnte. Nicht selten weist das gehäufte Auftreten der 
Eklampsie, des Spasmus glottidis, Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit im Früh¬ 
jahr zuerst auf den Beginn der Tetanieepidemie hin. Fast nie sah er Tetanie 
bei Kindern im Alter von 4—12 Jahren, und ob muss zweifelhaft erschein«!, ob 
diese Tetanie bei den Säuglingen chronisch in dem Sinne war, dass sie sich in 
das spätere Lebensalter als chronisch recidivirende Tetanie fortpflanzte. — Die 
neueren Untersuchungen über den Einfluss der Brustnahrung, Kuhmilch und des 
vegetabilischen Eiweisses auf den Grad der Tetanie und die Erhöhung der elek- 


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1 trißchen Erregbarkeit scheinen noch nicht genügend nachgeprüft zu sein, and ist 
- dabei zu erwägen, dass der Grad der Symptome der Tetanie wie besonders auch 
die elektrische Uebererregbarkeit schon spontan grossen Schwankungen unter- 
r. worfen ist. — Den Begriff der symptomatischen Tetanie als Symptom einer 
anderen organischen und besonders cerebralen Nervenerkrankung möchte Vortr. 
eingeschränkt wissen; es handelt sich da meist um zufällige Complioationen von 
Tetanie mit anderen Erkrankungen oder um Nervenerkrankungen, welche nur 
tetanieähnliche Krämpfe erzeugen; hier muss die Prüfung der elektrischen Erreg- 
3 barkeit ausschlaggebend sein; meist ist die Tetanie der Ausdruck einer Allgemein* 
erkrankung (tonischer oder infectiöser Natur). Autoreferat. 

Discussion: 

Herr Japha bemerkt, dass unter 6 — 7000 Kranken der Neumann’schen 
Kinderpoliklinik 180 Fälle von Spasmus glottidis beobachtet wurden, von denen 
die meisten Fälle Tetaniesymptome hatten (besonders gesteigerte elektrische Er* 
regbarkeit). Die Symptome der Tetanie sind sehr labil, am oonstantesten ist das 
Facialisphänomen; nur bei sehr wenigen Fällen Hessen sich Tetaniesymptome bis 
in das 5.-6. Lebensjahr verfolgen. Gewicht ist auf die Untersuchungen Finkei* 
stein’su. A. über den Einfluss der Ernährung, besonders der Milch, auf das Auf¬ 
treten der Tetanio zu legen. Manche Fälle von Tetanie bezw. von schwerem 
Spasmus glottidis werden durch Entziehung der Milch zweifellos günstig beein¬ 
flusst. Indes kann die Milch nicht allein als Ursache der genannten Erkrankungen 
angesehen werden, da dieselben auch bei Brustkindern zur Beobachtung kommen, 
wenn auch meist in leichterem Grade. Gegen den alleinigen Einfluss der Nahrung 
spricht auch die Periodicität des Auftretens der Tetanie Die meisten davon be¬ 
fallenen Kinder haben zu geringes Gewicht und sind schlecht genährt. 

Herr Toby Cohn fragt, ob der Vortr. Veränderungen des Zuokungsablaufes 
und der Zuckungsformel gesehen hat und verweist auf die Beobachtungen von 
Mann. 

Herr Kalischer bemerkt, dass er die Mann’schen Beobachtungen in seinem 
Falle bestätigen konnte; er glaubt übrigens nicht, dass der vorgestellte Fall 
chronischen Charakter annehmen würde. 

Herr Bernhardt: Krankenvorstellung. 

39 jähr. Patient, der vor 23 Jahren mit den gleichen Krankheitserscheinungen 
vom Vortr. in der Gesellschaft vorgestellt worden ist (vgl. Berliner klin. Wochen¬ 
schrift. 1880. Nr. 25). Pat. erkrankte im 13. Jahre an Masern und im Anschluss 
daran an einer länger dauernden Darmerkrankung. Während derselben Anfall 
von Bewusstlosigkeit mit linksseitiger Lähmung. Bei Wiederkehr der willkür¬ 
lichen Beweglichkeit Auftreten von Zuckungen im linken Arm. Letztere haben 
seit der damaligen Vorstellung genau denselben Charakter bewahrt. Es handelt 
sich um rhythmische Innen- und Aussenrotationen des OberarmB, Pro* und Supi¬ 
nation des Vorderarms, bei erhobenem Arm auch Zuckungen in den Fingern. 
Alle Willkürbewegungen frei, aber durch die Zuckungen gestört, so dass der Ein¬ 
druck von Ataxie erweckt wird. Grobe Kraft vorzüglich, Musculatur desgleichen; 
vielleicht ist der linke Oberarm etwas dünner als der rechte; der linke Vorder¬ 
arm ist sicher voluminöser als der rechte. Im übrigen ist der neurologische Be¬ 
fund völlig normal. Der Dynamometerdruck links ein wenig < r. Die Zuckungen 
machen geringe Buhepausen, nur wenn Pat. unbeobachtet und hei abgelenkter 
Aufmerksamkeit ruhig dasitzt, ebenso morgens nach dem Erwachen, wenn Pat. 
ruhig daliegt. 

Vortr. hebt hervor, dass sich derartige Störungen vorwiegend in den oberen 
Extremitäten finden und mit Vorliebe mit dem Wiederauftreten der Willkür¬ 
bewegungen in die Erscheinung treten. Pathologisoh-anatomisch neigt man jetzt 

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zu der Annahme, dass es sich nicht um directe Beizungen der motorischen Bahnen 
handelt, sondern dass centripetale Fasern lädirt sind, die vom Thalamus zur Bin d e 
ziehen und dort einen Beiz ausüben, der durch die Pyramidenbahn, das Mona¬ 
ko w’sche Bündel oder die Bahn des rothen Kerns fortgeleitet wird. 

Disoussion: 

Herr Schuster macht auf die Aehnlichkeit der demonstrirten Bewegungs¬ 
störung mit manchen hysterischen, besonders hystero-traumatischen Zuckungen 
aufmerksam. 

Herr Bothmann bemerkt, dass es jetzt ziemlich sichergeetellt ist, daas die 
motorischen Bahnen mit diesen Störungen nichts zu thun haben. Wahrscheinlich 
handelt es sich um Beizzustände in den grossen Glanglien des Mittelhirns. 

Herr Oppenheim fragt nach dem Verhalten der Zuckungen im Schla£ Die 
Aehnlichkeit mit hysterischen Zuckungen ist auch ihm aufgefallen. Was der 
Sitz des Symptoms betrifft, so gewinnt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um 
centripetale Beize handelt — vorausgesetzt, dass die Monakow’scbe Theorie 
richtig ist — an Boden. 

Herr Bemak fragt nach dem Verhalten der Sehnenreflexe im Vergleich un¬ 
gesunden Seite, speciell auch nach dem B ab ins ki'sehen Zehenphänomen. Weua 
man die Anamnese des vorgestellten Falles nicht kennt, könnte man leicht zu der 
Annahme einer functionellen Störung kommen. 

Herr Jolly fragt nach dem Verhalten des Lagegefühls. Die posthemi- 
plegischen Bewegungsstörungen lassen sich in drei Gruppen eintheilen: 1. cborea- 
forme, 2. athetotische, 3. rhythmische, wie im vorgestellten Falle (Choröe rytb- 
mique — Charcot). Für letztere Gruppe ist der von Kussmaul gewählte 
Name „Hemiballismus“ sehr zweckmässig. 

Herr Bemak hält die demonstrirte Störung nicht für rhythmisch im Sinne 
der Choröe rythmique. Scharf von einander zu trennen sind die verschiedenen 
Formen überhaupt nicht. 

Herr Jolly hält, wenngleich er Herrn Bemak zugiebt, dass eine scharfe 
Trennung im allgemeinen nicht möglich ist, für den demonstrirten Fall an seiner 
Auffassung fest. 

Herr Bernhardt bemerkt, dass Hysterie nicht in Frage kommt, erwähnt 
aber, dass Herr Bemak und der verstorbene Herr Westphal bei der erster 
Demonstration des Falles an die Möglichkeit einer functionellen Störung gedacht 
haben. Die Sensibilität sei durchweg normal. Im Schlaf bezw. kur* rer dem 
Einschlafen hören die Zuckungen auf. Achillessehnen- und Patellarreflex sind in 
normaler Weise vorhanden. Auf Babinski ist nicht untersucht worden. Die 
Bezeichnung „Hemiballismus“ ist für den demonstrirten Fall sehr geeignet. 

Herr L. Jacobsohn (für Herrn Taniguchi): Demonstration mikro¬ 
skopischer Präparate. 

Die in J.’s Laboratorium angefertigten Präparate stammen von einer 14jähr. 
Japanerin, die an Diatomum pulmonale gelitten hat. Patientin bekam plötzlich 
J ackson’sche Anfälle der linksseitigen Extremitäten (erst linker Arm, dann linkes 
Bein), die nach eingetretener Bewusstlosigkeit auch auf die rechte Seite Über¬ 
griffen. Monatlich 1 — 2 Anfälle. Patientin klagte weiter über Kopfschmerz. 
Schwindel, Ohrensausen links und Schwäche der linken Extremitäten, übjeeüv 
fand sich nach einem Jahr: Etwas blöder Gesichtsaundruck, Gedieh tnisssch wiche, 
Papillendifferenz, L > r., leichte Trübung der Papillae opticae, Gehör 1. < r_ 
choreiforme Bewegungen der linken Hand, die im Schlaf sistiren, Hsmiparesis sin, 
Sehnenreflexe L > r., links Fnssklonus. Rechts hinten unten leichte Dämpfung, 
Temperatur normal. Im Hospital zuerst Bemission der Symptome, alsdann Ver¬ 
schlechterung; es entwickelt sich eine linksseitige spastische Lähmung; die oborei- 


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formen Bewegungen gewinnen den Charakter der Athetose; 1 Monat ante exitum 
starke Kopfschmerzen, Erbrechen, häufige Krampfanfälle, Incontinentia vesicae. 
2 l f 4 Jahr nach Auftreten der ersten Symptome Exitus letalis. Vor dem Tode 
mehrfach plötzliche Steigerungen und wieder schneller Abfall der Temperatur. 
Nie Haemoptoe; bisweilen Husten, Auswurf ohne Besonderheiten. 

Obductionsbefund: Hyperämie der Schädelknochen, Sinus stark gefüllt, sub¬ 
durales Oedem; rechte Hemisphäre etwas voluminöser als linke, daselbst zwei 
Blutcysten (an der Convexität der 2. Stirnwindung und am Gyrus hippocampi; 
ausserdem noch eine grosse Anzahl Cysten im Marklager; Nachbarsubstanz er¬ 
weicht. In den frisch untersuchten Cysten fanden sich Eier von Distomum, Blut¬ 
körperchen, Rundzellen, Detritus, C har cot-Leyden'sehe Krystalle. 

Nach der Härtung in Müll er'scher Flüssigkeit und Anwendung der gebräuch¬ 
lichen Färbemethoden erschienen die Cysten als graue oder röthlioh-braune Flecke, 
umgeben von einem wesentlich dunkleren, gleichförmig schlingenförmigen Saum, 
der sich allmählich in die umgebende Marksubstanz verliert. Mikroskopisch Hessen 
sich drei Zonen unterscheiden: 1. die innerhalb des Saumes gelegene Masse, 2. der 
Saum selbst, 3. die peripherisch von diesem gelegene in die Marksubstanz über¬ 
gehende Zone. Die erste Zone zeigte Uebergänge von noch ziemlich gut erhaltenem 
Blute bis zu einer aus zerfallenen körnigen, hellgrau aussehenden Elementen be¬ 
stehenden Masse. Letztere ist stellenweise ausgefallen, so dass Lücken entstanden 
sind. Gegen die Peripherie hatte diese Masse sich wallartig zusammengebacken 
und war mit dem Innenrande des Saumes verwachsen. Letzterer stellt eine band¬ 
artige Zone dar, in der sich in der Mitte breitere, gegen die Enden zugespitzte, 
kernhaltige Fasern finden; die Kerne ähneln den Kernen glatter Muskelfasern. 
Die Fasern lagen theils parallel, theils senkrecht zu dem Verlaufe des Saumes 
und schoben Sprossen nach innen. In der centralen Masse sowie am Innenrande 
des Saumes zahlreiche Parasiteneier. Die dritte Zone besteht aus unmittelbar 
dem Saume anliegenden dicht gedrängt liegenden Rundzellen und Blutkörperchen; 
weiter nach aussen finden sich lockerer liegende Rundzellen und zahlreiche stark 
gefüllte Gefässe, deren Adventitia stark gewuchert ist und stellenweise bis an den 
Saum heranreicht. Reichliches perivasouläres Exsudat, kugelförmige, homogen 
aussehende Exsudatmassen, zerfallene Markfasern sind ebenda nachweisbar. Die 
Markaffection beschränkte sich stets auf die Nachbarschaft der Herde. In der 
Rinde Kernvermehrung in der Nachbarschaft der Gefässe. In den übrigen Körper¬ 
organen nichts Pathologisches. 

Vortr. neigt zu der Ansicht, dass es sich bei dem genannten Saum um eine 
veränderte Gefässwandung handelt, die sich unter der Fluxion und der Invasion 
der Parasiteneier stark gedehnt hat. Hierfür spricht die gleichmässig sehlingen- 
förmige Configuration sowie die Structur der Zellelemente derselben. Die cen¬ 
trale Masse wäre dann als Thrombus aufzufassen, der mit der Innenwand ver¬ 
wachsen sei und die Intima zum Verschwinden gebracht habe. An einzelnen 
Stellen befinden sich Elemente, und zwar in der Zone der Verwachsung, die nach 
Weigert’s Färbung der elastischen Fasern solchen zum mindesten sehr ähnlich 
sehen. Der Reiz des Thrombus hat zu einer Entzündung der Gefässwand geführt, 
durch die die Wandverdickung und die adventitielle Rundzelleninfiltration bedingt 
ist. Secundär ist es zu Erweichungs- und leichteren encephaHtischen Processen 
gekommen. Da in diesem Falle die Gelegenheit, die Wandstructur des Distomum 
pulmonale zu untersuchen nioht gegeben war, auch Abbildungen derselben nicht 
Vorlagen, kann Vortr. die Möglichkeit, dass es sich um eine veränderte parasitäre 
Cystenwand handelt, nicht bestreiten. 

Der anatomische Befund erklärt den klinischen vollkommen. Die Blutcysten 
sind wohl erst kurz ante mortem entstanden. 

Die Herde im Marke der Centralwindungen erklären das Bild der Jackson 

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Beben Epilepsie, ferner die choreatischen Symptome, die sich später, nachdem 
immer mehr Pyramidenfasern zu Grunde gegangen waren und sich Spasmen ent* 
wickelt hatten, in Athetose umwandelten, so dass dieser Fall für die Verwand¬ 
schaft beider Erscheinungen spricht, sowie dafür, dass sie von gleich«* Stelle 
ausgelöst werden und je nach dem Zustande der Pyramidenkahnen und dem davon 
abhängigen Spasmen sich verschieden documentiren. Vortr. geht, da dieae Dinge 
bei der Demonstration des Herrn Prof. Bernhardt schon besprochen sind, auf 
sie nicht weiter ein, und bemerkt nur, dass auch sein Fall die Frage der Ent¬ 
stehung der genannten Störungen nicht zu erklären vermöge. 

Disoussion: 

Herrn Oppenheim ist es nicht recht verständlich, warum der Vortr. die 
cystösen Bildungen nicht für durch Degenerationsvorgänge veränderte Parasiten 
hält. Die Bilder erinnern lebhaft an manche Cysticerkenbefande, besonders de- 
generirter Parasiten. 0. bat selbst zwei solche Fälle gesehen und in dem einen 
zunächst auch an Gefässveränderungen gedacht, um sich aber dann von competenter 
zoologischer Seite (Eilhard Schulze) eines besseren belehren zu lassen. O. kann 
sich auch nicht vorstellen, wie so grosse GefäsBe an diese Stellen kommen. 

Herr Henneberg fragt, ob Methoden zur Färbung elastischer Fasern, 
insbesondere Orcefnfärbung angewandt worden sind. Aehnliche Bilder sieht man 
bisweilen bei alten Abscessen. 

Herr Jacobsohn hält vorläufig noch an der Ansicht fest, dass es sich um 
veränderte Gefässe bandelt. Er hat ähnliche Bilder bei Ziegler gefunden, ln 
anderen anatomisch untersuchten Fällen sind bisher auch, mit Ausnahme eines 
einzigen Falles, stets nur Eier, nie der Parasit selbst, gefunden worden. Der 
Process stellt seiner Ansicht nach eine Zwischenstufe zwischen Thrombose und 
Vereiterung dar, und sei auf unerklärliche Weise zum Stillstand gekommen. 
Elastische Fasern konnten mit Sicherheit, trotz Anwendung aller auch der 
modernsten Methoden, nicht nachgewiesen werden. Martin Bloch (Berlin). 


XXXIII. Versammlung der südwestdeutsoben Irrenärzte in Stuttgart 
am 1. und 2. November 1902. 

Geschäftsführer: San.-Rath Dr. Wildermuth (Stuttgart), San.-Rath Dr. Fauaer 

(Stuttgart). 

I. Verhandlungstag, am 1. November, 2 1 /, Uhr Nachmittags. 

Vorsitzender: Geh. Rath Dr. Fürstner (Strassburg). 

1. Herr Wildermuth (Stuttgart) und Herr Neumann (Carlsruhe): Ueber 
Volksbeilstätten für Nervenkranke. 

Wildermuth bespricht zunächst die allgemeinen Gesichtspunkte, die bei 
der Gründung einer Volksheilstätte für Nervenkranke in Betracht kommen. 

Zunächst sind die Krankheitsformen in Betracht zu ziehen, für welche 
die Anstalten bestimmt sein sollen. Scharf ist die Grenze gegenüber den 
Psychosen zu ziehen; mit der Aufnahme der sog. „Leicht Verstimmten“ hat man 
in den offenen Anstalten keine gute Erfahrung gemacht. In Betracht kämen 
leichtere Formen psychischer Schwäche, auch von Zwangsvorstellungen, 
besonders auch die grosse Gruppe der jugendlich Degenerirten, die sich 
klinisch aus verschiedenen Formen recrutirt. Aufnahme können unter Umständen 
geheilte Geisteskranke finden, bei denen der unmittelbare Uebertritt aus der 
Anstalt ins Leben hinaus nicht wünschenswerth ist. 


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Zar Abgrenzung der Fälle, die für offene Anstalten geeignet sind, gegenüber 
den Psychosen kann die Formulirong gelten, die Huber vor längerer Zeit ge¬ 
geben hat: „Die Kranken müssen freiwillig eintreten, mit dem Wunsch sich ärzt¬ 
lich behandeln zu lassen, sie müssen Krankheitsbewusstsein und Krankheitseinsicht 
haben, Herr ihrer Handlung sein, den ärztlichen Verordnungen folgen können, 
keiner Ueberwachung bedürfen, ihrer Umgebung nicht als geistig abnorm auffallen 
oder lästig werden.“ 

Auszuschliessen sind epileptische Zustände. Es ist wünschenswert!), in erster 
Linie aus humanen Gründen, dass organische Erkrankungen des Nerven¬ 
systems (Tabes, multiple Sklerose, Myelitiden, Neuritiden, ihre Folgezustände 
u. ähnl.) vorübergehend aufgenommen werden. Das Hauptcontingent werden die 
Neurastheniker und Hysterischen stellen. Unfallneurosen sind so viel 
wie möglich fern zu halten, jedenfalls dürfen sie nur ganz vereinzelt und jeweils 
nur möglichst kurz aufgenommen werden. Aufgenommen können werden leichte 
Fälle von Alkoholismus. Notorische „Säufer“ dürfen nicht aufgenommen werden; 
die Anstalt darf durchaus nicht den Charakter einer „Trinkerheilstätte“ be¬ 
kommen. 

Es ist wünschenswerth, dass man sich bei der Aufnahme nicht auf Nerven¬ 
kranke im engen Sinn beschränkt, sondern auch auf Erholungsbedürftige anderer 
Art, Chlorotische, Anämische, Reconvalescenten, Herzkranke leichteren Grades auf¬ 
nimmt. Die Aufnahme dieser Kranken wie auch der organischen Nervenkranken 
ist auch deshalb erwünscht, weil dadurch die ärztliche Thätigkeit interessanter 
und erfrischender wird. 

Für Einrichtung und Betrieb der Nervenheilanstalten hat Moebius neue 
Anregung gegeben. Er sieht in einem wohl organisirten Arbeitsleben den 
Kern der Behandlung Nervenkranker. Dementsprechend soll eine land- 
wirthschaftliche Colonie den Mittelpunkt bilden, an den sich Gärtnerei und Werk¬ 
stätten anschliessen. Ueber den hohen Werth der planmässigen Arbeit für Neuro- 
und Psychopathen herrscht wohl keine wesentliche Meinungsverschiedenheit. Die 
Ansicht vom unbedingten Heilwerth der Beschäftigung bei Nervenkranken ist 
nicht ohne Widerspruch geblieben (vergl. namentlich die Einwände von Ri eg er). 
Es ist in der That festzustellen, dass ein grosser Theil der Nervenkranken, wenn 
sie die jetzt bestehenden Anstalten aufsuchen, in erster Linie der Ruhe bedürfen. 
Sind sie einigermaassen wieder arbeitsfähig, so kehren sie in ihren Beruf wieder 
zurück. Was diese besonders abhält, lang in den Anstalten zu bleiben, ist in 
erster Linie nicht der hohe Preis der Anstalten, sondern der Umstand, dass sie 
durch lange Abwesenheit in ihrer amtlichen Stellung, in ihrem Beruf geschädigt 
werden. Monatelanger Aufenthalt ist für viele dieser Kranker gar nicht wünschens¬ 
werth, sie fahren besser, das Arbeiterjahr durch kürzere Kur und Erholungspausen 
zu unterbrechen. Leichte, ärztlich vorsichtig geleitete Arbeit kann namentlich 
gegen den Schluss des Aufenthalts auch bei diesen Kranken in Betracht kommen. 
Für eine dauernde berufsmässige Arbeit in der Anstalt sind diese Kranken nicht 
zu verwenden. 

Hysterische, Hypochonder werden ein grosses Contingent zum Arbeiten 
stellen können. Ganz besonders werden zu systematischer Arbeit heranzuziehen 
sein die jugendlichen Degenerirten; aus ihnen kann ein Stamm von Arbeitern 
herangebildet werden. Ein solcher Stamm ist unbedingt nothwendig, namentlich 
für eine öconomische Verwerthung der Anstaltsarbeit. Das finanzielle Ergebniss 
dieser Arbeit ist, bis weitere Erfahrungen vorliegen, bei dem Ueberschlag der 
Kosten der Neugründung wieder zu verwerthen. 

Es ist nicht unmöglich, dass der Beschäftigung der Patienten durch die ein¬ 
fache Weigerung, als krank Arbeit zu verrichten, Schwierigkeiten gemacht werden. 
Trotz einzelner Bedenken kann gar kein Zweifel darüber bestehen, dass eine 


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Volksheilstätte für Nervenkranke nur bestehen kann, wenn ein 
Arbeitssanatorium die Grundlage der ganzen Einrichtung bildet. 

Daraus ergeben sich für die Einrichtung: Landwirthschaftlicher Betrieb, 
Werkstätten, Abtheilung für Pflegebedürftige, ärztliche Direotion, Einrichtungen 
für die ärztliche Behandlung. Die Einrichtung der Anstalt und die Verpflegung 
soll einfach sein. Alkohol ist dabei völlig auszuschliessen. Mindestens zwei Ver¬ 
pflegungsklassen sind durchaus nothwendig. Gesonderte Anstalten für männ¬ 
liche und weibliche Kranke sind wünschenswert^ aber praktisch nicht durch¬ 
zuführen. 

Ist es möglich, die Volksheilstätten an schon bestehende An¬ 
stalten anzuschliessen? Die mittelbare und unmittelbare Anlehnung an 
Irrenanstalten ist abzulehnen. Dagegen erscheint es in hohem Grade nothwendig, 
dass im Anschluss an Irrenanstalten Abtheilungen geschaffen werden, in denen 
leicht initiale Formen psychischer Störung aufgenommen werden, Fälle, die eine 
ganz freie Verpflegung ertragen, sobald es möglich ist, die Patienten rasch, ohne 
Umstände, in die geschlossene Anstalt zu bringen. 

Es ist wünschenswert}!, dass die geeignete Fürsorge für die genannten Krank¬ 
heitsformen von Seiten der Irrenanstalten gleichzeitig mit der Erweiterung der 
Fürsorge für Nervenkranke in die Wege geleitet werden. 

Andere Krankenhäuser, klinische Institute, die Erholungshäuser der Kranken¬ 
kassen und Versicherungsanstalten sind für den vorliegenden Zweck nicht zu ver¬ 
wenden. Es muss etwas Neues geschaffen werden, eine neue umfang¬ 
reiche, kostspielige Anlage. 

Wer soll die Anstalten bauen? Dass der Staat dies thun werde, ist in 
Württemberg wie in der Mehrzahl der übrigen süddeutschen Bundesstaaten wohl 
auszuschliessen. Auf einen erheblichen Gründungsbeitrag von Seiten der Ver¬ 
sicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften und Krankenkassen ist nach den In¬ 
formationen des Bef. auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Es bleibt nur übrig, 
auf dem Wege der Privatwohlthätigkeit die Mittel für eine neue Anstalt zu ge¬ 
winnen. Es muss eine Agitation wie für Lungenheilstätten eingeleitet werden. 
Auf eine gewisse Unterstützung des Staates, der socialgesetzlichen Organisationen, 
auf die Hülfsvereine für reconvalescente Geisteskranke ist zu rechnen. 

Um eine Zersplitterung zu vermeiden, schlägt Bef. vor, sich zum Zweck für 
Südwestdeutschland eine Volksheilstätte für Nervenkranke zu schaffen, 
den Bestrebungen von Moebius anzuschliessen, der daran ist, im Canton Thurgau 
ein Arbeitssanatorium grossen Stils: „die Colonie Friedau“ zu errichten. 

2. Als N enmann (Correferent) auf der letztjährigen Versammlung über dasselbe 
Thema sprach, wurde von seiner Seite das Bedürfhiss nach Volksheilstätten für 
Nervenkranke in Abrede gestellt. Das bestehende Bedürfhiss zahlenmäasig zu be¬ 
legen, ist bei dem bis jetzt vorhandenen statistischen Material nicht leicht. Zwecks 
Klarstellung der Bedür&issfrage hat N. die Verhältnisse der deutschen Landes¬ 
versicherungsanstalten bezüglich der unterstützungsbedürftigen Nervenkranken des 
Näheren studirt und gefunden, dass die Zahl der Rentenempfänger unter den 
Nervenkranken unverhältnissmässig viel grösser zu sein pflegt als die Zahl der 
Fälle, in denen ein Heilverfahren eingeleitet wurde, während für die Lungen- 
tuberculose das Verhältniss gerade umgekehrt ist. Für die Versicherungsanstalt 
Baden gestaltet sich das Verhältniss zwischen Heilverfahren und Invalidiaimng 
in toto wie 2:3, für die Nervenkranken 1 wie 2:7, für die Longen tuberculose 
wie 2:1! 


1 Unter Einschluss jemals der Hälfte der Anämisch-Chlorotisohen und der an „Maaket- 
rhenmatismus“ Leidenden, da man mindestens 50% dieser beiden Krankengattnngen su den 
„Nervösen“ rechnen kann. 


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Und weiterhin: Während bei den Heilverfahren ent auf 10 Tuberoulöse 
1 Nervenhranker kommt, entfällt bei den Rentenempfängern bereits auf jeden 
2. Tuberculösen 1 Nervenkranker. Dies Missverhältniss erklärt N. aus dem Mangel 
an geeigneten Heilstätten für Nervenkranke. In Berlin, wo seit 3 Jahren die 
Volksheilstätte „Haus Schönow“ besteht, üb er wiegen die Heilverfahrenfälle die 
Rentenfälle, und es haben in den letzten 4 Jahren die Heilverfahrenfälle um das 
Vierfache zugenommen. 

Eine Umfrage bei den einseinen Landesversicherungsanstalten nach der 
Häufigkeit der Heilverfahren wegen Nervenkrankheiten und nach der Stellung der 
Anstalten, eventuellen Heilstätten gegenüber ergab ein Variiren der Heilverfahren* 
falle zwischen 0 und 235, und eine verschiedenartige Beurtheilung der Bedürfniss- 
frage. Die Anstalten, aus deren Antworten ein richtiges Verständniss für die 
nervösen Erschöpfungskrankheiten spricht, stehen auch der Errichtung von Heil« 
Stätten wohlwollend oder direct befürwortend gegenüber. 5 Anstalten erklären 
sich im Princip zu financieller Unterstützung bereit. 

Die für die supponirten Heilstätten gedachten Kranken sollen sich recrutiren 
aus dem grossen Heer der nervös Erschöpften, einschliesslich der Reconvales- 
centen und der Anämisch-Chlorotischen mit functioneil nervösen Störungen. Im 
grossen und ganzen soll als maassgebend für die Aufnahme gelten eine günstige 
Prognose hinsichtlich der socialen Wiederherstellung. 

Einer gemeinsamen Behandlung der Nerven- und Trinkerheilstättenfrage 
gegenüber äussert sich N. ablehnend, im Interesse beider Arten von Anstalten, 
von denen keine von der anderen etwas profitiren könne. Hingegegen tritt N. 
entschieden dafür ein, dass die zu gründenden Nervenheilstätten von vornherein 
und grundsätzlich alkoholfrei gehalten werden sollen. 

Die Unfallkranken will N. zwar nicht principiell und rigoros ausgeschlossen 
wissen, hält sie aber zum grösseren Theil für nicht geeignet zur Behandlung in 
den gedachten Heilstätten und empfiehlt specielle Sanatorien für dieselben nach 
Art des im Königreich Sachsen bestehenden. 

Das Bedürfniss nach Volksheilstätten ist auf Seiten des weiblichen Geschlechts 
zum mindesten in gleichem, wenn nicht in höherem Maasse vorhanden als auf 
Seiten des männlichen. Ob gemeinschaftliche oder getrennte Anstalten zu gründen 
sind, ist vorzüglich eine Geldfrage: Reichen die Mittel für mehr als eine Anstalt, 
dann ist einer Trennung der Geschlechter unbedingt der Vorzug zu geben. 

Der heutige Stand der Heilstättenbewegung in den verschiedenen Bundes¬ 
staaten ist folgender: 

Die grossherzoglich badische Regierung suchte die Bedürfnissfrage durch 
eine Umfrage bei den Stadtverwaltungen, den Bezirks- und Krankenhausärzten 
und den Organen der socialen Gesetzgebung zu erklären. Ein umfangreiches, 
vielfach gegensätzliche Aeusserungen enthaltendes Actenmaterial ist dadurch ge¬ 
sammelt worden. Die Directoren der badischen Landesirrenanstalten treten in 
einer Denkschrift für Angliederung einer Volksnervenheilstätte ein. Der Minister 
kann bestimmte Zusagen betreffs einer Nervenheilstätte nioht machen. 

In Sachsen-Weimar verhandelte Regierung und Landesversicherungsanstalt 
einerseits und Universitätsirrenklinik andererseits — auf Anregung der letzteren 
— über eine Volksnervenheilstätte; bis jetzt ohne positiven Erfolg. Auch die 
Carl Zeis8-Stiftung in Jena hat sich mit der Angelegenheit befasst und wird 
vielleicht noch am ehesten zur Realisirung schreiten. 

Im Grossherzogthum Hessen hat der Irrenhülfsverein in jüngster Zeit einen 
energischen Appell an die Wohlthätigkeit der privaten Kreise gerichtet zur ge¬ 
meinsamen Fürsorge für die bedürftigen Nervenkranken. Bis zu der geplanten 
Gründung einer eigenen Heilstätte werden die betreffenden Kranken, soweit an- 


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gängig, in den schon vorhandenen Sanatorien des Landes behandelt. Für das 
laufende Jahr hat der Verein von sich aus hierfür 9000 Mark a n ag e wer fe n. 

In der Rheinprovinz betreibt der bergische Verein für Gemeinwohl die 
Gründung einer Volksnervenheilstätte. 

In Frankfurt a/M. hat die Stadt 400 000 Mark zur Errichtung einer Villen* 
colonie für Nervenkranke bewilligt. 

Die einzige bereits im Betrieb befindliche Volksnervenheilstätte besitzt die 
Stadt Berlin in Gestalt der aus privaten Mitteln entstandenen bekannten Anstalt 
„Haus Schönow“. 

In der Sohweiz geht die Heilstättenbewegung Hand in Hand mit der Ab¬ 
stinenzbewegung. Durch Vereinsthätigkeit ist dort ein „alkoholfreies Kurhaus 1 *, 
bei Zürich, entstanden. Ausserdem soll die von Moebius imaugurirte „Colenie 
Friedau“ auf schweizer Boden gegründet werden. 75 000 Frs. sind bis jetzt dafür 
gezeichnet worden.“ 

Bei Besprechung der Frage, ob die geplanten Heilstätten an bereits be¬ 
stehende Einrichtungen angegliedert werden könnten, wendet sich N. entschieden 
gegen den öfters erörterten Vorschlag eines Anschlusses an die Landesiirao- 
anstalten. Für allein geeignet, Mutterinstitute für Nervenheilstätten zu werden, 
hält N. die ländlichen Reconvalescentenhäuser, erklärt jedoch als das eigentlich 
zu erstrebende Ziel die Gründung selbständiger Anstalten. 

Was die Beschaffung der Mittel betrifft, glaubt N., dass der einzig gangbare 
Weg, einigermaassen rasch zum Ziele zu kommen, in der planmässigen Mobili- 
sirung der privaten Wohlthätigkeit gegeben ist, und zwar durch Gründung voa 
Heilstättenvereinen. 

Die von beiden Referenten gemeinschaftlich der Versammlung vor geschlagenen 
Thesen lauten: 

1. Die Versammlung südwestdeutscher Irrenärzte erachtet die Errichtung von 
Volksnervenheilstätten als eine Notwendigkeit 

2. Es ist die Errichtung von selbständigen Instituten zu dem genannten 
Zwecke anzustreben. 

3. Die Versammlung erwählt aus ihrer Mitte eine Commission, deren Auf¬ 
gabe es ist, die Bewegung zur Errichtung von Volksnervenheilstätten im geo¬ 
graphischen Bereich der Versammlung zu fördern. Die Commission hat über ihre 
Thätigkeit nach 2 Jahren an die Versammlung zu berichten. 

Discussion: 

Herr Kreuser (Winnenthal): Das Stillschweigen der Versammlung bedeutet 
wohl Zustimmung zu den Ausführungen des Referenten. Die drei vorgeschlagenen 
Thesen finden wohl allgemeine Anerkennung. Entgegentreten möchte ich nur den 
besonderen Vorschlag, dass wir uns auf Anschluss an das Moebius’sche Unter¬ 
nehmen concentriren sollen. Ich fürchte, dass wir dafür nicht so weite Kreise 
interessiren können, als es nothwendig wäre zur Erschaffung der erforderlichen 
Mittel. Hier haben wir doch mit gewissen particularistischen Gesinnungen zu 
rechnen, die uns dafür gern spenden, was ihnen auch mehr vor Augen liegt. 
Wir würden auch die staatliche Mitwirkung wohl von vornherein ausschliessen. 
Haben wir von letzterer auch nicht allzuviel zu erwarten, vor allem keine 
Initiative, so sollten wir doch nicht ganz auf sie verzichten. An sie ist aber nor 
innerhalb der Landesgrenzen zu denken. 

Herr Gaupp (Heidelberg) äussert sich befriedigt darüber, dass die Referenten 
bezüglich der Auswahl der Kranken für die Heilstätten und in der Frage der 
Angliederung derselben an eine Irrenanstalt zu denselben Ergebnissen kamen, wie 
in einer Besprechung der badischen Denkschrift. Eine Vereinigung von Nerven- 
heilstätte und Irrenanstalt ist nicht zweckmässig. Für die Aufnahme in die 


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tt künftige Nervenheilstätte kommen vor allem Kranke mit erworbenem Nervenleiden 

* in Betracht, also in erster Linie die nervös Erschöpften; weit weniger eignen sich 

* die schwer Belasteten, Entarteten, mit Zwangsvorstellungen Behafteten, weil sie 
eine viel schlechtere Prognose geben als die nervös Erschöpften. G. bezweifelt 

>'i ferner, dass von den Landesversicherungsanstalten sicher keine Initiative zu er* 
warten sei; er habe selbst schon vor 3 Jahren die Aufgabe gehabt, der Landes- 
> Versicherungsanstalt Schlesien ein Gutachten über die Frage der Erbauung einer 
: Nervenheilstätte in Schlesien zu erstatten. 

Herr Schüle (Illenau) hält mit der von den Referenten gegebenen Auf* 

: z&hlung der für die Volksheilstätten passenden Krankheitsgruppen diese vielum¬ 

strittene Frage noch nicht für entschieden. Er selbst beharrt auf seinem in der 
„Denkschrift“ entwickelten Standpunkt und führt dies des näheren aus. Er ver¬ 
tritt nach wie vor die Auffassung, dass nicht die nervös Erschöpften ausnahmslos 
für diese Anstalt vorzusehen seien — denn wie gross müsste ein solches Gebäude 
angenommen werden! —, sondern nur die beschränktere Gruppe der psychisch¬ 
nervösen, mit anderen Worten jene Nervenleidenden, hei welohen der Accent auf v 
die psychischen Begleitsymptome fällt. Sch. geht noch auf einige weitere gegen¬ 
sätzliche Punkte der Referenten ein, und begründet auch, warum er die Volks¬ 
heilstätten in die Nähe einer Irrenanstalt — selbstverständlich nicht als ein¬ 
fachen, offenen Pavillon, etwa 1 / a — 3 / 4 Stunden entfernt — erbaut wissen möchte, 
und dies besonders im Interesse der Kranken, welche allermeist „Sonderland’s 
Candidaten“ sind, für rathsam und nützlich erachtet Die räumliche Nähe aber 
allehnen zu wollen, um das Vorurtheil des Publioums zu schonen, sollte am 
wenigsten uns anfechten. Auch Frankfurt macht ja jetzt denselben praktischen 
Anfang. Auf weitere Details will Sch. nicht eingehen, um nicht die Discussion 
zu verlängern. Dagegen möchte er übereinstimmend mit Kreuser entschieden 
abrathen, wie es in einer der Thesen empfohlen wurde, die Erstattung einer ge¬ 
meinsamen Volksheilstätte, etwa für Süddeutschland, anzustreben. Diese Be- 
dürfnissfrage müsse vielmehr von jedem Einzelstaat für sich gelöst werden; nur 
so auch werde sich das nothwendige Interesse des Publicums, namentlich wenn 
etwa auch die Privatwohlthätigkeit angerufen werden sollte, gewinnen und er¬ 
halten lassen. Sch. führt zum Schluss nochmals an, dass der Plan der Erbauung 
eines Nervenheims, wie es in der Denkschrift entwickelt sei, ganz der Initiative 
der badischen Regierung entstamme, und, wie er gehört, auch bei den Land¬ 
ständen wohlwollende Aufnahme gefunden habe. 

Herr Biberbach: Auch die Verwaltung des Hülfsvereins für die Geistes¬ 
kranken in Hessen, welche leider zur Zeit noch nicht das Vertrauen der mittel¬ 
losen und durch eine staatliche Versicherungskasse nicht bereits versorgten 
(psychi8ch)nervösen und nicht geisteskranken Epileptischen geniesst, denen sie 
Hülfe zugesagt hat, glaubt den Beistand des Staates in unserem kleinen Lande 
nicht entbehren zu können und hat deshalb darum nachgesucht, solche Nervöse 
u. s. w., welche sich zur Aufnahme in eine öffentliche Irrenanstalt eignen und 
welche diese Aufnahme durch eigenen Antrag wünschen — Württemberg, 
dessen Irrenanstalten ja bekanntlich das Recht der Aufnahme auf eigenen Antrag 
der Patienten bereits zusteht, wodurch die Möglichkeit der Aufnahme der hier in 
Betracht kommenden Kranken gegeben sein dürfte, zeigt uns vorleuchtend bereits 
das Ziel —, unter denselben liberalen Bedingungen, wie die Geisteskranken 
(herab bis zu 1 / 6 des niedersten ordentlichen Pflegegeldes) auf Kosten des Hülfs¬ 
vereins in die grossherzoglichen Landesirrenanstalten aufnehmen zu dürfen — 
was allerdings der Platzfrage wegen erst dann möglich sein wird, wenn die 
beiden von den Landständen genehmigten neuen Landesirrenanstalten bezogen 
werden können — (die psychiatrische Klinik Giessen besitzt dieses Aufnahme- 
recht, hat in ihren 10 Freiplätzen auch verfügbare Mittel und hat solche auch 


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bereits in den Dienst der Sache gestellt). Wir haben nach Maassgabe der um 
vom Curatorium zu Gebote gestellten Mittel (vorerst 2000 Mark auf 1 Jahr) 
vorerst nur relativ heilbaren, bezw. solchen Nervösen, die die Hof fnun g mmf 
Wiederherstellung ihrer Erwerbsfähigkeit bieten, Hülfe zugesagt; bis jetzt haben 
sich aber leider fast nur solche Kranke um unsere Hülfe beworben, die solch* 
Hoffnung nicht mehr erkennen lassen. 

Herr Weygandt: Das Bedürfhiss besteht in Bayern so gut wie anderwärts 
aber eine öffentliche Initiative hinsichtlich Errichtung eigener Anstalten ist in 
absehbarer Zeit nicht zu erwarten, da andere noch dringendere Aufgaben vor* 
liegen. In der idealen Forderung, für die verschiedenen Kategorien der Psychisch- 
nervösen, der Alkoholiker, der Unfallkranken, der Epileptiker u. s. w. besondere 
Anstalten zu errichten, herrscht Einigkeit. Das praktisch Erreichbare ist sehr 
viel weniger, wohl aus theoretischen Gründen, insofern die Rubricirung und Pro- 
gnosticirung der Krankheiten doch noch schwankt, als auch aus dem maa ss- 
gebenden Grund der Knappheit der Mittel. Man muss zufrieden sein, wenn über¬ 
haupt etwas zu Stande kommt. Die erste Anstalt wird vorzugsweise eine Ver¬ 
suchsanstalt darstellen, da viele Fragen nur durch den praktischen Versuch, nicht 
aber von vornherein theoretisch entschieden werden können. Unter diesem Ge¬ 
sichtspunkt des praktisch Erreichbaren empfiehlt sich der Vorschlag betreffend 
einer Commission, die unter anderem Anschluss an das Moebius’sche Unternehmen 
suchen sollte. 

Herr Fürstner (Strassburg): Die Hauptfrage wird immer dahin gehen, 
welche Arten von Kranken sollen in die Anstalt aufgenommen werden; je nach 
der Gegend werden schon verschiedene Verhältnisse zu berücksichtigen sein: es 
ist sehr fraglich, ob das, was für Haus Schönow gilt, das bisher einzige Paradigma, 
auch für unsere Verhältnisse zutreffend sein wird. Die Frage nach den In sas s en 
der Heilanstalten wird erst noch zu lösen sein. 

Herr Wildermuth (Stuttgart) fühlt sich nicht im Gegensatz zu Schüle, 
auch er hält es für dringend nothwendig, dass für die Uebergangsformen, für die 
nervös-psychischen Kranken gesorgt werde und dass es die Sache der Irrenanstalt« 
sei, von sich aus eine Erweiterung vorzunehmen. Ein gemeinsames Zusammen¬ 
gehen der süddeutschen Staaten zur Gründung einer Anstalt ist aus freundnachbar- 
lichen Gründen nicht zu erwarten. 

Herr Neu mann (Karlsruhe): Was mich veranlasst, trotz der wohlbegründeten 
Bedenken Kreuser's den Wildermuth’schen Vorschlag zu unterstützen, ist 
der Umstand, dass Moebius bereits über einen wenn auch nur kleinen Fond 
von Geldmitteln verfügt. Herrn Gau pp muss ich erwidern, dass die schlesische 
Landesversicherungsanstalt sich in allerjüngBter Zeit mir gegenüber ganz ablehnend 
geäussert hat betreffs Einleitung von Heilverfahren wegen Nervenkrankheiten. Der 
Gegensatz zwischen Geh.-Rath Schüle und mir erklärt sich daraus, dass wir 
zwei ganz verschiedene Arten von Kranken im Auge haben; Sch. die „psychisch 
Nervösen“, ich dagegen die mehr oder weniger acut nervös Erschöpften. Wenn 
Sch. die Chlorotischen mit nervösen Symptomen ausgeschlossen wissen will wegen 
ihrer grossen Zahl, so kann ich diesen Grund nicht für ausreichend halten. Wenn 
man nur den Bedürftigsten unter denselben helfen kann, dann ist schon viel er¬ 
reicht. Mit Weygandt stimme ich darin überein, dass erst die Praxis nur 
lehren kann, welche Kranken sich für die Volksheilstätten eignen. 

2. Herr Smith (Schloss Marbach): Haben wir besondere Anstalten zur 
Behandlung dee Alkoholismus nothwendig, oder gehört diese Behandlung 
mit zu den Aufgaben der Nervenheil- und Pflegeanstaltenf 

Vortr. rügt in entschiedener Weise die moral theologische Auffassung des 
Alkoholismus, die sioh auch in ärztlichen Kreisen durch die Bezeichnung« 


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„Säufer“, „Trunkenbold“ u. s. w. kennzeichnet und warnt auf Grund eingehender 
Erfahrungen vor der Gründung von „Trinkerheilanstalten“. Es würde durch diese 
Bezeichnung von vornherein den Insassen eine sociale Schädigung zugefügt, die 
ihnen durch ihr vorhergehendes Trinken nicht erwachsen wäre. Nervöse Herz* 
kranke, „Trinker“, die selbst wünschen, die Aetiologie des Alkohols möglichst 
nicht erwähnt zu sehen, gehören in Heilanstalten för Herz* und Nerven* 
kranke, die Degenerirten, die meist auch in der Abstinenz mit ihren Trink¬ 
leistungen zu renommiren pflegen, können einstweilen in abstinent geführte Pflege¬ 
anstalten untergebracht werden. Der Staat sollte seine Schuld, aus dem Unter¬ 
gang so vieler seiner Unterthanen durch den Alkoholconsum in dar Form der 
Steuereingänge Nutzen zu ziehen, nach dem Vorgang der Schweiz durch Ueber- 
weisung eines Theiles dieses Steuerertrages zur Bekämpfung des Alkoholismns Mt 
mildern suchen. Vortr. wendet sich zum Schluss gegen die pseudosachverständige 
Thätigkeit des „deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke“ und 
bedauert, dass ärztliche Sohreibtischtheoretiker ihn unterstützen. 

DiscuBsion: 

Herr Frank (Münsterlingen): Ich möchte dem Vortr. voll und ganz bei¬ 
stimmen, besonders möchte ich, da ich es beim vorhergegangenen Thema nicht 
thun konnte, davor warnen, alle Alkoholkranken aus den Nervenheilstätten aus- 
zuschliessen. Doch sollten wir heute nicht reglementarische Bestimmungen der 
zu gründenden Anstalt berathen, sondern vereint und unentwegt einem Ziele zu¬ 
streben. Bedauert habe ioh, dass man nicht gemeinsam mit Moebius in der 
Schweiz Vorgehen will. Für M. sind rein organisatorische Gründe maassgebend 
gewesen, als er den Plan für die Ausführung seiner projectirten Musteranstalt in 
der Schweiz fasste. — College Smith muss ich noch entgegnen, dass Forel seiner 
Zeit bei der Gründung von Helikon sich lediglich durch Zweckmässigkeitsgründe 
bei der Namengebung leiten Hess, durchaus nicht aus moraltheologischen Gründen. 
Er hat die erste Anstalt zur Heilung der Trinker in Europa gegründet und 
jedermann deutlich sagen wollen, wie das Kind heissen und was es leisten soll. 
Heute würde er wohl bei der Gründung weiterer Anstalten von diesem Princip 
der Namengebung keinen Gebrauch mehr machen. 

3. Herr Stadelmann (Würzburg): lieber Schulen für nervenkranke 
Kinder. 

Für die neuropathischen Kinder ist zur Zeit noch nicht richtig gesorgt. 
Das Lehrprogramm der allgemeinen Schule ist direct nachtheilig für diese Kinder. 
Keime einer Neurose oder Psychose entwickeln sich dadurch ungehindert; die 
spätere Stellung im socialen und beruflichen Leben ist in Frage gestellt. Es 
müssen neuropathisch beanlagte Kinder einer individuellen Unterrichtung unter¬ 
zogen werden nach einer Associations(Concentrations)methode des Unterrichtens; 
es sind im psychischen und körperlichen Verhalten der Kinder die jederzeitigen 
Schwankungen, die die kranke Anlage mit sich bringt, zu berücksichtigen. Dieser 
Unterricht ist ein Theil der psychischen Behandlung des nervenkranken Kindes. 
Jedes Kind hat sein eigenes Lehrprogramm, das nach dem Ergebniss der metho¬ 
disch durchgeführten Prüfung der Intelligenz und nach der Beobachtung der 
moralischen Fähigkeiten aufgestellt wird. Psychologische Thatsachen verlangen 
dieses Princip des Individualisirens und der Concentration beim Unterricht. Das 
neuropathische Kind hat ein Recht auf diese Behandlungsweise. Die Schule für 
nervenkranke Kinder soll mit einer Heilanstalt verbunden sein, in der eine körper¬ 
liche Behandlung die psychische unterstützt. Der Werth der Schule für nerven¬ 
kranke Kinder liegt in der Prophylaxe und Frühbehandlung der Neurosen und 
Psychosen. Auch die sociale Bedeutung der Schule für nervenkranke Kinder ist 
nicht zu unterschätzen. Vortr. hat vor 1 1 / 2 Jahren eine Schule für nervenkranke 
Kinder in Verbindung mit einer Heilanstalt errichtet, die er selbst leitet. 


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4. Herr Eschle (Sinsheim): Demonstration eines Krankenbette«. be¬ 
sonders für unreinliohe Geisteskranke. 

Das Wesentliche dieser Betteinrichtong besteht in der Erleichterung der 
Möglichkeit, anderen Lagerungsmethoden gegenüber, alle Theile des Bettes r J md 
und ohne weitere Hülfskräfte auszuwechseln und auf diese Weise auch des 
strengsten Anforderungen an Reinlichkeit gerecht zu werden. Das bezieht ai=k 
sowohl auf die Matratzenhüllen, wie auf das Füllmaterial. Als letzteres kann, 
wenn es sich um einfache Verhältnisse in Pflegeanstalten u. s. w. handelt, lang¬ 
faserige Holzwolle Verwendung finden, welche durch Auswaschen mit Seifen wr- 
gereinigt, sogar immer wieder Verwendung finden kann. Der Preis ist ausser den 
billiger als Stroh (9,50 Mk. pro Doppelcentner). Jeder üble Geruch im Kranken¬ 
zimmer kann so mit Sicherheit vermieden werden. 

Die schnelle Auswechselbarkeit ist aber nur durch die Einrichtung der 
Matratzen erreicht. Dieselben sind dreitheilig; jede einzelne Hülle ist mit ein¬ 
gesetzten Seitentheilen gearbeitet und enthält auf der unteren Seite einen «xit 
Bändern versehenen Schlitz, durch welchen die Neufüllung bewirkt wird- Dw 
ganze Matratzentheil wird durch in der Hülle ausgestanzte und aasgenähte Löcher 
mittels einer Tapezierernadel mit fortlaufender Naht in quadratischer Weise durefe- 
haftet, die Schnürenden werden miteinander verknüpft. Auf diese Weise ist d» 
Hülfe eines Tapezierers und Matratzenmachers bei der Neubildung nicht nöthig 
und es können in wenigen Stunden von einer Person die Matratzentheile für eise 
ganze Abtheilung erneuert werden. 

Auch die übrige Einrichtung des Bettes trägt der Bestimmung für Geistes¬ 
kranke Rechnung, als es auch selbst leicht unruhigen und mit Zerstörungstriefe 
nicht sehr starken Grades behafteten Kranken unmöglich wird, dasselbe in Un¬ 
ordnung zu bringen, einige Theile abzustreifen u. s. w. 

Da sich auch dieselbe Einrichtung mit Rosshaar oder Seegras als Füll¬ 
material der ermöglichten Reinlichkeit wegen für den Hausstand, nicht nur für ds« 
Krankenhaus und die Pflegeanstalt eignet, hat sich die Firma E. Speiser in Sins¬ 
heim bereit erklärt, derartige Betteinrichtungen für einen billigen Preis herzustell«. 

5. Herr Wollenberg (Tübingen): lieber Stirnhirntumoren. 

Vortr. ist zu seinen Ausführungen veranlasst worden durch einen Fall von 
Stirnhirntumor, bei dem die psychischen Erscheinungen einen besonders breites 
Raum einnahmen. Es handelte sich um einen 26 jährigen Metzger, der ohne be¬ 
sondere Ursache im October 1899 mit Kopfschmerz, Uebelkeit und gelegentlichen 
Erbrechen erkrankte, worauf etwa 1 Jahr später der erste Krampfanfall, be¬ 
ginnend mit Verdrehung des Kopfes und der Augen nach links eintrat. Weiter¬ 
hin traten psychische Störungen derart in den Vordergrund, dass Patient aaf 
eine Irrenabtheilung untergebracht werden musste. Hier wurde ein tobsüchtiger 
Erregungszustand mit Grössen- und Verfolgungsideeen beobachtet, anseerden 
wiederum ein Krampfanfall epileptischen Charakters. 

In der Tübinger psychiatrischen Klinik, in welcher der Kranke sodann vae 
14./III. 1901 bis zu seinem am 9./X. 1901 erfolgten Tode untergebracht war. 
wurden von körperlichen Störungen festgestellt: beiderseitige Stauungspapille, 
gelegentliches Erbrechen, vorübergehende Schwäche der linken oberen Extremität 
allmählich hervortretende dauernde Parese des linken unteren Fa ciali sgebietea 
zeitweilig ausgesprochene statische Ataxie; dazu subjectiv heftiger Koptischsten 
bald in der Stirn- bald in der Hinterhauptsgegend. Das geistige Verhalten kenn¬ 
zeichnete sich durch eine habituelle Reizbarkeit, zeitweilige Euphorie mit Neigung 
zur Witzelsucht und vorübergehende Zustände theils leichterer maniaealisebe r 
Exaltation, theils ausgesprochene Tobsucht, zum Tbeil ungeheuerliche Gröeses- 
ideeen. Bei zweimaliger Lumbalpunction ergab sich erhebliche Drucksteigerung. 

Die Diagnose wurde aus den Allgemeinerscheinungen, dem Auftreten rot 
Krämpfen, die mit Drehung der Augen und des Kopfes nach linkB begannen, dw 


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linksseitigen Faoialisparese, der statischen Ataxie und in letzter Linie ans dem 
psychischen Verhalten mit Wahrscheinlichkeit auf einen Tumor des rechten Stirn¬ 
hirns gestellt, eine entsprechende Operation in Erwägung gezogen, von dem 
Kranken aber zunächst abgelehnt und später durch den plötzlichen Tod vereitelt. 

Die Section ergab das Vorhandensein eines gut apfelgrossen Tumors, weloher 
das rechte Stirnhirn von aussen und unten her bis auf etwa die Hälfte seines 
Volumens comprimirt hatte. 

Vortr. erwähnt sodann unter Hinweis auf einen weiteren Fall seiner Be* 
obachtung die Schwierigkeiten der Diagnose in manchen Fällen von Stirnhirn¬ 
tumoren, in denen wie in dem seinigen die Verwechselung mit Epilepsie sehr nahe 
liegt und geht näher ein auf die Bedeutung der psychischen Störungen bei Hirn¬ 
tumoren im allgemeinen, bei Stirnhirntumoren im besonderen. 

Im Anschluss an die neueren statistischen Arbeiten vonGianelli, Schuster u. A. 
wird die Häufigkeit des Vorkommens geistiger Störung bei Tumoren der ver¬ 
schiedenen Himgebieten besprochen, unter denen das Stirnhirn in dieser Beziehung 
mit in erster Beihe steht. Im Anschluss an Oppenheim, Bruns, Sohusteru. A. 
betont Vortr., dass die allgemeine Benommenheit ohne active psychische Symptome 
die häufigste Art der geistigen Störung bei Hirntumoren sei und erörtert dann 
im Anschluss an seinen Fall Bowie an die sonstigen in der Litteratur mitgetheilten 
Fälle die Frage, ob es eine für die Stirnhirntumoren einigermaassen charakteristische 
Form der Geistesstörung gebe. Vortr. meint, seinem subjectiven Eindruck nach 
diese Frage in dem Sinne bejahen zu müssen, dass das eigentümliche Verhalten, 
welches bereits von M. Bernhardt bei Tumoren der vorderen Schädelgrube er¬ 
wähnt, dann besonders von JaBtrowitz gewürdigt und als Moria beschrieben, 
von Oppenheim (Witzelsucht), L. Bruns, Hitzig, Hoeniger, ihm selbst und 
anderen Autoren bei Stirnhirntumoren beobachtet worden ist, und wie er mit 
Schuster annimmmt, je nach dem Grade als einfache Euphorie, Witzelsucht oder 
eigentliche Moria in die Erscheinung tritt, bei Stirnhirntumoren verhältnissmässig 
häufig sei. 

Da es einerseits Stirnhirntumoren ohne die „hypomanische“ (Schuster) Störung, 
aber auch Tumoren anderer Hirngebiete mit dieser gebe, so sei man nicht be¬ 
rechtigt, auf Grund dieses psychischen Verhaltens allein die Diagnose auf Stirn¬ 
hirntumor zu stellen. Immerhin könne es aber ein verwerthbares localdiagnostisches 
Hülfsmoment bilden, wenn andere Erwägungen auf einen derartigen Sitz der Er¬ 
krankung hinweisen. 

Zum Schluss betont Vortr., dass es erforderlich sei, Fälle von Hirntumor in 
psychischer Beziehung genauer zu beobachten, als es besonders in den älteren 
Beobachtungen zumeist geschehen sei, da nur eine ad hoc angelegte Statistik zur 
Klarstellung der hier noch offenen Fragen führen könne. 

6. Herr M. Weil (Stuttgart): Krankenvorstellung. 

Vortr. stellt eine 41jährige Frau vor, bei der seit October 1900 heftige 
Schmerzen im Hinterkopf und auf dem Soheitel, manchmal in die Stirngegend 
ausstrahlend, verbunden mit Erbrechen, bestanden. Mai 1901 Abnahme des Seh¬ 
vermögens, rechts mehr wie links. Erste Untersuchung Anfang Juni 1901: beider¬ 
seits Neuritis optici, rechts stärker als links, aber keine Localsymptome. In den 
nächsten 3 Wochen traten folgende Symptome hinzu: Ausbildung einer starken 
Stauungspapille, rechts stärker als links, circumskripte percutorische Empfindlich¬ 
keit in der rechten Schläfengegend, rechtsseitige Anosmie, rechtsseitige Parese des 
Mundfacialis, Fehlen des linken Abdominalreflexes, hochgradige typisch cerebellare 
Ataxie mit der Neigung nach links zu fallen, keine Rumpfmuskelsohwäche. Im 
weiteren Verlaufe eigentümliches psychisches Verhalten, Euphorie mit Witzel¬ 
sucht, die linksseitige Facialisparese schwankt in der Intensität, ebenso die Ataxie. 
Auf Grund dieser Befunde wurde die Diagnose auf Tumor des rechten Frontal* 
lappens gestellt, von dem in Anbetracht der circumskripten Percussionsempfind* 


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lichkeit des Schädels anzunehmen war, dass er nicht zu weit vom TTwonhesi em- 
femt war. Entscheidend für die Localdiagnose war die Percussioneempfi ■ dfiethit 
die statische Ataxie, die linksseitige Monoplegia facialis, Anosmie rechts. Dw 
psychischen Symptome waren geeignet, die Diagnose za stützen. Am wah rarK e ii 
lichsten schien ein Sarcom; bezüglich der Ausdehnung des Tumors konnte m iz 
sagen, dass er wohl kaum noch die Centralwindung erreicht hatte. 

Am 26. Juli Operation durch Prof. Steinthal: Bildung eines We i c ht hn l - 
knochenlappens in der rechten Schläfengegend. Nach Eröffnung der Dar» Uf 
der Tumor zu Tage und Hess sich glatt stumpf herausschälen; er hatte die Grfi s w 
eines Hühnereies und erwies sich als ein Fibrosarcom. In der Umgebung d» 
Tumors noch zwei kleinere desselben Charakters, die entfernt wurden. Sofortig* 
Besserung der subjectiven Beschwerden, die Staungspapille ging zurück, das Seh¬ 
vermögen hob sich. Nach 3 Wochen wiederum Zunahme der Stauungserscheinanger 
im Augenhintergrunde mit Abnahme des Sehvermögens ohne sonstige Beschwerde». 
Bei dem fieberlosen Verlaufe war ein Reoidiv wahrscheinlich. Wiedereröffunr 
am 4. Juli 1901 und Entfernung der weiteren Tumoren von der Grösse eiaer 
kleinen Wallnuss; darnach glatte Heilung. Die Patientin fühlt sich seitdem sehr 
wohl, das Sehvermögen hob sich jedoch nur bis zum Erkennen von Haad- 
bewegungen; ophthalmoskopisch: Atrophia n. optici; aber Patientin ist im State* 
fast ohne fremde Hülfe alle gröberen Haushaltungsarbeiten zu verrichten. — Vor 
6 Wochen direct nach dem Heben einer schweren Last epileptiformer Anfall, ir 
Zeit jedoch keine Allgemein« oder Localsymptome nachzuweisen, die »uf ein 
Recidiv schliessen Hessen. 

Vortr. weist daraul hin, dass dieser Fall, wie auch einige andere zeigst, 
dass man unter Umständen auch Tumoren des rechten Frontallappens mit Sicher* 
heit diagnosticiren könne. Er macht ferner darauf aufmerksam, dass bei der 
Patientin trotz hochgradiger Ataxie keine Rumpfmuskelschwäche vorhanden war: 
über die Witzelsucht als Localsymptom der Stirnhirntumoren spricht er sich mit 
Reserve aus. Die statische Ataxie sei zweifellos ein Localsymptom. 

Discussion: 

Pfister weist auf die Arbeit Ed. T. Müller’s hin, wonach eine Vertiefen? 
unseres Wissens von der Eigenart psychischer Störungen bei Stirnhirn tumores 
(also der topischen Diagnostik) nur möglich ist, wenn nicht bloss genasest« 
psychiatrische Analyse des Status praesens jedes Falles vorgenommen, sonders 
auch die Anamnese in neuro- und psychopathologisoher Beziehung genauer be¬ 
rücksichtigt wird, als es bisher geschah. Vorhandene erbHche Belastung, tos 
jeher bestehende CharakteranomaHeen, Arteriosklerose, alkoholische Entartung 
u. s. w. können alle für die Symptomatologie der Hirntumoren bedeutsam werde» 
Witzelsucht, die wechselnde Lucidität des Bewusstseins, Reizbarkeit, Euphorie 
u. s. w. der Kranken mit Stimhirntumoren sind nicht Local-, sondern Allgemein¬ 
symptome. Manche dieser Symptomencomplexe (Witzelsucht, Demenz u. s. w.' 
werden relativ häufiger bei den Stirnhirnerkrankungen als bei Tumoren anderer 
Hirnprovinzen beobachtet, weil letztere rascher zum Exitus führen (Nähe lebens¬ 
wichtiger Centren!), che sie so gross wie Stirnhirntumoren geworden, die deshalb 
relativ öfter Allgemeinsymptome (Verblödung, Benommenheit u. s. w.) bedinge» 
Die betreffenden Symptome hätten nur localdiagnostischen Werth, wenn die Secdoc 
völlige Integrität der übrigen Hirntheile genau erweise, was bisher nirgends der 
Fall, wo meist von arteriosklerotischer Atrophie, Hydrooephalus, Windangs- 
atrophieen u. s. w. berichtet wurde. 

Herr Fürstner (Strassburg): Herrn College Weil und Steinthal ist ge¬ 
wiss zu dem demonstrirten Falle zu gratuHren, oft sind aber die Symptome vor¬ 
handen, auf die W. hinwies, und bei der Operation findet sioh der Tumor doch 
nicht im Stirnhirn. Bei der vorgestellten Kranken ist es nach der Openbos 
nicht zu einem unangenehmen Vorkommniss gekommen, das ioh in letzterer Zeit 


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wiederholt bei Hirnoperationen beobachtet habe, es ist nicht zur Bildung einer 
Hirnhernie gekommen. Dieses Moment scheint mir dafür zu sprechen, dass der 
Druck an der operirten Stelle nicht gesteigert, dass wohl der Tumor ganz ent¬ 
fernt ist, ein ja gewiss glückliches Zusammentreffen. Die später operirten kleinen 
Sarcome konnten schon bei der ersten Operation bestehen und sind wohl nur 
übersehen worden. 

Herr Bayerthal (Worms) weist auf einen von Oppenheim in der neuesten 
Auflage seines Lehrbuches erwähnten Fall von Stirnhirntumor hin, bei dem sich die 
psychischen Erscheinungen (Demenz, Witzelsucht) nach der Operation zurückbildeten. 

Herr Prof. Steinthal (Stuttgart): Wenn ich der Aufforderung nachkommen 
darf, so habe ich bezüglich der Operationstechnik zu bemerken, dass ich einen 
Weichtheilknochenlappen in der von Wagner angegebenen Weise mit der Gigli’- 
sehen Säge herstellte und nach abwärts klappte. Dann lag unmittelbar unter 
der Rinde der hühnereigrosse derbe Tumor, gut abgekapselt, so dass er sich leicht 
stumpf enucleiren liess, in seiner Nachbarschaft zwei weitere kleinere Tumoren, die 
sich gleichfalls unschwer entfernen Hessen. Nun war ja nach einigen Wochen 
eine zweite Operation zur Entfernung eines vierten wallnussgrossen Tumors noth- 
wendig, dessen Anwesenheit sich durch Emporheben des Weichtheilknochenlappens 
und leichten Gehirnprolaps verrathen hatte. Ein solcher Gehirnprolaps wird für 
gewöhnlich durch zwei Momente bedingt. Entweder sind bei der primären Ope¬ 
ration Tumorreste zurückgeblieben, die aufs Neue wachsen und das SchädeUnnere 
ausfüllen oder die Gehirnmasse schwillt durch entzündliche Processe an. Wo 
aber eine Incongruenz zwischen Schädelinhalt und Schädelkapsel durch gründHche 
Exstirpation der Neubildung und Fürsorge gegen encephalitische Processe ver¬ 
mieden wird, da bildet sich auch kein Gehimprolaps aus, selbst wenn man zur 
Deckung des Defectes nur Weichtheile nimmt; eher kommt eine leichte mulden¬ 
förmige Einziehung des Operationsgebietes zu Stande. Wenn ich mich kurz auf 
den citirten Fall Friedrich eingehen darf, so hat es sich bei ihm um ein Stirn- 
hirnsarcom mit Uebergreifen auf den Knochen gehandelt; so konnte der Defect 
nur duroh einen Weichtheillappen gedeckt werden, der ohne Prolaps mit leichter 
muldenförmiger Einziehung eingeheilt ist. Hoch interessant scheint hei ihm das 
psychische Verhalten: ein vorher ruhiger Mann wurde zu einem starken Cyniker, 
um nach der Operation von dieser psychischen AnomaUe geheilt zu werden. Dabei 
sind im Zusammenhang mit dem Tumor grössere Gehirnpartieen entfernt worden! 

7. Herr Diez (Stuttgart): Demonstration der Pläne der Irrenanstalt 
Weinaberg. 

Im Ansohluss an die in der Festnummer des württbg. medicinischen Cor- 
respondenzblattee zur 33. Jahresversammlung südwestdentscher Irrenärzte von dem 
Vortr. veröffentlichten allgemeinen Gesichtspunkte, welche für die Errichtung 
einer neuen württbg. Irrenanstalt, für die Wahl des Ortes derselben und die Art 
der Ausführung des Baues maassgebend waren, wurden die wichtigsten Pläne der 
neuen Anstalt demonstrirt. Diese für 509 Kranke bestimmt, mit gleicher Zahl 
von Männern und Frauen, enthält je 250 Betten in den „geschlossenen“ und in 
den offenen Häusern einschHessHch der Coloniegebäude, d. h. der seitherigen Staats¬ 
domäne. Die Gesummtzahl der Gebäude beträgt 33. Die annähernd kreisförmige 
Anlage erleichtert auch räumlich einen stufenwoisen Uebergang von den Auf¬ 
nahme- und Ueberwachungsabtheilungen zur freien Behandlung. Die maschinellen 
Betriebe sind mögHchst excentrisch gelegt. Küche und Waschküche Hegen jedoch so, 
dass sie von überall her leicht zugängUch sind: für den Speisetransport ist eine 
kleine Rollbahn in Aussicht genommen. ReichHche Wasserversorgung, elektrische 
Beleuchtung; Centralheizung in Form der Gruppenheizung von drei Centren aus; 
Reinigung der Abwässer nach geologischen Verfahren. Die Anstalt soll am 
1. October 1903 zur Hälfte bezogen, im April 1904 ganz dem Betriebe über¬ 
geben werden. Gesammtkosten 3000000 Mark. 


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Die in Ausaioht genommene Besichtigung der im Rohbau nahezu ferti g« 
Anstalt musste dee regnerischen Wetters wegen leider unterbleiben. 

(Schluss folgt) 


Medioinisohe Gesellschaft in Warsohao. 

Sitzung vom 1. Januar 1901. 

Herr Luxenburg demonstrirt folgenden Fall von Hirntumor. Der 38jähr. 
Arbeiter klagt über heftige Kopfschmerzen und Schmerzen im linken Bein. In 
der letzten Zeit Erbrechen. Status: Rechte Pupille etwas enger als die linke 
und reagirt träge auf Licht. Stauungspapille links. Sehvermögen ungestört. 
Parese des rechten Facialis. Beweglichkeit in den Extremitäten normal. Gang 
ungestört. Sensibilität erhalten. Tuberculosis pulmonum. Puls 80. Gehör ab¬ 
geschwächt. Somnolenz. Tod. Die Section ergab Tuberculum solitäre im Pul- 
vinar thalami optici sinistri und ausserdem einen Tumor in der rechten Hälfte des 
Pons Varolii oberhalb der Pyramidenbahnen. Verf. meint, dass der Druck, welchen 
diese letztere Geschwulst auf die Schleifenfasern ausgeübt hat, die Schmerzen im 
linken Bein verursachen konnte. 

Sitzung vom 29. Januar 1901. 

Herr Kopczyüski stellt einen 45jähr. Hann vor, bei dem bereits vor 
24 Jahren die ersten Symptome der Syringomyelie aufgetreten waren. Es traten 
damals Parästheeieeu in der rechten Bauchhälfte auf. Späterhin Krümmung der 
Kreuz- und Schultergegend, Ungeschicklichkeit in den rechten Extremitäten, 
Schluokbeschwerden, Heiserkeit. Status: Verschiebung en masse dar Gegend das 
7. Hals- und des 1. Brustwirbels. Scoliosis dextra der Brust Wirbelsäule. Atrophie 
der Musculatur des Schultergürtels. Deutliche Ataxie in den reohten Extremitäten 
Patellarreflex rechts etwas stärker als links. Schwaohe Tricepsrefiexe. Anaeetbesia 
totalis in der unteren Rumpfgegend, ferner im Schultergürtel, am Hals und ib 
der rechten Kopfhälfte. Links in denselben Gegenden syringomyelitische GefUds- 
dissociation. Leichter Nystagmus verticalis. Rechte Pupille etwas erweitert. 
Weicher Gaumen rechts gelähmt. Puls und Athmung normal. Vortr. betont den 
langsamen Verlauf des Krankheitsprocesses. Edward Flatau (Warschau). 

IV. Mittheilung. 

Nachtrag zu meinem Aufsatz über „die Verschiedenheit der Prognose der 
Plexus- und NervenstammlähmuDgen der oberen Extremität“ von Dr. med. L. Brnos 
in Hannover: In Rücksicht auf die von mir im vorstehenden Aufsätze (s. dieses 
Centralbl. Nr. 22) besprochene Frage möchte ich nicht verfehlen, ganz besonders 
auf die Arbeit von Dnval and Gaillain: „Lee paralyBies radicnlairee du plexas 
brachial.“ (Paris 1901) aufmerksam zu machen, die mir ent jetzt im Original 
vorliegt. Wichtig sind namentlich die genauen Angaben über Nervenwurzel und 
Rückenmarksläsionen bei den sog. traumatischen Plexuslähmungen. 

V. Personalien. 

In der Jahresaitznng der Moskauer neurologischen and psychiatrischen Gesellschaft 
wurde Prof. W. Roth au Stelle des verstorbenen Präsidenten Prof. A. Koshewnikoff 
zum Präsidenten und Privat-Docent L. Minor an Stelle Roth’s zum Vioepräs identen (fkr 
Neurologie) sowie Privat-Docenten Serbsky (für Psychiatrie) erwählt. 

Dem Verleger des Neurolog. CeotralbL Herrn Hermann Credner ist von S. M. dm 
König von Sachsen der Titel und Rang als Hofrath verliehen worden. 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zn richten an Prof. Dr. S.Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mztmu & Wirr» in Leipzig. 

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Neurologisches Centralbutt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Hemugegeben Ton 

Professor Dr. E. Hendel 

(unter Mithfilfe Ton Dr. Kurt Mendel) 

Eiamidxwauigiter " te<bt> Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn bestehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutsoben Beiehe, sowie 
direct Ton der Verlagsbuchhandlung. 

1902. 16. December. Nr. 24. 


Inhalt: I. Orifiaalailttbellancea. 1. Ueber die Bezeiekirnng „mjotonisehe Pupillen* 
bewegung“, Ton Dr. Alfred 8aenger in Hamburg. 2. Ueber die Beziehungen der Energetik 
zur Seelenthitigkeit, von Arthur Adler. 8. Der Infraepinatusreflez, ton Dr. William Picket! 
in Philadelphia. Entgegnung zu der vorstehenden Zuschrift des Herrn Dr. W. Piekett in 
Philadelphia, von Prof. Dr. Meiner in Köln a/Rh. 

II. Aus den Gesellschaften. XXXIII. Vereammlung der sfldweetdeutsehen Irrenärzte 
in Stuttgart am 1. und 2. November 1902. (Schluss.) 

III. Nsnrelofische aad psychiatrische Utteratar vom 1. September bis 81. October 1902. 

IV. Mltthellunf aa den Heraasgeber. 

V. Personalien. 


L Originalmittheilungen. 

1. Ueber die 

Bezeichnung „myotonische PupiUenbewegung“. 

Von Dr. Alfred Saenger in Hamburg. 

Herr Dr. Stbasbubgbb änsserte in Nr. 22 d. GentralbL in so eingehender 
Weise seine Bedenken gegen die obige Bezeichnung, dass ich ee mir nicht ver¬ 
sagen kann, auf seine Bemerkungen einzugehen. 

Unter der von Strasburges gewählten Bezeichnung „Papillenträgheit 
bei Accommodation und Convergenz“ versteht man gemeinhin eine träge 
Zusammenziehung der Irismnscalatnr bei den genannten Thätigkeiten. Es wird 
dabei jedoch nnr eine Componente der Pupillenbewegung ins Auge gefasst, die 
anderen Componenten derselben, die Dauer der Zusammenziehung und die 
langsame Erweiterung, sind aus dem Worte „Pupillenträgheit* 4 nach dem 
bisherigen Sprachgebrauch nicht mit Sicherheit zu ersehen. 

Da nun in meinem Falle (ebenso wie in denjenigen von Piltz, Stras¬ 
burges und Nozran) das Auffallendste in der Erscheinung das Verharren in 
der Zusammenziehung and die ungemein langsame Erweiterung der 
Papille war, so sachte ich nach einer Bezeichnung, die diese Momente hervor* 
heben sollte. 

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„Myotonische Pupillenbewegung“ schien mir nun sachlich die be¬ 
obachtete Verengerung prägnant zu bezeichnen; denn es handelte sich im wesent¬ 
lichen um eine tonische Contraotion der Irismusoulatur. Zagleich lag 
in diesem Namen ein Hinweis auf das analoge Verhalten der Musculatur bei 
der THOMSBN’schen Krankheit, deren allerhervoretechendstee Symptom die 
Dauercontraction der arbeitenden Muskeln ist Ich selbst habe mehrere Fälle 
dieser Erkrankung beobachtet, darunter Mitglieder der durch diese Krankheit 
bekannt gewordenen Familie. 

Auf den von Stbasbubgbs hervorgehobenen Nachlass der tonischen Coo- 
traction nach mehrfachen Bewegungen kommt es nicht so sehr an, da, wie 
schon Ebb 1 hervorgehoben hat, es allerlei Varianten der myotonisehen Be¬ 
wegungsstörung giebt, und da ich ferner durch die in Bede stehende Bezeichnung 
die Bewegungsstörung der Pupille mit derjenigen der Körpermusoulatur nur 
analogisiren, nicht identifidren wollte. 

Weiterhin konnte man m. E. in dem Beiwort „myotonisch“ einen Hinweis 
auf den vermuthlich peripheren Sitz der Störung in der Irismosculatur analog 
dem Verhalten bei der Myotonia congenita finden. 

Mir lag aber durchaus die Annahme fern, wie Strasbubgbb zu meinen 
scheint, es handle sich in der Irismusculatur um die gleichen pathologisch ana¬ 
tomischen Veränderungen wie in den Muskeln bei der THOMBKN’schen Krank¬ 
heit, da diese nur die willkürlich bewegten Muskeln befallt, und da man 
ferner in der Vergleichung von Veränderungen an glatten Muskeln mit solchen 
an quergestreiften sich vor weitgehenden Schlussfolgerungen hüten muss. 

Von den drei Möglichkeiten, an die der Leser, welcher die Bezeichnung 
myotonische Pupillenl)ewegung findet, nach Strasbubgbb’s Ansicht gemahnt 
wird, bleibt somit nur die zu zweit genannte bestehen, „dass das Leiden mit 
der THOMSEN’schen Krankheit im Grunde nichts zu thun hat, und dass nur 
die äussere Aehnlichkeit mit einem Symptom der Myotonie bezeichnet werden 
soll“. Darin gebe ich Stbasbubgbb Recht loh bin ihm sogar dankbar dafür, 
dass er mir Gelegenheit geboten hat, die von mir gewählte Bezeichnung ein¬ 
gehender zu motiviren. 

Der Einwurf, es läge überhaupt kein Bedürfhiss nach einer besonderen 
Bezeichnung vor, wird durch den Umstand entkräftet, dass die von 8ms- 
bubgbb bei Accommodation und Convergenz beobachtete Pupillenträgheit, von 
Piltz nur beim Lidschluss, von mir bei Accommodation, Convergenz und Iid- 
schluss, von Nohnb endlich nur bei der Convergenz liohtstarrer Pupillen ooo- 
statirt worden ist, also das gleiche Phänomen unter verschiedenen Be¬ 
dingungen. 

Mir lag eben, wie gesagt, daran, einen kurzen, prägnanten Ausdruck hierfür 
zu finden, damit bei der hoffentlich vielfachen und vielseitigen Nachuntersuchung 
die Verständigung durch eine charakteristische Bezeichnung erleichtert werde. 


1 Deutsches Archiv f. Uin. Med. XLV. 8. 586. 


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2. Ueber die 

Beziehungen der Energetik zur Seelenthätigkeit. 

Von Arthur Adler in Breslau. 


Die Grosshirnrindenzelle beantwortet jede Reizung mit einer Aenderung 
ihrer Energetik 1 (die Energetik bewirkt Zersetzung von Kraftmaterial, durch 
welche auf andere Zellen übertragbare Energie frei wird). 

Trifft der Reiz die Zelle im energetischen Ruhezustände, so setzt er die 
Energetik in Thätigkeit; befindet sich die Zelle bereits in energetischer Action, 
so verursacht der neue Reiz «ine Verstärkung oder Verminderung der Energetik, 
je nachdem er grösser oder kleiner als der die bestehende Erregung ver¬ 
ursachende ist. 

Empfunden aber wird die Aenderung in der Grosse der Energetik; 
und es ist daher für die Stärke der Empfindung maassgebend der Grad 
der Veränderung, welchen der Reiz in dem augenblicklichen Zustande der 
Energetik verursacht. Ein und derselbe Reiz wird daher eine umso stärkere 
Empfindung hervorrufen, je geringer, und eine umso schwächere, je stärker bis¬ 
her bereits die Energetik funotionirte (hieraus erklärt sich der psychologische 
Contrast). Verschieden grosse Reizzuwachse aber erscheinen gleich, wenn 
sie die bestehende Energetik in dem gleichen Bruchtheile erhöhen (WBBnn’sches 
Gesetz). 

Treffen die Zelle rasch hintereinander zwei Reize, so erwartet sie nach 
Ablauf eines, dem zwischen den beiden ersten Reizungen verflossenen, gleichen 
Zeitraumes eine Wiederholung der Reizung: sie hat sich auf den betreffenden 
Rhythmus eingestellt. Das „energetische Arbeitsbild“ ist bei gleich- 
mässigem Rhythmus in allen seinen Theilen ein völlig gleiches; je wechselnder 
der Rhythmus, desto complicirter wird das Arbeitsbild, desto öfter ist eine neue 
energetische Einstellung erforderlich, desto schwieriger daher die energetische 
Zellthätigkeit Wenn nun die Empfindungen durch das Bewusstwerden 
der energetischen Arbeitsbilder entstehen, so entspricht einem gleich- 
mässigen Rhythmus eine einfache, einem ungleichmässigen aber eine mehr 
weniger zusammengesetzte Empfindung (beispielsweise reiner Ton, Acoord, Ge¬ 
räusch). 

Das Gesetz der psychischen Resultanten (Wundt): dass die Eigen¬ 
schaften jedes psychischen Gebildes keineswegs als die blosse Summe der Eigen¬ 
schaften der Elemente anzusehen ist, findet seine Erklärung in der Abänderung 
des energetischen Arbeitsbildes beim Zusammentreffen mehrerer einfacher Reiz¬ 
formen bspw. beim Zusammenklang mehrerer reiner Töne. Der Psyche erwächst 
nämlich aus der Perception eines aus mehreren gleichmässigen zusammengesetzten 
Rhythmus eine von der Perception jedes der einfachen Rhythmen ganz ver- 


1 Cf. Adlhb, Ueber die Energetik der Ganglienzellen etc. 
■chrift. 1901. Nr. 87. 


Münchener med. Wochen« 
72* 


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1140 


sohiedene Aufgabe. Daher hat das entstehende psychische Gebilde etwas ganz 
Neues, Eigenartiges. 

Die Energetik, welche eine aotive Zellthätigkeit darstellt, wird dunä 
Uebung erleichtert und beschleunigt 

Wird daher eine Beizfolge in einem sohon einmal dagewesenen Rhythm» 
von neuem erzeugt, so functionirt die Energetik bei der Einstellung auf das 
entsprechende rhythmische Arbeitsbild schon leichter, und sie thut es umsomehr, 
je öfter der gleiche Rhythmus sich wiederholt 

Auch wenn die Zellthätigkeit sich nicht auf ein Bindenfeld beschränkt 
sondern gleichzeitig oder nacheinander die Zellen mehrerer Bindenfelder in Actio« 
treten, bleibt das Prindp der Uebung in Kraft: jede noch so oomplidrte ener¬ 
getische Arbeit der Zellen geht umso leichter und prompter von statten, je 
öfter sie ausgeführt wird. So bilden sich durch gemeinsame Arbeit „functio- 
nelle Arbeitsgemeinschaften“, deren Festigkeit durch Uebung stetig m- 
nimmti So kann es geschehen, dass, wenn das energetische Arbeitsbild eine 
neuen Sinneseindruckes einem gut eingeübten alten nur im Allgemeinen gleicht, 
in einzelnen Bestandteilen jedoch von ihm abweioht, trotz dessen die Energetik 
vollständig in dem alten Arbeitsbilde abläuft Der neue Sinneseindnick ist von 
einem alten, ihm ähnlichen „assimilirt“ worden. Das ist die Ursache des 
„Verlesens“ und „Yerhörens“. 

Hängen die einzelnen Theile einer solchen Arbeitsgemeinschaft nur ge¬ 
nügend fest zusammen, so kann jeder beliebige (durch äussere oder inner e 
Beizung neu erregt) das gesammte übrige Arbeitsbild hervorrufen. Das nennt 
man „Assooiiren“. 

Die Grundlage der Association ist also funotioneller Natur. Je fester 
die Arbeitsgemeinschaft, desto rascher und leichter erfolgt die Association, desta 
schärfer ist die auf Assimilations- und Associationsvorgängen beruhende Er¬ 
innerung. 

Auf der seelischen Erkenntniss gleicher und ungleicher ener¬ 
getischer Arbeitsvorgänge basirt nun die Denkthätigkeit 

Die Absonderung gleicher Bestandteile aus verschiedenen Arbeitstakten 
und ihre Zusammenfassung durch ein Wort bezeichnet man als Begriffs¬ 
bildung. Die Bildung eines ooncreten (Gegenstands-) Begriffe beruht auf der 
Erkenntniss der durch seine wesentlichen Merkmale hervorgerufenen, jeder Zeit 
und unter den verschiedensten Umständen, sioh stete gleichbleibenden energeti¬ 
schen Arbeitsvorgänge. Je allgemeiner ein Begriff, desto kleiner sein ti>h«it 
desto geringfügiger also auoh die Summe gemeinschaftlicher energetischer ArbnL 
auf welcher er basirt Beispielsweise wird Körper jeder Gegenstand genannt 
welcher überhaupt nur irgend eine Arbeit auf dem Seh-, Tast- und Augmt- 
muskelfeldem veranlasst — ein Körper muss nur irgend eine Farm, Farbe and 
Consistenz haben. „Farbe“ bezeichnet jedes beliebige Arbeitebild auf dam linkt , 
feld; „Bewegung“ jedes beliebige auf dem Augenmuskel- oder auf einem anderen 
motorischen Bindenfelde. 

Sind nun aber einmal die Gegenstände, ihre Eigenschaften und Zustände 


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in solche Begriffsformen gebracht, so ist es eigentlich bei jeder weiteren Denk- 
thätigkeit immer wieder das Abwandeln des die zusammengehörigen Begriffe 
enthaltenden Schemas, worin dieselbe besteht 

So richtet sich bei jedem Urtheil „alles Besondere nach seinen Allgemein- 
begriff, jeder einzelne Fall nach der Regel des allgemeinen (Lotz»).“ 

Bei den Schlössen wird entweder eine Eigenschaft eines weiteren Begriffe 
auf einen engeren übertragen (Subsnmption) oder eine gemeinschaftliche 
Eigenschaft einer Anzahl engerer Begriffe wird einem weiteren (Indnotion) oder 
endlich ein engerer Begriff wird einem weiteren, mit dem er eine Anzahl Eigen¬ 
schaften gemeinsam hat, zogerecbnet (Analogie). 

Das gleiohe ist bei der Beweisführung der Fall „da in dem vollständigen 
Inhalte eines Satzes auch schon sein Beweis liegt“ (Lotz») und schliesslich 
auch bei dem „erfindenden Gedankengange“, bei dem das Wesentliche 
ist, in anscheinend ganz verschiedenen Dingen Gemeinsames zu entdecken, und 
auf Grund desselben diese Dinge in eine logische Beziehung miteinander zu 
bringen. 

Jede mit der Sprache sich ausbildende höhere Gedankentätigkeit erfordert 
also eine feine Empfindung für das Gleiche und Ungleiche in der Unsumme 
der verschiedenen energetischen Arbeitsbilder. 

Je feiner diese Empfindung, desto schärfer das Denken. Abgesehen von 
der begrifflichen Verarbeitung können die energetischen Arbeitsbilder aber auch, 
im Ganzen oder in einzelne Theile zerlegt, in der mannigfachsten Weise mit¬ 
einander combinirt werden (Phantasiethätigkeit). 

Empfmdungs-, Phantasie- und Verstandestätigkeit können nun durch Uebung 
und die Einwirkung gewisser Substanzen gesteigert werden, ferner tritt nach 
einer individuell verschieden langen Dauer geistiger Arbeit Ermüdung ein, durch 
Mangel an Thätigkeit und anderer Stoffe, besonders aber durch Krankheiten 
können die psychischen Functionen vermindert, ja vernichtet werden. 

Es folgt aus alledem, dass der phsyohische Betrieb an ein materielles Substrat 
geknüpft ist, dessen Function und Structur in mannigfacher Weise beeinflusst werden 
kann. Es ist nun nach dem Princip der strengen Arbeitsteilung, welche im 
ganzen menschlichen Organismus durchgeführt ist, wahrscheinlich, dass die 
psychischen Functionen von anderen Himtheilen bezw. Bindenschiohten 
wahrgenommen werden, wie die energetische Reizverarbeitung und Ueber- 
tragung, die den ausschliesslich energetisch tätigen zukommt 

Diese energetisch tätigen Zellen stehen nun vollkommen unter dem Ein¬ 
flüsse der psychisch wirkenden Rindenschichten, indem von diesen aus die 
Energetik zur Function frei gegeben (behufs Reizverarbeitung), in Betrieb ge¬ 
setzt und der Betrieb jeder Zeit sistirt werden kann. 

Wird von den psychisch wirkenden Schichten aus die Energetik im Gebiete 
der motorischen Felder in Action gesetzt, so kommt es zu willkürlichen Be¬ 
wegungen, geschieht die Einwirkung aber im Gebiete der Sinnesfelder, dann 
geraten die energetischen Arbeitsbilder in Bewegung und können nun der 
„phantastischen“ oder „begrifflichen“ Verarbeitung unterzogen werden. 


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Es müssen daher die energetiseheu Zellschichten mit den psychisches 
Functionen dienenden durch centripetale und centrifugale Leitungen ver¬ 
bunden sein. 

Die Seelenthätigkeit selbst ist fortwährend von Gefühlen begleitet, welche 
Lustgefühle sind, wenn diese Thätigkeit das individuelle Kraftmaass nicht 
übersteigt, der qualitativen individuellen Begabung angemessen ist und in einem 
dieser entsprechenden Tempo erfolgt. Auch für Abwechslung in den Arten 
psychischer Betätigung und dem Denkmaterial selbst muss gesorgt werden. Ist 
eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, so sind lebhafte Unlustgefflhle die 
Folge, welche erregender oder deprimirender Natur sein können (Auf¬ 
regung, Oede, Langeweile). Bei einer vorher angekündigten bezw. zu erwartenden 
psychischen Aotion bis zum Beginn derselben besteht einSpannuugsgeffthl, dem 
beim Beginn derselben ein Lösungsgefühl folgt, während der Arbeit selbst 
aber das Gefühl der Thätigkeit, das mit Unlustgefühlen verbunden sein kann 
beim Einarbeiten in ein fremdes Thema, ja mit Verwirrung, wenn zuviel fremd¬ 
artiges Material begrifflich geordnet werden muss; Unruhe bei Unterbrechung, 
Unbefriedigtsein bei Nichtbewältigung der Arbeit, Befriedigung bei gutem Fort¬ 
schritt und ein sehr starkes Lustgefühl nach Ueberwindung der einer glück¬ 
lichen Beendigung entgegenstehenden Schwierigkeiten. 

Alle diese Gefühle sind der Ausdruck des Verlangens der psy¬ 
chisch thätigen Rindenschichten nachFortexistenz und angemessener 
Thätigkeit 

Bei den Willensvorgängen kommt es darauf an, in einer bestimmten 
Situation einen Entschluss zu fassen. Hierbei ist eine lebhafte Phantasiethätig- 
keit von Nutzen, welche auf Grund früherer Erfahrung die Folgen der in 
Betracht kommenden Handlungsweisen gut auszumalen versteht, so dass, je 
nachdem die eine oder andere Förderung der betreffenden Angelegenheit ver¬ 
spricht, diese oder jene gewählt werden kann. Bieten Entschliessungen fort¬ 
dauernd gar keine Schwierigkeiten, so wird das Handeln monoton und lang¬ 
weilig; ist eine Situation zu complicirt, dann tritt unter Umständen das Gefühl 
der Ratlosigkeit ein, dem, sobald ein Ausweg gefunden, ein befreiendes Er¬ 
lösungsgefühl folgt. 

Auch der Inhalt der Vorstellungen erzeugt Lust- bezw. Unlustgefühle, je 
nachdem eine vorgestellte vergangene oder zukünftige Situation die Seelenthätig- 
keit zu fördern oder zu hemmen geeignet ist, reizvoll oder reizlos erscheint. 
Diese phantastische Ausmalung der Zukunft liegt vielen Affecten, beispielsweise 
der Hoffnung, Furcht, Angst, Sorge zu Grunde, und von ihr hängt grössten- 
theils die Art und Schnelligkeit des Entschlusses ab. 


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3. Der Infraspinatusreflex. 

Von Dr. William Piokett in Philadelphia. 

In Nr. 16 <L Centralbl. hat Prof. Dr. Steines in Köln einen Artikel ver¬ 
öffentlicht, betitelt: „Der Infraspinatusreflex, ein bisher unbekannter Reflex der 
oberen Extremität des Menschen.“ 

Diesen Reflex habe ich beschrieben in einem Artikel, betitelt: „On the 
scapulo-humeral reflex of von Bechterew“ im Journal of Nervous and Mental 
Disease. 1901. Mai. 

Ich habe diesen Infraspinatusreflex in 122 Fällen studirt und in den fol¬ 
genden Fällen ohne die von Bechterew ’sche Bewegung gefunden, in einem 
Falle von linksseitiger Hemiplegie, in einem von spinaler Muskelatrophie, in 
einem von Syringomyelie, in einem von PoTT’soher Krankheit des Halstheiles 
des Rückgrats, und in einem von Nervenentzündung im Verlaufe einer Throm¬ 
bose der Arteria axillaris. In diesen Fällen habe ich einen Infraspinatusreflex 
gewonnen, indem ich den Bauch des M. infraspinatus beklopft habe, und nir¬ 
gendswo anders. Diese Reaction bestand in jedem Falle in einer starken Aus¬ 
wärtsrollung des Oberarmes, augenscheinlich herrührend von einer directen Con- 
traction des M. infraspinatus. Auf einer Figur, welche meinem Artikel beigefügt 
ist, habe ich dieselbe Stelle angegeben, welche Prof. Dr. Steiner die Reizstelle 
des Reflexes nennt 

Entgegnung zu der vorstehenden Zuschrift des Herrn Dr. W. Pickett 

in Philadelphia. 

Von Prof Dr. Steiner in Köln. 

Es ist ein zweifelloser Irrthum, wenn Herr Dr. Piokett glaubt, den von 
mir neulich beschriebenen Infraspinatusreflex schon im vorigen Jahre beobachtet 
und veröffentlicht zu haben. Aber es ist richtig, dass Herr Dr. P. zu der an¬ 
gegebenen Zeit die Bewegungserscheinung dieses Reflexes gesehen hat Da er 
diese Bewegung (Aussenrotation des Armes) als eine directe Folge der Con- 
traction des M. infraspinatus auffasst, so konnte von einem neuen Funde nicht 
die Rede sein, da wir doch längst wissen, dass der M. infraspinatus eben diese 
Function hat Dass es sich hier um einen Reflex handelt, habe ich erst aus¬ 
gesprochen und namentlich durch den Cocainversuoh bewiesen. 

Um dem Leser übrigens ein eigenes Urtheil über den Gegenstand zu er¬ 
möglichen, will ich aus dem Artikel, den Herr Dr. P. so freundlich war, mir 
jetzt zu senden, das Hierhergehörige wörtlich folgen lassen. Herr Dr. P. be¬ 
schäftigt sich mit der Nachuntersuchung des Scapulo-Humeralreflexes von Bech¬ 
terew, zu welchem Zwecke er die Scapula an bestimmten Stellen beklopft und 
diesen Punkten eigentümliche Bewegungen zuschreibt und abbildet Er stösst 
dabei auch auf den von mir für den Infraspinatusreflex als Reizstelle angegebenen' 


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Punkt und sagt „a reactdon maj obtained by striking the body of the infn- 
spinatus (point 4 in the diagr&m) and nowhere eise: this reaotüm oonsaOng, 
in each case, in strong extemal rQtation of the upper arm, apparently due to 
a direct oontraction of the infraspinatus muscle“. 


n. Aus den Gesellschaften. 

mm. Versammlung der südweetdeuteoben Irrenärzte in Stuttgart 
am 1. und 2. November 1902. 

(Schluss.) 

II. Verhandlungstag, am 2. November 9 Uhr Vormittags. 

Vorsitzender: Herr Med.-Rath Krausser (Winnenthal). 

Vor Eintritt in die Tagesordnung wurde in lebhafter Discuasion, an welcher 
sich die Herren Kreusser, Thomson, Bernhardt, Fürstner, Weygandt, 
Bieberbach betheiligten, der Erlass des preussischen Justizministeriums voa 
7. October d. J. er ortet, der anordnet, dass der Gerichts&rzt als der für mecha¬ 
nische Angelegenheiten öffentlich bestellte Sachverständige, zu Entmündigungs¬ 
sachen regelmässig zu wählen sei, erörtert. 

Schliesslich gelangte folgende Resolution mit überwiegender Mehrheit mr 
Annah me: 

„Die 33. Versammlung südwestdeutscher Irrenärzte bedauert den Erlass des 
Königlich preussischen Justizministeriums vom 7. October d. J., der anordnet, dam 
der Gerichtsarzt als der für medicinische Angelegenheiten öffentlich bestellte Sach¬ 
verständig e, erforderlichenfalls dessen Assistent, zu Entmündigungssachen regel¬ 
mässig zu wählen sei. Ohne einer Beurtheilung dieser Verfügung vom richterlich« 
Standpunkt aus vorgreifen zu wollen, müssen die Irrenärzte, die sich bisher ak 
die durch den Erlass desselben Ministeriums vom 28. November 1899 im Ent¬ 
mündigungsverfahren bevorzugten Sachverständigen betrachten zu dürfen glaubten, 
weil bei ihnen doch wohl auf dem Gebiete der Irrenheilkunde besondere Er¬ 
fahrung vorausgesetzt werden kann, in einer solchen durch nichts begründeten 
Aenderung eine Zurücksetzung erblicken. Vor Allem aber müssen sie für die 
ihrer Fürsorge an vertrauten Kranken Verwahrung dagegen einlegen, dass irgend 
welche andere Interessen als die der zu Entmündigenden selbst auf die Wahl dw 
Sachverständigen von Einfluss werden.“ 

1. Herr Fauser (Stuttgart): Einrichtungen und Betrieb der im* 
abtheilung des Bürgerspit&ls mit Krankenvorztellungen. 

Nach einem vor Eintritt in die Tagesordnung gemachten Rundgang dank 
die im letzten Jahre erheblich erweiterte und mit vielen Neuerungen versehene 
Irrenabtheilung des Bürgerspitals, bei welcher Gelegenheit auch Kranke vorgeat«® 
wurden, macht der Vortr. nach einer kurzen Beschreibung der baulichen Ein¬ 
richtungen, namentlich der Waohabtheilung (ein Wachsaal für Ruhige, ein Wach* 
saal für Unruhige, Dauerbäder u. s. w.) zunächst Angaben über die Aufoahmesff«* 
(seit Errichtung der Anstalt [1884] hat sich die Zahl der Neuaufnahmen ungefth 
verdoppelt), über die Krankheitsformen, die Heilreeul täte, über das Wirte- 
personal, über das Wesen der Aufnahm eetatuten. 

2. Herr Gaupp (Heidelberg): Ueber die Grenzen psychiatrischer Er¬ 
kenntnis*. 

Vortr. beleuchtet zunächst in erkenntnisstheoretischen Ausführungen die eig«* 
artige Stellung, welche die Psychiatrie als Theilgebiet der inneren Medicin eis- 


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uimmt, in so fern ihr eine doppelte Aufgabe zukommt: die naturwissenschaftliche 
Erforschung der materiellen Gehirnveränderungen bei der Psychose und die Er- 
kenntniss der psychischen Zusammenhänge, der Gesetzmässigkeit in den psychi¬ 
schen Lebenserscheinungen. Vortr. begründet, weshalb weder die anatomisch¬ 
physiologische Forschung noch auch die physiologische Chemie uns jemals einen 
tieferen Einblick in die Folge und gesetzmässige Verknüpfung gesetzmässiger Vor¬ 
gänge gewähren kann. Die Irrthümer der physiologisch-anatomischen Theorieen 
und Lehrgebäude in der Psyohiatrie werden besprochen, und es wird weiterhin 
gezeigt, wie verhängnissvoll die anatomisch-physiologische Denkweise in unserer 
Wissenschaft auch für die Ursachenlehre geworden ist. Vortr. erörtert die Gründe, 
weshalb unserer ätiologischen Erkenntnis« heute noch enge Grenzen gezogen sind. 
Dann wird die Frage aufgeworfen, welche Wege uns zur Erfassung der psychi¬ 
schen Causalität in der Storung der Geisteskranken offen stehen. Vortr. be¬ 
spricht zunächst das Problem der psychischen Causalität überhaupt. Er sieht in 
der experimentellen Psychologie sowie in der immittelbaren inneren Erfahrung, 
welche bei der Selbstbeobachtung und der Beobachtung anderer zu ihrem Recht 
kommt, und endlich in der Völkerpsychologie die wissenschaftlichen Hülfsmittel 
zur Erforschung psychischer Zusammenhänge. Nunmehr wird die Frage auf¬ 
geworfen, ob die so gewonnene Erkenntniss auoh der Psychiatrie Dienste leisten 
könne. Finden wir auch in der Geisteskrankheit psychologische Gesetze wirksam? 
oder, zeigt sich hier eine Verbindung psychischer Elemente, die in der normalen 
Psychologie niohts Analoges hat? ist die psychologische Analyse und Betrachtungs¬ 
weise psychologischer Störungen berechtigt? Vortr. beleuchtet die Schwierig¬ 
keiten, die sich der Beantwortung dieser fundamenteilen Fragen entgegenstellen, 
illustrirt durch eine Reihe von Beispielen die bisher eingeschlagenen Wege psycho¬ 
logischer Erforschung psychotischer Zustände und giebt endlich der Hoffnung 
Ausdruck, dass es mit dem Fortschreiten einer wissenschaftlichen, auf Erfahrung 
beruhenden Psychologie doch noch gelingen werde, auch solche Zustandsbilder, 
für die uns heute noch jedes tiefere Verständniss fehlt, psychologisch zu erfassen 
d. h. ihren Zusammenhang, ihre gesetzmässige Entwickelung zu verstehen und 
die Mannigfaltigkeit complicirter Erscheinungen auf allgemeine, einfache und be¬ 
kannte Thatsachen zurückzuführen. (Der Vortrag, dessen Inhalt in einem kurzen 
Referate nicht hinreichend verständlich gemacht werden kann, wird im Central¬ 
blatt f. Nervenheilk. u. Psychiatrie in extenso erscheinen.) 

Disoussion: 

Herr Weygandt empfiehlt die vorsichtige Formulirung des psychophysischen 
Parallelismus nach Wundt, stimmt im Uebrigen den Ausführungen des Redners 
völlig zu. Die Psychiater befinden sich in einem Kampfe gegen zwei Fronten, 
ein Mal gegen die Pastoralpsychiatrie, die vor Allem die Idiotenforschung er¬ 
schwert, dann gegen einen plumpen Materialismus. Zu diesem Kampfe sind die 
Psychiater mangelhaft ausgerüstet, da ihre Kenntnisse der normalen Psychologie 
vielfach so gering sind. Im psychischen Status unserer Krankengeschichten sind 
in der Regel nur die augenfälligsten psychischen Symptome berücksichtigt. 
Geradezu grotesk wirkt z. B. eine Statistik, die Fälle von Wahnideeen gruppirt 
nach dem Inhalt, wie viel Leute sich für Kaiser, wie viel sich für Millionäre 
u. s. w. halten. Einen Sohlüssel zum Verständniss der grundliegenden Störung bei 
Dementia praecox würde z. B. die Heranziehung des Wundt’schen Begriffes der 
Apperception liefern. Um hier vorwärts zu kommen, empfehlen sich zwei praktische 
Mittel: 1. psychologische Laboratorien in Irrenkliniken, 2. Psychologie in der 
Ausbildung und Vorprüfung der Mediciner, wodurch auch die anderen Disciplinen, 
die ja peyohische Behandlung und Beurtheilung ebenfalls verwerthen können, 
ihrerseits nur gewinnen würden. 


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3. Herr Frank (Münsterlingen): a) Zum Capitol über dan Haüvwth dar 
Fay ohotherapie. 

Herr Bezzola (Ermatingen): b) Ein oaanlatiaoher Beitrag hiano. 

Discussion: 

Hetr Krehl (Tübingen) nimmt die innere Medicin gegen den Vorwurf ia 
Schutz, dass sie lediglich Organe behandle und die Psyche dabei völlige vernach¬ 
lässige. Gerade in Württemberg, wo Carl v. Liebermeister gewirkt hat. er¬ 
scheint dieser Vorwurf nicht berechtigt. Das Interesse L.'s war psychotherapeu¬ 
tischen Problemen in hohem Uaasse zugewandt. Er lehrte und übte Psychotherapie 
mit einem seltenen Erfolg und, wenn die württembergischen Aerzte ein ganz be¬ 
sonderes Verständniss für psychotherapeutische Fragen haben, so ist das gewiss 
nicht zum Wenigsten dem segensreichen Einfluss L.’s zuzuschreiben: sein Nach¬ 
folger im Amt hält es für seine Pflicht das hier zu constatiren. 

Herr Bayerbach weist auf die differentialdiagnostische Bedeutung der 
Hypnose hin, die duroh einen aus der Erb’sehen Klinik kürzlich veröffentlichte» 
Fall von Meningitis illustrirt wird. Redner selbst hat bei einem Falle von 
Schütteltremor nach Unfall die Wirkungslosigkeit der hypnotischen Suggestion 
auch nach der prognostischen Seite hin verwerthbar gefunden. 

Herr Hecker (Wiesbaden) führt zu den vom Vortr. angeführten Gründen 
für die Thatsache, dass die hypnotische Behandlung unter den Aerzten eine so 
spärliche Verbreitung finde, noch zwei weitere hinzu: Es haftet an der Hypnose 
noch immer ein gewisses Odium. Der Arzt, welcher sich damit beschäftigt, wird 
von seinen Collegen leicht als Charlatan angesehen und muss schon sehr hoch 
in der Achtung derselben stehen, um von diesem Vorurtheil frei zu bleiben. 
Zweitens fürchten viele Aerzte, die gern hypnotisiren möchten, die Blamage, dass 
ihnen die Hypnose nicht gelingt und der nicht einschlafende Patient sie hinter¬ 
her auslacht. — Zum Schluss erwähnt Redner ganz kurz einen ähnlichen Fall 
wie den von Herrn Bezzola vorgetragenen, der ebenfalls durch Hypnose ge¬ 
heilt wurde. 

Herr Weygandt (Würzburg): Ausser Liebermeister haben sich gewiss 
manche Internisten um psychische Behandlung verdient gemacht, z. B. Butter¬ 
sack an der Leyden’sehen Klinik; die Hauptaufgabe fällt den Psychiatern zu. 
Die Kliniken sind freilich nicht die geeignete Stätte: es sind vielmehr Polikliniken 
für Psychisch-Nervöse unerlässlich. Interne Polikliniken haben zu viel anders 
Aufgaben; schon ein Nervenstatus ist für sie zu zeitraubend. Ausser Fällen, 
die sich für psychische Behandlung eignen, gehören in die zu poetulirenden Poli¬ 
kliniken besonders die functionellen Neurosen, beginnende Psychosen, OTenssnztände, 
ferner auch die abnormen Kinder. 

Herr Reinert (Stuttgart) betont wie Krehl die Bedeutung der inneren Medicin 
für die Psychotherapie; er erinnert an das Wort Nussbaum’s, dass die Wundes 
beim siegreichen Heer besser heilen als beim besiegten; für die innere Mediän 
ist der Einfluss der Psyche viel grösser. In unserer ganzen ärztlichen Thätigkeä 
spielen die psychischen Einflüsse mit oder ohne Bewusstsein eine grosse Rolle 
und bilden Imponderabilien für unsern Erfolg. Ueberdies finden wir einen groesrw 
Procentsatz von internen Erkrankungen mit psychogenen oombinirt. In der 
Mehrzahl der Fälle werden wir mit Wachsuggestion zu unserem Ziele gelangen 
und mit Liebermeister bestrebt sein, die Hypnose für die Fälle zu reservireo, 
bei denen andere Maassnahmen nicht zum Ziele föhren und wo doch ein wichtiger 
Grund zur Beseitigung der Störung vorliegt. R. berichtet über einen solchen 
Fall bei einer schwer hysterischen Dame mit vollständiger Urinverhaltung, die 
mit keiner Form von Suggestion beseitigt werden konnte. Nach 9 wöchenlicher 
Dauer der Erkrankung entschloss sich R. bei der Erfolglosigkeit der bisheriges 


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Therapie und wegen der Gefahr einer eingetretenen Cystitis die Hypnose ein¬ 
zuleiten, welche in der ersten Sitzung den Erfolg hatte, dass spontan einige 
Tropfen Urin gelassen wurden, während die Hauptmenge immer noch mit dem 
Katheter entleert werden musste. Bei der dritten Hypnose entleerte die Kranke 
sofort nach dem Erwachen spontan vollständig die Blase. Seit dieser Sitzung 
von l 1 /, Jahren sind die Blasenfunotionen völlig normal. R. ist der Ansicht, 
dass die Hypnose hier nicht nur neurologisch erforderlich war, sondern wegen 
der Gefahr einer aufsteigenden Cystitis möglicherweise einer vitalen Indication 
entsprach. 

Herr Frank (Schlusswort): Mir lag heute nur daran mit möglichster Be¬ 
rücksichtigung unserer Zeit das Allernothwendigste in dieser Frage zu sagen. 
So unterliess ich es auch, die Namen sehr verdienter Autoren zu nennen. Dass 
ich niemandem zu nahe treten wollte, hob ich ausdrücklich hervor, zumal ich 
weise, dass es einzelne Interne, wie auch Chirurgen giebt, die ihren Kranken 
mit grossem psychologischen Verständniss entgegenkommen. In meinem Bestreben, 
so kurz wie möglich zu sein, berücksichtigte ich die differentialdiagnostische Be¬ 
deutung der Suggestionsbehandlung so wenig wie noch verschiedene andere Punkte. 
Herrn Hecker gegenüber muss ich sagen, dass die Aerzte wie die anderen 
Menschen nicht den Muth haben und sich fürchten, sich durch Billigung einer 
Neuerung lächerlich zu machen. Das geht in anderen Fragen, wie in der Alkohol¬ 
frage ebenso. Wenn es aber mehr Aerzte gäbe, die psychotherapeutisch aus¬ 
gebildet sind, so werden einzelne Misserfolge nicht mehr so blamabel erscheinen. 

4. Herr Krause (Kennenburg): Ueber Vererbung von Geisteskrankheiten. 

Die Annahme, dass das Darwinsche Gesetz der Vererbung auch für die 

Form der Geisteskrankheiten Geltung habe, bestätigt sich nach den Befunden an 
dem Material der Heidelberger Klinik und der Heilanstalt Kennenburg nicht. 
Es fanden sich vielmehr gleichartige Vererbung von der Gesammtzahl nur in 
70 °/ 0 bei Eltern und Kindern, bei Gesohwistern nur 69,6°/ 0 der Fälle, bei den 
Geschwisterkindern nur 46,5%. Es ergiebt sich damit eine überwiegende Ziel¬ 
strebigkeit im Sinne einer Degenerescenz der Krankheitsform der Descendenz, eine 
Beobachtung, die auch dadurch ihre Bestätigung findet, dass sämmtliche über¬ 
haupt zur Beobachtung gelangten Descendenten mit einer einzigen Ausnahme in 
meist wesentlich jüngerem Alter zur Aufnahme gelangten, als die Ascendenten. 
Auch der Verlauf scheint sich entschieden bei der Descendenz ungünstiger zu ge¬ 
stalten als bei der Ascendenz. 

5. Herr Laudenheimer (Alsbach bei Darmstadt): Kurse Mittheilung über 
sexuelle Zwangsvorstellung bei einem Kinde. 

Ausgeprägtes Irresein mit Zwangsvorstellungen in der Kindheit ist in der 
Litteratur nur selten, Zwangsvorstellungen sexuellen Inhaltes bisher überhaupt 
nicht bekannt. Vortr. bespricht einen Fall von Zwangsvorstellungen bei einem 
11jährigen Knaben, die sich unmittelbar anschlossen an das erste Bekannt werden 
des Kindes mit unverstandenen sexuellen Worten und bildlichen Darstellungen, 
welche als Zwangsvorstellungen bezw. Bilder im Bewusstsein fixirt wurden. Es 
schloss sich daran der Zwangsimpuls, den Inhalt dieser Vorstellungen mündlioh, 
schriftlich oder zeiohnerisch darzustellen, und obwohl dieser Impuls thatsächlich 
von dem Patienten gehemmt werden konnte, die Befürchtung wegen dieser 
Aeusserung aus der Schule gejagt zu werden. Es kam seoundär zu Präcordial- 
angst, Schlaflosigkeit, Suicidalgedanken. Nach Verlauf von einigen Monaten er¬ 
folgte nach Entfernung aus der Schule die allgemeine Roborirung und Heilung; je- 
doch % Jahr später gab es im Anschluss an die erste Entwickelung der Pubertät 
einen Rückfall. Die Zwangsvorstellung wurde diesmal rasch geheilt durch Bach¬ 
gemässe Aufklärung über sexuelle Dinge. Vortr. bespricht den psychischen 


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Mechanismus des Falles im Anschluss an die Zwangsvorstellungstheorie M. Fried- 
mann’s, für die der Fall geradezu als Schulbeispiel gelten kann. 

6. Herr Willmanns (Heidelberg): Die Psychosen der L a n d s treicher. 

Der Vortr. hat sich die Aufgabe gestellt, den Landstreicher als Indiridsua 
und die Beziehungen zwischen seinem angeborenen oder erworbenen Defect ml 
seiner antisocialen Lebensführung zu studiren. Das Material, welches ihm hkrU 
zur Verfügung stand, belief sich auf 120 Fälle, die grdsstentheils in den letztes 
Jahren aus dem polizeilichen Arbeitshause Eislau als Geisteskranke in die Ims- 
klinik zu Heidelberg überführt wurden. Die meisten waren ältere, professionelle 
Landstreicher und als solche häufig zu Correctionsstrafen verurtheilt; nur 27 wsra 
noch nicht im Arbeitshause. Die Zahl der Vorstrafen war in den meisten FlD« 
sehr hoch, im einzelnen belief sie sich auf über 100; die Zahl der CorreetMst- 
strafen betrug in mehreren Fällen 10, in einem 15. 12 der Kranken war« 

weiblichen Geschlechts und Prostituirte. 

Was die klinische Zusammensetzung an betrifft, so waren sie ao noer o r dectlkA 
mannigfaltig. 66 Fälle Dementia praecox, 19 Epilepsie, 7 Alcoholismns, 3 In* 
becillität, 6 Hysterie, 4 manisch-depressives Irresein, 4 Dementia paraljtka, 
4 Paranoia, 1 Gefangenenhallucinose, 1 luetische Hirngefässerkrankung, 1 CreO- 
nismus, 6 Unklare Fälle. 

Infolge der vorgerückten Zeit musste der Vortr. seine Absicht ans der 
Symptomatologie der einzelnen Erkrankungen die ätiologischen Momente für das 
gewohnheitsmäßige Landstreichen zu entwickeln, aufgeben und beschrankt si tk 
auf die Dementia praecox-Gruppe, welchen das manigfaltigste und das klinisck 
interessanteste Material entsprach. Sie war in 66 Fällen vertreten, 60 davoa 
waren schon mit Correotionshaft bestraft worden, 6 waren weibliohen Geschlechts. 

Die 66 Fälle lassen sich in drei Gruppen unterscheiden: 

Die erste Gruppe wird von ursprünglich geistig und körperlich gesund« 
und sesshaften Persönlichkeiten gebildet, die in geordneten Erwerbs Verhältnis»« 
lebten, bis dass sie meist zwischen dem 20. und 80. Jahre von einer schwer« 
acuten Psychose befallen wurden, nach deren unvollkommenen Heilung sie in di» 
Landab-eich erlauf bahn geriethen. Hochgradiger Schwachsinn, Wahnvorstellung« 
oder eine acute halluoinatorische Erregung im Arbeitshause führten oft erst nach 
Jahrzehnten ihre endliche Aufnahme in die Klinik herbei. 

Eine zweite Gruppe bildeten ebenfalls ursprünglich sociale Elemente, die ÖA, 
ohne dass eine ausgesprochene geistige Störung vorhanden war, ziemlich plötaikk 
oder mehr allmählich ohne erkennbaren Grund einem unsteten und unregelmäßig« 
Leben Hingaben und zu gewohnheitsmäßigen Landstreichern wurdest Ent « 
Laufe von Jahren und Jahrzehnten und nach wiederholten Internirungen in Cor- 
rectionshäusera traten activ psychotische Erscheinungen auf oder wurde der 
Schwachsinn als so hochgradig erkannt, daß eine UeberfÜhrung in eine Anstalt 
nothwendig erschien. 

Die dritte Gruppe endlich setzt sich aus von Haus aus pathologisch« 
Persönlichkeiten zusammen, bei denen schon in frühester Jugend sittliche und 
intellectuelle Defecte vorhanden waren, die nach meist unvollkommener Schul- 
ausbildung kein Handwerk erlernten, sohon früh ins Vagabundiren geriethen und 
nach massenhaften Strafen wegen Verbrechens gegen die Person und das Eigne* 
thum, Betteins und Landstreichens, nach häufigen Internirungen in Gefängnha«i 
Zuchthäusern und Correctionsanstalten ausgesprochen geisteskrank in die Irr«- 
anstalt überführt wurden. Die jüngeren dieser Personen bieten sehr häufig da» 
Bild der Kahl bäum'sehen Katatonie, die älteren meist die Symptome der alt* 
hebephrenisohen Verblödung. Verfolgt man das Leben dieser Krank« “ 
der Hand der Acten, so lässt sich häufig feststellen, daß sie schon vor Jshns 


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hin und wieder schwere Krankheitserschein ungen geboten hatten, die aber von 
den Strafanstaltsärzten als solohe nicht erkannt worden. 

7. Herr Hess (Stefansfeld): Ueber hysterisches Irresein. 

Vortr. fasst das „hysterische Irresein“ in dem engen Sinne Kraepelin’s 
und Nissl’s auf und betont die Seltenheit dieser Psychose, an der in Stefansfeld 
in einer 6 7j jährigen Aufnahmeperiode nur 0,69°/ 0 der Zugänge erkrankt waren, 
und zwar 0,11 °/ 0 Männer und 1,3 °/ 0 Weiber. Sogenannte hysterische Symptome 
können bei allen einfachen Seelenstörungen auftreten, aber sie haben mit dem 
„hysterischen Irresein“ sui generis nichts zu thun, z. B. die „Hysteriomelancholieen“ 
sind wohl alle „Räckbildungsmelancholieen“, bei denen sogenannte „hysterische“ 
Zeichen so regelmässig Vorkommen, dass gar kein Grund vorliegt, sie, die eben 
zum Wesen der „Rückbildungsmelancholie“ gehören, als „hysterisch“ zu bezeichnen. 
Anscheinend hysterische Zustände, die bald froher bald später in dauernde Ver¬ 
blödung übergehen, waren, wie der Ausgang beweist, nicht durch die Krankheit 
„Hysterie“ bedingt, sondern die Anfangserscheinungen einen Dementia praecox, 
und es ist prognostisch ausserordentlich wichtig, gerade in solchen Fällen die 
Natur der „sogenannten hysterischen“ Symptome klar zu erkennen. Wenn das 
Wort „hysterisch“ in der bisher üblichen Weise gebraucht werden soll, müssen 
wir uns bei seiner Anwendung immer bewusst sein, dass wir mit ihm nur die 
äusserliche Erscheinungsweise einer Störung bezeichnen, ihren nosologischen 
Charakter aber ganz unberücksichtigt lassen. 

Zum Schluss möchte Vortr. noch über einige neuere Arbeiten von Gynäkologen 
über Hysterie sprechen. Während Winternitz, Theilhaber, Olshau^en im 
Allgemeinen die Anschauungen der Psychiater theilen, stehen Mackenrodt und 
Schnitze sonderbarerweise auf dem durch 1000 Thatsachen längst wiederlegten 
Standpunkt, die Hysterie sei hauptsächlich eine Reflexpsychose und könne duroh 
möglichst reichliches Operiren geheilt werden. Schnitze fordert sogar auf Grund 
einer amerikanischen Statistik (Hobb’s) die Anstellung gynäkologischer Operateure 
an den Irrenanstalten. Die Messerfreudigkeit, die eine Zeit lang bedeutend nach¬ 
gelassen hatte, scheint also neuerdings wieder zunehmen zu wollen. 

Discussion: 

Herr Kräpelin (Heidelberg) macht die Unklarheit der Anschauungen über 
Hysterie bei den Irrenärzten mit für die wenig erfreulichen Vorstellungen der 
Gynäkologen in dieser Frage verantwortlich. Er empfiehlt, die Kahlbaum’sohe 
Entscheidung zwischen Zustandsbild und Krankheit auch auf die Hysterie zu 
übertragen. Wenn es auf der einen Seite ein allgemein anerkanntes Krank - 
heitsbild der Hysterie giebt, das mit vielfachen Schwankungen im Wesentlichen 
stationär bleibt, aber in jedem Zustande Zeichen aus dem eigenartigen Formen¬ 
kreise darbietet, so wird man alle diejenigen Fälle ausscheiden müssen, bei 
denen das Gesammtbild und der Verlauf ganz anderen bekannten Krankheits¬ 
bildern entspricht. Wissen wir dooh, dass bei groben Hirnerkrankungen, die 
niemand der Hysterie zurechnen wird, ausgeprägte hysterische Erscheinungen 
Vorkommen können. Die Sache liegt nicht anders, als bei der Epilepsie. Auoh 
hier trennen wir von der eigenartigen Krankheit durchaus jene Fälle ab, bei 
denen „epileptiforme“ Anfälle nur symptomatische Bedeutung haben, wie bei der 
Paralyse, Katatonie, Alcoholismus u. s. w. 

8. Herr Rühle (Winnenthal): Niohtparalytlaohe Geistesstörung neben 
Tabes. 

Nach kurzen Mittheilungen über das Vorkommen von Tabes und progressiver 
Paralyse bei einen und demselben Individuum, über die innigen Beziehungen, 
zwischen beiden Krankheitsformen, besonders in ätiologisoher Beziehung, über die 
Wesensgleichheit der pathologisch-anatomischen Befunde beider Krankheiten und 


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die noch bestehende Meinungsverschiedenheit der Autoren in dienen Punkten, tob 
denen die einen überzeugte Anhänger der Identität von Tabes und Paralyse öd, 
während andere die beiden Krankheiten als zwei ganz verschiedene gedeutet wieset 
wollen, giebt Vortr. zwei Beobachtungen wieder an Kranken mit ausgesprochener 
Tabes, bei denen sich im Verlaufe derselben psychische Störungen entwickelt 
haben, die sich nicht in das Bild der progressiven Paralyse einreihen lwaea. 
Dieselben zeigten vielmehr ein ausgesprochen paranoisches Gepräge. Vortr. sieht 
daraus den Schluss, dass es keine gesetzmässigen Beziehungen sind, in denen d» 
klinischen Bilder von Tabes und Paralyse zu einander stehen und dass darin sack 
die Lehre von der Einheitlichkeit ihrer Aetiologie und des ihnen za Grunde 
liegenden pathologisch-anatomischen Processes noch keineswegs als sicher cunium 
gelten darf. 

9. Herr Feldmann (Stuttgart): Ueber 60 Fälle von acuter Geiste»* 
Störung der Trinker. (Aus dem Bürgerspital in Stuttgart.) 

Vortr. giebt einen Ueberblick über die seit dem Jahre 1895 auf der I r r ca - 
abtheiluDg des Bürgerspitals behandelten 61 Fälle von acuter Geistesstörung der 
Gewohnheitstrinker: 11 Fälle von pathologischen Rauschzuständen, 14 von acuten 
hallueinatorischem Wahnsinn der Trinker, 36 von Delirium tremens. Die körper¬ 
liche Untersuchung ergab im Widerspruch zu den sonstigen Erfahrungen sehr 
wenig schwere Complicationen, insbesondere keine Pneumonie. Alkohol wurde 
nur in vier schweren Fällen in Gestalt von kleinen Dosen Wein bei hochgradiger 
Herzschwäche neben anderen Excitantien verabreicht. Auch von Narcoticis wurde 
nur mässiger Gebrauch gemacht in Form von Snlfonal, Trional, ParaldehydL la 
einzelnen Fällen wirkten hydrotherapeutische Procedoren sehr günstig. Die Ent¬ 
lassung erfolgte im Durchschnitt nach 13,7 Tagen. Ein Fall gelangte zum 
Exitus letalis. 

Vortr. führt zum Schluss aus, dass das D. tremens zu denjenigen Krank¬ 
heiten gehöre, die sich ganz besonders zur Behandlung in den Irrenasylen d«r 
grösseren Städte eigne und bespricht die Gründe hierfür. 

10. Herr Levi: Stiohverletxung des Gehirns. (Ans dem Marienspital 
Stuttgart [Prof. Zeller].) 

Vortr. stellt einen Patienten vor, welcher vor 4 Monaten bei Raufhändeln ia 
den Kopf gestochen worden war. Das Messer durchschnitt das rechte Scheitelbein 
1 cm von der Mittellinie entfernt glatt ohne Splitterung und drang noch 4 ca 
tief ins Gehirn ein (Beinregion nach Krönlein’scher Messung). Im Moment der 
Entfernung, bei welcher Hebelbewegungen ausgeführt wurden, sank der linke Ara 
wie leblos herab und blieb gelähmt, während Pat noch gut gehen konnte und 
keine grössere Sensibilitätsstörung darbot. Plötzlich auftretende, auf Druck hin¬ 
weisende Symptome machten etwa 2 Stunden nach der Verletzung operative Er¬ 
weiterung des Knochenspaltee nothwendig, wobei weder ein Bluterguss noch 
Splitter sich fanden. Die Wundheilung verlief in der Folge glatt, doch bildet* 
Bich nunmehr das Symptomenbild einer associirten brachio- cruralen Monoplegie 
aus: 14 Tage lang bestehende völlige Lähmung des linken Armee, dessen Moti¬ 
lität sich in eigenartiger Reihenfolge allmählich wieder herstellte; ferner Parese 
des linken Beines, Störungen des Muskelsinns, Lagegefühls, Localisationsvermögena, 
stereognoetischen Sinns und auch in geringem Grade der Tast- und Wirne- 
empfindung, insofern als ein deutlicher Unterschied zwischen links und recht« 
bestand. Weiterhin bestanden spastische Symptome im Arm und Bein mH 
Steigerung aller Reflexe und ausgesprochener Rindenataxie. Fast alle dieee Er¬ 
scheinungen haben sich so beträchtlich surüokgebildet, dass dar Verletzte s«H 
14 Tagen wieder seinem Beruf nachgehen kann. Vortr. besprioht kurz dk 
Localisation, Prognose u. s. w. des Falles, der anderweitig in extenso veröffent¬ 
licht wird. 


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1151 — 


11. Herr Nissl (Heidelberg): Die Diagnose der progressiven Paralyse. 

Den Standpunkt, den die Heidelberger Klinik in der Diagnose der Paralyse 
einnahm, hat sieh während der letzten Jahre geändert. Die Katamnesen hatten 
zu dem Ergebniss geführt, dass viel zu oft die Diagnose der progressiven Para¬ 
lyse gestellt wurde. Aber auch in pathologisch-anatomischer Hinsicht haben sich 
die seitherigen Anschauungen geändert. Während früher der Nachdruck auf die 
Feststellung der krankhaft veränderten nervösen Elemente gelegt wurde, wird in 
den letzten Jahren das Verständniss des histopathologi sehen Qesammtprooesses als 
das Ziel der histopathologischen Forschung bezeichnet. Auf diesem Wege ge¬ 
langte man zu dem Ergebniss, die Paralyse als einen Process aufzufassen, der zu 
der Gruppe der entzündlichen Vorgänge gehört. Da die bisher bekannten klinisch¬ 
diagnostischen Kriterien hei einer Reihe von Fällen nicht genügen, würde es 
einen Fortschritt bedeuten, wenn wir die Paralyse histopathologisch sicher von 
allen übrigen Fällen von Gehirn Störung abgrenzen könnten. Denn es würden sich 
an der Hand der histopathologischen Untersuchungsergebnisse die uns noch 
fehlenden klinisch-diagnostischen Merkmale auffinden lassen. Wir haben daher 
allen Grand, diese Frage kritisch zu prüfen. 

Es muss soharf geschieden werden zwischen den ektodermalen und den meso¬ 
dermalen Bestandtheilen des centralen Nervensystems. Es ist das grosse, nicht 
hoch genug zu schätzende Verdienst Weigert’s, zuerst klar erkannt zu haben, 
dass die Gefässe (die mesodermalen Bestandteile des centralen Nervensystems) 
dem centralen Gewebe gegenüber genau etwas ebenso fremdes sind wie die weiche 
oder harte Hirnhaut. Alles, was ausserhalb der Gefässe liegt, ist ekto- 
dermaler Herkunft. Gliazellen sind nicht nervöse Zellen des Ektoderms, 
welche die Fähigkeit haben, Gliafasern zu produciren. Oh alle nioht nervösen 
Zellen des Ektoderms Gliazellen sind, ist noch nicht bekannt. 

Jedenfalls haben zahlreiche Experimentaluntersuchungen ergeben, dass die 
ektodermalen Bestandteile des centralen Gewebes ein WachstumshinderniBS für 
die mesodermalen ergeben und umgekehrt; ebenso bilden aber auch die nervösen 
Bestandteile des Ektoderms ein gegenseitiges Wachsthumshinderniss. 

Werden z. B. die nervösen Bestandteile so schwer geschädigt, dass sie für 
die nichtnervösen Bestandteile ein Wachsthumshinderniss nicht mehr bilden, so 
wuchern nicht die mesodermalen Bestandteile, sondern Btets nur die nioht 
nervösen ektodermalen Elemente. Die ektodermalen Bestandteile halten 
sich also gegenseitig gewissermaassen in einem biologischen Gleichgewichtszustand. 

Anders liegt die Sache, wenn das ektodermale Gewebe in toto zu Grande 
geht, wenn z. B. eine Blutung sowohl die nervösen wie die nichtnervösen Be¬ 
standteile ektodermaler Herkunft vernichtet. In diesem Falle bildet das ekto¬ 
dermale Gewebe kein Wachstumshinderniss mehr für das mesodermale Gewebe; 
es wuchern in diesem Fall nicht die nicht-nervösen Zellen ektodermaler Herkunft, 
sondern zunächst einzig und ausschliesslich das mesodermale Gewebe nach dem 
Ort, der nunmehr für das mesodermale Gewebe kein Wachstumshinderniss mehr 
bildet, d. h. es treten Gefässsprossen auf und neben den Endothelsprossen ent¬ 
wickeln sich Fibroblasten und mit ihnen die sogenannten Körnchenzellen. 

Die in diesen Sätzen ausgesprochene scharfe Sonderung zwischen den ekto- 
und mesodermalen Bestandteilen tritt vielleicht am klarsten in den Granulations¬ 
geschwülsten zu Tage, die sich ausschliesslich aus mesodermalen Elementen 
auf bauen. Jene, welche die perivasculären und pericellulären Räume für Lymph¬ 
spalten ansehen, oder einen Theil der nicht nervösen Kerne des centralen Nerven¬ 
gewebes für Lymphocyten halten, oder von einer „Mesoglia“ sprechen, können 
gewisse histopathologisohe Vorgänge im centralen Gewebe unmöglich verstehen. 

Ich habe schon vor mehreren Jahren auf die Eigentümlichkeiten eitriger 
Meningitisformen hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass Leukooyten 


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nicht wie an anderen Organen ans den Geffcasen auswandern und ein eitrig« 
Infiltrat bilden. Gewiss giebt es auch im Gehirn Absoesse; aber in diesen F»U 
ist ektodermales Gewebe in grösserem Umfang zu Grunde gegangen. Eine rieh 
tige Auswanderung von Leukooyten aus der intacten Adventitia hat jedtefc 
noch niemand beobachtet. 

Und doch lehrt uns die tägliche Erfahrung, dass es auch im centralen Nemv 
gewebe entzündliche Prooesse giebt, Processe, die durch eine Gewebaschidigng. 
Gewebswucherung und gleichseitige pathologische Exsudation aus den Blutgsfina 
oharakterisirt sind. Bisher kennen wir aber bei intacter Adventitia nur eis 
charakteristisches pathologisches Exsudat im centralen Nervengewebe, nämlich dir 
zelligen Infiltrate der Adventitialsoheiden mit den Marshalko’seheo Plasm- 
zellen. In dem Nachweis dieses äusserst charakteristischen Exsudats besitz« vir 
ein sicheres Kriterium für entzündliche Vorgänge im centrales 
Nervengewebe. Hier und da wandert auch wohl die eine oder andere P l z —v 
zelle aus der Adventitia aus; zu einem richtigen zelligen Gewebeinfiltrat mit 
Plasmazellen kommt es aber nicht. 

Bis jetzt kennen wir 1. von den Meningen aus auf das centrale Gewebe 
fortgeleitete Entzündungen, speciell tuberculöser und syphilitischer Art, osd 
2. autochthone Entzündungen. Unter den letzteren sind uns bekannt a) die aeste 
und nicht eitrige Encephalitis und Myelitis, hierzu gehört auch die Poliomyelitis 
anterior sowie die Polioencephalitis superior, und b) die chronische Entxfinduf 
des centralen Nervengewebes, speciell der Cortex. Zu letzterer gehören alle Fälle 
von zweifelloser Paralyse. 

Aus dieser Sachlage geht zweifellos die Thatsache hervor, dass eine Groppe 
von Psychosen sich zuverlässig auf Grund des histopathologischen Befundes nm 
allen übrigen Psychosen abtrennen lässt, und dass zu dies«: einen Gruppe alk 
zweifellosen Fälle von Paralyse ohne Ausnahme gehören. Diese Groppe zeigt die 
Zeichen der Entzündung: Gewebeläsion, Gewebswucherung und das für das Nervsa- 
System charakteristische zellige Exsudat, nämlich die Infiltration der Advantitüi- 
scheiden mit Marshalko’sohen Plasmazellen. 

Dieees Infiltrat ist aber nicht charakteristisch für den Krankheitsprocess der 
Paralyse; es ist nur charakteristisch für den entzündlichen Charakter des Pro- 
068868 , der der Paralyse zu Grunde liegt Leider sind wir noch nicht in der 
Lage, die Frage zu beantworten, ob die zu der chronischen Entzündung dee 
centralen Nervengewebes gehörigen Fälle eine Krankheitseinheit darstellen. Zeigt, 
wie es nach der unvollständigen Untersuchung von nur einigen Fällen von Tsb« 
in der That zu sein scheint, die Tabes nicht die Charaktere der chronisch« 
Entzündung, dann steht allerdings fest, dass die Tabes eine von der PanJpe 
verschiedene Krankheit ist. Bietet aber ein Fall nicht die klinisch-diagnostiscb* 
Merkmale der Paralyse dar, welcher sich post mortem als zur chronischen Ent¬ 
zündung des Nervengewebes gehörig erweist, dann haben wir noch nicht dn 
Recht auf Grund des histologischen Befundes zu erklären, dass dieser Fall dem¬ 
selben Krankheitsprocess zum Opfer gefallen ist, wie ein Fall von zweifellos« 
Paralyse. Jedenfalls vermag aber auch der Ungeübte das Vorhandensein sin« 
chronischen Entzündung der Grosshirnrinde zu oonstatiren. 

Gross (Stuttgsit). 

UL Neurologische und psychiatrische Litteratur 

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— Progressive Paralyse: Tschisch, Progressive Paralyse. Journ. of ment Path. III. 
Nr. 1. — Kaes, Pathologische Anatomie der Paralyse. Monatsschr. f. Psych. u. Neorol. 
XII. Heft 3 u. 4. — Marcus, Etiolgien tili dem-paral. Hygiea. — Trueile et Petit, Para- 
lysie genör. et alcoolisme. Arch. de neorol. Nr. 82. — Soukhanoff et Gannouchkine, La 
paralvBie gönerale. Ebenda. Nr. 81. — v. Niessl, Stauungserscheinungen im Bereich der 
Gesichtsvenen bei der progressiven Paralvse. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 85. — Buch¬ 
holz, Acut verlaufende Erkrankungen an Dementia paral. Archiv f. Psych. XXXVL Heft 2. 
— Lundborg, Paralyse bei einem Ehepaar. Psyon.-neurol. Wochenschr. Nr. 27 u. 28. — 
Marandon de Montyel, Sialorrhöe dans la par. gön. Gaz. des höpit. Nr. 110 u. 111. — 
Forensische Psychiatrie: Kovalevsky, Psychologie criminelle. Paris. Vigot Fröres. 
862 8. — Weygandt, Berechtigung der forensischen Psychiatrie. Psych.-neurol. Wochenschr. 
Nr. 28. — Mendel, Kurt, Schutz der Geisteekranken. Berliner Klinik. Heft 171. — Noyes, 
Criminal equivalent of insanity. Med. news. LXXXI. Nr. 15. — Mingazzinl, Perizie 

S sichiatrisohe. Pa via. 107 S. — Penta, Importanza del sonno nella psich. for. Riv. mens. 

i psich. for. Nr. 9. — Kornfeld, Totschlag in Folge Gehörstäuschung. Friedreich’s Blätter 
für gerichtl. Med. Heft 5. — Rieger, Entmündigung von partiell Verrückten mit Ver¬ 
folgungswahn. Aerztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 18 u. 19. — Petit, Alienö mdconnu. Progr. 
möd. Nr. 41. — Lentz et de Boeck, Simulation d’alidnation mentale. Bull, de la soc. de 
med. ment, de Belg. Nr. 106. — Garnier, Protection de la fortune des malades. Ann. 
mdd.-psych. Nr. 2. — Fries, Unterbringung geisteskranker Verbrecher. Psyoh. neurol. 
Wochenschr. Nr. 25. — Therapie der Geisteskrankheiten: Kolb, Stadtasyl. Ebenda. 
Nr. 26. — Marie, A., A propos du congröa d’Anvere. Ebenda. Nr. 80. — Tuczek, Geistes¬ 
krankheit und Irrenanstalten. Marburg, Eiwert. 69 S. — Maere, Visite dans les dtablisse- 
ments d’alidnes. Bull, de la Soc. de mdd. ment de Belg. Nr. 106. — dl Gaspero, Kooh- 
Ralzinfusionen bei Geisteskrankheit. Therapie der Gegenwart. Heft 9. — WOrth, Dauerbad. 
Allg. Zeitschr. f. Psych. LIX. Heft 5. — Lückerath, Die beiden ersten Jahre in Galk* 
hausen. Psych.-neurol. Wochenschr. Nr. 23. — Lorenz, Wiener Irrenthum. Ebenda. 
Nr. 24. — Michail off, Irrenwesen in Russland. Medicinski Napredak. Nr. 5 u. 6. — 
Kalmus, Irrenfürsorge in Böhmen. Psych.-neurol. Wochenschr. Nr. 31. — Pdlas, La Chirurgie 
des aliönöe. Gaz. hebdom. Nr. 86. — Harrisson, Surgioal treatment of insanity. Journ. 
of ment sc. Nr. 208. — Ciouston, Treatment for mental diseases. Ebenda. 

TII. Therapie. Zanletowski, Einfluss von Alboferin auf Nervenerregbarkeit bei 
Nervenkranken. Wiener med. Presse. Nr. 86 u. ff. — Fdrd, Etüde physiol. de quelques 
bromures. Nouv. Icon, de la Salp. Nr. 5. — Strauss, A., Heroin. Münchener med. 
Wochenschr. Nr. 86. — Albrand, Kostordnung an Anstalten. Leipzig, Hartung u. Sohn, 
79 8. — Pick, Carl, Hydrotherapie. Berlin, Heine’s Verlag- 184 8. — Müller, Franz C., 
Balneotherapie. Schmidts Jahrb. CCLXXVI. Heft 10. — Macintyre, Eloctrical pavillon 
of Glasgow Infirmary. Glasgow med. Journ. LVHI. Nr. 8. — Lilienfeld, Electromagnetis- 
mus. Therapie der Gegenwart. Heft 9. — Danilow, Blaues elektrisches Licht Ebenda. 
— Bie, Lichttherapie. Deutsche Aerzte-Zeitung. Heft 17. — Tiegel, Schädeltrepanation 
wegen Kopfschmerz. Mittheil, aus den Grenzgeb. der Med. u. Chir. X. Heft 8u.4.— 

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1158 


Munin, Ersatz den gelähmten Quadrioeps. M buchener med. Woehenachr. Nr. 41. — trtptei 
Bewegungsapparat. Münchener med. Wochensohr. Nr. 85. — Jen e», Surgical trwt—I 
of spastio infantile par&ljais. British med. Journ. 6. September. 


IV. Mittheilung an den Herausgeber. 

Im Centralblatt für Nervenheilkunde vom 15. November 1902 findet sieh m 
Referat Nissl's über meine Arbeit „Von der Nervenzelle und der Zelle im All¬ 
gemeinen“. Nissl liest von meinem Buche nur die ersten 40 Seiten, «eil der 
zweite, gegen 220 Seiten umfassende Theil die Leser des Blattes nicht weiter 
interessiere. Der zweite Theil des Buches ist überschrieben: „Von der Zelle m 
Allgemeinen und der Nervenzelle im Besondero“. Da musste sich der Befere* 
sagen, hier werde auch etliches von der Nervenzelle stehen, vielleicht trage dkm 
Theil zum Verständnis» des ersten bei. Hätte Nissl z. B. das Capital „Fora 
und Function der Zelle u. s. w.“ sorgfältig bis zu Ende gelesen, so würde er *it 
seinem Referat nicht einen Kampf gegen Windmühlen führen. Denn di« tfaat 
er. Bei der Unkenntnis» meines Buches wird Referent desselben erstaunt sein, wms 
ich ihm mittheile: Ihre Ansicht, nach der sioh Leukocyten in der grauen 8uhctsm 
des centralen Nervensystems nicht finden, theile ioh; der Leukocyt, der eine der 
zahlreichen und feinen Capillaren in der grauen Substanz verlässt, der Leukocyt 
der aus den pialen Räumen in die graue Substanz ein wandert, hört mit diu 
Moment, in dem er die graue Substanz betritt, auf, Leukocyt zu sein; er finde* 
in der grauen Substanz ein ungemein dichtes Filzwerk von Fasern, dies« bäh 
ihn fest, er umfliesst die Fasern und nun ist er Nervenzelle. Zu lesen auf S. 15t 
meines Buches — allerdings im zweiten Theil! 

Jetzt wird Nissl vielleicht begreifen, weshalb ich die Litteratur darüber, 
ob die Körper in der grauen Substanz, die so aussehen wie Leukocyten, sold* 
sind oder nicht, unberücksichtigt gelassen habe. Der Streit ist mOssig. In dm 
Faserfilzwerk der grauen Substanz kann keiu Leukocyt mit seinem weichen 
schmiegsamen Körper eiißtiren, ohne dass er Fasern umfliesst. Ob wir ihn aoefe 
Leukocyt, ob wir ihn schon Nervenzelle nennen wollen, ist ein Streit um Worte. 

Vielleicht aber leugnet Nissl, dass Leukocyten die Capillaren der Hirnrinde 
verlassen, aus den pialen Bäumen in die Hirnrinde ein wandern? Fast schönt er 
so, denn 1894 zeigte er, „dass weisse Blutzellen im gesunden Nervengewebe s» 
schliesslich nur in dem Blutstrom kreisen und zwar nach Maassgabe der bekanntes 
VerhältniBszahlen von rothen und weissen Blutkörperchen.“ Die Zählarbeit bitte 
sich Nissl sparen können, denn sie beweist nichts. Ein Minus an Leukocyten 
in den Gehimcapillaren könnte man nur erwarten, wenn die Leukocyten sock 
auswandern, während das Herz schon still steht. Denn da in dubio das Hen 
70 Mal in der Minute frisches Blut nachschiebt, wird 70 Mal in der Minute du 
Zahlenverhältnis» zwischen rothen und weissen Blutkörperchen wieder hergeetelh 
Oder will Nissl behaupten, im Gehirn verliesae ein Leukocyt niemals die C*pü- 
laren? Ehe ihm das Jemand glauben kann, muss er irgend einen verständiges 
Grund angeben, der den Leukocyten verhindern sollte, die besonders feinen Hin- 
capillaren zu durchwandern und so eine Fähigkeit auszuüben, die er viel stärker« 
Geweben gegenüber entfaltet. — Soweit das Referat Nissl’s sachlichen Bod« 
verlässt, gehe ich auf dasselbe nicht ein. Dr. P. KronthaL 


V. Personalien. 

Unser sehr verehrter Mitarbeiter, Herr Privatdocent Dr. H. Schlesinger (Wies). M 
zum Prof, extraord. ernannt worden. 

Om Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebetet. 

Einsendungen für die Bedaction sind za richten an Prot Dr. 8 . Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauer dämm 29. 

Verlag Ton Vzix & Comp, in Leipzig. — Druck von Mzsaezs A Wmse izLeqmr 


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Register 1902. 


L Originalaufsätze. 

Bai* 

1. Zar Lehre Ton den initialen Erscheinungen der Paranoia. Bemerkngen von Prof. 

A. Pick. * 

2. Znr diätetischen Behandlung der Epilepsie, von Dr. Sohaefer. 6 

8. Versuche Aber Voltaisation. Zum 100jährigen Jubiläum der Volta*sehen Entdeckung, 

▼on Dr. Zanietowski !.*. 7 

4. Zur Lehre von den periodischen Geistesstörungen, von Dr. Ennen.50 

5. Die Topographie der paralytischen Bindendegeneration und deren Verhältnis* zu 

Flechsig** Assooiationsoentren, von Prof. Dr. Karl Schaffer.54 

6. Weiteres Aber die asthenische Lähmung, nebst einem Obduotionsbefand (Dr. E. Flatau), 

von S. Goldflam. 97. 154. 208. 252. 808, 847. 890. 447. 490 

7. Ueber den Augenreflex oder das Augenphfinomen, von Prof. Dr. W. ▼. Bechterew 107 

8. Der Corneo-mandibullarreflex, vou Dr. Friedrich von Sölder.111 

9. Ein Fall von infantiler Tabes, von Dr. Martin Blooh.118 

10. Ueber ErmAdung der Sehnenreflexe und die diagnostische Bedeutung dieses Sym¬ 
ptoms bei nervösen Erkrankungen, von Prof. W. v. Beohterew.148 

11. Der Trigeminus-Facialisreflex und das Westphal-Pilzfache Phänomen, von Dr. Hugo 

Lukäcz.147 

12. Weitere Erfahrungen Aber den Babinski'sehen Reflex, von Dr. August Hom- 

buTger. 151 

18. Zur pathologischen Anatomie der Tetanie gastrischen Ursprungs, von Priv.-Doo. 

G. J. Rossolimo.- 194 

14. Ueber ein neues, der Tetanie verwandtes Krankheitsbild bei chronischer Blei¬ 
vergiftung, von Hans Haenel.199 

15. Die Färbung des Nervensystems mit Magentaroth, von Dr. P. Zosin.207 

16. Ein Fall von acuter disseminirter Myelitis oder Encephalomyelitis nach Kohlenoxyd- 
Vergiftung mit Uebergang in Heilung, von Dr. med. Alexander Paliski . . . 242 

17. Richter und Sachverständige, von Prof. Dr. A. Ho che.290 

18. Die Kakodyteäure-Therapie, von Dr. H. Smidt.298 

19. Einiges zur HyBterie-Frage. Erwiderung auf Nissl’s Vortrag: „Hysterische Sym¬ 
ptome bei einfachen Seelenstörungen,“ von Dr. Raeoke.299 

20. Kurze Mittheilung Aber eine neue Färbungsmethode des Centrain ervensystems, von 

Dr. phil et med. Hermann von Schrötter.888 

21. Ein Fall von autochthoner Hirnsinusthrombose, von Dr. Good.840 

22. Riobter und Sachverständiger. Einige Worte der Erklärung von Medicinalrath 

Dr. P. Näoke.886 

28. Notiz zur Frage der Charakterreränderungen nach Gehirnverletzungen, von Dr. 

M. Friedmann. 887 

24. Demonstration zur Physiologie des corticalen Sehens, von Prof. E. Hitzig. . . 484 

25. Ueber acute cerebellare Ataxie, von Prof. Dr. W. v. Bechterew . . . . . . 485 

26. Fehlen der Kniesehnenreflexe bei dorsaler Compressionsmyelitis mit Degeneration 

der hinteren Wurzeln im Lendenmark, von M. Bartels.488 

27. Ueber centrale Augenmuskelnervenbahnen, von Dr. J. Piltz.482 

28. Spinalneuritisohe oder mvopathisohe Muskelatrophie? Von Dr. Toby Cohn 488. 587 

29. Ein neuer Beitrag zur pathologischen Anatomie der amyotrophisehen Lateralsklerose, 

von Dr. Arthur von 8arbo.580 

80. Ueber den direeten ventro-lateralen Pyramidenstrang, von Dr. William G. Spiller 584 

81. Ueber Kotbbrechen während des Status epileptioue, von Dr. med. H. Götze . . 586 

82. Vorläufige Mittheilung zur Pathologie der Tetanie, von Prof. A. Pick .... 578 
88. Die Silberimprägnation der Axenoynnder, von Dr. Max Bielsohowsky . . . 579 

84. Ueber hysterische Blindheit, von Dr. H. Krön. 584. 649 

85. Ueber auboorticale Entstehung iaolirter Muskelkrämpfe. Ein Beitrag zur Klinik der 
VierhAgeltomoren nebst Bemerkungen Aber den Verlauf der centralen Haubenbahn, 

von Dr. Josef Borgo... 642. 698. 748. 806 


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llöO 


86 . 

37. 


88 . 


89. 


40. 


41. 


42. 


48. 


44. 

45. 

46. 


47. 

48. 

49. 


50. 

51. 


52. 


58. 


54. 

55. 

56. 


57. 

58. 

59. 


60. 


61. 


62. 


68 . 

64. 

65. 

66 . 

67. 


Ueber eine neue Methode der Herstellung feinster histologischer Pripsrate, ias- 
besondere aus dem Gebiete des Nervensystems mittels Scnöttel- bezw. Sehaitt- 

oentrifugirung. Vorläufige Mittheilung von Dr. med. F. Reich.«7 

Ein ungewöhnlicher Fall von Faoialiskrampf (Myokymie, beschränkt auf das Gelnet 

des linken Facialis), von Prof. M. Bernhardt. 

Ueber Geisteskrankheiten im Gefolge von experimentell erzeugten Autointoxieationen: 

Psyohosen thyreopriver Hunde, von F. Blum.Oft 

Pupillenträgheit bei Acoommodation und Convergenz, von Dr. Julias Stras- 

burger.738 

Multiple Neuritis in Verbindung mit Basedow’seher Krankheit, von Dr. Theodor 

Diller.740 

Rfickenmarksveränderungen in einem Falle alter Unterarmamputation, von Dr. 

Ludwig Rosenberg.743 

Ueber den „Tract X“ in der untersten Cervicalgegend des RAckenmarks, von Dr. 

Purves Stewart.747 

Ueber das Erstsymptom und die Bedeutung der Achillessehnenreflexe bei Tabes, 

von S. Goldflam.784 

Zur Casuistik der Epilepsia luetica, von Dr. J. A. Fein borg.7tt 

Zur diätetischen'Behandlung der Epilepsie, von Dr. Hubert Schnitzer ... 808 
Ueber einen besonderen Kern der Formatio reticularis in der oberen BrAekenregion, 

von Prof. Dr. W. v. Beohterew..‘.8» 

Ueber den Lumbofemoralreflex, von Prof. Dr. W. v. Bechterew.888 

Ueber myotonische Pupillenbewegung, von Dr. Alfred Saenger.837 

Der Infraspinatusreflex: ein bisher unbekannter Reflex der oberen Extremität des 

Menschen, von Prof. Dr. Steiner.840 

Weiteres zur Kenntniss des Supraorbitalrefiexes, von Dr. D. J. McCarthy. . . 843 
Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie, von Dr. med. AugastDiehl 

845. m 


Ueber die Bestimmung des Tastsinns vermittels eines neuen Aesthesiometers, von 

J. J. Graham Brown.883 

Ueber die Beziehungen des unteren LängsbAndels zur Schleife und Aber ein neaei 

motorisches Stabkranzsvstem, von Priv.-Doc. Dr. H. Schütz.883 

Ein Fall von Arseniklänmung, von Dr. J. Krön.930 

Ein Fall von Katatonie im Anschluss an die erste Menstruation, von Dr. H. Muchs 937 


Zur Psychologie der motorischen Apraxie, von Prof. A. Pick.994 

Ueber die sogen, „myotonische“ Convergenzträgheit lichtstarrer Pupillen, von Dr. 

Nonne.! . ....1000 

Beitrag zur Localisation der cerebralen Hemianästhesie, von Prof. Dr. Karl 

Sohaffer.1004 

Ueber die Verschiedenheit der Prognose der Plexus- und Nervenstammlähmungei 

der oberen Extremität, von Dr. med. L. Bruns.104t 

Pupillenträgheit bei Aocommodation und Convergenz oder myotonische Pupiflen- 

bewegungp Von Dr. JuIIub Strasburger.1063 

Giebt es eine autogenetische Regeneration der Nervenfasern? Ein Beitrag zur 

Lehre vom Neuron, von Privatdocent Dr. Egmont M&nser.1090 

Bemerkungen Aber Winterkuren im Hochgebirge, von Dr. Benno Laquer. . . 1098 
Ueber die Bezeichnung „myotonische Pupilenbewegune“, von Dr. Alfred Saenger 1137 
Ueber die Beziehungen der Energetik zur Seelenthätigkeit, von Arthur Adler . U33 

Der Infraspinatusreflex, von Dr. Wiliam Pickett.1143 

Entgegnung zu der vorstehenden Zuschrift des Herrn Dr. W. Pioket, von Prot 
Dr. Steiner.11*3 


II. Namenregister. 

(Die mit * bezeiohneten Ziffern bedeuten: Litteraturangaben. — Die in Parenthese eii- 
geklammerten Zahlen bedeuten: Bemerkung in der Discussian.) 


Abadie: *881. 

Abraham: *782. 

Delirium tremens bei Mor¬ 
phinisten 966. 

Abramowski: *574. 

d’Abundo: Hirnatrophie 548 
u. *379. *570. 

Aohard: Schmerzhafte Fett¬ 
leibigkeit 44. 475. *571. 


’ Achard: Erweiohungsherd im 
| Hirnschenkel 721. 

Adam: *783. 

Adamkiewics: Geföhlsinter- 
ferenzen 160. 
Grosshirnrindenganglien¬ 
zelle 161. *191. *882.*888. 
*576. 

Adler: *578. *575. 


Adler: Energetik der Gasgb«- 
zellen 756. 

Energetik u. Seeleatkitigkvt 
1139. 

Adrian: *989. 

Adt: *188. 

Agostini: *881. 

Ahlström: *578. 

Aikin: *781. *1156. 


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1161 


Albarran: *188. 
Blasenstörungen bei Sy* 
ringomyelie 1032. 

Alber: *191. 

Albere-Schönberg: (377). 
Albrand: *1157. 

Aldrich: *989. *1155. 

Alesai: Epilepsie 820. 

Alessin: *779. 

Alexander: *380. *578. *574. 
*575. 

Rheumatische Facialis- 
lähmung 985.*991. *1166. 
AUard: *380. 

AUen Starr: *380. *881. *571. 
*778. 

d’Allocco: *880. 

Alombert: *1155. 

Alqnier: *1156. 

Alsberg: *383. *570. *1158. 
Alt: (567). 

Einfluss der Kost anf epi¬ 
leptische Anfälle 715. 
(716). *576. *779. 

Alter: *576. 

Alzheimer: Atypische Para¬ 
lysen 86. (88). (127). (128). 
Seelenstörnngen bei Arterio¬ 
sklerose 420. (422). 
Amabilino: *570. 
d’Amato: *782. 

Ambard: *990. 

Ammon: *871. 
d'Ancona: *190. 

Andenino: *574. *1156. 
AngioleUa: *388. *788. 
Anglade: *379. *888. 

Lymphocytose bei Paralyse 
n. tnberculöser Meningitis 
725. 

Anton: Alkoholismns n. Erb¬ 
lichkeit 267. 

Katatonie 831. 

Stirnbirn 948. 

Hypertrophie des Qehirns 
969. (970). (978). (975). 
(978). 

Antonini: *384. *781. 

Apelt: *573. *779. *1156. 
Apert: *880. 

Archangelsky: Chloralhydrat 
n. Aceton 951. 
Armand-Delille: *779. *987. 

Hirntumor 1071. 

Armour: *1158. 

Armstrong *571. 

Arnaud: *575. 

Arndt: Geschichte der Kata¬ 
tonie 91 u. *888. *189. 
Balkenmangel 707. *780. 
Arning: (876). 

Aronsohn: *1153. 

Aronson: *986. *1152. 

Galleln-Färbung 1061. 
Aronstam: *383. 

Artemoff: Heroin 187. 
Asohaffenbnrg: *191. 

Associationen 668 u. *575. 
*788. (977). (984). *992. 


Asch affen bürg: Sittlichkeits- 
Verbrechen 1081. (1088). 

Ascher (Bern): Peripherischer 
Nerventonus 980. 

Askanasy: *780. 

Aspinal: *574. 

Asselin: *576. 

d’Astroe: *779. 

Atiee: *782. 

Aubinean: Familiäre Krank¬ 
heit 95. *188. *989. 

Aubourg: Cerebrospinalflüssig- 
keit 554. 

Anbry: Symptom von Quin- 
quaud 268. 

Perineuritis u. Lungen¬ 
tu berculose 526. 

Audenino: Epilepsie 820. 

Frontallappen 1068. 

Audibert: *578. *781. 

Familiäre periodische Läh¬ 
mung 902. 

Auerbach: *880. *572. *990. 
*1154. 

Myasthenie 1027. 

Auerton; *388. 

Aufreoht: *780. 

Autonowski: Anomalien des 
Sulcus Bolandi 457. 

Axenfeld: *989. *1153. 

Axmann: *992. 

Ayres: *888. 

Azdmar: Manie 918. 


*572. 

Babes: *187. 

Pellagra 770. 

Babinski: Hemiasynergie 44. 
(47). 

Pupillenstarre u. Syphilis 76. 
Achillesreflex 240. (478). 
Babonneix: Cerebrospinal- 
flflssigkeit 555. *1165. 
Bach: *780. *988. 

Badaloni: *991. 

Badger: 381. 

Baedeker: *192. *576. 

Baer: *191. 

Baganis: *674. 

Epilepsiebehandlung 829. 
Bähr, F.: Epilepsie u. Unfall 18. 
Bailey: *782. 

Baird: *1158. 

Baienoff: Koreakoff 729. 

Krankheit Gogol’s 780. 
Baker: *884. 

Balacescu: *781. 

Bälint: Patellarreflexe bei 
Querechnittsmyelitis 166. 

Ballance:"*576. 

Ballet: (478). 

Tic des Gesichts 721. (724). 

*780. *987. *989. 
Hirntumor 1071. 

Bancke: *782. 

Baracs: *578. 

Barbour: Sporadischer Creti- 
nismus 228. *1155. 


Bard: *571. *779. 

Barger: *578. 

Barlow-. *571. 

Hirnrindentumor 1070. 

Barneff: Congenitale Ophthal¬ 
moplegie 70. 

Barnes: *190. *1156. 

Hemiplegie 857. 

Barr: *575. *991. 

Barratt: *779. 

Bartels: Kniereflex bei Com- 
pressionsmyelitis 488. 

M yxosarcom des Schläfen¬ 
lappens 682. *780. *987. 

Barth: *779. *782. *1155. 

Barthdlemy: *1156. 

Bässler: *989. 

Basta: *990. 

Bastian: Aphasie 678. *779. 

Battelli :Toa durch elektrischen 
Strom 1110. *1156. 

Batten: Hemiparese mit Atro¬ 
phie des Traotus opticus 
407. *187. 

Baucke: *784. 

Baudouin: *571. 

Bauer: Schläfenlappenabscess 
461. 

Thomsen’sohe Krankheit 
772. *989. 

Baum: Alkoholnarcose 899. 

Bäumlin-. Familiäre Erkran¬ 
kungen desNervensystems 
901. 

Bayerbach: (1146). 

Bayerthal: Thalamus- u. Stirn¬ 
hirntumoren 630. (1135). 

Bayet: *190. 

Baylis8: Hintere Wurxeln 180. 

Innervation des Darms 455. 
*879. *986. 

Bazzioalupo: *382. 

v. Bechterew: R&ckenmarks- 
systeme u. Entwickelungs¬ 
methode 10. 

Ophthalmoplegie 70. 

Bauchreflex (Mittheilung)95. 

Augenreflex 107. 

Ermüdung der Sehnenreflexe 
146 u. *881. 

Hirnrinde bei disseminirter 
Sklerose 285. 

Zuckungen im Schulter- 
gfkrtei 286. 

Syphilis des Centralnerven¬ 
systems 288. 

Cerebellare Ataxie 485. *187 

Zwangserbrechen 602. *578. 
*574. *778. *780. *1153. 
*1154. *1156. 

Epilepsia choreica 826. 

Kern der Formatio reticu¬ 
laris 885. 

Lumbofemoralrefiex 886. 

Secretorische Centren der 
Yerdauungsdr&sen 850. 

Beck: *189. 

Becker, Ph. E.: Gliom des 
4. Ventrikels 865 u. *880. 


Digitized by 


Google 




1162 


Becker, Th.: *991. 

Becker, W.: *989. 

Bsckh: (426). 

Beesean: *990. 

Becvor-. *780. 

Behr: Familien pflege 718. *574. 
Bel frage: Myxödem 228. 
BeijakoW: *382. 

Bellanora: *1158. 

Belloni: *576. 

Belmondo: *575. 

Epileptischer Anfall 820. 
Benda: Hypophysis 228.' 

Akromegalie229.*788.*1155. 
Bender: Jackeon'sehe Epilepsie 
526. 

Bendix: *1156. 

Benedikt: *187. *888. *77«. 
*1158. 

Benenati: *781. 

Benjamins: *881. 

Benneeke: Dresdner Garnison- 
lazareth 1088. 

Benson: Neuritis 171. 
Benvennti: Ponspathologie411. 
Beiger: Athetose 927. 
v. Bergmann: *880. *571. 
Geheilte Schädelschdsse 
1107. 

Bering: *990. 

Berkhan: (716). 

Berl: Sehbahn u. vordere Zwei- 
httgel 453 n. *378. 
Hermann: Syphilis des Central- 
nervensystems 77. 
Bernhardt: (517). (519). (618). 
*189 *881. 

Facialiskrampf 689. *571. 

*989. *1154. 
Nenropathologisohe Be¬ 
obachtangen 814. 
Poetheinipleg. Schütteln 
1121 . 

Bernheim: *989. 

Bernstein: (184). (188). *879. 
(727). 

Koraakoff 729. 

Epileptiker mit übermässiger 
Gelenkbeweglichkeit 729. 
*570. 

Bertelsmann: (94). 

Bethe: 778. 

Bettmann: *578. *1155. 
de Benle: Hypoglossnskern 
162 n. *187. 

Beyer: (128). 

Bezzola: Psychotherapie 1146. 
Bianchini: Herzganglien 261. 
*575. *987. 

Biatokar: Cerebrospinale Sy¬ 
philis mit Fieber 78. 
Biberbach: (128). (1129). 
Bickel: *186. *187. *572. *988. 
Biede: (924). 

Schilddrüse 925. 
Bielschowaky: Silberimprig- 
nation der Axenoyllnder 
579 u. *986. *987. 

Biffi: Opere oomplete 878. 


Biketee: *188. *570. *1158. 

BBharz: *575. 

Biller: *882. 

Binet: *191. 

Binswanger: Progr. Paralyse 
822 a. *191. *574. 

Betrograde Amnesie 817. 
(1088). (1085). (1006). 

Biro : *190. 

Bhwhoff: Erweichung desGyras 
hippocaapi 408 n- *879, 

Sklerotische Hemisphiren- 
atrophie 877. (878). 

Chorea senilis 918. 

Spinalparalyse 926. 

Bisohofrwmder: *880. *572. 

Blaohford: *87«. 

Blachian: N othxnchtsdelicte 
im epileptischen Dimmer¬ 
zustand 19. 

Blair: Psyobosen u. Glyooe- 
urie 274. 

de Blasio-. *192. *884. *576. 
*788. 

Bleuler: *576. *788. 

Periodischer Wahnsinn 918. 

Bloch, E.: *782. 

Kohlenoxydvergiftung 965. 
*990. 

Bloch, J.*: *888. 

Bloch, M.: Infantile Tabes 113 
u. 121 u. *881. 

Tabisohe Erkrankung des 
Haftgelenks 821. 

Tic oonvulsif 516. (517). 
(618). 

Böek: (922). (928). 

Blum: Erzeugung von Geistes¬ 
krankheiten 688. 

Psychosen thyreopriver 
Hunde 695. *989. 

Boas: *189. 

Bochroch: *572. *780. *1156. 

Booialli: *571. 

Bockenheimer*. *380. 

Boeckel: *572. 

Bofigli: *189. 

Bogorodizki: Aphasie 140. 

Böhmig-. Hysterie bei Tele¬ 
phonistinnen 1085. 

Bohn: *990. 

Boinet: Athetot Bewegungen 
bei Tabes 528 u. 719. 

Bonardi: *188. 

Bonhöffer: *188. *190. *779. 

Motorische Aphasie 1076. 

Bonne: *192. *990. 

Bonnemere*. *991. 

Bonome: Neuroglia 168. *990. 
*1156. 

Borohert: *572. 

Born träger: Myxödem u. Un¬ 
fall 224. *189. 

Borowikow: Hinterstrftnge u. 
Muskelsinn 65. 

Borri: *991. 

Bunt: Sacraltumor von hin- 
artigem Bau 552 u. *570. 


Bosinyi: *576. 

Bose: *574. 

Boehieri: *992. *1157. 
Botcazo: *987. 

Bottaazi: *18«. *986. *11Ä 
Botti: *992. 

Böttiger: (92). 

Hautreflexe 168. 
Bouchaud: *878. 

Boumau: ZwiHin gsu res ui s29 
Dementia neniUs 282. 
Hirntumor 860. *578. 
Bohren«: *967. 

Bourneville: Myxödem 299 
Alkohol, Idiotie m. EpOefm 
269. *191. *575. 
Epilepsie, Hysterie, Math 
880. *990. 
Mikrooephalie 668. 
Bowquin: *880. 

Bonveyron: *578. 

Bowdea: *988. 

Bowlby: *987. 

Boyoott: *878. 

Boyd: *570. 

Boyer: *575. 

Bra . *782. 

Blut bei Epilepsie 818 
Bradshaw : *574. 

Bttckenmarksloes 1068. 
Bmznwell: *881. 

AchUlesreflex 762. *785. 
Brancati: *575. 
Brandenberg: Tetanie 211 a 
*190. 

Brasch, M.: *188. (618). 
Bräts-. Hereditäre Lom«.Ip- 
lepsie 75. 

Trunksucht 271. 

Epilepsie 818. 
Bpileptiktranstatt 830. 
Braun: *570. 

Braunschweig: Dritte Ge¬ 
schlecht 1079. *1157- 
Braunstein: *188. *780. 
Bricy* *880. 

Bregmann: BetrobuftireBte- 
ritis m. Hysterie 74. 
Ktonhirngesehwtlate W. 
*190. *988. *115«. 
Brenking: *988. 

Brennsonn: *188. 
van Brero: *888. *57«. 

Brealer: *884. *992. *11» 
Bride: *573. *989. 

Brie: Eifersochtewsha 175- 
Brieger. *781. 

Briqnel: *987. 

Brisssnd: (48). .... 

Lues eerebri 502. *189 
*882. *987. 

Syringomyefitisebs Skm* - 
dactylie 719. 
Wortblindheit 1075. 
Broadbent: *190 *989 
Brockway: *571. 

Brodie: *779. 

Bronner: *187. 

Brooks: Dystr. mnse-pnp- 411 


Diqil 


Google 



1168 


Bi— kabank Jim: *108. 
Broains: In—patr — sta 485. 

BrooilSd: *578. *1156. 
Broacha—hi: Ft m itt—pfle ge 
Geisteakimakar 84. 
Browar*. *188. *781. 

Btowb: Aatk— io—it— 888. 
*989. *1151. 
Meniacometitis 1085. 


Browning: <979. *1158. 

Brno«: Progr. Paraly— 888. 
*186. 

Büekenmarkshim«rrimgi» 
währeadSehwaagenckafl 

1038. 

T. Brücke: *987. 

Brückner: *987. 

Brügelmannt *187. *1155. 

▼ab Brugg—t Myxödem 886. 
Brugia: *381. *388. *884. 

Pellagra: 758. *991. 
Bnmaxxi: *574. 

Brun et : Opiumeatsiehang266. 
*191. 

Brüning: *780. *782. 

Chor— 906. *990. 

Brona: Unfallneuroaen 416. 
Progr. Mnakelatrophie 506. 
*884. 

^^ckenrna^uerkranktuigen 

548. 

Neoropatholog. Demonstra- 
tionen (Klerohirnabsoess, 
Hirntnmor) 561. (567). 
(617). *782. 

Plexus- n. Nerrenstamm- 
lähmnng — 1042 u. 1061. 
(1084). (1086). 

Brunton: *575. 

Brunxlow: *990. 

Brnah: *782. 

Bnccelli: *990. 

Buch: *381. *1156. 

Sympathicna u. Vagus 664. 
Bncbbolx: Dementia paralyi 
711. (714). *1157. 
Bnckley: Acute hämmorrhag. 
Enaephalitia 401. *572. 
R&okenmarkskrebs 1087. 
Büdingens *992. 

Boiclin: *988. 

Ball: Mikrocephalie 513 a. 
*187 (path. Anat.). *191. 
Angenatörung u. geistige 
Schwäche 869. 

Bomm: Ganglion ciliare 428. 
Borehard: *189. *882. 

Bnret: Syphilit Gingivitis 504. 
Bürker: *987. 

Bnrna: *190. 

Barr: *590. *578. *988. 

Bary: *187. *574. *780. 
Barxio: Paralysis agitana 957. 
*991. 

Batske: (184). 

Burats Epilepsie a. Typbas 
18. *388. *779. 


Boys: *188. *887. 

Bussard: Alkohol—«-*» 268. 

*189. *781. 

Bykasa: *571. 

Cabannes: Coageaitale Oph¬ 
thalmoplegie 70. 

Cahen: *191. *574. 

Cahn: *881. 

Galderonio: *781. 

Gail am: Acute kftmorrhag. 

Rncepksditis 401. 

Caaias *991. 

Caminiti: *187. 

Campbell: *578. *991. 
Campa-Hoguening: *880. 
da Cime: *779. 

Omi—c Hirndraek nach 
Trauma 402 0 . *190. 
Cantalappo: *379. 

Cantani: Urämiscke Psycho— 
278. 

Cantley: *187. 

Capane: *192. 

Capobianco: *570. 

Cappel letti: Liqaor cerebro¬ 
spinalis 554. *190. *192, 
*576. 

Epilepsiebehaadlung 829. 
Capriati: *189. 

LaCara: *191. *1157. 
Carassini: *881. 

Carlalaw: Inflaenia u. Nerven- 
system 264. 

Carrier: *1154. 

Carriöre: *788. 

Carroll: *989. 

Carthy: *190. *879. *572. *779. 
*782. *1154. 
Snpnorbitalreflex 843. 

C—key. *189. *879. *880. *987. 
Catparie: *781. 

Caaper: *675. 

Ca—irer: Angiom des Gehirns 
82. *572. *988. *989. 
DuCaatel: *781. 
tenCate: *188. 

Catöla: Gliom dee Plexus 
chorioideos des 4. Ven¬ 
trikels 864. *191. *782. 
*1168. 

Cattaaeo: *572. 

Caasard: *1154. 

Cavani: *986. 

Cavassani: *879. *570. *1158. 
Cayla: *988. 

Ceooni: *882. 

Ceni: *186. *190. *574. *779. 
*782. 

Blutserum Epileptiker 819. 
*989 

Cer letti: *987. 

Cestan: Achondroplasie 95. 
Angeborenes Zittern 288. 
Oeaem bei Hysterie 624. 

*190. *880. *572. *988. 
Familiäre spastische Para¬ 
plegie 908. 

Syringomyelie 1081. 


Cestan: Argyü-ßobertaon'aches 
Zeichen 1068. 

Chadsynaki 572. 

Cbalupeoky: *574. 

Faltiges Hör— 1062. 

Cbanatina: *572. 

de la CbapeUe: Myxödem 227. 

Charpeatier: Pu pul—starre u. 
SypküiB 76. 

Cktssy: *881. 

Chataloff: *187. 

Cbatin: Hemiplegie 858. 

Chavanne: Ohr u. Hysterie597. 

Cbavigny: *190. 

Cbelmonsky: *571. 

Nervensystem u. Tuberca- 

lo- 1021. 

Cbensinski: *571. 

Heilnng der Hirnwanden 
1108. 

Cbiari: Glioms oerebri 858 o. 
*187. 

Chileeotti: Carminfärbung der 
Axencyünder 660 n. *570. 

Cbipanlt: Epileptische Anfälle 
nachSchädelverletsnng23. 

Tubercalose der Diploö 24. 

Trophisebe Elongations- 
metbode 475. 

Lumbalpnnetion 552. *578. 
*782. 

Jackaon'aohe Epilepsie 824. 

Chocreaux: Lyraphooyto— bei 
tubenmlöser Meningitis 
u. Paralyse 725. *571. 

Chokay: *578. 

Cbots—: *989. *1155. 

Christians—: *1154. 

Cimbal: *188. 

Cioffi: *382. 

Claparöde: Psychologie 284. 

Bewusstsein der Thiere 666. 
*578. *574. 

Clark: *779. 

Clarke: Sarcom dee Gehirns 
861. *188. *781. 

Sklerose des Hirns n. Klein¬ 
hirns 904. 

Cldrambault: *1157. 

Clinch: *878. 

Clintock: *572. 

Cloltre: *575. 

Clopath: *1156. 

Clouston: *388. *991. *1157. 

Cocher: *379. *779. 

Co——: *778. *781. 

Cohn, H.: *988. 

Cohn, R : *572. 

Cohn, Toby: Mnakelatrophie 
488 u. 686. *780. *784. 
*989. 

Raynand mit Sklerodermie 
515. 

Elektrodiagnostik 1119. 

Colbertaldo : *779. 

Cola: *888. *1156. 

Colella: *77«. *788. 

Spraohe u. Hirn 1074. 


Diqiti: 


Google 



1164 


Coley: *188. 

Colins: *884. 

Collier: *880. 

Neuritis optica bei R&cken- 
marksaffection 1038. 
Collina: *190. 

Collins: Progressive Muskel¬ 
atrophie u. Tabes 820. 
*380. *882. *779. 

Sym pathicus 662. *781. *987. 
*992. 

Collon: *881. 

Golucci: *191. *574. *576. 
*778. 

Comadiui: *782. 

Comby: Astasie-Abasie 602. 
Comte: Pseudobulbärparalyse 
468. 

Constautin: *571. *1158. 
Coppez: *986. *988. 
Cornelius: *987. 

Corning: *191. 

Cornu: *783. 

Coronedi: *781. 

Corsini: *990. 

Coema: *781. 

Da Costa: *989. 

Cotton: Familiäre amaurot. 

Idiotie 905. 

Cowen: *991. 

Cowles: *788. 

Cox: *378. 

Craohet: Juvenile Hysterie 606. 
Crago: Cyste der Stirngegend 
357. 

Crails: *880. 

Cramer: Eigenbeziehung u. 
Beachtungswahn 715. 
(716). *571. *574. *783. 
Hirntumor 1078. 

Crisafulli: *186. 

Crispotti: 778. 

Cristiani: *1155. *1157. 

Crocq : *572. *780. *991. 
Cross: *781. 

Crothere: *190. 

Craohet: *882. 

Cullere: **191. 

Cumpelik: *990. *1156. 
Curry: *992. 

Cnrtin: *881. 

Curtis: *989. 

Cushing: *570. 

Cyon: Producte aus der Schild* 
drQse 218. 

HvpoDhyse 213. *187 *189. 
v. Czyhlarz: Amyotrophische 
Lateralsklerose 546. *988. 

Daddi: 570. 

Physiopathologie des Vagus 
950. 

Dagonet: Chirurgie bei Geistes¬ 
kranken 287. 

Dahlgren: Hirnabscess 460. 
Dale: *187. 

Peripherische Enden durch¬ 
schnittener hinterer Wur¬ 
zeln 1064. 


Dana: *880. *574. 

Paralysis agitans u. Sarcom 
957. *1155. 

Danicek: *1154. 

Daniel: *571. *989. 

Danilow: 1157. 

Dantschakoff: *778. 

Acusticusbahn 848. 

Davies: *576. 

Dawson: *1157. 

Debove: *882. *781. 

Bleilähmung 962. 

Debrand: *782. 

Debray: *188. 

Decroly: *991. 1156. 
Defranceschi: *571. 
Degenkolb: (422). 

Kleine Hirngeflsse 428*192. 
Dehio: 1155. 

Deinhard: *575. 

Deiters: *992 

Dejerine: Neuritis im Kindes* 
alter 476. 

Rfickenmarkskrankhriteu 
560 u. *572. *778. 
Anatomie 878. 

Delagenidre: *188. 

Delamare: Nervöse Compli- 
catdonen bei Gonorrhoe 80. 
Delbröok: Trinkeranstalten 
270 u. *190. 

Delearde: *990. 

Delobel: *788. 

Demoor: *187. 

Trepanation bei jungen 
liieren 818. 

Dench: *779. 

Dendrinos: *186. 

Dendy: *783. 

Denker: Hirnabscess 870. 
Depöron: *992. 

Dercum: *383. *571. *578. 

*780. *788. *991. 
Deetarao: Torticolis spasmo* 
dica 528. *1154. 
Determann: Höhenklima im 
Winter 559. *576. 
Deutsch: Intestinale Auto* 
intoxication 264. *578. 
Hirnblutleere im Schlaf 756. 
Deutschländer: (98). 

Devaux: Cerebrales Endo- 
theliom 46. *571. 
van Deventer: (282). (283). 
Dewar: Eklampsie 817. 
Dewey: *190. 

Dexler: Präp&rationstechnik 
854. 

Dheur: *788. 

Diana: *782. 

Diaz-Delgado: *781. 

Dide: Cerebrospinale Flüssig¬ 
keit bei Epilepsie 129. 
*779. *987. 

Diehl: *189. 

Merkfähigkeit 671. *578. 

*575. *1155. 

Bewusstsein im epilept. 
Anfall 820. 


Diehl: Angst bei Hy s t s sie «. 

Neurasthenie 846 m. 88t. 
Diez: Irrenanstalt Wensberg 
1185. 

Diller: *187*. 188. *190. *388. 
Multiple Neuritis u. Base¬ 
dow 740. *779. 
Astereogooms Ml. *90». 
Kugel im Gehirn 1106. 
Dinkler: Prioritätsstreit (Kt- 
theilung) IM. 

Myelitis transversa tS7. 
Diwald: *382. 

Dixon: 570. 

DöUken: *190. 

Domenid: *780. 

Dona: *988. *1155. 

Donaggio: Fibrillen in Zolles 
179. *191. *888. 
MacDonald: Localisatioa psy¬ 
chischer Functionen € 61 . 
*384. 

Donath: Meniöre'sche Krank¬ 
heit 174 u. *191. *17». 
*380. *882. «80. *571. 
*987. *1154. 

Dopter: *187. 

Dorendorf: Meningitis syphi¬ 
litica 508. *1154. 

Dörr: *379. 

MacDougall: *882. 

Down: *880. 

Myasthenie 1028. 

Dräseke: *186. 

Drayton: *379. 

Drew: Kogel im Gehirn 859 
u. *879. 

Dubois: *781. 

Ducasse: Parasitäre Affeetka 
der Medulla oblong. 46«. 
Dudgeon: *881. 

Dufour: *780. *1158. 

Dftms: *574. 

Dumstrey: *192. 

Dunin: *382. *574. 

Dunton: *883. 

Duprat: *191. 

Duprö: (45). 

Cerebrales Endotheüom 4«. 
*572. *575. *992. 
Dupuy-Dutemps: *190. 
Argyll-Bobertson'scbes 
Zeichen 1068. 

Durand: 578. 

Durig: *570. 

Dusson: *191. 

Dziewönski: *987. 

Eason: EpilepsiebehancDaag 

827. 

Ebers: Krampf der Naekea- 
und Halsmuskeln 5«8. 
Eberschweiler: *574.^ 

Eckert : *991. 

Edel: (688). 

Edel, Max: Vergiftung : mit 
Höllenstelngiften 266. 
•888. *788. 

Edes: Pulsveriangsaainag.864. 


Google 


1165 


Edin: *881. *1167. 

Edinger:* Cerebellum vom 
Scyllium oanicula 468. 
*189. 

Vogelhirn 686. *878. *572. 
Edlefcen: *784. 

Edsall: *781. 

Famil. period. Lähmung 904. 
Edwards: *572. 

Egger: *778. 

Reflexhyperästheaie bei 
Lungentuberculose 900. 
Ehrhardt: *781. 

Ehroke: EpilepBiebehandlimg 

Ebrke! 9 *382. 

Ehrnrooth: Trauma and in- 
fectiöse Hirnkrankheiten 
1109. 

Eichhorst: *671. 

Einsler: *781. 

Eitelberg: *187. 

Agoraphobie 611. *781. 
Eider: *880. 

Hirntumor 1071. 

Elkins: *576. 

Ellis: *191. *192. 

Elmiger: Nenrogliabefnndebei 
Geisteskranken 13. 
Elschnig: *880. 

StannDgspapille 925. (926). 
*986. 

Elzholz: Senile Demenz 877. 
(879). 

Delirium tremens 880. 
Embden: (91). (98). (876). 
*190. 

Metallische Nervengifte 961. 
Engel*. *987. 

Engelmann: *379. 

Ennen: Periodische Geistes¬ 
störungen 50. 

Erb: Syphilis und Tabes 601, 
*879. 

Patholog. Anat der Syphilis 
des Centralnervensystems 
628 *192. *384. *572. *990. 
*1156. 

Erben: Tricepsklonus 640.*578. 
Erdmann: *578. 

Ernst: Schhügel und vordere 
Vierhügel 1016. 

Eschle: Bett für unreinliche 
Geisteskranke 1132. 
Eshner: *881. *781. 

Eskridge: *879. *382 
d'Espine: *574. 

Krämpfe 815. 

Estöves: Infantile Hemiplegie 
und Epilepsie 19. *890. 
Ftienne: Nervöse Arthropathie 
477. (526). 

Eulenburg: Akromegalie 710. 
(711). *574. *780. *788. 
Elektro-therapeutische Me¬ 
thoden 968. 

Ewald: MagengeschwQr 519. 
Fagge: *986. 


Fajersztain: Färbung des 
Azenoylinders 541. *780. 

Myasthenie 1024. 

Fairbanks: *991. 

Faloiola: *884. 

Faatino: *880. 

Fasola: *878. 

Geschmacksinnervation 818. 
*987. 

Faulds-. Hemiplegie mit un¬ 
willkürlichen Bewegungen 
412. 

Faure: Leiohen Zersetzungen in 
Hirnrinde 478. 

Fauser: Irrenabtheilung des 
Bürgerspitals 1144. 

Feinberg: *778. 1156. 

Epilepsia luetica 792. 

Feindei: Tic des Gesichts und 
Halses 45. *380. 

Ticbehandlung 608 u. 915. 
*782. *989. 

Psyche bei Gekränken 914. 

Feldmann: Acute Geistesstö¬ 
rung der Trinker 1150. 

Fellner: *784. 

Ferchland: *782. 

Föi& *190. *191. *378. *879. 
*571. *783. 

Dercum’sche Krankheit 864. 

Heredität des Geruchs 900. 

Dupuytren bei Geisteskran¬ 
ken 920. *987. *990. *991. 
*992. *1158. *1157. 

Töne und Arbeit 1020. 

Nervensystem u. Verdauung 

1021. 

Ferenozi: Kniephänomen wäh¬ 
rend epilept. Anfälle 19. 

Behandlung apoplektischer 
Anfälle 418. 

Coordinirte und assimilirte 
Geisteskrankheiten 865. 

Suggestibilität in der Er¬ 
müdung 1020. 

Ferrai: Taubstummheit 416. 

Ferrand: *570. *779. 

Hemiplegie der Greise 858. 

Ferrari: *191. 

Ferraris: *189. 

Ferrio: *188. *881. 

Festa: *782. 

Filehne*. *189. 

Finck: *572. 

Finckh: *883. 

Findlay: Periphere Nerven bei 
Diabetes 170. *882. 

Fink: *781. 

Finkelnburg: Hirnerkrankung 
im Frühstadium der Sy¬ 
philis 78. *188. *672. *780. 

Finkeistein: *574. *989. *1155. 
Finny: * 880 . 

Finzi: Seelenthätigkeiten 759. 

Fischer (Prag): Paohymenin- 
gitis 981. 

Färbung pathologischerGlia- 
formauonen 981. 

Fischer, B.: *988. 


Fischer, H.: *388. *1156. 
Fischer, J.: *578. 

Polyneuritis nach Typhus 
766. 

Fischer, Max: *388. *783. 
Fischer, 0.: Gliom des Rücken¬ 
marks 661. *571. 

Fischl: *779. 

Fisher: Congenitaler Nystag- 
mus908.*988.*1153 *1156. 
Flatau: *188. *574. *1154. 
van Fleet: *382. 

Fleger: *988. 

Syringomyelie und Haut- 
störungen 1031. 

Fleiner: Magengeschwür 519. 
Flesoh: Multiple Sklerose nach 
Trauma 829. *779. 
Fleury: Schlaf 1102. 

Flexner: *781. 

Familiäre periodische Läh¬ 
mung 904. 

Flora: *572. 

Myastben. Reactdon 1023. 
Florian: *992. 

Flournoy: Halluoinationen bei 
einem Staroperirten 26. 
Somnambulismus 235 u. 
*190. 

Foerster: *572. 

Follet: *989. 

Fontana: *187. *570. 

Forel: *576. 

Mania acuta 917. 

Forgeot: Hirnblutungen beim 
Pferd 860. 

Förster: *186. *878. (1081). 

Uebungstheraple 1083. 
Fortelconi: *190. 

Foukhanoff: *186. 

Foulerton: *881. 

Fournier: *987. 

Fraenkel.A.: Akromegalie229. 
Fraenkel, E.: (93). (373). 
Fragnito-. *986. 
v. Fragstein: *187. *987. 
Francais: Toxische Polyneuri¬ 
tis 767. 

Francesco: *779. 

Fran^illon: *788. 

Dupuytren bei Geisteskran¬ 
ken 920. 

Francine: *782. 

Frank-. *191. *881. (1181). 

Psychotherapie 1146. 
Franke: *883. *1153. 

Schädelbruch 1107. 

Fränkel, J.-. Sulfonal 688. 
v. Frankl-Hochwart: Gehirn 
derBlindmaus 897 u. *878. 
(928). 

Innervation der Rectal- 
sphincteren 399 u. 875. 
*570. 

Franz-. *779. *782. 

Fraser: *187.*784.*989.*1158. 
Frazier-. *189. *1155. 
Freeborn: *788. 

Freeman: *779. 


Digitized 


Google 


1166 


Freidenwald: *190. 

Fronte]; *191. *788. *991. 

Frey: *879. *987. 

Freyhan: *788. 

Frick: Fieberbehandlung ohne 
Alkohol 988. 

Friedenthal: *378. *879. 

Friedjang: *988. *990. 

Friedlinder, A.: Typhös and 
Nervensystem 282. *879. 
*671. 

Friedmann (Berlin): Exstir¬ 
pation derHypophysis 222. 

Friedmann, M. (Mannheim): 
Zwangsvorstellungen 89 
u. *191. 

Charakterveränderung and 
Hirnverleteang 887. *779. 
*781. 

Fritsch: *576. *784. 

Fröhlich: Innervation der Reo- 
talsphinoteren 399 n. 876. 
*189. *570. 

Tumor der Hypophyse 926. 

Frölich: Chorea 906. 

Fry: *780. *1155. 

Fachs: *575. *576. 

Remission bei aoaten Psy¬ 
chosen 775. 

Nearasthenisohes Pulsphä- 
nomen 979. *988. *991. 

Fnjisawa: *188. 

Fulton: *572. 

Fnnke: Nervöser Hasten 609. 

Le Für: *573. 

FUrbringer: *191. *788. 

Fürnrohr: *988. 

Fürst: *187. 

Fürstner: (127). 

Sensorielle Idiotie 415.(422). 

Psendorparalyse 427. (429). 

Hysterische Geistesstörun¬ 
gen 610. 

Vasomotorische Neurosen 
629. (1180). (1135). 

Ctobbi: *382. 

Galippe: *187. 

Gallemaerts-. Hereditäre Op¬ 
ticusatrophie 78. *1158. 

Hysterische Amaurose 597. 

*778. *986. 

Gallas: *884. 

Ganghoftier: *782. 

Gannonchkine: *191. *1157. 

Ganser: (1083). 

Hysterischer Dämmerzn- 
stand 1087. 

Garbini: RichePscbe Methode 
bei Epilepsie 21. *991. 

Garnier : *192.*884.*788. *992. 
*1157. 

Garrigues: Synkope u. locale 
Asphyxie 677. 

Garten: *778. 

Elektrische Erscheinungen 
am markloeen Nerven 980. 

Gasiorowski: Gandry’sche Kör¬ 
perchen 756. 


Gaskeil: *878. 

Gastpar: *576. 

Gaule: *570. 

Gaupp: Dipsomanie 80 u. 124. 
(128). (428). *576. (1128). 

Grenzen psychiatrischer Er- 
kenntmss 1144. 

Ganrand: *882. 

Gavazzeni: Himrindensklerooe 
867 

v. Gehhardt: Multiple Sklerose 

827. 

van Gebuchten: Worttaubheit 
672. 

Geigel: *188. 

Geijerstam *991. 

Geill: *990. 

Geissler: *779. 

Gendre: Jackson’sche Epilep¬ 
sie 75. 

Genzales-. *573. 

Gerhardt (Strassburg)*. Kehl¬ 
kopflähmungen 688. 

Gescheit: *574. 

Geesner: Springende Mydria- 
sis 78. 

Ghedini: *988. 

Ghon: *779. *987. 

Giannelli: *191. 

Giannettasio: *570. 

Gibney: *780. 

Gibeon: *989. 

Gierteen: *992. 

Gilbert: *990. 

Gilles de laTourette: Epilepsie 
and Trepanation 22. 

Gilmour: *383. 

Giovanni: *671. 

Giss: Cerebrospinalflüssigkeit 
554. 

Given: *987. 

Gläser: Aetiologie der Tabes 
818. 

Gleim: Schlafkrankheit der 
Neger 24. 

Glönard: *576. 

Glorieox: *188. *882. *780. 

Godall: *991. 

Goebel: Serumtherapie bei 
Basedow 522. *781. 

Goldbanm: Epilepsie proour- 
siva 822. *1156. 

Goldborg: *572. 

Goldblnm: Motorische Aphasie 
1076. 

Goldenberg: Progressive neu- 
ritisohe Atrophie 769. 

Goldflam: Asthenisohe Läh¬ 
mung 97. 154. 208. 252. 
303. 347. 390. 447. 490 
u. *880. *572. *780. *1154. 

Achillesreflex bei Tabes 786. 

Goldmann: *987. 

Goldscheider: *888. *572. 

Goldschmidt: * 881 . 

Goldstern: Rückenmarksloca- 
lisation 541. *780. *781. 
*986. *988. *1158. 

Golncci: *382. 


Gomperts: Hiragewsshi m 
tt. *878. 

Gontechankow: *678. 
Gonzales: *574. 

Qood: Hirasin—thrsmham 818 
u. *571. 

Gording: *782. 

Gordialer: Klein hirn tum w Hl. 
Gordon: PateUarreflez bei 
Chorea 912. *987. *11*7. 
Goris: Wo rtt a u bh eit 672. 
Gomehkow: Grsrh—rksnss 
trum 287 u. 464. 
Geruehseeutrum 288 . 
Gossaje: *779. 

Gossner: LandrVsobe Paratem 

77a *781. 

Goteh: *57a 

Götze: Kothbrecben iss Statas 
epileptious 586. *762. 
Gowera: *190. *571. 
Abiotrophie 758. *78a *782. 
Epilepsie 881. *686. *966. 
Myasthenie 1028. 

Grabower: *570. 

Graefe: *574. 

Graham *188. 

Graodis: TastgeOhl 662 a. 

*570. *986. 

Grasset: Hirakraakbeiten 40L 

*671. 

Gravagna: *381. *574. 
del Greeo: *888. 

Greef. *781. 

Griggs: *572. 

Grips: Reactionaseit 86L 
Grinewitaoh: *576. 

Grohmann: *788. *784. 
Grosgliek: *990. 

Gröne: *189. 

Gross: Tabes 860 u. *188. 

*575. *782. *987. *1154 
Grosz: *880. *780. *786. 
Functionelle Bulbärparalyae 
1026. 

Grün bäum: Physiologie der 
Hirnrinde bei Amt 217. 
Hirnrinde b. Affen364. *115*. 
Grünberger: *574. 

Gronow: Poliomyelitis ante¬ 
rior 507 u. *188. 

Gnod: *991. 

Gadden: Anatomie des Hn- 
stamias 480. *192. *384. 

*576 

Guerrini: *779. 

Gnibel: *188. 

Guidi: *990. 

Guillain: Hyster. Stottern 48. 
Hysterische Aphasie 94, 
Arterieller Druck bei M» 
kelatropbieen 238. 
Alkoholisauv und Coaapres- 
gionslähmung 239. 
Charcot-MarMTsehe Abt*- 
trophie 47a *188- *57t 
*779. 

Familiäre spastische Psn- 
plegie 903. 


, y Google 


Digitizi 


1167 


Guillain: Syringomyelie 1080. 

Blaaenstörungen bei Syrin¬ 
gomyelie 1082. 

Guülaumin: *990. 

Guinon: Tetanie mit Arthro¬ 
pathie 223. 

Gniny: *781. 

Guizzetti: Pseudobulbärpara- 
lyse 469. 

Chorea 908. *988. 

Gumpertz: *189. *884. 

Gumplowicz: *992. 

Gfirich: *882. 

Gussenbauer: *880. *1164. 

Guthrie: Hemiparese mit Atro¬ 
phie des Tractua opticus 
407. 

Guttenberg: *189. 

Gatannann: (521). 

Baach- and Brastatbmang 
622. 

Sprache Schwerhöriger 677. 
*571. *779. *987. *991. 

Sprachstörungen 1104. 

McGuyan: *883. 

Gnyot: Traumatische Hysterie 

1111 . 

Üabermaas: Prognose der Epi¬ 
lepsie 20. 

Haenel: Syphilis des Central- 
nervensystems 77. 

Tetanieäbnlioh. Krankheits¬ 
bild bei Bleivergiftung 
199. (422). *187. 

Sensibilität der Haat bei 
inneren Krankheiten 594. 
*574. 

Hemiathetose 855. (974). 
(978). (984). (1081). 

Neuronenfrage 1084. (1085). 

Haffner (94). 

Hagedorn: *573. 

Landry'scbe Paralyse 769. 

Hagelstam: Intern ittirendes 
Hinken 768. 

Hahn, E.: (6211. 

Hahn, R.: Empfindlichkeit des 
Mundraums 592. *780. 

Haig: Harnsäure bei Ent¬ 
stehung von Krankheiten 
275 u. *187. 

Haike *571. 

▼. Halban: Juvenile Tabes 821 
u. *188. *575. 

Halber: Stauungsneuritis bei 
Hirnblutung 408. 

Haie: * 188 . 

Haley: *189. * 881 . 

Hall: Mongolismus 224. *781. 

Halliburton: *779. 

Halmi: Epilepsiebehandlung 
829« 

Haltenhöff: *578. *1156. 

Hammerschlag: Abscess im 
Schläfenlappen 639.*! 158. 

Hardenberg: Degeneration 24. 

Hare: *782. 

Harland: *987. 


v. Harlingen *881. 

Hartenberg: Hysterischer 
Jackson 598. *989. 

Hartford: *882. 

Hartmann: *780. *988. 

Hartogh: *189. 

Haskovec: Postotitisobe Hirn- 
affectionen 367. 

Akathkie 966. *189. *882. 
*781. 

Haslet: *191. 

Haug: *571. *990. 

Hauser: Myelitis syphilitica. 
526 *188*189*988 *1154. 

Syringomyelie 1032. 

Haushälter: *781. *987. 

Hawthorne: *879. *779. 

Intracranielle Thrombose 
860. 

Hayashi: *190. 

Hebold: Epilepsie 818. 

Hecker: (1146). 

Hegar: *991. 

Heiberg: *575. 

Hell: *189. 

Heilbronner: Pathologische 
Rauschzustände 272. 

Heim: *192. 

Heits: Jackson’sohe Epilepsie 
526. *198. *988. *990. 

Helbich: *784. 

Heller: *883. *779. 

Hellich: Bau des Rückenmarks 
810. 

Neurome des Rückenmarks 
1088. 

Hellmer: *992. 

Hellpach *991. 

Hemptenmacher: Diabetes 
mellitus syphiliticus 504 
u. *190. 

Hengge: *575. 

Henneberg: Fibromatose des 
Nervensystems 38. 

Lues spinalis 885. 

Hirntumor und Tabopara- 
lyse 518. 

Spiritismus774. *988.(1124). 

Hensen: *571. *672. 

Bulbärparalyse bei Sarco- 
matose 1022. 

Hepner: *192. 

Herbart: *992. 

Hering: Centripetale Ataxie 
640. *878. 

Hermann: *987. *1156. 

Hermann: Meniöre’sche 
Krankheit 173. 

Herschell: *382. 

Hertoghe: Myxödem 226.*381. 

Herz: *989. 

Herzfeld: Rhinogener Stirn- 
lappenabscess 459. *188. 

Herzog: *990. 

Hess: *883. *575. *783. 

Yohimbin 967. 

Hysterisches Irresein 1149. 

Heubner: Hirnarterienlues 502. 
*1158. 


Heveroch: Stereoagnosie 955. 
Hevesi: Epilepsie 827. 

Hezel : Infantile centrale Faeia- 

liül&hmnn g 520. 

Higier: Schweisa bei Polio¬ 
myelitis anterior 507 u. 
*188. *578. 

Hysterie u. Neurasthenie503. 
Spontane Gangrän 1022. 
Hilgermann: *881. 

Hingston: *572, 

Hinsbelwood: *879. 

Hirsch. G.: *987. 

Hinchberg, J.: Pupillenbewe¬ 
gung bei Sennervenent- 
zündung 68 u. *189. *988. 
Hixsehbruch: *881. 

Hirschfeld, M.: Jahrbuch für 
sexuelle Zwischenstufen 
881. *188. *189. *1154. 
Hirschkron *189. 

Hirschl: *678. 

Osteomalacie bei Myxödem 
878 u. 879. 

Hirt: *572. *1155. 

Hitzig: Corticalea Sehen 422 
u. 434. (423). (429). *878. 
*571. *778. 

Gehirn 895. *986. (1081). 
(1088). (1086). *1158. 
Hoche: Richter und Sachver¬ 
ständige 290. *884. 
Statistisches Material 426. 
*575. 

Epilepsie und Hysterie 626. 
Freiheit des Willens 761 u. 
*782. 

Hödlmoser: Arthropathie bei 
Syringomyelie 81. 
Myasthenie 1027. 
Hoeflmayr: *188. *189. 
Neurasthenie 596. 
BeecbäftigungBneuritis 767. 
Hoff: *571. 

Hoffer: *780. 

Hoffmann, A.: Acute Erweite¬ 
rung des normalen Herzens 

523. 

Neuritis hypertrophioa 56 
Tic convmaif 567. 
Faoialiskrampf 567. *188. 
Hoffmann, E.: Meningitis 
syphilitica praeoox 78. *379. 
Hoffmann, E. A.: *881. 
Hoffmann, H.: *571. 
Hofmann: *378. *880. 
Karapher bei Morphium¬ 
entziehung 966. *.<90. 
Holl: *378. 

Holländer: Psychische Hirn¬ 
functionen 515. 

Hollms: *192. 

Holmgren: *187. 

Holmsen: Rückenmarkssarkom 
552. 

Hölscher: Schläfenlappeuabs- 
cess 462. *881. *987. 
Holst: *989. 

Holth: Hysterische 603. 


Google 


1168 


Hamburger: Babinski’seher 
Reflex 151 u. *381. 

Homdn: Schultee’Bche Comma 
314. 

Deforinationen der Schädel¬ 
basis 414. *1158. 

Hönig: *782. 

Höuiger: Stirn h irn gesch Wülste 
857. 

van Hook: *781. 

Hoppe: Psychosen nach Blei- 
intoxication 278. 

Alkohol 277. *388. *575. 
*576. *761. *783. *784. 
*1154. 

Dormiol bei Epilepsie 827. 

Aerzte an öffentlichen Irren* 
anstalten 920. (1085). 

Hoorweg: *986. *987. 

Horsley: *879. 

Huber: *186. Neuroglia 950. 

Huohzermeyer: *780. 

Hudels: *189. 

Hudovernig: *188. *881. 

Supraorbitalreflex 1040. 

Huet: *880. *572. 

Syringomyelie 1081. 

Huismans: *188. 988. *989. 

Syringomyelie nach Lues 
1031. 

Hulst: *575. 

Hunter: *188. *780. 

Hüppe: (988). 

Hurd: *788. 

Huth: *990. 

Huwald: *571. 

Hyslop: *191. 

Ide: Nordseeklima 607. 

Idelsohn: *190. *572. 

Ilberg: Centralnervensystem 
eines syphilit Kindes 67. 

Geisteskranke Brandstifter 
1039. (1084). *1158. 

Illing: *572. 

Imamura: *378. 

Plexus chorioideus 754. 

Imura: *991. 

Othaematom 1119. 

Infeld: Kinderpsychosen 470. 
*575. *779. 

Schlaffe Paraplegie 878. 

Infroit: Achondroplasie 95. 

Invara: *572. 

Ippen: *192. 

Itazu: *991. 

Iwanoff: Symmetrische Exo- 
stoseu 131. 

Hydromyelie 183. 

Verminderte Zurechnungs¬ 
fähigkeit 738. 

Jackson-. *572. *782. *1156. 

Krämpfe 822. 

Jacob: Duralinfu8ion520.*190. 
*382. 

Jacobsohn: Mikroskopische 
Präparate 1122. 

Jacoby: Myasthenie 1025. 


Jaeger-. *188. 

Jaöll: *991. 

Jaenicke-. *574. 

Töne u. Arbeit 1020. 

Jaffö: *780. *781. 
Jahrmärker: Zwangsvorstei- - 
langen 611. 

Jakowenko: (40). 
v. Jaksch: Nervöse Aflfeotionen 
im Manganbetrieb 973. 
(974). 

Janet: *989. 

Janischewsky: Durchschnei¬ 
dung des Corpus oollosum 
278. 

Janowsky: Neuritis arseni- 
calis 968. *990. 

Jansch: *671. 

Jansky: Aphatische Demenz 
1106. 

Janssen: *781. 

Japha: (1121). 

Jardine: Eklampsie 817. 
Jarvis: *188. 

Jastrowitz: (687). (688). 
v. Jauregg: *575. *781. *1158. 
Jeandelue: *781. 

Jeanselme: *578. 

Jelgersma: (282). 

Balkenlose Hemisphäre 284. 
*780. 

Jellinek: Elektricitätu.Chloro- 
formnarcose 964. 
Blitzschlag 1111. *1153. 
Jemma: *190. 

Jendrassik: *189. *1158. *1155. 
Neurasthenische Neural- 
gieen 596. 

Jentsch: Laune 760 u. *782. 
Jery: Traumatische Hysterie 
1111 . 

Jessen: *189, *882. 
Starkstromverl etzungen 
1109. 

Joffroy: (239). (525). *575. 
Johnson: *991. 

Jokarskv: (134). 

Jolly: Kopftetanus mit Facia- 
lislähmung 122. (124). 
Rüokenmarkserkrankung 
nach Wirbelverleteung 
384. (423). (427). (428). 
(429). 

Paitüysis agitans 518. (519). 
(619). 

Rückenmarkstumor 619. 
(709). *571. *574. (1122). 
*1155. 

Jones: Alkoholneuritis 269. 
*189. *571. *575. *990. 
*1156. 1156. *1158. 
Jores: *779. 

Blutgefässe im Gebiet durch¬ 
schnittener Nerven 850 u. 
1068. 

Joseph: *574. 

Joeipovioi: *572. 

Joteyko: Anaesthetioa 179. 
Reactiou des Muskels u. 


Nerven 180. *383. 
*986. 

Joukowski: *987. 

Joukowskj: Hemianopsie 1074. 

Jouve: *780. 

Juliusburger: Firbemethsde 
688. *783. 

Jürgens: *190. 

Juscbenko: *991. *1157. 

Juselius: Chiasmalköoe 229 

Just (98). 

Kaee: (93). (713). *575. *775. 
*783. *991. *1157. 

Kaijser: Beri-Beri 112. 

Hirntumor 358. 

Kaiser: *189. * 882 . *574. *57k 

Kal bäum: *991. 

Kalischer: (121). (6181. *571 

Tetanie 1120. (1121 l 

Kalmar: *674. 

Kalmus: *191. *1157. 

Irrenpflege in Böhmen 171 

Kaplan: Unterricht des Pflege¬ 
personals 558. *384 *576. 

Nervenfärbungen 1061. 

Kaposi: *879. 

Karpinsky: Schlaflosigkeit 28t 

Karplus: Aneurysmen der ba¬ 
salen Hirnarterien 413 a 
*879. *573. 

Karsch: *991. 

Karwacki: Bechterew'scke 
Mittel bei Epilepsie 21 
*380. 

Ksssowite: AJkoholissin* ia 
Kindesalter 268. *574. 
*781. *989. *1155. 

Nahrang u. Gift 983. 

Katte: *991. 

Kattwinkel: Balken nacheer- 
tiealen Läsionen 162 a 
*187. 

Kateenstein: *988. *1155. 

Kausch Sehnenrefleie bei 
Rücken marksq ueriääoe 
165. *379. 

Congenitale Hockstand ia 
Scapula 1102. 

Kawka: (877). 

Kedzior: Hysterie mit Hyper- 
hidrosis 596. *880. 

Keen: *780. 

Keller, R.: Verletzung i» der 
Gegend der unteren OBwe 
bei Katze 11. 

Keller, Fr.-. Bergsteigerin« 
607 u. *192. 

Kekuld v. Stradonite: *575. 

Kellner: *190. 



Kienböck: *190. *380. 
Traumatische Syringooyeh* 
1038. 

Kiernan: *879. 

Kiesow: *187. 
Empfindlichkeit des Mm- 
raumes 592. 


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Digitizt 


1169 


Kingabury: *189. 

Kirch: *882. 

Kirchhoff: *670. 

Mimisches Centrum im Seh¬ 
hügel 898. *992. 

Kirilseff: Osteoarthropathie 
781. 

Kirkbride: *189. 

Kirsch: *991. 

Kirschbanm: Poliomyelitis 
anterior 509. 

Kisch: *782. 

Klatt: *992. 

Klausner: Aetiologie der mul¬ 
tiplen Sklerose 880. . 

Klingmüller: *989. *1156. 

Klippel: *188. 

Kluge: Hydranencephalie 965. 
*987. 

Knapp: Hemianopsie bei 
Eklampsie 817. 

Kneidl: *783. 

Knope: Motorische Kerne spi¬ 
naler Nerven 499. 

Knotz: Pseudobulbärparalyse 
470. *188. *574. 

Koch: Fibromatose des Nerven¬ 
systems 33. 

Tbomsen’sche Krankheit 
771. *988. 

Kocher: Encyklopädie der 
Chirurgie 831. *190. *192. 
*381. 

Hirnerschütterung 685. 

Kodis: *185. 

Koelichen: *188. *1155. 

v. Koelliker: Nervenzellenkern 
im Bückenmark der Vögel 
368 u. *186. 

Koenig: *188. 

Cerebr. Kinderlähmung 868. 

Köhler: *572. *780. *788. 

Fracturen bei Syringomyelie 
1085. 

Kohlbrugge: *778. *986. 

Kohnstarom: *380. 

Nudeus salivatorius 848. 

Kleinhirnpbysiologie 456. 

Speichelsecretion 521. *570. 
*778. 

Sensible Endnerven 1102. 

Kohts: *187. 

Kolb: Bau von Irrenanstalten 
560. *884. *576. *1157. 

Kollarits: *880. *572. 

Kölpin: Induoirte Psychosen 
472 u. *388. 782. 

Kolster*. Vorderhornsellen 268 
u. *187. 

Königshöffer: *989. 

Konstantinowsky: (134). 

Kopczyüski: Syringom. 1186. 

Lues cerebri 501. *782. *987. 

Koplik: Cretinismus 869. 

Köppen: Aberglauben u. 
Geisteskrankheiten 1089. 

Koppius: *189. 

Koppius: Erythromelalgie 677. 

Korczyhski: *576. 


Körner: *571. *989. 

Kornfeld: Angst 611. *578. 
*576. *1157. 

Komiloff: (87). (41). (42). (186). 
Korsakoff: 729. 

Konou: Polyneuritis nach 
Arsenvergiftung 962. 
Kouin^jy *384. *676. *784. 

Kosaka: Secundäre Degenera¬ 
tion nach Zerstörung des 
Grosshirns 355 u. *187 
Köeter: Akromegalie 232. *186. 
Astasie-Abasie 602. *574. 

*778. *990. *1157. 
Chorea 907. 

Bleilähmung 959. 
Kotelewski: Kern des oberen 
Fadalisastes 160. 
Kotschetkowa: Mikrogyrie 400. 
Kovalevsky: *881. *882. *781. 
*1157. 

v. Krafft-Ebing: *881. *575. 
*1156. 

Myoelonische Krämpfe 875. 
Epilept Irresein 877. (984). 
Entmündigung 985. 
Krainsky: Epilepsie 16u. *190. 
Krajewsky: *576. 

Kramer: *881. *1156. 

Polyneuritis 768. 

Kräpelin: (88). 

W achabtheüungen der 
Heidelberger Irrenklinik 
126 u. *192. (128). 
Arbeitscurve 689. (1149). 
*1155. 

Krause, F.: Rückenmarksge¬ 
schwülste 549. (621). *384. 
Krause, P.: *989. *990. 
Krauss: Vererbung von 

Geisteskrankheiten 1147. 
Krehl: *781. *989. (1146). 
Kreide: *675. 

Kretschmann: *989. 

Kreuser: (1128). 

Kreusser: (128). 

Krim: Epilepsie 821. 

Krön, H.: Hysterische Blind¬ 
heit 31. 584 u. 649. *989. 
Krön, J.: Arseniklähmung 980. 
*988. *1156. 

Kronsbein: 8prache u. Schrift 
1108. *1153. 

Kronthal: *778. 

Mittheilungen 1158. 
Krueger: *878. 

Wiederkauen 1102. 

Krug: *782. 

Kufitner: *571. 

Alexie 1105. 

Aphatische Demenz 1106. 
Kuh: *188. *881. 

Kuhn: *190. 

Kühn: *888. *988. 

Küminell: (875). 

Kundt: *782. *990. 

Kure: Neurologie 882. *987. 

Glia u. Gefässe 1017. 
Kurnig: *191. 


Kutta: *989. 
Kyle: *191. 


Itadame: *379. 

Aphasie 678. 

Laehr (516). *884. 

Lagriffo^s 8 4 < ^ &f 5J^ PI ^ 1 n 157 

Classifioation in Psyohia- 
trie 1088. 

Laiguel - Lavastine: Leichen- 
zersetzungen in Hirnrinde 
478. *189. *880. 

Lalanne: *991. 

Lambranzi: *992. 

Lampsakow: *576. 

Lane: *991. 

Langdon-. *190. *1166. 

Langer: *987. *992. 

Langley: Nebennierenextract 

222 . 

Nervenendigungen 811. 

Lannois: (240). *189. *881. 

Lansdown: Sarcorm des Ge¬ 
hirns 361. 

Lapersonne: *571. 

Lapointe: *188. 

Laporito: *992. 

Laquer, B.: Winterkuren im 
Hochgebirge 1098. *1156. 

Laquer (Frankfurt): Schwach¬ 
sinn in den ersten Schul¬ 
jahren 558 u. 1115. 

Therapeutische Verwendung 
dee elektrischen lichtes 
618. *782. *1167. 

Laqueriöre: *783. *1155. 

Laqueur: *882. 

Larger: Geburtslage Degene- 
rirter 870. 

Lamelle: *991. 

Laschi: *576. *992. 

Laslett: *571. 

Lasursky: Muskelbewegung u. 
Blutcirculation 288. 

Latzko: Osteom alacie bei 
Basedow 880. 

Laubry: Schmerzhafte Fett¬ 
leibigkeit 44 u. 475. *571. 

Laudenheimer: Sexuelle 
Zwangsvorstellung beim 
Kind 1147. 

Laurens: Myxödem 229. 

Laurie: Kugel im Hirn 1109. 

Lawdowsky: *570. *778. 

Lazarus: Bahnungstherapie 
der Hemiplegie 520. *880. 
*779. *780. 

Lebovid: *574. 

LecÄne: *879. 

Leegard: Poliomyelitisanterior 
acuta 505. 

Legrais: *574. 

Lehmann: *992. 

Leik: Hysterie der Kinder 
606. *781. 

Leith: Hirntumor 1071. 
Lemaitre: *991. 

Lemberger: *574. 

74 


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1170 


Lemoine: *992. 

Lenhartz: (S7S). 

Lennander: *779. 

Lenoble: Familiäre Krankheit 
95. *188. *989. 
Lenzmann: (988). 
de L6on: *189. 

Leonardo: *788. 

▼. Leonowa: Cyclopie 972. 
(975). 

Leppmann: *884. 

Leich: *988. 

Löri: *780. 

Leroy: *189. 

Lesbre: Hirnblatangen beim 
Pferd 860. 
v. Leabe: (524). 

Diagnose der inneren Krank* 
heiten 872. 

Leren: *881. 

Stiohverletznng des Gehirns 
1150. 

Levi: *780. 

8 tioh Verletzung 1150. 

L4vi: Myopathieen 526. 
Erweichungsherd im Hirn¬ 
schenkel 721. *571. 
Levinsohn: *186. *189. *780. 
Levis: Entmündigung Geistes¬ 
kranker 118. 

L4vy: Luetische Jackson- 
Epilepsie 1067. 

Levy: *570. *571. *782. 
Lewis Allen: *780. 
Lewkowicz: *571. 

Lexer: *881. 

Ley: *883. 

Lhotak: *781. 

Physiolog.Contractur 898. 
Lichtenstein: Cretinismos 869. 
Liebmann: Sprache geistig zu¬ 
rückgebliebener Kinder 
676. 

Sprache schwerhöriger 
Kinder 676. 
Agrammatismus 868. 
Liefmann: *572. 

Myasthenie 1025. 

Liepelt: *989. 

Liepmann: Apraxie 614. (617). 
*379. 

Seelenblindheit 686 (687). 
Lilienfeld: *1157. 

Lilienstein: (972). 

Lindemann: *676 *989. *992. 
Linden: Hirnabeoess 867. 
Link: Myasthenie 688. 

Linke: *578. *788. 

Lion: *190. 

Lipljawski: *190. 

Kuss. med. Rundschau 1080. 
Lipps: *191. *575. 

Litbgow: *880. 

Litterski: *782. *992. 
Ljubnschin: Vorderseitenstr. 
des Rückenmarks 184. 
Paralyse u. Hysterie 725. 
Nearoglia 782. 

Lloyd: *880. 


Loeser: *781. 

Loewenfeld: *781. 

Loewenthal (Braunsohweig) 
(567). *1168. 

Lohrisch: Posttranmatisehe Er¬ 
krankungen des Rücken¬ 
markes 545. 

Lombroso: *192. *884. *674. 
*676. 

Epilepsie 820. *992. 

Lomonaoo: Hypophysis 219. 

Londe: *189. *989.*991.*1166. 

Long: 880. 

Myasthenie 1027. 

Longara: Geisteskrankheiten 
beiGefangenen 175n.*191. 

Longworth: *987. 

Lopatin: Korsakoff 729. 

Lorenz: *881. *1157. 

Lortat-Jaoob: *189. *1166. 

Lovelace: *576. 

Loveland: *571. 

Löwenfeld: Luftkuren 606. 

Löwenthal: Objectire Sym¬ 
ptome der Neurasthenie 
979. *1155. 

Lowinsky: *574. 

Loy-Murgia: *191. 

Lübcke: *578. 

Lucatello: *189. 

Luce: Thomsen’sche Krank¬ 
heit 480. 

Lückerath: Chloralhydratver- 
giftung 266 n.*190. *1157. 

Ludwig: Hessische Provinzial- 
siechenanstalten 30. *383. 

Lugaro: *883. *570. 

Lugiato: *992. * 1 157. 

Lukäcz: Trigeminus-Facialis- 
reflex 147 u. *189 n. *881. 
*574. 

Diplegia facialis hysterica 
601. 

Encephalopathia infantilis 
606. 

de Luna: *573. 

Lundborg: Syringomyelie 81. 
*574. *788. *989. *1157. 

Paralysis agitans n. Myx¬ 
ödem 958. 

Zwangsvorstellnngen 1117. 

Lundmark: Hirnabeoess 870. 

Lunz: Psammom des Gross- 
hirns 40 n. *571. 

Lüth: Hereditäre Lues n. 
Epilepsie 75. 

Luther: *574. 

Laxenburg: Hirntumor 1186. 

di Luzenberger: Epilepsie n. 
Syphilis 76. *191. *884. 

Lazzatto: *578. 

Lydston: Unwillkürlicher 
Urinabgang bei Kindern 
604. *989. 

Lyonne: *880. 

Haass: Exstirpation der Hypo¬ 
physis 222. (711.) 
Mabille: * 881 . 


Mabit: *990. 

Macdonald: *191. *878. 
Macüwaine: *781. 

Macintvre: *992. *1157. 
MacmiQan: *992. 

Macpherson: *191. 

Madden: *884. 

Macpherson: *575. 

Mager: Vasomotorische 
Störungen 678. 

Magill: *782. 

Magnus - Hirntumor 359. *781. 
*1158. 

Magnus-Levy: *572. *1154. 
Magri: *678. *781. 

Magruder: "781 
Mahaim: Prog re ss i ve Par alys e 
324 u. *191. 

Mahler: Tbomaen'aehe Krank¬ 
heit 689 u. 772. 

Mainzer: *878. *784. *1158. 
Majewski: Gehirn ei ms Epi¬ 
leptikers 189. 

Malfatti: *189. 

MaUet: 779. 

Mamlock: Kniereflexe 319. 
Mann: *880. *1154. 

Mannini-. *990. *1156. 
Marandon de Montyel: *186. 
*191. *381. *575. *782. 
*1157. 

Marburg: Bulbus oM a e tsrias 
des Meerschweinchens 256 
u. *878. 

Spinalganglien 315 a. *379 
u. 985. 

Amyotrophische Lateral- 
sklero6e 546 n. 879. *576. 
*779. 

Endarteriitis der Hirngrfisse 

856. *988. 

Pathologie der Hirngefime 
978 

Marchetti: *781. 

Marcos: *991. *1157. 
Marcuse: *381. 

Landry’sche Paralyse 769. 
*784. *990. 

Marenghi: *187. *779. 

Opticusdurchtrennang 611 
Marian: Cocainomanie 867. 
Margulies-. Priedreich’sche 
Ataxie 822. *189. 
Teratom dar Hypophyse 927. 
Mari: *779. 

Mariani: *192. *883. *781. 
*992. 

Marie: Epilepsie and Typhm 
18. (43). (46). 

Spasmus der Angenbewe- 
gungen nach oben 46. 
Myopathie 289 u.*S80. *171. 

*572. *779. *782. *1151 
Etat lacunaire des Gehirn 

857. 

■ rina: Ganglion ciliare 817 
n. *187 u. 661. 

Pupillenreaction bei Coavar 
genz 980. 


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1171 


Marinesco: *570. *571. 
Infantile Hemiplegie 683. 
Spinale Localisation 970. 
(974) *989. 

Markiewicz *188. 

Marlow: *571. 

Maraton: *780. 

Martin: *992. 
de Martiis: *190. 

Marx: *990. 

Marj: *992. 

Masaryk: Alkohol 267. 
Masetti: *571. 

Masi: *384. 

Masoin: *574. *575. 

Massini: *781. 

Mastri: * 882 . *781. 

Mathia: *189. *880. *881. *573. 
Matile: *880. 

Matyäs: *987 

Maupatö: *191. *888. *575. 
*783. 

May: Nerröae Störungen bei 
Keuchhusten 265. *779. 
Umkehr der Zuckungsformel 
849. 

Mayer: *188. *190. *570. 
Mayet: *780. 

Mayor: *192. 

Maya: *881. 

Mazorkiewioz: Geberden- 
aphaaie 1105. 

Mazzioni: *781. 

Medea: Stokes-Adamskohe 
Krankheil 1065. 

Meeoa: *575. *991. *1157. 
Mefodiew: Heterotopien des 
Rückenmarks 141. 

Meige: Tio des Gesichte nnd 
Halses 45. *381. *888. 
Heilung des Tic 608. (721) 
Tic 724. *782. 

Payohe bei Tickranken 914. 
Tic nnd Function 914. 

Tic und Schrift 915. 
Ticbehandlung 915. 
Meinong: *575 
Meitzner: 884. 

Melnikoff: (180). 

Meitzer: *576. 

Melzi: *578. 

Mendel, E.: Geisteskrankheit 
oder -schwäche? 681. 
(711). *788. *992. 

Mendel, F,: *576. 

Kakodylsaures Natron 967. 
Mendel, Kurt: Rückenmarks¬ 
erkrankung nach Unfall 
829 u. *382. 

Infant. Myxödem 618. *1157. 
Mendelssohn: *888. 

Mense: 8ohlafsucht der Neger 
24. 

Mörder: *187. *888. 

Mering: Reoidivirende Oculo¬ 
motoriuslähmung 148. 
Merkena: Iutracranielle Com- 
plioationen der Mittelohr¬ 
eiterung 866. 


Merkena: Sprache beiSchlifan- 
lappenabsceaa 460. 

Merkten: *571. 

Mdry: Cerebrospinalflüssigkeit 
555. 

Mersbaoh: *991. 

Merzbacher: Bewegungen der 
Wirbelthiere 818 u. *187. 

Meschede: Gruppirung der 
Psychosen 976. 

Mettler: *781. 

Metzner: *987. 

Meunler: *780. 

Mewius: *192. 

Meyer, E.: Puerperalpayohosen 
471. *576. *990. *992. 

Meyer, G.: *191. 

Graphologie 665. 

Meyer, Hans: Alkoholnaroose 
899. *882. 

Meyer, L: *888. 

Meyer, Semi: Eisenimpräg¬ 
nation der Neuronbrillen 
811 u. *878. 

Meyerhof: *881. 

Meyera: Akromegalie 281. 

Meyeratein: *988 

Mezincösen: *578. 

Miehallow: *788. *1157. 

▼. Michel: *880. 

Mignot: *991. 

Worttaubheit 1104. 

Milea: Hirntumor 1071. 

Milian: *780. *988. 

Millioud: *991. 

Milk: Hirnrinde und Sensibili¬ 
tät 217. *188. *880. *571 
*1158. *1154. 

Mine: *987. 

Mingazzini: *188. *574. *779. 
*988. *1154. *1157. 

Aphasie 1104. 

van der Minne: *989- 

Minor: (86). 

Nemntherapie 180. 

Groeehirnhernie 134. 

Centrale Blutungen im 
Rückenmark 184. (186). 
*571. 

Hämatomyelie 710. (734). 

Hemiapasmus gloaao-labialis 
1069. 

Minot: *186. 

MiraUiÄ: *782. 

Mislawaky: Zwerchfellnerven 
179. 

Mitchell: *880. *780. *781 
*782. 

Familiäre periodische Läh¬ 
mungen 904. 

Miura: Neurologia 882. *988. 

Möbius: *879. *880. *1158. 

Patholog. bei Nietzsche 967. 

Modica: fron tallappen 1068. 

Moeli: Anstaltabehandlungder 
Alkoholiaten 270. *780 
*990. (1082). 

Mohr: Sehnenphänomen an 
oberen Extremitäten 165. 


Möhring: *189. 

Moll: *676 

Möller: Möniöre’sche Krank¬ 
heit 178. *192. 

Möllers: *190. 

Moltachanoff: CjBticercua des 
Grosshirns 41 

Monakow: Fissura oalcarina 
685. 

Mönokelberg: (94). 

Mondio: *188. *882. 

Mongery: *187. 

Mönkemöller: Combiairte 
Psychoaen 88. *888. *788. 

Deckung eines Erinnerungs- 
Defectes durch HaUoei- 
nationen 1117. 

Monro: Multiple Sklerose 827, 

Hemiplegie mit unwillkür- 
Bewegungen 412. 

Monti: *187. *572. *988. *989. 

Moravosfk: Frühsymptome der 
Paralyse 825 u. *191. 

Morax: *782. 

Mörohen: Dämmerzustände 
474 u. *190. 

MoreU: *880. 

Mosse: Silberimprägnation 
497 u. *186. 

Mott: *879. *1153. 

Allgemeine Pathologie 1080. 

Moulton: *190. 

Moussona: Krämpfe 815. 

Chorea 911. 

Moyer: *190. 

Mucha: Katatonie nach Men¬ 
struation 937. *1157. 

Mügge: *572. 

Muggia: *571. 

Mühlmann: *186. 

Müller, August: Periodische 
Katatonieen 25. 

Müller, F. C.: *187. *571. 

Müller, Jos.: *788. 

Müller, Julius: Trophoneuro¬ 
tische Hautgangrän 521. 

Müller, L.R.: Unterer Rücken- 
markabsehnitt 66. 

Innervation der Blase 456 
u. *187. 

Müller, O.: *573. 

Müller, Richard: Otitkcher 
Hirnabscess 869. *382. 

Munk,H,: Sinnessphären in der 
Grosshirnrinde 216 u.*178. 

Münsterberg: Psychologie 851. 

Munter: *780. 

Münzer: Neuron 971. 

Hirn des Kaninchens 975. 

Neuronlehre 1090. *1152. 

v. Muralt: Nervensystem eines 
Heraioephalen 592. 

Muratoff: (41). (130). Progr. 
Paralyse und Syphilis 
182. (182). (184). (727). 

(728). (783). (777). *779. 

MurawjefF: Nervenstumpfnach 
Durchschneidung 87. 
(137). (727). (777). 


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74 * 


1172 


Murayama; *987. 

Mnriaier: *674. 

Marray: *987. 

Murri: Conjugirte Deviation 
des Kopfes and der Aagen 
408. *674. *1164. 

Maskat: Hysterische Skoliose 
600. 

Moskens! (282) Läsionen des 
Kleinhirns 288. 

Intracranieller Druck 402. 
*1154. 

Matterer: *781. 

Mygind: *578. 

Saab: *782. 

Nücke: Plötzliche Aufhellung 
des Geistes 84. 

Richter and Sachverstän¬ 
diger 886. 

Unterbringung geisteskran¬ 
ker Verbrecher 681. *888. 
*884. *575. *788. *1157. 

Innere somatische Ent- 
&rtang8ieichen 870. 

Nagel: *191. *781. 

Nalbandoff: Scoliose bei Syrin¬ 
gomyelie 1033. 

Nardi: *779. 

Nartowski: Gangrän aof lue¬ 
tischer Basis 80. 

Thomsen'sohe Krankheit 
771. 

Nathan: *382. 

zur Nedden; *989. 

Nefedow: 187. *189. 

Negro: Paralysis agitans 956. 

Nefsser: *884. 

Periodische Psychosen 919 
u. 922. (921) (986). *991. 
*1155. 

Nömeth: Simaliren von Geistes¬ 
krankheiten 870. 

Neabaaer: Osmiumschwär- 
zung 981. 

Neubeck: *990. 

Neuburger: *781. 

Neuda: Dupnytren'sche Con- 
tractur 763. 

Neagebaaer: *780. *991. 

Neumanu, E.: *186. 

Neamann, H.: *990. 

Neamann, M.: *192. 

Neamann, S.: *784. 

Neamann: (Karlsrahe) Volks¬ 
heilstätten för Nerven¬ 
kranke 1126. (1130). 

Neutra: *189. 

Nevt: *781. 

Newmann: *987. 

Newratzki: *992. 

Nicoll: *780. *988. 

Nissen: Tumoren der Vier¬ 
hügelgegend 862. *188 

Nissl: Hysterische Symptome 
bei einfachen Seelen¬ 
störungen 89 u. *882. 

Glia nnd Gefissapparat638. 

Progressive Paralyse 1151. 


Nistioo: *987. 

Nitsche: *779. 

Noguös: *990. 

Nonne: Syphilis und Nerven¬ 
system 116. (374) u. *190. 

Paraplegie nach Pneumonie 
622. *779. *987. 

Myotonische Convergenx- 
trägheit lichtstarrer 
Papillen 1000. 

Nordijk: *571. 

Normann: *883 

Norris: Doppelseitige cortioale 
Hämorrhagie 407. 

Nose: *887. 

Nothnagel: *779. 

Noyes: *189. *1157. 

Nozum: *382. 

Oberbeck: *788. 

Obersteiner: Stratum sub- 
callosam 214 a. *378. 

Porenoephalisohes Gehirn 
457 u. *879. 

Naptiales Irresein 471. *570. 
*575. (876). (878). 

PorenoepWie 924. (970). 
(974). (984). 

Oberthür: Friedreich’sohe 
Krankheit 724. *781. 

Microcephalie 868. 

Obici: *187. *883. 

Obrastzoff: Arsenicalparalyse 
279. 

Oddo: *881. *578. *781. *1156. 

Familiäre periodische Läh¬ 
mung 902. 

Chorea 910. 

Okada: *988. 

Olih *784. 

Oltoszewski: Sprachstörung 
867. *783. *991. 

Onödi: Centrale Innervation 
der Kehle 455 u. *570. 

Onuf: *879. Sjmpathicus 662. 

Ophfils: Menmgo-myelitis 
1085. 


Oppenheim: (122).(388). 
Prognose der Hirnkrank¬ 
heiten im Kindesalter 405. 
(516). (519). (616). 

Tabes 617. (619). 
RQckenmarkstumor 619. 
(621) u. *880. *574. *779. 
*990. (1122). (1124).*1154. 
*1155. 

Oppenheimer: *878. 

Oppler: *572. 

Orlipaki: *782. 
d’Ormea *190. *888. *778. 
Epilepsiebehandlung 829. 
microcephalie 867. *990. 
Ornuf: Vorderhornsellen 950. 
Ott: *783. 

Acute Psychosen 918. 
Osborne-. *992. *1164. 
Ossipow: Lumbalpunction 555. 
Osswald: *882. *991. 
Ostmann: *879. 


Oswald: Products aas dar 
Schilddrüse 218. *1155. 
Ottolenghi: *570. 

Ovazza: *678. 


Fadouotti: *188. 

Packard: *189. 

Pactet: *384. *576. 

Paetz: Irrenanstalt Alt-Seher- 
bitx 514. 

Pagaw: *572. 

Page: *779. *1153. 

Pagniez: *575. 

Painter: *189. 

Päl: Opium u. Morphin SSt 
*881 

Paldrock : *190. 

Paltauf: Porencephaüe 1064. 
Pändy*. *188. *572. *992. 
Panse: *186. *187. *191. 

Schwindel 679. 

Pansini: *188. *880. *781. 
Patiski: Myelitis nach Kohles- 
ozydvergiftung 242. 
Erb’sche Lähmung 766. 
Intermittirendee Hinken <64. 
Polyneuritis 766. 
de Paoli: Deviationen da 
Wirbelsäule neurotisches 
Ursprungs 599. *1154. 
Papin: *878. 

Parbon: Röcken marksloeab- 
sation 541. *780. *781. 
*986. *988. *1158. 
Paravidni: *987. 

Pardo: *989. 

Parinaud: (45). (47). 

Park: *187. 

Parker: *782. 

ParneU: *884. 

Parnisetti: *192. 

Pasquini: *782. 

Pastrovich: *186. *779. 
Patella: *882. 

Patrick: *190. *191. *572. 

Myasthenie 1025. 

Patrixi: *986. 

Pauchet: Epilepsie u. Trepa¬ 
nation 22. 

Paul: *578. 

Cortioale sensorische Css- 
tren 897. 

Pauly: Gastrische Krisen hd 
Syringomyelie 1085. 
Paaret: *881. 

Peaoocke: *382. 

Pearoe: *188. *190. *578. 
Päehin: Lues cerebri 502 «. 
*882. 

Pedaschenko: * 186 . 
van Päe: *782. 

La Pegna: Riesen zellen im 
Rückenmark 811 u. *186. 
Pdpers: Consanguiaitätia dw 
Ehe 82 u. *187. 

Pellizzi: *187. *380. 

Pelmsn: (426). (427). *884. 
*576. 

Pelnar: *779. *1158. 


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1173 


Pelon: *673. 

Penta: *884. *1167. 

Peretti: (426). 

Peritz: *780. 

Perrero: Heraimelie 600. *1154. 

Perrim *881. 

Polyneuritis 764. 

Perroncito: *187. 

Personali: *780. 

Pertouschin: Bulbärsymptome 
bei einseitiger Binden- 
affection 140. 

Peters: Aogenhintergrand bei 
Pneumonie 72. 

Pathologie der Linse 72. 
*991. *1155. 

Peters, B.: Rückenmark bei 
hereditär - syphilitischen 
Neugeborenen 74. *991. 

Petit: Kohlenoxyd Vergiftung 
964. *990. *1157. 

Petrön: *778. 

Hantsinne im BQckenmark 
1018. 

Petroff: 'Multiple Sklerose u. 
Dementia paralytäoa 881. 

Pfahler: *571. 

Pfandler: *988. 

Pfeusler: *788. 

Pfister: *676. (1184). 

Gutachten 871. *1157. 

Phelps: *570. *778. 

Philippe: Acute senile Ence¬ 
phalitis 723. (724). 

Fnedreich’sche Krankheit 
724. 

Philippi: Spastische Contrac- 
tion des Oesophagus (hy¬ 
sterisch) 371. 

Philips: Progressive Muskel- 
atrophie 509. 

Philipps: *572. 

Pick, A.: *188. 

Initiale Erscheinungen der 
Paranoia 2. 

Epilepsie 18. 

Agrammatismus 409. 

Subcortiale Herdaffectionen 
u. senile Hirnatrophie 409. 

Tetanie 678. 

Neurasthenie 593 u. *381. 
*888. *572. *575. *989. 

Echolalie 921 u. 1106 (922). 
(984). 

Apraxie 994. 

Pick, Priedel: Temperatur- 
sinnsprüfun^ 974. 

Pickett: Infraspinatusrefiex 
1148. 

Picquö: *192, *384, *992. 

Piotogikowski: *782. 

PieraUini: *881. 

Pieri: Epilepsie 820. 

Piöron: *888. *991. 

Pierson: Entmündigung 1086. 

Pietrzikowski: *190. 

Pilcz: *187. 

Function der Pyramiden 542. 
*192. *388. *1156. *1167. 


Pilcz: Myxödem. Irresein 876. 

Eleotrisehe Unters, an 
Geisteskranken 970. u. 
1114. 

Piltz: Pupillarsymptome 69. 

Centrale Augenmuskel- 
nervenbahnen 482. *778. 

Paradoxe Pupillenreaction 
939. 1012. 1054. *1154. 

Pfizer: *882. 

Pineies: (927). *1155. 

Pini: *578. 574. 

Piorkowski: *574. 

Piquö: Chirurgie bei Geistes¬ 
kranken 237. 

Pischel: *189. 

Pisujatschewski: Katatonie 
776. 

Pitres: *190. *578. *988. *989. 

Pittaluga: *989. 

Pizzoli: *992. 

Pjewnitzki: Gehirn Verände¬ 
rungen bei Malaria 1021. 

Placzek: *188. 

Pietrzikowski *882. 

Plevsianu: *989. 

Pobiedin: *991. 

v. Poehl: Klysmen mit pby- 
siolog. Salzlösung 523. 
*190. 

Pol: Epileptischer Dämmer-■ 
zustand 20. 

Polenow: Pseudobulbäre Läh¬ 
mung 188. 

Pollak: Criminal oder Irren¬ 
haus? Trinkerasyle 271. 

Pontoppidan: *992. 

Popieuki: Beflexcentrum für 
Pankreas 161. *878. *778. 

Popoff: Medullarataxie u. 
Hysterie 788. 

Polyneuritis 765. 

Popper: *188. 

Porter: *188. 

Portogliotti: *575. *991. *992. 

Posey: *989. 

Postowsky: (184). (182). 

Koraakoff 729. 

Potts: *780. 

Poynton: Erysipel 265. 

Prätorius: *991. 

Prati: *888. 

Predtetsohenskij: (782). 

Pregowsld: *991. 

Preobrajensky: Bulbärer Te¬ 
tanus 184. (136). 

Chorea minor 182. 

Nervensystem bei Anämia 
perniciosa acuta 727. 

Psychopathische Litteratur 
780. 

Subcorticale Alexie 784. 

Prescott le Breton: *989. 

Pribytkoff: (784). 

Prinoe: Babinski’scher Reflex 
167. 

Misses Beauchamp (gespal¬ 
tene Persönlichkeit) 612. 

Priszner: *988. 


Prissner: Myasthenie 1025. 
Pritcbard: *989. 

Probst: Balkenloses Gross¬ 
hirn 12. 

Hinterhauptlappen 64. 
Centrale Behosern 64. 
Motilität 259. 

Kleinhirntumor 464 u. *880. 
*572. *778. *987. *1158. 
Prochäzka: *571. 

Prölls: *190. 

Pront: *189. *779. 

Prus: *188. 

Puglia: *992. 

Pugliese: *570. 

Punlmann: Seekrankheit 680 
u. *574. 

Pulawski: Poetpuerperale Ent¬ 
zündung der nervösen 
Plexus 767. *989. 
Punton: *187. 

Pussep: Coitus u. Blutcirou- 
lation im Gehirn 286. 
Myxödem: 288 
Huucentren der Erection 
des Penis 1019. 

Putnam: *188. *882. 
Jackson’sche Epilepsie 825. 

Ruaet- Faslern: Uni vereitäts- 
poliklinik zu Göttingen 
717. 

Quensel: *574. 

Psychische Erkrankung der 
Bleivergiftung 960. 
Querton: *575. 
de Quervain: Encyklopädie 
der Chirurgie 381. 
Quincke ■. Athyreosis224.*l 154. 

Rabaud: *778. 

Babert: *574. N 

Chorea 906. 

Babow: *784. 
v. Bat: *881. 

Acute umschriebene Oedem 
823. 

Radtke: *882. *782. 

Baeoke: Hysteriefrage 299. 
Progressive Paralyse 824. 
Hypochondrie 424. 
Hysterischer Dämmerzu¬ 
stand 609. *888. *578*990. 
Bailliet: Parasitäre Affection 
der Medulla oblongata 466. 
Baimann: *575. *1156. 
Hedonal 875. *788. (972). 
Polioencephalitis 976. 
Baimund-Tschinkel *187 
Ramnel: *879. 

Bamön y Cajal: Feinere Bau 
des Nervensystems 452. 
*878. *570. *986. 
Bansohburg: *191. *1156. 

Illusionen 1062. 

Bansohoff: *379. *8ö3. 
Erweichung in der Brücke 
861. 

Bapin: *381. 


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1174 


Basumowsky: *782. 

Cortic&le Epilepsie 824. 

Rauchstein: *192. 

Rausch: *778. 

Raviart: *788. 

Raw: *788. *1167. 

Raymond: Polyneuritis 170. 

Nervenkrankheiten (Vor¬ 
lesungen) 176. 

Angeborenes Zittern 288. 

Hemiplegie u. Störung der 
associirten Angenbe¬ 
wegungen 411. (478) u. 
*379. (480). 

Oedem bei Hysterie 524. 
*880. 

Acute senile Encephalitis 
728.*571. ■*572. *779. *987. 
*988. *989. *990. 

Rayner: *992. 

Reckzeh: Nervöse Tachypnoe 
608. 

Redlieh: Stratum subcallosum 
214. 

Cerebrale Hemiplegie 406. 
(640). *571. *578. 

Ponstumor 876. (878). 

Rögis: Toxisch-infectiöse 
Delirien 275. *578. 

Regnier: *578. 

Reich: *882. *986. 

Herstellung histologischer 
Präparate 647. 

Epilepsiebehandlung 829. 

Reicnard: *884. 

Reichardt: *782. 

Chorea 909. 

Reichert: *878. *990. 

Reinert: (1146). 

Remak: (128). (517). (519). 
(618). (621). (1122). 

Remlinger: Multiple Sklerose 
327. 

Römond: Classification in 
Psychiatrie 1088. *1157. 

Rencki: *880. 

Uende: *991. 

Rennie: Cyste der Stirngegend 
857. 

Rönoo: *882. 

Chorea 913. 

Repmann: (782). 

Respinger: Destruction der 
5. Cervicalwurzel 899. 

Pseudospastische Parese 
mit Tremor 1112. 

v. Reusa: *989. 

v. Reuss: Icterus u. nervöse 
Erscheinungen 19. 

Wandlose GehirncyBten 856. 

Reuter: *880. *1154. 

Revaut: Cerebrospinalfllssig- 
keit 554. 

Reverdin: *780. 

Revingtou: *576. 

Rey: Pavar nocturnus 14. 

Rhein: *188. *780. *781. *988. 

Ribbert: *571. 

Richard: *578. 


Richter, C.: *671. 

Riedinger: *678. 

Riegner: *879. 

Rigg«: *192. 

Hereditäre Chorea 912. 

Riis: Myxödem 227. 

Risch: *779. 

Ritter: *882. 

Robert: *781. 

Roberts: *189. *578. 

Robertson: Einseitige Halluci- 
nationen 26. 

Progressive Paralyse 826. 
*882. *388. *576. *1154. 

Robinowitsch: *388. *1157. 

Röchling: *781. 

Rodari: *884. 

Rodrigues: Massenpsychosen 
175. 

Rohleder: *788. 

Rolly: *780. 

Kiadlicber Rücken bi arks- 
canal 958. 

Roncoroni: *191. *388. 

Nervenzellen u. marklose 
Fasern 755. 

Psychoneurosen 778. *778. 
*990. 

Rorie: lufluensapsychose 29. 

Rose*. *781. 

Progressive Muskelatrophie 
nach Trauma 547 u. *190. 

Rosen hach -. *192. 

Rosenberg: *888. *987. 

Rückenmark nach Unter¬ 
armamputation 742. 

Rosenfeld, M.: Temperatur- 
sinn bei Syringomyelie 81. 
*781. *988. 

Raynaud u. Sklerodermie 
*976. *1158. 


RoBenmann: (988). 

Rosenthal: Hedonal 188. *1156. 
Rosin: *778. *1162. 

Boos: *881. 

Rossolimo: Recidivirsnde 
Fadabsparalyso 86. (40). 

Erneuung 180. 
Thomsen’sehe Krankh. 135. 
Gastrische Tetanie 136 u. 
194. *880. 

Koreakoff 729. (784). *574. 
*988. *1154. 

Roth: (88). (41). (42). 
Wirbelsteifigkeit 180. 
Progressive Muskelatrophie 
180. (184). (186). (188). 
(727). (728). 

Koroakoff'a Bedeutung 729. 
Atrophie Aran - Duchenne 
780. (782). *574. 
Rothberger: Curare u. Physo¬ 
stigmin 12. 

Rothmann: *186. *187. 
Function der Pyramiden 542. 

(618). *379. *571. *779. 
Spinale Athmungsbahnen 
850. (971). (974). (976). 


Rothmann: Experimentes* 

Ausschaltungen der moto¬ 
rischen Functionen 977. 

Rothschild-. Infantile Sypktfis 
504. 

Roubinowitsch: *782. 

Rouby: Testaneate der Para¬ 
lytiker 826. *989. *1155. 

Roudnew: *991. 

Roux: *989. 

Rovere: Progressiva Mnskri- 
atrophie 507 a. *188. *780. 

Rowlands: *379. 

Rows: *572. 

Roy: *880. 

Bulbärparalyse 1022. 

Bossavölgyi: *571. 

Bubinato: *570. 

Budinger: *578. 

Polyneuritis der Hirnaerraa 
766. 

Budolph: *783. 

Buge: *784. *1153. 

Rumpf: *187. 

Entartungsrenetion 757. 

Russow: Myxödem 228. 

Ruth: *780. 

Rüther: *992. 

Rutherfurd: Schläfenlappon- 
abscen 460. 

Le Rütte: (282). 

Landwirtschaft a. Inen¬ 
pflege 288. 

Ruysch: (283). 

Rybakoff: (732). 

Ryb&lkin: Jaekson’sehe Epi¬ 
lepsie auf syphilitis ch* 
Basis 75. 

van Rymberk: Hypopbyris 219. 

Rzetkowski: Thomseu'sehs 
Krankheit 771. 

Sabbatani: *187. 

Sabrazös: Blut bei SyphiEa, 
Tabes u. Paralyse 505 a. 
*880. 

Sachs: Dystrophia muscakxm 
progressiva 511. *88L 

Sacquöpöe: Cerebrospinale 
Flüssigkeit bei Epikpris 
129. 

8 adkowaky: *784. 

Sadolio: *573. 

Saenger: Intermittirsodw 
Hinken 91. (94). *18& 
*578. *1154. 

Neurasthenie a. Hysterie 
bei Kindern 604. 

Raynaud'sche Krankheit 
623. 

Myotoniache PnpiUenbe- 
wegung 887 s. 1187. 

Neurologie des Auges 1079. 

Sailer: *189. *779. 

Saintenoke: *788 

Sainton: *189. *1155. 

Saiut-Panl: *571. 

Sakaki: *990. 

Sakijewa: *187. 


Google 


Digitiz« 



1175 


Sala: *990. 

Sala$hi: *987. 

Salgo: Functionelle Psychosen 
des Greisenaltera 866 u. 
. 1089. *991. *992. 
Salomonaohn: Ophthalmo¬ 
plegie exterior 32. (121). 


Salomonson: Hysterische 
Hüfthaltung mit Skoliose 
600. *379. 

Salvant: Delirium tremens269. 

Samojloff: *991. 

De Sanctis: *191. 

Sand: *573. 

Sander (Frankfurt): Acute 
Erregungszustände 125 u. 
*192. 

Sano: Progressive Atrophie 
nach Trauma 547. 

Sante de Sanctis: Vemeinungs- 
ideeen 28. 

Saporito: *576. *783. 

v. Sarbö: Luetische Plexus¬ 
neuritis 79. 

Mäniäre’sche Krankheit 174 
u. *191. 

Spinale Maskelatrophie nach 
Bleivergiftung 510. 

Dystrophia musc. progr.511. 

Amyotrophische Lateral- 
sklerose 530. *780. 

Sauerbeck: *188. 

Sauermann: Trunksucht 269. 

Sawada: *187. 

Saxer: *988. 

Scagliosi: *570. 

Scappucoi: *187. 

Schacherl: Clarke’sche Säule 
312 u. *378. 

Schächter: *382. 

Schaefer: *575. *576. 

Schäfer: Epilepeiebehandlung 
5 u. *882. 

Posttraumatische Bücken- 
markserkrankungen 982. 

Schaffer: Paralytische Binden¬ 
degeneration 54. *388. 
*575. 

Cerebrale Hemianästhesie 
1004. 

Schäffler: *881. *578. 

Scbataloff: Classification der 
Nervenkrankheiten 728. 

Schaternikoff: *879. 

Scbeiber: Ciroul. Irresein 83. 

Scheidl: *571. *779. 

Scherb: Nervenkrankheiten 
bei syphilitischen Arabern 
478. *880. *1155. 

Scherbatscheff: *192. 

Scherer: *782. 

Parrot’sche Pseudoparalysen 
1066. 

8 cherf: *784. 

Schiassi: *780. 

Schiff: Mvelitisbei Typhus 268. 

Schiffmacher: Sporadischer 
Cretini8mus 228 u. *191. 


Schilling: Chorea chronica 912. 

Sohirmer: *572. *780. 

Schlagenhaufer: Endotheliom 
des Rückenmarkes 551 u. 
*379. 

Sohleich: *571. 

Schlesinger, H.: Syringo¬ 
myelie 84. 

Paralysis alternans 410. 
*571. *1155. 

Sehlittenheim: *573. 

Schlodtmann: *987. 

Schloffer: *189. 

Schlöss: *190. *788. (921). 

Nahrung u. Epilepsie 922. 
(928). 

Alkoholabetinenz in Irren¬ 
anstalten 984. 

Schmidt, A.: Gliomatoee des 
Rückenmarkes 35. (1081). 

Schmidt, F.: *575 *1154. 

Schneider, H.: Babinski’scher 
Reflex 167. 

Schnitzer: Diätetische Be¬ 
handlung der Epilepsie 
808. *1156. 

Scboeler: *989. 

8 cholz: *784. *988. 

Scholxe: *190. *990. 

Schönborn: *572. 

Reflexe der unteren Körper¬ 
hälfte 762. 

Schönwerth: *880. 

Sohony: *990. 

Schott: *573. 

Schröder: Katatonie im hö¬ 
heren Lebensalter 638. 
*576. 

Schroeder: *382. 

v. Schrötter: Färbungsmethode 
888 u. *570. 

Rückenmark bei Pemphigus 
524. 

Marksoheidenfärbung 660 
u. *778. 

Schüle: Katatonie 25. (127). 
(428). (429). *575. *1155. 

Alopecie u. Neurofibrome 
der Haut 626 (1129). 

Sohuler: *882. 

Bleivergiftung bei Blatt¬ 
stichwebern 962. 

Schüller: Eifersuchtswahn bei 
Frauen 175. 

Nucleus oaudatos d. Hundes 
898 u. *570. (875). *1155. 

Schultes: *781. 

Schnitze, B. S,: Gynäkologie 
in Irrenhäusern 684. *788. 

Schnitze, E.: Entmündigung 

120 . 

Gerichtl. Psych. 871. *788. 

Schnitze, F.: Hysterische 
Taubheit 597. 

Schnitze, Fr.: Sehnenreflexe 
bei Bückenmarksdurch- 
trennung 167. *881. *576. 

Geschwülste der Rücken- 
markshäutc 684. 


Schnitze: Zunge bei Tetanie 
634. 

Schulz: *882. 

Chorea 908. 

Sohumann: *991. 

Schümm: *187. 

Entartungsreaction 757. 
Schuppe: Leib u. Seele 669 
u. *575. 

Schupter: *188. *988. 
Schürenberg: *989. 

Schuster: (124). 
Hirnrindenafiection (Faci- 
aliskrampf) 832. *988. 
( 1122 ). 

Schuster (Aachen:) *190. 
Sohütz: Untere Längsbündel 
885. 

Schütenhelm: *988. 

Schwabe: Polyneuritis nach 
Kohlenoxydvergiftung 
172. 

Sohwalbe: Carminfirbung 11. 
*878. 

Hirnrelief der Aussenfiäche 
de« Schädels 568. 
Carminfärbung 591. 
Schwarz: Ponserkrankung 410. 
Paralysis agitans 410. 
Dystroph, museal. 512. 
Poliomyelitis ant. 512. 
Polyneuritis mit Glycosurie 
512. *187. *879. 
Schweizer: *992. 

Sohwerdt: Seekrankheit 680. 
*574. 

Schwiening: *574. 

Sciamanna: *988. *1154. 
Sciuti: Tabes 816u.*188.*778. 
*986. 

Scotti: *788. 

Söe: *781. 

Seeligmüller: *782. 

Chronische Bleivergiftung 
960. 

Seemann: *987. 

Seidelin: *781. 

Seifert: *782. 

Unfallhysterie 1088. 

Sega: *780. 

Söglas: *783. *990. *991. 
Seuer: Antipyrinintoxioation 
964. *990. 

Seliger: *187. 

Seil: Colonie f. Epileptiker 21. 
Semaire: *779. 

Semidaloff: Athemkrampf bei 
einer Geisteskranken 89. 
Delirium acutum 181. *888. 
Senator: Familiäre progressive 
Muskelatrophie 510. (621). 

Ä li: *782. 

y: (184). (727). 
Korsakoffs Bedeutung 729. 
(784). (777). 

Sörieux: *991. 

Worttaubheit 1104. 

Seydel: *788. *1156. 

Sfameni: *187. *1158. 


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1176 


I 

i 


Shaw: *788. *991. *992. 

Sherman: Polioencephalomye- 
litds 405. 

Sherrington: Hirnrinde bei 
Affen 217 u. 854. *186. 
187. *570. *1158. 

Shirree: *879. *570. 

Porencephalus 1065. 

Shoyer: Spinalsyphilis 79. 

Sibbald: *575. *576. 

Sibeline: Entwicklungsstö- 
rungen der Spinalgang¬ 
lienzellen 315. 

Sicard: *571. *990. *1156. 

Sickler: *881. 

Siefert: *779. *788. 

Siegert: Myxödem 225. 

Siemens: (426). (427). 

Siemerling: *191. *384. *576. 

Psychiatrische Klinik in 
Tübingen 778. 

Sievert: *191. 

8ikkel: 988. 

Silberstein: *384. *1155. 

Silfvast: Abscess des Bücken¬ 
marks 553. 

Silvestrini: *572. 

Simerka: N. accessorins 
Willisii 958. 

Simionesco: Schmerzhafte 
Fettleibigkeit 476. 

Simon: Hysterische Mono¬ 
plegie 601 Tic. 915. 

Simonim: *189. 

Simonsohn: *576. 

Sinclair: 987. 

Singer: *780. *782. 

Famil. period. Lähm. 905. 

Krämpfe 822. 

Sinkler: *380. 

Sion: Pellagra 770. 

Sippy: *780. 

Skalioka: *779. 

Sklarek: *383. 

Balkenmangel 707. 

Skoczynski: Familiäre Er¬ 
krankung 121. (122). 

Slavik: *782. 

Smidt: Kakodylsäure-Thera- 
pie 293. *378. *576. 

v. Smirno: *186. 

Smith: Herzontersoohnng 128. 
*384. 

Mumificirtes Gehirn 848. 

Behandlung d. Alkoholisten 
1180. 

Snell: Irrenhülfsvereine 718. 
*992. 

Sobolewsky: Aderlass u. Blnt- 
circulation im Hirn 288. 

Soca: *380. 

v. Sölder: Corneo-mandibolar- 
reflex 111 u. *381. 

Kohlenoxydlähmung 965. 

Soler: *992. 

Sold y Fora: *992. 

Sollier: *188. 

Solovzoff: Spina bifida 180. 

Solowjew *989. 


Soluoha: Tic convnlsif 285. 

Paranoia sexualis 287. 
Sommer: Hydrocephalus u. 
Kleinhirntumor 465. 
Psychiatrische Klinik 474 
u. *383. *570. *1156. 
Gehen auf dem Wasser 757. 
Sontzo: *574. 

Sorgente: Multiple Sklerose 
327. 

Sorgo: Vierhügeltumor 642. 

698.748 u. 806.*988.*1154. 
Soukhanoff: *781 *1153*1157. 
Intracelluläres Netzwerk 
1061. 

Soupault: Toxische Polyneu¬ 
ritis 767. 

Souques: *574. 

Spaaa: *570, 

Spasoff: *191. 

Speiser: *884. 

Spieler: Lipom der Vierhügel- 
gegena 863 u. *380. 
Spielmeyer: *571. 

Encephalitis 862 . 

Spiethoff: *989. 

Spiller: Malaria mit Symp¬ 
tomen der multiplen 
Sklerose 328. 

Polioenoephalomyelitis 405. 
Postapoplectische Hemi- 
hypertonie 412. 
Ventro-lateraler Pyramiden¬ 
strang 534. *189. *379. 
*571. *778. *779. *781. 
Fehlen beider Augen 899. 
Spiridonow: *880. 

Spitzka: Degeneration 512 u. 

*379. *384. 

Spratllng: *782. *990. 
Springthorpe: *788. 
Stadelmann: Acromegalie229. 
*990. 

Schulen für nervenkranke 
Kinder 1131. 

Stalker: *190. 

Stamm: *571. 

8tarck: *779. 

Starling*. Innervation des 
Darms 455. *379. 
Starlinger: *191. *192. 
Schlittenmikrotom 87 7.*7 84. 
Tuberculose u. Irrenpflege 
921. (922). (928). (986). 
Steding: *990- 
Steele: *189. 

Stefani: *570. 

Stefanowska: Dendriten der 
Hirnzellen 178. 
Anaestbetioa 179. 

Steffens: *382. 

Stegmann: *987. 
Suggestivbehandlung von 
Trinkern 1088. 
de Steiger: *880. 

Stein: Larynxneurosen 608. 

*572. *576. *1165. 
Steindler: *378. 

Hintere Marksegel 1101. 


Steiner: *878. 

Lnfraspinatusreflex 840. 
u. 1148. *989. *1154. 

Steinert: *989. 

Steingieeser: *575. 

Steinnaus: *988. 

Steinhaosen: Hysterische 
Ovarie 596. 

Steinitz: Plötzliche AufheHng 
des Geistes 84. 

Steinthal: (1135). 

Stekel: 970. 

Stembo: *881. *576. 

Stenger: Otitiseber Hirn- 
absoees 369. 

Stenitzer: *988. 

Stephenson: *988. 

Stern: *192. *879. *883. 

Psychologie der Aussage 
769. 

Sternberg: Geschmack u. Che¬ 
mismus 812. 

Nerven bei Tuberculose m- 
senilem Marasmus 879. 
(923). (973). 

Physiologie des Central- 
nervensystems 974. 

Sterz: (921). (922). (986). 

Sterzi: 779. 

Stewart: Puerperale Polyaes- 
ritis 169. 

Traumatische Rücken mark»- 
läsion 544. *576. *378. 



gegend des Rückenmarks 
747. *780. *986. 

Stier: *575. *576. 


Huntington'sche Chorea 910t 

Stile: *575. 

Stilling: Gesichts Vorstellungen 
415. *381. 

Stintzing: *189. 

Stoddart: *572. 

Stolper: *191 *380. 

Syringomyelie 1082. 

Storch: *878. *879. *882. 

Bewusstsein 667. *578. *575. 
*778. *782. *788. *986. 

Störring: Psychopatbolog.951. 

v. Stradonitz: Degeneration 
der Habsburger 917. 

Stransky: *186. *788. 

ZerfalLsprocesse am peri¬ 
pheren Nerven 978. 

Paraffinöl 985. 989. 

Strasburger: Pupillentrigbeit 
738 u. 1052. *988. 

Strasser-. *573. 

Strassmann: Traumatische 
Psychose 708. *1156. 

Sträussler: BfickenmarkszeUea 
nach Besection peripherer 
Nerven 497 u. *379. 

Missbildung des Central- 
nervensystems 972. 

Stromayer: *187. 

8trohmayer: Erblichkeit 236. 
*779. *1155. 


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1177 


8 trohmayer: Subcortieale wb- 
sorische Aphasie 10T5. 
Epilepsie u. Migräne 1066. 
8 trominger: *781. 

Strözewski: Hysterische Stö¬ 
rungen 601. 
Rückenmarkslues 1069. 
Ströbing: *381. 

Stamme: *988. 

Strümpell: Tibialisphinomen 
648 u. *189. *382. 
Struppler: Capillarhämor- 
rnagien im Hirn 411. 
Starnberg: *672. *573. 

Stybr: *382. 

Subotic: *575. 

Suohanoff: Endoceliuläres Netz 
Oolgi’B 729 u. 777. 
Suehier: *381. 

Suokstorff: *780. 

Sudeck: Trophoneurotische 
Knochenatrophie 372 u. 
1112. (877). 

Sogar: Gehirn Szilagyi’s 397. 
Sullivan: *383. 

Sonda: *783. 

Swan: *379. 

Sweet: *987. 

Swientoehoweki: *990. 
Switalsky: *188. 

Szäszy: *574. 

Szenes: *578. 

Sztahovzky *990. 

Secundär luetische Nerven- 
krankheiten 1067. 
Sznman: *573. *1155. 
Amnestische Aphasie 1075. 

Takamine: Nebenniere 756. 
Tamborini: *991. *992. 

Tange: *572. 

Tanzi: *191. 

Halloeinationen 682. *987. 
Tarnowskaja: Mörderin 1117. 
Tarnowsky: *191. 

Taschido: *673. 

Tattersall: *990. 

Tavel: *381. 

Taylor: *188. *380. *988. 
Neuritis optica bei Röcken- 
marksaffection 1038. 
Tchelgoff: *781. 

Tchiriew: *986. 

Tedescbi: *578. *781. *989. 
*990. 

Tellegen: (288). 

Tendlau: *884. 

Terrien: *990. 

Tesdorpf: *881. 

Terrio: Progressive Muskel¬ 
atrophie 507. 

Thöbault: Anti&thylin 266. 
Theilhaber: *779. 
Nervenerkrankungen und 
Störungen des weiblichen 
Geschlechtsorgans 899. 
Thiele: *879. 

Thiem: *190. *382. 

Tbiemich: *779. 


TTiiis: *990. 

Thivet: *574. 

Thom: Hypophysis 215. 
Tbomalla: *779. 

Themas: Weber’scbes Syn¬ 
drom 129. 

Neuritis im Kindesalter 476. 
Myelitis syphilitica 526. 
Rückenmarkskrankheiten 
66 a *381. *572. *576. 
*988. *992. *1153. *1154. 
Myelom der Wirbelsäule 
1082. 

Thomasczewsky: *780. 
Tbo ma s oo n: Neuritis 171. 
Thomayer: Paralysis agitans 

959. 

Thompson: *187. *1155. 
Thomsen: Landry’sche Para¬ 
lyse 765. 

Thomson: *381. 

Thrush: *782. 

Tiburtius: *781. 
v. Tiling: Rückenmark von 
Säuglingen 500. *388. 
Paranoia: 776. 

Timofeien: *878. 

Tizzoni: *190. 

Tokarsky: (34).(40).(187).(138). 
Toinaselli: *573. 

Tomasini: *883. 

Toogood: *992. 
v. Torday: *576. 

Toubert: *190. 

Hirnläsionen 860. 

Touche: Weber’scher Sym- 
ptomencomplez 42. 
Schmerzhafte Paraplegie 
bei Carcinomkranken 527. 
Ptosis 527. 

Aphasie 673. 

Multiple Herdsklerose 722. 
*987. 

Logorrhoe 1105. 

Tozzi: *189 

Trachtenberg: Akromegalie 
234. 

Traina: *781. 

Traugott: *881. *576. 
Trautmann: Stirnhirnabscess 
368. 

Tredgold: *788. 

Treitel: *988. 

Treupel: *780. 

Trevelyan: Meningo-rayel. 

luetica 508. 

Trevee: *192. *888. 

Paralysis agitans 956. 
Triboulet: *882. 

Triepel: *570. 

Physikalische Anatomie 811- 
Troeger: *190. *191. *882. 
Trolard: *778. *1158. 
Trömner: Geschlechtstrieb im 
Kindesalter 872. (482). 
Progress. Muskeldystrophie 
622. (712). 

Troschin: Cortioale Schleife 
142. 


Troschin: Sensible Leitungen 
280. 

Sensible und motorische 
Hiranerven 281. 

Truelle: Kohlenoxyd Vergiftung 
964* 1157. 

Trüper: Abnormes im kind¬ 
lichen Seelenleben 556. 
*383. 

Tscbemischeff: Mikroskopische 
Präparate ISO. 

Tschermak: *879. 

Tscbirjeff: *189. 

Tschiseh: Epilepsie larvata 
828. *1157. 

Tuczek: *991. 

Irrenanstalten 1080. 

Turner: *780. 

Turnowsky: Geheilte Epilepsie 
830. 

Ubertis: *780 

Ugolotti: Pseudobulbärpara¬ 
lyse 469. 

Uhlemann: Gliom des Gehirns 
360. 

Uhlich: *781. 

Ulbrich: *782. 

Unna: *989. 

Urbanowicz-. *381. 

Urechia: *782. 

Urquhart: *382. *574. *1154 

ütchida: *572. 

Hydromyelie im Kindes¬ 
alter 1029. 

Utcida: Rückenmark bei Diph¬ 
therie 645. 

Fahlen: *576. *782. 

Vaillard: *989. 

Valentin: Besessenhdt auf 
sexueller Basis 27. 

Imaginäre Krankheiten 610. 

Valentmo: *382. 

VaU: *987. 

Valette: *780. 

Vandervelde*. *881. 

Värady: Oculopupillärer Reflex 
164 u. *189. *572. 

Vargee: *987. 

Variot: *190. *380. *574. 

Elektrische Chorea 918. 

Bleivergiftung 959. 

Bulbärparalyse 1022. 

Vas: *784. 

Vaschide: *187. 

Hallucinationen 557. *781. 
*783. *991. 

Reactionszeit für Gerüche 
1019. 

Anencephalie 1064. 

Vassale: *189. *989. 

Vaugban: *188. 

Veasey: *782. 

de Veochi: *780. * 

Vedeler: *578. 

Veidengammer: *888. 

Veragutb: Missbildung des 

Centralnervensystems 665. 


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1178 


Vera»: Wärmeempfindliohkeit 
261 u. *878. 

Vergely: Gesichteh&Uaeinatio- 
nen bei Kindern 831. 

Verboogen: *381. *782. 

Verrier: Syphilisbehandlung 
80. 

Vervaeck: *987. 

Vialion-Bron: Urämische Psy¬ 
chose 274. *191. *888. 
*675. *788. *1165. 

Viannay: *989. 

Vidal: Epüepsiebebandlang 23. 

Pupillenreflex 69. 

Schwefelhaltige Waseer bei 

Syphilis: 605. 

Motorische Aphasie 675. 

Vigouroux: *879. 880. 

Viuemin: Revolverschuss in 
Schädel 1107. 

Villers: *987 

Vinoenzo: *784. 

Vinzitti: *576. 

Virdia: *988. 

Vires: *779. 

Virailoff: (131). 

Vitek: Chorea hysterioa 918. 
*988. *990. 

Vitzou: Erregbarkeit des 
Rückenmarks 180. 

v. Vogel: *884. 

Vogt: Gesichtsfeld bei Arterio¬ 
sklerose 424. 

Aphasie und Demenz 717. 
*570. *782. *991. *1154. 

Volhard: *988. 

Volkelt: *783. 

Vorster: *576. 

Voss: *189. *987. 

v. Voss: Kleinhirntumor 465. 

Epilepsie 822. *990 

Votruba: Hemianopsie 1078. 

Vulliet: Coeainisation des 
Rückenmarks 556. 

Vulpius: 8ehnenÜberpflanzung 
bei spinaler Kinderläh¬ 
mung 568. *988. *1158. 

Vurpas: *187 Halluoinationen 
657. *781. *788. *1156. 

Anencephalie 1064. 

Waohholz: *674. *990. 

Wachsmuth: Cerebrale Kinder¬ 
lähmung 864. 

Wadsworth: Kleinhirnläsionen 
462. 

Wagner: *190. *788. 

y. Wagner: Psychosen durch 
Autointoxioation 472(878) 
(922) 

(928). (925). (927). Crimi¬ 
nelle Geisteskranke 927. 

Aufnahme in Irrenanstalten 
928. (974). (984). 

Wahlfors: Hypophysistumor 
280. 

Waibel: *574. 

Walbaum: Paralysis agitans 
956. *1153. 


Waldschmidt; *190. 

Walitzky: *880. 

Walker: *188. *190. *382. 
*987. 

Wellenberg: Acute Bulbär- 
affeotion 467. 

Basale Riechbündel des 
Kaninohens 897. 

Wall erstem: *989. *1156. 

Wallis: *576. 

Walter: *189. 

Walton: *880. *578. *780. 

Corticale sensorische Centren 
897 *989. 

Warda: Akromegalie 233. *991. 

Warnock: *381. 

Warrington: *189 *1154.*1166. 

Wassiliew: Coeainisation des 
Rückenmarks 284. 

Kinderepilepsie 824. 

Wateff: *190. 

Watermann: *188. 

WeatherW: 991. 

Weber: *990. 

Weber, A.: *574. 

Bleivergiftung 960. 

Weber, L. W,: Epilepsie 14. 
*788. *992. 

Weber (Güttingen): Göttinger 
Irrenanstalt 716. *779. 

Weber (Sonnenstein): (1087). 

Wehmer: *191. 

Weichelt: *992. 

Weidenhammer: Athemkraaspf 
bei einer Geisteskranken 
89 (181). (134).(784). (777). 

Weil: Hirntumor 1133. 

Weisbein: Ross. med. Rund¬ 
schau 1080. 

Weise: (639). *1158. 

Weissbart: *576. 

Weissberg: *990. 

Weiss: *575. 

Wells: *188. 

Wermel: Tetanieepidsmie 186. 

Werner: *574. 

Geisteskrankheit nach Kopf¬ 
verletzung 1118. 

Wernicke: *783. 

Wersiloff: Akromegalie86. (36). ; 
(87). 

Lepra anaeethetioa38. (134). 
(186). 

Tumor des Plexus brachial» I 

181. . 

Westphal: (428) Syringomyelie 
430. *189. *881. *382. 1 

Hysterie 594. I 

Polyneoriti8chePsychose768. 

Chorea chronica 912. I 

Wergandt: Psychiatrie 419. 

Behandlung der Neuras¬ 
thenie 608. *191. *388. 
*991. *992. *1167. 

Geistige Leistungen und 
Hungern 670. 

Idiotie mit Skeletverände¬ 
rungen 868. (1180). (1146) 
(1146). 


Wesel: *187. *987. 
Wbeeler: *879. 

White: *676. 

Wichereek: *382. 
Wichum: Aneaeepbslie tk 

Widal: *671. 
v. Wieg: KlemhintsBar 444 
u. *880. *575. 
Wiener: Zwisch«- o. Mini 
hirn des Kaiischeai fli. 
Wiersma: *575. 
Wiesinger: (92). (8751 
Wiki: Myasthenie 1027. 
Wilbrand: Neurologie da 
Auges. 1079. 

Wildermuth: V olkih a H i ti a 
für Nervenkrank« litt. 
(1180). *1157. 
Wilhehni: *992. 

Wille: Gedächtnisses. *1IL 
William: *189. (*1151 

Williams: *188. 
Williamson: Spinale SjjMk 
79. 

Hirntumor 861. *780. 
Willoughby: *782. 

Willson *782. 

Wilson: *879. *571 *»t 
Winekler: *574. 
Windscheid: Multiple Stiem 
nach Trauma S» i. S» 
*571. *1156. 

Arteriosklerose 862 
Winter: *879. *382. *78!. 
Witthauer: *784. 

Woakee: *990. 

Wohlmuth: *878. 

Wolf: *988. *990. 

Wolff: Degeneratioaszajme 
429. *572. *578. *>#. 
Wollenberg: Stirnkimtw«* 
1132. 

Woodyatt: *782. 
Workman: Hirntumor 854 
Worobjeff: Hinterksnpütjfe» 
des Schädelbsses S4 

Degeneration 730. 
Wright: Beri-Beri 1» 
Wolffert: Fürsorge ßr Ta* 
süchtige 272 u. *180. 
Wundt: *782. 

Wörth: *576. *11K I,i7 
Wybauw: *189. 

Yamane: *992 

Xabludowaki: Schrubb»^ 
177. 

Zaoher: *188. 

7khn : Bröekengeschvtis* 

864. 

Infantile Pscodobulbirpi» 
lyse 469. *781. , _ 

Zalaczas: Nicotinpsjehm“ 
Zamfirescu : *571. 

Zanfal: *571. . 

Zaneitowski: Vottshstio» * *■ 
*884. *1157. 


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1179 


Zappert: Rfickemnarkafurche 
beim Kinde 259 a. *878. 

Gutartige Bulbäraffection im 
Kindesalter 468. *572. 

Meningitis mit Aphasie 874. 

Neurotische Muskelatrophie 
874. 

Kinderrückenmark und Sy¬ 
ringom yelie 1029. 

Zavoldi: *784. 

Zd&rek: *780. 

Zechnisen: *781. 


Zehniaen: *989. 

Zelenski: *382. 

Ziegelroth: *383. *384. 
v. Ziegenweidt: Hirntumor362. 
Ziehen, Geisteskrankheiten des 
Kindesalters 418 u. *191. 
Hirn u. Seelenleben 473 u. 

*575. *575. *788. 
Psychiatrie 1077. 

Ziemssen: Gesichtsfeld bei 
Hirn- u. Rückenmarks- 
lues 981. 


Ziemssen: Hirnines 1068. 

Zietzschmann: Medullarrohr 
beim Säugethierembryo 
660. 

Zingerle: *779. 

Stirnhirn 948. *987. *1154. 

Zlotowski: *990. 

Zosin: Färbung mit Magenta- 
roth 207 u. *570. 

Zuckerkandl: Nebenorgane des 
Sympathicus 928. (925). 

Zupniz: 882. 


m. Sachregister. 

(Die mit * bezeichneten Zahlen bedeuten: Litteraturverzeichnias.) 


Abiotrophie 758. 

Accessonus, Pathologie 958. 

AchiUessehnenreflez 240. 762. 
789. 

Aceton im Urin 264, im Or¬ 
ganismus 951. 

Achondroplasie 95. 

Acusticusuahn 848. 

Adipositas dolorosa 44. 475. 
476. 573. 864. 

Adrenalin 756. 

Aequivalente, cf. Epilepsie. 

Aesthesiometer 882. 

AgeuBie, cf. Geschmack. 

Agnosie, cf. Seelenblindheit 
997. 

Agoraphobie u. Gehörorgan 
611. 

AgrammatiBmos 409. 868. 

Agraphie, cf. Aphasie 675. 

Akathisie 956. 

Akromegalie *189. *881. *781. 
*989. 85. 216. 229. 281. 232. 
288. 234. 710. — cf. Hypo¬ 
physis. 

Alexie *379.1105. — subcorti- 
cale 784. — ef. Paralexie 

Alkohol 277. 

Alkoholdelirium, cf. Delirium 
alcohol. 

Alkoholismus *190. *382. *574. 
*782. *990. *1156.— u.Com- 
pressionslähmungen 289. — 
Serum dagegen 266. —soeio- 
log Bedeutung 267. — u. Erb¬ 
lichkeit 267. — im Kindes- 
alter 268. — Quinquaud’- 
sches Zeichen 268. — und 
Arsenik 268. - u. Neuritis 
269. — Ursache von Idiotie 
u. Epilepsie 269. — Statisti¬ 
sches 269. — Anstal te- 
behandlung 270 (2). 271. 
272. 1180. — und Hypno¬ 
tismus 1088. — acuter, cf. 
Rauschzustand. — acute 
Ataxie 435. — Abstinenz 
988. —in Irrenanstalten 984. 

Alkoholnarkose, Theorie 399. 

Alkoholneuritis, cf. Neuritis 
multiplex. 


Alkoholpsy chosen 1150. — 

Elektrodiagnostik. 

Alkoholwahnsinn, cf. Delirium 
alcohol. 

Alopeoie universal, congen. 626. 

Amaurose, hyster. 31. 584. 
597. 606. 649. — familiäre 
u. Idiotie 118. 121 . 

Ammonium carbamin. als Ur¬ 
sache der Epilepsie 17. 

Amnesie, cf. Gedächtniss. — 
totale retrograde 817. — 
nach Kohlenoxyd Vergiftung 
964. 

Amyotrophisohe Localsklerose, 
cf. Lateralsklerose. 

Anämie, perniciöse, acute, 
Veränderungen im Nerven¬ 
system 727. 

Anästhetica, Wirkung der¬ 
selben 179. 

Anencephalie 954. 1064. 

Aneurysmen der basalen Hirn¬ 
arterien 418. 

Angst, Pathologie 611. — bei 
Hysterie und Neurasthenie 
845. 890. 

Anisocorie, of. Pupillen. 

Anstalten für Epileptiker 21. 
— für Alkoholisten 270. (2). 
271. 272. 

Antiaethylin 266. 

Antipyrin bei FacialiBkrampf 
516. — Autoxication 964. 

Aphasie *879. *571. *779. *987. 
140. 678 (8). 674.675.1076. 
1076(2). 1104.1105 (2). —u. 
Demenz 717. — hysterische 
94. — subcorticale senso¬ 
rische 1075. — cf. Worttaub¬ 
beit. 

Aphatisohe Demenz 1106. 

Aphemie 674. 

Aphonie, spastische 603. 

Apoplexia cerebri *188. *571. 
•779.412. — cf. Hirnblutung. 

Apraxie 614. — motorische 
994. 

Arachnoidea, cf. Meningen. 

Arbeitskurve 689. 

Arbeitsleistung, Einfluss von 


Tönen 1020. — Suggestibi- 
lität 1020. 

Argent. nitr., Vergiftung 266, 

Almlähmung, cf. Plexus bra- 
ohialis. 

Arsenik, cf. Neuritis arsenic., 
Kakodylsäure. — Lähmung 
980. 

Anonval-Tesla- Ströme *576. 

— cf. Elektrotherapie. 

Arteria, ef. Carotis, syphilit. 

Erkrankung, cf.Endarteriitis. 

— oerebelu post, inf., Em¬ 
bolie 467. — oommunicans 
posterior 413. 

Arterieller Druck, cf. Druck. 

Arteriosklerose 420. 862. — 
Gesichtsfeldeinengung 424. 
—u. intermittiren des Hinken 
768. 

Arthritis chronica, cf. Spon- 
dyloeis. 

Arthropathie, cf. Tabes. — 
bei Syringomyelie 81. — bei 
Tetanie 228. — nervöse u. 
Periarthropathie 477. 

Asphyxie, locale, cf. Raynaud'- 
sehe Krankheit 

Associationen, experimentelle 
Studien 668. 

Assoeiaticnscentren 54. 

Astasie-Alasie 602. (2). 

Astereogioeis 861. 

Asthenische Lähmung oder 
Bulbärparalyse, cf. My¬ 
asthenie. 

Asymbolie, Bensorische 686. 

Ataxie u. Sensibilität 814. — 
acute cerebellare 436. — 
bulbäre 467. — centripetale 
640. — medullären Ur¬ 
sprungs 738. 

Atherose des GefässsystemB 
420, cf. Arteriosklerose. 

Athetosis 927. — bei Tabes 
528. 719. — of. Hemiathe- 
tosis 856. 

Athmung ohne Medulla oblon- 
gata 975. 

Athmungsbahnen. spinale 850. 

Atbyreosis im Kindesalter 224. 


Google 


Digitizf 


1180 


Atropin bei Bleikolik 960. 

Auge, Neurologie 10t9. 

Augenbewegungen nach oben 
(neuropatL Spasmus) 46. — 
associirte 411. 

Augenhintergrnnd bei Pneu¬ 
monie 72. 

Angenmuskellähmungen. ef. 
Oculomotorius u. s. w. 

Augenmuskelnervenbahnen, 
centrale 482. 

Augenreflex 107. 

Augenstörungen n. Inbecillität 
869. 

Aussage, Psychologie derselben 
759. 

Autointoxioatlon, acute intesti¬ 
nale 264.472. — u. Psychose 
695. — und Epilepsie 818. 

Axency linder, elective Fär¬ 
bung 514. 579. 

Babinski’Bcher Beflex 151. 
167 (2). 168. 762. 974. *988. 

Bahn, motorische 260. 

Babnnngstherapie 520. 

Balken, cf. Corpus callosum. 

Basedowsche Krankheit *189. 
*881.*573. *781. *989 *1155. 
— Zeichen derselben für My¬ 
asthenie 804. — Serum¬ 
therapie 522. — u. multiple 
Neuntis 740. — u. Osteo- 
malacie 880. — Chirurgie 
1080. 

Bauchreflex, cf. Reflex, hypo¬ 
gastrischer. 

Beachtungswahn 715. 

Bell’sches Gesetz 1063. 

Bergsteigkur 607. 

Ben-Ben, cf. Neuritis multi¬ 
plex 172. 173. 

Berfibrungsgeffthl, cf. Tastsinn. 

Beschäftigungsneurosen, cf. 
Klavierspielerkrampf, Pia¬ 
nistenkrampf, Schreib- 
ktrampf. 

Bewegungsregulation 818. 

Bewegungsstörungen 313. 

Bewegungstherapie, cf. Tabes. 

Bewusstsein 612. — der Thiere 
666. — psychophysische 

Vorstellung 667. — im epi¬ 
leptischen Anfall 820. 

Beziebungswahn 2. 

Blase, Centrum im Rücken¬ 
mark 456. 

Bleiintoxication *882. *574. — 
Ursachen 959. 960f2).962. 
— chron. mit Erseneinun¬ 
gen der Tetanie 202. — u. 
Paralyse 278. — Encephalo- 
pathie 960. 

Bleikolik, Behandlung mit 
Atropin 960. 

Bleilähmung 959 (2). 962. 

Bleipsychosen 960. 

Blindheit, cf. Amaurose, See¬ 
lenblindheit. 


Blitzschlag 1086. 1111. 

Blutdruckmessungen beiCoitus 
287. — -Ungleichheit auf 
beiden Körperhälften 820. 

Blutgefässe, Neubildung 1017. 
— Beeinflussung durch vaso- 
motor. Nerven 1068. 

Blutverwandtschaft 82. 

Brandstifter, geisteskranke 
1089. 

Broca’sche Windung, cf. Gyr. 
front inf. 

Bromocoll bei Epilepsie 829. 

Brown-Söquard'sche Sympto- 
mencomplexe 1018. 1069. 

Börgerliches Gesetzbuch 681. 

Bulbäraffectionen *188. *880. 

— cf. Medulla oblongata, 
Pseudobulbärparalyse. — 
acute 467. — gutartige 468. 
congenitale 1022. 

Bulbärparalyse*572.*780.*988. 

— cf. Myasthenia pseudo- 
paralytica, Pseudobulbär¬ 
paralyse. — bei Sarkoma- 
tose 1022. 

Bulbärsymptome bei einseiti¬ 
ger Rinaenaffection 140. 

Bulbus olfactorius, cf. Riech- 
bflndeL — Körnerschicht 
258.— gliomatöse Entartung 
358. 


Canallis indica bei Opiument¬ 
ziehung 266. 

Capsel, innere: sensible Bahnen 
142. 

Carcinoroatose 527. 

Carotis, Aneurysma 414. 
Cataract 72. 

Centralnervensystem, Präpa- 
ratdonstechnik 354. — Miss¬ 
bildungen 665. 666. 972 (2). 
974. *987. 

Centrosomen 258. 

Centrum, cf. Hirnrinde, Locali- 
sation. 

Cerebrospinalflössigkeit, cf. 

Liquor cerebro-spinalis. 
Charakterveränderung u. Hirn¬ 
verletzung 887. 

Chiasma optioum, cf. Opticus. 
ChloralhyaratvergiftuDg 266. 

— im Organismus 951. 
Cbloroformvergiftung u. Elek- 

tricität 964. 

Chorda tympani 848. 

Chorea minor *169. *382. *574. 
*782. *990. *1156. 722. 910. 
913. — u. Epilepsie 826. — 
Patellarreflex 912. — bei 
Degenerirten 911. — hyste¬ 
rische 912. 918. — Aetio- 
logie 906(8). 907, 908(2). 

- Patb. Anatomie 182.908. 
909. — Therapie: Kakodyl- 
säure 297. — Hypnose 912. 

Chorea electrica 913. 

Digi'ized byG00£ 


Chorea progressiva *382. SB. 
910. 912. 

Chorea senilis 918. 
Circuläres Irresein 5L 88. 
919. 

Clarke’sche Säulen 3114» 
Cocain, Einfluss aufGaadxy'- 
sche Körperchen 756. 
Cocainanalgesie 284. — I*- 
jection, lumbale 554. Ml 
Cocainismus *574. 867. 
Coitus, Einfluss auf BhS- 
circulatdon 286. 

Collaemie 276. 

Commotio cerebri, ct ffi» 
erachütterung. 
Compressionsmyelitis danafii 
u. Fehlen dar Kuiesebs» 
reflexe 488. — sps dmk 
Paraplegie 622. 
Contractur, physiolog. 878. 
Contracturen, et Hewws- 
tractur *381. — hyitenmb* 
600(2). 601. 

Coordination der Bewegung«, 
cf. Ataxie. 

Corneo-mandibullamflex M- 
Corpus callosum 284. — T«k- 
nik bei D orch s c h a a df 
desselben 278. - hm 
desselben im Hinterbasjd* 
lappen 64. — MaageJ W» 

— seonndäre Dtgaentn* 
162. — geniculat ist 818. 

— quadrigeminum ast* 
Erkrankung 176.412-ftf- 
aiologie 453. — Bassin» 
Degeneration 1017. — Tb- 
moren 862. 564. 641 6*8. 
748. 806. — Lipom 363. - 
posterius 848. 

Craniectomie, ef. TrepaMÖaa 
Cretinismus *781. 225. 861 

— sporadischer, rf. »P m 

ödem 225. 228(2). 

Criminalanthropologia cf. »■ 
rensische Psychiatrie. 
Cucullsrisdefect *879. — * 
Hochstand der Scapula 1101 
Cncullarislähmnng 953. 
Curare u. Physostigmin 12 
Cyklopie 972. 

Cystioerken im Hirn 41. — 
im 4. Ventrikel 565. 

Dämmerzustände 474. — 
leptische 18. — hyiteri**» 
SOI. 609. 1087. 

DarmbewegungenjBDffTzas 

455. 456. — Wirkutf"» 
Opium u. Morphin» ^ 
Dauerbäder 126. 127. 
Debüitss 558. 

Degeneration 512. — 
gende im Rflckwav* 8n - 
*987. — retrograd« 4*6. - 
secundäre *379. 544. — *■ 
Abiotrophie 758. - *•* 
steigen de nachZenti*** 


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1181 


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des motor. Binden feldea 855. 

— im Rückenmark 644. 
Degenerationszeichen 429. — 

somatische 870. 
Degenerescenz, Prophylaxe 
derselben 24. — u. Bluts- 
Verwandschaft 82. — u. 
Vererbung 917. 

Degenerirte, Chorea dabei 911. 
Dehrium acutum 181. — alco- 
holicum febrile 269. — Con- 
junctivalcatarrh 880. — tre¬ 
mens 1150. — bei Morphi¬ 
nisten 966. 

Deltoides, cf. Erb’sche Läh¬ 
mung. 

Dementia u. Aphasie 717. — 
paralytica, cf. Paralysis 
progr. —senilis*575.*788. 

— atypica 87. — Pflege 
282. - Path. Anat. 824. 
877. — cf. Oreisenalter. 

Dercum’sche Krankheit, cf. 

Adipositas dolorosa. 
Deviation, ooniugirte 408. 
Diabetes mellitus, Neuritis 
multiplex 170. — u. Psy¬ 
chosen 274. — syphilit 604. 

Itückenmarks" 645. 

Diplegia cerebralis, cf. Kinder¬ 
lähmung, cerebrale. 
Dipsomanie 80. 124. 
Dipsorexie 266. 

Dormiol bei Epilepsie 827. 
Dorsalmark, cf. Rückenmark, 
Druck, arterieller bei Muskel- 
atrophieen u. Thomsen’scher 
Krankheit 288. 
Dupuytren’scheFingercontrac- 
tur, cf. diese. 

Dura mater, cf. Pachymenin- 
gitis, Meningen. 
Duralinfusion 520. 

Dystrophia muscul. progress., 
cf. Muskeldystrophie. 

Kcholalie 921. 1106. 
Eclampsie u. Hemianopsie 817. 

— in der Gravidität 817. 

— im Puerperium 817. 
Eifersuchtswahn 174. 175. 
Eigenbeziehung, krankhafte 

715. 

Eisenbahnunfalle, cf. Unfall. 
Eleotrische Entladungen, Neu¬ 
rosen 1109. 1110. 1111. - 
cf. Trauma. 

Eleotrische Erregbarkeit *987. 

— bei Psychosen 970. — 
cf. Entartungsreaction. 

Elektrisches Licht, therapeu¬ 
tische Verwendung 618. 
Electrodiagnostik 849. 1119. 

— bei Psychosen 1114. — 
myasthenische u. myoto- 
nische Reaction 1028 . 

Electrologie, medicinische786. 
Electrotherapie 680.968.1019. 


— cf. Arsonvalisation. — 
bei Chloroformnarcose 964. 

troph. 
Ulcus 

Encephalitis haemorrhagica 
*379. *571. 182. — bei 
Pferden 401. — senilis 728. 
862.—acuta hyperplast 724. 

Encephalomyelitis nach 
Kohlenoxydvergiftung 242. 

Encephalopathia saturnina, cf. 
Bleiintoxication. — infan- 
tilis 606. 

Endarteriitis obliterans, cf. 
einzelne Hirnarterien 119. 
syphilitica 502. — cartila- 
ginosa 856. 

Energetik u. Seelenthätigkeit 
1139. 

Entartung, cf. Degeneration. 

Entartungsreaction, chemische 
Aenderung der Musculatur 
757. 

Entbindungslähmungen 1047. 
1055. 1081. 

Entmündigung 118. 985. — 
Wiederaufhebung 120. — 
wegen Geistesschwäche 681. 
— Verfahren 1144. 

Enuresis bei Kindern 604. 

Epilepsie *190 *882 *574. *782. 
*990. *1156. — cf. Eklamp¬ 
sie, Jaokaon’sche Epilepsie, 
Amnesie, Paramnesie. — 
Krämpfe, Stat epilept. 830. 
881 . Pathogenese 14. 16 . — 
carbaminsaures Ammonium 
17. — Autointoxication 818. 
— Parasit 818. — Stoff- 
wechselanomalie 819. — 
Symptomatologie: 
Aequivalente 18.—Amnesie 
817. — Bewusstsein 820. 

— choreica 826. — con* 
jugirte Deviation 405. — 
Dipsomanie 80. — Erinne¬ 
rungsfälschung 18. — Giftig¬ 
keit der cerebrospinalen 
Flüssigkeit 129. — Idiotie, 
cf. diese. — Kniephänomen 
19. — larvata 823. — u. 
Migräne 1086. — Oedeme 
828. — partielle epileptische 
Anfälle 822. — procursiva 
822. — respiratoria 821. — 
Typhus daoei 18. 821. — 
übermässige Beweglichkeit 
derGelenke 729. — Ungleich¬ 
heit des Blutdruckes 820. 
— Urin 16. 820. — Aetio- 
logie 15. — nach Alkoho¬ 
lismus der Eltern 269. — 
Trauma 822. — Unfälle 18. 

— u. Kinderconvulsionen 
816. — Harnsäure 277. — 
Schädelverletzungen 22. 24. 
hereditäre Lues 75. — Sy¬ 
philis 76.117. 792. — Ver¬ 


Elongationsmethode, 
bei Behandlung von 
cruris 475. 


lauf: Nahrung 922. — 
Patholog. Anat. 14. — 
Tumor 189. — Neuroglia- 
wuoherung 18. — Arterio- 
skleroso 14.421. — Ammous- 
hörner 15. — sklerotische 
Hirnatrophie 877. — Dia¬ 
gnose: Hysterie 626. — 
Prognose 20. — Thera¬ 
pie: Anstalten 21. 830. — 
Bechterew’sohes Mittel 22. 
— Bromokoll 829. — Dor¬ 
miol 827. — diätetische 
Behandlung 5. 21. 715. 808. 
827 (2). 829 (2). (Toulouse, 
Eichet). — Fieberhafte Er¬ 
krankung 821. 830. — Li¬ 
thiumcarbonat 16. — Re- 
section des Halssympathicus 
28 . 827. — Serumtherapie 
819. — Trepanation, cf. 
diese. — Forensisch 872. 
— Nothzuchtsdelicte im 
Dämmerzustand 19. — Mord 
20 . 

Epileptische Anfälle bei Psam¬ 
mom des Grosshirns 40. 

Erb’sche Krankheit, cf. My¬ 
asthenie. 

Erb’sche LähmuDg 768. 

Erblichkeit, cf. Heredität. 

Erection, Centrum 456. 

Erinnerung, cf. Amnesie, Par¬ 
amnesie. 

Erinnerungsdefect u. Hallu- 
cination 1117. 

Ermüdung u. Suggestibilität 
1021. 

Erysipelas u. Nervenkrank¬ 
heit 265. 

Erythromelalgie, primäre 677. 

Etat crible des Hirns 857. 

Etat laounaire des Hirns 857. 
858. 

Exhibitionismus 1088. 

Exostosen, symmetrische 181. 

Facialis, Kern des oberen — 
160. — Krampf 882. 567. 
690. 721. — bei Myotonie 
481. — Antipirininjectionen 
dabei 516. — Lähmung 
*189. *578. bei Kopftetanie 
122. — angeborene 814. — 
bei cerebraler Hemiplegie 
407. — nach Antipyrin- 
injection 517. — infantile 
centrale 520. — hysterische 
601. — Einfluss auf Krampf 
517. 720. — recidivirenae 
als Symptom der Hemicranie 
86. — anatomische Unter¬ 
suchung 985. — Augenreflex 
108. 110. 148. 

Färbemethoden *570. *778. 
*986. — Alizarinlösung 838. 
— Anglade’s 782. — Eisen¬ 
imprägnation 811. — Car- 
minfärbung 11. 591. — 


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1182 


Magentaroth 207. — 8t©- 
panoff'sche Methode 180. — 
Silber im prägnation 497. — 
Hämatoxylinchromlack 541. 
— Gallein 1061. — Silber¬ 
imprägnation der Axen- 
cylinder 579. — Mark¬ 
scheidenfärbung 660. — 

Axencylinder 660. — Osmium 
981. — pathologische Glia- 
formation 981. — Säure - 
fuohsin u.a.w. 1061. — für 
das Golgi’ache Netzwerk 
1061. 

Familiäre Krankheiten, cf. 
Amaurose familiäre, Chorea 
progressiva *189. *678. *781. 
*1156. 822. 901.902.903 (2). 
904 (2). 905 (2). — Geruch 

900. 

Familienpflege von Geistes¬ 
kranken 34. 718. 

Farbensinn 981. 

Fasdculns fironto-oocipitalis 
214. 

Fasriculus suboallosns 214. 
284. 

Fettleibigkeit, schmerzhafte, 
cf. Adipositas dolorosa. 

Fibrae olivo-cerebellares 11. 

Fingercontractur, Dupuytren* - 
scbe 768. 920. *781. 

Fissura calcarina 685. — re- 
tro-calcarina 685. 

Folie ä denx, cf. indncirtes 
Irresein. 

Forensische Psychiatrie *191. 
* 383. *575. *788. *992. *1167. 
19. 20. 826. 788. 759. 761. 
823. 871 (2). 928. 985. - 
Entmündigung, cf. diese. — 
Richter n. Sachverständige 
290. 886. — Königsmörder 
512. — Unterbringung 

geisteskranker Verbrecher 
681. 

Formatio reticularis in oberer 
Brückenregion 835. 

Fornix, secundäreDegeneration 
408. 

Frenkel’sche Methode, cf. 
Tabes. 

Friedreich'sehe Krankheit 95. 

901. *572, — u. Hörddo- 
ataxie oerebellense 322. — 
Sectionsbefand 724. 

Fürsorgeerziehung 878. 

Chtndry’sche Körpereben 756. 

Ganglienzellen, cf. Nerven¬ 
zellen. 

Ganglion cervicale sup. 818. 

Ganglion ciliare u. Pupillen- 
bewegung817. — Anatomie 
428. — Pathologie 661. 

Ganglion Gassen 818. 

Gangrän, arteriosklerot., auf 
luetischer Basis 80. — spon¬ 
tane 1022. 


Gangrän, symmetrische, cf. 
Eaynaud'sche Krankheit. 

Geberdenaphasie 1105. 

Gedäohtniss, cf. Amnesie, Par- 
amnesie, Erinnerungsdefect 
284. 

Gedankenlautwerden 683. 

Gefangnisspsychosen 175. 

Gefässe, cf. Blutgefässe. 

Gefässnerven, cf. Sympathien«, j 

Gefühlsinterferenzen 160. 

Gehen auf dem Wasser 757. 

Gehörstäuscbungen, einseitige 
684. 

Geistesschwäche, cf. Dementia, 
forensische 119. 681. 1066. 

Geruoh, Erblichkeit 900. — 
Reaotionszeit 1019. 

Geruchssinn, Centn in Hirn¬ 
rinde 288. — Störungen 
bei Tumoren der hinteren 
Schädelgiube 402. 

Geschlecht, das dritte 1079. 

Geschmack u. Chemismus 812. 

Geechmaokscentrum in Hirn¬ 
rinde 287. 454. 

Geschmacksprüfungen 818 . — 
im hinteren Mundraum 592. 

Gesetzbuch, bürgerliches, cf. 
Bürgerliches Gesetzbuch. 

Gesichtsfeldaufnahmc beiHirn- 
u. Rückenmarklues 981. 

Gesichtsfeldeinschränkung bei 
Unfalisknnken 417. — bei 
Arteriosklerose 424. 

Gesichtem uskelsch wund, cf. 
Hemiatropbia faciei. 

Gesichtsvorstellungen, Psycho¬ 
logie 415. 

Gingivitis syphiL 504. 

Glandula parathvreoidea 925. 

— pituitaria, er. Hypopbysis. 

— thymus, Persistenz bei 
Hirnhypertrophia 969. — 
thyreoidea, cf. Basedow*- 
sehe Krankheit, Myxödem 
*578. — Product« derselben 
218. — Athyreosis 224. — 
Experimentell erzeugte Psy¬ 
chose. 695. — Anwendung 
bei Psychosen 876. 

Glia, ct Neuroglia u. Gefass- 
apparat 638. 1017. 

Gliome 168. 

Gliom atose, cf. Rückenmark. 

Gliose, cf. Syringomyelie 163. 

Glossopbaryngeus beim 
Wiederkauen 1102. 

Glycosurie, cf. Diabetes, 

Golgi'sches Netz, endocellu- 
lares 777. 1061. 

cf* Färbemethode!^ 11 * ' 

Goll’sche Stränge des Hals- 
theiles 181. 

Gonorrhoe, nervöse Complica- 
tion 80. u. Neuritis multiplex 
170. *990. 

Gowers*sches Bündel 280. 544. 


Graphologie 665. 

Graphospasmus, et Scfcr u b- 
krampt 

Graves*sehe Krankheit. cL 
Basedow*sche K ra n kh eit 

Greise, Hemiplegie 857. 856. 

Greisen alter, cf. D emen tia 
senilis. — Psychose« 864. 
1089. — Neuritis 879. — 
Chorea 918. 

Gynäkologie in Irrenb lasen 
684. 

Gyros, cf. Lobus. — Cen¬ 
tralis ant 854. — Bmietm 
1070. — post. 854. 986 
(Gliom). — frontalis ist 
Tumoren ohne Aphasie 107L 
— Hippocampi Erweich¬ 
ung 406. 

■ämatomyehe, cf. Rücken- 
marksblutungeu 710. 

Haematoporphyrinurie 890. 

Halbseitenliaion des Rüefcss- 
marks, cf. Brown-ööqesrd'- 
sche Symptomeacomplexa. 

Hallucinationen. Theene 862. 
— bei Kindern 891. — mit 
Bewusstsein, benüopisehe 
26. — bei Thiereu 696. - 
einseitige 26. 664. — Ver¬ 
hütung von Erinnerunga- 
defect 1117. — Psychophy¬ 
siologie 557. 

Halssympathicus, et Sympa¬ 
thien». 

Harn, cf Urin. 

Harnblase, et Blase. 

Harnsäure 275. 

Haube, et HirnsehcakeL 

Hauben bahn 704. 

Haut. Sensibflitätastönufa 
bei Erkrankung«! insu er 
Organe 594. —Hyperästhe¬ 
sie 900. 

Hautgangrän, tropheneuro* 
tische 521. 

Hantgefflhl. cf. SnähOML 

Hautreflexe 168. 762. — 
cf. BabinskFsoher Reflex, 
Palmarredex, Infraspmatus- 
reflex, Corneoeaaadibular- 
reflex, LumbofcmoralruAa. 
Supraorbitalreflex u. a. w. — 
hypogastischer 96. 

Hautainn, Bahnen im Rücken¬ 
mark 1018. 

Hedonal 138. 875. 

Heliodor 618. 

Helweg*sohea Bündel 585. 

Hemianlsthesie, cerebrale 
1004. 

Hemianopsie 1078. 1074 a. 
Eklampsie 617. — teaspenh 
229. — bRemporale 710. 

Hemiatbetoee, path. Anatom* 

855. 

Hemiatrophia faciei progie»- 
siva *881. *989. 


^Google 


Digitizf 



1183 


Hemiballismus 1122. 
Hemicephalie, Nervensystem 
dabei 592. 974. 
Hemibypertrophie *881. 
Hemikranie 276. *989—u. reci- 
dirirende Facialislähmung 
86. — u. Tabes 321. — u. 
Epilepsie 1086. 

Hemimelie 600. 

Hemiparese, rechtsseitige mit 
Atrophie der 8ehnnerven- 
papille 407. 

Hemiplegie *188. *379. *571. 
*779. *987. - Babinskf- 
scher Reflex 152. — Läh- 
mungstypos der cerebralen 
406. — Degeneration 857. 
— Babnungstherapie 520. 

— trophische n. Sensibilitäts¬ 
störungen 858. — infantile, 
868. — cf. cerebrale Kinder* 
lähmung. — der Qreise 857. 
858. 

Hemispasnms glosso-labialis 
bei Hemiplegie 1069. 
Hemitonie apoplectica 412. 
Heredität *187. *191. *571. 
286. — u. Alcoholismns 267. 

— u. Lage bei der Geburt 
870. 

Heredo-ataxia oerebellaris, cf. 

Ataxie *188. 822. 901. 
Heroin 187. 

Herpes zoster *881. 507. 
Herz acute Erweiterung 528. 
Herzganglien 261. — u. 
Vagus 951. 

Herzuntersuchung 128. 
Hilfsschulen 1115. 1131. 
Hinken, intermittirendes 91. 

768. 764. 1022. 
Hinterstränge u.Huskelsinn 65. 
— Schultze’eches Comma* 
feld 814. — bei Syphilis 385. 
Hirn u. Seele 478. — Locali- 
sation der geistigen Func¬ 
tionen 515. 

Hirnabscess *188. *880. *572. 
*780. *988. *1154. — cf. 
Kleinhirn 867. 868. 869(2). 
870(2). 459. 460(3). 461. 
462(2). 689. 

Hirnanatomie *186. *378. *670. 
*778. *986. *1152. — der 
Blindmaus 897. 398. — 
Balkenloses Hirn 12(2). — 
path. Anatomie *187. *849. 
*570. *1158. 873. — bei 
Malaria 1021. — spec. 1 e- 
wicht 898. — der Vögel 
686.— Hirnrelief auf Schädel 
568. — der alten Egypter 848. 
Hirnaplasie 67. 

Hirnarterien, basale Aneu¬ 
rysmen derselben 418. 
Hirnatrophie 548. -- senile 
409. — sklerotische fami¬ 
liäre 904. 

Hirnblutung *1164. — cf. 


Apoplexie, Hemiplegie. — 
im Cortex 407. — bei Pfer¬ 
den 860. — Behandlung 418. 

Hirnchirurgie, cf. Trepanation. 

Hirncirculation bei Coitus 287. 

Hirn cyste 1122. — wandlose 
856. — Hydatiden 857. 

Hirncystioerken *780. *988. 

Hirndruck 685.—nach Trauma 
402. 

HirnerschBtterung 685. 

Hirnfnnctionen 895. 

Hirngefässe, Pathologie 423. 
856. 857. 978. — cf. Arterio¬ 
sklerose, Endarteriitis. 

Hirngeschwulst *188. *880. 
*571. *780. *987. *1154. - 
cf. Pons u. s. w., Trauma. — 
Kleinhirn, die einzelnen 
Lobi 858.859.682.— Angiom 
82. — Psammom 40. — 
CysticerkuB 41. — Gliom 
856. 858. — Sarcom 568. 
566. — Endotheliom und 
Cholesteatom 189. — 'Li¬ 
pome 863. — Rundzellen- 
sarcom 357.— Spindelzellen- 
sarcom 861. — Geruch dabei, 
402. — u. Taboparalrse 518. 

Hirngewicht, speciflaches 898. 

Hirnhäute, cf. Meningen. 

Hirnhypertrophie 969. 

Hirnkrankheiten, Diagnose 
401. — conjugirte Deviation 
408. — im Kindesalter 405. 
syphilitische, cf. 8vphilis. — 
infectiöse durch Trauma 
1109. 

Hirnnerven, centrale Verbin¬ 
dungen 281. 

Hirnpbysiologie *167- *878. 
*570. *986. *1158. 

Hirnrinde, cf. Nervenzellen. 
Läsion bei disseminirter 
Sklerose 285. — Leichen- 
Zersetzung 478. — tuberöse 
hypertrophische Sklerose 
867. 

Hirnschenkel, Erweichnngs- 
heerd 721. 

HirnsoheDkelfuss, secundäre 
Degeneration 856. 

Hirnsinus *1158. 

Hirnsinusthrombose, autooh- 
thone 840. 

Hirnsklerose, cf. Sklerore. 

Hirnstamm, topographische 
Anatomie 430. 

Hirnsyphilis, cf. Syphilis 501. 

Hirnventrikel, cf. Ventrikel. 

Hirnverletzung 1108.1150.—cf. 
SohädelsohOsee, cf. Trauma 
859. 860. — Charakterver¬ 
änderungen 887. 

Hochgebirge 1098. 

Höhenclima 559. 

Hörapparat, cf. Acuaticus-, 
Ohr-Taubheit — u. Agora¬ 
phobie 611. 


Hören, farbiges 1062. 
Homosexualität, cf.Paradox ise. 

— sexuelle Perversion 882. 
Hungern u. psychische Lei¬ 
stungen 670. 

Huntdngton’sche Chorea, cf. 
Chorea progr. 

Husten, nervöser, Therapie 
609. 

Hydranenoephalie 955. 
Hydraplegie 972. 
Hydrocepnalus 972. 
Hydromyelus 415. — bei Hy¬ 
drops des 4. Ventrikel 188. 

— symptomlos im Kindes¬ 
alter 1029. 

Hyperpro8exic 668. 

Hypnotica, cf. Dormiol. 
Hypnose 1146. 

Hypochondrie 424. 
Hypoglossuskern, Zellen des¬ 
selben nach Ausreissung des 
Kerns 162. 

Hypophysis *189. 215. 228. — 
Physiologie 218. 219. 222. 

— cf. Aoromegalie. — Ope¬ 
ration 710. 

H 5 232° 9 230 ^ 
Hysterie *189. *881. *578. 
*781.*989.*! 155.299.880.— 
Symptomatologie: 
Anästhesie 626. — Amau¬ 
rose 81. 584. 597. 606. 649. 

— u. retrobulbäre Neuritis 
74. - Angst 845. 890. — 
Aphasie 95. — Astasie- 
602 (2). — Augenbewegun¬ 
gen nach oben 46. — Chorea 
912. 918. — Contractur 
600(2). 601. — Corticale 
Epilepsie 589. — Crurale 
Monoplegie 601. — Faoialis- 
lähmung 601. — Gehörorgan 
597. — Hyperhidrosi8 596. 
— Oedeme 524. — Ovarie 
596. — Psychose 1149. — 
Spastische Contraction des 
Oesophagus 371.— Stottern 
48. — Taubheit 594. — 
Wirbelsäuledeviation 599. 
600 (2). — Zuckungen 286. 
— Zwangsirresein 594. — 
Aphonie 608. — Tachypnoe 
608. — troph. Störungen 
der Haut 608. — Dämmer¬ 
zustände, cf. diese. — 
Geistesstörung 610. — Pu¬ 
pillen 656. — mit Symp¬ 
tomen von Raynaud’scher 
Krankheit 679. — Hemi- 
spasmus glosso-labialis 1069. 
A e ti o 1 o g i e: sexuelle Schä¬ 
digungen 694. — bei Kin¬ 
dern 602. 604. 606 (2). — 
Unfall 1085. 1088. 1111. — 
Diagnose: Epilepsie 626. 

Hysteroepilepsie *15. 626. 
*781. 


Google 


1184 


Icterus u. nervöse Erschei¬ 
nungen 19. 

Idiotie *191. *882. *075. *788. 
*991. 880. — epilept. 19. — 
u. cerebrale Kinderlähmung 
864. — Familiäre (Tay- 
Sachs) 118. 122. 905. — 
u. Cretinismas 868. — sen¬ 
sorielle 415. — Aetio- 
logie: durch Alcoholismus 
der Eltern 269. — Cocai¬ 
nismus des Vaters 867. — 
Patholog. Anatomie: 
tuberöse Sklerose 867. — 
Microcephalie 867. 868. 
8keletveränderung 868. — 
Ileus im Stat. epilept 580. 
Illusionen 1062. 
Imbecillitaa, cf. Schwach¬ 
sinn *191. *882. *675. *783. 
*991. *1157. 558. — Auge 
86J. — Sprache 676. 
Indigestion und Neurasthenie 
1021. 

Induoirtes Irresein 472. 
Infantilismus 226. 
Infectionskrankheiten u. Cho¬ 
rea 907. 908. 

Influenza, Psychose 29. — u. 

Nervensystem 264. 
Infraspinatusrefiex 840. 1143. 
Intoxication, cf. Vergiftung 
275. *882. 

Intoxicationspsychoseu *191. 

*575. — cf. Alcoholismus. 
Irrenanstalten, Bau 560. 716. 
— Hessen 30. — Böhmen 
979. — Weinsberg 1135. — 
Alt-Scherbitz 514. — Alco- 
hol&bstinenz 984. — und 
Geisteskrankheit 1080. — 
Entlassung aus Anstalt 120. 
— Aerzte 920. — Land¬ 
wirtschaft 283. 
Irrenbehandlung *992. 
IrrenfBraorge 425. 
Irrenhfilfsvereine 718. 
Irrenklinik 778. 
Irrenpflege, cf. Familien¬ 
pflege. — Pflegepersonal 558. 

— u. Tuberculose 921. — 
Böhmen 979. 

IrrenstatiBtik 426. 

Irresein, cf. Psychose. 

Isohias, Achillessehneureflex 
240. 

Jackson'sche Epilepsie, cf. 
Epilepsie 28. 82. 176. 526. 
824 (8) 1122. — bei Cysti- 
cerkus des Grosshirns 41. 

— hysterische 598. — sy¬ 
philitische 75 (2). 796.1067. 
Trepanation 824. 825. 

Kakodylsäure-Therapie 298. 
967. 

Kampher bei Morphiument¬ 
ziehung 966. 


Kaninchen, Zwischen- mMittel- 
hirn 975. 

Katatonie *675. 25. 91. 801. 
881. — period. 25. — im 
höheren Lebensalter 688. — 
Entstehung 776. — im An¬ 
schluss an erste Menstruation 
987. 

Kehlkopflähmungen 683. — 
cf. Larynx. 

Keraunoneurosen 1085. — cf. 
Blitzschlag. 

Keuchhusten, cf. Pertussis. 
Kinder, Alkoholismus 268. — 
Psychosen, cf. diese. — Sy* 
hilia, cf. diese. — Anfänge 
er abnormen Erscheinungen 
im Seelenleben 556. — 
Krämpfe 816. — Hydro- 
myelus 1029. — Schule 1105. 
1181. 

Kinderlähmung, cerebrale 868. 
864. — spinale, cf. Polio¬ 
myelitis ant. acut. — Sehnen- 
überpflanzung 568. 
Klavierspielerkrampf 178. 
Kleinhirn*188. *880. *572*780. 
*1154. — Cholesteatom 44. 

— phys. Exp. Botation der 
Bulbi 283. — Rundzellen- 
sarcora 857. — Tumoren, 
differentialdiagnostiscb zu 
solchen der Corp. quadri- 
gemina 863. — Anscess 
366. 867. 561. 562. — acute 
Ataxie 486. — Histologie 
452. — bei Selachiern 458. i 
— Physiologie 456. 949. — 
Sklerose 462.— famil.904. 
— Tumoren 468. 464. 465. 
—Ataxie 464. — Neurogliom 
464. — Blutung 578. 

Kleinhirn, Br&ckeoläsionen. 
Hemiasynergie u.Halbeeiten- 
zittern dabei 44. 
Knienhänomen, cf. Patellar- 
reflexe, Sehnenreflexe. 
Knochenatrophie, refloc torische 
372. 1112. 

Kochsalzinfusionen 523. — bei 
puerperaler Eklampsie 817. 
Konlenoxydveigiftung *574. 
*782.965. — Neurit. multipl. 
172. — Encephalomyelicis 
242. — u. Amnesie 964. — 
Kohlenoxydlähmungen 965. 
Kopftetanus mit Facialisläh- 
mung 122. 

Kopfverletzung, cf. Trauma. 

— u. Geisteskrankheit 1118. 
Korsakoif’sche Psychose 768. 

*781. 

Krämpfe *989. — localisirte, 
in oberen und unteren Ex¬ 
tremitäten 814. — bei Kin¬ 
dern 815. 

Krisen, gastrische, cf. Tabes, 
Syringomyelie. 

Kropf, cf, GlanduL thyreoid. 


Lachen, spasmodisohea, Lsea- 
lisation 723. 

Lähmuogen *980. — cf. Para¬ 
lyse. — asthenische, d. 
Myasthenie. 

Längsb&ndel, unteres 885. 
Laminectomie, cf. Trepauatisu. 
Landry'sohe Paralyse *S8L 
*781. *989. 766. 769(2). 770. 

— cf. Neurit. multipL — 
und Polioenoephalorayefitis 
406. 

Landstreicher-Psychose 1148. 
Lan d wirthsc haft in der Ims- 
pflege 288. 

Larynx, centrale Innervation 
465. 467. — Lähmung 631. 
Lateralsklerose, amyotroph. 

*880. 530. 646. 879. 

Laune 760. 

Leitung, centrifdgale, im sen¬ 
siblen Endnenron 1102. 
Lepra anaeathetiea 88. *38L 
*678. *781. *989. — Kalk- 
sohwund der Knochen 876. 
Lethargie der Neger, cf. diesa. 
Liq. cerebrospinalis, cf. Lun- 
balpnnetion. — Abfluss Ver¬ 
hältnisse 664. — Abfluss 
nach R&ckenmarkrerietauag 

554. — nach lumbaler Cocaia- 
injection 654. — Leukocyten 

555. 

Lithium carbon. gegen Epi¬ 
lepsie 16. 

Lobus frontalis. cf. Qyras 
frontalis 857. — Hydatidea- 
cyste 867. — Endotheiiom 
368. — Abecess 469. — 
Leistung u. Erkrankung 948. 
— Einwirkung auf Stof' 
Wechsel 1063. — Gummsta 
1067. 1071. — Tumoren 
1071. 1132. 1188. — eeci- 
pitali s,Faserung desselben 
84. — Sarcom denselben 861 . 
Sehen 484. — Cyste 1078. 
— Erweichungsherde 1074. 
1076. — panetalis 862. 
— Sarcom desselben 361. — 
temporalis, Sarcom 860. 
682. — Atrophie 409. — 
Abscem 460 (8). 461 (2). 462. 
672. — Myxosaroom 682. — 
Absoess 689. 

Looalisation in Hirnrinde 
217(2). 896. — f&r Sinaes- 
spbären 216. 897. — ftr 
Genehm acksempfindonges 
287. 464. — f&r Hand 869. 
—(Br psychische Funetisue n 
661. - f&r Geruch 288. — 
f&r Sehen 484. 896. — f&r 
Sensibilität 862. — Sr 
motorische Centren 364. — 
f&r Augen muskelnerveu 482. 

— für ooajugirte Bewagu- 
gen der Bulbi 217. — ftr 
Nacken- u. Rumpfmuskria 


Google 


Digitizt 


1185 


12. — för Speichel, Pancre&s, 
Galle 860. — für Erection 
des Penis n. Samenabsonde¬ 
rung 1019. — für Sphincter 
ani 899. — för Agramma¬ 
tismus 409. — för Sprache 
678. — snbcortical: für 
Innervation der Kehle 485. 

— im Sehhügel: mimi¬ 
sches Centram 898. — för 
Sensibilität 1004. — im 
Röokenmark: för Blase, 
Mastdarm u.Genitalapparat 
456. — för Nervenkerne 
499. — för Phremcus 542. 
— Plex. brach. 642. — bei 
Segmentdiagnose 548. 549. 

— t Unterarmu, Handmus- 
colatnr 745. — för Sphinc- 
teren der Blase u. des Reo- 
tnms 950. — för einzelne 
Nerven 970. 

Lues, cf. Syphilis. 

Lnftonren 606. — cf. Höhen- 
kuren. 

Lumbal punction, cf. Liqu. cere¬ 
brospinalis, Trauma 555 (2). 

Lumbofemoralreflex 886. 

Lungentubercntosis und Peri¬ 
neuritis 526. 

Lungentuberculosis u. Reflex- 
hyperisthesie 900. 


Magenaffectionen u. Druck¬ 
punkte der Haut 595. — 
Geschwür 519. 

Malaria 828. 

Mandibularreflex, ef. Corneo- 
Mandibularreflex. 
Manganvergiftung, chronische 
961. 978. 

Manie, aonte 917. — nach 
Infectionskrankheiten 918. 
Manisch-depressives Irresein 
919. 

Markscheidenfärbnng, cf. Fär¬ 
be raetboden|840. 497. 
Marksegel, cfVelum medulläre. 
Maetdann, Centrum imRöcken- 
mark 456. 

Medulla oblongata, cf. Bulbär- 
affeetionen. — Anatomie 280. 
664. — Hypodermalarve 
beim Pferde 466. 
Medullarrohr, Rückbildungs¬ 
vorgänge 660. 

Meniäre’scher Symptomencom- 
plex *191. *574. 173. 174. 

— hysterischer 598. — The¬ 
rapie 178. 174. 680. 

Meningen *187. *879. *571. 
*987. *1158. 

Meningitis *187. *879. *779. 
*987. — basilaris syph. 
praecox 78. — syphil. 508. 

— purulenta bei Influenza 
265. — tuberculosa, Lym- 
pbocytose dabei 726. — 


Aphasie 874. — spinalis 
syph. 79. — serosa 866. 
Memngomyelitis syph. 886.503. 

— naemorrhagica bei Hun¬ 
den 1035. 

Menstruation u. Psychose.937. 
Merkfähigkeit 671. 

Migräne, cf. Hemikranie. 
Mikrocepbalie, path. Anatomie 
400. 513. 867. 868. 
Mikrogyrie 458, path. Anato¬ 
mie 400. 

Missbildungen des Central- 
nervensystems, cf. dieses, 
Mitbewegungen 112. 
Mörderinnen 1117. 
Mongolismus 224. 
Monstrositäten 500. 

Moria bei Stirnhirntumoren 
1188. 

Morphinismus *782. — 

Campher dabei 966. — De¬ 
lirium tremens dabei 966. 
Morphium, Darmwirkung 
689. 

Morvan’sche Krankheit, cf. 

Lepra, Syringomyelie 81. 
Motilität, Hirnmechanismus 
259. 

Motorische Bahn, primäre 888. 
Mundraum, hinterer Theil 
sensible Reize 692. 
Muiikelelastioität 811. 

Muskel, ehern. Aenderung bei 
EntartungBreaction 757. — 
bei Thomsen’scher Krank¬ 
heit 771. 

Mu8kelatrophie*l 155.188.—cf. 
Poliomyelitis. — arterieller 
Druck 288, — progressive 
507. 509. 547(2). — fami¬ 
liäre 510. — u. Tabes 820. 
— Charcot-Marie'sche Form 
479. — infantile progressive 
spinale 508. — neurale 874. 

— spinale 488. 510. — 
spinal neuritische 587. 769. 
— Duchenne-Aran 780. 

Muskeldystrophie 488. 511(2). 

512. 587. 622. *989. 
Muskelfasern, elektr. Erregung 
180. 

Muskelkrämpfe, isolirte sub- 
oorticaler Enstehung 642. 
698. 748. 806. 

Muskelsinn, Leitung desselben 
in Hinteniträngen 65. 
Muskelpseudohypertrophie, cf 
Muskeldystrophie. 
Myasthenia pseudoparal. *380. 
*572. *780. *988. *1154. 97. 
164. 208.252. 308. 847. 890. 
447. 490. 688. 1024. 1025 
(4). 1026. 1027(8). 1028. — 
cf. Bulbärparalyse asthen. 

— paroxysmale 1022. — 
myasthenische Reaotion 
1023. 

Mydriasis, springende 78. 


Myelitis *880. — cf. Com- 
pressionsmyelitiB, Spinal¬ 
paralyse — dissemmirte 
nach Kohlenoxydvergiftung 
242. — syphilitica 526. — 
transversa, hohe Sehnen¬ 
reflexe dabei 166. 819. — 
haemorrhagica acutissima 
bei Typhus 268. 

Myelomeningitis 627. 

Myoclonie *989. 875. 

Myokymie 204. 690. 

Myopathie, Sehnenreflexe 
dabei 526, 

Myosklerose 976. 

Myotonie 480.— atrophische 
Form 186. *989. — bei Blei¬ 
vergiftung 204. 771 (8). 772 
(2). — arterieller Druck 238. 
639. 

Myxidiotie 225. 

Myxoedom *189. *781. *989. 
*1155. 224(2). 226(2). 226 
(2). 227 (2). 228. 229.618.— 
cf. Cretinismus, Glandula 
thyreoidea, Infantilismus. 

Myxoedematöses Irresein 876. 

MyxoedemBymptome bei Para¬ 
lysis agitans 958. 

HTackenmuakeln, klon. Krampf 
568. 

Narkolepsie, cf. Schlafkrank¬ 
heit. 

Naeenlächeln 1028. 

Natron kakodyl, cf. Kakodyl- 
säure. 

Naturforscherversamm¬ 
lung 784. 

Nebennieren, physiol. Wir¬ 
kung des Extractes 222. — 
Degeneration 949. — wirk¬ 
sames Princip 756. 

Negationsdelirium, cf. Ver¬ 
neinungsdelirien. 

Neger, Lethargie derselben, 
of Schlafkrankheit 

Nerven, cf. vasomotor. Nerven. 
— peripherische Lähmung 
*881. *781. *1154. 

Nervenfasern u. Nervenzellen 
755. — autogenetische Re¬ 
generation 1090. 

Nervenkranke, Volksheilstätte 
1124.— Kinderschulen 1181. 

Nervenkrankheiten bei syphil. 
Arabern 478. — Classifi¬ 
cation 728. 

Nerven, peripher, disconti- 
nuirl. Zerfallproceese 978. 

Nervennetz, Golgi’s 729. 

Nervenpathologie *379. 

Nervenphysiologie *186. 
*878. *986. — elektr. Er¬ 
scheinungen 980. 

Nervenpräparate 647. 

Nervenstumpf, centraler 
nach Nervendurchschnei¬ 
dung 87. 


y Google 


75 


1186 


Nervensystem, centrales, 
cf. Syphilis. — Histologie 
453. — allgem. Pathologie 
1080. — Path. Anat.: bei 
Anaemia perniciosa acuta 
727. 

Nerrentonns, peripherischer 
980. 

Nervenzellen *186. *778. — u. 
Nervenfasern 765.— Silber¬ 
imprägnation 497.— Energe¬ 
tik 756. — Einwirkung von 
Nicotin 811. — pyruorme 
Appendicee 178. — der 
Hirnrinde 161. — Netz¬ 
werk 179. — des Bücken- 
marke«, Biesenzellen bei 
Triton 811. 

Neuralgie *189. *881. *578. 
*781. *989. *1155. — cf. die 
einzelnen Nerven, Ischias 
u. s. w. — neurathenische 
596. 

Neurasthenie *189. *882. *573. 
*989.*1155.596. 610.873. — 
Kakodylsäuretherapie 297. 
— Psychopathologie 593. — 
bei Kindern 604. — Behandl. 
608. — objective Symptome 
979. — Angst 845. 890. — 
Pathogenese 593. — Luft¬ 
kuren 606. — Neuralgien. 
596. — Pulsphänome 979. 
— Seebäder 607. — Berg¬ 
steigkuren 607. 

Neuritis, *189. *381. *573. *781. 
*989. *1155. — arsenicalia 

268. 279. 984. 962. 968. — 
Aufsteigende B&ckenmarks- 
degeneration 171. — mul¬ 
tiple 512. 764. 765(2). 766 
(2). 767(2). — der Gehirn¬ 
nerven 766. — Bückenmarks- 
Veränderungen dabei 768. — 
u.Psy choee 768.—alkoh. 268. 

269. — bei Basedow 740. — 
bei Carcinom 171.—bei Dia¬ 
betes 170. — gonorrhoica 
170. — Kohlenoxyd Vergif¬ 
tung 172. — puerperalisl69. 
— bei Tubercul- u. senilem 
Marasmus 879. — plex. 
brachialis syph. 79. — 
poetpuerperalis 767. — Be¬ 
schäftigung 767.—c e r v i c a- 
lis 171. — olfactoria 402. 
optica 171. 860. — Pu- 

t iillen dabei 68. — retrobul- 
arm und Hysterie 74. — 
b. Bäckenmarserkrankungen 
1038. — sacralis 171. 
Neuritis interstitialis 
hypertroph, progressiva 
476. 567. — retrobulbaris 
172. — bei Bückenmarks- 
abscess 553. — segmentaris 
879. 

Neurofibromatosis des centra¬ 
len Nervensystems 33. — 


cf. Perineuritis. — der Hast 
626. 

Neuroooocus (Bra), bei Epi¬ 
lepsie 818. 

Neurofibrillen, Eisenimprä- 
gnatdon 811. 

Neuroglia, bei Geistes kr. 13. 

— cf. Glia. — Structur u. 
Hlstogenese 163. 950. — 
Zellen 164. — bei Methode 
Anglades 782. 

Neurologie, Zeitschrift 832. 
Neuron 971. 1084. 1090. 
Neurosen, traumatische 416. 
Neurose, vasomotorische 629. 
Nicotin, Einwirk, auf Nerven¬ 
zellen 811. — Vergiftung966. 
Nierenkrankheit u. Psychose 
274. — ct Urämie. 
Nietzsche, Pathologisches 967. 
Nucleus, eaudatus 215. 898. 

— salivatorius 521. 848. 
Nuptiales Irresein 471. 
Nystagmus 723. — oon- 

genitaler 908. 


Obturatoriuskern im Bücken- 
mark 499. 

Oculomotorius, cf. Augen¬ 
bewegungen. 

Oculomotoriuslähmung, ct 
Ophthalmoplegie *989. — 
reoidivirenae 143. — und 
Aneurysmen 418. — bei 
Erweichungsherd im Hirn¬ 
schenkel 721. 

Oedem, trophisches *881. — 
umschriebenes bei Epilepsie 
828. 

Oeeophaguskrampf bei 
Hysterie 372. 

Ohr u. Hysterie 597. 

Oliven 11. — ct Fibrae olivo- 
cerebellares. 

Olivenbündel, Helweg • Bech¬ 
terewsches 467. 

Ophthalmoplegie, complexe 7 0. 
*987. — externa 82. 121. — 
mit period. Hebung u. Sen¬ 
kung des oberen Lides 70. 

Opium, Darm Wirkung 689. 

Opiumvergiftung u. Cannabis 
ind. 266. 

Opticus, cf. Amaurose, Ambly¬ 
opie, Sehstörungen, Neur. 
opt — Durchschneidung 
812. — Atrophie, hereditäre 
78. — Schmierkur 118. 

Orbioularis, Contractions- 
reflector 109. 

Osmiumschwärzung 981. 

Osteoarthropathie, hypertro- 
phica, pneumica 781. 

Osteomalacie 878. — u. Mor¬ 
bus Basedowii 880. 

Othaematom bei Geisteskran¬ 
ken 1119. 

Otitis, cf. Hirnainusthrombose, 


Hirnabscess. — sseAia 8M 

867. 889 (2). 870. 

Pachymeningitis, medaiL 
carcinoma tose 528. — 

externa nach Pmumü 
623. — idiopath. 981. 
Palmarreflex 169. 
Pancreas, Beflexoeatrom 
161. 

Paradoxie sexualis S72. 
Paralexie, cf. Alexie 1104. 
Paralyse, periodische fa—flüie 
902. 908. 904. 905. 
Paralysis agitans *574. *991. 
*1156. 410. 518. 959. — mit 

Muskelweli« I ®57’! e ^- path. 
Anatomie 956. 957. 968. — 
Sarcom 957. 

Paral^sis alternans 410. 
Paralysis labio-gloseo-pha- 
ryngea, cf. Bnlbirparalyse, 
cf. Psendobalbärpanlyae. 
Paralysis progressiva, cf. Tabo- 
paralyse *191. *888. *575. 
*788. *991. *1157. 822. — 
Symptomatologie 825. 
— Frühsymptome 825. — 
atypische 86. 428. — Papil¬ 
len 817. — multiple Blatan¬ 
gen 826. — Blut 605. — 

— u. multiple Sklerose 881. 
— Aenderung der Form 427. 

— u. Hirngeschwubt 518. 
Aetiologie 825. — Sy¬ 
philis 117. 188. — Blei 273. 
— Urämie 278. — Ver¬ 
lauf: schnell verlaufende 
711. — Pathogenese: 
Toxine 826(2). - Path. 
Anat: 824. 712.725. 1152. 
— NeurogliaWucherung 18. 
— Topographie der Bindeo- 
degeneration 54. — Gan¬ 
glion ciliare and Gassen 
817. 318. — Ganglioeüiare 
661 .— Gefassveränaerangen 
824. 826. 688. — Lymp- 
hocvtose 725. — BandzeUen- 
infiftration 424. — Dia¬ 
gnose 1155. — Himsyphilis 
502. — Theraohie: 718. 
— Serumbehandlung 326. 
— Forensisch: Testa¬ 
mente 826. 

Paramneaie, epilept 18. 
Paranoia 776. — initiale Er¬ 
seheinungen 2. 

Paraphasie, cf. Aphasie, 
Paraplegie, cf. PotPsehs 
Krankheit — Schmerzhafte 
bei Careinomkraakss 527. 

— sehlaffe 878. — spasti¬ 
sche 622. — PairoPaeke 
Psendoparalyse 1066. 

Parese, peeudoparalytäsehe 

1112 . 

Patellarreflex 819. 762. — im 


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«ycwi «mm Anfal* TJi — 
ha Iahet ?Ml— ei xrtmar- 

CBohfinm. cf önt — 

reü» he Myciras «Ri — 
br. Ö>rrr* nir Kt — 
Pit« Mtsom 14. 
Pe-ir»r«i*v ei smäaci 
Peilen*1?«.*Sel.*>: 

770. — STBjaäaru* c*Wr 
756- 

Peaphim. Ebeta—ri wq» 
üderufta äte ü4 
Peniserem.« (.OenTKOsa 
101 *. 

PaiMntä u. LnpirtWr- 

mktaa 52*. 

Perk*dinebe Pirctttt &. 50. 
*1* ii . 922.' 

Per ow , Ken ■ Kickn- 
■nk 4*9. 

Penömbehkeit, Spaltung der¬ 
selben 61t 

Pirtnoss. mT O« Stimgn 

265. 

Phrenros 1T9. — Ursprung 
542. 

Phthisis n. Neurasthenie 102. 
.Physostigmin m. Onre 12. 
Pjanistenkrampf 177. 
PUatarreflex,«!. Babtaskischer 
Reflex. 

Platzangst 71*. 

Plexus braehialis, Neuritis, 
ef. diese. — Ursprung im 
Röcken mark 542. 74*. — 
TAhmangen 1043. 1136. 
Plexus ehoriodei 754. — Tumor 
181. — Gliom 3*4. 
Plexusttfemungen 1042. 

Plexus lumbo-sacmlia, Läh¬ 
mungen 1043. 
Polioenoepbnlitis 97*. 
Polioeneephalotayelitia 405. | 
451. 

Poliomyelitis sot *1154. 607. 

— cf. Muskel*trophie. — 
Knochenatrophie dabei 874. 

— acutoEpiaemie 505. — 
anterior subaeute 7*6. — 
infantile 509. — der Er¬ 
wachsenen 507. 512. — im 
Puerperium 1*9. — durch 
Arsenik 280. 

Polynenritis, cf. Neuritis mul¬ 
tiplex. 

Pons Varolii: Formatioreti¬ 
cularis 885. — Erweichung 
861. — Geschwulst des¬ 
selben 48. 876. — Gumma 
864. — Herd 400 (2). 411 
(2). — bei Pseudobulbär¬ 
paralyse 468. 469. 
Porenoephalie *879. 467. 

924.1064. 1066. 
Poriomanie 1084. 

Po rose cerebrale 867. 
PräDarationsmethode 647. — 
cf. Färbemethode. 


«f> i. 4"K 

PaenoaLTwrr* .jam Osc Mas- 
~kr.iL. d I'Tjcrroir.«*. 
Paenn-mscw«» «27 . «ä — 
— * 7702 - 

irascnt «Ä. «25 — Sutp- 
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Pwmdiuafco» 1774 . 2 t 77. 
Pfraasie ”S 6 i. **>1. 4'. A 

i 77 . 

Prraöck Lairry ssi 
Hmrera f?5 

Pf« *1*1. *562. *574. 

*7«. Vrl. *1155. 234. «6*. 
851. 

PfTrii.ftfki.ine *51. 
PiTAnM. cL & saitba 
(‘sTchasea. perwi PiTtb> 
n *191. *3>5 *575. *765 
*991. *1157. — experimeu- 
taflt — fix 

tfceOu t 773. »76. 1038. — 
Symptomatologie: 
Athemknapf 39. — Be- 
aehtaagswaha, cf. diesem. 

— combinirtc S3 — Com- 

binirte u. aasimiliite 866. 
— Diabetes 274. — Dupuy- 
trea’sche Fingercontractur 
920. — Eifersuch tswahm, 

cf. diesen. — Eigenbeziehung 
cf. diese. — dektr. Unter¬ 
suchung 970 u. 1114. — im 
Greiaenalter 866 u. 1039. 
— Hysterisehe Symptome 
89. — Hysterie 610. *1149. 

— im Kindesalter 418. 470. 
— Menstruation, cf. diese.— - 
Nennt, malt, cf. diese. — 1 
Othaematom 1119. — ScbA 
del 38 (Hinterhauptstypus). 

— traumatische 708. — 
Vererbung 1147.— Aetio- 
logie: Aberglauben 1039. 

— durch Autointoxication 
472. — Blei, cf. dieses. — 
Erysipel 265. — experimen¬ 
tell eneugte 695. — Ge¬ 
fangenschaft, cf. Gefängniss- 
psychosen — Genitalleiden 
bei Frauen 684. — indu- 
cirte 472. — Influenza 29. — 
Kopfverletzungen 1112. — 
Landstreicher 1148. — Myx¬ 
ödem 87*. — Nierenkrank¬ 
beit 278. 274. — Pertussis 
265. — postoperative 287. 

— im Puerperium, of. Puer- 
peralpsychosen. — Spiritis¬ 
mus 774. — bei Tabes 
1149. — Typhus 262. — 
im Anschluss an Verheira¬ 
tung 471. — Path. Anat.‘ 
918. — Arteriosklerose 420. 
— Verlauf: circnläre, of. 
diese. — periodische, cf. 
diese. — plötzlich nach 


xbAiridfrmMBäyxie mrx 
KM? Auf iwC't-mg d«* Gartet 
>4 — frssn n i 775 — 
T . SämUaCM« 6TV\ 

— Timfi* *1*2 *294. 
*576. *7-4 — AM Kr 
rtynpawish 125. — 
Bcr.a 157. — Be vonl 126. 

— brysamcahcsL.diese. - 
Fajt2«rrS-.yrir. c: diese. — 
Lssjs-.-'Astbift.cf diese.— 
Otitiw 237. — Kakvdd- 
sm 2*7. — Srfcäddrbsea- 
ätnp« 876. — Bett flr 
Uxraxbeb* Uä — Wach- 
abckeümage« 126 . 

PsTnb.-«heraj>jc 1146. 

Pt«sis 345 527. 
Puerperalpsychosem 4T1. 
Pacrperiam: Neuritis mul- 
tipkx u. Pvdi.wayditis 169. 
Pnlsphäaomea.' ae n ra s th . 
972 

Pul 11 ilinrmmusg. 8*4. 
Pupillenbewegang *189. 
*780. *987. *988. 69. 317. 

— cf. Ceatrumcibospimale 

Mydnasäa. — Westphal- 

Pütx’sehes Svmptom 150. — 
mjotonnche 738. 837. 1000. 
1052 1137. 

Pupilleureactiou bei Nen¬ 
nt. optica 68. — bei Con- 
vergeni 980. — paradoxe 
939. 1012 — 1054. 
Pnpillenreflexe69.164.812 
Pupillenstarre, reflector. 
*572 69. 76. 1001. — u. 
Ganglion ciliare 661. — 
hysterische 688. — bei 

Pseudobulbärparalyse 470. 

— bei Lues 1068. 
Pupillenträgheit bei Ac- 

commodation u. Convergenz 
738. 837. 1052. — of. myo- 
tonische Pupillenbewegung. 
Pyrumidenbahn 217. 260 . 
855. 858. 977. — Function 
542 (2). — secundäre Dege¬ 
neration 355. 857. 
Pyramidenatrang, ventro- 
lateraler 534. 

Radialislähmung 1045. 1081. 

— durch Compression 289. 
240. - u. Tabes 820. 

Radiologie 786. 
Rauschzustand, patholog. 272. 
Rautongrube, cf. 4. Ventrikel. 
Raynaud’sche Krankheit *189. 
■•881. *989. 515. 628. 677. 
679. 976. 

Reaction, myasthenische, of. 
Myasthenie. 

Reactionszeiton bei Europäern 
u. Malayen 851. 

Reflexe *189. *881. *572. *780. 
*988. *1154. — cf. Haut-, 
Sehnooreflexe. — ober- 
71 


1190 


915. — im Geeicht u. Hals 
45. — wechselnde 724. — 
geistiger Zustand 914. — 
H&ltungstic 725. — Behand¬ 
lung 608.916. — Volta’schea 
Bogenlicht 285.— n. Schreib¬ 
krampf 915. 

TorticoUis spasmod. 528. 

Tract antero-later. asoendens, 
ct Gowers’sches Bündel. — 
olfact, cf. Bnlb. olfact. — 
güomatöee Entartung 858. 

— opt, ct Opticus. 

Trapezius, cf. Cucullaris. 

Trauma, *190. *882. *574. *779. 

*782*990 *1155.- cf.elektr. 
Entladung, Schädelfrac- 
turen, Hitzsohlag, Epilepsie, 
416. — des Schädels *571. 
22. 23. 359. 1076. 1107 (8). 
u. Hirndruck402. — u. Hirn¬ 
geschwulst 860. — u. Cha- 
rakterveränderungen 888.— 
Geisteskrankheiten 1118. — 
u. hjster. Amaurose 654. — 
Hysterie d.Ohrs598.—u.Epi- 
lepsie 822. — des Rücken¬ 
markes 66. 384. 554. — 
posttraumatische Er¬ 
krankung 545.982. — des 
HalssympathicuB 678, 

— der Wirbel 884. — re- 
flectorisohe Knochen¬ 
atrophie 872. — multiple 
8kleroee *572. 829 (3). — u. 
infectdöse Hirnerkrankungen 
1109. — Syringomyele, cf. 
diese. — Knochenatrophie 
1112. — Muskelatrophie 
547(2).— Hysterie bei Tele- 

K * listinnen 1085. — Un- 
ysterie 1088.1111.1112. 
Tremor, cf. Pseudoparalyse. — 
halbseitiger 44. — essen¬ 
tieller 288. 

Trepanation des Sch&dels 680. 
685. 860. — bei jungen 
Thieren 818. — bei Idiotie 
u. Epilepsie 19. — bei Epi¬ 
lepsie 22 (2). 28. 24. 826. ; 
882. — bei Syphilom des 
Stirnlappens 1071. — bei 
Cyste des Hinterhaupt- | 
lappens 1073. — bei Psam¬ 
mom des Grosshirns 40. — i 
bei Jackson'scher Epilepsie , 
76. 824 (8). 825. — bei , 
Hydatidenoyste des Stirn- | 
hirns 857. — bei Geschwulst 1 
im Lob. front. 858. — bei 
Sch&delverletzung 859. — • 
bei Geschwulst im Lohns | 
parieto-occip. 861. — bei 


Hirngeschwulst 361. 862. 
565.1188. — bei Hirnabsoess 
869 (8). 870 (3). 459. 460 
(2). 461. 462. 672. — bei 
Sprachstörungen 1076. — 
Kleinhirntumor 466. — der 
Wirbelsäule&50.620.684. 
Tricepsklonus 640. 
Tricepsreflex 165. 

Trige min us^ Geschmacksfasern 
818. — Neuralgie, cf. Gang¬ 
lion Gasseri. — Wurzel, 
spinale 467. — Facialis- 
reflex, cf. Supraorbitalreflex. 
Trinker, cf. Trunksucht 
Trinkerheilanstalt 270(2). 
271 (2). 272. 

Trophiscbe Störungen 858. 
Tröp hon eurotische 
Knochenatrophie 872. — 

Hautgangr&n 522. 
Trunksucht, Statistik 269. 

cf. Alkoholismus. 

Typhus u. Nervensystem262. 

— u. Myelitis 262. u. Poly¬ 
neuritis 766. 

Cebungstherapie, cf. Tabes 
1088. —bei nervösen Husten 
609. 

Ulnaris, traumat Lähmung 28. 
Unfall, cf. Trauma 416. 
Unfallneurosen 416. 
Unfallkranke, cf. Trauma. 
Unreinliche Geisteskranke, 
Bett 1182. 

Urämie u. Psychose 273. 

Urin bei Epilepsie 820. 

Vagus, cf. Accessorius. — 
Sensibilitätsrerhältnisse 664. 
— Physiopathologie 950. 
Vasomotorische Nerven 180. 
— Einfluss auf Blutgefässe 
1068. 

Velum medulläre post 1101. 
Ventrikel, vierter, Hydrops 
desselben 188. — Gliom 865. 

— cf. Plexus choriodeu8. — 
Cysticercus 566. 

Verbrecher, geisteskranke 681. 

— cf. forens. Psychiatrie. 
Vergiftungen *190. *782. *990. 

*1156. 

Verneinungsdelirien 28. 
Vertigo, cf Schwindel. 

Vicq assyrisches Bündel 409. 
Viernügel, cf. Corpora quadri- 
gemina. 

Virchow + 883. 
Volksheilstätten 1124. 
Voltaisation 7. 

Vorderhornzellen, cf. Nerven¬ 


zellen. — Ceatrosmea da¬ 
rin 258. 

Vorderseiteastringe, 

Fasern 184. 


WärmeempfindHehkeit, cf 
Temperatursinn. — Tsps- 
grapnie 261. 

W abn Vorstellung der Ver¬ 
neinung, cf. diese. 

Wandertrieb, cf Poriomaak. 

Weber*scher Symptomeaeem- 
plex 42. 129. 

W estphal-Pilz'sehes Symptsm 
150. 

Westphal'sches Zeichen, et 
Patellarreflexe. 

Wiederkauen 1102. 

Willensfreiheit 761. 

Winterkuren im Hoch¬ 
gebirge 1098. 

Wirbelsäule *188. *880. *571. 
*780. *988.*1154. — Deviat 
u. Contraoturen neurot Ur¬ 
sprungs 599. 600 (2). - 
ankylosirende Entsäa- 
dung *880.—Verkrümmung, 
ef. Syringomyelie. — Ver¬ 
letzungen 884. 

Wortblindheit 1075. 

Worttaubheit 672. 

Wurzeln des Rückenmarks, d 
Lumbal wurzeln u. s. w. — 
hintere u. Gefässerwäte- 
rung, 180. — Degee era ti sa 
bei Hirn druck u. bei Zehr¬ 
krankheiten 866. — vor¬ 
dere: Degen er ation bei 
Hirn druck u. bei Zehrkrank 
heiten 865. 

Yohimbin 967. 

Kebenrefiex, cf Bahinski'scher 
Reflex. 

Zelle, ct Nervenzelle. 

Zittern, cf Tremor. 

Zunge, ef Hypoglossus. — bei 
Tetanie 684. 

Zungenkrampf, isotirter, auf 
hereditärer Basis 77. 

Zurechnungsfähigkeit. cf fo¬ 
rensische Psychiatrie. — 
verminderte 788. 

Zwangsbewegung 283. 

Zwangserbrecnen 602. 

Zwangslacben 859. 861. 

Zwangsvorstellungen 27. 89. 
611.1117.. — sexuelle 1147. 

Zwerchfell cf Phreuloua. 

Zwilling s!r res ei a 29. 


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Die Stelle des 1. Assistenzarztes an der Heilanstalt rar Gemüts- 
und Nervenkranke Lindenhof in Coswig bei Dresden ist im Frühjahr 190«) neu 
ZU besetzen. Gehalt 3000 e# jährlich nebst freier Station; eveut Familien- 
wohnung mit freier Heilung und Beleuchtung. Mehrjährige Thätigkeit an 
größeren Anstalten erforderlich. 

Offerten zu richten an Sanit&terath Dr. Pierson, Coswig (Sachsen). 

Nach Neujahr 1902 wird die sehr gut dotirte Stelle des ersten AdfllNtcutcn 
der Klinik neu besetzt. Bewerber mögen sich in nächster Zeit bei mir per* 
SÖnlfch melden. Schriftliche Anfragen kann ioh nicht berücknioliUgan. 
Erste Bedingung ist: wissenschaftliche Befähigung. 

Professor Rieger, 

Vorstand der psyohlatrlsohsn Klinik 
der Universität WUrsburg. 

—_ D gi e l by COOgle 










Sanitätsrath Dr. Rilscher’s 

Wasserheilanstalt Lauterberg (Harz). 

- Das ganze Jahr besucht. Entziehungskuren. Prospecte. = 


Dr. Otto Dettmnr. 


' Sanatorium Elsterberg, 

A für Nerven-, Alkohol- und Morphiumkranke. | 
I Das ganze Jahr hindurch geöffnet. 

J Sanitätsrath Dr. Römer. ^ 


Wiesbaden 


Dr. Le hr’sche Kuranstalt 

Bad IVerotIin.1. 

Das ganze Jahr offen. Prospekte frei. 


Sanatorium Marienbad bei Goslar a. H. 

Kuranstalt für alle nervösen Erkrankungen, Alkobolismus. Morphium sucht. 1 

Phyaikal.-diätet. Heilverfahren, sowie alle übrigen bewährten Heilmethoden. 

-Familienanschluss.- 

Hiervon völlig getrennt! 

Heil- und Pflegeanstalt für die leichten Formen der Gemüthskrankheiteo. I 

Prospecte kostenlos durch die Verwaltung. Dr. med. Benno, Nervenarr» tt. ärztL Pir ectOC. 

Wernigerode a. Harz, Sanatorium Salzbergthal. 

Kuranstalt für Nervenkranke und Erholungsbedürftige. 

Aufnahme: ca. 20 Patienten. — Familienanschluss. — Das ganze Jahr besucht. 

Prospecte durch Dr. Guttmann, Nervenarzt. 
























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Baden-Baden, Sanatorinm Dr. Ebers 

für innere und Nerven-Kranke. 

Das ganze Jahr geöffnet. Dr. Paul Ebers. 











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