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Neurologisches Centralblatt
iltizedby GoOgk
a)€C{
HARVARD UNIVERSITY.
LIBRARY
OF THE
MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOQY.
I 3.M
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NEUROLOGISCHES
CE N X HALB LAT T
ÜBERSICHT
DER
LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATOMIE,
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN¬
SYSTEMS EIE SCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. E. MENDEL,
PROPB88OR AN DBB UNIVBB 8 ITÄT BBBLIN.
EINUNDZWANZIGSTER JAHRGANG.
MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1902.
Diqi
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Druck von Metzger 4 Wlttig ln Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
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Eioandzwanzigster
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
xu Berlin.
Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs,
sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.
1902 .
1. Januar.
Leipzig,
Verlag von Veit &
1902 .
Nr. 1
Comp.
Anu Undlsuns.
Neurologische Centralblatt
erscheint monatlich zweimal und stellt sich die Aufgabe, neben kurzen Original-Mitthei-
lmigen, einen überblick über die gesammte einschlägige Litteratur des In- und Auslandes,
einen neurologischen Jahresbericht zu liefern. Wieweit der Redaktion dieses Ziel zu
verwirklichen gelungen ist, dafür legen die zwanzig abgeschlossen vorliegenden Jahrgänge Zeug¬
nis« ab. Unterstützt von den bewährten ständigen Mitarbeitern, von denen wir hervorheben: Dr.
S. Adler (Berlin), Dr. Alzheimer (Frankfurt a.M.), Dr. Asch (Frankfurt a. M.), Prof.Dr. Aschaffenburg
(Halle a.S.), Prof. v.Bechterew (St.Petersburg), W. Berger(Leipzig),Dr. BeyerfWaldliof b.Freiburg
v.l'r. Dr. Bielschowsky (Breslau), Dr. Bielschowsky (Berlin), DocontDr. Bikeles (Lemberg), Prof. Bins •
»inqer, Dr. Bloch(Berlin), Docent Dr. Boedeker (Schlachtensee), Dr. Bresler(Krasclmitz), Dr. Bruns
i Hannover), Dr. T. Cohn (Berlin), Dr. Connstein (Charlottenburg), Prof. Dexler (Prag), Prof. Erb.
i'w Eolenburg, Dr. Facklam (Suderode i. H. ), Dr. Flatau (Warschau). Prof. Paul Flechsig, Prof.
Ilr. v. Frankl-Hochwart (Wien), Dr. Frenkel (Heiden), Dr. Friedländer (Frankfurt a. M.), Dr. Fried¬
linder ("Wiesbaden), Dr. Friedmann (Mannheim), Dr. Geelvink (Heizberge), Dr. Gessner (Nürn¬
berg), Dr. Giese (St, Petersburg), Dr. Grube (Neuenahr), Dr. Haenel (Dresden), Dr. Hatschck
(Wien i. Dr. Hirschberg (Paris), Prof. Hitzig, Prof. Hoche (Strassburg i. E.), Dr. Hudovernig I Buda¬
pest), Docent Dr. Jacobsohn (Berlin), Prof. Dr. Jendrässik (Budapest), Dr. Ilberg (Sonnenstoin),
Dr. Kalischer (Schlachtensee), Dr. Kalmus (Lübeck), Dr. Kaplan (Herzberge). Prof. KraepMin
(Heidelberg), Dr. Krauss (Buffalo), Dr. Kühne (Allenberg), Dr. Laquer (Frankfurt a.M.), Dr. Ernst
Lehmann (Oeynhausen), Sanitätsrnth Dr. Leppmann (Berlin), Dr. Lewald (Obernigk), Docent Dr.
Liepmann (Dalldorf), Dr. Lilienfeld (Gr.-Lichterfelde), Dr. Lilienstein (Nauheim), Dr. Neumann
Karlsruhe), Dr. Meitzer (Grosshennersdorf), Dr. Meyer (Chicago), Prof. Dr. Moeli (Herzberge
b. Berlin), Prof. Dr. v. Monakow (Zürich). Mediciualratb Dr. Näcke (Hubertusburg), Dr. Marcus
iWicn), Dr. Nonne (Hamburg), Dr. Passow (Meiningen), Dr. Pfeiffer (Kassel), Prof. A. Pick, Prof.
Dr. Redlich fWien), Prof.E.Remak (Berlin), Docent Dr. P. Rosenbach (St. Petersburg), Prof. Dr.Roth
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L»r. Sacnger (Hamburg), Dr. Samuel (Stettin), Prof. Dr. Schaffer (Budapest), Docent Dr. Schle¬
singer (Wien). Dr. 0. Schmidt (Freiburg i. Schl.), Dr. Schneyer (Bukarest), Dr. Schnitzer (Stettin
Prot F. Schultze (Bonn), Prof. Dr.R. Schulz (Braunschweig), Gell.Medizinalrath Dir. Dr.F. Siemens
J-iu-nburg), Dr. Sorgo (Wien), Dr.Stieda (St. Petersburg), Dr.Stieglitz (New York), Prof. v. StrUm-
pell (Erlangen), Dr. Ten Cate (Rotterdamm), Dr. Valentin (Berlin), Docent Dr. Weygandt (Wiirz-
:■ irg), Dr. Wille (St Pirminsberg), Dr. Zappert (Wien), Prof. Dr. Ziehen (Utrecht) — wird das
„Neurologische Centralblatt“ auch fernerhin den gleichen Weg wandeln, den die stets
wachsende Abonnentenzahl im Tn- und Auslande als den richtigen anerkennen lässt.
Bestellungen auf das „Neurologische Centralblatt“ nehmen alle Buchhand¬
lungen des In- und Auslandes, sowie die Postanstalten des Deutschen Reiches entgegen. Der
Preis für den Jahrgang von 24 Nummern beträgt 24 Ji, direct von der Verlagsbuchhandlung
mit' r Kreuzband bezogen derselbe Preis.
Ankündigungen offener Stellen, sowie überhaupt von allen das Anstat fstcesen be¬
treffenden Angelegenheiten, von Stellengesuchen, Arznei mit lein. Bädern, Kurorten, litte-
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r Dr. Otto Dettmnr.
Diqithed bv VjOOQIC M
JAN 21 «'W2
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Heransgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
Andzwansigster " B * riIn ‘ Jahrgang.
Meieflieh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
aüe Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct Ton der Verlagsbuchhandlung.
1902. I Januar. Nr. 1.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Zur Lehre von den initialen Erscheinungen der
Paranoia. Bemerkungen von Prof. A. Pick. 2. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie,
▼ea Dr. Schiefer (Pankow). 3. Versuche über Voltaisation. Zum 100jährigen Jubiläum der
Vetta'sehen Entdeckung. Von Dr. Zanietowski, Nervenarzt in Krakau.
0. Referate. Anatomie. 1. Ueber die Darstellung der Rückenmarkssysteme mit Hülfe
der Eatwiekelungsmethode, von v. Bechterew. 2. Technische Bemerkungen zur Carmin-
Oihuag des Centralnervensystems, von Schwalbe. — Experimentelle Physiologie.
3. Daher die Folgen von Verletzungen in der Gegend der unteren Oliven bei der Katze, von
feiler. 4. Ueber die gegenseitigen Beziehungen zwischen Curare und Physostigmin, von
■aMfeerfer. — Pathologische Anatomie. 5. Ueber den Bau des vollständig balkenlosen
<lwtene, ron Probst. 6. Neurogliabefunde in 30 Gehirnen von Geisteskranken, von El-
rtpr. — Pathologie des Nervensysteme. 7. Pathogdnie des terreurs nocturnes chez
Me einta, par Rey. 8. Beiträge zur Pathogenese und pathologischen Anatomie der Epilepsie,
vee Mv. 9. Pathogönie et traitement de l’dpilepsie, par Kralnsky. 10. Epilepsie et fiövre
par Marie etBovat. 11. Unfall und Epilepsie, von BIhr. 12. Symptomatologisches
zur Spilepiiie, von Plpk. 13. Ueber das Verhalten des Kniephänomens während der epilep¬
tische« Anfälle, von Ferenczi. 14. leterus und schwerere nervöse Erscheinungen, von Reusz.
15. Hesripldgie spasmodiqae infantile avee Epilepsie, par Est&vss. 16. Nothzochtsdeliote im
•püeptiaenen Dämmerzustand. Gntaohten von Blachlan. 17. Een viervoudige moord gepleegd
ia een epileptischen droomtoestand, door Pol. 18. Ueber die Prognose der Epilepsie, von
■Karmas. 19. Meddelelser fra Kolonien for EpileptiBke (Filadelfia), af Seil. 20. La eura
dsIP epüesaia eol metodo Richet, pel fiarblni. 21. Ueber das Bechterew’scbe Mittel bei Epi-
bpae. von KarwacH. 22. Epilepsie et trdpanation, par fillles da la Tourette. 23. Zwei Fälle
voa Nervenehirurgie: Eine Epilepsie, die nach spontaner Schliessung einer traamatiseben Fistel
das Schirieis entstanden war und durch Trepanation geheilt wurde; eine Ellenbogenluxation
■M Verletzung des N. ulnaris; Heilung, von Pauchet. 24. De la gdndralisatdon des crises
conaöcutives aux traumatismes localiads du crane chez renfant et de leur traite-
umt, par Chipaalt. 25. Du cboix de l’intervention dans les epilepsios essentielles gdnöralisdes,
par VMaL 26. Tuberculose du diplod. Crises dpileptiques. Hdmicontraoture posthdmipldgique
arm athdtoae. Rdaeetiou de la partie d'os malade. Disparition de l’hömicontraoture, par
d^aatt. 27. L Berichte über die Schlafkrankheit der Neger im Kongogebiete, von filelm.
— fl. Bemerkungen und Beobachtungen über die Schlafsucht der Neger, von Mense. —
Paraliiatrie. 28. Contre la ddgdndrescence, par Hardenberg. 29. Klinische Beiträge zur
tob tchMa. 80. Periodische Katatonieen, von Müller. 81. Unilateral hallucinations;
thsir valativfi frequency, associations and pathology, by Robertson. 32. Le cas de Charles
Boaast. — Hallucinabons visuelles ehez un vieiflard opdrd de la cataracte, par Flournoy.
38. Ofaaeaakm dmotive d’origine sexuelle; traitement et gudrison, par Valentin. 84. Psico-
(•Maris Mio Idee di negazione, pel Santa de Sanctis. 85. Krankzinuigheid by tweelnigen,
door pan 86. Post-influensal insanity in tbe Curoberland and Wert moreland asylum,
wMh dtihte of 68 cases, by Rorie. 37. Die hessischen Provinzial-Siechenanstalten und die
Osirtsshsikm, von Ludwig.
1
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2
III. Bibliographie. Dipsomanie. Eine klinisohe Studie von R. flaupp.
(V. Abs den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrank¬
heiten. — Gesellschaft der Neurologen und Irrenärate zu Moskau. — Sociöte de neurologie
de Paris.
V. Vermischtes.
L Originalmittheilungen.
1. Zur Lehre von den initialen Erscheinungen der
Paranoia.
Bemerkungen von Prof. A. Piok.
In einer eben erschienenen, glänzenden Arbeit, die ich in vielen Beziehungen
als grundlegend auch für psychiatrische Fragen erachte und der ich deshalb
weitgehendste Verbreitung wünschen würde, berichtet Hrad auch über Er¬
scheinungen, die eine wichtige Unterstützung für eine kürzlich aus meiner Klinik
hervorgegangene Arbeit darstellen; die Stellung jedoch, die Hrad seinen Be¬
obachtungen zuweist, veranlasst mich, seinen diesbezüglichen Anschauungen ent¬
gegenzutreten. Trotzdem ich nun der Ansicht bin, dass auch die Mehrzahl der
psychiatrischen Fachcollegen diesen Standpunkt mit mir theilen wird, glaube
ich doch mit der Darlegung desselben hervortreten zu sollen, und zwar gerade
wegen der Bedeutung, die ich der Arbeit Huad’s im Uebrigen zuerkenne, und
wegen des Lichtes, das mir nach erfolgter Correctur seines Standpunktes in der
zu discutirenden Frage auf jenes Thema zu fallen scheint. Da es sich bei der
Darlegung meines gegenteiligen Standpunktes nioht um neue Thatsachen
handelt, vermeide ich es auch, etwa neue Beobachtungen beizubringen, vielmehr
wird es genügen, wenn ich das Material für die Discussion der Litteratur ent¬
nehme, bezw. die betreffenden Thatsachen resümirend wiedergebe.
In der „Certain mental changes that accompany visceral diseases“ betitelten
Arbeit 1 berichtet Hbad über das an Kranken mit visceralen Affectionen zu be¬
obachtende Auftreten eines „ill-formed state of suspicion“, der nach seiner Dar¬
stellung etwat dem entspricht, das wir im Deutschen neuerdings als „Eigen¬
beziehung“ oder „Beziehungswahn“ bezeichnen; sie bilden sich ein, dass ihre
Freunde sich ihrer gern entledigen möchten, oder von ihnen reden, oder dass
die Pflegerinnen ihnen Uebel wollen, dass ihre Umgebung niedrig von ihnen
denkt, sie nioht für so schwer krank hält, wie sie es wirklich sind.
Daran knüpft nun Hkad (S. 383) die Ansicht, dass diese Erscheinung sich
in fundamentaler Weise von der gleichen Erscheinung bei Geisteskranken unter¬
scheidet. (Es ist vielleicht nicht überflüssig zu betonen, dass Head bei der
Auswahl seiner Beobachtungen jeden geisteskrank Gewesenen oder Nervenkranken,
ja selbst jeden irgendwie hereditär Disponirten streng davon ausgeschlossen hat)
1 Brain. XCV. 8. 882 £f.
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— 3
Die Gründe, die er dafür anführt, lassen sich etwa folgendermaassen wieder¬
geben: Solche Kranke zeigen kein Gefühl moralischen Unwerthes und produciren
in Folge dessen während jenes Stadiums von Verdächtigung keinerlei Wahn-
ideeen, dass sie etwas begangen haben, oder irgendwie von ihren Genossen ge¬
mieden werden; der Geisteskranke dagegen denkt, dass seine Umgebung ihn
eines vermeintlichen Verbrechens beschuldige, er häuft Beweis auf Beweis für
die Richtigkeit seiner Vorstellungen und setzt jeder gegenteiligen Beweisführung
seinen festen Glauben an die Richtigkeit jener entgegen; derartige Kranke hin¬
gegen, bei denen sich die hier beschriebenen Erscheinungen aus körperlicher
Krankheit herausentwickeln, sind durchaus nicht fixirt in dem Glauben an die
Richtigkeit ihres Verdachtes, bald glauben sie an dieselbe, bald zweifeln sie
wieder, der einfache Widerspruch ihrer Umgebung genügt, um sie aufzuklären;
besonders intelligente Kranke sehen die Erscheinung selbst als etwas ihnen von
lassen, gegen ihren Willen, Gekommenes an.
Gegen diese Auffassung nun riohtet sich mein Widerspruch, insofern ich
der Ansicht Ausdruck geben möchte, dass es sich bei den von Hkad gemachten,
iosserat werthvollen Beobachtungen durchaus um dieselben Dinge handelt, wie
wir sie alltäglich an unseren Geisteskranken beobachten; damit ist natürlich
nicht gesagt, dass die Kranken Head’s auch schon wirklich geisteskrank im
engeren Sinne des Wortes sind; sehen wir doch auf vielen Gebieten der Psycho¬
pathologie das gleiche Verhältniss; niemand zweifelt wohl, dass z. B. hypo¬
chondrische Vorstellungen, allgemein pathologisch betrachtet, psychopathisohe
Erscheinungen darstellen, ohne dass wir doch deshalb jeden, der sie äussert, als
ptetekrank ansehen werden.
Aber auch an dem Detail der Erscheinungen selbst lässt sich erweisen, dass
«ii anderer Unterschied, als der eben hervorgehobene, zwischen den von Hkad
beobachteten und den bei Paranoischen, denn um solche handelt es sich sichtlioh,
TOnriegend vorkommenden Erscheinungen nicht besteht.
Zunächst entspricht die Phase der Wahnbildung, welche Hkad, um den
ron ihm angenommenen Gegensatz zu illustriren, aus der Psychopathologie
heranzieht, einem späteren Stadium und nicht demjenigen, in welchem sich die
Erscheinungen der Eigenbeziehung zuerst entwickeln und deshalb darf auch nur
dieses letztere zum Vergleich mit den Beobachtungen Head’s herangezogen
wrden; in diesem letzteren treten nun die Eigenbeziehungen durchaus in der
gleichen Form hervor, wie sie Head von seinen nicht Geisteskranken schildert;
allerdings ist dies zumeist an etwas älteren Fällen nachträglich schwer nach-
mweisen, aber gerade in frisch zur Beobachtung kommenden und namentlich
aaeh ausserhalb der Anstalt abklingenden Fällen, die etwa dem gleichkommen,
»aa Fmdmahk 1 als „milde und kurz verlaufende Wahnformen“ beschreibt,
lässt sich nicht selten nachweisen, dass die ersten Erscheinungen durchaus nioht
andere sich daretellen, wie bei den Kranken Head’s; auch sie beobachten zu¬
nächst, dass man von ihnen spricht, dass die Umgebung ihnen übel wolle oder
1 Neurolog. Centralbl. 1895. S. 448.
1 *
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— 4
sioh ihrer entledigen wolle; za bestimmter Wahnbildung ist es noch nicht ge¬
kommen und auch Frikpmann 1 bemerkt, dass ein Verstehen der Ideeenasso-
ciation (sc. des „Beachtungswahnes“) auf Wochen hinaus dem Individuum in
keiner Weise erforderlich ist. 8
Das gleiche Argument, das ich eben Hkad entgegengestellt habe, gilt auch
für seine zweite These vom gegensätzlichen Verhalten des Geisteskranken und
Nichtgeisteskranken in der Discussion ihrer Ideeen; auch hier beruht Head’s
Irrthum darauf, dass seine Ansicht einem späteren Stadium und nicht dem
ersten, den Beobachtungswahn zur Reife bringenden, entstammt
Es hat bekanntlich seiner Zeit gerade der Umstand, dass die Paranoischen
in dem hier in Betracht kommenden ersten Stadium in ihrer Ansicht von der
Richtigkeit ihrer krankhaften Vermuthungen schwankend sind, bald sich davon
für sicher überzeugt glauben, bald wieder jedem Widerspruch nachgeben, zu
einer auf lange Zeit hinaus schädlichen Vermischung von Wahnideeen und
Zwangsvorstellungen geführt Wille 3 erwähnt z. B.: „Es kommen ja Einem
nicht selten Fälle primärer Verrücktheit zur Beobachtung, in deren Beginn die
Kranken oft längere Zeit gegen den Inhalt der sioh aufdrängenden Wahn¬
vorstellungen, deren Absurdität sie erkennen, vergebens ankämpfen“ und knüpft
daran die Frage: „oder sollte es sich hier auch um Zwangsvorstellungen han¬
deln?“; es wäre überflüssig, das noch weiter aus der Litteratur erhärten zu
wollen, da man sich jetzt wohl darüber klar ist, dass die beiden Erscheinungen
theoretisch von einander verschieden sind und auch klinisch auseinander gehalten
werden können. Es wird genügen, wenn ich aus der einschlägigen grund¬
legenden Arbeit Webtphal’s 4 den betreffenden Passus citire, weil er auch das
enthält, was ich Heap zuvor entgegengehalten habe. Er berichtet aus dem
Beginne eines Falles von primärer Verrücktheit: „Es bemerkt Jemand, dass ein
Vorübergehender ausspuckt, sofort kommt ihm der Gedanke, man hat vor dir
ausgespuckt, du sollst dadurch verhöhnt werden. Wohl zweifelt er anfangs
noch, ob er sich geirrt hat, bevor ihn die Wahnidee weitergeführt hat.“
Damit halte ich also Head’s Ansicht von der Sonderstellung der von ihm bei
Niohtgeisteskranken beobachteten Erscheinungen widerlegt; aber gerade dadurch,
dass sie den an wirklich Geisteskranken beobachteten Erscheinungen allgemein-
pathologisch durchaus entsprechen, scheint mir der Werth von Head’s Beobach¬
tungen erheblich gesteigert; weil sich nämlich auch bezüglich der Pathogenese
der hier in Rede stehenden Erscheinungen in beiden Fällen höchst bemerkens-
werthe Analogieen nachweisen lassen.
Dr. Mabguliäs hat kürzlich 6 in Uebereinstimmung mit Specht die affec-
1 L. c. S. 456.
* Es ist in diesem Zusammenhänge gans besonders anf die Ausführungen Nsisbbb’s
(E rörterungen über die Paranoia. Centralbl. I Nenr. a. Psych. 1892. Sp.) hinzuweisen
bei Gelegenheit der Schaffang der aach für Hkas von seinem Standpunkte aus viel accep-
tableren Bezeichnung der krankhaften Eigenbeziehung, statt des Beachtungswahns.
* Archiv £. Psych. 1882. XU. S. 24.
4 Archiv f. Psych. VIIL S. 744.
6 Monatschr. f. Psyoh. u. Neurolog. 1901. Ootober.
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5
tuöse Grandlage des Beziehongswahns und der Wahnbildang im ersten Stadium
der Paranoia verfolgt and noch besonders nachgewiesen, dass nicht irgend ein
besonders gefärbter Affect, sondern nur der der unbestimmten Unruhe,
sagen wir allgemein der Erwartungsaffect, sich häufig als die Wurzel der
krankhaften Beziehung nachweisen lässt.
Im Hinblick darauf ist es nnn änsserst bemerkenswerth, dass, wie Head
berichtet, bei seinen Kranken, die den eben besprochenen „ill-formed state of su-
spkäon“ entwickelten, demselben regelmässig ein Zustand von Depression voran-
ging, und was er 1 von dieser berichtet, lässt als einen der Hauptfactoren der¬
selben das erscheinen, was wir etwa als Gefühl der unbestimmten Unruhe
bezeichnen könnten: „Viele der Kranken sind dabei von einer dunklen Vor¬
stellung eines drohenden Uebels befallen; sie kennen weder die Art des Uebels,
noch wissen sie, wen es befallen solL“ 1 Stellen sich demnach die an diesen Erwar¬
tungsaffect sich anschliessenden Erscheinungen „des unbestimmten Verdachtes“
durchaus ähnlich den Erscheinungen des Beziehungswahns bei unseren Geistes¬
kranken dar, so können wir darin auch ein weiteres Argument für die hier
gegenüber Head vertretene Ansicht sehen, doch möchte ich nicht unterlassen,
zum Schlosse nochmals hervorzuheben, dass die Einheitlichkeit aller hier be¬
sprochenen Erscheinungen gerade erst recht die Bedeutung der von Head bei¬
gebrachten neuen Thatsachen gebührend hervortreten lässt
2. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie.
Von Dr. Sohaefer (Pankow).
Ein kurzer Berioht über das Ergebniss eines kleinen Versuches mit der
diätetischen Behandlung der Epilepsie dürfte nicht ganz ohne Interesse sein.
Um ein zuverlässiges Urtheil über die Wirksamkeit der Behandlung, wie
sie von Toulouse und Richet angegeben und von Bällnt 8 modifidrt worden
ist, zu gewinnen, mussten natürlich Fälle schwerster Art ausgesucht werden,
von denen auf Grund langdauernder Beobachtung in der Anstalt sicher war,
dass sie andauernd von Anfällen heimgesucht werden.
Unter den in der Anstalt des Herrn Engel hierselbst in Pflege befindlichen
Epileptischen der Stadt Berlin wurden drei Patienten zu diesem Versuche ge¬
wählt, welche, im Alter von 80—34 Jahren stehend, seit ihrer Jugend schwere
epileptische Anfälle hatten, die bisher keiner Therapie gewichen waren und
1 L. c. 8. 361.
1 Vergl. dazu auch bei Hiad (1. c. S. 375) die Beschreibung des Zastandes als „state
of fear without fear of any particular object“.
• Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 23. — Die von BAlikt angewandte Diät
setzte sich folgendermaassen zusammen-, täglich l 1 /, Liter Milch, 40—50g Butter, 8 Eier
(ungesalzen), 300— 400 g Brot und Obst; ausserdem in der Nahrung 8 g Bromsais.
Diqi
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6
bereits einen hohen Grad geistiger Schwäche zur Folge hatten. Die Zahl der
Anfalle schwankte nach der bisherigen, etwa l x / s jährigen Beobachtung zwischen
20 und 80 innerhalb eines Monats ohne diejenigen Anfalle, welche zeitweise
mit solcher Heftigkeit, so schneller Aufeinanderfolge und derartiger aggressiver
Neigung in dem kurzen postepileptischen Stadium auftraten, dass die Isolirung
der Patienten geboten erschien. In diesen Zeiten, welche sich über mehrere
Tage hinzogen, konnte natürlich von einer Zählung der Anfälle nicht die
Rede sein.
Der Versuch mit der chlorfreien Ernährung wurde am 26. Juni begonnen
und bis zum 10. August mit grösster Peinlichkeit durchgeführt Das Ergebniss
ist folgendes:
Pat. Sch. hatte am 27./VL 1 Anfall
„ 28./VI. 3 Anfälle
„ 29./VI. 2 Anfälle
„ l./VII 1 schwacher Anfall
» 5./vni „
Pat. S. hatte am 3./VH. 1 Anfall
„ 1 l./VII. 1 „
Pat A. hatte am 26./VI. 2 Anfälle
„ 27./VI. 1 Anfall
„ 29./VI. 1 „
» 3/VII. 1 „
„ 5./vn. i „
„ 6./VII. 2 Anfalle
„ 8./VIL 2 „
„ 10./VII. 1 AnfaU
Von da ab waren alle 3 Patienten vollkommen anfallsfrei.
Gleichzeitig wurde ihr psychisches Verhalten ganz frappant gebessert: ihre
Haltung wurde eine straffere, ihr Gang sicherer, ihr Sensorium freier, ihr Blick
klarer; sie begannen Interesse für die Vorgänge und Personen ihrer Umgebung
zu gewinnen, zusammenhängend zu erzählen, sich zu beschäftigen n. s. w.
Wenn schon diese Thatsachen genügen, um die diätetische Behandlung
allein für das Ausbleiben der Anfälle verantwortlich zu machen, so wurde
dieser Eindruck noch erhöht durch den weiteren Umstand, dass nach Aussetzen
der chlorarmen Diät und Beginn der gewöhnlichen Nahrung nach kurzer Zeit
die Anfälle wieder einzusetzen begannen und zwar nicht unmittelbar, sondern
erst 6, bezw. 8 und 9 Tage nach Beginn der gewöhnlichen Kost. Auch hier
konnte die alte Erfahrung bestätigt werden, dass nach dem Ausbleiben der An¬
fälle ihr Wiedereinsetzen mit erhöhter Lebhaftigkeit stattfindet: In den 8 Tagen
nach dem ersten Anfalle konnten bei dem einen Patienten 12, bei den beiden
anderen Kranken 19 Anfälle beobachtet werden.
Nach diesem Versuche erscheint es mir nicht zweifelhaft, dass wir in dem
diätetischen Rögime ein ausserordentlich wirksames Mittel gegen die Epilepsie
besitzen.
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7
[Aus der Nervenpoliklinik von Prof. Mendel in Berlin.]
3. Versuche über Voltaisation. 1
Znm 100jährigen Jubiläum der Tolta’schen Entdeckung.
Von Dr. Zanietowaki, Nervenarzt in Krakau.
In den letzten Monaten des Jahres 1800 veröffentlichte die Pariser Akademie
der Wissenschaften ein officielles Communicat über die Entdeckung des ersten
elektrischen Elementes und schloss den langen Streit, der zwischen „Voltaisten
and Galvanisten“ herrschte, mit dem Siegel der höchsten Anerkennung. — Im
Jahre 1801 wurden weitere wichtige Errungenschaften auf diesem Gebiete be¬
schrieben. — Es ist wohl ein Zufall, aber jedenfalls ein merkwürdiger, dass
100 Jahre nach der berühmten Entdeckung, welcher wir so viel verdanken,
in derselben Stadt und zu derselben Zeit die Weltausstellung geschlossen
wurde, auf welcher eben die Elektricität eine so hervorragende Rolle spielte. —
Es lohnt sich immer, in solchen Augenblicken, in denen Elektrotechnik und
Hekromediön der ganzen Welt einen so eclatanten Beweis der gemeinsamen
Entwickelung geben, einen.Blick in die Vergangenheit zu werfen und dem
Anfangspunkt des Fortschrittes zu widmen. — Wir thun es heute um so
lieber, als, wiederum durch einen Zufall, 100 Jahre nach dem Kampfe
zwischen „Voltaisten“ und „Galvanisten“ ein neuer Streit in der wissenschaft¬
lichen Litteratur zwischen Anhängern der „Voltaisation“ und der „Galvani¬
sation“ zu herrschen anfangt. — Der Rahmen dieses Centralblattes erlaubt zwar
mt eingehende Besprechung weder des einen noch des anderen Streites; es
mögen aber folgende kurze Bemerkungen über „Voltaisation“ und die knapp zu¬
sammengefasste Beschreibung unserer eigenen Versuche über diesen Gegenstand
vom wohlwollenden Leserkreise als wissenschaftliche Huldigung dem grossen
Forscher angenommen werden, zum 100jährigen Jubiläum seiner berühmten
Entdeckung.
Bisher waren wir immer gewöhnt, in der Elektrodiagnostik und in der
Elektrotherapie den constanten Strom am Galvanometer zu messen. — Die
Schwankungen der Nadel zeigten uns, ob die Erregbarkeit pathologisch erhöht
oder vermindert ist, die Grenzwerthe der Schwankungen bildeten unsere Erregbar¬
keitstabellen. — Seit einer gewissen Zeit entstand aber in der wissenschaftlichen
litteratur eine neue Richtung. — Zahlreiche Versuche des Herrn Dübois aus
1 Die Versuche wurden grösstentheils an der Nervenpoliklinik des Herrn Prof. Mkndbl
auagt führt. Dafür drücke ich demselben wie den Herren Assistenten hiermit meine Dank¬
barkeit aus. Einige Versuche verdanke ich der Liebenswürdigkeit der Herren Prof.
Jollt in Berlin und Prof. v. Krafft-Ebing in Wien. Sowohl diesen beiden Herren, als
auch den Herren Assistenten der Nerven-Abtheilungen in der Berliner Charitd und im Wiener
Krankenhaus, Herrn Dr. Sbutbb and Herrn Dr. Söldbb, spreche ich hiermit meinen tiefsten
Dank au&
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8
Bern über den Widerstand und die oondensatorischen Wirkungen des mensch¬
lichen Körpers hatten gezeigt, dass die Voltspannung ein viel besseres Maass
für die Erregung abgab, als die galvanometrische Intensität. — Das „Voltmeter“
sollte bei Reizungsvereuchen das „Galvanometer“ vertreten, die „Voltaisation“
sollte an der Stelle der „Galvanisation“, wenigstens in der Elektrodiagnostik,
herrschen. — Zwar äusserte sich H. Hoobweg aus Utrecht dagegen und bewies,
dass die Intensität nicht immer das genaue Maass der Erregung bildet, dass
aber die Erregung ihre völlige Erklärung nur in dem von ihm entdeckten
mathematischen Grundgesetz findet. — Der praktische, wissenschaftlich aus¬
gebildete Arzt blieb aber eigentlich zwischen einer Scylla und Charybdis stehen;
links hatte er die Erfahrung seiner Vorgänger und rechts eine ganze Reihe von
überzeugenden Erregbarkeitsmessungen; links einen nicht immer zugänglichen
neuen Apparat und rechts eine neue, in'praxi nicht verwerthbare mathematische
Formel.
Ohne den akademischen Werth des obengenannten wissenschaftlichen
Streites 1 zu verleugnen und ohne hier auf technische und theoretische Einzel¬
heiten einzugehen, die wo andere veröffentlicht werden, will ich nur in diesem
Centralblatte aus rein praktischen Gründen die Resultate zusammenstellen,
zu welchen meine eigenen Versuchsreihen mich geführt haben. — An dem
reichhaltigen Material der obengenannten Kliniken habe ich nämlich eine Reihe
von Erregbarkeitsmessungen durchgeführt, welche mich selbst in erster Linie
überzeugen sollten, welcher Partei ich mich anschliessen muss, und was ich
eigentlich in praxi zu verwerthen verpflichtet bin. — Es hat sich nun gezeigt,
dass bei einer längeren Durchströmung des constanten Stromes in allen Fällen
von peripherer Lähmung (Par. n. radialis, ulnaris, peronei, Ebb 'sehe und
KLUMPKE’sche Lähmung) und in peripheren Muskelkrämpfen (Tic oonvulsif,
Tetanie, Chorea) dieselbe minimale Zuckung, wegen Schwankungen des Körper¬
widerstandes, durch ganz verschiedene Intensitäten hervorgerufen werden kann.
Bei kurzen Stromstössen dagegen blieb aber (beinahe ohne Ausnahmen) in allen
obengenannten Fällen, unter sonst gleichen Verhältnissen, nur die Voltspannung
constant. Am prägnantesten hat sich dies in der Tetanie gezeigt, und ich habe
schon in einer früheren Arbeit*, während einer Märzepidemie in Wien, meine
Meinung darüber veröffentlicht Auf Grund von ganz verschiedenen Versuchen
mit Condensatorentladungen bin ich zu demselben Resultate gekommen, wie
Dübois mit seinem GArFPE’schen Voltmeter. Dies gilt nur von dem Falle,
dass der Körper allein eingeschaltet ist; wenn wir aber mit fremden Wider¬
ständen arbeiten, was wohl in praxi bei jedem Instrumentarium beinah unent¬
behrlich ist, so verhält sich die Sache ganz andere. Dübois beobachtet kleine
Schwankungen der Spannung und grössere Schwankungen der Intensität; Hoobweg
citirt ein Beispiel, wo die minimale Intensität ceteris paribus constant bleibt,
1 Comptea rendua de l’Acad. des Sciences. 1897. — Archives de Physiologie. 1897. —
Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1898. — Zeitechr. f. Elektrotherapie. 1899.
* Zanibtowbki, Ans der I. med. Klinik in Wien: Elektrodiagnostische Stadien Aber
motorische ond sensible Erregbarkeit. Wiener klin. Rundschau. 1899. Nr. 48—50.
9
während die Zahl und Sorte der Elemente variiren; und ich muss gestehen, ioh
habe beide Thatsachen gesehen. Eine scharfe Demarcationslinie lässt sioh nicht
durchführen und ich habe ganze Reihen von Beispielen, die einerseits für die
eine Meinung, andererseits für die andere sprechen würden. Freilich spielt hier
die Autoindnction des Stromkreises eine Rolle, sowie Capacität und Widerstands-
verinderongen des menschlichen Körpers; es sind aber theoretische Fragen, auf
die ich hier nicht eingehen will, and auf die der Praktiker einzogehen keine
Zeit hat Was soll für denselben entscheidend sein? Vielleicht die betreffende
Krankheitsgruppe oder das gewählte Instrumentarium ? Nach meiner Ansicht
weder das Eine, noch das Andere. Was den ersten Punkt betrifft, so habe ich
nur so viel bemerkt, dass der Einfluss eines fremden Widerstandes bei allen
Krankheiten mit niedrigem oder herabgesetztem Körperwiderstande viel prägnanter
ist, als bei normalen Leuten oder bei Kranken mit erhöhtem Körperwiderstande.
Zu der ersten Kategorie zähle ioh alle Kranken, die an Kachexie, Carcinom,
schweren Stofiwechselanomalieen u. s. w. leiden; selbstverständlich auch alle
BiSKDOw-Fälle. ln der zweiten Kategorie zähle ich verschiedene Hautkrank¬
heiten und vor Allem die „Sklerodermie“, ausserdem noch einige disseminirte
Sklerosen, wahrscheinlich nur durch Zufall. Es zeigt sich nun in der ersten
Gruppe viel prägnanter als in der zweiten, aber jedenfalls mehr oder weniger
in allen Nervenkrankheiten, dass bei Einschaltung eines zunehmenden fremden
Widerstandes dieselbe Zuckung bei ganz verschiedenen Intensitäten und Spannungen
hervargerufen wird. Meine Erfahrungen lehren, dass bei gleicher Inten¬
sität (!) die Wirkung kleiner ist, je kleiner der fremde Widerstand ist Für
den praktischen Arzt bleibt nur der Weg, in welchem dieser Einfluss des ein¬
geschalteten Widerstandes minimal ist, also der „kurze Stromschluss“. Das war
anch die Idee des GÄBTNKB’schen Pendels, des EDBLMANN’schen Unterbrechers,
der Kogel von Düboib und des Relais von Castagna und Reiniger nach
Zaäietowskl 1 Die Constanz der dabei erhaltenen Resultate leugnen auch weder
Hoobweg noch Dubois, obwohl der erste die Thatsache durch Polarisations¬
abwesenheit und der zweite durch condensatorische Wirkungen erklärt. Die¬
selbe Constanz habe ich auch längst bei meinen Reizungsversuchen mit Con-
densatorentladungen betont 1 Die Condensatorentladung, habe ich damals gesagt,
ist nicht nur bequem, weil sie eine reine Zuckung ohne Schmerz und Elektro¬
lyse bewirkt, aber auch deswegen für eine sichere Elektrodiagnose bürgend, da
äe wegen der kurzen Dauer weder elektrotonische, noch elektrolytische Ver¬
änderungen hervorzurufen vermag; diese Kürze der Entladung und selbst¬
verständlich auch der dadurch bewirkte Mangel an Widerstandsveränderungen,
waren wahrscheinlich Ursachen der grossen Genauigkeit, mit welcher in allen
meinen Messungen jede kleinste Exacerbation oder momentane Latenz und über-
1 Zawibtowski, Graphische Stadien öber Erregbarkeitsverhältnisse im Elektrotonus.
Akad. d. Wimenach. in Wien. 1897. CVI. — Ueber Summation. Wiener klin. Wochenschr.
1897. — Ueber einen nenen Apparat Zeitsehr. f. Elektrotherapie. 1900.
* Zawibtowski, Ueber klinische Verwerthbarkeit von Condensatorentladangen. Zeitsohr.
f. Elektrotherapie. 1899.
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10
haupt jeder Augenblick des progressiven oder regressiven Verlaufes gedeutet
waren. Auf diese Einzelheiten, die schon wo anders beschrieben waren, gehe
ich hier nicht ein und betone nur en passant die zu unserem Thema gehörende
Thatsache des kurzen Stromschlusses. Im ganzen wissenschaftlichen Streite der
Herren Dübois und Hoobweg ist diese einzige Thatsache unversehrt geblieben;
von beiden Gegnern anerkannt, ist sie auch ganz richtig und bedeutend. —
Was nun die zweite Frage anbelangt, ob nämlich der Reiz nach Dübois in
Volts, oder nach unseren Vorgängern in Amperes ausgedrückt werden soll, so
haben wir aus Obigem gesehen, dass eigentlich weder „Spannung“ noch „Inten¬
sität“ allein an und für sich ein absolutes Maass der Erregung bilden. Wenn
z. B. bei 20 Elementen und einem Widerstand A der Erfolg ganz ein anderer
ist als bei 40 Elementen und einem Widerstand B, obwohl in beiden Fällen
die Intensität dieselbe ist, wenn vice versa in der Mehrzahl der Fälle bei
demselben Erfolg weder Spannung noch Intensität constant bleiben, so bleibt,
unserer Meinung nach, wiederum nur ein mittlerer Weg für den praktischen
Arzt übrig. Einen GAiPFE’schen Voltmeter kann sich nicht jeder sofort ver¬
schaffen, auch nicht einen REiNiGEB’schen „Voltregulator“, den ich gern mit
einigen von mir eingeführten Modificationen benutze; es kann aber ein Jeder
an verschiedenen Gliedern desselben Kranken oder während Vergleichsversuchen
an verschiedenen Tagen immer denselben fremden Widerstand einschalten,
oder bei derselben Spannung, nicht aber, wie es leider üblich ist, bei der
ersten beliebigen, die Intensität ablesen. Eine solche Berücksichtigung der
Spannung ist erst eine wahre „Voltaisatdon“, welche die bisherige „Galvanisation“
nicht vernichtet, aber derselben behülflich ist und für die möglichst approximative
Genauigkeit der Elektrodiagnose bürgt
II. Referate.
Anatomie.
I) Ueber die Darstellung der Rüokenmarkssysteme mit Hülfe der Ent-
wiokelungsmethode , von W. v. Bechterew. (Archiv f. Anat u. Phys.
1901. Anat. Abthlg.)
Verf. sacht darzuthun, dass die Ergebnisse der entwickelangsgeschichtlichen
Methode denjenigen der Degenerationsmethode bezüglich des Aufbaues der spinalen
Fasersysteme gut entsprechen. Dabei theilt er einige ergänzende eigene Beobach¬
tungen mit So hat er jetzt gefunden, dass im 6.—7. Fötalmonat, wo das ovale
Feld und ein grosser Theil des Gomhault-Philippe’schen Faserdreiecks noch
marklos erscheint, auch „in der unteren Hälfte des Brustmarks längs der hinteren
Umrandung der Goll’schen Stränge und der inneren Abschnitte der Burdach
sehen Bündel“ ein myelinfreier Streifen zu erkennen ist, welcher in der Lenden¬
anschwellung allmählich zu beiden Seiten des Septum posterius nach vorn rückt,
um schliesslich in das ovale Feld überzugehen. Von diesem Fasersysteme unter¬
scheidet er ein im ventralen Hinterstrangsgebiet neben dem Septum gelegenes,
von Giese beschriebenes System, welches seine grösste Ausdehnung im 5. Lumbal*
Diqi
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11
segment and im 1.—3. Sacralsegment erreicht, caudal indessen bis zum 1. Coccy-
, gealsegment verfolgt werden kann. Dies System umhüllt sich später mit Mark
| als das ovale Feld. Bei 9 monatigen Früchten ist es oft noch unentwickelt,
f während alle anderen Theile der Hinterstränge mit Ausnahme der intermediären
oder kommaförmigen Zone bereits vollen Markbelag zeigen. — Die sacrale Klein¬
hirnbahn von Roth mann u. A. vermochte Verf. auch entwickelungsgeschichtlich
nachzuweisen. Wenigstens fand er, dass im 6. Fötalmonat im unteren und mitt¬
leren Lendenmark im hinteren peripherischen Winkel des Seitenstranges marklose
Fasern sich finden, die erst im 7. und 8. Fötalmonat sich mit Mark umhüllen.
Unter den weiteren Angaben verdienen als neu namentlich die Beobachtungen
über die Markscheidenentwickelung der aufsteigenden Vorderstrangbahn (von
Marie) Beachtung. Verf. stellt fest, dass medial vom Pyramidenvorderstrangfeld
; im 6.—7. Monat ein feiner Streifen myelinhaltiger Fasern auftritt, welcher als
Hsrie’sche Bahn anzusehen ist. Th. Ziehen.
2) Technische Bemerkungen zur Carminfärbung des Centralnervensystems,
von Dr. E. Schwalbe. (Centralbl. f. allg. Pathol. 1901. Nr. 21.)
Dass durch die übliche Celloidineinbettung die Anwendung der früher so
beliebten und so schöne Bilder gebenden Carminfärbung verhindert wird, und
zwar in Folge der dazu nöthigen langen Einwirkung des Alkohols, ist bekannt;
am die Celloidinschnitte doch wieder für die Carminfärbung brauchbar zu machen,
empfiehlt Verf., dieselben noch einmal für etwa 2 Wochen in Müller’sche
Flüssigkeit in den Brutschrank zu legen, dann kurz (1 Minute) auszuwaschen und
24 Stunden in stark verdünnter (hellrother), alter Lösung des gewöhnlichen
Ammoniakcarmins zu färben. Statt Müller’scher Flüssigkeit kann man auch
1 \ Chromsäure nehmen, die nur 24—48 Stunden auf die Schnitte einzuwirken
braucht. (Ref. darf vielleicht hinzufügen, dass nach seiner Erfahrung auch die
von Weigert angegebene Mischung zur raschen Chromirung formolgehärteter
Präparate, aus Kal. bichromat. und Alumen chrom., ebenso schöne, wenn nicht
noch bessere Erfolge giebt.) Zu lange oder zu kurze Einwirkung der Chrom¬
lösung ist durch die Dauer des Auswaschens zu reguliren. Die Färbung giebt,
wie in den alten, nicht eingebetteten Präparaten, Ganglienzellen und Glia hell-
roth, Axencylinder dunkelroth, Markscheiden gelb. H. Haenel (Dresden).
Experimentelle Physiologie.
3) Ueber die Folgen von Verletzungen in der Gegend der unteren Oliven
bei der Katze, von R. Keller. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1901. Anatom.
Abthlg.)
Verf. hat bei 4 Katzen von der Schädelbasis aus Operationen am Hirnstamm
««geführt und auf Schnittserien mit Hülfe der Marchi’sohen Methode die Dege¬
nerationen verfolgt. Auf Grund seiner Beobachtungen nimmt er die Existenz ge¬
kreuzter, aus den Oliven entspringender Strickkörperfasern zum Kleinhirn als
sicher an; wahrscheinlich bestehen auch ungekreuzte Fibrae olivo-cerebellares
and wahrscheinlich endigen die Olivenkleinhirnfasern im Oberwurm des Kleinhirns.
Sie stellen das einzige bisher bekannte Abfuhr System der Olive dar. Ferner
bat Verf. Systeme unbekannten Ursprungs und unbekannter Function nachweisen
können, welche in der Höhe der Oliva inferior kreuzen und zum medialen
ThaUmaskem, zum rothen Kern und zur Substantia nigra aufsteigen. Gegen
einen Olivenursprung dieses Systems spricht sein Intactbleiben bei oberflächlicher
Oliven Verletzung. — Die Existenz eines aus dem Kleinhirn absteigenden über-
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geordneten Systems nach dem Endkernlager des Vestibolaris wird bestätigt. Ein
ungekreuztes, sowie ein in der Höhe der unteren Olive über die Raphe kreuzendes
übergeordnetes Medullarsystem zum absteigenden Vestibulariskem und zum Vesti-
bularishauptkern, sowie zum Deiters'sehen Kern wird naebgewiesen. Abführende
Systeme aus dem Bechterew’schen Kern und aus dem absteigenden Vestibularis-
kern, welche im hinteren Längsbündel beiderseits absteigen und Zweige zum Ab-
ducens- und Hypoglossuskern, sowie zum Vorderborn sohioken, hat Verf. wie
einzelne frühere Beobachter gefunden.
Aus den physiologischen Beobachtungen ist hervorzubeben, dass Verf.
wie Hitzig bei Reizung des Gyrus cruciatus anterior Contraction der Nacken-
und Rumpfmuskeln (incl. Bauchmuskeln) erhielt. In sehr einseitiger Weise
stellt Verf. hierbei die Gründe zusammen, welche für die Homologie des Sulcus
centralis mit dem Sulcus coronalis (statt mit dem Sulcus cruciatus) zu sprechen
scheinen. — Manifeste Motilitäts- oder Sensibilitätsstörungen wurden nach Ver¬
letzung der unteren Olive nicht beobachtet; Bpeciell fehlten Gleichgewichtsstörungen
und Zwangsbewegungen. Die Zwangsbewegungen nach Durchschneidung des unteren
Kleinhirnstiels bezieht Verf. auf Mitläsion der VestibulariBkerne. Durchtrennung
des Medullarsystems zu den Vestibulariskemen soll symptomlos verlaufen. Theil-
weise Läsion der Längsbündelsysteme aus den Vestibulariskernen und speciell
Durchtrennung des corticalen Neurons, d. h. des absteigenden Systems aus dem
Kleinhirn zu den Vestibularkernen, ist von Neigung des Kopfes und Abweichen
des Ganges nach der operirten Seite hin gefolgt, dagegen scheinen Zwangs- bezw.
Rollbewegungen nur bei Läsion des subcorticalen Neurons, d. h. speciell des
ungekreuzten SpinalsystemB aus dem Deiters’schen Kern — und überhaupt des
Reflexbogens zwischen Labyrinth und Rückenmark — einzutreten.
Allenthalben glaubt Verf. auch degenerirte Faserendigungen, Endbäumchen
oder Endkölbchen an den Zellen zahlreicher Kerne dargestellt zu haben (vergl.
Fig. 10). Th. Ziehen.
4) Ueber die gegenseitigen Beziehungen zwischen Curare und Physo¬
stigmin, von J. C. Rothberger. (Pflüger’s Archiv. LXXXVII.)
Aus den sehr interessanten und wichtigen Untersuchungen des Verf.’s kann
an dieser Stelle nur hervorgehoben werden, dass sich bei sorgfältigen Versuchen
an Fröschen, Kaninchen, Hunden und Katzen ein doppelseitiger Antagonismus
zwischen Curare und Physostigmin ergeben hat: ein durch Curare gelähmter
Muskel erlangt wenige Secunden nach der Injection von Physostigmin in den
Kreislauf des lebenden oder in die zuführende Arterie des todten Thieres seine
Erregbarkeit vom Nerven aus wieder und kann hierauf durch Curare neuerdings
wieder gelähmt werden. Die durch das Curare zuletzt gelähmten Muskeln
(Zwerchfell) erlangen durch das Physostigmin ihre Erregbarkeit zuerst wieder
zurück. Das Atropin beeinflusst diesen Vorgang der Wiederbelebung nicht
wesentlich. Dagegen unterdrückt ob schon in kleinen Dosen die durch das Physo¬
stigmin hervorgerufenen fibrillären Zuckungen und die erhöhte Drüsenthätigkeit
Th. Ziehen.
Pathologische Anatomie.
6) Ueber den Bau des vollständig balkenlosen Grosshirns, von M. Probst
(Archiv f. Psych. XXXIV.)
Die Arbeit enthält eine solche Menge interessanter Einzelheiten, dass es un¬
möglich ist, auf alle gebührend einzugehen. Die auffallendste Bildung in dem
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balkenloten Gehirn, die Verf. auf theils frontalen, theils horizontalen Serienschnitten
untersucht hat, ist ein starkes sog. Balkenlängsbündel, dessen Fasern die Aufgabe
haben, theils die orbitalen und medialen Stirn Windungen zu verbinden, theils
Theile des Stirnhims mit den Central Windungen, ferner Verbindungen herzustellen
zwischen oberem Scheitelläppchen und Stirn- und Hinterhauptswindungen, den
basalen Windungszügen, dritter Schläfenwindung, Lobus fusiformis und lingualis.
Eine entsprechende Bildung kommt im normalen Gehirn nicht vor und nach den
Befanden kann die Hypothese von Sachs als erwiesen gelten, dass das Balken¬
längsbündel eine Art Heterotopie des Balkens ist: die Balkenfasern kommen zwar
zar Entwickelung, aber statt quer zu verlaufen und beide Hemisphären zu ver¬
binden, ziehen sie in der gleichseitigen Hemisphäre von hinten nach vorn und
bilden so ein sagittales Bündel. — Weiter verschafft der Fall Klarheit über die
Verhältnisse beim unteren Längsbündel: in Uebereinstimmung mit den Ergeb¬
nissen aus Thierversuchen zeigt sich, dass dasselbe aus Sehhügelrindenfasern und
Rmdensehhügelfasern besteht. — Ferner ist der Fall ausgezeichnet durch aus¬
gedehnte, jedoch auf beiden Seiten verschieden starke Mikrogyrie und Hetero-
topieen grauer Substanz. Irgendwelche Anzeichen dafür, dass die erstere in Folge
men in gi tisch er oder entzündlicher Processe entstanden sei, Hessen sich nicht nach-
veiaen. Die mikrogyrische Rinde stand an vielen Stellen in directem Zusammen¬
hang mit den abnorm eingesprengten grauen Massen; letztere fanden sich, wie in
dar Mehrzahl der beschriebenen Fälle, hauptsächlich am Ventrikelrand, sei es im
Vorder-, Hinter- oder Unterhome und stellten ein zurückgebliebenes, abgeschwächtes
Rindengrau dar. — Aus dem Gesammtbefund geht hervor, dass nicht der Mangel
der Markmasse die Ursache der Rindenanomalieen ist, sondern dass dieselben
Störungen im Wachsthum beide Erscheinungen hervorgebracht haben. — Klinisch
bestand in dem beschriebenen Falle ein tiefer epileptischer Blödsinn; die meisten
Fälle dieser Art gehen mit geistigen Störungen, auffallend viele auch mit Epi¬
lepsie einher; doch ist hervorzuheben, dass auch 2 Fälle von Balkenmangel
ohne Intelligenzstörung bekannt geworden sind. H. Haenel (Dresden).
6) Heurogliabefunde in 30 Gehirnen von Geisteskranken, von Dr. J. El-
miger, II. Arzt St. Urban, Canton Luzern. (Archiv f. Psych. u. Nerven¬
kranke 1901. XXXV.)
Verf. hat bei 30 Gehirnen Geisteskranker eine Hirnwindung, die vordere
Centralwindung und den Occipitallappen mit Weigert’s Neurogliamethode unter¬
sucht. Die stärkste Wucherung der Neuroglia fand sich bei 7 Paralytikern, und
zwar besondere in der vorderen Centralwindung und im Frontalhirn. Auch sieben
senil-organische Psychosen boten durchweg eine sehr ausgesprochene Vermehrung
der Neuroglia dar. In einem Falle von Epilepsie mit beginnender Demenz war
ebenfalls starke NeurogUawucherung nachweisbar, doch nicht diffus durch das
ganze Präparat verbreitet, sondern mehr in Form einzelner Nester. Vier jugend¬
liche Epileptiker boten weder makroskopisch noch mikroskopisoh AnomaHeen dar.
Bei zwei Melancholikern, einem chronisch Verwirrten und drei Paranoikern war
kein Unterschied gegenüber normalen Gehirnen. Bei 3 Fällen von secundärer
Verblödung war die Randgliahülle verbreitert, ein dichtes Fasernetz zog von ihr
in die graue Substanz hinein. Auch 2 Fälle von periodischer Psychose wiesen
Vermehrung der Neuroglia auf.
Es ist zu bedauern, dass Verf. weder das Alter noch die Dauer der Krank¬
heit, weder die Todesursache noch irgend etwas über Verlauf und Symptome be¬
treffs der von ihm untersuchten Fälle erwähnt Die Zeichnungen, die der Arbeit
beigegeben sind, sind sehr gelungen; sie rühren von Dr. Schlub in Basel her.
Ref. erzielt ein regelmässigeres Gelingen der Präparate, wenn er statt der
Diciitizec
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Einbettung in Celloidin die nicht eingebetteten Hirnstücke mit Gummi-Arabicum.
Lösung auf einen Kork aufklebt und mit dem Gefriermikrotom schneidet.
G. Ilberg (Sonnenstein).
Pathologie des Nervensystems.
7) Pathogönie des terreurs nooturnes ohez les enfhnts, par Dr. J. G. Rey.
(Revue mensuelle des maladies de l’enfance. 1901. XIX.)
Bereits vor mehreren Jahren hat Verf. (im Jahrb. f. Kinderheilk. XLV) den
Standpunkt vertreten, dass der Pavor nocturnus der Ausdruck einer vorübergehenden
Kohlensäureintoxication sei, welcher in erster Linie durch mangelnde Luft¬
erneuerung in Folge adenoider Vegetationen im Nasenrachenraum bedingt werde.
Auf Grund weiteren Materials tritt Verf. in vorliegendem Aufsatz neuerdings für
seine Hypothese ein. Er vergleicht den Pavor nocturnus mit den Symptomen
von gewerblichen Kohlensäurevergiftungen und findet bei beiden die Erscheinungen
der Athemnoth, des Bewusstseinsverlustes mit Hallucinationen und nachträglicher
Amnesie oder Bewegungsschwäche. Die schädliohe Einwirkung brauche einige
Zeit bis zum Eintritt der Vergiftungssymptome, daher komme es erst 2—3 Stunden
nach dem Einschlafen zu den Pavorsymptomen. Nicht alle Kinder reagiren in
gleicher Weise auf die eintretende Intoxication, nervös veranlagte Individuen
zeigen häufiger das Bild des Nachtschreckens. Eines der wichtigsten auslösenden
Momente für die Kohlensäurevergiftung bilden die erwähnten retronasalen Wuche¬
rungen; fast bei allen Kindern mit derartigen Vegetationen sei der Schlaf un¬
ruhig, in manchen Fällen kommt es zu typischen Pavoranfällen. Ebenso besteht
bei Kindern mit fieberhaften Lungenprocessen, Anginen, Bronchitis ein Sauerstoff¬
mangel und daher stellen sich bei solchen oft schon kurz nach dem Einschlafen
Attaquen von Nachtschrecken ein. Die alte Beobachtung des Zusammentreffens
von Verdauungsstörungen mit Pavor nocturnus glaubt Verf. auf reflectorische
Vaguswirkung zurückführen zu können, es sei daher überflüssig, diese Form als
„symptomatische“ von der „idiopathischen“ Form des Leidens zu trennen. Unter
allen Umständen empfehle sich die Entfernung adenoider Vegetationen bei Kindern
mit Pavoranfällen. Zappert (Wien).
8) Beiträge vor Pathogenese und pathologischen Anatomie der Epilepsie,
von Dr. L. W. Weber, Oberarzt und Priv.-Doc. in Göttingen. (Gustav
Fischer, Jena 1901. 100 S.)
Verf. hat in seiner sehr fleissigen, kritischen und klar geschriebenen Arbeit
die Befunde zusammengestellt, welche er bei 35 zur Section gekommenen Epilep¬
tikern erhoben hat und den Zusammenhang der an der Hirnrinde gefundenen
Veränderungen mit den intra vitam beobachteten klinischen Erscheinungen sowie
deren Beziehungen zur Aetiologie der Epilepsie festzustellen gesucht.
Verf. kommt hierbei zu dem Schlüsse, dass die Hirnläsionen nicht als die
anatomische Grundlage des epileptischen Leidens betrachtet werden können, dass
sie vielmehr nur „den Boden vorbereitet haben, auf dem sich dann die eigent¬
liche epileptische Veränderung* entwickelte, die uns noch unbekannt ist“. Eine
anatomische Diagnose der Epilepsie ist zur Zeit nicht möglich, d. h. aus den Be¬
funden, speciell denen an der Hirnrinde, kann ein Rückschluss auf eine vorhanden
gewesene Epilepsie nicht gezogen werden, vielmehr lassen sich gleiche Befunde
wie bei der Fallsucht auch bei anderen Krankheitsprooessen erheben.
In etwa 60 °/ 0 der obducirten Fälle fand sich eine arteriosklerotische Er¬
krankung der Aorta, in vielen Fällen zeigten Bich frische Blutungen unter den
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15
serösen Ueberzügen der Longe und des Herzens, sowie im Gewebe dieser Organe,
oft auch frische Verfettungen des Herzmuskels, der Leber und der Nieren. All
diese Veränderungen sind zumeist als Folgen (nicht als Ursache) der Epilepsie
bezw. der durch letztere auftretenden Circulations- und Bespirationsstörungen an-
zusehen. Vielleicht sind sie auch durch ein im Anfall gebildetes giftiges Stoff-
vechselproduct oder durch eingenommene Arzneien (Bromkali, Amylen, Chloral-
hydrat) bedingt.
In 18 von den secirten 35 Fällen Hessen sich makroskopisch nachweis¬
bare Veränderungen am Gehirn erheben. Dieselben sind aber in anatomischer
and klinisch - topographischer Hinsicht in den einzelnen Fällen verschieden und
nickt ohne Weiteres in Beziehung zu der Epilepsie zu bringen. 11 Mal fand
sich Atrophie und Sklerose der Ammonshörner. In 6 Fällen glich der makro¬
skopische Obductionsbefund in vieler Beziehung dem der progressiven Paralyse, in
2 dieser Fälle handelte es sich um jugendHche Epileptiker, bei denen in den
letzten Jahren vor dem Tode ein rasch zunehmender körperlicher und geistiger
Verfall stattgefunden hatte. In 8 Fällen bestanden subependymale Blutungen im
ganzen Bereiche des centralen Höhlengraues.
Die näheren mikroskopischen Befunde an Pia, GHa, Gewissen, Nervenfasern
and Ganglienzellen hier wiederzugeben, würde den Rahmen eines Referates über¬
schreiten, ee sei deshalb bezüglich dieser Befunde auf das Original verwiesen.
Betreffs der Aetiologie der Epilepsie lassen die anatomischen Befunde folgende
Schlüsse zu:
1. Die Fälle, welche auf ererbter, angeborener oder in der allerersten Lebens¬
zeit erworbener Schädigung des Gehirns beruhen, lassen eine diffuse Erkrankung
der Gro8shimrinde erkennen (subpialer GHafilz, bindegewebige Verdickung der
Gefassw&ndungen, allmählicher Untergang der nervösen Elemente).
2. Diese „Frühepilepsie‘ ( kann in den drei ersten Jahrzehnten zum Ausbruch
kommen: die Veränderungen an der Hirnrinde sind nur quantitativ und nicht
qualitativ verschieden.
3. Die Hysteroepilepsie gehört ihrem anatomischen Befund nach in den
meisten Fällen zur echten Epilepsie.
4. Für die sog. „Spätepilepsie“ weist die mikroskopische Untersuchung
oft noch in Fällen, wo das Gehirn makroskopisch intact schien, eine schwere
Erkrankung der Hirnrinde als Ursache des epileptischen Leidens nach (unregel¬
mässige Gliawucherung, Veränderungen an den Gefässen und Störung der normalen
Structur der Rinde).
5. Wo eine localisirte Hirnerkrankung ein epileptisches Leiden hervorgerufen
hat, muss die anatomische Untersuchung ausserdem eine mehr oder weniger aus¬
gesprochene Erkrankung der gesammten Rinde nachweisen, wenn der Fall als
„echte“ Epilepsie bezeichnet werden soll.
SchHesslich sei Folgendes hervorgehoben:
Frische Veränderungen am Gefasssystem und an den Zellen sprechen für Tod
im Anfall, Status, Coma oder Verwirrungszustand, Gliawucherungen in Gestalt von
Spinnenzellen verschiedenen Alters für häufiger stattgefundene epileptische Anfälle
kurz oder lange Zeit vor dem Tode, starke Vermehrung der Glia in Gestalt von
gleichmässig angeordneten Fasern, bindegewebige Verbreiterung der Gefässwände
und Ausfall vieler nervöser Elemente für lange dauernde, allmähUch zur Demenz
führende epileptische Erkrankungsprocesse, eine ungeordnete Anhäufung all dieser
Veränderungen nach paralytischem Typus für schnell und progredient verlaufende
Epilepsieen. Kurt Mendel.
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9) Pathogönle et tr&itement de 1'öpllepele, par N. Erainsky. (Mämoires
couronnöe et aatres memoires publiös par l’acadämie royale de medecine de
Belgique. 1901. XV.)
Aus den zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre übfer Epilepsie, die Verf. in
der Einleitung ausführlich citirt, folgert er einerseits, dass von pathologisch-
anatomischer Seite vor der Hand noch wenig zur Erklärung des Mechanismus dieser
Krankheit zu thun ist, während zahlreiche Angaben über abnorme giftige Aus-
scheidungsproducte ihm die chemische Erforschung der Erkrankung aussichtsvoll
erscheinen lassen.
An 13 Patienten stellte er Stoffwechsel versuche in der Dauer von 110 bis
112 Tagen an und gelangte zu folgenden Schlüssen
1. Das Körpergewicht nimmt häufig nach den Anfällen ab, doch ist dies
nichts Constantes.
2. Es besteht Polyurie; Quantitäten bis zu 4 Litern im Tage sind nichts
Seltenes.
3. Die Urinmenge ändert Bich nicht unter der Einwirkung der Anfälle; bei
manchen Kranken jedoch nimmt sie regelmässig am Tage des Anfalles zu.
4. Eine constante Beziehung zwischen den Anfällen und der Ausscheidung
von Stickstoff, Harnstoff, Chloriden und Sulfaten ist nicht festzustellen.
5. Albuminurie konnte im Gegensatz zu vielen Autoren nicht gefunden werden.
6. Nach Ablauf der Anfälle konnte kein Zucker nachgewiesen werden.
7. Nach den Anfällen stieg die P 2 0 6 -Ausscheidung bedeutend.
8. Während in den letzten Tagen vor Ausbruch des Anfalles die Ausscheidung
von Alloxurkörpern bedeutend sank, stieg sie nach dem Anfall rapid an, so
dass der Autor die Anfälle zunächst als Reaction gegen die Retention der Alloxur-
körper auffasBte.
Aus seinen Berechnungen gelangt er zum Schlüsse, dass im Allgemeinen vor
einem Anfalle etwa 25 cg Harnsäure retinirt werden: sind es 30 cg oder besteht
eine solche Retention durch mehrere Tage, so darf man auf einen sehr schweren
oder mehrere Anfälle gefasst sein.
Aus der Beschaffenheit der entsprechenden Curven war er in seinen Fällen
im Stande, den Tag der Anfälle genau vorher zu bestimmen.
Seine therapeutischen Versuche stellte er mit Substanzen an, die die Aus¬
scheidung der Harnsäure begünstigen sollen (Piperazin, Lysidin, Lithioncarbonat).
Während Piperazin und Lysidin weder auf die Ausscheidung der Harnsäure, noch
gegenüber den Anfällen die geringste Wirksamkeit zeigten, war Lithiumcarbonat
von deutlicher Wirkung auf die Krankheit.
Es erwiesen sich jedoch nur mittlere Gaben von wohlthätiger Wirkung,
während grosse Gaben zahlreichere Anfälle und ein Vergiftungsbild veranlassten.
Die Analysen ergaben ferner bei massigen Gaben eine grosse Regelmässigkeit in
der Harnsäureausscheidung, so dass der Tag des Anfalls, nach dem Absinken der
ausgeschiedenen Harnsäuremengen berechnet, nicht mehr vorhergesagt werden
konnte. Trotz der harnsäurelösenden Eigenschaft des Lithiumcarbonats konnte
jedooh eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung in toto bei seinem Ge¬
brauche nicht festgestellt werden.
Die Ursache der augenfälligen Wirkung des Mittels auf die Anfälle blieb
daher noch zu erklären. Die Veränderungen bei der Ausscheidung der Harnsäure
fasst er dabei bloss als das Resultat und den Indicator noch unbekannter Vor¬
gänge im Organismus des Epileptischen auf und zieht in Erwägung, dass die
Harnsäure auoh nur zur Neutralisation eines excitirenden Körpers gebraucht
werden könne, während die Anfälle nichts weiter vorstellten als Entspannungs-
reactionen.
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17
Es gelang ihm bei Kaninchen häufig durch Injection von Blut, das während
der Anfälle der Patienten entnommen war, typische, epileptische, periodisch
riederkehrende Anfälle 2 m erzeugen.
Er nimmt daher an, dass während der Anfälle ein Körper ausgeechieden
werden müsse, der sowohl giftige Eigenschaften besitzt als auch Fermentwirkungen
besitzen müsse, da, wie erwähnt, noch nach längerer Zeit beim Versuchsthiere
spontane Krämpfe auftreten. Während sich im normalen Organismus die Harn*
sinre ans einer Synthese von organischen Säuren und Harnstoff bildet, findet er,
das bei Epileptischen diese Synthese dadurch vereitelt wird, dass durch Auf*
nibse eines Wassermoleküls aus dem Harnstoff ein neuer Körper, das carbamin*
taure Ammon, entsteht, dessen krampferzeugende Wirkung schon Neucki und
P»t1ow angegeben haben.
Während der Anfälle würde dann dieser im Organismus zurückgehaltene
Körper sein Molekül Wasser verlieren, der entstehende Harnstoff die Synthese
emgehen, und die Harnsäure dann ausgeschieden werden. Auch ihm gelang es,
bei Kaninchen durch subcutane Injection mit dem Körper typische epileptische
Anfälle zu erzeugen.
Er hebt dabei die geringe Stabilität der Substanz hervor, die bald in
Kohlensäure übergehe, die Somnolenz und ähnliche urämische Symptome erzeuge,
bald in Harnstoff und zwar unter der Einwirkung der epileptischen Anfälle; diese
geringe Stabilität schütze den Organismus vor dem sonst unvermeidlichen Tode.
Die Epilepsie ist also nach diesem Autor eine periodische Intoxication
mit carbaminsaurem Ammon.
Auch die Wirkung einzelner Medicamente erklärt sich ungezwungen aus
Obigen. Die Bromsalze z. B., die alB Bromnatrium resorbirt werden, gehen bei
Epileptischen durch das carbaminsaure Ammon in Bromammonium über, das bis
2 n einer gewissen Menge ausgeschieden wird.
Feber diese hinaus jedoch verbindet sich das Bromammonium mit kohlen-
anrem Natron und es entsteht wieder carbaminsaures Ammon und Bromnatron,
huch he oben erwähnte günstige Wirkung mässiger Gaben von Lithiumcarbonat
erklärt rieh ähnlich, indem bei der Einführung dieses Salzes carbaminsaures
üthiua und kohlensaures Ammon entsteht, das eliminirt wird; werden jedoch
za grosse Quantitäten des Salzes eingeführt, so hat der Organismus keine Zeit,
du iohlensaure Ammon auszuscheiden, das gebildete carbaminsaure Ammon wird
daher nicht mehr neutralisirt und die Anfälle werden häufiger und häufiger.
Eisen ganz eclatanten therapeutischen Effect mit mässigen Gaben findet er
besondere bei Epileptikern, welche zahlreiche Aniälle haben, während das Ueber*
schreiten einer gewissen Gabe leicht Intoxication in dem Maasse hervorruft, dass
du Lithiumcarbonat geradezu als Beagens für Epilepsie verwendet werden könnte.
6»nz die gleichen ausgezeichneten therapeutischen Resultate erhielt der Verf. bei
Alunptischen Frauen.
Auf Graben von 1—2 g Lithioncarbonat per elysmam verschwanden die An-
iüle nach 1 / i —1 Stunde.
Auch bei eklamptischen Kindern wurde ein sehr guter Erfolg erzielt.
Dieser günstige Effect darf jedoch nicht im Sinne einer Heilung gedeutet
werden, sondern nur in dem einer Neutralisation eines sich stets von Neuem
bildenden Giftkörpers, so dass die Heilung der Epilepsie noch weiteren Studien
Vorbehalten bleiben muss.
Im Blute der Epileptiker konnte er stets Carbaminsäure nach weisen, von
der er fand, dass sie sowohl epileptische Anfälle als auch sämmtliche psychische
Symptome wie bei Epilepsie hervorzurufen vermag. H. Marcus (Wien).
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10) Epilepsie et flövre typhoide, par A. Marie et J. Buvat. (Archives de
neurologie. 1901. Januar.)
Im AnBchluss an eine Typhusepidemie erkrankten auch mehrere epileptische
Insassen von Villejuif, von denen zwei in heftigen Anfällen mit hohen Tempe¬
raturen starhen. Ihre Krankengeschichten sind genau mitgetheilt.
Adolf Passow (Meiningeu).
11) Unflall und Epilepsie, von Dr. Ferd. Bahr. (Monatsschr. f. Unfallheilk.
1900. Nr. 10.)
Verf. bringt zuerst einen Fall von Trauma und Epilepsie, bei welchem schon
vor dem Unfall Epilepsie vorhanden gewesen war. Es folgt sodann ein weiterer
Fall eines etwa 40jährigen Mannes, bei welchem nach einer starken Verletzung
der rechten Thoraxseite nach etwa l 1 / 2 Jahren epileptische Anfälle auftraten.
Die letzteren verschwanden, nachdem Rippenbruchstücke, welche nach innen vor¬
standen, entfernt worden waren. Der dritte Fall betrifft einen Steinträger, bei
welchem etwa 1 Jahr nach einer elektrischen Verletzung und Sturz Krampf¬
anfälle aufgetreten waren, welche als epileptische aufgefasst werden mussten. Ein
vierter Fall betrifft einen etwa 40 jährigen Arbeiter, bei dem sich nach einem
Sturz nach 4 Monaten ein Krampfanfall eingestellt hatte; ausserdem bestand ein
Bruch des Oberschenkels und des Fersenbeins. Der Verf. ist geneigt, alle die
berichteten Fälle als solche von Reflexepilepsie aufzufassen, eine Auffassung, welche
Ref. nicht ohne weiteres unterschreiben möchte. Denn einmal liegt die Gefahr
einer Verwechslung mit Alkoholepilepsie bei Arbeitern (ein Patient war Stein-
träger und als solcher fast sicher Alkoholist) immer sehr nahe, andererseits ge¬
nügen die kurzen Auszüge aus der Krankengeschichte nicht zur Ueberzeugung,
dass in der That das offenbar so sehr seltene Bild der Reflexepilepsie vorlag.
Paul Schuster (Berlin).
12) Symptomatologisohes zur Epilepsie, von Pick. (Prager med. Wochenschr.
1901. Nr. 39 und 40.)
Unter Mittheilung zweier instructiver eigener Fälle bespricht Verf. zwei schon
von Hughlins Jackson beschriebene, in der Litteratur seither aber sehr wenig
berücksichtigte Symptome, welche namentlich zur Frühdiagnose der Epilepsie von
Wichtigkeit Bind.
Jackson beschrieb unter „dreamy state“ zweierlei. Einmal die „Pseudo-
reminiecenzen“, die ErinnerungsfälBchungen, derart, dass man die Empfindung hat,
eine entschieden neue Situation schon einmal in genau derselben Weise erlebt
zu haben. Derartige Zustände gehen anfallsweise oft Jahrzehnte lang den con-
vulsiven Anfällen voraus. Im Gegensätze zu den auch bei normalen Individuen
gelegentlich vorkommenden Pseudoreminiscenzen dieser Art werden diese Zustände
bei Morbus sacer immer häufiger, je mehr die Kranken im Alter vorschreiten.
Die zweite Art der als Aequivalente zu beobachtenden „dreamy states“ besteht
darin, dass die Kranken irgend eine Handlung automatisch vollführen, welche
dem momentanen präparoxyBmellen Bewusstseinsinhalte völlig fremd ist; es taucht
eine Reminiscenz an eine frühere Handlung auf. — Dabei besteht eine sehr
characteristische Geschmacks- oder Geruch saura. Das Bewusstsein fehlt während
eineB solchen Anfalles nur theilweise. Die Kranken können aber ihre Innen¬
vorgänge nur unvollständig schildern. Der Inhalt des Bewusstseins ist oft ganz
harmloser Art, oft wieder ungemein schreckhaft.
In dem einen der Pick’sehen Fälle konnte der Kranke den Anfall durch
intensives Sprechen oder Herumgehen oft coupiren. Pilcz (Wien).
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13) Ueber das Verhalten des Kniepbänomens während der epileptlsohen
Anfälle, von A. Ferenczi. (Orvoai Hetilap. 1901. Nr. 33. [Ungarisch.])
Verf. untersuchte 34 Epileptiker, und fand bei 22 Kranken erhöhtes Knie¬
phänomen während des Anfalles, und im postepileptischen Zustand bei 6 Kranken
oonnales Verhalten und nur bei 6 Kranken herabgemindertes oder fehlendes Knie¬
phänomen. Verf. beobachtete das Verhalten bei 34 Kranken insgesammt während
15® Anfallen. Verf. fand in sämmtlichen Fällen, dass diejenigen Kranken erhöhtes
Kniephänomen zeigten, welche auch sonst hypertonisch waren — and nur die
Klinken mit Hypotonie zeigten vermindertes oder fehlendes Kniephänomen.
Hudovernig (Budapest).
14) Icterus und schwerere nervöse Erscheinungen, von F. v. Reusz. (Orvoai
Hetilap. 1901. Nr. 38 u. 39. [Ungarisch.])
Besprechung der schwereren nervösen Erscheinungen, insbesondere krampf¬
artiger Zustände im Verlaufe von Icterus, auf Grund von drei beobachteten Fällen.
Verf. kommt zu dem Schlüsse, dass die ins Blut gelangten Gallenbestandtheile
gar keinen, oder nur sehr minimalen Einfluss auf die Entstehung der nervösen
Symptome haben. Im ausführlich mitgetheilten Fall I (letal ausgehende Leber-
drrhose mit stürmischen EndBymptomen) betrachtet Verf. dieselben nicht als
Resultat der nach Gallenstauung möglichen Gallensäurevergiftung, sondern als
Ergebniss einer Autointoxication. Die beiden anderen Fälle betreffen Epileptiker.
Bei einem Alkoholiker und epileptischem Anfall mit Dämmerzustand, im An¬
schluss an eine Gallensteinkolik, ist der Icterus nur als allgemein auslösendes
Moment, bezw. Parallelsymptom zu betrachten. Hudovernig (Budapest).
16) Hemiplegie spaamodique infantile aveo Epilepsie, parEstäves. (Archives
de neurologie. 1901. Juni.)
Verf. hat eine veränderte Operation bei epileptischen Idioten gemaoht —
rin Mal mit sehr günstigem Erfolge, zwei andere Male mit weniger gutem Resul¬
tate: seine Kranken litten nur an rein einseitigen Attacken; er öffnete die Dura
mater der anderen Hemisphäre etwas vor der Rolando’schen Furche, fand unter
der Dura kaum Oedem und liess die Wunde langsam zuheilen.
Das Genauere ist in der Arbeit, die sich auch mit den Resultaten Anderer
beschäftigt, nachzusehen. Adolf Passow (Meiningen).
16) Nothxuohtsdeliote im epileptischen Dämmerzustand. Gutachten von
Dr. Franz Blaohian. (Friedreich’s Blätter für gerichtl. Medic. 1901.
Heft 5.)
32jahr. Bauernsohn hat in kurzer Zeit 8 Nothzuchtsversuche begangen.
Keine Belastung. Vor 8 Jahren Kopfverletzung mit Bewusstseinsverlust. Vor
6 Jahren — bis dahin gesund — starke Magenblutung und acute deliriöse Geistes¬
störung. Seitdem psychisch verändert: auffallendes Benehmen, unstete Lebens¬
weise, ethische Defecte. Körperlich: sehr gesteigerte Patellarreflexe, Zittern der
Hände und Circulationsstörungen, die in anämischer Blutmischung und Degene¬
ration des Herzmuskels ihre Ursache haben. Verf. schliesst: „Die starken Blut¬
verluste, welche K. im Jahre 1895 erlitt, und eine hierdurch bedingte Ernährungs¬
störung des Gehirns zusammen mit den plötzlichen Schwankungen der cerebralen
Blutfüllung haben jenen acuten Anfall geistiger Erkrankung ausgelöst, die dauernde
psychische Veränderung aber halte ich für den Ausdruck eben jener irreparablen
Blutbeschaffenheit und der unzureichenden Triebkraft der Herzmusculatur.“ Schon
4iw Folgerung muss als eine kühne und durch Erfahrung nicht genügend ge-
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stützte Behauptung angesehen werden. Ganz unbewiesen und unverständlich bleibt
die Vorstellung des Verf.’s von dem causalen Zusammenhänge des „acuten hallu-
cinatorischen Delirs“ mit dem „bleibenden Folgezustand der epileptischen Ver¬
änderung.“ Krämpfe waren nicht vorhanden. Ueber Schwindelanfälle lagen „ge¬
nauere Beobachtungen“ nicht vor. Abnormes Verhalten unter Alkohol Wirkung
kann ebenfalls nicht, wie es Verf. zu thun scheint, als pathognostisches Zeichen
für Epilepsie gedeutet werden. Ueber typische Charakterveränderung wird nicht
berichtet. Die ruhelose Lebensführung und die „verkehrten Handlungen“ sprechen
weit weniger für Dämmerzustände, als für Schwachsinn. Von unzweifelhaftem
Schwachsinn zeugen auch die näheren Umstände bei Begehung der Nothzuchts-
delicte, so z. B. die Thatsache, dass K. gegen Empfang von 10 Pfg. sein Opfer
freigah. Amnesie bestand nicht, obwohl später die That geleugnet wurde. Nach
alledem scheint die Diagnose Epilepsie ziemlich unwahrscheinlich, weit näher liegt
die Annahme eines secundären Schwachsinns, der vielleicht der grossen Gruppe
der Dementia praecox zuzuzählen ist. Die forensische Beurtheilung bleibt von
der abweichenden Auffassung des Ref. unberührt; denn den Schutz des § 51 hat
der Kranke in jedem Falle verdient. Kalmus (Lübeck).
17) Een vlervoudige moord gepleegd in een epileptisohen droomtoestand,
door Hulshoff Pol. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1900. S. 150.)
Ein Eingeborener in der Umgegend von Buitenzorg auf Java, der seit einem
epileptischen Anfalle zu Anfang des Jahres 1898 reizbar und geistig gestört war,
erschlug am 29. Mai 1898 mit einem Reisstampfer seine Frau, sein Töchterchen
und seine beiden Schwiegereltern, in deren Hause sich die Frau aufhielt, die
ihren Mann aus Furcht vor seiner sehr reizbaren Stimmung verlassen hatte. Der
Thäter erzählte seine That kurz danach aus eigenem Antriebe seinem Bruder,
wurde aber durch dessen Vorwürfe so wüthend, dass er seinen Bruder todtschlagen
wollte, der sich nur durch schleunige Flucht retten konnte. Seiner Verhaftung
widersetzte sich der Thäter mit solcher Heftigkeit, dass sie erst gelang, nachdem
er durch einen Schuss verwundet und bewusstlose niedergefallen war.
Nach einer Heilung war ihm das Gedächtniss für die Zeit vom Januar bis
ungefähr September 1898 geschwunden. Des Mordes erinnerte er sich nicht,
leugnete hartnäckig, epileptische Anfälle gehabt zu haben; die Amnesie erstreckte
sich über die Zeit, in der die Anfälle aufgetreten waren. Obgleich er sich des
Mordes nicht erinnerte, gab er doch Zeugenaussagen gegenüber zu, wenn diese
es gesehen hätten, müsste es doch so sein. Sowohl an der Epilepsie (schon im
Alter von 10 Jahren hatte der Angeklagte einen epileptischen Anfall gehabt), als
auch an der Amnesie war nicht zu zweifeln, es lieBs sich feststellen, dass der
Angeklagte kurz vor und kurz nach dem Morde Erscheinungen gezeigt hatte, die
auf Störung seiner geistigen Fähigkeiten hinwiesen. Ferner war die That plötz¬
lich und unvorbereitet, im Drange des Augenblicks verübt worden, jedenfalls in
einem Wuthanfalle, wie sich auch einer kurz nach der That wieder eingestellt
hatte, wobei der Bedrohte sich durch die Flucht rettete. Verf. erklärte deshalb,
dass der Angeklagte zur Zeit der That unzurechnungsfähig war, und dass er als
gemeingefährlich in die Irrenanstalt unterzubringen sei.
Walter Berger (Leipzig).
18) Ueber die Prognose der Epilepsie, von Habermaas (Schloss Stetten).
(Allg. Zeitschr. f. Psych. LVHI. S. 243.)
Die schwankenden Ansichten über die Prognose der Epilepsie hat Verf. ver¬
anlasst, über die in den Jahren 1869—1898 in Stetten verpflegten Epileptiker
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Erkundigungen einzuziehen. Im ganzen erstreckt sich seine Untersuchung auf
937 Epileptiker, die mit seltenen Ausnahmen bei der Aufnahme das 30. Lebens-
jahr nicht überschritten hatten. Nur ausnahmsweise wurden Epileptiker mit
psychischen Störungen, abgesehen von Schwachsinn, aufgenommen. Dauernde
Heilung mit erhaltener Erwerbsfahigkeit fand sich in 10,3°/ o , Heilung der Epi¬
lepsie, aber Verlust der Erwerbsfähigkeit durch Schwachsinn in 0,6 °/ 0 , Erwerbs¬
unfähigkeit bei bestehender Epilepsie in 13,3 °/ 0 , Arbeitsfähigkeit hei Anstalts-
bedörftigkeit in 20,9 °/ 0 , Verblödung und Arbeitsunfähigkeit in 11,4%, Ausgang
der Epilepsie in Tod in 43,3 %.
In 226 Fällen erhielt Verf. Auskunft über das geistige Verhalten der noch
lebenden früheren Anstaltspfleglinge; davon wurden 33% als intellectuell nicht
geschädigt geschildert, bei 30% wurde über psychische Schwäche berichtet, 24 %
als schwachsinnig, 12% als blödsinnig bezeichnet Das Verhalten der Anstalts-
insassen and Gestorbenen war ungünstiger, so dass unter dem gesammten Material
nur 17,3% der nicht geheilten Epileptiker nicht intellectuell geschädigt, 17,3 %
massig, 65 % hochgradig schwachsinnig oder blödsinnig war. Das Durchschnitts¬
alter der Anstaltsinsassen war 22 Jahre, der früheren Pfleglinge 29,3, der ge¬
storbenen Epileptiker 25 Jahre.
In der Anstalt führte in 60% der Gestorbenen die Epilepsie den Tod
herbei, und zwar in 47,6 % an gehäuften Anfällen, 4,8 % in Folge von Unglücks¬
fallen. Von den früheren Anstaltspfleglingen starben 59% an epileptischen An¬
fällen, 9 °/ 0 in Folge von Unglücfcsfällen.
Am günstigsten verlaufen die Fälle, in denen keine directe Ursache der Epi¬
lepsie nachweisbar war, bei denen keine Convulsionen des Säuglingsalters auf¬
getreten waren, die keine krankhafte Veränderung des Gehirns erkennen lassen
und die geistig gar nicht oder nur wenig gelitten haben. Die hereditäre Be¬
lastung hat nicht die allgemein angenommene schlimme Bedeutung für die Pro¬
gnose. Sachgemäfise und frühzeitige Behandlung bessern die Heilungsaussichten.
Aschaffenburg (Heidelberg).
19) Meddelelser fra Kolonien for Epileptiske (Filadelfla), af A. Seil.
(Ugeskr. f. Läger. 1900. Nr. 9 u. 10.)
Am 1. August 1898 wurde in Terolöse auf Soröe das erste Haus einer
Cokmie für männliche Epileptiker eröffnet und am 1. September desselben Jahres
eines für weibliche. Vom 1. August 1898 bis zum 31. August 1899 wurden 30
männliche Patienten aufgenommen, von denen 29 an Epilepsie litten, bis dahin
waren 5 männliche epileptische Patienten vorhanden, so dass die Gesammtzahl
der behandelten Männer 34 beträgt. Ein Haus für weibliche epileptische Pat.
hatte schon seit dem 1. August 1896 bestanden und bis zum 1. September wurden
in diesem Hause 60 Patientinnen verpflegt, theils Weiber mit verschiedenen nervösen
Symptomen, theils andere Patientinnen; vom 1. September 1898 hatten die epilep¬
tischen Weiber den Vorzug und unter den 25 von da an bis zum 31. Aug. 1898
behandelten Kranken waren 7 Epileptiker. Ueber die also im Ganzen 41 epi¬
leptischen Kranken theilt Verf. kurzgefasste Eirankengeschichten mit, knüpft daran
Bemerkungen über die Aetiologie der Epilepsie, über die Charakterveränderungen
bei derselben, wobei er auf mehrere der Fälle zurückkommt, sowie über die Be¬
handlung. In vielen Fällen zeigte sich von der Behandlung in der Colonie ein
Nutzen. Walter Berger (Leipzig).
20) La oura delT epilessia col metodo Biohet, pel Dr. Guido Garbini.
(ßivista mensile di neuropatologia e psichiatria. 1901. Nr. 8.)
14 erwachsene Epileptisohe schwerer und schwerster Formen inveterirten
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Charakters, die lange Zeit mit 8 g Brom pro die erfolglos behandelt waren,
wurden dem Richet’schen Behandlungsmodus unterzogen, und zwar wurde zu¬
nächst auf einen Monat das Brom ganz ausgesetzt, die gewöhnliche Kost aber
beibehalten, im zweiten Monat ebenfalls ohne Diätwechsel 3 und nach einer Woche
4 g Bromalkaligemisch verabreicht und, nachdem sämmtliche Kranke diesen Wechsel
gut vertragen hatten, im dritten und vierten Monat die gewöhnliche, aber koch¬
salzfreie Diät und in der ersten Woche dieses Regime 3, in der zweiten 2, in
der dritten und vierten 1 g Brommischung pro die und in den letzten 4 Wochen
des Versuchs schliesslich gar kein Medicament gegeben. Die Ergebnisse desselben
sind folgende: Mit kochsalzarmer Diät und minimalen Bromgaben (1 g) wurde in
Monatsfrist eine Verminderung der Zahl der Anfälle um 73 °/ 0 erreicht; das Tages¬
mittel derselben fiel von 2,97 auf 0,68. Dieselbe Kost ohne gleichzeitige Brom¬
darreichung erzielte nur eine Herabsetzung um 65°/ 0 . Die Dauer der Anfalle
war wesentlich (im Durchschnitt um 2 / 3 der Zeit) abgekürzt. Die Erregungs¬
zustände nahmen ab und die geistigen Verhältnisse besserten sich. Unangenehme
Zwischenfälle waren nicht zu beklagen, das Allgemeinbefinden der Kranken war
günstiger als vorher, das Körpergewicht stieg, und zwar im ersten Monat der
Kochsalzentziehung mehr als im zweiten, daher die Möglichkeit späterhin fort¬
schreitender Abmagerung im Auge zu behalten ist. Frauen werden von der Kur
mehr belästigt als Männer. — Diese günstigen Erfahrungen lassen es bedauern,
dass die Versuche so rasch abgebrochen und Krankengeschichten nicht mitgetheilt
wurden; auch dürfte wohl das Bedenken einzuwenden sein, dass die plötzliche
und vollständige Bromentziehung im einleitenden Versuch von vorn herein die
ersten Beobachtungsserien künstlich unter ungünstigere Verhältnisse bringen muss
als die späteren, was die Daten und ihre Bewerthung unnöthig compliciren und
damit das Schlussergebniss viel mehr erschweren würde, als es hier in die Er¬
scheinung tritt. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
21) Ueber das B echte re w’sche Mittel bei Epilepsie, von Karwacki. (Medy-
cyna. 1900. Nr. 24. [Polnisch.])
Verf. berichtet über seine Erfahrung, welche er bei Anwendung des Bech-
terew’schen Mittels (Brompräparate mit Digitalis oder Adonis und Codein) ge¬
sammelt hat. Verf. hat diese Methode in 7 Fällen angewandt und in manchen
wurde die Zahl der Anfalle geringer. Da die Beobachtungszeit nicht über drei
Monate andauerte, so giebt Verf. selbst zu, dass sein Beobachtungsmaterial keine
sicheren Schlüsse zulässt. Edward Flatau (Warschau).
22) Epilepsie et trdpanation, par Gilles de la Tourette. (Archiv, de neu-
rologie. 1901. Juni.)
Bourneville knüpft an die jüngsten veröffentlichten erfolgreichen — meist
erfolglosen — Trepanationen, Lösungen von Verwachsungen der Dura mater u.
äbnl. m. die Bitte, sämmtliche (auch von negativem Erfolge begleiteten) Fälle
veröffentlichen zu wollen, um somit in dieser wichtigen Frage klarer zu sehen.
Adolf Passow (Meiningen).
23) Zwei Fälle von Nerven Chirurgie; Eine Epilepsie, die nach spontaner
Schliessung einer traumatischen Fistel des Schädels entstanden war
und durch Trepanation geheilt wurde; eine Ellbogenluxation mit
Verletzung des N. ulnaris; Heilung, von V. Pauchet (Travaux de
neurolog. Chirurg. 1901. Nr. 1.)
Verf. theilt folgende 2 von ihm mit Erfolg behandelte Fälle mit: I. Ver-
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ietsnng des linken Scheitelbeines (Schusswunde), deutliche Zeichen einer Gehirn-
erachütterung, die aber nach einiger Zeit wieder verschwinden; es bleibt jedooh
eine persistirende Fistel des Schädels. Endlich verschwindet auch diese, aber mit
ihrem Verschwinden stellt sich eine schwere Epilepsie ein mit motorischer Aura
im rechten Arm, 3 Anfalle pro Tag. 3 Monate nach der Verletzung wird die
Trepanation vorgenommen. Es wird ein Eiterherd über dem Sulcus Rolando ent¬
leert und 10 Tage später konnte Pat. als geheilt entlassen werden.
Fall II. Luxation des Vorderarmes nach hinten, mit Bruch des Proc. coro-
soideus, entstanden bei einem 12 jährigen Kinde durch Fall auf den linken Arm
beim Turnen. Sofort vorgenommene Repositionsmanöver sind ohne Erfolg. Darauf
tritt Anästhesie und Muskelatrophie im ganzen Gebiet des N. ulnaris ein. Die
Bewegungen im Ellbogen gelenk sind fast normal, nur die Flexion gelingt nicht
aber 100°. Da der Zustand sich nicht bessert, wird zur Operation geschritten.
Längsschnitt an der Innenseite des Ellenbogengelenkes, der N. ulnaris wird bloss-
gelegt in einer Länge von 4—5 cm. Er ist nach vorne luxirt und wird nun
nach künstlicher Bildung eines neuen Sulcus ulnaris in diesen reponirt. Fast
augenblicklich kehrte die Sensibilität zurück und 3 Wochen später auch die
Motilität, die Atrophie ist völlig geschwunden. Adler (Berlin).
24) De la generalisation des origes öplleptiquea, consöoutdves aux trau-
xnatlsmea localisös du ortlne chez l’enfant et de leur traitement, par
A.Chipault. (Travaux de neurolog. chirurg. 1900. Nr. 2 u. 3.)
VerL veröffentlicht 10 eigene Beobachtungen, wo bei Kindern nach Schädel-
Terletxnngen später cerebrale Erscheinungen sich zeigten. Die Traumen waren
in 2 Ballen intrauterin, in einem intra partum, in den anderen post partum er¬
worben. In allen Fällen reagirte das kindliche Gehirn gegen das eigentliche
Trauma nur wenig, gegen die Narbe äusserst heftig. Die Erscheinungen bestanden
tbeils in allgemeinen Krämpfen, theils combinirt mit spastischer Hemiplegie, in
ehern Falle mit Hemiathetose, in einem anderen mit doppelseitiger, in 3 Fällen
endlich mit Idiotie. Die letzteren schliesst Verf. von einer chirurgischen Behand¬
lung, weil zwecklos, aus, dagegen empfiehlt er für die anderen die Trepanation
mit dauernder Resection des Knochens. Durch diesen Eingriff wurden die all¬
gemeinen epileptischen Krisen regelmässig günstig beeinflusst, während die localen -
Jackson’sehen Symptome unverändert blieben. Für unzweckmässig hält Verf.
die einfache temporäre Resection des Knochens, ebenso wie die Elektrisirung oder
die Resection der Rinde. Ob die spastischen hemiplegischen Symptome lediglich
auf absteigende Degeneration zu beziehen sind oder ob nicht congestive Störungen
mit im Spiele sind, stellt er in Frage, da er unter dem Einfluss von Amyluitrit
und Chloroform Aenderungen des Verhaltens dieser Symptome in entgegengesetzter
Richtung bemerkte. Adler (Berlin).
25) Du ohoix de Intervention dans les öpilepsies essentielles gänöralisäes,
par E. VidaL (Travaux de neurolog. chirurg. 1900. Nr. 1.)
Verf. sucht bei geueralisirter essentieller Epilepsie Indicatioueu für die Sym-
pathicotomie aufeustellen. Er empfiehlt dieselbe bei toxischen Epilepsieen, stellt
sie bei Epilepsieen reflectoriscben Ursprunges in Frage und hält sie für contra-
indicirt bei solchen durch Gehirncompression. Um sich über den Ursprung des
jeweiligen Falles ein Bild za machen, empfiehlt er einen Versuch mit Inhalation
Ton Amyluitrit. Adler (Berlin).
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26) Tuberoulose du diploö. Crises öpileptiques. Hemioontraotur© post-
hömiplögique aveo athötose. Bdsection de la partle d'os malade.
Disparition de l’hömioontraofcure, par A. Chipault. (Travaux de neurolog.
chirurg. 1900. Nr. 2 u. 3.)
Verf. berichtet über einen Patienten von 16 1 / a Jahren, der seit seinem
9. Lebensjahr an Krämpfen litt, 3% Jahr später bildete sich nach einem neuen
Anfall eine linksseitige Lähmung mit Athetose des linken Armes, sodaas ungefähr
alle Viertelstunden athetotische Bewegungen erfolgten. Pat. stammte aus einer
tuherculös belasteten Familie. Nachdem die Diagnose auf eine Affection der
rechten Zona rolandica gestellt war, wurde in dieser Gegend trepanirt und dabei
die Diploe in einer Zone von 5—6 cm mit fungösen Massen besetzt gefunden,
welche entfernt wurden. Der Erfolg war ausgezeichnet: die epileptischen Krisen
verschwanden nach dem zweiten Verbandwechsel, die athetotischen Bewegungen
verschwanden gleich nach der Operation, die Contractur ist beseitigt.
Adler (Berlin).
27) I. Berichte über die Schlafkrankheit der Neger im Kongogebiete, von
Dr. Gleim. — II. Bemerkungen und Beobachtungen über die Sohlaf-
suoht der Neger, von Dr. C. Mense. (Archiv f. Schiffs- u. Tropenhygiene.
IV. 1900.)
Diese in einigen Flussgebieten Westafrikas unter den Eingeborenen endemisch
auftretende Krankheit ist sowohl hinsichtlich ihrer Aetiologie wie ihrer klinischen
Stellung noch sehr wenig aufgeklärt. Sie befallt nur Neger und Mischlinge; dass
Europäer von der Krankheit befallen worden seien, ist bis jetzt mit Sicherheit
noch nicht festgestellt. Die Eirankheit ist eine exquisit endemische und scheint
eine gewisse Prädisposition vorauszusetzen. In einzelnen Gegenden ist die Mor¬
talität eine ganz bedeutende, sie beträgt bis zu 25 °/ 0 der Gesammtbevölkerung.
Die Ursache der Krankheit sehen einzelne im Genuss einer Pflanzenwurzel, des
Manioks; andere erklären sie für parasitären Ursprungs, und als Erreger wird
bald ein specifischer Bacillus, bald der Pneumococcus, bald eine Filaria (F. per¬
stans) angesprochen. Die Krankheit hat eine unbestimmt lange, vielleicht sich
über Jahre erstreckende Latenzperiode und führt nach Auftreten der ersten deut¬
lichen Symptome meistens innerhalb einiger Monate zum Tode. Nach Prodromal-
^erscheinungen allgemeinerer Natur stellt sich eine Ataxie vorwiegend der unteren
Extremitäten ein und unter zunehmender Kachexie entwickelt sich eine immer
stärker werdende Somnolenz. Die Kranken können, zum Zwecke der Nahrungs¬
aufnahme, aus ihrem Schlafzustande aufgerüttelt werden, versinken aber sofort
wieder in ihr Koma. Nach dem Berichte von Gleim können vorher anscheinend
gesunde (?) Personen mitten unter der Arbeit plötzlich von Schlafsucht befallen
werden. In dem von Mense beschriebenen Falle traten bei dem Kranken sub
finem vitae tetanusähnliche Zustände und klonische Krämpfe auf. Ueber die
pathologische Anatomie der Krankheit ist so gut wie nichts bekannt. Die Pro¬
gnose ist ungünstig, doch will ein portugiesischer Arzt in einem Falle Heilung
durch Injection von Testikelflüssigkeit vom Hammel (nach Brown-Sequard)
erzielt haben. Max Neumann (Karlsruhe).
Psychiatrie.
28) Contre la degenörescence, par Paul Hardenberg. (Revue de Psycho¬
logie. 1900. Mai.)
Verf. bricht in der kurzen Besprechung eine Lanze für die Gesetzvorschläge
Hegar’s, insofern sie der Gefahr einer fortschreitenden Entartung der Menschheit
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entgegentreten sollen, um so die wirksamste Prophylaxe gegen Neurosen und
Psychosen zu schaffen. Er weist auf Zoroaster, Moses, Manon, Mahomet und
Lykurg hin, die sämmtlich schon durch bestimmte Gesetzvorschriften (verschiedene
Stellen des Koran werden angezogen) versuchen der Weitervererbung von geistigen
and körperlichen Mängeln ein Ziel zu setzen. In unseren Tagen haben nicht
Hegar allein, sondern auch andere Forscher den Kreuzzug gegen die Degeneration
gepredigt. Da werden erwähnt die Gesetze des Staates Michigan (Amerika), die
den Geisteskranken, Idioten und allen von gewissen Krankheiten Betroffenen die
Heirath verbieten. In demselben Staate soll es weiter folgende Bestimmung geben:
Alle Kranke, die sich zur Zeit als Epileptiker oder Geistesschwache in Hospitälern
befinden oder später dahin aufgenommen werden, müssen vor ihrer Entlassung
kastrirt werden, damit sie zeugungsunfähig werden. Dieselbe Operation soll über
solche verhängt werden, die wegen Nothzucht oder drei Mal wegen schwerer
Deliete verurtheilt worden sind. Es wird ferner auf Naike, Estöves y Hualde,
Hugbues und Marro verwiesen, die alle ähnliche Schutzbestimmungen empfehlen.
So sonderbar solche Vorschläge zuweilen anmuthen, so solle man doch nicht ver¬
gessen, dass die betreffenden Autoren dabei einen guten Zweck im Auge gehabt
hätten. Spott und Skepticismus wären ihnen gegenüber nicht am Platz und
könnten der guten Sache nur nachtheilig sein. Meitzer (GroBshennersdorf).
29) Klinische Beiträge zur Katatonie, von Schüle (Hanau). (Allg. Zeitschr.
£ Psych. LVHL S. 221.)
Verf. vertritt nochmals seinen Standpunkt: Es giebt einen katatonischen
Process, der zu einer eigenartigen Demenz fuhrt und der zur acuten und sub¬
acuten Demenz gerechnet werden muss, und meist, aber nicht immer unheilbar
ist Daneben aber kommen katatonische Erscheinungen, der vom Verf. sogenannte
*kaiatone Zeichenverband“ auch episodisch im Verlaufe anderer psychischer Krank*
behsprocesse vor, und zwar bei der chronischen Paranoia, bei periodischen und
qkhschen Formen; endlich hält Verf. auch an der Existenz einer Melancholia
attcnita fest Auch Wahnsinns- und Verwirrtheitszustände können eine katatonische
Verlaofsform zeigen und dann entweder heilen oder in Verblödung übergehen.
Der Zustand des Bewusstseins ist sehr verschieden, von grösster Einengung
wechselnd bis zu fast völliger Klarheit; die Stimmung meist farblos und gleich¬
gültig, aber auch allen schroff wechselnden Launen nachgebend; der Wille ge¬
sperrt , durch Gegenimpulse abgedrängt, oft paradox und stereotyp. Für den
Charakter der Bewegungen nimmt Verf. theils eine intrapsychische, theils extra¬
psychische Genese an.
Die acuten und massigen Stuporgrade sind günstiger in der Prognose als
die chronischen; letztere in jugendlichem Alter ungünstiger als Bpäter; die
Stereotypieen sind weniger bedenklich als die eigentlich musculäre Attonitis. Je
deutlicher die intellectuelle Schädigung, je grösser die Unordnung und Zer¬
fahrenheit der Vorstellungen, namentlich in der Ruhe nebst groteskem Inhalt
deeultorisoher Wahngebilde ist, desto ernster die Aussicht.
Aschaffenburg (Heidelberg).
SO) PeriodischeKatatonieen, von August Müller (Wien). (Züricher Inaugural¬
dissertation. Herisau, 1900. Schlüpfer u. Co.)
Im Wesentlichen casuistische Mittheilung; sie umfasst 15 Fälle mit längeren,
oft Jahre langen Remissionen, während deren die Patienten in der Freiheit ihren
Unterhalt erwarben: 5 Fälle, in denen die Störung auch in den Zwischenzeiten
sehr bedeutend war, 2 Fälle mit täglich schwankender Erregung und endlich
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noch anhangsweise 2 Fälle, in denen eine Remission von 20 bezw. 21 Jahren
die beiden Anfälle trennten. Verf. wirft noch die Frage auf, ob die Erregungs¬
zustände wirkliche acute Schäden der Grundkrankheit sind oder ob die Degeneration
in Folge einer Dementia praecox bloss den Boden schaffe, auf dem eine periodische
Psychose erwachse. Eine bestimmte Entscheidung fällt er nicht. Ei verdient
wohl, in Anbetracht der ablehnenden Stellung mancher Autoren der Katatonie
gegenüber, betont zu werden, dass jedes Mal neben den typisch katatonischen
Zeichen ein mehr oder weniger hoher Grad von psychischer Schwäche als charak¬
teristischer Unterschied gegenüber dem einfachen circulären oder periodischen
Irresein zu beobachten war. Aschaffenburg (Heidelberg).
31) Unilateral halluoinations; their relative frequency, assooiations and
pathology, by Dr. Alex. RobertBon. (Journal of Mental Science. 1901.
April.)
Dem Verf. zufolge ist das einseitige Ueberwiegen von Hallucinationen in
den höheren Sinnesfeldern keine Seltenheit, hingegen sind ihm ausschliesslich ein¬
seitige Sinnestäuschungen, mit ausgesprochener Prädilection der linken Seite, im
Ganzen unter einem grossen Krankenmaterial nur 15 Mal vorgekommen. In allen
Fällen war der Gehörssinn entweder — weitaus am häufigsten — allein be¬
troffen oder maassgeblich mitbetheiligt Das Phänomen kam am häufigsten bei
Alkoholpsychosen, je einmal bei Geistesstörung nach Blei- bezw. Opium Vergiftung
und vereinzelt bei Gesunden als Reiz- oder Reflexerscheinung (gleichseitiger
Acusticusschwund, Bindehautreizung) zu Stande und war in Ausnahmefallen weder
unmittelbar an den Beginn der psychischen Störung gebunden (ihr lange voraus¬
gehend), noch präcise mit dem Eintritt der Krankheitseinsicht zugleich beseitigt
Diesem Ergebnisse liegen ausschliesslich die den Gegenstand betreffenden
Urtheile der befragten Personen zu Grunde; insofern Verf weder eine psy¬
chiatrische Kritik noch auch eine (mögliche) Nachprüfung derselben angestrebt
hat, haben seine Resultate leider nicht unbedingten Werth. Der weitere Ver¬
such, dem Begreifen der Pathogenese dieser Erscheinungen mit Hülfe der Con-
struction toxischer Metastasirungen nachzuhelfen, ist wohl weder originell noch
recht ergiebig. Schmidt (Freiburg i./Schl.).
32) Le oas de Charles Bonnet. — Halluoinations visuelles ohez un
vieillard opdrö de la oataraote, par Th. Flournoy. (Arch. de psychol.
de la Suisse Romande. I.)
Der Aufsatz, der die obige neugegründete Zeitschrift (herausgegeben von
Flournoy und Claparöde) eröffnet, führt gewissermaaSBen ein Vermächtniss aus;
es ist die ausführliche Veröffentlichung eines von Ch. Bonnet in seinem „Essai
analytiqne“ erwähnten Falles. Es handelt sich um Gesichtshallucinationen bei
einem Greis von 90 Jahren, die sich 11 Jahre nach einem Fall auf die rechte
Kopfseite und einer nachfolgenden Cataractoperation entwickelten und fast s / 4 Jahr
bestanden. Das Bemerkenswertheste bei denselben war ihr Auftreten bei sonst
völlig intacter Psyche des Patienten: Er beobachtete dieselben ohne irgend welchen
Affect, wie physikalische Phänomene, und war sich, obwohl die Bilder völlige
Deutlichkeit und Körperlichkeit besessen, stets oder fast stets über ihre Irrealität
im Klaren. Bezüglich ihres Inhaltes waren es tbeils Photopsieen (fliegende bunte
Funken, Schmetterlinge, viereckige farbige Tücher), zum grösseren Theile Gegen¬
stände, Personen, Gemälde in Rahmen an der Wand, Möbel, Veränderungen der
Tapeten u. A. Verschiedentlich traten die Personen oder Gegenstände unter riesen¬
haften Dimensionen als „Makropsieen“ auf, sie bewegten sich im Zimmer, setzten
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sieh zwischen ihn und seine Besucher, sprachen indessen nie. Eine regelmässig
wiederkehrende Erscheinung war die eines Rauchers mit den eigenen Zügen des
Patienten, die sich ihm gegenübersetzte, wenn er Morgens seine Pfeife ansteckte.
— Die Hallucinationen traten fast stets unwillkürlich, plötzlich, ohne erkenn¬
baren Zusammenhang mit den Geschehnissen der Umgebung auf; Pat. unterbrach
dann häufig sein Gespräch, machte seine Angehörigen darauf aufmerksam, um
darauf ruhig fortzufahren. Doch konnte er sie unter Umständen auch willkürlich
berrorrufen oder festhalten, wenn er z. B. in ein Nebenzimmer ging, um zu sehen,
ob dort die Tapete sich auch verändert habe. Sie traten stets nur im völlig
inchen Zustande auf, nie im Bett oder beim Einschlafen. — Abgesehen von den
Pkotopsieen, die das ganze Gesichtsfeld einnahmen, befanden sich die Halluci-
aauonen stets in der linken Hälfte des Gesichtsfeldes, bewegten Bich stets von
rechts nach links, blieben bestehen, auch wenn er das linke Auge verdeckte. —
Die Krankengeschichte sind die dictirten, mit einer Unmenge detaillirter Einzel¬
züge versehenen Eigenbeobachtungen des Patienten; das Manuskript stammt aus
dem Jahre 1759. — Obgleich Verf. die Deutung der Erscheinungen als hemi-
opische Hallucinationen verwirft, glaubt Ref. aus mehreren Angaben der Kranken¬
geschichte doch diese Erklärung, besonders nach den Arbeiten von Uhthoff,
als die wahrscheinlichste annehmen zu dürfen. H. Haenel (Dresden).
SS) Obsession emotive d’origine sexuelle; traitement et guörison, par
P. Valentin. (Revue de Psychologie. 1900. Mai.)
Patientin, 39 Jahre alt, consultirte Verf. wegen einer seit Jahren bestehenden,
sich immer unerträglicher gestaltenden Zwangsvorstellung, dass sie Niemanden
ansehen könne. Begleitet war diese besonders in Gegenwart anderer Personen
von Angstanfallen mit Palpitationen, Larynxspasmen u. s. w., die sich weiter bis
zur Ohnmacht steigern konnten. Um sich zum Theil gegen diese Anwandlungen
za schützen, bestrich sie die Gläser eines Lorgnons mit etwas Vaselin, was ihr
Blickfeld trübte, ohne ihr die Orientirung im Raum gänzlich zu rauben. Inter-
ci—Bt war die psychologische Genese dieser Zwangserscheinung. — Patientin war
trfeikh belastet; von der Mutter hatte sie eine krankhafte Erregbarkeit und Im-
preaionabilität geerbt. Viele Schicksalsschläge, eine unglückliche Ehe, missliche
Verhältnisse hatten sie zur Neurasthenica gemacht; In ihrer zweiten glücklicheren
Ehe blieb sie nervös, reizbar, furchtsam, schüchtern. Damals, 36 Jahre alt, em¬
pfand sie zum ersten Male in ihrem Leben bei der Cohabitation la Sensation
rioörienne. Dieser ganz unerwartet eingetretene Eindruck rief einen starken
Sbok bei ihr hervor; sie fragte sich, ob sie wie andere Frauen wäre, vertraute
eich aber Niemandem an und versuchte mit aller Geistesanstrengung mehrere
Monate hindurch den Orgasmus zu verhindern; gelang ihr dies nicht, so war sie
ioasent deprimirt Dieser unnatürliche Kampf gegen sich selbst machte sioh mit
einer noch grösseren Nervenerschöpfung bezahlt. In dieser Zeit kaufte ihr Mann
einen Hund, der die üble Gewohnheit hatte, alle Leute in der Inguinalgegend zu
beschnüffeln. Wenn nun Jemand zu ihr kam, so konnte sie von jetzt ab dem
Drange nicht widerstehen, dem Thun des Hundes mit den Augen zu folgen. Das
war für sie selbst eine Marter, zumal sie bald ihre Ohnmacht einsah und sich
bei Begegnungen mit Menschen heftige Angstkrisen einstellten, die sie immer
häufiger und heftiger überkamen. Sie beschloss daher, allen aus dem Wege zu
gehen, selbst ihren Verwandten und Kindern, und lebte ganz für sich, bis sie
«nee Tages auf den Gedanken kam, die Gläser ihres Lorgnons in der oben be¬
schriebenen Weise zu beschmutzen. Von jetzt ab wurde sie nicht mehr von der
Furcht beherrscht, ihre Blicke auf die Inguinalgegend der Leute richten zu müssen,
isodern konnte überhaupt Niemanden mehr ansehen, gleich, ob sie mit ihnen
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sprach oder nicht. Diese Furcht blieb im Zustande des Zwangs und erhielt die
Kranke in beständiger Spannung, zumal sich jetzt der Gedanke einschlich, was
andere Leute dazu sagen würden, dass man üble Gerüchte über sie verbreite, sie
belausche u. s. w. So suchte sich die auf einen affectiven Shok sexuellen Ur¬
sprungs gepfropfte Phobie in eine paranoische Wahnidee umzuwandeln. Den
psychischen Störungen standen auf somatischem Gebiete gegenüber: Vesico-urethrale
Hyperästhesie, Gastroptose und Magenerweiterung, Unregelmässigkeit des Herz¬
schlags, Gefühl der Leere im Kopf, Nackenschmerzen, leichte Ermüdbarkeit der
Augen, Schlafstörungen; keine hysterischen Stigmata oder organische Störungen.
Die Behandlung war eine doppelte: 1. allgemein tonisirende, 2. suggestive.
Bei der ersteren bediente sich Verf. u. a. subcutaner Lecithininjectionen. Der
Suggestivbehandlung, die ganz den individuellen Verhältnissen Rechnung trug,
gelang es, binnen wenigen Wochen die Patientin soweit zu fördern, dass sie
wieder mit Menschen verkehren konnte.
Verf. knüpft an den letzten Abschnitt über die psychologische Behandlung
dieser Kranken die Bemerkung, dass es bei der Heilung von Zwangsvorstellungen
und Phobieen nicht genügt, den Patienten über den Ausgang seiner psychischen
Störung zu beruhigen und sich auf eine exspectative Therapie zu beschränken. Der
Psycholog müsse vielmehr in den destruirenden Process der Zwangsideeen und
Phobieen direct eingreifen und den Pat. erziehen, die begleitenden affectiven
Paroxysmen zu überwinden im Augenblick, in dem sie entstehen, event. in dem
er sie selbst hervorruft, wobei er dann persönlich zu Hülfe kommen muss.
Meitzer (Grosshennersdorf).
34) Psioopatologia dolle Idee di negazione, pel Dr. Sante de Sanctis.
(Giornale il manicomio moderno. 1900. XVI. Nr. 3.)
Der Verf. untersucht in der vorliegenden, ausführlichen Arbeit die Genese
der „Idee di negazione“ und führt sie alle auf den „psychischen Contrast“ zurück,
der eine Thatsache der normalen Psyche darstellt. Vor allem bekämpft er die
Hypothese der Entstehung derselben aus der „Verdopplung der Persönlichkeit“,
erkennt dagegen die Dallemagne’sche Hypothese (Verwandtschaft mit der Folie
du doute) an. Die Verneinungsideeen (Widerspruchsgeist) treten nach Verf. in
einem späten Stadium der Psychose auf und kündigen den Beginn der secuu-
dären, bezw. senilen Geistesschwäche an (Beweis: Atrophie der Frontal¬
windungen). Ferner besteht bezüglich der „Dölires des nogations“ ein zweifel¬
loser Zusammenhang mit früher stattgehabten Krankheiten oder früheren lebhaften
Eindrücken (Gastroenteritis und hypochondrische Delirien des Leerseins, des Mangels
von Eingeweiden u. s. w.). Immerhin giebt es Fälle, in denen das „Dölire des
nögations“ schon mit dem Beginn der Psychose sich einstellt, und solche, die trotz
Senilität vollkommen ausheilen. In solchen Fällen handelt es sich um psychische
Erschöpfung, bezw. Intoxication, oder um psychischen, pathologischen Schmerz
(„Schmerz ist an und für sich schon eine Negation“), oder schliesslich um psychische
Degeneration (bei Hysterischen, Imbecillen u. s. w.).
Allgemein fasst der Verf. die Entstehung der Widerspruchsvorstelluugen in
dem Satz zusammen, dass die Kranken „dasjenige negiren, was entweder früher
oder gegenwärtig ihre Aufmerksamkeit am meisten gefesselt hatte“, und zwar
trifft dies sowohl für somatopsychische (hypochondrische Ideeen!) als auch für
allopsychische Ereignisse zu. Die psychologische Erklärung hierfür sucht er in
der Thatsache, dass jedes Individuum seinen speciellen Reactionstypus aufweist
(es giebt Menschen mit vorwiegend motorischen, solche mit vorwiegend visuellen
oder mit vorwiegend auditiven Vorstellungen) und bei besonders starker Inanspruch¬
nahme denselben rasch erschöpft, so dass dann das Bewusstsein ihn verliert und
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nur noch den Contrast erkennt (analog dem Nachbild der Netzhaut in der Com-
plementärfarbe).
Der Widerspruchsgeist ist normalerweise beim Kind, beim Greise und bei
geistig Schwachen vorhanden; er bildet die Basis aller verwandten psychopatho-
logischen Erscheinungsformen; ist der Inhalt des Negirten absurd und systemati-
«irt, so haben wir das Delirium vor uns. Die Katatonie, das Dölire des negations,
die Folie d’opposition u. s. w. haben alle ihre gemeinsame Wurzel in der Negation,
..dem psychischen Contrast“. H. Gessner (Nürnberg).
SS) Krankxinnigheid by tweelnigen, door Dr. Bouman. (Psych. en neurol.
Bladen. 1901. S. 197.)
Verf. fugt der Casuistik Soukhanoff’s noch 3 Falle hinzu. Im 1. Falle
handelt es sich um 2 Schwestern im Alter von 18 Jahren — beide nicht belastet
und ohne nachweisbare Lues in der Ascendenz —, die einige Tage nacheinander
an Influenza erkrankten. Beide zeigen nach 8 Tagen Symptome von Irresein
unter dem Bilde von Amentia Meynert mit grosser Uebereinstimmung in dem
Verlauf; psychische Infection war auszuschliessen.
Im 2. Falle zeigen ein Zwillingsbruder und Zwillingsschwester manisch*
depressives Irresein, bezw. Insania hysterica.
Im 3. Falle kommt Dementia paranoides bei 2 Zwillingsbrüdern vor.
Verf. knüpft an die Fälle einige Bemerkungen über Folie gömellaire und Folie
eommnniquee, wie über Familienpsychosen, und behauptet, dass die Fälle von
„Folie gömellaire“, wofür eine Erklärung nicht zu geben ist, den Familien-
peychosen zuzurechnen sind. TenCate (Rotterdam).
36) Post-influenzal insanity ln the Cumberland and Westmoreland
aaylnxn, with statistios of 68 cases, by George A. Rorie. (The Journal
of Mental Science. 1901. April.)
1890—1899 wurden in obiger Irrenanstalt 68 Fälle von Influenzapsychosen
behandelt, die sich auf beide Geschlechter gleichmässig vertheilten. Die meisten
Männer wurden 1893 und 1896, die meisten Frauen 1892 aufgenommen. Das
Alter der männlichen Kranken betrug 19 — 71, durchschnittlich 43,8 Jahre, die
meisten standen im Alter von 21—30, nächstdem im Alter von 61—70. Bei
den Frauen war das Lebensalter 19—89, im Mittel 49,6 Jahre und entfiel die
grösste Morbidität auf das 5. Decennium, die zweithöchste auf das folgende. Der
Körperzustand war nur bei 22 Personen von durchschnittlicher Verfassung.
Das Intervall zwischen Infection und Ausbruch der geistigen Störung wurde
gewöhnlich durch unbestimmte psychische Veränderungen verwischt, variirte von
Null bis zu Tagen, Wochen, Monaten und vereinzelt bis Jahresfrist und betrug
am häufigsten 1—3 Monate. Von Männern waren 29, von Frauen 24 zum ersten
Mal erkrankt. Erbliche Belastung war bei 10 Männern und 12 Frauen vor¬
handen. Bei 12 + 9 weiteren Männern und Frauen wurde anderweitige con-
stitutionelle und erworbene Belastung festgestellt. Unter den übrigen 12 bezw.
14 nicht Belasteten befanden sich noch 3 + 6 Senile. 46 Kranke (26 Männer,
20 Frauen) litten an Melancholie, 7 (3 Männer, 4 Frauen) an acuter Manie,
12 (4 Männer, 8 Frauen) an einfacher Manie, 2 Frauen an Dementia senilis und
1 Mann an rasch verlaufender Paralyse. 17 Männer und 19 Frauen machten
Selbstmordversuche, darunter 4 einfach und 2 acut Manische (mit einer Aus¬
nahme Frauen). — Die Melancholie verlief zuweilen in der agitirten, häufiger
in der einfachen Form, manchmal in Combination mit Verwirrtheit und Ge-
dächtnissschwäche, oder mehr in Mischung mit Stupor und Katalepsie. Wahn-
ideeen meist persecutiver Färbung kamen bei 10 Männern und 11 Frauen,
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Hallucinationen, meist des Gehörs, bei 5 Frauen und 3 Männern zur Kenntniss. —
Bei dör acuten Manie, welche bei den Männern stets erst später, bei einigen
Frauen aber ziemlich rasch einsetzte, kamen öfters Verwirrtheit, Wahnvorstellungen
und Hallncinationen vor. Bei einer Frau war vor der Aufnahme eine melancho¬
lische Phase vorausgegangen. — Die Melancholischen sind genesen oder
gehen, abgesehen von den Gestorbenen, einem Verblödeten und einer Frau der
Genesung entgegen. Alle acut Manischen genasen naeh etwa 5 Monaten.
Die einfache Manie verlief weniger günstig; von Männern wurde nur
einer, von Frauen nur 2 genesen entlassen. Die mittlere Dauer der Anstalts-
behandlung betrug für die bereits Entlassenen 5 Monate.
Schmidt (Freiburg i./Schl.).
37) Die hessischen Provixudalsiechenanstalten und die Geisteskranken,
von Ludwig (Heppenheim). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 183.)
In der ihm eigenen klaren, ungekünstelten, aber um so eindringlicheren Art
bespricht Verf. die Beziehungen der Siechenanstalten zur Irrenpflege; wenn auch
dabei die hessischen Verhältnisse zu Grunde gelegt werden, so haben doch seine
Ausführungen Anspruch auf das allgemeinste Interesse. Immer wieder wird ver¬
sucht, dem allenthalben eingetretenen Mangel an verfügbaren Plätzen dadurch ab¬
zuhelfen, dass Geisteskranke in die Siechenhäuser abgegeben werden. Dort sind
sie aber an der unrichtigen Stelle, und auch dann, wenn besondere Abteilungen
für Irre den Siechenhäusern angegliedert werden, ist damit der Zustand noch
nicht besser geworden. Es fehlt an passenden Räumen, geeignetem Personal, oft
auch an psychiatrisch gebildeten Aerzten; Aufnahmebedingungen und Disciplinar-
vorschriften sind für beide Krankheitsgruppen nicht einheitlich zu gestalten. „Ein
Geisteskranker gehört ebenso wenig in die Siechenanstalt, wie ein geistesgesunder
Siecher in die Irrenanstalt.“ Die Unterbringung ruhiger Irrer — dem Begriff der
„Harmlosigkeit“ spricht Verf. jede praktische Verwerthbarkeit ab — in Armen¬
häuser entzieht dem Psychiater ein werthvolles Beobachtungsmaterial, auf das
unsere Wissenschaft ebenso wenig verzichten kann, wie auf Privatkranke. Der
Verf. hält die z. B. in der Rheinprovinz bestehende Trennung in staatliche Irren¬
anstalten, die berechtigt sind, Privatkranke aufzunehmen, und solche, denen dieses
Recht entzogen ist, für unzweckmässig und schädlich, auch vom finanziellen
Standpunkte. Aschaffenburg (Heidelberg).
in. Bibliographie.
Dipsomanie. Eine klinische Studie von R. Gaupp. (Jena, 1901. G. Fischer.
161 S.)
Verf. beginnt mit einer Geschichte der Lehre von der Dipsomanie. Seine
eigene Auffassung der Dipsomanie begründet er folgendermaassen: Er berichtet
über eine Anzahl Fälle der Heidelberger Klinik, die er in drei Gruppen theilt.
Die erste enthält Fälle reiner Dipsomanie. Verf. zeigt an ihnen, dass
periodische, völlig spontan auftretende Verstimmungen regelmässig die Ein¬
leitung des Anfalls bilden, und dass diese Verstimmungen in abgekürzter Weise
auch bei Verhinderung des Trinkens auftreten.
In die zweite Gruppe stellt Verf. daneben eine Reihe Kranker, welche an
periodischen Verstimmungen leiden, ohne dabei zu trinken, und welohe daneben
Symptome ausgesprochener Epilepsie zeigen.
Die dritte Gruppe enthält Fälle, welche eine Combination von dipsomanischen
Anfallen mit epileptischen Zufällen (Krämpfen, Schwindelanfällen u. s. w.) dar¬
bieten.
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Verf. weist auf die fliessenden Uebergänge zwischen den einzelnen
Krankheitsbildern hin, auf die Gleichheit der einzelnen Zufälle bei allen drei
Gruppen, und entwickelt so die Berechtigung der Anschauung, welcher Kraepelin
und Aschaffenburg Ausdruck gegeben haben, dass die Dipsomanie als der
Epilepsie zugehörig anzusehen sei: sie ist ihm eine Form psychischer
Epilepsie.
Der Begriff der Epilepsie darf nach dem Verf. nicht zu eng gefasst werden.
Man ist darüber einig, dass dieses oder jenes der in den „klassischen“ Fällen
Torhandenen Symptome fehlen kann, ohne dass eine Erkrankung darum aulhört,
rar Epilepsie zu rechnen.
Finden wir eine Erkrankungsform bei zweifelloser Epilepsie in typischer
Weise, sehen wir sie dann aber gleichartig auftreten, auch ohne Begleitung der
sogen, charakteristischen epileptischen Zeichen, so werden wir zu der Annahme
berechtigt sein, es liege trotzdem dieselbe Krankheit vor.
Die Dipsomanie gehört somit zu den „periodischen Verstimmungen“ und diese
sind das wesentliche Merkmal der Epilepsie.
Nachdem Verf. dann eine grosse Zahl von Fällen aus der Litteratur zur
Stütze seiner Anschauung von der klinischen Stellung der Dipsomanie angeführt
hat, geht er zu einer zusammenfassenden Darstellung der Lehre von der Krank*
heit über und zeichnet ihr klinisches Bild, ihre verschiedenen Varietäten, mit
bemerkenswerther Schärfe und Anschaulichkeit.
Von den Trinkexcessen der Manischen unterscheidet sich die Dipsomanie da¬
durch, dass die ersteren aus gehobener Stimmung und Thatendrang, letztere aus
innerer Unruhe und Angst hervorgehen. Auch der Paralytiker trinkt meist in
expansiver Stimmung.
Die Meinung, dass der Melancholische seine Depression mit Spirituosen be¬
kämpfe, kommt nur daher, dass viele Autoren jede Depression als Melancholie
bezeichnen.
Die Trinkexcesse bei gewissen körperlichen Leiden, schmerzhafter Menstruation
u. *. w. sind psychologisch motivirt. Die Unterscheidung vom chronischen Alko-
bütsten ist nur dann schwer, wenn der Dipsomane zum Alkoholisten geworden
K. Der Alkoholmissbrauch kann — wie andere epileptische Symptome — so
aoeh Dipsomanie auslösen. Aber es giebt auch sicher Dipsomanen, die vor ihrer
Erkrankung ein massiges Leben führten.
Ebne Abtrennung der Pseudodipsomanie — durch Gelegenheit ausgelöste
Anfälle — erkennt Verf. nicht als berechtigt an. '
Hiermit sind nur einige hervorstechende Punkte berührt aus den reichen
Darlegungen des Verf’s.
Ebne annähernd so umfassende und erschöpfende Behandlung hat die vom
mediciniachen wie socialen Standpunkt gleich interessante Krankheit in neuerer
Zeit nicht erfahren, wie in vorliegender Arbeit.
Liepmann (Dalldorf-Berlin).
IV. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 9. December 1901.
Herr H. Krön: Heber hysterische Blindheit. (Erscheint unter den Origi¬
nalien d. Centralbl.)
Die Discussion wird vertagt.
Herr Salomonsohn stellt einen 32jähr. Patienten vor, der durch seit Jahren
Diqi
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bestehende rechtsseitige Miosis, durch rechtsseitige reflectorische Pupillenstarre,
Fehlen der Patellar- und anderer Reflexe der Tabes incipiens dringend suspect
ist und die Erscheinungen einer nur rechtsseitigen multiplen Hirnnervenlähmung
mit Ophtbalmoplegia exterior darbot. Das Leiden begann nach starker Abkühlung
der rechten Gesichtshälfte, mit Abducenslähmung, es folgt 3 Monate später An¬
ästhesie des 1. und 2. Trigeminusastes und Lähmung aller äusseren Augenmuskeln
bei nachweislich intacter innerer Musculatur (M. ciliaris, sphincter, dilatator).
Wieder einen Monat später entstand: Lähmung der motorischen Quintusportion
exolusive der M. pterygoidei; Lähmung der sensiblen Portion inclusive der rechten
Zungenhälfte, aber mit Erhaltenbleiben des Geschmackes; Lähmung des rechten
Hypoglossus. In der Zwischenzeit trat auch Keratitis neuroparalytica und Läh¬
mung des rechten Dilatator pupillae auf. Ferner kam in dem Falle zur Beobach¬
tung: RechtB Aufhören der (psychischen) Thränensecretion; nur contralateral es
Schwitzen; Kieferklemme. Die elektrische Erregbarkeit der gelähmten Kaumuskeln
war stark herabgesetzt. Ein Theil der Erscheinungen zeigte beginnende
Besserung.
Vortr. erörtert die Localisation der einseitigen exterioren Ophthalmoplegie,
weist die von Mauthner hierfür aufgestellten Lehrsätze zurück und behauptet
im Gegensatz zu diesem Autor, dass eine einseitige exteriore Ophthalmoplegie in
keinem Falle nuclear sein kann, besonders nicht, wenn eine durch Dilatator¬
lähmung bedingte Miosis oder eine Keratitis neuroparalytica dabei auftrete. Die
Möglichkeit einer Localisation im vorderen Theil der mittleren Schädelgrube wird
im Allgemeinen zugegeben, für den vorgestellten Fall aber in Rücksicht auf das
gleichzeitige Bestehen von Hypoglossusparalyse mit partieller Oculomotorius- und
Trigeminuslähmung ebenfalls abgelehnt, diese vielmehr als peripherische Neuritis
gedeutet. (Autoreferat).
Die Discussion wird vertagt.
Herr Cassirer: Angiom des Gehirns. (Krankenvorstellung.)
22jähr. junger Mann, der einen ausgedehnten Naevus angiomatosus der rechten
Gesichtshälfte hat; betroffen ist die Stirn, Gegend des inneren Augenwinkels,
rechte Hälfte der Nase und Oberlippe; ausserdem auch die Schleimhaut der Ober¬
lippe und des harten Gaumens rechts in der Nähe der Mittellinie. Im April 1901
thermocaustische Behandlung des Naevus mit späterer Transplantation. Bei diesem
jungen Manne bestehen seit 8 Jahren Krämpfe vom Typus der corticalen Epi¬
lepsie. Beginn 'der Zuckungen im Orbicularis oculi; dann Uebergang auf die
Mundmusculatur, Seitwärtsdrehung des Kopfes, klonische oder tonische Zuckungen
im linken Arm; kein Bewusstseinsverlust. Jetzt gelegentlich Schwäche während
und kurz nach den Anfällen im linken Arm, und bisweilen auch Parästhesieen in
diesem. Früher waren die Zuckungen weniger ausgedehnt; betrafen nur die Ge-
sichtsmusculatur, anfangs sogar nur den Orbicularis oculi. Vereinzelt generali-
siren sich die Zuckungen, es kommt zum typisch epileptischen Anfall mit Bewusst¬
losigkeit, Zungenbiss, Urinabgang; aber auch dann noch immer Beginn der
Zuckungen im Gesicht. Mutter des Kranken sehr nervös, er selbst hatte als Kind
mehrfach Zahnkrämpfe. Die objective Untersuchung des geistig etwas zurück¬
gebliebenen Kranken ergiebt nicht viel: kein Zeichen vermehrten Hirndrucks, keine
Stauungspapille, kein Erbrechen; keine Percussionsempfindlichkeit des Schädels;
keine linksseitigen Lähmungserscheinungen, nur bei einer Untersuchung unmittelbar
nach einem Anfall geringe Schwäche der linken Hand und Steigerung der Sebnen-
phänomene an dieser Seite. Es handelt sich also um cortical-epileptische Anfälle
bei einem geistig zurückgebliebenen Individuum; als Ursache dieser ist eine Tele-
angiectasie anzunehmen in den Gefässen des Gehirns bezw. seiner Häute an um¬
schriebener Stelle in der Nähe des unteren Theils der rechten Centralwindung,
Diqi
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33
daran/ weist die Teleangiectasie des Gesichte derselben Seite. Aehnliche Fälle
sind ron Kalischer (mit Section) und Lannois et Bernoud beschrieben.
(Autoreferat.)
Die Diacussion wird vertagt.
Herr Henneberg und Herr Koch (als Gast): lieber Neurofibromatose
und Fibromatose des centralen Nervensystems. (Zwei Fälle von doppel¬
seitigem Neurofibrom des Aoustious.)
Vortr. berichtet über zwei sehr ungewöhnliche Fälle multipler Fibrombildung.
Fall I betrifft einen im November 1898 auf die Nervenabtheilung der Charit6
»^genommenen, damals 17jährigen Bäckerlehrling. Keine hereditäre Belastung.
Beginn des Leidens Ostern 1898 mit Schwäche der Beine, Sprach- und Schluck-
■törnng. Befund bei der Aufnahme: Reaction der Pupillen erhalten, Augen-
bevegungen frei, Nystagmus in allen Endstellungen der Bulhi, Fundus normal,
Parese des Facialis linkB, hochgradige Dysarthrie, Bewegungsataxie in den Extre¬
mitäten, besonders links, cerebellare Ataxie, normales Verhalten der Sensibilität
md der Reflexerregbarkeit.
Krankheitsverlauf: Seit August 1899 Neuritis optica, zunehmende Schwer¬
hörigkeit, im Mai 1900 Taubheit beiderseits, December 1899 Unfähigkeit zu
«eben und zu gehen, Apathie, Demenz, Tod November 1901 an Pneumonie.
SectionBbefiind (Demonstration mit dem Projectionsapparat): Multiple Neuro-
5brome der Haut, zahlreiche kleine Neurofibrome der peripheren Nerven, pflaumen-
?roae Neurofibrome an der 7. Cervicalwurzel links, extradural, auf das Spinal-
raaglion übergreifend, und an der 4. Lumbalwurzel links, zahlreiche zum Theil
symmetrische bis bohnengrosse Neurofibrome an den vorderen und hinteren Wurzeln
ies Rückenmarks innerhalb des Duralsackes, doppelseitiges, fast hühnereigrosses
Neurofibrom des Acusticus. Durch beide Geschwülste wird die Medulla oblongata
ad der distale Theil des Pons stark comprimirt, die Kleinhirnhemisphäre stark
tuh hinten gedrängt, die Brückenarme und die Corp. restiformia stark deformirt.
Au der Vagus- und Glossopharyngeuswurzel links finden sich zahlreiche kleine
Kuoto. Mikroskopisch: Typische Neurofibrome, im Rückenmark leichte Degene-
rabeo der Hinterstränge.
Fall U. 23jähr. Schuhmacherlehrling, aufgenommen im Mai 1899 auf die
Krunpfabtheilung. Vater und Bruder an Phthisis pulm. gestorben. Pat. war bis
«m 15. Lebensjahre gesund, erkrankte dann an Anfällen von Kopfschmerz und
Erbrechen, sowie Sehschwäche, in der Folge Besserung bis zum 21. Lebensjahre,
‘atdem Abnahme des Seh- und Hörvermögens.
Befand bei der Aufnahme: Völlige Blindheit und Taubheit, Pupillenstarre,
•eoritische Atrophie beider Nn. opt., keine Störung der Augenbewegungen, Parese
i« linken Facialis, Atrophie der linken Zungenhälfte, keine Sprachstörung, Moti-
iität, Sensibilität und Reflexerregbarkeit normal.
Krankheitsverlauf: Fortbestehen der genannten Symptome, Anfälle von Köpf¬
ten and Erbrechen, schwere allgemeine Krampfanfälle mit Bewusstseinsverlust.
Hypochondrische Stimmung. Tod im Goma im Juni 1900.
Sectionsbefund: Doppelseitiges, über haselnussgrosses Neurofibrom des Acusticus,
hobeneigrosses Fibrom der Dura an der medialen Fläche des rechten Stirnhirns,
in dieses hineinwachsend, doppelt so grosses Fibrom im vorderen Theile des
rechten Seitenventrikels, drei bis erbsengrosse Fibrome in der Mitte der Medulla
oblongata, multiple kleine Fibrome und Psammofibrome der harten und weichen
Hirnhaut. Eine derartige Geschwulst am hinteren Foramen condyloideum ant.
an. umwächst und comprimirt den Stamm des N. hypoglossus.
Vortr. bespricht die Ergebnisse der histologischen Untersuchung, demonstrirt
S
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Neurofibrome des Intercosta Inerven vom Rind, die dieselben mikroskopischen Ver¬
hältnisse, wie sie in Fall I vorliegen, zeigen.
Des weiteren bespricht er eingehend die typische Localisation und den charak¬
teristischen klinischen Symptomencomplex der „Neurofibrome des Kleinhirnbriicken-
winkels“, die vom Acusticus und den übrigen daselbst liegenden Nervenwurzeln
ausgehen. Ein doppelseitiges Vorkommen derselben (die beiden besprochenen
Fälle) ist äusserst selten, einseitiges Vorkommen wurde unter 60 Fällen von Hirn¬
geschwulst in der Nerven- und psychiatrischen Klinik der Charite drei Mal be¬
obachtet. Die in Rede stehenden Geschwülste sind als Neurofibrome der in Frage
kommenden Hirnwurzeln aufzufassen, auch wenn sie keine engeren Beziehungen
zu denselben erkennen lassen. Es ist anzunehmen, dass sie von einem Primitiv-
bündel eines Nerven ausgehen und sich hei weiterem Wachsthum mit dem be¬
troffenen Primitivbündel von dem Nerven ablösen. Man findet in den Tumoren
bei geeigneter Untersuchungsmethode atrophische Nervenfasern. Die Geschwülste
Bind in vielen Fällen mit Sicherheit zu diagnosticiren und vielleicht operabel
(vergl. den Fall Gib so ns?), da sie häufig nur sehr locker mit dem Hirn ver¬
bunden sind. (Autoreferat)
Die Discussion wird vertagt. Martin Bloch (Berlin).
Gtosellsohaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau.
Sitzung vom 6. October 1900.
Herr Dr. P. Brouchanski: Familienverpflegung von Geisteskranken.
Nach Darstellung in allgemeinen Zügen des Zustandes der Familienverpflegung
im Westen und in Russland, verweilt Vortr. beim Bericht über die Familien¬
verpflegung in dem Dorfe Semenowskoje unweit Moskaus. Die 8jähr. Erfahrung
dieser psychiatrischen Niederlassung führt den Vortr. zu folgenden Schlüssen:
1. Ungeachtet der sehr strengen Auswahl der Kranken erreichte der Procent¬
satz der aus dem Krankenhause in das Patronat Evacuirten 16°/ 0 .
2. Es existirt die volle Möglichkeit, bei zweckmässiger Auswahl der Kranken
und der Verpfleger und bei lebhafter Beziehung zum Krankenhause die Zahl der
Unglücksfälle auf ein Minimum herabzudrücken.
3. Die Einwohnerschaft eignet sich sehr bald sowohl nüchternen Blick in
Bezug auf die Kranken, als auch humane, häufig verständniss- und tactvolle Be¬
handlung derselben an.
4. Die Kranken sind in der grössten Mehrzahl der Fälle mit ihre Lage im
Patronat zufrieden und fühlen sich moralisch befriedigt.
5. In vielen Fällen liess sich eine Besserung des psychischen Zustandes,
Wiedererlangung und Erhöhung der Arbeitsfähigkeit der Kranken constatiren.
Da vielen Kranken das Leben im Dorfe nicht als Vorzug erscheint, so
Bchlägt Vortr. zum Zwecke der grösstmöglichsten Evacuation die Organisation
eines städtischen Patronats in Moskau vor, wobei die Rolle der Verpfleger nicht
nur fremde Familien, sondern auch die eigenen zu übernehmen hätten. Die
Hauptbedingung der Organisation eines städtischen Patronats ist der beständige
Connex der Kranken mit dem Krankenhause. Die directe Leitung des Patronats
muss einem zu diesem speciellen Zweck gewählten Arzte übertragen werden. Zu
der mehr oder weniger vollkommenen Ausführung der complicirten Aufgabe der
Organisation eines städtischen Patronats schlägt Vortr. nach dem Berliner Muster
vor, die Armencuratorien zur Antheilnahme heranzuziehen.
Discussion:
Herr Dr. Tokarsky schlägt der Gesellschaft vor, sich in dem Sinne auszu-
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35
sprechen, dass das Patronat als eine der zweckmäßigsten Formen für die Ver¬
pflegung Ton Geisteskranken anzusehen ist.
Die Gesellschaft Bchliesst sich dem Vorschläge von Dr. Tokarsky an. Die
Herren Bontzke, Serbsky, Postowsky, Huratoff nahmen an der Discussion
TheiL
Herr Dr. N. Wersiloff: Ein Fall von Akromegalie.
Vortr. demonstrirt eine Kranke von 33 Jahren, bei welcher in ausgesprochener
Weise die Dimensionen der Hände, Fiisse, des Unterkiefers und der Nase sich
vergrößert finden. Der Anfang der Krankheit lässt sich augenscheinlich in das
26. Lebensjahr verlegen, wo bei der Patientin ohne irgendwelche Veranlassung
die Regeln aafhörten und ein verstärktes Waohsthum der oben angeführten Körper¬
teile sich bemerkbar machte. Im Januar 1900 gesellten sich zu diesen Er¬
scheinungen: Kopfschmerzen, Sehschwäche und Taubheitsgefiihl in der linken
Gesichtshälfte. Ln März wurden Stauungspapille und Hemianopsia bitemporalis
ecnstatirt: Im September trat die Eiranke in die Klinik für Nervenkrankheiten
ein, wo bei ihr festgestellt wurden: Hypästhesie im Gebiete aller drei Trigeminus-
aste links, Tic douloureux ebendaselbst, Exophthalmus des linken Auges, anfalls¬
weise auftretende Kopfschmerzen im Hinterhaupt, Somnolenz, Apathie. Genaue
Messung der Peripherie der Extremitäten zeigten im Vergleich zum gesunden
Menschen unzweifelhafte Vergrößerung der Dimensionen der Hände und Füße;
nebenbei existirt eine zweifellose Vergrößerung des Unterkiefers, der Nase und
der Ohren. Das Studium der Radiogramme erwies Zunahme der Knochen der
Länge nach, hauptsächlich aber Dickenzunahme; abgesehen davon konnte man
deutlich eine Vergrößerung der Schädelsinusse — des frontalen, occipitalen —
und der Highmorsböhle erkennen. Bedeutender Abstand der Enden der Knochen¬
phalangen, was auf eine Dimensionszunahme der weichen Theile und der Knorpel
zwischen Gelenkflächen hinweist. Die Untersuchung der Schleimhäute des Kehl¬
kopfes und des Rachens zeigte eine gewiße Trockenheit derselben, wodurch sich
uxh die tiefe Stimme der Kranken erklärt. Die Untersuchung der Geschlechts-
otfioe wies auf eine gewiße Hypertrophie der äußeren Theile und ein vorzeitiges
Klimakterium hin (Uterus klein). Das Studium der Myogramme — Untersuchung
mit mductiven und constanten Strömen — zeigte einen rasch eintretenden Tetanus
der Muskeln bei verhältnissmäßig seltenen und schwachen Reizungen mit dem
elektrischen Strom und langsame Erschlaffung sowohl nach dem Tetanus, als auch
nach einzelnen Stromschließungen. An der Haut der Patientin zwei Geschwülste
von lipomatösem Charakter. Von Seiten der inneren Organe, der Blutmischung
and des Harns nichts Abnormes. Harnmenge vermehrt.
In Anbetracht dessen, daß der Vater der Kranken Tabiker gewesen ist und
der Mann der Patientin an Luß litt, wurde Jod in großen Dosen ordinirt, wobei
unverkennbare Beßerung eintrat: die Kopfschmerzen schwanden, Gesichtsfeld
erweiterte sich, die Stauungspapille nahm ab, das Taubheitsgefühl in der linken
Gesiehtshälfte schwand, ebenso die Apathie, das Körpergewicht stieg etwas.
An der Discußion betheiligten sich die Herren Muratoff, Tokarsky,
Prof. Roth. W. Murawieff. A. Bernstein.
Sitzung vom 15. December 1900.
Herr Dr. A. Schmidt demonstrirt eine Kranke mit Qliomatose im unteren
Abschnitte des Bückenmarks.
Die Kranke, eine 20 Jahre alte Bäuerin, trat in die Klinik für Nervenkrank¬
heiten ein mit Erscheinungen von ausgesprochener Sohwäche in den unteren
Extremitäten; alle Bewegungen sind abgeschwächt, mit Ausnahme der Bewegungen
3*
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36
in den Flexoren der Oberschenkel. Neben der Schwäche besteht Rigidität der
unteren Extremitäten, rechts stärker als links. Dementsprechend erhöhte Knie¬
reflexe, FusBclonus, FusBphänomen; Pes plano-valgus, rechts ausgesprochener; beim
Gehen Genu valgum; spastisch-paretischer Gang. Abmagerung der Musculatur
des rechten Beines ohne Entartungsreaction, aber mit quantitativer Herabsetzung
der elektrischen Erregbarkeit. Dissociirte Sensibilitätsstörung von gliomatösem
Typus der rechten Rumpfhälfte vom 7. Brustwirbel abwärts und der vorderen
und hinteren Fläche des rechten Beines mit Ausnahme der rechten Gesässhälfte.
Geringe Thermanästhesie deB linken Fusses und des untersten Theils des linken
Unterschenkels. Muskelgefiihl an beiden Beinen herabgesetzt, rechts stärker. Zeit¬
weilige Schmerzattacken im rechten Bein. Herabsetzung der Hauttemperatur am
rechten Unterschenkel. Zeichen von Verbrennung und mechanischen Verletzungen
am rechten Unterschenkel. Beckenorgane in Ordnung. Vortr. lenkt die Auf¬
merksamkeit auf die Ausbreitung des Processes. Vor 8 Jabren ist die Kranke
in derselben Gesellschaft mit der Diagnose von Nervenstörungen in Abhängigkeit
vom Pes planus demonstrirt worden. Die Krankheit begann im 11. Jahre mit
einer Schwellung der rechten grossen Zehe; darauf traten Schmerzen im Fuss-
gelenk beim Gehen und Stehen auf; Gefühl von Kälte im rechten Unterschenkel.
Abmagerung der Musculatur des rechten Unterschenkels und Beginn spastischer
Er8cheinungeu.
Herr Dr. G. Rossolimo: Bemerkungen über reoidivirende Paralyse des
Qesiohtsner ven.
Der hemicranische Symptomencomplex, welcher sich durch das periodische
Auftreten der Anfälle auszeichnet, äussert sich häufig, neben den gewöhnlichen
Erscheinungen, auch in Sprachstörungen oder durch das Befallensein irgend eines
Gehiranerven: bald in Form von Neuralgieen der Trigeminuszweige, bald in Form
von recidivirender Paralyse der Oculomotorii. Der Vortr. hält die Annahme für
zulässig, dass bei der Migräne analogen periodischen Störungen auch der Gesichts¬
nerv unterworfen werden kann in Form von periodischer peripherer Paralyse des
N. facialis mit allen für diese Paralyse gewöhnlichen Symptomen und auch mit
demselben Charakter der Entwickelung der Anfälle, wie bei der hemikranischen
recidivirenden Paralyse des N. oculomotorius. Zur Stütze seiner Auffassung führt
der Vortr. die Krankheitsgeschichte einer 28jähr. Frau an, welche seit langer
Zeit an Anfällen hereditärer Migräne leidet mit Localisation bald in der Schläfen¬
gegend, bald in der rechten oder linken Hinterhauptgegend. In den letzten
9 Jahren wurden bei der Kranken 2 Mal rechtsseitige und 2 Mal linksseitige
periphere Paralyse des N. facialis beobachtet; das erste Mal ging der Paralye
(2—3 Tage) ein sehr starker Migräneanfall auf der entsprechenden Seite des
Hinterkopfes voraus; die Paralyse entwickelte sich plötzlich und dauerte die ersten
3 Male 2—5 Monate. Der Vortr. nimmt als die die Paralyse unmittelbar hervor¬
rufende wahrscheinlichste Ursache Störungen in der Blutcirculation an.
Discussion:
Herr Dr. L. S. Minor erinnert daran, dass reoidivirende Paralysen auch bei
solchen Krankheiten, wie Diabetes mell, und Tuberculose beobachtet werden. Herr
Dr. Muratoff spricht die Vermuthung aus, ob nicht die Paralyse von einer
Malariainfection herrührt.
Herr Dr. N. Wersiloff erwähnt zwei von ihm beobachtete Fälle recidi-
virender Paralyse des N. fac. bei harasaurer Diathese und eines Falles einer eben¬
solchen Paralyse bei adenoiden Wucherungen in der Nase, welche durch Acuter-
werden des Schnupfens hervorgerufen wurde. Die recidivirenden Paralysen des
N. fao. hängen von Störungen der Blutcirculation in der Paukenhöhle ab.
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Herr Dt. A. Korniloff weist darauf hin, dass die Paralyse des N. fac. in
den meisten Fällen von Schmerzen neuralgischen Charakters begleitet wird.
An der Discussion betheiligten sich noch Herr Prof. Roth und Herr
Dr. W. Murawjeff.
Herr Dr. W. Murawjeff: Zar Frage der Veränderungen im oentralen
Hervenstompf nach Durohsohneidung.
Bei Kaninchen wurde ein Theil des N. ischiadicus von einer solchen Länge
ausgeschnitten, dass keine Verwachsung der Schnittflächen mehr möglich war.
Nach verschiedener Zeit wurden die Kaninchen decapitirt. Die grösste Lebens¬
dauer nach der Operation: 140 Tage. Der centrale Nervenstumpf wurde mit
Onniumsäure, nach der Formol-Methylen-Methode und nach der Busch’schen
Methode, behandelt
Schlüsse: 1. Die Kerne der Schwann’schen Scheide zeigen mit der Zeit
Neigung, sich zu vermehren und sich in die Länge zu ziehen.
2. Die Myelinscheide der Nervenfaser wird allmählich dünner und färbt sich mit
Osmiumsäure weniger intensiv; die Contouren der Myelinscheide sind nicht mehr
to gleichmässig wie in der Norm, man beobachtet Vertiefungen und Ausschnitte;
in einzelnen Theilen der Faser in mehr oder minder grosser Ausdehnung schwindet
das Myelin fast vollständig, so dass das achromatische Netz der Faser bloss liegt
Zuweilen stösst man in der Myelinscheide auf einzelne kleine Kügelchen. Nicht
selten finden sich an Osmiumpräparaten Fasern mit queren dunkeln Streifen von
geringer Breite, welche annähernd in gleichen Abständen von einander liegen.
Eine genauere Betrachtung lehrt, dass diese dunkeln Streifen sich an den Stellen
befinden, wo das schmale Ende eines Trichters der Myelinscheide in das breite
Ende des anderen Trichters einmündet Dieses Factum kann zu Gunsten einer
grossen Durchlässigkeit der Myelinscheide sprechen. Die Präparate nach der
Busch’schen Methode ergaben keine bestimmten Resultate. Chromatophile Körnchen
*a Fonnol-Methylenpräparaten gelang es nicht in der grössten Mehrzahl der Fälle
ci erhalten.
3. Die Axencylinder sind erhalten, aber in vielen Fasern zeigen sich eigen-
thäaküche Erscheinungen; man beobachtet an ihnen spindelförmige Verdickungen
und nicht selten theilt sich ein Axencylinder in zwei Zweige, welche, sich mit
einander verflechtend, eine oder mehrere Schlingen bilden.
4. Alle beschriebenen Erscheinungen tragen einen atrophischen Charakter,
mir in wenigen einzelnen Fasern beobachtet man Waller’sche Degeneration, bald
rascher, bald langsamer auftretend.
5. Bei Untersuchung der Wurzeln und des Rückenmarkes nach der Busch¬
sehen Methode erhält man entweder negative Resultate, oder aber man beobachtet
kleine runde Schollen in relativ geringer Zahl in den hinteren und vorderen
Wurzeln, in den Hintersträngen und zum Theil in den Seitensträngen; das Aus¬
sehen dieser Schollen unterscheidet sich von dem, was bei wirklicher Degeneration
verkommt. Diese Facta sind nicht derart, dass man eine Degeneration der
hinteren Wurzelnanzunehmen berechtigt wäre; es liegt vielmehr ein atrophischer
Pioceas vor, welchen wir im peripheren Nervenstumpf gesehen haben, nur dass
er hier auf Grund irgend welcher localer Bedingungen ein eigenthümliches Ge¬
präge angenommen hat; hier ist mehr Atrophie als Entartung. Wenn auch andere
Untersucher etwas andere Resultate erhalten haben, so konnte das abhängen ent¬
weder von mechanischen Verletzungen der Wurzeln (HerausreisBen des Nerven),
von einer aufsteigenden Neuritis (bei Entzündung des Ohres) oder von anderen
zufälligen Ursachen.
Discussion:
Herr Dr. N. Wersiloff bemerkt, dass die von ihm gesehenen Präparate einen
Diqi
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ähnlichen Myelinzerfall des centralen Stumpfes zeigten, der aber stärker ausge¬
sprochen war, als an den Präparaten des Vortr.
Herr Prof. W. Roth weist auf das Vorhandensein von Uebergängen zwischen
Atrophie und Degeneration hin, so dass nicht immer eine präcise Bezeichnung
möglich ist.
Herr Dr. A. Korniloff und Herr Dr. G. Rossolimo nahmen ebenfalls an
der Discussion TheiL
Herr Dr. Worobjeff: Zur Frage über den sog. Hinterhauptstypus
des Schädelbaues bei Degenerationen Geisteskranker.
Zur Bestimmung des Entwickelungsgrades der Stirn bevorzugte der Vortr.
die chorda, welche das linke und rechte Ende des biauricularen Diameters mit
dem Stirnpunkt verbindet (Ophrion). Von der Bestimmung der Entwickelung
des Hinterhauptes nahm der Vortr. vollkommen Abstand, da der einzige Anhalts¬
punkt — die protuberantia occipitalis externa — bald höher, bald niedriger gelegen
ist, hauptsächlich in Abhängigkeit von der Entwickelung der Halsmusculatur und
des ligament. nuchae, nicht aber in Abhängigkeit vom Entwickelungsgrade der
Occipitallappen des Gehirns. Im Ganzen hat der Vortr. 60 degenerirte Geistes¬
kranke untersucht, welche nach dem klinischen Bilde der Entartungspsychosen
ausgewählt wurden. Aber der Kopf der geisteskranken Degenerirten, welcher in
den absoluten Maassen mit dem Kopf der normalen Bevölkerung Uebereinstimmung
zeigt, weist auch die gleiche Entwickelung der Chorden — ophrion-tragus —
auf, da diese Chorden sich als gleich herausstellten: bei Geisteskranken 119,40 mm,
bei 60 Gesunden, die nach der Grösse des Längendurchmessers des Kopfes aus¬
gewählt wurden, 118,26 mm, bei 50 nach der Grösse des Querdurchmessers aus¬
gewählten Gesunden 117,65 mm und bei 325 aus dem Rjasem’schen Gouvernement
Gebürtigen 118,60. Bei Geisteskranken also erweisen sich die den Entwickelungs¬
grad der Basis des Frontaltheiles des Schädels ausdrückenden Chorden — ophrion-
tragus — etwas grösser als bei Gesunden, aber der Unterschied ist so gering, dass
es richtiger ist, von einer Gleichheit dieser Maasse hei Gesunden und Kranken zu
sprechen. Die gemessenen Chorden sind häufig ungleich für die linken und rechten
Hälften des Kopfes, und die Asymmetrie kommt allem Anschein nach häufiger bei
Entarteten als bei Gesunden vor. So wurde bei 50 Entarteten eine Differenz in der
Länge der Chorden von 3 und mehr Millimeter 10 Mal gefunden, für die ver¬
gleichende Gruppe von 50 Gesunden wurde eine solche Asymmetrie dagegen nur
in 5 Fällen verzeichnet. Indem der Vortr. irgendwelche Unterschiede im Ent¬
wickelungsgrade des Frontaltheils des Schädels zwischen geisteskranken Degene¬
rirten und Gesunden in Abrede stellt, betont er besonders die Nothwendigkeit
einer nach Möglichkeit grossen Gleichartigkeit der zu vergleichenden Gruppen
in Hinsicht der Rasse, der socialen Verhältnisse, der Lebensbedingungen, des
Alters u. s. w., und erklärt die von ihm erhaltenen Differenzen zwischen Kranken
und Gesunden und ebenso die Widersprüche der Forscher hinsichtlich des eigent¬
lichen Charakters dieser Differenzen durch Vernachlässigung der Bedingungen der
Einheitlichkeit bei der Auswahl der zu vergleichenden Gruppen.
N. Wersiloff. A. Bernstein.
Sitzung vom 19. Januar 1901.
Zu Ehren des verstorbenen Herrn Prof. S. S. Korsakoff.
Herr Dr. N. Wersiloff demonstrirt einen an Lepra anaesthetica leidenden
Kranken.
Der Bauer N. W., 45 Jahre alt, trat am 12. Januar 1901 in die Nerven-
klinik ein mit der Klage mangelhaften Gefühls in Händen und Füssen. Die Unter-
Diqi
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snchang ergab: hochgradige Herabsetzung der Schmerz- und Temperaturempfin-
dungen, am stärksten in den Händen und Füssen, etwas weniger an den Unter¬
tanen and Unterschenkeln und noch geringer an den Partieen der Oberarme und
Oberschenkel; die oberen Theile der Extremitäten zeigen normale Empfindung.
Die tactile Sensibilität ist nur sehr wenig gestört an Händen und Füssen und
etwas an den Unterarmen und Unterschenkeln. Die übrigen Arten der Sensibilität
sind normal. Ausserdem bemerkt man an dem Rumpfe landkartenartige Flecken
Ton blassrosa Farbe mit hellerem Saum, welcher die Flecken [von der gesunden
Haut abgrenzt. Im Territorium dieser Flecke besteht ebenfalls Herabsetzung der
Schmerz- und Temperaturempfindungen, wobei die stärkste Herabsetzung auf das
Coitnim der Flecken entfällt, während sie nach der Peripherie hin bis zur
Demarkationslinie stetig abnimmt, aber hier nicht ihr Ende erreicht; man kann
die Herabsetzung der Sensibilität auch jenseits der Flecken in einer Ausdehnung
tot 3—4 cm constatiren. Ebenso weist die Sensibilitätsstörung an den Extremi¬
täten keine scharfen Grenzen auf, sondern verliert sich allmählich im Haupt¬
territorium von normaler Empfindung. Keine Schmerzen. Von Motilitätsstörungen
besteht nur Abmagerung im Spatium inteross. I und an der Eminentia thenar.
links bei gleichzeitiger Beschränkung der Bewegungen des Daumens und Zeige¬
fingers der linken Hand, Nervenstämme an den Extremitäten ungleichmässig ver¬
dickt, links mehr als rechts. Reflexe normal. An der Haut der unteren und
oberen Extremitäten viele oberflächliche Narben von Verbrennungen herrührend.
An der Haut der Sohle ein Geschwür vom Charakter des Mal perforant du pied.
Der Kranke hat sich die Sohle aufgerieben und nicht bemerkt, wie das Geschwür
entstand. Nach Aussage des Patienten bemerkte er die ersten Zeichen seiner
Krankheit vor zwei Jahren, als er entdeckte, dass er bei Verbrennungen keine
Schmerzen empfand und für heiss kein Gefühl hatte. In der Heimath des Kranken,
welche er niemals verlassen hatte, giebt es allem Anscheine nach keine Leprösen,
so dass die Infectionsbedingungen sich nicht aufdecken lassen.
Herr Dr. W. Semidaloff und Herr Dr. Weidenhammer: Complioirter
Athemkrampf bei einer Geisteskranken.
N. S. I.-na, 58 Jahre alt, trat ins Aleksjeew’sche Hospital ein. Tuberculöse
Heredität. Lange vor der jetzigen Krankheit reichliche Blutungen aus der Nase.
Am 1. Oktober 1897 erneute Blutungen aus der Nase im Laufe einer ganzen
Nacht, Im Winter Schwächegefühl. Am 9. Mai 1898 zum 3. Male Nasenbluten,
wonach die Schwäche zunahm. Gleichzeitig Schlaflosigkeit und Schwermuth.
Im December wird Pat. nachdenklich, traurig und weint über ihre an Schwind¬
sucht erkrankte Tochter; äussert, dass sie von Gott gestraft, dass sie Sünderin
sei; stöhnt und betet. Im September schreit sie in der Nacht auf, und von diesem
Moment ab hört „der Schrei“ nicht auf.
Stat. praes.: Pupillen verengt, Reaction lebhaft. Kniereflexe herabgesetzt
Puls 84, Athmung 15—16 i. d. M. Blasse Gesichtsfarbe. Der von der Kranken
ausgestossene Schrei ähnelt einem Stöhnen, welches bald kurz abgebrochen, bald
lang andauernd ist, wobei krampfartige Contractionen des Diaphragma, der Brust-,
Bauch-, Hals- und Kehlkopfmuskeln stattfinden. Den Schrei hält sie für eine von
Gott auferlegte Strafe. Keine Hallucinationen. Im weiteren Krankheitsverlauf
nimmt der Athemkrampf zu und erstreckt sich auch auf die ZungenmuBkeln, so
dass das ganze Bild sich folgendermaassen darstellt: Beim Einatmen werden die
Kiefer rasch geschlossen, die Lippen stülpen sich vor und die Unterlippe schiebt
sich über die Oberlippe, gleichzeitig wird häufig das Gesicht verzogen, worauf
die Kiefer sich wieder öffnen, was mit einem Schnalzen der Zunge begleitet wird.
Nach Beendigung der Phase der Einathmung beginnt das krampfhafte Ausathmen
mit einem scharfen Schrei. Nach dem Schrei folgen zuweilen die rasch ausge-
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sprochenen Worte: „Ach, ich bin verloren.“ In der Nacht kein Krampf, mit dem
Erwachen stellt er sich wieder ein. Das Stadium des Pneumogrammes zeigt, dass
nach der Einathmung eine energische Aasathmung von krampfartigem Charakter
folgt, wobei der Krampf sowohl in den exspira torischen Muskeln des Brustkorbes
als in den Bauchmuskeln mit gleicher Stärke sich entwickelt. Der Cebergang
von der Inspiration zur Exspiration ist kein allmählicher, er wird durch eine Pause
unterbrochen, welche durch eine horizontale Linie ausgedrückt ist, die die unteren
Enden der Ex- und Inspirationslinien verbindet. Das Einathmen beim Schrei tritt
ebenso spastisch auf wie das Ausathmen, aber beim Auf hören des Schreies tragen
die Athembewegungen keinen scharf ausgesprochenen Charakter von Krampf¬
bewegungen. Daraus geht klar hervor, dass bei der Kranken alle Athemmuskeln
an den Krämpfen theilnehmen, wobei die Krämpfe am aller deutlichsten in den
Exspirationsmuskeln, hauptsächlich in der Bauchpresse, ausgesprochen sind. Indem
die Vortr. eine emotionale Psychose mit Zwangsideeen ausschliessen, sprechen sie
diesen Fall als Altersmelancholie an, wobei sie die Pathogenese der krampfartigen
Erscheinungen auf die feinen Veränderungen der Respirationsinnervation beziehen,
welche im Allgemeinen bei Melancholikern in Form von Stöhnen, Seufzen u. s. w.
als Ausdruck affectiver Zustände beobachtet werden. Auf die Veränderung in der
Thätigkeit des Athmungscentrums haben hier die häufigen Blutverluste aus der
Nase eingewirkt Zu den Momenten, welche die Dyspnoe hervorrufen, kommen
eben diese Blutverluste hinzu, deren Wirkung auf Schwächung der Blutcirculation
in der Medulla zurückzuführen ist Der degenerative Boden und die Altersver¬
änderungen des Nervensystems haben ebenfalls eine Rolle gespielt.
Discussion:
Herr Dr. W. Jakowenko meint, dass bei der Kranken kein Krampf,
sondern durch W ahn Vorstellungen hervorgerufene Zwangsbewegungen bestehen.
Herr Dr. A. Tokarsky sieht den Krampf für einen charakteristischen Tic
an, welcher dank der Melancholie die eigentümliche Färbung angenommen hat.
Herr Dr. G. Rossolimo ist der Ansicht, dass der Schrei bei der Kranken
entstanden ist als Resultat einer gewissen Reizung der Athmungswege (tuberculöse
Heredität) und des melancholischen Zustandes der Patientin, weshalb er auch an
das „Ach“ erinnert.
Herr M. A. Lunz: Ein Fall eines grossen Psammoms des Qrosshirns.
Die 53 Jahre alte Kranke trat in das erste Stadthospital mit Erscheinungen
corticaler Epilepsie ein, welche bei ihr seit 2 l / 2 Jahren bestanden. Massiger
Alkoholmissbrauch. Die Krämpfe begannen stets in der linken unteren Extremität,
breiteten sich nach oben aus, und der Anfall endigte mit allgemeinen Krämpfen
und Bewusstseinsverlust. Die Anfälle wiederholten sich nicht häufiger als nach
2—3 Wochen, zuweilen aber traten sie öfters auf, sogar 2—3 Tage der Reihe
nach. Nach dem Anfalle kurzdauernde Parese der linken Extremitäten. Bei der
Untersuchung der Kranken wird leichte Parese des linken Fusses constatirt. Die
linke obere Extremität und die Gesichtsmuskeln normal. Von allgemeinen
Symptomen bestehen leichte Kopfschmerzen ohne bestimmte Localmation, welche
nur selten und vorübergehend auftraten. Druck und Beklopfen erzeugt am
Schädel nirgends Schmerzen. Der Augenhintergrund, mehrfach untersucht, zeigt
normale Verhältnisse. Von Seiten der inneren Organe negativer Befund. Bei der
Diagnose wurde eine Neubildung auf Grund des plötzlichen Beginnes der Krank¬
heit, der Beständigkeit der Symptome im Laufe von 2 l / a Jahren und hauptsäch¬
lich des Fehlens einer Stauungspapille mit grosser Wahrscheinlichkeit ausge¬
schlossen. In Anbetracht dessen, dass an dem linken Oberarm der Kranken tiefe
Narben vorhanden waren, welche, nach ihrer Aussage, von einer vor 20 Jahren
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langdanemden Eiterung Verrührten, lag die Annahme nahe, dass im Oberarm
damals ein kariöser Process bestanden hatte, und dass die Anfälle möglicherweise
tod einem abgelaufenen localen tuberculösen Procees des Schädeldaches oder der
Häute bedingt wurden. In Folge der Hartnäckigkeit der Krankheit, der qual-
Tollen Anfälle und der sich häufig wiederholenden schmerzhaften Zuckungen in
der linken Extremität wurde die Craniotomie nach Wagnkb vorgenommen. Bei
der Operation wurde ausser einer Verwachsung der Dura mit dem Schädeldach
und der Gehimsubstanz im Gebiete des oberen Drittels der Central Windungen
nichts gefunden. Die Wunde heilte per primam. Zuerst zeigte die Operation
einen vohlthätigen Einfluss auf die Anfälle. Im Laufe von 3 1 / a Monaten trat
nur du Mal ein leichter Anfall auf, und die Kranke wurde mit völlig geheilter
Wunde in der Gesellschaft der Neurologen und Psychiater demonstrirt. Die
ßawnmg hielt noch 4 Monate nach der Demonstration an, darauf erneuerten
seii die Anfalle mit der früheren Häufigkeit und Stärke. Nach 14 Monaten
exitus in Folge acuter Bronchopneumonie. Bei der Autopsie wurde in der Gegend
des rechten Scheitellappens eine verknöcherte, kleinhöckerige Geschwulst von grau*
röthlicher Farbe und von der Grösse einer Kastanie gefunden, welche sich bei
der mikroskopischen Untersuchung als Psammom erwies. Sie nimmt ihren Ur¬
spring von der Dura mater in dem Winkel, welcher einerseits vom Processus
fildfimnis, andrerseits von der Dura, welche die Hirnconvexität bedeckt, gebildet
wird und senkt sich in den oberen Rand der rechten Hemisphäre, den oberen
Tbeil der vorderen Central- und das hintere Ende der ersten Frontalwindungen
ibplattend. An der inneren Fläche des Gehirns nimmt die Geschwulst den oberen
»orderen Theil des Lob. paracentral, ein. Von Seiten der übrigen Organe wurde
unter anderen Veränderungen gefunden: Bronchopneumonia lobularis acuta duplex
et tnmor lienis acutus.
Discussion:
Herr Dr. Muratoff hält die Vorsicht des Vortr. bei Untersuchung des Sulcus
Wgitudinalis für unbegründet. Die Lösung der Verwachsungen der Pia mater
tarnte anf das Aufhören der epileptischen Anfälle keine Bedeutung haben.
Herr Dr. G. Rossolimo macht auf die Ungenauigkeit bei der Bestimmung
der Localisation aufmerksam und unterstreicht die Bedeutung des Encephalometere
tod Herrn Prof Lernoff.
Herr Dr. A. Korniloff ist der Ansicht, dass bei der Entscheidung der
Frage hinsichtlich der Trepanation grosse Vorsicht beobachtet werden muss, weil
die Geschwulst entfernt werden kann, aber die epileptischen Aniälle in Folge
Ktondirer Veränderungen im Gehirn doch nicht auf hören.
Herr Prof. Roth spricht sich dahin aus, dass die Trepanationsöffnung mög¬
lichst gross angelegt werden muss.
An der Discussion nehmen Theil die Herren G. Pribytkoff, L. Minor,
P. Kisseleff und W. Murawjeff.
Herr Dr. Moltschanoff: Cysticercus des Grosshims.
Vortr. theilt einen von ihm beobachteten Fall von Cysticercus des Gross¬
en» mit. Der 44jähr. Kranke, ein Schlosser, ist Potator stren. Vor l x / 2 Jahren
fin Anfall allgemeiner Convulsionen. Am 15./X. 1899 erkrankte er an corticaler
Epilepsie nach vorhergegangenen Kopfschmerzen. Der Anfall begann mit Ab¬
lenkung des Kopfes und der Augen nach links, darauf folgten clonische Zuckungen
nn linken Gesichtsnerven und tonische Spannung im linken Arm. Am 20./X. 1899
irat er in die Klinik ein mit der Diagnose Epilepsia corticalis. Tumor cerebri (?).
Hier wiederholten sich die Anfälle alle halbe Stunde, hielten länger an und
wurden gefolgt von einem Zustand psychischer Verwirrtheit. Parese des linken
Facialis und des linken Armes. Augenbefund negativ. In den letzten zwei Tagen
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erfolgten die Anfälle noch häufiger und nahmen den Charakter allgemeiner Krampfe
an, obgleich sie wie früher mit Ablenkung der Augen und des Kopfes nach links
anfingen. Bewusstsein getrübt. Temperatur in den letzten Krankheitstagen
38,7—39,3°. Pat. starb am 8. Tage nach Beginn der Krankheit. Bei der Autopsie
wurde gefunden: Hyperämie der Lungen, schlaffe Herzmuskulatur; venöse Hyperämie
in den Gehirnhäuten des Grosshirns und der Medulla spinalis. Trübung der Pia
mater an der Convexität des Gehirns, rechts mehr als links. An den Gehirn¬
durchschnitten wurden 13 CyBticerken gefunden, 7 in der linken, 6 in der rechten
Hemisphäre. Einige von ihnen lagen unter der Pia in der Tiefe der Windungen,
die Mehrzahl aber in der grauen Substanz in der Binde und unter der Binde.
Am wichtigsten im Sinne der Localisation sind zwei Blasen: die erste im hinteren
Theil der 2. Frontalwindung in der Nähe des supponirten Centrums für die con-
jugirte Seitwärtsdrehung der Augen und des Kopfes, und die zweite in derselben
Hemisphäre in der Centralwindung in der Nähe des Centrums des N. facialis.
Bei der mikroskopischen Untersuchung wurde kleinzellige Infiltration in dem den
Bläschen angrenzenden Gewebe und Degeneration der Fasern der Capsula interna
dext. gefunden. Was die Pathogenese des Falles anbetrifft, so haben auf den
Ursprung der Anfälle der corticalen Epilopsie und des ganzen Krankheitsbildes,
ausser den zwei erwähnten in der motorischen Zone der rechten Hemisphäre ge¬
legenen Blasen der Parasiten, noch die beschriebenen secundären Veränderungen
Einfluss gehabt. Ihre Bolle im allgemeinen Krankheitsbilde bei Gehirncysticerken
ist schon von verschiedenen Autoren hervorgehoben worden. In Bezug auf den
eben beschriebenen Fall hat, nach Meinung des Vortr., auch eine bedeutende Bolle
der Alkoholmissbrauch des Pat. gespielt, welcher die Anfälle allgemeiner Krämpfe
vor 1 1 / J Jahren bei dem Kranken hervorgerufen hatte; ausserdem konnte der Alko¬
holismus den Anstoss zur Entwickelung der schweren Anfälle gegeben haben, die
den Tod des Pat. zur Folge hatten. Der corticale Charakter dieser Anfalle
ist bedingt worden durch die Anwesenheit des Cysticercus cellulosus in der moto¬
rischen Zone der Gehirnrinde.
Die Besonderheit dieses Falles liegt in den Ausfallserscheinungen — Parese
des linken N. facialis und der linken Hand — eine Erscheinung, welche beim
Cysticercus des Gehirns sehr selten beobachtet wird.
Discusfiion:
Herr Prof. Koth weist auf die entzündlichen Veränderungen an den Ge¬
hirnhäuten neben dem Cysticercus hin, welche die stürmischen Erscheinungen
hervorrufen und verschärfen.
Herr Dr. A. Korniloff hält dafür, dass die epileptischen Anfälle bei Cysti¬
cercus durch Einwirkung von Toxinen erklärt werden können, welche von dem
Parasiten ausgeschieden werden.
An der Discussion betheiligten sich ferner G. Bossolimo und V. Weiden*
hammer. W. Murawieff. S. Suchanoff.
Sooietd de neurologie de Paris.
Sitzung vom 18. April 1901.
Herr Touche (Brövannes): Weber* soher Symptomenoomplex mit
taumelndem Gang. Gehirngesohwulst. Kleinhirnoompression. Vortr.
demonstrirt anatomische Präparate von folgendem Fall: 42jähriges Mädchen be¬
kam Doppelsehen am Anfang des Jahres 1894. Im März desselben Jahres plötz¬
lich linksseitige Hemiplegie mit Erbrechen und Bewusstseinsverlust. Gleichzeitig
Ptosi8 und Strabismus divergens am rechten Auge. Während eines Jahres
konnte sie nicht gehen, dann kehrten 1 allmählich die Functionen zunächst der
zedby G00gle
Diqili
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oberen, dann der unteren Extremität zurück. Die Kranke bemerkte aber dann,
dass sie beim Gehen taumelte. Das Taumeln und die Augenmuskellähmung blieben
an wandert bestehen.
Status praesens (1900): Die Kranke hat den Habitus einer hereditär syphi¬
litischen: abnorm vorspringende Stirn, chronischer Schnupfen, charakteristische
Zähne. Hoher Gaumen. Am rechten Auge Ptosis und Strabismus divergens.
Ausser der Bewegung nach aussen sind alle anderen Bewegungen des Auges
gocbwunden. Es existirt keine Pupillendifferenz und die Lichtreaction derselben
ist so ziemlich normal. Im linken Auge verticaler Nystagmus selbst im Ruhe-
mstande des Auges. Die Bewegungen des Auges, wenn auch unter nystagmus-
ihuHehen Zuckungen, ist doch nach allen Richtungen möglich. Das Gesichtsfeld
scheint nicht verengert zu sein. Keine Farbenblindheit. Die Sehschärfe ist um
die Hälfte vermindert. Es scheint keine Stauungspapille zu bestehen. Keine
Facialis- und keine Zungenlähmung. Die Bewegungen des Gaumensegels scheinen
behindert zu sein, da beim Schlucken die Flüssigkeiten durch die Nase wieder
müekströmen und die Stimme näselnd ist. Die Kranke trägt den Kopf nach
der linken Schulter geneigt, auch zittert derselbe beständig. Ohrensausen,
Schwindelgefühl, selbst bei Ruhezustand, besonders aber beim Gehen. Romberg’-
aches Zeichen sehr ausgesprochen. Heftige Schmerzen im Nacken. Nichts Ab¬
normes in der Motilität und in der Sensibilität der linken oberen Extremität.
Fordert man sie auf mit dieser Hand zu drücken, so führt sie das stossweise aus.
Die rechte obere Extremität ist normal. Die beiden unteren Extremitäten sind
gleichmässig abgemagert; in der Motilität derselben nichts Abnormes. Die
Schmerzleitung ist an denselben bedeutend verlangsamt. Die sämmtlichen Häut¬
end Sehnenreflexe fehlen an den unteren Extremitäten. Die Kranke klagt über
laneinirende, blitzartige Schmerzen in den unteren Extremitäten. Auch klagt sie
über Magenbeschwerden, die an die Magenkrisen der Tabes erinnern. Manchmal
such keuchender Husten und Schluchzen vor dem Erbrechen. Das Erbrechen
tritt in Anfallen auf von mehrtägiger Dauer, ist schmerzlos und leicht. Die
heftigsten Schmerzen treten erst nach dem Erbrechen auf. Es sollen auch Herz-
klopfenanfalle ohne jede Anstrengung, ohne jeden emotiven Grund auftreten.
(Blase und Mastdarm normal.) Im Februar 1901 klagte die Kranke über Atbem-
Both und Erstickung, ohne dass die Auscultation den Grund dieser Dyspnoe
ergab. Plötzlicher Tod. Bei der Autopsie fand man die Stirnknochen stark ver¬
dickt und vom Aussehen einer Osteitis syphilitica. Beim Herausnehmen des
Gehirns riss das verlängerte Mark entzwei, obwohl der Zug kein heftiger war;
offenbar war dasselbe erweicht. Auf der Höhe des Hirnstiels bemerkt man, dass
die untere Fläche des rechten Pedunculus cerebri erweicht erscheint. Der rechte
Oculomotorius sieht atrophisch und gallertig entartet aus. Der linke erscheint
normal. Bei Schnitten durch den Pons entdeckt man eine hufeisengestaltete Ge¬
schwulst, die die obere und die Seitenflächen der Pedunculargegend einnimmt.
Die Geschwulst ist mehr auf der rechten Seite entwickelt als auf der linken.
Der Fus8 des rechten Pedunculus ist an Volumen vermindert und erscheint er¬
reicht. Die Oberfläche des Kleinhirns ist abgeflacht. Der Pons ist durch die
Geschwulst plattgedrückt. Die Arteria basilaris ist stark atheromatös. Am
Rückenmark bemerkt man mit blossem Auge Veränderungen an den Hintersträngen.
Die mikroskopische Untersuchung wird später gemacht werden.
Discussion.
Herr Pierre Marie: Das von Herrn Touche demonstrirte Präparat ist
sehr interessant. Man kann nämlich darauf ganz genau sehen, wie die Kleinhim-
mandeln in das Foramen occipitale eindringen. Ich habe schon Gelegenheit ge¬
habt, unsere Gesellschaft auf dieses Phänomen aufmerksam zu machen. Ich habe
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seitdem von neuem diese pathologische Erscheinung oft beobachtet, namentlich
bei Blutungen in der hinteren Gehirngegend. Bei Läsionen in der vorderen
Schädelgrube beobachtet man diese Erscheinung nicht.
Herr Ch. Achard und Herr Ch. Laubry: Schmerzhafte Fettleibigkeit.
(Krankenvorstellung.) Ein amerikanischer Arzt Dercum hat im Jahre 1888 ein
Symptomencomplex beschrieben, welcher sich durch Infiltration von Fett in dem
subcutanen Bindegewebe, von Schmerzen begleitet, auszeichnet. Seitdem sind ähn¬
liche Fälle von Dercum selbst wie von seinen Schülern publicirt worden. Die
Vortr. theilen folgenden Fall von dieser eigenartigen Affectiou mit.
79jährige Frau. Hereditär nicht belastet. Typhus abdominalis im Alter
von 23 Jahren. Pneumonie mit 38 Jahren. Hatte 5 gesunde Kinder. Vor
15 Jahren Verletzung in Folge eines Sturzes der linken Hüfte. Seit dieser Zeit
Schwäche im linken Bein und Schmerzen zunächst im linken Schenkel. All¬
mählich aber verbreiteten sich die Schmerzen in der Lendengegend dann auch
im ganzen Körper. Die Schmerzen waren beständige mit zeitweiligen Exacerba¬
tionen, jedoch nicht sehr heftig, da die Eiranke ihrer Hausarbeit nachgehen konnte.
Seit 6 Monaten sind aber die Schmerzen viel heftiger geworden. Die Kranke
musste das Bett hüten, da durch jede Bewegung die Schmerzen heftiger wurden.
Bei der Untersuchung fällt eine sehr axisgesprochene Fettleibigkeit auf, dabei sind
die Hände, die Füsse und das Gesicht von Fett verschont. Man fühlt in den
Beinen fettige Knollen von der Grösse einer Nuss. An den oberen Extremitäten
beginnen diese Fettknollen am Ellenbogen und besonders an der hinteren und
inneren Fläche des Oberarmes bis zur Schulter hinauf. Am Körper ist das Fett
ziemlich gleichmässig vertheilt. Bei Druck empfindet die Kranke heftige Schmerzen,
besonders an den unteren Extremitäten. Die Kranke klagt auch über spontane
Schmerzen. Das Gehen, wie überhaupt jede active Muskelcontraction ruft Schmerzen
hervor. Dagegen kann man in allen Gelenken passive Bewegungen vornehmen,
ohne Schmerzen zu verursachen. Keine Veränderungen an den Gelenken. Keine
Muskelatrophie. Das aufrechte Stehen ist ganz normal. Die Patellarreflexe sind
lebhaft, besonders links. Plantar-, Pharyngeal- und Hornhautreflexe sind normal.
Keine ausgesprochenen Störungen der Hautsensibilität. Nichts Abnormes an den
Augen. Leichte Taubheit. Nichts Abnormes an den inneren Organen.
Herr Babinski: Qemi&synergie und Halbseitensittern bei Kleinhirn-
Brüokenläsionen. Der Kranke, den Vortr. in der Sitzung vom vergangenen
Februar vorgestellt hat, starb am 25. März an einer infectiösen Grippe. Die
Obduction wurde von Herrn Nageotte ausgefuhrt und ergab folgendes: Kein
subarachnoidales Oedem. Das Gehirn ist nicht comprimirt. Die Gehirnhäute
sind weich, dünn, durchsichtig und von normalem Aussehen. An der Gehirnbasiß
bemerkt man eine Geschwulst von Perlmutterfarbe, die die Gegend des PonB, die
untere Fläche des Kleinhirns und das verlängerte Mark einnimmt. Der Tumor
hat eine höckerige Oberfläche Die Höcker sind von der Grösse eines Hirsekorns
bis zu der einer Erbse. Was die Form und die Farbe derselben anbelangt, so er¬
innern dieselben ganz und gar an Perlen. Die Geschwulst ist von unregelmässiger
Form und adhärirt fest an die Gehirnsubstanz. Die innere Hälfte der Rinde der
rechten Cerebellarhemisphäre ist von der Geschwulst zerstört. Der Pons hat
unter der Geschwulst wenig gelitten. Allein der Facialis und der Acusticus sind
in der Geschwulstmasse eingebettet. Der Tumor ist subarachnoidal. Derselbe
haftet kaum ein wenig an der Dura mater des Felsenbeins. Bei der mikrosko¬
pischen Untersuchung auf Zupfpräparaten sieht man, dass die Geschwulst aus
plattgedrückten, polygonalen, durchsichtigen und kernlosen Zellen besteht, und
gleichzeitig aus Lamellen von Cholestearin und fettigen Granulationen. Es handelt
sich somit um ein Cholesteatom. Eine genauere mikroskopische Untersuchung wird
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später an gehärteten Präparaten gemacht werden. Vortr. ersieht in diesen ana¬
tomischen Ergebnissen eine Bestätigung der klinisch gestellten Diagnose. Er hatte
die Gegenwart eines Tumors nicht erkennen können, da der Kranke keine Zeichen
von verstärktem intracraniellem Drucke und von Gehirnödem darbot. Allein die
dargebotenen Nervensymptome sind auf die durch die Geschwulst zerstörten Fasern
und Zellen zurückzuführen.
Herr Henry Meige und Herr E. Feindei: Die Ursachen und die Patho-
geoeris der Tics des Gesichts und des Halses. Die ursprüngliche Ursache
eines Tic ist eine zweckmässige Bewegung. Es handelt sich zunächst durch die
Bewegung ein Hinderniss zu beseitigen. Dieselbe kann auch als eine Reaction
gegen einen bestehenden Schmerz betrachtet werden. Der Kranke führt zunächst
die bestimmte Bewegung aus, weil dieselbe zweckmässig ist, und weil er sie aus¬
führen will. Allmählich aber wird die Bewegung zur Gewohnheit, es kommt
somit zur automatischen, unüberlegten Bewegung, die bald gegen den Willen
aoagefuhrt wird. So ist der Anfang jedes Tio. Gewiss ist eine solche initiale
Ursache nicht ausreichend, um allein als solche die Tickrankheit zur Folge zu
haben. Eine hereditäre Prädisposition ist nothwendig, um eine gewollte Bewegung
in einen automatischen Tic zu verwandeln. Die angeborene Schwäche und Labi¬
lität des Willens sind die ätiologischen Hauptfactoren, die nie bei einem Tic-,
kranken fehlen. Es giebt auch eine Reihe von nebensächlichen Ursachen, die
zum Ausbruch der Tics beitragen und deren Kenntniss ebenso für die Pathogenese
wie für die rationelle Behandlung dieser Krankheit sehr wichtig ist. So kann
bei prädisponirten Individuen die Imitation genügen, um die Tickrankheit hervor-
mrufen. Für jede Varietät von Tics scheinen specielle prädisponirende Momente
za existiren. So beim Tic der Augen spielen eine wichtige Rolle: Fremd¬
körper in den Augen, Entzündungen der Augenlider, zu grelles Licht, sowie
manche Sehstörungen. Beim Tic der NaBe: Coryza, kleine Furunkel. Beim
Tie der Lippen: Schrunden. Beim Tic der Zunge: Ausfall der Milchzähne
and Anomalieen an den Zähnen. Beim Tic des Halses und der Schulter:
Unbequemlichkeit an der Frisur oder an den Kleidern. Viele andere Ursachen
können zum Ausbruch der Tics beitragen. Man würde gut thun, bei Instituirung
einer Behandlung und auch prophylaktisch an diese Ursachen zu denken.
Discussion.
Herr Parinaud bestätigt die Richtigkeit der Behauptung der Vortr., was
die Tics der Augenlider anbelangt, die den Augenärzten unter dem Namen
Jdonischer Blepharospasmus“ gut bekannt sind. Der Ausgangspunkt dieses
Spasmus ist immer irgend eine periphere Reizung.
Herr Ernest Dupre meint, dass es gewiss von grossem Nutzen ist, die
zufälligen Ursachen, die bei der Entstehung der Tics mitspielen, zu studiren. In
der Hauptsache ist aber der Tic ein corticaler Reflex zum Unterschied vom
Spasmus, welcher ein subcorticaler Reflex ist, wie das Brissaud gezeigt hat.
Bei der Entstehung der Tics geht Aehnliches vor, wie bei der Entwickelung von
Obsessionen und Impulsionen, d. h. ein Gemüthsshok. Somit gehören die mit
Obsessionen behafteten Kranken in die Kategorie der Tickranken. Die Haupt¬
sache ist, dass im Beginn der Krankheit das Bewusstsein des Kranken mitwirkt,
and nur allmählich durch die Wiederholung des reflectorischen Aktes tritt das
Bewusstsein immer mehr und mehr in den Hintergrund.
Herr Henry Meige wiederholt, dass die von ihm beobachteten Thatsachen
vollständig mit dieser pathogenetischen Erklärung der Entstehung der Tics über¬
einstimmen. Er möchte aber betonen, dass die bei der Entstehung mitspielenden
Ursachen, wenn sie noch so unbedeutend erscheinen mögen, von grosser Wichtig-
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keit sind, da sie oft den Schlüssel zur Erklärung der Form der Tics abgeben,
und prophylaktisch wie auch therapeutisch von sehr grossem Werthe sind. Die
Methode der rationellen Behandlung der Tics durch methodische Uebungen fusst
eben auf der genauen Kenntniss der Ursachen, die beim Beginn der Krankheit
gewirkt haben.
Herr Pierre Marie ist auch der Meinung, dass, welche Vorstellung man
auch über den centralen Mechanismus der Tics haben möge, der Einfluss der
peripheren Reizungen nicht von der Hand zu weisen ist. Er empfiehlt, junge
Kranke dieser Art immer lose zu kleiden, leichte Frisuren und keine steifen Kragen
tragen zu lassen.
HerrE. Dupr6 et Herr A. Devaux: Cerebrales Endothelioma. (Mit Demon¬
stration anatomischer Präparate.) Der Kranke, von dem die Präparate herrühren, war
33 Jahre alt, leichter Alkoholiker, keine Syphilis, hereditär nicht belastet. Die
Krankheit begann mit einer progressiv zunehmenden Amblyopie 2 1 / 2 Jahre vor
dem Tode. Man constatirte damals Stauungspapille. Gleich darauf traten auch
heftige Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Gedächtnissschwäche, Demenz, dann
epileptiforme Anfalle, linke Facialisparese und ebenfalls links Strabismus extemus
hinzu. Vollständige Erblindung. Es bestand keine Ptosis, keine Mydriasis und
keine Miosis. Die Pupillen reagirten auf Licht bis in den letzten Tagen. Der
Tod erfolgte unter vollständigem Koma. Bei der Autopsie fand man eine orangen¬
grosse, spheroidale Geschwulst von weichlicher Consistenz, die an der Basis der
linken Gehirnhemisphäre sass und den frontalen und temporosphenoidalen Gehirn¬
lappen nach oben verdrängt. Bei mikroskopischer Untersuchung zeigte sich der
Tumor als ein arachnoidales Endothelioma. Diese Beobachtung ist dadurch inter¬
essant, dass trotz der Grösse der Geschwulst nur wenig Localisationssymptome
vorhanden waren. Die mikroskopische Untersuchung zeigte übrigens, dass die
Nervenelemente des Gehirns nur unbedeutend gelitten hatten, eigentlich nur unter
dem progressiv zunehmenden Gehirndrucke.
Herr Pierre Marie: Neuropathisoher Spasmus der Bewegung der
Augen naoh oben. (Der Kranke wird zum dritten Male in der Gesellschaft
vorgestellt.) In der Sitzung vom Januar 1900 stellte Herr Crouzon (Assistent
des Hrn. Pierre Marie) diesen Kranken der Gesellschaft vor. Er hub damals
hervor, dass es sich bei diesem Patjenten weder um eine Lähmung, noch um eine
Contractur von diesem oder jenem Augenmuskel handelt, sondern um die Un¬
möglichkeit, den Blick nach unten zu richten. Er verglich diese Störung mit
einem Gewohnheitstic, namentlich mit dem psychischen Torticolis (Torticolis
mental). Er leugnete nicht, dass es sich um eine abnorm beginnende progressive
Paralyse handeln könnte, neigte- aber eher zu der Diagnose einer functioneilen
Neurose. Herr Joffroy sprach sich nach der Untersuchung des Kranken gegen
progressive Paralyse aus. In der Sitzung von Juni 1900 stellte Herr Babinski
denselben Kranken vor, und zwar nahm er bei demselben eine associirte Lähmung
der Augenbewegung nach unten an. Da er aber nicht leugnen konnte, dass die
Augen spastisch nach oben gezogen werden, so erklärte er diesen Spasmus durch
die Paralyse der Antagonisten. Er nahm eine organische Läsion an, die wahr¬
scheinlich ihren Sitz in den supranuclearen Centren hat. Herr Parinaud theilte
ganz und gar die Diagnose von Herrn Babinski. Herr Ballet bemerkte, dass,
wenn die Aufmerksamkeit des Kranken abgelenkt wird, die Bewegungen der
Augen nach unten freier sind. Auch fand er, dass die Störungen der Sprache,
die der Kranke darbot, an das hysterische Stottern erinnern. Er sprach sich
deshalb gegen eine organische Läsion bei diesem Kranken aus. Vortr. hat Ge¬
legenheit gehabt, den Kranken von Neuem zu untersuchen und ist der Meinung,
dass es sich nicht um eine Paralyse, sondern um einen Spasmus, wie Herr Crouzon
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es ursprünglich deutete, handelt. Er sacht dies durch folgendes Experiment zu
beweisen. Lässt man dem Kranken den Kopf so weit als möglich nach hinten
tragen, so kann er in dieser Stellung des Kopfes mit Leichtigkeit die Augen
aseh unten bewegen. Es kann folglich nicht von einer Lähmung der Bewegungen
der Augen nach unten die Rede sein. Befiehlt man dagegen dem Kranken bei
normaler Haltung des Kopfes seine Füsse anzusehen, so tritt bei dem Versuche,
nach unten zu sehen, augenblicklich die spastische Bewegung der Augenäpfel
nach oben ein. Dieser Spasmus dauert 30—40 Secunden, und dann nehmen die
Augen ihre normale Stellung ein. Was die Natur dieses eigentümlichen Spasmus
anbelangt, so ist Vortr. der Meinung, dass es sich um eine functionelle Neurose
and nicht um ein organisches Leiden handeln muss, und zwar aus folgenden
Granden. Der Beginn des Leidens war folgender: Im August arbeitete der Pat.
bei starker Hitze im Freien, und fühlte sich nicht ganz behaglich. Während
3 Tage war er verstimmt und traurig und dachte dabei an seinen Vater, der
an einem Schlag gestorben ist und an seinen Grossvater, der während 10 Jahren
blind war. Am Abend des 8. August während der Mahlzeit wurde er plötzlich
blind und vom Schlag getroffen. Der apoplektische Anfall dauerte 17 Stunden,
während welcher er weder stertorös war, noch Hess er unwillkürlich den Stuhl
und den Urin gehen. Vortr. erklärt, dass ihm noch nie eine organische Apoplexie
begegnet ist, bei welcher eine solche Athmungsruhe und eine solche Sphinkteren-
integrität bestanden hätte. Der komatöse Zustand hörte beim Kranken plötzlich
auf. Er erwachte, wie aus dem Schlaf, fing an zu sprechen und verlangte zu
essen. Man bemerkte dann, dass der Kranke ganz verwirrt war. Er wusste
nicht, wo er sich befand, kannte seine Umgebung nicht. Mit einem Worte, es
handelte Bich offenbar um ein Deliriumstadium, wie man es nach grossen hyste¬
rischen Anfällen sieht. Der Eiranke blieb während mehrerer Wochen in diesem
r e r wirrt en Zustande, dann wurde er plötzlich klar, erkannte wieder seine Frau,
die er im Delirium für seine Schwester gehalten hat. Der Kranke behielt aber
noch manche psychische Eigenthümlichkeiten. Er ist reizbar, anspruchsvoll. Seine
Sprache ist ebenfalls eigentümlich geworden, sie ist langsam und zögernd und
erinnert sehr, wie Herr Ballet es schon bemerkt hat, an das hysterische Stottern.
Ausserdem sind beide Gesichtsfelder beim Pat. stark verengert. Auch hat Vortr.
bei diesem Kranken durch Suggestionsbehandlung mit einem starken Magneten
«ine beträchtliche Besserung erzielt. Aus diesen verschiedenen Gründen hält er
das Leiden für hysterischer Natur.
Herr Parinaud hat den Kranken auf die Aufforderung des Herrn Babinski
untersucht und hat eine ausgesprochene Lähmung der Bewegung eines der Augen
Bach unten constatirt, während die Bewegungen nach oben und lateralwärts voll-
itindig normal waren. In Anbetracht des vorausgegangenen apoplektiscben An-
Wli hat er den Fall für eine Lähmung der Bewegungen der Augen nach unten
gehalten. Er hat nicht daran gedacht, dass ein psychischer Tic in Betracht
kommen könnte, den er übrigens nur ungenügend kennt. Er müsste den Kranken
genauer untersuchen, um sich darüber aussprechen zu können, ob Paralyse oder
Spasmus vorliegt.
Herr Babinski giebt zu, nachdem er den Kranken von Neuem untersucht
hat, dass die Bewegung der Augen nach unten bis zu einem bestimmten Grade
«ugeführt wird. Ein bestimmter Grad von Parese dieser Bewegung besteht aber
doch, das muss Vortr. zugeben. Man könnte deswegen den Spasmus als secundär
betrachten, in Folge der Parese der antagonistischen Bewegung, wie es ja oft
der Fall ist, wenn eine Muskelgruppe gelähmt ist. Er weist die Hysterie bei
diesem Kranken nicht von der Hand, die ja combinirt mit einem organischen
Leiden Vorkommen kann. Er hält aber immer daran fest, dass das Vorhanden-
•ein eines organischen Leidens vollständig mit dem Beginn durch einen apoplek-
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tischen Anfall, mit psychischer Störung, mit Motilitätsstörung und Störung der
Sprache tibereinstimmt. Er würde von einer Diagnose lassen und den Fall für
hysterisch erklären, wenn man durch Suggestion den Zustand des Kranken be¬
deutend wird modificiren können, oder wenn die Symptome durch die Suggestion
plötzlich schwinden.
Herr Br iss au d meint, dass es schwer sei, in diesem Falle eine Kernläsion
anzunehmen, die im Aquaeductus Sylvii nur einen Teil der Kerne des 3. Nerven-
paares beschädigt, aber gleichzeitig die Kerne des 4. Nervenpaares auf beiden
Seiten trifft. Man müsste doch eine viel höher gelegene Läsion annehmen, um
diesen so eigenthümlich localisirten Symptomencomplex zu erklären. Aus diesem
einzigen Grunde ist es wahrscheinlich, dass bei diesem Kranken ein hochgelegenes
Associationscentrum — etwa in der Gehinrinde situirt — gestört sein muss. Um
dann auf die hysterische Natur des Leidens zu schliessen, gehört ja nur ein Schritt.
Herr Georges Guillain: Hysterisches Stottern. (Mit Krankenvorstellung.)
Es handelt sich um einen 48jährigen Mann, der im Februar dieses Jahres in
die Klinik des Herrn Marie in Bicetre aufgenommen wurde. Hereditär nicht
belastet. Der Tod seiner Frau (1889) hat ihn sehr mitgenommen. Im Jahre 1896
stürzte er hin und wurde in ein Hospital gebracht. Am folgenden Tage war
nichts Abnormes zu bemerken. Dagegen trat 48 Stunden nach diesem Unfälle
eine totale Paralyse der 4 Extremitäten mit einer solchen Dysarthrie ein, dass
es unmöglich war, den Kranken zu verstehen. Nach 2 Monaten verschwand die
Lähmung ganz plötzlich. Die Sprachstörung aber blieb unverändert bestehen.
Das Stottern behält nicht immer denselben Charakter. Der Kranke wiederholt
manchmal 2, 3 Mal die erste Silbe mancher Worte, manchmal giebt er von sich
ganz unverständliche Laute, manchmal wird eine Silbe, auch ein ganzes Wort
in einem sonst correct ausgesprochenen Satze ausgelassen. Das Nachsprechen ist
ebenso mangelhaft, wie das spontane Sprechen. Beim Singen werden die Worte
eben so schlecht ausgesprochen, wie beim Sprechen. Der Kranke kann lesen, und
versteht, was er liest. Auch beim Schreiben, eben so bei spontanem, wie bei
dictirtem, lässt der Kranke Worte aus, fugt andere hinzu, so dass seine Schrift
gerade so unverständlich ist, wie seine Sprache. Er ist unfähig, eine Addition
auszuführen, ebenso eine Multiplication. Die vorgezeigten Gegenstände erkennt
er richtig. Der Kranke kann die Zunge nicht herausstrecken. Der Gaumensegel
ist nicht gelähmt. Pharyngealreflex erloschen. Das Gesichtsfeld ist normal. Keine
Sensibilitätsstörungen. Der Fall ist als Hysterie zu betrachten aus folgenden
Gründen: der eigenartige Beginn der Krankheit, der Polymorphismus und die
Eigentümlichkeit der Sprachstörung, der psychische indifferente Zustand des
Kranken. Hirschberg (Paris).
V. Vermischtes.
Die Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte findet am
Montag, den 14. und Dienstag, den 15. April 1902 in München statt.
Als Referatthema ist zunächst in Aussicht genommen: Die Seelenstörungen auf arterio¬
sklerotischer Grundlage. Referent: Herr Dr. Alzheimer (Frankfurt a/M.).
Die Anmeldung von Vorträgen wird an den Vorsitzenden (Jolly-Berlin) bis spätestens
Ende Februar 1902 erbeten.
Um Einsendung von Separatabdrückec an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzgbe & Wittig in Leipzig.
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Die Curanstalt für Nervenkranke ^““"vuun) Pirk ’
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seit 1865 in Blankenburg am Harz,
ist auch Im Winter gut besucht. Näheres durch Prospekte.
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Frequenz 1905: 7902 Kurgäste, Frequenz 1900: 10795 Kurgäste,
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Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
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Prospecte kostenlos durch die Verwaltung. Dr. med. Benno, Nervenarzt n. imL Director.
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F—ttirh erscheinen zwei Nummern. Preii de« Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
Baehhandlungen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
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FE 3
190?
Neurologisches Centralblatt.
Uebenicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Hendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendtl)
zu Berlin.
Jahrgang.
902.
16. Januar.
Nr. 2.
Inhalt. I. Origlnalsiittheilungen. 1 . Znr I/ehre von den periodischen Geistesstörungen*
Dr. Ensen. 2. Die Topographie der paralytischen Rindeudegcneration und deren Ver¬
se Flkchsig’s Associationscentrcu, \on Prof. Dr. Karl Schaffer in Badape«t.
H Refarate. Anatomie. 1. Zur Kenntniss des Sagittalmarks und der Balkenfasern
Hmterhauptlappcns, von Probst- 2. Ueber den Verlauf der centralen Schfasern (Rinden-
Bhkteelfssern) und deren Endigung im Zwischen- nnd Mittelhiru und über die Associations-
Coamissurenfasern der Sebsphärc, von Probst. — Experimentelle Physiologie.
Die Bedeutung der Hinterstrange des RQokenmarks lür die Leitung des Mnskel.-rinns, von
rcvftsw. — Pathologische Anatomie. 4. Weitere Beiträge zur Pathologie und patho-
B itomie des unteren Rückenraarksabsehnittes, von MOIIer. 5. Beschreibung des
systems eines 6tägigen, syphilitischen Kindes mit unentwickeltem Grosshirn bei
Schädel, mit Asymmetrie des Kleinhirns, sowie anderer Hirntheile nnd mit
ebennieren, von llberg. — Pathologie des Nervensystems. 6. Ueber die
jung bei schwerer Sehnervenentzündung, von Hirschberg. 7. Etüde snr les
laires, par Vldal. 8. Einige Worte über neue Pnpillareyuiptome, von Piltz,
uuae snr l’opbtalmoplögie congenitale (ophtalmoplegie complexe), par Cabannes et
. 10. Ophthalmoplegie mit periodischer, unwillkürlicher Hebung nnd Senkung des
Iidee, paralytischer Ophthalmie und einer eigenartigen optischen Illusion, von v. Bech-
•• 11. Ueber Veränderungen im Augenhintergrunde bei Pnenuionie, von Peters.
Weitere Beiträge zur Pathologie der Linse, von Peters. 13. Ueber springende Mydriasis,
■* tessner. 14. Atrophie optique häröditaire, par Gallemaerts. 15. Acnte retrobulbäre
Hesritis nnd Hysterie, von Bregmtnn. 16. Ueber Erkrankungen des Rückenmarks bei here-
Jtib-sjphilitischen Nengeborenen nnd Säuglingen., von Peters. 17. Epilepsie jaoksonienne
avulsioiis genäralisees avec hömiplügie droite chez une hörddoByphilitique de 15 mois.
ison par des frictions mercurielles, par Gendre. 18. Hereditäre Lues und Epilepsie, von
t and Llth. 19. Ueber einen Fall von Jackson’scher Epilepsie auf syphilitischer Basis
it operativem Eingriff, von Rybalkin. 20. Soll’ epilessia da sifllide, pel Luzenberger.
. De Pabolition des reflexes pupillaires dans ses relations avec la syphilis, par Bablnski et
Bsnsahsr. 22. Beitrag zur Kenntnis« der Syphilis des Centralnervensystems, von Hsenel.
V- Zwei Fälle von Syphilis des Centralnervensystems, von Bermann. 24. Ueber eineu Fall
aaagedehnter Erkrankung der Gefässe und Meningen des Gehirns uud Rückenmarks im
^rthstadinm einer Syphilis, von Finkelnburg. 25. Zur Meningitis basilaris syphilitica praecox,
Mama«. 26. Ein Fall von cerebrospinaler Syphilis mit Erhöhung der Körperwärme,
Rial s ha r. 27. The clinieal forms and pathological anatomy of spinal syphilis, by
28. A case of syphilitic spinal leptomeningitis with combined sclerosis. by Shoyer.
_ U eber einen in der Narcose entstandenen Fall von luetischer Plexus-Neuritis, von Sarbö.
|kftlgneDs augiosclerotica auf luetischer Basis, von Nartowski. 31. Recherohes cliniques
■jl traitement de la syphilis fondees snr les observations da Dr. Zeltscliinsky (Moscon)
d*ua cm» de prophylaxjc in utero par le raöme traitement. par Verrier. 32. Les acoi-
de la blennorrhagie, par Delamare. 33. Die Störung des Temperatursinns bei
von Rosenfeld. 34. Ueber eine eigentümliche localisirte Arthropathie bei
i
, y Google
50
einem an Syringomyelie und gleichzeitiger Hypoplasie des Genitalapparates leidenden Indi¬
viduum, von Hfldlmoser. 35. Ett utveekladt fall af syringomyeli (Morvans typ), af Lsnd-
borg. — Psychiatrie. 36. Consanguinität in der Ehe und deren Folgen för die Deicendem,
von Pelpers. 37. Combinirte Psychosen, von MBnkemöller. 38. Ein Fall von circularem Irre¬
sein mit täglich alternirendem Typus, nebst Bemerkungen zur sog. „circularen Neurasthenie“,
von Scheiber. 39. Sieben Tage lang anhaltende, völlige und plötzlich nach Chloroform¬
asphyxie eingetretene Aufhellung des Geistes bei einer secundär verwirrten Geisteskranken,
von Nücke und Steinitz.
III. Bibliographie. Die Syringomyelie. Eine Monographie von Docent Dr. Hermann
Schlesinger.
IV. - Aus den Gesellschaften. XXXII. Jahresversammlung der sndwestdeutseben Irren¬
ärzte in Karlsruhe am 2. und 3. November 1901. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. (Bio¬
logische Abtheilung.)
V. Mittheilung an den Herausgeber.
VI. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Zur Lehre von den periodischen Geistesstörungen. 1
Von Dr. Ennen,
Assistenzarzt an der Rhein. Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg.
Obwohl die Lehre von den periodischen Geistesstörungen bereits vielfach
eingehend und gründlich behandelt worden ist, so sind doch die Erscheinungen
und Verlaufsweise dieser Erkrankungen in jeder Beziehung so mannigfaltig, dass
immer wieder einzelne Fälle Vorkommen, die einerseits ihres eigen thümlichen
Verlaufs, andererseits ihrer Seltenheit wegen zu einer näheren Betrachtung auf¬
fordern. In Folgendem will ich drei solcher Fälle, die ich während längerer
Zeit beobachten konnte, mittheilen.
Es handelt sich zunächst um einen 69jähr. Kranken, der seit dem Jahre 1869
an circularem Irresein leidet. Er wurde am 22./VIII. 1898 in Grafenberg auf¬
genommen, nachdem ira Mai desselben Jahres nach vorangegangenem 1 */, jährigem
DepreBsionsstadium eine maniakalische Erregung entstanden war, die bei seiner
Aufnahme noch vorhanden war und zunächst auch weiter anhielt. Am 16./XI.
1898 trat ein apoplektischer Anfall bei ihm ein, der eine motorische Aphasie
und leichte rechtsseitige Facialisparese zur Folge hatte. Während er in den
vorhergehenden Tagen noch sehr gereizt war, viel schimpfte, war er nach dem
Anfalle sehr wehleidig und gedrückter Stimmung. Im Laufe des Tages stellte
sich dann noch eine schlaffe Lähmung des rechten Armes ein. Die erwähnten
Lähmungserscheinungen haben sich allmählich gebessert, wenn sie auch jetzt noch
nicht ganz verschwunden sind. Der plötzliche Umschlag in der Stimmung hielt
an und der Kranke befindet sich seitdem in einer melancholisch-hypochondrischen
Verstimmung. Im Laufe der Zeit traten in mehr oder weniger grösseren
Zwischenräumen neue Anfälle auf, der letzte Mittte September dieses Jahres. Die
meisten dieser Anfälle waren von einer allerdings nur wenige Tage dauernden
leichten manischen Erregung gefolgt. In dem letzten Jahre war dieser Wandel
weniger ausgesprochen, doch war er bei dem letzten Anfall deutlich zu bemerken.
1 Vortrag, gehalten in der 68. Versammlung des psychiatrischen Vereins der Rhein¬
provinz in Bonn am 9. November 1901.
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51
Za bemerken ist noch, dass bei dem Patienten in den letzten Jahren eine geistige
Abschwächung sich bemerkbar macht. Von körperlichen Symptomen sei die be-
itehende Arteriosklerose hervorgehoben.
In neuerer Zeit ist besonders von Pilcz 1 darauf hingewiesen worden, dass
periodische Geistesstörungen nach Apoplexieen Vorkommen. Wenn nun auch in
diesem Falle die Geistesstörung nicht durch eine Apoplexie verursacht ist, so
haben doch ohne Zweifel die einzelnen Anfalle Antheil an dem mehrfach be¬
stach teten Wechsel im Verlauf derselben gehabt Besonders auffällig ist dies
ach dem ersten Anfalle gewesen. Die vorhandene geistige Abschwächung
! dürfte auch wohl auf Rechnung der apoplektischen Anfalle zu setzen sein, wie
[loch Pilcz hervorhebt, dass in den von ihm beobachteten Fällen nach Apoplexie
! eine solche vorhanden war, im Gegensatz zu der Erfahrung, dass sonst bei perio¬
dischen Geistesstörungen die Intelligenz wenig oder gar nicht leidet. Es scheint
demnach, dass in der Aetiologie und pathologischen Anatomie der periodischen
Geistesstörungen Veränderungen vasomotorischer Art und deren Folgen nicht
ebne Bedeutung sind, wenn auch bis jetzt bestimmtes darüber nicht bekannt ist
Schjstbeb 2 hat einen Fall von circulärem Irresein veröffentlicht, den ich
«einer Aehnlichkeit mit meinem ersten und zweiten, gleich zu besprechenden
Fall wegen kurz berühren möchte. Bei einem 57 jährigen Manne trat nach
anem Schlaganfall zunächst eine Charakterveräuderung ein, er wurde reizbar
ad heftig und nach einem zweiten Anfalle entwickelte sich eine oirculäre
fchose, die 7 Jahre lang bis zu seinem Tode anhielt In den ersten Jahren
aen noch 2 Schlaganfalle hinzu, nach denen sich der Zustand des Kranken
TOSchiimmerte. Eigentümlich war, dass die Perioden der heiteren und traurigen
^entanmung bis zu dem letzten Lebensjahre täglich wechselten, so dass der
Kranke an einem Tage heiter und gehobener Stimmung war, sich wohl fühlte,
I Pläne machte, während er am andern Tage ausgeprägte melancholische Ver¬
stimmung zeigte.
Dieser tägliche Wechsel besteht bei dem 53 jährigen Kranken W f der seit
kprü 1895 in Grafenberg ist, in ganz ähnlicher Weise.
Er war schon vorher 4 Mal wegen circnl&ren Irreseins in verschiedenen An-
lten. Die einzelnen Anfalle hatten früher keinerlei Besonderheiten geboten,
seiner Aufnahme in Grafenberg war er in einer maniakalischen Erregung, er
rar sehr laut, reizbar, wurde gleich heftig, schmierte, ärgerte seine Mitkranken
— Dieser Zustand dauerte etwa 7 Monate und es entwickelte sich dann
lählich ein täglicher Wechsel zwischen manischem und melancholischem Stadium,
der ersten Zeit war dieser Wechsel öfters unterbrochen durch Erregungen, die
■ehrere Tage dauerten und von ungefähr ebenso langer Depression gefolgt waren,
diese Zustände sind in den beiden letzten Jahren selten geworden, dauern meist
sur je 2—3 Tage, so dass der tägliche Wechsel im ganzen ein sehr regel-
nässiger ist Die Intensität, mit welcher Manie und Melancholie auftreten, ist
' Pn.cz, Monatsschr. f. Psycb. u. Neurolog. 1900. Nov. — Derselbe, Die periodischen
Geistesstörungen. Jena, 1901. Gust. Fischer.
* Sch eibeb. Ein Fall von 7 Jahre lang dauerndem circulärem Irresein u. s. w. Archiv
t Psych. XXXIV. Heft 1.
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52
sehr verschieden. Den höchsten Grad erreichte die Erregung, wenn sie mehrere
Tage anhielt. In den letzten Jahren ist die Erregung im Grossen und Ganzen
viel milder geworden. Die Melancholie entspricht in ihrem Grade stets der Manie
vom vorhergegangenen Tage. Das Bild der Manie bezw. Melancholie ist stete
scharf ausgeprägt, nur wechselt, wie gesagt, die Intensität des Zustandes von
einer leichten heiteren bezw. traurigen Verstimmung bis zur ausgesprochen hoch¬
gradigen maniakalischen Erregung bezw. tiefen Melancholie.
Dabei macht sich in den letzten Jahren eine gewisse geistige Abschwächnng
bei dem Kranken bemerkbar. Von körperlichen Symptomen ist Arteriosklerose
mässigen Grades zu nennen. Patient giebt an, dass sein Vater in den letzten
6 Lebensjahren einem ebensolchen täglichen Wechsel zwischen Manie und Melan¬
cholie unterworfen war.
Solche Fälle, die einen täglichen Wechsel im Zustandsbilde zeigen, sind
nicht gerade häufig. Ausser dem Fall von Scheiber gehören hierzu 2 Fälle
von Dübois 1 , die er als intermittirende neurasthenisch-melancholische Psychose
bezeichnet hat, die aber meiner Auffassung nach zu dem circulären Irresein ge¬
rechnet werden müssten, ebenso wie der Fall Dünin’s 2 , von sogen, circularer
Neurasthenie mit täglichem Wechel Schülb 5 bezeichnet diesen Verlauf als
altemirenden Typus und giebt an, dass dieser Typus bei verschiedenen psychi¬
schen Krankheitszuständen Vorkommen kann, besonders bei der Paralyse. Es
sind denn auch mehrfach derartige Fälle genau beschrieben worden und zwar
von Mendel*, Buddeberg 5 und FrInkel 6 bei der progressiven Paralyse. Es
bestand bei diesen Fällen ein täglicher Wechsel zwischen heiterer Erregung und
trauriger Verstimmung. Näckb 7 hat einen Fall von Katatonie beschrieben,
wo ebenfalls ein regelmässiger täglicher Wechsel zwischen Erregung und Stupor
stattfand. Ein ähnlicher Fall, anscheinend epileptischer Natur, ist von Ziegler 5
veröffentlicht.
Ich selbst habe einen Fall von seniler Geistesstörung beobachtet, der sich
durch tägliches Alterniren von Zuständen der Erregung und Ruhe auszeichnet
Es handelt sich um einen 70jähr. Mann, der am 21. April 1899 in Grafen¬
berg aufgenommen wurde. Im Herbst 1898 und Februar 1899 war er zwei Mal
auf den Kopf gefallen. Seit dem letzten Fall klagte er über Kopfschmerzen, war
aufgeregt und unruhig, redete viel, schlief nicht, war unreinlich, nahm körperlich
ab. In der ersten Zeit seines Anstaltsaufenthalts war er sehr unruhig, sprach
1 Dübois, Ueber iDtermittirende psychopathische Zustände. Corresp.-Blatt f. Schweizer
Aerzte. 1901. Nr. 9.
* Dünin, Ueber periodische, circulare und alternirende Neurasthenie. Deutsche Zeit-
sehr. f. Nervenheilk. 1898. XIII.
* Schülb, Klinische Psychiatrie. 3. Aufl. Leipzig, 1886. Vogel.
4 Mendel, Die progressive Paralyse der Irren.
4 Büddkbbbq, Zur Casuistik der allgemein fortschreitenden Paralyse mit circularem
Verlauf. Allgem. Zeitschr. f. Psych. 1893. IL.
* Fränkbl, Ein Fall von circularer Form der progressiven Paralyse. Neurolog. Cen-
tralbl. 1896.
' NIcke, Raritäten ans dem Irrenhanse. Allg. Zeitschr. f. Psych. 1894. L.
8 Ziegler, Ueber die Eigenwärme in einem Falle von Geistesstörung. Allg. Zeitschr.
f. Psych. 1864. XXI.
Google
53
verwirrt, belästigte die Mitkraoken. Dann schien er öftere ängstlich, glaubte, es
sei Gift im Essen, sprach vom Teufel u. dergl., ass schlecht. Dazwischen war er
hin und wieder auf Stunden klar. Seit October 1899 zeigt er mit vollkommener
Regelmässigkeit folgendes Verhalten: War er z. B. am Tage ruhig, so beginnt
bereits gegen Abend sich die Erregung langsam bemerkbar zu machen, sie steigert
sich allmählich in der Nacht, bis sie gegen 4 Uhr Morgens in voller Stärke lo»-
bricht und hält bis zum anderen Abend an. Dann wird er ruhig, schläft die
Sicht durch und ist am Morgen ruhig und klar, hält sich den Tag über gut, bis
un Abend die Unruhe wieder beginnt. In der unruhigen Zeit spricht oder
lästert er fast beständig vor sich hin, zittert am ganzen Leibe, sieht ängstlich
us, verkennt hin und wieder Personen, ist auch ab und zu unrein. Der Puls
ist gespannt und frequent; die Athmung beschleunigt, das Gesicht ist congestionirt.
in den Zeiten der Ruhe war er zuerst ganz klar und einsichtig und verhielt sich
vollkommen geordnet. Jetzt ist er zwar auch klar und geordnet, weiss auch,
dass er jeden zweiten Tag unruhig ist, glaubt aber, die Aerzte bewirkten dies
künstlich, um für den betreffenden Tag die Nahrung für ihn zu sparen. Er er¬
innert sich noch ziemlich genau an das, was während der Unruhe um ihn vor¬
geht, will aber keine rechte Auskunft geben; ist in seinem ganzen Wesen vielfach
kindisch albern. Diese Erscheinungen dürften wohl auf die geistige Schwäche
zurückzu führen sein, die sich mit der Zeit bei ihm herausgebildet hat. — Zu
erwähnen ist noch, dass bei dem Kranken Arteriosklerose besteht.
Wir haben es natürlich bei den eben geschilderten Fällen nicht etwa mit
einer besonderen Art von Psychosen zu thun, sondern erblicken Tielmehr in
denselben nur eine eigentümliche, seltene Verlaufsweise der Erkrankung, die,
wie wir gesehen haben, bei verschiedenen Psychosen Vorkommen kann, sowohl
bei den sogen, organischen als auch bei solchen, die man wohl als functionelle
boachnet, obwohl diesen letzteren auch offenbar irgendwelche pathologische
Yainderungen der Gehirnsubstanz zu Grunde liegen, über deren Natur wir
«üenhngs noch im anklaren sind. Bei den meisten der erwähnten Fälle finden
wir nun arteriosklerotische Processe in mehr oder weniger hohem Grade und
es liegt somit die Annahme nahe, dass der Verlauf dieser Erkrankungen im
Zusammenhang mit vasomotorischen oder nutritorischen Störungen steht. So
glaubt auch Näoke, dass in seinem Falle der Wechsel zwischen Erregung und
Stopor auf Hyper- bezw. Anämie des Gehirns zurückzuführen sei und Dübois
ist geneigt, anzunehmen, dass durch eine localisirte Arteriosklerose Circulations-
storungen entständen, die ihrerseits den Chemismus der Zellen stören und
dadurch vermittelst einer localen Intoxication den Anfall hervorrufen könnten.
Nach and nach würden die schädlichen Stoffe eliminirt, bis eine neue Anhäufung
stattfindet Wenn dem so wäre, könnte man damit vielleicht einen Wechsel
zwischen krankhaftem und normalem Verhalten erklären, aber nicht einen solchen
zwischen verschiedenen krankhaften Zuständen, da ja dann einmal ein krank¬
hafter Zustand normalen Verhältnissen entsprechen müsste. Jedenfalls lässt
sich vorläufig eine befriedigende Erklärung dieser Erscheinungen wohl noch
nicht- geben.
Die Therapie scheint hier ziemlich machtlos zu sein. Von Zieolbb und
Nico wurde Chinin ohne Erfolg gegeben.
Der scblie8sllche Verlauf und Ausgang ist bei den Fällen von Paralyse,
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54
Katatonie und senilem Irresein ja von vornherein ungünstig. Bei den Fällen,
die dem periodischen Irresein zuzurechnen sind, fhllt die lange Dauer dieser
Erkrankungen auf, die sich in allen Fällen über mehrere Jahre erstreckt. Mit
einer Ausnahme ist bei keinem dieser Fälle eine Besserung oder gar Genesung
beobachtet worden.
Diese Ausnahme betrifft einen Fall von Dubois, bei dem die Erkrankung
nach 8 jähriger Dauer auf hörte, um dann nach 6 jähriger Pause wieder auf¬
zutreten, ohne dass bis jetzt nach bereits 4 jähriger Dauer eine Besserung vor¬
handen ist. Es scheint demnach fast, als wenn das Auftreten dieser Formen
bei periodischem Irresein die Prognose, die ja sonst für den einzelnen Anfall
relativ günstig ist, zum mindesten recht zweifelhaft erscheinen liesse.
2. Die Topographie der paralytischen Rindendegeneration
und deren Verhältnis zu Flechsig’s Associationscentren.
Von Prof. Dr. Karl Schaffer in Budapest
Die auf Seriensohnitte in sagittaler und horizontaler Richtung erfolgte
Untersuchung von drei paralytischen Gehirnen führte zu Ergebnissen, aus welchen
eine frappante Analogie zwischen den sogen. FLECHSio’schen Associationscentren
und den degenerirten Rindenfeldern bei der Paralyse erhellte. Indem ich nun
diese Resultate summarisch anführe, erlaube ich mir vorangehend folgende Be¬
merkungen.
Alle drei Fälle boten im psychiatrischen Sinne das typische Bild der Paralyse
dar; sie zeigten durchwegs den terminalen paralytischen Blödsinn und die be¬
kannten Lähmungserscheinungen. Ich wählte absichtlich solche, durch sucoessive
Demenz, verblasste Megalomanie, Dysarthrie, Facialis- und Pupillenlähmung
charakterisirte terminale Fälle zur Untersuchung, da ich gerade in solchen
einen vollentwickelten, fast abgelaufenen Degenerationsprocess erwarten, somit
auch eine distincte histologische Darstellung desselben mit der Weioeet-
WoLTEBs’schen Methode erhoffen durfte. Von den drei Fällen bot nur einer
noch die Symptome der Tabes dar; die Paralyse dieses Falles zeigte jedoch
gleichfalls das typische Bild.
Vorliegende Arbeit soll den Anfang einer grösseren Serie von paralytischen
Gehirnen bedeuten, welche alle vom Gesichtspunkte der Topographie des para¬
lytischen Rindenschwundes aufgearbeitet werden. Die Resultate der vorliegenden
drei Fälle sind so übereinstimmend und besonders mit Bezug auf die Flecb-
sio’sche Lehre von den Associationscentren so eindeutig, dass ich dieselbe als
vorläufige Anzeige zu veröffentlichen mich veranlasst fühle. In einer späteren,
detaillirten Arbeit gedenke ich eine minutiöse Schilderung der Befunde zu geben;
hier beguüge ich mich mit der gedrängten Angabe des Befundes. Letzterer
wurde an Serienschnitten durch die ganze Hemisphäre erhoben; meines Er-
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55
achtens ist dieser Vorgang der einzig richtige bei der Frage bezüglich der Topo¬
graphie der paralytischen Rindendegeneration; die auf gewisse Hemisphären bezirke
sich erstreckende Markentartung lässt sich nur an fehlerlosen Totalschnitten mit
der vorzüglichen WEiGEBT-Woi/rias’schen Färbung behandelt, constatiren.
Auf meine Befunde übergehend, erlaube ich mir diese durch photographisch
reproducirte Präparate zu illustriren.
Fig. 1 führt uns einen Sagittalschnitt der rechten Hemisphäre vor, welcher
nahe zur Medianlinie, zur Fissura pallii fällt. An demselben macht sich bereits
»of den ersten Blick die Gegend der Centralfurche (Ä) als eine gesund im-
punirende Stelle der Hemisphäre aufmerksam, insbesondere die vordere Ceutral-
windung (CA), sowie die an letztere stossende erste Stirnwindung^ 1 ) zeigen
Fig. 1.
ein tiefblaues Windungsmark, ein dichtes Uadiärgeflecht, und besonders am
i Windungsabhang und in der Tiefe zwischen F 1 und CA eine fast ganz erhaltene
Tangentialschicht. Die auf F x folgenden Windungen des Frontallappens stellen
einen successiven Uebergang zur ausgesprochensten Rindendegeneration dar; die
Conveiitäts Windungen der ersten Froutalwindung (Fc) zeigen bereits eine ge-
» wisse Faserreduction im Windungsmark, welcher Umstand durch eine hellblaue
Färbung sich kenntlich macht; die Radiärschicht arm an Fasern; Tangential¬
schicht fehlt vollkommen. Die polaren und basalen Frontalwindungen (Fp, Fb)
zeigen bereits eine hochgradige Degeneration; das Windungsmark ist blaugrau
bezw. grau, daher aus schwachgefarbten, varicösen, an Zahl ungemein reducirten
Markfasern bestehend; Radiärschicht fehlt vollkommen, ebenso die Tangential¬
schicht; die Rinde ist bedeutend schmäler.
Die hintere Centralwindung ( P ) zeigt eine geringe Abschwächung der
Badiärschicht, eine bedeutende Reduction der Taugentialschicht; sie stellt einen
Uebergang zu den hochgradig erkrankten Parietalwindungen dar. Letztere sind
durah den Lobulus parietalis superior (/*,) vertreten und zeigen besonders
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56
an den mit „ p“ und „p 8 “ markirten Stellen hochgradigen Rindenschwund:
Tangentialschicht und Radien fehlen vollkommen, Windungsmark lichtblau bis
grau, daher hochgradig rareficirt Nachdem wir die Fissura parieto-occipitalis
{fpo) überschritten haben, gelangen wir zum Occipitallappen, welcher hier
durch die Gegend der Fissura calcariua (C) repräsentirt ist. Es ist nun
höchst bemerkenswerth, dass die Lippen der Calcarina gesundes Windungsmark,
nur in geringem Grade rareficirte Markstrahlen, ein nur etwas geschwächtes Vicq
D’ÄZYB’ sches Band zeigen; die oberflächlichen Tangentialfasern hingegen sind nur
stellenweise vorhanden. Interessant ist der Umstand, dass die der Conveiität,
soyde der Basis (bezw. dem Cerebellum) zugewendete Flächen des Occipitallappeus
schon viel mehr geschwächte Markstrahlen, vollkommen fehlende Zonaltasern
Kig. 2.
aufweisen; Wiuduugsmark, besonders der Convexität, lichtblau, daher schon rare*
flcirL Wir können also bezüglich des Occipitallappeus als Thatsache hervorhebeu,
dass jener Theil des Cuneus [CU), welcher den Rand der Fissura calcarina
bildet, relativ gesund erscheint; initiale Veränderungen sind jedoch hier auch
(besonders betreffs der Zonalfasern) vorhanden.
Fig. 2 zeigt einen oagittalschnitt desselben Paralytikergehirns in der Ebene
des Putamens und des Kapselknies. Am Präparate fällt auf den ersten Blick
die mit CA bezeichnte Windung als gesunde Stelle auf; sie ist die vordere
Centralwindung. Das tiefblaue Mark, die stark hervortretende Radiärscbicht
(besonders im Abhange gegen die Frontalwindung zu) beweisen die Unversehrt¬
heit; die genauere mikroskopische Analyse ergiebt jedoch einen gewissen mittel¬
starken Faserausfall in der Tangeutialschicht. Bemerkenswerth erscheint es,
dass die vor der CA gelegene erste Frontal Windung, besonders an ihrer, gegen
CA gekehrten Fläche fast gesund erscheint, denn die Radiärschicht ist normal
stark, auch Tangentialfasern giebt es zahlreich, wenn auch nicht in der normalen
Menge. Nur an der Kuppe dieser Windung erscheinen zwei vertical ovale
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Stellen («, x), welche als perivasculäre Sklerosen sich entpuppen. Von diesen
sklerotischen Stellen der Rinde ziehen radiär degenerative Streifen in das übrigens
blaue (also fast normale Windungsmark) hinab Die nach vorne nächstfolgenden
Frontalwindungen weisen aber bereits eine hochgradige Erkrankung auf: die
Rinde erscheint fast bar aller Markfasern, letztere sind nur durch spärliche,
schwach gefärbte, an Zahl wesentlich reducirte markhaltige Radiärfasern, welche
. nahe zum Windungsmark in der Rinde enden, repräsentirt; Tangentialfasern
S fehlen vollkommen, die Breite der Rinde bedeutend verringert Dieses soeben
t geschilderte Verhalten lässt sich an den Convexitäts-, an den Polar- und Basal-
I Windungen des Stirnlappens constatiren; dementsprechend findet sich auch das
I Windungsmark faserärmer, sehr gelichtet vor.
Fig. 3.
4T<S|
:D '
Betrachten wir nun die rückwärts von der Ceutralfurche ( R ) gelegenen
Windungen. Da fallt vor Allem die hintere Central Windung ( CP) als
hochgradig erkrankt auf; das Windungsmark ist lichtblau, also an Faserzahl
stark reducirt, zeigt entlang des Markrandes der Rinde bogenförmige Entartungs¬
züge, welche zweifellos den MEYNERT’schen Fibrae propriae entsprechen, und
welche theils gegen die CA, theils gegen die nach rückwärts gelegene Parietal-
windung (/>) ziehen. Die Radiärfasern zeigten ein ähnliches Verhalten wie in
den degenerirten Frontalwindungen; sie sind also kurz, reducirt, schwach, in-
eomplet gefärbt. Tangentialschicht fehlt vollkommen. — Die mit „p“ bezeich¬
nte obere Parietalwindung weist die höchstgradige Entartung auf. Die
Rinde ist absolut marklos und bedeutend geschrumpft; das Windungsmark be¬
steht aus einer äusserst lockeren, hochgradig reducirten Fasermasse, welche mit
T&ricösem, schwach und schmutzig gefärbtem Mark versehen ist. Um den Qrad
ler Degeneration zu ermessen, genügt es, die „C A“ mit zu vergleichen;
dort imponirt das tief gefärbte Windungsmark auf den ersten Blick als gesund,
hier erscheint das hellgrau tingirte Mark als hochgradig rareficirt und krank. —
Hinter dem pathologischen Lobulus parietalis superior folgt der Occipital-
ltppen (o,, o 2 = gyr. occipitalis superior et inferior; sos = sulc. occipitalis
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58
superior); sein Mark ist blau gefärbt, (also nicht tiefblau, weist daher einen ge¬
wissen Faserausfall geringeren Grades auf), die Radiärschicht ist in rareficirter
Form, besonders in der oberen Occipitalwindung vorhanden, während die untere
Occipitalwindung diese nur angedeutet enthält; Tangentialfasern fehlen fast ganz.
— Der Lobulus lingualis ( LL) weist ähnliche Verhältnisse auf. Das Ammons¬
horn zeigt einen an Fasern geschwächten Alveus; Fimbria verhält sich ähnlich.
Interessante Momente bietet ein Sagitt&lschnitt, welcher ganz lateral, die
Kuppe der Insel treffend, verläuft. Bei „S“ befindet sioh die SvLviüs’sche
Spalte, in deren Tiefe wir die vollkommen entmarkte REiL’sche Insel erblicken;
daselbst befinden sich die tiefen Querwindungen des Temporallappens, der
Gyrus temporalis profundus {Tp), welcher ein blaues, also etwas ge¬
schwächtes Windungsmark, etwas rareficirte Markstrahlen, jedoch schön ent¬
wickelte Zonalfasern, sowie gut angedeutete mittlere Tangentialfasern aufweist.
Dieses, den normalen Verhältnissen nahestehende Verhalten ist an den übrigen
Temporalwindungen nicht zu constatiren, denn wie ein Blick auf T x und
also auf die erste und zweite Temporalwiudung lehrt, sind diese Stellen höchst-
gradig entartet. Im geschrumpften Cortex findet sich keine einzige Markfaser,
und das Windungsmark ist ungemein rareficirt, denn es besteht aus einem
äusseret lockerem Geflecht von varicösen, schwach gefärbten, atrophisch erschei¬
nenden Markfa8em. — Gegen den Occipitallappen zu erholt sich das Win¬
dungsmark successive, besondere in der 2. und 3. Windung (o 2 , o 3 ) sieht man
bereits fast dunkelblaues Mark; die Markstrahlen sind jedoch fleckartig fehlend;
Zonalfasern fast ganz fehlend. — Der untere Parietallappen {Pi) weist
hingegen intensivere Veränderungen auf; die Marksubstanz hellblau, also rare-
fioirt; Markstrahlen fehlen fast durchwegs, Zonalfasern nirgends sichtbar. —
Von den Centralwindungen zeigt besonders die vordere beinahe ganz nor¬
male Verhältnisse, auch die austossenden Theile der 2. Frontal Windung steht
gleichfalls nahe zum normalen Bild, während die polaren und basalen Frontal¬
windungen bereits intensivere Degeneration erkennen lassen. Die hintere
Centralwindung ist hier am lateralen Sagittalschnitt viel weniger erkrankt
als an den mittleren und medialen Sagittalsohnitten.
Rdsumiren wir unsere Befunde bezüglich des geschilderten Paralysefalles l ,
so gelangen wir zu folgendem Schluss:
I. Relativ wenig litten durch den paralytischen Degenerationsprocess
folgende Bezirke der Hemisphäre: 1. Centralwindungen und die benachbarten
Frontalwindungen, 2. die Lippen der Fissura calcarina, 3. Gyrus tempo¬
ralis profundus.
II. Hochgradig degenerirteu: 1. die polaren und basalen Frontal Win¬
dungen, 2. der ganze Parietallappen, 3. die hintere Centralwindung,
4. die Insel, 5. die Temporalwinduugeu. Viel weniger litt, und zwar be-
* Derselbe fand eine eiugehende Schilderung in meinem Buche: „Anatomisch-
klinische Vorträge aus dem Gebiete der NervenpatÜologie." 9. Vortrag. 1901.
Jena. G. Fischer.
Diqi
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59
züglich des Grades der Affection zwischen I. und II. stehend der Oocipital-
Japptjn.
Ein zweiter Fall von typischer Paralyse bot genau dieselben Verhältnisse,
daher gehe ich auf die Schilderung meines 3. Falles von Taboparalyse über.
Derselbe wurde auf Horizontalschnitte, welche gleich der Sagittalrichtung
einen ausgedehnten Einblick in die Vertheilung des Degenerationsprocesses ge¬
statten, untersucht. Es ergab sich dabei folgendes.
Fig. 4 stellt einen Horizontalschnitt des Centrum semiovale Vieussenii dar.
Schon der erste Blick lehrt, dass die Degeneration hier eine in toto iutensivere
ist wie in den beiden ersten Fällen. Die Frontalwindungen erlitten die
denkbar stärkste Entartung, d. h. Rinde total entmarkt Die Marksubstanz
Fig. 4.
hoch tgradig rareficirt, blassgrau gefärbt. Der Gyrus fornicatus (L) verhält
sich genau so, wie die Fontalwindungen. Der obere Parietallappen (/*),
»wie die hintere Central Windung sind ebenfalls stark degenerirt, jedoch
Qm einen Grad geringer, als der Frontal lappen. Die vordere Centralwin¬
dung, sowie die benachbarte obere Frontalwindung (zwischen sca = sulc.
centr. ant und /, = sulcus frontalis II.) erscheinen im Verhältniss zu den po¬
laren und medialen Frontalwindungen relativ viel weniger entartet, denn das
Win'iangsmark ist lichtblau, die Markstrahlen, wenngleich reducirt an Zahl,
sowie an Stärke, sind doch vorhanden, die Zonalfasern fehlen jedoch vollkommen.
Dieses Verhalten ist an der vorderen Central Windung nur an ihrem, der vorderen
Centralfurche [sca) zugekehrten Rande zu constatiren; die Windungsoberfläche,
fowie der der hinteren Centralwinduug zugekehrte Rand sind hochgradig
tffiört. — Schliesslich sei der Zustand des Occipitallappens (o) erwähnt;
man findet daselbst ein lichtblaues Winduugsmark, geschwächte Markstrahlen
und fehlende Zonalfasern.
Fig. 5 zeigt uns einen Horizontalschnitt in der Höhe des beginnenden
K p elknies; wir finden an demselben sämmtliche Lappen der Hemisphäre auf.
Dn Frontallappen weist ein ähnliches Verhalten auf wie in Fig. 4; der
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60
Cortex ist vollkommen marklos, das Windungsmark lichtblau, also auffallend
reducirt Die Centralwindungen (um R = sulcus centralis herum) litten
etwas weniger, ihr Mark ist blau, daher faserreicher wie jenes des Frontallappen.
Die Insel ist gleich den Frontal Windungen hochgradig erkrankt, während die
tiefe Temporalwindung, noch mehr die erste Temporalwindung (T), weniger er¬
griffen erscheinen; neben dem blauen Windungsmark giebt es auch Markstrahlen,
wenngleich diese auch rareficirt erscheinen. Das untere Parietalläppchen
(P 2 ) ist hochgradig markarra, während die obere Occipitalwindung (oj), noch
mehr aber die Lippen der Fissura calcarina (c) ein dunkelblaues Windungsmark
einen wohl markirten Yicq D’Azvß’schen Streifen sehen lassen; Markstrahlen
etwas reducirt, ebenso die Zonalfasern. Auffallend entmarkt erscheint der hintere
Fig. 5.
ebenso auch der vordere Theil des Gyrus fornicatus (L, L). — Interessant ist
der Temporallappen. Seine I. Windung, sowie die tiefe Windung zeigen eine
relativ schwache Degeneration, während die II. und III. Windung, wie wir sofort
(am nächsten Schnitte) sehen werden, die denkbar grösste Entartung aufweisen.
Schliesslich möchte ich einen basalen Schnitt beschreiben, welcher den
Temporal- und Frontallappen passirt. Hier fallt die fast totale Entmarkung
auf; das Windungsmark ist schmutziggrau, also aus einem höchstgradig rare*
ficirten und atrophischen starkfaserigen Geflechte bestehend; die Rinde ist voll¬
kommen entfasert Einzig das Ammonshorn weist am Schnitte Mark auf,
namentlich der aus dem Alveus entspringende Faserzug, der Fasciculus longit
inferior (Flechsig’s centrale Riechbahn) erscheint schön blau gefärbt
Ueberblicken wir nun die Resultate des 3. Falles (Taboparalyse), so ergiebt
sich genau dasselbe Verhalten wie in dem 1. und 2. Falle. Die relativ geringere
Entartung erlitten: 1. die vordere Centralwindung, sowie die nächste Fron¬
talwindung, 2. der Cuneus, 3. die erste und tiefe Temporal windung und
4. die Faserung des Ammonshorns. Hingegen erscheinen: 1. die Frontal¬
windungen, 2. die hintere Centralwindung und das Parietalläppchen,
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61
3. die Insel, 4. der Gyras fornioatus und 5. die 2. und 3. Temporal¬
windung höchstgradig entartet. Immerhin sei aber hervorgehoben, dass der
Fall von Taboparalyse, wenngleich bezüglich der Topographie der Degeneration
mit den Fällen von typischer Paralyse übereinstimmend, jedoch in betreff der
Intensität der Degeneration eine höhere Entwickelung zeigt
Zosammengefasst meine Beobachtungen, möchte ich als eine bervorspringende
Thitaache bezeichnen, dass bei der Paralyse relativ verschont die centralen
Sinnesfelder bleiben, während die ausgeprägteste Degeneration hauptsächlich jene
Bezirke der Hemisphäre leiden, welche Flechsig als seine Associationsoentren
nannte. Diese meine Beobachtung erhält von Steuerung \ bekanntlich eines
Gegners der FLECHSio’schen Lehre, eine Stütze, indem dieser Forscher bei starker
Differenzirung eben jene Fasern bei Paralyse für resistenter fand, welche ihr
Mark bei der fötalen Medullarisation zuerst erhalten; nun entsprechen diese
tot ausschliesslich den centralen Sinnesbahnen, somit den centralen Sinnesfeldern.
Auf den Streit einzugehen, welchen die FLEGHSio’sche Lehre entfesselte,
fühle ich mich an dieser Stelle nicht veranlasst Für den objectiven Beobachter
ist jedoch Eins sicher: die durch Flechsig aufgerollte Frage ist durch seine
Gegner nicht in jeder Beziehung gelöst, mit anderen Worten, die Lehre
von den Associationscentren ist bei Weitem noch nicht vernichtet Allerdings
erfuhr dieselbe durch Dejebine, Monakow, Siemerling, 0. Vogt eine Recti-
fiarung; doch lässt sich andererseits nicht leugnen, dass es Beobachtungen der
Nannalanatomie, sowie der Pathologie giebt, welche sehr zu ihren Gunsten
sprechen.
So erachte ich in erster Linie die neueren Untersuchungen Ramön y Cajal’s *
üb« die feinste mikroskopische Topographie der neugeborenen und fötalen Gross-
himnnde des Menschen für die FLECHsio’sche Lehre als äusserst wichtig. Cajal
wies bekanntlich in den Sinnescentren der Grosshirnrinde einen specifischen
Plexus nach, welcher aus centripetalen Fasern bestehend, in der motorischen
i Rinde, also in der Körperfühlspäre Flechsiges in der Höhe der mittelgrossen
Pyramiden, in der Sehrinde in der Höhe der sternenformigen Nervenzellen endet
Bänglich der feineren Einzelheiten dieses specifischen Plexus verweise ich auf
die erwähnte Arbeit Cajal’s; hier genügt die Betonung des von Cajal hervor-
I gehobenen Umstandes, dass dieser Plexus in den FLECHSio’schen Associatious-
tentren fehlt, somit ein negatives Charakteristicum dieser Hemisphärenbezirke
darstellt Aus Cajal’s Untersuchungen sei ferner als sehr wichtiges Factum
»wähnt, dass die Rinde der hinteren Centralwindung einen solchen specifischen
Plexus wie die Sinnescentren nicht besitzt und bezüglich seines feineren
Baues vielmehr mit jenem der Associationsrinde übereinstimmt. Nun sahen wir
i bei der Beschreibung der Rindenentartung der Paralyse, dass die hintere Central-
I Windung ebenso degenerirt erscheint wie die typischen FLECHSio’schen Rinden-
I steilen, wie etwa der Frontal- oder Parietallappen, und durch dieses Verhalten
1 Ueber Markscheidenentwickelung des Gehirns und ihre Bedeutung für die Locali-
»tion. Neurolog. Centrolbl. 1898. Nr. 20.
1 Studien Ober die Hirnrinde des Menschen. Die Bewegungsrinde. 1900.
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62
mit der relativen Intactheit der vorderen Centralwindung lebhaft contrastirt
Wir sehen also, dass die normal-anatomischen Merkmale wie auch das patho¬
logische Verhalten die hintere Ceutralwindung übereinstimmend für associa-
tiver Natur declariren. — Cajal bestätigt ferner auf Grund seiner eigenen Unter¬
suchungen Flechsig’s jene Beobachtung, dass die Fasern der Associationscentren
später auftreten. So hebt besonders Cajal hervor, dass beim neugeborenen
Kind, sowie bei einzelnen kleinen Säugethieren (Maus, Kaninchen) die Associations-
oentren fast gar keine exogene Endfasern zeigen, ebenso zeichnen sich die Pyra¬
midenzellen, sowie die Nervenzellen der plexiformen oder zonalen Schicht durch
ihr embryonales Aussehen aus.
Cajal hält seine Resultate mit der FLECHßio’schen Lehre für vollkommen
übereinstimmend und für ihn erscheint der anatomisch-physiologische Dualismus
der Hirnrinde schon a priori für äusserst rationell. Von Flechsig weicht der
spanische Forscher nur in einem Punkt ab, indem er das Charakteristicum der
Associationscentren nicht im Mangel von Projectionsfasern, sondern im Mangel
seines specifischen Endplexus erblickt Ebenso hebt Cajal gegen Flechsig
hervor, dass die Associationscentren keineswegs der ausschliessliche Besitz der
Anthropoiden seien, vielmehr auch bei glatthirnigen Thieren Vorkommen.
Die Bedeutung der FLECHsio’schen Lehre erhellt jedoch nicht nur aus den
soeben angedeuteten Thatsachen der Normalanatomie, sondern sie geht eigentlich
aus gewissen Daten der Pathologie, bezw. Pathohistologie überzeugend hervor.
Flechsig wies in seiner Arbeit über „Gehirn und Seele“ bereits hierauf hin,
und wirft die Frage auf, ob es Krankheiten gäbe, welche auf einige oder
mehrere der von ihm demonstrirten Associationscentren sich erstrecken? Bei
dieser Frage hebt er die progressive Paralyse hervor und bemerkt sehr richtig,
dass zur Gewinnung von exacten Auffassungen und Ansichten Sagittalschnitte
durch eine ganze Hemisphäre nothwendig wären. Nun konnte ich an Total¬
schnitten in zwei Fällen von typischer Paralyse und in einem Falle von Tabo-
paralyse (in welchem aber die Paralyse klinisch gleichfalls typisch erschien)
nachweisen, dass der Degenerationsprocess jene Bezirke der Grosshirn-
hemisphäre vorzugsweise befällt, welche Flechsig als seine Associatieiu*
centren bezeichnete. Diese Thatsache führt eine beredte Sprache im Interesse
der FLECHSiG’schen Lehre, doch gewinnt diese eine weitere und kräftige Stütze
durch neuere Beobachtungen von Storch 1 über atypische Paralyse. Dieser
Autor bearbeitete aus Lissaüer’s Nachlasse so klinisch wie histologisch Fälle
von Paralyse, in welchen der geistige Verfall kaum bemerkbar war, hingegen
die sogen, paralytischen Anfalle im Vordergrund standen und auch das Gepräge
des Falles ausmachten. Bezüglich der äusserst werthvollen Einzelheiten der
STORCH’schen Arbeit verweise ich aufs Original; hier genügt allein noch die Er¬
wähnung jener Thatsache, dass histologisch in solchen Fällen das Stirnhirn re¬
lativ frei blieb und die paralytische Rindendegeneration auf jenen Hemisphären-
1 Ueber einige atypische Fälle progressiver Paralyse. Monatsschr. f. Psych. n. Neu-
rolog. 1901.
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bezirk sich beschränkte, welcher die Stätte des paralytischen Anfalles abgab. So
erwähnt er Fälle, in welchen klinisch corticale Monoplegie, corticale Blindheit,
sowie Taubheit vorhanden war; histologisch litten speciell die motorische Zone,
bezw. die Sehrinde (Fissura calcarina), bezw. die erste Temporalwindung. Storch
nennt derartige Fälle atypische Paralysen: sie sind atypisch, so in Bezug
ihrer Localisation, wie ihres Ablaufes. Je mehr aber in solchen atypischen
Fällen die Affection des Stirnhirns sich nachweisen lässt, um so mehr nähert
sich der Fall der typischen, dementen Paralyse.
Wir sehen also, dass die atypische Paralyse ein Gegenstück der
typischen Paralyse bildet; bei der ersten giebt es geringe Abschwächnng
der Association mit so klinisch wie anatomisch topischen Veränderungen der
Sinnescentren, bei Freilassung der FLECHSio’schen Associationscentren; bei der
zweiten prävalirt die Associationsschwäche mit der Degeneration der Flechsig’-
schen Associationsbezirke bei relativem Verschontlassen der Sinnescentren.
Diese Thatsaehen der Pathologie sprechen abermals zu Gunsten jener
FLBCHSiG’schen Auffassung, dass die extrasensoriellen Rindenbezirke vorwiegend
associativer Natur sind.
Schliesslich hätte ich noch einige Bemerkungen über die oben geschilderte
Topographie der Degeneration.
Ich hob die stärkere Erkrankung der hinteren Centralwindung hervor und
erklärte dieselbe mit Cajal so, dass diese Windung nicht so sehr Sinnes-, als
vielmehr Associationsrinde sei. Weiterhin bemerkte ich, dass nicht allein die
vordere Centralwindung, sondern auch die angrenzenden Theile der Frontal-
Tindungen relativ verschont bleiben. Bereits Flechsig’s Untersuchungen geben
eine Erklärung für diese Befunde, jedoch giebt es Beobachtungen der patholo¬
gischen Histologie, welche dieselben erklären. Aeusserst lehrreich finde ich in
dieser Beziehung die Thatsachen der electiven Erkrankungen der motorischen
Leitungsbahnen, namentlich das Verhalten der motorischen Zone bei der amyo-
trophischen Lateralsklerose. Die schöne Beobachtung von Probst 1 ergab, dass
die meisten Veränderungen die vordere Centralwindung darbot, ebenso die oberste
Sömwindung und die angrenzende zweite Frontalwindung in ihrem Uebergangs-
theile zur vorderen Central windung; die hintere Central windung zeigte nur
massige Veränderungen. Auch in den Fällen von amyotrophischer Lateralsklerose
von Charcot und Marie, sowie von Koschewnikoff und Mott war die
hintere Centralwindung bedeutend geringer afficirt als die vordere.
Oben wies ich nach, dass bei der Paralyse genau jener Rindenbezirk von
der Degeneration verschont bleibt, welcher bei der amyotrophischen Lateral-
vklerose erkrankt. In gleicher Weise verschont der paralytische Entartungs-
proceas gesetzweise das corticale Seh- und Hörfeld. Hieraus erhellt doch ohne
Weiteres, dass die Rindendegeneration der Paralyse keine gesetzlos
diffuse, sondern im Gegentheil eine gesetzmässig einsetzende elec-
tire Erkrankung der Grosshirnrinde darstellt.
1 Zu den fortschreitenden Erkrankungen der motorischen Leitungsbahnen. Archiv f.
M- xxx.
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64
II. Referate.
Anatomie.
1) Zur Kenntniss des Sagittalmarks und der Balkenfasern des Hinterhaupt¬
lappens, von Probat. (Jahrb. f. Psych. u. Neurol. XX. 1901. S. 320.)
Verf. giebt eine genaue Beschreibung der Faserung des Hinterhauptlappens
beim Menschen, die er auf Grund pathologisch-anatomischer und experimenteller
Fälle studirte. Besonders eingehend wird das laterale und mediale Stratum sagittsle
des Hinterhauptlappens und das Tapetum, sowie die vom Hinterhanptlappen ent¬
springenden Balkenfasern geschildert, wobei neue Thatsachen festgestellt werden.
Es wird die Faserung des Balkenlängsbündels (Probst) und des Fasciculus sub-
callosus (Muratoff) geschildert. Das Tapetum wird im normalen Gehirn nicht
von einem Stirnhirn-Hinterhauptsbündel (im Sinne von Forel-Onufrowicz) ge¬
bildet. Im Sagittalmarke des Hinterhauptlappens verlaufen hauptsächlich Seh¬
hügelrindenfasern und Rindensehhügelfasern, wobei die ersteren mehr die laterale,
letztere mehr die mediale Partie bilden. Ein hinteres unteres Längsbündel im
Sinne eines Hinterhauptschläfenlappenbündels existirt in der Stärke, wie es bisher
angenommen wurde, nicht; jedenfalls ist die Hauptfaserung im Sagittalmarke des
Hinterhauptlappens die der Rindensehhügel- und der Sehhügelrindenfasern. Von
den lateralen Windungen des Hinterhauptlappens lassen Bich auch Fasern in das
mediale Tapetum der gegenüberliegenden Hemisphäre verfolgen, wie dies Verf. an
einem Falle nachweist, der an lückenlosen Serienschnitten nach Marchi durch
die ganze Hemisphäre beiderseits durchforscht wurde.
60jährige Frau erlitt vor einem halben Jahre einen Schlaganfall, worauf
vorübergehende Lähmung der rechten Körperseite und Abnahme der Intelligenz
eintrat. Bei der Aufnahme (Irrenanstalt) zeigte die verworrene Kranke das Bild
der senilen Demenz auf arteriosklerotischer Basis. Die Pupillen waren gleich,
langsam reagirend, ohne hemiopische Reaction, die linke Lidspalte ein wenig enger;
es bestand Hemianopsie nach rechts. Lähmung der linksseitigen Extremitäten.
Patientin konnte Gegenstände nicht bezeichnen. Später conjugirte Abweichung der
Bulbi nach rechts. Bei der Obduction fand sich eine Erweichung der lateralen
Windungen des Hinterlappens. Der Fall wird an der Hand von mikroskopischen
Frontalschnitten (zwei photographische Tafeln) histologisch genau erörtert, und
die obigen Schlüsse daraus gezogen.
Der Sehhügel ist vermuthlich ein sehr wichtiger Knotenpunkt für das Zu-
sammeuspiel der verschiedenen Centren auf der GrosBhirnrinde. Pilcz (Wien).
2) lieber den Verlauf der oentralen Sehfasern (Bindensehhügelfasern)
und deren Endigung im Zwischen- und Mittelhirn und über die
Assooiations- und Commissurenfasern der Sehsphäre, von M. Probst.
Aus dem Laboratorium der Landes-Irrenanstalt in Wien. (Archiv f. Psych.
XXXV.)
Verf. trug einer erwachsenen Katze die Rinde der linken Sehsphäre ab, und
zwar den occipitalen Pol der 1. und 2. Aussenwindung und einen daran stossenden
Theil der 3. Aussenwindung und konnte dann die Rinden sehhügelfasern dieser
Rindenpartie mit grosser Genauigkeit zum Zwischenhirn verfolgen und ihre
Endigungsstätte auf lückenlosen Serienschnitten studiren. Betreffs der in Folge
der Verletzung der Sehsphäre auftretenden Faserdegenerationen ist das Nähere im
Original nachzulesen, hier sei nur auf folgende Ergebnisse aufmerksam gemacht:
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65
Nach Abtragung der Sehsphäre bleibt die obere Schicht der zonalen Fasern
des vorderen Zweihügels wohl erhalten, die untere Schicht degenerirt hingegen
rollständig.
Die Sehsphäre steht sowohl mit dem gleichseitigen als auch durch einige
Fasern mit dem gegenüberliegenden caudalsten Theile des vorderen Zweihügels
in Verbindung.
Ln Körper des Balkens waren hauptsächlich die dorsalen Faserpartieen
degenerirt, entsprechend den abgetragenen Rindenpartieen der 1., 2. und 3. Aussen-
rindung. Im vorderen Zweihügelarm verlaufen die degenerirten Sehsphärenfasern
in zwei Zügen zum Sehhügel hin. Der Seitenventrikel ist auf der Verletzungs¬
leite beträchtlich erweitert.
Die meisten Fasern der Sehsphäre enden im Pulvinar- und lateralen Seh-
Aügelkem. Die centrale Sehbahn, die sowohl aus Rindensehhügelfasern als aus
Sehhügelrindenfasern besteht, verbindet Zwischenhirn und Sehsphäre auf zweifachen
Bahnen. Der Theil der centralen Sehbahn, welcher seine Ursprungsganglienzellen
in der Sehsphäre besitzt, entsendet hauptsächlich seine Fasern auf dem Wege der
medialen Sagittalschicht zum Zwischenhirn, während der Theil der centralen Seh¬
bahn (Sehhügelrindenfasern), welcher im Pulvinar und lateralen Sehhögelkern
seine Ursprungsganglienzellen besitzt, ausschliesslich auf dem Wege der lateralen
Sagittalschicht zur Sehsphäre zieht.
Verf. weist schliesslich auf die grosse Wechselbeziehung, in welcher der
Sehhügel mit der Grosshirnrinde steht, Jiin. Kurt MendeL
Experimentelle Physiologie.
3) Die Bedeutung der Hinterstrftnge des Büokenmarks für die Leitung
des Muskelsinns, von Dr. J. Borowikow. (Dissertation. St. Petersburg,
1900. [Russisch.])
Eine experimentelle Untersuchung aus dem v. Bechterew’sohen Laboratorium.
Der Darstellung eigener Versuche geht eine kritische Besprechung verschiedener
Auffassungen des Muskelsinns voran. Darauf folgt eine Zusammenstellung experi¬
menteller Angaben und klinischer Beobachtungen mit Sectionsbefund, die auf die
Beziehungen der Hinterstränge zum Muskelsinn und Tastgefühl hinweisen. Die
eigenen Versuche des Verf.’s bestanden in Durchschneidung der Hinterstränge des
Rückenmarks an Hunden. Er beschreibt ausführlich 14 Fälle, in denen die Thiere
2—7 Wochen lang nach der Operation am Leben gelassen wurden. Die Durch¬
trennung der Hinterstränge wurde vorzüglich am Lenden- und unteren Dorsalmark
Torgenommen, in einigen Versuchen am Halsmark. Meistens wurden beide Hinter¬
stränge durchschnitten. Vor der Operation wurde jedes Thier genau untersucht
io Bezug auf seine Gangart, Tastsinn, Schmerzgefühl, Sehnenreflexe und die Fähig¬
keit, unbequeme und ungewohnte Positionen der Pfoten zu corrigiren. Zur Ermög-
liehung einer objectiven Schätzung der Gangart der Versuchsthiere beschmierte
Verf. ihre Pfoten mit verschiedenen Farben und Hess sie auf Streifen weissen
Papiers herumgehen; die Abdrücke der Pfotenstellung wurden dann photographirt,
and diese Abbildungen gestatten anschauliche Vergleiche zwischen dem Gang vor
and nach der Operation zu ziehen. In jedem Versuche wurde durch mikroskopische
Untersuchung des Rückenmarks der Nachweis geführt, dass in der That die Hinter¬
stränge durchschnitten waren. In allen Fällen stellten sich Störungen der Coordi-
nation der Bewegungen ein, der Gang wurde atactisch, zuweilen taumelnd. Zu¬
gleich verloren die Thiere die Fähigkeit, unregelmässige und unbequeme Stellungen
ihrer Pfoten zu corrigiren — mit anderen Worten: der Muskelsinn in den Ex¬
tremitäten war herabgesetzt oder ganz weggefallen. Die Hautsensibilität dagegen
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blieb unverändert, wenn die Hinterstränge allein durchtrennt waren; nur bei
Läsion der grauen Hinterhörner stellte sich eine Herabsetzung der Hautßensibilität
ein. Die Sehnenreflexe blieben bei der durch Läsion der Hinterstränge ver-
ursachten Coordinationsstörung unverändert. Wenn nur ein llinterstrang durch¬
trennt war, so wurde die Coordinationsstörung und Herabsetzung des Muskelsinns
vorzüglich an den der lädirten Seite entsprechenden Extremitäten beobachtet, und
in sehr geringfügigem Maasse an den gegenüberliegenden, woraus Verf. schließt,
dass eine Kreuzung der Hinterstrangsfasern in unbedeutendem Umfange stattfindet.
P. Rosenbach.
Pathologische Anatomie.
4) Weitere Beiträge zur Pathologie und pathologischen Anatomie des
unteren Büokenmarksabsohnittes, von Dr. L. R. Müller, Priv.-Doc. und
Oberarzt an der medicin. Klinik in Erlangen. (Deutsche Zejtschr. f. Nervenheilk.
1901. XIX.)
I. 37jähriger Handlanger, Frühjahr 1887 Sturz aus einer Höhe von 10m
und Verletzung im Kreuz durch einen nachfolgenden Gerüstbalken. Nach längerer
Bewusstlosigkeit vollständige Hemmung der Beweglichkeit des Kopfes, der Arme
und Beine, welch letztere sich erst nach Verlauf von 6 Wochen wieder einstellte.
Incontinentia urinae et alvi, aber Erhaltenbleiben der geschlechtlichen Functionen
und nach dem Unfall Zeugung von 2 Kindern. In der ersten Zeit noch Wollust-
gefühl beim Coitus, später Schwinden desselben und stets empfindungslose Ejacn-
lation. Die drei ersten Lendenwirbel springen kyphotisch vor, die unteren Lenden¬
wirbel sind lordotisch vertieft. Abductoren der Beine und Auswärtsrollen der
Hüftgelenke paretisch. Beide Glutaei und sämmtliche Muskeln der Unterschenkel
und Füsse vollkommen gelähmt, erstere stark atrophisch, Hinterseite der Ober¬
schenkel abgeflacht. In dem übermässig kräftigen Quadriceps cruris bemerkt
iüan beiderseits grob fibrilläre und fasciculäre Zuckungen. Gehen war bei doppel¬
seitiger Unterstützung möglich. Hinterseite der Oberschenkel, Damm nebst einer
ovalen Zone um den After sowie beide Füsse bis zu den Malleolen vollkommen
anästhetisch. Am Scrotum und Penis Herabsetzung der tactilen Sensibilität und
des Schmerzgefühls mit Dissociation der Empfindung. Hoden stark druckempfindlich.
Muskelsinn überall und Drucksinn, abgesehen von den Füssen, gut erhalten. Von
den Reflexen der unteren Extremitäten sind nur die Cremaster- und Bauchdecken¬
reflexe erhalten. In den unteren Partieen des Mastdarms und der Blase ist noch
dumpfe Empfindung vorhanden. Die Muskeln der Unterschenkel und die Glutaei
reagiren elektrisch gar nicht mehr, der rechte Biceps femoris, Semimembranosns
und Semitendinosus contrahiren sich auf galvanische Reizung schwach mit blitz¬
artiger Zuckung.
Bei der Section fand sich eine Fractur des 1. Lendenwirbels, dessen Körper
nach vorn zusammengedrückt war und wodurch der Wirbelcanal stark verengt
wurde. Die Bandscheiben nach dem 12. Brust- und dem 2. Lendenwirbel waren
völlig verknöchert. An der verengten Stelle ist die Dura mit der Hinterflache
des fracturirten Wirbelkörpers und dem Rückenmarke fest verwachsen und der
Duralsack in die Breite gedrückt.
Unterhalb der etwa 2 l / i om langen Compressionsstelle ist der Duralsack durch
Flüssigkeit prall ausgedehnt. Die gelähmten Muskeln der Unterschenkel, nament¬
lich Ga8trocnemius und Soleus, sowie die die paretischen Muskeln versorgenden
Nerven sind fettig degenerirt.
Die anatomische Untersuchung ergab eine vollständige Zertrümmerung des
Rückenmarks vom 4. Lenden- bis 4. Sacralsegment. Der allerunterste Abschnitt
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des Rückenmarks, welcher den beiden Coccygealsegmenten entspricht, war voll¬
kommen erhalten and die umgebenden Caudawurzeln zeigten sich unbeschädigt.
Da der Kranke an Incontinentia urinae et alvi litt, aber noch vollkommen
teogungsfahig war, so musste eine Verbindung zwischen Reflexcentrum im untersten
Conusabschnitte mit dem Gehirn bestehen. Thatsächlich konnten in dem gliösen
Nirbengewebe, das dem zertrümmerten Sacral- und unteren Lendenmarke ent¬
sprach, neugebildete Faserbündel nachgewiesen werden, welche den Hintersträngen
entsprachen. Ausserdem fand sich im Hals- und Brust-, sowie im obersten Lenden-
urke eine sehr starke Erweiterung des Centralcanals mit breiter markloser Glia-
tooe in dessen Umgebung. Die histologische Untersuchung der gelähmten Muskeln
zeigte, dass es sich nicht um eine eigentliche Verfettung, sondern um eine Fett¬
durchwachsung bei völligem Schwund der eigentlichen Muskelsubstanz handelte.
U. Sturz eines 35jährigen Maurers von einem 2 Stock hohen Gerüst auf den
Sandboden. Keine Bewusstlosigkeit, heftige Schmerzen in der Lendenwirbelsäule,
willkürliche Harnentleerung aufgehoben, im Urin Eiter und Blut, Stuhl angehalten,
gebt auf Abführmittel ohne Fühlung ab. Streckung und Auswärtsrollung der
unteren Extremitäten behindert, Bewegungen in den Füssen und Zehen aufgehoben.
Sehnen- und Hautreflexe an den Beinen geschwunden, Cremasterreflexe undeutlich,
Baachdeckenreflexe sehr lebhaft. Die Grenzen der Anästhesie entsprechen denen
einer Läsion im 5. Lumbalsegment, doch ist die Zone der Analgesie und der
Störung des Temperatursinns grösser und reicht in der Vorderseite der Unter¬
schenkel höher nach oben, als die Beeinträchtigung des Tastsinns, so dass an den
vorderen Theilen der Unterschenkel deutliche Dissociation der Empfindung fest-
gestellt werden kann. Merkwürdiger Weise besteht an den nicht anästhetischen
and nicht analgischen Stellen der Beine eine Hyperästhesie, die nach vorn etwas
über den Nabel und hinten bis zur Hälfte des 11. Brustwirbels reicht. Am
Penis und Scrotum Bind alle Empfindungsqualitäten aufgehoben, Druck auf die
Hoden verursacht Schmerzen. 1. Lendenwirbel etwas prominent und schmerz¬
empfindlich. Nach 10 1 / t Monaten sind die Patellarreflexe wieder auslösbar. Alle
*/j—*/ 4 Stunde am Tage und bei Nacht reflectorische Urinentleerung, ohne dass
Pat davon eine Empfindung hat Stuhl immer noch angehalten und auf Abführ¬
mittel hin Entleerung ohne Fühlung.
Alle Symptome weisen hier auf eine Affection des Rückenmarks hin; wahr-
icheinlich ist nicht der ganze unterste Abschnitt betroffen und sind die beiden
unteren Sacralsegmente und das Coccygealmark erhalten geblieben. Sicherlich
wird der Reflexbogen des Analreflexes erst im Conus medullaris geschlossen und
io spricht dessen Erhaltenbleiben für ein Intactsein des alleruntersten Theiles des
Marks. Dieses Symptom findet sich nach den Beobachtungen des Verf.’s bei der
Compressionsfractur des 1. Lendenwirbels. Von aussen ist dieselbe daran kennt¬
lich, dass in einer kurzen, meist rundlichen Kyphose an dem Uebergange von der
Brust- zur Lendenwirbelsäule der Proo. spinosus des 1. Lendenwirbels am stärksten
vonpringt nnd meist sehr druckempfindlich ist. E. Asch (Frankfurt a. M.).
5) Beschreibung des Centralnervensystems eines 6 tägigen, syphilitischen
Kindes mit unentwickeltem Grosshirn bei ausgebildetem Schädel, mit
Asymmetrie des Kleinhirns, sowie anderer Hirntheile und mit Aplasie
der Nebennieren, von Georg Ilberg. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
XXXIV.)
Aus dem Sectionsbefunde des am 6. Tage nach der Geburt gestorbenen
Kindes, welches das zweite Kind der Mutter (letztere bot keine Zeichen von
Lues) war und in Schädellage geboren wurde, ist Folgendes hervorzuheben:
Während der Schädel sich in seinen MaasBen und in seiner Configuration
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von einem gleichaltrigen Kinderschädel mit normalem Grosshirn nicht allzusehr
unterscheidet, fiel der fast vollständige Mangel ausgebildeten Grosshirns auf; es
hatte demnach keine Beziehung zwischen Schädel- und HirnwachBthum bestanden.
Am Hirnstamm und Rückenmark ist als wichtigster Befund das vollständige
Fehlen der Pyramidenbahn zu verzeichnen. Das Schnitze'sehe Komma in den
Hintersträngen des oberen Cervicalmarks ist ohne Markfasern, die Brücke ausser¬
ordentlich arm an solchen. Thalami optici hochgradigst verkümmert, die mediale
Schleife zeigt starke Defecte. Die Hinterstränge des Rückenmarks besitzen ihr
Mark fast vollständig, nur entbehrt die dorsalste Partie der Goll’schen Stränge
im oberen Halsmark markhaltiger Fasern. Hintere und vordere Rückenmarks¬
wurzeln sind markhaltig.
Im Lumen beider Optici ausserordentlich zahlreiche, zum Theil mit Blut ge¬
füllte Gefässe, im linken Opticus war nicht eine markhaltige Nervenfaser zu sehen.
Bemerkenswerth sind ferner die hochgradigen Asymmetrieen zwischen rechtsseitigen
und linksseitigen Gtosb- und Kleinhirntheilen.
Nebennieren ausserordentlich klein. (Gleichzeitiges Vorkommen von Mangel
oder Kleinheit der Nebennieren und Missbildungen am Grosshirn iBt schon oft
constatirt worden!)
Eine Lebernarbe, vermehrtes Milzgewicht, vereinzelt gefundene Rundzellen¬
herde, von denen namentlich einer in den weichen Rückenmarkshäuten ein structur-
loses Centrum erkennen lässt, sichern die Diagnose der Syphilis.
In einem Nachtrag berichtet Verf. über die Ergebnisse seiner Untersuchungen
des centralen Nervensystems eines 6tägigen normalen Knaben bezüglich der
markhaltigen Nervenfasern. Erst der Vergleich dieses Befundes mit dem in dem
vorstehenden Falle von Ilberg erhobenen lässt erkennen, welche Entwickelungs¬
hemmungen im CentralnervenBystem bei letzterem Falle durch die Aplasie des
Grosshirns, bezw. anderer Hirntheile bedingt sind. Kurt Mendel.
Pathologie des Nervensystems.
6) Ueber die Pupillenbewegung bei schwerer Sehnervenentzündung, von
J. Hirschberg. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47.)
Verf. berichtet über ein 21jähriges Mädchen, die im Mai 1901 in seine Be¬
handlung kam. Seit 1895 datirt das nervöse Leiden der Patientin. Damals
linksseitige Hemiplegie und Ahducensparese. In den folgenden Jahren bald rechts,
bald links Anästhesieen. Es bestand ausgesprochene Anämie, für Lues kein An¬
haltspunkt. Nach Gebrauch von Eisen fast völlige Genesung, bis sie nach einigen
Wochen in Folge eines Schrecks wiederum erkrankte. Anästhesie in beiden Beinen
und Abnahme der Sehschärfe rechts. Da die Pupillenreaktion völlig normal
war, wurde eine hysterische Affection auf anämischer Basis angenommen.
Die Erkrankung des rechten Auges verschlimmerte sich von Tag zu Tag.
Vom 5.— 8. Mai bestand Stockblindheit auf dem rechten Auge bei völlig normalem
Augenhintergrund. Die Pupille ist von mittlerer Weite (S'/jimn), erweitert
Bich aber biB zu fast 8 mm, sobald man das linke gesunde Auge mit der Hand
bedeckt, während sie auf Lichteinfall nicht reagirt. Es wurde sofort eine
Entzündung des rechten Sehnerven hinter dem Augapfel diagnosticirt, und der
weitere Verlauf bestätigte die Diagnose. Nach 2 Tagen konnte mit dem Augen¬
spiegel eine deutliche Sehnervenentzündung festgestellt werden, die etwa
3 Wochen anhielt. Die Sehkraft, die fast 10 Tage hindurch keine Spur von
Lichtschein zeigte, nahm allmählioh wieder zu und am 5. October 1901 ist die
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Sehkraft beiderseits %, das Gesichtsfeld normal, der Sehnerv scharf begrenzt, aber
in der ganzen Scheibe abgeblasst.
Mit der Zunahme der Sehkraft trat auch eine grössere Beweglichkeit der
rechten Pupille auf Lichteinfall ein, und die Erweiterung nach Verschluss des
linken Auges erreichte bald einen physiologischen Grad.
Das Verhalten der Pupille ist also in diesem Falle bezüglich der Diagnose
md Prognose von höchster Wichtigkeit. Fritz Mendel.
7) Etüde sur lee röflexes pupillaires, par Dr. Charles Vidal. Paris 1901.
160 S.
Aus 285 verschiedenen Publicationen hat Verf. mit bewundernswerthem
Fleisse das Material zusammengetragen für seine Studie, die wohl alles, was bis
jetzt über den Pupillarreflex bekannt ist, enthalt.
Nach einigen kurzen Bemerkungen über Reflexe im Allgemeinen giebt Verf.
zuerst eine Darstellung der Pupillen, der Iris, der in dieser endigenden Nerven
mit ihren Centren und einen zusammenfassenden Ueberblick über die verschiedenen
Bewegungen der Iris. Es werden dann im Einzelnen die bis jetzt bekannten
Arten von Pupillenreflex sehr ausführlich behandelt, und zwar der Reihe nach:
1. der Lichtreflex, 2. der Accommodations- und Convergenzreflex, 3. die (nicht
adäquaten) sensitiv-sensoriellen Reflexe, 4. der Haab’sche Aufmerksamkeits-
(flirnrinden-)Reflex, 5. der Gifford-Galassi’sche Reflex (Pupillencontraction
bei energischem Versuche, die Augen zu schliessen), und 6. der Piltz’sche Reflex
(consensuelle Orbicularisreaction). Ein besonderes Kapitel wird den Beziehungen
zwischen dem Lichtreflex und dem Accommodations- und Convergenzreflex gewidmet.
Auch die selteneren, theils physiologischen, theils pathologischen Pupillenphänomene
finden, jedes an seinem Platze, gebührende Würdigung: im Abschnitte über den
Lichtreflex die hemianopische Reaction von Wernicke und die Frenkel’sche
paradoxe Reaction; bei den sensitiv-sensoriellen Reactionen die paradoxe Reaction
von Schiff (Verengerung der Pupille bei faradischer Reizung des Sympathicus
vor Eintritt der normaler Weise erfolgenden Erweiterung), ferner der Reflex von
Pisenti (Hippus bei Catheterisation der Eustacli’schen Röhre). Im Zusammen¬
hänge mit dem Haab’Bchen Hirnrindenreflex wird das Phänomen von Rubino-
vitsch erwähnt (Veränderung der Pupillenweite bei geistiger Anstrengung).
Ein ausführliches Litteraturverzeichniss vervollständigt die gründliche Sammel-
irbeit. Max Neumann (Karlsruhe).
8) Einige Worte über neue Pupillarsymptome, von J. Piltz. (Medycyua.
Nr. 12. 1901. [Polnisch.])
Verf. berichtet über ein Pupillarphänomen, welches von ihm zunächst bei
einem Paralytiker festgestellt wurde. Dasselbe bestand darin, dass beim Zu-
schliessen des Auges und nachheriger Oeflhung desselben eine Pupillenverengung
stattfindet, welche bald darauf in eine Pupillenerweiterung übergeht. Verf. fand
dieses Symptom bei 57°/ 0 Paralytiker (bei der Mehrzahl dieser Fälle war Pupillen¬
starre auf Licht bereits eingetreten). Dasselbe Phänomen fand Verf ferner bei
43°/ 0 Blinder, 28% Katatoniker, 25% Epileptiker und 22% Tabiker. Bei
Gezünden in 2%. Das Phänomen konnte man nicht nur beim Oefihen der 1 Augen
nach vorherigem Zukneifen, sondern auch bei offen bleibenden Augen constatiren,
wenn man die gewollte Zukneifung künstlich verhindert (indem man mit den
Fingern die Augenlider auseinanderhält). Es ist anzunebmen, dass das Phänomen
seine Entstehung der Reizung des Centrums für den Pupillensphinkter verdankt.
Von grossem Interesse sind ferner die Beobachtungen des Verf.'s über die
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willkürliche Verengung und Erweiterung der Pupille bei blossen Vorstellungen
von hellen und dunklen Gegenständen. Diese bereits von früheren Forschern
behauptete Thatsache konnte der Verf. nicht nur bei normalen Menschen, sondern
auch bei Erblindeten feststellen. Physiologisch hat Verf. beim Kaninchen das
Pupillencentrum im Occipitallappen nachgewiesen (Reizung dieser Stelle, welche
an beigegebener Zeichnung bezeichnet wird, ruft Contraction der heterolateralen
Pupille hervor). Edward Flatau (Warschau).
9) Etüde 8ur l’ophtalmopldgie congenitale (ophtalmoplögie oomplexe),
par CabanneB et B. V. Barneff. (Nouv. Icon, de la Salp. XIII.)
Ausser den isolirten und partiellen congenitalen Augenmuskellahmungen, giebt
es noch eine seltenere, bisher weniger beschriebene Form, für welche die Verff.
den Namen „Ophthalmoplegia complexa“ in Vorschlag bringen. Diese Form
entsteht durch angeborene Lähmung fast sämmtlicher Augenmuskeln und wird
charakterisirt durch die Vereinigung folgender Symptome:
1. Ptosis, Lähmung des Reet, sup.;
2. Lähmung oder Parese der Recti interni, externi und inferiores;
3. Lähmung oder Parese der Obliqui (seltener);
4. Integrität der inneren Augenmuskeln (Sphincter pup. und Ciliarmuskel).
Die Verff. haben selbst einen typischen Fall dieser Art untersucht (die sehr
ausführliche Krankengeschichte ist im Original einzusehen) und legen denselben
mit 43 aus der Litteratur gesammelten Beobachtungen ihrer Untersuchung zu
Grunde.
Das Leiden kann allein oder mit anderen Missbildungen verbunden Vor¬
kommen. Es trägt in der Hälfte der Fälle einen erblichen, familiären Charakter.
Die Kranken wenden den Kopf lebhaft nach allen Seiten um zu sehen, beim
Gehen wird er stark nach hinten gebeugt. Die Ptosis ist meist nicht vollständig,
so dass noch eine geringe Oeffhung der Lidspalte möglich ist. Die Augaxen sind
gewöhnlich convergent und nach unten geneigt. Die äusseren Augenmuskeln sind
gewöhnlich mehr oder weniger vollständig gelähmt. Manchmal gesellen sich dazu
noch geringe rotatorische Bewegungen des Augapfels. Wirklicher Nystagmus ist
selten. Die Pupillen sind gewöhnlich gloich und rund, die Reflexe erhalten. Der
Augenhintergrund zeigte nur in einem (von 8 untersuchten Fällen) eine Atrophia
optici, in einem anderen eine weissliche Farbe. Die Sehschärfe ist meist herab¬
gesetzt, Diplopie selten. Das Gesichtsfeld ist schwer zu bestimmen, da die Kranken
gar nicht oder schlecht fixiren können. Farbensinn, Intelligenz und Allgemein¬
befinden normal.
Die Pathogenese ist noch ganz unaufgeklärt. Viele nehmen ausschliesslich
eine Atrophie der Augenmuskeln an, andere eine Bolche der entsprechenden
Nerven. Eine vermittelnde Stellung nimmt Kunn ein, doch entbehrt seine
Theorie bis jetzt noch der anatomisch-pathologischen Grundlage.
Facklam (Suderode).
10) Ophthalmoplegie mit periodischer, unwillkürlicher Hebung und
Senkung des oberen Lides, paralytischer Ophthalmie und einer
eigenartigen optisohen Illusion, von Prof. Dr. v. Bechterew in St. Peters¬
burg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVI.)
Der sehr interessante Fall betrifft eine 24jährige Frau, welche vor 1 / J Jahr
aus unbekannten Gründen unter sehr heftigen Kopfschmerzen erkrankte. Ausser¬
dem bestand damals eine Knochenauftreibung an der rechten Schläfe und es kamen
allmählich Anfälle mit Bewusstseinstrübung, intermittirende Aphasie und eine
complete Ophthalmoplegie hinzu. Bei der Untersuchung findet sich eine rechts¬
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seitige Ptosis, völlige Unbeweglichkeit des rechten Bulbus, stark erweiterte rechte
Pupille, die weder direct noch indirect auf Licht reagirt, sowie verminderte Seh¬
kraft und Accommodationslähmung rechts. Ferner zeigt sich bei der Prüfung deB
binocularen Sehens, dass bei der Blickrichtung nach vorn ein vor dem rechten
Auge befindlicher Gegenstand unmittelbar vor demselben gesehen wird; wird aber
das linke Auge nach links gerichtet, während das rechte in Folge seiner Un¬
beweglichkeit geradeaus steht, so sieht Patientin einen vor dem rechten Auge
befindlichen, das Gesichtsfeld des linken nicht berührenden Gegenstand nicht ge¬
rade gegenüber, sondern in der Richtung der Sehaxe des linken Auges nach links
ihgewichen. Und zwar besteht die Erscheinung nur so lange, bis der vor dem
rechten Auge befindliche Gegenstand durch eine geringe Verschiebung nach links
in das Gesichtsfeld des linken Auges eintritt. Letzteres ist vollkommen normal.
Ausser der Affection sämmtlicher Augenmuskelnerven links findet sich ferner auf
der gleichen Seite eine solche des Facialis, Trigeminus, Opticus, Olfactorius,
Hypoglossus und Glossopharyngeus, sowie eine Parese der rechtsseitigen Ex¬
tremitäten.
Wenn auch eine syphilitische Infection direct in Abrede gestellt wird, so
sprechen doch eine ganze Anzahl von Anzeichen, wie mehrere verdächtige Narben
im Gesicht, die sehr heftigen, auch während der Nacht bestehenden Kopfschmerzen,
die Auftreibung am rechten Schläfenbein und an der rechten Tibia mit Druck¬
empfindlichkeit, irritative Reizzustände im 1. Ast des Trigeminus u. s. w. un¬
zweifelhaft für Lues, welche Annahme durch den weiteren Verlauf eine feste
Stütze gewinnt. So trat naoh der längere Zeit angewandten Behandlung mit
Quecksilber und später mit Jodkali allmählich eine spontane Hebung des rechten
Augenlids ein, die Stirngegend wurde weniger anästhetisch, die Auftreibung an
der rechten Schläfe ging zurück und wurde weniger druckempfindlich und die
Kopfschmerzen verschwanden fast vollkommen.
Verfi nimmt an, dass es sich um eine primäre gummöse Meningitis an der
Hirnbasis (beiderseits) mit Betheiligung einer ganzen Anzahl von Gehirnnerven
der rechten Seite, sowie um eine Arteriitis im Gebiete der linken Art. fossae
Sylvii und nachfolgender Obliteration einer Anzahl von Aesten derselben handelt.
Während die complete Ophthalmoplegie int. stationär blieb, ging die Lähmung
der Muskeln, welche von dem Abducens, Trochlearis und von dem inneren Aste
des Oculomotorius versorgt werden, zurüok.
Ferner ist bemerkenswerth, dass sich bei einer Besserung des rechten Auges
dasselbe nur bei seitlicher Abweichung der Bulbi nach rechts und links frei be¬
wegen konnte. Isolirte seitliche Abweichungen oder solche nach innen bei Con-
vergenz waren indessen nicht möglich. Es spricht dies für den Zusammenhang
zwischen dem Kern des N. abducens der einen und dem des Rectus int. der ent¬
gegengesetzten Seite, ferner wird dadurch bewiesen, dass das Centrum für die
synergische Wirkung des Rectus ext. des einen und des Rectus int. des anderen
Anges in dem Abducenskern zu suchen ist.
Von besonderem Interesse ist die Wiederkehr der spontanen, periodisch sich
wiederholenden Hebung des oberen Lides. Die Erscheinung ist nicht mit einer
periodisch wiederkehrenden Oculomotoriuslähmung zu identificiren und lässt sich
am besten durch einen Erregungszustand des M. levator palpebr. sup. erklären.
Diese Reizungserscheinung ist offenbar eine weitere Folge des luetischen Processes,
der zur Ophthalmoplegie führte. Und zwar handelte es sich wahrscheinlich um
eine dauernde, mäsBige Erregung, die nur zeitweise so weit sank, dass ihre Inten¬
sität nicht genügte, um den gelähmten Muskel in contrahirtem Zustande zu halten.
Die oben etwas ausführlicher geschilderte optische Hlusion sucht Verf. durch die
empiristische Theorie der Bildung unserer Raumvorstellungen von Helmholtz
nnd Wundt zu erklären. Nach derselben ist es ganz gleicbgiltig, welche Form
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die Netzhaut hat, welche Lage das Bild auf derselben einnimmt, und welche
Krümmungen es besitzt. Es handelt sich nur um die Projection der Netzhant
nach aussen von den optischen Medien. Die Richtung, in welcher die geseheneu
Gegenstände zu unserem Rumpf liegen, wird durch das Innervationsgefiihl der
Augennerven erkannt und steht unter beständiger Controlle des durch die Inner¬
vation herbeigefuhrten Lagewechsels des Bildes. Das falsche oder virtuelle Bild
in der Richtung der optischen Axe des abgewichenen linken Auges ist zu erklären
durch die gleichen unwillkürlich durch das Bewusstsein auf das unbewegliche
Auge übertragenen Innervations- und Muskelempfindungen des linken Auges, wo¬
durch das dem rechten Auge angehörende Bild in der Richtung der Sehaxe des
linken Auges verschoben wird. E. Asch (Frankfurt a. M.).
11) lieber Veränderungen im Augenhintergrunde bei Pneumonie, von
A. Peters. (Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 1901.)
Die Mittbeilung ist für die Leser dieses Centralblattes insofern von Interesse,
als der erhobene Augenbefund (verschiedene, scharf begrenzte, weisse, runde, nicht
prominente Herde von */ 4 Papillendurchmesser in der Retina) mit anderen Mo¬
menten zu Gunsten der Diagnose: Miliartuberculose nach Pneumonie sprach. Der
weitere günstige Verlauf aber zeigte, dass es sich um eine PneumokokkensepsiB
gehandelt hat. In einem anderen Falle fand Verf. direct im Anschluss an eine
Pneumonie das Bild einer frischen Chorioretinitis (verschiedene grössere Herde
von 1 / a —1 PapillendurchmeBser und darüber, von rundlicher Form, weissgrauer
Farbe, deutlicher Prominenz und verschwommenen Grenzen), die mit voller Seh¬
schärfe ausheilte. Ernst Schultze.
12) Weitere Beiträge zur Pathologie der Linse, von A. Peters. (Klinische
Monatsblätter für Augenheilkunde. 1901.)
Für die Entstehung des Cataract hat man schon lange und oft Verände¬
rungen des die Linse ernährenden Kammerwassers verantwortlich gemacht
Experimentell Hesse sich die Ansicht zwar nicht stützen, und eine chemische
Analyse bot grosse, zum Theil unüberwindliche Schwierigkeiten. Es lag daher nahe,
nach Veränderungen desjenigen Organs zu suchen, welches das Kammerwasser
producirt, und in der That fand Verf. bei einer Kranken, die intra vitam au
Tetanie, Nephritis und an minimalen Trübungen der vorderen Corticalis gelitten
hatte, Veränderungen an den Epithelien der Ciliarfortsätze. Gleiche Befunde
hatte früher schon Schön erhalten, aber Schön führte den Cataract und die
Epithelveränderungen auf die in Folge von Ciliarmuskelkrämpfen erzeugte Zerrung
durch die Zonulafasern zurück. Verf. indess, der den Ciliarmuskelkrämpfen sehr
skeptisch gegenübersteht, ist der Ansicht, dass die Tetanie die Ursache der
Epithelveränderungen und dann wieder die Ursache des Cataract ist. In dieser
Ansicht wurde Verf bestärkt durch die Ermittelung eines ganz ähnlichen anato¬
mischen Befundes bei altem Cataract. Bei Diabetescataract sind weniger die
CiHarfortsätze als die Pigmentschicht der Iris betroffen, deren Betheiligung an
der Production von Kammerwasser von vielen Seiten angenommen wird. Aehnlichen
Erkrankungen begegnet man schliesslich bei artificiell erzeugten Cataracten (Unter¬
bindung der Venae vorticosae, durch Einwirkung der Funken einer Leydener
Flasche, Naphthalinvergiftung).
Der Cataract und die Epithelveränderung kann man, wenn man auch
mancherlei dagegen einzuwenden vermag, in einen ursächlichen Zusammenhang
bringen. Das Bindeglied stellt eine quantitative Aenderung der normalen Bestand¬
teile des Kammerwassers dar. Das Kammerwasser zeigt bei verschiedenen
Formen von Cataract einen erhöhten Gehalt an Eiweiss, dessen Ursprung Verf.
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nicht auf die Linse, sondern auf die veränderten Epithelien der Nachbarschaft
znrückfuhrt. Weiterhin fand aber Yerf. die anorganischen Bestandtheile des
Kunmerwassers, nach Naphthalindarreichung, bevor schon die Linse makroskopisch
nhrnehmbar verändert war, und constant vermehrt. Er bediente sich hierbei
der vergleichenden Concentrationsbestimmung durch Ermittelung der elektrischen
Leitfähigkeit.
Dass eine Zunahme des Eiweissgehalts des Kammer wassere eine Ernährungs¬
störung der Linse nach sich zieht, ist sehr unwahrscheinlich. Andererseits aber
haben geringfügige Concentrationsänderungen des Kammerwassers schwerwiegende
Folgen für die Linse dank der osmotischen Druckerhöhung.
Die Annahme, dass alle Cataractformen einen erhöhten Salzgehalt des Kammer-
vusera aufweisen und die Linse im Wesentlichen durch Osmose ernährt wird,
gewinnt dadurch noch an Wahrscheinlichkeit, als sie viele Erscheinungen und
Tbatsachen aus dem Gebiete der Pathologie der Linse erklärt.
Ernst Schultze.
18) Ueber springende Mydrlaais, von Dr. C. Gessner, Augenarzt in Bam¬
berg. (Münchner med. Wochenschr. 1901. Nr. 11.)
Yerf. beobachtete die Erscheinung der springenden Mydriasis in einem Fall
tob chronischer Myelitis des Halsmarks bei einer 32jährigen Patientin, deren
ophthalmoskopische Untersuchung ausserdem ein Verwaschensein der temporalen
Papillenhälften ergab. Pupillenstarre hatte sich nicht entwickelt, auch war die
Aceommodation nicht beeinträchtigt.
Yerf ist der Ansicht, dass das Auftreten der springenden Mydriasis bei
normaler Reaction der Pupillen und beim Fehlen sonstiger Anhaltspunkte noth-
wendiger Weise nicht von übler Prognose sei.
(Leider werden in der sehr kurzen Krankengeschichte nicht die mindesten
Beweise erbracht, die für das Vorhandensein der so bestimmt diagnosticirten
Myelitis des Halsmarks sprechen. Ref.) G. Asch (Frankfurt. a/M.).
14) Atrophie optique heröditaire, par M. E. Gallemaerts. (Policlinique.
X. Nr. 7.)
In einer klinischen Besprechung werden 4 Kranke vorgestellt, welche sämmt-
iich an Opticusatrophie leiden. Zwei von den Kranken, im Alter von 51 und
13 Jahren, zeigen ausserdem die ausgesprochenen Symptome einer Tabes dorsalis,
röhrend die beiden anderen, Bruder und Schwester, im Alter von 18 und
33 Jahren, sonst gesund sind. In diesen letzten beiden Fällen handelt es sich
am eine familiäre Krankheit, welche nach Leber die Bezeichnung „hereditäre
Opticusatrophie“ führt. Sie beginnt stürmisch unter den Erscheinungen einer
retrobulbären Neuritis, bleibt aber dann stationär und führt sehr selten zur Er¬
blindung, nach de Wecker tritt bei dieser Krankheit sogar niemals eine völlige
Atrophie der Sehnerven ein. Demgemäss ist hier die Prognose etwas günstiger
Ms bei der tabischen Form. Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung bemerkt
Buin im Beginn einen leichten Hauch an der Papille, späterhin eine Entfärbung
aes temporalen Theils, welche schliesslich die ganze Papille ergreift. Die Krank¬
beit entsteht im Alter von 20—25 Jahren, sie betrifft vornehmlich Männer, wird
*ber durch die Frauen übertragen. Die Behandlung, welche übrigens ohne
Wirkung ist, beschränkt sich auf Tonica, Eisen und Strychnin.
H. Sohnitzer (Kückenmühle-Stettin).
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15) Aoute retrobulbäre Neuritis und Hysterie, von Dr. L. E. Bregmann.
(Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 21.)
22jänriger Patient. Erkrankung unter dem Bilde einer rechtsseitigen retro¬
bulbären Neuritis: rascher Verlust der Sehkraft bis zur völligen Erblindung, mit
Kopfschmerzen, Schmerzhaftigkeit des Auges bei Bewegungen, normaler ophthal¬
moskopischer Befund, träge Pupillenreaction, Herabsetzung der galvanischen
Opticu8reaction, verhältnissmässig rasche Besserung unter stark hervortretender
Farbsinnstörung.
Ausserdem aber ausgesprochene hysterische Anfälle und zahlreiche Stigmata:
Hyperästhesie der rechten Körperhälfte, Herabsetzung der Schleimhaut- und Kitzel¬
reflexe, Globus, Anosmie rechts, Schmerzpunkte.
Eis könnte sich um eine Combination beider Zustände handeln oder um vaso¬
motorische Störungen im rechten N. opticus abhängig von der Hysterie. *
J. Sorgo (Wien).
16) Ueber Erkrankungen des Rückenmarks bei hereditär-syphilitischen
Neugeborenen und Säuglingen, von Dr. R. Peters (Petersburg). (Jahrb.
f. Kinderheilk. 1901. III.)
Spinalerkrankungen bei hereditär syphilitischen Säuglingen sind selten und
nur durch einzelne Litteraturbeispiele erwiesen. Um so auffallender ist dem Verf.
die Beobachtung von 11 Kindern, welche markante Lähmungserscheinungen der
Extremitäten aufwiesen. Diese Lähmungen boten verschiedene Typen dar, je
nachdem ob die 5., 6. und 7. Cervicalnervenwurzel, oder ob der 6., 7. Cervicahs
und 1. Dorsalis betroffen waren. Im ersteren Falle entsteht annähernd das Bild
der Erb-Duchenne’schen Lähmung, im zweiten sieht man vorwiegend Lähmungen
im Handgelenke und den Fingern, namentlich unter dem Bilde der Radialis-
paralyse. Bei dem letzteren Lähmungstypus finden sich ausser den Erscheinungen
am Arme auch jene Ausfallssymptome von Seiten der Orbitalmuskeln, welche den
sogen. Klumpke-Dejerine’schen Typus repräsentiren. Manchmal sind diese
beiden Gruppen von Lähmungen combinirt. Bei der Läsion der unteren Cervical-
nervengruppe sieht man eine eigentümliche Haltung der Hände, welche Verf.
wegen der Aehnlichkeit mit den Flossen bei Seehunden als „Flossenstellung“ be¬
zeichnet. Das kranke Glied zeigt sich häufig hyperästhetisch. Auch die Beine
sind manchmal betheiligt. Nicht selten bieten einzelne Muskelgruppen, so nament¬
lich jene im Nacken, eine deutliche Contraction. Auf antisyphilitische Behandlung
gehen die Lähmungen rasch zurück. Ueber eine Section verfügt Verf. nicht.
Soweit die Ausführungen des Verf.’s. In pädiatrischen Kreisen werden die¬
selben sicherlich grossen Zweifeln begegnen. Man kennt seit Langem eine gar
nicht seltene „Pseudoparalyse“ syphilitischer Säuglinge, welche lähmungsartige
Erscheinungen der Extremitäten hervorruft, die auf antiluetische Kur bald sohwinden.
Bereits Parrot, der erste Beschreiber dieses Symptomenbildes, führte dasselbe
auf schmerzhafte Knochenprocesse zurück, welche sich durch Knochenverdickungen
leicht erkennen lassen und das Kind zu einer Ruhestellung der Glieder zwingen.
In einzelnen seltenen Fällen fehlt allerdings diese Ostitis und einmal konnten (in
einer vom Verf. nicht erwähnten Mittheilung des Ref.) thatsächlich anatomische
Rückenmarksveränderungen nachgewiesen werden. Wenn aber Verf. in seinen
Fällen eine spinale Erkrankung hätte beweisen wollen, so hätte derselbe die
Differentialdiagnose gegenüber dieser Parrot’schen Pseudoparalyse scharf zeichnen
müssen. Das that er aber nicht, ja er berichtet sogar in einer seiner 5 Kranken¬
geschichten von einer „Schwellung des linken Humerus“; in den anderen wird
die Beschaffenheit des Knochens nicht erwähnt, wohl aber einige Male die bei
der Pseudoparalyse regelmässig vorkommende starke Schmerzhaftigkeit bei Be-
zedby G00gle
75
regung der erkrankten Extremität constatirt. Wenn also auch nach der Er¬
füllung des Ref. wirkliche Spinallähmungen bei syphilitischen Säuglingen möglich
nnd, so erscheinen die klinischen Deductionen des Verf.’s doch in ihrer Verallge¬
meinerung für diese Frage wenig beweisend. Zappert (Wien).
17) Epilepsie jaoksonienne et oonvulslons gönöralisöes aveo hömiplögie
droite ohez une herödo-syphilitique de 15 mois. Guörison par des
frictions merourielles , par M. P. Gendre. (Bulletins de la Sociöt6 de
Pädiatrie. 1901. Nr. 1.)
Die vom Verf. beobachteten Krämpfe begannen am rechten Bein und gingen
auf den rechten Arm über, ohne dass das Bewusstsein gestört wurde; manchmal,
aber selten, verbreiteten sie sich auf das Gesicht, die Augen, die linke Seite
und boten dann das typische Bild allgemeiner Convulsionen mit Bewusstseins-
verlust Nach den Anfällen blieb eine rechtsseitige Hemiparese zurück. Trotz
energischer Behandlung, bei welcher Quecksilbereinreibungen im Vordergrund
standen, verschlechterte sich der Zustand, die Krämpfe häuften sich, die Lähmung
blieb constant, es trat Fieber (bis 40°), manchmal Erbrechen auf. Erst nach
10 Tagen stellte sich eine Verminderung der Jacksonanfalle, nach 14 Tagen ein
Schwinden derselben ein; auch die Hemiplegie ging zurück und das Kind war
nach einigen Wochen völlig geheilt. Aus dem Umstande, dass der Vater der
Kinder syphilitisch gewesen — an dem Sande fand sich keine Spur von here¬
ditärer Lues —, und dass die Krankheitssymptome sich vollständig zurückbildeten,
sehliesst Verf., dass ein luetischer Gehirnprocess dem Leiden zu Grunde gelegen
sei, eine Annahme, welche Ref. für nicht genügend begründet hält.
Zappert (Wien).
18) Hereditäre Lues und Epilepsie, von Dr. Bratz und Dr. Lüth. Aus der
Berliner Anstalt für Epileptische zu Wuhlgarten. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. 1900. XXXIII.)
Die Verff. haben sich bemüht festzustellen, welchen zahlenmässigen Antheil
die hereditäre Lues unter den ätiologischen Factoren der im Kindesalter be¬
ginnenden und durch das Leben fortdauernden Epilepsie hat. Sie fanden 200
genuine Epileptiker, bei denen für Syphilis der Eltern keinerlei Anhaltspunkt
vorlag, und 8 bezw. 14 Epileptiker, in deren directer Ascendenz die Lues ganz
bezw. einigermaassen sicher war. — Auch 15 Fällen von Epilepsie mit cere¬
braler Kinderlähmung ohne congenitale Lues stand nur ein Fall derselben Krankheit
mit hereditär syphilitischer Aetiologie gegenüber. G. Ilberg (Sonnenstein).
19) Ueber einen Fall von Jaokson’soher Epilepsie auf syphilitischer Basis
mit operativem Eingriff, von Priv.-Doc. Dr. Rybalkin in St. Petersburg.
(Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk. 1901. XIX.)
Bei einem 35jähr. Manne, der vor 15 Jahren luetisch inficirt war, traten
plötzlich epileptische Krampfanfalle, localisirte Kopfschmerzen (rechte Schläfen¬
gegend) und später örtlich begrenzte klonische Krämpfe in der linken Gesichts¬
hälfte und den Halsmuskeln, sowie in der ganzen linken Körperhälfte auf. Später
Lähmung der linken oberen und Parese der linken unteren Extremität, Herab-
Ktzung der tactilen Sensibilität der linken Hand und des linken Vorderarms und
Verlust des Lage- und stereognostischen Gefühls daselbst. Ophthalmoskopisch
Anfangs Neuritis optica dextra mit Blutungen in das peripapilläre Gebiet, Hyper¬
ämie des linken Opticus, später beiderseits nur Erweiterung der Retinalvenen.
Google
76
Bei der Trepanation des Schädels fand sich die Dura verdickt und mit den
darunterliegenden Häuten sowie mit der Rinde theilweise verwachsen. Vom
4. Tage nach der Operation an blieben die Anfälle weg und schwanden die Läh¬
mungen, Sehnen- und Periostreflexe links gesteigert, linke Extremitäten in toto
deutlich atrophisch. 7 1 / 2 Wochen später trat der Exitus in Folge von Pneumonie
und käsiger Peribronchitis ein; ausserdem fand sich circumscripte syphilitische
Pachymeningitis des rechten Schläfenlappens, syphilitische Ostitis cranii und verru-
cöse Endocarditis.
Das Fehlen des stereognostischen Sinns vor und nach der Operation bestätigt
die Beobachtungen von Wernicke, Oppenheim, Horsley und Bechterew.
Auch werden dadurch die Mittheilungen von Hitzig und Munk bekräftigt, wo¬
nach die corticalen motorischen Centren auch die sensiblen Functionen enthalten.
Jedenfalls verdient der günstige Erfolg der Operation (theilweise Resection der
Häute ohne Entfernung der Krampfcentren) auf die Krämpfe selbst bemerkt zu
werden. E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Soll* epilessia da aifllide, pel Dr. Aug. di Luzenberger. (Pratica del
Medico. 1901. Februar.)
Verf. bespricht in der vorliegenden kleinen Arbeit die Beziehungen zwischen
Syphilis und Epilepsie, wobei er die symptomatische Epilepsie (Jackson) von
der Betrachtung ausschliesst Die Beziehungen können dreierlei Art sein: Epi¬
lepsie als Folge der Kachexie des Körpers durch Syphilis (analog der Hysterie
und Neurasthenie, nach Binswanger), 2. Epilepsie als Folge papulöser Efflores-
cenzen an den Meningen, analog den Papeln der Schleimhäute im zweiten Stadium;
hierbei sind weder Prodrome, noch Residuen vorhanden; heilt meistens spontan;
3. Epilepsie bedingt durch Gefässläsionen, welche miliare nekrotische Herde er¬
zeugen. — Die Diflerentialdiagnose gegenüber der genuinen Epilepsie ist zuweilen
unmöglich ; manchmal nur petit mal. Meistens keine Aura. Charakteristisch für
die syphilitische Epilepsie soll das Alter sein: damit behaftete Individuen sind
bis zum 25. oder 30. Jahre völlig gesund. Verf. räth, jeden Fall, bei welchem
die Krankheit erst in diesem Alter beginnt, trotz der Negation der Syphilis als
syphilitischen aufzufassen und dementsprechend zu behandeln. Er belegt seine
Auffassung mit einem charakteristischen Falle. H. Gessner (Nürnberg).
21) De l'abolition des rdflexes pupillaires dans ses relations aveo la Sy¬
philis, par Babinski et Charpentier. (Bullet, et M6m. de la societe
m6d. des hopit. de Paris. S6ance du 17 mai 1901.)
An der Hand von vier vorgestellten Kranken, die sämmtlich das Argyll-
Robertson’sche Symptom, sonst aber bis auf einen, der über lancinirende
Schmerzen und Abnahme des Gedächtnisses klagte, weder subjectiv noch objectiv
irgend welche Symptome einer Erkrankung des Centralnervensystems darboten,
denen aber allen syphilitische Antecedentien gemeinsam waren, fuhrt Babinski
von Neuem seine bereits früher geäusserte Ansicht (Bullet, de la soci6t6 de der-
raatol. 13./VH. 1899) aus, dass dieses Symptom allein auf eine früher durch-
gemacbte Lues mit Sicherheit hinweise. Nach ihm sind alle derartigen Patienten
Candidaten für Tabes, Paralyse oder cerebro-spinale Lues, wenn auch oft lange
Jahre vergehen, bis es zur Entwickelung einer dieser Krankheiten komme; es
giebt anscheinend auch Fälle, in denen die reflectorische Pupillenstarre unbegrenzt
lange das einzige Symptom einer organischen Erkrankung des Centralnerven¬
systems sei. Die Verff. sind der Ansicht, dass solche Fälle besonders geeignet
für eine antisyphilitische Behandlung seien. Martin Bloch (Berlin)
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77
22) Beitrag zur Kenntniss der Syphilis des Centralnervensystems, von Dr.
med. H. Haenel (Stadtkrankenhaus Dresden). Aus der psychiatrischen und
Nervenklinik zu Halle. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1900. XXXIII.)
Ein 31jähr. Pferdeknecht erkrankte unter den Zeichen zunehmenden Hirn-
drncks; das Leiden verbreitete sich allmählich auf alle Hirnnerven und ging im
3. Jahr auf das Rückenmark über, wobei das häufige Schwanken der Patellar-
reflexe besonders auffällig war. Allmählich wurde das Krankheitsbild constanter,
Ton Seiten des Gehirns herrschten Ausfallserscheinungen, von Seiten des Rücken¬
marks Reizerscheinungen vor. Das Leiden führte nach 6 Jahren zum Tode.
Bei der Section fanden sich: Lues cerebri, Meningitis basilaris syphilitica,
Hydrocephalus intemuB, Atrophie des Gehirns, multiple Tumoren der Hirnrinde,
Ependymgranulationen, Sklerose des Rückenmarks.
Die mikroskopische Untersuchung ergab:
1. An den Meningen die für Syphilis charakteristischen Gefassveränderungen,
Rnndzelleninfiltration, Bindegewebsneubildung, Schrumpfungen und käsige gummöse
Nekrosen.
2. Faserschwund in der Hirnrinde, sowie in den vorderen and hinteren
Wurzeln.
3. Multiple Gliome der Hirnrinde, auf Dura mater und Knochen übergreifend.
4. Angeborene Asymmetrie der Oliven.
5. Ependymgranulationen, besonders durch Gliawucherung hervorgerufen.
6. In der Medulla oblongata und im Rückenmark viele, keinem System ent¬
sprechend angeordnete Faserdegenerationen und Sklerosen.
Was den Fall vor Allem bedeutsam macht, ist das Auftreten einfacher, nicht
entzündlicher degenerativer Vorgänge an den Nervenfasern, ohne dass die Er¬
krankung der Meningen und Gefässe mit der nervösen Substanz zusammenhinge,
so dass also die degenerativen Vorgänge als eine ganz selbständige, durch das
syphilitische Gift erzeugte Erkrankung anzusehen sind, ferner die ungewöhnliche
Gliawucherung, wie sie bisher auf syphilitischer Basis beruhend noch nicht be¬
schrieben wurde.
Der Verf. verfügt über eine sehr ausgedehnte Kenntniss der einschlägigen
Litteratur. Er giebt seiner Arbeit 7 Zeichnungen bei, welche die geschilderten
mikroskopischen Veränderungen sehr treffend veranschaulichen.
H. Meyer (Sonnenstein).
23) Zwei Fälle von Syphilis des Centralnervensystems, von Dr. Mark
Bermann. (Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 40.)
I. Pseudotabes syphilitica.
55jähr. Landmann. Vor 6 Jahren Lues. 1897 Doppeltsehen, lancinirende
^ Schmerzen, Ataxie. Romberg’sches Phänomen positiv. Patellarreflexe gesteigert.
Linksseitige Parese des Rectus ext. und Obliquus sup. Träge Pupillarreaction.
. Gürtelgefühl, Formication in den Extremitäten. Nächtliche Schmerzen im Hinter-
‘ haupt; daselbst Osteophytenbildung. Eine antiluetische Kur brachte in 25 Tagen
' Heilung.
! IL Isolirter Zungenkrampf auf luetischer Basis.
38jähr. Landmann. Seit 3 Jahren Zuckungen der Zunge, etwa 10 Anfälle
[ täglich. Erst kommt Kriehelgefühl der Extremitäten, dann wird die Zunge in
I nbratorische Bewegungen versetzt, die horizontal und meist von vorn nach hinten
erfolgen. Sprache währenddem unmöglich. Dauer 1—l J / 2 Minuten. Eine weiss-
liche eingezogene Narbe in der Mittellinie des harten Gaumens. Heilung in
25 Tagen nach einer antiluetischen Kur. J. Sorgo (Wien).
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24) Ueber einen Fall von ausgedehnter Erkrankung der Geffisse und Me¬
ningen des Gehirns und Rüokenmarks im Frühstadium einer Syphilis,
von Dr. R. Finkelnburg, Assistenzarzt an der medicinischen Klinik in
Bonn. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.)
Bei einem tuberculös belasteten Manne von 43 Jahren stellte sich 6 Monate
nach einer luetischen Infection eine linksseitige Hemiplegie ohne Verlust des
Bewusstseins ein, die nach 3 Wochen wieder geschwunden war. 2 Monate später
heftige Kopfschmerzen, welche nach einer specifischen Behandlung nachliessen.
Nach weiteren 3 Monaten rechtsseitige Hemiplegie und motorische Aphasie und
bald darauf Exitus unter den Erscheinungen der Vaguslähmung.
Bei der Autopsie und anatomischen Untersuchung fanden sich meningitische
Processe an der Hirnbasis in der Gegend der rechten Stirnwindung und am
Rückenmark, peri- und eudoneuri tische Veränderungen der Basalnerven und der
Rückenmarkswurzeln, Erweichungsherde im Linsenkern und Pons, sowie aus¬
gedehnte peri- und endarteriitische Wucherungen an den Arterien und Venen.
Wenn auch in diesem Falle Tuberculose mit Bestimmtheit nicht ausgeschlossen
werden kann, so ist doch mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine Frühlues des
Gehirns und Rückenmarks anzunehmen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
25) Zur Meningitis baailaris syphilitioa praecox, von Hoffmann. (Berliner
klin. Wochenschr. 1901. Nr. 11.)
Der Fall betrifft einen 26jähr. Schlächter und ist bemerkenswert}^ weil die
Erscheinungen der Mening. basil. trotz frühzeitiger, energischer antisyphilitischer
Behandlung schon 27a Monat nach dem Ausbruch der Roseola entstanden und
die Lähmungen streng einseitig aufgetreten sind. Wahrscheinlich ist die Ursache
der Erkrankung in einer circumscripten, den Periostitiden der Frühperiode der
Lues gleichzustellenden Entzündung der Dura mater zu suchen. Es trat fast
vollkommene Heilung ein. Bielschowsky (Breslau).
26) Ein Fall von oerebrospinaler Syphilis mit Erhöhung der Körper¬
wärme, von F. Biatokar. (Medycyna. 1900. Nr. 26 — 27. [Polnisch.])
Verf. berichtet über folgenden Fall von cerebrospinaler Syphilis mit Tem¬
peraturerhöhung: Bei einem 24jähr. Officier, welcher vor 14 Monaten Lues acquirirte,
zeigte sich ein Jahr nach der Infection Temperaturerhöhung bis zu 40 0 C.,
welche von Zeit zu Zeit Abends auftrat. Gleichzeitige luetische Symptome am
Körper. Specifische Kur. Status praesens: Paretisch-spastischer Gang. Rom-
berg’sches Symptom. Leichte Ataxie. Patellar- und Fussklonus. Hautreflexe
gesteigert. Keine deutliche Sensibilitätsstörung. Abgeschwäcbte Erection. Rechte
Pupille weiter als die linke, Reaction erhalten. Tägliches Erbrechen. Intensive
Kopfschmerzen in der Nacht. Temperatur Abends 38,5—39,0, früh morgen*
normal. Auch nach wiederholter Kur war eine Temperatursteigerung abend*
(37,6°) zu constatiren, auch verblieb der paretisch-spastische Zustand der Beine.
Es zeigten sich ausserdem: Ptosis dextra, Polydipsie, Polyurie, Incontinentia
urinae. Nach 6 Wochen verblieb nur der spastische Zustand der Beine und die
Temperaturerhöhung bis 37,6°. Im weiteren Verlauf kurzdauernder Anfall von
Paraphasie mit rechtsseitiger Hemiplegie, Apathie. KJ innerlich, gleichzeitig stellte
man normale Temperatur fest. Gleich nach Sistiren des Muskels Temperatur¬
erhöhung Abends bis 37,6—38,0°. Während 7monatlicher Beobachtung war
diese Erscheinung (Temperaturerhöhung) stets in mehr oder minder ausgeprägtem
Maasse zu constatiren. Verf. erfuhr dann, dass der Pah an linksseitiger Hemi¬
plegie erkrankte und dass die Temperatur vor und nach dem Anfall normal ver-
79
blieb. Ver£ bespricht die Aetiologie des merkwürdigen Symptoms (Temperatur¬
erhöhung), schließt dabei Tuberculose, Malaria aus (Blutbefund negativ) und
steint, dass bei Localisation des syphilitischen Processes in der Gegend des Pons
oder der Medulla oblongata eine Temperaturerhöhung, in Folge einer Störung
der thermischen bezw. vasomotorischen Centra, stattfinden kann.
Edward Flatau (Warschau).
27) The olinioal forma and pathologioal anatomy of spinal syphilia, by
R. T. Williamson. (Edinburgh med. Journ. 1900. October.)
Unter 32 Füllen spinaler Syphilis, die Verf. beobachtet hat, befanden sich
3 Fälle von chronischer Meningitis, 16 von Meningomyelitis, 6 von acuter syphi¬
litischer Myelitis, 4 von Erb’scher Paralysis spinalis, 1 Fall von Guinmibildung
des Bückenmarks, 1 Fall von Triplegie und einer von Pseudotabes. Syphilitische
Wirbelerkrankung hat Verf. nicht beobachtet. Im ganzen ist spinale Lues eine
seltene Erkrankung; den erwähnten 32 Fällen stehen unter 2456 Nervenkranken
118 Fälle von Tabes gegenüber. Unter den 32 Kranken waren 26 Männer, nur
6 Frauen. Die Prognose ist im ganzen besser, als sonst bei spinalen Erkran-
' langen, richtet sich aber im Einzelfalle nach der Form der Erkrankung; je mehr
; die Affection die Meningen betrifft, desto besser, je mehr die Rückenmarkssubstanz,
, desto schlechter die Prognose; am schlechtesten in den Fällen von acuter Para-
. plegie, besonders wenn Blasen- und Mastdarmstörungen vorliegen. Von Verf.’s
32 Fällen endeten 9 tödtlich, 10 wurden geheilt, die übrigen wurden durch die
; Therapie wenig beeinflusst. Die 9 tödtlich verlaufenen Fälle betrafen 6 Fälle
. von acuter Myelitis, einen von Erb’scher Krankheit, einen von spinalem Gummi,
einen von Triplegie, einen Meningomyelitis. Verf. bevorzugt bei der Behandlung
alternirende Quecksilber- und Jodtherapie. Die Bemerkungen des Verf.’s über
; die pathologische Anatomie enthalten nichts neues.
; Martin Bloch (Berlin).
’ 28) A case of syphilitio spinal leptomeningitls with combined solerosis.
by Shoyer. (Brain. 1901. I.)
In Verf.’s Fall handelt es sich um einen 6ljähr. Mann, in dessen Anamnese
nichts von Syphilis aufzufinden war. Die Krankheit begann 2 Jahre vor dem
' Tode mit Schmerzen in der ganzen linken Seite; viel später kamen dazu noch
Schmerzen und Hyperästhesie auf der rechten Brusthälfte. Allmählich wurden
- die linken Extremitäten schwächer, die Reflexe hier lebhaft; im linken Arme
zeigte sich auch Ataxie. Schliesslich starre Contractur, besondere der linken
’ Extremitäten, der Kiefermusculatur und der Zunge. Die anatomische Untersuchung
; zeigte eine diffuse Verdickung der weichen Rückenmarkshaut, eine Sklerose der
• Pyramiden- und Kleinhirnseitenstrangbahnen, und speciell im Halsmarke auch der
| Burdach’schen Stränge. In den sklerosirten Partieen zeigten sich typisch syphi-
; litisch erkrankte Gefässe. Bruns.
!
> 29) Ueber einen in der Naroose entstandenen Fall von luetischer Plexus-
Neuritis, von v. Sarbö. (Pester med.-chir. Presse. XXXVII. Nr. 12.)
[ Verf. beschreibt die Krankengeschichte eines Kellnere, der während einer
1 Bruchoperation 2 Stunden lang in Narcose lag und im Beginn der Narcose starke
| Eieitation zeigte, so dass ihm die Hände gebunden werden mussten. Gleich nach
; fa- Narcose vollständige Lähmung des linken, beschränkte Beweglichkeit des
, Achten Arms. Etwa 3 Wochen nach der Operation begab sich Pat. in die Be-
Wdlung des Verf.’s, welcher schlaffe Lähmung im linken, Beweglichkeitsdefecte
80
im rechten Arm feststellte. Die Erb’schen Supraclavicularpnnkte und die Plexus
in der Achselhöhle auf Druck schmerzhaft, Atrophie der Sohultermusculatur, Ent-
artungsreaction in der Musculatur des linken, ahgeschwächte faradische and gal¬
vanische Erregbarkeit in der Musculatur des rechten Armes. Keine Sensibilität«-
Störungen. In der Anamnese chronischer Alkoholmissbrauch und Lues. Die zu¬
nächst angewandte elektrische Behandlung erfolglos, sodann in Rücksicht auf die
voraufgegangene Lues energische Inunctionskur, darauf auffallende Besserung, nach
8 Wochen volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme wieder erlangt.
Verf. spricht als eigentliche Ursache der Lähmung die Lues an, vielleicht
spiele der Alkoholismus auch eine gewisse Rolle. Das Trauma sei nur als da«
provocatorische Moment anzusehen; für sich allein hätte es wahrscheinlich nicht
genügt, die Neuritis herbeizuführen, es bedurfte vielmehr erst der durch Lues
und Alkoholismus geschaffenen krankhaften Grundlage.
H. Schnitzer (Kückenmühle-Stettin).
30) Gangraena angiosolerotloa auf luetisoher Basis, von M. Nartovskl
(Przegl^d lekarski. 1900. Nr. 1. [Polnisch.])
Verf. beschreibt folgenden Fall: Ein 55jähr. Mann klagte seit 2 Jahren über
intensive Schmerzen im rechten Bein. Lues vor 36 Jahren. Status: verschärfter
zweiter Aortenton. Arteriosklerose. Schwellung des linken Unterschenkels und
des linken Fusses, nebst Cyanose des letzteren. Nn. ischiadicus und cruralis
druckempfindlich. An den Zehen Gangraena sicca. Linke Art. femoralis zeigt
einen schwächeren Puls als die rechte Arterie. Die linke Dorsalarterie nicht
durchfühlbar (das rechte Bein wurde wegen des Knieabscesses amputirt). Im
weiteren Verlauf Thrombose der Vena und Art. femoralis. Temperaturerhöhung.
Tod. Die Section ergab: Gangraena pedis sin. ex artiosclerosi. Atrophia cerebri.
Leptomeningitis chronica. Thrombosis venae et Art. femoralis sin. Der mikro¬
skopische Befund an Gefässen und anderen Organen sprach für luetische Natur
des Processes. Im N. cruralis und N. tibialis deutliche interstitielle Wucherung
nebst parenchymatöser Degeneration (Neuritis arteriosclerotica).
Edward Flatau (Warschau).
31) Beoherohes ollniques sur le traitement de la Syphilis fondöee aur lei
observations du Dr. Zeltsohinsky (Mosoou) suivies d’un oaa de pro-
phylaxle in utero par le möme traitement, par Verrier. (Progret
medical. 1901. Nr. 12.)
Bericht über einen Fall, in welchem Verf. die im 5. Monate schwanger«
Frau mit syphilitischen Ulcerationen u. a. m. mit Syphilisserum von Zeltschinsk;
monatelang mit dem Erfolge injicirte, dass ein gesundes Kind zur Welt kam
das auch gesund blieb. Als Einleitung sind einschlägige Fälle aus der russischei
Litteratur mitgetheilt. Adolf Passow (Meiningen).
32) Xi6B aooidents nerveux de la blennorrhagie, par G. Delamare. (Gazett
des höpitaux. 1901.)
Verf. bespricht auf Grund der Litteratur die nervösen Complicationen, welch
sich an Gonorrhoe anschliessen können und theilt dieselben in die 4 Gruppet
Neurosen, cerebromeningitische, spinale und neuritische Affectionen.
R. Hatschek (Wien).
Digi
y Google
81
39) Die Störung des Temperatursinns bei Syringomyelie, von Dr. Max
Rosenfeld, ehemal. Assistent der medicin. Klinik inStrassburg i/E. (Deutsche
Zeitschrift f. Nervenheilk. 1901. XIX.)
In einem typischen Falle von Syringomyelie (Cervicaltypus) bestand an den
oberen Extremitäten eine partielle Störung der Temperatur- und Schmerzempfindung,
reiche nach den Schultern zu an Intensität abnahm. Trotz der intensiven Thermo-
uuuthesie konnte indessen die Kranke die Temperatur einer sie berührenden,
menschlichen Hand erkennen. Dass es sich dabei nicht um eine Modification der
Thermoanästhesie mit Ausfall der extremen Temperaturgrade handelte, konnte
durch Untersuchung mit mittleren Wärmegraden nachgewiesen werden, wobei
such falsche Angaben gemacht wurden. Durch Versuche mit dünnen Blei¬
röhren, welche spiralig aufgerollt, mit verschieden temperirtem Wasser durch¬
strömt und auf die Haut applicirt wurden, stellte es sich heraus, dass die richtigen
Angaben durch eine Summation von TemperatursinneBeindrücken hervorgebracht
wurden, wie sie von E. H. Weber für den normalen Menschen beschrieben sind.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
34) Ueber eine eigentümliche localisirte Arthropathie bei einem an Syringo¬
myelie und gleichzeitiger Hypoplasie des Genitalapparatea leidenden
Individuum, von Dr. C. Hödlmoser. (Wiener klin. Wochenschrift. 1901.
Nr. 26.)
Der 59jährige Pat. litt an den typischen Symptomen einer Syringomyelie.
In deren Verlaufe kam es zu einer sehr seltenen Localisation einer Arthropathie
im Akromio-ClaviculargeleDke, mit einem dem Gelenke entsprechenden erbsengrossen
SubetanzverluBte, aus dem sich klare gelbliche Flüssigkeit entleerte. Die Clavicula
nach oben luxiri Das Primäre sieht Verf. in einer Atrophie des Bandapparates
auf trophischem Wege. In Folge davon die Luxation der Clavicula, deren Druck
auf die Haut die Perforationsöffnung erzeugte.
Die gleichzeitige Hypoplasie des Genitalapparates erscheint deshalb nicht
unwichtig, weil auch für die Entstehung der Gliose Entwicklungsanomalieen ver¬
antwortlich gemaoht werden. J. Sorgo (Wien).
36) Ett utveokladt feil af syringomyeli (Morvana typ), af Herman Lund¬
borg. (Hygiea. 1900. LXII. S. 266.)
Ein 28 Jahre alter Arbeiter begann vor 8 Jahren an Schmerzen und Schwäche
im linken Beine und Schwäche in der linken Seite des Rückens zu leiden und
konnte schwer gehen, er konnte das Bein schwer nach vorn bewegen und nicht
fest auftreten, die Bewegungen schwer regeln. Im Jahre 1897 trat Oedem in der
linken Hand und im rechten kleinen Finger auf, an diesen Stellen bildeten sich
tebwere Panaritien und gangränöse Geschwüre, die plötzlich die Amputation des
linken Vorderarms und des rechten kleinen Fingers nöthig machten. Nach einiger
Zeit bildete sich dicht unter dem linken Ellenbogen ein gangränöses Geschwür,
iss nicht heilte. Durch die Schwäche in der linken Körperseite entstand eine
illmählich immer mehr hervortretende schiefe Stellung, die durch die Schwäche
im linken Beine verursacht wurde, der Gang war hinkend. Ziemlich langsam
«tritt die Krankheit stetig fort. Das Allgemeinbefinden war dabei nicht gestört.
Pat. hatte Beschwerden beim Harnlassen und bei der Stuhlentleerung, aber keine
Harnretention. — Bei der Aufnahme am 3. März 1900 fand sich zwischen den
leiden Oberarmen nur ein geringer Unterschied im Umfange. An der Muskulatur
im Schultergürtel liess sich keine Differenz im Volumen erkennen. Am rechten
Ölenbogen fand sich bei geringer Flexion eine tiefe Einsenkung, die oben von
6
Die
82
■der Trochlea hurneri, unten vom Olecranon begrenzt wurde, sich bei stärkerer
Flexion bis zu einem gewissen Grade ausglich, aber auoh bei stärkerer Flexion
noch bemerkbar war; die Bewegung des Gelenks war nicht wesentlich gestört,
nur die Extension in geringem Grade eingeschränkt. Die rechte Hand wurde
dorsal flectirt gehalten, die Metacarpo-Pbalangealgelenke sprangen stark vor, die
kurzen, dicken, plumpen und rigiden Finger waren flectirt. Zwischen beiden
Beinen war kein grosser Unterschied in Bezug auf Form und Umfang. Die
Musculi erectores spinae zeigten aber einen auffälligen Unterschied in Bezug auf
Consistenz und Volumen, der rechte war dem linken bedeutend überlegen. Die
Haut, die an Kopf, Rumpf und den proximalen Theilen der Glieder normal war,
wurde von dem unteren Drittel des Vorderarms und von der Mitte der Schenkel
an abwärts trocken, grauweiss verfärbt, runzlig, mit kleinen, stecknadelkopfgrossen
Knoten besetzt, an manchen Stellen fanden sich Narben, Verfärbungen. — Sehen,
Hören und Riechen waren ungestört, der Geschmack war gestört, Salz wurde als
sauer, Saures als bitter bezeichnet. Die Berührungssensibilität war sehr ab¬
gestumpft, wie auch der Wärmesinn und die Schmerzempfindung, der Muskelsinn
aber nicht. — Cremaster- und Bauchreflexe fehlten, der Kniereflex war rechts
ungefähr normal, links bedeutend verstärkt.
Nach der Analyse der Erscheinungen Bchliesst Verf. auf eine hauptsächlich
die linke Seite betreffende Rückenmarksaffection, etwa von der Mitte des Hals¬
marks an bis gegen das Lendenmark hin. Walter Berger.
Psychiatrie.
36) Consanguinität in der Ehe und deren Folgen für die Desoendenz, von
Felix Peipers (Bonn). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 793.)
Das Verbot consanguiner Ehen ist nicht physiologischen, sondern socialen
und ethischen Gründen entstanden; die physiologischen sind erst später zur
Erklärung herangezogen worden. Die schädigende Eigenschaft der blutsver¬
wandten Ehe ist aber noch nicht als erwiesen zu betrachten. Die verschie¬
denen Beobachter sind zu ganz verschiedenen Schlüssen gekommen; die ent¬
sprechenden Angaben über die Zahl der aus consanguinen Ehen stammenden
Taubstummen, der Kranken mit Retinitis pigmentosa, der Idioten, Geisteskranken
und die unfruchtbar gebliebenen Eben werden zusammengestellt, ohne dass sie
zur Klarheit führen. Die Schwierigkeit beruht darauf, dass die Voreltern stets
nur mit einem Bruchtheile ihrer Eigenschaften auf die Nachkommenschaft wirken;
diese Thatsache führt Lorenz dazu, die Inzucht für die einzig zweckmässige
FortpflanzungBart zu erklären. An Lorenz lehnt sich Verf. an mit seinen
Versuchen, die Intensität der Blutsverwandtschaft näher zu definiren. Die
Statistiken sind deshalb meist unbrauchbar, weil sie nicht den Grad der Ver¬
wandtschaft berücksichtigen, und ferner, weil sie nur selten mit hinlänglicher
Genauigkeit geführt werden, wie Verf. nach weist Verf. hat deshalb den Versuch
gemacht, soweit möglich genaues Material zu erwerben. Zu dem Zweoke unter¬
suchte er das Material verschiedener Anstalten: 1. der Anstalt für Epileptische
zu Bethel-Bielefeld. Unter 496 Epileptiaohen, bei denen die elterlichen Verhält¬
nisse bekannt waren, fanden sich nur drei aus Geschwistereltern stammende Kranke,
sieben aus Eben von entfernten Verwandten, die das statistische Amt nicht als
„blutsverwandte Ehen“ auffasst. Unter 2448 Zöglingen der ganzen Anstalten be¬
fanden sich ebenfalls nur 250 aus consanguinen Ehen stammende. — 2. wurde
die Schule der Taubstummen zu Brühl untersucht; von diesen stammten 2,3°/ 0
aus consanguinen Ehen; von den Ehen, aus denen Taubstumme hervorgingeD,
waren 1,6% blutsverwandte. — 3. In der Taubstummenanstalt in Essen war der
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Procentsatz 2,25 mit 3,8 °/ 0 der taubstummen Kinder. — 4. Unter den 702 Zög¬
lingen des Franz Salee-Hauses für Idioten zu Essen-Huttrop mit zuverlässiger
Anamnese stammten sechs aus Ehen unter Blutsverwandten. — 5. Von 1720 Fällen
der Bonner psychiatrischen Klinik endlich waren 20 Kranke aus consanguiner
Ehe. — 6. Bei 65 Taubstummen der Anstalt zu Neuwied waren 4,6 °/ 0 der Ehen
blntsverwandt und 6% der Kinder entstammten solchen Ehen.
Verf hat dann noch weiter den Versuch gemacht, durch Aufrufe in Zeitungen
eine möglichst grosse Anzahl von Ehen Blutsverwandter und deren Descendenz
feetznstellen, sowie diese Zahlen durch private Forschungen zu ergänzen. Die
Ergebnisse waren gering, da sich nur wenig Fälle meldeten.
Der Verl ist zu der Ueberzeugung gekommen, dass eine degenerative Eigen¬
schaft der Blutsverwandtschaft bisher nicht erwiesen worden ist, und dass unserer
freizügigen Zeit in der consanguinen Ehe keine Gefahr erwächst, die zu gesetz¬
geberischem Einschreiten nöthigen könnte.
Der vom Verf. eingeschlagene Weg exacter Untersuchung unter Berück¬
sichtigung aller von ihm besprochenen Fehlerquellen kann thatsächlich allein dazu
führen, die wichtige Frage ihrer Lösung näher zu bringen.
Aschaffenburg (Heidelberg).
37) Combinirte Psychosen? von 0. Mönkemöller (Osnabrück). (Allgem.
Zeitsohr. f. Psych. LVIII. S. 639.)
Unter diesem Namen beschreibt Verf. 3 Fälle von chronischen Wahnideeen,
in deren Verlaufe sich intercurrent lebhafte Erregungszustände manischen Charakters
einschoben. Nach dem Abklingen der Tobsucht bestanden die Wahnideeen weiter.
Der Versuch, diese Erregungen durch den paranoischen Affect oder durch Wahn¬
ideeen zu erklären, ist nicht durchführbar. Es bleibt also nur übrig, die Be¬
obachtungen als eine Häufung zweier Psychosen, der Paranoia als der Grund¬
krankheit, der Manie als der Episode aufzufassen. Zu der Kraepelin’schen
Lehre, solche Erkrankungen gar nicht der Paranoia zuzurechnen, hat der Verl
trotz der sehr eingehenden Litteraturbenutzung keine Stellung genommen.
Aschaffenburg (Heidelberg).
38) Ein Fall von olroulärem Irresein mit tftglioh alternlrendem Typus,
nebst Bemerkungen zur sog. „oiroulären Neurasthenie", von Dr. S.
H. Scheib er. (Pester med. Presse. 1901. Nr. 18.)
Der 63jähr. Patient, früher stets gesund, hatte mit 57 Jahren eine leichte
Apoplexie erlitten, dann im folgenden Jahre einen zweiten schweren Anfall.
Seither häufige Schwindelanfälle und täglioh altemirender Stimmungswechsel
2 Jahre später zwei schwere apoplektische Insulte, nach denen rechtsseitige Läh¬
mung mit Contracturen, Sprachstörung, Salivation, längere Zeit auch Unorientirt-
heit zurückblieb. Die Stimmung war regelmässig einen Tag gehoben und unter¬
nehmungslustig, den anderen Tag muthlos und deprimirt. Nach 4 Jahren verschwand
allmählich der Unterschied zwischen guten und schlechten Tagen, und der Pat.
■Urb im folgenden Jahre nach zunehmendem Marasmus.
Verf. glaubt, d as« hier eine reine Psychose neben dem neuropathologischen
Symptomencomplex entstanden sei. Er hat in der ihm zugänglichen Litteratur
sieht einen einzigen Fall von circulärem Irresein nach Apoplexie auffinden können.
Sehr begreiflich, denn es ist doch ganz imzulässig, aus dem Symptomencomplex
eines Apoplektikers willkürlich einzelne Erscheinungen herauszugreifen und daraus
eine selbständige Krankheit zu construiren. E. Beyer (Littenweiler).
6 *
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SO) Sieben Tage lang anhaltende, völlige und plötzlich naoh Chloroform¬
asphyxie eingetretene Aufhellung des Geistes bei einer seoundftr ver¬
wirrten Geisteskranken, von P. Näcke und Steinitz. (Irrenfreund.
1901.)
Eine anämische, etwa BOjähr. Frau, die nach einem melancholischen Vor¬
stadium in eine mit völliger Gedankenverwirrung verbundene Verrücktheit ver¬
fallen war und seit 2 Jahren in der Anstalt unverändert tiefe secundäre Verwirrt¬
heit mit quälendem Wahn und Sinnestäuschungen darbot, zieht sich eine Verletzung
der Genitalgegend zu, so dass die heftige Blutung in Ghloroformnarcose gestillt
werden musste. Alles ist gut abgegangen. Als man am 10. Tage wieder in
Narcose die Nähte entfernen will, tritt schon nach wenigen Minuten schwere
Asphyxie auf, die erst nach zweistündigen Wiederbelebungsversuchen beseitigt
wurde. Nun stellte sich ein immer heftiger werdender klonisch-tonischer Krampf¬
zustand ein, welcher nach 1 / a Stunde nach Morphiuminjection sich löst und von
einem l&stündigen Schlaf gefolgt ist. Nach dem Erwachen zeigt die Kranke
absolute Klarheit des Geistes, Orientirtheit und gutes Gedächtniss an früher Er¬
lebtes. Nach 7 Tagen beginnt wieder die alte Aengstlichkeit und Unklarheit,
so dass 3 Tage später der alte Zustand wieder vorhanden war. Dieser bleibt
bis zu dem wenige Jahre später erfolgten Tode unverändert.
Verf. nimmmt an, dass durch die Narcose, noch mehr durch die Asphyxie,
ganz besonders aber durch die später auftretenden und ziemlich lange anhaltenden
Krämpfe so mächtige Veränderungen in den CirculationsVerhältnissen des Gehirns
stattfanden, dass gewisse Hindernisse nervöser oder lymphatischer Natur u. s. w.
hinweggeräumt wurden, vielleicht auch krankhafte Produkte aus den Gehirn¬
zellen selbst resorbirt werden konnten. Damit würde stimmen, dass, sobald die
alten Kreislaufverhältnisse sich wieder einstellten, auch die Aufhellung des Geistes
verschwand. E. Beyer (Littenweiler).
IIL Bibliographie.
Die Syringomyelie. Eine Monographie von Docent Dr. Hermann Schlesinger.
(Zweite, vollständig umgearbeitete und bedeutend vermehrte Auflage. 88 Ab¬
bildungen im Texte. Leipzig u. Wien, 1902. Franz Deutike.)
Verf. hat durch seine bekannten Arbeiten über die Syringomyelie unsere
Kenntnisse dieser interessanten und vielgestaltigen Krankheit sehr gefördert. Die
zweite Auflage seiner Monographie, die als ein Band von 611 Seiten eben er¬
schienen ist, giebt uns eine vortreffliche Uebersicht über alles auf diesem Gebiete
Wissenswerthe. Diese zweite Auflage ist nicht nur bedeutend vermehrt, sondern
auch in allen Punkten umgearbeitet und dem heutigen Standpunkt angepasst.
Ref. muss es sich natürlich versagen, hier eine vollständige Wiedergabe des
Inhaltes zu geben, nur jene Punkte, die neue Befunde erbringen oder eine Stellung¬
nahme des Autores zu strittigen Fragen kennzeichnen, sollen kurz hervorgehoben
werden.
Bezüglich der Muskelbefunde sei erwähnt, dass Verf. in umschriebenen Muskel -
partieen Befunde erheben konnte, wie man sie sonst bei der Myotonie sieht,
ferner localisirte Myositis ossificans, namentlich in der Umgebung erkrankter
Gelenke. Bisweilen sah er Pes equino-varus sich entwickeln, und zwar, sowohl
bei späten Stadien, als auch als Frühsymptom bei sacrolumbalem Sitze der
Syringomyelie.
Verf. bestätigt die neuen Angaben über den segmentalen Typus der Sen-
sibilitätsstörungen bei der Syringomyelie, hebt aber hervor, dass in seltenen Fällen
auch gliederweise Ausbreitung der Sensibilitätsstörungen sich findet (centraler
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Typns); recht selten sind Sensibilitätsstörungen in Form von spiralförmigen, die
Extremitäten umgreifenden Bändern. Für die Sensibilitätsstörangen im Bereiche
des Gesichtes und der Schleimhäute finden sich bestätigende und erweiternde
Angaben der Befunde von Sold er; die Anästhesieen der Harnblase und der
Harnröhre gehen nicht immer miteinander parallel, weichen oft auch von den
Senabilitätsverhältnissen der die Blase bedeckenden Haut ab.
Sehr eingehend sind die Gelenkserkrankungen besprochen, die sioh nach
Vert’s Zusammenstellungen in etwa 1 / t der Fälle finden, aber seltener als bei
der Tabes doppelseitig und symmetrisch sind. Spontanfracturen finden sich am
läufigsten an den Yorderarmknochen. Eine der Cheiromegalie analoge Er¬
krankung an den Füssen beschreibt Verf. als Podomegalie. Diese Vergrösserungen
umschriebener Körperabschnitte (Makrosomie) bei der Syringomyelie, deren
Differential di agnose gegenüber der Akromegalie genauer besprochen wird, soll
och relativ oft bei Menschen mit besonders kräftiger Entwickelung der Extre¬
mitäten oder des ganzen Körpers finden.
ln 3 Fällen sab Verf. Nephrolithiasis und ist geneigt dieselbe mit dem
spinalen Processe in Zusammenhang zu bringen.
Besonders eingehend sind die Bulbärerecheinungen bei der Syringomyelie
besprochen. Verf. unterscheidet directe, durch die Syringobulbie veranlasste Er¬
scheinungen und indirecte Begleitsymptome, welche ihre Entstehung einer com-
plicirenden Affection verdanken. Letztere betreffen vor allem den 1. bis inclusive
1 Gehirnnerven, da die Syringobulbie nicht über den 5. Kern hinausreicht. Die
Kehlkopflähmungen bei Syringomyelie kennzeichnet Verf. dahin, dass es sioh
meist um complete Paresen eines Recurrens handelt; meist findet sich auch eine
gleichseitige Gaumensegel- und Schlundlähmung; Posticuslähmung, und zwar ein¬
seitige ist meist nur vorübergehend. Der Bulbärprocess bei der Syringomyelie
unterscheidet sich von anderen Bulbäraffectionen durch seine relative Benignität,
selbst bei Schädigung des Vaguskernes, und durch den oft eminent chronischen
Verlauf.
Verf. unterscheidet gewisse, häufiger vorkommende Typen in dem so viel¬
gestaltigen Symptomenbilde der Syringomyelie, und zwar 1. Syringomyelie mit
den klassischen Symptomen, je nach dem Sitze der Erscheinungen als Cervical-,
Doreolumbal-, Lumbosacraltypus und Syringobulbie, 2. Syringomyelie mit vor¬
liegend motorischen Erscheinungen unter dem Bilde der amyotrophischen Lateral-
akleroee, der spastischen SpinalparalyBe und als humero-scapularer Typus, 3. Syringo¬
myelie mit vorwiegend sensiblen Erscheinungen, 4. mit vorwiegend trophischen
Störungen unter dem Bilde des Morvan und einen osteoarthritisohen Typus,
5. einen tabischen Typus, 6. pachymeningitischer Typus.
In der Aetiologie spielen weniger directe Heredität, als vielmehr eine ge¬
wisse Veranlagung eine grosse Bolle; Traumen, und zwar solche der Wirbelsäule
können zum Auftreten einer Syringomyelie Anlass geben. Periphere Verletzungen,
Neuritis ascendens dagegen sind abzulehnen.
Auf die eingehende Darstellung der Differentialdiagnose, speciell auf die
Kapitel Lepra und Syringomyelie kann hier nur verwiesen werden.
Nahezu vollständig umgearbeitet ist der pathologisch-anatomische und
pathogenetische Theil, wobei der Autor auf ein besonders reiches eigenes Material
(27 Fälle von Syringomyelie), sowie auf Untersuchungen zahlreicher Kinderrücken-
tiarke u. s. w. sich stützt. Verf. definirt anatomisch die Syringomyelie als eine
ätiologisch nicht einheitliche, chronisch progrediente Spinalaffection, welche
zur Bildung langgestreckter, mit Vorliebe die centralen Rückenmarksabschnitte
betreffenden Hohlräume und oft auoh zu erheblichen, der Spaltbildung gleich-
verthigen und letzterer vorangehenden oder coordinirten Gliaproliferationen in
dar näch sten Umgebung der Hohlraume oder mit gleioher Localisation, wie letztere,
Die
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führt. Nach dem anatomischen Bilde unterscheidet Verf. Hydromyelieen, glidse
Syringomyelie, wobei Verf. die Gliawucherung in nahe Beziehung zur Tumor-
hildung bringt, Syringomyelie in Folge von Gefässerkrankungen, Höhlenbildungen
in Tumoren und bei Pachymeningitis, dann Höhlen nach Traumen und Blutungen.
Für die mit Centralcanalepithel ausgekleideten Höhlen, sowie Hydromyelieen ist
zum grossen Theil ein congenitaler Ursprung anzunehmen. Verf. erörtert weiter
die Frage, ob auch für die nicht mit Epithel ausgekleideten Hohlräume ent¬
wickelungsgeschichtliche Störungen anzunehmen sind, wobei Verf. an der Hand
eigener Untersuchungen die Verhältnisse des foetalen und kindlichen Centralcanals
einer genauen Besprechung unterzieht, und kommt zum Schlüsse, dass für eine
grössere Zahl von Fällen von Syringogliose und centraler primärer Gliose eine
congenitale oder sehr früh erworbene Veranlagung erforderlich sei. Traumen
führen nur dann zur Syringomyelie, wenn sie ein solches veranlagtes Rückenmark
betreffen, während in anderen Fällen nach Traumen bloss eine stationäre Cyste
zurückbleibt. Gefässveränderungen schreibt Verf. jetzt eine relativ geringe Rolle
für das Zustandekommen der Syringomyelie gliosa zu, während meningeale Proceese
für gewisse Fälle von Syringomyelie, die nichts mit angeborenen Anomalieen zu thun
haben, in Betracht kommen. Hier ist die Syringomyelie aber secundär, eine Folge¬
erscheinung des menningealen Processes. Bezüglich der Syringobulbie sind die
median gelegenen Spalten auf entwickelungsgeschichtliche Störungen zurück¬
zuführen, während die lateral gelegenen nicht praeformirt sind. Für ihr Zustande¬
kommen sind Gefässveränderungen heranzuziehen, die an gewissen Partieen, die
durch den Reichthum an Gefässen und grauer Substanz ein besonderes lockeres
Gefüge zeigen, zur Spaltbildung führen.
Den Sohluss des Buches bilden die ausführlichen Krankengeschichten von
56 eigenen Fällen, die Verf. aus seiner reichen Erfahrung als besonders instructiv
ausgewählt hat, und endlich ein Litteraturverzeichniss von 1175 Nummern.
Redlioh (Wien).
IV. Aus den Gesellschaften.
XXXli. Jahresversammlung der südwestdeutsohen Irrenärzte in Karlsruhe
am 2. und 3. November 1901.
(Fortsetzung.)
Herr Dr. Alzheimer (Frankfurt a/M.): Ueber atypisohe Paralysen.
Nachdem uns heute unsere histologischen Kenntnisse erlauben, die para¬
lytische Degeneration von verwandten Krankheitsbildern abzugrenzen, wird es uns
möglich, verschiedene Formen als atypische Paralyse abzugrenzen. Vordem musste
man noch immer den Einwand gelten lassen, ob wir es bei diesen atypischen
Formen auoh wirklich mit Paralysen und nicht etwa nur mit ähnlichen Krank¬
heitsformen zu thun haben.
Lissauer hat in einer aus seinem Nachlasse von Storch herausgegebenen
Arbeit eine typische und atypische Paralyse unterschieden.
Die von Lissauer als typische Form bezeiohnete umfasst wohl 80°/ &
aller Paralysen. Sie ist klinisch gekennzeichnet durch eine langsam zunehmende,
eigenartige Verblödung. Acute Schübe in Form von Anfällen und Erregungs¬
zuständen unterbrechen zuweilen den chronischen Verlauf. Der Degenerations-
process beschränkt sich vorzugsweise auf die vorderen Grosshirnhälften.
Bei der atypischen Paralyse Lissauer’s lässt die Degeneration das Stirn¬
hirn relativ frei und es kommt dagegen in mehr oder minder looalisirten Partieen
Die
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der Unteren Grosshirnhälften zn einer ganz besonders weitgehenden Atrophie,
Klinisch zeigt die atypische Paralyse einen Verlauf von Schüben. Oft mit An-
sehluss an apoplectiforme Anfälle auftretende corticale Herdsymptome treten in
den Vordergrund. (Meist eine sensorisch-motorische Aphasie, aber auoh Alexie,
Agraphie, Hemianopsie, Rindenlähmungen.) Die Demenz erreicht erst später er¬
hebliche Grade, sie ist partieller, aus anderen Defecten zusammengesetzt, mehr
der Demenz bei Hirnherderkrankungen ähnlich.
Die histologische Untersuchung lässt keinen Zweifel, dass die Gewebsver-
inderong eine paralytische ist, nicht etwa eine luetische im engeren Sinne.
Xanchmal können dabei plötzlich, wie mit einem Schlag, ausgedehnte nervöse
öewebspartieen ausser Function gesetzt werden und dem Untergang verfallen.
In einem Falle hatte sioh, ohne dass vorher Eirankheitserscheinungen bemerkt
»orden waren, in wenigen Stunden eine schwere sensorisch-motorische Aphasie
entwickelt. Da der Tod schon einige Wochen später eintrat, liess sich durch die
Marchimethode der Umfang der Degeneration genau feststellen. In der vorderen
Hirnhälfte zeigte Bich nur in einzelnen Faserbündeln des tieferen Markes eine
grössere Anhäufung von Schollen, sie entsprechen wohl langen Associationsbahnen.
f Di gegen war das Marklager der Schläfen- und Scheitelwindung dicht mit Schollen
erfüllt Der Fasciculus longitudinalis inferior z. B. hob sich scharf durch eine
dichte Schollen anhäufung von der Umgebung ab.
Während bei der typischen Paralyse fast stets beide Stirnlappen gleich er¬
krankt sind, ist bei der atypischen Paralyse Lissauer’s die hochgradige Atrophie
oft auf eine Stirnhälfte beschränkt. Dadurch kommen oft sehr erhebliche Ge-
1 wichtsunterschiede zwischen beiden Hemisphären zu Stande.
Bei der Dementia senilis giebt es übrigens eine der atypischen Paralyse
Lissauer’s ganz entsprechende atypische Dementia senilis. Hierher gehören die
Mailen Aphasieen.
Da es nicht nur eine, sondern zahlreiche atypische Formen der Paralyse
giebt, würde es sich empfehlen, die von Li s sau er beschriebene Form nicht
hinweg als atypische Paralyse, sondern vielleicht als Lies au er'sehe Paralyse
m bezeichnen.
Eine dritte Form ist schon früher als foudroyante Form bezeichnet worden.
Sie ist klinisch gekennzeichnet durch einen an das Delirium acutum erinnernden
r Verlauf, also durch ausserordentliche Erregung und Unruhe bei erheblicher Be¬
nommenheit, pseudoepontanen, manchmal fast choreatischen Bewegungen, histo¬
logisch durch über das ganze Gehirn verbreitete acute Veränderungen (acute
Oanglienzellveränderungen, manchmal Schollenzerfall der Markscheiden, acute
Wucherungen der Glia mit massenhaften Kerntheilungsfiguren, frische Infiltration
der Gefäase mit Plasmazellen.)
Eine vierte Form zeichnet sich durch vorzugsweises Erkranken des Klein¬
hirns aus. Nach neueren Untersuchungen (Raecke) erkrankt das Kleinhirn
regelmässig bei der Paralyse, oft aber nur in massigem Grade. Bei dieser Form
handelt es sich aber um besonders schwere Atrophieen des Kleinhirns. Die ersten
Symptome der Krankheit sind daher auch eine cerebellare Ataxie und Dreh-
tchwindel. In einem Falle kam der Kranke mit der Diagnose „Kleinhirntumor“
in die Anstalt Erst später traten die Symptome allgemeiner Paralyse wie bei
dar typischen Paralyse auf.
Es giebt aber auch seltene Fälle, bei denen offenbar die Erkrankung der
Sehhügel das primäre ist. Die Betheiligung der Sehhügel an der paralytischen
Degeneration bedarf noch eingehenderen Studiums. Wie schon LisBauer an¬
gegeben hat, ist sie wohl in den meisten Fällen secundär. In einem Falle, bei
| dem während des Lebens eigentümliche Anfälle von choreaähnlichen Bewegungen
f bald der rechten, bald der linken Extremitäten ohne Bewusstseinsverlust auf-
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getreten waren, und bei dem' sich bei der Section nur ganz unmerkliche
Atrophieen der Hemisphären, bei der histologischen Untersuchung nur ganz
leichte Rindenerkrankung fand, zeigte sich eine so schwere Gliawucherung in
den Kernen des ThalamuB, dass sie durch eine secundäre Degeneration nicht
erklärt werden kann. Dabei waren die Thalamusveränderungen durchaus para-
lytischer Natur.
Als atypische Paralyse müssen weiter noch manche Formen bezeichnet
werden, die sich an Tabes anschliessen. Es mag wohl sein, dass die in ihrem
Verlauf manches Abweichende bietende Tabesparalysen auch durch eine bestimmte
Localisation der paralytischen Degeneration charakterisirt sind. Bis jetzt hat
sich etwas Greifbares nicht herausfinden lassen. Dagegen fand sich bei zwei
eigenartigen, hallucinatorischen Verwirrtheitszuständen bei alter Tabes überein*
stimmend eine Localisation des paralytischen Degenerationsprooesses beschränkt
auf die tieferen Rindenschichten im Gegensatz zu der typischen Paralyse, bei
welcher die obersten Rindenschichten am ersten und stärksten erkranken.
Schliesslich stellen auch die senilen Paralysen (nach dem 60. Lebensjahr),
die nach der histologischen Untersuchung nicht ganz so selten sind, wie man
bisher meist annahm, zum grössten Theil eine atypische Form dar. Sie zeigen
klinisch oft ein der Dementia senilis ähnliches Krankheitsbild, die körperlichen
Begleiterscheinungen treten mehr zurück, die Gliawucherung scheint im Ver¬
gleiche zu dem weitgehenden Ausfall der nervösen Elemente manchmal sehr un¬
erheblich.
Damit sind aber nur die häufigsten und bemerkenswerthesten atypischen
Formen der Paralyse skizzirt. Es lässt sich hoffen, dass wir durch Hand in
Handgehen der klinischen Beobachtung und histologischen Untersuchung immer
weitere Fortschritte machen werden, nicht nur eine Paralyse zu diagnosticiren,
sondern auch angeben zu können, wo der paralytische Degenerationsprocess
vorzugsweise localisirt ist. (Demonstration von Zeichnungen und Photographieen.)
(Autoreferat)
Discussion.
Herr Kräpelin (Heidelberg) hält die Mittheilungen des Vortr. für sehr
interessant und werthvoll und fragt Vortr., ob derselbe auch bestimmte diagno¬
stische Unterscheidungsmerkmale zwischen der Demenz der typischen Paralyse,
der Lissauer’sehen Paralyse und der arteriosklerotischen Demenz angeben könne.
Vortr. erwidert, dass es ausserordentlich sohwer sei, bestimmte Kennzeichen
anzugeben, welche als durchgreifende Unterscheidungsmerkmale zwischen der
Demenz der typischen Paralyse, der Lies au er’sehen Paralyse und schliesslich
der arteriosklerotischen Demenz verwendet werden können. Es ist leichter die
Fälle, wie die spätere Section ausweist, im Leben richtig zu diagnosticiren, als
seine eigenen Gründe für die Diagnose im einzelnen Falle in Worte zu bringen.
Einiges habe er ja schon angegeben. Er bemühe sich fortgesetzt durch möglichst
eingehende Untersuchungen des Gedächtnissinhalts, des Urteilsvermögens und
durch genaue Abgrenzung der psychischen Ausfälle zu bestimmten Kennzeichen
zu kommen, um an Stelle der jetzig noch vielfachen Eindrucks- oder „Gefühls-
diagnose“ wirklichere, sichere Unterscheidungsmerkmale angeben zu können. Heute
sei er es dazu noch nicht für alle Fälle im Stande.
Im Uebrigen machte er noch auf andere Fälle von Paralyse ähnlicher Er¬
krankung aufmerksam, die einer eingehenden Beachtung verdienen dürften. Es
sind dies die gar nicht so sehr seltenen Fälle, bei denen man mit aller Berech¬
tigung die Diagnose auf Paralyse gestellt zu haben glaubt, die aber von einem
gewissen Zeitpunkt an stehen bleiben und denen scheinbar nicht der gewöhnliche
Ausgang der Paralyse beschieden ist. Er kenne solche Fälle, die seit 11 Jahren
dieselben geblieben sind. Auch sie stehen im Zusammenhang mit Lues. Nichts
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iber spricht für luetische Herderkrankung. Ein Zusammenwerfen dieser Fälle
nit der postsyphilitischen Demenz scheint ihm nicht genügend gerechtfertigt.
Die Fälle kanten doch wohl auch anderwärts vor. Es wäre sehr verdienstlich,
ae hi sammeln und wenn die Möglichkeit vorhanden ist, durch genauere histo¬
logische Untersuchungen festzustellen, ob wir es hier mit Paralyse zu thun haben.
Herr Nissl (Heidelberg): Hysterische Symptome bei einfachen Seelen-
Störungen.
Die Beziehungen zwischen Hysterie und einfachen Seelenstörungen sind
dnrchaus nicht klar. Meist unterscheidet man rein symptomatologisch selbst¬
ständige hysterische Psychen und Psychosen, die sich auf dem Boden der Hysterie
entwickeln. Kraepelin fasst die Hysterie als angeborene Störung auf, die sich
dauernd wirksam zeigt, so dass es jeder Zeit zu körperlichen Störungen und zu
specifischen Irreseinsformen kommen kann. Die dauernde Wirksamkeit des an¬
geborenen Zustandes zeigt sich im „hysterischen Charakter“. Eine eingehende
Untersuchung des Materiales der Heidelberger Klinik, speciell der Frauenabtheilung,
tot und nach dem Jahre 1890 ergab das Resultat, dass die hysterische Psychose
eine sehr seltene Krankheit ist, dass nur 1,5 °/ 0 der in die Heidelberger Klinik
angenommenen Frauen an hysterischer Psychose litten, dagegen sind hysterische
Symptome bei einfachen Seelenstörungen eine relativ häufige Erscheinung. Diese
Symptome sind häufig ausserordentlich schwer von Hysterie zu unterscheiden.
Die meisten „hysterischen“ Erscheinungen fanden sich bei der Katatonie,
aber auch bei Manie und Involutionskrankheiten. Eine Verständigung über die
Hysterie ist nach Vortr. nur zu erzielen, wenn an Stelle der symptomatologischen
Betrachtungsweise die klinische tritt. Die Aenderung, die die Art der Auffassung
hervorruft, geht aus den Zahlen der Heidelberger Klinik hervor, in der vor
1890 13,8 °/ 0 , nach 1890 1,5 °/ 0 hysterischer Psychosen, vor 1890 bei 14,4 °/ 0 ,
nach 1890 hei 11,2 °/ 0 der kranken Frauen hysterische Symptome beobachtet
worden sind.
Herr Dr. M. Fried mann (Mannheim): Ueber die Grandlage der Zwangs¬
vorstellungen. (Ist in der Psych. Wochenschr. ausführlich publicirt)
Die Lehre von den Zwangsvorstellungen befindet sich gegenwärtig in einer
gewissen Unklarheit, und dies dadurch, dass es bei einem ansehnlichen Theil der
immer wieder neu aufgestellten Unterformen nicht recht entschieden werden
kann, ob sie wirklich in den Rahmen des Symptombegriffes hineingehören oder
nicht. Aber auch bei den vielfachen, besonders von französischen Autoren aus¬
gehenden Versuchen, die einzelnen Factoren bei der Bildung der Zwangs¬
vorstellungen zu eikennen und auseinander zu halten (Disharmonie der Asso¬
ciationen, Emotion, intellectuelle Störung, vasomotorische Störungen), will es nicht
recht gelingen, die thatsächlichen genetischen Verhältnisse zu entwirren. Der
Grund ist der, dass in Wahrheit nur Habitusdefinitionen des Symptoms existiren,
nicht ausgenommen die an sich trefflich klare Westphal’sche. Bei Betrachtung
seiner eigenen Erfahrungen gelangt Vortr. zu einer völlig neuen Auffassung des
Symptoms, welche die psychologische Grundlage desselben zu erkennen ge¬
stattet Die jetzt gültige, aber noch kaum wissenschaftlich untersuchte Theorie
nimmt stillschweigend an, dass der Zwang nicht nur das hauptsächliche, sondern
noch ein primäres psychologisches Element hierbei darstellt; das Wesentliche
isi demnach eine lebhafte Verstärkung und eine Art Empörung des Erinnerungs¬
bild Vorstellungsprocesses an sich, die Vorstellungen kommen und drängen sich
noch nicht gerufen durch regelrechtes associatives Denken, man kann vergleichs¬
weise sagen, es sei ein Vorstellung«- oder Erinnerungskampf, eine Tetanisirung
der Aufmerksamkeit vorhanden. Diese Annahme mag für einen Theil der activen
Zvangsimpulse gelten, aber nicht für die Zwangsvorstellungen, welche
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grundsätzlich von jenen zu trennen sind. Der Haupteinwand dagegen
ist der, dass der Denkzwang nur bei bestimmten Kategorieen der Vorstellungen
vorkommt, und namentlich nicht hei der typischsten Gattung, der gewöhnlichen
Erinnerung abgelaufener Geschehnisse. Hier kann in seltenen Fällen jener auch
von Löwen fei d beschriebene Denkzwang in Form der Ausmalung von Situation*-
bildern Vorkommen, welche durch die Phantasiethätigkeit erzeugt wird; aber z. B.
die einfache Erinnerung eines noch so schrecklichen Erlebnisses (etwa unver-
mutheteB Antreffen eines Erhängten, frühere Krankheit, Verlust eines Kindes),
solche Dinge reizen und regen nur auf, aber die Erinnerung verblasst und wurde
noch nie unter 100—200 Fällen Vortr. zur wahren Zwangsidee.
Sie können das freilich werden, vorher aber haben sie eine bezeichnende
Umwandlung erlitten, sie schauen nunmehr in die Zukunft. Der Schrecken
beim Anblick eines epileptischen Anfalles z. B. hat dann geführt zur Furcht,
selbst etwas Aehnliches zu erleiden. Aehnlich verhält es sich mit der fixen Idee.
Wenn diese z. B. eine depressive Selbstanklage, auch ihren Träger quält und be¬
lästigt, so tritt die Vorstellung doch nur hervor, wenn der Pat. auf associativem
Wege daran erinnert wird; ihr Inhalt, nicht der „formale“ Drang ist maass¬
gebend für die Belästigung. Aber es können auch gewisse fixe Ideeen zwange-
mässig sich auf drängen, und dies wieder dann, wenn sie auf die Zukunft schauen;
die meisten hypochondrischen Befürchtungen gehören hierher, ferner die „Er-
wartungsangst“, wie dies Vortr. nennt, beim Melancholiker, z. B. dass Gensdarmen
kommen und den Pat. ins Gefängniss abführen u. A. Bezeichnet man den Unter¬
schied zwischen der fixen Idee und der Zwangsidee noch genauer und in der
Form der Logik, so ist die letztere eine Idee, welche dem sonstigen Denkinhalte
nicht angegliedert wird, welche nicht die Form der fertigen Urtheils-
associa tion gewinnen kann, wie dies bei der fixen Idee geschieht Hier
z. B. weiss der Pat., dass seine Frau untreu ist oder war, er ist eifersüchtig,
dort fürchtet er es nur, er stellt sich die Möglichkeit vor zugleich mit den
Gegengründen.
Alle Zwangsideeen gehören nun generell der grossen Gruppe der unab-
geschlossenen Vorstellungen an, bei welchen der Denkact nicht zu Ende
gedacht werden kann, sei es aus logischen, sei es in Folge thatsächlicher Hinder¬
nisse. Diese Vorstellungen bedrängen aber bereits in der Norm ihren
Träger, und zwar sind das folgende vier Classen: Die Sorgen und BefSrch-
tungen, der Zweifel, die Erwartung und die an sioh isolirte und unverstandene
Vorstellung, z. B. eine einfache abnorme Empfindung. Allen gemeinsam ist die
Ungewissheit. Eine unabgeschlossene Vorstellung nämlich ist ein logisches
Unding. Es besteht das psychologische Grundgesetz des Assooiationszwanges
einerseits und des Zwanges zum Fortschreiten des Denken andererseits. Jenen
Associationszwang bezeugen die drängenden „Woher-“ und „Warum-“fragen unserer
Kinder und andererseits die Unruhe und Furcht vor dem Unverstandenen. Daher
der Aberglaube und die abergläubische Panphobie des Naturmenschen, daher der
Drang zum wissenschaftlichen Forschen, der Causalitätstrieb. Fehlt nun die
Association, kennen wir das Ergebniss eines Zweifels und den Ausgang ein«
Geschehnisses (z. B. einer Erkrankung) nicht, so entsteht der Affect der Erwartung,
der Ungeduld, der Sorge. Zugleich aber schreitet das Denken nicht vorwärts, die
Sorgen erregende Vorstellung drängt sich gewaltthätig immer wieder in unser
Bewusstsein, Bie pocht so zu sagen an dessen Pforten. So ergiebt sich der
formale Drang der unabgeschlossenen Vorstellung. Dadurch aber weiter, dass
sie identisch sich wiederholt, reizt und quält sie das Gehirn, welches
gerade gegen die identische Wiederkehr von Beizen besonders intolerant ist: es
ist, wie wenn man stets an gleicher Stelle mit dem Kopf gegen ein Hindernis*
anrennt, daher die Angst und Pein der Zwangsvorstellung.
Digi
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91
Damit ist nur die normale Grundlage des Symptoms bezeichnet. Ganz kurz
'& aber noch zu sagen, dass es dreierlei differente pathologische Bedingungen
Ir sein Auftreten giebt: entweder es ist nur die normale Intoleranz gegen
Sorgen und Erwartungsvorstellungen erhöht; eine berechtigte Sorge, z. B. Furcht
der Gravidität zur Zeit der Menopause, wird dann förmlich gesetzt, sie er-
Mt alles Sinnen und Trachten der Patienten. Das sind die emotiven Formen
bei der Nervosität. Oder aber zweitens die Erregung wirkt nicht reizend,
sondern erschöpfend und lähmend; dann ist gerade das Abschlüssen eines
Gedankens gehemmt, die Handlung kommt nicht hinaus über das Vorhaben
nnd Vornehmen, besonders dann, wenn sie schon einmal missglückt ist. Dazu
gehören die meisten sogen. Phobieen. Aber es kann die Steigerung der Bedenken
geradezu zur Intoleranz gegen den Abschluss eines logischen Actes führen, zur
Furcht vor den Consequenzen. Hier ist dann rückwärts der Zweifel ent¬
standen, ob die Person kein Unheil angerichtet habe, die Irrthumsangst; somit
ist wiederum eine unabgeschlossene Vorstellung, ein Zweifel, im Vordergründe.
Drittens kann bei psychopathischen Naturen jene Grundeigenschaft des Denkens,
da Drang zum Fortschreiten gehemmt sein. Das Denken klebt überall
fest , die Aufmerksamkeit wird auf Nebendinge ebenso gefesselt wie auf Haupt¬
sachen, der Pat. dreht sich anhaltend im gleichen Kreise und rückt nicht von
da Stelle. Ganz besonders scheitert aber sein Gedankenlauf an der Stelle, wo
ja aueh der Normale gebaut wird, an Zweifeln und Sorgen. Und da Alles ihn
femelt, auch das Unwichtige, so gleitet er nicht über Räthselhaftes hinweg, wie
es andere Menschen gelernt haben. Daher sein Grübelzwang, vergleichbar der
Fragesueht des Kindes. Sein Kleben drängt ihn zu mechanischen Beaotionen,
z. B. sonderbarem Buchstabiren, ewigem Neuordnen seiner Habseligkeiten u. s. w.
Herr Arndt: Zur Qesohlohte der Katatonie. (Der Vortrag wird aus¬
führlich publicirt werden.)
Vortr. giebt einen Ueberblick über die Entstehung und Entwickelung des
Begriffes Katatonie und zeigt die Entstehung des Verlustschemas der Katatonie,
ihres wichtigsten Syndroms, der sogen. Melancholie atonita, und des motorischen
Symptom encomplexes. Die Katatonie ist die Zusammenfassung der bisherigen
Beobachtungsresultate auf Grund der von Kahlbaum in Deutschland zuerst
principiell durch geführten Methode auf dem Wege klinischer Forschung natürliche
Krankheitseinheiten aufzustellen. In den Umrissen wurde die Katatonie 1863 in
der Gruppirung der psychischen Krankheiten von Kahlbaum festgelegt. In dem¬
selben Werke ist die andeutende Beschreibung der Hebephrenie enthalten, welcher
Krankheitsbegriff, durch Hecker ausführlich bearbeitet, von Kraepelin mit der
Katatonie verschmolzen wurde. Die Entwickelung des Begriffes Katatonie knüpft
neb an die immer deutlicher werdende Thatsache der schlechten Prognose, des
iegenerativen Wesens und des Zusammenhanges mit der Hebephrenie an. Ent-
itehung und Entwickelung erinnern an die Geschichte der Paralyse.
(Fortsetzung folgt.)
Dr. Lilienstein (Bad-Nauheim).
▲erstlioher Verein zu Hamburg. (Biologische Abtheilung.)
Sitzung vom 3. December 1901.
Herr Saenger: Ueber lntermittirendes Hinken. (Vergl. Autoreferat im
Neurolog. Centralbl. 1901. S. 1067.)
Discussion:
Hot Heinrich Embden: Die Abhängigkeit des intermittirenden Hinkens
von der Gefässerkrankung steht fest. Ebenso sicher aber erscheint es, dass noch
Digi
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irgend welche besonderen Momente, vielleicht nur besondere Localisationen der
Gefässveränderung, hinzukommen müssen, um bei diesen das heute besprochene
Krankheitsbild entstehen zu lassen. Dafür spricht die relative Seltenheit des
intermittirenden Hinkens gegenüber der sehr häufigen Verkalkung und Sklerose
der Arterien in den unteren Extremitäten. Das besondere Element in einer
„neuropathischen Diathese“ zu suchen, dafür scheint noch keine genügende Ver¬
anlassung vorzuliegen. — E. wendet sich bei dieser Gelegenheit gegen den Miss¬
brauch, der mit der Statuirung der „neuropathischen Diathese“ in wachsendem
Maasse getrieben wird. Irgend eine nervöse Erkrankung im Vorleben des Pat.
oder irgend eines Verwandten, irgend eine Sonderbarkeit, genügt vielen Autoren,
um den an sich übrigens ziemlich inhaltlosen Begriff „neuropathische Diathese“
zu citiren. — Ebenso verhält es sich mit der Statuirung der erblichen Belastung.
Erst neuerdings fängt man an, bei medicinischen Erblichkeitsstudien die Methoden
der Genealogen anzuwenden. Die Pferdezüchter sind auf diesem Gebiete exacter
als die Aerzte; von ihnen Hesse sich für die Methodik vieles lernen. — Gegen
die ätiologische Rolle der nervösen Disposition beim intermittirenden Hinken
dürfte auch die Thatsache sprechen, dass bei der Angina pectoris, die man nicht
mit Unrecht als das „intermittirende Hinken des Herzens“ bezeichnet hat, die
„neuropathische Diathese“ keine nachweisbare Rolle spielt. — Zum Schluss theilt
E. die Geschichte einer jungen Frau mit, welche im übrigens normalen Wochen¬
bette einem dem intermittirenden Hinken analogen Symptomencomplex im rechten
Arm acquirirte, wie er in anderer Form auch schon von Hm. Saenger erwähnt
wurde. — Der Arm war in der Ruhe von normalem Aussehen und vollkommen
schmerzfrei; bei jeder Thätigkeit aber wurde er blass und schmerzhaft. Die
Untersuchung ergab völHges Fehlen des Pulses in den Aa. brachial», radial» und
ulnar». Es steht fest, dass der Radialpuls früher vorhanden war. Die subjec-
tiven Störungen haben sich ganz langsam, aber nicht vollständig ausgeglichen;
der Puls ist nicht wiedergekehrt. Ob es sich um eine EmboUe bei ocoulter
Endocarditis handelt, steht dahin; die Frau erfreut sich einer tadellosen Allgemein¬
gesundheit. Eine Angioneurose scheint ausgeschlossen zu sein. — Neue ana¬
tomische Untersuchungen, deren erst sehr spärliche vorliegen, können allein die
Frage nach der Pathogenese des intermittirenden Hinkens beantworten. Dabei
wird man besonders genau auf die Localisation der Gefässveränderungen achten
müssen. (Autoreferat.)
Herr Böttiger demonstrirt gleichfalls das Röntgenbild eines Patienten mit
Claudication intermittente. Die Art. tibialis postica zeigte in ihrem ganzen Ver¬
laufe Verkalkungen. Der Pat. ist ein 65jähr. Kaufmann, der seit etwa einem
Jahr bemerkt, dass sein rechter Fuss und Unterschenkel leichter einschläft; seit
etwa 3—4 Monaten bestehen die Symptome des Hinkens. Aetiologisch kommt
bei ihm nur Ueberanstrengung der Beine in Betracht; er ist seit 52 Jahren in
einem bedeutenden Ladengeschäft von früh bis Abends spät stehend thätig. Die
Schmerzen treten vorläufig nur im rechten Bein auf. Der Puls der linken Poplitea
ist kräftig, der der rechten gar nicht fühlbar; die Dorsal» pedis ist beiderseits
kaum fühlbar. Bemerkenswerth und ätiologisch vielleicht nicht ganz unwichtig
ist die Thatsache, dass der Pat. Bchon seit jüngeren Jahren ausgedehnte Krampf¬
adern an dem jetzt erkrankten rechten Unterschenkel hat; links fehlen solche
durchaus. (Autoreferat.)
Herr Wiesinger: Auf eine Bemerkung Saenger’s, dass bei mehreren der
von ihm beobachteten Fälle von intermittirendem Hinken von chirurgischer Seite
Plattfusseinlagen ohne Nutzen verordnet gewesen seien, führt W. aus, dass auch
er bei ausgesprochenen Fällen von intermittirendem Hinken keinen Nutzen von
Plattfusseinlagen erwarte oder gesehen habe, dass aber Zustände Vorkommen, die
viel Aehnlichkeit mit dem geschilderten Leiden haben, bei welohen Plattfuss-
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93
dnlagen mit Nutzen angewendet werden könnten. In zweifelhaften, nicht aus¬
gesprochenen Fallen sei daher gewiss der Versuch gerechtfertigt, durch derartige
Bandagen Erleichterung zu schaffen. (Autoreferat.)
Herr Deutschländer weist auf ein Krankheitsbild hin, welches in differential-
diagnostischer Hinsicht erwähnt zu werden verdiene, und das in gewissen Fällen
einen ähnlichen Symptomencomplex zeigt, wie das intermittirende Hinken, wenn
freilich ein Angiospasmus hierfür nicht verantwortlich zu machen sei. D. meint
d&g Frühstadium der Arthritis deformans coxae. Auch hier handelt es sich um
Patienten in den 40 er oder 50 er Jahren in gutem Ernährungszustände. Auch
hier trete in gewissen Fällen, wenn die Patienten eine Zeit lang in Bewegung
wien, ein derartig starkes und schmerzhaftes Hinken auf, dass sie genöthigt wären,
sich anszuruhen, worauf dann das G-ehen wieder besser wurde. Erst jüngst seien
einige Fälle dieser Art veröffentlicht worden (Becher: Zur Frühdiagnose der
Arthritis deformans coxae. Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47). Das
objeetive Unterscheidungsmerkmal bestehe bei diesen Fällen in der Beschränkung
der Abduction in der erkrankten Hüfte. — Was die Therapie anbetrifft, so em¬
pfiehlt D., beim angiospastischen Hinken einen Versuch mit Schienenhülsenapparaten
za machen, die das Bein beim Gehact entlasten und mit denen auch bei der
Arthritis deformans der Hüfte oft recht erhebliche Besserungen erzielt worden
seien. (Autoreferat.)
Herr Just wendet sich gegen die von Herrn Saenger und Embden auf¬
gestellte Analogie zwischen intermittirendem Hinken und Angina pectoris, indem
er darauf hinweist, dass das intermittirende Hinken nach Angabe der Beobachter
stets nach längerer, starker Arbeit der Muskeln eintrat, während doch die An¬
fälle von Angina pectoris, wenn auch nicht immer, so doch mit besonderer Häufig¬
keit während des Schlafps eintreten. (Autoreferat.)
Herr Eaes: Herrn Embden muss ich mit seiner Behauptung entgegen¬
treten, dass von Seiten der Aerzte mit der Heranziehung der nervösen Disposition
und der erblichen Belastung als ätiologisches Moment ein wahrer Unfug getrieben
werde. Für die Psychiatrie treffe dies bei der erblichen Belastung nicht zu, denn
das erbliche Moment sei thatsächlich ein derartig allgemeines und drastisches,
dass von einer missbräuchlichen Heranziehung keine Rede sein könne. Allerdings
treffe dies nur für die sog. Function aller Psychosen zu, während bei anderen,
wie z. B. bei der allgemeinen Paralyse, wo die Lues als ätiologischer Factor im
Vordergründe stehe, die Heredität allerdings mehr zurücktrete. (Autoreferat.)
Herr Embden: Herr Kaes hat mich missverstanden. Ich habe durchaus
nicht die Bedeutung der Erblichkeit für das Zustandekommen vieler Psychosen
geleugnet. Nur gegen die Leichtfertigkeit, mit welcher häufig auf Grund ganz
ungenügenden Materials im einzelnen Falle von erblicher Belastung gesprochen
wird, habe ich mich gewandt.
Herr Fraenkel weist darauf hin, dass alle die Circulation in den unteren
Extremitäten beeinträchtigenden pathologischen Vorgänge zu dem Symptom des
mtermittirenden Hinkens führen können und erinnert an einen später zur Section
gekommenen Fall von Aneurysma der Bauchaorta, wo dasselbe sehr exquisit be-
itanden habe. Er fragt weiter, ob die Angaben von Erb über die Fühlbarkeit
des Pulses der Hüftarterien von Anderen bestätigt seien und hebt hervor, dass
ihm das Fühlen des Pulses speciell der Art. tibialis postica kaum je gelungen sei.
Es erkläre sich das auch ungezwungen aus der tiefen Lage dieses Gefässes in der
Reg. malleolaris intern. Die Art. dorsalis pedis dagegen sei gut fühlbar und
nicht selten sogar sichtbar. Ein Vergleich des Herzens bei Coronar-Arten en-
erkranknng und der unteren Extremitäten in Fällen von sogen, intermittirendem
Hinken sei doch nur sehr bedingt zulässig, denn dort habe man es mit einem
dem Willen entzogenen, continuirlich arbeitenden, von Endarterien versorgten
Die
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94
Muskel zu thun, hier mit willkürlichen Muskeln, welche durch eine glänzende
Gefässversorgung ausgezeichnet sind. Fr. erörtert schliesslich, unter Vorzeigung
von Zeichnungen und einer Röntgenplatte, eingehend die Unterschiede zwischen
Arteriosklerose und den durch sog. Mediaverkalkung gesetzten Arterienverände¬
rungen. (Autoreferat.)
Herr Bertelsmann meint, dass sich der Schmerz beim intermittirenden Hinken
vielleicht mit dem Schmerz vergleichen lasse, der entsteht, wenn man bei einem
nicht narcotisirten Patienten die Esmarch’sche Blutleere anwendet.
(Autoreferat.)
Herr Haffner weist darauf hin, dass sich ausgedehnte Arterienverkalkung
ziemlich häufig als Nebenbefund bei der Radiographie von Verletzungen älterer
Personen an den unteren Extremitäten zeige, bei Leuten, die als Kohlenarbeiter,
Schauerleute u. s. w. seit Jahren die schwerste Arbeit leisten, ohne alle Beschwerden.
Herr Mönckeberg demonstrirt an zwei mikroskopischen Präparaten die
Unterschiede zwischen Mediaverkalkung der peripheren Gefässe und Arteriosklerose.
(Autoreferat.)
Herr Saenger (Schlusswort) freut sich, dass Herr Boettiger in seinem Falle
ebenfalls eine Ueberanstrengung der Beine als ätiologisches Moment gefunden habe,
weil dies bisher zu wenig betont worden sei. — Herrn Wiesinger’s Bemer¬
kung gegenüber hebt er hervor, dass seine drei Patienten mit intermittirendem
Hinken PlattfUsse hätten, und dass nur daraufhin dieselben längere Zeit von
chirurgischer Seite behandelt worden waren, ohne dass sie Erleichterung ihrer
Beschwerden gefunden hatten. — Den von Herrn Deutschländer erwähnten
Symptomencomplex im Frühstadium der Arthritis deformans coxae habe er nicht
beobachtet. In seinen Fällen dieser Erkrankung sei der Schmerz beim Beginn
der Bewegung aufgetreten und habe allmählich während des Gehens nachgelassen.
Also ein ganz entgegengesetztes Verhalten wie beim intermittirenden Hinken.
Der Empfehlung, letzteres mit Hülfe von Schienenapparaten zu behandeln, steht
S. sehr skeptisch gegenüber. — Vor allen dankt S. Herrn Fraenkel dafür, dass
er, als pathologischer Anatom, die vorgetragene Ansioht der scharfen Unter¬
scheidung der Arteriosklerose von der Arterienverkalkung bestätigt und durch
Demonstration von ausgezeichneten Röntgenbildern erhärtet habe. Ferner dass
er seinen Assistenten Herrn Mönckeberg veranlasste, beweisende mikroskopische
Präparate vorzuzeigen. Bisher sei nämlich diese so scharfe Trennung der beiden
Erkrankungen durchaus noch nioht in das Bewusstsein der Aerzte gedrungen.
Was die Fühlbarkeit des Pulses in der A. tibial post, betrifft, so habe S. des
öfteren dieselbe ebenfalls beim normalen Menschen vermisst. — Zum Schluss be¬
spricht S. noch einmal das zu Stande Kommen des Schmerzes, den er als ischämi¬
schen Muskelschmerz ansieht. Trotz der Elinwürfe hält er an der Analogie mit
dem Schmerz bei der Angina pectoris fest. Endlich empfiehlt S., in allen Fällen
von intermittirendem Hinken eine Röntgenaufnahme machen zu lassen, um
festzustellen, ob eine Verkalkung der Arterien vorliege. In Fällen
mit negativem Resultate auf der Röntgenplatte kann es sich um arterio¬
sklerotische (ev. luetische) oder angiospastische Zustände der Gefässe
handeln, deren Prognose viel günstiger sei, als die der Arterienverkalkung.
(Autoreferat.)
Societd de neurologie de Paris.
Sitzung vom 18. April 1901.
(Fortsetzung.)
Herr Georges Guillain: Hysterische Aphasie mit Kranken Vorstellung.
(Der Fall wird in der Revue neurologique erscheinen.)
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95
Herr E. Lenoble und Herr E. Aubineau: Zwei Fälle einer familiären
Krankheit, die als ein Mittelglied swisohen der Pierre Marie’sohen und
der Priedreioh’sohen Krankheit sn betrachten ist (Diese Mittheilung wird
in extenso in der Revue neurologique erscheinen.)
Herr Cestan und Herr Infroit: Badiographisohe Unterenohung eines
ralles Ton Aohondroplasie, (Demonstrirung von Radiogrammen.)
Es handelt sich um ein 8 jähriges Mädchen aus der Klinik des Herrn Prof.
Baymond. Die Krankheit war congenital, charakterisirt duroh Mikromelie,
Biisomelie, Makrocephalie. Der Rumpf war von normaler Grösse. Die Radio¬
skopie bestätigt die Diagnose von Achondroplasie. Die Knochen des Schädel¬
daches erscheinen verdickt. Die Wirbelsäule und die Rippen sind von normaler
Form. Das Becken ist in beiden seinen Durchmessern verengt. Die Schulter¬
blätter erscheinen ebenfalls an Volumen reduoirt. Die aber am meisten charak¬
teristischen Veränderungen sieht man an den langen Knochen, besonders an den
Wurzeln der Glieder, d. h. an den Humeri und an den Oberschenkelknochen. Die
Diaphyse ist kurz, erscheint aber von normaler Dicke. Sie ist gekrümmt wie
in Fällen von Rhachitis. Die Incurvation geht vor sich an der Vereinigungs-
Stelle der Diaphyse mit der Epiphyse, wie auch in den Fällen von Pierre
Marie. Die Diaphyse ist von glatter Oberfläche ohne Osteophyten. Die Epi-
phyaen sind beträchtlich an Volumen vergrösBert, kugelförmig und erscheinen zu
gross für die verhältnissmässig winzigen Gelenkgruben. Die Epiphysen sind un¬
durchsichtiger als unter normalen Bedingungen, und man sieht hier nicht diesen
lichten scharfbegrenzten Streifen von ossificirendem Knorpel, den man bei einem
normalen 8 jährigen Kinde sonst sieht. Aehnliche epiphysäre Störungen con-
gtatirt man auch an den Vorderarmen und an den Unterschenkeln, aber viel
weniger ausgeprägt Die Fibula und der Radius sind weniger lädirt als die Tibia
und die Ulna. Die' Fovea supratrochlearis posterior ist verengert, das Olecranon
stark verdickt, und das obere Ende des Radius in abnormer Lage. Es entsteht
dadurch die Unmöglichkeit, den Vorderarm vollständig zu strecken sowie die
Tollständige Supination auszuführen. R. Hirschberg (Paris).
V. Mittheilung an den Herausgeber.
Mit Bezug auf die Aeusserungen von Prof. Bernhardt in diesem Centralbl.
(1901. S. 1130) muss ich bemerken, dass in meiner Zuschrift von referirenden
neurologischen Fachblättem die Rede ist, zu denen das Centralbl. f. med.
Wiasensch. nicht gehört Ich verweise daselbst ferner auf die grossen Handbücher
der Nervenkrankheiten, vor Allem auf die Werke von Gowers, Oppenheim
und die neueste Auflage von Dejerine. Dass auch an anderen Orten sich
nirgends Hinweise auf die Arbeiten von Dinkler und Geigel vorfinden, habe
ieh nicht behauptet. Bernhardt hatte also, sollte man meinen, keinen rechten
Anlass zu einer Entgegnung auf meine Zuschrift, zumal er selbst mit Bezug
wf die Frage der Bauchreflexe nur fremde Anschauungen wiedergiebt, ohne
letzteren von sich aus etwas hinzufügen zu können. Wenn er nun trotzdem
mit besonderem Nachdrucke hervorhebt, die Arbeiten von Dinkler und
Geigel wären von ihm in seinem Buche über Erkrankungen der peripheren
Nerven, Theil I 1 ausführlich berücksichtigt worden, so ist hierzu Folgendes
za bemerken. Auf S. 36—37 seines Buches spricht Bernhardt zuerst von
Dinkler's und sodann von Geigel’s Arbeit, wobei mit Bezug auf den Erst¬
genannten es folgendermaassen heisst: „Bei Gesunden sind nach diesem Autor
Digi
1 Wien, 1895. Hölder.
96
bei geeigneter Untersuchung (Reizapplic&tion im Epi-Mesohypogastrium, event
Leistengegend) auf jeder Seite des BaucheB drei gesonderte Reflexzuckungen aus-
zulösen; der obere, mittlere und untere Bauchreflex.“ Nach Bernhardt wäre
also diese Sonderung des Bauchreflexes in mehrere Einzelreflexe als Dinkler
gehörend zu betrachten, während doch wohlbekannt ist, dass sohon viele Jahre
vor Dinkler’s Arbeit GowerB in Beinern bekannten Werke 1 den epigastrischen
Reflex von dem eigentlichen Bauchreflex geschieden und die Constanz des ersteren
hervorgehohen hat. 2 Die gleiche Uebergehung des Autors, der zuerst den oberen
Bauchreflex von den übrigen Reflexen der Bauchgegend unterschieden hat, findet
sich auch bei Dinkler. 3 Da nun die erwähnte Veröffentlichung Dinkler’s trotz
der unrichtigen Behauptung des letzteren selbst 4 später erschienen ist als die
Arbeit Geigel’s 5 , welcher ebenfalls einen epigastrischen, einen abdominalen und
einen Ohliquusreflex unterscheidet, so ist klar, dass die in Rede stehende Ab¬
sonderung deB Bauchreflexes in einen oberen, mittleren und unteren nicht
Dinkler gehört, sondern vor Allem ein Verdienst von Gowers und Geigel
darstellt. Von diesen beiden Autoren aber wird bei Bernhardt der erstere
überhaupt nicht, der letztere erst im Anschlüsse an Dinkler’s Arbeit angeführt.
Zum Schlüsse muss ich betonen, dass der von mir beschriebene hypogastrische
Reflex nicht identisch ist mit Dinkler’s unterem Bauchreflexo. Letzterer
besteht nach meinen Beobachtungen noch aus zwei getrennten Reflexen, einem
oberen, der durch Reizung der Seitentheile der unteren Bauchgegend auszulösen
.ist, und einem unteren, von mir als hypogastrischer Reflex beschriebenen, der bei
Reizung der Innenfläche deB oberen Abschnittes des Oberschenkels auftritt. Dieser
untere hypogastrische Reflex entspricht dem Ohliquusreflex von Geigel, aber
der auch von Gehuchten 6 getheilten Anschauung Geig eis, wonach dieser Reflex
ein vollständiges Aequivalent oder Homolog des Cremasterreflexes bei Frauen dar¬
stellen soll, kann ich nicht zustimmen, da aus meinen Beobachtungen hervor¬
geht, dass beim männlichen Geschlechte der Cremasterreflex und der untere hypo¬
gastrische Reflex getrennt dargestellt werden können. W. v. Beohterew.
VI. Vermisohtes.
Der IV. Band des Jahresberichts über die Leistungen und Fortschritte
auf dem Gebiete der Neurologie und Psychiatrie ist erschienen. Derselbe enthält
die Referate der im Jahre 1900 erschienenen Arbeiten. Er ist nm 151 Seiten weniger um¬
fangreich als der III. Band, deshalb nach handlicher als jener. Es rührt dies hauptsächlich
daher, dass in diesem Jahrgang die Sitzungsberichte nicht referirt sind; der wesentliche
Inhalt derselben ist in Originalmittheilungen wiedergegeben und erfährt somit entweder im
vorliegenden oder im nächsten Bande eine Besprechung.
1 Diagnostic of diseases of spinal cord. S. 18. (Deutsche Ausgabe. Wien, 1885. S. 19.)
* Eine Angabe betreffs der Möglichkeit, auf reflectorischem Wege Zuckungen im Ge¬
biete des Epigaatrium auszulösen, finden wir auch bei 0. Rosenbach (Archiv f. Psych.
1876. S. 846), doch macht dieser Forscher in seinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen
keine Sonderung des epigastrischen vom Bauchreflex.
8 Zeitschr. f. Nervenheilk. 1892. Heft 4. S. 325—350.
4 S. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 15.
5 S. Deutsche med. Wochenschr. 1892. S. 166—167.
* Nevraxe. I. Fase. 3. S. 251.
Um Einsendung von Separatabdrückeo an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben ton
Professor Dr. E. Mendel
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fimdxwansig8ter ” Berlln ’ Jahrgang.
Hmflkh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die PostanBtalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1902. 1. Februar. Nr. 3.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst
aas* Obdnetionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Goldflam in Warschau. 2. Ueber den Augen-
relez oder das Angenphänomen, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg. 3. Der
ft—»umlibularreflei, von Dr. Friedrich von SOIder. 4. Ein Fall von infantiler Tabes,
neDr. Martin Bloch in Berlin.
I. Bihfiegraphie. 1. Syphilis und Nervensystem. 17 Vorlesungen von Dr. M. Nonne.
IJKl Katmüodigung Geisteskranker, von Amtsrichter Dr. Otto Levis. 3. Entlassungszwang
atAblehnung oder Wiederaufhebung der Entmündigung, von E. Schultze.
t M. Aas den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrank-
— XXXI1. Jahresversammlung der südwestdeotschen Irrenärzte in Karlsruhe am
t iÜ i. November 1901. — Societd de neurologie de Paris. — Gesellschaft der Neurologen
«*4 Irrenärzte zu Moskau. — Aua den wissenschaftlichen Vereinigungen der Aerzte an der
Swvenkhnik za Kasan.
I. Originalmittheilungen.
L Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Goldflam in Warschau.
Von allen zur Bezeichnung dieser Krankheit vorgeschlagenen Namen, wie
BAbparalyse ohne anatomischen Befund, bulbäre Neurose, myasthenische Para-
JmtOfrpEHHEiM), Myasthenia gravis pseudoparalytica(JoLLY), asthenische Bulbär-
(Stbümpell) , allgemeine schwere Myasthenie (laquer), krankhafte
lödbarkeit, schlechtweg Myasthenie (Unvebricht) 1 u. a. m., scheint
V'fc wird sich vielleicht empfehlen, für diese abnorme Ermüdbarkeit einen eut-
griechischen Terminus einzuführen. Die Asthenie (von nofriveia. Schwäche,
bezeichnet eigentlich den Dauerzustand von Schwäche, Müdigkeit, entspricht
dem Begriff Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit, der poterftiellen Ermüdung, der
während der Action. Für diesen Begriff scheint mir das Wort „apokara-
"W» dn6 and xäfirto = mühsam und mit Anstrengung verfertigen, arbeiten, zu
bräsgea) besser zu passen.
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mir die von Fajebsztajn 1 gebrauchte und von S. Kalischeb empfohlene Be¬
zeichnung „asthenische Lähmung“ einstweilen den Vorzug zu verdienen, da sie
über den Sitz und das Wesen der Krankheit nichts präjudicirt und auf das hervor¬
stechendste Symptom hinweist.
Die asthenische Lähmung hat bei den Aerzten ein lebhaftes Interesse
erweckt; es sind seit ihrem Bekanntwerden zahlreiche Beiträge erschienen, und
sie hat sich schnell auch in den Lehrbüchern das Bürgerrecht erworben.
Alle Autoren schreiben Ebb das grosse Verdienst zu, die Besonderheit und
Eigenstellung der asthenischen Lähmung erkannt zu haben, das noch um so
grösser ist, als er keinen Sectionsfall zur Verfügung hatte und lediglich auf
Grund klinischer Thatsachen die asthenische Lähmung aus der Gruppe der
Bulbärlähmungen herausschälte. Ich will alle Autoren nicht anführen, die sich
mit der asthenischen Lähmung beschäftigten — es ginge über mein Ziel hinaus —,
und nur Wilks, Oppenheim 2 , Hoppe, Jolly, Stbümpell, Mubbi, Pinkles
nennen, die sich um diese Lehre besondere Verdienste erwarben. Oppenheim
1 Xeurolog. Ceutralbl. 1896.
* Oppenheim meint, ich hätte seine und Hoppe’s Verdienste, wenn auch nicht ganz
übersehen, so doch überaus wenig beachtet. Dieser Vorwurf ist ganz ungerechtfertigt, da
die in Frage stehenden Arbeiten in meiner Publication die ihnen gebührende Würdigung
fanden. Ebb hat auf Grund der klinischen Daten allein, trotz der Verschiedenheit, die
seine 3 Fälle boten, dennoch ihre Zusammengehörigkeit zu einer Gruppe erkannt und auf
einige ungewöhnliche Symptome, so die Ptosis, Parese der Kau-und Nackenmuskeln u.s.w.
hingewiessen. Dass Ebb das später von Oppenheim so stark betonte — übrigens negative
— Symptom, nämlich das Fehlen der Atrophie und elektrischen Entartungszeichen nicht
mit Nachdruck hervorhob, leuchtet ohne Weiteres ein, da in zwei von seinen Fällen that-
sächlich Abflachung der Nacken- und Masseterengegend mit Verminderung der directen
faradischen Erregbarkeit bestand. Doch betont Ebb ausdrücklich, dass die Atrophie hier
keineswegs eine solche Höhe annahm, wie sie bei der typischen progressiven Bulbärparaly&e
die Regel ist. Auch Oppenheim wusste erst nach der Autopsie, dass dem Fall kein ana¬
tomisches Substrat zu Grunde lag. Dachte er doch zunächst an organische Läsionen. Da
aber die sorgfältigste mikroskopische Untersuchung der in Frage kommenden Gebiete (mit
Ausnahme der Hirnrinde) absolut gar keine Veränderungen nachweisen konnte, musste er
annehmen, „dass es eine chronisch progressiv verlaufende Neurose giebt, die sich vorwiegend
durch Bulbärsymptome ohne Atrophieen kennzeichnet“. Ueberdies war Oppenheim’s Sections-
befund nicht der erste, und die, wenn auch nicht so vollkommenen Angaben seines Vor¬
gängers Wilks, der bei der sehr sorgfältigen mikroskopischen Untersuchung der Oblongata
nichts Pathologisches vorfand, sind zu allgemein gehalten. Hoppe hat sich dann ein Ver¬
dienst dadurch erworben, dass er für die Sonderstellung des Leidens eintrat, aber auch er
vermochte die wahre Natur der Paresen nicht zu erkennen. Und obwohl er auf die Ebb’-
schen Fälle zu sprechen kam, so hat er sie doch nicht richtig zu deuten gewusst, abgesehen
davon, dass er die Zugehörigkeit der Beobachtungen von Bebnhabdt, Remak und Stabe
übersah. Unzutreffend war ferner die Folgerung, „dass die Remissionen nicht das ganze
Symptomenbild betretfen, sondern, dass nur einzelne Erscheinungen diesem Wechsel unter¬
worfen sind, während die ganze Krankheit einen progressiven Verlauf hat“. Von einer
Diagnose zu Lebzeiten war auch in diesem Fall nicht die Rede, obwohl ,,Pat. l l / a Jahr
unter der Beobachtung von Oppenheim stand“. Sie wurde erst ermöglicht durch den Hin¬
weis auf die eigenartige Gruppirung der Erscheinungen, auf den eigenartigen Verlauf, auf
das Fluctuiren der Symptome, auf die grossen Exacerbationen und Remissionen, namentlich
aber durch die abnorme Ermüdbarkeit.
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hat ihr eine erschöpfende Monographie 1 gewidmet, Campbell und Bbamwell 2 ent¬
warfen ein gutes Gesammtbild mit Anführung der einschlägigen Casuistik, Wilbrand
und Sabngeb würdigten sie eingehend in ihrem monumentalen Werk „die Neu¬
rologie des Auges“ 3 und fügten eigenes Material hinzu. In der allerletzten Zeit
erschienen, und daher in diesen Werken nicht berücksichtigt, sind Beiträge von
K. Mendel 4 , Güastoni eLombi 6 , Hall 6 und namentlich von Laqübb und Wei¬
sest, auf die wir noch zurückkommen.
Bei genauer Aufmerksamkeit stellte sich heraus, dass die asthenische Lähmung,
wie so viele ähnliche Krankheiten, nichts weniger als selten ist Ich möchte
sogar behaupten — wie dies Schultze für die Syringomyelie im Verhältniss zur
Sclerose en plaques gethan hat —, dass sie nach meiner Erfahrung häufiger
rorkommt, als die echte Duchenne ’sche Bulbärparalyse.
Im Nachstehenden will ich meine weiteren Erfahrungen über diese interessante
Krankheit mittheilen, znerst aber über das Schicksal der bereits von mir publicirteu
/alle 7 , die ich glücklicherweise alle verfolgen konnte, berichten. Bezüglich der
ausführlichen Krankengeschichte verweise ich auf meine frühere Arbeit; hiei
seien nur kurze Auszüge wiedergegeben.
Beobachtung I. J. 0., 25 Jahre alt, Hausdiener. Ohne bekannte Ursache
tritt bei ihm (unter Begleitung von Parästhesieen im Nacken) zuerst Beschränkung
der Kopfbewegungen auf, nach einer Woche eine Sprach- und Schlingstörung
dann Schwäche der Arme, zuletzt der Beine. Nach Verlauf von 2 Wochen
steigert sich die Parese derart, dass Pat. sich im Bette nicht umdrehen kann,
den Kopf überhaupt nicht zu bewegen vermag und gefüttert werden muss. Auf
dieser Höhe der Erkrankung blieb es nun etwa 4 Wochen, dann begann siwh
Besserung einzustellen. Die Untersuchung (22./XII. 1891) ergab: Lähmung des
weichen Gaumens, des Rachens, Verminderung der Reflexe daselbst und im Larynx,
Sensibilität abgestumpft, näselnde Sprache, alle Bewegungen des Unterkiefers ab¬
geschwächt, schnelle Ermüdung beim Kauen, Deglutition erschwert und schnell
erechöpfbar, beiderseitiger Lagophthalmus, Conjunctival- und Cornealreflex ver¬
mindert, Gkäfe’s und Stell WAo’sches Symptom, Kopf fällt nach vorn über,
Schwäche aller 4 Extremitäten, namentlich an den dem Rumpfe näher gelegenen
Theilen. Diese Paresen steigerten sich nach Ausübung der Function bis zur voll¬
ständigen Lähmung, nach kurzer Ruhe jedoch erlangen die Bewegungen die frühere
Amplitude. Auch schienen die Kniereflexe zu sinken im Maasse, wie sie aus¬
gelöst wurden, und zeigten im ganzen Verlauf ein wechselndes Verhalten, bald
waren sie leicht, bald schwer auszulösen. Im weiteren Verlauf waren charak¬
teristische Remissionen und Exacerbationen im Zustande des Kranken aufgetreten.
Die Schwankungen in der Intensität der Erscheinungen wechselten von Tag zu
Tag, sogar im Laufe eines Tages sehr ab. Ebenso wie die Lähmung sich in
deecendirender Weise entwickelte, so trat die Besserung zuerst an den Hirnnerven
' Die myasthenische Paralyse (Bulbärparalyse ohne anatomischen Befund). Berlin, 1901.
* Brain. Summer 1900.
* Die Neurologie des Auges. 1898.
4 Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 8.
* Uh nuovo caso di „Malattia di Ebb“. Policlinico. 1900.
0 Ref. in der Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 15.
7 Ueber einen scheinbar heilbaren bulbärparalytischen Symptomencomplex mit Be¬
teiligung der Extremitäten. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1893. IV.
7 *
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100
auf und machte, durch kleine Exacerbationen unterbrochen, immer grössere Fort¬
schritte. Im April 1892 ging Pat. seinem Berufe nach, obwohl er noch nicht
schwer arbeiten konnte und bei längerem Gehen ermüdete. Dann verloren sich
auch diese Klagen. Objectiv war nichts Abnormes, ausser dem wechselnden Ver¬
halten der Kniereflexe, wahrzunehmen. Dieser Zustand von vollkommener Gesund¬
heit hielt mehr als 5 Jahre an; während dieser langen Frist hatte ich Gelegen¬
heit, Pat. viele Male zu untersuchen — er kam gewöhnlich wegen recidivirender
Angina, einmal, im August 1896, wegen Contusion der rechten Thoraxhälfte in
Folge eines Sturzes —, fand aber keine Zeichen von asthenischer Lähmung, auch
keine MyaR.
Erst am 7./XII. 1897 stellt sich einRecidiv ein und äussert sich zuerst lediglich
in einer ungewöhnlichen Erscheinung, nämlich in Beschränkung des Abwärtsziehens
des Unterkiefers, welche sich beim Kauen störend erweist, da die schmale Mund¬
öffnung nur ganz kleine Bissen durchlässt; sonst keine Beschwerden.
Pat. sieht gut aus, allgemeiner Ernährungszustand gut. Puls im Liegen
90. Nach etwa 15 Abwärtsbewegungen des Unterkiefers kann der Mund nicht
weit geöffnet werden; noch prägnanter tritt diese Erscheinung zu Tage beim
Katien, z. B. von Brot, bald kann der Unterkiefer nur 1 cm weit von der oberen
Zähnereihe gebracht werden, der Kranke empfindet dabei ein schwer definirbares
Gefühl im obersten Theil des Larynx. Dabei besteht keine mechanische Be¬
hinderung, kein spastischer Zustand, da der Unterkiefer passiv leicht herunter¬
gezogen werden kann. Schon nach kurzer Ruhe kann der Mund wieder weit
geöffnet werden. Die Erlahmung betrifft nur die Abductoren des Unterkiefer?,
aber nicht die Adductoren und Seitwärtsbeweger.
Wenn auch keine weiteren Klagen bestehen, so zeigt die Untersuchung doch,
dass die Beine nicht vollständig frei sind, da bei Prüfung der Ermüdungs¬
erscheinung die Amplitude nach etwa 15—20 Hebungen des Beines zu sinken
b^innt und die Bewegungen mühevoller werden; bis zu einem lähmungsartigen
Zustande, wie in der ersten Phase der Krankheit, ist es aber nicht gekommen.
Die Kniereflexe ermüden nicht. Keine MyR.
Bald aber gehen die Krankheitserscheinungen auf andere Gebiete über. Am
l./I. 1898 hat der Pat. selbst das Bewusstsein, dass die Krankheit wiedergekehrt
ist. Er kann nicht viel arbeiten, nicht viel gehen, da er bald ermüdet; auch den
Kopf kann er nicht lange aufrecht halten, er fällt nach vorn über. Die läh-
raungsartige Ermüdungserscheinung tritt namentlich an den dem Rumpfe nahe
liegenden Abschnitten der Glieder zu Tage; die Abductionsbewegungen im Schulter¬
gelenke versagen bald. Der Deltoideus erscheint überdies sehr schwach, ebenso
die Nackenmuskeln.
4./I. 1898. Der allgemeine Schwächezustand nimmt zu, auch gesellt sich
Dyspnoegefühl beim Gehen hinzu. Die Erschöpfungserscheinung in den Beinen
ist sehr prägnant, bald kann das Heben von der Unterlage nicht geschehen:
Erholung tritt nach 1—2 Minuten ein. Es scheint, dass die Kniereflexe nach
wiederholtem Prüfen schwächer werden; sie schwinden aber nicht. Bei Anwendung
von tetanisirenden faradischen Reizen auf den Deltoideus und Biceps brachii
werden die Contractionen kleiner, schwinden aber nicht; bei Reizung des Eaß’schen
Punktes konnte man nur am Biceps das Kleinerwerden der Contraction beobachten.
Am Quadriceps cruris konnte diese Erscheinung überhaupt nicht hervorgebracht
werden.
8./I. 1898. Auch das Reden macht den Pat. müde. Objectiv ist an den
Sprachorganen nichts Abnormes zu finden, sogar Abduction des Unterkiefers heute
besser. Pat. klagt über ein Gefühl von Schwere und Brennen in der rechten
Schulter (dieselbe Klage äusserte der zweite Pat. W.). Die Ermüdungs¬
erscheinungen treten in den Beinen schneller auf, als in den Armen, im Rumpfe
101
schneller als in den Beinen. An den distalen Theilen der Extremitäten, z. B.
den Fingern, sind keine diesbezüglichen Erscheinungen hervorzurufen. Puls 90.
3./II. 1898. Pat. hat die schwere Arbeit aufgehen müssen. Das Zukneifen
der Augen geschieht schwach. Die Ermüdung der Beine beim Heben erfolgt
heute nicht so rasch, beginnt aber die Amplitude zu sinken, dann tritt bald die
zeitweilige complete Lähmung ein. Die Kniereflexe sind schwach, mitunter schwer
hervorzubringen, die Achillessehnenreflexe dagegen lebhaft. Das Nachlassen der Con-
fraction bei faradischer Reizung (es wurden Quadriceps cruris und Deltoideus
geprüft) erfolgt namentlich bei schnellen Unterbrechungen des Stroms, schwindet
aber nicht; die Muskeln erlangen ihre ursprüngliche ContractionsFähigkeit erst
nach längerer Pause.
9. /II. 1898. Nach einem fieberfreien Schnupfen fühlt sich Pat. noch schwächer
nnd Bteif in allen Gliedern, sieht blass und angegriffen aus, scheint abgemagert
zu sein. Gestein konnte er auch beim ersten Bissen den Mund nicht gut öffnen.
Linke Lidspalte ein wenig kleiner; fordert man den Kranken auf, die Augeu
veit zu öffnen, so thut er es beiderseits gleich, doch bald hängt das linke
Oberlid mehr herab. Laryngoskopisch wurde Insufficienz der Mm. thyreo-arythaenoidei
int ermittelt
März 1898. Puls constant um 100. Am Condylus int. tibiae sin. hat sich
ohne greifbare Ursache eine prall elastische, flach kugelige, ziemlich scharf con-
tourirte Geschwulst gebildet, von der Grösse eines Markstückes, die namentlich
beim Gehen schmerzt (Bursitis intertendinea). Die Ermüdungserscheinung tritt
an der rechten oberen Extremität viel später als früher und als in der linken
oberen Extremität ein. Zur vollständigen Lähmung kommt es jedoch nicht.
Dieses Phänomen zeigt sich auch bei Flexion des Cubitalgelenks und im Carpal¬
gelenk, ebenfalls ohne zu einer vollständigen Erschöpfung zu führen. Man
kann die Sehnenreflexe durch wiederholte Prüfung herabsetzen, aber nicht zum
Schwinden bringen.
20./V. 1898. Die Kniereflexe können nach vielem Beklopfen zum Schwinden
gebracht werden, erscheinen aber sofort bei Anwendung des J KNDBÄssiK’schen
Handgriffs, bleiben jedoch unmittelbar darauf wieder aus. Ausser an den früher
genannten wurde heute die MyaR am Thenar untersucht, und eine starke Ver¬
minderung der Contraction, aber kein Schwinden derselben gefunden; auch hier
vergehen mehrere Minuten, bis die ursprüngliche Contractionsstärke erreicht wird.
Der durch schnell aufeinander folgende faradische Schläge gereizte Biceps brachii
scheint in dauernder Contraction zu verharren (Nachdauer der Contraction), und
es hat dadurch den Anschein, als ob die folgenden Schläge keinen Reiz mehr
aasüben.
10. /VI. 1898. Pat. fühlt sich etwas besser, kann ein wenig arbeiten. Ob-
jectiv keine Aenderung, auch hinsichtlich der MyaR nicht, nur sind die Lidspalten
beute gleich.
lo./VH. 1898. Die Besserung hält an, wenn auch Pat. über Schwäche
klagt. Ohne Kenntniss der Anamnese würde man auf den ersten Blick die Dia¬
gnose wahrscheinlich nicht stellen können. Allein bei näherer Prüfung zeigen sich
die früheren Ermüdungserscheinungen von Seiten des Unterkiefers mit dem Unter¬
schiede aber, dass auch die Seitwärtsbewegungen heute schwach sind. Ab und
zu bleiben Nahrungsreste im Rachen stecken, wenn auch seit Beginn der Recidive
seitens des Palatum molle keine pathologischen Erscheinungen hervortraten und
über Schlingbeschwerden nicht geklagt wurde (im Gegensatz zum ersten Anfall
der Krankheit). Unter aseptischen Cautelen wurde eine Excision des linken Del¬
toideus zum Zweck der mikroskopischen Untersuchung vorgenommen, über die
weiter unten berichtet wird.
25.,/X. 1898. Pat. fühlt sich wieder schwächer, ermüdet bald nach leichter
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Arbeit und kann dann die Glieder überhaupt nicht bewegen. Er sieht immer
blässer aus. Nicht allein die Abductionsbewegung des Unterkiefers ist beschränkt,
auch die Adduction wird bei Wiederholung immer schwächer. Die Ermüdungs¬
erscheinungen an den Extremitäten treten ziemlich schnell, an den Beinen sogar
plötzlich ein, bis zur vollständigen Lähmung kommt es aber nicht. Die Erschöpfung
eines Gliedes bleibt ohne Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der nicht geprüften.
Puls und Respiration bleiben dabei ebenfalls unbeeinflusst. Die Kniereflexe
werden heute nicht schwächer. Die MyaR ist nicht in allen Muskeln vorhanden,
so z. B. im Triceps brachii nicht. Nachdem Ermüdung im Deltoideus und Biceps
brachii hervorgerufen wurde, und diese Muskeln auf Willensreize nur sehr wenig
antworten, erfolgt bei faradischer Reizung eine Contraction, die aber schwächer
zu sein scheint, als nach Reizung ohne voraufgegangene Ermüdung.
25. XI. 1898. Das Sinken der faradischen Erregbarkeit bei schnell aufein¬
ander folgenden Reizen in dem heute geprüften Biceps brachii erfolgt ziemlich
abrupt; die Contraction nimmt einen wurmartigen Charakter an, hält lange an
und daher erscheint der Effect des nächsten faradischen Reizes schwächer. Auch
bei wiederholter Reizung des ERß’schen Punktes waren die Contractionen
schwächer. Die Kniereflexe können heute nicht herabgesetzt werden. Die
Larynxmu8keln ermüden bei wiederholter Phonation nicht.
Ich habe wegen Abwesenheit den Pat. längere Zeit nicht selbst verfolgen
können, bin aber im Stande, das Bild mit Hülfe der mir vom stellvertretenden
Arzt gütigst zur Verfügung gestellten Notizen zu vervollständigen. Ende Mai
1899 verspürte der Kranke Stechen in der rechten Thoraxhälfte, leichtes Frösteln,
Dyspnoe und Husten; er hütete wiederholt das Bett und Hess sich wegen dieser
Beschwerden ins Krankenhaus zum Heiligen Geist aufnehmen, wo er bei einer
Temperatur von 38° etwa 9 Tage lag. Er trat dann am 13. Juli 1899 ins Kindlein
Jesu Krankenhaus ein und klagte hauptsächlich über erschwertes Kauen, Schlingen,
Sprechen und über Gliederschwäche. Die vom Collegen M^czkowski vorgenommene
Untersuchung ergab in kurzem: Gesichtsausdruck kränklich, depressive Stimmung.
Die Sprache hat einen schwach nasalen Klang, der nach längerer Rede zunimmt,
sie wird dann langsamer, die Lippenbewegungen schwächer. Noch leichter erfolgt,
die Ermüdung beim Kauen; schon beim dritten Bissen tritt sichtbare Erschwerung
dieser Function ein. Die Erscheinungen der Ermüdung an den Extremitäten
können leicht bis zur zeitweiligen completen Lähmung gebracht werden. Die
mechanische Muskelerregbarkeit erscheint bedeutend erhöht: nach leichtem Schlag
mit dem Percussionshammer fibrilläres Zittern, nach stärkerem erheben sich Wülste,
die langsam schwinden.
Sehr greifbare Resultate ergab die Untersuchung des Thorax, an dessen
Vorderfläche eine Dämpfung constatirt wurde, die oben am Sternum an der
2. Rippe begann, in schräger Richtung nach rechts zog, sich in der L. sternalis
dextra auf der 3., in der L. mammaria dextra auf der 4. Rippe befand und dann
entlang der L. axillaris ant. dextra ging; links zog die Dämpfungslinie noch
schräger herab und befand sich in der Höhe der Mamilla zwei, in der Höhe
des Processus xyphoideus vier Fingerbreiten vom Sternum. In der rechten
Axillarlinie bestand eine, im Vergleich mit der linken Seite, unbedeutende
Dämpfung. Im Bereich der Dämpfung war das Athmungsgeräusch sehr schwach
hörbar, in der Gegend der rechten Brustwarze Affrictus pleuriticus, sowohl bei
Respiration, als bei willkürlicbem Sistiren der Athmung. In der rechten Axillar¬
linie und unter der rechten Scapula ebenfalls geschwächte Athmung ohne Aende-
rung des Fremitus vocalis.
An der Stelle der gewöhnlich vorhandenen Herzdämpfung heller Pulmonal¬
ton (mit Ausnahme eines kleinen Streifens am Sternum). Ictus cordis nicht
fühlbar. Unter der 3. Rippe, dicht am linken Sternalrand, ein diastolisches Ge-
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rausch, das über der Aorta weniger deutlich zu hören ist. Sonst sind die Töne
auffallend dumpf.
Die Leberdämpfung überragt nach unten den rechten Rippenbogen um drei
Finger.
Probepunctionen in der rechten Axillar- und Mamillarlinie über der 6. Rippe
blieben negativ.
19./VII. 1899. Affrictus geschwunden, weder Husten, noch Stechen in der
Brust, subjective Besserung.
23. VII. 1899. Das diastolische Geräusch dauert fort. Puls 80.
Am 26./'VII. 1899 gebessert entlassen.
Ich sah den Kranken wieder am 12./II. 1900, fand ihn sehr verändert, blass,
abgemagert, fiebernd, Puls 120. Seit der Erkrankung im Mai 1899 hat er sich
nicht erholen können; er hustet zeitweise, bekommt Röcheln auf der rechten
Brustseite und Athemnoth; im Kreuze ist er wie gebrochen, kann sich weder
bücken noch aufrichten; er kann nicht arbeiten und schläft schlecht. In den
hinteren, unteren Abschnitten beider Lungen crepitirendes Rasseln, r. h. u. geringe
Dämpfung. An der ganzen rechten Thoraxhälfte ist die Dämpfung eine absolute;
sie beginnt über der Clavicula, geht in die Herz- und Leberdämpfung über
and reicht bis zur L. axillaris media dextra. Athmungsgeräusch im Bereich der
Dämpfung unhörbar. Die Ermüdungserscheinungen treten schnell auf, besonders
ui den Unterextremitäten. Die Kniereflexe sind ungleichmässig, namentlich ist
der rechte bald stärker, bald schwächer, bald überhaupt nicht hervorzurufen.
Pat. ist so schwach, dass er sich beim Hinsetzen mit den Händen stützen muss;
er kann aber nicht lange sitzen bleiben. Er ermüdet schnell beim Kauen, kann
den Kopf nicht gut aufrecht halten.
Auf meine Veranlassung hin, wurde er am 28./III. 1900 ins Krankenhaus
auf die Abtheilung des Collegen Dunin aufgenommen. Hier wurde die Ermüdbar¬
keit der Muskeln nach Bewegung bestätigt. Kein Fieber. Am Sternum und an
der Bauchwand erweiterte Venen, in der Höhe der 3. und 4. Rippe erscheint die
Thoraxwand vorgewölbt. Im Bereiche der oben beschriebenen Dämpfung leicht
bronchiales Athmen und schwache Bronchophonie; Fremitus vocalis abgeschwächt.
Bei der Probepunction hat man das Gefühl, dass man in eine feste Masse hinein-
gerathen ist. R. h. u. abgeschwächtes vesiculäres Athmen. Dyspnoe. Husten
fordert wenig schleimiges Sputum. Die Diagnose wurde auf Neoplasma Mediastini
ant. oder Pulmonis gestellt.
Nichts verkündete das jähe Ende, das am 12./IV. 1900 erfolgte. Noch tags
zuvor ging Pat. im Saal umher, unterhielt sich und ass mit Appetit. Um 4 Uhr
Morgens erwachte er, sagte der barmherzigen Schwester, dass er sich unwohl fühle
und verschied.
Aus der Obduction hebe ich nur das Wesentlichste hervor: Der ganze rechte
obere Lungenlappen und ein grosser Theil des mittleren wird von einer Geschwulst
eingenommen, die im Oberlappen im Zerfall begriffen ist; im rechten unteren
Lungenlappen mehrere grauröthliche, hart elastische Tumoren. Ebensolche bis zu
Kaataniengrösse an der Pleura visceralis und parietalis. Synechia totalis peri-
cardii. Der Obducent, Prof. Dr. Pbzewoski, sprach die Geschwülste als Lympho-
sarcome an, allein die mikroskopische Untersuchung wurde nicht ausgefübrt. Sehr
zahlreiche solitäre Follikel im Dünndarm, namentlich aber im Dickdarm, stark
vergrössert. Glandulae lymph. mesaraicae massig geschwollen.
Am Nervensystem makroskopisch nichts Abnormes, ausser einer ziemlich
intensiven Hyperämie der Pia mater cerebralis und Trübung längs ihrer Gefüsse.
Die mikroskopische Untersuchung wurde sowohl am centralen, als auch am
peripheren Nervensystem und an den Muskeln vorgenommen. Das gesammte
Die
Rückenmark wurde in einzelne Segmente zerlegt und nach der Nissl' sehen,
MABCHi’schen und WEiGEBT’schen, Methode bearbeitet. Die genaue Durch¬
musterung der NissL’schen Präparate aus dem Hals-, Dorsal- und Lumbo-
sacralmark ergab völlig normale Verhältnisse. Die Zahl der Zellen war normal,
ihre Form gut erhalten; sowohl der Zellkörper, als auch die Dendriten enthielten
sehr gut tingirte NissL’sche Zellkörperchen. Die Zellkerne zeigten keine Abweichung,
weder in Bezug auf ihre Lagerung, noch in der Aenderung der feineren Structur.
Alles dies betraf sowohl die Vorderhornzellen, als auch die übrigen grösseren
Zellgebilde in der grauen Rückenmarkssubstanz. Was die nach der MABCHi’schen
Methode fertiggestellten Rückenmarkspräparate betrifft, so zeigten auch diese keine
Abweichungen von der Norm. Man fand zwar in der gesammten weissen Substanz
zerstreut liegende schwarze Schollen, aber diese finden sich bekanntlich auch
im ganz normalen Rückenmark vor. Von secundären Degenerationen war nir¬
gends die Rede, speciell blieben sowohl die vorderen, als auch die hinteren
Wurzeln in ihrem extra- und intramedullären Verlauf intact. An einzelnen
Stellen, besonders im Lumbalmark, sah man an den hinteren Wurzeln eine
grössere Ansammlung von schwarzen plumpen Schollen, allein auch diesem Be¬
funde kann man keine pathologische Bedeutung beilegen. Die nach der
WEiGEBT'scheu Methode gefärbten Rückenmarksschnitte zeigten normale Ver¬
hältnisse.
Der Hirnstamm wurde von der Pyramidenkreuzung bis zum Oculomotorius-
kern (incl.) stückweise in eine ununterbrochene Serie zerlegt, und die einzelnen
Stücke meist nach der NissL’schen, zum Theil nach der MABCHi’schen Methode
bearbeitet Auch hier lässt sich das Rösumö kurz dahin zusammenfassen, dass
der gesammte Hirnstamm ganz normal war.
Nach der NissL’schen und W eigebt 'sehe Methode wurden ferner Theile
der Hirnrinde bearbeitet. Es wurden zu diesem Zweck folgende Hirnbezirke
herausgeschnitten: Gyrus centr. ant. dex., Gyrus centr. post, dex., Gyrus front,
inf. dex, Gyrus pariet sup. dex., Gyrus centr. aut. sin., Gyrus front inf. sin,
Gyrus pariet. sup. sin. und Gyrus temp. I sin. Die NissL’schen Präparate zeigten
normale Zellbilder. In den nach Weigebt behandelten Schnitten sah man auch
die feinste Faserung der oberflächlichen Rindenschichten s^hr gut erhalten.
Zur mikroskopischen Untersuchung wurden folgende Nerven entnommen:
N. medianus, radialis, peroneus und ischiadicus linkerseits. Dieselben wurden
nach der WEiGEBT’schen, MABCHi’schen und van Giebon' sehen Methode be¬
arbeitet und zeigten ganz normale Structurverhältuisse.
Greifen wir nun auf das im Juli 1898 excidirte Stückchen vom linken Deltoi-
deus zurück. Ich fand in ihm zahlreiche kleine Herde von kleinen Zellen, hatte
aber damals keine Gelengeheit, darüber zu berichten. Erst im Februar 1900 —
die LAQüEB-WEiGEBT’sche Mittheilung stammt vom Juli 1901 — gab ich meinem
Assistenten und Freunde Dr. Ubstein die Erlaubniss, diesen Befund in seiner
Monographie 1 zu verwerthen.
1 Ueber cerebrale Pseudobulbärparalyse. Inaug.-Dissert. Berlin, 1900. S. 159—160.
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Aus der Leiche wurden links folgende Muskeln entnommen: Quadriceps,
Soleus, Deltoideus, Biceps brachii, Flexores antibrachii. Die Behandlungs¬
methode war dieselbe wie für das in vivo entnommene Stückchen.
In allen erwähnten Muskeln fanden sich in einigen weniger, in anderen
mehr zahlreich dieselben Herde, wie bei Lebzeiten. (Abbildung I.) Es sind
dies meist circumscripte, kleinere und grössere, mikroskopisch wahrnehmbare
Anhäufungen von kleinen, meist nur einkernigen Zellen, die den lymphoiden
Zellen ähnlich sind. Polynucleäre Zellen werden nur in kleiner Anzahl ange-
troffen. Die Kerne sind meistens rund, aber auch polymorph. Diese Herde
liegen im Bindegewebe zwischen den Muskelfasern; sie sind bald rundlich, bald
länglich oval, bald länglich und schmal, oder eckig und zackig; sie gruppiren
sich nm grössere und kleinere erweiterte und mit Blut überfüllte Gefässe.
Die Bindegewebsfasern sind durch die kleinen Zellen auseinander gedrängt und
scheinen verdickt zu sein. Es entsteht dadurch ein Netz, das dem adenoiden
Gewebe ähnlich sieht In der Nähe der Herde dringen dieselben kleinen Zellen
zwischen die einzelnen Muskelfasern ein. Die Muskelfasern selbst erscheinen auf
Querschnitten nur in den Herden selbst alterirt, geschrumpft, atrophisch. Sonst
ist ihre Streifung überall wohl erhalten und sie stellen sich normal dar. (Ab¬
bildung IL) Die üblichen Färbungen auf Bakterien blieben negativ.
Es entsteht nun die Frage: Wie sind diese Veränderungen in den Muskeln
m deuten? Sind sie etwa entzündlicher Natur, oder gar als Metastasen der
Geschwulst der Lungen, die vom Obducenten, dem Prof, der pathologischen Ana¬
tomie an der hiesigen Universität, als Lymphosarcom angesprochen wurde, zu be-
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106
trachten? Ich muss gestehen, dass keiner von den Fachmännern, denen ich die
Präparate vorlegte, im Stande war, darüber zu entscheiden — es fehlt nämlich
die mikroskopische Untersuchung des Lungentumors, die allein zur Lösung dieser
Frage beitragen könnte. Wenn man aber bedenkt, dass solche herdweise auf-
tretenden mikroskopischen Entzündungen in den Muskeln etwas ganz ungewöhn¬
liches sind, dass bei Lebzeiten gar keine Entzündungserscheinungen vorhanden
waren — zwischen dem Muskelbefunde zu Lebzeiten und dem nach dem Tode
lag ein Zeitraum von 1 s / 4 Jahren —, dass von septischen Processen im gegebenen
Fall gar keine Rede sein konnte, dass die Untersuchung auf Bakterien negativ
blieb, dann wird man zur Annahme neigen, dass die Herde eher Metastasen
der Lungengeschwulst darstellen.
Abbildung II.
Diese Folgerung gewinnt an Bedeutung im Lichte der WEiQF-RT’schen Unter¬
suchungen. 1 Er fand in einem von Laqüf.r beobachteten Fall von Myasthenie,
in dem, wie in der Regel, das Nervensystem auch mikroskopisch nichts Patho¬
logisches darbot, eine Geschwulst der Thymusdrüse. Neben reichlichen freien
Blutmassen fanden sich in ihr grössere und kleinere Gewebsinseln, die zum
allergrössten Theil aus kleinen Zellen mit einem einzigen runden Kern bestanden.
Es sind das lymphoide Zellen, die auch in der normalen Thymus die Haupt¬
masse bilden. Spärlicher waren protoplasmareiche, mit grossem, blassem Kern
versehene, sogen, epitheloide Gebilde, wie man sie in der normalen Thymus
ebenfalls antrifl't. Endlich sah man auch die perl kugelartig geschichteten Zell-
1 Xeurolog. Centralbl. 1901. Xr. 13.
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107
massen, die für die Thymusdrüse besonders charakteristischen sog. HASSAL’schen
Körperchen.
Besonderes Interesse nahmen aber die mikroskopischen Befunde an den
makroskopisch normal erschienenen Muskeln in Anspruch. Es wurden nur Stücke
vom Deltoidens und vom Zwerchfell „bloss aus Gewissenhaftigkeit“ mitgenommen.
An vielen Stellen des Perimysium eiternum und intemom, hier und da in
schmalen Zügen zwischen die Muskelfasern selbst eindringend, sah man neben
mikroskopischen freien Blutmassen reichliche Zellenanhäufungen, die den in der
Thymusdrüse geschilderten glichen. Auch hier waren die kleinen lymphoiden
Zellen diejenigen, welche die Hauptmasse bildeten, während die grösseren
epitheloiden nur spärlich vorhanden waren. Die HASSAL’schen Körperchen
fehlten ganz.
Weigebt fasst diese Zellenanhäufungen als Muskelmetastasen des (bös¬
artigen) Thymustumors auf.
Er erwähnt noch einen, zu Lebzeiten durchaus unklaren Fall, der einen
35jährigen Mann betraf, bei dem die Diagnose zwischen Hirntumor, Bulbär-
paralyse. vielleicht sogar Myasthenia gravis schwankte, wo ein Mediastinal¬
tumor von ähnlicher Beschaffenheit, wie oben, vorgefunden wurde. In den am
Sammelpräparat gebliebenen und nachträglich untersuchten Muskeln (Rachen,
Herz, vordere Halsmuskeln) wurden keine Zellherde gefunden. In der Oblongata
war auch mikroskopisch nichts Pathologisches vorhanden.
(Fortsetzung folgt.)
2. Heber den Augenreflex oder das Augenphänomen.
Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg.
Die zuerst von mir als Augenreflex 1 und späterhin von Cartht * unter der
Bezeichnung „Supraorbitalreflex*' beschriebene Erscheinung hat Veranlassung
gegeben zu dem Erscheinen einer Notiz von C. Hüdovebnig 3 , worin entgegen
Cabthy und mehr in Uebereinstimmung mit meinen Angaben festgestellt wird,
dass nicht Percussion der Gegend des N. supraorbitalis allein, sondern solche
des ganzen Gebietes des M. frontalis jene Erscheinung hervorruft. Hingegen
kann nach meinen Beobachtungen Percussion der gesammten Fronto-temporal-
regioü und in gewissen Fällen selbst des Jochbogens Contractionen des M. orbi-
enlaris auslösen. 4 Die Erscheinung selbst bezeichnet H. als leichte Contraction,
1 Vergl. meinen Vortrag in der Gesellschaft der Aerzte der psychiatrischen und Nervcn-
llinik zu St. Petersburg vom 22. Februar 1901 und die hierüber erschienenen Referate im
Wratseh, in der Zeitschrift zur Erinnerung au Kobssakow, in der Obosrenije psichiatrie u.s.w.,
sowie meine auf Grund des Vortrages veröffentlichte Arbeit: „Ueber Reflexe im Antlitz- und
£opfgebiete.‘‘ Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 20.
* McCarthy, Der Supraorbitalreflex. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 17.
* Hudoversiq, Zur Frage des Supraorbitalreflexes. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 933.
4 Vergl. meinen Vortrag in der Gesellschaft der Aerzte der psychiatrischen und Nerven.
kKnik zu St. Petersburg vom 22. Februar 1901. Mehrfach erhielt ich diesen Reflex bei
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108
fibrilläre Zusammenziehung und selbst als fibrillären Tremor, und weist in Ueber-
einstimmung mit mir auf den fast in allen Fällen zu beobachtenden doppel¬
seitigen Effect der Percussion bin. Den Angaben von mir und McCarthy
entsprechend beobachtete H. Abschwächung oder auch Ausbleiben der Erscheinung
bei Paralysen oder Paresen des N. facialis, wobei er gleich mir die Bemerkung
machte, dass Percussion der erkrankten Seite zwar auf der entsprechenden Ge¬
sichtshälfte keinen Effect auslöst, wohl aber gekreuzt in Gestalt einer Zusammen-
ziehung des Orbicularis des contralateralen Auges zur Wirkung kommt Anders
ist es nach H. bei Erkrankungen des N. trigeminus. Er untersuchte auf die
hier in Frage kommenden Verhältnisse hin eine Dame, bei welcher das Ganglion
Gasseri auf operativem Wege entfernt worden war, und konnte constatiren, da<s
trotz bestehender Anästhesie und Analgesie der rechten Gesichtshälfte jene Er¬
scheinung dennoch auf beiden Seiten leicht hervorrufbar war. Im Hinblicke auf
diese Beobachtung und die früher erwähnten Befunde kommt H. zu dem Schlüsse,
dass das im Obigen beschriebene Phänomen keinen reinen Reflex darstellt,
sondern durch weitere Verbreitung einer Muskelcontraction auf nachbarliche und
von den gleichen Nerven versorgte Gebiete, wie dies auch in anderen Körper¬
gegenden vorzukommen pflegt, bedingt werde.
Da zu erwarten war, dass das Phänomen in der wissenschaftlichen Welt
nicht unbeachtet bleiben werde, so habe ich meinerseits nach meinem schon
erwähnten Vortrage über diesen Gegenstand vom 22. Februar 1901 eine grosse
Anzahl gesunder und kranker Personen genauer untersucht und bin dabei zu
der Ueberzeugung gekommen, dass die Erscheinung, die überhaupt eine be¬
deutende Constanz aufweist und bei der überwiegenden Mehrzahl der unter¬
suchten Personen angetroffen wird, ein viel ausgedehnteres Auslösungsgebiet
besitzt, als dies Carthy angiebt, in der Voraussetzung, die Erscheinung werde
nur durch mechanische Reizung des N. supraorbitalis hervorgerufen, und als
der Ansicht Hudovebnig entspricht, wonach die Erscheinung sich ausschliesslich
auf das Gebiet des M. frontalis beschränkt. Schon in meiner vorhin erwähnten
Mittheilung habe ich hervorgehoben, dass die Erscheinung von der gesammten
Temporofrontalregion aus mittels Percussion auslösbar ist, sodann aber auch
durch Percussion des Jochbeins, wie mir spätere Beobachtungen gezeigt haben,
und auch diese Grenzen sind noch beträchtlich weiter zu ziehen, denn es zeigt
sich weiterhin, dass das Phänomen ausserordentlich leicht durch Beklopfen der
Nasenbeine, nicht selten auch des Oberkiefers mit den ihn bedeckenden Muskeln,
des Jochbogens, in manchen Fällen selbst des Unterkiefers und der Scheitelbeine
hervorgerufen werden kann. Selbstverständlich wird eine derartige Verbreitung
des Phänomens nicht in allen Fällen zu beobachten sein. Am öftesten handelt
es sich um enger begrenzte Gebiete, wie z. B. um ein frontotemporales, ein
nasales und malares Gebiet, oder um ein temporales und nasales, in seltenen
Fällen nur um die Supraorbital- und Nasalregion allein. Je lebhafter im All-
Percnssion des Oberkiefers, ja in einer späteren Beobachtung, wo der Orbicularisreflex ge¬
steigert war, erhielt ich ihn bei Percussion im Gesammtverbreitungsgebiete des Trigeminus
bis zum Unterkiefer einschliesslich.
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109
/
i
gemeinen das Phänomen, desto ausgedehnter das Erregungsgebiet desselben.
Dabei ist beachtenswert, dass das Phänomen stets in lebhafter Form auftritt-
bei Percussion dem M. orbicularis nahe gelegener Gebiete, beispielsweise der
fiuntoparietalen, nasalen und malaren Region, dagegen eine merkliche Ab¬
schwächung bekundet im Falle der Percussion weiter entlegener Gebiete des
Kopfes oder Antlitzes.
Was nun den Charakter der Erscheinung selbst betrifft, so muss ich mit
Rücksicht auf meine eigenen Beobachtungen betonen, dass es sich am häufigsten
nicht um fibrilläres Zucken oder um Zittern, sondern um eine einfache (partielle
oder totale) Contraction des M. orbicularis handelt. Zuweilen beschränkt sich
die Contraction auf den unteren Abschnitt des Orbicularmuskels, geht aber in
anderen Fällen auch auf den oberen Theil desselben über.
Mit Bezug auf die Frage nach dem Zusammenhänge des Phänomens mit
dem N. trigeminus muss ich gegenüber der Anschauung McCaethy’s, wonach
dasselbe durch Beklopfen des N. supraorbitalis hervorgerufen sein soll, meine
schon früher geäusserten Bedenken aufrecht erhalten. Schon allein die That-
sache, dass das Phänomen nicht nur von der Stirnregion aus, sondern ebenso
von der Schlafen-Wangenbein- und Nasengegend und manchmal sogar von noch
weiter entlegenen Stellen des Kopfes auslösbar ist, spricht gegen die Anschauungs¬
weise McCabthy’s. Die gleichen Thatsachen sprechen aber auch gegen die von
Hudovernig versuchte Deutung, wonach es sich nur um Fortleitung einer
Muskelcontraction auf nachbarliche, von dem gleichen Nerven versorgte Ge¬
biete handeln soll. Man könnte diese Erklärung gelten lassen unter der Voraus¬
setzung, dass das Auslösungsgebiet des Phänomens auf das Gebiet des M. fron-
talis beschränkt sei. Anders, wenn sich nachweisen lässt, dass das Phänomen
auch von anderen Punkten des Kopfes bezw. des Antlitzes hervorgerufen werden
kann. Wenn in diesem Falle von einer directen Fortleitung der Erregung über¬
haupt die Rede sein darf, so kann diese Erregung offenbar keine ausschliesslich
musculöse sein, sondern Folge einer mechanischen Erschütterung, die sich auf
den M. orbicularis durch Vermittelung des Periostes, der Ligamente und Muskeln
in ähnlicher Weise fortpflanzte, wie wir bei Erhöhung der Sehnenreflexe der
unteren Extremitäten durch Beklopfen beispielsweise der Tibia mit dem Per-
eusäonshammer einen Knochenreflex hervorrufen können. Ob es sich hier um
einen wahren Reflex oder um eine Reizfortpflanzung in meinem Sinne handle,
kann lediglich nur durch Untersuchung von Fällen mit Affectionen des Trige¬
minus und Facialis entschieden werden. In dem schon erwähnten Falle von
Hudovernig war nach operativer Entfernung des Ganglion Gasseri bei be-,
stehender Anästhesie im Gebiete des N. trigeminus das Phänomen immer noch
in der gewöhnlichen Weise auslösbar, doch ist dabei nicht erwähnt, ob eine
Abschwächung des Phänomens auf der operirten Seite vorlag oder ob dasselbe auf
beiden Seiten das nämliche Verhalten aufwies. Ich habe das Phänomen eben¬
falls bei Affectionen des N. trigeminus nachweisen können, muss aber bemerken,
dass die Trigeminusaffection nicht oder wenigstens nicht immer ohne Einfluss
bleibt auf das Verhalten des Phänomens, denn in meinen Fällen von peripheren
Die
110
Trigeminuserkrankungen war ein Unterschied in der Lebhaftigkeit der Con-
tractionen des M. orbicularis zu bemerken, je nachdem, ob die Percussion auf
der gesunden oder auf der kranken Seite ausgeübt wurde. Diese Differenzen
der Intensität der Muskelcontractionen, die in einer deutlichen Abschwächung
des Phänomens auf der erkrankten Seite ihren Ausdruck fanden, bezeugen
offenbar, dass der Trigeminus in bestimmter Weise an dem Zustandekommen
des Phänomens betheiligt ist.
Ich beobachte gegenwärtig in der Klinik einen Kranken mit gekreuzter
Paralyse der Sensibilität in Folge einer Affection der Varolsbrücke, bei welchem
ausser geringgradiger, linksseitiger Hemiparese zu constatiren ist: Anästhesie
der ganzen linken Rumpfhälfte und der Extremitäten und zu gleicher Zeit
hochgradige Anästhesie im Gebiete des oberen und mittleren Drittels des rechten
Trigeminus (starke Stiche im Gebiete beider Aeste werden als Berührungen
empfunden, Percussion der rechten Frontotemporalgegeud wird zwar gefühlt,
aber schwächer als links), und merklich weniger hochgradige Anästhesie im
Gebiete des unteren Trigeminusastes, wo Stiche gefühlt werden, aber schwächer
als rechts.
Auch in diesem Falle, wo es sich dem klinischen Symptomenbilde nach
unzweifelhaft um eine Erkrankung der Region der Varolsbrücke unter Ergriffen¬
sein der Trigeminuswurzel handelt, trat das in Rede stehende Phänomen bei
Percussion der rechten Frontotemporalgegend merklich schwächer auf, als auf
der linken Seite. Von anderer Seite untersuchte mein Assistent Dr. Ossipow
nach meinem Vorschlag einige Kranken mit Affection des N. trigeminus im
Petropowlasky-Krankenhause zu St. Petersburg und fand das obenerwähnte
Phänomen immer auf der afficirten Seite abgeschwächt oder sogar verschwunden.
Augenscheinlich ist der Trigeminus bei der Entwickelung des Phänomens be¬
theiligt, wiewohl nicht zu leugnen ist, dass Erkrankung des Trigeminus das
Phänomen nur in massigem Grade abschwächt, ohne es ganz aufzuheben.
Aus meiner und Hüdoveknig’s Mittheilung geht andererseits hervor, dass
bei peripheren Facialisparalysen das Phänomen auf der entsprechenden Seite
ausbleibt, wohl aber auf der entgegengesetzten Seite nicht nur durch Beklopfeu
der gesunden Seite, sondern auch durch Beklopfen der erkrankten Seite aus¬
gelöst werden kann. Diese Thatsache habe ich seit dem Erscheinen meines
vorhin erwähnten Vortrages noch an einer Reihe anderer Fälle weiter geprüft
In allen den Fällen von Facialislähmung, wo das Phänomen auf der gesunden
Seite vorhanden war, konnte es hier durch Beklopfen der Frontotemporal- und
anderer Gegenden des Gesichtes nicht nur der gesunden, sondern auch der er¬
krankten Seite hervorgerufen werden, wogegen auf der Seite der Lähmung es
weder durch Percussion der gesunden, noch auch durch Percussion der afficirten
Seite auslösbar war. Diese Thatsache deutet unzweifelhaft auf nahe Beziehungen
des Facialis zu dem Reflex und findet eine Erklärung in der Weise, dass
Lähmung des Facialis zu Erschlaffung des M. orbicularis oculi und somit zum
Schwunde des normalen Muskeltonus in demselben führt; in Folge dessen geht
nicht nur das Vermögen reflectorischer Erregung des M. orbicularis oculi ver-
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111
loren, sondern auch die Möglichkeit einer Contraction des Muskels auf dem
Wege unmittelbarer Reizübertragung durch Periost, Ränder und Muskelapparat.
Zn bemerken ist dabei, dass centrale Facialislähmungen, die keine Erschlaffung
des M. orbicularis oculi bedingen, keine Herabsetzung des Phänomens zur Folge
haben, worin ein neues Unterscheidungsmerkmal zwischen Erkrankungen des
peripheren und solchen des centralen Neurons des N. facialis gegeben ist.
Im Hinblicke auf alle obigen Darlegungen kommen wir zu dem Schlüsse,
dass das von uns hier erörtete Phänomen zum Theile bedingt sei durch reflec-
torische Einflüsse, zum Theile in Abhängigkeit stehe von unmittelbarer Aus¬
breitung mechanischer Reize längs Periost, Bändern und Muskeln bis zum
iL orbicularis oculi. Da der Supraorbitalnerv für die Entstehung des Phänomens
von keiner besonderen Bedeutung ist, und in Erwägung der Thatsache, dass das
Phänomen nicht an das Verbreitungsgebiet des M. frontalis gebunden ist, sondern
mit Leichtigkeit von der gesammten Regio frontotemporalis, von der Nasen¬
gegend und nicht selten vom Arcus zygomaticus, manchmal auch von anderen
Gegenden des Antlitzes aus ausgelöst werden kann, so scheint es mir nicht
zutreffend, den im obigen betrachteten Vorgang als Supraorbitalreflex zu be¬
zeichnen.
[Aus der II. psychiatr. und Nervenklinik (Hofrath v. Krafft-Ebing) in Wien.]
3. Der Corneo-mandibularreflex.
Von Dr. Friedrich von Sölder,
Privatdoccnten and I. Assistanten der Klinik.
Ich bin vor längerer Zeit auf einen einfachen, gut charakterisirten Reflex
im Bereiche des Kopfes aufmerksam geworden, den ich in der mir bekannten
Litteratur nirgends beschrieben fand. Da ihn auch neuestens v. Bechterew
in seiner Mittheilung: „Ueber Reflexe im Antlitz- und Kopfgebiete“ 1 nicht er¬
wähnt, so vermuthe ich, dass derselbe bis jetzt überhaupt nicht bekannt ge¬
worden ist
Der Reflex, den ich Corneo-mandibularreflex nenne, wird durch Berührung
der Hornhaut hervorgerufen und äussert sich in einer flüchtigen Verschiebung
des Unterkiefers nach der der gereizten Cornea gegenüberliegenden Seite. Der
Auslösnngsort ist streng auf die Hornhaut beschränkt; da diese auch die Reiz-
steile für den Cornealreflex bildet, so ist der Corneo-mandibularreflex unter nor¬
malen Verhältnissen immer vom ersteren begleitet. Damit die Kieferbewegung
ungestört ablaufen kann, muss bei der Prüfung der Mund selbstverständlich
ein wenig geöffnet sein; für die Beobachtung ist es zweckmässig, die Unterlippe
zur Entblössung der unteren Zahnreihe abwärts zu ziehen. Die Reflexbewegung
ist eine reine Transversalbewegung des Kiefers; eine üeffnungs- oder Schliess-
bewegnng findet dabei nicht statt; es handelt sich somit um eine isolirte Con-
1 Neurolog. Centralbl. 1901. S. 930.
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112
traction des äusseren Flügelmusbels auf der Seite der gereizten Hornhaut. Der
Reflex verläuft als langsame, selten als rasche Zuckung. Bei Wiederholung des
Reizes erschöpft sich der Reflex sehr rasch und verschwindet schon nach zwei
bis dreimaliger Auslösung, doch ist er schon nach ganz kurzer Pause (10 bis
20 Secunden) wieder nachweisbar.
Der Corneo-mandibularreflex ist ein physiologischer, wenn auch nicht völlig
constanter Reflex. Sein Nachweis stösst allerdings sehr oft auf Hindernisse, da
viele Individuen nicht im Stande sind, alle störenden Bewegungen, die durch
die Berührung der Hornhaut gleichzeitig hervorgerufen werden, zu unterdrücken,
dabei aber doch die Kaumuskeln erschlafft zu lassen. Von den Individuen, bei
denen eine einwandfreie Prüfung möglich ist, zeigt etwa die Hälfte den Corneo-
mandibularreflex gut ausgebildet; die übrigen lassen der Mehrzahl nach eine
Andeutung desselben erkennen und nur bei wenigen ist er gar nicht hervor¬
zurufen.
Was seine Stellung unter den bekannten Reflexen anlangt, so schliesst er
sich nicht nur durch den Ort seiner Auslösung (Oberfläche), sondern auch durch
die Form seines Ablaufes (etwas träge, sehr erschöpf bar) den oberflächlichen
Reflexen au; jedoch unterscheidet er sich nach zwei Richtungen von den all¬
gemeinen Merkmalen dieser Gruppe. Die oberflächlichen Reflexe sind variabel
in dem Sinne, dass nicht nur bei verschiedenen Individuen, sondern auch bei
einem und demselben Individuum an der Reflexbewegung bald mehr, bald
weniger Musculatur theilnimmt, je nach der Intensität des Reizes und der
Disposition des Individuums; beim Corneo-mandibularreflex findet ein solches
Variiren nicht statt. Ferner: Die oberflächlichen Reflexe lassen sich im All¬
gemeinen ungezwungen als automatische Flucht- oder Abwehrbewegungen zum
Schutze des Individuums gegenüber dem Reiz deuten; der Corneo-mandibular¬
reflex scheint mir einer solchen Auffassung nicht zugänglich zu sein; vielleicht
ist die vergleichende Physiologie im Stande, eine Aufklärung über die Bedeutung
der sonderbaren functionellen Verknüpfung der Hornhaut mit dem äusseren
Flügelmuskel zu geben. Betreffs der anatomischen Bahn, auf der der Reflex
abläuft, ist aus der bekannten Innervation der Hornhaut und des Flügelmuskels
zu schliessen, dass der centripetale Schenkel des Reflexbogens im sensiblen, der
centrifugale im motorischen Theil des N. trigeminus verläuft; das Reflexcentrum
ist im motorischen Trigemiuuskern zu vermuthen, so dass es sich wahrschein¬
lich um einen rein intratrigeminalen Reflex handelt.
Die functionelle Association zwischen dem M. orbicularis oculi und dem äusseren
Flügelmuskel, die beim gleichzeitigen Auftreten desCorneal- und des Corneo-mandi-
bularreflexes nach Berührung der Hornhaut zum Vorschein kommt, steht zweifellos
mit gewissen Mitbewegungen in causalem Zusammenhang. Es wurde bekanntlich
öfters beobachtet, dass Lidbewegungen von unwillkürlichen Kieferbewegungen und
Kieferbewegungen von unwillkürlichen Lidbewegungen begleitet werden. Ins¬
besondere sind hier jene Fälle von Interesse, in welchen als residuäre Störung
nach destructiven Processen eine pathologische Association zwischen Augenschluss
und Kieferschluss, also zwischen M. orbicularis oculi und Kaumusculatur bestand.
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113
Die gleiche, in Mitbewegungen sich äussemde Verknüpfung von Angen- und
Kieferscbluss wurde aber auch schon bei Gesunden, insbesondere bei Kindern
festgestellt Es ist somit die bei Reizung der Hornhaut hervortretende functio-
uelle Association des M. orbicularis oculi und des äusseren Flügelmuskels keine
ganz isolirte Erscheinung und kann als Beweis dafür gelten, dass die erwähnten
Mitbewegungen auf einem präformirten Mechanismus beruhen.
Ueber das Verhalten des Corneo - mandibularreflexes unter pathologischen
Verhältnissen stehen mir noch zu wenig Erfahrungen zu Gebote, um allgemeine
Sätze aufstellen zu können. Erwähnenswerth scheint mir, dass ich einige
Male bei Comatösen (multiple Carcinommetastasen im Gehirn, embolisohe Er¬
weichung bei Delirium acutum, luetische Erweichungsherde in der Brücke,
Coma epilepticuni) die Fortdauer des Corneo-mandibularreflexes nach Erlöschen
des Coraealreflexes feststellen konnte, und dass in diesen Fällen ersterer der
einzige Doch auslösbare Reflex war. Ueber sein Verhalten in der Chloroform-
Aether-Narcose theilte mir Herr Dr. Exnbb (Klinik Gussenbaueb) freundlichst
mit, dass in einer Reihe von Narcosen der Corneo-mandibularreflex nur 2 Mal
nachgewiesen werden konnte, und zwar beide Male vor dem Erwachen des
Xarcotisirten nach der Wiederkehr des Cornealreflexes.
Ob und in welcher Richtung der Corneo-mandibularreflex eine klinische
Verwerthbarkeit gewinnen wird, weiss ich nicht zu sagen; vielleicht könnte ihm
eine solche in der Localisationsdiagnose von Herderkrankungen im Hirnstamme
zukommen.
[Aus der Poliklinik von Prof. Dr. Mendel.]
4. Ein Fall von infantiler Tabes. 1
Von Dr. Martin Bloch in Berlin.
M. H.1 Die Seltenheit tabischer Erkrankungen im Kindesalter und die Be¬
deutung derartiger Beobachtungen für die pathogenetische Auffassung der Tabes
im Allgemeinen rechtfertigt die Mittheilung einer jeden klinischen Beobachtung
einschlägiger Krankheitsfälle.
Ich habe bereits im December 1896 die Ehre gehabt, Ihnen einen Knaben
mit ausgebildetem tabischen Symptomencomplex vorzustellen*, bei dem allerdings
die Diagnose Tabes nicht mit absoluter Sicherheit zu stellen war, da einige
complicirende Symptome, und zwar ein gewisser Grad von Schwachsinn und
ferner epileptische Anfalle, die Möglichkeit einer diffusen Erkrankung des Central¬
nervensystems auf hereditär-syphilitischer Basis, sei es Lues cerebro-spinalis, sei
es infantile progressive Paralyse, offen liessen. Ich habe den Kranken seither
leider aus den Augen verloren, so dass ich Ihnen über den Fortgang des Leidens
1 Nach einer Demonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven-
knakheiten am 13. Januar 1902.
* Neurolog. Centralbl. 1897. S. 94.
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zu berichten nicht in der Lage bin. Bemerken will ich nnr, dass der Fall in
der litterari8chen Kritik eine verschiedene Beurtheilnng erfahren hat; während
er von Kalischkr, v. Halb an u. A. als Lues cerebro-spinalis bezw. progressive
Paralyse aufgefasst wird, rechnet ihn Dydynbki in seiner Arbeit über Tabes
dorsahs im Kindesalter u. s. w. 1 zu den reinen Fällen von infantiler Tabes.
Ich bin nun heute in der Lage, Ihnen abermals aus dem Beobachtungs¬
materiale der Poliklinik des Herrn Prof. Dr. Mendel, dem ich für die Ueber-
lassung des Falles zu Dank verpflichtet bin, einen Fall von Tabes im Kindes¬
alter vorzustellen.
Der 17jähr. Pat. K. stammt aus einer Familie, in der Nerven- oder Geistes¬
krankheiten nach Angabe seiner Eltern nicht vorgekommen sind. Sein Vater
stellt eine specifische Infection entschieden in Abrede, ebenso will Beine Mutter
niemals an Ausschlägen oder Affectionen, die auf eine venerische Infection hin¬
deuten, gelitten haben. Seine Eltern sind 21 Jahre verheirathet. Die Mutter
des Pat. hat in der Ehe 10 Mal concipirt; zuerst erfolgten 2 Aborte im 3. bezw.
5. Monat, dann die Frühgeburt einer todten Frucht im 7. Monat, dann wurde
Pat. als 8-Monats-Kind geboren, es folgte alsdann ein Mädchen, das ausgetragen
war und im Alter von 4 Monaten an Gehirnentzündung starb, dann ein Knabe,
der mit 6 Monaten an Zahnkrämpfen starb; dann erfolgte die Geburt einer
Tochter, der einzigen lebenden Schwester des Pat., dann eines Knaben, der im
Alter von 3 Wochen an „Lebensschwäche“ starb und schliesslich noch 2 Aborte.
Pat., der von Geburt an schwächlich war, ist, abgesehen von einigen Kinder¬
krankheiten, niemals erheblich krank gewesen. Geistig soll er sich gut entwickelt
haben; er hat die Volksschule ordnungsgemäss absolvirt und war bis vor Kurzem
als Lehrling beruflich thätig. Seit Ende September vorigen Jahres leidet er an
anfallsweise auftretendem Angstgefühl, verbunden mit Herzklopfen, Frösteln und
unwiderstehlichem Harndrang, das an Intensität so zugenommen hat, dass Pat.
deswegen seine Thätigkeit aufgeben und den Rath eines Arztes einholen musste,
der den Pat. der Poliklinik überwies. Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen bestehen
nicht; ebenso wenig klagt Pat. über Gürtelgefühl, Schmerzen und Parästhesieen
in den Extremitäten, nur hat er meist kalte Füsse. Der Appetit soll gering, der
Schlaf gut sein. Seit etwa 3 — 4 Jahren besteht Ischurie, bisweilen
Incontinenz bei Tage und bei Nacht. Masturbation wird in Abrede gestellt
Zunächst fällt bei unserem Pat. der ausgesprochen infantile Habitus auf,
Pat., der jetzt 17 Jahre alt ist, macht den Eindruck eines höchstens 13—14jähr.
Knaben; dem entsprechend ist Stimmwechsel noch nicht eingetreten, die Genital¬
organe, an denen die Pubes fast völlig fehlen, sind noch ganz auf infantiler
Entwickelungsstufe. Es besteht ferner eine gewisse Asymmetrie des Schädels,
der harte Gaumen ist sehr steil und schmal, die Zähne sind nicht deformirt, am
rechten Ohr ist ein DARWiN’scher Höcker nachweisbar. Intelligenz und Sprache
lassen Störungen nicht erkennen. Die Bewegungen der Bulhi sind nach allen
Richtungen hin frei, Nystagmus besteht nicht. Die rechte Pupille ist weiter als
die linke; letztere ist verzogen und miotisch. Während die rechte Pupille auf
Lichteinfall und bei Accommodation starr ist, zieht sich die linke hei Convergenz
ein wenig zusammen, ist aber lichtstarr. Im Bereiche der übrigen Hirnuerven
sind Störungen nicht nachweisbar.
Von Seiten der oberen Extremitäten sind Störungen nicht vorhanden, grobe
Kraft und Sensibilität sind intact, die Tricepsreflexe sind vorhanden, Druck auf
den II Inaris ist beiderseits wenig empfindlich. Am Rumpf werden feine Be-
1 Neurolog. Centralbl. 1900.
Digi
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115
rfihroDgen in einer handbreiten Zone in der Höhe der Brustwarzen nicht überall
«hrgenommen.
Beim Stehen mit geschlossenen Augen tritt leichtes Schwanken ein. Der
Ging des Pat. ist leicht stampfend, beim Gehen mit geschlossenen Augen ent*
schieden ansicher, doch ist eine erheblichere Ataxie nicht nachweisbar.
An den Oberschenkeln besteht fleckweise Hypästhesie, an den Unterschenkeln
Hypärtheeie und Hypalgesie. ln Rückenlage können complicirtere Bewegungen
mit den Beinen, besonders dem linken, bei Augenschluss nur unsicher und mangel¬
haft insgefohrt werden. An den Zehen, besonders des linken Fusses, bestehen
deutliche Lagegefuhlsstörungen. Die Musoulatur der Beine zeigt einen gewissen
Gnd yon Hypotonie. Die Patellarreflexe fehlen beiderseits.
Die Untersuchung des Augengrundes ergiebt doppelseitige temporale Ab*
blaasung der Papillen; Sehstörungen bestehen indessen nicht. Die inneren Organe
sind gesund, der Urin frei von £iweise und Zucker; es besteht ein mittlerer Grad
Ton Phimosis; die Cervicaldrüsen sind leicht vergrössert fühlbar; die Schilddrüse
vermochte ich nicht zu palpiren.
Was zunächst die Diagnose des vorliegenden Falles angeht, so dürften
Zweifel in der Berechtigung, hier eine infantile Tabes anzunehmen, wohl nicht
vorliegen. Pupillenstarre, WESTPHAL’sches und RoMBEBG’sches Zeichen, Blasen-
störungen, und wenn auch geringe, so doch deutliche Störungen der Sensibilität
und der Coordination dürften genügen, um die Diagnose Tabes zu sichern, und
die Thatsache allein, dass es sich um ein so jugendliches Individuum handelt,
bei dem dieser Complex von Symptomen nachweisbar ist, darf meines Erachtens
nicht Veranlassung geben, eine Diagnose, die bei einem Erwachsenen ohne jedes
Bedenken gestellt würde, zurückzuweisen. Auch der vorliegende Fall ist, wie
eine ganze Anzahl der in der Litteratur mitgetheilten Fälle, ich verweise nur
auf die jüngsten Publicationen von Brasch 1 und v. Halb an 2 , mehr zufällig
rar Cognition des Arztes gekommen, dessen Hilfe nachgesucht wurde wegen
Beschwerden, die mit der Grundkrankheit nicht in Zusammenhang zu stehen
schienen (bei Bbasch’s Fall Astigmatismus, bei v. Halb an ’s Fällen einmal
Hemicranie, einmal Astigmatismus, einmal recidivirende Radialislähmung, in
meinem Fall Anfalle von Angstgefühl nnd Herzklopfen).
Der vorgesteUte Fall ist einer der wenigen, in denen eine hereditäre Lues
nicht sicher nachweisbar ist Bbasoh stellt in seiner Arbeit (1. c.) 7 sichere
Fälle von infantiler Tabes, ausser seinem eigenen zusammen, von denen die
Mehrzahl hereditär-syphilitisch war; auch in den 4 Fällen von v. Halban war
zweimal sicher, einmal wahrscheinlich Lues vorhanden. Die Vorgeschichte der
Mutter des vorgestellten Pat, die zahlreichen Aborte und Frühgeburten, der
tinstand, dass von den sämmtlichen lebend geborenen Kindern nur unser Pat
und eine Schwester am Leben sind, machen es allerdings sehr wahrscheinlich,
dass Lues parentum Vorgelegen hat Zeichen hereditärer Lues waren bei meinem
Pat indes nie nachweisbar.
Von Interesse ist bei dem vorgestellten Falle noch die Hemmung der
körperlichen Entwickelung, die bei dem jetzt 17jährigen Knaben noch jegliche
1 Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. XX. Heft 5 u. 6.
' Jahrb. f. Psych. XX. Heft 2 u. 3.
8 *
Digi
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116
Zeichen der Pubertät vermissen lässt Dieselbe ist wahrscheinlich wohl eine
Folge des Umstandes, dass Pat. erheblich zu früh geboren ist; ob iu diesen
beiden Momenten andererseits eine gewisse Disposition für die Erkrankung des
Nervensystems zu sehen ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Schliesslich bemerke ich noch, dass ich sowohl die Eltern als auch die
Schwester des Pat einer Untersuchung unterzogen habe; abgesehen von Sym¬
ptomen von Skrophulose bei der Schwester des Pat sind alle drei gesund, ins¬
besondere sind nervöse Symptome bei keinem von ihnen nachweisbar. (Während
der Demonstration bekommt Pat. einen seiner Anfälle von Herzklopfen und
Angstgefühl. Der Puls wird dabei beschleunigt, das Gesicht wechselt mehrfach
die Farbe und bekommt einen deutlich angstvollen Ausdruck. Er muss sich
hinsetzen, drückt eine Herzflasche, die er stets bei sich führt, gegen die Herz¬
gegend und verlangt, Wasser zu trinken. Nach etwa */* — Va Minute erholt
sich Pat. wieder.)
Man wird in der Annahme, dass es sich hier um eine Art von „Herz¬
krisen“ handelt, wohl nicht fehlgehen.
II. Bibliographie.
1) Syphilis und Nervensystem. 17 Vorlesungen von Dr. M. Nonne. (Berlin,
1902. S. Karger.)
Nachdem vor nicht langer Zeit Oppenheim im Nothnagel’schen Hand¬
buch die Syphilis des Nervensystems monographisch bearbeitet hatte, muss es
immerhin als ein etwas kühnes Unternehmen bezeichnet werden, wenn selbst ein
so trefflicher Autor wie Nonne dasselbe Thema zum zweiten Male vornimmt.
Es erscheint uns indessen nicht zweifelhaft, dass das Unternehmen glücken wird.
Verf. hat die bewährte Form der Vorlesungen gewählt, die es mehr als irgend
eine andere gestattet, der an sich vielleicht manchmal trockenen Materie Leben
zu verleihen. Auch die verschiedenen Wiederholungen, die nach der Natur der
Sache nicht zu vermeiden sind, werden dadurch ihres störenden Charakters ent¬
kleidet. Verf. lässt durchweg seine eigenen Erfahrungen sprechen, die zahlreichen
(268) Krankengeschichten entstammen, mit ganz wenigen Ausnahmen, eigenen
Beobachtungen. Es liegt darin ein Vorzug vor manchen anderen Werken, die
ihren Stoff im Wesentlichen der Casuistik der Zeitschriften entnehmen. Es ist
klar, dass die veröffentlichten „Fälle“ in der grossen Mehrzahl Ausnahmen, Rari¬
täten darstellen, die sich vielleicht an grossen Universitäts-Instituten einmal an¬
sammeln, dem Praktiker aber kaum je vor Augen kommen. Die wirklich in-
struotiven, werthvollen Beobachtungen dagegen, die Typen sowohl wie besonders
auch kleinen, scheinbar unwesentlichen Abweichungen vom Schulbilde kommen
aus naheliegenden Gründen in den seltensten Fällen zur Veröffentlichung. Und
doch sind es gerade diese, mit denen der Arzt sich am allermeisten herumzu¬
schlagen hat, viel mehr als die Staatsdiagnosen und Renommirfalle. Wenn ihm
in dieser Beziehung Gelegenheit geboten wird, sich die Erfahrungen eines Anderen,
in einem grossen Wirkungskreise Stehenden zu Nutze zu machen, bo wird er
sicher gern dieselbe ergreifen. Wir meinen, dass wir Nonne zu Danke ver¬
pflichtet sind, dass er auch die mehr oder weniger alltäglichen Fälle in den Kreis
seiner Beobachtungen gezogen hat, aus deren Summe ein wirklich brauchbares,
dem Arzte und nicht nur dem theoretischen Forscher nützliches Buch entstanden
ized by GoO^lC
117
ist — Dass dabei die Ergebnisse der Forschungen anderer Autoren nicht ver¬
nachlässigt werden, versteht sich bei Nonne eigentlich von selbst und geht unter
Anderem auch ans dem 20 Seiten füllenden Litteratur-Nachweis hervor.
Die Eintheilung des grossen Stoffes geschieht nach den Gesichtspunkten,
dass erst die arteriitische Form der Hirnsyphilis, dann die Convexitäts-Meningitis,
die syphilitische Erkrankung der Hirnbasis, die Psychosen und Neurosen bei
Uirasyphilis behandelt werden. Es folgt die Meningitis spinalis, die Meningo¬
myelitis und die Myelitis acuta, die syphilitische Erkrankung der peripheren
Nerven, die Heredo-Syphilis. Besondere Kapitel sind der Betrachtung der Be¬
ziehungen der Dementia paralytica zur Syphilis, der Tabes-Syphilis-Lehre, der
centro-spinalen Form der Syphilis und der Therapie gewidmet. Ueberall gründen
sich die Ausführungen auf eine eingehende Berücksichtigung der gerade hier ja
besonders wichtigen pathologisch-anatomischen Verhältnisse.
Aus dem reichen Inhalt sei nur Einiges hervorgehoben, was von principieller
Bedeutung erscheint oder des Verf.’s Standpunkt einigen Streitfragen gegenüber
kennzeichnet. Schon im ersten Kapitel wird betont, dass der Erfolg oder Nicht¬
erfolg einer specifischen Kur nur in bedingter Weise als differential-diagnostisches
Mittel betrachtet werden darf. — Die Heubner’sche Endarteriitis ist nach der
Meinung der überwiegenden Mehrzahl der Autoren nicht für Lues charakteristisch,
die Intima-Wucherung ist im Wesentlichen eine secundäre, die Entzündung geht
von den Vasa vasorum aus. Dem gegenüber wird mehr Werth auf die Endo-
pblebitis gelegt. Es ist auch zur Zeit noch nicht angängig, aus dem makro¬
skopischen und mikroskopischen Befund bei Meningitis, sobald keine Tuberkel¬
bacillen gefunden werden, zu bestimmen, ob es sich um Tuberkulose oder Lues
handelt. Wichtig erscheint die Thatsache, die aus einer grossen Anzahl von
Beobachtungen hervorgeht, dass eine selbst sachgemäss und gründlich durch-
gefohrte Behandlung der ersten Stadien der Syphilis keine Gewähr für ein späteres
Verschontbleiben der Gefässe und des Nervensystems bietet. — Bei der basalen
Meningitis werden die Opticus-Erkrankungen ausführlich behandelt; das Vor¬
kommen der hemiopischen Pupillenreaction bei Affection des Tractus hält Verf.
fär erwiesen. Der Oculomotoriuslähmung sind fast zwei Kapitel allein gewidmet;
hervorsuheben wäre, dass alternirende Ungleichheit der Pupillen nicht immer als
Zeichen einer organischen Nervenkrankheit aufzufassen ist, sowie dass eine isolirte
Lichtstarre der Pupille durch eine Meningitis basilaris luetica zu Stande kommen
kann, — Bezüglich der Epilepsie kommt Nonne wie Binswanger zu dem
Schluss, dass es eine Epilepsie als functionelle Neurose giebt, die auf dem Boden
der Syphilis-Durchseuchung des Individuums erwächst. Die Frage einer specifisch
syphilitischen, als solche an sich diagnosticirbaren Geistesstörung wird verneint;
dagegen giebt es kaum eine Form der psychischen Störung, die nicht im Gefolge
der Syphilis zur Beobachtung gelangen könnte. — In der Frage der Aetiologie
der Paralyse steht Verf. auf dem wohl allgemein getheilten Standpunkt, dass
dieselbe keine specifisch syphilitische Gtehirnerkrankung ist, dass die Syphilis für
ihr Zustandekommen zwar eine sehr erhebliche Bedeutung besitzt, jedoch keine
conditio sine qua non daretellt. Die Differentialdiagnose gegen die ähnlichen
Zustände der diffusen arteriosklerotischen Gehirnerkrankung, der multiplen Ence-
phalom&lacie, der heilbaren postsypbilitischen Demenz u. Aehnl. wird an einer
Reihe höchst instructiver Krankengeschichten erörtert. — In der Tabesfrage ist
des Verf’s Standpunkt der gleiche: die Syphilis ist nicht ausschliesslich die Ur¬
sache für die Tabes, es bleibt eine Anzahl von Fällen, in denen Syphilis bei der
Entstehung der Tabes nicht nachweislich mitgewirkt hat; sie ist jedoch die bei
Weitem wichtigste und häufigste Ursache, der gegenüber alle anderen in Betracht
gezogenen durchaus zurücktreten. Auch hier wird die Differentialdiagnose ein¬
gehend behandelt. — In den Kapiteln, die der Rückenmarkssyphilis gewidmet
118
sind, bietet vor Allem der Abschnitt über die Erb’sche Paralysis spinalis syphilitica
Interesse. Die Schlussfolgerungen, zu denen Verf. nach eingehender Erörterung
dieses noch ziemlich umstrittenen Gebietes gelangt, sind etwa die folgenden:
Es giebt drei Möglichkeiten, unter denen wir uns die Erb’sche syphilitische
Spinalparalyse vorstellen können: 1. eine chronische Myelitis transversa mit auf-
und absteigender Degeneration; 2. solche mit einer primären Pyramidenseitenstrang-
bahn-Degeneration combinirt; 3. eine solche allein, die entweder ohne oder mit
einer Erkrankung der Rückenmarksgefässe verläuft. Das Bild der Erb’sehen
Spinalparalyse kann also unter Umständen aus dem Gebiete der specifisch-syphi¬
litischen Rückenmarkserkrankung heraustreten und sich den Systemerkrankungen
zugesellen; jedenfalls hat daB Krankheitsbild ziemlich weite Grenzen, wenn auch
Verf. die Berechtigung seiner Aufstellung unter diesem besonderen Namen nicht
direct in Abrede stellt. — Bei Besprechung der Differentialdiagnose tritt sehr
schön hervor, wie die Rückenmarkssyphilis im Stande ist, alle möglichen anderen
Rückenmarkserkrankungen zu copieren. Bezüglich der Prognose wird direct ge¬
sagt, dass der Ausgang der Rückenmarkslues unabhängig ist von der früheren
Behandlung der Syphilis, und dass in jedem Falle die Gefahr des Recidivs droht.
Da auch echt syphilitische Producte gegen die specifische Therapie refraetär sein
können, so ist eine Erfolglosigkeit der Behandlung keineswegs einwandsfrei gegen
die Annahme des luetischen Charakters eines vorliegenden organischen Nerven¬
leidens zu verwerthen. — Das häufige Vorkommen cerebraler zugleich mit spinalen
Symptomen wird in einem eigenen Kapitel noch einmal besonders erörtert. —
Bei der Besprechung der Syphilis der peripheren Nerven wäre vielleicht eine
Erwähnung der mercuriellen Neuritiden, auf die neuerdings verschiedentlich auf¬
merksam gemacht worden ist, mit am Platze gewesen. — Aus dem Kapitel über
Heredo-Syphilis sei der Satz hervorgehoben, dass alle Veränderungen an den
Gefässen, Meningen und der nervösen Substanz selbst, die bei Erwachsenen als
Folge acquirirter Syphilis beobachtet werden, auch bei der hereditären Syphilis
Vorkommen. Der Tay-Sachs’schen familiären Idiotie mit Amaurose wird ein
Verhältniss zur Syphilis abgesprochen. — Aus dem Dilemma, ob man bei Opticus¬
atrophie schmieren soll oder nicht, hilft Verf. in der Weise, die vielleicht vor-
theilhaft allgemein angenommen werden sollte, dass er jedes Mal nach einigen
Einreibungen eine Gesichtsfeldaufnahme neben der opthalmoskopischen Untersuchung
vornimmt und von dem Ergebniss die Fortführung der Behandlung abhängig
macht. — Die Indicationen zum chirurgischen Eingriff bei nachgewiesener oder
vermutheter Hirnsyphilis werden formulirt. Der Schüler Erb’s giebt sich darin
zu erkennen, dass er bei Tabes, falls Lues in der Anamnese ist, zunächst schmiert,
die Schmierkur aber nicht wiederholt, wenn nicht eine in die Augen fallende
Besserung erzielt worden ist.
Das Gesagte wollte bloss den Standpunkt des Verf.’s einigen mehr oder
weniger actuellen Fragen gegenüber herausheben. Die Bedeutung des Buches für
den Praktiker ist schon oben betont worffen; wir sind überzeugt, dass es der Arzt
in den schwierigen und häufig so besonders wichtigen Fällen centraler Syphilis
stets mit Nutzen wird zu Rathe ziehen können. H. Haenel (Dresden).
2) Die Entmündigung Geisteskranker, von Amtsrichter Dr. Otto Levis.
(Leipzig, 1901. 327 S.)
Das vorliegende W T erk eines Juristen setzt zu seinem Verständniss juristisches
Wissen und juristische Denkformen voraus, Bedingungen, die sich beim Mediciner
und auch speciell beim Psychiater in der Regel nicht erfüllen. Trotzdem recht¬
fertigt sich eine Besprechung der umfangreichen monographischen Darstellung m
dieser Stelle nicht nur durch den Titel des Werkes. Ein Capitel besonders ist
Die
119
es, du für den Medioiner nicht allein von grossem Interesse, sondern auch von
hervorragender Wichtigkeit ist, will er Bich klar darüber werden, was die Recht¬
sprechung unter Geistesanomalie, unter Geisteskrankheit und Geistesschwäche ver¬
steht. Dass sich diese Klarheit jeder verschaffen müsste, der jemals in die Lage
kommt, als ärztlicher Sachverständiger bei der Entmündigung Geisteskranker mit¬
zuwirken, versteht sich eigentlich von selbst. Dass diese Klarheit bis jetzt, auch
nur bei den Berufenen, sehr häufig angetroffen wird, könnte man nicht behaupten.
Immer wieder sind es die im § 6 1 des BGB enthaltenen Worte „Geisteskrankheit“
und „Geistesschwäche“, über deren Bedeutung die Ansichten der Mediciner und
Juristen — und zwar besonders auch der letzteren untereinander — oft weit
differiren.
Im vorliegenden Werke befasst sich Capitel III des zweiten Abschnittes („Die
geistige Erkrankung als Voraussetzung der Entmündigungsreife“) mit dem Be¬
griffe der geistigen Anomalie und dem Unterschiede zwischen Geisteskrankheit und
Geistesschwäche. Für den Mediciner ist es nicht ganz leicht, sich daran zu ge¬
wöhnen, den medicinischen Begriff der Geisteskrankheit vom juristischen streng
zu scheiden. Diese Scheidung ist aber nothwendig; es kann etwas geistige Ano¬
malie im Rechtssinne sein, ohne es auch im medicinisch-psychologischen Sinne
sein zu müssen. Und nicht minder schwierig ist es für den Mediciner, den Be¬
griff der Geistesschwäche im juristischen Sinne richtig zu erfassen, oder genauer
gesagt, zu begreifen, dass der Jurist unter „Geistesschwäche“ etwas ganz anderes
versteht und verstehen muss als der Mediciner. Dass der Gesetzgeber unter
Geistesschwäche nicht den geistigen Zustand des Schwachsinns (im psychiatrischen
Sinne) gemeint haben kann, was der oberflächlich urtheilende Mediciner öfters
ansunehmen geneigt ist, liegt bei genauerer Ueberlegung klar zu tage. Denn
dann könnte, wie Verf. treffend anführt, „der Geisteskranke, der in der steigenden
Entwickelung seines Leidens dement und damit geistesschwach im medicinischen
Sinne wird, aus einem voll Geschäftsunfähigen zu einem nur beschränkt Geschäfts¬
unfähigen werden.“
Die vom Gesetzgeber statuirte Unterscheidung zwischen Geisteskrankheit und
Geistesschwäche kann schon deshalb nicht auf raedicinisch-psychologischer Grund¬
lage basiren, weil von dieser aus betrachtet die beiden Begriffe gar keine graduell
verschiedenen, ja überhaupt keine commensurablen Grössen sind (Ref.). Es können
vielmehr zur Erklärung und damit zur Unterscheidung von Geisteskrankheit und
Geistesschwäche ausschliesslich nur juristische Gesichtspunkte in Betracht kommen.
Und dabei muss ausgegangen werden von der Erwägung, dass für den Entmündi¬
gungsrichter die geistige Erkrankung einzig und allein nur als Voraussetzung der
Entmündigungsreife Bedeutung und Interesse hat. Das Gesetz kennt zwei Ent¬
mündigungsarten: Die Geschäftsunfähigkeits-Entmündigung und die Geschäfts-
beschränkungs-Entmündigung. Die Folge der ersteren ist eine umfassendere, die
der letzteren eine enger umschriebene Geschäftsunfähigkeit. Nach der Defini¬
tion des Verf.’s ist nun „Geisteskrankheit diejenige Geistesanomalie,
der zu Folge der Betroffene die einem beschränkt geschäftsfähigen
Menschen obliegenden Aufgaben nachweisbar nicht mehr erfüllen
kann; jede andere Art der Geistesanomalie ist Geistesschwäche“. —
Nun bleibt noch zu erläutern, was unter dem weiteren Begriffe der Geistesanomalie
za verstehen ist. Allgemein definirt Verf. Geistesanomalie als „denjenigen dauern¬
den Zustand eines Menschen, bei welchem die psychischen Thätigkeiten in anor¬
maler Weise verlaufen“.
Das Unbefriedigende dieser allgemeinen Definition fällt für den speciellen
Fall der Entmündigungsfrage weniger schwer ins Gewicht, da hier die geistige
Anomalie nur soweit erklärt werden muss, als sie Voraussetzung der Entmündi¬
gungsreife ist. Und unter diesem Gesichtspunkte lässt sich geistige Anomalie
120
definiren als diejenige Störung des seelischen Gesammtzustandes eines
Menschen, der zu Folge er ausser Stande gesetzt wird, seine Ange¬
legenheiten zu besorgen. In dem Ausdruck „Gesammtzustand“ ist dann auch
gleich eine Abgrenzung der Geisteskrankheit gegenüber Verschwendung und Trunk¬
sucht gegeben, bei welch letzteren der Jurist annimmt, dass es sich nur um ,,die
Afficirung einer einzelnen Geistesqualität“ handle.
Im Verlauf der Betrachtungen über Geisteskrankheit und Geistesschwäche
wendet sich Verf. gegen die von Planck gegebene Definition der Geisteskrank¬
heit als „diejenige geistige Störung, welche die freie Willensbestimmung aus-
schliesst“. Verf. führt an dem Beispiele eines Paranoikers in zutreffender Weise
aus, dass jemand unter Umständen wegen Geisteskrankheit zu entmündigen ist,
ohne dass man mit Recht behaupten könnte, dass bei ihm die freie Willens¬
bestimmung ausgeschlossen sei. Auf die psychologische Erklärung der „freien
Willensbestimmung“ sowie auf die Darlegung des Unterschieds in der Auffassung
dieses Begriffes, je nachdem es sich um Delictsfähigkeit oder um Geschäftsfähig¬
keit handelt, näher einzugehen, würde im Rahmen eines Referates zu weit fuhren;
doch möchte Ref. gerade auf diese Deductionen noch ganz besonders aufmerksam
machen.
Im Vorstehenden hat nur der kleinste Theil des inhaltsreichen Werkes eine
kurze Besprechung gefunden, dasjenige Capitel nämlich, das als Grenzgebiet
zwischen Rechtswissenschaft und Psychiatrie für den Mediciner von der gleichen
Wichtigkeit ist wie für den Juristen. — Noch sei auf einen weiteren Abschnitt
der Abhandlung ausdrücklich hingewiesen, auf die §§ 73—79 incl., die vom
Sachverständigenbeweis handeln. Hier findet der zum Sachverständigen be¬
stellte Arzt wichtige Aufschlüsse über seine rechtliche Stellung und über die ihm
gesetzlich zustehenden Hülfsmittel zur Erstattung seines Gutachtens.
Es wäre zu wünschen, dasB jeder Arzt, der als solcher bei der Entmündigung
von Geisteskranken mitzuwirken hat, sich möglichst eingehend mit dem Studium
des vorliegenden Werkes befassen möchte. Knapp und klar in der Darstellung,
von zwingender Logik in der Beweisführung, bildet das Buch eine sehr werth¬
volle Bereicherung unserer gerichtlich-psychiatrischen Litteratur.
Max Neumann (Karlsruhe).
3) Entlassungszwang und Ablehnung oder Wiederaufhebung der Ent*
mündigung, von E. Schultze. (Halle, 1902. C. Marhold. 62 S.)
Für eine Reihe von Provinzial-Irrenanstalten ordnet das Anstaltsreglement
an, dass der Kranke entlassen werden muss oder gegen seinen Willen nicht zu¬
rückbehalten werden darf, dessen Entmündigung endgültig abgelehnt oder rechts¬
kräftig wieder aufgehoben ist. Eine ähnliche Bestimmung findet sich in der
neuen Anweisung für Privat-Irrenanstalten vom 26. März 1901.
Verf. führt des Näheren aus, dass die Bestellung einer Vormundschaft und
die Nothwendigkeit der Anstaltsverpflegung von ganz verschiedenen Voraussetzungen
ausgehen, so dass es principiell verkehrt ist, diese beiden Momente in einen der¬
artigen Zusammenhang zu bringen. In diesem Sinne hat sich auch der 25. Juristen¬
tag ausgesprochen. Die Durchführung obiger Bestimmung führt aber auch in der
Praxis zu den mannigfachsten Unzuträglichkeiten; Verf. führt ausser einem selbst¬
erlebten Fall, der die Veranlassung der vorliegenden Arbeit war, eine Reihe von
Fällen an, die er auf Grund einer umfassenden Sammelforschung erfahren bat.
Mit besonderem Nachdruck weist er darauf hin, dass an diesen unliebsamen Er¬
fahrungen noch viele andere Momente schuld sind, wie die mangelhafte psychia¬
trische Vorbildung der Juristen, einige Mängel im Entmündigungsverfahren, die
unzweckmässige Fragestellung der Staatsanwaltschaft an die Anstalt, von deren
Digi
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121
Beantwortung das weitere Verhalten der Staatsanwaltschaft abhängt. So wird
der Sachverständige oft genug geradezu gezwungen sein, im Interesse Beiner
Kranken ein dilatorisches Verfahren einzuschlagen.
Andererseits verlangt man nach einem Rechtsschutz gegen ungerechtfertige
Einsperrang. Indess ist die Beantragung und Einleitung des Entmündigungs¬
verfahrens hierfür nicht nur völlig ungeeignet, sondern oft geradezu bedenklich.
Genügen doch formale Grunde zu einer Ablehnung der Entmündigung, um den
Kranken entlassen zu müssen. Es giebt noch andere Wege zur Klarstellung des
Geisteszustandes, wenn man es nicht vorzieht, ein neues und nur ad hoc bestimmtes
Verfahren vorzuschlagen.
Um eine Besserung herbeizufuhren, fordert Verf. den psychiatrischen Verein
der Rheinprovinz, vor dem Verf. diese Frage besprochen hat, zu einer Stellung¬
nahme auf und schlägt folgende inzwischen genehmigte Resolution vor:
„Der Verein der Irrenärzte der Rheinprovinz hält die Bestimmung, nach
der Kranke nicht mehr gegen ihren Willen in der Anstalt zurückbehalten
werden dürfen, wenn ihre Entmündigung abgelehnt oder wieder aufgehoben
ist, für principiell und praktisch höchst bedenklich.“ M.
III. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Fsyohiatrie and Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 13. Januar 1902.
Discussion über den Vortrag des Herrn Salomonsohn (vergl. d. Centralbl.
1902. Nr. 1).
Herr Kalischer hat Bedenken gegen die Diagnose, die der Vortr. gestellt
hat, Bedenken, die seiner Ansicht nach namentlich für die Therapie bedeutsam
sind; der schubweise Verlauf, die nächtlichen Schmerzen, die schnelle Ausdehnung
and die Localisation der Affection sprechen seiner Ansicht nach mehr für eine
basale syphilitische Meningitis; gegen eine rheumatische neuritische Affection
spricht auch das Freibleiben des Facialis und der Extremitäten. Auch das Frei¬
bleiben einiger Aeste des Oculomotorius sei nicht gegen die Diagnose einer basi-
lareo Meningitis zu verwerthen, die vielleicht noch gestützt werde durch die
einseitige reflectorische Pupillenstarre und das Fehlen der Patellarreflexe.
Herr Salomonsohn ist nicht der Ansicht, dass es sich um einen rheuma¬
tischen Process gehandelt hat; er glaubte nur den peripherischen Charakter der
Affection annehmen zu müssen und ist nicht der Ansicht, dass es sich um eine
basale Meningitis handelt, da auch vom Trigeminus einige Fasersysteme völlig
frei geblieben sind.
Herr Martin Bloch: Ein Fall von infantiler Tabes. (Vergl. Original¬
mittheilung 4 in dieser Nummer.)
Discussion:
Herr Salomonsohn fragt, ob das Gesichtsfeld bei dem Patienten perimetrisch
untersucht worden ist, ferner, ob der Vortr. einen Versuch gemacht habe, das
Verhalten der Pupillen nach Cocaineinträufelung zu prüfen, da man danach bis¬
weilen ein Wiederauftreten der scheinbar nicht vorhandenen Convergenzreaction
beobachten könne.
Herr Bloch verneint letztere Frage, bemerkt aber, dass das Gesichtsfeld in
der Hirschberg’schen Klinik untersucht und normal befunden worden ist.
Herr Skodczinski stellt aus der Abtheilung von Geh. Rath Jol ly einen 14jähr.
Knaben vor, der jetzt folgendes Krankheitsbild darbietet: Amaurose, vorgeschrittene
Digi
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122
Demenz, spastische Lähmung der Beine mit Contracturen und epileptische Anfälle.
Die Krankheit hat im 5. Lebensjahre mit Abnahme des Sehvermögens begonnen,
vom 7. Lebensjahre fortschreitende Demenz und körperliche Lähmungserscbeinungen
von Seiten der Beine. Jetzt besteht auch Incontinentia vesicae et alvi. Das
Gehör ist gut, der Kopf wird nach vorn gebeugt gehalten. Sprechen thut Pat.
nicht Ein Bruder des Pat, der 5 Jahre älter war, hat an genau derselben
Krankheit gelitten und ist völlig verblödet in Wuhlgarten gestorben. Die ana¬
tomische Untersuchung hat hier eine Degeneration der Pyramidenbahnen ergeben,
von Seiten des Gehirns, das aber nicht mikroskopisch untersucht worden ist,
Verdickung der Pia und Atrophie der Windungen, besonders des Stirnhirns.
Aetiologisch kommt vielleicht Lues der Eltern in Betracht, die Mutter hat
einmal abortirt, der Vater hat einmal ein Bläschen am Sulcus coronarius gehabt,
doch ohne jede Folgeerscheinungen. Sicheres über vorausgegangene Lues ist nicht
zu eruiren. Die Mutter des Pat. hat 6 Mal geboren, 3 Töchter, die blond, dem
Vater ähnlich und gesund sind, und 3 Söhne, die dunkelhaarig und der Mutter
ähnlich sind; von ihnen ist ausser dem schon erwähnten und dem Pat. noch einer
an Krämpfen gestorben. Der Grossvater der Mutter war epileptisch, ihr Vater
hat einmal einen Krampfanfall gehabt, eine Tante und eine Cousine Bind epilep¬
tisch, sie selbst und zwei Schwestern sind sehr nervös, eine der Schwestern bat
einen Krampfanfall gehabt.
Der Fall des Vortr. lässt sioh in die bisher bekannten Gruppen derartiger
familiärer Erkrankungen nicht einreihen, es besteht zwar eine gewisse Aehnlich-
keit mit der von Sachs beschriebenen familiären amaurotischen Idiotie; doch
befällt diese immer Kinder in den ersten Lebensmonaten und führt vor Ablauf
des 2. Lebensjahres zum Tode.
Discu8sion:
Herr Oppenheim fragt, ob Veränderungen an der Macula lutea gefunden
Beien, und ob nicht eine gewisse Aehnlichkeit mit den von Homen beschriebenen
Fällen bestehe.
Herr Skodczinski verneint die erste Frage; was die Homen’schen Fälle
angehe, so seien sie von H. selbst als hereditäre Lues aufgefasst worden; eine
Inunctionskur habe bei diesen auch eine erhebliche Besserung gebracht, während
sie in seinem Fall gänzlich erfolglos geblieben sei.
Herr Jolly: Ueber Kopftetanus mit Faoialislähmung.
Der 9jähr. Pat ist am 6. December 1901 der Klinik von Herrn Remak
mit der Diagnose Kopftetanus überwiesen worden. Er fiel Mitte November beim
Spielen auf die Erde und zog sich eine Wunde am Rande der linken Augenhöhle
zu, die vernäht wurde und nach 8 Tagen verheilt war, so dass Pat. wieder in
die Schule gehen konnte. 10 Tage nach der Verletzung war der Mund nach
rechts verzogen, einige Tage später das Oeffnen des Mundes erschwert; in den
nächsten Tagen Zunahme der Symptome, mehrfach Anfälle plötzlicher Athemnoth
mit Cyanose unter lautem Jammern und Schreien. Bei der Aufnahme fand sich
völlige Lähmung des linken Facialis mit Contractur im Gebiet der unteren Aeste;
ferner Contractur im rechten Facialis, dem Platysma, den Sternocleidomastoidei,
den Intercostal- und Bauchmuskeln, weniger in den Nacken- und Rückenmuskeln;
die Extremitäten waren frei. In den nächsten Tagen häufig tetanische Anfälle
mit OppresBionsgefühl, gesteigertem Trismus und vermehrter Contractur im Ge¬
sicht und den Bauchmuskeln. Dauer der Anfälle etwa eine Minute. Es bestand
ferner gesteigerte Reflexerregbarkeit und Empfindlichkeit gegen Geräusche. In
den Anfällen wurden die Schultern nach vorn und die Beine an den Leib ge¬
zogen. Kein Fieber.
Der Fall erschien ziemlich milde mit Rücksicht auf das lange Incubationa*
Digitizedby G00gle
123
Stadium, die allmähliche Entwickelung der Symptome und die Fieberlosigkeit.
Das bei einer Venaesection entleerte Blut erwies sich für die Mehrzahl der ge¬
impften Mäuse als nicht toxisch, dagegen war die dem Orte der Verletzung ent¬
nommene Erde virulent. Am 11. December Injection von 15 ccm Behring’schen
Serums (100 L-E.). Ein unmittelbarer Effect war nicht zu constatiren, nach
einigen Tagen Hessen die Contracturen nach, die tetanischen Anfälle schwanden
allmähUch.
Vom 14.—16. December Temperatursteigerungen auf 38,6—38,8°, dabei
hämorrhagisches Sputum; objectiv Rasselgeräusche, aber keine Dämpfung. Am
17. December wieder normale Temperatur. Allmähliches Nachlassen aller Sym¬
ptome, besonders auch des Trismus, so dass auch die Ernährung allmählich besser
wurde. Die linksseitige Facialislähmung ging so weit zurück, dass zu Weih¬
nachten nur noch eine geringe Schwäche des Augenschlusses und ein Zurück¬
bleiben der linken Wange beim Lachen zu constatiren war.
Die in Folge der Empfindlichkeit des Pat. sehr erschwerte elektrische Prüfung
ergab, dass die Erregbarkeit links vielleicht ein wenig herabgesetzt war; sicher
aber bestand keine Entartungsreaction.
Am 28. Deoember zeigte sich plötzlich eine deutliche Contractur im Facialis
der linken Seite: linke Lidspalte sehr eng, deutliche Contractur der linken Wange.
Reste dieser Contractur sind noch heute zu demonstriren, besonders nach mehr¬
maligem Augenschluss erscheint die linke Lidspalte deutlich enger als die rechte.
Erhebliche Schluckstorungen bestanden nie.
(Demonstration von photographischen Aufnahmen der verschiedenen Phasen
des Krankheitsverlaufs.)
Vortr. bespricht kurz die Geschichte der Lehre vom Kopftetanus und wendet
sich zu den Erklärungsversuchen über die dabei beobachteten Facialislähmungen.
Die Rose’sche Erklärung, dass es sich dabei um eine von der Wunde ausgehende
Schwellung des Nerven handele, verwirft er, da niemals bei solchen Fällen Eut-
artungsreaction constatirt worden sei, da ferner schwer einzusehen sei, wie z. B.
von einer Stirnwunde aus dann eine Lähmung nicht nur des Stirnastes, sondern
des ganzen Facialis zu Stande kommen solle. Bei Impfversuchen an Thieren tritt
zunächst eine locale Contractur am Orte der Impfung auf, und es fragt sich, ob
diese mit der localen Lähmung in Parallele gebracht werden könne. Dass die
locale Contractur nicht directe Folge einer Affection der peripherischen motorischen
oder sensiblen Nerven des betreffenden Gliedes sei, haben Experimente ergeben;
vielmehr sei ihr Sitz in die Vorderhornganglienzellen zu verlegen. Wie es zu
einer Affection derselben komme, darüber giebt es eine Reihe von Hypothesen,
von denen keine als sicher angesehen werden könne; und da auch die anato¬
mische Untersuchung von Fällen von Kopftetanus mit einseitiger Facialislähmung
bisher keine sicheren Resultate, besonders keine auf die erkrankte Seite be¬
schränkten Veränderungen ergeben habe, könnte man nur sagen, dass es sich bei
der Contractur wie bei der Lähmung um Giftwirkungen auf das peripherische
motorische Neuron, wahrscheinlich auf dessen spinalen Antheil, ohne bisher be¬
kannte anatomische Veränderungen handele.
Der vorgestellte Fall ist bemerkenswerth, weil von Anfang an neben der
Lähmung eine leichte Contractur auch der gelähmten Seite und nach geheilter
Läh m ung eine stärkere Contractur daselbst bestand; dass es sich nicht um eine
gewöhnliche secundäre Contractur gebandelt hat, dagegen spricht schon das Fehlen
von Entartungsreaction. Wahrscheinlich sind Lähmung wie Contractur nuclearen
Ursprungs.
Discussion:
Herr Remak erinnert daran, dass Hadlich im Jahre 1885 dieser Gesell¬
schaft auch einen Fall von Kopftetanus, in dem sich Contractur und Lähmung
124
vergesellschaftet fanden, vorgestellt hat, und dass diese Misohung von Lähmung
und Contractur auch von Nerlich in seiner Arbeit aus der Hitzig’schen Klinik
erwähnt worden ist. Nach R.’s Ansicht ist der elektrische Befund in diesen
Fällen bisher weder für den peripherischen, noch für den nuclearen Sitz der
Lähmung charakteristisch, der klinische Befund ebenso wenig. Wenn dieBrunner’-
schen Versuche, nach denen der erkrankte FacialisBtamm selbst auf Thiere toxische
Wirkung ausübe, als beweisend anzusehen wären, so würden sie für eine toxische
peripherische Affection sprechen.
Herr Schuster erwähnt einen von ihm in der Medicin. Gesellschaft vorgestellten
geheilten Fall von sehr schwerem Kopftetanus aus der Mendel’schen Klinik, der
auch in einer Dissertation (von Bleichröder) bearbeitet worden ist. Auch in
diesem waren Lähmung und Contractur auf derselben Seite gemischt vorhanden. Auch
hier war der elektrische Befund normal. Pat. hatte ausserdem mehrfach schwere
tonische Zwerchfellskrämpfe, die zwei Mal fast den Exitus des Pat. herbeiführten
und nur durch Faradisation der Phrenici beseitigt werden konnten. Nach In-
jection von Tizzoni’schem Serum in den Duralsack war hier erhebliche Ver¬
schlimmerung eingetreten. Es wurde dann nach dem Vorschläge von Krokje-
wicz eine Emulsion von Schweinehirn unter die Bauchwand injicirt. Ob die
eingetretene Heilung hierdurch in die Wege geleitet worden ist, will Sch. nicht
entscheiden. Auch hier blieb auf der ursprünglich gelähmten Gesichtshälfte eine
gewisse Contractur zurück.
Herr Jolly bemerkt zu Hm. Remak’s Ausführungen, dass er bezüglich des
Sitzes der Affection, ob in der Peripherie oder im Kern, keine Entscheidung ab¬
geben wolle; er will nur betonen, dass es sich nicht um eine entzündliche
Affection handele, sondern um toxische, anatomisch bisher noch nicht erkennbare
Alterationen. Martin Bloch (Berlin).
XXXII. Jahresversammlung der südwestdeutsohen Irrenärzte in Karlsruhe
am 2. und 3. November 1001.
(Schloss.)
Herr Gau pp: Die Dipsomanie. (Vgl. B. Gaupp, Die Dipsomanie. Eine
klinische Studie. 1901. — Neurolog. Centralbl. 1902. Nr. 1.)
Nach einigen einleitenden Worten giebt der Vortr. zunächst eine Begriffs¬
bestimmung der Dipsomanie. Sie ist gekennzeichnet durch anfallsweises Auf¬
treten eigentümlicher Zustände, in denen nach Vorausgehen einer depressiven
Gemüth8verstimmung der unwillkürliche Trieb nach Genuss berauschender Getränke
erscheint. Der Trinktrieb führt zu heftigen Ausschweifungen, geht mit einer
mehr oder weniger tiefen Bewusstseinstrübung einher oder löst allmählich eine
solche aus, bis nach Tagen oder Wochen der Anfall von Belbst sein Ende findet.
Die periodischen Gemüthsverstimmungen treten ohne erkennbaren Anlass ein. Die
Krankheit verschlimmert sich meist und führt oft zum chronischen Alkoholismus.
Nach dieser Begriffsbestimmung giebt Vortr. eine kurze historische lieber-
sicht über die Entwickelung der Dipsomanielehre, wobei er namentlich klarlegt,
wie die fortschreitende klinische Erfahrung immer mehr zur Auffassung der Krank¬
heit als einer epileptischen Störung drängte. Dabei wird die Frage nach der
Umgrenzung des Begriffes der Epilepsie, nach der Existenz einer rein psychischen
Epilepsie im Sinne von Falret und Samt wiederholt gestreift. Vortr. ist auf
Grund umfangreicher eigener Untersuchungen und eingehender Literaturstudien
zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Dipsomanie stets ein Symptom der
Epilepsie ist. Er setzt die Gründe für diese Annahme aus einander, berichtet in
Die
125
Kone ober das Ergebnis^ seiner eigenen Untersuchungen, das er am Schlüsse
folgendennaaasen zusammenfasst: Ein Ueberblick über die ganze Reihe der beob-
achteten Krankheitsfälle zeigte uns, dass am einen Ende der Kette der Epilep¬
tiker steht, der neben anderen Zeichen seines Leidens auch periodische Ver¬
stimmungen aufweiBt, am anderen Ende der Dipsomane, bei dem die periodische
Verstimmung mit ihrem consecutiven Trinktrieb das einzige Symptom darstellt,
dass aber zwischen diesen beiden extremen Formen sich adle möglichen Ueber-
gänge finden.
Im zweiten Theil seiner Ausführungen schildert Vortr. das klinische Bild der
Dipsomanie, den Verlauf der einzelnen Anfälle, die Getränke der Dipsomanen nach
Art und Menge, das Ausbleiben der LähmungBsymptome trotz enormer Excesse,
den Debergang der Verstimmung in einen Dämmerzustand, das gelegentliche Auf¬
treten eines mit epileptischen Zügen vermischten Alkoholdelirs, den Verlauf des
Anfalls bei Abstinenz im Schutz der Anstalt, die psychische Persönlichkeit des
Qoartalsäufers ausserhalb der Trinkanfalle. Dann bespricht der Vortr. die Diagnose
der Dipsomanie, namentlich ihre Unterscheidung vom einfachen Alkoholismus,
erörtert die Frage der sogen. Pseudodipsomanie und geht weiterhin zur Schilderung
der Ursachen über. Die Bedeutung der erblichen Belastung wird hervorgehoben,
der Einfluss von Kopftrauma, organischer Gehirnerkrankung, chronischem Alkoholis-
mos besprochen. In der Frage, wie weit die weiblichen Generationsvorgänge
ätiologisch wirksam sind, nimmt Vortr. einen skeptischen Standpunkt ein, wobei
er namentlich darauf hinweist, dass hier Vieles als Dipsomanie bezeichnet wird,
was nicht dazu gehört.
Die Prognose der Dipsomanie wird als meist ungünstig geschildert, da es
selten gelingt, die Alkoholabstinenz während der Zwischenzeiten bei den Kranken
durchzusetzen. Bei der Besprechung der Behandlung wird auf die Notwendig¬
keit dieser Abstinenz hingewiesen und eine länger dauernde Anstaltsbehandlung
empfohlen. Daran schliesst sich eine Erörterung über die Mittel und Wege zur
Bekämpfung des Anfalls selbst (Brom, Sulfonal, Bettruhe, Selbsthülfe). Anhangs¬
weise wird der Ansichten Smith’s gedacht, der die Dipsomanie als Herzepilepsie
bezeichnet und sie aus periodischen Herzerweiterungen erklärt. Die Richtigkeit
dieser Ansicht lässt Vortr. mangels hinreichender eigener Erfahrungen dahin¬
gestellt, erkennt jedoch die Gründe, welche Smith gegen die epileptische Natur
der Dipsomanie anfuhrt, nicht an. Er betont nochmals, dass nach seinen Forschungs¬
ergebnissen die periodische Trunksucht als ein psychisch-epileptisches Aequivalent
tnzusehen ist und dass kein Grund vorliegt, den Epilepsiebegriff, welchen wir
Falret, Morel, Trousseau und Samt verdanken, fallen zu lassen.
(Autoreferat.)
Herr Sander (Frankfurt a./M.): Zur Behandlung der aouten Erregungs¬
zustände.
Vortr. giebt zunächst eine Uebersicht über die Methoden, wie sie früher und
jetzt in den Irrenanstalten bei der Behandlung der acuten Erregungszustände
geübt wurden und schildert sodann die Behandlungsart wie sie sich in der Frank¬
furter Irrenanstalt bei den schwersten Formen acuter Erregung im Laufe der
letzten Jahre herausgebildet hat. Neben der Bettbehandlung wurden hierbei in
umfangreichem Maasse hydropathische Proceduren angewandt, besonders feuchte
Einpackungen und Bäder, deren Technik, Indicationen und Contraindicationen
eingehend dargelegt werden. Die Dauerbäder werden bei der Behandlung der
schweren Erregungszustände ganz besonders empfohlen, ihr grosser Werth zeigt
sieh vorzugsweise dann, wenn sie auch über die Nacht fortgesetzt werden können.
Nicht nur bei den acut Erkrankten, sondern auch bei den intercurrenten Er¬
regungszuständen chronischer Kranker haben sie sich als sehr segensreich erwiesen.
Die besonderen Einrichtungen, die derartige Dauerbäder für erregte Kranke er-
Dic
126
fordern, werden geschildert. Bei umfangreicher Anwendung der hydropathischen
Proceduren kann man der pharmaceutischen Beruhigungsmittel fast völlig ent¬
behren, immerhin leisten sie noch gute Dienste, namentlich in den Fällen, wo es
nothwendig ist, Kranke bei vorübergehenden Erregungszuständen in ruhiger Um*
gebung zu halten. Durch Anwendung der Dauerbäder gelingt es, die Isolirung
auf ein Minimum einzuschränken, doch giebt es immer vereinzelte Fälle, bei denen
sie den mildesten und schonendsten therapeutischen Eingriff darstellt, nachdem
alle anderen legalen Mittel erschöpft sind. Bei genügendem Personal und ge¬
eigneten baulichen Einrichtungen ist es vielleicht möglich, auch in diesen wenigen
Fällen späterhin die Isolirung noch zu vermeiden, die Zahl und Art der aufzu¬
nehmenden Kranken spricht dabei das Meiste mit. In den schwersten Fällen von
Delirium acutum, wo eine absolute Indicatio vitalis besteht, und alle anderen
therapeutischen Maassnahmen nicht anwendbar sind, sowie in den Fällen, wo das
Leben bedrohende chirurgische Affectionen vorhanden sind und natürlich nur in
diesen Fällen ist man zur Anwendung mechanischer Zwangsmittel genöthigt. In
solchen Fällen aus principiellen Gründen den Zwang zu vermeiden, heisst das
Leben des Kranken unnöthig opfern. Sehr frühzeitig wird bei den schwersten
Erregungszuständen zur Sondenfütterung geschritten, da erfahrungsgemäss bei der¬
artigen Zuständen bei dauernder Unterernährung sehr schnell tödtliche Collapse
eintreten können. Es wird hierbei die regelmässige Krankenkost (Fleisch, frisches
Gemüse u. dergl.) aufs Feinste zerhackt und in einer Bouillon verrührt durch
die Schlundsonde eingeführt, eine Methode, die sich gegenüber der früher üblichen
einseitigen Ernährung aufs Beste bewährt hat. Neben der Sondenfütterung werden
bei den schwersten Zuständen mit Vorliebe subcutane Kochsalzinfusionen gegeben,
die namentlich beim Delirium acutum einen unbestrittenen Werth besitzen. Bei
sorgfältiger Asepsis kann man diese auch bei erregten Kranken ohne Gefahr an-
wenden, wie die zahlreichen Erfahrungen in der Frankfurter Anstalt beweisen.
Durch frühzeitige Sondenfütterung in Verbindung mit Kochsalzinfusionen gelingt
es, selbst die schwersten Fälle von acuten Erregungszuständen durchzubringen, die
bei dem sonst üblichen abwartenden Verhalten mit Sicherheit ad exitum gekommen
wären. Alle diese Methoden müssen unterstützt werden durch eine sachgemäße
psychische Behandlung, die ihrerseits nur bei geeigneten baulichen Einrichtungen
ermöglicht wird. Wenn bei den älteren Anstalten in dieser Hinsicht nicht viel
zu erwarten steht, so muss wenigstens verlangt werden, dass bei Neubauten die
dem heutigen Stande unserer Wissenschaft entsprechenden Einrichtungen getroffen
werden. Vortr. schildert sodann, wie er sich selbst eine solche den modernen
Anforderungen entsprechende Abtheilung für Unruhige denkt Dass unter der¬
artig günstigen äusseren Verhältnissen in Verbindung mit einer sachgemässen und
streng individuellen Behandlung die Erregungszustände weit milder verlaufen wie
früher, wird nur der bezweifeln, der diese Methoden nicht aus eigener Anschauung
kennt; ja, es steht zu hoffen, dass hierdurch nicht nur die Symptome gemildert,
sondern auch der Krankheitsprocess direct in günstigem Sinne beeinflusst werden
kann. (Autoreferat)
Herr Kraepelin (Heidelberg): Ueber die Waohabtheilungen der Heidel¬
berger Irrenklinik.
Die baulichen Veränderungen bestanden zunächst im Niederlegen von Wänden,
wodurch grosse und übersichtliche Räume geschaffen wurden. Ferner wurden die
unruhigen und die ruhigen Ueberwachungsbedürftigen getrennt. Sehr gute Er¬
fahrungen hat Vortr. mit dem System der „ständigen Nachtwachen“ erzielt; schon
deshalb ist dieses System dem früheren täglichen Wechsel der Wärter vorzuaiehen,
weil bei letzterem häufig ganz junge Leute für diesen wichtigen Posten verwendet
werden mussten. Ferner werden vom Vortr. die Dauerbäder auf den Wach¬
abtheilungen als zweckmässig empfohlen. Steingutwannen sind zwar theuer, aber
127
am brauchbarsten. Auch in der Nacht werden die permanenten Bäder fortgesetzt.
Die meisten Einwände gegen diese Behandlungsmethode haben sich als unzutreffend
erwiesen: so bleiben die Kranken nach des Vortr. nunmehr 13jähr. Erfahrung
ganz freiwillig im Bad. Nur Katatoniker machen vermöge ihres Negativismus
öfter Schwierigkeiten. In diesen Fällen werden Tage lang wiederholte feuchte
Einpackungen angewandt Entgegen seinen Befürchtungen hat Vortr. Collapse
während der Dauerbäder nur sehr selten beobachtet. Dagegen trat Herpes ton-
anrans — offenbar durch Infection im Bad erworben — öfter auf. Furunculose
und Menses bilden keine Contraindioationen für Dauerbäder. Am günstigsten
wirken die letzteren bei Manie und bei paralytischen Erregungszuständen (De¬
lirium acutum).
Epilepsie und Angstzustände sind schwerer zu beeinflussen und scheinen für
diese Behandlungsmethode nicht geeignet. Für Gelähmte wird über die Wanne
ein Tuch gespannt, auf das dieselben gelegt werden. Unreinliche Kranke sind
im Dauerbad sehr gut aufgehoben. Isolirungen werden nach systematischer Ein¬
führung der Dauerbad-Behandlung viel seltener.
Sowohl Isolirungen wie Einspritzung von Medicamenten werden vom Personal
leicht als Strafen aufgefasst, Bäder natürlich nicht. Das System der Dauerbäder
ist theuer. Es wird mehr Personal erforderlich. Dagegen wird an zerstörtem
Material gespart und das Griesinger’sche Ideal der Krankenhausbehandlung
Geisteskranker wird eher erreicht.
Discussion.
Herr Fürstner (Strassburg): In der Heidelberger Klinik wurde seit ihrer
Eröffnung ein zweiter Wachsaal angestrebt, dass derselbe nicht erreicht worden
ist, lag an der Ungunst der damaligen Verhältnisse. In das unbegrenzte Lob
des Vortr. bezüglich der Dauerbäder könne F. nicht einstimmen. Man müsse sich
vor Extremen hüten. Vortr. habe sich von der dauernden Bettbehandlung nun¬
mehr zur dauernden Badebehandlung gewandt. So günstig könnten die Erfolge
doch wohl nicht sein. Beim wiederholten Einpacken giebt es doch wahrschein¬
lich häufig recht grosse Schwierigkeiten. Da ein sehr zahlreiches Personal er¬
fordert wird, so müssen die Kosten ausserordentlich steigen. F. fragt, wie viel
Wärter und Wärterinnen gebraucht werden. Uebrigens habe Beyer in einer
Veröffentlichung vor 3 Jahren von Misserfolgen berichtet.
Herr Schüle (Dlenau) stimmt Fürstner zu, indem er gleichfalls die
Indicationen für das Dauerbad eingeschränkt wissen will. W T enn die Indication
für dasselbe indessen vorliegt, könne man auch mit Zwangsmaassregeln Vorgehen.
Sch. fragt, wie eine gleichmässige Temperatur des Badewassers erzielt werde. In
einer Anstalt habe er Badewannen mit Deckeln gesehen, durch die hindurch
mittelst Thermometer die Temperatur des Wassers bequem bestimmt werden könne.
Er halte diese Einrichtung für recht zweckmässig. Sch. hält die Isolirungen für
kein so schlimmes Mittel, da ja Kranke häufig allein zu sein wünschten. (Um
diese Kranken handelt es sich doch in der Regel nicht. Ref.).
Herr Alzheimer (Frankfurt a/M.): In Frankfurt haben sich die perma¬
nenten Bäder gut bewährt. Schwierigkeiten stellten sich nur im Anfang bei der
Einrichtung (der Gewöhnring des Personals) heraus. Diesen anfänglichen Schwierig¬
keiten gegenüber ist der erreichte Vortheil sehr gross. Der Eindruck der Ab¬
theilungen ist thatsächlich ein besserer geworden. Besonders auffallend war der
Unterschied bei periodisch-maniakalischen, die schon bei früheren Anfällen be¬
handelt worden waren und nun bei der neuen Behandlungsweise mit den Dauer¬
bädern ein ganz anderes Bild boten. A. empfiehlt daher die permanente Bäder-
behandlung aufs wärmste und räth, sich durch den Augenschein von deren Nutzen
n überzeugen.
Digi
y Google
128
Herr Kreusser (Schussenried) hat vereinzelte Versuche mit Dauerbädern
gemacht, aber keine grossen Erfolge gesehen. Es könne sich immer nur um
einzelne Kranke handeln, bei denen ein Nutzen erzielt werde.
Herr Beyer (Littenweiler bei Freiburg i/B.): Von einem Misserfolg der
Dauerbäder sei in seiner Veröffentlichung vor 3 Jahren nicht die Rede gewesen.
Er habe sich damals nur bemüht, specielle lndicationen in Bezug auf einzelne
Krankheiten aufzustellen, was indessen nicht gelungen sei.
Herr Biberbach (Heppenheim) hat ebenfalls günstige Erfolge von Dauer¬
bädern gesehen. Die Kranken haben im Bad besser gegessen und weniger an
Gewicht verloren. Die Regulirung der Temperatur sei durchaus nicht schwer.
Herr Kraepelin (Schlusswort) will nicht auf die theoretischen Einwände
entgegnen, verweist auf seine praktischen — durch etwa 13jährige Erfahrung
gestützten Erfolge.
Herr Alzheimer (auf eine Anfrage von Ludwig) erklärt, dass in Frank¬
furt a/M. die Behandlung mit Dauerbädern am Tage seit 2 Jahren, bei Nacht
seit etwa 1 / J Jahre eingeführt und bisher für 6 Kranke auf jeder Seite ein¬
gerichtet sei.
Herr Smith (Marbach): Ueber seine Methode der Herruntersuchung und
die damit erhobenen Befunde.
Vortr. will vermittelst seiner Methode bei der Melancholie, bei Anfällen von
Dipsomanie, sowie beim acuten Alkoholismus Herzerweiterung beobachtet haben
und zwar mit solcher Bestimmtheit, dass Vortr. z. B. bei dipsomanischen Anfallen
aus dem Herzbefund das Herannahen eines Anfalles Vorhersagen könne. Auch
könne Vortr. durch eine methodisch vorgenommene Faradisation des Herzmuskels
die Herzerweiterung beseitigen (!) und damit die durch dieselbe verursachten
psychischen Symptome bekämpfen.
Discussion.
Herr Gau pp (Heidelberg) fragt, wie es denn komme, dass nur der Vortr.
zu solchen Resultaten komme, während andere die erwähnten Veränderungen
nicht finden.
Herr Kraepelin (Heidelberg) findet es auffallend, dass Depressionen bei
Neurasthenie, bei Melancholie, Dipsomanie, Epilepsie u. s. w. durch dieselbe Methode
beeinflusst werden. Sollten alle trotz der verschiedenen Pathogenese derselben
Therapie zugänglich sein? K. hegt daher vorerst an der Richtigkeit der That-
sachen Zweifel. Sonst wäre K. der erste, der eine solche Methode mit Freuden
begrüsst hätte.
Herr Smith konnte aus Zeitmangel nicht die klinische Differenzirung an¬
geben. Die Herzerweiterung finde sich nur bei bestimmten Fällen. Das Ver¬
fahren heile die Grundkrankheit nicht, sondern mildere es nur, indem es die
Herzerweiterung bekämpfe, welche ihrerseits Angstzustände und Gemüthsalterationen
im Gefolge habe. Seine Befunde seien controllirt (auch mittelst Röntgen-Auf¬
nahmen) und richtig befunden. Andere z. B. Ref. hätten sich von der Richtig¬
keit seiner Angaben überzeugt. 1 Dr. Lilienstein (Bad-Nauheim).
* Zu meinem lebhaften Bedauern konnte ich bei dem letzten Vortrag nicht mehr an¬
wesend sein. Dass ich mich von der vollen Richtigkeit der Angaben von Smith übemugt
hätte, kann man doch nach meinem Hamburger Vortrag nicht behaupten.
Digitiz
129
Sooietö de neurologle de Parle.
Sitzung vom 18. April 1901.
(Schluss.)
( Herr Maurice Dide und Herr E. Sacqu6p6e: Vorläufige Mittheilung
über die Giftigkeit der oerebrospinalen Flüssigkeit bei Epileptieohen.
Die Vortr. haben experimentell die Toxicität der cerebrospinalen Flüssigkeit
bei Epileptischen untersucht und zwar: 1. in der Zeit zwischen den Anfällen;
2. nach einem einzigen Anfall und 3. nach einer Serie von Anfällen. Die Flüssig¬
keit wurde den- Kaninchen intracerebral eingespritzt mit einer Pravaz’sehen
Spritze in die rechte Hemisphäre, etwa 2 mm seitwärts von der medianen Linie.
Ke eingespritzte Flüssigkeit war immer klar wie Quellwasser, nur 2 Mal war
dieselbe etwas blutig gefärbt. Das Quantum der eingeführten Flüssigkeit variirte
zwischen 2 und 5 ccm. Die ätiologische Untersuchung der cerebrospinalen Flüssig¬
keit hat in allen Fällen ein negatives Resultat ergeben. Auch was einen etwaigen
Gehalt an Mikroben anbelangt, hat sich die cerebrospinale Flüssigkeit in allen
Fällen als steril erwiesen. Die erzielten Resultate werden von den Vortr. in
folgenden Sätzen zusammengefasst:
1. Ausserhalb der epileptischen Anfälle ist die cerebrospinale Flüssigkeit der
Epileptiker vollständig harmlos bei Kaninchen.
2. Nach einem isolirten epileptischen Anfall ruft die Einführung von cerebro¬
spinaler Flüssigkeit in die Gehirnsubstanz beim Kaninchen leichte Erscheinungen
von Depression, Stupor und manchmal allgemeine Zuckungen hervor. Alle diese
Erscheinungen dauern nur kurze Zeit und verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen.
3. Nach einer Reihe von Anfällen ist die intracerebrale Einspritzung von
1 \ ccm von cerebrospinaler Flüssigkeit bei Kaninchen von heftigen allgemeinen
Zuckungen begleitet. Nach einem VjCcm tritt der Tod desThieres unter Erscheinungen
von einem epileptischen Anfalle ein und dies einige Stunden, ja sogar einige
Minuten nach der Einspritzung.
Herr Andr6 Thomas: Ein Fall von Weber’sohem Symptomenoomplex
syphilitischen Ursprungs mit Nekropsie.
Folgender Fall ist ein sehr hübsches Beispiel von Paralysis alternans bei
einer Syphilitischen, ausgebrochen 19 Jahre nach den Initialerscheinungen der
Lues und bedingt durch multiple gummöse Läsionen. Kranke 46 jährige Wäscherin
stammt aus der Klinik des Herrn Prof. Dejerine in der Salpetriöre. Syphilis
im Alter von 27 Jahren. Excesse in baccho vor 6 Jahren. Beginn der jetzigen
Krankheit kurz darauf mit Schmerzen und Schwäche im linken Arm. Bei der
Untersuchung im Jahre 1895 fand man eine Klumpke’sche Lähmung in der
lidirten Extremität. Später traten neuralgische Schmerzen in der linken Hälfte
des Gesichtes auf, dann Erblindung am linken Auge mit Ptosis auf derselben
Seite. Am 6. August desselben Jahres rechtsseitige Hemiplegie und Lähmung
des unteren Facialis. Die obere Extremität ist vollständig gelähmt, die untere
etwas weniger. Incontinentia vesicae. Es trat später Wortamneeie hinzu. Am
4. October Schlucklähmung. Tod am 28. October nach viertägigem Coma. Bei
der Autopsie fand man Folgendes: Linker Nervus opticus und oculomotorius auf
derselben Seite sind in einer weissen Masse eingebettet. Ebenfalls links Ver¬
dickung der Dura mater an der Austrittsstelle der 8. Cervicalwurzel und der
]. Bruatwurzel. Bei der mikroskopischen Untersuchung erwies sich diese Ver¬
dickung, wie die oben erwähnte weisse Masse, als eine gummöse Infiltration,
‘^rienschnitte erwiesen noch gummöse Infiltrationen im Pedunculus cerebri und
ü* der inneren Kapsel der linken Gehirnhälfte, mit secundärer Degeneration der
^'VdancuJi cerebri und der Pyramidenbahnen. R. Hirschberg (Paris).
- 9
Digi
by Google
Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau.
Sitzung vom 21. October 1900.
Herr Dr. L. Minor: Die Fortschritte der Nerventherapie zu Ende des
19. Jahrhunderts und ihre nächsten Ziele.
Herr Dr. 6. Rossolimo: Kunst, kranke Nerven und Erziehung.
Zum Ehrenmitgliede der Gesellschaft wurde einstimmig Prof. v. Krafft-
Ebing (Wien) gewählt.
Sitzung vom 17. November 1900.
Herr Prof. W. Roth demonstrirte einen Kranken, welcher an typischer
Form der Wirbelsteiflgkelt litt, und 5 Fälle progressiver Muskelatrophie
myopathischen Ursprungs.
Herr Dr. S. Tschemischeff: Anfertigung mikroskopischer Präparate
des Nervensystems nach der Methode von Dr. E. Stepanoff.
Ein etwa 1 cm dickes, in irgend einer Flüssigkeit fixirtes Gehirnstück wird
während 24 Stunden in Alkohol, darauf in Anilin entwässert. Das Anilin wird
durch ein Gemisch von zwei Theilen Aeth. sulf. und ein Theil Alkoh. abs. ent¬
fernt. Darauf wird das Gehirnstück auf 24 Stunden in eine zur Hälfte verdünnte
„normale“ Celloidinlösung gebracht, welche nach folgendem Recept bereitet wird:
Dünnste Spähne von Celloidin 1,5, Eugenol oder 01. caryoph. 5,0, Aeth. sulfur.
20,0, Alkoh. abs. etwa 1,0. Darauf wird das Celloidin bis zur Syrupconsistenz
eingedickt. Aus dem Celloidin bringt man das Gehirnstück auf 15 Minuten in
Benzol, danach in 80—85°/ 0 Alkohol auf 24 Stunden, klebt weiterhin das Stück
an den Korken und schneidet es. Die Dicke der Schnitte kann bei kleinen
Stücken (Rückenmark) bis 5j u, bei grösseren (Medulla oblong.) 10//, aus dem
Pons Varoli, Hirnschenkel bis zu 15// betragen. Die Färbbarkeit der nach dieser
Methode behandelten Hirnstücke ist dieselbe wie bei anderen Methoden.
Die vom Vortr. vorgeschlagene Methode der Einbettung des Nervensystems
in Colloxylin besteht in Folgendem: 10,0 trockenen Colloxylins und 10,0 01. ca-
ryophil. werden mit 60,0 Aeth. sulf. befeuchtet. Das Colloxylin löst sich rasch
nach Zusatz von einigen Tropfen Alkoh. absol. Das mit Alkohol und Anilin
entwässerte Stück bleibt in dieser äther-öligen Lösung des Colloxylins, welche
vorher stark mit Aether verdünnt worden ist, 24—28 Stunden. Darnach wird
das Glasgefass, im welchem das Stück liegt, geöffnet, damit das Colloxylin sich
verdickt. Nach Behandlung des Gehirnstückes mit 80—85°/ 0 Alkohol im Ver¬
laufe mehrerer Stunden wird es mit demselben Colloxylin auf den Korken geklebt
und geschnitten. Die Schnitte sind ebensogut wie die mit Celloidin behandelten.
Discussion:
Herr Dr. Melnikoff-Roswedenkoff theilt mit, dass er gute Präparate
aus der Haut nach der Methode von Stepanoff erhalten hat.
Herr Dr. Muratoff glaubt, dass das Wesen der Methode in der Beschleunigung
besteht. Die Durchtränkung mit Nelkenöl wurde schon früher von Prof. Niki-
foroff angewandt.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Korniloff und Versiloff.
Herr Dr. N. Solovzoff: Ueber die Veränderungen im Centralnerven-
system bei Spina bifida (Hydrops des 4. Ventrikels).
Bei Spina bifida werden Veränderungen im ganzen Centralnervensystem be¬
obachtet :
1. Im Grosshirn Hydrops, gewöhnlich im schwachen Grade.
Digilized by GoO^lC
181
2. Der mittlere Theil des Kleinhirns bleibt mehr oder minder nnentwickelt.
3. Der 4. Ventrikel ist nach unten gedehnt und sein unterer Winkel be¬
findet sieh im Niveau des Halstheils der Wirbelsäule.
4. Das Velum medull. post senkt sich, zuweilen mit einem Theil des Klein¬
hirns, nach unten und bedeckt den 4. Ventrikel in seiner ganzen Ausdehnung.
5. Die Medulla oblongata ist nach unten in den Halstheil der Wirbelsäule
verlagert.
6. Der Wirbelsäulenoanal des Halstheils ist, dank der Senkung der Medulla
oblong, nach unten, stark erweitert und die Proc. spin. gehen häufig auseinander.
7. Zuweilen ist nur der hintere Theil des verlängerten Marks verlagert, wo¬
bei er sich über das Rückenmark legt, welches auf diese Weise unter das ver¬
längerte Mark und vor demselben zu liegen kommt. Der Grund der Veränderungen
des verlängerten Marks liegt im Hydrops des 4. Ventrikels und alle oben er¬
wähnten Veränderungen stehen in Abhängigkeit vom Hydrops und sind mehr
oder weniger ausgesprochen. Andererseits fehlen in den Fällen, wo die Spina
bifida nicht vom Hydrops des 4. Ventrikels begleitet wird, alle oben erwähnten
V eränderangen.
Discussion:
Herr Dr. Weidenhammer fragt, ob der fehlende mittlere Theil des Klein¬
hirns nicht durch Zellanhäufung in der Medulla oblong, ersetzt wird.
Herr Dr. Versiloff: Auf Grund der Abwesenheit deijenigen Systeme, welche
bei experimentellen Untersuchungen mit Entfernung des mittleren Theils dege-
neriren, lässt die Annahme zu, dass in den Fällen des Vortr. der mittlere Theil
fehlte.
Herr Prof. Roth nahm ebenfalls an der Discussion Theil.
N. Wersiloff. S. Suchanoff.
Sitzung vom 19. Februar 1901.
Herr Dr. N. Iwan off: Demonstration eine# Kranken mit symmetrischen
Kxoe tosen.
Der Bauer M. W. aus dem Gouvernement Lamara, 15 Jahre alt, erkrankte
im Herbst 1897. Ohne wahrnehmbare Ursache stellten sich Schmerz und Schwellung
in den Sprunggelenken ein. Der Schmerz, der sehr intensiv war, zwang den
Kranken, sich in ein Hospital aufnehmen zu lassen. Eine ausgesprochene Tempe¬
raturerhöhung war nicht vorhanden. Nach einigen Tagen wurden nacheinander
die Knie-, Hüll-, Schulter- und Ellbogengelenke ergriffen. Im Laufe eines Monats
waren fast alle Gelenke erkrankt inclusive auch das Unterkiefergelenk. Frei
blieben nur die Gelenke der vier letzten Zehen. Sohon in den ersten Wochen
nr auch die Wirbelsäule afßoirt, besonders der Halstheil: die geringste Be¬
wegung des Kopfes war sehr schmerzhaft. Einen Monat verblieb der Patient im
Krankenhause. Darnach Hessen die acuten Erscheinungen allmählich nach, voll¬
ständige Heilung trat aber nicht ein. Schmerzen in den Gelenken und Behinde¬
rung in den Bewegungen persistirte. Darauf trat mehrmals, hauptsächlich im
Herbst, Verschlimmerung der Krankheit ein, wonach die BewegungBbehinderung
immer zunahm; gleichzeitig verstärkte sieb auch die von Anfang der Krankheit
>n sich entwickelnde Steifigkeit der Wirbelsäule. Ungefähr nach Ablauf eines
<Uhres bemerkte der Kranke bedeutende Abmagerung der Extremitätenmuskeln
»ad noch nach */ 2 Jahr eonstatirte er das Auftreten von Exostosen, welche in
ihrem Wachsthum Progression zeigten. — Gegenwärtig sind beim Kranken fast
*lle Gelenke, sowohl die grossen als auch die kleinen, afficirt. In einigen Ge¬
denken kann auch augenblicklich Exsudat nachgewiesen werden. Die Epiphysen-
e mden der Röhrenknochen sind verdickt. In vielen Gelenken hört man bei
9*
Die
182
Bewegung Krepitation. Die Bewegungen in allen Gelenken sind bedeutend be¬
schränkt in Folge von Schmerz und Contracturen. Der Kranke geht mit grosser
Mühe, auf einen Stock sich stützend und kaum die Beine vorwärtabewegend,
welche in Folge von Contracturen in Knie- und Hüftgelenken gebeugt sind. Die
Exostosen sind am stärksten am Kreuz ausgebildet. Sie sind höckerig, von der
Grösse einer Haselnuss und symmetrisch zu beiden Seiten gelagert. Desgleichen
finden sie sich an den knöchernen Fortsätzen der unteren und oberen Brustwirbel.
Mehrere kleine Exostosen beiderseits am inneren Bande der Scapula, auf der
Spina scapulae am Acromion (drei auf jeder Seite), an den Schlüsselbeinen,
Humerus, grosse Exostosen am Olecranon. Viele kleine an beiden Patellen, beim
Capit. fibulae, am Malleolus ext. et int. An den Händen und Füssen sind sie nur
in geringer Anzahl. Am Schädel fehlen sie vollständig. Fast alle Exostosen sind
symmetrisch gelagert. Bei der Palpation erscheinen sie theils von knorpeliger,
theils von knöcherner Consistenz. Die radiographische Aufnahme des Knies zeigt,
dass die Epiphysen des Femur und der Tibia stark verdickt sind, die Knochen¬
substanz iBt theils rareficirt, theils haben sich neue Knochenlamellen gebildet.
Die Rarefication ist besonders stark am Kopfe des Femur ausgesprochen, welcher
von dem übrigen Knochen fast ganz abgetheilt erscheint. Die Erregbarkeit der
Muskeln ist sowohl für den galvanischen als auch den faradischen Strom gut
erhalten. Zeichen von Rhachitis: unregelmässig gestellte und unegale Zähne.
Keine Zeichen von Lues. Keine Oedeme. Spuren von Eiweiss im Harn. Keine
Cylinder. Fast alle Autoren rechnen solche Exostosen zu den knorpligen. Als
Ursache ihres Auftretens wird von Einigen (Vix, Volk mann) Rhachitis, von
Anderen (Weber) Skrophulose angenommen. Die meisten Autoren aber sehen
auf die Exostosen als auf eine hereditäre Erkrankung.
Discussion:
Herr Dr. L. Minor und Herr Dr. W. Muratoff knüpften an den Vortrag
einige Bemerkungen.
Herr Dr. W. Muratoff: Nosologischer Beweis ursächlichen Zusammen¬
hangs der progressiven Paralyse von der Syphilis.
Der Vortr. sucht den Beweis zu führen, dass die Syphilis des Nervensystems
complicirt werden kann mit Veränderungen, welche der progressiven Paralyse
eigen sind, mit den entsprechenden klinischen Symptomen. In diesem Sinne
sprechen drei vom Vortr. in der letzten Zeit gemachte Beobachtungen.
1. Fall. W. R., 38 Jahre alt, Angestellter an einer Bank, trat in das
Eirankenhaus der Gebrüder Bachruschin am 26. August 1900 ein. 1893 syphi¬
litische Infection; es wurden 96 Frictionen gemacht. Nach 8 Monaten Insult —
beim Versuch vom Tische aufzustehen, fiel der Kranke hin und konnte im Ver¬
lauf einer Stunde die Extremitäten nicht bewegen; nach einer Stunde schwanden
alle Erscheinungen. Nochmals 25 Injectionen. Im Sommer 1894 Wiederholung
des Insults: Plötzliche rechte Hemiparese; nach einigen Tagen vollkommene
Restitution. Von 1898 allmähliche Entwickelung von Schwäche in den unteren
Extremitäten. Status praes. am 27./VIII. 1900: Vollkommen normale psychische
Thätigkeit, Sprache und Schrift ohne Veränderung. Rechte Pupille > als die
linke. Parese des linken Armes, Schwäche in beiden unteren Extremitäten, bei
hochgradiger Ataxie, reohts stärker; Patellarreflexe erhöht. Beiderseitige Paralyse
des Abducens. Häufiges Erbrechen. Die Vertheilung der Anästhesie der Paralyse
entgegengesetzt (Brown-S6quard’scher Typus). Stauungsneuritis. Ungeachtet
der energischen Behandlung mit Quecksilber und Jod Tod nach 6 Tagen unter
häufigem Erbrechen und Herzschwäche. Bei der Autopsie gummöse Meningo¬
myelitis mit Betheiligung der weichen Häute der Med. oblong.; im Grosshirn
werden bei der Section keine Veränderungen gefunden. Ependymitis granulosa
y Google
133
4er Rirnventrikel. Mikroskopische Untersuchungen: Im Rückenmark hochgradige
hetieche Veränderungen — einzelne Gummata in den Wurzeln, allgemeine Infil¬
tration der Pia mater, Peri- und Endarteriitis. Die luetische Infiltration findet
sich auch in der MarksubBtanz; diffuse parenchymatöse Veränderungen in den
Nervenfasern, Oedem der Neuroglia. In dem mittleren Brusttheil der Marksubstanz
ruchert eine gnmmöse Neubildung, welche ungefähr die Hälfte des Querschnittes
einnimmt (Brown-Söquard’scher Typus). Unterhalb dieser Stelle absteigende
Degeneration der Pyramidenbahnen. Ln Lendentheil dasselbe wie im Halstheil.
Im vierten, dritten und Seiten Ventrikel deB Hirns ergab die mikroskopische Unter¬
suchung: Entzündung des Ependyms, bedeutende Wucherung der ependymären
Zellen, an der Peripherie reichliche Entwickelung der Neuroglia. In den Seh¬
hügeln irische miliare Blutungen. An Hirnhäuten, an der Convexität wurden
nirgends Gummata gefunden. In der linken Centralfurche und in dem Lobus
paracentralis wurden tiefgreifende Veränderungen der Zellen und der Fasern ge¬
funden. In der Mehrzahl der Zellen bedeutende Chromatolyse bei seitlicher Ver¬
lagerung des Kerns; in einigen fast vollkommene Auflösung des Protoplasma.
An den Präparaten nach Marchi fettige Degeneration der subcorticalen Fasern.
Massige Periarteriitis. Keine Blutungen. Gruppiren wir die Befunde unserer
Untersuchung so sehen wir 1. das ausgesprochene Bild der tertiären Syphilis in
Form einer luetischen Meningomyelitis und 2. Veränderungen, welche der allge¬
meinen Paralyse der Irren eigenthümlich sind, in Form einer Ependymitis
granuloea und parenchymatöse Veränderungen der Zellen und Fasern der Hirn¬
rinde. Da sich diese Veränderungen im Verlaufe der Syphilis entwickelt haben,
so sind wir geneigt ihnen einen parasyphilitischen Ursprung zuzuschreiben. Die¬
selbe Beleuchtung erfahrt unser Fall vom klinischen Standpunkt, da die von uns
beschriebenen parenchymatösen Veränderungen der Rinde ihren klinischen Aus¬
druck in Form der sich wiederholenden paralytischen Insulte finden. Unzweifel¬
haft konnten diese Insulte in keinem Zusammenhang mit irgendwelchen gummösen
oder vasculären Processen stehen, 1. weil die mikroskopische Untersuchung solche
Dinge nicht aufgedeckt hat, 2. nach ihrem klinischen Typus selbst: es ist ganz
unwahrscheinlich, dass irgendwelche vasculäre Processe so kurzdauernde paralytische
Störungen hätten hervorrufen können. Nach ihrem klinischen Typus sind sie
vollkommen den paralytischen Insulten bei progressiver Paralyse identisch.
In den beiden anderen Fällen ohne Autopsie handelt es sich um junge
Leute im Alter von 25 und 28 Jahren. Beide erfreuten sich vollkommen nor¬
maler geistiger Fähigkeiten. Der Eine ist Chef einer Handelsfirma, der Andere
ein Student der Medicin, welcher zum Examen arbeitete. Bei Beiden nach syphi¬
litischer Infection eine Reihe von paralytischen Insulten, wobei die paralytischen
Erscheinungen nur 1—2 Tage dauerten. Interesssant ist, dass in allen 3 Fällen
die Insulte während der Quecksilberbehandlung auftraten.
Schlussfolgerungen:
1. Im Verlaufe der Lues des Nervensystems ist das Auftreten von anato¬
mischen Veränderungen der ependymären und Nervenelemente und der Hirnhäute
(Paehymeningitis haemorrhagica), welche der progressiven Paralyse eigenthümlich
sind, möglich.
2. Rasch vorübergehende apoplektoide Anfälle kommen im'Verlaufe der Lues
vor. Sie hängen ab von der parenchymatösen Erkrankung der Rindenzellen und
unterscheiden sich durch ihre geringere Stabilität von den luetischen Hemiplegieen
rascolären Ursprungs. Wahrscheinlich haben in einigen Fällen die Anfälle der
Jackson’schen Epilepsie bei der Lues denselben Ursprung.
3. Die paralytischen Anfälle der Luetiker können eine drohende Bedeutung
haben, indem sie den Anfang einer diffusen parenchymatösen Erkrankung des
Gehirns anzeigen.
Digi
134
4 . Die Combination von Erscheinungen tertiärer Lues mit einzelnen klinischen
Symptomen der progressiven Paralyse stellt den nosologischen Beweis von der Ab¬
hängigkeit der progressiven Paralyse von erworbener oder hereditärer Lues, als
eine der Ursachen der Krankheit, dar.
Discnssion:
Herr Dr. A. Jokarsky ist der Ansicht, dass die vom Ref. beschriebenen
Besonderheiten des klinischen Bildes auch bei anderen Erkrankungen des Nerven¬
systems gefunden werden können und desBhalb nicht dienen können als noso¬
logischer Beweis des Zusammenhangs der Hirnlues mit der progressiven Paralyse.
Herr Dr. Konstantinowsky hält den ersten Fall für Pseudoparalysis pro¬
gressiva.
Herr Dr. Weydenhammer hat die vom Vortr. beschriebenen anatomischen
Veränderungen bei verschiedenen organischen Krankheiten des Grosshirns an¬
getroffen.
Herr Dr. Butzke erinnert daran, dass bei sicheren Erscheinungen der Syphilis
die progressive Paralyse so selten ist, dass Zweifel an der Richtigkeit der Dia¬
gnose „progressive Paralyse“ entstehen muss.
Herr Postowsky weist darauf hin, dass bei Aehnlichkeit und selbst bei
voller Uebereinstimmung der anatomischen Veränderungen zweier Krankheiten man
nicht die Berechtigung hat, den Schluss zu ziehen, dass diese Krankheiten gleiche
Ursachen haben.
Herr Dr. Serbsky bemerkt, dass, trotzdem der erste Insult (im ersten Falle)
6 Jahre vor dem Tode eintrat, sich weder klinisch, noch anatomisch das Bild
der progressiven Paralyse entwickelt hat
Herr Dr. Bernstein meint, dass die Beobachtungen des Vortr. höchstens
die parasyphilitische Natur der apoplektoiden Insulte der Paralytiker, nicht aber
das ganze Bild der progressiven Paralyse zu erklären im Stande wären.
Herr Dr. Wersiloff hält dafür, dass die beschriebenen apoplektoiden In¬
sulte sich besser erklären lassen durch vasculäre Erscheinungen, als durch die
geringen parenchymatösen Veränderungen in der Rinde.
Herr Prof. Roth hält alle Behauptungen des Vortr. für bestreitbar.
Herr Dr. L. Minor demonstrirte Präparate: I. des Grosshiras mit Siner
post operationem entstandenen Hernie und II. des Rückenmarks mit cen¬
tralen Blutungen.
Von Dr. N. Wersiloff wurden in Bezug auf das zweite Referat einige Be¬
merkungen gemacht. A. Bernstein. S. Such&noff.
Sitzung vom 16. März 1901.
Herr P. Preobrajensky: Ein Fall von bulbärem Tetanus mit Antopaie.
Die Kranke, eine 51 Jahre alte Tagelöhnerin, verwundete sich l l / 3 Wochen
vor Eintritt ins Krankenhaus bei einem Fall mit einem Nagel das linke untere
Augenlid in der Nähe des äusseren Winkels. Die Wunde verheilte nach einigen
Tagen, aber 3 Tage vor dem Eintritt ins Hospital stellte sich Trismus, Krämpfe
in der Gesichtsmusculatur und Athmungsbehinderung ein.
Stat. praes.: Herztöne dumpf, Puls 110, Trismus. Tonische Krämpfe im
Gebiete beider Faciales; die Augen geschlossen, können willkürlich nicht geöffnet
werden. Die Augen lassen sich gewaltsam mit einiger Mühe öffnen. Die Papillen
Bind ad maximum verengert, gleich und reagiren nicht auf Lichteinfall. Augen-
bewegungen nach beiden Seiten von geringer Excursionsweite. Retraction beider
Augen. Geringe Spannung der Nackenmusculatur. Erschwerung der Athmung.
Zeitweilig Krämpfe in den Muskeln des Rachens, des Kehlkopfs, Spasmus der
Die
135
Brahnuskeln, Cyanose des Gesichts. Die Kranke kann sich frei bewegen, zuweilen
I Andeutung von Opisthotonus. Die Sprache der Kranken ist vollständig undeut¬
lich und unverständlich, wird aber deutlicher bei gewaltsamer Oeffnung der Lippen.
Nahrungsaufnahme unmöglich. Vermehrte Schweissabsonderung. Im Harn grosse
Mengen Eiweiss. Bewusstsein ungetrübt. 37 Stunden nach Eintritt ins Hospital
Exitus letalis. — Autopsie (35 Stunden post mortem): Nephritis interstitialis chron.,
im Uebrigen unbedeutende Veränderungen in den verschiedenen Organen. Bei der
i mikroskopischen Untersuchung (Färbung mit Tionin, Eosin, Hämatoxylin, nach
ran Gieson und Weigert) fanden sich Veränderungen hauptsächlich in den Zellen
des verlängerten und des Rückenmarks: diffuse, partielle und perinucleäre Chroma-
tolyse, Vacuolenbildung, Schwund, Schwellung und randständige Lage des Kerns;
verschiedentliche Grade von Zelldegeneration, Schwellung der Zellen (besonders
ausgesprochen in den Clarke'schen Säulen, wo die Zellen viel grösser erscheinen
als die Zellen in den Vorderhörnern des Rückenmarks). Im Allgemeinen sind
diese Veränderungen caudalwärts weniger ausgesprochen als im verlängerten Mark
und dem oberen Theil des Halsmarks. Bei dieser Form des Tetanus ergaben
sich ähnliche, von anderen Autoren beschriebene Veränderungen. Was die Be¬
zeichnung Tetanus bulbaris anbetrifft, so hält ihn Vortr. für den hier beschriebenen
Fall passender als andere Bezeichnungen, wie Tetanus facialis, capitis, hydro-
phobieus.
Discussion: Herr Wersiloff und Herr Murawjeff stellten an den Vortr.
einige Fragen.
Herr G. Rossolimo: Atrophische Form der Thomsen'schen Krankheit.
(Demonstration des Kranken und mikroskopischer Präparate.)
Vortr. demonstrirt einen in seiner Klinik stationirten Kranken von 37 Jahren,
dessen Anamnese keine Hinweise giebt weder auf eine allgemeine neuropatbische,
noch auf eine specielle Heredität; weder auf Lues, noch auf Alkoholismus. Von anderen
Erkrankungen kann man eine acute Erkrankung des rechten Kniees mit Schwellung
and Schmerzhaftigkeit desselben notiren, mit hoher Temperatur von 10 tägiger
Dauer und vollständiger Rückbildung. 2 — 3 Monate nach dieser Erkrankung
stellt sich Schwäche im rechten Bein beim Gehen ein, nach einem Monat auch im
linken. Seit dieser Zeit ist das Gehen erschwert, namentlich bei den ersten
Sehritten, zu Ende längeren Marsches stellt sich Müdigkeit und Schwäche in den
Beinen ein. Seit dieser Zeit progressirt sowohl diese Erscheinung als auch die
Abmagerung in den Beinen und entwickelt Bich Schwerbeweglichkeit der Muskeln
der oberen Extremitäten, der Schultern und des Gesichts. Allgemeine Abmage¬
rung begann vor 15 Jahren.
Stat. praes.: Facies myopathica. Gleichmässige Atrophie der Unterarmmuskeln,
in geringerem Grade der Hände, in bedeutendem Maasse der Unterschenkel, ge¬
ringer in den Füssen und Oberschenkeln. Ausgesprochene myotonische Störungen
bei willkürlicher Bewegung in den Muskeln des Gesichts, der Zunge, am hoch¬
gradigsten in den am meisten atrophirten Muskeln, besonders in den oberen
Extremitäten. Je atrophischer der Muskel, desto schwerer lässt sich die myo-
toaische Reaction auf mechanischen Reiz auslösen; dasselbe gilt hinsichtlich der
typischen myotonischen Reaction auf elektrische Reizung; in der Mehrzahl geben
die Muskeln der Unterschenkel und der Füsse gar keine Reaction; in der unteren
Geaichtsmusculatur ist AnSZ = KaSZ, in den Mm. interossei III und IV aus¬
gesprochene Entartungsreaction (AnSZ = S l / 2 M.-A., KaSZ = 5 8 / 4 M.-A.). Sehnen-
t fefexe herabgesetzt; Beckenorgane normal; ebenso Sensibilität. Am atrophischen
1 und myotonische Reaction bietenden, ausgeschnittenen Muskel wird gefunden:
Dicke der Faser von 25 —165 fx, geringe Querstreifung, colossale Menge von
fernen an der Oberfläche und im Innern der Fasern; einige ad maximum rer-
Dic
136
diiDnte Fasern sind in einem Kerncylinder eingeschlossen; ziemlich grosse Menge
interstitieller, schlaffer BindeBubstanz. Dieser Fall, vollkommen analog den
übrigen in der Litteratur verzeichneten Fällen, weist auf eine verwandtschaftliche
Beziehung der Thomsen’schen Krankheit und der progressiven Muskelatrophie
hin und ebenfalls auf das Wesen der einen als auch der anderen, welches in
einer angeborenen Schwäche des peripheren motorischen Neurons besteht, das in
verschiedenen Fällen in seinen verschiedenen Theilen erkrankt. (Autoreferat,)
Discussion:
Herr A. Korniloff ist nicht sicher, ob die myotonische Reaction sich leicht
von einer Entartungsreaction unterscheiden lässt; die Unterscheidung träger
Muskelcontractionen von Resten myotonischer Reaction an atrophischen Muskeln
ist jedenfalls recht schwer.
An der Discusson betheiligten sich Herr Wersiloff und Herr Roth.
Herr S. Wermel: Tetanieepidemie.
Vortr. hatte Gelegenheit, unter den Arbeitern einer Moskauer Fabrik eine
Tetanieepidemie zu beobachten, an welcher 11 Personen erkrankten. Den ersten
Fall beobachtete er im März 1896, 2 Fälle im Januar, einen im November 1900
nnd 7 Fälle im Laufe eines Monats, vom 11. Januar bis 12. Februar 1901.
Diese Fälle betrafen junge Tataren (von 18—22 Jahren), welche in einer Abtheilung
der Fabrik arbeiteten, wo Gummi gewaschen wird. In dieser Abtheilung arbeiten
26 Menschen (25 Tataren und ein Russe). Unter allen anderen Fabriksarbeitern
(700 Mann) und ihren Familien (2 1 / a Tausend Menschen) wurde während dieser
Zeit nicht ein Fall von Tetanie beobachtet. Daraus entspringt der sehr wahr¬
scheinliche Gedanke an eine locale Epidemie, um so mehr, als alle Daten dieser
Epidemie (jugendliches Alter der Kranken, bestimmte Jahreszeit, Fehlen der Er¬
krankung unter den anderen, sowohl russischen als tatarischen Fabrikarbeitern)
vollkommen mit den Ansichten von Frankl-Hochwart über die Tetanie als
eine endemisch - epidemische Krankheit übereinstimmen. In klinischer Hinsicht
bieten hauptsächlich 2 Fälle grosses Interesse: im ersten Falle wurden, ausser
den charakteristischen Zeichen der Tetanie, schwere psychische Complicationen
beobachtet: tiefer Stupor und Apathie, Paralyse der Sphincteren und Othaematome;
im anderen verliefen die Erscheinungen der Tetanie parallel mit Erkrankungen
der Sprunggelenke und mit einem charakteristischen Ausschlage in Form von
Purpura. Aus diesem Grunde äussert der Vortr. die Vermutbung über die Aehu-
lichkeit des Tetaniegiftes mit dem Gifte des acuten Gelenkrheumatismus. Alle
Fälle, selbst der schwerste, endigten mit Genesung. (Autoreferat.)
Discussion:
Herr Preobrajensky hält die Fälle von Tetanie nicht für ein seltenes
Vorkommniss, aber sie werden übersehen wegen der Geringfügigkeit der Er¬
krankung.
Herr Minor maoht darauf aufmerksam, dass auch hysterische Kranke einige
Symptome der Tetanie aufweisen können.
Herr Versiloff ist der Meinung, dass gegen die Identität des Gelenk¬
rheumatismus und der Tetanie das constante Fehlen eines Herzfehlers bei der
letzteren spricht.
Herr Roth erwähnt, dasB im Ambulatorium der Nervenklinik die Tetanie
selten zur Beobachtung kommt.
Herr G. Rossolimo: Zur Klinik und pathologischen Anatomie der
gastrischen Tetanie.
Vortr. führt die Krankengeschichte eines Mannes von 43 Jahren an, bei
welchem auf dem Boden einer 15 Jahre bestehenden Magenerweiterung in Folge
V
137
eines Diätfehlers sich das typische Bild einer sehr schweren gastrischen Tetanie
entwickelte und nach 6 Tagen mit dem Tode endigte. Alle gewöhnlich beobach¬
teten Symptome (mit Ausnahme vom Troussoau’schen Phänomen) waren vor¬
handen: Erbrechen und Magenschmerzen (in den ersten 2 Tagen der Erkrankung)
tonische Krämpfe, stark erhöhte mechanische und elektrische Erregbarkeit, dus
Chvostek’sche Symptom, fast vollständige Anurie bei colossalem Eiweissgehalt
ohne Formelemente, reichliche Schweisssecretion, Temperatur 39—40°, Delirium,
Gesichtshallucinationen. Autopsie: Hochgradige venöse Hyperämie der inneren
Organe, ein grosser Stein in einem der Nierenbecken; Trockenheit und Brüchig¬
keit der Muskeln; starke Magenerweiterung bei Fehlen von groben Veränderungen
in der Schleimhaut des Magens und des Darms; bedeutende Pylorusstenose wegen
derber und dicker Narbe in seiner Serosa.
Mikroskopische Untersuchung: Schwach ausgeprägte Querstreifung der Muskel¬
fasern bei bedeutender Anzahl von Kernen des Sarcolemma. Einige Nervenzellen
im Zustande centraler Chromatolyse, stellenweise excentrische Verlagerung des
Kerns, Bildung einer grossen Zahl von Myelinschollen in der weissen Substanz,
hochgradige venöse Hyperämie im Rückenmark und Gehirn. In den peripheren
Nerven Anfangsstadium parenchymatöser Neuritisrareficirung des Myelins in der
Nähe der Einschnürungen, weniger in der Mitte der Segmente. An verschiedenen
Stellen im Verlaufe der Faser runde Schollen veränderten Myelins. In vielen
Fasern gewundener und korkzieherartiger Axencylinder.
Discussion:
Herr W. Murawjeff findet, dass die Veränderungen in den Nerven in
diesem Falle lebhaft an die verhältnissmässig feinen Veränderungen im centralen
Stnmpf des Nerven nach Durchschneidung desselben sehr erinnern.
Herr Tokarsky stellt den Beweis über den gastrischen Ursprung der Tetanie
im gegebenen Falle in Frage.
An der Discussion nahm auch Herr Korniloff Theil.
W. Murawieff. S. Suchanoff.
Sitzung vom 13. April 1901.
Herr A. Artemoff: Ueber die Anwendung der Heroinprftparate in der
psychiatrischen Praxis.
Vortr. stimmt mit den pessimistischen Ansichten der Aerzte Viallon und
Jacquin über das Heroin, welche ihre Arbeit im Decemberheft der Annales
medico-pBychologiques publicirt haben, nicht überein, und kommt vielmehr auf
Grund systematischer Beobachtungen an 20 Kranken zur Ueberzeugung, dass das
Heroin eine positive Errungenschaft im Sinne eines guten symptomatischen Mittels
bei depressiven Zuständen in der psychiatrischen Praxis darstellt, wobei hervor¬
zuheben ist, dass das Heroin nur von günstiger Wirkung gegen den psychischen
Schmerz und die melancholische Stimmung und augenscheinlich ohne Einfluss auf
den Verlauf der Krankheit selbst, wohl aber auf die Intensität des psychischen
Schmerzes ist. Er constatirt in 11 seiner 20 Fälle eine unzweifelhafte positive
Wirkung, jedenfalls keine negative, und nur in einem Falle bei Heroingaben
allgemeine unangenehme Sensationen, welche jedoch Vortr. auf ein mögliches
Zusammenfallen des Auftretens dieser Sensationen mit der Heroineinnahme zurück¬
zuführen geneigt ist. Er notirt ferner, dass ungeachtet der drei Mal täglichen
Gaben von 0,004 g Heroin im Verlaufe von zwei und auch mehr Monaten bei keinem
der Kranken Gewöhnung an das Mittel, sowie keinerlei Nebenwirkungen eintraten.
Zf zieht die interne Medication vor und sieht keine Vorzüge der subcutanen
Anwendung, da diese letztere im mechanischen Sinne den Kranken unangenehm
ist und stets Erbrechen hervorruft, wie das aus der Arbeit der Herren Viallon
®d Jacquin hervorgeht.
Digi
y Google
188
Discussion:
Herr Bernstein weist auf die Abwesenheit von Obstipation selbst bei
längerem Gebrauch des Heroins hin.
Herr Tokarsky meint, dass zum Beweise des Vorzugs des Heroins vor
anderen Präparaten des Opiums consecutive Anwendung beider bei ein und dem¬
selben Kranken Erforderniss sei.
Herr Bernstein findet, dass zwecks Erhaltung der gewünschten Herab¬
setzung des psychischen Schmerzes eine ungefährliche Dosis des Heroins genügt,
während beim Morphium eine toxische Dosis erforderlich sei.
Herr A. Rosenthal: Ueber die sohlaferzeugende Wirkung des Hedonals
bei Geisteskranken.
Vortr. verordnete das Hedonal in Dosen von 1,5 (geringere erwiesen sich
als wirkungslos) bis zu 3,0 g. Weder Steigerung der Diurese, welche dem Urethan
eigenthümlich ist, noch andere schädliche Nebenwirkungen konnten dabei con-
statirt werden. Nur in einem Falle, wo im Laufe von 2 Tagen ein Mal 1,0 g,
das andere Mal 1,5 g Hedonal und am 3. Tage 2,0 g Trional verabfolgt wurde,
stellte sich zeitweilig Aussetzen des Pulses ein. Im Ganzen beobachtete Vortr.
19 Kranke, welchen in 44 Einzelgaben 77,0 g Hedonal verabfolgt wurde. Die
Resultate waren folgende: Bei den Kranken (12 Fälle), bei denen die Asomnie
nur mit gemässigten Aufregungszuständen begleitet wurde, war ein befriedigender
Effect (mehr als 2 Stunden Schlaf) nur in der Hälfte der Fälle zu erzielen.
Ueberhaupt dauert der Schlaf nach Hedonal, den Beobachtungen des Vortr. zu
Folge, am häufigsten 4—5 Stunden, selten 6—7 Stunden und niemals länger.
Zum Schluss vergleicht der Vortr. seine Beobachtungen mit den Beobachtungen
anderer Autoren und kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Das Hedonal ist ziemlich
ungefährlich. 2. Nach seiner schlafmachenden Wirkung ist es zu den schwachen
Mitteln zu rechnen (zwei Mal schwächer als Chloralhydrat in derselben Dosis).
In leichten Fällen von Asomnie und Erregung giebt es gute Resultate, aber lange
nicht immer, in schweren Fällen sehr selten. Sein unangenehmer Geschmack,
seine Unlöslichkeit in Wasser, seine voluminösen Dosen (2,0—3,0) erschweren
seine Anwendung bedeutend bei psychischen Kranken, namentlich bei unruhigen.
Der Vortr. betont auch den hohen Preis deB Mittels (10,0 kostet 76 Kopeken)
und ist der Ansicht, dass in der psychiatrischen Praxis dem Hedonal keine Zu¬
kunft bevorsteht. A. Bernstein. S. Suchanoff.
Aus den wissensohaftllohen Vereinigungen der Aerzte an der Nervenklinik
zu Kasan.
Sitzung vom 6. Februar 1900.
Herr Dr. W. Polenow: Ein Pall von pseudobulbärer Lähmung.
Am 25. Mai 1899 wurde ins Krankenhaus der Nishne-Saldin’schen Fabrik
der Arbeiter A. K. eingeliefert. Pat. war in halb bewusstlosem Zustande und
wies in der Gegend des rechten Scheitelbeinhöckers eine unregelmässige, nicht
stark blutende, bis auf die leicht eingedrückten Schädelknochen reichende Wunde
von etwa 2 cm auf. Am ganzen Körper Blutunterlaufungen von verschiedener
Grösse. Die Blutgefässe des Gesichts und der Augenschleimhäute sind mit Blut
angefüllt; Lippen bläulich verfärbt; röchelndes, unregelmässiges Athmen, schwacher,
verlangsamter Puls, arythmisch; Anzeichen von beginnendem Lungenödem; Zuckungen
in einzelnen Muskeln des Gesichts und der Extremitäten; Temperatur 37,5°; un¬
freiwillige Urinentleerung. Die begleitenden Personen gaben an, Pat. sei früher
immer völlig gesund gewesen, habe nie Syphilis gehabt und mit Maass Schnaps
y Google
139
grinmken. Auf dem Heimwege von einer Schmauserei sei er in eine Strassen -
prägelei hineingerathen, wo er die obengenannten Verletzungen davongetragen
labe. Pat. wurde verbunden und blieb im Hospital. — Im Laufe von 4 Tagen
hm er völlig zum Bewusstsein, und alle Allgemeinerscheinungen schwanden; die
Temperatur stieg aber auf 38,5 °. Bei der Untersuchung dee Nervensystems ergab
sich Anarthrie, doch ohne Worttaubheit, Agraphie und Alexie; Phonationstörungen,
IAhnung des weichen Gaumens, Schwinden des Kehlkopf- und Brechreflexes, Er¬
weiterung der linken Pupille, Herabsetzung der Muskelkraft in den oberen und
enteren Extremitäten. Kniereflexe und Beckenorgane normal. Hautsensibilität
nicht gestört. Im Laufe eines Monats heilte die Wunde definitiv; die Temperatur
wurde normal, die Schlingstörung und Anarthrie nahmen erheblich ab, das All¬
gemeinbefinden besserte sich so erheblich, dass Pat. am 25. Juni 1899 das Hospital
verlies. Einen Monat später erschien Pat. wieder beim Vortr., wobei keines der
oben aufgezählten Symptome mehr zu constatiren war. — Vortr. erörterte aus¬
führlich die Diagnose und führte die in der Litteratur vorhandenen analogen
Fälle an, wobei er zum Resultat kam, dass er es mit einer sog. pseudobulbären
Lähmung zu thun hatte, bedingt durch einen traumatisohen Blutaustritt in die
Hirnrinde. Auf Grund seines Falles und der einschlägigen Litteratur kommt
Vortr. zu folgenden Schlusssätzen:
1. Pseudobulbäre Lähmungen können durch einseitige Läsionen der Gross-
himrinde bedingt sein.
2. Ausser den Centren der Aphasie und der mit dieser verwandten Zustände
— der Agraphie, Alexie u. dergl. — giebt es auch noch ein Centrum für die
Articulation der Sprache. Sehr wahrscheinlich ist die Annahme von Kattwinkel,
dass dieses Centrum vorzugsweise in der rechten Hemisphäre ihren Sitz hat.
3. Ausser den bulbären und corticalen Centren der Muskeln, deren Con-
traction das Schlucken bewerkstelligt, giebt es nooh im Grosshirn, vielleicht auch
vorzugsweise in der rechten Hemisphäre, ein besonderes Centrum für den Schling¬
akt als solchen.
4. Sehr wahrscheinlich ist das Vorhandensein eines articulatorischen Sprach-
centrums in der Hirnrinde.
5. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Brech- und Kehlkopfreflex eben¬
falls ihre besonderen Centren in der Grosshirnrinde besitzen.
6. Sehr möglich ist es, dass auch die Bewegungen des weichens Gaumens
ihr Centrum in der Rinde besitzen.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Perwuschin, Troschin
and Prof Darkschewitsch.
Herr Dr. M. Majewski demonstrirt das Gehirn eines Epileptikers, welcher
im Jahre 1896 ins Kasan’sche psychiatrische Bezirkskrankenhaus aufgenommen
worden war. Zu Anfang Januar 1900 traten bei dem Pat. Brechbewegungen
auf, die zuweilen von tonischen Krämpfen im rechten Bein begleitet waren. In
den letzten Tagen vor dem Tode stieg die Zahl solcher Anfälle auf 85—100 am
Tage. Am 13. Januar 1900 traten die Erscheinungen von Aphasie auf, und am
16. Januar starb Pat. im Status epilepticus. Vor dem Tode schwand die Aphasie.
- Section: Dura gesund, Pia trübe, ihre Gefässe erweitert. Die Furchung der
Hemisphären weist keine Abnormitäten auf. Im linken Ventrikel viel seröse
Flüssigkeit. Entzündung des Ependyms der Ventrikel rechts und links. In dem
hinteren Theile der linken inneren KapBel eine pfirsichgrosse Geschwulst mit den
Eigenschaften des Endothelioms und Cholesteatoms. Dieselbe umfasste auch das
Gebiet des linken Corpus lenticulare und theilweise das Ammonshorn.
Dem Vortr. wurden Fragen gestellt von Prof. Darkschewitsch sowie von
d*a Herren Kliatschkin, Lewtschatkin und Faworski. '
Digi
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140
Herr Dr. W. Perwuschin: Bin Fall von Bulb&rayinptoxnen bei ein¬
seitiger Rindenaffection.
Nach einer genauen historischen Uebersicht über die bulbären und pseudo¬
bulbären Lähmungen nebst einem Hinweis auf die verschiedenen Arten der letzteren,
constatirte Vortr. auf Grund der Litteratur das Vorkommen des Syraptomen-
complexes der bulbären Lähmung bei einseitigen Aflectionen des Gehirns, be¬
sonders der Rinde, und recapitulirte sodann in Kürze die Entwickelung der Lehre
von den Localisationen im Gehirn und den gegenwärtigen Stand dieser Frage. —
Im Falle des Vortr. handelt es sich um einen Arbeiter. P. K., 37 Jahre alt, ist
im Allgemeinen gesund, weist aber einen mässigen Grad von Arteriosklerose auf,
wahrscheinlich in Folge von Alkoholmissbrauch. Syphilis nicht vorhanden. Bis¬
weilen kommen Kopfschmerzen vor. Am 7. November 1899 Abends wurde er in
stark betrunkenem Zustande von seinen Kameraden durohgeprügelt und verlor das
Bewusstsein. Am 18. November kam er zu sich: Erbrechen, starker Kopfschmerz,
Schwindel, allgemeine Sohwäche, kraftlose Stimme, absolute Unmöglichkeit, feste
oder flüssige Nahrung zu schlucken, totale motorische Aphasie; was die Umgebung
spricht, versteht er. 2 Tage ass er nichts (im Rachen nichts Krankhaftes), lag
zu Bett; am 3. Tage trat eine geringe Besserung ein, er begann, Flüssigkeit za
schlucken. Am 12. November wurde er in die Klinik aufgenommen; es ergaben
sich eine Parese der unteren Faoialisäste rechts, Parese des rechten Hypoglossus
bei normaler Innervation der Extremitäten; unbedeutender Nystagmus; Phonation
sehr geschwächt, Stimme leise, tonlos, mit nasalem Beiklang. Bei der Phonation
bleibt die Stimmritze leicht offen. Das Schlucken hat sich gebessert — Schwierig¬
keiten macht nur noch das Schlucken fester Speisen. Die Uvula ist nach links
abgelenkt. Zittern der Finger. Kniereflexe gesteigert, Schleimhautreflexe leicht
zu erzielen; der Schlingreflex rechts herabgesetzt. Pupillen, Beckenorgane, Be¬
wegungen und allgemeine Sensibilität in allen ihren Qualitäten normal. Gesicht
und Geruch unverändert; Geschmack herabgesetzt, Gehör rechts schwächer. Moto¬
rische Aphasie (sagt nur „ja“ und „nein“); wiederholt zuweilen mit Mühe ein¬
silbige Wörter, die man ihm vorspricht; keine Apraxie; geringe Worttaubheit;
Agraphie, Alexie; copirt die Wörter ziemlich richtig. Grosse Hautabschürfungen
und Blutaustritte auf der Kopfhaut, doch sind die Knoohen heil und nur auf
Druck in der Occipital- und linken Parietalgegend empfindlich. Die inneren
Organe Bind gesund. Arteriosklerose. Urin ohne Eiweiss und Zucker. Klagen
des Kranken: beständige Kopfschmerzen, besonders links und hinten, Kopfschwindel,
Ohrensausen, allgemeine Schwäche, gedrückter Zustand. Die Psyche ist normal.
Die elektrische Erregbarkeit der Muskeln ist ebenfalls normal. In der Klinik
(vom 12.—27. November 1899) fand eine Besserung statt: die subjectiven Er¬
scheinungen verminderten sich, desgleichen auch die objectiven; die Parese des
Facialis und Hypoglossus wurde geringer, das Schlucken besserte sich, die all¬
gemeine Schwäche, die Aphasie, Agraphie und Alexie wurden auch besser. Nach
Erörterung des ganzen Bildes schloss der Vortr. eine Erkrankung des Bulbus,
des Gebietes der basalen Ganglien und der Corona radiata aus und entschied sich
für eine Affection der Rinde der linken Hemisphäre, im Gebiete des unteren
Theiles der Centralwindungen, auf der Grundlage eines traumatischen Blutergusses.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Lewtschatkin, Kliatschkin,
Polenow, Troschin und Faworski.
Herr Prof. W. Bogorodizki: Bin Fall von Aphasie.
Der von Dr. Perwuschin beschriebene Fall wurde vom Vortr. zum Gegen¬
stand einer genauen, speciellen Untersuchung der Sprache gemacht. Zuerst prä-
sentirte der Vortr. ein Schema des Systems von Elementen, aus denen das com-
plicirte assooiative Aggregat des Wortes zusammengesetzt ist, und erläuterte dann
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141
an der Hand des linguistischen Materials, das er vom 18. bis zum 24. November
1899 gesammelt hatte, ganz systematisch den Zustand der Verbindungsbahnen
nriscben den Elementen dieses Lautaggregates beim Kranken. Beim Beginn dieser
Beobachtangen war Pat schon in der Besserung begriffen, so dass er bereits
einige Gegenstände benennen und auch Sätze sagen konnte, welche letztere er
jedoch nicht vollendete; wiederholen konnte er jedes Wort, das erhörte, verstand
auch Allee, was man ihm sagte. Hinsichtlich der Articulation war eine ab-
geach Ȋchte Aussprache der Aspirata zu bemerken, wenn sie zu einer Gruppe von
Cooaonanten gehörten, z. B. „s“ in „spatj“ (schlafen). Die Fehler beim Lesen
waren von folgendem Charakter: 1. statt des aspirirten „s“ das weiche „s“ (wie
bei dem Worte „Sense“); 2. in schwierigeren Fällen half Pat. sich mit Buch¬
staben, die ihm geläufig waren, besonders „t“, und überhaupt den vorderen Zungen¬
lauten; 3. ein Wort wurde durch ein anderes, theilweise gleichklingendes, ersetzt,
iB. „doröwa“ (soll heissen: „sdoröwa [gesund]) statt „dorögoi (unterwegs). Die
Fehler beim Schreiben weisen die gleiohen articulatorischen Typen auf; hieraus
folgt, dass der Kranke beim Dictatschreiben die Wörter vorher die articulatorischen
Ceotren passiren lässt, worauf auch das geflüsterte Aussprechen des Wortes beim
Schreiben schliessen lässt. Die Fehler beim Lesen und Schreiben sind nicht von
eoortanter Art, d. h. sie sind verschieden bei einem und demselben Wort; wohl
aber sind die Typen der Fehler beständig. Die Zahl der Fehler wächst mit zu¬
nehmender Ermüdung, und ihre Qualität wird auch gröber. Ebenso wie der
Kranke jedes beliebige Wort nachzusprechen vermag, kann er es auch abschreiben;
er copirt eben dabei Buchstaben für Buchstaben. Die Schwierigkeiten, welche
dem Pat das Sprechen, Lesen und Schreiben verursachen, markirt er durch
Gerten, und zwar von zweierlei Typen: 1. verneinend, z. B. KopfBchütteln, und
2. nachhelfend, z. B. indem er beim Sprechen das Kinn mit der Hand stützt;
überhaupt erinnert Pat in dieser Hinsicht an einen normalen Menschen, dem
i B. irgend ein bekannter Name entfallen ist. Bei Schwierigkeiten und Fehlern,
welche von einer Vermehrung der Widerstände in den Leitungsbahnen herrühren,
klagt der Kranke immer über ein Sausen im Kopf und im Ohr, das ihn stört.
Bald fing er an, in zusammenhängenden Sätzen zu sprechen; während er am
19. November noch gesagt hatte, wenn er von seinem eigenen Zustande sprechen
wollte: „Gedanken., aber aussprechen.“, so konnte er sich zwei
Tage später (am 21. November) schon correct ausdrücken: „Gedanken sind da,
aber aassprechen kann ich nicht.“ Das Denken des Kranken konnte kein voll¬
ständiges sein, weil gewisse Bahnen gehemmt waren: „sowie man anfangt zu
denken, so lassen’s die Ohren zu nichts kommen.“ Pat ist zufrieden, dass er
Alles aassprechen kann, aber das Lesen und Schreiben wollen nicht recht von
Statten gehen, weil die entsprechenden Bahnen im Ganzen wenig entwickelt sind,
da Pat in diesen Künsten nicht sehr sicher war; immerhin ist er jetzt auch beim
ksen and Schreiben weniger ängstlich, während er früher, wenn er fühlte, dass
er sich irrt, oft schwieg („ich schweige lieber“, sagte er nachher selbst). In der
ganzen Zeit klagte Pat niemals über irgend welche Unzulänglichkeiten des
Moskelgefühls in den Sprechorganen, wenn er auch auf den hintersten Abschnitt
»1» Sit* des Hindernisses hinwies, wobei er auf das Zungenbein zeigte und sagte,
da« Zäpfchen störe ihn. Die Monotonie der Sprache hört allmählich auf; der
Kranke lächelt, wenn man ihn beispielsweise nach seiner Familie fragt
Sitzung vom 20. März 1900.
Herr Dr. W. Mefodiew: Ueber wahre Heterotopieen des Büokenmarks.
Vortr. berichtet über einen Fall von wahrer Heterotopie der weissen und
grauen Substanz in zwei Abschnitten des Bückenmarks: vom 4.— 5. Hals- bis zum
1. Bmstnerven und im mittleren Brustabschnitt Die Heterotopie betrifft die
Digi
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142
linke Hirnhälfte. Im 4.—5. Halssegment ist die linke Hälfte der grauen Substanz
in den linken Seitenstrang hinein verschoben und von dem Rest der grauen Sub¬
stanz durch weisse, compacte Bündel von abnormem Verlauf geschieden. Weiter
ist die heterotopische Hälfte durch abnorm verlaufende Bündel in mehrere einzelne
Inselchen zerlegt. Im oberen Brusttheil gleicht sich die Abnormität allmählich
aus; im mittleren äussert sie sich Anfangs in einer Asymmetrie der grauen Figur
und erreicht allmählich den Höhepunkt, indem von der ganzen linken Hälfte der
grauen Substanz nur ein dünner Streifen übrig bleibt, welcher die unmittelbare
Fortsetzung der grauen Commissur bildet, d. h. auf diesem Niveau (etwa in 2 cm
Ausdehnung) fehlt das Vorder- und Hinterhorn links. — Auf Grund der Litteratur
(68 Fälle) und seines eigenen Falles schlägt Vortr. vor, die heterotopischen
Anomalieen des Rückenmarks in sechs selbständige pathologisch-anatomische
Varietäten zu gruppiren: 1. Heterotopieen der grauen Substanz (29 Fälle), 2. Hetero-
topieen der weissen Substanz (5 Fälle), 3. combinirte Heterotopieen in beiden
Substanzen (5 Fälle), 4. Heterotopieen der Clarke’schen Säule (9 Fälle),
5. Heterotopieen der grauen Substanz, combinirt mit theilweiser oder totaler
Verdoppelung des Rückenmarks (10 Fälle).
Vortr. gelangt zu folgenden Schlusssätzen:
1. Es ist stets möglich, eine wahre Heterotopie von einer falschen, dufeh
mechanische Gewalt bedingten, zu unterscheiden.
2. Die Bedeutung mechanischer Einwirkungen ist in dieser Hinsicht nicht
so gross, wie Gieson annahm; davon überzeugte sich Vortr. durch eigene Ver¬
suche mit Compression und Torsion des Rückenmarks beim Menschen und bei
der Katze.
3. Die wahren Heterotopieen sind zweifellos Entwickelungsanomal ieen, welche
in den ersten 2—3 Monaten des embryonalen Lebens entstehen; sie erklären sich
entweder durch abnorme primäre Anlage der Keime der grauen Substanz oder
dadurch, dass der ursprünglich normale graue Keim sich später dislocirt, und
zwar durch Zwischenlagerung von dreierlei Formationen: der weissen Substanz,
der bindegewebigen Septa, der Auskleidung des Centralcanals.
4. Die Heterotopieen bevorzugen den Brust- und unteren Halstheil (und
zwar die linke Seite), speciell die in den Vorderhörnern und Seitensträngen be¬
logenen Gebiete der grauen und weissen Substanz.
5. Die Heterotopieen rufen wahrscheinlich keine localen Symptome hervor,
haben jedoch
6. die Bedeutung einer zu Rückenmarkserkrankungen prädisponirenden Be¬
dingung.
Während des Vortrages wurden Zeichnungen und Präparate demonstrirt.
(Autoreferat)
An der Discussion nahmen Theil Prof. Darkschewitsch und die Herren
Mering, Timofejew, Troschin, Lewin und Faworski.
Herr Stud. G. Troschin: Die oortioale Schleife (sensible Bahnen in
der inneren Kapsel).
Eine Umschau in der Litteratur über diese Frage zeigt, dass über den Verlauf
der sensiblen Leitungsbahnen in der inneren Kapsel nur Vermuthungen exietiren.
Das Vorhandensein dieser Bahnen in der inneren Kapsel ist zwar durch die
pathologisch-anatomische Casuistik von Türck und C har cot mit seiner Schule
bewiesen, eine genaue Vorstellung von ihrem Verlauf vermochten sie jedoch nicht
zu geben; die physiologischen Untersuchungen (Zerstörung der inneren Kapsel
[Veyssiäre]) beweisen ebenfalls nicht die Concentrirung der sensiblen Bahnen
auf den hinteren Theil der inneren Kapsel. Ebenso wenig kann auch das sen¬
sible Gebiet auf der Oberfläche der Hemisphären als feststehend angesehen werden:
zedby Google
143
Dgeh einigen Befanden fallt es mit der motorischen Zone zusammen, nach anderen
reicht es weiter als diese Zone. — Vortr. stellte 9 Experimente an erwachsenen
Esten an, and zwar nach dreierlei Richtungen: 1. nach der C har cot 'sehen
Lehre wurde der Theil der inneren Kapsel verletzt, welcher dem sog. Carrefour
sensitif entspricht; 2. wurde der ventrolaterale Theil des Sehhöckers zerstört, wo
(nach den Untersuchungen des Vortr.) die im Hirnstamm verlaufenden sensiblen
Bahnen endigen; 3. wurden Beschädigungen au den übrigen Theilen des Seh-
höekers vorgenommen. Das Gehirn der operirten Thiere wurde naoh Marchi
bearbeitet Es erwies sich, dass die aufsteigende Degeneration die gleiche war
sovohl bei Verletzung des Carrefour sensitif, als auch bei Zerstörung der ventralen
Partie vom Sehhöcker, während in den Controlversuchen mit Zerstörung anderer
Theile des Sehhöckers ausser dem ventrolateralen diese Degeneration nicht statt¬
hafte. — Der Verlauf der sensiblen Bahnen wäre somit folgender: im Sehhöcker
beginnt ein massives Neuron sensibler Fasern, die Fortsetzung derjenigen Fasern,
velche aus den Kernen der Hinterstränge des Rückenmarks und den Kernen der
sensiblen Hironerven in den Sehhöcker eintreten (10., 9. und 5. Paar). Der
lebertritt dieser Fasern aus dem Sehhöcker findet in der ganzen Ausdehnung des
hinteren Schenkels der inneren Kapsel statt, wobei die hintersten Fasern sich
Anfangs von aussen auf den Hirnschenkel auflagern, dann aber in flächenartigen
Strängen über dem Corpus lentiforme im äusseren Theile der inneren Kapsel
rerlaufen; die weiter vorn gelegenen Fasern kreuzen den hinteren Schenkel in
feiner ganzen übrigen Ausdehnung in Form schmaler Streifchen, die durch nor¬
male absteigende Fasern von einander getrennt sind. Nach dem Eintritt in die
innere Kapsel beginnen die sensiblen Fasern in die Substanz der Hirnwindungen
aoszntreten; doch bleiben noch zahlreiche Fasern in denjenigen Theile der inneren
Kapeel übrig, welcher zwischen dem Kopf des Corpus caudatum und dem Corpus
lentiforme liegt; in diesem Theile der inneren Kapsel liegen die sensiblen Bahnen
in der äusseren Hälfte und lassen die innere Hälfte unberührt. Das Gebiet der
Binde, wo die sensiblen Fasern eintreten, ist sehr ausgedehnt: es umfasst den
Gyrus coronalis (in erster Reihe), Gyrus ectosylvius anterior, GyruB cruciatus
poaterior, Gyrus Sylvias (den vor der Fissura Sylvii liegenden Theil) und das
fordere Drittel der Gyri suprasylvius und suprasplenius.
Die wesentlichsten Schlussfolgerungen des Vortr. lauten:
a) im Sehhöcker beginnt das letzte Neuron der sensiblen Bahnen;
b) im äusseren Abschnitt des Hirnschenkels und im hinteren Theil der inneren
Kapeel (Carrefour sensitif) giebt es sowohl sensible Fasern als auoh solche, die
absteigend degeneriren;
c) die sensiblen Fasern verlaufen sowohl in dem zwischen dem Sehhöcker
und dem linsenförmigen Körper belegenen Abschnitt der inneren Kapsel, als auch
in demjenigen Theile, welcher sich zwischen dem Corpus lentiforme und dem
Caput corp. caudati befindet; in letzterem Abschnitt sind sie deutlich abgesondert,
in den übrigen mit anderen Systemen vermengt;
d) die sensible Sphäre der Rinde reicht viel weiter nach hinten als die
motorische, wobei sie diese letztere zugleich deckt.
In der Discussion sprachen Prof. Darkschewitsoh, Dr. Mering und Dr.
Baworski.
Sitzung vom 26. März 1900.
Herr Dr. Mering: Ueber die sogen, reoidivirende Oculomotorius¬
lähmung.
Auf Grund der Litteratur sowie dreier eigener Beobachtungen kommt Vortr.
za folgenden Schlüssen: als das einzige beständige Symptom der genannteu Krank¬
beit sind von Zeit zu Zeit sich wiederholende Lähmungserscheinungeu in den
Digi
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144
Aesten des Oculomotorius anzußehen. Gewöhnlich erkrankt nur ein Auge, doch
können auch beide gleichzeitig oder nach einander befallen werden. Mit jedem
neuen Recidiv wird die Lähmung stärker, nach mehreren Recidiven wird sie
stabil. Die von Senator vorgeschlagene Eintheilung der Lähmungen erscheint
nicht correct, da die Verschlimmerung der Lähmung nur eine Frage der Zeit ist,
somit das Vorkommen der ersteren Form unwahrscheinlich ist, während anderer¬
seits eine Periodicität der Anfälle streng genommen gar nicht vorhanden iBt
Ausser dem Oculomotorius kann die Lähmung auch den Trochlearis, Abducens
und Facialis befallen, sowie auch den Trigeminus in seinem ganzen sensiblen
Gebiet, insbesondere den 1. Ast; auch die vasomotorischen und secretorischen Fasern
können betroffen sein. Vor dem Beginn der Lähmungserscheinungen oder gleich¬
zeitig mit demselben kommt heftiger Kopfschmerz vor, zuweilen mit Uebelkeit und
Erbrechen. Doch kann der Kopfschmerz auch fehlen. Seinem Sitz und Charakter
nach erinnert er oft an Migräne, ist aber tiefer, heftiger und hartnäckiger als
diese, kann auch dem Erbrechen nachfolgen, statt ihm voranzugehen, und ver¬
breitet sich bisweilen auf den ganzen Kopf. Es besteht keinerlei Abhängigkeit
zwischen dem Kopfschmerz und den Lähmungserscheinungen: diese wie jener sind
klinische Erscheinungen einer organischen Erkrankung des Gehirns, welche sich
in allen zur Section gekommenen Fällen vorgefunden hat. Man fand Tumoren
oder Entzündungsherde im peripheren Theil des Oculomotorius an der Schädel¬
basis. In Fällen von altemirender Lähmung, sowie bei gleichzeitiger Erkrankung
beider Augen und bei Combinationen von Oculomotoriuslähmung mit Erkrankungen
der übrigen Hirnnerven wurden Sectionen nicht ausgeführt. — Die Ursachen der
Krankheit sind unklar. Zuweilen ist eine Meningitis der Basis cerebri die ver-
muthliche Ursache oder auch ein Hirntumor; in anderen Fällen wurde Auto-
intoxication angenommen. Alter, Geschlecht, Vererbung spielen keine Rolle:
psychische Erregung, Alkohol, Schädeltraumen, welche eine Hyperämie des Gehirns
bewirken, können im Verlaufe der Krankheit das Auftreten von Anfällen zur
Folge haben. — Die Prognose quoad vitam ist günstig, quoad restitutionein da¬
gegen ungünstig: bis jetzt sind noch keine Fälle von Genesung bekannt. Die
Behandlung bestand bisher im innerlichen Gebrauch von Brom, Antipyrin, Phena¬
cetin u. dgl. — Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Hysterie, organische
Krankheiten des Nervensystems, bei denen recidivirende Oculomotoriuslähmungen
Vorkommen, endlich verschiedene Infectionskrankheiten und Intoxicationen, welche
ebenfalls dieses Symptom aufweisen können. — Keine von den in der Litteratur
vorhandenen Benennungen befriedigt den Vortr.; am zutreffendsten sei noch
„recidivirende Oculomotoriuslähmung“, obgleich auch dieser Name eigentlich keine
hinreichende Vorstellung von der Krankheit giebt. Zum Schluss will Vortr. die
fragliche Krankheit nicht alß eine besondere nosologische Einheit angesehen wissen,
sondern als einen Symptomencomplex, wie er den organisohen Erkrankungen der
Gehirnbasis eigentümlich ist. (Autoreferat.)
An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Discussion, an welcher die Herren
Prof. Darkschewitsch, Lewtschatkin, Skuridin, Kljatschkin und Fs-
worski theilnahmen. A. Faworski (Kasan).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vkit & Coup, in Leipzig. — Druck von Mbtzqbb & Wütig in Leipzig-
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■gWle Untersuchung von Kotelewski. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber
Gptismterferenzen, von Adamkiewicz. S. Das Reflexcentrum für die ausecheidende Function
fcl Pancreas, von Popielski. 4. Die Qrosshirnrindenganglienzelle des Menschen als selb-
rtküges Organ, von Adamkiewicz. — Pathologische Anatomie. 5. Untersuchungen
ttv das Verhalten des Balkens nach grösseren oorticalen Hirnläsionen, von Kattwinkel.
I Oratribution ä l’ötude des l&ions des cellules de l’hypoglosse aprhs l’arrachement du nerf,
MT ds Beels. 7. Sulla fine struttura ed istogenesi della neuroglia patologica, per Bonome. —
Pathologie des Nervensystems. 8. Untersuchungen über den (sensiblen) oculopupillären
hflsx, von Virady. 9. Zur Physiologie und Pathologie der Sehnenphänomene an den oberen
btnuii täten, von Mehr. 10. Ueber das Verhalten der Sehnenreflexe bei totaler Querschnitts-
Mfabreehung des Rückenmarks, von Kausch. 11. Ueber das Verhalten der Patell&rreflexe
M hohen Querechnittsmyelitiden, von Bllint. 12. Zur Frage von dem Verhalten der Sehnen-
nltfs bei qnerer Durchtrennung des Rückenmarks, von Schultz«. 13. The great toe (Babinski)
phUsnenon, based on the Observation of 156 healthy individuale, by Prince. 14. Ueber das
«fcHphinomen Babinski’s. Ein Beitrag zur Lehre von den Fasssohlenreflexen, von Schneider.
UcOstersuchung und diagnostische Verwerthang der Hautreflexe, von Boettiger. 16. Puerperal
wmsuritia and polio-myelitis, by Stewart. 17. Snr un cas de polynövrite göneralisäe avec
mpfgi* faciale d’origine vraisemblablement blennorrhagique, par Raymond. 18. Changes in
■Aforipheral nerves in a case of diabetes mellitus, by Findlay. 19. A case of neuritis affec-
u*, the optic and cervical nerves, complieated by carcinoma of the breast, by Benson.
»^Neuritis interstitialis plexus sacralis equi und aufsteigende Rückenmarksdegeneration
'““rHrnuitis peripherica, von Thomassen. 21. Ein Fall von multipler Neuritis nach Kohlen-
1 —jftung nut Betheiligung der Sehnerven, von Schwab«. 22. Ett fall af beri-beri, af
23. Changes in the neuronal centres in beri-beric neuritis, by Wright. 24. Welche
Maassuahmen indicirt der Mdnifere'sche SymptomencomplexP Von Heermann.
Ulfilde af labyriutär Angioneurose, med Bemärkninger om den saakaldte Möniöre’ske
og det Mönihre’ske Symptomkomplex, af Müller. 26. Sechs Fälle von Möniöre’scher
.- lag. von Sarbd. 27. Ein durch galvanischen Strom geheilter Fall von MÖDifere’scher
Kttkhait, von Oondth. — Psychiatrie. 28. Ueber Eifersuchtswahn, von Brie. 29. Eifer-
NMÜnrshn bei Frauen, von Schüller. 30. La folie des foules, par Rodrlgues. 31. Geistes-
bMMfaxt bei Gefangenen, von Longard.
■L Bttltegraphie. 1. L efons sur lee maladies dn systhme nerveux, par Raymond.
1 Uober Behreiber- und Pianistenkrampf, von Zabludowski.
10
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146
IV. An GeMlfscfcafte*. V. Congrd* international de phjiiologie, Turin, IT. bi*
XI. September 1901. — Gesellschaft der Neurologen und Irreninte sn Moskau.
V. MHtbeihmf an den Heransyeber.
VL NenrelefiMhe nnd psychiatrische LHteratnr rom 1. November bis 31. December 1901.
VII. Venaischtes. XX Congreee fttr innere Mediein in Wiesbaden am 15.—18. ApriL
VIII. Personalien. - DL BertchtigM«.
L Originalmittheilnngen.
1. Ceber Ermüdung der Sehnenreflexe und
die diagnostische Bedeutung dieses Symptoms bei nervösen
Erkrankungen.
Von Prof. W. v. Bechterew in St Petersburg.
ln einer meiner früheren Arbeiten habe ich eine in manchen Killen von
multipler Neuritis zu beobachtende merkwürdige Besonderheit der Patellar-
sehnenreflexe beschrieben, bestehend in hochgradiger Verlangsamung derselben.
Diese Erscheinung, die ich seitdem in mehreren Fällen von multipler Neuritis
im Convalescenzstadinm der letzteren angetroffen habe, geht gleichzeitig mit
dem allmählichen Nachlassen des nenritischen Processes nach and nach zurück.
Eine andere Veränderung der Erscheinungsweise der Sehnenreflexe, die
mir unlängst in einzelnen Fällen von Myelitis des unteren Brustmarkes nnd
der Lendenanschwellnng aufgefallen ist» besteht in hochgradiger Ermüdung der
Patellarsehnenreflexe zu einer Zeit, wo der myelitische Process bereits theilweise
im Nachlassen begriffen ist. Bei derartigen Kranken rufen — nnd dies ist das
Wesen der Erscheinung — nur die ersten die Sehne treffenden Hammerschläge
den Patellarreflex hervor, der bei jedem neuen Schlage schnell schwächer wird
und schliesslich ganz verschwindet Unterbricht man die Prüfung, so lässt sich
nach einiger Zeit wieder ein Reflex von der ursprünglichen Intensität hervor-
rafen, der jedoch bei fortgesetzter Untersuchung wiederum mehr oder weniger
schnell nachlässt und vorübergehend gänzlich erlischt Die Erscheinung war in
meinen Fällen ausgeprägt um die Zeit der Wiederkehr der Sehnenreflexe nach
langdauerndem Ausfall derselben und dauerte bis zum Zeitpunkte der Rebabili-
tirung völlig normaler Reflexthätigkeit Die Ermüdbarkeit der Sehnenrefleie
trat dabei allmä hli ch immer mehr zurück, um schliesslich völlig zu verschwinden.
Analoge Ermüdungserscheinungen der Sehnenrefleie beobachtete ich mehrfach
auch in den Anfangsstadien von multipler Neuritis, sowie in den allerfrühesten
Phasen der Tabes dorsalis vor dem völligen Aassetzen dieser Reflexe. Doch
nahm hier die Ermüdbarkeit der Reflexe mit dem Fortgange der Erkrankung
immer mehr zu, bis völlige Reflexlähmung eintrat Demnach ist Ermüdbarkeit
der Sehnenreflexe zu beobachten einerseits im Convalescenzstadinm, z. R bei
Myelitiden, und andererseits während der Entwickelung gewisser Krankheits-
processe, wie bei der Tabes und Neuritis. An und für sich weist diese Reflex-
zedby Google
147
ermödbarkeit hin auf eine Affection des Eeflexbogens, die jedoch weniger tief¬
gehend ist als beispielsweise bei totalem Verschwinden der Sehnenreflexe. Von
besonderer diagnostischer Wichtigkeit erscheint jedoch der Umstand, dass die
rdeetorische Ermüdbarkeit in manchen Fällen mit der Zeit zunimmt, in anderen
mit der Zeit abnimmt. Letzteres deutet auf Nachlass, ersteres auf Verschlech¬
terang des eigentlichen Krankheitsprocesses.
Aber auch an und für sich und in Verbindung mit anderen Krankheits-
sjmptomen hat die Erscheinung der Refleiermüdbarkeit eine gewisse diagnostische
Bedeutung. So kann sie z. B. in den Anfangsstadien der Tabes im Zusammen¬
hang mit anderen Merkmalen, lancinirenden Schmerzen, Trägheit der Pupillen-
reaction o. s. w., bei der genaueren Begründung der Krankheitsdiagnose von
Werth sein.
[Aus der Abtheilung für Nervenkranke des St Stefan-Spitals in Budapest
(Vorstand: Docent Julius Donath.)]
2. Der Trigeminns-Facialisreflex nnd das Westphal-Pilz’sche
Phänomen. 1
Von Dr. Hugo Lok&oz.
Tor einigen Wochen hat McCarthy im Neurolog. Centralblatt ein durch
in „Sopraorbitalreflex“ benannten Reflex beschrieben. Derselbe besteht darin,
daaB, wenn wir den Sobraorbitalnerv beklopfen, eine Contraction des Musculus
oriuealaris palpebrarum entsteht In den näohsten Nummern erfahren wir von
t.Bkhtxrew, dass er diese mit mehreren anderen, im Gesichte auslösbaren
Mexen schon beschrieben hat Auch Hudovebnig kennt ihn seit lange, doch
hält er dies für keinen Reflex.
Dass vom Trigeminus aus Reflexe im Gebiete des Facialis ausgelöst werden,
ist längt bekannt! Welcher Neurologe weiss es nicht, dass Reizung des Trige¬
minus Contractionen der Gesichtsmuskeln hervorruft? Und wer hätte es nicht
bemerkt, dass, wo man auch das Gesicht berühren mag, der Augenschluss die am
tftestea sich wiederholende Reaction ist? Wir wissen, wie stark diese Reizbar-
lat bei den Neugeborenen ist Die leiseste Berührung genügt, dass auch im
Schlafe die Augen zugekneift werden. Später vermindert sich diese Reizbarkeit,
<fch bleibt sie im Kindesalter noch gesteigert Aber auch beim Erwachsenen
ritt die Contraction des kreisförmigen Augenmuskels immer ein, wenn ein
tttodler, unerwarteter Reiz das Gesicht trifft Wiederholen wir den Reiz öfter,
tonn wird die Contraction immer weniger energisch, bis sie erlöscht Es giebt
»her im Gesichte einige Punkte, bei deren Beklopfung, mögen wir
»och den Reiz öfter wiederholen, die Reaction sich immer einstellt
' Vortrag, gehalten in der neurologischen Section des königl. Ungar. Aerztevereins in
****** »m 11. November 1901.
10 *
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148
Gin solcher Punkt ist anoh die Incisora supraorbitalis. Und darauf redudit
sich die Neuheit des MoCABTHY’schen Reflexes.
Solche Punkte fanden wir auf der Stirn, an der Nasenwurzel, am Joch¬
bein, am Unterkiefer, medial vom Masseter und endlich an dem Austrittspunkte
des Facialis. Auffallender Weise also überall, wo eine Knochenunterlage vor-
handen ist. Dieser Reflex ist von der Stirn stets auszulösen; fast immer vom
Jochbein, weniger sicher von der Nasenwurzel, am seltensten vom Austritts¬
punkte des Faoialis. Im letzteren Falle ist die Reflexerregbarkeit wahrschein¬
lich schon gesteigert, da wir es bei normalen Individuen nur selten auslösen
konnten. Wie wir sehen, ist der Grad der Reflexerregbarkeit nicht nur aus der
Energie des Reflexes ersichtlich, sondern auch daraus zu beurtheilen, von
welchem Punkte aus wir ihn auslösen können. Doch muss ich hervorheben,
dass diese Verhältnisse auch beim Gesunden nicht nur individuell, sondern auch
zeitweilig verschieden sein können.
Von Wichtigkeit ist es, dass der Reflex, wie bei der Pupille, ein gleichzeitig
bilateraler ist. Die Facialisinnervation der Erwachsenen ist synergisch, nicht so
bei den Neugeborenen, wo die Bewegungen der beiden Gesichtshälften sich un¬
abhängig vollziehen. Doch ist der Reflex auch bei ihnen ein doppelseitiger, wie
er auch bei jenem Erwachsenen doppelseitig bleibt, die es erlernen, ihre Augen
abwechselnd zu schliessen.
Hudovebnig hält dieses Phänomen für keinen Reflex, nach ihm handelt
es sich hier um directe mechanische Reize, die den Muskel selbst treffen. Dies
ist unhaltbar, denn man kann es in weiter Entfernung von dem Muskel auch
dort auslösen, wo selbst die ohnehin fragliche Leitung der Knochenvibration
ausgeschlossen erscheint, wie z. B. auf dem Unterkiefer. Die Annahme, dass
mit dem Beklopfen der Gesichtsnerv selbst mechanisch erregt wird, liegt näher.
Ein Analogon dafür können wir in dem CHVosTEK’schen Phänomen erblicken.
Nach den Beobachtungen von Schlesinger, Hoffmann, Jak sch, Schulze,
Oppenheim u. A. ist es bekannt, dass bei normalen, noch mehr bei neuropathisch
veranlagten Individuen es häufig vorkommt, dass bei Beklopfen des Facialis-
austrittspunktes Zuckungen besonders in den Schliessmuskeln des Auges und
des Mundes auftreten. Eschebich nahm auch bei Tetanie an, dass ee sich bei
dem CHVosTEK’schen Phänomen um einen Reflex handle. Seine Ansicht wurde
verworfen, da bekanntlich bei Tetanie die Reflexerregbarkeit oft vermindert ist
Nach meiner Ansicht ist die partielle Contraction eines Muskels keineswegs mit
dem CHVosTHK’schen Phänomen identisch.
Auffallend in dieser Hinsicht ist das Verhalten dieses Reflexes bei Gesichts¬
lähmung. Bei totaler Lähmung bleibt auf Beklopfen des Supraorbitalpunktes
die Contraction auf der gelähmten Seite aus, erscheint aber auf der gesunden
Seite normal. War die Erregbarkeit eine gesteigerte, so gelingt durch Beklopfen
des Austrittspunktes des Facialis dasselbe. Es kommt also die Contraction auf
der gesunden Gesichtshälfte auch dann zu Stande, wenn wir den Austrittspunkt
des gelähmten Facialis beklopfen. Das kann nach meiner Aosicht nur auf
reflectorischem Wege möglich sein, und nicht durch eine mechanische Er-
y Google
149
whüttenmg des Muskels erklärt werden. Ich verweise auf jene Fälle von
& Remak, Bernhardt und J. Mülleb, in denen irgend ein Reiz (die Cilien
des entropischen Augenlides, ein entzündliches Infiltrat u. dgl.) durch Reizung
des Trigeminus auf der gelähmten Gesichtshälfte Blepharospasmus am Auge der
gesunden Seite verursachte. Wurde die Ursache behoben, so hörte der Krampf
auf Hitzig, Bernhardt, Jakobi und Gowebs suohen die Ursache dieser
Erscheinung darin, dass durch die fortdauernden Innervationsversuche während
der Lähmung die Energie und damit die Reflexerregbarkeit der Innervations-
eentren erhöht wird. Mit dieser Auffassung stimmt es vollkommen überein,
dass wir bei sich bessernden Gesichtslähmungen durch Beklopfen des Austritts-
Punktes des Facialis die Contraction des kreisförmigen Augenmuskels in allen
Fällen schon dann auslösen konnten, als die willkürliche Innervation noch
nicht möglich war. Dasselbe hat auch Hitzig bemerkt
Dass bei dem Beklopfen des Facialisaustrittes auch Trigeminusäste getroffen
werden, ist gewiss, da die beiden Nerven ein dichtes Netz bilden. Uebrigens
haben v. Frankl und Lichtenbbbg bewiesen, dass der Gesichtsnerv auoh
sensible Fasern führt, die er wahrscheinlich aus dem Trigeminus erhält Gowebs
beschrieb auch sensible Facialisäste. Filenb behauptet, dass der Trigeminus
einen gewissen Reflextonus der Gesichtsmusculatur verleiht, weshalb bei Anästhesie
des Trigeminus die willkürlichen und mimischen Gesichtsbewegungen gestört
sind. Exneb erwähnt, dass dies schon durch Bell und Magendie beschrieben
wurde.
Ich glaube nicht zu irren, wenn ich die Contraction des kreisförmigen
Augenmuskels bei Beklopfen der beschriebenen Gesichtspunkte für reflectorisoh
halte. Sie bleibt aus, wenn die motorische Leitung erkrankt, und ich kann die
Behauptung MoCabthy’s, dass nach Trigeminusresection, also Unter¬
brechung der Leitung der centripetalen Bahn, die Contraction aus¬
bleibt, bestätigen. Ich habe keine Gelegenheit gehabt, auch nur einen ein¬
zigen Fall von Exstirpation des Ganglion Gasseri zu beobachten, wo die Anästhesie
eine totale geblieben wäre. Garbe hat schon im Jahre 1898 darauf aufmerk¬
sam gemacht, dass auch nach totaler Exstirpation des Ganglions der Trigeminus
md» einiger Zeit von Neuem functionirt Oft kehrt nicht nur das Gefühl,
sondern auch die Neuralgie wieder!
Wir haben schon erwähnt, dass bei allen unerwarteten Berührungen des
Gesichts eine Contraction des Orbicularis palpebr. erfolgt Diese Bewegung ist
nach einiger Uebung leicht von der reflectorischen Zuckung, welohe weniger
energisch und nur ausnahmsweise im ganzen Muskel, sondern nur an einigen
Muskelfasern erfolgt, leicht zu unterscheiden. Daraus folgt, dass man die ersten
Versuche ausser Acht lasse. Zumal bei amaurotischen Individuen, welche von
der Berührung unerwartet getroffen werden, muss man eine Weile warten, bis
diese energischen schnellen Bewegungen auf hören.
Gleichzeitig mit dem eben beschriebenen Reflex haben wir auoh eine Be¬
wegung der Pupille beobachtet, die darin besteht, dass die Pupille sich erst
minimal verengt und danach sich erweitert Die Erweiterung ist beträchtlicher,
Digilized by CjOO^Ic
150
so dass, wenn wir das Beklopfen mehrmals in kurzer Zeit wiederholen, wir die
Pupille dadurch zur Erweiterung bringen. Diese Reaction erfolgte, von wo immer
wir die Contraction des kreisförmigen Augenmuskels auslösen, ebenso bei jeder
normalen, wie bei jeder lichtstarren Pupille, sogar an amaurotischen Augen.
Wie bekannt, haben Westphal und Pilz ein ähnliches Symptom bei Zu¬
kneifen des Auges beschrieben. Westphal erwähnt zwar, dass dieses Phänomen
ausnahmsweise auoh bei Gesunden zu beobachten ist, Pilz hat es aber nur in
pathologischen Fällen beobachtet, Antal hält es für ein prodromales Symptom.
Schantz sagt in seiner, vor kurzer Zeit erschienenen Abhandlung: „Wenn wir
am normalen Auge dieses nicht beobachten können, so liegt dies daran, dass
die Lichtreaction dieses Phänomen bedeckt“ Und darin hat er Recht, bei
unserem Vorgehen ist die Liohtreaction ausgeschlossen, da die Contraction des
kreisförmigen Augenmuskels nicht so stark ist, dass die Pupille verdeckt würde,
und damit ist die Möglichkeit gegeben, dass das Phänomen auch bei normalen
Menschen zu Stande komme.
Schantz ist der Meinung, dass es sich bei diesem Phänomen nicht um
eine reflectorische Bewegung handelt, sondern diese sei auf mechanische Vor¬
gänge zurüokzuführen. Bei unserem Verfahren ist die Contraction des Augen¬
muskels eine viel zu geringe, aber abgesehen davon, widerspricht der Meinung
von Schantz, dass das Phänomen bei totaler Gesichtslähmung, wo
gar keine Contraction des kreisförmigen Augenmuskels zu Stande
kommt, auoh vorhanden ist Westphal hält dieses Phänomen für eine
Mitbewegung, gerade wie das gleichzeitige Auf- und Seitwärtsrollen des Aug¬
apfels. Es wäre das noch zu verstehen, wenn die Mitbewegung der Pupille auf
denselben Reiz auch dann zu Stande käme, wenn die primäre Bewegung (Augen¬
schluss) ausbliebe. Doch ist das nicht wahrscheinlich, weil bei unserem Ver¬
fahren das Augenrollen nie sichtbar war.
Schantz stellt in Abrede, dass es eine Mitbewegung, und dass es über¬
haupt auf eine Erregung des Oculomotorius zurückzuführen wäre, da er es auch
an atropinisirten Augen, und bei Ophthalmoplegia interna totalis beobachtet
hatte. Schon Galassi meinte, durch dieses Symptom könne man eine periphere
Oculomotoriuslähmung von einer centralen unterscheiden. Dem entspräche, dass
wir bei unserem Verfahren diese Pupillenreaction dort hervorrufen konnten, wo
die übrigen Pupillenreactionen erloschen waren. Es scheint also, dass der
Reflexbogen peripher verläuft
Besonderen pathognostischen Werth können wir heute weder dem einen,
noch dem anderen Symptom zumessen. Denn das Wiedererscheinen des Orbicular-
reflexes könnte höchstens die Besserung der Gesichtslähmung anzeigen. Das
Pupillenphänomen dagegen könnte vielleicht im Sinne Galassi’s verwerthet
werden.
y Google
151
[Ans dem städtischen Siechenhause zu Frankfurt a/M.
(Oberarzt: Dr. August Knoblauch.)]
3. Weitere Erfahrungen über den Babinski'sehen Reflex.
Von Dr."’August Homburger, Assistenzarzt.
Aus unseren ersten, dem BABmsKi’schen Reflex gewidmeten Betrachtungen 1
ergab sich: 1. dass allein die isolirte reflectorische Dorsalflexion der grossen Zehe
als ein sicheres Symptom einer Läsion der durch die innere Kapsel verlaufenden
motorischen Faserung anzusehen ist; 2. dass die Dorsalcontractur der grossen
Zehe vornehmlich bei alten Hemiplegieen vorkommt, die das typische Lähmungs¬
bild zeigen; 3. dass der Reflex bei denjenigen Fällen cerebraler Lähmung fast
immer fehlt, die als Folge zahlreicher Insulte ein von dem gewöhnlichen Läh-
mungstypus erheblich abweichendes Bild spastisch-paretischer Bewegungsstörung
bieten. Hinsichtlich dieser drei Punkte haben die Erfahrungen der letzten
Monate nichts hinzugef>, was eine andere Fassung verlangte oder eine Ab¬
weichung darböte; es ist uns aber möglich gewesen, eine Reihe von Beobach¬
tangen zu machen, die sich an das früher Gesagte ergänzend und vielleicht
auch erklärend anreihen.
Hinsichtlich des ersten Punktes besteht ein Gegensatz zwischen den Be¬
obachtungen, die Schneider* kürzlich veröffentlicht hat, und den unseligen.
Er legt auf die isolirte Bewegung der Grosszehe wenig Gewicht, glaubt auch
nicht, dass die Stelle der Application des Reizes von Bedeutung sei. Auf diesem
Wege kommt er zweifellos dazu, einen echten und falschen Babinski zu unter¬
scheiden, dessen Wesen er in einer mit Zurückziehen der Extremität verbundenen
Dorsalflexion der Zehen ohne vorausgehende Beugung sieht Es ist richtig, dass
man dieses Phänomen auch bei Stupor und Demenz beobachtet, aber die isolirte
Doisalflexion der Grosszehe sahen wir nie bei diesen Zuständen, auch nicht vor,
in oder nach dem epileptischen Insult, noch bei irgend welcher Art des Comas
aos funcüoneller Ursache; vielmehr zeigten drei Epileptiker, ähnlich wie König 9
dies schon sah, eine an Intensität die Norm weit übersteigende Plantarflexion
der Zehen, die noch einige Zeit nach der Reizung in krampfartiger Weise fort-
daoerte.
Drei Fälle von frischer Apoplexie, die letal verliefen, gaben uns zu sehr
interessanten Wahrnehmungen Gelegenheit; bei allen dreien konnte sofort
nach dem Insult die Prüfung des Phänomens vorgenommen werden und als
kürzeste Frist bis zu seinem Auftreten eigaben sich 5 Minuten; auf der Seite
des Sitzes der Läsion war normale Plantarflexion; bei allen dreien stellte sich
1 VergL Neurolog. CentralbL 1901. Nr. 15.
1 Berliner klin . Wochen sehr. 1901. Nr. 87. — Daselbst auch ein vollständiges Ver-
•oebniis der Basis sxi-Litteratar bis 1. April 1901. — Vergl. Referat in d. Nummer, S. 167.
• Archiv f. Psych. XXXUL
zedby GoOgle
152
aber später auch auf dieser Seite der Reflex ein und bald darauf erfolgte der
Tod, spätestens am nächsten Tage. Es fanden sich grosse Blutungen mit Durch¬
bruch in den Ventrikel. In Anbetracht dessen, dass wir dieses Verhalten bei
günstig verlaufenden Fällen von Apoplexie — NB. auch im tiefen Coma — nicht
sahen, ist es. eine sehr wahrscheinliche, dass wir in dem doppelseitigen Auftreten
des B/LBiN8Ki’schen Reflexes aus acuter Ursache ein Perforationssymptom, ein
signum mali ominis, zu erblicken haben.
Die Extensionscontraotur des Hallux bei typischen Hemiplegieen rührt wohl
daher, dass der Strecker der grossen Zehe von der Lähmung nicht betroffen ist;
also gehört dieser Muskel zu den von tieferen motorisohen Bahnen im Sinne von
Wbbnicke, Mann, Rothmann u. A. innervirten Muskeln, und ein Reflex, der
isolirt zu ihm geleitet wird, verläuft nothwendig auf einer solchen Bahn. Da
dieses Verhalten vor allen Dingen für cerebrale Herde leicht demonstrabel ist,
worauf 0. Kaijscheb 1 schon hingewiesen hat, so kann unmöglich, wie Schneides
meint, ein tiefer spinaler Sitz, der eben nur den Reflexbogen für den Gross¬
zehenstrecker noch freilässt, die Voraussetzung sein, die allererst das Zustande¬
kommen der isolirten reflectorischen Dorsalflexion des Hallux ermöglicht. Mit
eingehenden Untersuchungen über die Lähmungsmodalitäten an den unteren
Extremitäten sind wir noch beschäftigt
Während bei denjenigen Kranken, die eine typisohe Hemiplegie in Folge
eines Herdes in der inneren Kapsel darbieten, meistens sohliesslich eine ziem¬
lich gute Gebrauchsfähigkeit des Beines bei Gebrauchsunfähigkeit der Hand
resultirt, Blasen- wie Mastdarmstörungen nur vorübergehend auftreten, und in
der Mehrzahl der Fälle keine eigentliche Demenz sich entwickelt, sieht man im
Gegensatz hierzu in den Fällen von wiederholten Insulten, bei denen sich ana¬
tomisch zahlreiche kleinere und grössere Erweichungsherde in den beiderseitigen
Linsenkemen und Sehhügeln finden, ein vorzugsweise Ergriffensein der Beine,
dauernde Incontinentia vesicae et alvi, einen oft sehr rapid fortschreitenden
Verfall des Intellects, Schluckbesohwerden, Zwangslachen und Zwangsweinen,
kurz und gut ein Symptomenbild, welches auch eine Menge ooordinatorischer
Störungen umfasst und der cerebralen Pseudobulbärparalyse äusserst nahekommt,
ohne dass man in der Hirnrinde und dem Hemisphärenmark andere als die
gewöhnlichen Altersveränderungen nachweisen konnte. Bei diesen Fällen fehlt
gewöhnlich die isolirte Dorsalflexion der grossen Zehe. Man hätte keine Ver¬
anlassung, hierin etwas Besonderes zu sehen, denn es liegt ja keine Läsion der
Pyramidenbahn vor. Der Reflex verschwindet aber, wenn, wie wir es in einem
Falle sahen, zu einem älteren Herde in der inneren Kapsel, späterhin Er¬
weichungsherde im Linsenkem und Thalamus hinzutreten. Aber abgesehen von
diesem Falle, bei dem immerhin gewisse Details sich der genauen Feststellung
entzogen, da die Erkrankung sich über Jahre hinzog, während nur die letzten
Monate in unsere Beobachtung fielen, verfügen wir über eine Erfahrung, die
eigentlich durchaus eindeutig ist. Eine 42jähr. Patientin, die wegen Imbecillität
• Vibohow’b Archiv. CLV.
Digi
153
and hochgradiger Kyphose schon lange Zeit stationär verpflegt wurde, und deren
Nervensystem absolut intact war, bekam unter unseren Augen eine Apoplexie:
oaeh 5 Minuten war links isolirte Dorsalflexion der Grosszehe nachweisbar, es
hudelte sich also um einen rechtsseitigen Herd; 3 Tage später, bei andauerndem
liefen Coma, trat der Reflex auch rechts auf; auf Grund früherer Beobachtungen
diagnosticirten wir den Durchbruch in den Ventrikel und erwarteten den baldigen
Exitus; am Abend des gleichen Tages erlosch der Reflex links, während er rechts
persisörte; aus dem Verschwinden auf der linken Seite wurde auf eine Aus¬
breitung der Blutung in die Sehhügelregion geschlossen; in der Nacht trat der
Tod ein. Die Obduction ergab eine grosse Blutung, die, in der rechten Capsula
interna entstanden, in den Ventrikel durchgebrochen war und den Linsenkern
and Thalamus opticus bis auf einen kleinen Rest des Pulvinar zerstört hatte.
Ich halte es für gerechtfertigt, aus diesen Beobachtungen den Schluss zu
ziehen, dass die isolirte Dorsalflexion der grossen Zehe ein Reflex ist, der auf
einer tieferen motorischen Bahn thalamo- bezw. tectospinaler Riohtung verläuft,
deren Intactheit er zur Voraussetzung hat Diesbezügliche anatomische Unter¬
suchungen sind im Gange.
In der Kette dieser Beweisführung fehlt freilich noch ein Glied: das Aus¬
bleiben des Reflexes in dem Falle, dass zu Thalamusherden ein solcher in der
inneren Kapsel hinzutritt, eine Anordnung, der wir noch nicht begegnet sind.
Wenn diese Theorie richtig ist, so erklärt es sich ohne Schwierigkeit, warum
min gerade bei der multiplen Sklerose so wechselnde Verhältnisse findet; in
Fällen, bei denen man aus dem Verhalten der übrigen Reflexe auf eine Pyra-
mdenbahnläsion schliessen muss, fehlt die Halluxextension, in anderen Fällen,
bä denen sie lange Zeit auslösbar war, verschwindet sie mit einem Male, wohl
durch das Auftreten von Herden, die irgendwo die thalamo- bezw. tectospinalen
motorischen Bahnen treffen. Gleiche Erwägungen beziehen sich auf luetische,
toberculöse und sonstige entzündliche Processe, sowie auf Tumoren u. s. w., die
nach und nach die verschiedenen Fasersysteme ergreifen.
Das Gesagte betrifft, wie ausdrücklich bemerkt sei, das BAnrasKi’sche
Phänomen zunächst nur, insoweit es sich als isolirte Dorsalflexion der Grosszehe
darstellt; die Hypertonie des Flexor hallucis bei der typischen Hemiplegie ist
natürlich der Hypertonie der anderen, im gleichen Maasse von der Lähmung
verschonten Muskeln gleichsinnig; sie sind dem Einfluss der Kapselfaserung ent¬
zogen und ihre Innervation hat eben dadurch ein erhebliches Uebergewicht er¬
langt Diese Ueberlegungen lassen es wohl auch angezeigt erscheinen, von dem
Gesichtspunkte der ontogenetischen und phylogenetischen Differenzen aus, die
röchen der Pyramidenbahn und den übrigen motorischen Innervationswegen
bestehen, die Halluxextension bei Neugeborenen und Babinski’s ursprüngliche
Erklärung erneut zu prüfen.
Digi
y Google
154
4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Qoldflam in Warschau.
(Fortsetzung.)
Es muss zugegeben werden, dass Analogieen in dem Sectionsergebniss
zwisohen dem LAQUEB-WEiGEBT’schen und meinem Falle 0. bestehen. Hier
und dort liegt eine Geschwulstbildung vor, in dem Weigebt’ sehen ein bösartiger
Thymustumor, in dem meinen makroskopisch ein grosses Lymphosarcom der
Lunge — leider wird im Protocoll nichts über die Thymusdrüse erwähnt, be¬
hauptet ja Weidest, dass die grossen Mediastinaltumoren auch von der Thymus
ausgehen —, hier und da sind Anhäufungen kleiner Zellen in den Muskeln
vorhanden, die im WEiGEBT’schen Falle sicher Metastasen darstellen, in dem
meinigen jedoch ist diese Behauptung nur mit Reserve aufzunehmen, da die
mikroskopische Untersuchung des primären (?) Lungentumors fehlt Die Differenz
im mikroskopischen Bilde der Zellenanhäufungen ist ja durch die Verschiedenheit
des Ausgangspunkts und vielleicht des Baues der primären Geschwulst er¬
klärlich.
Wenn es also ziemlich fest steht, dass in zwei sicheren Fällen von Myasthenie
sich bei intactem Nervensystem ausserhalb desselben analoge Veränderungen
— Geschwulstbildung und Metastasen in Muskeln — vorfanden, dann ent¬
steht die Frage, welche Bedeutung ihnen in Bezug auf die Myasthenie bei¬
zulegen ist. Mit Weigebt muss zugegeben werden, dass so reichliche An¬
häufungen fremder Zellen nioht ohne Einfluss (biologisch-chemischen oder mechanisch-
ciroulatorischen) auf die Muskelfunction sein konnten, sind ja auch die Erscheinungen
der Myasthenie in der Hauptsache Störungen der Muskelfunction. Allein in
anderen zur Section gelangten Fällen hat man Alterationen der Muskeln vermisst,
auch ich konnte in excidirten Muskelstückchen von zwei anderen mit Myasthenie
behafteten Patienten nichts finden. Für Weigebt ist es denkbar, dass die
Zellenanhäufungen in den Muskeln keine Conditio sine qua non für das Zu¬
standekommen von Bewegungsstörungen bei Thymuserkrankungen darstellen,
sondern dass hier jene dunklen intermediären Stoffweohselproducte eine Rolle
spielen. Umgekehrt, wie bei der Schilddrüse, wo die Anwesenheit zum min¬
desten eines genügenden Restes der Drüse für die entsprechenden normalen
Functionen nothwendig ist, wäre ihm zu Folge bei der Thymus gerade die
Abwesenheit oder Geringfügigkeit des normalen Gewebes nach Abschluss des
Wachsthums für die Gesundheit erforderlich.
Man kann diesen Erwägungen eine gewisse Rechtfertigung, speciell für den
Weige bt’ sehen Fall, nicht abspreohen, allein sie vermögen nicht eine allgemeine
Geltung zu beanspruchen, da in den meisten zur Section gelangten Fällen von
Myasthenie sich überhaupt keine Veränderungen, auch kein Tumor, vorfanden;
in den Fällen aber mit Tumoren waren dieselben anderer Dignität und anders
'igitized b
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155
kxaliärt Auf die Combination von Myasthenie und Geschwulstbildung wurde
übrigens schon von einigen Autoren aufmerksam gemacht.
Senator 1 * * hat in einem Falle von primären multiplen Myelomen (des
Thoraxsfeelets), die, wie jetzt bekannt, gewöhnlich mit Albumosurie einhergehen,
gewisse nervöse Erscheinungen, wie Zungenlähmung und Schlingstörungen, be¬
obachtet, für welche die genaue mikroskopische Untersuchung keine Erklärung zu
Tage forderte, und die er als zur asthenischen Lähmung gehörig anspricht. Er citirt
aus der spärlichen diesbezüglichen Litteratur noch 5 Fälle mit derartigen Störungen
und Herderscheinungen ohne anatomisches Substrat und kommt zum Schluss:
„dass in seinem Fall das Primäre die multiplen Myelome gewesen sind, welche
einerseits zur Albumosämie mit Ausscheidung von Album ose im Urin und
Schädigung der Nieren, andererseits zu schwerer Anämie geführt haben, welch
letztere bei der durch mangelhafte Entwickelung des Nervensystems disponirten
Patientin asthenische Lähmung zeitigte“. Ich kann unmöglich den Fall von
Senator, als asthenische Lähmung deuten. Es fehlen hier die am meisten
charakteristischen Zeichen dieser Krankheit, in erster Linie das Phänomen der
abnormen Ermüdbarkeit (die Apokamnose), und es wird lediglich über Hinfällig¬
keit und Mattigkeit berichtet, wie sie bei Kachexieen, oder hochgradigen Anämieen
Vorkommen. Die ganze Entwickelung und der Verlauf der nervösen Erscheinungen
entsprechen nicht dem Bilde der asthenischen Lähmung. Dazu kommen Er¬
scheinungen, die der letzteren Erkrankung fremd sind, wie die vollständige
Anästhesie im Bereich des 3. Trigeminusastes, Druckempfindlichkeit des N. pero¬
neus, auch sollen nach Rosin 1 in demselben Fall „unerträgliche Kopfsohmerzen“
vorhanden gewesen sein. Wenn die Autopsie in Betreff der nervösen Erschei¬
nungen ein negatives Resultat ergab, so ist der Fall eben als „Lähmung ohne
anatomischen Befund“ zu deuten, wie sie bei Kachexieen, Intoxicationen (z. B.
Urämie), Carcinose u. s. w. bekannt ist, wo für ausgesprochene Herderscheinungen,
Lähmungen u. s. w. kein anatomisches Correlat zu finden ist.
In dem in der Discussion zu Senator ’s Vortrag erwähnten Fall von
Geawitz (L c.) waren in einem Deltoideus fibrilläre Zuckungen, Herabsetzung
der elektrischen Erregbarkeit, partielle Entartungsreaotion, auch deutliche Sen-
abilitätsstörungen, aber keine für Myasthenie charakteristische Erscheinung vor¬
handen.
Auch die nervösen Erscheinungen in anderen Fällen von bösartigen, mul¬
tiplen Knochenerkrankungen tragen durchaus nicht das Gepräge der asthenischen
Lähmung. In einem klinisch gut beobachteten Fall von Kahles 8 bestanden
heftige, auf verschiedene Stellen des Knochensystems localisirte Schmerzanfälle,
Neuralgieen verschiedener Nerven, viscerale Neuralgieen, Cardialgieen mit Er¬
brechen, Enteralgie, asthmatische Anfälle, Parästhesieen der Unterextremitäten,
ln einem Fall von Wielanjd 4 waren von nervösen Erscheinungen nur Schmerzen
1 Berliner klin. Wochenschr. 1899. Nr. 8.
* Berliner klin. Wochensohr. 1897. Nr. 48.
* Wiener med. Presse. 1889.
4 Nach HjlMWKb und Suitob citirt.
Digitized by GoO^lC
156
im rechten Bein, in dem zweiten Fall Schmerzen in der ganzen linken Seite
und leichte meningitische Erscheinungen, derentwegen die Diagnose auf Miliar-
tuberculose gestellt wurde, im dritten ebenfalls Schmerzen, Zuckungen des Kopfes
und der Arme vorhanden. Im Fall von Stockvis 1 war Paraplegie, Sprach-
und Schlingbeschwerden, Salivation, Paralyse des Facialis und Trigeminus zu¬
gegen; in dem von Rüstizky 1 bestanden Schmerzen, Schwäche und Zuckungen in
den Beinen, Anästhesie, Incontinentia alvi et urinae, Decubitus u. s. w., und in
Hammkb’s 3 (primäre sarcomatöse Ostitis mit chronischem Rückfallsfieber) ebenfalls
Schmtrzen, Athemnoth, Lähmung des Rectus externus oculi dextri. In anderen
Fällen von malignen Tumoren des Knoohenmarks, wie in dem von Gbawitz,
Litten, Zahn wird überhaupt nur von allmählich zunehmender Anämie, von
Erscheinungen der perniciösen Anämie, von Entkräftung, die allen solchen Fällen
gemeinsam sind, berichtet.
Sicher ist also nur, dass primäre multiple Myelome mit gewissen nervösen
Erscheinungen einhergehen, für welche kein anatomisches Substrat zu finden
ist Es liegt aber kein authentischer Fall von primären multiplen Myelomen
mit Erscheinungen der asthenischen Lähmung vor und vermag man einstweilen
keine Beziehungen zwischen diesen beiden Erkrankungen zu statuiren, auch
nicht durch Vermittelung der schweren Anämie, die durch die erstere bedingt
wird. Bei Anämie, sei es primärer, wie pemioiöser, oder secundärer in Folge
von bösartigen Erkrankungen, finden sich bekanntlich zuweilen sehr ausgesprochene
nervöse Erscheinungen, zumal in der sensiblen Sphäre, vor, für die auch ana¬
tomische Veränderungen im Rückenmarke (Lichthbim, Nonne) festgestellt
wurden, allein mit der asthenischen Lähmung haben diese Erscheinungen nichts
zu thun. Ueberdies ist in den meisten Beobachtungen von asthenischer Lähmung
auch in den meinigen, von Anämie irgend welchen höheren Grades nicht
die Rede.
Indessen ist es, wie Oppenheim hervorhebt, auffallend, dass in der nicht
allzu grossen Zahl der zur Section gelangten unzweifelhaften Fällen von asthe¬
nischer Lähmung sich verhältnissmässig oft Neubildungen in diversen Organen
vorfanden. Im ersten Fall von Oppenheim eine nicht näher untersuchte wallnuss¬
grosse Geschwulst am oberen Pole der linken Niere, die an einer Stelle fluctuirte,
(in seinem anderen, den auch ich, wie er selbst, nicht zur asthenischen Läh¬
mung zählen möchte, fand sich ein Lymphosarcom glandulae thymicae), im Fall
Dbesohfeld’s eine Dermoidcyste des Ovariums, in dem von Sossedobp Lipom
der rechten Niere, dazu kommt eine käsige Drüse in der Gegend der grossen
Bronchien im HoppE’schen Fall, und Miliartuberkeln der Nieren im Stbümpell’-
schen, wofern man auoh Tuberkel zu den Neubildungen zählen will.
Dazu kommt der LAQUEB-WEiGEBT’sche und der eben beschriebene Fall
von Lymphosarcom der Lunge (weiter unten wird nooh von einem anderen,
1 Nach Sehatob citirt.
* Zeitachr. f. Chirurg. III.
• Virchow’a Archiv. CXXXVH. S. 280.
> y Google
157
nur klinisch diagnostioirtem Mediastinaltumor bei einem mit asthenischer Läh¬
mung behafteten Patienten berichtet). Was diesen letzteren betrifft, so muss be¬
tont werden, dass die asthenische TAhmung etwa 7 bezw. 8 Jahre bestand, bevor
der Muskelbefand erhoben wurde bezw. die ersten Zeichen einer Brusthöhlen¬
erkrankung auftraten. Wollte man einen gewissen genetischen Connex zwischen
Tumoren und asthenischer Lähmung statuiren, so müsste man annehmen, dass
ein Lymphosarcom der Lunge viele Jahre latent bleiben kann, dass es da im
Sinne der CoHUHBiM’schen Theorie im Keime liegt und dennoch toxische Pro-
ducte liefert Eine Gelegenheitsursache erst fördert seine Entwickelung. Ein
solches Moment ist in der Krankengeschichte gegeben, nämlich die Gontusion der
rechten Thoraxhälfte in Folge eines Sturzes, 3 Jahre vor dem Auftreten der ersten
Symptome einer Lungenerkrankung. Die Myasthenie im L aqueu- WEiGEBT’schen
Falle bestand 4 Jahre, bevor sie zum Tode geführt hat
Aus dem Obigen ist das Hypothetische der causalen Beziehung zwischen Neu¬
bildung und asthenischer Lähmung und der darauf construirten toxischen Theorieen
eisichtlich. Welche heterogenen Neubildungen — Dermoidcyste des Ovariums,
Lipom der Niere, Lymphosarcom der Lunge, bösartiger Thymustumor — sollen
eine einheitliche Krankheit, wie die asthenische Lähmung sie unbedingt dar¬
stellt, hervorrufen? Man kann nicht gut einsehen, wie ein gutartiges Lipom,
oder eine Dermoidcyste der Ovarien, die ja angeboren ist, beides Zustände, welche
gewöhnlich ohne besondere Erscheinungen viele Jahre hindurch bestehen, auf
ein Mal eine giftige Substanz produciren und asthenische Lähmung verursachen
sollen. Man müsste zur weiteren Hypothese greifen, dass es eine specielle Gruppe
von asthenischer Lähmung mit Tumoren giebt, und aus dieser solche mit
Moskelmetastasen ausscheiden, da ja in der Mehrzahl der Fälle dieser letztere
Befand fehlte. Nach meinem Dafürhalten müssen wir einstweilen die That-
sache des öfteren Zusammentreffens der beiden Erkrankungen registriren, ohne
allgemeine Theorieen darauf zu construiren.
Wenden wir uns nun zur klinischen Geschichte unseres Falles. Sie umfasst einen
Zeitraum von mehr als 9 Jahren, während welcher der Kranke ununterbrochen
unter ärztlicher Beobachtung stand. Ueber seinen ersten Anfall von Myasthenie
will ich hier nur so viel sagen, dass er nach etwa 6 Monaten in vollständige Ge¬
nesung überging. Patient konnte seine schwere Arbeit wieder aufnehmen, war
darin vollkommen tüchtig und dieser Zustand der ungestörten Gesundheit währte
mehr als 5 Jahre. Ich hatte Gelegenheit den Patienten während dieser langen
Periode viele Male zu untersuchen — er kam gewöhnlich wegen recidivirender
catarrhalischer Angina, ein Mal im August 1896 wegen Contusion der rechten
Rumpfseite in Folge eines Sturzes, was ich noch deshalb erwähne, weil der
ueoplastische Process sich nach 3 Jahren gerade in der rechten Lunge ent¬
wickelte — und konnte auch objectiv keine Zeichen der asthenischen Lähmung,
aueh keine MyaR feststellen; nur im Beginn dieser Gesundheitsperiode ist noch
toü Cngleichmä88igkeit der Kniereflexe die Rede.
Daun stellte sich ohne erkennbare Ursache ein Recidiv ein, das eigentüm¬
licherweise mit einer einzigen, sonderbaren Erscheinung begann, und zwar mit
Die
15t
Schwäche der Abdactoren des Unterkiefers. Die Untersuchung zeigte, dass diese
Schwäche einen ausgesprochenen apokamnotischen Charakter hatte, sich nach geringer
Ausübung der Function schnell zur Lähmung steigerte und dass sich nach kurzer Ruhe
die frühere Functionsbreite wiedereinstellte. Damals hatte der Kranke noch keine
Ahnung von der ihm drohenden Gefahr; selbst ein Arzt würde ohne Kenntniss der
Anamnese die richtige Diagnose wahrscheinlich nicht stellen können, es waren keine
Klagen vorhanden, und Patient fühlte sich ganz kräftig. Doch ergab die Unter¬
suchung, dass die abnorme Ermüdungserscheinung in den Beinen, wenn auch
nicht in prägnanter Weise, vorhanden war, dass aber die MyaR fehlte. Die
Apokamnose scheint also in Gliedern, die noch vollkommen leistungsfähig
sind, bestehen zu können; sie stellt gleichsam das erste Zeichen der Störung der
motorischen Function dar. Bald merkt auch Patient, dass sich ein Recidiv ein-
stellt, und im Laufe von wenigen Wochen befällt ihn eine Schwäche, sowie schnelle
Ermüdbarkeit der Extremitäten, des Rumpfes und des Nackens, die Erscheinungen
der abnormen Ermüdbarkeit treten in klassischer Weise auf, auch wird MyaR
gefunden. Die klinische Physiognomie des Recidivs ist eine andere, als die des
ersten Anfalls, in welchem die Bulbärerscheinungen und Symptome von Seiten
der Augen besonders hervortraten und nahezu das ganze Krankheitsbild be¬
herrschten. Im Recidiv treten diese letzteren Symptome zurück, erscheinen nur
flüchtig und ihre Intensität und Ausbreitung ist eine viel geringere. Diesmal
ist keine permanente Ptoee, keine Augenmuskelparese und Diplopie, auch kein
Regurgitiren der Flüssigkeit vorhanden; der weiche Gaumen bleibt die ganze
Zeit functionstüchtig, die Stimme ist klangvoll, ausgesprochene Schlingbeschwerden
fehlen. Gelegentlich wird nur festgestellt, dass eine Lidspalte zeitweise enger
als die andere ist, dass längeres Reden den Kranken müde macht, dass ab und
zu Speisereste im Rachen stecken bleiben, und dass die Mm. thyreo - arythenoidei
int. insufficient sind. Im Wesentlichen beschränken sich die Bulbärerscheinungen
diesmal auf den Unterkiefer, da auch die Adductoren und Seitwärtsbeweger
bald ergriffen werden.
Allein, wenn auch die In- und Extensität des Recidivs im Ganzen hinter
der des ersten asthenischen Anfalles zurückbleibt, so zeigt sich doch keine
Neigung zur Rückbildung. Auch diesmal schwankt die Stärke einzelner Er¬
scheinungen, aber eine entschiedene permanente Besserung konnte selbst nach
mehr als einem Jahre nicht festgestellt werden. Dann gesellten sich Symptome
von Seiten der Brusthöhle hinzu, eine Complication, die sich ganz unab¬
hängig von der asthenischen Lähmung entwickelte, und als Patient derent¬
wegen das Krankenhaus aufsuchte, bestanden noch ausgesprochene Zeichen
des Grundleidens, auch eine Schling- und Sprachstörung. Sie sind über 2 Jahre
nach Beginn desr Recidivs noch sehr manifest, als die erwähnte Complication
— eine Neubildung in der Brusthöhle — das ganze Krankheitsbild beherrscht
Die beiden pathologischen Processe scheinen unabhängig von einander zu ver¬
laufen, speciell scheint die Physiognomie, der Charakter und der Verlauf der
asthenischen Erscheinungen von der Anwesenheit des Tumors in der Brusthöhle
nicht beeinflusst zu werden. Es ist jetzt schwer, zu sagen, wodurch der plötz-
Google
159
liehe Tod herbeigeführt wurde, da er ebenso gut durch die asthenische Lähmung,
wie durch den Tumor verursacht werden konnte, doch erscheint mir die letztere
Möglichkeit plausibler, da nicht berichtet wird, dass asphyctische Symptome
Toraosgingen, und da die asthenischen Erscheinungen damals zuröckgetreten waren.
Wie in den meisten Fällen dieser Art, so waren auch hier die asthenischen
Krecbemongen während des Becidivs nicht gleiohmässig stark auf die afficirten
Körperabschnitte vertheilt, am stärksten wurde der Unterkiefer, wo das Recidiv
emsetzte, betroffen, der Rumpf incl. Nacken war mehr afficirt als die Beine,
and diese mehr als die Arme. Ebenso wie im ersten Anfall waren im Recidiv
die Extremitäten nicht gleichmässig stark in ihrer Totalität eigriffen; die proxi¬
malen, dem Rumpfe näher gelegenen Theile der Glieder waren eben, wenn
nicht ausschliesslich, so doch stärker betroffen, als die distalen. Auch Kalisoheb
betrat dies in seinem 2. Falle. Es ist dies gerade das Gegentheil dessen, was
man bei Lähmungen aus anderen Ursachen (sei es centralen oder peripheren)
zu constatiren pflegt, wo die distalen Theile der Extremitäten am meisten afficirt
sind. Es soll damit nicht behauptet werden, dass die letzteren Abschnitte von
der asthenischen Lähmung verschont blieben; auch hier traten im weiteren
Verlauf Ermüdungserscheinungen von Seiten der Flexoren des Cubitalgelenkes
and im Carpalgelenk auf.
Wie alle anderen Symptome, aber ohne Parallelismus, zeigten die Knie¬
reflexe während des ganzen Krankheitsverlaufs ein wechselndes Verhalten; bald
waren sie leicht, bald schwer auszulösen (beinahe oonstant der rechte Kniereflex
schwieriger als der linke), es gelang sogar in ihnen Ermüdungserscheinungen
wdemonstriren, indem sie durch wiederholtes Beklopfen schwächer wurden, bis¬
weilen sogar ganz schwanden, ganz unabhängig vom Ermüdungszustande der Beine.
Duselbe wiederholte sich im Recidiv. Wenn es gelang, die Kniereflexe bis zum
Verschwinden zu bringen, so brachte sie der JENDBÄssix’sche Handgriff sogleich
am Vorschein, bei dessen Unterbrechen sie ausblieben, wofern keine Pause ein¬
geschaltet wurde. Sonst habe ich diese Erscheinung in anderen Fällen nicht so gut
beobachtet, sie wurde nur von einzelnen Autoren gesehen, so von Kalisoheb 1 *
in seinem ersten Fall, von Stbümpell* und von Ivanow 3 ; im Fall von Collins 4 *
konnten sie schon nach 7—8 Schlägen auf die Patellarsehne zum Schwinden ge¬
bracht werden. Dagegen bemerken Buzzabd 6 , Sinkleb 0 und Laqueb 7 , dass sie
nicht vorhanden war.
In meiner ersten Publication wird die Nervenmuskelerregbarkeit für normal
erklärt, doch vermag ich nicht zu sagen, ob die Untersuchung nach den
JoLLr’8chen Angaben, die erst später bekannt wurden, geschah. So viel steht
1 Zeiteehr. f. klin. Med. 1897. S. 97.
' Deutsche Zeiteehr. f. Nerrenheilk. VIIL S. 23.
* Berne de neurol. 1896. •
4 International Medic. Magaz. 1896.
1 British medic. Journ. 1900.
* Journal of Nervous and Mental Diseases. 1899.
' Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge. 1898. Nr. 206.
Digitiz
160
fest, dass die MyaB in der 5 jährigen Zeit zwischen dem ersten Anfall und
dem Recidiv nicht vorhanden war; sie fehlte auch im Beginn des Becidivs,
als die Diagnose schon sicher gestellt wurde. Wir fanden sie erst etwa einen
Monat später und zwar nicht in allen von der asthenischen Lähmung ergriffenen
Muskeln. Auch konnte man es bis zum Versiegen jeder Contraction nicht
bringen, und es schien, dass prompt aufeinander folgende faradische Beize
schneller die Contraotionen herabsetzten, dass beim Sinken der Contraction eine
Nachdauer derselben sich einstellte, die den Effect der nächsten faradischen
Beizung noch schwächer gestaltete. Im Ganzen war das Auftreten der MyaR
unabhängig von dem Symptom der Ermädung, aber ein Mal schien die Stärke
der Contraction bei faradischer Beizung in den durch den Willen erschöpften
Muskeln geringer zu sein.
(Fortsetzung folgt.)
n. Referate.
Anatomie.
1) Zur Lehre vom Kern des oberen Faolalisastes. Experimentelle Unter¬
suchung von Dr. Kotelewski. (Dissertation. Warschau, 1901. [Russisch.])
Den hauptsächlichen Inhalt der Arbeit bildet die Beschreibung von Ver¬
suchen, die vom Verf. zur Entscheidung der Frage angestellt wurden, ob der
obere Facialisast einen besonderen Kernursprung hat. Zu diesem Zweck wurde
an einer Reihe von neugeborenen und ganz jungen Katzen und Hunden der
obere Facialisast ausgeschnitten; die Thiere wurden mehrere Wochen lang, in
einzelnen Versuchen 7—11 Tage oder mehrere Monate nach der Operation am
Leben gelassen, dann getödtet, und ihr Gehirn zur mikroskopischen Untersuchung
in Schnittserien zerlegt. Die Präparate wurden theils mit Hämatoxylin und Carmin
gefärbt, theils nach Nissl, van Gieson und Marchi bearbeitet. Ausserdem
stellte Verf. einige Controllversuche an, in denen der ganze Facialis aus dem
Foramen stylomastoideum exstirpirt oder der untere Ast allein ausgeschnitten wurde.
Das Studium der Präparate zeigte, dass für beide Aeste nur ein gemeinsamer
Kern, der zuerst von Deiters beschriebene Nucl. facialis existirt, dass aber die
Fasern des oberen Astes in diesem Kern einen gesonderten Ursprung haben.
Nämlich bei Durchschneidung des oberen Astes wurde mit Beständigkeit Atrophie
einer Zellgruppe beobachtet, die im Facialiskern eine laterodorsale Lage einnimmt.
Im Anschluss an seine experimentellen Untersuchungen bringt Verf. eine Zusammen¬
stellung klinischer Beobachtungen mit Sectionsbefund (Bulbärparalyse), die eben¬
falls gegen das Vorhandensein eines besonderen Kerns für den oberen F acialisast
sprechen. P. Rosenbaoh (St. Petersburg).
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber Gefühlsinterferenzen, von Prof. Albert Adamkiewicz. (Zeitsohr.
f. klin. Med. XLIL S. 72.)
Besteht bei einem Kranken eine subjective Gefühlsstörung in Gestalt von
Parästhesieen, deren Sitz Verf. in die Nervenoentren (Hinterhörner u. s. w.) ver-
zedby G00gle
161
legt, ohne dass eine objective Gefühlsstorung vorhanden ist, so kann letztere doch
durch entere secundär herbeigeführt werden und umgekehrt auch verschwinden,
wenn entere aufhört. Es bandelt sich dabei nach Verf. um das physiologische
Resultat zweier auf denselben Bahnen ablaufender, aber an verschiedenen Stellen
(Peripherie und graue Hörner) und durch verschiedene Ursachen (normale peri¬
phere Reize, krankhafte Veränderungen der grauen Substanz) angeregter und
gegeneinander wirkender Wellenerregungen der Empfindung — also um wahre
Gefühlsinterferenzen. Jacobsohn (Berlin).
3) Das Beflexoentrom für die aussoheldende Function des Pancreas, von
Popielski. (Gazeta lekarska. 1901. Nr. 18 u. 19. [Polnisch.])
Verf hat sich mit der ausscheidenden Function des Pancreas experimentell
beschäftigt und fand, dass dieselbe auch ohne Mitwirkung des Centralnerven-
Systems zu Stande kommen kann. Verf. hat zu diesem Zweck bei Hunden und
Katzen das Rückenmark unterhalb der Medulla oblongata durchschnitten (bezw.
such die Nn. vagi und sympathicus), dann die Schleimhaut des Duodenum durch
Salzsäure gereizt und dann die Ausscheidung des Pancreassaftes genau gemessen.
Es hat sich herausgestellt, dass die ausscheidende Function dieser Drüse auf dem
Reflexwege zu Stande kommt, wobei die Reizungsstelle im Duodenum und im
Dünndarm (dagegen nicht im Magen oder im Dickdarm) liegt. Das Reflexcentrum
liegt nicht in der Medulla oblongata, weil die Ausscheidung auch nach Durch-
schneidung des obersten Rückenmarks und der Nn. vagi und sympathici stattfindet.
Das Centrum liegt auch nicht im Rückenmark oder im Ganglion coeliacum, weil
die Pancreasfunction auch nach Vernichtung dieser Gebilde zu Stande kommt.
Somit liess sich feststellen, dass die Function des Pancreas durch die automatische
Function der nervösen Ganglien bedingt wird, wobei dem Centralnervensystem
nur die regulatorische Rolle zukommt. Edward Flatau (Warschau).
4) Die Qrosshirnrindenganglienzelle des Menschen als selbständiges Organ,
ron Prof. Albert Adamkiewicz. (Zeitschr. f. klin. Med. XLII. S. 303.)
Im Lichte des Tages sieht nicht das Auge, hört nicht das Ohr u. s. w.,
Kndem die Ganglienzelle des Hinterhauptschläfenlappens, also die Zellen der Hirn¬
rinde. Im Schlafe, wo das Auge geschlossen ist, das Ohr nichts aufhimmt, sieht
und hört der Schlafende trotzdem, und zwar das, was die, wenn auch schlafenden,
k> doch nicht nnthätigen Rindenzellen an Gesichts- und Gehörsphänomen u. s. w.
herrorbringen. Wenn nun die Ganglienzelle der Hirnrinde thatsächlich sieht und
bürt, sowohl das, was Auge und Ohr u. s. w. ihr zutragen, als auch das, was
rie, während die Sinne ruhen, an Gesichts- und Gehörsphänomenen hervorbringt,
so sei es klar, dass die (Janglienzelle der Rinde je nach ihrer Function sieht und
hört, versteht und begreift und in Töne und Gestalten umsetzt, nicht nur das,
was sie selbst, sondern auch das, was jede andere (Janglienzelle der Rinde schafft
(? Ref), oder was ihr und diesen seit der Geburt von den Sinnen zugetragen
vorden ist und vermöge der Gedächtnisseigenschaft in ihrer Substanz haftet. Da
das ganze geistige Vermögen der (Janglienzelle nur in der Qualität der Erschütte¬
rungen ihrer Substanz beruhen kann, so kann ihr Sehen und Hören nur ein sub¬
stantielles, d. h. in der (Jangliensubstanz sich vollziehendes sein, ein Vibriren
ihrer Moleküle, das durch die die Ganglienzellen untereinander verbindenden
Nerven sich von Ganglion zu Ganglion vermittelt. Es giebt nicht nur telephonische,
teleoptische, sondern allgemein, allen Sinnen dienende, also telesthenische intra-
gMgliöse Nervenvermittelungeu. Dieser intragangliöse Verkehr entwickelt sich
ent allmählich und hängt von der Uebung ab. Kommt endlich nach diesem
11
Die
1B2
intragangliösen Zwischenspiel der geistigen Arbeit der Wille selbst zum Durch¬
bruch, und setzt er sioh in Kraft, Bewegung und Leitung um, dann ist die
psychische Kette geschlossen, die, so hoch sie über dem Wesen der Materie zu
stehen scheint, thatsächlich nicht nur von der Materie ausgeht und in der Materie
endet, sondern auch zwischen diesen beiden Polen ganz materiell verläuft und
mit ihrer, wenn auch subtilen, Mechanik dem naturwissenschaftlichen Verständnis
kaum noch Schwierigkeiten bietet. Jacobsohn (Berlin).
Pathologische Anatomie.
5) Untersuchungen über das Verhalten des Balkens naeh grösseren corti-
oalen Hirnifisionen, von Dr. Kattwinkel. (Deutsches Archiv f. klin. Med.
LXXI. S. 1.)
Verf. bat 36 Gehirne, die ausgedehnte Zerstörungen einzelner oder mehrerer
Hirnabschnitte zeigten, theils mit der Marchi'schen (wenn die Herde frisch
waren), theils mit der Weigert’schen Methode (wenn es sich um ältere Herde
handelt) daraufhin untersucht, ob sich secundäre Degenerationen nachweisen
Hessen. Dos Resultat war, dass sich in keinem Falle, selbst bei ausgedehnten
Herden, ja sogar bei Zerstörung ganzer Hirnlappen solche Degenerationen
nachweisen Hessen. Auffallend war dagegen das relativ häufige Vorkommen von
primären Herden im Balken (in */ 3 sämmtlicher Fälle). Auf Grund dieser Er¬
gebnisse, die im Gegensatz stehen zu den von anderen Autoren erhobenen Be¬
funden, ist Verf. der Ansicht, dass die von letzteren im Balken gefundenen Dege¬
nerationen keine secundären gewesen sind, sondern dass es sich dabei auch um
primäre Herde gehandelt hat. Vielleicht, meint Verf., findet das Ausbleiben von
secundären Degenerationen im Balken nach corticalen Defecten seine Erklärung
in der ungeheuren Menge von Collateralen, eine Ansicht, der auch Pierre Marie
sich hinzuneigen scheint. Jacobsohn (Berlin).
6) Contribution a l’ötude dea ldsions des oellulea de rhypoglosae apres
rarraohement du nerf, par Fritz de Beule. (Revue „le nevraxe“. 1901.
III. Fase. 2.)
Der Verf. hat die Zellen des Hypoglossuskerns an Kaninchen untersucht, denen
der N. XII vollständig auf einer Seite herausgerissen worden war, und zwar
wurden die Thiere am 1., 2., 4., 6., 10., 15., 25., 35. Tage nach der Operation
getödtet. Der Verf. beschreibt verschiedene Etappen des Zellverfalls in dem Kern
der operirten Seite, welche im wesentlichen mit denen übereinstimmen, die man
nach der Durchschneidung dieses Nerven so häufig beobachtet und beschrieben
hat. Nur in zwei Punkten unterscheiden sich die Folgeerscheinungen der Heraus-
reissung von denjenigen der Durchschneidung. Die verschiedenen Phasen der
Chromatolyse und des weiteren Zellzerfalls verlaufen nach einer Heraus reißsung
in einem weit rascheren Tempo als nach der einfachen Durchtrennung mit dem
Messer; und während man an den Zellen des Kerns bei einer Durchschneidung
nach Ablauf einer gewissen Zeit sichere Regenerationserscheinungen beobachten
kann (pyknomorphe Anordnung der Nervenkerne), kommen diese nach der Heraus-
reissung nicht zu Stande. Die Zellen des Kerns verschwinden fast vollkommen.
Ballet und Marinesco führen diese Differenzen im Verhalten der Zellen darauf
zurück, dass bei der Durchschneidung die durchtrennten Fasern des Nerven
regeneriren, bei der Herausreissung dagegen nicht. Mit der Wiederherstellung
des Zusammenhangs zwischen den beiden Nervenstümpfen nach einer Durch¬
schneidung gewinnt das Neuron seine ursprüngliche Integrität wieder und dem-
Dic
163 —
entsprechend tritt eine Reparation der Zellen ein. Bei der Herausreissung des
Nerven dagegen sei der anatomische Zusammenhang des Neurons für immer ge¬
stört und dementsprechend sei der Untergang der Zellen die unausbleibliche Folge.
Dieee Erklärung greift der Verf. an, er sieht keinen principiellen Unterschied
zwischen den Folgeerscheinungen der beiden Operationen. Es handele sich nur
am quantitative Differenzen, welche mit den Vorgängen in dem lädirten Nerven¬
stamme nichts zu thun hätten. In beiden Fällen seien es Ernährungsstörungen
im Protoplasma, welche die Veränderungen bedingten; nur können dieselben nach
dem weniger schweren Eingriff der Durchschneidung von der Zelle noch über¬
wunden werden, während nach der Herausreissung die Nutrition derselben
dauernd erlösche. Max Bielschowsky (Berlin).
7) Soll* fine struttura ed iatogenesi de 11a neuroglia patologioa, per A. Bo-
nome. (Arch. per le scienze med. XXV. Nr. 7.)
Verf. hat zahlreiche pathologische Glianeubildungen mit Hülfe der Weigert’-
scben Methode untersucht. Zwischen dem Bau der Gliome und der sog. Gliose
glaubt er folgende mikroskopische Unterschiede nachweisen zu können. Bei den
Gliomen können die Gliafasern sehr spärlich sein, so dass ein Gliafasernetz nicht
zn Stande kommt; bei der einfachen Gliose fehlt letzteres niemals. Die Glia-
zellen sind bei der Gliose nicht so zahlreich, morphologisch stehen sie meist
den normalen Gliazellen näher, während die Gliomzellen auffällig atypisch sind.
Die Spärlichkeit der Gliafasern in der Umgebung einer Gliazelle spricht nach
Verf. für den embryonalen Charakter der letzteren. Er stützt sich dabei auf die
Thatsache, dass er bei normalen 3—5 monatlichen Embryonen mit Hülfe der
Weigert’schen Methode niemals blaugefärbte Fasern in der Umgebung der Glia¬
zellen nachzuweisen vermochte.
Zur Frage des Vorkommens epithelialer Elemente in den Hirngliomen theilt
Verf. einen Fall von Gliom des Gyrus uncinatus mit, in welchem trotz der weiten
Entfernung der Geschwulst vom Ventrikelependym sich zahlreiche unregelmässige
Epithelformationen ohne centrale Höhlenbildung mitten im Gliagewebe fanden.
Insbesondere waren zahlreiche eigenartige Epithelzellen um einen mikroskopischen
Spalt angeordnet, welcher tief in die Geschwulst hineinreichte. Diese Zellen zeigten
ein homogenes Protoplasma, welches sich bei der Weigert’schen Methode gar
nicht oder leicht gelblich färbte. Ihre Form ist cylindrisch, kubisch oder oval,
zuweilen auch unregelmässig. Fortsätze und Flimmerhaare fehlen. Die Kerne
sind gut differenzirt und färben sich intensiv blau. Unmittelbar an diese Zell¬
lage anschliessend finden sich gewöhnliche Gliafasern in Form eines dichten Netzes.
Einzelne Gliafasern dringen zwischen den Epitbelzellen bis in das Lumen des
Spalts vor. An anderen Stellen fanden sich Inseln von Epithelzellen ohne Spalt,
zuweilen sogar isolirte Epithelzellen. Wie Verf. letztere von Ganglienzellen,
Gliazellen und Leukocyten zu unterscheiden glaubt, ist im Original (S. 120) nach¬
zulesen; namentlich scheint ihm auch die relative Kleinheit des Kerns charakte¬
ristisch. Karyokinetische Figuren fanden sich nicht. Die Spaltbildungen be¬
trachtet Verf. als secundär und führt sie auf den Untergang von Gliagewebe zu-
riick, welch letzterer wiederum neue Proliferation der Epithelzellen durch directe
Theilung anregen soll. Das Auftauchen der Epithelzellen führt Verf., da eine
Continuität mit dem Ventrikelependym nicht besteht, auf ein frühzeitiges Aus-
wandern einzelner Ependymzellen zurück. DieB Auswandern wäre ein patho¬
logisches Analogon des normalen Wanderns der Spongioblasten.
In einigen Gliomen fand Verf. Zellen, welche er als „cellule gliogeniche“
bezeichnet. Es handelt sich um abgeplattete, bei der Weigert’schen Methode
sich leicht blau färbende, schon von Buchholz beschriebene Elemente, deren
11 *
Google
164
Kern bald mehr, bald weniger gut differenzirt, klein, rund oder länglich ist und
bald central, bald peripherisch liegt, deren Zellkörper deutlicher Fortsätze ent¬
behrt. Verf. betrachtet sie als Zwischenstadien zwischen Epithel- und Gliazellen
und glaubt Theilungsvorgänge bei denselben constatiren zu können. Sie kommen
übrigens auch bei oberflächlichen Gliomen (ohne Epithelformationen) vor.
Auf Grund seiner Untersuchungen unterscheidet Verf. schliesslich 7 patho¬
logische Gliazellformen:
1. Kleine, runde Zellen, 7—10 f»; Kern rund, intensiv färbbar („bei allen
Methoden“); Protoplasmamantel schmal, nicht färbbar, nur an frischen Zupf¬
präparaten sichtbar; sie sind fortsatzlos, scheinen aber zuweilen von feinen Glia¬
fasern durchzogen zu werden. Fundort: peripherische Abschnitte der Gliome und
einfache Gliose.
2. Grössere, längliche, ovale oder spindelförmige Zellen; Kern 8—10 p lang,
intensiv färbbar (grobe Chromatinkörner); spärlicher, nur in der Peripherie
schwach färbbarer Protoplasmamantel; Gliafasern liegen diesen Zellen nicht selten
auf. Fundort: die von parallelen Gliafasern reichlich durchzogenen Abschnitte
der Gliome bezw. Gliosen.
3. Dreieckige oder unregelmässig polygonale Zellen mit kürzeren oder längeren,
fast unverzweigten starken Fortsätzen; das Protoplasma ist reichlich und färbt
sich bei der Weigert’schen Methode mehr oder weniger intensiv; bald findet
man 1, bald 2—3 granulirt aussehende, intensiv färbbare Kerne.
4. Mittelgrosse, unregelmässige Zellen mit kurzen unverzweigten Fortsätzen;
das Protoplasma färbt sich bei der Weigert’schen Methode in seinen centralen
Theilen schwach blau; der Kern färbt sich schwach und ist schlecht differenzirt
Oft sind sie von Gliafasern durchzogen.
6. Rundliche, glatte Zellen, 12—18 p gross, ohne echte Fortsätze; Proto¬
plasma reichlich, ein oder zwei kleine centrale Kerne; im Allgemeinen keine
engeren Beziehungen zu Gliafasern. Die cellule gliogeniche sind ihnen verwandt
6. Grosse, unregelmässig dreieckige, viereckige oder polygonale Zellen, deren
reichliches Protoplasma sich blau färbt bei der Weigert’schen Methode und in
der Peripherie in enge Beziehungen zu Gliafasern tritt
7. Sehr variable Zellen mit stark färbbarem Kern und sehr spärlichem
Protoplasma; Fortsätze und Beziehungen zu Gliafasern sollen nicht Vorkommen.
Die theoretischen Anschauungen, welche Verf. über die Beziehungen zwischen
Zellen und Gliafasern bei gliösen Neubildungen entwickelt, müssen im Original
nacbgelesen werden. Th. Ziehen.
Pathologie des Nervensystems.
8) Untersuchungen über den (sensiblen) ooulopupillftren Reflex, von Dr.
L. V&rady. (Orvosi Hetilap. 1901. Nr. 47 u. 48.)
Verf. befasste sich eingehend mit diesem, bereits von Stefani und Nordera
beschriebenen Reflex, welchen er in zwei Phasen eintheilt: 1. Bei der ersten Be¬
rührung entstehende Erweiterung und Verengerung der Pupillen, 2. nochmalige
Erweiterung und Verengerung. Dauer der ersten Phase einige bis 30 Secunden,
des ganzen Reflexes etwa 2 Minuten, doch ist er in seiner Gesammmtheit nicht
immer zu beobachten. Die Intensität der Erscheinung variirt je nach der Reiz¬
einwirkung, und zwar a) einfache Berührung verursacht nur Erweiterung, b) längere
Reizung auch die erste Verengerung, c) dauernde Reizung dqp genannten Vor¬
gang. Eine Bestätigung des Befundes von Stefani und Nordera, dass nämlich
die Intensität des Lichtes den Reflex verschiedenartig beeinflusse, konnte Verf.
nicht finden. Als Reizeinwirkungen wurden benutzt:- a) Reiben der Augenlider
Google
165
mit einer Sonde, b) Nadelstich über der Tnberositas malaris des Jochbogens,
c) gelinder Druck auf die Conjunctiva bulbaris im äusseren Augenmuskel mit
einer Sonde; als bestes Mittel erschien das sub b) angegebene. Die besten Resul¬
tate ergaben sich bei schwacher oder mittelstarker Lichtquelle. — Als klinisch
verwerthbare Resultate wären noch hervorzuheben, dass hysterische Sensibilitäts-
Störungen (Anästhesie oder Hyperästhesie) den Reflex nicht beeinflussen, doch
bleibt derselbe aus bei Anästhesieen organischen Ursprungs. Bei einigen Tabikern
erwies sich, dass der oculopupilläre Reflex selbst dann erhalten ist, wenn die
Reaction der Pupillen auf Lichteinfall, Accommodation und Convergenz aufge¬
hoben ist. Hudovernig (Budapest).
9) Zur Physiologie und Pathologie der Sehnenphänomene an den oberen
Extremitäten, von Dr. L. Mohr, Assistent an der Poliklinik von Prof.
Oppenheim in Berlin. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.)
Ein Theil der Untersuchungen wurde an gesunden Soldaten angestellt, und
«war kamen nur die Zuckungen am Triceps und Supinator longus in Betracht.
Es stellte sich dabei heraus, dass der Tricepsreflex in etwa 33% und das Supi¬
natorphänomen in etwa 13% fehlte. Die Prüfung an Kranken ergab, dass das
Fehlen der Armsehnenphanomene für die Diagnose ganz bedeutungslos ist, und
zwar sind sie bei Tabes ebenso häufig nicht vorhanden wie bei Gesunden.
Von Bedeutung ist nur und klinisch verwerthbar, wenn die Reflexe in
normaler oder erhöhter Stärke hervorgerufen werden. Gesteigerte Reflexthätig-
keit kommt sowohl bei organischen Erkrankungen als auch bei functioneilen
Leiden vor. Führt man eine brüske passive Supination aus oder streckt den
gebeugten Unterarm in gleicher Weise, so wird der Muskeltonus erhöht und dies
sichert die Annahme einer organischen Erkrankung, während bei den functionellen
Zuständen gleiche Erscheinungen nicht nachweisbar sind.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
10) Ueber das Verhalten der öehnenreflexe bei totaler Quersohnitts-
unterbreohung des Büokenmarks, von Dr. Kausch, Privatdocent in
Breslau. (Mittheilungen aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie.
1901. VIL)
Ein 20jähriges Mädchen leidet seit 3 Jahren an schweren Compressions-
erscheinungen des Rückenmarks in Folge von Wirbeltuberculose. Zeitweise völlige
Lähmung der unteren Extremitäten, Störungen der Blase und des Mastdarms,
Sensibilitätsstörungen. Steigerung der Sehnenreflexe und des Muskeltonus. Bei
Ausführung der Laminectomie tritt totale Querschnittsunterbrechung in der Höhe
des 9. und 10. Dorsalsegments ein. Nach der Operation völliges Schwinden der
Reflexe und des Muskeltonus; Sehnen- und Hautreflexe stellten sich 22 Stunden
nach der Operation gleichzeitig wieder ein, der Muskeltonus 48 Stunden nach der
Operation. Der Tonus bleibt bis zum Tode, der 5 1 / 2 Monate später erfolgt,
erhöht, Patellar- und Achillessehnenreflexe nehmen allmählich ab und erlöschen
vor dem Tode, Sehnenreflexe der Flexoren am Oberschenkel, Periost- und Haut¬
reflexe bleiben gesteigert. Vasomotorische Störungen sind nur vorübergehender
Natur. Oedem wurde zu keiner Zeit wahrgenommen.
Verl ist der Ansicht, dass diese Beobachtung das Bastian-Bruns’sche
Gesetz für die Fälle acuter Querschnittsunterbrechung des Rückenmarks umstosse
and mit absoluter Sicherheit beweise, dass analog dem Thierexperiment auoh beim
Menschen die acute Durchtrennung des Rückenmarks nicht das Erlöschen der
unterhalb der Läsionsstelle durchgehenden Sehnenreflexe zur Folge haben müsse.
zedby G00gle
166
Es werden dann die einzelnen Theorieen entwickelt, welche das Fehlen der
Sehnenreflexe bei Querläsionen des Bückenmarks zu erklären versuchen.
H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
11) Ueber das Verhalten der Patellarreflexe bei hohen Querschnitts¬
myelitiden, von Dr. Rudolf Bälint. Ans der I. medicinischen Klinik
(Prof. v. Koränyi) und dem hirnanatomischen Laboratorium des Elisabeth-
Armenhauses (Prof. Sohaffer) in Budapest. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk. 1901. XIX.)
Die Tendenz der Arbeit geht dahin, an der Hand der einschlägigen in der
Litteratur bekannten Fälle und einer eigenen Beobachtung festzustellen, ob in
Wirklichkeit irgend eine der hohen Läsion des Rückenmarks bei- oder unter¬
geordnete Complication die Reflexbahnen unterbricht oder ob die Querläsion als
solche das Ausbleiben der Reflexe bedingt, ohne die bis jetzt als Reflexbahnen
angesehenen Bahnen direct oder indirect zu berühren. In dem selbst beobachteten
Falle bestand vor 1 1 j t Jahren Lues und das Leiden begann 4 Tage vor der
Aufnahme mit reissendon Schmerzen in der Lumbalgegend, schwerfälligem Gang
und Schwäche der Beine. Am 3. Tage Paraplegie der Beine, Retentio urinae et
alvi. Wärme- und Schmerzempfindung noch erhalten, doch wird warm oft als
kalt angegeben. In diesem Stadium fehlen sämmtliche Reflexe der unteren Extre¬
mitäten. Innerhalb der folgenden 14 Tage geht die Schmerzempfindung allmählich
verloren. Elektrische Erregbarkeit normal. Nach weiteren 14 Tagen Rückkehr
der Patellarreflexe, die sogar gesteigert sind und 2 Wochen lang nachweisbar
bleiben, um von da an bis zum Ende vollständig zu verschwinden. Am Ende
der 5. Woche war die Wärmeempfindung vollkommen erloschen.
Bei der anatomischen Untersuchung fand sich eine totale Erweichung im
dorsalen Theil des Rückenmarks. Ober- und unterhalb der erweichten Theile
besteht auf dem ganzen Querschnitt eine Faserdegeneration und auf- bezw. ab¬
wärts von diesen Partieen findet sich secundäre Degeneration, doch ist die auf-
Bteigende Degeneration viel stärker ausgebildet als die absteigende. Im Lenden¬
mark selbst sind keine Veränderungen zu erkennen. Hingegen finden sich an den
Lendenwurzeln uud in geringerem Grad auch an den Sacralwurzeln Verdickungen
der Pia, strotzend gefüllte Venen und Kernvermehrung an deren Wänden. Die
Wurzeln selbst sind verschmälert, die Markscheiden gequollen und theilweise zer¬
fallen. Im Allgemeinen sind die hinteren Wurzeln stärker betroffen als die
vorderen. Der Fall ist also bemerkenswerth durch das Fehlen der Reflexe und
eine Degeneration der Nervenwurzeln der Abschnitte, in welchen die Reflexe
localisirt werden.
Aus dem Studium der Litteratur ergiebt sich für den Verf. die Gewissheit,
dass in einzelnen Fällen durch eine totale Leitungsunterbrechung der Rücken¬
marksbahnen ein Ausbleiben der Reflexe nicht zu Stande kommt. Andererseits
erbringen zahlreiche Beobachtungen die Gewissheit, dass bei hohen Läsionen des
Rückenmarks — einerlei ob vollständig oder nicht — eine schlaffe Lähmung
der unteren Extremitäten mit Verlust der Reflexe eintritt, indem entweder die
Reflexbahnen betroffen sind oder auch der Reflexbogen intact gefunden wurde.
Es folgt daraus, dass bei dem Menschen und bei Thieren nach Leitungsunterbrechung
keine schlaffe Lähmung der Beine eintritt und die Reflexe versohwinden, sondern
dass sehr häufig Complicationen auftreten, welche durch Einwirkung auf die
Reflexwege ein Ausbleiben der Reflexe bedingen. Hierbei spielt häufig ausser der
Erschütterung die durch den Entzündungsherd bedingte Circulationsstörung eine
grosse Rolle (collaterales Oedem), welche im weiteren Verlauf leioht in organische
Veränderungen übergeht. Sind die Reflexe anfangs erhalten und bleiben erst
Google
167
allmählich ans, so spielen Stauungserscheinungen in den Rückenmark shäuten und
Zunahme des Druckes in der cerebrospinalen Flüssigkeit eine nicht kleine Rolle.
Trotzdem kann das Auftreten einer schlaffen Lähmung häufig nicht erkannt
werden. Daraus zieht Verf. den Schluss, dass die Trennung der Nervenzellen
ron den cerebellaren centrifugalen Bahnen den Tonus der ersteren und somit auch
der Muskeln verringert und dadurch der Ablauf der Reflexfunctionen ungünstig
beeinflusst wird. In diesen Fällen genügt eine weniger hochgradige secundäre
Erkrankung des Reflexwegs, um den Ausfall der Reflexfunction hervorzurufen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
12) Zur Frage von dem Verhalten der Sehnenreflexe bei querer Duroh-
trennung de« Rückenmarks, von Fr. Schultze (Bonn). (Mittheil. a. d.
Grenzgeb. d. Med. u. Chir. VHI.)
Kurze Rechtfertigung gegen den Vorwurf, dass bei einem früher vom Verf.
pnblicirten Falle, der dem Bastian-Bruns’schen Gesetze zu widersprechen schien,
unvollkommene Beobachtung vorliege. Verf kommt zu dem Schluss, dass bei
hoher Querdurchtrennung die Patellarreflexe nicht jedes Mal sofort dauernd zu
verschwinden brauchen, dass sie aber bei längerem Bestehen der Unterbrechung
doch schliesslich definitiv aufgehoben werden. H. Haenel (Dresden).
13) The great toe (Babinski) phenomenon, based on the Observation of
166 healthy individuale, by Morton Prince, M. D. (Boston med. and
surg. Joura. 1901. Januar.)
Verf bestätigt die Angaben, auf die Babinski seine Ansicht gründete, da¬
hin, d*** der normale spinale Reflex bei Reizung der Fusssohlenhaut in einer
Flexion aller oder der vier letzten Zehen besteht. Tritt bei Gesunden ausnahms¬
weise eine Extensionsbewegung auf, so ist dieselbe als Cerebralreflex aufzufassen;
man kann denselben dadurch vermeiden, dass man den Untersuchten auffordert,
seine Beinmuskeln völlig erschlaffen und alle Willkür- oder „automatischen“ Be¬
wegungen zu vermeiden. Dadurch, dass — wie Verf. selbst zugiebt — diese
Ausschaltung des Cerebralreflexes oft schwer und manchmal garnicht gelingt, wird
allerdings die strenge Allgemeingültigkeit des Babinski’schen Gesetzes wieder
etwas erschüttert. H. Haenel (Dresden).
14) Ueber das Zehenphänomen Babinski’s. Ein Beitrag zur Lehre von
den Fusssohlenreflexen, von Dr. Hermann Schneider. (Berliner klin.
Wochenschr. 1901. Nr. 37.)
Verf. glaubt annehmen zu müssen, dass auf Reiz der normalen Fusssohle je
nach Stärke des Reizes zwei verschiedene Reflexe ausgelöst werden; auf schwachen
Reiz erfolgte eine isolirte Plantarflexion besonders der kleinen Zehen: die Be¬
wegung entspricht genau dem charakteristischen Bild eines Rindenreflexes
nach Hermann Munk; auf starken Reiz folgt der kurzen Plantarflexion eine
Dorealflexion der Zehen mit combinirter Bewegung im Bein, die die Charakteristica
eines Gemeinschaftsreflexes im Sinne Munk’s zeigt; der Sitz dieses Reflexes
wäre im Rückenmark zu suchen.
Die Bahn des Rindenreflexes liegt innerhalb der Pyramidenbahn; Unter¬
brechung der Reflexbahn muss den Ausfall der Plantarflexion bewirken. Das
Charakteristische des Babinski’schen Phänomens ist das Fehlen der Plantar¬
flexion; es kommt zu Stande:
• 1. durch Ausfall des Rindenreflexes bei Unterbrechung der Pyramiden¬
bahn; die Unterbrechung kann auch in der motorischen Rinde stattfinden (Ba-
zedby G00gle
168
binski in und nach epileptischen Anfällen). In Folge der allgemeinen Reflex*
Steigerung bei hohen Läsionen wird der Rückenmarksreflex nun schon auf
schwachen Reiz auslösbar (Bahinski’sches Zeichen durch Vernichtung des
Rindenreflexes).
2. Da in der Norm nur die zur Auslösung beider Reflexe nöthige verschiedene
Reizgrösse eine Trennung der beiden Reflexe ermöglicht, so kann, wenn der
Rückenmarksreflex leichter auslösbar wird, als der Rindenreflex, der letztere durch
das dynamische Uebergewicht des ersten unterdrückt werden. Der Rückenmarks¬
reflex wird leichter auslösbar durch Strychnin und Krankheiten mit allgemeiner
Reflexsteigerung; der Rindenreflex wird schwerer auslösbar durch Ablenkung,
Stupor, Demenz, Oedem. So kann Babinski’sches Phänomen entstehen ohne
Läsion der Pyramidenbahn (Babinski’sches Zeichen durch Unterdrückung des
Rindenreflexes; Pseudo-Babinski).
Beide Formen sind nicht sicher beim einfachen Zusehen zu trennen; doch
entscheidet in einer langen Untersuchungsreihe eine Plantarflexion auf schwachen
Reiz (unter vielen Dorsalflexionen) gegen echten Babinski. Ausserdem ist Pseudo-
Babinski immerhin selten. Das Babinski’sche Phänomen ist also praktisch zur
Unterscheidung von Pyramidenläsionen von ähnlichen Bildern wohl verwerthbar.
(Autoreferat)
16) Untersuchung und diagnostische Verwerthung der Hautreflexe, von
Boettiger. Vortrag, gehalten im Altonaer ärztlichen Verein am 27. No¬
vember 1891.
Verf. legt seinen Mittheilungen die Ergebnisse der genaueren Untersuchungen
von etwa 200 Patienten zu Grunde. Veranlassung zu diesen eingehenderen
Studien gaben dem Vortr. zwei Beobachtungen, ein frischer Fall cerebraler Kinder¬
lähmung mit starkem Babinski’schen Phänomen und einer diesem ganz ent¬
sprechenden Dorsalflexion der Finger bei Streichen des Handtellers,
und andererseits ein Fall von Hemitonia apoplectica (v. Bechterew).
Dieser letztere betraf eine 58jährige Dame, die seit ihrem 50. Lebensjahre
bereits vier verschiedene schwere Attaquen ihres Leidens durchgemacht hatte.
Aetiologie fehlte. Die Schlaganfälle traten theils ohne, theils mit Bewusstseins-
Verlust auf und erzeugten keine Lähmungen der befallenen rechten Körperseite,
sondern Hypertonie ihrer gesammten Musculatur. Anfangs gingen diese Symptome
fast ganz zurück, blieben aber schliesslich dauernd. Vorübergehend besteht Abdu-
censparese und Hemianopsia dextra. An der Hypertonie war namentlich auch
die Sprache betheiligt. Secundäre Contraoturen blieben aus, die Sehnenreflexe
wurden nicht gesteigert. Es fehlte das Babinski’sohe Phänomen und an der
Hand bestand bei Streichen des Handtellers sehr energische Palmarflexion
der Finger im Sinne der Wirkung der Lumbricales und Interossei interni. An
der gesunden Seite fehlten alle Hautreflexe. Aphasie fehlte.
Vortr. bespricht im Anschluss an diese Beobachtungen zunächst die Art der
Untersuchung der Hautreflexe, namentlich der Fusssohlen- und Handtellerreflexe,
die Art der Reize, die reflexogenen Zonen und die Art der Zuckungen. Bei den
Fusssohlenreflexen unterscheidet er 1. das Fehlen jeglicher Zuckungen, 2. den
normalen Zehenreflex, die Plantarflexion der Zehen, zuweilen begleitet von einer
Contraction im Tensor fasciae latae; 3. das Babinski’sche Phänomen, Dorsal¬
flexion der grossen Zehe, zuweilen mit ebensolcher der übrigen Zehen, dies als
die vornehmlichste qualitative Veränderung des Zehenreflexes, und 4. die quan¬
titative Veränderung desselben, die Dorsalflexion des Fusses mit sämmtlichen Zehen
und gleichzeitig Beugecontraction in Knie- und Hüftgelenk, all dieses vom Cha¬
rakter einer „Fluchtbewegung“. Trifft unter Umständen der 3. und 4. Ast des
id by Google
169
Reflexes gleichzeitig auf, z. 6. bei multipler Sklerose oder bei Myelitis der Rücken-
mirkalnee, so kann der Nachweis des Babinski'sehen Phänomen ausserordent¬
lichen Schwierigkeiten begegnen. Der Hautreiz muss dann der denkbar kleinste
lein, um den Reflex noch sicher auslösen zu können.
Der Vortr. bespricht sodann das Vorkommen aller dieser Reflexbewegungen
bei den einzelnen Krankheiten, weist namentlich auf die zweifellos sichere Be¬
deutung des positiven Befundes des Babinski'sehen Phänomens für Erkrankungen
der Pyramidenbahnen hin und führt vier scheinbare Ausnahmen von dieser Regel
an, die dieselbe aber in der That nur bestätigen. In dem Falle von Hemitonia
apoplectica sind die Pyramidenbahnen offenbar gar nicht selbst befallen, in einem
Falle von Hirnabscess war die Hemiparese nur als Nachbarschaftssymptom zu
deuten, dasselbe war bei einem Hirntumor des Scheitelhirns bezw. seines Mark¬
lagers der Fall und endlich fehlte Bab inski bei einer Hemiparese nach para¬
lytischem Anfall, dieselbe war mit Hemianästhesie und Hemianopsie vergesellschaftet
gewesen.
Ueber Handtellerreflexe ist fast nichts bekannt. Vortr. untersucht die¬
selben mit der Nadelspitze, entweder mit einfachem Stich in die Hohlhand oder
mit Streichen über dieselbe. In der Norm tritt kein Reflex ein. Drei Mal
konnte Vortr. Streckung der Finger, ganz entsprechend dem Bab in ski'sehen
Phänomen, nachweisen, in 2 Fällen von frischer cerebraler Kinderlähmung und
einem alteren Falle von Porencephalie. Viel häufiger war das Auftreten von
Pslmarbeugung und Adduction entweder nur des Daumens oder auch sämmtlicher
Finger. Unter etwa 50 Fällen verschiedener Neurosen fand sich nur 5 Mal
leichte Adduction des Daumens, bei acuten Psychosen nichts, bei acht secundären
Demenzen jedoch 3 Mal, unter 15 Senilen 10 Mal und bei 3 Idioten jedes Mal
Palmarreflex. Unter 14 Fällen von Dementia paralytica mit spastischen Erschei¬
nungen bestand 5 Mal Palmarreflex. In 10 Fällen von Hemiplegie, die am ge¬
lahmten Fass theils gar keinen Sohlenreflex (ältere Fälle), theils Babinski’sches
Phänomen darboten, fand sich an der Hand niemals Dorsalreflex der Finger, hin¬
gegen 3 Mal Palmarreflex. Am stärksten war dieser Reflex in dem Fall von
Hemitonia apoplectica. In 3 Fällen von angeborener spastischer Gliederstarre
bestand stets Palmarreflex, ebenso bei 2 Fällen von Rückenmarkslues, bei Tabes
(11 Fälle) 3 Mal, bei Hydrocephalus (2), multipler Sklerose (5), Myelitis (1) je
ein Mal, bei 3 Fällen von Bpinaler Kinderlähmung jedes Mal an der nicht
gelähmten oberen Extremität. Schliesslich war bemerkenswerth, dass in
12 Fällen von Tuberculose 9 Mal Palmarreflex nachgewiesen werden konnte,
offenbar als Ausdruck einer dyskrasischen Constitution und dadurch bedingter
erhöhter Erregbarkeit des Nervensystems. Dieselbe oder ähnliche Bedeutung hat
der Palmarreflex auch vielleicht bei einer Zahl der sonst eben citirten Fälle, nicht
jedoch dann, wenn er halbseitig bloss nachweisbar ist. Da handelt es sich um
ein Localsymptom. Ein Dorsalreflex der Finger tritt anscheinend nur beim
Sitz der Erkrankung in der grauen Rinde auf, Marklagererkrankung oder innere
Kapsel u. s. w. scheinen schon zum Palmarreflex zu führen. Vielleicht liegt hier
ein werthvolles local diagnostisches Moment vor. (Autoreferat.)
16) Puerperal polyneuritls and polio-myelltis, by James Stewart. (Phila¬
delphia med. Journ. 1901. 4. Mai.)
33 jährige Landwirthsfrau, 5 Para, die während der Gravidität an heftigem
Erbrechen gelitten hatte, klagt im 7.—8. Monat über Taubheitsgeföhl erst in den
unteren, dann in den oberen Extremitäten. 2 Monate später allmählich fort¬
schreitende Parese aller Extremitäten, die fast zu völliger Lähmung führte und
•chlie8slich auch die Athmungsmusculatur betheiligte. Herabsetzung der Berührungs-
;d by Google
170
empfmdung bei normalem Schmerz- und Temperatursinn, Fehlen der Plantar- und
Patellarreflexe. Erhebliche Atrophie der gesummten Körpermusculatur, innere
Reflexe normal; elektrisch anfangs keine Veränderungen, später Mittelform der
Entartungsreaction. Tod an Pneumonie in Folge von Zwerchfelllähmung. Die
anatomische Untersuchung ergab an den peripherischen Nerven überall Zeichen
einer intensiven parenchymatösen Neuritis mit starken vasculären Erscheinungen:
Gefässdilatation, Verdickung der Wandungen der Gefässe, zahlreiche kleine Hämor-
rhagieen, Rundzelleninfiltration des interstitiellen Gewebes, der Gefassscheiden u.s.w.
Erhebliche parenchymatöse Veränderungen waren auch am Vagus und am Phre-
nicus nachweisbar. Die Untersuchung des Rückenmarks ergab (nach Marchi)
zerstreute Degeneration in den Hintersträngen, im Lumbalmark den GoH’schen
und Burdach’schen Strang, im Cervicalmark nur den letzteren afficirend, ferner
Degeneration in den Kleinhirnseitenstrangbahnen im Cervioal- und oberen Dorsal¬
mark, in den hinteren Wurzeln, während an den vorderen Wurzeln keine Ver¬
änderungen nachgewiesen werden konnten. Die Zellen der grauen Vorderhörner
und der Clarke’schen Säulen zeigten erhebliche Veränderungen bis zu completer
Atrophie und völligem Schwund der Zellen, letzteres besonders in der Höhe des
5.—7. Cervicalsegments. Die Ganglienzellen der Spinalganglien Hessen keine
krankhaften Veränderungen erkennen, die Zellen der Kapseln der letzteren schienen
entzündHoh vermehrt zu sein.
Verf. hält es für wahrscheinlich, dass es sich in seinem Fall zunächst um
eine parenchymatöse Neuritis gehandelt hat, und dass der Process erst später auf
das Rückenmark übergegangen ist, allerdings nicht in dem Sinne, dass die peri¬
pherische Erkrankung die medulläre secundär bedingt, sondern dass die gleiche
Noxe erst das peripherische motorische Neuron und dann das Rückenmark ge¬
schädigt hat. Martin Bloch (Berlin).
17) Sur an oas de polynövrite gönöralisee aveo dlplögie faoiale d’origine
vralsemblablement blennorrhagiqae , par Raymond. (Progres medical.
1901. Nr. 30.)
Interessanter und ausführlichst mitgetheilter Fall von Polyneuritis mit
systemartigen Erkrankungen in den unteren Extremitäten; differentialdiagnostisch
kam amyotrophische Lateralsklerose in Frage.
Adolf Passow (Meiningen).
18) Change8 ln the perlpheral nervös ln a oase of dlabetes mellitus, by
J. W. Findlay. (Glasgow med. Journ. 1901. October.)
41 jähr., stark abgemagerter Diabetiker mit vorgeschrittener Tuberculose und
beginnender doppelseitiger Cataract, allgemeiner Muskelschwäche, fehlenden Patellar-
reflexen, aber ohne Störungen der Sensibilität, klagt in den letzten Wochen vor
seinem an der Phthise erfolgenden Tode hin und wieder über durchfahrende
Schmerzen in den Beinen; in der letzten Zeit erhebliche Oedeme an den unteren
Extremitäten. Die anatomische Untersuchung ergab eine erhebliche Degeneration
am Vagus, das Verhältniss der erkrankten Fasern zu den normalen betrug 1:4;
die Veränderungen betrafen im Wesentlichen die Markscheiden; ebenso ergab die
Untersuchung des Sympathicus und des Cruralis weit vorgeschrittene Degeneration.
An den Mm. recti fand sich trübe Schwellung, mangelhafte Querstreifung und
interstitielle Wucherung der Bindegewebsfasern und Bindegewebszellen. Die Unter¬
suchung des Rückenmarks ergab überall Wucherung der NeurogHa, ohne dass
dieselbe indes irgendwo den Charakter einer deutlichen Sklerose gewönne. Die
Vorderhornzellen weisen, besonders im Lendenmark, erhebUohe Veränderungen auf.
Die Gefässe des Rückenmarks zeigen hyaline Degeneration. Die Betrachtungen,
igitizedby G00gle
171
die Yerf. über die Bolle, die möglicherweise die Erkrankung des Vagus bei der
Erkrankung der Lungen bei Diabetes und für den letzteren selbst spielt, anstellt,
müssen im Original nachgelesen werden. Martin Bloch (Berlin).
19) A case of neuritia affeoting the optio and oervioal nervös, oomplioated
by caroinoma of the breast, by J. R. Benson. (Brit med. Journ. 1901.
13. April.)
Bei einer 45jähr., an Brustkrebs leidenden Frau, bei der weder Alkohol¬
isch Arsenikgebranch anamnestisch naohzuweisen, bildete sich eine hochgradige
multiple Neuritis aus, welche besonders die Cervicalnerven und den linken
N. opticus befiel. — Hinsichtlich der Augenaffection sei bemerkt, dass die linke
Pnpille nicht auf Licht reagirte. Der M. rectus int paretisch. Die Grenzen der
Papille an ihrem inneren Bande verschwommen.
Patientin war auf dem Wege der Besserung, als plötzlich die Athemmuskeln
ergriffen wurden, so dass die Kranke in höchster Lebensgefahr schwebte. Aber
auch hiervon erholt sich Patientin bald, so dass man zur Operation eines Krebs-
recidivs unter Narcose schreiten konnte. Nach der Operation besserten sich die
neuritiBchen Symptome weiter. E. Lehmann (Oeynhausen).
20) Neuritia interstitialls plexus saoralis equi und aulbtelgende Büoken-
marksdegeneration nach Neuritia peripherica, vonThomassen. (Monats¬
hefte £ prakt Thierheilk. 1901. S. 145.)
Verf. hat mit seiner neuesten Publication über die periphere Neuritis
des Pferdes einen sehr werthvollen Beitrag zur Kenntniss der comparativen Neu¬
rologie geliefert. Die Arbeit darf wegen der besonders sorgfältigen Untersuchungen
wohl als einer der lange erwarteten Beweise für die Existenz einer eigenartigen,
scheinbar auf das Pferdegeschlecht beschränkten Perineuritis anzusehen sein, von
der bis in die neueste Zeit nur das Symptombild bekannt war.
Bei dem betreffenden Thiere bestand eine so starke Muskelatrophie der linken
Kreuz- und Hinterschenkelgegend, dass nur noch eine zwei Finger dioke Muskel¬
lage das breite Beckenband zu bedecken schien. An der Extremität waren be¬
deutende motorische und so starke Sensibilitätsstörungen, dass beispielsweise das
Pferd die Einwirkung der stärksten Reizmittel an der blossgelegten Huflederhaut
reactionslos ertrug. Die elektrische und traumatische Reflexerregbarkeit der
atrophischen Muskeln war erloschen, der Schweif, After und die Vulva etwas
seitlich verzogen, die Sphincteren intact.
Die Section und nachherige pathologisch-histologische Untersuchung des
Plexus sacralis, der Cauda equina und des Sacralsegments des Rückenmarks demon-
«trirte aufs klarste das Vorhandensein einer proliferirenden Perineuritis im
Bereiche des linken Plexus sacralis, der schon makroskopisch ziemlich stark diffus
vergröesert und verdickt war. Central setzte sich der Process bis in den Rücken-
markscanal fort entlang der drei letzten Sacraläste. Obwohl die Spinalganglieu
nicht untersucht werden konnten, sollen auoh sie zum Theil in den Destructions-
process einbezogen gewesen sein. Peripher zeigte der Ischiadicus noch in einer
Entfernung von mehreren Centimetern vom Plexus eine pathologische Verdickung.
Im Sacralmark war eine ascendirende Degeneration in den Bur dach'sehen
Strängen an Weigert-Präparaten sichtbar, deren proximale Ausdehnung nicht
erhoben werden konnte. Nicht ganz aufgeklärt erscheint nur der Umstand, wie
bei einer chronischen Neuritis, die sich vorwiegend auf das periphere und nur
theüweise auf das zweite Neuron erstreckte, eine so bedeutende Degeneration in
<l*n Vordersträngen sich etabliren konnte, die sogar an Weigert-Präparaten ab-
172
lesbar war — bei Benutzung einer Methode also, die insbesondere für die Dar¬
stellung wenig dichter Faserdegenerationen nichts beweist. Marchi’s Impräg¬
nationsverfahren wurde nicht versucht.
Die # Ursache der Erkrankung vermuthet Verf. in seinem Falle in einer
Zerrung, weil das Thier zu schnellen Gangarten u. s. w. benutzt wurde; darauf
wiesen kleine Blutextravasate hin, die den Plexus durchsetzten.
Dexler (Prag).
21) Ein Fall von multipler Neuritis nach Kohlenoxydvergiftung mit Be¬
theiligung der Sehnerven, von Dr. H. Schwabe, Nervenarzt in Plauen i/V.
(Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 39.)
An einem Patienten, der sich vor mehr als 3 Monaten eine schwere Kohlen¬
oxydvergiftung zugezogen hatte, konnte der Verf. eine Neuritis des rechten
Ischiadicus feststellen und ausserdem Erscheinungen leichterer Art im Gebiet des
linken Ischiadicus, der Nn. femorales, der Armnerven, des linken unteren Facialis-
astes, die der Verf. gleichfalls als den Ausdruck einer leichteren, mehr weniger
abgelaufenen Neuritis auffasst. Vor Allem konnte aber auch eine doppelseitige
Neuritis optica retrobulbaris mit erkennbaren Veränderungen an den Papillen,
relativem, centralem Farbenscotom, sowie eine rechtsseitige Accommodationsparese
festgestellt werden.
Auffallend ist nach Ansicht des Ref. die sich gleichbleibende und im Hin¬
blick auf die hochgradige Hypermetropie des Patienten ausgezeichnet zu nennende
centrale Sehschärfe. Umsomehr vermisst man eine Angabe über die weitere Ge¬
staltung des Gesichtsfeldes im Verlauf der Heilung. Schliesslich ist zu der rechts¬
seitigen Accommodationsparese zu bemerken, dass sie nicht über allen Zweifel
erhaben ist, da der Patient später auch für das linke Auge wunderliche Angaben
machte, die der Verf. selbst nicht im Sinne einer Accommodationsparese ver¬
wertet, sondern als „hysterisch“ auffasst Warum sollen die Angaben für das
rechte Auge mehr Vertrauen verdienen? E. Asch (Frankfurt a/M.).
22) Ett fall af beri-beri, af Fritz Kaijser. (Hygiea. 1900. LXH. S. 231.)
Ein 42 Jahre alter Schifiscapitän hatte vor 3—4 Tagen auf der Fahrt,
nachdem er vage Schmerzen an verschiedenen Stellen im Körper gehabt, sich
unwohl gefühlt und gefiebert hatte, Schwäche in den Beinen bemerkt, die sich
zur vollständigen Lähmung steigerte. Im Uebrigen befand er sich bei der Auf¬
nahme im Länslazareth zu Hernösand, am 9. Juni 1900, gut und hatte keine
Schmerzen, aber es war auch Parese in der Musculatur des Rumpfes und der
Arme eingetreten; bald trat auch Lähmung in der Schlundmusoulatur auf, so dass
Pat. mit der Sonde ernährt werden musste, die Sprache wurde unverständlich, die
Gesichtsmusoulatur wurde gelähmt, die Nackenmuskeln wurden so schwach, dass
Pat. den Kopf nicht aufrecht halten konnte. Oedem in den Beinen stellte sich
ein. Die Patellarreflexe waren verschwunden. Sonst aber waren weder Fieber,
noch Störungen der Sensibilität oder der Harn- und Kothentleerung, noch Ataxie
vorhanden. Die Behandlung bestand in Anwendung von Antipyrin, China, Jod¬
kalium und Stimulantien. Pat, der mit seinem Schiff nach England zurück¬
kehren wollte, wurde am 17. Juni auf sein Verlangen entlassen und starb einige
Tage danach.
Verf, der diesen Fall in den statistischen Berichten als acut aufsteigende
Paralyse aufgeführt hat, kam zur Diagnose Beri-Beri durch die Vermuthung des
Kranken, der aus einer Gegend in Westindien kam, wo Beri-Beri heimisch ist.
Walter Berger (Leipzig).
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173
83) Change« in the neuronal oentres in beri-berio neuritia, by Hamilton
Wright (Brit. med. Journ. 1901. 22. Joni.)
Verf. war in der Lage, 8 Fälle von Beri-Beri-Neuritis klinisch zu beobachten
nnd später Autopsie derselben zu machen. Den Befund von 2 Fällen theilt Verf.
uufahrlich mit, während er von den anderen kurze tabellarische Uebersicht der
pathologischen Veränderungen giebt.
Als wichtigstes Resultat ist mitzutheilen, dass Verf. nicht nur an den peri¬
pheren Nerven die bestimmten Veränderungen fand (Atrophie), sondern dass in
allen Fällen auch deutliche Veränderungen der entsprechenden Ganglienzellen be¬
obachtet wurden: Chromatolyse, Kernverlagerung.
Hinsichtlich des Näheren sei auf das Original verwiesen.
£. Lehmann (Oeynhausen).
84) Welohe therapeutischen Maassnahmen indioirt der Mönlöre’sohe Sym¬
ptomen oompl ex P Von G. Heermann (Kiel). (Therapie der Gegenwart*
1901. Nr. 9.)
Verf. bespricht in dieser Arbeit nur diejenigen Fälle von Meniöre’scher
Krankheit, welche seiner Ansicht nach in das Gebiet der Otologie gehören. Er
verwirft für die Behandlung dieser Fälle sowohl Chinin als auch Salicyl. Bei
Erkrankung der knöchernen Bogengänge im Anschluss an eine chronische Mittel¬
ohreiterung ist die operative Freilegung der Bogengänge das einzig wirksame
Mittel, bei M£niöre’scher Krankheit im Anschluss an nicht eitrige Mittelohr¬
leiden, speciell an den chronischen trockenen Mittelohrkatarrh empfiehlt Verf.
Loftdoucben mittels Katheter oder Politzer’schen Ballons, Breitung’sche
Vibrationsmassage des Trommelfells, Lucae’sche Drucksonde und Pilocarpin¬
behandlung. För den echten Meniäre’schen Anfall (apoplectiforme Taubheit),
welchen der Verf. — nach Ansicht des Ref. nicht mit Recht — als in das Be¬
handlungsgebiet des Ohrenarztes gehörend ansieht (die Therapie des Verf.’s zeigt
eigentlich schon die Zugehörigkeit dieses Leidens zur Neurologie), empfiehlt Heer-
mann Rückenlage, strenge Ruhe, Eisblase, event. Blutentziehung, psychische Be¬
handlung, Brom. Er warnt vor Chinin auch in diesen Fällen. Bei Fällen, welche
der Neurologie angehören, wirken otiatrische Eingriffe oft direct schädlich. In
diesen Fällen mögen Chinin und Elektricität versucht werden.
Kurt Mendel.
86) Et Tilf&lde af labyrintär Angioneurose, med Bemärkninger om den
«aakaldte Möniöre ’ske Sygdom og det Möniäre ’ske Symptomkomplex,
af Jörgen Möller. (Hospitalstidende. 1900. VIIL Nr. 40 u. 41.)
Ein 42 Jahre alter Lehrer, der früher syphilitisch inficirt worden war und
ön Jahre 1888 eine vorübergehende Parese des rechten Beins gehabt hatte, 1898
Hypertrophie der Schleimhaut der beiden unteren Nasenmuscheln behandelt
worden war, nervös, hypochondrisch angelegt und zu Congestionen nach dem
Kopfe geneigt war, bekam im Juli 1899, zu einer Zeit, wo es sehr warm war
and Pat viel Arbeit hatte, nachdem er schon längere Zeit an doppelseitiger
Schwerhörigkeit gelitten hatte, plötzlich einen Schwindelanfall mit starken sub-
jeetiven Ohrgeräuschen. In Zwischenzeiten von mehreren Tagen kehrten solche
Anfälle wieder, stets eingeleitet von subjectiven Ohrgeräuschen. Nach dem ersten
Anfalle war anhaltendes Ohrensausen links zurückgeblieben. Es bestand ein
Mittelohrkatarrh auf beiden Ohren, der bisher latent gewesen war; wahrscheinlich
bandelt es sich um eine Sklerose, wie nach der Verminderung des Perceptions-
vermögens für hohe Töne und nach dem negativen Ausfall des Gelle’schen Ver-
Google
174
Buchs angenommen werden konnte. Die Behandlung bestand in Bettruhe, sub-
cutaner Einspritzung von Pilocarp. muriaticum, innerlicher Anwendung von
Bromkalium, Karlsbader Salz; später wurde Luftdouche durch die Tuben angewendet.
Im Februar 1900 befand sich Pat. vollständig wohl. — Pat. war ein kräftiges
Individuum mit etwas nervösem Temperament und zu vasomotorischen Storungen
geneigt. Durch angestrengte Arbeit mit vielem Sitzen entstanden stärkere vaso¬
motorische Störungen mit acuter Hyperämie des inneren Ohres; die Erkrankung des
Ohres setzte dieses ausser Stand, die in Folge der Hyperämie entstandene Druck¬
veränderung auf normale Weise auszugleichen und reagirte mit einem Möniire’-
sohen An falle. Was noch für das Vorhandensein einer Angioneurose spricht, ist
der Umstand, dass die Anfälle bisweilen in ziemlich grosser Anzahl, kurz nach
einander, auftreten, aber doch mit deutlichen freien Intervallen; ein so rasoher
Wechsel dürfte kaum auf eine andere Weise erklärt werden können, als durch
eine acute Hyperämie rein vasomotorischen Ursprungs.
Walter Berger (Leipzig).
26) 8eohj Fälle von Möniöre’scher Erkrankung, von Doc. A. v. Sarb6.
(Pester medic.-chirurg. Presse. 1901. Nr. 48.)
Der Aufforderung Heermann’s (siehe d. Centralbl. 1901. S. 643) nach¬
kommend, schildert Verf. 6 Fälle Möni&re’scher Erkrankung. Verf. fand in
4 Fällen Erkrankung des inneren Ohres (zwei Mal auch Mittelohrerkrankung).
Bezüglich Zusammenhangs mit anderen Erkrankungen fand Verf. ein Mal Tabes
(doch besteht M6ni£re seit der luetischen Infection), zwei Mal Alkoholismus (ein
Alkoholiker war auch Kesselschmied!), zwei Mal vage nervöse Symptome. Wegen
weiterer Details sei auf das Original verwiesen. Hudovernig (Budapest).
27) Ein durch galvanisohen Strom geheilter Fall von Möniöre’soher Krank¬
heit, von Doc. J. Don&th. (Budapester Aerzteverein. 19. October 1901.)
40jähr. Schriftsetzer, welcher seit mehreren Jahren an Mäniöre’scher Krank¬
heit leidet. Opium anfangs erfolgreich, später resultatlos; Pilocarpin erfolglos.
Vortr. galvanisirte den Acusticus bezw. die Zweige des N. octav. ampullaris und
des Cochlearis (bimastoidale Galvanisation). Nach einer Galvanisation Heilung.
In der Discussion warnen Sug&r, Sarbö, Tomka und Szenes vor zu
rascher Annahme der Heilung, da Recidive überaus häufig Vorkommen.
Hudovernig (Budapest).
Psychiatrie.
28) Ueber Eifersüchte wahn , von Brie. (Psychiatrische Wochenschr. 1901.
Nr. 27.)
Eifersuchtswahn findet sich hauptsächlich im Gefolge der Alkoholintoxication,
wo er häufig dem Krankheitsbilde lange Zeit das Gepräge giebt, sodann im Ver¬
laufe des hysterischen Irreseins und des Verfolgungswahns in Folge gewisser
Hallucinationen neben anderen Wahnbildungen und schliesslich bei psychischen
Störungen im Anschluss an schwere organische Hirn- und Rückenmarksleiden.
Aber auch unabhängig von jedem Alkoholmissbrauch, unabhängig von Sinnes¬
täuschungen finden sich reine Fälle von Eifersuchtswahn als Unterform der
chronischen Paranoia, wie Verf. etwa ein Dutzend Mal — und, nebenbei gesagt,
nur bei Männern — feststellen konnte. Der Eifersuchtswahn beherrscht hier da«
ganze Krankheitsbild; andere Wahnideeen traten nicht auf, wie eine als Typus
Google
175
mitgeiheiUe Krankheitsgeschichte beweist. In der Aetiologie findet sich vielfach
eme neorasthenische Grundlage, die anf Störungen im sexuellen Leben schlieesen
läset, und eine Frigidität seitens des anderen Ehegatten. Die Prognose ist un¬
günstig.
Kurz streift Verf. noch die forensische Bedeutung. Die Kranken lassen sich
lacht zu bedenklichen und gewaltthätigen Handlungen hinreissen, für die § 51
des Str.G.B. zutreffen wird. Sicherlich wird es oft schwer sein, im Entmündigungs-
rerfshren den vernehmenden Bichter vom Vorhandensein einer Geistesstörung zu
überzeugen; er wird eher geneigt sein, an übertriebene Eifersucht zu denken.
Hudelt es sich um eine Ehescheidung wegen Geisteskrankheit, so kann man er¬
warten, dass die geistige Gemeinschaft, falls sie schon aufgehoben ist, nicht wieder
bergestellt werden wird. Ernst Schultze (Andernach).
28) Eifsnuohtewahn bei Frauen, von A. Schüller. (Jahrbücher f. Psych.
u. Nervenkrankh. XX. S. 292.)
Nach einer historischen Studie betont Verf. die grosse praktische Bedeutung
des Eifemichtswahnea und das theoretische Interesse des ätiologischen Zusammen¬
hangs mit chronischen Vergiftungen (Alkohol, Cocain), das auffällige Vorwalten
bei klimakterischen und Lactationspsychosen, die mit Wahnbildung einbergehen.
An der Hand 14 typischer und sehr gut geführter Krankheitsgeschichten
entwirft Verf. ein klinisches Bild des Auftretens des Eifersuchtswahnes bei Frauen.
Derselbe findet sich bei der Paranoia, insbesondere bei der vorzugsweise
combinatorisehen klimakterischen Paranoia; bei Alcoholismus chronicus, Paralyse,
bei Degenerirten, als Theilerscheinung des senilen Beeinträchtigungswahnes, endlich
als häufiger Inhalt der Wahnideeen bei Lactationspsychosen. Auf den letzt¬
erwähnten Punkt weist Verf. mit besonderem Nachdrucke hin.
Als berücksichtigungswerthe Momente für die praktisch wichtige Entscheidung
dieser Frage, ob im gegebenen Falle es sich um Wahnideeen handelt, werden
besonders die ätiologischen Beziehungen (Klimakterium, Lactation u. s. w.), sowie
daa bei genauerem Krankenexamen fast nie zu vermissende Vorhandensein von
Sinnestäuschungen angeführt
Schliesslich erörtert Verf. die forensischen Beziehungen des Eifersuchtswahnes.
Piloz (Wien).
30) La folie des foulee, par Dr. Nina Rodrigues (Bahia). (Annales mödico-
psychologiques. 1901. Januar bis October.)
Fleissige Abhandlung, die sich über mehrere Nummern erstreckt und eine
grosse Menge interessanter Einzelheiten enthält Verf. bringt hauptsächlich zu
der Lehre der psychischen Ansteckungen interessante Daten und räth gerade bei
dieser Krankengattung womöglich noch mehr als sonst zu individualisiren.
Adolf Passow (Meiningen).
31)
Geisteskrankheiten bei Gefangenen,
Wochenschr. 1901. Nr. 39.)
von Longard.
(Psychiatrische
Wie Verf. in vorliegendem, vor dem Kölner Gefängnissverein gehaltenem
' , ortr. sagt, ist die Zahl der Geistesstörungen bei Gefangenen auf etwa 30°/ o
Semtlicher Insassen zu schätzen. Bei Untersuchungsgefangenen kann allerdings
die Einzelhaft acut einsetzende, mit Gesichts- und Gehörstäuschungen einher-
gebende, heilbare Verwirrtheitszustände auslösen. In der Melirzahl indess handelt
««eh schon vor der Inhaftirung um geistig nicht völlig normale, defecte, minder-
’^thige Individuen. Am meisten kommen bei ihnen zur Beobachtung die Para-
Google
176
noia und der Schwachsinn. Gerade die Zahl der Itnbecillen ist sehr gross. Die
gefährlichsten unter den Individuen Bollen in einem besonderen gefängnissartig
eingerichteten und geleiteten Gebäude einer Irrenanstalt untergebracht sein. Reine
Simulation hat Verf. früher nicht gesehen. Ernst Schultze (Andernach).
UL Bibliographie.
I) Leqons aur los maUdies du Systeme nerveux, par F. Raymond. (Paris,
1901. 0. Doin.)
Der V. Band der Vorlesungen des Nachfolgers von Charcot zeichnet sich,
wie die vorhergehenden vier Bände, durch die Reichhaltigkeit des Materials und
durch die Klarheit des Vortrags aus.
In den ersten acht Vorlesungen wird die partielle Jackson'sehe Epilepsie
besprochen. Verf. ist der Meinung, dass es Gerechtigkeit wäre, diese Krankheit
als Bravais-Jackson’sche zu bezeichnen, da der französische Arzt Bravais im
Jahre 1827 in seiner Doctor-Dissertation die partielle hemiplegische Epilepsie
beschrieben hat. An der Hand eigener 2 Fälle, der in der Litteratur bekannten
und besonders der Abhandlung von Prof. Braun, unterwirft Verf, die chirurgische
Behandlung der partiellen Epilepsie einer eingehenden Kritik und kommt zum
Schluss, dass der operative Eingriff den gehegten Erwartungen nicht entspricht
und nur spärliche, meistens vorübergehende Besserungen zur Folge gehabt hat
Das Wiederkehren der Anfälle nach der Operation schreiben die französischen
Chirurgen den narbigen Verwachsungen zwischen Gehirn, Hirnhäuten und Schädel
zu. Verf. ist dagegen der Meinung, dass das Wiederauftreten der Anfälle nach
der Entfernung eines epileptogenen Herdes ein Beweis dafür ist, dass in solchen
Fällen die Störung rein dynamischer Natur war und an der Stelle eines entfernten
epileptogenen Centrums ein anderes sich bilden kann. — Ausschliesslich an die
sensitive Form der partiellen Epilepsie werden in eingehender Weise unsere
heutigen Kenntnisse über die Topographie der Gefühlscentra in der Gehirnrinde
besprochen.
Die Vorlesung VH ist der interessanten und praktisch so wichtigen Frage
der psychischen Aequivalente des epileptischen Anfalls gewidmet. Das Material
zu dieser Vorlesung wurde gesammelt und studirt von Dr. Pierre Janet, Vor¬
stand des psychologischen Laboratoriums der Salpetriäre.
In einer Reihe von Vorlesungen werden typische Fälle von Gehirntumoren
eingehend klinisch und pathologisch-anatomisch studirt.
An der Hand zweier gleichzeitig auf der Klinik vorhandenen Kranken werden
in den Vorlesungen XII und XIII die isolirten Gehirntuberkel besprochen, die zum
Ausbruch abnorm verlaufender Meningitis tuberculosa Anlass geben.
In den Vorlesungen XTV und XV werden die Erkrankungen der Gegend
der Corpora quadrigemina in eingehender Weise besprochen. Das reiche Material
der Charcot’schen Klinik lieferte in kurzer Zeit zwei Exemplare dieser sonst so
seltenen Krankheiten.
In den folgenden acht Vorlesungen werden die Bulbärparalyse, die Pseudo¬
bulbärparalyse, die Myasthenia gravis, die atypischen Formen der multiplen
cerebroBpinalen Sklerose studirt. Die Verknüpfring der Symptome dieser patho¬
genetisch so verschiedenen und klinisch manchmal doch so leicht zu verwechselnden
Krankheitsformen sind in höchst klarer und didactischer Weise auseinandergesetzt,
ebenso die pathologische Anatomie, die Prognose und die Behandlung.
In den folgenden drei Vorlesungen (XXIV., XXV. und XXVL) werden die
Störungen der Hautsensibilität bei Tabes dorsalis und bei Syringomyelie und bei
der multiplen cerebrospinalen Sklerose besprochen.
In der Vorlesung XXVII werden zwei interessante Fälle von Compression
zedby GoOgle
177
des Rückenmarks in Folge von Pott'scher Erkrankung der Brustwirbel vorgeführt
nnd eingehend analysirt.
In der Vorlesung XXVIII handelt es sich um einen Fall von secundärer
Sarcomatose des Hinterhauptbeins mit nachfolgender Compression des unteren
Theils des verlängerten Marks.
In den Vorlesungen XXIX und XXX wird eine bis jetzt noch nie beschriebene
Krankheit erörtert, die mit der Spondylose rhizomelique von Pierre M arie
manche Analogieen bat und für die Verf. den Namen Maladie ankylosante
progressive et chronique vorschlägt.
Endlich in den letzten zwei Vorlesungen ist die Rede von Sklerodermie, von
Polyneuritis mit doppelseitiger Facialislähmung und von hysterischer Worttaubheit.
Die vorhergehende trockene Aufzählung der verschiedenen Vorlesungen kann
natürlich nur eine sehr unvollkommene Vorstellung von dem inneren Werthe dieses
lehrreichen und bo gewissenhaft abgefassten Werkes geben. Wenn auch nicht
Alles darin neu ist, so sind doch die abgehandelteh Gegenstände der Neurologie,
unter ausführlicher Berücksichtigung der einheimischen und ausländischen Litteratur,
in ebenso lichtvoller wie erschöpfender Weise erörtert, so dass nicht nur ätudirende
und Aerzte im Allgemeinen, sondern auch Neurologen vom Fach in diesem Werke
mit Nutzen lesen würden. R. Hirschberg (Paris).
2) Ueber Sohreiber- und Pianistenkrampf, von J. Z ab lud owski. (Sammlung
klinischer Vorträge. Richard v. Volkmann. Nr. 290 u. 291.)
In der Einleitung zu seinem Vortrag macht der bekannte Verf. einige recht
bemerkenswerthe und lesenswerthe Bemerkungen allgemein medicinischen Inhalts
und Interesses über den heutzutage modernen „Cultus von Stichwörtern“. Es
werden vielfach einzelne Manipulationen, welche bei der Behandlung von Kranken
in Anwendung kommen, und welche bei Weitem nicht den Kernpunkt der be¬
treffenden Therapie ausmachen, als Therapie sui generis eingeführt. Dieser Stich¬
wörtergebrauch führt zu einer Monopolisirung gewisser Methoden und gleichzeitig
zu einer Verschleierung derselben. Die genannte Erscheinung besteht nicht allein
für das engere Gebiet der Behandlung, mit welchem sich Verf. beschäftigt, sondern
sie besteht auch in vielen anderen Zweigen der Therapie und hat überall schon
viel Unheil angerichtet.
Seine speciellen Auseinandersetzungen beginnt der Verf. mit einer Darstellung
der Pathogenese, der Symptomatologie und der Behandlung des Schreibkrampfes.
Es werden zuerst die allgemeinen Gesichtspunkte auseinandergesetzt, welche bei
dem Forschen nach der Entstehung des Leidens in jedem einzelnen Falle zu be¬
ichten sind. Meist werden von den Kranken weit mehr Muskeln angespannt, als
oöthig wäre, die rationelle Methodik des Schreibens wird nicht inne gehalten,
ungeeignete Tinte und Federn u. s. w. werden benutzt. Wie auf alle diese an¬
scheinend so unbedeutenden Dinge bei der Behandlung Rücksicht zu nehmen ist,
das setzt der Verf. in einer ausserordentlich anschaulichen und bisher in dieser
Weise noch nicht specialisirten Form auseinander. Er verschmäht es dabei nicht,
rieh bis an die äussersten Grenzen der ärztlichen Therapie und „Hypurgie“ zu
begeben und alle diejenigen Dinge ausführlich auseinander zu setzen, welche im
Allgemeinen in den Hand- und Lehrbüchern mit allgemeinen Redensarten wie
zweckmässige Haltung“, „bequeme Lagerung des Papiers“ u. dergl. abgefertigt
werden. Denn gerade in der Kenntniss jener anscheinend nebensächlichen Kleinig¬
keiten liegt nicht selten der Schlüssel für den Erfolg der Behandlung. So lernen
wir in dem Vortrage, wie der Verf. jede einzelne Form der Schreiberkrankheit
behandelt: Wir erfahren warum und in welchen Fällen die gewöhnliche Stellung
de« Stuhles, auf dem der Schreibende sitzt, geändert werden muss, wir sehen,
wann das Schreibpapier gerade, wann schief gelegt werden muss, wann ein be-
12
Digilizedby G00gle
178
Bonderer vierkantiger Federhalter von Nutzen ist u. s. w. Die vorzunehmenden
Schreibübungen werden sowohl in Bezug auf die zu schreibenden Buchstaben wie
in Bezug auf die tägliche Dauer besprochen, es wird uns auseinandergesetzt, welche
kleinen Erleichterungen bei jeder einzelnen Art der Buchstaben z. B. durch
Unterbrechung an der Niveaulinie geschaffen werden können u. dergl.
Die Eintheilung der Schreiberkrankheit geschieht nach Verf. am Besten in
1. einer ascendirenden Form (Erkrankung der Muskeln und Nerven des Armes
mit paralytischen und Schmerzerscheinungen), 2. einer descendirenden Form (Er¬
krankungen des Gehirns und Rückenmarks), 3. die Schreiberkrankheit als Sym¬
ptom der centralen Neurosen und schliesslich 4. die Mischformen.
Den neurologischen Leser des Vortrages wird es angenehm berühren, dass
Verf. bei der Behandlung der neurasthenischen und hysterischen Formen nicht
den sonst von Specialisten betonten „Specialstandpunkt“ in der Beurtheilung und
Behandlung des betreffenden Leidens einnimmt, sondern dass er dabei durchweg
die Acschauuugen und Auffassungen der Neurologie theilt. Dementsprechend
widmet Verf. auch der psychischen Behandlung breiten Raum in seinen Ausein¬
andersetzungen und betont immer und immer wieder, wie die von ihm eingeschlagene
specielle Therapie bis in alle Einzelheiten psychisch wirken müsse und wie jener
psychischen Wirkung ein grosser Theil des Erfolges zuzuschreiben sei. In dem
Abschnitt seines Vortrags, der sich gerade mit jenen zuletzt besprochenen Dingen
beschäftigt, finden wir recht hübsche Bemerkungen, welche von den allgemeinen
Gesichtspunkten Zeugniss ablegen, von denen aus der Verf. seine Disciplin be¬
trachtet. So sagt er z. B.: „Die fertigen Autosuggestionen, diese sog. Massen¬
autosuggestionen, sind Hebel, an welchen wir bei unseren Heilungsversuchen ein-
setzen und die uns unsere Aufgabe Behr erleichtern.“
Der zweite Theil der Arbeit beschäftigt sich mit der Klavierspielerkrankheit.
Er ist entsprechend der geringen Häufigkeit jener Krankheit knapper gehalten.
Verf. setzt zuerst auseinander, dass die sog. Klavierspielerkrankheit sich dadurch
von den meisten Schreiberkrankheiten unterscheidet, dass sie in einer traumatischen
Entzündung der Gelenke an einem oder mehreren Fingern besteht. Die häufigste
Form der Erkrankung ist nach Verf. die neuritische, wobei die Schmerzen oft
Gelenke überspringen und sich nach der Schulter, dem Rücken und der Brust
auBbreiten. Die Schmerzen und Beschwerden treten dabei entsprechend der Natur
der Krankheit auch ausserhalb des Klavierspielens auf. Die Behandlung besteht
in Ruhigstellung, Beseitigung der Entzündung, später, wenn die Entzündung sich
verloren hat, in leichter Massage. Präventiv kämen bei den Klavierspielerkrank-
heiten Aenderungen in der Klaviatur und andere technische Aonderungen in Be¬
tracht. Anhangsweise wird auch der Violinistenkrampf von dem Verf. kurz be¬
sprochen.
Als das Gemeinsame können wir in den Ausführungen des Verf.’s und be¬
sonders in der Behandlungsweise der genannten Erkrankungen die Thatsache
begrüssen, dass der Verf. sich nirgends als ein „Massagefanatiker“ zeigt, sondern
auch den anderen Behandlungsmethoden den ihnen zukommenden Werth lässt.
Paul Schuster (Berlin).
IV. Aus den Gesellschaften.
V. Congrds international de Physiologie, Turin, 17.—21. September 1901.
(Archives italiennes de Biologie. XXXVT. Fase. 1.)
A. Anatomie.
Fräulein M. Stefanowska (Bruxelles): Sur les appendioes piriformes
des cellules nervenses cerebrales.
Demonstration mikroskopischer Präparate von Hirnzellen, deren Dendriten
zedby G00gle
179
mit zahlreichen Erhabenheiten besetzt sind, welche Verfasserin als „appendices
pirifbnne8“ bezeichnen möchte; sie sollen in keinem normalen, vollentwickelten
Gehirne fehlen. Es ißt der Verfasserin gelungen, die „appendices piriformes“ mit
verschiedenen Metallsalzen and auch mit Methylenblau zu färben. Es sei un¬
bestreitbar, dass die „appendices piriformes“ durch ihr blosses Vorhandensein die
Oberfläche der Ganglienzellen beträchtlich vergrösserten und da¬
durch eine wichtige Bolle beim Contact zwischen den Neuronen spielten. Anderer¬
seits habe Verfasserin durch ihre Untersuchungen über die Hirnrinde neugeborener
Thiere gefunden, dass die „appendices piriformes“ bei der Entwicklung der
Ganglienzellen als letzter Bestandtheil aufträten Dieser Umstand
scheine zu beweisen, dass ihnen eine wichtige Rolle bei den psychischen Vorgängen
zugewiesen sei. Endlich habe Verfasserin zuerst gezeigt, dass unter der Einwirkung
heftiger Reize (Elektricität) oder in lang hinausgezogener Narcose die „appendices
piriformes“ stellenweise im Gehirn verschwänden und erst dann wieder erschienen,
wenn der Allgemeinzustand des Gehirns sich gebessert habe. Aber dieses regionäre
Verschwinden könne nicht als Stütze der Theorie vom Amöboismus der Ganglien¬
zellen angesehen werden, denn es sei nur bei schweren Störungen zu beobachten.
Herr Donaggio (Modena): Sur les appareils ilbriUairea endooellul&iree
de oondaation dans les oentres nerveux des vertöbräe supdrieurs.
Das Zellelement wird nioht nur durohzogen von longitudinal verlaufenden,
grossentheils peripherisch gelegenen Fibrillen, die keine Anastomosen eingehen,
sondern auch von zahlreichen Fibrillen, die durch Theilung ein sehr dichtes
Netzwerk bilden. Man sieht an den vorgelegten Präparaten, dass das Netzwerk
einerseits in Beziehung steht zu den Fibrillen der protoplasmatischen Fortsätze,
andererseits zu jenen des Axencylinders.
An die Existenz dieses Netzwerks knüpft Verf. einige recht problematische
physiologische Folgerungen, die uns hier nicht weiter beschäftigen.
B. Experimentelle Physiologie:
Herr N. Mislawsky (Expöriences du Dr. Luria) (Kazan): Böle des nerfz
senaitifs da diaphragme dans la respiration.
1. Reizung des Centrum tendineum des Zwerchfells bewirkt exspiratorischen
Stillstand des Brustkorbes.
2. Durchneidung der Nn. vagi am Halse oder unmittelbar über dem Zwerch¬
fell hebt diese Wirkung auf.
3. Reizung des peripheren Endes des N. phrenicus erzeugt ZwerchfeUs-
contraction und dadurch exspiratorischen Stillstand des Brustkorbes, der mit
Dorchschneidung der Vagi wieder aufgehoben wird.
4. Reizungen des centralen Phrenicusstumpfes haben die schon wohlbekannten
Resultate ergeben.
Fräulein J. Joteyko et M. Stefanowska (Bruxelles): De la graduation
des effets des anesthdsiqaes.
Durch Versuche am Frosch sind die Verfasserinnen zu folgenden Ergebnissen
gekommen:
Die Aufhebung der Gehirnfunctionen unter dem Einfluss der Anästhetica
erfolgt stufenweise und lässt, wenn man absieht vom Verlust der höheren psychi¬
schen Fähigkeiten, zwei Abschnitte erkennen: Verlust der Sensibilität und Ver¬
hüt der Motilität.
Reihenfolge der nervösen Gebilde nach Maassgabe ihrer Empfänglichkeit (für
Anästhetica):
1. Sensible Rindencentren, 2. motorische Rindencentren, 8. Rückenmark,
t. Medulla oblongata, 5. sensible Nervenfasern, 6. motorische Nervenfasern,
<• Muskel.
12 *
180
Oie Verfasserinnen wollen dies Schema nächstens noch ergänzen, besonders
in Hinblick auf die nervösen Endapparate und die verschiedenen Rückenmarks-
gebiete.
Fräulein J. Joteyko (Bruxelles): De la röaction motrioe differentielle
du musole et du nerf.
a) Die Muskelfaser ist gegen alle verändernden Einflüsse (Gifte, Anämie, Tod,
Ermüdung) wideratandskräftiger als die Nervenendigungen.
b) Daher ist sie für die gleichen Einwirkungen auch weniger empfindlich.
c) Zur Contraction direct vom Muskel aus bedarf es grösserer Reizstärke
als zur Contraction vom Nerven aus.
Herr N. Vitzou (Bukarest): Reoherohes experimentales sur l’exoita-
bilitö de la moölle.
Die bisher allgemein verbreitete Ansicht, dass die graue Substanz des Rücken¬
marks für Reize absolut unempfänglich sei, scheint Verf. durch seine Versuche am
Pferd und an Vögeln widerlegt zu haben. So erhielt er z. B. beim Pferd durch
elektrische Reizung der grauen Substanz eine musculäre Reaction; diese unter¬
schied sioh deutlich von der Wirkung, die durch Reizung der Vorderseitenstränge
erzielt wird. Verf. hebt auch hervor, dass von der grauen Substanz aus bereits
mittelstarke Ströme tetanische Contractionen erzeugen. Von entscheidender
Wichtigkeit für das Gelingen der Versuche scheint es zu sein, das zwischen der
vorbereitenden Operation (Blosslegung des Rückenmarks) und dem eigentlichen
Experiment ein Zeitraum von mindestens einer Stunde liegt. Bei Anwendung
mechanischer Reize ist auoh die Vermeidung eines nur einigermaassen beträcht¬
lichen Blutverlustes Vorbedingung des Erfolges.
Herr W. M. Bayliss (London): Antidromlo vaaoular dilatation from
posterior roots.
1. Die hinteren Wurzeln des 5., 6., 7. Lumbal- und des 1. Sacralnerven
enthalten Fasern, deren elektrische, mechanische, chemische oder thermale Reizung,
nach Trennung vom Rückenmark, Gefässerweiterung in der hinteren Extremität
derselben Seite bewirkt.
2. Diese Wirkung wird nicht aufgehoben durch Morphium oder andere
Anästhetika, auch nicht durch Curare. Das Lebensalter hat keinen Einfluss
auf sie.
3. Da die fraglichen Fasern nicht in den Bauchtheil des Grenzstranges
übergehen, so müssen sie direct in den Plexus lumbo-sacraliB eintreten.
4. Sie degeneriren nicht, wenn man einen Schnitt anlegt zwischen Rücken¬
mark und hinteren Spinalganglien; deshalb sind sie keine centrifugalen Rücken¬
marksfasern. Sie degeneriren aber nach Exstirpation der hinteren Spinalganglien,
in welchen daher ihre trophischen Centren gelegen sein müssen.
5. Sie sind in Wirklichkeit identisch mit den gewöhnlichen centripetalen
Fasern der hinteren Wurzeln. Der Name „rückläufig“ (antidromic) dient zur Be¬
zeichnung der Thatsache, dass sie die Reize in umgekehrter Richtung leiten,
dass also bei Reizung einer centripetalen Faser an ihrer Endstation im Central¬
nervensystem eine Gefässerweiterung an ihrem peripheren Ende im Körpergewebe
erzielt wird.
6. Nach Entfernung der hinteren Spinalganglien erfolgt Degeneration aller
Vasodilatatoren der hinteren Extremitäten; überdies können weder in der Sym-
pathicuskette noch in irgend einer vorderen Wurzel Vasodilatatoren für die
Extremitäten gefunden werden.
7. Aus diesen Gründen muss jeder gefasserweiternde Reflex für die Extremi¬
täten „rückläufiger“ Natur sein. Durch Versuche an Hunden, Katzen und
Kaninchen, denen die Bauchstränge des Sympathicus und fast alle Baucheingeweide
exstirpirt worden waren, gelang es, die Probe auf dieses Ergebniss zu liefern.
Google
181
8. Die entsprechenden Vasodilatatoren für die vorderen Extremitäten sind
in den hinteren Wurzeln der 6., 7., 8. Cervical- und des 1. Thoracalnerven ge-
9. Für Niere oder Darm konnte eine ähnliche Wirkung bislang noch nicht
erzielt werden. Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen).
Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau.
Sitzung vom 27. April 1901.
Herr N. Wersiloff: Tumor dee Plexus braohlalis.
Der Kranke, 43 Jahre alt, trat am 27. August 1900 mit Klagen über
Schmerzen (rechts) im Halse, in der Subclaviculargegend und im Arm in die
Klinik für Nervenkrankheiten ein; die Schmerzen waren dumpf und reissend,
die supraclavicularen Drüsen stark vergrössert Im weiteren Verlauf verstärkten
sieh die Schmerzen und gingen auf die linke Seite des Halses über; interessant
war, dass während der SchmerzparoxyBmen der rechte Arm sich mit Schweis«
bedeckte. Zu den Schmerzen gesellte sich Schwäche in dem rechten Arm, welche
mit völliger Paralyse endete; Störungen der Sensibilität Hessen sich nicht oonstatiren.
Bei zunehmender Schwäche erlag der Kranke am 11. November 1900. Bei der
Section wurde ein Plattenepithelkrebs gefunden, welcher die Region des rechten
Plexus brachialis einnahm und die Nervenstämme fest umlagerte. Bei der mikro¬
skopischen Untersuchung der Nervenstämme, an der Stelle ihrer grössten Com-
pression, konnte man die sog. Eirebsneuritis nachweisen: Die filrebszellen waren
unter die Schwann’sche Scheide durchgedrungen und hatten Veränderungen im
Myelin hervorgerufen, welches Erscheinungen des Zerfalls bot und ausserdem
schlechter färbbar war als in den gesunden Fasern. Diese localen Veränderungen
der Fasern waren die Veranlassung zu einer absteigenden Degeneration, aber in
einem sehr schwachen Grade. Dasselbe liess sich auch in den Muskelfasern nach¬
weisen: Die Krebszellen sind durch das Sarcolemma der Muskelfasern gedrungen
und haben die MuBkelsubstanz zerstört; es Hessen sich hohle, mit Krebszellen
ausgefüllte Sarcolemma erkennen. Am Rückenmark scharf ausgesprochene vordere
carcinomatöse Pachymeningitis ohne irgend welche Zeichen einer Rückenmarks-
compression im Halstheile; die Wurzeln waren comprimirt und hatten eine typische
Degeneration der ansteigenden Fasern in den Burdach’schen Strängen bis zu
ihren Kernen in der Medulla oblongata erzeugt, retrograde Degeneration in den
vorderen Wurzeln bis zu den Vorderhornzellen. Angefangen von der Mitte des
Halsrückenmarks erscheint der Centralcanal im Verlaufe des ganzen Rückenmarks
deutUch erweitert, sein Epithel und das der Gefässe in den Vorderhörnern ver¬
ändert und das Nervengewebe rarificirt. Metastasen des Tumors in den inneren
Organen und in den Muskeln der Wirbelsäule. Schlüsse: 1. Die Hinterwurzel¬
fasern des Halstheils betheiligen ei oh nicht an der Bildung der Gol Pechen Stränge;
in dieser Beziehung steht die Beobachtung des Vortr. als erster Fall da, wo die
Krankheit das Experiment der Zerstörung der Rückenmarkswurzeln des Halstheils
ausgeführt hat; 2. die carcinomatöse Neuritis stellt das typische Bild einer par¬
enchymatösen Entzündung der Nervenfasern dar; 3. die Höhlenbildung im Rücken¬
mark muss mit der carcinomatösen Pachymeningitis, durch erschwerte Blut- und
Lymphcirculation im HalBtheil der Rückenmarkshäute entstanden, in Abhängigkeit
gebracht werden. (Autoreferat.)
Herr W. Semmidaloff: Zum Delirium acutum.
Die 55 Jahre alte Kranke trat am 17. Juli 1898 in das Aleksjeew’sche
Krankenhaus ein. Ungefähr am 1. JuH war sie am Scorbut erkrankt. Die
Temperatur stieg mehrfach bis auf 38,5°. Am 10. JuH stellten sich Anfalle von
Geisteskrankheit ein. Anfangs bestand Reizbarkeit, bald aber stellten sich Trübung
Google
182
des Bewusstseins, Gehörs-, Gesichts- und GefÜhlshallucinationen ein; Nahrungs¬
verweigerung; Asomnie, Unreinlichkeit, Retentio urinae. Am 16. Juli Zuckungen
im linken Arm und in der linken Gesichtshälfte. Am 17. Juli Sprachstörungen
und Wortreime. Das Zahnfleisch gelockert, an Zunge und Lippen viele Borken;
in der Mundhöhle Blut und viel Schleim, aus dem Munde schwacher Geruch
Scorbutischer. Gelbrothe Flecken an den Knieen. Antwortet nicht auf Fragen,
liegt meistentheils mit geschlossenen Augen, die Hände erhoben, durch Aus¬
einanderspreitzen der Finger wurden dieselben rhythmisch bewegt. Im Allgemeinen
unruhig, murmelt häufig. Der Schluckact nicht ganz frei. Vom 17. — 26. Juli
steigt die Temperatur häufig bis auf 37,7°, und einmal bis auf 38,9° als an
Brust und Händen blutige Flecke sichtbar wurden. Darauf verschlimmerte sich
der Zustand bedeutend; die Unruhe steigerte sich, es stellen sich viele rhythmische
Bewegungen in Armen und Beinen, Zuckungen im Gesicht und Grimassen ein.
Die Nahrungsverweigerung hält an, so dass zur SondenfÜtterung geschritten werden
muss. Zuweilen senkt sich der Kopf auf eine Seite, die Augen schielen. Vom
26. Juli bis 3. August lassen die rhythmischen Bewegungen allmählich nach, das
Schlucken wird beinahe ganz frei, das Schütteln wird schwächer; es treten starke
Kopfschmerzen auf, welche 2 Tage andauern; etwas paretischer Gang. Die moto¬
rische Unruhe lässt nach, das Bewusstsein erhellt sich, die Kranke wird sehr
reizbar, misstrauisch und feindlich gestimmt. Vom 4.—25. August blieb eine
sehr grosse Erschöpfbarkeit und verlangsamtes Denken. Im September besserte
sich das Befinden so weit, dass die Kranke das Hospital verlassen konnte. —
Indem der Vortr. die Amentia in ihrer schwersten Form ausschliesst, nimmt er
hier das Bestehen eines Delirium acutum an, dessen Ursache in einer Entzündung
der Gehirnrinde liegt, und zwar in einer acuten Rindenencephalitis. Gleichzeitig
mit der Störung der psyohischen Thätigkeit waren im gegebenen Falle gleichsam
schwache Herderscheinungen angedeutet, wobei die Schluckstörung und der pare-
tische Gang am längsten persistirten. Hier ist am Platze, von den Uebergangs-
formen der Enoephalitiden vom Typus des Delirium acutum und der Encephalitiden
des StrümpelTschen Typus zu sprechen. Der specifische Krankheitserreger des
Scorhut ist unlängst von Profi Levin beschrieben worden und damit wird un¬
zweifelhaft der infectiöse Boden für die Rindenencephalitis geschaffen, deren
hämorrhagische Eigenschaft durch die Grundzüge der scorbutischen Erkrankung
bestimmt wird. (Autoreferat.)
Discussion:
Herr Muratoff ist der Ansicht, dass in allen Fällen des Delirium acutum
die hämorrhagische Encephalitis bewiesen ist. Vortr. hat die Möglichkeit ver¬
schiedener parenchymatöser und interstitieller Affectionen ausser Acht gelassen.
Das vom Vortr. beschriebene Krankheitsbild entspricht nicht dem Bilde des
Delirium acutum.
Herr Postowsky weist darauf hin, dass die Frage über den Scorbut als
infectiöse Krankheit noch lange nicht gelöst ist.
W. Murawieff. S. Suchanoff.
Sitzung vom 11. Mai 1901.
Herr P. Preobrajensky: Zur pathologischen Anatomie der Chorea
minor.
Der Kranke, J. P., 21 Jahre alt, Coiffeur, trat am 13. December 1899 in
das alte Katharinenkrankenhaus mit Klagen über Zuckungen in den Armen ein.
Aus der Anamnese lässt sich ein acuter Gelenkrheumatismus (vor 2 Jahren)
notiren, von welchem der Kranke vollkommen genas und bis zur augenblicklichen
Erkrankung stets gesund war. 2 Wochen vor Eintritt ins Hospital fingen ohne
irgend welche sichtbare Ursache die choreatischen Bewegungen an.
>yG00gI<
183
Stat. praes.: Choreatische Bewegungen in den Muskeln der Augen, des Ge¬
sichts, der Zunge, des Rumpfs und der Extremitäten. Kniereflexe abgeschwächt.
Bewusstsein ungetrübt. Der übrige Nervenstatus und der Befund an den inneren
Organen negativ. In den ersten Tagen nach der Aufnahme waren die chorea¬
tischen Bewegungen nicht constant: bald wurden sie ohne jede Ursache geringer,
bald nahmen sie zu. Vom 17. December progressiven sie allmählich und zu Ende
des Lebens des Kranken erreichten sie eine furchtbare Stärke, so dass derselbe
im Bett hin und her geschleudert wurde, und seine Extremitäten in fortwährender
Bewegung waren. Keinerlei Vorsichtsmaassregeln waren im Stande, ihn vor Ver¬
letzungen an den ihn umgebenden Gegenständen zu schützen. Die letzten 2 Tage
Bewusstlosigkeit. Am 23. December Exitus letalis. Bei der Autopsie wurde gefunden:
Pachymeningitis haemorrhagica cerebralis et spinalis. Bronchopneumonia catarrh.
lobular, pulmon. utriusque. Degeneratio adiposa myocardis et hepatis. Hyper-
plasia lienis, Offuscatio parenchymatosa renum. Stellenweise in den Muskeln
Ecchymosen. Aus verschiedenen Theilen des centralen Nervensystems, aus dein
Blute und aus den inneren Organen wurden Culturen* von Streptokokken erhalten.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des centralen Nervensystems wurden
nur in der Pia mater und in der Hirnrinde Veränderungen gefunden: es wurden
Erscheinungen einer hochgradigen Hyperämie, hämorrhagisches Exsudat und stellen¬
weise Zerstörung der periphersten Rindenschicht der Hemisphären und des Klein¬
hirns beobachtet; in den Pyramidenzellen der Rinde diffuse Chromatolyse, fettige
Degeneration des Zellleibes, zuweilen periphere Verlagerung des Kerns; in den
Purkinje’schen Zellen des Kleinhirns ausserdem Schwellung des Kerns. Im
Rückenmark sind alle diese Erscheinungen in viel geringerem Grade ausgesprochen,
ln den peripheren Nerven liess sich nichts Abnormes nachweisen. In den Muskeln
eine massige Vermehrung der Kerne, Blutungen und eine grosse Zahl von Leuko-
cyten. Somit haben wir vor uns einen Fall von Pachymeningitis (et Lepto-
meningitis) haemorrhagica acuta infectiosa cerebralis et spinalis durch Strepto¬
kokken hervorgerufen. Die Besonderheit des gegebenen Falles ist die Abwesenheit
einer EndocarditiB. Zum Schluss ist auf die Bedeutung des Studiums und der
Differenzirung der einzelnen Formen von infectiöser Chorea hinzuweisen, da bei
dem jetzigen Stande der Diagnostik des in jedem gegebenen Falle die Erkrankung
veranlassenden Mikroorganismus häufig auch eine rationellere Therapie möglich
wäre, z. B. könnten in ähnlichen Fällen wie der unsrige Injectionen von Anti¬
streptokokkenserum gemacht werden, d. h. die Therapie müsste eine solche sein,
wie bei schweren infectiösen Erkrankungen, z. B. wie beim Tetanus und der
Diphtherie, wo die Serumtherapie auf gesichertem Boden steht. (Autoreferat.)
Discussion:
Herr Roth weist auf die Wahrscheinlichkeit deB Bestehens zweier Krank¬
heiten des Nervensystems im gegebenen Falle hin: zur primären Chorea gesellte
sich noch eine neue Erkrankung.
An der Discussion betheiligten sich ferner Herr Semidaloff und Herr
Pribytkoff.
Herr Jwanoff: Zwei Fälle von Hydromyelie bei Hydrops des 4. Ven¬
trikels.
In beiden Fällen Hernia cerebelli. Die Hernia tritt aus dem Occipitalknochen
in Form einer weichen Geschwulst von Faustgrösse heraus. Ein Kind lebte
1V S Monate, das andere 4 Monate. Im ersten Falle bestand ein wenig aus¬
gesprochener Hydrocephalus internus, die Hemisphären regelrecht formirt, das
Kleinhirn sehr verunstaltet und tritt zum Th eil aus dem Bruchsack in Folge
übermässiger Ausdehnung des 4. Ventrikels heraus. Im Rückenmark fast in seiner
ganzen Länge starker Hydromyelus mit der grössten Erweiterung des Canals in
den unteren Brust- und Halstheilen. An diesen Stellen ist das Rückenmark an
zedby G00gle
184
Umfang vergrössert, die graue und weisse Substanz umlagert in Form eines
schmalen Saums die colossale Centralhöhle. Bei der mikroskopischen Untersuchung
erweist sich der erweiterte Centralcanal mit Epithel ausgekleidet, es fehlt an
verhältnissmässig nur kleinen Partieen. Ueberall Hyperplasie des Epithels, welches
zusammen mit der darunter liegenden Glia in das Innere des Centralcanals in
Form von kleinen Warzen hineinwuchert. Häufig finden sich solche Warzen bis
zu 15 auf einen Schnitt. Stellenweise hat das hyperplasirte Epithel das Aus¬
sehen von kleinen Zellen. Der erweiterte Centralcanal ist fast in seiner ganzen
Ausdehnung von einer kleinen gleichmässigen Schicht gewucherter Glia umgeben,
ausgenommen des oberen Halstheils, wo die Gliawucherung in Form von einzelnen
compacten Massen angetroffen wird, zuweilen zieht sich der Gliazug fast über die
ganze graue Substanz bis an die Seitenstränge. An einer Stelle dieses Abschnittes
stülpt sich die stark gewucherte Glia in Form einer kleinen runden Geschwulst
in den erweiterten Centralcanal vor. Sie füllt den Centralcanal vollkommen aus,
ohne mit seinen Wandungen zu verwachsen. An einer anderen Stelle des oberen
Halstheils des Rückenmarks, beobachtet man theilweise Verwachsung des Central¬
canals. Normale Grösse weist der Centralcanal nur in den unteren Lenden- und
in den Kreuztheilen auf, in den oberen zwei Halssegmenten ist seine Vergrösserung
ebenfalls nur gering. Die Ge fasse und ihre perivasculären Räume sind im ganzen
Rückenmark stark erweitert, besonders in der grauen Substanz und rings um den
Centralcanal. Stellenweise sind die Gefässwandungen verdickt. Um die Gefasse
finden Bich hie und da kleinzellige Infiltrate. In der grauen Substanz stösst man
häufig auf Hämorrhagieen. In der Medulla oblongata ist der Centralcanal eben¬
falls stark erweitert und bildet nach den Seiten hin eine Menge Divertikel.
Besonders stark lädirt sind die Gefasse im Plexus chorioid., im letzteren besteht
eine reichliche Wucherung des Bindegewebes. In der Structur der grauen und
weissen Substanzen der Medulla oblongata und des ganzen Gehirnstammes sind
ausgesprochene Asymmetrieen und Heterotopieen, besonders auffallend die De¬
formationen im erhaltenen Theil des Cerebellums. Der Aquaeductus Sylvii ist
verengt, bildet viele Divertikel und sein Epithel ist ebenfalls verändert (Ependy-
mitis granulosa). Zur Erklärung des anatomischen Bildes nimmt Vortr. an,
dasB die früh entwickelte Ependymitis dem darauf folgenden Hydrops den
Anstoss zur Wucherung embryonaler Elemente gegeben hat, d. h. diese Wuche¬
rungen entwickelten sich secundär. Vom zweiten Falle blieben für die mikro¬
skopische Untersuchung nur einige Stücke aus dem Halstheile erhalten. Hier ist
die Hydromyelie und die Wucherung der Glia bedeutend geringer, aber die Ge¬
fasse sind stärker afficirt. Im Allgemeinen ist das Bild dasselbe wie im ersten Falle.
Discussion:
Herr Muratoff bemerkt unter Anderem, dass die NeurogliaWucherung
nicht als secundär betrachtet werden kann, weil sie aus dem Ependym wuchert.
Der angeführte Fall dient als Bestätigung für die Verwandtschaft des Hydro-
cephalus mit der Syringomyelie.
Herr Roth nahm ebenfalls an der Discussion Theil.
Herr A. Ljubuschin: Zur Lehre von den endogenen Fasern in den
Vorderseitenstrftngen des Rückenmarks.
Zum Zwecke der vorliegenden Untersuchung wurde nach der Methode von
Mün zer und Wiener die Zerstörung der grauen Substanz in der Höhe des
6. Segmentes des Rückenmarks bei zwei Kaninchen ausgeführt. Diese Thiere
wurden am 15. Tage post operationem getödtet; das herausgenommene Rückenmark
wurde nach Marchi behandelt. Bei der Untersuchung des Rückenmarks erwiesen
sich im mittleren Theil des 6. Halssegmentes das Hinterhorn und der mittlere
Theil der grauen Substanz der rechten Seite zerstört, die übrigen Partieen der
grauen Substanz waren intact geblieben. Auf Querschnitten des Rückenmarks,
V
zedby Google
185
welche im Niveau der Verletzung liegen, sieht man, dass die Degeneration der
Fasern am intensivsten im Vorderseitenstrange der verletzten Seite, wo die
degenerirten Fasern mit ziemlich dicker Schicht die graue Substanz umgeben,
L ausgesprochen ist. Auf der contralateralen Seite hat die Degeneration der Fasern
I dieselbe Localisation und ist in bedeutend geringerem Grade ausgesprochen.
■ Auf den Querschnitten, welche ein wenig über der Läsionsstelle angelegt wurden,
umgeben die degenerirten Fasern auf der verletzten Seite in dicker Schicht die
äussere Peripherie des Vorderhorns, auf der gegenüberliegenden Seite bemerkt
man ausserdem eine bedeutende Zahl von degenerirten Fasern, welche längs dem
Sole, longit. ant. angeordnet sind. Im Hinterhorn der verletzten Seite bemerkt
man eine grosse Menge degenerirter Fasern, welche zunächst in der Richtung
nach vorn verlaufen; im weiteren Verlaufe liegt ein Theil dieser Fasern nach
aussen und tritt in die weisse Substanz des Seitenstranges, der andere Theil be-
giebt sich zur vorderen weissen Commissur und geht in den Vorderstrang der
contralateralen Seite über. Hier zerfällt das Bündel der degenerirten Fasern
wieder in zwei Theile: ein Theil ist längs dem Sulc. longit. anter. angeordnet,
1 der andere umgiebt das Vorderhorn in ziemlich regelmässigen Bogen. Der grösste
Theil der aus der grauen Substanz in den Seitenstrang derselben Seite ein*
getretenen Fasern ändert rasch seine Richtung, indem er sowohl auf- als absteigend
verläuft. Der geringere Theil der in den Seitenstrang der lädirten Seite ein¬
tretenden degenerirten Fasern erreicht die Peripherie des Rückenmarks an der Stelle,
wo für gewöhnlich das Gowers’sche Bündel sich befindet, und nimmt weiterhin
eine aufsteigende Richtung an. Im unteren Theil der Medulla oblongata geht
diese Gruppe von Fasern in den Seitenstrang über und liegt vor der spinalen
• Wurzel des Trigeminus. Ein Theil der ihre Richtung ändernden Fasern kann
gleich nach ihrem Eintritt in den Seitenstrang in aufsteigender Richtung bis zur
Höhe des 4. Halssegmentes verfolgt werden und in absteigender bis zum mittleren
Theil des 2. Brustsegmentes. Die degenerirte Fasergruppe, welche durch die
vordere weisse Commissur in den Vorderstrang eintritt und längs den Sulc. longit.
ant verläuft, wurde in aufsteigender Richtung bis zum Niveau des Austritts des
| 1. Halsnerven, in absteigender bis zum 3. Sacralsegment verfolgt. Der andere
Theil der degenerirten Fasern, welcher ebenfalls durch die vordere weisse Com-
missur in den Vorderstrang der contralateralen Seite eintritt und das Vorderhorn
| in regelmässigen Bogen umgiebt, nimmt in seinem weiteren Verlaufe eine auf-
! steigende Richtung an und rückt allmählich zur Peripherie des Rückenmarks und
. betheiligt sich an der Bildung des mittleren Theils des Gowers’schen Stranges.
; In der Medulla oblongata tritt das Bündel dieser Fasern in den Seitenstrang ein
j nnd kommt ventral von der absteigenden Wurzel des Trigeminus zu liegen. In
Bezug auf diejenige Gruppe von Fasern, welche nach Eintritt in den Seitenstrang
derselben Seite ihre Richtung rasch ändert, kann man folgende Schlüsse ziehen:
1. Diese Fasergruppe, ihren Anfang in der grauen Substanz der Hinterhörner
nehmend, muss zur Gruppe endogener Fasern zugezählt werden; 2. ein Theil
dieser Fasergruppe degenerirt in aufsteigender, der andere in absteigender
Richtung; 3. die Fasern dieser Gruppe müssen als zum System der kurzen
Bahnen des Rückenmarks zugehörig angesehen werden. Was die Fasern an¬
betrifft, welche längs dem Sulc. longit. ant. angeordnet sind, so müssen sie zum
System der commissuralen Fasern gerechnet werden, welche von Marie unter
dem NameD „faisceau sulco-marginal ascendant et descendant“ beschrieben worden
und. Das Studium der Degeneration der Fasern, welche in den Gowers’schen
I Strang eingehen, erlaubt den wahrscheinlichen Schluss, dass der letztere, ab¬
gesehen von den endogenen gekreuzten Fasern, auch gekreuzte Fasern enthält,
•eiche ihren Anfang aus den Zellen der Hinterhörner und aus dem centralen
Theil der grauen Substanz des Rückenmarks derselben Seite nehmen.
An derDiscussion nehmen die Hrn. Korniloff, Prybitkoff und Minor Theil.
edbyGoOgl«
186
Die auf den 25. Mai 1901 anberaumte Sitzung fand wegen des am Vor¬
abend desselben Tages erfolgten Todes des Priv.-Doc. Dr. N. M. Wersiloff nicht
statt. Dr. Wersiloff, ein überaus thätiges Mitglied der Gesellschaft, bekleidete
einige Zeit lang die Charge des Vice-Secretärs der Gesellschaft.
A. Bernstein. W. Murawieff.
V. Mittheilung an den Herausgeber.
Um die von Herrn v. Bechterew offenbar „mit viel Behagen“ aufgeworfene
Prioritätsfrage Dinkler-Geigel endlich zu einem Abschluss zu bringen, erkläre
ich hiermit, dass Herr v. B. darin Recht hat, die Arbeit von Geigel als die
zuerst erschienene zu bezeichnen. Als Entschuldigung für die von mir ohne
jede Prioritätsnebenabsicht — dass ich Prioritätsstreitigkeiten nicht hervormfen
wollte, geht wohl zur Genüge daraus hervor, dass ich in der betreffenden Mit¬
theilung an den Herausgeber meinen Namen alB Autor garnicht genannt habe
— geänderte Reihenfolge gebe ich an, dass ich meine Arbeit 1891 begonnen und
meines Wissens im December 1891 an die Redaction der Deutschen Zeitschr. f.
Nervenheilk. abgeschickt, die Arbeit von Geigel erst im Februar 1892 (bei
ihrem Erscheinen) gelesen habe. In wieweit hiernach Herr v. B.’s Anschuldigung
(in der Fussnote), dass ich gleichsam Herrn Geigel's Recht verkürzt habe, be¬
gründet ist, kann ich ruhig der Beurtheilung jedes Einzelnen überlassen; meine
Arbeit ruhte längst vor Erscheinen der Geigel’schen im Schreibtisch der
Redaction. — Ob es des weiteren berechtigt ist, bei der Beschreibung eines an¬
geblich neuen Phänomens auf neurologischem Gebiet die Durchsicht der
Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde ganz zu unterlassen, wird
Herr v. B. als besonders fruchtbarer Autor auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet
selbst am besten entscheiden. Prof p r Di n lder
Oberarzt am Luisenhospital zu Aachen.
VI. Neurologisohe und psychiatrische Litteratur
vom 1. November bis 31. Deoember 1901.
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Faserfärbungen. Neur. Centralbl. Nr. 21. — Kodis, Färbung des Centralnervensysteras.
Archiv f. mikrosk. Ant. LIX. Heft 2. — Crisafulli, J1 telencefalo degli Scyllii. Riv. di
pat. nerv, e ment. VI. Fase. 11. — Mühlmann, Veränderungen der Hirngefäase in ver¬
schiedenem Alter. Archiv f. mikrosk. Anat LIX. Heft 2. — Bickel, Accessorischer Trige¬
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v. Smlrno, Spinalganglienzellen beim Embryo. Archiv f. mikrosk. Anat. LIX. Heft 3. —
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Tertimento sessuale. Riv. mens, di psich. for. IV. Nr. 10 u. 11. — La Cara, La base
organica dei pervertimenti sessuali. Torino, 1902. — Intoxicationspsyohosen: Kyle,
Postfebrile mania. Brit. med. Journ. 23. November. — Catöla, Alterazioni mentali e
n«Tose da intossicazione epatica. Riv. di pat. nerv, e ment. VI. Fase. 11. — Culiere,
Delire aigu et urömie. Aren, de neur. Nr. 72. — Hyslop, Mental conditions associated with
Brights disease. Practitioner. Nr. 401. — Progressive Paralyse: Macpherson, Toxaemic
bssis of general paralysies. Edinb. med. Journ. Nr. 6. — Moravesik, Frühsymptome der
Pandyse. Allg. Zeitschr. f. Psych. LV1IL Heft 5. — Brunet, Meningo-encephalite du
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192
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Nr. 11 u. 11. — Mewlus, Insterburger Officiersauell. Aerztl. Sachverst-Ztg. Nr. 24. - Rauch-
Stein, Strafrechtliche Behandlung Geisteskranker. Blätter f. Gefängnissk. 8. 19. — Stern,
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Nr. 277 u. 278. — Sander, M., Therapie der acuten Erregungszustände. Psych. Wochen¬
schrift. Nr. 86 u. 87. — Riggs, Treatment of acute psychoses in private practice. Journ.
of Amer. med. Assoc. Nr. 21. — Degenkolb, Zellenlose Behandlung. Psych. Wochenschr.
Nr. 38. — PicquE, Pavillon de Chirurgie des asiles d’aliEnEs. Arch. de neur. Nr. 72. —
Hollms und MBIIer, Irrenhaus oder Privatpflege. Grabow, Hamburg. 40 8. — Kraepolin,
Heidelberger Wachabtheil. Centralbl. f. Nervenheilk. Nr. 148. — Starlinger, Irrenpflege
und Tuberculose. Psych. Wochenschr. Nr. 88.
VII. Therapie. Kocher, Chirurgische Eingriffe der Hirnkrankheiten. Holder, Wien.
457 8. — Mayor, DErivEs de la morphine. Rev. mEd. de la Suisse rom. Nr. 11/12. —
Rosenbach, Morphium als Mittel der Kraftbildung. Therapie der Gegenwart. November.
— ScherbatschefT, Wirkungen des Bromäthylens und Bromäthyls. Archiv f. experim. Path.
XLVII. Heft 1 u. 2. — Hepner, Hedonal. Prager med. Wochenschr. Nr. 51. — Heim,
Nervöse Schlaflosigkeit, Ursache und Behandlung. Cohen, Bonn. 59 S. — Erb, Balneologie
und physik.-diät. Behandlung. Sammlung klin. Vortr. Nr. 321. Leipzig, Breitkopf u. Härtel.
— Bonne, Suggestionsbehandlung. Wiener med. Presse. Nr. 45. — Keller, Bergsteigekuren
für Nervenkranke. Therap. Monatsh. November. — Baedeker. Areonvalisation. Wiener
Klinik. XXVH. Heft 10 u. 11. — Neumann, Max, Volksheilstätten für Nervenkranke.
Karlsruhe, Malsch u. Vogel. — Dumstrey, Nervenpfropfung. Deutsche Zeitsohr. f. Chirurg.
Deoember.
VII. Vermischtes.
Vom 15.—18. April wird zu Wi esba den unter dem Vorsitze des Hm. Geh. Med.-Rath
Prof. Dr. Naunyn (Strassburg) der XX. Congress für innere Medioin tagen. Als
VerhandlungsgegenBtände stehen auf dem Programme: Diagnose und Therapie des Magen¬
geschwürs (Referenten die Herren Ewald-Berlin und Fl ein er-Heidelberg) und: DieLioht-
therapie (Referent Herr Bie-Kopenhagen). — Ausserdem haben folgende Hrn. Einzelvorträge
angemeldet: Kaminer (Berlin): Ueber die Beziehungen zwischen Infection und der Jod-
reaction in den Leukocyten. — Ziemssen (Wiesbaden): Zwei Aortenaneurysmen. — Rumpf
(Bonn): Zur Entstehung des Coina diabeticum. — Paul Lazarus (Berlin): Die Babnungs-
therapie der Hemiplegie. — Manasse (Karlsruhe): Ferratose und Jodferratose. — Köppen
(Norden): Die tuberculose Peritonitis und der operative Eingriff. — Poehl (St. Petersburg):
Der Ersatz der intravenösen Kochsalzinfusionen durch Klysmen aus künstlicher physiologischer
Salzlösung. — Ad. 8chmidt (Bonn): Zur Pathologie des Magengeschwürs. — Pick (Prag:
Ueber den Einfluss mechanischer und thermischer Einwirkungen auf Blutstrom und Gefässtonus.
VIII. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. Georg Ilberg, ist an die neubegründete Kgl.
Sächs. Irrenanstalt zu Grossschweidnitz bei Loebau als Oberarzt und Stellvertreter des
Directors versetzt wordeni Herr Dr. Ranniger wurde zum Oberarzt an der Irrenanstalt
„Sonnenstein“ befördert. Zum Director der neuen Anstalt zu Grossschweidnitz wurde Herr
Oberarzt Dr. Krell — bisher an der Epileptikeranstalt in Hochweilzschen — ernannt.
IX. Berichtigung.
Auf S. 121, zweite Zeile v. u., sowie auf S. 122 (Discussion) d. Centralbl. muss es
statt „Skodczinski“ heissen: „Skoczyüski“.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction Bind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbb & Wittiq in Leipzig.
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alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs,
sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.
1902.
1. März.
3F Leipzig,
Verlag von Veit & Comp.
1902.
Nr. 5.
ANKÜNDIGUNGEN.
An der Provinzial-Irrenanstalt Rybnik (Ober Schlesien) sind am 1. April d. J.
zwei Assistenzarztstellen (5. und 6. Arzt) zu besetzen. Anfangsgehalt 1500 dH,
steigend bis zum Höchstgehalt von 2400 dH, ausserdem freie Station. Psychia¬
trische Vorkenntnisse werden nicht verlangt. Bewerbungen sind unter Beifügung
eines Lebenslaufs, der Approbation und sonstiger Zeugnisse an den Unterzeichneten
Dmctcr sinkenden. D r . Zander. Sanitätsrath.
Beim Stadt-Irren- und Siechenhause in Dresden wird für 1. Mai dieses
Jahre- eiu Hilfsarzt gesucht.
Gehalt 1000 dH im ersten, 1250 dH im zweiten und 1500 dH im dritten
Dienstjahre neben freier Station.
Die Anstalt, bestehend aus dem Irrenhause (Beobachtungsstation) mit
einer Jahresaufnahme von 950 bei einem durchschnittlichen Bestände von
70 Kranken, und dem Siechenhause (für chronisch Kranke jeder Art) mit
einer Jahresaufnahme von 340 bei einem Bestände von 900 Kranken, aus¬
gestattet mit Laboratorium und Sectionshaus, bietet reichlich Gelegenheit zu
wissenschaftlicher und praktischer Ausbildung. — Bewerbungen mit Nach¬
weisen sind bis zum 10. März d. Js. an das Krankenpflegamt einzureichen.
Auskunft ertheilen die Oberärzte Herren Hofrath Dr. Ganser und Dr. Hecker.
Für eine in jeder Hinsicht in bester Lage befindliche Heilanstalt (Nerven-
und interne Kranke), die vielversprechend ist und über eine reiche Auswahl aller
modernen Heilapparate (Wassercuren, elektrische Proceduren, Lichtheilverfahren,
Inhalation, Turnen etc.) verfugt, wird ein
= Arzt (Christ) als Compagnon gesucht. —
Einzuzahlendes Capital 30 bis 40 Mille Gulden. Anfragen sind an die Verlags¬
buchhandlung dieses Blattes unter „Heilanstalt etc .“ zu richten.
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Leitender Arzt und Besitzer: Dr. Facklam, Nervenarzt,
ehemaliger Assistent der Nervenklinik Halle a. S. •
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Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mondol)
ta Berlin.
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lonatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
U« Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
L März.
Nr. 5.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Zur pathologischen Anatomie der Tetanie gastrischen
|rsprunga, von Priv.-Doc. 6. J. Rossolimo in Mossau. 2. Ueber ein neues, der Tetanie verwandtes
okheitsbild bei chronischer Bleivergiftung, von Hans Haenel, Nervenarzt in Dresden. 9. Die
bung des Nervensystems mit Magentaroth, von Dr. P. Zosin , Rumänien. 4. Weiteres
r die asthenische Lähmung, nebst einem Obductionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Goldflam
Warschau.
IL Referate. Anatomie. 1. Zur Eenntniss des Stratum (Fasciculus) subcallosum
iculus nuclei caudati) und des Fasciculus fronto-occipitalis (reticulirtes cortico-caudales
I lndel] I, von Obersteiner und Redlich. 2. Untersuchungen über die normale und pathologische
jpophysis des Menschen, von Thom. — Experimentelle Physiologie. 3. Ueber die
wdehnung der Sinnessphären in der Grosshirnrinde, von Munk. 4. Observations on the
bysiology of the cerebral cortex of some of the Higher Apes (Preliminary comraunication),
Grlnbaum and Sharrlngton. 5. The separate localizatdon in the cortex and subcortex of
eerebrum of the representation of movements and of muscular and outaneous sensibility,
mit. 6. Ueber die physiologischen Wirkungen einiger aus der Schilddrüse gewonnener
[rodocte, von Cyon und Oswald. 7. Zur Physiologie der Hypophyse, von Cyon. 8 . Ricerche
funzione della ipofisi cerebrale, pel Lomonaco e van Rymberk. 9. Ueber Exstirpation
Hypophysis cerebri, von Friedmann und Maass. 10. Observations on the physiological
ob of extracts of the suprarenal bodies, by Langley. — Pathologische Anatomie.
Beiträge zur normalen und pathologischen Histologie der menschlichen Hypophysis cerebri,
Beuda. — Pathologie des Nervensystems. 12. Zur Aetiologie der Tetanie, von
srg. 13. Tätanie avec arthropathie, par Guinon. 14. Myxödem und Unfall, von
r. 15. A case of mongolism, bv Hall. 16. Ueber Athyreosis im Kindesalter, von
17. Zur Pathologie der infantilen Myxidiotie, des sporadischen Cretinismus oder
Stilen Myxödems der Autoren, von Siegert. 18. Le myxoedöme frano et le myxoedöme
te de l’enfance, par Hertoghe. 19. Een geval van congenitaal myxoedem, door van Brüggen.
KU fall af infantilt myxödem, af de la Chapelle. 21. Et Tilfölde af infantilt Myxödem
adlet raed Pili, gland. thyr. sicc., ved Riis. 22. Fall af myxoedema infantile, af Bel-
23. Ein Fall von Myxödem bei einem 2'/ t jähr. Mädchen, von Russow. 24. Zur
■tik des sporadischen Cretinismus, von Schiffmacher. 25. A case of sporadic cretinism,
Barbeur. 26. Idiotie myxoeddraateuse; traitement thyroldien, par Bourneville et Laurens.
Temporal hemianopsi pä grund af lesion af chiasma, af Juselius. 28. Klinische und
tomische Beiträge zur Lehre von der Akromegalie, von Fraenkel, Stadelmann und Benda.
Hypophysistumor, af Wahlfors. 30. Akromegalie, door Meyers. 31. Ett fall af akromegali,
ttster. 32. Ueber Akromegalie. Casuistische Mittheilungen von Warda. 33. Ein Fall
Akromegalie, von Trachtenberg. — Psychiatrie. 34. La Psychologie dans ses rapports
i la medicine, par Ciaparide. 35. Ueber die psycho-physiologischen und pathologischen
ebungen des Gedächtnisses, von Wille. 36. Nouvelles observations sur un cas de somnaru-
psme avec glossolalie, par Floumoy. 37. Ueber die Bedeutung der Individualstatistik bei
Erblichkeitsfrage in der Neuro- und Psychopathologie, von Strohmayer.
III. Bibliographie. Chirurgie des alidnds, par Lucian Piqu6 et Jules Oagonef.
IV. Aus den Gesellschaften. Socidtö de neurologie de Paris.
13
> y Google
194
I. Originalmittheilungen.
1. Zur pathologischen Anatomie der Tetanie gastrischen
Ursprungs.
Von Priv.-Doc. Q. J. Bossolimo in Moskau.
Das klinische und allgemein-pathologische Interesse der speciellen Form
allgemeiner Krämpfe, welche sich auf dem Boden der Magenerweiterung ent¬
wickeln, wie auch der in der Litteratur der Gegenwart bemerkliche, fast voll¬
ständige Mangel an positiven Ergebnissen der mikroskopischen Untersuchung des
Nerven- und Muskelsystems lassen wohl unseren Wunsch vollkommen berechtigt
erscheinen, über das bei der Untersuchung eines Falles aus unserer Klinik 1 er¬
haltene Material Bericht zu erstatten.
Basil K., 43 Jahre alt, Universitätspedell, verheirathet, hat einen Sohn von
9 Jahren; das erste Kind starb im Alter von l 1 /, Jahren, sonst hat seine Frau
keine anderen Kinder und auch keinen Abort gehabt. Starker Alkoholmissbrauch
hat bei dem Patienten nicht stattgefunden; kein Hinweis auf Syphilis. Patient
leidet etwa 16 Jahre lang an einem Magenübel, das seinen Ausdruck fand in der
Unfähigkeit des Magens, gewisse Substanzen zu vertragen, in Neigung mit Uebel-
keit und Erbrechen, in schlechtem Appetit, Verstopfung, seltener Durchfällen; die
letzten Jahre hat er häufig Magenausspülungen angewandt und eine gewisse Diät
beobachtet. Am 21. December 1900 klagte er gleich am Morgen über Schwere
im Kopfe, begab sich jedoch auf seinen Posten und verblieb daselbst bis 2 Uhr
Nachmittags. Am Abend ass er gegen seine Gewohnheit eine Vinaigrette von
Kartoffeln, Hering und Provenceröl, ferner Fischsuppe mit einem Stück Fisch
(Hansen), Pilze und Kransbeerengelöe. Die Nacht darauf schlief er schlecht,
wurde von Aufstossen, Sodbrennen und starken Magenschmerzen geplagt; machte
sich selbst mittels Schlauches eine Magenausspülung (was er auch sonst in ähn¬
lichen Fällen zu thun pflegte) und nahm Soda ein. Am anderen Morgen
(22. December) trank er 4 Tassen Kaffee und hatte 1 / i Stunde darauf Erbrechen;
über den Kopf hat er an diesem Tage nicht geklagt. Patient ist schwach ge¬
worden, sieht verfallen aus, bleibt den ganzen Tag im Bett liegen; am Abend
Schwäche in den Händen, beginnender Kopfschmerz; beim Sprechen Schwer¬
beweglichkeit der Zunge. In der Nacht vom 22. auf den 23. December
schlief er nicht; die Hände und Füsse wurden krampfhaft zusammen¬
gezogen, dabei bestand eine Empfindung, als wären die Extremitäten
mit Stricken zusammengeschnürt; die Beweglichkeit der Bulbi verringert;
reichlicher Schweiss; gegen 7 Uhr Morg. hörten die Krämpfe auf und es erschienen
Delirien (nach den Angaben der Frau hat Patient etwas irre geredet). Am
1 Die in unserem Falle zu Lebzeiten des Patienten beobachteten Ercheinungen sind
ganz typisch und lassen zu dem, was in dieser Hinsicht über die in Bede stehende Krank¬
heitsform bekannt ist, wohl kaum etwas hinzufügen. Denjenigen, welche sich mit der Klinik
und der allgemeinen Pathologie der auf gastrischen Störungen beruhenden Tetanie eingehend
bekannt machen wollen, empfehlen wir mit besonderem Vergnügen die in russischer Sprache
erschienene Arbeit von Dr. Th. A. Gausmow: Ein Fall von Tetanie bei Magenerweiterung.
Klinisches Journal. 1900. Nr. 2.
zedby G00gle
195
23. December hat Patient den ganzen Tag Uebelkeiten und Erbrechen gehabt und
äber Kopfschmerzen geklagt Temperatur Morgens 37,2, Abends 37,0. In der
Nicht vom 23. zum 24. December hat er wieder gar nicht geschlafen; Schmerzen
im ganzen Körper und grosse Schwäche. Stuhlgang war die ganze Zeit über
i nicht erfolgt; Magenausspülungen wurden jeden Tag gemacht.
Am 24. December, 4 Uhr Nachmittags, trat Patient in die Klinik ein mit
Klagen über Uebelkeit, Erbrechen und Schmerzen in der Magengrube. Bei der
ersten oberflächlichen Untersuchung des Kranken durch den Assistenten wurde
eonstatirt: Die Sprache des Patienten zusammenhängend, logisch, etwas hastig;
seine Antworten klar und bestimmt. In den Lungen und am Herzen nichts Ab¬
normes; Zwerchfellstand hoch. Bei vertikaler Stellung wurde mittels Percussion
Vergrösserung des Magens (bis zum Nabel) festgestellt; kein Plätschergräusch.
Der Kranke weist einen stark schwankenden Gang auf und hält sich mit Mühe
im Gleichgewicht; sobald er die Augen schliesst, fallt er fast unmittelbar darauf
um. Patellarreflexe lassen sich nicht auslösen. Scharf ausgeprägte Myosis; die
Pupillen reagiren nicht. In liegender Stellung ist bei dem Patienten das Epi-
gastrium eingesunken. Die Unterextremitäten adducirt; in den Beinen Schmerzen
in Folge der Spannung.
Der Kranke starb am Abend des 28. December, nachdem er in der Klinik
4 Tage verbracht hatte, in deren Verlaufe die hauptsächlichsten Störungen stetig
angenommen hatten. Das Erbrechen von grünen Massen hörte schon am Ende
des 1. Tages auf. Das Schlucken war sehr erschwert, in Folge von progressiv
zunehmendem Spasmus der Schlundmuskeln: mit Mühe konnten geringe Quantitäten
von Flüssigkeit hinuntergeechluckt werden. Der Harn musste mit dem Katheter
entleert werden, wobei täglich nicht mehr als 200 ccm Urins herauskamen, welcher
ein specifisches Gewicht von 1,017 g hatte und enorme Mengen von Eiweiss ent¬
hielt, bei vollständigem Fehlen von Formelementen. Zucker war nicht vorhanden.
Die allgemeine Erschöpfung des Kranken nahm von Stunde zu Stunde zu; immer¬
mehr trat eine cyanotische Färbung, hauptsächlich des Gesichts und der Extremi¬
täten, hervor, der ganze Körper war beständig mit reichlichem Schweiss bedeckt.
Der Puls, frequent und gespannt, wurde allmählich immer schwächer, Temperatur
39° und einige Zehntel. Scharf ausgesprochene Reaction der Vasomotoren; die
Athmung beschleunigt, oberflächlich.
Vom 25. December an blieb der Kranke im Bette, wie angeschmiedet be¬
ständig auf dem Rücken liegend; die Unterextremitäten mit krallenförmig gebogenen
Zehen gerade ausgestreckt, die Oberextremitäten in halber Beugung, die Finger
stark flectirt. Scharf hervortretende Spannung aller Muskeln der Extremitäten,
dee Rumpfes, des Halses und des Gesichts; das stark verfallene Antlitz sah wie
eine Maske aus: der Mund aufgesperrt, die Nasolabialfalten scharf markirt, die
Augenlider halb geschlossen, die Stirn von parallelen, horizontalen Falten durch¬
furcht, die Bulbi mit unbeweglich gerade nach vorn gerichtetem Blicke, dabei die
Conjunctivae stark injicirt. Im Gesicht, in der Stellung des ganzen Körpers und
im Zustande der Musculatur der Ausdruck einer gewissen Unruhe, welcher noch
verstärkt wurde durch ein leichtes nystagmusartiges Zittern der Augäpfel und
durch kurze klonische Zuckungen der Gesichtsmusculatur. Von Zeit zu Zeit stösst
der Kranke exspiratorische kurze heisere Laute aus, seine Sprache wird mehr und
«ehr erschwert und unverständlich. Am 2. Tage des Aufenthalts des Patienten
in unserer Klinik hin und wieder leichte Delirien, anscheinend Gesichtshallu-
cinstionen; das anfänglich etwas verwirrte Bewusstsein wurde mit jedem Tage
»lehr getrübt, um einige Stunden vor dem Tode ganz zu erlöschen.
Ausser den oben beschriebenen Erscheinungen seitens der Musculatur, d. h.
dem ununterbrochen gespannten Zustande derselben, waren von Zeit zu Zeit An-
verstärkter Contraction zu bemerken, wobei die Athmung nooh mehr stoss-
13*
196
weise und oberflächlich vor sich ging und die Flexion der Extremitäten, hauptsächlich
an den Händen nebst Fingern und an den Fassen nebst Zehen, sich steigerte.
Passive Bewegungen, namentlich Extensionen, erwiesen sich bei der Untersuchung
erschwert Der Muskeltonus bedeutend erhöht Aeusserst scharf ausgeprägt war
die Erhöhung der mechanischen Erregbarkeit: Ein leichter Schlag mit dem
Percussionshammer löst eine langdauernde tonische Contraction eines einzelnen
Muskelbündels oder auch eines ganzen Muskels aus; bei leichtem Beklopfen con-
trahiren sich die Bauchmuskeln stark und erscheint der Leib eingezogen; der
MuBkelwall tritt reliefartig hervor. Besonders leicht lässt sich das CHWOSTKK'sche
Symptom hervorrufen. Das TBOUSSBAu’sche Phänomen fehlt vielleicht deshalb,
weil schon ohnehin die Musculatur der Oberextremitäten nicht aus dem Zustande
tonischer Spannung herauskommt.
Eine Contraction lässt sich erzielen bei einer durchschnittlichen Entfernung
der Spiralen von 70 mm; 60 mm geben eine tonische Contraction, welche nach
dem Sistiren des Stromes noch einige Minuten andauert und allmählich schwindet.
Das ist hauptsächlich an den Muskeln des Stammes und der Oberextremitäten zu
beobachten; an den unteren Extremitäten ist diese Erscheinung äusserst schwach
ausgeprägt und am Gesicht fehlt sie ganz.
Nach Reizung des Stammes des N. medianus durch einen auf der Höhe der
Mitte des Oberarms applicirten schwachen Inductionsstrom wird die Beugung der
Finger noch etwas verstärkt.
Galvanische Erregbarkeit:
Extensor carpi radialis dextri 8 KS bei 7 Elementen 0,8 M.-A. K. > A.
Biceps dext.„ „3 „ 0,2 „ „
N. facialis sin.„ „6 „ 0,5 „ „
Masseter sin. .„ „9 „ 1,7 „ „
Gastrocnemius dext.„ „7 „ 0,5 „ „
Extensor carpi radialis . . Tetanus „18 „ 6 „ ,
wobei der Tetanus während des Durchgangs des Stromes auf seiner Maximalstärke
verharrt, dagegen beim Oeffnen der Kette rasch vergeht.
Die Kniereflexe sind sehr schwach. Beim Beklopfen der Sehne des
M. quadriceps erfolgt eine Contraction der Beugemuskeln des Unterschenkels. Der
Achillessehnenreflex fehlt.
Die Biceps- und Tricepsreflexe sind scharf ausgeprägt Der Unterkiefer¬
reflex fehlt.
Die Fusssohlenreflexe sind schwach.
Die Kremaster-, Scrobiculum- und Bauchdeckenreflexe fehlen.
Die Pupillarreflexe sind sehr schwach. Ausgesprochene Myosis. Unter dem
Einflüsse von Atropin erweitern sich die Pupillen stark. Darmausleerungen
konnten künstlich nicht hervorgerufen werden und fanden auch spontan nicht statt.
Der Urin musste per Katheter entleert werden; Erectionen wurden nicht
beobachtet
Zu der Zeit, als der Kranke noch bei Besinnung war und sich über seine
Empfindungen mehr oder weniger klar Rechenschaft ablegen konnte, klagte er
etwas über das Gefühl von Ameisenkriechen in Händen und Füssen.
Die Empfindlichkeit des Schädels, der Wirbelsäule und der Nervenstämme
war nicht erhöht.
Die Hautsensibilität zeigte keine augenscheinlichen Störungen.
Die Empfindlichkeit der Muskeln war nicht erhöht.
Seitens der höheren Sinnesorgane war nichts Besonderes zu constatiren.
Augenhintergrund normal.
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197
Stark ausgeprägte Steigerung der Vasomotorenreaction. Reichliche Schweiss-
secretion.
Die Temperatur war die ganze Zeit gegen 39° und stieg am letzten Tage
bis 40°.
Autopsie 15 Stunden nach dem Tode.
Die Finger der Leiche im Zustande krallenförmiger Beugung. Ausgesprochene
blntige Imbibition der Rückenhaut.
Bedeutende venöse Hyperämie der Gehirnhäute.
Die Meningen und die graue Substanz des Rückenmarks im Zustande scharf
ausgeprägter Hyperämie. Hypostase der Lungen. Die Leber ist klein, hyper-
ämisch, auf dem Durchschnitte von dunkelblauer Farbe. Die linke Niere ver-
gröesert, cyanotisch, die Grenzen zwischen ihren Substanzen verwischt. Das Par¬
enchym der rechten Niere ist atrophisch, dazwischen kleine seröse Cysten; das
erweiterte Nierenbecken, welches sich in Form eines bindegewebigen Sackes
prisentirt, enthält einen grossen Oxalatstein.
Die linke Herzkammer ist gut contrahirt, die rechte etwas dilatirt, der Herz¬
muskel hyperämisch. — Der Magen ist stark erweitert, seine Schleimhaut mit
einer reichlichen Menge Schleim bedeckt; stellenweise Erscheinungen von chronischem
Katarrh. Der Pylorus ist verengt, für den kleinen Finger nicht durchgängig.
Darmcanal und Harnblase bieten nichts Besonderes. Die Muskeln sind dunkel-
kinchfarben und äusserst leicht zerreisslich.
Bei aufmerksamer Untersuchung des Pylorus erwies sich, dass die
Verengerung seines Lumens von einer an seiner unteren Fläche befindlichen
derben, perlmutterfarbenen Narbe von länglicher Form herrührte. An gefärbten
Querschnitten gelingt es zu sehen, dass dieses 2 mm dicke, derbe Gebilde aus
compactem Bindegewebe besteht, das mit einer grossen Menge von alle Anzeichen
obliterirender Endarteriitis aufweisenden Gefassen versehen ist, sowie auch mit
einer bedeutenden Anzahl von Anhäufungen von Infiltrationselementen, welche
bald in Form von Strängen gelagert sind, bald die Gefasse wie eine Muffe um¬
geben, bald endlich in kleinen Gruppen zerstreut liegen. Von der Narbe aus
verlaufen nach der Tiefe der Muskelschicht hin viele bindegewebige Stränge,
welche stellenweise in das subseröse Gewebe eindringen. Im Ganzen erinnert das
Bild der anatomischen Veränderungen am Pylorus an ein umschriebenes gummöses
Gebilde im Stadium der finalen Sklerose.
Die Muskeln erwiesen sich sowohl während der Section, als auch beim
Zerzupfen nach der Bearbeitung mit Formalin und mit MüLLXa’scher Flüssigkeit
als äusserst brüchig; dennoch gelang es vollkommen, sie zu zerzupfen, und sie
verhielten sich normal zu den Farbreagentien.
Mikroskopisch konnte an den Zupfpräparaten und den Schnitten Folgendes
festgestellt werden:
Die Fasern von normaler, mehr oder weniger gleichmässiger Dicke; die
Qaeretreifung schwach ausgeprägt, die Längsstreifung dagegen mitunter sehr
deutlich; die Kerne der Sarkolemma stellenweise in vermehrter Anzahl und hin
and wieder reihenweise in Form von Ketten gelagert.
Die peripheren Nerven und die Wurzeln, die vorderen sowohl wie
die hinteren, blieben gleichfalls nicht normal: neben normalen Markfasern trifft
man an den mit Osmiumsäure gefärbten Zupfpräparaten an vielen Fasern in be¬
deutender Anzahl Stellen mit Myelinschwund, besonders zu beiden Seiten der
BASvrKn’schen Einschnürungen, wobei hier die Färbung entweder schwach ist
oder ganz fehlt, so dass das entblösste achromatische Netz deutlich hervortritt;
gleichsam als Ersatz des geschwundenen Marks stösst man in den beschriebenen
Faserabschnitten auf je ein oder einige dunkle, vollkommen runde und stark mit
Osmium gefärbte Kügelchen. Die Letzteren treten an den nach Busch gefärbten
Google
193
Präparaten manchmal in Form der gewöhnlichen Markschollen degenerirender
Fasern hervor, und besonders viele solcher Schollen sind auf den Quer* und
Längsschnitten der Rückenmarkswurzeln zu sehen. Ebenso findet man in den
nach der Formol-Methylen-Methode bearbeiteten Fasern, bei gut conservirten und
richtig gefärbten Myelinkörnern, an den Einschnürungen an vielen Stellen dichte
Haufen von Körnern, welche bald hier, bald da die Gestalt echter Schollen an¬
genommen haben. In den am meisten veränderten Faserabschnitten zeigt sich
auch der Axencylinder bald spindelförmig verdickt, bald korkzieherartig gewunden,
wobei er sich mit Methylenblau gut färben lässt.
In der weissen Substanz des CentralnervensyBtems sind in bedeutender
Anzahl Markschollen zerstreut, welche ohne regelmässige Vertheilung gleicherweise
in den Formol-Methylen-, wie in den BnscH’schen Präparaten zum Vorschein kommen.
In den Zellen des Rückenmarks und des Gehirns finden sich zwar auch
Veränderungen, jedoch sind sie bei Weitem nicht scharf ausgeprägt und nicht
häufig; es sind viele normale Zellen vorhanden, etwaige Veränderungen bestehen
entweder in Dislocation des Kerns oder in centraler Chromatolyse mit Zerstäubung
der chromatophilen Körner; einige Zellen bieten das Bild totaler Zerstäubung des
Protoplasmas dar, wobei manche dieser am meisten veränderter Zellen sich als
von stark hyperämisirten Capillaren umgeben erweitern.
Sowohl die bindegewebigen Septa in den peripheren Nerven, als auch
die Glia des CentralnervensyBtems weisen keinerlei Veränderungen auf.
Die Wandungen der Blutgefässe sind gleichfalls normal; seitens des
Circulationsapparates kann man nur auf starke Injection der Venen und Capillaren
hinweisen.
Das waren also die Ergebnisse der histologischen Erforschung in unserem
Falle von Tetanie gastrischen Ursprungs. Die Mittheilung derselben geschah
hauptsächlich aus dem Grunde, weil die derzeitige Litteratur der Frage, so reich
sie an klinischem Material ist, sehr dürftig ist in Bezug auf die Resultate ana¬
tomischer Forschung; in 30 früheren Fällen mit Sectionen waren die Resultate
negativ ausgefallen, und nur in einem Falle, erst dem 31., der schon der Epoche
einer feineren Untersuchung des Nervensystems angehört, und zwar in dem Falle
von FerraN oa \ wurden ausschliesslich die Zellen des Nervensystems betreffende
Veränderungen constatirt, welche sehr an diejenige erinnern, die sich in unserem
Falle ergeben haben. Was nun die peripheren Nerven und die Muskeln be¬
trifft, so ist es uns zuerst gelungen, überhaupt etwas Pathologisches an diesen
Organen bei einem Menschen, der an gastrischer Tetanie gestorben ist, zu er¬
blicken. Allerdings bieten alle unsere Befunde nichts für diese bestimmte Form
Charakteristisches; es sind annähernd dieselben Veränderungen, welche man
auch bei anderen toxischen Erkrankungen findet (wir haben dabei auch die
toxisch-infectiösen Fälle im Auge); aber gerade dieser ihr Charakter wird vielleicht
dazu dienen, eine bestimmtere Ansicht über die gastrische Tetanie zur Geltung
zu bringen, und zwar dass dieselbe als das Resultat einer Autointoxication des
Organismus durch Producte des gestörten Chemismus bei erweitertem Magen
anzusehen ist
1 L. Febbanxni, Histologische Veränderungen des CentralnervensyBtems nnd des Magens
bei Tetanie des Magens. Centralbl. f. innere Medicin. 1901. Nr. 1.
Google
199
[Aus dem hydrotherapeutischen Institut der Universität Berlin.
(Leiter: Geh. Rath Prof. Bbikgbb.)]
2. Ueber ein neues, der Tetanie verwandtes Krankheitsbild
bei chronischer Bleivergiftung.
Von Hans Haenel, Nervenarzt in Dresden.
Das grosse Gebiet der Erampferscheinuiigen im Muskelapparat ist durch
die Arbeiten der letzten Jahrzehnte so geklärt worden, dass man zur Zeit im
Stande ist, eine bestimmte Anzahl wohl abgrenzbarer Krankheitsformen zu unter¬
scheiden. Der Tetanus, die Tetanie, Myotonie, die verschiedenen Tics, Beschäf-
tigongskrämpfe u. s. w. sind so gut beschrieben und gekannt, dass man im ein¬
zelnen Falle selten im Zweifel sein dürfte, unter welcher Bezeichnung man
denselben führen soll. Dass es, wie überall, auch hier Grenzformen und Ueber-
gangsfalle giebt, mag ein Fall beweisen, den ich auf der Abtheilung des Herrn
Geh Raths Prof. Bblegeb zu beobachten Gelegenheit hatte, und für dessen
Ueberlassung ich ihm meinen besten Dank ausspreche.
Eb handelt sich um einen 24jährigen Mann, von Beruf Schriftsetzer. In
seiner Familie sind keinerlei Nervenkrankheiten, speciell kein dem seinen ähn¬
liches Leiden vorgekommen. Er stellt frühere Krankheiten, ebenso geschlecht¬
liche Infection in Abrede; zu trinken pflegte er 5 —6 Glas Bier täglich. Er will
nie an Eingeweidewürmern gelitten haben. Seit seinem 14. Lebensjahre ist er
als Schriftsetzer thätig. Schon bevor sein jetziges Leiden auftrat, hat er häufig
in unregelmässigen Zwischenräumen an Anfällen heftiger Leibschmerzen gelitten,
die zuweilen so stark waren, dass er sich auf dem Boden winden musste; dabei
war er einige Tage verstopft; erfolgte Stuhlgang, dann war der Anfall in der
Segel vorüber. Seit 4 Jahren hat er ein hartnäckiges, trockenes Ekzem an
beiden Unterschenkeln.
Vor etwa 2 1 /, Jahren bemerkte Pat. die ersten Anfänge seiner jetzigen
Krankheit, und zwar zuerst in den Fingern der linken Hand. Dieselben halten
bei Beiner Arbeit stundenlang in der gleichen Stellung den Setzerhaken um¬
schlossen, und Pat. bemerkte nun, dass sich dieselben manchmal unter Schmerzen
unwillkürlich so fest um diesen zusammen krampften, dass er sie nicht frei¬
willig wieder öffnen konnte. Nach einiger Zeit beobachtete er, dass die Beine
beim Stehen leichter ermüdeten als sonst, besonders das linke, obwohl er dasselbe
nicht stärker zu belasten pflegte, als das rechte, und dass sich in denselben, be¬
sonders in den Waden, ähnliche krampfartige Zustände einstellten; er war genöthigt,
die Beinstellung beim Stehen öfters zu wechseln. Allmählich breiteten sich diese
Krämpfe weiter aus, zuerst auf die Muskeln des Vorderarms, dann des Oberarms;
dann auf die rechte Seite, und zwar dort auch zuerst in drei ersten Fingern, mit
denen er die Lettern greifen musste; später auch auf die Muskulatur der Hüften und
des Rumpfes, zuweilen auch des Nackens, hier fast ausschliesslich die linke Seite be¬
treffend. Auch die Häufigkeit der Krämpfe vermehrte sich; während sie Anfangs
nur bei bestimmten Bewegungen oder beim Verharren in einer Lage sich zeigten,
traten sie später bei jeder Stellung der Glieder auf, befielen regellos die einzelnen
Muskelgruppen einer Extremität oder das gesamte Glied, wurden sehr schmerzhaft;
Fat. schildert die Empfindung dabei als das charakteristische Schmerzgefühl, das
igilizedby G()OgIe
200
auch der Gesunde von gelegentlichen Waden- oder Zehenkrämpfen her kennt.
Häufig empfindet er ausser diesem Schmerz noch ein unangenehmes, in die Haut
localisiertes Kriebeln, aber stets nur bei den Anfällen. Besonders leicht kommt
es zu Muskelkrämpfen, wenn er eine brüske, kräftige Bewegung maohen will,
z. B. beim Stiefelanziehen, beim festen Händedruck u. s. w. Andererseits ist ihm
aber ein mässiger Grad von Muskelaction angenehmer als völlige Ruhe: in der
horizontalen Lage, besonders Nachts im Bett, wird er jetzt oft von fast ununter¬
brochenen, in den einzelnen Muskeln sich ablösenden Krämpfen gequält, sodasB
sein Schlaf sehr gestört ist. Er steht lieber als dass er sitzt, beim langsamen
Spazierengehen fühlt er sich relativ am wohlsten. Seit etwa 2 Jahren ist er in
Folge dessen nur mit häufigen und langen Unterbrechungen arbeitsfähig; er ist
von vielen Seiten mit allerhand mechanischen, hydrotherapeutischen und medi-
camentösen Kuren behandelt worden, aber ohne wesentlichen Erfolg; einen vor
einigen Monaten unternommenen Versuch, die Arbeit wieder aufzunehmen, musste
er nach kurzer Zeit wieder abbrechen. Nie hat Pat. irgendwelche Lähmungen
in den Armen oder Beinen bemerkt, nie dauernde Gefühlsstörungen, nie Bewusst¬
seinsstörungen. Das Allgemeinbefinden ist ein günstiges, der Appetit ist im
Ganzen gut, nur leidet Pat. noch jetzt, nachdem er wieder über 2 Monate von
Blei sich ferngehalten hat, an Unregelmässigkeiten der Verdauung, Verstopfung
mit gelegentlichen heftigen Durchfällen abwechselnd. Erbrechen hat er nie gehabt
In der letzten Zeit hat er ab und zu auch geringe Beschwerden beim Kauen be¬
obachtet; Schlucken, Sprechen, Athmen ist stets ohne Störung gegangen.
Stat. praes.: Mittelgrosser, genügend ernährter Mann von gesunder Gesichts¬
farbe, geringem Fettpolster und gut entwickelter Muskulatur. Die Sehschärfe ist
normal, dessgleichen der Augenhintergrund; die Augen sind nach allen Seiten frei
beweglich; die Pupillen, gleich weit, reagiren prompt auf Licht und Accommodation.
Die Sensibilität im Gesicht ist normal; die Kaumuskeln contrahiren sich beim
Zubeissen fest, können spontan leicht erschlafft und innervirt werden; lässt man
gegen Pat. den Mund weit aufreissen, so kann er ihn nicht ebenso rasch wieder
schJiessen; man merkt dabei eine Anspannung der Muskeln am Mundboden (Genio-
hyoideus, hyoglossus u. s. w.), die sich, auch nachdem der Mund geschlossen ist,
noch hart und contrahirt anfühlen und erst nach einigen Secunden völlig er¬
schlaffen. Pat. hat im Oberkiefer nur 3 InciBivi. Am Zahnfleisch der beiden
oberen Canini bemerkt man einen schmalen grauen Saum; an einem excidirten
Gewebsstückchen von dieser Stelle sieht man unter dem Mikroskop feine schwane
Körnchen um die Papillenspitzen gelagert, die bei Behandlung mit Wasserstoff¬
superoxyd verschwinden und bei Schwefelwasserstoffzusatz zum Theil wiederkehren;
dieselben bestehen also aus Schwefelblei (Rüge). Der N. facialis wird beider¬
seits gleichmässig innervirt; in den Gesichtsmuskeln zeigen sich keinerlei Krämpfe.
Mechanisch, durch Beklopfen oder Streichen sind keine Zuckungen auszulösen, auch
nicht durch Druck auf den Nervenstamm; die Verhältnisse bei elektrischer Reizung
von Muskeln oder Nerv zeigen keine Besonderheiten. Gehör, ebenso wie Geschmack
und Geruch, sind ungestört. Die Zunge wird gerade hervorgestreckt, lässt keine
abnormen Bewegungserscheinungen erkennen. Die Thyreoidea ist vor der Trachea zu
fühlen, ist weder verkleinert noch vergrössert. Die Organe von Brust und Bauch
Bind ohne nachweisbare krankhafte Veränderungen, speciell fehlen alle Zeichen
einer Ectasie oder sonstigen Erkrankung des Magens. Nirgends Bind Drüsen-
Schwellungen zu fühlen.
Die Musculatur ist am ganzen Körper gut entwickelt, nirgends atrophisch
oder paretisch. Beobachtet man den nackt dastehenden Patienten eine Zeit lang,
so sieht man, besonders am linken Arm, weniger am rechten, bald hier, bald da,
einen Muskel oder eine Gruppe von solchen sich tetanisch contrahiren und den
zugehörigen Gliedabschnitt in die entsprechende Stellung ziehen. Die Stellung
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201
wird dann längere oder kürzere Zeit, einige Seconden bis 5 Minuten und länger
beibehalten und kann aotiv nicht, passiv nur unter Ueberwindung eines erheb¬
lichen Widerstandes und unter Schmerzen, manchmal auch gar nicht, geändert
werden. Die proximalen Muskeln, Deltoideus, Pectoralis u. s. w. sind dabei ebenso
häufig ergriffen, wie die distalen, die Beuger ebenso häufig, wie die Strecker.
Eine Bevorzugung der dem N. ulnaris ungehörigen Muskeln und Entstehung der
„Geburtshelferhand*‘ kommt so gut wie nie zu Stande; wenn eine Gruppe bevor¬
zugt ist, so ist es zur Zeit die Muskulatur der linken Schulter. Fordert man
Pat auf, die Hände zur Faust zu ballen, so kann er dieselben nur mühsam und
langsam, ruckweise, wieder öffnen, die linke hat dabei constant grössere Schwierig¬
keiten als die rechte. Dieses Verhalten erinnert s^hr an das bei Myotonie; es
ist aber bei rascher Contraction in den Finger- und Handstreckern dasselbe; es
stöect dann die Beugung auf den gleichen Widerstand; desgleichen in Oberarm- und
Schultermuskeln; die Musculatur des Naokens und Halses scheint in dieser Beziehung
frei zu sein. In den Beinen bemerkt man beim Stehen und Gehen wenig Abnormes, nur
fallt zuweilen eine starke Flexion der grossen Zehe auf; sowie Pat. aber einige Minuten
liegt, treten ohne äussere Beize ausgedehnte Krämpfe auf, die den Fuss bald in
extreme Plantarflexion mit Einschlagen der Zehen, bald in Dorsalflexion bringen,
das Knie beugen oder strecken, den Oberschenkel nach innen oder aussen bis
io die Endstellung rotiren. Die contrahirten Muskeln springen in scharfen Con-
turen ’.rzollenartig hervor und fühlen sich steinhart an. Auch hier sind die distalen
Gruppen kaum stärker als die proximalen betroffen. Häufig sieht man, besonders
im Quadriceps, rasch hintereinander folgende, kleinere, frustiane Contractionen,
ohne deutlichen oder mit nur geringem motorischen Effect, so dass eine Art
Moskelwogen entsteht, wie es Schultze unter dem Namen Myokymie beschrieben
hat Wie im Arm, so sind auch im Bein die Krämpfe links heftiger und an¬
haltender als rechts. An den Rumpf- und Bückenmuskeln ist äusserlich nichts
Abnormes zu sehen; doch hat Pat. in denen der linken Seite oft ähnliche Sensationen
als in denen der Extremitäten; steht er vom Stuhl auf, so sieht man, dass con¬
stant die rechte Seite vorangeht, die linke etwas nachfolgt, so dass Pat mit einer
leichten, sich rasch ausgleichenden rechts-convexen Skoliose aufsteht. Führt Pat.
eine der ihm schwer fallenden Bewegungen, z. B. das Schliessen und Oeffnen der
Faust, mehrmals hintereinander aus, so erfolgen die letzten Bewegungen ebenso
gehemmt, eher noch schwieriger, wie die ersten, jedenfalls wird dadurch keine
Erleichterung erzielt, wie in den typischen Fällen von Myotonie. Druck auf den
Sole, bicipit intern, ruft prompt einen Krampf des Arms hervor; doch sind auch
andere Nerven, besonders der N. ulnaris, sowie die einzelnen Muskeln schon durch
geringen Druck, manchmal schon durch blosses Darüberstreicben, in tetanische
Contraction zu versetzen, die sieb meist von dem gereizten Muskel auch auf ent¬
ferntere, selbst mit Ueberspringung der benachbarten, ausbreitet (z. B. von den
Streckern am Vorderarm auf den Deltoideus oder Pectoralis), Ein Uebergreifen
auf die gegenüberliegende Seite war ebenfalls zu beobachten; oft war es indessen
schwer, zu sagen, wb der Krampf dort ein spontaner oder ein durch absichtliche
Beizung hervorgebrachter war. Bei Beklopfen mit dem Percussionshammer ist
die Zuckung schwerer zu erzielen als der Tetanus beim Comprimiren; die Erreg¬
barkeit für diesen Beiz ist jedenfalls nicht gesteigert, auch die idiomuskuläre
Welle ist nicht erhöht. Die Sehnen- und Periostreflexe sind nicht erhöht.
Der Zehenreflex ist plantar; Kremaster- und Bauchreflexe lebhaft.
Die Verhältnisse bei der elektrischen Untersuchung sind nicht leicht fest¬
zustellen wegen der zahlreichen und langdauernden spotanen Krämpfe, sobald das
Glied einige Zeit in einer bestimmten Stellung gehalten wird. Wird ein Muskel
in einem Zustande völliger Erschlaffung gereizt, — worauf man oft längere Zeit
warten muss, — so ist die Zuckung die ersten paar Male eine prompte, beim
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202
galvanischen Strom blitzartig, beim faradiscben mit der Oefinung des Stromes
auf hörend; jedenfalls sind die Merkmale der EBB’schen MyR niobt gegeben.
Schon nach wenigen Zuckungen stellt sich aber bei beiden Stromarten eine maxi¬
male tetanische, die Reizung lange überdauernde und erst langsam abklingende
Contraction ein, die dann ebenfalls nicht auf den gereizten Muskel beschränkt
bleibt, sondern sich auf benachbarte und entfernte ausbreiten kann. Die Erreg¬
barkeit für den galvanischen Strom ist, abgesehen von diesem Krampf, nicht
gesteigert, eher herabgesetzt; bei directer faradischer Reizung tritt aber die
Zuckung schon bei einem Rollenabstand ein, der beim Gesunden noch keine
Zuckung hervorruft; die faradische Erregbarkeit ist also gesteigert. Die elek¬
trischen Erregbarkeitsverhältnisse der Nerven sind ebenfalls schwer zu beurtheilen,
weil bei deren Prüfung ein mechanischer Reiz durch den Druck der Elektrode
noch schwerer, als bei der Muskelreizung zu vermeiden ist und oft schon das
Aufsetzen derselben bei geöffnetem Strom genügte, um die Muskeln in Contrac¬
tion zu bringen. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes schien eine erhöhte
Erregbarkeit für den galvanischen Strom nicht zu bestehen. Arm und Bein ver¬
hielten sich in dieser Hinsicht gleich, auch zwischen rechter und linker Seite
war kein verwerthbarer Unterschied festzustellen. Die mechanische Erregbarkeit
der sensiblen Nerven schien, soweit die subjectiven Angaben hierüber ein Urtheil
zulassen, erhöht zu sein (periphere Parästhesieen bei Druck auf den Ulnaris).
Objective Sensibilitätsstörungen fehlten.
Der Kranke wurde einer Behandlung mit Lichtbädern und darauffolgenden
milden Halbbädern unterzogen, ohne bisher eine merkliche Veränderung angeben
zu können. Hinzugefügt sei noch, dass Herr Dr. Zülzbb, welcher die Güte hatte,
den Pat. der Anstalt zu überweisen, nachdem er ihn vorher selbst behandelt und
auch im Verein für innere Medicin als eine der Myotonie nahestehende Krank¬
heitsform vorgestellt hatte, bei demselben Stoffweohseluntersuchungen vorgenommen
hatte, die eine Vermehrung der Harnsäure und ein normales Verhalten der Kreatin¬
ausscheidung ergeben batten; ein der Wade probeweise entnommenes Muskelstück
wurde bei mikroskopischer Untersuchung normal befunden. Herr Dr. Löwenthal,
Volontärarzt des Herrn Geh.-Rath Beieger, hatte das Blut des Pat. auf die bei Blei¬
vergiftung so häufig gefundenen basophilen Granula der rothen Blutkörperchen
untersucht; dass dieselben fehlten, ist wohl darauf zurückzuführen, dass Pat. schon
seit mehreren Wochen nicht mehr mit Blei in Berührung gekommen war.
Fassen wir den vorstehenden Befund zusammen, so sehen wir, dass bei
einem Schriftsetzer unter dem Einfluss einer chronischen Bleivergiftung (Koliken,
Bleisaum) sich eine chronische, progressive Erkrankung im Muskelsystem ent¬
wickelt hat, die in fast continuirlichen, bei geringen ausseren Reizen oder bei
heftigeren Bewegungen, aber auch bei völliger Ruhe entstehenden, schmerz¬
haften, tetanischen Contractionen der verschiedensten Muskelgruppen besteht
Die linke Seite incl. Rumpf ist früher betroffen worden und jetzt nooh stärker
befallen als die rechte; Kopf und Gesicht sind bis auf die Mundöffoer frei,
ebenso, abgesehen von geringen Parästhesieen, die sensible Sphäre und das
Sensorium.
Welcher der bekannten Krampfformen soll man dieses Krankheitsbild zu¬
rechnen? Am nächsten steht dasselbe wohl der Tetanie: wir haben wie bei
dieser die bei voll erhaltenem Bewusstsein auftretenden Anfälle schmerzhafter
tonischer Muskelcontractionen, die Auslösbarkeit der Krämpfe durch Druck auf
die peripheren Nervenstämme, das, wenigstens zu Beginn der Erkrankung, vor-
Google
203
wiegende Befallensein der peripheren Gliedabechnitte, vielleicht auch die Ueber-
erregbarkeit der sensiblen Nerven (HoFFMANn’sches Symptom). Dagegen be¬
stehen auf der anderen Seite doch sehr wesentliche Unterschiede von dem
typischen und in der Regel so gesetzmässigen Bilde der Tetanie. Es fehlt vor
Allem das sog. CHWosTEK'sche Symptom, die gesteigerte Erregbarkeit des N. fa¬
cialis, das als so constant gilt, dass man aus seinem isolirten Auftreten ohne
die charakteristischen Krämpfe schon in manchen Fällen die Diagnose auf
Tetanie stellen zu können behauptet hat Es fehlt das als fast pathognomonisch
bezeichnet« bilateral-symmetrische Auftreten der Krämpfe und das ebenso
regelmässige Vorwiegen der Beuger und kleinen Handmuskeln, das zur be¬
kannten „Geburtshelferhand“ führt. Fbankl-Hochwabt, der die Litteratur
der letzten 2 Jahrzehnte wohl votlständig überblickt, sagt direct, dass eine
Streckung der Finger im Krampfe kaum je vorzukommen scheine; bei un¬
serem Falle konnte diese Haltung nicht selten beobachtet werden. Es fehlt die
gleichmässige, von den Fingern centripetal fortschreitende Ausbreitung der
Krämpfe, an deren Stelle bei uns eine vollständige, sprungartige Regellosigkeit
herrscht Oberschenkel und Hüfte, die bei der Tetanie nur ausnahmsweise er¬
griffen werden, sind hier in ebenso hohem Grade Sitz der Krämpfe wie die
Fussmuskeln. In seltenen Fällen kann bei Tetanie durch Betheiligung der
Kaumuskeln eine Andeutung von Kieferklemme hervorgerufen werden; in unserem
Falle sind die Kaumuskeln trotz der enormen Ausbreitung der Krämpfe frei,
dagegen die Mundöffner befallen, was bisher in keinem Falle von Tetanie erwähnt
wurde. Ferner besteht bei Tetanie eine charakteristische Veränderung der elek¬
trischen Muskelerregbarkeit, besonders Steigerung derselben für den galvanischen
Strom. Bei uns war diese eher herabgesetzt, dagegen die faradische Erregbar¬
keit fraglos etwas erhöht Aus der verschiedenen Wirkung der beiden Strom¬
arten geht auch hervor, dass die Erregbarkeitssteigerung nicht etwa auf eineu
verminderten Leitungswiderstand der Haut zu beziehen ist Vor Allem wäre
bei Tetanie etwas Unerhörtes die eminent chronische Entwicklung des Leidens.
Fäaxkl-Hoch'wabt kennt Fälle, wo sich Jahre lang Recidive wiederholten,
durch Monate lange Pausen getrennt; „wirklich chronische Tetanie aber mit
Monate langen täglichen Anfällen dürfte ein ausserordentlich seltenes Vorkomm¬
nis sein.“ In. unserem Falle handelt es sich dagegen, wenn man so sagen darf,
nm einen seit über 2 Jahren fast ununterbrochen anhaltenden Anfall. An
jener Stelle erwähnt Fbankl-Hochwabt allerdings, dass das CHVOSTEK’sche
Phänomen u. A., und besonders manchmal in sonst sioberen chronischen Fällen,
fehlen kann; unser Fall ist aber, wie wir schon gesehen haben, keinesfalls
„sonst sicher.“ — Weiter verdient die Aetiologie berücksichtigt zu werden. Bei
der gewöhnlichen Tetanie kennen wir eine ganze Reihe sicherer ätiologischer
Momente (Schilddrüsenmangel, Magenerkrankung, Laotation, locale und Berufs¬
verhältnisse u. 8. w.), von denen keines hier vorliegt. Unter den Intoxicationen
wird Blei von Fbankl-Hoohwabt auch erwähnt auf Grund von nur 2 Fällen
(Gowebs, Letulle), von denen es bei dem einen noch nicht einmal sicher
stand, ob er nicht hysterischer Natur war. Von Jakbch ist bei den Folgen der
zedby G00gle
204
chronischen Bleivergiftung Tetanie oder eine ähnliche Muskelerkrankung nicht
erwähnt In unserem Falle kann bei dem sonstigen guten Allgemeinzustand
und dem Nachweis von Blei im Körper kaum eine andere Ursache in Betracht
kommen.
Bei diesen nicht unwesentlichen Verschiedenheiten von der Tetanie darf
man sich in unserem Falle also fragen, welcher von den anderen Muskelkr&mpfen
etwa noch in Betracht kommen könnte. Das eine in die Augen springende
Symptom — Unfähigkeit, die geschlossene Hand rasch zu öffnen — könnte,
wie schon erwähnt, den Gedanken an Myotonie nahe legen. Dass diese hier
keine „congenita“ ist brauchte uns ohne Weiteres nicht irre zu machen; Talma
hat Fälle beschrieben unter dem Titel: Myotonia acquisita, bei denen unter
verschiedenen äusseren Ursachen — unter denen sich allerdings Blei nicht
findet — die wesentlichsten Zeichen der echten, angeborenen Myotonie sich
nach weisen liessen. Diese fehlen aber bei unserem Falle sämmtlich, besonders
vermisst man die pathognomonische MyR und die Erleichterung der Bewegung
naoh mehrmals wiederholter Ausführung; und das Symptom der „myotonischen
Hand“ kommt bei so verschiedenen Krankheiten vor, — ausser bei Hysterie,
multipler Sklerose, Syringomyelie, spinaler Muskelatrophie ist es besonders auch
bei echter Tetanie (Schulze, Kaspabek) beschrieben worden —, dass auf dieses
allein die Diagnose unmöglich zu begründen ist.
Wenn wir uns sonst in der Litteratur nach Krankheitsbildem ähnlich dem
von uns beobachteten und mit gleicher Aetiologie Umsehen, so finden wir sehr
wenige Angaben. Stewabt beschreibt als „Bleiconvulsionen“ das gelegentliche
Auftreten von isolirten Zuckungen einzelner Muskeln. Remak erwähnt bei Be¬
sprechung der Bleilähmung in Eulenbübq’s Realencyklopädie, dass bei derselben
selten auch fibrilläre Zuckungen beobachtet werden. Gowebs spricht von paroxysmal
auftretenden, tetanieartigen Krämpfen bei Bleivergiftung. In den von Kny beschrie¬
benen Fällen bestand eine Steigerung der directen Erregbarkeit für beide Strom¬
arten mit Nachdauer der Contraction nach kurzer KSZ und schmerzhaften spon¬
tanen Contractionen bei einem Myoclonus fibrillaris multiplex bezeichneten
Krankheitsbilde; von Blei wird dabei unter den ätiologischen Momenten nichts
erwähnt. Beachtung verdient dagegen die Erkrankung, die Schültzb vor
6 Jahren zuerst als Myokymie beschrieben hat; bei derselben besteht ausser
einem continuirlichen starken Wogen eine Veränderung der Muskeltbätigkeit
derart, dass bei kraftvoll ausgeführten Bewegungen sohmerzhafte asymmetrische
Crampi auftreten; die mechanische Erregbarkeit der Muskeln, auoh der vom
Facialis versorgten, ist nicht erhöht, dagegen erzeugt eine Faradisation der
Gastrocnemii schon bei schwachen Strömen einen exquisiten Tetanus mit minuten¬
langer Nachdauer. Die Aehnlichkeit dieser Schilderung mit manchen Punkten
unseres Falles ist ersichtlich; betreffs der mechanischen Erregbarkeit sei noch
besonders darauf hingewiesen, dass Druck auf die gesammte Muskelmasse bei
uns eine andere Wirkung hervorbrachte als das gewöhnlich bei der Untersuchung
geübte Beklopfen mit dem Hammer; obwohl Beides mechanische Reize sind,
war die Erregbarkeit für den ereteren gesteigert, für den letzteren nicht Da
zedby G00gle
205
Schultze nicht speciell erwähnt, ob er auch die Compresaon der Muskeln in
toto ausgeübt hat (das TBoussEAü’sche Symptom fehlte in seinen Fällen), so ist
immerhin möglich, dass für diesen Reiz eine erhöhte Erregbarkeit wie in unserem
Falle bestanden haben mag.
Die Frage nach der Aetiologie lässt Schultze offen; da ist nun für uns
eine Arbeit von Bubbb von grossem Interesse. ' Derselbe beobachtete einen Maler,
bei dem an den oberen Extremitäten ausgesprochene Bleilähmung bestand,
während die nicht gelähmten Muskelgebiete, besonders die Beine (Waden), auch
Bumpf und Triceps, eigenartige, krampfhafte Bewegungsstörungen zeigten, die
er nicht ansteht, als Myokymie zu bezeichnen. Es bestanden nämlich häufige,
spontane Zusammenziehungen der Muskeln, manchmal geringfügig, ohne Be¬
wegungseffect und schmerzlos, häufig sehr schmerzhaft, wenn die Contraction
so stark wurde, dass sie einen motorischen Effect erzielte; es bildeten sich dabei
harte Knollen in den Muskeln, die sich nur langsam wieder ausglichen. Beson¬
ders häufig und schmerzhaft traten die Krämpfe in den Beinen beim Liegen
auf der Seite auf, genau wie bei unserem Patienten, störten desshalb auch die
Nachtruhe. Die mechanische Erregbarkeit wird als gesteigert angegeben (an¬
scheinend nur durch Beklopfen geprüft). Bei elektrischer Prüfung zeigte sich
eine Steigerung der galvanischen und faradischen Erregbarkeit, die bei directer
Beizung oft zu nachhaltigem, auch nach Absetzen der Elektrode noch fort¬
bestehendem Tetanus führte. Yerf. bezeichnet diese Erscheinung als myotonische
Beaction. Die Krankheit bestand in diesem Falle seit 2 Jahren mit Unter¬
brechungen.
Hier haben wir also einen Fall, in dem das Blei eine offensichtliche
Schädigung des Nervensystems hervorgerufen hatte: einmal in der Form der
gewohnten peripheren Lähmung, zweitens in der ungewöhnlichen Form von be¬
stimmt charakterisirten Muskelkrämpfen in den nichtgelähmten Parti een, die
mit denen in unserem Falle in den wesentlichsten Punkten übereinstimmen.
Hat dort also das Blei Lähmungen und periphere Krämpfe erzeugt, so ist es
nicht feraliegend, anzunehmen, dass es unter Umständen auch einmal diese
Krämpfe allein ohne die Lähmungen veranlassen kann; und damit würde sich
unser Fall den bereits bekannten Folgen der Bleivergiftung anreihen, eine spe-
cielle Form derselben in reinster und gleichsam ins Hypertrophische gewachsener
Ausbildung repräsentiren. — Auf eine Analogie mit der Bleilähmung sei hier noch
hingewiesen: diese betrifft bekanntlich die stärker angestrengte Hand in der
Begel zuerst und auch bei voller Ausbildung ist gewöhnlich der zuerst befallene
ärm auch der am schwersten erkrankte. In unserem Falle hat genau dasselbe
stattgefunden: in den Muskeln, die durch dauerndes Halten des Setzerhakens
am stärksten in Anspruch genommen waren, setzte die Erkrankung ein und hat
diese Seite dauernd bevorzugt; auch rechts befiel sie zuerst die 3 Arbeitsfinger.
Ob das stärkere Befalleusein des linken Beins ebenfalls auf stärkere Inanspruch¬
nahme desselben zurückgeführt werden kann, ist nicht sicher; in der Regel bildet
sich bei Leuten mit stehender Beschäftigung die Gewohnheit aus, unbewusst ein
Bein stärker zu belasten als das andere, so dass die Angabe des Pat., er habe
Google
206
beide Beine gleichmässig gebraucht, nicht ohne Weiteres den Thatsachen zu
entsprechen braucht
Die Frage, ob etwa das Antimon, das in den Lettern ja ebenfalls in nicht
geringer Menge enthalten ist, eine Erkrankung wie die vorliegende erzeugen
könne, wird kurz zu erledigen sein. Das Antimon steht in seinen toxischen
Wirkungen dem Arsen näher, als irgend einem anderen Metallgifte: die acute
Vergiftung erzeugt Erbreohen, starke Diarrhöen, Albuminurie; die ohronische
Vergiftung ist selten und nach Jaksoh noch nicht einwandfrei beschrieben; sie
erzeugt ebenfalls der chronischen As-Vergiftung ähnliche Symptome, vor allen Dingen
intestinale, dazu Abmagerung, Nierenentzündung; die nervösen Erscheinungen
treten zurück, wenn auch hie und da Delirien, Tremorerscheinungen und Waden¬
krämpfe beobachtet worden sind. Eine Untersuchung von Ciechanowski über
die Verkeilung des Antimons in den Organen damit vergifteter Thiere ergab, dass
dasselbe sich hauptsächlich in der Niere und der Leber findet, erst nach längerer
Zeit in Lunge, Herz und Muskeln, zuletzt in Spuren auch im Centralnervensystem.
Vom Blei kennen wir aber seit langem und fürchten wir seine besondere
Affinität zum peripheren und centralen Nervensystem, und Mabsdrn und Abbau
haben dafür auch den anatomisch-chemischen Nachweis geliefert.
Ueber den Angriffspunkt des Giftes, den eigentlichen Locus morbi, können
wir in unserem Falle natürlich nur Vermuthungen hegen. Der Gesammt-
eindruck ist entschieden der einer Erkrankung der Muskeln selbst Das von
Herrn Dr. Zülzeb untersuchte excidirte Muskelstück hatte indessen keine Anomalien
erkennen lassen. Nun ist aber auch bei der Tetanie das äussere Bild das einer
Muskelaffection, und doch kommt Frankl-Hochwabt bei der Würdigung der
pathologisch-anatomischen Befunde, wenn sie auch spärlich und wenig ergiebig
sind, zu dem Resultat, dass am wahrscheinlichsten eine Erkrankung der Vorder-
hömer des Rückenmarks der Tetanie zu Grunde liegt Aus dem Vorkommen
einer Poliomyelitis anterior chronica saturnina wissen wir, dass das Blei die
Vorderhörner ebenso schädigen kann, wie die peripheren Nerven und das Ge¬
hirn; so ist es wohl möglich sich vorzustellen, dass diese Schädigung unter be¬
stimmten Verhältnissen einmal statt zu degenerativen Atrophieen zu tetanie¬
ähnlichen Erscheinungen fuhren mag.
Mit welchem Namen die Erkrankung in dem vorstehenden Falle zu be¬
legen wäre, muss unbestimmt bleiben; da sie in keines der bekannten Bilder
ganz passt und zur Erfindung eines neuen Namens eine Veranlassung nicht im
mindesten vorliegt, mag es genügen, zu sagen, dass der Fall eine zwischen
Tetanie und Myokymie in der Mitte stehende Krankheit darstellt, deren haupt¬
sächlichste Bedeutung darin erblickt werden mag, dass sie dem schon so mannig¬
faltigen Bilde der durch chronische Bleivergiftung hervorgerufenen Nervenkrank¬
heiten eine neue Form hinzufügt.
Litterator.
Bcbbr, Neorolog. Centralbl. 1897. Nr. 15. — Ciechakowski, Annalee d’hygiene publ.
1898. — Eülenbübq, Artikel „Tetanie“ in s. Realencyclopädie d. ges. Heilk. — Frankl-
Google
2Ö7
Hochwabt, Spec. Pftth. n. Ther., herausgegeben von Nothnagkl. XI, 2. — Gowbbs, Handbach
der Nenenkrankh. III. — Dere, Lancet July 1888. — Hoff mann, Nenrolog. Centralbl.
1895. Nr. 6. — Jakbch , Spec. Path. u. Ther., heraoageg. von Nothnagkl, I. — Kabpabbk,
Wiener klin. Woohenachr. 1890. — Kny, Archiv f. Paych. XIX. — Marsden und Abbam,
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d. ges. Heilk. — Book, Deutsches Archiv f. klin. Med. LVIII. — Sohultzb , Deutsche
ZdtBchr. f. Nervenheilk. 1895. — Ders., Berliner klin. Wochenschr. 1874. — Stbwabt,
Amer. Journ. of Med. Sciences. 01X. Heft S. — Talma, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.
1892. — Zülxkb, Bef. in d. Deutschen med. Wochenschr. 1901. 14. Nov.
3. Die Färbung des Nervensystems mit Magentaroth.
Von Dr. P. Zosin, Rumänien,
Volontär-Assistent der psychiatr. und Nerven-Universitätsklinik in Berlin.
Bei den Versuchen zur Färbung mit Magentaroth der zur Weiqebt’- und
PAL’sehen Markscheidefärbung vorbereiteten Schnitte habe ich gute Resultate
erzielt
So viel ich weiss, hat Nissl Magentaroth für die Färbung der Ganglien¬
zellen angewandt, ohne aber dieselben Erfolge wie mit Methylenblau zu erhalten.
Ich habe gefunden, dass die Färbung mit Magentaroth nach Härtung der
Stöcke in MüLLEB’scher Flüssigkeit dieselben schönen Resultate wie van Gieson’s
Methode erzielen lässt, die Untersuchung der verschiedenen Elemente des Nerven¬
systems so wie die hierselbst stattgefundenen pathologischen Veränderungen ge¬
stattend. So glaube ioh, dass es nützlich wäre, diese neue Methode hiermit der
Oeffentlichkeit zu übergeben.
Die der Färbung unterworfenen Stücke erfahren folgende Behandlung:
1. Härtung in MüLLBE’scher Flüssigkeit.
2. Einbettung in Celloidin.
3. Einlegen in Alkohol.
4. Schneiden.
5. Färben 20 Minuten bis 1 Stunde mit 1 °/ 0 Magentaroth. Die Schnitte
werden roth.
6. Abspülen in Wasser, eventuell können die Schnitte bis zu 1 / i Stunde
in Wasser bleiben.
7. Abspülen der Schnitte in Alkohol absolut., bis keine Farbwolken mehr
abgehen und die graue Substanz durch rothe Färbung sich von der gelben
Marksubstanz deutlich abgrenzt
8. Xylol, Canadabalsam, Deckglas.
Die Präparate bieten beinahe denselben Anblick wie diejenigen nach van
Goson’s Methode dargestellten. Markscheide ist gelb, Axency linder braun,
Kerne braunroth, das sklerotische Gewebe und Glia violettroth und Ganglien¬
zellen roth.
Ein Vortheil dieser Methode gegenüber der van GiESON’schen wäre, ausser
der deutlicheren Färbung, noch die Thatsache, dass sie viel einfacher und
schneller ist
zedby G00gle
208
4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Ooldflam in Warschau.
(Fortsetzung.)
Beobachtung II. Der zweite damalige Fall betraf den 27jährigen
kräftigen Mann, Rubin W., bei dem sich die paretischen Erscheinungen im Laufe
von 2 Wochen entwickelten. Zuerst waren die Arme ergriffen, dann die Ober¬
schenkel, der Rumpf (namentlich die Nacken- und Bauchmuskeln) und dann trat
Ermüdung beim Kauen ein. Bedrohlicher Collaps mit dyspnoischer Athmung.
Die dem Rumpfe näher gelegenen Abschnitte der Extremitäten erwiesen sich be¬
sonders afficirt. Sohnelle Ermüdbarkeit bis zur vollständigen schlaffen Lähmung
der afficirten Gebiete, Wiedergewinn der Functionsbreite nach Ruhe. Ermüdung
einer Extremität bleibt ohne Einfluss auf andere Muskelgebiete. Unterer Faoialis
beiderseits paretisch. Ermüdung und Dyspnoe beim Sprechen, die Stimme wird
leise. Stetige Fluctuation der Symptome, Wechsel an Intensität von Tag zu Tag,
auch im Laufe eines Tages. Dennoch unverkennbare Besserung nach 4—5 Monaten;
nach 6 1 / 2 Monaten tritt Pat. aus der Behandlung. Die Sehnenreflexe auf der
Höhe der Krankheit gesteigert, sogar kurzer, schwacher Fussclonus; mit Eintreten
der Besserung schwankendes Verhalten, bald sind sie schwer auszulösen, bald
lebhaft, rechter Kniereflex meistens schwächer als linker, es schien auch, dass der
rechte Kniereflex durch öfteres Beklopfen der Sehne herabgesetzt werden konnte.
Klagen über Stechen und Brennen in der Nacken- und Interscapulargegend. Sen¬
sibilität, Sinne, elektrische Erregbarkeit u. s. w. normal.
Einen Monat nach Entlassung starke Exacerbation, beinahe Recidiv der Er¬
scheinungen, die aber die frühere Höhe nicht erreicht haben. Dann wieder all¬
mähliche Besserung, auch diesmal durch eine leichte Exacerbation unterbrochen,
die dann in Genesung übergeht. Mitte Juli 1893 konnte ich abnorme Er¬
scheinungen nicht finden; alle Bewegungen waren mit grosser Kraft und ohne
Spur von Ermüdung ausgeführt, Kniereflexe normal. Seitens der Gehirnnerven
keine Abweichungen. Es blieb nur das subjective Gefühl von Stechen und Brennen
in der genannten Gegend und von Schwäche in den Knieen beim Stehen. Pat.
konnte beliebig weit gehen. Die Besserung bezw. Genesung hielt mehr als ein
Jahr an; W. fühlte sich so gut, dass er Vorbereitungen zur Heirath machte. Da
stellte sich plötzlich anfangs December 1893 ein Recidiv ein. Ich notirte am
20./XII. 1893: Rechtsseitige Ptose, alle mimischen Bewegungen, auch der Orbi-
cularis palpebrarum schwach, beim Aufblasen der Backen entweicht Luft durch
die Lippen, Gesichtsausdruck ängstlich. Bewegungen des Gaumensegels, der
Schlingact gut. Bewegungen des Kopfes schwach. Das Ermüdungsphänomen
tritt in sehr charakteristischer Weise an allen 4 Extremitäten in den dem Rumpfe
nahe liegenden Gelenken auf, im Fussgelenke, an den Zehen und Fingern werden
die Bewegungen schwächer, schwinden aber nicht. Die grobe Kraft der Hände
ziemlich gut, rechts 33 kg., links 26 kg. Soll Pat. horizontale Lage annehmen,
so muss er mit den Händen seine Beine hinlegen, beim Aufrichten gebraucht er
ebenfalls die Hülfe seiner Hände; die Bauchmuskeln spannen sich schwach an.
Kniereflexe sehr lebhaft, Plantarreflexe sind nicht hervorzurufen, Abdominal¬
reflex schwach. Excursionen des Brustkorbes gering, das Diaphragma contrahirt
sich schwach. Dyspnoe beim Gehen.
Diese Verschlimmerung gewinnt an In- und Extensität von Tag zu Tag. Bald
müssen die Speisereste mit den Fingern aus dem Munde herausgeholt werden; der Kopf
Google
— 200
sinkt nach vorn über und muss mit den Händen unterstützt werden. Dyspnoö
erscheint auch in der Ruhe; Pat. kann nur kurze Strecken gehen und muss bald
ruhen. Die Ermüdungserscheinungen treten besonders schnell in den Beinen auf.
Pat. kehrte nach seiner Heimath zurück.
Am 28./L 1894 schreibt mir College Rodzlewicz: Der Zustand des Pat W.
nach seiner Rückkehr aus Warschau verschlimmerte sich progressiv, ungeachtet
der zeitweißen kurzen Besserungen. Er kann den Mund nicht öffnen und besorgt
dies mittels Löffel und Gabel; auch beim Gähnen entfernen sich die Kiefer nicht.
Das längere Sprechen macht ihn müde, das Kauen und Schlingen ist schwierig,
manchmal kehren Flüssigkeiten durch die Nase zurück, er hat nicht die Kraft
zu husten, oder zu niesen und kann den Speichel nicht ausspucken. Beim
Gehen Herzklopfen. Dyspnoe. Schnelle Müdigkeit. Pat verbringt den grössten
Theil des Tages liegend. Am 4./V. 1894 entschloss sich Pat. zur Reise nach
Wien, wo er auf der Abtheilung von v. Kkapft-Ebino Aufnahme fand. Er
wurde in der Sitzung der Gesellschaft der Aerzte am 18./V. 1894 daselbst von
Dr. Söldkb 1 vorgestellt: Motorische Schwäche mit ausserordentlich leichter Er¬
schöpfbarkeit des gesammten willkürlichen Muskelsystems, in einzelnen Muskel¬
gebieten wirkliche Lähmung (N. facialis, hypoglossus, Mm. deltoidei, Hüftmuskeln).
Als besonders charakteristisch ist die Schwäche der Lidheber, der Kau- und der
Nackenmusculatur hervorzuheben; an den Extremitäten sind die näher dem Stamme
gelegenen Muskeln stärker betroffen, als die peripheren. Die Sehnenreflexe sind
9ehr lebhaft; trophische und sensible Störungen fehlen. Die Intensität der
Symptome weist bedeutende Schwankungen auf; abends treten die Erscheinungen
regelmässig stärker hervor. Pat. liess mir am 16./VI. 1894 unter Anderem aus
Wien schreiben, dass er die Augen nicht lange offen halten könne. Er kehrte
ohne Besserung nach Hause zurück. Der Tod erfolgte am 5./IX. 1894 unter den
Erscheinungen von höchster Dyspnoe und Lähmung der Respiration. Es war keine
Cyanose vorhanden; an der sehr oberflächlichen Respiration nahm der Brustkorb
beinahe gar keinen Antheil; in den Lungen wenig Rasseln.
Diese Beobachtung umfasst einen Zeitraum von etwa 2 s / 4 Jahren. Sie zeichnet
sieh ans durch das Auftreten mehrerer Exacerbationen bezw. Recidive. Der
erste Anfall dauerte etwa 4—5 Monate und ging nach mehreren Exacerbationen
io entschiedene Besserung, dann in Genesung über, die mehr als 1 Jahr an¬
hielt Die Erscheinungen des ersten Anfalles entwickelten sich schnell. Etwa im
Laufe von zwei Wochen hat die Krankheit ihre Höhe erreicht Es sind zu¬
meist die Extremitäten ergriffen, die Arme, in denen die Krankheit eingesetzt
hat, mehr als die Beine, und von den Rumpfmuskeln namentlich die Nacken-
mQskeln. Die Bulbärsymptome sind nicht ausgesprochen, die Seitwärtsbeweger
des Unterkiefers, weniger die Adductoren, sind afficirt; Ermüdung beim Sprechen.
Die Stimme verliert beim Reden an Stärke und Klang. Unterer Facialis ist
paretisch. Frühzeitiges Auftreten dyspnoischer Erscheinungen (sogar ein Anfall
Ton bedrohlicher Athemnoth) bei geringster Veranlassung.
Auch in diesem Falle tritt uns die Erscheinung entgegen, dass die proxi¬
malen Theile der Extremitäten viel stärker ergriffen waren, als die distalen.
Die Apokamnose, die sich hier in prägnanter Weise zeigt, documentirt sich
besonders an den genannten Abschnitten der Glieder. Man konnte in diesem
Me den Einfluss der Ermüdung eines Gliedes auf die anderen nicht wahr-
14
igilizedby G00gle
Neurolog. Centralbl. 1895. S. 574.
210
nehmen. Die Schwankungen in der Intensität der Symptome waren sehr aus¬
gesprochen, auch im Laufe eines Tages; abends trat meist Verschlimmerung
ein. Das Schwanken betrifft auch die Sehnenreflexe (auch den Unterkieferreflei),
die sämmtlioh auf der Höhe der Krankheit gesteigert sind, sogar kurzer
Fussclonus. Beim Eintreten der Besserung sind sie bald schwer auszolösen,
bald lebhaft; der linke Kniereflex ist stärker als der rechte, in dem auch an¬
scheinend eine Herabsetzung bervorgerafen werden kann.
Sensibilität, Sinne, Blase und Mastdarm vollständig intacti In der Remissions¬
periode blieb nur die Klage über Stechen und Brennen in der Nacken- und Intra-
scapulargegend, die in gleicher Weise beim Pat. 0. vorhanden war und auch in die
Besserungszeit fiel. Dieselbe Klage kehrt in den Beobachtungen anderer Autoren
wieder, so empfindet der Kranke Unyeebioht’s 1 ein unangenehmes Gefühl zwischen
den Schulterblättern. Die elektrische Erregbarkeit soll angeblich normal gewesen
sein, allein, auch hier kann nicht behauptet werden, dass genau nach der von
Jolly angegebenen Methode geprüft wurde. Die mechanische Muskelerregbar¬
keit schien gesteigert zu sein.
Das letzte Recidiv, das etwa 9 Monate anhielt und mit dem Tode endete,
zeichnete sich von vornherein durch grössere Intensität und Ausdehnung der
Erscheinungen, durch unaufhaltsame schnelle Progression derselben aus. Nament¬
lich sind die Bulbärerscheinungen sehr ausgesprochen. Das Kauen wird hoch¬
gradig beeinträchtigt, nicht allein durch Lähmung der Adductoren und Seitwärts¬
beweger, sondern auch durch die der Abductoren. Das Schlingen selbst wird
gestört, der Gaumen und die Zunge werden gelähmt, auch der obere Facialis
ist ergriffen u.8. w. Diesmal ist Ptose vorhanden. Die Schwäche der respira¬
torischen Muskeln steigert sich so sehr, dass reflectorische Acte, wie Hasten,
Niesen unmöglich wird. Schliesslich geht Patient an einer RespirationslähmuDg
zu Grunde.
Beobachtung IIL Die Lehrerin T . . ., 22 Jahre alt, meine damalige
dritte Patientin, kam am 13./IV. 1892 in Behandlung. Der Vater starb im
37. Jahre an Gehirntumor, die Mutter lebt und hat einen angeborenen Strabismus
divergens. Das Leiden begann vor 3 Wochen mit Kopfschmerz, Flimmern,
Photophobie (kurze Zeit soll auch Diplopie bestanden haben) und Oppressions-
gefiihl, und nach 2—3 Wochen trat zuerst Ptosis dextra, dann eine Kau- und
Sprachstörung, nasale Stimme, endlich Schwäche der Kopf- und Armbewegungen
auf. Bei der Untersuchung zeigt sich ausserdem noch Parese der unteren Fa-
ciales, starke Herabsetzung der Reflexerregbarkeit des Gaumens und der hinteren
Rachenwand, ferner Parese der Rumpfmuskeln. Diese Paresen zeichnen sich da¬
durch aus, dass die Ausübung der Function bald eine vollständige Erlahmung
herbeiführt. Die Erscheinungen sind in den Morgenstunden am schwächsten
ausgesprochen, nehmen im Laufe des Tages an Intensität zu, so dass der Zustand
Abends am schlimmsten ist.
Die Krankheit ist noch im Zunehmen begriffen; besonders störend ist die
hochgradige Beeinträchtigung des Schluckvermögens. Speisen kommen durch die
Nase zurück oder gerathen in Folge der Lähmung des Gaumensegels und Rachens in
den Larynx und verursachen Erstickungsanfälle. Die respiratorischen Excursionen
1 Centralbl. f. innere Medicin. 1898. Nr. 14.
zedby G00gle
211
da Thorax sind gering, die accessorischen Muskeln werden auoh bei ruhiger Ath-
mung in Anspruch genommen. Dyspnoe tritt leicht beim Gehen, sogar beim Essen
«lf, der Puls ist beschleunigt, Temperatur subnormal. Die Zunge ermüdet schnell und
kann manche Bewegungen überhaupt nicht ausführen. Auch der Augenfacialis
wird leicht paretisch. Die Körperschwäche nimmt zu, auch die Beine werden
schlaff und die Kranke Arnss das Bett hüten. Ermüdung eines Gliedes wirkt
erschlaffend auf andere Körpertheile, so wird z. B. die Sprache nach Ermüdung
der Extremitäten unverständlicher. Die Sehnenreflexe sind sehr lebhaft, Hautreflexe
normal, ebenso die Sensibilität, Sinne und elektrische Erregbarkeit; keine Atrophie,
keine fibrillären Zuckungen.
Diese hohe Entwicklung erreichte die Krankheit nach etwa 2 Monaten.
Die Prognose erschien ganz zweifelhaft, namentlich wegen des spontanen
Auftretens von sehr bedrohlichen Dyspnoeanfallen. Bald aber trat eine Besserung
ein, zuerst im Schlucken, dann in der Athmung, die freier und ausgiebiger
wurde; die Dyspnoe an falle erschienen immer seltener. Wie die progressive Ent¬
wicklung der Krankheit durch Schwankungen unterbrochen war, so wurde auch
das Besserungsstadium durch kurzdauernde Exacerbationen hintangehalten. All¬
mählich besserte sich die Function der Kaumuskeln und der Arme, auch die Ptosis
glich sieh aus. Sogar eine intercurrente Krankheit (Angina tonsillaris mit
Abscessbildung) konnte die Erholung für längere Zeit nicht verzögern. Das
Stadium der Besserung nahm etwa 3 Monate in Anspruch. Manche Functions-
störungen, wie die Zungen- und Facialisparese, blieben noch zurück, am längsten
aber die Gaumenlähmung, als Zeichen dafür, dass die Krankheit noch nicht
völlig geschwunden war.
Es war in der That nur eine bedeutende Remission eingetreten. Die Kranke
kam schon nach einem Monate (im October 1892) wegen einer beträchtlichen Ver¬
schlimmerung wieder in Behandlung. Sie sieht blässer aus. Die Sprache ist
intensiv nasal, der Gaumensegel gelähmt, alle mimischen Bewegungen sind weniger
kräftig, die Arme werden mit Anstrengung und langsam gehoben. Sie kann
ohne Anlehnung nicht sitzen, ermüdet schnell beim Gehen. Gefühl von Schwere
unter dem linken Schulterblatte und in den Armen. Die Erscheinungen gewinnen
wieder an Intensität und Ausdehnung und erreichen das Maximum der Entwickelung
im Monat Januar und Februar 1893, ohne jedoch die frühere Höhe zu erreichen.
Es fehlten namentlich die so gefürchteten Dyspnoeanfälle; die Schluckbehinderung
war diesmal nicht so intensiv, die Speisen geriethen nicht so regelmässig durch
Nase und in den Larynx. Leichte Athemnoth trat auch jetzt beim Gehen, Essen,
längerem Sprechen u. s. w. ein, das Beissen, Kauen wurde schwierig, der Unter¬
kiefer sank herab. Zungenbewegungen beschränkt, Rachenreflex aufgehoben,
rechte Lidspalte kleiner als die Unke; zeitweise Lagophthalmus sinister. Die
bekannten Remissionen und Exacerbationen hielten Tage bis Wochen an, auoh
die Schwankungen während des Tages bUeben nicht aus. Die faradische Erreg¬
barkeit des Velum war wiederholt herabgesetzt gefunden. Chlorotische Blutbe-
achaffenheit. Anfangs März Cardialgie und vermuthlich Ulcus ventriculi, das nach
Carlsbader Kur gebessert wurde. Die damalige Beobachtung schloss damit, dass
die Kranke allgemein gekräftigt vom Lande zurückgekommen iBt (Sommer 1893),
doch sinkt die AmpUtude der Armbewegungen gradatim, das Palatum molle ist
vollkommen unbewegUch, die Sprache intensiv nasal, die Augen können nicht
zugekniffen, die Lippen nicht kräftig zugespitzt werden.
Es war mir dann mögUch, den Verlauf bis in die letzte Zeit zu verfolgen.
Mai 1893. Die mimischen Bewegungen sind beeinträchtigt, das Beissen,
Kauen, Schlingen erschwert; nicht selten muss die Patientin den Bissen aus der
Mondböhle mit den Fingern beseitigen. Nasale Sprache, Athemnoth ohne Ver¬
dis« ong, aber keine Dyspnoeattaquen. Sie kann gehen, ohne zu ermüden.
14*
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212
Juni 1893. Schmerzen in der linken Thoraxhälfte und Husten, die allge¬
meine Schwäche hat zugenommen, das Schlucken ist noch mehr erschwert und
die Ernährung beeinträchtigt. Der nasale Klang der Sprache deutlicher ausge¬
sprochen, das Diaphragma nimmt an der Respiration geringen Antheil.
November 1893. Pat. fühlt sich beinahe vollständig gesund, allein die Unter¬
suchung bringt unverkennbare Zeichen der Erkrankung zu Tage: Gaumen unbe¬
weglich bei Phonation und mechanischer Reizung, dennoch hat die Sprache
keinen nasalen Klang mehr. Am Gaumen festgebliebene Speisereste können mit der
Zunge nicht beseitigt, die Augen nicht zugekniffen werden, die Bewegungen
des Kopfes und der Arme werden sehr bald schwächer.
December 1893. Seit einer Woche Verschlimmerung: Kopfweh, Schwäche
der Nackenmuskeln, Sprache ab und zu nasal, nach längerem Sprechen versagt
der Athem und die Stimme.
März 1894. Fühlt sich besser, hat den Unterricht nicht aufgenommen, da
die Stimme bald versagt, die Gesichtsmuskeln sind noch wenig kräftig, der
Gaumensegel bewegt sich sehr wenig, Schlingen gut, die Inspirationen oberflächlich.
Juni bis December 1894. Besserung hält an, subjectives Befinden ganz
gut. Nach längerer Rede bekommt die Stimme nasalen Klang, die Excursionen
des Palatum molle sind noch sehr gering und versiegen bald. Die Gesichta-
muBkeln sind stärker, und Pat. kann sogar kurze Lieder hervorbringen. Die
grobe Kraft hat zugenommen.
Bis Juni 1896 habe ich sie wiederholt untersuchen und die anhaltende
Besserung bestätigen können. Gelegentlich Klagen über Kopfsohmerzen mit
Flimmern vor den Augen. Das einzige Symptom der Krankheit war das Fehlen
der reflectorischen Erregbarkeit des Gaumensegels; auch die mimischen Be¬
wegungen haben ihre volle Kraft nicht wiedergewonnen. Nach Beschäftigung
in der Wirthschaft ein Gefühl von Müdigkeit in den Schultern.
In dieser Zeit hat die Patientin geheirathet, so wohl fühlte sie sich. Als
sie mich 2 Monate später (April 1897) anscheinend wegen einer wahrscheinlich
catarrhalischen Angina aufsuchte, constatirte ich eine geringe rechtsseitige Ptose.
Der Gaumensegel contrahirte sich bei der Phonation.
Bald nach der Entbindung, im Januar 1898, hatte sie einen Anfall von
Gallensteinkolik; im Urin war Harngries vorhanden; Carlsbader Kur.
Im April 1898 Rückfall der asthenischen Lähmung: Erschwerung und schnelle
Ermüdung beim Kauen, Ermüdung nach längerem Sprechen. Geringe rechts¬
seitige Ptose, alle mimischen Bewegungen schwach, Masseteres, Temporales con-
trahiren sich wenig. Der weiche Gaumen hebt sich bei der Phonation, aber
nicht beim Berühren. Auch die Extremitäten sind schwach (sie können nicht
oft genug gehoben werden), obwohl Patientin sich dessen nicht bewusst ist.
30./IV. 1898. Die Erscheinungen nehmen zu, Patientin kann beinahe gar
nicht kauen und sprechen; bald danach stellt sich hochgradige Ermüdung ein.
Die allgemeine Ernährung hat ziemlich gelitten. Beim Phoniren bleibt der
weiche Gaumen schon nach der ersten schwachen Contraction unbeweglich. Da¬
gegen keine Spur von Ptose. Puls 74.
10./V. 1898. Patientin liegt vorwiegend im Bett. Sprache nasal. Die
Bewegungen der Zunge schwach. Manchmal kommen Flüssigkeiten durch die
Nase zurück. Der Unterkiefer fallt seiner Schwere nach herab und muss mit
der Hand unterstützt werden. Die Schwäche und eintretende Ermüdung ist in
den Extremitäten nicht so gross, wenn auch deutlich vorhanden.
22./V. 1898. Es war schon eine kleine Besserung eingetreten, als nach
Schnupfen und Husten der obige Zustand wieder einsetzte. Palatum molle ganz
unbeweglich, Sprache unverständlich. Die Hals- und Nackenmuskeln sehr schwach.
Puls 100.
>yG00gI<
213
Bald darauf Besserung; im Juni 1898 erneute Gallensteinkolikamälle mit
Erbrechen und grosser Schmerzhaftigkeit in der Gegend der Gallenblase, aber
keine Gelbsucht. Darauf Verschlimmerung, wenn auch nicht bis zur früheren Höhe.
Juli 1898. Patientin fühlt sich viel besser, die Schmerzen in der Leber¬
gegend haben nachgelassen, Nahrungsaufnahme reichlich, Aussehen gut. Die
mimischen Bewegungen aber sind noch schwach; der Gaumensegel versagt beim
Phonieren schon nach einmaliger Hebung.
Die Besserung, man kann wohl von einem freien Intervall sprechen, hielt
über 2 Jahre an. Unterdessen gebar sie ein zweites Kind und stillte es selbst.
Ich sah sie wieder am 16./VIII. 1900 (3 1 /* Monat nach dieser zweiten Nieder¬
kunft). Vor 2 Wochen trat, angeblich in Folge von Kummer, ein Rückfall auf,
der sich durch Kau-, Schling- und Gesichtsmuskelstörung äusserte. Das Schlucken
ist beinahe ganz unmöglich, schon der erste Schluck Wasser geräth in den Kehl¬
kopf und ruft Würgen und Erstickungssymptome hervor; die Speisen bleiben in
den Wangentaschen stecken und können nicht herausbefördert werden, die Backen
hängen schlaff herab. Patientin vermag ihr Kind nicht zu küssen; das Zukneifen
der Augen erfolgt sehr schwach, links Lagophthalmus. Der Unterkiefer hängt
herab und muss unterstützt werden. Ausgesprochene Ptosis sinistra. Keine
Doppelbilder. Die Zungenbewegungen schwach. Weicher Gaumen ganz regungs¬
los. Sprache ausgesprochen nasal, wird immer leiser, und Patientin muss sich
bald der Schrift bedienen. Dyspnoe, Respiration 30, kurz, mühsam, unter
Zuhülfenahme der accessorischen Muskeln. Im Bereiche der GeBichtsmuskeln
einige unwillkürliche Zuckungen. Auch die Oberextremitäten sind seit gestern
schwach, die Beine weniger. Gefühl von allgemeiner Schwäche hinderte sie
auch am Schlaf. Puls 100.
Dieser desolate Zustand hielt nur einige Tage an, allmählich und mit
Schwankungen von schlechteren und besseren Tagen ging es entschieden der
Besserung zu, ohne dass es diesmal zur vollen Herstellung gekommen ist. Als
ich Patientin am 16./I. 1901 sah, war seit 2 Wochen wieder Verschlimmerung
eingetreten, dennoch kann Patientin ausgehen, die Wirthschaft besorgen und ihre
Kinder pflegen. Sie ist blass, abgemagert, Gesichtsausdruck einförmig, Gesichts-
falten ausgeglichen, von den Facialismuskeln sind die Orbiculares palpebrarum die
schwächsten. Keine Ptose. Zunge gut beweglich. Gaumensegel vollständig un¬
beweglich. Das Kauen ist stark beeinträchtigt, darum wird nur flüssige Nahrung
langsam eingenommen. Der Unterkiefer fällt nicht herab. Sprache nasal, bald
unverständlich und führt Ermüdung herbei. Die Erschöpfbarkeit tritt in den
Armen sofort, in den Beinen weniger schnell ein. Die Kniereflexe ziemlich
lebhaft, scheinen bei wiederholter Prüfung ein wenig zu sinken. Die allgemeine
Schwäche ist derart, dass schon das Sitzen die Patientin müde macht. Sie klagt
über Schmerzen im Kreuz und im linken Schulterblatt, die sich namentlich beim
Ermüden einstellen. Puls 90. Es wurde auf MyaRe am Deltoideus, Biceps
brachii, den Gesichtsmuskeln, N. facialis und Perforans Gassen geprüft, aber die
elektrische Erregbarkeit war überall normal. Die Kehlkopfbewegungen sind sowohl
bei der Respiration als auch bei der Phonation normal; keine Ermüdungserscheinungen
daselbst, Sensibilität und Reflexe normal. Keine abnormen Bestandtheile im Urin.
Dann wurde Patientin schwanger und ihr Zustand besserte sich mit einem
Schlage.
25./VII. 1901. Die Besserung hielt während der ganzen Schwangerschaft
an. Man dachte zwar zuerst an eine Unterbrechung der Gravidität, weil schon
zwei Mal, 3 Monate nach der Entbindung, eine Verschlimmerung aufgetreten ist
(einerlei ob Patientin gestillt hat oder nicht), allein es wurde davon Abstand ge¬
nommen, da Patientin sich so wohl fühlte und die Wirkung des Aborts gar nicht
rorauszusehen war. Plötzlich stellte sioh aber vor 9 Tagen eine frühzeitige Geburt
b y Google
214
ein (Anfang des 8. Monats), die vielleicht durch die Pflege eines kranken Kindes
und vieles Arbeiten auf der Nähmaschine beschleunigt wurde. Der Foetus, der
noch */j Stunde lebte, musste wegen Mangels an Wehen extrahirt werden. Sonst
verlief alles glücklich, der Blutverlust war minimal, Temperatur nur vorüber¬
gehend 37,2 (gewöhnlich 36,5). Aber seit 2 Tagen bekommt sie Abends obn-
machtsähnliche Anfälle, bei erhaltenem Bewusstsein, aber mit clonischen Zuckungen
in den Gliedern. Nach Anwendung von Reizmitteln tritt nach einigen Stunden
Besserung ein, jedoch bleiben Kopfschmerzen zurück. Es sind das augenschein¬
lich hysterische Anfälle; ein solcher war schon vor mehreren Jahren bei ihr auf¬
getreten, ab ihr Kind schwer erkrankte.
Im übrigen fühlt sich Patientin ganz wohl, wäre nur nicht der Gedanke
an den fatalen Termin von 3 Monaten vorhanden. Dennooh sind objectiv,
wenn auch leichte, Zeichen der Krankheit nachweisbar: es besteht eine ganz ge¬
ringe rechtsseitige Ptose, das Zukneifen der Lider erfolgt schwach, der weiche
Gaumen bewegt sich gar nicht beim Phonieren oder bleibt regungslos nach ein¬
maliger schwacher Hebung; dagegen contrahirt er sich energisch bei mechanischer
Reizung, wodurch wohl das Genossene nicht durch die Nase regurgitirt. Sonst geht
das Kauen und Schlingen ganz gut von statten. Patientin giebt an, dass der Unter¬
kiefer etwas hervortritt, wie das gewöhnlich im Anfall oonstatirt wird (in Folge der
Lähmung der Adductoren). Die Sprache ermüdet nicht, hat aber einen leichten nasalen
Beiklang, wenn auch die Kranke dem widerspricht. Der Untersuchung auf
Apokamnose unterwirft sich die Patientin sehr ungern, jedoch sinkt die Ampli¬
tude der Armhebungen zweifellos. Sie kann nicht viel arbeiten; es stellt sich
Ermüdung ein, die sie in den Schultern empfindet. Nach mehreren Tagen hatte
ioh Gelegenheit, den Deltoideus, Biceps brachii und Orbicularis oris auf MyaR zu
untersuchen, aber mit negativem Erfolg.
(Fortsetsuog folgt)
n. Referate.
Anatomie.
1) Zur Kenntnis» des Stratum (Fasoioulus) suboallosum (Fasoioulus nuolei
oaudati) und des Fasoioulus ftronto - occipitalb (retioulirtes oortioo-
oaudales Bündel), von Prof. Dr. Heinrich Obersteiner und Prof. Dr.
Emil Redlich. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1902.
8. Heft)
Die Verff. nehmen in vorliegender Arbeit zu der neuerlich duroh Sohröder
wieder angeregten Tapetumfrage auf Grund vergleichend-anatomischer Studien
Stellung. Der Fasciculus subcallosus, bezw. der mit ihm identische Fasoioulus
nuolei caudati hat mit dem Tapetum und mit dem Fasciculus fronto-ocoipitalis
von Onufrowicz nichts zu thun. Ueberhaupt sind die Befunde an balkenloaen
Gehirnen für die Frage der normalen Anatomie ganz bei Seite zu lassen.
Wie Exstirpationspräparate zeigen, enthält der Fasciculus subcallosus keine
langen Fasern, die auf die andere Seite ziehen. Von dem den N. caudatus be¬
deckenden Stratum zonale ist der Fasciculus subcallosus trotz der innigen räum¬
lichen Beziehungen zu scheiden. Der Fasoiculns subcallosus ist streckenweise
duroh Ependymzellen von der Umgebung gesondert. Wesentlich verschieden als
beim Menschen verhält sich der Fasciculus subcallosus beim Thiere. Am mäch¬
tigsten ist derselbe bei den Ungulaten entwickelt, hier stellt er eine sehr breite
sd by Google
216
Schicht dar, die sich längs der ganzen ventralen Fläohe des Balkens hinzieht, in
ihren Grössenverhältnissen durchaus nicht parallel zum Verhalten des N. caudatus
ist, im Gegentheil dort, wo letzterer schon stark an Umfang abgenommen hat, be¬
sonder« mächtig sich erweitert. Aehnlich ist es bei anderen Thierklassen, Raub-
thieren u. s. w. Auch an Basalschnitten ist das Verhalten anders als beim
Menschen. Was speciell das Unterhorn betrifft, stellt der Fasciculus subcallosus
dort eine nach innen von der Balkenfaserung gelegene breite Sohicht dar, der
vorwiegend dicht durchflochtene Faserlagen enthält, nur stellenweise eine parallel-
fwerige Anordnung zeigt Darum schlagen die Verff. die Bezeichnung Stratum
subcallosum vor, während der Ausdruck Fasciculus nuclei oaud. mit Rücksicht
auf die Verhältnisse des Thiergehirns fallen zu lassen ist. Die Verff. nehmen
an, dass im Stratum subcallosum Fasern von der Rinde oder Collateralen, solche
Fasern zum Nucl. caucL, zum Linsenkern, Thalamus u. s. w. enthalten sind.
Der Fasciculus fronto-occipitalis der balkenlosen Gehirne enthält aller Wahr¬
scheinlichkeit nach Balkenfasern. Das, was Dejerine als Fasciculus fronto-occip.
im normalen Gehirne beschreibt, ist ein schmächtiges Bündel, das sich nur beim
Menschen, nicht aber beim Thiere abgrenzen lässt. Indem die Verff. genauere
Asgsbeo über Verlauf und Form dieser Bündel machen, schlieesen sie sich Sachs,
Schröder u. A. an, die diese Bündel zur Corona radiata rechnen. Sie halten
m für wahrscheinlich, dass dieses Bündel die Rinde mit dem N. oaud. verbindet
and schlagen die Bezeichnung reticulirtes oortico-caudales Bündel vor.
Was nun das Tapetum betrifft, womit nach Burdach die das Unterhorn an
dessen lateraler Seite zunächst auskleidende Schioht zu bezeichnen ist, so hat
dasselbe mit dem Fasciculus fronto-occipitalis nichts zu thun. Bei Thieren,
speciell den Ungulaten, käme diese Bezeichnung dem Stratum subcallosum, beim
Menschen, bei dem diese Schicht im Unterhorn nur sehr dürftig entwickelt ist,
wieder der Balkenfaserung zu. Darum ist es besser, den Ausdruck Tapetum ganz
fallen zu lassen und die das Unterhorn auskleidenden Schichten nach ihrer Be¬
deutung als Stratum subcallosum, Balkenschicht u. s. w. zu bezeichnen.
Redlich (Wien).
2) Untersuchungen über die normale und pathologische Hypophysis des
Menschen, von Dr. Waldemar Thom. (Archiv f. mikroskop. Anatomie u.
Entwickelungsgeschichte. LVH. S. 632.)
Verl hat an 62 theils normalen, theils krankhaft veränderten menschlichen
Hypophysen die makroskopischen und mikroskopischen Verhältnisse dieses Organs
■todirt Vergleichende Messungen ergeben gewisse Wechselbeziehungen der ein-
■einen Durchmesser zu einander, indem Kleinheit des einen häufig mit relativer
Gräne des anderen einhergeht. Das rascheste Wachsthum vollzieht sich bis zum
30. Jahre, doch kommt auch über dieses Alter hinaus normalerweise noch Volum-
«nähme vor. Relativ gross war das Organ bei gewissen dyskrasischen Zuständen
(Tuberculese mit Gallertkropfj Sepsis, Carcinom, chronische Nephritis, Adipositas,
Eklampsie).
Was die histologischen Verhältnisse betrifft, so ist von wesentlicher Bedeutung
du verschiedene Verhalten der Hypophysiszellen den Farbstoffen gegenüber. Das
Oigan enthält ausgesprochen chromophile Zellen, die theils cyanophil, theils
eosinophil sind und nach Verf. als normale Bestandteile aufgefasst werden müssen.
Aaassr diesen (grosseren) Zellelementen finden sich noch die früher als Haupt-
nUen bezeichne ten. Diese theilen sich ein in schwach cyanophile, schwach
ueiaophile und ungefärbte („chromophobe“) Zellen. Die Anordnung der Zellen
kt bald als schlauch-, bald als strangförmig zu bezeichnen, je nachdem sie ein
eolloidhaliiges Lumen umsohliessen oder nicht. Letzteres ist, wenn überhaupt
Google
216
vorhanden, äusserst spärlich. Dies veranlasst Verf. im Hinblick auf das sehr
active Aussehen des Zellprotoplasmas zur Annahme einer Secretion in die inter-
folliculären Lymphräume. Er unterscheidet ein intrafolliculäres, stark färbbares
Colloid, das die chromophilen Zellen liefern, und ein interfolliculäres, dünnes, von
den chromophoben Elementen stammendes Colloid.
Hinsichtlich der Beziehungen der Hypophysis zur Akromegalie verhält sich
Verf. sehr reservirt. Er constatirt als auffällig das vielfache Zusammentreffen
von Hypophysisanomalieen mit Krebs und chronischen Krankheiten dee Respirations-
tractus, und weist im Hinblick auf letztere kurz auf die Osteoarthropathie hyper-
trophiante pneumique hin. Max Neumann (Karlsruhe).
Experimentelle Physiologie.
3) Ueber die Ausdehnung der Binnessph&ren in der Grosahirnrinde, von
Hermann Munk. Dritte Mittheilung (Schluss). (Sitzungsberichte der kgl.
preuss. Academie der Wissenschaften zu Berlin. 1901. XLVIII.)
Die Arbeit Munk’s, die den Schluss seiner Zusammenfassung der Lehre von
den Sinnessphären darstellt, beschäftigt sich in ihrem ersten Theil mit der Frage,
ob „der Stirnrinde unserer Rumpfregion oder der Scheitelrinde unserer Augen¬
region eine besondere Stellung bezüglich der höheren psychischen Functionen
gegenüber der übrigen Rinde zukommt“. Auf Grund der kritischen Sichtung des
experimentellen Materials (Verf. berücksichtigt vornehmlich die Versuche von
Ferrier, Hitzig, Goltz, Bianchi und seine eigenen) und der klinischen, durch
pathologische Befunde erhärteten Erfahrungen kommt Verf. zu dem Schluss, dass
weder der Stirnlappenrinde noch der Scheitellappenrinde eine besondere Stellung
nach der bezeichneten Richtung hin zukommt, und dass experimentelle wie patho¬
logische Erfahrungen darauf hinauslaufen, dass es an der Grosshirnrinde nicht
neben und zwischen den SinneBsphären noch andere Rindengebiete giebt, die
eigens den höheren psychischen Functionen dienen. Hiermit wendet sich Verf.
im zweiten Theile des besprochenen Aufsatzes zugleich gegen die Flechsig’sche
Lehre von der Zusammensetzung der Hirnoberfläche aus Sinnessphären oder
Sinnescentren und Associations- oder Denkcentren. Es kann nicht Aufgabe des
Referats sein, die Kritik, die Verf. an dieser Lehre übt, in ihren Einzelheiten
wiederzugeben, ebenso wie Ref. sich das für den ersten Theil der wichtigen und
überaus lesenswerthen Mittheilung versagen musste. Als Resultat sei hervor¬
gehoben, dass Verf. zu einer völligen Verwerfung der Flechsig’schen Lehre
kommt und sich hierbei nicht nur auf seine eigenen Untersuchungen beruft,
sondern zum Theil auch Flechsig’s eigene Forschungsergebnisse gegen ihn ver-
werthet. Verf. betont dabei noch besonders, dass es ihm selbst nie eingefallen
sei, denjenigen Abschnitten der Rinde, die er mit dem Namen Sinnessphären be¬
legt habe, ausschliesslich nur die hierdurch näher bezeichneten Functionen bei¬
zulegen und hiermit die Function des betreffenden Rindenabschnittes als erschöpft
anzusehen; ebenso wenig giebt es aber auch besondere Bezirke der Grosshirnrinde,
die mit den höheren psychischen Functionen betraut sind; vielmehr „stellt sich
die Rinde als ein Aggregat den verschiedenen Sinnen zugeordneter Abschnitte,
der Sinnessphären dar; und es kommen in den centralen Elementen jeder Sinnes¬
sphäre, die unmittelbar oder fast unmittelbar mit den Projectionsfasern Zusammen¬
hängen, die specifischen Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen eines
Sinnes zustande. Für die darüber hinausgehenden Functionen der Rinde, gebunden
an Associationsfasern und andere centrale Elemente, die wiederum über die Rinde
in deren ganzen Ausdehnung verbreitet sind, eine jede Function natürlich an
bestimmte morphologische Gebilde gebunden, hat bezüglich des Ortes des Zustande-
Google
217
kommen« die Abgrenzung der Sinnessphären keine durchgreifende Bedeutung
mehr; doch sind des weiteren wir noch im Dunkeln, da bisher der Versuch am
Thiere versagt und die pathologische Beobachtung nur sehr spärliche und nicht
genügend durchsichtige Aufschlüsse geliefert hat.“
Martin Bloch (Berlin).
4) Observations on the physiology of the oerebral oortex of some of the
Higher Apes (Preliminary oommunioation) , by Grünbaum and Sher-
rington. (Read before the Royal society. 1901. 21. November.)
Die Verff. haben an zehn erwachsenen und einem erst wenige Monate alten
Exemplar folgender höherer Affen experimentirt: Orang, Gorilla und Chimpanse.
Zur Beizung haben sie sich der schon früher von Sh errington angewandten
unipolaren Faradisation bedient. Die motorische Region bei den untersuchten
Thieren erstreckt sich nach ihren Experimenten über die ganze Länge und Breite
der vorderen Centralwindung und die ganze Länge des Sulcus centralis ausser
denen äusserstem unteren und oberen Ende, niemals aber auf Hirntheile hinter
dem Sulcus. Auf der medianen Hemisphärenfläche reicht die Erregbarkeit der
vorderen Centralwindung nicht bis zur Fissura calloso-marginalis. Die Erregbar¬
keit der vorderen Centralwindung lässt sich bis zum Boden des Sulcus centralis
nachweisen, und zwar in einer Ausdehnung, die der erregbaren Partie an der
freien Oberfläche der Hemisphäre mindestens gleichkommt, ja sie vielleicht über¬
trifft. Verff, haben in der motorischen Region bestimmte Bewegungen der Ohren,
Nasenflügel, des Gaumens, Saug- und Kaubewegungen, Bewegungen der Stimm¬
bänder, der Brust- und Bauchwand, der Beckenmusculatur, der Orificien des Anus
und der Vagina wohl charakterisirt localisiren können. Die Anordnung der ver¬
schiedenen Regionen der Körpermusculatur gliedert sich in auffallender Weise
entsprechend der segmentären Anlage der cranio-spinalen Nerven.
Die Verff. fanden ferner, dasB zur Reizung der motorischen Region bei den
Anthropoiden keine starken Ströme erforderlich sind, und sie betonen weiter die
ausserordentliche individuelle Variabilität der Anlagen der Furchen und Win¬
dungen, so dass sie ihre eigenen Versuohsergebnisse nur mit Vorsicht verwerthet
wissen möchten.
Im Frontalhirn, von der motorischen Region durch nicht erregbare Rinden-
theile getrennt, fanden die Verff. ein Feld, dessen Reizung conjugirte Bewegungen
der Bnlbi hervorruft, ein gleiches im Occipitallappen an dessen hintersten Ende
nnd in der Gegend der Fissura calcarina, von wo aus Bewegungen der Bulbi,
»her nur schwer, hervorgerufen werden konnten.
Die Untersuchung der Pyramidenbahnen nach Exstirpationen von Theilen der
motorischen Region ergab das Vorhandensein einer ungekreuzten directen Vorder-
rtrangbahn und gekreuzter Pyramidenseitenstränge, aber auch ungekreuzte Seiten-
strsngfasersysteme. Die Degenerationen Hessen sich bis tief in das Lendenmark
verfolgen. In den unteren Cervicalsegmenten fand sich Faserdegeneration in den
gekreuzten grauen Vorderhörnern.
Läsionen an der Spitze der vorderen Centralwindung Hessen deutliche Dege¬
neration des gekreuzten Pyramidenseitenstranges, aber keine Degeneration der
Vorderstrangbahn und nur sehr geringe der ungekreuzten Pyramidenfasern erkennen.
Der Arbeit ist eine Tafel beigegeben, auf der die genauere Localisation der
einzelnen motorischen Felder nach den Experimenten der Verff. verzeichnet ist.
Martin Bloch (Berlin).
5) The separate localisation in the oortex and suboortex of the oerebmm
of the repreeentation of movements and of znosoular and oataneona
zedby Google
218
sensibillty, by Charles K. Mills. (Journal of Nervous and Mental Disease.
1901. November.)
Die Ausführungen des Verf.’s, die sich auf eine Anzahl klinischer und patho¬
logischer Erfahrungen gründen, gipfeln in der Schlussfolgerung, dass die sensiblen
Functionen der Haut, des Muskelsinns u. s. w. in der Hirnrinde ihren besonderen
Sitz, der von der motorischen Region getrennt sei, haben; es wären eine Anzahl
Centren, die untereinander aesooiativ verbunden seien; diesen übergeordnet sei ein
stereognostisches Centrum, das in sich alle aus jenen Centren kommenden Reize
in sich vereinige und ordne, und von ihm ans gelangten die Reise zu der räumlich
getrennten motorischen Region. Verf. sucht zur Stütze seiner Anschauungen auch
Flechsig’s Untersuchungen heranzuziehen; wirklich durchschlagende Beweise für
seine Ansichten vermag er, wie auch die mehrfach opponirenden Ansichten in der
seinem Vortrage folgenden Discussion darthun, nicht zu erbringen.
Martin Bloch (Berlin).
6) Ueber die physiologischen Wirkungen einiger aus der Schilddrüse
gewonnener Produote, von Cyon und Oswald. (Pflüger’s Archiv.
LXXXIII.)
Nach Oswald bildet das Baumann’sche Jodothyrin nur einen Bestandteil
eines in der Schilddrüse enthaltenen Eiweisskörpers, des Thyreoglobulins. Die
Versuche der Verff. haben jetzt ergeben, dkss das Thyreoglobulin des Schweins
analoge Senkungen des Blutdrucks und Verstärkungen der ^verlangsamten Herz¬
schläge hervorruft wie das Jodothyrin. Durchneidung der beiden Vagi hebt diese
Verlangsamung und Verstärkung der Herzschläge nicht auf, ebensowenig Atropin-
injection. Es handelt sich also wie bei dem Jodothyrin um eine Erregung
der intracordialen Hemmungscentren. Bei dem Thyreoglobulin des Hammels
fällt die Wirkung auf den Blutdruck weg. Das jodfreie Thyreoglobulin, wie man
es von manchen Kälbern erhält, ist vollkommen wirkungslos. Ein aus mensch¬
lichen Schilddrüsen durch Trypsinverdauung gewonnenes Präparat, welches Jod
in organischer Bindung enthält, erzeugte bei Kaninchen und Hunden eine erheb¬
liche Steigerung des Blutdrucks (nach initialer Senkung) und eine merkliche Be¬
schleunigung der Herzschläge; auffällig ist auch der krampfhafte Charakter der
Athembewegungen. Ob diese Wirkungen, welche denen des Nebennierenertractee
gleichen, auf den Jodgehalt zu beziehen sind, bleibt zweifelhaft. Ganz allgemein
glauben die Verff. behaupten zu können, dass die übrigen ans der Schilddrüse
gewonnenen Producte, wenn sie auch Jod enthalten, nicht die physiologischen
Eigenschaften des Jodothyrins besitzen. Th. Ziehen.
7) Zur Physiologie der Hypophyse, von E. v. Cyon. (Pflüger’s Archiv.
LXXXVI1.)
In einer früheren Arbeit (Pflüger’s Archiv. LXXXI) glaubt Verf., durch
directe Reizung der Hypophysis nachgewiesen zu haben, dass die Hypophysis als
autoregulatorischer Apparat für den intracraniellen Blutdruck dient and den Stoff¬
wechsel regulirt. Die Regelung des Hirndrucks erfolgt in zweifacher Weise:
jede Erhöhung des Hirndrucks erzeugt meohanisch eine Erregung des Hirn¬
anhangs, und diese bat eine Verstärkung und Verlangsamung der Herzschläge
(„Actionspulse“) zur Folge; mit der letzteren soll die Geschwindigkeit des ner¬
vösen Blutstroms, namentlich in den Venen der Schilddrüse, zunehmen und so dss
Gehirn von der abnormen Blutfülle befreit werden. Dazu kommt ein chemi¬
scher Vorgang, indem di« Hypophyse Substanzen produoirt, von denen die eise
anhaltend die Vagusoentren in Erregung erhält, die zweite die Centre« dar Ac-
zedby Google
219
oeleratoren erregt; auch hierdurch soll die venöse Blatströmung beschleunigt
werden. Die Beeinflussung des Stoffwechsels soll sich in gesteigerter Oxydation
und Abnahme des Körpergewichts äussern. Nach anhaltenden Erregungen der
Hypophyse, namentlich elektrischen, wurden epileptiforme Krämpfe beobachtet.
Ferner kamen bei Beizung der Hypophyse sehr ausgesprochene Erectionen und
gesteigerte Diurese zur Beobachtung. Die letztere sah Verf. auch bei einem
akromegalen Knaben, den er mit Hypophysenpulver behandelte. Die Wirkung
des Hypophysins auf Herznerven .und Stoffwechsel gleioht derjenigen des Jodo-
thyrins, ist jedoch viel intensiver. Interessant sind die Beobachtungen an einem
tbyreodektomirten Kanindien. Trotz einer ziemlich erheblichen compensatorischen
Hypertrophie der Hypophyse (Gewicht 34 mg) war die physiologische Com-
peusation unvollkommen: Beizung des linken Depressor rief z. B. nur eine geringe
Senkung des Blutdrucks, dabei aber eine beträchtliche Beschleunigung der
Herzschläge hervor. Verf, ist jetzt geneigt anzunehmen, dass auch die Menge der
Cerebrospinalflössigkeit durch Vorrichtungen regulirt wird, welche die Hypophyse
analöst. Zu diesen Vorrichtungen soll die Zirbeldrüse gehören ; dieselbe soll rein
mechanisch die Menge des Liquor cerebrospin. in den Ventrikeln reguliren.
In den Untersuchungsergebnissen von Caselli glaubt Verf. eine Bestätigung
seiner Beobachtungen und Theorieen zu erkennen. Sehr entschieden wendet er
sieh gegen die Auffassung der Schilddrüse und Hypophyse als Desintoxications-
organe. Namentlich bekämpft er die Annahme, dass solche Drüsen die toxischen
Substanzen etwa vorher in sich ansammeln sollten. Bei der Akromegalie nimmt
er weder eine einfache Abnahme noch eine einfache Zunahme, sondern eine ver-
vickeltere Storung der HypophyBenfunction an. Th. Ziehen.
8) Bio er oh e sulla funsione della ipoflsi cerebrale, pel Dr. D. Lomonaco
e G. van Bymberk. (Bivista mensile di Neuropat. e Psich. 1901. Nr. 9 u. 10.)
Die ersten Versuche von Horsley, Dastre, Gley 1885—1892, die fuge-
tionelle Bedeutung der Hypophyse durch ihre Exstirpation zu ermitteln, misslangen
■ts u nt li c fe, da keines der Thiere die Operation überlebte. Glücklicher waren, vom
fischen ans operirend, Marinesco und Vassale und Sacchi 1892, aber nur
die letzteren beiden Autoren glaubten, gewisse Folgeerscheinungen am üeber-
lebenden der Zerstörung des Organs zur Last legen zu dürfen. Sie beschrieben,
seben Rigidität der hinteren Körperhälfte, Einsinken des Bückens, tonisch-kloni-
»ehen Krampfanfällen, Polyurie und Erbrechen, als co ns taute Symptome psychische
Depression, Charakteränderung, fibrilläres Zittern und unwillkürliche Muskelstösse,
Tmperaturerniedrigung, Polydipsie, Anorexie, Abmagerung und Tod und folgerten,
dass die Exstirpation des Organs in kürzerer Zeit unabwendbar zum Tode führe.
Die «ich daraus fast von selbst ergebende Hypothese, dass der Hirnanhang die
Bestimmung habe, specifische, zum Schutze des Organismus nothwendige Snb-
itanzen zu produciren, hatte den mächtigsten Einfluss auf Production und Bioh-
taag der folgenden Publicationen. Marie und Marinesco glaubten 1891, ge¬
wisse, durch Strümpell’s und Schultze’s Erörterungen und Versuche aber bald
erheblich abgeschwächte Beziehungen zwischen Akromegalie und Veränderung der
Hypophysenfunction gefunden zu haben. Die Versuche mit Hypophysenfütterung
führten die Autoren noch mehr abseits und in Widersprüche (Sczymenowicz,
Schäfer und Vincent, Mairet und Borch, Osborne und Vincent, Collina,
Schiff, Cyon). Festzustehen scheint nach mallem nur so viel, dass der Blutdruck
Bach Lnjection von Hypophysensaft sich ändert, was indessen nach Elinspritzung
wo Hirnsubatanz überhaupt stattfmdet (Schäfer und Vincent). Man musste
•af das blutige Experiment zurückkommen. Die Operationen von Gatta 1896
nad Kreidl and Biedl 1897 zeitigten keine neuen Ergebnisse. Eine sehr fleissige
GoogI<
220
Arbeit brachte 1900 kurz vor seinem frühen Tode Caselli zum Abschluss. Er
operirte nach der intrabuccalen Methode Vassale’s und Sacchi’s, zur Ver¬
meidung der Diffusions- und Irritationseffecte Thermokauter und Chromsäure durch
eine kleine Löffelpincette ersetzend, 56 Hunde und Katzen. Er verfugte gleich
seinen beiden Vorgängern am Ende der ersten Woche nach der Operation über
drei lebende Thiere; aber wie die der letzteren nur 8, 11 bezw. 14 Tage am
Leben blieben, gingen auch die seinigen trotz der verbesserten Technik schon nach
16, 21 bezw. 22 Tagen zu Grunde. Vergleicht man mit vorstehenden Ergeb¬
nissen die jüngste Notiz von Friedmann und Maass, wonach eine nach modi-
ficirter Methode Vassale-Caselli operirte Katze 3 Monate gesund blieb, und
die fast glänzenden Resultate Gaglio’s 1900 mit der Hypophysektomie an
Fröschen, Kröten und Sohildkröten, die er 2 Monate, ohne Ausfallserscheinungen
zu sehen, am Leben erhielt, so kann man sich dem Eindruck nicht verschliessen,
dass in den früheren Versuchen die Symptome der Infection das Bild so beherrscht
und entstellt hatten, dass hier eine Einigung nicht zu erzielen war. Schon
Caselli’s Ergebnisse und Schlüsse weichen von denen seiner Vorgänger insofern
ab, als einzelne der bisher geschilderten Phänomene an anderen Stellen der Basis
ausgelöst, andere (psychische Störungen, Anorexie) der ersten Tage als Symptome
des Schmerzes (seitens der verletzten Dura und beim Schlucken) zu erklären und eine
dritte Reihe von Syndromen durch das Trauma verursacht sein sollten. Stützten
Vassale und Sacchi ihre Theorie andererseits nur auf die Symptome der drei
länger überlebenden Thiere, so seien dieselben doch weder so schwer noch so
einheitlich, um die Hypothese einer Autointoxication nahe zu legen. Vielmehr
sei die Pituitaria als ein Hilfsorgan der Thyreoidea zu definiren, was aus den
Veränderungen zu folgern sei, welche die Hypophysektomie im Bilde der Cachexia
thyreopriva und Tetania parathyreopriva hervorbringe. — Zugegeben, dass eine
so eingreifende Operation die Cach. thyr. ändere und selbst verschlimmere, so
gestattet das aber noch keinen beweiskräftigen Schluss in obigem Sinne. Anderen
Arbeiten über die histologischen Veränderungen des Hirnanhangs nach Exstir¬
pation der Thyreoidea (Rogowitch, Hofmeister, Stieda, Tizzoni undCen-
tanni, Schönemann) zufolge scheint allerdings erwiesen, dass die Hypophyse
secundär erkranken kann, jedoch die Theorie einer vicariirenden Function der
beiden Drüsen noch verfrüht.
Zwecks eigener experimenteller Studien griffen Verff. auf eine von Gley
benutzte Methode, dieselbe wesentlich modificirend, zurück. Sie meisselten das
Cranium auf dem Scheitel auf, eröffneten die Dura neben dem Sinus long. und
drangen mit einem feinen, langen, an der Spitze stumpf löffelförmig gestalteten
und abgebogenen Instrument an der grossen Siohel entlang senkrecht durch Corpus
callosum und Infundibulum, die Mitte einer die beiden vorderen Ohrzellchenränder
ideal verbindenden Linie innehaltend, vor, machten mit dem Löffel, dessen Con-
cavität bisher nach innen offen war, eine Viertelsdrehung, damit er gut in die
Sella turcica hineinglitte, und führten ihn in quetschender und stampfender Be¬
wegung in deren Inhalt umher. Nach Zurückziehen des Instruments in rückläufiger
Bewegungsfolge wurde eine Doppelnaht angelegt und die Wunde verbunden.
Indem damit eine Infection fast immer vermieden war, kam als tödtliche Com-
plication meist nur noch die Hämorrhagie von Basisgefässen oder Shok in Betracht.
Es wurden 44 Hunde und Katzen operirt und der Autopsie unterzogen.
Davon misslang die Operation in 16 incl. 5 Fällen mit nur theilweiser Verletzung
der Hypophyse; sie gelang also vollständig in 63°/ 0 . Bei den 9 Thieren, welche
den 20. Tag nach der Operation überlebten, war in den meisten Fällen die arti-
ficielle Communication zwischen dem III. Ventrikel und der Basis oerebri bereits
wieder verklebt oder verwachsen; Verletzung des Infundibulum bringt das Ver-
suohsthier also nicht in Lebensgefahr. Da in 4 dieser 9 Fälle die Hypophyse
— 221
bereit« vollkommen reeorbirt war, so ist die These, dass dieses Organ eine für
die Erhaltung des Lebens unerlässliche Function erfülle, sowie die Behauptung
einiger Forscher, dass die Todesfälle wenige Tage post operationein durch eine
Cachexia bypophyseopriva bedingt seien, widerlegt.
Die Phänomene, welche diese Thiere längere Zeit nach dem Eingriff darboten,
waren in einzelnen Fällen widersprechende. Während bei Hund 3 ein dem
VaBsale-Sacchi’scher ähnlicher Symptomencomplex gefunden wurde, und das
nach wenigen Tagen wieder erlangte tadellose Allgemeinfinden von Hund 2 den
Eindruck machte, dass die Hypophyse gar nicht verletzt sein könnte, ergab die
Autopsie vielmehr, dass dieselbe im ersteren Falle intact geblieben und im Fall 2,
welcher 50 Tage p. o. an accidenteller Enteritis zu Grunde ging, gänzlich zer¬
stört worden war. Ebenso bei Hund 9, welcher kein bisher als Ausfallssymptom
gedeutetes Phänomen gezeigt und am 7. Tage sein Anfangsgewicht erreicht hatte,
als er in Folge zu fester Knebelung beim Ophthalmoskopiren starb. Unwesent¬
liche Veränderungen (Urin sp.G. 1004, geringe Gewichtsabnahme, leichte Depression)
liess Hund 14 erkennen, bis er nach 86 Tagen der Section zum Opfer fiel. —
Die Symptome partieller Basisverletzung waren verschieden: Läsionen der Seiten-
partieen der Sella turcica zeigten keine auffälligen Symptome, wenn der Hirn-
schenkel intact geblieben war; wurde nur der vordere Theil der Sella getroffen,
so war je nach der Gegend (Chiasma oder Opticus) eventuell einseitige Blindheit
die einzige Folge. Phänomene, wie sie Vassale und Sacchi und Caselli be¬
schrieben, trafen die Verff in Fällen an, in denen das Instrument die Hypophyse
und dahintergelegene Theile getroffen hatte; hiernach kamen oft schwere Con¬
junctivitis und Corneatrübung zur Beobachtung. Wenn (Hund 3) die noch un¬
sichere Hand den Löffel tastend über der Sella umhergeführt hatte, so kamen die
complexen Phänomene dieses Falls zu Stande, während in 3 Fällen, wo das In¬
strument sicher und glatt in die Knochenbucht eingedrungen war, irgendwelche
Symptome überhaupt vermisst wurden. — 4 Thiere überlebten die Operation
lange, womit bewiesen ist, dass dem Hirnanhang eine Function, deren Aufhebung
Störungen des Organismus zur Folge hätte, nicht obliegt. Die von den Autoren
bisher beobachteten Phänomene sind vielleicht auf gleichzeitige Verletzung, zumal
nach hinten, benachbarter Basistheile des Gehirns, aber nicht (wie Friedmann
und Haas8 neuerdings behaupteten) auf Asphyxie in Folge von Paralyse der
Gaumenbögen zu beziehen.
Cyon begründet in zahlreichen Arbeiten seine These, dass die Pituitaria
ein Hilfeorgan der Thyreoidea sei insofern als sie die Function der letzteren in
Beziehung zum Hirndruck mechanisch oder chemisch regele, mit den Thatsachen,
dass endovenöse Injection von Hypophysenextract Verlangsamung oder Beschleu¬
nigung des Herzpulses und constante Steigerung des Herzdrucks hervorbringt,
dass dieselben Erscheinungen auch durch mechanische oder elektrische Reizung
der Hypophyse zu erzielen sind, vor Allem aber mit der Annahme, dass die Hypo¬
physe die Schwankungen des Hirn drucks aufnimmt und auf die Vaguscentren über¬
trägt; letzteres hatte Cyon daraus gefolgert, dass während der Hypophysektomie
bei Kaninchen (von denen Verf. glaubt, dass keines die Operation überstanden
habe) Compression der Bauchaorta nicht die bekannte Verlangsamung des Herz¬
palsee, sondern eine Beschleunigung desselben zur Folge hatte. Aehnliches erhielt
Cyon auch, wenn er den 10. indirect vom 1. und 5. Hirnnerven aus reizte. Die
Theorie Cyon’s hatte schon angesichts der Arbeiten von Biedl und Reiner
and vor den Nachprüfungen Caselli’s und Goglio’s nicht Stand gehalten. In
Anbetracht aber, dass erstere sich nur auf die Effecte electrische Reizung des
Hirn&nhangs und seiner Umgebung auf den Blutdruck bezogen und die letzteren
ui Fröschen angestellt wurden, war es den Verff. erwünscht, auch an solchen
ugenen Thieren, welche die Verödung der Hypophyse lange genug überstanden
Google
hatten, feßtzu stellen, in welchem Sinne die Compression der Bauchaorta die Reizung
dee 1. und 5. Hirnnervenpaares (durch Application von Ammoniak auf die Nasen*
Schleimhaut) und die Strychninverabreichung (nach Qaglio) eine Veränderung
der Herzaction auslösen würden.
6 operirte Versuchsthiere, bei denen die spätere Autopsie nur in der Hälfte
die stattgefundene Zerstörung der Hypophyse ergab, wurden diesen 3 Versuchs¬
serien unterworfen. Man fand mittels der Pulscurven, dass sowohl die Compression
der Bauchaorta als auch die Olfactoriusreizung und die durch Strychnin erzeugten
Anfälle den gleichen Effect bei allen Thieren hatten: die Curven ergaben keinen
Anhalt dafür, ob bei einem Versuchsthier die hypothetische Function dee Hirn¬
anhangs stattgefunden hatte oder nicht. Daraus also folgt, dass die von Cyon
gefundenen Phänomene, auf welchen seine Theorie basirt war, wahrscheinlich von
traumatischen Ursachen abhingen, und dass das Organ jedenfalls einen den Hirn¬
druck regulirenden Einfluss nicht ausübt.
Verff. schliessen: Die Hypophyse ist ein rudimentäres Organ ohne all¬
gemeine oder specielle functioneile Bedeutung. Die nach Exstirpation
der Pituitaria beobachteten Erscheinungen sind entweder durch Verletzungen der
Nachbarschaft oder durch mehr oder weniger acuten Shok oder durch Infection
bedingt. Die morphologische Stütze dieser Folgerungen ist kürzlich von Rossi
und Corning erbracht worden. Schmidt (Freiburg-SchL).
9) Ueber Exstirpation der Hypophysia cerebri, von Friedmann und Masse.
(Berliner klin. Wochenschr. 1900. Nr. 52.)
Den beiden Forschern ist es gelungen eine Operationsmethode aufzufinden,
durch welche die Exstirpation der Hypophyse bei Katzen in etwa 30 Minuten
ausführbar ist. Die Einzelheiten des Verfahrens müssen im Original nachgelesen
werden. Bei 18 Fällen war die Operation gelungen, jedoch gingen alle Thiere
bis auf eins in Tagen bis Wochen meist an den Folgen der Infection zu Grunde.
Das eine Thier, dem, wie die Section ergab, die Hypophysis total exstirpirt
worden war, wurde 3'/j Monat nach der Operation beim besten Wohlbefinden
getödtet. Die Verff. ziehen aus ihren Versuchen den Schluss, dass die Hypophysis
cerebri kein lebenswichtiges Organ ist. Die Vorstellung, dass Ausfall der Hypo¬
physenfunction Akromegalie zur Folge hat, fand durch dies Thierexperiment keine
Stütze. Bielschowsky (Breslau).
10) Observations on the physiologioal aotion of extraots of the supra-
renal bodies, by J. N. Langley. (Journ. of Physiology. XXVIL S. 237.)
Verf. hat neue umfangreiche Untersuchungen über die physiologische Wirk¬
samkeit des Nebennierenextractes vorgenommen und beschreibt folgende Symptome
als Resultat der Injection des erwähnten Präparats:
1. Die Speichel- und Thränensecretion werden erheblich vermehrt (Atropin
hebt dies68 Symptom auf).
2. Die Gallensecretion wird vermehrt; Secretionszunahme dee Pancreas und
der Sohweissdrüsen war nicht zu beobachten.
3. Die Sphincteren des Magens, des Rectums und der Blase werden gelähmt.
4. Die Pupille erweitert sich, der Augapfel wird vorgetrieben, die Lidspalte
erscheint stärker geöffnet.
5. Uterus und Samenblasen contrahiren sich.
6. Die Arrectores pilorum contrahiren sich.
7. Die mittleren und kleinsten Arterien und Arteriolen verengern sich stark,
und steigt dadurch der Blutdruck erheblich.
zedby G00gle
Alle diese Erscheinungen erklärt Verl, nach Ausschluss aller centralen An¬
griffspunkte, als die Folgen directer peripherischer Reizung, ausgeübt auf Secretiona-
sailen und glatte Muskelfasern. W. Connstein (Berlin).
Pathologische Anatomie.
11) Boiferftg» sur normalen und pathologisohen Histologie der mansch*
liehen Hypophysis oerebri, von Ben da. (Berliner kl in. Wochenschr.
1900. Nr. 52.)
Die Untersuchungen des Verf.’s basiren auf der Auffindung neuer Härtungs-
und Färbemethoden zur Darteilung der Secretgranula. Durch Nachbehandlung
Ton Formalinmaterial mit Chromsäure oder von Alkoholmaterial mit Salpeter*
und Chromsäure werden bei verschiedenen Färbemethoden — Blutfärbung von
Michaelis, Weigert’sohe Gliafaserfärbung, Eisenalizarin-Toluidinblaufärbung —
die Körnungen der Hypophyse aufs schärfste differenzirt. Das Auftreten der
Körnchen beruht nicht auf Zelldegeneration; dieselben stellen vielmehr ein
Functionsproduct der Hypophysis dar. Im Gegensatz zu Schönemann nimmt
Ver£ an, dass das ausserordentlich reichliche Vorhandensein von Körnchenzellen
bei der menschlichen Hypophysis das normale ist. Verminderung der gekörnten
Zellen sind beobachtet bei Cretins. Besonderes Interesse beanspruchen die Be¬
funde von Hypophysenveranderung bei Akromegalie. Verf. hat 4 Fälle secirt;
bei allen war die Hypophyse durch Tumorenbildung entartet; mikroskopisch liess
■ich mit Sicherheit nachweisen, dass die Geschwulst aus dem Drüsengewebe
bervorgegangen war. Bei 3 Fällen konnte Verf. constatiren, dass das Geschwulst¬
gewebe fast ausschliesslich aus den ßtark gekörnten Zellen bestand.
Bielschowsky (Breslau).
Pathologie des Nervensystems.
12) Zur Aetiologie der Tetanie, von Dr. F. Brandenberg. (Therap. Monats¬
hefte. 1901. November.)
Beschreibung eines Falles von Tetanie bei einem Kranken, der kurz zuvor
wegen Polyneuritis und alkoholischer hallucinatorischer Psychose behandelt worden
war. Verf. schreibt dem Alkohol eine wesentliche ätiologische Bedeutung zu.
Weiter geht er an der Hand der Litteratur auf das Verhältnis von Laryngo-
apasmus der Kinder zur Tetanie und Rachitis ein, und kommt zu dem Ergebnis,
dass dem Spasmus glottidis als Hauptsymptom der Tetanie wohl nur ein locales
Interesse zukomme, derselbe jedenfalls nicht mit der Tetanie identificirt werden
dürfe. H. Haenel (Dresden).
13) Tetanie aveo arthropathie, par M. L. Guinon. (Bulletin de la Socite
de Pädiatrie de Pari. 1901. Nr. 7.)
Die 5jähr. Patientin war bereits früher wegen einer Polyneuritis nach Keuch¬
husten Gegenstand einer Demonstration. Sie bekam nachher Scharlach und, als
derselbe bereits abgelaufen war, eine acut fieberhafte Erkrankung, die als Sepsis
nach Hautulcerationen aufgefasst werden musste. Bei dem sehr herabgekommenen
Mädchen stellten sich nun 16 Tage nach Beginn dieser septischen Affection
typische tetanische Contracturen der Arme und Beine mit Facialisphänomen ein.
Tronsseau war wegen der Dauerspasmen nicht auszulösen. Das unregelmässige
Fieber dauerte während dieser Zustände fort. Am 5. Tage der Tetanie schwollen
die Metacarpophalangealgelenke beider Zeigefinger an.
Die Schwellung hatte da«
Google
224
Aussehen einer gichtischen Affection; zu Eiterung kam es nicht. Verf. zieht eine
nervöse Arthropathie in differentialdiagnostische Erwägung, neigt sich aber mehr
der Auffassung einer septischen Arthritis zu. Alle die Krankheitserscheinungen
gingen wieder zurück nnd das bedauernswerthe Kind scheint nun auf den Stand¬
punkt endgültiger Beconvalescenz angelangt zu sein. Zappert (Wien).
14) Myxödem und Unfall, von Bornträger. (Aerztl. Sachverständigen-Ztg.
1900. Nr. 28.)
Verf. berichtet über einen sehr eigentümlichen Fall, in welchem ein operativ
— nach Schilddrüsenoperation — entstandenes mässiges Myxödem sich bedeutend
und augenfällig verschlimmerte, nachdem der Pat. im Anschluss an eine Daumen¬
verletzung sich eine schwere Phlegmone des Armes zugezogen hatte. Die Arbeits¬
fähigkeit schwand und der Pat. bot nunmehr das Bild des schweren Myxödems.
Paul Schuster (Berlin).
15) A oase of mongolism, by W. W ins ton Hall, M. D., London. (Pediatrics.
1901. XI. Nr. 12.)
Ausser den charakteristischen Zeichen des mongoloiden Typus war das nach
schwerer Geburt zur Welt gekommene Kind auch durch das Unvermögen zu
saugen, durch einen bereits angeborenen Schnupfen und durch ein systolisches
Herzgeräusch auffallend. Im Alter von 3 Monaten bekam es plötzlich einen
schwer asphyktischen Anfall mit Bewusstlosigkeit und Schwinden des Pulses; mit
etwa 4 Monaten wiederholte sich ein derartiger Anfall, in welchem das Kind
verblieb.
Eine Autopsie konnte nicht gemacht werden, so dass die räthselhaften Stö¬
rungen der Athmung unerklärt blieben. Verf. hält die Anwesenheit eines an¬
geborenen Herzfehlers für möglich. Zappert (Wien).
10) Ueber Athyreosis im Kindeaalter, von H. Quincke. (Deutsche med.
Wochenschr. 1900. Nr. 49 u. 50.)
Im ersten Falle lag ein progressiver, zu totalem Schwund führender Process
in der Schilddrüse vor. Die cretinischen Symptome traten bereits im 1. Lebens¬
halbjahre zu Tage, sicher lässt sich der Beginn nicht fixiren. Vorhanden waren
die charakteristische Physiognomie, die Blödheit, der Mangel coordinirter Be¬
wegungen, die Verdickung der Zunge, eventuell auch der Stimmbänder, eine
welke, schlaffe, etwas verdickte, nicht eigentlich myxödematöse Haut, Verspätung
der epiphysären Knochenkerne am distalen Ende von Tibia und Fibula. Das
Längenwachsthum war intact. Auffallend waren ein ziemlich hartnäckiges Kopf-
und Gesichtsekzem, vor allem Nystagmus und Schüttelbewegungen des Kopfes.
Darreichung von Thyroidin beeinflusste den Zustand günstig, in den BehandlungB-
pausen trat Verschlechterung ein, Wiederaufnahme der Schilddrüsentherapie zeitigte
von neuem Besserung. Schwitzen, Bildung acneartiger Knötchen und leichtes
Fieber bildeten die Nebenwirkungen der Schilddrüsenbehandlung. — Im zweiten
Lebensjahre mässige Khachitis. Tod an Diphtherie. Die Section ergab u. a.
kleine Thymus, völliges Fehlen der Schilddrüse, keine nachweisbaren Neben¬
schilddrüsen. Verf. zählt den Fall dem Cretinismus zu und erblickt in ihm eine
Stütze der Kocher’schen Anschauung, dass beim Cretinismus Ausfall oder quali¬
tative Aenderung der Schilddrüsenfunction ausschlaggebend ist. Beim ende¬
mischen Cretinismus ist es unklar, wie weit die Drüsenfunction erhalten ist,
eventuell sind noch andere Organe oder Functionen durch die specifische Noxe
geschädigt.
zedby G00gle
225
Im zweiten Falle zeigte das vorher gesunde Kind vom 15. Lebensmonat
so leichte Abweichungen der Gesichtsbildung und Stillstand der psychischen Ent¬
wickelung, vom 19. Monat an Verblödung, Verlust von Sprache und Gehvermögen
und auffällige Ernährungsstörungen an den Zähnen. Oie Schilddrüse
fehlte anscheinend. Auf Jodothyrindarreichung erfolgte Besserung in 8 Tagen,
Heilung in 7 Wochen; die Heilung hält dauernd an. Verf. deutet den Zustand,
der mit dem Myxödem und dem Cretinismus nicht übereinstimmt, als Athyreosis
subacuta. Die normale Entwickelung des Kindes weist darauf hin, dass die
Schilddrüse während des 1. Lehensjahres normal oder annähernd normal functionirt
hat; Ursache und Art der zum Schwunde der Schilddrüse führenden Erkrankung
sind unklar. Das andauerrde Wohlbefinden erklärt sich wahrscheinlich aus dem
vicariirenden Eintreten tiefgelegener Nebenschilddrüsen oder der Thymus.
Die Eigentümlichkeiten der rudimentären und abortiven Fälle stützen die
Anschauung, dass es sich beim Myxödem und beim Cretinismus um die Wirkung
von im Stoffwechsel erzeugten Giften handelt. Die grosse Mannigfaltigkeit der
Einzelbilder resultirt aus der mehr minder grossen Geschwindigkeit, mit welcher
die Gifte sich in den Körpersäften anhäufen, vielleicht auch aus einer individuell
verschiedenen Reactionsfahigkeit der einzelnen Organe gegenüber demselben Gift,
namentlich im Entwickelungsalter. Anscheinend handelt es sich bei den Schild-
drüsendefecten um verschiedene Gifte und um wechselnde Mischungsverhältnisse.
R. Pfeiffer.
17) Zur Pathologie der infantilen Myxidiotie, des sporadischen Cretinis¬
mus oder infantilen Myxödems der Autoren, von Dr. F. Siegert
(Strassburg). (Jahrbuch f. Kinderheilk. LIH. 1901. Nr. 4.)
Die ungenügende Kenntniss des Myxödems bei den deutschen Autoren ver¬
blasste den Verf., an der Hand der Litteratur und eigener Fälle dieser Frage
bei der Naturforscher-Versammlung in Aachen eine Besprechung zu widmen.
Man muss zwischen angeborener und erworbener Myxidiotie unterscheiden.
Von den Symptomen der erstereu Gruppe sind besonders hervorzuheben: Fehlende
Schilddrüse, ein unbedingtes Erforderniss; Aufhören bezw. nur ganz geringes
Fortachreiten des enchondralen Knochenwachsthums nach der Geburt bei völligem
Fehlen aller rachitisohen Knochenveränderungen; Verspätung des Zahn¬
wachsthums, Offenbleiben der grossen Fontanelle bis ins späte Alter; Muskel¬
schwäche, welche sowohl die Schwierigkeit des Gehenlernens, als auch die constante
Nabelhemie, sowie den Ballonbauch erklärt. Veränderung der Haut, Haare,
Schleimhäute, Zunge, Verminderung der weissen und rothen Blutkörperchen.
Auch bei der erworbenen Myxidiotie ist das Fehlen der Schilddrüse ein
comtanter Befund. Hingegen ist die Combination von rachitischen und myxöde-
matösen Knochenveränderungen möglich, da ja beim Einsetzen der letzteren Krank¬
heit Rachitis bereits vorhanden gewesen sein kann. Haut- und Muskelerkrankungen
sind ebenso wie bei der angeborenen Form vorhanden.
Bei Besprechung von Verlauf und Klinik des infantilen Myxödems bespricht
Verf. nur einzelne dieser Punkte etwas eingehender.
So bekämpft er die Ansicht Schein’s, dass die Milch der Mutter den Säug¬
ling während der Lactationszeit vor dem Ausbruch der Myxidiotie bewahre;
ferner weist Verf. auf die Verschiedenheiten der körperlichen und geistigen Ent¬
wickelung bei den Myxödemkranken hin; dieselbe ist in jedem Falle verlangsamt,
von einem Stillstand oder Rückgang kann aber nur dann die Rede sein, wenn
die Erkrankung ältere Kinder befallen hat. Nabelhernie und Auftreibung des
Abdomens ist auch in später erworbenen Fällen zu constatiren, einer Behandlung
aber leicht zugänglich.
15
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226
Die Sohilddrüsentherapie leistet oft sehr gute Dienste; meist aber gelingt es
bei angeborener Myxidiotie nur, die Kranken etwa auf das geistige Niveau eines
3—5jähr. Kindes zu bringen. Die Gefahren der Schilddrüsenbehandlung sind
nicht zu unterschätzen; Verf. hat selbst ein Kind seiner Beobachtung, welches
versuchsweise wegen Rachitis Thyreoidtabletten bekommen hatte, unter dem Bilde
des Status thymicus verloren. Zappert (Wien).
18) Le myxoedöme frano et le myxoedöme fruste de l’enfhnoe, par
E. Hertoghe. (Nouv. Icon, de la Salp. 1900. XIII. S. 411.)
Verf. berichtet über 2 Fälle von Infantilismus oder „Myxoedäme franc“, die
durch Thyreoidinbehandlung geheilt wurden. Interessant war, dass die beiden
Mütter der betreffenden Patienten ebenfalls myxödematöse Symptome zeigten und
sich nach Thyreoidinbehandlung besserten.
Schliesslich theilt Verf. noch die Krankengeschichte eines 18jähr. Mädchens
mit sogen. „Myxoeddme fruste“ mit, die auch naoh zweijähriger Schilddrüsen¬
behandlung geheilt wurde. Facklam (Suderode).
10) Een geval van oongenitaal myxoedem , door A. C. van Brüggen.
(Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. vor Geneesk. 1900. II. Nr. 3.)
Bei einem am 15. Juli 1899 geborenen Kinde war der Mutter etwa 4 Wochen
nach der Geburt aufgefallen, dass es weniger beweglich war als ihre früheren
Kinder, und später auch, dass es weniger intelligent war, was besonders daraus
hervorging, dass es bis dahin noch wenig Notiz von seiner Umgebung genommen
und noch nicht gelacht hatte. Arme und Beine waren immer kalt, Schweiss war
noch nicht bemerkt worden. Seit ungetähr 10 Tagen hatte die Mutter bemerkt,
dass das Kind an Händen und Füssen saugte, sehr schläfrig war und unmittelbar
nach dem Saugen erbrach. Am 16. October 1899 fiel an dem Kinde nur die
gelblich blasse Hautfarbe und die Schwellung der Glieder auf, die in Folge eines
harten Oedeme formlos waren, es war kein besonders grosses Missverhältniss
zwischen der Grösse des Kopfes und der Körperlänge vorhanden. Das Kind wog
6,300 kg und war 57 cm lang, der Brustumfang war zu gering. Das Gesicht war
ausdruckslos, die Gesichtshaut geschwollen, die Nase sehr verdickt. Die Bein¬
bewegungen waren träg und gering, das Kind griff nicht zu, wenn ihm etwas
vorgehalten wurde. Patellar- und Cremasterreflex waren aufgehoben. Vom
19. October an wurde die Behandlung mit Schilddrüsenpulver, täglich 20 mg, ein¬
geleitet. Schon am 31. October hatte das Kind deutlich an Umfang abgenommen
und in Folge dessen war das Gewicht auf 6,050 kg gesunken. Am 10. April 1900
betrug die Körperlänge 64 1 / 2 cm, daB Körpergewicht 7,150 kg, der Brustumfang
war unternormal für das Alter des Kindes und namentlich ungünstig im Ver¬
hältnis zum Schädelumfang. Auch in geistiger Beziehung entwickelte sich das Kind.
Verf. betrachtet den Fall nicht als unvollständige Form des angeborenen
Myxödems, weil eine Reihe von Symptomen fehlte, sondern erklärt das Fehlen
dieser Symptome, wenn es bei Säuglingen vorkommt, dadurch, dass das Kind mit
der Muttermilch einen Theil des Schilddrüsensecretes von der Mutter zu sich
nimmt, dass das Kind bei der Geburt einen Vorrath von Thyreoantitoxin von
der Mutter in seinem Körper hatte, so dass sich die Erscheinungen erst langsam
mit dem Verbrauch dieses Vorrathes entwickeln, und dass die noch functionirende
Thymusdrüse die Function der Schilddrüse übernimmt, so dass erst mit der
Atrophie der Thymusdrüse sich langsam die Erscheinungen des Myxödems ent¬
wickeln. Dadurch dürfte es sich erklären, dass im vorliegenden Falle das Myx¬
ödem erst einen Monat nach der Geburt auftrat. Walter Berger (Leipzig).
zedby G00gle
227
*J) Btt feil af infkntilt myxödem, af Albert de la Chapelle. (Finska
läkaresällsk. handl. 1900. XLIL S. 717.)
Eine am 21. Juli 1881 geborene Kranke, die am 11. Januar 1896 in der
Kinderklinik in Helsingfors aufgenommen wurde, hatte ohne bekannte Veranlassung
im 2. Lebensjahre begonnen, in der Entwickelung in jeder Hinsicht zurückzu¬
bleiben und war auf der körperlichen und geistigen Entwickelungsstufe eines etwa
zweijährigen Kindes stehen geblieben. Sonst war sie im Allgemeinen gesund
gewesen und hatte die gewöhnlichen Kinderkrankheiten nicht durchgemacht. Es
hatten sich die gewöhnlichen Zeichen des infantilen Myxödems entwickelt in Folge
einer wahrscheinlich angeborenen Atrophie der Schilddrüse; eine Gelegenheits-
ursache zur Entstehung dieser war nicht aufzufinden. Patientin war in ihrem
Wesen langsam, trag und unbeholfen, musste gefüttert werden, sprach selten von
selbst und gab auf Fragen langsam Antwort, die immer nur aus einem Worte
bestand und oft unrichtig war; die Aussprache war imdeutlich, die Zunge war
gross und nach vorn zwischen die Lippen geschoben. Patientin reagirte träg
suf Schmerzeindrücke. Die Motilität war ungestört, bei passiven Bewegungen
trat ziemlich starke Starre in allen Muskeln ein. Die grosse Fontanelle war
offen. Zähne hatte Patientin nicht, ausser einigen Resten von cariösen Milch-
ähnen. Der Bauch war gross und vorstehend, aber weich und ohne Resistenz;
im unteren Dorsal- und oberen Lumbaltheile der Wirbelsäule bestand Lordose.
Die Haut zeigte die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Myxödems. Vor
der Erkrankung hatte die Patientin langes und dichtes Haar gehabt, später war
es aber dünn geworden. Patientin war gewöhnlich ruhig und still, zeigte Neigung
»lies zu sammeln, was sie erreichen konnte, und etwas Zerstörungstrieb.
Nach Behandlung mit Thyreoidin stellte sich allmählich Besserung in jeder
Hinsicht ein, Besserung des Stoffwechsels und des Allgemeinzustandes mit kräftigerer
Herzthätigkeit, Steigerung der Körpertemperatur, Besserung der Zusammensetzung
des Blutes, fast vollständiger Rückgang aller Veränderungen der Haut. Die Fon¬
tanelle schloss sich, die Dentition kam wieder in Gang und die intellectuelle
Entwickelung machte Fortschritte. Die nachtheiligen Wirkungen des Thyreoidins
waren leicht und gingen nach einem Wechsel des Präparates bald vorüber.
Nachdem die Thyreoidinbehandlung 4 Jahre lang fortgesetzt worden war, war
das Körpergewicht, das bei der Aufnahme 17,060 kg betragen hatte, auf 23,350 kg
gestiegen, die Körperlänge, die im Januar 1896 85,5 cm gemessen hatte, maass
im April 1900 115,5 cm. Der durch Untersuchung mit Röntgenstrahlen constatirte
Umstand, dass das Skelett sich fortwährend in Wachsthum befand, schien für die
weiteren Fortschritte der körperlichen Entwickelung in der Zukunft eine günstige
Prognose zu stellen. Walter Berger (Leipzig).
21) Et Tilfälde af infantilt Myxödem behandlet med Pili, gland. thyr. sioc.,
ved Carl Riis. (Hospitalstidende. 1900. VIII. S. 14.)
Die Mittheilung des Verf.’s bildet die Fortsetzung eines früheren (Hospitalstid.
1899. S. 2. — Neurolog. Centralbl. 1899. S. 821) von ihm mitgetheilten Falles.
Das Kind, anfangs eine fast „unbewegliche, vegetative Masse“ hatte sich bis zum
17. Januar 1900 zu einem intelligenten kleinen Mädchen entwickelt. Vom
25. Januar 1898 bis zum 17. Januar 1900 waren 1825 Pillen mit je 2 cg Gland.
thyr. sicc. verbraucht worden. Das Anfangsgewicht von 12 650 g war auf 21250 g
gestiegen, die Körperlänge von 73,5 cm auf 102,75 cm, die Harnstoffausscheidung
▼on 7 g täglich auf 23,73 g. Während das Kind anfangs stupid, träg und un¬
reinlich war, war es lebhaft geworden, sprach verständig und war reinlich.
Walter Berger (Leipzig).
16 *
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228
22) Fall af myxoedema infantile , af E. Beifrage. (Hygiea. 1900. LXI1.
S. 395.)
Bei einem Kinde begann Bchon im Alter von 2 Jahren das Wachsthum nicht
fortzuschreiten. Die Glieder waren von Geburt an starr und steif gewesen, das
Kind, ein Mädchen, begann erst im 3. Jahre laufen zu lernen und lernte spät
sprechen. Von da an blieb das Kind körperlich und geistig zurück und glich
im Alter von 8 Jahren ungefähr einem Kinde von 4 Jahren in der körperlichen
und geistigen Entwickelung. Im Alter von 7 Jahren war Myxödem eingetreten.
Bei Thyreoidinbehandlung stellte sich Besserung ein, die später rasche Fort¬
schritte machte. Walter Berger (Leipzig).
23) Ein Fall von Myxödem bei einem 2 1 / s jähr. M&dohen, von Priv.-Doc.
A. Russow. (Jahrbuch f. Kinderheilk. 1901. LIIL. Nr. 3.)
Beschreibung eines typischen infantilen Myxödems, bei welchem durch lang-
fortgesetzte SchilddrtisenfÜtterung recht hübsche Erfolge erreicht worden waren.
Das Kind starb an einer postmorbillösen Pneumonie; die Section ergab u. A.,
wie erwartet, eine angeborene Kleinheit der Schilddrüse. Zappert (Wien).
24) Zar Casaistik des sporadischen Cretinismus, von Dr. Jacob Schiff¬
macher. (Archiv f. klin. Med. LXXI. S. 470.)
Es handelt sich um einen 9 Jahre alten Knaben, welcher schon bei der Ge¬
hurt einen auffallend grossen Kopf zeigte, und welcher fast von der Gehurt an
sowohl in geistiger wie körperlicher Entwickelung zurückgeblieben war. Vom
3. Jahre an bestand starke Obstipation, so dass sich ein Kothtumor bildete, der
später exstirpirt wurde. Ein Bruder des Pat. ist Idiot, die Grossmutter (mütter¬
licherseits) war vorübergehend geistesgestört. Kein Mitglied der Familie leidet
an Kropf. Pat. zeigt ausgesprochenen Zwergwuchs und typisch cretinenhaften
Gesichtsausdruck; Körpergrösse 77cm, Gewioht 13,3kg; Kopf unförmig dick,
Abdomen breit und stark vorgewölbt. Extremitäten kurz, dick und plump. Mund
und Lippen dick und gewulstet, die wenigen Zähne gehören noch der ersten
Dentition an; Schilddrüse anscheinend vollständig fehlend. Leichte Kyphoskoliose.
Von Rhachitis sind sonst keine deutlichen Zeichen nachweisbar. Haut trocken
und schuppend und welk. An einzelnen Körperatellen (Augenlidern) ödematöse
Schwellungen. Der Hämoglobingehalt beträgt 55 °/ 0 des Normalen, Verhältniss
der weissen zu den rothen Blutkörperchen wie 1:321. Pat. sitzt stundenlang
ruhig da, blöd vor sich hinglotzend. Gehen und Stehen ist unmöglich, Sprache
fehlt vollständig; Pat. muss gefüttert werden. Gefühlsäusserungen fehlen so
gut wie gänzlioh. Nach Darreichung von Thyreoidintabletten besserte sich Bowohl
der körperliche wie der geistige Zustand merklich, doch erlag Patient einer Pneu¬
monie. Die Section ergab: Confluirende Lobulärpneumonie in sämmtlichen Lappen
beider Lungen; Cretinismus in Folge völligen Defects der Schilddrüse; Hydro-
cephalus externus, in geringem Grade auch internus; Kothtumor im S-Romanum,
allgemeine Anämie und Atrophie, Hypoplasie des ganzen Körpers; sehr zurück in
der Entwickelung erwies sich besonders auch das Knochensystem.
Jacobsohn (Berlin).
26) A ease of sporadio oretinism, by Philip F. Barbour. (Pediatrics.
1901. XI. Nr. 9.)
Enthält die Beschreibung eines charakteristischen Falles von Cretinismus,
der als sporadischer aufzufassen ist, da weder in der Familie noch in der Um-
Google
229
gebung ein ähnlicher Fall vorgekommen war. Verf. sah das Kind «um ersten
Male als es 5 Monate alt war. Die gleich damals eingeleitete and fortgesetzte
Ihyreoidbehandlung hatte recht gute Resultate in Bezug auf die körperliche und
geistige Entwickelung zur Folge; Verf. glaubt, diese namentlich dem frühzeitigen
Beginn der Schilddrüsenbehandlung zuschreiben zu dürfen.
Verf. entwickelte dann in Kürze die Difierentialdiagnose zwischen sporadischem
and endemischem Cretinismus, mongolischem Typus der Imbecillität, fötaler Rachitis
und syphilitischen Infantilismus und giebt eine kurze Darstellung des regelmässigen
Verlaufs dieser Zustände. Zappert (Wien).
26) Idiotie myxoedämateuze; traitement thyroldien, par Bourneville et
Laurens. (ProgiAs mädical. 1901. Nr. 23.)
Bourneville bereichert mit vorliegendem Falle die seit 1880 gesammelten
Fälle von infantilem Myxödem um einen neuen; den 14. Dieser ist wie stets
ausführlichst mitgetheilt und mit Tabellen, Abbildungen u. s. w. versehen.
Auch dieser Fall wurde durch Gaben von Thyreoiddrüsen gebessert.
Adolf Passow (Meiningen).
27) Temporal hemianopsi p& grund af leuion af ohiasma, af Emil Juselius.
(Finska läkaresällsk. handl. 1900. XLII. S. 1187.)
An die ausführliche Mittheilung des schon von Wahlfors (Finska läkaresällsk.
handl. 1900. Xl.TI. S. 768, s. Refer. auf nächster Seite) in der Gesellschaft der
finnischen Aerzte mitgetheilten Falles reiht Verf. die Mittheilung eines früher (1884)
in der Praxis von Wahlfors vorgekommenen. Die 30 Jahre alte Kranke, die seit
7 Jahren an rheumatischen Affectionen mit Gelenkanschwellungen und Schmerzen im
ganzen Körper, später wiederholt an Kopfschmerz mit Ohrensausen, besonders rechts,
gelitten hatte, bemerkte vor 2 Jahren eines Morgens, dass der äussere Theil des
Sehfelde« im linken Auge fehlte; eine Woche darauf begann die Patientin auch
auf dem rechten Auge schlecht zu sehen und im Laufe eines Monats fand sioh
auch in diesem ein Gesichtsfelddefect. Im rechten Auge war nur noch der obere
innere Quadrant des Sehfeldes unbeschädigt, im linken der ganze innere bis auf
einen kleinen Theil des unteren inneren. Die Ursache der Hemianopsie liesB Bich
bei sehr mangelhaften Aufklärungen nicht mit Bestimmtheit erforschen, aber eine
Affection der Hirnbasis lag nahe. Walter Berger (Leipzig).
28) Klinische und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akromegalie,
von A. Fraenkel, E. Stadelmann und C. Benda. Aus dem Urban¬
krankenhause in Berlin. (Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin
am 1. und 29. April 1901.)
Fraenkel*8 Fälle sind typische Akromegalieen. Neben den charakteristischen
Zeichen waren bei dem ersten Kranken auffallend eine vorübergehende und mässige
Glycosurie, schwere Herz- und Circulationsstörungen, sowie ein terminaler Sopor.
Die Autopsie ergab neben einem Hypophysistumor keine stärkeren Anomalieen
der übrigen Blutdrüsen, ausgedehnte Arteriosklerose, auch der Gehiragefässe,
chronische Nephritis und knotige Pancreashyperplasie. — Der zweite Patient
erlag einem Magencarcinom. Die Akromegalie war benigner Natur, hatte an¬
nähernd 30 Jahre bestanden, es fehlten alle ernsteren Complicationen, insbesondere
die Glycosurie, und auch der bei der Section gefundene Hypophysistumor hatte
keine cerebralen Symptome bedingt, da er wesentlich nach unten gegen die Keil-
heinhöhle gewachsen war. Interessant ist, dass Vater, Bruder und Schwester des
Kranken anscheinend ebenfalls an Akromegalie gelitten haben.
zedby G00gle
230
Stadelmann's erster Fall ist ein Typus der benignen Form von Akro¬
megalie: der Kranke starb an typischem Diabetes mellitus und Coma diabetioum.
Das Pancreas war normal. Die Section ergab ferner eine Vergrösserung der
Hypophysis neben den sehr ausgeprägten, charakteristischen Veränderungen der
Knochen, sowie eine abnorme Mächtigkeit der Zunge. — Seine zweite Beobachtung
deutet St. als Combination von Riesenwuchs und Akromegalie. Es fanden sich
eine colossale Vergrösserung der Nase, Prognathie, starke Entwickelung der Unter¬
lippe und Zunge, Knochen Veränderungen von akromegalem Typus (Verdickungen
gerade der Knochenenden, Osteophysenbildung, Osteoporose) und daneben eine
enorme Verdickung und Massigkeit der Knochen, während die Weichtheile im
allgemeinen weniger akromegalen Habitus zeigten. Die Section ergab auch hier
einen Hypophysistumor.
C. Ben da charakterisirt zunächst das makro- und mikroskopische Verhalten
der Tumoren in den vier von Fraenkel-Stadelmann beobachteten Fällen. Er
betont das völlige Intactbleiben des hinteren Hypophysislappens und die Herkunft
der Geschwulstzellen aus den epithelialen Elementen des Hypophysisvorderlappena.
In 3 Fällen zeigten die Geschwulstzellen den Typus der „gekörnten" Drüsenzellen,
im 4. Falle fanden sich fast ausschliesslich ungekörnte Zellen, vielkernige Zellen
und Zellen von stärker abweichendem Typus. Hier kann man von einem malignen
Adenom sprechen, in den anderen Fällen von einer Struma hyperplastioa oder
adenomatosa. Ursprünglich strumöse Tumoren können später möglicherweise
in maligne entarten. Weitere Untersuchungen nach Ben da’s Vorschriften sind
dringend wünschenswerth. B. hält es nach seinen Befunden für das wahrschein¬
lichste, dass die körperlichen Wachsthumsanomalieen bei Akromegalie auf einer
pathologischen Functionssteigerung der Hypophysis beruhen und hält die ausser¬
ordentliche Vermehrung der gekörnten Drüsenzellen für in diesem Sinne be-
merkenswerth. R. Pfeiffer.
29) Hypophysistumor, af Wahlfors. (Finska läkaresällsk. handl. 1900.
XH. S. 768.)
Der 24 Jahre alte Pat. hatte einige Zeit nach einer epidemischen Krankheit,
die hauptsächlich in Kopfschmerz, Erbrechen und Fieber bestand, im 7. Lebens¬
jahre, Veränderung des Charakters gezeigt, war still und verdrossen geworden,
lernte schwerer in der Schule. In Zwischenzeiten von 4—5 Wochen trat plötz¬
lich einige Tage lang Kopfschmerz mit Erbrechen auf, wonach immer langer
Schlaf folgte, einmal soll Pat. eine Woche lang fortgeschlafen haben. Seit un¬
gefähr 3 Jahren hatte Pat. Anfälle von Bewusstlosigkeit mit Zuckungen in Armen
und Beinen; diese Anfälle, denen Kopfschmerz und Erbrechen vorausgingen und
tiefer Schlaf folgte, kehrten anfangs 2—3 Mal im Laufe eines Jahres auf, wurden
aber immer häufiger und heftiger. Das Sehvermögen hatte abgenommen und
mitunter trat Diplopie auf. Es bestand Facialisparese auf der linken Seite. Der
Patellarreflex war, besonders links, etwas verstärkt Die linke Pupille war etwas
grösser als die rechte. Auf dem linken Auge bestand Parese des Rectus internus,
auf dem rechten des Rectus inferior. Die Papillen waren atrophisch, die Venen
etwas erweitert, beide äussere Hälften des Sehfeldes zeigten Defecte mit Bcharfer
Demarcationslinie, im linken Auge bestand ausserdem ein Defect im oberen
Quadranten und eine Zone undeutlichen Sehens etwas nach aussen von der
Fixationslinie. Auf Grund der bitemporalen Hemianopsie stellte Verf. die Dia¬
gnose auf Hypophysisgeschwulst. — An die Mittheilung dieses Falles in der
finnischep Gesellschaft der Aerzte schloss Homön die Bemerkung, dass zur Er¬
klärung der bitemporalen Hemianopsie eine Affection des Chiasma vorausgesetzt
werden müsse, vermuthlich eine Folge des Druckes der Geschwulst, durch den
auch die Facialisparese erklärt werden könne. Walter Berger (Leipzig).
;ä by Google
281
30) Akromegalie, door F. S. Meyers. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1900.
S. 414.)
Verf. theilt 4 Falle von Akromegalie mit, von denen drei in der unter
Leitung Prof. Wertheim Salomonson’s Leitung Btehenden Universitätspoliklinik
für Nervenkrankheiten und Elektrotherapie zu Amsterdam stammen, der vierte
von Prot Winkler zur Veröffentlichung überlassen wurde.
I. Die 38 Jahre alte Kranke hatte seit 3 V 2 Jahren an Kopfschmerz, seit
1 Vj Jahren an Schmerzen in den Armen, den Beinen und dem Unterkiefer ge¬
litten und seit ungefähr einem Jahre bemerkt, dass ihre Hände und Füsse grösser
worden, Arme und Beine waren schwach und matt, das Gehen wurde erschwert
dorch das Gefühl von Schwere in den Beinen und Schmerz in den Füssen; die
Patientin ass seit einiger Zeit weniger wegen Sohmerz im Munde. Die Unterlippe
stand vor, die Nase war grösser geworden, die Zunge war vergrössert. Der
Thorax hatte in transversaler Richtung zugenommen, es bestand Kyphose in der
Rückenwirbelsäule. Die Hände waren vergrössert, die Finger waren dick, aber
die Nägel waren normal. Ausser Kraftverminderung in den Armen und Beinen
fanden sich keine Nervenstörungen. Während der Zeit der Beobachtung hörte
die Menstruation auf.
IL Eine 32 Jahre alte Frau hatte seit einem Jahre bemerkt, dass ihre
Hände grösser und dicker wurden, auch die Füsse wurden dicker, aber in ge¬
ringerem Grade. Vor 2 1 /» Jahren war Patientin schwanger geworden und hatte
ein Kind geboren, das an Krämpfen litt. Seit einiger Zeit klagte sie über Kopf¬
schmerz, namentlich in der rechten Schläfengegend, das Gedächtniss nahm ab, die
Augen wurden schwächer. Auch im Gesicht zeigten sich Veränderungen, die Nase
war breiter geworden, der Unterkiefer stand vor. Es bestand starke Kyphose
mit geringer Skoliose nach rechts. Die Hände waren enorm vergrössert, besonders
der Breite und Dicke nach, nicht der Länge nach, die Finger waren sehr verdickt,
die Nägel waren aber nicht vergrössert; bei der Palpation schien die Zunahme
des Volumens in der Haut und im subcutanen Bindegewebe zu liegen; die Venen
der Hände und Arme erscheinen ungewöhnlich erweitert, besonders rechts. Ganz
analog waren die Veränderungen an den Beinen und Füssen. Motilität und
Sensibilität zeigten keine Abweichungen, an den Augen fanden sich weder Ver¬
änderungen der Sehfelder, noch Störungen der Bewegungen. Von Seiten der
Himnerven fanden sich keine Störungen.
III. Eine 54 Jahre alte Frau hatte vor 4 Jahren an Icterus gelitten, danach
an Kopfschmerz, an dessen Stelle später Gliederschmerzen traten. Den Beginn
ihres Leidens brachte sie mit dem Wegbleiben der Menstruation in Zusammen¬
hang. Die Füsse, die stets gross gewesen waren, wurden allmählich noch grösser,
anch die Hände nahmen zu und der Unterkiefer wurde vorstehend; das Gesicht
breiter und plumper, auch die Nase wurde dicker. Bei der Untersuchung fanden
sich Hände und Füsse ungewöhnlich stark entwickelt, der Unterkiefer stark vor¬
stehend. Es bestand Kyphose mit geringer Skoliose. An beiden Armen waren
die Hautvenen erweitert, auch an den Handrücken bis auf die Finger, ebenso
verhielt es sich an den Füssen. Sonst zeigte die Haut nichts Abnormes. Patientin
litt ausserdem an einem Herzfehler und an Diabetes. Von der Anwendung von
Hypophysistabletten war nicht die geringste Wirkung zu bemerken. Der Diabetes
nahm zu und, als Verf. die Patientin zum letzten Male sah, bestand eine deut¬
liche Parese des linken N. radialis.
IV. (Fall Winkler’s.) Bei einer 28 Jahre alten Frau war seit 1890 die
Menstruation ausgeblieben, angeblich nach Influenza hatte seit 1893 die Körper-
llnge zugenommen, und Hände und Füsse waren ausserordentlich grösser geworden.
1895 hatte die Kranke eine Kehlkopfkrankheit (Syphilis) gehabt, danach waren
zedby G00gle
232
Gelenkrheumatismus und Endocarditis aufgetreten und im Jahre danach zunehmende
Muskelatrophie. Die Nase und die Ohren waren gross. Eis bestand doppelte
Kyphose in der oberen und unteren Brustwirbelgegend, dazwischen Skoliose mit
der Convexität nach links. Die Schlüsselbeine waren an den Sternalenden ver¬
dickt, das Sternum war enorm breit und in der Gegend der 3. Rippe nach innen
geknickt. Die Armmuskeln waren atrophisch, stärker an den Oberarmen, die
Vorderarme waren im Verhältniss zu den Oberarmen lang, die Hände waren gross
und plump. Die Fasse waren sehr gross, es bestand beiderseits Calcaneusfuss
mit Equino-Varusstellung, links stärker als rechts, die Muskeln an den unteren
Extremitäten zeigten starke Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit. Sensi¬
bilitätsstörungen waren nicht vorhanden. Nachdem der Zustand eine Zeit lang
unverändert geblieben war, stellten sich Oedeme ein, Collaps trat ein und Patientin
starb bei zunehmender Schwäche. — Bei der Section fand sich ein Adenom der
Hypophyse, 8 g schwer. Die Sohilddrüse war gross. Rings um den Centralcan&l,
besonders von Medulla oblongata, bestand beträchtliche Gliawucherung.
Walter Berger (Leipzig).
31) Ett fall af akromegali, af H. Köster. (Hygiea. 1900. LXII. S. 37.)
Bei einer 52 Jahre alten Frau, deren Mutter an Rheumatismus deformans
gelitten, aber kleine Hände und Füsse gehabt hatte, blieb im Alter von 38 Jahren
ohne bekannte Ursache die Menstruation für immer aus, im Alter von 40 Jahren
stellte sich Kopfschmerz in der Stirngegend ein, ferner subjective Gehörsempfindungen,
und das Hörvermögen nahm auf dem linken Ohr ab. Im Alter von 42 Jahren
bemerkte Patientin, dass Gesicht, Hände und Füsse an Umfang Zunahmen, sie
hatte heftige Schmerzen in den Gliedern, später das Gefühl von Eingeschlafensein
in Händen und Füssen, Schwächegefühl in den Händen, besonders rechts. Das
linke Auge war allmählich vollständig erblindet. Der Zustand verschlimmerte
sich ganz allmählich und stetig und es entwickelte sich das typische Krankheits-
bild der Akromegalie.
Am 11. December 1897 fand man den Kopf, besonders die vorspringenden
Theile desselben, auch die Weichtheile vergrössert. Die Hände waren besonders
in der Breitenrichtung, die Füsse in beiden Richtungen collossal vergrössert. Auch
die Unterschenkel boten bedeutende Zunahme des Volumens dar, in geringerem
Grade die Kniee. Die Haut war besonders an Händen und Füssen verdiokt,
Oedem bestand nicht. Ferner fand sich Vergrösserung an der Halswirbelsäule,
an den Schultern und an einigen Rippen,' aber das Brustbein war normal. Die
Augäpfel waren vorgetrieben, besonders der linke, der nach oben und aussen ver¬
schoben und ganz unbeweglich war, ausser in der Richtung nach oben, am linken
Auge fand sich vollständige Atrophie des N. opticus. Die Stimme war etwas
rauh und heiser, aber der Kehlkopf war nicht vergrössert Patientin klagte über
Schmerz in der Stirn und den Gliedern, besonders in den Schultern und im
rechten Mittelfinger. Die Sensibilität war etwas herabgesetzt, namentlich an den
Stellen, wo sich stärkere Verdickung der Haut zeigte, vielleicht in Folge dieser.
Der Temperatursinn war bedeutend herabgesetzt, der Schmerzsinn etwas, der Orts¬
sinn war gut. Die Intelligenz hatte nicht gelitten, die Stimmung war bisweilen
deprimirt, Patientin nahm an den Arbeiten im Krankenhause Theil und half gern.
Der Schlaf war gut, der Harn enthielt etwas Eiweiss, einzelne Cylindroide, sonst
keine Formbestandtheile, keinen Zucker. — Behandlung mit Hypophysentabletten
brachte keinerlei Besserung, ebenso wenig die Anwendung von Schilddrüsen¬
tabletten.
Das Bestehen einer Hypophysengeschwulst hält Veif. in diesem Falle für
sicher wegen der Hervortreibung der Augäpfel, der Abweichung des linken nach
zedby G00gle
233
oben nnd aussen mit Lähmung aller Augenmuskeln derselben Seite und wegen
der Atrophie des linken N. opticus. Ob der Kopfschmerz auf dieselbe Ursache
mrückzufuhren sei, erscheint ihm dagegen zweifelhaft, weil im Uebrigen Symptome
von Hirngeschwulst fehlten. Walter Berger (Leipzig).
32) Ueber Akromegalie. Casuistische Mittheilungen von Dr. W. Warda in
Blankenburg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.)
Der erste Fall betrifft einen schon früher von Mosler und dessen Schüler
Kleikamp beschriebenen 48jähr. Apotheker. 1898 trat er in die Behandlung
dee Verf.’s ein. Das Leiden begann 1888 mit Dickenzunahme der Finger, welcher
1V; Jahre später Parästhesieen und vasomotorische Störungen an denselben folgten.
Ausserdem wurde damals eine Volumszunahme an dem Supraorbitalrand, an Nase,
Lippen, Zunge und an den Zehen bemerkt. Die Schilddrüse ist nicht vergrössert,
eher klein, Thymusdämpfung besteht nicht, Händedruck beiderseits etwas schwach,
geringer statischer Tremor der Hände, leichte cervico-dorsale Kyphose, mechanische
Xaskelerregbarkeit etwas gesteigert, Reflexe normal, Sensibilität überall erhalten,
Druck auf den Ulnaris, und zwar rechts mehr als links, bewirkt Kribbeln, links
Tibi&lis etwas empfindlich. Geruch beiderseits herabgesetzt, auch Geschmack
weniger scharf, als normal. Hände breit und plump, Finger stark verdickt, die
Zehen haben etwas Tatzenartiges. Seit einem Jahre stärkere Reizbarkeit. Keine
Abnahme der Potenz. Mässige Libido. Auf Grund des Ohrbefundes (chronischer
Catarrh des Ohres und Nasenrachenraumes) konnte man an Lues denken, ferner
spricht das Zurückbleiben des Pat. im Wachsthum und eine zeitlich nicht sicher
localisirbare Leberentzündung für eine hereditäre oder in früher Kindheit er¬
worbene Lues. So lässt dieser Fall immerhin an die Möglichkeit einer Combination
von Lues und Akromegalie denken. In therapeutischer Beziehung ist zu be¬
merken, dass die Behandlung mit Schilddrüsensubstanz ohne jeden Erfolg war.
Bei dem Kind des Pat. finden sich auffällig plumpe Finger und Hände.
Die zweite Beobachtung betrifft eine 49jähr. Klavierlehrerin, in deren Familie
mehrere Fälle von Gehirn- und Rückenmarksleiden sowie von Carcinom und
Tuberculose zu verzeichnen sind. Patientin war schon als Kind sehr erregt und
zu Verstimmung geneigt. Vor dem 15.—20. Jahr in Folge des Klavierspiels (?)
Sehnenscheidenentzündung an der Unken Hand und im Anschluss daran Volums-
zunahme von Hand und Arm, und zwar auch des knöchernen Gerüstes derselben,
flechte Hand zeitweise schwach, schmerzhaft und geschwollen, linker Fuss und
Unterschenkel ebenfalls verdickt. Seit vielen Jahren Reizzustand des Gehörs, seit
2Vs Jahren localisirte Schmerzen im Kehlkopf und in Folge davon Behinderung
«n Sprechen, Schlucken und Athmen. Ausserdem bestehen eine Reihe hysterischer
Symptome. Seit s / 4 Jahren Menopause. Leichte Prognathie des Unterkiefers,
Ohrläppchen beiderseits angewachsen, Schilddrüse nicht palpabel, keine Thymus-
dämpfung, Kyphose der unteren Hals- und oberen Brustwirbel, Weichtheile und
Knochen beider Hände verdickt, linker Fuss dicker als rechter. Zunge weicht
nach rechts ab, Reflexe normal, Sensibilität gut erhalten, Hörweite für Uhrticken
rechts herabgesetzt, links gleich Null, craniotympanale Leitung erloschen, Geruch
rechts stärker als links. Lippen verdickt, und zwar soll diese Veränderung schon
reit der Kindbeit bestehen. Durch eine Röntgenaufnahme wurde die Diagnose
ricbergestellt und namentlich an den Füssen eine Knochenverdickung constatirt.
Von Interesse ist das lange Bestehen des Leidens (23 Jahre). Trotzdem
rind an Thyreoidea, Thymus und Hypophysis keine Veränderungen nachzuweisen.
Nach zweimonatlicher Behandlung mit Thyreoidintabletten nahm das Körper¬
gewicht etwas ab und das subjective Befinden der Kranken besserte sich deutlich,
*Qch gingen die Veränderungen an den Extremitäten ein wenig zurück.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
;d by Google
234
33) Ein Fall von Akromegalie, von M. A.Trachtenberg. (Zeit«ehr. f. kün.
Med. XLII. S. 212.)
Ea handelt sich um eine 31 Jahre alte Frau, welche folgende Krankheits¬
zeichen darbot: Vergrösserung der Hände und Fliese, Verlängerung des Gesichts,
Vergrö8serung und Verlängerung des Unterkiefers, grosse und dicke Nase, ver¬
dickte und herabhängende Unterlippe, Verdickung des weichen Gaumens, Ver-
grös8eruug der Zunge, Verdickung des Brustbeins und der Rippen, leichte Kyphose.
Ferner bestand Dämpfung des Percussionsschalles am Manubrium sterni, Exoph¬
thalmus, Schläfenhemianopsie, Polyurie, allgemeine Schwäche und Schwäche des
Gedächtnisses. Jaoobsohn (Berlin).
Psychiatrie.
34) La Psychologie dans ses rapports aveo la mddicine, par Ed. Claparede.
(Rev. m6d. de la Suisse Romande. 1901. October.)
In dem Vortrag, den Verf. bescheiden eine „causerie“ nennt, rechtfertigt er
zunächst die Psychologie gegen den öfters erhobenen Einwand, dass sie keine
exacte Beobachtungswissenschaft sei, wie etwa die Physiologie, sondern auf der
Seite der discredirten Metaphysik stehe. Er erinnert daran, dass ihre Methoden
zum mindesten ebenso reelle Thatsachen ergeben wie die physikalischen Wissen¬
schaften, wenn nicht noch genauere, und dass letztere dauernd mit den Daten der
Psychologie rechnen müssen. — Verf. setzt kurz das Princip des psycho-physischen
Parallelismus auseinander und gebraucht dabei das instructive Bild, dass der
psychologische Forscher bei Befolgung dieses Princips ähnlich verfahrt wie der
Philologe, der zur Ausarbeitung eines Wörterbuchs die Aequivalente zweier ver¬
schiedener Sprachen zu ermitteln sucht; von dem Studium irgend welcher causalen
Abhängigkeit ist bei beiden nicht die Rede. — Verf. betont ferner die Wichtig¬
keit psychologischen Denkens bei allen Fragen der Gehirnlocalisation und schliesst
mit einer Ausführung darüber, welche Dienste die Medicin und die Psychologie
sich gegenseitig leisten können bei gutem Einvernehmen, und welche Vortheile
und Fortschritte auf socialem, criminalistischem und pädagogischem Gebiete von
den Fortschritten der Psychologie zu erwarten sind. H. Haenel (Dresden).
35) Ueber die psycho-physiologischen und pathologischen Beziehungen
des Gedächtnisses, von Ludwig Wille. (Basel, 1901.)
Die vorstehende Abhandlung bildet das „Programm“ zu einer Reotoratsrede.
Der erste Absohnitt ist historischer Natur und beschäftigt sich mit den verschie¬
denen Erklärungen, die von Aristoteles bis Ziehen über die Natur des Gedächt¬
nisses abgegeben worden sind. Auffallen muss in diesem Abschnitt der Passus,
in welchem sich Verf. als Gegner des „Ignorabimus“ bezeichnet, indem er erklärt,
„einer, wenn auch fernerer Zukunft entgegenzusehen, in der nach dem Maasse das
Beobachtungsmaterials, der Hilfsmittel der Beobachtung und der Verbesserung der
Untersuchungsmethoden der physischen und psychischen Vorgänge unsere Kennt¬
nisse sich erweitern und vertiefen werden.“ Eine solche zukünftige Erweiterung
und Vertiefung ist von du Bois-Reymond niemals bezweifelt worden, sein
„Ignorabimus“ bezog sich auf ganz etwas Anderes, nämlich auf die principielle
Unmöglichkeit, die Thatsache der Empfindung mechanisch resp. physiologisch zu
erklären. — Im zweiten Abschnitt wird auseinandergesetzt, dass das, was Ge*
dächtniss genannt wird, ein Complex zahlreicher und mannigfaltiger Erscheinungen
und das Resultat ebenso mannigfaltiger psycho-physischer Processe ist, unter denen
besonders eingehend gewürdigt werden die Auffassungs- und Einprägungsfahigkeit,
zedby G00gle
285
die Aufmerksamkeit, die Association, das Verhalten des Bewusstseins, der Gefühls*
toDus, der jeweilige Gemütszustand. Dass bei der Betrachtung der Associationen
Verl unter den gesetzmässigen Associationen, d. h. den instinctiven Anlagen, dem
CMsalitätsbediirfnias den teleologischen Trieb direct parallel setzt, dürfte angreif*
btr erscheinen: nur das erstere ist nothwendig und ununterdrückbar, die Frage
uch dem Wozu naoh der Ansicht Vieler nicht zu stellen, desshalb in diesem Zu¬
sammenhänge zu verwerfen, auch bei centralen Empfindungen oder Gefühlen so
selten, dass von ihrem gesetzmässigen Charakter kaum die Rede sein dürfte. —
Verf, geht dann auf die Eintheilung des Gedächtnisses über; er unterscheidet
Arten and Grade des Gedächtnisses („Merkfähigkeit“), willkürliches und unwill¬
kürliches Gedächtniss, dem Inhalte nach Personen-, Sach-, Orts-, Zahlen- u.s.w.
Gedichtniss; wenn er bei letzterer Eintheilung sagt, dass „die in Frage kom¬
menden Vorstellungen und Begriffe je nach ihrem Inhalte gesammelt und ver¬
schieden localisirt sind“, so nähert er sich unseres Erachtens phrenologiBchen
Vorstellungen, vor denen er kurz darauf selbst eindringlich warnt. Die Eintheilung
unter dem Gesichtspunkt der verschiedenen Sinnesqualitäten ist dagegen principiell
nicht angreifbar.
Den letzten Abschnitt bilden Betrachtungen über die verschiedenen patho¬
logischen Erscheinungsformen des Gedächtnisses, die Hypo- und Amnesieen,
Hypermnesieen und Paramnesieen, wobei die Störungen des Gedächtnisses in ihren
Beziehungen vor Allem zu Störungen des Bewusstseins in klarer Weise aus¬
einandergesetzt werden. Für die Hypermnesieen werden eine Reihe Beispiele
angeführt, auch auf die Thatsache, dass isolirte Hypermnesieen bei Idioten Vor¬
kommen können, hingewiesen. H. Haenel (Dresden).
3fl) Nouvelles observations sur un oaa de somnambulisme aveo glosso-
lalie, par Th. Flournoy. (Archives de Psychologie de la Suisse Ro-
mande. I.)
Es handelt sich um psychologische Studien an einem berühmten spiritistischen
Medium in Genf^ und zwar bildet die vorliegende Arbeit die Fortsetzung und den
Schluss eines Buches desselben Verf., das vor l 1 /, Jahren über das gleiche Thema
erschienen ist. Das Medium, eine Mlle. Smith, hatte grosses Aufsehen erregt da¬
durch, dass es, ein einfaches Ladenfräulein, anfing, Sanskrit zu reden und zu
schreiben, in der Gestalt einer Hindu-Prinzessin überraschende Kenntnisse indisoher
Geschichte und Geographie entwickelte, im Trancezustand die Handschrift Ver¬
storbener schrieb, schliesslich durch Vermittelung überirdischer Geister eine Sprache
and Schrift, sowie Landschaftsbilder vom Mars, weiter von einem „Ultramars“
genannten unbekannten Planeten, dem Uranus und dem Monde producirte. Durch
ihre systematische Ausbildung, die Art der Schriftzeichen, die Uebersetzungen, —
mb dem Ultramartisehen konnte das Medium nur ins Mariische und erst aus
diesem ins Französische übersetzen —, konnte in der That auf den ersten Blick
der Gedanke an etwas vollständig Ueberirdisohes erweckt werden. — Durch rast¬
loses Sachen, verbunden mit scharfsinnigen Beobachtungen und Berücksichtigung
psychologischer Gesetze ist es nun Verf. gelungen, bei allen den von ihm selbst
öootroHirten Erscheinungen auf die natürlichen Ursprünge und die Quellen zu ge¬
langen. Das Medium gehört zu den Persönlichkeiten mit gespaltenem Bewusst¬
en, die ein sehr auBgebildetes unterbewusstes Leben führen; dasselbe ist jeden
Augenblick bereit, die Stelle des normalen Wachbewusstseins einzunehmen, hat
seine eigenen Reminiscenzen, seinen eigenen Gefühlston, eigene Reactions- und
Denkweise, die auf einem ziemlich kindlichen, etwa dem Alter von 12—14 Jahren
«gemessenen Standpunkt stehen geblieben ist, ist ausserdem in noch höherem
Grade suggestibel als das Wachbewusstsein. Verf. ist u. a. im Stande, nachzu-
Digitized by Google
236
weisen, dass jeder neue „Cyklus“ von Manifestationen eine längere, nach Monaten
zählende Incubationszeit besass, in der er durch unterschwellige (subliminal) geistige
Arbeit ausgearbeitet, eingeprägt und fixirt wurde, mit staunenswerther Sicherheit,
aber doch nicht so untrüglich, dass nicht einzelne reine Qedächtnissfehler vor¬
kämen; er weist nach, dass die Syntax der Marssprache vollständig französisch
ist, aus dem einfachen Grunde, weil das Medium nur das Französische vollkommen
beherrschte. Er zeigt, dass die psychologischen Gesetze des Widerspruchs, der
Aehnlichkeit, dass rein ethymologisch-pbonetische Gesetze die neuen Sprachen be¬
herrschen, dass dieselben Suggestionen und absichtlichen Yexirungen zugänglich
sind. In dem „orientalischen (indisch-arabischen) Cyclus“ werden eine Reihe
innerer Widersprüche ans Tageslicht gezogen, die sich nie dadurch würden
erklären lassen, dass wirklich eine im 15. Jahrhundert verstorbene indische Prin¬
zessin sioh des Körpers des Mediums bedient, dagegen aber gut dadurch, dass
einige Kenntnisse der indischen Verhältnisse, die dem Medium aus nachweisbaren
Quellen zugeflossen sind, ihre sehr natürlichen Grenzen haben, z. B. die Thatsache,
dass zu keiner Zeit in Indien Sanskrit von Frauen gesprochen worden ist
Die Methode des Verf. bei seinen Untersuchungen kann als vorbildlich be¬
zeichnet werden dafür, wie man derartigen Erscheinungen gegenüber zu treten
hat; dass sie den Spiritisten im höchsten Grade unbequem ist, hat der Erfolg
seines ersten Buches bewiesen; für einen wissenschaftlich Denkenden ist es aber
geradezu ein Genuss, seinen Ausführungen, die sich ausser durch ihren Inhalt
auch durch eine geradezu künstlerische Sprache auszeichnen, zu folgen.
H. Eaenel, Dresden.
37) Ueber die Bedeutung der Individualstatistik bei der Brbliohkeitsfrsge
in der Neuro- und Psychopathologie, von Dr. Wilhelm Strohmayer,
Hausarzt an der Privatnervenklinik von Prof. Binswanger in Jena. (Mün¬
chener med. Wochenschr. 1901. Nr. 45 u. 46.)
Um den Einfluss der Vererbung in Bezug auf das Auftreten von Nerven- und
Geisteskrankheiten richtig zu beurtheilen, muss man von der Massenstatistik ab-
sehen und dafür die Individualstatistik berücksichtigen. Es ist bei eintretender
Erkrankung zu unterscheiden, wie viel der ererbten Anlage und wie viel exogenen
Ursachen zuzuschreiben ist. Verf. unterzog die Stammbäume von 56 Familien mit
1338 nachweisbaren Mitgliedern einer sorgfältigen Betrachtung. Es stellte sich
heraus, dass etwa 30°/ 0 trotz erblicher Belastung und trotz der zahlreichen
Schädlichkeiten des Individuallebens gesund geblieben sind. Eine Vererbungs¬
tendenz tritt bei einer Erkrankuug beider Eltern am stärksten auf. In Bezug auf
den Modus der Vererbung machte sich ein bunter Wechsel im Auftreten der ein¬
zelnen Krankheitsbilder geltend. Jedenfalls schlossen sich die intellectuellen und
affectiven Psychosen in auffallender Weise aus. Auch lässt sich nicht selten eine
Erschöpfung der erblichen Belastung erkennen, ohne dass eine Verbesserung der
Art oder eine Kreuzung stattgefunden hatte. Von allen Factoren, welohe eine De¬
generation bewirken, macht sich der Alkohol am stärksten bemerkbar, indem er
auf die Keimzellen der Erzeuger toxisch wirkt. In Bezug auf die Verwandten¬
ehen konnte Verf. nur feststellen, dass sie dann verhängnisvoll werden, wenn
durch sie zwei belastete Familien verbunden werden. Auf die Frage, ob nur
ererbte oder auch erworbene Charaktere in irgend einem Grad vererbt werden
können, giebt die Individualstatistik keine Antwort. E. Asch (Frankfurt a/M.).
Google
287
HL Bibliographie.
Chirurgie des alienös, par Lucian Piquö et Jules Dagonet (Paris, 1901.
Masson et Co. 364 S.)
Die schwierigen Fragen der chirurgischen Diplomatie bei Geisteskranken
»erden im ersten Bande der „Chirurgie des Aliönes“ durch Piquö und einige
seiner Mitarbeiter erschöpfend behandelt.
Pique stellt die Forderung auf, dass man den Irren als einen Kranken, wie
jeden andern auch, zu behandeln habe, so dass auch chirurgische Eingriffe nur
nach den gewöhnlichen Indicationen zu Unternehmern oder zu unterlassen sind.
Da aber der Kranke in diesem Falle nicht über sich selbst bestimmen kann, so
hat die Familie zu entscheiden, und nur, wenn diese ein sträfliches Interesse an
der Verhinderung oder an der Vornahme von Operationen hat, soll man sich auf
sein Gewissen verlassen. Am besten wären die Chirurgen durch einschlägige,
nen zu schaffende gesetzliche Bestimmungen gedeckt
Es werden des Näheren die Einrichtungen hierher gehörender Art im Hospital
St-Anne, an dem Piquö als Chirurg wirksam ist, geschildert Die chirurgische
Station, ihre Desinfectionsmittel, die Einrichtung zur Wassersterilisation u. s. w.,
»erden in Wort und Bild genau vorgefuhrt.
Darauf gehen die Verff. zur Angabe von Einzelheiten über, die sie im Ver¬
laufe ihrer chirurgischen Thätigkeit bei Irren gefunden haben.
Namentlich bei Frauen geht oft die Erkrankung der Unterleibsorgane mit
Geistesstörungen einher, und besonders in diesen Fällen von Parallelismus beider
Erscheinungen sind durch rechtzeitiges operatives Vorgehen die glücklichsten
Erfolge auch in der Behandlung der Geisteskrankheit erzielt worden. Dabei
wurde stets streng darauf gehalten, dass nie etwa gesunde Organe lädirt wurden,
um die Geistesstörung günstig zu beeinflussen. Hysterie und Nervosität wurden
dem chirurgischen Vorgehen gänzlich entzogen.
Als Beispiel für die glückliche Wirkung dieses Vorgehens wird ein Fall einer
Patientin angeführt, bei der nach der Entfernung einer Cyste des Ligamentum
ktnm ein grosser Theil der Symptome von Geistesstörung wegfiel.
Ganz besonders studirt wurde aber die sog. „Folie sympatique“, welche durch
chirurgisches Eingreifen zur Dauerheilung in zahlreichen Fällen gelangte.
So litt eine 48jährige Frau an einem Uterusfibroid, und im Anschluss daran
hatte sich ein melancholischer Zustand ausgebildet. Sie litt an Gesichts- und Ge-
hönhallucinationen, unaufhörlicher Unruhe, verweigerte die Nahrung und konnte
nicht schlafen. Dieser Zustand blieb mit einigen Schwankungen mehrere Monate
hindurch ziemlich unverändert. Dann wurde die Frau laparotomirt, und ihr psy¬
chischer Zustand besserte sich nach Entfernung des Tumore so schnell, dass sie
■chon einen Monat später als völlig ruhig und frei von Delirien und Sinnes-
Störungen bezeichnet werden konnte. Sie wurde nach einiger Zeit als völlig ge¬
heilt entlassen.
Im Gegensatz zu diesen günstigen Erfolgen operativen Vorgehens steht die
io mehreren Aufsätzen genauer besprochene Thatsache, dass es ein postoperatives
DeHrinm giebt. Diese Delirien können von Medicamenten, Giften, Septicaemie
herrühren, oder sie sind eine reine Psychose. Nur letztere Fälle kommen als
cerne Wirkung der Operation auf den Geisteszustand in Betracht, die anderen
Preschen müssen durch sorgfältige Differentialdiagnose ausgeschlossen werden.
Die Natur der Operation hat auf die Entstehung solcher Psychosen nur in¬
sofern Einfluss, als gerade die Operationen, namentlich diejenigen gynäkologischer
Art, welche ausschliesslich wegen Bubjectiver Beschwerden der Patientinnen aus-
gefishrt werden, besondere zur postoperativen Psychose prädisponireu. Denn sehr
GoogI<
238
häufig waren gerade jene subjectiven Symptome ohne objectiven Befund nur der
Ausdruck eines bereits bestehenden seelischen Affecta, bezw. einer Geistesstörung.
Daraus soll man also die Lehre ziehen, wenn nicht genügend objective Symptome
dazu auffordern, jedes chirurgische Vorgehen zu unterlassen.
Abgesehen von diesen Fällen haben die Verff. niemals durch eine Operation
die Verschlimmerung einer bestehenden Geisteskrankheit constatirt. Selten war
es sogar, dass der Status derselben nach einer Operation der gleiche blieb. In
weitaus der grössten Anzahl der Fälle wurde Heilung oder Besserung der Geistes¬
krankheit erzielt. Adler (Berlin).
IV. Aus den Gesellschaften.
Soolötö de neurologie de Paris.
Sitzung vom 2. Mai 1901.
Herr Georges Guillain: Der arterielle Druck bei Muskelatrophieen
und bei der Thomsen'sohen Krankheit. Vortr. hat in der Klinik des Herrn
Marie in Bicetre den arteriellen Druck bei an Muskelatrophieen Leidenden unter¬
sucht und denselben sehr vermindert gefunden, namentlich bei 6 Patienten, bei
welchen der Muskelschwund besonders im Gesichte und an den oberen Extremitäten
ausgesprochen war. Mit dem Potain’schen Sphygmomanometer fand man an der
Arteria radialis ausserhalb der Verdauungszeit 11 und 14 cm Quecksilberhöhe,
statt der normalen Höhe von 16, 17 und 18 cm. Die untersuchten Kranken litten
weder an Lungentuberculose noch an Herzaffectionen. In einem Falle von Pseudo¬
hypertrophie an den unteren Extremitäten war der arterielle Druck normal Der
niedrige arterielle Druck scheint bei diesen Kranken unabhängig von ihrer Lebens¬
weise zu sein, da diese Erscheinung bei den anderen Kranken nicht vorhanden
ist, die dieselbe Lebensweise führen und unter denselben hygienischen Verhältnissen
leben. Auch scheint dieses Phänomen unabhängig zu sein vom Muskelschwunde
als solchem, da es in einer Reihe von Krankheiten fehlt, wie die Syringomyelie,
Neuritis, Charcot- Marie 'sehe Krankheit, und nur bei den sogen, myopathischen
Atrophieen beobachtet wird. Vortr. glaubt, dass diese Hypotension entweder von
einer peripheren Gefässläsion, oder von Störungen im Sympathicus abhängen kann.
Nicht selten constatirt man bei an Muskelatrophieen Leidenden einen bestimmten
Grad von Abkühlung der atrophirten Glieder, manche Male auch vasomotorische
Störungen, locale Scbweissabsonderung, Symptome, die mit dem sympathischen
Nerven in Zusammenhang stehen. Man ist deswegen berechtigt anzunehmen, dass
bei diesen Kranken die arterielle Hypotension in einer Störung der Gefässinner-
vation zu suchen ist. Uebrigens haben manche Kliniker gewisse Amyotrophieen
durch Störungen im N. sympathicus zu erklären gesucht. Neben dieser Hypo¬
tension bei myopathischen Kranken hat Vortr. in 2 Fällen von Thomson’scher
Krankheit eine ausgesprochene Steigerung des arteriellen Druckes gefunden, bei
Fehlen von jedem Symptom von Arteriosklerose und Bright’scher Krankheit.
Aus diesen 2 Fällen allein glaubt jedoch der Vortr. sich nicht berechtigt, die
Hypertension bei der Thomsen’schen Krankbeit für so constant anzunehmen,
wie die Hypotension bei den myopathischen Muskeldystrophieen.
Herr Raymond und Herr Cestan: Ein Fall von angeborenem, essentiellem
Zittern (seniler Typus). (Mit Kraukenvorstellung.) Kleines Mädchen, welches seit
der Geburt an Kopfzittern leidet. Die Eltern sind beide gesund. Syphilis wird
geleugnet. Der Vater giebt Excesse in Baccbo zu. Das erste Kind, welches jetzt
4 Jahre alt ist, ist vollkommen gesund. Niemand hat in der Familie gezittert,
weder von väterlicher, noch mütterlioher Seite. Bei der Untersuchung der Eltern und
Google
239 —
des Bruders der kleinen Patientin fand man nichts Abnormes. Die Kleine kam
unter normalen Verhältnissen zur Welt, nach einer normalen Schwangerschaft.
Sie entwickelte sich normal und fing an zu gehen und zu sprechen im 10. Uonat.
Dagegen seit der Geburt zittert Bie mit dem Kopfe. Beim Stehen, wenn der
Kopf nicht unterstützt ist, ist derselbe von kleinen Rotationsbewegungen von
rechts nach links und von links nach rechts behaftet (Negationstremor). Die
Bewegungen sind von mittlerer Geschwindigkeit und von schwacher Amplitude.
Dabei kein Nystagmus und kein Händezittern. Das Zittern ist kein beständiges.
Zuweilen hört dasselbe auf, besonders wenn die Aufmerksamkeit des Kindes auf
irgend einen Gegenstand gelenkt wird. Während des Schlafes hört das Zittern
vollständig auf. Auch im wachen Zustande verschwindet dasselbe, wenn der Kopf
gestützt wird. Das Kind ist im Uebrigen vollkommen normal. Die Patientin ist
somit von einem ausgesprochenen Typus von Tremor senilis behaftet. Demange,
Bonrgarel u. A. haben festgestellt, dass eine Form von Tremor senilis existirt,
der allein in Verneinungsbewegungen des Kopfes besteht.
Herr Joffroy bemerkt, dass in der That der senile Typus von Zittern nicht
uuschliesslicch bei Greisen zu finden ist Wie Bourgarel gezeigt hat, kann
man diesem Zittern schon im Alter von 18 Jahren begegnen. Nie hat er aber
dieses Symptom in so frühem Alter beobachtet, wie bei dem von Raymond und
Cestan vorgestellten Kinde. Die Bezeichnung von senilem Zittern fällt schwer
in diesem Falle.
Herr Pierre Marie: Ueber eine eigenartige, primitive und progressive
Myopathie mit beiderseitiger Ptosis und Betheiligung der Kaumuskeln.
(Fit Krankenvorstellung.) (Diese Mittheilung wird in extenso in der Revue neuro-
logique erscheinen.)
Herr Georges Guillain: Alcoholismus und Compressionslähmungen.
(Kit Krankenvorstellung.) Joffroy, Bernhardt u. A. haben hervorgehoben,
da« Compressionslähmungen des Radialnerven besonders bei Trinkern auftreten.
Der Torgestellte Kranke ist 72 Jahre alt. Hereditär nicht belastet. Gewesener
Bnchdrucker. Vor 26 Jahren einen Anfall von Bleikolik Überständern Er war
immer von guter Gesundheit und soll nicht übermässig getrunken haben. Er
trägt übrigens keine Zeichen von chronischem Alcoholismus. Im April 1900
Schenkelfractur. Seitdem geht er auf Krücken. Im April 1901 verspürte er
Ameisenlaufen der letzten zwei Finger der rechten Hand. Die Bewegungen des
Armes waren dabei nicht gehemmt. Am 20. April begeht der Kranke einen
starken Alkoholexcess: er trinkt 8 Glas Absinth, dazu noch verschiedene
Liköre, Cognac und einen Liter Wein. Am nächsten Tage beim Schneiden des
Brodes fällt ihm das Messer aus der Hand, die rechte Hand ist gelähmt. 3 Stunden
darauf kann er auch die linke Hand nicht mehr bewegen. Bei der Untersuchung
rieht man, dass die rechte Hand die klassische Stellung der Radialislähmung inne
behält. Die Lateralbewegungen der Hand sind unmöglich. Die Bewegungen der
Thenar-, Hypothenarmuskeln und der Interossei sind sehr beschränkt. Ausserdem
besteht Parese der Fingerbeuger, der Vorderarmbeuger und des Triceps brachii.
Die Bewegungen des Schultergürtels sind normal. An der linken oberen Extremität
bot Radialislähmung. Im Gegentheil zur rechten oberen Extremität ist der
Xusculo-cutaneus, der medianus, ulnaris von der Lähmung verschont. Objectiv
rind keine Sensibilitätsstörungen nachzuweisen. Vortr. ist der Meinung, dass die
Beute Alkoholvergiftung die Lähmung verursacht hat, und zwar im Gebiete der
Nerven, die in Folge der Krücken einer beständigen Compression ausgesetzt
waren.
Herr Joffroy bemerkt, dass die Compressionslähmungen der peripheren
Nerven nur bei solchen Individuen beobachtet werden, die durch Intoxicationen,
zedby Google
240
namentlich durch Alkoholintoxicationen, oder durch organische Rückenmarks¬
krankheiten zu trophischen Störungen geneigt sind. Es ist nicht immer leicht,
den Mechanismus der Compression zu finden. Er erwähnt folgenden Fall: Ein
Lastentriiger hatte die Gewohnheit, während er schwere Lasten zu tragen hatte,
die Arme auf der Brust gekreuzt zu halten und dabei mit den Fingern der
rechten Hand den linken Ellenbogen fest zu drücken. Dieser Druck hatte eine
Lähmung des radialen Nerven des linken Armes zur Folge. Es handelte sich
selbstverständlich um einen Potator.
Herr Lannois erzählt folgenden Fall: Eine Frau schlief während des Tages
auf ihrem Stuhle ein und stützte sich dabei mit einem Arme auf die Lehne des
Stuhles. Sie erwachte mit einem Gefühl von Eingeschlafensein dieses Armes.
Dieses Gefühl verschwand aber nach einer Weile, so dass die Frau nach einigen
Stunden ohne Hinderniss schreiben konnte. Abends erzählte sie ihrem Manne,
was vorgefallen war. Scherzend bemerkte der Mann, sie hätte am Arme gelähmt
bleiben können. Die Frau wurde durch diese Bemerkung so frappirt, dass sie
am nächsten Morgen mit einer typischen Radialisparalyse aufwachte. Die Frau
Trinkerin und dazu noch hysterisch. Bei dem Ausbruche dieser Lähmung Bpielten
somit drei Factoren mit: Alcoholismus, Hysterie und Compression.
Herr J. B ab i nski: Ueber den AchilleBsehnenreflex. (Mit Krankenvorstellung.)
Vortr. bemerkt zunächst, dass er schon verschiedentlich auf die Wichtigkeit des
Achilles8ebnenreflexes aufmerksam gemacht hat. Namentlich hat er die differential-
diagnostische Bedeutung des Verschwindens dieses Reflexes bei der Ischias bervor-
gehoben zum Unterschiede von der hysterischen Pseudoischias, bei welcher dieser
Reflex vorhanden ist. Seine Untersuchungen über diesen Reflex bei der Tabes
dorsalis haben ihn zum Schluss geführt, dass das Fehlen des Achillessehnenreflexes
bei der Tabes eine ebenso wenn nicht grössere Bedeutung besitzt, als das West-
phal’sche Symptom. Diese Untersuchungen des Vortr. sind von verschiedener
Seite bestätigt worden (Paul Janet, Forestier, Charles K. Mills, van
Gehuchten, Max Biro). Je mehr er sich mit dieser Frage befasst, um so
tiefer wird seine Ueberzeugung, dass das Fehlen dieses Reflexes ein sehr werth¬
volles Zeichen im initialen Stadium oder bei frühesten Formen der Tabes ist.
Es werden zwei Tabiker vorgeführt, die neben reflectorischer Pupillenstarre,
lancinirenden Schmerzen der Beine, Magenkrisen, bezw. Blasenlähmungen Fehlen
der Achillessehnenreflexe und Vorhandensein der Patellarsehnenreflexe darbieten.
R. Hirschbe.rg (Paris).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin. NW. Schiffbauerdamm 29.
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\m 16. März. Nr. 6.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Ein Fall von acuter disseminirter Myelitis oder
Encephalomyelitis nach Koblenoxydvergiftung mit Uebergang in Heilung, von Dr. med.
Alexander Pariski. 2. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem Obductions-
befund (Dr. E. Fl&tan), von S. Goldflam in Warschau.
II. Referate. Anatomie. 1. Ueber Centrosomen und Sphären in menschlichen Vorder-
hornzellen, von Kolster. 2. Bemerkungen über die Körnerscnicht im Bulbus olfactorius des
Meerschweinchens, von Marburg. 3. Ueber eine RiickenmarkBfurche beim Kinde, von Zappert.
— Experimentelle Physiologie. 4. Ueber den Hirnmechanismus der Motilität. Experi¬
mentelle Untersuchungen über Rindenabtragungen, Schweifkernverletzungen, Sehhügel-
verletzungen u. s. w„ von Probst 5. Beiträge zur Kenntniss der Topographie der Wärme¬
empfindlichkeit, von Veras«. — Pathologische Anatomie. 6. Intorno alla patologia dei
gangli del cuore. Ricerche sperim. per Bianchini. — Pathologie des Nervensystems.
1. Ueber den Einfluss des Typhus abdominalis auf das Nervensystem, von Friedlinder.
8. Myelitis haemorrhagica acutissima transversalis bei Typhus abdominalis (Exitus in
18 Standen), von Schilt. 9. Klinische Beiträge zur Lehre von der acuten intestinalen Auto-
intoxication, von Deutsch. 10. Influenza and the nervous system, by Carslaw. 11. A case
of «rysipela8 of the scalp with a remarkable nervous sequels, by Poynton. 12. Ueber nervöse
Sttnngen im Verlaufe aes Keuchhustens, von May. 13. Däsintoxication du fumeur d’opium
S enppression brusque et l’emploi momentane du chauvre indien, par Brunst. 14. Chloral-
vergiftung, von Lückerath. 15. Befund bei Vergiftung mit Höllcusteinstiften, von Edel,
psorexie und Antiaethylin, von Thribault. 17. Alkoholismus und Erblichkeit, von Anton.
18. Die sociologiscbe Bedeutung des Alkobolismus, von Masaryk. 19. Alkoholismus im Kindes-
•tter, von Kassowitz. 20. Un nouveau signe physique späcial ä l’intoxication alcoolique: le
■igiede Quinquaud, par Aubry. 21. Alkohol and arsenio in the etiology of alcoholic neuritis,
by Bazzard. 22. A case of recurrent alcoholic peripberal neuritis, bv Jones. — Psychiatrie.
28. Action de Talcoolismc snr la production de l’idiotie et de röpilepsie, par Bourneville.
24. Statistisches über die Trunksucht, von Sauermann. 25. Traitement du drilirium tremens
m k par la balndation froide, par Salvant. 26. Zur Statistik der Anstaltsbehandlung der
Aftoholisten, von Moeli. 27. Ueber Trinkeranstalten, von Delbrück. 28. Criminal oder Irren-
kaasP Ein Beitrag zur Frage der Trinkerasyle. Anlässlich des Antialkoholcongresses mit-
gstaeilt von Pollak. 29. Darf eine Trinkerheilanstalt einen Trunksüchtigen kraft Auftrages
«• Vormundes festhalten? von Bratz. 30. Zur öffentlichen Fürsorge für Trunksüchtige,
im Wulffert 31. Ueber pathologische Rauschzustände, von Heilbronner. 32. Psychosen nach
Bkflntoxieation, von Hoppe. 33. Contributo alla casuistica delle psicosi uremiche, per Cantani.
84* Un cae de folie brightique, par Viallon. 35. The influence of psycboses on nervous
ffymesarias, von Blair. 36. Les dölires toxi-infectieux, par Rrigis.
III. Bibliographie. 1. Harnsäure als ein Factor bei der Entstehung von Krankheiten,
v«a Haig. 2. Die Thatsachen über den Alkohol, von Hoppe.
IV. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft der Neurologen nnd Psychiater an der Uni-
rnmt zu Kasan. — Aus den wissenschaftlichen Vereinigungen der Aerzte an der Nerven-
Utäflc zu Kasan. — Niederländischer Verein für Psychiatrie und Neurologie in Utrecht. —
Ife e en echaftliche Versammlung der Aerzte der St. Petersburger Klinik für Nerven- und
Stfrtes kranke.
16
3d by Google
242
I. Originalmittheilungen.
[Aus der Nervenabtheilung des PozNANBKi’schen Krankenhauses zu todz.]
1. Ein Fall von acuter disseminirter
Myelitis oder Encephalomyelitis nach Kohlenoxydvergiftung
mit Uebergang in Heilung.
Von Dr. med. Alexander Panskl, ordin. Arzt der Abtheilung.
Schon im 18. Jahrhundert haben Fbiederioüb Hoffmanub (1), Casten-
dyok (2), Toubdeb (3) u. A. über verschiedene Störungen des Nervensystems nach
Kohlendunstvergiftung berichtet, doch ist es mir nicht gelungen, in der -mir zu
Gebote stehenden Litteratur eine einzige Beobachtung von Encephalomyelitis disse¬
minata acuta, die in Folge von Kohlenoxydvergiftung entstanden wäre, publicirt
zu finden. Da diese Krankheit aber meiner Ansicht nach unter vieler Hin¬
sicht grosse Aufmerksamkeit verdient, halte ich es für nicht überflüssig, einen
diesbezüglichen Fall, den ich Gelegenheit hatte, im Januar d. J. auf meiner
Abtheilung genau zu beobachten, hier zu beschreiben.
W. J., Droschkenkutscher, 28 Jahre alt, wurde am 30. December v. J. ins
Krankenhaus in bewusstlosem Zustande gebracht. Zwei Tage vorher war Pat.,
laut den Erzählungen seiner Angehörigen, vollständig gesund und arbeitete den
ganzen Tag über. Er lebte stets solide, ohne Excesse weder im Trinken geistiger
Getränke noch im Bauchen oder in geschlechtlichem Verkehr zu begehen. Gonorrhöe
und andere venerische Krankheiten hatte Pat. nicht durchgemacht. Verheiratet
seit 3 Jahren. Seine Frau brachte ihm ein gesundes Kind zur Welt.
Am 28. December v. J. ass Pat., von seiner gewöhnlichen Beschäftigung nach
Hause zurückgekehrt, zusammen mit seiner Familie und ging ganz heiter ins
Bett, ohne sich über etwas zu beklagen. Den nächstfolgenden Tag herrschte in
seiner Wohnung absolute Ruhe, was den Nachbarn nicht auffällig schien, da es ein
Festtag (Sonnabend) war. Jedoch am Sonntag beunruhigte das stille Verhalten
der ganzen Familie eine Nachbarin, die so lange an die Thüre der Wohnung
klopfte, bis ihr die Frau des Pat., die trotz Aufwendung aller Kraft kaum aus
dem Bette herausschlenderte, die Thür aufmachte und desorientirt und verwundert
frag, warum Bie sie an einem Feiertage im Schlafe störte. Davon, dass ihr Kind
nicht mehr lebte und ihr Mann schwer krank und besinnungslos dalag, hatte sie
absolut keine Ahnung.
Ein von der Rettungsstation hinzugerafener Arzt ertheilte dem Kranken die
erste Hülfe und brachte ihn ins Krankenhaus. Nebenbei will ich bemerken, dass
die Frau binnen kurzer Zeit (einige Tage) vollständig genas, und dass alle Wieder¬
belebungsversuche, die beim Kinde angewendet wurden, ohne jeden Erfolg blieben
— das Kind athmete nicht wieder. Im Krankenhause war Pat. vollständig
besinnungslos, im fortwährenden Koma, schnarchte tief und reagirte auf keine
äusseren Reize, welcher Zustand einige Tage dauerte. Am 8. Januar d. J., d. h.
am 5. Tage seines Aufenthaltes im Krankenhause, wurde Pat. auf meine Abtheilung
gebracht.
Google
243
Die dazumal vorgenommene Untersuchung ergab: Der Kranke ist von mittlerem
Wuchs, gutem Körperbau und massigem Ernährungszustände. Das Gesicht von
tiefrother Farbe. Auf dem Röcken in der Gegend der Lendenwirbel und auf
dem Gesäss in der Trochanterengegend breite, um sich und in die Tiefe greifende
Nekrosen. Auf der rechten Wade und dem linken Oberschenkel mehrere Pemphi¬
gusblasen.
Temperatur bis 38° erhöht. Herztöne rein. Puls kräftig, rhytmisch, 84 Schläge
in der Minute. Innere Organe befriedigend. Im Urin ausser Eiweissspuren keine
pathologischen Bestandtheile (speciell kein Zucker gefunden).
Die Untersuchung des Nervensystems ergab Folgendes:
Im Liegen konnte Pat. keine Bewegung mit den unteren Extremitäten aus-
fähren. Die Bewegungen der oberen Extremitäten frei und gut ausführbar; beim
Ausstrecken derselben kein Zittern. Die Hautsensibilität an den unteren Extre¬
mitäten wie auch am Rumpfe bis zur Nabellinie ein wenig herabgesetzt; leichte
Berührung empfindet Pat. nicht überall, auch localisirt er solche nicht genau;
such ist die Schmerz-, Druck-, und Temperaturempfindung bedeutend schwächer,
wie an den oberen Extremitäten und am Abdomen von der Nabellinie nnch auf¬
wärts. Ueber Schmerzen in den gelähmten Gliedmassen klagt* der Kranke nicht.
Die Nervenstämme wie auch die Muskeln der unteren Extremitäten sind nicht
druckempfindlich. Muskelschwund nicht wahrnehmbar. Galvanische und faradische
Muskel- und Nervenerregbarkeit nicht verändert.
Die Sprache ist exquisit verändert; Worte werden von Pat. sehr langsam
producirt, einzelne Silben sind durch längere oder kürzere Pausen getrennt, manche
kommen ausserdem noch etwas verstümmelt heraus (also spurweise dysarthrische
Sprachstörung).
Die Bewegungen der Zunge sind frei, vielleicht ein wenig verlangsamt, je¬
doch ohne Muskelzittern. Die Augenuntersuchung ergiebt keine Abnormitäten.
Die Pupillen sind gleich, von mittlerer Weite, reagiren gut auf Licht und Accom-
modation. Die Augenbewegungen sind nach allen Seiten hin frei. Eis besteht
kein Nystagmus. Im Nervus opticus nichts Abnormes. Von Seiten der Blase und
des Mastdarms vollständige Incontinenz: Urin und Fäces lässt Pat. unter sich, ohne
es zu wissen und ohne das Bedürfnis dazu zu empfinden. Die Patellarreflexe stark
erhöht, ausgesprochener Fussklonus rechts, schwächer links. Kremaster- und Bauch¬
reflexe schwach, Plantarreflexe erhöht.
Es bleibt mir noch Einiges über die Störungen in der intellectuellen Sphäre
des Pat hinzuzufügen übrig. Der Kranke macht den Eindruck, als ob er das,
was zu ihm gesprochen wird, nicht auffasse. Die an ihn gestellten und mehrmals
wiederholten Fragen beantwortet Pat nicht immer richtig. Sein Blick ist ganz
stier. Während der Untersuchung ist er oft desorientirt; oft schläft er wieder
ein. Aus seinem Gedächtnisse sind alle Begebnisse seit der Zeit, als er von seiner
gewöhnlichen Beschäftigung nach Hause zurückkehrte, bis zum 4. Tage seines Aufent¬
haltes im Krankenhause verschwunden, obwohl er schon am 2. und 3. Tage während
der ärztlichen Visite mehrmals geweckt und über Manches ausgefragt wurde und
einige an ihn gerichtete Fragen mit mehr oder weniger VerständnisB beantwortete
(retrograde Amnesie). Pat. kümmert sich um seine Frau und Kind gar nicht;
ihn interessirt auch nicht sein schweres Leiden, er ist apathisch und muthlos,
über die Situation, in der er sich befindet, absolut unklar; mit einem Worte, sein
Gemüthszustand gleicht demjenigen eines Tiefsinnigen.
Es ist wohl überflüssig, die ganze Krankengeschichte des 3 Monate dauernden
Spitalaufentbaltes hier wiederzugeben. Ich beschränke mich deshalb nur kurz
auf die Schilderung der allmählichen Besserung bis zur Genesung. Bemerken will
ich nur nebenbei, dass die Behandlung in lauwarmen gewöhnlichen Bädern jeden
16 *
Google
244
zweiten Tag, in Sorge für Reinlichkeit, Darreichung von Kalium jodatum 0,5
2 Mal täglich und Milchdiät bestand.
10./I. Schon nach 10 Tagen waren nur noch minimale Sensibilitätsstörungen
nachweisbar; nach 2 Wochen des Spitalaufenthaltes ist die Sensibilität zur Norm
zurückgekehrt. Zu derselben Zeit fing auch an die Besinnung einzutreten.
l./II. Pat. konnte im Liegen schwache Bewegungen mit den unteren Extre¬
mitäten ausführen: es gelang ihm, die Beine im Knie zu beugen, das Strecken
derselben ging schon viel schwieriger, und die Bewegung war ungeschickt, etwa
einem Schleudern ähnlich. Beim Ausfuhren dieser Uebungen vermochte Pat. auch
den kleinsten Widerstand nicht zu überwinden, und schon bei minimaler An¬
strengung traten klonische Zuckungen ganzer Muskelgruppen in den unteren Ex¬
tremitäten auf. Auch nahmen die Sprachstörungen allmählich ab; die Pausen
zwischen den einzelnen Silben waren kaum noch merkbar.
8 ./II. Pat. konnte, beiderseits gestützt, stehen, ohne zu wanken. Die Geh¬
versuche misslangen aber, auch wenn der Kranke gehalten und geführt wurde.
Blasenstörungen traten nur noch während des Schlafes auf; im wachen Zustande
fühlte Pat. das Bedürfnis, Urin zu lassen, und entleerte seine Blase alle paar
Stunden. Stuhlentleerung folgte nach Klysma, welche ihm der Obstipation wegen
tagtäglich gemacht wurde.
15./II. Pat. kann, wenn er von beiden Seiten gestützt wird, die Füsse vom
Boden heben und sich mühsam vorwärts bewegen, die Beine werden aber deutlich
nachgeschleift (spastisch-paretischer Gang).
Die Pemphigusblasen auf der Wade und dem Oberschenkel sind zugeheilt.
Die tiefen Decubituswunden sind mit frischen Granulationen ausgefüllt.
25./II. Pnt. geht, ohne gehalten zu werden, der Gang ist deutlich spastisch-
paretiscli. Nach einer kurzen Weile tritt exquisite Ermüdung ein, so dass Pat.
umzufallen droht. Die starken Zuckungen ganzer Muskelgruppen, obwohl nur auf
die unteren Extremitäten beschränkt, tragen gewiss auch dazu bei.
10./III. Blasenstörungen auch im tiefen Schlafe fehlend. Beim Gehen keine
Muskelzuckungen bemerkbar. Keine dysarthrische Sprachstörung.
l./IV. Pat. wird als fast geheilt entlassen.
Die nach 3 monatlichem Krankenhausaufenthalte vorgenommene Untersuchung
ergab:
Hautsensibilität für Berührung, Schmerz und Temperatur kehrte zur Norm
zurück. Hautreflexe schwach. Patellarreflexe noch stark erhöht. Fussklonus
schwach, jedoch deutlich auslösbar. Von Seite der Blase und des Mastdarmes
keine Störungen. Muskelkraft der unteren Extremitäten befriedigend. Gang*
normal, doch beim längeren Marsohiren Ermüdung. Decubitusstellen mit Narben
bedeckt. Sprache ganz deutlich, nur noch etwas verlangsamt. Psychische Thätig-
keit beschränkt; Pat. ist theilnahmslos, spricht wenig.
Zwei Monate nach der Entlassung untersuchte ich den Kranken wieder und
konnte bei demselben, ausser erhöhten Sehneureflexen und einer gewissen Intelligenz¬
schwäche, nichts Krankhaftes nachweisen. Pat. kann viel laufen, ohne zu ermüden,
und geht jetzt vollständig seinem Berufe nach. Es fehlt ihm aber jede Lebens¬
energie und Initiative.
Was die Ursache des soeben beschriebenen Krankheitsbildes anbetrifft, so
ist dasselbe zweifelsohne durch Einathmen von Kohlendunst oder, mit anderen
Worten, in Folge von Kohlenoxydvergiftung entstanden. Im Kohlendunste spielt
doch das Kohlenoxyd die Hauptrolle, während andere Dunstbestandtheile, obwohl
sie nicht ohne schädlichen Einfluss für den Organismus bleiben, doch nur als
nebensächliche Beimengungen, die kaum in Betracht kommen, angenommen
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245 —
werden müssen (Jaksch 1 2 , Hofmann*). Wie bekannt, beruht die giftige Wirkung
des Kohlenoxydes auf seiner grossen Affinität zum Hämoglobin des Blutes, welche
ungefähr 140 Mal so gross ist, wie die des Sauerstoffes (Hubemann 3 ); das
Kohlenoxyd tritt sonach mit dem Hämoglobin eine chemische Verbindung
ein und hebt die Fähigkeit desselben, sich mit dem Sauerstoff zu verbinden, fast
vollständig auf, wodurch der respiratorische Gasaustausch stark beeinträchtigt
oder auch ganz unmöglich wird. Die Folgen davon sind einfach und klar: am
meisten und am schnellsten werden diejenigen Organe in ihrer Function beein¬
trächtigt, welche mit Sauerstoff am besten versorgt werden müssen. Laut der
allgemein angenommenen Meinung Ehklioh’s 4 * ist sicher, dass der Herzmuskel
uod die graue Substanz der Nervencentren am empfindlichsten in Bezug auf
das Sauerstoffbedürfniss sind, folglich leiden diese Organe bei der Einwirkung
des Kohlendunstes am meisten.
Der ursächliche Zusammenhang, zwischen dem Leiden unseres Patienten
und der Kohlenoxyd Vergiftung ist um so deutlicher, als der Vergiftung sämmt-
liche Personen, die in demselben Raume waren, erlagen. Auch lag kein Ver¬
dacht auf irgend eine andere Vergiftung vor, und ebensowenig konnten wir eine
andere Ursache, die das Krankheitsbild hervorgerufen hätte, wie z. B. eine In-
fectionskrankheit, als deren Folge dieselbe Erkrankung hervortreten konnte, aus¬
findig machen.
Die Untersuchung des Blutes auf Kohlenoxydhämoglobingehalt wurde nicht
vorgenommen, da, wie allgemein bekannt, eine verhältnissmässig kurze Zeit
von Sauerstoffeinathmung vollständig genügt, um den Nachweis des CO im Blute
nicht mehr beibringen zu können. Hüsemann 5 sagt in seiner schon oben citirten
Arbeit: „Man wird da, wo die Vergifteten erst längere Zeit nach der Vergiftung
gestorben sind, nachdem sie bereits stundenlang wieder CO-freie Luft geathmet
haben, auch das spektroskopische Verhalten des CO-Hämoglobin nicht constatiren
können“. Kionka 6 drückt sich in demselben Sinne aus: „Man kann im Blute
eines Vergifteten, der Gelegenheit hatte, nachher noch einige Stunden kohlen¬
oxydfreie Luft zu athmen, nur noch wenig CO nachweisen, da, wenn auch die
Verbindung des Kohlenoxydes mit dem Hämoglobin fester ist als die des Sauer¬
stoffes, so sie doch immerhin eine lockere chemische Verbindung ist, und wenn
sie mit kohlenoxydfreier Luft zusammen trifft, das Kohlenoxyd wieder abgiebt.“
Hofmann citirt zwar eine Beobachtung, wo man im Blute des Vergifteten
2 Stunden nach der Ueberführung desselben ins Krankenhaus, CO durch den
Spektralapparat nachweisen konnte; weiter führt er auch den Fall Kooh’s 7 und
den Fall Poüchet’s 8 an, wo es im ersten Falle noch 10 Stunden nach der
1 Jaksch, Die Vergiftungen. 1897.
2 Hofmamn, Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. 1898.
* Hdskmann, Kohlenoxyd Vergiftung. Encyklop. Jahrb. der gesammten Heilkunde. 1896.
* Ehelich. Sauerstoff bedürfniss des Organismus. Berlin, 1885.
* Huan man, Encyklop. Jahrb. der gesammten Heilk. 1896.
* Kionka, Kohlenoxydvergiftung. Real-Encyklop. der gesammten Heilk. 1897. XII.
’ Koch, Zur Encephalomalacie nach CO-Vergiftung. Dissert. Greifswald 1892.
* Poüchbt, Annal, d’hyg. publ. refer. Virchow’s Jahreaber. 1888. I.
zedby G00gle
246
Vergiftung, im zweiten Falle sogar nach 60 Stunden gelungen war, Kohlenoiyd
nachzuwei8en. Hofmann hält aber diesen letzten Befund für unwahrscheinlich.
Auf Grund dieser Erwägungen konnte ich noch weniger ein positives Resultat
aus der Untersuchung des Blutes auf CO-Hämoglobingehalt erwarten, da ich den
Kranken zur Behandlung erst am 5. Tage seines Krankenhausaufenthaltes und
am 7. Tage nach der Vergiftung zum ersten Male gesehen habe. Endlich schien
die Anamnese eine Kohlenoxydvergiftung zur Genüge zu bestätigen, ebenso wie
noch manche, auf den ersten Blick unwichtige Symptome, die nach Jaksch und
anderen Beobachtern zum Wesen der CO-Vergiftung gehören; ich verstehe
darunter a) vasomotorische Störungen, die in Anomalieen der Blutvertheilung
sich manifestiren, wie z. B. die tief rothe Färbung des Gesichtes; b) trophische
Störungen, wie Pemphigusblasen und die tiefgreifenden Nekrosen; c) die Tempe¬
raturerhöhung (Scheffel 1 ) und d) Eiweissspuren im Urin.
Da die Kohlenoxydvergiftung hochgradige Athembeklemmungen verursacht,
gehören Convulsionen auch mit zu den oft beobachteten Symptomen der Ver¬
giftung; das Fehlen derselben spriokt aber keineswegs dagegen. Die Convulsiouen
gehören zu den Frühsymptomen, welche die Verunglückten schon früher über¬
standen haben konnten, ehe ihnen die erste Hülfe ertheilt worden ist, und so
können die Zuckungen übersehen werden, ausserdem fehlen auch Convulsionen,
wenn die Beimengung des Kohlenoxydes zur Respirationsluft gewisse Grenzen
nicht überschreitet und die Vergiftung sehr langsam zustande kommt Der
letztere Umstand schien bei unserem Kranken stattgefunden zu haben.
Dass nicht alle Personen, die in demselben Raume der Einwirkung des Kohlen¬
dunstes ausgesetzt waren, in gleichem Maasse gelitten haben, kommt öfters vor.
Aus der Anamnese geht nämlioh hervor, dass das Kind todt aufgefunden und
nicht mehr zu retten war, die Frau leichte Vergiftung (Erbrechen, tiefe Nar¬
kose, Verwirrtheit u. s. w.) aufwies, während Patient, tief betäubt gefunden,
eine schwere Gehirn- und Rückenmarkskrankheit durchmachte. — Diese That-
sache findet ihre Erklärung in dem Situationsplane der Oefen, Fenster, Thören
und Lagerstellen der Verunglückten in dem betreffenden Raume, denn durch
die Ritzen der Fenster und Thüren dringt Luft in die Wohnung ein und giebt
denjenigen, die in der Nähe der Fenster liegen, mehr Möglichkeit, Sauerstoff ein-
zuathmen, als denjenigen, die von denselben entfernt, näher bei den Oefen schlafen.
Andererseits spielen individuelle Verhältnisse, wie auch die verminderte Resistenz
mancher Körperorgane oder Gewebe eine grosse Rolle.
In vielen Fällen von Massen Vergiftungen bemerkte man, dass Kinder mehr
Widerstandskraft besitzen, als Erwachsene, was in unserem Falle keine Be¬
stätigung gefunden hat, und das erscheint desto auffälliger, da das Kind mit
der Mutter in einem Bette lag.
Die Diagnose bot in unserem Falle keine besonderen Schwierigkeiten dar:
a) der acute Beginn der Erkrankung bei einem früher sonst ganz gesunden und
1 >'cheffbl, Beitrag zur Kenntniss der CO-Vergiftung. 1891.
sd byGüOgl«
247
nüchternen Manne und b) das stürmisohe Fortschreiten der Krankheit, deren
Hauptsymptome: spastische, nicht degenerative Lähmung der unteren Extremitäten,
Incontinentia urinae et alvi, vasomotorische und trophische Störungen, wie
Pemphigusbiasen und Decubitus, tagelangdauernde Somnolenz, getrübtes Be¬
wusstsein, langsame, undeutliche Sprache, Amnesie u. s. w. waren, wiesen zur
Genüge das Krankheitsbild eines acuten Processes, der sich im Hirnstamme, im
Grosshim und im Rückenmarke abspielen muss, auf.
All die hier aufgeführten Symptome gehören zu einem Krankheitsbilde,
dessen nosologische Einheit von allen Autoren anerkannt und als acute Encephalo¬
myelitis oder disseminirte Myelitis beschrieben wird.
Die Diagnose der acuten disseminirten Encephalomyelitis, die gar nicht so
oft zur Beobachtung kommt, ist nur dann zur Genüge gesichert, wenn sich die
Krankheit im Verlaufe oder im Anschluss an eine Infectionskrankheit oder aber
nach manchen gasförmigen Giften rapid entwickelt hat und die Möglichkeit vor¬
handen ist, die multiple Neuritis auszuschliessen, welche ebenfalls an dieselben
Ursachen sich mit besonderer Vorliebe anschliesst.
Obwohl die multiple Neuritis, wie schon die Bezeichnung der Krankheit
sagt, speciell die Nervenstämme ergreift, kann nichts desto weniger das Krank¬
heitsbild dem eines Rückenmarksleidens sehr ähnlich erscheinen. Wenn die
Neuritis auf die Beine beschränkt bleibt, kann die Differentialdiagnose grosse
Schwierigkeiten bereiten, ja unter Umständen sogar unmöglich sein.
Und in der That bricht die Neuritis manchmal acut aus; es treten zuerst
lebhafte Schmerzen auf, denen allmählich Extremitätenlähmungen von para-
plegischem Typus folgen. Nicht selten werden die Lähmungen von geistigen
Störungen, welche als KonsAKOFF’sche Psyohose bekannt sind, begleitet
Doch vieler ähnlicher Symptome beider Krankheiten ungeachtet, bieten
sie auch viele Unterschiedsmerkmale. Bei der multiplen Neuritis sind die
Lähmungen schlaff, die Muskeln unterliegen der Degeneration. Es fehlen in der
Kegel Blasen- und Mastdarmstörungen. Die Nervenstämme, wie auch die
Maskein sind druckempfindlich. Die hier für Polyneuritis aufgezählten Symptome
können auch als Resultat einer Rückenmarkskrankheit auftreten, wie es z. B.
bei der Poliomyelitis anterior acuta der Fall ist, doch unterscheiden sie sich auch
ron den Symptomen, die unser Patient aufwies, und daher bietet die Differential-
diagnoee in gegebenem Falle absolut keine Schwierigkeiten, ja sie kommt fast
gar nicht in Betracht.
Viel wichtiger ist hier die Unterscheidung der acuten Encephalomyelitis
von einem Krankheitsbilde, welches sehr ähnlich dem von unserem Kranken ge¬
botenen sein kann. Ich meine hier die Syphilis des Gehirns und des Rücken¬
marks, welche sich durch grosse Mannigfaltigkeit der Symptome auszeichnet
und herdenweise sowohl im Gehirn wie auch im Rückenmarke zu derselben Zeit
auftreten kann. Auch ist der Verlauf oft ein foudroyanter. Das klinische Bild
der Gehirn- und Rückenmarkssyphilis kann mitunter einer diffusen acuten Ence¬
phalomyelitis, die in Folge anderer Ursachen (Infectionskrankheiten, Intoxication)
entstanden ist, sehr ähnlich erscheinen.
GoogI<
248
In unserem Falle vermissen wir diese differential-diagnostische Schwierigkeit,
da erstens der Verlauf der Krankheit, den wir bei unserem Patienten zu beob¬
achten Gelegenheit hatten, sehr gewaltig von der Gehirn- und Rückenmarks¬
syphilis mit ihren Exacerbationen, Remissionen u. s. w. differirt, zweitens der
Kranke nie Syphilis durchmachte, wenigstens bei ihm absolut keine Zeichen einer
überstandenen Lues constatirt werden konnten, drittens schon mit Sicherheit,
die keinem Zweifel mehr unterliegen kann, die Erkrankung aller Mitglieder der
Familie auf eine Ursache hin weist., die von aussen her gewirkt haben muss und
nicht im Organismus der Vergifteten schon früher bestanden hätte.
Auf Grund des ätiologischen Momentes können wir bei unserem Kranken
auch spontane ausgedehnte Gefässruptuien mit nachfolgendem Bluterguss ins
Rückenmark (Hämatomyelie) ausschliessen, obwohl diese Krankheit auch Sym¬
ptome einer foudroyanten Myelitis bieten kann; jedoch entsteht sie, wie be¬
kannt, entweder direct im Anschlüsse an ein Trauma, welches sicher bei unserem
Patienten nicht bestanden hat, oder aber es entwickeln sich ihre Symptome nach
einer längeren Zeit post Trauma; dann ist aber auch das Resultat des Rücken¬
marksleidens ein ganz anderes, und zwar hat es dann mehr Aehnlichkeit mit der
Syringomyelie.
Sowohl die Symptome wie auoh die Ursache der Erkrankung und der günstige
Ausgang berechtigen uns somit zu der Annahme der selten vorkommenden und
noch seltener beschriebenen acuten disseminirten Encephalomyelitis.
Zur Diagnosenstellung verwerteten wir ausser den Symptomen auch die
Ursache und den günstigen Ausgang der Krankheit, indem wir mit Brüns 1 und
anderen Autoren vollständig übereinstimmen, dass „in der Diagnose der disse¬
minirten Encephalomyelitis vor allem der directe Anschluss an eine Infection oder
Intoxication wichtig ist; — für eine disseminirte Encephalomyelitis in Zweifel¬
fällen auch eine rasche Heilung sprechen würde.“
Das Krankheitsbild der acuten disseminirten Encephalomyelitis ist ein sehr
charakteristisches und erregte, obwohl die ersten Beschreibungen dieser Krank¬
heitsform seit Jahrzehnten datiren, das Interesse der Aerzte nur in geringem
Grade. Die Erkennung dieser Krankheitseinheit hat aber entschieden eine
grosse praktische Bedeutung, da sie relativ häufig nach Infectionskraukheiten
(Influenza, Typhus, Angina u. s. w.) und Vergiftungen aufzutreten pflegt. („Die
gasförmigen Gifte scheinen besonders leicht eine disseminirte Encephalomyelitis
hervorzurufen; dies ist jedenfalls z. B. für CO-Gas und SC 2 nachgewiesen“ [Brons].)
Die Krankheit bietet ferner einen guten Verlauf und verdient auch deswegen
von anderen acuten Myelitisformen unterschieden zu werden.
Auf Grund dieser Auseinandersetzungen (die icli auch am meisten Bruns
entnehme) und bei Gelegenheit der Publication meines Falles wird es vielleicht
nicht überflüssig sein, diese Krankheitsform kurz zu skizziren.
Nach Leyden und Goldschbider* und Brüns 8 verläuft die acute disseminirte
1 L. Bruns, Rückenmarksentzündung. Real-Encyklop. 1899. XX.
* Leyden und Goldschridbb, Erkrankungen des Rückenmarks. 1895.
L. Bedns, Rückenmarksentzündung. Real-Encyklop. 1899.
Google
249
Encephalomyelitis unter zwei verschiedenen Krankheitsbildern: a) als acute Ataxie
und b) als Paraplegie der unteren Extremitäten. Die charakteristischen Sym¬
ptome der ersten Form bilden: die langsame, skandirende Sprache; Ataxie der
Extremitäten nebst erhaltener oder nur wenig abgeschwächter Muskelkraft; Fehlen
tod Sensibilitätsstörungen; psychische Störungen.
Das dominirende Symptom der zweiten Gruppe ist die Paraplegie der unteren
Eitremitäten; Lähmung der Blase und des Mastdarmes, also Symptome, die das
Resultat eines entzündlichen Rückenmarksherdes darstellen; ferner Sensibilitäts¬
störungen und Decubitus; dann gesellen sich noch Bulbäreymptome und psychische
Anomalieen hinzu.
Als häufigste Ursache des Leidens werden Infectionskrankheiten und Ver¬
giftungen beschuldet, und von den letzteren kommt die grösste Rolle dem Kohlen¬
oxyd zu.
Wenn wir noch einmal die in unserem Falle dominirenden Krankheits
Symptome aufzählen wollen: die Lähmung der unteren Extremitäten, Blasen- und
Mastdarmstörung (Incontinenz), Decubitus, leichte Sensibilitätsstörungen, dysar-
thrisebe Sprachanomalieen, Amnesie, geistige Schwäche u. s. w., wenn wir ausser¬
dem noch Eins in Erwägung bringen, dass wir als einzige Ursache der Krankheit
die Kohlenoxyd Vergiftung beschuldigten, so wird es uns nicht schwer fallen, den
Schluss zu ziehen, dass das Krankheitsbild unseres Patienten zweifelsohne das
Bild einer nach Kohlenoxydvergiftung entstandenen acuten disseminirten Ence¬
phalomyelitis darstellt
In der mir zu Gebote stehenden Litteratur 1 konnte ich keine einzige Be¬
schreibung eines analogen Falles von Encephalomyelitis nach CO-Vergiftuug
aasfindig machen. Ich studirte die Litteratur, die sich auf diese Frage bezieht,
nur für die letzten 10 Jahre, wozu mich schon der Umstand zu berechtigen
schien, dass Oppenheim in der I. Auflage seines bekannten Lehrbuches (aus
dem Jahre 1894) in der Aetiologie der disseminirten Myelitis das Kohlenoxyd
als Ursache dieses Leidens nicht erwähnt
Da ich bei der Durchsicht der Litteratur nur wenige Beobachtungen über
nervöse Störungen in Folge von Kohlenoxydvergiftung publicirt gefunden habe,
wird die Beschreibung der selten beobachteten acuten disseminirten Encephalo¬
myelitis nach CO-Vergiftung, welche Krankheit mir nur aus den neuesten Lehr¬
büchern und Monographieen bekannt war, vielleicht nicht ohne Interesse bleiben.
Auch in der von W. Sachs publicirten vorzüglichen Monographie 2 , in
welcher der Verfasser etwa 420 Arbeiten — fast alle, die seit jeher bis heute
erschienen sind — über Kohlenoxyd Vergiftung gesammelt hat, finden wir keine
einzige Beobachtung, die der von uns angeführten ähnlich wäre. Und in der
That drückt sich Sachs über die Rückenmarkskrankheiten nach CO-Vergiftung
1 Neurolog. Centralbl. 1898, Nr. 4—9. 1900. 1901. — Centralbl. för Nervenheil k.
u. Psych. 1895 u. 1896. — Monatescbr. f. Nervenheilk. u. Psych. — Die gesammten pol¬
nischen Aerzte-Zeitungen. 1890—1900. — Wratecb. 1890—1900.
1 Die Kohlenoxydvergiftung in ihrer klinischen, hygienischen un<l gerichtsärztlichen
Bedeutung. 1900.
Google
250
mit grosser Reserve aus: „Wie wir über die Veränderungen im Gehirn nach
Kohlenoxyd Vergiftung gut unterrichtet sind, so spärlich sind unsere Kenntnisse
über das Verhalten des Rückgratskanales und des Rückenmarks“, und an anderer
Stelle lesen wir: „Am häufigsten bleiben die unteren Extremitäten nach Vorüber¬
gehen der Vergiftung eine Zeit lang gelähmt und zwar meist in Verbindung
mit Lähmungen von Blase oder Mastdarm oder beider Organe.“
Zuletzt sei mir noch an dieser Stelle gestattet, alle Arbeiten über die Er¬
krankungen des Nervensystems nach Kohlenoxydvergiftung der besseren Ueber-
sichtlichkeit halber in chronologischer Reihenfolge aufzuführen. Ich entnehme
die meisten aus der SAOHs’schen Monographie und füge auch einige hinzu, die
in derselben keine Berücksichtigung fanden.
Bereits von vielen Autoren der Vergangenheit wurde die Beobachtung ge¬
macht, dass nach einer Kohlenoxyd Vergiftung Nervensymptome im Vordergründe
des ganzen Krankheitsbildes stehen; dieselben nannten auch den Kohlendunst
principium narcotico-sulphurosum. Mit diesen Autoren beginnt auch die Auf¬
zählung der diesbezüglichen Arbeiten.
Litteratur.
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zustellen.) Beobachtung II. Capitol: Myelitis. Enoyklop. Jahrb. der gesammten Heilk.
18%. VL — 57. Bbbqmah und Gbu2bwbki, Ueber die Lähmungen nach KohlendunBt-
rergiftung. (In der Litteratur haben die Autoren nur 6 Fälle von Einwirkung des Kohlen¬
oxyds auf die peripheren Nerven sammeln können. Kronika lekareka. 1897. Nr. 4. —
58. MfczxowsKi, Ueber die Entzündung der peripheren Nerven in Folge von Kohlenoxyd-
vergiftuog. (Beschreibung von 3 Fällen: 2 Fälle von Neuritis multiplex und 1 Fall von Neu¬
ritis n. peronei) Gazetta lekarska. 1899. Nr. 48 u. 49. — 59. Skowbonski, Neuritis in
Folge von Kohlenoxyd Vergiftung. Ref. in Fortschritte der Medicin. 1901. Nr. 18.
Google
252
2. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Goldflam in Warschau.
(Fortsetzung.)
I
Diese Beobachtung erstreckt sich über eine Zeit von mehr als 9 Jahren
und ist noch nicht abgeschlossen, da Patientin von ihrem Leiden noch nicht
befreit ist. Während dieser langen Periode hat Patientin Vieles durchgemacht
und oft in Lebensgefahr geschwebt. Ich will die Krankengeschichte nicht
recapituliren, da sie oben knapp wiedergegeben ist, sondern nur auf die mar¬
kantesten Züge die Aufmerksamkeit richten.
Dieser Fall zeichnet sich aus durch das vielfache Auftreten von Anfallen
asthenischer Lähmung. Man kann in der That von Anfallen sprechen, da die
Remissionen ganz bedeutend waren, meist lange dauerten, wobei die Kranke
sich ganz wohl fühlte. In jedem Anfall kann man ein Stadium incrementi
und decreinenti unterscheiden. Während des Anstieges erscheinen die Symptome
in rascher Aufeinanderfolge und erreichen nach Wochen oder Monaten die
höchste Entwickelung und Gefahr. Schon glaubt man, die Kranke sei ver¬
loren, allein diese Höhe währt nicht lange, es tritt Besserung ein, die Er¬
scheinungen nehmen an In- und Eitensität ab und nach einigen Monaten
kommt es wieder zu einer längeren oder kürzeren Remission. Beide Com-
ponenteu des Anfalls sind vielfach durch Schwankungen in der Stärke der
Erscheinungen unterbrochen, es treten bald Besserungen, bald Exacerbationen
ein, die Wochen lang anhalten; im Ganzen ist aber während des Anstieges eine
Progression der Erscheinungen vorhanden, im Stadium decrementi eine Ab¬
nahme. Ausser diesen Schwankungen, die Tage und Wochen lang anhalten,
giebt es kleinere, die sich während eines Tages abspielen und gewöhnlich
Abends exacerbiren.
Die Remissionen dauern Monate oder Jahre lang; eine hielt 3 1 /,, die andere
2 Jahre an und bedeutete für die Kranke eine vollständige Genesung, sie
konnte heirathen und hatte sogar Kinder geboren. Nur die objective Unter¬
suchung forderte latente Erscheinungen zu Tage, die den Beweis lieferten, dass
die Krankheit nicht erloschen war, sondern sozusagen schlummerte. Meist äusserten
sich diese Erscheinungen in dem Fehlen der reflectorischen Erregbarkeit oder
phonatorischen Beweglichkeit des Gaumensegels, in Schwäche der mimischen
Bewegungen, auch in einer geringen Ptose, die als letzte Spur der Krankheit
zurückblieb. Die Gaumensegelparese war das constanteste Symptom, das sich
meist auch in die Remissionszeit einschlich.
Die klinische Physiognomie jedes An- bezw. Rückfalles war beinahe gleich,
und bot nur graduelle Verschiedenheiten in der Intensität der Symptome dar.
Nur selten blieb dieses oder jenes Symptom während eines Rückfalls aus. Der
erste Anfall hatte die höchste Intensität erreicht. Die Bulbärerscheinungen waren
Google
253
in allen besonders stark ausgesprochen und äusserten sich in Kau-, Schluck-,
Articulationsstörungen, Schwäche der Faciales, auch der oberen Aeste, Glosso-
parese u. s. w.; sonderbarer Weise schienen die Kehlkopfmuskeln bei der laryn-
goekopischen Untersuchung intact zu sein. Von Seiten der Augenmuskeln war
während der ganzen Beobachtungszeit nur eine einseitige Ptose, mit der die
Krankheit einsetzte, vorhanden, sonst aber keine eigentliche Ophthalmoplegie
(im Beginne der Krankheit soll kurze Zeit eine Diplopie bestanden haben, die
ich aber nicht beobachten konnte). Die Ptose war sehr inconstant, bald mehr,
bald weniger ausgesprochen, in einem Anfall rechts, im anderen links, zuweilen
gar nicht vorhanden. Nicht gering waren die Extremitäten und der Rumpf
afficdrt, auch in diesem Fall die proximalen Abschnitte der Glieder mehr als die
distalen; am Rumpf wurden die Nacken- und Halsmuskeln von der Parese
bevorzugt.
Eins der markantesten Symptome war in jedem An- bezw. Rückfall die
frühzeitige und regelmässige Betheiligung der respiratorischen Muskeln. Es
traten nicht allein Erstickungsanfalle wegen des Eindringens der Speisen in den
Kehlkopf ein (Lähmung der Rachen- und Schlundmuskulatur), sondern es stellte
sch schon frühzeitig auch in der Ruhe beständige Athemnoth ein (Parese
bezw. Lähmung der in- und exspiratorischen Muskeln), ferner, scheinbar ohne
jede Veranlassung, Anfälle von Dyspnoe, die das Leben direct bedrohten.
Die Erscheinung der schnellen Erschöpfbarkeit war in jedem Anfall meist
sehr charakteristisch. Auch konnte man den Einfluss der Ermüdung eines Gliedes
auf die Function anderer Theile erkennen; meist nahm nach Ermüdung der
Extremitäten die Intensität der Sprachstörung zu. Die Kniereflexe Hessen sich
anscheinend durch öfteres Beklopfen herabdrücken, allein dieses Symptom war
nicht deutlich ausgeprägt
Die elektrische Erregbarkeit wurde noch vor der JoLLY’schen Bekannt¬
machung als normal bezeichnet, nur an der Uvula und am Gaumensegel war
die faradische Erregbarkeit ein wenig herabgesetzt. Auch in der letzten Zeit
wurde des öfteren sorgfältig in mehreren Nervenmuskelbezirken nach der MyaR
gefahndet, aber regelmässig mit negativem Erfolg.
Es wird in der Krankengeschichte wiederholt von geringen klonischen Zuckungen,
vorwiegend in den Gesichtsmuskeln, berichtet Dieselben waren meist nicht weit
verbreitet, kamen selten und nur auf der Höhe der Krankheit zum Vorschein,
hatten aber mit den fibrillären Zuckungen im eigentlichen Sinne nichts Gemein¬
sames und schwanden während der Remissionszeit Atrophieen waren nirgends
vorhanden. Die schmächtige Person magerte nur während des Anfalls in Folge
der schweren Erscheinungen und besonders dank der ungenügenden Nahrungs¬
aufnahme im Allgemeinen ab.
Sonderbarer Weise wiederholt sich auch in diesem Falle die Klage über ein
Gefühl von Schwere und Schmerz im Schulterblatt Sonst war die Sensibilität,
Sinne n. s. w. normal.
Während dieser langen Beobachtungszeit hat die Kranke 2 Mal Anfälle
von Gallensteinkolik gehabt, und einige Male eine katarrhalische Angina durch-
zedby Google
254
gemacht. Dieselben verschlimmerten, wenn anch vorübergehend, den Zustand,
wofern sie im Verlaufe eines Anfalls der asthenischen Lähmung auftraten. Die
katarrhalische Angina wird in allen obigen Beobachtungen notirt, ohne dass
man hierfür irgend ein ursächliches Moment finden oder eine besondere Neigung
der Patienten mit asthenischer Lähmung zur Erkrankung an Angina ableiten
könnte, da die Fälle jugendliche Personen betreffen, die in der That oft an
Angina leiden, und die Beobachtungszeit eine sehr lange war.
Die Schwangerschaft scheint eher vom Vortheil gewesen zu sein. Es trat
während der Gravidität kein Anfall auf, wenn sich Patientin in der Remis-
aionsperiode befand. Auch war ihr subjectives Befinden während der Gravidität ein
ausgezeichnetes, und sie behauptete scherzend, sie müsse eigentlich immer schwanger
sein, um dauernd gesund zu bleiben. Die dritte Conception, die während eines
in Abnahme befindlichen Anfalls geschah, war von sofortiger und sehr mani¬
fester Besserung gefolgt. Dagegen passirte es 2 Mal, dass 3 Monate nach der
Entbindung ein Rückfall der asthenischen Lähmung sich einstellte; ob das Stillen
des zweiten Kindes dazu beigetragen hat, ist nicht ausgeschlossen. Ich habe bei
der Kranken die Erfahrung gemacht, dass leichte infeotiöse Processe (fieberhafte
Angina, Bronchitiden, Angiocholitis), oder allgemein schwächende Momente
(Wochenbett, Stillen) eine Recrudescenz der asthenischen Lähmung zur Folge
hatten und sogar das Auftreten eines Rückfalls begünstigten.
Die gelegentlich, im ganzen selten, auftretenden ohnmachtsähnlichen Anfälle
mit angeblichen klonischen Zuckungen habe ich selbst nicht beobachten könDen;
sie scheinen hysterischer Natur gewesen zu sein, haben mit der asthenischeu
Lähmung, deren Verlauf sie nicht beeinflussen, nichts gemein.
Vom ätiologischen Standpunkte ist erwähnenswerth, dass der Vater der
Patientin im 37. Lebensjahre an Gehirntumor gestorben ist
Beobachtung IV. Frau B., 32 Jahre alt, kam in den letzten Jahren von
Zeit zu Zeit wegen ihrer Hemiatrophia facialis zu mir. Sie stammt von gesunden,
noch lebenden Eltern ab, ist seit 7 Jahren verheirathet, war nie schwanger (ebenso
wie ihre ältere Schwester und zwar angeblich in Folge von infantilem Uterus),
menstruirte aber normal. Seit früher Jugend waren bei ihr ziemlich hervor¬
tretende Bulbi und ein voluminöser Hals bemerkbar (ebenso wie bei der er¬
wähnten älteren Schwester), ohne dass diese Erscheinungen im Laufe der Jahre
zugenommen hätten. Die Symptome der linksseitigen Hemiatrophia facialis
bildeten sich, ohne dass Patientin etwas davon merkte, im Laufe der letzten
5 — 6 Jahre allmählich aus. December 1900 wird hierüber notirt (Dr. Bkbk-
btbin): Blonde Dame, gute Ernährung, kleine Struma, Puls 80. Linke Backe
deutlich abgemagert, eingefallen, Haut dünner und ein wenig blässer als rechts;
die Contouren des M. levator labii inferioris und anguli oris heben sich ab.
Die Atrophie betrifft nur das Fett, das Zellgewebe und die Haut. Die Gesichts¬
knochen springen in Folge dessen hervor, der Unterkiefer wird links deut¬
licher gefühlt als rechts. Die linke Schläfenstirngegend und die linke Nasen-
hälfte bietet im Vergleich zur rechten Seite keinen Unterschied dar, ebenso
die Augenbrauen, Wimpern und das Kopfhaar. Das Mienenspiel ist auch links
vollständig normal, desgleichen die elektrische Reaction auf beide Ströme bei
directer und indirecter Reizung (die directe Reizbarkeit vielleicht sogar gesteigert,
wahrscheinlich in Folge der Widerstandsherabsetzung von Seiten der atrophischen
y Google
255
Haut und des Fettgewebes). Masseteres, Temporales contrahiren sich beiderseits
gleich, Zunge ohne Besonderheiten. Sensibilität vollkommen erhalten. Patientin
hat beim Schwitzen keinen Unterschied bemerkt, gelegentlich jedoch ein geringeres
Erröthen der linken Gesichtsseite wahrgenommen, was aber für die linke Ohr-
maachel nicht gilt.
Patientin hat sich an die Deformität des Gesichts, die ihr keine Beschwerden
Terarsacht, gewöhnt, und es war diesmal nicht dieser Umstand, der sie veranlasste,
mich Ende 1900 zu besuchen, sondern vielmehr ein Herabhängen des linken Ober¬
lids und eine momentane Sprachstörung, eine Art von Lispeln, das sich manch¬
mal für kurze Zeit und, wie ich später erfuhr, namentlich des Abends einstellte.
Die Ptose trat angeblich gegen den l./VH. 1900 auf und hat sich, wie die
Sprachstörung, nach Elektrisation gebessert (October). In der That war jetzt
nur noch eine unbedeutende linksseitige Ptose bemerkbar, die man alß Theil-
erscbeinung der Hemiatrophia facialis sinistra anzusehen geneigt sein könnte,
um so mehr, als die linke Pupille ein wenig enger war, als die rechte (Parese
des N. Bympathicu8?). Eine Sprachstörung konnte ich kein einziges Mal con-
statiren. Nebenbei fiel mir eine gedrückte Gemüthsstimmung bei der sonst fröh¬
lichen Patientin auf; ich wusste, dass sie viel Aerger und Sorgen in der letzten
Zeit »uszustehen hatte. Im Urin (1030 spec. Gew.) Spuren (0,05 °/ 0 ) von Gly-
koee, viel harnsaure Salze, Krystalle von oxalsaurem Kalk. Patientin klagte noch
über mässige Schmerzen im linken Bein. Sie verreiste Mitte December 1900.
Ganz anders gestaltete sich das Bild, als Patientin nach mehr als 2 Monaten,
am 7./DL 1901, zurückkam. Zu Hause nahm sie wegen der Hemiatrophia
facialis und einiger Basedow-ähnlicher Symptome Thyreoideatabletten ein(Bourrough,
Welcome), aber nur kurze Zeit, weil sie ihr Magenbeschwerden, Schwäche-
gefohl und Gewichtsabnahme verursachten. Gegen Weihnachten überstand sie
eine nicht näher zu bestimmende Halsaffection; sie hatte Schmerzen beim Schlucken
und auch spontan, aber kein Fieber, war nicht bettlägerig, zog nicht einmal ihren
Hausarzt zu Rathe, blieb jedoch 10 Tage zu Hause.
Vor etwa 10—12 Tagen stellte sich eine erhebliche Störung der Sprache
ein, die einen nasalen Klang bekam, fast gleichzeitig regurgitirten Flüssigkeiten
durch die Nase, und es bemächtigte sich der Kranken ein Schwächegefühl, nament¬
lich in den Armen, das sich bei den eiufachsten Verrichtungen, z. B. Hutaufsetzen,
kundgab. Das Regurgitiren der Flüssigkeiten durch die Nase hat nachgelassen,
aber das Schlucken fester Speisen bereitet ihr noch jetzt Schwierigkeiten und
8ie hat das Gefühl eines Fremdkörpers in der Kehle. Die Sprache verschlimmerte
sich zusehends und wird namentlich Abends unverständlich.
AengBtlicher Gesichtsausdruck, Puls 90—96, alle mimischen Bewegungen so
das Zukneifen der Augen, Zuspitzen der Lippen, Auf blasen der Backen u. s. w.,
find sehr schwach. Linke Lidspalte vielleicht enger, als die rechte, doch unbe¬
deutend. Die Zunge kann in der Mundhöhle nicht ruhig gehalten werden, und es macht
rieh selbst in ausgestreckter Lage ein wenig fibrilläres Zucken bemerkbar; sonst
find alle Bewegungen frei, wenn auch das Steifmachen nicht energisch vollzogen
wird. Der weiche Gaumen contrahirt sich schwach bei der Phonation und
mechanischen Reizung; der zugezogene Laryngologe fand ihn sogar ganz be¬
wegungslos, dagegen im Kehlkopf normale Verhältnisse. Stimme ausgesprochen
nasal, die Sprache wird während der Unterhaltung immer undeutlicher und ver¬
sagt bald vollständig; nach kurzer Rast kann Patientin wieder sprechen. An
•Den Extremitäten sind die abnormen Ermüdungserscheinungen demonstrirbar,
die Amplitude der Bewegungen fällt ziemlich jäh, aber nicht vollständig; nach
kurzer Rübe erlangen die Extremitäten ihre frühere Leistungsfähigkeit. Bei der
Intersuchung tritt schnell Ermüdung ein, Pat. wird sehr schwach, kann sich
GoogI<
256
z. B. ohne Hülfe nicht hinsetzen. Alle Reflexe normal, keine Accommodations-
lähmung, keine sensiblen, sensorischen oder psychischen Störungen.
8. /III. 1901. Nachts schlaflos wegen Hustenreiz, der beim Liegen noch
grösser ist. Unmöglichkeit den Schleim herauszuwerfen. Die Hustenstösse sind
kurz, schwach und effectlos. Respiration 40. An der Inspiration betheiligen sich
auch die Halsmuskeln, das Diaphragma contrahirt sich schwach. Trachealrasseln.
Puls 90. Grosse Unruhe, Patientin wechselt immerzu ihre Lage, da sie keine
bequeme finden kann. Allgemeiner Schwächezustand.
An den Gesichts- und Zungenmuskeln, sowie am N. facialis konnte man
die MyaR nicht finden, dagegen fiel bei faradischer Reizung dee Biceps brachii
die Zuckung schnell herab und bald sah man (bei dickem Fettpolster) gar keine
(’ontraction mehr. Die Zuckungen bei galvanischer Reizung dieser Gebiete
normal; andere Gebiete konnten wegen Müdigkeit der Patientin nicht geprüft
werden. Da deswegen auch das Ermüdungsphänomen nicht untersucht werden
konnte, so war der Befund der MyaR am Biceps von ausschlaggebender Bedeutung.
9. /III. 1901. Ich wurde in der Nacht alarmirt durch die Nachricht, dass
Patientin ersticke. Im Laufe des gestrigen Tages wurde ihr sogar besser, und
sie sprach deutlicher. Gegen Abend wieder Hustenreiz, Dyspnoe, unverständliche
Sprache. Sie schlief erst gegen 1 Uhr Nachts ein, erwachte schon um 2 1 ' 2 Uhr
plötzlich mit einem Gefühl von Erstickung. Ich fand sie in höchster Angst und
Aufregung nach Luft ringend, sehr blass, bald im Fauteuil sitzend, bald im
Zimmer herumlaufend. Die Athembehinderung schien hauptsächlich eine exspira-
torische gewesen zu sein, die Bauchpresse contrahirte sich nur sehr schwach, die
Inspirationen waren oberflächlich, costal, 36 in der Minute. Puls 90. Zur per¬
manenten Athemnoth gesellten sich noch sehr oft, scheinbar durch Hustenreiz und
Anhäufung von Schleim ira Kehlkopf und in der Trachea verursacht, Anfälle von
hochgradigster Dyspnoe mit von weitem hörbarem inspiratorischem Rasseln, ver¬
bunden mit der höchsten Unruhe und Angst. Patientin kann den sich an¬
sammelnden Schleim nicht aushusten, auch den Speichel nicht ausspucken. Ihre
Sprache ist ganz unverständlich, das Schlucken unmöglich. Das mechanische Ent¬
fernen des Schleims aus dem Kehlkopfeingang brachte keine Erleichterung, ebenso
wenig Kampherölinjectionen. Am meisten Linderung haben der Patientin die
künstlichen Exspirationen verschafft; sie beruhigte sich einigermaassen gegen 6 tJhr
Morgens. Athmung gleichmässiger, keine Dyspnoeänfälle, Sprache deutlicher.
Als ich sie um die Mittagsstunde sah, lag sie zwar im Bett, fühlte sich aber
besser. Respiration 26—30, Exspiration mässiger. Puls 90. Sprache deutlich.
10. /III. 1901. Schlaflose Nacht, permanente Dyspnoe mit Anfällen von
höchster Athemnoth. Respiration 40. Puls 100. Cyanose zuerst an den Fingern
und Zehen, dann auch an den Lippen sichtbar. Gesichtszüge verzerrt, Sprache
unverständlich, Worte durch die dyspnoische Athmung zerstückelt. Patientin kann
keine Nahrung, auch nicht flüssige, zu sich nehmen. Prostration sehr erheblich;
Patientin kann den Rumpf nicht bewegen: die Beine liegen regungslos, ver-
hältnissmässig kräftiger sind die Arme. Temperatur Mittags 37,7. L. h. u. sehr
geschwächte Respiration, vielleicht Dämpfung (Untersuchung sehr erschwert).
Alle angewandten Mittel, wie Strychnin und Kampheröl subcutan, künstliche
Athmung, Inhalationen von 0 bleiben erfolglos. Im heutigen Urin (1033
spec. Gew.) sind 0,18 °/ (M , Eiweiss, Spuren von Glykose, spärliche hyaline Cylinder
vorhanden.
Diese Erscheinungen der höchsten Athemnoth, der Cyanose, der grössten Un¬
ruhe und Angst beherrschten das ganze Bild bis zum Exitus letalis, der Morgens
am 11./III. 1901 erfolgte. Der Puls wurde unregelmässig und stieg bis 130.
Das Bewusstsein war nur in der letzten Lebensstunde getrübt. Die Section konnte
leider nicht gemacht werden.
Google
257
Waa diesen Fall auszeiohnet, ist der schnelle, fast foudroyante Verlauf, dar
durch nichts aufzuhalten war. Nach etwa 15 Tagen ist der letale Ausgang
eingetreten. Es haben sich zu den Sprach- und Schluokstörungen sehr schnell
bedrohliche Athembesohwerden gesellt, und den Erstickungstod, der bei der
asthenischen TAhmnng beinahe die Regel bildet, herbeigeführt. Ich will
nicht behaupten 1 , dass der ganze klinische Verlauf der asthenischen Lähmung
in diesem Fall nur etwa 15 Tage umfasste; als solche wurde sie erst damals
erkannt Es muss jetzt zugegeben werden, dass der Ptose nicht genug Auf*
merksamkeit geschenkt wurde; man hat sie nicht nach ihrer Bedeutung ge¬
würdigt, wegen der seit 7 Jahren bestehenden Hemiatrophia facialis, als deren
Theilerecheinung sie irrthümlicher Weise angesehen wurde. Leider trat die
Sprachstörung nur flüchtig auf, so dass sie gar nicht zur ärztlichen Beobachtung
kam. Der Umstand, dass sie sich namentlich Abends geltend machte, kam
erst nachträglich zur Kenntniss. Es ist jetzt beinahe sicher, dass die links¬
seitige Ptose, die 8 Monate vor dem Tode auftrat, der asthenischen Lähmung
angehörte und als erste Erscheinung dieser Erkrankung betrachtet werden muss.
Nach meiner jetzigen Erfahrung sollte man in jedem Fall von isolirter Ptose,
die auf keine der bekannten Krankheiten, bei denen sie vorkommt, zurück-
znführen ist, an die asthenische Lähmung denken. Das gleiche gilt von den
Sprachstörungen, seien sie auch noch so gering und flüchtig — und gerade
deshalb —, namentlich, wenn sie, wie im obigen Falle leider zu spät erfahren
wurde, in den Abendstunden auftreten. Ich glaube, und darin stütze ich mioh
auf den Fall 0., dass die Diagnose auch in den allerersten Stadien der Krank¬
heit möglich ist Das Ermüdungsphänomen in den Extremitäten kann so zu
sagen latent bleiben, aber dennoch bei der Untersuchung selbst da zum Vor¬
schein kommen, wo subjectiv darüber nicht geklagt wird. Und wenn irgendwo,
so kommt es gerade bei der asthenischen Lähmung vor Allem darauf an,
möglichst frühzeitig die Diagnose zu stellen, um eine Schonungstherapie ein¬
zuleiten und von jedem eingreifenderen Mittel, wie Thyreoidintabletten u. s. w.,
Abstand zu nehmen.
In diesem Fall hat also die asthenische Lähmung, wie so oft, mit einer
Ptose begonnen, die auch einseitig bestehen blieb. Dazu kam nach etwa zwei
Monaten eine leichte Sprachstörung, die sich Abends documenlirte und so gering
war, dass sie zur ärztlichen Beobachtung nicht gelangte und von der Kranken
selbst nicht genügend beachtet wurde. Der allgemeine Zustand war noch ein
vortrefflicher, es wurden keine Klagen über Schwäche vorgebracht, in den vor¬
handenen Symptomen war sogar eine Besserung eingetreten. Da entwickelten
sich nach Verlauf von weiteren 2 Monaten ziemlich plötzlich andere Bulbär-
erscheinungen, namentlich Kau- und Schlingstörungen, die bald, wie auch die
Sprachstörung, einen hohen Grad erreichten; dazu kam noch eine allgemeine
Gliederschwäche. Die Untersuchung zeigte sofort, dass diese Paresen den aus¬
gesprochenen Charakter der schnellen Ermüdbarkeit hatten, dass ihre Intensität
an einem und demselben Tage Schwankungen unterworfen war, und Abends
meist den Höhepunkt erreiohte. Es war eine ganz willkommene Bereicherung
17
zedby G00gle
258
der Symptomatologie, als sich am Biceps braohii die MyaR vorfand. Es ist
auffallend, dass sich diese Reaction in den am meisten betroffenen Muskel-
gebieten, so im Gesicht nnd in der Zunge, nicht naohweisen liess. Wie weit
sie ansgebreitet war, konnte wegen der rasch eintretenden Ermüdung der
Kranken nicht ernirt werden, umsomehr als sich bald Athmungsstörungen hin¬
zugesellten, und zwar Inspirations-, namentlich aber Exspirationsdyspnoe, mit An¬
fällen von bedrohlicher Athemnoth, die auch den Tod herbeiführte. Das geringe
Fieber sub fine ist wohl der Lungenoomplication (Dämpfung, geschwächtes
Athmen) zuzuschreiben; allein Fälle von asthenischer Lähmung mit meist
flüchtigem Fieber sind gar nicht so selten (Oppenheim, Raymond, Ballst u. A.).
(Fortsetzung folgt)
EL Referate.
Anatomie.
1) Ueber Centrosomen nnd Sphären ln menschlichen Vorderhornzellen,
von Dr. Rud. Kolster, Dooent für pathologische Anatomie in Helsingfors.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.)
Um mit der Heidenhain Wien Bordeaux-Eisenhämatoxylinmethode die Centro¬
somen in den Nervenzellen nachzuweisen, muss man dem Pigment aus dem Wege
gehen, indem man nur frisches Material nimmt und die Ni ss Eschen Körper¬
chen aus den betreffenden Nervenzellen entfernt. Es geschieht dies dadurch,
dass man die in Pikrinsäure-Sublimat gehärteten Schnitte durch Zusatz von
Lithium carbon. zu 75°/ 0 Waschspiritus von Pikrinsäure befreit. Im Anschluss
daran präparirt man, wenn möglich, die Vorderhöraer von der umgebenden
weissen Substanz frei und behandelt sie mit ammoniakalischem Alkohol im Wärme¬
schrank. Später wird das Ammoniak durch Salzsäure neutralüiirt. Auf diese
Weise behandelte Vorderhörner lassen keine Tigroidfärbung mehr zu, während in
den anderen Geweben die Centrosomen Behr deutlich nachweisbar sind. Ausserdem
dürfen die Schnitte höchstens eine Dicke von 3 fi haben. Die Präparate zeigen
bei genügender Entfärbung einen rothen Zellleib, jede schwarze Chromatinfärbung
ist aus den Kernen entfernt und nur der Nucleolus ist von dunkelroth-schwärz-
licher Farbe. In gut gelungenen Schnitten sieht man dann Stellen von hellerer
Farbe und rundlicher Form und von derartigen Flecken strahlen nach aussen
feine Linien von wechselnder Zahl und Länge aus, die manchmal in regelmässigen
Abständen angeordnet sind oder Keile verschiedener Grösse begrenzen. Diese
Strahlen sind viel dunkler als das Protoplasma, gesättigt roth gefärbt, scheinen
aus aneinander gereihten Körnern zu bestehen und enthalten im Centrum winzige,
schwarze Körner. Oft ist der helle Fleck mit einem Ring aus dunklen gefärbten
rothen Körnern umgeben, der manchmal die ganze Strahlenfigur abschliesst.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
2) Bemerkungen über die Körnersohioht im Bulbus olflaotorius des Meer¬
schweinchens, von Dr. Otto Marburg. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s
Laboratorium. Wien, 1902. Heft 8.)
Verf. beschreibt in der Kömerschicht des Bulbus olfactorius eine neue Zell¬
form, die er bei einem 8 Tage alten Meerschweinchen fand und die er wegen
Google
259
ihrer Form bei der Silberfärbung als Pinienzelle bezeichnet. Der Dendrit, der
&d dem den Axen entgegengesetzten Pole der Zelle entspringt, bildet durch
Theilnng ein ungemein dichtes Netzwerk, wodurch der oben erwähnte Ansohein
entsteht. Diese Zellen liegen im äusseren Drittel der Körnerschicht. Zur strittigen
Frage, ob die übrigen Körner der Körnerschicht Ganglienzellen oder Gliazellen
sind, erwähnt Verf, dass er öfters bei der Silberfärbung axencylinderartige Ge¬
bilde von denselben abgehen sah. Bei der Nissl-Färbung haben einzelne Körner
den Charakter von Ganglienzellen; dieselben finden sich vornehmlich in den ober¬
flächlichen Schichten der Körnerschicht, aber auch in den tieferen in grösserer
Zahl, als nach Kölliker’s Angaben sich vermuthen Hesse. Es finden sich da¬
neben noch Elemente, deren Bedeutung fraglich ist, die vielleicht eine besondere
Function haben, die denen der Nervenzellen nahe steht. Redlich (Wien).
3) lieber eine Rüokenmarksforehe beim Kinde, von Dr. Julius Zappert.
(Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. Wien, 1902. Heft 8.)
Verf. kommt nochmals kurz auf die von Obersteiner an gleicher Stelle
genauer beschriebene Furche über den Seitensträngen des Rückenmarks zurück.
Nach seinen Untersuchungen an 140 kindlichen Rückenmarken finden sich bei
Kindern häufig, namentlich im Halsmarke, Einkerbungen und Spalten, wie z. B.
an der Grenze zwischen Goll’schem und Burdach’schem Strang, an der Austritts¬
stelle der hinteren Wurzeln, am Hellweg’schen Bündel, im Vorderstrange. Am
Seitenstrange, ähnlich wie bei porencephalischen Defecten, fand sich nicht selten
eine auf beiden Seiten öfters asymmetrische Furche, die von der Kleinhirnseiten¬
strangbahn um säumt wird. Diesen Sulcus konnte Verf. bei 6 Kindern mit
Sicherheit nachweisen. Später, wenn der Pyramidenseitenstrang gleichfalls mark-
haltig wird, ist die Unterscheidung gegenüber einfachen Spalten schwer. Eine
Beziehung dieser Furche zum Verhalten des Pyramidenseitenstranges (relativ ge¬
ringe Entwickelung desselben) im Sinne von Flechsig konnte Verf. nicht nach-
veiaen. Immerhin ist es möglich, dass durch das Fehlen der Pyramidenseiten¬
strangbahn die Furche eine besondere Vertiefung erfährt. Redlich (Wien).
Experimentelle Physiologie.
4) Uebor den Hirnmeohanismus der Motilität. Experimentelle Unter¬
suchungen über Rindenabtragungen, Schweif kern Verletzungen, Seh¬
hügelverletzungen u. s. w„ von Probst. (Jahrbücher f. Psych. u. N?rven-
krankh. 1901. XX. S. 182.)
Verf. schildert an der Hand zahlreicher und durch Jahre ausgeführter Experi¬
mente die von ihm für die Anatomie und Physiologie der motorischen Bahnen
neu gefundenen Thatsachen. Die zahlreichen experimentellen Untersuchungen
waren zugleich mit genauester anatomischer Untersuchung an lückenlosen Serien-
schnitten verbunden, welche vereinigte physiologische und histologische Unter-
mchcngsmethode als wesentlich wichtig für exacte Ergebnisse angesehen werden
moas.
Für die Weiterleitung motorischer Reize kommt nicht nur die Pyramiden¬
bahn, sondern auch die vom Verf. beschriebenen Bahnen in Betracht, nämHch
Aas Honakow’sche Bündel, die Vierhügelvorderstrangbahn, die Brückenseiten-
und Vorderstrangbahn, das dorsale Längsbündel, die vom Deiters’schen Kerne
absteigende Kleinhirnvorder- und Vorderseitenstrangbahn, endHch endogene moto¬
rische Rückenmarksfasern. Die cerebrale Trigeminuswurzel hat eine bisher un-
17*
y Google
260
bekannt gewesene Fortsetzung bis zum Glossopharyngeo-Vaguskerne und wird als
cerebrale Trigeminus-Vagus wurzel bezeichnet.
Die Pyramidenbahn wird in allen ihren Variet&ten genau festgestellt (Pyra¬
midenschleife, gleichseitiges und ungleichseitiges aooessorisches Pyramidenbündel.
Piok’sches Bündel). Bezüglich der Varietäten der Pyramidenbahn schildert der
Verf. ausführlich einen Fall, wobei die Pyramide vollständig fehlte, dafür zog ein
abnormer, die Pyramide ersetzender Faserzug durch die Haube in das Rücken¬
mark. Dieser abnorm verlaufende Zug der Pyramidenbahn wird experimentell
genau duroh die Degenerationsmethode nachgewiesen.
Als sicher erwiesen muss angenommen werden, dass von einem motorischen
Rindencentrum Fasern in beide Pyramidenseitenstränge abgehen. Ebenso gehen
auoh Fasern in die vordere Grenzzone. Beim Thiere kann manchmal ein Pyra¬
midenvorderstrang bis zum Lendenmarke nachgewiesen werden, meist aber nur
bis in das Halsmark.
Die physiologisch-anatomischen Ergebnisse von Rindenabtragungen, Kapsel¬
verletzungen, Schweifkern- und Sehhügelverletzungen werden genau erörtert.
Dem Verf. ist es auch bei eigens ausgebilderter Technik gelungen, den Ge¬
hirnstamm in der Gegend der hinteren Commissur vollständig zu trennen und die
physiologischen Erscheinungen zu schildern.
Ebenso werden auch die Versuche mit Durchschneidung gewisser bisher wenig
bekannter Bündel erörtert. (Durchschneidung beider Monakow’scher Bündel,
Vierhügelvorderstrangbahn.) Ausserdem werden Halbseitendurchschneidungen in
der vorderen und hinteren Zweihügelgegend, Brücke, Medulla oblongata und im
Rückenmarke genau in ihren physiologischen Erscheinungen und anatomischen
Ergebnissen bezüglich der Leitungsbahnen beschrieben, wobei interessante That-
sachen zu Tage treten.
Bezüglich des Himmechanismus der Motilität werden alle diese Versuche und
auch Experimente am Kleinhirn zergliedert und verwerthet Während bisher nur
die Pyramiden genauer als motorische Bahn bekannt waren, fand Verf. noch die
oben erwähnten motorischen Haubenbahnen. Sehr wichtig sind diesbezüglich die
vom Verf. ausgeführten Sehhügel versuche, die zeigten, dass die beschriebenen
motorischen Haubenbahnen durch Vermittlung des Sehhügels mit dem Cortex in
Verbindung stehen. Diese motorischen Haubenbahnen sind die primären moto¬
rischen Bahnen, erst in höheren Thierreihen bilden sich die Pyramidenbahnen aus.
Die primäre motorische Bahn besteht aus zahlreichen Bahnen, die alle durch
Schaltstationen unterbrochen werden. Dieser Aufbau findet sich nicht nur für
die motorischen, sondern auch für die sensiblen Bahnen, für die Sehbahn u. s. w.
Die phylogenetisch jüngste motorische Bahn spielt beim Menschen die Hauptrolle,
dagegen sind beim Thiere die primären motorischen Bahnen besser entwickelt.
Schliesslich theilt Verf. wichtige Rindenreizversuche mit, die in ihrer Aj*t
bisher wohl noch nicht ausgeführt worden waren. Nach gewissen umschriebenen
Läsionen wurden sofort oder nach einigen Wochen Rindenreizversuche von der
blossgelegten Grosshim- oder Kleinhirnrinde aus vorgenommen und die physio¬
logischen Ergebnisse mit den erhaltenen und durchschnittenen Leitungsbahnen in
Einklang gebracht. So werden Rindenreizversuche bei Hunden, Katzen, Igeln
und Vögeln geschildert, wobei sich wichtige und interessante Resultate ergaben.
Es werden die Reizversuche nach Abtragung der Sehsphäre, der Hörsphäre, der
Fühlsphäre des Scheitellappens, nach Sehhügelläsionen, nach Halbseitendurch-
schneidung in der Vierhügel-, Brüokengegend, Medulla oblongata und spinalis
geschildert. Ebenso werden Rindenreizversuche nach isolirter Durchschneidung
der Pyramidenbündel, nach Abtragung einer Kleinhimhälfte und sagittaler Durch¬
trennung der lateralen Partie der Brücke erörtert Auch die Gehirne dieser
Versuchsthiere wurden alle auf lückenlosen Serienschnitten bezüglich der dege-
y Google
261
nerirten Leitungsbahnen untersucht. Echte Jack so n’sche Epilepsie kann nur von
d«r Groeahirn rinde ans ansgelöst werden. Gewisse Durchschneiänngen in der 8eh-
bflgel- and Vierhügelgegend verhindern die Auslösung epileptischer Anfälle, jedoch
konnten Einzelzuckungen noch ansgelöst werden.
Bezüglich anderer genau geschilderter Ergebnisse der exacten Untersuchungen
muss auf das Original verwiesen werden. Der Arbeit sind acht photographische
Tafeln beigegeben. _ Pilcz (Wien).
5) Beitrüge zur Kenntnis« der Topographie der Wftrmeempflndliohkeit,
von E. Vere88. (Orvosi Hetilap. 1902. Nr. 2. [Ungarisch.])
Kittels eines dem Thermüsthesiometer ähnlichen Instruments mit constantem
Znfluas warmen Wassers und genau graduirtem Thermometer untersuchte Verf.
an sich selbst die Wärmeempfindliohkeit verschiedener Körperstellen; im Ganzen
wurde die Körperoberfläche in Theile von 4 ccm eingetheilt und etwa 12000 Mes¬
sungen vorgenommen. Verf. bestimmte an jeder Körperstelle die Gradzahl, bei
welcher die Empfindung der Wärme stattfand, und .diejenige, bei welcher die
Wärme ein Schmerzgefühl hervorrief Die Graddifferenz dieser Werthe zeigt für
dieselbe Stelle stets die gleiohe Zahl von Graden, wenn der untere Grenzwerth
bei wiederholten Experimenten auch verschieden war. Bei feuchter Haut tritt
die Wärmeempfindung stets bei geringerer Wärme ein.
Bezüglich der topographischen Anordnung gelangt Verf zu folgenden Resul¬
taten: 1. Die Wärmeempfindlichkeit der linken Körperhälfte ist im Allgemeinen
grösser als diejenige der rechten. 2. Die mehr median gelegenen Stellen sind
weniger empfindlich als die seitlioh gelegenen. 3. Der Rumpf ist empfindlicher
als die Extremitäten. 4. Die Wärmeempfindlichkeit der Extremitäten nimmt
distal nicht gleichmässig ab, so z. B. ist die Regio cubiti empfindlicher als die
Regio deltoidea. 6. Die lateralen Partieen der Extremitäten sind weniger em¬
pfindlich als die medialen. An den lateralen Theilen tritt bei steigender Wärme
eine schmerzliche Nebenempfindung (Stechen) auf, an der medialen Seite jedoch
findet ein plötzlicher, frappirender Uebergang von Wärme zum Schmerz statt.
Hudovernig (Budapest).
Pathologische Anatomie.
6) Intorno alla patologla dei gangli del ouore. Ricerohe sperim. per il Dr.
S. Bianchini. (Rivista di Patologia nervosa e mentale. 1901. Sept.)
Verf. bringt einen experimentellen Beitrag zur Frage nach der Art der Ver¬
änderungen, welche nach Infectionskrankheiten und Ausschaltung der Vaguseinflüsse
an den Zellen der Herzganglien auftreten. Durch Impfung mit Typhusculturen,
Staphylococcus pyogenes aureus und Diphtherietoxin wurden 17 Meerschweinchen,
Mäuse und Kaninohen infioirt; 8 Mäusen und Meerschweinchen wurde ein Vagus-
stamm durchschnitten. Zur Präparation der Ganglien und des nervösen Central-
systems der nach einiger Zeit der Intoxication erlegenen bezw. getödteten Thiere
kam gesättigte Sublimatlösung und 10% Formolalkohol, Tionin und Toluidin
mit Anilinöl, sowie Hämatein laAp&thy, bei den peripheren Nerven l%Osmium-
säore und Zerfaserung in Anwendung. Herzmuskelstückchen wurden mit Flem-
miug'scher Lösung und Safranin behandelt. Die Ergebnisse lauten in Kürze:
Experimentelle Infection ist im Stande, nicht nur in den extracardialen
Nervenoentren, sondern auoh am intracardialen Nervenapparat Structurveränderungen
Wrorzubringen, welche von denjenigen der Nervenstämme unabhängig sein und
firnen vorausgehen können. Auch können sie in gewissem Grade früher einsetzen,
Google
262
als die Erkrankung der Muskelfaser des Myocards. Das Abhängigkeitsverhältniss
zwischen den Schädigungen der Herzganglien und denen der übergeordneten.
Nervencentren ist noch ungewiss; möglicherweise erkranken letztere gleichzeitig.
Die Veränderungen sind vorwiegend parenchymatöser Natur, selten sind die Kerne
der Kapsel mit betheiligt. In diesem Falle handelt es sich um eine tiefgreifende
Veränderung des Myocards, aber auch hier sind Reactionsvorgänge angedeutet.
Der Grad der Schädigung ist mehr von der Dauer als von der Schwere der In-
fection abhängig.
Die Veränderungen an den Ganglienzellen beginnen mit vorwiegend peri-
nuclearer Chromatolyse und schreiten durch alle Stadien bis zu vollständiger
Achromatose fort; sie befallen aber nicht alle Elemente gleichzeitig und gleich-
mässig, vielmehr findet man neben schwer veränderten Zellen auch leichtere Grade
der Erkrankung und fast normale Elemente. Ein electives Verhalten gewisser
Zelltypen der Noxe gegenüber kam nur ausnahmsweise vor. Neben schweren irre¬
parablen Störungen (Kernschwund, Vacuolenbildung, Atrophie, Achromatose) wurden
leichtere gefunden, als welche Verf. eine in gewissem Umfang und Grad vorhandene
Chromatolyse ansieht, wenn selbige mit gewissen Gestaltveränderungen des Kerns,
Kernkörperchens und des Zellleibes vergesellschaftet ist.
Die krankhaften Veränderungen der Ganglien sind oft mit solchen der Centren
und des Herzfleisches verbunden. Vielleicht findet also auch klinisch nur unter
ungleichen Widerstandsbedingungen eine elective Entfaltung der Schädigungs¬
vorgänge statt. Aber schon die Alteration des intracardialen Nervensystems allein
kann wahrscheinlich die ausreichende Ursache der sehr zahlreichen und auch der
schwersten Functionsstörungen des Herzens abgeben.
Die Einflüsse der Mikroorganismen und ihrer Gifte könnten nicht nur auf
der Blutbahn, sondern sehr wohl auch duroh die Vagus- oder Sympathicusbahn
zu den Ganglien hingeführt werden.
Durchschneidung eines Vagus hatte erheblichere, jedenfalls nicht zu unter¬
schätzende Veränderungen einer wiewohl beschränkten Zahl von Herzganglienzellen
zur Folge, welche in ausschliesslich perinuclearer Chromatolyse verschiedenen
Grades und zuweilen in Aufrundung der Zelle, nur selten auch in Verlagerung
ihres Kerns bestanden. Derartige Zellen finden sich in mehreren Fällen vorwiegend
in den Zellgruppen des Septum interauriculare, spärlich auch im Wrisberg’schen
Ganglion und gehören dem mittelgrossen Typ mit reichlichen, gleichmässig ver¬
theilten ChromatinBchollen an. Daneben sind auch einzelne Doppelkernzellen von
obiger Veränderung befallen, was die Annahme, dass dieselben vom Sympathicns
abhängig seien, umstösst. Dagegen ist dieses Verhalten der zuvor genannten
kleinen Ludwig’schen Zellgruppen wohl geeignet, der Ansicht von Cyon zur
Stütze zu dienen, wonach sie von dem extracardialen Nervensystem, mit welchem
sie in Verbindung ständen, Beize empfangen und den anderen Ganglien über¬
mitteln sollen.
Im Myocard wurden nennenswerthe Veränderungen nicht gefunden; doch hält
Verf. das genauere Studium desselben an Thieren, bei denen der Vagus eine
grössere tonisirende Bolle spielt als hier, noch für erforderlich.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
Pathologie des Nervensystems.
7) Ueber den Einfluss des Typhus abdominalis auf das Nervensystem, von
Dr. A. Friedländer. (Berlin, 1901.)
Im ersten Theil seines fleissigen Werkes berichtet Verf. über 24 Fälle aus
der psychiatrischen und medicinischen Klinik in Jena, von denen 8 Typhus-
263
psychosen, 5 Typhusnervenkrankheiten, die übrigen aber Fülle von Typhus bei
bestehenden Psychosen und Neurosen betreffen. Auf Grund dieser Beobachtungen
bespricht er zunächst die klinischen Symptome des Typhus, dann die Compli-
eatäonen und Nachkrankheiten seitens der nervösen Organe, wobei er bezüglich
der Eintheilung der Psychosen die Kraepelin’sche Nomenclatur: Initialdelirien,
febrile Psychosen (einschliesslich Fieberdelirien) und asthenische Psychosen zu
Grande legt
Aus seinen Schlussfolgerungen sei Folgendes hervorgehoben: Der Typhus, der
ein geistesgesundes Individuum befallt, ist im Stande, Geistes- und Nervenkrank¬
heiten zu erzeugen. Das Fieber allein kann nicht die Ursache sein. Neben dem¬
selben und vielleicht mehr als dasselbe kommt der typhöse Process als solcher
(Infection, In to xication) in Betracht. Psychosen können in jedem Momente des
Typhus ausbrechen; am häufigsten jedoch sind die sogen. Fieberpsychosen. Die
Krankheitsbilder sind ausserordentlich vielgestaltig. — Wird ein Geisteskranker
▼on einem Typhus befallen, so zeigt letzterer in den meisten Fällen eine Ein¬
wirkung, aber niemals eine ungünstige. Sehr häufig finden wir, aber zumeist nur
vorübergehend, eine Klärung während und unter dem Einfluss des Fiebers. Da¬
gegen tritt im Anschluss an den Typhus, oft aber erat kürzere oder längere Zeit
nach demselben, deutliche Besserung sowohl als auch Heilung ein. Letztere auch
in prognostisch völlig ungünstigen Fällen. Wir finden auch hier meist keine
deutliche Beziehung zwischen Fieber- oder typhösem Krankheitsprooess und
Besserung der Psychose. Daher läge die Annahm e nahe, dass die durch den
Typhus herbeigeführten Stoffwechseländerungen langsam und allmählich eine theil-
weise oder völlige Restitution bewirken.
Der zweite Theil des Buches enthält eine ausserordentlich gründliche kritische
Zusammenfassung und Besprechung der einschlägigen Litteratur vom Jahre 1813
bis 1900, welche in einem Verzeichniss von 621 Nummern zusammengestellt ist.
E. Beyer (Littenweiler).
8) Myelitis baemorrhagioa aoutissima transvers&lis bei Typhus abdominalis
(Exitus in 18 Stunden), von Dr. Arthur Schiff. Aus der III. medicin.
Universitätsklinik von Hofrath Prof. v. Schrötter. (Archiv f. klin. Medicin.
LXYIL S. 175.)
Bei einem 19jähr. Patienten stellten sich ganz plötzlich am 9. Krankheits¬
tage des Verlaufs eines Abdominaltyphus folgende Erscheinungen ein: Pat. liegt
kraftlos zusammengesunken im Bett und lässt fortwährend Urin und Stuhl unter
«ich. Sensorium frei, keine Schmerzen. Temperatur 38,5. Pulsfrequenz 120.
Es besteht absolute motorische schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten mit
Erloschensein sämmtlicher Reflexe und eine nahezu vollkommene, schlaffe Lähmung
beider oberen Extremitäten Motorische Hirnnerven, Pupillenreaction, Kopf¬
bewegungen ohne Störung. Ferner findet sich eine absolute Anästhesie für alle *
Empfindungsqualitäten in allen Extremitäten, am ganzen Abdomen und Thorax,
die sich nach oben bis zu einer Horizontallinie erstreckt, die vorn den 3. Rippen¬
knorpel, hinten den Processus spinosus des 2. Brustwirbels trifft. Daneben be¬
stand vollkommene Blasen- und Mastdarmlähmung und schliesslich waren alle
Bespirationsmuskeln bis auf das Zwerchfell und alle Bauchmuskeln gelähmt. Nach
diesem Befunde wurde die Diagnose auf Transversalmyelitis an der Grenze
des 4.—5. Cervicalsegments gestellt. In der 5 Stunden vor dem Tode aus-
geffihrten Lumbalpunction wurden 20 ccm einer klaren Flüssigkeit entleert, welche
keine Mikroorganismen enthielt. Bei der mikroskopischen Untersuchung des
Bäckenmarks ergaben sich 1. multiple, regellos durch das ganze Rückenmark
«rstreute kleine frische Blutungen; 2. hämorrhagische Infarcirung des Rücken-
Google
264
marks im unteren Abschnitte des 4. Cervicalsegments, welche im Querschnitt fast
die ganze graue Substanz des Rückenmarks zerstörte; 3. enorme Gefasserweiterung
und strotzende GefässfÜllung im 5.— 8. Cervicalsegment; 4. vorgeschrittene Dege¬
neration der Ganglienzellen der Vorderhörner im Cervicalsegment, auch in den
von Hyperämie und Blutung verschonten Segmenten desselben. Daselbst auch
Quellung einzelner Axencylinder und Gliawucherung in den Randparti een der
weissen Substanz; 6. ausgedehnter Zerfallsherd in den Hintersträngen im unteren
Drittel des 4. Cervicalsegments, besonders in einer dem Hinterhorn anliegenden Zone
und Durchtränkung dieser mit einer Exsudatmasse; 6. Mikroorganismen waren weder
mikroskopisch noch durch Culturen nachzuweisen. Nach Ansicht des Verf.’s
liefert dieser Fall nach dem unter Nr. 6 gegebenen Resultat einen sicheren Be¬
weis für das Vorkommen der infectiös-toxischen Form der Myelitis auch im Ver¬
lauf der Infectionskrankheiten des Menschen. Jacobsohn (Berlin).
9) Klinische Beiträge rar Lehre von der acuten intestinalen Autointoxi-
oatlon, von Dr. Richard Deutsch. (Wiener med. Wochenschr. 1900.
Nr. 5 u. 6.)
Verf. theilt vier Beobachtungen mit, die er als acute intestinale Autointoxi-
cationen auffasst.
1. Fall. Epilepsia acetonica. 16jähriges Mädchen stürzte plötzlich unter
Krämpfen zusammen. Coma, Mydriasis, erloschene Cornealreflexe, tonisch-klonische
Krämpfe im Gesicht und den Extremitäten; leichte linksseitige Facialisparese.
Im Harn reichlich Aoeton. Auf Venaesection und Irrigationen rasche Genesung.
Verf. hält den Fall für eine acute Acetonintoxication.
2. Fall. Pneumonia centralis unter dem Bilde einer Meningitis. lOjähr.
Mädchen; rasche Erkrankung unter Kopfschmerzen und Bewusstlosigkeit. Tem¬
peratur 40,2, Mydriasis, Nacken contra ctur, Trismus. Auf Calomel und kalte Ein¬
packungen schwanden diese Symptome bis zum nächsten Tage. Im Harn viel
Aceton; das Fieber blieb bestdien, einen Tag später die physikalischen Zeichen
einer rechten Spitzenpneumonie; kein Aceton mehr. Das Verschwinden des Ace-
tons und der meningealen Erscheinungen an einem Tage spricht für eine Aoeton-
intoxication auf Grund der Infection mit Pneumokokken.
3. Fall. Intermittirende Neuralgia ophthalmica ex autointoxicatione. Der
Schmerzanfall im linken Auge trat immer um 10 Uhr Vormittags ein. Symptome
eines Magencatarrhs. Reichlich Indican. Chinin erfolglos. Calomel. Amara und
Diät brachten Heilung.
4. Fall. Erythema et Ischias sin. lljähr. Knabe; Erkrankung unter Er¬
brechen, Kopfschmerz, scharlachartigem Exanthem, Schmerzen in der linken unteren
Extremität, Druckpunkt unter dem Capit. fibul., Aceton, leichtes Fieber. Anf
Calomel rasche Besserung. J. Sorgo (Wien).
10) Influenza and the nervous System, by James Carslaw. (Brit. med.
Journ. 1901. 12. Januar.)
Auf der letzten Jahresversammlung der Brit. med. Association zu Ipswich
fand eine eingehende Discussion über die durch Influenza verursachten Erkrankungen
des Nervensystems statt. Veranlasst durch das dort von Bury gehaltene Referat
(cf. Brit. med. Journ. 1900. 22. Sept.) veröffentlicht Verf. 4 Fälle von schwerer
acuter Erkrankung des Gehirns, welche er während der letzten Epidemie in
Glasgow zu beobachten Gelegenheit hatte.
Die Fälle betrafen 9—26jährige männliche Patienten, welche nachweislich
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265
vorher gesund gewesen und während der Influenzaepidemie plötzlich erkrankten.
Bei zwei Patienten waren catarrhalische Erscheinungen vorhergegangen und ärzt¬
licherseits die Diagnose auf Influenza gestellt worden. Bei allen Patienten war
heftiger Kopfschmerz vorhanden, an den sich rapid schwerste Gehirnsymptome
«schlossen (Bewusstlosigkeit, Delirien, Zuckungen der Extremitäten; während
Psreee besonderer Muskelgruppen der Extremitäten und Augen nicht vorhanden
oder nur wenig ausgesprochen waren).
Die Krankheitserscheinungen deuteten auf Affection der Convexität des Ge«
hiras hin. 3 Patienten starben. Nur bei einem fand Autopsie statt. — Es fand
nch Leptomeningitis purulenta der Convexität und der Basis; ausserdem ein
Randxellensarcom der Hypophysis. In diesem Falle hatte Ptosis, Strabismus und
Pnpillendifferenz bestanden.
Verf. berichtet noch Aber einen durch Influenza hervorgerufenen Fall von
multipler Neuritis bei einer Frau. E. Lehmann (Oeynhausen).
11) A OM6 of eryaipelaa of the soalp with a remarkable nervous saquels,
by Poynton. (Brain. 1901. L)
Verf.’s Patient — ein junger Mann von 17 Jahren — erkrankte erst unter
den Zeichen einer aouten Infectionskrankheit mit meningitischen Symptomen.
Erat einige Tage später zeigte sich eine Erysipelas capitis. Dann trat eine
rorObergehende Besserung ein; darauf wieder cerebrale, bezw. psychische Sym¬
ptome und solche, die sich nur zurüokftlhren li essen auf eine Betheiligung des
Rückenmarks, bezw. Blasenstörungen. Diese Symptome bestanden länger als ein
Jzhr. D ann trat allmählich vollkommene Heilung ein. Details müssen im Original
nacbgelesen werden. Bruns.
12) Ueber nervöse Störungen im Verlaufe des Keuchhustens, von Dr. Cor«
nelius May. (Archiv f. Kinderheilk. 1901. XXX.)
Theils nach eigener Erfahrung, theils nach Litteraturangaben stellt der Verf.
die Störungen von Seiten des Nervensystems bei Keuchhusten knapp zusammen.
Vorerst lenkt er die Aufmerksamkeit auf Convulsionen, die ohne sonstige
Cerebral Symptome auftreten, mit enorm hohen Temperaturen (41,4° in dem vom
Verf beschriebenen Fall) einhergehen und zum Tode führen. Bei der Autopsie
knd sich in diesem Falle ausser einer ödematösen Durchtränkung des hyper-
äoischen Gehirns nichts Krankhaftes (Finkeistein hat letzthin [Monatshefte
f. Psych. u. NeuroL] derartige Fälle als seröse Meningitiden recht beweisend zu
deuten versucht. Bef.). Ferner kommt es bei Keuchhusten zu psychotischen
Zuständen, namentlich zu vorübergehendem idiotischem Symptomencomplexe, wofür
Verf gleichfalls ein Beispiel bringt. Seelenblindheit sowie thatsächliche Er«
blindung durch Opticuserkrankung finden sich in der Litteratur als Folge-
krankheiten des Keuchhustens beschrieben. Relativ häufig sind cerebrale Läh«
mnngen, welche Verf. in zwei Fällen selbst beobachtet hat. Endlich sind schlaffe
und spastische Rückenmarkslähmungen aus der Litteratur bekannt.
Ueber die Entstehungsursache dieser Affection spricht sich Verf. nur reservirt
us. Wohl sind Blutungen innerhalb des Centralnervensystems öfter beschrieben
(Hoekenjos), doch wäre trotzdem die von Neurath vertretene Hypothese einer
Toxin Wirkung nicht unabweisbar, da die Neigung zu Hämorrhagieen vielleicht in
einer krankhaften Veränderung der Gefasswände die Ursache besitze.
Zappert (Wien).
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266
13) Döaintosdoation du fumeur d’opiom par la Suppression brusque et
l'emploi momentan^ du ohauvre Indien, par M. Brunet. (Progröe
medical, 1901. Nr. 25.)
Interessante Mittheilung einiger Krankengeschichten von Opiumentziehung'
durch plötzliches Weglassen und mittels Anwendung indischen Hanfes. Die
Directiven, die Verf. vor Beginn der Entziehungskur giebt, die Postulate, die
er an die Kranken, dessen Umgebung, Verwandte u. s. w. stellt, enthalten viel
Beachtenswerthes. Adolf Passow (Meiningen).
14) Chloralhydratvergiftung, von Lückerath. (Psych. Wochenschr. 1901.
Nr. 35.)
Mittheilung zweier einschlägiger Fälle. Im ersten Fall erhielt ein grosses,
kräftiges, körperlich gesundes, an acuter ballucinatorischer Verwirrtheit leidendes
Mädchen innerhalb 12 Tagen 13,0 Chloral; danach Affection der Haut (Elzanthem,
das an Scharlach, Masern und Urticaria erinnerte) und der Schleimhäute (Con¬
junctivitis, Bronchitis), Schwellung beider Parotis, mässige Temperatursteigerung.
Der zweite Fall betraf eine Paralytica, die innerhalb 3 Tagen 4,0 g Chloral nahm.
Danach ausgedehntes Exanthem, ähnlich wie Purpura, geringe Conjunctivitis,
schwere Betheiligung des Allgemeinzustandes, hohes Fieber, katarrhalischer Icterus:
Exitus. Ernst Schultze (Andernach).
16) Befund bei Vergiftung mit Höllensteinstiften , von Max Edel. Aus dem
Asyl für Gemüthskranke in Charlottenburg. (Vierteljahrsschr. f. ger. Med.
1901. S. 39.)
Verf. beschreibt den Fall, da er wegen des pathologisch-anatomischen Befundes
interessant ist. Sonst pflegen Vergiftungen mit Höllenstein in Substanz ohne
schädliche Folgen zu verlaufen; hier führte eine Pneumonie zum Tode, deren Ent¬
stehung vielleicht durch die starke Secretion der Bronchialschlßimhaut in Folge
der Silbernitratwirkung begünstigt wurde. Besonders ausgeprägt waren örtliche
Verätzungen an Zunge, Rachen, Kehlkopf und Oesophagus; die übrigen Organe,
besonders auch der Magen, zeigten wenig Veränderungen.
Stegmann (Dresden).
16) Dipsorexie und Antiaethylln, von V. Th6bault (Paris). (Klinisch-thera-
peut. Wochenschr. 1901. 7. April.)
Der Apotheker Broca stellt zuerst von Meerschweinchen und dann von Pferden
mittels langsamer Alkoholisirung derselben ein Serum dar, welches — gesunden
Thieren eingeepritzt — angeblich die neuerliche Einnahme von Alkohol unmöglich
machen soll. Dies Serum benutzte Verf. zu seinen therapeutischen Versuchen sun
Menschen. Er ist mit seinen Erfolgen sehr zufrieden und hat angeblich im Laufe
seiner Versuche folgende Beobachtung gemacht:
1. Das Serum übt seine grösste Wirkung in einer bestimmten Periode der
Alkoholvergiftung.
2. Dieser Moment ist der Beginn des Alkoholismus, der latente Alkoholismus
oder — wie Verf. dies Stadium nennt — die Dipsorexie.
Verf. betont besonders, dass das Serum nur für das Stadium der Dipsorexie
geeignet sei. Er präoisirt dabei das genannte AnfangBstadium weiterhin dahin,
dass nur functionelle Störungen, aber noch keine organischen Veränderungen vor¬
handen seien. Sobald klinisch eine anatomische Erkrankung (Leber, Peritoneum
oder dergL) vorhanden sei, handele es eich um „chronischen Alkoholismus“ und
nicht mehr um Dipsorexie.
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267
Die Quantität dee eingeführten Alkohols ist angeblioh gleichgültig. Wein-
trinker sollen refractär sein. Eine weitere Einschränkung für die Anwendung des
Serams macht Verl durch die Mittheilung, dass Nieren- und Leberleiden, Diabetes,
Neurasthenie und Hysterie eine Contraindication bildeten.
Die Wirkung des Serums äussert sich wie folgt: Die Patienten empfinden
Ekel gegen ihr früheres Lieblingsgetränk, schon der Geruch und Geschmack des
Alkohols verursachen Ekel. Manchmal tritt sogar Erbrechen ein, nachdem der
Pat Alkohol zu sich genommen hat. Auf der anderen Seite setzt der Organismus
Fett an, die Kräfte kehren zurück, das Zittern und die wüsten Träume ver¬
schwinden, der Schlaf und die geistige Ruhe kommen wieder. In einigen Fällen
hat Verf. auch unter Einwirkung des Serums Erscheinungen beobachtet, welche
der Grippe ähnlich sind oder auch Storungen von Seiten des Darmcanals. Eine
sehr auffallende Erscheinung ist ferner die Abnahme der Libido und Potenz.
Die ganze Kur braucht nach Ansicht des Verf.’s nicht in einem Kranken¬
haus gemacht zu werden, im Gegentheil sei die ambulatorische Behandlung vor¬
zuziehen.
Verf. giebt schliesslich eine Erklärung der Wirkung des Serums und sieht
n dem Serum das Mittel zur Lösung der Alkoholfrage. (!)
Paul Schuster (Berlin).
17) Alkoholismus und Erblichkeit , von G. Anton. (Psych. Wochenschr.
1901. Nr. 14.)
An der Hand zahlreicher Mittheilungen verschiedener Autoren betont Verf.
den vielfachen Zusammenhang zwischen chronischer Trunksucht der Eltern und
Nervensiechthum der Nachkommen. Die stetige Alkoholvergiftung verändert das
Keimplaama des Trinkers derart, dass dadurch eine Degeneration der Nachkommen¬
schaft bewirkt wird. Dafür spricht auch der Umstand, dass das Gleiche nach
chronischer Einwirkung anderer Gifte eintritt. In erster Linie gilt das vom
Blei. Kinder von Bleiarbeitern zeigen grosse Sterblichkeit; sie werden von Ge¬
hirnkrankheiten, von Idiotie und Epilepsie besonders häufig heimgeeucht. Nach
Heilung der Bleivergiftung werden gesunde Kinder gezeugt. Aehnliches gilt vom
Quecksilber (Gu isla in). Thierexperimente mit Alkoholintoxication fielen ebenfalls
positiv aus. Bei der Gelegenheit weist der Verf. darauf hin, dass schwere Miss¬
bildungen des Gehirns oft mit solchen vou Drüsen und darunter auch der Keim-
rüsen einhergehen.
Die Folgen der Trunksucht stellen ein fortwährendes, in der Nachkommen¬
schaft sich progressiv vervielfältigendes Elend dar. Es muss nicht nur das ein¬
zelne Individuum behandelt, sondern auch Racenhygiene getrieben werden. Cor-
riger l’heredite ist der humano Kampfruf französischer Aerzte.
Ernst Schultze (Andernach).
18) Die sooiologisohe Bedeutung dee Alkoholismus , von T. G. Masaryk.
(Psychiatr. Wochenschr. 1901. Nr. 9.)
Verf. betont den Werth der inneren Beobachtung mit anschliessender psycho¬
logischer Analyse gegenüber der objectiven Methode beim Studium des Alko¬
holismus und setzt in recht individuell ausgeprägter Form die Wirkungen des
Alkoholgebrauchs auf das psychische Leben des einzelnen Individuums wie der
Massen auseinander. Er tritt energisch für Abstinenz ein, da ein alkoholfreies
Leben eine höhere Lebensauffassung und damit eine freudigere und reinere
Lebensstimmung und schliesslich eine schönere Lebensführung garantire.
Ernst Schultze (Andernach).
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268
10) AlkoholiflXQtui im Kindeaalter, von Prof. Dr. M. Kassowitz. (Jahrbuch
f. Kinderheilk. LIY.)
In Erweiternng eines am Congress gegen den Alkoholismns in Wien ge¬
haltenen Vortrages stellt der vorliegende Artikel einen energischen Protest gegen
die Darreichung von Alkohol im Eindesalter dar. Verf. hat in seiner ärztlichen
Thätigkeit eine genflgend grosse Anzahl von Fällen beobachten können, in denen
schwere Krankheitserscheinungen auf den directen Einfluss des Alkohols zurflck-
zuführen waren. Für den Nervenarzt sind von den angeführten 22 Beispielen
namentlich jene von Delirium alcoholicum bei Sandern von 7, 9 und 11 Jahren,
von Geistesstörungen in Form lebhafter Unruhen, Sohreien, ängstlicher Aufregung,
von habituellen Convulsionen bemerkenswerth. Die übrigen Beispiele beziehen
sich auf gastrische Störungen sowie auf cirrhotische Erkrankungen der Leber.
Wer die temperamentvolle, stets die äussersten Consequenzen ziehende Schreib¬
weise des Verf.’s kennt, wird sioh nicht darüber wundern, dass derselbe den
Alkohol nioht nur als Nahrungs-, Magen-, Fiebermittel verwirft, sondern auch
als Excitans bei schweren Krankheiten des Kindesalters verbietet.
Der Aufsatz wird sicherlich eine Bedeutung als Agitationsschrift in der Anti¬
alkoholbewegung erlangen. Zappert (Wien).
20) Un nouveau eigne physique spöoial 4 l’intoxication alooolique: le
eigne de Quinquaud, par W. Aubry. (Arch. de neurolog. 1901. Juni.)
Das Symptom von Quinquaud wurde zuerst von Maridort in einem am
meisten von Alkohol durchseuchten Bezirk vornehmlich an Alkoholisten untersucht;
es besteht aus Folgendem: Man lasse den Kranken mit voll gespreizten und steif
gehalten gestreckten Fingern gegen die Hohlfläche der Hand des Untersuchenden
gegenstossen; während der ersten Secunden spürt man nichts besonderes, dann
empfindet man kurze Stösse, als ob die einzelnen Knochen der Finger Bich gegen¬
seitig zurückBtiessen.
Verf. untersuchte alle möglichen Kranken, batte vielfach Misserfolge, con-
statirte, dass das Zeichen — was für Alkohol specifisoh sein soll — nicht stets
zntreffe und lässt sich in Vermuthungen aus über die Entstehung.
Adolf Passow (Meiningen).
21) Alkohol and aroenio ln the etlology of alooholio neurttis, by E. F. Buz-
zard. (Lancet. 1901.' Juni 8.)
Die grosse Epidemie von Arsenikneuritis, die in jüngster Zeit in einigen
Gegenden Englands unter den Biertrinkern geherrscht hat, hat eine Anzahl von
Forschern zu der Ansicht gebracht, dass der Aethylalkohol an sich nicht im Stande
ist, Neuritiden hervorzurufen, dass Alkoholneuritis nur bei Biertrinkern vorkomme
und dann nicht eine Folge des Alkohols, sondern des in dem Biere enthaltenen
Arseniks sei. Verf. hat versucht, diese Frage duroh statistisch-klinische Unter¬
suchungen zu lösen und zu diesem Zweck die Krankengeschichten von 120 Fällen
von Alkoholneuritis (unter Ausschluss aller Fälle, bei denen noch eine andere
Intoxication oder chronische Infection in Frage kam) durchforscht, die in den
letzten 12 Jahren im „National Hospital for the paralysed and epileptic“ zur
Beobachtung kamen. Er ist dabei zu dem Resultat gekommen, dass excessiver
Biergenuss allein höchst selten zu multipler Neuritis führt, sehr häufig dagegen
Excesse in Bier und Schnaps zusammen, aber nicht häufiger als unmaasiger
Schnapsgenuss allein. Gerade die der Arsenvergiftung eigentümlichen Haut¬
veränderungen wurden so gut wie garnicht gefunden, Bondern nur Veränderungen,
wie sie als trophische Störungen bei den verschiedensten Erkrankungen des peri-
Google
269
pherischen motorischen Neurons zur Beobachtung kommen. (Jegen die Annahme,
da« Arsenik immer als die Ursache der neuritischen Processe anzusehen sei,
spricht auch der in obigem Hospital häufig erzielte günstige Erfolg der Behand¬
lung der Alkoholneuritis mit Fowler’scher Lösung.
Martin Bloch (Berlin).
32} A oue of reourrent alooholio peripheral neuritis, by Leslie H. Jones.
(Brit. med. Joum. 1901. 13. April.)
Im Anschluss an die im vorigen Jahre in England unter Biertrinkern be¬
obachteten Erkrankungen von multipler Neuritis, welch letztere als Arsenikneuritis
imponirten, waren Autoren aufgetreten (z. B. Reynoldi), welche dem Alkohol
jeden Einfluss auf Hervorbringen von Polyneuritis absprechen.
Demgegenüber reclamirt Verf. mit Recht den schädigenden Einfluss des
Alkohols auf das Nervensystem. Verf. theilt einen Fall von hochgradiger Alkohol*
neuritis bei einer unverheirateten Dame mit, welche nur mässige Dosen Alkohols
regelmässig zu sich genommen hatte. Eis entwickelte sich beiderseits Paralyse der
Extensoren der Füsse uncP besonders der Hände mit Atrophie der Muskeln (Illu¬
stration). Die Affection heilte Dach völliger Abstinenz unter geeigneter Behänd*
lang, bis die in ihren Kräften reducirte Patientin nach ihrer Verheiratung wieder
dem Alkoholgenuss sich ergab (3 Glas Burgunder täglich). Recidiv der Poly*
neuritis. Erneute Heilung nach Abstinenz. E. Lehmann (Oeynhausen).
Psychiatrie.
23) Aotion de l’aXooolieme eur la produotion de l’idiotie et de l’öpilepsie,
p&r Bourneville. «(Progr6s mädical. 1901. Nr. 16.)
Eine weitere Beobachtung Bourneville’s, die sich über 2 J / a tausend Fälle
Ton idiotischen, epileptischen, imbecillen und hysterischen Kindern erstreckt und
spedell den Einfluss des Alkoholismus der Eltern im Moment der Conception und
»ach der Mutter während der Schwangerschaft berücksichtigt.
Adolf Passow (Meiningen).
24) Statistische« über die Trunksucht, von Sauermann. (Psych. Wochen¬
schrift 1901. Nr. 29.)
Verf. vergleicht an der Hand des statistischen Materials der Bonner Provinzial-
Heil- und Pflegeanstalt Trinker und Nichttrinker hinsichtlich der Erblichkeit, der
Eöckfalligkeit und der Straffälligkeit 12,6 °/ 0 aller Aufgenommenen waren
Trinker. Erblich belastet waren 31°/ 0 aller Kranken, hiervon 17,4 °/ 0 lediglich
durch Trunksucht Von den Trinkern waren erblich belastet 38,3 °/ 0 , von den
Niehttrinkem 29,9 °/ 0 . Die Vergleichung in Bezug auf die Rückfalligkeit ergiebt
einen geringen Unterschied zu Gunsten der Trinker (26,8°/ 0 der Trinker zu
29,1 °/ 0 der Nichttrinker), woraus natürlich nicht auf eine günstigere Prognose
hei den Trinkern geschlossen werden darf. Unter den Trinkern fanden sich
doppelt so viel Bestrafte wie unter den Nichttrinkern (16,0 °/ 0 :7,1 °/ 0 ); bei den
Trinkern überwiegen die Gesetzesverletzungen gegen die Person, bei den Nicht-
triukern gegen das Eigenthum. Ernst Schnitze (Andernach).
25) Traitement du dölirium tremens föbrile par la balnöation froide, par
M. Salvant (Gazette des höpitaux. 1901.)
Verf empfielt bei Rectumtemperatur von 39° aufwärts Bäder von 18 °C. bei
/
zedby G00gle
270
gutem Zustand des Herzens und der Ge fasse, bei Qefahr des Collapses solche von
26—28°C. Das Bad soll, je nachdem es vertragen wird, 6—20 Minuten dauern;
während desselben sind warme, excitirende (nicht alkoholische) (Jetränke zu
reichen. Der Kopf muss beständig benetzt werden. Es ist besser, öfters baden
zu lassen, bis dreistündlich, als das Bad zu sehr zu prolongiren. Bei niedrigerer
Körpertemperatur sind laue Bäder zu wählen, desgleichen bei Patienten mit
Herzcomplicationen, Arteriosklerose, Diabetes u. s. w. R. Hatschek (Wien).
20) Zur Statistik der Anstaltabehandlung der Alkoholisten , von Moeli.
(Allgem. Zeitschr. £ Psych. LVHL S. 688.)
Die unbefriedigenden Ergebnisse der Behandlung der Alkoholisten und die
grossen Verschiedenheiten in der Rückfallsstatistik haben Verf. zu der danken s-
werthen Arbeit veranlasst, das grosse Material der Anstalt Lichtenberg (Herz¬
berge) genauer zusammenzustellen. In 6 Jahren wurden 742 Männer zusammen
1667 Mal aufgenommen neben 65 Frauen. Die erste Aufnahme der Männer ge¬
schieht am häufigsten durch polizeiliche Einweisungen, ein grosser Theil der
Kranken wird auch durch Krankenhäuser oder Kasdfen eingeliefert. Bei den
weiteren Aufnahmen wirken die Krankenhäuser fast gar nicht mehr, auch die
Polizei erheblich seltener mit, und es mehrt Bich dafür die freiwillige Selbst¬
stellung. Die mittlere Dauer der Anstaltsbehandlung betrug 4,2 Monate, die
Zwischenzeit bis zur Wiederaufnahme 4,9 Monate. Die Verlängerung des Anstalts¬
aufenthaltes vergrösserte den Rückfall etwas. 178 Kranke machten ein Delirium
tremens durch; 664 zeigten eine nachweisbare geistige Schwäohe. Erblich be¬
lastet waren 48 °/ 0 ; 7 °/ 0 Epileptiker, 22 °/ 0 hatten ein Trauma durchgemacht.
36,6 führten als äusseren Grund zur Trunksucht ihren Beruf, 12,6 üble FamiUen-
verhältnisse, 60,8 die Trinksitten und Verleitung, 17,8 unbefriedigenden Erwerb,
Stellung, Wohnung an, wobei sich natürlich oft mehAre Gründe bei derselben
Person fanden. 44,88 °/ 0 waren vorbestraft; unter den Delicten überwiegen die
gefahrliohe Körperverletzung, Beleidigung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen
die Staatsgewalt, Bettel und Diebstahl, also bis auf die beiden letzten Gewalt-
thätigkeitsverbrechen.
Die Behandlung war unbefriedigend. Mit der einfachen Entlassung ist nichts
gethan, da die Kranken in dieselbe Umgebung zurückkehren. Auch die Familien¬
pflege versagt, da sie die Kranken nicht genügend überwachen kann. Am besten
bewährt hat sioh, auch in anscheinend verlorenen Fällen, der Anschluss an die
Enthaltsamkeitsvereine, besonders den Guttemplerorden. Die öffentliche Unter¬
stützung dieser Vereine hält Verf. für nothwendig.
Aschaffenburg (Frankfurt a/M.).
27) Heber Trinkeranstalten, von A. Delbrück. (Psych. Wochenschr. 1901.
Nr. 32.)
Verf. giebt einen kurzen Bericht über die im vorigen Jahre geführten Dis-
cussionen über Trinkeranstalten und begründet seinen eigenen Standpunkt in der
Frage, dem er in folgenden Thesen Ausdruck giebt:
I. Die eigentlichen Trinkerheilstätten können zur Zeit nur offene Anstalten
sein. Sie gestatten unter Umständen einen gesetzlichen Zwang zum Aufenthalt,
vertragen sich aber nicht mit dem physikalischen Zwang geschlossener Thören.
II. Die Irrenanstalten kann man in absehbarer Zeit in der Behandlung der
Trinker nicht entbehren. Hierher gehören alle Fälle mit eigentlicher alkoholischer
Psyohose, dann die pathologischen Charaktere aller Art, welche aus irgend einem
Grunde unter Bewachung sein müssen, schliesslich so lange sie renitent sind, die
Einsichtslosen, welche in einer Trinkerheilanstalt nicht bleiben wollen.
Google
271
a) Es ist deshalb moralische Pflicht der Irrenanstalten, sich (allmählich) so
einzurichten, dass die nothwendige Abstinenzsuggestion auch auf ihren Abtheilungen
herrscht.
b) Für die Zukunft ist neben den offenen Trinkerheilanstalten und den ge¬
schlossenen Irrenanstalten die Errichtung geschlossener staatlicher Trinkerverwahr -
tastalten im Auge zu behalten, die vielleicht mit den gleichfalls erst postulirten
Anstalten für moralische Idioten verbunden werden können.
HI. Neben der Unterbringung der Alkoholiker in offenen und geschlossenen
Anstalten wird auch eine solche in abstinenten Familien in manchen Fällen
gute Dienste leisten. Doch ist diese Frage streng zu trennen von der jetzt viel
erörterten „Familienpflege“ im psychiatrischen Sinne.
Mit nur geringen Abänderungen (Wegfall der Klammer um „allmählich“ in
Ila und des Wortes „moralische“ in üb) wurden diese Thesen von der 6. Jahres-
Versammlung des Vereins abstinenter Aerzte in Hamburg angenommen, wo Verf.
besagten Vortrag hielt. Ernst Schnitze (Andernach).
28) Criminal oder IrrenhausP Bin Beitrag zur Frage der Trinkerasyle.
Anlässlich des Antialkoholcongresses mitgetheilt von Max Pollak. (Archiv
für Criminal-Anthropologie und Criminalistik. VH.)
Ein chronischer Alkoholist der schlimmsten Sorte, der wegen seiner Delicte
(thitliche Bedrohung, Unzucht) angeklagt war, wurde als unzurechnungsfähig der
Irrenanstalt übergeben; aus dieser wurde er bald entlassen, um nur bald von
Neuem und in gleicher Weise wie vordem mit dem Strafgesetz in Conflict zu
kommen. Das Spiel wiederholte sich etwa ein halbes Dutzend MaL Bei der
letzten psychiatrischen Begutachtung wurden reine Charaktermängel (Reizbarkeit,
Brutalität, Neigung zum Trunk) bei völligem Mangel einer krankhaften Basis
als Folge von Erziehungsmängeln angesehen; die ethische Depravation sei keine
Folge des chronischen Alkoholismus, weil sie schon vorher bestanden habe;
andererseits habe der Angeklagte hierdurch jeden moralischen Halt verloren.
Dass er nur je einmal die Erscheinungen eines Deliriums bezw. tobsüchtigen
Erregungszustandes geboten habe, spreche für die Widerstandsfähigkeit seines
Nervensystems. In der Irrenanstalt verlange er seine Entlassung mit der Be¬
gründung , wenn er etwas angestellt habe, gehöre er ins Criminal; ausserhalb der
Anstalt tröste er sich bei Delicten mit seinem Indemnitätsbewusstsein: ich bin
«in Narr, mir kann nichts geschehen. Diese Aeusserung beweise sein Strafbar¬
keitsbewusstsein und lasse ihm, der die Gesetze nicht für sich gelten lasse, nur
nm so gemeingefährlicher erscheinen. Er sei zwar trunksüchtig, aber nicht geistes¬
krank. Daraufhin erfolgte die Verurtheilung. Das Gutachten erscheint Ref. nicht
ananfechtbar, wenn man überhaupt Gutachten ohne genaue Kenntniss der Acten
and besonders der Persönlichkeit kritisiren darf.
Darin wird man dem Verf. unbedingt beipflichten, dass weder das eine noch
das andere Vorgehen die Gesellschaft vor solchen Individuen wie dem Angeklagten
m schützen vermag. Diese sind nach Verf.’s Vorschlag dauernd unschädlich zu
machen durch eine anhaltende Internirung in einer gesonderten, ad hoc zu er¬
richtenden Abtheilung einer Irrenanstalt, für die auf administrativem Wege vor-
nmorgen wäre. Ernst Schultze (Andernach).
28) Darf eine Trinkerheilanstalt einen Trunksüchtigen kraft Auftrages des
Vormundes IbsthaltenP von Bratz. (Psych. Wochenschr. 1901. Nr. 14.)
Auf eine Anfrage des Dresdener Bezirks Vereins gegen den Missbrauch geistiger
Gatränke entschied das Königl. sächsische Ministerium des Innern, nach vor-
Wigem Einvernehmen mit dem Justizministerium, dass eine Trinkerheilanstalt
zedby G00gle
272
im Aufträge des Vormundes nur für die Dauer dieser Ermächtigung berechtigt
ist, dessen trunksüchtigen Mündel in der Anstalt festzuhalten, auoh wider dessen
Willen. Der Bezirksverein könne aber nicht verlangen, dass der zu gründenden
Anstalt das Hecht verliehen werde, nach eigenem freiem Ermessen über die Unter¬
bringung Trunksüchtiger Bestimmungen zu treffen.
Ernst Schultze (Andernach).
SO) Zar öffentlichen Fürsorge für Trunksüchtige, von Wulffert. (Psych.
Wochensohr. 1901. Nr. 38.)
Will man den Alkoholismus mit Erfolg bekämpfen, so bedarf es im Deutschen
Reiche der Schaffung gesetzlicher und administrativer Voraussetzungen zu einer
möglicht ausgedehnten Ausnützung der vorhandenen Entmündigungsvorsohriften
für die Anstaltsheilung und Anstaltsversorgung der Trunksüchtigen; in den Einzel-
staaten müssen gesetzliche und administrative Grundlagen für die Errichtung von
Trinkerheilstätten und die Aufbringung von Pflegekosten geschaffen werden. Es
muss mit anderen Worten der Wortlaut des § 681 CPO. ein präciserer sein, er
muss den Kreis der Antragsberechtigten bei der Entmündigung wegen Trunksucht
erweitern und die hierbei entstehenden Kosten müssen in anderer Weise, etwa
wie im Entmündigungsverfahren wegen Geistesstörung, vertheilt werden.
Als Anstalten kommen offene und geschlossene Abstinenzanstalten in Betracht,
je nachdem, ob es sich um heilbare oder unheilbare Kranke handelt. Diese
Gruppen sind nur empirisch zu trennen; daher empfiehlt sich immer ein Heil¬
versuch in einer offenen Anstalt
Hinsichtlioh der Kostenfrage ist er wie Colla und Schäfer der Ansioht,
dass die Natur der Trunksucht als einer Geistesstörung die Verpflichtung der
Fürsorge für Trunksüchtige den Landesarmenverbänden auferlegt. Diese können
die Erfahrungen und die Mitwirkung der Abstinenzvereine nicht entbehren; eine
finanzielle Hilfe des Staates wird nur erwünscht sein.
Ernst Schultze (Andernach).
31) Ueber pathologische Rauschzustände, von Priv.-Doc. Dr. Karl Heil-
bronner in Halle. (Münchener med. Wochenschrift 1901. Nr. 24 u. 25.)
Zunächst führt Verf. alle die Symptome an, die für den pathologischen
Rauschzustand charakteristisch sind. Als erstes wird der Angstaffect genannt,
der gewöhnlich die schwersten Grade erreicht Ausnahmsweise sind vom Verf.
expansive Affecte beobachtet worden. Fast nie fehlt völlige DeBorientirung, häufig
mit dem Symptom des ängstlichen BeziehungswahneB. Hallucinationen auf
optischem Gebiet scheinen bedeutend häufiger zu sein als acustische.
Das motorische Verhalten der Kranken kann zum Theil aus der Angst heraus
erklärt werden (depressive und aggressive Bewegungen, Selbstmordversuche), zum
Theil aber auch nicht und ist dann durch rhythmische Bewegungen des Körpere
oder einzelner Körpertheile charakterisirt. Der Ausbruch erfolgt acut und braucht
einfache Trunkenheit nicht ausnahmslos vorausgegangen zu sein. Die Zustände
dauern nur kurze Zeit und gehen gewöhnlich in tiefen Schlaf über. Gegenüber
diesem acuten Krankheitsbild giebt es auch weniger stürmische, eventuell habi¬
tuelle Zustände mit erhaltener Orientirung, welche theils als abortives Delirium,
theils als abortive Hallucinose aufgefasst werden und die naoh der Ansicht des
Verf. für die Entstehung des Eifersuchtswahns der Trinker von Bedeutung sein
können. Auf die Menge des genossenen Alkohols ist, namentlich in forensischer
Beziehung, kein sonderliches Gewicht zu legen. Von Bedeutung sind prädis-
ponirende Momente und sind hierher zu rechnen die Epilepsie, Hysterie, an¬
geborener Schwachsinn, Kopftrauma und durch chronischen Alkoholmissbrauch
Google
273
gesetzte Veränderungen des Gehirns. Von Interesse ist, dass analog den
periodischen Psychosen auch die einzelnen Anfälle des pathologischen Rausch¬
zustandes bei dem einzelnen Individuum in stereotyper Weise verlaufen. Als
direct auslösende Momente kommen besonders in Betracht sexuelle Excesse und
Gemüthsaffecte.
Während das Fahnden nach psychologischen Symptomen bei directer Beob¬
achtung des einzelnen Falles eine Diagnose nicht ermöglichen wird, ist eine
nachträgliche Entscheidung durch Actenstudium u. s. w. oft nicht mehr sicher zu
treffen. Vor Allem ist das Verhalten der Erinnerung nicht von ausschlaggebender
Bedeutung und ferner ist hierbei zu beachten, dass die Erinnerung unmittelbar
nach einem pathologischen Rauschzustand erhalten, aber etwa am folgenden Tag
erloschen sein kann.
Zum Schluss spricht sich Verf. dahin aus, ein gerichtsärztliches Gutachten
nur Qber den pathologischen bezw. den mit Krankheit (Epilepsie, Hysterie) com-
plicirten Rausch abzugeben, wenn eine Entscheidung über § 51 des Str. G. B.
getroffen werden soll. E. Asch (Frankfurt a./M.)
32) Psychosen nach Blelintoxioation , von Dr. Hoppe, Oberarzt der Irren¬
anstalt Allenberg. (Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medicin. 1901. S. 35.)
Im Aprilheft der oben genannten Zeitschrift hatte Professor Seydel einen
Fall von progressiver Paralyse besprochen, bei dem er Bleivergiftung als Krank¬
heitsursache anfdhrte. Da der Kranke sich in einer Remission befand, hatte
Seydel damals die Aufhebung der über ihn ausgesprochenen Entmündigung
bewirkt, und ihm dadurch ermöglicht, dass er sich verheirathete. Verf. berichtet
nun über den weiteren Verlauf des Falles. Nicht ganz ein Jahr nach der Be¬
gutachtung durch Professor Seydel traten unter Krampfanfällen schwere Er¬
regungszustände ein, die zu erneuter Aufnahme in die Anstalt Allenberg Führten;
dort erfolgte dann einige Monate später der Tod des inzwischen völlig ver¬
blödeten Kranken. Stegmann (Dresden).
33) Contributo alla oasuiatioa delle paioosi uremiohe, per il Dott. Arnold o
Cantani. (L’arte medica. 1900. II. Nr. 6. Milano.)
Verf. berichtet die in der Litteratur niedergelegten Fälle von urämischen
Psychosen, denen er folgenden Fall anreiht:
52 jähriger Thürsteh er (Abusus in venere et nicotini; einmal Gonorrhoe), der
häufig Erkältungen ausgesetzt war, zeigte seit 6 Jahren psychische Veränderungen:
Jähzorn und Streitsucht, aber völliger Besitz der geistigen Fähigkeiten; allmählich
ängstliches Wesen, Vergesslichkeit, selbst für die nächstliegenden Dinge, Verlust
des Personengedächtnisses; leichte Ermüdbarkeit. Der behandelnde Arzt fand
Albuminurie und verordnete Milchdiät und Purgantien u. s. w. Verf. constatirte
leichte Hypertrophie des linken Ventrikels, vermehrte Spannung des Pulses und
Arythmie; Urin 2 Liter pro die, blass, granulirte Cylinder. — Die psychischen
Symptome nahmen zu, es traten Hallucinationen auf, Verfolgungsvorstellungen,
die Pat. mit Fluchen beantwortete, grosse Unruhe, die in Attaquen auftrat. Einmal
fiel er plötzlich zu Boden, worauf er einen starken Wutanfall von 3 / 4 stündiger Dauer
bekam. Allmählich Oedeme an den Beinen, Ascites, Leberschwellung, Dyspnoe; keine
Kopfschmerzen, kein Erbrechen, keine Gesichtsstörungen. — Neben den schweren
Erregungszuständen manische Symptome: sinnloses Geschwätz, Karrikiren, Obscöni-
täten u. s. w. Nach einem schweren maniakalischen Anfall starb Pat. im Stupor.
Keine Autopsie. — Verf. führt die psychischen Störungen auf die Nephritis zurück.
Alkoholismus ist ausgeschlossen. Als unterstützendes Moment soll die Adipositas
18
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274
universalis und Herzschwäche des Pat. in Betracht kommen. Die pathologisch¬
anatomische Grundlage dürfte ein Gehirnödem bilden. H. Gessner (Nürnberg).
34) Un oas de folie brightique, par Viallon-Bron. (Annales medico-psycho-
logiques. 1901. Mai/Juni.)
Yerf. beobachtete den schon häufiger beschriebenen Wechsel im psychischen
Verhalten derartiger Kranker, indem bei steigendem Albumingehalte in dem Urin
die Verworrenheits- und Angstzustände sich verschlimmern, bei Abnahme dieses
sich augenfällig bessern und Theils ganz zurücktreten.
Es sei wegen der fieissigen Abhandlung auf den Fall hingewiesen.
Adolf Passow (Meiningen).
86) The influenoe of psyohoses on nervous glyoosurias, von Dr. David
Blair. (Journal of mental Sciences. 1900. October.)
Wenn man bedenkt, wie häufig nervöse Einflüsse als prädisponirende Mo¬
mente beim Diabetes zur Geltung kommen, so überrascht die Thatsache, dass die
Zuckerharnruhr in verschiedenen Irrenanstalten nur in 2—5°/ 0 der Insassen auf-
tritt. Die höhere Yerhältnissziffer ist in Anstalten für höhere Stände beobachtet.
Diabetes mellitus kommt bei Männern 3 Mal häufiger vor als bei Frauen. An
nicht diabetischen Glykosurieformen sind die Männer mit 5 % betheiligt, wäh¬
rend laut einer anderen Veröffentlichung unter 23 Fällen sich nur 3 Frauen be¬
fanden. — Durchschnittlich sind also die Diabetesformen in Anstalten nicht ver¬
breiteter als draussen, ja vielmehr beträchtlich seltener, wenn man die Er¬
gebnisse von Kleen, Worm-Müller und Nylander an Gesunden vergleicht,
wonach 14—18% derselben Zucker im Urin führen. Sieht man von der phy¬
siologischen und der pathologischen Zuckerausscheidung bei Leber- und Pankreas¬
krankheiten und bei Vergiftungen ab, so bleiben die nervösen Formen übrig,
welche als organische und functioneile Störungen zu unterscheiden sind. Wenn
es nicht erwiesen ist, dass organische Störungen des Nervensystems bei Geistes¬
kranken gewöhnlicher sind als bei anderen Menschen, so lässt sich das für den
Diabetes dieser Provenienz noch viel weniger behaupten. Die höchste Ziffer hat
in letzterer Hinsicht Kahler angegeben, der in 23 Fällen von organischem
Nervenleiden 4 Mal Diabetes fand, Verf. dagegen hatte hier keinen Fall auf¬
zuweisen.
Functioneil nervöse Diabetesformen sind nach Basse und Ständen ver¬
schieden häufig. Bei den hochgradig nervösen Hindu verliert fast jede bessere
Familie in Calcutta ein bis zwei Glieder an diesem Leiden und die Sterblichkeit
ist für dasselbe hier 10 % von der Gesammtmortalität. Dagegen ist diese Ziffer
bei den Chinesen verschwindend klein und das Leiden bei wilden Völkern un¬
bekannt. Mit der zunehmenden Civilisation, nervösen Differenzirung und dem
•ernsteren Existenzkampf hält auch die Verbreitung dieser Krankheitsform gleichen
Schritt. — Sie ist oft direct vererbt, noch häufiger aber der Ausdruck der Be¬
lastung eines Individuums, dessen Vorfahren an einer Form von Geisteskrankheit
litten. Nicht selten ist Diabetes bei den Eltern oder Grosseltern geisteskranker
Personen (MandBley). Dieses Alterniren von Geisteskrankheit und
Diabetes kommt nicbt nur in der Familie, sondern auch zuweilen bei demselben
Individuum vor (Savage); in dieser Ablösung beider Krankheiten durcheinander
liegt ein Grund dafür, warum Glykosurie bei Geisteskranken so selten ist —
Der zweite Grund aber beruht darauf, dass die herabgesetzte Empfindlichkeit
der Geisteskranken der Wirkung einer Ursache vorbeugt, welche (im Gesunden)
Diabetes erzeugen würde: ein ähnlicher Vorgang wie das Verschwinden dee
GoogI<
275
Asthmas bei Demenz. Z. B. sind Kammer und Entbehrung besonders bei Prä*
disponirten bekannte Ursachen dieser Constitutionskrankheit und der Dauer ihrer
Einwirkung entspricht oft die begleitende Zuckerausscheidung. Wird eine solche
Person plötzlich maniakalisch, so nimmt die Empfänglichkeit für schmerzliche
Affecte ab; damit schwindet (so zu sagen) die Ursache der Störung und mit der
Ursache die Folge.
Es werden zwei Fälle beschrieben, welche diese Verhältnisse illustriren.
Bond fand unter 114 frischen Fällen von Melancholie 11 Fälle mit Harn*
meker, dagegen in 82 frischen Fällen von Manie keinen einzigen! Die nahe*
liegende Vermuthung, dass der wegen der Gebundenheit und Muskelruhe der
Melancholischen nicht in den Muskeln zur Verbrennung gelangende Blutzucker
einen Ausweg durch die Nieren finde, hat in dem Falle einer hochgradig agitirten
and diabetischen Melancholischen keine Bestätigung gefunden. — Bei epileptischen
Geisteskranken ist Zucker im Harn verschwindend selten. Bond hat bei ihnen
weder vor noch nach Anfällen Zucker gefunden. — Dass Thyreoideapräparate
Zackerharnen verursachen, konnte derselbe bei ausschliesslicher Verwendung eines
Lactosepräparats nicht bestätigen, möglicher Weise ist dasselbe, wenn vorkommend,
alimentär oder aus der hypodermatischen Einverleibung zu erklären.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
36) Los deliree toxi-infectleux, par R6gis. (ProgrÖB medical. 1901. Nr. 19.)
Vortr. bespricht die klinisch genau getrennten Krankheitsbilder des Ver-
worrenheitszustandee und der Traumdelirien und kommt dann in seinen weiteren
Ausführungen auf die kataleptoiden Zustände, die Tetanie, die eklamptischen
Anfidle und Aehnlichee zu sprechen. Adolf Passow (Meiningen).
m. Bibliographie.
1) Harnsäure als ein Faotor bei der Entstehung von Krankheiten, von
Alexander Haig. Uebersetzung aus der 5. Auflage des Englischen von
M. Bicher-Benner. (Berlin, 1902.)
Ein auf jeden Fall höchst beachtliches Buch, das auch, wie sein Erscheinen
in 5. Auflage beweist, in England schon ziemliches Aufsehen erregt hat. Daroh
jahrelange, sorgfältige Untersuchungen des Harns, Blutes, Blutdrucks etc. an sich
selbst und Anderen ist Verf. zu der Ansicht gekommen, dass die gewöhnliche
Ernährungsweise mit gemischter Kost resp. überwiegender Fleischnahrung eine
Retention von Harnsäure im Körper zur Folge hat; der hohe Harnsäuregehalt
bei derartig genährten Personen ist fast nie einer vermehrten Bildung, sondern
hauptsächlich einer mangelhaften Ausscheidung der übermässig eingeführten
Mengen zuzuschreiben; eine „harnsaure Diathese“ in dem gewöhnlichen Sinne giebt
es für Verf. nicht. Er hat als gesetzmässig die Thatsaohe gefunden, dass alle
Stoffe, welche die Löslichkeit der Harnsäure steigern, ihre Ausscheidung im Harn
vermehren und günstig auf diejenigen Gelenkleiden wirken, die durch den Reif
der Harnsäureablagerung hervorgerufen werden; umgekehrt vermindern alle die
Löslichkeit der Harnsäure herabsetzenden Stoffe auch ihre Abscheidung im Urin
<u>d vermehren in den Gelenken und anderen Bindegeweben jene Reifungen,
welche die Hamsäureablagerung bedingt. Verf. lernte den Harnsäuregehalt im
Blute und seine Ausscheidung im Urin willkürlich zu verändern und damit ver¬
schiedene Krankheitszustände, vor allem einen migräneartigen Kopfschmerz, an
dem er seit langen Jahren periodisch litt, hervorzurufen oder zu bannen. Die
relative Freiheit des Blutes von Harnsäure ist auf 3 Wegen zu erzielen: entweder
18*
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276
durch eine Diät, die die im Fleisch, Thee, Kaffee etc. enthaltenen Xanthine ver¬
meidet; oder durch Arzneien, welche das Blut in der Weise davon befreien, dass
sie unlösliche Verbindungen mit der Harnsäure bilden, ohne ihre Ausscheidung
zu fördern, wodurch dieselbe gewissermassen in Depot gelegt wird; oder endlich
durch Arzneien, welche die Ausscheidung duroh die Nieren bewirken und dadurch
das Blut von der Harnsäure befreien.
Die im Blute kreisende Harnsäure befindet sich nach der Ansicht des Verf.,
— die an dieser einzigen Stelle die Grenze des rein Beobachtbaren ein wenig
überschreitet — in einem Zustand colloider Kugel-Urate; dieselben obstruiren,
wenn sie in vermehrter Menge vorhanden sind, die Capillaren, wobei sie einer¬
seits den Kreislauf, die Zellernährung, Thätigkeit und Temperatur sämmtlicher
Gewebe und Organe des Körpers afficiren, andererseits hohen Blutdruck hervor-
rufen, welcher direct Herz und GefÜsswandungen, indirect den intracraniellen,
tboracischen und chylopoetischen Kreislauf beeinflussen. Zur Beobachtung des
Capillarkreislaufes hat Verf. die Untersuchung des Capillarrückflusses methodisch
eingebildet, d. h. er misst die Zeit, die verstreicht, bis sich eine durch Druck
blutleer gemachte Hautstelle wieder röthet, und hat in den Schwankungen dieses
Zeitraums, die sich nach halben Secunden bemessen, wichtige Parallelen zur
Harnsäure-Ausscheidung im Urin, zur Pulszahl, Tagesperioden, arzneiliche Beein-
flussbarkeit etc. gefunden. Er spricht direct davon, dass eine genaue Bestim¬
mung des Capillar - Rückflusses und des Blutdruckes so viel wie eine Messung der
Harnsäure im Blute und Urin bedeutet. Die Abhängigkeit der Harnsäure von
der Alcalescenz des Blutes, von Wärme und Kälte, Ruhe und Bewegung, Art
und Menge der eingeführten Nahrung wird in zahlreichen, mit grosser Sorgfalt
und Ausdauer jahrelang durchgeführten Experimenten studirt, aus denen eine
ganz überwältigende Bedeutung der Harnsäure für die gesammte Lebensthätig-
keit des Organismus hervorzugehen scheint.
Eine Folge dieser Erkenntniss ist nun, dass Verf. eine ganze Reihe von
Krankheiten der verschiedensten Organe, Epilepsie, Hysterie, Geisteskrankheiten,
Asthma, Raynaud'sehe Krankheit, Dyspepsie, Albuminurie, Gicht etc. alB Harn¬
säurekrankheiten bezeichnet, in der Harnsäure die gemeinsame Ursache findet
und demgemäss auch eine gemeinsame Behandlung für alle hat, die in letzter
Linie auf eine etwas modificirte vegetarische Lebensweise hinausläuft. Es ist
nicht zu leugnen, dass der Vegetarismus kaum je eine physiologisch und patho¬
logisch so wohl begründete Rechtfertigung erfahren hat; andererseits ist es in¬
teressant zu beobachten, dass Verf. der Gefahr der dogmatischen Uebertreibung,
die jedesmal in dieser Lehre zu schlummern scheint, auch nicht ganz entronnen
ist: er zögert nicht es auszusprechen, dass der angebliche Niedergang der mensch¬
lichen Rasse, die Vermehrung der Geisteskrankheiten, Verbrechen etc. in den
Cultwrländern in letzter Linie auf die Fleischkost, d. hu auf die gewohnheit*-
mttssige Ueberiadung des Organismus mit Harnsäure, zurüokzaführen sei.
Die MigTfiae ist nach Verf. ein Zustand unter Collämie — so nennt er die
Anhäufung colloider Harnsäure im Blute, — hervorgerufen durch übermässige
Zufuhr von Harnsäure, die bei genügender Acidität des Harns resp. geringer
Alcalesoenz des Blutes in den Geweben zurückgehalten wird; sinkt aus irgend
einem Grunde die Acidität, so tritt die zurückgehaltene Harnsäure plötzlich in
grossen Massen ins Blut zurück und der Anfall mit all seinen Begleiterscheinun¬
gen ist da. Aus Curren, die die Harnsäureausscbeidung vor, während und nach
einem Migränetag darstellen, ist dieses Verhalten deutlich zu ersehen. Immerhin
ist darum noch nicht klar, weshalb, wenn wirklich die Harnsäure die einzige
oder wenigstens wesentlichste Ursache ist, nicht 99 °/ 0 der Menschen, die nach
Verf. sieh täglich mit Xanthinen vergiften, an Migräne leiden; es muss da doch
noch ein x ausserdem vorhanden sein.
Di:
277
Ein ähnliches ist es mit der Epilepsie. Da Verf. nachgewiesen hat, dass
in manchen Fällen vor den Anfällen eine Harnsäure - Retention, während und
besonders nach denselben eine gesteigerte Anssoheidung stattfindet, und da ver¬
schiedene mit vegetarischer Diät behandelte Fälle sich ohne Arznei wesentlich
heuerten, so erklärt er auch hier die Collämie für die letzte Ursache. Auch
ron der Hysterie und ihren Anfällen sowie vielen ihrer untergeordneten Zeichen,
überhaupt von den „paroxysmalen Neurosen“ hat er die gleiche Anschauung,
ohne indessen diese durch speoielle Versuche zu begründen. An Stelle der Be¬
gründung tritt hier die Anführung von Uebergangsfallen.
Da die Migräne und überhaupt die oollätnisohen Perioden mit Qemütha-
depression einhergehen, und „zwischen dieser und der Schwermuth mit Sinnes¬
täuschungen keine genaue Grenze besteht“, so ist auch die Brücke geschlagen zu
der Erklärung der Geisteskrankheiten aus der Harnsäure; Verstimmung und Me¬
lancholie ist von hohem, Aufregung, Delirium und Manie von niederem Blut*
druck begleitet, was diese Anschauung bestätigt. „Allen diesen Krankheiten liegt
Collämie mit langsamem Capillardruckfluss zu Grunde; je nach dem Vorhanden*
Mio oder Fehlen von Herzschwäche zerfallen dieselben in zwei Gruppen: bei
schwachem Herzen haben wir Aufregung, Hysterie, Marne, Syncope, Epilepsie;
bei kräftigem Herzen Kopfschmerz, Gemüthsverstimmung, Melancholie, Selbst¬
mord, Epilepsie, (mit hohem Blutdruck) Gehirnblutung.“ Auoh für Tabes und
Paralyse wird schliesslich die Harnsäure als ätiologisches Moment herangezogen.
Das Heilmittel lautet deshalb auoh hier überall: Abkehr von Fleisch, Thee und
Kaffee!
Ein Eingehen auf die Ausführungen über die Reihe der anderen Krank¬
heiten — Asthma, Darmgicht, Rheumatismus etc. — erübrigt sich an dieser
Stelle. Die Arbeiten des Verf. sind trotz oder vielleicht gerade wegen der
manchmal zum Kopfschüiteln reizenden Ergebnisse und bei der verhältnissmäasig
einfachen Methodik jedenfalls der Nachprüfung werth — vielleicht berufen,
unseren Vorstellungen über pathologische Vorgänge eine neue Richtung zu geben.
H. Haenel (Dresden).
2) Die Thataachen über den Alkohol, von Dr. Hugo Hoppe, Nervenarzt in
Königsberg. II. Auflage. (Berlin, 1901, S. Calvary u. Co. 375 Seiten.)
Auf Grand zahlreicher Tabellen und Statistiken — am Schluss der Arbeit
sind deren 63 zusammengestellt — entwirft Verf. mit schwarzen Farben ein Bild
ron dem Unheil, welches der Alkohol dem Menschengesohlechte bringt. Um dieses
düstre Bild wenigstens etwas freundlicher zu gestalten, aber auch der Vollständig¬
keit halber hätte Verf ein Kapitel noch hinzufügen sollen, in welchem der grosse
Nutzen dargelegt wird, welchen der Alkohol am Krankenbette — sei es in Form
unserer Application, sei es innerlich dargereioht — stiftet. In seiner Ereiferung
gegen das Gift lässt Verf. auch nicht eine gute Eigenschaft an ihm.
Die fleissige und stellenweise recht interessante Arbeit zeigt zunächst die
Grösse dee Alkoholconsums in den verschiedenen Ländern: Deutschland giebt jähr¬
lich etwa 3 Milliarden, Grossbritannien 3 1 /*, Nordamerika 4 Milliarden Mark für
Alcoholica aus. Den grössten Branntweinverbrauch hat gegenwärtig Dänemark,
dann kommen mit ziemlich gleichem Verbrauch Belgien, Deutschland, Gross-
briianxien und Frankreich, dann die Vereinigten Staaten, Schweden und die Schweiz
und zuletzt Norwegen, Finnland, Kanada und Italien. Im Bierconsum steht obenan
Belgien, dann folgt Grossbritannien, dann Deutschland, zuletzt kommt unter den
grosseren europäischen Staaten Italien.
Folgendes sind nun die üblen Wirkungen, welche der Alkohol auf den
menschlichen Organismus ausübt: er verlangsamt die Verdauung, verringert die
Google
278
Beweglichkeit der farblosen Blutkörperchen, ruft bei den rotben Schrumpfung und
Abnahme des Hämoglobingehaltes hervor, setzt die Fermentationskraft des Blutes
herab, legt die Geistesthätigkeit lahm, vermindert Auffassungsfähigkeit und Buch*
stahengedächtniss, fährt zwar beschleunigte, aber mehr fehlerhafte Beactionen
herbei, wirkt auf Nerven und Muskeln lähmend, vermindert den Blutdruck, macht
die Athmung schneller und oberflächlicher und entbehrt dabei völlig des Nähr-
werthes.
Auf solche Weise wirkt das Gift besonders schädigend auf Niere, Herz, Ge-
fasse, Leber, Schleimhäute, auf den ganzen Stoffwechsel (Fettleibigkeit, Diabetes
als Folgen des Alkohols), auf Gehirn und Nervensystem (Psychosen [etwa der
5. Th eil aller Geisteskranken ist durch Alkoholmissbrauch erkrankt], Epilepsie,
Neurasthenie, Hysterie, Neuritis, Karsakow’sche Krankheit).
Die Trinker sind anderen Krankheitsursachen gegenüber weniger resistent
als normale Personen, sie sind z. B. zur Erlangung der Tuberculose, der Syphilis
mehr disponirt, erliegen leichter den Intoxicationen und es figurirt der Alkohol
als wesentliches, direct oder mittelbar wirkendes Moment in den Mortalitäts-
Statistiken; so stirbt in den Gemeinden der Schweiz, die über 6000 Einwohner
zählen, im Alter von 20—40 Jahren jeder 7.— 8., im Alter von 40—60 Jahren
jeder 6. und über 60 Jahren jeder 17. Mann durch Alkohol oder unter Mit¬
wirkung desselben. Hierbei kommen ferner die tödtlichen Unfälle und Selbst¬
morde, welche durch Trunk hervorgerufen werden, in Betracht. Nach Prinzing
wird mehr als der vierte Theil der Selbstmorde des männlichen Geschlechts und
im eigentlichen Mannesalter ein volles Dritttheil derselben durch Alkoholmiss¬
brauch herbeigeführt. — Der „massige“ Alkoholgennss verkürzt das Leben um
etwa 8 Jahre, der unmässige noch weit mehr.
In eineip weiteren Kapitel bespricht Verf. die Beziehungen zwischen Alkoho¬
lismus und Verbrechen, unter welch letzteren besonders Körperverletzungen und
Eigenthumsbeschädigungen in Betracht kommen.
Wie sehr die Trunksucht Familienleben und Wohlstand schädigt, zeigt die
Zunahme der Ehescheidungen in fast allen Ländern, die Zunahme der Fälle in
Frankreich, in denen den Eltern die elterliche Autorität über ihre Kinder ab¬
gesprochen wird, die Zunahme der unehelichen Geburten, der unsittlichen Attentate,
der Verarmung; hei jedem einzelnen dieser Momente spielt der Alkoholismus eine
mitwirkende Rolle.
Die Trunksucht der Eltern rächt sich aber an den Kindern in Form von
Erkrankungen des Nervensystems (vor allem Epilepsie) und der Psyche (vor allem
Idiotie, Taubstummheit, verbrecherische Neigungen, Prostitution), und so kommt
die allgemeine Degeneration des Geschlechts und ganzer Völker zu Stande.
Besonders betrübend ist, dass der Alkohol gegenwärtig auch bereits unter
Frauen und Kindern eine grosse Verbreitung erfahren hat. Die wesentlichste
Ursache des Alkoholismus bilden aber neben den narkotischen Eigenschaften des
Alkohols die Trinksitten und Trinkgewohnheiten mit dem sich daraus ergebenden
Trinkzwange. Kurt Mendel.
IV. Aus den Gesellschaften.
Gesellschaft der Neurologen und Psychiater an der Universität zu Kasan.
Sitzung vom 4. November 1901.
Herr Dr. Janischewsky: Ueber die Teohnik der Durohsohneidung de«
Corpus oallosum bei experimentellen versuohen.
Durchschneidung des Corpus oallosum wurde zum ersten Mal an Hunden
y Google
279
1819 von Samerotte ausgeführt. Zonget wies darauf hin, dass bei den Ver¬
suchen Sara erotte wahrscheinlich zugleich auch tieferliegende Schichten, speoiell
die Corpus quadrigemina, angeschnitten habe. Später wurde Durchschneidung
des Corpus callosum von Koranyi, Muratoff, La Monaco, Dotto und
Pusateri ausgeführt, Koranyi führt nur einen reinen Versuch an, wo zu¬
fällig das Corpus callosum allein getroffen worden war, ohne Verletzung benach¬
barter Theile. Bei den Versuchen Muratoffs überlebten nur in 3 Fällen
Bunde die Durchschneidung; in allen seinen Fällen trat eine Meningoencephalitis
im trepanirten Bezirke ein. Dotto und Pusateri konnten in 2 Fällen eine
Durchschneidung ausführen, jedoch geschah das bei zu jungen Thieren. La
Monaco modificirte insofern die Technik, dass er, nach beiderseitiger Unter¬
bindung des Sinus longitudinalis superior vorher den Proc. falciformis durae
matris entfernte, daraufhin gelang es ihm, das Corpus callosum zu durchschneiden,
ohne benachbarte Bezirke zu verletzen.
Vortr. stiess bei seinen Versuchen, Durchschneidung des Corpus callosum
bezweckend, auf folgende Schwierigkeiten: Wenn die Dura mater in Form eines
halbkreisförmigen Lappens, dessen Basis zum Sinus hingewendet -ist, durchschnitten
und nun versucht wird, diesen Lappen zurückzuschlagen, so geschieht es unver¬
meidlich, dass dabei eine grössere Vene verletzt wircf, die das Blut von der
Gehirnoberfläche in den Sinus longitudinal» leitet. Bei der Blutstillung ver¬
mittelst Tampons kann Verletzung durch Druck entstehen, welche eine Encepha¬
litis zur Folge hat. Beim Befolgen des Verfahrens von Monaco werden ebenso
durch die Sagittalschnitte zu beiden Seiten des Sinus grosse Venen der Dura
mater bei ihrer Einmündung durchschnitten, was starken Bluterguss zur Folge
hat und Tod des Thieres verursachen kann. Das Anlegen einer Ligatur en masse
und Unterbindung dieser Gefässe wiederum zieht unerwünschte Druckverletzung
des Gehirns nach sich. Nach Sistirung des Blutergusses stösst man beim Ver¬
such, die Hemisphären auseinanderzubringen, um dadurch die Oberfläche des
Corpus callosum erreichbar zu machen, auf eine neue Schwierigkeit, da bei er¬
wachsenen Hunden über dem Corpus callosum, unmittelbar unter dem Proc. falci¬
formis die Hemisphären an ihren Innenflächen verwachsen sind. Diese Ver¬
wachsung hat gewöhnlich die Grösse des mittleren Theiles des Corpus callosum,
und ist mitunter so fest, dass sie nicht ohne Verletzung der Gehirnsubstanz auf¬
gehoben werden kann. — Zum Durchschneiden des Corpus callosum, nicht seiner
ganzen Ausdehnung, sondern gradatim zu Theilen, schlägt Vortr. vor, ein be¬
sonderes Messer in Form einer Guillotine zu gebrauchen, welches in einer spatel-
förmigen Scheide verborgen liegt. Beim Druck springt aus der Scheide die
Schneide des Messers hervor; die jeweilig erwünschte Tiefe des Schnittes kann
durch Graduirung erzielt werden. Der Schnitt durch die harte Gehirnhaut wird
auf der einen oder der anderen Seite des Sinus long. sup. geführt; die Länge
des Schnittes entspricht der Breite der Guillotine. Indem das Instrument in den
Schnitt zwischen die grossen Venen geführt wurde, war es möglich, dasselbe in
die Fissura palii zu bringen und das Corpus callosum zu durchschneiden, ohne
die Hemisphären zu verletzen. Am vorderen und hinteren Bezirk des Corpus
callosum konnte bequem manipulirt werden, während am mittleren Theil die oben¬
gedachte Verwachsung der Hemisphären hinderlich war; durch schwankende Be¬
wegungen des Spatels konnte das Hinderniss, so gut es ging, überwunden werden.
Dr. Obrastzoff demonstrirte einen Fall von Arsenioalparalyse.
Vortr. ist der Meinung, dass die Frage über die Localisation der Störungen
bei Arsenvergiftung noch nicht endgültig entschieden sei. Beim Vergleich mit
klinischen Beobachtungen, die die einschlägige Litteratur bietet, ist Voitr. geneigt,
den Schluss zu ziehen, dass das Arsen eine Erkrankung des Rückenmarkes, ebenso
280
auch der peripheren Faser hervorruft, wobei sich bald das Bild einer Polyneuritis,
bald das einer Poliomyelitis anterior bietet. Pathologisch-anatomische Unter¬
suchungen, wie auch Experimente an Thieren bestärken die Ansichten, dass bei
Arsen Vergiftungen ebenso der centrale wie der periphere Theil des Neurons der
Erkrankung unterworfen sein kann (Popoff, Henschen u. A.). Wenn also
vom jetzigen Standpunkt des Begriffes „Neuron“ als anatomisch-physiologische
Einheit geurtheilt wird, und man noch den Einfluss der erkrankten Faser auf die
Zelle und umgekehrt in Betracht zieht, so kann eine scharfe Scheidung der Zelle
von der Faser nicht gemacht werden, und muss das ganze periphere Neuron als
ergriffen betrachtet werden. Die klinische Diagnostik kann nur als Mittel zum
Bestimmen der am meisten ergriffenen Bezirke noch Geltung haben.
Kliat schkin.
Aus den wissenschaftlichen Vereinigungen der Aerzte an der Nervenklinik
zu Kasan.
Sitzung vom 26. März 1900.
Herr Stud. G. Trcfschin: I. Die Lehre von dem Uebergange der sen¬
siblen Leitungen aus dem Rückenmark in die Medulla oblongata.
Im litterariscben Theil des Vortrages wurde die Geschichte dieser Frage
dargelegt. Klinische und physiologische Thatsaohen wiesen schon lange auf das
Vorhandensein gekreuzter sensibler Bahnen im Rückenmark hin. Die vergleichend-
anatomische Methode (Edinger) ergab ein allgemeines Schema dieser Bahnen im
Rückenmark und im Hirnstamm; die entwickelungsgeschichtliche Methode (Bech¬
terew) brachte keine Beweise gegen das Edinger’sche Schema bei. Die patho¬
logisch-anatomische Casuistik (Schaffer, Patrick, Sölder, Quensel, Rosso-
limo) und die experimentellen Arbeiten (Mott, LaBurski, Wallenberg) ver¬
mochten nur den Uebertritt der ansteigenden Degeneration aus dem Rückenmark
in den Hirnstamm zu beweisen, nicht aber eine hinreichende Erklärung dafür zu
geben. — Von den Versuchen, die Vortr. an Katzen unternommen hat, sind 7 zu
verwerthen: in 3 Fällen wurde das Rückenmark in der Mittellinie durchschnitten,
in zweien fand eine laterale Durchsohneidung des Rückenmarks auf der einen
Seite statt, und in zweien eine Zerquetschung einer Rückenmarkshälfte. Die
Operationen fanden im oberen und mittleren Halstheil und im oberen und unteren
Brusttheil des Rückenmarks statt; Bearbeitung nach Marchi. In allgemeinen
Zügen war die Degeneration eine solche: Unmittelbar über der Läsion war eine
diffuse Entartung der hinteren, vorderen und Seitenstränge zu bemerken, etwas
höher nahm die Degeneration der SeitenBtränge etwas ab (die kurzen Systeme
hörten auf); beim Uebergang in die Medulla differenzirte sich die Entartung
deutlich, indem eine Degeneration eines Theiles der Vorder- und Hinterstränge,
sowie des Kleinhirnbündels und der Gowers’schen Bahn zu sehen war; noch
höher oben blieb die Degeneration nur in der Mitte der Naht (von den Vorder¬
strängen) und an der Stelle der GowerB’schen Bahn übrig. Die degenerirte
Gowers’sche Bahn bildet ein complicirtes System: der grösste Theil verlief zum
Kleinhirn; ausserdem sonderten sich nach und nach folgende Systeme ab: a) zur
medianen Schleife, b) zur lateralen Schleife, c) zum Höcker der hinteren und
vorderen Vierhügel, d) zum Hirnschenkel, e) zur Mittellinie unterhalb der Vier¬
hügel. Somit erhielt Vortr. in Uebereinstimmung mit anderen Forschern eine
sehr complicirte aufsteigende Degeneration, vom Rückenmark ausgehend. Als
gekreuzte sensible Bahnen vermag Vortr. nur zwei Systeme anzuerkennen, nämlich
die unter a) und b) angeführten, was er durch folgende Besonderheiten der ge-
-nannten Systeme erklärt: J. bei longitudinaler Durchschneidung des Rückenmarks
Google
281
degeneriren sie beiderseitig; 2. im Rückenmark liegen sie in den Vordereeiten-
strängen; 3. im Hirnstamm verlaufen sie zusammen mit der übrigen Masse der
sensiblen Leitungen (Schleifenschicht); 4. endigen sie im ventralen Abschnitt des
Höckers, d. i. an der Vereinigungsstelle der sensiblen Bahnen. Das Edinger’sche
Schema der gekreuzten sensiblen Bahnen aus dem Rückenmark wird vom Vortr.
bestätigt, wenn auch nicht vollständig, denn der Vortr. erzielte das geschilderte
Bild der Degeneration in deutlicher Weise nur bei Verletzung des oberen Hals-
tbeils; die Operation am unteren Brusttheil gab nicht dasselbe Bild; desgleichen
ist die vordere Commissur nicht als einzige und wesentlichste Kreuzungsstelle der
sensiblen Bahnen anzusehen.
Q. Die centralen Verbindungen der sensiblen und motorischen Hirn-
nerven.
l T m die centralen Verbindungen der sensiblen Hirnnerven zu studiren, machte
Vortr. Versuche mit Beschädigung des Bodens des 4. Ventrikels bei Katzen. Be-
trbeitung nach Marohi. Von zahlreichen Versuchen waren nur 4 zu genanntem
Zwecke zu verwerthen: im 1. Versuch waren die Kerne des 10. und 9. Nerven-
psares von ihrer ventralen Seite verletzt (Nadelstich); im 2. Versuch waren die
eentralen Verbindungen des 10. und 9. Nervenpaares auf dem Wege von den
terminalen Kernen zur Mittellinie und in dieser selbst beschädigt; im 3. Versuch
hatte eine Verletzung der Bpinalen Trigeminuswurzel zusammen mit der gelatinösen
Substanz stattgefunden (im Gebiet der oberen Olive); im 4. Versuch war die
Verletzung die nämliche, wie im ersten, und ausserdem wurde die gelatinöse
Substanz im Gebiet des Kerns des 6. Nervenpaares beschädigt. In allen Versuchen
fanden ausser den geschilderten Verletzungen auch noch Neben Verletzungen statt.
Die centralen Verbindungen ziehen, nachdem sie die terminalen Kerne des 10.
nnd 9. Nervenpaares verlassen haben, als Fibrae internae zur Naht und kreuzen
dieselbe (hauptsächlich an der Grenze des oberen und mittleren Drittels); auf der
anderen Seite begeben sie sich zum ventralen Theil der Substantia reticularis;
hier sammeln sie sich nicht sogleich zu einem Bündel, sondern sind Anfangs ver¬
streut; erst allmählich bilden sie zwei Partieen mit stärkerer Degeneration; eine
im rentrolateralen Winkel der Substantia reticularis, die andere im ventromedialen
(über der inneren Schleife). Somit liegen die centralen Verbindungen des 10.
<md 9. Nervenpaares Anfangs gesondert von der Schleife, doch nur in dem Niveau,
wo die Schleife in grösserer Ausdehnung die Raphe einnimmt; hingegen da, wo
sie aus der dorsoventralen in die horizontale Richtung übergeht, findet sich die
Degeneration der centralen Verbindungen des 10. und 9. Nervenpaares, in Folge
naheliegender topographischer Beziehungen der Schleife zur Substantia reticularis,
■^mittelbar über der Schleife; die Entartung sieht hier compacter aus; je höher,
desto mehr vermengen sich die centralen Verbindungen mit der Schleife und
sind im Bereich der vorderen Zweihügel schon in der Substanz der Schleife be¬
findlich; die geschilderte Degeneration endigt im ventralen Gebiet des Thalamus,
d- L ebendaselbst, wo auch die Schleife endigt. Ein Uebergang der Degeneration
in den Hirnschenkel findet nirgends statt. Die centralen Verbindungen der Sub-
stantia gelatinös» verlaufen ebenso wie die beschriebenen. — Aus der Litteratur
über die Verbindungen des 5., 9. und 10. Nervenpaares ersieht der Vortr., dass
der Widerspruch in den Schilderungen der Autoren in dem Verlauf des Systems
ihre Erklärung findet: da die beschriebenen Verbindungsbahnen nicht sogleich zu
daem Bündel zusammentreten und sich auch nicht sofort mit der Schleife ver¬
fügen, so haben die Autoren, da sie nach verschiedenen Systemen arbeiten, nur
*men Theil des Systems und nicht ihren ganzen Verlauf beschrieben und
diese Bahnen bald in der Schleife (Edinger, Flechsig, v. Bechterew u. A.),
bald ausserhalb derselben gesucht (Ramön y Oajal u. A.); das gilt besonders
zedby G00gle
282
von den Verbindungen des 5. Nervenpaares. In den Versuchen über den Verlauf
der centralen Verbindungen der motorischen Himnerven möchte der Vortr. den
Widerspruch aufklären, welcher zwischen den Resultaten der pathologisch-anato¬
mischen und der entwickelungsgeschichtlichen Methode einerseits und denjenigen
der Marchi'schen Methode andererseits besteht. Die nach den ersten zwei
Methoden arbeitenden Autoren verlegen die Verbindungsbahnen der motorischen
Nerven in die Schleife (Hoche, v. Bechterew, Flechsig), die sich der letzteren
bedienenden dagegen in die Pyramide (Romanow). Zur Entscheidung dieser
Frage bediente sich der Vortr. einer Serie von 13 Versuchen (an Katzen nach
Marchi). Davon wurde in 4 Fällen das motorische Gebiet zerstört, in 3 ver¬
schiedene Bezirke, die hinter und unter diesem liegen (in allen 7 ersten Versuchen
wurden Theile des Gebietes zerstört, bis zu welchem nach den Untersuchungen
des Vortr. die corticale Schleife reicht); in 2 Fällen die innere Kapsel, in 2 der
innere Theil des Hirnschenkels im Gebiet der vorderen Zweihügel, in 2 der innere
Theil der Schleife in demselben Niveau. Die ersten 7 Versuche ergaben weder
in den ventralen Kernen des Thalamus, noch in der Schleife eine absteigende
Degeneration. Die folgenden 2 Versuche wurden in der Absicht unternommen,
eine complete Entartung des Hirnschenkels herbeizuführen; auch hier blieb die
Schleife intact. Die Zerstörung des inneren Abschnitts vom Hirnschenkel und von
der Schleife wurde auf Grund der Erwägung vorgenommen, weil, wie die embryo¬
nale Methode lehrt, durch diese Theile (aus dem Schenkel in die Schleife) die
centralen Verbindungsbahnen der motorischen Hirnnerven verlaufen; auch in diesen
Versuchen war die Schleife frei von Degenerationen. Vortr. bekam centrale Ver¬
bindungsfasern der motorischen Himnerven nur in der Pyramide zu Gesicht; von
da verliefen sie in das Tegmentum zu den terminalen Kernen (zum 4., 5., 6. Nerven¬
paar). Die zuweilen beobachtete absteigende Entartung in der Schleifenschicht
möchte der Vortr. in Uebereinstimmung mit Dejerine erklären, d. i. als abgeirrte
Bündel der Pyramidenbahnen. (Autoreferat.)
An der Discussion betheiligten sich Prof. Darkschewitsch und die Herren
Kliatschkin und Romanow. A. Faworski (Kasan).
Niederländischer Verein für Psyohiatrie und Neurologie in Utrecht.
Sitzung vom 5. December 1901.
Herr Bouman: Die Pflege von Patienten mit Dementia senilis.
Von den während der letzten 5 Jahre in Bloemendaal aufgenommenen
504 Männern und 563 Frauen litten 28 Männer und 30 Frauen an Dementia
senilis. Die Städte Haag, Amsterdam und Rotterdam liefern relativ mehr Dementia
senilis als die kleineren Städte und das Land. Das Verhältnis der Patientenzahl
überhaupt ist 1,3 auf 1, für Dementia senilis steigt dieses Verhältnis zwischen
Stadt und Land bis 2,1 auf 1. Man kann neben der einfachen senilen Demenz
die mit anderen Psychosen complicirte Form unterscheiden. Bei 50 °/ 0 liegt
hereditäre Disposition vor, in einer zweiten Kategorie ist das Nichtorientirtsein
ein wichtiger Factor für die Aufnahme der Patienten in einer Anstalt, mit Hin¬
sicht worauf die Patienten in einen eigenen Pavillon untergebracht werden sollen.
Herr van Deventer schliesst sich dem Schlusssatz an und ist zufrieden über
die in dieser Richtung in Meer en Berg angestelltcn Versuche.
Herr Le Rütte fragt, warum die Patienten Nachts so lästig sind.
Herr Jelgersma bringt die nächtliche Unruhe auf Nichtorientirtsein zurück.
Die Nacht wird mit dem Tag verwechselt.
Herr Muskens lenkt die Aufmerksamkeit auf die häufig bei Autopsieen zu
Google
283
eongtstirende Disproportion der Verkalkung der Hirngefässe einerseits und der
peripheren Gefasse andererseits.
Herr Le Rütte bespricht die Landwirthsohaft in Zusammenhang mit
der Irrenpflege und betont ihren Werth als Therapeuticum. In Frankreich gab
diese« Bestreben schon Anlass zur Errichtung von landwirthschaftlichen Colonieen.
Die Schweiz folgte 1848 und Deutschland 1869.
An der Hand vorgeführter Krankengeschichten betont er den günstigen Ein¬
fluss auf Schlaflosigkeit und Körpergewicht, bei chronischen Fällen, des Weiteren
ihren günstigen Einfluss auf die Frequenz der epileptischen Anfalle.
Herr van Deventer tritt der vielfach ausgesprochenen Ansicht entgegen,
dass das nützliche Quantum von Geisteskranken gelieferter Arbeit immer ein ge¬
ringes ist Er bespricht einzeln die Maassnahmen, welche in der Anstalt Meer en
Berg in dieser Hinsicht unternommen worden sind.
Herr W. P. ßuysch betont den Werth der Arbeit als Therapeuticum für
gefährliche Patienten. In einer für Nord-Holland geplanten Cit6 mödicale
(mit drei grossen Anstalten) würden der Landarbeit grosse Schwierigkeiten er¬
wachsen.
Herr Dr. Tellegen meint, die Stadtarbeiter lasse man womöglich besser bei
ihrem eigenen Beruf.
Herr Ruysch resumirt die Discussion dahin: die Landwirtschaft ist ein
mächtiger Factor für die Genesung von Nerven- und Gemütskranken, voraus¬
gesetzt, dass dieses Therapeuticum unter Controlle des Directors steht. Diese
Conclnsion wird mit Acclamation angenommen.
Herr Muskens bespricht eine noch nicht beschriebene Rotation der Augen-
ballen, welche nach bestimmten operativen Läsionen des Kleinhirns sowohl an
Katzen als Kaninchen beobachtet wird. Dieselbe besteht in einer Drehung um
die antero-posteriore Axc, wobei die Richtung der Rotation der beiden Augen
bei den Thieren mit monoculärem Gesichtsfeld (Katzen) dieselbe ist.
Diese eigentümliche Form von conjugirter Deviation soll im Allgemeinen
als ein Theil des Syndroms der zwangsweisen Rollbewegung aufgefasst werden,
wenngleich sie auch, namentlich nach vollständiger Exstirpation der Flocculus
cerebelli sowie Durchschneidung des mittleren Kleinhirnarmes mehr als regel¬
mässiger Befund constatirt wurde. Der für gewöhnlich dieser Deviation ver¬
gesellschaftete rotatorische Nystagmus ist regelmässig ein solcher, wobei die
schnellste der seitlichen Bewegungen der Richtung der Deviation entgegengesetzt
stattfindet Ebenfalls ist die Richtung der genauer zu beschreibenden Abweichung
der Angenbulbi nach cerebellarem Eingriff von der planen Ebene, welche schon
von vielen Autoren notirt wurde, derart, dass z. B. bei der Bewegung nach rechts
(locomotion des Thieres nach rechts — von der primären Situation des Thieres
benrtheilt —) das rechte Auge nach unten, das linke nach oben deviirt ist, wobei
ebenfalls die Richtung der schnelleren nystagmiformen Zuckungen dieser Deviation
entgegengesetzt ist. Die Augenbulbi suchen deshalb in rhythmischen Rucken den
Gleiehgewichtsstand beizubehalten.
Die Zwangsbewegungen überhaupt sind für den Vortr. ein specielles Thema,
seit etwa 10 Jahren erst an Selachiern, dann an Amphibien bearbeitet, während
in den letzten Jahren mehr an Kaninchen, Katzen und Affen gearbeitet wurde.
Die Rollbewegungen sind ja eine universell (auch bei Arthropoden) beobachtete
Erscheinung und können überall da auftreten, wo coordinatorische Locomotion über-
biopt möglich ist, selbst in jüngsten Rochenembryonen. Es lassen sich dabei
gevime constante Resultate über die Richtung der Rollbewegungen und verwandten
Erscheinungen erbringen, welche ihrerseits der Localisationsmöglichkeit von
Ersukhaften Processen im Metaencephalon zu Gute kommen. Grosse Vorsicht ist
Google
284
jedoch bei der Benutzung in der Klinik am Platz, weil wichtige Modific&tionen
des Bewegungsgleichgewichts eingetreten sind, wenn die horizontale Körperaze
bei den höheren Primaten für die verticale aufgegeben wurde.
Schliesslich demonstrirte Vortr. an Marchipräparaten die bei (6) Katzen und
(3) Kaninchen aufgetretene Degeneration nach ausschliesslicher Exstirpation des
Flocculus cerebelli.
Herr Jelgersma demonstrirte eine vollständige Serie Schnitte durch eine
balkenlose Hemisphäre und discutirte die Theorieen über das Entstehen des
eigenthümlichen Balkenlängsbündels; der Onufrowicz’schen Theorie wirft er ent¬
gegen, dass ihm zu Folge ein normaliter in der lateraten Seite des Hemisphären¬
markes gelegenes Bündel wegen der Balkenatrophie sich „en Masse“ nach der
medialen Seite der Hemisphäre übersiedeln sollte, was kaum anzunehmen sei.
Auch die Dejerine’sche Auffassung sei schwierig aufrecht zu halten, welcher
zu Folge lateral-dorsal des Corpus Striatum ein fronto-occipitales Associations¬
bündel gelegen sei. Dieses mit dem Balkenlängsbündel zu identifioiren geht nicht
an, weil das ebengenannte Bündel in Fällen von Balkenatrophie auf der gewöhn¬
lichen Stelle gefunden wird. Schliesslich meint Sachs, dass die im normalen
Hirn kreuzenden Fasern in dem balkenlosen Grosshirn auf derselben Seite bleiben,
dort ein Associationsbündel (das Balkenlängsbündel) zu formiren. Es wird jedoch
dieses Bündel nicht nur in Fällen von Agenesie des Körpers getroffen, sondern
auch dann, wenn der Balken frühzeitig, nachdem er schon existirt hat, zu Grunde
gegangen ist. Die letztere Theorie fand zwar in den genauen Probst’schen
Angaben eine Stütze, der ja an seinen Präparaten feststellte, dass die Verbreitung
des abnormalen Bündels dieselbe ist, als diejenige des Balkens.
Vortr. giebt eine neue Theorie über das Entstehen des Balkenlängsbündels.
Im normalen Hirn geben die Balkenfasern während ihres Verlaufs Collateralen
ah. Diese sind bekannt für denjenigen Theil der Balkenfasern, welohe in der
anderen Hemisphäre sich verbreiten. Wenn nun der Balken nicht zur Entwicke¬
lung kommt, oder wo derselbe secundär zu Grunde geht, werden nur diejenigen
Fasern vermisst werden, welche zu anderen Hemisphären gehen, während diejenigen,
welche in derselben Hemisphäre verbleiben, behalten werden. Diese letzteren
Collateralen nun formiren das Balkenlängsbündel. Diese Theorie wird in einer
besonderen Arbeit mehr ausgeführt werden.
Schliesslich bespricht Herr Tellegen die grossen Verdienste des abgetretenen
Hauptinspectors der niederländischen Irrenanstalten nicht nur für die Kranken¬
pflege, sondern auch für den medicinischen Unterricht in dieser Branohe.
Muskens (Haag).
Wissenschaftliohe Versammlung der A erste der St. Petersburger Klinik
für Nerven- und Geisteskranke.
Sitzung vom 23. März 1900.
Herr Wassiliew: Die Coealnisation des Rückenmarks als an&sthe-
sirendes Mittel.
Die Versuche wurden an Hunden ausgeführt, denen unter die Bückenmarks¬
häute 1 und 2°/ 0 Lösungen von Cocain (0,04—0,01g) eingespritzt wurden. Verf.
ist zu folgenden Resultaten gelangt: 1. In den hinteren Extremitäten trat sofort
nach der Einspritzung vollkommene Anästhesie und Parese ein, in den vorderen
Extremitäten ebenfalls Anästhesie und Rigidität. 2. Die vollkommene Anästhesie
io den hinteren Extremitäten hält 40—45 Minuten an, worauf das Gefühl für
Schmerz wieder erscheint, um 2 Stunden nach der Einspritzung allmählich zur
Norm zurückzukehren. 3. Das Gefühl für Schmerz in den hinteren Extremitäten
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285
bei Reizung mit dem faradi sehen Strome ist vor der Einspritzung gleich 10 (d. h.
die seenndäre Spirale des Dubois-Reymond’schen Apparates ist von der primären
Spirale auf 10 cm entfernt), nach der Einspritzung aber gleich 0. 4. Auf Nadel-
«tiehe in die Hacke der hinteren Extremität ist während 2 Stunden keine Reaction
zu erzielen. 5. Die Parese der hinteren Extremitäten hält 2 l /j—3 Stunden an,
das paretische Gehen verschwindet erst nach einem Tage. 6. In den vorderen
Extremitäten dauert die Rigidität 20 Minuten, die vollständige Anästhesie bloss
30 Minuten; die Sensibilität wächst allmählich an, um nach 70 Minuten zur
Norm zurückzukehren. 7. Die Reizung von der hinteren Extremität auf die
▼ordere wird im Laufe von l 1 /, Stunden nicht übertragen, von der vorderen
Extremität auf die hintere wird die TJebertragung bereits nach 50 Minuten be¬
obachtet 8. Die Pupillen erweitern sich nach der Einspritzung und reagiren
nicht auf Lichteinfall und elektrische Reizungen (die sowohl an den vorderen, als
auch an den hinteren Extremitäten applicirt werden) während 25—30 Minuten.
9. Der Blutdruck steigt und der Puls geht von 100 auf 120 Schläge herauf.
10. Die Athmung steigt von 20 auf 25. 11. Die Temperatur im Rectum steigt
allmählich von 39 auf 41,6, bleibt auf dieser Höhe 2—3 Stunden, worauf sie zur
Norm zurückkehrt. 12. Die Sphinkteren des Rectums und der Harnblase werden
paralysirt, in Folge dessen tritt unwillkürlicher Abgang von Koth und Harn auf
Herr Prof. W. v. Bechterew: Ueber die Ij&slon der Hirnrinde bei der
disseminirten Sklerose.
Vortr. demonstrirte eine Reihe von mikroskopischen Schnitten durch die
ganze üirnhemiBphäre, die aus dem Gehirne eines an disseminirter Sklerose zu
Grunde gegangenen Kranken angefertigt waren; auf denselben waren sklerotische
Inseln von verschiedener Grösse zu sehen, die sowohl in der weissen, als auch in
der grauen Substanz lagen, sehr viele sklerotische Partieen wurden auch in der
Hirnrinde gefunden. Diese Läsion der Hirnrinde muss unzweifelhaft als Substrat
der Veränderungen in der psychischen Sphäre angesehen werden, die gewöhnlich
bei der diaaeminirten Sklerose beobachtet werden (Apathie, Verminderung des
Intellects, Zwangslachen u. s. w.). Abgesehen davon kommen Fälle von diese-
minirter Sklerose vor, deren klinisches Bild mit den typischen Veränderungen in
der motorischen Sphäre, die der disseminirten Sklerose eigen sind, von psychischen
Störungen begleitet wird, die für die progressive Paralyse der Irren charakte¬
ristisch sind. In der Litteratur sind auch einzelne Fälle von gemischten Formen
beschrieben worden, bei denen sowohl in klinischer, wie auch in pathologiscb-
anatomischer Hinsicht Zeichen von disseminirter Sklerose und von progressiver
Paralyse der Irren gefunden wurden. In einem solcher Fälle, der in der Klinik
zur Section kam, wurde eine stark ausgebildete chronische Leptomeningitis mit
einer Periencephalitis gefunden, wie bei der progressiven Paralyse der Irren,
und eine Menge von sklerotischen Inseln im Rückenmark. Hinsichtlich der Patho¬
genese der disseminirten Sklerose sprioht Vortr. die Ansicht aus, dass diese
Krankheit einen allgemeinen Charakter trägt mit Bildung von Toxinen im Blut,
die aus dem Gefasssystem in die Himsabstanz eindringea und dieselbe schädigen.
Sitzung vom 27. April 1900.
Herr J. P. Sölucha demonstrirte einen 54jährigen Mann, der während der
letzten 3 Jahre an klonischen Zuckungen der Muskeln der linken Hälfte des Ge¬
richts und des Halses gelitten hatte und der von seinem Leiden (Tio oonvulsif)
dureh das Volta’sche Bogenlicht fast ausgeheilt wurde. Das Volta’sche
Bogenlicht hatte eine Stärke von 20 Ampöre bei 50—60 Volt. Im Ganzen
Lotten 14 Sitzungen von Belichtung stattgefunden; dieselben wurden 3 Mal in
d«r Woche angestellt und dauerten jedes Mal 1 / 2 Stunde. Belichtet wurde die
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286 —
linke Hälfte des Gesichte, des Halses und des Schädels. Die Anfälle von Zuckungen
sind schwächer geworden; es kommen bloss schwache Zuckungen um den linken
Mundwinkel vor, die bald wieder vorübergehen. Eine Ausbreitung der Zuckungen
auf die ganze linke Gesichtshälfte und auf den Hals kommt nicht mehr vor.
Bei der Behandlung mit dem Bogenlicht verschwanden zuerst die Zuckungen am
Halse. Vortr. hatte eine Behandlung mit dem Volta’schen Bogenlicht im Ganzen
an 5 Kranken angestellt, die an Tic convulsif litten. Von denselben trat bei
einer Frau eine Besserung nach 10 Belichtungen auf, bei 3 Kranken (1 Mann
und 2 Frauen) wurden keine günstigen Resultate erzielt. In diesen 3 Fällen
wurde die Belichtung 10 Mal zu je 1 / s Stunde ausgeführt. Die Zuckungen
waren ausgiebiger, als bei dem demonstrirten Kranken, daher glaubt Vortr., dass
in diesen 3 Fällen 10 Sitzungen von Belichtung ungenügend waren, und dass
überhaupt die Behandlung des Tic convulsif von längerer Dauer sein muss.
Herr W. v. Bechterew: Bin Fall von Zuokungen im Sohultergürtel in
Form einer pendelartigen Bewegung bald des einen und bald des anderen
Armes.
Vortr. demonstrirt eine 16jähr., erblioh nicht erheblich belastete Kranke, bei
der ganz geringe objective Symptome von Hysterie vorhanden waren, in der
Anamnese aber ein einziger hysterischer Anfall verzeichnet war (am 26. Januar
1900), nach welchem die gegenwärtige Erkrankung auftrat. Bei der Kranken
existirt eine rhythmische Zuckung bald der linken, bald der rechten M. cucullares
und rhomboidei, die den Eindruck eines pendelnden zweiarmigen Hebels einer
Waage macht mit einem bestimmten Rhythmus gleich den Bewegungen des
Pendels. Aufregungen verstärken diese Bewegungen, bei Ablenkung der Auf¬
merksamkeit werden sie etwas schwächer, ebenso bei Beschäftigungen der Hände.
Im Wachzustände verschwindet die Zuckung niemals, ist den activen Bewegungen
der Hände nicht hinderlich, verschwindet während des Schlafes. In Anbetracht
der langen Dauer dieser Zuckungen können dieselben, wenigstens in einer be¬
stimmten Reihe von Fällen, zu den constanten und sehr charakteristischen Er¬
scheinungen der Hysterie gerechnet werden.
Herr A. J. Karpinsky: Die Behandlung der Schlaflosigkeit.
Vortragender hatte sechs Kranke während längerer Zeit behandelt und
ist zu folgenden Resultaten gelangt: 1. Die Schlaflosigkeit kann als selbständige
Erkrankung existiren, wobei die neurasthenischen Symptome im Hintergründe
bleiben, erst später manifest werden und bald verschwinden, sobald es dem Kranken
gelungen ist auszusohlafen. 2. Solche Fälle zeichnen sich durch eine sehr lange
Dauer aus (6 Jahre in einem Falle des Verf.’s). 3. Im Harn solcher Kranken
fanden sich beständig folgende Veränderungen: Verminderung der Tagesquantität,
bald Verminderung, bald Vermehrung der Harnsäure, Verminderung des Poel’-
schen Indicators. 4. Die besten Resultate wurden duroh faradische Bäder, auch
durch Schwitzkuren erzielt 5. Die Schlafmittel bewirken gar keine Erleichterung,
waren sogar schädlich. 6. Bei der in St Petersburg während der „weissen“
Frühlingsnächte häufig vorkommenden Schlaflosigkeit wurden die beeten Resultate
bei Anwendung der statischen Elektricität in Form von Douchen und dee Windes
erzielt.
Herr Pussep: Ueber den Einfluss des Coitus auf die Blutciroulation
im Gehirn bei den Weibchen.
Die Versuche wurden an Hündinnen nach der Hürthle'schen Methode an¬
gestellt. In einigen Fällen wurde ausserdem noch der Blutdruck in der Vene
gemessen. In Anbetracht der besonderen, sehr capriciösen Art der Versuche
wurde eine besondere Methode der Untersuchung angewandt: das Thier lag auf
dem Fussboden; der Kopf wurde an einem unbeweglichen Gegenstand befestigt,
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287
der Rumpf aber blieb ganz frei. Vor dem Versuche wurden unter sub-
cutaner Cocainanästhesie dio Arteria carotis und die Venen entblösst und in die¬
selben Röhrchen eingestellt; erst dann wurde zum Experiment geschritten. Zum
besseren Gelingen des Experimentes empfiehlt Verf. keine grosse Wunde am
Halse zu machen und möglichst schnell zu operiren. Zu der am Kopfe an¬
gebundenen Hündin wurde ein gut dressirter Hund herangebraoht. Schon das
blosse Erscheinen des Hundes bedingt eine Veränderung der Blutcirculation: der
Puls wird frequenter, die Hirngefässe verengern sich. Der Hund schmiegt sich
an die Hündin, beriecht sie, sofort tritt Erweiterung der Blutgefässe im Gehirn
rin und vergrössert sich der Druck in der Vene. Die Erweiterung der Blut¬
gefässe erreicht einen verhältnissmässig sehr hohen Grad bei Beizung der Genital¬
organe der Hündin. Nach einer solchen Vorbereitung tritt der Coitus ein.
Während der Immissio penis steigt der Blutdruck im Allgemeinen und es findet
eine Erweiterung der Blutgefässe im Gehirn statt, eine Hyperämie desselben. Die
Gefasse beginnen nach einigen Minuten sich wieder zu verengern und werden
noch enger als im Normalzustände. Die grösste Verengerung der Blutgefässe mit
bemerkbarem Sinken des allgemeinen Blutdruckes tritt im Moment der E^jaculatio
semini8 auf. Nach 10—20 Secunden erweitern sich die Gefässe von Neuem, der
allgemeine Blutdruck steigt sehr bedeutend. Diese Erhöhung des Blutdruckes ist
besonders gross in den Augenblicken, da der Hund sich von der Hündin los-
reissen wilL Beim Ende des Coitus fallt der allgemeine Blutdruck unter die
Norm und die Gefasse verengern sich etwas. Später, nach 20—40 Secunden, be¬
ginnen die Blutgefässe sich zu erweitern und der allgemeine Blutdruck fällt be¬
deutend. Anknüpfend an diese Versuche bespricht Vortr. die Frage hinsichtlich
der Ursache des Todes während des Coitus, der mehrmals beschrieben worden
ist, and nimmt an, dass derselbe durch das starke Sinken des Blutdruckes nach
Toransgegangener Erhöhung desselben bedingt wird.
Sitzung vom 19. Mai 1900.
Herr Dr. Solucha demonstrirt einen bemerkenswerthen Fall von Paranoia
texualis.
Herr Dr. Gorschkow: Ueber die Loealisation des Gesohmaoksoentrams
ln der Hirnrinde.
Vortr. hatte seine Untersuchungen an Hunden angestellt, denen er verschiedene
Gebiete der Hirnrinde entfernte und ist zu folgenden Schlussfolgerungen gelangt:
1. Nach der beiderseitigen Zerstörung der vorderen-unteren Partieen der dritten
und vierten primären Windungen (d. h. der Gyri sylviaci anteriores, Gyri ecto-
ijlvii anteriores und Gyri compositi anteriores) verschwindet der Geschmack voll¬
kommen. 2. Nach der einseitigen Zerstörung dieses Gebietes verschwindet der
Geschmack vollkommen auf der entgegengesetzten Seite und wird geringer auf
der entsprechenden Seite (ein Hinweis auf eine unvollständige Kreuzung). 3. Eine
ausgebreitete Zerstörung des Geschmacksgebietes wird auch von einem Verlust der
taetilen Sensibilität auf der Zunge begleitet. 4. Nach Zerstörung der übrigen
Partieen der Hirnrinde ist der Geschmack in keiner Weise alterirt. 5. Der
Grad der Geschmacksverringerung und die Dauer seiner Veränderung sind ab¬
hängig von den Dimensionen der zerstörten Fläche der Hirnrinde. 6. Das
Ctntrum für das Bittere befindet sich im unteren Theile der Gyri sylviaci anteriores,
fär das Salzige etwas höher, für das Sauere im unteren Theile der Gyri ecto-
ijlrii anteriores und für das Süsse etwas höher. 7. Bei Beizung mittels elek¬
trischen Stromes des unteren Theiles der Gyri sylviaci anteriores erhält man einen
corticalen Gescbmacksreflex. 8. Das Gesohmacksgebiet hat keine directe Beziehung
rum Geruchscentrum, von dem dasselbe getrennt wird durch die Fissurae Sylvii,
zedby G00gle
288
praesylvia, rhinalis und olfactoria. 9. Die gewonnenen Resultate bestätigen und
ergänzen im Allgemeinen die Resultate früherer Beobachter.
Herr Dr. Sobolewsky: Ueber den Einfluss des Aderlasses auf die
B lutcirculation im Gehirn.
Herr Dr. Lasursky: Ueber den Einfluss der Muskelbewegungen aul
die Blutoiroulation im Oehirn.
Herr Prof. W. v. Bechterew: Ueber 2 Fälle von syphilitischer Er¬
krankung des Centralnervensystems.
Bei einem Kranken waren Symptome vorhanden, die für eine Gehirngeschwulst
charakteristisch sind, und zwar Kopfschmerz, stark ausgeprägte Apathie, Schwindel¬
gefühl, Stauungspapillen auf beiden Augen, Parese und zeitweilig Zuckungen in
der rechten Oberextremität und in der rechten Gesichtshälfte und Ptosis des
linken Augenlides. Der Tod trat bei Erscheinungen einer allgemeinen Schwäche
ein. Bei der Section wurde eine locale Entzündung der Hirnhäute und der Hirn-
Substanz auf der convexen Oberfläche der linken Hemisphäre mit Gummata in
der Gegend des unteren Gebietes beider Central Windungen gefunden. Im zweiten
Falle waren bei dem Kranken ausser schon früher aufgetretenen cerebralen
Störungen (erschwerte Aussprache) eine paretische Schwäche der unteren Extre¬
mitäten, besonders der rechten, vorhanden, mit Verstärkung der Sehnenreflexe
auf derselben Seite. Mit der Zeit zeigte sich ein Senkungsabscess auf dem Rücken,
was auf eine Läsion des Rückgrats hinwies. Exitus in Folge allgemeiner, zu¬
nehmender Schwäche. Bei der Section wurde eine gummöse Neubildung in der
rechten Hälfte des Rückgrats und Caries der Wirbel gefunden. In beiden Fällen
wurde eine energische Quecksilber- und Jodkur durchgeführt.
Sitzung vom 21. September 1900.
Herr Dr. L. M. PuBsep demonstrirte einen 9jähr. Knaben, der an Myx-
oedem litt.
Herr Dr. J. P. Gorschkow: Ueber die Iiooalisation der Oeraohseentra
in der Hirnrinde.
Vortr. hatte Versuche an Hunden angestellt und ist zu folgenden Resultaten
gelangt: 1. Nach der beiderseitigen Zerstörung des ganzen Gebietes des Lobus
pyriformis tritt völliger Verlust des Geruches ein. 2. Nach einseitiger Zerstörung
des Lobus pyriformis tritt vollkommener Verlust des Geruches auf der ent¬
sprechenden Seite ein und eine Verringerung desselben auf der entgegengesetzten
Seite (Hinweis auf eine partielle Kreuzung). 3. Nach Zerstörung edler übrigen
Gebiete der Hirnrinde wird wahren ! der ersten Tage eine unbedeutende Ver¬
ringerung des Geruchs beobachtet, hauptsächlich auf Seite der Läsion. 4. Das
Geruchsgebiet erweist sich als ausserordentlich sensibel sowohl bei Gehirn¬
operationen, als auch bei verschiedenen pathologischen Zuständen von allgemeinem
Charakter. 5. Die Dauer und die Intensität der Geruchsverringerung iBt pro¬
portional der Grösse des lädirten Theiles des Geruchsgebietes. 6. Als Geruchs-
centra im eigentlichen Sinne sind, wie es soheint, die Gegend der Gyri hippo-
campi und der Gyri uncinati posteriores aufzufassen. 7. Durch Thierversuche
gelingt es absolut nicht, eine gesonderte Localisation für die verschiedenen
Kategorieen der Geruchsempfindungen festzustellen. 8. Bei Reizung mittels fara-
dischen Stromes der vorderen Fläche des Lobus pyriformis, d. h. eigentlich der
Gyri uncinati, erscheint der corticale Geruchsreflex.
E. Giese (St. Petersburg).
Qm Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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1902. L April. Nr. 7.
Inhalt. I. Oriainalmittheilungen. 1. Richter und Sachverständige, von Prof. Dr.
A. Koche. 2. Die Kakodylsäure-Therapie, von Dr. H. Smidt in Kreuzlingen. 3. Einiges zur
Hysterie-Frage. Erwiderung auf Nissl's Vortrag: „Hysterische Symptome bei einfachen
Seelenstörungen,“ von Dr. Raecke. 4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionebefund (Dr. E. Flatau), von S. Goldflam in Warschau.
IL Referate. Anatomie. 1. Eine Eisenimprägnation der Neurofibrillen, von Meyer.
2. Le cellule nervöse giganti nella rigenerazione ael midollo spinale caudale di tritone, per
La Pegna. 3. Ueber Clark e’s „Posterior vesicular columns“, von Schacherl. — Experimen¬
telle Physiologie. 4. Untersuchungen über die Regulation der Bewegungen der Wirbel¬
tiere. L Beobachtungen an Fröschen, von Merzbacher. — Pathologische Anatomie.
5. Pathologische und experimentelle Beiträge zur Kenntniss des sogen. Schultze'schen Comma-
feldee in den Hintersträngen, von Homtn. 6 . Zur Kenntniss der Entwickelungsstörungen der
' Spiaalganglicnzellen bei hereditär luetischen, missbildeten und anscheinend normalen Neu¬
geborenen, von Sibellus. 7. Zur Pathologie der Spinalganglien, von Marburg. 8 . Contributo
' ajfanatomia patologica della tabe dorsale, per Sciuti. — Pathologie des Nervensystems.
^-Studio sulla patologia del ganglio ciliare nell’ uomo con i speciale riflesso alla paralisi
’e ed alla tabe; confronto ool ganglio cervicale del simpatico e conquello del Gasser,
nsa del ganglio ciliare nell’ uomo, per Marina. 10. Ueber die angebliche syphilitische
ie der Tabes dorsalis. — Ein Fall von Tabes mit ungewöhnlichem Verlauf, von
11. Ueber das ungewöhnliche Fortbestehen, Mangeln oder Wiederauftreten des Knie¬
reflexes bei Rückenmarkskrankheit, besonders Tabes, Myelitis transversa und gummosa,
_^Maalock. 12. Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis, von Groas. 13. A case of progressive
ml in ul i njilij and tabeswith autopsy,byCollins. 14. Ueber juvenile Tabes, nebst Bemerkungen
Iber symptomatische Migräne, von v. Halban. 15. Tabische Erkrankung des linken Hüftgelenks,
fttweh des linken Oberschenkelhalses, von Bloch. 16. Ein Beitrag zu den Uebergangaformen
zwischen Friedreich’scher Ataxie und Hörödoataxie cöröbelleuse von Marie, von Margulies.
fl. Die allgemeine progressive Paralyse der Irren (Dementia paralytica), von Binswanger.
Ä De Fimportance des lösions vasculaires dans l’anatomie pathologique de la paralysie
fjjfedrale et d'autres psychoses, par Mahaim. 19. Statistischer Beitrag zur Aetiologie und
(wjmptomatologie der progressiven Paralyse, von Raecke. 20. Ueber die Frühsymptome der
regressiven Paralyse, von Moravciik. 21. Multiple Blutungen bei der progressiven Paralyse
[Sir Irren, von Frey. 22. Clinical and experimental observations upon general paralysis, by
ptna. 23. Observations bearing upon the question of the pathogenesis of general paralysis
ijf tfce insane, by Robertson. 24. Des actes testamentaires des paralytiques gönöraux, par
f ftMhy. 25 . Un cas de sclörose en plaques ä tremblement unilateral, pir Remlinger. 26. Ueber
^BkHÜbiÜtätsstörungen bei Sclerosis polyinsularis, von v. Gebhardt. 27. Sur un cas typique
'4» sderose en plaques chez une petite fille de 7 ans, par Sorgente. 28. Insular Bclerosis
loes of stereognostic sense in the right hand (senBes of touch, pain and temperature
jved), by Monro. 29. A case of roalaria presenting the Symptoms of disseminated scle-
with necropsy, by Spiller. 30. Ein Fall von multipler Sklerose traumatischen Ursprungs,
Resch. 31. Ein Fall von multipler Sklerose nach Trauma, von Windscheid. 32. Zwei
von Rückenmarkserkrankung nach Unfall, von Mendel. 33. Ein Beitrag zur Aetiologie
19
Google
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290
der multiplen Sklerose, von Klausner. 34. Die Beziehungen zwischen der multiplen Sklerose
and Dementia paralytica, von Petroff.
III. Bibliographie. 1. Encyklopädie der gesammten Chirorgie, von Kocher ond da Que rva in.
2. Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, unter besonderer Berücksichtigung der Homo¬
sexualität, herausgegeben von Hirachfeld.
IV. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten.
V. Vermischtes.
L Originalmittheilungen.
1. Richter und Sachverständige.
Von Prof. Dr. A. Hoohe.
Vor einiger Zeit hat Näoke 1 für eine zukünftige Gestaltung des Verhält¬
nisses zwischen Richter und Sachverständigen Vorschläge gemacht, die zum
Theil, anscheinend unabhängig von jener Veröffentlichung, bei Fbank* wieder¬
kehren. Es finden sich darunter neben sehr berechtigten Wünschen Forderungen,
die, bei aller Anerkennung der zu Grunde liegenden Tendenz, nicht unwider¬
sprochen bleiben dürfen; es liegt im Interesse der Verständigung zwischen
Rechtspflege und Psychiatrie, dass die gleich näher zu bezeichnenden Thesen
als das aufgefasst werden, was sie sind: der Ausdruck der Ansichten eines Ein¬
zelnen, hinter dem aber nicht die Gesammtheit der Irrenärzte steht.
Näcke stellt am Schlüsse seines Aufsatzes als ersten Satz Folgendes auf:
,,Da der Sachverständige zweifellos mehr in seinem Fache weiss, als selbst der
bestunterrichtete Richter, so hat sich letzterer seinem Urtheile im Allgemeinen
unbedingt zu fügen.“ Seine weiteren Ausführungen sehen die Möglichkeit der
Vernehmung mehrerer Sachverständiger vor. „Im Fall der Dissonanz zwischen
Experten entscheidet stets das Medicinalcollegium.“ Damit der Richter keinen
blossen Automaten darstellt, ist eine besondere Ausbildung desselben in Psycho¬
pathologie und ihren Grenzwissenschaften wünschenswerth.
Bei Fbank findet sich die These: „Die fachmännischen Gutachten unter¬
liegen nicht der freien Würdigung des Richters in so weit, als bei Versetzung
in Anklagezustand nach fachmännischem Beweis Unzurechnungsfähigkeit vorliegt“,
und weiter: „Jedem Anträge auf Untersuchung des Geisteszustandes eines An¬
geklagten ist ohne Weiteres stattzugeben.“
Die thatsächliche Erfüllung dieser Forderungen würde nichts Anderes be¬
deuten, als dass der ärztliche Sachverständige in Fällen zweifelhaften Geistes¬
zustandes aus der Rolle des technischen Berathers in die eines entscheidenden
Richters übergeht.
1 Archiv für Criminalanthropologie und Criminalistik. 1900. III. S. 99.
* Psychiatr. Wochenschrift. 1901. Nr. 37.
Google
291
Diese Feststellung allein genügt, um die völlige Aussichtslosigkeit dieser
Wünsche zu zeigen, die ein wesentliches Princip bei der richterlichen Thätig-
keit, das Princip der freien Beweiswürdigung, an einem wichtigen Punkte durch¬
brechen würden. Für den Richter sind alle im Laufe des Verfahrens sich
ergebenden Momente: Zeugenaussagen, Gutachten von Sachverständigen u. s. w.
Material zur Urtheilsfindung, die sich in ihm, unter seiner eigenen Verantwortung,
vollzieht, und es ist nicht zu erwarten, dass hiervon zu Gunsten des ärztlichen
Sachverständigen abgegangen werden wird. Man stelle sich einmal den Verlauf
des Rechtsverfahrens vor, wenn die erstrebte Aenderung in der Stellung der
Sachverständigen, die dann natürlich für alle Arten von Sachverständigen gelten
müsste, Gesetz würde, wenn z. B. die Meinung der Schreibsachverständigen in
Fällen anonymer Schmähbriefe die richterliche Entscheidung vorweg festlegen
sollte!
Eben wegen dieser principiellen Unerfüllbarkeit ist es bedenklich, solche
Forderungen überhaupt erst aufzustellen. Was man damit erreicht, ist, dass
eine der Psychiatrie nicht wohlgesinnte Agitation ein bequem zu verwertendes
Beispiel „extremer Forderungen“ der Irrenärzte in die Hände bekommt, und
dass auch bei den sachlich Prüfenden berechtigte Wünsche der Psychiatrie durch
die Begleitung dieser über das Ziel hinausgehenden Bestrebungen discreditirt
werden.
Abgesehen davon, dass die oben citirten Vorschläge keine Aussicht auf
Verwirklichung haben, kann man überhaupt in ihnen keine zweckmässige Lösung
der gelegentlich vorhandenen Schwierigkeiten in der Verständigung zwischen
Rechtspflege und Psychiatrie erblicken. Diese Schwierigkeiten werden nicht da¬
durch beseitigt, dass das Votum des Psychiaters eine Machtverstärkung erfahrt;
sie sind eine notwendige Folge des Versuchs, in der langen Reihe continuir-
licher Uebergänge beim krankhaften geistigen Geschehen von juristischen, d. h.
fremden Gesichtspunkten aus eine Abgrenzung vornehmen zu wollen, und sehr
viel häufiger als jetzt würden in Zukunft die richtenden Psychiater zu dem
dann peinlichen Ergebniss kommen: non liquet.
Die von Näcke vorgesehene Zuziehung weiterer Sachverständiger und event.
des Medicinalcollegiums würde daran auch nichts Wesentliches ändern. Die
bessere Begutachtung durch ein „Collegium“ ist doch, nebenbei gesagt, überhaupt
nur eine Fiction; das eine für diesen Zweig sachverständige Mitglied eines
solchen Collegiums macht das Obergutachten und für die Sache ist es um so
besser, je mehr sich die anderen Mitglieder der Mitwirkung dabei enthalten.
Die endgültige Entscheidung eines zweifelhaften forensisch-psychiatrischen
Falles würde also in Wirklichkeit diesem einen Mitgliede des Medicinal¬
collegiums zufallen. Somit wird die Noth der Entscheidung nur von einer Stelle
an die andere getragen. —
Es ist bisher auch keineswegs nachgewiesen, dass die Missstände bei dem
augenblicklich vom Gesetze festgelegten Verfahren, soweit dieses daran die
Schuld trägt, genügend gross sind, um einschneidende principielle Aenderungen
wönschenswerth zu machen.
19 *
zedby G00gle
292
Die sozusagen groben Falle von Ignorirung der Ergebnisse ärztlicher Begut¬
achtung kommen hauptsächlich vor dem Schwurgerichte vor; daran wird sich
nichts ändern, so lange das Institut der Mitwirkung von Laienrichtern bei der
Rechtssprechung aufrechterhalten bleibt Von Seiten der Berufsrichter — und
das giebt auch Näcke zu — wird darin im Ganzen wenig gesündigt, und an
diesen einzelnen Vorkommnissen trägt, wie eine unbefangene Betrachtung der
Dinge lehrt, gewöhnlich der ärztliche Sachverständige selber am meisten Schuld.
NIgke hat (L c.) eine Classification der Richter in ihrem verschiedenen Ver-
hältniss zu dem Gutachten der Sachverständigen versucht; eine Classification der
Sachverständigen in ihrem verschiedenen Verhältniss zur Rechtspflege l&ge näher;
jedenfalls ist dies der Punkt, wo wir im Stande sind, ohne gesetzgeberische
Aenderungen, auf eine Besserung vorhandener Missstände hinzuwirken. Wenn
wir von grossstädtischen Verhältnissen mit zahlreichen und wechselnden Sach¬
verständigen ohne Continuität der persönlichen Beziehungen absehen und die
durchschnittliche Lage, dass ein Gerichtsbezirk einen häufig wiederkehrenden
Gutachter besitzt, ins Auge fassen, so muss man sagen, dass dieser Sachverständige
vor Gericht im Allgemeinen die Schätzung erfährt und die Stellung hat, die
er verdient.
Die Richter sind, wie die Erfahrung lehrt (wenigstens vor bürgerlichen
Gerichten), sehr empfänglich für klare, ruhige, sachliche Ausführungen, die sich
in den Grenzen der ärztlichen Zuständigkeit halten, und ordnen in solchem
Falle ihr Urtheil dem des Sachverständigen gern unter. Richter, die von vorn¬
herein den gutachtlichen Aeusserungen mit Misstrauen begegnen, sind zu diesem
Standpunkte in der Regel durch frühere persönliche Erfahrungen gebracht
worden; gelegentliche temperamentvolle Aeusserungen von Staatsanwälten oder
Vertheidigern darf man, in Anbetracht des jedesmaligen Standpunktes und der
Interessen in einem contradictorischen Verfahren, nicht allzu tragisch nehmen.
Wir wollen nur ruhig zugeben, dass von Seiten psychiatrischer Sachverständiger
Fehler gemacht werden; auch wenn wir von den einfach unwissenden sogenannten
Sachverständigen absehen, bleiben noch genügend immer wiederkehrende Fehler
übrig, die die ganze Sachverständigenthätigkeit in der richterlichen Schätzung
entwerthen müssen: Unkenntniss der Rechte und Pflichten des Sachverständigen,
Hinausgehen über die gestellte Frage mit Betrachtungen über Entschuldbarkeit
einer strafbaren Handlung nach dem Motto: „comprendre o’est pardonner“,
Hinein tragen von Erwägungen de lege ferenda, Vorschläge über die Strafart,
vorzeitige und unbegründete Verallgemeinerung einseitiger Theorieen oder der
Ergebnisse schwebender wissenschaftlicher Discussion, eigener Experimente oder
eigenen Lieblingsstudiums u. s. w. Bei allen diesen Dingen geschieht es leicht,
dass der Richter mit der ganz richtigen Ablehnung unbewiesener Behauptungen
oder ungeeigneter Zuthaten auch den vielleicht sachlich begründeten Kern des
Gutachtens mit abweist.
Eine Reform der forensischen Stellung des Sachverständigen beginne von
unserer Seite mit der Einsicht in die Thateache, dass ärztlicherseits vor Gericht
vielfach gefehlt wird, und mit dem Bestreben, diesem, uns ohne Aenderung der
y Google
293
Gesetzgebung zugänglichen, Mangel abzuhelfen. Diese Einsicht braucht uns
keineswegs zu verhindern, das Berechtigte in den übrigen Forderungen von
Näcki und Frank in Bezug auf Auswahl der Sachverständigen, Art der Be¬
obachtung, bessere psychologische Schulung der Richter u. s. w. anzuerkennen.
Wir Irrenärzte haben genügend zu kämpfen gegen das Misstrauen und die
Abneigung, mit denen unsere Bestrebungen in der Oeffentlichkeit vielfach verfolgt
werden; es ist gar kein wünschenswertes Ziel, dass wir in foro aus der
Stellung des objectiven über den Parteien stehenden Berathers in die einer
entscheidenden Instanz übergehen und damit unsere Angriffsfläche für übelwollende
Deutungen beträchtlich vergrössem. Die Verwirklichung der obigen Vorschläge
würde eine Schwächung, keine Stärkung unserer Stellung in der Rechtspflege
bedeuten.
2. Die Kakodylsäure-Therapie.
Von Dr. H. Smidt in Kreuzlingen.
An Stelle der bisher gebräuchlichen unorganischen Arsenpräparate ist seit
wenigen Jahren eine organische Arsenverbindung, die Kakodylsäure mit ihren
Salzen in die Therapie eingeführt worden, die nach den bisherigen Nachrichten
so mannichfache Vorteile zu haben scheint, dass es um so mehr angezeigt ist,
über die erschienene Litteratur hier zu referiren, als die Kakodylsäure bisher
anscheinend in Deutschland nur bei Hautkrankheiten Beachtung gefunden hat
Im Folgenden sollen in erster Linie die objectiven Untersuohungsresultate
hervorgehoben werden, dann die Momente, die den Nervenarzt interessiren.
Die Priorität der Anwendung der Kakodylsäure in der Therapie dürfte sich
Daslos(I) mit Recht zuschreiben, der sie seit 1696 mit Erfolg bei Hautleiden
anwendet, vor Allem bei Psoriasis. Fourneer schloss sich ihm an in der Ver¬
werfung destelben Präparates bei den gleichen Aflectionen, sowie Saatfeld,
Rille u. a. Dermatotherapeuten.
Als eigentlichen Begründer der Kakodyltherapie bei inneren Krankheiten
dürfen wir aber wohl Armand Gautier (3) betrachten, der am eifrigsten Theorie
und Praxis dieser Methode gefordert hat Seine Beobachtungen beginnen 1898.
Gaütieb stützte sich zunächst auf die Untersuchungen Bebredka’s, der fand,
dass das unorganische Arsenik in den Körper eingeführt, sich an die Leuko-
crthen, speciell an das Nudeln derselben binde, und so als organische Arsen-
Verbindung etwa hundert Mal weniger giftig wirke, wie eine unorganische Arsen¬
verbindung. Bei directer Application auf das Centralnervensystem wirke schon
Vioo der Dosis von unorganischem Arsen toxisch, die vom Magen noch gerade
ertragen werde.
lu der Kakodylsäure ist das Arsen an zwei Methylmolecüle gebunden.
Ibra Formel ist A8.(C.H,) 2 O.OH. Im kakodylsauren Natrium ist ein Atom H
durch Na ersetzt: As(CHg),0 2 Na. Beide Präparate sind sehr wenig giftig, im
Gegensätze zu dem Kakodyl, As 2 (CH 3 )*, welches seinen Namen seinem unerträg-
GoogI<
294
liehen Knoblauchgerach verdankt and ebenso wie das Kakodyloxyd sehr toxisch
wirkt.
Die Kakodylsäore enthält 54,3 °/ 0 , das kakodylsaare Natrium 46,87 ° /#
metallisches Arsen.
Das kakodylsäure Natrium wirkt nun verschieden, je nachdem es subcutan
oder per os bezw. per anum applicirt wird. Per injectionem sind Vergiftungs-
erscheinungen überhaupt noch nicht beobachtet worden. Gautibb citirt 3 Fälle,
in denen Kranken versehentlich 32, 50 und 60 cg injicirt wurden, ohne jedes
üble Resultat Dagegen treten bei unvorsichtiger Anwendung per os oder anum
gelegentlich mehr weniger leichte Vergiftungssymptome auf: Congestionen, all¬
gemeine Erregung bis zur Schlaflosigkeit, leichter Leibschmerz, Fieber, Ohr¬
geräusche, bei weiterer Anwendung Magenkrämpfe, Stomatitis, Diarrhöen ge¬
legentlich mit Blutbeimengung. Gautikb nimmt an, ebenso wie Hayem, dass
sich die Kakodylsäure im Verdauungstractus unter dem Einflüsse leicht oxydabler
Stoffe zu dem sehr giftigen wie das Kakodyl stinkenden Kakodyloxyd reducire.
Dafür spricht in solchen Fällen der Knoblauchsgeruch von Athem, Faeces und
Urin, während Kakodylsäure und kakodylsaures Natrium geruchlos sind.
Gautieb macht auf die interessante Thatsache aufmerksam, dass die leichten
Arsenikintoxications8ymptome die gleichen sind, wie bei übermässigem Gebrauche
des ThyTeoidin. Die Thyreoidea enthält nach seinen Versuchen beim normalen
Menschen Arsen mit Jod zusammen. Das letztere dürfte von hier aus seine
physiologische Wirkung auf den Stoffwechsel ausüben. 1
Die Ausscheidung des kakodylsauren Natriums erfolgt in erster Linie durch
den Urin, und zwar wird es unzersetzt ausgesohieden, da es ein sehr constanter
Körper ist, der auch in Lösung das Kochen gut verträgt, was ja für praktische
Zwecke von Wichtigkeit ist. Imbebt und Badel (4) fanden bei Einführung
einer einmaligen Dosis von 200 mg kakodylsauren Natriums (= 94 mg metalli¬
schen As), dass sich im Urin in den ersten 24 Stunden 36 mg As fanden, am
zweiten Tage 2—3 mg, vom 8.—10. Tage an nur 1—1,5 mg. Die letzten
Spuren schwanden am 26.—28. Tage. Babel fand nach einer Reihe von In-
jectionen von kakodylsaurem Natrium einige Tage lang in der Haut und in
den Haaren 0,00015 °/ 0 As, dann in absteigender Menge Spuren in den Lungen,
Knochen, Zellgewebe, Leber, Nieren, Milz, Muskeln, Blut. — Chiappobj (5) fand
mit der Gosio’schen Methode 2 , dass das kakodylsäure Natrium nach der Ingestion
oder Injection rapide in das Blut übergeht, von dort aus in den Urin, den
Speichel, die Milch (von wo es auf den Säugling übergeht, in dessen Urin es er¬
scheint), wahrscheinlich auch in den Schweiss. Dagegen wird es nur bei oolossalen
Dosen, bei Uebereättigung des Organismus durch die Faeces ausgesohieden.
1 Ausser in der Thymusdrüse fand Gaütibb (Sitzung der Ac. des Sciences 4./12. 1899)
das Arsen noch in den Milchdrüsen, der Haut und den epidemischen Producten (Haare
u. s. w.).
* Dieselbe basirt auf der Thatsache, dass Culturen von Penicillium brevicaula in Con-
taot mit einer arsenhaltigen Substanz einen starken Knoblauchgeruch entwickeln (Chiappom).
Google
295
Die Wirkung der Kakodylsäure und ihrer Salae ist nach Gautieb in thera¬
peutischen Dosen eine excitirende in Bezug auf Ernährung und rasche Repro-
daction der Gewebe, nur in toxischer Dose verlangsame sie die Ernährung. Es
tritt in ersterem Falle eine Vermehrung des Appetites, des Körpergewichtes, der
Harnstoffausscheidung (Fbabsi-Collet), der Ausscheidung der Chlorate und
Phosphate (Collet, Molon T8J), des Blutdruckes ein. Pulsbeschleunigung, Fieber,
AthmungsfrequeDz wird vermindert Da das Natrium bakody lat die Gewebs-
oxjdation vermehre, vermehre es auch die Resistenz gegen Toxine (die Influenza
wird z. B. von Tuberculösen unter Kakodylsäuregebrauch gut überstanden).
Von besonderem Interesse ist das Verhalten des Blutes nach Injeotionen
des kakodylsauren Natrium. Widal (6) beobachtete anscheinend zuerst eine
erhebliche Vermehrung der rothen Blutkörperchen danach. Die eingehendsten
Untersuchuugen hat darüber Chiappobi angestellt, die durch die Resultate
Pwaki’s(7) bestätigt werden.
Ch. fand, dass sich schon 25—35 Minuten nach der Injection (das Quantum
des injicirten kakodylsauren Natrium scheint ziemlich indifferent) eine mehr
weniger erhebliche Vermehrung der rothen und eine auch proportional geringere
der weissen Blutkörperchen nachweissen lässt. Die Vermehrung der rothen
Blntkörperchen ist um so bedeutender, je geringer ihre Anzahl vorher war
(Widal). Bei Chlorotischen fand Widal z. B. eine Vermehrung von 1,178,000
aof 2,821,000 in 45 Minuten. Bei einem Tuberculösen, dessen Blut vor der
Injection 3,038,000 rothe Blutkörperchen enthielt, stiegen dieselben nach Injection
von 2 cg kakodylsauren Natriums nach einer halben Stunde auf 3,689,000, nach
einer Stunde auf 4,172,000, nach 3 Stunden auf 4,929,000 (Widal, citirt von
Chiappobi). Controlversuche Chiappobi’s mit Einspritzung indifferenter Lösungen
fielen negativ aus. Die Vermehrung dauert in maximo 3 —4 Stunden, danach
ist die Zahl der rothen Blutkörperchen wieder die alte.
Chiappobi fand als Resultat des Untergangs so zahlreicher Blutkörperchen
stets bei Injectionskuren eine Vermehrung des Urobilins im Harne. Er fand
mit der Poooi’schen Methylenfarbung stets im Blute der Injicirten die jungen
Blutkörperchen stark vermehrt, und vermuthet, dass diese als noch nicht völlig
reif auch bald wieder zerstört werden.
Wichtig ist, dass das Hämoglobin nicht proportional den rothen Blutkörperchen
zunimmt. Doch tritt eine solche Zunahme ein, wenn die Kakodylsäuretherapie
mit Darreichung von Eisen combinirt wird, wie Ch. an mehreren Beispielen
nachweist.
Was nun die Application des kakodylsauren Natriums anbetrifft, so geht
schon aus dem Obigen hervor, dass die Injection das Normalverfahren ist. Doch
heben verschiedene Beobachter (Gbasset, Dalche, Gaband, Pisani) hervor,
dass sie auch mit der Injection per os und anum gute Erfolge und bei vor¬
sichtigen Dosen keine bedenklicheren Nebenwirkungen erzielt haben. Knoblauch¬
geruch des Athems und der Faeces kommt allerdings dabei viel häufiger vor,
rie bei hypodermatischer Application (Pisani). Chiappobi hat sogar eine ein¬
malige Dosis von lg per os gut vertragen. Erst bei 1,20g stellten sich Diar-
zedby G00gle
— 296 —
rhöen ein. Die Injection ist nahezu sohmerzlos und giebt bei reinen Lösungen
keinerlei entzündliche Reaction.
Das kakodylsaure Eisen, welches Gilbbbt und Lebbbouille (9) bei Chlo¬
rose und Chloroanämie empfehlen (Gautieb verwirft das Präparat, da es eben»
wie das kakodylsaure Quecksilber das Fe bezw. Hg in anorganischer, also schwer
assimilirbarer Form enthalte), soll nur in schwachen (3%) Lösungen angewandt
werden, da es in stärkeren schmerzhafte Knoten macht.
Merck (Darmstadt) liefert ein reines kakodylsaures Natrium, mit dem z. B.
Pmani seine zahlreichen Versuche machte. Empfehlenswert ist auoh das Ca-
codylate de Soude Clin, welches in Dosen von 5 cg in sterilisirten Tuben für je
eine Einspritzung von F. Comar et Fils et Cie., Paris, 20 Rue des Fosses
St. Jacques vertrieben wird. 1
Die Durchschnittsdose für beide Applicationsmethoden ist 5 —10 cg. Gautieb
beginnt mit einer Injection von 0,025, steigt am folgenden Tage auf 0,05, bleibt
bei dieser Dose eine Woche. Hierauf eine Woche Pause. Bei der nächsten
Injectionsserie beginnt er mit 0,05, steigt dann auf 0,1. Bleibt bei dieser Dosis
das gewünschte Resultat aus, so steigt er bis zu den ersten Symptomen der
Intoleranz (Knoblauchsgeruch, Erregung), vermindert die erreichte Dose um 5 cg
und bleibt dann bei dieser.
Wichtig erscheint es, nach je 7 Injectionen eine Woche Pause eintreten zu
lassen, um cumulirende Wirkung zu verhüten. Ferner empfiehlt es sich, einige
Tage vor und nach den Menses nicht zu injiciren, da das kakodylsaure Natrium
den Blutverlust sonst zu steigern scheint.
Man kann das kakodylsaure Natrium Jahre lang ohne Inconvenienz fort¬
brauchen. Doch tritt nach Gautieb nach 1—2 Jahren Gewöhnung ein. Dann
ist es gut, für einige Zeit auszusetzen.
Die einzige Contraindication gegen die Anwendung ist nach Dalgh£ und
Mebklen (citirt bei Gautieb) die Leberinsufficienz, Krebs, Lebercongestion und
Leberhypertrophie, Icterus, Cirrhose. Hier scheint schon sehr rasch Intoleranz
einzutreten.
Gehen wir nunmehr auf die praktischen Resultate der Kakodylsäuretherapie
über, so seien zunächst die nicht nervösen Affectionen kurz erwähnt, in denen
unser Präparat mit Erfolg angewandt wurde.
Wie schon erwähnt, hatte Danlos schon 1896 Kakodylate mit gutem Er¬
folg bei hartnäckiger Psoriasis, die der gewöhnlichen Arsentherapie trotzte, Lupus
erythematosus u. s. w. gebraucht. Gautieb berichtet von einem ähnlichen Falle,
sowie von einem günstigen Resultate bei Lupus. Saalfkld (10), Rille (11),
Kaposi, Neisseb, Naumann haben ähnliche Erfolge erzielt
Bei Krebs sind die Erfolge sehr zweifelhaft. Immerhin will Chiappobi
gute Resultate bei zwei Magencarcinomen gehabt haben. Petbini hat einen
Fall von allgemeiner Sarcomatose angeblich geheilt
1 In der Febrnareitznng der Acadömie de Mddecine hat Gautieb nach einer Noti« im
„Figaro“ am 21./II. 1902 ein neoea Knkodylsäure-Präparat unter den Namen Arrhdnal ror-
geftihrt. Näheres Uber seine Vorzüge n. s. w. konnte ich noch nicht erfahren.
y Google
297
Chiappori berichtet von sehr bemerkenswerther Besserung bei Chloroanämie,
bei 2 Fällen von Anämie nach Hämorrhoiden und ulcerirender Enteritis. Aebn-
Iiche Resultate sah Gautieb bei solchen Affectionen und empfiehlt bei wahrer
Qilorose Eisen zugleich zu geben. Die Empfehlung des kakodylsauren Eisens
durch Gilbest und Lssiboullet bei Chlorose wurde schon erwähnt
Billet (12) rühmt die gute Wirkung des kakodylsauren Natriums bei
Maiariacacherie nach der Chininkur. Vor Allem ist die Vermehrung der rothen
Blutkörperchen beträchtlich, doch giebt er nicht an, wie lange dieselbe anhält
Gautieb und Shuonesco stimmen Billet bei.
Besonders gute Wirkung, und das scheint beinahe die Piöoe de rösistance
der Kakodylsäuretherapie zu sein, wurde nach fast einstimmigem Urtheile der
Autoren bei Tuberculose erzielt Alle constatiren erhebliche Gewichtszunahme
und Hebung des Allgemeinbefindens. Mehrere, vor Allem Gautieb, wollen
auch erhebliche Besserung der örtlichen Symptome gesehen haben. Doch sind
hierüber die Beobachter nicht einig.
Unter den nervösen Affectionen möge die Neurasthenie an erster Stelle
erwähnt werden. Gautieb bringt die Krankengeschichten von 5 Fällen, in denen
es ach um schwere neurasthenische Symptome nach Erschöpfung, Influenza,
Anämie handelt, und bei denen allen sich die trophischen und excitirenden
Qualitäten des kakodylsauren Natriums in glänzendem Lichte zeigten. Salvioli (13)
hat die Kakodylate im Manicomio di S. Clemente zu Venedig an einer Reihe
Ton Patientinnen angewandt, die neben ihren psychischen Affectionen an
schwächenden Leiden, Tuberculose u. s. w., litten. Er rühmt bei all den Kranken,
& dabei neurasthenische Symptome boten, das besondere Wohlgefühl und die
Kraftvermehrung, die erzielt wurden.
Bei Chorea wird von französischen Beobachtern (Gautieb, Gabaud, Lan-
hoib) die Raschheit der Heilung betont Ein dahingehöriger Fall von Chiappobi
blieb ungeheilt Pisani constatirt in 2 Fällen Verminderung der Bewegungen
und Vermehrung des Appetites, jedoch auffallenderweise leichte Gewichtsabnahmen
(je V, kg), während sonst die Gewichtszunahme eines der constantesten Resultate
der Kakodylsäuretherapie ist.
PABKiNSON’sche Krankheit sah Gautieb in 3 Fällen ganz leicht gebessert,
in zwei weiteren war die Behandlung ohne jeden Erfolg. Er citirt einen Fall
fon Bcblubeaux, der deutlich gebessert sein soll. Vereinzelte Fälle von Pellagra
(Galli) und Basedow 'scher Krankheit (Roustan, beide citirt bei Gautieb)
scheinen leicht gebessert zu sein. Gautieb behandelte mit Magnan zwei Myx-
ödematöse, von denen die eine etwas regsamer wurde, die andere ganz unver¬
ändert blieb.
Kein Geringerer wie Magnan hat denn auch Gautieb Gelegenheit gegeben,
in 8aint-Anne eine Reihe von Psychosen zu behandeln.
Das Urtheil, inwieweit die Kakodylsäure an etwaiger Besserung Schuld ist,
ist hier besonders schwer, da es sich anscheinend meist um acute Fälle handelte,
die auch bei exspectativer Behandlung geheilt wären. Bemerkenswerth ist die
läufig constatirte bedeutende Gewichtszunahme, mehrfach wird notirt, dass
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298
Sondenfütterung unnöthig wurde, was wohl der Steigerung des Appetites zuzu¬
schreiben ist. Bei einer Periodica verlängerten sich die anfallsfreien Zeiten von
5 Wochen auf 2 1 /, Monate.
Heiter stimmt der Schluss eines Krankenberichts des Dr. Paulet (von
Gautirb citirt): Ein äusserst erregter Maniacus hat nach vier Injectionsserien
über 8 kg gewonnen und ist cohärent geworden: „il serait guäri s’il n’avait
gardö des impulsions ä se ffapper la töte ä terre“!
Gaütieb re8umirt seine Erfahrungen bei Geisteskranken dahin, dass 1. sehr
merkliche Besserung in */* der Fälle bei Dementen und Agitirten erzielt sei,
eine leichte Besserung in der Hälfte der Fälle, dass 2. die maniakalische („deli-
rante“) Form der Wirkung der Kakodylate zugänglicher sei, als die melan¬
cholische.
Salvioli constatirt bei seinen, wohl meist chronischen Kranken, dass die
psychischen Phänomene ganz ungebessert geblieben seien.
Als zusammenfassendes Urtheil möchte ich hier einige Stellen aus einem
Briefe des sehr erfahrenen Mailänder Neurologen Dr. de Vincenti geben (dem
ich für die freundliche Besorgung der italienischen Litteratur sehr zu Danke
verpflichtet biu):
„Die hypodermatische KakodylsäureanWendung hat bei uns grosse Verbreitung
gefunden als bequeme, leicht anwendbare und gefahrlose Methode (wenn die
aseptischen Cautelen beobachtet werden) in Fällen von physischer und psychischer
Asthenie und im Allgemeinen als neurotonische Kur. In solchen Fällen
finden diese Mittel, ohne dass man von ihnen Wunder erwarten dürfte, ihre
klinische Indication als Ergänzung anderer tonischer und reoonstituirender
Kuren. Die hypodermatische Medication hat den Vortheil, keine gastrischen
und intestinalen Beschwerden zu machen. Specifische. Wirkungen bei
bestimmten Psychopathieen (mit Ausnahme der auf asthenischer oder anämischer
Basis entstandenen) darf man nicht erwarten.“
Litteratur.
Id das nachfolgende Verzeichntes habe ich nor die wichtigeren Arbeiten anfgenommen.
Diejenigen Aufsätze, die mir nur in Referaten oder Citaten zugänglich waren, sind mit
einem * bezeichnet.
*1. D anlos, Semaine medicale. 17. Juli 1896. Sooidtd de dermatologie et syphiL
11. Juni 1896. — *2. Gautibb, Bull, de l’Acad. de Mdd. Sdance du 6. Juni 1899. — 8. Der¬
selbe, La mddication par l’Arsdnic latent. Extrait du Bull, de l’Ac&d. de Mdd. Sdanoes
des 2. et 9. Juli 1901. — *4. Ihbbbt e Badbl, Comptes rendus de l’aeaddmie des Sciences.
1900. CXXX. S. 581. — 5. Chiappobi, Süll' azione ematopoietica e terapeutica del caco-
dilato di joda. Riforma medioa. 1901. XVII. Nr. 91—95. — *6. Widal, Bulletin mddic&l.
18. März 1900. — 7. Pisaxi, 11 cacodilato di soda nella terapia infantile. Gazetta medica
di Torino. 1901. LII. — 8. Molon, Süll’ azione del trattamento cacodilico. Gazetta degli
ospedali e dello clinique. 1901. 21. August. — 9. Gilbert e P. Lebbboüllbt, II cacodilato
di, ferro. XIII. Congr. intern, de mdd. Paris; ref. Rivista critica di clinica medic&le.
1900. 8. Sept. — 10. Saalfeld, Ueber die Anwendung von kakodylsauren Salzen bei Hant-
erkrankungen. Therap. Monatshefte. 1901. Juni. — 11. Rille, Zur Anwendung der kakodyl-
Google
299
auren Salze. Ebenda. 1001. Sept. — 12. Billbt, XIII. Congr. intern, de med. ä Paris;
ret Rivista critiea di clinica medicale. 1900. 8. Sept. — 13. Saltioli, I cacodilati nella
pnUica medica. Birista veneta di seienze mediche. 1901. 15. April.
VergL auch fBr die älteren chemischen and physiologischen Untersuchungen: Lahgoaabd,
Acidum e&codjlicam und Natrium cacodylicam. Therap. Monatshefte. 1900. 8ept.
3. Einiges zur Hysterie-Frage.
Erwiderung auf Nissl’s Vortrag: „Hysterische Symptome bei einfachen
Seelenstörungen.“
(Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych. XXV. S. 2.)
Von Dr. Raeoke,
Assistenzarzt der psychiatr. und Nervenklinik zu Kiel.
Gegenüber der immer wachsenden Ausdehnung, welche dem Begriffe Hysterie
allmählich gegeben worden ist, macht sich neuerdings das Bestreben geltend,
aas der grossen Zahl mannigfacher Krankheitsbilder eine kleinere, schärfer be¬
grenzte Gruppe herauszuheben. Solange man sich bei diesem Versuche bewusst
bleibt, dass man einen beträchtlichen Theil des Gesammtbegriffes absichtlich
vernachlässigt, um zunächst für einen Bruchtheil desselben bessere klinische
Umrisse zu gewinnen, lässt sich sicherlich nichts gegen ein derartiges Vorgehen
einwenden. Dieser Vorsicht hat sich z. B. Sommbb 1 befleissigt, als er für die
von ihm geschaffene Gruppe bestimmter hysterischer Krankheitsbilder den neuen
Namen „Psychogenie“ vorschlug mit dem ausdrücklichen Bemerken, dass Hysterie
im alten Sinne der weitere Begriff bleibe.
Leider hat die Heidelberger Schule Sommeb’s Beispiel nicht befolgt:
Unbekümmert um alle Anschauungen und Lehren anderer Autoren, die
einfach unbeachtet bleiben, legt Nisbl seiner Untersuchung über die hysterischen
Symptome bei einfachen Seelenstörungen lediglich die Definition Kbaepelin’s
zu Grunde und erklärt von vornherein: „Die Hysterie ist eine angeborene
Krankheit; der ihr zu Grunde liegende pathologisch-anatomische
Process bedingt einen Zustand des Nervensystems, der andauernd wirksam ist
und klinisch als hysterischer Charakter zum Ausdruck gelangt. Die andauernde
Wirksamkeit des Zustandes zeigt sich dadurch, dass jederzeit hysterische Sym¬
ptome und hysterische Psychosen zur Auslösung gelangen können.“*
Dass Nissl mit diesen zu eng gefassten Voraussetzungen Resultate bekommen
musste, welche von denjenigen anderer Autoren total abweichen, weil er eben
mit dem Worte Hysterie einen ganz anderen Sinn verband als jene, ist eigent¬
lich selbstverständlich. Trotzdem scheint Nissl das Fehlerhafte seines Verfahrens
nicht einzusehen, denn er wirft unbefangen die Frage auf, wodurch eigentlich
die „heillose Verwirrung in die Psychiatrie gebracht und eine gegenseitige Ver-
1 Diagnostik der Geisteskrankheiten. 1901. S. 281.
1 Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych. 1902. S. 4.
zedby G00gle
800
ständigung unmöglich gemacht“ sei, um sohliesslich die Schuld — auf die
anderen Autoren zu schieben. Erst wenn alle Psychiater den Begriff „functionelle
Krankheiten“ aufgeben wollten, sei eine gegenseitige Verständigung zu erwarten. 1
Diese auffallende Anschauung Nissl’s basirt wieder auf der Voraussetzung,
dass dem Krankheitsbilde der Hysterie im KBAEPELiN’schen Sinne, d. h. in
genau deijenigen Ausdehnung, welche Kraepelin dem Hysteriebegriffe zuschreibt,
ein scharf umgrenzter und specifischer pathologisch-anatomischer Befund ent¬
sprechen soll. Woher weiss denn aber Nissl so bestimmt, dass es nicht am
Ende verschiedene anatomisch-pathologische Prooesse sind, welche dem Kraepelin
sehen Krankheitsbilde zu Grunde liegen? Vor allem aber, wie will Nissl be¬
weisen, dass die von Kraepelin ausgesohiedenen Hysterie-Fälle anderer Autoren
durch gänzlich andersartige Processe hervorgerufen werden? Wenn Nissl hier
nicht mit wirklichen Thatsachen aufwarten kann, bleiben alle seine anatomischen
Betrachtungen über die Abgrenzung der Hysterie werthlos.
Solange uns aber die Kenntniss einer organischen Grundlage der Hysterie
fehlt, sind wir leider darauf angewiesen, nach wie vor die Hysterie aus ihren
klinischen Symptomen zu diagnosticiren. Es heisst, die ^tatsächlichen Verhält¬
nisse auf den Kopf stellen, wenn Nissl fordert, „dass wir nur da von hysterischen
Symptomen zu reden berechtigt sind, wo das Vorhandensein der Hysterie nach¬
gewiesen werden kann“. 2 — Ich frage, wie soll denn dieses „Vorhandensein“
jemals constatirt werden, wenn nicht durch die hysterischen Symptome? Denn
auch der hysterische Charakter, auf den Nissl so grosses Gewicht legt, wird
doch in letzter Linie nur aus Symptomen erschlossen. Selbstverständlich wird
man stets unterscheiden müssen zwischen wesentlichen und unwesentlichen Sym¬
ptomen oder, wie die Franzosen sagen, zwischen eigentlichen Stigmaten und
accidentellen Erscheinungen. Gewiss ist auch der spätere Verlauf der Krankheit
hochwichtig für ihre Beurtheilungj und unter Umständen sieht man sich einmal
durch ihn gezwungen, nachträglich die Diagnose zu modificiren. Allein dess-
halb kann man noch nicht Jahre warten, ehe man überhaupt eine Diagnose
stellt Andererseits ist die Kenntniss der Vorgeschichte leider oft zu lückenhaft,
um aus ihr weitgehende Schlüsse zu ziehen. Kurz, der Praktiker bleibt bei
Stellung seiner Diagnose immer wieder auf die augenblicklichen Symptome angewiesen.
Uebrigens bringt Kraepelin selbst in seiner „Einführung in die psychia¬
trische Klinik“ einen Traumatiker, bei welchem er die bestehende Hysterie, wie
er uns offen erklärt, aus den körperlichen Störungen, besonders den Anfällen,
diagnosticirt hat, und bemerkt dann wörtlich: „Es wird somit hier ganz klar,
dass nur die starke Gemüthsbewegung als Ursache oder wohl besser Auslösung
der hysterischen Veränderung anzusehen ist“ (S. 277.)
Also hat in diesem Falle Kraepelin aus der Anamnese, obgleioh sie aus¬
führlich von schwerer Belastung, Arbeitsunfähigkeit, Alkoholismus, Delirium
tremens, Abnahme des Gedächtnisses erzählte, nichts über hysterische Ante-
1 Centralbl. f. Nerve nheilk. u. Psych. 1902. S. 37.
* Ebenda. S. 31.
Google
301
cdentien vor dem Unfall erfahren können. Es bleibt daher unentschieden, ob
die Hysterie hier als solche angeboren war, oder ob nur eine allgemeine Dispo¬
sition ererbt wurde, wie es die meisten Autoren bei der Hysterie annehmen; ja
es könnte Niemand gehindert werden, in diesem Palle von einer erworbenen
Hysterie zu reden.
Mit einem Worte, Kraepelin musste den betreffenden Kranken nach Art
der „Symptomatologen“ beurtheilen auf Grund seiner augenblicklichen körper¬
lichen Störungen; und trotzdem genügte ihm der erhobene Befund, um darauf¬
hin eine Brandstiftung, an welche der Kranke keine rechte Erinnerung hatte,
als im hysterisohen Dämmerzustände begangen zu erachten. Nicht einmal die
Abnahme dee Gedächtnisses und die Unfähigkeit zur Arbeit, also die Entwicke¬
lung eines geistigen Schwächezustandes, erschien ihm als eine mit der Diagnose
Hysterie unvereinbare Complioation.
Somit vertritt hier Kraepelin im Gegensatz zu Nissl ’s übertriebenen
Forderungen eine Auffassung, der ich mich gern rückhaltlos anschliesse, indem
er einen Dämmerzustand auf Grund hysterischer Stigmata für hysterisch erklärt.
Denn irgend welchen Dämmerzustand oder Stupor als an und für sich patho-
gnomonisch für Hysterie hinzustellen, wie Nissl verstanden zu haben scheint,
liegt mir gänzlich fern. Das habe ich übrigens auch am Schlüsse meines Auf¬
satzes über hysterischen Stupor bei Strafgefangenen ausdrücklich betont: „Man
soll daher nur dann einen hysterischen Dämmerzustand annehmen, wenn sich
die hysterische Grundlage erweisen lässt“ 1
Sehe ich mich also hier in gewisser Uebereinstimmung mit der Heidel¬
berger Schule, so muss ich mich in der Katatoniefrage grundsätzlich von ihr
trennen. Ich kann mich nicht überzeugen, dass ein Stupor im Verein mit
Stereotypieen und Negativismus genügt, um die Diagnose Dementia praecox zu
rechtfertigen. Vielmehr findet sich ein solcher „katatonischer Symptomencomplex“,
rie von den verschiedensten Autoren wiederholt betont worden ist, ziemlich häufig
tnch bei Paralyse, Epilepsie, Hysterie, ferner etwas seltener bei Circulären
and Paranoikern, die aber darum noch durchaus keinen merklichen Intelligenz-
defect aufzuweisen brauchen. Sogar im Verlaufe eines typischen Delirium tremens
ist erst kürzlich in der hiesigen Klinik ein mehrstündiger ausgesprochener Stupor
beobachtet worden. Indessen würde eine Besprechung dieser interessanten Zu¬
stände jetzt zu weit führen. Ich behalte mir daher eine zusammenfassende Be¬
arbeitung der verschiedenen Stuporformen für später vor.
Heute möchte ich nur noch zum Schlüsse entschieden Einspruch dagegen
erheben, dass Nissl auch den GANSBB’schen Dämmerzustand, den Autoren wie
•Jolly s , Webnicke 3 , Binswangeb 4 , Moeli 8 , Neisseb 8 bereitwilligst anerkannt
1 Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 445.
* Ebstsoi and Schwalbe, Die Krankheiten dee Nervensystems. 1900. IV. S. 769.
* Grundriss der Psychiatrie. 1900. S. 516.
4 Ueber einen eigenartigen hysterischen Dämmerzustand (Gansbb).- Monatsschrift für
Psychiatrie. III. S. 175.
* Ueber Hysterie. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 740.
* Casnistische Mittheilnng. Zeitschr. f. Psych. LV. S. 447.
by Google
302
haben, einfach ala negativistisches Verhalten iin Verlaufe einer Dementia praecox
deuten will
Wohl jeder Psychiater weis?, dass widerstrebende wie ausgelassene Kranke
gelegentlich dazu neigen, absichtlich verkehrte Antworten bei der Exploration zu
geben. Allein derartige Vorkommnisse sind doch nicht mit dem Symptom des
Vorbeiantwortens zu verwechseln, wie es Gamsbb beschrieben hat In jenen
anderen Fällen sind die Kranken entweder deutlich abweisend und unwirsch
oder muthwillig-heiter und zu Scherzen geneigt Die Antworten erfolgen ge¬
wöhnlich ganz ohne Ueberlegung und stehen meist in keinem associativen- Zu¬
sammenhang mit der Frage. Vielfach lachen die Kranken wohl selbst über
ihre Antworten und lassen sich durch energisches Zureden bewegen, dieselben
zu corrigiren; oder aber noch häufiger werden sie unwillig über das viele Fragen
und verstummen ganz. Sehr charakteristisch ist, dass es stets zwischendurch
oder aber bei einer bald daräuf wiederholten Exploration gelingt, einzelne voll¬
ständig richtige Antworten zu erzielen. Niemals sah ich wenigstens in solchen
Fällen ausgesprochenes Vorbeireden Tage bis Wochen gleicbmässig ankalten,
ohne dass sich treffende Antworten dazwischen eingeschoben hätten.
Vollkommen anders gestaltet sich dagegen das Bild im Ganseb’ sehen
Dämmerzustände. Hier geben sich die Kranken ersichtlich Mühe zu überlegen,
greifen sich stöhnend nach dem Kopfe und klagen über ihre Schwerbesinnlich¬
keit. Sie ermüden zusehends bei längerem Fragen, machen einen benommenen,
rathlosen Eindruck; kurz, man sieht, sie können nicht richtig antworten. Dieser
eigentümliche Zustand dauert dann längere Zeit gleichmässig an, um endlich
in volle Lucidität überzugehen mit Amnesie für die Zeit der Böwussseinstrübung.
Bemerkt sei noch, dass während des Dämmerzustandes die Kranken oft, in typisch
hysterischer Art, sich delirirehd mit den Erlebnissen beschäftigen, welche dein
Eintritt jenes kurz voraufgegangen waren oder denselben direct veranlasst hatten.
Auch der anscheinende Negativismus, wie ihn z. B. meine eine Kranke 1 sehr
auffällig an den Tag legte, indem sie den rothen Wollfaden nicht aufzuheben ver¬
mochte, entspricht durchaus dem Verhalten, wie es Bebnheim z. B. bei hyste¬
rischer Lagegefühlsstörung beschreibt, wenn die Kranken bei geschlossenen Augen
nicht mit der gesunden Hand die anästhetische finden können. Bebithbim 5
sagt wörtlich: „Non seulement la main droite sensible ne trouve pas la main
gauche anesthösique; mais eile övite de la trouver; eile tourne autour d’elle;
eile la fuit Je place la main gauche en face de la main droite, de fa^on
que celle-ci ne puisse pas ne pas la toucher; le sujet ne la touohe pas; ac-
tionuö par l’idöe qu’il ne doit pas savoir oü eile est, il se comporte
avec une ingönuitö naive.“
Natürlich Hesse sich auch diese interessante Beobachtung Bebnheim’s be¬
quem mit dem Schlagworte „Negativismus“ abthun. Allein man sieht, es wird
damit nichts erklärt uud nur dem diagnostischen Irrthum Thür und Thor ge-
' Zeitschr. f. Psych. LVUI. S. 125.
* De l’anesthfoie hyatöriqne etc. Rev. de med. XXI. S. 196.
Google
303
tätet Hier kann allem die psychologische Betrachtungsweise in der Erkenntnis
forthelfen.
Auf die Angriffe, welche Nissl auch gegen diese Methode gerichtet hat,
brauche ich nicht mehr einzugehen, nachdem Gaupp und Friedmann 1 dieselben
berate in der Discussion gebührend zurückgewiesen haben. Ich schliesse daher
mit Gaüpp’8 beherzigenswerthen Worten: „Keine noch so weit vorgeschrittene
anatomische Forschung wird uns je die psychologische Analyse und Therapie
der Hysterie überflüssig machen.“
4. Weiteres über die asthenische Lähmnng, nebst einem
Obductionsbefnnd (Dr. E. Flatau).
Von 8. Goldflam in Warschau.
(Fortsetzung.)
Die Ursache blieb auch in diesem Fall in Dunkel gehüllt; Kummer und
Sorgen wurde hier ebenfalls angeschuldigt. Die leichte Halsaffection um Weih¬
nachten kommt ätiologisch gar nicht in Betracht; die asthenische Lähmung hat
schon damals bestanden (keine Accommodationslähmung). Mit der Hemiatropbia
facialis hatte die asthenische Lähmung höchstwahrscheinlich nichts zu thun;
in der ganzen Casuistik finde ich nur einen Fall (Bbibsaüd - Lantzenberg 2 ),
der auch mir, wie Oppenheim, nicht sicher zur asthenischen Lähmung zu ge¬
boren scheint, in dem von einer Abflachung der rechten Wange und der
Schläfen die Rede ist.
Notorische nervöse Anlage bestand bei der Ätientin nicht, wohl aber Er¬
scheinungen, die an Basedow denken lassen, nämlich eine seit Kindheit bei
ihr und ihrer Schwester bestehenden mässige Struma und geringer Exophthalmus.
Die ßABEDow’sche Krankheit geht gewöhnlich mit gewissen allgemeinen hysterisch-
neurasthenischen Symptomen einher und gehört zweifellos zur sogen, famille
oeuropathique. Es ist auch eine nicht geringe Anzahl von Fällen bekannt ge¬
worden, in denen diese Krankheit mit Lähmung der Facialis-, Kau-, Zungen-,
Schlund- und Kehlkopfmuskeln, auch mit der anderer Körpertheile combinirt
war. Besonders interessant sind für uns solche Fälle von BASEDOw’scher
Krankheit, welche mit Symtomen complicirt waren, die auch bei der asthenischen
Lähmung häufig Vorkommen, vor Allem die mit Augenmnskellähmungen im
Gebiete des ganzen Oculomotorius (Finlayson 8 ), des Trochlearis oder Abducens
(Möbius 4 ), oder beider Externi (Stellwag) oder mit partiellen Augenmuskel-
Lähmungen, wie des Rectus sup. (Schlesinger 6 ), Rectus internus, obliquus
1 Centralbl. f. Nervenheilk. u. Paych. XXV. S. 48.
* Arch. gön. de M6d. 1897. (Bei Oppenheim.)
* Brain. 1890. Ref. im Neurolog. Centralbl. 1891. S. 113.
* Spec. Path. n. Ther. von Nothnagel. XXII.
* Sitzung des Wiener med. Club vom 12. December 1892. Ref. im Neurolog. Centr.
S. 761.
zedby G00gle
304
inf. u. s. w. Gewöhnlich gingen solche Fälle mit Störungen anderer Hirnnerven
einher; so mit Baibärsymptomen, wie Schwierigkeiten beim Schlucken, näselnder
Sprache, tonloser Stimme, Parese der Adductoren und Spanner der Stimm¬
bänder (F. Müller j ) u. s. w. Man muss an diese Fälle umsomehr denken, als
in manchen zur Section gelangten, die genaueste mikroskopische Untersuchung
kein anatomisches Correlat entdecken liess (also ebenfalls „Lähmung ohne
anatomischen Befund“). Berühmt ist in dieser Hinsicht der Fall von Bristowe*
geworden. Allein von asthenischer Lähmung ist hier, wie in ähnlichen Fällen,
keine Rede. Anders verhält es sich mit dem Falle von Jendrässik (Vom Ver-
hältniss der Poliomyeloencephalitis zur Basedow ’schen Krankheit 3 ), der nach
meinem Dafürhalten unbedingt zur asthenischen Lähmung gehört. Hier ent¬
wickelten sich die asthenischen Erscheinungen bei dem 16 jährigen Tuch-
farbergesellen zuerst und bei voller Gesundheit; Pat. bekam Flimmern vor den
Augen und Diplopie, bald darauf Ptosis sin. Nach etwa zwei Monaten Er¬
schwerung des Kauens, sein Kinn ermüdete schnell, bald floss das Getränk durch
die Nase und die Bissen geriethen beim Schlucken in den Kehlkopf; das Lachen
gelang nicht gut,Pat ermüdete beimReden, das bald unverständlich wurde, vermochte
auch nicht zu pfeifen. Dieser Zustand ging langsam in Besserung über. Nach
einem Monate Unbeweglichkeit zuerst des linken, dann des rechten Auges und
allmählich tritt das rechte aus der Augenhöhle hervor; später schwoll der Hals
an und Athembeschwerden gesellten sich hinzu; Herzklopfen bei schwerer Arbeit
war seit Beginn. Bei der Aufnahme beiderseitiger Exophthalmus, starrer Blick,
Unbeweglichkeit der Augen, Lagophthalmus theils wegen Exophthalmus, theils
wegen Schwäche des Orbicularis, leichte Ptosis sin., untere Gesichtsmuskeln
beiderseits paretisch, Bewegungen des Gaumensegels vermindert, Patient er¬
müdet sehr rasch beim Kauen, Oberextremitäten in hohem Grade geschwächt,
besonders die Schultern. Vergrösserung der Glandula thyreoidea. Puls 120,
schnei Ischlägiges Zittern.
Im Verlauf der unverkennbaren asthenischen Lähmung entwickelten
sich demnach Zeichen der BASEDOw’schen Krankheit. Nun ist es auffallend,
dass in einigen Fällen von asthenischer Lähmung über gewisse charakteristische
Symptome der BASEDow’scheu Krankheit berichtet wird, so in dem PuNTON’schen
über leichten Exophthalmus, in dem von Finizio über leichten Exophthalmus,
zuweilen auch Tachycardie, in dem zweiten Fall von Kalisoher über geringe
Struma und vielleicht Exophthalmus (es wurde bei der Diagnose zuerst an
Basedow gedacht), bei Kabplus über prominente Bulbi, bei Chabcot-Mabinbsco
über Hypertrophie der Glandula thyreoidea (ebenso wie bei der Mutter der Pat),
bei Murri Prominenz der Augäpfel, im zweiten OpPBNHEiM’schen Fall über leichte
Struma, stark beschleunigte Herzaction und schnellscblägigen Tremor, ln
meinem ersten Fall war das GnAEPE’sche Symptom im Beginn der Krankheit
1 Deutsches Archiv f. klin. Med. XLI. Ref. im Neurolog. Centralbl. 1893. S. 621.
2 Brain. 1886. S. 313.
* Archiv f. Psych. 1886. XVII. Heft 2.
Google
305
rerhanden, auch Rkmak 1 erwähnt in der Discnssion zum Vortrag Senatob’s
einen Fall von asthenischer Lähmung auf dem Boden eines anomalen Morbus
ßisedowii (Exophthalmus, Tremor, Tachycardie). Am ausgesprochensten scheinen
die Symptome im erwähnten Fall JendbAssix’s gewesen zu sein, der zweifellos
ein klassisches Specimen der asthenischen Lähmung darstellt
Es wird also meist über Bruchstücke der BASEDOw’schen Krankheit be¬
liebtet Ob ein leichter Exophthalmus oder eine geringe Struma genügt, um den
Fall als Basedow anzusprechen, selbst als forme fruste dieses Leidens, muss dahin
gestellt bleiben. Gehören ja prominente Bulbi, leichte Strumata zu den indivi-
dnellen oder familiären Eigentümlichkeiten, die mit Basedow nichts zu thun haben.
Auch im obigen Fall stellten diese Erscheinungen mehr etwas Familiäres (die
ältere Schwester hatte sie ebenfalls) als Krankhaftes dar, zumal sie im mässigen
Grade and ohne Progression seit der Kindheit bestanden; andere der BASEDOw’schen
Krankheit eigenen Beschwerden waren nicht vorhanden. Allein eine gewisse
Beziehung zwischen beiden Erkrankungen muss zugestanden werden, da die
Combination der asthenischen Lähmung mit ausgesprochenen Symptomen oder
nnr Bruchstücken der BASEDow’schen Krankheit zu oft vorkommt, Ms dass man
nur von einem zufälligen Zusammentreffen reden könnte. Dies ist auch die
Kauung von Oppenheim. Sie gewinnt an Bedeutung, wenn man bedenkt, dass
üe toxische Theorie für die Entstehung der BASEDOw’schen Krankheit (Möbius)
<he herrschende ist, ferner dass wir auch bei der asthenischen Lähmung zur
Annahme einer Giftwirkung gezwungen sind. Allerdings bedarf es bei der
athenischen Lähmung der wirksamen Stoffe der Thyreoidea nicht, und ich würde
rar Gebrauch der Thyreoideasubstanz warnen.
Beobachtung V. K. ßosalie, 30 Jahre alt, Hess sich schon vor 7 Jahren
behandeln wegen beiderseitiger Ptose und allgemeiner Schwäche, deren Ursache
»»ohl ihr als den Aerzten unbekannt blieb; sie war geneigt, die Ueber-
ubeitung — sie war als Näherin angestrengt beschäftigt —, namentlich aber den
grasen Kammer, den sie damals hatte, anzuschuldigen. Nur allmählig besserte
«ieh ihr damaliger Zustand unter dem Einfluss der Elektricität und des Land-
Mfenthalta. Als sie vor 2 1 / a Jahren heirathete, war ihre Gesundheit zufrieden¬
stellend. So blieb es mehr als ein Jahr; sie gebar unterdessen ein Kind, das
sie selbst 10 Monate lang stillte. Am Ende dieser Stillungsperiode — un¬
gefähr vor einem Jahre — bekam sie einen nervösen Anfall, der nach Schil-
dernng einem hysterischen ähnelte (einen ebensolchen soll sie schon vor
7 Jahren gehabt haben) and angeblich auf grossen Kummer und Sorgen zurück-
rofäbren war. Die Oberlider fielen wieder herab, bald darauf gesellte sich
Itoppeltsehen, dann erschwerte Sprache und erschwertes Schlingen hinzu, und
es bemächtigte sich der Kranken eine allgemeine Schwäche. Obwohl eine mehrere
Tige anhaltende Besserung spontan eintrat und angeblich unter dem Ein-
hta der Galvanisation der Lider und Antlitzmuskeln wiederholt längere Zeit
tahielt and die Kranke in Stand setzte, stundenlang zu lesen, ohne dass die
Oberlider herabfielen, stellte sich wieder eine Verschlimmerung ein, und ihr
gwaw Zustand ist jetzt schlechter als vor einem Jahre. Die Patientin be¬
tont, dass die Störungen Abends ausgeprägter sind als Morgens. Sie ist ab-
20
zedby G00gle
Berliner klin. Wochenschr. 1899. S. 176.
306
gemagert in Folge von Behinderung der Nahrungsaufnahme. Menstruation vor¬
zeitig.
Der Vater und eine jüngere Schwester starben an Lungentuberculose, die
Mutter und 4 Geschwister sind gesund. Patientin selbst war nie ernst krank,
speciell hat sie keine Influenza überstanden.
Ich sah sie am 12./IIL 1901 in Gemeinschaft mit dem Collegen Higieb, der die
richtige Diagnose stellte und mir gefälligst den Fall zur Veröffentlichung
überliess. Schlanke, blasse Frau, Ernährungszustand nicht dürftig. Innere Or¬
gane gesund. Puls 90. Respiration 24. Beiderseitige Ptose, die Oberlider
fallen bis zur Hälfte der Corneae herab, darum wird der Kopf nach hinten ge¬
neigt, Gesichtsausdruck schläfrig und maskenartig. Die Ptose unterliegt leicht
Schwankungen; schon während der Untersuchung bewirkt das Ansehen des Arztes,
noch mehr das Fiziren eines Gegenstandes, stärkeres Herabfallen der Oberlider,
helle Beleuchtung blendet die Kranke und verstärkt die Ptose, die im Finstern
geringer ist. Stirnrunzeln, Augenblinzeln, Bewegungen der Bulbi namentlich
nach oben, besonders aber das Lesen steigern die Ptose ebenfalls. Beim Lesen
wird das Buch gern niedrig gehalten, auch richtet Pat. gewöhnlich den Blick
nach unten, da dabei die Oberlider am wenigsten angestrengt werden. Dann ist
die Ptose rechts nicht selten grösser als links. Beim Lesen wirkt nicht nur die
Ptose störend, bald erscheint der Patientin das Gedruckte verschwommen und
sie muss dann ein Auge schliessen; dies geschieht wahrscheinlich in Folge
einer Ermüdung der Convergenz und der dadurch entstandenen Diplopie, aber
nicht in Folge einer Ermüdung der Accommodatdon oder einer asthenopischen
Ermüdung. Denn obwohl für gewöhnlich in der Ruhe über Doppelsehen
nicht geklagt wird und Augenmuskellähmung nicht wahrnehmbar ist, so können
sie doch leicht hervorgerufen werden. Schon beim Stirnrunzeln weicht der linke
Bulbus nach oben, der rechte nach aussen, jedoch ohne dass Patientin Doppelbilder
wahrnimmt. Bei Wiederholung der Seitwärtsbewegungen der Augen tritt indees
schnell in den äusseren Stellungen Zittern der Bulbi ein; die Intemi versagen
bald (der rechte früher als der linke) und Diplopie stellt sich ein. Auch bei
Wiederholung der Aufwärtsbewegungen versagt bald der Rectus superior, und
Doppelbilder treten auf. Diese künstlichen Ophthalmoparesen schwinden in der
Ruhe ziemlich schnell.
Das Stirnrunzeln, Zukneifen der Augen geschieht schwach, manchmal bleibt
beim Augenschliessen eine schmale Spalte zurück; auch alle anderen Gesichts¬
muskeln sind schwach. Die Lippen können nicht zugespitzt werden, lassen
beim Aufblasen der Backen, das schwach zu Stande kommt, Luft ent¬
weichen u. s. w. Die Zunge wird nach allen Richtungen bewegt, doch
kann sie nicbt gut steif gemacht werden. Der weiche Gaumen contrahirt sich
nicht energisch bei der Phonation, ermüdet aber nicht; seine Reflexerregbarkeit ist
erhalten. Die laryngoskopische Untersuchung ergab normale Verhältnisse. Die
Bewegungen des Unterkiefers leidlich gut, feste Speisen werden gemieden, da
das Abbeissen und Kauen bald versagen und die Kranke ermüden. Das Schlingen
gelingt nur langsam und mit kleinen Schlucken; werden grössere und schnell ge¬
nommen, dann regurgitiren die Flüssigkeiten durch die Nase. Im Beginn geht
der Schlingact noch leidlich von statten, bald aber wird er mühsam und ermüdet
die Kranke. Es kam am Schluss der Mahlzeit vor, dass ein Bissen im Rachen
stecken blieb, Erstickungssymptome hervonief und mit den Fingern entfernt
werden musste. Auch die Ermüdung, die sich beim Sprechen einstellt, erschwert
in hohem Grade das Schlingen und umgekehrt kann die Kranke nach dem Eissen
etwa ^2 Stunde nicht sprechen.
Das Sprechen ist im Beginn deutlich, klingt aber bald nasal. Am deutlichsten
tritt die Ermüdung der Sprache beim lauten Lesen zu Tage, wobei die Kranke
Google
307
öfters einhält und immer grössere Pausen eintreten lässt. Kühle Luft soll
ebenfalls erschwerend auf die Sprache einwirken, indem die Lippen dabei steif
»erden.
Die kühle Luft soll auch die Finger steif machen. Die Kraft der Ober¬
extremitäten ist herabgesetzt, Patientin kann ihr Kind nicht auf dem Arm
tragen. Beim wiederholten Heben der Arme sinkt zwar die Amplitude der Be¬
wegungen, aber vorübergehende Lähmung kann nicht hervorgebracht werden. In¬
dessen sind abnorme Ermüdungserscheinungen an den Oberextremitäten unzweifel¬
haft vorhanden, so versagen die Hände schon nach zweimaligem Brotschneiden,
Patientin vermag den Sonnenschirm nur kurze Zeit zu halten u. s. w.
Die Beine ermüden heim Gehen, längere Strecken können nicht zurückgelegt
werden. Das Ermüdungsphänomen tritt hier eher zu Tage. Nach vielem Heben
können die Beine von der Unterlage gar nicht gehoben werden. Kniereflexe
sehr lebhaft, sogar Tröpidation du genou. Kein Fussklonus.
Die Rumpfmuskeln sind ebenfalls schwach und ermüden leicht: nur mit
Mühe richtet sich Patientin auf, nach zweimaligem Aufrichten versagt ihr die Kraft.
EJrmüdung der Glieder und des Stammes bleibt ohne Einfluss auf die bul-
bären Functionen und Augenmuskeln.
Sinne, Sensibilität, Function der Blase und des Mastdarms vollständig normal.
Im Urin weder Ei weise noch Zucker.
An allen zur Untersuchung gelangten Nervenmuskelgebieten gelang es mittels
tetanisirender faradischer Ströme die Myaß zum Vorschein zu bringen; leider
konnten bei der Patientin, hei der sich schnell Müdigkeit einstellte, nicht alle
Gebiete untersucht werden. Es wurde der N. facialis sinister, Mm. mentales,
orbicularis oris, hiceps dexter, deltoideus dexter, M. ulnaris dexter, Mm. thenaris
geprüft. Vom N. facialis versagten zuerst die Muskeln des oberen Astes,
nachher die des unteren, in welchem die Contractionen nicht vollständig sohwanden,
sondern nur äusserst schwach wurden. Bis zum totalen Schwinden der
Contraction konnte man es in den geprüften Muskeln meist nicht bringen, allein
die Energie und Grösse der Zusammenziehung sank enorm herab, die Contrac¬
tionen erschienen bald wellenförmig, stellten sich mit dem Einsetzen des Stroms
ein und schwanden bald ungeachtet des Weiterwirkens des letzteren. Nach etwa
einer Minute Ruhe antworten die Nerven und Muskeln auf dieselben faradischen
Beize mit der ursprünglichen Contractionsstärke.
5./IV. 1901. Seit einer Woche wieder Doppelsehen, welches Schwankungen
unterliegt und besonders auf der Strasse hervortritt; die Bilder befinden sich
übereinander. Patientin ist gezwungen, das linke Auge zu bedecken. Parese des
Bectus sup. dexter. Auffallend leicht, schon nach etlichen seitlichen Blicken,
wird eine associirte linksseitige Blicklähmung im Rectus ext. sin. hervorgerufen,
mit ungekreuzten Doppelbildern im linken Gesichtsfeld. Dieser Ophthalmoplegie
geht ein Zittern der Augäpfel voraus, und kurze Ruhe bringt sie zum Schwinden.
Ee gelingt nicht, eine solche seitliche Blicklähmung rechts hervorzurufen. Ebenso
wie früher, vergrössert sich die Ptose nach allen Augenbewegungen, besonders
nach oben, und wenn sie ausgesprochener wird, dann sind die Ophthalmoplegieen
leichter hervorzurufen. Blickt die Kranke eine gewisse Zeit nach unten, dann
wird die Ptose geringer.
Es wurden heute auch die Mm. peronei und gastrocnemius dextri auf MyaR
geprüft und gefunden, dass die Energie der Contractionen ziemlich abrupt sinkt,
»her nicht schwindet; selbst nach langer Reizung mit dem faradischen Strom
ist noch ein Vibriren der Muskeln sichtbar.
29./TV. 1901. Die wochenlange Galvanisation der Augen blieb diesmal ohne
Erfolg. In den Morgenstunden ist der Zustand leidlich, gegen 5 Uhr Nachmittags
st schon das Schlingen beinahe unmöglich, die Sprache sehr undeutlich. Die Eiranke
20 *
zedby G00gle
— 308
geht möglichst wenig ans, da die Ptose sich auf der Strasse verstärkt and Diplopie
eintritt Der Grad der Ptose ändert rieh schon während der Untersuchung, die Ober¬
lider fallen bei der Unterredung mit dem Arzte immer mehr herab, wenn sie
diesen anzusehen sucht; sie hält daher am liebsten die Augen nach unten
gerichtet (grösste Ruhe der Levatores palpebrarum). Geringer Lagophthalmus,
rechts grösser, als links. Leichtes fibrilläres Zittern im Orbicularis palpebrarum,
noch weniger im Orbicularis oris. Auf der Höhe der Cartil. cricoidea hat sich
in den letzten Tagen eine schmerzlose, kuglige, haselnussgrosse, prall elastische,
leicht bewegliche Geschwulst gebildet (Lymphdrüse?)
Die MyaR trat heute in den Muskeln, die vom EBB’schen Punkt gereizt
wurden, mit Leichtigkeit ein, dagegen nicht im N. ulnaris. Puls 105. Respi¬
ration 22.
3./V. 1901. Dieselben Klagen, objectiv idem. Das grelle Sonnenlicht auf
der Strasse verstärkt die Störungen von Seiten der Augen. Die leichteste An¬
strengung ermüdet die Kranke; die Bewegungen der Zunge sind, obwohl gut
ausführbar, dennoch träge. Beim Waschen des Gesichts werden alsbald die
Nackenmuskeln so schwach, dass es der Kranken Mühe kostet, den Kopf auf¬
recht zu halten. Lagophthalmus heute nicht vorhanden. Die kleine Geschwulst
scheint abgenommen zu haben.
23./V. 1901. Puls im Liegen 90, beim Sitzen 105. Respiration 22—24. Die
ganze verflossene Zeit war es ihr schlecht gegangen, sie sprach undeutlich und konnte
wegen der aich bald einstellenden störenden Doppelbilder, Verstärkung der Ptose
u. s. w. nicht ausgehen. Besonders beeinträchtigt war die Ernährung, so¬
wohl in Folge von behinderter Nahrungsaufnahme mit den gleichsam steifen
Lippen, als auch in Folge einer Kau- und Schlingstörung. Die soliden Speisen
gerathen oft in den Kehlkopf oder haften an den Wangentaschen und müssen
mit den Fingern entfernt werden. Seit 3 Tagen subjective Besserung, allein
objectiv ist eher eine Progression zu verzeichnen. Es konnten heute die Er¬
müdungserscheinungen an den Extremitäten in beinahe typischer .Weise demon-
strirt werden: nach 15—20 Hebungen des Arms oder Beins sank die Ampli¬
tude rapid fast bis zur completen Lähmung; nach kurzer Ruhe konnten die
Glieder zur ursprünglichen Höhe gehoben werden. Charakteristisch für die
Schwäche der Oberextremitäten ist z. B. die Thatsache, dass Patientin beim
Schreiben eines kurzen Briefs wegen Ermüdung 3 Mal unterbrechen musste.
Sie war nicht im Stande, den Brief laut zu lesen, da ihr die Stimme bald ver¬
sagte. Die Kraft der mimischen Bewegungen, insbesondere der Lippen- und
Augenschliesser, ist noch mehr herabgesetzt. Im Orbicularis palpebrarum sind
fibrilläre Zuckungen sichtbar, die Mundwinkel werden nicht selten durch klonische
Zuckungen nach der Seite gezerrt. Es besteht heute kein Doppelsehen, sonst
sind die Erscheinungen von Seiten der Ptose und der Augenmuskeln, wie oben
geschildert
l./VHI. 1901. Puls 90. Respiration 24. Die ganze verflossene Zeit ver¬
brachte Patientin auf dem Lande, wo bald Besserung eintrat, und es war schon
die höchste Zeit, da sie ein Mal Nachts zu ersticken glaubte. Sie hat 9 Pfund
zugenommen und sieht gut aus. Sie konnte frei herumgehen, ohne dass Blenden,
Ptose und Doppelbilder sie störten, wenn auch beim Fixiren die Oberlider auf
kurze Zeit herabfielen. Das Kauen, Schlingen, die Sprache haben sich bedeutend
gebessert, die Patientin konnte dem gesteigerten Appetit nachkommen. Allein
der schlechte Schlaf, der seit langer Zeit besteht, hat keine Besserung erfahren.
Seit 3 Tagen hat sich ohne greifbaren Grund Verschlimmerung eingestellt, die
sich, wie die Besserung, beinahe auf alle Symptome erstreckt, wenn es auch
noch nicht zur früheren Höhe gekommen ist. Die Nahrungsaufnahme mit den
Lippen ist stark behindert, das Kauen erschwert, so dass nach einigen Schlucken
Google
309
oder Bissen bald Ermüdung eintritt; das Schlingen selbst ist noch gut. Die
Sprache ermüdet und wird bald undeutlich. Es wird zwar über Diplopie und
Ptose nicht geklagt, allein die Lidspalten sind nicht weit genug und bald —
während einer Untersuchung — tritt rechts oder links Ptose ein. Auch gelingt
es bei wiederholten Seitwärtsbewegungen der Bulbi eine conjugirte rechtsseitige
Lähmung (Rectus ext. dext. und Rectus int. sin.) ohne Doppelbilder hervorzurufen,
der ein Zittern der Augäpfel vorausgeht und die nach kurzer Ruhe schwindet.
Eine analoge linksseitige Lähmung kann man nicht hervorrufen. Am schwächsten
scheinen auch jetzt die Aufwärtsbeweger der Augen zu sein; schon nach wenigen
Bewegungen nach oben bleiben die Bulbi in der Mittelstellung. Der Gesichts*
insdruck ist nicht mehr so starr und schläfrig, die Mundwinkel werden ziemlich
oft von kurzen klonischen Zuckungen nach oben gezerrt. Augen- und Mund-
achliessen sehr schwach, Contraction der Frontales beinahe unmöglich; die
Corrugatore8 supercilii ziemlich gut; das Auf blasen der Backen ist unmöglich.
Der weiche Gaumen ermüdet nicht beim Phoniren, ist mechanisch reizbar. Keine
nennenswerte Ermüdung der Zungenbewegungen. Die Erschöpfung der Extremi¬
täten (an den Schulter- und Hüftgelenken geprüft) tritt prägnant auf, die Ampli¬
tude sinkt beinahe bis auf 0. Die MyaR wurde heute am Orbicularis oris, am
N. facialis sinister, Biceps brachii und Deltoideus geprüft und eine Behr beträcht¬
liche Abnahme, aber kein Schwinden der Contraction gefunden. Setzt man die
faradische Erregbarkeit an einem Deltoideus oder Biceps von einem motori¬
schen Punkt aus herab, dann verliert der zweite motorische Punkt desselben
Muskels seine Erregbarkeit nicht und antwortet auf den faradiscfien Reiz mit
guter Contraction.
Die Kniereflexe Hessen bei wiederholtem Beklopfen der Sehne an Stärke
oach, schwanden aber nicht.
Die kleine Geschwulst • an der vorderen Fläche der Trachea ohne Ver¬
änderung; nach Ansicht eines erfahrenen Chirurgen (Dr. Kkajewski) ist sie
vahrscheinHch eine Glandula thyreoidea aberrans, da sie beim Schlingen die Be¬
wegungen der Trachea mitmacht.
Angeregt durch die jüngste Mittheilung von Wbiosbt-Laqxjkb habe ich der
Kranken in der zweiten Hälfte des Juni Thymussubstanz in Tabletten & 0,05 bis
6 Stück täglich verordnet, aber noch keinen Erfolg gesehen. Die Besserung hat
■ich noch vor der Verabreichung eingestellt und die Verschlimmerung war unab¬
hängig davon eingetreten. Dennoch Hess ich die Tabletten weiter nehmen.
5./X. 1901. Puls 90. Auf dem Lande hat sich der Zustand bedeutend
geheuert, ob auch die Thymustabletten dazu beigetragen, ist schwer zu sagen
(sie nahm davon 3 Mal zu 0,1 Substanz tägHch, zusammen 180 Tabletten). Die
Besserung giebt sich darin kund, dass Patientin beliebig weit spazieren kann,
ohne bei Tageslicht von Diplopie und Ptose gestört zu sein; der Appetit und
Schlaf sind gut geworden. Dennoch wird die Sprache nach längerem Reden nasal.
Patientin vermag nur 1 / 4 Stunde lang binocular zu lesen, da sich Diplopie ein-
■teilt; beim Lachen empfindet sie ein Gefühl von Steifwerden und Schiefstehen
des Mundes; nach den Hauptmahlzeiten Ermüdung der Lippen.
Im Beginn der Untersuchung erscheinen die Augen normal, die Lidspalten
■o weit wie nie zuvor, aUein nach längerer Unterredung sinkt nach Wiederholung
■eitUcher Augenbewegungen das rechte Oberiid herab, wobei leichtes Zittern desselben
■ich einstellt; wenn sich Patientin bemüht, die Bulbi nach oben zu richten, so
fällen beide Oberlider herab, rechts mehr, als links. Nur die Bewegung der
Bulbi nach oben ist beschränkt, und es geHngt nicht, in den anderen äusseren
Augenmuskeln eine Parese hervorzurufen, daher keine Diplopie. Von den mimischen
Muskeln sind die Orbiculares palpebrarum et oris, die Corrugatores supercilii
Google
310
und frontales schwach, die Zygomatici und Levatores labii sup. stärker. Seitens
der Zunge und des weichen Qaumens keine Abweichungen. Die Unterkiefer¬
bewegungen sind ziemlich kräftig, bei Ausführung seitlicher Bewegungen
ist eine constante Mitbewegung der homolateralen Zygomatici und Lev. lab. sup.
sichtbar. Das Erschöpfungsphänomen erfolgt an den Oberextremitäten später als
vorher. Erst nach 70—80 Hebungen tritt vollständige Lähmung der Abductions-
bewegung im Schultergelenk ein. In den Fingern ist die Ermüdungserscheinung
viel weniger ausgesprochen; die Patientin macht darauf aufmerksam, dass bei
Einwirkung der Kälte die Finger steif und functionsunfähig werden. Im Hüft¬
gelenk tritt Erschöpfung schnell ein, nach etwa 15 Hebungen kann das Bein
von der Unterlage absolut nicht gehoben werden. Die Kniereflexe lebhaft,
können nicht herabgesetzt werden.
Die Patientin hatte während der letzten Menstruation, wie so oft, viel aB
Schmerzen in den Beinen zu leiden.
10./X. 1901. Schon vorgestern meldete sie mir eine Verschlimmerung,
Ptose, Diplopie haben sich wieder eingestellt. Heute scheinen die Lidspalten im
ersten Moment ziemlich weit, das rechte Auge nur ein wenig abducirt, sobald
mich aber Patientin anspricht, sinkt das rechte Oberlid herab, und der rechte
Augapfel rückt noch mehr nach rechts; dann fällt auch das linke Oberlid.
Die Ptose nimmt zusehends zu, die Bulbi werden beinahe vollständig bedeckt
(rechts mehr als links), und die Kranke ist gezwungen das Haupt nach vorn
zu neigen; nach mehreren Minuten Ruhe tritt Besserung ein.
Die MyaR ist bei der Kranken sehr ausgebreitet, man findet sie heute bei¬
nahe in allen untersuchten Territorien; in manchen ist sie sehr leicht hervor¬
zurufen, in anderen schwieriger. Das Abklingen der Zuckungen erfolgt in allen
Muskeln eines Nervengebiets nicht zugleich, aber successive; im Gebiet des
N. facialis bleiben die Contractionen am längsten in den Zygomaticis bestehen,
schwache Zuckungen sind hier noch immer sichtbar, nachdem sie längst in an¬
deren Gesichtsmuskeln geschwunden sind. Die durch den faradischen Strom
ermüdeten Muskeln contrahiren sich sofort unter dem Einfluss des Willens.
Ruft man die MyaR vom Stamm des N. facialis hinter dem Ohr hervor,
und reizt man mit dem faradischen Strom bald darauf den Punkt des N. facialis
vor dem Ohr, so bekommt man eine gute Zuckung im ganzen Territorium des
genannten Nerven; hat man die MyaR vom Punkt des N. facialis vor dem
Ohr hervorgerufen, dann verliert der hintere Punkt ebenfalls seine Erregbarkeit
nicht. Ruft man die MyaR vom Stamm des N. facialis hervor, und reizt man
unmittelbar darauf die Gesichtsmuskeln, so bekommt man gute Zuckungen;
wird aber zuerst die MyaR in einem der Gesichtsmuskeln hervorgerufen,
dann contrabirt sich derselbe, wenn man bald darauf den N. facialis reizt
Ebensolche Verhältnisse walten ob in anderen neuromusculären Gebieten; es wurde
das Ulnaris-, Peroneus- und Cruralisgebiet geprüft.
Wenn man in einem Muskel, der zwei oder mehrere motorische Punkte be¬
sitzt, z. B. der Biceps, Triceps brachii oder Soleus, die MyaR von einem her¬
vorruft und unmittelbar darauf den anderen reizt, bekommt man eine gute
Zuckung, ganz gleich, ob zuerst der proximale oder distale Punkt gereizt wird.
(Fortsetzung folgt)
Google
311
n. Referate.
Anatomie.
1) Eine Eisenim prägnation der Neurofibrillen, von Dr. Semi Meyer. (Ana¬
tomischer Anzeiger. 1902. XX.)
Der Verf. benutzte die Berliner Blaureaction, welche bei Ein wirken des
Ferrocyankaliums anf eine Ferrisalzlösong entsteht, um die Neurofibrillen zu
imprägniren. Die Methode wird in folgenden Worten zusammengefasst:
Nicht zu kleine Stücke fixire man 24 Stunden in 10% Formalinlösung,
bringe sie dann für 8—20 Tage in 2 1 / a °/ 0 Ferrocyankalium, übertrage direct
2—4 Tage in 10% Eisenalaun, wasche dann einige Stunden aus. Nachbehand¬
lung: Ale. abs. 2 Tage, Xylol 2 Stunden, Paraffin 2—4 Stunden. Die Schnitte
Ton 10—60 n werden mit Eiweissglycerin aufgeklebt; Xylol (event. Alkohol,
Wasser, beliebige Nachfärbungen unter Vermeidung von Alkalien, die das Berliner
Blau sofort zerstören), Canadabalsam.
Die Methode wirkt in ähnlicher Weise electiv wie die Golgi’sche, d. h. sie
bringt nicht nur unter den Zellen, Bondern auch unter den Fibrillen der einzelnen
Zellen einzelne Exemplare zur Darstellung. Sie ist demzufolge in ihrer Wirkung
ebenso capriciös wie die Golgi’sche und deshalb für pathologische Forschungen
ebenso wenig wie diese verwendbar. Vor anderen Metallimprägnationen soll sie
aber den grossen Vorzug haben, dass gröbere Niederschläge zwischen den gefärbten
Elementen fehlen, und dass sie nicht nur die äussere Form dieser Elemente als
Silhouetten, sondern ihre Structur erkennen lässt. Die Methode, welche dasselbe
Ziel anstrebt wie die Bethe’sche Molybdänimprägnation, hat vor dieser den
Vorzug der bei weitem grösseren Einfachheit voraus. Der Verf. sagt aber selbst,
dass für denjenigen, welcher sich mit histologischen Untersuchungen über die
Fibrillen beschäftigen will, die Bethe’sche Methode nicht erspart bleiben kann.
Beide Methoden zusammen sind auch noch nichts weniger als ideal, ergänzen sich
aber soweit, dass man hoffen darf allmählich vorwärts zu kommen. Gegenüber
den Fibrillen der Molybdänpräparate erscheinen die Fibrillen dieser Eisenpräparate
▼iel zarter und viel dichter gelagert. Die grössere Dicke dieser Gebilde in den
Bethe’schen Präparaten erklärt der Verf. dadurch, dass dieselben bei jenem Ver¬
fahren häufig zusammenbacken, während ein Verkleben der Fibrillen bei seinen
Präparaten kaum vorkommt.
Als Untersuchungsmaterial dienten dem Verf. Kalbsgehime und solche von
jungen Tauben und Hühnern. Max Bielschowsky (Berlin).
2) Le oellule nervöse glganti nella rlgenerasione del midollo spinale
eaodale di tritone, per La Pegna. (Annali di neurologia. 1901. XIX.
S. 486.)
In niederen Vertebraten, namentlich in Fischen und Amphibien, sind bereits
häufig und vorzüglich während des Embryonallebens grosse Zellen im Rückenmark
unter den verschiedensten Namen beschrieben worden, die sich durch ihre Grösse
und Lage von den übrigen Zellelementen auszeichnen. Beard hat sie besonders
als Elemente eines „vorübergehenden, transitorischen Nervensystems“ bezeichnet.
Dieselben Elemente hat Verf. in ihrem Entstehen und Verschwinden bei
Triton oristatus während der Regeneration des caudalen Rückenmarks nach
Amputation des Schwanzes verfolgen können. 30 Tage nach der Amputation
findet man zwischen den zahlreichen regenerirten Ependymzellen innen verschiedene
zedby G00gle
312
Zellen mit grossem grsnnlirten Kerne. Sie finden sich in jedem Schnitt and
liegen zumeist peripherisch in dem dorsalen und medialen Theil des Rfickenmarks.
Nach 3 Monaten haben sie ihre definitive Grösse und Form erreicht and stellen
grosse runde Zellen dar mit einem langen dicken Fortsatz, der bis in die weisse
Substanz verfolgt werden kann. Die Neuroglia umgiebt Zellkörper und Fortsatz
aufe innigste. Im 4.—6. Monat nach der Amputation setzt bereits der Involutions-
process ein, beginnend mit einer Deformirung des Zellkörpers und Verschwinden
des Fortsatzes. Der Kern nähert sich der Peripherie und verliert immer mehr
seine Färbbarkeit, es bilden sich Vacuolen; er verlässt die Zelle oder bleibt um«
geben von einem Protoplasmahof von unbestimmter Form, der auch schliesslich
körnig zerfällt, in den Ueberbleibseln des ehemaligen Zellkörpers. Im letzten Stadinm
ist von Kern und Zelle nichts übrig geblieben.
Ueber die Bedeutung und Entstehung der beschriebenen Elemente giebt
Verf. keine bestimmte Erklärung ab; möglich, dass sie durch besondere Diffe-
renzirung aus Neurob lasten des Rückenmarks entstehen.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
3) Ueber Clarke’s „Posterior vesioular oolumns“, von cand. med. Max
Schacherl. (Arbeiten aus Prof. Ob er st einer ’s Laboratorium. 1902. Wien.
Heft 8.)
Nach einer historischen Einleitung, in der Verf. eine chronologisch fundirte
Uebersicht über die bis jetzt erschienene einschlägige Fachlitteratur giebt, schlägt
er vor, die Bezeichnung Clarke’sche Säule entgegen der bisherigen Gepflogenheit
auf die sämmtlichen im Rückenmark vorhandenen, analog zu setzenden Gebilde
auszudehnen, zumal diese Art der Anwendung dem Sinne Clarke’s entspricht,
der seine Posterior vesicular columns als eine die ganze Länge des Rückenmarks
durchziehende Formation beschreibt.
Verf. giebt zunächst eine detailirte Darstellung des Vorkommens der Clarke -
sehen Säulen. Die Säule findet sich beim Menschen in der Hinterhornbasis, ihr
Auftreten ist constant in der Höhe des zweiten Cervicalis, häufig findet man auch
Zellen in der Höhe des ersten Cervicalnerven und ebenso des dritten. Im viertem
Cervicalsegment verschwindet die Säule gewöhnlich, um im siebenten und achten
wieder aufzutreten; deutlicher wird die Säule aber erst im Dorsalmark, wo sie
nach unten zu, und zwar langsam in den proximaleren Partieen, sehr rasch im
untersten Dorsalmark an Grösse zunimmt. Die stärkste Entwickelung der Säule
ist zwischen 12. Dorsalis und 1. Lumbalis. Nunmehr nimmt die Säule rapid ab,
verschwindet im mittleren Drittel des 3. Lumbalsegments und tritt gewöhnlich
zwischen 2. und 3. Sacralis wieder auf. Im 4. Sacralsegment ist die Säule meist
recht deutlich ausgeprägt. Die Grössenverhältnisse der Säule unterliegen zahl¬
reichen Schwankungen; es giebt Rückenmarke, in denen überhaupt keine Unter¬
brechung der Continuität der Clarke’schen Säule in den Anschwellungen statthat.
Die Säulen liegen im oberen Cervicalmark ziemlich in der Mitte der Hinter-
hornbasis, rücken gegen die Höhe der stärksten Entwickelung immer weiter nach
hinten und innen und buchten daher in diesen Höhen die Hinterhombasis in
einer Protuberantia cornus posterioris medialis gegen den Hinterstrang vor. Von
der Gegend der stärksten Entwickelung aber nach unten rückt die Sänle wieder
nach vorne.
Verf. giebt dann eine Tabelle, enthaltend die Grössenverhältnisse bezüglich
des frontalen und sagittalen Durchmessers der Säule bei Kindern und bei Er¬
wachsenen in den einzelnen Segmenten.
Die Zellen der Clarke’schen Säule bilden einen besonderen Typus bei der
Färbung nach Nissl. Normale Zelle: Ein- oder mehrreihiger Randschollen-
Google
313
kränz, centrale Pseudo chrom atolyse, central oder einfach an den Rand gelagerter
heller, runder oder mit seichter Delle ausgestatteter Kern, häufig Kernkappe.
Pathologische Zelle: Auflösung des Randschollenkranzes, Bildung eines Peri-
nnclearringes, Kemtinction, hernienartige Vorbuchtung der Zellwand durch den
Kern. — In einer Tabelle sind die Zahl der Zellen und deren Grösse bei Er¬
wachsenen und Kindern zusammengestellt. Die Axenfortsätze der Zellen scheinen
gegen den ventromedialen Antheil der Säule hinzuneigen. Der Kern der Zellen
zeigt sich bei Kemfärbung mit einem feinen, netzförmigen Gerüste ausgestattet,
dessen Knoten unmittelbar dem Kernkörperchen aufzusitzen pflegt
Die Fasern der Clarke’schen Säule sind 1. afferente: Fasern aus den hin¬
teren Wurzeln, die theils direct, theils auf dem Umwege durch den Hinterstrang
in die Säule gelangen. Die Fasern eines Säulensegments recrutiren sich in den
Hdhen der stärksten Entwickelung theils aus demselben Segmente, theils auch aus
viel tieferen. Je höher wir hinaufkommen, desto weniger Segmente stehen zur
Säule in Beziehung. Aehnliche Verhältnisse bieten 2. die efferenten Fasern. Die
Bündel, die, im Gegensatz zu den dorsoventral eintretenden afferenten, ventromedial
die Säule verlassen, ziehen theils im selben Segment, theils in viel höheren Seg¬
nenten in den Seitenstrang. Auch hier steht die Säule in cerebraleren Ebenen
mit weniger zahlreichen höheren Segmenten in Beziehung, als in den Höhen
stärkster Entwickelung. Das Vorhandensein von den von Gaskeil beschriebenen,
vielleicht der Visceralinnervation dienenden analogen Fasern, die auf dem Wege
der Vorderwurzeln das Rückenmark verlassen und aus den Clarke’schen Säulen
stammen, glaubt Ver£ nur in einem Falle constatiren zu können.
Bei den Thieren sind die Säulen am stärksten entwickelt bei den Vögeln,
tmd zwar jgerade in den Anschwellungen. Bei Dasypus ist nirgends eine deut¬
liche Säule zu erkennen, beim Delphin findet sich die Formation continuirlich
vom unteren Cervicalmark bis ins obere Lumhalmark. Beim Schaf, vielleicht
auch beim Pferde, fehlt die Säule nur in den Anschwellungen. Beim Kaninchen
fehlt die Säule in der Cervicalanschwellung und im Sacralmark. Aehnlich beim
Igel, wo aber in der Halsanschwellung die Säule doch angedeutet ist, und beim
Seehund. Bei den Carnivoren ist die Continuität der Säule im ganzen Rücken¬
mark gewahrt, wenn auch stellenweise die Ausbildung derselben eine recht schlechte
i*t Beim Affen (Macacus und Cercopithecus) verschwindet die Säule nur im
Lendenmark und im oberen Sacralmark völlig. Die Befunde bei den Thieren
• werden gleichfalls in einer Tabelle zusammengestellt.
| Die auch bei Thieren, wenn auch nur andeutungsweise, sich findende Be-
i Sonderheit der Structur der Clarke’schen Zellen lässt eine besondere Function
derselben vermuthen, eine Vermuthung, die erst künftige Untersuchungen bestätigen
können. Redlich (W’ien).
Experimentelle Physiologie.
|
*) Untersuchungen über die Regulation der Bewegungen der Wirbel-
thiere. L Beobachtungen an Fröschen, von L. Merzbacher. (Archiv
t d. ges. PhysioL LXXXVÜL)
| Durchschneidung der hinteren Wurzeln einer Extremität giebt bei Fröschen,
im Gegensatz zu höheren Wirbelthieren, keine oder nur höchst geringfügige
notorische Störungen; das gleiche ist der Fall nach Entfernung der Hirntheile
bu zur Mednlla oblongata. Verf. hat nun beide Eingriffe in verschiedener Weise
»mbinirt und zieht aus den beobachteten oft sehr erheblichen Störungen folgende
sichtigen Schlüsse:
Jede Extremität steht unter dem Einflüsse gleichseitiger Gehirntheile.
zedby G00gle
314
Der RegulationKmechanignras der Bewegungen einer Extremität eetst sich aus
drei Componenten zusammen: a) aus der eigenen Sensibilität, b) aus dem Einfluss
der Hemisphären und der Thalami optici, besonders der letzteren, c) aus der
Sensibilität und Motilität der analogen Extremität.
Der Werth dieser Regulation ist in ihrer genannten Reihenfolge gegeben:
den relativ stärksten Werth hat die Sensibilität; ihr Ausfall bedingt bei nur ein¬
seitiger Operation eine geringe Störung, doppelseitig eine etwas stärkere. Aus¬
fall der Hemisphären und Thalami zeigt allein keine sichtbare Störung. Der
Einfluss der beiden Extremitäten auf einander ist in der Stärke Beines Werthes
abhängig von der bestehenden Summe der beiden anderen Regulatoren. Dieser
letztere Einfluss ist, wenn auch verhältnissmässig gering, doch bisher wohl unter¬
schätzt worden; auch an Analogie für denselben bei höheren Wirbelthieren und
beim Menschen fehlt es nicht. — Die Sensibilitätstheorie der Ataxie kann in
diesen Versuchen eine Stütze sowohl als eine Erweiterung finden. Der Unter¬
schied, der in Bezug auf die Coordination der Bewegungen zwischen niederen und
höheren Wirbelthieren aufzustellen ist, ist der, dass bei den ersteren die regula-
torischen Functionen den einzelnen besprochenen Regulatoren mehr diffus zu¬
kommen, so dass jeder einzelne mehr oder minder äusfallen kann und erst der
Verlust der Oesammtheit eine hochgradige Störung ergiebt.
H. Haenel (Dresden).
Pathologische Anatomie.
5) Pathologische und experimentelle Beiträge zur Kenntniss des sogen.
Sohultze’schen Commafeldes in den Hintersträngen, von Prof. E. A. Ho¬
rn 6n in Helsingfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.)
Bei der anatomischen Untersuchung eines Rückenmarks, das von einem an
allgemeiner Carcinosis zu Grunde gegangenen Manne herstammte, zeigte sich das
fünfte linke Cervicalganglion bis zum Volumen einer grösseren Bohne geschwollen.
Sonst an Gehirn, Rückenmark und den übrigen Ganglien keine Veränderungen.
Das 5. Cervicalganglion war vollständig in das Carcinom aufgegangen, welch
letzteres die anliegende motorische Wurzel und ihre Fasern zerstört hatte und
sich auch ein wenig in die hintere Wurzel erstreckte, wo sich Degenerations¬
erscheinungen fanden. Vierte rechte Cervicalwurzel ebenfalls stark degenerirt,
das entsprechende Spinalganglion war leider bei der Section nicht mit heraus¬
genommen worden. Eintretende linke Cervicalwurzel (5. Cervicalsegment) ganz
degenerirt, ausserdem in allen Schnitten vom 5. Cervicalsegment im rechten Hinter¬
strang unbedeutender Degenerationsstreifen von der Gegend des Hinterhornwinkels
bis nahe zur Peripherie. Im 4. Cervicalsegment sieht man ausser dem linksseitigen
auch rechts einen Degenerationsstreifen in der Wurzeleintrittszone. Nach oben
zu verliert sich die Degeneration allmählich im verlängerten Mark, absteigend
konnte sie bis zum 2.—3. Dorsalsegment verfolgt werden. Im 7. und 8. Cervical¬
segment nehmen die degenerirten Fasern genau den Platz des Schnitze'sehen
Commafeldes ein. — Um die Natur der Fasern dieses Gebiets zu studiren, prä-
parirte Verf. an 3 Hunden eine der oberen linken Dorsal wurzeln frei und resecirte
ein Stück derselben, in einem Fall nebst den zugehörigen Ganglien. Die Thiere
wurden nach Intervallen von 7, 10 und 17 Tagen getödtet. Bei der Heraus¬
nahme des Rückenmarks zeigte sich, dass die 2., 3. und 6. Dorsalwurzel ab¬
geschnitten war. Die anatomische Untersuchung ergab vollkommen überein¬
stimmende und nur dem Grad nach verschiedene Veränderungen, die um so deut¬
licher waren, je länger das Versuchsthier am Leben gehliehen. Die degenerirte
Zone betraf das Schultze’sche Commafeld in den Hintersträngen und liess sich
stets 2—3 Segmente nach abwärts verfolgen.
Google
315
Verf. schliesst aus dem klinischen und experimentellen Befund, dass die im
Schultze’schen Commafeld befindlichen, nach RiickenmarkBläsionen im Cervical-
oder oberen Dorsalmark abwärts degenerirenden Fasern zum allergrössten Theil
ron absteigenden Hinterwurzelästen gebildet werden.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
6) Zar Kenntnis« der Entwiokelungsstörungen der Spinalganglienaellen
bei hereditär luetiaohen, miss bildeten and anscheinend normalen Neu¬
geborenen, von Dr. Chr. Sibelius, Docent für pathologische Anatomie in
Helsingfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.)
Bei seinen Untersuchungen des Centralnervensystems hereditär Luetischer fand
Verf. in den Spinalganglien Gruppen von zum Theil abnormen Ganglienzellen,
welche „Zellencolonien“ wohl ein Product verspäteter oder abnormer Entwickelung
waren. Es wurden 24 Fälle daraufhin untersucht, von welchen die meisten reife,
theilweise schon mehrere Monate alte Föten waren. Bei den anscheinend normalen,
aasgetragenen Neugeborenen sind die Colonien mit deformirten Ganglienzellen
überhaupt selten, doch schien es, als ob sie in einzelnen Fällen Vorkommen
können. Hingegen fanden sich in den anscheinend normalen Fällen aus den
letzten Monaten der Schwangerschaft häufiger als bei ausgetragenen die erwähnten
Bildungen deformirter Ganglienzellen. In den ganz schweren Fällen hereditärer
Lues Hessen sich Colonien und atypische Ganglienzellen verhältnissmässig oft und
in reichlicher Menge nachweisen, und zwar waren sie hier am excessivsten aus¬
gebildet. Von Müller sind beim Kaninchen ähnliche Zellencolonien gefunden
worden. Auch Hessen sich vom Verf. auffallend dunkel gefärbte, oft unregel-
miasig geformte Kerne erkennen, die theilweise auf veränderte Saftcirculations-
verhältnisse, theilweise auf Druckstörung in den Zellen zurückzuführen sind.
Das abnorm reichliche, bezw. verspätete Vorkommen der Colonien mit theil¬
weise excesBiv atypischen Ganglienzellen wird als eine Hemmungsbildung der
Syphilistoxine, und zwar der Toxine an und für sich, aufgefasst. Dieser Befund
entspricht theilweise den Untersuchungen von Karvonen, der bei hereditärer
Lues an den Nieren Hemmungsbildungen fand, die er ebenfalls auf selbständige
Einwirkungen der Syphilistoxine zurückführt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
7) Zar Pathologie der Spinalganglien, von Dr. Otto Marburg. (Arbeiten
aus Prof. Obersteiner’B Laboratorium. Wien, 1902. Heft 8.)
Der Verf. untersuchte systematisch bei einer grösseren Zahl von an nervösen
und nichtnervösen Erkrankungen zu Grunde gegangenen Individuen die Spinal-
gangHen und kommt in seiner verdienstvollen Arbeit zu folgenden Resultaten:
Es fand sich häufig eine Art der Kernveränderung, die als acute Homo-
genisirung mit Atrophie seit längerem bekannt ist Da bei derselben die
Atrophie nicht der absolute Endausgang sein musB, wurde dieselbe unpräjudicirHch
als „homogene Kernschrumpfung“ bezeichnet, die nur dann pathologisch ist,
wenn sie in kranken Zellen vorkommt; sonst ist sie vielleicht dem pyknomorphen
Zustand der Zellen, meist aber der Fäulniss eigen. Die ersten Stadien sind einer
Regeneration fähig, die EndBtadien sind für schwere Zellerkrankungen charakte¬
ristisch. Wandstellung des Kerns scheint meist pathologisch zu sein; doppelte
Kerne und Zellcolonien dürften für die Pathologie nicht in Frage kommen.
Von Zelldegenerationen ist vor allem die sogenannte axonale (centrale
Chromatolyse, Randschollenkranz) hervorzuheben, deren vereinzeltes Auftreten in
dem normaler Weise vorkommenden Zugrundegehen von Zellen seine völlig ge¬
nügende Erklärung findet. Ausserdem unterscheidet Verf. noch die pyknotische,
Google
316
die wabig-vacuoläre (Fettdegeneration mit Ablagerungen feiner Fetttröpfchen im
Inneren des Zellleibes) und die fettig-pigmentöse. Sie haben nur dann für das
Ganglion eine Bedeutung, wenn sie gehäuft Vorkommen.
Die Wucherung des Kapselendothels kann secundär sein, d. h. sie ist Folge
des Zugrundegehens der zugehörigen Zellen und ist dann meist geringfügig; die
Endothelien übernehmen die Rolle der Phago'cyten (secundäre Neurouo*
phagie). Oder der Process ist ein activer, die Wucherung des Endothels beginnt
bei noch völlig intacter Zelle, die erst bei stärkerer Wucherung leidet; es inter-
veniren des weiteren bei diesem Processe Leukocyten, so dass man diese Art der
Neuronophagie — die primäre — wohl als Entzündung bezeichnen kann. Wäh¬
rend beim Croup, der Rabies die Leukocyten gegen die Endothelien zurücktreten,
ist beim Zoster, sowie bei drei untersuchten Pemphigusfällen die kleinzellige In¬
filtration gleich beträchtlich. Auch die Localmation dieser Affection ist inter¬
essant, indem beim Zoster z. B. das Ganglion in toto, beim Pemphigus nur partiell
ergriffen wird.
Die dünnen Nervenfasern des Ganglions zeigen ein doppeltes Verhalten, indem
ein Theil spiralig von der Zelle entspringt, ein Theil eigentümliche Netze und
Körbe um die Zellen bildet. Ein Zugrundegehen dieser Netze und Körbe wurde
von Babes und Kremnitzer als pathognostisch für die Tabes angesehen, was
jedoch nicht der Fall ist, da sorgfältige Färbungen das Vorhandensein derselben
auch bei Tabes ergaben. Ueberhaupt sind die Veränderungen des Ganglions, die
sich bei der Tabes finden, als secundäre aufzufassen.
Schliesslich macht Verf. noch auf eine bisher nicht beschriebene Affection
aufmerksam, auf Cystenbildung, die er als Folge von Blutungen ins Spinal¬
ganglion (Spinalganglienapoplexie) auffasst, und die bald mehr solitär z. B. ein
Ganglion befällt, oder diffus die Mehrzahl der Ganglien betrifft.
Die klinische Seite der Frage anlangend erörtert Verf. die trophische Bedeutung
der Spinalganglien. Neben dem Zoster fanden sich in jenen Fällen (Rabies, Croup
und ein sonderbarer Tetaniefall werden ausgeschlossen), wo Spinalganglienläsionen
vorhanden waren, trophische Störungen (Paralyse, Gangraena pedis, 3 Fälle von
Pemphigus; in letzterem multipel). Ausserdem boten die entsprechenden Ganglien
eines Vergifteten, der eine Blaseneruption der Hand bekam, zosterähnliche Ver¬
änderungen, was auch als Stütze dieser Anschauung gelten könnte. Allein die
Frage ist noch offen, ob die Spinalganglienaffection Ursache oder Folge der tro-
phischen Erkrankung sei, oder ob beiden eine gemeinsame Ursache zu Grunde
liegt. Es ist diese Frage auf dem eingeschlagenem Wege nicht zu entscheiden;
hier werden entsprechend angeordnete Experimente einsetzen müssen, um die Er¬
klärung der räthselhaften Function, die der Name Trophik decken muss, zu finden.
Redlich (Wien).
8) Contributo all’ anatomla patologioa della tabe dorsale, per M. Sciuti.
(Annali di neurologia. 1901. XIX. S. 495.)
Anknüpfend an den anatomischen Befund eines Falles von Tabes bringt die
Arbeit eine sehr fleissige Zusammenstellung der bestehenden Litteratur mit ihren
vielen strittigen Fragen über histologischen' Befund, Aetiologie, ob System¬
erkrankung oder nicht u. s w., ohne selbst mit wesentlich neuen Gesichtspunkten
die Litteratur zu bereichern. Die beigegebenen Figuren sind mangelhaft.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
Google
317
Pathologie des Nervensystems.
9) Studio soll» patologia del ganglio ciliare nell’ uomo oon i speoiale
rifleaso alla paralisi generale ed alla tabe; oonfronto ool ganglio oer-
vicale del slmpatioo e oonquello del Gasser. Importansa del ganglio
ciliare nell* nomo, per A. Marina. (Annali di neurologia. 1901. XIX.
S. 209.)
Die sehr interessante Arbeit wirft die Frage nach dem complicirten Mechanismus
der Pupillenbewegungen auf. Die weit auseinandergehenden Meinungen der Ana¬
tomen und Physiologen über Sitz und Ausdehnung der Centren, über die Be¬
theiligung des sympathischen und spinalen Nervensystems, über den Antheil des
Trigeminus, Oculomotorius und Sympathicus, über den Antagonismus von Pupillen-
crweiterem und Pupillenverengerern findet in dem ersten Theile, dem allgemeinen
Tbeil, eine eingehende kritische Beurthoilung. Um dieselbe kurz wiederzugeben,
sei hier mitgetheilt, dass Verf. auf Grund eigener Experimente und Sichtung
des vorliegenden klinischen Materials, zu dem Schluss kommt, dass die Localisation
der Centren für die Pupillenbewegungen noch nicht befriedigend erfolgt ist.
Pathologische und experimentelle Zerstörung der ganzen Vierhügelgegend, neu¬
ntische Proceese im Oculomotorius, ohne dass dadurch der Pupillenreflex eine
Schädigung erfahrt, weisen auf die Thätigkeit von Apparaten hin, die anderswo
gesucht werden müssen. So kommt er dazu, dem Ganglion ciliare eine ent¬
scheidende Rolle bei der Pupillenbewegung zuzuweisen. Thatsächlich
konnte er nach Verletzung der Cornea, der Ciliamerven, der endobulbären Muscu-
Uiur weitgehende Degenerationszustände auffinden, die zum grössten Theile im
Ciliarganglion localisirt bleiben; so dass er dasselbe als ein peripheres Centrum
der Pupillenbewegung anspricht. — Er tritt entschieden, gestützt auf klinische
Erfahrung, für die Existenz einer activen Pupillenerweiterung auf.
Im speciellen Theile erstreckten sich die Untersuchungen auf 70 Fälle, und
iwar 13 Falle von progressiver Paralyse mit normalem Pupillenreflex, 23 Fälle
von progressiver Paralyse mit gestörtem Pupillarreflex, 6 Fälle von Tabes und
zur Controlle auf 29 Fälle von verschiedenen Erkrankungen. In allen den Fällen
wurden nach verschiedenen Methoden (die Nissl’sche bewährte sich am besten)
die Ciliarganglien und Ciliarnerven, das Ganglion Gasseri, die Cervicalganglien,
ab und zu die' Wurzeln des Ciliarganglions und schliesslich die Kerne des Oculo¬
motorius, in einzelnen Fällen Hals- und Brustmark einer eingehenden Untersuchung
unterworfen. Die Ergebnisse dieser äusserst gewissenhaften Arbeit sind folgende:
A) Für das Ganglion ciliare:
1. In allen Fällen von Tabes und progressiver Paralyse, bei
denen eine Störung des Pupillarreflexes nachzuweisen war, zeigten
sich Ciliarganglien und Ciliarnerven in Mitleidenschaft gezogen; war
die Pupillenreaction intact, fanden sich die genannten Organe auch normal.
In einem Falle von unilateraler Pupillenstarre war auch nur das eine
O&nglion degenerirt, während das andere normal sich verhielt.
Bei den anderen Erkrankungen konnte eben diese Beziehung zwischen Function
und anatomischem Bild festgestellt werden.
Was die Art der Schädigung des Ganglions betrifft, so konnte bei Tabes
und progressiver Paralyse ein chronischer Process, der zur completen Chromatolyse
führte, wohl von einem mehr acuten Processe bei anderen Erkrankungen unter¬
schieden werden, der sämmtliche Zellen in dunkle Flecken verwandelte oder zu
Zellwucherungen führte.
2. Für die W’urzeln und Nerven des Ciliarganglions:
Bei Tabes ist Degeneration der Ciliarnerven ein ständiger, bei progressiver
Google
318
Paralyse ein häufiger Befund. Zumeist sind nur die kurzen Ciliarnerven (die aus
dem Ganglion hervorgehen) in Mitleidenschaft gezogen. Verf. neigt der Ansicht
zu, dass die Nervenatrophie ein secundärer. der Affection der Ganglienzellen
folgender Process sei.
8. Für das Ganglion Gasseri:
In 16 Fällen von progressiver Paralyse und 4 Fällen von Tabes waren bei
3 Tabikern und 3 Paralytikern sicher die betreffenden Ganglien erkrankt; in den
übrigen Fällen war das Ganglion normal oder der Befund zweifelhaft. Bei den
übrigen Erkrankungen fanden sich auch Affectionen im Ganglion Gasseri, so sehr
starke in einem Falle von Tetanus, von Rabies, von acuter gelber Leberatrophie.
4. Für das Ganglion cervicale superius:
Zellenwucherungen und Pigmentanhäufung fanden sich in verschiedenen Er-
krankur]gefallen, besonders charakteristisch waren beide Erscheinungen für einen
Fall von TetanuB und einen von Morbus Addisonii. In zwei von 4 Fällen von
Tabes waren die Alterationen bedeutend; bei den Paralytikern war 1 / s der
Ganglien normal, 1 / 3 gab zweifelhafte Resultate, bei 1 / 3 war die Affection be¬
deutend.
6. Für das Rückenmark:
Nur in 2 Fällen von Paralyse, bei dem einen bestand Pupillenstarre, in dem
anderen das RobertBon’sche Phänomen, fand man keine histologischen Ver¬
änderungen.
6. Für die Kerne:
Selbst in den Fällen, wo Pupillenstarre intra vitam constatirt worden war,
fanden sich die Kerne des Oculomotorius und die Kerne auf dem Boden des
3. Ventrikels bis zum Ganglion habenulae hin intact. Der Westphal-Edinger’-
sehe Kern war Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit. Er zeigt sich auch stets
intact.
Dieser letzte wichtige Befund im Verein mit den Experimenten des Verf.'s
und den histologisch-klinischen Befunden am Ganglion ciliare könnten die Möglich¬
keit nahebringen, dass überhaupt kein cerebrales Centrum für die Pupillenbewegung
besteht. Gegen diese Annahme spricht die Schwierigkeit den Reflexbogen zu
construiren, ferner die klinischen Erfahrungen, dass nach Verletzung des Oculo¬
motorius, oder der vorderen Zweihügel, oder bei anderen Zerstörungen im Gehirn,
wenn auch nicht immer, Pupillenstarre beobachtet worden ist.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.)-
10) Ueber die angebliche syphilitische Aetiologie der Tabes dorsalls. —
Ein Fall von Tabes mit ungewöhnlichem Verlauf, von Dr. J. A. Gläser.
(Hamburg, 1901. Mauke Söhne.)
Verf. bekämpft in dieser Monographie auf Grund eines grossen, aus den
Hamburgischen Staatskrankenanstalten gesammelten Materials (437 Fälle), das bis
1876 zurückreicht, die Erb’sche Lehre von der Syphilis als Ursache der Tabes.
Leider ist die Schrift fast durchgängig in einem persönlichen, ironischen und
geradezu gehässigen Tone gehalten, wie er in wissenschaftlichen Discussionen fär
gewöhnlich nicht angeschlagen zu werden pflegt, und durch den auch die Be-
urtheilung des Thatsächlichen, das sie enthält, nicht erleichtert wird. Verf. kommt
zu folgenden Schlüssen; 1. Die Abhängigkeit der Tabes von der Syphilis kann
nicht behauptet werden auf Grund pathologisch-anatomischer Erscheinungen; 2. unter
54 Sectionen von Tabes konnte nur in vier ein sicherer, in vier weiteren ein
vielleicht auf Syphilis zu beziehender Befund erhoben werden, ebenso wenig
Grund des Nebeneinandervorkommens von Symptomen beider Krankheiten (nur
Google
319
3,3% der Fälle); 3. erweist sich die von Erb behauptete Thatsache „der regel¬
mässigen zeitlichen Folge der Tabes nach Syphilis“ als unbegründet (hier liegt
offenbar ein Missverständniss Erb’s von Seiten des Verf.’s vor. Ref.); 4. findet
Verf. die Verhältnisszahl zwischen männlicher und weiblicher Tabes wie 4,6:1,
nicht 10—15:1, wie Erb; 5. lässt der Schluss ex juvantibus, abgesehen davon,
dass er ohnehin unberechtigt ist, hier im Stiche. (Von 172 antisyphilitisch be¬
handelten Fällen wurde keiner geheilt, 36—60°/ o — je nachdem in der Anam¬
nese keine oder sichere Syphilis vorhanden war — gebessert). — Bei Berück¬
sichtigung der Anamnese ergiebt sich, dass eine Infection mit fragloser SyphiliB
nur in 24 °/ 0 , eine Geschlechtskrankheit überhaupt (mit Hinzurechnung der
Gonorrhoe und des Ulcus molle) in 46 °/ 0 Vorgelegen hat, also kaum die Hälfte
der von Erb gefundenen Zahl. Die Ausführungen, in denen sich Verf. gegen
die kritiklose Verwerthung des Aborts in der Anamnese oder der Auffindung
vereinzelter Drüsenschwellungen für die Diagnose der syphilitischen Infection
wendet, sind jedenfalls beachtenswerth. Die Schlussfolgerung E r b ’s, der allein
aas der Thatsache des überwiegenden Vorkommens der Syphilis — im weitesten
Sinne — in der Anamnese der Tabiker einen ursächlichen Zusammenhang beider
Krankheiten folgert, wird einer eingehenden Kritik unterzogen; die ganze Erb’sche
Lehre als eine „völlig in der Luft schwebende Hypothese“ bezeichnet, durch die
jedenfalls die nichts weniger als gleichgültige Quecksilberbehandlung nicht gerecht¬
fertigt sei. Wird die Frage umgekehrt gestellt: Wieviel Syphilitische bekommen
Tabes? statt: Wieviel Tabiker hatten Lues?, so ändern sich die Verhältnisse gleich
erheblich; und Verf. hält die entere Fragestellung im vorliegenden Falle für die
einzig erlaubte. — Jedenfalls trägt die Schrift dazu bei, die schon reichlich er¬
örterte Frage auch noch fernerhin auf der Tagesordnung zu halten und man wird
bei weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete die Gl äs er'sehe Statistik sehr zu be¬
rücksichtigen haben. — Der im Anhang geschilderte Fall von — anatomisch
fntgestellter — Tabes war dadurch ungewöhnlich, dass er mit schmerzloser
Nekrotisirung der Haut über den Trochanteren begann, zu einer Zeit, zu der
Pat noch arbeitete, die Patellarrefiexe schwach, aber nicht erloschen waren,
Ataxie und ßomberg’sches Symptom fehlten, desgleichen auch angebliche Sensi-
bilititsstörungen (ob auf Störungen der Gelenksensibilität untersucht worden ist,
geht aus dem Befund nicht hervor). Pat. ging an Cystitis und Pyelitis zu Grunde.
H. Haenel (Dresden).
11) Ueber das ungewöhn Hohe Fortbestehen, Mangeln oder Wiederauftreten
des Kniesehnenreflexes bei Bfiokenmarkskrankheit, besonders Tabes,
Myelitis transversa und gummosa. Als Preisschrift von der medicinischen
Facultät der Universität zu Berlin gekrönt Von Gotthold Ludwig Main-
lock. (Zeitschrift f. klin. Med. XLIII. S. 239.)
Zum Zustandekommen des Patellarreflexes ist nach Ansicht des Verf.’s an
dauernd ein bestimmte Grenzen nicht überschreitender Tonus erforderlich; dieser
»oll dem Bückenmark durch Fasern vom Kleinhirn zugetragen werden. Das Ver¬
halten der Patellarrefiexe ist ein Ausdruck des jeweiligen Tonus, es ist dabei
gleichgültig, ob es sich um eine Erkrankung handelt, welche die Westphal’sche
Zone freilässt (Myelitis) oder die sie theilweise mit ergreift (Tabes). Ist sie ganz
«erstört, so fehlon die Reflexe natürlich. Zur Annahme toniBirender Bahnen
kommt Verf. mit anderen Autoren dadurch, dass der reflexhemmende Einfluss des
Hirns in vielen Fällen das Verhalten der Patellarrefiexe nicht erklärt. Sind bei
theilweiser Affection der Wurzeleintrittszone (Reflexbogen für den Patellarreflex)
die Clarke'sehen Fasern erkrankt, was bei Tabes gewöhnlich frühzeitig eintritt,
i*t damit der tonisirende cerebello-spinale Einfluss beeinträchtigt, so fehlen die
y Google
320
Kniephänomene, können aber, besonders wenn die cerebello-spinalen Fasern wenig
gelitten haben, bei Fortfall von Hemmungen wiederkehren. Sind dagegen auch
bei stärkerer Degeneration der Westphal’schen Zone die Clarke’schen Fasern
verschont, so wirkt der cerebellare Tonus ungehindert und man beobachtet ausser-
gewöhnlich langes Fortbestehen der Patellarreflexa Das Fehlen der Patellarreflexe
bei hohen totalen Querschnittserkrankungen erklärt Bich durch Fortfall der toni-
sirenden Bahnen. Dieser Tonus erlischt nicht in allen Fällen sofort mit der
Trennung, so dass für kurze Zeit noch ein Reflex zu erzielen ist.
Jacobsohn (Berlin).
12) Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis, von Dr. Alfred Gross.
(Deutsches Archiv f. klin. Med. LXXI. S. 418.)
Es handelt sich um einen 35jähr. Pat., welcher vor 20 Jahren Lues acquirirt
hatte, und der im Jahre 1897 zum ersten Mal in die Kieler medicin. Klinik auf*
genommen wurde. Es bestanden damals bei dem Pat. mit Obstipation einher¬
gehende Koliken, ferner Hämatoporphyrinurie und eine Lähmung beider Nn. radiales.
Am wahrscheinlichsten schien damals eine primäre Vergiftung, eine Intoxication
vom Darme her, die zunächst die Kolik verursacht und dann zur Lähmung ge¬
führt hatte. Das resorbirte Gift bedingte die zur Hämatoporphyrinurie führende
Stoffwechselstörung. Nach etwa 1 / 9 jähr. Krankheit war damals Pat. geheilt. An¬
fang des Jahres 1901 wurde Pat. zum zweiten Male in die Klinik aufgenommen,
und zwar wegen starker Kurzathmigkeit und Oedeme. Neben einer chronischen
Nephritis, die zu Herzhypertrophie geführt hatte, ergab sich wiederum Hämato¬
porphyrinurie, ausserdem reflectorische Pupillenstarre, beiderseitige Sehnerven¬
atrophie, Romberg’sches Phänomen und Westphal’sches Zeichen; Sensibilitäts-
störungen waren nicht sicher nachweisbar, ebenso auch keine nennenswerthe Ataxie,
dagegen hatte sich zuletzt Incontinentia urinae eingestellt. Die Section des
Nervensystems bestätigte die Diagnose der Tabes. Diese zweite Beobachtung des
Pat. ergiebt nach Ansicht des Verf.’s den Zusammenhang des ersten und zweiten
Krankheitsbildes. Es sei danach anzunehmen, dass die Tabes schon früher „latent“
bestanden und zu den Koliken und Neuritiden geführt hatte. Während diese
erwähnten Erscheinungen aber zurückgegangen wären, hätte sich die Tabes weiter
entwickelt Eine Erklärung für das Zustandekommen der Hämatoporphyrinurie
kann Verf. nicht geben. Jacobsohn (Berlin).
13) A oase of progressive musoular atrophy and tabea with autopsy, by
Joseph Collins. (Journ. of Nervous and Mental Disease. 1901. October.)
47jähr. Mann bemerkt im Jahre 1892 Schwäche und Ungeschicklichkeit in
der linken Hand. Keine Lues, kein Alkoholmissbrauch. Im Laufe der nächsten
Jahre Entwickelung einer typischen progressiven spinalen MuBkelatrophie an
oberen und unteren Extremitäten. Von Anfang an Störungen von Seiten der
Blase, des Mastdarms und der Potenz, ausserdem lästige Parästhesieen in den
Beinen und an anderen Körperstellen, Nachts öfter Zuckungen in den Beinen.
Die Untersuchung ergiebt hochgradige Miosis mit Lichtstarre der Pupillen, Fehlen
der Patellarreflexe, keine Sensibilitätsstörungen, Steigerung der mechanischen
Muskelerregbarkeit an den Armen, eine vollentwickelte Muskelatrophie von spinalem
Typus an oberen und unteren Extremitäten, keine Entartungsreaction, sondern
nur quantitative elektrische Veränderungen. Die Krankheit dauerte etwa 8 Jahre,
unmittelbar vor dem Tode bulbäre Erscheinungen. Die Autopsie ergab Degene¬
ration der Hinterstränge, besonders in den Goll’schen und den ventralen Partieen
der Burdach’schen Stränge vom Lendenmark aufsteigend bis zu den Kernen der
y Google
321
Medulla oblongata, Degeneration der Pyramidenseitenstränge, am stärksten im
Lendenmark, nach oben an Intensität abnehmend, während die Pyramidenvorder*
rtrangbahnen keine Veränderungen aufwiesen. In den Vorderhömern keine krank¬
haften Veränderungen, auch in der ventralen grauen Substanz nur minimale Ver¬
änderungen. Spinalganglien gut erhalten, zahlreiche hintere Wurzelfasern erscheinen
degenerirt. Ausgedehnte interstitielle Entartung sämmtlicher untersuchter peri¬
pherer Nerven, sowie ausserordentlich intensive parenchymatöse und interstitielle
Erkrankung der Muskeln. Der anatomische Befand spricht allerdings mehr für
eine Erkrankung des peripherischen motorischen Neurons als Complication einer
Tabes. Martin Bloch (Berlin).
14) Ueber juvenile Tabes, nebst Bemerkungen über symptomatisohe
Migräne, von Dr. Heinrich v. Halban, Assistent der Klinik Krafft-
Ebing. (Jahrbücher f. Psych. u. Neurol. 1901. XX. S. 343.)
Der Umstand, dass manche Autoren an dem Vorkommen der juvenilen Tabes
zweifeln, veranlasst den Verf. zur Bearbeitung dieses Themas. Er vertritt die
Berechtigung, an diesem Krankheitsbegriff festzuhalten. Verf. stützt seine Aus¬
führungen auf das Studium von 4 Fällen juveniler Tabes, zwei von juveniler
Taboparalyse, indem er zum Vergleiche das an Tabes der Erwachsenen sehr reiche
Material der Nervenklinik heranzieht. Die Kranken standen im Alter von 17
bis 24 Jahren; die wesentlichen objectiven Symptome des präatactischen Stadiums
der Tabes der Erwachsenen waren bei ihnen zu constatiren; die subjectiven Sym¬
ptome waren nicht vorhanden oder traten ganz in den Hintergrund, weshalb die
Krankheit, wie in einem Theil der Fälle mit Sicherheit nachzuweisen war, viele
Jahre unbemerkt geblieben war.
Besonderes Gewicht wird gegenüber gegnerischen Angaben auf die typischen
Sensibilitätsstörungen gelegt. Auch manche der selteneren Symptome der Tubes
der Erwachsenen wiederholen sich gelegentlich bei den juvenilen Fällen. Einer
der Palle giebt Veranlassung zu einer ausführlichen Besprechung der Hemicranie
als Frühsymptom der Tabes und als Symptom der hereditären Lues; die Migräne
kann nämlich, wie Verf. an vier einschlägigen Fällen nachweist, das einzige
Symptom der letzteren darstellen und ist dann als Spätsymptom einer Lues here-
ditaria aufzufassen.
Aus dem Vergleiche beider Tabesvarietäten gelangt Verf. zum Schlüsse, dass
die „hereditär-luetische“ und die „acquirirt-luetische“ Tabes dieselbe Krankheit
ist, doch ist eine Differenz bemerkbar in der Häufigkeit der einzelnen Symptome,
in ihrer Intensität und am häufigsten im Verlauf, der viel langsamer ist. Fasst
man alle bekannt gewordenen Fälle juveniler Tabes mit Einschluss derer des
Verf.’s zusammen, so ist in ihnen Syphilis in einem ebenso hohen Procentsatz
nachweisbar wie bei der Tabes der Erwachsenen. Ganz dasselbe gilt für die
progressive Paralyse. Verf. sucht zu beweisen, dass ausser der Lues eine here¬
ditäre Disposition des Centralnervensystems zur Entwickelung der Tabes und der
progressiven Paralyse nothwendig sind: sie bleibt wirkungslos, wenn die Lues
fehlt Pilcz (Wien).
15 > Tablsche Erkrankung des linken Hüftgelenks, Bruch des linken Ober-
Schenkelhalses, von Martin Blpch. (Aerztliche Sachverstäudigen-Zeitung.
1901. Nr. 6.)
60jähr. Strassenbahnschaffner, der hin und wieder „Reissen“ hatte und auch
» Blasenbeschwerden litt, fiel auf die linke Hüfte, konnte sich nicht erheben
“ad klagte von da ab über Schmerzen in der Hüfte. 4 Monate später wurde
21
GoogI<
322
eine Tabes diagnosticirt, eine Rentenzahlung aber abgelehnt Verf. hatte den
Fall für das Schiedsgericht zu untersuchen, er bestätigte die Diagnose der Tabes,
befasste sich aber auch eingehend mit dem localen Befund an der Hüfte und
stellt hier (auch mit Röntgen-Durchleuchtung) einen Bruch des Schenkelhalses,
sowie eine Auftreibung des Hüftgelenks fest Er kam in Folge dessen zu dem
Schluss, dass die Erkrankung des Hüftgelenks und der Bruch des Schenkelhalses,
wenn dieselben auch Theilerecheinungen der schon früher vorbestehenden Tabes
seien, dennoch mit Wahrscheinlichkeit mit dem Unfall in Zusammenhang ständen.
Paul Schuster (Berlin).
16) Ein Beitrag an den Uebergangsformen zwischen Friedreich’soher
Ataxie und Höredoataxie odröbelleuse von Marie, von A. Hargulies.
(Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.)
Der Fall, den Verf. beschreibt, stammt aus einer Familie, in der seit drei
Generationen bei zahlreichen Mitgliedern die gleiche Krankheit wie bei der Pat.,
verbunden mit Demenz und Geisteskrankheiten, vorgekommen ist. Die Patientin
wurde im 28. Jahre krank und bietet jetzt nach 8 Jahren einen leichten Schwach¬
sinn, unwillkürliche Bewegungen von Kopf, Gesicht (Grimmassiren), Armen (athe-
totisch-spastisch, ungeschickt atactisch) und Beinen (watschelnder, hüpfender,
stampfender Gang), Sprachstörung (Hervorstossen der Worte), sehr lebhafte
Patellarrefleze, starke „Mitbewegungen“ der Arme und Hände beim Gehen, mit¬
unter Schwanken beim Kehrtmachen, keinen Romberg (Verf. gebraucht regelmässig
die Schreibweise Rhomberg), keine Sensibilitätsstörungen. Zwei Mal Ohnmachts¬
anfälle; in den oberen Extremitäten ist die „Ataxie“ stärker als in den unteren.
— Nach dem gegebenen Status, verbunden mit der Anamnese (genau dieselbe
Krankheit bei 5 Familienmitgliedern), sieht man sich genöthigt, die Diagnose auf
Chorea progressiva Huntington zu stellen. Verf. glaubt diese Diagnose aus-
schliessen zu können, und zwar wegen der nur geringen Intelligenzstörung, der
vorwiegend heiteren Gemüthsstimmung, der Zunahme der in der Ruhe nur ge¬
ringen Bewegungen bei Erregung und beim Sprechen, des Charakters derselben,
die mehr langsam und schleichend als ausfahrend und wild sind (Anfangsstadium?
Ref.), der Reflexsteigerung und einer leichten Skoliose der Lendenwirbelsäule,
sowie geringer Innenrotations- und Supinationsstellung des linken Fusses, was
beides „sonst nicht bei dem Symptomenbild der Chorea sich findet“. Ref. mnss
gestehen, durch diese Gründe nicht überzeugt zu sein, dass die Patientin nicht
an Huntington’scher Chorea leidet; wenn es auch stets sein Missliches hat, eine
abweichende Diagnose nur auf Grund einer Schilderung zu stellen, so ist die
Darstellung im vorliegenden Falle doch so charakteristisch und die Discussion
nach der Seite der vom Verf. gestellten Diagnose so wenig überzeugend, dass
jedenfalls der Fall in der Casuistik der in der Ueberschrift genannten Krank¬
heiten später lieber nioht mitgezählt wird. H. Haenel (Dresden).
17) Die allgemeine progressive Paralyse der Irren (Dementia paralytica),
von 0. Binswanger. (Deutsche Klinik. 1901. 13.—15. Lief. II. Vor¬
lesung.)
Wenn auch diese Arbeit nichts Neues bringt und auch wohl nicht bringen
soll, so sei doch in Folgendem ihr Inhalt in Kürze wiedergegeben, da sie Be¬
kanntes in übersichtlicher Beschreibung zusammenstellt:
Der „verheerende Einfluss der culturellen und socialen Schädlichkeiten“ zeigt
sich auf dem Gebiete der functionellen Nervenkrankheiten in der Häufigkeit der
Neurasthenie, auf dem Gebiete der organischen Erkrankungen des Centralnerven-
328
Systems in dem häufigen Auftreten der Dementis paralytica. Allen Krankheits-
bildern, welche letztere umfasst, ist gemeinsam der unaufhaltsam fortschreitende
geistige und körperliche Verfall und der tödtliche Ausgang. Nach dem Ent-
vickelungsgange der Krankheit theilt Verf. dieselbe in 4 Stadien ein, deren
Symptomatologie er des Näheren bespricht: 1. Stadium prodromale, 2. Stadium
initiale, 3. Stadium acmes, 4. Stadium terminale.
Das prodromale Stadium besteht aus einer Beihe nervöser Erschöpfungs-
Symptome auf psychischem und somatischem Gebiete und deckt sich klinisch mit
der Neurasthenie. Von letzterer unterscheidet sich die Paralyse in ihrem zweiten
Stadium bereits dadurch, dass bei dem Paralytiker des Initi alstadiums Storungen
der Urtheilshildung des Patienten über seinen eigenen Zustand bestehen, während
der Neurastheniker seinen Seelenzustand aufs genaueste zu analysiren im Stande
ist und nicht — wie der an Paralyse Leidende — bezüglich seiner ethischen,
ästhetischen Gefühle und Vorstellungscompleze geschädigt ist. Aus dieser Urteils¬
losigkeit des Paralytikers entspringen dessen Euphorie und Selbstüberschätzungs-
ideeen, sie bedingt hauptsächlich den beginnenden Schwachsinn, während die
(jedächtnisastörangen meist erst später auftreten.
In diesem Capitel des Initialstadiums wendet sich Verf. ausserdem kurz der
Aetiologie und in längerer Ausführung den somatischen Krankheitszeichen der
Paralyse zu. Er legt neben der Lues auch besonders der Heredität einen be¬
günstigenden Einfluss für die Entstehung der Krankheit bei (40 —50 °/ 0 der Para¬
lytiker besitzen eine deutliche hereditäre Belastung). Die Cardinalsymptome:
Störungen der Pupillarreaction, Störungen der mimischen Gesichtsinnervation, der
Sprache, Stimme und der Sehnenphänomene werden des näheren besprochen, Verf.
mahnt zur Vorsicht bei Beurtheilung der Pupillensymptome (die Pupillendifferenz
i*t belanglos, so lange keine Störungen der Lichtreaction nachweisbar sind; nicht
auf die Ausgiebigkeit, sondern auf die Raschheit der Reaction ist das Haupt¬
gewicht zu legen), sowie bei Prüfung der Sprache mittels der bekannten Para¬
digmata. Auch er legt dem Achillesreflex einen grossen Werth bei (wie in letzter
Zeit Babinski u. A.).
Als inconstante Symptome der Paralyse bespricht Verf. besonders die para¬
lytischen Anfälle.
Das Stadium acmeB bietet diagnostisch keine Schwierigkeiten dar. Der
weitere geistige Verfall, Grössenideeen, hallucinatorische Erregungszustände, deut-
Hehe somatische Störungen, paralytische Anfälle, allgemeine Ernährungs* und
trophische Störungen charakterisiren dieses dritte Stadium, welches dann in das
rierte, das Stadum terminale, übergeht. Der Exitus erfplgt durch Schluck-
poeumonie, paralytische Anfälle, cystitische und pyelo-nephritische Processe, Decu¬
bitus oder allmähliches Erlöschen der Lebensfonctionen.
Differentialdiagnostisch kommen besonders in Betracht die Neurasthenie, Lues
<*wbri, postsyphilitische Demenz, Arteriosclerosis cerebri, multiple Sklerose und
Herderkrankungen des Gehirns.
Die Dauer der Paralyse schwankt im Einzelfalle zwischen wenigen Monaten
®d zwei Decennien, Durchschnittsdauer ist 2—3 Jahre.
Mit Rücksicht auf den Krankheitsverlauf und anatomischen Befand unter¬
teilet Verf. noch besonders 1. die meningitisch-hydrocephale Form, 2. die
hämorrhagische Form, 3. die Taboparalyse, 4. die peripher-neuritisoh bedingte,
T i*wale Form (schwere Ernährungsstörungen, Kräfteverfall, viscerale Neuralgieen,
Demenz).
Eine kurze Betrachtung der pathologischen Anatomie sowie der Therapie der
Paralyse beschliesst die Vorlesung. Kurt Mendel.
21 *
Google
824
18) De l’lmportanoe des läsions vasoulaires dans l’anatomie pathologique
de la paralysie generale et d’aatres psyohoses, par Dr. A. Haha im,
Professeur k l’Universitö de Lausanne. (Bulletin de l'Acadämie royale de
mädec. de Belg. Bruxelles, 1901.)
Nach einem kurzen historischen Ueherblick hebt Verf. in der Einleitung
hervor, dass Ris das Verdienst gebührt, in der letzten Zeit die Aufmerksamkeit
auf die Bedeutung der Blutgefässerkrankung bei progressiver Paralyse von Neuem
gelenkt zu haben. Gegenüber Lancereaux bemerkt Verf., dass begrenzte Alte¬
ration der Neuroglia (foyers limitös) bei progressiver Paralyse eine häufige Er¬
scheinung sei.
Nach Verf. ist post mortem die Differentialdiagnose zwischen Paralysis pro¬
gressiva und Lues oerebri diffusa an der Hand von Präparaten der Hirnrinde
unmöglich, da die krankhaften Veränderungen der Ganglienzellen sowohl wie die
Läsion der Neuroglia dieselben sein können und die Läsion der Gef&sse in beiden
Krankheiten identisch sei.
Mittels der von van Gebuchten modificirten Nissl’sohen Methode und mit
der Weigert’schen Neurogliafarbung untersuchte Verf. die Hirnrinde von 36 im
Asile de Cery verstorbenen Geisteskranken. Darunter waren 14 Fälle von pro¬
gressiver Paralyse, 7 von Dementia praecox (Katatonie oder Dementia paranoides),
5 von Dementia senilis, 2 von Epilepsie, 2 von periodischem Irresein und je 1
von Idiotismus, Imbecillitas mit Abscessus cerebri und Meningitis, constitutioneller
Psychopathie, Dementia praecox (mit Gliosarcom des Frontallappens), Chorea von
Sydenhami, Verwirrtheit in Folge von Erschöpfung.
Auf Grund seiner Untersuchungen kommt dieser Forscher zu folgenden sehr
wichtigen Conclusionen:
1. Die Erkrankung der kleinen Blutgefässe — zellige Infiltration in den
Lymphscheiden der Gefässe —, welche man bei progressiver Paralyse findet, ist
die constanteste Veränderung bei dieser Krankheit.
2. Sie ist sehr wahrscheinlich jedes Mal vorhanden und das Fehlen derselben
muss über die Diagnose der Dementia paralytica Zweifel erregen.
3. Diese Veränderung trifft man ebenfalls bei Lues cerebri diffusa an, so
dass es unmöglich ist, diese Krankheit mikroskopisch von Dementia paralytica zu
unterscheiden.
4. Die auf syphilitischer Basis entstehenden Psychosen ausgenommen, findet
sich diese Läsion hei keiner anderen Form von Geisteskrankheit; sie ist deshalb
von grosser diagnostischer Bedeutung.
5. Vom diagnostischen Standpunkte aus ist die zellige Infiltration eine viel
häufigere und constantere und leichter erkennbare Erscheinung, als das Vorkommen
von Plasmazellen (Ragnar Vogt).
6. Bei Dementia senilis, hauptsächlich wenn dieselbe mit Alkoholismus com-
binirt war, manchmal aber auch bei anderen Psychosen, wird eine besondere
Läsion der kleinen Blutgefässe der Hirnrinde gefunden; diese Läsion ist aber
nicht für Dementia paralytica charakteristisch, obwohl man sie dort manchmal
findet; man kann dieselbe ohne Schwierigkeiten von der zelligen Infiltration unter¬
scheiden.
Zum Schluss sei hier noch bemerkt, dass die Arbeit Mahaim’a ausgezeichnet-
kurz und klar geschrieben ist. J. Piltz (Warschau).
10) Statistischer Beitrag zur Aetiologie und Symptomatologie der pro¬
gressiven Paralyse, von Dr. Raecke, vormals Assistenzarzt der psychiatr.
Klinik zu Tübingen, jetzt der psychiatr. und Nervenklinik zu Kiel. Aus der
Google
325
psycbiatr. Klinik zu T&bingen (Prof. Siemerling). (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. 1902. XXXV.)
In den ersten 13 Semestern der Tübinger psychiatrischen Klinik wurden da¬
selbst 92 Männer und 18 Frauen mit progressiver Paralyse behandelt. Neuro-
psthische Veranlagung fand sich bei 31,8%. Lues war sicher vorausgegangen
bei 57,3°/ 0 , ausserdem noch bei 20,9% wahrscheinlich. Bei 28 geeignet be¬
fundenen Fällen wurde eine antiluetische Behandlung vorgenommen, und zwar mit
Quecksilber allein oder in Verbindung mit Jodkali; bei 12 dieses Kranken wurde
eine gewisse Besserung wahrgenommen. Bei der Aufnahme in die Klinik standen
6 im 3., 38 im 4., 45 im 5., 20 im 6. und 1 im 7. Lebensdecennium. Nur in
12.7 °/ 0 der Fälle fand sich die einfaoh demente Form ohne Wahnbildung und
Hallucinationen. Bei 67,3 °/ 0 waren ausgeprägte Wahnvorstellungen vorhanden.
Vereinzelte Hallucinationen Hessen sich in 27,3 % sicher beobachten. Nicht
weniger als 20,9% haben im Verlaufe ihres Leidens Suicidversuche
gemacht Aeusserst heftige und langdauernde Erregungszustände entwickelten
och bei 25,5 °/ 0 . Die Krankheitsdauer der 32 Fälle, die in der Klinik starben,
betrag im Durchschnitt 2,4 Jahre.
Papillenstarre fand sich in 58,2 °/ 0 , Veränderung der Pupillenreaction über¬
haupt in 92,7 °/ 0 . Papillendifferenz wurde in 83,6%, Verzogensein der Pupillen
in 69,1% beobachtet. Ein Mal ward Wiederkehr der bereits erloschenen Pupillen-
reaction, ein Mal paradoxe Reaction constatirt. Die Patellarsehnenreflexe waren
gesteigert in 55°/ 0 , aufgehoben oder abgeschwächt in 33,6%. Ungleichheit in
der Stärke dieser Reflexe auf beiden Seiten fand sich in 18,2%. Nur zwei Mal
wurde dasWestphal’sche Zeichen nach anfänglicher Steigerung der Kniephänomene
beobachtet. Die Wiederkehr eines zweifellos erloschenen Patellarsehnenreflexes
wurde niemals gesehen. Pupillenstarre fand sich in 54,1 % gesteigerter Knie-
phanomene, Veränderung der Pupillenreaction überhaupt in 93,4% gesteigerter
Kniephänomene. Opticusatrophie fand sich sowohl bei erhöhten wie bei herab¬
gesetzten Patellarsehnenreflexen, in Summa bei 15,5% der Paralytiker. Augen-
muskellähmung wurde während des Aufenthalts in der Klinik im Ganzen bei
lb,2°/ 0 der Paralytiker gesehen, und zwar gleich oft bei Kranken mit gesteigerten
wie bei solchen mit herabgesetzten Patellarsehnenreflexen. Abweichen der Zunge
Mch einer Seite beim Hervorstrecken kam bei 19,1%, Facialisdifferenz bei
W,6°/ 0 , articulatorische Sprachstörung bei 79,1 % vor. Epileptiforme oder apo-
plektiforme Anfälle traten bei 34,6% der Fälle auf.
Georg Ilberg (Grossschweidnitz).
20) Ueber die Frühsymptome der progressiven Paralyse, von Ernst Emil
Moravcsik (Budapest). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 871.)
Zusammenstellung der neben neurasthenischen am häufigsten auftretenden
Früheymptome der Paralyse: Abmagerung mit und ohne Verdauungsstörungen,
«füllende Aenderung des Charakters, ungewohnte Reizbarkeit der Stimmung,
Schlaflosigkeit, ständiger Kopfschmerz, Defecte und Täuschungen des Gedächtnisses,
hartnäckig ißolirte hypochondrische Sensationen, isolirte Hallucinationen, Eifer-
»oehtswahn ohne alkoholische Grundlage, Wahnvorstellungen, die Umgebung sei
^rhrankt, zeitweise Aenderung der Form und Grösse der Pupillen, in der einen
faichtshälfte sich zeigende bHtzartige Zuckungen, nächtliche unmotivirte Tempe-
r»tonteigerungen, von starker Salivation und Acneeruption begleitet, wandernde
(rheumatoide) Schmerzen in den GliedmaasBen, vorübergehende Unsicherheit in der
^•ffihnmg intendirter Bewegungen, zuweilen wahrnehmbare Schwerfälligkeit der
V*ebe, gesteigerte oder herabgesetzte Kniereflexe. Verf. ist kein Freund der
GoogI<
326
antiluetischen Behandlung. Das Deutsch des Aufsatzes verräth manchmal za
deutlich den fremdsprachigen Verfasser. Aschaffenburg (Heidelberg).
21) Multiple Blutungen bei der progressiven Paralyse der Irren, von Frey
(Frankenthal). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 632.)
Bei einem Paralytiker, bei dem ausser zweimaligem Katheterisiren keinerlei
Eingriff nothwendig gewesen war, auch nur geringfügige Temperatursteigerungen
vorgekommen waren, entwickelten sich in den letzten Lebenstagen punktförmige
Blutungen in der Haut. Bei der Section fanden sich ausserdem Blutungen in
Magen und Blase, Arachnoidea, in der Musoulatur des Herzens, in der Nieren¬
rinde und in der Wand des 4. Ventrikels. Eine mikroskopische Untersuchung
konnte der schnellen Verwesung wegen nicht gemacht werden.
Aschaffenburg (Heidelberg).
22) Clinioal and experimental observations upon general paralysis, by
Lewis C. Bruce. (Brit. med. Journ. 1901. 29. Juni.)
Auf Grund seiner klinischen Beobachtungen und Experimente kommt Verf.
zu folgenden Schlüssen:
1. Die progressive Paralyse entsteht in Folge Vergiftung durch Toxine,
welche vom stets erkrankten Magen-Darmcanal aus in den Körper eindringen.
2. Das Gift ist wahrscheinlich ein zusammengesetztes; einer von den in Be¬
tracht kommenden giftig wirkenden Mikroorganismen ist das Bacterium coli.
3. Verf. spritzte Serum, welohes er aus dem Blut eines sich im „Remissions¬
stadium“ der progressiven Paralyse befindlichen Patienten gewonnen hatte, zwei
anderen Kranken im früheren Stadium der Erkrankung ein. — Diese Injectionen
wurden fast 2 Jahre lang fortgesetzt und hatten günstigen Einfluss auf Besserung
der Symptome, bezw. bewirkten langsameres Fortschreiten.
Verf. glaubt, dass diese Serumbehandlung die eigentliche in Betracht kommende
therapeutische Maassnahme bei dieser unheilbaren Krankheit sei. (?! Ref.)
E. Lehmann (Oeynhausen).
23) Observations bearing upon the question of the pathogenesis of general
paralysis of the insane, by W. Ford Robertson. (Brit. med. Journ.
1901. 29. Juni.)
Auch R. hält die progressive Paralyse durch eine Toxämie gastro-inteBti-
nalen Ursprungs bedingt. Die Toxine werden resorbirt und rufen degenerative
Veränderungen in den Gefässen des Centralnervensystems hervor. Diese Gefass-
veränderungen treten zuersf an denjenigen Theilen des Gehirns hervor, welche
am besten mit Gefässen versorgt sind. Auch die Tabes dorsalis hängt von der¬
selben Form der Toxämie ab. Die Syphilis spielte bei beiden KrankheitsformeD
hauptsächlich insofern eine Rolle, als sie die natürliche Immunität der Gewebe
aufhebe. Die Behandlung der progressiven Paralyse wie auch der Tabes sollte
daher in erster Linie auf Verbesserung des Zustandes des Magen-Darmcanals ihr
Augenmerk richten. Wahrscheinlich sei das einzigste Mittel, um der exceesiven
Vermehrung der Gastro-intestinal-Bakterien Einhalt zu thun, die Anwendung
apecifischer Antitoxine. E. Lehmann (Oeynhausen).
24) Des aotes testamentaires des paralytiques göneraux, par Dr. Rouby.
(Annales mädico-psychologiques. 1901. Sept./Oct.)
In dem einen Falle erklärte das Gericht nach dem Gutachten des als Expert
zedby G00gle
327
geladenen Verf.’s das Testament eines Paralytikers für ungiltig, in dem anderen
lieaa es das ebenfalls von einem typischen Paralytiker abgefasste Testament za
Recht bestehen. Adolf Passow (Meiningen).
25) ün oaa de soldrose en plaques 4 tremblement unilateral, par P. Rem-
linger. (Revue de Mddecine. 1899. März. S. 244.)
Yerf. diagnosticirt „multiple Sklerose“ hei einem 46jähr. Patienten, der nur
im rechten Arm und Bein starkes Intentionszittern hatte, daneben allgemein
gesteigerte Sehnenreflexe, spastischen Gang, verlangsamte schleppende Sprache und
beginnende Atrophia n. optici. Alle diese Erscheinungen hatten sich langsam
ohne besondere Ursache im Verlauf von 6 Jahren entwickelt.
Strümpell (Erlangen).
26) Ueber Sensibilitä tu tö rangen bei Soleroeis polylnsularis, von Dr. Franz
v. Gebhardt Mittheilung aus der II. internen Klinik der königl. ungar.
Universität zu Budapest (Archiv f. klin. Med. LXVII1. S. 154.)
Verf. hatte Gelegenheit, in den letzten Jahren 28 Fälle von polyinsulärer
Sklerosis zu beobachten. Bei 18 dieser Patienten bestanden Sensibilitätsstorungen
Terschiedenster Art, und zwar Parästhesieen, Hypästhesieen, reissende Schmerzen,
Gürte lg efühl, vermindertes und gesteigertes Schmerzgefühl, Seh-, Gehör*, in einigen
Fällen auch Geschmack* und Geruchstörungen. Diese Gefühlsstörungen bestanden
dauernd oder sie waren vorübergehender Art. Verf. glaubt, dass in jenen Fällen,
in welchen die Sensibilitätsstörungen beständig sind, im Rückenmark oder in der
Hirnrinde anatomische Veränderungen bestehen, welche nie mehr reparabel sind,
dass aber die bald zum Vorschein kommenden, bald wieder schwindenden Gefühls-
Störungen den functionellen Sensibilitätsalterationen sehr gleichen. Diese letzteren
Störungen, welche durch das rasche Wechseln charakterisirt sind, hätten keine
anatomische Basis, sie seien den hysterischen Sensibilitätsstörungen gleichwerthig.
Jacobsohn (Berlin).
27) Sur un oaa typique de solörose en plaqnes ehe* une petite Alle de
7 ans, par Dr. P. Sorgente. Aus der Kinderklinik in Rom. (Annales de
medecine et Chirurgie. 1901. 1. u. 15. März.)
Vorliegende Arbeit ist nach dem so beliebten Schema aufgebaut, dass ein
selbstbeobachteter Fall Ausgangspunkt einer Zusammenstellung aller ähnlicher, in
der Litteratur dargelegten Beobachtungen wird, die ausführlich angeführt und zu
allgemeinen Schlüssen verwerthet werden. Es ergiebt sich aus dieser Aufstellung,
da« die multiple Sklerose im Kindesalter häufiger ist, als dies gemeiniglich an¬
genommen wird, dass bei der bisher beobachteten Casuistik der 5. Lebensmonat
die untere Krankheitsgrenze darstellt, und dass Infectionskrankheit, manchmal
auch Syphilis, eine ätiologische Rolle spielen; aus letzterem Grunde hält Verf.
rine antiluetische Kur in jedem Falle für rationell.
Die Arbeit kann immerhin beim Studium der kindlichen multiplen Sklerose
*la eine Art Sammelreferat gelten, die statistischen Schlüsse aus derartigen Zu-
•ucmenstelluhgen möchte Ref. nicht allzu hoch anrechnen.
Zappert (Wien).
28) insular solerosls with loss of stereognostic sense in the right band
(tenses of touoh, pain and temperature preserved), by T. K. Monro..
(Glasgow med. Journ. 1901. Juni.)
23jähr. Patientin, die häufig Durchnässungen ausgesetzt, im Uebrigen aber
zedby G00gle
328
früher im Wesentlichen gesund war, erkrankte vor 5 Monaten mit Kopfschmerzen,
Schwindel und vorübergehender Schwerhörigkeit erst des rechten, dann des linken
Ohres. Einen Monat später Unsicherheit der Beine, Schwäche des linken, nach
abermals 6 Wochen Taubheitsgefühl in den Beinen, besonders im rechten, ver¬
bunden mit Kribbeln und Stechen in den Füssen. Zur selben Zeit Steifigkeit,
Schwäche und taubes Gefühl im rechten Arm, 3 Wochen später im linken. Kurz
vor der Aufnahme auch Taubheitsgefühl an zwei Stellen des Abdomens. Die
Untersuchung ergiebt doppelseitigen Nystagmus, vorübergehenden Intentionstremor
in der rechten Hand, starke Patellarreflexe, Fussklonus angedeutet, Babinski.
Das auffallendste Symptom ist eine erhebliche Störung des stereognostischen Sinns
an der rechten Hand bei vollkommen erhaltener taotiler Sensibilität und dem
Mangel jeder Coordinationsstörung. Verf. stützt die Diagnose wesentlich auf den
Nystagmus; es bestanden bei der Patientin aber erhebliche, seit der frühesten
Kindheit datirende Sehstörungen (Hornhautflecke in Folge von Keratitis) bei
gleichzeitigem Strabismuss, so dass Ref. sich dem in der Discussion geäusserten
Bedenken, ob nicht diese Veränderungen am Sehapparat den Nystagmus bedingen,
anzusohliessen geneigt ist, und dann steht die Diagnose einer multiplen Sklerose
auf schwachen FiisBen. Martin Bloch (Berlin).
29) A oaso of m&laria presenting the Symptoms of disseminated solerosis
wlth neoropsy, by William G. Spiller. (From the William Pepper
Clinical Laboratory. 1900.)
Der Verf. führt zunächst sehr ausführlich die in der Litteratur niedergelegten
Fälle von Malaria mit Erscheinungen von Seiten des Centralnervensystems an,
giebt ferner die kurze Beschreibung eines Falles eigener Beobachtung, bei welchem
der Patient Schwindel, Sprachstörungen, Intentionstremor der Hände, Ataxie an
den Beinen gehabt hatte, welche Erscheinungen auf Chinin beinahe völlig zurück-
gegangt® waren (Plasmodien waren im Blute aufgefunden worden). Sodann
citirt er Angaben über bei Malaria gefundene anatomische Läsionen des Central¬
nervensystems.
Angaben über Veränderungen der motorischen Partieen konnte er jedoch
nirgends auffinden. Die Paralysen wurden von den einen auf die Kachexie, von
anderen auf Congestion, Blutveränderung oder die Ruptur capillärer, mit Pigment
gefüllter Aneurysmen zurückgeführt.
In dem Falle, dessen Krankengeschichte und Obductionsprotocoll er nun aus¬
führlich wiedergiebt, handelte es sich um einen 40jähr. Matrosen, den er 3 Jahre
im Krankenhause beobachten konnte; derselbe bot die Symptome einer vorwiegend
einseitig localisirten multiplen Sklerose.
Der Patient, dessen Temperaturen während der ganzen Zeit (entsprechend
seiner Somnolenz) subnormale gewesen waren, erkrankte an profusen Diarrhöen
mit erhöhten Temperaturen von intermittirendem Typus und starb nach wenigen
Tagen.
Bei der Obduction fiel vor allem die stark vergrösserte Milz auf.
Mikroskopisch fanden sich multiple sklerotische Plaques, insbesondere auf
motorische Herde (Pyramide) der einen Gehirnhälfte beschränkt, die Verf. als das
Resultat vorausgegangener wiederholter capillärer Blutungen ansieht; Nervenzell-
Veränderungen konnten an den in Müller’scher Flüssigkeit gehärteten, mit Carm-
ammoniak gefärbten Präparaten nicht festgestellt werden. Die Hirncapillaren
waren an vielen Stellen mit pigmenthaltigen Parasiten der Autumno-aestivalform
wie mit schwarzem Pulver injicirt.
Es handelt sich somit um einen Fall von sozusagen larvirter Malaria.
Hysterie und terminale Complication mit Malaria waren auszuschliessen. Die
zedby G00gle
329
io ausserordentlich lange Latenzperiode findet er in mehreren italienischen An¬
gaben erklärt, nach welchen die Parasiten unter Umständen jahrelang auf ein
bestimmtes Organ beschränkt bleiben können, um gelegentlich wieder den ganzen
Organismus zu invadiren. Bakterienhaufen, die er im Gehirne finden konnte, fasst
er als postmortales Ginwanderungsproduct auf.
Soweit Verf. in der Litteratur auf Malaria zurückgefUhrte Fälle multipler
Sklerose auffinden konnte, ist sein Fall der erste, bei welchem auch der anato¬
mische Befund vorliegt. H. Marcus (Wien).
SO) Bin Fall von multipler Sklerose traumatischen Ursprungs, von Dr.
Julius Flesch. (Wiener med. Blätter. 1901. Nr. 7.)
Der 40jähr. Bahnbedienstete wurde von den Puffern eines Waggons in die
Kreuzbeingegend gestossen. Schmerzen daselbst und neurasthenische Beschwerden
blieben durch Monate die einzige Folge. 4 Monate nach dem Unfall Steigerung
der Periost- und Sehnenreflexe, Patellarklonus, Intentionstremor, rechts auch
Tremor in der Ruhe. Spastischer, unsicherer Gang. Ziehende anfallsweise auf¬
tretende Schmerzen vom Kreuzbein gegen den Schädel ausstrahlend, Hyperästhesie
des Acusticus, allgemeine Muskelschwäche, tremolirende, nicht scandirende Sprache,
Romberg’sches Phänomen angedeutet, Anfalle von Dyspnoe bei Druck auf
schmerzhafte Stellen.
Von diagnostischer Bedeutung gegenüber Meningitis und Neurasthenia spinalis
hält Verf. die erwähnten anfallsweise auftretenden ziehenden Schmerzen ohne
Druckempfindlichkeit der Dornfortsätze. J. Sorgo (Wien).
81) Ein Fall von multipler Sklerose nach Trauma, von Prof. Dr. Wind¬
seite id. (Aerztl. Sachveretändigen-Zeitung. 1902. Nr. 1.)
Verf. berichtet über einen 21jähr. Zimmerer, welcher dadurch verunglückte,
dass er aus einer Höhe von 90 cm herunter mit dem Kopf auf einen Balken fiel;
er war sofort bewusstlos, hatte eine Beule an einem Auge und blutete aus dem
rechten Ohr. 8 Tage darauf Kopfschmerz, Schwindel, Sprachstörung. Lues und
AlkoholismuB negirt. Objectiv: Blöder Gesichtsausdruck. Verminderte Intelligenz.
Skandirende Sprache. Romberg’sches Phänomen. An den unteren Extremitäten:
Ataxie, schleppender, unsicherer Gang, stark gesteigerte Kniereflexe, Fussklonus.
Keine Sensibilitätsstörungen. Kein Nystagmus. Kein Intentionstremor. Diagnose:
Multiple Sklerose. Die Krankheit ist eine congenital veranlagte, das Trauma das
äussere Reizmoment, welches das Leiden zur Entwickelung brachte. Zum min¬
desten müsse eine raschere Entwickelung der Krankheit durch den Unfall an¬
genommen werden. Pat muss die Vollrente beziehen. Kurt Mendel.
32) Zwei Fälle von Rüokenmarkserkrankung naoh Unfall, von Kurt Mendel.
(Monatsschrift f. Unfallheilk. 1902. Nr. 1.) '
Verf. berichtet über 2 Fälle, welche beide das Bild der multiplen Sklerose
darboten, sich aber hinsichtlich der speciellen Symptomatologie sowie hinsichtlich
ihres Verhältnisses zu dem bei der Begutachtung in Betracht kommenden Trauma
nicht unwesentlich von einander unterschieden.
Im ersten Fall bestand das Trauma in der Absprengung eines Stückes der
rechten Tibiakante mit grossem Bluterguss durch die Puffer eines Kippwagens.
Unmittelbar an dieses Trauma traten bei dem 37jähr., bisher gesunden Patienten
ansicherer Gang und Kreuzschmerzen auf. Nach ungefähr ’/ 2 Jahr bemerkte der
Verletzte eine Schwäche des rechten Beins: ärztlicherseits wurde um diese Zeit
ein beginnendes Rückenmarksleiden festgestellt; es bestand schon damals eine
y Google
330
Peroneusparese. Nach einem weiteren Jahr zeigte der Kranke ausser der Perone&l-
parese rechts noch Intentionstremor, eine langsame Sprache, spastischen Gang, bis
zum Clonus gesteigerte Reflexe und Atrophieen am rechten Unterschenkel mit
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit. Abgesehen von der Peroneallähmung
wurde die multiple Sklerose in diesem Falle noch durch eine functioneile rechts¬
seitige Hypästhesie complicirt. Die Peroneallähmung war nach Verf. keine peri¬
pherische, sondern auch eine spinale. Ihre Entstehung geschah ebenso wie die¬
jenige des sklerotischen Processes durch das Trauma in einem prädiBponirten
Rückenmark.
Der andere, symptomatologisch durchsichtigere Fall ist insofern interessant, als
das auslösende Trauma in einem Sturz in kaltes Wasser bestand, eine Aetiologie,
welche in der Casuistik der durch Trauma bedingten multiplen Sklerose schon
einige Male vermerkt ist. Nach jenem Sturz ins Wasser entwickelte sich bei dem
37jähr. Pat., einem Flösser, eine Schwäche der Beine, welche sehr bald als spinal
erkannt wurde. Der Zustand verschlimmerte sich im Anschluss an ein zweites
Trauma, einen Fall auf den Rücken, bis zu dem ausgesprochenen Bild der
Sklerosis multiplex mit Nystagmus, Opticusatrophie, skandirender Sprache, Reflex¬
steigerung u. s. w.
In diesem letzten Fall wurde der Beginn des Leidens durch das erste Trauma,
den Sturz ins Wasser, ausgelöst und die weitere Entwickelung des Leidens in
erkennbarer Weise durch den zweiten Unfall beschleunigt.
Paul Schuster (Berlin).
33) Ein Beitrag zur Aetiologie der multiplen Sklerose, von Irma Klausner.
(Archiv f. Psyoh. XXXIV.)
Verfasserin hat das Krankenmaterial der psychiatrischen und Nervenklinik
in Halle a/S. in Bezug auf die Frage nach der Aetiologie der multiplen Sklerose
verarbeitet. Bei 126 Fällen fand sie ein Ueberwiegen des männlichen Geschlechts
(78 Männer und 48 Frauen). Von 1 ätiologischen Momenten werden genauer, in
tabellarischen Uebersichten, betrachtet Heredität, Disposition, Infectionskrankheiten
(Syphilis nur in 3 Fällen gefunden), Intoxicationen (besonders Alkohol), Traumen
(26 Fälle, ausserdem in 8 Fällen Verschlimmerung des bereits bestehenden Leidens
nach Trauma, dadurch, dass Entbindungen, Aborte, Coitus, Aerger und Sorgen
mit in diese Rubrik aufgenommen sind, ist dieselbe grösser geworden als den
sonstigen Erfahrungen entspricht; eine Erschütterung des ganzen Körpers lag nur
in 5 Fällen vor); ferner Ueberanstrengung und Erkältungen (letztere in 13 Fällen).
Bezüglich des Alters, in dem die Erkrankung sich zuerst zeigte, ist erwähnens-
werth, dass die Altersgruppe von 36—40 Jahren beinahe ebenso häufig erkrankte
(18 Mal) wie die von 21 — 25 Jahren (19 Mal) und häufiger wie die von 16—
20 Jahren (12 Mal); in 2 Fällen trat die Krankheit erst im 61. und 63. Lebens¬
jahre auf, jenseits des 50. noch in 7 Fällen. Die noch ziemlich verbreitete An¬
sicht, dass die multiple Sklerose vorwiegend eine Erkrankung des jugendlichen
Alters sei, ist also nach dieser Statistik nicht aufrecht zu erhalten. — In der
Schlussübersicht ergiebt sich, dass keine der betrachteten ursächlichen Momente
eine überwiegende Rolle spielt, dass sie alle in fast genau gleicher Häufigkeit in
der Anamnese angeführt werden; Marie wird sich also mit seiner Angabe, den
Infectionskrankheiten komme die wesentlichste Bedeutung zu, ebenso getäuscht
haben wie andere Autoren, die andere Momente bevorzugt haben; der Schluss,
dass keine der gewöhnlichen äusseren Ursachen von Bedeutung bei der multiplen
Sklerose ist, dass diese der Hauptsache nach endogenen Ursprungs ist, erscheint
demnach völlig gerechtfertigt. H. Haenel (Dresden).
Google
331
34) Die Bestehungen zwischen der multiplen Sklerose und Dementia
paralytica, von Nikolaus Petroff. (Inaug.-Disaert. Berlin, 1901.)
Verf. fand in der Litteratur über 14 Fälle berichtet, in denen sich eine
Combination von multipler Sklerose und progressiver Paralyse feststellen liess.
Er selbst giebt die Krankengeschichte (ohne Sectionsbericht) eines solchen,
auf der Nervenklinik der Berliner Charit6 beobachteten Falles. Es handelt sich
um einen 47j ähr. Kaufmann, dessen Leiden als typische multiple Sklerose mit
Intentionstremor, skandirender Sprache, Nystagmus u. s. w. begann; dann traten
psychische Symptome der Paralyse hinzu: Orössenwahnideeen, Sprachstörung etc.
Die Erscheinungen der multiplen Sklerose existirten neben der Paralyse unverändert
weiter: die paralytische Sprachstörung war zu der skandirenden Sprache der
Sclerosis multiplex hinzugetreten. . Kurt Mendel.
UL Bibliographie.
1) Bncyklopädie der gesammten Chirurgie, von Th. Kocher und F. de
Quervain. Lieferung 1 u. 2. Mit zahlreichen Abbildungen. (Leipzig 1901,
F. C. W. Vogel.)
Bei den raschen Fortschritten auf chirurgischem Gebiete und bei der stetig
zunehmenden Zahl der Publicationsorgane wird es trotz aller Sammelreferate,
Centralblätter und Jahresberichte dem Arzte immer schwieriger gemacht, sich nur
einigermaa88en auf dem Laufenden zu erhalten. Mit dem vorliegenden Werke
soll dem herrschenden Uebelstande abgeholfen werden. Eine grosse Anzahl von
Mitarbeitern ist gewonnen worden, deren Namen alle Garantie für vollständige
und zuverlässige Darstellung der anvertrauten Capitel in knapper Form bieten.
Mögen auch die Ansichten über den Werth der Darstellung einer Disciplin in
Form eines Lexicons n.it alphabetischer Anordnung vielfach getheilt sein, soviel
steht ausser Zweifel, dass das Verlangen nach solchen Büchern, welche vor allem
eine rasche Orientirung über die wichtigsten Punkte ermöglichen, unter den
Praktikern sehr verbreitet ist. Freilich wird der praktische Arzt in diesem Nach-
Bchlagebuche manchmal gerade dasjenige nioht mit hinreichender Genauigkeit
erörtert finden, was ihn im speciellen Falle interessirt. Umsomehr dürfte, zumal
bei wichtigeren Capiteln, ein Hinweis auf die hervorragendsten litterarischen
Erscheinungen auf dem einschlägigen Gebiete nicht fehlen. Litteraturangaben
erscheinen vor allem unerlässlich bei denjenigen Affectionen, über deren Behand¬
lung unter den Antoren noch wesentliche Meinungsverschiedenheiten bestehen
(vergl. z. B. die Capitel Adererkrankungen, Appendicitis u. s. w.). Abgesehen von
diesem Mangel wäre an den vorliegenden Lieferungen nur noch der kleine Druck
zu beanstanden. Im Uebrigen ist die Bearbeitung eine durchaus gediegene und
wir bezweifeln nicht, dass das Werk der gestellten Aufgabe vollauf 'gerecht
werden wird. Wir behalten unB vor, auf dasselbe nach dem vollständigen Er¬
scheinen nochmals ausführlich zurückzukommen. Adler (Berlin).
2) Jahrbuoh iür sexuelle Zwischenstufen, unter besonderer Berück¬
sichtigung der Homosexualität, herausgegeben von Dr. M. Hirschfeld.
(Leipzig 1901, M. Spohr.)
Bisher liegen drei an Umfang wachsende Jahrgänge dieses Jahrbuchs vor.
Sie enthalten eine Fülle des 6onst wohl nirgends so reichlich vorhandenen Materials.
Die Mitarbeiter sind theils Aerzte (Moll, Krafft-Ebing, Hirschfeld), katho¬
lische Prister u. s. w., theils anonyme Schriftsteller.
Der erste Jahrgang (1899) enthält eine systematische Anleitung zur Unter¬
suchung von Urningen, interessante Selbstbiographieen von Kranken dieser Art
Google
332
eine Zusammenstellung der strafrechtlichen Bestimmungen über diesen Punkt aus
alter und neuerer Zeit in Deutschland und dön übrigen Staaten Europas.
Als das Werthvollste in diesen» sowie in den folgenden Jahrgängen erscheint
die offenbar vollständige, mit grosser Sorgfalt zusammengestellte Bibliographie.
Im zweiten Jahrgange (1900) ist ein Aufsatz von Moll (Berlin) über die
Therapie bei Homosexuellen von Interesse. Die aus einer offenbar sehr grossen
Erfahrung heraus dargestellten Behandlungsprincipien dürften die Zustimmung der
Neurologen und Psychiater finden, zumal auf die individuellen Verschiedenheiten
der einzelnen Fälle genügend hingewiesen ist. Für die zu ergreifenden gesetz¬
lichen Maassnahmen sind ausser den ärztlichen Urtheilen auch die Darstellungen
von zwei Geistlichen (eines römisch-katholischen und eines evangelischen) von
Wichtigkeit. Ausser der Bibliographie finden wir in diesem Band noch eine
reichliche Blüthenlese aus den Tageszeitungen — meistens sogenannte „Skandal-
affairen, mysteriöse Vorfälle, Sensationsgeschichten, Sittenbilder u. s. w.“, die nicht
nur die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse erkennen lassen, unter denen solche Kranke
mit der Umgebung collidiren, sondern auch beweisen, wie verbreitet diese psycho¬
pathische Disposition ist.
Der neueste, diesjährige, dritte Band ist der umfangreichste (etwa 600 Seiten).
Er enthält einen Beitrag von Krafft-Ebing (Wien) über „Neue Studien auf
dem Gebiete der Homosexualität“. Das Verhalten der Homosexuellen in der Ehe
wird dargestellt. Dr. Karsch (Berlin) schildert die Erscheinungen des Uranismus
und der Tribadie bei den Naturvölkern. Von einigen historischen Persönlichkeiten
(dem Märchendichter Andersen, dem Kaiser Heliogabel u. A.) wird der Nachweis
der homosexuellen Veranlagung und Bethätigung geführt. Sehr interessant sind
noch die Darstellungen über Oscar Wilde und die Selbstbiographie zweier homo¬
sexuell veranlagter Frauen. In der feinsinnigen Zergliederung des Charakters,
besonders der einen, zeigt sich ein wunderbarer Uebergang zum normal-psycho¬
logischen. — Auch die „Zeitungsausschnitte“ in diesem Jahrgang enthalten wieder
reiches casuistisches Material. Lilienstein (Bad Nauheim).
IV. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psyohiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 10. März 1902.
Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: - Herr Bernhardt.
Der Vorstand schlägt der Versammlung vor, Herrn v. Leyden zum Ehren¬
präsidenten der Gesellschaft zu ernennen; der Vorschlag wird einstimmig an¬
genommen. Der Vorsitzende theilt mit, dass der Vorstand der Gesellschaft
Herrn v. Krafft-Ebing zu seinem 30jährigen Docentepjubiläum ein Glückwunsch¬
telegramm im Namen der Gesellschaft übersandt habe.
Herr Paul Schuster (vor der Tagesordnung): Gestatten Sie, dass ich
Ihnen in Kürze einen 59 jährigen Patienten vorstelle, dessen Hauptkrankheits¬
symptom in einem tonischen und dann clonischen Krampf des ganzen rechten
Facialis besteht. Ausser den sämmtlichen Gesichtsmuskeln ist auch das Pla¬
tysma und die Masseteren, sowie die Zuugenmuskulatur rechts betheiligt. Der
Krampf tritt jetzt — ohne erkennbare Ursache ungefähr alle Stunde auf und
dauert 1 — 2 Minuten. Das Bewusstsein ist völlig erhalten, desgleichen die
Pupillenreaction. Eine deutliche Aura besteht nicht, wenn Pat. auch das Gefühl
hat, dass der Krampf „von unten, von der Magengrube, emporsteigt.“ Nachher
keine Benommenheit. Ausser diesen Krämpfen bestehen auch einige sehr un¬
bedeutende Lähmungserscheinungen im Bereich der Hirnnerven: eine ganz
schwache Parese des rechtsseitigen Facialis und Hypoglossus, ein geringes
Weitersein der rechten Pupille. Keine elektrische Veränderung im Facialis,
333
•
keine Beteiligung des sensiblen Quintus oder des Acusticus. Die Sprache ist
stark nasal, das Schlucken ungestört. Sonstiger Befund von Seiten des Nerven¬
systems negativ, insbesondere keine Stauungspapille, kein Erbrechen oder sonstige
Allgemeinerscheinungen. Wenig Eiweiss im Urin. Der geschilderte Befund ge¬
winnt noch an Interesse dadurch, dass derselbe schon vor 11 Jahren aufgetreten
ist, aber seitdem nicht stationär gewesen ist. Als der Krampf vor 11 Jahren
zuerst kam, war er von Zungenbiss begleitet, sonst aber genau wie jetzt. (An¬
gabe der Frau des Pat.) Damals verschwand der Krampf wieder und tauchte in
der Folgezeit nur alle halbe Jahre ungeiähr einmal auf. Sylvester 1898/99 trat
eine neue Serie von Anfällen auf, welche heftiger war als die früheren und länger
anhielt. Der Pat. suchte im April 1899 die Prof, Mendel’sche Klinik auf, wo
ich den Pat. einen Monat beobachtete. Der Hauptunterschied des damaligen
Befundes dem jetzigen gegenüber besteht darin, dass die Lähmung des FacialiB,
der Zunge und der Gaumenmuskulatur eine ausserordentlich hochgradige war;
der Pat. konnte weder articuliren noch schlucken. Bemerkenswerth ist, dass in
dem gelähmten Facialis deutliche ausgiebige Bewegungen beim Affectlachen ge¬
sehen wurden. Die Krampfanfälle waren die gleichen wie heute und kamen noch
viel häufiger. (Demonstration des Photogramms.)
Auch damals war Eiweiss im Urin. Letzteres verschwand in dem weiteren
Verlauf in demselben Grade als die Krämpfe sich verloren. Der Kranke war
dann 3 Jahre ganz gesund, ohne jeden Krampf und ohne Parese bis vor etwa
8 Tagen. Seit dieser Zeit jetziger Befund.
Ich glaube, man kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit trotz des Zungen¬
bisses und trotz der langen Dauer des Leidens wegen der erhaltenen Pupillenreaction,
wegen der stets freien Psyche und wegen des negativen Erfolgs einer Brombehandlung
eine abortive Form der genuinen Epilepsie ausschliessen, wenn auch bei letzterer
Zustände nachfolgender passagerer Lähmung beschrieben worden sind.
Bin ich so geneigt, einen organischen Process anzunehmen, so möchte ich
diesen wegen der eigenartigen Constellation der befallenen Muskeln nicht in den
Pons verlegen, trotzdem der Pat. in dem Stadium der Lähmungen durchaus den
Eindruck eines Ponskranken macht. Die Häufigkeit der Anfälle, das Befallensein
des ganzen Facialis, deB Platysma, der Kaumuskeln, der Zunge spricht mit grosser
Wahrscheinlichkeit für einen Sitz der Affection im unteren Theile der vorderen
und hinteren Centralwindung. Hier sind die sämmtlichen in Betracht kommenden
Muskeln auf einem kleinen Territorium bei einander gelagert. Vielleicht handelt
es sich um irgend einen alten kleinen oberflächlichen pialen und corticalen Ent¬
zündungsherd, in welchen hinein (unter dem Einfluss der Nephritis?) gelegentlich
kleine Hämorrhagieen erfolgen. • (Autoreferat.)
DiscusBion.
Herr Oppenheim stimmt bezüglich der Localisation des Processes völlig
mit dem Vortr. überein, ungewöhnlich selten, wenn auch nicht singulär, sind die
dabei beobachteten Bulbärsymptome. Was die Natur des Leidens angeht, so
sollte die Diagnose „Tumor“ nicht ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden,
da eine ganze Reihe von Tumoren, besonders solche, die gewissen regressiven
Metamorphosen unterlägen (Cysten, Cysticerken) oft lange stationär bleiben, bezw.
oft lange symptomlos verlaufen; ferner kann im vorliegenden Fall auch an ein
Aneurysma gedacht werden.
Herr Schuster bemerkt, dass auch in der Mendel’schen Klinik an die
Möglichkeit eines Cysticercus gedacht worden wäre, ebenso an die eines
Aneurysma. Aetiologische Anhaltspunkte für die erstere Möglichkeit hätten
sich nicht ergeben. Bei einem Tumor wäre das Fehlen aller sensiblen Reiz¬
erecheinungen, die besonders bei solchen Serien von Attaquen fast stets vorhanden
•eien, äusserst merkwürdig.
Google
334
Herr Jolly berichtet über 3 Fälle von Rückenmarks er k rankungen in Folge
von Wirbelverletzungen , von denen er die beiden ersten gebessert vorstellen
kann, während der dritte ad exitum gekommen und anatomisch untersnoht worden ist.
1. Pat. wurde vor l l / 4 Jahr von einem Wagen umgestossen, das Pferd trat
ihn in den Nacken. Pat. war sofort an den Beinen gelähmt; die Lähmung war
zunächst eine schlaffe, die Patellarreflexe fehlten, die Hautreflexe waren schwach
vorhanden. Es bestand ein Gibbus des 1.—2. Brustwirbels. Nach 2 Monaten
Patellarreflexe lebhaft, allmählich mehr und mehr verstärkt. Es bestehen jetzt
starke Spasmen, die aber überwunden werden können. Bewegungen in den Beinen
sind in geringem Grade möglich und zwar rechts besser als links und Morgens
leichter als am Abend. Pat. kann, von beiden Seiten gestützt, sich etwas fort¬
bewegen. Es besteht Fussclonus und Babinski’sches Zeichen beiderseits, die
Hautreflexe sind erhöht. Sensibilität: Temperatur- und Schmerzempfindung beider¬
seits bis zur Höhe der 3. Rippe herabgesetzt; bisweilen Incontinentia urinae.
Der Rumpf ist steif, Aufrichten aus der Rückenlage ohne Hülfe unmöglich.
Obere Extremitäten frei, rechte Lidspalte eine Spur enger als die linke, Pupillen
gleich, Himnerven ohne Störungen. Auffallend ist das Freibleiben der oberen
Extremitäten. Eis handelt sich demnach um eine Quetschung im 2. Dorsalsegment,
bedingt durch Wirbelfractur. Afficirt sind nach dem klinischen Bilde vornehmlich
die vorderen Partieen des Rückenmarkes, und zwar Pyramidenbahnen, Vorder-
stränge, vielleicht auch die Gowers’schen Stränge. Vortr. hält eine weitere
Besserung für möglich, völlige Restitution indess für ausgeschlossen.
2. Vor 1 1 /j Jahren Sturz von einem Gerüst; Pat. fiel auf die Füsse, knickte
zusammen und brach beim Versuch, sich zu stützen, den linken Vorderarm. Sofort
Lähmung beider Beine mit leichter Anästhesie. Am dritten Tage Ausbruch eines
Delirium tremens von sehr mildem Verlauf, während dessen eine Lumbalpunction
5 ccm einer bräunlich tingirten Flüssigkeit, die mikroskopisch degenerirte rothe
Blutzellen enthielt, entleert wurde, wodurch das Vorhandensein eines Blutergusses
in den Duralsack sichergestellt wurde. Unmittelbar nach der Punction wurden
geringe Bewegungen in den Zehen constatirt, die während eines 14 Tage an¬
dauernden und mit Pneumonie complicirten Recidivs des Delirium wieder
schwanden. Nach Ablauf desselben complette schlaffe Lähmung der Beine. An¬
fangs Incontinentia vesicae et alvi, die nach Ablauf des Delirs allmählich nach-
lie8s. Nach 3 Monaten begannen die ersten spontanen Bewegungen und zwar
schwache Flexion und Rotation der Oberschenkel. Die faradische Erregbarkeit
war in den ersten Monaten fast gleich Null, galvanisch fand sich später Ent-
artungsreaction in sämmtlichen Muskeln der Beine, und zwar in den distalen
Partieen stärker als in den proximalen. Nach dem zweiten Delirium waren
peripherische Nerven wie die Muskeln stark druckempfindlich. Eis findet Bich
jetzt eine Parese des Quadriceps beiderseits, links mehr ausgesprochen als rechts.
Die Patellarreflexe fehlen. Es besteht typische Lähmung der Peronealgruppe
beiderseits, ausgesprochener Steppergang. Die Functionen der Blase und des
Mustdarmes sind jetzt nahezu normal. Obere Extremitäten und Sensorium sind
frei. In der Gegend des 2.—3. Lendenwirbels findet sich ein ganz schwach
hervortretender, jetzt nicht mehr schmerzhafter Gibbus.
Vortr. diagnosticirt eine Cauda-Erkrankung. Der Alkoholismus mag im vor¬
liegenden Fall wohl noch eine besondere Disposition für die traumatische Er¬
krankung des peripheren motorischen Neurons gegeben haben. Wahrscheinlich
wird die Regeneration noch weitere Fortschritte machen.
3. Sturz aus der Höhe von zwei Stockwerken. Sofort Bewusstlosigkeit und
complette schlaffe Lähmung der Beine, Blasen- und Mastdarmlähmung, Sensibilität
bis zur 5.—6. Rippe völlig aufgehoben, andauernder Priapismus, Fehlen der
Patellarreflexe. Betroffen waren der 6.—8. Brustwirbel. Es bestand demnach
völlige Leitungsunterbrechung.
335
Bei der 3 Monate nach dem Unfall erfolgten Aufnahme in die Nervenklinik
der Königl. Charite fand sich kein eigentlicher Gibbus, vielmehr nur eine ganz
geringe Hervorwölbung an der angegebenen Stelle. Es bestand Lähmung beider
Beine, die Patellarreflexe waren schwach auslösbar, also wiedergekehrt.
Fussdonus war nioht vorhanden, das Babinski’sche Symptom nur auf einer Seite.
Pat wurde 2 Jahre beobachtet; der Zustand änderte sich nicht wesentlich. Die
Lähmung blieb constant, die Sensibilitätsgrenxen verschoben sich um ein Geringes;
in der letzten Epoche der Krankheit bestand oberhalb des Nabels Hypästhesie,
»tellenweise mit Allochirie bis zur 5.—6. Rippe, unterhalb des Nabels völlige
Anästhesie. Pat. ging in Folge schwerer Cystitis und Pyelitis an urämischen
Anfällen zu Grunde.
Die Section ergab keine Wirbelveränderungen, sondern nur eine Ver-
dünnung und fibröse Entartung der Bandscheibe zwischen 6.—7. Brustwirbel,
»ährend der Knochen selbst unverändert war. In dieser Höhe war das Rücken¬
mark mit der Dura zu einem fibrösen Strang verwachsen.
Vortr. demonstrirt die mikroskopischen Präparate, die zeigen, dass an der
Stelle der stärksten Veränderungen keine Spur von Nervenfasern mehr vorhanden
ist, die ferner erhebliche Verdickungen der Dura, an den Arterien verbreitete
Verdickungen der Intima, ferner auf- und absteigende Degenerationen erkennen
lassen, und maoht besonders darauf aufmerksam, dass die Westphal’sche Stelle
der Patellarreflexe gut erhalten ist. Am stärksten affioirt ist das 7.—9. Dorsalsegment.
Auffallend ist das Fehlen von Wirbelveränderungen; im Moment der Ver¬
letzung muss eine Verschiebung der Wirbelkörper stattgefunden haben, die sich
«pontan sofort wieder reponirt hat. Geblieben sind die Veränderungen der
Bandscheibe.
Das Verhalten der Patellarreflexe spricht in diesem Fall gegen die Bastian-
Bruns'sehe Theorie, wie auch bereits zwei andere veröffentlichte Fälle (einer
davon von Kausch aus Breslau).
Der Fall zeigt, dass die Patellarreflexe trotz völliger Lähmungsunterbrechung
viedsrkehren, wenn nur die unteren Partieen des Rückenmarks intact geblieben
find. Die zahlreichen Fälle, in denen nach völligen Leitungsunterbrechungen die
Patellarreflexe dauernd geschwunden sind, bedürfen noch einer besonderen Erklärung.
Herr Henneberg: Ueber Lues spinalls.
Fall I. Meningitis und Neuritis gummosa, secundäre Hinterstrangsdegeneration.
Der 37jähr. Pat., aufgenommen in die Charite Juli 1896, stellte syphilitische
Infection in Abrede. Das Leiden begann nach einem schweren, durch Sturz
herbeigeführten Kopftrauma 4 Monate vor der Aufnahme mit Kopfschmerz. Be¬
fand bei der Aufnahme: Sehr mangelhafte Reaotion der Pupillen, Neuritis optica,
Parese des rechten N. abducens, Herabsetzung der Hörfähigkeit links, unsicherer
Gang, Steigerung der Patellarreflexe, keine Störung der Sensibilität; Demenz.
Krankheit*verlauf:,. In den ersten Monaten des Anstaltsanfenthaltes häufiges
Erbrechen. Ende 1896 völlige Blindheit und Taubheit, starke Unsicherheit des
Ganges, Ungleichheit der Patellarreflexe, epileptiforme Anfälle. Seit Mitte 1897
Contracturen in Armen und Beinen, Nackensteifigkeit, Schwinden der Patellar-
reflexe, hochgradige Verblödung, Marasmus. Tod Juli 1899.
Sectionsbefund: Schwielige basale Meningitis, Hydrocephalus int., Ependy-
mitia gran., massige Verdickung der Dura und Pia spinalis. Hochgradige gummöse
Infiltration der Arachnoidea spin. und der hinteren Dorsal wurzeln. Dieselben
erscheinen makroskopisch enorm verdickt. Arteriitis syph. Endarteriitis oblit.
laichte Degeneration der Randbezirke des Rückenmarkes. Im Hinterstrang De¬
generation einzelner den Lumbarwurzeln angehörender Wurzelfelder, totale De¬
generation der intramedullären Fortsetzungen sämmtlicher Dorsalwurzeln und des
8- Cervicalwurzelpaares. Von der 7. Cervicalwurzel an keine Degeneration der
hinteren Wurzeln und ihrer Fortsetzungen. Das ventrale Hinterstrangsfeld ist
3 yG<X)gI<
336
durchweg erhalten, der GolFache Strang massig degenerirt Das hintere äusBere
Feld (hintere mediale Wurzelzone) im unteren Cervicalmark relativ erhalten.
Vortr. führt aus, dass es sich in dem vorliegenden Falle nicht um eine
den übrigen Veränderungen coordinirte genuine Tabes handeln kann. Die Hinter-
strangsveriinderung ist bedingt durch die intramedulläre aufsteigende Degeneration
der durch die gummöse Infiltration zerstörten extramedullären hinteren Wurzeln.
An dem Aufbau des hinteren äusseren Feldes im unteren Cervicalmark betheiligen
sich, wie sich aus dem Falle ergiebt, aus dem Dorsalmark aufsteigende Fasern
nicht wesentlich.
Fall U. Meningomyelitis des Cervicalmarkes. Initiale genuine Tabes.
Patientin, eine 32 jähr. Frau, aufgenommen in die Charitö am 7. October 1898,
war früher niemals schwer krank. Vor 7 Jahren Heirath; von ihrem Mann da¬
mals syphilitisch inficirt. Patientin litt an Hautgeechwüren, die nach einer Schmier¬
kur schwanden. Seit 4 Jahren Reissen in den Beinen, seit einem Jahre Kribbeln
und Gefühl von Taubheit in den Händen und Nackenschmerzen, dann allmählich
zunehmende Parese der Arme und Beine, zuletzt öfters Erbrechen. Keine anti¬
syphilitische Behandlung.
Befund bei der Aufnahme: Pupillen ungleich, verzogen. Reaction auf Be¬
lichtung rechts aufgehoben, links gering. Augenhintergrund normal. Function
der Himnerven intact. Bewegungen der Wirbelsäule und Druck auf die Hals¬
wirbel schmerzhaft. Hochgradige Parese der Arme und Beine. Keine Atrophieen
und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit. Reflexe an den Armen und
an den Beinen erhalten, nicht gesteigert, kein FusBclonus. Leichte Herabsetzung
der Sensibilität an den Armen und am Thorax. Plötzlioher Exitus am 7. Tage
nach der Aufnahme.
Sectionsbefund: Leptomeningitis chronica fibrosa an der Convexität und Basis.
Meningomyelitis des oberen und mittleren Halsmarkes. Keine schweren Gefäss-
veränderungen. Kein gummöses Infiltrat. Im oberen Dorsalmark Degeneration
eines hinteren Wurzelfeldes; im Lumbalmark Abblassung der mittleren Wurzelzone.
Vortr. bespricht die Beziehung zwischen Lues, Meningitis und Hinterstrangs¬
degeneration. In dem vorliegenden Fall besteht neben der Meningitis eine be¬
ginnende genuine Tabes. Beide Affectionen sind coordinirt und als „metasyphi¬
litisch“ aufzufassen. (Autoreferat)
Martin Bloch (Berlin).
V. Vermischtes.
Die Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte wird am 14. und
15. April in München stattfinden. Beginn Montag Vormittag 9 Uhr im physikalischen Hör¬
saal des Polytechnicums.
Tagesordnung:
Referate: a) Die Seelenstörungen auf arteriosklerotischer Grundlage. Ref.: Dr. Ali-
heim er. — b) Vorschläge zur Schaffung einer Centralstelle für Gewinnung statistischen
Materials über die Beziehungen der Geisteskranken. Ref.: Prof. Dr. Hoche.
Vorträge: 1. Prof. Dr. Binswanger (Jena): Ueber hysterische Myoklonie. 2. Dr.
Brosius (Sayn): Ueber den Mangel an Irren-Patronaten in Deutschland. 3. Dr. Degen¬
kolb (Neustadt): Beiträge zur Pathologie der kleinen Hirngefasse. 4. Prof. Dr. Fürstner
(Strassburg i/E.): Giebt es eine Pseudoparalyse? 5. Dr. Gudden (München): Beiträge zur
Anatomie und topographischen Anatomie des Hirnstamms. 6. Dr. Räcke (Kiel): Ueber
Hypochondrie. 7. Dr. H. Vogt (Gottingen): Ueber Gesichtafeldeinengung bei Arteriosklerose.
— 8. Prof. Dr. A. Westphal (Greifswald): Beitrag zur Pathogenese der Syringomvel.e.
9. Priv.-Doc. Dr. G. Woltf (Basel): Die physiologische Grundlage der Lehre von den Dege-
ne rationszeichen. _________
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vhit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbr 4 Wittm in Leipzig.
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quellen, 33,3° C. 3? modernen Technik.
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(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel) , ,
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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
illc Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs,
sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.
1902.
16. April.
$ Leipzig,
Verlag von Veit & Comp.
Nr. 8.
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Jahres ein Hilfsarzt gesucht.
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Dienstjahre neben freier Station.
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einer Jahresaufnahme von 950 bei einem durchschnittlichen Bestände von
SO Kranken, und dem Siechenhause (für chronisch Kranke jeder Art) mit
einer Johresaufnahme von 400 bei einem Bestände von 950 Kranken, aus-
gestattet mit Laboratorium und Sectionshaus, bietet reichlich Gelegenheit zu
wissenschaftlicher und praktischer Ausbildung. — Bewerbungen mit Nach¬
weisen sind bis zum 22. April d. Js. an das Krankenpflegamt einzureichen.
Auskunft ertheilen die Oberärzte Herren Hofrath Dr. Ganser und Dr. Hecker.
An hiesiger Heilanstalt für Geisteskranke ist die Stelle des
" ~ 1 ersten Oberpflegers =
anderweit zu besetzen.
Das pensionsfiihige Gehalt beträgt 1200 bis 1800 oll jährlich, daneben
h'enstwohnung (Familienwohnung) und freie Arznei. Geeignete Bewerber wollen
unter Beifügung eines selbstgeschrieben'u Lebenslaufes und ihrer Zeugnisse
Lb 4 Wochen schriftlich bei dem Unterzeichneten melden.
Marburg (Bzk. Kass.l),
den 29. März 1902.
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Prof. Dr. Tuczek, Königlicher Medicinalrath.
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(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen dnrch
aBe Buchhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
m 16. April. Nr. 8.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Kurze Mittheilung über eine neue Färbung»-
aelhode des Centralnervensystems, von Dr. phil. et med. Hermann von Schrötter. 2. Ein
Fall von autochthoner Hirnsinusthrombose, von Dr. Good. 3. Weiteres über die asthenische
LihmuDg, nebst einem Obductionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Qoldflam in Warschau.
II. Referate. Anatomie. 1. Ueber einen noch unbekannten Nervenzellenkern im
Rückenmark der Vögel, von von Koelllker. 2. Zur Präparationstechnik der Organe des
Ceotralnervensystems, von Dexler. — Experimentelle Physiologie. 3. Observations on
the physiology of the cerebral cortex of some of the higher apes, by Grllnbaum and Sher-
riafton. — Pathologische Anatomie. 4. Ueber secundäre Degeneration in Mittelhirn,
Brücke und Medulla oblongata nach Zerstörung des Grosshirns, insbesondere des motorischen
Rindeacentrums, von Kosaka. 5. Bemerkungen über die Entstehung und Bedeutung gewisser
waadloeer Gehirncysten, von v. Reusz. — Pathologie des Nervensystems. 6. Specimens
illastrating; three cases of tumour of brain, by Workman. 7. Hydatid cyst of the left frontal
pon of the brain. Operation. Recovery, by Rennie and Crago. 8. Zur Diagnose der Ge-
des Stirnhirns, von HOniger. 9. Fall af tumor cerebri; trepanation; förbättring, af
10. Gliomatöse Entartung des einen Tractus und Bulbus olfactorius bei Glioma
▼on Chiari. 11. Bullet wound of the motor region of tbe brain: bullet retained:
extraction, by Drew. 12. Et tilfalde af tab af muskelsausen, begräuset til höire
af Magnus. 13. Gutachten über einen Fall von Gliom des Gehirns mit tödtlichem
in Folge von Kopfverletzung nach etwa 10*/* Jahren, von Uhiemann. 14. Tumor
door Bouman. 15. Case of cerebral tumour at the parieto-occipital fissure, by
ison. 16. A case of sarcoma of the brain removed by Operation: subsequent Operation
^zemoval of a second tumour: recovery, by Clarke and Lansdown. 17. Tumor cerebri,
jr van Ziegenweidt 18. Zur Klinik der Tumoren der Vierhügelgegend nebst Bemerkungen
[Ihrer Dinerentialdiagnose mit Kleinhirngeschwülsten, von Nissen. 19. Ein Lipom der
' Igelgegend, von Spieler. 20. Ein Beitrag zur Kenntniss der Brückengeschwülste, von
21. Un glioma dei plessi coroidei del IV ventricolo. Osservazioue del Catöla. 22. Ein
: des 4. Ventrikels nebst Untersuchungen über Degeneration in den hinteren und vorderen
bei Hirndruck- nnd bei Zehrkrankbeiten, von Becker. 23. Ueber intracranielle
Scationen der Mittelohreiterung, von Merkens. 24. Ein Beitrag zur Erkenntnis» einiger
ler Hirnaffectionen, von Haskovec. 25. Ett fall af hjärnabsess i anslntning tili
i sinns frontalis, af Linden. 26. Empyem der linken Stirnhöhle mit Durchbruch
der Orbita und vorderen Schädelgrube, Abscess des linken mittleren Stirnlappens, Tod,
Tnwtmann. 27. Zum otitischen Hirnabscess, von Stenger. 28. Zur Lehre von den
en Hirnabscessen, von Müller. 29. Abscessus cerebri; trepanation; död, af Lundmark.
^Hühnereigroeser otogener Hirnabscess, extraduraler und subperiostaler Abscess in der
hngegend, durch Operation geheilt, von Denker.
HL Aus den Gesellschaften. Aerztlicher Verein zu Hamburg.
IV. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. Januar bis 28. Februar 1902.
V. Vermischtes. _
22
> y Google
338
I. Originalmittheilungen.
[Aus der III. medicin. Universitätsklinik (Prof. v. Sohrötteb) in Wien.]
1. Kurze Mittheilung über eine neue Färbungsmethode
des Centralnervensystems.
Von Dr. phil. et med. Hermann von SohrÖtter,
emerit. klin. Assistenten.
Angeregt durch eine Arbeit von R. Knapp 1 über die Färbung von Harn-
sedimenten mittels alizarinsulfonsaurem Natron versuchte ich diesen Farb¬
stoff aus speciellen, hier nicht weiter zu nennenden Gründen zunächst zur Färbung
von Blutpräparaten und zog denselben dann auch zur Tinction histologischer
Objecte heran. Die grosse Empfindlichkeit des Reagens gegenüber Alkalien und
Säuren, auf welche zuerst E. Fbeund undG. Töpfer 8 in anderem Zusammenhänge
hingewiesen haben, liess ja erwarten, dass Färbungen mit dieser empfindlichen Sub¬
stanz entsprechende Differenzirung der einzelnen Gewebselemente gestatten würden.
Gemäss dem Umstande, als ich gerade mit der Bearbeitung eines grösseren
Materiales von Rückenmarkspräparaten beschäftigt war, prüfte ich nun das
Verhalten des Farbstoffes namentlich in Rücksicht auf dieses Gewebe und kam
hier zu so überraschend günstigen Resultaten, dass ich glaube, die Färbung mit
dieser Substanz wärmstens empfehlen zu können.
Eine Lösung von alizarinsulfonsaurem Natron (gewöhnlich Alizariu
genannt) stellt eine braune, einen Stich ins Grünliche aufweisende Flüssigkeit
dar, welche bekanntlich gegen alkalische Reaction derart empfindlich ist, dass
schon bei Zusatz minimalster Spuren von Alkali ein deutlicher Umschlag der
Farbe stattfindet. Während destillirtes Wasser den Farbenton nicht ändert,
verwandelt schon ein Zusatz von gewöhnlichem Brunnenwasser den Farbenton
in roth; unter Hinzufügen eines stärkeren Alkali nimmt die Lösung einen schön
violetten Farbenton an.
Ich will mich hier kurz fassen und vorläufig nur anführen, dass die Färbung
von Rückenmarkspräparaten am einfachsten derart vorgenommen wird, dass man
mit einer 1—2°/ 0 weiter nicht veränderten Alizarinlösung färbt. Man kann
die Schnitte über 24 Stunden in der Lösung belassen oder dieselbe auch erwärmen,
ohne dass dies die Präparate schädigt. Die braunen Schnitte werden dann in
Brunnenwasser etwa 1 / 2 —1 Minute differenzirt, bis dieselben einen röthlichen
Farbenton annebmen, dann in absoluten Alkohol gebracht und hierauf mit irgend
einem der gebräuchlichen Aufhellungsmittel transparent gemacht.
1 Beiträge zur Färbung des Harnsedimentes mit alizarinsolfonsaorem Natron. Central-
blatt f. innere Medicin. 1902. Nr. 1; der Antor bezieht sioh hierbei auf eine frühere Mit¬
theilung von Gbobz. Wiener klin. Rundschau. 1894. Nr. 41.
1 Ueber die Bestimmung der Alkalinität und Acidität des Urins. Zeitschr. f. physiolog.
Chemie. 1894. XIX. S. 84.
GoogI<
339
Sämmtliche Gebilde erweisen sich nun gefärbt, und zwar in electiver
Weise, wobei zu betonen ist, dass nicht nur keine Ueberfärbung einzelner
Gewebselemente eintritt, sondern dieselben vielmehr in klarer Weise, wie ge¬
zeichnet zum Ausdrucke kommen. Die graue Substanz hat einen violettbraunen,
die weisse einen gelbbraunen Farbenton angenommen.
Das Alizarin färbt sowohl den Protoplasmaleib als die Kerne, die
Nervenfasern und die Glia, und zwar treten an den Ganglienzellen namentlich
die Structur des Kerns und die NissL’schen Körper scharf in Erscheinung; über¬
dies differenzirt sich das feinste Maschen- und Netzwerk der Glia in deutlicher
Weise. Die bindegewebigen Elemente, basophil, färben sich braun violett bis violett,
die Markscheiden, acidophil, gelb bis orange, die Kerne, und zwar je nach ihrer
verschiedenen Dignität, braun, braunviolett, aber immer mit klarer erhaltener
Structur. Auch degenerirte Partieen — es liegt mir eben ein Präparat von Tabes
vor — lassen sich schon makroskopisch von intacten Strängen unterscheiden.
Ich bemerke, dass sich combinirte Färbungen mit anderen Farbstoffen oder
nachträgliche Behandlungen mit verschiedenen differenzirenden Flüssigkeiten als
überflüssig erwiesen haben; doch mag es immerhin möglich sein, auch noch in
dieser Hinsicht Verbesserungen anzubringen. Schon die einfache Alizarinfärbung
hat sich, wie aus den obigen Andeutungen hervorgeht, für das Studium des
Rückenmarks als sehr brauchbar erwiesen. Der Farbstoff kann schliesslich auch
zur Nachfärbung nach PAL’scher Markscheidentinction benützt werden.
Soweit ich aus dem mir zur Verfügung stehenden Materiale ersehe, besitzt
die Art der Härtung keinen wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der Färbung;
am besten scheint jedoch lange Behandlung in MüLLEB’scher Flüssigkeit zu sein.
Hin sichtlich Gewebe anderer Provenienz möchte ich nur bemerken, dass
sich der Farbstoff dort, wo dichtes Bindegewebe oder Musculatur in über¬
wiegendem Maasse vertreten ist, weniger eignet, da diese Gewebe den Farbstoff
in reichlicher Weise speichern und die Kerne daher weniger hervortreten. Das
Alizarin eignet sich aber namentlich für solche Gewebe, bei welchen die zelligen
Elemente in überwiegender Weise vertreten und complicirte Structuren
vorhanden sind.
Bei vorsichtiger Färbung tritt auch die Elastica in Bindegewebsantheilen
oder die Elastica der Gefässwände in deutlicher Weise hervor.
Die Einfachheit des Verfahrens, sowie der Umstand, dass alle Gewebs¬
elemente des Centralnervensystems in klarer und scharfer Weise durch die
Methode zam Ausdrucke kommen, veranlasst mich zu dieser kurzen Mittheilung,
indem ich annehmen darf, dass sich dieselbe in die neurologische Technik ein¬
bürgern wird. Ich führe noch an, dass Versuche mit den übrigen Farbstoffen
der Alizaringruppe — Alizarinblaa, -gelb, -grün, -orange — mir keine Vor¬
theile ergeben haben; mit der Eigenschaft dieser Farbstoffe, mit Metalloxyden
unlösliche Lackfarben zu bilden, bin ich noch beschäftigt
Ich habe obigen Mittheilungen noch hinzuzufügen, dass es mir mittlerweile
(seit etwa 3 Wochen) gelungen ist, eine neue elective Markscheidenfärbung zu
finden. Zu diesem Zwecke versetzt man eine 5°/ 0 Lösung von alizarinsulfonsaurem
22 *
Digitizedby G00gle
340
Natron mit einigen Tropfen einer 5 °/ 0 Oxalsäurelösung, bis der Farbstoff einen orange-
gelben Ton angenommen hat. Man belässt die vorher nicht weiter behandelten
Schnitte etwa 2 — 3 Standen in der Lösung und bringt dieselben, nachdem man
sie in destillirtem Wasser abgespült hat, in eine 3 °/ 00 Sodalösung. Man belässt
die Schnitte, welche nunmehr eine prachtvoll roth-violette Färbung annehmen
und sich deutlich differenziren, in dieser Flüssigkeit, bis kein Farbstoff mehr ab¬
geht; hierauf absoluter Alkohol und irgend ein Aufhellungsmittel. Die Mark¬
scheiden sind dann leuchtend roth tingiit, das übrige Gewebe ungefärbt
Diese einfache Methode, deren Gelingen an mehrjährigem und frischem
Materiale versucht wurde, besitzt nur den einen Nachtheil, dass die Differenzirung
in Folge des rothen Farbentones bei künstlicher Beleuchtung nicht so scharf in
Erscheinung tritt, wie bei Tageslicht.
Ich war daher bestrebt, noch eine Substanz mit dunklerem Farbentone zur
Markscheidenfärbung heranzuziehen und glaube eine solche in dem Gal lein
gefunden zu haben, worüber gleichzeitig an anderer Stelle 1 berichtet werden wird.
Auch dieser Farbstoff, von den Eingangs genannten Autoren zu chemischen
Zwecken versucht, zeichnet sich durch grosse Empfindlichkeit gegenüber alkalischen
Lösungen aus.
Ich werde in Kurzem Gelegenheit haben, über meine Erfahrungen an der
Hand entsprechender Zeichnungen ausführlicher Mittheilung zu machen.
2. Ein Fall von autochthoner Hirnsinnsthrombose.
Von Dr. Good, II. Arzt in Miinsingen.
Man pflegt sich sonst zu entschuldigen, wenn man es wagt, sich auf den
sonst schon gedrängt vollen Tummelplatz der „casuistischen Beiträge“ zu begeben;
doch wollen wir diese Entschuldigung unterlassen, weil wir einem Plätzchen
zusteuern, auf dem selbst die, welche dort arbeiten, sich über zu wenig Gesell¬
schaft beklagen.
Es handelt sich um eine 43jährige, congenital schwachsinnige Jungfer. Die¬
selbe soll in ihrer Jugend immer gesund gewesen sein, nur ein paar Mal, zuletzt
in ihrem 11. Jahre, Krampfanfälle gehabt haben, die aber nicht als Epilepsie
gedeutet werden dürfen.
Der Vater der Patientin war Potator und starb an Phthise.
Patientin selbst diente verschiedentlich als Dienstmagd, wurde aber, weil
träge, langsam und schwachsinnig, meist schlecht behandelt.
1882 kam sie in die Irrenanstalt Waldau, wo sie anfänglich das Bild einer
Melancholie bot. Sie wurde dann in Folge von Verfolgungsideeen widersetzlich
und gewaltthätig, hatte lebhafte Gehörshallucinationen, hörte, wie man sie be¬
schimpfte und bedrohte. Sie arbeitete damals gar nichts und musste öfters isolirt
werden. Im Spätherbst 1883 trat etwas Besserung ein, Patientin wurde heiterer,
fing an, sich in Haus und Feld zu beschäftigen, so dass sie, da die Besserung
anhielt, im Januar 1885 in einer Bauernfamilie versorgt werden konnte. Die
Diagnose bei der Entlassung aus der Anstalt lautete auf Verrücktheit bei con¬
genitalem Schwachsinn.
> y Google
1 Centralbl. f. patholog. Anatomie.
341
Patientin hat einmal ausserehelioh geboren, wurde nach und nach bei
Privaten unhaltbar und kam dann in eine Armenanstalt, wo sie durch ihr
zänkisches Wesen und ihre Trägheit auffiel, Verfolgungsideeen äusserte und
schliesslich wegen Drohungen mit Suicid im August 1899 in die Anstalt Münsingen
▼erbracht wurde.
Bei der Aufnahme hier wurde constatirt: Sehr gut genährte, fette, gesund
aassehende Person mit blödem Gesiohtsausdruck und plumper, läppischer Haltung.
Schielt etwas, Gehör gut; apoplektischer Habitus. Im Uebrigen normaler Status.
Die Kranke klagt, sie werde überall verfolgt, auch hier drohe man ihr, und
doch habe sie nichts Schlechtes gemacht, um so eingekerkert zu werden. Sie
hat Angst, man schlage ihr den Kopf ab, werde sie erfrieren lassen u. s. w. Sie
wurde alsbald zum Gespött der jüngeren Patientinnen, die ihr sagten, sie sei so
fett, dass man sie bald „wursten“ müsse, was die Kranke jeweils in grosse Angst
▼ersetzte. Patientin arbeitete wenig, ass sehr viel und wurde immer fetter und
schwerfälliger.
Nachdem Patientin in ungestörter körperlicher Gesundheit gelebt, bekam sie
nach einem constatirtermaassen nicht zu heissen Bade am
28. /XI. 1900 gegen Abend zwei epileptiforme Anfälle mit Zuckungen
am ganzen Leib, Schaum vor dem Mund, Bewusstlosigkeit.
29. /XL Ist aufgestanden, obschon sie am frühen Morgen wieder einen Anfall
gehabt hatte. Sie klagte über Uebelkeit, musste erbrechen, es war ihr schwindlig,
eie konnte ganz gut laufen, hatte aber Angst umzufallen, sie Bebe ja gar nichts
mehr, sei ganz blind.
Einen vorgehaltenen Schlüssel erkennt sie nicht, hat aber dooh noch Licht*
empfindung und kann angeben, in welcher Richtung das Fenster ist. Sie klagt
über Kopfweh. Wird ins Bett gebracht. Mehrmaliges Erbrechen im Laufe des
Tages. Keine Lähmungserscheinungen, kein Fieber. Stark geröthetes Gesicht.
30. /XI. Hatte heute 3 Anfälle, ist leicht benommen, schläfriger als sonst;
isst gehörig, giebt verständige Antworten. Klagt über Schwindel und Kopfweb.
Blick starr nach rechts gerichtet Patientin kann nicht nach links blicken.
2. /XH. Gestern und vergangene Nacht 23 Anfälle von je 3—10 Minuten
Dauer. Dieselben bestehen in beiderseitig gleich starken klonischen Zuckungen
des ganzen Körpers, Bewusstlosigkeit, Schaum vor dem Mund; blauroth injicirtes
Geeicht Heute Morgen ist die Kranke stärker benommen, geniesBt nur mehr
flüssige Kost, hat seit 24 Stunden nicht mehr erbrochen. Gestern war die ganze
linke Körperhälfte etwas paretisch, die Augen nach links abgewichen.
Papillen gleich, reagiren gut. Heute Abend Deviation der Augen nach rechts,
Patientin kann nicht nach links blicken. Reagirt noch auf Anrufen. Reflexe
lebhaft. Sensibilität, so weit eruirbar, nicht gestört. Mit einer Nadel gestochen,
zackt sie zusammen und ruft: „Biribi tü tü.“ Schön ausgeprägte Para-
pha sie. Articulation einzelner Wörter, die man ihr vorspricht, ganz deutlich.
Puls nicht tardus, regelmässig, ausserhalb der Zeit der Anfälle gezählt, einmal
64, ein andermal 100 p. M. Kein Fieber. Bewegungen des Kopfes frei, scheinbar
nicht schmerzhaft. Der Augenhintergrund zeigt stark gefüllte Venen, keine
Stauungspapille.
3. /XH, Morgens. Vergangene Nacht keine Anfälle. Heute beschleunigte,
keuchende Athmung. Gesicht und Hals blauroth injicirt. Patientin liegt mit
geöffneten Augen und stierem Blick nahezu bewusstlos da, reagirt immer weniger
auf äussere Reize, schluckt nicht mehr, bat auch nicht mehr erbrochen. Sehr
starke profuse Schweisse am ganzen Körper. Kein Nasenbluten. Der ganze
rechte Facialis paretisch, ebenso der linke Arm. An den Beinen sind keine
Lähmungserscheinungen zu constatiren.
4. /XIL Gestern den Tag über und vergangene Nacht, also innerhalb
Diqitized
Google
342
24 Stunden, wurden 34 Anfälle notirt. Puls gestern Abend schwach, 100 p. M.
Temperatur 39,3°. Athmung beschleunigt und erschwert. Komatöser Zustand.
Auch in den Intervallen zwischen den einzelnen Anfällen ganz benommenes Sensorium.
Die Anfälle dauern 2—15 Minuten und bieten ganz das Bild eines epilep¬
tischen Anfalles, beginnend mit tonischen Krämpfen im linken Arm, klonischen
Zuckungen im linken Bein, dabei tonische Starre des rechten Beins, Verziehung
des Gesichts nach links, linker Mundwinkel nach unten verzogen, Deviation der
Augen zuerst nach links und dann nach rechts, zuletzt klonische schüttelnde
Zuckungen des ganzen Körpers, links stärker und ausgiebiger als rechts. Pupillen
weit, gleioh, reagiren träge auf Lichteinfall. Cornealreflexe fehlen während der
Anfälle. Patientin klappert mit den Zähnen, hat blutigen Schaum vor den
Lippen und einzelne ziemlich starke Bisswunden in der Zunge, die in den An¬
fällen entstanden sind. Starke venöse Stauung an Gesicht und Hals,
profuse Schweisse, totale Bewusstlosigkeit.
Exitus Morgens 4 Uhr.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: 1. Blutungen in einen bisher sym-
ptomlos verlaufenen Basaltumor in der Gegend des Chiasma opt oder
2. Thrombose des Sinus longitudinalis.
Sectionsbefund:
Mittelgrosse, sehr fette Leiche, Todtenflecke an den abhängigen Partieen.
Hals und Gesicht blauroth injicirt. Todtenstarre vorhanden, an den Armen
in Lösung begriffen.
Schädel kurz und klein, symmetrisch, blutreich, wenig Diploe, Nähte erhalten,
tiefe Gefässfurchen.
Dura beiderseits gleich und stark gespannt, blutreich. Innenfläche links glatt
und glänzend; rechts über dem Scheitel, in geringer Ausdehnung, eine röthlich
gefärbte, dünne, leicht abziehbare, pachymeningitische Membran.
Sinus longitudinalis bis an sein vorderes Ende völlig ausgefüllt
durch einen ziemlich frischen, festhaftenden, rothen Thrombus, der
auch den rechten Sinus transversalis bis etwa 1cm vom Felsenbein
entfernt ausfüllt und nach links sich ebenfalls etwa 3 cm weit in den
SinuB transversalis erstreckt. Der hinterste Theil des Thrombus im Sinus
longitudinalis ist gemischt. Die Umgebung des Sinus longitudinalis zeigt keine
entzündlichen Veränderungen, auch sind makroskopisch an der Intima des throm-
bosirten Sinus keine pathologischen Alterationen erkennbar. Die vom Sinus
longitudinalis abgeheuden Venen sind fest und prall mit rothen Thromben gefüllt
und schlängeln sich wie schwarze Würmer über die oberen zwei Drittel der Hirn-
convexität herab.
Dura der Basis beiderseits, rechts stärker wie links, mit dünnen pachy-
meningitischen Membranen von geringer Ausdehnung bedeckt. Arterien der Basis
zart, enthalten ganz wenig Blut.
Subarachnoidale Blutung rechts über dem ganzen Schläfenlappen, den Central¬
windungen und dem Hinterhim, am stärksten über dem Cuneus. Links besteht
die Blutung nur um die Centralwindungen herum.
Pia zart, Arterien fast leer, Venen völlig gefüllt mit rothen Thromben bis
fast an den Rand der Convexität des Gehirns. Geringes Oedem der hinteren
Partieen der Pia, weder Verdickung noch Trübung derselben.
Hirngewicht sammt Pia 1310g.
Windungen, auch des Stirnhims, nicht klaffend, aber wenig zahlreich und schmal.
Himoberfläche glatt, Pia löst sich leicht und ohne frische Substanzdefecte.
(Das Gehirn wird zu genauerer Untersuchung in toto aufbewahrt.)
Panniculus adiposus über dem Bauch mehr als 6 cm diok, feucht, grosstraubig.
GoogI<
343
Zwerchfell links 4 ., rechts 3. Intercostalraum.
Netz und Mesenterium sehr fettreich, Peritoneum ganz normal, Drüsen nicht
geschwellt, Situs viscerum nichts Abnormes.
Ziemlich grosse weiche Struma. Venae jugulares nicht thrombosirt.
Rippenknorpel nicht verkalkt, Knochen hart. Musculatur ordentlich ent¬
wickelt, von guter Farbe. Linke Pleura frei, rechts hinten einzelne kleine Ver¬
wachsungen.
Das Herz sieht aus wie ein Lipom, ist von normaler Grösse, schlaff.
Im Pericard ganz wenig klare Flüssigkeit. An Endocard und Klappen
normaler Befund, ausser ganz geringen Verdickungen der Intima aortae ascend.
Musculatur links 11mm, rechts 5 mm, schlaff, gelblich und trüb. Herzgewicht 308 g.
Linke Lunge blutreich, etwas postmortale Senkung in den hinteren unteren
Partieen.
Rechte Lunge: im Unterlappen grosser, obturirender, gemischter
Thrombus, der die Gefässe völlig ausfüllt, soweit sie sich mit der Scheere ver¬
folgen lassen. Keine derbe Infarcirung. Das Gewebe im thrombosirten
Bezirk hat vermehrten Blutgehalt, ist weniger lufthaltig, nicht brüchig und nicht
ödematös.
Milz klein, blutreich, schlaff, Kapsel getrübt, Zeichnung noch deutlich, ob¬
schon die Pulpa schon etwas zerfliesslich ist.
Linke Niere sehr fettreiche Kapsel, die sich nur mit Substanzverlust löst.
Rinde von normaler Breite, gelblich. Gewioht 135 g.
Rechte Niere massig blutreich, wie linke, 125g.
Nebennieren und Pankreas nichts Besonderes.
Leber 1630g, gross, zart, blutreich, verbreiterte, gelbe Peripherie der Acini.
Zeichnung deutlich. In der Gallenblase viel schleimige Galle.
Sämmtliche Organe ziemlich blutreich, in sehr viel Fett eingebettet.
Am angehärteten Gehirn wurde noch festgestellt: Normale Breite
der Rinde 27,—3 mm. Weisse Substanz schön weise, gegen die Rinde scharf
»bgegrenzt. Keine Erweichungsherde. Ependym glatt, Seitenventrikel etwas
erweitert.
Stabkranz beiderseits 15 mm, Tectum ventriculorum 20 mm.
Von den Centralwindungen nach rückwärts zunehmend, finden sich in der
Rinde, besonders aber in der ihr zunächst liegenden Partie der weissen Substanz,
ahlreiche capillare Apoplexieen, so dass in den OccipitalWindungen die
weisse Substanz der Windungen gesprenkelt, von grösseren und kleineren Blut¬
inseln, die bis Bohnengrösse erreichen, mehr oder weniger dicht durchsetzt ist.
Anatomische Diagnose:
Adipositas universalis. Thrombosis sin. long. et sin. transvers. Blutungen
in den Subarachnoidalraum, Pachymeningitis haemorrhagica. Capillare Apoplexieen
in Rinde und weisser Hirnsubstanz. Hydrocephalus internus. Fettherz. Embolie
im Unterlappen der rechten Lunge. Fettige Degeneration von Nieren und Leber.
Behufs mikroskopischer Untersuchung wurde das Gehirn in Formol
mit Zusatz von Karlsbadersalz angehärtet, wobei sich der Blutfarbstoff gut erhielt,
und dann in Mülles 'scher Flüssigkeit weiter behandelt. Einzelne Stückchen
wurden auch noch auf andere Weise fixirt
Einbettung und Färbung nach den verschiedensten Methoden, vor Allem
nach Mabchi, und dann zur Darstellung der Veränderungen an den Ganglien¬
zellen nach Nissl. Es wurden auch Serienschnitte durch einzelne der grössten
Diqitizec
3 by Google
344
der thrombosirten Venen gemacht, da leider der Sinus longitudinalis nicht auf¬
bewahrt worden war. Dabei wurden aber gar keine Veränderungen der
Gefässwand entdeckt, auch keine Infiltrate in deren Umgebung, noch
Bakterien, noch überhaupt Entzündungserscheinungen.
Die Resultate der Untersuchung der verschiedensten Hirnpartieen wollen
wir nur in aller Kürze hier wiedergeben:
Bei den thrombosirten Gefässen und den perivasculären Blutaustritten,
welch letztere nebenbei gesagt recht hübsche Präparate lieferten, brauchen wir
uns wohl nicht weiter aufzuhalten. Die capillaren Apoplexieen sind im Occipital-
hirn sehr dicht gesät und finden sich im Stimhirn nur vereinzelt Auch fallen
im Stirnhim, im Gegensatz zum Occcipitalhirn, die schon makroskopisch an den
Schnitten sichtbaren, stark erweiterten perivasculären (und pericellulären) Lymph-
räume auf.
Weder an den Axencylindern, noch den Markscheiden sind besondere Ver¬
änderungen aufgefallen. In der Adventitia der Gefasse fehlen jegliche Kern¬
proliferationen, ebenso fehlt jegliche Wucherung der Glia. An den Fasern der
Optici fiel die MABcm’sche Methode negativ aus.
Interessant sind eigentlich nur die Veränderungen der Ganglienzellen, und
besonders der graduell von hinten nach vorn abnehmende Process mit seinen
verschiedenen Bildern und Stadien des Zellzerfalls.
So zeigen Schnitte aus Stirnwindungen kleine, zackige, geschrumpfte, sehr
stark gefärbte, im chromatophilen Zustand sich befindende Ganglienzellen, mit
kleinem Kern und nicht besonders stark hervortretenden Kernkörperchen. In
einzelnen dieser Zellen sind die Nissi/schen Körperchen noch sichtbar, am deut¬
lichsten um den Kern herum, freilich geschwollen und gegen den Rand der
Zelle mit verschwommener Zeichnung, unscharfer Begrenzung der einzelnen
sog. Tigroidschollen. Vereinzelt finden sich auch hier Ganglien, die sehr gross
sind, rundlich, stark geschwellt, hydropisch, die einen mächtigen Kern haben
mit vergrös8ertem Kernkörperchen. Der Kern ist an die Peripherie der Zelle
gedrängt, nicht scharf begrenzt, das Protoplasma der Zelle diffus trüb gefärbt,
ohne jegliche Structurandeutung. Um die geschrumpften Ganglien sind mächtig
erweiterte Lymphräume, ebensolche finden sich um die fast blutleeren Arterien
und die thrombosirten Capillaren.
Während im Stirnhirn kleine Zellen mit erweiterten pericellulären Räumen
bei weitem vorherrschen, ändert sich nach und nach das Verhältniss und im
Occipitalhim finden wir hauptsächlich die mächtig gequollenen Zellen, ohne
sichtbare Lymphräume. Wir finden die verschiedensten Stadien des Zerfalls der
Ganglienzellen, der NissL’schen Körperchen, des Kerns u. s. w., immer und
überall ist aber die Degeneration an der Peripherie der Zellen am stärksten.
Im Occipitalhirn verliert bei vielen Zellen der Kern, der bei anderen noch eine
hellblau gefärbte Blase mit stark hervortretendem dunklen Kernkörperchen ist,
seine Conturen gänzlich. Das Zellprotoplasma ist fein gekörnt, die Fortsätze
theilweise abgebröckelt. Vacuolen in den Zellen wurden nicht gesehen.
Herdförmige Veränderungen, Erweichungen in der Rinde oder der weissen
Googl
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345
Substanz fehlen. Wie schon angedeutet, fehlen alle Anhaltspunkte für die An¬
nahme eines infectiösen Processes, wobei wir freilich weder Kulturen anlegten,
noch Impfversucbe machten, sondern uns mit Schnitten von Oefassen und Hirn-
jtäckchen, die wir untersuchten, begnügten. Die Befunde an Partieen der Basis
eerebri waren sozusagen normal.
Soweit die anatomische Seite des Falles.
Klinisch interessirt uns vor Allem die Frage:
Wäre es in unserem Falle möglich gewesen, eine bestimmte und
richtige Diagnose zu stellen, auf welche basirt therapeutische Ein¬
griffe, selbst schwerer Natur, hätten gewagt werden dürfen?
Soweit mir die Litteratur über die autochthone und sogenannt autochthone
Sinnsthrombose zur Verfügung stand, fand sich in keinem Falle eine sichere
and richtige Diagnosenstellung (und wir machen keine Ausnahme), obschon unter
diese Rubrik Fälle nach Erysipel, Pneumonie, Varicellen, Ohroperationen, hoch¬
gradiger Anämie und Marasmus der Kinder mitgerechnet werden und bloss die
'jtitisch phlebitischen Sinusthrombosen von den autochthonen abgetrennt zu
»erden pflegen.
v. Voss (Petersburg), der 9 Fälle von autochthoner Sinusthrombose zu-
sammengestellt hat, nennt als ätiologische Momente: Endocarditis mit Broncho¬
pneumonie, Nephritis, Influenza, tuberoulöse Peritonitis, Typhus, Eiterungen,
grosse Blutverluste und überhaupt grosse Anämie, Herzschwäche, kachektische
Krankheiten, chronische Diarrhöe der Kinder. Hierzu kommt noch ein Fall von
Wimen, der durch Insolation entstanden sein soll. Bei diesen, den Gesammt-
jrganismus schädigenden ätiologischen Momenten nimmt man an, dass durch
dieselben das Gefassendothel defect gemacht werde und es dann leicht zu
Gerinnungen und zu Thrombosenbildung komme.
In unserem Fall ist es auch nach der Autopsie nicht ganz leicht, ein
ätiologisches Moment für die Entstehung der Sinusthrombose zu finden, und kann
dafür kaum etwas anderes als die Adipositas bezw. die durch fettige Degeneration
des Myokards geschwächte Kraft des Herzens in Betracht kommen. Doch konnte
uns diese Herzschwäche, die nebenbei keine klinischen Symptome gemacht, bei
der Diagnosenstellung nicht behülflich sein.
Die Symptomatologie des Falles zeichnet uns, kurz wiederholt, folgendes Bild:
Die bisher ganz gesunde, feste, vollblütige und kräftige Person erkrankt im
Alter von 43 Jahren plötzlich mit epileptiformen Anfällen, Schwindelgefühl,
Gebelkeit, Erbrechen und dabei totaler Amaurose. Sie hat stark gerötheten
Kopf, Kopfschmerzen, keine Nackensteifigkeit, keine Lähmungserscheinungen,
keinen halbseitigen Schweiss, kein Fieber.
Am 2. Krankheitstage 3, am dritten 23 epileptiforme Anfalle, zunehmende
Benommenheit, wechselnde Deviation der Augen, stark gefüllte Retinalvenen,
tabseitige Hemiparese, Paraphasie. Sensibilität nicht gestört, Puls regelmässig,
rieht tardus.
Am 4. Krankheitstage comatöser Zustand, Patient schluckt nicht mehr,
edby Google
346
Parese des rechten Facialis, gehäufte Anfälle, Gesicht und Hals stark cyanotisch,
starke profuse Schweisse, Fieber, schwacher Puls.
Exitus am Morgen des 5. Krankheitstages.
Differentialdiagnostisch kommen in Betracht:
Störungen des arteriellen Kreislaufes im Gehirn, Blutungen im Occipitalhirn,
Encephalitis haemorrhagiea acuta, Polioencephalitis superior haemorrhagica, Hirn-
abscess, Typhus, Urämie, Hysterie und dann Sinusthrombose und Blutungen in
einen Basaltumor.
Von der acuten Encephalitis sagt Oppenheim, dass sie bis auf die kleinsten
Zöge einer Sinusthrombose gleichen könne, nur soll die Stauung der Venen des
Schädels und Gesichtes bei Encephalitis fehlen und soll sie einen weniger
acuten Verlauf nehmen. Die Amaurose sprach in unserem Falle gegen
Encephalitis.
Störungen des arteriellen Kreislaufes setzen apoplectiform ein
und erreichen sofort ihren Höhepunkt. Die Art des Fiebers, das Fehlen der
Nackenstarre und des intensiven Kopfschmerzes und jeglichen ätiolo¬
gischen Momentes Hessen uns von Meningitis absehen.
Lassen wir alle andern leicht auszuschaltenden Affectionen unberührt und
betrachten wir nur kurz die zwei EventuaUtäten, über die wir bei der Diagnosen¬
stellung nicht hinauskamen, Blutungen in einen Basaltumor und Sinus¬
thrombose.
Gegen Hirntumor mit Blutung sprach eigentüch nur das Fehlen der Stauungs¬
papille bei bestehender Amaurose.
Bekanntlich können Hirntumoren, überhaupt Tumoren der Schädelhöhle,
lange bestehen und ziemüch beträchtliche Grösse erreichen, ohne Herd- oder
Allgemeinsymptome zu verursachen. Die Symptome treten dann auf bei plötz¬
licher Drucksteigerung, die wiederum bedingt sein kann durch Blutungen in den
Tumor. Ein solcher Tumor hätte, in der Gegend des Chiasma n. optici ge¬
legen, auch das Initialsymptom, in unserem Falle die Amaurose, neben den
andern Druckerscheinungen erklären können. Auffallend bei der Diagnose auf
Tumorbildung war die starke venöse Stauung des Gesichts und die Hemiparese.
Für die Annahme einer Sinusthrombose fehlte uns jegliches
ätiologisches Moment. Die Person war bis dahin körperüch ganz gesund.
Ihre Adipositas machte ihr keine wesentHchen Beschwerden, ebenso fehlten
klinische Symptome von Fettherz und vermindertem Blutdruck.
Die Amaurose konnte zwar mindestens ebensowohl durch Verstopfung der
Venen des corticalen Sehcentrums, was einer Ausschaltung dieser Gebiete wohl
gleichkommt, erklärt werden, als durch Tumorblutung. Der nicht gerade apo-
plektiform zu nennende Beginn der Erkrankung, die starke venöse Stauung im
Gesicht sprechen eher für Thrombose, aber nicht direct gegen Blutungen. Alle
übrigen Symptome, Druckerscheinungen und alles, was wir puncto Differential¬
diagnose in der Litteratur finden konnten, half uns nicht über die Zweifel, nicht
über eine Wahrscheinfichkeitsdiagnose hinaus. Und so kamen wir denn zum
gleichen Schluss, wie Nothnagel schon vor mehr als 20 Jahren, dass es trotz
edby Google
347
aller Mühe, die man sich gegeben, unmöglich ist bei der autoch-
thonen, nicht phlebitischen Sinusthrombose, bei welcher Anamnese
and Aetiologie einen nicht zur Diagnose führen, principiell und mit
Sicherheit zwischen Thrombose und Hämorrhagie zu entscheiden.
In unserem Fall liegt die Sache freilich doch etwas andere.
Hätten wir die Thrombose im rechten Unterlappen intra vitam diagnosticirt,
so hätten wir uns sagen müsssen, dass, so gut wie aus einer anderen peripheren
Vene, auch aus einem Hirnsinus sich ein Stückchen von einem Thrombus los-
iösen und in die Lungen geschwemmt werden kann.
Diese Lungenembolie hätte für uns ausschlaggebend für Sinusthrombose
sein müssen, im Zweifel über eine Diagnose auf Tumorblutungen oder Sinus-
thrombose, besondere da ja kein anderer Ausgangspunkt und Entstehungsort für
den in die Lungen geschwemmten Embolus hätte gefunden werden können, als
eben die Thrombose im Sinus longitutinalis.
Therapeutisch dürfte wohl in den Fällen von autochthoner Sinusthrombose,
einer Krankheit, bei der öftere das Grundleiden unbekannt oder unzugänglich
ist, nicht viel zu erreichen sein, medicamentös schon gar nicht
Eine Trepanation zur Seite des Sinus longitutinalis hätte (abgesehen von
der intra vitam nicht gefundenen Lungenembolie), in unserem Falle auch zu
einer sicheren Diagnose geführt Hätte es sich um einen Basaltumor gehandelt»
so hätte man damit für den gesteigerten Druck ein Ventil geschaffen, freilich
möglicherweise weiteren Blutungen in den Tumor Vorschub geleistet Bei Sinus-
thrombose wäre man auf die verstopften Venen gestossen, wodurch die Diagnose
»ach sicher gestellt worden wäre. Und dann, was weiter?
Zu verderben war ja in unserem Falle nichts. Wäre wohl chirurgisch
etwas zu erreichen gewesen, wenn rechtzeitig ein Eingriff gemacht worden wäre
and hätte wohl ein Chirurg bei dem desperaten Zustande der Kranken und dem
unbekannten und nicht zu hebenden Grundübel der Krankheit die Indication
za einer Operation gestellt oder auch, wie wir, der Sache ihren Lauf gelassen?
3. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Goldflam in Warschau.
(Fortsetzung.)
Wir haben es bei der 30jährigen Frau mit einem klassischen Beispiel von
asthenischer Lähmung zu thun. Der Beginn mit Ptose und partieller Ophthalmo¬
plegie, die Jahre lang anhaltende Remission, das erneute Aufflackern der
Krankheit mit denselben Symptomen, der weitere Entwicklungsmodus, das
Hinzutreten von bulbären Erscheinungen, die Ausbreitung auf Extremitäten und
Bampf, das Zu- und Abnehmen der Erscheinungen, das Schwanken der Inten-
ätät derselben während eines Tages, ja während einer Untersuchung, die Er-
zedby Google
348
müdung8phänomeiie und das künstliche Hervorrufen von vorübergehenden Läh¬
mungen und last not least die MyaR, beim Fehlen von Atrophieen, sensiblen
und sensorischen Störungen u. s. w. lassen darüber keinen Zweifel auf kommen. Die
Krankheit wurde vor 7 Jahren nioht erkannt, als Ptose und partielle Augen¬
muskellähmung auftraten, die unbedingt als das erste Stadium der Krankheit
anzusehen sind; dieser Fall beweist wieder, welche Bedeutung diesen Symptomen,
namentlich der Ptose, zuzumessen ist, und dass man in jedem solchen Fall, sei
die Ptose oder Diplopie noch so passager und vielleicht eben darum, nicht nur
an Syphilis, Tabes, progressive Paralyse u. s. w. zu denken hat, sondern auch
die Möglichkeit der asthenischen Lähmung im Auge behalten muss.
Die Jahre lang anhaltende Remission der Erscheinungen muss wenigstens
für die Kranke einer Genesung gleich gewesen sein; sie stand während dieser
ganzen Zeit überhaupt nicht unter ärztlicher Beobachtung, sie heirathete und
gebar auch ein Kind. Erst nach 10 monatlichem Stillen tritt ein Rückfall ein,
ein Recidiv der Krankheit, die diesmal viel grössere Dimensionen annimmt und
zur vollen Entwickelung gelangt. Zu den Augenstörungen gesellen sich in
schneller Reihenfolge bulbärparalytische Symptome und Schwäche fast der ge-
sammten willkürlichen Musoulatur hinzu. Auch dieser Fall zeichnet sich durch
das Ueberwiegen von meso- und metencephalitischen Erscheinungen aus, und
die Apokamnose tritt besonders scharf in diesen Gebieten auf. Es ist nament¬
lich hervorzuheben, dass die Levatores palpebrarum sehr leicht ermüden,
schon beim gewöhnlichen Sehen, noch mehr beim Fixiren, beim Lesen, beim
Aufwärtsblicken, also bei Zuständen, bei welchen der Muskel in der That mehr
in Anspruch genommen wird. Hieraus resultirt die Neigung der Kranken, den
Blick nach unten zu richten, um eine bestmögliche Schonung desselben zu
schaffen. Aehnliche Erscheinungen der schnellen Ermüdbarkeit sind von Seiten
der Kau-, Schling-, Sprachapparate und der Gesichtsmuskeln zu verzeichnen.
Eine besonders interessante und gewiss nur selten in solcher Prägnanz zu
beobachtende Erscheinung war die in den Augenmuskeln hervorzurufende
Apokamnose, die sich in Diplopie und partiellen passageren Ophthalmoparesen
kundgab. Es gelang nämlich durch Wiederholung der associirten Bewegungen in
gewissen Blickrichtungen Lähmungen hervorzurufen, an einem Tage bei wieder¬
holten Seitwärtsbewegungen in den Recti intemi, an einem anderen im Rectus
externus dexter, oder eine rechtsseitige conjugirte in diesem letzteren und dem
Internus sinister, oder im Rectus sup. dexter oder bei wiederholten Aufwärts¬
bewegungen in beiden Superiores. Diesen passageren Lähmungen ging ein Zittern
der Bulbi voraus; sie waren meist von Doppeltsehen begleitet und schwanden
rasch schon nach kurzer Ruhe. Beim Lesen wirkte nicht allein die Ptose störend
bald war auch das Gedruckte verschwommen, und die Kranke gezwungen, ein
Auge zu schliessen, um weiter lesen zu können; es geschah dies wahrscheinlich
in Folge von Ermüdung der Convergenz und der dadurch entstandenen, noch
nicht zum Bewusstsein der Kranken gelangten Doppelbilder, nicht aber wegen
Ermüdung der Accommodation oder Asthenopie. Der Accommodationsmuskel
blieb, wie in der Regel, verschont
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Ebenso interessant ist der Einfluss der Ermüdung eines Gebiets auf andere,
nnd auch in diesem Falle im Bereiche der Bulbär- und Augenfunctionen.
Namentlich beeinflussbar ist wieder die Ptose, die überhaupt so sehr leicht
Schwankungen unterliegt. Das Stirnrunzeln, Augenschliessen, Blinzeln und alle
Bewegungen der Bulbi verstärken das Herabfallen der Augenlider. Anderer¬
seits hat Verstärkung der Ptose Rückwirkung auf die Augenmuskeln, die dann
leichter ermüden und die künstliche Ophthalmoparesen leichter entstehen lassen.
In einem ebenso reciproquen Verhältniss stehen die Sprach- und Schling-
störungen zu einander; tritt Ermüdung des Sprachvermögens ein, dann wird
das Schlingen hochgradig erschwert, nach der Mahlzeit aber kann Patientin längere
Zeit nicht zu Worte kommen.
Es mag wohl sein, dass bei diesen Functionen manche Muskeln gemeinsam
in Action treten, allein diese Erklärung ist nicht für alle Combinationen aus¬
reichend, so z. B. nicht für den Einfluss der oberen Facialismuskeln, der eigent¬
lichen Augenmuskeln auf den Levator palpebri u. 8. w.
In der Krankengeschichte wird öfters erwähnt, dass die Ptose sich auf der
Strasse verstärkte und Diplopie auch dann eintrat, wenn sie im Zimmer nicht
rorhanden war; die Kranke schrieb diese Störung der grellen Beleuchtung zu.
In der That war die Ptose im Dunkeln geringer, und die grelle Strassen-
belenchtung mag das Blinzeln verursacht haben, das, wie wir wissen, bei der
Pat eine Verstärkung der Ptose zur Folge hatte; diese aber wie auch die An¬
strengung, die Leute anzusehen und ihnen auszuweichen, führte wohl die Diplopie
herbei.
Dagegen wirkte die Ermüdung der Extremitäten und des Rumpfes auf
die bulbären und Augenmuskelfunctionen nicht ein, wie das bei dem Patienten
0. der Fall war. Im Fall T. wurde bereits der Einfluss der Ermüdung einer
Function, auch einer bulbären auf andere, erwähnt. Beim Pat. von Kalischer 1
diese Erscheinung ebenfalls vorhanden. Endlich wirkten manche äussere
Factoren, wie die Kälte, ein, die ein Steifwerden der Lippen, eine Behinderung
der Articulation und Beeinträchtigung der Fingerbewegungen verursachte, analog
rie bei der THOMSEN’schen Krankheit.
Das Herabhängen der Augenlider, die Schwäche der Gesichtsmuskeln und
der Mangel an mimischen Geberden, bedingte ein etwas schläfriges und masken¬
artiges Aussehen (HüTOHiNSON’sches Gesicht), das den Kranken mit asthenischer
Lähmung etwas Eigenartiges verleiht An der Schwäche betheiligte sich der
obere Facialis in gleichem Maasse wie der untere; zeitweise trat Lag-
ophthalmus auf.
Am Rumpfe konnte man gleich bei der ersten Untersuchung die Ermüdungs¬
erscheinungen constatiren; besondere waren, wie so oft, die Nackenmuskeln von
der Schwäche bevorzugt Wenn auch die Apokamnose an den Extremitäten
meist nicht in ganz klassischer Weise demonstrirt werden konnte, so lieferten
andere Umstände den Beweis, dass eine leichte Erschöpfbarkeit thatsächlich
, y Google
1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. X. S. 324.
350
bestanden hat, da Patientin erzählte, dass ihr die Kraft z. B. schon beim Schnei¬
den der zweiten Schnitte Brot versagte. Dagegen war die MyaR damals bereits
manifest; es verlaufen also die beiden Symptome, die Apokamnose und MyaR, nicht
parallel, sie scheinen nicht gegenseitig von einander abzuhängen. In der Folge¬
zeit trat die Apokamnose an den Extremitäten viel prägnanter, nahezu in typischer
Weise auf, und doch schwanden die Contractionen beim Reizen mit tetanisirenden
faradischen Strömen nicht vollkommen, auch nach längerer Einwirkung des
Stroms blieb zumeist ein Vibriren des Muskels bestehen.
Die MyaR liess sich dann typisch nachweisen, als Besserung eintrat, sie
war in diesem Falle so ausgesprochen, wie vielleicht in keinem der von mir unter¬
suchten, und konnte jetzt in allen geprüften Nerven und Muskeln, wenn auch
nicht mit derselben Leichtigkeit, hervorgerufen werden, ln einigen Gebieten,
z. B. in dem des Facialis, trat sie schnell zum Vorschein, in anderen erst nach
längerer Reizung. Es zeigte sich regelmässig, dass beim Hervorrufen der MyaR
vom Nerven aus nicht alle zugehörigen Muskeln zur selben Zeit an Contractions-
stärke verloren, sondern successive, die einen früher, die anderen später; in
den letzteren sah man noch eine schwache Contraction, als in anderen keine Spur
von Zuckung mehr vorhanden war. Man konnte weiter feststellen, dass die
MyaR eines Nervenreizpunktes ohne Einfluss auf die Erregbarkeit eines anderen
Reizpunktes desselben Nerven blieb, wie denn auch die MyaR im Nerven die
directe Erregbarkeit der zugehörigen Muskeln nicht beeinflusste; ebenso wenig
wirkte die MyaR im Muskel auf die Erregbarkeit des entsprechenden Nerven.
Auch liess sich beim Zustandekommen der MyaR keine reciproque Beein¬
flussung anderer motorischer Punkte desselben Muskels bemerken.
Es wird auch in dieser Beobachtung von leichtem fibrillärem Zucken und
klonischen Contractionen in den Gesichtsmusbein Erwähnung gethan, allein sie
treten lange nicht in solcher Constanz und Häufigkeit, wie z. B. bei der atro¬
phischen Bulbärparalyse, auf, und in der That war von Atrophie keine Rede.
Diese Zuckungen scheinen nur auf der Höhe der Krankheit vorzukommen; ist
der Anfall in der Entwicklung oder in Abnahme begriffen, dann beobachtet
man sie gewöhnlich nicht
Der Anfall, in dem sich die Kranke im Augenblick befindet, dauert über
ein Jahr; er scheint seine Höhe erreicht zu haben.
In den vom excidirten Stückchen des linken Deltoideus angefertigten Prä¬
paraten fanden sich gar keine pathologischen Veränderungen vor.
Beobachtung VI. Ich führe jetzt den jüngsten meiner Pat. vor, den
4 s / 4 jährigen E. aus Fidor, den ich in Gemeinschaft mit dem Collegen J. Kbamsztyk
beobachtete. Ich sah ihn zum ersten Male am 9./V. 1901. Vor 11 Monaten
fielen ihm die Oberlider herab, sonst keine Erscheinungen, nur leichte Verstimmung;
4 Wochen später Genesung, angeblich nach Gebrauch von Salzbädern. Pat. blieb
gesund bis März d. J., dann wurde er wieder verstimmt und die Augen bedeckten
sich von Neuem. Es fiel den Eltern auf, dass der Mund sich beim Lachen nicht
in natürlicher Weise verzog, dasB der Knabe den Mund offen hielt, dass
Speichel und Speisen über die nicht fest schliessenden Lippen flössen und dass
Pat. den Unterkiefer stützen musste. Auch bemerkten sie, dasB der Knabe undeut¬
lich spricht. Der Arzt vermuthete, es könne dies eine Folge der hyperplastischen
, y Google
351
Tonsillen sein, allein die Excision derselben brachte keine Beeserang, dazu fingen
die Speisen an durch die Nase zu regurgitiren. Nicht selten vermochte der Knabe
nur mit äusserster Mühe die im Rachen stecken gebliebenen Speisen herauszu¬
würgen. Sonst hat er keine Klagen, läuft herum und spielt mit den Genossen,
wenn er auch nicht so fröhlich ist wie früher.
Er wurde zurZeit geboren, war ein wenig rhachitisch, fing mit l 1 / 2 Jahren
an zn gehen und zu sprechen, 2 Mal hatte er im Beginn einer unbestimmten
fieberhaften Krankheit (im 6. Monat und im Alter von 2 Jahren) Convulsionen.
In den Wintermonaten litt er ziemlich oft an catarrhalischer Angina, von der er
jedoch wie auch von jeder anderen Krankheit, in den letzten 2 Jahren, frei blieb.
Er verlor 2 Geschwister an Diphtherie. Seine ältere Schwester ist gesund. Ein
Cousin von ihm leidet an spastischer Paraplegie, ein anderer starb im brühen
Alter angeblich an einer Nervenkrankheit. Sein Grossonkel väterlicherseits starb
an Epilepsie, zwei Grosstanten väterlicherseits leiden an Morbus sacer. Sein Vater
ist allgemein nervös.
Der Knabe ist für sein Alter physisch und psychisch gut entwickelt, ein
wenig blass. Es fällt sofort die beiderseitige Ptosis auf, die Corneae sind bis zur
Hälfte bedeckt (die linke ein wenig mehr), die Haut der Oberlider ist glatt und
der Knabe hält in Folge dessen den Kopf etwas nach hinten geneigt. Er thut
« noch mehr, falls er auf blicken soll. Schon die Mutter hat bemerkt, dass
die Ptoeis sich beim Fixiren von Gegenständen verstärkt. Kein Strabismus, keine
Diplopie, auch künstlich können sie durch Wiederholung der Augenbewegungen
nicht hervorgerufen werden. Die Pupillen sind gleich, reagiren gut auf Licht,
Convergenz und Accommodation. Es fällt weiter die Einförmigkeit des Gesichts-
acsdracks auf, keine Grimasse, weder Lächeln noch Weinen wählend der langen
Untersuchungszeit. Die Gesichtsmuskeln sind in der That schwach, so der Augen-
•chluss und der Kuss; Pat. vermag auch nicht zu pfeifen (was er vorher konnte).
Die Bewegungen der Zunge sind gut. Der weiche Gaumen contrahirt sich bei
wiederholtem Phoniren energisch und ermüdet nicht, es ist deshalb auffallend,
dass Flüssigkeiten durch die Nase regurgitiren und dass die Sprache ausgesprochen
nasal ist und ganz unverständlich wird. Der Knabe weiss es und schämt sich
dessen. Seitens der Extremitäten sind keine abnormen Erscheinungen vorhanden,
speciell keine abnorme Ermüdbarkeit. Die Eltern haben von selbst bemerkt, dass
das Befinden des Knaben in den Morgenstunden ein leidlich gutes ist, dass sich
aber die Erscheinungen Abends verschlimmern.
Puls 130. Respiration 24. Innere Organe gesund. Seitens der Reflexe,
Sensibilität, Sinne, Blase, Mastdarm u. s. w. keine Abweichungen.
lO./'V. 1901. Als er Morgens erwachte, konnte er ganz gut die Augen
offnen. Während der Untersuchung, die in den Morgenstunden stattfand, unter¬
lag die Ptose einem stetigen Wechsel, zuweilen hielt der Kranke die Augen
janz offen, bald fielen die Oberlider herab, besonders stark beim Hersagen von
Versen. Dann wurde die Sprache, die seit heute Morgen ausgesprochen nasal
klang, bald unverständlich. Beim Versuch zu pfeifen, entweicht Luft durch die Nase.
Die elektrische Untersuchung am Gesicht scheitert am Widerstand des Kranken,
and ist deshalb auch an anderen Theilen nur eine beschränkte. Am Deltoideus
rin. sinken die Contractionen bei Reizung mit tetanisirenden faradischen Strömen
stark herab, schwinden aber nicht. Weniger prägnant, wenn auch deutlich, ist
diese Erscheinung an den Extensoren des linken Vorderarmes, am Biceps brachii
sinister aber gar nichts zu demonstriren. Nach einer Minute gewinnt die Con-
traction die frühere Stärke. 1
1 Anmerkung bei der Correctur. Am 1. December 1901 erhielt ich vom
■iwtigen Arzt die Nachricht, dass sämmtliche abnorme Symptome geschwunden sind, und
?ai. vollkommen gesund ist.
Googl
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352
Bei der Durchsicht der Krankengeschichte wird sich wohl die Ueber-
zeugung aufdrängen, dass wir es in der That mit einer asthenisohen Lähmung
zu thun haben. Auch «in diesem Fall war es die Ptose, die zuerst die Auf¬
merksamkeit auf sich lenkte, als erstes Symptom der asthenisohen Lähmung
auftrat, aber damals unerkannt blieb. Sie verschwand nach etwa 4 Wochen
und nichts verrieth einen krankhaften Zustand. Es war aber nur eine Inter¬
mission eingetreten, da die Krankheit nach 10 Monaten recidivirte. Auch
diesmal setzte sie mit Ptosis ein, zu der sich bald eine mimische Lähmung,
sowie Lähmung der Adductoren des Unterkiefers, ferner eine articulatorische
Sprachstörung und Regurgitation von Flüssigkeiten durch die Nase gesellte. Die
Erscheinungen sind einem steten Wechsel unterworfen. Morgens befindet sich der
Kranke gut; Abends ist sein Zustand am schlimmsten, aber auch in der Morgen¬
stunde kann diese oder jene Erscheinung schon ausgesprochen sein. Namentr
lieh schwankt die Ptose schon während der Zeit einer Untersuchung. Auch ist
der reciproque Einfluss einer Function auf die andere wahrnehmbar, so der Ein¬
fluss der sich beim Recitiren steigernden Sprachstörung auf die Stärke der Ptose.
Noch scheinen die Extremitäten und der Rumpf verschont zu sein, wenigstens
ist die Apokamno8e an ihnen nicht hervorzurufen, allein das Vorhandensein
der MyaR an einzelnen Muskeln zeigt, dass sie nicht intact sind, und dieser
Fall beweist wieder, dass Ermüdungserscheinung und das Vorhandensein von
Schwäche und ^Paresen an die MyaR nicht gebunden sind, dass diese Erschei¬
nungen nicht nothwendig parallel verlaufen. Es können in denselben Gebieten
ausgesprochene Schwäche-, typische Ermüdungserscheinungen vorhanden sein
ohne MyaR und umgekehrt; doch scheint mir die erstere Combination die
häufigere zu sein, wenn nicht beide Symptome Zusammentreffen. Noch muss
hervorgehoben werden, dass die MyaR in diesem Fall nicht an allen unter¬
suchten Muskeln vorhanden war. Auch hier konnte man die Contractionen zum
Schwinden nicht bringen, sie liessen nur an Stärke sehr nach.
Es wird in der Krankengeschichte wiederholt die Verstimmung hervor¬
gehoben. Die ängstlichen Eltern merkten bei dem Kinde die leichteste
Humoränderung, wobei sie das mangelhafte Mienenspiel falsch deuteten.
Die nervöse Belastung tritt in diesem Fall stark hervor; diesem Momente,
das Oppenheim hoch anschlägt, ist aber nach meiner Erfahrung keine so grosse
Bedeutung beizumessen. Bei den meisten meiner Patienten war keine nervöse
Belastung aufzufinden.
Der Fall zeigt, dass auch das zarte Kindesalter von der asthenischen
Lähmung heimgesucht werden kann. In der Zusammenstellung von Oppenheim
ist in der Rubrik zweifelhafter Fälle der Fall von Mailhoüse mit 2 s / 4 Jahren
angeführt, der auch bei Campbell und Bram well 1 mit einem Fragezeichen
versehen ist. So viel man nach Referaten urtheilen kann — leider stand
mir das Original nicht zu Gebote — gehört der Fall dennoch zur asthe¬
nischen Lähmung. Es spricht dafür die Art der Entwicklung der Erschei-
1 Myasthenia gTavis. Brain. Summer 1901. LX.
edby Google
353
rnrngen, das Einsetzen mit Nackenmuskelparese, die Kau- und Schling¬
beschwerden, die articulatorische Sprachstörung, die ausgesprochene bilaterale
Ptose, noch mehr der Wechsel der Erscheinungen, die Remissionen und nicht
znm mindesten - der plötzliche (wahrscheinlich Erstickungs-) Tod beim Trinken.
Die klinische Physiognomie des Falles scheint dem meinigen sehr ähnlich
gewesen zu sein; die mimische Lähmung, das Fliessen von Speichel aus dem
offenen Munde u. s. w. werden ebenfalls betont. Auch bei Mailhoüse über¬
wiegen die Bulbär- und Augenerscheinungen; zeitweise waren nur die Beine
ergriffen.
Der Pat. von Remak war 12 Jahre, der von Chascot-Mabinbsco 13,
der von Jolly 14 1 /* Jahre alt.
Es sei hinzugefügt, dass Filatow in seinen „klinischen Vorlesungen über
Kinderkrankheiten“ 1 eine gute Beschreibung der asthenischen Lähmung giebt
Während in den drei ersten Beobachtungen die Erscheinungen bald bei
dem ersten Einsetzen der asthenischen Lähmung in raschem Tempo anfeinander
folgten — im Laufe von wenigen Wochen war das volle Krankheitsbild ent¬
wickelt —, tritt uns in diesem Fall, wie in dem von B. und K., eine interessante
Modalität im Verlaufe entgegen, nämlich, dass zuerst ein Symptom, die Ptose,
die Scene eröffnet und zunächst kein anderes sich hinzugesellt. Die Ptose
vermag nach kürzerem oder längerem, wochen- bis monatelangem Bestehen
zu schwinden und erst nach Monaten, sogar Jahren kann es zur vollen Ent¬
wickelung der asthenischen Lähmung kommen.
Die asthenische Lähmung befällt vorzugsweise das Alter zwischen 20 und
30 Jahren, aber auch das hohe bleibt von ihr nicht verschont, wie folgender
Fall beweisen soll.
(Fortsetzung folgt)
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber einen nooh unbekannten Nervensellenkern im Büokenmark der
Vögel, von Albert von Koelliker. (Vorläufige Mittheilung. Kaiserl.
Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-natur¬
wissenschaftlichen Klasse vom 5. December 1901.)
* Es handelt sich um einen Nervenzellenkern, welcher bei Hühnchenembryonen
von 5—15 Tagen dorsalwärts von der Austrittsstelle der motorischen Wurzeln
tu der lateralen Seite des Marks oberflächlich der weissen Substanz aufuitzt.
Diesen Kern bezeichnet Verf. als Hoffmann’schen Kern nach seinem Entdecker
P. Hoffmann, welcher ihn zuerst an einer Schnittserie von einem 10tägigen
Huhnerembryo wahrnahm. Verf. konnte Bpäter den Nachweis führen, dass es sich
um eine normale typische Bildnng handelt, welche nicht nur an Hühnerembryonen,
sondern auch bei erwachsenen Hühnchen und Tauben vorkommt. Bei der
erwachsenen Taube und beim erwachsenen Hahne zeigt dieser Kern eine deutlich
1 Deutsche Uebenetzung. 1901. S. 201.
23
edby Google
354
segmentale Anordnung und erlangt in der Sacral- und Lendengegend des Markes
eine ganz bedeutende Entwickelung. Die Zellhaufen liegen hier wie ausserhalb
des Markes an den ventralen Ecken des dreieckigen Markquerschnittes, und zwar
an den dorsalen Seiten eines Bandes, welches von der Dura zur Pia zieht und
dem Ligamentum denticulatum der Säuger verglichen werden kann. Diese Kerne
sind also dem Rückenmark bei den erwachsenen Individuen nur angelagert und
bilden, von der Pia umschlossen, rundliche Auswüchse, die eine bald grössere,
bald geringere Zahl schöner multipolarer Ganglienzellen enthalten. Die Nerven¬
fasern in diesen Kernen sind spärlich, reichlich dagegen vorhanden ein helles
Neurogliagewebe, welches dem Gallertgewebe ähnlich sieht, das bei den Vögeln
den Sinus rhomboidalis, den dorsalen Spalt zwischen beiden Hintersträngen, aus¬
füllt. Ueber die Bedeutung dieser Kerne hält der Autor ein Urtheil erst dann
für möglich, wenn er dieselben weiter verfolgt uud mit der Golgi’schen Methode
geprüft haben wird. Max Bielschowsky (Berlin).
2) Zur Präparat io nsteohnik der Organe des Oentralnervensystems , von
Prof. H. Dexler. (Zeitschr. f. Thiermedicin. 1901. V.)
Verf. giebt ein zusammenfassendes Referat über die zur Zeit gebräuchlichen
Sectionsverfahren für die Organe des Centralnervensystems bei unseren Haus-
thieren. Er wägt die Vortheile und Nachtheile der einzelnen Methoden gegen
einander ab und kommt bezüglich der Schädeleröffnung zu folgenden Schlüssen:
1. Die Methode der dorsalen Schädeleröffhung, welche am weitesten verbreitet
ist, ist anzuwenden bei den Carnivoren und den nicht erwachsenen Pferden und
Wiederkäuern. Sie ist wenig oder nicht rationell bei Thieren, deren Schädel¬
kapsel tief im Gesichtstheil versenkt — wie beim erwachsenen Pferde — oder
von grossen Lufthöhlen umgeben ist, wie beim Schweine, Rinde, Schafe und der
Ziege.
2. Die Methode der ventralen Schädeleröffnung, bei welcher nach Entfernung
des Unterkiefers die Schädelbasis abgetragen wird, ist bei allen HauBthieren
brauchbar und nur dann zu vermeiden, wenn das Kopfskelett erhalten bleiben
soll oder wenn zur Präparation nur wenig Zeit zur Verfügung ist
Als dritte Methode wird die Aufsägung des Schädels in der sagittalen Mittel¬
linie empfohlen, welche bei den Hausthieren verwendbar und nur dann zu um¬
gehen ist, wenn das Gehirn nicht durchschnitten werden darf.
Der Verf. giebt ausserdem noch eine kurze Darstellung der Gehirnsection
und der gebräuchlichen Conservirungsmethode für dieses Organ bei den Haus¬
thieren, welche mit den in der menschlichen Anatomie üblichen Verfahren im
wesentlichen übereinstimmen. Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
3) Observations on the physiology of the cerebral oortex of some of tbe
higher apes, by Grünbaum and Sherrington. (Proc. of the Royal Soc.
LXIX.)
Vorläufige Mittheilung über Reiz- und Exstirpationsversuche am Gehirn von
Orang-Utang, Gorilla und Schimpanse. Sie ergaben vor allem, dass die hintere
Centralwindung vollständig frei von motorischen Centren ist. Die Reihenfolge
der Reizpunkte in der vorderen Centralwindung entspricht der schon bei niederen
Affen festgestellten. Auf der medialen Hemisphärenseite erstreckte sich die moto¬
rische Region nicht bis ganz an den Sulcus calloso-marginalis. Die Störunge!
der Handbewegungen nach Exstirpation des Handcentrums bildeten sich in einiger
Google
355
Wochen so weit zurück, dass das Thier schliesslich zur Nahrungsaufnahme häufig
wieder nur diese eine, lädirte Hand benutzte. — Nach Läsion des Handcentrums
liess sich die Degeneration in der gekreuzten Pyramidenbahn bis in die Lumbal¬
region des Rückenmarks verfolgen. (!) Auch zeigte sich dabei in den untersten
Segmenten der Halsanscbwellung Faser- und Zelldegeneration im Vorderhorn der
gekreuzten Seite. H. Haenel (Dresden).
Pathologische Anatomie.
4) Ueber secundäre Degeneration in Mittelhirn, Brüoke und Medulla
oblongata nach Zerstörung des Grogshirns, insbesondere des motorischen
Rindenoentrums, von K. Kosak a. (Mittheilungen aus der medicinischen
Facultät der kaiserl. japan. Universität zu Tokio. 1901. V.)
Die Untersuchungen des Verf. wurden an den Gehirnen von 3 Hunden und
2 Affen vollzogen, denen das motorische Rindenfeld an einer Hemisphäre in mehr
oder weniger grosser Ausdehnung zerstört worden war. Die Methode, mit welcher
die secundäre Degeneration verfolgt wurde, waren die Markscheiden. Aus der an
Ergebnissen reichen Arbeit seien folgende Resultate hervorgehoben: Zunächst stellte
der Autor fest, dass beim Affen die Zerstörung einer Grosshirnhemisphäre die
Degeneration der beiderseitigen Pyramiden zur Folge hat, wobei diejenige der
entgegengesetzten Seite unbedeutend ist. Die degenerirten Fasern kommen auf
zwei verschiedenen Wegen in die contralaterale Pyramide. Da schon im Hirn-
schenkelfuss nach einseitigen Rindenläsionen degenerirte Fasern in derselben an¬
zutreffen sind, so sei anzunehmen, dass eine, wenn auch minimale Anzahl dieser
Fasern von der lädirten Hemisphäre durch den Balken zur Pyramide der ent¬
gegengesetzten Seite herabsteigt. Die degenerirten Fasern werden aber je weiter
man nach unten gelangt um so zahlreicher; besonders in den unteren Querschnitts¬
ebenen der Medulla oblongata nehmen sie an Masse zu und in 2 Fällen konnte
der Verf. im Niveau des oberen Theiles der Schleifenkreuzung Schwarzpunkte von
der Pyramide der operirten Seite zur anderen übergehen sehen. Es konnte also
der sichere Nachweis geführt werden, dass ein Uebergang von Fasern von einer
Pyramide zur anderen Btattfindet. Dieses Verhalten gilt aber nur für den Affen;
beim Hunde treten auch bei ausgedehnter Zerstörung einer Hemisphäre in der
contra-lateralen Pyramide des Hirnschenkels und des Pons degenerirte Fasern
nicht auf. Erst im Niveau der Schleifenkreuzung ziehen Schwarzpunkte von der
Pyramide der operirten Seite zur gesunden hinüber und die letztere enthält von
da ab caudalwärts ohne Unterbrechung eine geringe Menge Schwarzpunkte. Beim
Hunde geht ein Theil der Pyramidenfasern in der Kreuzungsstelle sicher in den
gleichseitigen Seitenstrang über, so dass man hier eine partielle Kreuzung der
Pyramidenbahn constatiren kann. Diese zum gleichseitigen Seitenstrang gehenden
Pyramidenfasern sind natürlich viel geringer als die zum gegenüberliegenden
gehenden; jedoch sind sie in relativ ansehnlicher Zahl vorhanden und machen den
Hauptbestandteil der in dem Seitenstrang der lädirten Seite enthaltenen dege¬
nerirten Fasern aus.
Ferner richtete der Verf. seine besondere Aufmerksamkeit auf die cortico-
nuclearen Fasern, welche zu den motorischen Kernen im Pons und der Medulla
oblongata ziehen. Seine Befunde führen ihn zu dem Schluss, dass die Pyramiden-
fasern, welche zum Facialis-, Hypoglossus- und motorischen Trigeminuskern der
entgegengesetzten Seite ziehen, sich zum grossen Theil oberhalb des betreffenden
Kernes oder auch im Niveau des oberen Endes desselben von der Pyramide ab-
lösen; etwas tiefer scheinen sich die zu den gleichseitigen Kernen ziehenden
Pyraxnidenfasern abzulösen und ebenso tiefer zu verschwinden. Es erhält also
jeder dieser Kerne einen Faserzuflu68 aus beiden Pyramiden.
23*
Google
356
Was die im lateralen Abschnitt des Hirnschenkelfusses gelegene cortico-
pontile Bahn anbetrifft, so glaubt der Verf., dass dieselbe speciell mit dem Tem¬
porallappen in einer innigen Beziehung Bteht, weil dieser Abschnitt des Pedunculus
besonders stark in denjenigen Fällen degenerirt war, wo der Temporallappen eine
Läsion erfahren batte. Für die frontale Brückenbahn konnte der Nachweis ge¬
führt werden, dass ihr Gebiet im PedunculuB auch bei Läsion der motorischen
Sphäre, und zwar der Kopfregion allein degeneriren kann, und dass die Dege¬
neration je nach der Intensität der Läsion in sehr verschiedenen Graden auftritt.
Ein Theil der im medialen Abschnitt des Pedunculus enthaltenen Fasern ent¬
stammt den ausserhalb der motorischen Sphäre liegenden Bezirken des Stirnhirns,
und dieser Bestandtheil ist beim Affen viel stärker entwickelt als beim Hunde.
Im Stratum intermedium des Pedunculus wurden in 3 Fällen degenerirte
Fasern auf der Seite der Rindenläsion gefunden. Dieselben sollen nach der An¬
sicht des Verf.’s einerseits aus der Rinde des Stirnlappens und der benachbarten
Insel, andererseits auB dem Streifenhügel stammen. Diese letzteren würden dem
Edinger’schen basalen Vorderhirnbündel entsprechen. Schliesslich sei noch er¬
wähnt, dass der Verf. in einem seiner Fälle, in welchem der Temporallappen
lädirt worden war, degenerirte Fasern vom lateralen Abschnitt des Hirnschenkel-
fusses zur äusseren Ecke der medialen Schleife nnd dann nach dem Vierhügel
verfolgen konnte. Es handelt sich hier wahrscheinlich um Fasern, welche die
Temporalwindungen, eventuell auch die Inseln mit dem hinteren Vierhügel ver¬
binden. Max Bielschowsky (Berlin).
6) Bemerkungen über die Entstehung und Bedeutung gewisser wand¬
loser Qehirnoysten, von F. von Reusz. (Orvosi Hetilap. 1901. Nr. 34.
[Ungarisch.])
Fortsetzung der bereits veröffentlichten Untersuchungen (ref. in d. Centralbl.
1901. S. 614) über die Entstehung und Bedeutung der vielfach beschriebenen
wandlosen Gehirncysten. Verf. stellte systematische Versuche an menschlichen
und Thiergehirnen an, und fand speciell, dass es bei Alkoholhärtung unter
gewissen Umständen (96°/ 0 Alkohol, grössere Stücke, säftereiche Gehirnsubstanz)
sehr leicht zur Bildung bis zu hanfkorngrossen Cysten kommt. Verf. betrachtet
den Vorgang als rein mechanischen und vergleicht denselben mit der Bildung der
Vacuolen, welche durch Coagulirung von Eiweissmassen beim Kochen im Inneren
der Masse entstehen. Diese Erscheinung findet Verf. um so auffallender, da an¬
geblich bei Alkoholhärtung ähnliche Kunstproducte nicht Vorkommen, und warnt
zur Vorsicht bei Beurtheilung von solchen Cysten nach der Härtung.
Hudovernig (Budapest).
Pathologie des Nervensystems.
6) Speoimens illustrating three oases of tumour of brain, by Chas. Work-
man. (Glasgow med. Joum. 1901. Juni.)
Demonstration I. eines Präparates von einem Fall von Hirntumor, dessen
Symptome, Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen und Doppeltsehen, seit 10 Jahren
bestanden; es besteht ein hühnereigrosser Tumor in der rechten Frontalregion,,
dessen innere Theile grösstentheils erweicht sind; die Untersuchung ergab ein
Gliom;
II. eines Präparates von Hirntumor, von einem 15jähr. Knaben stammend,
der seit Juli 1900 an Schmerzen im Hinterkopf und Nacken, Uebelkeit, Erbrechen
nnd Enuresis nocturna litt. Es bestand allgemeine Abmagerung der Musculatur,
Google
357
erhebliche Schwäche in einzelnen Muskelgruppen (Oberschenkel, Rücken- und
Nackenmuskeln), ferner Parese der Schlingmusculatur. Von Zeit zu Zeit Ohnmachts¬
anfälle, während der Puls bis auf 40 Schläge hinunterging. Sonst keine Sym¬
ptome. Die Autopsie ergab ein Rundzellensarcom hauptsächlich der rechten
Kleinhirnhälfte, mit den Meningen verwachsen, von weicher Consistenz.
UI. Im 3. Fall handelt es sich um einen S9jähr. Pat., der vor 2 Jahren
zuerst drei epileptische Anfälle hatte, die sich im Februar 1900 und am 22./1.
1901 wiederholten, jetzt in Status epilepticus übergingen und schnell den Exitus
herbeiführten. Der Anfall begann mit klonischen Zuckungen der Bulbi nach
rechts, es traten dann Zuckungen der rechten Gesichtshälfte auf, der Kopf wurde
nach rechts gedreht; die Zuckungen gingen dann auf den rechten Arm, bisweilen
auch das rechte Bein über. Kein Zungenbiss, kein Harnabgang während der
Anfalle. Bei der Autopsie fand sich ein grosser weicher Tumor, der die vordere
Hälfte beider Atmosphären einnahm und auf den Balken drückte. In der äusseren
Partie des Tumors eine Anzahl kleiner Cysten, besonders auf der linken Seite.
Auch hier handelt es sich um ein Rundzellensarcom.
Martin Bloch (Berlin).
7) Hydatid oyst of the left Arontal region of the brain. Operation. Beoo-
very, by George E. Rennie and W. H. Crago. (Australasian medical
Gazette. 1900. 20. Juli.)
I3jähr. Junge, aus gesunder Familie, selbst gesund, von guter Intelligenz,
erlitt mit 7 Jahren eine Gehirnerschütterung durch Fall aus einer Höhe von
20 Fass, war aber in den folgenden 6 Jahren völlig gesund. Dann erkrankte
er unter Kopfschmerzen, Erbrechen, Abnahme des Gedächtnisses, Schwäche in den
Extremitäten (rechts fast völlige Lähmung), linksseitige Ptosis, Lähmung des
linken R. internus, doppelseitige Neuritis optica (links stärker), träge Pupillen-
reaetion, Parese des rechten unteren Facialis, Schwäche in der Zunge, Salivation,
Stupor, Articulationsstörung, Agraphie und Alexie. Die Schädelpercussion ergab
über dem linken Stirnbein eine eigentümliche Resonanz, die Kopfschwarte zeigte
daaelbst eine auffallende Zartheit. Die Plantarreflexe waren beiderseits dorsal
und lebhaft (wurden nach der Operation zuerst links und mit der Besserung der
Lähmong auch rechts plantar; also keine absteigende Degeneration). Die Dia¬
gnose wurde bei dem Fehlen der Tuberculose, bei der langsamen Entwiokelung,
der Miamn estisch festgestellten Beschäftigung des Jungen mit Hunden, dem eigen¬
artigen Percussionsbefund auf Hydatidencyste im linken Frontallappen ge¬
stellt und durch die Operation bestätigt. — Zurückgeblieben ist nach der Ope¬
ration: ein Sensibilitätsdefect in den Fingerspitzen der rechten Hand und eine
geringe Schwäche bei feineren Bewegungen, ferner Alexie, Agraphie und etwas
iphaaie, wofür Verf. die Läsionen der 3. und 2. Frontal Windung (Bastian’s
coeiro-kinaesthetisches Centrum) verantwortlich macht.
H. Gessner (Nürnberg).
8) Zar Diagnose der Geschwülste des Stirahims, von Dr. Honig er. (Mün¬
chener med. Wochenschr. 1901. Nr. 19.)
Mitth eil nn g von drei einschlägigen Fällen. In dem ersten waren die wich-
ri pfrn Symptome eine depressive Psychose im Beginn, linksseitige Hemiparese,
tumelnder Gang, kurz vor dem Exitus auftretende beginnende Stauungspapille
iai Witzelaucht. Letzteres Symptom möchte Verf. auf eine Reizung des moto-
Sprach een tr ums zurückführen. (So einfach lässt sich nach Ansicht des
äe£ gerade da« Charakteristische, dass es sich immer nur um Witze handelt,
dam doch nicht erklären.)
by Google
358
Ein zweiter Fall war durch frühzeitige Sprachstörung ausgezeichnet.
In dem dritten Fall war die auf Schwäche der beiderseitigen Rumpfinuskeln
beruhende Stirnhirnataxie für die Diagnose von ausschlaggebender Bedeutung.
Es fand sich ferner doppelseitige Stauungspapille und die folgenden weiteren
Symptome ermöglichen die genauere Localdiagnose: Tumor im rechten Stirnhirn,
vielleicht in der 2. und 1. Windung; 3. Windung frei.
Vor Allem wurden epileptische Krampfanfalle beobachtet, wobei die linke
Seite und hier wieder der Arm besonders betheiligt war. Der Anfall wurde ein¬
geleitet durch eine Drehung des Kopfes und der Augen nach links. Kurz vor
dem Tode trat eine Lähmung des linken Armes auf. Bei der Section fand sich
ein kleinapfelgrosses Endotheliom, das den grössten Theil der ersten rechten
Stirnwindung zerstört, die zweite und dritte rechte, wie die erste linke Stirn¬
windung comprimirt hatte. Der Tumor ging von dem mittleren Theil der ersten
Stirnwindung aus und spricht der klinische Verlauf des Falles dafür, an dieser
Stelle das Centrum für die Rumpfmuskeln zu suchen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
9) Fall af tumor oerebri; trepanation; förbättring, af Fritz Kaijser.
(Hygiea. 1900. LXII. S. 223.)
Eine vorher gesunde, 29 Jahre alte Frau begann vor l 1 /, Jahren an Kopf¬
schmerz zu leiden, der einige Male von Erbrechen begleitet war. Anfangs seltener
und gelinder, wurden diese Anfälle häufiger und heftiger. Im März 1899 nahm
das Sehvermögen rasch ab und es stellte sich Doppeltsehen ein. Pat. litt ausser¬
dem an Schwindel, die linken Extremitäten wurden schwächer. Später stellten
sich Zuckungen ein. Der Kopfschmerz war in der Stirngegend localisirt. Der
Geruch war herabgesetzt, besonders rechts. Die Pupillen waren stark erweitert
und reagirten nicht auf Licht. In beiden Augen bestand starke Stauungspapille.
Der Patellarreflex war links verstärkt. Da die Kranke um jeden Preis Linderung
ihrer Kopfschmerzen verlangte, entschloss sich Verf. zur Trepanation. Nach den
Symptomen musste sich im rechten Stirnlappen eine Geschwulst finden, ob sie
exstirpirt werden konnte, liesB sich nicht bestimmen; Verf. operirte aber haupt¬
sächlich, um den Hirndruck zu mindern. Er fand die Hirnwindungen am rechten
Frontallappen abgeplattet, dunkler als normal, keine Pulsationen, keine begrenzte
Geschwulst, eine Probepunction ergab keine Flüssigkeit. Fieber war 10 Tage
nach der Operation nicht vorhanden, dann stieg die Temperatur vorübergehend,
nahm aber bald wieder ab. Der Kopfschmerz war die ersten Tage nach der
Operation heftig, liess aber dann allmählich nach. Gleichzeitig mit der Fieber¬
steigerung hob sich der Knochenlappen etwas. 3 Wochen nach der Operation
war der Kopfschmerz verschwunden und die Kranke wurde nach wenigen Taget
entlassen. Mehr als 3 Monate später hatte Patientin nach eingegangener Nach¬
richt keinen Kopfschmerz, das Sehvermögen beschränkte sich auf Erkennen voi
Hell und Dunkel. Walter Berger (Leipzig).
10) Gliomatöse Entartung des einen Traotus und Bulbus olfactorius be
Glioma oerebri, von Prof. Chiari (Prag). (Deutsche med. Wochenschi
1901. Nr. 41.)
In dem mitgetheilten Falle von Gliom im rechten Stirn- und Schläfenlappei
waren auch der TractUB und Bulbus olfactorius dieser Seite relativ vergrösser
und, wie die mikroskopische Untersuchung zeigte, in gliomatöses Gewebe um
gewandelt worden. Klinische Symptome von Seiten des Olfactorius hatten an
scheinend nicht bestanden. R. Pfeiffer.
GoogI<
359
11) Ballet wound of the motor region of the br&in: ballet retained:
suooeuful extraotlon, by Douglas Drew. (Brit. med. Journ. 1902.
18. Januar.)
Ein Officier, welcher 5 Tage nach erlittener Schädelschussverletzung ins
Hospital aufgenommen wurde, klagte über starken Kopfschmerz in der Stirn¬
gegend, war geistig völlig normal. — Bei der Untersuchung fand sich, dass die
Kugel im vorderen Theil des rechten Scheitelbeins, etwa 2 Zoll von der Mittel¬
linie entfernt, eingedrungen war. — Pat. hatte 50 regelmässige Pulse, unregel¬
mässige, mühsame Respiration; die Pupillen waren gleich, etwas dilatirt, reagirten
träge auf Lichteinfall. — Ferner fand sich: theilweise Lähmung der oberen Partie
der linken Gesichtshälfte; linker Mundwinkel völlig gelähmt; der linke Arm von
der Schulter abwärts bis auf die Fähigkeit, den Ellenbogen leicht zu extendiren,
völlig gelähmt; Gefühl von Taubsein im Unterarm und in der B[and mit ab¬
geschwächter Sensibilität.
Die Röntgendurchleuchtung ergab keinerlei Anhaltspunkt über den Sitz des
Geschosses im Gehirn.
Behufs Hebung der durch die Knochensplitterung gesetzten Gefahr und um
einer Zunahme des Gehirndruckes vorzubeugen, wurde an der Einschussstelle der
Schädel geöffnet. — Bei der Entfernung der Knochensplitter stiess man auf die
Kugel, welch letztere herausgenommen werden konnte. — Schon 24 Stunden
spater hatten die Kopfschmerzen nachgelassen, die Facialisparalyse war beseitigt.
2 Monate nach der Operation zeigte Pat. eine an völlige Heilung grenzende
Besserung. E. Lehmann (Oeynhausen).
12) Et tilf&lde af tab af muskelsaasen, begrftnset til höire haand, af V i 1 -
heim Magnus. (Norsk. Mag. f. Lägevidensk. 1900. XV. S. 304.)
Ein 64 Jahre alter Schuhmacher, der im Herbst 1897 in Behandlung kam,
ohne erbliche Anlage, der nie Alkohol missbraucht oder an Syphilis oder Tripper
gelitten hatte, erkrankte um Weihnachten 1895 plötzlich mit Fiebersymptomen,
bekam Kopfschmerz und wurde so schläfrig, dass er den ganzen Tag schlief.
Nachdem er einige Tage im Bett gelegen hatte, verlor er das Bewusstsein, ohne
Krampferscheinungen, und kam erst nach einer Woche wieder zu sich und genas
dann allmählich, aber in der rechten Hand hatte er das Gefühl, als ob etwas
vom Ellbogen aus bis in die Fingerspitzen rieselte; in den Fingern bestand taubes
Gefühl, die rechte Hand war bedeutend dicker als die linke, ungeschickt und
der Kranke konnte, als er nach etwa einem Jahre sich wieder bo weit erholt
hatte, dass er zu arbeiten versuchen konnte, nur noch zuschneiden, wenn er ein
Messer mit dickem Griff nahm, manche Arbeiten musste er mit der linken Hand
machen. Der Druck der rechten Hand war weniger kräftig als der der linken.
Die Sensibilität für Schmerz und Temperatur war in der ganzen rechten oberen
Extremität herabgesetzt. Pat. localisirte sehr schlecht in der rechten Hand,
konnte nicht angeben, welcher Finger berührt wurde, welche passiven Bewegungen
mit der Hand und den Fingern ausgeführt wurden, seine Nasenspitze konnte er
mit seinem rechten Zeigefinger berühren, aber nicht so rasch, wie mit dem linken,
er konnte mit geschlossenen Augen eine Papierscheere, die ihm in die rechte
Hand gelegt wurde, von einem Finger unterscheiden, doch fühlte er, dass die
entere harter war. Pat. wurde einige Wochen lang poliklinisch mittels Elektri-
cität und Jodkalium ohne Nutzen behandelt und liess sich dann nicht mehr sehen.
Als er nach etwa 2 Jahren wiederkam, hatte er Anfälle von Schwindel und
Syncope, die Sprache begann erschwert zu werden, er konnte einzelne Worte
schwer aussprechen und musste langsam reden. Der Zustand der rechten Hand
war ungefähr wie früher, aber die Muskelkraft hatte noch mehr abgenommen und
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360
die Sensibilitätsstörungen waren noch deutlicher geworden. Ausserdem hatte die
Kraft im rechten Beine abgenommen. — Verf. nimmt an, dass sich auf der
Grundlage eines begrenzten meningitischen Processes, der in Heilung überging,
eine langsam zunehmende Neubildung in der linken Hirnrinde gebildet habe,
die das Anncentrum betraf und am stärksten das Centrum für die Hand angriff.
Im Laufe von 2 Jahren war die Neubildung nach oben bis zum Centrum für die
Unterextremität und nach unten bis zum Facialis- und Hypoglossuscentrum ge¬
wachsen. Walter Berger (Leipzig).
13) Gutachten über einen Fall von Gliom des Gehirne mit tödtliohem
Ausgang in Folge von Kopfverletzung nach etwa IO 1 /* Jahren, von
Dr. Uhlemann. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1900. Nr. 6.)
Ein 38jähr. Maurer erhielt im November 1887 von einer Wagendeichsel
einen Schlag gegen den Kopf, so dass eine Risswunde der Kopfschwarte und eine
leichte Knochenimpression entstand. Es erfolgte glatte Heilung: nach 3 Wochen
arbeitete Patient wieder. Er klagte jedoch von nun ab über KopfbeBchwerden,
nach einem Jahr über Schwerhörigkeit und in den weiter folgenden Jahren über
rheumatische und neuralgische Schmerzen. 1895 hatte er Fussklonus und Rom¬
berg, 1896 taumelte er beim Gehen, 1898 Pupillendifferenz, Schwäche in den
Gliedern, Störungen in der Sensibilität. Einige Wochen vor dem Tode, der im
April 1898 eintrat, bildete sich eine Lähmung und Contractur mit Zuckungen im
linken Arm und linken Bein aus. Die Section ergab genau der Stelle ent¬
sprechend, an welcher die Hautnarbe sass, das iBt auf der hinteren Central¬
windung, ein zerfallenes Gliom. Verf. hatte für das Schiedsgericht zu begutachten,
ob ein Zusammenhang mit dem Unfall bestände. Er bejahte diese Frage mit
grosser Wahrscheinlichkeit und stützte seine Beweisführung mit ähnlichen Fällen
der Litteratur, in welchen ebenfalls die Geschwulst erst Jahre lang nach dem
Unfall entdeckt war. Im späteren Recursverfahren entschied das Reichsversicherungs-
amt im Sinne des genannten Gutachtens, nachdem sich auch andere Sach¬
verständige in derselben Weise ausgesprochen haben.
Paul SchuBter (Berlin).
14) Tumor oerebri, door Dr. L. Bouman. (Psychiatr. en neurol. Bladen.
1900. S. 63.)
Bei einem 34 Jahre alten Manne waren im Alter von 28 Jahren ohne be¬
kannte Veranlassung epileptische Anfälle aufgetreten, die 2 Jahre später nach
einem Trauma häufiger wurden, während sich langsam ein gewisser Grad von
Demenz entwickelte. Bei der Aufnahme, 5 Jahre nach Beginn der Krankheit,
traten die epileptischen Anfälle in den Hintergrund, aber es stellten sich bald
die allgemeinen Erscheinungen einer Hirngeschwulst ein, Kopfschmerz, Benommen¬
heit, Erbrechen, Schmerz in der Gegend des Halses. Pat. zeigte starke Neigung,
seine Klagen zu übertreiben. Die speciellen Symptome waren zu wenig aus¬
geprägt, um eine Localisation zu gestatten, nur dass der Sitz der Krankheit sich
in der linken Hälfte des Grosshims befand, lieBB sich annehmen; die Muskel¬
bewegungen und Reflexe erwiesen sich auf der rechten Seite weniger stark als
auf der linken. Kopfschmerz und Erbrechen nahmen zu und Pat. starb plötzlich
unter apoplektischen Erscheinungen. Bei der Section fand sich im linken Schläfen¬
lappen ein Sarcom von der Grösse eines grossen Apfels, das nach vorn bis 4,3 cm
vom Frontalpole, nach hinten 5 cm vom Occipitalpole sich erstreckte.
Nach Verf. sind schon die im Alter von 28 Jahren aufgetretenen epileptischen
Anfälle als von der Geschwulst abhängig zu betrachten gewesen. Besonders hebt
Verf. die Neigung des Kranken, seine Klagen zu übertreiben, hervor und fährt
Google
361 —
drei von Thoma in der Versammlung des Vereins stidwestdeutscher Irrenärzte
im Jahre 1895 mitgetheilte Fälle (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LII) an, in denen
dasselbe Symptom zu beobaohten war. Walter Berger (Leipzig).
15) Case of oerebral tumour at the parieto-oooipital flasure, by R. T.
Williamson. (Brit med. Journ. 1901. 6. Juli.)
Ein 43jähr. Patient hatte seit längerer Zeit an Kopfschmerz, Schlaflosigkeit
und leichten Krämpfen im linken Bein gelitten; später bekam er drei aufeinander¬
folgende Anfalle von hochgradigen Jackson’schen Krämpfen der ganzen linken
Körperhälfte, vom Bein beginnend, mit Bewusstseinsstörung. Sodann Abnahme
der Sehkraft.
Bei der Aufnahme ins Hospital bestanden keinerlei Lähmungserscheinungen.
Reflexe normal, Sensibilität unverändert. Pat. klagte besonders in der Gegend
der rechten Stirnseite über heftigen Kopfschmerz. Beiderseits Neuritis optica,
keine Hemianopsie, Pupillenreaction normal, keine geistigen Störungen.
. Am Schädeldach fand Bich hinter und oberhalb des rechten Tub. frontale
eine empfindliche Stelle. Bei der Auscultation hörte man hierselbst Flüstern des
P»L besser als auf der entsprechenden linken Seite. — Pat. wurde apathisch,
halb bewusstlos.
Um die unerträglichen Schmerzen zu lindern, wurde an der genannten Stelle
trepanirt ohne Eröffnung der Dura. Eine Probepunction ins Gehirn ergab keinen
Eiter. Besserung der Kopfschmerzen. Später Abnahme der geistigen Functionen,
Coma, Tod.
Bei der Autopsie fand sich in der Gegend des Sulcus parieto-occipitalis ein
ein Zoll im Durchmesser messendes gemischt-zeiliges Sarcom. Der Tumor, welcher
in den genannten Sulcus eingedrückt schien, dehnte sich sowohl nach der con¬
vexen als medialen Gehirnoberfiäche aus und erstreckte sich mehr auf den Hinter¬
haupts- (Theile der ersten Hinterhauptswindung, bezw. des Cuneus), als auf den
Scheitellappen (Theile des oberen Scheitellappens, bezw. des Praecuneus) aus.
Hinsichtlich der näheren Details und der localdiagnostischen Bemerkungen des
Verf.’s sei auf das Original verwiesen. E. Lehmann (Oeynhausen).
10) A case of sarooma of the brain removed by Operation: subsequent
Operation for removal of a seoond tumour: reoovery, by J. Mi che 11
Clarke and R. G. Lansdown. (Brit. med. Journ. 1901. 13. April.)
Ausführliche Mittheilung der Krankengeschichte eines 28jähr. Mannes, bei
dem seit l 1 /, Jahren an Intensität zunehmende, allgemeine cerebrale Krankheits-
»ymptome — besonders auch zunehmende Stauungspapille beiderseits — bestanden,
flfld bei dem 11 Tage nach vorgenommener Trepanation zunächst ein abgekapselter,
nindlicher Tumor entfernt wurde. Pat. erholte sich von dieser Operation, die
jedoch nicht den erhofften Erfolg hatte. Namentlich besserte Bich die Sehkraft
flieht; die Kopfschmerzen wurden wieder heftiger, die Benommenheit nahm zu,
die die Trepanationsöfinung bedeckende Kopfhaut wölbte sich vor. — Man ver-
outhete Recidiv und schritt an derselben Stelle zur zweiten Operation. Jetzt
f*nd sich ein mit der Kopfhaut verwachsener, orangegrosser Tumor, welcher, zu-
anunen mit kleinen adbärenten Gehirntheilen, stückweise entfernt werden musste.
Ein halbes Jahr später weitgehende Besserung aller Krankheitserscheinungen; nur
die Sehkraft blieb gestört — Beide Tumoren waren Spindelzellensarcome.
In diagnostischer Beziehung ist erwähnenswert!), dass auf das Ergriffensein
dff betreffenden linken Gehirnhälfte nur die grössere Intensität der Stauungs-
Pupille links, sowie eine Parese des linken M. externus deutete.
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362
Beim Fehlen eigentlicher specifischer Krankheitssymptome war das einzige
Zeichen zur näheren Localdiagnose deB supponirten Tumors und zur Bestimmung
der Trepanationsstelle der deutlich abgeschwächte Percussionsschall über einer
kleinen „Kronstück“ - grossen Schädelstelle in der linken Scheitel-Hinterhaupts*
gegend.
Die betreffende Schädelpartie war nicht empfindlich; der Knochen daselbst
nicht verdünnt. Die Dämpfung des Schalles rührt wahrscheinlich von dem ober¬
flächlichen Sitz des ersten Tumors und der grossen Festigkeit seines Gewebes her.
Die Trepanation, welche ursprünglich nur aus palliativer Rücksicht, um den
Gehirndruck zu beseitigen, gemacht werden sollte, hatte keinen wesentlichen Ein¬
fluss auf Besserung der Neuritis optica. Die Verff. rathen daher, in künftigen
Fällen die Palliativoperation zu einem Zeitpunkt zu machen, bevor völliger Ver¬
lust der Sehkraft eingetreten. E. Lehmann (Oeynhausen).
17) Tumor oorebri, door von Ziegenweidt. (Talma’s Feestbundel. Haarlem,
1901.)
Verf. bespricht einen Fall von Tumor cerebri bei einem 44jähr. Manne, "bei
dem seit 3 Monaten Erscheinungen von Schwindel, Schmerzen im Hinterkopf und
Nackenmuskeln und Erbrechen aufgetreten waren. Pat., der Lues negirt, wurde
in der letzten Zeit vergesslich. Im rechten Facialis und rechten Arm trat
Jackson'sehe Epilepsie wie auch Parese auf. Der Gang wurde atactisch, doch
traten keine Retropulsionsbewegungen auf. Des weiteren war zu constatiren:
Hyperästhesie der linken Thoraxhälfte und des linken Beins, Patellarreflexe und
FuBsklonus nicht anwesend, Cremasterreflex rechts abgeBchwächt, links aufgehoben.
Bauchreflexe beiderseits schwach. An beiden Seiten Stauungspapille; Absences
— keine Störungen bei Percussion und Auscultation deB Schädels.
Die Diagnose wurde auf Tumor im linken Lobus front, gestellt. Bei der
Operation wurde Ventrikelpunction im Coma ausgeführt. Pat. wurde klarer und
am nächsten Tage trat beiderseits Fussklonus auf. Später auch Zuckungen in
der linken Körperhälfte, so dass die Diagnose geändert wurde in Tumor im
rechten Lobus pariet.
Bei der Autopsie fand man den Tumor unter der grauen Substanz des rechten
Gyrus marginalis.
In diesem Falle wurde die collaterale Epilepsie und Monoplegie durch
Ventrikelhydrops von der anderen Hemisphäre verursacht.
TenCate (Rotterdam).
18) Zur Klinik der Tumoren der Vierhögelgegend nebs Bemerkungen zu
ihrer Differentialdiagnose mit Kleinhirngesohwülsten, von Dr. W. Nissen
(St. Petersburg). (Jahrb. f. Kinderheilk. 1901. LIV.)
Das Kindesalter bietet zum Studium der Gehirngeschwülste günstige Gelegen¬
heit, theils wegen der relativen Häufigkeit dieser Erkrankung in frühen Alters¬
stufen, theils wegen des besonders reichlichen Vorkommens von Solitärtuberkeln,
welche nur circumscripta Ausfallserscheinungen darbieten, endlich wegen der sich
eher bietenden Gelegenheit zur Autopsie im Spital.
Verf. hat die Symptome bei Vierhügeltumoren an 5 Fällen studirt, von denen
allerdings nur bei dreien die Diagnose durch die Obduction bestätigt werden
konnte. Aus diesen Beobachtungen, welche nebst sorgfältigen Krankengeschichten
genaue epikritische Betrachtungen über die vorhandenen Sectionshefunde enthalten,
ergeben sich einige allgemein wichtige Resultate:
Verf. hält es vor Allem für nothwendig, die Tumoren „des Vierhügels“ da¬
nach zu differenziren, ob die Affection im Hirnschenkelfuss, in der Haubenregion
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363
oder in der Vierhügelplatte (Mittelhirndach) sitzt; in ersterem Falle werden die
Extremitäten der gekreuzten Körperhälfte gelähmt sein, beim Sitze in der Hauben¬
region ist vorerst gleichseitige Oculomotorius-, eventuell Trochlearislähmung zu
erwarten, ausserdem sind Gangstöningen und Sensibilitätsanomalien möglich
(Läsionen der Bahnen vom Kleinhirn durch die Bindearmkreuzung zum rothen
Kern and der medialen Schleifenschicht). Tumoren der Vierhügel platte brauchen,
so lange sie klein sind, überhaupt keine Erscheinungen zu machen; möglicherweise
sind durch Betheiligung der sensiblen Schleifenbahn Sensibilitätsstörungen und
Schmerzen von dieser Stelle auslösbar. In praxi kommen diese Schlussfolgerungen
allerdings auf die bekannte Thatsache hinaus, dass Oculomotorius- und gekreuzte
Extremitätenlähmung als Hauptmerkmale eines Vierhügeltumor anzusehen sind.
In den „Allgemeinerscheinungen“ ähneln Tumoren der Vierhügel manchmal
solchen des Kleinhirns, doch glaubt Verf. auf einige Verschiedenheiten hioweiBen
m können. Kopfschmerz ist bei Vierhügeltumoren nicht so intensiv, so heftig
und so sehr im Hinterhaupt localisirt, Erbrechen namentlich in späteren Stadien
nicht so häufig wie bei Kleinhirngeschwülsten. Die Augenmuskelstörungen
bei Cerebellartumoren bieten mehr den Eindruck von Paresen oder von perio¬
dischem Schielen und nicht von ausgesprochenen Oculomotoriuslähmungen. Er¬
krankungen des Augenhintergrundes fehlen niemals bei Neubildungen des
Kleinhirns, häufiger bei solchen in der Vierhügelgegend; damit tritt bei ersteren
Geschwülsten auch eine raschere Abnahme des Sehvermögens auf als bei letzteren.
Eine frühzeitig auftretende Neuritis optica wird also ceteris paribus eher für einen
Kleinhirntumor sprechen.
Zum Schlüsse der Arbeit verweist Verf. auf die Multiplicität von Tubeikeln
im Hirn und hält es nicht für ausgeschlossen, dass von einer secundären Tuberkel¬
bildung vornehmlich jene Hirntheile befallen werden, welche mit dem primären
Sitze durch Leitungsbahnen in directer Verbindung stehen: Es würde sich durch
diese Hypothese die Möglichkeit ergeben, bei Diagnose eines bestimmten Primär-
berdes Wahrscheinlichkeitsschlüsse auf andere isolirte Tuberkelerkrankungen im
Hirn zu ziehen und daraus diagnostisch oder eventuell therapeutisch werthvolle
Thateachen zu gewinnen. Zappert (Wien).
10) Bin Lipom der Vierhügelgegend, von Dr. Fritz Spieler. (Arbeiten
aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1902. Heft 8.)
Im Gehirne eines 10 Jahre alter, an Tuberculoöe verstorbenen Knaben fand
sich au der Kuppe des linken hinteren Vierhügels ein erbsengrosser Tumor, der
sich histologisch als ein von der Pia mater ausgehendes Lipom erwies, und der
ren dem sonst intacten N. trochlearis durchzogen wurde. In der Höhe des be¬
ginnenden hinteren Vierhügels sieht man mächtige Gefässbalken vom Tumor gegen
die Decke des Aquaed. Sylvii ziehen, die Belbst kleinzelliges Infiltrat und eine
eigentümliche gliöse Verdichtung zeigte. Die Gefässwandungen sind hier verdickt,
die Lymphscheiden erweitert. Verf. bringt diesen Befund mit einem durch den
Tumor bedingten Reizzustand in Zusammenhang.
In der Litteratur finden sich nunmehr 35 Fälle von Himlipomen beschrieben;
daron kommen zwölf auf das Corpus callosum, elf auf die Hirnbasis, fünf auf
Pons und Medulla oblongata, vier auf die Vierhügelgegend und ebenso viele auf
die Plexus chorioidei. Multiple Lipome kommen im Hirn nicht vor, nur ver¬
einzelt ist zweifaches Auftreten im Gehirn beschrieben worden. Der vorliegende
Fall spricht für den meningealen Ursprung der Himlipome. Im allgemeinen
herrscht die Neigung vor, auch die Hirnlipome auf Keimverlagerungen und Ent-
vickelungBstörungen zurückzuführen; die immerhin auffällige Thatsache, dass sie
meist erst jenseits des 30. Jahres zur Beobachtung kommen, findet vielleicht darin
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364
ihre Erklärung, dass sie erst im späteren Alter wachsen und dadurch leichter zur
Beobachtung kommen. Bedlich (Wien).
20) Ein Beitrag zur Kenntnis« der Brüokengesohwülzte, von Dr. Theodor
Zahn, Assistent der psychiatrischen Klinik in Würzburg. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Nerveuheilk. 1901. XX.)
Bei einer ‘28jährigen, halb idiotischen Puella, bei welcher keine luetischen
Symptome nachweisbar waren, trat unsicherer, schwankender Gang, Steigerung der
Patellarreflexe und zeitweise beiderseitiger Fussklonus, später linksseitige, schwache
Facialislähmung, Schlafsucht, Schwindel und Gefühl von Trunkenheit auf. Oph¬
thalmoskopisch fand sich nur venöse Hyperämie, und zwar hauptsächlich rechts,
Papillengrenzen unverwischt, Hörorgan, Sprach- und Schreibvermögen unversehrt.
Wegen Verdachtes auf Lues Ueberfübrung in die syphilitische Klinik, doch wurde
einer Schmierkur energischer Widerstand entgegengesetzt. Später Gehen ganz
unmöglich, dauernder comatöser Zustand, schlaffe Lähmung des rechten Armes.
Exitus. Bei der Autopsie und anatomischen Untersuchung fand sich in der linken
Ponshälfte ein Herd, der in seiner Umgebung zur Erweichung geführt hatte,
ausserdem eine vom Sacralmark bis zum Himstamm reichende Entzündung der
Pia mit Verdickung und Rundzelleninfiltration. Innerhalb des Herdes eine Zer¬
störung der Pyramidenbahnen, die eine absteigende Degeneration bis an das Ende
derselben im Gefolge hatte. Ausserdem entzündliche Gefässveränderungen der
Pia gummösen Charakters, und zwar sind nur Media, Adventitia und Umgebung
der Gefasse davon betroffen, während die Intima nirgends verdickt und das Lumen
an keiner Stelle obliterirt ist.
Klinische Erscheinungen hatte die nicht gerade hochgradige Rückenmarks¬
syphilis nicht hervorgerufen, die ersten Symptome (cerebellare Ataxie) waren
4 Monate vor dem Exitus aufgetreten. Die periphere Facialislähmung links, die
erst kurz vor dem Tode deutlicher wurde, findet in dem Faserach wund und in
den Markschollen an der Austrittsstelle ihre Erklärung. In der linken Brücken¬
hälfte waren die Pyraraidenbahnen zum grossen Theil zerstört und nur ein dorsal
gelegener, die ganze Breite einnehmender Rest erhalten.
Der Exitus erfolgte unter den Erscheinungen schweren Hirndrucks. In Folge
seiner Ausdehnung konnte aber das Gumma im Gehirn nicht die geringste Raum¬
verdrängung bewirken. Die Störungen, die trotzdem in dieser Beziehung be¬
standen, sind auf eine Vermittelung durch die Med. oblong, zurückzuführen. Das
Gehirn füllte den Schädelraum mehr als gewöhnlich aus und war statt um lO°/ 0
nur um 6°/ 0 kleiner als das Schädelinnere. Die hier deutlich ausgeprägte cere¬
bellare Ataxie führt Verf. in Uebereinstimmung mit anderen Autoren auf Druck¬
wirkung auf Kleinhirn oder verlängertes Mark zurück, während er einer Schädigung
der Brücke selbst in dieser Beziehung keinen Einfluss einräumt.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
21) Un glioma dei plessi ooroidei del IV ventrioolo. Osservazione del Dr.
G. Catöla. (Rivista di Patologia nervosa e mentale. 1901. August.)
Tumoren der Plexus chorioidei mit dem Charakter von Neubildungen
der Neuroglia sind noch nicht beschrieben worden. Im vorliegenden Falle handelt
es sich um einen 41 j ähr. Goldarbeiter, seit 2 Jahren paralytisch. Epileptiforme
Anfälle, keine Herderacheinungen. Diabetes 5°/ 00 und Acetonurie, terminales
(toxisches) Coma. — Leichtes Lungenödem, leichte Nieren- und Leberetauung.
Liquor cerebrospinalis ext. et int. etwas vermehrt. Alle Verhältnisse sonst normal.
Der hinteren Hälfte des 4. Ventrikels lose aufliegend, den Unterwurm abplattend,
erhebt sich etwa 2 1 / a cm hoch ein cylindrisches Geschwülstchen, umschlungen von
Diqitizec
3 by Google
365
den Strickkörpern, mit welchen es nur in kurzer Ausdehnung mittelst dünnster
fibröser Fädchen zusammenhängt. Farbe weisslich, Maulbeerform, fleischige Con-
sistenz. Nach dem Ventrikel hin treten aus der Geschwulst 6 Läppchen vor,
welche an dem Boden desselben entsprechende Eindrücke hervorgebracht haben.
Der Tumor ist mit einem Kranz hanf- bis erbsengrosser Knöpfchen besetzt, welche
den Plexus in ihrem ganzen Verlauf nach vorn und seitlich folgen.
Histologische Verhältnisse des Gehirns normal, insbesondere keine para¬
lytischen Gewebeveränderungen. Im Tumor, welcher eine wirbelige Structur
teigt und gegen den Ventrikel hin von cubiBchem Ependymepithel bekleidet ist,
kann man zwei Partieen unterscheiden: eine gekörnte und lacunäre Grundsubstanz,
welche an gewöhnlich helleren Stellen einen mehr concentrisch-fibrillären Charakter
ann imm t, und die zweite Partie, einen dichtgedrängten Kernbezirk, unregelmässig
amschliesst. Diese Kerne sind gut umschrieben, stark (dick oder fein) granulirt
and Ton den verschiedensten Formen und Ausmaassen. Grosse Zellen und Astro-
tyten (Weigert) kommen vor. In der vorderen unteren Zone des Tumors sieht
man eine Anzahl verschieden stark gekörnter Riesen kerne mit ganz eigentüm¬
lichen, monströsen (Achter-, Hellebarden-, Raketen- u. s. w.) Formen und mitunter
«hvanzformigen Anhängen, die spärlicher granulirt und von Fibrillen durchzogen
sind. Die Structur ersterer ist zuweilen netzförmig, zuweilen im Centrum wie
zackig, oder blass, gequollen, geborsten und halb des Inhalts entleert.
Die benachbarten Chorioidealzotten sind durch manchmal colossal ent¬
stellende Wucherung ihrer centralen Fibrillen und durch Kernteilungen am
Proliferationsprocess energisch betheiligt, während ihr einschichtiges
Epithel überall unverändert bleibt. In manchen der oben genannten Lneunen
tri2t man auf Reste dieser Plexus, welche teils darin freiliegen, teils aber mit
der Geschwulst, welche in ihre Substanz Zapfen treibt, organisch und con-
tinuirlich verwachsen. Manche Zotten sind streckenweise ganz normal, ent¬
halten weiterhin im Inneren einen feinen fibrillären Streifen neoplastischen Ge¬
webes, welches an anderen Stellen ungeheuer anschwillt zu einer Geschwulstinsel,
die nnr noch vom Epithel der Zotte bedeckt ist. Ersichtlich ist der Tumor aus
■eichen grossen neoplastischen Inseln zusammengesetzt, welche im Innern der
pioarachnoidalen Duplicatur einer Zotte ihren Ursprung genommen haben und in
onander gewachsen sind, gleichzeitig der Geschwulst Form und Structur mit-
theilend. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
*2) Bin Qliom des 4. Ventrikels nebst Untersuchungen über Degeneration
in den hinteren und vorderen Wurzeln bei Hirndruck- und bei Zehr¬
krankheiten, von Dr. Ph. E. Becker. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
1902. XXXV.)
Eine 27jähr. Frau erkrankte plötzlich mit Schwindel und Erbrechen. Dann
bildete sich allmählich eine rechtsseitige, alle Aeste treffende Facialisparese aus,
Schmerzen traten im rechten Auge auf, die Sehkraft nahm auf einem Auge ab,
* kam zu einer rechtsseitigen Abducenslähmung, auch Fasern des linken Oculo-
®otoriua functionirten nicht mehr. Später stellten sich Sprachstörungen ein, die
•ich ständig steigerten, Kau- und Schluckbeschwerden blieben nicht aus. Der
Gescbmacksinn ging verloren, Parftsthesieen der Mundschleimhaut wurden constatirt.
Eine zunehmende Schwäche im rechten Arm und Bein, Gleichgewichtsstörungen,
B«klemmung8geföhl, Stimmbandlähmung, Acusticusstörungen, Störungen der tactilen
Sensibilität, der Schmerz- und Temperaturempfindung vervollständigen das Krank-
heitsbild. Etwa ein Jahr nach Beginn der Krankheit starb die Patientin plötzlich
***** dem Bild einer Lähmung des Athemcentrums. Erst sehr spät hatte die
über Kopfschmerzen geklagt, Stauungspapille fehlte.
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366
Bei der Section fand sich eine hochgradige Dilatation des 4. Ventrikels.
Fast der ganze Raum war eingenommen von einem wallnussgrossen, weichen
Tumor, der vorwiegend rechts lag, die rechte Seite der Brücke stärker belastete
und nach Durchschneidung des Wurms und Auseinanderklappen der Kleinhirn¬
hemisphären sehr schön zu Tage trat. Im Bereich der Tumormasse lag beider¬
seits der Glossopharyngeuskern, ebenso die Kerne und Fasern von Vagus,
Aocessorius uqd Hypoglossus. Trigeminus, Abducens, Facialis und Acusticus
haben angeblich nur durch den Druck des über ihren Kernen gelegenen Tumors
gelitten. Die Schleifenveränderungen waren rechts stärker. Die Pyramidenfasern
(diese besonders links) und die Vorderhörner waren degenerirt. Mikroskopisch
wurde festgestellt, dass die Geschwulst ein typisches, rundzeiliges Gliom dar¬
stellte; eine scharfe Grenze zwischen Geschwulstmasse und Medullagewebe bestand
nicht. Mitten im Tumor verliefen Nervenfasern. Ein grosser Gefässreichthum
zeichnete die Geschwulst aus.
Da im vorstehenden Fall auch die hinteren Wurzeln des Rückenmarks
degenerirt waren, hat Verf. im Anschluss an Beine Arbeit die Veränderungen des
Rückenmarks und seiner Wurzeln bei verschiedenen Processen unter der Leitung
von Prof. Dinkler genau studirt, und zwar bei Hirntumor, Hydrocephalus, Arterio¬
sklerose, Morbus Basedowii, perniciöser Anämie, Nephritis, Krebscachexie und
Tuberculose. Die Degenerationen betrafen die hinteren Wurzeln und die Hinter-
sträuge im Allgemeinen am stärksten; zuweilen waren aber auch die vorderen
Wurzeln und die Vorderhörner befallen. Das Lendenmark war durchschnittlich
stärker befallen als das Halsmark, am geringsten waren die Degenerationen im
Dorsalmark. Diese Degenerationen wie die Stauungspapille fanden Bich nun weder
regelmässig noch ausschliesslich bei krankhaften Processen mit intracraniellem
Druck. Wo die Wurzeldegenerationen vorhanden waren, unterschieden sie sich
nicht von ebensolchen, die bei Fällen ohne Drucksteigerung gefunden wurden.
Verf. bezeichnet deshalb mit Prof. Dinkler die Drucktheorie als nicht ausreichend
für das Zustandekommen der Degenerationen, neigt vielmehr zur Erklärung der
letzteren durch chemische Einwirkungen.
Georg Ilberg (Grossschweidnitz).
23) Ueber intraoranielle Complioationen der Mittelohreiterung, von Dr.
W. Merken8. (Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. 1901. März.)
An der Hand einiger Fälle eigener Beobachtung bespricht Verf. die be¬
stehenden Anschauungen über die seröse und eitrige Meningitis, die Encephalitis
und den Himabscess. Der serösen Meningitis entsprechend, möchte er für gewisse
Fälle die Bezeichnung der serösen oder toxischen Encephalitis vorschlagen, nämlich
für solche, in denen Symptome auftreten, die für eine greifbare Läsion der Ge¬
hirnsubstanz sprechen (Paresen. Sprachstörungen), die aber doch flüchtiger Natur
sind, eventuell schon durch eine Paracentese des Trommelfells, eine Warzenfort-
satzaufmeisselung zum Verschwinden gebracht werden können. Er erinnert an
das regionäre Oedem um einen Furunkel, das ja in der Regel steril gefunden
wird und nur eine Wirkung der Bakterientoxine auf die benachbarten Gewebe
darstellt. Der entzündliche Charakter eines solchen Oedems berechtigt dazu, ein
analoges locales Hirnödem auch als Encephalitis zu bezeichnen. Die Abgrenzung
gegen die übrigen intracraniellen Complicationen dürfte mit Sicherheit allerdings
selten gelingen. — Von den übrigen Ausführungen des Verf.’s erscheint bemerkens-
werth, dass nach seiner Ansicht für den Kleinhirnabscess sich zur Zeit noch kein
typisches Krankheitsbild construiren lässt; dass Veränderungen am Augenhinter¬
grund differential-diagnostisch keine grosse Bedeutung beizumessen ist; dass die
Sprachstörung bei linksseitigem Schläfenlappenabscess eine typische sein soll
Google
367
(WortveretändniBS und Nachsprechen erhalten, Bezeichnungen der Dinge verloren
gegangen, später auch das Wortverständniss; „motorische Aphasie“ angeblich noch
nie beobachtet). (Diese Störung als „typisch“ zu bezeichnen, geht wohl nicht
gut an; die Form des Ausfalls wird wohl, wie überall, von der Localisation des
Herd« und nicht von den pathologischen Processen abhängen. Ref.) — Es
eiistiren sichere geheilte Fälle eitriger Meningitis. — Die von Oppenheim u. A.
verfochtene Ansicht, dass msmche scheinbar intracranielle Symptome, wie Kopf¬
schmerzen, Schwindel, Gleichgewichtsstörung, Erbrechen, Nystagmus u. ä. oft von
dem Ohrleiden an sich abgeleitet werden können, besteht sicher zu Recht; anderer¬
seits ist, wenn die Diagnose: eitrige intracranielle Complication feststeht, der
sofortige operative Eingriff angezeigt. H. Haenel (Dresden).
24) Ein Beitrag zur Erkenntniss einiger postotitisoher Hirnaffeotionen,
von Dr. Ladislaus Haskovec. (Wiener med. Blätter. 1900. Nr. 46—48.)
21jähr. Schneidergehülfe. Vor 10 Jahren Otitis med. supp, chron. Trepa¬
nation des linken Proc. mastoid. Bis 1896 zeitweilig Kopfschmerzen und Ohren-
doss; 1891 Schwindelanfälle bei heftigen Kopfschmerzen und Herzklopfen. 1898
neuerliches Auftreten der Kopfschmerzen vorwiegend im Hinterhaupt, bei Kopf¬
bewegungen sich steigernd, Erbrechen mit cerebralem Typus, Schwindelanfälle,
cerebellare Ataxie, binoculäre Diplopie, Strabismus conv. in Folge Lähmung der
S. abducentee, normales Gesichtsfeld; gesteigerte Patellarreflexe, erhöhte vaso¬
motorische Erregbarkeit der Haut, Zwangslachen und Zwangsweinen, leichte linke
Faci&lisparese, keine Sensibilitätsstörung, Uvula etwas nach links geneigt, herab¬
gesetzte Empfindlichkeit des Gaumens, normale Temperatur. Zu dieser Zeit
stellte Verf. die Diagnose auf einen chronischen Kleinhirnabscess otitischen
Ursprungs und begründet diese Diagnose ausführlich.
Im Laufe des folgenden Jahres stellten sich nach und nach ein: Zittern der
ÜulreD oberen Extremität; linksseitige Hemiparese, Zunahme der Ataxie, Parese
beider unteren Extremitäten, Zunahme des Strabismus, grössere Schmerzhaftigkeit
der Haut im Nacken und der Halsdornfortsätze bei Druck, Pulsacceleration,
Obstipation.
In diesem Stadium hält es Verf. für unmöglich, sicher zu entscheiden, ob
eine Kleinhirnaffection oder eine basale Affection oder beides vorliegt.
J. Sorgo (Wien).
25) Ett fall af hj&mabsess i anslutning tili empyem i sinus frontalis, af
Linden. (Finska läkaresällsk. handl. 1900. XLII. S. 772.)
Ein 40 Jahre alter Mann, der viel an Schnupfen litt, hatte seit einigen
J&hren an intermittirenden Sohinerzen in der linken Temporal- und Stirngegend
»litten, die gewöhnlich einen Tag lang dauerten und dann mehrere Wochen bis
Voaate lang aussetzten. In der letzten Zeit war die Sprache langsamer geworden
wd Pat. beantwortete Fragen erst nach einem gewissen Bedenken. Am 18. De¬
rber 1899 erkrankte Pat. mit Frost, Fieber, heftigem Schmerz in der Gegend
der linken Schläfe, mitunter am stärksten über dem N. supraorbitalis, wo Druck
intensiven Schmerz hervorrief. Nach einigen Tagen bemerkte man an der Stirn
erysipelative Röthang bis hinauf zur behaarten Kopfhaut, die sich später über
len ganzen Kopf ausbreitete. Nach vorübergehender Besserung stellten sich Ende
Juioar 1900 periodenweise heftige Schmerzen ein, die von der Stirn nach der
boten Schläfengegend ausstrahlten und bisweilen von Erbrechen begleitet waren,
^t. war benommen und das Bewusstsein wurde getrübt. Es bestand Stauungs-
Pupille in massigem Grade in beiden Augen. Eiter in den Stirnhöhlen und in
3 yG00gI<
368
den Ethmoidealzellen konnte durch Sondirung nicht nachgewieBen werden. Die
Somnolenz nahm zu, Intentionstremor im rechten Arm trat auf und nahm zu,
Pat. wurde unruhig, der Puls stieg bis 160—175, die Pupillen wurden weit und
reagirten nicht; Pat. starb am 30. Januar.
Bei der Section fand man an einer kleinen Stelle hinter der Stirnhöhle die
Dura mater an der Pia mater adhärent, die letztere in grosser Ausdehnung am
oberen und vorderen Theile des linken Stirnlappens adhärent und unter dieser
Stelle, die Fluctuation zeigte, einen Abscess von 6 cm Durchmesser. Die Wand
der Stirnhöhle war an der Stelle, wo Dura und Pia mit einander verlöthet waren,
in einer Ausdehnung von 2 cm nekrotisch. Der Boden dieses Theils der Stirn¬
höhle bildete eine trichterförmige Ausbuchtung, durch welche eine Sonde in die
Nasenhöhle geführt werden konnte. Walter Berger (Leipzig).
26) Empyem der linken Stirnhöhle mit Dnrohbrnoh nach der Orbita and
vorderen Sohfidelgrube, Abscess des linken mittleren Stirn¬
lappens, Tod, von Trautmann. (Charit6-Annalen. 1900. XXV.)
20jähr. Arbeiterin leidet seit der Kindheit häufig an Schnupfen. October
1899 Influenza, im Anschluss daran rechtB Ohrenlaufen, Anschwellung der Nase
und starker Schnupfen. Gravidität im 5. Monat. Ende October Schwellung des
linken Oberlids. Hervortreten des Augapfels, die Lidspalte kann nicht geöffnet
werden. Am 11. November Eröffnung des AbsceBses durch das obere Lid. Am
20. November epileptiforme Anfälle, wegen deren Patientin der Charitö überwiesen
wird. Am 30. November beginnende Stauungspapille links, am l./XII. Frühgeburt,
am 27./XI1. Aufnahme in die Abtheilung des Verf.’s. Patientin liegt apathisch
im Bett, stöhnt und klagt über heftige Kopfschmerzen. Doppelseitige Stauungs¬
papille, Schwanken nach hinten beim Stehen mit geschlossenen Augen, Gang
schleppend. Gegend über dem linken Sinus frontalis stark druckempfindlich,
Nasenrücken, Stirn, Augenlid stark geschwollen, dadurch linke Lidspalte voll¬
ständig geschlossen. Keine Lähmungen, keine Aphasie, keine Sensibilitätsstörungen.
Am rechten Ohr eitrige Otitis media, Warzenfortsatz frei. Abends leichte Tem¬
peratursteigerungen. Puls regelmässig, nicht verlangsamt. Am 6. Januar Er¬
öffnung des Stirnhöhlenempyems, Auskratzen massenhafter Granulationen und
Entleerung reichlicher Eiterungen. Danach erhebliche Besserung der localen
Symptome und zunächst auch der Kopfschmerzen und des Allgemeinbefindens, da¬
gegen bleibt die Stauungspapille unverändert, es treten erneut heftigere Kopf¬
schmerzen auf; indessen fühlt sich Patientin zeitweilig so wohl, dass sie für
Stunden das Bett verlässt und zeitweise auffallend heiter erscheint. 8 Tage nach
der Operation zum ersten Male unregelmässiger und verlangsamter Puls. In den
nächsten 37 a Wochen auffallender Wechsel in dem Befinden der Kranken. Da¬
bei bleibt die Stauungspapille unverändert, ebenso das Romberg’sche Symptom
und die Ataxie der Beine. Indessen hielt doch das oft mehrere Tage lang an¬
dauernde auffallende Wohlbefinden der Patientin von einem weiteren operativen
Eingriff ab. 29 Tage nach der Operation heftiges Erbrechen, Patientin liegt
apathisch da, klagt über heftige Kopfschmerzen, wird zunehmend benommen, die
Respiration ist beschleunigt, der Puls unregelmässig, am nächsten Tage Exitus.
Die Section ergab einen wallnussgrossen Abscess im mittleren linken Stimlappea
In der vorderen Schädelgrube zwischen Crista galli und innerer Wand des Sinus
frontalis eine fast kreisrunde Knochenöffnung von s / 4 cm Durchmesser, die mit
Granulationen ausgefüllt ist und mit der Stirnhöhle communicirt.
Martin Bloch (Berlin).
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369
27) Zum otitisohen Hirnabaoess, von Stenger. (Berliner klin. Wochenachr.
1901. Nr. 11.)
Bei einem 13jähr. Mädchen musste wegen Otitis purul. radical operirt werden.
Vor der Operation bestanden noch keine Symptome einer intracraniellen Compli-
cation. 5 Tage nachher deutliche doppelseitige Stauungspapille, darauf Puls-
t er langsam ong, amnestische Aphasie, Benommenheit. Nach der Trepanation des
Schläfenbeins wurde ein 2 cm unter der Hirnrinde liegender Abscess eröffnet und
etwa 250 ccm Eiter und Himdetritus entleert. Sofortige Besserung, doch zeigen
sich 4 Wochen lang Zeichen der Aphasie. Die Stauungspapille ist noch nach
4 Monaten nicht gänzlich verschwunden. Es bildete sich ein erheblicher Hirn¬
prolaps, der durch andauernde Compression nicht zu beseitigen war. Die drei
Monate nach der Operation vorgenommene Lumbalpunction hatte einen auffallenden
Erfolg. Der Hirnprolaps bildete sich schnell bis auf einen ganz geringen Rest
auück und es erfolgte Heilung. Bielschowsky (Breslau).
28) Zur Lehre won den otitisohen Himabsoessen, von Stabsarzt Dr. Richard
Müller. (Archiv £ Ohrenheilk. 1900. L.)
L 47jähr. Patient, seit 1898 Ohreiterung rechts, naeh Paracentese und Ver¬
negen der Eiterung Sausen und Schmerzen. Aufnahme am 10./IX. 1898. Pat.
«t nicht ganz klar, einsilbig, Sohwindel beim Aufrichten. Objectiv Deviation der
Zange nach links, Parese, dann Paralyse des linken Facialis, Augengrund normal;
weh 8 Tagen plötzlich grosse Unruhe, Bettfluoht Nach wenigen Stunden Läh-
aong der linken Extremitäten, Benommenheit, Fehlen der Patellarreflexe. Tod
nächsten Tage. Die Obduction ergab Abscess des rechten Schläfenlappens.
IL 16jähr. Patient, seit 3 Jahren nach Diphtherie Ohreneiterung links, seit
8 Wochen stärkere Eiterung und zunehmendes Kranksein. Pat liegt bei der
Aufnahme apathisch da, ist schwerbesinnlich, klagt aber heftige Kopfschmerzen
hnks, zeitweiligen Schwindel, beim Sitzen Brechneigung, Gang taumelnd, Btarker
Bömberg, Kopf beim Gehen nicht bewegt, Augengrund rechts normal, links Venen-
lehlingelung, partielle amnestische Aphasie, links reichliohe fötide Ohreiterung.
Am Tage nach der Aufnahme Radicaloperation des primären Ohrenleidens, dann
Trepanation, Eröffnung eines Sohläfenlappenabscesses, in den nächsten Tagen bei
normalem Puls und normaler Temperatur guter Verlauf Sensorium freier, kein
Sehwindel und kein Kopfschmerz, Aphasie noch vorhanden. Pat ist leicht erregt,
geschwätzig und heiter. 16 Tage nach der Operation wird, da zunehmende Puls-
YerlangBamung und Somnolenz beobachtet werden, von der Hirnrinde nach hinten
emgegangen und drei Esslöffel Eiter entleert. Pat. bleibt benommen, die Puls¬
zahl sinkt immer mehr, Exitus 19 Tage nach der ersten Operation. Bei der
Obdaction findet sich eine fast die ganze linke Grosshirnhemisphäre einnehmende
Absoeeshöhle.
IH. 18jähr. Patientin, seit frühester Kindheit Ohrenlaufen rechts, am 6./VIII.
1899 heftige Kopfschmerzen und Hitzegefühl. Am 9./VHI. Apathie, Kopf überall
gidefamässig empfindlich, wird beim Gehen eigentümlich fixirt gehalten, starker
Bömberg, Nystagmus, rechts beginnende Neuritis optica, Patellarreflexe nicht zu
erzielen, Spuren Eiweiss im Harn, Proc. mastoid. rechts empfindlich, fötider Eiter.
Temperatur 39,4. Am nächsten Tage Radical- und Kleinhirnabscessoperation.
Dabei werden 2—3 Esslöffel stinkenden Eiters aus der rechten Kleinhirnhälfte
®tleeri Zunächst “Abfall der Temperatur, die aber Bchon nach 2 Tagen von
»wem anstieg, von neuem Apathie, Kopfschmerzen, dann Endooarditis, Lungen-
•“tsstasen, Durchfälle, zunehmendes Coma, in dem Patientin 20 Tage nach der
Operation starb. Die Obduction ergab noch einen zweiten Abscess in der rechten
Kleiohirnhälfte.
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370
IV. lOjähr. Patient, 1897 Fall auf den Kopf, seitdem öfter Kopfschmerzen,
seit October 1898 Ohrenlaufen links, seit l./XL 1898 Erbrechen, zunehmende
Kopfschmerzen, am 12./XI. Aufnahme, Temperatur leicht febril, Puls 72, nicht
ganz regelmässig, Pat. ist schwerkrank, benommen; beim Gehen Schwanken nach
links, Komberg, Kopf beim Gehen unbewegt gehalten, keine Nackensteifigkeit,
linke Papille verwaschen, beiderseits Venenschlängelung; alsdann Erbrechen, Zunge
dick belegt, zeitweiliger Sopor, keine Aphasie, Pat. delirirt, zeitweilig äusserst
redselig, zwischendurch lautes Aufschreien, keine Lähmungserscheinungen. Am
16./XI. Antrumoperation und Eröffnung des KleinhirnabscesseB, bei der l7j Ess¬
löffel Eiter entleert werden. Am nächsten Tage Temperatur normal, Bewusstsein
klar; doch bleiben Schwindel und Erbrechen bestehen, 11 Tage später Sopor,
Pulsverlangsamung, am linken Auge Stauungserscheinungen, Blick starr; erneutes
Eingehen in die Hirnwunde, Punction nach hinten oben entleert neuen Eiter,
daher Erweiterung nach hier und Entleerung von etwa zwei Esslöffel Eiter. Da¬
nach allmähliches Schwinden der Krankheitserscheinungen. Nach 37a Monaten
ist die Kleinhirnwunde verheilt und Pat. wird am 4./IV. 1899 geheilt entlassen.
Auch hier hat es sich zweifellos um einen doppelten Kleinhirnabscejs gehandelt
Die weiteren Ausführungen des Verf.’s über die pathologische Anatomie der
Hirnabscesse, seine Versuche, dieselbe in zwei Gruppen, eine parenchymatöse und
eine interstitielle, einzutheilen und daran diagnostische und prognostische Schluss¬
folgerungen zu knüpfen, sowie einige symptomatologische und technische Be¬
merkungen sind im Original nachzulesen. Martin Bloch (Berlin).
29) Äbsoessus cerebri; trepanation; död, af B. Lundmark. (Hygiea. 1900.
LXIL S. 249.)
Ein 21 Jahre alter Steinhauer hatte einen Schlag mit einem Stein an die
linke Seite des Kopfes bekommen, wonach zwei Narben in der linken Schläfen¬
gegend zurückblieben; 8 Tage vor der am 29. Juli 1899 erfolgten Aufnahme im
Lazareth von Karlskrona hatte Pat. Schwindel, Kopfschmerz und Ermattung be¬
kommen. Der Kopfschmerz war deutlich in der linken Stirngegend charakterisirt
Der rechte Facialis erschien etwas paralytisch, doch gab Pat. an, dass sein Ge¬
sicht immer schief und rechts weniger beweglich gewesen sei. Die rechten
Extremitäten waren schwächer als die linken und waren am 2. August vollständig
paretisch. Beim Trinken rann am 12. August die Flüssigkeit duroh die Nase
wieder aus. Verf. nahm einen Hirnabscess an, da er aber die Lage nicht genau
bestimmen konnte, trepanirte er zwischen den beiden Narben. Unter der vorderen
Narbe war der Knochen mit Granulationen durchsetzt und etwas morsch, so dass
er leicht ausgeschabt werden konnte. Die Dura mater war stark injicirt und
gespannt, nach ihrer Zertheilung buchtete sich das Gehirn vor und zeigte keine
Pulsationen; eine Punction ergab Eiter, nach einer Incision wurden noch einige
Tropfen Eiter entleert. Es wurde ein feines Drainrohr eingelegt und die Wunde
bis auf einen zur Drainage offen gehaltenen Theil geschlossen. Puls und Tem¬
peratur stiegen nach der Operation, der Pat. lag still, war etwas stumpf aber
antwortete richtig. In der folgenden Nacht wurde plötzlich der Puls klein und
heftig, und Pat. starb trotz der Anwendung von Stimulantien in einigen Stunden.
— Bei der Section .fand sich noch ein anderer Abscess in den Central Windungen,
Lungenödem und am Lungenhilus eine in eitriger Schmelzung begriffene Lymph¬
adenitis. Walter Berger (Leipzig).
30) Hühnereigrosser otogener Hirnabsoess, extra duraler und subperiostaler
Absoess in der Sohläfengegend, duroh Operation geheilt, von Alfred
Denker (Hagen i/W.). (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 2.)
Abgesehen von der operativen Heilung eines so grossen Abscesses bietet der
Fall hinsichtlich der Symptomatologie Bemerkenswerthes. Es fand sich Neuritis
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optica nur auf der kranken Seite, ferner von Herdsymptomen (Schläfenlappen)
nur partielle Oculomotoriuslähmung, und zwar Mydriasis, keine Ptosis; keine Ab¬
nahme der Hörweite auf der gesunden Seite. Vor der Operation und mehrere
Wochen nach derselben war die Temperatur normal bis subnormal (35,5°), einige
Tage hindurch fiel das Temperaturmaximum regelmässig auf den Morgen, das
Minimum auf den Abend. R. Pfeiffer.
I1L Aus den Gesellschaften.
Aentlioher Verein zu Hamburg.
Sitzung vom 4. Februar 1902.
Herr E. Philippi stellt im Aufträge von Herrn Nonne einen Fall vor von
Backförmiger Erweiterung des Oesophagus, bedingt durch spastische Con-
traction seines unteren Abschnittes auf hysterischer Basis.
Die 27jährige Patientin befindet sich im Eppendorfer Krankenhaus. Sie ist
in der Kindheit viel misshandelt und schlecht genährt worden, nachdem ihre
Eltern früh gestorben waren. Abgesehen von einer Lungenentzündung war sie
stets gesund, bis vor etwa 7 Jahren bei ihr Schluckbeschwerden mit Er¬
brechen und Anfälle von Athemnoth auftraten. Diese Erscheinungen ver¬
schwanden wieder für mehrere Jahre und stellten sich vor etwa 2 Jahren von
Neuem ein. Die Beklemmungen auf der Brust blieben zunächst, während die
Schlackbeschwerden und das Erbrechen zeitweilig für mehrere Wochen ver¬
schwanden. Nur über Kurzluftigkeit klagend, kam sie in das Krankenhaus.
Patientin bot eine schwer neuropathisch labile Stimmung. Objectiv fand
sich massiger Tiefstand der Lungengrenzen und von hysterischen Stigmata
Analgesie der rechten, Hypalgesie der linken Körperhälfte, ausserdem beiderseits
Fehlen des Schlundreflexes, Abschwächung der Conjunctivalreflexe und concentrische
Einengung des Gesichtsfeldes beiderseits. Patientin hatte häufig Anfälle von
Kurzluftigkeit verschiedener Intensität, besonders nach den Mahlzeiten, begleitet
von etwas Erbrechen. Letzteres trat immer mehr in den Vordergrund, die An-
falle von Kurzluftigkeit wurden seltener. Patientin hatte angeblich das Gefühl,
&1 b ob das Genossene im Halse stecken bleibe, den Eingang zum Magen nicht
paffliren könne. Beim Versuch, den Magen auszuhebem, wurde die Sonde hinter
dem Ringknorpel auffallend beweglich und stiess bei 40 cm auf federnden Widerstand.
Etwa 350 ccm Hessen sich bei dieser Sondentiefe eingiessen und wieder gänzlich
Kuhebern, wobei noch eine Masse unverdauter Speisen entleert wird. Das Aus¬
geheberte gab keine Salzsäurereaction, dagegen positive Zuckerprobe. Mit
einiger Mühe wurde das Hinderniss überwunden; Wasser floss nun rasch in grosser
Menge ein, kam nach Senken des Trichters rasch zurück. Oberhalb des Magens
musste also ein Hohlraum sein, der bei seinem Fassungsvermögen und hohen
Beginn kein Vormagen nach Luschka und kein Antrium cardiacum (Fleiner)
sein konnte.
Doppelsondenversuch nach Rumpel: Neben der sicher in den Magen
eingeführten Sonde ist eine zweite bis 38 cm in den Oesophagus eingefuhrt. Das
hierdurch eingegossene Wasser (etwa 350 cbcm) lässt sich wieder aushebern, ohne
Ton einer durch die Hauptsonde in den Magen gegossenen rothen Flüssigkeit
(Bothwein) gefärbt worden zu sein. Es muss somit alles im Oesophagus Platz
gefunden haben. Behufs Differentialdiagnose zwischen Oesophagusdivertikel
m>d gleichförmiger Erweiterung des Oesophagus wurde der Rumpel’sche
Versuch mit der gefensterten Sonde gemacht, d. h. die in den Magen eingefuhrte
Hauptsonde war jetzt seitHch gefenstert: Das durch die Nebensonde nur in den
Oesophagus gelangende Wasser liess sich nun nicht mehr zurückhebern, da es
•Inrch die Fenster der Hauptsonde in den Magen abgeflossen war. Das Vor-
24*
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872
handenaein einer diffusen Erweiterung der Speiseröhre war damit bewiesen,
wurde aber noob bestätigt durch die Oesophagoscopie, bei der man eine ausser¬
ordentlich weite, trotz gründlicher Spülung noch mit Speiseresten theilweise er¬
füllte Höhle sah. Beweisend illustrirt wurde der Befund durch die Untersuchung
mit Böntgenstr&hlen und zwar durch eine einfache Aufnahme, ferner durch eine
solche nach Eingiessung von 200 g einer 10% Lösung von Bismuth subnitr.
und vor allem durch die Aufnahme des ausgespülten, mit Luft aufgeblähten
Oesophagus bei Verweilen der Sonde in demselben. Letztere liegt abnorm weit
nach rechts und ist bei der Durchleuchtung als frei beweglich zu erkennen.
(Demonstration der Böntgenbilder mit dem Projectionsapparat)
Guter Kräftezustand der Patientin und die Dauer der Erkrankung schliessen
die Annahme einer malignen Geschwulst als Ursache der Stenose aus. Für
narbige Processe fehlt jeder anamnestisohe Anhalt
Es handelt sich um eine sicher hysterische Person, bei welcher sich der
Spasmus zuweilen suggestiv beeinflussen lässt, was daraus hervorgeht, dass nur
bestimmten Personen das Sondiren des Magens gelingt, während andere, auch in
der betreffenden Technik sehr geübte Untersucher sich damit vergeblich abmühen.
Der Spasmus des Oesophagus ist hier auch nicht das einzige Symptom der
Neurose, denn als solches muss auch das nervöse Asthma aufgefasst werden,
welches früher das Krankheitsbild beherrschte.
Obwohl die Patientin noch täglich grosse Mengen erbricht und morgens
beim Spülen des Oesophagus noch unverdaute Speisereste entfernt werden, bleibt
ihr Kräftezustand doch ein guter, nimmt sie sogar an Gewicht zu. Der Spasmus
lässt also wohl zeitweilig nach, sodass wenigstens ein Theil der Speisen in den
Magen gelangt
Aua diesem Grunde wird vorläufig von einer eingreifenden operativen Therapie,
wie sie für diese Fälle bereits vorgeschlagen ist, abgesehen. (Autoreferat)
Herr Trömner demonstrirt einen Fall von Geschlechts trieb lm Kindesalter.
Ein 8jähriges, von einem neurasthenischen Vater unehelich gezeugtes und
stets bei Fremden erzogenes Mädchen, welches seit seinem 3. Jahre — damals
wahrscheinlich von seinem ersten Pflegevater gemissbraucht — masturbirte und
welches in letzter Zeit wiederholt sexuelle Berührung mit männlichen Personen
gehabt hatte, und zwar, wie sie selbst zugab, einmal mit zwei jungen Burschen,
deren jüngerer sie manustuprirte und 2 Mal mit älteren „Kerlen“, welche sie
selbst aufforderte und welche dann mit ihr ooitum interfemoralem ansübten.
Sie will dabei deutliche Libido nnd zwar mehr als hei Masturbation gefühlt haben.
Der letzte derartige congressus hatte eine Gonorrhoe für sie zur Folge. Die
Untersuchung ergiebt keine sog. Degenerationszeichen (ausser abnormer, kirschkern¬
grosser olitoris) und keinerlei hysterische Stigmata, dagegen eine deutliche
psychische Schwäche. Trotz grosser Selbständigkeit im Gebühren fehlen viele
sonst in diesem Alter vorhandene Vorstellungen und Begriffe. Vor allem zeigt
ihr Benehmen in der Schule, im Hause und auf der Strasse deutliche GefÜhls-
defeote, besonders fehlt Scheu und Soham. Sie spricht mit jedem ungenirt, lägt,
fabulirt, ist ungehorsam und trotzig. Zum Schlüsse weist Vortr. auf die Gefahren
hin, welche ein solches moralisch debiles und zugleich geschlechtlich frühreifes
Kind bringen könne. (Autoreferat.)
Sitzung vom 18. Februar 1902.
Herr Sudeck: Ueber die aoute trophonourotische Knochenatrophie
naoh Entzündungen und Verletzungen der Extremitäten und ihre klinische
Bedeutung.
Vortr. zeigt an einer Reihe von projizirten Röntgenbildern, dass nach Ent¬
zündungen in erster Linie der Gelenke, dann aber auch der Weichtheile, sowie
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373
nach Verletzungen (Knoohenbrüchen, Distorsionen, Quetschungen der Gelenke)
erhebliche Grade von Knochenatrophie nicht nur in den direct betheiligten
Knochen, sondern auch in den entfernteren Knochen der betroffenen Extremitäten
aoftreten können. Diese Knochenatrophie zeichnet sich durch ihre besondere Form
(nngleichmässige fleckige Knochenaufhellung, besonders der spongiösen Substanz)
»wie die Rapidität des Auftretens und ihre Hochgradigkeit aus. Vortr. stellt
diese Knochenatrophie auf eine Stufe mit der aus denselben Ursachen gelegentlich
softretenden acut einsetzenden liuskelatrophie und anderen trophischen Störungen
(Cyanoee, Oedem der Haut, Hypertrichosis u. s. w.); er glaubt alle diese Er¬
scheinungen als refleotorische Trophoneurose ansehen zu können und misst
ihnen eine grosse klinische Wichtigkeit bei. An den Händen beobachtet man
sls Folge der Knochenantrophie Steifigkeit der Finger und Schmerzhaftigkeit bei
den geringsten Bewegungen, an den Füssen Fixation und hochgradige Schmerz¬
haftigkeit bei der geringsten Belastung. Die Knochenatrophie (ebenso wie die
Muakelatrophie) pflegt sehr hartnäckig zu sein und kann sioh über Jahre erstreoken.
Der Zustand wurde nach den Beobachtungen des Vortr. meistens verkannt und
theils als Uebertreibung oder Simulation, theils als Knochentuberkulose, sehr häufig
aber als entzündlicher Plattfass angesehen. Vortr. glaubt, dass auoh ein Theil
der als Gelenksneurose aufgefassten Zustände hierher gehört. Die Therapie beteht
in orthopädischer Behandlung, Massage, heissen Bädern, Helferich’sohen Stauungen.
Der Fus8 soll nicht immobilisirt, aber entlastet werden (Gehschiene).
Der geschilderte Zustand tritt nicht nur nach schweren Verletzungen ein,
Bondern oft auch nach leichten Traumen wie z. B. Distorsion der Hand oder des
Fasses. Die Knochenatrophie ist zwar ziemlich oft, aber doch nur als Ausnahme
bei diesen Verletzungen zu beobachten. Wenn sie auftritt, gewinnt sie aber den
Charakter eines selbständigen Krankheitsbildes, da die geschilderten, sehr hart¬
näckigen Symptome mit der ursprünglichen Verletzung direct nichts mehr zu
Uran haben. (Autoreferat.)
Discussion.
Herr Lenhartz bemängelt den Ausdruck „Atrophie“ und fragt, ob bereits
anatomische Untersuchungen vorliegen, welche diesen Ausdruck rechtfertigen.
L betont, dass man bei der Verwerthung der radiographischen Befunde sehr
»nf technische Fehlerquellen achten müsse, nicht selten seien ihm Bilder als
pathologisch vorgelegt worden, die sich durch technische Fehler erklären Hessen.
Herr E. Fränkel hält die systematischen Untersuchungen des Vortr. für sehr
werthvoll und interessant. Die zahlreichen Bilder lassen bei der Deutlichkeit des
objectiven Befundes keinen Zweifel darüber, dass hier anatomische Veränderungen
Torliegen; ob aber der Begriff „Atrophie“ für die genannten Vorgänge zu trifft,
erscheint vorläufig noch fraglich. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird eine Kalk-
armnth des Gewebes vorUegen, also Processe, die der Osteomalacie nahe kommen.
Im Allgemeinen handelt es sich um Veränderungen, die sich sowohl an Traumen
wie an Entzündungen anschHessen können. Die Vielseitigkeit der Ursachen lässt
jedenfalls darauf schliessen, dass es sich in allen Fällen um einen nervösen Ein¬
fluss handelt. Die entzündlichen Erkrankungen sind specifische oder nicht specifische,
zu den specifischen gehören die tuberkulösen und gonnorrhoisohen; es wäre aber
denkbar, dass, soweit diese Bacterien in Frage kommen, entsprechend anderen
klinischen Beobachtungen, sowohl die Bacterien selbst als auch ihre Stoffwechsel-
producte deletär auf den Knochen ein wirken. Jedenfalls spielen eine ganze Reihe
rnn Momenten bei den Zuständen, die Herr S. angeführt hat, eine Rolle, einmal
die Inactivität, die entweder spontan oder aus therapeutischem Zweck herbei-
geführt wird, zweitens Veränderungen der Gewebe, wie Bie durch das Trauma
oder die Entzündung verursacht werden und also auch hier befindtiche Nerven
mit betreffen und Störungen in der Circulation verursachen können, so dass wir
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den Einfluss der sogenannten trophischen Nerven garnicht brauchen; es ist jedenfalls
nicht zu erklären, wie eine peripherische trophische Störung in den Weichtheilen
oder in den Knochen durch eine peripherisohe Schädlichkeit bedingt sein soll,
da bei den den Pathologen bekannten neurotischen Atrophien die Einwirkung
stets von den trophischen Centren auszugehen pflegt.
Herr Nonne tritt für die trophische Grundlage der vom Vortr. beschriebenen
Knochenveranderung ein. Er betont, dass der Begriff der neurotischen Knochenerkran¬
kung von den Neurologen geschaffen ist (Charcot u. A.). Die von chirurgischer
Seite vertretene Auffassung, dass die Arthro- und Osteopathieen bei Spinalleiden
traumatischen Ursprungs seien, sei wohl damit hinfällig, dass diese Erkrankungen
nicht ganz selten auch schon gefunden würden im praeatactischen Stadium sowie
bei noch erst gering ausgesprochener Störung der Sensibilität; ferner weise die
Thatsache, dass bei Tabes ganz vorwiegend die unteren Extremitäten, bei Syringo¬
myelie häufiger die oberen Extremitäten Knochen- und Gelenkerkrankungen
zeigen, auf eine Beziehung zur spinalen Affection hin. Auch hat schon Volk-
mann selbst darauf hingewiesen, dass bei der acuten Poliomyelitis die Knochen¬
atrophie der Muskelatrophie zuweilen voranging. Den experimentell erzeugten
Knochenerkrankungen gegenüber sei hingewiesen worden auf die durch die Nerven¬
durchschneidung bedingte Inactivität (Lähmung) der Glieder, auf den Reiz, den
das Trauma als solches darstellt und auf die Schädigung der Vasomotoren, welche
durch Verhinderung der Blutzufuhr zu Ernährungsstörungen der Knochen führen,
jedoch hat Schiff bei einseitiger Durchschneidung des motorischen Kiefemerven
nur einseitige Knochenatrophie trotz doppelseitiger Unbeweglichkeit des Kiefers
erzeugt und die Schnelligkeit der bei Nasse’s experimentellen Durchschneidungen
auftretenden Knochenatrophieen lässt sich auch durch einfache Inactivität nicht
erklären. Trotzdem ständen jetzt noch Viele auf dem Standpunkte, dass die Ur¬
sache der Knochenatrophieen nach experimentellen Durchschneidungen lediglich
durch den Fortfall motorischer und sensibler Reize dargestellt werde. Mit Recht
hat Kienböck den von Nalbandoff als „radiographisches Knochenresorptions¬
symptom“ beschriebenen Fall, in dem es sich um eine Knochenatrophie von
Sudeck’schem Charakter an den Fingern eines Falles von Syringomyelie ge¬
handelt hat, bei dem ein eitriges Panaritium bestand, zurüokgewiesen; hier war
die Knochenerkrankung auf den entzündlichen Process der Weichtheile zu beziehen.
N. hat eine Reihe von Rückenmarks- und Gehirnkrankheiten, bei denen
klinische Symptome seitens des Knochensystems nicht Vorlagen, systematisch mit
Röntgenstrahlen untersucht. (Demonstrationen mit dem Projectionsapparat) In
einem Fall von Poliomyelitis ant. acuta bei einem lOjähr. Knaben, welche zu
einer totalen Paralyse im rechtsseitigen Peroneus- und Tibialisgebiet geführt hatte,
fand sich bereits 4 Wochen nach dem acuten Einsetzen der Lähmung deutliche
Atrophie in den Fusswurzel- und Mittelfassknochen, sowie in der Tibia. Bei
einem 16jähr. Mädchen, bei dem im 5. Lebensjahre eine acute Poliomyelitis die
ganze obere Extremität gelähmt hatte, fand sich eine geringe Atrophie in den
Handwurzelknochen und in den Epiphysen, während die Phalangen, abgesehen von
einem geringen Zurückbleiben im Wachsthum, betreffs ihrer Structur nichts Ab¬
normes erkennen Hessen.
Eine hochgradige chronische Atrophie zeigte sich in einem Fall von chronischer
Poliomyelitis ant. an den gelähmten Händen und FüsBen, ebenso in einem Fall von
chronischer Myelitis transversa dorsalis, bei welcher eine schlaffe Lähmung der
unteren Extremitäten seit 5 Jahren bestand. Demgegenüber fanden sich normale
Knochenstructurbilder in einem Fall von Compression des unteren Halsmarks
durch Knochencaries, in dem eine spastische Lähmung der unteren Extremitäten
Beit 11 Monaten bestand. In 6 Fällen von Tabes dorsalis, aufschreitend von
geringer Ataxie zu completer atactischer Paraplegie, fand N. keine nennenswerten
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rsdiographischen Knochenanomalien in den unteren Extremitäten, hingegen wieder
stark ausgesprochen in einem Fall von Combination von Hinterstrangssymptomen
mit dem Bilde der Poliomyelitis ant. chronica. Von 4 Fällen von apoplectischer
Halbseitenlähmung zeigten 2 Fälle, in denen die Lähmung seit 12 bezw. 11 Monaten
l«stand und in denen es nicht zu einer Muskelatrophie gekommen war, nur geringe
Knochenresorption, während in zwei anderen Fällen, bei denen es zu früh*
zeitiger Muskelatrophie gekommen war und bei denen die Lähmung 2 bezw.
6 Monate bestand, die Knochenresorption nachzuweisen war. In einem Fall von
abgelaufener Polioencephalitis infantilis, in dem die spastisohe Lähmung im 6. Lebens¬
jahre eingesetzt hatte und jetzt seit 13 Jahren bestand, fanden sich die Knochen,
abgesehen von mässiger Wachsthumshemmung, normal. Dieser Fall scheint also
ebenso wie der oben angeführte von seit lange abgelaufener Poliomyelitis ant.
acuta zu beweisen, dass die Inactivität an sich mit der Knochenerkrankung nichts
zu thun hat und dass ein weiteres normales Knochenwachsthum durch den Nicht¬
gebrauch der Extremität nicht gehindert wird.
Im Gegensatz zu den vorerwähnten poliomyelitischen und cerebralen Läh¬
mungen zeigen peripherische und functionelle hysterische Lähmungen auch bei
längerer Dauer nur geringe bezw. gar keine Folgen für die Knochenstructur.
X. zeigt normale Knochenbilder von einem Fall von durch Druck bedingter, seit
etwa 1 Jahr bestehender, totaler Peroneuslähmung, ebenso in einem weiteren Fall
von arteriosklerotisch bedingter Peroneuslähmung (10 Monate), von chronischer
Polyneuritis alcoholica (Lähmung des Peroneus- und Tibialisgebietes seit s / 4 Jahren)
und von seit 10 Jahren bestehender totaler Ulnarisatrophie in Folge von Durch-
treunung des nervus ulnaris am Vorderarm durch Säbelhieb. Schliesslich führt
N. das normale Knochenstructurbild einer seit 1 Jahr hysterisch gelähmten oberen
Extremität vor.
Nach diesen Untersuchungsresultaten scheint die radiographische Knochen¬
resorption bei den Fällen von Rückenmarks- und Gehirnerkrankungen vorzukommen,
bei denen es in Folge von Erkrankung trophischer Centren zu Muskelatrophie
(Vorderhornerkrankung bezw. entsprechende Herderkrankungen im Hirn) und
indem trophischen Störungen an den Weichtheilen kommt, sie scheint zu fehlen
bei denjenigen Rückenmarks- und Hirnerkrankungen, bei denen trophische Weich-
theilsstörungen nicht zu Stande kommen, sie scheint ferner sehr in den Hinter¬
grund zu treten *bei peripher-neuritischen und ganz zu fehlen bei functioneilen
Iähmungszuständen.
N. betrachtet diese einstweiligen Resultate durchaus nur alß vorläufige, welche
iu Nachuntersuchungen aufzufordern geeignet sind.
Herr Kümmell erkennt die Richtigkeit der von S. erhobenen Befunde an,
er glaubt, dass man den Begriff der trophischen Störung für ihre Erklärung
uicht nöthig hat und nimmt an, dass die Inactivität als einziges ursächliches
Moment genüge, auch in den Fällen Nonne’s sieht er nur in der durch die
Krankheit erzwungenen Inactivität die Ursache der demonstrirten radiographischen
Knochenanomalien.
Herr Wiesinger bestätigt ebenfalls die von S. vorgebrachten Thatsachen
Dud betont, dass sowohl entzündliche als traumatische Affectionen nach kurzer
Zeit (3—4 Wochen) die Veränderung am Knochen im Röntgenbilde erkennen
Iwsen. Dass er die betreffenden Veränderungen fast nur an Hand und Fuss nach-
weisen konnte, lag daran, dass nur diese Knochen dünn genug sind, um so feine
Differenzen erkennen zu können. Auch für W. gilt als erste Ursache die In-
Mtivität. Den grossen Einfluss der Inactivität auf den Bau der Knochen be¬
weisen auch die Veränderungen der KnochenBtümpfe nach Amputationen. Für W.
>*t es noch fraglich, wie weit die functioneilen Störungen (Steifigkeit, hochgradige
Schmerzhaftigkeit u. s. w.) von den S.’schen Knochenveränderungen abhängen, denn
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bei den hochgradigsten, allerdings mehr chronischen Zuständen dieser Art, wie sie
nach essentieller Kinderlähmung beobachtet werden, treten die funotionellen
Störungen nicht in Erscheinung. Weitere Untersuchungen sollten sich darauf
erstrecken, wie weit die geschilderten functionellen Störungen vom Trauma selbst
abhängen, wie weit sie durch die Knochenveränderungen allein bedingt werden.
(Autoreferat.)
Herr Arning hat schon 1897 auf der in Berlin tagenden internationalen
Lepraconferens eine Reihe von Röntgenaufnahmen lepröser Extremitäten vorgezeigt,
er wies schon damals auf von ihm als „Kalkschwund“ oder „Kalkresorption“
gedeutete Aufhellung der Phalangen hin. ln einzelnen Fällen sprach er auch
von „Atrophie“ der Knochen, wenn neben der Aufhellung auoh eine Verschmäch-
tigung oder Verkürzung der Knochen eingetreten war. Diese Befunde sind mit
den gleichzeitig von Kalindero mitgetheilten in das 1901 erschienene Werk von
Babes aufgenommen worden. Die Befunde Bind bei den leprösen Knochen um
so deutlicher, als neben den durch KalkreBorption hellen Stellen die Röntgen¬
durchleuchtung auch auffallend dichte sklerotische Knochenpartieen aufweist.
A. glaubt, dass diese radiographischen Befunde bei der Lepra die von Sud eck
und von Nonne vertheidigte Ansicht des trophischen Zustandekommens der
Knochen Veränderungen stützen. A. schlägt anstatt des Ausdrucks „Atrophie“ die
Bezeichnung „Kalkschwund“ der Knochen vor.
Betreffs der vorgeführten Projectionsbilder erinnert A. als persönlich praktisch
ungewöhnlich erfahrener Photograph daran, dass in den nach den Originalröntgen¬
platten gefertigten verkleinerten Diapositiven sowie durch die Projicirung
derselben auf die rauhe Leinewand wesentliche Feinheiten der ursprünglichen
Platte erheblich beeinträchtigt werden können. Eis können darauB nicht un¬
wesentliche Differenzen zwischen dem, was die Studien dem Untersucher ergeben
hätten und was die Hörer demonstrirt sähen, entstehen. (Autoreferat.)
Herr Embden weist auf die umfangreiche Litteratur hin, welche sich mit
der neurotischen Knochenatrophie seit 50 Jahren beschäftigt hat und auf die
viel erörterten Schwierigkeiten bei der Entscheidung der Frage, ob ein directer
trophoneurotischer Einfluss auf die Knochen überhaupt nachweisbar sei, oder ob
es sich bei den vorliegenden Beobachtungen um indireote Beeinflussung der
Skeletttheile auf dem Wege der vasomotorischen und motorischen Nerven handle.
Der blosse Nachweis von Knochenatrophieen bei Nervenkrankheiten, wie der
Poliomyelitis anterior, beweist nichts für die vorliegende Frage. — Untersuchungen
der Knochen bei Nervenkrankheiten können hier nur insofern herangezogen
werden, als durch die pathologischen Processe die einzelnen, das Knochenwachs¬
thum und die Knochenstructur beeinflussenden Momente (darunter auch das der
Activität bezw. Inactivität) illustrirt werden. E. zeigt mit dem Projections-
apparate 20 Actinogramme von Händen und Füssen bei verschiedenen centralen
und peripheren Nervenkrankheiten (Poliomyelitis anterior, Encephalitis, Encephalo-
malacia traumatica, Neuritis, Syringomyelie, Hämatomyelie, neurotische Muskel-
atrophie, Myotonia acquisita atrophicans, Kiefer bei Hemiatrophia faciei), aus
welchen sich ergiebt, dass bei demselben Krankheitsprocess zuweilen das zweite
Stadium des von Sudeck beschriebenen Knochenprocesses, zweifellos eine echte
Atrophie (dünne Corticalis, weites Spongiosamaschenwerk) zu sehen ist, während
in anderen gleichartigen, zuweilen viel schwereren Fällen die Atrophie fehlt. So
ist z. B. bei einem Poliomyelitiskranken die Knochenstructur eines vollkommen
paralytischen Beines mit den schwersten vasomotorischen Störungen und voll*
kommener Inactivität (der Kranke geht auf Krücken) wohlerhalten. Es ergiebt
sich also eine grosse Unabhängigkeit der Knochenstructur von den Activitäts-
und vasomotorischen Einflüssen in den untersuchten Fällen.
Das zweite Stadium der Sudeck’sohen „Atrophie“ ist zweifellos eine echte
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Atrophie, wie sie z. B. von Roux als „Inactivitätsatrophie“ genau beschrieben
wurde. Das erste Stadium mit der fleckigen Aufhellung und dem verwischten
Aussehen der Röntgenbilder ist bisher noch nicht mit Sicherheit anatomisch zu
dsssificiren. £. schlägt deshalb vor, den ganzen von Sudeck bei Entzündungen
und Fracturen beobachteten Knochenprocess einstweilen als Dystrophie, Osteo-
dystrophia acuta zu bezeichnen, analog der Dystrophia musculorum, bei welcher
es sich ebenfalls um eine Reihe trophischer Störungen mit dem Ausgang in
Atrophie handle. Wolle man den Process als neurotisch (reflectorisch) bezeichnen,
io dürfe man das wohl nur mit dem schon von Virchow präcisirten Vorbehalten
thun. (Die Ausführungen stützen sich auf gemeinsam mit Herrn Albers-Schön¬
berg gemachte Untersuchungen.) (Autoreferat.)
Herr Albers-Schönberg betont die Wichtigkeit, nur teohnisoh richtig
hergestellte Platten für die Diagnose der Knochenatrophie zu benutzen. Er demon-
(trirt ein Projectionsbild eines Falles von congenitaler Hüftgelenksluxation. Eis
findet sich eine deutlich ausgesprochene Atrophie des oberen Femurendes des Ob
ischii und des os pubis. Eis dürfte dieses ein Fall von Inactivitätsatrophie sein.
Ferner zeigt A.-S. Knochenatrophieen der Füsse von einem Patienten, welcher
wegen luetischer Kniegelenksaffection seit Monaten an den Rollstuhl gefesselt war,
ferner Knochenatrophieen der Füsse bei Tuberculose des Talocruralgelenks.
(Autoreferat.)
Herr Kawka zeigt die Abbildungen eines histologisch untersuchten Falles
ron Knochenatrophie nach einer Fractur. Es handelte sich um eine 6 Wochen
alte Fractur bei einem mit florider Rhachitis behafteten Kinde, die Elxtremität
hatte sich in verticaler Suspension befanden. Interessant an dem Falle ist, dass
nicht nur der fracturirte Oberschenkelknochen, Bondern auch Tibia und Fibula
derselben Seite die Anzeichen der Knochenatrophie boten. Der Untersucher des
Falles, Stötzner von der Heubner’sehen Klinik, will eine Einschmelzung des
Knochengewebes vom Periost aus, von den intraostalen Markräumen, von den
Havers’schen Canälchen aus gefunden haben. Stötzner bezeichnet den Fall
als „acute Osteoporose“ rhachitischer Knochen. (Autoreferat.)
Herr Sudeck (Schlusswort) constatirt, dass Niemand in der Discussion an
den von ihm vorgebrachten Thatsachen gezweifelt hat. Betreffs des Ausdrucks
„Atrophie“ hebt er hervor, dass genügende anatomisch mikroskopische Unter¬
suchungen noch nicht vorliegen. Eis müsse sich entweder um Decalcination
(Halisterese) oder um ins Pathologische gesteigerte Resorption handeln. Während
das Ausgangsstadium des von ihm beschriebenen ProceBses längst bekannt war
(gleichmässige zartere Structur der Knochenbälkchen) und früher als „Inactivitäts¬
atrophie“ (Knochenresorption ohne ausgleichende Apposition) aufgefasst wurde,
wurde das Anfangsstadium dieses Processes (fleckige, scheckige, verwaschene Auf¬
hellung) erst durch die Röntgenuntersuchungen des Vortr. bekannt Da die chro¬
nische Form unbedenklich als „Atrophie“ bezeichnet werden dürfte, so ist es
auch für die acuten Formen wahrscheinlich, dass eB sich um eine neurotische
Knochenatrop hie handelt, S. will deshalb den Namen „Atrophie“ trotz der ge¬
machten Ein wände beibehalten, bis spätere anatomische Untersuchungen eines
Besseren belehren sollten.
Die Inactivität spielt nur eine untergeordnete Rolle 1. wegen der Schnellig¬
keit und Hochgradigkeit des Auftretens (radiographischer Nachweis schon 4 Wochen
nach einem Trauma bezw. einem Anfall von Poliomyelitis acuta in Nonne’s Fall);
2. weil sie auftritt in Fällen, wo Inactivität gar nicht vorliegt und wo im Gegentheil
die Activität, zu frühe und zu starke Belastung den Knochen ungünstig beeinflusste.
S. zieht hier die Kümmell’sehe Spondylitis traumatica heran, die durch S.’s
Untersuchungen eine wesentliche Unterstützung im Gegensatz zu den in letzter
Zeit sich mehrenden gegnerischen Stimmen erhält. Denn es muss jetzt als be-
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378
wiesen gelten, dass ein Trauma einen chronisch rareficirenden Knochenprocess
auslösen kann. Für diese traumatische Erkrankung der Wirbelknochen haben
auch Mikulicz und Henle trophische Störungen, bedingt durch eine Mit¬
erkrankung des Rückenmarkes, als Erklärung herangezogen; 3. sieht S. in den
von Nonne demonstrirten Fällen eine weitere Stütze dafür, dass die Inactivität
nicht das wesentliche ursächliche Moment für die „Knochenatrophie“ ist. Auch
hier handelte es sich, wie in den chirurgischen Fällen, stets um eine Combination
mit Muskel- und anderen Weichtheilsatrophieen. Auch für die arthrogene Muskel¬
atrophie nimmt S. ein Zustandekommen auf reflectorischem Wege und nicht auf
dem der Inactivität an (z. B. hochgradige und schnelle Atrophie der Schulter-
rausculatur nach Handverletzungen). Die Annahme Fränkel’s, dass Infections-
und Toxinwirkungen bei Circulationsstörungen ätiologisch mitwirken können, sei
keineswegs bewiesen. Nonne’s und zum Theil auch Embden’s Untersuchungen
sind ihm eine weitere Stütze für die „trophische“ Entstehung der beschriebenen
Knochenerkrankungen. (Autoreferat)
Nonne (Hamburg).
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Nr. 1. — Therapie der Geisteskrankheiten: Nelsser, Zellenlose Behandlung, rsych.
Wochenschr. Nr. 44—46. — Gallus, Personal in Meerenberg. Ebenda. Nr. 45. — Kaplan,
Pflegepersonal för Geisteskranke. Krankenpflege. L Heft 5. — Kolb, Atlas für den Bau
von Irrenanstalten. Halle a/S, Carl Marhold. — Maddon, Education of the degenerate.
Journ. of Amer. and Assoc. Nr. 25. — Pfcqul , Chirurgie chez les alienös. Progr. mdd.
Nr. 7. — Laehr, H., # Heilung des Orest. Berlin, Georg Reimer. 86 S.
VII. Therapie. Bresler, Gedächtniskuren. Psych. Wochenschr. Nr. 46. — Silber-
Stein, Bromeiweisspräparate. Therap. Monatshefte, Heft 1. — Meitzner, Hedonal bei Unfall-
nervenkranken. Deutsche Praxis. Nr. 8. — Tendlau, Hedonal. Fortschr. der Med. Nr. 5. —
Parnell, Treatment of enuresis. Brit. med. Journ. Nr. 2141. — Reichard, Sehnenverpflanzung.
Berliner klin. Wochenschr. Nr. 7. — Krause, F., Ersatz des gelähmten Quadriceps fern,
durch die Flexoren des Unterschenkels. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 7 u. 8. — Konlndjy,
Extension dans le traitement des maladies nerveuses. Arch. de neurol. Nr. 73 u. 74. —
Speiser, Prognose der Nervennaht. Fortschr. der Med. Nr. 5. — Zanletowskl, Voltaisation.
Neurol. Centralbl. Nr. 1. — Rodari, Permea-Elektroapparat. Correspondenzbl. f. Schweizer
Aerzte. Nr. 4. — di Luzenberger, Trattamento della vertigine di Meniöre. Ann. di elettricitä
med. I. Nr. 2. — Bruns, C., Laufwagen bei Lähmungen der unteren Extremitäten. Münchener
med. Wochenschr. Nr. I. — Erb, Balneologie und physikal.-diätet. Behandlung. Volkmann’s
Vortr. Nr. 321. — v. Vogel, Hydrotherapie und „Wasserkuren“. Münchener med. Wochen¬
schrift. Nr. 3 u. 4. — Ziegelroth, Massage. Archiv f. physikal.-diät. Ther. Heft 1. —
Smith, Suggestion. Boston med. and surg. Journ. Nr. 5.
V. Vermischtes.
Am 8. Mai 1902, Nachmittags 3 Uhr, findet in Hannover, Lavesstrasse 26, die
37. Versammlung der Irrenärzte Niedorsaohsens und Westfalens statt.
Tagesordnung:
1. Bruns (Hannover): Neuropathologische Demonstrationen. — 2. A lt (Uchtspringe):
Zur Genese des paralytischen Anfalls. — 3. Snell (Hildesheim): Irrenhülfsvereine. —
4. Cramer (Göttingen): Ueber krankhafte Eigenbeziehung und Beachtungswahn. —
5. Weber (Göttingen): Ueber einige Neubauten an der Göttinger Anstalt. — 6. Vogt
(Göttingen): Ueber die Beziehungen zwischen Aphasie und Demenz. — 7. Quaet-Faslem
(Göttingen): Mittheilungen aus der Universitäts-Poliklinik für psych. und Nervenkranke. —
8. Behr (Lüneburg): Ueber die Familienpflege in Göttingen.
Die diesjährige Wandervenammlung der südwestdeutschen Neurologen
und Irrenärzte wird am 24. und 25. Mai in Baden-Baden stattfinden. Geschäftsführer
sind die Herren Prof. Kraepelin (Heidelberg) und Fischer (Pforzheim).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vzrr & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtsosb & Witt» in Leipzig.
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1899. Vergriffen! ot£ 130.— 1881 — 84. Vergriffen. Kart. .* 55.—
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lii. Bibliographie. 1. Die traumatischen Neurosen. Unfallneurosen, von Dr. L Brans.
2. Die Geisteskrankheiten des Kindesalters mit besonderer Berücksichtigung des schulpflichtigen
Altera, von Ziehen. 3. Atlas und Grundriss der Psychiatrie, von Wilhelm Weygandt.
IV. Aus den Gesellschaften. Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte
in München am 14. und 15. April 1902. — Biologische Abtheilung des Aerztlichen Vereins
zu Hamburg.
V. Personalien.
I. Originalmittheilungen.
1. Richter und Sachverständiger.
Einige Worte der Erklärung von Medicinalrath Dr. P. Nftoke in Hubertusburg.
In Nr. 7 dieses Centralblattes S. 290 hat Hoche aus einer Arbeit von mir
über obiges Thema 1 den Satz beanstandet: „Da der Sachverständige zweifellos
mehr in seinem Fache weiss, als selbst der bestunterrichtete Richter, so hat sich
Letzterer seinem Urtheile im Allgemeinen unbedingt zu fügen.“ Seinen Ein¬
würfen bin ich dort schon begegnet and das Einzige, was noch discutirt werden
könnte, scheint mir nur die Möglichkeit der Ann ahm e des Vorschlages zu sein.
Zanäohst wird wohl kein logisch Denkender an dem Satze rütteln wollen,
dass ein vertrauenswürdiger Sachverständiger mehr weiss als ein Laie. Daraus
folgt, dass der Letztere sich vernünftigerweise dem Urtheile des Ersteren unter¬
zuordnen hat, also eventuell auch der Richter. Freilich collidirt bei diesem eine
andere Forderung damit, nämlich, dass nur er entscheidet und entscheiden soll.
Sind beide Forderungen wirklich miteinander unvereinbar? Die Entscheidung
soll ja nach meinem Vorschläge dem Richter verbleiben, sie soll nur in ganz
bestimmten, zum Glücke ziemlich seltenen Fällen, mehr mechanisch erfolgen.
Es handelt sich hierbei besonders um schwierige Grenzfälle und Remissionen,
wenn wir die psychiatrische Sachverständigen-Thätigkeit betrachten. Hier wird
der Irrenarzt in concreto und zu einer bestimmten Zeit den Richter vielleicht
nicht von einer Krankheit überzeugen können. Der Richter wird dann z. B.
bei einer Entmündigung entweder diese überhaupt nicht aussprechen oder
den Termin verschieben. Es sollte ein Paralytiker entmündigt werden, der
gerade in einer grossen Remission sich befand. Er antwortete glänzend und
körperliche Symptome waren nicht oder kaum da. Ich konnte dem Richter
nur sagen, dass der Vorgeführte trotzdem ein Paralytiker war, und er ent¬
mündigte ihn darauf hin und das war, glaube ich, verständig gehandelt Also
nur für solche Fälle wollte ich meine Forderung, die an sich logisch und von
einer Reihe von Psychiatern durchaus unterstützt wird, machen. Auch diese
Fälle sollen dadurch immer noch mehr eingeschränkt werden, dass einerseits
der Richter besser herangebildet wird, um mehr in die feineren psychologischen
1 NIckb, Richter and Sachverständiger. Archiv 1 Criminalanthropol. u. Criminaüstik.
1900. 111. S. 99.
GoogI<
387
Verhältnisse n.&w. einzudringen und so sich etwas leichter überzeugen zu lassen,
andererseits aber durch richtige Wahl der Sachverständigen. An Einen soll der
Richter nicht gebunden sein, sondern noch eventuell weitere hören können,
die ihm die Sache vielleicht plausibler machen werden. Auf keinen Fall soll
er aber seinem Verstände mehr Zutrauen als dem Wissen des Experten. Wenn
ich endlich das Medicinalcolleg als Obeigutachter empfahl, so erscheint dies um
so mehr rationell, als ja das psychiatrische Mitglied desselben, der allein das
Gutachten abgiebt, meist einer der tüchtigsten Irrenärzte des Landes ist
Freilich handelt es sich bei obiger Forderung um de lege ferenda, und ich
wei88 wohl, dass die Richter z. Z. prinoipielle Bedenken dagegen erheben werden,
so vernünftig der Vorschlag an sich gewiss auch sein mag. Ob letzterer aber
trotzdem wirklich bezüglich der praktischen Durchführung so aussichtslos ist,
wie Hoohe meint, ist mir noch nicht ganz sicher, da dem Richter ja nicht
die Entscheidung genommen, sondern dieselbe in gewissen, immerhin seltenen
Fällen nur „mechanisirt“ werden soll, was gewiss, glaube ich, mehr im Inter¬
esse der Wahrheit und des Allgemeinwohles liegt, als wenn der Richter sich
stets darauf versteift Beweise zu haben.
2. Notiz zur Frage der Charakterverandertragen nach
Gehirnverletzungen.
Von Dr. M. Triedmann, Nervenarzt in Mannheim.
In dem soeben erschienenen Heft 3 des XXI. Bandes der Deutschen Zeit¬
schrift für Nervenheilkunde findet sich ein interessanter kritischer Aufsatz von
Ed. Mülles „über psychische Störungen bei Geschwülsten und Verletzungen
des Stirnhirns“, in deren einem Theile die Lehre von der Charakterverschlech-
terung durch Stirnhirnverletzungen einer scharfen und berechtigten Kritik unter¬
zogen wird, nachdem und sowie sie im Wesentlichen durch die bekannten
Experimentalergebnisse von Goltz und die klinische Arbeit von Leonobs Welt
inaugurirt worden war. So beanstandet er bezüglich der klinischen Fälle unter
Anderem besonders die durchweg ungenügende Erforschung der in Frage
stehenden psychischen Zustände, welche den Erfahrungen und Forderungen der
psychiatrischen Wissenschaft nicht genug Rechnung trägt; denn es sind z. B.
so wichtige Factoren, wie chronischer Alkoholismus und ausgeprägte psycho¬
pathische Belastung bei solchen Patienten kaum beachtet worden. Und dennoch
ist es sicherlich viel naheliegender, wo solche Factoren bestehen, eine psychische
Veränderung, welche nach einer Kopfverletzung entsteht, mit diesen in Zu¬
sammenhang zu bringen, als sie von der localen Gehimverletzung selbst als
eine Art Herdsymptom abzuleiten. Sie würde dann wie andere psychopathische
Zustände nach Kopftrauma zu beurtheilen und somit auf allgemeine und
diffuse Gehimstörungen bezw. Veränderungen zu beziehen sein. In gleicher
Weise hat ganz neuerdings der zur Zeit wohl auf diesem Gebiete maassgebendste
25*
Google
— m —
Forscher, Hitzig, in seinen neuesten Untersuchungen im 2. Hefte des Archivs
für Psychiatrie, Bd. XXXV auf die Wichtigkeit der Fehlerquelle bei physiologischen
Gehirnexperimenten aufmerksam gemacht, die daduroh entsteht, dass sich ent¬
zündliche und erweichende Processe in grösserer Ausdehnung ansohliessen an
die in dem Experimente vorgenommene Wegnahme und Verletzung bestimmter
Gehimpartieen.
Obwohl es nun gegenwärtig bereits bekannt ist, dass sich in der That zum
Theil schwere diffuse Gehiraveränderungen, welche klinisch zu förmlichen Ver¬
blödungszuständen führen können, nicht allein an die Gehimcommotion an-
schliessen können, sondern auch auf einfache locale Gehirnwunden zu folgen
da und dort im Stande sind, so glaube ich doch, dass es einiges Interesse hat,
wenn ich im Zusammenhang mit den erwähnten wichtigen Erörterungen die
Gelegenheit wahrnehme, auf ein älteres Versuchsergebniss zurückzukommen,
welches ich bei meiner experimentellen Erforschung der Histologie der acuten
Encephalitis nebenbei erhalten hatte. Ich darf das um so mehr, als ich dort
nur eine kurze Andeutung über den uns hier angehenden Thatbestand gemacht
habe, die kaum Beachtung hat finden können. Heben den Versuchen über
Verätzung und über Vereiterung des Gehirngewebes hatte ich auch eine Anzahl
einfacher Stich- und Abtragungswunden bei Kaninchen und Sperlingen gesetzt
und zu verschiedener Zeit nach der Verletzung untersnoht Nun überraschten
unter den so operirten Thieren zwei, ein Kaninchen und ein Sperling, ganz
besonders aber der letztere durch ein eigenartiges Wesen und Verhalten
nach der an sich leichten und wenig ausgedehnten Verletzung, ein Verhalten,
welches in auffälliger Weise der Goi/rz’schen Schilderung seiner des Stimhims
beraubten Hunde entspricht Das Thier war förmlich wüthend geworden,
ganz und gar ungleich dem halben Dutzend bis Dutzend anderer Sperlinge,
welche in dem gleichen grossen Käfig gehalten wurden. Alle Bewegungen
waren hastig und stürmisch, es flatterte fortwährend herum und störte daduroh
die anderen; namentlich aber unterschied es sich von diesen durch seine Wild¬
heit und seine wüthenden Angriffe bei jeder Annäherung an den Käfig. Es
schien dann nicht verschüchtert und ängstlich wie die anderen Thiere, sondern
hackte gleich einem Raubvogel heftig gegen die sioh nähernde Hand und machte
Angriffsversuohe, und noch längere Zeit nachher flatterte es in heftiger Weise
im Käfig herum. Ebenso sinnlos wüthend benahm es sich jedes Mal, wenn in
den Käfig das Futter gebracht wurde, während die anderen Thiere bald zu¬
traulicher wurden. In der Fresslust hatte es dabei nicht in auffälliger Weise
abgenommen, ln ähnlich ungeberdiger Weise benahm sich das operirte Ka¬
ninchen, wie es auch eine analoge Unruhe permanent zeigte; sonst erschienen
die übrigen operirten Thiere im Allgemeinen stumpfer und apathischer als
normale Kaninchen oder Sperlinge. Die beiden Thiere wurden nach 6—7 Wochen
durch Chloroform getödtet, nachdem sie die ganze Zeit hindurch, soweit ich
mich erinnere etwa von der 3. Woche ab, das geschilderte Verhalten an den
Tag gelegt hatten.
Auch der anatomische Befund war bei beiden Thieren im Wesentlichen
zedby Google
888
der gleiche, am deutlichsten beim Kaninchen, denen Verhalten ioh der Schil¬
derung zu Grunde lege; makroskopisch fand sich eine diffuse Röthung der Pia
mater, aber ohne Exsudat, sonst am Gehirn wenig Auffälliges; an der Ober¬
fläche jeweils eine flache kleine Narbe als Folge der gesetzten aseptischen
Wunde. Mikroskopisch dagegen bestand eine sehr ausgedehnte diffuse Ver¬
änderung, welche sich ziemlich über das ganze Grosshirn erstreckte.
Es handelte sich um eine starke lymphoide Infiltration, welche sowohl in den
Lymphspalten der kleinen Gefasse als in den pericellulären Räumen der Ganglien¬
zellen und zellenförmig angeordnet zwischen den Nervenfasern der weissen Sub¬
stanz sich darstellte. Ganz besonders die pericellulären Räume waren auffällig
dadurch, dass statt eines oder höchstens zweier Kernelemente bezw. Ly mph-
körper, welche man in der Norm bei Kaninchen trifft, eine ganze Anzahl,
3—8, die Ganglienzellen umschlossen. Da das bei einem beträchtlichen Theile
dieser Bäume stattfand, wurde das gewöhnliche mikroskopische Bild der
Kaninohenhimrinde dadurch erheblich verändert In den kleinen Gefässen lag,
wie gesagt, nicht sowohl eine Kemneubildung und Verdickung der Wandung,
als ebenfalls eine Infiltration der Lymphräume in dünner Schichtung vor.
Der gesammte Zustand, welcher von keinen erheblichen Alterationen der nervösen
Elemente begleitet war, unterscheidet sich, wie man sieht, von den gewöhnlichen
secundären Beizerscheinungen um encephalitische Herde, nicht nur der Aus¬
breitung, sondern auch seiner histologischen Beschaffenheit nach; es liegt ein
chronischer Reizzustand vor, der im Wesentlichen die Blut- und insbesondere
die Lymphoirculation betrifft Einigermaassen Aehnliches habe ich bei den
schweren nervösen Folgezuständen gesehen, welche in chronischem Verlaufe nach
Kopferschütterung folgten und wovon ich zwei Fälle anatomisch habe unter¬
suchen können. Doch ist in dieser kurzen Notiz nicht der Ort, um darauf des
Näheren einzutreten.
Vielmehr sollte die Mittheilung dieser experimentellen Ergebnisse, auf welche
ich schon längst die Absicht hatte einmal zurüokzukommen, lehren, wie vor¬
sichtig man sein muss mit der Deutung von psychischen Veränderungen, welche
nach einer Kopfverletzung folgen, und wie eine Verwerthung derselben im
localistischen Sinne nur dann überhaupt disoutirt werden kann, wenn das Vor¬
handensein von secundären Alterationen des Gehimgewebes durch genaue mikro¬
skopische Untersuchung des Organs ausgeschlossen ist Unsere Beobachtungen
lehren, dass nicht allein die secundären Degenerationen und Erweichungen,
welehe Hitzig bei seinen Experimenten constatirte, in Betracht kommen, sondern
auch feinere Veränderungen, welche zwar ausgeprägter Art sein können, welche
aber doch immerhin zu ihrer Beurtheilung eine gewisse Aufmerksamkeit und
Vertrautheit mit der pathologischen Histologie des Gehirns erfordern. Auch die
modernen feineren Methoden, welche jetzt zur Untersuchung dieses Organs zu
Gebote stehen, sollten wohl selbst bei den physiologischen Exstirpationsversuchen
zur Anwendung gelangen, dann namentlich, wenn scheinbar psychische Ver¬
änderungen der begrenzten Exstirpation gefolgt sind. Denn eben diese resultiren
nach unseren sonstigen Erfahrungen nicht sowohl aus localisirten als aus diffus
edby Google
— 390
verbreiteten abnormen Zuständen des Gehirns, und Ed. Mülles hat in sehr
berechtigter Weise diesen Gesichtspunkt bei seiner Kritik der wichtigen und
interessanten Frage schärfer, als es hier bisher geschehen war, in den Vorder¬
grund gestellt
Es liegt wohl kein Anlass vor zu bezweifeln, dass der Befund eines sub-
acuten Beizzustandes im Circulationsapparat, wie er in unseren Beobachtungen
statthatte, eine genügende Erklärung darbietet für das Eintreten der starken
psychischen Reizbarkeit und des wüthenden Gebahrens der operirten Thiere;
denn, wie gesagt, es lag da nicht etwa nur eine erhöhte Empfindlichkeit der
Thiere vor, welche durch die Beschwerden eines schmerzhaften Entzünd ungs-
processes bedingt gewesen wäre; die mit gewöhnlicher experimenteller Encephalitis
behafteten Thiere vielmehr verhielten sich still und apathisch. Andererseits
beschränkt sich das Ergebniss darauf, dass wir einen anatomischen Beleg für
das diffuse Ergriffensein des Organs erhalten haben; es ist offenbar un¬
statthaft, etwa den anatomischen Reizzustand direct in Parallele stellen zu
wollen mit dem psychischen Reizzustande. Eher wäre es berechtigt, die Frage
aufzuwerfen, ob nicht die Intelligenz der Thiere duroh einen solchen diffusen
Erkrankungsprocess und durch die wohl mit der gestörten Lymphcirculation
verknüpfte Ernährungsstörung des Grosshirns Noth leiden konnte. Man wird
hier an den paralytischen Blödsinn der Hunde erinnert, welchen Mendel durch
seine bekannten Drehversuche erzeugt hatte und bei welchem ebenfalls eine
Beeinträchtigung der Lymphcirculation eine Rolle zu spielen schien. Da auch
beim Menschen nach Gehirnverletzungen psychische Krankheitszustände beob¬
achtet sind, welche an die progressive Paralyse gemahnen, so eröffnet sich hier
eine Frage, welohe vielleicht fernerer experimenteller Prüfung werth ist
3. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Ooldflam in Warschau.
(Fortsetzung.)
Beobachtung VIL Den Synagogensänger S., 61 Jahre alt, sah ich am
20./V. 1893. Schon vor einem Jahr bemerkte er, dass seine Stimme ihren
schönen Klang eingebiisst hat, und dass er sie nicht so gut wie früher emittiren
kann. Das war aber nur eine vorübergehende Erscheinung, da alsbald der
frühere gesunde Zustand sich einstellte. Seit einer gewissen Zeit versagt ihm
jedoch die Stimme nicht allein beim Singen, sondern auch beim Sprechen, wobei
sie bald nasalen Klang bekommt, und Pat. ein Constrictionsgefiihl in der Kehle
empfindet Auch ist seit 3 Monaten das Schlingen, besonders fester Speisen, be¬
einträchtigt. Er hat nie eine ernste Krankheit durchgemacht.
Bei dem gut gebauten und ernährten Mann liess sich nur feststellen, dass
der weiche Gaumen bei der Phonation und mechanischen Reizung beinahe voll¬
ständig immobil war, dass der Rachenreflex fehlte. Die Zunge erscheint klein, ist
Google
301
aber nicht deutlich gerunzelt, sie zittert ein wenig, ihre Bewegungen werden
schwach ausgeführt and sind beschränkt; so vermag die Spitze den Gaumen nicht
zu berühren. Die Lippenmoskeln sind ebenfalls schwach. Die Sprache hat einen
ausgesprochen nasalen Klang, der beim längeren Sprechen beinahe bis zur Un¬
verständlichkeit zunimmt; in horizontaler Lage ist die Sprache deutlicher als beim
Stehen. Sonst sind keine abnormen Erscheinungen vorhanden, auch die elektrische
Erregbarkeit ist normal.
ll./VUI. 1893. Es ist nicht allein keine Progression zu verzeichnen, sogar
eine Besserung. Keine Atrophie, keine fibrillären Zuckungen. Die Zunge, die
Lippen können noch nicht zugespitzt werden, das Palatum molle bewegt sich
nur schwach beim Phoniren. Elektrische Erregbarkeit in manchen Gebieten viel¬
leicht ein wenig erhöht (Zunge, Zäpfchen, Lippen bei 13,5 R.-A., 1 j i M.-A.,
KaSZ>AnSZ), sonst normal.
17./XL 1893. Er kam vergnügt zu mir, um zu zeigen, dass es ihm im
Winter besser geht. Die Stimme ist sowohl beim Singen als Spreohen in der
That ganz klar, allein bei längerer Rede versagt sie ihm auch jetzt. Der weiohe
Gaumen bewegt sich ziemlich gut beim Phoniren, bei mechanischer Reizung
gar nicht. Die mimischen Bewegungen sind gut ausführbar, allein beim Betasten
erkennt man, dass sich z. B. die Lippenmuskeln nicht energisch contrahiren, auch
entweicht Luft durch die Lippen beim Aufblasen der Backen, und vermag Pat
noch nicht zu pfeifen. Zwar ist die Zunge klein, aber von ganz glatter Ober¬
fläche, durchaus nicht atrophisch und ohne fibrilläre Zuckungen. An den Armen
kann man das Erschöpfungsphänomen nicht hervorrufen.
19./XIL 1893. Es ging ihm wieder eine Woche lang schlecht, jetzt ist
wieder Besserung eingetreten. Objectiv wie oben, nur stellt sich heraus, dass
auch der Orbicularis palpebrarum schwach ist. Noch ist das Schlingen, nament¬
lich fester Speisen, beeinträchtigt, zuweilen bleibt ein Bissen im Rachen stecken
und verursacht grosse Unruhe. Die Untersuchung des Kehlkopfes durch einen
Specialisten (Dr. Shkhkht) ergab normale Verhältnisse.
22./VL 1894. Er kam wegen Nackenschmerzen, sonst fühlt er sich wohl und
ist in seinem Beruf thätig. In der That sind alle Bewegungen kräftig, nur das
Zukneifen der Augen ist schwach, und beim Aufblasen entweicht Luft durch
die Lippen. Vielleicht geringe rechtsseitige Ptose.
ll./Xn. 1894. Seit einiger Zeit wieder Ermüdung beim Sprechen, Singen
schon nach wenigen Minuten. Alle mimischen Bewegungen Bind schwach. Die
Zange kann nicht ruhig am Boden der Mundhöhle gehalten werden, sonst ist an
ihr nichts Abnormes wahrzunehmen, auch die Bewegungen sind kräftig. Die rechte
Hälfte des weichen Gaumens hängt mehr herab und bewegt sich weniger beim
Phoniren als die linke. Die Reflexe des Zäpfchens, des weichen Gaumens und der
hinteren Rachenwand herabgesetzt. Schlingen gut. Kehlkopf normal.
Seitdem hatte ich keine Gelegenheit S. eingehend zu untersuchen, er war
ununterbrochen in seinem Beruf thätig bis kurz vor seinem Tode, der im Februar
1901 erfolgte. Ich sah ihn mehrere Tage vor diesem Ereigniss schwer krank,
leichenblass und bei vollem Bewusstsein im Bett. Ich erfuhr, dass er seit
einiger Zeit über Schmerzen im Sternum klagte, den Appetit vollständig
verlor und immer siecher wurde. Am oberen Theil des Brustbeins starke
Dämpfung. Die Herzdämpfung reicht nach rechts hinüber. Töne rein. Puls
frequent Stimme ganz klar. Schlingen gut.
Das Untersuchungsergebniss wies auf einen Tumor im vorderen Mediastinum
hin. Das Blut zeigte Eigenschaften, wie man sie bei sehr ausgesprochener
Anämie findet (477,400 Erythrocyten, 7450 meistens neutrophile, vielkernige
Leukocyten). Die Autopsie blieb aus,
GoogI<
— 392
Als ich den Kranken zum ersten Mal sah — es war im Jahre 1893 — da
meinte ich, wir hätten es wahrscheinlich mit den ersten Anzeichen einer echten
DüCHENNB’schen Bulbärparalyse zu thun; das ziemlich hohe Alter des Patienten
sprach auch dafür. Auffallend war, dass er berichtete, schon vor einem Jahre
vorübergehend an ähnlichen Erscheinungen wie jetzt gelitten zu haben, während
anhaltende Besserungen bei der DüOHESNE’schen Form nicht bekannt sind.
Der weitere Verlauf lehrte alsbald in der That, dass wir es mit der asthenischen
Lähmung zu thun haben. Die Eigentümlichkeiten der Beschwerden, die Sprach-,
Sing- und Schlingstörungen, ihre Zunahme bei Ausübung der Function auch
bei subjectivem Wohlbefinden, die grossen Schwankungen im Befinden des
Patienten, Schwäche aller mimischen Muskeln, Lähmung des weiohen Gaumens
sind positive Merkmale, die für diese Diagnose spreohen. Nicht minder
wichtig sind die negativen, obenan das Fehlen von Atrophie, von fribillären
Zuckungen und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit im Sinne einer
Entartungsreaction selbst nach mehrjährigem Bestehen der Krankheit (die
kleine, schmächtige Zunge wies entschieden keine Zeichen der Atrophie
auf, sie kann physiologisch beschaffen gewesen sein; übrigens habe ich
etwas Aehnliches noch in einem anderen Falle von asthenischer Lähmung
bei der Patientin T. gesehen). Bei dem hohen Alter des Patienten muss
besonders darauf hingewiesen werden, dass von apoplectischen Zuständen, von
Hemiplegieen, Aphasieen, psychischen Alterationen u. s. w. keine Bede war,
zumal das Kreislaufsystem sich ganz normal darstellte. Das mehrjährige Be¬
stehen des Leidens mit langen Unterbrechungen und vielfachen Recidiven und
die endgültigen Besserungen bestätigten die Diagnose. Was diesen Fall noch
auszeichnet, ist das Beschränktbleiben auf bulbäre Symptome; während der ganzen
Dauer des Leidens waren die Extremitäten und der Rumpf nicht einmal vorüber¬
gehend ergriffen. Es war offenbar ein sehr leichter, benigner Fall von asthenischer
Lähmung, sowohl betreffs der Ex- als Intensität der Erscheinungen. Zu ge¬
fahrdrohenden Symptomen, wie leider so oft bei der asthenischen Lähmung,
ist es während der jahrelangen Dauer der Krankheit nicht gekommen. Auch
erfolgte der Tod nicht durch die asthenische Lähmung, sondern mehrere Jahre
später, als Patient anscheinend von den Symptomen dieses Leidens lange
Zeit nicht mehr heimgesucht war, wahrscheinlich in Folge einer bösartigen Ge¬
schwulst in Mediastino antico, die zu einer hochgradigen Anämie geführt
hat Also wieder ein Tumor, der aber offenbar in keinem ursächlichen Verhält-
niss zur asthenischen Lähmung stand, da schon zeitlich zwischen diesen beiden
Erkrankungen ein grosses Intervall liegt Leider fehlt die nekroskopische
Bestätigung des Tumors.
Beobachtung VIII. Krz..., jetzt 35 Jahre alt, 8ah ich wiederholt im
Sommer 1896 in Gemeinschaft mit Dr. Spanbok, dem ich für die Ueberlassung
des Falles und der damaligen Notizen meinen Dank ausspreche. - Pat. erzählte, dass
sie 6 Wochen vor Ostern 1896 eines Tages beim Aufwachen Schwindel und Ver¬
dunkelung des Gesichtsfeldes verspürte, wie betrunken herumging, und dass im
Laufe desselben Tages die Oberlider herabfielen. Nach 2 Wochen consultirte sie
einen hiesigen Augenarzt, der traitement mixte anordnete, ohne Erfolg. Unter*
■ Google
dessen gesellte sich Diplopie und Mikropsie hinzu. 2 Wochen nach Ostern Schwäche
in den Armen und Beinen, 6 Wochen nachher entweicht Luft beim Blasen durch
die Nase, und die Sprache bekommt einen näselnden Klang, nach längerem Beden
versiegt sie sogar. Darauf stellt sich Schlingstörung ein, ein Gefühl von
Fremdkörper im Bachen; flüssige Nahrung regurgitirt durch die Nase.
Sie war nie ernst krank, keine Lues, kein Potus. Schwerer Kummer,
grosse Anstrengung ist unmittelbar dem Ausbruch der Krankheit vorausgegangen
(Pflege des schwer kranken Kindes, schlaflose Nächte). Sie hat 2 Mal geboren
and selbst gestillt, befindet sich im 2. Monat der 3. Schwangerschaft.
Der Vater starb im frühen Alter an Pneumonie. Die Mutter leidet an
Arthritis deformans. Die einzige Schwester ist gesund, andere Geschwister starben
in früher Kindheit
Von massiger Statur und Ernährung, in den inneren Organen keine Ver¬
änderungen. Beiderseitige Ptose, die Schwankungen unterliegt; zeitweise können
die Oberlider gehoben werden, sinken aber nach kurzer Weile wieder herab.
Diplopie bei seitlicher Bliokrichtung (über die detaillirte Augenuntersuohung
wird weiter unten berichtet). Lidschluss schwach, Orbicularis oris ebenfalls.
Die Bewegungen des weichen Gaumens bei der Phonation und mechanischen
Beizung schwinden nach etlichen Versuchen.
Die grobe Kraft der Extremitäten herabgesetzt (Händedruck 20 kg). Der
linke Kniereflex soll nach wiederholtem Beklopfen sohwinden, sonst sind die Sehnen
und Hautreflexe, wie die Sensibilität normal. MyaB entschieden vorhanden.
Der Augenbefond wurde wiederholt von specialistischer Seite aufgenommen.
Am l./VI. 1896 Paresis oculomotorii oc. utr. ln dextro ptosis et paresis
socommodationis, p. pr. 55 cm, in sin. paresis acoom. c. dilat. pup. p. pr.
44 cm. V. o. d. Vio- v - o. s. */«• Am l./VH. 1896. V. o. d. V 4 . V. o. s. V 8 .
P. pr. o. d. 9 cm / o. 8. 11 cm, leichte Verschleierung des Papillenrandes in beiden
Augen. Von den äusseren Muskeln wirkt nur der Bectus ext. sin. gut. Um
den 15./Vn. 1896 Astigmatismus myop. simp. utr. oc. V‘« 1. Gesichtsfeld
normal. Bulbi in leichter Abduction, können nur ein wenig naoh aussen, minimal
nach innen und unten bewegt werden. Ptosis. Die Pupillen reagiren gut aui
Licht, Accommodation und Convergenz. Bes ul tat: Oculomotorius (mit Aus¬
nahme der Pupillen und Ciliarfasern) paralytisch, Abducens paretisoh, Trochlearis?
Am 30./VII. 1896. Die Ptose geringer, aber die Oberlider ermüden leicht,
dasselbe gilt von der Parese der Becti externi (r. > 1.) und Obliqui super. Paresis
orbicularum palp. October 1896. Ptosis viel geringer. Strabismus div., Diplopie.
Die Becti int sind paralytisch, der Bectus ext sin. wirkt gut, die anderen äusseren
Bulbusmuskeln schwach.
Mit Besserung des allgemeinen Zustandes verreiste sie naoh Hause. Sie
fühlte ei oh volle 5 Jahre gesund, ging ihren Pflichten als Wirthin und Mutter
nach, gebar unterdessen 2 Kinder, die sie selbst stillte. Allein es blieb die
ganze Zeit über das Herabbängen der Oberlider, r.>l., und das Doppeltsehen,
wenn auch mit Schwankungen zum Besseren und Schlimmeren, bestehen. Dann
stellte sie sich am 27./X. 1901 wieder vor mit einer bedeutenden Verschlimmerung,
geradezu einem neuen Anfall, der vor 4 Wochen begann. Zuerst bemächtigte sich
ihrer eine immer zunehmende Schwäche der Beine, dann der Arme, und sie war ge¬
zwungen, das Stillen, das sie seit l 1 /, Jahren besorgte, aufzugeben. Seit 2 Wochen
macht ihr die Sprache Mühe und wird nach längerem Beden unverständlich, auch
Schlingstörungen stellten sich ein, Flüssigkeiten regurgitiren durch die Nase, feste
Speisen bleiben im Bachen haften; die Sprach- und Schlingstörungen gehen parallel
einher. Ist die Sprache besser, dann geht das Schlingen gut von Statten
und umgekehrt; auch Ermüdung der Beine beeinträchtigt diese beiden Functionen.
Schon das Aussehen ist jetzt schlechter, als vor 5 Jahren, Pat, ist blässer,
Googlt
394
magerer, sehr schwächlich. Die gerunzelte Stirn giebt ihr einen Ausdruck von
Aengstlichkeit. Die Ptose ist rechts bedeutend grösser als 1. Die Bulbi in leichter
Abduction, sind beinahe unbeweglich, nur ganz minimale Seitwärtabewegungen
(1. > r.) können ausgeführt werden, Diplopie. Pupillenreaction auf Licht gut und
nicht ermüdbar, ebenso bei Convergenz und Accommodation. Das Zukneifen der
Augen schwach, desgleichen die anderen mimischen Muskeln. Der weiche
Gaumen hebt sich schwach bei der Phonation. Beim Aufblasen der Backen
und Versuch zu pfeifen, entweicht Luft durch die Nase. Die Sprache wird bald
nasal, ändert häufig während der Untersuchung den Timbre, ist bald klangvoll,
bald beinahe unverständlich. Gefühl von Fremdkörper in der Kehle. Bei
Nahrungsaufnahme ermüden bald die Lippen und die Zunge, die alle Bewegungen
ausführt, aber nicht steif gemacht werden kann. Kieferbewegungen ziemlich
kräftig. Im Nacken Gefühl von Schlaffheit.
Die grobe Kraft der Extremitäten und des Stammes stark herabgesetzt, Gang
langsam, paretisch; Patientin bricht in den Knieen schnell zusammen. Treppen¬
steigen sehr erschwert. Aus der horizontalen Lage vermag sie ohne Unterstützung
in die sitzende nicht zu kommen. Die Apokamnose tritt in den Beinen schnell
und vollständig, in den Armen nicht so prägnant zum Vorschein. Kniereflexe
können nicht herabgesetzt werden.
Am nächsten Tage wurde mit schnell aufeinander folgenden tetanisirenden
faradischen Strömen der N. radialis, ulnaris, perforans Gassen, EnB’scher Punkt,
M. biceps, triceps, deltoideus, Extensores et Flexores antibrachii, thenaris, hypo-
thenaris rechterseits untersucht. Ueberall fand sich die MyaR, mit Ausnahme des
N. radialis; in den von diesem Nerven versorgten Muskeln, besonders im Triceps,
war jedoch die MyaR sogar sehr ausgesprochen. Man vermochte eine sehr starke
Herabsetzung, aber kein Versiegen der Contractionen zu Stande zu bringen.
Auch in diesem Falle konnte man feststellen, dass die Hervorrufung der MyaR
an einem motorischen Punkt auf andere motorische Punkte desselben Muskels
ohne Einfluss bleibt, wie denn auch die MyaR am Muskel ohne Einfluss bleibt
auf den zugehörenden Nerven und umgekehrt. 1
Wir begegnen in diesem Falle wieder dem rapiden Einsetzen der Krankheit,
die wieder mit Ptose eingeleitet wird, zu der sieh bald Ophthalmoplegia externa
hinzugesellt. Ein sehr erfahrener Ophthalmologe glaubte ein traitement mixte
verordnen zu müssen, allein ohne jeden Erfolg; es lag in der Thatkein Anhalts¬
punkt für Lues vor. Die Krankheit progresssirte weiter, bald waren die Extremi¬
täten ergriffen, dann die bulbären Functionen — im Wesentlichen 8praoh- und
Schlingstörungen. In wenigen Wochen war die Krankheit voll entwickelt und
leicht diagnosticirbar, auch fehlte die MyaR nicht
Eine gefährliche Höhe hat sie damals nicht erreicht, speciell blieben die
Respirationsmuskeln versohont Damals beherrschten die Augenmuskelstörungen
das Bild, die Ptose war sehr ausgesprochen, r. <1., und beinahe sämmtliche
Bulbusmuskeln waren ergriffen. Von specialistischer Seite wurde behauptet,
dass auch der Accommodationsmuskel, der sich in der Regel an der asthenischen
Lähmung nicht betheiligt *, afficirt war; die linke Pupille soll zeitweise erweitert ge-
1 Nachtrag: In den Präparaten vom excidirten Stückchen des M. qnadriceps omris
sin. fanden sich mikroskopisch keine Veränderungen vor.
* Im zweiten Fall Kojbwwikoff’s (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. IX)
wurde die rechte Pupille weiter, als die linke befunden; die vom Allgemeinsustand ab¬
hängige abnorme Erschöpfbarkeit in Form von zeitweiliger Schwäche, liesa sich auch am
Google
395
resen sein. Diese letzteren Erscheinungen verloren sieh aber ziemlich sohnell, um
nicht mehr wiederzukehren, auch war bald bei den wiederholten Untersuchungen
tod einer leichten Verschleierung des Papillenrandes nicht mehr die Rede. Die
Besserung seitens der äusseren Bulbusmuskeln liess länger auf sich warten und
war lange nicht so vollständig. Wie gewöhnlich boten diese Erscheinungen
Schwankungen in der Intensität dar; auoh die abnorme Ermüdbarkeit von
Seiten der Augenmuskeln und Oberlider wird betont In den Extremitäten
und bolbären Functionen trat vollständige Restitution ein.
5 Jahre fühlte sich Patientin gesund. Bemerkenswerth ist, dass während
dieser langen Frist des subjectiven Wohlbefindens Ptose und Diplopie, wenn
auch mit bedeutenden Schwankungen, bestehen blieb. Dann trat eine Ver¬
schlimmerung ein, ein neuer Anfall der Krankheit Dieselben Erscheinungen
wie zuvor, nur intensiver; besonders stark sind die Beine ergriffen, der Verfall
der Kräfte ist derartig, dass die Patientin bettlägerig wird. Die gegenseitige
Beeinflussung der bulbären Functionen — des Sprach- und Schlingvermögens
- tritt auoh in diesem Falle hervor, indem Ermüdung der Beine die genannten
bolbären Functionen beeinträchtigt
Soweit die elektrische Untersuchung ausgeführt werden konnte, zeigte die
MyaB dieselben Eigenthümlichkeiten, wie bei der Kranken K. Ermüdung eines
motorischen Punktes bleibt ohne Einfluss auf die Erregbarkeit anderer desselben
Muskels, MyaR am Nerven lässt die von ihm versorgten Muskeln unbeeinflusst
und umgekehrt, MyaR der Muskeln tangirt den entsprechenden Nerven nicht
Aach in diesem Falle konnte man es bis zum Versiegen jeder Contraction bei
Anwendung von tetanisirenden faradischen Reizen nicht bringen, nur war das
Sinken der Zuckungsstärke ein sehr bedeutendes. Die MyaR muss in diesem
Falle sehr ausgebreitet gewesen sein, sie war in allen geprüften Gebieten vor¬
handen, mit Ausnahme des N. radialis; aber auch in dem Ausbreitungsgebiete
des letzteren war sie zugegen. — Während der ersten Beobachtungszeit wird
das Schwinden des linken Kniereflexes bei wiederholtem Beklopfen verzeichnet;
im zweiten Anfall der asthenischen Lähmung konnte ich es nicht bestätigen.
Die Schwangerschaft im ersten Anfalle, das lange Stillen im zweiten können
ätiologisch nicht von Belang gewesen sein, da sich Patientin mehrere Male in
denselben Zuständen einer guten Gesundheit erfreut hat Sie selbst gab Kummer,
Sorge und grosse Entbehrungen als Ursache der Krankheit an. 1
ä-sphincter iridiB and ciliaris naohweisen. Im Fall Eulbnbübg’b (Deutsche med. Wochen-
*hr. 1898. Nr. 1) war die rechte Papille erweitert und ron etwas träger Lichtreaction;
« wird auch über eine weissliche Färbung der rechten Sehnervenpapille ohne Störung der
fcbfonetion berichtet; dann waren beide Pupillen erweitert und reagirten kaum auf Licht;
«r linke Opticus activ hyperämisch.
1 Anmerkung bei der Correclur: Während der Drucklegung dieses Aufsatzes
htte ieh Gelegenheit, zwei neue einschlägige Fälle zu beobachten, die hier nicht mehr be-
rictnehtigt werden konnten. Der eine Fall (Fall IX) betrifft ein 15jähriges Mädchen, der
udere (Fall X) eine 46jährige Frau, beide mit vorwiegend oculo-bulbären, sonst aber ganz
tjpüehen Symptomen (auch MyR). Die Fälle werden von Dr. Rohm, einem Assistenten
■«■er Poliklinik, demnächst eingehend beschrieben.
■GoogI<
Man hat dran Symptom der Muskelerschöpfbarkeit seine charakteristische
Bedeutung für die asthenische Lähmung absprechen wollen, indem man darauf
hinwies, dass es zuweilen auch bei anderen Krankheitszuständen vorkommt. Die
Ermüdbarkeit ist ein physiologischer Vorgang, der allen lebenden Organen
zukommt; um ein Organ in Gesundheitsbreite zu erhalten, muss nach Thätigkeit
Buhe eintreten. Bei fortgesetzter Muskelarbeit sinkt wahrscheinlich in Folge
von Anhäufung der Zersetzimgsproducte, sog. Ermüdungsstoffe (Kreatin, Milch¬
säure u. s. w.), die Leistungsfähigkeit sowohl nach äusseren, als nach Willens-
reizen. Bei gesunden Individuen tritt diese Muskelermüdung spät ein, äussert
sich durch herabgesetzte Function und ein charakteristisches subjectives Gefühl;
bis zur Lähmung kann man es in physiologischem Zustande weder durch äussere
Reize, noch Willensimpulse bringen, da genügen die kurzen Buhepausen, die
sich immer einstellen und mögen die Beize noch so schnell auf sich folgen, um
eine gewisse Functionsbreite beizubehalten. 1 Es ist nicht zu verwundern, dass
in pathologischen Zuständen, namentlich beim Vorhandensein von Paresen, die
schon physiologisoh vorhandene Ermüdung noch mehr zur Geltung kommt
Wie anders aber stellt sich das Phänomen der Erschöpfbarkeit in Fällen von
asthenischer Lähmung dar. Hier genügt in optima forma meist eine geringe
Functionsausübung, um eine vollständige Lähmung herbeizuführen. Wenn man
dem gegenüber Fälle von progressiver Ophthalmoplegie, sog. PolioenoephaL sup., von
Polioencephalitis infer., Poliomyeloencephalitis, von infantilen, familiären Bulbär¬
lähmungen u. s. w. entgegenstellt, wo dies Symptom ebenfalls vorhanden gewesen
sein soll, so war es eben nur in rudimentärer Gestalt In solcher Vollkommen¬
heit, in solchen Dimensionen und solcher Gonstanz und Schnelligkeit scheint dieses
Phänomen nur der asthenischen Lähmung eigen zu sein; es sind das vielleicht
nur quantitative Unterschiede, die aber doch auffallend genug sind. Dazu kommt
noch der Umstand, dass diese Erschöpfbarkeit bei der astbenisehen Lähmung
nicht allein in den von der Parese und Schwäche ergriffenen Gebieten auftritt;
sie ist meist auch in solchen vorhanden, die anscheinend intact and, über ihre
ganze Functionsbreite verfügen, wo wenigstens über Schwäche nicht geklagt wird.
1 Diese tägliche Erfahrung steht im Widerspruch mit den Ergebnissen der experi¬
mentellen Untersuchungen, welche Mosso mittels seines Ergographen am Menschen vor-
genommen hat (Die Ermüdung. Aus der zweiten italienischen Ausgabe ins Polnische
übersetzt von Dr. M. Flaüh. 1892). Er fand, dass die Höhe der Contractionen bei will¬
kürlichen Bewegungen gradatim sinkt (nach den graphischen Figuren zu urtheilen ziemlich
schnell), bis die Leistungsfähigkeit des Muskels vollständig in Folge von Ermüdung
sistirt. Die Gestalt der Curven wechselt bei verschiedenen Personen. Ein jeder Mensch
hat eine ihm eigene Ermüdungscurve, die gewisse Schwankungen im Typus aufweist
und von der Lebensweise, geistiger Arbeit, psyohischen Emotionen, Muskelübungen u. s. w.
abhängig ist. Dann differirt auch die Zeit der Ruhe, die nöthig ist, damit der Muskel
seine ursprüngliche Kraft wieder erlangt. — Dieser Widerspruch lässt sich in gewissem
Grade durch die Verschiedenheit der Versuchsanordnung erklären, da die Versuchs¬
person bei Mosso ein Gewicht von 8 kg je 2 Secunden mit dem Mittelfinger heben, also
eine nicht unbeträchtliche und nicht gewohnte Muskelleistung vollbringen musste, während
hier und bei den Kranken mit asthenischer Lähmung nur von freien Bewegungen ganzer
Extremitäten oder Extremitätenabschnitte ohne Belastung die Rede ist.
GoogI<
m
Es muss ent auf dieses Symptom geprüft werden, um essosusagen aus dem latenten
Zustand manifest zu machen. Das ist der zweite greifbare Unterschied, der
zwischen der Ermüdbarkeit bei der asthenisohen Lähmung und der bei anderen
Krankheitffiaständen besteht Ueberdies erfolgt die Wiedererlangung der früheren
Functionsbreite sehr schnell, schon naoh kurzer Buhe und zwar in solcher
Schärfe, wie bei keiner der angeführten Krankheiten.
(Fortsetzung folgt)
£L Referate.
Anatomie.
1) Zur Kenntet« der Anatomie des Gehirns der Blindmaus (Spalax
typhlus), von Prof Dr. L. v. Frankl-Hochw&rt. (Arbeiten aus Prof.
Obersteiner’s Laboratorium. 1902. Heft 8.)
Die Untersuchungen des Verf’s beziehen sioh auf das Gehirn der Blindmaus
(Spalax typhlus), also eines wirklich blinden Thieres, and ergeben in dieser Hin-
neht wichtige Aufschlüsse über den Verlauf der Sehbahnen. Der Sehstiel ist frei
von m&rkhaltigen Fasern, auch an der Gehirnbasis findet sich kein Sehnerv. An
der Stelle des Opticus findet sich eine schmale weisse Commissur (Meynert’sche
and Gudden’sche Commissur). Da die Forel’sche Kreuzung gut ausgebildet ist,
kann dieselbe mit den Sehbahnen nicht in Verbindung gebracht werden; auch
der Thalamus opticus ist voll entwickelt, nur fehlt das Stratum zonale. Ganglion
habeanlae, Corpus subthal. und Commissura post, lassen keine Abweichung erkennen.
Das Corpus genic. extern, fehlt bis auf einen kleinen Best, welchem vielleicht eine
besondere Function zukommt. Dagegen ist das mit dem N. aousticus in Be¬
ziehung stehende Corpus genic. intern, auffällig gross, wie auch andere mit dem
N. acusticus zusammenhängende Gebilde besonders gnt entwickelt sind. Es scheint
also beim Spalax, der besonders feinhörig ist, das Gehörorgan in gewisser Be-
aiehang vioariirend für den N. opticus einzutreten. Der N. olfactorius und seine
centralen Bahnen zeigen das gewöhnliche Verhalten.
Noch wären einige Details bezüglich der primären Sehoentren nachzutragen;
da« Stratum zonale des vorderen Vierhügels ist sehr schwach, was aber keinen
weiteren Schloss gestattet, da dasselbe auch bei anderen Thieren, z. B. der Maus,
sohwaoh erscheint. Die Opticusschicht W a ist sehr schwach, aber nicht ganz
faserarm, woraus sich schliessen lasst, dass dieselbe ausser den Sehfasern noch
andere Fasern enthält. Der Tractus peduncul. transv. fehlt vollständig, desgleichen
die Augenmuskelkerne. Trotzdem ist das hintere Längsbündel nicht besonders
schwach; die den Angenmnskelkernen dienenden Fasern dieses Bündels können
also nicht besonders zahlreich sein. Da der obere Olivenstrang gut entwickelt
ist, kann derselbe nicht die centrale Verbindung des Abducenskerns, der gänzlich
fehlt, darstellen. Aach die früher vertretene Meinung, dass der Facialis aus dem
Abducenskerne Verstärkungen beziehe, ist aus dem gleichen Grunde nicht richtig,
da der Facialis sehr mächtig entwickelt ist. Redli c h (Wien).
2) Betrachtungen über das Gehirn Desider Szilagyi’s, von M. Sug&r.
(Orvosi Hetilap. 1902. Nr. 1 u. 2. [Ungarisch.])
Verf. untersuchte makroskopisch das Gehirn des unlängst verstorbenen hervor¬
ragenden ungarischen Staatsmannes und Redners Desider Szil&gyi. Das aus-
Diqitizec
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398
gesprochen makrogyrische Gehirn wog 1380 g. Ganz besondere Entwickelung
zeigt der Frontallappen, und namentlich der dem Sprachcentrum entsprechende
Theil der linken unteren Frontalwin düng, deren Breite bei Sz. 37 mm betrug, im
Gegensätze zum Durchschnittsmaasse von 23 mm; ähnliches, doch weniger aus¬
gesprochenes Ueberwiegen zeigt sich bei allen Frontalwindungen. Während die
übrigen Theile keine auffallendere Entwickelung zeigten, war nur eine mächtige
Entwickelung der motorischen Centren (Centralwindungen) bemerkbar, was seine
Erklärung wohl darin findet, dass Sz. auch ein Coloss von Gestalt und ein in
sämmtlichen Sportzweigen geübter Athlet war. Hudovernig (Budapest).
Experimentelle Physiologie.
3) Speoiflo gravity of the brain, by R. H. C. Gompertz. (Journal of Physio¬
loge XXVII. S. 469.)
Von Sir James Crichton Browne war behauptet worden, das specifische
Gewicht des Gehirns sei beim weiblichen Geschlecht geringer als beim männliohen.
Verf. hat diese Angabe auf Veranlassung Halliburton’s an umfangreicherem
Material nachgeprüft, ist jedoch nicht zu dem gleichen Ergebniss gekommen. Er
fand, dass zwar sehr erhebliche individuelle Differenzen bezüglich des specifischen
Gewichts bei verschiedenen Leichen vorkamen, dass aber bei Untersuchung
grösserer Serien ein irgendwie in Betraoht kommender Unterschied zwischen
männlichen und weiblichen Gehirnen nicht bestand.
W. Connstein (Berlin).
4) Experimente am Nuoleus oaudatus des Hundes, von Schüller. (Jahr¬
bücher f. Psych. XXn. S. 90.)
Verf. beschreibt eine Methode zur möglichst isolirten Zerstörung des Nucleua
caudatus beim Hunde: Einstechen eines dünnen Troicarts durch das Stirnhirn in
das Centrum des Schweifkerns, Zerstörung dieses mittels eines durch die Hülse
vorgeschobenen Drahtpinsels.
Es werden die Protocolle zweier so operirter Fälle mitgetheilt. In dem
einen Falle war beiderseits eine kleine, auf den Schweifkern beschränkte Läsion,
in dem anderen eine umfangreiche, fast den ganzen linken Nucleus caudatus
nebst dem vorderen Antheile der inneren Kapsel betreffende Verletzung gesetzt
worden. In beiden Fällen konnte klinisch keine auf Verletzung des Schweifkernes
zu beziehende Erscheinung beobachtet werden. Die in der Litteratur mitgetheilten
Ausfallssymptome nach Schweifkernzerstörung sind wohl zumeist auf Neben¬
verletzungen zu beziehen. Bei der Mehrzahl der diesbezüglichen Experimente
fehlte übrigens die genaue anatomische Untersuchung. Im Anschluss an die Epi-
krise seiner Fälle, deren einer Störungen des Flankenganges und des Zeigerganges
geboten hatte, bespricht Verf. eingehend die bei Hemiplegieen zu beobachtenden
Anomalieen dieser Bewegungscombinationen. Bei einer die linksseitigen Extremi¬
täten betreffenden Hemiplegie ist der Flankengang nach rechts auffallend gestört.
Auch am Zeigergange treten gesetzmässige Ausfallserscheinungen zu Tage. Diese
Störungen erklären sich aus dem Mangel der Ab- und Adductionsfähigkeit der
gelähmten Gliedmaassen und sind im vorliegenden Falle auf die Nebenverletzung
der inneren Kapsel zu beziehen.
Die an Serienschnitten vorgenommene anatomische Untersuchung wird durch
zwei Tafeln (mit 3 Fig.) illustrirt.
Ref. möchte speciell die feinen und exacten physiologischen Beobachtungen
hervorheben, die sich sowohl in den mitgetheilten Protocollen, als auch in der
Epikrise finden. Pilcz (Wien).
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399
5) Ueber oortloale Innervation der Beotalaphinkteren, von v. Frankl-Hoch-
wzrt und Fröhlioh. (Jahrbücher £ Psych. XXII. S. 76.)
Verff., deren verdienstvolle Arbeiten über Innervationsverhältnisse der Rectum-
mtuculator (Pflüger’s Archiv. LXXXI u. Wiener klin. Rundschau. 1901.
S. 736) als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, unternahmen eine Reihe von
Versuchen, um die durch klinische Thatsachen a priori vorauszusetzende corticale
Constriction und Relaxation der Rectalsphinkteren experimentell nachzuweisen.
Unter 20 Versuchen gelang es 17 Mal (an 16 Hunden und einem Affen) deutlich
uf Rindenreizung Constriction zu erzielen (die Reizung erfolgte meist von der
linken Hemisphäre aus, 5 Mal rechterseits, 2 Mal doppelseitig). Relaxation, die
nur nach beiderseitiger Resection der Nn. erigentes gelang, wurde in 16 Versuchen
9 Hai mit eclatantem und 4 Mal mit mässigem Erfolge erzielt. Die Centren für
Constriction und Relaxation scheinen identisch zu sein (vielleicht letzteres ein
wenig mehr basalwärts). Das Areal, etwa 1 qcm umfassend, liegt nach vorne
9 mm hinter der Fisaura centralis, nach hinten reicht es nicht ganz bis zum
Gjnu suprasplenialis; die untersten Punkte liegen ein wenig unter der Fissura
coronalis, die obersten sind etwa 8 mm von der Mantelkante entfernt. Die Latenz¬
zeit ftir die Relaxation scheint eine längere zu sein.
Zum Schlüsse dieser sehr interessanten Arbeit erinnern Verff. an gewisse
Defaeationsstörungen bei Neurasthenikern und die Möglichkeit einer suggestiven
Therapie.
Bezüglich der Einzelheiten der Versuchsanordnung sei auf die Originalarbeit
rerviesen. Pilcz (Wien).
0) Zur Theorie der Alkoholnaroose, von Hans Meyer und Baum. (Archiv
f. experim. Pathol. u. PharmakoL 1899 u. 1901.)
Schmiedeberg’s Erklärung, die narcotische Wirkung der Stoffe der Alkohol-
und Chloroformgruppe beruhe auf ihrem Gehalt an Kohlenwasserstoffgruppen, er-
KÜen dem Verf. hauptsächlich aus zwei Gründen unzureichend, erstens weil dem
Stickoxydul und der Kohlensäure ebenfalls die typische Alkoholwirkung zukommt,
zweitens weil weder eine Jonisirung noch eine radicale Spaltung der Verbindungen
wahncheinlich gemacht weiden könne, auf welche Vorgänge man die Wirkung
dieser Körper als eine chemische zurückzuführen versuchte.
Anknüpfend an ältere Beobachtungen von Harless, v. Bibra u. A. fasst
7er£ die narcotische Wirkung der genannten Stoffe, zu denen ausser den Inha-
Siiionaanästheticis auch unsere meistangewandten Schlafmittel gehören — das
Trionsl, Tetronal, Sulfonal, Chloralhydrat, Urethan, Chloralamid — als eine
Function ihrer Fettlöslichkeit auf und formulirt seine Anschauungen in folgenden
ätan:
1. Alle chemisch zunächst indifferenten Stoffe, die' ür Fett und fettähnliche
faper löslich sind, müssen auf lebendes Protoplasma, sofern sie sich darin ver¬
leiten können, narcotisch wirken.
2. Die Wirkung wird an denjenigen Zellen am ersten und stärksten hervor-
treten müssen, in deren Bau jene fettähnlichen Stoffe vorwalten und wohl be¬
laden wesentliche Träger der Zellfunction sind, in erster Linie also an den
Nervenzellen.
3. Die verhältnissmässige Wirkungsstärke solcher Narootica muss abhängig
von ihrer mechanischen Affinität zu fettähnlichen Substanzen einerseits, zu
im übrigen Körperbeetandtbeilen, d. i. hauptsächlich Wasser, andererseits; mithin
reo dem Theilungscoefficienten, der ihre Vertheilung in einem Gemisch von
^aner und fettähnliohen Substanzen bestimmt.
Die Experimente, auf welche diese Theorie sich stützt, wurden derart ans-
b y Google
400
geführt, dass Froechlarven in wässrige Lösungen der Narootioa gebracht und dann
die geringsten molecularen Concentrationen dieser Stoffe, die zur Naroose hin¬
reichten, bestimmt wurden. So gewannen die Verff. eine Scala von Schwellenwerthen
(z. B. bei 30 °C. für Chloralhydrat ^ Normal, für Alkohol y Normal) und in
deren reciproken Werthen (260 bezw. 7) eine solche der Wirkungsst&rken; indem
sie nun ferner gleiche Theile wässriger Lösung und Oel erschöpfend durchschüttelten
und den Gehalt an dem Narcoticum analytisch bestimmten, stellten sie eine Scala
der Theilungscoefficienten < ^ ar * E“ Vergleich der beiden
Scalen ergiebt nun in unzweideutiger Weise, dass der Schwellenwerth, d. h. das
Concentrationsminimum um so niedriger liegt, je grösser der Theilungscoöfficient,
mit anderen Worten, je grösser die mechanische Affinität zu Fettsubstanzen ist
(Diese Versuche stimmen sehr gut mit den Erfahrungen überein, die man am
Krankenbett z. B. mit dem Trional gegenüber dem Sulfonal gemacht hat. Bef)
In der dritten Mittheilung erbringt Meyer den experimentellen Beweis dafür,
dass sich unter dem Einflüsse wechselnder Temperatur Wirkungsstärke und
Theilungscoefßcient in Uebereinstimmung mit der obigen Theorie gleichsinnig
ändern. A. Homburger (Frankfurt a/M).
Pathologische Anatomie.
7) Beiträge zur pathologischen Anatomie der Mikrogyrie and der Mikro*
oephalie , von L. Kotschetkowa aus Samara (Russland). Aus dem hirn¬
anatomischen Universitätslaboratorium in Zürich (Prof. Dr. von Monakow).
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIV.)
Verf. hat einen Fall von halbseitiger Mikrogyrie und einen Fall von Mikro-
cephalie an fortlaufenden Frontalschnitten duroh das ganze Gehirn untersucht und
unter Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur aufs sorgfältigste beschrieben.
I. 20jähriges, hochgradig idiotisches Mädchen mit linksseitiger, alter, in-
oompleter Hemiplegie verbunden mit Contractur. Rechtes Bein leicht hyper¬
tonisch. Bei der Section fanden sich allgemeine Reduction und hochgradige
Mikrogyrie der rechten Großhirnhemisphäre und Hemiatrophie sowie Mikrogyrie
der gekreuzten Kleinhirnhemisphäre. In den am meisten affioirten Partieen, die
äusserlich durch geschrumpfte, pilzförmige, lederharte Windungen charakterisirt
waren, bemerkte man zahlreiche kleine, bald zerstreute, bald in Gruppen liegende
Miliarcystchen. In den am stärksten veränderten Windungen war die Glia über¬
mässig gewuchert Ausserdem constatärte Verf. einen ausgesprochenen Faserausfall
im rechten Stabkranz und Hirnstamm und intensive Veränderungen im Grau des
rechten Sehhügels. Gleichzeitig mit dem rechten Schläfenlappen war das rechte
Corpus geniculatum internum und der hintere Thalamuskern verändert. Gleich¬
zeitig mit dem Gyrus supramarginalis, dem Operculum und beiden Central¬
windungen der rechten Seite waren die ventralen Kerngruppen im rechten Thalamus
hochgradig degenerirt. Die Schleife, das Forel’sohe Feld und die Haubenstrahlung
waren rechts ausgesprochen atrophisch. Der Atrophie des rechten Parietallappens
entsprach eine solche des rechten Pulvinars. Im rechten Corpus mammillare
konnte starke Degeneration festgestellt werden; dementsprechend waren Ammons-
horn, Fimbria und Fomixsäule der rechten Seite geschrumpft. Auoh das rechts¬
seitige Vicq d’Azyr’sche Bündel war atrophirt. Endlich waren die rechte Seh¬
strahlung, der hintere Absohnitt des Balkens, die Balkentapete, der rechte Fasoiculus
subcallosus, das Cingulum und die Commissura ant. in Mitleidenschaft gezogen.
Der rechte rothe Kern und der dazugehörige Bindearm, auch der Brücken arm,
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401
waren reducirt. Das linke Corpus dentatum, das linke Corpus restiforme und die
rechte untere Olive waren verkleinert. Eine nur massige Reduction wiesen der
rechte Pednncnlos und die rechte Pyramide auf. Verf. erörtert, warum im linken
Kleinhirn wie im rechten Thalamus neben der secundären Atrophie noch primäre
sklerotische Processe anzunehmen, und dass die in den tiefsten Schichten der
Kinde gelegenen Cystchen, welche in das derbe sklerotische Qewebe eingelagert
waren und Residuen regressiver Processe zeigten, als kleinste, ausgelaugte Er¬
weichungsherde aufzufassen seien.
IL 6'/jähriges, mikrocephalisches Mädchen mit epileptischen Krämpfen,
mit einer seit dem 2. Lebensjahr bestehenden spastischen Paraplegie und mit
Idiotie. Bei der Section fand sich im hinteren Abschnitte der zweiten linken
Frontalwindung eine trichterförmige, mit seröser Flüssigkeit gefüllte Höhle, deren
Boden und Wände von mikrogyrischen Windungen gebildet wurden; eine
Communication mit dem Seitenventrikel bestand nicht. Das Gehirn wog 360 g.
Die linke Hemisphäre enthielt im Markkörper in der Nähe der Rinde Anhäufungen
grauer Substanz, und zwar in abgeschnürten Segmenten; hie und da verriethen
diese Heterotopieen deutliche Zeichen von Einschmelzung. Der Process beruhte
zmn Theil auf abnormer Entwickelung, zum Theil auf späteren pathologischen
Erscheinungen.
Eine bei diesem Falle im 3. Lebensjahre ausgeführte Kraniektomie hatte
sich als nutzlos erwiesen. — Abgesehen von den Hemisphären des Grosshirns
waren in diesem zweiten Falle namentlich noch die Medulla oblongata und das
Mittelhirn, sowie der linksseitige Thalamus opticus verkleinert
Georg Ilberg (Grossschweidnitz).
Pathologie des Nervensystems.
8) Diagnostic des maladies de l’enoöphale, par Dr. Grasset. (Paris, 1901.
Baillidre et Fils. 96 S.)
Das kleine Büchlein, welches nach Art der übrigen in gleichem Verlage und
von demselben Autor erschienenen (Anatomie clinique des centres nerveux. 1900
und Diagnostic des maladies de la moelle. 1901) geschrieben ist, behandelt das
Thema in folgenden Capiteln:
1. Symptome seitens der Sensibilität und Motilität (Lähmungen, Krämpfe,
Contracturen, abnorme Bewegungen, Anästhesieen, organische Hemiplegie); 2. Sym¬
ptome seitens des Sehapparates (sensorische, motorische Störungen, Localdiagnose
bei Erkrankungen des Sehapparates); 3. Gehör, Geruch, Geschmack; 4. Orientirungs-
nnd Gleichgewichtssinn; 6. Sprache (Aphasieen und Paraphasieen, Anarthrieen
und Dysarthrieen); 6. circulatorische, Secretions-, trophische, Verdauungs- und
Athnmngsstörungen.
In knapper, präciser Form werden alle diese Capitel vom Verf. behandelt,
als besonders gut und klar dargestellt sind diejenigen über Sprache und Seh¬
apparat hervorzuheben. Kurt Mendel.
8) Aoute haemorrhagle enoephalitis prevalent among horses ln Maryland,
by Buckley and Max Callura. (American veterinary review. 1901. S. 99.)
Ueber enzootisches Auftreten von hämorrhagischer Encephalitis bei
Pferden haben die Verff. einen eingehenden Bericht erstattet.
Die Krankheit wurde unter den Pferden in Maryland in den letzten 7 Jahren
nicht selten beobachtet. Sie verlief gewöhnlich unter Allgemeinerscheinungen, die
am meisten an endemische Genickstarre erinnern und endete entweder mit Tod
26
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402
oder die befallenen Thiere wurden Dummkoller; die Krankheit dauerte von 3 bis
4 Stunden bis zu 8 Tagen; gewöhnlich starben sie nach 48—72 Stunden.
Die Autoren untersuchten vier Gehirne von derart verendeten Thieren und
eines von einem Pferde, das zuletzt Symptome von Dummkoller zeigte und an
einer intercurrenten Krankheit zu Grunde ging.
Der Befund an den ersterwähnten Gehirnen war überall gleich. An den
verschiedensten Stellen der Hemisphären des Grosshirns fanden sich fluctuirende
Herde von ziemlich grossem Umfange; sie lagen gewöhnlich in der Marksubstanz,
waren vom Cortex brückenartig überlagert und enthielten eine halbflüssige, grau¬
gelbe Pulpa; dieselbe war stark mit Blut untermengt und bestand aus einem
klaren Serum, in welchem Blutkörperchen und nekrotische Gewebsreste suspendirt
waren, ln der Wand der Herde fand sich starke Entzündungsreaction längs des
Gefässbaumes.
Das Gehirn des „dummy“ zeigte im rechten Stirnlappen eine herdförmige
Sklerosirung, die im Wesentlichen aus fibrösem Gewebe aufgebaut war. Ein
Nachweis der Krankheitserreger konnte weder histologisch noch culturell oder
durch Impfung erbracht werden.
Die Beobachtungen der Verff. sind, umso interessanter, als sie, zusammen-
gehalten mit den Beobachtungen des Referenten, mit grösster Wahrscheinlichkeit
das Vorkommen einer eigenen, bisher noch nicht genügend beachteten hämor¬
rhagischen PolioencephalitiB beim Pferde nahe legen. Dexler (Prag).
10) Eenige waarnemingen antrent reokstoornlssen by verhooging van den
intraoranieelen druk, door Dr. Muskens. (Neederl. Tydschr. v. Geneesk.
1901. Nr. 18.)
Verf. bemerkte, dass viele Patienten bei anfangender Schwellung deB N. opticus
nicht allein subjective Gesichtsempfindungen haben, sondern auch manchmal sub-
jective Geruchsstörungen. Er nahm darum an 15 Fällen, wo der intracranielle
Druck erhöht war, objective Untersuchungen des Geruches mit dem Olfactometer
Zwaardemakero vor. Eigenthümlioherweise kamen öfter Geruchsstörungen bei
Tumoren in der hinteren Schädelgrube vor, und wo sie anwesend waren, waren
die Tumoren sehr gross.
Auch interessant ist, dass, wo ein Unterschied in der Schwellung der Papillae
n. optic. und zugleich ein Unterschied in der Geruohsperception vorhanden war,
gerade die stärkste Geruchsabnahme mit der stärksten Schwellung der Papilla
zusammenfiel.
Die subjectiven Sensationen waren entweder angenehmer oder unan¬
genehmer Art.
Verf. ist auf Grund der klinischen Erfahrung der Meinung, dass die Ursache
in der Anwesenheit einer Neuritis olfactoria zu suchen ist, obwohl in einzelnen
Fällen eine Verschiebung und Dehnung des N. olfactorius eine Rolle spielen kann.
Verf. bringt auch für seine Meinung mehrere Fälle aus der Litteratur bei.
TenCate (Rotterdam).
11) Cerebral pressure following trauxna, by W. B. Cannon. (American
Journal of Physiology. 1901. 1. Oct.)
Den Hauptinhalt der Arbeit bilden experimentelle Untersuchungen an Katzen,
welche Verf. gemeinschaftlich mit Bullard unternommen hat. Ehe diese genauer
auseinandergesetzt werden, bespricht Verf. die pathologisch*anatomischen Verhält¬
nisse bei intracraniellen Verletzungen und die klinische Symptomatologie derselben.
Sodann setzt er die verschiedenen Theorien auseinander, welche sich mit der
GoogI<
403
Erklärung der intracraniellen Drucksteigerung nach einem Trauma beschäftigen
(Bergmann, Hill, Courtney).
Auf Grund seiner eigenen Experimente kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
Im Moment des Traumas steigt der intracranielle Druck. Unmittelbar nach
dem Trauma steigt der allgemeine Blutdruck erst für einen Augenblick, fällt dann
aber wieder und erreicht allmählioh die normale Höhe wieder.
Die Lähmung des respiratorischen Centrums, welche auf ein Kopftrauma
folgt, kann überwunden werden, wenn das Herz aushält und künstliche Athmung
vorgenommen wird.
Die primäre Bewusstlosigkeit nach einem Trauma des Kopfes ist auf Circu-
lationsstörungen zurückzufuhren; feinere Zellveränderungen sind wahrscheinlich mit
dabei im Spiele.
Der normale Hirndruck beträgt 13 ccm Wasser. Er kann nach Kopftraumen
auf 26 ccm steigen. Ausser dieser primären Drucksteigerung wird der Druck noch
secundär durch folgende Momente gesteigert: Ernährungsstörung in den getroffenen
Theilen und Oedem jener Theile. Paul Sohuster (Berlin).
12) Origine della deviazlone ooolo-oefalioa e della rigidita muaoolare
preooee nelle malattie oerebrali, per Prof. Augusto Murri, Vorstand
der medicinischen Klinik in Bologna. (Rivista crit. di clin. medica. 1900.
Nr. 46—49.)
In einer ausführlichen Arbeit behandelt der Bologneser Forscher den in Rede
stehenden Gegenstand mit der ihm gewohnten Gründlichkeit und gelangt hierbei
zu folgenden Schlussfolgerungen:
1. Die conjugirte Abweichung des Kopfes und der Augen in seitlicher Rieh*
tung stellt einen Mechanismus von hohem biologischen Werthe dar, da sie zur
regelmässigen Ausführung der visuellen und locomotorischen Functionen BOwie
der Coordinationsfunctionen der Bewegungen u. s. w. dient. Die corticalen Centren
dieses so gearteten Mechanismus können nicht in allen Stücken mit irgend einem
der anderen motorischen Centren der Hirnrinde verglichen werden, weil sie physio¬
logisch in höherem Grade durch die centripetalen Eindrücke (Gesichts-, Gehörs¬
eindrücke u. s. w.) erregbar erscheinen, als die anderen Centren, weil sie anatomisch
mehr als einen Sitz haben (Oocipital- und Frontallappen), und weil sie endlich
pathologischerweise durch Agentien in den Zustand der Ueberreizung versetzt
werden können, welche zu gleicher Zeit die Function anderer motorischer Centren
herabsetzen (Aether, Chloroform u. s. w.).
2. Dieser doppelte Sitz in jeder Hemisphäre verleiht diesen Centren ein
Privilegium, nicht bloss im Vergleich zu den anderen motorischen Centren der
Regio rolandioa, sondern auch deijenigen, welche bilateralen Bewegungen vor¬
stehen, weil dieselbe Bewegung nicht lediglich von beiden Hemisphären ausgehen
kann, sondern auch von mehreren Punkten einer und derselben Hemisphäre. Um
einen Ausfall der Fähigkeit, Augen und Kopf von beiden Seiten des Körpers ab-
zulenken, zu bewirken, würde somit eine Läsion eines grossen Theiles der Rinde
und von grosser Intensität nöthig sein. W T enn man ferner bedenkt, dass cere-
beUäre und vestibuläre Impulse dieselben Bewegungen auslösen, so geht daraus
hervor, dass die grauen Massen der Medulla oblongata und des Pons, von wo aus
in letzter Linie der directe Reiz für die Contraction der ablenkenden Muskeln
ausgeht, sich in einem derartigen Erregungszustände befinden müssen, dass sie
fortwährend nicht bloss auf die cerebralen Impulse hin reagiren, sondern auch
auf cerebelläre, acus tische Reize u. s. w. Diese letzteren scheinen sogar vor¬
herrschend zu sein, da bei den experimentellen cerebellären, vestibulären Läsionen
u. s. w. die cerebrale Inhibition nicht mehr wirksam ist.
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26 *
404
3. Die Theorie, die man als eine universelle ansehen kann, und welche die
Ablenkung der Augen und des Kopfes bei den Apoplexieen auf Rechnung der
Lähmung einer Hemisphäre setzt, befindet sich in einem Contrast mit einer solchen
physiologischen Auffassung; diese Theorie geht überdies von der Annahme aus,
die einleuchtend zu sein scheint, nämlich dasB beim apoplektischen Anfalle nur
encephalitische Einflüsse erloschen oder herabgesetzt Beien. Die Sache verhält sich
jedoch vielmehr so, dass die Willenslähmung, die Bewusstlosigkeit, sogar die
gänzliche Herabsetzung der corticalen Erregungen des Gehirns sich mit einer
Steigerung der Erregungen der Kerne an der Hirnbasis, des Pons, des Kleinhirns
und der Medulla oblongata vergesellschaften können und sich thatsächlich auch
vergesellschaften.
4. Die klinische Beobachtung hat niemals die Lähmung der ablenkenden
Muskeln nachgewiesen; sie hat vielmehr eine Steigerung ihrer Function dargethan,
die sich nicht bloss durch Contracturen oder durch klonische und tonische
Contractionen cerebralen Ursprungs darthun kann, sondern auch durch Hyper*
tension cerebellären Ursprungs.
5. Der ablenkende Reiz stammt entweder direct von einer der beiden Hemi¬
sphären, oder, auf dem Wege des indirecten Mechanismus, vom Kleinhirn. In
diesem letztgenannten Falle ist die Ablenkung eine intensive, anhaltende,
fast oder durchaus dem Willensimpulse gegenüber refractär, wie es
die Zwangsstellungen der Thiere sind, die am Elleinhirn operirt wurden. Ueber-
dies geschieht die Ablenkung cerebellären Ursprungs nach der kranken Hemisphäre
und vergesellschaftet sich oft mit Erscheinungen der Hypertonie anderer
Muskeln des Körpers, welche den Einflüssen derselben Kleinhirnseite unterstehen.
Diese Genese ist dip häufigste beim apoplektischen Anfalle (conjugirte apo-
plektische Ablenkung).
6. Der ablenkende Reiz kann jedoch auch vom Gehirn ausgehen; in einem
solchen Falle kann sowohl die anatomisch lädirte Hemisphäre als auch die an¬
scheinend gesunde Hemisphäre erregbar sein. — Wegen der verschiedenen Natur
der corticalen Rolandi’schen Centren und der cerebellären Centren pflegen die
Ablenkungen cerebralen Ursprungs weniger intensiv, discontinuirlich, und
nicht durchwegs durch den Willen uncorrigirbar zu sein, auch wenn die
Erregung einer Hemisphäre sich nur durch Contractur der von ihr innervirten
Muskeln kundgiebt. In anderen Fällen wieder ist die Erregung eine heftigere
und drückt sich durch tonisch-klonische Muskelzuckungen aus (conjugirte
epileptiforme Ablenkung).
7. Ein krankhafter Gehirnprocess kann sowohl eine tonische, als auch eine
epileptoide Erregung entweder nur in der Rolandi’schen Region derjenigen
Hemisphäre, in welcher der Process seinen Sitz hat, hervorrufen, oder in beiden
Rolandi’schen Zonen, oder in derjenigen, welche der entgegengesetzten Hemi¬
sphäre angehört. Dieses zuletzt genannte Vermögen scheint ausschliesslich den
schwersten Läsionen, sei es acuten, sei es chronischen, zuzukommen.
8. Die ausschlaggebende Bedeutung, die man der Läsion des Gyrus
angularis beigemessen hat, sowohl für die Genese der conjugirten apoplektischen
Ablenkung (Wernicke), als auch hinsichtlich der Entstehung der conjugirten
epileptischen Ablenkung (Landouzy), wird durchaus nicht von den klinischen
und anatomischen Thatsachen gestützt.
9. Auch die acutesten Processe (punktförmige Hämorrhagieen, Pachymenin-
gitis haemorrhagica, Encephalitis traumatica) können die conjugirte epileptoide
Ablenkung nach der der lädirten Hemisphäre entgegengesetzten Seite hervorrufen,
wenn die Läsion in dem Lobus frontalis ihren Sitz hat; dies ist sogar eines
der häufigsten Vorkommnisse.
10. Das Gesetz von Prövost, wonach bei den Apoplexieen der Kranke nach
Diqitized
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405
der Richtung der ergriffenen Hemisphäre sieht, bleiht zu Recht bestehen, hingegen
ist die Regel von Landouzy, nach welcher bei den Epilepsieen der Kranke
nach der gesunden Hemisphäre sieht, nicht immer zutreffend.
11. Die krankhaften Processe, welche die conjugirte Ablenkung mit epilep¬
toider Form hervorrufen, pflegen ihren Sitz entweder in der Regio Rolandica oder
in der Regio Praerolandica zu haben; im erstgenannten Falle gesellen sie sich
zu paretischen Erscheinungen; im zweitgenannten Falle können sie sich (sei es in
den freien Intervallen, sei es während der Anfälle) zu Phänomenen von tonischer
und vor allem klonischer Erregung der Muskeln des Nackens und der Wirbel¬
säule, der Muskeln, welche der Phonation und den Bewegungen der Zunge,
sowie der Muskeln, welche der Mastication dienen, zugesellen. Der diagnostische
Werth solcher Erscheinungen nimmt zu, wenn die Epilepsie diese Muskeln zu
wiederholten Malen ergreift, wenn sie die Muskeln der conjugirten Ablenkung
und einige oder alle vom Facialis innervirten Muskeln trifft, ohne dass jedoch
die Gelenke von der Convulsion mitbetroffen werden.
Lebovici (Karlsbad).
13) Beitrag zur Prognose der Gehirnkrankheiten im Kindesalter, von
Oppenheim. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 12 u. 13.)
Verf. berichtet über 6 Fälle, die er bei jugendlichen Individuen im Alter
von 8—17 Jahren beobachtet hat; dieselben sind nach Symptomatologie und
Verlauf einander sehr verwandt und bieten ein dem Tumor der motorischen Hirn¬
region entsprechendes Krankheitsbild, jedoch mit Ausgang in Heilung. Zwei
Symptome: Jackson'sehe Epilepsie und Monoplegie waren bei allen Kranken zu
verzeichnen. Daneben traten motorische Aphasie und Gefuhlsstörungen gelegentlich
auf. Erbrechen und heftiger Kopfschmerz kam nicht bei allen Fällen in gleichem
Maasse vor. In 4 Fällen war Neuritis optica zu constatiren. Tiefe Benommen¬
heit war ausserhalb der Anfälle nicht vorhanden. Deutliche Pulsverlangsamung
fand sich nur ein Mal. Temperatursteigerungen kamen nie vor. Die Allgemein¬
symptome gingen den Herderscheinungen des öfteren um Wochen und Monate
voraus. Einige Male offenbarte sich das Leiden durch den Eintritt eines Krampf¬
anfalles. Die Anfälle hinterliessen erst passagere, dann persistirende Monoplegieen.
In allen Fällen wurde mit mehr oder weniger Sicherheit die Diagnose Tumor
cerebri gestellt. Bei keinem der Patienten war Lues congenita oder acquisita
nachweisbar. Bemerkenswertherweise trat bei allen Patienten spontan oder unter
einer Jod- bezw. einer Brom-Jod-Behandlung oder auch nach hydrotherapeutischen
Maassnahmen definitive Heilung ein. Es ist bisher pathologisch-anatomisch
kein Krankheitsprocess bekannt, der dieB Krankheitsbild erklären könnte. Die
Hypothese, dass im Kindesalter eine chronisch verlaufende, dem Bilde des Hirn¬
tumors verwandte Form der Encephalitis Vorkommen und sich vollständig zurück¬
bilden kann, hat manches für sich, nachdem durch den Verf. nachgewiesen ist,
dass die acute, nicht eitrige Encephalitis eine heilbare Krankheit ist. Verf. selbst
neigt aber dazu, das anatomische Correlat für sein neues Krankheitsbild in einer
localen Meningoencephalitis tuberculosa, die besonders von den Franzosen studirt
worden ist, zu suchen und giebt der hypothetischen Vorstellung Ausdruck,
dass die localisirte Meningoencephalitis tuberculosa der motorischen Zone, vor
Allem dann, wenn sie im Kindesalter auftritt, eine der Rückbildung und Ver¬
narbung fähige Affection ist Bielschowsky (Breslau).
14) A oase of polienoephalomyelitis in an adult, by De Witt H. Sherman
and William G. Spiller. (Philadelphia med. Journal. 1900. 31. März.)
21jähr. Stud. med., erblich nicht belastet und bisher abgesehen von glatt
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406
absolvirter Diphtherie völlig gesund. Erkrankte ganz acut mit Kopfschmerzen,
Erbrechen und Fieber. Darauf rasch sich generalisirende Lähmung unter dem
Bild der L an dry 'sehen Paralyse: Beginn an den Beinen, Uebergreifen auf das
Zwerchfell und die übrige Athemmusculatur, zuletzt Ergriffenwerden der Arm-
und Schlundmusculatur. Ausfall sämmtlicher Haut- und Sehnenreflexe, dabei
völliges Intactbleiben der Sensibilität und der Psyche. Trotz frühzeitig begonnener
künstlicher Respiration und Vornahme der Tracheotomie starb der Kranke
38 Stunden nach Beginn der alarmirenden Symptome. Vorübergehend war die
Diagnose auf Hysterie gestellt worden, was im Hinblick auf den Reflexausfall
und die Temperatursteigerung merkwürdig erscheinen muss. Bei der Autopsie
fand sich nur Injection der Hirnrinde und der Pia, sowie eine hypertrophische
Thymus. Hingegen ergab die mikroskopische Untersuchung umfangreiche Ver¬
änderungen im Bereich des Centralnervensystems: Intensive Rundzelleninfiltration
im Gebiete der Vorderhörner das ganze Rückenmark hindurch. Desgleichen in
der Pia spinalis und spärlicher in den Hinterhörnern und der weissen Substanz
in Gestalt von perivasoulären Herden. Die Gefässe selber zeigten sich allenthalben
stark injicirt. Die motorischen Vorderhornzellen erwiesen sich durchweg als hoch¬
gradig alterirt, so dass sie kaum mehr als Ganglienzellen zu erkennen waren.
Der geschilderte Process setzte sich in gleicher Weise durch die graue Substanz
der Medulla oblongata, des Pons, der Hirnschenkel und der basalen Ganglien
fort, erreichte aber, von der Gefassdilatation abgesehen, die Hirnrinde nicht. Am
Boden des 4. Ventrikels fanden sich einzelne frische Hämorrhagieen. Eine Axen-
cylinder- und Markscheidenquellung in den hinteren Lumbalwurzeln wurde als
„klinisch bedeutungslos und kurz vor oder kurz nach dem Tode entstanden“ auf¬
gefasst.
Der Fall lehrt, dass eine Poliomyelitis unter dem Bild der Lan dry'sehen
Paralyse verlaufen kann, dass neben den — vorherrschenden — Veränderungen
der grauen Substanz der Vorderhörner auch solche in den Hinterhörnern, der
weissen Substanz und den Meningen Vorkommen können, ferner dass die Polio¬
myelitis der Erwachsenen wesentlich dieselbe Erkrankung ist wie die typische
spinale Kinderlähmung, und schliesslich, dass die Poliomyelitis in nahem verwandt¬
schaftlichen Verhältniss steht zur nichteitrigen Encephalitis und zur Polio¬
encephalitis superior von Wernicke. Max Neumann (Karlsruhe).
15) Zar Erklärung des Lähmungstypus bei der oerebralen Hemiplegie,
von Prof. Dr. Emil Redlich. (Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. XXII.)
Verf. erörtert in vorliegendem Aufsatze kurz die verschiedenen Erklärungs¬
möglichkeiten deB Lähmungstypus bei der cerebralen Hemiplegie, wie er ins¬
besondere durch Wernicke und Mann nachgewiesen wurde, die zeigten, dass
bei der cerebralen Hemiplegie bestimmte Muskelmechanismen constant schwer ge¬
lähmt sind, andere wieder frei oder relativ frei bleiben. Am längsten gekannt
ist das Freibleiben des oberen Facialis, welch letzterer physiologisch dadurch vom
mittleren und unteren Facialis sich unterscheidet, dass er nahezu immer nur
beiderseitig innervirt wird. Zur Erklärung dieses Verhältnisses ist zunächst an¬
zunehmen, dass jeder obere Facialis in der Regel von beiden Hemisphären aus
innervirt wird. Dafür spricht auch der Umstand, dass Zuckungen im oberen
Facialis in der Regel beiderseitig erfolgen. Für jene Fälle, wo der obere Facialis
bei der cerebralen Hemiplegie dauernd eine starke Betheiligung an der Lähmung
aufweist, ist anzunehmen, dass hier die einseitige Hemisphäreninnervation weiter
vorgeschritten ist, d. h. bei solchen Individuen auch für die sonst beiderseitig
innervirten Muskeln der gekreuzten Hemisphäre ein vorwiegender Einfluss zu¬
kommt. Eine Stütze für diese Annahme bietet der Umstand, dass bei solchen
Google
407
Fallen bisweilen such andere beiderseitig innervirte Muskeln, die sonst bei der
oerebralen Hemiplegie frei bleiben, die Stamm- und Bauchmusculatur, deutlich an
der L&hmung theilnehmen. Verf. weist übrigens darauf hin, dass der obere
Facialis auch Bonst z. B. bei der Bulbärparalyse, bei der peripheren Facialis-
lähmung häufig weniger intensiv gelähmt ist, was auf besonders günstige Inner-
vationsverhältnisse desselben hinweist
Es ist anzunehmen, das für das relative Freibleiben des oberen Facialis auch
noch eine Innervation subcortioaler Centren und durch extrapyramidale Bahnen
heranzuziehen ist, eine Erklärung, die auch für das Freibleiben der Augenmuskeln,
das relative Freibleiben der Schlund- und Eaumusculatur u. s. w. zu benutzen ist.
Auch die geringere Betheiligung der unteren gegenüber der oberen Extremität
ist in dieser Weise zu erklären. Wenn einzelne Hemiplegiker, trotzdem der Herd
nur einseitig ist, nicht wieder gehen lernen, ist dies vielleicht auf andere Momente,
z. B. allgemeinen Marasmus, psychische Insufficienz u.s.w. zurückzuführen. Endlich
erörtert Verf. die Differenz in der Lähmungsintensität antagonistischer Muskeln,
z. B. starker Betheiligung der Strecker des Armes gegenüber den Beugern, stärkere
Lähmung der Beuger des Kniegelenkes und der Dorsalflexoren des Fusses u.s.w.
Die Erklärung dafür sieht er mit anderen Autoren in der physiologisch stärkeren
Entwickelung der weniger gelähmten Muskeln, die er auf gewisse mechanische
Momente zurückzuführen geneigt ist. Beispielsweise wird die Wirkung der Strecker
des Armes, der Beuger der Kniee, der Strecker des Fusses durch die Schwerkraft
unterstützt, während ihre Antagonisten gegen die Schwere anzukämpfen haben.
So erklärt es sich, dass letztere physiologisch stärker sein müssen und daher bei
der Hemiplegie nur anscheinend weniger betroffen sind. Autoreferat.
16) ▲ oaae of double oortioal hemorrhage, by George W. Norris. (Pro-
oeedings of the pathological society of Philadelphia. 1901. März.)
Pat. wurde bewusstlos aufgenommen mit einer Wunde am linken Ohr und
der linken Stirn, jedoch ohne Schädelverletzung. Es bestanden Contracturen des
linken Armes und Beines. Die am nächsten Tage vorgenommene Untersuchung
des zum Bewusstsein zurückgekehrten Mannes ergab eine Ablenkung der Augen
nach links, während der Kopf naoh rechts gewendet war. Es bestand Incontinentia
urinae et alvi, linkerseits Facialisparalyse, rechts Zuckungen des Armes und
Beines, Fehlen der Patellarreflexe, erhaltene Sensibilität. Nach einigen Tagen
wichen die linksseitigen Contracturen Paralysen.
Bei der Autopsie wurden zwei von einander getrennte Herde gefunden. Der
eine entsprach der Mitte des rechten Parietallappens, der zweite war in der Ver¬
bindung von Parietallappen und Occipitallappen entsprechend dem unteren Ende
der Rolando’schen Furche gelegen. H. Marcus (Wien).
17) Right-sided hemlparesia wlth atrophy of left optlo diso, by R. Batten
and Leonard Guthrie. (Brit. med. Journ. 1901. S. 1340.)
Die Verff. stellten in der Londoner klinischen Gesellschaft einen 12 jährigen
Knaben vor, welcher während eines in Folge linken Oberschenkelbruches bedingten
längeren Krankenlagers acuten Rheumatismus acquirirte und bald darauf zu¬
nehmende Schwäche der rechten Extremitäten zeigte. Am rechten Arm bestanden
Coordinationsstörungen und Intentionszittern; das rechte Bein war atrophisch;
Kniereflex gesteigert, Fussklonus. Keine Facialisparalyse. Normale Sensibilität.
Später fand sich die linke Sehnervenpapille blass; ausgesprochenes centrales
Skotom; das rechte Auge gesund; keine Hemianopsie. An der Herzspitze fand
sich ein schwaches präsystolisches Geräusch. Pat. besserte sich sehr wesentlich.
Diciitizec
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408
Hinsichtlich der Diagnose schwankte man zwisohen Thrombose in der Gegend
der linken motorischen Region mit retrobulbärer Neuritis des linken N. opticus
oder beginnender multipler Sklerose. E. Lehmann (Oeynhausen).
18) Das Vorkommen von Stauungsneuritls bei Hirnblutungen, von K.
A. Halbey. (Inaug.-Dissert. Kiel, 1902.)
Verf. berichtet über folgenden auf der Quincke’schen Klinik beobachteten
Fall: 43jähr. Arbeiter erlitt einen Schlaganfall mit rechtsseitiger Lähmung sowie
motorischen und sensorischen Sprachstörungen und Pulsverlangsamung. Die oph¬
thalmoskopische Untersuchung ergab etwa 14 Tage nach der Apoplexie eine
beiderseitige, besonders aber links bestehende Stauungspapille. Allmählich ging
diese Stauungsneuritis in eine Atrophia nervi optici über.
Im Anschluss an diesen Fall berichtet Verf. über neun in der Litteratur
beschriebene Fälle von Stauungsneuritis bei cerebralen Hämorrhagieen; er glaubt,
dass die Stauungspapille bei Hirnapoplexie entweder durch ein Hämatom der
Sehnervenscheiden oder durch Steigerung des intracraniellen Druckes erklärt
werden kann, hält das Bestehen der Papillitis bei Hirnhämorrhagieen als ein
signum mali ominis und legt ihr nur dann eine localdiagnostische Bedeutung zu,
wenn sie einseitig auftritt, indem das einseitige Auftreten mit Sicherheit den
Herd auf die Seite des Gehirns verlegt, auf welcher die Stauungspapille in Er¬
scheinung tritt. — Nach Ansicht des Ref. erscheint es sehr wohl möglich, daBs
in dem Falle des Verf.’s sowohl Apoplexie wie Neuritis optica durch Lues bedingt
waren, wenn auch letztere vom Pat. negirt wurde. Auch ist es nicht ausgeschlossen,
dass es sich um einen Tumor cerebri handelte. Jedenfalls hat Verf. letztere An¬
nahme nicht zur Genüge widerlegt. Kurt Mendel.
19) Ein Fall von isollrter Erweichung des Gyrus hippooampi und seiner
nächsten Umgebung. Seoundäre Degenerationen, von Bisch off. (Jahr¬
bücher f. Psych. u. Neurol. XXI. S. 229.)
63jähr. Frau, seit ihrem 42. Lebensjahre an generalisirten epileptischen An¬
fällen ohne Localerscheinungen nachweislicher Art leidend. Zeitweilig traten
Dämmerzustände mit Gehörstäuschungen und Vergiftungsideeen auf.
Im Grosshime fand sich neben mässiger Rindenatrophie eine cystische Er¬
weichung des ganzen Gyrus hippocampi, des Ammonshoms, der Fascia dentata,
der Fimbria, sowie eines Theiles des Gyrus uncinatus und fusiformis rechterseits
mit Erweiterung desselben Unterhornes.
Das Gehirn wurde an einer fortlaufenden Serie von Frontalschnitten unter¬
sucht. Die secundäre Degeneration ist im Fimbriaantheile des rechten Foraix sehr
hochgradig. Dieser sowie die rechte Columna fornicis enthalten nur einige Nerven¬
fasern. Sehr verkleinert ist das Corpus mammillare, das Vicq d’Azyr’sche
Bündel, der vordere Sehhügelkern rechts, während die dorsalen Fornixfasern
(Fornix longus) fast intact sind. Der laterale Sehhügelkern ist rechts sehr
atrophisch, ohne dass in demselben Residuen einer Herderkrankung sichtbar wären.
Verf. lässt es unentschieden, ob diese Atrophie in Zusammenhang mit der Er¬
krankung der Ammonsregion stehe oder localer Natur sei.
Aus der genauen Verfolgung der Fornixfasern geht hervor, dass der Fimbria-
antheil derselben ausschliesslich aus dem Gyrus hippocampi, Ammonshorn und
Uncus, der Fornix longus dagegen aus Fasern hervorgehe, welche den Balken
durchziehen. Sie dürften aus den Striae Lancisii hervorgehen, die in diesem
Falle rechts kaum atrophirt waren. Aus dem Subiculum scheint beim Menschen
der Fornix longus keinen Zuwachs zu erhalten, da dieses hier ganz zerstört war.
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409
Die Columna fornicis führt ausschliesslich oder fast ausschliesslich Fasern aus der
gleichseitigen Fimbria. Die Einstrahlung des Fomix in das Septum pellucidum
ist dagegen theilweise gekreuzt. Die Fasern des Fornix longus enden alle in der
Umgebung dee Septum pellucidum, die Fimbriafasern zum Theil (gleichseitig und
gekreuzt) daselbst, zum Theil gleichseitig im lateralen Kern des Corpus mammillare.
Die Taenia thalami scheint keine directe Verbindung mit dem Fornix zu haben.
Die Basis der ersten Stirnwindung ist secundär atrophirt, was einen engen Zu¬
sammenhang derselben mit dem Fornix beweist. Endlich bestätigt dieser Fall
den Ursprung des Vicq d’Azyr’schen Bündels aus dem Corpus mammillare und
seine Endigung im vorderen Thalamuskerne.
Die Befunde werden durch 11 Photogramme reproducirt.
Pilcz (Wien).
80) Ueber Agrammatismus als Folge von Herderkrankung, von Pick.
(Zeitschr. f. Heilk. 1902. XXIII.)
Schon 1898 hatte Verf. gezeigt, dass das Symptom des Agrammatismus mit
einer Herderkrankung im linken Schläfelappen Zusammenhänge.
41jähr. Frau erlitt nach einer Entbindung einen Schlaganfall mit Convul-
donen, in dessen Gefolge Intelligenzverfall, Sprachstörung und periodische
Erregungszustände sich einstellten. Bei der Aufnahme bot Patientin vorwiegend
parapbasische Störungen und in ausgezeichnetem Maasse das Symptom des Agram¬
matismus („Depeschenstyl“). Ausserdem leichte Halbseitenerscheinungen rechter-
seits. Im weiteren Verlaufe, nach wiederholten Anfällen, ward die Sprache fast
unverständlich, während der Agrammatismus mehr in den Hintergrund trat.
Exitus an Pneumonie.
Bei der Obduction fand sich der Fuss der mittleren und unteren Stirnwindung
stark verschmälert und ebenso die Spitze des linken Schläfenlappens. Die linke
Hemisphäre wog 408, die rechte 430 g. Im Rückenmarke beiderseits (r. > 1.)
ältere und frischere Pyramidendegeneration; die schon makroskopisch atrophischen
Hirnpartieen zeigten auch bei der histologischen Untersuchung deutliche Atrophie.
Während allgemein der Agrammatismus als psychisch bedingt aufgefasst
wird („keine coordinatorische Leistung der Sprache, sondern von der associativen
Verknüpfung der Objectvorstellungen abhängig“, Ziehen), weist Verf. nicht nur
auf seine eigenen und ähnliche Fälle hin, sondern citirt auch interessante Aus¬
führungen von Philologen und Psychologen (Paul, Erdmann), welche in dem¬
selben Sinne wie Verf. sich aussprechen. Pilcz (Wien).
21) Ueber Symptomenoomplexe, bedingt duroh die Combination suboorti-
caler Herdaffeotionen mit seniler Hirnatrophie, von Prof. A. Pick.
(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 46.)
Der 28jähr. Pat. litt seit mehr als 3 Jahren an Verworrenheit und Auf¬
regungszuständen, zu denen später sich Aphasie mit Worttaubheit und rechtsseitiger
Hemiplegie und Intelligenzabnahme geshllte. Parese des rechten Facialis, Beuge-
eontractur der rechten oberen, Streckcontractur der rechten unteren Extremität,
ßflflexsteigerung, Miosis der gut reagirenden Pupillen. Exitus unter Herzschwäche.
Die Sprachstörung erwies sich als eine Combination motorischer und Bensorischer
Aphasie, verbunden mit Störungen des Lesens und Schreibens und partieller
Asymbolie. Eis wurde an die Möglichkeit einer einfachen Hirnatrophie im Gebiete
der motorischen Zone, der Broca’schen Windung, des Schläfen- und Parietal-
lappens und der link en Hemisphäre und der angrenzenden Abschnitte des Occipital-
Uppens, vielleicht beider Hemisphären gedacht. Carcinoma uteri. Die histologische
zedby G00gle
410
Untersuchung ergab aber ausBer der Atrophia cerebri Erweicbongsberde in der
Brücke, die Pyramidenbahnen und die Schleife betreffend. Intimawucherung der
Basilaris. Die LähmungBerscbeinungen Bind auf die subcorticalen Herde in der
Pyramidenbahn zu beziehen. Die Aphasie dagegen hängt mit der Rindenatrophie
zusammen. J. Sorgo (Wien).
22) Ueber eine seltene Form der Faralysis altemans, von Schlesinger.
(Jahrbücher £ Psych. u. Neurolog. XXII. S. 281.)
Apoplektiformer Insult ohne Bewusstseinsverlust, ohne Convulsionen bei älterem
Manne. Darauf Herabsetzung der Sensibilität für alle Qualitäten im Bereiche des
rechten Trigeminus (motorischer Ast intact) und linksseitige Facialisparese des
unteren Astes. Der übrige Befund ergiebt bis auf Steigerung der Sehnenreflexe
durchaus normale Verhältnisse. Verf. nimmt einen einzigen pontinen Herd an.
Bezüglich der scharfsinnigen Erörterung der localisatorischen Momente sei auf die
Originalarbeit verwiesen. Pilcz (Wien).
23) Ueber einige Fälle von Nervenkrankheiten, von Schwarz. (Prager med.
Wochenschr. 1900. Nr. 4 u. 6. — Vergl. die vorausgehenden Nummern.)
IV. Ponserkrankung. 35jähr. Mann bemerkte vor 2 Monaten mit Schwäche
verbundene Unsicherheit der linken Hand. Bei der Aufnahme im Bereiche des
rechten Quintus und der ganzen linken übrigen Körperhälfte dissociirte Sensibilitäts-
störung derart, dass die tactile Empfindlichkeit ungestört war, während für Tem¬
peratur und Schmerz Anästhesie bestand. Leichte Facialisparese links. Abducens-
parese rechts. Pupillen reagiren (r. > 1.), keine Stauungspapille, keine Allgemein¬
erscheinungen. Cerebellare Ataxie, hingegen keine Ataxie bei Kniehackenversuch
u. s. w. Bei Prüfung auf Romberg Neigung nach rechts vorn zu fallen. Moto¬
rischer Trigeminus intact, an den Extremitäten bezüglich Motilität, Reflexe u. s. w.
keine Störung. Von der oben erwähnten dissociirten Empfindungslähmung war
eine Zone um die linke Mammilla stets frei geblieben.
Unter Schmierkur theilweiser Rückgang der Sensibilitätsstörung.
V. Paralysis agitans mit ungewöhnlichen Reizerscheinungen.
40jähr. Mann, Beginn der Erkrankung vor 4 Jahren mit Schmerzen im rechten
Arme, Beine und im Kreuze. Fragliche epileptiforme Amälle. Status praesens:
Maskenartige Starre des Gesichts. Bei ruhiger Rückenlage werden die Arme in
Beuge-, die Beine in Streckstellung gehalten. Bei passiven Bewegungen besteht
ein gewisser Rigor der Musculatur. Motilität im Bereiche der Hand-Fingermusculatur
eingeschränkt, im übrigen keine Lähmung, nur erfolgen alle Bewegungen sehr
langsam. Idiomusculäre Wulstbildung, besonders an den unteren Extremitäten.
Keine myotonische Reaction. Sehnenreflexe allseits lebhaft gesteigert. Kein
Babinski'scher Reflex. Schäfer’scher antagonistischer Reflex (auf Kneifen der
Achillessehne Contraction der Zehenstrecker und des M. tibialis ant.). West-
phal’sche paradoxe Contraction (bei Prüfung auf Fussphänomen wiederholte
Zuckungen der Extensoren der Zehen und des M. tibialis anticus).
Für gewöhnlich nur manchmal in den Händen leichter Tremor. Bei körper¬
licher Anstrengung, psychischer Erregung, Abkühlung des Körpers fibrilläre
Zuckungen in den Streckern des Oberschenkels, dann sehr heftige klonische
Zuckungen. Deutliches Symptom der Retropulsion. Keinerlei Stigmen.
Pilcz (Wien).
Google
411
84) 8olla patologia del ponte di Varolio. Contribnto clinico ed anatomo-
patologico pell Dott. Ezio Benvenuti. (Annali di Nevrologia. 1901.
XIX. Fase. 2.)
45jähr. Frau (Abusus spirituosorum, keine Lues) erkrankt plötzlich unter
Schwindel, Steifheit der rechten Körperhälfte und Sprach Verlust; kein Bewusstseins¬
verlust, keine Krämpfe. Keine Aura. Status: Kleiner, frequenter Puls, ohne
Atherose; Kopf auf die rechte Schulter geneigt; totale Lähmung des linken
Facialis; Augenbewegungen links mit Ausnahme der Botation nach unten auf¬
gehoben, rechts die Function des R. inferior erhalten, Bewegungen nach rechts
und oben sehr beschränkt, R. internus völlig gelähmt; zuweilen Diplopie. Seh¬
vermögen normal; innere Augenmuskeln ebenfalls. Sensibilität der rechten Gesichts-
hälfte herabgesetzt, ebenso am Rumpf alle Qualitäten der Sensibilität rechts er¬
loschen; motorische Lähmung der rechten Körperhälfte mit gesteigerten Reflexen.
Tod nach 3 Tagen. Autopsie: Atheromatose der Hirngefässe; hämorrhagischer
Herd in der linken Ponshälfte, dessen grösste Ausdehnung ungefähr die Grenze
des mittleren und vorderen Drittels bildet. Im hinteren Ponsahschnitt ist zerstört:
ein kleiner Theil der Haube (links), speciell ein Theil des Facialiskems und die
Substantia reticularis, ferner der Nervenkern mit mehreren Wurzelfasern, ferner
die Wurzelfasern des Facialisknies, die Oliva superior, theilweise der Lemn. me-
dialis und der Fase, longitud. superior. Im vorderen Ponsabschnitt: die ganze
Haube (incl. Radix ascendenB des Trigeminus), ferner die Brückenkerne, das Stratum
profundum und complexum der Fibrae transversae, die Pyramidenbahn. An der
breitesten Stelle greift der Herd eine Spur nach rechts hinüber (Subst. reticularis).
Verf. vergleicht die klinischen mit den pathologisch-anatomischen Erscheinungen
und kommt zu dem Schluss, dass cb sich um einen typischen Fall von unilateraler
Erkrankung des Pons handelt. Die theoretischen, ziemlich gründlichen Erörterungen
bieten jedoch nichts Neues. H. Gessner (Nürnberg).
26) lieber ausgedehnte oonfluirende Oapillar hämorrhagieen in Pons, Me-
dulla oblongata und im Grosshim (Obduotionsbefund bei Tod im
Status epileptious), von Dr. Theodor Struppler, Assistenzarzt an der
IL medioinisohen Klinik in München. (Münchener med. Wochenschr. 1901.
Nr. 39.)
Ein 19 Jähriger, der schon seit früher Kindheit an epileptischen Krämpfen
gelitten hatte, starb im Status epilepticus; allgemeine Epilepsieen fehlten dabei.
Andererseits bestand gleichzeitig Nephritis parenchymatosa. Die Section ergab
fast im ganzen Querschnitt von Pons und Medulla oblongata das Vorhandensein
von Hämorrhagieen sowie auch blutige Flüssigkeit in je einer Windung der
Insel und des Schläfenlappens. Das Wichtigste war nun, wie auch die histo¬
logische Untersuchung erkennen Hess, dass sich die Blutungen aus einzelnen,
kleinsten bis stecknadelkopfgrossen, vielfach confluirenden Hämorrhagieen zusammen*
setzten, dass es sich um perivasculär angeordnete, ganz frische Blutungen per dia-
pedesim handelte, die von keinerlei entzündlichen Erscheinungen, sei es der Gefasse,
sei es der benachbarten Nervensubstanz begleitet waren. Die letztere zeigte nur
leichte ödematöse Quellung. E. Asch (Frankfurt a/M.).
26) Sur deox oas d’hömlplögie oompliquöe d’une paralysie des mouve-
ments assooids des yeux, par Raymond. (Progr^s mödical. 1902. Nr. 4.)
Sehr interessanter Fall von rechtsseitiger Hemiplegie centralen Ursprungs,
d. h. ohne Betheiligung des oberen Facialisastes; die Hemiplegie entwickelte sich
■ehr langsam innerhalb zweier Jahre und zeigte jetzt lebhafte Kniesehnenreflexe,
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412
sehr ausgesprochene Hyperästhesie, geringfügige epileptische Attaquen, Kopfschmerz,
Uebelbefinden und eine Amaurose, die aus einem Oedem des N. optic. resultirte,
wie auch eine Störung in den associirten Bewegungen der Augen. Letzteres ist
das im Krankheitsbild besonders hervorstechende Symptom, weswegen der Fall
auch sehr ausführlich mitgetheilt ist.
Ein zweiter, mit Exitus ausgegangener Fall leitete den Verf. auf den Herd
bei derartigen Erkrankungen — nämlich auf die Gegend der Corpora quadrigemina.
Adolf Passow (Meiningen).
27) A case of postapopleotio hemihypertonia. Hemitonia apopleotioa
(v. Beohterew), by William G. Spiller. (Philadelphia med. Journ. 1899.
16. December.)
Bechterew hat als Hemitonia apoplectica 3 Fälle beschrieben, in denen im
Anschluss an einen apoplektischen Insult als bleibende Folgeerscheinung keine
spastische Lähmung, sondern nur eine erhöhte Tonicität in der Musculatur der
betroffenen Seite zurückblieb. B. nimmt an, dass es sich in diesen Eällen nur
um eine leichte, vielleicht indirecte Schädigung der Pyramidenbahn unterhalb der
Rinde, etwa in der inneren Kapsel handelt. Verf. beschreibt einen hierher¬
gehörigen ziemlich reinen Fall. Es handelt sich dabei um ein 19jähr. Mädchen,
das im Alter von 3 Monaten an Convulsionen gelitten hatte. Beim Laufenlernen
stellte sich dann eine leichte Schwäche und Steifigkeit der rechten Körperhälfte
heraus, die sich im Laufe der Jahre nicht wieder verlor. Die Untersuchung er-
giebt leichte Spasmen im rechten Bein und Arm von wechselnder Stärke. Beim
Heben des rechten Arms, das ohne Mühe geschieht, wird die Hand stark flectirt,
bei anderen Bewegungen in Flexionsstellung pronirt oder supinirt. Das Wesent¬
liche und Charakteristische an der ganzen Störung ist, dass keine dauernde Con-
tractur besteht, dass die Spasmen durch willkürliche Thätigkeit der Antagonisten
überwunden werden können, und dass keine Athetosebewegungen vorhanden sind.
Verf. schlägt vor, an Stelle der Bechterew’schen Bezeichnung „Hemitonia apo¬
plectica“ den Namen „Hemihypertonia postapoplectica“ für die Störung zu
adoptiren.
Ein zweiter Fall, den Verf. noch hinzufügt, und bei dem es sich um eine
Jackson’sche Epilepsie nach Kopftrauma handelt, mag, da der Fall kein reiner
ist, hier übergangen werden. Max Neumann (Karlsruhe).
28) Case of irregulär movementa of the right hand and leg in a patient
of middle age, apparently referable to slight hemiplegia, by Monro
and Faulds. (Glasgow med. Journ. 1901. Mai.)
46jähr. Pat., aufgenommen am 20./II. 1901, klagt seit 2 Jahren über Kopf¬
schmerzen in der linken Kopfhälfte, unwillkürliche Bewegungen in den rechts¬
seitigen Extremitäten, in der Intensität wechselnde Gedächtnisschwäche und zeit¬
weilige Sprachstörung aphasischen Charakters. Die Symptome waren eines Morgens
nach dem Erwachen ohne vorhergegangene Vorboten von der Patientin bemerkt
worden. Die Untersuchung ergiebt beiderseits erhebliche Einschränkung des Ge¬
sichtsfeldes, keine Hemianopsie, leichte nystagmusartige Zuckungen der Bulbi,
geringe Schlaffheit des rechten Facialis, Deviation der Zunge nach rechts, Hemi-
paresis dextra mit gesteigerten Reflexen, rechtsseitige Athetose, im Harn häufig
Spuren von Albumen. Martin Bloch (Berlin).
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413
29 ) Erfolgreiche Behandlung apoplektisoher Anfalle, von A. Ferenczi.
(Oyögyaszat. 1901. Nr. 41. [Ungarisch.])
Die Hirnblutung wird meist durch indirecte Wirkung auf die Med. oblong.,
bezw. Crrculations- und Respirationscentra tödtlich; in den meisten Fällen entsteht
Lähmung der letzteren, doch in manchen Fällen finden wir die Zeichen einer
Beizung dieser Centra, tiefe Athemziige, kräftigen Pulsschlag, und dennoch schliesst
sich such solchen oft eine hochgradige Cyanose an, welche zum Tode führen kann.
Die Ursache solcher Hypervenositäten sieht Verf. in Lähmung der Zunge, des
Gaumens, eventuell auch der Stimmbänder, welche stets eine hochgradige Ver¬
engerung des Respirationsweges verursachen. Meist verschliesst der Rückfall der
gelähmten Zunge den Lufteintritt, so dass der Kranke in Folge dieses mechanischen
Hindernisses erstickt.
Nach Verf.’s Ansicht entsteht in solchen Fällen folgender Ciroulus vitiosus:
Die Blutung verursacht erhöhten intracraniellen Druck, dieser Lähmung der Zunge,
diese die Cyanose, dies wieder (Kohlensäurewirkung) Vagusreizung, diese Er¬
höhung des Blutdruckes und letzteres schliesslich trägt bei zur Beförderung der
Hirnblutung.
Nach Verf. besteht eine wirksame Beeinflussung dieser Erscheinungen in einer
Erweiterung der Luftzutrittsöflhung: entweder durch grösstmögliches Hervorziehen
des Unterkiefers oder solches der Zunge; im Nothfalle ist Intubation nöthig. —
Dieses Verfahren hat Verf. in einem Falle erfolgreich angewendet und fordert
zur weiteren Vornahme desselben auf. Hudovernig (Budapest).
30) Zur Kenntniss der Aneurysmen an den baealen Hirnarterien, von
Docenten Dr. J. P. Kar plus. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Labora¬
torium. 1902. Heft 8.)
Der Arbeit des Verf.’s liegen zwei interessante Fälle zu Grunde.
Fall I betrifft eine 29jährige Frau, deren Mutter an Migräne litt und an
einem Schlaganfalle starb. Die Kranke selbst litt seit vielen Jahren an Migräne.
Januar 1900 hatte sie im Anschlüsse an einen Migräneanfall einen meningitis-
ähnlichen Zustand, der mit einer rechtsseitigen Oculomotoriuslähmung und starker
Gehörestörung einherging. Nach vorübergehender Besserung Spitalsaufnahme, bei
der Kopfschmerz, rechtsseitige Oculomotoriuslähmung, aber keine Gehörsstörung
constatirt wurde. Sonstige nervöse Störungen fehlten. Plötzlicher Exitus am
7. Februar. Die Obduction ergab eine frische intermeningeale und subdurale
Blutung nach Beratung eines Aneurysmas der rechten Arteria communicans post.,
Verwachsung des rechten N. oculomotorius mit dem ungefähr erbsengrossen
Aneurysma. Rostbraune Pigmentirung der weichen Meningen an verschiedenen
Partieen des (fehirns. Verf. unterzog das Aneurysma, sowie die grösseren Arterien
des Gehirns einer genauen histologischen Untersuchung, die einen weitverbreiteten
chronischen proliferirenden, von der Intima ausgehenden Wucherungsprocess der
Gefasswand aufwies; das Aneurysma selbst war durch Zerreissung der Media
entstanden.
Die Oculomotoriuslähmung ist, wie sich aus den topographischen Beziehungen
ergiebt, geradezu charakteristisch für die Aneurysmen der Art communic. post.,
die an sich zu den relativ häufigen Aneurysmen gehören. Bezüglich des Zu-
ammenhanges zwischen der seit Jugend bestandenen Migräne und dem Aneurysma
kommt Verf. nach Erwägung aller in Betracht kommender Möglichkeiten zum
Schlüsse, dass die Migräne im vorliegenden Falle auf erblicher Basis bestand,
dass die mit den Migräneanfallen einhergehenden vasomotorischen Störungen zur
Geiasserkrankung beigetragen haben, wobei er es für wahrscheinlich hält, dass
daneben eine vererbte Minderwertigkeit der Gefässwände bestand. Ob die
dby Google
414
Ruptur des Aneurysma mit einem Anfalle in ursächlichem Zusammenhänge stand,
lässt Verf. dahingestellt.
Der zweite Fall betrifft eine 69jährige Frau. Am 8./III. 1900 plötzlich
heftiger, stechender Kopfschmerz links, Rauschen im linken Ohre. 3 Tage später
leichte Ptosis links, die etwaB zunahm, und Doppeltsehen. Die Untersuchung
ergiebt deutliche Arteriosklerose; auscultatorisch ein lautes, mit dem Pulse syn¬
chrones Geräusch am Schädel, links deutlicher wie rechts, besonders laut in der
linken Scheitel- und Schläfengegend; auch auf Distanz ist das Geräusch hörbar.
Compres8ion der linken Carotis in der Fossa carotica bringt das Geräusch sofort
*zum Verschwinden. Exophthalmus links, Oculomotorius und Abducensparese links,
sonst die Hirnnerven, sowie die Extremitäten frei.
Es wurde die Ruptur eines Aneurysma der linken Carotis an der Hirnbasis
diagnosticirt und die Unterbindung und Durchschneidung der linken Carotis com¬
munis am 28./III. gemacht. Nach der Operation Aufhören des Kopfschmerzes
und Nachlassen des Ohrensausens, auch sonst Besserung des Befindens. Am 30./IH.
stellte sich Hemiplegie und Sprachstörung ein. #Tod am 3./IV.
Die Obduction erwies die Richtigkeit der Annahme eines Aneurysmas der
Carotis interna im Sinus cavernosus und die Beratung desselben. Ausserdem
fand sich in der linken Hemisphäre sehr ausgedehnte Erweichung; chronische
Endarteriitis der Aorta und der grösseren Gefässe. Verf. erörtert hierauf jene
Momente, die in diesem Falle die Diagnose eines Aneurysmas, bezw. dessen Ruptur
ermöglichten und ergiebt hierauf eine Uebersicht über die Folgen der Unter¬
bindung der Carotis communis. Etwa ein Drittel aller Operirten ging an den
Folgen der Operation zu Grunde. Von grösster Wichtigkeit ist hierbei die
Encephalomalacie. Im beschriebenen Falle war dieselbe bedingt durch eine be¬
stehende Affection des Herzmuskels. Redlich (Wien).
31) Zur Kenntnis« der rhachitiBohen (P) Deformationen der Schädelbasis
und der basalen Sohädelhyperostosen, von Prof. E. A. Ho men in Hel-
singfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.)
Bei einem 22jähr. Manne, in dessen Ascendenz väterlicherseits eine gewisse
Disposition zu Vorbuohtungen des Hinterkopfes besteht, und welcher nur eine
Körperlänge von 144 cm hat, in jugendlichem Alter Rhachitis überstand, findet
sioh eine Deformation, d. h. Aufwärtsschiebung der Schädelbasis in der Umgebung
des Foramen occipitale magnum. Dieselbe beruht hauptsächlich auf Verdickungen
der Cristae und Iuga cerebralia. Das Leiden setzte allmählich ein, ist aber be¬
stimmt auf das 18. Lebensjahr zurück zu datiren, und zwar bestehen seitdem
Kopfschmerzen, Schwindel, allmählich sich steigernde cerebellare Ataxie, Schling-
und Sprachstörungen, leichte Augenmuskelparesen, Nystagmus, erhöhte Sehnen¬
reflexe, Parästhesieen, sowie allgemeine Schwäche und rasche Ermüdung. Nach
den Angaben des Patienten machte sich ein oder zwei Jahre nach Beginn der
Krankheit eine allmählich zunehmende Vorbuchtung der beiden Temporal- und
Occipitalgegenden bemerkbar, so dass von jener Zeit an eine Steigerung im knöchernen
Wachsthum der Schädelbasis auftrat, wie sie wohl schon im Anschluss an die in
der Kindheit überstandene Rhachitis sich zeigte. In Folge der Aufwärtssohiebung
der Schädelbasis war der Dens des Epistropheus nebst seinem Vorsprung in das
For. occipitale magnum eingedrungen und hatte auf Pons und Medulla einen Druck
ausgeübt. Der Exitus war während einer intercurrenten Krankheit erfolgt. Bei
der mikroskopischen Untersuchung des Rüokenmarks fand sich im Cervioalmark
eine Höhlenbildung, die im 6.—7. Segment ihre grösste Ausdehnung hatte, ferner
eine leichte, bis in das Lendenmark nachweisbare Degeneration der Pyramiden¬
bahnen, die im verlängerten Mark etwas ausgesprochener war, ausserdem bestand
GoogI<
415
ChromatolyBe in einzelnen Pnrkinje’schen Zellen des Kleinhirns. In einigen
der untersuchten Hirnnerven, namentlich in den Nn. oculomotorii Hessen sich nur
ganz unbedeutende Zeichen von Degeneration erkennen.
In Bezug auf die hier gefundene Höhlenbildung im Cervicalmark betont
YerfL, dass er unter 12 systematisch untersuchten Fällen von Hirndruck 4 Mal
im oberen Theil des Rückenmarks Hydromyelie mit Gliose und in einem 5. Falle
eine einfache Dilatation des Centralcanals gefunden habe.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
Psychiatrie.
32) Psychologie der Geeiohtsvorstellungen nach Kant’s Theorie der Er¬
fahrung, von L. Stilling (Strassburg). (Wien 1901, Urban u. Schwarzen¬
berg.)
Wie der Verf. im Vorwort bemerkt, ist diese Schrift dem Bedürfhiss ent¬
sprungen, sich mit denjenigen philosophischen Problemen, die in der Ophthalmo¬
logie von Bedeutung sind, abzufinden. Insbesondere werden zwei wenig beachtete,
1876 und 1886 erschienene Werke von A. Classen, des ersten und einzigen
Ophthalmologen, der auf diesem Oebiete zusammenhängende Untersuchungen
lieferte, berücksichtigt; ein Werk des Kant-Forschers Albert Krause (erschienen
1876 bei Schauenburg-Lahr) bildet eine weitere Grundlage der Stilling’sohen
Arbeit. Da die Kenntniss der Kant'sehen und Schopenhauer’schen Philosophie
eine Voraussetzung der Lectüre bildet, so ist der medicinische Leserkreis ein
naturgemä8s kleiner; die Physiologen, speciell die Sinnesphysiologen, ferner die
Oculisten seien hiermit auf das interessante Werk aufmerksam gemacht; eine
eingehendere Kritik vermag nur derjenige zu geben, der auf diesem Gebiete
selbständige Forschungen angestellt und entsprechende Einsichten gesammelt.
B. Laquer (Wiesbaden).
33) Ein Pall von sensorieller Idiotie, von H. Fürstner. Vortrag, gehalten im
unterelBässischen Arzteverein in Strassburg am 21. December 1901. (Deutsche
med. Wochenschr. 1902. Nr. 6.)
Vortr. demonstrirt ein 2 1 / 2 jähr., hereditär in keiner Weise belastetes Mädchen
mit sensorieller Idiotie. Die Geburt verlief glatt, die Entwickelung des Kindes
war im ersten Halbjahr anscheinend normal, dann stellten sich Krämpfe ein und
die Eltern bemerkten, dass das Kind auf nichts reagirte. Wachsthum und Zahn¬
entwickelung ungestört. In der Klinik machte das Kind zunächst den Eindruck
ein es seinem Alter entsprechend entwickelten, anscheinend normalen Mädchens,
die genaue Prüfung ergab aber das Fehlen jeder Reaction auf sinnliche Eindrücke.
Leicht hydrocephalischer Schädel. Der rechte Bulbus ist meist nach aussen ge¬
stellt, deutlicher Tonus besteht im reohten mittleren Facialisgebiet. Die im
übrigen normalen Sinnesorgane haben ihre Function fast völlig eingestellt, auf
sinnliche Eindrücke erfolgt keine Reaction. Starke motorische Unruhe, Zappeln
mit Händen und Beinen, Nick- bezw. Beugebewegungen des Kopfes und Rumpfes
nach vorne, hochgradige Ataxie an den unteren, geringere an den oberen Extre¬
mitäten. Das Kind ist über die Lage seiner Beine absolut unklar. Unfähigkeit
zu stehen und gehen. Steigerung des Patellarreflexes und Babinski, besonders
links. Incontinenz von Blase und Mastdarm, Fehlen des Sphinkterreflexes beim
Ein führen des Fingers in den Anus. Vereinzeltes oder serienweises Auftreten
eigentümlicher Anfälle: sie werden eingeleitet durch Erblassen der Haut, Puls-
verlangsamung, Deviation des Kopfes und der Augen nach rechts, dann erfolgen
pagodenartige Nickbewegungen, oft so intensiv, dass der Kopf bis gegen die
Google
416
Zehenrücken geschleudert wird, darauf röthet sich die Haut, der Puls wird fre¬
quenter, es kommt zu einem neuen Insult oder mehrstündigem Schlafe. Neben
den geschilderten Attacken treten noch Zwerchfellskrämpfe auf, niemals Zuckungen
in der Gesichts- oder Extremitätenmusculatur. — Keine Parese der Glieder.
Verf. sieht die Ursache in einem Hydrocephalus und schlägt für diese eigen¬
artigen, wohl charakterisirten Fälle die Bezeichnung „sensorielle Idiotie“ vor.
R. Pfeiffer.
84) Sol oompenso sensoriale nei Bordomuti, per C. Ferrai. (Rivista speri-
mentale di freniatria e medicina legale delle alienazioni mentali. 1901.
XXVII. S. 341.)
Verf. untersuchte in Siena die Entwickelung der Sinnesorgane von 24 Taub¬
stummen und verglich sie mit denen von 24 normalen Menschen, um die Frage
zur Entscheidung zu bringen, ob der fehlende Gehörsinn durch eine besondere
Schärfung anderer Sinne compensatorisch ausgeglichen werde. Er theilte die
Taubstummen wie die Normalhörigen dem Alter nach in zwei Gruppen: 1. Gruppe
von 10—14 Jahren, 2. Gruppe von 14—19 Jahren. Zur Prüfung kam der Tast¬
sinn mit Hülfe des Aesthesiometers (Weber’scher Zirkel), der Muskelsinn (ge¬
prüft durch Anordnung verschiedener schwerer gleichgrosser Würfel), die Schmerz¬
empfindung (geprüft mit dem elektrischen Strom), Geschmack (geprüft durch ver¬
schiedene Concentrationen von Strychninsulfat, Kochsalz und Saccharin), Geruch¬
sinn (geprüft durch Bestimmung verschieden starker Lösungen von Nelkenöl in
Wasser).
Als Resultat ergiebt sich:
1. Die Taubstummen zeigen im Allgemeinen eine geringere functionelle Ent¬
wickelung ihrer Sinnesorgane als normalhörende Menschen, doch ist der Unter¬
schied nicht gross. Jedenfalls besteht keine sensorielle Compensation (zu
den nämlichen Resultaten kam Griesbach bei Untersuchung Blinder). Der
grösste Unterschied zu Ungunsten der Taubstummen zeigt sich bei Prüfung des
Geruchsinnes.
2. Die Sinnesorgane nehmen mit dem vorrückenden Alter (in den hier unter¬
suchten Grenzen) an Leistungsfähigkeit zu, der Tastsinn allein ab, sowohl bei den
Taubstummen als bei den Normalhörenden.
3. Dieses Verhältniss von Alter zur Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane tritt
bei den Taubstummen deutlicher zur Anschauung in Abhängigkeit von der un-
gleichmässigen Entwickelung der Intelligenz bei jüngeren und älteren Individuen.
4. Die Erscheinungen der Ermüdung treten bei den Taubstummen mehr in
den Vordergrund, namentlich für geistige Arbeit.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
Ul. Bibliographie.
1) Die traumatischen Neurosen. Untollneurosen, von Dr. L. Brun b. (Specielle
Patholog. u. Therap. XII. Theil I.)
Das Bruns’sche Buch stellt eine wesentlich vermehrte Neuauflage des im
Jahre 1899 in den Encyclopädischen Jahrbüchern erschienenen Aufsatzes dar.
Die in dem Titel des Buches gegebene Doppelbezeichnung der traumatischen
Neurosen und Unfallneu rosen erklärt und rechtfertigt Verf. in dem einleitenden
Capitel dahin, dass unter der Bezeichnung „Unfallneurosen“ diejenigen Fälle zu
verstehen seien, in welchen es sich um einen „Betriebsunfall“ im Sinne des Unfall¬
gesetzes mit den sich stets an einen solchen anschliessenden besonderen, durch
die Gesetzgebung und deren Handhabung hervorgerufenen Verhältnissen handele.
edby Google
Weiterhin spricht sioh der Autor dafür aus, den Namen „traumatische Neurose“
für gewisse Fälle beizubehalten. Auf den historischen Ueberblick und die Be¬
sprechung der Aetiologie folgen die der Symptomatologie gewidmeten, breit an¬
gelegten Capitel. Der Gang der Besprechung ist in diesen Capiteln im Allgemeinen
derselbe geblieben wie in der Arbeit aus den encyclopädischen Jahrbüchern.
Die Bedenken, welche Bef. 1899 bei Besprechung der Bruns’schen Schrift
in Bezug auf die Unverftnderlichkeit des hysterisch verengten Gesichtsfeldes bei
näherer oder weiterer Lage des Objeotes aussprach, möchte er jetzt nicht mehr
aufrecht halten, trotzdem er an der ausserordentlichen Seltenheit der Gesichtsfeld¬
einengungen überhaupt festhält. Bei den Hörstörungen macht Verf. sehr mit
Recht auf die grosse Unzulänglichkeit der otiatrischen Untersuchungsmethoden
quoad „nervöse Schwerhörigkeit“ und „Taubheit“ aufmerksam.
Im Anschluss an die Besprechung der sensiblen und sensorischen Störungen
discutirt Verf. auf mehreren Seiten dio von Strümpell gemachten Einwendungen
betr. des den Sensibilitäts- und ähnlichen Störungen fehlenden objectiven Characters
und präcisirt seinen eigenen Standpunkt. Manches von dem, was früher als
Beweis der Simulation angesehen wurde, muss heute gerade als neuer Beweis
für die psychische Natur des in Frage stehenden Symptoms angesehen werden.
Das Schwanken beim Angenschluss wird naoh des Verf.’s Ansicht sehr oft
übertrieben, ja sogar simulirt. Für die Gehstörungen gilt das Gleiche. Die
Störungen der Sprache bezeichnet der Verf. auch diesmal als recht selten; (bei
dem hiesigen Material sind Sprachstörungen - nicht so selten, d. Ref,). Den hyste¬
rischen Lähmungen der Hirnnerven gegenüber verhält B. sich recht skeptisch.
Es ist dem Autor in den letzten Jahren aufgefallen, dass sich speciell bei Trauma-
tikern privater Versicherungsgesellschaften häufig schwere Herzneurosen fanden.
Er schreibt dies den gerade bei derartigen Kranken so ausserordentlich grossen,
und häufigen Anstrengungen des Herzmuskels — Affecten — zu. Die hysterischen
Athmungsstörangen erwähnt der Verf. nicht besonders. Da dieselben sich oft
zusammen mit den hysterischen Sprachstörungen (Brustcontusionen) finden, so
ist anzunehmen, dass auch dies Symptom unter dem Material des Autors seltener
als hier in Berlin gewesen ist.
In dem Capitel über das Vorkommen der traumatischen Erkrankungen macht
der Verfi die interessante Mittheilung, dass er bei Soldaten nur Hysterie nach
Traumen gesehen habe. Dies Btimmt mit dem überein, was Bef. bei einer anderen
Gelegenheit über den auffallend hohen Procentsatz äusserte, welchen die Soldaten
und Matrosen (auch in den französischen Litteraturberichten) zur männlichen
Hysterie stellen.
Nach Erledigung des symptomatologischen Abschnittes tolgen die forensischen
Capitel. Von grosser praktischer Wichtigkeit ist hier der Hinweis auf die Recurs-
entscheidhng des Reichsversicherungsamtes, dass beim Vorliegen der Symptome
des Alkoholismus dennoch Entschädigungspflicht seitens der Berufsgenossenschaft
bestehe, sobald der Betriebsunfall die Arbeitsfähigkeit aufgehoben bezw. ge¬
mindert habe. Die Frage der Simulation wird vom Verf. bis zu den letzten
Publicationen behandelt. Der Autor selbst glaubt in den letzten Jahren mehr
Simulationen gesehen zu haben. Gebührende Beleuchtung erfahren die in den
Unfallacten sioh manchmal spreizenden Berichte der Rechercheure und ihre after-
wissenschaftlichen Beobachtungen.
Was die Beantwortung der forensisch dem Arzte gestellten Fragen angeht,
so plädirt Verf. auch hier für die breite und imgescheute Concession des „Non
liquet“. Hier geht Verf. für den Geschmack des Ref. etwas zu sehr theoretisirend
vor. Gewiss giebt es viele Fälle, in welchen eine sichere und bestimmte Antwort
vom Arzte nicht gegeben werden kann. Wir haben aber andererseits ja auch
nur nöthig uns für oder gegen gewisse Wahrscheinlichkeiten auszusprechen,
27
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welche wir aus dem Cofflplex der Möglichkeiten — auch denen entgegen*
gewetzter Tendenz — herauaheben. Damit genügen wir den Forderungen in foro;
wir brauchen unaere Ansprüche an Unfehlbarkeit keineswegs höher zu schrauben
als es der Richter für sein eigenes Urtheil thut. Jedenfalls sind wir Aerzte aber
eher im Stande und haben eine grössere Chance bei der Abwägung jener Möglich*
keiten das richtige zu treffen als der Richter und Laie. Mit dem Gesagten boII
nicht behauptet werden, dass es nicht „non liquet-fälle“ giebt, es soll vielmehr
nur der jedesmalige Versuch der Umwandlung derselben in F&lle mit Wahr*
ScheinlichkeitSBchlüssen empfohlen werden.
In den Ausführungen über die Erwerbsbeeinträchtigung wird auch der duroh
die Novelle zum Unfallgesetz geschaffenen Möglichkeit der Rentenerhöhung bei
unverschuldeter Arbeitslosigkeit gedacht. Herabsetzung der Rente zu Heilzwecken
ist nach dem Urtheil des Reichsversicherungsamtes nicht gestattet
Die Capitel über Prognose und Therapie beschliessen das Bruns'sehe Werk.
Ausgezeichnet ist das, was über die Chancen der Therapie und Beeinflussbar*
keit gesagt wird. Die drei vom Verf. aufgestellten prognostisch differenten
Kategorieen enthalten in der That alles, was betreffs der Prognose gesagt
werden kann. Mit dem gebildeten Hypoohonder kommt man nooh einigermassen
aus und kann ihn beeinflussen; mit einem solchen geringer Bildung ist wenig
oder nichts anzufangen, und absolut infaust ist die Prognose bei den „alten
Unfallsneurotikern“. Dabei ist die Prognose der rein hysterischen Störungen
noch besser als die der neurasthenischen und hypochondrischen.
Ein Moment, auf welohes der Verf. zum Schlüsse nooh hinweißt, scheint mir
praktisch, wenn auch nioht direct für den Arzt, so doch für die Verletzten und
die Berufsgenossenschaften von allergrösster Wichtigkeit zu sein.- Soll bei der Be¬
handlung der theilweise erwerbstätigen Neurotiker die Arbeit ihre heilende Kraft
entfalten können, so muss die geleistete Arbeit eine wirkliche, nicht scheinbare
— an medioo-mechaniscben Maschinen u. s. w. geleistete — sein. Die Arbeit
muss unbedingt einen productiven Werth haben und Verdienst bringen.
Freilioh wird sich die Umsetzung dieses Gedankens in eine thatsftohliche Institution
nicht so leicht ermöglichen lassen. Es kann jedoch keinem Zweifel bei: Sach*
kundigen unterliegen, dass in jenem Satze selbst der Schlüssel de« Unfallproblems
liegt, und dass die Gesetzgebung zu ihrer eigenen Correctur sich des Bruns’schen
Gedankens bemächtigen muss. Paul Schuster (Berlin).
2) Die Geisteskrankheiten des Kindesalters mit besonderer Berüoksiohti*
gung des sohulpfliohtigen Alters, von Ziehen. (Sammlung von Abhand¬
lungen aus dem Gebiete der pädagog. Psychologie und Physiologie. Berlin,
1902; 79 S.)
Verf. bespricht hier in seiner bekannten klaren Weise die PsycHosen mit
Intelligenzdefecten im Kindesalter.
Diese DefectpBychosen sind angeboren — Imbecillität, oder erworben-Demenz.
In ausführlicher Weise wird sodann die entere in ihren Ursachen wie in ihren
psychischen und körperlichen Symptomen erörtert.
Verf. untemcheidet drei Formen bezw. Grade derselben: Idiotie, Imbecillität,
Debilität. Die ärztlioh erzieherische Behandlung wird in genauer Weise be*
sprochen. Von den erworbenen Defeotpsychosen werden wegen ihrer Häufigkeit
hervorgehoben: die Dementia paralytica, epileptica, bei Herderkrankungen und
hebephrenica, von denen im vorliegenden Hefte nur die beiden ersten besprochen
werden.
Die für grössere Kreise geschriebene Arbeit werden sicher auch die speciellen
Fachgenossen mit grossem Interesse lesen. M.
Google
3) Atlas and Grundriss der Psychiatrie , von Wilhelm Weygandt. (Mit
24 farbigen Tafeln und 276 Textabbildungen und einer Anstaltskarte. (München
1902. Lehmann’s Verlag. 663 S.)
Das vorliegende Buch giebt in einer kurzen und gedrängten, durchaus
klaren Darstellung das, was wir über die Geisteskrankheiten wissen, und kann
schon deswegen von den Fachgenossen sowohl wie von demjenigen, welche in die
Psychiatrie eingeführt werden sollen, nur mit Freuden begrüsst werden. Der
VerfL fügt sich zwar im Wesentlichen an die Kraepelin’sche Psychiatrie an,
zeigt jedoch nach vieler Richtung hin auch seine Selbständigkeit und erleichtert
auf der anderen Seite durch Einfügung der Nomenclatur anderer Autoren die
Möglichkeit der Orientirung in dem Sprachgewirr der modernen Psyohiatrie.
Dem allgemeinen Theil, in welchem Verl in Bezug auf die psychologischen
Ausführungen sich Wundt anschliesst, folgt der speoielle, in welchem die an*
geborene Geistesschwäche, das Entartungsirreeein, die Hysterie, die Epilepsie, das
manisch-depressive Irresein, die Paranoia, die Dementia praecox, die progressive
Paralyse, das Rückbildungsirresein, das Irresein bei Hirnerkrankung, das thyreogene
Irresein, das Irresein bei Nervenkrankheiten, das bei Stoffwechselkrankheiten, das
Erachöpftmgsirreeein, die Fieber- und InfeotionspsychoBen, die Intoxioations-
psychosen unterschieden werden. Dass dem Verl ein einheitliches Eintheilungs-
princip, wie diese Aufzählung ergiebt, fehlt, wird man ihm nicht zum Vorwurf
machen können; es liegt der Mangel an der Unfertigkeit unserer Disciplin.
Dass der Dementia praecox 90 Seiten, der progressiven Paralyse nur 60 Seiten
gewidmet sind, liegt wohl in der Vorliebe der Eraepelin’sohen Schule für jene
Form. Wenn man die Häufigkeit der letzteren in der Praxis und in den
Irrenanstalten und diff relative Seltenheit der enteren in Erwägung und dabei
noch in Betracht zieht, wie viel mehr wir nach jeder Richtung hin, besonden
auch anatomisch, von der Paralyse wissen, wird man nicht umhin können, ein
gewisses Missverhältnis in der Behandlung der beiden Krankheiten zu finden.
Die Krankheitobilder selbst sind treffend gezeichnet, sie werden durch 142 Kranken¬
geschichten illustrirt.
Während der Verl sich von unnützen theoretischen Erörterungen fern hält,
bringt er uns ausser den krankhaften psychischen Erscheinungen die ooncinne
Beschreibung der körperlichen und der pathologisch-anatomischen Thatsaohen.
Für die zweite Auflage dürfte der Widerspruch S. 93: der Blutdruck ist in
Depressionszuständen verringert, in der Manie erhöht und S. 309: der Blutdruck
ist in der Manie gering, in der Depression hoch, wohl beseitigt werden.
Ueber die Nützlichkeit und Zweckmässigkeit der Abbildungen werden dio
Fachmänner getheilter Ansicht sein; jedenfalls sind sie trefflich ausgeführt; eine
grosse Reihe der Porträts ist recht charakteristisch, die anatomischen Abbildungen
sind durchweg vorzüglich — andere, wie z. B. S. 126, der am Bettpfosten er¬
hängte Geisteskranke, hätten wohl ohne Schaden wegbleiben können.
Alles in Allem können -wir das Buch nur auf das Allerwärmste empfehlen
und sind überzeugt, dass ihm ein grosser Kreis von Lesern und solchen, welche
es studiren, nicht fehlen wird. Dies verdient es aber auch in vollem Maaste.
Dass die Ausstattung eine sehr gute ist, dafür bürgt der Ruf des rührigen
Verlegen. M.
87 *
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420
IV. Aus den Gesellschaften.
Jahresversammlung des Vereins der deutsohen Irrenftrste in München
am 14. und 15. April 1002.
I. Sitzung am 14. April, 9 x / 4 Uhr Vormittags.
Seit 27 Jahren tagten die deutschen Irrenärzte zum ersten Male wieder in
München, wo ihnen das Polytechnicum gastliche Aufnahme in seinem physikalischen
Hörsaal gewährte. Nach der Eröffnung der Versammlung durch den Vorsitzenden
des Vereins, Herrn Geheimrath Jolly (Berlin), wurde dieselbe durch die an¬
wesenden Vertreter der Staatsregierung, der KreiBregierung von Oberbayern, der
Stadt und der technischen Hochschule, die Herren Grashey, v. Messerer,
v. Brunner und v. Tieck begrttsst. Im Namen des Localcomitös hiess Herr
Prof. Bumm die erschienenen Mitglieder willkommen. Welches Interesse auch
die Militärbehörden an der Psychiatrie nehmen, wurde dadurch bekundet, dass
der Generalstabsarzt der Armee, Herr Dr. Berstelberger, den Sitzungen fast
ununterbrochen beiwohnte.
Den Vorsitz in allen Sitzungen führte Herr Geheimrath Jolly, zu Schrift¬
führern wurden die Herren Gudden (München) und Bäoke (Kiel) gewählt.
L Referat: Herr Alzheimer (Frankfurt a/M.): Die Seelenatörnngen auf
arteriosklerotischer Grundlage.
Als Ausgangspunkt unserer Kenntnisse der arteriosklerotischen Seelenstörungen
können die Untersuchungen angesehen werden, die von den#Bilde der progressiven
Paralyse die Pseudoparalysen abtrennten. Es war wohl der erste der Franzose
Klippel, der unter der Bezeichnung „Pseudoparalysie g6n6rale arthritique“ eine
Krankheit beschrieb, die im Wesentlichen mit der arteriosklerotischen Hirnatrophie
von heute identisch ist. In Deutschland knüpfen sich diese Untersuchungen an
die Namen Binswanger und Alzheimer an: ersterer beschrieb die Encephalitis
subcortialis chronica, letzterer die perivasculäre Sklerose. Um die Kenntniss der
arteriosklerotischen Erkrankungen des Bulbus, der Stammganglien und der inneren
Kapsel hat sich Jacobson verdient gemacht. Manche Fälle von sogen. Spät-
epilepsie gehören ebenfalls in dieses Gebiet.
Unter den Ursachen der Arteriosklerose hat Edgren vor allen Dingen
Syphilis, chronischen Alkoholismus und Erblichkeit namhaft gemacht; die Athero-
matose ist von der Arteriosklerose abzutrennen. Frühzeitige Arteriosklerose be¬
fällt mit Vorliebe einzelne Gefassgebiete, verläuft manchmal auch unter dem Bilde
der hyalinen Degeneration. Histologisch ist wesentlich die Spaltung der Elastica
in einzelne Lamellen, die Verengerung des Gefasslumens durch Intimaverdickung,
die Gliawucherung, Spinnenzellen, Körnchenzellen-Anhäufung und Gefassneubildung
in und um die Erweichungsherde. Im Ganzen imponiren die arteriosklerotischen
Herde weniger als Erweichung, sondern als Verhärtung. — Klinische Anhalts¬
punkte für das Vorliegen von Arteriosklerose bieten ausser den palpablen Arterien
die RetinalgefasBe, Schrumpfniere, Diabetes, Coronarsklerose, Herzvergrösserung;
doch ist der Parallelismus zwischen Arteriosklerose des Centralnervensystems und
des übrigen Körpers keineswegs ein constanter.
Vortr. geht dann auf die einzelnen Formen der arteriosklerotischen Seelen-
störung ein und bespricht 1. die nervöse Form der Gehirnarteriosklerose. Nach
Windscheid, der dieselbe besonders studiert hat, tritt dieselbe oft schon im
mittleren Lebensalter, in den 40er Jahren, auf. Sie zeigt sich als Ermüdbar¬
keit, Kopfschmerzen, Schwindel, Abnahme der Merkfähigkeit und des Gedächt¬
nisses, die sich oft subjectiv stärker bemerkbar macht als objectiv, Erlahmung
der Productivität. Der Kopfschmerz sitzt meist in der Stirn, der Schwindel tritt
leicht bei Wechsel der Körperlage auf. Charakteristisch ist oft die Intoleranz
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- 421
gegen Alkohol, ferner eine gewisse psychische Schwerhörigkeit, eine Erschwerung
des Wortverständnisses. Sämmtliche Symptome können erheblichen Schwankungen
in ihrer Intensität unterworfen sein. Die Krankheitseinsicht ist bis zu dem Grade
erhalten, dass sie zu einer wahren Angst vor Verblödung werden kann; doch ist
der Uebergang in die schwere, paralytische Form selten. Anatomisch findet man
hier nur selten kleine Erweichungen, dagegen eine Erweiterung der perivasculären
Räume, Verdichtung der Glia um dieselben. Die Ganglienzellen zeigen Pigmen-
tation, sind aber sonst, ebenso wie die Markscheiden, intaot. Wenige Spinnen¬
zellen; Körnchenzellen fehlen. Die Gefasse zeigen die charakteristischen Ver¬
änderungen. — 2. Die progressive, arteriosklerotische Degeneration, die schwerere
Form. Beginnt manchmal wie die erste, bald gesellt sich aber Reizbarkeit, Starr¬
sinn, rathloBe Unruhe, dann Apathie hinzu. Die wirklichen Ausfallserscheinungen
sind dabei noch immer gering, es liegt im Wesentlichen eine Erschwerung des
Ablaufs der Auffassung vor, erst später kommt es zu einer gleichmässig fort¬
schreitenden Verblödung. Die Interessen verschwinden, die Stimmung ist meist
leer, manchmal weinerlich. Grössen- oder andere Wahnideeen fehlen, die Krank-
heitseinsicht ist auch hier oft auffallend lange erhalten. Anfalle sind nicht selten,
sowohl körperliche (Schwindel), wie solche, die auf rein psychischem Gebiete sich
abspielen. Manchmal bildet das Vorstadium eine längere Zeit anhaltende, einfache
melancholische Verstimmung. Betroffen ist das Alter von 50 er bis Mitte 60er Jahre.
Anatomisch findet man hier Gewichtsabnahme des Gehirns, Dilatation der Ventrikel,
atheromatöse GefässVeränderungen, entlang denen die Markmasse grau verfärbt
ist, manchmal miliare Aneurysmen. Fast constant ist das Corpus dentatum des
Kleinhirns eingesunken. — Die Ganglienzellen zeigen Pigmententartung, Mark¬
fasern sind verhältnissmässig wenig ausgefallen. Arteriosklerotische Herde im
engeren Sinne sind zahlreich: derbes Gliageflecht mit Nestern von Spinnenzellen,
Körnchenzellen, die sich nach Marc hi schwarz färben, streifenförmig dem Ver¬
lauf der Gefässe folgend. Unterformen dieser Gruppe sind: a) Die Encephalitis
subcorticaliB chronica Binswanger’s. Hier sind die Rinde und die kurzen
Associationsbahnen frei, das tiefe Mark dagegen stark erkrankt. Klinisch tritt
hervor die Erschwerung der Gedankenverbindung, Erschwerung, auch Anfälle im
Sprachgebiete, epileptiforme Anfälle, Schwindel, Herderscheinungen von oft un-
gemein isolirter Ausbildung. Nach längerer Dauer können die verschiedenartigsten
Herderscheinungen neben einander bestehen. Auch hier bleibt die Krankheits¬
einsicht oft lange erhalten; der Ausgang ist Blödsinn. — Anatomisch wäre noch
hinzuzufögen, dass Erweichungsherde vermisst werden, dass sklerotische Herde
auch im Stamm und der Brücke häufig sind und zu Unterbrechung der Pyramiden¬
bahnen und secundären Degenerationen, meist auf beiden Seiten in verschiedener
Stärke, im Rückenmark führen (Steigerung des Patellarreflexes). Auch in den
grauen Vorderhörnern des Halsmarks sind in einem Falle, der mit MuBkelatrophie
am Arm einherging, Herde gefunden worden. — Differentialdiagnostisch kommt
besonders die atypische Paralyse Lissauer’s in Betracht, b) Die senile Rinden-
verödung Alzheimer’s: charakteristische Form der Herde, die, auf das Er¬
nährungsgebiet einer grösseren Arterie beschränkt, keilförmig in der Rinde liegen,
die Spitze nach innen, die Basis aussen; dort zeigt die Hirnoberfläche dann eine
leichte Einsenkung. Die Herde bestehen fast ausschliesslich aus dichtem gliösem
Gewebe; das Mark ist im Gegensatz zur Binswanger’schen Form meist ganz
intact, die Ganglienzellen aber an den betreffenden Stellen untergegangen, c) Die
perivasculäre Gliose Alzheimer’s: charakteristische Gefässveränderung, das Lumen
ist oft verdoppelt und vervielfacht, die Glia fleckweise gewuchert. A uch diese
Erkrankung beschränkt sich meist auf das Gebiet einer grösseren Arterie (z. B. Cerebri
posterior), d) Unter der arteriosklerotischen Epilepsie müssen wieder zwei Unter-
formen unterschieden werden: 1. die cardio-basale, ohne psychische Anfälle, durch
2 ed by G00Qle
m
Digitalis oft zu bessern; 2. die mit arteriosklerotischen Herden zusammenhängende,
die sich der Jackson’schen Epilepsie nähert.
Es ergiebt sich also bei diesen Untersuchungen, dass die arteriosklerotischen
Hirnerkrankungen wohl abzutrennen sind von anderen, bekannten Krankheits¬
formen, und dass sioh hier wie auf wenigen anderen Gebieten ein fruchtbares
Zusammenarbeiten von Klinik und pathologischer Anatomie hat ermöglichen lassen.
Disoussion:
Herr Fürstner: Die beschriebenen arteriosklerotischen Gehirnerkrankungen
sind nach seinen Erfahrungen auch bei jugendlichen Individuen nicht allzu selten;
dabei spielt dann meist die Heredität eine Rolle. — Aus den Abbildungen hat
ihn interessirt, zu sehen, dass, wie frfiher auch, die Spinnenzellen mit den sogen,
dreieckigen Fässchen in nahe Beziehung zur Gefässwand gebracht werden.
Herr Degen kolb glaubt, die hyaline Degeneration von der Arteriosklerose
trennen zu müssen und weist auch auf die Bedeutung der Aussenhautveränderungen
hin. Im mikroskopischen Bilde hält er eine Trennung von Syphilis und Arterio¬
sklerose für nicht möglich.
Herr Haenel fragt, ob ein Befund von perivasoulärer Rundzelleninfiltration
der kleinsten Gefässe bei Arteriosklerose der grösseren die Annahme eines weiteren,
entzündlichen Vorganges nöthig macht, oder ob diese Infiltration durch den arterio¬
sklerotischen Process allein auoh hervorgerufen werden kann.
Herr Degenkolb verneint die letztere Frage; man müsse allerdings ge¬
wucherte Adventitiazellen von ausgewanderten Rundzellen unterscheiden; letztere
habe er nur bei Infectionen und Intoxicationen beobachtet
Herr Alzheimer (Schlusswort): Die Protoplasmasubstanz der Spinnenzellen
tritt allerdings manchmal mit der Gefässwand in Verbindung, nioht aber die
Fasern selbst. Das Zusammentreffen von Arteriosklerose und Rundaelleninfiltration
der Adventitia hält er immerhin für möglich, wenn es auoh sioher ungewöhnlich
ist; den Unterschied zwischen Rund- und Adventitiazellen hält er auch für wichtig.
Vorträge:
Herr Hitzig (Halle): Demonstration zur Physiologie des oortio&len
Sehens.
Vortr. zeigt Gesichtsfeldaufnahmen von Hunden, die doppelseitig im Gebiete
des Sehfeldes von Munk operirt worden sind. — Nach Munk, dem Luciani
durch Versuche, die allerdings einer eingehenderen Kritik nicht Stand halten,
beigetreten ist, projicirt sioh die Netzhaut in allen ihren Theilen auf die Rinde
des Hinterhauptslappens, so dass jedem Netzhautelement ein zugehöriges Rinden¬
element entspricht Diese Anschauung wird hinfällig, wenn man den Ablauf der
nach Rindenabtragung gesetzten Sehstörung beobachtet, was bisher noch nicht in
genügender Weise geschehen war. — Vortr. ging so vor, dass er den unter
allen Umständen eintretenden Wiederausgleich der hemiopischen Sehstörung nach
der Operation des Oooipitallappens abwartete und darnach auoh die zweite Seh¬
sphäre exstirpirte. Es zeigte sich nun, dass nach der zweiten Operation die erste
Sehstörung von Neuem auftrat, und zwar ebenso hochgradig, zuweilen sogar noch
hochgradiger als vorher. Ebenso konnte beobachtet werden, dass noch einige
Tage nach der Operation eine Verschlimmerung auftrat. Die Scotome waren nie
circumscripter, wechselnder Art, sondern bei Eingriffen jeder Art stets von hemi-
anopischer Form; der Ausgleich erfolgte stets von medial und unten her, so dass
der Defect zuletzt noch im äusseren oberen Theile des Gesichtsfeldes nachweisbar
war. — Auch die doppelseitig operierten Hunde lernten wieder sehen.
Alles dies widerspricht der Theorie vou Munk: Eine feste Verbindung des
einzelnen Rindenelementes mit dem einzelnen Netzhautelement kann nicht bestehen.
Diqitized
Google
Diaonanon:
Hjerr Jolly fragt nach der Technik der Gesichtsfeldaufnahme bei Hunden.
Herr Hitzig: Dem in der Schwebe aufgehängten hungrigen Hund wird eine
Flaisohschüssel vorgehalten, ohne dass er sie erreichen kann; mit der Pincette
wird ihm dann von peripherwärts her ein Stückchen Fleuch genähert, nach dem
er, sobald es in das Gesichtsfeld eintrttt, den Kopf wendet. Die Untersuchung
der Hunde erfolgte stets zu wiederholten Malen und von verschiedenen Unter*
Suchern, die demonstrirten Gesichtsfelder stellen die Mittel aus mehreren Unter¬
suchungen dar.
Herr Bumm (München): Experimentelle Untersuchungen über de«
Ganglion ciliare.
Vortr. berichtet über die Fortsetzung seiner Untersuchungen am Gangl. ciliare
der Katze. — Dasselbe enthält zweierlei Arten von Zellen, grosse, bläschen¬
förmige und kleine, spindelförmige, sowie mehrere Arten von Fasern, feinste
markhaltige, die in marklose übergehen und im Ganglion selbst entspringen,
stärkere markhaltige, Sympathiousfasern, die gröbsten markhaltigen stammen aus
der Ooulomotoriuswurzel. — Schon früher hatte man festgestellt, dass nach
Bulbnsexstirpation bezw. Durchreiseung der retrobulbären Nerven keine voll*
ständige Atrophie des Gangl. ciliare eintrat. Vortr. hat nun zwei aufeinander
folgende Operationen gemacht, erst die Ciliarnerven durchschnitten, dann das
Gangl. cervic. suprem. sympathici ezstirpirt und jedes Mal eine Zählung der Ganglien¬
zellen darnach vorgenommen. Er fand als Mittel im normalen Ganglion ciliare
6482 Zellen, nach der ersten Operation Verminderung auf 3846 Zellen, nach
dar zweiten weitere Verminderung auf 2587 Zellen. Die zuletzt nooh zurück¬
bleibenden Zellen sind zu zahlreich, um allein als Schaltzellen angesprochen zu
werden; vielleicht sind sie in Verbindung zu bringen mit den neuerdings von
Peschei gefundenen intraorbitalen Ganglien. Die Fortsetzung der eingetretenen
Ocolomotoriusfasern durch das Ganglion ciliare in zum Theil glatte Muskelfasern
geschieht durch Sympathicusfaaem, womit dem allgemeinen physiologischen Gesetz
genügt ist, dass markhaltige Nervenfasern nur für quergestreifte Muskeln bestimmt
sind. — Die T-förmigen Zellen gehören dem Nerv. V zu, der eine Fortsatz geht
zur Cornea, der andere zum Gangl. Gasseri. Sensible sympathische Neurone, mit
dem Ursprung im Gangl. ciliare, endigen im Gefässplexus der Iris; die Existenz
Ton motorischen sympathischen Neuronen zur Iris musB ebenfalls angenommen
werden. Die complicirten Verbindungen des Ganglion ciliare nach allen Seiten
werden durch diese, nach der Gudden’schen Methode gewonnenen Ergebnisse in
mancher Hinsicht aufgeklärt
Discussion: Herr Westphal: Die bisher unerklärliche Pupillenverengerung
bei Berührung der Cornea bei Thieren (Tauben) scheint hiernach der Deutung
keine wesentlichen Schwierigkeiten mehr zu bereiten; beim Menschen tritt dieselbe
übrigens nicht ein.
IL Sitzung, Nachmittags 2 */ 4 Uhr.
Herr Degenkolb (Neustadt): Beiträge zur Pathologie der kleinen Hirn-
gefkese.
Vortr. hat sich die Frage nach dem Ursprung und der Bedeutung der intra-
adventitielleu Infiltration der Rindengefässe vorgelegt In Betracht kommen die
Zellen der Gefässwand selbst und die verschiedenen Sorten der weissen Blut¬
körperchen. Gliazellen, denen ja neuerdingR amöboide Beweglichkeit zugesprochen
worden ist, können nicht in die Gefässscheide ein wandern, ebenso wenig sind
Zellen aus der Media und Intima betheiligt. Von Bedeutung sind ferner die
Unna'sehen Plasmazellen, deren constantes Vorkommen bei Paralyse wohl fest-
steht; ihr Ursprung, ob sie aus dem Blut oder aus anderen Gewebselementen
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(Adventitiazellen) stammen, ist noch nicht genau bekannt. A1 b Repräsentanten
einer chronischen Entzündung sind neben Rundzellen auf alle Fälle die Plasma¬
zellen hinzustellen. Dass Rundzelleninfiltration für Syphilis und Paralyse charak¬
teristisch sei, ist nicht richtig, sie kommt auch unter anderen Umständen vor;
wenn sie auch bei Paralyse und vasculärer Syphilis schon sehr früh nachweisbar
ist, so ist sie doch auch gefunden worden bei Delirium tremens (Trömner),
beim Status epilepticus (Weber), vorwiegend in Form der extraadventitiellen
Infiltration, bei bakteriitiscber Infection, bei posttraumatischen Psychosen in
einzelnen Fällen; ferner im Rückenmark bei Lyssa, bei anämischen Strangver¬
änderungen. Von Herderkrankungen jeder Art ist bei dieser Zusammenstellung
abgesehen. — Es zeigt sich also, dass die Rundzelleninfiltration der Adventitia für
entzündliche und infectiöse Vorgänge im Centralnervensystem charakteristisch ist.
Ferner hat Vortr. sich mit den „stark lichtbrechenden Tropfen an den Zellen
der Intima“, die von Obersteiner beschrieben wurden, beschäftigt; er konnte
sie durch Alkohol und Aether extrahiren und behielt im nachträglich gefärbten
Präparat Dellen in den Intimazellen zurück, die genau an den Stellen sassen, die
vorher die Tropfen eingenommen hatten. Diese sind also Zeichen für eine be¬
ginnende fettige Degeneration der Intima. Er weist auf die sogen. Vacuole des
Fettzellenkeras hin, wo die Verhältnisse ebenso liegen.
Herr Vogt (Göttingen): Ueber Qesiohtsfeldeinengung bei Arterio¬
sklerose.
Es handelt sich um Fälle, deren Symptomenbild besonders von Windscheid
präoisirt worden ist. In der charakteristischen Symptomengruppe: Kopfschmerz,
Schwindel, Abnahme der geistigen Regsamkeit kann das letztere fehlen, es kann
aber dafür eine concentrische Einengung des Gesichtsfeldes vorhanden sein, welche
auch manchmal der Abnahme der psychischen Leistungsfähigkeit vorangeht. Die
Hauptsache ist, dass in solchen Fällen ein dauernder Nachweis der Erscheinung
möglich ist Die Einengung zeigt dann eine Constanz, welche eben der messbare
Ausdruck für den progredienten Process ist. Diese Constanz spricht auch gegen
• die Annahme einer vorübergehenden functionellen oder Circulationsstörung.
Andererseits pflegt die Gesicbtsfeldeinengung bei Arteriosklerose nur einzutreten,
wenn auch die entsprechenden Erscheinungen anderer Art, besonders Kopfdruck
und Schwindel bestehen. Die Gesichtsfeldeineugung nimmt also bei der arterio¬
sklerotischen Erkrankung eine Mittelstellung zwischen Reiz- und Ausfalls¬
erscheinungen ein. Zahlreiche Untersuchungen an Gesunden wie an Geisteskranken
mit Arteriosklerose, aber ohne den charakteristischen nervösen Symptomencomplex
haben dem Vortr. gezeigt, dass die Erscheinung nur auftritt, wenn die anderen
für eine Arteriosklerose des Centralnervensystems sprechenden Erscheinungen vor¬
handen sind. Ausgeschlossen bei den Controluntersuchungen waren natürlich
solche Fälle, die eine Einengung aus anderen Ursachen hätten darbieten können.
In den untersuchten Fällen von Ax-teriosklerose fand sich stets eine starke
Schlängelung der Temporalarterie, eine solche der Radialis wurde wiederholt ver¬
misst, ebenso Veränderungen der Retinalgefässe. Fortgeschrittene Fälle zeigten
fast stets die Einengung, nur bei wenigen wurde sie völlig vermisst. Es soll
der Werth der Gesichtsfelduntersuchung nicht überschätzt werden, doch stellt
diese bei vorsichtiger und kritischer Prüfung jedenfalls ein feines Reagens auf
den nervösen Status überhaupt dar, und die Thatsache der concentrischen Ein¬
engung bei Arteriosklerose des Centralnervensystems verdient deshalb als Beitrag
zur genaueren Umschreibung des zur Zeit mit viel Interesse studirten Symptomen-
bildes Beachtung. (Autoreferat)
Herr Räcke (Kiel): Zur Lehre von der Hypochondrie.
In neueren Lehrbüchern der Psychiatrie existirt kaum noch die Hypochondrie
als selbständiges Krankheitsbild, weil immer mehr die Anschauung an Boden ge-
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winnt, nach welcher bei mehr oder weniger allen Psychosen episodisch ein hypo¬
chondrischer Symptomencomplex auftreten kann, während es sich in den übrigen
Fallen sogenannter reiner Hypochondrie lediglich um schwere Neurasthenieformen
bandeln solL Unter den Autoren, die sich gegen diese Lehre ausgesprochen
haben, sindJolly, Hitzig, Wollenberg, Erafft-Ebing, Ganser zu nennen.
Vor 3 Jahren hat Böttiger sich ebenfalls in einer grösseren Arbeit für die
Selbständigkeit dieses Krankheitsbildes ausgesprochen.
Unter 2800 Aufnahmen der psychiatrischen Klinik zu Tübingen fanden sich
nur 18 Fälle reiner Hypochondrie, die eine längere Reihe von Jahren unverändert
bestanden hatten. 6 davon waren erblich schwer belastet, 7 Neuropathen, in
6 Fällen waren äussere erschöpfende Momente zu verzeichnen. — Die Krankheit
begann in der Regel mit Schwächegefühl, Schlaflosigkeit, Verdauungsbeschwerden
und zahlreichen Parästhesieen im ganzen Körper. Dann bildete sich die feste
Ueberzeugung aus, ein ganz bestimmtes, unheilbares Leiden zu haben, und damit
trat secundär eine gewisse traurige Verstimmung ein. Im Uebrigen lagen allen
Krankheitsausserungen zwei Momente zu Grunde: 1. Eine veränderte Selbst¬
empfindung, die bald mehr den körperlichen, bald den geistigen Antheil der
Persönlichkeit betraf; 2. Eine eigentümlich wahnhafte, jeder Kritik unzugäng¬
liche, aber logisch consequente Verarbeitung jener Sensationen. — Die Prognose
erwies sich meist als infaust trotz gelegentlicher Remissionen; Demenz trat indessen
niemals ein. — Von der Melancholie unterscheidet sich die Hypochondrie durch
die secundäre Entstehung der Verstimmung, duroh geringere Heftigkeit der Angst,
den Mangel jeder Hemmung, jeder Selbstvorwürfe und durch die Ablenkbarkeit der
Kranken. — Für Paranoia fehlt trotz der ausgesprochenen Wahnbildung das
Projiciren der Sensationen auf die Umgebung, der Beziehungs-, Verfolgungs- und
Grössenwahn. — Hysteriker unterscheiden sich durch stärkere Suggestibilität,
grösseren Wechsel der Symptome, Neigung zu bewussten Täuschungen, Stigmata.
Die seltenen Anfälle und Lähmungen der Hypochonder werden deutlich durch
bewusste Vorstellungen hervorgerufen.
Die Abgrenzung gegen die Neurasthenie ist schwieriger, weil sich die Hypo¬
chondrie häufig auf deren Boden entwickelt« Doch braucht diese Entwickelung
nicht stattzufinden, die meisten Neurastheniker werden niemals Hypochonder;
namentlich hat aber der charakteristische Zug der Hypochondrie, die wahnhafte,
kritiklose Verarbeitung der Sensationen mit ihrer zwingenden Beeinflussung des
ganzen Handelns, nichts mit dem Wesen der Neurasthenie zu thun. Der letztere
Zug rückt die Hypochondrie unter die Psychosen.
Vortr. stellt zum Schluss die folgenden Sätze auf: 1. Die Hypochondrie ist
eine selbständige, in sich abgeschlossene Krankheitsform, die aber mit Vorliebe
auf dem Boden der Neurasthenie, seltener der Hysterie sich entwickelt; zu beiden
Krankheitsgruppen existiren fliessende Uebergänge. 2. Bei scheinbarem Ueber-
gang einer hypochondrischen in eine andere Psychose handelt es sich meist um
das hypochondrische Vorstadium einer andersartigen Irreseinsform. Die richtige
Deutung solcher Fälle von Pseudohypochondrie stösst nur im Beginn des Leidens
und bei zu kurzer Beobachtungsdauer auf Schwierigkeiten.
Herr Brosius (Sayn): Ueber den Mangel an Irrenpatronaten in
Deutschland.
Vortr. giebt zu Anfang einige historische Daten über lrrenhilfe vereine, er¬
innert dabei besonders an den Namen Zinn’s. Die Hoffnungen, die sich an eine
1875 in München gefasste Resolution zur Förderung derartiger Vereine geknüpft
hatten, sind nicht in Erfüllung gegangen. Bei 150 öffentlichen Irrenanstalten
zählt Deutschland nur 16 Hilfsvereine, während die kleine Schweiz allein 10 auf¬
weist. Vortr. möchte die vor 27 Jahren gefassten Beschlüsse wieder in die Er¬
innerung der Vereinsmitglieder zurückrufen.
3 y GoogI<
m
Discosrion:
Herr Siemens: In Pommern sollte ein solcher Verein gegründet werden,
es stellte sich aber heraus, dass einen grossen Theil der zu erfüllenden Aufgaben
schon der Verein für innere Mission leistet. Die Lage ist offenbar in den einzelnen
Gegenden Deutschlands verschieden; wo die Gemeinden für die Geisteskranken
zu bezahlen haben, ist die Frage dringender, als wo, wie in Pommern, die Pro¬
vinz die ganze Behandlung, Transport u. s. w. auf eigene Kasse übernimmt und
ausserdem der Landeshauptmann über einen Fond zur Unterstützung entlassener
Geisteskranker verfügt
Herr Beckh fragt, welches die genannten 16 Vereine sind, und welcher
Unterschied zwischen Irrenpatronaten und Irrenunterstützungsvereinen besteht; von
letzteren giebt es in Unterfranken mehrere.
HerrBrosius unterscheidet zwischen Unterstützungskassen und Hülfsvereinen,
die mit Patronaten ziemlich identisch sind; erstere sind zum Theil wohlthätige
Stiftungen, wobei München mit an der Spitze steht Die letzteren haben aber
nooh eine höhere Bedeutung: Sie sollen die Irrenpflege überhaupt heben, das
Volk belehren, Vorurtheile bekämpfen, für frühzeitige Aufnahme der Kranken
sorgen u. 8. w.
Herr Peretti schliesst sich dem Appell des Vortr. an, weist auf die Ver¬
schiedenheiten der Verhältnisse in den einzelnen Provinzen hin.
Herr Pelman dankt dem Vortr. für seine Anregung, für die er selbst in
der Eheinprovinz mit gutem Beispiel vorangegangen ist.
III. Sitzung am 15. April, 9 1 /* Uhr Vormittags.
Mittheilungen geschäftlicher Art. Bewilligung eines Beitrages für das Griesinger-
Denkmal in Berlin. Die statutenmässig ausscheidenden Vorstandsmitglieder Siemens
und Kreu8er werden durch Acclamation wiedergewählt.
II. Referat. Herr Ho che (Strassbnrg): Vorschläge zur Schaffung einer
Centralstelle für Gewinnung statistischen Materials über die Beziehungen
der Geisteskranken.
Die Irrenärzte nehmen unter den Medioinem seit längerer Zeit eine Aus¬
nahmestellung ein; die Stimmung, mit der man ihnen entgegentritt, geht durch
alle Stadien von der Verständnisslosigkeit bis zum Misstrauen. „Schutz des
Publikums vor den Irrenärzten“ heisst das Schlagwort mancher Broschüren; das
Parlament verhält sich zum mindesten nicht ablehnend gegen Angriffe, die Tages-
presse öffnet solchen stets bereitwillig ihre Spalten. Alles dies ist ein Hemm¬
schuh für unsere Bestrebungen, und den Nachtheil haben in erster Linie die
Kranken selbst, dann aber auch der Staat und die localen Verbände, durch all
die Vorkommnisse von Mord, Selbstmord, Sachbeschädigung u. s. w., die Geistes¬
kranke so oft zum Urheber haben. — Darüber hinaus erstreckt sich dieser un¬
günstige Einfluss auch auf die Rechtspflege: man stösst bei den Juristen auf
passiven Widerstand, sie empfinden so und so oft gar nicht die Mängel ihrer
Ausbildung auf diesem Gebiete. In die Militärverhältnisse spielen diese Fragen
hinein (ungerechte Bestrafung, Selbstmorde bei Soldaten u. ä.), desgleichen in die
Discussion über die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Es erscheint deshalb
empfehlenswerth, alles was in der Tagespresse unter der Spitzmarke „widerrecht¬
liche Freiheitsberaubung“, „ungerechte Entmündigung“, „Doppelselbstmord“, „Er¬
mordung der Kinder duroh die Mutter“ u. s. w. erscheint, zu sammeln. Das über¬
raschend reiche Ergebniss, das Kräpelin durch privates Vorgehen auf diesem
Wege in Bezug auf die Alkoholfrage erzielt hat, ermuthigt, diesen Weg in
systematischer Weise zu beschreiten. Amtliche Statistiken, auch Anstedtsberichte,
sind aus leicht ersichtlichen Gründen für diesen Zweck nicht recht brauchbar.
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42 ?
Da die Aufgabe für einen Einsseinen zu gross wäre, empfiehlt es sieh, sieh
mit einem jener Institute (z. B. Argus) in Verbindung su setzen, die das Sammeln
von Zeitungsausschnitten öber ein bestimmtes Thema geschäftlich betreiben. Eine
Commission von 3 Mitgliedern würde dann genügen, um das so gesammelte
Material zu verarbeiten, alljährlich vor der Versammlung Bericht zu erstatten,
es eventuell in Broschürenform herauszugeben o. ä. Die Kosten würden, da ein
Abonnement bei einem der genannten Institute 200 Mark jährlich beträgt, unter
Hinzurechnung von Portis, Druckkosten u. s. w., etwa 300 Mark betragen.
Die Frage und ihre Bearbeitung erscheint drängend wegen der bevorstehenden
reichsgeeetzlichen Regelung des Irrenwesens, speciell der Aufnahmefrage. Es ist
wichtig, dass die Irrenärzte dann anstatt mit Beschwerden und Lamentationen
mit positiven Thatsachen aufwarten können.
Vortr. beantragt deshalb: 1. principielle Zustimmung zu seinem Vorschläge;
2. Wahl der Mitglieder der zu bildenden Commission; 3. Geldbewilligung.
Discussion:
Herr Pelm an bittet um Zustimmung, schlägt als die geeignetsten Persön¬
lichkeiten den Vortragenden und Herrn Fürstner vor, glaubt für den vorliegenden
Zweck lieber 400 Mark aussetzen zu sollen.
Herr Siemens empfiehlt ebenfalls warm die Annahme des Vorschlags, bittet
ausserdem, die Sammelarbeit nicht allein der beauftragten Firma zu überlassen,
sondern fordert jeden einzelnen auf, Bioh daran nach Kräften zu betheiligen.
Herr Jolly schlägt als Namen die nach aussen indifferente Bezeichnung:
„statistische Commission“ vor.
Herr Pelm an hält es für nöthig, den Commissionsgliedern die Möglichkeit
der Cooptation nach eigenem Ermessen zuzugestehen.
Abstimmung. Die Herren Hoche und Fürstner werden einstimmig ge¬
wählt, mit der Ermächtigung, die Zahl der Mitglieder der Commission durch
Cooptation zu vermehren; es werden für die Zwecke der Commission vorläufig
jährlich 300 Mark bewilligt.
Vorträge:
Herr Fürstner (Strassburg): Qlebt es eine Pseudo paraly so P
Durch einen Vortrag von Mendel vor 2 Jahren wurde die Frage angeregt,
ob in den letzten Jahren eine Verminderung der Fälle sogen, „klassischer Para¬
lyse“ und eine Zunahme der dementen Form, wie sie sich besonders gern an
Tabes anschlieest, stattgefunden habe. Darin, dass seitdem die Taboparalyse
vor allem Gegenstand der Forschung geworden ist, sieht Vortr. eine gewisse
Gefahr der Einseitigkeit. Da eine Zunahme der dementen Form auf die Auf-
nahmeariffer in eine Klinik eher im reduoirenden Sinne wirken müsste, ist die
thatsichliche Vermehrung der Aufnahmezahl in der Strassburger Klinik um so
wichtiger. Ausser der Zunahme der Zahl scheint auch die Abkürzung der Krank¬
heitsdauer gegen früher unzweifelhaft (durchschnittlich betrug dieselbe weniger
als 2 Jahre). — Bei der Vermehrung der Fälle jugendlicher Paralysen ist auf
die leichte Verwechslung mit anderen Krankheiten (Gliose, multiple Sklerose) zu
achten. — Die Zahl der paralytischen Anfalle scheint nicht wesentlich verändert
zu sein, dagegen weist der grobe pathologisch-anatomische Befund in den letzten
10 Jahren Veränderungen auf: die Pachymeningitis haemorrhagica, das Haematoma
durae matris, die starke Hirnatrophie, den Hydrocephalus internus, die Ependymitis
bekommt man entschieden seltener zu Gesicht. Der von Mendel ausgesprochenen
Ansicht von der Vermehrung der einfach dementen Formen stimmt Vortr. aus
eigener Erfahrung bei; eine Erklärung findet er vielleicht in den auch bei anderen
Psychosen (z. B. Paranoia) beobachteten Wechselbeziehungen zwischen Intelligenz-
sebwäche einerseits und Wahnbildung und Stimmungsanomalie andererseits: das
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428
Dominiren des Intelligenzdefects hält letztere Anomalieen hintan. — Die Frage,
ob das häufigere Vorkommen der dementen Form auf eine Vermehrung der
Taboparalyse zurückzuführen sei, glaubt er verneinen zu müssen; obwohl die
letztere Diagnose jetzt häufiger gestellt werde, fehlt doch oft die anatomische
Begründung, zu welcher der Nachweis von irgend welchen Veränderungen in den
Hintersträngen nicht genügt Ob Anfälle auf spinale Veränderungen zurückgeführt
werden können (Dissertation von Just), erscheint noch fraglich; von Bedeutung
erscheinen die Untersuchungen von Schaffer, nach denen bei Paralyse die
Flechsig’schen Associationsfelder früher betroffen sein sollen als die Projections-
felder. Eine weitere Frage ist die, ob bei Paralyse stetB Rindenveränderungen
nachzuweisen sind, und wenn nioht, ob solche Fälle dann noch der Paralyse zu¬
zurechnen sind? Ferner, ob die Veränderungen in den Stammganglien primärer
oder secundärer Natur sind.
Den Ausdruck „atypische Paralyse“ glaubt Vortr. besser fallen lassen zu
sollen, dafür wäre entweder „Lissauer’sche“ oder „Paralyse mit Herdsymptomen“
zu setzen. In diesen, wie auch in den Alzheimer sehen Fällen subcorticaler
Atrophie üt zu fragen, ob die Demenz durch die Art oder die Localisation des
Processes bedingt ist
Unter dem Namen „Pseudoparalyse“ begreift man gewöhnlich zwei Formen:
die alkoholische und die luetische. Beide lassen sich aber von der Paralyse
trennen. Unterscheidende Merkmale sind: bei Alkoholparalyse: Meist Beginn im
späteren Lebensalter, Pupillenstarre selten, häufiger Differenz und träge Reaction;
die scheinbar spinalen Symptome sind wohl meist peripherer, neuritischer Natur
(Sensibilitätsstörungen, Druckpunkte). Blasen- und Mastdarmstörungen fehlen. Die
Patellarreflexe zeigen wechselndes Verhalten. Die Sprachstörung ist kein Silben*
stolpern, sondern mehr tremorartig, dazu häufig vorübergehend. Anatomisch
kommen Systemerkrankungen wohl kaum vor, wohl aber diffuse Veränderungen im
Gehirn, Rückenmark und Häuten.
Bei syphilitischer Pseudoparalyse gelingt es meist, Symptome zu finden, die
nioht mit der Taboparalyse übereinstimmen: Pupillenstarre mit gesteigerten
Patellarreflexen u. ähnl.
Der Name Pseudoparalyse ist also am besten für diese beiden Krankheits¬
formen zu streichen, weil er Irrthümer hervorruft. Er ist zu reeerviren für jene
recht seltenen Fälle, die, als klassische und unzweifelhafte Paralyse beginnend, zum
Stillstand kamen oder heilten. In solohen Fällen spielt die Erblichkeit eine Rolle,
Syphilis ist selten, dagegen häufiger sexuelle Excesse, Gemüthserregungen, Ueber-
arbeitung. Unter den Symptomen ist Pupillenstarre hervorzuheben, die wieder
versohwand.
Disoussion:
Herr Schüle bestätigt die Abnahme der Fälle mit schweren anatomischen
Veränderungen und das Prävaliren der combinirten gegenüber der Hinterstrangs¬
erkrankung. Er fordert zur Sammelforschung über die von Fürstner zuletzt
erwähnte „echte“ Pseudoparalyse auf; die anatomische Untersuchung dieser letz¬
teren wird als Gegenexperiment zu den Befunden bei echter Paralyse besonders
wichtig sein. Er theilt kurz einen Fall mit, in dem eine unzweifelhafte Paralyse
nach doppelseitiger Pneumonie und schwerer Otitis media mit profuser Eiterung
heilte und jetzt 20 Jahre gesund geblieben ist.
Herr Gau pp kennt auch aus der Heidelberger Klinik Fälle, in denen Para¬
lysen in einen jahrelangen Stillstand eingetreten sind. Die Schaffer’sohen Be¬
funde sollen demnächst von Nissl einer Kritik unterzogen werden. Er weist auf
seine eigenen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Erkrankung im
Cervicalmark und Pupillenstörungen hin.
Herr Jolly kennt auch solche Fälle von „Pseudoparalyse s. str.“ Die Zu-
zedby Google
429
nshme der dementen Form ist vielleicht durch die Veränderung der Beobachter
zu erklären, unsere Diagnose hat sich geändert; seit wir durch Untersuchung der
Pupillen und Patellarreflexe auf die körperlichen Symptome schärfer achten, wird
m&uche Paralyse als solche erkannt, die früher als einfache Demenz geführt
rurde. — Aus ähnlichen Gründen sind auch die anatomischen Befunde aus ver¬
schiedenen Zeiten schwer zu vergleichen. — Die Abnahme des Hämatoma durae
mstrifl ist vielleicht auf dieselbe Ursache zurückzuführen wie das Seltenerwerden
des Othämatoms: sorgfältigere Behandlung, seltenere Isolirung. — Nach seinen
Mehrungen ex juvantibus möche er an dem Bestehen einer syphilitischen Pseudo-
p&ralyse festhalten.
Herr Hitzig hat bei Gleichartigkeit des Materials seit 23 Jahren und trotz
fast am das Fünffache vergrösserter Aufnahmeziffer doch eine Abnahme der tob*
süchtigen Formen gegen früher feststellen müssen. Der Grund liegt vielleicht
darin, dass die Widerstandsfähigkeit beim männlichen Geschlechts abgenommen
bst; beim weiblichen haben aus diesem Grunde von jeher die dementen Formen
überwogen.
Herr Schüle hat nie eine syphilitische Pseudoparalyse durch Hg zur Heilung
bringen können, bittet Herrn Jolly um therapeutische Angaben.
Herr Jolly hat nur eine typische Schmierkur gemacht, die Heilung war
vielleicht nur ein günstiger Zufall.
Herr Fürstner (Schlusswort). Heilerfolge nach Hg-Kur beweisen, dass in
solchen Fällen Himsyphilis vorlag, also keine Pseudoparalyse im engeren Sinne.
Herrn 6au pp gegenüber betont er, dass Pupillenerscheinungen wohl häufig, aber
nicht durchgängig auf das Cervicalmark zurückzuführen sind. Die Schaffer’sohen
falle hat auch er von Anfang an etwas skeptisch betrachtet, er ist auf Nissl’s
Kritik sehr gespannt. — Die agitirten Formen sind anscheinend nicht absolut
seltener, aber wohl transitorischer geworden.
Herr Wolff (Basel): Die physiologische Grundlage der Lehre von den
Oegenerationazeiohen.
Es ist ein causaler Zusammenhang zwischen Anomalieen des Nervensystems
and des übrigen Körpers behauptet worden. Dieser Zusammenhang kann dreierlei
Art sein: 1. Beide können Folge einer gemeinsamen Ursache sein; 2. Die körper¬
liche kann Folge der nervösen Anomalie sein; 3. Die nervöse kann Folge der
körperlichen Anomalie sein. Diese drei Möglichkeiten bestehen auch in Wirk¬
lichkeit Die erste liegt z. B. bei der Cyclopenbildung mit mangelhafter Trennung
der beiden Hemisphären vor, die dritte bei Mikrocephalie in Folge vorzeitiger
Nshtverknöcherung. Bei der zweiten lautet die Frage specieller: Kann die
Nervenfunction einen Einfluss auf die Bildung von Körperorganen ausüben? Von
den trophischen Vorgängen im fertigen Organismus ist hierbei abgesehen, die
Frtge ist eine morphogenetische.
Frühere Experimente an niederen Thieren, Wirbellosen, schienen die Frage
m verneinen; Vortr. ist nach Experimenten am Triton zu anderen Ergebnissen
gekommen.
Der Triton bildet nach Amputation der Hinterextremität eine neue, die aber
meist statt 5 nur 4 Zehen hat Vortr. zerstörte nach Eröffnung der Wirbel¬
säule den unteren Theil des Bückenmarks, das Regenerationsproduct war dasselbe
*ie vorher, auch Nerven waren in dem neuen Fusse nachzuweisen. Da die
Spinalganglien aber erhalten geblieben waren, so war der Versuch für die vor¬
liegende Frage nicht verwerthbar.
Vortr. schritt nun dazu, den ganzen unteren Theil der Wirbelsäule zu
«stirpiren, wobei die Spinalganglien mit entfernt wurden. Die Heilung dieser
*ie der nachfolgenden Amputationswunde erfolgte in normaler Weise, naoh einigen
Google
480
Wochen stellte sich aber, bevor noch die Regeneration in Gang gekommen war,
ein plötzliches, allgemeines Oedem ein, in dem die Thiere zum grössten Theil
zu Grunde gingen.
Wurde hierdurch die Beobachtung abgeeohnitten, so fragte es sich, ob die
schon eingeleitete Regeneration nicht operativ beeinflusst werden konnte. Vortr.
wählte den Moment, wo an der neugebildeten Extremität die Zehenknospen her*
vorzusprossen beginnen und excidirte jetzt den untersten Theil der Wirbelsäule;
hiernach trat ein Stillstand in der Regeneration ein. Bei einigen überlebenden
Exemplaren lebte nach 4—5 Wochen der Regenerationsprocess wieder auf, führte
aber zu unvollkommenen Producten (3—0 Zehen gebildet). Gegen den Einwand,
dass die Operation eine zu schwere Allgemeinschädigung bedeute, die allein zu
den beschriebenen Folgen führen könnte, spraoh u. A. ein Controlversuch der Art,
dass die gleichzeitig amputirte obere Extremität nach der Exoision der unteren
Wirbelsäule ruhig weiter wuchs.
In der neuen hinteren Extremität fanden sich auch Nerven; da zugleich Spuren
von Motilität und Sensibilität wieder nachweisbar wurden, muss eine nachträg¬
liche neue Verbindung mit dem Centralnervensystem zu Stande gekommen sein.
Durch die Versuohe ist bewiesen, dass bei Wirbelthieren das Nervensystem
einen Einfluss auf morphogenetische Vorgänge ausübt.
Herr Gudden (München): Beiträge zur topographischen Anatomie des
Hirns tammes.
Vortr. demonstrirt mit dem Projectionsapparat Schnittpräparate durch die
normale Medulla oblongata und den Hirnstamm, die durch eigenartige Schnitt¬
führung, Verbindung von horizontaler mit sagittaler, frontaler mit horizon¬
taler u. s. w. Richtung verschiedene Bündel in sehr übersichtlicher Weise zur
Darstellung bringen. Die Methode erscheint geeignet, über den Verlauf mancher
Bahnen genauere Aufklärung zu schaffen, eventuell auch neue Verbindungen auf¬
zudecken.
Herr Westphal (Greifswald): Beitrag zur Pathogenese der Syringo¬
myelie.
Serienschnitte durch die Rückenmarke zweier Fälle von Syringomyelie
zeigten, dass sich die der Erkrankung zu Grunde liegende Gliose aus einer
Hämorrhagie entwickeln kann; im ersten Falle war diese letztere traumatischen
Ursprungs, im zweiten im Gefolge von chronischer Nephritis aufgetreten. Beide
Male konnte ein directer allmählicher Uebergang des hämorrhagischen Herdes in
das gliose Gewebe beobachtet werden, das letztere zeichnete sich an und in der
Nachbarschaft der Uebergangsstelle durch starke Reste von Blutpigment aus.
Auch an den Stellen, wo die Gliose nicht in directem Zusammenhang mit der
Blutung stand, bevorzugte sie die Stellen im Querschnitt, die mit Vorliebe auch
von Röhrenblutungen befallen werden. — Die Höhlenbildung zeigte sich, wie es
die Regel ist, unabhängig vom Centralcanal. — Als Besonderheit ist noch zu
erwähnen, dass trotz weitgehender Zerstörung der Clarke’schen Säulen eine
nennenswerthe Veränderung der Kleinhirnseitenstrangbahn nicht zu Stande ge¬
kommen war; dies weist darauf hin, dass die letztere ihre Fasern doch noch
andere woher bezieht. H. Haenel (Dresden).
Biologische Abtheilung des Aerztliohen Vereins zu Hamburg.
Sitzung vom 11. März 1902.
Herr Luce demonstrirt auf Veranlassung von Director Dr. Deneke, welchem
der betreffende, auf der „Kunstreise“ befindliche Kranke zu diesem Zweck sich
zur Verfügung gestellt hatte, einen Fall von Thomsen’soher Krankheit.
3 yGöOgI(
481
J8jähr. Mann, Schuster, Sohleswiger, illegitimes Kind. Vater und Grossvater,
die er nicht gekannt hat, sollen an derselben Krankheit gelitten haben. Weitere
hereditäre Verhältnisse nicht zu eruiren. Beginn des Leidens in frühester Kind¬
heit 8eine Krankheit wurde zuerst 1897 in Köln von Dr. Longaard erkannt.
Seitdem hat er als Demonstrationsobject an vielen deutschen Universitäten gedient.
Multiple Muskelexcisioaen. In beiden Schultergelenken leichter Grad von Sub-
lnxstion nach unten und vorn. Normal entwickelte Musculatur im Bereich des
Rumpfes, der Sohultergürtel, Oberarme, Oberschenkel. Geringe, aber zweifellose
Abmagerung der Musculatur auf der Beuge- und Streckseite der Unterarme.
Mächtige athletenharte, echte Hypertrophie der Musculatur der Unterschenkel.
In den Leistenbeugen je eine lineare Incisionsnarbe (Cruralisdehnung, 1899 von
einem Stuttgarter Chirurgen mit dem einzigen Effect ausgeführt, dass rechts eine
Cruralislähmung von 13 wöchentlicher Dauer sioh einstellte). Deutliche Hypotonie
der Musculatur der oberen Extremitäten, leichter Grad von Hypertonie der Muscu-
latnr der unteren Extremitäten. Grobe Kraft bei allen Muskeln der oberen
Extremitäten pathologisch vermindert (Pat. klagt, dass er seit etwa 1 / a Jahr eine
leichte Abnahme seiner Armkräfte bemerkt habe). Grobe Kraft in den Beinen
tadellos, nur eine Spur herabgesetzt in den Oberschenkelbeugern, den Ad- und
Abductoren der Oberschenkel.
Bei willkürlichen Innervationen ausgesprochen myotonisches Verhalten aller
Sumpf-, Kopf-, Hals- und Extremitätenmuskeln, ferner der Zunge, besonders schön
dies alles beim Gange des Kranken hervortretend. Normales Verhalten zeigen
die Mm. frontales, die äusseren Augenmuskeln, die Gaumen- und Schlundmuscu-
latur, das Zwerchfell, die Scaleni, während die exspiratorischen Athemmuskeln
Mjotonie aufweisen. Die Myotonie in den bezeichnten Muskelu wird sofort
eel&tant bei allen Präcisionsbewegungen und betrifft Agonisten und Antagonisten
gleichmässig; wenn Pat. aber ganz langsam und sanft die Hand zur Faust ballt,
die Plattenelektrode gegen das Brustbein drückt, den Mund öffnet u. s. w., dann
tritt die Myotonie nicht ein und es zeigt die Musculatur dann bei Inspection und
Palpation normales Verhalten. Der Coitus kann ungenirt vom Kranken ausgeführt
weiden.
Stark gesteigerte mechanische Muskelerregbarkeit mit dem für Myotonie
charakteristischen Verhalten. Beiderseits sehr deutliches Chvostek’sches Phä¬
nomen mit klonischer, nicht tonischer Contraction der Facialismusculatur, während
die letztere beim directen Beklopfen die myotonische Reaction giebt Das
Trousseau’sche Phänomen fehlt, die Schilddrüse ist in normaler Grösse palpabel.
Die elektrische myotonische Reaction ist überall sehr schön zu demonstriren.
Bei mittelstarker galvanischer Reizung der Facialisstämme tritt beiderseits zunächst
eine normale klonische Zuckung im ganzen Facialisgebiet auf, erst bei stärkerer
Beizung die myotonische Zuckung mit Nachdauer der Contraction. Dasselbe Ver¬
halten zeigen beide Peronei.
Objective Störungen im Bereich der Psyche, der sensorischen, sensiblen
Sphäre fehlen. Nichts von statischer oder dynamischer Ataxie. Hautreflexe
überall lebhaft. Babinski’s Reflex 0. Achillesreflexe sehr lebhaft. Patellar-
reflexe schwach (Cruralisdehnung!), deutlich erst mit Jendr&ssik.
Der Vortr. erblickt das Wesen der Thomsen’schen Krankheit in einer
absolut unbekannten, pathologischen Modification der in der Contractilität ihren
ioaeren biologischen Effect findenden essentiellen physiologischen Function der
Muskelfasern. Diese functioneile Zustandsänderung der Muskelzellen ist entweder
angeboren und ererbt, wie bei der Thomsen’schen Krankheit, oder sie kann
onter dem Einfluss pathologischer Factoren vorübergehend oder dauernd erworben
werden. Abgesehen von den Fällen von erworbener Myotonie (Talma), von
Eulenbnrg’s Paramyotonia congenita, wird eine solche Anschauung gestützt
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432
durch Beobachtung von Fällen, wo innerhalb der Breite völliger Gesundheit
vorübergehende myotonische Zustände in einzelnen Muskelgruppen auftreten, be¬
sonders in Folge von Ueberanstrengung, z. B. beim Gähnen in den Mund offnen),
beim Becken des Körpers in Bettlage in den Wadenmuskeln u. s. w. Erworbene
Zustände verwandter Natur dürften in den Beschäftigungskrämpfen, in den Myo-
tonieen nach Pb-Vergiftungen vorliegen.
Vor allen Dingen bleibt zu berücksichtigen, dass die congenitale Myotonie
mit anderweitigen nervösen Zuständen sich combiniren kann, mit Pseudohyper¬
trophie, mit Tetanie, mit Polyneuritis. Auch der vorgestellte Fall zeigt eine
Beihe klinischer Anomalieen. Paraparese im Bereioh der oberen Extremitäten,
Abmagerung der Vorderarmmuskeln, übrigens ohne Entartungsreaction, das
Chvostek’sche Phänomen ohne anderweitige Tetaniesymptome.
Der Vortr. hält es mit Bücksicht auf die durch weitere Forschung zu
eruirende Wesensbestimmung der Myotonie für principiell wichtig, dass bei
mechanischer Beizung der Facialisstämme die zugehörige Musculatur sehr wohl
klonisch sich contrahiren kann, obwohl bei directer mechanischer Beizung der
Gesichtsmusculatur in derselben die tonische Zuckung mit Nachdauer der Con-
traction sich einstellt. (Autoreferat.)
Herr Trömner betont als abweichend von dem sonst typischen Falle die
Atrophie einiger Vorderarmmuskeln, welche anscheinend völlig symmetrisch auf¬
trete, und befragt Herrn Luce um seine Meinung, ob, falls andere Ursachen
fehlen, hier eine Complioation mit einer chronischen Vorderhornaffection oder ob
ein anderer Zusammenhang mit dem Grundleiden denkbar sei. Dem von Luce
besonders beachteten Facialisphänomen kann T. keine (?) besondere Bedeutung bei¬
messen, da es sich bei den verschiedensten Zuständen, bald häufig, bald gelegentlich
beobachten lasse. (Autoreferat)
Ausserdem betheiligten sich Herr Pappenheira und Luce an der DiscuBsion.
Nonne (Hamburg).
V. Personalien.
Am 20. April d. J. feierte Herr Geheimrath Prof. v. Leyden seinen 70. Geburtstag
unter grosser und allseitiger Theilnahme.
Den Lesern unserer Zeitschrift sind die hervorragenden Verdienste desselben um die
Fortschritte der neurologischen Wissenschaft so bekannt dass wir sie nicht besonders hervor¬
zuheben brauchen.
Seinen klassischen Werken Bber Tabes (1863 und 1883) gesellen sich ..Die Klinik der
Backenmarkskrankheiten** (1874/75), seine Arbeiten über Hirndruck (1866) und Neuritis (1880)
hinzu. Bezüglich letzterer sind seine Verdienste um die Entwickelung der Lehre der Nen-
ritis multiplex besonders hervorzuheben.
Wir wünschen dem Jubilar von ganzem Herzen noch für eine ungezählte Beihe von
Jahren die geistige Frische und körperliche Rüstigkeit, deren er sich jetzt in so hohem
Maassc erfreut
Herr Privatdocent Dr. Heilbronner (Halle) wurde zum ausserordentlichen Professor
ernannt
üm Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen f&r die Bedaotion Bind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel.
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Die dirigirenden Ärzte: Dr. F. Lührmann, Nervenarzt. Dr. F. Bartels, Besitzer.
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Nervenheilanstalt zu Görlitz
(Preusslsch - Schlesien).
Offene Kuranstalt und Pensionat für nervenkranke.
Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Oemüthskranke.
Aerztliches Pädagogium für jugendliche Kranke.
Diese seit dem Jahre 1855 bestehende, mit den Fortschritten der Wissenschaft wie
den Anforderangen der Zeit stetig weiterentwickelte Anstalt, inmitten grosser Gärten,
an den anmnthigen Parkanlagen der Stadt gelegen, nimmt kranke Damen wie Herren auf
und bietet neben dem Comfort der gebildeten Stände alle Hilfsmittel der Behandlung
and Pflege von Kranken. Besondere Sorgfalt wird auf die Trennung der leichten, resp.
Nervenkranken von schweren Kr&nkheitsformen, sowie aaf die Theilnahme der Patienten
am Familienleben und an regelmässiger Beschäftigung gewendet. Verschiedene getrennte
Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Rücksicht auf individuelle
Anforderungen und werden die ärztlichen Bemühungen durch ein zahlreiches gebildetes
Beamtenpersonal unterstützt — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
Fälle von Nerven- und Gemüthskranken im jugendlichen und kindlichen Alter ist inner¬
halb der Anstalt ein methodisches
ärztliches Pädagogium “äf
eingerichtet, in welchem eigene Lehrer für die hauptsächlichsten Lehrgegenstände —
Gymnasial- und Realschnlfächer — und ausserdem Instructoren für Handfertigkeiten,
mechanische, artistische, und körperliche Uebungen angestellt sind, um regelmässigen
Unterricht zu ertheilen und die geistige und sittliche Entwicklung der Zöglinge neben
den Aerzten zu überwachen und zu fördern.
Prospecte über die Heilanstalt wie das Pädagogium sind zu erhalten von
Dr. Kahlbaum.
St. Gilgenberg bei Bayreuth.
Heilanstalt
für nerven- und gemüthskranke Herren.
Leitender Arzt: Dr. Dieckhoff.
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tlerabminderung der Hamsäureproduction (bedeutungsvoll u. a. für Epilepsie!), hoher
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bewährt und wird mit Erfolg angewandt:
1 . bei Hysterie, selbst schweren Grades, auch Hysteria virills;
2 . bei Neurasthenie and Hypochondrie;
3. bei traumatischen Neurosen and bei rein nervösen Herzbeseh werden;
4. bei Hemlkranie und Neuralgien;
5. bei Störungen während der Menstruation;
Durch Valyl werden die Blutwallungen und Schmerzen im Unterleibe und regelmäßig auch die be¬
liebenden Kopfichmerzen betätigt, mitunter auch die tu Harken Blutungen verringert.
6. bei Beschwerden des Klimakteriums (Aasfallerscheinungen) und während der
Gravidität (Wallungen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herzklopfen werden
durch Yalyl auch bei Patientinnen mit normaler Menstruation beseitigt..
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3 Kapseln 2 bla 8 mal täglich.
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Suppe, Bouillon oder dergleichen zu reichen. Gelegentliche« Aufstoaaen nach dem Nehmen des Hedleamentes
kann dadurch verhindert werden, dass man dem Patenten 10 Minuten vorher eine Messerspitze Natrium
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1902. 16. Mal Nr. 10.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Demonstration zur Physiologie des corticalen
Sehens, von Prof. E. Hitzig in Halle. 2. Ueber acute cerebellare Ataxie, von Prof. Dr.
W. v. Bechterew in St Petersburg. 3. Fehlen der Kniesehnenreflexe bei dorsaler Compressions-
myelitis mit Degeneration der hinteren Wurzeln im Lendenmark, von M. Bartels. 4. Weiteres
über die asthenische Lähmung, nebst einem Obduotionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Qoldflam
in Warschau.
II. Referate. Anatomie. 1. Textura del sistema nervioso del hombre y de los verte-
brados, por Ramön y Cajal. 2. Einiges über die Beziehungen der Sehbahnen zu dem vorderen
Zweih&gel der Kaninchen, von Berl. 3. Das Cerebellum vom Scyllium canicula, von Edinger.
— Experimentelle Physiologie. 4. Ueber Localisation der Geschmacksoentra in der
Hirnrinde, von florschkoff. 5. Zur Lehre von der centralen Innervation der Kehle, von Onddi.
6. The movements and the innervation of the large intestine, by Bayllss and Sterling.
7. Klinische und experimentelle Studien über die Innervation der Blase, des Mastdarms und
des Genitalapparates, von MQIIer. 8 . Zur anatomischen Grundlegung der Kleinhirnphysiologie,
von Kohnstamm. — Pathologische Anatomie. 9. Sieben Fälle von Anomalieen des
Sulcus Rolandi, von Autonowski. 10. Ein porencephalisches Gehirn. Nachträgliche Be¬
merkungen zu den seitlichen Rückenmarksfurohen, von Obersteiner. — Pathologie des
Nervensystems. 11. Rhinogener Stirnlappenabscess, durch Operation geheilt, von Herzfeid.
12. Ueber die beim otitischen Abscess des linken SohläfenlappenB auftretenden Störungen
der Sprache, von Mertens. 13. A patient operated on six months previously for abscess of
the temporo-sphenoidal lobe originating in miadle-ear disease, by Rutherfurd. 14. Otitis media
acuta purulenta et empyema antri et cellul. mastoid. et pachymeningitis suppurativa ext et
abecessus cerebri (lobi temp.); trepanation och transplantation enl. König; heisa, af Dahlgren.
15. Otitis med. suppurativa dextra; mastoiditis suppurativa; abscessuB lobi temporalis dextri;
hemiparesis sinistra; trepanation; hefaa, af Bauer. 16. Abcäs du lobe temporal droit du
oerveau d’origine inconnue, par Li griffe. 17. Ein durch Operation geheilter Fall von Gehirn-
abscess im Schläfenlappen nach chronischer Mittelohreiterung, von Hölscher. 18. Cerebellar
lesions without oerebellar Symptoms, by Wadsworth. 19. Ueber Kleinhirngeschwülste, von
Brogaun. 20. Ueber die klinischen und anatomischen Ergebnisse eines Kleinbirntumors, von
Probst und v. Wieg. 21. A tumor (neuroglioma) of the superior worm of the cerebellum
associated with Corpora quadrigeminal Bymptoms, by Gordinier. 22. Fünf Fälle von Klein¬
hirntumor, von von Voss. 23. Zur Diagnostik und Therapie des Hydrocephalus internus und
der Kleinhirntumoren, von Sommer. 24. Larve d’hypoaerme dans le bulbe rachidien d’un
eheval, par Railliet et Ducasse. 25. Anatomischer Befund in einem als acute Bulbäraffection
(Embolie der Art. cerebellar. post. inf. sin.) beschriebenen Falle, von Wallenberg. 26. Ueber
eine ungewöhnlich gutartige Bulbäraffection im Kindesalter, von ZapperL 27. Des paralvsies
E sudobulbaires, par Comte. 28. Per l’anatomia patologica della paralisi pseudobulbäre.
ccrche dei Guizzetti e Ugolotti. 29. Zur Kenntniss der infantilen Pseudobulbärparalyse und
der angeborenen allgemeinen Bewegungsstörungen, von Zahn. 30. Pseudobulbänoaralyse mit
einseitiger reflectorischer Pupillenstarre, von Knotz. — Psychiatrie. 31. Beiträge zur
28
434
Kenntniss der Kinderpavehoeen, von Infeld. 32. Zar Klinik der Paerperalpsycbosen, von
Meyer. 33. Ueber Psychosen in unmittelbarem Anschluss an die Verheirathnng (nuptiales
Irresein), von Obersteiner. 84. Beitrag zur Kenntniss der indneirten Psychosen, von KOIpln.
35. Ueber Psychosen durch Autointoncation vom Darme ans, von v. Wagner.
III. Bibliegraphie. 1. Ueber die allgemeinen Beziehungen zwischen Gehirn und Seelen¬
leben, von Ziehen. 2. Ueber Dimmerzustände. Ein Beitrag zur Kenntniss der pathologischen
Bewusstseinsveränderungen, von MOrchen. 3. Beiträge zur psychiatrischen Klinik. Heraas¬
gegeben von So■ Her.
IV. Au den Gesellschaften. Socidtd de neurologie de Paris.
V. Vermischtes.
VI. Personalien.
L Originalmittheilongen.
1. Demonstration zur Physiologie des corticalen Sehens. 1
* Von Prof. B. Hitalg in Halle.
Die von mir angekündigte kurze Demonstration bezieht sich anf Gesichts¬
felder von Hunden, die ich doppelseitig im Hinterlappen, in der von Münk
sogenannten „Sehsphäre“ operirt habe. Dieser Demonstration will ich einige
erklärende Worte vorausschicken. Nachdem ich schon lange vorher angegeben
hatte, dass Exstirpationen im Hinterlappen des Hundes zu einer contralateraleu
Sehstörung führen, hatte Munk bekanntlich eine complicirte Theorie über die
Projection der Netzhäute auf die Rinde und das corticale Sehen überhaupt auf¬
gestellt Ich will im Uebrigen hierauf nicht näher eingehen und nur hervor¬
heben, dass nach dieser Theorie dauernde partielle Blindheit, Rindenblindheit,
anf jeden partiellen Eingriff in das Ocoipitalhirn folgen soll.
Luciani hatte ferner angegeben, dass ein Eingriff in die zweite Hemisphäre
eine Verschlimmerung der durch einen ersten Eingriff hervorgebrachten Sehstörung
bewirke. Indessen hat weder er noch, wie ich beiläufig bemerke, sonst Jemand
den Decur8U8 der Sehstörungen beschrieben und ausserdem haften den Versachen
Lüciani’s so viele Mängel an, dass sie so gut wie unbeachtet geblieben sind.
Die Gesichtsfelder, welche ich Ihnen herumgebe, rühren nun mit einer
Ausnahme von solchen Hunden her, bei denen die nach einer ersten Operation
entstandene Sehstörung vollkommen verschwunden war, als dann eine zweite partielle
Exstirpation in der anderen Hemisphäre vorgenommen wurde. Ausserdem befinden
sich auf einer Tafel noch die Gesichtsfelder eines Hundes, der überhaupt nur
einer Operation unterzogen wurde. Die Ausnahme betrifft einen Hund, bei dem
beide Operationen in einer Sitzung ausgeführt wurden.
Betrachten Sie nun die Gesichtsfelder der ersten bezw. Einzeloperationen,
so ergiebt sich 1. dass die Sehstörung sich in kürzerer oder längerer Zeit gänz¬
lich verliert, wenigstens so, dass mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln
keine Spur von ihr mehr nachzuweisen ist; 2. dass sie sich sämmtlich insofern
1 Vortrag, gehalten im Verein der Deutschen Irrenärzte za München im April 1902.
igitizedby G()OgIe
4S5
gleichen, als die Sehstörang sich immer zuerst medial und unten verliert, so
da» schliesslich nur noch ein amblyopisoher Fleck lateral und oben zurückbleibt.
Bei Weitem merkwürdiger sind die Gesichtsfelder der doppelseitigen Opera¬
tionen. Es würde mich viel zu weit führen, wenn ich auf alles, was sich darüber
sagen lässt, eingehen wollte. Ich beschränke mich auf Folgendes: 1. mit zwei
Ausnahmen bewirkte die zweite Operation stets ein Wiederaufleben der Seh¬
störang des zuerst geschädigten Auges. 2. Diese Sehstörung war in mehreren
Fällen ebenso hochgradig, ja sogar hochgradiger als die Sehstörung des nun¬
mehr geschädigten Auges. 3. Gelegentlich wurde beobachtet, dass die Sehstörung
auf dem Auge der zuletzt operirten Seite, welohes also der ersten Operation ent¬
sprach, noch eine nachträgliche Verschlimmerung erfuhr, so dass sie also am
dritten und den folgenden Tagen hochgradiger als am zweiten Tage war. 4. Solche
Sehgtörungen, wie sie nach der Lehre Munk’s zu erwarten gewesen wären, also
tircumscripte Skotome, wurden insofern nicht beobachtet, als diese der Haupt¬
sache nach den hemianopisohen Charakter trugen. 5. Insbesondere verloren
sich auch die nach doppelseitigen Exstirpationen auftretenden Sehstörungen mit
der Zeit gänzlich.
Wenn schon durch früher von mir publioirte Versuche die Unhaltbarkeit
dar Lehre Mdmk's erwiesen war, so wird ihr durch die eben vorgetragenen
Thatsachen der Boden vollends entzogen, denn diese Lehre beruht auf der
Voraussetzung, dass jedes Retinaelement mit einem Rindenelement direct ver¬
banden sei, so dass seine Function mit der Existenz des ihm zugeordneten
Rindenelements dauernd verlöschen müsse. Wäre dies richtig, so bliebe das
Wiederaufleben der Sehstörung auf der zuerst geschädigten Seite absolut unver¬
ständlich. Natürlich widerspricht das Fehlen von circumscripten dauernden
Skotomen, ja von dauernden Sehstörungen überhaupt, gleichfalls dieser Lehre.
Indessen begnüge ich mich mit den gegebenen Andeutungen.
2. Ueber acute cerebellare Ataxie.
Von Prof. Dr. W. ▼. Bechterew in St. Petersburg.
Vor einiger Zeit ist von mir bei Alkoholikern eine eigentümliche Störung
der Motilität mit acutem Verlaufe beschrieben worden. 1 Das wesentlichste
Symptom dieses Krankheitszustandes bildet eine bestimmte Störung des Gleich¬
gewichtes, sich äussemd in hochgradigem Hin- und Herschwanken des Körpers,
unsicherem an die Bewegungsweise eines Trunkenen erinnernden Ganges und
mehr oder weniger beständigem .Kopfschwindel.
Gemäss den aus der Physiologie bekannten Thatsachen sah ich mich zu¬
gleich veranlasst, die Störung als acut sich entwickelnde cerebellare Ataxie auf-
1 W. v. Bbchthbbw, Acut sich entwickelnde Störong der Motilität bei Säufern mit den
Ktnozeiehen der cerebellaren Ataxie. Obosrenije psiehiatrii. 1900. Nr. 1 (russisch) u.
Nevolog. Centralbl. 1900. 8. 884.
28’
Digitizedby G00gle
486
zufassen. Wenn ich das Leiden im Zusammenhänge mit Alkoholismus beschrieb,
so ist damit selbstverständlich nicht gesagt, dass dasselbe nicht auch als Folge
anderer ätiologischer Momente auftreten könnte. Jedoch muss ich, wie in
meiner vorerwähnten Mittheilung, so auch gegenwärtig betonen, dass die hier
in Bede stehende Erkrankung wohl zu unterscheiden ist gegenüber jenen von
Leyden, C. Wbstphal, Denkler und Anderen beschriebenen Fällen gewöhn¬
licher acuter Ataxie, die grösstentheils im Anschlüsse an die eine oder andere
Infectionskrankheit zur Entwickelung gelangen. In beiden Fällen handelt es sich
um Krankheitsformen, die augenscheinlich mit einander nichts zu thun haben.
Bei der von jenen Autoren geschilderten acuten Ataxie handelt es sich um Ataxie
einzelner Bewegungen an allen Gliedmaassen, Rumpf- und Kopfmusculatur nicht
ausgenommen, wobei die Ataxie der Arme zu einer Bewegungsstörung führt,
die an Intentionszittern erinnert; daneben besteht scandirende und überhaupt
hochgradig behinderte Sprache, spastische Parese der unteren Extremi¬
täten u. 8. w.
Hingegen in meinen Fällen handelt es sich um eine acut einsetzende
8törung der Motilität mit den Charakteren cerebellarer Ataxie. Nach einem
Koma oder nach einem gewöhnlichen Schlafe, heisst es hierüber in meiner obigen
Schrift, nimmt in solchen Fällen der Kranke zu seinem Erstaunen wahr, dass
er entweder überhaupt unfähig ist zu gehen oder nur mühevoll sich auf den
Beinen zu halten vermag, und zwar in Folge mehr oder weniger lebhaften Hin-
und Herschwankens. Der Kranke erinnert dabei in seinen Bewegungen an
einen schwer Betrunkenen. Im Ganzen ist die Alteration der Motilität gekenn¬
zeichnet durch hochgradige Störung des Körpergleichgewichtes; subjeotiv besteht
das Gefühl von Schwindel, Schwere im Kopfe, manchmal Uebelkeit, die selbst
zu Erbrechen führen kann. Diese Allgemeinsymptome lassen mit der Zeit nach,
aber die Störung der Motilität bleibt grösstentheils längere Zeit fortbestehen.
Sie äus8ert sich in seitlichem Hin- und Herschwanken des Körpers, auch im
Stehen, bei geschlossenen sowohl, wie bei offenen Augen. Versucht der Kranke
zu gehen, so wird das Schwanken häufig noch um vieles lebhafter. Bei Einzel¬
bewegungen dagegen treten keine offenbaren Anzeichen von Ataxie auf. An
den Augen besteht Nystagmus, die Sprache aber erscheint meistenteils intact
Lähmungen oder Sensibilitätsstörungen sind nicht vorhanden, die Patellar-
reflexe erhalten oder nur leicht erhöht
Aus dieser Aufzählung der Symptome erhellt nun, dass zwischen dieser
Erkrankungsform und der gewöhnlichen acuten Ataxie ein wesentlicher Unter¬
schied obwaltet Erstere habe ich in Folge dessen als acute oerebellare Ataxie
bezeichnet und auf ihre Sonderstellung gleich von vornherein in meiner Arbeit
Gewicht gelegt
Unlängst hat Dr. Schnitzer 1 einen Fall von Cerebellarataxie acuten
Ursprungs beschrieben, der ganz an den meinigen erinnert Leider betont er
in seiner Arbeit nicht den Unterschied zwischen gewöhnlicher acuter und cere-
1 WoproMjr nerwno-psich. mediziny. 1901. (Rassisch.)
, y Google
437
bell&rer Ataxie und erörtert die Litteratur beider Krankheitsformen gemein¬
schaftlich. 1
ln dem erwähnten Falle von Dr. Schnitzer handelt es sieh „um einen
Kranken, der sich beklagte über allgemeine Zerschlagenheit, Anfalle von Schwindel
bei jedem Bewegungsversuche und Störung des Körpergleichgewichtes, in der Weise
sich äossernd, dass der Kranke beim Gehen wie ein Trunkener hin- und her¬
schwankt, wobei er die Empfindung hat, als störe ihn irgend eine unsichtbare
Kraft bald nach der einen, bald nach der anderen Seite (zumeist nach links),
so dass er sehr oft gezwungen ist, sich an irgend einen Gegenstand zu klammern,
um nicht zu stürzen.“ Der Patient stammt aus neuropathisch veranlagter
Familie, hatte in seinem 30. Jahre Lues, stellt Alkoholgebrauch und Mastur¬
bation in Abrede. Die Krankheit entwickelte sich angeblioh im Anschluss an
den Genuss einer Fischspeise zweifelhafter Güte, welche Magenstörungen und
unter anderem auch Erbrechen hervorrief. Einige Ausspülungen mittels der
Sonde hatten dem Kranken Erleichterung verschafft Erscheinungen von cere-
bellarer Ataxie waren dabei nioht aufgetreten. Solche zeigten sich erst am
6. oder 7. Tage nach jenem Ereignisse. „Zu seinem Erstaunen bemerkte der
Kranke plötzlich, dass er wegen seitlichen Hin- und Herschwankens beim Gehen
nur mühsam sich aufrecht erhalten konnte. Zugleich hatte er bei jeder Be¬
wegung Anfälle von Schwindel, so dass er ohne fremde Beihülfe in der ersten
Zeit nicht einen einzigen Schritt wagen durfte.“
Alle diese Symptome hielten bei dem Kranken durch zwei Wochen an,
begannen sodann allmählich nachzulassen und verschwanden zuletzt vollständig.
Nach Ansicht des Verf.’s handelt es sich im vorliegenden Falle um eine
acute Ataxie, „im Anschlüsse an einen acuten Magencatarrh, höchstwahrschein¬
lich bedingt durch Intoxication des Körpers mit Gährungsproducten der
Jngesta.“
Eine Vergleichung der Krankheitsbilder in dem SoHNrrzEB’schen Falle mit
dem Bilde der von mir mitgetheilten Fälle lässt, wie ich glaube, keinen Zweifel
übrig, dass es sioh in seinem Falle um die nämliche Erkrankungsform handelt,
die schon von mir beschrieben wurde. Jedoch bestand in dem ScHNiTZEß’schen
Falle kein Alkoholismus, wie in meinen Fällen, sondern bestand hereditäre Be¬
lastung und Lues, während der unmittelbare Anstoss zum Auftreten einer acuten
Cerebellarataxie gegeben wurde durch Fischvergiftung und die im Anschlüsse
daran aufgetretenen, mit mehrfachem Erbrechen verbundenen Störungen. Ob
in diesem Falle Vergiftung durch faulige Zerfallsproducte unmittelbare Ver¬
anlassung der Krankheit war, wie Verf. selbst annimmt, oder ob gar Erbrechen
hier direct zur Bildung eines Blutextravasates im Cerebellum hat führen
können, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Jedenfalls aber wird man dem
1 Ana einer schriftlichen Mittheilung des Verf.’s ersehe ich, dass derselbe seinen Fall
Diprünglich unter der Bezeichnung „acute cerebrale Ataxie“ aufgeföhrt wissen wollte;
die Bezeichnung als „cerebellare“ Ataxie ist später durch dritte Hand bei der Drnoklegung
Ttrulasst worden. Dies bestärkt mich darin, dass der Verf. auoh seinen eigenen Fall nicht
ganz gegenüber der gewöhnlichen Ataxie der Autoren abgrenzt.
Google
438
Angeführten zufolge zugeben dürfen, dass die von mir beschriebene acute
Cerebellarataxie nicht allein auf dem Boden von chronischem Alkoholismus,
sondern auch unter anderen Verhältnissen zur Entwickelung kommen kann.
Da Grund vorhanden ist zu der Annahme, dass vorliegende Krankheitsform
auf einer acuten Affection des Kleinhirns, höchstwahrscheinlich vasculären
Ursprunges beruht, so wird diese Erkrankung sioh augenscheinlich entwickeln
können bei Zugegensein aller jener Ursachen und Momente, welche dem Auf¬
treten von Uefassaffectionen im Cerebellum in Gestalt von Blutaustritten, Throm¬
bosen u. 8. w. Vorschub leisten.
[Aas der psychiatrischen Klinik ia Strassbarg (Prof. Dr. Förstnmr.)]
3. Fehlen der Kniesehnenreflexe
bei dorsaler Compressionsmyelitis mit Degeneration der
hinteren Wurzeln im Lendenmark.
Von M. Bartels,
Assistenzarzt der Klinik.
Hin und her wogt der Streit, wie das Verhalten der Kniesehnenrefleie bei
Querschnittsverletzungen des Rückenmarkes zu erklären sei. In neuester Zeit
tritt Nonne 1 an der Hand der Litteratur und auf Grund von vier eigenen
Fällen der Ansicht derer bei, welche „die Ursache für das Verschwinden der
Sehnenreflexe nach einer Querschnittsläsion im Rückenmark oberhalb des spinalen
Reflexbogens in einer Lostrennung des Einflusses der höheren (Gehirn-) von den
unteren (Rückenmark-) Centren sehen“. Gegen diese BASTiAN’sche, von Bbüns
unterstützte Theorie wenden sich in jüngster Zeit zwei Arbeiten (vergl. die Nach¬
schrift), von denen die Beobachtung von Braüeb 2 grundlegende Bedeutung be¬
sitzt Das ältere Material haben Nonne und B&asoh 9 ausführlich bearbeitet,
und es sei hier darauf verwiesen.
Während die bisher mitgetheilten Fälle, in denen bei völliger Querläsion
die Sehnenreflexe erhalten waren, von den Anhängern obiger Theorie als nicht
stichhaltig erklärt wurden, so ist bei dem Fall Braubb’s ein Zweifel wohl nicht
möglich. Hier waren die Sehnenreflexe bis zum Tode vorhanden, ja gesteigert,
trotzdem das Rückenmark im Dorsaltheil auf eine Strecke von 1 J / 2 cm fehlte
und auch mikroskopisch in dem verbindenden Rest der Häute nichts von
Nervenfasern nachzuweisen war. Bbaueb zieht zur Erklärung seines Falles
Thierexperimente heran und erklärt die Anschauung für nicht haltbar, dass das
Reflexcentrum in der absteigenden Thierreihe eine grössere Selbständigkeit be¬
sitze, und dass somit Thierexperimente nichts beweisen könnten. Der Autor
* Archiv f. Psych. 1900. XXXIII. S. 398.
1 Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1900. XVIII. S. 284.
* Fortechr. der Medicin. 1900. XVIIL S. 121.
zedby G00gle
erinnert weiter an den Einfluss, den die Höhe der Läsion bei den Experimenten
darauf besitzt, ob die Reflexe erlöschen oder erhalten bleiben. Er kommt wieder
auf die STEBNBBBG’sche Theorie der reflexhemmenden Wirkung höherer Rücken-
markscentren zurück. Möglicherweise sei das Schwanken des Verhaltens der
Reflexe auch durch Druckschwankungen unterhalb der Läsion zu erklären. Jeden¬
falls beweist dieser Fall, dass das Fehlen des Einflusses höherer Centren nicht
Reflexverlust bedingt
Eine andere Anschauung vertritt Bälint . 1 Dieser Autor kommt auf Grund
seiner Beobachtung bei Durchsicht der Litteratur zu der Ueberzeugung, dass eine
directeLäsion der Reflexbahnen, die er auch in seinem Falle constatirte, bei fehlenden
Reflexen angenommen werden müsste. Doch glaubt er nicht, dass diese Schädigung
allein genügt, sondern zugleich soll eine Trennung der Nervenzellen von cere-
bellaren oentrifugalen Bahnen den Tonus der Nervenzellen und Muskeln ver¬
mindern und dadurch ungünstig den Ablauf der Reflexfunctionen beeinflussen.
Den Beweis für letztere Annahme entnimmt Bälint den experimentellen Klein¬
hirnexstirpationen, doch erscheint er absolut noch nicht sichergestellt Der
Autor erklärt sämmtliche Fälle, in denen das Fehlen der Reflexe durch völlige
Querläsion erklärt war, für nicht einwandsfrei. Entweder sei der Reflexbogen
nicht genügend untersucht worden, oder er habe doch Veränderungen gezeigt
oder drittens etwaige Veränderungen seien wegen der Kürze der Krankheitsdauer
nicht nachweisbar gewesen. Die Kritik, welche Bälint an den Fällen der
Litteratur ausübt bedarf aber zum mindesten bei Hoohb’s Fällen der Revision.
Bälint führt allerdings bei den Fällen des letztgenannten Autors das Fehlen
auf eine „Shok“wirkung (20 Tage!) zurück, erklärt aber Hoche’s Behauptung,
der Reflexbogen sei intact gewesen, für unbegründet. Bälint schreibt, „im
mikroskopischen Befund sei vom Lendenmark nur soviel erwähnt dass das
Lendenmark auf WmoBBT’schen Präparaten ein ganz normales Bild bietet“.
Das ist ein Irrthum, wohl ist letzteres erwähnt, aber der Schwerpunkt der
HoCHE’schen Arbeit liegt in den Ergebnissen der MABcm-Methode, die in allen
Höhen angewandt wurde. Bälint hätte sich auf den beigegebenen Doppeltafeln
leicht darüber orientiren können, welche Veränderungen in sämmtlichen Lumbal¬
segmenten nach Mabohi vorhanden waren. Dies nur zur Richtigstellung.
Uebrigens erklärt Bbuns es schon für wahrscheinlich, dass bei unvoll¬
ständigen Querläsionen mit fehlenden Reflexen Veränderungen im Reflexbogen
zu erwarten seien. Zuerst erwähnt solche ausdrücklich Eggebs, nämlich ein¬
seitig geringere Ganglienzellenzahl; Fbancotte, Leyden, Mabenesoo fanden
Erkrankungen der Vorderhornganglienzellen; Bischöfe Degeneration der hinteren
Wurzeln, Oppenheim - Sikmebi jnq in den Nervenstämmen, hauptsächlich im
Cruralis. In neuester Zeit constatirte Bbasch, auf den wir noch zurückkommen,
Veränderungen der Zellen des Vorderhoms und der CLABKE’schen Säulen sowie
im intramedullären Theil der vorderen Wurzeln (nach Mabohi) und der Nn. cru-
rales. In Bälint’s schon erwähntem Fall bestand Degeneration der hinteren
1 Deutsche Zeiteohr. f. Nervenheilk. 1901. S. 414.
440
und vorderen Wurzeln, bei Mabchi- und WKioEBT-Methode nachweisbar. Der
Fall dieses letzten Autors ist eigentlich den obigen nicht gleichzustellen, da es
sich hier um eine luetische Myelitis mit entzündlicher Veränderung der Pia
handelt.
Bei der geringen Zahl der Mittheilungen über Veränderungen im Reflex¬
bogen scheint es angebracht, unsere Beobachtung hinzuzufügen.
Anamnese and Krankengeschichte (abgekürzt).
M., 30 Jahre alt, Lederarbeiter. Keine hereditäre Belastung, keine Lues.
Im August und September 1900 weilte Patient in einer Lungenheilstätte wegen
beginnender Tuberculose der linken Lungenspitze und linksseitiger Pleuritis; er
wurde als arbeitsfähig entlassen. Mitte Januar 1901 bemerkte Patient Schmerzen
und eine Anschwellung unter dem linken Schulterblatt, zugleich Schmerzen im
„Rückgrat“ beim Bücken. Vom 24./I. bis 9./II. 1901 wurde er in der chirur¬
gischen Klinik in Strassburg behandelt unter der Diagnose: „Senkungsabscess am
Thorax in der Höhe des 6.—9. Brustwirbels; Mal um Potii.“ Der Abscess wurde
zwei Mal punctirt mit nachfolgender Jodoformölinjection, am 9./II. entliess man
den Patienten zur ambulatorischen Weiterbehandlung. Am 4./IEI. 1901 wurde er
wieder in die chirurgische Klinik aufgenommen; am 6./HI. dritte Punction; am
13./m. 1901 vierte Punction. Patient klagt über heftige Schmerzen in den
Beinen, die ihn an Bewegungen hindern. Am 14./IIL wird hochgradige Schwäche
beider Beine (Patient konnte bis dahin gehen), Schmerzen vom Knie an abwärts,
Herabsetzung der Sensibilität bis zur Nabelhöhe und Steigerung der Patellar-
reflexe festgestellt; zugleich besteht Retentio urinae. Die Motilität nimmt rapide
ab, Blasen- (Detrusor) und Mastdarmlähmung besteht.
Am 18./1H. 1901 wird der Patient auf die neurologische Abtheilung der
psychiatrischen Klinik verlegt.
Status: Patient ist etwas anaemisch und mager. Ueber der linken Lungen¬
spitze hört man bronchiales Athmen und Rasselgeräusche. Puls beschleunigt.
Temperatur 38,0°, Athmung mühsam und schmerzhaft. Die Bauchdecken sind
schlaff und durch die luftgefüllten Därme vorgewölbt Starkes Oedem beider
Beine vor allem in der Gegend der Fussknöchel. Röthung der Haut an beiden
Fersen und über beiden Gesässbacken.
Die 6.—8. Brustwirbeldornfortsätze sind auf Druck empfindlich, es besteht
aber kein Gibbus. Links von der Wirbelsäule unterhalb des linken Schulter¬
blattes ein fluctuirender Abscess.
Schlaffe, totale Lähmung der Bauchpresse und de'r unteren Extremitäten,
nicht die geringste Bewegung kann ausgeführt werden, Aufrichten, Drehen und
Wenden aus der Rückenlage ist unmöglich. Mastdarm- und Blasen (Detrusor)-
lähmung, der Urin muss mit dem Katheter geholt werden, er ist frei von Eiweiss
und Zucker.
Die Patellarsehnenreflexe fehlen vollkommen. Fussklonus nicht
vorhanden. Oberer und unterer Bauchreflex, sowie Cremasterreflex sind nicht zu
erhalten. Oberflächliche Berührung der Fusssohle löst keinen Reflex aus, auf tiefe
Stiche erfolgt stets Dorsalflexion der grossen Zehe.
Sensibilität: Subjeotiv: Reissende Schmerzen in beiden Beinen, in der Gegend
des Proc. xyphoides (Hervortreibung der Bauchdecken oder Gürtelgefühl?).
Objectiv: Lagegefühl der unteren Extremitäten fehlt vollkommen. Tast-
und Temperaturempfindung völlig erloschen, vorn bis zur Höhe des Proc. xyphoides,
hinten bis zur Höhe des 6. Brustwirbeldornfortsatzes. In demselben Gebiet auch
Analgesie, jedoch lösen in der FusBsohle und an den Zehen tiefste Stiche zeit¬
weise eine brennende Nackenempfindung aus, auch besteht daselbBt Summation.
GoogI<
441
Patient fühlt die Einführung des Katheters nicht, aber die Ueberwindung des
Sphincter veeicae.
Die Schweisssecretion an den unteren Extremitäten fehlt.
Der Zustand blieb im Wesentlichen derselbe. Es besserte sich die Lähmung
der Bauchdecken. Die Grenze der erhaltenen Schmerzsensibilität ging in den
nächsten 8 Tagen an der linken Seite vorn bis zum unteren Rande der 9. Rippe
herab, ohne seitlich die Mittellinie ganz zu erreichen, hinten links bis zum dritten
Lendenwirbeldornfortsatz. ln der Folgezeit, bis Mitte April, wurden am rechten
Bein zeitlich und local wechselnd vereinzelte tiefe Stiche empfunden; von Mitte
April nicht mehr. Zeitweilig bestand Ischuria paradoxa. Von Ende April ab
trat eitrige Cystitis ein, daneben reichliches eitriges Sputum. Patient hatte kein
Gefühl, ob Stuhlgang abging oder nicht, aber der Sphincter ani functionirte bis
xuletzt, wenn auch schwächer, und stets konnte reflectorisch durch Einführung
von Wattetampons regelmässig Stuhlgang erzeugt werden.
Die Patellarsehnenreflexe wurden täglich untersucht und fehlten
bis zum Tode.
Das Verhalten der Hautreflexe blieb dasselbe, nur war der Babinsxi 'sehe
fieflex links ständig stärker wie rechts. In den letzten Wochen löst selbst
leiseste Berührung der Füsse eine starke Zuckung im ganzen Bein aus. Vom
Ende März an setzten sehr heftige, schmerzhafte Spontancontractionen der unteren
Extremitäten ein.
Der Puls war ständig beschleunigt bei intermittirendem Fieber. Augenhinter¬
grund bis zum Tode intact. Der Patient erlag der Cystitis im Verein mit dem
in den letzten Wochen sich ausbildenden Druckbrand bei enormer Abmagerung
und Anämie am 21./VH. 1901.
An Medicamenten hatte Patient wechselnd Salipyrin, später Urotropin und
Tinctura opii (gegen die Schmerzen) bekommen.
Auf Grund des Status und der Anamnese war die Diagnose Compressions-
myelitis in der Höhe des 5. Dorsalsegments selbstverständlich, es wurde eine fast
völlige Querschnittsläsion angenommen, da bei schlaffer Lähmung die Reflexe
fehlten, Patient aber noch Schmerzen in den Beinen verspürte, sowohl bei Con¬
tractionen wie bei Stichen.
Aus dem Sectionsprotocoll (Prof Dr. Schmidt):
An der Hinterfläche der Dura mater spinalis in der Höhe des 4. und 5. Brust¬
wirbels eine 6 cm lange und 1 cm sich erhebende Auflagerung, bestehend aus
käsigem, brüchigem Granulationsgewebe, dieselbe reicht auf die linke Seite hin¬
über, nicht aber nach rechts, vielmehr ist rechts nur an die Austrittsstelle der
4. Brustnervenwurzel ein kleines käsiges Polster aufgelagert. Das Ligamentum
longit. post, ist continuirlich vorhanden, an dem rechten Rand tritt in der Höhe
der 4. Brustnervenwurzel käsige Substanz hervor, welche mit der Auflagerung
der Dura in Verbindung steht, und unter dieser Stelle liegt der Knoohen des
5. Brustwirbelbogens etwas rauh zu Tage und zwar mit einer rundlichen Partie
von etwa 1 cm Durchmesser. Im Bereich der Auflagerung ist die Dura mit den
weichen Häuten durch lockeres Bindegewebe verbunden, aber nur an der Hinter¬
fläche. Das Rüokenmark selbst ist kaum verschmälert unter der Auflagerung und
etwas platt, aber nicht weich. Auf allen Querschnitten durch das Halsmark er¬
scheinen die GoLL’schen Stränge auffallend stark weise und undurchsichtig im
Gegensatz zu der übrigen weissen Substanz, welche die normale Farbe und Trans¬
parenz besitzt. Unterhalb der Auflagerung ist auf den Querschnitten nichts von
besonderen Färbungen, speoiel in den Seitensträngen, zu finden.
Die Hirnsection ist ohne pathologischen Befund.
An den übrigen Organen ist abgesehen vom Decubitus chronische tuberculöse
Google
442
Pericarditis adhaesiva, Pleuritis tuberc. sinistra, miliare Tuberkel in beiden Lungen
und frische Bronchopneumonie rechts notirt.
Das Rückenmark und der Hirnstamm wurden in Müller 'scher Flüssigkeit
gehärtet.
Nach der Härtung makroskopisch: Auf Schnitten oberhalb der Höhe der
epiduralen Auflagerungen vom 4. Dorsalsegment an aufwärts heben sich deutlich
die hellen Stellen der Gou/schen Stränge, der Kleinhirnseitenstrangbahn und des
GowERs’schen Bündels ab. Nach unten vom 6. Dorsalsegment an abwärts deut¬
liche Degeneration der rechten Pyramidenvorder- und Pyramidenseitenstrangbahn,
schwach auch links.
Auf Schnitten durch das untere Ende des 4. Dorsalsegmentes ist keinerlei
Zeichnung der grauen Substanz mehr zu erkennen, die Substanz ist im Gegensata
zum übrigen Rückenmark brüchig und zerbröckelt leicht beim Schneiden, dann
folgt ein Stück des 5. Dorsalsegmentes, das verschwommen die Zeichnung erkennen
lässt. Es heben sich hell die GoLL’schen Stränge, die Stelle der rechten Pyramiden¬
vorder- und Pyramidenseitenstrangbahn ab, daneben sind noch fleckweise hellere
Stellen in der weissen Substanz zerstreut, ohne dass andere Bahnen Bich deutlich
abgrenzten. Das unterste Ende des 5. Dorsalsegmentes lässt wiederum keine
Zeichnung mehr erkennen und die Substanz ist brüchig. Vom Beginn des
7. Dorsalsegmentes an ist die Consistenz wieder normal und die graue Substanz
deutlich sichtbar.
Bemerkenswerth ist nun, dass an der oberen Stelle der stärksten Rücken-
marksveränderung in der Höhe des unteren Endes des 4. Dorsalsegmentes die
epidurale Auflagerung am schwächsten ist, ungefähr 1 / t cm weniger breit wie
mehr nach unten zu, an der unteren Compressionsatölle (Ende des 5. Dorsal*
Segmentes) ist die Auflagerung am stärksten. Es wurden Stücke aus allen Höhen
des Rückenmarkes mikroskopisch nach Mabohi untersucht; zugleich auch von
verschiedenen Stellen oberhalb und unterhalb der Compression, sowie von letzterer
selbst Schnitte nach Weigert’s Markscheidenfarbung und nach van Gieson be¬
handelt. An den Compressionsstellen sind bei MABCHi-Schnitten nur wenig ge¬
schwärzte Fasern diffus vertheilt nachweisbar. Weigert- und van GiEßON-Schnitte
zeigen dann, dass die Fasern fast sämmtlich atrophirt und verschwunden sind,
nur vereinzelt sind normale Faserdurchschnitte zu erkennen. Die Grenzen der
grauen und weissen Substanz sind verschwunden, Reste des Vorderhomzellkörpers
liegen in gliösen und bindegewebigen Wucherungen. Im Uebrigen bietet sich
betreffs Körnchenkugeln und Gefässe das häufig beschriebene Bild. Erwähnt sei
nur noch, dass sich an der oberen Compressionsstelle, und nur an dieser, sonst
nirgends im Rückenmark ein bis sechsfacher Centralcanal findet, dessen Cylinder-
zellen auf van GiESON-Schnitten deutliche Röhrenquerschnitte bilden.
Combinirt man die Resultate der Marchi- und WEiGEBT-Schnitte, so ergiebt
sich eine fast totale Querläsion, wobei allerdings einige anatomisch intacte Fasern
erhalten sind.
Nach oben und unten finden sich die schon makroskopisch nach der Härtung
sichtbaren Degenerationen. Makroskopisch war die Degeneration der linken
Pyramidenbahn schon nur schwach zu sehen, mikroskopisch ist weder bei Weigert
noch bei Marchi eine stärkere Degeneration nachweisbar, die Bahn erweist sich
somit als grösstentheils intact. Ueber die Resultate, welche die Verfolgung der
Degenerationen ergab, hoffe ich in einer anderen Arbeit berichten zu können.
Hier interessirt nur folgender Befund:
Vom 2. Lumbalsegment an abwärts bis in die Höhe des mittleren
Sacralmarkes zeigte sich auf MABOHi-Präparaten eine Degeneration der
hinteren Wurzeln. Die Degeneration war am stärksten in der Höhe des
3. und 4. Lumbalsegmentes. Eine Degeneration wurde nur dann angenommen,
>yG00gI<
443
als sich auoh auf Längsschnitten die Fasern als degenerirt in ihrem Verlauf nach*
weisen Hessen.
Die Schwärzung war hauptsächHch auf eine kurze Strecke intramedullär von
der pialen Einschnürungsstelle an zu sehen, extramedullär garnicht oder nur eine
sehr kurze Strecke und peripherwärts waren die Wurzeln gänzlich frei. Eis er¬
gaben sich ähnHche Bilder, wie Hoche 1 sie bei Degeneration der hinteren Wurzeln
durch Hirntumoren abgebildet hat. Nur war in unserem Falle die Degeneration
schon weiter vorgeschritten und ergab nicht so schöne Befunde. Auf den Längs¬
schnitten lassen sich einzelne Fasern bis weit in das Rückenmark verfolgen, doch
ist nirgends eine deutliche Theilung sichtbar, da die Continuität oft unterbrochen
ist Wohl sieht man hier und da bogenförmige Fasern, welche als Reste der
Fasern und der Theilung aufzufassen sind.
Auf Querschnitten ist bezüglich des weiteren Verlaufe der degenerirten Fasern
kein sicherer Aufschluss zu gewinnen. Einzelne Fasern scheinen die Substantia
Rolandi zu durchsetzen, einzelne direct in den hinteren Winkel des Hinterhorns
einzutreten, die Hehrzahl strebt augenscheinlich an dem hinteren Winkel vorbei
der CLARKE’schen Säule zu.
Auf Weigert ’s Schnitten färben sich die Fasern sehr gut in den hinteren
Wurzeln, hier und da fallen Löcher ohne Substanz auf, in denen bei van Gibbon
vereinzelt matte Axencylinderreste Hegen oder Rundzellen. Im Ganzen ist die
Degeneration aber bei den letzten beiden Methoden nicht nachweisbar, die Löcher
wären eventuell auf Schrumpfungsvorgänge beim Härten zurückzuführen. In den
Hintersträngen sind weder nach oben noch nach unten systematisch Degenerationen,
ausgehend von der Degeneration der hinteren Wurzeln nachzuweisen. Schwarze
Punkte finden sioh diffus in denselben vertheilt, vielleicht nach oben mehr in der
Nähe der Mitte der Fissura posterior, nach unten (abgesehen vom ovalen Feld)
mehr seitHch vom Winkel des Hinterhorns. An den vorderen Wurzeln, an den
Zellen der Vorderhörner und der CiiARXE’schen Säule war mit den angewandten
Methoden nichts Pathologisches nachzuweisen. Nisse- Färbung war in Folge der
Härtung und späteren Section nicht möglich.
Rückenmarkshäute: Die epiduralen Auflagerungen bestehen aus käsiger
Substanz von Zellanhäufungen umgeben, in denen sich zahlreiche Riesenzellen
finden. Die Gefasse sind infiltrirt, theilweise endarteriitisch obliteriirt. Die ent-
zündHche Infiltratation, welche sich an der Aussenseite der Dura unter den Auf¬
lagerungen findet, ist nirgends an der Innenseite zu entdecken. An der Stelle
der Compression im Dorsalmark ist die Arachnoidea und Pia etwas verdickt, die
Lymphräume zeigen geringe endotheliale Wucherungen, die Gefässwände sind
verdickt.
Die Pia mater erweist sich am ganzen übrigen Rückenmark intact und zeigt
speciell in der Gegend der hinteren Wurzeln im Lendenmark keine Veränderungen.
Es handelt sich also m unserem Falle um eine mindestens 4 Monate alte
Drucklähmung in der Höhe des 5. Dorsalsegmentes. Die Reflexe, welche an¬
fangs gesteigert waren, erloschen völlig mit dem Eintritt der schlaffen Lähmung
und blieben aus bis zum Tode. Der Querschnitt des Rückenmarkes ist ana¬
tomisch nicht vollständig lädirt, da noch einzelne Fasern nachweisbar waren
und zudem die linke Pyramidenbahn nicht ganz degenerirt war. Auch functioneil
war die Läsion wahrscheinlich nicht vollständig, da durch die Faserreste noch
die Schmerzen in den Beinen auf Stiche dem Bewusstsein des Patienten ver-
Google
1 Deutsche Zeitachr. f. Nervenheilk. 1897. 8. 424.
444
mittelt wurden. Dagegen findet sich nach Mabchi im Lumbalmark, am stärksten
im 3. und 4. Segment eine Degeneration aller hinteren Wurzeln, hauptsächlich
in ihrem intramedullären TheiL Bedingt könnte diese Degeneration durch ver¬
schiedene Ursachen sein. Auszuschliessen ist wohl zuerst eine allgemeine Ver¬
giftung des Organismus, welche, wie etwa bei Pellagra, Diphtherie, Bleiintoxi-
cation u. s. w. Degeneration der hinteren Wurzeln herbeiführen kann.
Bei Allgemeintuberculose sind neuerdings mit Mabchi nachweisbare Ver¬
änderungen beschrieben worden. So schildert Beckeb 1 bei 2 Fällen einmal
die hinteren und einmal die vorderen Wurzeln degenerirt Doch kann es sich
im Allgemeinen bei diesem Autor, seinen Abbildungen und Beschreibungen nach,
nicht um allzu erhebliche Veränderungen handeln. Beckeb erwähnt als Befund
z. B. an einer Stelle „eine Faser degenerirt“ oder „in einem Präparate in der
Axe der Taille vier schwarze Punkte hintereinander.“ Diese Befunde sind ja für
die Thatsache, wie vielerlei man mit der MAscm-Methode bei anscheinend
normalem Rückenmark finden kann, sehr interessant, ob sie klinisch in Betracht
kommen und vor Allem, ob man damit die mechanische Theorie, wie Beckeb
will, bei Seite drängen kann, ist eine andere Frage. Ich habe ähnliche Befunde,
welche ich an vielen Schnitten in den verschiedensten Höhen erheben konnte,
aber gar nicht erwähnt oder in Betracht gezogen. Es nimmt ja gewiss nicht
Wunder, wenn mau bei einem marastischen, an hochgradiger Tuberculose ge¬
storbenem Individuum auch geringfügige Zeichen der Erkrankung im Central¬
nervensystem findet, wo ja alle übrigen Organe sichtbar gelitten haben.
Ferner hat Ransohofp in neuester Zeit an 13 Tuberculösen (Idioten) das
Rückenmark nach Mabchi untersucht Dieser Autor hat sehr merkwürdige
Befunde erhoben, so ganze degenerirte Systeme.. Unter den 13 Fällen jedoch
sind nur zweimal die hinteren Wurzeln des Lendenmarkes, worauf es uns hier
ankommt, mit Schollen durchsetzt geschildert Ransohofp selbst betont aber
ausdrücklich, dass er die Befunde bezüglich der Patellarsehnenreflexe nicht ver¬
wenden will.
In unserem Falle war zur Zeit, als die Reflexe schon fehlten, von einer
ausgedehnten Tuberculose nicht die Rede, auf allen Lungen war kaum etwas
nachweisbar. Selbst bei der Section war die Tuberculose nur gering zu finden.
Es könnte somit Allgemeintuberculose nur schwer als ätiologischer Factor für
die Degeneration in unserem Falle herangezogen werden, ausserdem war die
letztere stärker als in den bisher beschriebenen Fällen von Tuberculose.
Anämie, Marasmus, Decubitus, die Bisohoff hierfür verantwortlich machen
will, traten erst später ein, als die Schädigung der Wurzeln klinisch schon längst
sich kundgegeben hatte durch Fehlen der Reflexe. An Toxine zu denken,
welche im Wirbelcanal durch den tuberculösen Herd entstanden wären, erscheint
uns gezwungen. Denn eine Entzündung war an der Innenseite der Dura
nirgends vorhanden, die Dura und die Pia waren intact. Weshalb sollten denn
gerade die Wurzeln des Lendenmarkes noch dazu in ihrem intramedullären
Google
1 Arohir t Psych. 1902. XXXV. S. 492.
445
Theil darunter leiden? Müssen wir somit eine Vergiftung in unserem Falle
ausschliessen, so bleibt noch eine mechanische Compression, wie sie neuerdings
auch bei Hirntumoren als ursächliches Moment für die gleichartige Erkrankung
der Wurzeln herangezogen wird. Die Compression könnte durch überfüllte
Venen herbeigeführt werden oder durch Drucksteigerung der Spinalflüssigkeit
oder durch beides. Die Drucksteigerung könnte durch Verlegung der Lymph-
und Grefassbahnen an der dorsalen Compressionsstelle hervorgerufen sein, zu¬
gleich könnte aber noch eine speoielle Lähmung der Vasomotoren des Lenden¬
markes durch den Herd den Druck in dieser Gegend steigen lassen. Spinale
Gefassoentren sind physiologisch ja bekannt. Vielleicht ist der Einfluss der
Segmenthöhe der Läsion bei Thierexperimenten auf das Fehlen oder Erhalten¬
bleiben der Reflexe so zu erklären. Man könnte sich denken, dass in bestimmten
Segmenten die Innervation der Gefässe des Lendenmarkes localisirt sei. Thier¬
experimente mit nachfolgender Untersuchung des Reflexbogens würden darüber
Aufschluss geben. Erfahrungsgemäss ist aber das Lendenmark und seine hin¬
teren Wurzeln bei hohem Liquordruck zu Läsionen disponirt, wie die Beob¬
achtungen bei Hirntumoren gezeigt haben. Dabei spielt der Rbdlioh-Obsb-
8TxnnsB’sohe Piaring eine Rolle und weist auf das Mechanische der Läsion hin.
Auch in unserem Falle ist die Degeneration augenscheinlich von hier aus
medullarwärts ausgegangen. Ich glaube also, kurz gesagt, die Läsion der hin¬
teren Wurzeln auf das mechanische Moment der Stauung zurückführen zu
müssen. Es ergäbe sich daraus vielleicht praktisch klinisoh die Anregung, bei
frischer, nachweisbar unvollständiger Compressionsmyelitis mit fehlenden Patellar-
sehnenreflexen einmal die Lumbalpunction zu machen.
Die Erklärung, welche Brasch von seinen Degenerationen im Reflexbogen
giebt, ist doch ausserordentlich hypothetisch. Die Vorderhorazellen und die
vorderen Wurzeln sollen degenerirt sefn durch den Wegfall des Tonus, den das
corticospinale Neuron auf das secundäre motorisohe Neuron ausübt. Brasch
fand auch eine Degeneration im Nervus cruralis und dass der Fortfall des obigen
Tonus eine Degeneration des N. cruralis herbeiführen könnte, wird man erst,
wenn einfachere Erklärungen absolut nicht ausreichen, annehmen können. —
Die Läsion setzte in unserem Falle früh ein, jedenfalls weisen die reissenden
Schmerzen in den Beinen (wie bei Tabetikern), die der Patient im Beginn ver¬
spürte, darauf hin. Der „Shok“ würde in unserem Falle in einer Compression
der Wurzeln bestanden haben, die functionellen Ausfall der Reflexe verursachte,
ohne dass in der ersten Zeit vielleicht mit unseren Methoden etwas nachweisbar
gewesen wäre. Denn die Shokwirkung, auf die man etwa das Fehlen der Re¬
flexe sofort nach der Enthauptung schieben könnte, auf 20 Tage, wie BAlixt
es thut, auszudehnen, ist kaum angängig. Später war die Degeneration in
unserem Falle nur mit Mabghi nachweisbar, während die auf- und absteigenden
Degenerationen im Rückenmark auch mit Weigert sich nachweisen Hessen,
erstere war also später eingetreten. Die Degeneration ist in unserem Falle so
stark, zumal in der Höhe des Reflexcentrums, dass sie zur Erklärung des Fehlens
der Reflexe völlig ausreicht.
zedby Google
446
Die klinische Wichtigkeit derartig anatomisch festgestellter Läsionen in den
Reflexbahnen wird sofort klar, wenn man sich auf der einen Seite Braübb’s
Fall vergegenwärtigt, völlige Querläsion mit gesteigerten Reflexen, auf der anderen
Seite einen Fall wie den unsrigen, unvollständige Querläsion mit dauernd
fehlenden Reflexen. Bezüglich der Diagnose und Prognose erwachsen so natur-
gemäss bedeutende Schwierigkeiten.
Für oder gegen die BASTiAN-BBüNS’sche Theorie ist unser Fall natürlich
nicht direct zu verwenden, denn die Läsion war erstens nicht total, zweitens
ist das Fehlen der Reflexe durch die Degeneration der hinteren Wurzeln aus¬
reichend erklärt. Aber der Verdaoht, dass auch bei länger dauernden totalen
Querläsionen mit fehlenden Reflexen Veränderungen im Reflexbogen vorhanden
waren, wird rege. Beim Durchmustern der Litteratur ist man doch genöthigt,
den Zweifeln von Brasch und Bälent zuzustimmen, ob in diesen Fällen der
Reflexbogen wirklich intact war. Es sei auf die Ausführungen dieser beiden
Autoren hingewiesen. Erwähnt sei nur, dass auch neuerdings Nonne in seinen
4 Fällen mit fehlenden Reflexen den Reflexbogen als intact annimmt, dabei
schreibt er aber selbst, dass mit Marohi nicht untersucht wurde, somit also
nach unserer Erfahrung seine Annahme nioht gesichert ist. Die Anwendung
der MABGHi-Methode muss selbstverständlich gefordert werden, aber wie Roth-
mann 1 in der Discussion zu dem Fall von Brasch hervorhebt, ist gewiss grösste
Vorsicht nöthig in der Verwerthung einzelner schwarzer Schollen in den Wurzeln.
Bei unsicheren Ergebnissen der Querschnitte sind unbedingt Längsschnitte zu
fordern. Nur wenn bei allen zweifelhaften Fällen die genaueste Untersuchung
mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln ausgeführt wird, kann brauch¬
bares Material sich sammeln lassen. Dann steht auch zu hoffen, dass endlich
Klarheit in die Frage des Verschwindens der Kniesehnenreflexe kommt, die den
Physiologen, den Anatomen wie den Kliniker gleioh lebhaft interessirt.
Nachschrift: Leider ist mir die wichtige Arbeit von Kausch* erst bei
der Correctur zu Gesicht gekommen. Kausch scheint übrigens die Beobachtung
von Brauer, welche seinem Falle analog ist, ebenfalls entgangen zu sein.
Kausch berichtet von einem Mädchen mit Compressionsmyelitis und gesteigerten
Reflexen vor der Operation. Bei der Laminectomie trat eine völlige Zerreissung
des Rückenmarks ein. Die Patellarsehnenreflexe fehlten 16 Stunden nach der
Operation und kehrten dann wieder. Sie blieben trotz der völligen Zerreissung
mehrere Monate nachweisbar, bis sie allmählich vor dem (nach 5 1 /* Monaten
erfolgenden) Tode erloschen. Auf Grund dieses klinisch und anatomisch sorg-
faltigst untersuchten Falles glaubt K. das BASTiAN-BRUNS-Gesetz als Gesetz
wenigstens umstossen zu müssen. — Bei der mikroskopischen Untersuchung des
Reflexbogens konnte K. mit Weigert keinerlei Veränderungen nach weisen;
vielleicht hätte die MARCHi-Methode das Schwinden der Reflexe vor dem Tode
erklärt in ähnlicher Weise wie in unserem Falle.
1 Ne uro log. Centralbl. 1899. S. 1115.
* Mittheilungen aus den Grenzgebieten der Medioin und Chirurgie. 1901. S. 541.
; dby Google
— 447
4. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obduktionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Goldflam in Warschau.
(Fortsetzung.)
Die ganz eigentümliche Erscheinung, dass Erschöpfung eines Gebiets
lähmend auf andere in Ruhe befindliche ein wirkt, scheint ebenfalls nur der
asthenischen Lähmung eigen zu sein, kommt aber bei ihr nicht constant vor.
Mit Recht bezeichnet also Strümpell die abnorme Erschöpfbarkeit der Muskeln
als die eigentliche Fundamentalerscheinung der Krankheit, und Oppenheim be¬
trachtet sie als charakteristisch für die bulbäre Neurose. 1
‘ Ich habe keinen Fall von organischer lÄsion finden können, in dem die Apokam-
nose so deutlich aufgetreten wäre, wie bei der asthenischen Lähmung. Wenn
8 . Kalischkb in dem Fall von Polioencephalomyelitis sagt: „der Kranke konnte im
späteren Verlauf Morgens nach der nächtlichen Ruhe etwa 1 Stunde die Augen offen halten
und lesen, sowie auch 1—2 Mal durch das Zimmer gehen; im Laufe des Tages war ihm
dies nicht möglich; hatte er sich gut ausgeruht, so konnte er kaum eine Minute die Augen
offen halten u. s. w.“, so ist das eine ganz andere Schilderung, wie die, welche derselbe
Autor in seinen zwei anderen, unbedingt zur asthenischen Lähmung gehörigen Fällen
giebt; dort heisst es z. B.: „bei wiederholtem Heben und Senken des Unterkiefers tritt
schnelle Ermüdung und Functionsunfähigkeit ein“, „die Schultern werden gut gehoben und
gesenkt, ebenso wie die Arme, allein ein wiederholtes Heben der Arme über die Hori¬
zontale ist kaum möglich, die Arme versagen bald völlig“, oder „die Drehungen, Seiten¬
bewegungen, das Senken und Heben des Kopfes werden bei mehrfachen Wiederholungen
kraftlos, ebenso erlahmen die Rumpfmuskeln schnell, während am Anfang das Beugen,
Strecken, Drehen des Rumpfes kräftig vollzogen wird“ u. s. w. Kalischbb giebt dann zu,
dass eine derartige Erschöpfbarkeit, wie schon Jolly hervorhebt, vielleicht hie und da auch
bei der gewöhnlichen Bulbärparalyse, oder progressiven Muskelatrophie und Dystrophie
Vorkommen dürfte; allein sie wird diesen Grad nie erreichen, und die Ermüdung wird
dort nur nach längerer Thätigkeit oder bei Anstrengungen auftreten, während sie hier
schon nach einigen einfachen Verrichtungen zum Vorschein kommt — Gibbon konnte
auch in seinem Fall von hereditärem Nervenleiden Ermüdbarkeit in einzelnen Gebieten
feststellen (Deutsche Zeitschr. f. Nervenbeilk. XVII. Heft 1 u. 2), die aber lange nicht
die Dimensionen wie bei der asthenischen Lähmung erreichte; der Dynamometerversuch
gab bei seinem Kranken noch nach 4 Versuchen Zahlen von 30 kg. — Die Fälle wo das
Symptom der Erschöpfbarkeit in prägnanter Weise auftritt, gehören eben zur asthenischen
Lähmung, wenn sie auch unter anderer Flagge circuliren. Das möchte ich vom nicht
secirten Hiöibb’ sehen Fall von Polyneuritis und Polioencephalomyelitis behaupten
(Gazeta lekarska. 1894. Nr. 16, 17, 18, 20. Ref. im Neurolog. Centralbl.) und stütze mich
nicht allein auf das junge Alter der Patientin, das Fehlen von Atrophieen, fibrillären
Zuckungen, trotz vieljähriger Krankheit und das Ergriffensein des motorischen Quintus
und oberen Facialis, sondern auch auf den ganzen Verlauf und den Umstand, dass vor
15 Jahren eine Jahre laug anhaltende Schwäche der Oberlider vorhanden war, und dass
bei faradischer Reizung des N. ischiadicus und Quadricepspunktes die Amplitude der
Zuckungen allmählich auf 0 sank, also die MyaR gab. — Bei Güinon et Pa&mbntibb (De
l'ophtalmopldgie externe com binde & la paralysie glosso-labio-laryngee et ä l’atrophie mus-
culaire. Nouvelle Iconogr. de la Salpötriöre. 1890 u. 1891) finde ich unter anderem die
Observation XXIII communiqude par Ohaboot et Tboisibb bous le titre: paralysie bulbaire
Google
448
In enger Beziehuug zur abnormen Ermüdbarkeit stehen die täglichen
Schwankungen, die abendlichen Exacerbationen und die geringste Intensität der
Erscheinungen in den Morgenstunden nach Ruhe. Stbümpell hat darauf hin¬
gewiesen, dass die dauernden Paresen in solchen Muskeln auftreten, welche sich
in einer fast constanten Contraction, somit in einem beständigen Ermüdungs¬
zustande, befinden. Das gilt besonders für den Levator palpebrae, für die
Nacken- und Halsmuskeln, die mimischen Gesichtsmuskeln, Masseteren und
Augenmuskeln. Allein Paresen oder Lähmungen kommen, wie Oppenheim
hervorhebt, auch in solchen Gebieten vor, die sich nicht im Zustande dauernder
Contraction befinden, wie am Sprech- und Schlingapparat, an den Extremitäten
u. s. w., die ebenfalls das Symptom der Apokamnose zeigen.
Die Schwankungen in der Intensität der Erscheinungen, das Ab- und Zu¬
nehmen derselben erstreckt sich auf grössere Zeiträume von Wochen und Monaten.
Ueberblickt man einen grösseren Zeitraum, z. B. von 10jähriger ununterbrochener
■Beobachtung, so zeigt der ganze Verlauf ein beständiges Fluotuiren der höchsten
und niedrigsten Entwickelungsstufe der Symptome. Es wurde schon mehr¬
mals auf die ganz bedeutenden Remissionen, die sich zu Intermissionen steigern
können, aufmerksam gemacht Sie kommen auch bei anderen Krankheiten vor,
z. B. bei der progressiven Paralyse oder der disseminirten Sklerose, aber nur
sozusagen facultativ, während sie bei der asthenischen L ähmung gleichsam die
Regel bilden, wenn der Kranke nicht gleich im ersten Anfall stirbt; dort sind
sie nie so vollkommen, hier aber können sie über Jahr und Tag dauern.
Allein bei näherer Betrachtung dieser im Remissionsstadium befindlichen In¬
dividuen gelingt es zu constatiren eine wenn auch noch so geringe Abweichung,
z. B. eine kaum bemerkbare Ptose, eine leichte Gaumenparese, oder Gesichts¬
muskelschwäche, die den Betreffenden so wenig zum Bewusstsein kommt,
dass sie sich vollständig gesund fühlen und in ihrem Thun und Wesen absolut
nicht gehindert werden, — ein Zeichen, dass die Krankheit noch glimmt, nicht
ganz erloschen ist. Sogar das Symptom der Erschöpfbarkeit kann hier fehlen.
Nur in dem Fall 0. war im Remissionsstadium absolut nichts zu finden, und
man konnte von einer Genesung sprechen; allein auch er blieb nicht frei vom
Recidiv, denn, bevor Patient an einer heterogenen Krankheit (Lymphosarcom
der Lunge) starb, stellten sich Erscheinungen von asthenisoher Lähmung ein.
Im Anfall der asthenischen Lähmung selbst bleibt, sowohl während der
Zunahme der Erscheinungen an In- und Extensität, als auch im Stadium
decrementi, wenn Besserung eintritt, ein beständiges Schwanken nicht aus.
ä döbut ophtalmoplögique und die Observation XXV personelle de paralysie bulbaire totale
ä döbut glossoplegique; paralysie faciale; ophtalmoplögie externe; beide sind ohne Section,
gehören aber meines Erachtens zur asthenischen Lähmung. Wahrscheinlich hierher ge¬
hören die Fälle von Raymond (Un cas de ophtalmoplögie nuclöaire extörieure. Gazette
des höpitaux. 1900. Nr. 26) mit Bulbärsymptomen und Ausgang in Heilung, ferner der
von Goldzibhkb von Ophthalmoplegia externa bilateralis (Ref. im Neurolog. Centralbl.
1893. S. 746), von Sbzliomülleb (Ein Fall von chronischer progressiver Polioencephalo-
myelitis. Neurol. Centralbl. 1889. Nr. 6); beide ohne Section.
Google
449
Der Verlauf währt nicht immer so lange, wie im F^ll 0. oder T., wo er
sich fast über Jahrzehnte hinaus erstreckte (im Falle Mumm betrug die Dauer
ebenfalls 10 Jahre). Manchmal erliegt der Kranke bereits nach einigen Mo¬
naten dem ersten Anfall, wie meine Patientin B.
In manchen Fällen, wo die Krankheit scheinbar acut einsetzt und nach
Wochen die grösste Entwicklung und Gefahr erreicht, gehen Jahre oder Monate
lang anhaltende Vorposten voran, die meist flüchtiger und unbestimmter Natur
sind und bis dahin unerkannt blieben. Wir verweisen auf die Fälle B., K.
und E-, wo eine Ptose, eine Diplopie, oder eine leichte Sprachstörung Monate
bezw. Jahre lang dem eigentlichen Anfall voraufging.
In der Remissionszeit schwindet die abnorme Ermüdbarkeit oder nimmt
bedeutend ab; auch die abnorme Reaction auf faradische Ströme macht dem
normalen Verhalten Platz, wie ich es in einem Falle oonstatiren konnte. Diese
von Jolly zuerst beschriebene myasthenische Reaction ist eins der interessan¬
testen Phänomene der asthenischen Lähmung. 1 Unter den 6 Fällen, die vom
mir in der von Jolly angegebenen Weise untersucht wurden — es haben sich
langdauernde, schnell aufeinanderfolgende, tetanisirende, faradische Reize am
besten bewährt —, kam sie 5 Mal zum Vorschein, woraus schon die grosse
Bedeutung dieses Symptoms erhellt Es lässt sich meist schwer sagen, wie aus-
1 Nach Mono (Ermüdung, 1. c.) besteht im physiologischen Zustand eine der
myasthenischen ganz ähnliche Reaction. Er citirt Kbojtxokkr, dem es gelang, am durch
einzelne faradische Schläge gereiztem FroschmuBkel 1000, sogar 1600 Zusammenziehungen
zn erhalten; die Höhe dieser Contraction fällt, wie die mit dem Myographen dargestellten
Curven zeigen, in regelmässiger Weise bis zum Verschwinden im Maasse wie die Er¬
müdung steigt. Kbohbckbb leitet aus seinen Versuchen folgendes Gesetz ab: „Die ErmBdungs-
curre eines belasteten, in gleichen Zeiträumen mittels gleichstarken (maximalen) Inductions-
Schlägen gereizten Muskels ist eine gerade Linie.“ Kbonbckir wies auf die individuellen Ver¬
schiedenheiten hin, die in Betreff der Ermfidung sowohl bei Warmblötern als Fröschen
vorhanden sind. Bei manchen Hunden hört die Erregbarkeit nach 150 Zuckungen auf, oder
sie zeigen ganz minimale, beinahe unsichtbare Muskelzuckungen, während andere Hunde
unter denselben Umständen bei Belastung von 40—50 g, 850, 500, sogar 1500 Contractionen
liefern, bevor die Kraft vollständig erschöpft ist. — Ganz analoge Thatsachen fand Mosso
bei seinen Untersuchungen öber Ermfidung mittels Ergographen am gesunden, geistig nicht
erschöpften Menschen. Bei Reizung des Muskels oder des zugehörigen Nerven mit dem
elektrischen Strom bekam er eine Curve, die darthut, dass die Kraft deB Muskels sich
gradatim erschöpft. Das allmähliche Sinken der Contractionen erfolgt in derselben Weise
wie in den Versuchen, wo der Muskel Bich unter dem Einfluss des Willens contrahirte.
Wie dort bewahrt die Curve auch hier ihren individuellen charakteristischen Typus. In
der That sind die Figuren einander recht ähnlich. — Wie sehr diese Verhältnisse denen
bei der myasthenischen Reaction waltenden ähneln, brauoht nicht erst bervorgehoben
zn werden. Die Aehnlichkeit, beinahe Uebereinstimmung, ist geradezu frappant Es liegt
snf der Hand, wie sehr unsere Anschauungen über die MyaR infolgedessen modiflcirt werden
müssten. Allein es bedarf weiterer Untersuchungen, auch in Bezug auf die Zeit
die nöthig ist um diese Ermfidung und das Sinken der elektrischen Erregbarkeit bis zum
Verschwinden jeder Contraction am gesunden Menschen herbeizuführen. Jeder, der sich
mit Elektrodiagnostik beschäftigt hat, wird zugeben, dass Ermüdungserscheinungen, wie
sie oben geschildert sind, und wie sie so auffallend bei der MyaR Vorkommen, sonst nur
wenig bekannt sind.
29
Digitizedby G00gle
450
gebreitet sie ist, da die Untersuchung mit dem faradischen Strom die Kranken
in hohem Grade ermüdet und sogar eine Verschlimmerung im Gefolge hat
Allein der Fall K. beweist, dass die MyaR sehr ausgebreitet sein kann. Den¬
noch darf man behaupten, dass die MyaR oft nicht überall da nachweisbar ist,
wo die Apokamnose besteht — Fälle mit MyaR ohne abnorme Ermüdbarkeit
scheinen überhaupt nicht vorzukommen —, dass die letztere gewöhnlich grössere
Gebiete ergreift, als die MyaR, die nicht nothwendig in den am stärksten
afficirten Bezirken vorhanden sein muss. Die MyaR kann dagegen in den
leichter ergriffenen Theilen zugegen sein. Zeitlioh scheint die Apokamnose
meist früher aufzutreten, als die MyaR (Fall 0.). Wie Murri, habe auch
ich gefunden, dass die Erschöpfung durch Willensimpulse die faradische Erreg¬
barkeit und das Auftreten der MyaR nicht beeinflusst und umgekehrt gehorchten
die Muskeln dem Willen, deren Contractionen unmittelbar vorher durch directe
oder indirecte Einwirkung des faradischen Stroms beinahe zum Schwinden ge¬
bracht wurden (nur in dem Falle 0. erschien eines Tages die Starke der
Contraction bei faradischer Reizung geringer in den durch den Willen erschöpften
Muskeln). Denn man konnte meist nur eine sehr starke Herabsetzung der
directen und indirecten faradisohen Erregbarkeit beobachten, und selbst nach
längerer Einwirkung des Stroms vermochte man eine schwache Zuckung, eine
Art Vibriren des Muskels im Moment des Stromschlusses, noch immer zu
bemerken. Im Falle 0. konnte man, nachdem die Energie der Zuckungen be¬
deutend gesunken war, eine Nachdauer der Contractionen beobachten. Für
andere Resultate des Studiums der MyaR verweise ich auf den Fall K. Hier
will ich nur hervorheben, dass die MyaR eines Nervenreizpunkts ohne Einfluss
bleibt auf die Erregbarkeit eines anderen Punkts desselben Nerven, dass die
MyaR im Nerven die directe Erregbarkeit der zugehörigen Muskeln nicht be¬
einflusst, ebenso wenig wie die MyaR im Muskel auf die Erregbarkeit des ent¬
sprechenden Nerven ein wirkte, dass ferner die motorischen Punkte eines Muskels
betreffs der MyaR keine reciproque Beeinflussung erfahren.
Die erforderliche Ruhezeit zum Wiedererlangen der ursprünglichen fara¬
dischen Erregbarkeit betrug etwa eine Minute.
Die Beziehung der asthenischen Lähmung zur Polioencephalomyelitis 1 —
einer organischen Erkrankung des Höhlengraus vom Boden des 3. Ventrikels bis
in die Vordersäulen des Rückenmarks herab — wurde vielfach erörtert und als
eine so innige betrachtet, dass einige Autoren (besonders Kalisoheb, Hioraa,
Faje&ztein, Mubbi, Guastoni e Lombi, Ballet, Bribbaud) sie als Ueber-
gangsform betrachten. Solche Anschauung ist geeignet, der asthenischen Läh¬
mung die nosologische Selbständigkeit abzusprechen. Wir haben es in der
Pathologie mit Krankheitseinheiten zu thun, die sich combiniren können, aber
darum ihre Selbständigkeit nicht einbüssen. Wenn aber ein Symptomenoomplex
in ein anderes übergehen kann, dann stellt es nur eine Abart vom Typus dar.
1 E. Redlich , Ueber acute Encephalitis. Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat,
1900. XI. Nr. 14 u. 16.
zedby G00gle
451
Die asthenische Lähmung ist es aber nicht, sie ist eine ganz eigenartige, selbständige
Krankheit, die sich durch eigentümliche charakteristisch mit einander verknüpfte
Symptome, durch eigenartigen Verlauf, Prognose u. 8. w. auszeichnet Es ändert
gar nichts an der Sache, dass wir die pathologische Anatomie, Pathogenese nicht
kennen, sind ja unsere Krankheiten vielfach bloss klinisohe Einheiten. Auoh die
Tabes, Sclörose en plaques waren klinisch bereits scharf begrenzt, bevor noch
die anatomische Grundlage erforscht wurde, und sind Paralysis agitans, Chorea,
Tetanus u. s. w. nioht scharf begrenzte Krankheitsbilder? In manohen Fällen
kann in der That die klinische Abgrenzung der asthenischen Lähmung von
der Polioencephalomyelitis, in der naturgemäss Ophthalmoplegieen, Bulbär-
und Extremitätenlähmungen das Bild beherrschen und Genesungen keine Selten¬
heit bilden, Schwierigkeiten bereiten, meist aber wird die Diagnose leicht zu
stellen sein.
Bei der acuten Polioencephalomyelitis treten fast ausnahmsweise allgemeine
Erscheinungen, wie Kopfschmerz, Somnolenz, Benommenheit bis zum Coma
hervor, daneben oft taumelnder Gang, Schwindelanfalle, die der asthenischen
Lähmung fremd sind. Die Symptome setzen gewöhnlich acut ein, die Lähmungen
sind mehr permanent; auch kommen Sensibilitätsstörungen ] , Pupillendifferenzen,
starre Pupillen, Accommodationsparesen vor.* Bei der subacuten Polioencephalo¬
myelitis hat man sogar Schwankungen im Verlauf und Intensität der Er¬
scheinungen beobachtet, die dazu beigetragen haben, dass man die beiden
Krankheitszustände nicht streng auseinander trennen wollte. Allein die Schwan¬
kungen erreichen hier lange nioht den Grad, wie bei der asthenischen Lähmung:
Jahre lang anhaltende Remissionen bezw. Intermissionen kommen gar nicht vor.
Die Erscheinung der Ermüdbarkeit kann hie und da in einzelnen Gebieten
angedeutet sein, tritt aber nioht in solcher Intensität, Ausbreitung und
Prägnanz auf, wie bei der asthenischen Lähmung, wo sie auch in scheinbar
intacten Bezirken demonstrabel ist Dabei erkranken hier, meist, wenn auch
nicht in der Regel, die proximalen Theile der Extremitäten, dort mehr die
Endglieder (Fall von Kauscheb, Oppenheim 8 ). Dort kommt es auch vor,
dass die Lähmung eine einseitige ist, z. B. linksseitige totale Facialislähmung,
Lähmung des linken Arms im Falle von Wilbrand und Saengeb, Parese
des linken Facialis im Falle von Kaiser, während sie hier beinahe immer
eine streng symmetrische ist Bei der Polioencephalomyelitis erkranken
nach meiner Erfahrung nioht selten functionell zugehörige Muskelgruppen,
entsprechend der topographischen Lage im Rückenmark, z. B. die Exten¬
soren des Vorderarms, die Interossei, was hier nicht der Fall ist Muskel-
atrophieen mit meist starker Herabsetzung der neuromusculären Erregbarkeit,
vielfach partielle Entartungsreaction und Schwinden der Sehnenreflexe gehört
nur der Polioencephalomyelitis an, dagegen fehlt bei ihr nach bisheriger Er-
1 Kaihkr, Zur Kenntniss der Polioencephalomyelitis. Deutsche Zeitsohr. f. Nerven¬
heil k. YIL S. 859.
* Wilbbaitd and Sabhobb, Die- Neurologie des Auges. I. S. 297. ,
• Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. VI. 3:875.' '
29 *
Digitized by Google
452
fahrung die MyaR. Id manchen Beobachtungen von Polioencephalomyelitis wird
von apoplektischen Zuständen mit Hemiparese berichtet (Eichhobst 1 , Bbistove 1 ),
gar nicht selten von sensiblen objectiven und subjectiven Störungen (Bbasch*,
Kalischeb, Wilbrand und Saengeb), von Pupillendifferenz und Pupillen-
8tarre (Kalischeu, Schaffbb 4 , Bosenthal, Wilbband und Saengeb,
Mabina 5 , Sachs), auch von Accommodationslähmung (Maüthneb 6 , Dobots)
und Sehstörung (Föbsteb), sogar von Blasen- und Mastdarmstörung (Sachs),
alles Symptome, die der asthenischen Lähmung fremd sind. Naturgemäss treten
die Zeichen der degenerativen Atrophie noch stärker in den chronischen Fällen
von Polioencephalomyelitis (Güinon et Pabmentieb u. A.) auf.
Ich verweise übrigens für die Differentialdiagnose auf die ausführliche Dar¬
stellung in der OpPENHEnt’schen Monographie.
(Schlau folgt)
IL Referate.
Anatomie.
1) Textura del siatema nervioso del hombre y de los vertebradoe, por
S. Ramön y Cajal. Con numerosos grabados en negro y en oolor. (Madrid
1901, Nicoläs Moya.)
In dem vorliegenden V. Bande seines gross angelegten Werkes giebt der
berühmte spanische Forscher eine eingebende Darstellung von dem feineren Bau
des verlängerten Markes, der Brücke und des Kleinhirns. Die Untersuchungen
sind an Präparaten angestellt, die nach den üblichen Färbemethoden behandelt
sind und vom Menschen, Kaninchen, Meerschweinchen, der Katze und der Ratte
stammen. Es dürften sich nur wenige Werke über die Histologie des Nerven¬
systems finden, welche den mikroskopischen Bau desselben unter Würdigung auch
der kleinsten Einzelheiten mit der gleichen Ausführlichkeit wiedergeben wie das
Ramön y Cajal'sehe Werk. Die einschlägige Litteratur ist vollständig berück¬
sichtigt und wird am Schlüsse der einzelnen Capitel einer kritischen Besprechung
unterworfen. Daneben finden sich werthvolle Bemerkungen aus der vergleichenden
Histologie. Die zahlreichen instructiven Abbildungen erleichtern das Verständnis
der Arbeit ausserordentlich. Es geht selbstverständlich über den Rahmen eines
Referates hinaus, ein vollständiges Bild von dem reichen Inhalt des Buches zu
geben; um ein solches zn gewinnen, ist das Studium des Originals unerlässlich,
doch sei es mir gestattet, um die Reichhaltigkeit des Werkes ein wenig zu ver¬
anschaulichen, beispielsweise demjenigen Abschnitt, welcher das Kleinhirn betrifft,
mit kurzen Worten zu skizziren. Dieser 140 Seiten lange Abschnitt beginnt mit
einer Schilderung der topographischen Verhältnisse, woran vergleichend anatomische
1 Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1889. S. 482.
* Brain. 1885. October. S. 818.
* Neurolog. Centralbl. 1892. Nr. 8.
4 Centralbl. f. Nervenheilk. 1891. 8. 198.
* Ueber multiple Aagenmuskellähmungen. S. 88.
* CiL nach Wilbhasd and Sabmou.
> y Google
453
and physiologische Betrachtungen geknüpft werden. Es folgt dann eine genaue
Beschreibung des Baues der Kleinhirnrinde in ihren verschiedenen Schichten;
daran schliesst sich eine vergleichend histologische Uebersicht, in welcher die
Yertheilnng der Zellen und Fasern bei den Säugethieren, Vögeln, Reptilien,
Amphibien und Fischen behandelt wird. In zwei anderen Capiteln wird die
Histogeneee des Kleinhirns, die Entwickelung der einzelnen Zeitformen, der Fasern
nnd der Neuroglia geschildert Sodann lernen wir die Structur der Kleinhirn-
ganglien nnd der Pednnonli oerebelli kennen. Den Schluss bildet eine Darstellung
des Verlaufes der sämmtlichen Faserbahnen im Kleinhirn.
Hubert Schnitzer (Kückenmühle-Stettin).
2) Einiges über die Beziehungen der Sehbahnen zu dem vorderen Zwei¬
hügel der Kaninohen, von Dr. Viotor Berl. (Arbeiten aus Prof. Ober¬
steiner’s Laboratorium. Heft 8. 1902.)
Die Untersuchungen des Verf.’s beziehen sich auf Kaninchen, denen einseitig
das Occipitalhirn abgetragen wurde; anderen Thieren wurde ausserdem das Auge
derselben Seite enucleirt. Untersuchung nach Marchi. Nachstehend das R6sum6:
Die Endigung der Rindenzweihügelbahn ist in derselben Schicht des Zweihügels
(Wj) gelegen wie die Endigung der retinalen Zweihügelbahn. Sie liegt an der
gleichen Seite, an welcher die Verletzung des Oocipitalhirns stattgefunden hat
Der Zweihügel der anderen Seite ist frei von Degeneration. Das Stratum zonale
(W,) ist keine EndigungsBtätte der corticalen Bahn. Die beiden Kerne des
Corpus genicul. laterale sowie die Kerne des Thalamus sind in ihren Beziehungen
zur corticalen Sehstrahlung nicht gleichwerthig. Bezüglich einer Zweihügelrinden¬
bahn ist Verf. vorläufig noch nicht zu abschliessenden Resultaten gelangt.
Redlich (Wien).
8) Das Cerobe 11 um vom Soylllum oanloula, von L. Edinger (Frankfurt a/M.).
(Archiv f. mikroskop. Anatomie u. Entwickelungsgeschichte. LVIII. 1901.)
Die vorliegende Arbeit ist für die Structurverhältnisse und besonders für die
Faserung des Selachierkleinhims als grundlegend zu bezeichnen. Als Substrat
für die Erforschung der Faserung dienten dem Verf. Schnittserien, welche nach
der W eigert’schen Marksoheidenmethode gefärbt waren, und Marchi-Präparate,
welche von Gehirnen stammten, an denen Durchschneidungen der Hirnnerven oder
auch Verletzungen des Kleinhirns und anderer Hirntheile vorgenommen worden
waren. Es lassen sich im Cerebellum drei Arten von Fasern unterscheiden:
1. Eigenfasern des Cerebellums,
2. Fasern, welche das Cerebellum mit anderen Hirntheilen verbinden,
3. Fasern, welche direct in die sensorischen Himnerven gelangen oder aus
diesen stammen.
Die zu der erstgenannten Kategorie gehörigen Fasern bilden eine mächtige
Kreuzungscommissur, "welche auf die ganze Mittellinie des Cerebellums ver¬
theilt ist.
Mit anderen Hirntheilen besitzt das Cerebellum mindestens folgende Ver¬
bindungen:
1. Einen Tractus cerebello-thalamicus cruoiatus, welcher dem kreuzenden
Bindearm der Säuger entspricht;
2. einen Tractus oerebello-mesencephalicus, welcher der Mittelhirnbasis zu¬
strebt und frontal und lateral vom Ganglion interpedunoulare zu enden' scheint;
3. eine Verbindung zum Rückenmark, Tractus cerebello-spinalis;
4. einen Zug zum tiefen Mark des Mittelhirndaches, und
>yG00gI<
454
5. Bündel zur Decussatio veli, einer Kreuzungscommissur, welche frontal und
etwas dorsal von der Trochleariskreuzung direot vor dem Cerebellom gelegen ist;
ein Theil dieser Fasern lagert sich der Radix mesencephalica des N. V medial-
wärts an, ein anderer, und zwar der mächtigere, gelangt in den lateralen Rand
der Oblongata und dürfte dem Tractus cerebello-spinalis ventralis (Gowers'sehen
Bündel) der Säuger entsprechen.
Von allen Verbindungen des Kleinhirns sind aber weitaus am wichtigsten
und quantitativ am beträchtlichsten diejenigen Fasern, welche aus den sensorischen
Hiranerven zu ihm gelangen. Mit Hülfe der Marchi'sehen Methode konnte der
Verf. die topographische Lage der einzelnen sensiblen Hiranerven zugehörigen
Fasern in den Kleinhiraarmen annähernd bestimmen. Das Gesammturtheil über
die von den operirten Thieren gewonnenen Befände wird dahin zusammengefasst,
dass das Kleinhirn der Selachier im Wesentlichen nur Endstätte der
directen sensorischen Bahn aus den Hirnnerven ist, und dass alle
anderen in dasselbe eingehenden Fasern nur eine kleine räumliche
Rolle spielen. Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
4) Ueber Localisation der Qesohmaoksoentra in der Hirnrinde, von Gorsch-
koff. (Obosrenije psichiatrii. 1900. Nr. 10.)
Verf. zerstörte verschiedene Grosshirnrindenbezirke bei Hunden und unter¬
sucht dann das Geschmacksvermögen derselben. Zur Untersuchung nahm er Zucker,
Kochsalz, Citronensäure, salzsaures Chinin, Digitalin, Aloe und Coloquinta. Auf
Grund von 42 Versuchen kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
1. Nach beiderseitiger Zerstörung der Rinde des Gyrus sylviacus ant., des
Gyrus ectosylvius ant. und des Gyrus compositus ant.. geht der Geschmackssinn
vollständig verloren.
2. Die Zerstörung aller anderen Rindenbezirke übt keinen Einfluss auf den
Geschmackssinn aus.
3. Nach einseitiger Zerstörung des obengenannten Geschmackscentrums tritt
vollständiger Geschmacksverlust auf der contralateralen Seite der Zunge ein und
eine Verminderung des Geschmackssinnes auf der gleichseitigen Hälfte der Zunge,
so dass an eine partielle Nervenkreuzung zu denken wäre.
4. Der Geschmacksverlust wird von einem Verlust der Sensibilität begleitet
5. Der Grad des Geschmacksverlustes ist proportional der Grösse der Rinden¬
zerstörung.
6. Die Restitutionsfahigkeit der Geschmacksfonotion ist ebenfalls proportional
der Grösse der Rindenzerstörung. Jedoch tritt bei grösseren doppelseitigen Zer¬
störungen nur eine partielle Restitution ein.
7. Innerhalb des von ihm umgrenzten Gebietes konnte Verf. eine specielle
Localisation für die vier Geschmackscategorieen, sowie für die einfache Berührungs¬
empfindlichkeit constatiren, die auch durch einige klinische Facta bekräftigt wird.
Doch giebt Verf. selbst zu, dass eine solche genauere Localisation noch un¬
sicher ist.
8. Faradische Reizung des Geschmackscentrums ergiebt eine Contraction der
Lippen auf der contralateralen Seite. Verf. nimmt an, dass es nicht der Effect
einer Reizung des Facialiscentrums sei, sondern eine Reflexbewegung auf einen
Geschmacksrindenreiz.
9. Je reiner die Rasse des Hundes, desto besser waren die Windungen des
Geschmackscentrums entwickelt und desto feiner war der Geschmackssinn.
10. Die Zerstörung der Riechrinde hatte keinen Einfluss auf den Geschmack,
so by Google
455
und umgekehrt blieb die Zerstörung der Geschmacksrinde ohne Einfluss auf die
Riechfunction. Die Grenze zwischen Riech- und Geschmacksrinde wird gebildet:
von der Fissura Sylvii, Fissura praesylvia, Fissura rhinalis und Fissura olfactoria.
11. Ob das Weber-Fechner'sche Gesetz auch für den Geschmack volle
Gültigkeit hat, konnte Verf. nicht sicher entscheiden. Doch schien es ihm, dass
die Concentration der Probesubstanzen schneller gesteigert werden musste, als die
Intensität der Geschmacksempfindungen stieg, soviel man wenigstens nach den
reflectorischen Bewegungen schliessen konnte. Wilh. Stieda.
5) Zar Lehre von der centralen Innervation der Kehle, von Prof. A. Onödi.
(Orvosi Hetilap. 1902. Nr. 11. [Ungarisch.])
Verf. untersuchte bezüglich der centralen Innervation der Kehle mehrere
perforirte Neugeborene, sowie einen Anencephalon, welcher 61 Stunden lebte und
bei welchem Phonation vorhanden war; Rückenmark, Oblongata und Pons waren
gut entwickelt, an Stelle des Kleinhirns ein transparentes Blatt, sonst überall
eine röthliche gelatinöse Masse. Die Kerne des 3.—11. Gehirnnervenpaares waren
vorhanden; Corpora quadrigemina und Sehhügel rudimentär entwickelt, an Stelle
der Hemisphären zwei aus gliösem Gewebe bestehende blasige Gebilde. Ferner
beobachtete Verf. einen Fall von Hämatomeningoencephalocele, wo bei totalem
Mangel des Kleinhirns Stimmbildung vorhanden war.
Nach kurzer Schilderung anderer Untersuchungsergebnisse kommt Verf. zu
folgenden Resultaten:
1. Zerstörung des stimmbildenden corticalen Centrums beeinflusst nicht die
Stimmbildung;
2. desgleichen ist ohne Einfluss die Zerstörung der grossen basalen Ganglien,
Linsenkern, Sehhügel, Corpus striatum;
3. vollständige Abtrennung des Gehirns in der Höhe der vorderen Corpora
quadrigemina stört nicht die Stimmbildung;
4. Verletzungen des Kleinhirns sind ohne Einfluss auf die Stimmbildung;
5. vollständige Durchtrennung der Oblongata oberhalb des Vagusgebietes
verhindert die Stimmbildung und nur die Athmung bleibt bestehen.
Auf Grund dieser Ergebnisse bestimmte Verf. das Gebiet deB subcerebralen
Stimmbildungscentrums, welohes denjenigen Theil des 4. Ventrikels umfasst,
welcher von den Corpora quadrigemina 12 mm nach rückwärts gegen das Vagus¬
gebiet gelegen ist. Intactheit dieses subcerebralen Centrums ermöglicht die Stimm¬
bildung, selbst bei Zerstörung der übrigen Grosshirntheile, — eine Ausschaltung
jedoch verhindert jede Phonation. Hudovernig (Budapest).
8) The movements and the Innervation of the large intestine, by W. M.
Bayliss and E. A. Sterling. (Journal of Physiology. XXVI. S. 107.)
Die Bewegungen des Dünn- und Dickdarms werden einerseits durch die
motorischen spinalen Aeste, andererseits durch die hemmenden sympathischen
Geflechte und endlich durch den localen nervösen Mechanismus beherrscht. Der
letztere — am leichtesten zu untersuchen an einer herausgeschnittenen isolirten
Darmschlinge — setzt sich zusammen aus einem aufsteigenden excitatorischen
und einem absteigenden inhibitorischen Mechanismus. Beide werden ausgelöst
durch den Reiz eines im Darmilmern vorhandenen Fremdkörpers.
Die Intensität des localen nervösen Mechanismus nimmt von der Valvula
ileocoecaÜB an abwärts mehr und mehr ab, so dass, je mehr man sich dem Anus
nähert, die von aussen an den Darm heran tretenden Nervenreize vor den in ihm.
selbst ausgelösten mehr und mehr die Oberhand gewinnen.
W. Connstein (Berlin).
zedby G00gle
456
7) Klinische und experimentelle Stadien über die Innervation der Blase,
des Mastdarms und des Oenitalapparates, von Priv.-Doc. Dr. L. R. Maller
in Erlangen. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXL 1901.)
In der sehr ausführlichen Arbeit, über welche nur in kurzen Umrissen be¬
richtet werden kann, ist Verf. bestrebt nachzuweisen, dass die bisherige An¬
schauung von dem Sitz der Innervationscentren von Blase, Mastdarm und Ge¬
schlechtsapparat in dem untersten Theil des Sacralmarks auf die Dauer nicht
aufrecht zu halten ist. Bei allen Querschnittserkrankungen des Rückenmarks,
einerlei auf welche Weise sie zu Stande kommen, tritt zuerst Ischuria paradoxa
und Retentio faecium, später Cystitis und unwillkürlicher Harnabgang (Blasen¬
lähmung) auf, und zwar ist es ziemlich gleichgültig, in welcher Höhe das Rücken¬
mark getroffen ist. Auch bei Erkrankung des Conus und Epiconus kann Erection
noch recht wohl zu Stande kommen. Somit ist sicher, dass die letzten Centren
von Blase und Mastdarm und das für die Erection nicht im Rückenmark zu
suchen sind.
In dem experimentellen Theil der Arbeit wird durch Durchschneidung des
unteren Theils des Rückenmarks bei Hunden der Nachweis erbracht, dass dann
im Wesentlichen die gleichen Störungen in der Harn- und Kothentleerung auf-
treten wie bei den Querschnittsläsionen des Menschen. Bei Exstirpation des
Conus, des Sacral- und Lumbalmarks tritt noch Steifung des Gliedes auf, woraus
sich ergiebt, dass das Centrum der Erection ausserhalb des Rückenmarks liegt.
Und hierfür sprechen auch eine Anzahl klinischer Erfahrungen. Hieraus folgert
Verf., dass die Ausstossung des Urins und Stuhls und die Entleerung des Samens
im Wesentlichen duroh Reflexvorgänge in den sympathischen Ganglien zu Stande
kommen. Diesen vegetativen Lebensäusserungen stehen quergestreifte, vom Rücken¬
mark innervirte Muskelgruppen (Compressor urethrae, Spincter ani ext. und der
M. ischio- und bulbocavernosus) gegenüber, die sowohl willkürlich erregt werden
können, als auch bei der Entleerung von Urin und Koth sowie bei der Ejaculation
refleotorisch wirken. E. Asch (Frankfurt a/M.).
8) Zur anatomischen Grundlegung der Kleinhirnphysiologie, von 0. Kohn-
stamm. (Archiv f. d. ges. Physiol. LXXXIX. 1902.)
Nach einer Uebersicht über die bekannten Verbindungen des Kleinhirns mit
dem übrigen Nervensystem kommt Verf. zu dem Schluss, dass nicht nur aus dem
Rückenmark sensible Fasern aller Qualitäten in dasselbe gelangen, sondern dass
es auch in den „Associationskreis" der Grosshirnrinde eingeschaltet ist. (Das
Wort Association ist hierbei allerdings in einem etwas anderen als dem in der
Psychologie üblichen gebraucht Ref.) Ausserdem verfügt es, wie die gesammte
belebte oder zum mindesten nervöse Substanz, über die Eigenschaft der „Remanenz",
ein vom Verf. gewählter, von verschiedenen Physiologen vorgeBchlagener, all¬
gemeiner Ausdruck für die den Gedächtnissvorgängen zu Grunde liegenden Nerven-
processe, der keine psychische Begleiterscheinung voraussetzt Zufolge seiner
Grosshirnverbindungen ist das Kleinhirn in der Lage, Bich an den zu Bewusstseins¬
erscheinungen führenden Associationsvorgängen aufs innigste zu betheiligen. Es
stellt sich dar als ein in erster Linie sensibler Apparat, bestimmt zur Aufnahme
und Aufbewahrung mannigfacher sensibler Erregungen niederer Art und zu ihrer
Verwerthung und Umschaltung auf motorische Bahnen. Die Einübung complicirter
Bewegungen beruht zum Theil auf der Remanenz cerebellarer Reflexe. Dass es
ausser der Form auoh die Stärke der Bewegungen beeinflusst, geht aus der Be¬
obachtung von gleichseitigen Paresen nach Kleinhirnherden hervor. Die tabische
Ataxie erklärt demnach Verf. als eine centripetal bedingte Functionsstörung der
motorischen Cerebellarbahnen. — Es ist nicht zu leugnen, dass auf diesem Wege
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eine Verständigung über die Verschiedenheiten der tabischen und cerebell&ren
Ataxie sowie auoh eine Versöhnung der sensiblen und motorischen Theorie der
Ataxie überhaupt erzielt werden kann. Die Begriffe: Coordinationskern und
Coordinationsbahn erhalten eine neue Bedeutung, wenn sie mit nur „virtuellem“
Bewusstsein ausgestattet werden, und werden dadurch wieder discutirbar.
H. Haenel (Dresden).
Pathologische Anatomie.
9) Sieben Fälle von Anomalleen des Suloua Bolandi, von Autonowski.
(Oboerenije psich. 1900. Nr. 8.)
Verf. berichtet über 7 Fälle von Anomalieen des Sulcus Rolandi, die er
unter 63 Sectionen im St Petersburger Irrenhause „Aller Leidtragenden“ gefunden
hat und kommt zu folgenden Schlüssen:
1. Es giebt Anomalieen der Rolando’schen Furche in Form einer Gabelung
in ihrem oberen Theile.
2. Die Gabelung umfasst Hirnbezirke von 3,76—7,6 qcm Flächenraum, die
ihrerseits secundäre Furchen aufweisen.
3. Andererseits giebt es Varietäten des Sulcus Bolandi in Form von Zweigen,
die ihn mit dem Sulcus centralis ant. et post, verbinden.
Aus den beigelegten Krankheitsgeschiohten sind irgend welche besonderen
Symptome intra vitam, die an diese Anomalieen gebunden wären, nicht zu con-
statiren. Wilh. Stieda.
10) Ein porenoephalisohes Gehirn. Naohträgliohe Bemerkungen au den
seitlichen Büokenmarksfurehen, von Prof. Dr. Heinrich Obersteiner.
(Arbeiten aus dem Laboratorium von Prof. Obersteiner. Heft 8. 1902.)
Das Gehirn entstammt einem fünfmonatlichen Kinde mit angeborenem Hydro-
cephalus, der in der Folge noch beträchtliche Zunahme zeigte. Der Schädel¬
umfang betrug 60 cm. Es wurde der Schädel punctirt und 100 ccm Flüssigkeit
entleert. Später Wiederholung der Punction, Tod .nach 11 Tagen an acuter
Meningitis.
Verf. giebt an der Hand zahlreicher instructiver Abbildungen eine genaue
Schilderung des makro- und mikroskopischen Befundes. Es handelt sich um einen
besonders ausgedehnten, nahezu symmetrischen Defect, bei dem das Loch bis in
den Ventrikel hinein reichte. Deutlich kenntlich sind der Temporal- und Occipital-
lappen, links besser wie rechts. Vom Stirnlappen sind beiderseits nur die basalen
Antheile erhalten. Vom Parietallappen sind nur die marginalen Windungszüge
übrig, die einen henkelförmigen Bügel darstellen. Eine radiäre Stellung der
erhaltenen Windungszüge gegen den Porus war nioht vorhanden. Uebrigens hält
Verf. mit Kahlden dafür, dass diese Radiärstellung nicht für den foetalen Ur¬
sprung der Porencephalie charakteristisch ist. Dura und Arachnoidea waren in
ganzer Ausdehnung erhalten. Die Pia mater endigte frei am Porus; an sie
schliesst sieb, sie zum Theile überdeckend, Ventrikelependym an. Das Ependym
des Seitenventrikels ist verdiokt, die Epithelzellen oft in die Tiefe gedrängt,
stellenweise zu Schläuchen ausgewachsen. Das Unterhorn ist vielfach verwachsen,
der 3. Ventrikel ist zum Theil durch einen gliösen Zapfen ausgefüllt, der mit der
Wandung verwachsen ist. Im Aquaeductus Sylvii und im 4. Ventrikel fanden
sich Ependymgranulationen.
Der Fall erlaubt wiohtige Schlüsse bezüglich der Anatomie der centralen
Nervenbahnen, und sollen daher einige der Ergebnisse der Arbeit hier kurz wieder¬
gegeben werden:
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458 —
Es fehlten die rechte Sehsphäre, de? rechte Tractus und das Corpus genic.
extern, vollständig, während im Sehnerven beiderseits die basalen Antheile, und
zwar annähernd in gleicher Stärke erhalten waren. Die Gudden’sche Commissur
war erhalten, desgleichen die Meynert’sche Commissur. Das Pulvinar des
Thalamus ist nur angedeutet; der vordere Vierhügel rechts verkleinert, seine ober¬
flächliche graue und die Optiousschioht sehr reducirt. Der Ausgangspunkt dieser
Schädigung dürfte im Occipitallappen liegen. Bezüglich der EndigungBStätten der
Sehfasern in den primären Centren ergiebt sich, dann dieselben hauptsächlich in
das Corpus genicul. later, eingehen; ein Theil endigt wahrscheinlich im Thalamus,
während das Strat. zon. thal. nur wenig Bedeutung hat. Im vorderen Vierhügel
sind das oberflächliche Grau und in zweiter Linie die Optiousschicht Endstätten
der Sehfasern. Hingegen hat das Gangl. supraopt. keine Beziehungen zum cen¬
tralen Sehapparat.
Die centrale Hörbahn ist rechts durch die Läsion des Schläfenlappens gleich¬
falls schwer geschädigt; auch dieser Fall bestätigt, dass Temporallappen, Corpus
genicul. med., Arm des hinteren Vierhügel und hinterer Vierhügel dieselbe zu¬
sammensetzen. Während aber in der Sehbahn sich die Atrophie bis in den
Opticus erstreckte, ist der analoge Antheil der centralen Hörhahn, laterale Schleife
und Trapezkörper verschont.
Die Stabkranzfaserung besteht rechts bloss aus dem vorderen Stiel des
Thalamus opticus, der Radiatio striothalam., einer schwachen Andeutung von
Fornixfasern und dem Riechbündel. Links ist ausser den genannten Gebilden auch
die Stabkranzfaserung des Schläfen- und Hinterhauptslappen vorhanden. Rechts fehlt
der Himschenkelfuss nahezu vollständig, links enthält er die temporale Brückenbahn.
In der Haube der Brücke springen tegmento-cerebellare Bahnen deutlich
hervor. Die Pyramiden in der Med. oblong, fehlen vollständig. Im Seitenstrang
findet sich beiderseits eine tiefe Einkerbung, die peripherwärts von der Kleinhirn¬
seitenstrangbahn eingesäurat wird. Diese Furchen sind nicht ohne weiteres mit
dem Ausfall der Pyramidenstränge in Zusammenhang zu bringen, da sie sich auch
unter normalen Verhältnissen finden, wie Verf. gleich Flechsig betont, dann,
wenn der Pyramidenseitenstrang besonders schwach entwickelt ist, bei entsprechender
Vergrös8erung des Pyramidenvorderstranges. Da sich aber diese Furchen nicht
immer unter solchen Umständen oder beim Fehlen der Pyramidenstränge finden,
ist auch noch eine gewisse Anlage zur Furchenbildung an dieser Stelle anzunehmen.
Diese Furchen stellen ein Analogon jener dar, die sich in der Gegend der Helweg’-
schen Bahn findet.
Von den Basalganglien sind der N. caudat. und lentiformis entwickelt, aber
in Form und Lage verändert. Hingegen ist der Thalamus opt. stark geschädigt,
hauptsächlich wohl durch den Ausfall der cortico-thalamischen Bahnen.
Der Fase. long. inf. ist links wohl ausgebildet, jedoch ist dessen Zugehörig¬
keit zu den Associationssystemen neuerdings recht zweifelhaft. Die anderen
Associationssysteme fehlen. Von den Commissuren ist bloss die vordere, wenn
auch schwach, ausgebildet, der Balken fehlt ganz.
Verf. bespricht hierauf die im beschriebenen Gehirn vorfindliche Mikrogyrieen,
wobei er zugleich einen allgemeinen Ueberblick über die Mikrogyrie und ihre
verschiedene pathologische Bedeutung giebt. Dieselbe kann bedingt sein durch
Sklerose der Windungen, dann durch cystöse oder tuberöse Entartung oder durch
Schwund des Markes. Daneben steht die wahre Mikrogyrie, beruhend auf
Entwickelungshemmungen und ohne histologische Zeichen der Sklerose. In dem
Gehirn, das Verf. untersuchte, fand sich an verschiedenen Partieen. darunter auoh
im Kleinhirn, Aenderungen der normalen Structur der Rinde mit mikrogyrie-
artigen Bildungen, die aber nicht an der Oberfläche sich kenntlich maohten,
innere Mikrogyrie. Daneben fand sich auch Heterotopie der grauen Substanz,
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459
Die Pathogenese der Porencephalie in seinem Falle erklärt Verf. folgender*
maassen: hydrocephalische Erweiterung der Ventrikel mit Zerstörung des Septums
nnd eineB Theiles des Fornix; Compression und successive Undurchgängigkeit der
Ausbreitungen der Art. cerebri media, hauptsächlich in der Inselgegend. Dadurch
ist die weitere Entwickelung der von den verödeten Gefassen versorgten Hirn-
theilen aufgehoben, dieselben schrumpfen, es erfolgt Durchbruch des Hydrocephalus
an diesen verdünnten Stellen. Die dem Porus benachbarten Windungen wuchern
.in Form der inneren Mikrogyrie, gleichwie auch das Ependym vom 3. Ventrikel
abwärts in Wucherung geräth. Eine ähnliche Entstehungsweise dürfte nur für
solche Fälle von Porencephalie in Frage kommen, die in früher Foetalperiode
einsetzen und mit Hydrocephalus verbunden sind. Redlich (Wien).
Pathologie des Nervensystems.
11) Rhinogener Stirnlappenabsoess, durch Operation geheilt, von J. Herz-
feld. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47.)
Bei einem 20j ähr. Maurer, welcher 6 Wochen vor seiner Aufnahme in die
Klinik einen Schnupfen bekommen hatte, stellte Verf. aus den Symptomen: äusserst
starker Kopfschmerz, Fieber, verlangsamter Puls (50 p. M.), Druckschmerzen des
Bodens und der vorderen Wand des linken Sinus frontalis, Stupidität die Dia¬
gnose auf eine Nebenhöbleneiterung mit namentlich starker Betheiligung des linken
Sinns frontalis. Der sehr niedrige Puls liess den Verf. auch an eine endocranielle
Erkrankung denken, zumal Pat. im Verlaufe der Beobachtung immer theilnahm-
loser und gleichgültiger wurde. Geruchsinn völlig erhalten, woraus von vornherein
geschlossen werden konnte, dass die Gegend der Lobuli olfactorii frei war. Der
Angenhintergrund hatte trotz wiederholter Untersuchung nie etwas Abnormes
ergeben; ebenso bot die nervenärztlicbe Untersuchung bis auf die bei extremer
Blickrichtung nach links auftretenden geringen nystagmusartigen horizontalen
Zuckungen keinen wesentlichen Befund. Als sich Nackensteifigkeit einstellte,
entschloss sich Verf. zur Eröffnung des linken Sinus frontalis; er fand die hintere
Wand desselben cariös, meisselte Bie weg und resecirte, um die sich vorwölbende,
nicht pulsirende Dura weiter freizulegen, noch ein Stück des Stirnbeines. Eis
quoll äussent fÖtider Eiter zwischen Dura und Knochen hervor und ebenso nach
Spaltung der Dura auB dem Intraduralraum. Dieser fötide Eiter kam aus einer
Fistelöffnung der Frontalhirnsubstanz. Durch die erweiterte Fistelöfinung gelangte
der Zeigefinger in eine Abscesshöhle des Frontalhirns, welche so gross war, dass
zwei Phalangen des Fingers nach oben wie lateralwärts eingeführt werden konnten.
Die bakteriologische Untersuchung des intradural gewonnenen Eiters ergab in der
Hauptsache die Anwesenheit von Fränkel-Weichselbaum’schen Pneumonie¬
kokken. Nach 5 Wochen war Pat. völlig geheilt, sein stupides und gleich¬
gültiges Wesen vor der Operation war vollkommen gewichen. Verf. betont, dass
der negative neurologische Befund in diesem Falle nicht weiter wunderbar ist,
da der Lobus frontalis weder motorische noch sensible Centren enthält. Dies ist
auch der Grund, warum Stirnlappenabscesse, wenn sie auch noch so gross sind,
nur Bchwer zu diagnosticiren sind. Eine Ausnahme machen nur die linksseitigen
Stirnlappenabscesse, welche die dritte Stirnwindung ergriffen haben, in welchem
Falle Aphasie beobachtet werden wird. Hirnabscesse rhinogenen Ursprungs sind
im Verhältniss zu den otogenen Hirnabscessen selten; in der zusammenstellenden
Arbeit von Dreyfuss lassen sich nur 12 Fälle auffinden, zu denen Verf. ausser
dem Beinigen noch sieben weitere Fälle aus der Litteratur hinzufügt.
Bielschowsky (Breslau).
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460
12) Ueber die beim otitisohen Absoess des linken Sohläfenlappsns auf¬
tretenden Störungen der Sprache, von W. Merke ns. (Deutsche Zeitschr.
f. Chirurg. 1901. August.)
Verf. giebt zunächst einen kurzen Ueberblick über 25 aus der Litteratur
gesammelte Fälle. Bei diesen war Wortstummheit in 100°/ 0 , Worttaubheit in
32 °/ 0 , Störungen beim Nachspreohen in 8 °/ 0 , Schreibstörung in 28 °/ 0 , Lese¬
störung in 3 6°/ 0 , Seelenblindheit (angedeutet) in 16 °/ 0 vorhanden. Verf. stellt
ein Schema der Sprachstörungen ähnlich dem Grashey'sehen auf und erörtert
an demselben die einzelnen Formen. Bezüglich der „optischen Aphasie“ stellt er
sich insofern in Gegensatz zu Oppenheim, als er zu beweisen sucht, dass diese
Fälle keine wirkliche Sprachstörung sind, sondern bei ihnen stets ein leichter
Grad echter Seelenblindheit im Spiele ist. Den Umstand, dass die Bahn vom
„Begriffscentrum“ (ein Wort, das trotz seiner verfehlten Bildung in Aphasie-
schemen unentbehrlich zu sein scheint!) zum Wortklangbildcentrum (Wortstumm¬
heit) so viel häufiger betroffen ist als die umgekehrt leitende (Worttaubheit),
wo doch beide offenbar einander nahe benachbart liegen müssen, erklärt er aus
der auch anderweitig im Centralnervensystem beobachtbaren grösseren Empfindlich¬
keit der centrifugalen Bahnen. Ueberhaupt legt er Werth darauf, dass nur aus¬
nahmsweise die Sprachcentren selber, in der Regel nur die Sprachbahnen lädirt
sind. — Bezüglich der Frage, ob das Schriftbildcentrum einseitig oder doppel¬
seitig vertreten ist, weist er darauf hin, dass die Ansicht verschiedener Autoren,
Seelenblindheit komme nur bei doppelseitiger Occipitalafifection vor, nicht mehr
haltbar ist, und dass die Beobachtungen bei Schläfenlappenabscess mit einer links¬
seitigen Vertretung des Schriftbildcentrums wohl vereinbar siuü. — Bei der
Diagnose: Schläfenlappenabscess hat man besonders darauf z»> acuten, ob Pat.
vom Begriffe her ungestört reden kann, d. h. beim spontanen Sprechen die Worte
leicht findet, und vor allen Dingen, ob er im Stande ist, Begriffe, die durch
Sinneseindrücke erregt werden, präcise zu bezeichnen. Weiter, ob das Verständniss
für die Lautsprache erhalten ist; endlich Untersuchung der Schriftsprache. Be¬
stehen Störungen der letzteren unabhängig von der Lautsprache, so hat man
Grund, einen mehr occipital gelegenen Herd anzunehmen.
H. Haenel (Dresden).
13) ▲ patient operated on six months prevlously for absoess of the tarn-
poro-sphenoidal lobe originating in middle-ear disease, by H. Rüther-
furd. (Glasgow med. Journ. 1900. December.)
Bericht über einen mit Glück operirten Fall von otitischem Schläfenlappen¬
abscess bei einem 19jähr. Patienten. Die Symptome waren Somnolenz, Puls¬
verlangsamung, doppelseitige Neuritis optica, Parese des rechten Arms und des
rechten unteren Facialis, Mydriasis links mit träger Pupillenreaction, Ptosis links,
Deviation der Zunge nach links. Eine vorübergehende Spraohstörung war zwei
Tage nach der Operation zu constatiren. Pat. wurde geheilt entlassen.
Martin Bloch (Berlin).
14) Otitis media acuta purulenta et empyema antri et oellul. mastoid. et
pachymeningitis suppurativa ext. et absoessus oerebri (lobi temp.);
trepanation och transplantation enl. König; heisa, af Karl Dahlgren.
(Upsala läkarefören. förhandl. 1900. S. 431.)
Ein 2 Jahre 3 Monate alter Knabe hatte im Alter von l 1 / a Jahren eine
Beule hinter dem linken Ohre gehabt, die nach Incision rasch geheilt war. Am
11. Juli 1899 bekam er Erbrechen und Fieber, die Gegend hinter dem linken
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461
Ohr wurde roth and geschwollen, es bestand Kopfschmers und Schmerz im linken
Ohr. Am 15. Juli Nachmittags waren die Augen nach reohts gerichtet und
Zuckungen in den rechten Gliedern stellten sich ein, die Abends wieder aufhörten,
»ber in der Nacht trat Lähmung der rechten Extremitäten mit Bewusstlosigkeit
auf; der rechte Mundwinkel war paretisch. Es bestand unbedeutender Ohrenfluss
der bald ganz auf hörte. Am 16. Juli wurde nach Aufmeissei ung des Proc. mast,
die Schädelhöhle von der Pars mastoidea aus geöffnet. In der Höhle und in den
Zellen des Proc. mast, wie auch im Subduralraum fand sich Eiter, nach dessen
Entfernung die Spannung der Dura und das Vorhandensein von Hirnpulsationen
auf tiefer gehende Veränderungen deuteten. Die Dura wurde gespalten und
einige Centimeter oberhalb des Gehörgangs zeigte sich eine weichere Partie des
Gehirns, in der mittels einer Sonde ohne Schwierigkeit ein taubeneigrosser Abscess
geöffnet wurde, der dünnen Eiter enthielt. Als der Abscess geöffnet wurde, be¬
wegte Pat den rechten Arm und die Zwangsstellung der Augen nach rechts
verschwand; gegen Ende der Operation trat Krampf im rechten Arm auf. Am
18. Juli trat in der linken Gesichtshälfte ein Oedem auf, das nach Verlauf eines
Tages wieder verschwand. Gegen Mittag wurden Zuckungen um den Mund herum
beobachtet, die sich sehr rasch über den ganzen Körper verbreiteten; der Anfall
dauerte etwa 2 Minuten. Am 20. Juli schien Pat. seine Eltern zu erkennen.
Durch den grossen Knochendefect war ein Vorfall von Hirnmasse, fast von der
Grösse eines Hühnereies, entstanden, der sich später bedeutend verkleinerte.
14 Tage nach der Operation begann Pat. zu sprechen, Ende August zu gehen.
Am 25. September wurde Pat. nach Hause entlassen; er sprach normal und ging
fast normal; die Beweglichkeit im Arme war viel langsamer wiedergekehrt als
im Beine.
Am 15. November wurde Pat. unwohl und die Ausbuchtung hinter dem Ohre
vergrösserte Bich, wurde empfindlich und pulsirte; ihre Bedeckung bestand zum
grössten Theile aus dünner narbiger Epidermis. Am 17. November wurde diese
Haut abgetragen, der Boden der dadurch entstandenen Wunde bestand in der
Peripherie aus Dura mater, im Centrum aus weicher Hirnhaut, die eine durch¬
sichtige Blase bildete, aus der nach der Eröffnung klare Flüssigkeit ausrann.
Die Wunde wurde duroh Haut, Periost und Tabula externa aus der Nachbarschaft
geschlossen. Die erste Zeit nach der Operation sickerte ziemlich viel klare
Flüssigkeit aus der Naht, hörte aber Mitte December auf. Die Heilung ging gut
von Statten, aber als Pat. am 6. Januar 1900 entlassen wurde, war der Defect
noch nicht vollständig geheilt, verheilte aber später vollständig. Pat. befand sich
in der Folge gut, griff aber immer noch mit der Hand in Extensions- und Pro-
n&tionsstellung zu, Abductionsbewegung des Oberarms vermeidend.
Walter Berger (Leipzig).
15) Otitis med. suppurativa dextra; mastoiditis suppurativa; absoesaus
lobt temporalii dextri; hamiparesis sinistra; trepanation; heisa, af
F. Bauer. (Hygiea. 1900. LXIL S. 822.)
Ein 38 Jahre alter Maurer, der seit 3 Monaten an Ausfluss aus dem rechten
Ohr litt, batte seit einem Jahre Anfalle von heftigem Kopfschmerz über dem
rechten Ohre nach der Scheitelgegend zu, der seit einiger Zeit heftiger und an¬
haltender geworden war. 2 Tage vor der am 19. August 1899 erfolgten Auf¬
nahme bemerkte Pat früh beim Anziehen, dass seine linken Extremitäten schwach
waren und es entwickelten sich starke Parese im linken Arme, geringere im linken
Beine. Die rechte Pupille war grösser als die linke und reagirte träg. Die
Sehnervenpapillen waren an den Grenzen verwaschen. Ausserdem bestand Mastoi-
deitis. Der Puls zählte 50 Schläge und war schwach und unregelmässig. Die
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Temperatur betrug 36,9 °. Pat. war benommen, unruhig, hatte Steifheit im Nacken.
Nach Trepanation des Processus mastoideus fand sich in der Höhle Eiter, Granu¬
lationen und ein grösserer Sequester. An der inneren Wand des Antrums war
ein Defect, durch den ein feiner Canal in die Schädelhöhle führte. Nach Er¬
weiterung der Trepanationsöffnung sah man die blosgelegte Dura verfärbt und
ohne Pulsation; ein Einschnitt durch die Dura in die Hirnmasse entleerte aus der
Tiefe von 2 cm dicken Eiter, von dem nach Debridement der Höhle 20 ccm ent¬
fernt wurden. Der Abscess wurde drainirt, die Wunde mit Jodoformgaze tampo-
nirt. Nach der Operation stieg die Temperatur, aber Fieber stellte sich nicht
ein, die Parese nahm ab, die Steifheit im Nacken verschwand, Pat. wurde klarer.
14 Tage nach der Operation war die Wunde geheilt, alle Krankheitserscheinungen
waren verschwunden und Pat. fühlt nur noch etwas Müdigkeit im Kopf. Später
befand er sich vollkommen wohl. Walter Berger (Leipzig).
16) Aboös du lobe temporal droit du oerveau d’origine inoonnue, par
Lagriffe (Toulouse). (Archives de neurologie. 1901. April.)
Ein 36jähr. Kaufmann, der seit vielen Jahren Alkoholist (5 Liter Wein
pro Tag) war, wurde plötzlich von einem schweren Kopfschmerz befallen, daran
schloss sich eine Ohnmacht; einige Wochen später trat zu dem nicht zu ver¬
mindernden Kopfweh eine Amnesie und sodann Gehör- und Gesichtshallucinationen.
Im Krankenhause wurde dann auf Grund der Untersuchung und der Fort¬
schritte der Erkrankung die Diagnose einer Neubildung an der Basis gestellt
Da die Entstehungsweise völlig unklar war, wurde eine specifische Behandlung
eingeleitet, welche aber ohne jeglichen Erfolg blieb.
Verhältnissmässig plötzlich starb der Kranke unter plötzlich sehr hoch an¬
steigendem Fieber; die Section ergab einen Abscess im rechten Temporallappen.
Der Fall ist genau beobachtet und mitgetheilt; es sei darum auf ihn hier¬
durch hingewiesen. Adolf Pas so w (Meiningen).
17) Ein durch Operation geheilter Fall von Gehirnabsoess im Schläfen-
lappen naoh chronischer Mittelohreiterung, von Dr. Hölscher. Aus
der Universitäts-Ohrenklinik in Tübingen. (Münchener med. Wochenschr.
1901. Nr. 40.)
Zuerst war in diesem Falle die Radicaloperation gemacht worden, wobei ein
grosses Cholesteatom entfernt, aber kein Eiterherd aufgefunden wurde. Danach
blieben mässiges Fieber und heftige Stirnkopfschmerzen, die in die Augen aus¬
strahlten, bestehen. Es traten Schwindel, Nackenschmerzen, Nystagmus, Puls¬
verlangsamung hinzu, so dass eine intracranielle Complication zur Gewissheit
wurde. Bei einer zweiten Operation wurde ein Schläfenlappenabscess gefunden
und glücklich beseitigt, trotz grossen Hirnprolapses, der ausheilte und ebenso
wenig wie der Abscess selbst zu manifesten Störungen führte.
Besonders hervorzuheben ist> dass in diesem Falle zu keiner Zeit Stauungs¬
papille beobachtet wurde, obwohl die Steigerung des Hirndrucks sehr deutlich in
Erscheinung trat. Wie der Verf. weiter mittheilt, ist in sämmtlichen, im Laufe
der letzten l l / 2 Jahre in Tübingen ophthalmoskopirten Fällen von Gehimabscessen,
Sinusthrombosen und extraduralen Abscessen überhaupt nur ein Mal Stauungs¬
papille gefunden worden. _ E. Asch (Frankfurt a/M.).
18) Cerebellar leslons without oerebellar Symptoms, by S. Wads worth.
(Proc. of Path. Soc. of Philadelphia. 1901. Juli.)
Im ersten, kurz berichteten Falle wurde eine Sklerose der linken Kleinhirn*
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hemisphäre gefunden, die im Leben überhaupt keine Störungen gemacht hatte;
der zweite Fall, ein Kleinhirntumor, hatte ausser Kopfschmerzen, die schon seit
6 Jahren vor dem Tode bestanden, keine Erscheinungen dargeboten, obgleich der
Wurm fast völlig, im vorderen wie im hinteren Abschnitt, zerstört war. Im
dritten Fall lag eine Compression des Kleinhirns durch einen Tumor der Vier¬
hügel vor; der Kranke hatte das Bild der amyotrophischen Lateralsklerose dar¬
geboten. H. Haenel (Dresden).
19) Heber Kleinhirngesohwülste , von Primärarzt Dr. L. E. Bregman in
Warschau. Aus der Abtheilung für Nervenkranke im israelitischen Spital
in Warsohau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
I. 6jähr. Knabe aus mit Tuberculose und Krämpfen belasteter Familie. Vor
einem Jahr tuberculöses Knochenleiden, seit 5—6 Monaten Anfalle von Kopf¬
schmerz mit Erbrechen, in letzter Zeit verbunden mit starker Rückwärtsbeugung
des Kopfes und Bogenkrümmung des Rumpfes. Nach dem letzten Anfall inner¬
halb 2 Tagen Erblindung, seit einigen Wochen unsicherer Gang. Es besteht
grosse Euphorie, manchmal Schläfrigkeit, unbedeutender Kopfschmerz in der
Stirngegend, Puls 96, beiderseits Amaurose und Neuritis optica, Augenbewegungen
nach rechts beschränkt, in der rechten Gesichtshälfte arythmische, choreatische
Zuckungen, Gang cerebellar-atactisch-paretisch, Sehnenreflexe erhöht, beiderseits
Fussklonus. Während der Beobachtung mehrere Anfälle von starkem Kopfschmerz
mit Erbrechen und hochgradigem Opistho- und Emprostotonus. Es wurde eine
Geschwulst in der rechten Kleinhirnhälfte angenommen und fand sich auch in
derselben bei der Autopsie ein grosser Solitärtuberkel.
II. 61jähr. Kaufmann, seit einigen Wochen Kopfschmerz, Schwindel, Sausen
im Kopf, unsicherer Gang, beiderseits Stauungspapille, Pupillen mittelweit, von
guter Reaction auf Licht, Puls 66, Gang cerebellar-atactisch-spostisch, leichte
Parese der Beine, Musculatur in allen Extremitäten stark gespannt, Sehnenreflexe
(wahrscheinlich deshalb) nicht auslösbar. Im Verlauf der nächsten 2 Monate
Zunahme der Störungen, dauernde Parese des Gesichts und der Extremitäten
links, Nackensteifigkeit und Rückwärtsbeugung des Kopfes. Ausserdem bestand
sich allmählich steigernder Torpor cerebri und meist horizontale Lagerung des
Körpers, sowie Liegen de3 Kopfes auf der linken Seite. Es wurde die Wahr-
scheinlichkeitsdiagnose auf linksseitige Kleinhimläsion gestellt, aber auch ein Sitz
des Tumors in der rechten Grosshirnhemisphäre (psychische Symptome, Ataxie,
Hemiparese links) nicht bestimmt ausgeschlossen. Die Section ergab das Vor¬
handensein eines fast die ganze linke Kleinhirnhälfte und einen Theil des Wurms
einnehmenden Tumors tuberculösen Charaktere und ausserdem noch zwei tuber-
culöse Herde im Thalamus opticus und in der Convexität des Occipitallappens.
HL 9jähriger, nioht belasteter Knabe. Seit 10 Monaten Anfälle von nicht
localisirtem Kopfschmerz mit Uebelkeit und Erbreohen, vor 4 Monaten zuerst
taumelnder Gang, seit 2 1 /, Monaten Gehen immöglich, plötzlich auftretende
Amaurose und Vergrösserung des Schädels. Kopfumpfang 56,5, Sagittalnaht
deutlich auseinandergegangen, Ballotement der Parietalknochen. Percussion des
Schädels nicht schmerzhaft, Gedächtniss theilweise erhalten, sinnloses Schwätzen,
Echo- und Koprolalie. Beiderseits Stauungspapille, Anfangs vorübergehende, später
dauernde Parese der rechten Gesiohtshälfte namentlich im unteren Theil, Opistho¬
tonus, spastische Spannung aller Extremitäten, Parese der rechten oberen und
Paralyse der rechten unteren Extremität, beiderseits Fussklonus. Während
1monatlicher Beobachtung bot das Kind stets das gleiche Bild. Entlassung
ans der Behandlung. Auch in diesem Falle wurde eine Läsion der rechten Klein-
hirnhälfte angenommen. Der Hydrocephalus, welcher das Bersten der Nähte be-
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dingte, war jedenfalls secundär und die plötzliche Amaurose eine Folge desselben,
durch Druck auf das Chiasma hervorgerufen.
Die einseitigen motorischen Störungen sowie die seitlichen Blioklähmungen
und der seitliche Nystagmus bei Geschwülsten des Cerebellums sind als directe
Kleinhirnsymptome aufzufassen. Ausserdem sind Nackensteifigkeit und Rückwärts¬
beugung des Kopfes charakteristische Symptome bei Tumoren dieses Organs.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Ueber die klinischen und anatomischen Ergebnisse eines Kleinhirn¬
tumors, von Probst und v. Wieg. (Jahrbücher f. Psychiatrie u. Nerven-
krankh. XXI. S. 211.)
Knabe von 12 ! / 2 Jahren. Kopfschmerzen, taumelnder Gang. Abnahme des
Sehvermögens, cerebrales Erbrechen. Stark erweiterte, auf Licht reactionslose
Pupillen. Beiderseits Stauungspapille (links Uebergang in Opticusatrophie), linker¬
seits Facialisparese des oberen und unteren Astes, leichte Parese Und Hypotonie
der linksseitigen Extremitäten. In beiden Armen leichte Ataxie. Romberg’sches
Zeichen positiv. Cerebellare Ataxie. Patellarreflex rechts >. Plötzlicher Exitus.
Klinische Diagnose lautete auf Kleinhirntumor.
Obduction: Hydrocephalus internus. Mittellappen und angrenzende Partieen
beider Kleinhirnhemisphären von Tumormassen (Gliom) durchsetzt. Zerstört waren
der vordere innere Antheil des linken Nucleus dentatus, der linke Strickkörper,
laterale Acusticuswurzel und abgehender Bindearm; der Deiters'sehe Kern war
beiderseits erhalten.
An Frontalschnitten (Marchi) konnte die degenerirte Bindearmfaserung im
Verlaufe ihrer Kreuzung und ihres Durchzuges durch den rothen Kern nach auf¬
wärts als Hauptmasse der sog. Haubenstrahlung von Flechsig und des lateralen
Markes des rothen Kerns (Monakow) bis zu ihrer Endigung zwischen beiden
Marklamellen im centralventralen Sehhügelkerne verfolgt werden. Pyramidenbahn
und mediale Schleife erwiesen sich als intact, Ausserdem Degeneration des
Tractus opticus. Degeneration in beiden hinteren Längsbündeln und den im
inneren Theile des Strickkörpers verlaufenden absteigenden Kleinhirnfasern („innere
Strickkörperbündel“); Kleinhirnvorderseitenstrangbahn nicht degenerirt (Deiters’-
scher Kern erhalten). Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks.
Die Differentialdiagnose zwischen Vierhügel- und Kleinhirntumor einerseits,
Tumor cerebri und chronischem HydrocephaluB andererseits wird eingehend erörtert.
Die cerebellare Ataxie fassen die Verff. als directes Kleinhirnsymptom au£
ebenso das Symptom einseitiger Muskelschwäche und Hypotonie. Es werden be¬
sonders besprochen die Verbindungen des Kleinhirns mit den grossen Stamm¬
ganglien und Rückenmark, das Zusammenarbeiten der sensiblen centripetalen
Kleinhirnbahnen (Kleinhirnseitenstrangbahn, Gowers, Hinterstrang) mit den vom
Kleinhirn bezw. Deiters’schem Kern abgehenden motorischen Bahnen und den
gegen das Grosshirn zu abführenden Kleinhirnbahnen. Die Hinterstrangdegeneration
führen die Verff. theils auf toxische Einflüsse, theils auf den gesteigerten Hirn¬
druck zurück.
2 Tafeln mit 7 Figuren und eine Abbildung im Texte sind der Arbeit bei¬
gegeben. Pilcz (Wien).
21) A tumor (neuroglioma) of the superior worin of the oerebellum Asso¬
ciated with oorpora quadrigeminal Symptoms, by H. C. Gordinier.
(Journ. of Nervous and Mental Disease. 1901. October.)
21 jähr. Patient erkrankt April 1898 mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Abnahme
der Sehkraft und Gehstörungen, sowie Zuckungen in Armen und Beinen. Bei
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der Aufnahme wird folgender Status erhoben: Mydriaais, linke Pupille etwas > r.,
Reaction auf Accommodation sehr gering, auf Lioht nicht sicher vorhanden, leiohte
Convergenz der Bulbi. Geringer Nystagmus horizontalis; fast völlige Lähmung
der Auf- und Abwärtsbeweger der Bulbi, geringe doppelseitige Ptosis. Beider¬
seits Neuritis optica mit Ausgang in Atrophie. Facialis, Hypoglossus, Trigeminus,
Glossopharyngeus, Olfactorius und Acusticus frei. Grobe Kraft der Extremitäten
gut, keine Spasmen, keine Muskelatrophieen. Keine Ataxie an den Armen, stereo-
gnostischer Sinn intact. Grober Intentionstremor der Hände. Gang cerebellar-
atactisch mit Neigung nach links zu fallen. Romberg’sches und Westphal’sches
Zeichen. Ataxie des linken Beins auch in Rückenlage. Starke Cyanose der
Hände und Füsse. Abnahme des Gedächtnisses und des Auffassungsvermögens.
Die Autopsie ergab ein Neurogliom, ausgehend vom Oberwurm, von dem es
Cacumen, Lobulus centralis und Lingula völlig zerstört hat, und das in seinem
weiteren Wachsthum nach vorn nahezu symmetrisch das hintere Corpus quadri-
geminum beider Seiten, rechts rast vollkommen, links in geringerer Ausdehnung
zerstört hat. Weiter afficirt sind die Kleinhirnschenkel, der Aquaeductus Sylvii
und dessen Dach. Die mikroskopische Untersuchung, die auch interessante Zell¬
typen an der untersuchten Geschwulst auffinden liess, ergab Veränderungen an
den rothen Kernen, ferner erhebliche Alterationen am Oculomotorius- und Troch-
leariskern, fast völligen Untergang der centralen grauen Substanz des Aquaeducts.
Pons und Medulla waren im wesentlichen normal, auch die Schleifenfaserung zeigte
keinerlei Degeneration, ebenso wenig die Kerne des Acusticus, Facialis und
Abducens. Die weiteren Ausführungen des Verf.’s über die Symptomatologie der
Vierhügelaffectionen und besonders über den Werth der von Nothnagel für
diese gegebenen diagnostischen Kriterien müssen im Original nachgelesen werden.
Martin Bloch (Berlin).
22) Fünf Fälle von Kleinhirntumor, von Dr. G. von Voss, Arzt an der
Nervenabtheilung des Marienhospitals für Arme in St. Petersburg. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XXI. 1901.)
Von den fünf unter der Diagnose Kleinhirntumor mitgetheilten Fällen endigten
zwei letal. Bei der Autopsie erwies sich der eine als ein vom hinteren Theil
des 4. Ventrikels ausgehendes Angiosarcom, sowie als unerkannt gebliebene Syringo¬
myelie, die vom unteren Brustmark bis zum Beginn des 4. Ventrikels reiohte.
In der anderen Beobachtung fand sich ein hühnereigrosser Tumor, der von der
rechten inneren Tentoriumhälfte seinen Ausgang nahm. Von den charakteristischen
Symptomen war Kopfschmerz stets, cerebellare Ataxie, Schwindel und Stauungs¬
papille in 4 Fällen nachzuweisen, Erbrechen fehlte zwei Mal, während Athem-
störungen und Pulsverlangsamung nicht bemerkt wurden. Nur zwei Mal kamen
Traumen in Betracht; eine engere Beziehnung zwischen denselben und dem Beginn
des Leidens liess sich indessen nicht feststellen. Ausgesprochene Nackensteifigkeit
war drei Mal vorhanden und kommt diesem Symptom zweifellos eine grosse
Wichtigkeit bei, falls Meningitis ausgeschlossen werden kann. Sehr grosse
Schwierigkeiten bieten sich der Diagnose, festzustellen, auf welcher Seite der Tumor
seinen Sitz hat. Offenbar vermögen in Folge des langsamen Wachsthums der
Geschwulst die davon direct betroffenen Theile auszuweichen, während die gegen¬
überliegenden dem Druck gegen knöcherne Wandungen ausgesetzt sind.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
23) Zur Diagnostik und Therapie des Hydrooephalus internus und der
Kleinhirntumoren, von Sommer. Vortrag, gehalten in der medicinischen
Gesellschaft in Giessen am 22. Februar 1901. (Deutsche raed. Wochenschr.
1902. Nr. 3.)
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Ein lljähr. Patient hatte anfallsweise auftretende Kopfschmerzen mit Er¬
brechen, später Schwindel. Hydrocephalische Kopfform, allmählich zunehmende
Wölbung der Stirn. Frühzeitige Abnahme der Sehschärfe durch Stauungspapille,
anfangs inconstante rechte Abdücensparese, später Strabismus divergens, Deviation
nach rechts und Nystagmus. Zeitweise Schmerzen im linken, selten im rechten
Quintusbereich und rechten Arme. Ein Spätsymptom bildete Ataxie der Unter¬
extremitäten nebst geringer Parese und fehlenden Sehnenreflexen. Wahrscheinlich¬
keitsdiagnose: Tumor der linken Kleinhirnhemisphäre im oberen Theil mit Druck
auf den linken Pons nebst complicirendem Hydrocephalus. Das zeitweilige Auf¬
treten von epileptiformen Anfällen wurde durch Druck auf die Vena magna Galeni
erklärt. — Bei der Operation wurde kein Tumor gefunden; Exitus. Die Section
ergab Hydrocephalus und einen ausgedehnten Kleinhirntumor (Sarcom), der an¬
scheinend von der Marksubstanz des Oberwurms oder dem Dach des 4.Ventrikes aus¬
gehend nach vorne und unten in die Rautengrube hineingewachsen war, den Pons
von hinten oben, besonders in seiner linken Hälfte, comprimirte und nach vorne
oben gegen die Einmündungsstelle der Vena magna in den Sinus rectus drückte.
Im Kleinhirn hatte die Geschwulst sich beiderseits gegen die Harkstrahlung ent¬
wickelt, die linke Seite aber bevorzugt.
Verf. glaubt, dass in solchen Fällen durch Eröffnung des Schädels über dem
Kleinhirn und durch Entlastung der Vena Galeni der Hydrocephalus auch ohne
Entfernung des Tumors und ohne Ventrikelpunction beseitigt werden könnte.
Die Ursache für die nach Hirnoperationen so häufigen Todesfälle, deren klinisches
Bild auf eine Lähmung der Medulla oblongata hinweist, sieht Verf. in zu plötz¬
licher Aenderung der Circulationsverhältnisse und verspricht sich von langsamerem,
zweizeitigem Vorgehen bessere operative Erfolge. Er empfiehlt bei Kleinhirn¬
tumoren mit Hydrocephalus und allen anderen Fällen von Hydrocephalus, in denen
eine Absperrung der Vena Galeni wahrscheinlich ist, folgende Reihenfolge von
Eingriffen:
1. eventuell Lumbalpunction,
2. Eröflhnung des Schädels hinter dem Kleinhirn zur Entlastung der Vena
Galeni,
3. nach einer Reihe von Tagen eventuelle Exstirpation der Geschwulst bezw.
Punction der Ventrikel.
Liesse sich in Fällen von beginnendem Hydrocephalus durch blosse Eröffnung
der Schädelkapsel über dem Kleinhirn Besserung erzielen, so würde in prophy-
lactischer Hinsicht die beträchtliche Zahl von hydrocephalischen Idioten bei
rechtzeitiger Diagnose und Operation vermindert werden können.
. R. Pfeiffer.
24) Larve d’hypoderme dans le bulbe raohidien d’un oheval, parRailliet
et Ducasse. (Recueil de möd. vötörinaire. 1901. S. 207.)
Eine interessante parasitäre Affection der Medulla oblongata sah
Ducasse. Ein Pferd war ganz plötzlich unter schweren Motilitätsstörungen
erkrankt und 45 Stunden danach gestorben, ohne dass oin genauer Status hätte
aufgenommen werden können. Bei der Section wurde im Bereiche der linken
Pyramide an der Ventralseite der Medulla oblongata ein etwa nussgrosser hämor¬
rhagischer Herd aufgedeckt, in dessen Centrum sich eine über centimeter lange
Hypodermalarve auf hielt. Railliet, der diese Beobachtung von Ducasse mit¬
theilt, unterzieht sich der dankenswerthen Mühe der Zusammenstellung aller ein¬
schlägigen Arbeiten, die er in der Litteratur auffinden konnte, und theilte seine
Anschauung über den Einwanderungsmodus mit. Auch er kann auf die bisher
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ungelöste Frage, wie die Larven aus dem Rachenraume und dem Schlunde in die
Höhle der Wirbelsäule und des Schädels gelangen, nur eine theoretische Antwort
geben- Dexler (Prag).
26) Anatomischer Befand in einem als acute Bulbäraffeotion (Embolie der
Art. oerebellar. post. inf. sin.) beschriebenen Falle, von Adolf Wallen¬
berg. (Archiv f. Psych. XXXIV.)
Die anatomische Untersuchung des vom Verf. vor 6 Jahren klinisch be¬
schriebenen Falles bestätigte die damals gestellte, genaue Localdiagnose; bis in
alle Einzelheiten erlaubt der Befund alle die verschiedenen Symptome (Schwindel,
Schmerz im Auge, Pulsverlangsamung, später Hypästhesie für Schmerz und Tem¬
peratur im Gesicht, Mund und Ohr der gegenüberliegenden, Hyperästhesie der
gleichseitigen Körperhälfe, Herpes im anästhetischen Gebiet, Schlinglähmung,
Reflexanomalieen, Neigung nach der Seite des Herdes zu fallen, Ataxie der gleich¬
seitigen Extremitäten u. a.) auf die zerstörten Bahnen und Kerne zurückzuführen.
Der etwa 5 mm lange Herd sag8 j n d er jj e d. oblong, in der Höhe der Eröffnung
des Centralcanals. Das Studium der secundären Degeneration an Weigert-
Präparaten ergab u. a. als wichtiges Resultat, dass die centrale Quintusbahn beim
Menschen denselben Verlauf wie beim Kaninchen nimmt; sie theilt sich oberhalb
des Trigeminuseintrittes in einen dorsolateralen und einen ventromedialen Ab¬
schnitt, liegt erst dem hinteren Längsbündel und der Raphe dicht an, rückt dann
mehr lateral und geht an der caudalen Thalamusgrenze in die Lamina medullaris
interna über.
Von den anderen Ergebnissen der Arbeit sind hervorzuheben:
1. Als anatomische Basis für die Entstehung eines Bystolischen Geräusches
am rechten Proc. mastoid. ergab sich eine durch Strictur der linken Basisarterien
bedingte Druckerhöhung in der rechten CarotiB und der rechten, arteriosklerotisch
veränderten Vertebralis sowie plötzliche Erweiterung des Gefässrohres an der
Einmündungsstelle der rechten Vertebralis in die Basilaris. Ein systolisches
Geräusch am Warzenfortsatz ist also nicht immer ein Aneurysmasymptom.
2. Das motorische Larynxcentrum liegt innerhalb des Nucl. ambiguus im
wesentlichen caudal und lateral vom Schluckcentrum.
3. Die Fasern innerhalb der spinalen Quintuswurzel sind so angeordnet, dass
die Aeste für Mund- und Zungenschleimhaut im dorsalsten und zugleich frontal-
wärts an Stärke zunehmenden Abschnitt des Wurzelquerschnittes zu suchen sind.
4. Tastfasern der Rumpf- und Extremitätenhaut laufen getrennt von den
Bahnen des Temperatur- und Schmerzgefühls. Letztere sind innerhalb der spino-
tectalen und spino-thalamischen Fasern (Edinger) zu suchen, erstere vielleicht
in den Hintersträngen und innerhalb der grauen Substanz.
5. Die bulbäre Ataxie wird wohl hauptsächlich durch eine Läsion spino-
cerebellarer Fasern verursacht, weniger durch die der Hinterstrangkern-Schleifen-
fasern.
6. Die Neigung bei Bulbäraffectionen, nach der Herdseite zu fallen, kommt
wahrscheinlich durch Unterbrechung directer oder indirecter Vestibularisfasern
sowie absteigender Fasern aus dem Deiters’schen Kern zu Stande.
7. Eine congenitale Opticuserkrankung kann zu einer compensatorischen
stärkeren Entwickelung des N. cochlearis fuhren.
8. Das Helweg-B echtere w’sche Olivenbündel lässt sich frontalwärts bis
in das laterale Mark der ventralen Nebenolive verfolgen.
9. Die spinale Quintuswurzel reicht bis in das 2. Cervicalsegment hinab und
beginnt hier vorwiegend dorsomedial von der Li ss au er'schon Zone.
10. Die Fibrae cerebello-olivares leiten zum grössten Theile in centrifugaler
Richtung. H. Haenel (Dresden).
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GoogI<
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26) Ueber eine ungewöhnlioh gutartige Bulbiroffeotion im Kindesalter,
von Zappert. (Jahrbücher f. Psych. u. Nervenkrankh. XXII. S. 126.)
5 1 /,jähriger, nicht belasteter, vorher stets gesunder Knabe. Vor 14 Tagen
„Lungencatarrh“, vor 5 Tagen, nachdem der Kleine schon ganz erholt schien,
Verschlechterung der Sprache, auffallende Salivation. Status praesens: Deutlich
bulbäre Sprachstörung, Zunge wenig beweglich, Unvermögen zu pfeifen, der
Speichel rinnt in langen Zügen aus dem Munde heraus. Uvula hängt als schlaffes
unbewegliches Anhängsel herab, vorübergehend Schlingbeschwerden, Stimme heiser,
sämmtliche Sehnenreflexe gesteigert. Kopf wird eigenthümlioh steif nach hinten
gebeugt gehalten. Im übrigen durchaus keine Störungen.
Unter Jodkali in wenigen Tagen Besserung, die übrigens schon vor der Be¬
handlung merkbar war. Als neues Symptom Tremor der Hände (r. > 1.). Nach
11 tägiger Dauer der Beobachtung vollständige Heilung. Hysterie und Neuritis
(speciell postdiphtheritische Lähmung) schliesst Verf. mit Rücksicht auf das
Krankheitsbild (gewiss mit vollem Rechte) aus.
Verf. nimmt einen postinfectiös oder einen direct etwa nach Art einer Polio¬
myelitis einsetzenden acuten Process an, der in der unteren Kerngruppe der
Oblongata zu localisiren wäre. Bezüglich der Natur dieses Processes spricht sich
Verf.' nach Erörterung der verschiedenen Möglichkeiten (Blutung, Entzündung,
Embolie, Toxinwirkung) für einen entzündlichen oder der Entzündung nahestehenden
Process aus. Die localen Gefassstörungen könnten auch die exquisiten Pyramiden¬
reizsymptome bewirkt haben. Pilcz (Wien).
27) Des poralysies pseudobulbaires, par Dr. Albert Comte. (Paris, 1900.
240 S.)
Das Buch ist eine umfangreiche Monographie der Pseudobulbärparalyse auf
Grund von Arbeiten im Laboratorium Dejerine’s. Den Haupttheil des Werkes
bildet die Darstellung von 11 anatomisch genau untersuchten Fällen. Verf. kommt
zu folgendem Ergebniss: Die Pseudobulbärparalyse ist, wie die gewöhnliche Hemi¬
plegie, die Folge einer Läsion der den gelähmten Organen entsprechenden moto¬
rischen Rindencentren bezw. deren cortico-bulbärer Projectionsfasern. Die Lähmung
ist, entsprechend der bilateralen Function der betreffenden Centren, meist eine
doppelseitige. Sitz der Läsion ist entweder die Rinde im Bereich des Operculum,
oder das Centrum semiovale, die innere Kapsel, der Grosshirnschenkel; ferner
häufig die Brücke (Oppenheim und Siemerling). Zwischen der Pseudobulbär¬
paralyse und der (apoplektiformen) Bulbärparalyse existiren klinisch zahlreiche
llebergangsformen. Es giebt rein pontile Pseudobulbärparalysen (Haliprä).
Die Theorie, welche das Vorhandensein secundärer Phonations- und Schluck-
centren im Thalamus opticus annimmt, entspricht nicht der Mehrzahl der bezüg¬
lich der Sitzes der Läsion bei der Pseudobulbärparalyse gemachten Erfahrungen.
Die andere Theorie, die den Sitz dieser secundären Centren in das Putamen ver¬
legt, ist weder durch die Entwickelungsgeschichte noch durch die Physiologie,
noch auch durch die klinische Beobachtung genügend gestützt.
Die Erfahrung hat gelehrt, dass bei der Pseudobulbärparalyse sich meist
beiderseits Herderkrankungen finden. Man ist daher nur dann berechtigt, von
Pseudobulbärparalyse als Folge unilateraler Herderkrankung zu sprechen, wenn
man sich dabei auf Serienschnittreihen berufen kann, die von der Grosshirnrinde
bis zur Medulla oblongata völlig durchgeführt sind.
Der anatomische Theil des Buches wird durch zahlreiche Zeichnungen illustrirt.
Max Neu mann (Karlsruhe).
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28) Per l’an&tomia patologioa della parallel pseudobulbäre. Ricerche dei
Dr. P. Guizzetti e Dr. F. Ugolotti. (Rivista di patologia nervosa e
mentale. 1901. September.)
Die Paralysis labio-glosso-pharyngealis oder Pseudobulbärparalyse wurde früher
(Jolly, Joffroy) als die klassische Manifestation einer, nach Lepine im Linsen¬
kern, nach Leresche speciell im Putamen gelegenen symmetrischen Hemisphären¬
läsion definirt Seitdem aber Oppenheim und Siemerling auf kleine Erweichungs¬
herde im Pons und in der Oblongata aufmerksam gemacht und die neuesten Arbeiten
noch andere Gebiete erkrankt gefunden haben, dürfte jeder neue Fall eingehenderen
Bericht verdienen.
55jährige Potatrix erwachte eines Morgens mit rechtsseitiger Hemiparese,
welche sich bald besserte, erlitt 2 Jahre später eine ähnlich verlaufende Ver¬
schlimmerung, verlor mit 60 Jahren plötzlich die Phonation und die Energie der
Articulation, im folgenden Jahre die Schluckfähigkeit und theilweise das Hust-
und Würgvermögen. Lippen nicht atrophisch, Bewegungen der unteren Gesichts¬
hälfte paretisch, Zunge nicht vor die Zahngrenze zu bringen, weder zitternd noch
abweichend. An den Extremitäten, besonders rechts, gesteigerte Reflexe, rechts¬
seitige und fürs Bein auch linksseitige hochgradige Parese, keine Atrophieen.
Allenthalben normale Empfindlichkeit. Hochgradige Atheromatose. Nach langsamer,
zuletzt hochgradiger Beugecontractur des rechten, bald auch des linken Beins
trat unter beginnender Pneumonie Exitus ein.
Liquor cerebrospinalis um etwa ein Drittel vermehrt. Zahlreiche doppel¬
seitige Erweichungsherde verschiedenen Alters in beiden Marklagern — darunter
ein alter Herd im Knie der linken inneren Kapsel —, in den Streifenhügeln, den
HirDschenkeln bei Entartung beider Pyramidenstränge; vier kleine Erweichungs¬
herde verschiedenen Alters in der Brücke, davon der grösste an der dorsalen
Oberfläche der Pyramiden nach rechts, die übrigen in der Haube; im Bulbus eine
kleine alte Narbe, im Rüokenmark Schrumpfung des linken Pyramidenstranges an
der Kreuzungsstelle, doppelseitige absteigende Sklerose unterhalb desselben. Rinden¬
zellen, Kerne und Wurzeln der Oblongata, Brücke und des Rückenmarks, peri¬
phere Nerven und Muskeln (abgesehen von leichter Atrophie der mimischen)
normal. Interstitielle Nephritis.
Verf. charakterisirt hiernach unter Berücksichtigung des geBammten Materials
die Pseudobulbärparalyse folgendermaassen: Ursache ist stets eine allgemeine Ver¬
änderung der Gefässwände, welche zu vielfachen kleinen Erweichungsherden führt.
Diese können symmetrisch im ganzen Bereich derjenigen Projectionsfasern auf-
treten, welche von der Rolando'sehen Gegend und den Kernen der Oblongata
und Brücke begrenzt werden. Die grösste pathogenetische Bedeutung scheinen
die — mit blossem Auge häufig übersehenen — kleinen Herde in der Brücke
zu haben. _ Schmidt (Freiburg i/Schl.).
29) Zar Kenntnis« der infantilen Pseudobulbärparalyse und der an¬
geborenen allgemeinen Bewegungsstörungen, von Dr. Theodor Zahn,
I. Assistent an der psychiatrischen Klinik in Würzburg. (Münchener med.
Wochenschr. 1901. Nr. 42 u. 43.)
Es handelt sich um 3 Fälle schwerer, cerebraler Bulbärstörungen, welche auf
eine Entwickelungshemmung der corticobulbären Bahnen zurückzuführen sind. In
der einen Beobachtung bestand ausser der Bewegungsstörung der Lippen-, Zungen-,
Kau- und Gaumenmuskeln ausgedehnte Starre der Gliedmaassen. In dem anderen
Falle wurde angeborene schlaffe Lähmung der Muskeln des Mundes, der Zunge,
des Kehlkopfes, Rachens, Rumpfes und aller Gliedmaassen, sowie Ataxie der Arm¬
and Rumpfmuskeln, Fehlen der Sehnenreflexe und Beeinträchtigung der Blasen-
b y Google
470
und Mastdarmfunction festgestellt. Der 3. Fall betrifft einen seit der Jugend
epileptischen und an linksseitiger spastischer Lähmung leidenden Mann mit
mikrocephalem Schädel. Ausserdem besteht fast völlige Stummheit in Folge von
starker cerebraler Articulationsstörung im Facialis- und Hypoglossusgebiet. Bei
der anatomischen Untersuchung fanden sich an beiden Gehirnhälften porencephalische
Defecte, ausserdem eine Verkümmerung des rechten Hirnschenkelfusses, Verschiebung
des grösseren linken Brückentheils über die Mitte nach rechts, Veränderungen,
welche eine bestehende Hypoplasie annehmen lassen. In keinem der Fälle war
die Intelligenz beeinträchtigt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
30) Pseudobulbärparalyse mit einseitiger refleotorisoher Pupillenstarre,
von Dr. Ignaz Knotz. (Wiener med. Presse. 1901. Nr. 45.)
Bei einem 54jähr., mit Herzklappenfehler behafteten Manne, traten im An¬
schluss an einen Sturz Verwirrtheit, Somnolenz und totale Lähmung des linken
Oculomotorius auf. Die Augenmuskellähmung schwand allmählich, die Reaction
auf Licht und die consensuelle Reaction der linken Pupille kam dauernd abhanden.
3 l / a Jahre später Schwindel, Kopfschmerz, Abmagerung, Sprach-, Schling-,
Geschmackstörung, die unter Jodeinnahme sich besserten.
Einige Monate später Influenza, Bronchitis und danach Verwirrtheit, rechts¬
seitige homonyme Hemianopsie, Neuritis optica, wieder Besserung durch anti-
luetische Behandlung. Nur die reflectoriBche Pupillenstarre blieb.
Verf. fasst das Krankheitsbild als eine durch luetische Endarteriitis bedingte
Pseudobulbärparalyse auf. J. Sorgo (Wien).
Psyohiatrie.
31) Beiträge zur Kenntniss der Kinderpsyohosen, vonlnfeld. (Jahrbücher
f. Psych. u. Nervenkrankh. XXII. S. 326.)
Unter 3200 Aufnahmen männlicher Geisteskranker sah Verf. 11, welche ein
Alter unter 14 Jahren hatten. Im Ambulatorium kamen unter 1443 männlichen
Kranken 137 Kinder vor, deren 24 Psychosen aufwiesen. Im allgemeinen scheint
das Kindesalter zu Nerven- und Geisteskrankheiten weniger disponirt. Es über¬
wiegen die mit dauerndem Defect einhergehenden Krankheiten, wozu wesentlich
die congenitalen Defectzustände beitragen.
In der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich Verf. nur mit den erworbenen
krankhaften geistigen Veränderungen. Originäre psychopathische Veranlagung
liess sich in 10 von 15 Fällen nachweisen.
Unter den sehr ausführlich geführten und anschaulich geschilderten 15 Krank-
heitsgesohichten finden sich u. a. folgende bemerkenswerthe Fälle: Moral insanity
als Folge von Schädeltrauma bei einem vorher normalen Knaben; Schreckpsychosen;
anfallsweise auftretende transitorische, meist delirante Verworrenheitszustände bei
epileptischen und hysterischen Kindern; ein (allerdings nur flüchtig erwähnter)
Fall von Delirium tremens inoipiens bei einem 6jähr. Wirthssohne; zwei in einem
frühen Reconvalescenzstadium einer acuten fieberhaften Erkrankung einsetzende
hallucinatorische Verworrenheitszustände u. s. w. Von den letzterwähnten ist ein
Fall besonders interessant einmal wegen des ungewöhnlich frühen Alters (3*/ a Jahr),
dann wegen des lange Zeit Fortbestehens einer bestimmten isolirten Wahnidee.
Verf. macht die hübsche Bemerkung, dass ohne Kenntniss der vorausgegangenen
Psychose eine derartige ganz isolirte Vorstellung als unverständliche Eigentümlich¬
keit, etwa nach Art einer überwertigen Idee oder Zwangsvorstellung erscheinen
könnte.
Choreatische Psychosen scheinen gerade im Kindesalter sehr selten zu sein.
Pilcz (Wien).
edby Google
471
32) Zur Klinik der Puerperalpayohosen, von E. Meyer. (Berliner klin.
Wochenßchr. 1901. Nr. 81.)
Verf. bespricht in seiner Arbeit die eigentlichen Puerperal- und Lactations-
psychosen und sieht dabei von den Schwangerschaftspsychosen, welche mit ihnen
kaum Berührungspunkte haben, ganz ab. Unter 1104 geisteskranken Frauen,
welche vom November 1894 bis Mürz 1901 in der Tübinger psychiatrischen
Klinik aufgenommen sind, befanden sich 61, die im Wochenbett oder während
der Laotation erkrankten. Für die Beantwortung der viel erörterten Frage nach
den eigentlichen Ursachen der puerperalen Psychosen liefern M.’s Fälle kein neues
Material. Für einen grossen Theil scheint das Woohenbett und die Lactation
nur eine Gelegenheitsursache abzugeben. Puerperale Infection wurde in fünf von
den 51 Fällen festgestellt Diese geringe Zahl spricht nicht ohne Weiteres gegen
die Bedeutung derselben für das Zustandekommen der puerperalen Psychosen;
gewiss entziehen sich manche derartig ätiologisohe Fälle der Beobachtung und
Verf. hält Ohlshausen’s Eintheilung der Puerperalpsyohosen in Infections-, idio¬
pathische und Intoxicationspsyohosen einstweilen für nicht geeignet. Weit gefasste
hereditäre Belastung fand Verf. in 29 von den 51 Fällen. Eine specifisch-
puerperale Psychose vermochte Verf. nicht festzustellen, was auch der sonstigen
Annahme entspricht. Er begegnet keinem Krankheitsbilde, das sich nicht bei
anderen ätiologischen Momenten ebenso entwickeln könne, und vermochte auch
keine besondere puerperale Färbung der Psychosen nachzuweisen. Die Prognose
bietet nichts, was von dem abweicht, was allgemein für die betreffenden Psychosen
Gültigkeit hat Bielschowsky (Breslau).
33) Ueber Psychosen ln unmittelbarem Anschluss an die Verheirathung
(nuptiales Irresein), von Obersteiner. (Jahrbücher f. Psych. u. Nerven-
krankh. XXIL S. 313.)
Unter 500 weiblichen Kranken (darunter 322 verheirathete Frauen) fanden
sich 8 Fälle, d. ist 1,6 bezw. 2,5 °/ 0 , bei denen stürmische Erscheinungen einer
Psychose wenige Tage nach der Hochzeit auftraten. Ganz unberücksichtigt blieben
selbstverständlich Fälle, wobei schon geisteskranke Individuen verheirathet wurden.
Aber auoh in den hier angeführten Beobachtungen sind — wie Verf. bemerkt
— nur vier „reine“ Fälle, d. h. ein vorher anscheinend geistig intactes Individuum
betreffend. Bei anderen Dreien bestanden schon vor der Hochzeit allerlei
psychische Abnormitäten. (In der Beobachtung I fehlen genauere anamnestische
Daten, daher Verf. diesen Fall hier nicht weiter berücksichtigt) Eine ausgesprochene
schwere Disposition scheint nicht unerlässlich nothwendig. Auffallend gross ist
der Procentsatz an Juden (6:8), was Verf. nicht nur aus der bekannten grösseren
Disposition dieser Rasse zu Psychosen erklärt, sondern auch aus dem Umstande,
dass häufig die Ehe nur durch Uebereinkommen der Eltern zu Stande kommt,
wobei die Zuneigung oder Abneigung der zukünftigen Eheleute wenig, vielleicht
gar nicht in Betracht kommt. Der Form nach scheint das nuptiale Irresein am
häufigsten als manisch gefärbte Amentia oder manisch-depressives Irresein aufzu¬
treten, ferner in Form der hysterischen Psychosen. Die leichteren Fälle gewähren
eine günstige Prognose, in den mit schwereren Erscheinungen einhergehenden
Fällen ist sie zweifelhaft. Verf. macht übrigens darauf aufmerksam, dass gerade
die leichteren Fälle aus begreiflichen Gründen eher dem Hausarzte als dem
Psychiater zu Gesicht kommen.
Acht detaillirte Krankheitsgeschichten bilden das Material der Arbeit
Pilcz (Wien).
sd by GoOgI<
472
34) Beitrag sur Kenntniss der induoirten Psychosen, von Dr. 0. Kölpin,
Assistenzarzt der psychiatr. Klinik in Greifswald (Prof. A. Westphal).
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXV. 1902.)
Verf. giebt die sehr interessanten Krankengeschichten von 2 Fällen von in-
ducirtem Irresein wieder. Beide Male handelte es sich um chronisch Bich entwickelnde
Fälschung des Bewusstseinsinhaltes durch Verfolgungs- und Grössenideeen.
Im ersten Fall erkrankte ein Ehepaar, dessen beide Theile erblich belastet
und von Hause aus nicht normal waren. Die Frau, eine Lehrersfrau, fühlte sich
rechtlich benachteiligt, war eine sehr energische Persönlichkeit und octroyirte
ihrem Manne ihre Wahnideeen auf. Dieser nahm dieselben an und baute sie
weiter. Das Wahnsystem war bei beiden identisch. Später übernahm der Mann
die Führung, die Frau verhielt sich aber auch nicht passiv. Bei beiden ent¬
wickelten sich Verfolgungsideeen, die von der Idee einer sehr wohl in den Grenzen
der Möglichkeit liegenden rechtlichen Benachteiligung ausgingen. Jeder, der
gezwungen war, ihnen entgegenzutreten, wurde sofort ins System hineinbezogen
und verdächtigt. Die ausgesprochene egocentrische Wahrnehmung liess gering¬
fügige Angelegenheiten, wenn sie die eigene Person betrafen, jederzeit als Haupt-
und Staatsaction erscheinen. Hochgradige Selbstüberschätzung fehlte nicht.
Querulantenwahn.
Welche von den im zweiten Fall ebenfalls mit identischem Wahusystem
erkrankten Schwestern primär erkrankt ist, war nicht festzustellen. Beide nahmen
eine total imaginäre Erbschaft unmotivirt für sich in Anspruch. Der Wahn war
phantastisch ausgebildet. Auch hypochondrische Wahnideeen waren vorhanden.
Paranoia.
Im ersten wie im zweiten Fall lebten die betreffenden Personen eng zusammen.
Die Uebertragung fand auf dem Wege der Nachahmung statt, und zwar der in
egoistischer Absicht geübten Nachahmung bei gleichzeitiger Autosuggestion.
Georg Ilberg (Grossschweidnitz).
36) Ueber Psychosen durch Autointoxioation vom Darme aus, von
v. Wagner. (Jahrbücher f. Psych. u. Nervenkrankh. XXII. S. 177.)
Seit den ersten Mittheilungen des Verf.’s (Jahrbücher f. Psych. X und
Wiener klin. Wochenschr. 1896. Nr. 10) hat sich, wie zahlreiche Publicationen
zeigen, der Begriff der Autointoxioation Bürgerrecht erworben, und zwar nicht
nur in der Psychiatrie. Gleichwohl handelt es sich hier nur um« eine Hypothese,
insolange der Nachweis eines bestimmten gastrointestinal entstandenen Giftstoffes
nicht gelungen ist, und der Nachweis, dass dieser Giftstoff das beobachtete Krank¬
heitsbild hervorzurufen im Stande ist. Für das Bestehen einer gastrointestinalen
Störung wird sich derzeit nur ein mehr oder minder gelungener Indicienbeweis
führen lassen; so z. B.: wenn auffallende Magendarmstörungen gleichzeitig oder
kurze Zeit vor der Psychose auftreten, besonders wenn eine ganz bestimmte
alimentäre Schädlichkeit nachgewiesen werden kann, wie in folgendem ausführlich
mitgetheilten Falle:
21jähr., vorher stets gesunder Mann, erkrankt nach dem Genüsse von Hülmer¬
leber acut unter Indigestionserscheinungen. Nach wenigen Tagen Ausbruch einer
Psychose, die das Bild eines schweren Delirium acutum bot. Somatisch u. a.
Foetor ex ore, Zunge dick belegt, im Urin viel Aceton und Indican. Unter
energischer Sorge für Entleerung des Darmes (speciell wiederholte Calomeldosen),
bei Milchdiät allmähliche Besserung, wobei auch der Harn die abnormen Bestand-
theile verlor. Nach etwa einmonatlicher Dauer Heilung.
In einem zweiten Falle des Verf.’s handelt es sioh um einen Mann, der wenige
Tage nach einer Indigestion unter den schweren Erscheinungen einer Encephalitis
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473
erkrankte (rasende Kopfschmerzen, Schwindel, linksseitige Hemiopie, Hemianästhesie
und Hemiataxie, Erbrechen). Auf Calomel, Milchdiät und Irrigationen schwanden
alle die Erscheinungen binnen zweier Tage (nur ein kleiner hemianopischer Defect
blieb zurück).
In einem anderen Falle bestand das Krankheitsbild der Meningitis serosa,
in anderen eine Polyneuritis u. s. w.
Einen Hinweis auf im Darmcanal sich abspielende abnorme Processe bei der¬
artigen Fällen liefert, abgesehen von der physikalischen Untersuchung der Ver¬
dauungsorgane, die Harnuntersuchung. Gesteigerte Indicanausscheidung, das Auf¬
treten von Aceton, Diacetessig- und Oxybuttersäure sind Indicatoren für abnorme
Vorgänge im Verdauungstracte, während das Fehlen der genannten Stoffe natürlich
nicht letztere ausschliessen lässt. (Verf. theilt einen weiteren Fall mit, der die
Beziehung des Harnbefundes zur Psychose und Verdauungsstörung illustrirt.)
Auch die bei acuten Psychosen so häufig zu beobachtende Albumin- und
Albumosurie fasst Verf. als toxisch bedingt auf; in einer Anzahl von Fällen konnte
sie durch auf Desinfection und Entleerung des Darmes gerichtete Therapie zum
Schwinden gebracht werden.
In manchen Fällen könnte es sich auch um eine Autoinfection von im Darm-
tracte befindlichen Bakterien aus handeln. Die Bakterien können aber auch durch
eitrige Processe von der Mund- oder Nasenhöhle aus in den Darm gelangen, ein
Punkt, der insbesondere von hoher praktischer Wichtigkeit ist, wie folgende vom
Verf. beobachteten Fälle zeigen:
42jähr. Frau, acut an einem amentiaartigen Zustandsbilde erkrankt. Positiver
Harnbefund, der auf interne Jodoformmedication zurückging, ohne dass sich der
psychische Zustand sonderlich geändert hat. Es fand sich eine Zahnfistel; nach
Extraction zweier Wurzeln entleert sich reichlicher Eiter; daraufhin rasche
Besserung. Heilung.
In einem anderen Falle stellte sich rasche Heilung ein in unmittelbarem
Anschlüsse an die Entfernung eines zu chronischer Eiterung in der Mundhöhle
führenden Sequesters (nach Zahnextraction) bei einem Melancholicus.
ln einem dritten Falle (anfangs hypochondrisch-neurasthenisches Zustandsbild,
dann deliranter Verworrenheitszustand) brachte Eröffnung eines periostitischen
Abscesses und Entfernung einer Wurzel nur Besserung. Es stellte sich heraus,
dass eine Zahnwurzel zurückgeblieben war und die eiternde Fistel fortbestand.
Nach Beseitigung dieses Processes rasche Heilung. Pilcz (Wien).
in. Bibliographie.
1) Heber die allgemeinen Beziehungen zwischen Gehirn und Seelenleben,
von Th. Ziehen. (Leipzig 1902, J. A. Barth.)
Ab deutsche Ausgabe eines in holländischer Sprache gehaltenen Vortrages
bietet Verf. eine lehrreiche und interessante philosophische Studie über die Er¬
klärung der geistigen Thätigkeit. Das Problem: giebt es eine „Seele“, einen
eigenen Factor jeglichen geistigen Lebens, und wenn ja, wo ist der Sitz derselben,
and welcher Art ihre Natur und Thätigkeit? erweckte von Anbeginn das Inter¬
esse des menschlichen Denkens; und diese Bestrebungen nach der Erkenntniss
schildert Verf. zu Beginn seines Vortrages in klarer, übersichtlicher Weise, und
von grossen Studien zeugende literarische Anmerkungen erleichtern das Ver¬
ständnis dieser Einleitung. Von denjenigen philosophischen Richtungen, welche
nach der Erkenntnis, dass die Hirnrinde als Sitz jedes geistigen Lebens zu be¬
trachten sei, entstanden sind, verwirft Verf. diejenigen, welche den Zusammenhang
von Körper und geitigem Leben leugnen (Hauptmann, Fichte, Hegel); auch
Googl»
474
in denjenigen Philosophieen, welche diesen Zusammenhang auf dualistische Weise
erklären (Leibnitz’ Parallelismus, Rehmke’s psychophysische CauBalität, Geu-
linx’ Occasionalismus), kann Verf. keine genügende Basis finden. Er bekennt
sich als Anhänger der monistischen Richtung, jedoch nicht der u. a. von Boer-
have vertretenen materialistisch-monistischen noch der spirituab’stischen, sondern
der dritten monistischen Richtung, welche er idealistische nennt Das Grund-
princip derselben ist die sogen, „erkenntniss-theoretische Fundamentalthatsache“:
„gegeben sind uns nur Empfindungen und aus diesen abgeleitete Vorstellungen“.
Als Ursache etwas Psychischen kann man sich nur wieder etwas Psychisches
denken; wir müssen daher „im“ Psychischen „bleiben“, daher auch diese (von
Avenarius und Schuppe begründete und entwickelte) Philosophie als „imma¬
nente“ bezeichnet wird. Eine jede Reizeinwirkung verursacht eine Empfindung,
welche ihrer Beschaffenheit nach von den einzelnen Bezirken der Hirnrinde im
Sinne der Localisationslehre abhängig ist, doch keineswegs räumlich diesen Sitz
in der Hirnrinde hat. Der einzige Ort unserer Empfindung sei draussen in der
Welt. Wir leben in einer Empfindungs- und Vorstellungswelt, deren Qualität
von unseren Sinnesorganen oder vielmehr unserer Hirnrinde abhängig ist
In dieser Philosophie findet Verf. das Wesen unseres geistigen Seins und
Lebens dargelegt und mit dieser hofft er mit der Zeit alle geistigen Functionen
— deren Details gegenwärtig noch nicht aufgeklärt erscheinen — deuten zu
können. Als interessante und anregende Lectüre sei das Büchlein Jedem empfohlen.
Hudovernig (Budapest).
2) Ueber Dämmerzustände. Ein Beitrag zur Kenntnizs der pathologischen
Bewusstseinsveränderungen, von Hdrehen. Aus der psychiatr. Klinik zu
Marburg. (Marburg 1901, Eiwert. 80 S.)
Verf. giebt verdienstvoller Weise eine Uebersicht über die verschiedenen
Auffassungen, die der elastische Begriff der Dämmerzustände in der Litteratur
erfahren hat. Man sieht daraus, wieviel diesem Begriff noch an Schärfe fehlt.
Verf. geht dann die Eigentümlichkeiten durch, welche den Dämmerzuständen
bei den verschiedenen Neurosen zugeschrieben werden: bei Epilepsie, Hysterie,
Imbecillität, Migräne, Neurasthenie, Neuralgie u. s. w.
Etwas unorganisch angefügt sind 40 summarische Krankengeschichten der
Marburger Klinik, deren Auswahl eine weite Fassung des Begriffes zu Grunde liegt.
Irrtümlich ist es, wenn Verf. (S. 43) Bonhoefer das Alkoholdelir auf „eine
Herabsetzung der Sinnesschärfe“ zurückführen lässt. B. lehrt mit Recht das
Gegenteil. L i e p m a n n (Dalldorf).
3) Beiträge zur psyohiatriaohen Klinik. Herausgegeben von Prof. Dr. Robert
Sommer. (1902. I. Heft 1.)
Diese in zwanglosen Heften erscheinenden Beiträge sollen „dazu helfen, dass
aus den Elementen, welche die methodische Analyse der psychopathologischen
Erscheinungen ergiebt, nach Prüfung und Ergänzung des uns Ueberlieferten eine
exacte Symptomenlehre als Grundlage der wissenschaftlichen Psychiatrie entsteht“.
Die Art der Behandlung psychiatrischer Probleme soll entsprechend den in dem
Lehrbuch der psychopathologischen Untersuchungsmethoden von dem Herausgeber
niedergelegten Grundsätzen geschehen.
Man braucht durchaus nicht mit Allem einverstanden zu sein, wie der Heraus¬
geber sich die Lösung der sich gestellten Aufgabe denkt, — man wird es als
ein sehr dankenswerthes Unternehmen betrachten, wenn ein Mann von dem ernsten
und unermüdlichen Streben, wie Sommer, die Ergebnisse seiner und seiner
Sohüler Arbeiten in regelmässiger Folge den Fachgenossen mittheilt
Google
475
Wir wünschen den „Beiträgen“ demnach einen glücklichen Fortgang und
empfehlen sie auf das Angelegentlichste unseren Fachgenossen.
Das erste Heft bringt einen Fall von Hydrocephalus internus und Kleinhirn¬
tumor aus der Feder des Herausgebers. Die Diagnose Kleinhirntumor war aus
prägnanten Erscheinungen richtig gestellt, bei der Trepanation wurde die Ge¬
schwulst nicht gefunden, bei der Section dagegen (der lljähr. Patient starb in
der Nacht nach der Operation) fand sich im Kleinhirn ein weiches Sarcom. Die
Frage, ob überhaupt die Operation indicirt war, wird sehr verschieden beantwortet
werden. (Vgl. Referat 23 dieser Nummer.)
Dr. A. Alber bespricht sodann auf Grund von sorgfältigen und mühevollen
Untersuchungen den Einfluss des Alkohols auf motorische Functionen des Menschen,
8peciell auf die unwillkürlichen motorischen Erscheinungen.
Einmal werden hier die unwillkürlichen Bewegungen an den Fingern mittels
des dreidimensionalen Zitterapparates, andererseits der cerebrale Einfluss auf den
Ablauf des Patellarreflexes mittels des Reflexmultiplioators untersucht.
Endlich bespricht Sommer Rousselot: Principes de Phonetique experimentale.
L Theil 1897, II. Theü 1901. M.
IV. Aus den Gesellschaften.
Sooiötö de neurologie de Paria.
Sitzung vom 6. Juni 1901.
Herr A. Chipault: lieber eine neue Anwendung der trophiachen
Elongationsmethode; chronisches Geschwür am Bein. Im vorigen Jahre
hat Vortr. über erzielte Resultate bei Mal perforant durch Nervendehnung mit-
getheilt. Ebenso günstige Resultate weist diese Methode bei Behandlung von
Ulcera cruris auf. Diese Behandlung wurde bis jetzt mit günstigem Erfolg in
30 Fällen angewandt. Vom Vortr. selbst in 9 Fällen und in 21 Fällen von anderen
Aerzten (Bardesco, Jamesoo, Paul Delbet, de Buck und Vanderlinden,
Ottero Acevedo, G6rard Marchand). Die Methode besteht zunächst darin,
dass man die Nerven in der Nachbarschaft des Geschwürs dehnt, also den
N. musculo-cutaneuB, saphenus internus, ischiadicus, popliteus externus. Dann wird
das Geschwür abgetragen und, wenn möglich, die Ränder zugenäht, wenn nicht,
so wird das Geschwür einfach ausgekralzt. In 4 Fällen, die genäht wurden, fand
die Heilung per primam statt. In den anderen 26 Fällen, die ausgekratzt
wurden, fand die Heilung statt durch allmähliche Vernarbung in 22 Fällen. Vier
Fälle konnten nicht zur Heilung gebracht werden. In 17 Fällen, die weiter ver¬
folgt werden konnten, constatirte man, dass die Heilung mehr als 3 Jahre dauerte
in 2 Fällen; mehr als 2 Jahre — 2 Fälle; mehr als 1 Jahr 6 Fälle. Vortr.
hält diese Resultate für besonders bemerkenswerth, da es sich in allen Fällen um
veraltete, hartnäckige und ausgedehnte Ulcera gehandelt hat. Die erzielten Re¬
sultate sollen beweisen, dass die Beingeschwüre trophische Störungen darstellen.
Man constatirt übrigens in denselben ziemlich oft Sensibilitätsstörungen, besonders
Störungen des Temperatursinnes. Die Läsionen der Blutgeiässe lassen sich eben¬
falls auf vasomotorische Störungen zurückführen. Es wird heutzutage allgemein
angenommen, dass die trophischen Störungen der Gewebe durch Vermittelung von
vasomotorischen Störungen der Arterien und Venen stattfinden.
Herr Achard und Herr Laubry: Ein Pall von leiohter Form der
schmerzhaften Fettleibigkeit (mit Krankenvorstellung). 68 jährige Frau, here¬
ditär nicht belastet, Typhus im Alter von 22 Jahren. Im Alter von 54 Jahren
Anfälle von intermittirendem Fieber, die von Gelbsucht und Schmerzen in der
Leber begleitet waren. Diese Krankheit hat 1 Jahr gedauert und verschwand
GoogI<
476
dann allmählich. Aber seit dieser Zeit leidet sie an Beklemmungen, besonders
bei Anstrengungen, und Abends sind die Beine bis zu den Knieen geschwollen.
Durch die Bettruhe verschwinden die Oedeme. Vor einem Jahr litt sie an einer
Radialislähmung, die sich nach kurzer Zeit bedeutend besserte. Der Appetit ist
normal. Die Kranke hat zuweilen förmliche Anfälle von Durst. Eis besteht kein
Erbrechen. Nur Morgens manchmal Würgen. Die Kranke klagt über Schwierig¬
keiten beim Gehen und über diffuse Schmerzen in den Beinen. Ab und zu Kopf¬
schmerzen, Schwindel, Flimmern vor den Augen. Der Allgemeinzustand ist gut.
Anlage zu Fettleibigkeit. Das Fett ist immerhin regelmässig vertheilt, am Halse,
am Rumpf, am Bauch, an den oberen Extremitäten. Nur an den Händen und
an den Füssen fehlt das Fett. In der Nachbarschaft des inneren Knöchels an
beiden Beinen hat das Fettpolster eine lobulöse Form. Diese Fettlappen sind
symmetrisch über den inneren Knöcheln gelegen und sind nach unten wie ab¬
geschnürt, etwa durch einen aponeurotischen Strang. Nach oben bildet der Lappen
keine scharfe Grenze. Die Haut ist an den Lappen nioht verändert Bei der
Palpation dieser Fettpolster fühlt man lipomatösen Widerstand. Der Druck
hinterlässt keine Delle. Tiefer Druck ruft heftigen Schmerz hervor, während
tiefer Druck an anderen Körperstellen und Fettmassen von keinem Schmerz be¬
gleitet ist. Die Kranke geht langsam, zögernd, empfindet aber keine Schmerzen
dabei. Leichtes Zittern. Die Patellarreflexe sind normal, der rechte vielleicht
etwas schwächer. Die Hautsensibilität ist normal. In der Umgebung der beiden
Fettlappen ausgesprochene Hyperästhesie. Ein bestimmter Grad von Amblyopie
und leichte Einschränkung des Gesichtsfeldes. Keine Augenmuskellähmungen.
Gehör normal. Keine psychischen Störungen. Nichts am Herzen. Nichts au den
Lungen. Die Leber ist etwas vergrössert, aber nicht schmerzhaft. Der Urin ent¬
hält ab und zu etwas Zucker, von 7—25 g pro Liter. Die Kranke wiegt 153 Pfund.
Körperlänge 1,66 m. Taille 1,03 in. Die Vortr.. nehmen in diesem Falle die
Dercum’sche Krankheit an, obwohl die schmerzhaften Fettlappen nur sehr spär¬
liche sind.
Herr M. C. Simionesco: Schmerzhafte Fettleibigkeit (Deroum'sohe
Krankheit). 48jährige Frau, die über Schmerzen in den Gliedern und in den
Rippen klagt. Bei der Untersuchung fand man ungleichmässig vertheilte Fett¬
leibigkeit. In der Nachbarschaft der Fussgelenke sind Fettknollen vorhanden,
ebenso in der Nähe der Kniegelenke. Diese Knollen, die unzweifelhaft aus Fett
bestehen, sind bei tiefem Druck schmerzhaft. Um die Handgelenke herum, längs
der Handstrecker und am Ellenbogen, begegnet man einer grossen Anzahl von
kleinen Knötchen. Am Thorax links in der subcostalen Gegend ist eine grössere
adipöse Masse vorhanden. Der Druck auf diese Masse ruft Schmerzen und Be¬
klemmung hervor. Druck auf die Brustwarzen ist ebenfalls schmerzhaft. Die
Kranke sagt aus, dass sie seit 1889 an neuralgischen Schmerzen leidet und dass
allmählich an den schmerzhaften Stellen sich die Knötchen bildeten. Die Knoten
an den Beinen bemerkt sie seit 1899. Hereditär ist hervorzuheben, dass der
Vater Arthritiker war und die Mutter nervös. Die Kranke, die sehr intelligent
und sehr thätig ist, klagt oft über Kopfschmerzen, über Schwindel, über Sausen
und Pfeifen in den Ohren.
Herr Dcjerine und Herr A. Thomas: Ein Fall von interstitieller hyper¬
trophischer and progressiver Neuritis im Kindesalter mit Autopsie (De¬
monstration anatomischer Präparate). Das Rückenmark und die Nerven, die vor¬
gezeigt werden, stammen von einem Patienten, dessen Krankengeschichte schon
früher publicirt wurde (Dejerine et J. Sottas, Memoires de la sociätö de Bio¬
logie. 16. März 1893). Die Krankheit begann im Alter von 14 Jahren mit
Muskelatrophie, Sensibilitätsstörungen und blitzartigen Schmerzen, zunächst in
einem Bein, dann in den Händen. Deformation des Fusses (pes equinus). Die
Google
477
Hände nahmen das Aassehen der Aran-Duchenne’schen Hände an. Die Muskeln,
die auf dem Wege der Atrophie waren, zeigten fibrilläre Zuckungen. Die elek¬
trische Reaction dieser Muskeln war geschwächt, jedoch keine Entartungsreaction.
Es bestand ausserdem Kyphoskoliose. Ataxie der oberen und unteren Extremi¬
täten. Romberg’sches Symptom. Miosis und Argyll-Robertson’sches Zeichen,
Nystagmus bei Augenbewegungen. Fehlen sämmtlioher Sehnen- und Hautreflexe.
Die Hautsensibilität war vermindert von unten nach oben, mit Verlangsamung in
der Leitung. In der letzten Zeit war der Kranke fast vollständig taub. Das
Sehen war aber gut conservirt. Das urogenitale System war immer gut geblieben.
Nie wurden trophische Störungen beobaqfetet. Was aber am meisten bei dem
Patienten charakteristisch war, das wareine ganz ausgesprochene Hypertrophie
und Verhärtung aller der Palpation zugänglichen Nervenstämme. Der
Kranke war Alkoholiker und bekam Syphilis im Alter von 24 Jahren. Sein
psychischer Habitus war der eines Degenerirten. In den letzten Jahren wurde
er phthisisch und starb an Lungentuberculose im Januar 1901 in seinem
42. Lebensjahre. Schon bei der makroskopischen Untersuchung des Rücken¬
markes fallt die colossale Entwickelung der Nerven der Cauda equina auf. Die¬
selben sind glatt und ohne Rauhigkeit auf der Oberfläche. Die dorsalen und
cervicalen Nervenwurzeln sind ebenfalls hypertrophisch, aber doch weniger als
die der Cauda equina. Die Hypertrophie ist bedeutender in den vorderen Wurzeln
als in den hinteren nnd nimmt progressiv ab vom Rückenmark bis zum Canal
der Dura mater. Bei den hinteren Wurzeln ist das Umgekehrte der Fall, d. h.
gegen die Spinalganglien zu ist die Wurzel stärker als gegen das Rückenmark.
Dieser Unterschied in der Stärke der Wurzeln ist im Brust- und im Halsmark
wenigstens makroskopisch nicht wahrzunehmen. Der cervicale Theil des Sym-
patbicus, sein mittleres Ganglion, der cervicale Theil des Vagus sind ebenfalls
hypertrophisch. Ebenso hypertrophisch und auf beiden Seiten ist der Plexus
brachialis, der Ischiadicus, der Saphenus u. s. w. Alle diese Nerven erscheinen
riesenhaft. Vergleicht man diese Nervenstämme mit den entsprechenden Wurzeln,
so geht hervor, dass die Hypertrophie nach der Peripherie zu entschieden zunimrat.
Diese Krankheit ist sehr selten. Mit Ausnahme dieses Falles sind im Ganzen
nur noch drei bekannt. Ein Fall, der die Schwester dieses Patienten betrifft und
so ziemlich dieselben anatomischen Veränderungen ergab. Derselbe ist von De-
j er ine in der oben citirten Arbeit veröffentlicht. Ein zweiter Fall von Gom-
bault und Mailet (Un cas de tabes ayant debutS dans l’enfance. Arch. de
mW. expör. 1889. S. 385). Ein dritter Fall, nur eine klinische Beobachtung,
wurde von Dejerine im Jahre 1896 publicirt in seiner Arbeit: Contribution ä
l’etude de la nevrite hypertrophique et progressive de l’enfance. Revue de
medecine. 1897.
Herr G. Etienne (Nancy): Nervöse Arthropathie und Periarthropathie
(Demonstration anatomischer Präparate). Es wird ein Schultergelenk von einem
verstorbenen Kranken demonstrirt, der an einer myelopatliischen progressiven
Muskelatrophie gelitten hat. An den Insertionssehnen der Muskeln findet man
folgende periarticuläre osteophytische Massen: 1. An der oberen Insertion des
Deltoideus eine 7 cm breite, 5 cm lange und 2 cm dicke knochige Platte. Diese
Platte stellt das colossal hypertrophische Acromion dar; 2. Eine kugelige
knochige Masse von 3 cm Durchmesser an der Insertionsstelle des Pectoralis
minor, des kurzen Kopfes des Biceps und des Coracobrachialis; 3. Eine 2 cm breite
und 8 cm lange osteophytische Masse längs der Sehne des langen Bicepskopfes;
4. Ein Knochenknötchen von der Grösse einer Nuss in der Insertionssehne der
langen Partieen des Triceps brachii; 5. Ein Knötchen von der Grösse einer Erbse
an der Insertion des Infraspinatus. Vortr. citirt ähnliche Veränderungen, die bei
Tabes dorsalis von Grasset und Gibert (Nouvelle Iconographie de la Sal-
, y Google
478
petriere. 1900) und von Duprä und Devaux (Ebenda. 1901) durch radio¬
graphische Untersuchung constatirt wurden.
Herr Scherb (Alger): Ueber die Seltenheit nervöser Erkrankungen
bei syphilitisohen Arabern. Vortr. hebt hervor, dass er unter einer grossen
Anzahl von Arabern, die tertiäre Erscheinungen an Haut und Knochen darboten,
nur 4 Fälle von syphilitischer Erkrankung des Nervensystems beobachtet hat.
Eine Paralysis alternans bei einer Frau; eine doppelseitige Hemiplegie in Folge
von Arteriitis syphilitica der Arterien der Centralwindungen; ein Fall von
Meningomyelitis des Conus terminalis und ein Fall- von Oculomotoriuslähmung.
Im Verlaufe von 3 Jahren hat er keinen einzigen Fall von Tabes dorsalis bezw.
progressiver Paralyse beobachtet. Die Ursache davon erblickt Vortr. darin, dass
die Araber, die sich durch eine besondere Faulheit auszeichnen, ihr Nervensystem
nicht viel anstrengen. Zweitens ist die Syphilis unter den Arabern jungen
Datums, so dass diese Krankheit noch nicht viel Zeit gehabt hat, auf hereditärem
Wege das Nervensystem zu neuropathisohen Erkrankungen zu prädisponiren. Er
glaubt, dass mit der Zeit die Civilisation und der Alkoholismus den günstigen
neuropathischen Boden für parasyphilitische Erkrankungen des Nervensystems
schon schaffen werden. Bemerkenswerth in dieser Beziehung Bind die Einzel¬
heiten der Fälle, in welchen das Nervensystem durch die Syphilis betroffen war.
Im ersten Fall handelte es sich um eine Prostituirte, die dem Tabaksgenuss und
dem Alkohol fröhnte. Diese Person war gleichzeitig hysterisch. Im zweiten Falle
war der Kranke Abkömmling der türkischen Rasse, sehr nervös und ex<irt,
Alkoholiker und Haschischraucher noch dazu. Sein Vater ging zu Grunde unter
paranoischen Erscheinungen. Der dritte Fall betraf einen Hafenkohlenarbeiter,
der ausgesprochener Alkoholiker war. Nur im vierten Falle konnte man weder
Nervosität noch Alkoholismus nachweisen. Dagegen fand Vortr. bei den Juden
in Algier ausserordentlich häufig Tabes und progressive Paralyse.
DiscuBsion:
Herr Babinski fragt den Vortr., ob er bei den syphilitischen Arabern nach
dem Robertson’schen Zeichen gesucht hat. Dieses Symptom, welches lange Zeit
den anderen Erscheinungen der Tabes vorausgehen kann, scheint bei den Arabern
ziemlich häufig zu sein, wie dies aus einer Mittheilung, die dem Herrn Babinski
von einem Militärarzt gemacht wurde, hervorgeht.
Herr Scherb antwortet, dass er mit grosser Sorgfalt die Lichtreflexe bei
seinen Patienten untersucht hat und das Robertson’sche Symptom bei denselben
nicht constatiren konnte.
Herr Gilbert Ballet: Die Statistik, die Herr Scherb uns verspricht, würde
von grossem Interesse sein, wenn sie seine jetzigen Befunde bestätigt. In der
That, die Gegner des syphilitischen Ursprunges der progressiven Paralyse stützten
sich immer auf die Thatsache, dass, während die Syphilis unter den Arabern so
verbreitet ist, man nie die progressive Paralyse bei ihnen beobachtet.
Herr Raymond bemerkt, dass bei den Abessiniern dieselbe Thatsache statt¬
findet. Es scheint somit, dass bei gewissen Menschenrassen die Syphilis keine
Macht über das Nervensystem hat.
Herr Maurice Faure und Herr Laiguel-Lavastine: Ueber das Aus¬
sehen und den Moment des Auftretens von Leiohensersetzungen in der
mensohliohen Gehirnrinde. Seit mehreren Jahren stellen die Vortr. Unter¬
suchungen an in der Klinik des Herrn Gilbert Ballet nach der Nissl’sehen
Methode. Es wird allgemein dieser Methode der Vorwurf gemacht, dass jnan oft
einfache Leichenproducte an der Gehirnsubstanz für pathologische Läsion an¬
genommen hat. Um die Sache ins Klare zu ziehen, haben die Vortr. mit Hülfe
der Ni881’sehen Methode systematisch die Leichenproducte zunächst an der
Google
479
menschlichen Hirnrinde Btudirt Das Material stammte von Individuen her, die
an den verschiedensten Krankheiten erlagen (mit und ohne Fieber, plötzlicher
Tod, lange Agonie, mit und ohne Infection, mit und ohne Delirium). Die Gehirn-
Stöcke wurden nach 2 bezw. 220 Stunden (10 Tagen) gehärtet. Die Gehirne
wurden aus der Schädelhöhle 20 Stunden bezw. 60 Stunden nach dem Tode heraus¬
genommen. Es sind in dieser Weise bis 70 Gehirne untersucht worden. Die
Resultate waren folgende: An einem Gehirn, welches 52 Stunden nach dem Tode
aus der Schädelhöhle herausgenoramen und gleich gehärtet wurde, waren die Rinden¬
zellen absolut normal. Bei Gehirnen, die 82 bezw. 98, 102 und 108 Stunden
nach dem Tode gehärtet wurden, waren die Veränderungen, die sich später (am
6. 7. und 8. Tage nach dem Tode) zeigten, kaum angedeutet. 6 bezw. 7 und
8 Tage nach dem Tode findet man folgende Veränderungen: Die weisse Sub¬
stanz ist zerdrückt und zerstückelt. Die Präparate enthalten keine Formelemente
mehr (in der weissen Substanz) und sind farblos. An der Schicht der Pyra¬
midenzellen sieht man, dass die kleinen Zellen verunstaltet und stark verändert
sind. Die grossen Pyramidenzellen sind gut erhalten. Die Conturen derselben
sind zwar etwas geschlängelt, aber die allgemeine Form und das typische Aus¬
sehen sind vollständig erhalten. Die chromophilen Körnchen sind noch zu er¬
kennen, sehen aber dünn und geschrumpft aus. Bei starker Vergrösserung (400 D.)
sieht man im Innern der Zelle ein gefärbtes Netz, welches dem zeitigen Inhalt
das Aussehen eines Spinngewebes verleiht. Der Kern der grossen Pyramiden¬
zellen ist vergrössert, gefärbt, die Grenzen desselben sind undeutlich. Der
Nucleolus ist ebenfalls vergrössert und unregelmässig und sehr deutlich zu
sehen. Nucleus und Nucleolus bleiben im Centrum der Zelle. Die Fortsätze
der grossen Pyramidenzellen sind geschlängelt, unregelmässig und ver¬
schwinden bald vollständig. Die Blutgefässe widerstehen am längsten und
zwar deswegen, weil sie von stark gefärbten Bakterien förmlich ausgestopft sind,
so dass sie förmlich injicirt erscheinen. Also nach 6 Tagen ist von der weissen
Substanz und von den kleinen Zellelementen nichts mehr zu sehen. Die grossen
pyramidalen Zellen bleiben bestehen und Bind leicht zu erkennen, trotz der starken
Veränderungen. Dieselben verschwinden ihrerseits erst am 7. Tage. Dann sind
an den Präparaten nur die Blutgefässe sichtbar. Das Aussehen der Leichen-
producte ist ganz und gar verschieden von den pathologischen Veränderungen, die
man mit der Nissl’sehen Methode bis jetzt entdecken kann. Nie haben die
Vortr. an ihren Präparaten die Verlagerung des Kernes nach der Peripherie der
Zelle oder kugeliges Aussehen der Zelle oder das Verschwinden der chromophilen
Körnchen beobachten können. Die Vortr. ziehen aus ihren Untersuchungen folgende
Schlüsse: 1. Die Leichenveränderungen, die man an der menschlichen Gehirn¬
rinde mit Hülfe der Nissl’schen Methode beobachten kann, treten so spät nach
dem Tode auf, dass sie bei Beurtheilung pathologisch-anatomischer Befunde gar
nicht in Betracht zu kommen brauchen. 2. Das Aussehen derselben ist so grund¬
verschieden von den pathologischen Läsionen, dass der geübte Beobachter un¬
möglich einen Fehler der Verwechselung begehen würde.
Herr Georges Guillain: Ueber die Erhaltung der BewegungsfunoHonen
in den feliedmaassen bei der Charcot-Marie’sohen Amyotrophie (mit Kranken¬
vorstellung). Vortr. zeigt an zwei Kranken, die aus der Klinik des Herrn Pierre
Marie in Bicetre stammen, dass trotz der vorgeschrittenen Muskelatrophie die
Kranken, die an der Charcot-Marie’schen Form von Amyotrophie leiden, mit
ihren Händen weniger unbeholfen sind als Kranke, die von anderen Formen pro¬
gressiver Muskelatrophie behaftet sind. Bei dem ersten Kranken begann die
Krankheit im Jahre 1884 in den unteren Extremitäten. Die rechte Hand wurde
im Jahre 1889, die linke im Jahre 1892 in Mitleidenschaft gezogen. Heute hat
der Kranke Klauenhände und sehr ausgesprochene Muskelatrophie an den Händen
by Google
480
and an den Vorderarmen. Trotzdem kann der Kranke allein essen, sein Fleisch
schneiden u. s. w. Bei dem zweiten Kranken, der 32 Jahre alt ist, begann die
Krankheit in den unteren Extremitäten im Alter von 7 Jahren. 2 Jahre später
fing die Atrophie auch an den Händen an. Jetzt hat der Patient klauenartige
Hände und sehr vorgeschrittene Atrophie. Nichtsdestoweniger kann er seine Hände
zum Essen gebrauchen und sogar zum Arbeiten, da er Schuhmacher ist. Uit
einem Worte, seine Hände leisten ihm noch viele Dienste. Vortr. stellt gleich¬
zeitig einen Syringomyelitiker vor, der anscheinend dieselbe Muskelatrophie hat,
da bei ihm eine Hand ebenfalls klauenartig deformirt ist, dagegen ist er aber
mit seiner Hand viel unbeholfener als die vorgestellten zwei Kranken. Die Ur¬
sache dieser Erscheinung ersieht T'ortr. in der ausserordentlichen Langsamkeit,
mit der sich die Muskelatrophie in der Charcot-Marie’schen Form entwickelt
Herr Raymond bestätigt, dass er bei seinen Kranken der Salpötri£re die¬
selbe interessante Thatsache constatirt hat R. Hirschberg (Paris).
V. Vermischtes.
Am 24. und 25. Mai findet in Baden-Baden dis XXVLL Wandarverffam tnl un g
der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte statt.
Herr Prof. Hoche (Strassburg) erstattet ein Referat über „Differentialdiagnose zwischen
Epilepsie und Hysterie“.
Ferner Bind bis jetzt folgende Vorträge angemeldet: 1. Prof. Erb: Bemerkungen zur
pathologischen Anatomie der Syphilis des centralen Nervensystems. — 2. Prof. v. Strümpell:
Neurologische Mittheilungen. — 3. Prof. Din kl er: Ueber acute Myelitis (Verdacht auf
Abscess; Versuch operativer Behandlung).— 4.Prof.Sehwalbe: Ueber Windungsprotuberanzen
des Schädels. — 5. Prof. Fürstner: Zur Kenntnisa der vasomotorischen Neurosen. — 6. Prof.
Edinger: Zur vergleichenden Anatomie des Gehirns: Das Vogelgehirn. — 7. Dr. Bayer¬
thal: Zur Diagnose der Thalamus- nnd Stirnhirntumoren. — 8. Prof. Schnitze: a) Weitere
Mittheilungen über operativ behandelte Geschwülste der Rückenmarkshäute. b) Das Ver¬
halten der Zunge bei Tetanie. — 9. Prof. Hoffmann: Ueber tonischen FaoialiBkrampf. —
10. Dr. Ebers: Demonstration eines durch Operation geheilten Falles von ohronisohem
Krampf der Nacken- und Halsmusculatur. — 11. Dr. Blum: Ueber experimentelle Erzeugung
von Geisteskrankheiten. — 12. Prof. Gerhardt: Zur Anatomie der Kehlkopflähmungen. —
13. Dr. Link: Demonstration von Muskelpräparaten bei Myasthenia gravis. — 14. Dr. Vul-
pius: Muskel Überpflanzung bei spinaler Kinderlähmung. — 15. Prof. Nissl: Ueber einige
Beziehungen zwischen der Glia und dem Gefässapparat. — 16. Dr. Schröder: Die Katatonie
im höheren Lebensalter. — 17. Prof. Kraepelin: Die Arbeitscurve.
Geschäftsführer sind Herr Prof. Kraepelin (Heidelberg) und Herr Dr. Fischer
(Pforzheim). _
Vom 1.—7. September 1902 findet zu Anvere der „Congres international de l’assistance
des aliönös et specialement de leur assistance familiale“ statt.
In Bern wird vom 1.—6. September 1902 der zweite internationale Congresa für
medicinische Elektrologie und Radiologie abgehaltcn. Folgende allgemeine Fragen Bind zur
Discussion auf die Tagesordnung gesetzt worden: I. Der gegenwärtige Stand der Elektro-
diagnostik. Ref.: Dr. CI uzet (Toulouse), Dr. Mann (Breslau). II. Die chirurgische Elektro¬
lyse. Ref.: Dr. Guilloz (Nancy). III. Die Radiographie und die Radioskopie der inneren
Organe. Ref.: Dr. Böclfcre (Paris), Prof. Grunmach (Berlin). IV. Die von den X-Strablen
verursachten Unglücksfälle. Ref.: Dr. Oudin (Paris). V. Die Gefahren der industriellen
Starkströme. Ref.: Dr. Battelli (Genf). — Als Präsident fungirt Dr. Dubois, als Schrift¬
führer Dr. L. Schnyder, Bundesgasse 38, Bern.
VI. Personalien.
Herr Dr. Bartels (Villa Frieda, Ballenstedt a/H.) wurde zum Sanitätsrath ernannt.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von V*it & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtbqbb & Wime in Leipzig.
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Nervenkranken von schweren Kran kh ei ts formen, sowie auf die Theilnahme der Patienten
am Familienleben und an regelmässiger Beschäftigung gewendet. Verschiedene getrennte
Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Rücksicht auf individuelle
Anforderungen und werden die ärztlichen Bemühungen durch ein zahlreiches gebildetes
Beamtenpersonal unterstützt — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
Fälle von Nerven- und Gemüthskranken im jugendlichen und kindlichen Alter ist inner¬
halb der Anstalt ein methodisches
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eingerichtet, in welchem eigene Lehrer für die hauptsächlichsten Lehrgegenstände —
Gymnasial- und RealschulfÄcher — und ausserdem Instructoren für Handfertigkeiten,
mechanische, artistische, und körperliche Hebungen angestellt sind, um regelmässigen
Unterricht zu ertheilen und die geistige und sittliche Entwicklung der Zöglinge neben
den Aerzten zu überwachen und zu fördern.
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4. bei Hemikranle und Neuralgien;
• 5. bei Störungen während der Menstruation;
Durch Valyl werden die BlutwaUungen und Schmerzen Im ünterlcibe und regeimäsrlg auch die be¬
liebenden Kopfschmerzen beteiligt, mitunter auch die tu starken Blutungen verringert.
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JUN 16 1102
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1902. 1. Jnni. —— Nr. 11.
I. Origlnalmittheilungen. 1. Ueber centrale Augenmuskelnervenbahnen, von Dr. J. Piltz.
2. Spinalneuritische oder myopathische Muskelatrophie P Von Dr. Toby Cohn. 3. Weiteres
über die asthenische Lähmung, nebst einem Obduotionsbefund (Dr. E. Flatau), von S. Gold-
flam in Warschau. (Schluss.)
II. Referate. Anatomie. 1. Ueber Silberimprägnation der Nervenzellen und der Mark¬
scheiden, von Moste. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber Veränderungen der
motorischen Rückenmarkszellen nach Resection nnd Ausreisaung peripherer Nerven, von
Strlmler. 8. Experimentelle Untersnchnngen über die motorischen Kerne einiger spinalen
Nerven der hinteren Extremität des Hundes, von Knape. — Pathologische Anatomie.
4. Sülle alterazioni del sistema nervoso centrale siano primitive o secondane alle monstrnosita
per difetto (ectromelia, emimelia), per Perrero. 5. Ueber die mit Hülfe der Marcbifärbuug
nachweisbaren Veränderungen im Kückenmark von Säuglingen, von von Tiling. — Patho¬
logie des Nervensystems. 6. Syphilis und Tabes, von Erb. 7. Zur Kenntniss der
Symptomatologie und pathologischen Anatomie der Laos cerebri, von Kopczyriskl. 8. Syphilis
cerebrale Simulant nne paralvsie gönörale, par Brissaud et Pöchin. 9. Endarteriitis syphilitica
bei einem 2 , / 1 jähr. Kinde, nebst Bemerkungen über Hirnarterienlues, von Heubner. 10. Syphi¬
lide meningo-myelitis, erysipelaB, recovery, by Trevelyan. 11. Meningitis syphilitica mit
fieberhaftem Verlauf, von Dorendorf. 12. Ueber einen Fall von Diabetes mellitus syphiliticus,
von Hemptenmacher. 18. Syphilis infantile, par Rothschild. 14. Gingivite syphilitique sirnu-
Isnt la stomatite mercnrielle, guörison par le traitement hydrargyrique, par Burat. 15. Etat
au sang dans la syphilis, le tabes, la paralyöie gönerale, par Sabrazfts et Mathis. 16. Des
modes d’utilisation des eaux minerales sulfureuses dans le traitement de la syphilis, par
Vidal. 17. Beretning om en epidemi af poliomyelitia anterior acuta i Bratsberg amt aar 1899,
af Leegasrd. 18. Zur Poliomyelitis anterior (chronica and acuta) der Erwachsenen, von
Grunow. 19. Zur Klinik der Schweissanomalieen bei Poliomyelitis anterior (spinale Kinder¬
lähmung) und posterior (Herpes zoster), von Higier. 20. Contributo allo stndio delle atrofle
muscolari progressive nell’ etä avanzata, per Tsrrio e Rovers. 21. Zur Casuistik der infan¬
tilen progressiven Bpinalen Muskelatrophie von familialem bezw. hereditärem Charakter, von
Brins. 22. The morbid anatomy of a case of progressive atrophy which was clinically one
of ainyotrophic lateral sclerosis, by Philips. 23. Poliomyelitis anterior, von Kirschbaum.
24. Zur Kenntniss der familiären progressiven Muskelatrophie im Kindesalter, von Senator.
25. Spinale Moakelatrophie in Folge Bleivergiftung, an eine infantile Poliomyelitis sich an¬
schliessend. Beitrag zur Pathologie der Bleivergiftungen, von v. Sarbö. 26. Ein Fall von
Dystrophia mnscnlornm progressiva, von v. Sarbö. 27. Progressive mnscnlar dystrophie with
tbe report of an autopsy, by Sachs and Brooks. 28. Ueber einige Fälle von Nervenkrank¬
heiten, von Schwarz. — Psychiatrie. 29. Regenticides not abnormal as a dass. A protest
against tbe chimera of „degeneracy“, by Spitzka. 30. I. Et tilfälde af mikrocefali, af Bull.
11. Nok et tilfälde af mikrocefali, af Bull. 31. Verwaltungsberioht der Provinsial-Irreuanstalt
zn Rittergut Alt-Scherbitz für die Jahre 1898/99 und 1899/1900. Erstattet von Paetz.
III. Bibliographie. The mental functions of the brain, by Bemard Holländer.
IV. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — XX. Congress für innere Medioin in Wiesbaden vom 15.—18. April 1902. —
ßoeiötö de neurologie de Paria, 6 Jnni 1901.
- 31
Digitized by Google
482
I. Originalmittheilungen.
1. lieber centrale Angenmuskelnerven bahnen.
Von Dr. J. Pütz, Nervenarzt in Warschau,
gew. Vice-Director der peycbiatr. Klinik in Lausanne.
Die folgenden Mittheilungen beziehen sich auf die Resultate einer Reihe
von Versuchen, die im Sommer 1898 im physiologischen Institut in Zürich an
16 Kaninchen und 6 Hunden ausgeführt wurden.
Mittels sehr schwacher Inductionsströme wurden die Stellen der Grosshirn¬
rinde festgestellt, von welchen aus isojirte Augenmuskelbewegungen erzeugt
werden können. Daraufhin wurden diese Stellen exstirpirt; 14 Tage nach der
Operation wurden die Thiere getödtet und deren Gehirne nach Mabchi be¬
handelt und schliesslich in continuirliche frontale Schnittserien zerlegt.
Die mikroskopische Untersuchung der vollständigen Schnittserien in Bezug
auf die vorhandenen seoundären Degenerationen gewährt uns einen Einblick in
den Verlauf der centralen Augenmuskelnervenbahnen, d. h. derjenigen
Bahnen, welche die oben angeführten corticalen Augenmuskel „centra“ mit den
Kernen der Augenmuskelnerven oder mit ihrer Umgebung verbinden.
Beim Kaninchen wurde speciell das im Parietalhirn befindliche Augen¬
muskelcentrum untersucht. Innerhalb des von Mann 1 angegebenen Centrums
konnten sowohl für die verschiedenen Bewegungen nach oben, innen, aussen und
unten, wie auch für die Raddrehbewegungen der Bulbi besondere Stellen con-
statirt werden. Die Resultate dieser physiologischen und anatomischen Unter¬
suchungen beim Kaninchen werden hier vorläufig keine Berücksichtigung finden.
In der Grosshimrinde des Hundes giebt es bekanntlich 4 Stellen, von denen
aus Augenmuskellähmungen erzeugt werden können:
1. Das frontale Augenmuskelcentrum. Dasselbe liegt in der hinteren Partie
des Lobus frontalis, nach vorn vom Sulcus cruciatus, unmittelbar hinter dem
Sulcus praecruciatus, ungefähr 1 cm von der Fissura sagittaüs entfernt Dasselbe
ist medial von der Nackenregion H und lateral von der Kopfregion F von
Munk 2 begrenzt. Nach hinten grenzt es an den Gyrus sigmoideus (Vorder¬
beinregion).
2. Im Parietaltheil haben Fbitsch und Hitzig 3 eine Stelle gefunden,
welche im Bereiche des Facialiscentrums liegen soll, von welcher aus sich durch
elektrische Reizung associirte Augenbewegungen hervorrufen lassen. Dieselbe
nimmt die laterale Hälfte der vorderen Spitze der 2. Urwindung ein. Sie liegt
auch innerhalb der sogen. Augenregion F von Munk.
1 Journal of Anat. and Physiol. XXX.
* Münk, Ueber die Functionen der Grosshirnrinde. Berlin, 1890. S. 50. Fig. 8.
s Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. Berlin, 1874.
edby Google
483
3. und 4. Bekanntlich können auch durch elektrische Reizung des Occipital-
und Temporallappens Augenbewegungen erzielt werden.
Meine Untersuchungen beziehen sich nur auf die beiden ersten Centren.
Ueber die Lage und Ausdehnung der Exstirpationen geben die Fig. 1 u. 2
Auskunft Die Resultate der Untersuchungen lassen sich in folgender Weise
kurz zusammenfassen:
Fig. l.
Nach Exstirpation des frontalen Augenmuskelcentrums fand ich secundäre
Degeneration in den Nachbarwindungen, im Corpus callosum, in dem vorderen
Schenkel der inneren Kapsel, in den Laminae medulläres internae des Globus
pallidus, im Stratum intermedium der Haubenregion und in der inneren medialen
Abtbeilung des Pes pedunculi. Auf den Schnitten durch den oberen Zweihügel
Fig. 2.
sieht man wie auf der Höhe des Kerns des N. oculomotorius vom Pes pedunculi
degenerirte Fasern (in Form von linienförmig angeordneten schwarzen Schollen)
in der Richtung dieser Kerne ziehen. Diese Verhältnisse illustrirt die Fig. 3.
Nachdem sie die Substantia Soemmeringii passirt haben, ziehen sie weiter dorso-
medialwärts, indem sie den Nucleus ruber von der lateralen und medialen Seite
umgeben. Ausser diesen Fasern zu den gleichnahmigen Oculomotoriuskernen
81*
484
fand ich welche, die gegen die Raphe ziehen, wahrscheinlich zum contralateralen
Kern dieses Nerven. Es ist mir jedoch nicht gelangen, diese secundäre Dege¬
neration in Form von Fasern unmittelbar bis zu den Kernen zu verfolgen; da¬
gegen schwarze Schollen (leider ohne festgestellten Zusammenhang mit diesen
degenerirten Fasern) fand ich beiderseits in der dorsomedialen Partie des hinteren
Längsbündels zerstreut.
Nach Exstirpation einer ziemlich grossen Partie der Augenregion F zu¬
sammen mit dem parietalen Augenmuskelcentrum fand ich secundäre Degene¬
ration in den Nachbarwindungen der gleichen Seite, im Cingulum, in der Tan¬
gentialschicht der grauen subependymären Substanz, welche das Dach des
Seitenventrikels bildet, im Corpus callosum, in den mit der Exstirpation sym-
f
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metrischen Windungen der anderen Hemisphäre, in der inneren Kapsel der
gleichen Seite, im Thalamus opticus, in der Lamina medullaris externa thalami
von Forel, im Corpus Luys, in dem Felde H von Forel und schliesslich in
der lateralen Abtheilung des Pes pedunculi. Dies illustrirt zum grossen Theil
die Fig. 4. Fast in allen Schnitten durch den vorderen Zweihügel sieht man
nun, wie vom Hirnschenkelfuss degenerirte Fasern zu demselben hinaufsteigen.
Dieselben ziehen zum oberflächlichen Grau des Corpus quadrigeminum anterius.
Die meisten jedoch ziehen zum tiefliegenden Mark desselben, einige lassen sich
sogar auf die andere Seite verfolgen, und hie und da geben sie Seitenzweige ab,
die sich im centralen Höhlengrau verlieren. Dies illustrirt die Fig. 5.
Ausser diesen vom Pes pedunculi kommenden degenerirten Faserzügen fand
ich bei meinen Parietalhirnexstirpationen einen Faserzag degenerirt, welcher
direct von der inneren Kapsel zum vorderen Zweihügel zieht. Sein Verlauf
lässt sich kurz folgendermaassen beschreiben: In den Ebenen durch die vorderste
edby Google
— 485
Partie des Ganglion habenulae sieht man degenerirte Fasern ans der inneren
Kapsel heranstreten. Diese steigen nicht zum Pes pedunculi herunter, sondern
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Fig. 5.
ziehen gleich medialwärts; sie passiren die Gitterschicht, die WBENiCKE’sche
Zone und gelangen zur vorderen Partie der Markkapsel der ventralen Abtheilung
des Corpus geniculatum laterale. In den Schnitten weiter unten, dort wo die
b V Google
486
ventrale und dorsale Abtheilung des Corpus geniculatum externum zusammen-
fliessen, sieht man diesen degenerirten Faserzug schon weit vom Corpus geni¬
culatum externum entfernt und näher der Mittellinie gerückt In den Schnitten,
welche die vorderste Partie der Commissura posterior treffen, sieht mau den
Faserzug schon an der Grenze der Haube (o in Fig. 5); dort liegt dieser Faser¬
zug einerseits zwischen der Haube und dem Corpus geniculatum internum und
andererseits zwischen den beiden Corpora geniculata, jedoch mehr im Bereich
des Corpus geniculatum internum. Ventral von ihm liegt die obere Schleife
(Kuban de Reil median). Auf Schnitten weiter unten kommt dieser Faserzug
dorsal vom Brachium posticum zu liegen, bis er schliesslich die laterale Grenze
der Haube passirt, um zum vorderen Zweihügel zu gelangen.
Noch auf eine Degeneration, die bei den Parietalexstirpationen beobachtet
wurde, möchte ich aufmerksam machen. In den Schnitten, welche die hintere
Hälfte des Corpus quadrigeminum anterius treffen, ungefähr auf der Höhe der
Trochleariskeme, sieht man, wie lange degenerirte Fasern vom Pes pedunculi
entspringen, die laterale Partie desselben lateralwärts umziehen und diejenige
graue Zone, welche die obere Schleife (Kuban de Reil mödian) vom Brachium
posticum trennt, dorsalwärts durchziehen; sie verlaufen somit auf der Grenze
zwischen der Haube und dem Corpus geniculatum mediale.
Dies ist nichts anderes als die „Fibres aberrantes superficielles postdro-
externes du pied du pödoncule ceröbral“ oder Pes lemniscus profundus von
Dejerine 1 (Pes lemniscus von Meynert, Fascicules aberrants superficiels ex¬
ternes von Long 2 ).
Aehnliche Untersuchungen haben Silex und Gebwer gemacht
Silex 3 hat vom HiTziG’schen Centrum aus, d. h. von der vordersten Spitze
der zweiten Urwindung, dort wo dieselbe nach vom an den Gyrus sigmoideus
grenzt, durch elektrische Reizung einseitige Bewegungen des entgegengesetzten
Auges erhalten. Bei Thieren, denen Silex dieses Centrum exstirpirte, konnte
er Störungen in den Augenbewegungen nach weisen. An den Gehirnen so ope-
rirter Thiere konnten mit der MxRCHi’schen Methode Degenerationen von Fasern
nach der anderen Seite, nach dem Thalamus opticus, der Capsula interna, dem
Corpus geniculatum, dem Pes pedunculi und den Vierhügeln erkannt werden.
Neulich ist aus der Bechterew ’schen Klinik eine sehr ausführliche und
interessante Arbeit des Hm. Collegen Gerwer 4 erschienen. Derselbe sah nach
Exstirpation des frontalen Augenmuskelcentrums secundäre Degeneration in den
medialen zwei Vierteln des Hiraschenkelfusses, in der Substantia nigra Soem-
1 Dejebine und E. Lonq, Sur quelques ddg^nerescences secondaires du tronc enc^pba-
lique de l'bomme etudides par la mäthode de Marchi etc. Extrait des Comptes rendus
de la Soci6tö de Biologie (Sitxung vom 30. Juli 1898). Und Dejerine, Anatomie de«
centres nerreux. II.
1 E. Lonq, Les voies centrales de la sensibilitd generale. 1899. S. 252. Paris, Steinbeil.
3 Silex, Ueber die centrale Innervation der Augenmuskeln. Wiesbaden 1899.
4 Gerwer, Ueber die Rindencentren der Augenbewegungen. Dissertation. (Russisch.)
Petersburg 1899.
sä by Google
487
meringii, im Stratum intermedium, in den Oculomotoriuskemen (wobei die
Degeneration des gleichseitigen Kernes stärker war), in den AbduceDskerneu
(wobei die Degeneration des ungleichseitigen Kernes stärker ausgeprägt war) und
schliesslich im hinteren Längsbündel beiderseits.
In der Pariser Neurologen-Gesellschaft hat neulich Touche 1 einen Fall
mitgetheilt von rechtsseitiger Hemiplegie mit der Unmöglichkeit, die Augen nach
links zu bewegen. Bei der Section wurde eine subcorticale Blutung in der
zweiten frontalen Windung rechts gefunden. In der Discussion machte Prof.
Raymond darauf aufmerksam, dass dieser Fall ein Beleg ist für die experimen¬
tellen Untersuchungen über die corticale Localisation der Augenbewegungen bei
Thieren.
Erklärung der Figuren.
Fig. 1. Hundegehirn mit Exstirpation dee frontalen Augenmuskelcentrunis (Hand C).
Natürliche Grösse. — Fig. 2. Hundegehirn mit Exstirpation aer Augenregion F von Münk
(H und B). — Fig. 3. Schnitt durch die vorderen Zweihügel des Gehirns C. — Fig; 4.
Schnitt in der Gegend des Ganglion habenulae des GehirnB B. — Fig. 5. Querschnitt durch
die vorderen Zweinügel des Gehirns B.
A Sehsphäre, Alv Alveus, AS Aquaeductus Sylvii, Bra Brachium anticum, Brp Bra-
chium posticum, C Hinterbeinregion, CA Cornu Ammonis, CA 1 ventraler Theii des Cornu
Ammonis, Cbl Cerebellum, Ce Corpus callosum, Ce Capsula externa, Cfa Columna fornicis
anterior, Cqed dorsale Abtheilung des Corpus geniculatum externura seu laterale, Cgev ven¬
trale Abtheilung desselben, Cgi Corpus geniculatum internum, Cgid Corpus geniculatum in-
ternum dextrum, d Capsula interna, Cinf Unterhorn des Seitenventrikels, Ging Cingulum,
d Claustrum, Yormauer, Cm ComroisBura mollis, CM MaYNEBT’sche Commissur, Cqa Corpus
quadrigeminum anterius, CR Corona radiata, Stabkranz, dt Diverticulum subiculi l E Kopf¬
region, F Augenregion F von Münk, / Frontallappen, -FG GANSRB’sche Faserzöge, in dorso-
ventraler Richtung das centrale Höhlengrau durchziehende Faserztige, FQ X Faserzöge von
Ganser, = der Längsachse parallel verlaufende Züge des oentralen Höhlengraues, Flp Hin¬
teres Längsbündel, FM Metwbrt’s Fasciculus retroflexus, For Fornix, FS Fissura Sylvii.
FT TüBCK’sches Bündel, FVA Vicq d'AzvB’sches Böndel, Oh Ganglion habenulae, B. Feld H
von Fobel oder wie Dejbbihi es einfach nennt: das FoBBn’sche Feld, H (nur Fig. 1 u. 2)
Nackenregion, h Sulcus hippocampi, Ä, von Fobel beschriebener zangenförmiger Fortatz des
Feldes H, von Fobel, Hftc Meynert’s motorisches Feld der Haube = Haubenfascikel von
Fobel, Hi Gyrus hippocampi, J Rumpfregion, L Schleifenschicht, L x =Li Fimbria seu
Limbos cornu ammonis, Lm Lemniscus medialis, LME Lamina medullaris externa, Mo Mc-
dulla oblongata, NL Nucleus lenticularis, NR Nucleus Ruber, NIII Nudeus oculomotorii,
NY Nucleus nervi trigemini, o Occipitallappen, p Parietal lappen, Bern Pedunculus corporis
mamillaris. Pich Plexus chorioideus ventriculi later.. Pp Pes pedunculi, r, Radiärfasern, die
aus dem tiefliegenden Mark sich in das centrale Höhlengrau eiusenken, RC = BATh von
Fobel = „Mächtiges Faserbündel, das aus dem rothen Kern kommend, auf-, lateral- und
dorsalwärts zum ventralen Theile des Thalamus opticus, zur Gitterschiebt, zur Lumina
medullaris externa u. s. w. zieht, wo seine Fasern sich dann mit anderen so verweben, dass
ihre Richtung nicht mehr verfolgbar ist“ (Fobel). Radiation de la calotte (Dbjrbinb), rFM
radiäre Fibrillen von Mbtnbbt, welche radiär, bezw. dorso-ventral verlaufen, das tiefliegende
Mark durchbrechend, Scc Sulcus corporis callosi, Ser Sulcus cruciatus, Sgc Substantia grisea
centralis, Sge Substance grise sousependymaire (Dbjbrinb), Spcr Sulcus praecruciatus, Sr Sub¬
stantia reticularis, SS Substantia Soemmeringii, Sti Substantia innominata (Reichest), Strz
Stratum zonale thalami. T Temporallappen, Tc Tuber cinereum, Tho Thalamus opticus,
Tro Tractus opticus, U Uncus, V t Ventriculus tertius VI Ventriculus lateralis, Vtph Ven-
triculus sphenoidalis, vt Yelum terminale, xF ventrale Haubenkreuzung von Fobel, xM
fontainenartige Haubenkreuzung von Mbtnbbt nach Fobhl, + Hirnrindendefect nach Exstir¬
pation des frontalen Augenmuskelcentrums, + + Hirnrindendefect nach Exstirpation der
Augenregion F von Münk im Parietallappen, l Fibrille uerifericbe von Tartuferi = Stratum
zonale = Tangentialsohioht, 2 zweite weisse Lage = oberflächliches Mark von Fobel, 3 dritte
weisse Schicht = mittleres Mark von Ganseb, 4 vierte weisse Lage = tiefliegendes Mark
der Autoren = Commissura posterior, III N. oculomotorius.
1 Sitzung vom 6. December 1900. Referat im Neurolog. Centralbl. 1901. S. 184.
488
[Aus der Poliklinik des Hrn. Prof. Mendel zu Berlin.]
2. Spinal-neuritische oder myopathische Muskelatrophie? 1
Von Dr. Toby Cohn.
Es hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr gezeigt, dass auf dem
Gebiete der progressiven Muskelatrophieen die gültige Abgrenzung der einzelnen
klinischen Sonderarten auf der Grundlage scharfer anatomischer 8onderung nur
cum grano salis zu verstehen ist. Bei aller Anerkennung der Thatsache, dass
gewisse Symptomencomplexe fortschreitenden Muskelschwundes in ganz bestimmter
klinischer Gruppirung und auf ganz bestimmter anatomischer Voraussetzung
Vorkommen, muss doch nach dem vorliegenden Material zugegeben werden, dass
1. zwischen den einzelnen Formen klinische Uebergänge bestehen, und dass
2. bei einem und demselben anatomischen Bild das Krankheitssyndrom ein
gänzlich verschiedenes sein kann. 1895 hat C&ameb (1) in einem ausführlichen,
109 Fälle progressiver Muskelatrophie umfassenden Referat nachgewiesen, dass
sowohl das Bild der sogen, myopathischen als das der sogen, spinalen Form der
Muskelatrophie auf derselben anatomischen Grundlage Vorkommen, d. h. dass es
nicht nur mit den gleichen Rückenmarksveränderungen, sondern auch mit dem
gleichen Muskelbefunde einhergehen kann. Auch im Laufe der letzten Jahre
sind eine Reihe wichtiger (zum Theil später zu erwähnender) Facta bekannt
geworden, die die Unscharfheit der zwischen den einzelnen Atrophietypen ver¬
laufenden Grenzen zu demonstriren geeignet sind. So liegen auch namentlich
Beobachtungen (klinische und anatomische) vor, die beweisen, wie schwer es so¬
wohl in vivo als selbst post mortem sein kann, die sogen, neurale Form der
Muskelatrophie von anderen, besonders auch der myopathischen, abzugrenzen.
Es würde den Rahmen dieser kurzen Mittheilung überschreiten, wenn hier
alles Hergehörige zusammengestellt werden sollte. Erinnert sei nur an die
Rolle, die einigen der zur Abgrenzung der verschiedenen Typen als differential¬
diagnostisch (oder gar für einen von ihnen pathognostisch) zugeschriebenen Sym¬
ptome mit der Zeit zugefallen ist; so z. B. der Entartungsreaotion, deren
Nachweis zur Unterscheidung der einzelnen Atrophieformen umsomehr an Bedeutung
verliert, je mehr sich die Fälle häufen, in denen als myogen anzusprechende
progressive Muskelatrophieen mit diesem Symptom einhergehen.
Zur Illustration der Thatsache, dass aus den angeführten und einer Reihe
anderer Gründe die Einordnung eines Falles in eine der bekannten Gruppen
des progressiven Muskelschwundes, ganz besonders am Lebenden, gelegentlich
sehr grosse Schwierigkeiten machen oder ganz unmöglich werden kann, diene
die folgende Mittheilung über den Befund bei einer Patientin aus der Poliklinik
des Herrn Prof. Mendel:
1 Nach einer Demonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven¬
krankheiten vom 11. November 1901.
zedby G00gle
489
Die 15jähr. Martha R. stammt aus einer im allgemeinen gesunden Familie.
Es sind ihres Wissens Nervenkrankheiten bei den nahen Verwandten nicht vor-
gekommeu. Nur leidet ihre Mutter an Anfällen, die von der Patientin „Ohn-
machtsanfalle“ genannt und in ähnlicher Weise geschildert werden wie die, an
denen sie selbst leidet.
Das junge Mädchen, das sonst niemals ernstlich krank war, bekommt nämlich,
seitdem sie menstruirt (d. h. seit etwa l 1 /, Jahren) wöchentlich einmal Zustände,
die mit Schwindel beginnen und zu einer Bewusstseinstrübung führen. Sie kommen
ohne Veranlassung, dauern etwa 15 Minuten und hinterlassen keine merklichen
Sporen. Zuckungen oder Starre sind dabei niemals beobachtet worden, auch hat
sich das Mädchen niemals einen Zungenbiss oder eine andere Verletzung dabei
zogezogen. Nachher hat sie eine dunkle Erinnerung an den Anfall.
Neben diesem Leiden, über welches Näheres nicht zu erfahren ist, besteht
seit 3 Jahren dasjenige, wegen dessen sie die Poliklinik aufsucht. Es begann
mit ziehenden Schmerzen in beiden Unterschenkeln bis zu den Knieen hinauf.
Allmählich verschlechterte sich auch ihr Gang; sie ermüdete leicht, ging un-
beholfen und bekam nach kurzen Wegen unter den Sohlen beider Füsse Schmerz.
In der letzten Zeit sind die Beschwerden noch stärker geworden. Schon nach
wenigen Minuten Gehen kann sie sich kaum auf den Beinen halten. Auch hat
die Patientin bemerkt, dass die Form der Füsse sich mit der Zeit verändert hat
Patientin ist ein gut genährtes Mädchen, ziemlich gross für ihr Alter, mit
reichlichem Panniculus adiposus.
Das Gesicht sieht fett und etwas gedunsen aus, namentlich zeigen die beiden
oberen Augenlider dieses Aussehen. Die Lidspalten sind nicht sehr weit geöffnet,
können aber activ in normaler Weise bewegt werden. Die Mimik ist eine auf¬
fallend geringe, jedoch ist eine Parese im Gebiete der Gesichtsmuskeln nirgends
zu bemerken.
Auch sonst findet sich keine Abnormität im Gebiete der Hirnnerven. Ins¬
besondere sind die Augen ohne alle krankhafte Störung. Die Pupillen sind
gleich weit, reagiren gut auf Licht und Accommodation, die Augenbewegungen
geschehen nach allen Richtungen hin frei, der Augenhintergrund ist normaL Die
Zangen- und Gaumeninnervation ist gleichfalls ohne Anomalie, ebenso zeigen die
Kaumuskeln das gesunde Verhalten. Die Sensibilität im Trigeminusgebiet ist
intact, ebenso Geruch, Geschmack und Gehör.
An den oberen Extremitäten ist der Ernährungszustand der Muskeln, die
Beweglichkeit und die grobe Kraft vollkommen gut. Die Kraftentfaltung ist
sogar eine ungewöhnlich grosse. Elektrische Veränderungen sind an den Händen
und Armen sowie in der Schultermusculatur nicht vorhanden; ebenso wenig am
Gesicht. Auch hier (desgleichen am Rumpf) ist die Sensibilität sowie die Reflexe
völlig intact
Die Rumpfmuskeln bieten in Bezug auf Ernährungszustand, Beweglichkeit
und Verhalten gegen den elektrischen Strom normale Verhältnisse.
Die einzigen erheblichen Abweichungen von der Norm finden sich an den
unteren Extremitäten, und zwar auf motorischem Gebiet, während die Sensibilität
für alle Qualitäten völlig normal, die Patellarreflexe ein wenig lebhaft und die
Hautreflexe ohne Besonderheiten sind. Nur ist der Sohlenreflex beiderseits
nicht auszulösen.
Am Gange fällt zweierlei auf: erstens besteht beiderseits „Stepper“-Gang:
die Füsse werden übermässig gehoben, die Beine im Knie stark gebeugt und die
Füsse mit dem vorderen Th eile des äusseren Fussrandes zuerst aufgesetzt; zweitens
sinkt bei Tritt auf das rechte Bein die linke Beckenhälfte und bei Tritt auf das
linke Bein die rechte Beckenhälfte herunter. Dieses Beckenschaukeln ist nicht
b V Google
490
sehr stark, aber doch deutlich zu sehen. (Schwäche der Glutäalmuskeln, ins¬
besondere des M. glutaeus medius beiderseits.)
Stehen gelingt ohne Schwierigkeit, sowohl bei geöffneten als geschlossenen Augen.
Atrophieen sind nirgends zu bemerken. Dagegen zeigen sowohl die Glutäal-
gegend als besonders die Waden auf beiden Seiten eine über das Maass des
Normalen hinausgehende Entwickelung. Der Umfang der Waden ist annähernd
dem der Oberschenkel gleich und so erheblich, dass er aus der allgemeinen Fett¬
leibigkeit der Patientin allein nicht erklärt werden kann. Die Wadengegend
fühlt sich weich und teigig an, so dass der Eindruck einer Fetthypertrophie der
Musculatur vermehrt wird.
Die Bewegungen in beiden Hüft- und Kniegelenken sind sämmtlich ausführbar
und geschehen mit normaler Kraft. Auch die Beugung des Fusses und der Zehen
kann gut und ziemlich kräftig ausgeführt werden. Dagegen ist die Dorsalflexion
des Fusses beiderseits gänzlich unmöglich, ebenso die Zehenstreckung. Nur eine
Hebung des inneren Fussrandes, sowie eine Streckung der Grundphalanx der
grossen Zehe (M. tibialis anticus und M. extensor hallucis longus) gelingt auf
beiden Seiten. Hin und wieder treten kleine Streckbewegungen der 5. Zehe
hinzu. In Bettlage sieht man auch deutlich, dass auf beiden Seiten der Fuss
andauernd in kräftiger Equino-Varusstellung mit erhobenem inneren Fussrande
und mit dem für die Contractur des Extensor hallucis longus charakteristischen
TJeberstrecken der Halluxgrundpbalanx bei gebeugter Endphalanx steht.
Die mechanische Erregbarkeit der Muskeln ist sehr gering. Die elektrische
Untersuchung zeigt:.
Völlige Intactheit der Oberschenkelmusculatur beiderseits; Unterschenkel¬
muskeln sämmtlich auf beiden Seiten sowohl direct als indirect für beide Strom¬
arten erregbar, jedoch faradisch erst bei Strömen von etwa 60—70mmR.-A.,
galvanisch bei Strömen von 7—10 M.-A. und darüber.
Dabei ist überall die Zuckung blitzartig, nur bei directer galvanischer
Reizung beider Extensores hallucis longi ist deutliche und ausgesprochene
Zuckungsträgheit vorhanden, während der Muskel bei indirecter Reizung sich
beiderseits völlig blitzartig contrahirt. Selbst unter Berücksichtigung der von
mir wiederholt bei Gesunden gesehenen Thatsache, dass die kleinen Fussmuskeln
auf galvanische Ströme sich nicht so blitzartig contrahiren* wie sonst normale
Muskeln (besonders am Extens. digitor. cummun. brevis ist das oft nachzuweisen),
ist in diesem Falle die Zuckungsträgheit sicherlich als pathologisch anzusprechen.
Umkehr der Zuckungsformel konnte nirgends nachgewiesen werden.
Die Extensores digitorum communes breves und die InteroBsei sind weder
direct noch indirect erregbar.
An den inneren Organen sind keine Abnormitäten zu Anden: Herz, Lunge
und die Bauchorgane bieten das gesunde Verhalten. Der Urin ist frei von Zucker
und Eiweiss.
(Schiass folgt)
3. Weiteres über die asthenische Lähmung, nebst einem
Obductionsbefund (Dr. E. Flatau).
Von S. Goldflam in Warschau.
(Schluss.)
Ueber den Sitz der Krankheit wurden verschiedene Vermuthungen aus¬
gesprochen. Es lag nahe, ihn in die Muskeln zu versetzen in Anbetracht des
edby Google
491
ausschliesslichen Befallenseins des motorischen Apparats und der MyaR. Jolly
führt an, dass nach Mittheilung von Böhm das Protoveratrin in einem gewissen
Stadium seiner Wirkung eine ähnliche Erschöpfbarkeit der Muskeln hervorruft.
Es wurden Analogieen mit der THOMSBN’schen Krankheit, besonders aber mit der
paroxysmalen Lähmung, bei welcher eine der myasthenischen ähnliche Reaction
der Nerven und Muskeln auf elektrische Ströme beobachtet war 1 , herangezogen. Der
neulich von mir und Weigert erhobene Muskelbefund könnte anscheinend eine
Stütze für die myopathische Natur des Leidens sein.
Die MyaR an sich spricht nicht für den directep Sitz der Affection in den
Muskeln und könnte ebensogut auf die Nervenendigungen bezogen werden.
Nach Mur&i spricht gegen den Ursprung im peripheren motorischen
Endapparate der Umstand, dass die durch den Willen ermüdeten Muskeln
dennoch auf faradische Reizung reagiren, und zwar mit Contractionen, die stärker
sind, als die durch den Willen erzeugten und eine Serie von rasch abnehmenden
Contractionen liefern, die sich nicht von der nach Ruhe erhaltenen unterscheiden.
Allein der reciproque Einfluss des Willens und der faradischen Ströme auf die
Muskelcontractionen bedarf noch weiterer Untersuchungen, waren ja im Fall
Jolly’s die durch den Willen ermüdeten Muskeln für faradische Ströme über¬
haupt unerregbar, und umgekehrt konnte der durch den faradischen Strom er¬
müdete Muskel willkürlich nicht bewegt werden. Ich selbst habe im Fall
0., zwar nur an manchen Tagen, eine gewisse Beeinflussung gesehen, indem die
faradischen Contractionen geringer ausfielen nach Erschöpfung durch den Willen.
Wenn es sich aber herausstellen sollte, wie das sehr wahrscheinlich ist, und wie
ich es in anderen Fällen bestätigen konnte, dass eine gegenseitige Beeinflussung
nicht besteht, dass die beiden Erscheinungen unabhängig von einander ablaufen,
dann wird auch die Beweisführung Mürri’s keine absolut sichere sein, da man
mit ebenso vielem Recht behaupten könnte, dass das Nervensystem nicht der
Sitz der Krankheit ist, da der Willensimpuls in den durch faradische Reizung
erschöpften Muskeln Contractionen auslöst.
In Betreff der oben angedeuteten weitläufigen Analogieen ist es allerdings
fraglich, ob bei der Myotonie oder der paroxysmalen Lähmung das Nerven¬
system trotz des positiven Muskelbefundes doch nicht in letzter Instanz im Spiele
ist; das so ausgesprochene hereditäre Moment spricht entschieden dafür. Was
den von mir und Weigebt erhobenen Muskelbefund anlangt, so vermag er, so
interessant er auch ist und so sehr er vielleicht die Ermüdungserscheinung und
die MyaR dem Yerständniss näher rücken würde, andere charakteristische Eigen¬
schaften der asthenischen Lähmung, wie die Schwankungen, die Remissionen
oder die Intermissionen doch nicht zu erklären, und es erscheint fraglich, ob
darin das Primäre liegt, zumal die 1 Veränderungen in den Muskeln keinen
constanten Befund darstellen.
Die im Falle K. erhobenen Eigenthümlichkeiten der MyaR scheinen ent¬
schieden gegen den Ursprung im peripheren neuromusculären Apparat zu
1 Goldplam, Zeitachr. für klin. Med. XIX. Sappl, and Deutsche Zeitschr. für
Nervenheilk. VII.
;d by Google
492
sprechen. Denn weon der zugehörige Muskel nach Hervorrufen der MyaR vom
Nerven aus dennooh seine faradische Erregbarkeit nicht einbüsst, so ist diese
Thatsache ein Beweis, dass der Muskel und die Nervenendigungen in ihm nicht
der Sitz der Krankheit sein können. Der periphere Nerv aber kann es auch
nicht sein, da er seine Reizbarkeit nicht verliert, nachdem die MyaR im Muskel
hervorgerufen wurde. Gegen den Sitz im Muskel spricht auch die reciproque
Nichtbeeinflussung seiner motorischen Punkte.
Es ist einleuchtend, dass die charakteristischen Symptome, (auch das längere
Bestehen einer Ptose oder einer partiellen Ophthalmoplegie als einzige Manifestation
der Krankheit) viel besser in den Rahmen einer Affection des Nervensystems
passen. In der That verweisen die meisten Autoren, von Ebb bis Oppenheim,
den Sitz der Krankheit in die Nervencentren. Muhbi verlegt ihn in die Kerne
des centralen Höhlengraus und des Rückenmarks. Oppenheim stutzt sich,
wie Mubri, auf die Thatsache, dass die Entwicklung und Gruppirung der
Lähmungssymptome innige Beziehungen zu der Topographie der entsprechenden
Kerne erkennen lässt, noch mehr aber darauf, dass es anatomisch nach¬
weisbare Erkrankungen der cerebrospinalen Nervenkerne giebt, welche grosse
Aehnlichkeit mit der asthenischen Lähmung besitzen, (nämlich die combinirten
Formen der Polioencephalitis sup. und inf., die Polioencephalomyelitis) eine An¬
nahme, dass die der asthenischen Lähmung zu Grunde liegenden Vorgänge
sich in den motorischen Nervenkernen oder in dem gesammten entsprechen¬
den Neuron bis in die Musculatur hinein abspielen.
Mir scheint aber, dass die Möglichkeit eines corticalen Ursprungs nicht
mit absoluter Sicherheit auszuschliessen ist Die Lähmungen, die durch Er¬
krankung der Vordersäulen des Rückenmarks verursacht werden, sind gewöhn¬
lich typisch (sog. Localisationstypus). So sehen wir bei der Poliomyelitis acuta
anterior, sowohl der Kinder als Erwachsener, dass an den Armen besonders der
Deltoideus allein, oder im Verein mit dem Biceps, Brachialis int und Supinator
longus, an den Beinen die Extensoren des Fusses und der Zehen, mit Aus¬
nahme des Tibialis anticus, der Lähmung, die noch vielseitiger combinirt
sein kann, anheimfallen. Bei der subacuten und chronischen Poliomyelitis können
bei Lähmung der Oberarmmuskeln der Triceps frei bleiben, und an den Beinen
nur das Gebiet des N. peroneus, auch mit Ausschluss des Tibialis anticus oder
Peroneus longus, betroffen sein. 1 Bekanntlich beginnt die spinale progressive
Muskelatrophie meist au den kleinen Muskeln der Hände, ein anderes Mal
am Deltoideus, Infraspinatus, Cucullaris, Serratus anticus major u. s. \v. Bei
der asthenischen Lähmung ist ein solcher Typus durchaus nicht wahrzunehmen.
Hier verfallen der Lähmung ganze Extremitäten, oder was noch auffallender
ist, ganze Segmente derselben, namentlich die proximalen Abschnitte, die mit Vorliebe
betroffen werden und welche die charakteristische Erscheinung der Apokamnose
zeigen. Diese Localisation an den Extremitäten verträgt sich mehr mit der Lage der
entsprechenden Centren in der Hirnrinde (vgl. das Schema von Beevob und
‘ Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 2. Aufl. S. 175.
edby Google
493
Hohslhy bei Affen). Die Verkeilung der sensiblen Centren daselbst soll ja
auch den Segmenten der Glieder entsprechen (Chabcot).
Der psychische Theil der willkürlichen Bewegung scheint intact zu sein,
da aber bei wiederholtem Willensimpuls Lähmung eintritt, so könnte man eben*
sogut eine gewisse anatomisch nicht nachweisbare Läsion der motorischen
Bindencentren annehmen, welche dieselben unter dem Einfluss des Willens
leicht in Erschöpfung versetzt Man darf aber der Hirnrinde einen gewissen
trophischen Einfluss auf die Muskeln kaum absprechen (Quincke), der es
bewirken könnte, dass sie auf den faradischen Strom in abnormer Weise
reogiren. Wurde doch die Reaction der Erschöpfbarkeit zuerst bei Hemisphären¬
läsionen von Benedikt beobachtet Die von Jolly angeführten Erfahrungen
von Mosso, „dass bei gesunden Menschen, welche ihr Gehirn duroh geistige
Arbeit ermüden, gleichzeitig eine Ermüdung der in Ruhe gebliebenen
Muskeln eintreten kann, und zwar eine Ermüdung, welche sich als gesteigerte
Erschöpfbarkeit nicht nur bei willkürlicher Arbeitsleistung, sondern auch bei
directer Muskelreizung durch den elektrischen Strom bemerkbar macht,“ bieten
frappante Analogieen zu der asthenischen Lähmung. Die letztere scheint danach
eine pathologische Steigerung dessen zu sein, was schon physiologisch im kleinen
Maassstab stattfindet Mosso nimmt chemische Veränderungen in den Muskeln
an, welche durch die bei der Gehirnarbeit sich entwickelnden und in die Blut¬
bahn übertretenden Stoffwechselproducte bewirkt werden. Es steht aber nichts
im Wege anzunehmen, dass die Stoffwechselproducte auf die motorischen Centren
der Rinde selbst erschöpfend einwirken können.
Noch unsicherer sind unsere Kenntnisse über das Wesen der Krankheit.
Stbümpkll hat Recht zu behaupten, dass das Fehlen von anatomischen Ver¬
änderungen im Nervensystem eigentlich ein Postulat bildet, angesichts der so
ausgesprochenen Labilität der Erscheinungen und der Remissionen (sogar bis zu
einer "scheinbaren Genesung) u. s. w., die bei Anwesenheit von anatomischen
Läsionen viel schwieriger zu verstehen sein würden. Es kann sich in der That
nur um dynamische Veränderungen im Nervensystem handeln. Mubri nimmt
gewisse anatomisch nicht nachweisbare Alterationen in den genannten cerebro¬
spinalen Kernen an, in Folge deren der trophische Einfluss Metabolismus auf
die Muskeln nicht ausgeübt, sondern derart modificirt wird, dass die Muskeln
bei intacter histologischer Structur in abnormer Weise auf Willensimpulse und
faradischen Strom reagiren. Welches aber diese hypothetischen, anatomisch nicht
nachweisbaren Läsionen sind und wodurch sie verursacht werden — darüber
können wir fast nichts sagen. Den herrschenden Anschauungen entsprechend
recurriren die meisten Autoren auf toxische Einwirkung. Ich habe in dieser Richtung
einige Versuche mit dem Urin der Patientin K. nach der Methode von Bocchard
angestellt, die keine nennenswerthen Resultate ergaben. Es waren keine Unter¬
schiede in der Toxicität des Urins vorhanden, einerlei ob er Nachts oder am Tage,
ob in den Morgenstunden, oder in der Nachmittagszeit abgesondert wurde. 1
1 Fkutbkbo hat einen Fall beschrieben (Neurol. Centralbl. 1900. Nr. 8), wo am
dritten Tage eines Ilens stercoralis drohende Erscheinungen seitens des Nervensystems auf-
zedby G00gle
494
Nach Oppenheim spielt die congenitale Minderwertigkeit gewisser Ab¬
schnitte des Nervensystems eine wesentliche Rolle; sie reicht allein aus, wahr¬
scheinlicher aber müssen bestimmte Schädlichkeiten (Ueberanstrengung, In-
fectionskrankheiten, Geschwülste) hinzukommen, um den Symptomencomplex der
asthenischen Lähmung herbeizuführen. Die Neigung der Krankheit zu Recidiven,
die ausschliessliche Beschränkung der Erscheinungen auf das motorische
Gebiet spricht nach Stbümpell eher für eine endogene Ursache. Die
hereditäre Anlage hat nach meinen Erfahrungen und denen Anderer keine
so grosse Bedeutung Auch eine infectiöse Krankheit konnte in den meisten
Beobachtungen mit gutem Recht nicht verantwortlich gemacht werden; die
in meinen Fällen so häufig wiederkehrende Angina follicularis ist eine zu
banale Krankheit, als dass man sich dabei aufhalten sollte. Was die Geschwülste
betrifft, so haben wir bei Gelegenheit des Falles 0. gesehen, dass der thatsäch-
lich vorhandene Symptomencomplex in den zur Stütze herangezogenen Fällen theils
der asthenischen Lähmung nicht entspricht, theils handelt es sich um eine zu¬
fällige Complication und einen parallelen Verlauf zweier Zustände, ohne dass sie
sich gegenseitig beeinflussen. Dennoch bleibt die häufige Erwähnung von Tu¬
moren in Fällen von asthenischer Lähmung beachtenswerth; in meinen 8 Fällen
ist mehrfalls von Tumor die Rede, bei dem Falle 0. traten die ersten Symptome
des Lympbo8arcoms der Lunge im 9. Jahre des Bestehens der asthenischen
Lähmung auf, er unterlag ihm nach etwa einem Jahre; Pat S. starb an einer
— nur klinisch-diagnusticirten Mediastinalgeschwulst, die K. hatte eine nicht
näher bestimmbare kleine Gesohwulst an der Vorderfläche der Trachea. Ob
die Vermuthung Weigebt’s, es könne sich in manchen Fällen von asthenischer
Lähmung um eine von der Thymuserkrankung (wegen üeberschuss an normalem
Gewebe) ausgehende toxische Beeinflussung handeln, zu Recht besteht, muss
weiteren Beobachtungen überlassen werden. Wenn in den Versuchen von
Mosso geistige Arbeit bei gesunden Individuen gesteigert« Erschöpfbarkeit
der Muskeln auf Willensimpulse und elektrische Ströme herbeiführt, so
könnten es am Ende auch normale Stoffwechselproducte sein, die beim Bestehen
gewisser dynamischer Veränderungen die motorischen Centren leicht zur Er¬
schöpfung bringen.
Als mir die ersten Fälle von asthenischer Lähmung zu Gesicht kamen, fiel
es mir auf, dass die Krankheit einer ganz bedeutenden Besserung, ja sogar
Genesung für Monate und Jahre fähig ist Allein ich war mir der Gefahr,
der solche Pat ausgesetzt sind, wohl bewusst, machte auch darauf aufmerk¬
sam, dass die Mehrzahl der Fälle, die ich damals auffinden konnte, letal
getreten sind, die er als asthenische Lähmung in Folge von Autointoxication anspricht;
mit Herstellung der Passage trat Besserung und nach 6 Wochen Genesung ein. Nach
meinem Dafürhalten gehört dieser Fall nicht der asthenischen Lähmung an, er hat viel
Aehnlichkeit mit jener Gruppe von Ophthalraoplegieen, Bulbärparalysen, die durch Fleisch,
Fisch, Wurstvergiftung hervorgerufen sind, und die mit der asthenischen Lähmung das
Fehlen von anatomischen Veränderungen gemein haben.
zedby G00gle
495
endeten, dass der BERNHARDT’sche 1 nach einer 3 Jahre anhaltenden Gesund¬
heit einem Recidiv erlag, und ich sprach von trügerischen Remissionen, die eine
Heilung vortäusohon können. Diesem Bedenken gab ich schon im Titel meiner
Arbeit Ausdruck, als ich von einem „scheinbar heilbaren bulbärparaly tischen
Symptomencomplex mit Betheiligung der Extremitäten“ sprach.
Auch jetzt, wo das vorliegende Material viel zahlreicher ist, muss betont
werden, dass die asthenische Lähmung zu ernsten Besorgnissen für die Kranken
Anlass giebt Wenn unter den 58 Fällen der Oppen HEiM’schen Statistik 26 und
unter den 60 von Campbell und Bramwell angeführten 23 Todesfälle vorge¬
kommen sind, so ist das eine grosse MortalitätszüTer. Ueberdies darf keines¬
wegs behauptet werden, dass die anderen Fälle endgültig gebessert oder gar
geheilt sind. Es lässt sich gar nicht voraussehen, ob die Krankheit einen
langwierigen, sozusagen gutartigen Verlauf, wie in den Fällen 0. und S.
(9 bezw. 8 Jahre; Tod in Folge einer Neubildung der Lungen bezw. eines
Mediastinaltumors), oder wie bei der Patientin T. (die seit 9 1 /* Jahren ihren
Pflichten als Mutter und Hausfrau nachgeht und wo Monate, sogar Jahre lang
anhaltende Remissionen und Intermissionen, die einer Genesung gleichen, vor¬
gekommen sind) — die Fälle Dreschfeld 2 und Camtjset 8 erstreckten sich über
15 bezw. 35 Jahre —, oder aber einen bösartigen, wie im Falle B., der nach
V 3 Jahre und im Fall Widal-Marinesco 4 , der schon nach 14 Tagen letal
endete (allein mit Tuberoulose der Lungen complicirt). Ebenso wenig kann man
Voraussagen, ob die Erscheinungen eine mildere Form annehmen, wie beim
Fall S. und E. oder während des Anfalls eine solche Intensität erreichen werden,
dass eine unmittelbare Lebensgefahr für den Kranken entsteht, namentlich
ob die gefürchtete Betheiligung der Respirationsmuskeln eintreten wird.
Dennoch muss die spontane Neigung der asthenischen Lähmung zu Re¬
missionen und Intermissionen, die Jahre lang anhalten können, betont werden.
Vielleicht wird es in Zukunft beim tieferen Eindringen in das Wesen der
Krankheit gelingen, diese Besserungen, die einer Genesung gleichkommen
können, herbeizuführen.
Denn unser therapeutisches Vorgehen ist bis jetzt ein sehr reservirtes und
beschränkt sich wesentlich auf Beseitigung von Einflüssen, die erfahrungs-
gemäss schädlich sind. Bei Besprechung des Falles B. haben wir darauf hin¬
gewiesen — auch Buzzard thut es in seiner jüngsten Mittheilung —, wie sehr
es darauf ankommt, die asthenische Lähmung frühzeitig zu erkennen und die
in manchen Fällen vereinzelt auftretenden Symptome — besonders eine Ptose,
oder Augenmuskelparese — richtig zu deuten. Bei der Flüchtigkeit der Er¬
scheinungen, ihrem Wechsel und den Remissionen wird meist Hysterie an¬
genommen und die Kranken mit Hydrotherapie, Massage, Gymnastik be¬
handelt Bei der asthenischen Lähmung aber muss Schonung, sowohl in psy¬
chischer und noch mehr in physischer Beziehung, als oberste Richtschnur gelten.
Die Kranken sollen sich möglichst ruhig verhalten und beim Auftreten irgend
1 Berliner klin. Wochenschr. 1890. Nr. 43. 2 Brit. med. Journ. 1893. S. 176.
• L’nnion medicale. 1876. S. 906. 4 Presse medicale. 1897. Nr. 3.
zedby G00gle
496
welcher bedrohlicher Symptome — es sind besonders Athmangsstörnngen gemeint
— im Bett liegen bleiben. Gemüthserregungen müssen ferngehalten, geistige
Arbeit beschränkt werden, sogar das Lesen bei Vorhandensein von Ptose und
Augenmuskelstörungen ist aufzageben. Ferner ist zu bemerken, dass Ermüdung
eines Gebiets, besonders im Bereich der bulbären Functionen, sich anderen mit¬
theilt, wobei sich leicht Dyspnoe einstellt Besondere Aufmerksamkeit ist auch der
Nahrungsaufnahme zu schenken: sie soll langsam mit öfteren Unterbrechungen,
in geeigneter Zubereitung erfolgen. Die Schlingstörungen gehen oft mit Re¬
spirationsbeschwerden einher, dann bringt selbst das vorsichtigste Schlingen Er-
stiokungsgefahr mit sich. Wenn man bedenkt, dass die Einführung der Schlund¬
sonde bei manchen Pat Würgen und Erstickung herbeiführt, so wird man,
zumal beim Bestehen von Athmungsstörungen, am besten davon Abstand
nehmen. Oppenheim erwähnt einen Fall, in dem der Tod während der Ein¬
führung der Sonde ein trat. Anderen Autoren, so Kojewnikof, gelang es, die
Kranken in dieser Weise zu ernähren. Bei der auf der Höhe des Anfalls vor¬
handenen Hinfälligkeit des Patienten wird auch die Anwendung von Reotalklystieren
auf Schwierigkeiten stossen und die Ernährung überhaupt sehr unzulänglich
sein. Den schrecklichen Stunden von Athemnoth steht der Arzt beinahe hült-
los gegenüber; die künstliche Athmung scheint noch am meisten die Qual der
Kranken zu lindem.
Selbstverständlich ist die ärztliche Untersuchung möglichst schonend aus¬
zuführen und namentlich muss die faradische Prüfung vorsichtig vorgenommen
und auf das Nothwendigste beschränkt werden. Nicht selten tritt nach solchen
Untersuchungen Verschlimmerung ein, die erst nach einigen Tagen abklingt.
Dem galvanischen Strom scheint diese üble Wirkung nicht zuzukommen. Ob
er einen positiven therapeutischen Werth hat, bedarf weiterer Erfahrungen; bei
der immanenten Tendenz der Krankheit zu Remissionen, die von inneren, ganz
unbekannten Factoren abhängen, wird es jedoch schwer sein, dies festzustellen.
Von der medicamentösen Behandlung habe ich ebenfalls keinen sichtbaren
Nutzen erlebt Man wird aber nicht umhin können, die sog. Tonica zu ver¬
suchen, trotzdem bei der asthenischen Lähmung von einer anämischen Blut¬
beschaffenheit meist nicht die Rede ist Warnen möchte ich vor Anwendung
der Thyreoideatabletten, von denen ich in einem Fall entschieden Nachtheile
sah. Im Fall Büzzabd’s machte die Besserung noch während der Tbyreoidea-
behandlung einem Relaps Platz; zu gleicher Zeit wurde Strychnin injicirt
Die Thymussubstanz (in Dosen ä 0,05 bis zu 10 Tabletten täglich) wurde
gut vertragen; ein greifbarer Effect konnte nicht constatirt werden.
Die meisten Kranken kamen vom Lande in gebessertem Zustand und mit
Gewichtszunahme zurück.
Die Heirath scheint ohne Nachtheil zu sein. Eine meiner Patientinnen
fühlte sich während der wiederholten Schwangerschaften entschieden besser; ge¬
wöhnlich trat bei ihr ein Rückfall etwa 3 Monate nach der Entbindung auf,
einerlei, ob sie gestillt hat oder nicht.
GoogI<
497
EL Referate.
Anatomie.
1) Ueber Silberimprtgnation der Nervenzellen und der Marksoheiden, von
Dr. Max Mosse. (Arohiv f. mikroskop. Anatomie u. Entwickelnngsgeachichte.
L1X. 1901.)
Verf. tbeilt eine Imprägnationsmethode mit, welche genaue Stucturbilder der
Nervenzellen ergeben soll. Sie beruht auf dem Princip, dass aus Silbersalzlösungen
entweder durch das Sonnenlicht oder durch Anwendung chemischer Lösungen
metallisches Silber niedergeschlagen wird. Das Verfahren ist folgendes:
I. Fixirung in der Carnoy-Gehuchten’schen Flüssigkeit (Alcohol absol.
6 Theile, Chloroform 3 Theile, Eisessig 1 Theil);
II. Paraffinei nbettung;
III. die aufgeklebten Schnitte kommen Für etwa 2 Minuten in eine 1 bis
2 °/ 0 Argentaminlösung;
IV. Abspülen in destillirtem Wasser;
V. Ueberführen für kurze Zeit (etwa eine Minute, bis die graue Substanz
einen bräunlichen Farbenton annimmt) in eine 10°/ 0 Pyrogallollösung;
VI. Wasser, Alkohol u. s. w.
Von besonderem Interesse ist es, dass durch diese Methode eine distincte
Imprägnation der chromophilen Substanz der Nervenzellen erzielt wird.
Ferner theilt der Verf. ein Verfahren mit, durch welches eine isolirte Silber«
imprägnation der Markscheiden dargestellt werden kann. Es beruht auf der Ein¬
führung des Silbers in eine Chromverbindung der Markscheiden.
1. Härtung in Müller’soher Flüssigkeit oder anderen Chromsalzlösungen.
2. Nachhärtung in Alkohol ohne Anwendung von Wasser.
3. Celloidineinbettung.
4. Einlegen der Schnitte auf 24 Stunden in Müller’sche Flüssigkeit.
5. Uebertragung der Schnitte auf 10 Minuten in eine 1—2°/ 0 Lösung der
in den Handel als Argentamin kommenden Flüssigkeit.
6. Abspülen mit Wasser.
7. Reduction in etwa 10°/ 0 Pyrogallollösung, bis die Schnitte ganz schwär?
werden; es geschieht dies in 1—2 Minuten.
8. Abspülen in Wasser.
9. Differenzirung nach Pal u. s. w. in der üblichen Weise.
Die auf diese Weise erzielten Bilder sollen guten Weigert-Präparaten nicht
nachstehen. Die Markscheiden erscheinen braunschwarz, heben sich von ihrer
Umgebung scharf ab und lassen sich bis in die feinsten Vertheilungen verfolgen.
Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber Verftnderungen der motorisohen Rüokenmarkszellen nach Reseotion
und Ausreissung peripherer Nerven, von Dr. Ernst Sträussler. (Jahr¬
bücher f. Psych. u. Neurol. 1902.)
Im Hinblicke auf die in allen Ergebnissen des Studiums der Ganglienzellen
nach den neuen Zellfärbungsmethoden vorherrschende Uneinigkeit der Befunde
und Ansichten geht der Autor auf die Fundamental versuche Nissl’s der Resection
32
zedby G00gle
498
und Ausreissung peripherer Nerven zurück. Es galt hier die Entscheidung
zwischen drei in der Litteratur niedergelegten Ansichten zu treffen, indem Ni sei
die Resection und Ausreissung von Nerven für die Zellveränderungen als gleich¬
wertig betrachtet, Marinesco einen Unterschied im Grade der Zellveränderungen
je nach der Art der Leitungsunterbrechung, Resection oder Ausreissung, fest¬
gestellt hat, während van Gehuchten das regelmässige Auftreten von Zell¬
veränderung nach einfacher Leitungsunterbrechung, Resection, überhaupt bestreitet.
Da die von Nissl zuerst beschriebenen Zellveränderungen nach Leitungs¬
unterbrechung zur Erklärung und Stütze der „retrograden Degeneration“ heran¬
gezogen wurden, prüft der Verf. seine Befunde nach dieser Richtung hin und
untersucht diese neuen Argumente für die „retrograde Degeneration“ auf ihre
Wertigkeit
Die Untersuchungen wurden an Ratzen vorgenommen und es war theils der
Plexus brachialis, theils der Ischiadicus Gegenstand eines operativen Eingriffe;
Resection an 4 Katzen, welche 5 bezw. 10, 15 und 30 Tage nach der Operation
zur Untersuchung kamen; Ausreissungen von Nerven in 6 Fällen, Untersuchung
sofort nach der Operation, bezw. 24 Stunden, 5, 10, 15, 30 Tage nach dem
operativen Eingriff; ausserdem 3 Fälle von Nervendurchreissung, 4, 10, 15 Tage
nach der Operation: Die Färbung des Rückenmarks geschah vornehmlich nach
Ni bsI's verbesserter Methode, nach Resection und Durchreissung wurden Nerven
der Behandlung nach Marchi unterzogen.
Die Ergebnisse der Untersuchungen, welche der Verf. am Schlüsse jeder
Untersuchungsreihe in einem R6sum6 zusammenfasst, weisen als hervorstechendstes
Moment den hochgradigen Unterschied zwischen Zellveränderungen nach Resection
einerseits und Ausreissung andererseits in Bezug auf die Raschheit ihrer Entwickelung,
ihre Qualität und Quantität. Nach Resection eine vom 5.—30. Tage langsam
fortschreitende Alteration der Ganglienzellen, welche sich hauptsächlich auf die
Tigroidsubstanz bezieht und die Lebensfähigkeit der Zellen unmittelbar nicht
tangirt; nach Ausreissung schon nach 5 Tagen deutliche Veränderungen der
Kerne, von 5 zu 5 Tagen rasche Zunahme der Zell Veränderungen, welche 30 Tage
nach der Operation zum Untergänge von mehr als der Hälfte der Zellen geführt
haben.
Einen Befund von besonderer Wichtigkeit für die Erklärung dieses auf¬
fallenden Unterschiedes im Grade der Veränderungen erhob der Verf. an Rücken¬
markssegmenten der auBgerissenen Wurzeln. In allen Fällen von Nervenausreissung
bestanden in den Austrittsstellen der vorderen Wurzeln im Vorderstrang und bis
in das Vorderhorn reichend Läsionen der Rückenmarkssubstanz, welche schon
nach 10, besonders aber nach 30 Tagen von einer reactiven Entzündung gefolgt
waren; mit diesem Befunde erbringt der Verf. den Beweis, dass die Vorderhorn¬
zellen bei Ausreissung von spinalen Nerven einer directen traumatischen Schädigung
unterliegen und macht alle anderen Erklärungsversuche der Schwere der Ver¬
änderungen überflüssig.
Trotzdem die Veränderung der Zellen nach Reseotion vom 5. Tage an nach¬
weisbar waren, war die Zahl der Zellen nach 30 Tagen noch unvermindert, für
das Leben der Zelle ist also die Alteration vorerst nicht von Bedeutung; das
Fehlen von Degeneration in den centralen NervenBtümpfen, wie Verf. in seinen
Befunden hervorhebt, beweist, dass auch die trophische Function der Zellen nicht
sichtbar geschädigt ist. Nach Ausreissung entwickelt sich in den Zellen rasch
ein degenerativer Process; es ist selbstverständlich, dass diese Zellen ihren tro-
phischen Aufgaben zu genügen nicht im Stande sind und den Ausgangspunkt von
Nervendegeneration bilden können; eine solche Degeneration ist aber dann nicht
der Leitungsunterbrechung, sondern der directen traumatischen Schädigung der
Zellen zuzuschreiben.
Google
499
Der Verf. beschäftigt sich noch ausführlich mit der Deutung und Erklärung
der histologisch-anatomischen Befunde; interessante Zell- und Kernveränderungen
sind der Arbeit in guten Abbildungen auf einer Tafel beigegeben.
Die Ergebnisse der Arbeit fasst Verf. in nachfolgenden Punkten zusammen:
1. Die nach einfacher, uncomplicirter Resection von Rückenmarksnerven in
den Zellen auftretenden Veränderungen sind unmittelbar ohne Bedeutung für das
Leben der Zelle und für die trophische Thätigkeit derselben.
2. Ausreissung eines Nerven hat schwere degenerative Veränderung der
Zellen zur Folge, welche nicht auf die Leitungsunterbrechung an und für sich
nnd nicht auf den Ort der Leitungsunterbrechung, sondern auf das Trauma und
eine durch das Trauma bedingte reactive Entzündung zurückzuführen ist.
3. Die nach einfacher Leitungsunterbrechung entstehenden Zellveränderungen
können nicht zur Erklärung von Degenerationen des centralen Nervenstückes
herangezogen werden. Schwere Zellyeränderungen aber sind auf andere Ursachen
als die einfache Leitungsunterbrechung zu beziehen; die Hereinziehung der Nissl’-
schen Zellveränderungen in die Frage der „retrograden Degeneration“ kann diese
in keiner Weise stützen. Pilcz (Wien).
3) Experimentelle Untersuchungen über die motorischen Kerne einiger
spinalen Nerven der hinteren Extremität des Hundes, von Ernst V.
Knape. Aus dem pathologischen Institut der Abtheilung für Nervenkranke
(Prof. Homön) in Helsingfors. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde.
XX. 1901.)
Aus den früheren Untersuchungen des Verf.’s ging hervor, dass die spinalen
Nerven in demselben Sinne wie einige der cerebralen Nerven keine motorischen
Kerne haben. Es wäre deshalb richtiger, die Bezeichung „motorischer Kern“
fallen zu lassen und statt dessen von „motorischen Ursprungsgruppen“ zu sprechen.
In dieser Arbeit theilt Verf. die Versuche mit, welche er beim Hund anstellte,
um die motorischen Kerne einiger zum Lumbosacralplexus gehörenden Nerven
(Nn. tibialis, peroneus, obturatorius und cruralis) festzustellen. Im Allgemeinen
wurde nur an jungen Hunden experimentirt, bei welchen sich ausser den directen
Veränderungen auch bald Entwickelungshemmungen im Sinne Gudden’s hinzu¬
gesellten. Es wurde stets ein so grosses Stück des Nerven resecirt, dass eine
Restitution unmöglich war. Ein Theil der Thiere wurde nach 14—20 Tagen,
ein anderer nach 3*/ a Monaten getödtet. Das Rückenmark der ersteren wurde
in Carnoy-van Gehuchten’s Flüssigkeit fixirt und nach Nissl untersucht,
während das Rückenmark der letzteren Thiere in Formol gehärtet, die Schnitte
mit Methylenblau gefärbt und zum Zählen der Vorderwurzelzellen benutzt wurden.
Aus diesen Untersuchungen ergab sich Folgendes:
Der Tibialiskern liegt im 4., 6., 6. und 7. Lumbal- und 1. Sacralsegment.
Der Peroneuskem befindet sich im 6., 6. und 7. Lumbal-, sowie im 1. und
2. Sacralsegment.
Der Obturatoriuskern ist im 4., 5. und 6. Lumbalsegment und der Cruralis-
kern im 3., 4. und 5. Lumbalsegment gelegen.
Es ist zwar schwierig, diese Befunde auf den Menschen zu übertragen,
immerhin ist anzunehmen, dass die relativen Lagen der Kerne der betreffenden
Nerven übereinstimmen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
32 *
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50 «
Pathologische Anatomie.
4) Bulle alterasioni del Bistema nervoso centrale siano primitive o seoon-
darie alle monstraosltä per difetto (ectromelia, emimelia), perE.Perrero.
(Arch. per le scienze med. 1901.)
Verf. hat das Halsmark eines 5jährigen Knaben untersucht, der einen con¬
genitalen Defect der rechten Hand (Hemimelie) gezeigt hatte. Er fand eine
Asymmetrie der Vorderhornentwickelung im unteren Abschnitt des 6., 7. und
8. Cervicalsegment und zum Theil auch im 1. Brustsegment. Die Vorderwurzel¬
zellen waren in diesem Niveau recht spärlich, klein und schwer färbbar. Auf
Grund der einschlägigen Litteratur glaubt Verf. nachweisen zu können, dass alle
diese Defectbildungen ganzer Extremitätensegmente nioht vom Nervensystem ab-
hängen; entweder handelt es sich um Störungen der ersten Anlage (zu einer Zeit,
wo Myomeren und Neuromeren noch gar nicht in Verbindung stehen) oder um
intrauterine Amputationen (durch Amnionfäden u. s. w.). Durch primäre Er¬
krankungen des Nervensystems soll wohl congenitaler Klumpfuss u. s. w. zu Stande
kommen, aber niemals Hemimelie. Verf. hält sonach die Riickenmarksveränderungen
fdr secundär.
Aufgefallen ist dem Ref., dass in den Schlusssätzen des Verf.’s der untere
Abschnitt des 6. Segments nicht mitgenannt wird. Th. Ziehen.
5) Ueber die mit Hülfe der Marohifärbung nachweisbaren Veränderungen
im Rückenmark von Säuglingen, von Johannes von Tiling, Assistenz¬
arzt am St. Johannes-Hospital in Bonn. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk.
XX. 1901.)
Es handelt sich um die Untersuchung von 26 Rückenmarken, die Früh¬
geburten aus dem 7. Monat der Schwangerschaft bis zu Kindern von 23 Monaten
entstammen. Aus äusseren Gründen konnte die Section meist erst 20—30 Stunden,
ja in einem Fall erst 40 Stunden post exitum vorgenommen werden.
Es fanden sich bei allen untersuchten Rückenmarken mit Ausnahme einer
Frühgeburt bei Anwendung der Marchi-Methode im intramedullären Antheil der
vorderen und hinteren Wurzeln schwarze Körnchen. Und zwar waren die Ver¬
änderungen bei jüngeren Kindern an den vorderen Wurzeln deutlicher ausgeprägt,
während sie bei älteren, über 6 Monate zählenden Kindern an den hinteren
Wurzeln intensiver ausgebildet waren.
Analoge Alterationen bestanden ausserdem an dem sogen. Krause’schen
Respirationsbündel und den aus demselben austretenden Accessoriusfasern sowie
an den von den Clarke'sehen Säulen zum Kleinhirnseitenstrang ziehenden Fasern.
Diese Veränderungen sind weniger eine Folge bestimmter Krankheiten, als viel¬
mehr durch Ernährungsstörungen (Anämie, Fieber, Infection, Intoxication) bedingt,
welche auf den empfindlichsten Theil des Rückenmarks ihren schädigenden Einfluss
ausüben.
Die Ansicht Zappert’s, dass die Veränderungen an den sensiblen Wurzeln
ebenso wie bei Erwachsenen nach bestimmten Krankheiten gelegentlich Vorkommen,
und dass in den Alterationen der motorischen Wurzeln einzig und allein der
charakteristische Befund bei Säuglingen zu suohen sei, findet durch diese Unter¬
suchungen keine Bestätigung. E. Asch (Frankfurt a/M.).
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501
Pathologie des Nervensystems.
6) Syphilis und Tabes, von W. Erb. (Jahrbücher f. Psycb. u. Neurologie.
1902.) #
Der in der Form eines offenen Briefes an Herrn Prof. v. Krafft-Ebing
verfasste kurze Aufeatz soll eine Heerschau geben über das Schlachtfeld der Frage
nach der Tabesätiologie. Die directe Veranlassung zu demselben hat ersichtlich
die jüngst von Gläser verfasste Brosohüre abgegeben, die das ganze von Erb
erricihtete Gebäude umzustürzen versuchte, allerdings zum Theil unter Aufwendung
von Mitteln, die in wissenschaftlichen DiscuBsionen nicht üblich sind und deren
Zurückweisung Erb nicht schwer fällt. Verf. weist besonders auf die Unzulässig*
keit hin, Krankengeschichten in der vorliegenden Statistik zu verwerthen, die bis
aus dop Jahre 1876 herbeigezogen sind und nur zum allergeringsten Theile
eigenen Beobachtungen entstammen, ferner auf das Fehlen einer „Gegenprobe“ in
Gläser’s Arbeit, auf die falschen Unterstellungen, die unehrlichen Vergleiche
seiner verschiedenen statistischen Zahlen mit denen des Verf.’s u. a. m. Des
weiteren hebt Verf. den Umstand hervor, dass von den Forschern in Berlin, die
sich mit der Frage beschäftigt haben, fast alle zu einem seiner Anschauung
günstigen Ergebnisse gekommen sind, und dass die wenigen Arbeiten, die ein
anderes Resultat gefunden haben, zum grössten Theile aus der I. medicinischen
Klinik der Charitö (Prof. v. Leyden) stammen. — Ausführlicher geht Verf. auf
die von Virchow ausgesprochene Ansicht ein, betont die in der Natur der Sache
liegende Einseitigkeit und Unzulänglichkeit des pathologisch-anatomischen Stand¬
punktes sowie die vorsichtige Formulirung, die Virchow seiner Anschauung ge¬
geben hat und die den Gegnern Erb's keinen Anhalt giebt, um sie rückhaltslos
für sich zu fructificiren. — Demgegenüber weist Verf. daranf hin, dass die grosse
Mehrzahl der neueren und neusten Lehr- und Handbücher es ohne weiteres an¬
erkennt, dass die Syphilis die häufigste und wichtigste Ursache der Tabes ist,
dass 11 grössere und kleinere statistische Arbeiten der letzten Jahre zu einer
Bestätigung seiner Lehre geführt haben, dass auch auf einige schwächere Punkte
derselben (z. B. Seltenheit der Tabes in syphilitisch durchseuchten aussereuropäischen
bezw. ausserdeutschen Ländern) neuerdings mehr Licht fällt (Arbeiten aus Japan,
Abessinien u. s. w.). — Im Ganzen gewinnt man nach dieser gedrängten Zu¬
sammenstellung den unabweislichen Eindruck, dass die Lehre Erb’s von dem
ätiologischen Zusammenhang von Syphilis und Tabes auf fast der ganzen Linie
des wissenschaftlichen Kampffeldes siegreich vordringt und von ihrem Ziele der
allgemeinen Anerkennung nicht mehr allzu weit entfernt zu sein scheint.
H. Haenel (Dresden).
7) Zur Kenntniss der Symptomatologie und pathologischen Anatomie der
Lues cerebri, von Dr. St. Kopczyfiski, Assistenzarzt an der Nervenklinik
in Warschau. Aus dem Laboratorium des Prof. Dr. H. Oppenheim in Berlin.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
42jährige Frau, syphilitisch inficirt, litt seit 2 Jahren an allmählich zu¬
nehmender geistiger Schwäche, bald darauf apoplektischer Insult mit consecutiver
Hemiplegie links. Nach einigen Wochen Oculomotoriuslähmung rechts. Trotz
energischer antisyphilitischer Kur fast keine Besserung, Fortbestehen der Demenz,
Bewegungen des rechten Auges etwas freier, die Weite und Reaction der Pupillen
wechselten beständig; einen Tag vor dem Exitus rechte Pupille, am Tage des
Todes linke Pupille völlig lichtstarr, Lähmung des rechten Trochlearis, Ulcus
corneae rechts, beiderseits Patellar- und FusBklonus, kein Fieber. Nach einjähriger
zedby G00gle
502
Beobachtung Exitus in Folge eines chronischen Nierenprocesses und Herzmuskel¬
lähmung. Bei der anatomischen Untersuchung fanden sich zwei Erweichungs-
herde in der Gegend der Capsula interna mit secundärer Degeneration der
Pyramidenbahnen, specifische Affection der Hirnbasis, zum Theil der Pia des
rechten und in geringerem Grad auch des linken Oculomotorius, Affection des
Chiasma, hauptsächlich aber auffallende Veränderung der gröberen und feineren
Gefasse an der Hirnbasis (Meningitis basilaris syphilitica). In diesem Fall war
die Hemiplegia altemans von der Erweichung der Capsula interna und der syphi¬
litischen Infiltration des gleichseitigen Oculomotorius an der Hirnbasis abhängig.
Die intermittirende reflectorische Pupillenstarre ist dem Verhalten der Patellar-
reflexe bei der Rückenmarkssyphilis sehr analog. Hier war sie höchst wahr¬
scheinlich eine Folge des gummösen Processes an der Hirnbasis und der Opticus¬
kreuzung. Der syphilitische Process an den Gefassen war als End- und Peri¬
arteriitis aufzufassen, und zwar handelte es sich um eine gewisse DiffereMirung
der gewucherten Intima mit Entartung in einen bindegewebigen Strang.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
8) Syphilis oörebrale Simulant une paralysie gdnörale, par E. Brissaud
et Alph. Pechin. (Progr^s mödical. 1902. Nr. 3.)
Ein immerhin interessanter und deshalb ausführlich mitgetheilter Fall von
syphilitischer Erkrankung des Cerebrum, welche im Bilde einer progressiven
Paralyse einherging, zu zweifelhafter Prognose verleitet hatte und in völlige Gesund¬
heit überging. Adolf Passow (Meiningen).
8) Endarteriitis syphilitica bei einem 2 1 / a jfthr. Kinde, nebst Bemerkungen
über Hirnarterienlues, von 0. Heubner. (Charit6-Annalen. XXVI. 1902.)
2 l /jjähr. Pat., dessen Vater Potator ist, ist das älteste von drei Geschwistern,
die beiden jüngeren sind gesund. Keine Fehl- oder Totgeburten in der Familie.
Pat. ist mit Sattelnase geboren, war von Geburt an schwächlich, hat viel an
Geschwüren gelitten. Zögernde Entwickelung, Dentition mangelhaft; Pat. hat
nicht laufen und nur wenige Worte sprechen gelernt. I 1 /* Jahr alt erlitt Pat.
einen Schlaganfall mit innerhalb dreier Tage vorübergehender halbseitiger Läh¬
mung. August 1900 heftige epileptische Krämpfe, die 8 Tage lang auftraten
und mit einer Lähmung der rechten Seite endeten, die nicht mehr zurückging.
Im Anschluss daran Kräfteverfall und psychische Veränderungen. Bei der Auf¬
nahme im October 1900 fand sich: Schädel stark rachitisch, Nasenbein eingesunken,
Zähne defect, Parese des rechten unteren Facialis, der rechten Gaumensegelhälfte,
spastische Lähmung deB rechten Armes und Beines, am Larynx Lähmung des
rechten Postious, ophthalmoskopisch beiderseits typische Retinitis syphilitica here-
ditaria, Schwellung der Submaxillar-, Cervical-, Inguinal- und Cubitaldrüsen. Die
Krämpfe traten nicht wieder auf, in Folge von Bronchitis und Darmcatarrh trat
zunächst erhebliche Verschlimmerung des Gesammtzustandes ein, nach deren Ver¬
schwinden unter Darreichung von Jodkali, warmen Bädern und Faradisation sich
eine leichte Besserung bemerkbar machte; Pat. inficirte sich dann in der Klinik
mit Masern, denen er am 9./XII. 1900 erlag. Die Obduction ergab nun hoch¬
gradige Veränderungen besonders einzelner Partieen der linken Hemisphäre, Und
zwar in einem Theile der Pars opercularis der 3. Stirnwindung, des untersten
Fünftels der vorderen, des untersten Drittels der hinteren Centralwindung, der
1. Schläfen windung, des Gyrus angularis und supramarginalis, der vorderen
Hälften der 2. und 3. Ocoipitalwindung. Daselbst ist die Pia trübe, verdickt und
adhärent, die Rinde schmal, hellgelb verfärbt und theilweise direct erweicht, so
dass die Sulci tief klaffen. Mikroskopisch erscheint hier die Rinde fast völlig
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503
geschwunden, die an ihre Stelle getretene gelbe Zone als zum grössten Theil aus
Fettkörnchenzellen bestehend, die theils in Neuroglia, theils in zell- und gefass*
reiches Bindegewebe eingebettet sind. Markstrahlung öberall unversehrt. Im
übrigen an der linken und rechten Hemisphäre normales Verhalten der Windungen.
Sehr erhebliche Veränderungen zeigten sich an den Gefässen der Basis, und zwar
fanden sich an der rechten A. vertebralis, der A. basilaris, der linken A. cerebri
posterior, A. fossae Sylvii sin., die schwersten Erscheinungen einer ausgesprochenen
syphilitischen Endarteriitis, leichtere Stadien derselben Erkrankung (Verfärbungen,
Wandverdickungen) auch an andereq arteriellen Gefässen, während in den zuerst
genannten es stellenweise direct zur Obliteration der Gefässe gekommen ist.
Bezüglich einer Reihe kritischer Bemerkungen des Verf.’s sei auf das Original
verwiesen. Martin Bloch (Berlin).
10) 8yphilitio meningo-myelitis, erysipelas, reoovery, by E. F. Trevelyan.
(Brit. med. Journ. 1901. 6. Juli.)
Der mitgetheilte Krankheitsfall betrifft eine 32jähr. Frau, welche seit 3 Jahren
mit einem syphilitischen Manne verheirathet war, und bei welcher sich nach
vorhergegangenen heftigen Schmerzen in den Beinen innerhalb weniger Wochen
Lähmung beider unteren Extremitäten entwickelt batte.
Bei der Aufnahme in das Hospital fand sich: Spastische Lähmung beider
Beine ohne Muskelatrophie; Steigerung der Kniereflexe, kein Fussklonus; Herab¬
setzung der Sensibilität, Incontinenz der Blase und des Mastdarms; Decubitus in
der Sacralgegend.
Einige Tage nach der Aufnahme acquirirte Patintin ein Gesichtserysipel und
wurde deshalb zwei Mal mit Antistreptokokkenserum injicirt. Nach Heilung der
Rose besserte sich die Lähmung auffällig und in fortschreitender Weise. Patientin,
welche äusserer Verhältnisse wegen bald aus dem Hospital entlassen werden
musste, konnte etwa 2 1 / a Monate später ohne Hülfe eines Stockes gehen und schien
nach weiteren 3 Wochen völlig gesund. Die nach Jahresfrist vorgenommene
Untersuchung ergab ausser einer geringen Schwäche des Sphincter ani völlige
Heilung.
Da Patientin vom Beginn der Lähmung bis zu der auffälligen Besserung,
welche, wie erwähnt, 2 1 / J Monate nach dem Hospitalaufenthalt constatirt wurde,
keinerlei specifische Behandlung erfahren hatte, so ist Verf. geneigt, anzunehmen,
dass das Erysipel als ein auf die vorliegende syphilitische Infection gleichsam
antagonistisch wirkendes infectiöses Mittel heilend auf den Krankheitsprocess ein¬
gewirkt hat. E. Lehmann (Oeynhausen).
11) Meningitis syphilitica mit fieberhaftem Verlauf, von Stabsarzt Dr.
Dorendorf. Aus der II. medicin. Klinik der Charite. (CharitS-Annalen.
XXVI. 1902.)
löjähr. Patient, dessen Mutter mehrfach abortirt und zwei Kinder in ganz
jugendlichem Alter verloren hat, von dem aber zwei gesunde Geschwister leben,
erkrankt am 30./IV. 1901 unter Schüttelfrost und meningitischen Erscheinungen,
wegen deren er am 2./V. in die Charite aufgenommen wird. Bei der Unter¬
suchung finden sich Narben an der Stirn und den Wangen, strichförmige Narben
am den Mundwinkeln, Lymphdrüsenschwellungen, höckerige Tibiakanten und Rupia
am behaarten Kopf. Es besteht Lichtscheu, leichte Nackenstarre, allgemeine
Hyperästhesie bei Klagen über Kopfschmerzen und Schwindel. Im weiteren Ver¬
lauf leichte Benommenheit, leichte neuritische Erscheinungen an den Sehnerven,
ausserordentlich wechselndes Verhalten der Patellarreflexe, rechtsseitige Abducens-
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504
parese mit gleichnamigen Doppelbildern. Dabei bestanden vom 2.—10./1V. all*
mählich abfallende, anfangs recht erhebliche (bis zu 40°) Temperatursteigerungen
mit starken Morgenremissionen, während der Puls auch zur Zeit der höchsten
Temperatur nicht über 80 hinausging. Unter Schmierkur und Jodkaligebrauch
rascher Rückgang aller Erscheinungen, so dass Pat. am 15./VI. geheilt entlassen
werden konntn. Martin Bloch (Berlin).
12) Ueber einen Fall von Diabetes mellitus syphiliticus, von Dr. Hempten-
m ach er. (Mittheilungen aus den Hamburgischen Staatskrankenanstalten.
1901.)
Patientin, mit Constitutionskrankheiten und speciell mit Diabetes nicht erblich
belastet, wurde mit 32 Jahren als puella publica luetisch inficirt. Auf eine
specifische Behandlung trat scheinbar Heilung ein, und es zeigten sich nie secun-
däre Erscheinungen. Beinahe 10 Jahre nach der Infection stellte sich Polydipsie,
Polyurie und Abmagerung ein. Nach weiteren 1 1 / J Jahren entwickelte sich inner¬
halb weniger Tage eine linksseitige Hemiplegie, verbunden mit Reflexsteigerung
und Parästhesieen in den betroffenen Extremitäten. Von Seiten der Himnerven
keine Störung, Augenhintergrund und Sprache normal. Der Urin enthielt zwischen
3 und 4°/ 0 Zucker. Bei gemischter Kost wurde eine energische antisyphilitische
Kur eingeleitet. Im Verlauf von 7 Wochen ging dabei der Zuckergehalt auf
0,2 °/ 0 zurück, und im weiteren Verlauf der Behandlung wurde Patientin zucker¬
frei. Ein während der Beobachtungszeit auftretendes und unter Quecksilber
wieder verschwindendes Schädelgumma stützte die Annahme eines luetischen Ur¬
sprungs des Gehirnleidens. Die Lähmung ging langsam zurück und war ein Jahr
nach ihrem Auftreten noch nicht ganz beseitigt, während der Urin dauernd
zuckerfrei blieb.
Aus der Verbindung der Umstände, dass hier nach sicher stattgehabter
luetischer Infection ein Diabetes mellitus und nicht lange Zeit darauf eine
organische Hirnaffection auftrat, wovon auf antiluetische Behandlung hin der eratere
völlig, die letztere nahezu schwand, schliesst Verf. wohl mit Recht, dass es sich
hier um einen reinen Fall von Diabetes syphiliticus handelte. Die Gehirn-
erkrankung wird ihrer Natur nach als Endarteriitis syphilitica aufgefasst.
Störungen von Seiten der Leber und des Pankreas lagen nicht vor.
Max Neumann (Karlsruhe).
13) Syphilis infantile, par Rothschild. (Progrös medical. 1901. Nr. 49.)
Die Abhandlung enthält eine genaue Besprechung der verschiedenen Arten,
wie Syphilis sich beim Kinde darstellt in frühesten Tagen und ersten Jahren;
ferner beschäftigt sich der Verf. mit der Behandlung der Krankheit — mittels
Einreibungen, Sublimatbädern und innerlich als van Swieten’sche Lösung ge¬
geben — und giebt zum Schluss beachtenswerte Dictionen betreffs der ErnährungB-
frage derartig erkrankter und meist recht schwächlicher Kinder.
Adolf Passow (Meiningen).
14) Ginglvite syphilitique Simulant la stomatite merourielle, guörison par
le traitement hydrargyrique, par F. Buret. (Progres medical. 1901.
Nr. 43.)
Verf. behandelte 2 Fälle von einer eigenthümliohen Mundschleimhauterkrankung;
diese traten 8 bezw. 14 Monate nach einer Schmierkur auf, waren auch von
Speichelfluss begleitet und heilten nach verhältnissmässig kurzer Zeit in Folge
Sublimatbehandlung (2 ctg pro die). Adolf Passow (Meiningen).
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505
15) Etat du sang dans la Syphilis, le tabes, la paralysie gönörale, par
Sabrazös et Uathis. (Progräs medical. 1902. Nr. 4.)
Die Verff. constatirten in der ersten Periode eine leichte Anämie und Leuko-
cytose mit Vermehrung der Lymphocyten. In der zweiten Periode bleibt die
Anämie bestehen, die Zahl der eosinophilen Zellen bleibt niedrig; mercurielle
Behandlung vermehrt die rothen und weissen Blutkörperchen. In der dritten
Periode nähert sich das Blut wieder der Norm. Die Tabiker haben wenig Blut¬
körperchen und eine leichte neutrophile Polynucleose. Die Paralytiker neigen zu
Hyperglobulie und Eosinophilie. Syphilitische Kinder haben normale Blutkörperchen,
sind aber anämisch und haben Leukocytose mit Kernreichthum.
Adolf Pa8sow (Meiningen).
16) Des modes d’utilisation des eaux mlnörales sulfureuses dans le tral-
tement de la Syphilis, par Edmond Vidal. (Progres mödical. 1902.
Nr. 5 u. 6.)
In erster Linie unterscheidet Verf. drei Gruppen Syphilitischer, denen man
die schwefelhaltigen Wasser als therapeutisches Hülfsmittel verschreiben kann
und darf:
In der ersten Gruppe kommen die Kranken zur Besprechung, die nach einer
Infection regelrecht behandelt und mindestens ein Jahr von specifischen Erschei¬
nungen frei geblieben sind. Für diese galten bisher die Wasser als ausschlag¬
gebend und zuverlässig, aber dieses ist nioht der Fall; die Wasser sind aber
ebenso wenig wie irgend ein chemisches oder physisches Agens fähig, die Sicher¬
heit für eine Heilung der Syphilis zu geben.
In die zweite Gruppe nimmt Verf. alle die hinein, welche an Recidiven leiden,
tertiäre Erscheinungen haben und die sämmtlich einer intensiven und forcirten
Quecksilberbehandlung ausgesetzt werden sollten, welche letztere aber häufig wegen
Intoxicationserscheinungen unterbrochen werden muss.
Alle diese vermögen aber unter Anwendung der schwefelhaltigen
Wasser grosse Mengen Quecksilber zu vertragen; die Gingivitiden, der
Speichelfluss, die Magen-Darmstörungen u. a. m. verschwinden unter der Wasser¬
behandlung, man kann sogar unerwartet hohe Quecksilberdosen mit Erfolg an¬
wenden.
Die dritte Gruppe umfasst die schwereren, vorgeschrittenen, kachektischen
Formen, bei denen man schwer unterscheiden kann zwischen Kachexie in Folge
syphilitischer Infection und solcher in Folge zu vielen Quecksilbers. Auch auf
diese Fälle wirken die schwefelhaltigen Wasser sehr günstig ein, gestatten sogar
wiederum sehr hohe Quecksilbermengen, welche eben durch sie gleichsam paralysirt
werden und führen zu wesentlichen Besserungen.
Verf. bespricht sodann die einzelnen Arten der Darreichungen als gewöhn¬
liches Bad, Douchen mit Frottage, Dampf- und Kastenbäder; speciell die letzteren
sind die wirksamsten. Der Zuspruch ist enorm — im Jahre 1900 wurden in
Aachen 96,000 Bäder verabreicht, natürlich wurde hier ausser den Bädern
das Wasser auoh getrunken —, also eine Combination von Trink- und Bäder¬
kuren mit mercurieller Behandlung. Adolf Passow (Meiningen).
17) Beretning om en epldemi af Poliomyelitis anterior aouta i Bratsberg
amt aar 1890, af Prof. Dr. Chr. Leegaard. (Norsk. Mag. f. Lägevidensk.
1901. S. 377.)
Im Jahre 1899 kam im Amte Bratberg im südöstlichen Theile Norwegens
in den Medicinaldistricten Skien, Kragerö, Holten, Kviteseid und Laardal eine
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Häufung von Fällen von Poliomyelitis acuta anterior vor; nach den Mittheilungen
der behandelnden Aerzte hat Verf. 54 Fälle gesammelt.
Prodromalerscheinungen kamen äusserst selten vor; in den meisten Fällen
trat die Krankheit auf hei vorher gesunden Individuen jeden Alters von 1 bis
40 Jahren, bei Kindern im 1. Lebensjahre kam sie nicht vor, am häufigsten bei
Kindern und jungen Leuten, vorzüglich im Alter von 1—4 Jahren (12 Fälle)
und von 15—19 Jahren (12 Fälle). Die Anfangssymptome waren Fieber (ge¬
wöhnlich leichten Grades) und Schmerzen (Kopfschmerz, Schmerz im Rücken, im
Nacken, mitunter mit Steifheit in Brust und Gliedern, Hauthyperästhesie und
Schmerzen in den Muskeln werden oft erwähnt). Meist am 2. oder 3. Tage,
selten früher oder später, entwickelten sioh mehr oder weniger rasch Lähmungen,
meist an den Gliedern, vereinzelt betraf die Lähmung auch den Facialis, die
Zunge, die Rachen- und Kiefermusculatur. Am häufigsten (28 Mal) waren die
Beine, seltener (7 Mal) die Arme ergriffen, Arme und Beine zugleich waren in
19 Fällen gelähmt. Die Lähmung war schlaff, die Sehnenreflexe fehlten und es
trat rasch Atrophie ein. Die elektrische Untersuchung, die in einem Falle aus¬
geführt wurde, ergab Entartungsreaction. Die Sensibilität war unverändert oder
gesteigert. Einige Wochen nach dem Auftreten der Lähmung stellte sich Besserung
ein, die aber meist nicht zur vollständigen Heilung führte; in 30 Fällen blieb
Lähmung zurück, die die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte (15 Mal Lähmung eines
oder beider Beine, 8 Mal eines oder beider Beine, 7 Mal Arm und Bein), in
10 Fällen trat bedeutende Besserung und Gebrauchsfähigkeit der Glieder ein, in
12 Fällen Heilung, in 2 Fällen führte die Krankheit zum Tode. In den Fällen
mit Ausgang in Heilung handelte es sich selten um vollständige Paralyse, in
6 Fällen um eine abortive Form der Krankheit, die Dauer der Krankheit betrug
in diesen Fällen 1—2 Monate, manchmal weniger. In den tödtlich verlaufenen
Fällen trat der Tod in Folge Respirationslähmung ein, in dem einen Falle handelte
es sich um absteigende hulbäre Lähmung, im anderen war die Krankheit rapid
in der ganzen Spinalaxe aufgetreteu und auch die Kerne der Herznerven schienen
ergriffen zu sein. Gelenkanschwellungen, Oedeme, leiche Exantheme kamen
selten vor.
Die Diagnose kann in 45 Fällen als sicher angesehen werden, nach dem
klinischen Bilde und der Verbindung mit anderen unzweifelhaften Fällen, in den
übrigen Fällen mit meist leichten Erkrankungen war sie wenigstens in hohem
Grade wahrscheinlich.
In ätiologischer Beziehung spielten weder Erblichkeit noch neuropathische
Belastung eine Rolle; in 6 Fällen wurde Erkältung als Ursache angegeben, in
7 Fällen körperliche Ueberanstrenguug, beides vereint in 9 Fällen. Die Krank¬
heit trat am häufigsten in den Monaten Juli bis Octoher (45 Fälle) auf, seltener
in den übrigen Monaten. Nicht selten kamen mehrere Erkrankungen in derselben
Familie oder Nachbarschaft vor, manchmal zu gleicher Zeit. Um dieses gruppen¬
weise Auftreten aufzuklären, hat Verf. nach besonderen Symptomen gesucht, die
die Vermuthung einer Ansteckung bestärken könnten, und hat besonders auf
gastrische Symptome bei den Kranken selbst und in ihrer Umgebung geachtet;
in 12 Fällen zeigten sioh solche bei den Kranken selbst, in 6 Fällen in ihrer
Umgebung; in zwei Districten herrschten gleichzeitig Icterusepidemieen. Von
Krankheiten unter den Hausthieren kamen ^gleichzeitig vor Milzbrand, bösartiges
Katarrhalfieber und Schweinerothlauf.
Die Krankheit ging und verbreitete sich von da aus über die übrigen Ortschaften,
deutlich den Verkehrswegen folgend, mit verschiedener Schnelligkeit und um so
langsamer, je geringer der Verkehr war. Der Ansteckungsstoff scheint von
ausseneingeführt worden zu sein; die Quelle konnte man zwar nicht nachweisen,
wenn man aber bedenkt, dass die drei in den skandinavischen Ländern beobach-
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taten Epidemieen von Orten mit regem Seeverkehr ausgingen, scheint dies für die
Einführung von auswärts zu sprechen.
Der Krankheitsstoff, der in den Monaten Juli bis October seine grösste
Vitalität zu besitzen, aber nicht zu überwintern scheint, muss, der Ausbreitungs-
weise nach zu urtheilen, ein Contagium sein; er wird vom Darmcanale aufgenommen
und scheint nicht mit Nothwendigkeit die Krankheit hervorrufen zu müssen,
sondern wahrscheinlich nur bei besonderer Disposition, die in den Altersklassen
von 1—4 und von 15—19 Jahren am stärksten zu sein und mit Erkältung,
Ueber&nstrengung oder diesen beiden Momenten zugleich in Verbindung zu stehen
scheint. Die Incubationszeit scheint kurz zu sein und wenige Tage, manchmal
wohl kaum über einen Tag zu betragen. Walter Berger (Leipzig).
18) Zur Poliomyelitis anterior (ohronioa und aouta) der Erwachsenen, von
Dr. Grunow, Assistent an der medicinischen Klinik in Kiel. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
Bei einem 56jährigen, früher ganz gesunden Mann entwickelte sich vor
5 Monaten eine Gehstörung mit nachfolgender schlaffer Lähmung der Musculatur
der Lumbalgegend und der unteren Extremitäten, Muskelatrophie der Arme und
Hände, Erloschensein der Patellarreflexe, spontanen fibrillären Zuckungen sowie
mit partieller und totaler Entartungsreaction in den Muskeln der Beine. Bei der
anatomischen Untersuchung fanden sich in zahlreichen Muskeln degenerative
Atrophie und Fettdurchwachsung und ausserdem im ganzen Rückenmark, haupt¬
sächlich aber vom mittleren Brustmark an abwärts Degeneration der Vorderhorn¬
ganglienzellen sowie Gefassentzündungen, vornehmlich im Gebiet der Central-
gefasse. Durch letztere Erscheinung gewinnt der Fall ein erhöhtes Interesse.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
19) Zur Klinik der Bohweissanomalieen bei Poliomyelitis anterior (spinale
Kinderlähmung) und posterior (Herpes zoster), von H. Hi gier in
Warschau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
In 2 Fällen von Herpes zoster stellte sich nach Abklingen der übrigen
Störungen an den vom Ausschlag betroffenen Stellen eine Vermehrung der Schweiss-
secretion ein, die noch Monate lang nachweisbar und streng halbseitig angeordnet
war. Eine verminderte Schweisssecretion wurde zwei Mal bei Poliomyelitis be¬
obachtet, und zwar nur an den gelähmten Extremitäten bei vollkommen normaler
Sensibilität.
Bei beiden Krankheiten handelt es sich um acute toxisch-infectiöse Processe
in den Vorderhörnern bezw. Intervertebralganglien, und zwar repräsentiren die
Vorderhörner eine trophische Centralstelle für die Haut, ebenso wie die Spinal¬
ganglien eine solche für das Gefühlssystem darstellen. Bei der Veränderung der
Vorderhörner sind die Schweisscentren einer Zerstörung erlegen, während in den
Fällen von Herpes vielleicht die sensiblen Fasern anschwellen und in Folge der
absteigenden entzündlichen Degeneration die sie begleitenden Schweissfasern durch
Druck in einen Zustand erhöhter Erregung gelangen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Contributo allo Studio delle atrofle musoolari progressive nell’ eta
avansata, per L. Terrio e L. Rovere. (Annali di neuroglia. XIX. 1901.)
Im Anschluss an einen Fall von progressiver Muskelatrophie bei einem
76jährigen Manne erläutern die Autoren die Schwierigkeiten, die bei dieser Er¬
krankung überhaupt eine, sichere Diagnose gestatten. Die Eintheilung in die
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drei Formen der idiopathischen, neurotischen und spinalen Muskelatrophie ist un¬
zureichend, wie an der Hand zahlreicher Beispiele aus der Litteratur erläutert
wird. Auch der vorliegende Fall lässt keine sichere Diagnose zu. Es handelt
sich um eine langsam fortschreitende Atrophie der Muskeln, beginnend an den
Schultern beiderseits symmetrisch und über die Armmusculatur sich erstreckend.
Es bestehen geringe Sensibilitätsstörungen, einzelne fibrilläre Zuckungen, partielle
Entartungsreaction. Die mikroskopische Untersuchung eines excidirten Stuckes
des Deltoides ergiebt einfache Atrophie ohne Degenerationserscheinungen und das
Vorhandensein einzelner hypertrophischer Fasern.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
21) Zur Caauistik der infantilen progressiven spinalen Muskelatrophie
von familialem besw. hereditärem Charakter, von Dr. L. Bruns in
Hannover. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901.)
Zu den bisher beschriebenen 22 Fällen dieses Leidens (Hoffmann 19,
Werdnig 2 und Bruce 1) fügt Verf. drei weitere hinzu, welche drei verschiedenen
Familien entstammen. Im ersten Fall ist der familiale Charakter sicher, da zwei
Geschwister an dem gleichen Leiden zu Grunde gingen, im zweiten Fall war
über die Familie nichts zu eruiren und in der dritten Beobachtung sind sämmt-
liche drei Geschwister bis jetzt gesund.
I. Bei dem im Jahre 1894 10jährigen Kinde besteht eine sehr ausgedehnte
und erhebliche symmetrische Muskelatrophie und Lähmung. Am stärksten befallen
sind die Cucullares, die Deltoidei, Serrati, Rhomboidei, Supra- und Infraspinati;
ferner sind die Pectorales und die Oberarmmuskeln atrophisch, während die Unter¬
arme und Hände weniger afficirt sind, nur an dem Thenar findet sich Atrophie.
An den unteren Extremitäten, besonders an den Glutäen, ist der Muskelschwund
theilweise durch Fettentwickelung verdeckt, doch fühlt sich die Musculatur darunter
schlaff an. In einem Theil der atrophischen Muskeln bestehen fibrilläre Zuckungen.
Triceps faradisch und galvanisch unerregbar, auch faradische Reaction der Inter-
ossei der Finger sehr schwach. Auch in den Beinen mehrfach Verlust oder
Herabsetzung der Erregbarkeit für beide Ströme und in einzelnen Muskelgebieten
träge, galvanische Zuckungen. Ausserdem besteht starke, links convexe Skoliose
der Lendenwirbelsäule und unteren Rückenwirbelsäule, der Brustkorb ist stark
nach links verschoben und ruht rechts ganz auf dem Beckenrand. Keine Kyphose.
Im Lauf der folgenden Jahre nahmen die Störungen stark zu, extremste Atrophie
der Musculatur des Schultergürtels, Rückens, Brust, der Ober- und Unterarme,
Oberschenkel dünner als die Waden, die Füsse stehen in Varoequinusstellung. In
einem Theil der atrophischen Muskeln fortwährend fibrilläre Zuckungen. Das
Kind starb 1900 in seiner Heimath. Eine Autopsie wurde nicht vorgenommen.
II. 11 jähriges Kind, Waise. Gehen und Stehen unmöglich. Die den Kopf
bewegenden Muskeln sind sehr geschwächt, Armmusculatur vermindert, aber
nirgends ganz gelähmt, Flexoren und Extensoren der Oberschenkel sehr schwach,
Wirbelsäule kyphoskoliotisch verkrümmt (untere Rückenwirbelsäule und Lenden¬
wirbelsäule). In der Schultermusculatur sehr lebhafte fibrilläre Zuckungen.
Mm. deltoidei und quadricipites faradisch unerregbar, in letzteren Entartungs¬
reaction. Patellarreflexe erloschen. Sensibilität intact, Hirnnerven frei, In¬
telligenz gut.
III. 3jähriges Kind, seit einem Jahr Abnahme der Kraft beim Gehen und
Stehen, Zittern der Hände, zunehmende Schwäche des Rückens, dessen Musculatur
schwach ist. Beide Mm. quadricipites so gut wie ganz gelähmt. Musculatur
überall sehr schlaff, aber nirgends deutliche Atrophie bestimmter Theile nach¬
weisbar. An den Beinen erhebliche Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit
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för beide Ströme, im Peroneusgebiet Entartungsreaction (?). Fibrilläre Zuckungen
nur an den Fingern beider Hände. An der Lendenwirbelsäule ganz leichte
Kyphose, Patellarreflexe erloschen, Zehen und vordere Partie des Fusses stark
plantarflectirt, beiderseits leichte Varusstellung. Seit einem Jahre hat sich haupt¬
sächlich die Function der Kopf- und Rumpfmusculatur verschlechtert, untere
Extremitäten jetzt deutlich atrophisch, auch in beiden Cucullares fibrilläre
Zuckungen.
Diese drei Fälle stimmen mit der von Hoffmann und Werdnig zuerst
gegebenen Symptomatologie ganz genau überein, insbesondere ist die Lähmung
charakteristisch gruppirt, die in der Rumpf-, Becken- und Oberschenkelmusculatur
beginnt, allmählich auf Schulter-, Hals- und Nackenmuskeln übergeht und sich
von da in centrifugaler Richtung weiterentwickelt. Auch hier ist die Lähmung
eine schlaffe, atrophische, die Sehnenreflexe fehlen und handelt es sich dabei um
eine Erkrankung des ersten motorischen Neurons.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
22) The morbid anatomy of a oaae of progressive atrophy whioh was
olinioally one of amyotrophio lateral solerosis, by Carlin Philips.
(Journal of Nervous and Mental Disease. 1901. September.)
36jähr. Patientin, die im Jahre 1897 mit heftigen Stirnkopfschmerzen, Zittern
der Hände, leichter Ermüdbarkeit und Schwäche der Kopfheber erkrankt, zeigt
Atrophie der Supraspinati und des rechten Schultergürtels mit fibrillären Zuckungen
und gesteigerten Sehnenreflexen. 6 Monate später Dyspnoe und Schlingbeschwerden,
fortschreitende Atrophie der Musculatur, die jetzt auch den Trapezius betheiligt
and in der nächsten Zeit sohnell fortschreitet; dabei wird der Gang allmählich
deutlich spastisch. Exitus im Mai 1899. Die Untersuchung ergab Intactsein des
Hirns (das aber nicht mikroskopisch untersucht worden ist, Ref.) und im Rücken¬
mark vom 2. Cervicalsegment abwärts Veränderungen nur der grauen Substanz,
besonders der Vorderhornzellen, stellenweise mit Wucherung der Neuroglia; die
vorderen Wurzeln waren in wechselndem Grade degenerirt; dagegen waren die
Pyramidenbahnen intact. Martin Bloch (Berlin).
23) Poliomyelitis anterior, von Kalev Kirschbaum. (Inaug.-Dissert. Berlin,
1901.)
Verf. bespricht pathologische Anatomie, Aetiologie, Symptomatologie, Dia¬
gnose, Prognose und Therapie der Poliomyelitis anterior acuta infantum und
adultorum sowie der Poliomyelitis anterior subacuta et chronica.
Verf. hat aus der Prof. Mendel’schen Poliklinik 45 Poliomyelitisfälle zu-
«ammengestellt, fand unter denselben 31, bei denen die Lähmung vor Ende des
2. Lebensjahres aufgetreten war, 14 Kranke standen zur Zeit der Lähmung im
Alter von 2—8 Jahren; die vier jüngsten Kinder zählten 3 Monate, das eine
älteste 8 Jahre.
Von den 45 Kranken waren 26 weiblichen, 19 männlichen Geschlechts. Unter
den Infectionskrankheiten, welche in den Fällen des Verf.’s in der Aetiologie der
Poliomyelitis eine Rolle spielten, sind Masern, Influenza, Keuchhusten und Wind¬
pocken je ein Mal vertreten. In einem Falle wurde von den Angehörigen die
Impfung angeschuldigt.
Unter den 45 Fällen fanden sich 36 Monoplegieen, 6 Paraplegieen und
3 Hemiplegieen, und zwar waren monoplegiBch gelähmt: das linke Bein 14 Mal,
das rechte Bein 14 Mal, der linke Arm 6 Mal, der rechte Arm 2 Mal. Die
Paraplegie bezog sich in allen 6 Fällen auf die Beine, die Hemiplegie in den
3 Fällen auf die linke Körperseite. Kurt Mendel.
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24) Zur Kenntmias der femili&ren progressiven Muskelatrophie im Kindee-
alter, von H. Senator. (Charitö-Annalen. 1902.)
Es handelt sich hei der Beobachtung des Verf.’s um zwei Geschwister von
8 bezw. 5 1 / 1 Jahr, deren Mutter als Kind einmal Krämpfe gehabt hat und deren
Grossmutter väterlicherseits nervenleidend war; einige Geschwister der Mutter
sind in früher Kindheit an Krämpfen gestorben.
I. 8jähr. Knabe hat mit 11 Monaten laufen gelernt; im Alter von 2 Jahren
fiel er öfters hin, und zwar immer nach hinten, knickte in den Beinen ein. Im
Alter von 3 Jahren musste er fast stets getragen werden, da er meist nach wenigen
Schritten hinfiel. Später Zittern und Zucken in den Armen, auch soll in letzter
Zeit das Gedächtniss gelitten haben. Die Untersuchung ergiebt: Wirbelsäule im
unteren Dorsaltheil leicht naoh links ausgebogen. Fibrilläre Zuckungen an Armen
und Beinen, Atrophie der Schulter- und Oberarmrausculatur. Aufsetzen geht nur,
wenn Pat. sich stützt oder seitlich festhält Pat. sitzt mit nach vorn hängenden
Schultern und Kopf und gekrümmter Wirbelsäule. Beim Aufsetzen klettert er an
sich selbst hoch. Starke Atrophie der gesammten Bückenmusculatur. Gesäas-
muskeln und Oberschenkel leicht atrophisch. Bei schnellerem Gehen Schwanken
in den Hüften. Patellarreflexe fehlen. Sensibilität intact. Elektrische Erregbar¬
keit in den atrophischen Muskeln stark herabgesetzt, keine Entartungsreaction.
x / 2 Jahr später scheint die Atrophie weitere Fortschritte gemacht und auch die
Muskeln der Vorderarme ergriffen zu haben.
II. 5 1 / a jähr. Mädchen hat mit 10 Monaten zu laufen angefangen; im Alter
von 2 Jahren Auftreten derselben Erscheinungen, die ihr Bruder dargeboten hatte.
Objectiv breitbeiniger watschelnder Gang, Wirbelsäule im Lendentheil stark lor-
dotisch, im Dorsaltheil rechtsconvexe Skoliose. Starke Atrophie der Bücken¬
musculatur, geringere der Oberarme und der Pectorales. Gesässmusculatur etwas
abgeflacht. Schwache fibrilläre Zuckungen. Lose Schultern. Aufsitzen and Auf¬
richten aus liegender Stellung wie bei dem Bruder, nur noch mühsamer. Sensi¬
bilität intact, Patellarreflexe fehlen, elektrisch nur quantitative Veränderungen.
Verf. rechnet die beiden Fälle zu der Werdnig-Hof fmann’schen Form
der familiären bezw. hereditären spinalen progressiven Muskelatrophie des Kindes-
alters. Martin Bloch (Berlin).
26) Spinale Muskelatrophie in Folge Bleivergiftung, an eine infantile
Poliomyelitis sioh anschliessend. Beitrag zur Pathologie der Blei¬
vergiftungen, von Dr. Arthur v. Sarbo, Universitätadocent in Budapest.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901.)
Ein 35jähr. Bleigiesser, der seit dem 13. Jahre mit Blei arbeitet und mehr¬
fach an Gelenkschmerzen und Bleikolik gelitten hatte, wird von einer fast über
den ganzen Körper verbreiteten Muskelatrophie betroffen, von welcher nur die
Muskeln des Gesichts, Halses und linken Unterschenkels verschont bleiben. Dieser
Muskelschwund stellte sich zuerst am reohten Bein, welches nach einer in der
Kindheit überstandenen Poliomyelitis verkürzt geblieben war. Schon seit Jahren
besffehen fibrilläre Zuckungen, welche in Folge ihrer Intensität mehrfach den
Charakter der Myokymie haben. Ausserdem besteht seit dem 25. Jahre eine
Dermatitis herpetiformis mit starkem Jucken und neuerdings eine fioride Phthise,
an welcher der Pat. auch zu Grunde ging. Die elektrische Prüfung der atro¬
phischen Muskeln ergab starke Herabsetzung der galvanischen und faradischen
Erregbarkeit. Lähmungserscheinungen und Bleisaum waren niemals nachzuweisen.
Das erste Einsetzen der Muskelatrophie erfolgte in der durch die Poliomyelitis
geschwächten Extremität, d. h. der durch diese Affection am meisten geschädigte
Theil des Bückenmarks bildete beim Auftreten des weiteren Leidens den Locus
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minoris resistentiae. Auch sind die Oelenkschmerzen dahin zu deuten, dass sich
der Prooess in den Vorderhornzellen entwickelte.
Verf. schliesst einen peripheren Ursprung des Leidens aus — Pat. arbeitete
trotz hochgradiger Atrophie bis zuletzt — und nimmt als Ursache des hoch¬
gradigen Muskelschwundes eine Poliomyelitis anterior chronica an. Wahrscheinlich
ist auch die Hautveränderung mit dem Vorderhornprocess in Zusammenhang zu
bringen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
26) Ein Fall von Dystrophia musoulorum progressiva, von Doc. A. v. Sarbö.
(Pester med.-chirurg. Presse. 1901. Nr. 43.)
Schilderung eines Kranken, welchen Verf. im 19. und 25. Lebensjahre unter¬
suchte. Erste Untersuchung 1895; Pat. nicht belastet, erlitt (8 Jahre alt) einen
Bruch des rechten Unterschenkels. Pat. bemerkte seit dem 15. Jahre eine Ab¬
magerung des rechten Armes, welcher sich nach 4 Jahren Zuckungen der Muskeln
und leichte Ermüdbarkeit anschlossen. Objectiv nachweisbare Atrophie der rechten
Schulter, Arm und Handmusculatur; Sensibilität intact; fasciculäre Zuckungen im
rechten Pectoralis major. Obwohl sonst keine anderen Anzeichen vorhanden,
welche an Bleivergiftung erinnern, wurde dem Pat., welcher Schriftsetzer ist, eine
andere Beschäftigung empfohlen.
Pat. blieb während mehrerer Jahre der Beschäftigung mit Blei fern und
kehrte erst in letzter Zeit zu dieser zurück; ungeachtet dessen schritt die Atrophie
fort, die Musculatur der erkrankten Extremität nahm Bis 1Ö01 um 1—1 1 / i cm
ab; ferner wurden atrophisch der rechte Pectoralis major sowie links die Muscu¬
latur der Schulter und des Oberarmes. Ausserdem entstand eine linksseitige
Skoliose. An den unteren Extremitäten nur stärkere Excavation des Schenkel-
innern. Sensibilität normal bis auf eine geringe Abstumpfung der Berührungs¬
empfindlichkeit des rechten Armes. Triceps- und Bicepsreflex rechts 0; Knie¬
reflexe bei Jendr&ssik lebhaft; Cremaster- und Plantarreflexe lebhaft. Fasciculäre
Zuckungen an beiden Pectorales, idiomusculäre Contraction am linken. Elektrische
Erregbarkeit der atrophischen Muskeln herabgesetzt, doch keine Entartungsreaction.
Nach AusschliesBung möglicher Erkrankungen (Bleivergiftung, Syringomyelie,
amyotrophische Lateralsklerose, Neuritis) erklärt sich Verf. für eine Dystrophia
musculorum progressiva type scapulo-humßral (ohne Hypertrophie), lässt jedoch
die Möglichkeit einer Poliomyelitis anterior chronica offen.
Hudovernig (Budapest).
27) Progressive muaoular dystrophie with the report of an antopsy, by
B. Sachs and Harlow Brooks. (American Journal of the Med. Sciences.
1900. Juli.)
Der Fall ist geeignet, zur Beleuchtung der Erb'sehen Theorie beizutragen,
dass alle progressiven Myopathieen neuropathischen Ursprungs sind und auf
functionelle Störungen der trophischen Centren zurückzuführen sind. Der nach
15jähriger Dauer seines Leidens an Bronchopneumonie und Myocarditis gestorbene
Patient bot am Bückenmark keinerlei Veränderungen der grauen und weissen
Substanz. Degeneration einiger Zellen in den Spinalganglien fassen Verff. als
secundärer Natur, als Folge der Muskelerkrankung auf, ähnlich wie sie nach
Amputationen gefunden worden sind. Die mikroskopischen Veränderungen der
Muskeln, die interstitielle Bindegewebs- und Fetthyperplasie stimmte mit den ge¬
wöhnlichen Befunden überein; die fettige Degeneration der Muskelfaser ist eine
secundäre Folge der Hypertrophie und Atrophie des Muskelgewebes. — Verff.
geben die Möglichkeit zu, dass gelegentlich die progressive Dystrophie nur der
locale Ausdruck einer allgemeinen Lipomatose als familiäres Degenerationszeichen
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ist, und betonen ferner, dass in vielen, wenn nicht den meisten Fällen durch
systematische Uebungen Besserung oder mindestens Stillstand des Leidens erzielt
werden kann. H. Haenel (Dresden).
28) Ueber einige Fälle von Nervenkrankheiten , von Schwarz. (Prager
med. Wochenschr. 1901. Nr. 48.)
I. 22jähr. Mann, seit früher Kindheit, ebenso wie eine Schwester, ohoreiforme
Muskelzuckungen, Sehnenhüpfen; seit etwa 6 Jahren zunehmende Schwäche der
Beine. Die Untersuchung ergab neben dem typischen Bilde der Dystrophia
musculorum (Atrophie des Schulter- und Lendengürtels mit Freibleiben der
Hand- und FusBmusculatur, Lendenlordose, wiegender Gang, Andeutung von
Pseudohypertrophie der Waden, Fehlen von Entartungsreaction) als atypisch:
fibrilläre Zuckungen und eine Atrophie der Deltoidei, Supra- und Infraspinati.
II. 38jähr. Frau, unter allgemeinem Krankheitsgefühle acut einsetzende
Lähmung der rechten oberen Extremität. Status nervosus (etwa 8 Monate später):
Atrophie des Deltoideus, Supra- und Infraspinatus rechtereeits, Lähmung der
Rhomboidei, Atrophie der ganzen Arm- und Handmusculatur bis auf den Triceps,
Sehnenreflexe erloschen, faradische Erregbarkeit fehlend oder herabgesetzt. Keine
Sensibilitätsstörungen, Nervenstämme nicht druckempfindlich.
Gegen Polyneuritis spricht der acute Beginn, das Fehlen sensibler Reiz- oder
Ausfallserscheinungen, die mangelnde Tendenz zur Besserung.
Bemerkenswerth in diesem Falle von Poliomyelitis acuta adultorum
ist, dass der Process streng auf eine Extremität beschränkt blieb.
III. Polyneuritis mit Glycosurie nach Influenza. 47jähriger Mann,
Potator, bemerkte in der Reconvalescenz nach Influenza plötzliche Schwäche in
allen Gliedmaassen, welche 3 Tage später vollständig gelähmt waren. Kein Fieber.
Sensible Reizerscheinungen fehlten anfangs, später traten allerlei Parästhesieen,
Sohmerzen in den Beinen u. s. w. auf. Unter Schmierkur war ein Theil der Er¬
scheinungen schon zurückgegangen.
Bei der Aufnahme (5 Monate später) ausgedehnte Atrophieen der Extremi-
tätenmusculatur, schlaffe Lähmung deizelben, Nervenstämme nicht druckschmerz¬
haft, Sensibilität für alle Qualitäten an den unteren Gliedmaassen herabgesetzt,
und zwar an der Vorder- und Aussenfläche des rechten Oberschenkels bis zum
Knie und am linken Fussrücken. Hyperalgesie an der Planta beiderseits. Elek¬
trische Erregbarkeit einfach herabgesetzt, im Tibialis anterior beiderseits partielle
Entartungsreaction. Bei Zufuhr von Kohlehydraten Zucker, der bei kohlehydrat-
freier Kost nicht vorhanden war.
Im Laufe von 8 Monaten nahezu völlige Heilung, auch der Glycosurie.
Pilcz (Wien).
Psychiatrie.
29) Regentioides not abnormal as a dass. A protest against tbe ohimera
of „degeneraoy“, by E. C. Spitzka. (Philad. med. Journ. 1902. Febr.)
Die Arbeit ist, wie der Titel sagt, eine Kampfschrift, die sich, zum Theil
in ungewöhnlich scharfen Ausdrücken, vor allen gegen einen Autor Regis wendet;
derselbe hatte in einer längeren Schrift nachzuweisen gesucht, dass die Königs¬
und Regentenmörder von jeher zu den nicht vollsinnigen Menschen gezählt hätten.
Mit einem erstaunlichen Aufwand von historischen Einzelthatsachen werden die
Gründe, die Regis für seine Anschauung vorbringt, der Reihe nach widerlegt;
statistisch wird nachgewiesen, dass der Procentsatz der nachweisbar geisteskranken
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KöoigBmörder nicht mehr als ein Fünftel beträgt, dass die Merkmale, die Begis
vorbringt, die Unempfindlichkeit gegen Schmerzen, das Fehlen von Mordoomplicen,
das jugendliche Alter, die Hallucinationen u. a. theils nicht in dem behaupteten
Umfange vorhanden waren, theils auf andere als pathologische Ursachen zurück-
geführt werden müssen. Er kommt zu dem Ergebniss, dass kein wissenschaft¬
licher Grund vorliegt, Königsmörder anders als andere Mörder zu betrachten und
weist auf die sociale Gefahr hin, die in der entgegengesetzten Ansicht liegt,
wenn sie in weiteren Kreisen Anhänger finden sollte. ü. Haenel (Dresden).
30) Bt tilfälde af mikrooefali, af P. Bull. (Norsk Mag. f. Lägevidensk. 1901.
S. 1106.) — Nok et tilf&lde af mikrooe&li, af P. Bull. (Ebenda. 1901.
S. 1230.)
Der erste Fall betraf einen 16 Jahre alten Patienten, der ohne erbliche An¬
lage war und noch vier gesunde Geschwister hatte. Seine Mutter gab an, dass
sie im ersten Schwangerschaftsmonat über einen grossen, sonderbaren Vogel in
einer zoologischen Sammlung sich entsetzt habe; die Geburt trat zur normalen
Zeit auf und verlief leicht und Bpontan. Das Kind war auffällig klein, besonders
der Kopf. Der Abstand von der Glabella bis zum Proc. occipit. externus maass
90 mm, der bitemporale Durchmesser 65 mm, die Entfernung beider Ohren von
einander 78 mm, die Breite an den Arcus supraciliares 62 mm. Beide Fontanellen
waren geschlossen. Das Kind konnte wegen Schwäche nicht saugen und musste
mit der Flasche ernährt werden bis zum Alter von 5 Jahren. Es lernte weder
stehen noch laufen noch sprechen noch mit den Händen etwas umfassen und
konnte deshalb nicht Belbst essen. Harn und Faeces Hess Pat. in das Bett. Pat.
war meist still und vergnügt, er beschäftigte sich mit nichts und sass meist im
Bett Gesichtssinn und Gehör schienen gut zu sein, auf seinen Namen hörte er,
auch sollte er angeblich seine Verwandten kennen, er zeigte aber sonst keinerlei
Auffassung oder geistige Thätigkeit. Als Kind hatte er eine Lungenentzündung
gehabt und soll auch die Masern gehabt haben. Er starb am 6. Mai 1901,
nachdem er einige Tage vorher beständig laut geschrieen hatte.
Bei der Section fanden sich folgende Maasse: Körperlänge 145 cm, Brust¬
umfang 67 cm, horizontaler Umfang des Kopfes 36,5 cm, von einem Ohre zum
anderen 21,5 cm, von der Nasenwurzel bis zur Protuberantia occip. ext. 18,5 cm,
Durchmesser der Glabella bis zur Protub. occip. ext. 10,6cm, von einem Proc.
mast zum anderen 10,2 cm. Der Kopf war dem eines Vogels ähnlich. Am
Hinterhauptsbein, das flachgedrückt war, fand sich ein nierenförmiger Defect von
3 cm Länge. Das Gesammtgewicht des frischen Gehirns betrug 245 g, seine
gröeste Länge betrug 10,2 cm, die Breite 9,3 cm. Das Grosshim deckte das
Kleinhirn nicht vollständig. Gyri und Sulci zeigten auffallend wenige Verzweigungen,
die Fissura Sylvii hatte keinen vorderen Zweig, die sehr mangelhaft entwickelte
Insula Beilii kein Operculum. Die Ganglien des Grosshirns waren theilweise
rudimentär. Der Sulcus temporalis sup. war stark und deutlich. Es bestand eine
grosse und deutliche Affenspalte mit unvollständigem Operculum. Die 1. und
2. Occipitalwindung waren undeutlich und bildeten, wie bei manchen Affen im
Boden der Affenspalte liegende, statt oberflächliche UebergangsWindungen. Ein
deutlicher Cuneus bestand nicht.
Der zweite Fall betraf ein 17 1 /, Jahre altes Mädchen, ohne erbliche Anlage,
in dessen Familie AlkoholiBmus nicht vorkam. Das Kind entwickelte sich körper¬
lich gut, geistig abnorm zeitig. Nach einer kurzen Krankheit ohne hervorragende
Symptome im Alter von 7—8 Jahren begann sich allmählich geistige Sohwäche
zu entwickeln, nachdem Schwäche in den Beinen vorhergegangen war. Die Sprache
wurde unbeholfen, die Patientin machte den Eindruck von Trägheit und Schlaff-
3ö
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heit, die Arme zitterten, epileptiforme Krampfanfälle traten auf, die Entleerung
von Harn und Faeces wurde unfreiwillig. Die Menstruation war im Alter von
12 Jahren vorhanden und regelmässig, blieb aber später wieder aus. Die epilepti-
formen Anfälle wurden immer häufiger, die Kranke machte einen idiotenhaften
Eindruck, der Mund war mit zähem Schleim gefüllt, der ab und zu herauslief.
Auf leichte Fragen antwortete die Kranke, aber sehr langsam und stets mit
leichtem Gelächter. Das rechte Auge stand in leichter Divergenz, beide Pupillen
waren gleich weit und reagirten gut auf Licht, die ophthalmoskopische Unter¬
suchung ergab nichts Abnormes. Patientin wurde schlafsüchtig und schlief
manohmal bei dem Essen ein. Der Tod trat ohne besondere Erscheinungen ganz
ruhig im Schlafe ein.
Das Gehirn wog (2 Tage in Spiritus aufbewahrt) 650 g. Es fiel die geringe
Höhe im Verhältniss zur Länge und Breite auf, besonders waren die Temporal¬
lappen flach gedrückt und klein. Die Gyri waren ziemlich zahlreich und klein.
Das Grosshirn war 14,5 cm lang und bedeckte das Kleinhirn vollständig; seine
grösste Breite betrug 12 cm, die Höhe 6,2 cm, der grösste Horizontalumfang be¬
trug 44 cm, der Umfang an den Parietal- und Temporallappen 34 cm, an den
Frontallappen 28 cm. Die Fissura Sylyii war deutlich, links länger als rechts.
Die Insula Reilii war auf beiden Seiten ziemlich vollständig von Furchen und
Windungen bedeckt, auf beiden Seiten ziemlich gleich und gut abgegrenzt. Der
GyruB frontalis inferior s. tertius war auf der linken Seite nach hinten mit dem
Gyrus praecentralis weniger deutlich verbunden in Folge von drei Nebenfurchen
vom Sulcus frontalis inferior, in deren Boden aber die Uebergangswindungen bis
in den Gyrus praecentralis verfolgt werden konnten; rechts ging der Gyrus prae¬
centralis inferior um den Ramus anterior foBsae Sylvii herum, erstreckte sich nach
hinten um eine tiefe Furche im freien Rand des Operculum und ging hier in das
untere Ende des Gyrus praecentralis über.
Nach Verf. ist anzunehmen, dass in diesem Falle die mangelhafte Entwicke¬
lung des Gehirns auf einer mangelhaften Anlage beruhte, oder auch auf einer
hemmenden Einwirkung auf das Gehirn im Fötalleben. Eigenthümlich ist es
dabei, dass die Patientin bis zum 7. Lebensjahre trotz des in der Entwickelung
zurückgebliebenen Gehirns sich geistig normal entwickelte und wohl auch sogar
andere Kinder übertreffen konnte. Walter Berger (Leipzig).
31) Verwaltungsbericht der Provinzial - Irrenanstalt zu Rittergut Alt¬
scherbitz für die Jahre 1898/09 und 1899/1900. Erstattet von Sanitäts¬
rath Dr. Paetz.
Die Gesammtzahl der am 1. April 1900 in der Anstalt incl. des Siechen*
asyls befindlichen Kranken betrug 522 Männer und 399 Frauen.
Unter den im Berichtsjahre 1899/1900 im Ganzen aufgenommenen 154 Männern
befanden sich 65, d. h. 42,2 °/ 0 Paralytiker, unter den in demselben Zeitraum
aufgenommenen 110 Frauen 14 paralytische, d. h. 12,7 °/ 0 .
Von besonderem Interesse sind die Ergebnisse der Arbeit der Kranken und
des landwirtschaftlichen Betriebes.
Der nach dem Satze von 25 Pfennig für eine Person berechnete Arbeitslohn
betrug pro 1899/1900 37687,25 Mk., wovon 15°/ 0 an die Arbeitsverdienstkasse
zu besonderen Gewährungen für die Kranken mit 6653,12 Mk. gezahlt wurden.
Die Gutsverwaltung (einschliesslich Breunerei, Ziegelei u. s. w.) brachte einen
Reinertrag von 40245 Mk. M.
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515
in. Bibliographie.
The mental ftmotfons of the brain, by Bernard Holländer. (London. 1901.
Girant Richerds. 512 S.)
Der Yerf. versucht, das Gebeimniss der fundamentalen psychischen Functionen
and ihrer Localisation im Gehirn aufzuklären, und glaubt, dass seine Localisation
diejenige Gall’s bestätigen.
Er localisirt auf Grund einer reiohlich gesammelten Litteratur die Melancholie
in den Gyros angularis und supramarginalis, die Manie in die mittlere Partie des
Lobus temporo-sphenoidalis, während der hintere Theil des Lobus teraporalis den
Verfolgungsvorstellungen den Ursprung giebt.
Trotz der zahlreichen Fälle, welche die Theorie stützen sollen, werden die
Psychiater nicht geneigt sein, die Psychosen als Herdaffectionen aufzufassen.
Weniger bedenklich erscheinen die Capitel über die Specialgedächtnisse, ob¬
wohl auch hier die Localisation der Arithmomanie u. a. der Kritik nicht Stand
halten dürfte. M.
IV. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 12. Mai 1902.
Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: Herr Bernhardt.
Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr T. Cohn einen Fall von Baynaud’-
»chem Symptomencomplex mit Sklerodermie.
43jährige Patientin der Mendel’schen Poliklinik, deren Vater an Krämpfen
gestorben ist; vier Partus, ein Abort; sämmtliche Kinder sind tot. Vor 7 Jahren
Beginn der Erkrankung aus unbekannter Ursache mit Schmerzen und Kribbeln
in beiden Händen, die, besonders bei Kälte und Nässe, abwechselnd blau und
weiss wurden. Unter Geschwürsbildung und starken Schmerzen Verlust der End-
theiie des rechten Zeige- und Mittelfingers, sowie des linken Zeigefingers. Seit
1—2 Jahren die gleichen Symptome auch an den Füssen, gleichfalls mit Geschwürs¬
bildung. Seit etwa 2 Jahren an Armen, Beinen und im Gesicht Spannungsgefühl,
seit 3 Jahren Magenbeschwerden, in letzter Zeit Kopfweh und Schwindel. Ob-
jectiv: geringe Differenz der Pupillen, lebhafte Patellarreflexe, schwache Herz-
thätigkeit, kleiner Puls und Combination des Raynaud’schen Symptomencomplexes
mit Sklerodermie in ungewöhnlicher Ausgeprägtheit. Die Veränderungen der
letzteren sind am stärksten an den Füssen und Unterschenkeln; die Haut ist hier
allgemein verdickt, speckig glänzend, fühlt sich hart an, Falten sind schwer ab¬
zuheben, ferner am Rücken oberhalb des linken Darmbeinkarames, an beiden
Händen und den Streckseiten der Vorderarme; einzelne Plaques am Gesicht (tiefe
skierodermische Einziehung an der rechten Schläfe, Spannung der Haut um den
Mund und unterhalb des Kinns); auch die Aussenseiten der Oberschenkel zeigen
Infiltration der Haut. Am ganzen Körper abnorme Pigmentirungen (hell bis
dunkelbraun), besonders in der Schultergegend, am Rücken, sowie an oberen und
unteren Extremitäten. Finger livide, Endphalangen theilweise leichenblass, be¬
sonders die Nägel. Die Endphalangen beider Zeige- und des rechten Mittelfingers
sind verstümmelt, die Nägel verkrüppelt. An einzelnen Interphalangealgelenken
der Finger Ankylosirongen theils in Streckstellung, theils in leichter Beugung;
passive Bewegungen schmerzhaft. An den Füssen Steifigkeit, besonders in den
Sprunggelenken, dementsprechend ist der Gang steif und geschieht vorwiegend auf
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den Hacken; passive Bewegungen schmerzhaft. Die Gegend der MaUeolen und
zu beiden Seiten der Achillessehnen ist geschwollen. An der linken Grosszehe
(plantar) und der rechten kleinen Zehe (dorsal) unweit ihres Basaltheils je ein
kleines röhrenförmiges, secernirendes Geschwür (aus einer kleinen Eiterblase ent¬
standen). Zehenhaut marmorirt, vorwiegend livide oder leichenblass, ebenso die
Haut des Fussrückens, dazwischen pigmentirte, geröthete oder normale Stellen.
Die Nägel sind weiss. Die Sensibilität ist für alle Qualitäten normal, nirgends
sind Atrophieen oder Paresen, nur sind die Hand- und Fussbewegungen, sowie
die der Füsse und Zehen schmerzhaft und von geringer Excursion. Elektrisch
keine Veränderungen, weder in Bezug auf die Reaction der Muskeln, noch auf
den Leitungswiderstand.
Die Combination der genannten Affectionen ist nicht selten, Cassirer hat
eine grosse Reihe solcher Fälle zusammengestellt, selten sind aber Fälle, wo bei
einer Person ausser Sklerodermie und den vasomotorischen Störungen der localen
Asphyxie und localen Syncope auch, wie bei dem vorgestellten Falle, symmetrische
Gangrän besteht. Autoreferat.
Discussion:
Auf eine Anfrage des Herrn Oppenheim, ob Vortr. therapeutische Ver¬
suche mit Thiosinamin bei der vorgestellten Patientin gemacht hat, erwidert Herr
Cohn, dass solche beabsichtigt sind.
Herrn La ehr, der fragt, ob vereinzelte anästhetische Plaques der Haut und
Verdickungen der Nervenstämme gefunden worden sind, antwortet Herr Cohn,
dass auf beide Momente geachtet, aber nichts gefunden worden sei, was einen
Verdacht auf Lepra erwecken könnte.
Tagesordnung:
Herr M. Bloch stellt eine 57jährige Patientin vor, die am 6. Januar d. J.
die Mendel’sche Poliklinik aufsuchte. Patientin war früher nicht erheblich krank,
stammt aus gesunder Familie. Der Mann der Patientin ist vor 8 Jahren sin
Paralyse gestorben, sie hat vier Mal geboren, von ihren Kindern leben drei. Seit
10 Jahren, wie Patientin glaubt, in Folge heftigen Schreckes über die plötzliche
geistige Erkrankung ihres Mannes, bestehen starke Zuckungen in der rechten
Gesichtshälfte, in der ganzen Zeit fast ununterbrochen, nur hin und wieder Pausen
von einigen Tagen. Im übrigen hat Patientin keine Klagen. Die Untersuchung
ergiebt bei der im übrigen, abgesehen von leichter Anämie, völlig gesunden Patientin
einen typischen Tic convulsif im Gebiet des ganzen rechten Facialis. Der Facialis
ist an seiner Austrittsstelle stark druckempfindlich, Druck auf denselben vermehrt
die Intensität der Zuckungen ganz erheblich.
Patientin wurde zuerst mit Galvanisation und innerlicher Verabreichung von
Brompräparaten u. dergl. behandelt, und zwar etwa 8 Wochen lang, aber ohne
jeden Erfolg. Es wurden dann Injectionen einer Lösung von Antipyrin mit
Aqua dest. zu gleichen Theilen, jedes Mal eine ganze Spritze, gemacht. Schon
nach der zweiten Injection Nachlassen der Zuckungen, die nach der vierten In-
jection völlig verschwanden, d. h. also seit Ende Februar. Jedes Mal nach der
in der Parotisgegend gemachten Injection trat daselbst eine ziemlich erhebliche
Schwellung auf, und es wurde mit der neuen Injection bis zum mehr oder weniger
völligen Verschwinden der Schwellung gewartet. Wöchentlich 2—3 Injectionen.
Am 15. März wurde eine Parese im Gebiet des oberen Facialis constatirt; gleich¬
zeitig klagte Patientin über taubes Gefühl in der Wange; es bestand daselbst
deutliche Hypästhesie. Die elektrische Erregbarkeit, anfangs normal, zeigt jetzt
Entartungsreaction im M. frontalis, M. corrugator supercilii und M. orbicularis
oouli. Im Gebiet des unteren und mittleren Facialis normale elektrische Erregbar¬
keit, vielleicht ganz geringe quantitative Herabsetzung. Vortr. demonstrirt die
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Lähmung im Gebiet des Stirnfacialis, die hauptsächlich den Frontalis und Corrn-
gator betriflFt, während der Orbicularis oculi nur leichte Parese zeigt und weist
auf die völlig normale Function im mittleren und unteren Facialisgebiet hin.
Der Tic ist bis heute fortgeblieben, nur am 2. und 4. April hat Patientin
ganz geringe Zuokungen von momentaner Dauer beobachtet.
Der Fall bietet in mehrfacher Hinsicht Interesse. In therapeutischer Be¬
ziehung, da die auch sonst schon constatirte krampfstillende Wirkung des Anti-
pyrins hier einen beachtenswerthen Heilerfolg zu Wege gebracht hat, der jetzt
schon 2 l / t Monate andauert, auch in dem Gebiet des Nerven, das keine
Lähmungserscheinungen erkennen lässt. Die Lähmung ist wohl als
mechanisch bedingt anzusehen; Vortr. stellt sich den Hergang so vor, dass das
schwerlösliche Antipyrin an Ort und Stelle der Injection ein Depot gebildet hat,
das einen Druck auf den Nerven ausgeübt und dadurch die Lähmung herbei-
gefuhrt hat. Auffallend bleibt dabei — und das ist das dritte interessante
Moment —, dass die Schädlichkeit, die hier eigentlich alle drei Aeste des Nerven
(in der Gegend des Pes anserinus major) treffen musste, nur die Rami temporo-
frontales afficirt hat. Insofern stellt der Fall einen interessanten Beitrag zu dem
Kapitel der überhaupt nicht allzu häufigen partiellen Facialislähmungen dar,
interessant aus dem eben genannten Grunde, weil die den ganzen Nerven treffende
Schädlichkeit nur einzelne Aeste desselben geschädigt hat.
Die Lähmung ist in eine gewisse Parallele zu bringen mit den nach Dehnung
des Facialis bei Tic convulsif beobachteten Fällen von Lähmung, die von Bern¬
hardt in seinem Lehrbuch angeführt sind. Die Prognose bezüglich des Ausbleibens
des Tic wird mit Vorsicht zu stellen sein mit Rücksicht auf die von Bernhardt
citirte Beobachtung, wo in dem in Folge von Dehnung schwer gelähmten Facialis
nach 10 Monaten nach eingetretener Heilung der Lähmung die Zuokungen, wenn
auch sehr vermindert, von neuem auftraten.
Discussion:
Herr Bernhardt glaubt auch, dass die Prognose mit Vorsicht zu stellen
iei.. Er erwähnt als Stütze für die günstige Wirkung des Eintrittes einer Läh¬
mung auf den Facialiskrampf den Fall von Ballet, der bei einem seit 30 Jahren
an Tic leidenden Patienten nach Einsetzen einer Lähmung in dem betreffenden
Facialis das Ausbleiben des Krampfes auch nach erfolgter Heilung der Lähmung
beobachtete. Partielle Lähmungen im Facialisgebiet sind nicht zu selten; ab¬
gesehen von den nach Operationen vorkommenden ist auch bei rheumatischen
Lähmungen nicht selten ein electives Verhalten der einzelnen Zweige zu beobachten.
Er erwähnt Bchliesslich den Fall von Kennedy, der bei Tic convulsif den Facialis
durchschnitt und sein peripheres Ende mit dem Accessorius vereinigte. Die
Facialislähmung besserte sich, der Krampf hörte auf; eine interessante Beobachtung
in diesem Falle war, dass bei Erheben des Armes Muskelcontractionen im Facialis
zu sehen waren, die aber nur im Moment der Erhebung des Armes selbst auf¬
traten.
Herr Remak hält ebenfalls partielle Facialislähmungen nicht für so selten.
Was den vorgestellten Fall betrifft, so giebt er zur Erwägung anheim, ob nicht
das Antipyrin analog den nach Injectionen von Aether, Chloroform^ Ueberosmium-
wure vl s. w. beobachteten Lähmungen die Lähmung des Nerven durch eine
toxische Wirkung, nicht, wie der Vortr. will, auf mechanischem Wege hervor¬
gerufen habe.
Herr Bloch hat sich über die pharmakologische Wirkung des Antipyrins
zu orientiren gesucht, aber keinen Hinweis in der ihm zur Verfügung stehenden
Litteratur auf eine derartige toxische Wirkung auf die nervöse Substanz gefunden.
Was die partielle Lähmung in diesem Fall betrifft, so bleibt es — im Gegensatz
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zu den operativen, doch dann gewöhnlich nur durch Durchschneidung eines Aste«
erzeugten partiellen Lähmungen — auffallend, dass die den ganzen Nerven treffende
Schädlichkeit nur den oberen Ast afficirt hat.
Herr Henneberg: Hirntumor und Taboparalyse.
Ein Bruder der 44jähr. Patientin, eine Schlächtersfrau, leidet an Dementia
paralytica, der Mann seit 7 Jahren an Tabes. Eine syphilitische Infection wird
von letzterem in Abrede gestellt. Patientin war bis vor 13 Jahren gesund,
erblindete damals ohne Auftreten weiterer cerebraler Symptome. Kein Partus und
Abort. Seit 10 Jahren litt Patientin an Uterusmyom. Erst in den letzten Monaten
Anzeichen von geistiger Störung, zuletzt rasche Verblödung.
Aufnahmebefund: Amaurose, Opticusatrophie, Pupillenstarre, Abducens-
und Facialisschwäche beiderseits, paralytische Sprachstörung, Fehlen der Patellar¬
und Achillessehnenreflexe, Beugung der Zehen beim Streichen der Fusssohlen,
mässiger Grad von Ataxie der unteren Extremitäten, Demenz, Apathie, profuse
Uterusblutungen. Tod in Folge von Herzschwäche.
Sectionsbefund: Atrophie der Stirnwindungen und der Optici, im Lumbal-
mark Degeneration der mittleren Wurzelzonen, im Dorsalmark M-förmige Dege¬
nerationsfigur, im Cervicalmark geringe Degeneration der Goll’schen Stränge.
Leichte Degeneration der Pyramidenseitenstränge. In der Mitte zwischen beiden
Foramin. opt. auf dem Tuberculum sellae turcicae ein über kirschkerngrosser,
runder, harter, glatter, weisser, von der Dura ausgehender fibröser Tumor, der
das Chiasma stark comprimirt hat.
Vortr. bespricht das Vorkommen schwerer Hinterstrangsdegenerationen bei
Hirntumor (Demonstration von Rückenmarkspräparaten zweier derartiger Fälle),
die sich wesentlich von den bei Taboparalyse vorfindenden unterscheiden. In dem
vorliegenden Falle handelt es sich um ein zufälliges Zusammentreffen von Tabo¬
paralyse und Tumor, der die Erblindung bedingte, eine Diagnose desselben war
unmöglich. Autoreferat.
Herr Jolly: Vorstellung zweier Fälle von Paralysis agitans.
I. 32jähriger Patient, vor 2 Jahren mit Kreuzschmerzen erkrankt Jetzt
typische Haltung, allgemeine Starre, Tremor im ganzen gering, Propulsion und
starke Retropulsion. Daneben besteht eine deutliche Sprachstörung; die Sprache
ist undeutlich, verwaschen, erinnert etwas an bulbäre Sprache. Kein Silben¬
stolpern. Pupillen eng, ihre Reaction ist herabgesetzt, Patellarreflexe gesteigert,
starker Fussklonus, kein Intentionszittern, links Babinski. Stimmung euphorisch,
bisweilen auf geringe äussere Veranlassung — aber nie ohne solche — starkes,
unbezwingliches Lachen. Vortr. nimmt an, dass es sich im vorgestellten Falle
um eine Complication von Paralysis agitans mit multipler Sklerose
handelt.
II. 54jähriger Patient, der klinisch das typische Bild der Paralysis agitans
zeigt, aber ätiologisch von Interesse ist. */ 2 Jahr vor Beginn des Leidens Schlag
einer Deichsel gegen das rechte Bein von solcher Stärke, dass Pat. über die
Deichsel hinwegfiel. Eine Contusion des Beines war nach 14 Tagen geheilt, so
dass Pat. seine Arbeit wieder aufnahm. 1 / 2 Jahr später Zittern zuerst im
rechten Bein, dann im linken und dann erst in den Armen. Erst 2 Jahre
nach Beginn des Leidens wurde Pat. arbeitsunfähig. Nachträgliche Meldung des
Unfalles veranlasste mehrfache Begutachtungen. Pat. ist jetzt in der Klinik zur
Begutachtung auf Veranlassung des Reichsversicherungsamtes. Vortr. macht darauf
aufmerksam, dass bestimmte Voraussetzungen gemacht werden müssen, um mit
Wahrscheinlichkeit den Zusammenhang zwischen Trauma und Erkrankung an
Paralysis agitans annehmen zu können; dazu gehört erstens ein gewisser zeitlicher
Zusammenhang und ferner das Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen in
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dem traumatisch afficirten Körpertheil. Beide Voraussetzungen treffen im vor¬
weg teilten Fall zu. Im Allgemeinen sind es jedenfalls innere Ursachen, die die
Kranklieit hervorrufen, die durch das Lebensalter gegebene Disposition, vielleicht
such hereditäre Momente. Das Trauma kann aber als auslösendes Moment wirken.
Discussion:
Herr Oppenheim stimmt bezüglich des ersten durch seine Schwere und das
frühe Lebensalter des Pat. besonders interessanten Falles in der Diagnose mit
dem Vortr. namentlich mit Rücksicht auf die spastischen Erscheinungen überein.
Bezüglich der Sprachstörung fragt es sich, ob sie nicht durch die Schüttellähmung
bedingt ist, da sie sich durch die der Sprache bei Schüttellähmung eigentüm¬
lichen Merkmale auszeichne, das sind Schwäche und Mangel der Modulation. Bruns
hat übrigens einige Male bei Paralysis agitans der bulbären ähnliche Sprach¬
störungen beobachtet. Zwangslacheu kommt wohl bei Paralysis agitans nicht vor.
Herr Remak fragt nach dem Verhalten der Sehnenphänomene an den oberen
Extremitäten, dem Masseterphänomen und nach der Function der Schlingmusculatur.
R. hat eine derartige Sprachstörung bei Paralysis agitans nicht gesehen; er ist
geneigt, dieselbe auf die complicirende Affection zu beziehen. Möglicherweise
handelt es sich um eine Complication mit amyotrophischer Lateralsklerose.
Herr Bernhardt giebt zu erwägen, ob die eigenthümliche Spraohe nicht
anf eine Rindenläsion (ähnlich wie bei Pseudobulbärparalyse) bezogen werden
könnte. B. hat in einem Fall Zwangslachen bei Paralysis agitans beobachtet
(vgl. Eulenburg’s Real-Encyklopädie. 2. Aufl. VIII. S. 96.)
Herr Oppenheim ist nicht abgeneigt, die Sprachstörung auf eine multiple
Sklerose zu beziehen; möglicherweise ist sie aber auch durch Spasmen der Sprach-
musculatur bedingt.
Herr Remak glaubt, dass eine organische Complication jedenfalls vorhanden
ist, und dass die Sprachstörung auf diese zu beziehen sei.
Herr Jolly bemerkt, dass die Sehnenreflexe an den Armen nicht gesteigert
seien. Schluckstörungen bestehen nicht. Was die Sprachstörung angeht, so hält
er gleichfalls für möglich, dass es sich nur um einen besonders hohen Grad der
bei Paralysis agitans öfter beobachteten Veränderungen der normalen Sprache
handelt. Auch multiple Erweichungsherde der Rinde hält J. nicht für aus¬
geschlossen; am wahrscheinlichsten scheint ihm indessen die Combination mit
multipler Sklerose, auf die er dann auch die eigenthümliche Sprache zu beziehen
geneigt ist. Martin Bloch (Berlin).
XX. Congross für innere Medioin in Wiesbaden vom 16.—18. April 1902.
Der 70. Geburtstag v. Leyden’s, auf dessen Anregung die Gründung dieses
Congresses vor 20 Jahren zurückzuführen ist, war für den diesjährigen Verlauf
desselben von Einfluss. Eine Sitzung war als „Leyden-Feier" ausschliesslich dem
Zweck der Huldigung gewidmet, auch beim Festessen war naturgemäss v. Leyden
der Mittelpunkt des Interesses und der Gegenstand ehrender Ansprachen.
In der ersten Sitzung des Congresses referirten Herr Ewald (Berlin) und Herr
F1 e i n e r (Heidelberg): Ueber die Diagnose und Therapie des Magengeschwüres.
Für den Neurologen hat ja wohl nur erstere insofern eine praktische Bedeutung, als sie
bei der Differentialdiagnose der nervösen Dyspepsie, jene crux jedes in der Praxis
rtehenden ArzteB, in erster Linie in Betracht kommt. Im Uebrigen boten die aus¬
führlichen Referate der ersten und die eingehenden Discussionen der zweiten Sitzung
kein specielles Interesse. — In der dritten Sitzung wurde v. Leyden in ausser¬
ordentlich festlicher Weise gefeiert, zum Ehrenmitglied des Congresses, dann
durch den Oberbürgermeister von Wiesbaden, Herrn v. Ibell f zum Ehrenbürger
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520
dieser Stadt ernannt. Naunyn (Strassburg), Hecker (Wiesbaden) und Noth¬
nagel (Wien) hielten ehrende Ansprachen. Die Vorträge selbst hatten bezüglich
des Eindrucks, den manche in qualitativer Hinsicht hätten machen können, sehr
unter ihrer Quantität zu leiden: es waren 63(!) Vorträge angemeldet. Fast alle
wurden „absolvirt“! Indem ich daher den grössten Theil der Vorträge übergehe,
möchte ich nachstehend nur einige erwähnen, die neurologisches Interesse bieten
dürften:
Herr Jacob (Berlin) sprach über die schon früher von ihm bearbeitete medi-
camentöse Duralinfusion.
Als Indicationen kämen in Betracht: Tetanus, syphilitische Processe, acute
und chronische Entzündungen und Degenerationsprocesse. Die Rückenmarks¬
substanz hat grössere Affinität zum Tetanustoxin als die übrigen Körpergewebe.
Thiere erkranken bei Einspritzung des Toxins in den Duralsack schneller als
bei subcutaner Einspritzung. Dem entsprechend sind nach Jacob auch die
Erfolge der Duralinfusion mit Tetanusantitoxin relativ günstig. Jod gelangt
bei innerlicher Darreichung erst sehr spät in das Centralnervensystem. Daher
glaubt Jacob die directe Application desselben vermittelst Duralinfusion bei
Periculum vitae empfehlen zu dürfen. Die Bier'sehe Cocain-Duralinfusion zur
Anästhesirung der unteren Körperhälfte (welche nach 6—8 Minuten eintritt und
s / 4 — l l / 2 Stunde dauert) wird im Allgemeinen nicht, höchstens einmal bei sehr
starken tabischen Krisen, empfohlen.
Herr Hezel (Wiesbaden) stellt einen Fall von infantiler centraler Facialis-
lähm uns vor.
Patientin, jetzt 8 Jahre alt, hat eine rechtsseitige Facialislähmung, welche
alle Aeste, auch den Stirn- und Augenast betrifft. Bemerkt wurde die Läh¬
mung zuerst, als das Kind 3 Monate alt war, beim Schreien. Seitdem ist
sie unverändert geblieben. Cöster (Wiesbaden) constatirte damals Erhaltensein
der elektrischen Erregbarkeit und Fehlen qualitativer Veränderungen derselben.
Auch jetzt ist die elektrische Erregbarkeit ziemlioh gut erhalten und gegen
die gesunde Seite nur wenig herabgesetzt. Die Willkürbewegung des rechten
Facialis dagegen ist mit Ausnahme schwachen und nicht ganz vollständigen
willkürlichen Lidschlusses vollständig aufgehoben. Ebenso fehlen alle psycho-
reflectorischen Bewegungen. Die Reflexe dagegen (Lidreflex, Uvulareflex) sind
deutlich vorhanden. Die Lähmung ist eine schlaffe, der Mund in Folge dessen
nach der linken Seite verzogen. Alle übrigen Hirnnerven (auch der Hypoglossus),
sowie die Extremitäten weisen nicht die geringste Störung auf. Auf Grund dee
vollständigen Mangels der Willkürbewegung bei ziemlich gut erhaltener elek¬
trischer Erregbarkeit und Erhaltensein der Reflexe sowie des Fehlens wesentlicher
Atrophie der rechtsseitigen Facialismusculatur schliesst der Vortr. auf eine centrale
(supranucleäre) Ursache der Lähmung.
Herr Lazarus (Berlin): Die Bahnungstherapie der Hemiplegie.
Die Bahnungstherapie der Hemiplegie (und motorischen Aphasie) besteht in der
compensatorischen Ausnutzung der erhaltenen Leitungswege und in der Ausschleifung
neuer Bahnen. Die Bahnungstherapie findet ihre Grundlage in der anatomisch
und physiologisch festgestellten Thatsache, dass die Pyramidenbahn nicht die
einzige motorische Leitungsbahn darstellt. Ausser ihr existiren noch eine Reihe
von Reservebahnen, welche durch die subcorticalen Ganglien, insbesondere durch
den Sehhügel und die Vierhügel zum Rücken marke herabziehen. Ueberdiee kann
die gesunde Hemisphäre vermittelst der ungekreuzten Pyramidenvorderstrangbahn
für die erkrankte vicariirend eintreten. Alle Ganglienzellen des Gehirns stehen
miteinander in directer oder indirecter Verbindung, welche durch methodische
Uebungen gebahnt werden kann. Die Bahnung besteht in Innervationsübungen
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jede motorische Willenserregung bahnt die Willensbewegung. Man unterscheidet
die Pyramidenbahnung, die Associationsbahnung, die Commissuren- bezw. Balken¬
bahnung. Die Uebungsbehandlung soll bereits möglichst frühzeitig nach Ablauf
des ReactionBstadiums der Apoplexie vorgenommen werden.
In der Discussion spricht Herr Gutzmann (Berlin) über die Behandlung
der Sprachstörungen bei Herderkrankungen und Herr Kohnstamm (Königstein)
über die vom Vortr. nicht erwähnten Leitungsbahnen.
Herr Oscar Kohnstamm (Königstein i/T.): Das Centrum der Speiohel-
secretion (mit Demonstration).
1. Nach Durchschueidung derjenigen Fasern (der Chorda tympani), die sich
vom N. lingualis abtrennen und mit Unterbrechung im Ganglion submaxillare zur
Submaxillardrüse begeben, wurde beim Hunde (Ni ssl-Degeneration) eine Gruppe
von Zellen nachgewiesen, für welche die Bezeichnung Nucleus salivatorius vor¬
geschlagen wird, weil sie als Ursprungszellen der im Gangl. submaxillar. endigenden
„präcellulären“ Fasern angesehen werden müssen.
2. Dieselben liegen zum grösseren Theil gekreuzt, zum kleineren der Operation
gleichseitig. Sie beginnen kurz vor dem caudalen Pol des Facialiskernes und
endigen am frontalen Ende des Kaumuskelkernes (N. trigemini). Die nicht grosse
Zahl dieser Zellen ist über ein weites Areal zerstreut, das medial von der Raphe,
lateral vom Deiters'sehen Kern, dorsal vom Ventrikelboden begrenzt wird. Die
ventrale Grenze liegt ein wenig dorsal von der dorsalen Gruppe des Facialis-
kemes. Die meisten Zellen liegen ungefähr in der Mitte der medialeren unter
den aufsteigenden Schenkeln der Facialiswurzel, also inmitten des Nucleus reti¬
cularis lateralis, einige auch noch im Gebiet des Deiters’schen Kernes.
3. Der Nucleus salivatorius besteht, wie jene Coordinationskerne (Nucleus
reticularis lateralis und Nucleus Deiters), aus grossen Zellen von Vorderwurzel¬
typus (motorischem Typus Nissl’s) und entspricht dem Ursprungskerne der ge¬
kreuzten Facialis- und TrigeminuBfasern im Sinne von Obersteiner und dem von
His auf entwickelungsgeschichtlichem Wege abgegrenzten medialen Antheile des
Nucl. masticatoriüs. Seine Wurzelfasern sind offenbar identisch mit den gekreuzten
Facialisfasern, die in Fällen von Caries des Felsenbeines mit der Mar oh i -Methode
dargestellt wurden (E. Flatau, Wyrubow). Sie verlassen das Gehirn als
Nerv, intermedius Wrisbergii grösstentheils im Vestibularnerven.
4. Der Nucleus salivatorius besorgt die Innervation der Submaxillardrüse.
Die Ursache für die kleine Anzahl der Zellen liegt in einem früher am Beispiel
des Zwerch fellkern es einerseits und der Augenmuskelkerne andererseits erläuterten
Princip: „Die Zahl der Zellen eines Kernes hängt nicht von der absoluten Grösse
der Arbeitsleistung, sondern von der Differenzirung derselben ab“.
5. Hiermit sind zum ersten Mal auf directem Wege Ursprungszellen prä-
cellularer visceraler Nerven und zwar vom Vorderwurzeltypus nachgewiesen.
Trotzdem dürfte die Bezeichnung des aus andersartigen Zellen zusammengesetzten
dorsalen Vaguskernes als Nucleus visceralis medullae oblongatae für andere
Functionen ihre Berechtigung behalten.
6. Der N. intermedius ist ein richtiger motorisch-sensibler Hirnnerv, der mit
dem N. vestibularis ins Gehirn eintritt, seinen sensiblen Antheil ins Solitärbündel,
seinen motorischen in den Nucleus salivatorius sendet. Autoreferat.
Herr Julius Müller (Wiesbaden): Bin Fall von multipler tropho-
neurotisoher Hautgangrän (Demonstration).
Fälle dieser Art sind bis jetzt sieben beschrieben, der letzte von Joseph
(Archiv für Dermatologie. 1895). Die Krankengeschichte der vorgestellten
Patientin: Vor 3 Jahren Verbrennung mit heissem Wasser am rechten Unter¬
schenkel. Seit dieser Zeit cyklisches Auftreten von etwa 40 gangränösen Stellen
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von Einmarkstückgrösse bis Fünfmarkstückgrösse, ausschliesslich auf der Streck¬
seite des rechten Beines bis zur Inguinalbeuge. Bis zur vollkommenen Gangrän¬
bildung ist nur ein Zeitraum von 7—8 Stunden erforderlich. Die neurologische
Untersuchung (Dr. Cöster-Wiesbaden) ergab: Hochgradig gesteigerte Patellar-
reflexe beiderseits, Fussclonus, Schwäche im rechten Bein, angedeutet Peroneus¬
lähmung, Störungen der Sensibilität (Hyperästhesie, auch eine Hypalgesie auf der
anderen Seite.) Differentielldiagnostisch kamen in Betracht in erster Linie Arte-
facte auf hysterischer Basis, Herpes Zoster gangraenosus recidivus. Es handelt
sich, da diese Krankheiten ausgeschlossen werden konnten, darum, ob es sich um
eine periphere Trophoneurose, ausgehend von der Verbrennungsstelle, oder, wie die
neurologische Untersuchung eventuell vermuthen lässt, um eine centrale Störung
— Syringomyelie handelt Für ersteres spricht in hohem Maasse der bisherige
klinische Verlauf. Autoreferat.
Herr Gutzmann (Berlin): Zur Frage der gegenseitigen Beziehungen
zwischen Bauch- und Brustathmung.
Während bei den bisherigen derartigen Untersuchungen mit Absicht will¬
kürliche Veränderungen der Athmung nach Möglichkeit ausgeschlossen wurden
(Mosso untersuchte sogar schlafende Personen), hat Vortr. seine Aufmerksamkeit
gerade auf die willkürlichen Veränderungen der Athmung gerichtet. Die Unter¬
suchungen wurden mittels des Gutzmann-Oehmcke’schen Gürtelpneumographen
vorgenommen. Der Moment der wirklichen In- und Exspiration wurde mittels
einfacher Versuchsanordnung über die Brust- und Baucbcurven geschrieben. Vortr.
demonstrirt die gewonnenen Curveu. Bei gesunden Personen geschieht die In-
und Exspirationsbewegung am Thorax und Abdomen meist ziemlich gleichzeitig,
die thoracale Bewegung scheint durchschnittlich etwas früher einzusetzen. Dies
Bild ändert sich sofort, wenn die Personen sprechen. Dann zeigt sich in der
Bewegung der Bauchathmung bereits Exspiration, während der Thorax noch an¬
steigt und erst nach durchschnittlich einer Secunde die höchste Inspirationsstellung
erreicht. Aus diesen Verhältnissen geht hervor, dass die willkürliche Beeinflussung
der Athmung durch den Sprechvorgang der thoracalen Athmungsbewegung das
Uebergewicht über die Abdominalbewegung verleiht. Bei gewissen Störungen der
Sprache (motorischer Aphasie, Taubstummheit, Stottern) und bei psychischer
Alteration zeigen sich dagegen die zeitlichen Verhältnisse in den Curven während
des Sprechens ebenso wie während der Ruheathmung. Autoreferat.
Herr Goebel (Bielefeld) spricht über Versuche einer Serumtherapie der
Basedowschen Krankheit, welche er, unabhängig von Lautz und Burg¬
hardt, seit Januar 1901 angestellt hat. Es wurde anfänglich der Kranken die
Milch einer der Schilddrüse 5 Monate vorher beraubten Ziege gegeben. Eine
Cachexia strumipriva ist bei dieser bis jetzt nicht eingetreten, nur eine abnorme
Wildheit Hess sich feststellen. Vortr. erörtert die Möglichkeit einer günstigen
Wirkung der 7 Monate lang dargereichten Milch. Seit 6 Wochen hat die Kranke
auch das Serum dieser Ziege, dreimal täglich einen Theelöflel, bekommen. Es
war bei der letzten Untersuchung das Graefe’sche Symptom verschwunden. Der
Puls war von 120 auf 66 gesunken. Immerhin möchte Vortr. noch nicht von
objectiven Besserungen in Folge des Serums sprechen, dagegen ist subjectiv nach
den Angaben der sehr intelligenten Patientin, die von dem Wesen der Medicin
natürlich nichts ahnt, Besserung des Appetites, der Leistungsfähigkeit wohl
zu erkennen. Während Lautz bei seinem Versuche von der Annahme aus-
gegangen war, es entstünden im schilddrüsenlosen Thierkörper Stoffe, die das Base¬
dow’sehe Gift binden oder neutralisiren, ist Vortr. von anderen Voraussetzungen
ausgegangen. Die Basis derselben bildet natürlich die Moebius’sche Auffassung
von dem thyreogenen Ursprung der Basedow’sehen Krankheit. Die Ver-
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schlimmerungen dieser Krankheit bei Joddarreichung, die Besserung von Myxödem
durch Schilddrüsentabletten Hessen Vortr. vermuthen, es möchte die organische
Jodverbindung Baumann’s, das Jodothyrin, in der Schilddrüse des Basedow¬
kranken übermässig producirt werden und die Störungen hervorrufen. Dieses
Jodothyrin bildet sich wahrscheinlich aus der zugeführten Nahrung. Wenn die
Schilddrüse das einzige Organ ist, welches diese Jodverbinduug producirt, so
kann letztere in dem schilddrüsenlosen Thierkörper nicht mehr entstehen und es
wird vielleicht auch die Milch dieses Thieres weniger Jod enthalten, so dass der
Basedowkranke durch den Genuss dieser Milch weniger Jod aufnimmt und weniger
Jodothyrin produciren kann. Bezüglich der Wirkung der kleineren Mengen von
Serum möchte Vortr. doch annehmen, dass das Serum eine Wirkung derart her¬
vorruft, dass das Basedowgift nicht mehr in Uebermaass producirt werden kann. —
Die Mittheilungen von Moebius auf der Psychiaterversammlung zu Jena im
October 1901 bleiben nicht unerwähnt.
Herr Alexander v. Poe hl (St. Petersburg): Der Ersatz der intravenösen
Koohsalsinfusionen durch Klysmen aus künstlicher physiologischer Salz¬
lösung.
Ein Salzgemisch, welches die Carbonate, Chloride, Sulfate und Phosphate
von Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium in denselben quantitativen Ver¬
hältnissen enthält, wie wir sie im Blutplasma finden, nennt Vortr. „das physio¬
logische Salz“. Das sehr hohe osmotische Vermögen solcher Salzlösungen ent¬
spricht dem elektrischen Leitungsvermögen derselben. Die Beobachtungen am
Krankenbette stehen mit den Laboratoriumsuntersuchungen im Einklänge:
Dr. Ljubmudroff hat beim Sinken der Herzthätigkeit in Fällen von Typbus,
Erysipel und Scharlach constatiren können, dass die Kochsalzinfusionen, intra¬
venöse wie auch subcutane, durch einfache Bleibeklystiere aus physiologischer
Salzlösung sich mit Erfolg ersetzen lassen. Zu den gleichen Resultaten ist auch
Dr. v. Unterberger gelangt. Es ist verständlich, dass die Einführung einer
solchen in so hohem Grade zur Ionenbildung befähigten Salzlösung osmotische
Spannung in den Gewebssäften bedingt und damit unter Umständen die Herz¬
thätigkeit erleichtert. Vortr. schlägt vor, zur therapeutischen Einführung von
Jod und Brom in gewissen Fällen Clysmen zu verwerthen, in welchen die Chlo¬
ride des physiologischen Salzes durch Jodide (Sal physiologicum jodatum) bezw.
durch Bromide (Sal physiologicum bromatum) in äquivalenten Mengen ersetzt
sind. Klinische Versuche in dieser Richtung werden ausgeführt.
Nach Autoreferat.
Herr A. Hoffmann (Düsseldorf): Giebt es eine aoute Erweiterung des
normalen Herzens P
Die widersprechenden Angaben (namentlich neuerer Beobachter) über das
Auftreten acuter Vergrösserungen des normalen Herzens, welche ebenso rasch
verschwinden sollen, veranlassten den Vortr., eine grössere Anzahl von Personen,
welche sich der angeblichen Ursachen dieser acuten Herzerweiterung auBgesetzt
hatten, einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Die Untersuchungen
wurden mit einem von dem Vortr. construirten Apparat zur Untersuchung des
Herzens mit Röntgenstrahlen ausgeführt. Der Apparat, welcher wie der von
Moritz u. A. angegebene auf dem Princip beruht, dass Lichtquelle und Schreib¬
stift bei jeder Lage des letzteren einander gegenüberbleiben und somit wie der
Orthodiograph von Moritz, den älteren Apparaten von Grunmach und Levy-
Dorn gleiche Vortheile bietet, hat nebenbei die Einrichtung, dass die Punkte
und Linien der Körperoberfläche durch kreuzweise verschiebbare Metalldrähte
direct auf dem Röntgenbilde markirt werden und so gleichzeitig mit dem Herz-
contur aufgeschrieben werden können. Die vorgenommenen Untersuchungen haben
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nun in keinem einzigen Falle eine irgendwie bedeutende Vergrößerung des Herzens
nach Anstrengung und Alkoholgenuss, sowie bei acuten Krankheiten erkennen
lassen. Unter diesen Fällen waren einzelne (welche vom Vortr. näher mitgetheilt
werden), die schwere Schädigungen des Herzrhythmus beobachten Hessen, ohne
dass auch die geringste Dilatation während dieser Zeit sich nachweisen Hess.
Die Fehlerquelle, durch welche eine Dilatation des Herzens vorgetäuscht werden
kann, sieht Vortr. im Hochstand des Zwerchfelles bei cor mobile, in einer ver¬
stärkten Aotion des angestrengten Herzens und einer damit verbundenen Hyper¬
diastole, sowie auch unter Umständen im Herabsinken des Zwerchfelles durch Ein¬
tritt des Lungenemphysem, wobei der Spitzenstoss tiefer wandert. Ein Theil der
früher mitgetheilten Beobachtungen von acuter Herzdilatation beruht auf fehler¬
haften Untersuchungsmethoden, so der Bazzi-Bianchi’schen Friotionsmethode,
welche keinerlei sichere Resultate nach den eingehenden Untersuchungen des
Vortr. giebt (so wenig wie nach den meinigen auf der Hamburger Naturforscher-
Versammlung dargestellten. Ref.) Es muss demnach die acute Herzdilatation
als ein mindestens seltenes Vorkommniss bezeichnet werden und muss den Mit¬
theilungen darüber eine besondere Skepsis entgegengebracht werden.
Herr Hermann v. Schrötter (Wien): Ueber Veränderungen des Rücken¬
markes bei Pemphigus und über die Pathogenese dieser Erkrankung.
Die Erkrankung setzte bei einer 59 jährigen Frau plötzlich mit Affectionen
der Schleimhaut ein, um alle Stadien des Pemphigus bis zum schweren Bilde des
Pemphigus foliaceus zu durchlaufen. Tod nach 3 Monaten. Im ganzen Rücken¬
marke fand sich eine Vermehrung der Ependymzellen um den Centralcanal herum,
mit stellenweiser Verlegung des Canales und Lockerung des Gewebes. Im oberen
BruBtmarke war Spaltbildung und capilläre Hämorrhagieen besonders im Bereiche
der grauen Substanz eingetreten.
In der Discussion berichtet Herr v. Leube (Würzburg) über einen Fall
von Pemphigus, der bei einer Hemiplegie im Verlauf eines Typhus bei einer
^ a /zJälurigen Patientin aufgetreten war. Lilienstein (Bad Nauheim).
8ooiötö de neurologle de Paris.
Sitzung vom 6. Juni 1901.
(Schluss.)
Herr Raymond und Herr Cestan: Oedem der linken Hand und des
Vorderarmes bei einer Hysterisohen (mit Krankenvorstellung). Die vor¬
gestellte Kranke ist ein 14jähriges Mädchen, einziges Kind von gesunden, nicht
nervösen Eltern. Geboren unter normalen Verhältnissen, hat weder Meningitis
noch Convulsionen gehabt. Scharlach mit 6 Jahren, Masern im 11., Wasser¬
blattern im 12. Jahre. Hat nie ausserhalb Frankreichs gelebt. Ist sehr nervös
und empfindlich. Seit ihrer Kindheit Nachtwandlerin und leidet an kleinen
hysterischen Anfällen, in Folge von freudigen und peinlichen Aufregungen: Gefühl
von Zuschnüren des Halses, von Erstickung, Zittern der Hände und am Schluss
Weinkrampf. Ende Januar 1901 bekam sie ein schmerzhaftes Panaritium am
Rücken des linken Zeigefingers, welches aufgeschnitten werden musste. Kurze
Zeit darauf ein zweites ebenfalls sehr schmerzhaftes Panaritium am Ringfinger
derselben Hand. Trotzdem diese Panaritien sehr schmerzhaft waren und ziemlich
lange gedauert haben, waren dieselben weder von Fieber noch von Drüsen¬
schwellungen noch von Oedem begleitet. Anfang April entstand aber ohne jede
Veranlassung eine starke Anschwellung des linken Handrückens. Die Haut war
daselbst bläufich gefärbt, kalt und auf Druck sehr schmerzhaft. Der Druck mit
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dem Finger auf die Schwellung hinterliess keine Delle. Die Hand war weder
gelähmt noch contracturirt. Der Allgemeinzustand war vorzüglich und ob bestand
kein Fieber, keine Drüsenachwellungen, kein Prickeln, kein Stechen in der ödema-
tösen Stelle. Es wurde vom Arzt ein compressiver Verband angelegt, aber trotz¬
dem griff die Schwellung um sich und verbreitete sich vom Handrücken auf den
Vorderarm. Die Haut über dem Oedem wurde bald weiss, die Hand contractu-
rirte sich in Beugestellung mit eingeschlagenem Daumen. Es stellte sich eine
absolute Empfindungslosigkeit des Armes ein. An der Stelle, wo der Verband
aufhörte, bildeten sich um den Vorderarm herum phlyctenenartige Bläschen. Und
da das Oedem immer höher kroch, wurde der Verband immer höher angelegt
und jedes Mal bildeten sich am Rande des Verbandes die erwähnten Phlyctenen.
Ein Chirurg war sogar im Begriff operativ einzuschreiten. In Anbetracht aber
des eigenthümlichen Verlaufes des Leidens wurde beschlossen, die Kranke zu¬
nächst in die Salpetrige zu schicken, wo man die Krankheit als hysterisches
Oedem der linken Hand diagnostioirte. Bei der Untersuchung fand man weisses,
straffes, schmerzloses Oedem am Handrücken und an den zwei unteren Dritteln
des Vorderarmes. Am Vorderarm waren ausgesprochene trophische Störungen der
Haut vorhanden. Zunächst eine Reihe von circulär gelegenen bräunlichen Narben,
die das successive Fortschreiten des Oedems bezeugten. Am oberen Rande des
Oedems war eine starke Einschnürung der Haut. Die bläuliche Verfärbung der¬
selben an dieser Stelle und das Vorhandensein daselbst von pemphigusartigen
kirschkerngroBsen Bläschen waren die unverkennbaren Zeichen einer drohenden
Hautnekrose. An den Nägeln war nichts Abnormes wahrzunehmen. Die
Panaritien am Zeigefinger und am Ringfinger waren vernarbt, die Narben
schmerzlos, etwas ödematös, aber absolut frei von Eiter. Die Hand war in starker
Beugecontractur, die Finger ebenfalls flectirt, der Daumen eingeschlagen. Die
Temperatur am linken Handrücken war 32, am rechten 28°. Die Drüsen am
Ellenbogen und in der Achselhöhle normal. Die Sehnenreflexe an der Hand und
am Ellenbogen ebenfalls normal. Ueber dem ganzen Oedem ist die Haut voll¬
ständig anästhetisch für Tast-, Schmerz- und Temperatursinn. Am übrigen Theil
des Armes ist die Sensibilität vorhanden. Ausserdem an der Haut des Oedems
ausgesprochener Dermographismus. Der allgemeine Zustand der Kranken war ein
ausgezeichneter. Im Harn kein Eiweiss. Hypüsthesie an der ganzen linken
Körperhälfte. Der Geschmack abgeschwächt an der linken Zungenhälfte. Das
linke Sehfeld verengt um 50° und Mikromegalopsie daselbst Schliesslich hysterische
Ovarialpunkte auf beiden Seiten. Nach der ersten Anwendung während einiger
Minuten von Elektricität von hoher Frequenz, kehrte die Sensibilität an der Haut
der ödexnatÖ8en Hand wieder zurück. Nach einem dritten Versuch von Suggestion
in wachem Zustande wurde auch die Contractur der Hand bewältigt. Es wurde
dann constatirt, dass die forcirte Flexion der Finger Schrunden in den Falten
der Haut hervorgebracht hatte, die schmerzhaft waren und eine Steigerung der
Contractur zur Folge haben mussten. Es bestanden gleichzeitig Gelenkschmerzen
in den Fingern und im Handgelenk. Nach dem Unterlassen des Compressiv-
verbandes verschwand das Oedem ziemlich rasch am Vorderarm. Dagegen das
Oedem an der Hand ging nur allmählich und nur theilweise zurück. Zum Theil
besteht dasselbe noch jetzt. Die trophische Störung am Rande des Oedems des
Oberarmes endete mit Hautnekrose, die jetzt auf dem Wege der Heilung ist.
Der Fall bietet somit ein prägnantes Beispiel von hysterischem Oedem.
Discussion:
Herr Joffroy hat ein 14jähriges hysterisches Mädchen beobachtet, welches
an Parese der rechten oberen Extremität litt mit Schmerzen in den Gelenken,
Hypästhesie der Haut und starkem Oedem der Hand, die kalt und blau war«
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Sein Fall, glaubt er, sei insofern dem eben vorgestellten ähnlich, als auch bei
seiner Kranken in Folge von ganz unbedeutenden Traumen die Haut sich excoriirte.
Er hat in kurzer Zeit das Oedem dadurch zum Verschwinden gebracht, dass er
den Arm senkrecht in die Höhe halten liess. Auch die motorischen und Sensi¬
bilitätsstörungen verschwanden ziemlich rasch.
Herr Etienne (Nancy) hat zwei interesante Fälle von vorübergehendem
hysterischem Oedem der Hand beobachtet. In beiden Fällen trat das Oedem am
Anfang der Menstruation ein und verschwand nach einigen Tagen mit dem Auf¬
hören derselben.
Herr Raymond hebt hervor, dass, was seinen eben mitgetheilten Fall
interessant macht, ist, dass man im Begriffe war die Kranke einer Operation zu
unterziehen. Die günstige Wirkung der Elektricität ist in diesem Fall entschieden
einer Suggestion zuzuschreiben.
Herr Jean Heitz und Herr Xavier Bender: Ein Fall von Jaok-
son’scher Epilepsie, die mit conjugirter Drehung des Kopfes und der
Augen begann. Eekropsie (Demonstration anatomischer Präparate). (Der Fall
wird in der Revue neurologique in extenso erscheinen.)
Herr Georges Aubry: Perineuritis in Zusammenhang mit Lungen*
tuberoulose. Vortr. hat bei einem 51jährigen chronischen Phthisiker Sensi¬
bilität«- und motorische Störungen beobachtet, die er als Folge einer tuberculösen
Polyneuritis deutet. Diese Störungen haben langsam mit Prickeln und Schmerzen
zunächst im rechten Bein begonnen; allmählich gingen die Schmerzen bis in die
rechte Hand, dann in den rechten Arm und in die rechte Schulter. 5 Tage
später traten Schmerzen im linken Bein auf und dann in der ganzen linken
Körperhälfte. Vortr. sah den Kranken einige Tage nach dem Beginne dieser
Erscheinungen und fand vollständige schlaffe Paraplegie. Auch die Sphinkteren
waren ab und zu gestört. Die Patellarreflexe sind lebhaft, aber kein Fussklonus.
Die elektrische Untersuchung der Muskeln ergiebt Abschwächung der galvanischen
und faradischen Reizung, besonders in der antero-externen Muskelgruppe des
Unterschenkels. Die Palpation der Muskeln ist schmerzhaft, ebenso der Druck
au den Austrittsstellen der Nerven. Das Lasegue’sche Zeichen ist in prägnanter
Weise vorhanden. Objective SensibilitätsstÖrungen: die rechte Körperhälfte, Kopf
inbegriffen, ist vollständig anästhetisch. An der linken Körperhälfte ist nur Hyp-
ästhesie wahrzunehmen. Nichts an den Augen. Das Schlucken ist normal. Die
Athmung beschleunigt. Geschmack und Geruch normal. Gehör links normal,
rechts etwas vermindert. An den Lungen Cavernen. Im Sputum Tuberkel¬
bacillen. Die eingeleitete Therapie bestand in allgemeiner roborirender Behand¬
lung, Licht, Luft, kräftigende Nahrung, pointes de feu (Wo? Ref.) und Natrium
cacodylicum in Einspritzungen unter die Haut. Die Schmerzen Hessen rasch nach
und man konnte bald Elektricität und Massage anwenden. Die Lähmungen ver¬
schwanden ziemlich rasch und nach einem Monat konnte der Kranke allein und
ohne Unterstützung gehen. Auch die Sensibilitätsstörungen, die objectiven ebenso
wie die subjectiven, verschwanden. Vom Lasegue’scheu Zeichen (Schmerzen im N.
ischiadicus bei Beckenflexion des gestreckten Beines, Ref.) keine Spur mehr. Vortr.
discutirt die Diagnose und verwirft Hysterie und Poliomyelitis. In Anbetracht der
raschen Heilung nimmt er Perineuritis multiplex wahrscheinlich tuberculöser
Natur an.
Herr Levi: Beiträge zum Studium des Ursprungs der Myopathieen.
Die Sehnenreflexe bei Myopathieen (KrankenVerstellung). — Herr A. Thomas
und Herr G. Hauser: Beiträge zum Studium der pathologischen Anatomie
der Myelitis syphilitica. (Diese beiden Mittheilungen werden in der Revue
neurologique in extenso erscheinen.)
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Herr Touche (Brövannes): Schmerzhafte Paraplegie bei Carcinom-
kranken (Demonstration anatomischer Präparate). Eine 55jährige Frau hatte
vor 6 Jahren eine Geschwulst in einer Brust. Diese Geschwulst wurde gleich
beim Beginne entfernt. Seitdem kein Recidiv in der Narbe, keine Drüsen¬
schwellung in der Achselhöhle. Seit einigen Monaten klagte die Kranke über
Halbgürtelschmerzen an der Basis des Thorax und im Hypochondrium der rechten
Seite. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus konnte sie noch allein stehen und
gehen. Kurze Zeit darauf klagte sie über Schwere in den Beinen, die ihr wie
angenagelt an den Boden schienen. Status präsens am 25. Juli 1900: Der
Schmerz an der Thoraxbasis ist sehr heftig. Während der Verdauung ist der
Leib sehr aufgetrieben. Die Bewegungen in der linken unteren Extremität sind
vollständig aufgehoben. Rechts sind Bewegungen nur im Fussgelenke und in den
Zehen möglich. Der Tast- und Schmerzsinn sind sehr vermindert, fast aufgehoben
in beiden unteren Extremitäten und am Rumpf bis zu einer transvereSlen Linie,
die vierfingerbreit über dem Nabel verläuft. In der linken unteren Extremität
ist der Patellarreflex und der plantare Hautreflex sehr gesteigert, Fussklonus und
Babinski’scher Zehenreflex, ln der rechten Extremität ist der Patellarreflex und
plantare Hautreflex aufgehoben. Etwas Fussklonus und Babinski’scher Reflex
sind vorhanden. Incontinenz der Blase und hartnäckige Verstopfung. Am
5. August: Das linke Bein ist ödematös in Abduction mit gebeugtem Schenkel
und Knie. Patellarreflex lebhaft. Fussclonus und Babinski vorhanden. Plautar-
reflex verschwunden. Im rechten Bein Patellarreflex und Plantarreflex abwesend.
Fussklonus und Babinski vorhanden. Vollständige Lähmung und complette An¬
ästhesie. Das Bewusstsein ist fast vollständig benommen. Der Nacken ist ge¬
streckt. Das Gesicht ist nach links gewendet, jedoch keine Deviation des Kopfes
und der Augen. Starker Trismus. Der Muskeltonus in den oberen Extremitäten
ist verstärkt. Handreflexe gesteigert. Unwillkürliche choreaartige Bewegungen in
den oberen Extremitäten. Decubitus am rechten Ischion. Exitus am 8. August.
Nekropsie: Carcinomatöse Pachymeningitis auf der rechten Hälfte des ganzen
achten Brustsegments. Die achte vordere und hintere Wurzel sind comprimirt
und von carcinomatöser Masse durchdrungen, die Dura mater ist infiltrirt und um
das Fünffache verdickt. Das Rückenmark ist ebenfalls betroffen und lässt sich
schwer härten. Die ganze Oberfläche des Durchschnittes sieht alterirt aus.
Herr Touche (Brevannes): Spontane Ftosis bei Erhaltung des Vermögens
willkürlich das Augenlid zu heben (Demonstration anatomischer Präparate).
Fall I. 60jähriger Mann wurde vor 3 Monaten unter Bewusstseinsverlust hemi-
plegisch. Die Bewusstlosigkeit dauerte 3 Tage. Complette Aphasie mit Wort¬
taubheit während 2 Monaten. Tactile Hemianästhesie und Hemianalgesie während
des apoplektischen Anfalles. Nach 2 Monaten konnte der Kranke wieder gehen.
Statu8 praesens (März 1900): Der Kranke hält den Kopf etwas nach hinten.
Er scheint mit Mühe die Augenlider offen zu behalten, besonders das rechte.
Jedoch kann der Kranke, wenn er darauf achtet, ganz gut die Augen öffnen.
Die Bewegungen der Augäpfel sind beschränkt. Das rechte Auge kann nach
innen gar nicht bewegt werden. Die Bewegungen nach oben und nach unten
sind von nystagmusähnlichen Zuckungen begleitet. Die Beweglichkeit nach aussen
ist normal. Die Bewegungen des linken Auges sind nach allen Richtungen be¬
schränkt. Das Sehfeld ist nicht eingeschränkt. Miosis, jedoch normale Pupillen-
reaction. Keine manifeste Facialisparalyse, jedoch sind die Muskelcontractionen
auf der rechten Gesichtshälfte bei Bewegungen weniger energisch als die der
linken Gesichtshälfte. Die Zunge kann nicht aus dem Munde herausgestreckt
werden. Auch die Lateralbewegungen der Zunge im Munde sind sehr beschränkt.
Gaumensegelbewegungen normal. Keine Dysphagie vorhanden. Blepharospasmus
(klonischer) im rechten Auge bei Bewegungen der Gesichtsmuskeln. Der Kranke
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spricht langsam. Scheint Schwierigkeiten zu haben die Worte zu finden, besonders
die Hauptwörter. Er versteht alles, was man ihm sagt. Benutzt oft die Worte
der Frage zur Antwort. Leichter Grad von Dysarthrie. Der Kranke liest und
schreibt perfect, nur ist die Schrift etwas zittrig. Die rechte Hand kann alle
Bewegungen ausführen. Die Contractur ist im Ellenbogen und im Schultergelenk
localisirt. Der Kranke geht mit kleinen Schritten, mit steifem Rücken, den Kopf
nach links gesenkt. Der rechte Patellarreflex ist gesteigert. Keine Sensibilitäts¬
störungen. Im November 1900 Exitus nach einem neuen Schlaganfall mit links¬
seitiger Hemiplegie. Obduction: Frische Blutung in der Gegend des rechten
Thalamus opticus. Der Bluterguss hat die Ventrikel erweitert. In der linken
Gehimhemisphäre findet man auf einem Horizontalschnitt, der durch den obersten
Theil des Thalamus gemacht wurde, einen hämorrhagischen Herd, der genau auf
der Höhe des Knies der inneren Kapsel sitzt. Weiter nach unten verdünnt sich
dieser H&d und schneidet den Thalamus schräg durch vom Knie der inneren
Kapsel bis auf 2 mm weit entfernt vom 3. Ventrikel, unmittelbar vor dem
Pulvinar. Die Blutung hat somit den vorderen Theil des Thalamus förmlich
sectionirt.
Fall H. Eine an chronischem Rheumatismus leidende Frau fühlte sich
plötzlich eines Morgens schlecht. Sie erbrach ihr Frühstück, war agitirt und
taumelte beim Gehen. Man glaubte zunächst, sie sei betrunken. Bei der Unter¬
suchung (3 Stunden nach dem Beginne dieser Erscheinungen) waren keine Läh¬
mungen zu constatiren. Die Patellarreflexe waren normal. Keine Sensibilitäts¬
störungen. Die Kranke ist bei vollem Bewusstsein. Sie versteht alle an sie
gerichteten Fragen, nur ist die Sprache unarticulirt. Es besteht starke Dysarthrie,
aber keine Spur von Aphasie. Die Zunge ist fast vollständig gelähmt; nur einige
Lateralbewegungen der Zunge sind noch möglich. Es besteht vollständige Ptosis
links und unvollständige rechts, aber auf Befehl kann die Kranke in ganz nor¬
maler Weise die Augen ganz weit öffnen. Sobald sie aber nicht darauf achtet,
so schlieBsen sich die Augen allmählich wieder. Es besteht fast vollständige
Augenmuskellähmung. Die gleichzeitige Bewegung beider Augen nach rechts und
nach links ist vollständig aufgehoben. Die Bewegungen nach oben und nach
unten sind kaum angedeutet und mit nystagmusartigen Zuckungen verbunden.
Die Pupillen Bind von mittlerer Weite und reagiren gut auf Schmerz. Exitus
b Stunden nach dem Beginne der Erscheinungen in vollständig comatösem Zu¬
stande. Autopsie: Frische und ausgiebige Blutung im Kleinhirn. Die Blutung
ging von den Arterien des rechten Corpus dentatum aus und verbreitete sich
nach der oberen Fläche des Kleinhirns. Der obere Wurm ist nach links gedrängt
und zerfetzt. Die Blutung gelangte bis in den 4. Ventrikel.
Herr Boinet (Marseille): Ueber athetotisohe Bewegungen bei Tabes
dorsalis. — Herr Destarac (Toulouse): Tortioolia spasmodioa und functio-
nelle Spasmen. (Diese beiden Mittheilungen werden in der Revue ueurologique
erscheinen. R. Hirschberg (Paris).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vbit & Coup, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittio in Leipzig-
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Diese seit dem Jahre 1855 bestehende, mit den Fortschritten der Wissenschaft wie
den Anforderungen der Zeit stetig weiterentwickelte Anstalt, inmitten grosser Gärten,
ui den anmnthigen Parkanlagen der Stadt gelegen, nimmt kranke Damen wie Herren auf
and bietet neben dem Comfort der gebildeten Stände alle Hilfsmittel der Behandlung
and Pflege von Kranken. Besondere Sorgfalt wird auf die Trennung der leichten, resp.
Nervenkranken von schweren Krankheitsformen, sowie auf die Tbeilnahme der Patienten
am Familienleben nnd an regelmässiger Beschäftigung gewendet. Verschiedene getrennte
Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Rücksicht auf individuelle
Anforderungen und werden die ärztlichen Bemühungen durch ein zahlreiches gebildetes
Beamtenpersonal unterstützt. — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
Fälle von Nerven- nnd Gemütskranken im jugendlichen und kindlichen Alter ist inner¬
halb der Anstalt ein methodisches
W ärztliche* Pädagogium
eingerichtet, in welchem eigene Lehrer für die hauptsächlichsten Lehrgegenstände —
Gymnasial- und Realschulfächer — nnd ausserdem Instrnctoren für Handfertigkeiten,
mechanische, artistische, and körperliche Uehnngen angestellt sind, am regelmässigen
Unterricht zu erteilen und die geistige und sittliche Entwicklung der Zöglinge neben
den Aerzten zu überwachen und zu fördern.
Prospecte über die Heilanstalt wie das Pädagogium sind zu erhalten von
Dp. KaMbaum.
St. Gilgenberg bei Bayr e uth.
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für nerven- und gemütskranke Herren.
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Herabminderung der Harnsäureproduction (bedeutungsvoll u. a. für Epilepsie!), hoher
Lecithingehalt (wichtig bei Neurosen aller Art. besonders Neurasthenie!). Ronorat bewirkt
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4. bei Hemlkranie und Neuralgien;
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Durch Valyl werden die Blutwallunyen und Scheuerten im Unterleibe und regelmässig auch die be¬
stehenden Kopfschmerzen beseitigt, mitunter auch die zu starken Blutungen verringert.
6. bei Beschwerden des Klimakteriums (Ausfallerscheinungen) und während der
Gravidität (Wallungen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herzklopfen werden
durch Valyl auch bei Patientinnen mit normaler Menstruation beseitigt.
Doeinwg: Jede Valylltapsel enthalt 0,126 gr ValyL Die Durchachnittsdosls betrögt 2 bis
8 Kapseln 2 bis 8 mal täglich.
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Suppe, Bouillon oder dergleichen zu reichen. Gelegentliches Aufstossen nach dem Nehmen dee Medlcamentee
kann dadurch verhindert werden, dass man dem Patienten 10 Minuten vorher eine Messerspitze Natrium
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19027 16. Juni. Nr. 12.
I. Originalmittheilungen. 1. Ein neuer Beitrag zur pathologischen Anatomie der amyo*
tropbischen Lateralsklerose, von Dr. Arthur von Sarb6, Univereitätsdocent. 2. Ueber den
directen ventro-Uieralen Pyramidenstrang, von Dt. Willian 6. 8piller. S. Ueber Kotbbrechen
während des Status epilepticos, von Dr. med. H. Götze. 4. Spinal-neuritische oder royopathische
Muskelatrophie? Von Dr. Toby Cohn. (Schluss.)
n. Referate. Anatomie. 1. Ueber den Hämatoiylinchromlack als Mittel zur Färbung
des Azencylindera, von Falemtaln. — Experimentelle Physiologie. 2. Quelques non*
veDes contributions ä Fötude des localisations mödnllaires, par Parhon ct Goidstein. 3. Zur
Frage der Funktion der Pyramiden beim Menschen, von Pllcz. 4. Ueber die functionelle
Bedeutung der Pyramiden bahn, von Rothaut na. 5. Atrofie eerebrali eperimentali, del B’Abunda.
— Pathologische Anatomie. 6. Degenerations following a traumatic leeion of the spinal
eord; with an aeconnt of a tract in the monal region, by Stewart. 7. Zur pathologischen
Anatomie der posttrmnmatisohen Erkrankungen des Rückenmarks, von Lohrisch. 8. Ueber
Veränderungen des Rückenmarks bei Diphtherie, von Utchida. — Pathologie dee Nerven¬
systems. 9. Beitrag zur Histologie und Pathogenese der amyotrophi sehen Lateralsklerose,
von Czyhlarz and Marburg. 10. Un cas d’amyotrophie progressive d'origine tranmatique, par
Sane. 11. Ueber eine eigentümliche Form von progressiver Muakelatrophie nach Trauma,
von Rate. 12. Ueber das Tibialisphänomen and verwandte Mnskelsynergieen bei spastischen
Paresen, von Strümpell. 16. Die Segmentdiagnose der Rückenmarkeerkrankungen, von Bruns.
14. Zar Segmentdiagnoee der Rückenmarksgeschwülste, nebst einem nenen durch Operation
geheilten Fall, von Krause. 15. Ueber ein selten mächtig entwickeltes Qlioma earcomatodee
des Rückenmarks, von Fischer. 16. Ein intradurales Endotheliom im Bereiche der obersten
Hslssegmcnte, von Schiagenhaufer. 17. Utbredt sarkom i ryggmarvens tynde hinder, äf
Muteten. 18. Ein Sacraltumor von hirnartigem Ban, von Borst. 19. Ein Fall von Abeoesa
dee Rückenmarks nebst retrobulbärer Neuritis, von SilfvasL 20. L’econlement du liquide
olrfbro-spinal par la fistule clphalo-rachidienne en conditione normales et sous Finflnence de
quelques mAdiesments, par Cappellettl. 21. Ueber einen Fall von Abfluss colossaler Mengen
von Oerebrospiealflüsaigkeit nach Röokenmarksverletzug, von Giss. 22. Le liqnide cdphalo-
raehidien apres la rachicocalnisation, par Revaut et Aubourg. 28. Da cytodiagnosis du liqnide
elphalnrachidiea obes l'enfant, par Mtry et Babonnelx. 24. Ponction sacro*lombaire, par
CUpault. 25. Ueber die pathologischen Veränderungen, welche in dem Centrainervensvstem
von Thieren dnreb die Lumbalponction hervorgerufen werden, von Ossipow. 26. AnalgAsie
par iajection sena-arachnoldienne lombaire de cocaine, par Vulllet. — Psychiatrie. 27. Die
Anfänge der abnormen Erscheinungen im kindlichen Seelenleben, von J. TrBper. 28. Re¬
cherche* experimentales snr la psycno-pbysiologie des hallncinations, par Vaschide et Vurpas.
29. Der Unterricbt des Pflegepersonals für Geisteskranke, von Kaplan. 30. Die ärztliche
Festste 11ang der verschiedenen Formen des Schwachsinns in den ersten 8ohuljahren, von
Laqner. — Therapie. 81. Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für
Kranke, von Determann.
M. BWIt t r aph la. 1. Sammelatlas für den Ban von Irrenanstalten. Ein Handbuch für
Behörden, Psychiater und Baubeamte. Herausgegeben von Dr. G. Kolb. 2. Traitö des mala*
diea de la mobile öpinibre, par J. Dejerine et Andre Themas.
IV. Aua den Gesellschaften. XXXVII. Versammlung des Vereins der Irrenärzte Nieder*
Sachsens und Westfalens in Hannover am 8. Mai 1902. — XXVII. Wanderversammlnng der
sfldwestdentschen Neurologen and Irrenärzte zn Baden-Baden am 24. and 25. Mai 1902.
V. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. März bis 80. April 1902.
- 34
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530
I. Originalmittheilungen.
[Aus dem himanatomischen Laboratorium des Herrn Prof. Dr. Karl Schaffer
in Budapest]
1. Ein neuer Beitrag zur pathologischen Anatomie der
amyotrophischen Lateralsklerose.
Von Dr. Arthur von Sarbö, Universitatsdocent.
Im XIII. Band der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde 1 kam ich bei
der Besprechung des mitgetheilten Falles von amyotrophischer Lateralsklerose
zu der Schlussfolgerung, dass die unter dem Namen Sclerosis lateralis arayo-
trophica beschriebene Krankheit sowohl in klinischer wie auch in histologischer
Hinsicht mehr umfasst, als ihr Name ausdrückt Heute bin ich in der Lage
diesen meinen Satz durch eine neue klinische und anatomische Beobachtung zu
bekräftigen; dieselbe weist neben den bis jetzt schon beschriebenen und neuer¬
dings in Spiller’s Arbeit 2 zusammengestellten anatomischen Befunden einen
bis jetzt nicht beschriebenen Befund auf; derselbe bezieht sich auf eine sicher
nachweisbare Degeneration der Kleinhirnseitenstrangbahn, vom Beginn im Rücken¬
mark bis in den Vermis superior des Kleinhirns; in klinischer Hinsicht ist der
Beginn der Erkrankung in den Unterextremitäten besonders hervorzuheben.
Ich sehe von der ausführlichen Mittheilung der Krankengeschichte ab und
begnüge mich, den Krankheitszustand nur in allgemeinen Zügen wiederzugeben.
Es handelte sich um einen bei der Aufnahme 56jähr. Tischler, der hereditär
nicht belastet war. Die Krankheit begann in seinem 55. Jahr mit Schmerzen
im linken Knie, welche in den Knöchel ausstrahlten. Er führte die Erkrankung
auf das Arbeiten in einem nassen Kellerlocal zurück. Der linke Unterschenkel
schwoll auch an und verfärbte sich dunkelblau. Bald, innerhalb von 3 Monaten,
entwickelte sich eine Schwäche der Füsse, so dass er kaum gehen konnte; es
kam zu einer spastischen Parese der Beine. In der Beinmusculatur zeigten sich
fibrilläre und fasciculäre Zuckungen. Hypertonie der Beine. Spastische Knie¬
reflexe. Umfang der Beine hat abgenommen. Sämmtliche Qualitäten der Sen¬
sibilität waren intact. Oberextremitäten frei. Gehirnnerven frei. Stark herab¬
gesetzte galvanische und faradische Erregbarkeit der Muskeln und Nerven der
Unterextremitäten, an der rechten stärker ausgeprägt, theilweise aufgehoben.
Nach 7 monatlicher Beobachtung bemerkt Patient selbst, dass sein linker Inter-
osseus primus atrophisch wird; es treten bald fibrilläre und fasciculäre Zuckungen
1 Beitrag zur Symptomatologie and pathologischen Histologie der amyotrophischen
Lateralskleroee.
* A case of amyotrophio lateral sclerosis in which degeneration was traced from the
cerebral cortei to the rauscles. — Contribution from the William Pepper laboratory clinical
medioine. Philadelphia, 1900.
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531
in der Hand und Unterarmmusculatur ein; Atrophie des Thenars. Totale Para¬
plegie. — Innerhalb weniger Tage ändert sich das Bild wesentlich, es treten
Baibärerscheinungen auf, das Schlacken der Speisen wird erschwert; er kann
Fig. 1.
Fig. 2.
nicht expectoriren. Patient geht unter den Erscheinungen des Lungenödems zu
Grunde.
Klinis ch weicht der Fall insofern ab, als der Beginn der Erkrankung nicht,
wie gewöhnlich, in den kleinen Handmuskeln, sondern in der Beinmusculatur
zu sehen war. Als Ursache der
Erkrankung fanden wir die Er¬
kältung (Arbeiten im nassen Keller¬
local) angegeben.
Mikroskopisohe Unter¬
suchung:
W eigebt’ 8che Färbung.
Medulla oblongata. Die Kerne
des Hypoglossus enthalten keine
einzige normale Nervenzelle. An
Stelle dieser sind entweder homo¬
gene blassgelb-gefärbte Gebilde zu
sehen oder sie sind leer. An
mehreren Stellen sind Blutungen.
Deutlicher Faserschwund in beiden
Hypoglossi, kaum hie und da eine
Nervenfaser zu sehen; beide Pyra¬
miden sehr gelichtet, desgleichen
die beiderseitigen Kleinhimseiten-
stränge.
Cervicalgegend. Hoch¬
gradiger Faserausfall in beider- Fig. 3 .
seitigen Pyramiden, auf der linken
Seite fast totaler Faseraasfall; derselbe ist auch in den übrigen Seitenstrang¬
bahnen so wie in den Vorderstrangbahnen deutlioh ausgesprochen, ja selbst in
den Hintersträngen ist ein auffallender Fasermangel, namentlich in der Mitte
des jeweiligen Hinterstranges. Hochgradigen Faserschwund zeigen auch die
84*
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532
ein tretenden hinteren Wuraeln, die noch erhaltenen sind auch gequollen und
zerklüftet Von aastretenden Wurzeln keine Spur.
ng. 4.
Weder in den Vorder-, noch in den Hinterbornern ist eine Spur von Nerven¬
zellen zu sehen. Das sonst stark entwickelte Faeernetz der Vorderhörner ist
nur durch spärliche, dünne, abgebröckelte, kurze, rosenkranzaiiige Fäserchen
Fig. 6. Fi g. 7.
vertreten. Etwas besser erhalten sind die in die Hinterhörnar «intretenden
Wurzelfasem.
Die vordere Commissur ist schwach entwickelt, enthält durchwegs kranke
Fasern, die hintere wird durch einige dünne verbröckelte Fasern vertreten.
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539
Der Centralcanal ist ausgefüllt
Blutungen, Leukocyten, Körnchenzellen nirgends zu sehen. (S. Fig. 1.)
Dorsal-Lumbalsegment. (S. Fig. 2.)
In allem gleicher Befund wie im cervicalen Theil
Das Beticulum der CnABKn’schen Säule spärlich; in derselben keine Spur
von Nervenzellen.
Cor tez. Gyros prae- and poefcoentralis zagen stellenweise deutliche Körnchen¬
zellen auf.
MABCHi’sohe Färbung. S. Fig. 3—7, aus denen die Degeneration fol¬
gender Bahnen ersichtlich ist: Beiderseitige Pyramiden, die beiderseitigen
Nn. hypoglossi et faciales; beiderseitige Kleinhimseitenstrangbahnen vom Dorsal¬
mark bis Vermi8 superior, Fasciculus long. post Auch im Corpue restiforme
(schon in der Oblongata) ist eine Degeneration ersichtlich, ob das schon ans den
Eieinhirnseitenstrangbahnen dahin gelangte Fasern sind oder ob sie aus dem
BuBDACH’schen und Gom/schen Kern entstammen, bleibt dahingestellt
Im Cortex wurde mittels der Makchi 'sehen Methode keine Degeneration
nachgewiesen.
NissL’sche Färbung. Vorwiegendes Interesse haben wir dem Cortex
zugewendet, denn das fast vollständige Fehlen der Nervenzellen im Rückenmark
machte das nähere Studium desselben mittels dieser Methode überflüssig. Es
wurden Stücke aus dem Gyrus prae- et postcentralis untersucht
Es fallt auf, dass zahlreiche grosse Pyramidenzellen wie zernagt aussehen,
die Zellausläufer, namentlich der Axencylinder fehlt bei sehr vielen Zellen. Die
Anordnung der Nissi/schen Substanz ist in vielen Zellen derart verändert, dass
dieselbe den Rand der Zelle einnimmt, der Zellkörper aber frei von ihr ist, in
wieder anderen sind die NissL’schen Körper körnig zerfallen. Viele sehen wie
betäubt aus, trotzdem ist bei diesen die Gestalt der Zelle und die Zellausläufer
gut erhalten. — Zwischendurch sind wohlerhaltene, gesunde Zellen zu sehen.
Wie aus dem Mitgetheilten ersichtlich, fanden wir in unserem Falle sowohl
in dem Cortex als in Pons, Oblongata, Rückenmark deutlich nachweisbare Ver¬
änderungen ; dieselben betreffen sowohl die Zellen als die Fasern. Nach dem
Grade der Veränderungen zu urtheilen, wäre der Beginn ins Rückenmark zu
verlegen. Die hervorragendste Thatsache, welche unser Fall entdeckt, ist die
Degeneration der Clabke’ sehen Säule und der Kleinhirnseitenstrangbahn. Viel¬
leicht hängt dieselbe damit zusammen, dass die Erkrankung, von dem Gewöhn¬
lichen abweichend, im Lumbaltheil begonnen hat, dies würde auch erklären,
warum bis jetzt bei der amyotrophischen Lateralsklerose die CLABKE’schen Säulen
in den meisten Fällen als gesund gefunden worden sind. Dass übrigens die
Ci*ABKE’8che Säule auch bei cervicalem Beginn mitbetheiligt sein kann, beweist
mein oben citirter Fall, sowie Spillbb’s Untersuchungen.
Für die freundliche Ueberlassung des Materiales sage ich meinem Freunde
Prof. Schaffeb hiermit besten Dank.
Google
534
[Aas dem William Pkppxb klin. Laboratorium, gegründet von Phbbb A. Heabst.]
2. Ueber den directen ventro-lateralen Pyramidenstrang.
Von Dr. William G. Spiller,
Assistant Professor in the Unirersity of Pennsylvania, Clinical Professor in the
Womak’s Medical College of Pennsylvania and the Philadelphia Polyclinic.
In dem Journal of Nervous and Mental Disease 1 und später im Bram* habe
ich ein Faserbündel beschrieben, das sich von dem äussereten lateralen Theile
des Pyramidenstranges, etwas unterhalb der Ebene des Eintritts des Quintus
in die Brücke abzweigt. Die Ablösung dieses Bündels geschah Anfangs all¬
mählich. Weiter unten in der Brücke zog das Bündel plötzlich nach hinten
und etwas seitlich vom Pyramidenstrang bis in den Trapezoidkörper. In einem
Querschnitte dieser Gegend erschien das rückwärts verlaufende Faserbündel als
ein schmales langes Band von horizontalen Reihen schwarzer Punkte; — dies
bewies, dass die Fasern in der Längsrichtung durchschnitten waren. An der
Verbindungsstelle zwischen Brücke und verlängertem Mark fand sich die Faser¬
bahn seitlich vom obersten Theile der unteren Olive. Die Vergrösserung der
unteren Olive drängte das Bündel nach rückwärts und an der Stelle, wo die
Olive den grössten Durchmesser besass, befand sich das Bündel an der Peri¬
pherie der Olive rückwärts und zur Seite. Unterhalb der motorischen Kreuzung
befand sich das Faserbündel auf derselben Seite wie die Läsion, welche die
Degeneration verursachte, konnte aber nicht weiter nach unten als bis zur Höhe
des ersten Halssegmentes verfolgt werden, weil das Rückenmark leider nicht
untersucht werden konnte. Die Faserbahn bestand aus zahlreichen entarteten
Fasern. In der Medulla war die Bahn ähnlich wie Gowebs’ Bündel gelagert.
In meinem Falle handelte es sich um eine Blutung in die Capsula externa
und den Nucleus lentiformis. Der entartete Strang, den ich beschrieben
habe, musste daher in derselben Höhe oder höher als die Blutungsstelle ent¬
standen sein. Ich war der Meinung, dass ich als erster den Verlauf dieser Bahn
beschrieben hatte. J. S. Ribien Russell hatte eine Bahn beschrieben, die
nicht weit von meinem Bündel entfernt war. In seinem Falle handelte es sich
um eine Geschwulst des Grosshirns. Ausser einer Entartung des Pyramiden¬
stranges, die er nach Mabchi’s Methode nachwies, fand Russell einen anderen,
wohl unterscheidbaren Entartungsstrang auf derselben Seite wie die Läsion, in
dem ventralen Theile der Medulla oblongata und gerade ausserhalb und gegen¬
über dem ventro-extemen Winkel der unteren Olive. Dieser Strang war ein
Entartungsstrang, der wohl unterschieden und unabhängig von dem entarteten
Pyramidenstrang zwischen den äusseren Bogenfasern lag, wo sich diese um die
Medulla oblongata gegenüber der unteren Olive hinzogen. Russell gelang es
nicht, irgend welche Verbindung zwischen diesem Strang und entarteten Fasern,
1 1899. März. S. 178.
* Winter 1899. S. 568.
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535
die sich in der Bracke vorfanden, herzustellen. Etwas weiter unten fand sich
dieses Bändel in der seitlichen Gegend der Medulla oblongata gegenüber der
ventralen Spitze des Yorderhornes. Er glaubte nicht annehmen zu können, dass
der Strang von der entarteten Pyramide herstammte, noch gelang es ihm, den
Ursprung dieses Stranges festzustellen, noch ihn sehr weit zu verfolgen. Sein
Strang befand sich gegenüber dem ventralen äusseren Winkel der unteren Olive,
meiner dagegen auf der dorsalen äusseren Seite der unteren Olive; in der Gegend
des Halsmarkes scheint sich Büssell’s Strang mehr vorwärts gefunden zu
haben als meiner. Es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich, dass die Fasern,
die Russell 1 * * beobachtete, Helweg’s Bündel waren.
Der Strang, den ich beobachtete, war nicht gänzlich entartet; an der Stelle,
wo er in der Brücke direct nach hinten zog, war er so klar gezeichnet, unab¬
hängig von entarteten Fasern, dass ich überzeugt war, dass er später wieder
einmal von einem anderen Forscher würde gesehen werden. Es gelang mir,
den Strang vom unteren Theile der Brücke bis zum oberen Theile des Hals¬
markes zu verfolgen, was bis dahin Niemandem gelungen war.
Obersteiger 2 hat die Meinung geäussert, dass das von mir beschriebene
Bündel vielleicht Helweg’s Bündel sei; v. Bechterew spricht dieser Ansicht
seine Beistimmung nicht zu, sondern spricht sich dahin aus, dass zwischen
Hblweg’s Bündel und der Pyramidenbahn keine Verbindung bestehe. In einer
späteren Arbeit sagt Obersteiner: „Dass das von Spiller als degenerirt ge¬
zeichnete Bündel mit dem HELWEG’schen identisch sei, hält v. Bechterew 8 mir
gegenüber für nicht so ganz sicher.“ Ich hingegen sagte, wenn auch kein
sicherer Beweis dafür vorliegt, so wäre es immerhin nicht ausgeschlossen, dass
wir liier den ersten sicheren Fall einer Degeneraiion der Dreikantenbahn ....
vor uns hätten, also auch hier besteht durchaus nicht die von Bechterew ge¬
suchte Divergenz der Meinungen und ich freue mich, eine völlige Ueberein-
stimmung constatiren zu können.
Hblweg’s Bündel, oder, wie v. Bechterew es zu bezeichnen vorzieht, der
„Fasciculus periolivaris“, ist im Rückenmark vielleicht ein wenig mehr
ventral gelegen als das von mir beschriebene Bündel; sollte jedoch irgend welche
Ungewissheit in Betreff der möglichen Identität meines und Helweg’s Bündel
obwalten, so ist diese schnell beseitigt durch die kürzlich erschienenen Unter¬
suchungen von Stanley Barnes 4 ; diesem Forscher gelang es, meine Schluss¬
folgerungen durch ein Studium von vier Fällen von Hemiplegie zu bestätigen.
Der Weg, den mein Strang in der Brücke und Medulla verfolgt, mag variireu,
das Bündel bleibt jedoch immer ein Ziel der Pyramidenbahn, auch bleibt die
Bahn immer ungekreuzt; wie Stanley Barnes des Weiteren gezeigt hat, werden
die einzelnen Fasern, die das Bündel zusammensetzen, in der Gegend des
1 J. S. Risibn Rubbbll, Brain. XXI. S. 145.
* Obbbstbinbb, Arbeiten aas dem neurologischen Institute an der Wiener Universität.
Heft 7. S. 298. — Neurolog. Centralbl. 1901. S. 546.
• v. Bechtbbbw, Neurolog. Centralbl. 1901. S. 194.
4 Stanley Barnes, Brain. XXIV. S. 463.
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536
dritten Halssegmentes diffus und hören in der unteren Halsgegend auf ein Strang
zu sein; wie sich aus zweien von Barnes’ Fällen ergiebt, können die Fasern
manchmal bis in die Lendenmarkgegend verfolgt werden.
Seitdem meine Arbeit erschienen ist, haben Mott und Tredgold 1 (1900),
Dejerine 2 (1900) und Püryes Stewart 3 (1901) wahrscheinlich Entartung der
Fasern meines Stranges beobachtet. Es ist heutzutage kaum zweifelhaft, dass
dieser Strang ein Bündel ist, das sich von der Pyramidenbahn ablöst Die Be¬
zeichnung „ventro-laterale Pyramidenbahu“ sollte nicht ohne Weiteres adoptirt
werden, da dieser Name nur den Weg, den das Bündel im Rückenmark zurück¬
legt, bezeichnet und die Fasern, die in der Medulla und der Brücke ver¬
laufen, ignorirt. Die Bezeichnung hat den Vorzug kurz zu sein, es wäre jedoch
besser, das Wort „direct“ beizufügen, da Abwesenheit einer Kreuzung dieses
Stranges wichtig ist. Wir hätten dann einen directen Pyramidenstrang, einen
directen ventro-lateralen Pyramidenstrang und einen gekreuzten Pyramidenstrang.
[Aus der Königl. sächsischen Pflegeanstalt Colditz.]
3. Ueber Kothbrechen während des Status epilepticus.
Von Dr. roed. H. Götse.
Zur Ergänzung der in der Litteratur mehrfach erwähnten Fälle von Ileus,
die einem Krampf der Darmmusculatur ihre Entstehung verdanken, möchte ich
die folgende Beobachtung in Kürze mittheilen.
Es handelt sich um eine 51 Jahre alte Frau, die seit der Pubertät an
Epilepsie leidet und schon 19 Jahre in Anstalten untergebracht ist. Am 21. April
1897 bot die Kranke zum ersten Male das folgende Bild: Nach vorherigem,
völligen Wohlbefinden traten am Nachmittage mehrere heftige epileptische An¬
fälle auf, die später in einen Status epilepticus übergingen. Während desselben
um 9 Uhr Abends erbrach die Kranke mehrmals äusserst fäculent riechende,
mit braunen Kothbröckeln untermischte Massen. Von 10 Uhr an pausirten
die Anfälle und das Erbrechen. Zum zweiten Male wiederholte sich derselbe
Zustand am 8. September 1897. Der Status epilepticus dauerte von Nach¬
mittags 6 Uhr bis Abends 9 Uhr und am Ende desselben trat abermals Koth¬
brechen ein. Zum dritten Male wurde am 29. August 1899 während eines von
Nachmittags 4 Uhr bis Abends 8 Uhr dauernden Status wieder vor Aufhören
des Krampfstadiums Erbrechen kothiger Massen beobachtet. Dagegen kam es
bei mehrmaligem Auftreten eines Status epilepticus von kürzerer Dauer und
geringerer Intensität wie die eben erwähnten nicht zum Kothbrechen. In der
übrigen Zeit war die Patientin vollständig frei von krankhaften Symptomen des
gastro-intestinalen Tractus; sowohl vor wie nach den 3 Attaquen von Koth-
1 Mott und Trbdqold, Brain. Summer 1900. S. 248.
* Mm«. Dbjebinb, Revue ueurologique. 1900. S. 744.
* Pübve8 Stewabt, Brain. XXIV. S. 222.
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537
brechen waren die Dannfunctionen ganz normale. Noch sei hervorgehjben, dass
Koprophagie bei der Kranken nie beobachtet worden ist
Das anfaUaweise Auftreten des Kothbreohens in Zusammenhang mit dem
Status epilepticus zwingt uns im vorliegenden Falle, da auch andere Ent*
stefaungsursachen nicht ausfindig au machen sind, das Kothbreohen als Symptom
des sohweren epileptischen Krampfzustandes aufzufassen. Es ist mir nicht mög¬
lich gewesen, in der Litteratur Fälle aufgezeiehnet zu finden, in denen eine
derartige Complksation der epileptischen Krämpfe erwähnt wäre. Eine entfernte
AehnlichkeÜ mit unserer Beobachtung hat höchstens die von Rosenstein 1 ver¬
öffentlichte Krankengeschichte eines 9 jährigen. Knabens, der während eines
Monates anfallsweise unter klonischen und tonischen Krämpfen Kothbreohen
bekam. Der Fall wird von Robenstem zur Tetanie gerechnet; jedenfalls sind
die beschriebenen Anfalle keine epileptischen.
Zur Erklärung des Zustandekommens von Kothbreehen während des Status
epilepticus ist die Annahme die nächstliegende, dass sich die Darmmusculatur
in ähnlicher 'Weise wie die Körpermusculatur an den Krämpfen betheiligt und
dass durch spastische Contractionen von Darmtheilen ein Darm Verschluss er¬
zeugt wird. Diese Annahme wird bestätigt vor allem auch durch die neueren
experimentellen Untersuchungen über Darmoontractionen während des epilep¬
tischen Anfalles von Dr. Ossmow*, durch die festgestellt wird, dass auch die
glatte Musculatur des Darmes während des epileptischen Anfalles in heftige
Contractionen geräth. Es ist mir deshalb für unseren Fall, bei dem die durch
Kothbreehen eomplicirten Krampfzustände so ausserordentlich schwere, 3 Stunden
oder länger anhaltende sind, sehr leicht erklärlich, dass auch die Darm-
contractionen derartig intensive sind, um Ilenserscheinungen hervorzurufen. Ich
möchte daher das bei unserer Kranken mit dem Status epilepticus auftretende
Kothbreehen als durch eine spastische Contraction von Darmtheilen entstanden
ansehen und den Heus als Ileus spasticus bezeichnen.
[Aus der Poliklinik des Hrn. Prot Mendel zu Berlin.]
4. Spinal-neuri tische oder myopathisehe Muskelatrophie?
Von Dr. Toby Cohn.
(Schloss.)
Kurz zusammengefasst, handelt es sich also um ein 15jähriges, hereditär
vielleicht etwas belastetes Mädchen, das seit 3 Jahren über eine allmählich zu¬
nehmende Schwäche in den beiden unteren Extremitäten klagt. Es besteht bei
ihr: eine Lähmung fast der gesammten Peroneusmusculatur beiderseits mit
Equino-Varuscontractur der Füsse, eine Schwäche der Beckenmuskeln (besonders
1 Berliner klin. Wocbensohr. 1882.
' Deutsche Zeitaehr. L Nercenheilk. XV.
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538
des Glutaou8 medius) ebenfalls beiderseits, Pseudohypertrophie der Waden, Er¬
loschensein bezw. Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in den gelähmten
Peroneusmuskeln, partielle Entartungsreaotion in beiden Extensores halluc.
long.; dabei sind die Sehnenreflexe intact, ebenso die Sensibilität (bis auf ziehende
Schmerzen, die im Beginn des Leidens bestanden). Auch am Gesicht, am Rumpf
und an den oberen Extremitäten ist der Befund der normale. Nur ist das
Gesicht leicht gedunsen, die Mimik ist gering. Nebenbei leidet die Patientin
seit 17s Jahren an „Ohnmachtsanfällen“, über deren Wesen nichts Näheres zu
bestimmen ist, die aber wahrscheinlich nicht epileptischer Natur sind.
Ueber die Diagnose wird insoweit kein Zweifel sein, als es sich wohl mit
Sicherheit um eine progressive Muskelatrophie handelt. Nur über die Gruppe
der unter diesem Sammelnamen zusammengefassten Krankheitsbilder, der man
diesen Fall einreihen könnte, oder mit anderen Worten über Art und Ort der
vermuthlichen anatomischen Läsion, die dem Leiden zu Grunde liegt, wird es
nicht leicht sein, hier Klarheit zu erlangen.
Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass sich die vorhandenen Symptome
und der bisherige Verlauf mit keiner der bekannten Formen progressiver Atro¬
phie völlig decken. Die grösste Aehnlichkeit haben sie theils mit dem sogen.
Peronealtypus (der neurotischen oder besser — nach Bebnhabbt (2) —
spinal-neuritischen Form Chabcot-Mabie-Hoffmahn) , theils mit der Dystro¬
phia muscularis progressiva.
Der erste Eindruck bei Betrachtung der Gangart der Patientin, sowie bei
Prüfung der Beweglichkeit ist entschieden der, dass man es mit einem Falle
des HoFFMANN’schen Typus zu thun hat, umsomehr als auch der Beginn des
Leidens an den kleinen Fussmuskeln sowie das Alter der Patientin mit den
typischen Fällen dieser Art übereinstimmt Das Vorhandensein von partieller
Entartungsreaction und von subjectiven Störungen auf sensiblem Gebiete (ziehenden
Schmerzen) würde diese Diagnose unterstützen.
Gegen diese Annahme könnte das Fehlen der Heredität nicht verwerthet
werden, da auch in anderen Beobachtungen neurotischer Atrophie (Lähb[3],
Saoki [4] u. A.) keine hereditäre Belastung nachgewiesen werden konnte. Ueber-
dies würde ja bei der anderen in Betracht kommenden Krankheitsform, der
myopathischen, die Erblichkeit, wenn sie auch nicht unbedingtes Erforderniss
ist, ebenfalls vermisst werden. Ebenso wenig müssen objectiv-sensible Alterationen
(Hypästhesieen oder dergL) beim neurotischen Typus immer angetroflen werden,
wie die Fälle von Bebnhabdt (2), Dübbeuilh (5) u. A. beweisen.
Aber zwei Dinge sind es, die diesen Fall, wenn wir ihn für einen spinal-
neuritischen ansehen, als gänzlich atypischen stempeln: das ist 1. das frühzeitige
Vor hau densein von Paresen in den Beckenmuskeln (Glutaeus medius) und 2. das
Bestehen von Wadenhypertrophie. Ich habe keinen als neurotisch angesprochenon
Atrophiefall in der Litteratur gefunden, bei dem die Beckenmuskeln gleich nach
der Peroneusgruppe erkrankten. Nach Sainton(Ü) schliesst sogar eine solche
Reihenfolge im Befallen werden der Muskeln die Diagnose „neurotische Atrophie“
gänzlich aus. — Pseudohypertrophie bezw. übermässige Fettentwickelung ist
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539
allerdings bei nicht myopathischen Formen schon einige Mal kurz erwähnt
worden (Eulenbübg [7], Dahnhardt [8], van Roon [9]), aber das spinal-
neuriti8Che Krankheitsbild geht nach dem allgemeinen Urtheil der Autoren
nicht mit dieser Veränderung einher.
Die Diagnose „neurotische Atrophie“ wäre also gezwungen und der Fall
durchaus atypisch. Mit der anderen Diagnose aber geht es nicht anders.
Nehmen wir einen myogenen Ursprung an, so stösst die Erklärung der Wadeu-
hypertrophie, mag man sie als echte oder als Pseudohypertrophie 1 auffassen, auf
keine Schwierigkeiten, ebenso wenig die frühe Betheiligung der Beckenmuskeln,
auch das Erhaltensein der Sensibilität ist bei diesen Zuständen das gewöhnliche,
und das Alter der Patientin dasjenige, bei dem diese Formen am häufigsten sich
finden. — Vielleicht könnte man sogar den etwas „hypomimischen“ (sit venia
verbo!) Gesichtsausdruck mit den hängenden Oberlidern und dem gedunsenen
Aussehen als Andeutung einer „facies myopathica“ auffassen. Aus der Intact-
heit der Quadricipites erklärte sich zwanglos das Vorhandensein der Knie¬
reflexe.
Aber hier sind wieder zwei Fragezeichen zu setzen: 1. das Auftreten von
Entartung8reaction und 2. der Beginn der Lähmung in der Peroneusgruppe.
Für jedes der beiden Symptome liegen in der Dystrophielitteratur Analoga
vor, für beide zusammen meines Wissens nicht. Entartuugsreaction bei sonst
als myogen imponirenden Fällen von Muskelatrophie fanden Eisenlohb(IO),
Erb (11), van Roon (9), Kürt Mendel (14a), Oppenheim-Cas8ibeb(12); citirt
finde ich noch die Fälle von Schenk, Guinon, Wiersma, Oppenheimer,
Z immerhin, Hoppe, die ich im Original nicht einsehen konnte. Es ist also
schon eine so stattliche Anzahl von Fällen da, dass die wiederholt schon auf¬
geworfene Frage, ob die Entartungsreaction wirklich die localdiagnostische Be¬
deutung für „Erkrankung dgr peripherischen Neurone“ beanspruchen kann, die
ihr vindicirt wird, recht brefinend und actuell geworden ist, und dass man
angesichts der vorliegenden Thatsachen sie entweder verneinen müsste oder sich
der Ansicht deijenigen anschliessen, die — Erb an der Spitze — immer mehr
dahin neigen, an dem thatsächlich myogenen Ursprung der bisher so auf¬
gefassten Fälle starke Zweifel zu hegen. Eine dritte Deutung lassen die genannten
Beobachtungen kaum zu.
Selten sind die Fälle dystrophischer Form, bei denen die Peroneusmuskeln
die erstbefallenen waren. Hopfmann (13) selbst hat zwei solche Beobachtungen
veröffentlicht; ferner haben Brossard (14), Schlesinger (15), Hahn (10) (in
( Was von beiden es ist, ist in unserem Falle nicht genau zu entscheiden. Die relative
Gäte der groben Kraft lässt eher an wahre Hypertrophie denken, das schwammige Aus¬
sehen und Gefühl an Pseudohypertrophie. Der elektrische Befand giebt keinen Aus¬
schlag. Die Thatsache, dass stärkere Ströme als in der Norm nöthig sind, um die Muscu-
lator zur Zuckung zu bringen, könnte sowohl auf herabgesetzte Erregbarkeit pseudohyper¬
trophischer Muskeln zurückgeführt werden, als auf eine (bei der fetten Patientin leicht
erklärliche) starke Entwickelung subcutanen Fettpolsters, welches einen Theil der percutan
eingeführten Stromsohleifen auffangt und nur einen Bruchtheil bis zum Muskel durchlässt.
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540
Schlesjngkb’s Fall) und Steozew8Jki(17) derartigen Beginn gesehen; auch
Bbegmanh’s (18) Fall VI gehört wahrscheinlich hierher. — Bntartungsreaetkm
und peronealen Beginn zusammen scheinen nur Oppenheim und Cassirbb (12)
in ihrem sehr lehrreichen, aber im übrigen von dem meinigen erheblich ab¬
weichenden Falle beobachtet zu haben.
Es würde also im Allgemeinen — wenigstens in diesem Stadium der Krank¬
heit — bei meiner Patientin nicht möglich sein, sieh für die eine oder die
andere Diagnose zu entscheiden. Der Fall bleibt atypisch bei jeder Annahme.
Er zeigt aber wieder deutlioh, ebenso wie die in der Litteratur beschriebenen
Grenzfülle (ausser den genannten die von Linsmayeb (19), Bregmann’s (18)
Fall VI, Joppboy-Aohard (20), Stbozewski (17) u. A.), dass auch das Krank¬
heitsbild der neurotischen Atrophie nicht immer ein so gänzlich scharf begrenztes
und in vivo immer sicher zu diagnosticirendes ist, wie man das nach Hopf-
mann’8 neuerlichen Ausführungen glauben möchte, sondern dass offenbar auch
von dieser Form, wie von allen übrigen, Uebergänge zu Nachbartypen existiren.
Litteratur.
1. A. Cbahbi. Die pathologische Anatomie der progressiven Muskelatrophie. Centr&lbL
f. allgem. Patholog. n. patholog. Anatomie. 1895. YI. — t. Bbbnhahdt, VJrchow's Archiv.
CXXXIII. — 3. Lähb, Drei verschiedene Formen von progressiver Mnakelatrophie, Charite-
Annalen. 1892. S. 730. — 4. Sacki, Zur Caauistik der progressiven neurotischen Muskel-
atrophie. Berliner kliu. Wochenschr. 1893. S. 722. — B. Dubbhoilh, fitudes sur quelques
cas d’atrophie musculaire etc. Revue möd. 1890. X. S.441. (Cit. bei Oppbnhbim-Cassibib.)
— 8. 8ainton, L’amyotrophie type Chabcot-Mabib. Thöse de Paris. 1899. (Ref.: Jahres¬
bericht t Neur. 1899. S. 712.) — 7. Eulbnbübq, Neurolog. Centralbl. 1889. Nr. 7. —
8. DIhnhabdt, Bemerkungen zur Lehre von der Maakelatxophie. Neurolog. CentralbL 1890.
— 9. van Rqon, Ref. im Neurolog. Centralbl. 1890. S. 23. — 10. Eisbnlohr, Ueber pro-
groBaive Muskelatrophie. Neurolog. Centralbl. 1889. s! 564. — 11. Ebb, Dystrophia
musc. progr. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1891. S. 254. — 12. Oppbnhbix und
Cassibbb, Zur Lehre von der sogen, progressiven neurotischen Muskelatrophie. Deutsche
Zeitsehr. f. Nervenheilk. X. S. 143. — 13. J. Hoffhann, Klinischer Beitrag zur Lehre von
der Dystrophia muscul. progress. Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. XLL S. 418. —
14. Bbossabd, iStude clinique sur une forme hdrdditaire d’atrophie musc. progr. Th&e de
Paris. 1886. (Citirt bei Hoffmann.) — 14a. Kcbt Mbndbl, Casuistischer Beitrag zur
Lehre von der Dystrophia musc. progr. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 13. — 15. Schlb-
stnokr, Wiener med. Club. 1899. 25. October; ref. im Neurolog. Centralbl. 1899. —
16. Hahn, Ueber du Auftreten von Contracturen bei Dystrophia muBC. progr. Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. S. 137. — 17. Stbozewski, Bemerkungen Ober den progres¬
siven Muskelschwund. Qazeta lekarska. 1898. Nr. 8; ref. in Jahresber. f. Neurol. 1898.
S. 739. — 18. Bbeqmann, Ein casuistischer Beitrag zur progressiven Muskelatrophie. Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XIV. S. 254. — 19. Linbmatbb, Ein Fall von Dystrophia musc.
progr. juvenil. Wiener klia. Wochenechr. 1894. — 20. Joffboy et Achabd, Myopathie
primitive ddbutant a l’age de 55 ans etc. Aroh. de mdd. ezpdr. 1889. L S. 575.
Digitizedby GöOgle
541
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber den H&matoxylinohromlaok als Mittel rar Färbung' des Axea-
cylinders, von Dr. J. Faiersztain. (Lemberg, 1901.)
Während bei der Einwirkung Ton Chromsäurelöanngen auf nervöses Gewebe,
welches in Formol fixirt und längere Zeit mit Alkohol, Aether (und Oelluidin)
durchtränkt war, das Hämatoxylin eine Färbung der Markscheiden hervorruft,
werden bei Vermeidung der Alkohol- und Aetherwirknng ganz andere Ergebnisse
erzielt. Eis findet alsdann in der Regel die Bildung eines festbaftenden Chrom¬
lackes nicht in den Marksoheiden, sondern in den Axencylindern statt, und das
Hämatoxylin kann dementsprechend zur Tinction der Axencylinder benutzt werden.
Die vom Verl angegebene Methode setzt sich aus folgenden Maassnahmen zusammen:
L Härtung in einer 6—10®/ o Lösung von Formaldehyd (das käufliche Formol
wird 4—8 Mal mit destillirtem Wasser verdünnt). Härtungsdauer für kleinere
Stücke wenigstens 48 Stunden; für grössere etwa eine Woche. Mehrmonatliches
Harten schadet nicht.
n. Schneiden auf dem Gefriermikrotome. Die Schnitte werden in destillirtes
Warner aulgefangen und mehrmals gewaschen.
III. Beizen der Schnitte in einer 0,26—0,6 °/ 0 Chromsänrelösnng 5— 24 Stunden
lang; über 24 Standen dauerndes Beizen ist eher schädlich.
IV. Sorgfältigen Abspülen der Chromsäure in destillirtem Wasser. Unter
mehrmaligem Weibsein des Wassers ist das Waschen in etwa 10 Minuten be¬
endigt; über eine Stande sollen die Schnitte nie gewäBsert werden. In gewissen
Fällen (b. u.) ist es vortbeilhaft mit warmem <50—60°) Wasser zu spülen.
V. Färben m gewöhnlicher 1 °/ 0 (nach Weigert, aber ohne Zusatz von
Lithium carbonionm) oder saurer (nach Kultschitzky) Hämatoxylinlösung 1 / 8
bis 24 Stunden lang bei Zimmertemperatur, eventuell 1—2 Minuten in erhitzter
(bis Dampfbildnng) Farblösung.
VL Differenziren nach der Pal’schen Vorschrift mit denselben Cautelen,
welche bei der Markscbeideufärbung zu beobachten sind. Es iBt zu bemerken,
dass Querschnitte der Axencylinder sich leichter entfärben, als Längsschnitte.
VII. Weiterbehandlung in der üblichen Weise. In Harz eingcschlossene
Präparate blassen erst nach mehreren Monaten ein wenig ab.
Die Methode soll in der Regel eine tadellose elective Färbung der Axen¬
cylinder ergeben; mitunter färben sich aber auch dickere Neurogliazüge und zu¬
weilen auch ein Theil der Markscheiden, besonders in der weiBsen Substanz und
in den hinteren Wurzeln. Diese Mängel konnten bisher nicht beseitigt werden.
Ferner ist die Methode nicht für alle Theile des Nervensystems mit gleichem
Erfolge verwendbar; in der Grosabim- und Kleinhirnrinde werden nicht alle Axen¬
cylinder zur Darstellung gebracht; die besten Resulte erzielte der Verf. an der
Mednlla oblongata, am Rückenmark und an den peripherischen Nerven.
Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
2) Quelques uouveUes oontributlous * l’6t»do des localisatlons mddullafrea,
par Dr. C. Parhon et M, Goldstein. (Journal de Neurologie. 1901.)
Die Verff. haben nach der Nissl’schen Methode das Cervicalmark eines
Kranken untersucht, welchem «ine krebsige Neubildung die Brustmuskeln ergriffen
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542
hatte, und welchem die erkrankten Muskeln exstirpirt worden waren. Der Tumor
war später recidivirt und hatte die ganze Axillarregion in Mitleidenschaft gezogen.
Der Fall wird als gleichwerthig mit einer Durchschneidung der Fasern des Plexus
brachial is betrachtet, was aber deshalb nicht einwandsfrei ist, weil man nichts
darüber erfährt, ob die Zerstörung der Plexusfasern wirklich eine vollkommene
war oder nicht. Unter den zahlreichen Schlüssen, welche die Verff. aus ihren
Befunden ziehen, seien folgende hervorgehoben:
I. Die Zellveränderungen beginnen in der oberen Partie des 4. Cervical-
Segmentes, und es sei anzunehmen, dass in dieser Höhe die proximalsten Fasern
des Plexus brachialis entspringen; sie erreichen ihr Ende in der untersten Partie
des 1. Dorsalsegmentes.
II. Die vordere mediale Gruppe multipolarer Ganglienzellen bleibe intact,
woraus hervorgehe, dass sie an der Bildung des Plexus brachialis keinen Antheil
habe; sie müsse mit den Muskeln der Wirbelsäule in Beziehung stehen.
III. Die Ursprungszellen des Phrenicus liegen proximalwärts vom 4. Segment,
weil in diesem Niveau und caudalwärts davon keine intacte Zellgruppe mehr vor¬
handen war; von Seiten des Phrenicus waren aber krankhafte Veränderungen an
der Peripherie nicht vorhanden.
Die Schlüsse, welche die Verff. für die Localisation der Brust- und Ara¬
muskeln ziehen, basiren weniger auf den Befunden des vorliegenden Falles als
auf vergleichenden pathologisch-anatomischen Erwägungen mit den Ergebnissen
anderer eigener Untersuchungen und derjenigen fremder Autoren in ähnlichen
Fällen. Dieselben sind deswegen von beschränktem Werthe. Der Referent weist
noch darauf hin, dass die Resultate derartiger Untersuchungen an Krebskranken
auch deshalb von fraglicher Art sind, weil die Kachexie als solche häufig Zell¬
veränderungen herbeifUhrt, welche sich in nichts von denjenigen der secundären
Degeneration unterscheiden.
Einen grossen Raum ihrer Arbeit widmen die Verff. der Vergleichung ihrer
Resultate mit denjenigen anderer Autoren, und sie erörtern schliesslich eingehend
die Frage, ob eine scharf begrenzte Localisation der einzelnen Muskeln in den
Vorderhorngruppen des Rückenmarks vorhanden ist oder nicht. Sie verfechten
hier mit Entschiedenheit den Standpunkt, dass bestimmte Zellgruppen die Inner¬
vation bestimmter einzelner Muskeln besorgen.
Max Bielschowsky (Berlin).
3) Zur Frage der Funotion der Pyramiden beim Menschen, von Dr.
A. Pilcz. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 50.)
Da die Anschauung, dass die Pyramidenbahn der einzige Leitungsweg fär
die willkürlichen motorischen Impulse sei, für das Thier als unrichtig erwiesen
ist, suchte Verf. in der Litteratur nach Fällen menschlicher Pathologie, welche
die Rolle der Pyramidenbahn aufhellen könnten. Er theilt eine Anzahl von
Fällen mit und beleuchtet sie epikritisch, ohne aber einen Fall gefunden zu haben,
der obige Anschauung zu beweisen oder zu widerlegen im Stande wäre.
J. Sorgo (Wien).
4) lieber die funotionelle Bedeutung der Pyramidenbahn, von M. Roth-
mann. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 21.)
Die wichtige Frage, ob eine der Pyramidenbahn allein zukommende Function
anerkannt werden muss, die schon seit Jahren die Gehirnphysiologen experimentell
zu ergründen suchten, hat Verf. durch Wiederholt vorgenommene Versuche an
Hunden und neuerdings an Affen zu einem gewissen Abschluss gebracht. Das
Resultat war die Erkenntniss, dass eine der Pyramidenbahn allein zukommende
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543
Function mit Sicherheit nicht bekannt ist, dass vielmehr für die motorische
Function eine Reihe anderer, in mehrere Neuronencomplexe zerfallende Grosshim-
Thalamus-Vierhügel-Rückenmarksbahnen mit in Betracht kommen. Vor allem ist
ee die als Monakow’sches Bündel bezeichnete Bahn, welche aus dem rothen
Kern im Gebiet des vorderen Vierhügels entspringt, sich gleich nach ihrem Ur¬
sprung in der Forel’schen ventralen Haubenkreuzung kreuzt und nun in den
Seitentheilen von Pons und Medulla oblongata nach abwärts zieht, um im Rücken¬
mark im Hinterseitenstrang zu verlaufen. Da der rothe Kern im Gebiete des
vorderen Vierhügels wiederum durch reichliche Fasermassen mit dem Thalamus
opticus und letzterer mit der Hirnrinde verbunden ist, so besteht hier eine aus
drei Neuronen sich zusammensetzende Bahn, die als Ersatz der Pyramiden in
Frage kommt. Dann besteht eine Vierhügelvorderstrangbahn, die gleichfalls aus
dem vorderen Vierhügel entspringt, in der Meynert’schen Haubenkreuzung zur
anderen Seite zieht, im hinteren Längsbündel oder dicht vor demselben nach ab¬
wärts geht und längs des Sulcus anterior den Vorderstrang des Rückenmarks
einnimmt. Zu diesen Bahnen treten dann noch Zuzüge aus dem Pons, dem
Kleinhirn, dem Deiters’schen Kern, so dass eine Fülle von Faserbahnen besteht,
die Mittel- und Nachhirn direct mit dem Rückenmark verbinden und demselben
bei Zerstörung und Degeneration der Pyramidenbahn centrale Reize übermitteln.
Die Ausschaltung der Pyramidenbahn wird am häufigsten und sichersten
beim Menschen bei der Hemiplegie in Folge einer Zerstörung der inneren Kapsel
beobachtet. Hier handelt es sich nicht nur um eine reine Zerstörung der Pyra¬
midenbahn, sondern zugleich auch um den Ausfall der Mehrzahl der Fasern, welche
von der Extremitätenregion der Grosshirnrinde zu den grossen Ganglien herunter¬
ziehen. Arbeiten von Wernicke und Mann haben ergeben, dass bei der typischen
Hemiplegie die Extremitäten nicht in ihrer Gesammtheit paralytisch sind, soudern
dass nur bestimmte Muskelgruppen dauernd gelähmt bleiben. Diese Beobachtungen
zeigen, dass thatsächlich nur ein Theil der Extremitätenfunctionen vom Grosshirn
abhängig ist, der Rest auch von tieferen Centren aus regulirt werden kann. Der
Pyramidenbahn jedoch die ihr zukommende Bedeutung völlig abzusprechen, be¬
zeichnet Verf. als verfehlt. Bielschowsky (Breslau).
6) Atrofle oerebrali sperlmentali, del Giuseppe D’Abundo. (Volume in
omaggio al Prof. S. Tomaselli. Catania 1902, Mattei.)
Dem experimentellen Theil gehen drei klinische Beobachtungen voraus von
im extra-uterinen Leben in Folge toxisch-infectiöser Processe erworbener Gehirn¬
atrophien. Besonders bemerkenswerth waren in zwei Fällen die compensatorischen
Hypertrophieen in der gesunden Hemisphäre.
Ausgehend von der durch klinische Beobachtung gewonnenen Voraussetzung,
dass durch den Krankheitsprocess bestimmte Theile der Hemisphären ihrer Function
entzogen werden oder bei jungen Individuen in ihrer Entwickelung gehemmt
werden, entfernte der Verf. neugeborenen Hunden und Katzen grössere oder ge¬
ringere Theile der Hirnrinde und in einer weiteren Versuchsreihe verband er
diese Operation mit Entfernungen von Theilen des Schädeldaches, um auch den
Einfluss des intracraniellen Druckes beobachten zu können.
Die erhaltenen Resultate, die durch eine Serie gelungener Photographieen
illustrirt werden, sind folgende: Die Vermehrung eines ausgedehnteren Rinden¬
stückes bedingt eine allgemeine Entwickelungshemmung auch der nicht verletzten
Hemisphärenhälfte. Diese Thatsache entspricht der klinischen Beobachtung, dass
einseitige Gebirnatrophie zu weitgehenden intellectuellen Defecten führt. Auch
das Kleinhirn zeigt eine gekreuzte Atrophie. — Deutliche Bilder von Hemi-
atrophieen konnten auch durch blosse Entfernung der Dura und des
Google
544
Schädeldaches gewonnen werden ohne alle Zeichen von Steigerung des intra-
craniellen Druckes.
Die Gehirnwindungen ordnen sich um den Defect radienförmig an. Betraf
dieser hauptsächlich die motorische Zone, so findet man bei der Section eine
Hypertrophie der gleichnamigen Theile der gesunden Seite, die Association*
zonen und jene Rindentheile, die nur einseitig vertreten sind, erfahren kein»
Compensotion im Einklang mit dem klinischen Befund.
Schliesslich gelang noch der Nachweis, dass Tbiere, die kleine Rindendefcct»
erlitten hatten, nach massigem Alkoholgenuss epileptischen Anfällen ausgesetzt
waren, eine Erfahrung, die vielleicht einen Ausblick auf eine mögliohe Pathogeness
der Epilepsie gestattet: die Entwickelungsheaunnng oder die Ausschaltung kleiner
Rindenbezirke durch krankhafte Processe könnte einen Locus minoris resistentiae
schaffen, der bestimmte toxische Reize mit Krämpfen beantwortet.
L. Herzbacher (Strassburg i/fi.).
Pathologische Anatomie.
6) Degeneration following a traumatio lesion of the spinal oord; with
an aoooant of a traot in the monal region, by Purves Stewart. (Brain.
1901. IL)
Verf. hat in einem Falle von ziemlich totaler Zerstörung des Rückenmarks
in der oberen Hälfte des 7. Cervicalsegments die auf- und absteigenden Dege¬
nerationen genau verfolgt Die Seitenstrangpyramideu lassen sich bis ins unterste
Coccygealmark naohweisen; sie liegen weiter unten an der Peripherie des Markes
und von den Hinterhörnern ab; die VorderstrangBpyramiden kann Inan als ein
bestimmtes Bündel bis zum 4. Sacralsegmente verfolgen; dann werden sie diffus
zerstreut über den VorderBeitenstrang. Der absteigende Tractus sulcomarginalis
findet sich nach abwärts ebenfalls bis ins 4. Sacralsegment; darunter zerstreuen
auch seine Fasern sich diffus über die Vorderseitenstränge. Die dicht an der vorderen
Commissur liegenden Fasern dieser Bahn lassen sich weiter nach unten verfolgen
als die nach aussen gelegenen. In der vorderen Commissur finden sioh degenerirte
Fasern dreier Segmente unterhalb der Läsion. Die Schultze’schen Co m maba hn ez
zeigen sich degenerirt bis zum 9. Brustsegmente; von da finden sioh Degenerationen
im Septomarginaltract vom 10. Dorsal- bis 2. Lumbalsegment; im ovalen Felde
von da bis zur 2. Lumbalwurzel und im medialen Dreieck von da bis zum
untersten Ende des Rückenmarks; alle diese absteigend degenerirenden Felder
des Rückenmarks gehören also zusammen und bilden eine continnirliche Bühn.
Die aufsteigende Degeneration in den Hintersträngen zeigte nichts neues gegen¬
über dem bisher bekannten, nur endigt sie nicht vollständig in den Hinterstrangs¬
kernen, sondern es finden sich degenerirte Fasern auch noch in den Fibrae
arcuatae externae post, und internae. Die Degeneration der Kleinhirnseitenstrang-
bahn war genau die bisher beschriebene. Die Gowers’sche Bahn verläuft durch
die laterale Schleife und das Velum medulläre anticum, wo sie sich tnit der der
anderen Seite kreuzt zu den hinteren Vierhügeln. Weiter liess sie sich bei dem
vorhandenen Material — das Kleinhirn fehlte — im vorliegenden Falle nicht
verfolgen. Auch in den Pyramidenbahnen fanden sich nach aufwärts von der
Verletzung degenerirte Fasern. Eine ganz neue Bahn fand Verf. ventral aussen
von den gekreuzten Pyramiden unterhalb der Verletzung, aber nur bis ins 8. Cervical-
segment. In der Form ähnelt sie Helweg’s und Bechterew’s centraler Hauben-
bahn; aber sie ist anders gelegen. Vielleicht ist es ein abirrendes Pyramiden¬
bündel. Bruns.
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545
7) Zur pathologischen Anatomie der posttraumatisohen Erkrankungen des
Bfiokenmarks, von Hans Loh risch. (Lnaug.-Dissert. Leipzig, 1901.)
Im Gegensatz zu den directen traumatischen Rückenmarkserkrankungen ver¬
steht man unter den posttraumatischen solche, in denen sich unmittelbar im An¬
schluss an das Trauma keine oder nur geringe Erscheinungen von Seiten des
Rückenmarks zeigen und erst nach einer kürzeren oder längeren Zeit schwere
Erscheinungen auftreten. Derartige Fälle sind in der Litteratur zahlreich bekannt
und werden von den meisten Autoren als Folgen einer „Rückenmarkserschütterung“
angesehen. Viel weniger zahlreich als die klinischen Beriohte über Fälle der
genannten Art sind Sectionsberichte derselben.
Verf. bringt folgenden eigenen Fall mit Sectionsbericht und mit sehr sorgsam
ausgeführter mikroskopischer Untersuchung:
58jähriger Mann fiel aus geringer Höhe heftig auf den Rücken und klagte
14 Tage lang über lebhafte Schmerzen, die ihn an Bewegungen der Glieder
hinderten. Dieser Zustand ging vorüber, und der Verletzte war anscheinend ge¬
sund. Nachdem der Pat. so anscheinend wieder 14 Tage lang völlig hergestellt
war, trat am 29. Tage nach dem Trauma ein erneutes Kranksein auf: es ent¬
wickelte sich schnell völlige motorische und sensible Lähmung beider Beine mit
Blasenlähmung. Die Kniesehnenrefiexe fehlten. (Leider ist die Krankengeschichte
sehr kurz und wenig ergiebig). Der Pat. starb 8 Wochen nach dem Unfall. Bei
der Section fand man einen weissen Erweichungsherd in der Höhe des 3. Dorsal¬
nerven von 0,5 cm Höhe.
Die mikroskopischen Präparate zeigten, dass in erster Linie die weisse, und
erst in zweiter Linie die graue Substanz befallen war; Quellung von Axencylindem
und Markscheiden, fettiger Zerfall, Fettkörnchenkugeln und Corpora amylacea.
Deutliche Erkrankung der vorderen und hinteren Wurzeln. Ganglienzellen und
Neuroglia sind nur sehr wonig verändert. Bemerkenswerth ist, dass auch ausser¬
halb des genannten Herdes einzelne Nervenfasern degenerirt waren, und zwar
unregelmässig über den ganzen Querschnitt Auch zeigten manche Vorderhorn¬
zellen ausserhalb des Herdes Degenerationserscheinungen. Dasselbe ist von einer
Reihe vorderer und hinterer Wurzeln zu sagen. Keine älteren Blutungen und
nur vereinzelte mikroskopische frische Blutungen. Gefässveränderungen fehlten.
Auf- und absteigende Degeneration in gewohnter Weise.
Bei der Erklärung des traumatisch entstandenen Befundes neigt Verf. der
Schmaus’schen Auffassung zu. Diese Auffassung ist im Wesentlichen durch die
Annahme einer primären traumatischen Nekrose, durch Erschütterung des Markes
gekennzeichnet und steht im Gegensatz zu der Kocher’schen Ansicht, nach
welcher stets palpable Markveränderungen, durch Wirbeldistorsion u. s. w. ent¬
standen, vorhanden seien. Paul Schuster (Berlin).
8) lieber Veränderungen des Bfiokenmarks bei Diphtherie, von S. Utohida
aus Japan. (Archiv f. Psych. XXXV.)
Verf untersuchte 12 Fälle von Diphtherie ohne nennenswerthe Lähmungs-
erscbeinungen, einen Fall, in dem ausgedehnte postdiphtherische Lähmungen be¬
standen hatten, und als Vergleichsobject 6 Fälle ohne Diphtherie. Berücksichtigt
wurde Rückenmark, Medulla oblongata und bei dem Fall von postdiphtherischer
Lähmung ausserdem der N. vagus, phrenicus und der Plexus iliacus. Angewandt
wurde die Marchi’sche Methode.
In keinem Falle fanden sich Hämorrhagieen, Thrombosen, Rundzellen-
anbäufungen, Exsudate, diphtherische Infiltrate, meningitische Veränderungen,
Gliawucherung, Degeneration der grauen Substanz oder Veränderungen der vorderen
Wurzeln oder motorischen Zellen, wie solche andere Autoren beschrieben haben
85
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540
Die Ganglienzellen im diphtherischen Rückenmark worden zumeist mit tief-
schwarzen feinen Fettpünktchen ^erfüllt gefunden, andere Zellen sind fettfrei mit
deutlichem Kern und Kernkörperchen. In 3 Fällen zeigten sich hingegen
8&mmtliche Ganglienzellen als fettfrei, in 2 Fällen beschränkte sich der Fett¬
gehalt auf sehr geringe Spuren von Fettpünktchen. Die Fortsätze der Zellen sind
gut erhalten.
Genau ebenso wie die Ganglienzellen des diphtherischen Rücken¬
marks verhalten sich die des normalen Rückenmarks in Marchi-
präparaten. Die Reichlichkeit des Fettgehalts in den Zellen ist vom Alter ab¬
hängig (bei Kindern über 4 Jahren viel Fett).
An Querschnitten der Nervenfasern des diphtherischen Rückenmarks fand
Verf. in allen Strängen zerstreut schwarze sichel-, halbmond-, ring- oder kugel¬
förmige Gebilde um die Markscheiden oder in dieselben eingelagert und auch viele
kleine schwarze Kügelchen anscheinend zwischen die einzelnen Faserquerschnitte
eingesprengt. Es sind diese Gebilde nach Verf.’s Ansicht Einlagerungen in die
Kittsubstanz, sie sind gleichfalls in der grauen Substanz und in den peripherischen
Faserbündeln sichtbar.
Genau dieselben Bilder auch hier wiederum bei normalem, nicht diphtherischem
Rückenmarke!
Demnach ist weder das Fett in den Ganglienzellen, noch die
Fettablagerung in den Nervenfasern in Form von Sicheln, Halb¬
monden u. s. w. in den Marchi-Präparaten pathognostisch für ein
diphtherisches Rückenmark; beides kommt in gleicher Weise bei
jedem normalen Rückenmark vor. Kurt Mendel.
Pathologie des Nervensystems.
0) Beitrag zur Histologie and Pathogenese der amyotrophisohen Lateral-
Sklerose, von Dr. Ernst v. Czyhlarz und Dr. Otto Marburg. (Zeitschr.
f. klin. Med. XLHI. S. 59.)
Es handelt sich um eine 62j ähr. Frau, welche ziemlich plötzlich, als sie
eines Morgens erwachte, eine Sprachhinderung bekam und die Finger der rechten
Hand nicht ausstreoken konnte. LähmungBerscheinungen bot sie damals weiter
nicht. Allmählich trat eine stetig zunehmende Abmagerung der rechten Hand
auf, welche nach und nach den ganzen Körper ergriff in Folge dessen die Kraft
sich sehr verringerte. Aua dem Status ist Folgendes zu erwähnen: Starke Kypho¬
skoliose der Wirbelsäule im Dorsaltheil (schon seit früher Kindheit bestehend).
Pupillen ziemlich eng, reagiren auf Licht träge; Kopfbewegungen erfolgen langsam;
Atrophie im M. cucullaris, Zunge leicht nach rechts deviirt, Anzeichen von Atrophie
derselben, schwerfällige Bewegung derselben. Die Silben werden monoton heraus-
gestossen, die einzelnen Laute sind dabei verstümmelt. Patientin zeigt im all¬
gemeinen eine starke Magerkeit. Eine deutliche Atrophie zeigen der M. deltoi-
deus supra-, infraspinatus, ferner die ganze Ober-, Vorderarm- und Handmusoulatur;
rechts ist die Atrophie starker als links. Am Stamm und an den unteren
Extremitäten zeigt sich keine besondere Abnahme der Musoulatur. Die Finger
sind in den Interphalangealgelenken gebeugt, eine Streckung derselben ist activ
und passiv unmöglich. Bewegungen im Schulter- und Armgelenk frei, wenn auch
etwas schwerlällig. Die Reflexe sind an den oberen Extremitäten an Intensität
verringert; an den unteren Extremitäten sind die Patellarsehnenreflexe sehr lebhaft,
ebenso die Achillessehnenreflexe. Clonus fehlt Die klinische Diagnose wurde auf
amyotrophischeLateralsklerose gestellt. Die histologische Untersuchung ergab
Folgendes: An der Rinde der vorderen Central Windungen ergab sich bei der Färbung
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54X
nach Mar chi ein scholliger Zerfall eines beträchtlichen Theilea der Radiärfasern.
Die Pyramidenbahn zeigt nach Marchi beträchtliche Degeneration. Der Hypoglossus-
kern zeigt besonders im mittleren Theil beträchtlichen Zell- und Faserausfall; in
geringer Weise lässt sich dies auch an den Vaguskernen naohweisen. Das Rücken¬
mark ist am stärksten befallen. Verminderung der Vorderhornzellen, Verkleinerung
des Zellleibes, rundliche Form desselben, kernlos; nach Nissl’soher Färbung zeigen
sie sich als ein gelber Fleck, naoh Mar chi’scher als ein schwarzer Klumpen.
Die sog. Mittelzellen zeigen ein kleineres Volumen. Stärkere Pigmentirung der
Zellen der Clarke’schen Säule. Rechts ist der Prooess stärker als links. Die
veisse Substanz zeigt nach Weigert Aufhellung mässigen Grades im Pyramiden-
8eitenstrang und im Septum longit. des Hinterstranges (letzteres nur im Cervical-
und obersten Dorsalmark); die Faserung des Vorderstrangs erweist sich stark ge¬
lichtet Ein ähnliches Betroffensein der weissen Substanz lässt sich mittels
Msrohi’scher Färbung nachweisen. Im Hinterstrang leichte perivasouläre Sklerose.
Der N. vagus zeigte keine Veränderung, dagegen liees sich solohe im M. deltoideus
(hypervoluminöse und atrophische Fasern ohne Querstreifung) nachweisen.
Die Autoren fassen den ganzen Process als einen primär degenerativen, im
Sinne einer parenchymatösen Entzündung, von eminent chronischem Verlaufe auf.
Man könne ihn als chronisch progressive Primärdegeneration der motorischen
Geeammtneurone bezeichnen. Jacobsohn (Berlin).
10) Un oas d’amyotrophie progressive d’orlgtne traumatique, par Sano.
(Journal de neurologie. 1899. 20. Nov.)
Elin 41 jähriger Mann wurde von einer Locomotive gequetscht, so dass ein
Rippenbruch entstand. Unmittelbar nach der Verletzung bestand kein Symptom
▼on Seiten der Beine. Nach 2*/ s Monaten aber begann das rechte Bein abzu-
magem und wurde bald in seiner Totalität paretisch. Die Untersuchung zeigte
eine Atrophie, welche das ganze rechte Bein betraf. Herabsetzung der elek¬
trischen Erregbarkeit, aber keine Entartungsreaction. Steigerung der Reflexe auf
der linken Seite, weniger auf der rechten. Fehlen des Achillessehnenreflexes
rechts. Die Sensibilität ist in allen Qalitäten herabgesetzt, nicht nur auf dem
rechten Bein, sondern auch auf der rechten Brustseite bis zur Höhe der gebrochenen
Rippe. Der Verf. sieht den Fall als einen nicht einheitlichen an: es handelt sich
wahrscheinlich um eine Form der Neuritis oder um einen spinalen amyotrophischen
Process gleichzeitig mit hysterischen Sensibilitätsstörungen.
Paul Schuster (Berlin).
11) Ueber eine eigenthümliohe Form von progressiver Muskelatrophie
naoh Trauma, von Dr. Ulrich Robb. (Deutsches Archiv f. klin. Med.
LXXL S. 292.)
Es handelt sich im ersten Fall um progressiven Muskelschwund ohne Ent-
artungsreaction und ohne fibrilläres Zucken, dazu Hemianästhesie, Facialistic und
vasomotorische Störungen, im zweiten Falle um progressiven Muskelschwund ohne
Entartungsreaction, aber mit fibrillär-fasciculärem Muskelzucken, mit Tremor der
Arme und Facialisparese. Der Muskelschwund betraf ziemlioh die gesammte
Körpermusculatur mit Ausnahme des Gesichts und hatte sich verhältnissmässig
schnell nach einem Trauma entwickelt. Per exclusionem kommt Verf. zum
Schluss, dass es sich in beiden Fällen um eine Muskelatrophie functioneller Natur
handelt Zum Schluss führt der Autor die Theorieen darüber auf, wie man sich
die ursächliche Wirkung des Traumas auf die Entwickelung der Muskelatrophie
vonusteUen habe. Jacobsohn (Berlin).
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548
12) lieber das Tibialisphänomen und verwandte Muskelsynergieen bei
spastischen Paresen, von Prof. Dr. Adolph Strümpell in Erlangen.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
Unter Tibialisphänomen versteht Verf. eine sicht* und fühlbare Anspannung
der Sehne des M. tibialis ant. bei Flexion des Oberschenkels. Dasselbe ist bei
cerebraler und spinaler Hemiplegie sowie bei den meisten Paraplegieen mit
spastischer Parese der Beine nachweisbar, zu deren charakteristischen Erscheinungen
es gehört, und steht es der Erhöhung der Sehnenreflexe, der Hypertonie der
Muskeln und dem Babinski’sohen Sehnenreflex symptomatisch vollkommen gleich,
fehlt indessen bei allen Formen schlaffer Lähmung sowie bei der Tabes. Eis
kommt in Folge einer Affection der Pyramidenbahn zu Stande, indem die Kranken
die Fähigkeit verloren haben den einen Muskel isolirt zu innerviren. Ferner be¬
obachtete Verf. sowohl bei cerebralen wie bei spinalen Lähmungszuständen das
Auftreten von abnorm starker Mitbewegung der Handextensoren beim Finger¬
schluss (Badialisphänomen) sowie eine andere Muskelsynergie, nämlich eine nicht
zu unterdrückende Pronationsbewegung des Vorderarms bei Hebung des Arms im
Schultergelenk (Pronationsphänomen). Diese Erscheinungen sind von wesentlich
praktisch-diagnostischer Bedeutung, da ihr Auftreten stets auf eine organische
Erkrankung hinweist. El Asch (Frankfurt a/M.).
13) Die Segmentdiagnose der Büokenmarkserkrankungen, von L. Bruns.
(Centralbl. f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. IV. Nr. 5.)
Verf. giebt mit der bei ihm gewohnten erfreulichen Kürze und Klarheit ein
Sammelreferat über den gegenwärtigen Stand der Segmentdiagnose, das alB Er¬
gänzung seines Buches über die Geschwülste des Nervensystems dienen kann.
Voran geht eine genaue Tabelle über die Functionen der einzelnen Segmente des
Rückenmarks, enthaltend die Versorgung der Muskeln, der Hautsensibilität und
der Reflexe. Verf. hält an dem Standpunkte fest, dass die Wurzeln und ent¬
sprechenden Segmente in ihren Functionen sich nicht unterscheiden, entgegen der
BriBsaud’schen Ansicht. Von den zum Theil erst neuerdings gewonnenen bezw.
gesicherten Resultaten mögen folgende hervorgehoben sein: Die Extensoren und
Flexoren der Hand auf der einen, Extensoren und Flexoren der Finger auf der
anderen Seite gehören segmental zusammen; von den Handmuskeln liegen die des
Daumen- und Kleinfingerballens segmentär am tiefsten. Der M. tibialis anticus
ist ziemlich hochsegmentär, ist bei spinaler Kinderlähmung mit Betheiligung des
Quadriceps oft der einzige gelähmte Unterschenkelmuskel. Für den M. dilatator
pupillae kommt ausser der 1. Dorsal auch die 8. Cervicalwurzel in Betracht.
Fast alle Muskeln sind polysegmentär, zum mindesten trisegmentär; das mittlere
Segment wird in der Regel das Hauptsegment sein. An den Beinen steigen die
Lumbalwurzeln an der Vorderseite hinunter, die Sacralwurzeln an der Hinterseite
hinauf. — Die obersten Symptome einer Rückenmarksläsion sind immer Segment¬
symptome; meist ist die Segmentdiagnose nur eine Diagnose des obersten Randes
der Läsion. Bezüglich des Zeitpunktes der Operation räth Verf., dieselbe wenn
möglich frühzeitig vorzunehmen, sobald sich der Sitz mit einiger Genauigkeit
feststellen lässt; auf alle sicheren Zeichen warten, heisst häufig den Erfolg der
Operation aufs Spiel setzen; die Frage wird im speciellen Falle sich darauf zu¬
spitzen, ob die primären Wurzelsymptome, vor allem die atrophischen Muskel¬
lähmungen bestimmt localisirt waren. Allgemeine Regel ist, die Läsion immer
an dem höchsten für das betroffene Muskel- oder Hautgebiet in Betracht kommen¬
den Segmente anzusetzen. — Die übrigen Ausführungen decken sich im wesent¬
lichen mit dem bereits früher Bekannten. H. Haenel (Dresden).
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549
14) Zur Segmentdiagnose der BtLokenmarksgeeohwülste, nebst einem neuen
durch Operation geheilten Fall, von Fedor Krause. (Berliner klin.
Wochenschr. 1901. Nr. 20—22.)
Mit der genauen Untersuchung und Beobachtung eines neuen durch Operation
geheilten Falles von Rflckenmarksgeschwulst liefert Vert einen werthvollen Bei¬
trag zur Segmentdiagnose der Rückenmarkserkrankungen. Das Leiden seiner
65 Jahre alten Patientin begann 3 Jahre vor der Aufnahme in das Kranken¬
haus, nachdem ein Jahr zuvor ein leichtes Trauma auf die Wirbelsäule eingewirkt
hatte, mit Sohwächegefühl im rechten Knie. Später trat eine abnorme Sensation
im rechten Oberschenkel auf, der ein brennendes Gefühl an der rechten Fusssohle
folgte. Diese schmerzhafte Empfindung breitete sich langsam auf die ganze untere
rechte Extremität, weiterhin auch auf das linke Bein hin aus. Dazu gesellte sich
ein deutliches Gürtelgefühl. Zugleich stellte sich eine Schwäche im rechten Beine
ein, welche vom Februar 1900 an rasch bis zur fast vollständigen Lähmung Fort¬
schritt. Hypalgesie des linken, nicht gelähmten Beines. Störungen von Seiten
der Blase und des Mastdarms gering. Der etwas häufiger eintretende Harndrang
musste rasch befriedigt werden, Bollte nicht unwillkürliche Entleerung erfolgen.
Verstopfung und unwillkürlicher Abgang von Flatus. Bei der Frau war also
eine Halbseitenläsion im Sinne Brown-Söquard’s ausgebildet. Die rechte untere
Extremität war fast vollständig gelähmt. Der Muskelsinn (Gefühl für passive
Bewegungen, Lagegefühl) sehr deutlich herabgesetzt. Die Sehnenreflexe zum Theil
stark erhöht (Achillessehnenreflex), zum Theil normal (Patellarreflex). Zwischen
Kreuzbein und Trochanter mqjor bei Pinselberührung eine vollkommen anästhetische,
bei Nadelstichen hypalgetische handbreite Zone, im ganzen übrigen Gebiet des
rechten Beines keine sensiblen Störungen, Temperatursinn normal. Links dagegen
die Schmerzempfindung im Gebiete der ganzen unteren Extremität bis hinauf zum
Darmbein und an den äusseren Genitalien herabgesetzt, der Temperatursinn ge¬
stört, Tastempfindung durchaus normal. Dieser Befund wies auf einen langsam
sich entwickelnden, raumbegrenzenden Vorgang im Wirbelcanal hin, der das
Rückenmark auf der rechten Seite comprimirte. Es wurde eine gutartige Ge¬
schwulst im Inneren des Duralsackes mit dem Sitz rechts hinten angenommen.
Die Geschwulst konnte sich nicht im Rückenmark gebildet haben, denn das
Fehlen von Entartungsreaction und Muskeldegeneration sprach für einen von
aussen auf das Rückenmark wirkenden Druck, da andererseits trotz mehrjährigen
Bestehens des Leidens die knöcherne Wirbelsäule sich völlig normal verhielt, so
konnte auch deren Erkrankung ausgeschlossen und aus demselben Grunde verneint
werden, dass sich die Geschwulst zwischen Dura und Wirbelkörpern ent¬
wickelt habe.
Bei der Segmentdiagnose boten Bich dem Verf. folgende Anhaltspunkte: das
Vorhandensein der Patellarreflexe wies darauf hin, dass der Reflexbogen im 2. bis
4. Lumbalsegment vollkommen erhalten war, dass also die Geschwulst nicht tiefer
herab als bis zum 1. Lendensegment reichen konnte.
Da der Heopsoas gelähmt war, so musste die Schädigung der Pyramiden¬
bahn sich oberhalb des 1. Lendensegmentes, von welohem der Heopsoas seine
Fasern empfangt, befinden. In Berücksichtigung des Umstandes, dass die einzelnen
Muskeln nicht blos von einer Wurzel oder einem Rückenmarkssegment, sondern
zugleich von dem benachbarten oberen und unteren innervirt werden, musste
mindestens das 12. Dorsalsegment als obere Grenze der Geschwulst angesehen
werden.
Die Sensibilität gab folgenden Aufschluss für die Segmentdiagnose: Das aus¬
gesprochen schmerzhafte Gürtelgefühl der Kranken, welches im Kreuz beginnend
sieh dem oberen Beckenrand entlang nach vorn zog, deutete daraufhin, dass das
12. und 11. Dorsalsegment eine Reizung erfahren hatte; ebenso wiesen die
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Schmerzen in der rechten Höfte auf Reizung im 12. Dorsal- und 1. Lumbal¬
segment. Von grösserer Wichtigkeit als diese Reizerscheinungen für die Segment-
diagnose waren die Symptome der Leitungsunterbrechung in den sensiblen Bahnen.
Am linken Bein war die Schmerzemfindung vorn bis hinauf zu den äusseren
Genitalien (Innervationsgebiet des 1. Lumbalsegments), hinten bis nahe dem Darm¬
beinkamme (12. Brustsegment) herabgesetzt. Die in der Zone zwischen Kreuz¬
bein und Trochanter major rechts bestehende vollkommene Anästhesie bei Pinsel¬
berührung und deutliche Herabsetzung der Schmerzempfindung bei Nadelstichen
deuteten darauf hin, dass mindestens drei benachbarte Wurzelgebiete (11. und
12. Dorsal- und 1. Lendensegment) lädirt waren. Als obere Grenze der Geschwulst
müsste also das 10. Dorsalsegment angesehen werden. Dieses liegt nach Reid
gegenüber dem 7. und 8., nach Gowers gegenüber dem oberen Rand des 9.,
nach Henle gegenüber dem 8. Dorsaldornfortsatz. Verf. entschied sich, den 9.
und 8. Wirbelbogen zu entfernen, und da der 7. Brustwirbel den Ueberblick
hinderte, wurde auch dieser weggemeisselt. Um nun die am oberen Rande der
Knochenöffnung unmittelbar unter der Dura auf der rechten Seite fühlbare Ge¬
schwulst nach oben hin freier zu bekommen, musste noch der 6. Wirbelbogen
entfernt werden. Die Geschwulst lag mit ihrer Mitte in der Höhe des 7. Wirbel-
bogens. Sie liess sich leicht von der unterliegenden Pia ablösen und herausheben;
die Pia blieb unverletzt Die Dura musste in der ganzen Ausdehnung und Um¬
gebung des Tumors, weil sie mit dem Tumor verwachsen war, exstirpirt werden.
Der Tumor von der Grösse einer Haselnuss, halbkugelig — die kugelige Fläche
hatte nach dem Rückenmark, die flache Seite nach der Dura zu gelegen —, stein¬
hart, mit körniger Oberfläche hatte eine Länge von 17 mm, Breite von 15 mm,
Dicke 11,6 mm. Die Patientin wurde geheilt Verf. giebt in dem etwa 10 Monate
nach der Operation aufgenommenen Status an: Die Motilität und Kraft namentlich
des rechten Beines haben sich unter Faradisation und leichter Massage soweit
gebessert, dass die Frau kleine Treppen mit Hülfe des Geländers ersteigen konnte;
sie vermag ohne Unterstützung am Volkmann’schen Bänkchen zu gehen. Es
bestehen keinerlei Muskellähmungen. Im Liegen kann Patientin das rechte Bein
mit gestreckten Knieen leidlich heben, auch ist die Kraft der Kniestreckung
(passive Widerstandsprüfung) entschieden besser geworden. Muskelsinnstörungen
sind nicht zu constatiren; die ataxieartigen Bewegungen des rechten Beins sind
auf die Muskelschwäohe zu schieben. Bei der Sensibilitätsprüfung fühlt Patientin
an der linken unteren Extremität weniger deutlioh; Stecknadelkopf und -Spitze
werden zuweilen verwechselt. Am linken Bein hat Patientin beim Anlegen dee
mit kaltem Wasser gefüllten Reagenzgläschens das Gefühl der Wärme und gleich¬
zeitig einen eigenthümlichen Schmerz. Fusssohlenreflex beiderseits deutlich, Fuss-
sohlenkitzelreflex nicht auslösbar. Patellarreflex wie Achillessehnenreflex beider¬
seits in gleicher Stärke. Fussklonus besteht nicht Bauohdeckenreflexe nicht
auszulösen. Keine vasomotorischen Störungen. Die Haut beider Beine gleich
warm, nirgends livid. Subjectiv besteht das Gefühl von Hitze am linken Bein
und an der linken Hüfte. Die Schmerzen in der linken Seite und im linken
Bein, namentlich in der linken Fusssohle, welche die Patientin sehr gequält hatten,
sind erträglich geworden.
Verf. fügt dann noch zwei ähnliche Fälle von Rüokenmarksgesohwülsten an,
von denen der eine unoperirt, der andere operirt einen schnellen letalen Ausgang
nahmen. Im enteren Falle ergab die Section eine in vivo bereits angenommene
Carcinommetastase des 4. Dorsalwirbelkörpen, ausgehend von einem operirten
Mammacarcinom. Durch die Wucherungen des Carcinoma in den Wirbelcanal
war das Rückenmark stark abgeplattet, die weisse Substanz erweicht und von
Blutungen durchsetzt. Im zweiten Fall handelte es sich um ein Rückenmarks-
sarcom, dessen Sitz am 6.—8. Dorsalsegment angenommen wurde. Verf. entfernte
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den 4.—7. Wirbelbogen und konnte die Geschwulst, welche in einer flaohen Grube
in der linken Hälfte des Rückenmarks sasa, leicht beseitigen.
Eine Reihe von instruotiven Abbildungen erhöht den Werth der lehrreichen
Arbeit. In einem Nachtrag empfiehlt Verf. das von Seiffer (Berlin) neuerdings
eonstruirte spinale Sensibilitätssohema zur Segmentdiagnose der Rückenmarks¬
krankheiten auf das Angelegentlichste. Bielsohowsky (Breslau).
15) Ueber ein selten mächtig entwickeltes Gliome saroomatodes des
Rückenmarks, von 0. Fischer. (Zeitschr. f. Heilkunde. XXIT .)
3jähr. Mädchen, Januar 1899 unter Schmerzen im Kreuz und Schwäche in
den Beinen erkrankt. Stat. praes. (Juni 1899): Complette schlaffe Paraplegie der
Beine, Blasenmastdarmlähmung, Verlust der Sensibilität für alle Qualitäten im
Bereiche der unteren Gliedmaassen und des Stammes naoh abwärts von der 4.
bis 5. Rippe rechterseits, der 6. bis 7. links und hinten von der 9. Rippe an.
Decubitus. Wirbelsäule nicht percussions- oder druokschmerzhaft. Im November
auch beginnende Schwäche der oberen Extremitäten, welohe im Februar 1900 zu
einer vollständigen Lähmung derselben fortgeschritten war. Um diese Zeit auch
Pupillendifferenz (r. > L), Papille beiderseits stark geröthet, Venen geschlängelt.
Am 6. März Exitus.
Obduction: Dura spinalis vom 5.—10. Brustwirbel mit der ventralen Rücken-
marksfläche verwachsen, stellenweise von Aftermassen durchwuchert. Das Rücken¬
mark in seinem Volumen verdickt. Im Bereiche des Lendenmarkee hat eine
Aftermasse auch die Wirbelkörper durchsetzt und ragt in den Bauchraum als
hühnereigrosser Tumor vor. Das Rückenmark, welches im Lumbalantheile einen
Querdurchmesser von 40 mm, einen Sagittaldurohmesser von 22 mm aufweist, lässt
keine Spur der normalen Zeichnung erkennen. Im unteren Halsmarke ist die
Medulla durch Tumormassen abgeplattet und verdrängt, das Gebiet der Hinter¬
stränge durch diese eingenommen. Die Gesohwulstmassen erstrecken sich weiter
an und in den dorsalen Antheilen der Oblongata des Funiculus teres, links noch
bis zum Vierhügel um den Aquaeductus Sylvii. Der hinter und zwisohen den
beiden Tractus optici liegende Theil des Bodens des 3. Ventrikels ist von einer
weichen gallertigen, grauweissen Geschwulst eingenommen. Im linken Hemisphären¬
marke, vor dem Kopfe des Schweifkernes, ein haselnussgrosser Tumor. Im
obersten Halsmarke und unterem Theile der Medulla oblongata Spaltbildung.
Verf. giebt nun eine genaue Beschreibung des histologischen Beftmdee. In
den Tumormassen konnten bei electiver Färbung (nicht mit der Original-Weigert’-
schen Gliamethode, sondern zwei Modificationen) echte Gliafasern unzweifelhaft
nachgewiesen werden.
Auf die Einzelheiten des interessanten und sorgfältig untersuchten Falles
genauer einzugehen, hi esse den Rahmen eines Referates überschreiten. Das Haupt¬
interesse liegt erstens in der ungewöhnlichen Grösse und Malignität des Tumors
(Wucherung durch Dura und Wirbel in die freie Bauchhöhle), in der Bildung
von echten Metastasen einer Geschwulst, die Verf. „Glioma saroomatodes“ nennt,
und in der gleichzeitigen Bildung von syringomyelitischen Höhlen.
Zwei Tafeln mit 26 Figuren sind der lesenswerthen Arbeit beigegeben.
Piloz (Wien).
16) Ein intradurales Endothelfom im Berelohe der obersten Halssegmente,
von Doo. Dr. Friedrioh Sohlagenhaufer. (Arbeiten aus Prof. Ober¬
steiner’s Laboratorium. Heft 8. 1902.)
Bei einer 61jährigen Frau stellte sich zunehmende Schwäche und Oedem des
rechten Armes, später auch Parese des rechten Beines ein. Die Sensibilität war
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intact, nur bestanden Schmerzen in beiden Armen and im linken Beine. Im
Verlaufe totale Lähmung aller vier Extremitäten, der Blase und des Rectum«,
totale Anästhesie der Extremitäten und des Stammes. Die Patellarsehenreflexe
herabgesetzt. Bei der Obduction fand sich ein umfänglicher Tumor am Foramen
magnum, der von der harten Hirnhaut ausgeht und das oberste Halsmark stark
comprimirt, so dass dasselbe eine sichelförmige Gestalt hat und torquirt erscheint.
Histologisch erwies sich der Tumor als ein grosses psammöses Endotheliom der
Dura mater. Das oberste Halsmark weist die der Compressionsmyelitis zu¬
kommenden histologischen Veränderungen auf. Auf- und absteigende Degenerationen
fehlen. . Redlich (Wien).
17) Utbredt sarkom i ryggm&rvens tynde hinder, äf Holmsen. (Norsk
Mag. f. Lägevidensk. 1901. S. 318.)
Ein 8 Jahre alter Knabe erkrankte mit Schmerzen im Kreuz und Unterleib,
Parese im linken Beine und Ataxie in beiden Beinen. Der Gang war spastisch-
atactisch. Die Patellarreflexe waren gesteigert. Entartungsreaction war in den
Nerven und Muskeln der Beine nicht nachzuyeisen, als Pat. am 26. Januar 1900
in Prof. Joh annessen’s Abtheilung im Reichshospitale zu Christiania aufgenommen
wurde. Pat. konnte sich schwer im Bett aufrichten. Die Lähmung der Beine
und des Rumpfes nahm zu, Symptome von Lähmung des Darmes und der Blase
stellten sich ein, Abnahme der Sensibilität in allen Qualitäten vom Proc. ensiformis
an abwärts, im Februar Schmerzen und Parese im linken Arm, Schmerz und
Steifheit im Nacken, die Pupillen werden ungleich, der Puls wurde zeitweise un¬
regelmässig. Mitte März stellte sich Kopfrehmerz ein, manchmal blos linka, mit
Schweiss an der linken Seite des Kopfes; ferner traten Erbrechen, fibrilläre
Zuckungen in den Muskeln der Beine auf, Ende März epileptiforme Krampfanfälle
mit Verlust des Bewusstseins, denen Kopfschmerz auf der linken Seite und Schweiss
am Kopfe vorausgingen. Die Krampfanfälle wurden immer häufiger und heftiger;
nach einem Anfalle am 15. April kehrte das Bewusstsein nicht wieder und die
Krämpfe dauerten fort bis 2 1 /, Stunden vor dem Tode, der am Nachmittage des¬
selben Tages im Collaps eintrat. An den Armen waren die Krämpfe ohoreaartig.
Bei der Section fand sich keine Flüssigkeitsansammlung zwischen den dünnen
Hirnhäuten, keine Verdickung in diesen. Die Hirnoberfläohe erschien blass, ge¬
schwollen und mit abgeplatteten Gyri. Die Ventrikel waren von Flüssigkeit aus¬
gedehnt. Im Dorsaltheil des Rückenmarks fand sich eine weissliche, halb
gelatinöse, mürbe Masse zwischen Dura mater und Rückenmark, das sie vollständig
umschloss vom oberen Theile des Cervicaltheiles an bis zum Conus medullaris;
die Masse war nach hinten zu am dicksten, im oberen Dorsaltheil bis zum Cervical-
theil 6—7 mm dick, weniger dick vom 4.—2. Dorsalwirbel, hier verschwand sie
in der Richtung nach oben zu; im Dorsaltheil nach Tinten zu war sie ebenfalls
noch dick, nahm im Lendentheil an Dicke ab und verschwand unterhalb des
Conus. Das Rückenmark war von der Masse, die sich als Sarcom erwies, mehr
oder weniger zusammengedrückt, in der Höhe des 7. und 8. Dorsalwirbels voll¬
ständig erweicht und zerfallen. Walter Berger (Leipzig).
18) Ein Saoraltumor von hirnartigem Bau, von M. Borst. (Ziegler’s Beitr.
zur path. Anat. u. allg. PathoL XYIT. 1902.)
Beschreibung einer sehr sonderbaren, congenitalen Geschwulst, die erst ein
Geburtshinderniss abgegeben hatte, dann mit Erfolg operirt worden war und schon
makroskopisch den Eindruck zweier durch Hydropsie ausgedehnter Hirnhemisphären
machte. Dieselbe war stark kindskopfgross und setzte siob, den Hinterbacken
aufritzend, nach innen zwischen Steissbein und Mastdarm fort Der Tumor war
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— 558 —
cystisch, im Inneren aase pilzförmig ein kleiner, ebenfalls cystischer Tumor auf.
Mikroskopisch erwies sich die Wand der Hauptcyste als aus unfertiger Nerven-
substanz und Bindegewebe bestehend, in ersterer fanden sich in einem gliösen
Faserfilz Gliazellen und rudimentäre Ganglienzellen. Gelegentlich trat die nervöse
Substanz in gyrusartigen Massen auf, die Anfänge einer Differenzirung von Rinden-
und Markzone erkennen Hessen und mit ihrer Convexität sämmtlich nach aussen
gerichtet waren. — Die CyBten des pilzförmigen Centralkörpers waren mit
cubischem Epithel ausgekleidet, zeigten vielfach papilläre Vegetationen vom Typus
der Plexus chorioidei. Im Stiel desselben fanden sich drüsenschlauchartige
Wucherungen von zum Theil pigmentirtem Neuralepithel, von jungem Gliagewebe
umgebene Neuroepithelsohläuche, eine von abgeflachtem Pigmentepithel ausgekleidete
Höhle, Schichten von Bindegewebe, welche die Typen der Meningen wiedergeben,
Fettläppchen, periphere Nervenfasern und sogar ein unvollkommen entwickeltes
SpinalgangHon. — AusfÜhrHch behandelt Verf. die Frage, ob es sich um eine
bigerminale (Teratom-)Bildung oder eine monogerminale Geschwulst, ein Teratoid,
handelt; er entscheidet sioh für das letztere, hauptsächlich aus dem Grunde, weil
das Gebilde ausschHesslich aus Derivaten des Medullarrohres und seiner binde*
gewebigen Hüllen zusammengesetzt ist und Zellen aus anderen Keimblättern, die
in wahren Embryonen nie fehlen, vermisst wurden. — Auch die Annahme, dass
eine complicirte Myelocystomeningocele vorHege, wird zurückgewiesen und zum
Schluss die Ansicht ausgesprochen, dass sehr frühzeitig einsetzende Störungen im
Bereich des oaudalen Abschnittes des Medullarrohres zu einer mehr selbständigen
Entwickelung dieses Abschnittes geführt haben, und dass so auch am caudalen
Ende einige der Formenbildungen zu Stande gekommen Bind, die sonst ein aus*
schliesslich es Reservatrecht des vorderen Abschnittes des Medullarrohres sind.
H. Haenel (Dresden).
10) Bin Fall von Absoees des Rückenmarks nebst retrobulbärer Neuritis,
von Dr. J. Silfvast, Assistent an der Universitäts-Augenklinik in Heising*
fors. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
Bei einem 30jährigen, bis vor 1 Jahr ganz gesunden, aber seitdem zeitweise
an Kopfschmerzen (Stirngegend) leidenden Tagelöhner trat nach mehrstündiger
Sohlittenfahrt bei sehr niedriger Temperatur Sehstörung auf, die sich im Verlauf
von 2—3 Tagen zu vollständiger Erblindung auf beiden Augen entwickelte. Da¬
bei wurden sehr heftige Schmerzen in der Stirngegend und in den Augenhöhlen
verspürt, die bei Augenbewegungen Zunahmen. Ophthalmoskopisch ausser einer
vermehrten Füllung der Netzhautvenen und geringer Hyperämie der Papillen nichts
Besonderes. In Folge davon wurde mit Wahrscheinlichkeit eine retrobulbäre
Neuritis angenommen. Nach 2 Wochen, während die Erblindung unverändert
fortbestand, plötzlich Parese des Unken Beines mit erhöhten Sehnenreflexen und
Hyperästhesie und gleichzeitig sensible Lähmung des rechten Beines. Nach weiteren
2 Tagen Paraplegie der unteren Extremitäten mit erloschenen Sehnenreflexen,
complete Anästhesie der unteren Körperhälfte und Parese der oberen Extremitäten,
Temperaturerhöhung, Exitus. Bei der Section fand sich vorwiegend im centralen
Theil des Rückenmarks, und zwar vom 4. Cervical- bis zu den untersten Dorsal¬
segmenten ein eitriger Gewebszerfall. An dem Opticus wurden keine Ver¬
änderungen gefunden, doch muss erwähnt werden, dass die Autopsie bei Gas¬
beleuchtung vorgenommen wurde. Ausserdem enthielt der oberste Lappen der
rechten Lunge einen Hohlraum angefüllt mit käsig eitrigem Inhalt. Sehr wahr-
scheinUch wurden die Mikroorganismen von hier aus auf hämatogenem, embolischem
Wege nach dem Rückenmark und dem Opticus bez. in dessen Markscheide ver¬
schleppt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
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554
90) L'öooulement da liquide odröbro-spinal par la flstule odphalo-raohl-
dlenne en oondltiona normales et sous l’influenoe de quelqoes mödl-
oamentfl, par L. Cappelletti. (Archives italiennes de biologie. XXXVI.)
Ver£ hat an Hunden, denen er (vermittels einer Canüle: Methode Cavazzani)
eine Kopfwirbelsäulefistel angelegt, die Abflussverhältnisse des Liquor cerebro¬
spinalis untersucht:
a) Der Abfluss unter normalen Bedingungen erfolgt regelmässig, ununter¬
brochen und gleichartig, vorausgesetzt, dass er nicht länger als ungefähr eine
Stunde dauert; jenseits dieser Grenze treten Schwankungen au£ die hauptsächlich
mit der Unruhe des Thieres Zusammenhängen;
b) der Abfluss unter der Einwirkung einiger Medicamente: Einathmung von
Aethyläther bewirkt eine sofortige Vermehrung der Abflussgeeohwindigkeit mit
darauffolgender Verlangsamung. Auch Pilocarpin ruft eine Beschleunigung hervor,
aber weniger plötzlich und ohne anschliessende Verminderung. Die Wirkung des
Amylnitrits ist inconstant. Atropin und Hyoscyamin verlangsamen den Abfluss
bedeutend, bis zum Versiegen.
Diese Verschiedenheit könnte man im Hinblick auf den gefasserweiternden
Einfluss des Aethers, Pilocarpin und Amylnitrits, den gefässverengernden des
Atropins und Hyoscyamins, rein mechanisch durch Steigen bezw. Sinken des sub¬
arachnoidalen Druckes erklären. Es muss aber bedacht werden, dass das Pilo¬
carpin nicht nur, wie der Aether, ein vasomotorisches, sondern hauptsächlich ein
secretionsbeförderndes Mittel ist, und dass beide nicht ganz die gleiche Wirkung
auf den Abfluss des Liquor cerebrospinalis zeigen (vgl. o.). In dieser Thatsacbe
wäre vielleicht ein Fingerzeig zu erblicken zur Lösung des alten Problems, ob
der Liquor cerebro-spinalis als ein einfaches Transsudat oder als ein Secret zu
betrachten sei. Otto HirBoh (Nieder-Schönhausen).
21) Ueber einen Fall von Abfluss oolossaler Mengen von Oerebroepinal-
flüssigkeit naoh BüokenmarksVerletzung, von E. Giss. (Mitthlg. a. d.
Grenzgeb. d. M. u. Chir. VHL)
Durch einen Messerstich war in der Höhe des 6. Halswirbels der Duralsack
— nicht das Bückenmark, wie die Ueberschrift sagt — verletzt worden. Nach
3 Tagen wurde die abgebrochene Messerklinge, deren Spitze, nach den heftigen
Schmerzen im Arm zu schliessen, die Wurzeln des Brachialplexus lädirt haben
musste, entfernt. Schon vorher starker Abfluss von Cerebrospinalflüssigkeit, der
sich nach der Operation so vermehrte, dass Verband, Betttücher und Matratze
durchnässt wurden; die abgesonderte Menge betrug schätzungsweise anfangs zwei
bis drei Liter täglich, später 2—300 com. Als nach einem Monat die Wunde
sioh schloss, waren im Ganzen mindestens 30 Liter Flüssigkeit abgeflossen.
Während des HeilungsverlaufB traten mehrmals Anfälle von sehr starken Kopf¬
schmerzen und Hirndrucksymptomen auf, wenn aus irgend einem Grunde der
Abfluss stockte. — Ein Vergleich mit Versuchsergebnissen an grossen Thieren
beweist, dass in diesem Falle eine erhebliche Hypersecretion der Plexus chorioidei
nach dem Trauma sich entwickelt haben musste. H. Haenel (Dresden).
22) Le liquide oöphalo-raohldien aprös la raohloooalnisation, par P. Re van t
et P. Aubourg. (Gazette des höpitaux. 1901.)
Um die Beschwerden, die der lumbalen Cooaininjection folgen (Kopfschmerz,
Erbrechen, Schwindel u.s.w.), zu vermindern, haben Verff. einige Stunden nachher
eine neuerliche Punction vorgenommen, um eventuell noch vorhandenes Cocain zu
entfernen und um den Druck herabzusetzen. Der Eingriff schien stets günstig
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einzu wirken. Es zeigte sich, dass bei starkem Kopfschmerz auch der Druck,
unter dem der Liquor ausfloss, grösser war. Die histologische Untersuchung ergab
nur ein Hai in 21 Fällen ganz normalen Liquor, sonst waren reichliche poly-
nucleäre Leukocyten vorhanden. 3—4 Tage später erwies sich der Liquor stets
klarer, die polynucleären Leukocyten wurden durch mononucleäre und durch
Lymphocyten ersetzt Nach 8—20 Tagen war der Liquor völlig normal. Da
durch gleichzeitige bakteriologische Untersuchung eine Infection ausgeschlossen
werden konnte, wurden die Erscheinungen auf eine durch das Cocain bedingte,
jedoch bald wieder schwindende Beizwirkung auf die Meningen zurückgeführt.
R Hatschek (Wien).
23) Du oytodiagnosla du liquide cöphaloraohidien chez renitent, par H. M6ry
et Babonneix. (Bulletins de la sociätö de pödiatrie. 1902. Februar.)
Man hat den Formen von Leukocyten, wie sie im Sediment der Punctions-
flflssigkeit bei Meningitis Vorkommen, eine wichtige diagnostische Bedeutung zu-
geschrieben, welche allerdings nicht unwidersprochen geblieben ist Die beiden
Autoren glauben auf Grund ihrer Untersuchungen jedenfalls daran feathalten zu
können, dass die Anwesenheit geformter Elemente in der PunotionsflQssigkeit für
Meningitis spreche, bezw. deren Fehlen eine entzündliche Affection der Hirnhäute
ausschliessen lasse. Sie formuliren in den Schlusssätzen ihrer Mittheilung auoh
die Ansicht, dass bei tubercnlöser Meningitis Lymphocyten entweder ausschliesslich
oder doch vorwiegend im Sedimente sich vorfinden, müssen aber selbst an der
Hand eines Typhusfalles mit reiner Lymphocytose die Verwerthbarkeit dieses
Befundes einschränken. In der Discussion zu dieser Mittheilung geben auoh
andere Autoren das Vorhandensein ausschliesslich einkerniger Elemente bei Typhus
zu. Netter verweist darauf, dass er schon makroskopisch das weisse, compactere
Coagulum bei tuberoulöser Meningitis von dem gelblichen, sich leicht ausbreitenden
Niederschlag bei Cerebrospinalmeningitis zu unterscheiden pflege.
Zappert (Wien).
24) Ponotlon saoro-lombaire, par Chipault. (Progrös mödical. 1901. Nr. 46.)
Verf. machte 57 Lumbalpuncüonen und gesteht in nur 4 Fällen effectiven
Nutzen gehabt zu haben; aber diese letzteren betrafen die doch immerhin seltenen
Fälle von Bpecifischen und septischen Meningitiden. Einen mildernden, aber doch
nicht stets sicheren Erfolg sah er in 14 Fällen bei Hydrocephalus, der auf here¬
ditär syphilitischer Basis beruhte, bei Cerebellartumoren, Meningitiden, die auf
Tuberculoae oder Pneumokokken zurüokgeführt werden konnten und bei Epilepsie.
Adolf Passow (Meiningen).
25) Ueber die pathologlsohen Veränderungen, welohe in dem Central¬
nervensystem von Thieren durch die Lumbalpunotion hervorgerufen
werden, von Dr. V. P. Ossipow. Aus dem Laboratorium von Prof.
H. Oppenheim in Berlin. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde. XIX.
1901.)
Zur Entscheidung der Frage, inwieweit die einmalige oder öfters vorgenommene
Lumbalpunotion in dem Centralnervensystem vorübergehende oder dauernde Schäd¬
lichkeiten hervorruft, stellte Verf. an kleinen 7—15 kg schweren Hunden ent¬
sprechende Versuche an. Er bediente sich dabei des von Krönig angegebenen
Apparats. Die Thiere wurden mit Aether narcotisirt und in haiblinker Seitenlage
mit stark gekrümmter Wirbelsäule operirt, indem die Nadel unter dem 4. und
5. Lendenwirbel eingestochen wurde. Einige Zeit nach der letzten Lumbalpunotion
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556
wurden die Hunde mittele Carotisdurchschneidung unter Aethemarcose getödtet,
Gehirn und Rückenmark in Stücke zerschnitten und in die Fixirflüssigkeit gelegt,
Die Controlversuche bestanden darin, dass die Thiere mehrmals mit Aether narko-
tisirt und dann durch Aetherchloroform getödtet wurden.
Bei der anatomischen Prüfung der Präparate stellte es sich heraus, dass
durch Entleerung der Cerebrospinalflüssigkeit mittels Lumbalpunction in den Ge-
fässen der Hirnhäute sowie in der Substanz des Hirns und Rückenmarks eine
dauernde Hyperämie hervorgerufen wird. Bei wiederholten Punctionen kommt ee
hauptsächlich in der grauen Substanz der Lumbal-, oberen Dorsal- und unteren
Cervicaltheile des Rückenmarks zu zahlreichen punktförmigen Blutungen. Nach
mehrmaligen Punctionen treten in den Nervenzellen Hämorrhagieen auf, in deren
Folge die Verhältnisse der Blutcirculation und Zellernährung ungünstig beeinflusst
werden.
Es ergiebt sich daraus, dass das neuerdings relativ häufig angewandte Ver¬
fahren doch als kein so harmloser Eingriff anzusehen ist. Bei Sklerose der Ge-
fässe und bei Aneurysmen im cerebralen Circulationsapparat ist dasselbe direct
contraindicirt, ebenso bei acuten und chronischen Afleotionen des Centralnerven¬
systems, bei welchen nicht deutliche Erscheinungen einer Druckerhöhung seitens
der CerebroBpinalfliissigkeit nachweisbar sind. E. Asch (Frankfurt a/M.).
26) Analgösie par Injeotion sous-araohnoldienne lombaire de oocaüne, par
Dr. Vulliet (Revue mödicale de la Suisse romande. 1901. Nr. 11.)
Die kleine Arbeit ist ein kritisch gehaltenes Referat über die bisherigen
Erfahrungen mit der Bier’schen Anästhesie. Verf. mahnt vorläufig nooh zu
grosser Vorsicht, ist aber der Ueberzeugung, dass diesem Verfahren eine grosse
Zukunft bevorstehe. Es selbst verfügt über 66 eigene Beobachtungen. 52 Mal
war die Anästhesie eine absolute, 6 Mal eine theilweise, doch so, dass ohne
Zuhülfenahme der Narcose operirt werden konnte; in 8 Fällen wurde gar kein
Erfolg erzielt, ohne dass die Ursache eruirbar war. Während der Anästhesie
hatten etwa */ 4 der Fälle leichtere Beschwerden (Blässe, Angstgefühl). Nach der
Narcose fühlten sich 20 völlig wohl; über heftiges Kopfweh migräneartigen
Charakters klagten 22. 2 Fälle boten bedrohliche Erscheinungen. Der eine, ein
ÖOjähriger Herr, durch eine lange Zeit eiternde Wunde sehr geschwächt, bot
mehrere Stunden nach der Injection (0,02) folgendes Bild dar: unerträgliche Kopf¬
schmerzen, allgemeines Zittern, Contractur der oberen Extremitäten, Prostration,
verlangsamter Puls, fibrilläre Zuckungen im Gesicht. Dieser Zustand dauerte
3 Tage in allmählich abnehmendem Grade. In dem anderen Falle waren die
Erscheinungen ganz andere: es betraf eine sehr geschwächte Frau mit Myocarditis.
Die Symptome waren: Herzschwäche, Syncope, ungeheuer beschleunigter, faden¬
förmiger Puls. H. Wille (St Pirminsberg).
Psychiatrie.
27) Die Anfänge der abnormen Erscheinungen im kindlichen Seelenleben,
von J. Trüper. (Altenburg, 1902.)
Die kleine, nach einem Vortrag ausgearbeitete Brosohüre wendet sich vor
allem an Lehrer, Eltern, Seelsorger u. 8. die dadurch auf die Nothwendigkeit, *
sich mehr als bisher dem Studium der abnormen Kindesseele zu widmen, hin¬
gewiesen werden sollen. Im ersten Theil wird die Frage nach der Grenzlinie
zwischen Abnorm und Normal gestellt, allerdings, wie das in diesem Zusammen¬
hänge auch kaum anders möglich ist, nicht eigentlich beantwortet Interessant
ist der Excurs auf die sooiale Bedeutung der geistig nioht normalen Menschen:
Google
557
Kaum eine der geschichtlich bedeutungsvollen Persönlichkeiten würde den An¬
forderungen an einen „Normalmenschen“ entsprechen. Bei den Fällen einseitiger
Begabang wird auf die Nothwendigkeit hingewiesen, diese Seite nicht noch be¬
sonders zu cultiviren, sondern im Gegentheil gerade den zurückgebliebenen Fähig¬
keiten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Frage der Ueberbürdung wird
gestreift und mit ihr der Fehler, der damit begangen wird, dass man schwache
Schüler durch Nachhülfestunden bessern will, wenn diesen nicht auf der anderen
Seite eine Entlastung parallel läuft. Bei der Vererbung seelischer Minderwertig¬
keiten kommt der Alkoholismus zu seinem gebührenden Rechte, die Ergebnisse
der Statistik wie der Experimentalpsychologie werden in sachkundiger Weise heran¬
gezogen. Unter den Schlusssätzen sei der hervorgehoben, der die Nothwendigkeit
betont, ernste Maassnahmen zu treffen zur Verminderung der nervenzerrüttenden
Ursaohen und zur Fürsorge für die psychopathischen Minderwertigen, sei es im
Bahmen der öffentlichen höheren oder niederen Schulen, sei es durch besondere
Anstalten. H. Haenel (Dresden).
28) Becherohes experimentales sur la psyoho-phyBiologie des halluoinations,
par N. Vasohide et CL Vurpas. (Arcives italiennes de biologie. XXXVI.)
Durch experimentelle Untersuchungen über die Psychophysiologie der Hallu-
cinationen sind die Verff. zu folgenden Anschauungen gelangt:
1. In gewissen Fällen kann eine Hallucination unter denselben Bedingungen
im Bewusstsein auftauohen und den nämlichen Gesetzen gehorchen wie die objec-
tiven Gesichtsempfindungen und Gesichtswahrnehmungen.
2. Inmitten der durch äussere Veränderungen oder durch störende physio¬
logische Einflüsse hervorgerufenen Umwandlung der objectiven Bilder kann die
Hallucination in ihren Grundbestandtheilen fest und unbeweglich bleiben. Der
Aufbau der Hallucination scheint eine deutlich umrissene Form zu besitzen, deren
Charakter als Object durch eine ähnliche Abstraction zu Stande kommt wie jener
einer jeden Wahrnehmung.
3. Die Zerstreutheit begünstigt die Erzeugung von Hallucinationen; diese
erscheinen als ein Zeichen von Zusammenhangslosigkeit der Bewusstseinsinhalte.
4. Die durch Suggestion oder physiologische Veränderungen hervorgerufene
Hallucination scheint in vielen Punkten sich jener Art von Hallucinationen zu
nähern, die mit organischen Störungen des centralen oder peripheren Nerven¬
systems zusammenhängt. Es handelt sich dabei im grossen Ganzen um den
qualitativ, wenn nicht auch quantitativ, gleichen Vorgang. Eine organische Ver¬
letzung hat Verwirrtheit zur Folge und gleichzeitig einen Verlust gewisser
Erinnerungsbilder, der sie der Zerstreutheit nahe bringt — aber in erster Linie
wirkt sie durch Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, welche zwar nicht die
Hallucination als solche, aber doch die Bedingungen begleitet, unter welchen diese
entsteht und sich entwickelt. Unsere Wahrnehmungen sind nichts als Hallu¬
cinationen, sowohl vom rein psychischen wie vom psychophysiologischen Standpunkt
aus. Beide machen die gleiche Entwickelung durch; die Trennung beginnt, ab¬
gesehen von den Unterschieden in der Mitwirkung der Aufmerksamkeit, bei der
die Hallucination begleitenden Verminderung der Controlfähigkeit; die den gleichen
Bewusstseinsinhalt umfassende Wahrnehmung hat mehr Kraft und sie baut sich
aus in einem logischen System psychischer Bilder oder in einer Phantasie¬
vorstellung, deren sämmtliche Bestandtheile geprüft werden können.
Man könnte also wirklich zu dem Schlüsse kommen, dass es eigentlich gar
keine Hallucinationen giebt, sondern dass wir nur wahre oder falsche Wahr¬
nehmungen haben. Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen).
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556
20) Oer Unterricht des Pflegepersonals für Geisteskranke, von L. Kaplan.
(Die Krankenpflege. 1. 1901/02.)
Verf. weist auf die Bedeutung hin, die für den Pfleger das riohtige Ver-
ständniss für das Wesen der Geisteskrankheit hat; weniger noch als anderswo
kann hier das blinde Befolgen von Einzelvorschriften den an einen guten Pfleger
zu stellenden Anforderungen genügen. In Herzberge werden seit längerer Zeit
Anfänger* und Fortbildungscnrse für das Pflegepersonal gehalten, in denen u. a.
das Wesen der dementeren, psychischen Abweichungen und das praktisch wichtigste
ihrer äusseren Kennzeichen den Hörern klargemacht wird. Besondere Beachtung
verdient es, dass zu diesem Zwecke in den Cursen auch einige geeignete Kranke
klinisch vorgestellt werden. Diese Einrichtung hat nicht nur keine Unzuträglich-
keiten, sondern nur Vortheile gebraoht. H. Haenel (Dresden).
30) Die ärztliche Feststellung der verschiedenen Formen des Schwach¬
sinns in den ersten Schuljahren, von L. Laquer (Frankfurt a/M.).
(Deutsche Praxis. Zeitschr. f. prakt. Aerzte. 1901. Nr. 20.)
Auf Grund seiner Beobachtungen in der Normal(Volks-, Elementar-, Bürger-)
Schule und in der Hülfssohule bezw. in den Hülfoklassen für schwachbefähigte
Kinder bespricht Verf. die frühzeitige Erkennung und Beurtheilung des angeborenen
oder in zarter Kindheit erworbenen Schwachsinns (vergL auch die bekannte
Schrift des Verfi’s über „Die Hülfeschulen, ihre ärztliche und sociale Bedeutung“
[Wiesbaden 1900, J. F. Bergmann]).
Verf. unterscheidet folgende drei Grade des Schwachsinns: 1. Debilität
(die Denkprocesse erscheinen gehemmt, die Kinder fassen langsam auf, während
für concrete Begriffe ein besseres Verstaudniss und eine gewisse Merkfähigkeit
vorherrscht), 2. Imbecillität (offenkundige geistige Beschränktheit, schwaches
Gedächtniss, Lernen, besonders Rechnen, wird den betreffenden Kindern schwer,
Zerstreutheit, leichte Ermüdung, Entartungszeichen), 3. Idiotie (diese Kinder
fassen nur sehr geringfügige oder gar keine Eindrücke, können sie weder sammeln
noch verarbeiten, blöder Gesiohtsausdruck, Grinsen, Zwangsbewegungen, Degene¬
rationszeichen). Die Debilen kommen in den Schulen — event. mit Nachhülfe-
stunden und Sitzenbleiben — gerade noch mit, die Imbeoillen gehören in be¬
sondere Hülisklassen und Hülfssohulen, die Idioten in Idiotenanstalten.
Am wichtigsten ist die frühzeitige Erkennung und Absonderung der Imbecillen
(der stumpfen und erregten Formen), welche in der Normalschule nicht fort-
kommen können, sich dort- selbst unglücklich fühlen und den Unterricht der
anderen nur hemmen.
Nothwendig zur Lösung dieser Aufgabe ist vor allem die Anstellung eines
Schularztes, ferner genaue Erhebungen über die häuslichen Verhältnisse der Kinder
(über Geburten, Aborte der Mütter, Kindersterblichkeit; Tuberculose, Trunksucht,
Criminalität, Selbstmorde in der Ascendenz) sowie Erkundigungen über die frühste
Kindheit der Schüler (Kopfverletzungen, Hirnentzündungen, Art der Ernährung
in den ersten Lebensmonaten, Zahnbildung, Beginn des Gehens und Spreohens,
Eklampsie, Epilepsie, Ohnmachtsanwandlungen, Enuresis, Sprachstörungen). Ueber
alle Kinder, deren geistige Minderwertigkeit schon nach dem ersten halben Jahre
erkannt wird, müssten besondere Acten und Charakteristiken (Personalbogen) an¬
gelegt werden.
Beachtung verdient zwecks Herausfindung der Imbecillen unter anderem auch der
Standpunkt und das Verhalten der Mitschüler zu den notorisch Schwachen der Klasse.
Zur Beurtheilung der Verbreitung des Schwachsinns seien folgende Zahlen
wiedergegeben: in den Hamburger Volksschulen betrug die Zahl der Imbecillen
im Jahre 1900 etwa 2 /s°/o der Gesammtzahl von 80,000 Schulkindern, in Frank¬
furt mussten von 66,000 Schulkindern aus Mittel- und Volksschulen im März 1901
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etwa 100 für imbecill erklärt werden. Die Vernrtheilnngen jugendlicher Ver¬
brecher zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr sind von 1882—1896 um 42,3 °/ 0
gestiegen, die Mehrzahl dieser Verbreoher ist aber intellectuell und moralisch
schwachsinnig von Kindheit auf.
Zur Herbeifährung einer Besserung dieser Zustände ist die frühzeitige Er¬
kennung des Schwachsinns seitens des Schularztes und Ueberfährung der geistig
Schwachen in die Hülfssohulen von grosser Wichtigkeit. Kurt MendeL
Therapie.
31) Das HOhenkllma im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke,
von Determann. (Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge. Nr. 308.)
Die zum Theil im Berliner meteorologischen Institute ausgefiihrte Arbeit
unterscheidet sich vortheilhaft von den Aufsätzen mancher Bade- und Anstalts¬
ärzte, die sich häufig genug nur in allgemeinen Redewendungen und uncontrolir-
baren Phrasen bewegen. Verf. unterzieht, gestützt auf zahlreiche, übersichtliche
Tabellen meteorologischer Daten, der Reihe nach die verschiedenen, für die ge¬
stellte Frage in Betracht kommenden klimatischen Factoren einer Besprechung.
Diese sind die Sonnenstrahlung, die tägliche Schwankung der Temperatur, die
sogen, interdiurnen Temperaturschwankungen, die Möglichkeit eines guten Luft¬
abflusses bei Orten an Berghängen oder in Thälern; der Feuchtigkeitsgehalt der
Luft, die damit in Zusammenhang stehende Bewölkung und Nebelbildung sowie
die Häufigkeit und Art der Niederschläge, die in ihrer Form, ob Regen oder
Sohnee, eine verschiedene Beurtheilung finden müssen. Wichtig ist hier u. a. die
Feststellung der Thatsache, dass im Allgemeinen, abgesehen von einigen Gipfel¬
stationen, die Niederschlagsmengen im Gebirge im Winter nicht unerheblich ge¬
ringer sind als im Sommer. Auch die Dauer der Schneedecke verdient Berück¬
sichtigung. Die Dauer und Kraft des Sonnenscheins ist von grosser Bedeutung,
in Bezug auf klares Wetter sind die Winter- den Sommermonaten im Gebirge
in erheblichem Maasse überlegen. Weiter wird der Wind nach Richtung und
Stärke, ob Local- oder Fernwind, betrachtet; Schutz gegen Nord-, Nord-Ost- und
Ostwinde wird als ein erstes Erfordernde für einen Winterkurort in der Höhe
dargestellt. Auch die Bedeutung des Föhns wird erwähnt. Besonders werthvoll
ist die Arbeit dadurch, dass sie nicht nur die Alpen, sondern mit gleicher Gründ¬
lichkeit auch die deutschen Mittelgebirge, Riesengebirge, Schwarzwald und Vogesen,
Thüringer Wald und Harz in den Kreis der Betrachtung zieht Von der Defi¬
nition ausgehend, dass Höhenklima ein solches ist, das besondere charakteristische
Eigenschaften auf den Menschen ausübt, setzt Verf. die untere Grenze desselben
in der Schweiz auf 900—1000 m, im Riesengebirge, Schwarzwald und Vogesen
auf etwa 700 m, im Thüringer Wald und Harz auf etwa 600 m an. Die absolute
Höhe eines beliebigen Ortes ohne Berücksichtigung der mannigfaltigen anderen,
das Klima beeinflussenden Factoren sagt also über seine Bedeutung als Winter¬
kurort gar nichts aus. Die Anforderungen, die Verf an ein Winterhöhenklima
für Kranke stellt, sind folgende: reine, staubfreie, durchsichtige Luft günstige
Exposition der Sonne (SW-Abhang), windgeschützte Lage in einem nicht zu engen
Thal, günstige Formation der Berge (Windschutz und lange Besonnungsdauer),
nicht zu hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft geringe Bevölkerung, nicht zu häufige
und besonders nicht zu langdauernde Niederschläge, seltene Nebelbildung, seltenes
Vorkommen von Regen im eigentlichen Winter und lange Dauer einer Schnee¬
decke. — Zum Schluss folgt eine Aufzählung der Indicationen für Höhenkuren
im Winter, unter denen auch den fnnctionellen Nervenkrankheiten ein breiter
Raum eingeräumt wird, und eine ganz kurze Beschreibung der bekannteren Höhen¬
kurorte, welche jetzt schon zur Aufnahme von Winterpatienten eingerichtet sind.
H. Haenel (Dresden).
edbyGoOgl«
560
UL Bibliographie.
1) Sammelatlaa für den Ban von Irrenanstalten. Ein Handbuch für Be¬
hörden, Psychiater und Baubeamte. Herausgegeben von Dr. G. Kolb (Bay¬
reuth). Erste Lieferung. Mit 12 Grundrissen. (Halle a/S.1902, Carl Marhold.)
Es soll der Zweck dieses Sammelatlanten, welcher in 10—12 Lieferungen in
Pausen von etwa 6 Wochen erscheinen wird, sein, den an dem Bau einer Irren¬
anstalt Betheiligten eine rasche Orientirung im Bereiche des Irrenbauwesens zu
ermöglichen. Der Atlas soll dem Psychiater die im Allgemeinen nicht voraus¬
zusetzenden bautechnischen Fertigkeiten durch die Zusammenstellung und kritische
Würdigung einer grösseren Anzahl von Grundrissskizzen ersetzen, dem bautechnischen
Fachmann wie dem Juristen einen möglichst vollständigen Einblick in die Ziele
und Bestrebungen der modernen Psychiatrie gewähren und dadurch ein gedeih¬
liches, weil verständnisvolles Zusammenwirken aller Factoren ermöglichen.
Der Plan, in jeder Lieferung einmal Fragen aus dem praktischen Gebiete
der Psychiatrie, besonders im Hinblick auf die Eigentümlichkeiten der Irren¬
anstaltsbauten, in einem zweiten Theil die Grundrisse der Krankengebäude für
Anstalten verschiedener Grösse wiederzugeben, und die Gesichtspunkte, welche für
die Construction maassgebend waren, aufzuzählen, ist in dem vorliegenden Hefte
streng durchgeführt.
Falls auch die folgenden Hefte dieses Werkes ebensolche Sachlichkeit wie
das vorliegende zeigen, ist zu erwarten, dass dieses Werk einem tatsächlich be¬
stehenden Mangel abhilft.
Das Heft zeichnet sich durch guten Druck und anerkennenswerte Aus¬
stattung aus. Ascher.
2) Traitd des maladles de la moölle dplnidre, par J. Dejerine et Andrö
Thomas. (Paris 1902, Bailliöre et Fils. 470 S.)
Jedes neue Werk, dessen Titelblatt den Namen Dejerine’s trägt, verspricht
dem Lesenden einen neuen Genuss und flösst ihm neue Bewunderung für den
grossen Forscher ein; auch in dem vorliegenden Buche hat der geniale Meister
wiederum ein beredtes Zeugniss seines Fleisses und Könnens geliefert. Er hat
sich mit Andr6 Thomas, einem Autor, dessen Namen ebenfalls einen guten
Klang hat, verbunden, um ein Werk zu schaffen, welches sich würdig an seine
klassischen Arbeiten über die „ Anatomie des centres nerveux“ und über die
„S6miologie du systöme nerveux“ anrett.
Zum Referiren ungeeignet, mehr zum Nachschlagen als zur continuirlichen
Lectüre verwendbar, enthält das Dejerine-Thomas’sche Werk in erschöpfender
Darstellung die Beschreibung sämmtlicher Erkrankungen des Rückenmarks, ihrer
Geschichte, Aetiologie, pathologischen Anatomie, Symptomatologie, Prognose und
Therapie, mit Ausschluss der Rückenmarkssyphilis. Ganz besonders lobend zu er¬
wähnen ist die Güte und treffliche Auswahl der 162 Figuren.
Da, wo die Ansichten über eine Frage noch geteilt sind, führen die Autoren
die verschiedenen Hypothesen und Meinungen an, kritisiren die einzelnen und
fügen die ihrige hinzu. So z. B. treten Bie betreffs der Little’sohen Krankheit
der Ansicht Oddo’s bei, dass nämlich dieses Leiden sowohl cerebralen wie spinalen
Ursprungs sein kann; bezüglich der Tabes sind sie der Meinung, dass der Aus¬
gangspunkt der Läsionen gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden
kann, dass vielmehr neue Studien an Fällen von Tabes incipiens darüber Auf¬
klärung geben müssen, jedenfalls nehmen die endogenen Fasern des Rückenmarks
am tabischen Prooess nicht theil. Der Syphilis schreiben die Verff. eine grosse
Rolle in der Aetiologie der Tabes zu, eine antiluetische Kur Bei anzuwenden,
wenn die Krankheit ganz im Beginne ist, wenn eine frühere Behandlung der
zedby Google
561
Syphilis nicht stattgefanden hat oder ungenügend war, wenn im Verlaufe der
Tabes Erscheinungen wie Arteriitis, progressive Paralyse, Paraplegie, Hemiplegie,
Epilepsie, Apoplexie auftreten. Contraindicirt sei die specifische Therapie, wenn
eine frühere Behandlung ohne Erfolg war oder wenn die Tabes Bchon vor¬
geschritten ist. Die Kur könne schädlich wirken bei Kachexie, Intoleranz gegen
Quecksilber und bei Atrophia nervi optici.
Dejerine und Thomas haben in vorliegendem Werke in knapper, präciser
Form und mit bewundernswerthem Fleiss und Geschick alles Wichtigere zusammen¬
gestellt, was wir im Beginn des 20. Jahrhunderts über die Erkrankungen des
Bückenmarks wissen. Das Buch wird für jede Bibliothek eine Zierde sein, der
Pariser Schule macht dasselbe alle Ehre. Kurt Mendel.
IV. Aus den Gesellschaften.
XXXVII. Versammlung des Vereins der Irrenärzte Niedersaobsens
und Westfalens in Hannover am 3. Mai 1002.
Vorsitzender: Herr Gerstenberg (Hildesheim); Schriftführer: Herr Snell
(Hildesheim).
Herr Bruns (Hannover): Heuropathologisohe Demonstrationen.
Vortr. spricht zunächst unter Mittheilung zweier von ihm selbst beobachteter
Fälle über die Diagnose der otitischen Absoesse des Kleinhirns und
über den Grad der Sicherheit, den diese Diagnose erreichen kann. Im
ersten Falle (junger Mann von 14 Jahren) bestand seit einem Jahre linksseitige
Ohreiterung. Im Laufe der Beobachtung stellten sioh dann die Symptome einer
eitrigen Sinusthrombose mit typischer Fiebercurve ein. Ein inficirter
Thrombus wurde im linken Sinus transversus gefunden, aus diesem entfernt und
nachher auoh noch die linke Jugularis unterbunden. Darauf zunächst Besserung,
dann Schmerzen in der rechten Kopfseite, auch bei Beklopfen des Kopfes hier.
Von ohrenärztlicher Seite wurde jetzt die Diagnose einer rechtsseitigen Sinus¬
thrombose gestellt, aber hier und überhaupt am Ohre rechts nichts gefunden; auch
die rechte Kleinhimhemisphäre wurde bei dieser Operation ohne Erfolg punotirt.
Vo da an traten bei andauernd niedriger Temperatur allmählich folgende Er¬
scheinungen auf: Schwindel, mässiger Kopfschmerz mit sehr häufigem
Erbrechen, taumelnder Gang mit Neigung nach rechts und hinten
zu fallen. Schwindel und Erbrechen traten vor allem bei Lageveränderungen
des Kopfes und des ganzen Körpers ein; namentlich auch bei gleichzeitig sehr
starkem Kopfschmerz, wenn Pat. sich auf den Bauch legt. Patellarreflexe
beiderseits lebhaft; beiderseits auch Achillesclonus. Rechts deut¬
licher Extensions-Babinski. Die Beine im ganzen auch sehr schwach; keine
Rumpfmuskelschwäche. Keine Sprachstörung. Die linke Pupille etwas weiter als
die rechte; Reactionen normal; links leichte Neuritis optica. Kein Nystagmus.
Keine Dysarthrie. Psyohisch frei, aber leicht ermüdbar. Colossale Abmage¬
rung, speciell der Beine. Die Haut sehr trooken. Am Puls nichts Besonderes.
Die Diagnose wurde auf einen Abscess der linken Kleinhirnhemi¬
sphäre gestellt und eine Operation für den nächsten Tag beschlossen. An diesem
Tage befand sich aber der Pat. so gut, dass mit Rücksicht auf die Möglichkeit,
dass ein Theil der Symptome, und gerade die für die Kleinhirndiagnose wichtigsten,
auoh durch eine Erkrankung des inneren Ohres allein bedingt sein konnten, wieder
Zweifel in Bezug auf diese Diagnose sich einstellten und die Operation verschoben
wurde. Aber schon 2 Tage später setzten speciell die Allgemeinerscheinungen in
voller Schwere wieder ein und wurde nun die Operation bestimmt auf den
näohsten Tag festgesetzt. In der Nacht aber starb der Pat. plötzlich. Die Section
ergab einen abgekapselten, etwa taubeneigrossen incomplicirter Ab-
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562
BC688 am äusseren hinteren Ende der linken Kleinhirnhemisphäre; von der Basis
des Kleinhirns war er etwa 3 / 4 cm entfernt; die obere Fläche erreiohte er bei¬
nahe; hier war die Pia verfärbt. In der Umgebung des Absceesee eine geringe
blutige Erweichung.
Im zweiten Falle (Knabe von 12 Jahren) bestand eine langjährige linke
Ohreiterung, die lange behandelt war. Zuletzt war vom Ohrenarzte Dr. Jens
eine linksseitige eitrige Sinusthrombose operirt. Danach trat eine mehr-
monatl. Besserung ein; dann, etwa 8 Tage vor der Untersuchung durch den Vortr.
(25. Januar 1901), zuerst wieder Erbrechen; seitdem andauernde heftigste
Kopfschmerzen, unregelmässiger Puls. Nystagmus rotatorius beim
Blicken nach rechts und links; keine Augenmuskellähmung; keine Pupillen¬
differenz; die Pupillen reagiren auch auf Licht. Gang unsicher, mit leichter
Neigung nach links zu fallen. Bechts (also gekreuzt) Achillesclonus;
Patellarrefleze beiderseits lebhaft. Starke Abmagerung. Sensorium frei. Seit
24 Stunden linke Papille geröthet; Grenzen undeutlich. Am 26. Januar
1901 (Abends 7 Uhr) wurde aus der linken Kleinhirnhemisphäre etwa 1 */, Ess¬
löffel Eiter entleert. Der ZuBtand des Kranken besserte sich aber nicht. Nachts
sehr unruhig, schreit andauernd. Am nächsten Morgen Tod bei ganz plötz-
liohem Athmungsstillstande; vorher Puls sehr langsam. Keine Section.
Die Diagnose war in beiden Fällen gestellt, weil sich im Anschluss an
länger dauernde eitrige Erkrankungen der hinteren Theile des inneren Ohres
und vor allem auch noch im Anschlüsse an eine eiterige Sinusthrombose im Sinus
transversus charakteristische Symptome eingestellt hatten. Diese waren Kopf¬
schmerzen, Erbrechen und Schwindel — im ersten Falle besonders
bei Lageveränderungen des Kopfes — cerebellarer Gang mit Neigung,
einmal nach hinten und vom kranken Ohr weg, einmal nach der Seite
des kranken Ohres zu fallen; im zweiten Falle Nystagmus. Beide Male
leichte Neuritis optica auf der kranken Seite. Beide Male an den
unteren Extremitäten Anzeichen, die auf einen beiderseitigen Druck
auf den Hirnstamm hindeuteten, der aber am gekreuzten Beine stärker
war, — einmal nur rechts Extensions-Babinski; einmal nur rechts
Achillesclonus. Beide Male starke Abmagerung. Auch ist hervorzuheben,
dass bei linksseitiger Ohrerkrankung jedes Herdsymptom vom linken Sohläfen-
lappen fehlt.
Die Schwierigkeiten der Diagnose eines Kleinhirnabsoesses sind ja besonders
darin begründet, dass eine Anzahl für das Kleinhirn specifisoher Symptome auch
bei Erkrankungen des inneren Ohres Vorkommen können. Dahin gehören: der
Schwindel — besonders auch bei Lageveränderung des Kopfes —, das Erbrechen,
der unsichere Gang, der Nystagmus; handelt es sioh um eine eitrige Otitis media,
so kann natürlich hier auch Fieber, Kopfschmerz, ja sogar Neuritis optica be¬
bestehen. Wegen dieser differentialdiagnostischen Schwierigkeiten wurde leider
im ersten Falle auch die schon beschlossene Operation wieder aufgesohoben.
Vortr. glaubt nun, dass das in diesem Falle nicht berechtigt war. Kommen zu
den erwähnten Symptomen, wie in beiden beschriebenen Fällen, noch Erscheinungen,
die auf eine doppelseitige, aber auf der Seite des Ohrleidens stärkere Affection
des Hirnstammes hindeuten (s. oben) — dahin gehört auch z. B. eine Dysarthrie
und eine Blicklähmung auf der Seite der Affection —, fehlen bei linksseitigen
Erkrankungen die Symptome des linken Schläfenlappenabscesses, und hat vorher
besonders eine Erkrankung des Labyrinthes, vor allem aber eine Thrombose des
Sinus transversus bestanden, so kann man wohl die Diagnose otitiscber
Kleinhirnabscess mit Sicherheit stellen und wird dann eine Operation
nicht aufschieben.
ln zweiter Reihe zeigt Vortr. eine Anzahl von Hirntumoren und be¬
spricht sie in symptomatischer, diagnostischer und therapeutischer
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568
Beaiebting. Ito ersten Falle handelte es sieh tun einen bis dahin gesunden
und kräftigen Mann in den 50. Jahren. Er war im November 1898 im Dampf¬
bade gefallen und hatte sich auf der rechten Seite mehrere Rippenbrüche zu¬
gesogen. Es schloss sich eine tnberculöse Erkrankung der verletzten Rippen
daran; Pat. musste sich mehrfachen Operationen unterziehen. Ein Jahr später
(Oetober 1894) trat in der Nacht ein erster schwerer, allgemeiner, epilep¬
tischer Krampfanfall ein; Anfang 1895 ein zweiter, April 1895 drei gleiche,
Deoember 1895 vier gleiche Anfälle, immer in der Nacht. Ende December 1895
trat nun bei einem Spaziergange ein erster partieller Anfall auf; es zuckten zuerst
nur das rechte Gesicht und die Zunge, nachher auch der rechte Arm. Das rechte
Bein betheiligte sieh nicht; psychisch war der Kranke während des Anfalles ver¬
worren, aber nicht bewusstlos. Das Sprechen war während des Anfalles unmög¬
lich ; hinterher war ee länger behindert, als das Schreiben. Zu dieser Zeit unter¬
suchte Vortr. den Pat. zum ersten Male. Der Befund war von Seiten des Nerven¬
systems ein absolut negativer; im Urin fanden sich aber 2°/ 0 Zucker. Dieser
Diabetes mellitus bestand bis zum Tode fort — die Zuckermenge schwankte
zwischen 0,5 und 8°/ 0 .
Vortr. sah dann den Kranken bis April 1899 ärztlich nicht wieder. Zu
dieser Zeit wurde er wieder consultirt. Es bestanden seit mehreren Wochen alle
10 Minuten wiederkehrend, und zwar durch Tag und Nacht, Jaokson’sche An¬
fälle, die sioh meist auf den rechten Facialis beschränkten — der Stirnfacialis
krumpfte auf beiden Seiten —, selten auch den rechten Arm betheiligten. Die
Sprache war während der Anfälle ganz unmöglich, der Pat. war aber bei vollem
Bewusstsein. Eine Stauungspapille bestand nicht; über Kopfschmerzen klagte der
Kranke nicht, Erbrechen fand nicht statt. Im Urin 2 °/ 0 Zucker. Damals stellte
Vortr. die Diagnose eines Tumors im linken Facialiscentrum und rieth zu
einer Operation, die aber abgeschlagen wurde. Allmählich verloren sich die
Krämpfe — nun blieb eine Dysarthrie — ein verlangsamtes, leicht Bcandirendea
Sprechen zurück; keine Spur von eigentlicher Aphasie. Lähmungserscheinungen
der rechten Extremitäten bestanden nicht Vortr. hat den Pat dann durch
längere Zeit oft gesehen, aber nicht untersucht Er klagte nie Über Allgemein-
ersobeinungen des Tumors, wird aber in dieser Beziehung wohl dissimulirt haben,
da ihm sehr daran lag, seine Stelle zu behalten. Ab und zu kamen Krämpfe im
rechten Facialisgebiete vor. Zuletzt hat Vortr. den Pat. im Oetober 1900 unter¬
sucht Es bestand jetzt deutliche Dysarthrie und Paraphasie — schreiben konnte
Pat. aber noch bis in seine letzten Lebenstage. Der Gang war schwankend und
unsicher, eine deutliche Lähmung der Extremitäten bestand nicht Jetzt wurde
auch dae Auftreten von Erbrechen und Kopfschmerzen zugegeben, Facialis-
krämpfe waren selten. Der Augenhintergrund wurde zu dieser Zeit nicht unter¬
sucht Bald darauf Tod unter gehäuften Krämpfen.
Die Section ergab ein von den Häuten ausgehendes extraoerebrales Sarcom
zwischen Dura und Pia. Seine grösste Länge, die in sagittaler Richtung lag,
betrug 8 cm, die in transversaler Richtung verlaufende grösste Breite 6 cm, die
grösste Dicke etwa 4 cm. Die Form war linsenartig — scharfe Ränder und
eme untere und obere convexe Fläche. Der Tumor hatte eine tiefe Grube in die
linke Hirnoberfläche gedrückt, ohne aber in das Gehirn Belber einzudringen oder
dieses zur Erweichung zu bringen. Die grösste Masse des Tumors lag im Ge¬
biete der zweiten Stirnwindung links, die tief eingedrückt und verbreitert war;
die erste Stirn Windung war kaum, die dritte mässig comprimirt. Nach hinten
war die untere Hälfte der vorderen Central Windung zu einem dünnen, vor der
Roland’scben Furche liegenden Bande zusammengedrüokt; die obere Hälfte der
vorderen Centralwindung war kaum comprimirt; die hintere Centralwindung
gm* nicht.
«' Interessant sind im vorliegenden Falle folgende Umstände: 1. Die lange.
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Dauer der Krankheit. Wenn man, was doch wohl richtig sein dürfte, annimmt,
dass schon die ersten, Herbst 1894 beobachteten allgemeinen Krämpfe auf den
Tumor zurückzuführen waren, so hat das Leiden volle 5 Jahr gedauert; während
des grössten Theiles dieser Zeit konnte Pat. seinen Dienst als Portier versehen.
2. Der Umstand, dass zuerst allgemeine, erst später partiell epileptische Anfälle
eintreten. Das hat Vortr. mehrfach beobachtet. Hier lag der Tumor wohl zuerst
in der zweiten Stirnwindung — rückte wohl später auf das Facialiscentrum zu.
3 Es bestand lange Zeit nur Dysarthrie, keine Aphasie, erst zuletzt leichte
Paraphasie. Das ist charakteristisch für Tumoren in der Nähe des motorischen
Sprachcentrums. 4. Es bestand keine Schreibstörung bis zum Tode, obgleich der
Tumor den stärksten Druck gerade auf die zweite Stirnwindung, die von Einigen
als Schreibcentrum angesehen wird, ausübt. 6. Obgleich Lähmungen im rechten
Beine nicht bestanden, was bei der Lage des Tumors .plausibel, bestand doch
zuletzt taumelnder und unsicherer Gang, frontale Ataxie. 6. Der Tumor wäre
im April 1899, wo er sicher diagnosticirt war, gut zu operiren gewesen. Gerade
bei Tumoren über den Centralwindungen sind aber oft die Allgemeinerscheinungen
so gering, dass die Patienten auf einen Vorschlag zur Operation nicht eingehen.
Den zweiten Fall bespricht Vortr. nur kurz als einen Beweis dafür, wie die
Localdiagnose irren kann, wenn man sich für dieselbe sehr auf ein einzelnes
Symptom verlässt. Es handelte sich um einen jungen Mann, der unter den ge¬
wöhnlichen Allgmeinerscheinungen eines Hirntumors im Laufe von
6 Monaten allmählich erblindet war. Im September 1900 bestand beiderseits
totale Amaurose und das Bild einer postneuritischen Sehnerven¬
atrophie. Es liess sich nachweisen, dass das Sehen zuerst nach rechts hin aus¬
gefallen — rechte Hemianopsie (?). Es bestanden bei der totalen Amaurose
nur schwierig genau festzustellende Augenmuskellähmungen; besonders der
Blick naoh oben war behindert; nach anderen Bichtungen hin bestand Nystag¬
mus. Die unteren Extremitäten waren schwach; sie knickten häufig ein;
die Patellarreflexe waren beiderseits lebhafter; rechts fand sich Achilles-
clonus. Im rechten Arme wird über Schmerzen geklagt; beiderseits zeigte sich
Intentionstremor der Arme. Auf der linken Schläfenseite liess sich
ein lautes, auch vom Pat. empfundenes Gefässgeräusch hören. Vortr.
nahm an, dass dieses Geräusch im Gebiete der linken Carotis interna zu Stande
käme — entweder Aneurysma oder gefassreicher oder gefässcomprimirender Tumor.
Die Augen und Augenmuskelsymptome liessen sich bei diesem Sitze leicht er¬
klären; die Extremitätensymptome führte Vortr. auf eine Compression der Hirn¬
schenkel, namentlich des linken, zurück. Die Diagnose des Ortes in der mittleren
Schädelgrube schien noch sicherer, als Vortr. später eine Neuralgie im linken
Supraorbitalis und beiderseitige Anosmie constatirte. Als später bei Zunahme
der Allgemeinersoheinungen auch unsicherer Gang eintrat, glaubte Vortr. denselben
als frontale Ataxie ansehen zu können. Die letzten 5 Monate seines Lebens
hat Vortr. den Pat. nicht mehr gesehen — es bestand zuletzt totale Lähmung
aller Extremitäten und Decubitus. Die Section ergab keinen Tumor der linken
mittleren Schädelgrube, sondern eine kirsohgrosse, wahrscheinlich von der
Zirbeldrüse ausgehende Geschwulst auf dem vorderen, dem dritten
Ventrikel znneigenden Ab hange der Vierhügel; in diese war eine tiefe Grube
eingedrückt. Das Geräusch war wohl ein venöses gewesen durch Druck auf die
Vena magna«Galeni, die direct mit der oberen Fläche des Tumors zusammenhing.
Ohne dies Symptom, durch das Vortr. sich auf die mittlere Sohädelgrube feetr
ritt, hätte er wohl sicher auch an die Vierhügel gedacht —. die Symptome
waren alle auch bei diesem Sitze zu erklären; einzelne, wie der Intentionstremor
der Arme, der atactische Gang und vielleicht auch die Blicklähmung nach oben,
wiesen mehr auf diesen Sitz als auf den an der Basis hin. Doch zeigt der Fall
immerhin, wie sehr die Symptome eines Tumors der mittleren Schädelgrube, wenn
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er erat doppelseitige Symptome von Seiten der Hirnnerven und von Seiten der
Hirnschenkel macht, denen einer Gesohwulst der Vierhügel ähneln können.
Ferner zeigt Vortr. einen aus dem linken Armcentrum (speciell Handgebiet)
einer 40jährigen Frau durch Operation gewonnenen Tumor. Es handelt
sich um ein Sarcom, das ungefähr die Form und die Grösse eines kleinen Bora-
dorfer Apfels hat. Es hatte sich in der Hirnsubstanz selber entwickelt, mit seiner
Kuppe die Rinde durchbrochen und war hier auch mit der Dura verwachsen.
Die Symptome waren typisch. Zunächst Parästhesieen in den mittleren
Fingern der rechten Hand, dann Krämpfe, die zuerst — bei vollem Be¬
wusstsein — nur die Finger, später auch die Hand betrafen; nur vereinzelte
Male traten auch Zuckungen im Ellenbogen, häufiger im linken Gesichte auf. Die
Sprache war auch während der Anfälle ungestört. Allmählich cerebrale Lähmung
der linken Hand — es fehlte die Extension der Finger und die Beugung der Hand,
während Beugung der Finger und Extension der Hand noch erhalten war; ferner
fehlten die InterosseuBbewegungen, Ellenbogen- und Schulterbewegungen waren
erhalten. Der rechte untere Facialis war etwas paretisch. Am rechten Beine,
das kaum nachgezogen wurde, Achillesklonus und stärkerer Patellarreflex als links.
Am rechten Arme auch das Lagegefühl gestört und das Berührungsgefühl un¬
sicher. Daneben beiderseitige schwere Stauungspapille mit Blutungen; anfallsweise
eintretende wüthende Kopfschmerzen, Erbrechen. So war der Zustand am 3. März
d. J. Eine energische Jodkalikur liess die Allgemeineracheinungen — Kopf¬
schmerzen und Erbrechen — nur für wenige Tage zurücktreten, dann traten sie
mit voller Heftigkeit wieder ein. Die Operation fand am 22. März statt; in
der Trepanationsöffnung lag die Oberfläche des Tumors frei zu Tage; er konnte
stumpf aus dem Gehirn entfernt werden. Die ersten 3 Tage nach der Operation
bestand motorische Aphasie, aber die Fähigkeit, alles nachzusprechen; der rechte
Arm war ganz gelähmt; das rechte Bein ganz normal beweglich. Dann trat
unter starkem Druck die Cerebrospinalflüssigkeit am Hirnprolaps auf, der auch
jetzt (Anfang Mai) noch theilweise besteht, und eine totale motorische Aphasie
und auch Lähmung des rechten Beines bedingte. Jetzt fängt die Pal an wieder
nachzusprechen; sie kann auch Lieder mit guter Wortaussprache singen, aber
dieselben Lieder nicht einfach sprechen; sie kann lesen. Sie benutzt das rechte
Bein beim Gehen einigermaassen wieder, der rechte Arm ist noch ganz gelähmt.
Kopfschmerzen, Erbrechen und Krämpfe sind seit der Operation ganz ausgeblieben;
psychisch ist die Patientin ganz frei. Die Stauungspapille ist noch nicht völlig
zurückgegangen (Dr. Stölting).
Zuletzt demonstrirt Vortr. einen freien Cysticerous im 4. Ventrikel,
der von ihm mit Bestimmtheit diagnosticirt war. Es handelt sich um einen
40jähr. Mann, der seit etwa 6 / 4 Jahren an folgenden Krankheitssymptomen litt:
Es besteben Perioden von wochenlanger Dauer mit heftigsten Kopf¬
schmerzen und Nackensteifigkeit, andauerndem Erbrechen und leb¬
haftestem Schwindelgefühl. Diese Perioden wurden abgelöst von ebenso
lange dauernden Zeiträumen, in denen Pat. sich ganz wohl fühlt, frei von Kopf¬
schmerzen und Erbrechen ist; nur muss er sich auch in diesen Perioden vor
schnellen Umdrehungen des Kopfes und überhaupt des ganzen
Körpers hüten, weil sonst lebhafte Schwindelerscheinungen auftreten. Eine
Zeit lang bestand auch Doppeltsehen, ohne dass dafür eine bestimmte Augen¬
muskellähmung angeschuldigt werden konnte. Als Vortr. Anfang März d. J. den
Pat. untersuchte, bestand wieder eine Kopfschmerz- und Brechperiode; das Brechen
trat mit gleichzeitigem Schwindel bei jeder Lageveränderung ein; als der Pat.
auf Ersuchen des Vortr. den Kopf brüsk nach links drehte, fiel er
sofort um und wurde sehr übel. Im Uebrigen war von dieser Zeit der Be¬
fund von Seiten des Nervensystems ein vollständig negativer; es bestanden weder
Lähmungen von Hirnnerven noch von Seiten der Extremitäten; die Reflexe waren
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in Ordnung; psyohisch war Pat. ganz frei. Im Urin, am Herzen und an den
Lungen fand eich nicht*. Einen Bandwurm hatte Pat. nie gehabt. Auf Ver¬
ordnung von Jodkali trat zuerst eine leichte Besserung ein, die aber nicht lange
anhielt ; als Vortr. den Pat. am 29. März d. J. zum letzten Male sah, bestand
leichtes Schwanken beim Gehen und Pat äusserte selbst, er habe das Gefühl
als sei er betrunken. Zu dieser Zeit wurde von Dr. Stölting eine beiderseitige
beginnende Sehnervenschwellung festgestellt Pat ging nun auf B.’s Baih
in das städtische Krankenhaus zu Hannover; in einem Briefe an den Chefarzt
desselben, Prof. Dr. Reinhold, stellte Vortr. die Diagnose eines Hirntumora und
nahm die Möglichkeit eines Cysticercus im 4. Ventrikel an. Im Krankenhaus
wurden neue Symptome nicht beobachtet; namentlich ist wiohtig, dass irgend
welohe erheblichen Anomalieen in der Respiration und der Herzthätigkeit sich
nicht feststellen Hessen. Am 6. April verstarb der Pat ganz plötslioh,
noch ehe ein Arzt dazukommen konnte. Naoh diesem plötzHchen Tode
stellte Vortr. die Diagnose Cysticercus ventriouli IV mit Sicherheit.
Die Section (Prosector Dr. Stroebe) ergab ausser starkem Hydrooephalus internus,
die zu einer Verbreiterung des Pons geführt hatte, einen an der linken Seite des
Calamus soriptorius freiUegenden abgestorbenen Cysticercus. Kein Bandwurm.
Eine zweite Cystioercusblase verkalkt im rechten Peotoralis; das Gehirn im
Uebrigen ganz frei.
Die Diagnose war auf folgende Momente gestützt, die von eigenen und Anderer
neuesten Erfahrungen ausgehen: 1. Auf den häufigen Wechsel zwischen den
wochenlang andauernden stärksten sogen. Allgemeinerscheinungen eines Tumors:
Kopfschmerz, Erbrechen und Schwindel, und ebenso langen siemHoh freien Stadien.
2. Auf die innigen Beziehungen, die zwischen starken Schwindelanfällen und
rascherer Lageveränderung des Kopfes bestanden. 3. Auf das Fehlen und die Un¬
bestimmtheit sonstiger otyectiver Symptome — Stauungspapille trat erst ganz zu¬
letzt au£ wobei zu bemerken, dass die sonst noch beobachteten Symptome, wie
Doppeltsehen und leichter cerebellarer Gang, doch in einer ganzen Anzahl von
Fällen von Cysticercus im 4. Ventrikel beobaohtet sind und häufig zu der
irrthQmHchen Diagnose Kleinhirntumor geführt haben. 4. Auf den plötzHch ein¬
tretenden Tod.
Erwähnenswerth ist noch, dass in diesem wie in vielen gleichen Fällen deut-
Hohe Symptome von Seiten der Herzthätigkeit und der Respiration fehlten; ebenso
Zuckerharn. Vortr. hält es naoh dem jetzigen Stande unserer Erfahrungen für
möglioh, bei einem dem vorstehenden gleichen Verlaufe und Symptomenoomplexe
die Diagnose eines Cysticercus im 4. Ventrikel mit grosser Wahrscheinlichkeit zu
stellen, auch ohne den plötzliohen Tod abzuwarten, der dieser Diagnose
allerdings besondere Sicherheit verleiht. Ist die Diagnose in solchem Grade
wahrscheinlich, so würde man wohl an eine operative Behandlung denken können;
nur müsste es dazu möglich sein, zu erkennen, ob es sich um einen frei schwim¬
menden oder im Boden des 4. Ventrikels festsitzenden Cysticercus handelt; denn
nur im ersten Falle würde bei einer Entleerung der Hirnflüssigkeit durch An¬
stich des 4. Ventrikels die Cystioercusblase sich auch entleeren. Nun scheinen
die Symptome, die ja meist auf dem wechselnden Hydrooephalus internus beruhen,
im Uebrigen bei freiem und fixirten Sitze des Cysticercus im 4. Ventrikel die¬
selben zu sein; Vortr. möchte aber annehmen, dass die starken Schwindelanfalle mit
Hinstürzen bei brüsken Kopfbewegungen besonders bei freien Cystioerken Vor¬
kommen und hält diesen Umstand für spätere Beobachtungen der besonderen Be¬
achtung empfohlen. Auch verkennt er natürlich nicht, dass die plötzliche Ent¬
leerung einer unter starkem Druck stehenden Ventrikelflüssigkeit aus dem vierten
Ventrikel ihre grosse Gefahr hat; man könnte daran denken diese Operation in
den von Kopfschmerz freien Perioden zu machen, in denen wahrscheinlich der
Hydrooephalus internus nicht so stark ist. Zum Schluss erwähnt Vortr. noch,
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567
dass, wie er «ob persönlicher Mittheilung des Collegen Loewenthal in Braun-
schweig weise, auch diesem vor einiger Zeit die Diagnose eines Cysticercus im
4. Ventrikel gelungen ist.
In der Discussion geht Herr Loewenthal (Braunschweig) näher auf den
von ihm diagnosticirten Fall ein. Er hat die Diagnose ebenfalls gestellt auf
Grund der häufigen Remissionen und Exacerbationen und des bei Lagewechsel
eintretenden Schwindels.
Herr Alt (Uohtspringe) hebt hervor, dass er in der Sitzung des Vereins vom
Jahre 1897, wo Cramer dfhen auch von Bruns beobachteten Fall von fest-
sitzendem Cysticercus im 4. Ventrikel vorgestellt habe, auf Grund eines selbst-
beobacbteten Falles mit intermittirender Glycosurie die Ansicht ausgesprochen
habe, dass bei weiterer genauer Beobachtung entsprechender Fälle man wohl dahin
kommen könnte, eine Diagnose des Cystioercus im 4. Ventrikel zu machen. Bruns
und Cramer hätten ihm damals widersprochen; er freue sich, dass nun gerade
Bruns jetzt diese Diagnose gelungen sei.
Herr Bruns erwidert darauf, dass immerhin auch jetzt noch etwas
Glück dazu gehöre, damit die Diagnose richtig sei. Wechselnde
Perioden von Exacerbationen und Remissionen der Krankheitssymptome kämen
auch bei anderen Hirntumoren vor; und der Einfluss des Lage Wechsels auf die
Symptome sei namentlich bei Tumoren des Kleinhirns und der hinteren Schädel¬
grube oft sehr deutlich. Bruns.
(Fortsetzung folgt)
XXVII. Wandervemmmltwg der stidwestdeutsohen Neurologen und
Irrenärzte zu Baden-Baden am 24. und 25. Mai 1002.
I. Sitzung vom 24. Mai, Vormittags ll l / 4 Uhr, im Conversationshause zu
Baden-Baden. Eröffnung durch den ersten Geschäftsführer Herrn Hofrath Prof.
Dr. Kraepelin (Heidelberg).
Herr Prof. Dr. Kraepelin gedenkt in tiefempfundenen Worten des Heim¬
ganges eines der eifrigsten und hervorragendsten Mitgliedes der Wanderversamm¬
lung, des Strassburger Physiologen Prof. Dr. Goltz. Die Versammlung ehrt das
Andenken des Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen.
Zum Vorsitzenden für die I. Sitzung wird Geheimrath Prof. Dr. Hitzig gewählt
Schriftführer: Dr. Leop. Laquer (Frankfurt a/M.) und Prof. Dr. A. Hoche
(Strassburg).
Anwesend sind 106 Theilnehmer.
Nach Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten werden folgende Vorträge
gehalten:
Herr Prof. Dr. Hoffmann (Heidelberg) stellt drei Kranke vor:
L Ein junges Mädchen, die an einer Neuritis hypertrophioa interstitialis
leidet Es finden sich motorische Lähmungserscheinungen mit leichter Atrophie
in verschiedenen Schulter-, Arm- und Beinmuskeln bei erhaltener Sensibilität,
schwachen Sehnenreflexen und starker Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit
in allen motorischen Nerven. Alle fühlbaren Nervenstämme sind hart und
verdickt, sehr druckschmerzhaft
IL Ferner zeigt eine 63 j. Frau, die erschienen ist, einen über Gesichts-, Zungen-
und Wangenmnekeln, Gaumensegel und Stimmbänder ausgebreiteten Tio oonvulsif.
IIL Endlich bietet ein 23 jähriger Bauernbursche einen eontinuirllohen
Faaialiskrampf, der in den Gesichtsmuskeln und im Platysma auftritt, mit
leichter Parese dar; es war eine periphere Facialislähmung vorausgegangen.
Der elektrische Befund ergiebt die paradoxe Reaction, die der myotonischen und
neurotonischen Reaction ähnlich ist (Langsam eintretende träge tonische Zuokung
mit Nachdauer.)
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Herr Dr. Ebers (Baden-Baden) berichtet von der operativen Heilung eines
klonischen Krampfes der Nacken- und Halsmuskeln bei einem 39 jährigen
Manne, der in Südafrika Malaria bekommen und lange Jahre daran gelitten hatte.
Prof. Dr. Kocher (Bern) hat eine grosse Reihe von Hals* und Nackenmuskeln
des Kranken, der zur Demonstration anwesend ist, durchschnitten und eine Heilung
des Krampfes auf diesem Wege erzielt, nachdem vorher alle Mittel vergeblich
gegen das quälende Leiden angewendet worden waren.
Zur Discussion äussert sich Herr Schultze.
Herr Privatdocent Dr. Vulpius (Heidelberg)! Sehnenüberpflansnng bei
spinaler Kinderlähmung.
Die Bemühungen der Orthopädie um die Therapie von Nervenleiden haben
besonders bemerkenswerthe Erfolge gezeitigt bei der spinalen Kinderlähmung.
Die mechanische Orthopädie hat in der Construction von portativen Apparaten Fort¬
schritte gemacht, die chirurgische Orthopädie aber hat zu der einfachen Tenotomie
complicirtere Sehnenoperationen hinzugefügt, Verlängerung, Verkürzung und nament¬
lich Ueberpflanzung von Sehnen. Die Sehnentransplantation hat bereits ein recht
umfangreiches Indicationsgebiet, es eignen sich für diese Operation periphere wie
spinale und cerebrale Lähmungen, Hemiplegieen und Diplegieen, schlaffe und spa¬
stische Lähmungen. Was die spinale Kinderlähmung anlangt, so wurde die Ueber¬
pflanzung zunächst am Unterschenkel ausgeführt, weiterhin auch am Vorderarm
bei Lähmung im Radialisgebiete. Schwieriger scheint der Ersatz des gelähmten
Quadriceps wegen seines Volumens und seiner Inanspruchnahme. Und doch sind
auch hier merkwürdig günstige Erfolge zu erzielen. Als Beweis für die Leistungs¬
fähigkeit der Methode am Oberschenkel wurden zwei Patienten gezeigt:
I. 9 jähriger Knabe, Eintritt der Lähmung im 1. Lebensjahre. Lähmung
des Quadriceps und des Biceps, Beugecontraction des Kniegelenkes. Gehen be¬
schwerlich wegen Einknickens. Operation: Der Semimembranosus wird durch
künstliohe Seidensehne um 6 cm verlängert, letztere an die Tuberositas tibiae be¬
festigt, die Sehne selbst wird an die Patella und auf den Quadriceps genäht.
Nachträglich noch Osteotomie wegen Genu valgum. Resultat: Nach 7 Monaten
kann der Unterschenkel völlig und kräftig gestreckt, das im Kniegelenk gestreckte
Bein bis zur Horizontalen gehoben werden. Der Knabe geht flott, steigt Treppen
auf- und abwärts wie ein Gesunder.
II. 5 1 J a jähriger Knabe, Eintritt der ausgedehnten Lähmung beider Beine im
1. Lebensjahre. Der Junge lernte nie laufen, sondern bewegte sich entweder auf
allen Vieren oder nur mit Hülfe der Hände fort. Es entwickelten sich hoch¬
gradige Contractionen beider Hüft-, Knie- und Sprunggelenke. Der traurige Zu¬
stand erforderte eine Reihe von Operationen: Ueberpflanzungen und Tenotomieen
an den Unterschenkeln, Myotomie der Spinamuskeln, Osteotomia subtrochanterica
am Oberschenkel. Arthrodose des deformirten linken Kniegelenkes nebst Ueber¬
pflanzung des Biceps auf den Quadriceps, um das Recidiv der Contractur zu
vermeiden, endlich ausgiebige Ueberpflanzung am rechten Oberschenkel. Biceps,
Semitendinosus, Semimembranosus, Sartorius kommen auf den Quadriceps.
Resultat: Das linke Kniegelenk ist in Streckstellung versteift, der rechte Unter¬
schenkel wird völlig und mit geradezu normaler Kraft gestreckt, bis zum halben
rechten gebeugt. Der Junge geht völlig aufrecht und ohne Apparat an der
Hand geführt, kann sich auch ohne fremde Hülfe fortbewegen.
Herr Prof. Dr. Schwalbe (Strassburg) sprach über das von ihm entdeckte Gehira-
relief der Auasenfläohe des Sohädels. Es ist ihm gelungen nachzuweisen, dass
dieOberflächenverhältnisee bestimmter Partieen des Gehirns an der Aussenfläche des
Schädels sich ausprägen. Es findet dies vor allem an den von Muskeln bedeckten
Theilen des Schädels statt, also besonders an der von Muskeln bedeckten Unter-
schuppe des Hinterhauptbeins und in der Schläfengegend. An ersterer kann man
beinahe ausnahmslos die Wölbungen der Kleinhirnhemisphären als Protuberantiae
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cerebellares sich yorwölben sehen, bezw. an dem noch mit Haut und Muskeln
bedeckten Schädel durchftihlen. Bei einigen Thieren ist Qberdies dem Kleinhirn-
raume entsprechend noch eine deutliche Eminentia vermiana an der Aussenseite
des Hinterhauptbeins wahrzunehmen (besonders schön z. B. bei Lemur.)
Viel mannigfaltiger ist das Gehimrelief auf der Aussenfläche der vom
M. temporalis bedeckten Schädelfläche. Eine deutliche, vom grossen Keilbein-
flügel schräg nach oben und hinten auf das Scheitelbein sich fortsetzende Rinne,
welche der Vortr. als Sulcus sphenoparietalis s. Sylvii extern us bezeichnet, theilt
die Schläfengegend in ein oberes vorderes kleineres Stirnlappengebiet und in
einen unteren hinteren grösseren Schläfenlappenabschnitt. Im ersteren tritt
gewöhnlich noch im Gebiet des Stirnbeins, nicht selten aber auf Scheitelbein und
grossen Keilbeinflügel übergreifend, eine meist kreisförmig begrenzte Protuberanz
hervor, welche, wie die Vergleiohung mit dem Innenrelief des Schädels ergab,
einer Impressio digitata entspricht, welche durch den oberen Theil der Pars
triangularis der dritten Stirnwindung erzeugt wird. Vortr. hat ihr den Namen
Protuberantia gyri frontalis inferior s. tertii gegeben. — Das am
weitesten nach lateral vorspringende Relief der Aussenfläche des Schläfenlappen¬
gebietes entspricht stets der mittleren (zweiten) Schläfenwindung und ist in der
Mehrzahl der Fälle durch eine besondere, genau dem Verlauf der zweiten Schläfen¬
windung entsprechende besondere Wulstung, Protuberantia gyri temporalis
medii, ausgezeichnet. In manchen Fällen ist auch der hinterste Abschnitt der
dritten (unteren) Schläfen windung als leichter Wulst unmittelbar über dem nach
oben vom Porus acusticus externus gelegenen Theil der Crista supramastoidea als
besondere Wulstung, Protuberantia gyri temporalis inferior, wahrzu¬
nehmen. Endlich kann man nicht selten auch einen im Gebiet des oberen Theiles
der Sutura squamosa verlaufenden dritten Wulst wahmehmen, der auf das untere
Scheitelbeingebiet übergreift. Er entspricht der ersten oder oberen Schläfen¬
windung und ist vom Vortr. Protuberantia gyri temporalis superioris
s. prioris benannt worden. Dies Windungsrelief der äusseren Oberfläche der
menschlichen Schläfengegend ist individuell sehr verschieden, bald beiderseitig,
bald rechts, bald links mehr ausgebildet. Eine besondere Bevorzugung der linken
Seite konnte an dem dem Vortr. zu Gebote stehenden Material nicht oonstatirt
werden. Vortr. hebt seine Bedeutung für die craniocerebrale Topographie hervor
und macht ferner auf die wissenschaftliche Bedeutung dieser neuen Funde für die
Fragen der Beziehung des Gehirnwachsthums zum Schädelwachsthum, sowie für
die allgemeinen das Knochenwachsthum betreffenden Fragen aufmerksam. Genaueres,
auch mit Bezugnahme auf Gall’s Lehren und alte und moderne Phrenologie, findet
sich in seiner Arbeit: „Ueber die Beziehungen zwischen Innenform und Aussen-
form des Schädels“ (Archiv f. klinische Medicin. LXXIL 1902).
Am Eingang seines Vortrages demonstrirte Vortr. einige Schädel von Säuge-
thieren, an denen das Windungsrelief des Grosshirns sich an der Aussenfläche der
ganzen Seitenwand des Schädels bis nahe zur dorsalen Mittellinie vollständig aus¬
prägt; es reicht hier auch der M. temporalis bis nahe zur dorsalen Mittellinie.
Die demonstrirten Schädel gehörten zunächst der Familie der Musteliden an; es
wurde der Schädel eines Htis mit zugehörigem Schädelhöhlenausguss, ferner der
eines Baummarders und einer Fischotter vorgelegt, an denen fast alle Furchen
und Windungen des Gehirns an der Aussen fl äche als entsprechende Furchen
und Windungen sichtbar sind. Sodann wurde der Schädel eines Halbaffen (Lemur
varius) demonstrirt, der ebenfalls ein prachtvolles Windungsrelief der Temporal¬
gegend erkennen lässt.
An den von Muskeln bedeckten Theilen der Schädelkapsel (Unterschuppe des
Hinterhauptbeins, Temperalgegend) prägt sich also zunächst das Hirn re lief an
der Oberfläche aus und auf diesem erscheint erst, gewissermaassen secundär
aufgetragen, das Muskelrelief. Letzteres besteht im Schläfengebiet aus sehr
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variablen, dem Verlauf der Faserang des M. temporalis entsprechenden Rinnen
and aas einer eigentümlichen zarten Felderang der Sqoama ossis. temporam, die
den feinen Bündelursprüngen des Schläfenmuskels und ihren Zwischenräumen
entspricht. Leop. Laqner (Frankfurt a/M.).
(Fortsetzung folgt.)
V. Neurologische und psychiatrische Litteratur
vom 1. März bis SO. April 1902.
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Irrenanstalten. Allg. Zeitschr. f. Psych. LIX. Heft 1. — Gaupp, Irrenfürsorge in Baden.
Centralbl. f. Nervenn. u. Psych. Nr. 147. — Fuchs, Walter, Staatliche Prophylaxe in der
Psych. Deutsche Praxis. Nr. 8. — Stier, Verhütung und Behandlung von Geisteskrank¬
heiten in der Armee. Hamburg, Gebr. Lüdeking. 48 S. — Coluccl, Educabilitä dei dementL
Ann. di nevrol. XX. Fase. 1.
VII. Therapie. Lovelace, Methylene Blue as sedative. Philad. med. Journ. IX
Nr. 12. — Grinewitsch, Heroin. Allg. med. Central-Ztg. Nr. 25. — Thomas, Emploi de la
spartöine. Rev. möd. de la Suisse rom. Nr. 8. — Krajewsky, Morphin. Russkij Wratsch.
Nr. 9. — Vahlen, Morphin. Arch. f. experim. Pathol. PharmakaL XLVH. Heft 6 u. 6.
— Blnsanyl, Hedonal. Magyar Orvosok. Nr. 10. — Lampsakow, Hedonal. Russkij Wratach.
Nr. 14. — Meitzer, Dormiol. Psych. Wochensohr. Nr. 60. — v. Torday, Dionin. Magyar
Orvosok. Lapja. Nr. 13. — Traugott, SchlafloBigkeitsbehandlung. Leipzig, Hartung u. Sohn.
70 S. — Smldt, Kakodylsäure-Therapie. Neur. Centr. Nr. 7. — Mendel, F., Kakodylsauree
Natron und Arsen. Therap. Monatsh. April. — Daviet, Organo-therapy. Lancet. 19 April.
— v. Korczynski, Organotherapie. Wiener Klinik. Heft 2 u. 8. — Stein, Gedächtnisskuren.
Psych. Wochenschr. 49. — Determann, Höhenklima. Deutsche Media-Ztg. Nr. 28—26. —
SchrOder, Höhenklima. Ebenda. Nr. 26 u. 27. — Bosänyi, Balneo- und Hydrotherapie.
Ungar, med. Presse. Nr. 7. — Lindemann, Heilmethoden bei Gicht, Ischias etc. Prager
mea. Wochenschr. Nr. 11. — Baedeker, Arsonvalisatdon. Berlin u. Wien, Urhan u. Schwarzen¬
berg. 44 S. — Stembo, Arsonvalströme. St. Petersb. med. Wochenschr. Nr. 11. — Wallis,
Lichttherapie. Inaug.-Dissert. Berlin. — Simonsohn, Massage des Herzens. Ebenda. —
Hector, Erfolge der Nervennaht. Ebenda. — Bailance et Stewart, Processus de rdunion des
nerfs. Trav. de neur. chirurg. VI. Nr. 3 u. 4. — Vinzitti, Lösions des nerfs conseoutives
ä leur ölongation. Ebenda. — Konindjy, Extensionsmethode. Zeitschr. f. diät u. physik.
Therapie. VI. Heft 1. — Forel, Der Hypnotismus. Stuttgart, Ferd. Enke. 4. Aufl. 266 S.
— Moli, A., Gesundbeten. Berlin, Walther. 47 S.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
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und bietet neben dem Comfort der gebildeten Stände alle Hilfsmittel der Behandlung
und Pflege von Kranken. Besondere Sorgfalt wird aof die Trennung der leichten, resp.
Nervenkranken von schweren Krankheitsformen, sowie aof die Theilnahme der Patienten
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Gebände und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Rücksicht auf individuelle
Anforderungen und werden die ärztlichen Bemühungen durch ein zahlreiches gebildetes
Beamtenpersonal unterstützt — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
Fälle von Nerven- und Gemütskranken im jagendlichen und kindlichen Alter ist inner¬
halb der Anstalt ein methodisches
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eingerichtet, in welchem eigene Lehrer für die hauptsächlichsten Lehrgegenstände —
Gymnasial- und Realschnlföcher — and aasserdem Instructoren für Handfertigkeiten,
mechanische, artistische, und körperliche Uebungen angestellt sind, um regelmässigen
Unterricht zu ertheilen und die geistige und sittliche Entwicklung der Zöglinge neben
den Aerzten zu überwachen und zu fördern.
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welchem schon in verhältnissmässig kleinen Dosen die typische Baldrianwirkung in ver¬
stärktem Maasse eigen ist, hat sich als ein auf die Vasomotion wirkendes Nervenmittel
bewährt und wird mit Erfolg angewandt:
1. bei Hysterie, selbst schweren Grades, auch Hysteria vlrllis;
2. bei Neurasthenie und Hypochondrie;
3. bei traumatischen Neurosen und bei rein nervösen Herzbeschwerden;
4. bei Hemikranie und Neuralgien;
5. bei Störungen während der Menstruation;
Durch Valyl werden die BliUwallungen und Schmerzen im Unterleibe und regebnUteig auch die be¬
ziehenden Kcopftchmenen beteiligt, mitunter auch die tu starken Blutungen verringert.
6. bei Besehwerden des Klimakteriums (Ausfallerscheinungen) und während der
Gravidität (Wallungen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herzklopfen werden
durch Valyl auch bei Patientinnen mit normaler Menstruation beseitigt
Dosirung:: Jede Valylkapsel enthält 0,125 gr ValyL Die Dnrchaohnlttsdosis beträgt 2 bis
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1902. l JoiT““““ Nr. 13.
I. Originalmittheilungen. 1. Vorläufige Mittheilung zar Pathologie der Tetanie, von Prof.
A. Pick. 2. Die Silberimprägnation der Axencylinder, von Dr. Max Bielschowsky. 3. lieber
hysterische Blindheit, von Dr. H. Krön.
II. Referate. Anatomie. 1. Technische Bemerkung zar Carminfarbung des Central-
nervensystems, von Schwalbe. — Experimentelle Physiologie. 2. lieber die Empfind¬
lichkeit der hinteren Theile des Mundraumes für Tast- u. s. w. Reize, von Kiesow und Hahn.
— Pathologische Anatomie. 3. Ueber das Nervensystem eines Hemicepbalen, von
v. Muralt. — Pathologie des Nervensystems. 4. Zur Psychopathologie der Neurasthenie,
von Pick. 5. Zur Pathogenese der Hysterie und Neurasthenie und ihre Stellung zu Stoff-
wechselanomalieen, von Higier. 6. Hysterie, von Weitphal. 7. Ueber Sensibilitätsstörungen
der Haut bei Erkrankungen innerer Organe, besonders bei Magenkrankheiten, von Haenel.
8. Ueber die physiologische Orundlage der hysterischen Ovarie, von Steinhausen. 9. Ueber
neurasthenische Neuralgieen, von Jendrässik. 10. Die subjectiven Beschwerden der Neurasthe¬
niker, von Hoeflmayr. 11. Ein Fall von Hysterie mit linksseitiger Hyperhidrosis und Trans-
fert der Hemihyperaesthesia sinistra auf die rechte Körperhälfte, von Kpdzior. 12. Amauroso
hysterique double, par Gallemaerts. 13. Ein Fall von hysterischer Taubheit, von ^chultze.
14. Oreille et hyBterie, par Chavanne. 15. Un cas d’öpilepsie jacksonienne hystörique, traite-
ment, guerison, par Hartenberg. 16. Deviationen und Contracturen neurotischen Ursprunges
der Wirbelsäule, von de Paoll. 17. Die hysterische Skoliose, von Muskat. 18. Hysterische
Hüftbaltung mit Skoliose, von Salomonson. 19. Ueber die hysterischen Störungen, von
Strözewsky. 20. Diplegia facialis hysterica, von Lukäcs. 21. Monoplegie crurale hystörique,
par Simon. 22. Fall af astasi-abasi. af Köster. 23. Astasie-Abasie, monoplegie brachiale,
nystärie infantile, par Comby. 24. Ueber Zwangserbrechen, von v. Bechterew. 25. Larynx-
neuroser, af Stein. 26. Nervöse Tachypnoe, von Reckzeh. 27. Et tilfälde af hyBteriske blöd-
ninger i hud og slemhinder, af Holth. 28. Involuntary inicturition in Children, by Lydston.
29. Neurasthenie und Hysterie bei Kinderu, von Sänger. 30. Ein Fall von Encepbalopathia
infantilis, von Lukäcs. 31. Hystörio juvenile chez une fillette de douze ans — Hemianesthdsie
sensitive-sensorielle gauebe compldte. Neuf crises d’amaurose double absolue. Perversion
de 1a Vision binoculaire, par Crachef. 32. Casuistischer Beitrag zur Hysterie der Kinder, von
Leik. 33. Ueber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke, von Löwenfeld. 34. Ueber den
Aufenthalt von nervenschwachen Personen im Nordseeklima, von Jde. 35. Bergsteigekuren
für Nervenkranke, von Keller. 36. Die Behandlung der Neurasthenie, von Weygandt. 37. Sur
la curabilitö des tics, par Meige et Feindei. 38. Zur Behandlung des nervösen Hustens
mittelst bahnender und hemmender Uebungstherapie, von Funke. — Psychiatrie. 39. Bei¬
trag zur Kenntniss dea hysterischen Dämmerzustandes, von Raecke. — 40. Ueber hysterische
Geistesstörungen, von FOrstner. 41. Malades imaginaircs, par Valentin. 42. Zur Pathologie
der Angst, von Kornfeld. 48. In welcher Beziehung steht die Agoraphobie (Platzangst) zu
gewissen Erkrankungen des Gehörorganes, von Eiteiberg. 44. Ein Fall von Zwangsvorstellungen,
von Jahrmlrker. 45. The development and genealogy of the Misses Beauchamp. A preli-
minarv report of a case of multiple personalitv, by Prince. — Therapie. 46. Ueber eine
einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes, von Laquer.
III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — Berliner med. Gesellschaft. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. — XXVII. Wander-
versammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 24. und
25. Mai 1902. (Schluss.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.
37
578
I. Originalmittheilungen.
1. Vorläufige Mittheilung zur Pathologie der Tetanie.
Von Prof. A. Piok.
In einer der nächsten Nummern des American Journal of Insanity soll eine
Arbeit von mir erscheinen, betitelt: „Ueber Verkalkung der feineren Hirngelasse
nebst Bemerkungen über deren klinische Beziehungen“; der Inhalt derselben
war im Wesentlichen schon im Jahre 1894 der damals bestehenden Prager
„neurologischen Vereinigung“ mitgetheilt, die Publication aber, durch Zufall mehr,
bis jetzt verzögert worden; da nun bis zum Erscheinen der Arbeit noch einige
Zeit verstreichen dürfte, möchte ich, im Hinblick darauf, dass schon in der
nächsten Zeit eine für meine Auffassung bedeutsame, bestätigende Beobachtung
folgen dürfte, schon jetzt jene oben citirten „Bemerkungen“ über die klinischen
Beziehungen der Gefassverkalkung zur Kenntniss der Fachgenossen bringen,
pour prendre date — wie die Franzosen sagen. Im Jahre 1891/92 hatte ich
einen Fall von Tetanie bei einem jugendlichen Epileptiker beobachtet und die
am 11. April 1892 im pathologisch-anatomischen Institute des Herrn Prof.
Chiabi vorgenommene Section hatte eine typische Verkalkung der feineren und
feinsten Hirngefasse besonders im Grosshirnmark und im Cerebellum ergeben.
An die Mittheilung des histologischen Befundes knüpfte ich in jener Ver¬
einigung nachstehende Erwägungen:
JEs ist von vornherein ersichtlich, dass die Versuche, zu einer positiven
Grundlage für eine Theorie der Tetanie zu kommen, von jenen Fällen ausgehen
müssen, bei welchen die Tetanie nur symptomatisch neben anderen, schweren
Affectiouen des Nervensystems aufgetreten; liegt doch die Annahme nahe, dass
die diesen letzteren zu Grunde liegenden und mit unseren gegenwärtigen Hülfs-
mitteln nachweisbaren Veränderungen durch eine eigenthümliche Modification
ihres örtlichen oder sonstigen Verhaltens oder durch ein Plus von Veränderungen
zur Tetanie führen und so Licht auf jene Befunde werfen könnten, die, offen¬
bar functioneller Art, der einfachen, nicht complicirten, heilbaren Tetanie zu
Grunde liegen. Bekanntlich liegen nun solche Befunde irgendwie zureichender
Art bisher nicht vor und auch dem vorliegenden gegenüber ist gewiss grosse
Vorsicht am Platze; es ist aber immerhin hemerkenswerth, im Hinblick auf die
von Einzelnen aufgestellte vasomotorische Theorie der Tetanie, dass hier der
Befund am Gefässsystem im Vordergrund steht. Leider fehlt jede irgendwie
genauere Anamnese, die über etwaige frühere Anfälle von Tetanie Aufschluss
geben würde und so bleibt vorläufig nur die Möglichkeit ins Auge zu fassen,
dass die durch den Verkalkungsprocess herbeigeführte Verengerung und teil¬
weise Verscbliessung zahlreicher Lumina im Marke des Grosshirns oder im
Kleinhirn, sobald sie eine gewisse Höhe und Ausdehnung erreicht, zu einer
symptomatischen Tetanie geführt hat; um das Hj pothetische der hier gegebenen
Digitizedby G00gle
579
Deutung so recht vor Augen zu führen, habe ich mit Absicht nioht von einer
pathologischen Anatomie der Tetanie gesprochen. Die vorstehenden Erwägungen
fanden nun eine bemerkenswerthe Bestätigung durch einen in den letzten Tagen
(sciL des Jahres 1894) zur Section gekommenen Fall meiner Klinik.
Derselbe betraf eine, von der Augenklinik (damals Prof. Sattleb), wo sie
ein Jahr vorher, wegen offenbar mit ihrer jetzt nachweisbaren Tetanie im Zu¬
sammenhang stehender Cataraot operirt worden war, zur psychiatrischen Klinik
transferirte, 42 jähr. Frau, die dort verstarb und deren am 21. April 1894 statt¬
gehabte Section gleichfalls typische Verkalkung der feinen Gefässe im Gross¬
und Kleinhirn betraf.“
In der wenige Tage später stattfindenden Sitzung der erwähnten Vereinigung
betonte ich die durch diesen Fall gegebene Bestätigung meiner Anschauung, da
es vielleicht mehr als Zufall sei, dass die, doch immerhin nioht allzuhänfige,
Gefassverkalkung sich auch in diesem Falle vorfand; in meiner jetzt fertig
gestellten, am 29. Mai abgeschickten Arbeit führte ich aus, dass ich auoh jetzt
noch, trotzdem bisher von anderer Seite 1 etwas Aehnliches bei Tetanie nicht
nachgewiesen worden, die Befunde für bedeutsam halte, wenn man sich nur
immer streng meine einleitenden Bemerkungen vor Augen hält, also nicht
etwa die Verkalkung der Gefässe selbst als den Befund der Tetanie ansieht.
Der Einwand, dass Gefassverkalkung auch ohne Tetanie vorgekommen, ist natür¬
lich ohne weiteres hinfällig, da die Erscheinungen der Tetania mitis erst ge¬
sucht werden müssen, sollen sie überhaupt festgestellt werden.
(Eingegangen am 12. Juni.)
[Aas dem Laboratorium des Herrn Prof. Mkndrl.]
2. Die Silberimprägnation der Axencylinder.
Von Dr. Max Bielsohowaky.
Eine dem Chemiker geläufige Reaotion zum Nachweis der Aldehyde beruht
auf ihrer Reductionswirkung gegenüber ammoniakalischen Silbersalzlösungen.
Bringt man im Reagensröhrchen eine Aldehyd- und ammoniakalische Silbersalz¬
lösung zusammen, so bildet sich ein Niederschlag von metallischem Silber,
welcher sich, da die Reduction ohne Gasentwickelung abläuft, an den Wänden
des Glases als spiegelnder Ueberzug festsetzt. Diese Reduction beruht auf der
Neigung der Aldehyde, sich zu den entsprechenden Säuren zu oxydiren (Form¬
aldehyd zu Ameisensäure, Acetaldehyd zu Essigsäure u. s. w.). Bei der grossen Be¬
deutung, welche der Formaldehyd jetzt in der Conservirungstechnik thierischer
1 Nachträgliche Bemerkung: Von befreundeter Seite erfahre ich, dass der gleiche
Befund, wie ich ihn hier mittheile, in einer opbthalmologischen Arbeit der letzten Zeit mit-
getheilt worden sein soll; ich bin nicht in der Lage die betreffende Publication nachzuweisen;
sollte eine solche thatsächlich vorliegen, dann wären meine obigen Auseinandersetzungen um
so berechtigter.
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37*
580
Gewebe, speciell der nervösen Centralorgane besitzt, war es ein naheliegender
Gedanke, diese Reaction für die histologische Technik auszunutzen. Die ersten
Versuche nach dieser Richtuug unternahm ich vor mehr als 2 Jahren, und zwar
an Gefrierschnitten von Gewebsstücken des Centralnervensystems, welche in
10 0 / 0 Formollösungen fixirt worden waren. Ich erwartete damals Bilder zu
gewinnen, welche etwa denjenigen der GoLGi’schen Methode entsprechen würden.
Tbatsächlich näherten sich die gewonnenen Präparate in mancher Beziehung
dem gewünschten Ziele. Es fiel mir aber schon damals auf, dass die sich
bildenden Niederschläge die Neigung hatten, in electiver Weise die Axeuoylinder
zu imprägniren. Diese Beobachtung war mir die Veranlassung, mich mit dem
Gegenstände weiter zu beschäftigen. Im vorigen Jahre hat Faiebbtaln in
Nr. 3 dieses Centralblattes ein Verfahren zur Darstellung der Axencylinder raitr
getheilt, welches auf dieser Aldehydreaction beruht Er benutzte Gefrierschnitte
von formol- und chromgehärtetem Material. Wenn ich nach den exacten Aus¬
führungen dieses Autors jetzt in dieser Frage das Wort ergreife, so hat dies
• folgende Gründe. Erstens weicht das von mir geübte Verfahren in manchen
Punkten von dem seinigen ab; zweitens ist es mir in letzter Zeit gelungen, diese
Imprägnation auch an ganzen Stücken erfolgreich durchzuführen. Derartige
Blöcke vertragen die Paraffineinbettung und es bedarf keiner Begründung, dass
dadurch die Brauchbarkeit der Methode erweitert wird.
A. Gefrlersohnitte.
Zu Gefrierschnitten verwende ich Material, welches in 10°/ 0 Formollösung
fixirt worden ist. Zum Schneiden wird der Block aus dieser Flüssigkeit direct
auf das Mikrotom gebracht. Die Schnitte kommen in 10 °/ 0 Formollösung zurück.
Imprägnation. Aus der 10% Formollösung kommen die Schnitte in die
ammoniakalische Silbernitratlösung, welche in folgender Weise hergestellt wird.
Zu einem beliebigen Volumen des officinellen Liquor ammonii caustici wird tropfen¬
weise so viel von einer 10% AgN0 3 -Lösung hinzugefügt, bis ein weisslicher,
sich rasch braun färbender Niederschlag entsteht. Sobald sich dieser bildet, wird
er durch erneuten Zusatz von Ammoniak zum Schwinden gebracht. Diese
ammoniakalische Silberlösung muss stets einen geringen Ueberschuss von NH 3
enthalten, welcher sich dem Gerüche noch deutlich bemerkbar macht. Ein zu
starker Ueberschuss von NH 3 ist schädlich. Der chemische Vorgang bei dieser
Lösung ist der, dass zwei Molecüle NH 3 mit einem Molecül AgNO s zusammen¬
treten, es bildet sich dabei ein Körper, welcher nach Mabignac als das Nitrat
des Amraonium-Silber-Ammoniums zu bezeichnen wäre N(NH 4 )AgH 2 N0 3 . 1
Reduction. Aus dieser Silberlösung kommen die Schnitte in eine 10%
Formollösung. Das Gelingen der Präparate wird wesentlich gefördert, wenn diese
Lösung einen geringen Grad von Alkalescenz besitzt, weil dadurch ihre redu-
cirende Wirkung erheblich gesteigert wird. Vanino 2 hat alkalische Formaldehyd¬
lösungen vermöge ihrer starken Reductionswirkung erfolgreich in die quantitative
Analyse des Wismuts, Goldes und Silbers eingeführt. Es genügt für unsere
1 Ammoniakalische Lösungen der Halogen verbindungen des Silbers und einiger organischer
Silbersalze erwiesen sich als unvorteilhaft.
1 Vanino, Ueber die Anwendung alkalischer Formaldehydlösnngen in der quantitativen
Analyse. Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. XXXI. S. 1T68.
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Zwecke die schwache Alkolescenz des Brunnen- bezw. Leitungswassers, die unter
Umständen durch Zusatz von einigen Tropfen einer Carbonatlösung verstärkt
werden kann. Man benutze also Leitungswasser für die Herstellung der Formol-
lösung. Ein zu starker Alkaligehalt wäre aber nachtheilig, weil durch ihn eine
zu stürmische Reduction hervorgerufen wird. Die Schnitte werden in dieser
Formaldehydlösung nach kurzer Zeit gelblich. Der richtige Grad der Färbung
wird dadurch erzielt, dass man nun die Schnitte wiederholt aus der Formol- in
die Silberlösung bringt und umgekehrt. Es empfiehlt sich, zwischen beiden
Lösungen die Schnitte durch deetillirtes Wasser hindurchzuziehen. Diese Procedur
wird so lange fortgesetzt, bis auch die graue Substanz des betreffenden Schnittes
einen gelblich-braunen Farbton aufweist. Ist dies der Fall, so kommen die
Schnitte in destillirtes Wasser. Derartige Präparate bieten bei mikroskopischer
Betrachtung folgendes Bild: Alle vorhandenen Axencylinder sind tiefbraun oder
schwarz tingirt, ebenso sind die Nervenzellen als gelblich oder braun gefärbte
Gebilde sofort deutlich zu erkennen. Alle übrigen Gewebsbestandtheile sind in
diffuser Weise gefärbt und bilden einen gelblichen contrastreichen Grund. Mit
der vollendeten Reduction ist die Behandlung der Schnitte aber nooh nicht be¬
endigt. Das Silber ist in den tingirten Elementen in einer Form niedergeschlagen,
welche sich in ihren chemisohen Eigenschaften dem colloidalen Silber nähert. Es
besteht eine geringe Löslichkeit desselben in Alkohol, eine stärkere in Xylol,
Toluol, Chloroform, Terpentin u. s. w., und es wird dadurch ein unmittelbares
EinBchliessen der Schnitte in Balsam unmöglich gemacht, weil die Lösungsmittel
des Harzes (Xylol, Terpentin) auoh das Silber auflösen und dadurch ein rasches
Abblassen bedingen.
Vergoldung. Um Dauerpräparate zu gewinnen, muss der Silbernieder¬
schlag in den Zellen und Axencylindern durch einen Gold- oder Platinüberzug
haltbar gemacht werden. Eis handelt sich um eine Procedur, welche dem
TonungBprocess der Chloreilberpapiere in der Photographie analog ist Die
Schnitte kommen in ein Goldbad von folgender Zusammensetzung: auf je 10 ccm
Brunnenwasser werden 2 Tropfen einer 1 % wässerigen Goldchloridlösung hinzu¬
gefügt, und da bei einem geringen Grade von Alkalescenz der Vergoldungs-
process rascher von statten geht, empfiehlt es sich, dem Gesammtbade einige
Tropfen von einer gesättigten Boraxlösung und einige Tropfen einer 10°/ 0 Kalium-
carbonicumlösung hinzuzufügen. In diesem Goldbad nehmen die Schnitte einen
grauen bezw. graubraunen Farbton an. Die imprägnirten Gewebsbestandtheile
erhalten dadurch eine dunklere und kräftigere Färbung. Wie Faikrstain bereits
hervorgehoben hat, wirkt dieses Goldbad zugleich als ein Differenzirungsmittel,
welches den gelblichen Grundton im Gewebe entfernt.
Fixirbad. Aus dem Goldbad kommen dann die Schnitte für einige Minuten
in eine 10°/ o wässerige Lösung von Natriumthiosulfat (Na 2 S,0 3 ). Die Anwendung
dieses in der photographischen Technik als Fixirnatron viel benutzten Salzes,
welches ein Lösungsmittel für Silbersalze ist, bezweckt, die letzten Reste un¬
genügend reducirten Silbers aus den Schnitten zu entfernen. Unterlässt man
diese Procedur, so wird der Grundton der Präparate allmählich röthlich bezw.
violett und die Schärfe der Contraste wird dadurch beeinträchtigt. Ausserdem
gewinnen die Schnitte durch die Behandlung mit Natriumthiosulfat entschieden
an Dauerhaftigkeit.
Nach vollendeter Entwässerung in Alkohol von steigender Concentration
kommen die Schnitte in Cajeputöl, aus diesem auf den Objectträger, wo das Oel
mit Xylol abgespült wird. Einschluss in Canadabalsam.
Anstatt der Vergoldung kann, wie in der Photographie, auch eine Plati-
nirung der Schnitte vorgenommen werden und zwar am besten in einem schwach
alkoholischen Bade; auf je 10 ccm eines 30—40% Alkohols genügen 2 Tropfen einer
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1 % Platinchloridlösung (PtCl 4 ). Der Nachtheil dieses Platinbades liegt in der
zuweilen zu stark wirkenden „Differenzirung“, welche die feinsten Axencylinder
' zum Abblassen bringt. Statt der genannten Lösungen können auch eine grosse
Anzahl anderer mit Vortheil gebraucht werden, deren Aufzählung zu weit
führen dürfte.
B. Imprägnation ganzer Stücke.
1. Imprägnation. Das Material wird auch für diesen Zweck aus der
Leiche in eine 20%, einmal zu erneuernde Formollösung gebracht. Die Blöcke
erhalten zweckmässig einen Dickendurchme'sser von nur etwa 1 cm. Dieselben
kommen in ein Silberbad von derselben Beschaffenheit wie es bei der Behandlung
der Gefrierschnitte angegeben worden ist. Schon nach kurzer Dauer der Ein¬
wirkung dieser Silberlösung färbt sich der Block zunächst in seiner Oberfläche
gelb und bald dunkelbraun; dabei tritt ein deutlicher Contrast zwischen grauer
und weisser Substanz hervor, und zwar in der Weise, dass die weisse Substanz
früher dunkelt als die graue. 1
Nach kurzer Zeit aber dringt die Silberlösung auch in die Tiefe des Gewebes
ein. Die Blöcke bleiben 1—4 Tage, je nach ihrer Grösse und Dicke, in dieser
Lösung. Nach vollendeter Imprägnation werden sie für einige Minuten in einen
um das zehnfache Volumen mit Wasser verdünnten Liqu. ammon. caust. gebracht.
2. Reduction. Zum Zweck der Reductiou kommen die Blöcke aus der
Ammoniaklösung in eine schwach alkalische 10% Formollösung, wiederum ganz
entsprechend dem oben geschilderten Verfahren bei den Gefrierschnitten. In
dieser Lösung bleiben sie am besten im Brutschrank bei einer Temperatur von
etwa 30° 1—3 Tage, je nach ihrer Grösse. Es bildet sich in der Flüssigkeit
zuerst ein weisslicher, bald grauschwarz werdender Niederschlag, welcher auch die
Oberfläche der Blöcke überzieht. Es empfiehlt sich deshalb, die Flüssigkeit einmal
zu erneuern. Nach vollendeter Reduction werden die Blöcke in Alkohol von
Bteigender Concentration entwässert und dann in der gewöhnlichen Weise in Xylol
und Paraffinxylol weiter behandelt. In den letztgenannten Flüssigkeiten ent¬
weicht aus dem oben angeführten Grunde ein Theil des Silbers, er geht in Lösung
über. Deshalb suche man den Aufenthalt der Blöcke in ihnen möglichst kure
zu gestalten. Da es sich meist um grössere Schnittflächen handelt, bo empfiehlt
es sich, für die Einbettung ein weiches Paraffin von etwa 50° Schmelzpunkt zu
benutzen. 2
3. Nun ist das Material zum Schneiden reif. Die Schnitte an der Ober¬
fläche der Blöcke sind von Niederschlägen meist so stark inkrustirt, dass sie für
die Weiterbehandlung unbrauchbar sind. Taugliche Schnitte erhält man erst,
wenn man mit dem Messer weiter in die Tiefe des Blockes vorgedrungen ist
Schnitte von 10 n Dicke genügen allen Anforderungen. Die Schnitte werden in
Xylol vom Paraffin befreit.
1 Diese Erscheinung kann mit Vortheil für makroskopische Zwecke ausgenutzt werden,
i Schnittflächen von alten Formolgehirnen, an denen die feinere Zeichnung bereits vollkommen
Verwischt war, lassen bei längerem Verweilen in concentrirter ammoniakaliscber Silber¬
lösung eine deutliche Trennung grauer und weisser Substanz zu Tage treten. Ist der ge¬
wünschte Grad der Differenzirung erreicht so kann das weitere Fortschreiten der Versilberung
dadurch aufgehalten werden, dass man das betreffende Stück in ein Silberlösungsmittel, am
besten in eine Lösung von Natriumthiosulfat, legt Derartige Blöcke sind dann in Alkohol
conservirbar und für Unterrichtszwecke lange verwendbar.
* Celloidineinbettnngen der imprägnirten Blöcke sind mir wiederholt gelungen; im
allgemeinen scheinen mir die Resultate aber unsicherer als bei der Parafßneinbettung zu sein.
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4. Ihre Weiterbehandlung ist eine verschiedene, sie hängt ab von dem
Grade der Rednotion, welchen das Silber in den imprägnirten AxencyHndern auf¬
weist; es ist deshalb eine Controlle mit dem Mikroskop nothwendig^ Unmittelbar
unterhalb der inkrustirten Oberfläche sind die Axencylinder meist tiefschwarz
gefärbt Diese Schnitte bedürfen, um dauernd haltbar gemacht zu werden, nur
einer kurzen Behandlung mit einer 10°/ o Natriumthiosulfatlösung, welche den
diffusen gelben Grundton zum Verschwinden bringt.
Dringt man weiter in die Tiefe vor, so wird der Farbton der imprägnirten
Gewebselemente ein branner bezw. gelblichbrauner. Derartige Schnitte müssen,
um haltbar gemacht zu werden, wie die Gefrierschnitte, im Gold- bezw. Platin-
und darauf folgendem Fixirbade (Natriumthiosulfatlösung) weiterbehandelt werden.
Ist die Reduction eine sehr schwache, d. h. heben sich die Axencylinder unter
dem Mikroskop nur als gelbe Pünktchen und Linien von der Umgebung ab, so
ist, um brauchbare Präparate zu gewinnen, eine erneute Reduction' erforderlich.
Die Schnitte kommen zu diesem Zweck am besten in eine 10 °/ 0 Formollösung,
zu welcher 1 / 10 ihres Volumens Salmiakgeist hinzugefügt wird.
Durch das Zusammenbringen von NH 3 und CH a O entsteht eine chemische
Verbindung, welche als Amidomethylalkohol NH 2 CH 2 OH aufzufassen ist. Dieser
Körper erleidet nach kurzer Zeit Veränderungen und geht unter Austritt von
Wasser und Ammoniak in complicirte Körper, sogenannte Aldehydbasen
über, welche die Reductionsfähigkeit der Lösung verstärken. In dieser Flüssig¬
keit bleiben die Schnitte wenige Minuten, dann werden sie in derselben Weise
wie diejenigen der zweiten Kategorie vergoldet bezw. platinirt und schliesslich
für einige Augenblicke in Natriumthiosulfatlösung weiter behandelt. Es bedarf
wohl nicht der Hervorhebung, dass die Schnitte, bevor sie aus dem Xylol in
wässerige Lösungen gebracht werden dürfen, durch absoluten und verdünnten
Alkohol gehen müssen. Der Einsohluss der Schnitte erfolgt in Canadabalsam in
der oben geschilderten Weise.
Es soll an dieser Stelle auf die mikroskopischen Bilder selbst nicht näher
eingegangen werden, erwähnt sei nur, dass die Nervenzellen an gut gelungenen
Präparaten häufig eine deutlich fibrilläre Structur, am stärksten in den Den¬
driten, erkennen lassen, während die Axencylinder jeglichen Calibers von homo¬
gener Beschaffenheit sind. Im Gegensatz zu den bekannten Axencylinderfarbungen
ist bei diesem Imprägnationsverfahren wohl nicht eine die Neurofibrillen zu¬
sammenhaltende Kittsubstanz, sondern das Neuroparenchym selbst tingirt. Dafür
spricht ausser der Imprägnation der Fibrillen in den Zellen die Thatsaohe, dass
die Axencylinder häufig bis in ihren Ursprungskegel an der Ganglienzelle ver¬
folgbar sind.
Es haften beiden Verfahren, sowohl der Imprägnation der Gefrierschnitte,
wie derjenigen der Stücke noch grosse Mängel an, welche hauptsächlich in dem
Auftreten von Flecken und Niederschlägen, in der häufig störenden Imprägnation
der Gliaelemente und der Gefässe bestehen. Trotz dieser erheblichen Nachtheile
glaube ich in voller Uebereinstimmung mit Faiebstain die Methode als ein
brauchbares Forschungsmittel an normalem und pathologisch-anatomischem Matena
empfehlen zu dürfen.
Von grossem Interesse wäre die Beantwortung der Frage, weshalb sich der
Silberniederschlag so electiv in den Axencylindern bildet. Vielleicht kann man
für die Beantwortung dieser Frage die Ergebnisse der Untersuchungen von
584
Blum 1 über das Wesen der Formolhärtung heranziehen. Dieser Forscher sieht
die Wirkung des Formaldehyds als Härtungsmittel darin, dass der Aldehyd mit
Amido-, Hydioxyl- oder anderen Gruppen der Gewebsmolecüle (speciell der
Eiweisskörper) unter Wasseraustritt in Reaction tritt, so dass alsdann feste
methylenartige Verbindungen resultiren. Bei dieser Verkettung büsst der Form¬
aldehyd naturgemä88 seine chemischen Eigenschaften und speciell seine redu-
cirende Kraft ein. Wenn nun der Aldehyd in den Nervenzellen und den
Axencylindern seine Reductionsfähigkeit beibehält, so liegt die Annahme nahe,
dass hier eine so feste Verbindung nicht zu Stande kommt und dass er des¬
halb hier seine Wirkung auf die ammoniakalische Silberlösung noch auszuüben
vermag. Allerdings ist das vorläufig mehr eine Umschreibung als eine Erklärung
der Thatsachen.
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Prof. Mendel, sage ich für die gütige
Ueberlas8ung des zu diesen Untersuchungen nothwendigen Materiales meinen
herzlichsten Dank.
3. Ueber hysterische Blindheit.*
Von Dr. H. Krön.
Die Litteratur ist nicht gerade arm an Mittheilungen über den Verlust des
Sehvermögens auf hysterischer Grundlage. Es sei hier die interessante Studie
E. Mendel’s vom Jahre 1874 besonders hervorgehoben. Wenn ich es dennoch
unternehme, die Aufmerksamkeit wieder auf dieses Thema zu lenken, so geschieht
es weniger in der Absicht, die Casuistik zu bereichern. Es kommt mir viel¬
mehr darauf an, eine grössere Reihe solcher Fälle nebeneinander zu stellen und
ihre Eigenarten zu prüfen, um für die Beurtheilung des ja auch in forensischer
Hinsicht wichtigen Phänomens einen Beitrag liefern zu können.
Ich möchte zwei eigene Beobachtungen vorausschicken.
I. A. W., Fern sprechgeh ülfin, 24 Jahre alt, wurde am 26. Juni 1893, als
sie, den Hörer am linken Ohr, ihren Apparat im Fernverkehr bediente, von einer
athmosphäri8chen Entladung getroffen, die einem Gewitter über Magdeburg ent¬
stammte. Ihre linke Backe schien ihr geschwollen, es bestanden Schmerzen in
der linken Kopf- und Halsseite, sowie im linken Auge, Patientin konnte aber nach
einer Pause von etwa 20 Minuten ihren Dienst wieder aufnehmen. Nach weiteren
6—8 Minuten erfolgte eine zweite Entladung. Diesmal war die Wirkung stärker.
Es wurde der Patientin „schwarz vor Augen“, sie erschien sehr erregt, weinte
heftig, verlor aber nicht das Bewusstsein.
Etwa 1 / 2 Stunde nach dem Unfälle hatte ich Gelegenheit, die Verletzte zu
untersuchen. Sie sass in ängstlicher Erregung auf einem Stuhle. Respiration
und Puls waren beschleunigt. Die linke Gesichtshälfte, ein Theil der linkeu Hals-
1 Blum, Ueber Wesen und Werth der Formolhärtung. Anat. Anzeiger. XI. 1896.
Nr. 28 u. 24.
4 Nach einem Vortrage in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten am 9. December 1901.
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585
seite und des linken Oberarms war gerdtbet. Das linke Auge zeigte eine schwere
Sehstörung, zum mindesten eine hochgradige concentrische Gesichtsfeldeinengung,
wenn nicht schon sofort gänzliche Blindheit. Die Pupillen reagirten gut. Augen¬
muskellähmungen bestanden nicht. Gehör, Geruch, Geschmack war links völlig
aufgehoben, Gesicht, Conjunctiva, Hals, sowie der obere äussere Theil des Ober¬
arms auf derselben Seite anästhetisch. Die grobe motorische Kraft der linken
Oberextremität war abgeschwächt. Die Sehnenreflexe erschienen lebhaft.
Bei den weiteren, schon nach einigen Tagen und später noch oft wieder¬
holten Untersuchungen erwies sich das linke Auge anhaltend gänzlich erblindet.
Es war innerlich und äusserlich unverletzt, der Augenhintergrund völlig normal.
Beim Sehen mit beiden Augen fixirte das linke anscheinend gut. Verdeckte
man das rechte, so irrte das linke sofort planlos ab. Prismen-
und Stereoskopversuche ergaben, dass dasselbe beim binoculären
Sehen gut functionirte. Der Cornealreflex war links stark herabgesetzt, der
Blinzelreflex ganz geschwunden.
Auch auf dem rechten Auge bestand, wie später festgestellt wurde, eine
geringe, unregelmässige Einengung des Gesichtsfeldes für weiss.
Die Gehörsstörung erwies sich stets als eine absolute. Lautes Sprechen
wurde links nicht wahrgenommen, ebenso wurden Stimmgabeln für hohe und
tiefe Töne weder durch die Luft- noch durch die Knochenleitung gehört.
Auch die Geruchs- und Geschmacksstörung der linken Seite war längere Zeit
hindurch constant. Der Gaumenreflex fehlte.
Die Hemianästhesie nahm zunächst etwas ab, verbreitete sich dann aber
wieder mehr. Das Allgemeinbefinden blieb lange gestört. Bei aufziehendem Ge¬
witter hatte Patientin Angst, zugleich Schmerz und Gefühl von Anschwellung im
linken Auge. Die Handschrift erschien nach Wochen noch unsicher. Dazu kam
Kopfschmerz, besonders in der linken Augengegend, Herzklopfen, Schlaflosigkeit,
leichtes Zittern der Hände, doppelseitige Ovarie, Formication in der linken Hand
und dem linken Arm.
Der Zustand blieb während der ganzen Beobachtungszeit (biB 1899) unver¬
ändert. Patientin verliess dann Berlin. Späteren Nachrichten zu Folge (die letzte
vom 19. November 1901) ist auch jetzt keine Besserung eingetreten. Es besteht
noch Kopfschmerz, Einschlafen und Schmerzen der genannten Stellen, besonders
Kaltwerden derselben nach Aufregungen. Seh- und Hörvermögen fehlt links noch
immer. — Es ist nachzutragen, dass Patientin nach heftigen Gemüthsbewegungen
schon vor dem Unfall hysterische Attacken gehabt hat.
Bei der Betrachtung des Falles ist zu erwägen, ob eine traumatische Hy¬
sterie oder eine directe Blitzverletzung des Nervensystems vorliegt. Mit den
Zuständen, die von Bbixa 1 u. A., neuerdings von Eulenbübg a mitgetheilt worden
sind, hat der uuserige keine Aehnlichkeit. Wir wissen aber, dass Hoche 3 an
der Hand von drei eigenen Beobachtungen elektrischer Unfälle die Ansicht aus¬
gesprochen hat, nicht alle Folgeerscheinungen dieser Art dürfen als Hysterie
gedeutet und dem Schreck, sowie der sich daran schliessenden Vorstellung zu¬
geschrieben werden, es sei auch noch an eine directe Beeinflussung der ner-
1 Bbixa, Blitzverletzung des Auges. Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde.
1900. S. 759.
9 A. Eulekbürg , Ueber Gehirnerkrankungen im Anschluss an elektrisches Trauma.
Neurolog. Centralbl. 1901. 8. 1057.
* Hoohb, Ueber die nach elektrischen Entladungen auftretenden Neurosen. Neurolog.
Centralbl. 1901. S. 628.
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586
vösen Substanz, an eine functioneile Schädigung ohne psychogene Wirkung zu
denken. Dieser gewiss richtigen Bemerkung ist unser Fall auch nicht unter¬
zuordnen. Schon der Umstand, dass das betroffene Auge beim gleichzeitigen
Gebrauche des anderen functionirt, weist auf eine seelische Aflfection hin.
II. A. R. 1 , Näherin, damals 35 Jahre alt, ist mir am 12. December 1892
durch Hm. Collegen Wkbthbim überwiesen worden. Patientin ist später wieder¬
holt im Moabiter Krankenhause gewesen. Das dort geführte Journal nebst Photo-
graphieen hat mir Herr Prof. Renvkbs freundlichst zur Verfügung gestellt, wofür
ich ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ausspreche. Ich gebe
in Nachstehendem meine Aufzeichnungen mit denen des Krankenhauses verwebt
wieder.
Die Schwester der Mutter hat an Krämpfen gelitten. Patientin ist schon in
früher Kindheit kränklich und leicht erregbar gewesen. 1878, im 20. Lebens¬
jahre, ist sie zum ersten Male plötzlich erblindet
Schwriggbr sah sie im Februar desselben Jahres. Sie hatte damals an¬
gegeben, dass sie am Tage vorher beim Erwachen mit dem rechten Auge nicht
sehen konnte. Am Nachmittag hätte sie sich ungemein matt gefühlt und 5 Stunden
geschlafen, worauf sie mit doppelseitiger Blindheit erwacht wäre. Die Heilung
erfolgte nach 8 Tagen unter Behandlung mit starken Inductionsströmen. Im
Februar 1880 meldete sich Patientin wieder mit der Angabe, sie sei Tags zuvor
vollkommen blind erwacht. Es bestand neben der Amaurose Strabismus convergens
derart, dass die Augen auf einen in der Mediauebeue gelegenen, 10—20 cm ent¬
fernten Punkt convergirten. Nach 8 Tagen erfolgte wiederum Heilung. Seitdem
haben sich diese Anfälle oft wiederholt. Ihre Dauer betrug 3 Tage bis 18 Wochen.
Dazu kamen etwa alle 4 Wochen Krampfaniälle, in denen Patientin bewusstlos
war, laut schrie, sich aber nie in die Zunge biss oder sich sonst verletzte. Ausser¬
dem bestand Schwindel, Ohrensausen, Globus, Zittern, Gefühllosigkeit der rechten
Seite. Als Patientin in meine Beobachtung trat, hatte der damalige Anfall von
Erblindung bereits 17 Wochen gedauert. Jede Lichtempfindung wurde in Abrede
gestellt, nicht einmal hell und dunkel wurde unterschieden, doch war der Gang
der blassen, schlecht genährten Person nicht ganz so unsicher, wie man es hätte
erwarten können. Sie bewegte sich leidlich rasch durch das Zimmer, indem sie
mit den Händen tastend vor sich hinschlug. Die oberen Augenlider bedeckten
die Bulbi bis auf eine schmale Lidspalte. (Fig. 1.) Die Augen konnten nicht
willkürlich geöffnet, wohl aber völlig geschlossen werden. Erhob man die oberen
Augenlider, so sah man die Bulbi stark convergent und nach unten gerollt un¬
beweglich feststehen. (Fig. 2.) Die Pupillen waren eng, reagirten aber prompt
auf Lichtreiz. Ihr Verhalten bei Accommodation liess sich bei der Stellung und
Unbeweglichkeit der Bulbi nicht prüfen. Der Augenhintergrund war normal.
Berührung der Cornea wurde beiderseits nioht empfunden, rief aber gesteigerte
Thränensecretion und mässigen Blepharospasmus hervor. Es bestand rechtsseitige
Hemianästhesie, linksseitige Hyperästhesie. Die Patellarreflexe waren lebhaft.
Als Ursache wurde Schreck angegeben, der zunächst eine vorübergehende Bewusst¬
losigkeit zur Folge hatte. Die Blindheit hatte sich unmittelbar daran angeschlossen.
Am 23. November 1893 Hess sich Patientin in das städtische Krankenhaus Moabit
aufnehmen. Der Augenbefund war der bereits beschriebene. Auch wurde wieder
1 Der Fall ist schon 1881 von Sohweiggeb erwähnt (Untersuchungen über das Schielen.
Berlin, 1881. S. 42), auch Oppenheim hat ihn in der 8. Auflage seines Lehrbuches be¬
schrieben und abgebildet. Er möge hier dennoch einen Platz finden, weil ich einen weiteren
Ausblick über den Verlauf dieser merkwürdigen Erscheinung geben kann.
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vollständige Anästhesie der rechten Körperhälfte (einschliesslich der Zungen- und
Mundschleimhaut) festgestellt. Patient fühlt auch nicht die passiven Bewegungen,
die mit dem Oberarm gemacht werden. Beim activen Gebrauch der rechten
Oberextremität zeigt sich Unsicherheit So wird z. B. die Hand, die auf den
Kopf gelegt werden soll, erst einige Male in der Luft herumfuhrt. Der rechte
Hacken findet die linke Kniescheibe nicht Der Händedruck ist rechts schwächer
Fig. 1. Fig. 2.
als links. Beim Gehen schwankt Patientin, auch wenn sie an einer Seite unter-
stüzt wird. Sie giebt als Grund SchwindelgefUhl an. In der Narcose gehen die
Augen aus der Convergensstellung in die normale zurück. Nach der Narcose
häufigere hysterische Krampfanfälle unter Weinen und Schreien.
Am 16. December 1893 erscheint die Hemianästhesie plötzlich geschwunden,
am 20. Januar 1894 ist der Gang sicher, Patientin verrichtet kleine Häkelarbeiten.
Am 14. Februar 1894 ist das Sehvermögen zurück¬
gekehrt. Patientin behauptet, vor einigen Tagen
Funken und Blitze vor den Augen gesehen und
schiessende Schmerzen durch die Schläfen empfunden
zu haben. Die Convergenz der Bulbi ist gehoben,
ebenso die Ptosis. Patientin behauptet, Schmerzen in
beiden Bulbi zu haben. Die Augenuntersuchung er-
giebt Myopie. Am 26. Februar 1894 verlässt Patientin
beim besten Wohlbefinden die Anstalt (Fig. 3), um
schon am 7. April desselben Jahres mit allen Erschei¬
nungen wiederzukehren. Am 13. Juli wurde sie ge¬
bessert entlassen. Anfang 1895 finden wir sie zum
dritten Mal in der Anstalt. Am 4. Mai kann sie plötz¬
lich wieder sehen. Bis auf geringe Myopie normale
Verhältnisse der Augen. Am 10. Juli ist sie plötz¬
lich wieder blind, nachdem sie die Todesanzeige eines Verwandten in der
Zeitung gelesen. Ara 30. Juni vermag sie ebenso schnell ihre Augen wieder zu
gebrauchen. Als ich die Patientin jetzt wiedersah, theilte sie mir mit, dass sie
seit 5 Jahren ununterbrochen rückfällig sei. Der Zustand ist genau derselbe wie
früher. Seine Eigenart wird vor allem durch die zahlreichen, zum Theil sehr
langen Recidive, sodann durch die Mitwirkung der äusseren Augenmuskeln in
Form von Spasmen und Lähmung (Ptosis) bedingt
Fig. 3.
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588
Wenden wir uns nun den Fragen zu, die das Thema aufwirft. Ich habe
zu diesem Zwecke alle Fälle herangezogen, die mir zugänglich waren. 1 Es be¬
findet sich eine kleine Anzahl darunter, bei der eine geringe Empfindung
zwar noch nachgewiesen ist, von einem Erkennen aber nicht gesprochen
werden darf. Ich habe sie verwerthet, weil sie in praktischer Hinsicht doch
unter die Rubrik der Blindheit fallen, möchte aber doch nicht unterlassen, sie
anzuföhren: 1. Howship, ein Auge ganz blind, das andere sah nur undeutlich
Licht; 2. Landoüzy (Fall 1), Tag und Nacht konnte unterschieden werden,
sonst Verhalten wie bei gewöhnlicher Blindheit; 3. De Witt, kaum hell und
dunkel konnte unterschieden werden; 4. Düjardin-Beaumetz und Abadie,
rechts ganz blind, links wird noch Licht einer Kerze schwach empfunden;
5. Manz, in der Entfernung von einigen Fuss können kaum Finger gezählt
werden; 6. Haslah (1884), noch Lichtstrahlen, sonst ganz blind; 7. Cramer,
Sehvermögen bis auf das ganz undeutliche Erkennen von Handbewegungen vor
dem Auge erloschen, Localisation einer Lichtflamme ganz ungenügend.
Meine Zusammenstellung macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im
Ganzen dürfte aber doch die Zahl der Fälle genügen, um gewisse allgemeinere
Schlüsse zu gestatten. — Unsere oben mitgetheilten Beobachtungen stellen zu¬
gleich die beiden Haupttjpen der hysterischen Blindheit vor, die beide Augen
befallen oder sich auf eine Seite beschränken kann. Letztere Art wird von den
Autoren ziemlich allgemein als die häufigere angesehen.
Für das Ueberwiegen der doppelseitigen Amaurose tritt eigentlich nur
Briqüet* ein, während Jolly 3 , Gilles de la Tourette*, Ziehen 6 , Oppen¬
heim 0 , Wilbrand Sänger 7 , Knies 8 , Löwenfeld 9 u. A. ihr besonders seltenes
Auftreten betonen. Unser Material ergiebt in dieser Beziehung folgendes Resultat:
I. Einseitige Blindheit besteht in den Fällen: Watson 10 , Landoüzy 11
(Fall I), Testelen 1 *, de Witt 13 , Secondi 14 , Herter 16 , Königstbin 16 , Landes-
1 Herrn Geheiinrath Hirschbbbq bin ich für die gütige Erlaubnis^ Beine Bibliothek
benutzen zu dürfen, zu grossem Danke verpflichtet
• Briqurt, Traitd clin. et thörap. de l’hystörie. 1859. S. 294.
3 Jolly, Hysterie. Zikmssen’s specielle Pathologie u. Therap. XII, 2. S. 486.
4 Gilles le la Todrette, Die Hysterie. 1894. Deutsch von Grobe. S. 205.
• Ziehen, Artikel Hysterie in Eulenbüro’b Real-Enoyklopädie. 3. Aufl. 8. 386.
• Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 2. Aufl. S. 751.
7 Wilbrand und Sänger, Ueber Sehstörnngen bei functioneilen Nervenleiden. 1892. 8.38.
9 Knies, Die einseitigen centralen Sehstörungen und deren Beziehungen zur Hysterie.
Neurolog. Centralbl. 1893. S. 570.
9 Löwbnpbld, Pathologie und Therapie der Neurasthenie und Hysterie. 1894. S. 407.
10 Watson, Lectures on the principles and practice of physic. London medical gazette.
New series. I. 1840/41. 8.712. “ Landoüzy, Traite complet de l’bystörie. 1846. S. 119.
19 Trstblin, Fiövre larvöe double quotidienne, forme amaurotique. Annal. d’oculist.
LV1I. 1866. Livre 5 u. 6. 8. 317/18.
18 de Witt, Ainaurosis of the right eye etc. American Journal of Medical ec. 1868. S. 382.
14 Secondi. Di una amaurosi hysterica. Ref.in Vibohow-Hirsch’s Jahresbericht 1871. S.478.
15 Herter, Hysterische Amaurose. Charitö-Annalen. 1875. S. 527.
19 Königstein, Fall von täglich wiederkehrender totaler, einseitiger Amaurose. Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk. 1875. XIII. 8.333.
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589
berg 1 , Harlan 1 1884, Baas 8 , Schwriggeb 4 , FärE 8 , Moore 6 (Fall I und
III), Harlan 7 1890 (Fall I u. II), Leber 8 , Wilbrand-SIngeb 9 , Cbamer 10 ^
Moeu 11 , in unserem Fall I.
II. DopelseitigeBindheit führen an: Tälinge 12 , Howship 18 , Hocken 14 ,
Tyrrel 1B , Abebnethy 16 , Monneret 17 , Landouzy 18 i Fall II), Müller 19 , Wecker 20 ,
Mauthner 21 , Harlan” 1873 (Fall III), Mendel m , Hartwicke 24 , Emmert 26 ,
Dujardin-Beaumetz et Abadie 26 , Manz 27 , Mas 29 , Magnus 29 , Galezowsky
1 Landbsbbbg, Fall von eingebildeter Blindheit im Wochenbett. Philadelphia medical
timea. VII. Rcf. in Schmidt’b Jahrbücher. CLXXVI. S. 55.
* Hablan, Case of hysterical monocnlar blindness etc. Medical News. 1884. S. 596.
* Baas, Amaurose in Folge einer geringen Verletzung des linken oberen Augenlides.
Klin. Monatsbl. f. Angenheilk. 1884. S. 280.
4 Schwkiggkr, Zur Stychnintherapie nebst Bemerkungen über hysterische Sehstörungen.
Klin. Monatsbl. f. Angenheilk. 1881 . S. 415.
8 F£r 6, Note snr nn cas d’amaurose hystero-traum&tique. Compt. rend. hebdom. de la
sociötö de Biologie. 1886. S. 178.
* Moobe, Hysterical blindnesB in the male. New York medical Journal. 1888. S. 628.
T Hablan, Hysterical blindness of ten years duration etc. Medical News. 1890. I. S.33.
8 Lebeb, Die Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven. Handbuch der Augen¬
heilkunde von Gbäfb-Sämibch. 1877. S. 972. 9 Wilbband-SInger, a. a. 0. S. 37.
10 Crameb, Einseitige hysterische Erblindung nach unbedeutender Verletzung. Monats¬
schrift f. Unfallheilk. 1896. S. 262.
11 Moeu, Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 740.
19 Tälingb , Observations sur l’effet etc. dans les vapenrs hystöriques. Journal de
m&iecine, Chirurgie etc. 1771. XXXVI. S. 437.
18 Howship, On surgical disease. S. 24; citirt bei Hocken.
14 Hocken, AmaurosiB from bysteria, acute and chronic, its diagnosis, pathologie and
treatment. Edinburgh medical and surgical Journal. 1842. S. 49.
15 Tyrbbl, citirt bei Hocken.
16 Abbbnkthy, The injuries of the head. 4 edition. S. 89; citirt bei Hocken.
17 Monnbbbt, Fall von hysterischer Amaurose. Gazette des höpitaux. 1842. Oct. 22;
Ref. in Schmidt’s Jahrbücher. XLI. S. 226. 18 Landouzy, a. a. O.
19 Mülleb, Amaurosis hysterica. Aerztliche Mittheilungen aus Baden. 1861. S. 17.
90 Weckes und Dhlgado, Fälle von Sehstörung bei Zahnneuralgieen. Annal. d’oeulist.
LV. S. 130. Fall IV.
91 Maüthnbb, Oesterreichische Zeitschr. f. prakt Heilk. 1872; citirt bei Lebeb, Hand¬
buch der Angenheilk. von Gräfe-Sämisch. V. S. 971.
99 Hablan, Simulated amaurosis. American Journal of medical Science. 1873. S. 429.
99 E. Mendel, Ueber hysterische Amaurose. Zeitschr. f. prakt. Med. von Kunze.
1874. S. 403.
94 Habtwicke, Case of hysterical blindness. British medical Journal. 1876. S. 562.
98 Emmert, Recidivirende Amaurosis tranBitoria. Archiv für Augen- u. Ohrenheilkunde.
1876. S. 401.
98 Dujabdin-Bbaumbtz et Abadie, Cecitä hystörique. Gazette des höpitaux. 1879. S. 436.
97 Manz, Ein Fall von hysterischer Blindheit mit spastischem Schielen. Berliner klin.
Wocheuschr. 1880. Nr. 2 o. 8.
98 Mas, Ein Fall von Amaurosis in Folge von Hysterie. La Union de las sciencias
medicas de Cartagena. 1881; ref. im Centralbl. f. Angenheilk. 1881. S. 341.
99 Magvus, Ein Fall von transitorischer Amaurose ohne Befund. Klinische Monatsbl. f.
Angenheilk. 1886. S. 67.
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590
et Dagonet 1 (Fall II), Moose 2 (Fall II), Mablow 3 , Foügebay et Fouchabd 4 ,
Adamük 6 (Fall I u. II), Lewy 6 , dazu unser zweiter Fall.
Nun and noch 2 Fälle zu verzeichnen, in denen auf einem Auge voll¬
kommene Amaurose besteht, während das andere eine geringere Sehstörung
aufweist:
1. Hablan 1873, Fall 1: ünks Blindheit, rechts Sehschwache. 2. Wolff-
bebg 7 : rechts Blindheit, links totale Farbenblindheit. Sie gehören den ein¬
seitigen an, deren Zahl damit auf 23 steigt.
Nach unserem Materiale ist also die doppelseitige Amaurose
nicht die seltenere Form (26 Fälle gegen 23 einseitige). Wir stützen uns
hier allerdings nur auf die Litteratur, soweit sie unser Material wiedergiebt
Es ist aber zu berücksichtigen, dass einseitige Blindheit leicht übersehen werden
kann, während doppelseitige wohl stets zur ärztlichen Kenntniss gelangt. In
Wirklichkeit dürfte sich das Verhältniss also doch vielleicht anders gestalten.
In einigen Fällen ist die doppelseitige Amaurose nicht auf beiden Augen zugleich
aufgetreten, so bei Mauthneb (erat links, 6 Tage später auch rechts); in Lan-
douzy’8 Fall II (das linke Auge erblindete zuerst, der Zustand verminderte sich,
kehrte wieder, nach einigen Monaten auch rechts Blindheit); dann auch bei
Weckes (erst links, einige Tage später auch rechts).
Nach Briquet 8 befällt die einseitige Amaurose unbestimmt die eine oder
die andere Seite. In unseren 23 Fällen ist das rechte Auge 13 Mal, das Unke
9 Mal betroffen (in Lebeb’s Beobachtung ist die Seite nicht angegeben). Der
Unterschied ist jedenfalls nicht gross, irgend eine Bedeutung kommt ihm auch
nicht zu.
Wichtiger ist die Untersuchung darüber, wie sich das Geschlecht zu dem
Auftreten der hysterischen Blindheit verhält:
Die 23 einseitigen Fälle weisen 7 männliche, 16 weibliche Vertreter auf.
Die Zahl der ersteren ist also hier eine relativ grosse, wenn wir mit Bbiqüet
das Verhältniss der männlichen zur weiblichen Hysterie wie 1 zu 20 auffasseu.
Bei der doppelseitigen Amaurose finden wir 4 männliche Kranke gegen
22 weibliche. Diese schwerere Affectiön befallt darnach doch das weibliche
Geschlecht in stärkerem Maasse, während das männliche zurücktritt
Wir wenden uns nun der Form und Dauer der Anfälle zu.
1 Galbzowbky et Dagonet, Diagnostic et traitement de affections oculaires. 1886.
S. 767.
* Moobe, Hysterical blindness in the male. New-York medical Jonrn. 1888. 8. 628.
3 Mablow, Hysterical blindness in tbe male. Ebenda. 1889. S. 154.
4 Foügebay et Foochabd, Un cas de c£cit4 absolue et soudaine. Gazette des höpitaui.
1889. S. 981.
4 Adamük, Zur Casuistik der Amanrosis hysterica. Archiv f. Aogenheilk. 1990. L 8.10.
a Joseph Lewy, Ueber hysterische Amaurose. Dissertation. Berlin, 1890.
7 Wolvfbbbo, Amaurose rechts, totale Farbenblindheit links auf hysterischer Basis.
Monatsschr. f. Therapie u. Hygiene des Auges. 1898. S. 281.
• A. a. U.
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591
Die hysterische Blindheit tritt nicht gleichartig auf. Schon Jüngken 1 ist
eine intermittirende Form aufgefallen, die später auch von Königstein 1 hervor¬
gehoben wird. In naher Beziehung dazu steht Bbiquet’s Hinweis auf das
gelegentliche wiederholte Auftreten der Amaurose. Hocken kennt nur eine
acute und eine chronische Form. Die Anschauungen der Autoren über die Dauer
des Leidens sind ziemlich einmüthige. Nach Bbiqubt hält sie sich zwischen
einigen Tagen und einigen Monaten, niemals darüber. Für eine Dauer von
einigen Stunden, höchstens einigen Tagen sprechen Gilles de la Toubette,
dann Galezowbky und Dagonet, diese aber schon mit dem Hinweise darauf,
dass es auch Fälle mit fortschreitendem, sehr hartnäckigem Charakter geben
kann, Pitbes 3 , wenigstens bezüglich der doppelseitigen Amaurose, Oppenheim 4
(mit Anführung einer unserem Fall II entsprechenden Ausnahme), Schwabz.“
Diesen Autoren schliessen sich an, wenn auch ebenfalls mit dem Vermerke, dass
der Zustand wohl eine längere Dauer zeigen kann, Goweks 6 , Löwenfeld 7 ,
Wilbband und Sängeb. 8
(Portsetrang folgt)
n. Referate.
Anatomie.
1) Technische Bemerkung aur Carminffirbung des Centralnervensystems,
von Schwalbe. (Centralbl. f. allgem. Patholog. u. patholog. Anat 1901.
Nr. 21.)
Bekanntlich liefert die Ger lach'sehe Carminfarbung an behufs Celloidin-
einbettung vorher in Alkohol entwässerten Präparaten nur unbefriedigende Resul¬
tate, während bei direct aus Mül ler'scher Flüssigkeit hergestellten Schnitten die
Bilder sehr schön ausfallen.
Ganz gute Carminpräparate erhielt Verf. aber auch an Celloidinschnitteu,
wenn er die Schnitte vor der Färbung der längeren Einwirkung von Müller’¬
scher Flüssigkeit oder schwacher (höchstens 1 °/ 0 ) Chromsäure aussetzte. Die
Schnitte sollen darin verweilen bis sie einen bräunlich-gelben Farbenton annehmen.
Gegen zu lange Einwirkung der Chromsäure hülft einfach öfteres Auswaschen in
Wasser. War die Chromirung zu schwach, empfiehlt es sich, dem Alkohol (zum
Entwässern) Pikrinsäure zuzusetzen. (Ref. möchte hier beiläufig auf ein Verfahren
hinweiBen, das im Laboratorium der Wiener Landesirrenanstalt bei Carminfärbung
mit gutem Erfolge angewendet wird. Ammoniakcarmin wird stark verdünnt und
1 Jüngken, Die Lehre von den Augenkrankheiten. 1832. S. 797.
* Königstkin, Artikel: Amblyopie and Amaarose. Eulenbubo ’s Re&l-Encyklopädie.
8 . AafL 1894. 8. 472.
* Pitbes, Le^ons clin. de l’hystdrie et l’äpilepsie. 1891. 8. 101.
* Üppbnobix, Lehrbach der Nervenkrankheiten. 2. Aufl. S. 788.
8 Schwabz, Die Bebandlang der Aagenstörangen für die Diagnose der Hirn- and
Bückenmarkskrankheiten. 1898. 8.76.
* Gowbbs, Handbuch der Nervenkrankheiten. Deutsch von Gbube. III. S. 868 .
7 A. a. O.
* A. a. O.
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592
nun mit Salzsäure tropfenweise unter stetem Umrfibren bis zu neutraler Reaction
versetzt. Die Carminlösung ändert dabei ihre Farbe in ein helleres Roth. Färben
durch 12—24 Stunden bei Brutofentemperatur. Die Bilder erscheinen sehr scharf
differenzirt) Pilcz (Wien).
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber die Empfindlichkeit der hinteren Th eile dee Mnndraumee für
Test* u. 8. w. Belse, von F. Kiesow und R. Hahn. (Zeitschr. f. Psych. u.
Phys. d. Sinnesorgane. XXVI. 1901.)
Die Untersuchungen, welche an einem grossen, sorgfältig gesichteten Material
vorgenommen wurden, verfolgen zunächst nur den Zweck einer allgemeinen
Orientirung. Die Autoren gelangten zu folgenden Feststellungen: Auf den Ton¬
sillen und der Mitte der Gaumenbögen fehlen Tastorgane; Schmerzpunkte sind
vorhanden; am oberen und unteren Ende der vorderen Gaumenbögen existiren
Tastorgane nur in geringer Anzahl; das untere Ende der hinteren Bögen entbehrt
der Tast- und Schmerzempfindung. Unipolare faradischc Reizung am vorderen
Pfeiler führt zu einer an die Zungenspitze verlegten Geschmacksempfindung, die
immer mit einem Gefühl von „kalt“, nie von „warm“ verbunden ist, welches mit
der Stromstärke zunimmt; bei Prüfung mit dem Inductionsstrom wird eine Tast-
wahrnehmung durch das Gefühl der Muskelcontraction vorgetäuscht. Es giebt in
der Mundhöhle tastempfindliche -schmerzuneropfindliche und tastunempfindliche-
8chmerzempfindliche Stellen, wie v. Frey dies schon früher für Cornea und Con-
junctiva nachgewiesen hatte.
Raumwahrnehmung scheint den in Rede stehenden Gebilden fast völlig zu
fehlen. Die Empfindung von „warm“ ist nur sehr schwach.
Zur Geschmacksprüfung dienten 40°/ o Essigsäure, 10°/ 0 Kochsalzlösung,
0,2°/ 0 Salzsäure, concentrirte Quassialösung von Mundhöhlentemperatur. Die
Uvula liess man in ein löffelartig gestieltes, mit dieser Flüssigkeit gefülltes
Becherchen eintauchen, während für die übrigen Flächen ein Zusatz von Methylen¬
blau zur Lösung die Grenzen der Berührung erkenntlich machte. In keinem
Falle konnte an der Uvula, den hinteren Bögen und den Tonsillen Geschmacks¬
empfindung nachgewiesen werden, während an den vorderen Bögen ausnahmsweise
eine solche vorkommt. A. Homburger (Frankfurt a/M.).
Pathologische Anatomie.
3) Ueber das Nervensystem eines Hemioephalen, von L. v. Muralt. (Archiv
f. Psych. XXXIV )
Ausführliche Untersuchung auf Serienschnitten, deren wesentliche Ergebnisse
in folgendem wiedergegeben werden können: Im Rückenmark sind die Hinter¬
stränge am wenigsten verändert, was mit dem Vorhandensein der Spinalganglien
zusammenhängt; doch fehlen die Hinterstrangskerne zum grössten Theil. Die
Clarke’schen Säulen fehlen vollkommen, ein an der Stelle der Kleinhirnseiten-
strangbahn verlaufendes Bündel muss einen anderen Ursprung haben. Die Pyra¬
midenbahn fehlt, wenigstens in der Oblongata und höher oben, damit ist eine
deutliche Veränderung der motorischen Zellen der Vorderhörner gepaart Auf¬
fallend ist daneben die gute Entwickelung der Seitenhornzellen, was ihre Be¬
ziehung zu visceralen Nerven, speciell des Sympathicus, zu bestätigen scheint. —
Verschiedene Atypieen im Verlauf von Fasersystemen sind zu beobachten: eine
atypische vordere Commissur, eine „hintere Kreuzung“ in der Höhe der Hypo-
glossuskerne u. a.; die Entstehung derselben ist so zu denken, dass Bahnen, die
Die
593
bei Missbildungen ihre Endstation, z. B. hier die Zellen der Hinterstrangskerne,
nicht erreichen, oft eine abweichende Verlaufsrichtung annehmen. — Das gliöse
Stroma überwiegt in allen stärker veränderten Theilen die nervöse Substanz; da
wo der entwickelungshemmende Einfluss nicht stark genug ist, das Gewebe ganz
verkümmern zu lassen, entstehen leicht übermässige Bildungen. — Die bei Hemi-
und Anencephalen häufig gemachte Beobachtung der Blutungen in den Häuten
und Geweberesten wird auf den Geburtsact zurückgeführt, auf denselben Mecha¬
nismus, der beim normalen Kinde zur Entstehung der Kopfgeschwulst führt. —
Vom Kleinhirn sind nur zwei undifferenzirte Wülste erhalten; damit in Zusammen¬
hang zu bringen ist wohl die erhebliche Reduction der Oliven, in denen die
Zellen völlig fehlen, ebenso die Bogenfasern und die Kleinhirnolivenbahn. Die
Brücke ist auf einen schmalen Saum reducirt; die Kerne der Nn. XII, X, IX,
VII, VT, V sind erhalten, von IV. Spuren, die anderen Augenmuskelkerne fehlen.
— Trotz Fehlens von Lobus olfactorius und N. olfactorius haben sich die Riech¬
schleimhaut vollständig und die Retina zum grossen Theile — mit Ausnahme der
Ganglienzellen- und Nervenfaserschicht — entwickelt, was dafür spricht, dass die
Sinnesorgane der Haut in hohem Grade die Fähigkeit der Selbstdifferenzirung
besitzen. — Der Befund im Ganzen spricht dafür, dass es sich um eine primäre
Entwickelungshemmung im Gebiete der Medullarplatte handelt — nicht um die
Folgen eines fötalen Hydrocephalus —, die ihren höchsten Grad am Kopfende
erreicht und von da caudalwärts abnimmt. — Der Sympathicus wurde ebenso
wie die Spinalganglien intact befunden. H. Haenel (Dresden).
Pathologie des Nervensystems.
4) Zar Psychopathologie der Neurasthenie, von Prof. A. Pick in Prag.
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXV. 1902.)
Verf. giebt und erörtert die Krankheitsgeschichte einer hereditär belasteten,
zur Zeit 79jährigen Frau, die von Kindheit an „über alles Herzeleid gehabt hat“.
Dieser das ganze Leben ‘hindurch bestehende Zustand hielt sich innerhalb physio¬
logischer Grenzen, bis er im Senium einen Grad erreichte, der die Frau social
unmöglich machte. Das Charakteristische des Krankheitsbildes besteht darin, dass
die Reaction auf alle Vorstellungen, welche negative, peinliche Ge¬
fühlstöne bieten, eine jedes Maass übersteigende ist. Der psychische
Tonus ist in der Weise herabgesetzt, dass schon durch die geringfügigsten, nach
der negativen Seite hin wirksamen Eindrücke eine ganz enorme Gereiztheit zu
Stande kommt. Die Reizbarkeit betrifft in allererster Linie die peinlichen
Stimmungsgebiete. Die gesteigerte Schmerzreaction prägt sich auch im Gebiete
der Phantasievorstellungen sehr stark aus. Wegen der Häufigkeit und der Maass-
losigkeit der Reaction bleiben die negativen Gefühlstöne schliesslich die allein
ausschlaggebenden. Der Zustand behält den Typus des Auftretens in Anfällen;
die Schmerzäusserung bedarf immer des auslösenden Factors. Der Grundzug der
Erscheinung ist die „reizbare Schwäche“; das Krankheitsbild gehört also zu den
bei der Neurasthenie vorkommenden Störungen des Gemüths.
Georg Ilberg (Grossschweidnitz).
5) Zar Pathogenese der Hysterie und Neurasthenie and ihre Stellung
sa Stoffwechselanomalieen, von Dr. H. Hi gier in Warschau. (Heilkunde.
1900. Sept./Oct.)
Vorliegende Arbeit ist eine medicinisch-historische Studie und stellt die
wichtigsten Anschauungen über das Wesen der betreffenden Neurosen fest. Auf
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dem Wege von Hippokrates, mit dem die Vorstellung von der uterinen Entstehung
der Hysterie einsetzt, Uber Galen, der die uterine mit einer Intoxicstionstheorie
verschmolz, gelangt Verf., unter Berücksichtigung der dämonologischen Auffassungen
der Hysterie und verwandter Neurosen, zur Besprechung der neuesten Theorieen,
die füjr die Entwickelung von Hysterie und Neurasthenie Intoxicationen, sei es
durch Harnsäure, Zucker u. s. w. (Charcot’sche Schule) oder durch Leucomaine
und Ptomaine (Kowalewsky, Löwenfeld u. A.), verantwortlich machen. (Man
schreibt: Poliomyelitis und Polioencephalitis, nioht Polyomyelitis und Polyence¬
phalitis. Die Akromegalie wird nicht auf Erkrankung der Zirbeldrfise bezogen.)
H. Gessner (Nürnberg).
0) Hysterie, von WeBtphal. Vortrag, gehalten im medioinischen Verein zu
Greifswald am 4. Mai 1901. (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 23.)
Vortr. demonstrirt zunächst eine Patientin, bei welcher die hysterischen
Symptome auf sexuelle Schädigungen direct zurückzuführen sind. Im allgemeinen
spielen, entgegen Freud und Breuer, sexuelle Traumen bei der Entstehung der
Hysterie keine bedeutende Holle. Die „kathartische“ Methode Br euer’s ist mit
Vorsicht anzuwenden, es existiren zahlreiche und sehr schwerwiegende Contra-
indicationen: Vortr. betont hierbei u. a. die krankhafte Neigung der Hysterischen
zur Lüge und Uebertreibung.
Der zweite Fall ist dadurch ausgezeichnet, dass nach hysterischen Anfallen
eigenartige Zwangshandlungen auftreten, eine Combination vorliegt von hysterischem
und Zwangsirresein. Nach Anfällen, auch nach künstlich hervorgerufenen, fuhrt
der ungelenke und schwerfällige Patient die schwierigsten turnerischen Kunststücke
mit staunenswerther Geschicklichkeit auf, springt von einer Bettstelle zur anderen,
ohne je einen der Mitpatienten zu berühren, schlägt die schwierigsten Purzel¬
bäume u. 8. w.; das Bewusstsein ist erhalten. Nach Aussage des Pat. sei es ein
innerer, ihm selbst sehr peinlicher Zwang, der ihn zu diesen Bewegungen treibe;
wenn er den Zwang zu unterdrücken suche oder in der Ausführung der Be¬
wegungen gestört werde, höre die innerliche Angst nidht auf. — Der Zwang
treibt ihn mitunter zu sonderbaren sprachlichen Auslegungen, langen sinnlosen
Heimen, lautem Benennen und Zeigen eines jeden Theils seines eigenen Körpers.
— Auf der Höhe der spontan und künstlich durch Druck auf die „Ovarialgegend“
ausgelösten Anfälle sind die Pupillen fast ad maximum dilatirt und bei centraler
focaler Beleuchtung starr. Die Starre dauert meist nur wenige Secunden. Be-
merken8werth ist noch, dass Pat. früher anscheinend an epileptischen Krämpfen
litt und auoh während seines Aufenthaltes auf der Klinik zwei echt epileptische
Anfälle hatte. R. Pfeiffer.
7) lieber Sensibilitätsstörungen der Haut bei Erkrankungen innerer Or¬
gane, besonders bei Magenkrankheiten, von Dr. Hans Haenel, Assistenz¬
arzt am Stadtkrankenhaus in Dresden. (Münchener med. Wochenschr.
1901. Nr. 1.)
An der Hand eines grösseren Materials unterwarf Verf. die bekannten und
für eine exacte Untersuchung und Diagnosenstellung vielversprechenden Befunde
He ad ’s einer eingehenden Prüfung. Mit nur wenig Ausnahmen konnten dieselben
vollauf bestätigt werden. So erwies Bich in erster Linie die Beobachtung Head’s,
wonach Erkrankungen innerer Organe sehr häufig mit Gefühlsstörungen einher¬
gehen, vollkommen richtig. Sie fanden sich bei Herzkranken mit Compensations-
störung, in den verschiedensten Stadien der Phthise und besonders auch in deren
Beginn. Die dabei auftretenden und bisher für rheumatisch angesehenen Be-
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schwerden in der Soholter und den Oberarmen sind meist reflectirte Schmerzen.
Ferner treten sie bei gynäkologischen Affeotionen, bei Prostatahypertrophie, haupt¬
sächlich nach dem Katheterismns, bei Cystitis, Nephrolithiasis und verschiedenen
Leiden des Digestionstractus auf. In etwa 1 / 8 der untersuchten Magenkranken,
beiderlei, aber vorwiegend weiblichen Geschlechts, fand sich das Symptom der
Hauthyperalgesie. Knud Faber konnte es unter 200 Magenkranken nur 29 Mal
nachweisen. Wenn sorgfältig darauf gefahndet wird, dürfte eB nach Verf. häufiger
zu entdecken sein. In 14 Fällen von mit Bestimmtheit diagnosticirtem Ulcus
ventriculi fanden sich mehr oder weniger ausgedehnte hyperalgetische Zonen.
Die Länge der seit der Blutung verstrichenen Zeit spielt dabei keine Rolle.
Diesen 14 positiven stehen 5 Fälle gegenüber, in welchen weder Schmerzen noch
Hautempfindlichkeit bemerkt wurden. Bei den drei Gruppen, sicheren, wahrschein¬
lichen Magengeschwüren und Dyspepsieen Hessen die Störungen der Sensibilität
keine grösseren Unterschiede bemerken, doch waren sie im Allgemeinen bei Ulcus
hartnäckiger als bei den functionellen Affectionen.
Die Lage der von He ad angegebenen zwei Maximalpunkte wird bestätigt,
und zwar hauptsächlich insofern, als sie bei Heilungen am längsten hyperalgetisch
bleiben. Nicht ganz so constant erwies sich die Angabe, wonach sie in leichten
Fällen allein hyperalgetisch sind.
Verf. entdeckte auf der hinteren Portion des Deltoideus unterhalb des Akro-
mion einen bisher nicht beschriebenen Maximalpunkt, und zwar sowohl bei Lungen¬
ais bei Herz- und Magenkranken. Derselbe gehört in das Gebiet von C5. In
40°/ o der Magenstörungen fand sich der Boas’sche Druckpunkt. Bei der Hyper-
algesie im Epigastrium dürfte es sich auch um ein Head’sches Maximum handeln.
Der von Roux kürzUch beschriebene Druckpunkt in der Gegend der 9.—10. Rippe
in der vorderen Axillarlinie ist nichts Anderes als das vordere Maximum D9
des Head’schen Schemas. Nach demselben wird dem Magen das 4. und vielleicht
3. Cervical- und das 7.—9., vielleicht auch das 6. und 10. Dorsalsegment zu¬
gesprochen. Von 42 Fällen hielten 22 diese Grenze ein, 20 überschritten sie,
zum Theil in erheblichem Grad. Nach den Angaben von Enud Faber soll bei
Dyspepsie am Arm eine hyperalgetische Stelle Vorkommen, welche D 2 entspricht.
In verschiedenen Fällen bestanden localisirte Schmerzen am Arm und mehrmals
Hessen sich nach Besserung des Grundleidens und Rückbildung der Hautempfind-
Hchkeit am Rumpf bis auf zwei Maxima an den Armen in D 2 und 3 empfind-
Hche Stellen erkennen. Bei vier Magenaffectionen waren auch Stellen aus der
unteren „Lücke“ ergriffen. Verf. glaubt, dass die von He ad angegebenen Magen¬
zonen etwas zu eng sind, denn in sämmtlichen Fällen war D 7—9 betheiHgt,
erstreckte sich aber in der Hälfte nach oben und unten über diese Grenzen hinaus.
Dabei war häufig D 2 und 3 am Arm mitbetroffen und wird diese Erscheinung
in nähere Beziehung zum Magen gebracht.
In einer nicht kleinen Zahl Hess sich in den von He ad beschriebenen Lücken
Hyperalgesie nachweisen, und zwar war mehrmals C 6—8 oder C 3 und 4 über¬
empfindlich. Die obere Lücke wurde 19 Mal, die untere in 6 Fällen hyper¬
algetisch gefunden. Danach wäre die Head’sche Lehre von den Lücken nicht in
ihrem ganzen Umfang aufrecht zu halten. Sie sollen ein von reflectirten Schmerzen
in der Regel freies Gebiet darstellen, lassen aber nach den Befunden Haenel’s
bei inneren Erkrankungen ebenso gut wie die anderen Theile an der Hautober¬
fläche Hyperalgesie erkennen. In Bezug auf die serösen Häute werden die An¬
gaben Head’s, wonach deren Erkrankungen nicht mit oberflächlicher Hyperalgesie
einhergehen, bestätigt. Der Schmerz wird, falls wirklich vorhanden, durch tiefen
Druck oder Erschütterung ausgelöst. In therapeutischer Beziehung ist anzunehmen,
dass durch die engen Beziehungen zwischen inneren Organen und bestimmten
Hautgebieten durch Einwirkung auf die letzteren auch die ersteren functionell
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beeinflusst werden. Während Head durch Cooa'insalbe gute Erfolge erzielte,
empfiehlt Verf. das Auflegen von Senfpflastern. E. Asch (Frankfurt a/M.).
8) Ueber die physiologische Grundlage der hysterischen Ovarie, von Dr.
SteinhauBen in Hannover. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901.)
Die Untersuchungen wurden vorgenommen, um festzustellen, ob die durch
mehr oder weniger plötzlichen und stärkeren Druck auf die seitlichen Unter¬
bauchgegenden hysterischer Personen bedingten Reactionserscheinungen einen be¬
stimmten diagnostischen Werth besitzen oder möglicherweise auch bei Gesunden
Vorkommen. Es wurden 500 gesunde Soldaten daraufhin und zwar in kleineren
Gruppen und unter peinlichster Vermeidung jeder suggestiven Beeinflussung unter¬
sucht. Dabei wurde in der von Charcot angegebenen Weise auf beiden Seiten
der Unterbauchgegend plötzlich und mit massigem Kraftaufwand Druck ausgeübt
In 88 °/ 0 der Fälle traten Reactionserscheinungen (Streckbewegungen der Wirbel¬
säule, Pupillenerweiterung, Steigerung der Pulszahl, Röthung des Gesichts und
schreckhafter bez. erotisch-erregter Gesichtsausdruck) auf. Daraus erhellt, dass
es sich bei dieser Art von „Ovarie“ nicht um Beziehungen zur Hysterie, sondern
um rein physiologische Vorgänge handelt. Wahrscheinlich kommt auch ähnlichen,
kitzelartigen Erscheinungen bei anderen hysterogenen Zonen ein gleich wichtiger
Antheil zu, wie bei der Ovarialzone. Nur durch die eigenartige Constanz der
von ihr ausgehenden Reactionserscheinungen ist ihre besondere Wichtigkeit bei
der Diagnose der Hysterie zu erklären. E. Asch (Frankfurt a/M.).
9) Ueber neurasthenische Neuralgieen, von Prof. Jendrässik. (Orvosi
Hetilap. 1901. Nr. 48 u. 49.)
In dieser eingehenden, für ein kurzes Referat nicht geeigneten Studie erörtert
Verf. die differentielle Diagnose zwischen den wahren Neuralgieen und den im
Verlaufe von Neurosen auftretenden, oft scheinbar deren einziges Symptom bil¬
denden Pseudoneuralgieen, für welche er den Namen „neurasthenische Neuralgieen“
vorschlägt. Die genaue Diagnose sei um so nothwendiger, um an neurasthenischen
Neuralgieen leidende Kranke vor unnöthigen und fruchtlosen zahnärztlichen und
operativen Eingriffen zu verhüten; Verf. betont die mitunter nothwendige operative
Therapie bei den wirklichen Neuralgieen, aber erst dann, wenn jede andere
Therapie erfolglos blieb. Hudovernig (Budapest).
• -
10) Die 8ubjectiven Beschwerden der Neurastheniker, von L. Hoeflmayr
in München. (Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 46.)
Eine sehr grosse Zahl der subjectiven neurasthenischen Beschwerden sind
durch eine Störung der Darminnervation und deren Folgeerscheinungen bedingt,
deshalb ist eine Regulirung derselben durch Abführmittel, Bauchmassage u. s. w.
stets von dem grössten therapeutischen Erfolg begleitet. Eine weitere Gruppe
dieses Leidens gehört den Vagus-Sympathicusneurosen an. Im Allgemeinen plaidirt
Verf. dafür, den Sammelbegriff Neurasthenie allmählich fallen zu lassen und den
Krankheitsherd im speciellen Fall zu bezeichnen. E. Asch (Frankfurt a/M).
11) Ein Fall von Hysterie mit linksseitiger Hyperhidrosis und Transfert
der Hemihyperaesthesia sinistra auf die reohte Körperhälfte, von
W. Kgdzior. (Przegl^d lekarski. 1901. Nr. 1. [Polnisch.])
Verf. berichtet über einen Fall von linksseitiger Hyperhidrosis und Transfert
der Hemihyperästhesie von der linken Seite auf die rechte. Der Fall betraf eine
Digi
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20jährige Bäuerin, bei welcher vor 3 Jahren Parese des rechten und alsbald des
linken Beines mit Parästhesieen auftrat. Seit einem Jahre bettlägerig. Hyper*
hidrosis auf der linken Seite hauptsächlich bei Nahrungsaufnahme, Einschlafen
und psychische Aufregungen. Nystagmus. Gesichtsfeldeinschränkung. Geschmack-
und Geruchstörungen. Zittern der Zunge. Langsame Sprache. Kein Intentions¬
zittern. Sehnenreflexe gesteigert. Linksseitige Hyperästhesie. Nach einiger Zeit
Hyperästhesie der rechten Körperhälfte. Verf. nimmt in diesem Fall Hysterie
(Astasie-Abasie) an. (Nach Meinung des Ref. ist in diesem Fall die multiple
Sklerose mit oder ohne hysterische Begleiterscheinungen nicht ausgeschlossen!)
Edward Flatau (Warschau).
12) Amaurose hystdrique double, par E. Gal lern aerts. (Policlinique. 1901.
1. August)
Mittheilung eines Falles dieser seltenen Affection; die Amaurose war bei
einer 24jähr. Frau, die sonst stets gesund gewesen war, kurz nach Entwöhnen
des Kindes plötzlich heim Nähen aufgetreten. Anästhesie der Corneae und Con¬
junctivae und Rachenanästhesie bei negativem Augenbefund liessen die Diagnose
stellen; Suggestivtherapie war nach wenigen Tagen von Erfolg begleitet
H. Haenel (Dresden).
13) Bin Fall von hysterischer Taubheit, von Prof. F. Schultze (Bonn).
(Deutsche Aerzte-Zeitung. 1901. Nr. 4.)
Ein 14jähr. Obertertianer wird in Folge eines Schreckes durch den Knall
einer zufallenden Klassenzimmerthür plötzlich auf beiden Ohren taub. Der bis
dahin absolut gesunde Knabe wies keinerlei sonstige Störungen auf. Nach mehr¬
facher specialärztlicher Untersuchung wurde festgestellt, dass keine organischen
Veränderungen des Gehörapparates Vorlagen. Eine Schreckneurose wurde aus¬
geschlossen. Trotz des FehlenB irgend welcher sonstigen hysterischen Symptome
wurde die Diagnose auf hysterische Taubheit gestellt. Im Verlaufe der Behand¬
lung, die hauptsächlich in der Anwendung hydropathischer Mittel bestand, stellten
sich Krämpfe erst einiger Muskelgruppen, dann der gesammten Körpermusculatur
ein, die aber bald wieder schwanden. Pat. wurde in die medicinische Klinik in
Bonn aufgenommen und hier wurde durch einfache Suggestion erreicht, dass das
Gehör nach etwa 3 Tagen wieder völlig normal wurde. Die Taubheit hatte im
ganzen etwas über 6 Wochen gedauert und war längere Zeit hinduroh das einzige
Zeichen von Hysterie. Zur Erklärung dieses Falles führt Verf. aus, dass auf
irgend eine Weise das Bewusstsein für akustische Eindrücke verloren gegangen
sein müsse, dass eine Art partiellen Dauerschlafs für akustische Eindrücke be¬
standen habe. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
14) Oreille et hystdrie, par Dr. Fleury Chavanne. (Paris, 1901.)
Das Werk, dem man naohrühmen muss, dass es seinen Stoff in ebenso über¬
sichtlicher wie erschöpfender Weise behandelt, theilt sich, nach einer ausführlichen
Einleitung, die die UntersuchungBmethoden behandelt, in zwei Hauptabschnitte:
der erste beschäftigt sich mit den hysterischen Ohrsymptomen, die erst, wie etwa
die Gesichtsfeldeinsohränkung oder die hysterogenen Zonen, durch die specielle
Untersuchung aufgedeckt werden; der zweite handelt von den Ohraffectionen, wie
Taubheit, Ohrenschmerzen, Otorrhagieen u. s. w., die den Kranken zum Arzt führen
und deren hysterische Natur studirt wird (eigentliche monosymptomatische auri*
culäre Hysterie und in dem Sinne, dass die Ohrsymptome das Krankheitsbild be-
Dic
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herrschen). Dieser Theil trennt die Anästhesieen (Taubheit, Taubstummheit u. ä.)
von den Hyperästhesieen (Hyperacousie douloureuse,. hysterogene Zonen im Bereich
des Ohres, hysterische Pseudomastoiditis) ab. Ein besonderes Capitel ist der
seltenen Affection des Meni6re’schen Schwindels auf hysterischer Basis gewidmet,
ein weiterer Abschnitt den Otorrhagieen, deren Verhältniss zur Menstruation ein¬
gehende Berücksichtigung findet. Den Schluss bildet eine Studie über die trau¬
matische Hysterie des Ohres. Die einzelnen Capitel gewinnen dadurch an Lebendig¬
keit und Interesse, dass ihnen jedes Mal eine Reihe Beispiele in Form Belbst-
beobachteter und aus der Litteratur zusammengetragener Krankengeschichten bei¬
gefügt sind. Die Therapie ist, da sie meist mit der der Hysterie zusammenfällt,
naturgemäss meist nur kurz abgehandelt, um so mehr Raum ist der nothwendigen
Differentialdiagnose gegen Erkrankungen anderen Ursprungs gewidmet. An ein¬
zelnen Stellen, besonders bei der Besprechung der einseitigen und doppelseitigen
Taubheit, wäre vielleicht auch ein etwas näheres Eingehen auf die Simulation von
Vortheil gewesen. — Die besonders für einen Franzosen naheliegende Gefahr, der
Hysterie einen übertriebenen Einfluss zuzusobreiben, wird glücklich vermieden.
In unserem Zeitalter der „Grenzgebiete“ füllt das Buch Bicher einen Platz
aus, an dem der Neurologe vielleicht noch mehr wie der Otologe leicht vorüber¬
zugehen Gefahr läuft; das Studium des Werkes kann für beide nur von Vortheil
sein. H. Haenel (Dresden).
15) Un cas d’öpilepsie jaoksonienne hysterique, traitement, guörison, par
P. Hartenberg. (Revue de psychologie clinique et thörapeutique. 1900.
April.)
Patientin, 35 Jahre alt, Trinkhallen Verkäuferin, verheirathet, nervös belastet;
als Kind häufig Luftwegcatarrhe; vor 6 Jahren nach Aufregung nervöse (?) Bron¬
chitis; neue Aufregung durch Tod der Mutter und eines ihrer Kinder; kurz
darauf Erysipel, heftige Epist&xis, wieder nervöse Bronchitis, welche 5—6 Tage
anhielt; hierbei heftiger Husten, keine Expectoration; heilte momentan durch die
ersten beiden Löffel Arznei. Von jetzt ab fortwährend leidend, Sohinerzen überall,
nervös gereizt und reizbar. — Beginn der jetzigen Krankheit am 28./V. 1897
nach einigen Tagen grosser geschäftlicher Aufregung und Anstrengung: Patientin
spürte plötzlich ihre linken Wadenmuskeln erstarren, Ameisenkriechen im linken
Fubs, unfreiwillige Bewegungen in den Zehen, musste im Gehen anhalten, sich
setzen; dies dauerte 5—6 Minuten. Dasselbe 4—5 Tage nachher, von da ab
bald mehrmals am Tage, bald nach mehrtägiger Pause. Die Erscheinungen traten
immer in derselben Reihenfolge auf; anfangs eine Aura in Form von Kopfschmerz
und Brechen, später in Form von nervösem Zittern. Der leichteste Reiz, z. B.
eine unbequeme Lage eines Gliedes, konnte einen Anfall auslösen. Die krampf¬
artigen Bewegungen bestanden in Flexionen und Extensionen der Zehen, gefolgt
von klonisohen Stössen des Fusses. Bei einer vom Verf. beobachteten Krise
waren es besonders Spasmen des Extens. hall, long., Extens. communis und Peron.
long. Während des Anfalls Fuss eiskalt; Krampfbewegungen schmerzhaft, dauern
nie länger als 5—6 Minuten. Bewusstsein intact. Einige Krisen verliefen zum
Theil anders: so erstreckte sich einmal der Schmerz durch die ganze linke Seite
auch an die Finger; ein anderes Mal (November 1897, Nachts) heftige Kopf¬
schmerzen, beständiges Gähnen, danach Erstickungsanfall, Schrei, Bewusstseins¬
verlust, 20 Minuten lang Somnolenz. Urin hell, reichlich; kein Zungenbiss. Am
3./IV. 1898 ähnlicher, nur etwas stärkerer Anfall. — Stat. praes. 14./III. 1899:
Schwächlicher, mittelgrosser Körperbau, Blässe; Herzschlag frequent, Magen¬
erweiterung, subjective Magenbesohwerden, Obstipation. — Nervöses Temperament,
mehrere Degenerationszeichen. Sensibilität fast normal, nur vage Sohmerzen und
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clavus hystericus. Motilität ausserhalb der Anfälle o. B. Reflexe mittelstark.
Schwächegefuhl in den Beinen. Psychisch: Niedergeschlagenheit; Pat beschäftigt
sich in Gedanken fortwährend mit ihrem Leiden, fürchtet fortwährend Eintritt
eines Anfalles. Schlaf ungleichmässig. Alpdrücken.
Verf. diagnosticirt Jackson’sche Pseudoepilepsie hysterischer Natur; die von
anderen Aerzten geleiteten Brom-Wasser- u. s. w. Kuren waren ohne Erfolg ge¬
wesen. Verf. behandelte Pat. allgemein mit täglichen lauwarmen Waschungen
gefolgt von Alkoholeinreibungen; alle 2 Tage allgemeine leichte Massage ab¬
gesehen vom kranken Bein; strenge Diät, Bekämpfung der Obstipation; alle
2 Tage subcutane Injection von Lecithin. — Bei der specieilen suggestiven Be¬
handlung ging er von der Beobachtung der Kranken aus, dass die Spasmen nie
allein auftraten, sondern ihnen stets obengenannte Sensationen vorausgingen, welche
sie zwangen ihre Gedanken auf die späteren Krampfbewegungen zu richten. Er
suchte diese Gedankenverknüpfung zu lösen, indem er die stabile Elektrode des
faradischen Apparates auf den Oberschenkel setzte, die mobile auf Fuss und
Zehen, um hier Sensationen ähnlich denen, die dem Anfall vorausgingen, hervor¬
zurufen. Zugleich Suggestion, dass diese elektrisch hervorgebrachten Sensationen
keine Spasmen nach sich zögen. Traten diese doch auf, so brachte er die Elek¬
trode auf die contrahirten Muskeln und suggerirte, dass diese elektrischen Con-
tractionen die spontanen am Entstehen hindern würden. — Schnelle Besserung
des Allgemeinzustandes. Die Krisen wurden seltener und schwächer. Patientin
schöpfte Hoffnung. April 1900 noch von Zeit zu Zeit einige Sensationen mit
Neigung zu Spasmen, doch legt sie ihnen kein Gewicht mehr bei. Verf. be¬
trachtete sie damals als geheilt, Meitzer (Grosshennersdorf).
16) Deviationen und Contraoturen neurotischen Ursprunges der Wirbel¬
säule, von Prof. Dr. Erasmo de Paoli. (Wiener med. Presse. 1901.
Nr. 20.)
1. Fall. Hysterische Skoliose bei einem 12jähr. Mädchen. Die Skoliose
war als erstes Symptom aufgetreten, ohne andere hysterische Erscheinungen.
Heftige, neuralgische und intermittirende Schmerzen im rechten Hypochondrium
und 6.— 6. Intercostalraume. Die Deviation der Wirbelsäule wird durch Suspension
vollkommen corrigirt. Keine Schmerzen bei Nacht, psychische Steigerung der¬
selben, kein Effect des immobilisirenden Apparates auf die Schmerzen, Druck¬
schmerzhaftigkeit der Dornfortsätze. Sohwinden der Schmerzen und der Skoliose
unter Bromtherapie.
2. Fall. Hysterische Contractur der Halswirbelsäule mit Schmerzanfällen
nach leichtem Trauma bei einem 8jähr. Mädchen. Nach einem leichten Schlag
in den Nacken Beugeoontractur der Halswirbelsäule. Schwinden der Contractur
und Wiederkehr nach den leisesten Veranlassungen, ßpäter hysterische Convul-
sionen. Erfolg auf Brombehandlung. '
3. Fall. 35jähr. Patientin. Hysterische Anfälle seit dem 17. Jahre. Vor
5 Jahren Sturz auf Kreuz und Hinterkopf. Danach Neuralgieen im Kopf. Druck¬
empfindlichkeit und Schwäche der Wirbelsäule. Später Ovarie, Fieber, lumbale
linksconvexe Skoliose. Zunahme der Sohmerzen im Suspensionsapparate. Hyper¬
ästhetische und anästhetische Zonen.
Charakteristisch ist das Vorangehen eines Traumas, das Ueberwiegen der
subjectiven Beschwerden gegenüber den objectiven, das Schwinden der Schmerzen
bei Nacht, die Zunahme bei Suspension, die Nichtübereinstimmung der Schmerzen
und der druckempfindlichen Dornforteätze mit der Stelle der Difformität, der
Einfluss der Therapie. J. Sorgo (Wien).
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17) Die hysterische Skoliose, von Dr. Gustav Muskat. (Centralblatt für die
Grenzgebiete der Medicin und Chirurgie. 1901. Nr. 6.)
Verf. entwickelt das Krankheitsbild der hysterischen Skoliose, die man
eigentlich besser als „Contractur der Rückenmusculatur auf hysterischer Basis“
bezeichnen würde. Während die indirecte Ursache in einer hysterischen Ver¬
anlagung gesehen wird, soll als directe Veranlassung ein Fall, eine heftige Ge-
müthsbewegung u. s. w. auslösend wirken, ln den typischen Fällen ist auf der
einen Seite die lumbodorsale Musculatur straff gespannt, hart und schmerzhaft.
Die Wirbelsäule ist in der Regel der ganzen Länge nach seitlich verbogen, die
Convexität der Curve sieht nach der gesunden Seite. Bei dem leisesten Zuge,
Suspension, Vorübemeigen des Rumpfes oder in Narcose wird die Deformität aus¬
geglichen, doch kommen hiervon Ausnahmen vor. Von der echten Skoliose unter¬
scheidet sich die hysterische Form dadurch, dass bei der letzteren keinerlei
Knochenverändemngen an der Wirbelsäule Vorkommen, Torsion der Wirbelsäule,
Rippen oder Brustbuokel fehlen vollkommen, die Muskelcontractur ist hier die
primäre Erscheinung, während sie bei der echten Skoliose rein secundärer Natur
ist. Verf. zieht noch einige andere Erkrankungen in den Kreis seiner differential-
diagnostischen Erwägungen und bemerkt bezüglich der Therapie, dass diese eine
antihysterische sein müsse. Die Prognose ist nach den neuesten Ergebnissen nicht
absolut günstig. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
18) Hysterisohe HGfthaltung mit Skoliose, von Prof. Dr. J. K A. Wertheim
Salomonson in Amsterdam. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk. XIX.
1900.) '
Diese Art hysterischer Contractur wurde in 2 Fällen beobachtet Im ersten
war es ein 24jähr. Arbeiter, der noch andere Symptome von Hysterie darbot und
einige Zeit vor dem Auftreten der Erscheinung einen Fall erlitten hatte. Er
nahm eine Haltung an, die von Richer als Attitüde hanchee beschrieben ist
und die von der physiologischen Hüfthaltung nicht viel abwich. Und zwar stützte
er sich stets auf das gestreckte, leicht adducirte rechte Bein, der Oberkörper hing
nach rechts hinüber und die Wirbelsäule zeigte eine Skoliose mit der Convexität
nach links. Diese schräge Körperhaltung und die Skoliose blieben auch bestehen,
wenn man den Patienten veranlasste sich auf das linke Bein zu stützen. Die
passiven Bewegungen in der linken unteren Extremität zeigten einigen Wider¬
stand. Heilung trat spontan ein, als der Kranke seinen zu Boden gefallenen
Stock auf heben wollte, wobei er in der Hüfte etwas „vergehen“ fühlte.
Eine zweite, ganz ähnliche Beobachtung wurde an einem 17jähr. Mädchen
gemacht. Heilung trat hier gelegentlich einer starken Faradisirung ein, wobei
eine Aussenrotation des Beines erfolgte. Die Patientin hatte das Gefühl, als ob
in der Hüfte etwas zerspränge.
Der Verf. giebt eine kritische Uebersicht über die in der Litteratur nur in
spärlioher Zahl vorliegenden, ähnlichen Beobachtungen und verbreitet sich über
das Wesen der Erscheinung. Er stellt einmal fest, dass es sich nicht um eine
eigentliche Contractur handele, da in den meisten Fällen die passiven Bewegungen
ganz frei waren und die geringe Behinderung in den beiden vorliegenden Fällen
nur auf eine Neigung hindeute eine bestimmte Stellung festzuh<en. Ueber diese
Stellung selbst spricht sich Verf. dahin aus, dass es sich um eine Subluxation des
Femur handele, und zwar könne dieselbe schon normalerweise hervorgerufen
werden, indem man dem Bein die bekannte „Coxitisstellung“ gebe.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
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19) Ueber die hysterischen Störungen, von K. Strözewski. (Gazeta
lekarska. 1901. Nr. 34. [Polnisch.])
Verf. berichtet über 13 Fälle von hysterischen Contracturen. Aus der
klinischen Beobachtung dieser Fälle geht hervor, dass die Contracturen bei
Hysterie sehr stark ausgeprägt sind. Sie erreichen ihre maximale Höhe sogleich
bei der Entstehung. Während des SchlafeB verschwinden sie nicht. Die Chloro-
formnarcose ist nur auf kurze Zeit im Stande die Contractur zu entfernen. In
dem von Contractur befallenen Eörpertheil lässt sich gleichzeitig sensible Störung
constatiren. Die Sehnenreflexe bleiben auf der contrahirten Seite ohne Verände¬
rung. Die Contracturen treten in der oberen Extremität am häufigsten in Form
von „geballter Hand“, in der unteren als „pes equino-varus“ auf. Die hysterischen
Contracturen schwinden meistens plötzlich. Als charakteristisch für diese Art
von Contracturen kann man das gleichzeitige Befallensein der antagonistischen
Muskelgruppen (z. B. der Beuger und Strecker) aufstellen.
Edward Flatau (Warschau).
20) Diplegia faoialis hysterlca, von Dr. Hugo Lukacs. (Wiener klin. Wochen¬
schrift. 1901. Nr. 6.)
Die 19jähr. Patientin erkrankte an rechtsseitiger totaler Facialislähmung mit
Entartungsreaction; unter elektrischer Behandlung ging die Lähmung nach 3 1 /, Mo¬
naten zurück. 6 Monate später wieder rechtsseitige Facialislähmung, die aber
weder complet noch total war, da der Orbicul. oculi nicht mit einbezogen war.
8 Tage Bpäter linksseitige Lähmung ebenfalls mit Freibleiben des Orbicul. oculi.
Beim Weinen und Lachen reagiren beide Gesichtshälften normal. Die Diplegie
besteht seit 3 Jahren, unter elektrischer Behandlung sich immer wieder etwas
bessernd, bei psychischen Alterationen und während der Menses sich verschlimmernd;
keine Entartungsreaction. Keine Contracturen. Hypnose hat vorübergehend
bessernden Einfluss. Keine Stigmata. J. Sorgo (Wien).
21) Monoplegie orurale hyBterique, par L. G. Simon. (Bulletins de la
Sociätö de Pediatrie. 1901. Nr. 8.)
Ein 13jähr. Knabe erkrankt aus voller Gesundheit mit Zittern, Schwäche
der Beine, stürzt zusammen, ohne dass das Bewusstsein getrübt ist. Er behält
eine incomplete Lähmung des linken Beines, ist nicht im Stande allein zu gehen,
wird bettlägerig. 5 Tage nach Beginn des Leidens spontanes Erheben aus dem
Bett und gelungener Versuch allein herumzugehen, nach weiteren 2 Tagen völlig
geheilt.
Die hysterische Natur der Lähmung erschliesst Vortr. nicht nur aus dem
eben erwähnten Verlauf des Leidens, sondern auch aus dem Erhaltenbleiben der
normalen Reflexe, aus einer eigentümlichen Sensibilitätsstörung und aus dem
Verhalten der Sphinkteren. An den Beinen und den unteren Partieen des Stammes
bestand eine nach oben soharf begrenzte Herabsetzung für Schmerzempfindung
und für die Erkennung kalter Gegenstände; später verkleinerte sich diese Zone
gestörter Sensibilität und blieb nur auf das kranke Bein beschränkt.
Die Sphinkterenfunction war schon vor dem Insult insofern gestört, als
namentlich bei Tag Incontinentia urinae bestand. Zugleich mit der Lähmung
stellte sich auch unwillkürlicher Stuhlabgang ein, der auch an dem Tage schwand,
an welchem das Gehvermögen wieder normal wurde. Sonderbarerweise heilte zu
gleicher Zeit auch die Enuresis, trotzdem dieselbe viel älteren Datums war.
_ Zappert (Wien).
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22) Fall af astasi-abasi, af H. Köster. (Hygiea. 1900. S. 232.)
Der erste der beiden vom Verf. mitgetheilten Fälle betrifft eine 23 Jahre
alte Kranke, die an Dysmenorrhöe, epileptiforaen Anfällen, Bluthusten und Blut¬
erbrechen gelitten hatte; jedoch war nie in dem Erbrochenen oder in den Dann¬
entleerungen Blut nachzuweisen gewesen. Bei der Aufnahme am 9. Nov. 1898
war die Patientin abgemagert, kraftlos, benommen; sie klagte über Schmerz im
Bauche, der eingezogen und überall empfindlich war, am meisten im Epigastrium,
aber nirgends liess sich Dämpfung oder abnorme Resistenz auffinden. Patientin
klagte über Erbrechen, so dass sie nichts bei sioh behalten konnte, sie konnte
den Harn nicht spontan entleeren, sondern musste katheterisirt werden; eine Zeit
lang war vollständige Anurie vorhanden gewesen. Anfangs erbrach Patientin
noch alles Genossene, allmählich aber begann sie Nahrung bei sich zu behalten.
Sie wurde isolirt und duroh wache Suggestion und ZwangsfUtterung gelang es
allmählich, den Ernährungszustand wieder zu heben. Als Patientin das Bett ver¬
lassen sollte, konnte sie weder gehen noch stehen, wenn sie aber im Bett lag,
konnte sie mit den Beinen alle Bewegungen ausführen, wenn auch etwas schwach
in Folge des langen Liegens. Schon vor einigen Jahren hatte sie lange Zeit im
Bett gelegen, weil sie sich nicht auf den Beinen zu halten vermochte. Tabes,
sowie andere organische Leiden des centralen Nervensystems konnten mit Sicher¬
heit ausgeschlossen werden. Ausgeprägte Symptome von Hysterie waren zwar
nicht vorhanden, aber eine geringe Herabsetzung der Sensibilität und das Un¬
vermögen, den Harn spontan zu lassen, deuteten auf Hysterie, und der gute Er¬
folg der suggestiven Behandlung in Verein mit Massage bestätigten diese An¬
nahme. Ausserdem wurde Faradisation angewendet, sie schien indessen keine
Wirkung zu haben. Die Besserung machte langsame, aber stetige Fortschritte
und Mitte Juni 1899 konnte die Patientin auf ihr Verlangen entlassen werden;
ihr Gang erinnerte aber noch sehr an den eines Seiltänzers mit ausgebreiteten
Händen und stets nach vom auf den Weg gerichtetem Blick.
Der zweite Fall betraf ein 12 Jahre altes Mädchen, das nach einem Noth-
zuchtsversuch auf der Treppe des Hauses, in dem sie wohnte, stets, wenn sie die
Wohnung verlassen wollte, auf der Treppe umfiel und sich nicht wieder erheben
konnte, in der Wohnung aber ungehindert gehen und stehen konnte. Auch wenn
Patientin die Treppe hinab getragen wurde, konnte sie nicht gehen und stehen.
Schon nach der ersten Behandlung mit kräftiger Faradisation konnte die Kranke
gestützt die Treppe hinaufgehen; nach vier Sitzungen war sie geheilt.
Walter Berger (Leipzig).
23) Astasie-Abasie, monoplegie brachiale, hysterie infantile, par Dr.
J. Comby. (Archives de Mädecine des Enfants. IV. Nr. 6.)
Enthält die Krankengeschichten eines 10 und eines 12jähr. Mädchens, von
denen ersteres das Symptom der Astasie-Abasie, letzteres ein Recidiv einer Arm¬
lähmung auf hysterischer Grundlage darboten. Auf Anstalta- und elektrische
Suggeetivbehandlung gingen die Storungen rasch zurück. Zappert (Wien).
24) Ueber Zwangserbrechen, von W. v. Bechterew. (Obosrenije psichiatrii.
1900. Nr. 6.)
Verf. berichtet über 2 Fälle, in denen bei gewissen Gelegenheiten ein un-
beherrschbares Uebelkeitsgefühl mit nachfolgendem Erbrechen eintrat. In dem
einen Fall war es ein Sänger, der jedes Mal, wenn er auf der Bühne auftrat, von
dieser Zwangserscheinung überfallen wurde, im anderen eine 28jährige, ziemlich
stark belastete Dame, bei der das Erbrechen auftrat, wenn sie das Haus, in dem
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sie wohnte, verliess. In beiden Fällen konnten die Patienten keine aasociative
Veranlassungsursache angeben. Beide hatten ihre Zuflucht zum Cognak genommen.
Eine grosse Erleichterung, wenn auch nicht volles Schwinden des Symptoms be¬
wirkten Bromsalze in Verbindung mit Code'in.
Wilh. Stieda (St. Petersburg).
26) Larynxnearoaer, af V. Saxtorph Stein. (Hospitalstidende. 1900. Nr. 8.)
Verf. theilt 3 Fälle von spastischer Aphonie mit, die alle Frauenzimmer im
Alter von 42, 25 und 31 Jahren betrafen. Im 2. und 3. Falle war der functio¬
neile exspiratorische Stimmritzenkrampf mit inspiratorischem complicirt, in Folge
dessen Athmungsbeschwerden entstanden, die im 3. Falle eine solche Höhe er¬
reichten, dass der behandelnde Arzt sich genöthigt sab, die Tracheotomie auszu-
führen. Unter geeigneter Behandlung wurde in allen 3 Fällen Heilung erzielt.
In einem 4. Falle, den Verf. mittheilt, bestand doppelseitige Posticuslähmung bei
einem 177a alten Gärtnerlehrling; auf beiden Seiten des Halses, namentlich
in der Regio submaxillaris, fühlte man mehrere grosse indolente Drüsengeschwülste;
nach Verf. lässt sich nicht gut annehmen, dass durch diese Geschwülste ein Druck
auf die Nn. recurrentes ausgeübt wurde. Walter Berger (Leipzig).
26) Nervöse Tachypnoe, von Reckzeh. (Berliner klin. Wochenschr. 1901.
Nr. 17, 18 u. 19.)
Im Anschluss an vier eigene Fälle von nervöser Tachypnoe bei jungen
Männern hat Verf. 1155 Krankengeschichten der Gerhardt’schen Klinik, die
functioneile Neurosen betreffen, in Bezug auf das Vorkommen und die Häufigkeit
dieses Athmungstypus durohgesehn. Unter diesen 1155 Kranken, meistens Neur¬
asthenikern und Hysterischen, fand sich in 40 Fällen, d. h. in 3,46°/ 0 , aus¬
gesprochene Tachypnoe, und zwar bei 14 Männern und 26 Frauen. Bemerkens¬
werth erscheint, dass 7 Mal das Leiden erblich war. Als Tachypnoe wurde eine
Erhöhung der Athmungsfrequenz, die entweder eine dauernde ist oder paroxysmal
eintritt, auf 40 und darüber in der Minute angesehn. Alle Fälle wurden aus¬
geschlossen, bei denen die Tachypnoe durch ein organisches Leiden bedingt sein
konnte. Die begleitende nervöse Erkrankung war bei den Frauen, abgesehen von
2 Fällen Basedow’soher Krankheit und zwei sohweren Neurosen, durchweg
Hysterie, bei den Männern Neurasthenie bezw. traumatische Neurose. Das Alter
der Kranken lag bei dem männlichen Geschlecht zwischen 18 und 42, bei dem
weiblichen zwischen 15 und 62 Jahren. Die Prognose und Therapie ist die des
Grundleidens. Bielschowsky (Breslau).
27) Et tilfälde af hysteriske blödninger i hud og •lemhinder, af S. Ho Ith.
(Norsk Mag. f. Lägevidensk. 1901. S. 686.)
Bei der 23 Jahre alten hysterischen Patientin waren mehrfach nach Gemüths-
bewegungen ohne Trauma und ohne sonstige äussere Veranlassung mit Blut ge¬
füllte Blasen, die platzten und sich in langsam heilende Geschwüre mit nekro¬
tischem Grunde verwandelten. Im September 1892 und im Februar 1893 waren
auf gleiche Weise Blutungen im linken und rechten oberen Augenlide entstanden,
ebenfalls nach Gemüthsbewegungen. Um Hämophilie, wenigstens im gewöhnlichen
Sinne, konnte es sich nicht handeln, da bei einer Unterschenkelamputation wegen
eines wahrscheinlich tuberculösen Knochenleidens am Fusse, im 15. Lebensjahre,
und nach verschiedenen Zahnextractionen keine bedeutenderen Blutungen auf¬
getreten waren. Am 28. März 1893, Abends 6 Uhr, machte Verf. mit dem Zeige¬
finger, ohne starken Druok, ein Kreuz auf die Aussenseite des Oberarms der
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Patientin; am anderen Morgen war noch nichts zu bemerken, am Mittag begann
sich eine Verfärbung in Form eines Kreuzes zu zeigen und am 30. März war es
deutlich zu sehen, blaugrün mit gelblicher Marmorirung und an der Kreuzungs¬
stelle dunkel blauroth. Erst am 7. April war es wieder ganz verschwunden.
Später traten zeitweise Blutungen an verschiedenen Stellen der Haut und der
Schleimhäute auf. Bei der Badekur in Sandsfjord im Sommer 1894 bemerkte
Prof. Poulsson, dass trotz der sobonendsten Behandlung im Bade immer blaue
Flecke in der Haut entstanden, dass die Neigung zu Blutaustritten aber nach-
liess, als Patientin weniger schonend behandelt wurde, nachdem ihr die Suggestion
gegeben worden war, dasB durch mechanische Behandlung der Haut die Neigung
zur Blutung aufhören würde; schliesslioh konnte Patientin mit Birkenreis gepeitscht
werden, ohne dass nennenswerthe Blutungen danach auftraten. Bis gegen Weih¬
nachten desselben Jahres blieb die Patientin frei von Blutungen, dann traten sie
wieder auf. Nach Anwendung von Arsenikpillen, die 2 Jahre lang fortgesetzt
wurde, erfolgte dauernde Besserung, die Blutungen fanden nur noch selten statt
Am 5. Februar 1900 starb die Patientin plötzlich an Pankreasapoplexie; ob eine
Gemüthsbewegung vorausgegangen war, konnte Verf. nicht erfahren. Bei der
Section fand sich ausserordentlicher Fettreichthum im Unterleib, der wohl eine
Folge der Arsenkur war, und Nekrose des Pankreas in der Nähe der Blutungen.
Walter Berger (Leipzig).
28) Involuntary mioturition in Children, by G. Frank Lydston, M. D.
(Chicago). (Pediatrics. 1902. 15. Januar.)
Unwillkürlicher Urinabgang ist bei Kindern nicht immer als Neurose auf¬
zufassen, sondern oft genug Ausdruck von anatomischen Veränderungen der Harn¬
wege oder chemischer Störungen des Urins. Es sind das oft Zustände, bei denen
auoh beim Erwachsenen häufiger, quälender Harndrang auftritt. Derartige Ursachen
müssen sicher auszuschliessen sein, wenn man eine einfache nervöse Enuresis dia-
gnosticiren will. Letztere findet man nach der Annahme des Verf.’s namentlich
bei schwächliohen oder sonst dyskrasischen Kindern; gesunde, kräftige Kinder lassen
den Verdacht auf eine anatomische Grundlage ihrer Enuresis berechtigt erscheinen
Als Veranlassung der nervösen Enuresis ist eine Hyperästhesie der Blase, eine
Schwäche der Contractionsmuskeln oder der Sphinkteren anzunehmen, doch ist die
letzte Ursache dieser Störung trotz mehrfacher Hypothesen noch nicht geklärt
Das Leiden betrifft meist Kinder zwischen 3 und 11 Jahren; es kann als Enuresis
nocturna, diurna und continua auftreten. Aus den ausführlichen therapeutischen
Angaben des Verfi’s, welche sich auf die verschiedenen Ursachen der Krankheit
beziehen, seien Strychnininjectionen in der Lendengegend angeführt, von welchen
Verf gute Wirkung gesehen haben will. Zappert (Wien).
29) Neurasthenie und Hysterie bei Kindern, von Alfred Sänger. (Berlin,
1902, S. Karger. 32 S.)
In dieser nach einem in der Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. IX. Heft 5
publicirten Vortrage erweiterten Arbeit macht Verf. zunächst auf die Wichtigkeit
der Kenntniss der kindlichen Neurosen aufmerksam und theilt dieselben in folgende
vier Gruppen:
1. Neurasthenie, 2. Hysterie, 3. Gemisch von Neurasthenie und Hysterie,
4. hereditäre Neuropathie.
Die Kinder der ersten Gruppe sind meist anämisch, erregbar, zum Weinen
geneigt, ängstlich, sie ermüden sehr leicht (Gesichtsfeld! Lesen!), klagen fast alle
über angioneurotische Symptome und zeigen eine erhöhte vasomotorische Erregbar¬
keit. Appetit, Stuhlgang und Schlaf sind nicht in Ordnung. Eine grosse Bolle
> y Google
605
bei den Kindern spielt der Kopfsohmerz, and zwar von der Zeit des Schalbesuohes
an. Derselbe kann ein anämischer, echt neurastbenischer, hyperämischer oder
migräneartiger sein.
Die hysterisohen Kinder sind meist intelligenter als die nenrastbenisohen.
Die Kinderhysterie tritt oft monosymptomatiscb und mit grosser Massivität auf.
Sehr häufig sind hysterische Haltungsanomalieen bei Kindern, oft kommen vor
hysterischer Husten, Aphonie, Stottern, Stummheit, Blindheit, Extreraitäten-
lähmungen, Ptosis, Enuresis nocturna, seltener hysterische Krampfanfalle.
Am häufigsten tritt im Kindesalter die Gruppe III auf: Combination von
neurasthenischen und hysterischen Symptomen. Hierher gehört die
nervöse Asthenopie. Die dieser Gruppe angehörenden Kinder ähneln in psychischer
Beziehung den neurasthenischen, nur zeichnen sie sich durch grössere Einfältigkeit
und Dummheit aus.
Bei den hereditär Neuropathisohen spielt neben der hereditär-nervösen
Belastung die Nachahmung eine bedeutende Bolle. Nicht selten ist bei ihnen
einseitige Begabung.
In allen vier Gruppen sind Knaben und Mädchen in nahezu gleicher Anzahl
vertreten. Am häufigsten wurden die nervösen Störungen zwischen dem 10. und
14. Jahre beobachtet, was auf den schädlichen Einfluss der Schule hinweist.
Zwischen Hysterie und Neurasthenie bestehen — wie Gruppe III zeigt —
fliessende Uebergänge.
Die Prognose der nervösen Erkrankungen im Kindesalter ist für die drei
ersten Gruppen im allgemeinen günstig, besser als bei Erwachsenen. Hauptsaohe
ist frühes Erkennen und energische Ausrottung der ersten Krankheitserscheinungen.
Bei den psychopathisoh Minderwertigen (Gruppe IV) ist die Prognose ungünstiger.
Die Therapie besteht in: Femhalten vom Sohulbesuch, Wachsuggestions¬
behandlung (besonders Elektricität), bei Anämie Eisen und frische Luft, hei
schwererer Hysterie und Neuropathie Anstaltsbehandlung, in vielen Fällen hülft
die „bewusste Nichtbehandlung“ sehr gut. Belehrung der Lehrer, Anstellung von
Schulärzten und Schutz vor Ueberbürdung mit Schularbeiten ist ein weiteres Er¬
forderniss.
Am Schluss seiner Arbeit giebt Verf. noch einiges Allgemeine bezüglich der
theoretischen Auffassung der Hysterie und Neurasthenie auf Grund seiner an ner¬
vösen Kindern gemachten Erfahrungen wieder.
Die Hyßterie fasst er als eine Neuropsychose auf. Die Grundlage derselben
besteht in „veränderten functionellen Störungen im CentralnervensyBtem, hei denen
sich später auch psychische Anomalieen im Gebiet des Vorstellens und des
Willens einstellen“.
Für die Neurasthenie lenkt Verf. die Aufmerksamkeit auf die nervösen End¬
organe in den einzelnen Organbezirken. Während die meisten Forscher als Ort der
Störung bei der Neurasthenie das Centralorgan annehmen, hält es Verf. für nicht
ausgeschlossen, dass eine „Unterwerthigkeit der peripheren Neurone an den
verschiedenen Gebieten den Varietäten der Neurasthenie zu Grunde liege“. Mit
dieser Hypothese Hesse sich erklären: die nervöse Asthenopie (Unterwerthigkeit
der Sehsubstanz der Retina), das Ueberhandnehmen der Neurasthenie in der Gress¬
stadt (Uebermüdung der verschiedenen Sinnesorgane), das Intactbleiben der höheren
Verstandes- und Vernunftcentren, die Wirksamkeit derjenigen Therapie (Elektricität,
Massage, Uebungen, Bäder, Kaltwasserkuren), welche direct auf die Nerven¬
endigungen in der Haut und Musculatur wirkt, sowie der wohlthuende Einfluss
der Bettruhe, welcher die übermüdeten, unterwerthigen Sinnesorgane besänftigt.
Die interessante Arbeit, deren hauptsächlichster Inhalt hier wiedergegeben
ist, sei hiermit der Lectüre empfohlen. Kurt Mendel.
Digi
606
30) Bin Pall tob Bnoephalopathia lnfontilia, von Dr. Hngo L u k a c s.
(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 26.)
Der 26jähr., hereditär nicht belastete, als Kind immer ungehorsame und
jähzornige Patient litt bis zu seinem 13. Jahre an Enuresis nocturna. Bis zum
16. Jahre 2—3monatlich Absencen von 10—12ständiger Dauer mit nachfolgender
Amnesie. Seit */* Jahr Verwirrtheit, Grössenwahn. Strabismus convergens bilat.,
partielle Atrophie beider Sehnerven, rechtsseitige Facialisparese, aber nicht bei
mimischen Bewegungen; die rechtsseitigen Extremitäten zeigen das typische Bild
der infantilen Cerebrallähmung. Der Blutdruck der rechten Badialis ist halb so
gross als auf der gesunden Seite.
Verf. schlägt für die Combination dieser drei Symptome (Epilepsie, vermin¬
derte Geistesfähigkeit und Hemiplegie), deren jedes für sich als selbständige
Krankheitsform vorkommt und die in mannigfaltiger Weise combinirt erscheinen
können, die Bezeichnung Encephalopathia infantilis der Franzosen vor.
J. Sorgo (Wien).
31) Hysterie juvönile ohes une fillette de douse ans — Hemianesthdsie
sensitive - sensorielle gattohe oomplöte. Neuf orises d’amaorose
double absolue. Perversion de la Vision binooulaire, par Rene Crachefc.
(Archives de neurologie. 1901. Nr. 9.)
Interessanter und genau beschriebener Fall einer jungen Hysterica, welche
das sehr seltene Phänomen doppelseitiger völliger Amaurose bot; dieses
letztgenannte Symptom wurde mehrmals von Anfang bis zu Ende ärztlich be¬
obachtet und kann dessen Veröffentlichung als authentisch gelten, so selten das
Vorkommen ist Adolf Passow (Meiningen).
32) Casuistisoher Beitrag zur Hysterie der Kinder, von Bruno Leik.
(Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 20.)
Plötzlich einsetzende Lähmung der Beine bei einem 9jähr. Knaben, die ohne
ärztliche Hülfe im Laufe eines Tages zurückging. Dann progressive Verschlech¬
terung der Schrift, welche zu einem fast unleserlichen Gekritzel wurde, bedeckt
mit Klecksen, da die Finger bisweilen die Feder fallen Hessen. Keine Chorea.
Faradisation mit mittelstarken Strömen brachte in wenigen Minuten Heilung.
R. Pfeiffer.
33) Deber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke, von Dr. L. Löwen¬
feld. (München, 1901.)
Einer der wichtigsten klimatisohen Faotoren in Luftkurorten fiir Nerven¬
kranke ist nach des Verf.’s Ansicht die Intensität der Luftbewegung; nach ihr
muss man sich bei der Indicationsstellung viel mehr richten als z. B. nach der
Meereshöhe, und so kommt es, dass Hochgebirge und Nordsee einerseits und
mittlere Höhe und Ostsee andererseits ungefähr im allgemeinen auf die gleiche
Stufe zu stellen sind. Auf die behauptete Vermehrung der rothen Blutkörperchen
im HöhenkHma ist weniger Werth zu legen. — Neurastheniker mit gesteigerter
Erregbarkeit des vasomotorischen und Herznervenapparates, ebenso solche mit
AngBtzuständen und beträchtlichem Schlafdeficit eignen sich nicht für das hoch¬
alpine Klima; geeignet sind dagegen Erschöpfungszustände in Folge geistiger
Ueberanstrengung, massige Anämie und nervöse Dyspepsieen. — Im allgemeinen
kann es einen Maassstab abgeben, wenn man die Wirkungen des Höhenklimas
als tonisirend und anregend, die des Seeklimas als tonisirend und sedativ be¬
zeichnet. Epileptikern ist das Nordseeklima zu widerrathen, ebenso Rückenmarks-
607
kranken, die nebenbei auch das Hochgebirge schlecht vertragen. Bei Neuralgieen
ist von Luftkuren im allgemeinen nichts zu erwarten. — Gewisse Acclimatisations-
heschwerden der Nervenleidenden in den ersten Tagen nach Klimawechsel —
Schlafstörung, Kopfeingenommenheit, Schwindelanwandlungen u. ähnL — gehen
gewöhnlioh rasch vorüber. H. Haenel (Dresden).
34) Ueber den Aufenthalt von nervenschwachen Personen im Nordsee-
von Dr. Jde. (Therap. Monatsh. 1901. Oct.)
Verf., selbst Badearzt, Bucht die Ansicht zu bekämpfen, dass auf nerven¬
schwache Personen die Nordsee ungünstig einwirke. Er begründet seine Ansicht
zuerst durch Aufstellung einer Theorie, nach der die Sauerstoffaufnahme an der
See erleichtert sein soll; daneben soll „die verminderte thermische Reizung durch
herabgesetzte Wärmeverdunstung“ (!), die „leichtere Ausgleichung elektrischer
Spannungsdifferenzen zwischen Körperoberfläche und Umgebung“ (wie hat Verf.
diese beobachtet? Ref.), die Ruhe der Umgebung und die Gleichmässigkeit der
Gesichts- und GehörBeindrücke beruhigend wirken. Andererseits wirken Sturm
und Brandung und die „durch Reflexion des Lichtes vom Wasser und weissen
Dünensande erzeugten lebhaften Gesichtseindrücke“ erregend und oft schädlich.
Es kommt also bei Nervenkranken auf die richtige Dosirung dieser Kurmittel an;
zur Erleichterung derselben empfiehlt Verf. die Errichtung von Heilanstalten an
der See. H. Haenel (Dresden).
35) Bergsteigekuren für Nervenkranke, von Dr. Fr. Keller. (Therapeut.
Monatshefte. 1901. Oct./Nov.)
Verf. erörtert zunächst den Werth der Arbeit — nicht bloss Beschäftigung
— in der Behandlung von Nervenkranken, der Arbeit, die ausser den Muskeln
auch das Gehirn in genügender Weise beschäftigt und die hypochondrischen Ge¬
danken nicht auf kommen lässt. Nach Besprechung der Schwierigkeiten, die gerade
solcher Arbeit in den gewöhnlichen Anstalten entgegen stehen, und der Versuche,
die zu ihrer Ueberwindung gemacht worden sind, führt er aus, dass das Berg¬
steigen allen Anforderungen in dieser Hinsicht entspricht: Volle Inanspruchnahme
von Körper und Geist bei der Thätigkeit, ein lohnendes Ziel am Schluss, das den
Erfolg der Leistung sofort erkennen lässt, Berücksichtigung aller äusseren
hygienischen Anforderungen, Nöthigung der Kranken, alle ihre sonstigen Eigen¬
schaften (Unruhe, Aengstlichkeit, Energielosigkeit, Unfähigkeit der Concentration,
Rücksichtslosigkeit gegen andere u. s. w.) zu überwinden und durch ihr gerades
Gegentheil zu ersetzen. Dass Bergsteigen eine an sich angenehmere und erfrischen¬
dere Thätigkeit ist als Handwerkerei oder die von Vogt vorgeschlagene Her¬
stellung mikroskopischer Präparate, oder selbst Gartenbau, ist wohl zweifellos; es
giebt wenig, was das Gefühl der Leistungsfähigkeit in ähnlicher Weise zu steigern
im Stande wäre. — Verf. schlägt weiter vor, ein solches zu errichtendes Hoch-
gebirgssanatorium zu verbinden mit einer wissenschaftlichen Sammlung, es zu einer
Art kleinem Landesmuseum zu machen, an dessen Zustandebringen, Ordnen, Er¬
gänzen u. s. w. die Kranken, jeder nach Lust und Fähigkeit, mitzuarbeiten hätten,
so daBS mit den Touren auch noch ein höherer, ernsterer Zweck verbunden wäre.
Eine kurze Besprechung der Wirkungen des Höhenklimas auf Kranke im All¬
gemeinen sowie der Indicationen bezüglich der Art der Nervenkranken schliesst
den anregenden Aufsatz. H. Haenel (Dresden).
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r>
608
30) Die Behandlung der Neurasthenie, von Dr. W. Weygandt. (Würz¬
burger Abhandlungen aus dem Gesammtgebiet der praktischen Medicin. L
1901. Heft 5.)
In dem Begriffe der Neurasthenie, jenem Complex von psychischen und ner¬
vösen Symptomen, unter denen die krankhaft gesteigerte Ermüdbarkeit im Vorder¬
gründe steht, sind zwei ätiologisch ganz verschiedene Zustände vereinigt, nämlich
die erworbene, chronische, nervöse Erschöpfung und die angeborene, constitutioneile
Neurasthenie. Hat man durch eine sorgfältige Differentialdiagnose anderweitige
Erkrankungen ausgeschlossen, sowohl körperliche Organ- und Stoffwechselerkran¬
kungen und Intoxicationen als auch organische Nervenkrankheiten, Hysterie,
Epilepsie, endlich psychische Störungen (Schwachsinnszustände, leichtere Formen
des periodischen oder manisch-depressiven Irreseins, Melancholie, Paralyse), so ist
es unerlässlich, den Fall auf seine Zugehörigkeit zur erworbenen oder zur con-
stitutioneilen Neurasthenie zu prüfen, oder auch, da eine Combination beider
Formen ungemein häufig ist, eine Analysirung daraufhin zu versuchen, welche
Störungen dem Factor der Erschöpfung und welche dem degenerativen Factor
angehören. Hierzu wie auch zur Feststellung des Grades der Erschöpfung und
zur Controlle des Verlaufs empfiehlt Verf. die experimentalpsychologische Unter¬
suchungsmethode des fortlaufenden Addirens einstelliger Zahlen.
Exacte Untersuchung ist schon der erste Schritt zur Therapie: sie gewinnt
dem Arzt das Vertrauen des Kranken; ihr schliesse sich eine verständige Belehrung
des Patienten an. Hypnose schafft nur Augenblickserfolge und ist nur bei ein¬
zelnen besonders störenden Symptomen zulässig. Bei der Aufstellung des eigent¬
lichen Heilplans ist die Hauptsache eine eingehende Individualisirung, schon durch
die zunächst liegende Frage, wie die bisherigen Schädlichkeiten sofort abznstellen
sind, sodann, ob die Behandlung zu Hause möglich ist oder nicht. Der aller¬
beste Heilfactor bei der Neurasthenie ist die Buhe, nicht nur geistige Erholung,
sondern auch Fernhaltung körperlicher Erschöpfung. In jedem Falle ist die Er¬
nährung zu berücksichtigen, die Nahrungsaufnahme zu regeln, Verdauungsstörungen
zu beseitigen. Elektricität ist in verschiedener Form anwendbar, nächstdem
Massage, Hydrotherapie (nur keine brüske Kaltwasserbehandlung!), Klimatotherapie
und Gymnastik, endlich Beschäftigung namentlich bei den vorwiegend constitutio-
nellen Fällen. Medicamente sollen erst in letzter Linie herangezogen werden,
sind aber nicht immer zu entbehren. In Betracht kommen die Sedativa (Brom¬
präparate u. s. w.), Tonica (Eisen, Nährpräparate u. 8. w.), weniger die Schlaf¬
mittel, die möglichst zu vermeiden sind. Prophylaktisch sind nur einige allge¬
meine Gesichtspunkte aufzustellen.
Die Prognose ist um so günstiger, je mehr der Factor der Erschöpfung die
Genese des Leidens bedingt, vorausgesetzt, dass nicht äussere Umstände die Kur
vereiteln. Aber auch die Erkenntniss der Degeneration darf von einer ziel¬
bewussten Behandlung nicht zurückschrecken, und soll wenigstens einen leidlichen
Modus vivendi zu erstreben suchen. E. Beyer (Littenweiler).
37) Sur la oorabilitö des tios, par H. Meige et E. Feindei. (Gazette des
höpitaux. 1901.)
Verf. hält die Ansicht Charoot’s und dessen Schüler von der Aussichtslosig¬
keit der Ticbehandlung nicht für ganz begründet. Die Behandlung muss nicht
nur auf Unterdrückung der Muskelkrämpfe, sondern auch auf Beeinflussung des
psychischen Verhaltens gerichtet sein. Beiden Anforderungen wird systematische
Gymnastik gerecht, die — schon von Trousseau empfohlen — häufig Erfolge
erzielt. Es handelt sich dabei um streng im Tact nach Commando auszuführende
Bewegungen theils mit den befallenen Muskeln, theils mit den Antagonisten, theils
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um methodische Uebung und Erziehung zur Hemmung der Bewegungen. Elektro¬
therapie, Hydrotherapie und Massage dienen nur als Adjuvantien. Die medica-
mentöse Behandlung hat wenig Werth. In schweren Fällen kann Bettruhe und
Isolirung vorteilhaft sein. Mitunter kann auch die hypnotisohe oder Wach-
suggestion Nützliches leisten. R. Hatschek (Wien).
38) Zur Behandlung de> nervösen Hustens mittelst bahnender und hem¬
mender Uebungstherapie, von Dr. Rudolf Funke. (Zeitschrift f. diät.
u. physik. Therapie. V.)
Unter nervösem Husten wird ein solcher verstanden, der nicht durch physi¬
kalisch erkennbare Veränderungen in den Respirationsorganen verursacht wird.
Er tritt anfallsweise als Hustenkrampf oder als continuirlicher rhythmischer Husten
auf. Zu unterscheiden ist ferner, ob es sich um einen von irgend einem Köper-
theil (Sinnesorgane, Gehörgang, Haut. Leber, Milz, Magen und Darm, Geni¬
talien u. 8. w.) ausgelösten Reflexhusten oder um einen „centralen“ Husten handelt;
in letzterem Falle giebt stets eine Neurose die Ursache ab. Weiter sind abzu¬
trennen die Larynxkrisen bei Tabes dorsalis und die von Laryngologen als Chorea
laryngis bezeichnete Affection; natürlich auch der Husten, der das Anfangssymptom
bei sonst mit keinem Mittel zu erkennender Phthisis pulmonum darstellt. — Bei
der Untersuchung ist auf alle die erwähnten Reflexursachen zu achten, dieselben
sind wenn möglich zu beseitigen. Beim „centralen“ Husten ist der Athmungs-
typus von Bedeutung: derselbe kann einmal dadurch fehlerhaft sein, dass der
Thorax in Exspirationsstellung festgehalten und Athmen und Husten nur durch
oberflächliche Contraction der Bauchmuskeln besorgt wird; in einer anderen
Kategorie von Fällen handelt es sich im Gegentheil um Schlüsselbeinathmung mit
krampfhafter inspiratorischer Anspannung der langen Halsmuskeln. Das Athem-
volum ist in beiden Fällen ein sehr geringes, der Exspirationsstrom von vermin¬
derter Stärke. Diese falsche Athmung soll durch die Therapie möglichst rasch
behoben werden; zu diesem Zwecke muss der Kranke vor allem orientirt werden
1. über die zu geringen seitlichen Excursionen des Thorax und die unrichtige
bezw. ungenügende Betheiligung der Bauchmuskeln, 2. über die schädliche und
unrichtige Thätigkeit der Halsmuskeln, 3. über die ungenügende Stärke des
exspiratorischen Stromes. Mit der Erkenntniss der einzelnen fehlerhaften Inner¬
vation ist oft schon der Haupttheil zur Heilung geleistet. Die Athemübungen
sollen nach Commando erfolgen, die Inspiration soll energisch geschehen, die
Exspiration hauptsächlich passiv durch Erschlaffung der vorher innervirten
Muskeln. Zur Unterdrückung des Hustenreizes ist es nothwendig, tief zu inspi-
riren und den Athem darauf eine Zeit lang anzuhalten, besonders in dem Moment,
in welchem der Hustenreiz einsetzt. Dies muss der Kranke üben; die einfache
Aufforderung, den Husten zu unterdrücken, beantwortet er meist mit einem starken
Pressen unter Anspannung der gesammten Rumpfmusculatur, was nur geeignet
ist, den Reiz noch zu steigern. Zur „Wegsammachung der reflexhemmenden
Bahnen“ empfehlen sich dabei neben kräftiger Willensbeeinflussung (wohl die
Hauptsache! Ref.) vor allem streng rhythmische Athembewegungen. Unterstützt
kann der Erfolg noch werden durch Anwendung des Nägeli'sehen Keuchhusten¬
griffes (Ziehen des Unterkiefers nach vorn und abwärts).
H. Haenel (Dresden).
Psychiatrie.
39) Beitrag zur Kenntniss des hysterischen Dämmerzustandes, von Raecke
(Tübingen). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 115.)
Die von Ganser beschriebenen hysterischen Dämmerzustände, die derselbe
39
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bei Strafgefangenen beobachtet hat und während deren die Kranken durch die
Unsinnigkeit ihrer Antworten den Verdacht der Simulation sehr nahelegten, sind
inzwischen auch von anderen veröffentlicht worden. Verf. hat an der Frankfurter
Irrenanstalt fünf ähnliche Fälle, darunter vier Straf- bezw. Untersuchungsgefangene
gesehen, die er eingehend darstellt. Ganz auffällig ist die Absurdität der Ant¬
worten und der Wechsel in der Intensität der Symptome. Der Verf. nimmt an,
dass es sich stets um psychopathische oder schwachsinnige Menschen handle, die
den Aufregungen der Verhöre, der Haft, der Furcht erliegen; sie werden verwirrt,
denkunfähig, apathisch oder trotzig, gereizt, tobsüchtig. Die Neigung zu über¬
treiben spielt dabei umsomehr mit, als alle diese Hysterischen besonders suggestibel
sind. Dementsprechend ist Nichtbeachten, Versetzung in andere Umgebung, Arbeit
die beste Behandlungsmethode. Die Feststellung solcher Zustände bedingt noch
nicht die Anwendbarkeit deB § 51 auf die dem Anfalle vorangehende Strafthat.
Die vorzüglich beschriebenen Krankheitsbilder erfordern klinisch die höchste
Beachtung, vorausgesetzt, dass sie sich bewähren. Dementsprechend aber ist es
umsomehr nothwendig, solche Kranke länger im Auge zu behalten, da für uns
doch einstweilen Hysterie fast ausnahmslos eine länger dauernde Krankheit con-
stitutioneller Art ist. Bef. vermisst sehr die Angaben über die weiteren Schick¬
sale aller dieser Kranken, vor allem den Nachweis, dass auch späterhin zwar die
Hysterie, nicht aber Gesundheit oder den Anfällen ähnliche Zustände dauernd
bestehen geblieben sind. Aschaffenburg (Heidelberg).
40) Ueber hysterische Geistesstörungen, von C. Fürstner. (Die deutsche
Klinik am Eingänge des 20. Jahrhunderts. VI. 2. Abthlg.)
Die Abhandlung Fürstner’s enthält, entsprechend dem Charakter des
Sammelwerkes, dem sie angehört, kaum Neues, bringt aber, wenn auch in kurzer
Form, eine übersichtliche und erschöpfende Darstellung unserer derzeitigen Kennt¬
nisse von den Geistesstörungen Hysterischer. Verf. behandelt zunächst die Eigen¬
heiten des hysterischen Temperaments, die Abnormitäten der Gefühls- und Ver-
standesthätigkeit und geht dann zu der Schilderung der auf dem Boden der
Hysterie sich entwickelnden eigentlichen psychischen Störungen über. Traumatisch
hysterische Psychosen, Melancholie, Paranoia, letztere beiden besonders in Bezug
auf ihre Abweichungen von den gewöhnlichen typischen Krankheitsformen, die
postparoxysmalen Psychosen und deren transitorische Formen unter besonderer
Betonung der Eigenart der Delirien und Sinnestäuschungen, der Schwankungen,
welche die Tiefe der Bewusstseinsstörungen aufweist, moriaartige und Dämmer¬
zustände werden besprochen, schliesslich auch die Frage der Zurechnungsfähigkeit
in crimineller und civilrechtlicher Beziehung (Ehescheidung, Pflegschaft, Ent¬
mündigung) gestreift und die Schwierigkeiten, die bei derartigen Entscheidungen
für den sachverständigen Arzt wie den Richter sich ergeben, hervorgehoben. Zum
Schlüsse widmet Verf. auch der Prognose, der Therapie und der Prophylaxe
hysterischer Seelenstörungen einige Betrachtungen. Martin Bloch (Berlin).
41) Malades imaginaires, par Paul Valentin. (Revue de psychologie clinique
et thSrapeutique. 1900. April.)
Im Anschluss an eine Besprechung von Moliäre’s Gestalt Argan im Malade
imaginaire skizzirt Verf. kurz die Haupttypen der Neurastheniker und geisselt
die Aerzte, die auch jetzt noch ähnlich wie Moliöre’s Vertreter der Heilkunde
Diafeirus und Purgon theils aus Lässigkeit oder Ueberbeschäftigung, theils aus
Unkenntniss der Fortschritte der Wissenschaft solche Kranke, zu denen zweifellos
auch Argan zählte, ebenfalls als Malades imaginairea behandeln bezw. nicht oder
falsch behandeln. Meitzer (Grosshennersdorf).
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42) Zar Pathologie der Angst, von Kornfeld. (Jahrbücher f. Psych. u. Neu¬
rologie. XXII. S. 411.)
Die prägnanten körperlichen Veränderungen beim Angstaffecte, nämlich Ge¬
fühl von Beklemmung und Druck in der Herzgegend, Erhöhung des Blut Iruckes
mit Abnahme des capillaren Druckes (gemessen mittels des v. Basch'sehen
Capillarometers), Kleinerwerden des Pulses, „Gänsehaut“, Schwäche in der Inner¬
vation der willkürlichen Musculatur, Störungen der Drüsenfunctionen (Gefühl von
Trockenheit im Halse, Obstipation und umgekehrt Steigerung des Stuhldranges,
Angstschweiss u. s. w.), Weite der Pupillen u. s. w.: lassen sich von einem ein¬
heitlichen Gesichtspunkte aus deuten. Wir haben eine Reihe von Erscheinungen
gesteigerter Reizung peripherer Organe, die wir als directen Ausdruck der cen¬
tralen Erregung auffassen dürfen. Dann finden wir eine Reihe von Erscheinungen
verminderter Reizung peripherer Organe, die als Folge einseitigen Abflusses der
Erregung nach der Peripherie gedeutet werden können. Endlich (nicht oonstant)
finden sich Erscheinungen, die zur Verminderung der inneren Spannung dienen
und die als neueröffnete Abflusswege der centralen Erregung sich darstellen.
Verf. wirft die Frage auf, ob nicht im Blutdrucke ein sozusagen einen Mittel¬
punkt darstellendes Symptom vorliegt, um das sich alle übrigen Erscheinungen
gruppiren und das als Gesammtausdruck aller peripherer Veränderungen das ge¬
suchte Maass der centralen Erregung abgiebt. Eine Fülle von Thatsachen der
experimentellen Pathologie, von klinischen Beobachtungen und Messungen zieht
Verf. in geistvoller Weise heran, um die obigen Ausführungen zu begründen.
Psychischerseits zeigt sich Verminderung der intellectuellen Thätigkeit, eine
eigenartige Hemmung. Verf. hatte seinerzeit nachgewiesen, dass der durch an¬
gestrengtes Denken gesteigerte Blutdruck mit der Vollendung der geistigen Arbeit
absinkt. Intellectuelle Arbeit gehört demnach, ebenso wie Muskelarbeit und
Drüsenthätigkeit zu den Vorgängen, um den Blutdruck zu erniedrigen. So lässt
sich der Symptomencomplex der Angst dahin gruppiren, dass einerseits verminderte
Drüsen-, Muskel- und intellectuelle Thätigkeit vorliegt, andererseits vermehrte
Gefässcontraction u. s. w. als Ausdruck der nur einseitig auf die Peripherie
wirkenden centralen Erregung.
Die Angst entsteht entweder im Fortgange bewusster psychischer Processe
oder durch rein somatische Vorgänge (Angina pectoris, Atropinvergiftung, Lyssa
[! eigene Beobachtung] u. s. w.). Ein organisch vermitteltes Angstgefühl kann
auch durch psychische Reflexion verstärkt werden bei einer bestimmten individuellen
Disposition. Diese letztere ist aber auch von Wichtigkeit für die besondere Art
des Affectes überhaupt (Abfliessen der centralen Erregung in ganz bestimmten
Bahnen neben der verschiedenen Localisation der centralen Erregung: Zorn, Angst,
Kummer). Pilcz (Wien).
43) In weloher Beziehung steht die Agoraphobie (Platzangst) za gewissen
Erkrankungen des Gehörorganes, von Dr. A. Eitelberg in Wien.
(Wiener med. Presse. 1900. Nr. 28.)
In den zwei mitgetheilten Fällen bestand eine derartige Beziehung nicht, da
die Behandlung des Mittelohrcatarrhs ohne Einfluss auf die Agoraphobie blieb.
J. Sorgo (Wien).
44) Bin Pall von Zwangsvorstellangen, von Jahrmärker. (Berliner klin.
Wochenschr. 1901. Nr. 43.)
An der Hand einer sehr genauen Krankheitsgeschichte, deren höchst inter¬
essante Einzelheiten im Original nachzulesen sind, giebt Verf. einen klassischen
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Beleg für die Beziehungen zwischen Zwangsvorstellungen und Geisteskrankheiten.
Wir erfahren, wie eine von Haus aus sehr feinfühlige, 27 jährige, unverheiratete
Dame durch Zwangsvorstellungen zu einer ganz absonderlichen, unästhetischen,
ihr selbst widerwärtigen und sie psychisch wie physisch vernichtenden Lebens¬
führung gekommen war. Die unverscheuchbaren Zwangsvorstellungen waren so in
den Vordergrund des Bewusstseins getreten, dass sie jedes normale Denken und
Handeln durchkreuzten und hinderten. Sie hatten eine derartige Gewalt über
die Kranke trotz allen Sträubens gewonnen, dass die freie Willensbestimmung
ausgeschlossen wurde. Das Zurückreichen der Zwangsvorstellungen in die früheste
Jugend der Dame weist darauf hin, dass es sich bei der Kranken um eine
Storung handelt, welche auf eine von vornherein pathologische Constitution zurück¬
zuführen ist. Wahrscheinlich hat dann, wie so häufig, die Pubertätszeit mit ihren
Stürmen den Keim zur vollen Entwickelung gebracht.
Bielschowsky (Breslau).
46) The development and gene&logy of the Misses Beauohamp. ▲ preli-
minary report of a oase of multiple personallty, by Morton Prince.
(Proceedings of the society for psychical research. 1901. Febr.)
Es handelt sich um einen höchst eigenthümlichen Fall von gespaltener Per¬
sönlichkeit, über den Verf. schon auf dem Pariser internationalen Congress be¬
richtet hat. Langjährige Beobachtung und scharfsinnige Analyse haben den Verf.
zu der Anschauung gebracht, dass bei der hysterischen und mehrfach hypnotisirten
Misses B. 1. ein Unterbewusstsein sich von einem bestimmten Zeitpunkt ab zu
einer selbständigen Persönlichkeit mit einer continuirlichen, bis in die früheste
Kindheit herabreichenden Erinnerung entwickelt hat; dass 2. das Oberbewusstsein
mehrmals Spaltungen erlitten hat, jedes Mal im Anschluss an gewisse, mit starker
Erregung verbundene Ereignisse, die dazu führten, dass die Patientin 6 Jahre
lang eine andere war als vorher und nachher, dass dieser Zeitraum von 6 Jahren
von dem Moment an, wo er abgeschlossen war, eine Erinnerungslücke darstellte
für die sich anschliessende Persönlichkeit, diese selbst aber auch nur zum Theil
mit der ursprünglichen übereinstimmte. Lange Zeit musste es überhaupt fraglich
bleiben, welcher Zustand der normale, ursprüngliche sei. Die Charaktere waren
in den einzelnen Zuständen absolut verschieden: das „verselbständigte“ Unter¬
bewusstsein, ein kindliches, heiteres, leichtsinniges Wesen, das seinem Mitselbst
allerhand Streiche spielte und oft geradezu gehässig gegen dasselbe handelte; das
Oberbewusstsein I intelligent, musikalisch, religiös, sprachgewandt, II gleichgültig,
hat die französische Sprache und die Noten verlernt, ist missmuthig, launisch,
nervös. Es gelang dem Arzt, für einige Zeit I und II durch hypnotische Sug¬
gestion zu verschmelzen, diesem „neuen Dinge“ stand dann das selbständige Unter¬
bewusstsein anfangs rathlos gegenüber. I und II wussten nichts von der Existenz
des letzteren, dieses besass dagegen vollkommene Kenntniss von allem, was I und
II dachten, sprachen und thaten.
Von den Sätzen, die Verf. zum Schluss zur Discussion stellt, seien folgende
hervorgehoben:
Das unterbewusste Selbst kann sich zu einer echten unabhängigen Persönlich¬
keit entwickeln, das zu gleicher Zeit mit dem ursprünglichen Bewusstsein wach
sein kann, oder auch allein, während die anderen Persönlichkeiten schlafen.
Andere sogenannte und offensichtliche Persönlichkeiten sind manchmal nur
das durch Zerlegung verstümmelte ursprüngliche Selbst.
Theoretisch ist jede Anzahl von Persönlichkeiten möglich; jede derselben
hängt von verschiedenen Zusammensetzungen der einzelnen gespaltenen Stücke des
normalen Selbst ab.
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Das Unterbewusstsein ist nicht nothwendig das Aequivalent des hypnotischen
Selbst.
Zwei oder mehr Persönlichkeiten können zeitlich auf einander folgende
Existenz führen, oder können, wenn eins das unterbewusste Selbst ist, gleichzeitig
«xistiren.
Derartige Persönlichkeiten können unter Umständen durch die Hypnose noch
weiter gespalten werden.
Man wird die in Aussicht gestellte ausführliche Mittheilung abwarten müssen,
um den höchst interessanten und wichtigen Fall genügend würdigen zu können.
H. Haenel (Dresden).
Therapie.
46) Ueber eine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des
elektrischen Lichtes, von Dr. Leopold Laquer, Frankfurt a/M. (Deutsche
med. Wochensohr. 1901. Nr. 22.)
Verf. beschreibt einen von ihm angegebonen Bestrahlungsapparat (Heliodor),
welcher für die localisirte Anwendung elektrischer Licht- bezw. Wärmestrahlung
gute Dienste zu leisten im Stande ist. Es handelt sich um einen an einem Stativ
angebrachten, vorn offenen Lichtkasten, welcher in alle den verschiedenen zu be¬
handelnden Körpergegenden angepasste Stellungen gebracht werden kann; der
Innenraum des Lichtkastens besitzt stark vernickelte, darum spiegelnde, Licht und
Wärme reflectirende Wände.
Mittels dieses Apparates wendet Verf. das elektrische Licht zu Heilzwecken
an. Er kommt auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen zu folgenden Schlüssen:
„Die Anwendung von örtlichen elektrischen Licht- und Wärmereizen auf die
unbedekte oder leicht verhüllte Oberhaut übt, wenn die erzielte Temperatur 40
bis 45 °C. nicht überschreitet, eine beruhigende Wirkung auf Neuralgieen und
auf sonstige motorische* und sensible Reizerscheinungen aus und wirkt anregend
bei einzelnen Formen von functionellen Nervenstörungen. Es ist nothwendig, die
Wärmequelle und die bestrahlte Haut ärztlicherseits genau zu controliren, vor
allem die erzielten Temperaturen während der ganzen Zeit der elektrischen Be¬
strahlung zu messen. Es empfehlen sich zu diesem Zwecke offene elektrische
Lichtkastenvorrichtungen, welche in gleicher Weise wie die für Galvanisation be¬
stimmten Elektroden in loco morbi vel doloris anzusetzen — den einzelnen Körper¬
regionen, Wirbelsäule, Extremitäten u. s. w. parallel zu stellen sind. Die An¬
wendungen können 3—4 Mal wöchentlich geschehen und sollen die Zeitdauer von
10—15 Minuten für jede einzelne Körperstelle nicht überschreiten.“
Kurt Mendel.
UL Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 9. Juni 1902.
Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: Herr Bernhardt.
Herr Kurt Mendel demonstrirt an einem Falle von infantilem Myxödem
die günstige Wirkung der Organtherapie.
Die kleine Patientin, welche Vortr. vorstellt, wurde gerade vor einem Jahre
— damals 7 1 /* Jahre alt — in die Prof. Mendel’sche Klinik aufgenommen und
bot das typische Bild deB Myxödem. In anamnestischer Beziehung ist erwähnens-
werth, dass die Mutter einen starken Kropf hat, ebenso eine Tante und Gross-
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614
laute mütterlicherseits. Seit dem 3. Lebensjahre soll das Wachstbum bei der
Patientin völlig aufgehört haben.
Patientin erhielt in der Klinik Thyreoidintabletten, zunächst 0,1 pro die,
ansteigend bis 0,3. Unangenehme Nebenwirkungen traten nie auf, vielmehr nahm
die Besserung stetig und in auffallendem Maasse zu. Patientin ist jetzt 8 1 /, Jahre
alt. Sie ist bedeutend lebhafter und reger geworden, ihr Gesichtsausdruck ist
ein völlig anderer und kindlicherer, bereits 1 / 4 Jahr nach Beginn der Kur zeigten
sich zwei neue Schneidezähne am Unterkiefer, die Haare wurden bedeutend stärker
und dichter, der Leibumfang nahm während der einjährigen Behandlung um 4 1 / s cm
ab, die Zunahme der Körpergrösse betrug während dieser Zeit gerade 10 cm
(94cra jetzt gegen 84 cm vor einem Jahre).
Besonders deutlich zeigt sich aber die Besserung an den Röntgenbildern-
Es wurden von Herrn Dr. Levy-Dorn zwei Aufnahmen gemacht, die erste Ende
Juni 1901, die zweite Anfang Mai 1902, demnach mit einem Zwischenraum von
etwa 10 Monaten.
Während nun das Röntgenbild der ersten Aufnahme demjenigen
eines 3 Jahre alten Kindes entspricht, entspricht das 10 Monate
später angefertigte Photogramm bereits einem 7 Jahre alten Kinde.
Sämmtliche Knochen Bind auf dem späteren Bilde an Länge und Dicke bedeutend
stärker entwickelt als auf dem früheren. Als neu hinzugekommen sind deutlich
sichtbar: an der Hand die Epiphyse der letzten Phalangen (mit Ausnahme der¬
jenigen des Daumens, die schon auf dem ersten Bilde sichtbar ist), das Os lunatum
und multangulum minus (von denen auf dem ersten Bilde keine Spur vorhanden
ist), die Epiphyse der Ulna; auf dem Kniebilde ist als neu hinzugekommen er¬
kennbar: die Patella (auf dem ersten Bilde keine Spur von Schatten, auf dem
zweiten Bilde 6ehr deutliche Patella sichtbar), ferner die Epiphyse der Fibula;
die Epiphysen des Femur und der Tibia sind um vieles grösser geworden; am
FusEbilde ist neu hinzugekommen die Epiphyse des Metatarsus V, sämmtliche
Knochen, ferner auch die Epiphyse der Fibula sind bedeutend stärker entwickelt
als auf dem gleichen, 10 Monate früher aufgenommenen Photogramm. Autoreferat.
Herr Liepmann: lieber Apraxie mit Demonstration des makrosko¬
pischen Oehirnbefondes des im M&rs 1900 vorgestellten einseitig Aprak¬
tischen, sowie eines sweiten Falles von Apraxie. (Der Vortrag erscheint an
anderer Stelle in extenso.)
Vortr. erinnert an das Bild, das der Kranke, Regierungsrath T., geboten
hatte und erörtert im Anschluss daran die Begriffe der Apraxie im alten Sinne,
der Ataxie, der Seelenlähmung (Bleuler, Bruns, Oppenheim), der Seelen¬
lähmung im Nothnagel’schen Sinne.
Der Kranke war nach der Auffassung des Vortr. nicht apraktisch ( = agnostisch
*= asymbolisch) im alten Sinne des Wortes, d. h. er gebrauchte die Gegenstände
nicht verkehrt, weil er sie verkannte oder die Aufforderung nicht verstand. Er
war apraktiech trotz erhaltenen Erkennens und Verstehens. Vortr. hatte daher
die Erwartung, dass die Hinterhaupts- und Schläfenlappen im Wesentlichen intact
seien (Sitz der Apraxie im alten Sinne).
Der Kranke war auch nicht nennenswerth atactiscli. Ataxie betrifft die ele¬
mentare Coordination der Bewegungen. Die bei der Apraxie vernichtete Fähig¬
keit ist dieser übergeordnet; bei der Apraxie ist der Zweckcharakter der Be¬
wegung verloren gegangen. Man hat den Eindruck, dass der Apraktische die
Erinnerung an die betreffende Zweckbewegung verloren hat oder sie für die
Innervation des Motoriums nicht verwerthen kann.
Apraxie verhält sich zur Ataxie wie die aphasischen Störungen, insbeson¬
dere Paraphasie, zur Articulationsstörung. Ein Theil der Bewegungen
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615
des Apraktiechen entspricht der verbalen Paraphasie: eine in sich geordnete
Zweckbewegung wird statt der verlangten gemacht; Bewegungsverwechslung:
eine ZahnbQrste wird etwa wie eine Cigarre gebraucht, ein a statt eines e ge¬
schrieben. Dass der Pat. nicht atactisch war, beweist schon seine Schrift: er
schrieb zwar falsche, aber zierliche Buchstaben. Ein anderer Theil der Be¬
wegungen des Apraktiechen entspricht der Kau der wälsch-Paraphasie, es sind
verstümmelte Bewegungen, die kein Analogon unter den normalen Zweck¬
bewegungen haben; z. B. bei der Aufforderung zum Faustmachen, Herumfuchteln
in der Luft mit Fingerspreizen.
Die Seelenlähmung im Sinne von Bruns-Oppenheim darf nicht mit der
Apraxie verwechselt werden, wenn auch eine gewisse Dosis davon der Apraxie
beigemischt sein kann. Seelenlähmung in diesem Sinne ist Erschwerung der
willkürlichen Beweglichkeit; das betroffene Glied ist für gewöhnlich un¬
beweglich, wird aber auf starkes Zureden, und wenn ein gewisser Zwang eintritt,
eupraktisch bewegt. Näher der Apraxie steht der Nothnagel’sche, leider durch
kein Beispiel illustrirte Begriff der Seelenlähmung. Dem Seelengelähmten von
Nothnagel ist „der Arm unter gewissen Bedingungen, z. B. bei geschlossenen
Augen, zum unbrauchbaren Instrument geworden“. Dem Apraktiechen ist er es
unter allen Bedingungen.
Der Nothnagel’sche Begriff rechnet auch mit dem ausschliesslichen Verlust
der kinästhetischen Vorstellungen; bei der Apraxie dürfte es sich um eine
complexere Störung handeln.
Apraxie ist, wenn man Paradoxe liebt, die Aphasie der Extremitäten¬
muskeln, wobei dieselben Varietäten Vorkommen dürften, wie sie die Aphasie
in ihren verschiedenen Formen aufweist.
Vortr. berichtet nun über den weiteren Krankheitsverlauf im Falle T.
Nach geringer Besserung im Sommer 1900 trat im October ein neuer Schlug-
anfall auf, welcher die rechte Seite hemiplegisch machte. Unter Schmierkur
schnelle Besserung, im December sogar Wiederkehr einer sehr undeutlichen Sprache.
Im Januar 1901 war die Sprache wieder verloren. Der Arm hatte sich wieder
erholt, war aber jetzt atactischer; das Bein blieb paretisch. Ende des Jahres
1901 wurde auch die linke Hand partiell apractisch, im März 1902 dritter
Schlaganfall mit totaler, diesmal linksseitiger Hemiplegie, von der sich Pat. nicht
wieder erholte. Eine Pneumonie führte zu schnellem Exitus.
Vortr. demonstrirt nun das in vier Stücke zerlegte Gehirn; er bemerkt, dass
eine Controlle der Vorstellungen, die er sich im Einzelnen über das Zustande¬
kommen des Krankheitsbildes gemacht habe, natürlich erst nach Zerlegung in
Serienschnitte vorgenommen werden könne. Die grobe topische Diagnose lässt
sich schon jetzt bestätigen.
Vortr. hatte (s. Monats ehr. f. Psych. u. Neur. VIII. S. 182) angenommen,
dass die Centralwindungen, Schläfen- und Hinterhauptslappen im wesentlichen
verschont seien, dagegen besonders das Mark des linken Gyr. supramarg. und
oberen Scheitelläppchens, die Broca’sche Windung und vielleicht die Insel
betroffen sein müssen. In die Tiefe des linken Gyr. angularis könne der Herd
wegen der fehlenden Hemianopie nicht dringen. Die Einstrahlungen aus der
anderen Hemisphäre seien vielleicht durch Balkenläsion, vielleicht durch einen
kleineren annähernd symmetrischen Herd, den man jedenfalls auf der rechten
Seite annehmen müsse, unterbrochen.
Gehirnbefund: Starke Arteriosklerose der grossen Hirnarterien, besonders
der Basilar- Und der linken Art. fo68. Sylv. Muldenförmige Einsenkung des linken
Gyr. Bupramargin. und oberen Scheitelläppchens. Die entsprechenden Win¬
dungen atrophisch, aber erhalten; unter ihnen im Mark eine grosse Cyste, deren
hinteres Ende bis in das vordere Mark des Gyr. angular, reicht, aber die drei
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610
sagittalen Marklager verschont. Vordere Centralwindung ganz intact, hintere
Centralwindung bis auf einen oberflächlichen Plaque jaune von Bohnengrösse und
eine kleine oberflächliche Cyste von Linsengrösse anscheinend intact. In der
linken Insel eine schmale Cyste, die Broca’sche Windung sehr atrophisch, aber
äusserlich frei. Im Mark des linken Stirnlappens bleistiftdicke Degeneration. Im
Rostrum des Balkens eine kleine Cyste, der ganze Balken sehr atrophisch. In
der rechten Hemisphäre fand sich* der erwartete, annähernd symmetrische kleinere
Herd im Gyros angularis, Rinde und Mark betreffend, und ein erbsengrosaer
Herd in der inneren Kapsel, vielleicht die Ursache der Analen linksseitigen Hemi¬
plegie.
Zum Schluss stellt Vortr. einen zweiten Fall von Apraxie vor, der aber
die Störungen viel weniger ausgeprägt zeigt, als der erste Fall. Immerhin ist
der Kranke ausser Stande, eine Menge alltäglicher Verrichtungen vorzunehmen.
Zwar ist auch die rechte Seite mitbetroffen, aber die linke sehr viel erheb¬
licher. Er ist ausser Stande mit der linken Hand zu knipsen, zu etschen, die
Bewegung des Orgeldrehens u. ähnl. vorzumachen. Soll er Ohr oder Nase zeigen,
so zeigt er oft das Falsche. Dabei lässt sich das erhaltene Sprachverständniss
erweisen u. a. durch Benutzung des Umstandes, dass die Gesichtsmuskeln min¬
destens für synergische Bewegungen nicht apractisch sind. Doppelhändig ist Pat.
ausser Stande, einen Knoten zu machen, einen Quirl zu gebrauchen, eine Geige
zu spielen u. s. w. Auf sprachlichem Gebiete Agrammatismus, leichter Grad von
optischer Aphasie, zeitweise litterale Paraphasie, totale Agraphie und Alexie.
Erkennen durch Tasten, partiell besonders zu Zeiten gestört, aber nicht auf¬
gehoben, Lage- und Bewegungsempfindung beiderseits gestört. Keine Lähmungen.
Vortr. nimmt auch hier doppelseitigen Scheitellappenherd an, und zwar einen
grösseren rechts, vermutlich wieder im Gyr. supramarg., einen kleineren links,
vorwiegend im Gyr. angularis. Der Agrammatismus ist vielleicht ein Rest einer
früheren geringeren Schädigung des linken Schläfenlappens (der Insult ist 7 Jahre
her) oder einer fast ausgeglichenen Störung des Broca’schen Centrums.
Vortr. ist der Ueberzeugung, dass manche apractische Bewegung von älteren
Autoren als Rindenataxie angesprochen oder auf fehlendes Sprachverständniss be¬
zogen wurde, und dass sich unter den alten, als verblödet geführten Gehirn¬
kranken der Anstalten bei näherer Prüfung manche Apraxie finden würde.
Autoreferat.
Discussion:
Herr Oppenheim: Der Hinweis des Herrn Vortr. auf meine Stellungnahme
zu dem von ihm geschaffenen Begriff der Apraxie macht es mir zur Pflicht,
auseinanderzusetzen, inwieweit seine heutige Darstellung und Demonstration meine
Auffassung beeinflusst hat. Ich muss ihm von vornherein zugeben, dass das, was
er durch seine geistvolle Analyse als Apraxie erforscht und charakterisirt hat, in
seiner äusseren Erscheinung etwas ganz anderes ist als die Ataxie einerseits
und die Seelenlähmung andererseits. Der Unterschied zwischen Apraxie und
Ataxie ist ein so durchgreifender und in die Augen springender, dass das keiner
weiteren Besprechung bedarf. Anders steht es mit der Beziehung der Apraxie
zur Seelenlähmung. Und ich hatte mich ja so geftussert, dass eine Corabination
einer unvollständigen — auf dieses Beiwort lege ioh grosses Gewicht — Seelen¬
lähmung mit Ataxie vielleicht im Stande sei, die die Apraxie kennzeichnende
Functionsstörung im Falle Liepmann’s zu erzeugen. Nun scheint es mir, als ob
Herr Liepmann mir in dieser Deutung des Begriffes heute auf halbem Wege ent-
gegcugekommen sei. Denn er hat in seiner heutigen Auseinandersetzung auf die
verwandtschaftlichen Beziehungen seiner Apraxie zur Aphasie und Paraphasie
hingewiesen. Damit hat er aber auch zugegeben, dass die Functionsstörung der
Seelenlähmung nahe steht. Denn die Aphasie ist eine Art Seelenlähmung oder
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wenigstens giebt es Formen der Aphasie, die dem Wesen der Seelen lähmung ent*
sprechen. Wir ▼erstehen unter Seelenlähroung eine Functionshemmung, die darauf
beruht, dass dem motorisohen Centrum einer Extremität aus den anderen Rinden¬
gebieten nicht mehr die Erregungen zufliessen, die es zur Thätigkeit anspornen u.s.w.
Genau dem entsprechend giebt ee Formen der Aphasie, die darauf beruhen, dass
das Sprachcentrum gewissermaassen isolirt ist, dass die Wege gesperrt sind, auf
denen die aus den Sinnesphären kommenden Impulse dem Sprachcentrum zu-'
strömen. Vielleicht verhält sich nun die Apraxie zur Seelenlähmung
wie die Paraphasie zur Aphasie. Eine gewisse Stütze erhält meine Auf¬
fassung noch dadurch, dass Herr Liepmann als anatomische Grundlage seines
Krankheitsbildes eine Affection annimmt, und wie es scheint, auch gefunden hat,
die ihren Sitz gerade in den Gebieten hat, deren Läsion auch für die Entstehung
der Seelenlähmung in Anspruch genommen wird, nämlich im Soheitell&ppen. Die
genauere anatomische Untersuchung steht ja noch aus, und ich würde es sehr be¬
klagen, wenn die Vielheit der anatomischen Veränderungen — die schwere Arterio¬
sklerose und die Massenhaftigkeit der Herde — es verhindern würde, dass aus
diesem Falle beweisende Schlüsse nach dieser Richtung gezogen werden könnten.
Autoreferat.
Herr Liepmann: Wenn Herr Oppenheim die aphasischen Störungen Seelen¬
lähmungen nennen wolle, so könne er auch die Apraxie so nennen; nur wende
er dann den Begriff der Seeleulähmung nicht in dem Bruns’schen, von ihm selbst
adoptirten Sinne an. Denn in diesem Sinne seien die Aphasischen nicht seelen¬
gelähmt. Sogar der motorisch Aphasische macht Sprechversuche, innervirt also
seine Sprachmuskeln, wenn er es auch meist nur zu unarticulirten Lauten bringt.
Er ist andererseits durch kein Mittel, wie etwa Zureden, zur Production der ge¬
wünschten Spr&chlaute zu bringen. Der Bruns’sche Seelengelähmte dagegen
kann die Armmuskeln für gewöhnlich garnicht innerviren, gelingt es, den Wider¬
stand zu überwinden, so innervirt er sie richtig. Eine Steigerung der Apraxie
bis zur totalen Bewegungslosigkeit lässt sich ja theoretisch denken; sie würde
dann dem seltenen Bilde der ganz stummen motorisch Aphasischen entsprechen.
Praktisch wird man kaum damit zu rechnen haben, weil der Extremitätenregion
von viel mehr Seiten Impulse Zuströmen, als der Sprachmuskelregion, der ja die
optische Regulirung ganz fehlt. Alle weiteren Schlussfolgerungen können erst
nach genauerer Untersuchung des Gehirns gemacht werden. Autoreferat.
Herr Oppenheim: Krankenvoratellung.
37jähr. Frau, die über lancinirende Schmerzen in den Beinen, eine gewisse
Unsicherheit des Ganges und imperativen Harndrang, der, wenn ihm nicht schnell
nachgegeben werden kann, zu Incontinenz führt, klagt, bietet folgende Symptome
dar: Romberg’sches und Westphal’sches Zeichen, Fehlen der Achillessehnen¬
reflexe, leichte Sensibilitätsstörungen (Analgesie an den Beinen, Hypästhesie in der
Gegend der linken Mamma). Im übrigen normales Verhalten. Diagnose: Tabes
dorsalis.
Das Eigenartige und Interessante des Falles liegt nicht in der Symptomato¬
logie, sondern im Verlauf. Vortr. hat die Patientin vor 17 Jahren mit West-
phal gemeinsam in der Charite beobachtet Ihre damaligen subjectiven Be¬
schwerden wären als hysterische aufzufassen gewesen, wenn nicht schon damals
die Patellarreflexe gefehlt und das Romberg’sche Symptom sowie Sensibilitäts¬
störungen bestanden hätten; Patientin klagte schon damals über lancinirende
Schmerzen. Patientin, damals Virgo, zeigte keinerlei Zeichen einer erworbenen
oder hereditären Lues. Sie ist jetzt verheirathet, hat fünf gesunde Kinder und
ein Mal abortirt Sie giebt an, dass es ihr jetzt wesentlich besser gehe als da¬
mals, besonders seien die lancinirenden Schmerzen wesentlich geringer geworden.
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618
Der Fall ist jetzt zweifellos schwieriger zu deuten als vor 17 Jahren. Denn
wenn auch das Krankheitsbild zweifellos einer Tabes entspricht, so muss der
Verlauf doch als geeignet angesehen werden, die Diagnose schwankend zu machen.
Nichtsdestoweniger hält Vortr. an ihr fest, da er erstens von seinem früheren
Skepticismus in Bezug auf die Diagnose einer juvenilen Tabes zurückgekommen
ist, und da es ferner auch bei Erwachsenen Fälle giebt, die Decennien hindurch
das Bild einer Tabes incipiens festhalten und keine Neigung zur Progredienz
zeigen. Brissaud ist der Ansicht, dass die Zahl der benigne verlaufenden Fälle
von Tabes gegen früher zugeuommen hat, und ist geneigt, die antisyphilitische
Therapie dafür verantwortlich zu machen, im Qegensatz zu Joffroy und Ballet,
die mit Babinski meinen, dass die Diagnose früher und sicherer gestellt wird.
Vortr. kann sich beiden Ansichten nicht zuneigen, glaubt aber, dass sich auch
unsere Erfahrungen mit denen der französischen Autoren decken; seine Ansicht
bezüglich der Ursache dieser Erscheinung ist, dass die Nervenkrankheiten, wie
auch andere somatische Erkrankungen, mit dem Wechsel der Generationen ihren
Charakter ändern, wie das ja auch von der Paralyse behauptet wird.
Im vorliegenden Falle darf jedenfalls das frühe Auftreten und der benigne
Verlauf nicht hindern, die Diagnose Tabes zu stellen; ungemein werthvoll würde
in einem ähnlichen Fall eine anatomische Untersuchung sein; der Schulze’sche
Fall genügt nach dieser Richtung den zu stellenden Ansprüchen nicht.
Discussion:
Herr Bernhardt hat gleichfalls eine Anzahl von Fällen von so benignem
Verlauf gesehen. Bezüglich der Erklärung dieses Umstandes glaubt er, dass das
Leiden jetzt meist früher und besser erkannt werde, und dass in Folge dessen
die Kranken früher und dadurch erfolgreicher zu einem zweckmässigeren Verhalten
gebracht und bo sicherer vor mancherlei Schädigungen geschützt werden.
Herr Remak, der gleichfalls analoge Beobachtungen gemacht hat, wünscht
noch sichere Angaben bezüglich der Uöglichkeit einer syphilitischen Aetiologie
im vorgestellten Falle. Sehr werthvoll wären Mittheilungen über längere Zeit
hindurch beobachtete Fälle von juveniler Tabes bezüglich ihres Verlaufes.
Herr Kalischer erwähnt seinen in dieser Gesellschaft vorgestellten Fall, in
dem directe Heredität vorlag (Mutter und Sohn Tabes). Von den Franzosen sei
vielfach die Bedeutung neuropathischer Belastung betont.
Herr Rothmann theilt eine kürzlich gemachte Beobachtung mit. Ein
I8jähr. Mädchen, bei der keinerlei Verdacht auf hereditäre oder erworbene Lues
vorlag, suchte seine Poliklinik auf. Bei der Untersuchung fand sich Romberg’*
sches und Westphal’sches Zeichen und geringe Sensibilitätsstörungen. Bei
näherem Befragen gab Patientin an, dass eine Schwester auch etwas unsicher
gehe; deren Untersuchung ergab den gleichen Befund. Hier handelt es Bich dem¬
nach zweifellos um Friedreich’sche Ataxie. R. giebt zu erwägen, ob nicht eine
Anzahl von den als juvenile Tabes beschriebenen Fällen als sporadische Fälle von
Friedreich’scher Ataxie oder solche, bei denen die Familiarität nicht zur Kenr.t-
niss gekommen ist, zu deuten sei.
Herr Brasch hat in seinen Fällen von juveniler Tabes Lues nie vermisst
Directe Heredität scheine ihm eine sehr geringe Rolle zu spielen, es wäre nicht
als etwas besonderes anzusehen, wenn der Sohn einer tabischen Mutter oder eines
tabischen Vaters Lues acquirirte und dann später auch Tabes bekäme. Hier sei
dann jedenfalls die Lues das wesentliche ätiologische Moment, ohne dass die
Heredität eine Rolle zu spielen brauche.
Herr Bloch hat wie die meisten Beobachter (vgl. in jüngster Zeit die Ver¬
öffentlichung von v. Rad in der Festschrift des Nürnberger ärztlichen Vereins)
in seinen beiden in dieser Gesellschaft vorgestellten Fällen Lues constatirt Gegen-
Dig
619
über den Ausführungen des Herrn Rothm&nn bemerkt er, dass eine Verwechse¬
lung mit Friedreich’scher Krankheit schon aus dem Grunde in nennenswerther
Häufigkeit nicht wahrscheinlich sei, weil die juvenile Tabes fast stets Pupillen-
störungen aufweise, die bei Friedreich in der Regel fehlten (vgl. Seiffer, Charite-
Annalen. 1902).
Herr Jolly hat gleichfalls beobachtet, dass Fälle von Tabes, auch bei Er¬
wachsenen, stationär bleiben. Ob man aber jetzt schon eine Veränderung des
Krankheitstypus gegen früher festzustellen berechtigt sei, hält er für fraglich,
zumal da die klassischen Symptome der Tabes, die reflectorische Pupillenstarre
und das Westphal’sche Zeichen, die uns jetzt die Diagnose häufig schon sehr
zeitig stellen lassen, seit noch nicht 30 Jahren bekannt sind. Die Zeit scheine
ihm demnach noch nicht lange genug, in der wir unsere Diagnose sicher stellen
können, um jetzt schon von einer Aenderung des Charakters und des Verlaufes
der Tabes sprechen zu können.
Herr Oppenheim bemerkt in seinem Schlusswort nochmals, dass für Lues
jeglicher Anhaltspunkt fehlt; neuropathische Belastung ist nachweisbar, da mehr¬
fach Geistesstörungen in der Familie vorgekommen sind. Das Stationärbleiben
des Leidens hat 0. auch bei Erwachsenen mehrfach beobachtet. Bezüglich einer
Aenderung des Krankheitsverlaufes bemerkt er, dass es sich hierbei mehr um
Eindrücke bei Beobachtung des Krankenmaterials handele als um gesicherte und
bewiesene Thatsachen. Martin Bloch (Berlin).
Berliner mediolnisohe Gesellschaft.
Sitzung vom 18. Juni 1902.
Herr Oppenheim und Herr Jolly: Vorstellung eines Falles von operativ
behandeltem Büokenmarkstumor, mit Demonstration am Projeotionsapparat.
Herr Oppenheim hat die vorgestellte 18jährige Patientin, die früher im
wesentlichen gesund war und ein Jahr vor dem Auftreten der ersten Krankheits¬
erscheinungen einen Sturz vom Rade ohne irgend welche Verletzungen erlitten
hatte, zuerst am 28./I. d. J. gesehen; seit August 1901 Klagen über Schmerzen
im rechten Hypochondrium, im Anschluss daran geringe habituelle Skoliose, im
October 1901 motorische Schwäche im rechten Bein, verbunden mit Steifigkeit,
Blasen- und Mastdarmfunction in Ordnung, nur einmal vorübergehend Incon¬
tinentia alvi. Objectiv fand sich mässige Skoliose der Wirbelsäule, die auf Druck
nirgendwo empfindlich war, Parese der Beine, rechts > links, Spasmen, gesteigerte
Reflexe, Fussklonus und Bahinski. Am linken Bein Hypästhesie und Hypalgesie,
undeutliche Sensibilitätsstörungen am Abdomen, Bauchreflex rechts fehlend, Parese
der rechtsseitigen Bauchmuskeln. Diagnose: Tumor mit Compression der Medulla.
Patientin wurde dann in Haus Schönow von Laehr beobachtet und Progression
der motorischen Ausfallssymptome constatirt. Bei einer Untersuchung am 25./II.
wurde Zunahme der Lähmungssymptome, die auch auf das linke Bein übergegangen
waren, constatirt. SensibilitätsBtörungen jetzt auch an beiden Beinen. Unter¬
dessen hatte J olly die Patientin auch gesehen und, Anfangs skeptisch bezüglich
der Diagnose eines Tumors, nachdem eine Röntgenuntersuchung eiu negatives
Resultat, eine Tuberculininjection keine Reaction hervorgerufen und Versuche
einer Extension merkliche Verschlimmerung zuwege gebracht hatten, sich der
Diagnose Tumor angeschlossen. Am 19./IV. gemeinsame Untersuchung durch die
Vortr. und Sonnenburg. Die Schmerzen nahmen das Gebiet der 9., 10. und
11. Dorsalwurzel rechts ein, waren nur zeitweise besonders heftig; im Bereiche
der 10. und 11. Dorsalwurzel rechts Sensibilität für alle Reize fast ganz er-
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620
losehen; die Grenze nach oben wird rechte durch die Nabellinie, linke, wo auoh
Anästhesie constatirt wird, duroh eine Linie 2 cm unterhalb der Nabellinie be¬
grenzt. Abdominalreflex beiderseits fehlend, epigastrischer Reflex links deutlich,
rechts angedeutet, Parese der Bauchmuskeln rechts, daselbst partielle Ent-
artungsreaction. Gang schwerfällig, nur mit Unterstützung möglioh, spastisch,
Patellarklonus, Fussklonus, Babinski. Rechtes Bein wird in Rückenlage mit
flectirtem Unterschenkel nur l / a Fuss hooh gehoben, Parese links etwas geringer,
Ischurie; an beiden Beinen unregelmässig vertheilte Sensibilitätstörungen, starke
Störungen der Lageempflndung. Wirbelsäule nirgends empfindlich. Für intra-
medullären Sitz des angenommenen Tumors sprach die rasche Entwiokelung, die
Schmerzen, das Fehlen einer Wirbelempfindlichkeit, der Umstand aber, dass im
Anfang vorwiegend Wurzelsymptome vorhanden waren, sprach mehr für den
Ausgang desselben von den Meningen, jedenfalls für extramedullären Sitz. Die
Symptome (Schmerzen, Anästhesie, das Fehlen der Bauchreflexe, die Parese der
Bauchmuskeln) deuteten auf den Ursprung des Tumors in der Höhe der 9. bis
11. Dorsalwurzel. Da das Gebiet der 10. Dorsalwurzel völlig anästhetisch war,
musste auch die 9. mitergriffen sein.
Die technische Ausführung der am 21./IV. d. J. ausgeführten Operation
gestaltete sich schwierig in Folge der Skoliose und einer anscheinenden Ver¬
knöcherung der Bandscheiben. Es wurde nun der 8. und 9. Wirbelbogen ent¬
fernt, die Dura drängte sich vor, in ihr war der Tumor sofort palpabel. Die
Geschwulst konnte seit Eröffnung der Dura stumpf losgelöst werden trotz einiger
Verwachsungen mit der Arachnoidea. Der Tumor umgriff das Mark von rechts und
hinten und drängte dasselbe nach links (Demonstration einer Zeichnung). Normaler
Wundverlauf, in den ersten Tagen reichlicher Abfluss von Liquor cerebrospinalis,
Pulsbeschleunigung, hartnäckige Obstipation. Am 26./IV. Spasmen geringer, des¬
gleichen die Parese und die Sensibilitätsstörungen; Gürtelschmerzen verschwunden.
Ara 29./IV. Spasmen fast völlig geschwunden, Kniephänomene nicht mehr erheblich
gesteigert, Klonus und Babinski noch vorhanden, Motilität und Sensibilität erheb¬
lich gebessert, am stärksten sind noch die Störungen des Lagegefühls. Am 20./V.
erste Gehversuche, die zunächst noch grossen Schwierigkeiten in Folge von Zittern
der Beine begegnen; schnell fortschreitende Besserung. Vortr. stellt die fast völlig
genesene Patientin vor; es sind jetzt noch geringe Steigerung der Sehnenreflexe,
rechts Andeutung von Fussklonus, leichte Lagegefühlsstörungen zu constatiren,
im Uebrigen normaler Befund, auch die Skoliose ist verschwunden.
Der Fall schliesst sich am engsten an einen gleichfalls vom Vortr. mit Sonnen¬
burg beobachteten und operirten Fall an, der aber in Folge infectiöser Menin¬
gitis letal verlief. Auch in diesem fehlte Wirbelempfindlichkeit. Vortr. verweist
noch auf die ungünstige Wirkung der Extension bei derartigen Fällen. Die
Skoliose ist als reflectorisch angenommene Haltung zu deuten, wie Aehnliches
auch bei Tumoren der hinteren Schädelgrube beobachtet wird. Ein Recidiv ist
in dem vorgestellten Falle nicht zu fürchten, da es sich um eine gutartige Neu¬
bildung, ein Fibrom, handelt.
Herr Jolly demonstrirt mittels des Projectionsapparates Grösse und Lage
des Tumors. Derselbe ist 3 cm lang, zeigte glatte Oberfläche, kleine Extravasate,
die wohl bei der Herausnahme entstanden sind. Die gleichfalls demonstrirten
Längsschnitte (Färbung nach van Gieson) zeigen, dass es sich um ein reines
Fibrom handelt. Mittels W T eigert-Färbung soll noch nach Nervenfasern, deren
Vorhandensein aber unwahrscheinlich ist, gesucht werden. Der Ausgang des
Tumore ist wohl im Arachnoidalgewebe zu suchen; denkbar wäre auch ein Ursprung
vom perineuralen Gewebe.
Bezüglich der Diagnose hatte Vortr. zunächst einige Zweifel mit Rücksioht
auf das voraufgegangene Trauma. Zu erwägen war, ob es sich nicht um rein
621
fanctionelle Störungen oder aber um Wirbelcaries handelte. Erstere Diagnose
wurde aber bald aufgegeben, gegen letztere sprach das Ausbleiben der Tuberculin-
reaction und der verschlimmernde Einfluss der Extension.
Bezüglich des extra- oder intramedullären Sitzes kann man in derartigen
Fällen immer - nur mit 'Wahrscheinlichkeiten rechnen, der operative Eingriff ist
aber auch indicirt, wenn selbst nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für den
extramedullären Sitz spricht.
Discussion:
Herr Hahn verweist darauf, dass die Schwierigkeiten solcher Fälle oft
unüberwindlich sind. Er hat 6 Operationen ausgeführt, und zwar immer mit
Segmentdiagnose; in 2 Fällen handelte es sich um Echinococcus, davon verlief einer
letal, einer glücklich, im 3. Fall handelte es sich um Exostosenbildung des Wirbel¬
bogens (starke Schmerzhaftigkeit des W’irbels, Wurzelsymptome), Pat. ist geheilt.
Ein Fall erwies sich bei der Operation als Syringomyelie, ein anderer als Er¬
weichung. Dir 6. Fall betraf eine 10 Jahre zurückliegende Stichverletzung; es
bestanden Tumorsymptome, bei der Operation fand sich ein Fremdkörper im
W'irbelkörper, dessen Entfernung nicht gelang. Bei der Section fand sich ein
2 cm langes Stück einer Messerklinge im Körper des 10. Brustwirbels.
Herr Senator berichtet über eine Patientin in den 60er Jahren, die einige
Jahre vorher wegen Mammacarcinom operirt war. Es bestand motorische und
sensible Lähmung der Beine mit heftigen Schmerzen, Incontinentia vesicae,
Empfindlichkeit der Wirbelsäule vom 8.—12. Brustwirbel. Die Grenze der Sen¬
sibilitätsstörung entsprach genau der des vbn Oppenheim vorgestellten Falles.
Bei der Section fand sich ein extraduraler Tumor (Sarcom?) von derselben Lage
wie der von 0. demonstrirte Tumor.
Herr Remak verweist darauf, dass man in einzelnen Fällen die Läsion weit
ausgedehnter findet, als man erwartet hat. Zur Illustration dessen verweist er
auf einen gemeinsam mit Krause beobachteten Fall: Dame in den 20er Jahren,
seit 1 Jahre an schwerer linksseitiger Ischias erkrankt, zu der sich allmählich
Lähmungssymptome gesellten. R. constatirte Parese der Glutaeen links und
partielle Peroneuslähmung links, starke Hyperästhesie am linken Bein, Fehlen
der Patellarreflexe, geringe Sensibilitätsstörungen am linken Unterschenkel, vor¬
übergehend Blasenstörungen; also Erkrankung vorwiegend des Gebiets der 3. bis
5. Lumbalwurzel. Kreuzbeingegend stark druckempfindlich. Im December 1901
Aufnahme in das Augustahospital, die gleichen Erscheinungen, nur noch wesent¬
lich verstärkt. Diagnose: Tumor der Cauda equina. Operation am 27./XII.
Der 5. Lendenwirbel wurde eröffnet, es gelang, den Tumor nach unten abzu¬
grenzen, derselbe sass intradural. Dagegen gelang es nicht, den Tumor nach
oben völlig abzugrenzen und herauszuschälen. Exitus im Collaps in der folgenden
Nacht. Bei der Autopsie fand sich das ganze Lendenmark von Sarcommassen
amwachsen.
Herr KrauBe hat in dem von Remak erwähnten Fall den obersten
Kreuzbeinwirbel, den 5., 4. und 3. Lendenwirbel eröffnet, aber nicht gewagt,
noch weiter zu gehen. Der Tumor reicht, wie die Autopsie zeigte, noch 4 Wirbel¬
bögen höher hinauf. Für eine derartige Ausdehnung der Neubildung hatte der
klinische Befund keinen Anhaltspunkt gegeben.
Herr Oppenheim schliesst sich der Warnung Remak’s, die Hoffnungen
bezüglich der operativen Heilbarkeit der Tumoren des Wirbelcanals zu hoch
zu schrauben, an. Enttäuschungen werden auch in Zukunft bei zahlreichen
Fällen nicht ausbleiben. Im Gegensatz zu der hier gemachten Beobachtung glaubt
er, dass Empfindlichkeit der Wirbel in der Mehrzahl der Fälle vorhanden ist.
Martin Bloch (Berlin).
>yG00gI<
622
Aerstlioher Verein >u Hambarg.
SitzuDg vom 29. April 1902.
Herr Trö inner demonstrirt 4 Fälle von progressiver Muskel dys trophie,
speciell von Erb’s infantilem Typus mit primärem Gesichtsschwund. Die Fälle
betreffen alle Kinder einer Familie, zwei Brüder von 22 und 19, zwei Schwestern
von 20 und 14 Jahren. Gemeinsam ist allen fast völlige Atrophie der Facialis-
musculatur, die offenbar schon in frühester Kindheit begonnen hat und Atrophie
der Sternocleidomastoidei, die in 3 Fällen auf bindfadendünne Stränge reducirb
sind. Die Degeneration der übrigen Körpermuskeln nahm verschiedene Wege.
Beim älteren Bruder, dessen rechter Arm schon in frühester Kindheit auffallend
dünn war, beschränkt sich die völlige Atrophie auf den rechtsseitigen Pectoralis,
Latiss. dorsi, Serratus, auf die Oberarramuskeln und den Sup. long. Deltoideus
und die anderen Schultermuskeln sind weniger befallen; stark hypertrophisch sind
Supra- und Infraspinatus. In geringem Maasse atrophisch sind Unterarm- und
Handmuskeln. Linke Schulter und Arm normal. Der jüngere Bruder zeigt geringe
Hypertrophie des Infraspinatus und der beiden oberen Bectus-abdominis-Segmente
links. Völlig geschwunden sind bis auf sehnige Reste, ausser den mimischen
GeBichtsmuskeln und den Sternocleidomastoidei, der linke Pect, major, Latiss.
dorsi, Serratus, sodann beide Tricipites und die Supinatores longi; die übrigen
Muskeln sind beiderseits in mehr oder weniger hohem Grade atrophisch — aus¬
genommen Unterarm, Untersohenkel, Hand und Fuss. Der Kranke ist in Folge
dessen sehr unbeholfen: aus Rückenlage kann er den Kopf nicht, und weder aus
Rücken- noch Bauchlage den Rumpf aufrichten. Beim Gehen watscheliger Gang
und auf der Strasse nicht selten Hinfallen. Fast dasselbe Bild bietet die ältere
Schwester, nur ist die atrophische Schwäche der Arm- und Beinrausculatur durch
starke Fettentwickeluug verdeckt. Durchaus ähnlich auch die jüngere, 14jährige
Schwester: Hier fehlt Pect, major und Latiss. dorsi vollkommen (Agenesie?), alle
übrigen Muskeln sind äusserst schwach und besonders in Schulter- und Becken¬
gegend in erheblichem Grade atrophisch. Aetiologisch ist zu beachten, dass die
Mutter der Kranken tabisch ist, 5 Aborte hatte und 2 Mal tote Kinder gebar.
Ob die daraus zu entnehmende Lues für die Krankheit ihrer Kinder von Be¬
deutung ist, lässt sich freilich nicht entscheiden. Therapeutisch wird bemerkt,
dass lange fortgesetzte Galvanisation der atrophischen Muskeln eine, wenn auch
geringe, so doch den Kranken fühlbare Besserung bewirkt hat.
(Autoreferat.)
Herr Nonne stellt einen 39jähr. Mann vor, bei welohem sich naoh einer
Pneumonie unter dem Bilde der Compresslon eine spaetieohe Paraplegia
euperior et inferior entwickelt hatte, welche ausgeheilt war.
Der Kranke kam im Alkohoholdelirium anf die Abtheilung. Es entwickelte
sich eine croupöse Pneumonie des rechten Unter- und Mittellappens, welche ohne
Complication seitens der inneren Organe abfiel. Am 3. Tag nach der Krise
zeigte sich unter erneutem Fieber eine Anschwellung und Druckempfindlichkeit
am rechten Caput humeri, welche sich im Laufe einer Woche zurückbildete.
Wieder 2 Wochen später traten, ebenfalls unter Temperaturanstieg, heftige
Schmerzen im Bereich des untersten Cervical- und obersten Dorsalwirbels auf.
Die Schmerzen strahlten in Schulter und Arme aus, die Halswirbelsäule wurde
steif gehalten, active und passive Bewegungen wurden ängstlich vermieden. Es
bestand eine auf die genannten Wirbelfortsätze beschränkte Druckempfindlichkeit.
Von chirurgischer Seite wurde eine Spondylitis angenommen. Symptome seitens
des Nervensystems bestanden zunächst nicht. 2 Wochen später begann eine
spastische Parese der oberen und unteren Extremitäten, zu völliger Paraplegie
623
eich steigernd, die Sensibilität war in allen Qualitäten herabgesetzt bis zur Höhe
der 3. Rippe, am tiefsten alterirt war das Lagegefühl, und zwar am meisten an
den distalen Gelenken. Unter Extension bildeten sich im Laufe von 4 Wochen
die Lähmungserscheinungen zurück, von den spastischen Erscheinungen blieb nur
eine Lebhaftigkeit der Sehnenreflexe, während die reflectorischen Muskelcontractionen
sowie die pathologische Steigerung der Sehnenreflexe aufhörte, die bestandene
Sphinkterenstörung ging auch langsam zurück, die Schmerzen im Nacken sowie
die Druckempfindlichkeit verschwanden ebenfalls allmählich, und zur Zeit kann Pat.
die oberen Extremitäten normal gebrauchen und besteht nur noch eine leichte
Alteration des Lagegefühls in den Fingern, bei Intactheit aller übrigen Qualitäten
der Sensibilität. Pat. geht an einem Stock, wenngleich noch etwas unsicher und
ohne Ausdauer, im Uebrigen ist auch in den Zehen das Lagegefühl noch unsicher.
Die Musculatur der Ober- und Unterschenkel ist in toto noch etwas abgemagert,
im Uebrigen der objective Befund normal. Symptome seitens der Gehirnnerven,
der Pupillen, des Augenhintergrundes u. s. w. hatten nie bestanden.
Vortr. glaubt, dass es sich hier um eine metastatische postpneumonische Er¬
krankung der Wirbel gehandelt hat, und dass diese zu einer Pachymeningitis
externa geführt hat, welche ihrerseits vorübergehend das Rückenmark comprimirte
und unter Rückbildung des Exsudats dann ausheilte. Vortr. erinnert an die
ganz neuerlichen Befunde von E. Fränkel, welcher bei verschiedenen Infections-
kr&nkheiten, so auch bei Pneumonie, im Knochenmark der Wirbelkörper die
specifischen Bacillen und auch die gewöhnlichen Eitererreger culturell, und ausser¬
dem myelitische Herde im Rückenmark mikroskopisch nachgewiesen hat. Die
Annahme einer postpneumonischen primären Meningomyelitis schliesst Vortr. aus,
weil klinisch primär eine Erkrankung der Wirbel sich zeigte, dann das reine
Bild der Compression auftrat, und weil die Pneumokokkenmeningitis nach den
bisherigen Erfahrungen stets einen acuten Verlauf nimmt.
Herr Saenger stellt einen Patienten mit Raynaud’soher Erkrankung vor.
Es besteht eine locale Asphyxie der Endphalangen sämmtlicher Finger, der Nasen¬
spitze und beider Ohrmuscheln. Ara Helix major des linken Ohres befindet sich
eine 3 cm grosse gangränöse Partie. Die Haut über den Endphalangen der Zehen
ist eigenthümlich fleckig verfärbt. Pat. leidet in den befallenen Theilen sehr
unter Schmerzen. Als einziges ätiologisches Moment liess sich der Einfluss von
Temperaturdifferenzen eruiren, da Pat. als Quaiarbeiter Wind und Wetter aus-
gesetzt ist.
Im zweiten Fall handelt es sich um eine schon längere Zeit bestehende
intensive locale Cyanose der Dorsalseite des linken Unterarms und der Hand
bei einer LocomotivfÜhrersfrau. Dabei Hessen sich objectiv keinerlei Abweichungen
von der Norm bei der sonst ganz gesunden Patientin nachweisen. Subjectiv be¬
standen weder Schmerzen noch Parästhesieen, noch Schwächegefühl in der linken
Hand. Vortr. weist auf die Dunkelheit dieser Fälle und auf die Nothwendigkeit
hin, ähnliche Beobachtungen zu veröffentlichen. (Autoreferat)
Nonne (Hamburg).
XXVII. Wanderversammlung der südwestdeutBohen Neurologen und
Irrenärzte zu Baden-Baden am 24. und 25. Mai 1902.
(Schluss.)
Herr Prof. Erb (Heidelberg): Bemerkungen zur pathologischen Anatomie
der Syphilis des centralen Nervensystems. (Der Vortrag erscheint in ex¬
tenso in der Deutschen Zeitschrift f. Nervenheilkunde.)
Vortr. weist kurz auf die Häufigkeit eventuell Wichtigkeit von Nerven-
Diq
y Google
624
erkrankungen in allen Stadien der Syphilis hin, nnd sacht in aller Kürze — unter
Hinweis auf die bekannten grösseren neueren und neuesten Bearbeitungen des
Gegenstandes (durch Rumpf, Oppenheim, Kahane, Schmaus, Nonne) —
die Frage zu beantworten: „Was lehrt die pathologische Anatomie über diese
Dinge?“ Es folgt eine flüchtige Skizze der in den spateren Stadien der Lues
auftretenden, als besonders charakteristisch und „specifisch“ angesehenen Erkran¬
kungsformen, einerseits der zelligen Wucherungen und Infiltrationen (der „gum¬
mösen“ Geschwulstbildungen, Infiltrationen und Entzündungen) mit allen ihren
verschiedenartigen Ausgängen, andererseits der häufigen und viel discutirten
specifisch-gummösen Erkrankungen der Blutgefässe (Arteriitis und Phlebitis luetica).
Es wird darauf hingewiesen, dass mit zunehmender Zahl und Genauigkeit der
Beobachtungen sich immer mehr herausgestellt hat, dass auch diese Veränderungen
alle durchaus nichts absolut Specifisches haben, dass sie auch unter anderen
Umständen und aus anderen Ursachen Vorkommen, dass es keine sicheren
Kriterien für die syphilitische Natur derselben giebt; die Aussprüche der com-
petentesten Autoren gehen dahin, dass die anatomische Diagnose der centralen
Nerveusypbilis oft nur mit grosser Vorsicht zu stellen, häufig nicht voll¬
kommen sicher, manchmal unmöglich sei. — Entscheidend sei vielfach nur
das Gesammtbild, das makroskopische Verhalten, die eigenthümliche Combination
der Veränderungen, das Vorkommen specifischer Läsionen in anderen Organen
(Leber, Hoden u. 8. w.). Es erhebt sich deshalb die Frage: „Wie kommt die
pathologische Anatomie überhaupt zu der Ueberzeugung, dass diese Dinge syphi¬
litischer Natur seien?“ und „Wie kommt sie zu der grossen Sicherheit, mit der
dieselben oft als luetische angesprochen werden?“ Zweifellos zunächst und in
erster Linie auf klinischem Wege! Durch das Vorkommen bei früher Syphi¬
litischen; durch die Häufigkeit, mit welcher sich bei solchen Läsionen Syphilis
in der Vorgeschichte nachweisen lässt; durch ihr Zusammenvorkommen mit anderen,
klinisch als zweifellos erkannten syphilitischen Erkrankungen an der Haut, den
Schleimhäuten, Knochen u. 8. w.; weiterhin ex juvantibus, endlich durch die Ueber-
einstimmung des histologischen Befundes mit dem der tertiären Syphilismanifests¬
tionen, die ebenfalls klinisch als solche festgestellt sind. Auch das Fehlen aller
anderen Infectionen und sonstigen Krankheitsursachen kann unterstützend sein.
Zweifel sind trotzdem möglich; und die pathologische Anatomie kann noch
nicht mit genügender Sicherheit sagen, was syphilitisch ist und was nicht;
sie ist jedenfalls nicht berechtigt zu sagen, dass manche Veränderungen,
die sich häufig bei Syphilitischen finden, nicht syphilitischen Ursprungs
seien. Solche Veränderungen kommen häufig vor. Vortr. hat dabei be¬
sonders die einfachen Atrophieen und Degenerationen, die sog. parenchymatösen
Degenerationen an den Nervenfasern und Ganglienzellen im Auge, mit oder ohne
Gliawucherung, Sklerosen, fleckweise und strangförmige Degenerationen u. s. w.
Er stellt die Frage, ob nicht auf diese Dinge eine ähnliche klinische (und anato¬
mische) Beweisführung anwendbar sei, wie sie zur Anerkennung der sog. gum¬
mösen Alterationen als syphilitischer geführt hat. — Klinisch ist ja dieser Be¬
weis zum Theil mit grosser Wahrscheinlichkeit geführt; anatomisch werden
dieBe Dinge bis jetzt nur schüchtern gewürdigt, immerhin von den neueren Autoren
einstimmig anerkannt, aber als „unerweislich luetische“, oder als „klinisch zweifel¬
lose, aber nicht specifische“ oder ähnliche bezeichnet. Jedenfalls wäre die Sache
unter Beweis zu stellen, zu untersuchen, ob diese anscheinend nicht specifischen
Dinge neben und gleichzeitig mit den sicher syphilitischen Vorkommen, ob
vorwiegend bei syphilitisch Inficirten (bei Ausschluss anderer ätiologischer
Momente), bezw. ob in der Vorgeschichte grösserer Reihen solcher Affectionen die
Syphilis mit besonderer Häufigkeit zu finden? — Wenn sich dies alles im posi¬
tiven Sinne beantworten Hesse, wäre es doch unerlaubt und eigentlich geradezu
>yG00gI<
625
unverständig, diese Dinge nicht von der Syphilis abzuleiten; — sie müssen dann
ebenfalls als syphilogen angesehen werden.
Das schon jetzt vorliegende Beobachtungsmaterial hat dem Vortr. ganz über¬
raschende Resultate ergeben. Er stellt die in der Literatur vorhandenen Fälle
in verschiedenen Gruppen zusammen.
I. Gruppe. Fälle mit typischer, gummöser Meningitis — Myelitis —
Encephalitis — Arteriitis und gleichzeitig mit Strang- und Herddegenerationen
von nicht speoifischem Charakter. Einzelne Fälle werden angeführt: von
Valentin, Haenel, die als „Pseudotabes syph.“ bezeichneten Fälle von Oppen¬
heim, Brasch, Eisenlohr u. A., endlich Fälle von Hoppe, Marinesco u. A.
II. Gruppe. Combination von typischen primären Strangdegenera¬
tionen nicht specifischen Charakters mit zweifellosen, mehr oder weniger er¬
heblichen „specifischen“ Veränderungen an den Meningen, Gefässen u. s. w.
Hierher gehören die jetzt schon sehr zahlreichen Fälle von Tabes mit gleich¬
zeitigen specifischen Veränderungen an den Meningen, Gefässen u. s. w. (Hoff-
mann-Kuh, Eisenlohr, Minor, Dinkler [4 Fälle], Pick, Marinesco u. A.);
vielleicht ein Fall von primärer Lateralsklerose von Friedmann, Fälle von
combinirter Systemerkrankung von Nonne und von Williameon. Auch diese
Fälle lehren — wie die der ersten Gruppe —, dass die beiden Reihen von Ver¬
änderungen, „specifische“ und anscheinend nicht specifische, gleichzeitig bei
demselben syphilitisch inficirten Individuum Vorkommen können.
HI. Gruppe. Primäre Sklerosen, Strang- und Herddegenerationen,
Kernatrophieen u. s. w. ohne specifischen Charakter und weitere specifische
Läsionen bei zweifellos luetischen Personen: a) reine Pyramidenseiten-
strangskleroBen — Fälle von Minkowski und Friedmann — beide etwas
zweifelhaft; b) combinirte Systemerkrankungen (Seiten- und Hinterstrang¬
sklerosen); hierher gehören sehr wichtige Fälle von Westphal, Nonne, Eberle,
dann etwas zweifelhafte von Williamson, Dreschfeld und Strümpell — die
überraschender Weise sämmtlich das Bild der „syphilitischen Spinalparalyse (Erb)“
darboten! c) Hinterstrangsklerosen — also alle Fälle von Tabes, bei welcher
Syphilis nachgewiesen; hierher dürften dann wohl ohne Bedenken auch die
klinischen Fälle von Tabes zu rechnen sein, deren anatomische Grundlage uns ja
mit Sicherheit bekannt ist, eventuell bei welchen in der Vorgeschichte 70—90 °/ 0
syphilitische Infection nachgewiesen sind; d) primäre Kerndegeneration
(Kerne der Augenmuskelnerven), OpticuBatrophieen u. s. w.
Aus diesen Beobachtungen ergeben sich zur Zeit die folgenden Sätze: 1. In
sehr vielen Fällen finden sich neben typisch-luetischen Erkrankungen des
Nervensystems primäre, einfache Atrophieen und Degenerationen
(Gruppe I). 2. In zahlreichen Fällen von primären Degenerationen und
systematischen Sklerosen finden sich daneben auch specifische Läsionen
(Gruppe II). 3. Primäre Sklerosen (ohne auffallende specifische Läsionen)
finden sich nicht selten bei Syphilitischen; und bei manchen von diesen
Läsionen (Tabes!) findet Bich in der Vorgeschichte Syphilis in einem
enorm hohen Procentsatze.
Vortr. verzichtet auf den Beweis ex juvantibus, weil er glaubt, dass die
mitgetheilten Thatsachenreihen genügen, um diese anscheinend indifferenten
Veränderungen mit annähernd dem gleichen Rechte der Syphilis zu¬
zuweisen, wie die specifisch-gummösen. — Der schon längst angetretene
klinische Beweis dafür wird durch die erwähnten anatomischen Feststellungen
des häufigen und gleichzeitigen Zusammenvorkommens der beiden
Arten von Veränderungen bei einem und demselben syphilitischen Individuum
wesentlich ergänzt. Wer also die „gummösen“ Veränderungen von der Syphilis
ableiten will, muss zugeben, dass auch diese nioht-specifischen Läsionen von ihr
40
Digi
626
abzuleiten sind, dass sie jedenfalls von der Syphilis herrühren können. Es darf
verlangt werden, dass hier mit gleichem Maasse gemessen, die Sache mit
der gleichen Skepsis oder mit der gleichen Nachsicht behandelt wird. Man kann
in einem solchen Falle nicht die eine Hälfte der Veränderungen für syphilitisch
und die andere für nicht syphilitisch erklären; jedenfalls sind beide syphi-
logen! Vortr. verzichtet auf weitere Erörterungen über die Art und Weise d«
Ursprungs und der Pathogenese der beiden Veränderungsreihen, weist nur kun
auf die Schwierigkeiten einer befriedigenden Erklärung hin. Vortr. berührt die
Wichtigkeit der zusammengestellten Thatsachen für die Frage der Verursachung von
Systemerkrankungen, besonders der Tabes, durch die Lues und erörtert dann noch
die Frage, ob man noch ein Recht habe, die besprochenen „indifferenten“ Läsionen
als post-(para-)syphilitische zu bezeichnen, was ihm nicht ganz richtig er¬
scheint.
Vortr. schliesst mit einigen Bemerkungen über die Analogieen der Syphilis
mit der Tuberculose, aber auch über die specifischen Verschiedenheiten der beiden
Infectionskrankheiten, speciell im Hinblick auf die Aetiologie der Tabes.
Herr Prof. Schüle (Freiburg i/B.) demonstrirt zwei Patienten mit Alopecia
universelle congenita und multiplen Neurofibromen der Haut.
Bei dem einen Manne, welcher wegen eines Traumas begutachtet worden war,
fand sich eine universelle Anästhesie gegen Schmerz und eine handschuhformige
Anästhesie der Finger. Vortr. hatte diese Anästhesie in seinem ersten Gutachten
als eine hysterische aufgefasst, indess war die Frage aufgeworfen worden, ob «
sich nicht um congenitale, mit den Neurofibromen der Haut zusammenhängende
Gefühlsstörungen handeln könne. Da der Bruder thatsächlich am Gesicht und an
den Armen auch Hypästhesie zeigt, möchte Vortr. die Frage eher bejahen oder
eine Ueberlagerung der angeborenen Sensibilitätsstörung mit Hysterie annehmeo.
(In privater Besprechung über den Fall sprach man eher für die Annahme, dass
es sich bei dem demonstrirten [Unfalls-] Patienten um eine rein hysterische
Sensibilitätsstörung handle.)
Zweite Sitzung am 24. Mai 1902 Nachmittags 2 J / 4 Uhr.
Vorsitzender: Herr Hofrath Prof. Dr. Fürstner (Strassburg).
Herr Prof. Dr. Ho che (Strassburg) hält das Referat über: Differential¬
diagnose zwischen Epilepsie und Hysterie.
Die Differentialdiagnose wird besonders dadurch erschwert, dass wir es mit
zwei ihrem Wesen nach unbekannten Krankheiten zu thun haben. Anlass
zu diagnostischen Irrthümern geben neben den acut verlaufenden psychischen
Störungen und den Dauerzuständen vor allem die Anfälle. Das Referat
beschränkt sich der Hauptsache nach auf letztere. An vergleichend historischer
Betrachtung wird die Entwickelung der Lehre von den unterscheidenden Merk¬
malen und die damit im Zusammenhang stehende von der Hysteroepilepsie
erörtert. Die Ergebnisse des Referates lassen sich in folgenden Sätzen zusammen¬
fassen: Epilepsie und Hysterie sind principiell verschiedene Neurosen;
die reine Hysterie ist functioneller Natur in dem Sinne, dass sie eine patho¬
logische Anatomie weder besitzt noch jemals besitzen wird; die
genuine Epilepsie ist functionell nur in dem Sinne, dass wir die ihr zu Grunde
liegenden Veränderungen noch nicht kennen. Für die Majorität der Anfalle
besteht bei genügender Sachkunde auf Grund feststehender Symptome kein Zweifel
über die Diagnose; bei einer Minorität lassen sich aus dem Anfalle Bebst
keine differentialdiagnostischen Anhaltspunkte gewinnen. Es giebt kein Sym¬
ptom, welches mit absoluter Sicherheit den epileptischen Charakter eines Ad-
,yG00gI<
627
fallee beweise, auch nicht Znngenbiss und Aufhebung der Liohtreaction der Pupille.
Die „hysterisohe Pupillenstarre“, deren Vorkommen innerhalb und ausser¬
halb des Anfalles nicht mehr bezweifelt, werden kann, ist keine eigentliche
Beflexstörung, sondern eine Unbeweglichkeit der Pupille in Folge
abnormer Zustände in den inneren Augenmuskeln. Die Existenz einer
echten Hysteroepilepsie im Sinne eines wirklichen beiden Neurosen ge¬
meinsamen Grenzgebietes ist abzulehnen. Abgesehen von anderen Com-
binationen ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Hysterie, ohne aus
ihrem Rahmen zu fallen, den dem echten epileptisohen Anfall zu Grunde
liegenden centralen Vorgang zur Auslösung bringen kann, ebenso wie
dieser, ohne dass es sich um Epilepsie handelt, durch andere Umstände (reflec-
torisch wirkende Reize, Gifte u. s. w.) ausgelöst werden kann. In allen differential-
diagnostisoh zweifelhaften Fällen sind Entwickelung und Verlauf der Störung,
ebenso wie die dauernden psychischen Veränderungen wesentlichste Hilfs¬
momente.
Zur Discussion äussern sich: Bruns, Rumpf, Bäumler, Strümpell,
Hitzig, Schultze, Seeligmüller, Weygandt, Sticker, Friedmann und
Fürstner und in einem Schlusswort der Referent, der als ein wesentliches Er-
gebniss der Discussion bezeichnet, dass in dieser Versammlung der competentesten
Beurtheiler sich keine Stimme für die Annahme einer echten Hysteroepilepsie in
dem alten und neuerdings von Binswanger wieder angenommenen Sinne er¬
hoben hat.
Herr Prof. Dr. Dinkler (Aachen): Usber aoute Myelitis transversa (nach
Erkältung und Gonorrhoe — naoh Typhus — nach Appendioitis per-
forativa; Versuch mit ohirurgisoher Behandlung).
Acute Myelitis tritt als transversale und disseminirte au£ erstere ist häufiger
und deshalb wichtiger. Anatomisch kann man zwei Typen derselben unter¬
scheiden: die Meningomyelitis und die reine Myelitis, vom ätiologischen Stand¬
punkt die refrigeratori8chen und die infectiösen Formen. Folgende Fälle als
Paradigmata der genannten Typen sind der Mittheilung werth.
I. Myelitis acuta dorsalis inferior nach Erkältung, gleichzeitige Gonorrhoe:
M. G., 36jähr. Grundarbeiter, stammt aus gesunder Familie, war stets gesund;
1901 Gonorrhoe acquirirt, nie ganz ausgeheilt, nie Beschwerden davon; seit 1901
täglich 8 Stunden im Wasser stehend gearbeitet (etwa 6 Monate lang!); Januar
1902 Schmerzen im Rücken, zunehmend, nach 3 Wochen Schwäche der Beine,
Umschnürungsgefuhl um den Leib; seit Mitte März ziemlich vollständige Lähmung
der Beine (L > r.), Schmerzen, Zuckungen in den Beinen, Blasenschwäche.
Status 6./IV. 1902: Innere Organe normal, aus der Urethra eitriger Ausfluss
mit massigen Mengen typischer intracellulär gelagerter Gonokokken; von Seiten
des Nervensystems: Schwäche der Rücken- und Bauchmuskeln, linkes Bein schlaff
gelähmt, das rechte Bein paretisch, Hypästhesie im linken Bein für tactile Reize;
Localisation unsicher. Patellarreflex links sehr schwach, rechts gesteigert, Achilles¬
sehnenreflexe fehlen; links Babinski’sches Phänomen, Cremasterreflexe fehlen,
von den Bauchreflexen ist der untere linke nicht vorhanden, der mittlere und
obere stark abgeschwächt, die rechtsseitigen sind normal, Atrophie des linken
Oberschenkels, keine Entartungsreaction, Blasenlähmung (Ischuria paradoxa), —
Diagnose: Myelitis dorsalis inferior et lumbalis. Erhebliche Besserung. Aetio-
logisch liegt es am nächsten, Erkältungsschädlichkeit als wichtigste Ursache an¬
zunehmen; nach Leyden kommt auch die Gonorrhoe in Frage.
II. Myelomeningitis bei Spondylitis typhosa lumbalis. 17jähr. Musiker, Tuber-
culose in der Familie (5 Mitglieder daran gestorben). Pat hat seit dem 12. Jahre an-
fjallsweiae auftretende Magenschmerzen, zuletzt August 1896, 1893 Hämoptoe. Ende
40 *
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628
August 1896 Typhus, am 14./X. geheilt entlassen, bald danach Schmerzen im Kreuz
und in beiden Schulterblättern im Liegen und beim Aufstehen, vorwiegend Nachts,
Anfang November nur noch in den beiden Lendengegenden Schmerzen, auch am Tage;
bei Drehungen gürtelförmige Schmerzen um den Leib herum, so heftig, dass der
Kranke nicht mehr stehen konnte, sondern liegen musste; am 26./XII. waren die
Beine nicht mehr gut zu bewegen, Stuhlgang seit 8 Tagen angehalten, Körper¬
temperatur erhöht, sonst keinerlei Störungen. Status: Temperatursteigerung Abends
bis 38,4° C.; innere Organe frei, Wirbelsäule im Bereiche der untersten Brust- und
der oberen drei Lendenwirbel sehr druckschmerzhaft, ebenso die reohts davon
liegenden Muskelpartieen; Pat. liegt steif und unbeweglich auf dem Bücken, ver¬
meidet ängstlich jede, auch die kleinste Bewegung des Körpers (z. B. Kopfdrehung).
Schmerzen beginnen im Kreuz und umspannen den ganzen Leib unterhalb des
Rippenbogens, strahlen in die rechte Gefässgegend und das ganze rechte Bein
aus; erhebliche Hyperästhesie im Bereiche der Kreuz- und Lendengegend und des
rechten Oberschenkels; Leib stark tympanitisch, nicht druckempfindlich, Beine
paretisch, Urinentleerung erschwert, Stuhlgang angehalten — im weiteren Verlauf
Temperaturen bis etwa 40° C. Bauchreflexe links beinahe erloschen; Domfortsatz
des 1. Lendenwirbels nach links verschoben, unwillkürliche heftige Zuckungen in
beiden Beinen, die Patellarsehnenreflexe asymmetrisch, der linke erheblich ge¬
steigert, später deutliche Gibbusbildung im Bereiche des 1. und 2. Lendenwirbels;
am 10./U. wieder normale Configuration der Wirbelsäule; Haut- und Sehnen¬
reflexe wieder normal, Blase und Mastdarm gut functionirend, Beine kräftiger;
am 24./1I. geheilt entlassen; typischer Fall der von Quincke, Neisser u. A.
beschriebenen Spondylitis typhosa lumbalis mit Uebergang in die paravertebrale
Musculatur und die Rückenmarkshäute und das Rückenmark selbst.
HI. Fall von reiner Myelitis acuta transversa ist differentialdiagnostisch von
besonderem Interesse. 34jähr. Schreiber, keine Belastung, Pat. stets gesund
gewesen; am l./VIII 1901 schmerzhaftes Druckgefühl in der Magengegend, keine
Uebelkeit, kein Fieber; ein Mal täglich mehrere Stunden anhaltend derartiger
Anfall, ärztliche Behandlung erfolglos; dann vom Apotheker Pulver bekommen,
Anfang September danach geheilt, wieder ganz gesund, Thätigkeit war überhaupt
nicht ausgesetzt worden. 4 Wochen später (Anfang November) umschnürendes
Gefühl um den Leib herum, Angstempfindung, 24 Stunden lang, dann ParapareBe
der Beine, r. > 1., Incontinentia urinae, ärztliche Behandlung erfolglos; nach
Painexpellereinreibung Besserung, nach 14 Tagen wieder alles gut; am 24./XI.
Inständiger Spaziergang, Erkältung, nicht ermüdet, wieder Lähmung der Beine;
am 26./XI. konnte er nicht mehr gehen und stehen, Blasenschwäche, von Anfang
December unwillkürliche Blasenentleerung, Stuhlgang angehalten, taubes Gefühl in
den Beinen, starke Zuckungen, keine Schmerzen. Status vom4./XU.: Mittelgrosser
kräftiger Mann, sehr blass; an der linken Ferse und Wade Brandschorfe (durch
zu heisse Wärmflaschen), innere Organe frei. Paraparese beider Beine (r. > L);
auffallend starke unwillkürliche Zuokungen in den Beinen; bei raschen Beugungen
im rechten Kniegelenk tonische Contraction der Waden und Oberschenkelmuskeln,
keine deutliche Sensibilitätsstörung; Sehnenreflexe an den Beinen asymmetrisch,
1. < r.; Die Hautreflexe an den Fusssohlen erhalten, rechts Babinski, Bauchreflexe
fehlen beiderseits gänzlich, Cremasterreflexe sind beiderseits schwach; im weiteren
Verlauf leichte Besserung, dann pyämisches Fieber; Lumbalpunction erfolglos.
Zuckungen waren so stark, dass permanentes Wasserbad erforderlich, Blase stets
gleich gefüllt, unwillkürliche Entleerungen, Priapismus; spontane Blasenbildung am
linken Fuss und Knie; am 12./XH. rasch fortschreitende Hypästhesie der Beine biß
zum Nabel herauf, oberhalb hyperästhetische Zone 12 cm hoch, Lumbalpunction
wieder erfolglos. Am 18./XII. erfolgt Trepanation wegen pyämischen Fiebers;
fortschreitende motorisohe und sensible Paraparese, Fehlen von meningitischen
620
bezw. Wurzelerscheinungen, acut fortschreitender intraspinaler Prooess. Da nicht
der ganze Rackenmarksqnerschnitt erkrankt war, wurde Abscess vermuthet, trotz
Fehlens von eitriger Meningitis und nur geringer Leukocytose. Der Fall war
ohne Operation wohl auch verloren. Localisation sehr unsicher bei dem Fehlen
von Wurzelsymptomen; wegen der Hypästhesie bis zum Nabel etwa 9. und
10. Dorsalsegment am 18./XII. operirt, nichts W T esentliches gefunden, Verlauf un¬
beeinflusst, Wunde tadellos geheilt, pyämische Erscheinungen hielten an; am
29./XII. Lähmung des linken oberen Lides, linker Mundwinkel hängt herab, starke
Zuckungen im linken Bein. Temperatur von 41,6° C. Unter Coma Exitus.
Diagnose: Pyämie unbekannter Provenienz, Myelitis acuta transversa dorsalis,
frische Embolie im Bereioh der rechten Grosshirnhälftö. Autopsie: Blutung
in dem rechten Stirnlappen mit Durohbruch in die Seitenventrikel, Appendioitis
perforativa (in das S. romanum), subglutäaler Abscess links. Es war die Appen-
dicitis larvata offenbar der Ausgangspunkt aller Erscheinungen. Myelitis erwies
sich als nicht eiterig. (Ausführliche Mittheilung erfolgt in der Deutschen Zeit¬
schrift für Nervenheilkunde.)
Herr Hofrath Prof. Fürstner (Strassburg): Zur Kenntnias der vaso¬
motorischen Neurosen.
Vortr. giebt zunächst einen Ueberblick über die verschiedenen vasomotorischen
Störungen, die bei hereditär zu Nervenkrankheiten Disponirten oder im Gefolge
der letzteren auftreten, er erörtert das spontane Erröthen, die Urticaria factitia,
die Dermographie, die spontane Urticaria, das circumscripte Oedem und die
eigentlichen Angioneurosen. Er weist auf die zahlreichen Uebergänge hin, die
zwischen den einzelnen Erscheinungen bestehen, welche die Nomenclatur wesent¬
lich erschweren. Im Anschluss an einen früheren analogen Fall (Deutsche med.
Wochenschr. 1898. Nr. 34) berichtet Vortr. über einen jungen Mann, bei dem
zunächst ein durch Schreck bedingtes starkes Stottern bestand, das sich psychisch
in hohem Grade beeinflussbar erwies; bei diesem Patienten trat acute Röthung,
Schwellung und Blasenbildung im Gesicht, an den Händen — fast ausschliesslich
auf dem Handrücken, am Scrotum und Penis, vereinzelt am Rumpf auf. Durch
Confluiren kamen Riesenblasen zu Stande, Begleitsymptome waren Schmerzen,
Hitzegefühl, vorübergehend Temperatursteigerung, Diarrhoe. Die Hautaffection
dauerte 6—8 Tage an, kehrte dann nach kürzeren Intervallen mehrfach wieder,
blieb schliesslich aber im Gegensatz zum ersten Falle, wo die Menses fast regel¬
mässig neue Schübe auslösten, fort. Sodann erinnert Vortr. daran, dass mehrfach
familiäres Auftreten vasomotorischer Störungen, dass ebenso Wiederkehr derselben
in mehreren Generationsstufen beobachtet worden sei, so werde nicht selten die
Neigung zum Erfrieren distaler Eörperpartieen, der Ohren, Hände erblich übertragen.
Vortr. konnte vor Kurzem einen Fall beobachtön, wo durch drei Generationen
hindurch dieselbe Störung wiederkehrte, Mutter und Tochter konnten direct beob¬
achtet werden. Die erstere, eine fast 50 jährige Frau, giebt an, dass ihre Mutter
gleichfalls an Schwellung und Verkrümmung der Finger gelitten habe und da¬
durch am Arbeiten gehindert worden sei. Sie selbst sei schon in der Schule
wegen ihrer ungeschickten Finger, die auch manchmal anschwollen, bestraft worden.
Als directö Krankheitsursache müsse sie eine besonders schwere Geburt im
24. Lebensjahr ansehen, der ein langes Krankheitslager folgte. Im Anschluss
daran entwickelte sich hochgradige Nervosität, globusartige Empfindungen, starkes
Hitzegefühl, unruhiger Schlaf, profuse Schweisssecretion. Periodisch treten sehr
schmerzhafte Anschwellungen zwischen den Brüsten auf, die manchmal Stunden,
dann wieder länger andauerten. Zeitweise häufige Ohnmächten. Die wesentlichste
Störung fand sich aber an beiden Händen. Zunächst kam es zu schmerzhaften
Anschwellungen der Finger, namentlich auf den dorsalen Partieen bis zum Hand-
Google
gelenk, die Haut war anfangs geröthet, an den Fingerspitzen auch bläulich ver¬
färbt. Allmählich entwickelte sich eine Difformität beider Hände. Vereinzelt
kam es auch an anderen Körperpartieen zu Röthung und Blasenbildung, besonders
bei mechanischer Beizung. Während der Beobachtungszeit traten zwischen den
Brüsten circumscripte Bdematöse Schwellungen auf, ohne besondere Verfärbung
der Haut, sie dauerten, meist schmerzhaft, mehrere Stunden an, verschwanden
dann wieder. Während der Nacht bestand profuse Schweisssecretion, bei Tage
klagte die Patientin über unangenehmes Kältegefühl an den Beinen. Die Finger
beider Hände stehen dauernd in Beugestellung, die Endphalangen können über¬
haupt nicht, die anderen Phalangen nur in geringem Grade gestreckt werden,
wobei Schmerz eintritt; die Enden der Phalangen mehrfach etwas verdickt, die
Haut über den Fingern fühlt sich derb und gespannt an, sie lässt sich nicht in
Falten legen, das Aussehen ist ein weisslich glänzendes. Die Finger erscheinen
dadurch nach vorn zu auffallend zugespitzt und bieten das Bild der Sklerodactylie.
An der dorsalen Partie des Handgelenks lässt sich oft eine ödematöse, schwappende
Schwellung feststellen, die schnell kommt und ebenso schnell schwindet. An anderen
Körperpartieen hochgradige Demographie, zu beiden Seiten der Nase gleichfalls
eine Partie, die spontan anschwillt, ebenso auf dem Bücken der grossen Zehen
periodische Schwellung. Sensibilität völlig intact, nirgends Muskelatrophie. Patellar-
refleze sehr lebhaft
Die Tochter, 14 Jahre alt, von jeher sehr nervös und unruhig, vielfach an
Kopfschmerzen leidend, zeigte vom 8. Jahre an Bdematöse Schwellung der Hände,
die mit cyanotischer Verfärbung vorübergehend auftrat, ebenso RBthung und
Schwellung des Gesichts. Auch hier standen die Finger, namentlich die End¬
phalangen, in leichter Beugestellung, am Daumen und kleinen Finger war die
Streckung activ und passiv unmöglich, auf dem Handrücken fühlt die Haut sich
vielfach gespannt an, namentlich über den Metacarpophalangealgelenken. Das
Gesicht erscheint namentlich in den seitlichen Partieen periodisch geschwollen,
dabei geröthet oder mehr cyanotisch verfärbt.
Die Menses traten mit dem 13. Jahre auf, ohne Anomalieen zu bieten; be-
merkenswerth war der kleine frequente Puls, der fast dauernd vorhanden war,
auch hier keine Störungen der Sensibilität, kein Muskelschwund. Die Patellar-
reflexe sehr lebhaft. Während bei den ersten beiden Fällen wohl nur eine
nervöse Disposition bestand und die vasomotorische Störung erst später auftrat,
um kürzere oder längere Zeit anzudauern, muss bei den an zweiter Stelle mit-
getheilten Fällen eine hereditäre Uebertragung der abnormen vasomotorischen
Erregbarkeit angenommen werden, die in drei Generationsstufen wiederkehrte.
Neben den vasomotorischen Erscheinungen, die mannigfacher Art waren, ödematöse
Schwellung, Böthung, Blasenbildung, kam es zu trophischen Störungen in der
Haut, zu Veränderungen an den Knochen der Hände; auch hier Hessen sich viel¬
fache Uebergänge zwischen den einzelnen vasomotorischen Symptomen feststellen.
Herr Dr. Bayerthal (Worms): Zur Diagnose der Thalamus- und
Stirnhirntumoren.
Vortr. knüpft seine diagnostischen Erörterungen an zwei von ihm beobach¬
tete Fälle von Hirntumor an. In dem ersten Falle, in dem man an Stelle der
vorhandenen Sehhügelgeschwulst einen subcorticalen Tumor der motorischen
Region angenommen hatte, wurde die Trepanation erfolglos ausgeführt. Im
zweiten Falle unterbHeb die Operation. Man hatte hier — und wie der Obduc-
tionsbefund zeigte — im Wesentlichen zutreffend einen basal gelegenen Tumor
des linken Stirnhirns diagnosticirt.
In dem ersten Falle handelte es sich um eine 31jähr., früher stets gesunde
Frau, die Vortr. Mitte Mai 1901 zum ersten Male sah. Die Patientin litt seit
Digi
831
Mitte April (h. a.) an Erbrechen, das wegen mehrmonatlichem Cessiren der
Menses und Veränderungen an den Geschlechtsorganen von dem behandelnden
Arzte als Schwangerschaftssymptom betrachtet worden war. An eine centrale
Affection dachte man erst, als von Anfang Mai an psychische Symptome in den
Vordergrund traten. Patientin gab auf Befragen häufig gar keine oder verkehrte
Antworten, verliess nicht mehr das Bett, lag apathisch da, musste gefuttert werden.
Urin und Stuhl liess sie unter sich gehen. Bei der Untersuchung fiel zunächst
die Schlaffheit und Starrheit der Mimik auf; Patientin war zu einem Verziehen
des Mund es und zu einem Lächeln nicht zu bestimmen. Aphasische und sensibel¬
sensorische Störungen bestanden nicht. Der psychische Status entsprach dem
Bilde der stuporösen Demenz. Ausser Gleichgewichtsstörung beim Stehen und
Gehen, vorübergehender Pulsverlangsamung bestand Parese des rechten Beines
und Empfindlichkeit des Schädels gegen Druck und Percussion über dem linken
Beincentrum. Die Pupillen reagirten auffällig träge. Der Augenhintergrund blieb
normal bis zum 27./V. 1901. An diesem Tage wurde beginnende Stauungspapille
auf dem linken Auge constatirt, nachdem bis dahin unter vorausgehenden Krämpfen
im rechten Facialisgebiet sich die Monoparese zur Hemiparese bezw. Hemiplegie
vervollständigt hatte. Da in Folge zunehmender Somnolenz und stertoröser
Athmung die Kranke verloren schien, wenn nicht in der kürzesten Zeit zugegriffen
wurde, so entschloss sich Herr Prof. Heidenhain zur Trepanation trotz der
Bedenken, die das Fehlen typischer Rindenkrämpfe gegen die Annahme eines sub-
corticalen Tumors wachrufen musste. Indessen schien diese Annahme im Hinblick
auf die constant nachweisbare umschriebene Empfindlichkeit des Schädels gegen
Druck und Percussion, die topographisch mit den Lähmungserscheinungen über¬
einstimmte, berechtigt zu sein. Die Patientin überlebte den operativen Eingriff
nicht lange. Bei der Section wurde ein Tumor des linken Thalamus (Gliosarcom)
gefunden, der den Balken etwas nach oben, den gegenüberliegenden Sehhügel
nach rechts gedrängt und durch Compression der Vierhügel eine Abflachung der
letzteren bedingt hatte.
Vortr. glaubt die Frage, ob bei einem derartigen Symptomencomplex eine
Fehldiagnose zu vermeiden ist, epikritisch bis zu einem gewissen Grade bejahen
zu müssen. Er hat in der Litteratur nachträglich einen von Bramwell mitgetheilten
Fall von Thalamusgeschwulst gefunden, in dem gleichfalls die mit den Lähmungs¬
erscheinungen übereinstimmende Empfindlichkeit des Schädels zu einem natürlich
vergeblichen operativen Eingriffe führte. Nach Ansicht des Vortr. gestattet
daher die umschriebene Empfindlichkeit des Schädels bei Gehirntumoren im Be¬
reiche der motorischen Region, die topographisch mit den Lähmungserschei¬
nungen übereinstimmt, nur insofern einen sicheren Schluss auf die Localisation,
als eine die empfindliche Stelle schneidende Frontal ebene den Herd trifft. Da¬
gegen gestattet Bie niemals ein Urtheil über die Entfernung des Herdes von der
Gehirnoberfläche. Vortr. zeigt ferner an der Hand der Casuistik, dass Stupor
und Intelligenzdefect vor der Steigerung des HirndruckeB für einen
tiefen Sitz des Herdes und gegen eine ausschliessliche Looalisation
in oder nahe der motorischen Rinde sprechen. (Betheiligung der Balken¬
faserung!) Die Gleichgewichtsstörung und Trägheit der Pupillen-
reaction führt Vortr. zum Theil uuf den Thalamusherd, zum Theil auf die
Compression der Vierhügel zurück; diese Symptome stützen daher ceteris paribus
die Localisation in der Tiefe. Schliesslich weist Vortr. auf den Ausfall
mimisch-automatischer Bewegungen hin, der in seinem Falle constant
nachweisbar war. Mit der in manchen Fällen von Sehhügeltumor beobachteten
Steigerung der mimischen Ausdrucksbewegungen zusammengehalten, die als
Reizungssymptom betrachtet zu werden pflegt, erscheine ihr Ausfall als ein
durch Lähmung bedingtes Localsymptom des Thalamusherdes. Diese Ansicht
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erhalte durch zwei in der Litteratur gefundene Beobachtungen, die sich in diesem
Sinne yerwerthen lassen, eine weitere Stütze.
In dem zweiten Falle handelte es sich um eine 37jährige f'rau, die eines
gynäkologischen Leidens wegen am 8. October 1901 in das städtische Kranken*
haus zu Worms aufgenommen wurde. Sehr bald nach der Aufnahme fiel das
eigenthümliche psychische Verhalten der Patientin auf; sie zeigte einen aus¬
gesprochenen Mangel geistiger Regsamkeit und Stumpfheit. Es konnte anam-
nestisch festgestellt werden, dass die Kranke seit Frühjahr h. a. jähzornig und
zanksüchtig geworden war. In den letzten Monaten sass die Patientin oft stunden¬
lang da, ohne sich um ihre Umgebung zu kümmern. Auch im Krankenhause
zeigte sie, wie gesagt, zunächst dieses apathische Verhalten. Sie sprach nie
Bpontan ein Wort und bei der Untersuchung bedurfte es energischen Zuredens,
um Antwort zu erhalten. In der Folge änderte sich der Zustand. Patientin
wurde zugänglicher und gleichzeitig mit dieser Besserung trat eine Aeuderung
ihrer Stimmung ein. Sie machte bisweilen trockene witzige Bemerkungen, die
zu ihrer sonstigen Apathie in auffallendem Contraste standen. Nach wenigen
Tagen jedoch wurde sie wieder stumpfsinniger. Ende October atypischer epilep¬
tischer Anfall. Von diesem Zeitpunkt an bestanden wechselnde Benommenheit,
Kopfschmerzen und Pulsverlangsamung. Die Untersuchung des Augenhinter¬
grundes ergab doppelseitige Stauungspapille. Ferner Hessen sich jetzt Gleich¬
gewichtsstörung, aphasische Symptome und rechtsseitige Hemiparese nachweisen.
Dazu traten vom 6./XI. 1901 ab die Zeichen einer Himnervenerkrankung: Er¬
weiterung der linken Pupille, leichte linksseitige Ptosis, Schwäche im linken
Abducens, Hyperästhesie im Hnken Supra- und Infraorbitalis, schliesslich Hemi¬
anopsie. Der letale Ausgang erfolgte ziemlich plötzlich unter den Zeichen der
Athemlähmung am 13./XI. 1901.
Die Localdiagnose schien in diesem Falle keine Schwierigkeiten zu bieten.
Vortr. verweist auf die von Bruns aufgestellten, für die Diagnose der basal
gelegenen Stirnhirntumoren maassgebenden Grundsätze. Indessen wurde bei der
Section ein Tumor (borsdorferapfelgrosses Sarcom) gefunden, der von dem basalen
Theile des Hnken Schläfenlappens ausgegangen war und erst nach grubiger Ver¬
tiefung und theilweiser Zerstörung der direct in seinem Bereiche Hegenden
Windungen die des Stirnhirns in Mitleidenschaft gezogen hatte. Vortr. glaubt
daher auf Grund des vorliegenden Falles sich dahin aussprechen zu dürfen, dass
die Differentialdiagnose der basal gelegenen Geschwülste des Hnken Stirnhirns
gegenüber den von der Basis des linken Schläfenlappens ausgehenden Neubildungen
nur möglich ist, wenn der Tumor frühzeitig Anopsie erzeugt oder die Gebilde
der Orbita nach vorn treibt Schliesslich erörtert Vortr. die localdiagnostische
Bedeutung der Apathie (Verlust der Aufmerksamkeit, Interesselosig¬
keit), die sich, wie eine Durchsicht der neueren Casuistik und Statistik ergeben
hat, in einem grossen Theile der von Anfang an beobachteten Fälle von Stirn¬
lappengeschwulst findet Sie ist möglicherweise im Sinne der Flechsig’schen
Anschauungen als Functionsstörung seitens des Stimhirns zu betrachten. (Aus¬
führlichere Mittheilung erfolgt in diesem Centralblatte.)
Herr Dr. Bartels (Strassburg): Myxosaroom des linken Sohläfenlappens
ausgehend vom Ammonshorn; Zerstörung des Unous, Qyrus hippo-
oampi u. 8. w. ohne Aufhebung des Geruches. (Demonstration von Photo-
graphieen und mikroskopischen Präparaten.)
37jähr. Bergmann; als Soldat luetisch inficirt Gesund bis Ende December
1901, wo er wegen Abnahme der Sehschärfe und andauerndem Kopfschmerz die
Arbeit niederlegte. Zu diesen beiden Störungen trat seit Februar schwankender
Gang, Sprachstörungen und VergessHchkeit. Am 5./HL 1902 Aufnahme in die
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psychiatrische Klinik zu Strassburg, daselbst gestorben 11./III. 1902. Es be¬
standen Allgemeinsymptome: Kopfschmerz, Erbrechen, Neuritis optica mit Stauung,
links stärker als rechts, Pulsverlangsamung; ferner grosse Schläfrigkeit, auf den
ersten Blick machte Pat. den Eindruck eines blöden, deprimirten Paralytikers.
Doch war die Urtheilskraft über seine Lage u. s. w. völlig erhalten, Demenz be¬
stand nicht, nur vorgetäuscht durch die Schlaflosigkeit und die aphasischen
Störungen; Merkfähigkeit schlecht, Stimmung sehr deprimirt. Sensorische Aphasie,
optische Aphasie, Agraphie und Alexie, besonders das Nachsprechen gestört.
Weiter: Neuralgie im linken Supraorbitalis, Geruch beiderseits vorhanden,
links etwas herabgesetzt, Geschmack beiderseits erhalten; Parese des Facialis
und der Hand, specieU des Daumens, rechts. Die Patellarreflexe fehlen.
Die Section ergab reichlioh gänseeigrosses Sarcom im Mark des linken
Schläfelappens, welches, wie die mikroskopische Untersuchung zeigte, vom
Ammormhorn ausgehend, im Unter- und Seitenhorn vorgewuchert war, und das
Mark des Schläfenlappens zerstört hatte. Die vorderen Zweidrittel der Gyri
temp. I, II und III, des Occipito-temporalis, des Hippocampi und des Uncus waren
bis auf eine dünne, durchscheinende Schicht von erhaltener Rindensubstanz zer¬
stört. Alle anliegenden Theile stark verdrängt und theilweise zum Schwund
gebracht. Der Tumor ist bemerkenswerth anatomisch wegen seines Ausgangs¬
ortes, des Ammonshornes; bisher ist nur ein Fall von Ackermann verzeichnet
worden. Klinisch bietet er Interesse: 1. wegen des Fehlens von Geruchs- und
Geschmaoksaufhebung bei Zerstörung der Partieen, welche auf Grund anatomischer
und experimenteller Erfahrungen an Thieren als Rindencentren für Geruch und
Geschmack angesehen werden. Die leichte Hyposmie links erklärt sich durch
Querschnürung des Olfactorius durch die Art. corporis callosi in Folge Zerrung
durch den Tumor; 2. fehlte trotz der Mächtigkeit des Tumors und des lange
bestehenden Hirndruckes eine eigentliche Demenz; 3. fehlten epileptische Anfälle
irgend welcher Form; 4. stimmten die klinischen Beobachtungen über den Sitz
des Tumors mit den Schwalbe’schen Ergebnissen über Windungsprotuberanzen
am knöchernen Schädel. Der Pat. hatte subjectiv sowie auf Beklopfen stets an
einer Stelle intensive Schmerzen, welche den Protuberantiae Gyri temporalis II
und HI entsprach, welche deutlich palpabel waren. Bei der Section erwiesen
sich diese Stellen als den Gyri entsprechend gelegen, hier hatte der Tumor die
Windungen gegen das Schädeldach gedrückt.
Herr Dr. Gerhardt (Strassburg): Zur Anatomie der Kehlkopflähmungen.
Bei einem Syringomyeliekranken, der 8 Jahre lang isolirte Lähmung des
rechten Glottiserweiterere gezeigt hatte, fand Vortr. auf dem Querschnitt des
N. recurrens anscheinend gleichmässige Degeneration massigen Grades. Erst die
Untersuchung der Endzweige des Nerven zeigte, dass die zum M. lateralis und
internus führenden Zweige ebensolche mittelstarke Degeneration aufwiesen, dass
aber die zum M. posticus ziehenden total degenerirt waren. Offenbar war das
Bündel der PosticuBfasern auf dem Querschnitt des Recurrens nur deshalb nicht
erkennbar, weil es völlig untergegangen war.
Der Fall bestätigt also, ebenso wie die von Onodi und Koschier ver¬
öffentlichten, die Semon’sche Lehre, dass nicht nur der M. crico-arytaenoideus
posticus, sondern bereits der ihn versorgende Nerv leichter functionsunfähig werde
als die übrigen Theile des motorischen Kehlkopfapparates; er giebt zugleich die
Möglichkeit einer Erklärung dafür, dass in ähnlichen Fällen von früheren Autoren
bei alleiniger Untersuchung des Recurrensstammes jene vorwiegende Degeneration
des Posticusbündels nicht gesehen wurde.
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634
Dritte Sitzung vom 25. Mai, Vormittags 9 J / 4 Uhr.
Vorsitzender Herr Prof. Dr. Schultze (Bonn).
Als Referat für 1903 wird die Prognose der Paralyse in Aussicht ge¬
nommen; es wird Privatdocent Dr. Gau pp (Heidelberg) übertragen.
Herr Prof. Schultze (Bonn): Weitere Mittheilungen über operativ be¬
handelte Geschwülste der Rüokenmarkshäute.
Vortr. berichtet I. über seine Erfahrungen über Tumoren der Rücken¬
markshäute und theilt kurz sein ganzes bisheriges Material in dieser Richtung
mit. Er sah in den letzten Jahren im Ganzen 8 Fälle. In dem ersten bereits
mitgetheilten handelte es sich um eine Fehldiagnose; in einem anderen erschien
die Operation unthunlich, da der Tumor in der Höhe des Foramen magnnm
lag. In allen übrigen Fällen war die Diagnose auch der genauen Localisation
der Geschwülste richtig; nur in einem Falle konnte die Locahsationsdiagnoee
bei einem Tumor in der Gegend der Cauda equina nicht mit absoluter Bestimmt¬
heit gemaoht werden. In allen diesen 6 Fällen wurde die Operation vor¬
genommen, fünf Mal von Herrn Collegen Schede, ein Mal von Herrn Dr. Graft
In 3 Fällen wurde Heilung erzielt, zwei Mal völlige, ein Mal mit leichten
Resterscheinungen von Schwäche, da die Lähmung vor der Operation 13 Monate
gedauert hatte.
In einem Falle ist eine Besserung eingetreten, die vielleicht noch weitere
Fortschritte macht. In 2 Fällen endlich trat der Tod ein; das eine Mal hatte
es sich um einen sehr grossen Tumor in der Nähe der Cauda equina gehandelt,
der bereits in das kleine Becken hindurchgewuchert war. In dem zweiten konnte
die ringförmige, tumorähnliche Verdickung der Dura mater nicht völlig ent¬
fernt werden.
Die Erfolge des operativen Eingreifens waren also durchaus befriedigende
Auf die Art und Weise desselben, sowie auf die Schwierigkeiten der Diagnose
geht Vortr. zum Schlüsse noch kurz ein.
II. Das Verhalten der Zunge bei Tetanie. Der Vortr. erinnert an
Beine frühere Mittheilung in Baden-Baden über myotonische Störungen and
Tetaniesymptome bei einer und derselben Kranken. Aehnliches ist seitdem mehr
fach beobachtet und beschrieben worden. Auch bei echter Thomsen’scher Er¬
krankung kommt das Facialisphänomen vor.
Die ausführliche Mittheilung über diese Erfahrungen ist bisher noch deshalb
unterblieben, weil die eingehenden Untersuchungen der Muskeln in den beobach¬
teten Fällen noch nicht vollendet waren. Sie wurden von Prof. Schieffer-
deck er vorgenommen, über dessen Untersuchungsergebnisse der Vortr. unter
Vorzeigung von Präparaten Einzelnes mittheilt. In letzter Zeit beobachtete nun
der Vortr. mehrfach bei echter Tetanie eine langdauemde Dellenbildung nach
Beklopfung der Zunge, ohne dass bei elektrischer Reizung Nachdauer der
Contraction eintrat. In dem einen Falle hat es sich um eine Magen-Darm-Tetanie,
in dem anderen um die gewöhnliche „spontane“ Tetanie gehandelt.
Sollte sich diese Beobachtung bestätigen, so glaubt der Vortr. nicht, dass es
sich in den auch früher beobachteten Fällen des Zusammenvorkommens von myo-
tonischen Einzelsymptomen bei Tetanie stets um das Bestehen zweier Krankheiten
gehandelt habe. Geradesogut wie man z. B. bei Syringomyelie secundär auf¬
tretende myotonische Symptome beobachtet hat, könnte auch eine Reihe myo-
tonischer Symptome bei der Tetanie in secundärer Weise entstehen. Der Vortr.
erinnert in dieser Richtung an eine schon 1882 mitgetheilte Beobachtung, bei
der in einem Falle von gewöhnlicher Tetanie lange Nachdauer der Contractionen
bei starken Willkürinnervationen auftraten.
y Google
635
An der Discussion über Operation von Rückenffiarkstumoren betheilgten sich
Edinger, Fuerstner, Hitzig, Rumpf, Dinkler und Bruns.
Herr Prof. C. v. Monakow (Zürich): Die Variet&ten in der Anlage der
Fissura oaloarina und die Fissura retrooaloarina.
Die gewöhnlichen anatomischen Darstellungen der Faltungsverhältnisse im
Occipitallappen, zumal in der Regio calcarina, sind viel zu schematisch und be¬
rücksichtigen den Reiohthum der hier vorkommenden FurchungBformen in nur
unzureichender Weise. In Wirklichkeit sind die normalen Variationsbreiten
zumal in der Anlage der Fissnra calcarina so ausgedehnt, dass wohl nicht ein
Individuum ganz genau die nämliche Gliederung dieser Furche (in allen ihren
Abschnitten) wie ein anderes darbietet. Der Vortr., welcher sich längere Zeit
mit der Ausdehnung der menschlichen Sehsphäre (normale und pathologisch¬
anatomische Untersuchungen) beschäftigt hat, kommt auf Grund von Unter¬
suchungen an mehr als 80 menschlichen Hemisphären (Föten, Kinder und Er¬
wachsene), die zum guten Theil in SerienBchnitten vorliegen, zu folgenden
Resultaten:
Die Trennung der Fiss. calc. nach Cunningham in eine Pars anter., Pars
media und Pars posterior ist im Allgemeinen gut zu heissen, doch ist zu betonen,
dass die Cuneolingualfalten (Gyri intercalcarinae), welche als mehr oder weniger
bis an die Groeshirnoberfläche vordringende Scheidewände jener Calcarinasegmente
zu betrachten sind, in verschiedener Zahl und Mächtigkeit angelegt sein können.
Auf Grund der ersten Furchenanlagen beim Fötus (4—5 Monate) lassen sich beim
Erwachsenen vier Typen von Bildungen der Fiss. calcarina unterscheiden; es
sind das Typen, auf die bereits Sernow und Cuningham aufmerksam ge¬
macht haben.
1. Typus. Directer Abgang der Fissura calcarina aus der FiBsura parieto-
occipitalis, ziemlich ununterbrochener oder durch (in der Calcarinaspalte versteckte)
Cuneolingualfalten unterbrochener Verlauf derselben fast bis zum Occipitalpol,
in dessen Nähe die Fissura gabelförmig sich spaltet (die gewöhnlichste Form).
2. Typus. Die Fissura calcarina präsentirt sich in drei Segmenten, von
denen der vorderste mit der Fissura parieto-occipitalis communicirt, polwärts aber
durch eine Cuneolingualbrücke unterbrochen wird. Die Pars calcarinae post,
präsentirt sich in 1—2 ziemlich selbständigen Segmenten, die sich gabelförmig
spalten; von dem hintersten wird bisweilen der Occipitalpol tief durchschnitten;
relativ seltene Form.
3. Typus. Die Pars med. calcarinae communicirt weder mit der Fissura
parieto-occipitalis, noch mit der Pars posterior calcarinae, mit anderen Worten
es wird die Fissura calcarina schon an der Stelle des Peduncul. cunei und pol¬
wärts ebenfalls je durch eine Cuneolingualfalte unterbrochen; rein selten.
4. Typus. Die Pars posterior und die Pars media sind verschmolzen zu
einer tiefen Furche, dagegen trennt eine ansehnliche Windungsbrücke diesen
Abschnitt von der Pars anterior calcarinae derart, dass auch hier die Fissura par.-
occip. von der Calcarina nicht durchschnitten wird, im Ganzen selten, vielleicht
pathologisch.
Ueberdies sind in der Art und Weise, wie das hintere Ende der FiBsura
calcarina sich in Nebenäste spaltet, ausserordentlich zahlreiche Varietäten (Neben¬
typen) vorhanden (einer der gabelförmigen Aeste kann fehlen u. s. w.). Dagegen
konnte der Vortr., insbesondere an Frontalschnitten, eine relativ constante,
rücklägerige, oft tief in den Occipitalconus, fast bis zum Hinterhornende vor¬
dringende Seitenabzweigung aus der Pars posterior calcarinae beobachten, die
er als Fissura retrocalcarina bezeichnen will. Diese oft ansehnliche (2 cm
tiefe) Furchentasche verleiht der Physiognomie des Occipitalconus an Frontal-
Dig
630
schnitten ein ganz eigentümliches Gepräge, sie trennt durch ihr keilförmiges
Eindringen den Occipitallappen auf eine weite Strecke in eine laterale und
mediale Hälfte.
Die Fissura retrocalcarina, welche bis jetzt noch nicht näher studiert worden
ist, zeigt histologisch den nämlichen Rindentypus wie er der Fissura calcarina
eigen ist und gehört somit zur anatomischen Sehsphäre.
Die später beim Erwachsenen zu Tage tretenden verschiedenen Typen der
Fissura calcarina sind schon an Fötalhirnen (4—6 Monate) deutlich, wenn
auch roh, ausgeprägt; schon im 5. Monat bietet das Fötalhim in Bezug auf die
Anlage der Calcarina eine Fülle von individuellen Verschiedenheiten. Bei der
Geburt erworbene Defecte einzelner Sinnesorgane (angeborene Blindheit, Taubheit)
vermögen nach den Beobachtungen des Vortr. den ursprünglichen Charakter in der
Faltenbildung (wie er bei der Geburt ausgeprägt war) nicht nennenswerth zu
modificiren; so kann die feinere Gestalt der Fissura calcarina bei er-
wachsenenen Individuen mit angeborener peripherer Blindheit
(degen. Vernichtung beider Nn. optici) genau die nämlichen individuellen
Furchenverhältnisse darbieten, wie bei sehenden Individuen, wenn
schon bei angeborener Blindheit der ganze Parietooccipitallappen (nicht etwa
nur die Regio calcarina) eine allgemeine Wachsthumsstörung erfährt.
Nach den Erfahrungen des Vortr. kommt den Furchen des Parieto-
occipitallappens als Grenzlinien von corticalen Sinnesfeldern (vor
Allem der Sehsphäre) nicht die geringste Bedeutung zu. Corticale
Abgrenzungen dürfen hier überhaupt nur grob und nur nach der Einstrahl ungs-
weise der Stabkranzfaserung (im Occipitallappen nach der Radiatio optica) oder
nach Ausdehnung eines besonderen histologischen Rindentypus (z. B. Calcarintypos)
vorgenommen werden. Da die nämlichen Furchenvarietäten wie beim Erwachsenen
schon in der ersten Bildungszeit der Furchen sich in den Grundzügen vorfinden,
so ist nicht anzunehmen, dass der bei einem erwachsenen Individuum vorhandene
besondere Furchentypus durch äussere functionelle Momente (Erziehung, Lebens¬
erfahrung) allmählich erworben wird.
Herr Prof. Dr. E ding er (Frankfurt a/M.): Ueber das VogelRirn.
Vortr. legt die Tafeln einer grösseren Monographie über das Vogelgehirn
vor, die er in gemeinsamer Arbeit mit Dr. Holmes und Dr. Wallenberg ms-
geführt hat. Die Arbeit erstreckt sich auf über 70 Arten, welche mit der Niffil-
Methode, der Markscheidenmethode, mit der Methode der Markentwickelung und
mit der Marchi-Degenerationsmethode studirt worden sind. Behufs Feststellung
von Anfang und Ende der Faserzüge wurden über 80 Tauben in der mannig¬
fachsten Weise operirt und dann auf Faserentartung hin studirt.
Die Morphologie des Vogelgehirnes war bisher nicht mit Sicherheit zu geben,
weil die Grenzen von Pallium und Stammhim nicht feststanden. Diese wurden
entwickelungsgeschichtlich an Hühnern und Enten studirt. Vortr. fand die Gehirne
der verschiedenen Familien, soweit Ausbildung des Palliums in Betracht kommt,
ausserordentlich verschieden. Zwischen einem Gans- oder Papageigehirn und dem¬
jenigen etwa der Taube oder des Strauss bestehen Unterschiede, die nicht geringer
sind als die zwischen Kaninchen- und Affengehirn. Was das Vogelgehim a®
meisten von den Säugergehirnen unterscheidet, ist die enorme Ausbildung de«
Stammhirnes.
Ueber das Stammhirn wölbt sich, bei reifen Thieren, fast überall fest mit
jenem zusammengeflossen, bei Föten wohl trennbar, das Pallium. Seine ventrale
Grenze wird lateral durch eine feine Furche, Fissura limbica, angezeigt Diese
Furche, welche frontal in das Basalfeld übergeht und immer an ihrem Dorsal¬
rande von einem weissen Faserzug — Tractus frontoepistriaticus — begleitet ist,
byGöOgl«
637
ist die einzige echte Furche. Die nahe dem Dorsalraude liegende sagittal ver¬
laufende Vallecula zeigt nur die Stelle an, wo im Innern des Gehirnes Mantel
und Stammhirn zusammengeflossen sind. Man könnte sie etwa der Inselgrube
vergleichen. Die verschiedenen Rindengebiete des Mantels und ihre oft reichen
Associationsbaimen, namentlich die ausserordentlich wechselnde Entwickelung des
Frontalmarkes — und des Temporalmarkes, das eigentlich nur die Papageien
besitzen — wird geschildert. Die aus der Rinde abwärts ziehende Faserung
durchbricht in zahlreichen Zügen das ventraler liegende Stammhirn, sich dabei
mit den dort entspringenden Fasern vereinend. So kommt es nur bei sehr
reichlicher Faserung, wie sie fast nur die Papageien haben, zu einer in breiten
das Stammganglion trennenden Zügen angeordneten Capsula interna. Eine
Capsula externa ist immer zwischen Pallium und Stammhirn nachweisbar.
Ventral vom Stammganglion sammeln sich alle Züge, welche aus dem Vorderhirn
stammen oder in dieses hineinziehen, zu den Brachia cerebri. Am Stammhirn
lassen sich Abtheilungen unterscheiden, die durch ihre Faserbeziehungen und ihre
Lage gut charakterisirt, immer wiederzufinden sind. An die kleinen Lobi ol-
factorii stösst mediocaudal die Area parolfactoria. Caudal von ihr liegt
das wahrscheinlich dem Globus pallidus homologe Mesostriatum, reich gestreift
durch die es durchquerende Hirnfaserung. Unter ihm, bereits innerhalb der ge¬
schlossenen Faserung, der Nucleus entopeduncularis, welcher mit der Hirn¬
faserung zusammen bis an das Mittelhirn hin verfolgbar ist. Area parolfactoria
und MesoBtriatum werden von dem dicken Polster des Hyperstriatum bedeckt,
in welchem man nach Lage und Faserbeziehung Putamen und Nucleus caudatus
der Säuger erkennen kann. Von der lateralen Seite her schiebt sich zwischen
Hyper- und Mesostriatum das lange dünne Ectostriatum ein, dessen reiches
Markweiss von allen Fasersystemen des Gehirnes zuerst reift. Dem Ganzen sitzt
lateral und caudal das Epistriatum auf, welches, wie bei Reptilien und Fischen
einem mächtigen Theile der Commissura anterior Ursprung giebt und den Tractus
fronto-epistriaticus, der auch schon bei den Reptilien vorhanden ist, aufnimmt.
Ein Theil dieser Ganglien war bereits früheren Autoren bekannt, war aber, da
die Faserbeziehungen nicht zur Homologisirung herangezogen wurden, nicht richtig
benannt. Da ob sich hier um Hirntheile handelt, welche von den Fischen an
mehr oder weniger deutlich sich ausbilden und bei den Schildkröten z. B. zumeist
schon vorhanden sind, so ist zu erwarten, dass man die einzelnen Theile des
Stammhirnes jetzt auch bei Säugern wird auffinden können. Der Vortr. wird
die Beschreibung der unerwartet reichen Faserung erst in der Monographie geben
können, deren Tafeln vorliegen. Er erwähnt als zunächst nachgewiesene Züge
die folgenden:
A. Eigenfasern: 1. Intracorticale Fasern, besonders im Frontal- und
Parietalgebiete. 2. Tractus fronto-occipitalis intrastriaticus. 3. Tractus fronto-
epistriaticus. 4. Commissura pallii. 5. Commissura anterior.
B. 1m Vorderhirn selbst entspringen: 1. Tractus septo-mesencephalicus.
2. Tractus fronto-thalamicus. 3. Tractus fronto-mesencephalicus. 4. Tractus
occipito-mesencephalicus. 5. Tractus strio-mesencephalicus. 6. Tractus-cortico-
habenularis.
C. In das Vorderhirn gelangen: 1. Tractus thalamo-striaticus. 2. Tractus
thalamo-frontalis et parietalis. 3. Zug aus der Gegend des Isthmus zum basalen
Stirnhirn. Im Ganzen 14 Züge. Es bilden die Faserzüge aus dem Vorderhirn
nnd zu demselben ganz bestimmte Marklagor, die bei verschiedenen Arten sehr
verschieden entwickelt sind.
Das Vogelgehirn scheint aus dem Reptiliengehirn ableitbar, ist aber nicht
in das Säugergehirn überzuführen, sondern bildet einen eigenen, zu hoher Voll¬
endung gelangten Hirntyp. Es ist zu erwarten, dass nun neue Untersuchungen
Die
638
&ber die Leistungsfähigkeit des beschriebenen Apparates, verglichen mit dem der
Reptilien, Untersuchungen, welche der Vortr. begonnen hat, zu für die Psychologie
brauchbaren Resultaten führen können.
Herr Dr. Blum (Frankfurt a/M.): Ueber experimentelle Erzeugung von
Geisteskrankheiten. (Der Vortrag wird unter den Original-Mittheilungen in
diesem Centralblatte erscheinen.)
Herr Dr. Link (Freiburg i/B.) demonstrirt Muskelpräparate von einem Fall von
Myasthenia gravis aus der medicinischen Klinik in Freiburg i/B., der durch
wechselnde Ptosis, wechselnde Augenmuskelstörungen, gekreuzte Doppelbilder, sehr
grosse Ermüdbarkeit der Musculatur mit myasthenischer Reaction bei völligem
Fehlen von Fieber ausgezeichnet und nach beinahe 5 */> monatlicher Krankheits¬
dauer durch Athmungsinsufficenz tödtlich verlaufen war. Es fanden sich bei
intactem Nervensystem in beiden Mm. recti interoi, rechten Rectus internus,
beiden Supinator longus, beiden Deltoideus und rechten Tibialis anticus Herde
von lymphoiden Zellen, die durchaus den von Weigert und Goldflam beschrie¬
benen entsprechen. Die Thymus war persistent, zeigte aber keine Zeichen maligner
Degeneration. Die Frage nach der Natur der Zellanhäufungen lässt Vortr. offen,
indem er sie weder für Metastasen noch für entzündlich hält. Nachdem er sodann
über ergebnislos verlaufene Versuche, bei Kaninchen durch Verfütterung oder
Einnähung von Thymus der Myasthenie ähnliche Symptome zu erzeugen, berichtet
hat, giebt er der Vermuthung Ausdruck, dass die Zellherde durch Störung der
Lymphcirculation und damit der Abfuhr der Ermüdungsstoffe das Zustandekommen
einer abnormen Ermüdbarkeit begünstigen könnten, wenn auch noch nach wie
vor das toxische Moment für die Erklärung hauptsächlich herangezogen werden
müsse, und theilt einige Versuche am Lebenden mit, in denen er durch Herbei¬
führung einer venösen und gleichzeitig Lymphstauung eine erheblich früher ein¬
tretende Erschöpfbarkeit der Muskeln für Willenseinfluss und für faradische
Reizungen gefunden hatte. (Der Vortrag erscheint demnächst in extenso in der
Deutschen Zeitschr. f. Nervenheilkunde).
Herr Prof. Dr. Nissl (Heidelberg): lieber einige Beziehungen zwischen
der Glia und dem Gefiesapparat. Vortr. demonstrirt an der Hand von Zeich¬
nungen eine Reihe neuer Gesichtspunkte über obiges Thema, die sich aber in
Kürze hier nicht wiedergeben lassen.
Herr Dr. Schröder (Heidelberg): Die Katatonie im höheren Lebensalter.
Es giebt klassische Fälle von Katatonie, die bei geistesgesunden Individuen
erst nach dem 45. Lebensjahre zur Entwickelung kommen. Der älteste der
16 Patienten aus der Heidelberger Klinik erkrankte mit 59 Jahren. Die grössere
Hälfte der Kranken hat einen ausgesprochenen Stupor durchgemacht, dem ein
specifisch gefärbtes Stadium von katatonischer Erregung (wie Stereotypieen, Ne¬
gativismus u. s. w.) voraufgegangen war, oder aber plötzliche, meist unsinnige Er¬
regungen durchbrachen den Stupor. In einer kleineren Zahl von Fällen boten
die Kranken bis zur Dauer von mehreren Jahren ausschliesslich das Bild der
Erregung dar. Einleitende „Depressionsstadien“ fehlen nie. Es scheint auch
Fälle zu geben, die depressiven Charakter tragen.
Im Allgemeinen unterscheiden sich die Altersformen nicht von den sehr viel
häufigeren Erkrankungen an Katatonie bei jugendlichen Individuen. Auffallend
war an dem dem Vortr. zur Verfügung stehenden Material das Verhältniss zum Ge¬
schlecht: 3 Männer, 13 Frauen, ferner das starke Ueberwiegen depressiver
Stimmungen bei den Kranken und schliesslich die Seltenheit tiefer Verblödung.
Vier weitere Kranke, über die berichtet wird, hatten 12—25 Jahre vorher
bereits eine Erkrankung (meist in der Pubertätszeit) durchgemacht, von der sie
soweit genesen waren, dass sie ihrem Beruf nachgeben konnten und von ihren
Angehörigen nicht als krank betrachtet wurden.
Digi
689
Vortr. hat sich auf die Mittheilung typischer Fälle beschränkt, die atypischen
sind sehr viel häufiger.
Herr Prof. Dr. Eraepelin (Heidelberg): Die Arbeiteourve.
Der Vortrag wird an anderer Stelle mit den entsprechenden Curventafeln
in extenso erscheinen; er behandelt den Elinfluss der Uebung, der Ermüdung,
der Anregung, Gewöhnung und Willenspannung auf die geistigen Arbeits¬
leistungen, wie es aus den langjährigen experimentell-physiologischen Studien deB
Vortr. sich ergiebt.
Um 12 j / 4 Uhr wurde die Wanderversammlung geschlossen, nachdem man
Baden-Baden wiederum zum Ziele für 1903 und die Herren Prof. Dr. Hoff¬
mann und Director Frz. Fischer zu Geschäftsführern bestimmt hatte.
Leop. Laquer (Frankfurt a/M.).
K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.
Sitzung vom 19. October 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 43.)
Herr Hammerschlag demonstrirt einen Fall von Mittelohreiterung, Bxtra-
nnd Intraduralabsoesa, Absoesa im Sohlftfenlappen.
An eine im Jahre 1882 zuerst aufgetretene Otorrhoe schlossen sich im
Juni a. c. starke Schmerzen im betroffenen rechten Ohr, wenige Tage danach
Schwindel, Erbrechen. Temperatur bei Spitalsaufnahme 39°. Bei Pat. wurde
typische Freilegung der erkrankten Mittelohrräume vorgenommen; Temperatur¬
abfall auf 37,5, jedoch noch am selben Tage 38,0°. Die anfangs gewichenen
Schmerzen kehrten wieder, betrafen die rechte Körperhälfte, so dass neuerlich
operirt wurde. Extraduraler Eiterherd; Spaltung der Dura, die durch eine Fistel-
öfihung Eiter entleerte. Am Schläfelappen äusserlich nichts merkbar, jedoch
wegen der circumscripten Pachymeningitis externa und der Pachyleptomeningitis
interna Verdacht auf Sohläfenlappenabscess. Bei Incision des Schläfenlappens
reichliche Ehterentleerung, Darauf Heilung, welche jedoch durch Stauungs¬
erscheinungen am Augenhintergrund und einige erst nach einer Zeit als hysterisch
erkannte Symptome (Schwindel, Erbreohen, Retentio urinae, tonischer Nerven-
krampf der gesunden Seite) complicirt wurde. Heute — 4 Monate nach der
Operation — völlige Genesung.
Sitzung vom 26. October 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 44.)
Herr P&l: Neue Untersuchungen über die Dannwirkung des Opiums
und Morphins.
Intravenöse Injection von Opium oder Morphin hat erst starke Darm-
contraction, dann Uebergang in Mittelstellung zur Folge, was nach Untersuchungen
am entnervten Darm durch Erregung der Darmganglien, also peripher, zu Stande
kommt. Ein gleiches gilt für den Mastdarm, was die Verstopfung erkläre. Die
Art der Wirkung sei eine Fernwirkung und betreffe auch vasomotorische Ver¬
änderungen (Elrweiternng der Darmgefässe). Die lähmende Wirkung des Opium
auf die Darmwand sei fallen zu lassen, da alles durch die Mittelstellung erklärt
sei. Unaufgeklärt bleibe die Herabsetzung des Vaguseinflusses und das Verhalten
der Hemmungsnerven, deren Erregung nicht widerlegt ist.
Sitzung vom 2. November 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 45.)
Herr Mahler demonstrirt einen Fall von Thomsen’soher Krankheit. (Er¬
schien ausführlich in der Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 52.)
Herr Weiss bemerkt, er hätte zwei Brüder mit Thomsen’scher Krankheit
Digi
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640
gekannt, deren Eltern und drei Geschwister völlig gesund waren, die hereditär
unbelastet erschienen und von Kindheit Erscheinungen dieser Affection, anfangs
nur der unteren Körperhälfte, boten. Bei dem Jüngeren, inzwischen Verstorbenen,
wurde später auch die obere Körperhälfte ergriffen, bei dem Aelteren spontane
Besserung. Psychisch normal; es bestand myotonische Reaction, die bekannte
mechanische Excitabilität.
Sitzung vom 9. November 1900.
(Wiener klin. WochenBchr. 1900. Nr. 46.)
Herr E. Hering: Ueber oentripetale Ataxie beim Menschen und Affen.
Einleitend giebt Vortr. eine Uebersicht über die Störungen nach Durch¬
schneidung der hinteren Wurzeln bei Fröschen, Hunden und Affen. Bezüglich
der Analogie dieser Untersuchungen mit den klinischen Beobachtungen beim
Tabiker hebt er hervor: Verlust centripetaler Erregungen; um so bedeutender,
je mehr centripetale Bahnen ausgeschaltet; Lagestörungen; Atonie (stärker bei
Lichtausschluss); Muskelschlaffheit; sogenannt trophische Störungen; Muskelatrophie
geringeren Grades (Affe); Extremitätenbewegungen des ruhenden Thieres (=* un¬
beabsichtigte Bewegungen des Tabikers). Die Atonie, als Folge der Ausser-
functionssetzung centripetaler Bahnen, nennt Vortr. unpräjudicirlich „centri¬
petale“ und bezeichnet auch die tabische als solche. Die Frage, ob diese
letztere nicht als „sensorische“ zu bezeichnen, beantwortet er dahin, dass die
Störung der Empfindung wohl eine Rolle spiele, die Atonie im wesentlichen jedoch
durch den Ausfall centripetaler Bahnen zu Stande komme, die beim Menschen die
unbeabsichtigte, unwillkürliche Regulirung der Bewegungen besorgen. Die Atonie
der Tabiker sei unterschieden von der nach Läsion centripetaler Bahnen in höher¬
gelegenen Abschnitten des centralen Nervensystems auftretenden, die nicht so hoch¬
gradig sei und mehr die subtileren Bewegungen betreffe. Gegen die „sensorische“
Theorie sei noch anzuführen, dass keine Uebereinstimmung hinsichtlich des Fehlens
der Bewegungsempfindung und der Atonie bestehe. Der Wegfall der unwillkürlichen
Muskelspannungen durch absichtliche Hemmung bedingt schon beim normalen
Menschen Störung der Prüfung von Lageempfindung, umsomehr beim Tabiker,
wo diese Spannungen durch Verlust der Function centripetaler Bahnen wegfallen.
Sitzung vom 16. November 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 47.)
Herr Erben: Demonstration eines Kranken mit isolirtem Trioepsklonus.
Der 20jähr., nervös disponirte Pat. hat seit 6 Monaten heftiges Schütteln
des rechten Armes, nur wenn dieser im Ellbogen gebeugt wird. Da der gestreckte
Ellbogen emporgehoben, Hand- und Fingerbewegungen dabei ausgeführt werden
können, ist dieses Schütteln nur scheinbar Intentionstremor; da der Biceps dabei
tonisch contrahirt ist, im Triceps klonischer Krampf sich findet, so handelt es sich
hier um localisirten Tricepsklonus. Dieser kann durch rasch aufeinanderfolgendes
Armbeugen und Strecken, sowie durch passive Bewegungen gehemmt werden.
Als Ursache des Klonus sieht Vortr. die Dehnung des Triceps bei der Armbeuge an.
Herr Redlich kann die Diagnose „Tic“ nicht zulassen, da die Zuckungen
dafür nicht charakteristisch, eher nach der Art des hysterischen Schütteltremors
sind. Da er jedoch die Entwickelung des Leidens nicht und den Status nur kurz
kennt, ist das nur eine Vermuthung.
Herr Erben glaubt Hysterie ausschliessen zu können und hält daran fest,
dass die verschiedenen Krampfkrankheiten wohl nebeneinander stehen, aber nicht
als Theile der Hysterie. Otto Marburg (Wien).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel,
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und Pflege von Kranken. Besondere Sorgfalt wird auf die Trennung der leichten, resp.
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am Familienleben und an regelmässiger Beschäftigung gewendet. Verschiedene getrennte
Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Böcksicht auf individuelle
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Beamtenpersonal unterstützt — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
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ttehenden Kopftchmerten beteiligt, mitunter auch die tu itarken Blutungen verringert.
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Gravidität (Wallungen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herzklopfen werden
durch Valyl auch bei Patientinnen mit normaler Menstruation beseitigt
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3 Kapseln 2 bis 8 mal täglich.
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Sappe, Bouillon oder dergleichen zu reichen. Gelegentliches Aafstossen nach dem Nehmen des Medieamentes
kann dadurch verhindert werden, dass man dem Patienten 10 Minuten vorher eine Messerspitze Natrium
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II. Referate. Anatomie. 1. Rückbildungsvorgänge am Schwänze des Säugethier¬
embryo mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse am Medullarrohre, von Zietzschmann.
2. Ueber eine neue Methode der Markscheidenfärbung, von v. Schrötter. 3. Eine Carmin-
färbung der Axencylinder, welche bei jeder Behandlungsmethode gelingt (Urancarminfärbung
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and tne Realisation of mental functions, by Mac Donald. 6. Sopra la percezione delle im-
S iressioni tattili. Osservazioni fatte dal Grandis. 7. Experimental researches on the central
oealization of the sympathetic, with a critical review of its anatomy and physiology, by
Onuf and Collins. 8 . Die Sensibilitätsverhältnisse des Sympathicus und Vagus nut besonderer
Berücksichtigung ihrer Schmerzemnfindlichkeit im Bereiche der Bauchhöhle, von Buch. —
Pathologische Anatomie. 9. Ueber nieder differenzirte Missbildungen des Centralnerven-
systeras, von Veraguth. — Psychologie. 10. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Gra¬
phologie, von Meyer. 11. Les animaux sont-ils conscients? par Clapardde. 12. VerBuoh einer
psychophysischen Darstellung des Bewusstseins, von 8torch. 13. Experimentelle Studien
über Associationen. 111. Theil: Ueber Ideeenflucht, von Aschaffenburg. 14. Der Zusammen¬
hang von Leib und Seele, das Grundproblem der Psychologie, von 8chuppe. 15. Ueber die
Beeinflussung geistiger Leistungen durch Hungern, von Weygandt. 16. Zum Studium der
Merkfähigkeit, von Diehl. — Pathologie des Nervensystems. 17. La surditö verbale
pure. Un cas de surditö verbale pure due ä un abscös du lobe temporal gauebe, trepanatio»,
gudrison, par van Gebuchten et Goris. 18. Aphasie, par Touche. 19. Un point d’histoire de
l’aphasie, la döcouverte de Broca et Involution de ses idöes sur Ia Realisation de l’apbasie,
par Ladame. 20. Ueber Aphasie und andere Sprachstörungen, von Bastian. 21. Beiträge
sur Behandlung der motorischen Aphasie naoh cerebralen Störungen, von Vidal. 22. Die
Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kinder, von Uebmann. 23. Die Sprache schwer¬
höriger Kinder, von Uebmann. 24. Ueber die Sprache der Schwerhörigen und Ertaubten,
von Gutzmann. 25. Syncope et asphyxie locale, par Garrlgues. 28. Primaire Erythromelalgic,
door Kopplua. 27. Paralysis of the cervical sympathetic, by Stewart. 28. Zur Casuistik der
vasomotorischen Störungen, von Mager. 29. Schwindel, von Panse. 30. Meniöre'scber Sym-
ptomencomplex, geheilt mittelst des galvanischen Stromes, von Donath. 31. Die Seekrankheit
Vorschläge zu ihrer gemeinsamen Bekämpfung durch Techniker und Aerzte, von Schwerdt.
82. Ueber Seekrankheit, von Puhimann. — Forensische Psychiatrie. 33. Die Unter¬
bringung geisteskranker Verbrecher, von Nicke. 34. Welche Gesichtspunkte sind mftassgebend
für die Frage, ob eine Entmündigung auszuspreeben ist wegen Geisteskrankheit oder wegen
Geistesschwäche? — Psychiatrie. 35. Una teoria dell* allucinazione, del Tanzl. 36. Gynä¬
kologie in Irrenhäusern, von 8chuitze.
III. Bibliographie. Hirnerschütterung, Hirndruck und chirurgische Eingriffe bei Hirn-
krankheiten, von Theodor Kocher.
IV. Aua den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein zu Berlin.
V. Mittheilung an den Herausgeber.
41
642
I. Originalmittheilungen.
[Aus der III. med. Klinik (Hofrath y. Schböttbb) in Wien.]
1. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe.
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬
merkungen über den Verlauf der centralen Haubenbahn.
Von Dr. Josef Borgo,
Assistenten der Klinik.
Obzwar wir bis heute noch kein för eine Läsion der Vierhügelgegend patho-
gnomonisches Symptom kennen, bietet die Symptomatologie der Tumoren dieser
Gegend doch mitunter ein so charakteristisches Ensemble, dass die Diagnose
sich ohne besondere Schwierigkeiten stellen lässt und oft genug richtig gestellt
wurde. In anderen Fällen kann die Unterscheidung von einem Tumor der
Thalamusgegend oder der des Pons oder einem Kleinhirntumor, der auf die
Vierhügelgegend übergreift, unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten.
Nothnagel 1 hat als erster ein für Tumoren dieser Gegend charakteristisches
Krankheitsbild zu geben versucht Erst ein-, dann beiderseitige Oculomotorius¬
lähmung mit asymmetrischer Entwickelung auf beiden Seiten und Ataxie, die
meist schon vor der Ophthalmoplegie auftritt, sollen die wesentlichen und eine
Diagnose ermöglichenden Züge darstellen.
Bbuns hat später darauf aufmerksam gemacht, dass derselbe Symptomen-
complex auch bei Kleinhirntumoren, die auf die Vierhügel übergreifen, angetroffen
werden könne, und dass das Auftreten der Ophthalmoplegie vor der Ataxie für
die Vierhügelregion spreche. Die Ataxie hat oft den Charakter der cerebellaren.
Wenn dazu einseitige Taubheit komme und Hemianopsie, so könne man, wenn
sonst Anhaltspunkte für einen Tumor da seien, den Sitz desselben mit Wahr¬
scheinlichkeit in den Vierhügeln vermuthen.
Ausser der Ophthalmoplegia bilateralis fand sich in dem im folgenden mit-
zutheilenden Falle keines der übrigen Symptome deutlich entwickelt; die Taub¬
heit fehlte, die Hemianopsie war nur angedeutet und Theilerscheinung einer
allseitigen Einschränkung des Gesichtsfeldes, und die Ataxie, die eher an In¬
tentionstremor erinnerte, hatte nichts von dem Charakter einer cerebellaren
Ataxie.
Andererseits trat ein Symptom auf, welches in dieser Form nicht nur in
der Klinik der Vierhügeltumoren, sondern auch in der Symptomatologie der
Gehirntumoren überhaupt vereinzelt dasteht und mit unserem heutigen Wissen
über die Pathogenese cerebraler Krampfformen nicht leicht in Einklang zu
bringen ist
1 Nach einer Demonstration in der Gesellschaft för innere Medicin in Wien am
12./XII. 1901 and 24./I1L 1902.
Diai
y Google
643
Es sei mir gestattet, den auch an sonstigen klinischen und histologischen
Besonderheiten reichen Fall im Folgenden zunächst mitzutheilen.
Sp. Moses, 28 Jahre alt, Tagelöhner, anfgenommen am 25./V. 1901.
Anamnese: Die Eltern des Patienten starben in hohem Alter, vier Ge¬
schwister leben und sind gesund, ein Bruder starb lungenkrank.
Bis zur gegenwärtigen Erkrankung soll Pat. immer gesund gewesen sein.
Vor 6 Wochen bemerkte er, ohne vorher gegangene Allgemeinerscheinungen,
dass er schlechter sehe. 3 Wochen später trat Ablenkung des rechten Auges
nach der Seite und Doppeltsehen auf und bald darauf Herabsinken des rechten
Augenlides. Zu dieser Zeit stellten sich dieselben Erscheinungen auch am linken
Auge ein. Auch eine geringe Muskelschwäche des linken Armes und Beines
machte sich bemerkbar. Kein Kopfschmerz, kein Erbrechen, kein Schwindel.
Pat ist kein Potator, kein Raucher; Lues wird negirt Kein Trauma. Er
hustet nicht und hat keine Nachtschweisse. Appetit und Stuhl sind in Ordnung.
Keine Abmagerung.
Status praesens: Mittelgrosser Pat. von gracilem Knochenbau, massiger
Musculatur, normalem Pannic. adiposus, ohne pathologischen Befund der Thorax-
und Abdominalorgane.
Puls 60—70, Respiration 18—20, Temperatur normal.
Im Harn weder Zucker noch Albumen.
Status nervosus: Freies Sensorium, gut entwickelter Intellect, keine Ge-
dächtnissstörung, keine Sprachanomalie, durch sein Leiden verursachte erregte
Gemüthsstimmun g.
Kein Kopfschmerz, kein Schwindel, kein Erbrechen.
Schädel symmetrisch, keine Schmerzhaftigkeit desselben beim Beklopfen.
Keine Nackensteifigkeit.
Hirnnerven: I. ohne Störung.
II. Die rechte Papille etwas blasser, die Gefässe verengt, beide Papillen
scharf begrenzt.
HI., IV., VI. Complette rechtsseitige Oculomotorius- und Troch-
learislähmung. Ptosis; der Bulbus in Abductionsstellung, Hebung und Senkung
unmöglich, beim Versuche das Auge zu heben tritt auch keine Raddrehung ein;
es kann nicht bis zur Mittellinie gebracht werden. Pupille weit und vollkommen
reactionslos. Dieselben Veränderungen links, nur ist hier die Ptosis noch
nicht complett, der Bulbus kann etwas gehoben werden, die Pupille ist nicht so
weit als rechts und zeigt noch eine Spur von Reaction bei Lichteinfall.
VH. Starke Querrunzelung der Stirn in Folge der Ptosis.
V. u. VIU.—XII. normal.
Leichte Herabsetzung der groben motorischen Kraft im linken
Arm und Bein mit Andeutung einer geringen Ataxie beim Finger-, Nasen-
und Knie-Hackenversuch. Keine Sensibilitässtörungen. Keine Störung des
Muskelgefühls. Keine Atrophie.
Patellarreflexe beiderseits, besonders links, deutlich gesteigert, leb¬
hafte Hautreflexe.
Gang ohne Anomalie, kein Romberg.
Therapie. Einreibungen von Ung. cinereum.
15./VI. Auch links besteht jetzt totale Oculomotorius- und Troch-
learislähmung. Beide Augen in Abductionsstellung. Beim Versuche einer
Innervation im Sinne einer Bewegung nach oben, unten oder einwärts deutlicher
horizontaler Nystagmus.
l./Vn. Quecksilberkur bisher ohne jeden Erfolg. Status idem: Kakodyl-
injectionen, täglich eine PBAVAz’sche Spritze einer 6°/ 0 Lösung.
41*
Dig
644
19./VII. Ziehen und Schwächegefühl im linken Bein. Objeotiv keine
Aenderung.
30./VII. Es treten klonische Zuckungen des linken Baumens aof,
nach Art eines sehr grobwelligen Zitterns. Der Daumen wird rhythmisch gebeugt
und opponirt. Zugleich Schmerzen in der linken Schulter.
2./VIII. Der Krampf im Daumen hält continuirlich an, so lange Pat. wach
ist und sistirt im Schlafen; es beginnt auch der linke Zeigefinger in einen
zeitweilig auftretenden klonischen Streck- und Beugekrampf zu verfallen.
30./VIII. Auch der Krampf im linken Zeigefinger ist während des Wachens
continuirlich, sowie jener des Daumens.
Die Zuckungen im Daumen und Zeigefinger halten unverändert an, nur im
Schlafe sistirend. Es gesellten sich hinzu klonische Dauerkrämpfe des
linken Supinator longus, des linken Extensor und Flexor carpi ul¬
nar is. Die genannten Muskeln fühlen sich auch härter an.
Der Vorderarm wird demgemäss rhythmisch supinirt und die Hand ulnarwärts
flectirt.
Der linke Vorderarm ist stets bedeutend wärmer als der rechte und
auch der linke Daumen und Zeigefinger fühlen sich häufig wärmer an
als die übrigen drei linken Finger.
Die Zitterbewegungen nehmen bei Erregung des Pat. und Untersuchung des¬
selben zu, ebenso steigert sich der Tremor bei Bewegungen. Es besteht also
Inten tionstremor.
Die beiderseitige Oculomotoriuslähmung dauert unverändert an, aller¬
dings ist die PtosiB am linken Auge nicht so vollständig wie am rechten
und auch die linke Pupille ist nicht so weit als rechts. Pupillenstarre
beiderseits. Die Aufnahme des Gesichtsfeldes ergiebt eine concentrische
Einschränkung desselben beiderseits mit besonderer Betheiligung der
beiden rechten Netzhauthälften. Beiderseits scharfe Begrenzung der Papillen,
deutliche Abblassung der rechten.
Ohrenbefund: In beiden Gehörgängen Ceruminalpfröpfe; nach ihrer Ent¬
fernung rechts das ganze Trommelfell bindegewebig verdickt, undurch-
hellig, leicht injicirt. Links trockene Perforation hinten oben. Beides Resi¬
duen nach chronischer Mittelohreiterung, die vor langer Zeit abgeheilt ist
Rinne beiderseits negativ, Weber unbestimmt; leicht verlängerte Kopf¬
knochen- und verkürzte Luftleitung. Uhr von Knochen und Luft.
Keine neuen Hirnnervenstörungen.
Hemiparesis sin. unverändert. Auch sonst Status idem. Sphinkteren normal.
Kein Kopfschmerz, kein Erbrechen, ab und zu leichte Andeutung von Schwindel
mit angeblicher Neigung nach links zu fallen.
Seit 16./1X. erhält Pat. Natr. jodati 2,0 pro die.
27./IX. Die beschriebenen Zuckungen dauern ohne Unterbrechung fort nnd
es treten hinzu: Krämpfe der langen Fingerbeuger und des Daumen¬
beugers der linken Hand. DaB linke Bein fühlt Pat. jetzt schwächer
werden. Beim Gehen wird dasselbe von rückwärts in einem kleinen Bogen
nach vorn geschleppt, kein atactischer Gang. Deutlicher Intentionstremor, inso¬
fern die Spasmen bei intendirten Bewegungen stärker werden. Sensibilität,
Muskelgefühl, Sphinkteren normal.
Injectionen mit Sublimat ä 0,01.
26./X. Unveränderte Fortdauer der Zuckungen des Daumens, der
Fingerbeuger, des Supinator longus und Flexor et Extensor carpi ulnaris. Einige
Secunden, ehe Pat. aufwacht, setzen die Zuckungen ein und dauern in rhyth¬
mischer und gleichförmiger Weise an, so lange er wach ist.
Der linke Facialis deutlich paretisch.
645
Das Stirnrunzeln erfolgt links erst auf stärkere und länger dauernde Inner¬
vation.
Der linke Mundwinkel steht tiefer, die linke Wangenmusculatur wird weniger
gut innervirt und der Augenschluss ist links schwächer als rechts.
28./XL Nach 9 Injectionen mit Sublimat und 9 Injectionen mit Hydrarg,
succinimidatura keine Besserung. Pat. huBtet und expectorirt etwas schleimig
eitriges Sputum.
Klonischer Krampf im Tibialis ant. sin. von demselben Charakter wie
die noch immer andauernden Krämpfe der oberen Extremitätenmuskeln.
lieber der rechten Spitze hinten scheint der Schall etwas leerer, das Respi¬
rationsgeräusch etwas rauher zu sein.
Keine Tuberkelbacillen im Sputum.
5./XII. Status nervosus:
Gehirnnerven: I. normal.
II. Abblassung beider Papillen, besonders der rechten; concentrische
Gesichtsfeldeinschränkung mit stärkerer Betheiligung der rechtsseitigen
Netzhauthälften; wie früher.
III. , IV. u. VI. Complette links- und rechtsseitige Oculomotorius-
und Trochlearislähmung. Mydriasis (r. >) und Pupillenstarre. Das linke
Auge bleibt auch bei Abwärtsbewegungen etwas zurück und ist nicht so stark
nach aussen abgelenkt als das rechte (linke Abducensparese).
Es sind horizontal verlaufende klonische Zuckungen an den un¬
teren und in geringerem Grade auch an den oberen Augenlidern zu be¬
obachten, wobei sie gegen den medialen Winkel gezogen werden, und zwar
1. bei passivem Oeflhen der Lidspalten mit den Fingern; je länger sie geöffnet
bleiben, um so geringer werden die Zuckungen,
2. bei Aufforderung nach abwärts zu sehen, und zwar ausgiebiger bei passiv
geöffneten als bei geschlossenen Lidern.
V. Der linke Masseter etwas paretiBch. Sensibilität im Trigeminus¬
gebiet normal.
VII. Parese des linken Mund-, Augen- und Stirnfacialis. Supra¬
orbitalreflex L > r.
VIII. Ohrbefund wie früher: alte ausgeheilte chronische Mittelohrentzündung.
IX. —XI. Gaumenreflexe erhalten, gute Innervation des Gaumensegels. Keine
Stimmbandlähmung, keine Geschmacksinnsstörung, Kopfbewegungen frei.
XII. Zungenbewegungen frei, keine Atrophie. Keine Nackensteifigkeit, keine
Empfindlichkeit des Schädels beim Beklopfen, kein Kopfschmerz, kein
Schwindel, kein Erbrechen.
Extremitäten: Beträchtliche Parese der linken oberen, geringe
der linken unteren Extremität ohne Bevorzugung bestimmter Muskelgebiete.
Patellar- und Achillessehnenreflex rechts deutlich, links stark ge¬
steigert mit Andeutung von Fussklonus.
Periost- und Sehnenreflexe an der rechten oberen Extremität schwer auslösbar,
links nicht zu prüfen wegen des Krampfes.
Fusssohlen-, Cremaster- und Bauchdeckenreflex beiderseits lebhaft.
Sensibilität für alle EmpfindungBqualitäten überall intact, ebenso der
Muskelsinn.
Keine Parästhesieen.
Gang paretisch, breitspurig mit Nachschleppen des linken Beines, nicht
atactisch.
Die linke obere Extremität zeigt einen deutlichen Schüttelkrampf,
welcher continuirlich während des ganzen wachen Zustandes des Pat. besteht,
während des Schlafes sistirt, beim Uebergang in den wachen Zustand noch vor
>yG00gI<
646
dem völligen Aufwachen des Patienten neuerdings einsetzt. Dieser Schölteikrampf
besteht aber gegenwärtig nicht mehr wie früher in rhythmisch und gleichförmig
ablaufenden Zuckungen, sondern sie lösen sich ab, bezw. verbinden sich miteinander
in mannigfaltiger Weise, Ab- und Adductionsbewegungen und Beugekrämpfe im
Ellbogen, Rotationsbewegungen des Vorderarms im Sinne von Pro- und Supination,
Beuge- und Streckkrämpfe der Finger, welch letztere jetzt oft etwas langsamere,
athetoseartige Bewegungen ausführen. Diese Krämpfe zeigen deutliche Steigerung
bei psychischer Beeinflussung des Pat. sowie bei intendirten Bewegungen. Nicht
constant, aber häufig einsetzend ist ein Krampf am linken M. tibialis an-
ticus, dessen Sehne und Muskelbauch dabei deutlich vorspringt und etwa
150 Zuckungen in der Minute ausführt. Der Fuss wird dabei dorsal flectirt und
supinirt, ohne Betheiligung der Zehen. Dagegen macht zu gleicher Zeit das in
minimaler Beugung des Kniegelenkes gehaltene Bein deutliche, mit dem Tibialis-
krampf synchrone Beuge- und Streckbewegungen im Kniegelenke, wobei
die Mm. semitendinosus und semimembranosus merklich vorspringen.
Vasomotorische und trophische Störungen: Von Seiten des Trige¬
minus und Sympathicus keine derartigen Störungen. Die Haut aller vier Extre¬
mitäten von gleicher Färbung, doch fühlen sich die linken Extremitäten
deutlich wärmer an.
Sphinkteren normal.
Pat. ist etwas apathisch, aber ohne Intelligenzdefect.
25./XLL Früh um 8 Uhr hörte plötzlich das Zittern im linken
Arm und Bein auf. Pat. liegt vollkommen ruhig da. Im übrigen Bilde keine
Veränderung.
9./I. Nach 5tägiger Ruhepause stellte sich der Krampf wieder ein, aber
jetzt anfallsweise auftretend. Manchmal fangen alle oben erwähnten Muskeln
scheinbar zu gleicher Zeit zu zittern an, andere Male aber beginnt das
Zittern in den Fingern und breitet sich in derselben Reihenfolge auf
die übrigen Muskeln aus, in der sie früher vom Zittern befallen
worden waren. Jetzt betheiligt sich an den Schfittelbewegungen
auch der Oberarm mit der Schulter; er wird gehoben und adducirt und es
lässt sich durch Palpation leicht feststellen, dass die Mm. pectoralis major,
supraspinatus und die Clavicularportion des Deltoideus sich rhythmisch
contrahiren.
28./I. Es besteht zeitweilig Incontinentia urinae et alvi.
1 ./II. In der Nacht heftiger Anfall von Schütteltremor der linken
oberen und unteren Extremität. Letztere im Knie- und Hüftgelenke gebeugt
Lippen trocken, kein Schaum vor dem Munde. Pat. schrie in einem fort laut
Keine Klage über Kopfschmerzen, richtige Antworten auf jede Frage. Auf die
Frage, weshalb er geschrieen habe, sagt er nur, er wisse es nicht.
Morgentemperatur 38,7.
Sensibilität überall, auch an den Conjunctiven, normal. Linker Abdu-
cens und linker motorischer Trigeminus zeigen keine Störung mehr
gegenüber rechts (auch der linke Facialis nicht mehr paretisch).
2. /IL Pat. war gegen 12 Uhr Nachts unruhig, seitdem schläft er ununter¬
brochen. Incontinentia urinae et alvi. Temp. 38,3, PuIb 72, Respiration 18.
3. /H. Temp. 38,5, Puls 72, Respiration 18. Er schläft grösstentheils, beim
Erwachen wieder Schütteltremor. Incontinenz.
4k.ßl. Pat fiebert fort. 3—4 flüssige Stühle. Sonst Status idem.
5./II. Die Messung der Temperatur in beiden Achselhöhlen nach¬
einander mit demselben Thermometer oder zu gleicher Zeit mit vorher auf ihre
Angaben ausgeprüften Thermometern ergiebt eine von nun an constante
Temperaturdifferenz zu Gunsten der linken Seite zwischen 0,1 und
> y G00gI<
647
2,1° schwankend. Einige Male zeigte die rechte Eörperhälfte höhere
Temperatur, doch scheint hier eine Verwechslung zwischen links und rechts
von Seiten des Wartepersonals vorzuliegen. Näheres zeigt die beigefügte
Temperaturtabelle (s. später).
10./II. Status idem. Kein Kopfschmerz. Schlafsucht. Vormittags starker,
eine Stunde währender Anfall, welcher in der linken oberen Extre¬
mität beginnend auf die linke untere, weiterhin auf die rechte
untere und die rechte obere Extremität überging. Facialis und
Hypoglossus frei. Die rechte untere Extremität fühlte sich sehr kalt an und
war stark marmorirt.
12. /II. Obstipatio, Sopor; Druckempfindlichkeit des linken Trigeminusastes.
Kopf nach links gedreht, starker Widerstand bei Bewegungen desselben. Schluck -
beschwerden. Incontinenz.
13. /II. Coma. Kopf und Wirbelsäule werden steif gehalten. Oberflächliche
und beschleunigte, bald mehr abdominale, bald mehr thoracale Athmung. Puls
leicht unterdrückbar, regelmässig, Frequenz nicht erhöht.
Die Percussion ergiebt links hinten eine drei Querfinger unter dem Angulus
scapulae beginnende Dämpfung. Verschieblichkeit der Grenzen hei der ober¬
flächlichen Athmung nicht nachweisbar. Links vorn Hockstand des Zwerchfells.
Singultns den ganzen Tag über andauernd. Trachealrasseln.
Lumbalpunction ergiebt eine klare, leicht, aber ohne besonderen Druck
abfliessende Flüssigkeit
24./IL Nach 24 Stunden zeigte sich im entleerten Liquor spinalis ein spinne¬
wehenartiges Gerinnsel. Tuberkelbacillen nicht nachweisbar. Kein
Singultus. Nackensteifigkeit, beginnender Decubitus am Kreuzbein.
15./IL Puls frequent, weich. Zitterbewegungen der linken oberen Extremität
nur mehr selten und von kurzer Dauer; anhaltendes Coma.
17./H. Pat erliegt um 5 Uhr Nachmittags einem heftigen Anfalle.
Klinische Diagnose: Tuberculum solitäre ad pedui^culum cerebri
sin.; Meningitis tuberculosa.
Anatomische Diagnose (Hofrath Weichselbaum): Solitärtuberkel
im rechten Vierhügelpaar, mit Compression des rechten Hirn-
schenkels und chronischem Hydrocephalus internus.
Tuberculöse Leptomeningitis basilaris.
Einzelne fibröse Tuberkel in der rechten Lungenspitze und Anwachsung der
rechten Lunge. Kleiner Herd in einer Bronchialdrüse, zahlreiche Lymphome
der Milz.
(Fortsetzung folgt.)
[Aus dem Laborator, der Anstalt Hersberge su Lichtenberg (Dir.: Geh. Rath Prof. Dr. Mokli).]
2. Ueber eine neue Methode
der Herstellung feinster histologischer Präparate, insbeson¬
dere aus dem Gebiete des Nervensystems mittels Schüttel-
bezw. Schnittcentrifugirung.
Vorläufige Mittheilung von Dr. med. F. Reich.
Die übliche Behandlung histologischer Präparate besteht entweder im Zer¬
zupfen kleiner Stücke des zu untersuchenden Objectes auf dem Objectträger,
Dia
y Google
648
oder in der Herstellung von Schnitten mit Hülfe des Mikrotoms und der weiteren
Färbung der einzelnen Schnitte. Der Vortheil der Zupfmethode besteht darin,
dass die einzelnen Bestandtheile in ihrer körperlichen Form gewonnen werden,
sie hat aber trotzdem nur eine sehr beschränkte Anwendbarkeit, weil die weitere
mikrochemische bezw. farbentechnische Untersuchung nach den bisherigen Methoden
nur schwierig und in geringem Umfange möglich ist. Bei der bisher üblichen
Untersuchung auf Schnitten machen sich dagegen folgende Uebelstände bemerkbar:
1. Es ist überaus schwierig feine zusammenhängende Schnitte von 5 —10 p
zu gewinnen ohne das Object vorher einzubetten. Feinste uneingebettete Schnitte
der meisten Gewebe zerfallen zu leicht, um weiteren Färbungen in der ge¬
wöhnlichen Art zugänglich zu sein.
2. Die Einbettung der Objecte hat ebenfalls zahlreiche Uebelstände. Die
Paraffineinbettung schädigt zweifellos die Gewebe, indem sie längere Einwirkung
von Xylol oder ähnlichen Mitteln bei höheren Temperaturen erforderlich macht
Sie stellt ganz besonders hohe Anforderungen an die technische Fertigkeit
Die Celloidineinbettung lässt feinste Schnitte nicht oder doch nur überaus
schwer gewinnen. Ausserdem stört die Einbettung das Färbungsresultat oft
sehr erheblich, wegen der Mitfarbung des Einbettungsmittels. Endlich and
sämmtliche Einbettungmethoden sehr zeitraubend.
Die von mir angewendete Methode ist im Stande diesen Schwierigkeiten in
vieler Hinsicht abzuhelfen. Das Verfahren ist zweierlei Art je nachdem man
in Analogie zu den Zupfpräparaten oder zu den Schnittpräparaten vorgeht. Ich
möchte die erstere Art als Schüttelcentrifugirung, die letztere Art als Schnitt-
centrifugirung bezeichnen. Bei der ersteren Art werden beliebig — am besten
natürlich mit Macerationsmitteln vorbehandelte, vorher groh zerkleinerte Objecte
durch gründliches Schütteln in einem Probirröhrchen zum Zerfall gebracht
Etwa noch übrig bleibende gröbere Stücke werden durch Absieben entfernt
Dieselben bestehen nach gründlichem Schütteln, wenigstens wo es sich um
Präparate aus dem Nervensystem handelt, aus fast völlig isolirten Gelassen und
Gefassverzweigungen. Die durch das Sieb hindurchgegangenen Nervenfasern
und deren Bruchstücke, Ganglien-, Neurogliazellen, Blutkörperchen etc. entr
haltende milchige Flüssigkeit wird dann dem weiteren Verfahren in der Centn-
fuge unterworfen. 1
Bei dem Schnittverfahren wird das in Frage kommende Object nach vorher¬
gegangener beliebiger Härtung in eine grosse Zahl feinster Schnitte zerlegt
Die einzelnen Schnitte sammeln sich in Form eines Häufchens auf der Messer¬
schneide an, werden mit Hülfe einer Nadel oder eines sonst geeigneten Instru¬
mentes in einem mit Wasser oder einem anderen gewählten Medium gefüllten
Centrifugirglas suspendirt Je nach der Art des zu untersuchenden Materiales
sind die Schnitte natürlich mehr oder weniger weitgehend zerfallen.
1 Ausser durch Ausschütteln kann eine IsoliruDg der Gewebsbestandteile natürlich auch
in anderer Art, etwa durch Auspinseln, Zerreiben, Abschaben u. s. w. je nach der Besonder
beit des einzelnen Falles erfolgen.
b y Google
649
Die weitere Behandlung der so hergestellten Schüttei- oder Schnittpräparate
erfolgt dann mit Hülfe der Centrifuge. Man centrifugirt die suspendirten Theile
heraus, giesst die Flüssigkeit von dem Bodensatz ab und ersetzt sie durch
irgend ein flüssiges Reagens oder einen Farbstoff. Die Wahl des Farbstoffes
ist natürlich ganz dem Belieben anheimgestellt. Man ist in der Lage den
Farbstoff heiss oder kalt zu wählen, kann auf Wunsch den Bodensatz im
Brutofen behandeln, der Verdauung oder ähnlichen Proceduren aussetzen u. s. w.
Sowie jede beliebige Färbung ist auch jede beliebige Differenzirung möglich.
Der Grad der differenzirenden Einwirkung lässt sioh genau so wie sonst am
einzelnen Schnitt an der Farbveränderung des Bodensatzes beobachten. Die Farb-
und Differenzirungsflüssigkeiten werden zur Vermeidung von Verunreinigungen
vorher auscentrifugirt Naohdem die Präparate gefärbt und differenzirt sind,
werden die Färbungs- bezw. Differenzirungsmedien, falls erforderlich, durch wieder¬
holte Behandlung mit Wasser ausgewaschen, und es wird nunmehr zur Ein¬
bettung in Balsam vorgegangen. Das geschieht so, dass man das Wasser, in
dem die Teilchen zuletzt suspendirt sind, durch Alkohol, dann Alkohol durch
Xylol, das Xylol durch ein wenig Balsam ersetzt Man hat nunmehr nur noch
nöthig, durch Schütteln die einzelnen feinsten Objecte im Balsam zu verteilen
und dann eine beliebige Anzahl von Objectträgern damit zu beschicken. Da
das Centrifugiren nur eine sehr kurze Zeit dauert, ist man so im Stande eine
sehr grosse Anzahl von Präparaten, im wahren Sinne des Wortes, im Hand¬
umdrehen herzustellen. Die Methode kann auch in der Weise modificirt werden,
dass der Bodensatz aus Wasser, Alkohol oder Xylol vor oder nach der Färbung
auf den Objectträger gebracht, an denselben angetrocknet und nunmehr in
diesem Zustande weiter bearbeitet wird. Ausser der Einbettung in Balsam ist
auch jede andere beliebige Einbettung möglich.
Ich habe die Methode bisher hauptsächlich für die Bearbeitung des Nerven¬
systems angewendet, und es ist mir beispielsweise damit gelungen, feinste Quer¬
schnitte des Nerven von 5 n Dicke und darunter uneingebettet und beliebig
gefärbt herzustellen, und behalte ich mir vor die so gewonnenen Resultate später
ausführlicher darzustellen.
Ich bemerke noch, dass die Methode sich natürlich nur zu feinen histolo¬
gischen Zwecken, für die sie erdacht ist, eignet, für topographische Unter¬
suchungen, die Uebereicht8bilder erforderlich machen, ist sie selbstverständlich
nicht zu verwerten.
3. Ueber hysterische Blindheit.
Von Dr. H. Krön.
(Schlau.)
Ich möchte unsere Fälle zunächst eintheilen in solche, die nur einmal,
und in solche, die wiederholt aufgetreten sind. Die ersteren mögen zur
besseren Uebersicht in drei Rubriken untergebracht werden:
Digi
650
1. transitorische Form (bis za einigen Tagen Dauer),
2. kurzdauernde Form (2—6 Wochen),
3. langdauernde Form (4 Monate bis zu 10 Jahren).
Die wiederholten Anfälle lassen sioh noch scheiden in (regelmässig
und unregelmässig) intermittirende und reoidivirende. Bei letzteren ist
das Intervall ein viel längeres, so dass die einzelnen Anfälle keine Gruppe bilden.
Fügen wir unsere Fälle in dieses Schema ein, so erhalten wir folgende
Zusammenstellung:
I. Der einmalige Anfall, a) der transitorische: 11 Fälle.
1. Hocken („kurze Zeit“), 7. Mablow (,,kurze Zeit“),
2. Tybbell (48 Stunden), 8. FoüGEBAY-FoucHABD(36Stun-
3. Howbhip (einen Tag), den bis 2 Tage),
4. Monnbbbt (wenige Tage) 9. Adamüok (53 Stunden),
5. Galezowski - Dagonbt (einige 10. Derselbe (eine Nacht),
Tage), 11. Wilbhandt - Sängeb (einige
6. Ffiafi (12 Stunden), Tage),
b) Der kurzdauernde Anfall: 11 Fälle.
1. Tblinge (3 Wochen), 6. Dujabdin-Beaumetz u.Abadie
2. Mauthnbb (3 Wochen), (6 Wochen),
3. Sboondi (2 Wochen), 7. Sghwbigoeb (3 Wochen),
4. Hablan, 1873, Fall HI (vier 8. Baas (3 Wochen),
Wochen), 9. Moobe, Fall I (3 Wochen),
5. Landesbebg (2 Wochen), 10. Derselbe, Fall III (18 Tage),
11. Wecjkbb (5 Wochen).
o) Der langdauernde Anfall: 10 Fälle.
1. Landoüzt, Fall I (4 Monate), 7. Hablan, 1890, Fall I (18 Mo-
2. Derselbe, Fall H (16 1 /, Monat), nate),
3. Mendel (8 Monate), 8. Derselbe, Fall H (10 Jahre).
4. Habtwicke (4 Monate), 9. Wolffbebg (5 Jahre),
5. Magnus (4 Monate), 10. Unser Fall I (über 8 Jahre).
6. Moobe, Fall II (18 Monate u.
eine Woche),
H. Der wiederholte AnfalL a) Die intermittirende Form:
a) regelmässig: 2 Fälle. 1. Testelin, 2. Königstein.
ß) unregelmässig: 2 Fälle. 1. Lewy, 2. Emmebt.
b) Die recidivirende Form: 9 Fälle.
I. Watson, 2. Müllbb, 3. de Witt, 4. Hebteb, 5. Manz,
6. Mas, 7. Hablan 1884, 8. Cbameb, 9. unser zweiter Fall
Nichts erwähnt ist hinsichtlich Form und Dauer in 4 Fällen:
1. Hablan 1873, Fall I, 2. Abebnbthy, 3. Lebkb, 4. Mokli.
Wir haben nun noch einen Blick auf den Verlauf der wiederholten Anfälle
zu werfen. Im Falle Testelin stellte sich täglich gegen 11 und 4 Uhr
Digi
y Google
651
für die Dauer 1 j 4 — l j % Stunde eine Erblindung des linken Auges ein. König-
stein’s Kranke hatte alle Tage um 6 Uhr ihre rechtsseitige Erblindung, die
nach Mitternacht plötzlich verschwand, als wenn ein schwarzes Tuch fort*
genommen wurde. Der Zustand dauerte 4 Wochen, kehrte aber nach 2 Jahren
für einige Wochen in gleicher Weise zurück. Bei der Beobachtung Lewy’s
dauerte der erste Anfall 8 Tage, dann folgten häufige Attaquen mit stunden-
oder tagelangen Intervallen. Emmebt erwähnt, dass in seinem Falle zunächst
8 Monate hindurch Anfalle mit unregelmässigen Zwischenräumen 6—7 Mal zu
verschiedenen Tageszeiten mit einer Dauer von immer nur einigen Tagen auf¬
getreten sind. Dann kam einige Monate und zuletzt l / 2 Jahr danach noch je
ein Anfall In Watson’s Fall hielt der erste Anfall wenige Wochen an, nachher
trat noch einmal Verlust und Wiedergewinn des Sehvermögens auf. (Nähere
Zeitbestimmungen fehlen.) Mülles beriohtet über eine 5— 6 monatliche Dauer
des ersten Anfalles, dem nach kurzer Pause 14 Tage lang das Becidiv folgte.
Bei de Witt lagen 3 Wochen zwischen dem ersten und zweiten Anfall. Der
letztere hielt 6 Tage an, die Dauer des ersteren müsste naoh dem Bericht des
Kranken 12 Jahre betragen haben. (?) Hebtrb’s Fall zeigte 4 Wochen Blind¬
heit, die sich nach einem 8 tägigen Intervall dann noch einmal 8 Tage lang
zeigte. Bei Mas dauerte der eiste Anfall 6, der zweite 38 Tage, das Intervall
2 Monate. Harlan (1884) fand wiederholte Wiederkehr der Erblindung im
Laufe eines halben Jahres. Cbameb heilte beide Anfälle, die durch 3 Wochen
getrennt waren, schnell. Die Dauer des ersten ist nicht bestimmt. In unserem
zweiten Falle sind Anfalle von 3 Tagen bis 3 Monaten und zuletzt 5 Jahren
aufgetreten. Wir sehen also zunächst, dass der einmalige Anfall den
wiederholten an Zahl erheblich überwiegt (32 gegen 13 Fälle). Immer¬
hin hat der letztere noch eine genügende Anzahl Vertreter. Die intermit-
tirende Form ist ungemein selten (4 Fälle), etwas häufiger die
recidivirende (9 Fälle). In einigen Fällen sehen wir eine Combination der
genannten Formen, so bei Königstein die der intermittirenden und recidi-
virenden, auch bei Emmebt.
Es ist nun zu untersuchen, wie sich die verschiedenen Formen hin¬
sichtlich des Geschlechts, des doppel- oder einseitigen Auftretens
verhalten. Folgendes Sohema soll die Uebersicht erleichtern.
Tabelle I. 1
A. Der einmalige Anfall.
der transitorische
der kurzdauernde
der langdauernde
m.
w.
m.
w.
m.
w.
doppelseitig . . .
3
6
5
1
4
einseitig ....
2
3
3
2
3
in Summa
3
8
3
8
3
7
1 Es möge beachtet bleiben, dass die Form bei drei einseitigen Fällen und einem doppel¬
seitigen nicht festzustellen war, dass wir es also hier nur mit 25 doppelseitigen und 20 ein¬
seitigen Fällen zu thun haben.
t
Google
652
B.
Der wiederholte Anfall.
die regelmässig inter¬
mittirende Form
die unregelmässig
intermittirende Form
1 die recidivirende
Form
! m.
j w.
m.
w.
'! m.
w.
doppelseitig . . .
—
-
—
2
; ! —
4
einseitig . . . .
! —
2
—
—
1 1
4
in Summa j
—
2
—
2
! i 1
8
Wir können hieraus folgendes entnehmen:
1. Geschlecht. Beim einmaligen transitorischen kurzdauernden Anfall,
also bei der leichteren Art des Auftretens, ist das Verhältniss der männlichen
zu den weiblichen Kranken 3:8. Bei den schwereren Formen treten die ersteren
weiter zurück. Finden wir beim langdauernden, einmaligen Anfall noch zwei
gegenüber acht weiblichen Blinden, so erscheint in allen Arten des wiederholten
Anfalls (13 Fälle) nur ein Mann.
2. Beziehung der Doppel- und Einseitigkeit zur Form. Wir haben
neun doppelseitige, zwei einseitige Fälle bei der transitorischen Form, fünf
doppelseitige, sechs einseitige beim kurzdauernden, fünf doppelseitige, fünf ein¬
seitige beim langdauernden Anfall. Die intermittirende Form weist je zwei
Fälle auf, während die recidivirende durch vier doppel- und einseitige ver¬
treten ist.
Fassen wir zunächst die einmaligen Anfälle ins Auge, so ist die doppel¬
seitige Amaurose zwar überwiegend von kurzer Dauer, aber doch nur in kaum
der Hälfte der Fälle wirklich transitorisch. Es stehen neun dieser Art fünf
kurz- und fünf langdauernden gegenüber.
Von den einseitigen Amaurosen kommen nur zwei auf die Rubrik des
transitorischen Anfalls. Diese kleine Zahl mag ihren Grund darin haben, dass
schnell vorübergehende, einseitige Blindheit wohl am seltensten zur ärztlichen
Kenntniss gelangt. Sechs unserer weiteren Fälle sind dann von kurzer, fünf
von langer Dauer.
Unter den 13 Amaurosen mit wiederholtem Auftreten finden wir acht ein¬
seitige und drei doppelseitige mit Anfällen von kurzer, zwei doppelseitige mit
solchen von längerer Dauer. Bei dieser Form handelt es sich also meist um
kurze, aber auch nur zum Theil transitorische Anfälle, wenn sich auch der
Gesammtzustand sehr in die Länge ziehen kann.
Im Allgemeinen wird also die Anschauung derjenigen Autoren,
die die Dauer der hysterischen Blindheit nur auf einige Stunden
oder Tage bemessen, durch unsere Erhebungen nicht gestützt Die
32 einmaligen Anlalle weisen nur 11 auf, die sich auf diese Zeit beschränken.
Von 2 bis zu 6 Wochen erstrecken sich dann noch 11, während 10
4 Monate bis zu 10 Jahren in Anspruch nehmen.
Weiter soll uns die Frage beschäftigen, in welchem Alter das Symptom
aufgetreten ist. Tab. II möge einen Ueberblick darüber geben.
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»Googli
653
Tabelle IL
Alter . . . |
10—20 Jahre
1 21— 80 Jahre
1
! 31—40 Jahre
| 41—50 Jahre
über 50 Jahre
männlich . .
3
j 3
1
2
1
weiblich . . ,
17
12 !
5
|
—
in Summa 1
20
15
6
2
1
In 5 Fällen ist kein genaues Alter angeführt. (Hocken: „mittleres Alter“;
Abebnetty: „jung“, Manz: Junge Dame“, Watson und FäbE erwähnen
garnichts.) Danach bleiben 44 Fälle. Von diesen ist der jüngste 10 Jahre
(weiblich, einseitig), der älteste 54 Jahre (männlich, einseitig). Am häufigsten
ist das zweite Decennium, demnächst das dritte betroffen (20 bezw. 15 Fälle).
Nach dem 30. Jahre zeigt sich eine schnelle Abnahme (6 Fälle bis zum
40. Jahre), nach dem 40. Jahre ist die hysterische Amaurose eine grösste Selten¬
heit Wir haben nur 2 Fälle, über 50 Jahre nur einen Fall gefunden. Dies
entspricht im Allgemeinen den von Bbiqüet und Landouzy 1 gegebenen Zahlen
des Auftretens der Hysterie überhaupt: 78°/ 0 zwischen 10 und 30 Jahren,
10°/ o zwischen 30 und 40 Jahren, 3% zwischen 40 und 50 Jahren, 1%
zwischen 50 und 60 Jahren. In unserem Material entsprechen diesen Zahlen
68%, 10,4%, 2,4%.
Was die Art des Auftretens betrifft, so stimmen die meisten Autoren
darin überein, dass die hysterische Amaurose in der Regel plötzlich erscheint
und zwar meist im Anschluss an eine voraufgegangene hysterische Attaque.
Nach Goweb8 2 , der auch das plötzliche Auftreten betont, folgt sie nur zuweilen
einem hysterischen Krampfanfall. Bbiqüet erwähnt noch ausserdem heftige
Gemüthsbewegungen und manohmal auch Verschwinden irgend eines unwich¬
tigen hysterischen Symptoms. In einigen Fällen sei das Erscheinen der Blind¬
heit brüske und ohne irgend welche Vorboten gewesen. Gilles de la Toubette
hebt ebenfalls hervor, dass die doppelseitige wie einseitige Amaurose auch
spontan entstehen kann, ohne dass ein convulsivischer Anfall voraufgegangen sei.
Löwenfeld 3 bemerkt das plötzliche Auftreten nach Trauma. Ausser dieser Art
des Entstehens kommt nach Wilbband-Sängeb 4 die hysterische Amaurose auch
dadurch zu Stande, dass sie sich allmählich aus einer zunehmenden coucentrisohen
Gesichtsfeldeinengung entwickelt.
Der Ansicht Hocken’s, dass die „complete Anästhesie“ der Retina von
Kopfschmerz eingeleitet wird, schliesst sich Landouzy 6 an. Die hysterische
Blindheit scheine sich überhaupt in den Fällen zu zeigen, in denen die
Cephalalgie und die encephalischen Erscheinungen überwiegen.
1 Citirt bei Gowsbs. HI. S. 852.
• A. ». O. S. 368.
• A. ft. O. S. 404.
4 A. ft. O. S. 88.
• A. ft. O. S. 119.
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654
Für diese Anschauung, dass dem Anfalle Kopfschmerz voraufgeht, findet
sich in unserer Zusammenstellung eine Reihe von Beispielen, so bei Landoüzy
selbst, bei Testelin (leichtes Frösteln und Kopfschmerz), im Falle Dujabdik-
Beaumetz und Abadie (Abend vorher dumpfer Kopfschmerz), bei Königstein
(ziehender Supraorbitalschmerz), bei Tyrrell (hier trat der Anfall allerdings
erst nach einer Blutentziehung auf), bei Monneret (Schmerz im Scheitel, auch
im Hypogastrium und Magen), bei Howship (heftiger Kopf- und Glieder¬
schmerz), bei Mauthneb (Stiche in der Schläfe, Sausen im Kopf), bei Mendel
(heftige Schmerzen im Hinterkopf, grosse Unruhe, Angst, Delirien), endlich bei
Manz (bedeutender Kopfsohmerz). Die Behauptung Hocken’s, dass gewöhnlich
gastrische Störungen Vorläufer bilden, wird von Landoüzy zurückgewiesen und
findet auch sonst keine Bestätigung. Wir haben diese Angabe nur bei
Magnus.
Ueberblicken wir unsere 49 Fälle, so haben wir für die allmähliche
Entwickelung der Blindheit nur zwei Beispiele: Den Fall Scitweiggeb
und Harlan 1884. Im ersterem hatte die 14jährige Patientin, die wegen
asthenopischer Beschwerden eine Convexbrille erhalten hatte, einige Zeit daranf
geklagt, dass sich das Sehvermögen seit 8 Tagen rasch verschlechtert habe. Im
zweiten Falle ist nur von zunehmender Schwäche des Auges die Rede. Die
anderen scheinen sämmtlich plötzlich aufgetreten zu sein.
Verhältnissmässig wenig finden wir voraufgegangene hysterische
Attaquen bezw. Krampfanfälle erwähnt. Hierher gehört der Fall Mülleb
(wobei noch die Möglichkeit einer Complication besteht, es wurden wegen hyste¬
rischer Convulsionen kalte Begiessungen des Kopfes gemacht, nach der zweiten
trat plötzlich die Blindheit auf), dann die Beobachtungen von Mas (beide An¬
fälle im Anschluss an hysterische Krämpfe), weiter Fall 1 und 2 Landouzy’s,
endlich die Fälle Telingb und Watson, d. h. nur 5—6.
Für Gemüthsbewegungen als unmittelbare Ursache der Blind¬
heit liegen auch verhältnissmässig wenig Fälle vor: Hocken (leichte Erregung
bei Gravidität), Mendel (Aufregungen), Galezowsky-Dagonet (Schreck), Lew*
(heftige Aufregungen), unser zweiter Fall, dann vielleicht noch Abernethy und
Moore (Fall 3). Im ersteren Falle hat die psychische Erregung (Schreck durch
Umfallen eines Wagens) 5 Tage, im letzteren gar einen Monat vorher statt¬
gefunden. Es sind also höchstens 5 — 7 Fälle.
Trauma gab 8 Mal Veranlassung: Harlan 1890 Fall 2 (Steinwurf
ins Auge), FEbE (Compression des N. supraorbitalis, um einen hysteroepilep-
tischen Anfall zu coupiren), Baas (ganz geringfügige Verletzung des linken
oberen Augenlides. Der 54jährige Mann wollte seinen, einen Abhang herab¬
fahrenden Wagen hemmen und streifte dabei in der Hast eine Zinke der Heu¬
gabel, trug dann 4 Tage das Auge verbunden), Moeli (Verletzung durch Fall).
Weitere Beispiele geben Landoüzy (Fall von einer Leiter, dadurch zunächst
Gemüthsbewegung), Wilbband und Sänger (eine gesprungene Nähmaschinen¬
nadel gegen das Auge geschleudert), Cbamer (geringe Verletzung der Cornea
durch einen Strohhalm), unser erster FalL
Digi
655
Die traumatischen Veranlassungen brauchen also auch bei der hysterischen
Amaurose nur geringfügig zu sein.
Wir schliessen hieran die Entstehung der Anfälle nach gewissen
schmerzhaften Vorkommnissen oder Eingriffen. Bei Wecker trat der
Zustand nach heftigem Zahnschmerz auf. Im dritten Falle Harlan’s (1873)
war eine Zahnextraction in Narkose voraufgegangen, de Witt bezieht den An¬
fall seines Kranken auf Plombiren der Zähne. Dem Recidiv ging Schmerz¬
haftigkeit des Zahnfleisches voraus). Tyrrell hatte vorher eine ßlutentziehung
am Kopfe gemacht
Wie gering die Veranlassung sein kann, beweist der Fall Hbbteb, in dem
die Blindheit bei der hysterisch veranlagten Patientin nach Aufrichten aus ge¬
bückter Stellung eintrat Wahrscheinlich directe psychische Infection liegt dem
ersten Falle Harlan’s 1890 zu Grunde: Die Mutter des rechtsseitig amau¬
rotischen Patienten war auf dem rechten Auge blind. Durch eine rein psychische
Vermittelung ist ferner der zweite Fall Moobb’s zu erklären. Der 22 jährige
Patient hatte eine Atropineinträufelung erhalten und glaubte, dadurch blind
geworden zu sein. Auch der Fall Marlow, in dem das Gefühl voranging, als
ob etwas ins Auge gekommen sei, gehört hierher.
Während nun bei Moore Fall 1 nervöse Erscheinungen, bei Landesberg
ein 5 bis 6 Tage vorhergegangener Partus, bei Fougeray-Fouohard Migräne¬
anfälle, bei Monnebet ein Puerperium, bei Magnus Verdauungsbeschwerden
mit der hysterischen Amaurose in Verbindung gebracht werden, sind die Fälle
Emmebt (am Morgen blind aufgewacht), AdamOk (Blindheit, plötzlich bei einer
Unterhaltung am Theetisch entstanden), Dujardin-Beaumetz und Abadie (blind
erwacht), Harlan 1873, Fall 1 (das Kind schien vorher gesund gewesen zu
sein, hatte die Blindheit plötzlich bemerkt), ohne jedes nachgewiesene causale
Moment und, von dem Fall Dujardin-Beaumetz abgesehen, auch ohne irgend
einen Vorboten aufgetreten.
Die Frage nach dem Anschlüsse der Blindheit an einen hysterischen An¬
fall leitet uns zu der Untersuchung darüber, ob stets oder doch vorwiegend
noch andere hysterische Symptome vorhanden sein müssen. Wir haben schon
bemerkt, dass Hocken und Landouzy auf das Bestehen von Cephalalgie und
sonstige encephalische Störungen Werth legen. Die weiteren Forderungen
Hocken’s, spastische Contractur der Augenmuskeln, Photophobie, Epiphora,
gastrische Störungen, manchmal „Subdelirium“, werden von Landouzy ab¬
gelehnt Während sich dann Briquet 1 mit der Bemerkung begnügt, dass
gewöhnlich die Conjunctiva des amaurotischen Auges unempfindlich ist, stellt
Pichon* eine Reihe von Sätzen auf. Die visuelle Anästhesie soll danach u. A.
nie ohne allgemeine Anästhesie der einen oder der anderen Form bestehen, sehr
seltene Fälle ausgenommen.
Das Fehlen von sonstigen Sensibilitätsstörungen betont Harlan in seinem
zweiten Fall (1890) ganz besonders. Auch Gowees ist der Ansicht, dass das
1 A. a. O. 8. 294.
* G Piohon, Des troablea de la rision che« les hyatäriquee. L’Enoäphale. 1888. 8.188.
Digi
656
Symptom ganz allein bestehen kann. In unseren 49 Fällen ist 16 Mal nichts
von sonstigen hysterischen Erscheinungen erwähnt [Abebnethy 1 , Weckkb,
de Witt, Harlan (3 Fälle), Landesbeeg 1 , Moobe (2 Fälle), Baas, Gale-
zowßKY, Mablow, Adamük (2 Fälle), Cbameb, Lbbeb]. In 4 Fällen wird
auf das Fehlen derselben direct hingewiesen [Emmebt, Schweiggbb, Magnus,
Hablan (1890, Fall 1)]. In den übrigen 29 Fällen sind sie mehr oder weniger
vertreten. Die heftigsten hysterischen Erscheinungen zeigen in der Regel die
doppelseitigen Fälle.
Es befinden sich 17 darunter.
Jedenfalls hat man mit der Amaurose als monosymptomatische
Erscheinung zu rechnen. Für die Angabe Piohon’s, die Sehstorung bestehe
auf derselben Seite, wo die allgemeine Sensibilität verändert ist, treten die Fälle
Hebtbb und unser erster ein. In den übrigen einseitigen Fällen mit ander¬
weitigen hysterischen Symptomen ist nichts von sensiblen Störungen erwähnt
Von den seltenen Beobachtungen, die Piohon anführt, gekreuzte Sehstörung
und Hemianästhesie, bietet unser Material kein Beispiel.
Wir haben nunmehr dem Verhalten der Augenmuskeln unsere Auf¬
merksamkeit zu widmen.
Die Betheiligung der Pupillen an der Hysterie ist erwiesen. Strittig ist
nur, ob es sich um Lähmung oder Krampf der Binnenmuskeln handelt. Man
wird Schwarz * gewiss beistimmen, wenn er die Mydriasis nur dann als Läb-
muDgssymptom auffasst, sobald (wie z. B. in Cbameb’s Fall), Einträuflung von
Pilocarpin oder Eserin eine gute Verengerung der Pupille hervorruft. Wo dies
nicht der Fall sei, müsse, sofern eine Täuschung durch Atropingebrauch aus¬
geschlossen ist, eine spastische Mydriasis angenommen werden. Auoh ohne diese
Probe wird man indessen den Fall, welchen Hablan 3 1884 der ophthalm.
Society vorgestellt hat, als Spasmus ansprechen. Hier gehörten die extrem
weiten und starren Pupillen zu den Symptomen, die auf die Application einer
hölzernen Magnetimitation prompt wichen. Für die spastische Natur tritt auch
Gilles de la Toubette bezüglich der Fälle von Gibaud-Teulon und Duboys 4
ein. Häufiger wird die Miosis als Spasmus gedeutet (Galezowky u. A).
Oppenheim 6 stellt nach seinen Erfahrungen das Vorkommen einer Lähmung
der Binnenmuskeln des Auges bei Hysterie unbedingt in Abrede. Der Spasmus
der Antagonisten könne die Lähmung Vortäuschen. Was nun unser specielles
Thema angeht, so trifft man bald Angaben, wie bei Bbiqüet®, dass die Pupille
bei der hysterischen Amaurose dilatirt und unbeweglich bleibt, bald wie bei
Gowebs 7 die Betonung der normalen Pupillenreaction. Nach Oppenheim ist
1 Diese beiden Fälle habe ich nicht im Original gelesen; möglich, dass sich noch Be¬
merkungen darüber finden.
* A. a. 0. S. 84.
* Medical News. 1890. S. 38.
4 Mydriase. Dictionnaire encyol. des Sciences mdd.
• A. a. O. S. 751.
• A. a. 0. S. 294.
T A. a. 0. S. 863.
[
Google
657
die Papillarlichtreaction dabei erhalten, sie kann aber herabgesetzt oder vorüber¬
gehend duroh Krampf des Sphincter Papillae selbst aufgehoben sein. Knies 1
findet die Pupillarreaction bei leichteren Graden der Herabsetzung der Seh¬
schärfe nicht wesentlich gestört, bei völliger Blindheit fehle die Reaction meistens,
könne aber auch noch, wenn auch in verminderter Intensität erhalten sein.
In unseren Fällen ist 29 Mal die Pupillenbesohaffenheit erwähnt 15 Mal ist
sie als normal bezeichnet, 14 Mal ist sie
8 Mal Starre erwähnt Es sind folgende
1. Müller, ganz starr, auch für j
hellstes Licht;
2. Wecker, reagiren nicht auf Licht-
e infall,
3. Mendel, Anfangs reagirend, dann j
starr und eng, in einem anderen
Stadium weiter und vollständig |
reaction8los, dann wieder normal ;
reagirend, zuletzt weit und rea- j
girend,
4. Düjardin-Beaümetz und Abadie,
mittel weit, reactionslos auf Licht,
5. Mauthnbr, maximal erweitert
pathologisch. Unter diesen Fällen ist
und starr mit einer kurzen Unter¬
brechung, wo sie trotz der Er¬
blindung prompt reagirten. Die
Dilatation überdauerte die Wieder¬
kehr des Sehvermögens noch eine
Zeit lang,
6. Adamük, starke Miosis, Starre,
7. Cramer, ad maximum ausgedehnt,
ganz starr auch bei Accommodation,
8. Moeli, Aufhebung der Licht-
reaction bei erhaltener Convergenz-
verengerung.
4 Mal fanden wir schwache Reaction auf Licht verzeichnet:
1. Landoüzy, linke Pupille reagirt
kaum merklich auf Lichteinfall,
rechte normal,
2. Harlan (1884), rechte Pupille
dilatirt, unvollkommen auf Licht
reagirend,
3. Lbwy, Pupillen ziemlich erweitert,
schwache Reaction auf Licht,
4. Manz, Pupillen zeitweise ziemlich
eng (Accommodationskrampf) mit
sehr träger Reaction auf Licht —
Consensuelle Reaction erwähnt Baas: Die linke Pupille reagirt ziemlich
lebhaft, aber nur, wenn die gesunde von Licht und Schatten getroffen wird.
In unserem zweiten Falle besteht Enge der Pupillen durch Accommodations¬
krampf.
Betrachten wir alle diese, die schwerste hysterische Augenaffection dar¬
stellenden Fälle, so finden wir nirgends eine Lähmung der Binneumuskeln fest¬
gestellt, ebenso wenig eine rein reflectorische Starre bei erhaltener Accommodation.
Moeli nimmt selbst eine Complication. an.*
Auch bezüglich der äusseren Augenmusculatur besteht noch keine
einheitliche Ansicht. Während eine Reihe der Autoren das Vorkommen von
Contractur wie von Lähmung annimmt, stellt letztere ein anderer Theil in Ab¬
rede oder lässt sie doch nur skeptisch zu.
1 Neurolog. Centralbl. 1898. S. 570.
* ln den anderen Fällen von Lichtstarre oder abgeschwächter Reaction findet sich ausser
bei Cbambb and Mauz keine Bemerkung Aber die Accommodation.
42
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658
In unserem Material wird im Ganzen 9 Mal von den äusseren Augen¬
muskeln gesprochen. In 3 Fällen (Hablan 1873, Fall 2, Dujabdin-Beaumetz
und Abadie, sowie in unserer ersten Beobachtung) sind sie normal. In den
6 übrigen ist folgendes erwähnt:
1. Lewy, Bulbi nach links oben ge- 1 unteren Recti, mit der Pincette
richtet, Lagophthalmus in Folge zu überwinden,
von Krampf des Levator palpebrae I 4. Emmebt, Nystagmus oecill. oculi
8uperioris, ! utriusque und Strabismus conver-
2. Wolffbebg, Strabismus conver- ! gens concomitans,
gens alternans, Nystagmus, Ptosis, | 5. Manz, rasch aufgetretener, starker
die Lider hängen bis zur halben Strabismus convergens dexter, bald
Pupille herab, auch sinister, Spasmus rect. int,
3. Mülleb, beide Augen nach unten 6 . unsere zweite Beobachtung: doppel¬
gezogen, in Folge von Krampf der j seitiger Spasmus rect. int.
Lähmungen bestehen also in den wenigen Fällen, in denen
Pathologisches an den äusseren Augenmuskeln vorliegt, nicht, mit
Ausnahme der Ptosis in unserem zweiten Falle und in dem Wolffbebg’s. Eber
kommt Hocken’8 Forderung einer spastischen Contractur zur Geltung, ohne
aber, wie schon Landouzy betont hat, eine allgemeine Gültigkeit zu besitzen.
Die psychische Grundlage der hysterischen Blindheit schliesst eine Be¬
theiligung des Augenhintergrundes aus. Lebeb’s 1 Befund einer weib¬
lichen Verfärbung der Papille ist denn auch von Knies* u. A. bezüglich seines
Zusammenhanges mit der Hysterie angezweifelt worden. Die bekannte, einen
Fall von hysterischer Achromatopsie mit Hemianopsie betreffende Mittheilung
Chaboot’s 3 beweist aber doch, dass auf indirectem Wege Alteratiouen de
Augenhintergrundes Vorkommen können, die hier von Galezowsky auf vaso¬
motorische Einflüsse (theils spasmodische Contractur, theils partielle Dilatation
der Gefässe) zurückgeführt worden sind.
In unserer Zusammenstellung findet sich nur ein einziges Beispiel von Ver¬
änderung des Augenhintergrundes, der Fall Schweiggeb’s, der mit einer doppel¬
seitigen, mässigen Neuroretinitis einhergegangen ist Die Möglichkeit einer Com-
plication ist hier durch den Umstand, dass diese Erscheinung, wenn auch
geringer, nach der Wiederkehr des Sehvermögens fortbestand, doch wohl nahe
gerückt.
Der Verlauf der hysterischen Amaurose ist in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle gutartig, der Ausgang in Heilung die Regel. 38 unserer
49 Fälle sind wieder hergestellt worden. In den übrigen 11 ist entweder kein
endgültiges Resultat verzeichnet (Abebnethy, Hablan 1890, Fall 2, Levt,
Moeli) oder es handelt sich um nicht völlige Heilung (Manz, Wolffbebg),
1 Lkbbb, Ueber peripheriscne Sehnervenaffection bei Hysterischen. Deutsche oei
WochenBchr. 1892. S. 741.
* Knies, Neurolog. Centralbl. 1893. S. 573.
3 Charcot, Klinische Vorträge, übersetzt von Fbtzeb. 1874. S. 866.
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659
oder aber dieselbe ist ganz ausgeblieben (Harlan 1873, Fall 1, Monneret,
Landoüzy, Fall 2, Baas, unsere zwei Beobachtungen). Die Prognose ist
demnach als günstig zu bezeichnen. Wie auch sonst bei hysterischen Sym¬
ptomen, kann man auch nach jahrelanger Dauer noch auf Heilung rechnen. —
Die Wiederkehr des Sehvermögens ist meist plötzlich erfolgt. Nur
in einigen Fällen hat die Störung allmählich nachgelassen. Zwei davon (Gale-
zowky-Dagonet, Foügeray-Fouohard) zeigten die merkwürdige Erscheinung,
dass erst noch einige Tage homonyme Hemianopsie bestand, ehe die Heilung
eintrat Das Vorkommen dieses Symptomes auf hysterischer Grundlage ist
allerdings von Gelles de la Tourette 1 und FärE in Frage gezogen worden,
Gewisse Formen concntrischer Gesichtsfeldeinschränkung sollen hier zur Täuschung
Veranlassung geben.
Dass die Therapie sich auf rein psychischem Gebiete abspielt, bedarf
wohl keiner Betonung. Elektrische, magnetische Maassnahmen, Suggestionen
aller Art kehren dann auch in den von uns herangezogenen Berichten immer
wieder. Bei Mas’ Kranken hatten Schmerzen durch eine Augenspiegelunter¬
suchung Wiederkehr des Sehvermögens bewirkt. Die regelmässig intermittirenden
Fälle von Testelin und Königstbin schwanden auf Chinin. Zu einem Rück¬
schlüsse auf eine Malariagrundlage wird man sich dadurch nicht veranlasst
fühlen. Königstbin hat selbst seinen Fall als hysterischen bezeichnet
Einige sehr interessante Beispiele von psychischer Heilung findet man in
dem Buche von Carbä de Montgeron.* Die Kranken, zwei Männer, eine
Frau, waren an das Grabmal eines Heiligen geführt worden und hatten dort
beten müssen. —
Die erste unserer Beobachtungen, die sich in sehr ausgedehntem Maasse
(8 Jahre) auf forensischem Gebiete abgespielt hat, ist dazu angethan, unsere
Aufmerksamkeit auch der Simulationsfrage zuzuwenden. Die Gefahr, in den
Verdacht der Täuschung zu gerathen, liegt für diese Patientin sehr nahe. Der
psychisch Blinde pflegt sich im Raume anders zu bewegen als der somatisch
Blinde. Bei der einseitigen Form liefert die bekannte Thatsache, dass das
amaurotische Auge beim binoculären Sehact functioniren kann, dem Arg¬
wöhnischen nooh schlimmere Waffen in die Hand. Prisma und Stereoskop
werden zu Anklägern, und auch die sinnreiche FLEBs’sche Schachtel kann nur
zur Verurtheilung des Verdächtigen führen. An den Apparaten gleichen sich
der Hysterische und der Simulant vollkommen. Nur die genaueste Kenntniss
psychogener Krankheitsbilder kann hier einen Irrthum verhüten, und auch dann
dürfte die Aufgabe nicht immer leicht sein, wenn z. B. die Amaurose das einzige
Symptom der Hysterie ist, wenn es ohne Vorboten, ohne jede, oder doch er¬
hebliche Veranlassung aufgetreten ist. Wir sind in unseren Aufzeichnungen
solchen Vorkommnissen begegnet Weder diese, noch eine sehr lange Dauer
der Blindheit dürfen uns aber zu der Annahme einer Simulation verleiten. Ich
1 A. a. O. S. 424.
* CabkA db Mohtgbboh, La v4ritd des miracles. Köln, 1739. Bd. I u. 1747. Bd. II.
42*
Dig
660
halte bei einseitiger Amaurose die Erscheinung für bemerkenswerth, die sich
bei meiner ersten Beobachtung gezeigt hat, and die auch in König stein’s Fall
erwähnt ist, dass nämlich das blinde Auge beim Yerschliessen des
gesunden deutlich abirrt, während es beim binoculären Sehact
fixirt.
n. Referate.
Anatomie.
1) Rüokbildungsvorgänge am Schwänze des Sftugethierembryo mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Verhältnisse am Med ullarrohre, von
Otto Zietzschraann. (Archiv f. Anat. u. Physiol. 1902. Anat. Abthlg.
S. 225.)
Verf. hat die Rückbildungsvorgänge am Schwänze der Säugethiere genauer
studirt und Folgendes gefunden: Der als Schwanz bezeichnet« Rumpfanhang des
Embryos der Mamalier enthält neben dem Schwanzdarm und der Chorda dorsalis
auch das Rückenmark. Letzteres reicht im Anfangsstadium der embryologischen
Entwickelung mit gut ausgesprochenem Centralcanal bis zum Ende des Schwanzes,
woselbst es sich in dem unsegmentirten Mesenchymrest auflöst. Später stellt sich
am Medullarrohr eine Reduction ein; es fällt zusammen, der Centralcanal Bchwindet
und die Epithelzellenhaufen werden einschichtig und abgeplattet. Ein weiteres
Stadium ist dadurch charakterisirt, dass der aus dem Rohr sich bildende Zell¬
strang in einzelne Zellhaufen zerfällt, die noch einen centralen Hohlraum besitzen
und allmählich verschwinden, biB als Rest das Filum terminale übrig bleibt. Der
Conus medullari8 rückt nach und nach aus dem Aussenschwanz in den Rumpf
hinein. Im Schwänze werden auch Ganglien angelegt, die sich gleichfalls wieder
rückbilden.
Bei dem ganzen Prooess handelt es sich um einen angeerbten Vorgang aas
der Stammgeschichte der Säugethiere, der anderen ererbten phylogenetischen
Processen vollständig gleichzustellen ist Dexler (Prag).
2) Ueber eine neue Methode der Marksoheidenf&rbung, von v. Schrötter.
(Centralbl. £. allg. Path. u. path. Anat. 1902. S. 299.)
Die Schnitte (am besten von in Müller’scher Flüssigkeit gehärteten Stücken)
kommen auf 15—20 Minuten in eine (stets frisch zu bereitende) kalte Lösung
von Galleln (Grübler), die durch Kochen mit Brunnenwasser bereitet wird.
Dann Differenziren in einer etwa 5°/ 0 Sodalösung oder (besser) sehr schwache
Natronlauge und für einen Augenblick leicht violette Lösung von hypermangan-
saurem Kali. Abspülen in reinem Wasser, absoluter Alkohol, CarbolxyloL Das
Mark erscheint violett, ebenso die rothen Blutkörperchen, graue Substanz und
Bindegewebe ungefärbt. Pilcz (Wien).
3) Eine Garminf&rbung der Axenoylinder, welche bei jeder Behandlungs¬
methode gelingt (Uranoarminf&rbung nach Schmaus modifloirt), von
Chilesotti. (Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat. 1902. S. 193.)
lg carminsaures Natron (Grübler) wird mit ’/, g Uran, nitrio. verrieben,
das Gemisch durch 1 / J Stunde mit 100 ccm Wasser gekocht. Der filtrirten
Lösung wird vor dem Gebrauche ein wenig 1 °/ 0 Balzsaurer Alkohol zugesetzt
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661
(pro ccm 2 Tropfen). In dieser Lösung färben sich Schnitte aus Müller nach
5—10, aus Formalin, Gefrier-, Paraffin- und Celloidinschnitte nach 15—20 Min.,
aus Weigert'scher Neurogliabeize nach x / % — 1 Stunde, aus Marchi nach 2 bis
4 Stnnden. Hierauf Wasser, Alkohol, Carbolxylol. Bei eventueller Ueberfarbung,
sowie wenn sich ausnahmsweise das Celloidin mitgefarbt haben sollte, genügt
Eintauchen der Schnitte in x j % —1°/ 0 salzsaurem Alkohol. Pilcz (Wien).
Experimentelle Physiologie.
4) Studio sulla patologia del gangllo oiliare nell* uomo, per Dr. Alessandro
Marina. (Annali di nevrologia. XIX. 1901.)
Verf. hat in früheren Experimentalarbeiten die Ueberzeugung gewonnen, dass
das Gangl. ciliare ein Centrum für die Pupillenbewegung (ein peri¬
pheres Centrum des Sphincter iridis) ist. In vorliegender Schrift sind seine
umfangreichen makroskopischen Studien über die anatomischen Verhältnisse dieses
und der benachbarten Ganglien bei progressiver Paralyse mit normalen und
anormalen Pupillarphänomenen (13 und 23 Fälle), bei Tabes (5) und sonstigen
Affectionen (25) veröffentlicht, deren Ergebnisse sich flüchtig folgendermaassen
skizziren lassen:
Die Nervenzellen sind fast sämmtlich den mittleren und kleinen Spinal¬
ganglienzellen und nur sohr wenige dem grossen sympathischen Typ ähnlich, ent¬
halten nur weniger Pigment als letztere, dagegen mehr als erstere.
Die schwersten, acutesten Veränderungen (Chromatolyse, Atrophie und
schwerste pyknomorphe Entartung) der Zellen, Atrophie der Ciliarnerven, waren
die Folgen krankhafter Processe der Orbita. Alle Infectionen führen meist zu
primären und secnndären Degenerationen nicht charakteristischer Form und zu
Einwanderung endothelialer Kapselzellen und Leukocyten. Besonderen TypuB
haben die chronischen Zellveränderungen bei Tabes und zum Theil bei Paralyse:
Zuerst degenerirt langsam die chromatische Substanz, dann folgt Atrophie und
Zerfall des Zellleibes, oder es bleiben bei langsam sich vollziehender Auflösung
des letzteren Zellfragmente mit Chromatinresten sichtbar oder endlich auch diese
Reste gehen verloren. Die Ciliarnerven sind constant bei Tabes und sehr häufig
bei Paralyse entartet, die Wurzeln immer normal, die Gefasse höchstens zuweilen
erweitert.
Für die functionelle Bedeutung des Ciliarganglions sind zwei Ergebnisse
wichtig; dass 1) in allen Fällen von Tabes und in den Fällen von pro-
gressiver Paralyse mit Störung der Pupillarreflexe die Ganglien,
meist mit ihren Nerven, verändert, bei erhaltenen Lichtreflexen aber
intact waren, 2) in allen Fällen mit Pupillenstarre die Kerne des
Nerv. HI und die Wandzellen des 3. Ventrikels bis hinab zum Gangl. habenulae
(speciell auch die Westphal-Edinger’schen Kerne) normal blieben.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
5) Note on the prefrontal lobes and the looalisation of mental funotions,
by Dr. P. W. MacDonald. (Journal of Mental Science. 1902. Januar.)
Vorliegende Notiz beschreibt die äussere Configuration eines Gehirns, welches
neben einer beträchtlichen Entwickelungshemmung das Fehlen der oberen
Längsfurche im Stirntheil und der vorden Hälfte des Scheitellappens aufweist.
Die beiden Hemisphären gehen hier continuirlich ineinander über, indem die
Windungen ohne Unterbrechung hinüber und herüber ziehen. Der Schädel war
wohlgeformt, das Stirnbein aber (stellenweise bis zu */a Zoll) hochgradig verdickt.
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662
— Das klinische Bild war das eines Idioten mit plumpen Körperverhältnissen und
congenital-spastischer Paraplegie. Patient konnte nicht lesen, nicht schreiben,
stammelte, konnte sich aber durch Zeichen verständlich machen und Bchien zu
merken, was im Zimmer und draussen vorging. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
6) Sopra la peroezione delle Impression! tattill. Osservazioni fatte dal Dr.
V. Grandis. (Archivio di psichiatria. XXIII. 1902.)
Diese breit angelegte Darstellung berichtet von Prüfung der Tastempfind¬
lichkeit mittels eines, mit zwei langen dünnen Platinrheophoren im Abstand
von 3 mm, mit der Zungenschleimhaut in Contact gesetzten Inductionsapparatee,
der mit einer Unterbrechungsgeschwindigkeit von 0,06 arbeitete. Untor Ver¬
meidung jeglichen Druckes wurde zu eruiren versucht, ob die Tastempfindung
auch anders als durch Deformation der nervösen Endapparate zu Stande komme.
Reize, deren Intensität soeben die Schwelle überschreitet, lösen anfangs die locale
Empfindung des Ameisenlaufens ans, welche bald in zwei reine Berührungs-
empfindungen übergeht. Die Perioden der ersten und zweiten Empfindungsqualitit
sind wenig constant; im allgemeinen wird in allen, selbst nach Stunden dem An¬
fangsversuch folgenden Prüfungen die erste Periode immer kürzer, zuletzt bis auf
wenige Secunden herabgesetzt Selbst bei Verschiebung der Rheophoren auf der
Haut erreicht die dadurch erzielte Verlängerung dieser Periode niemals die An¬
fangsdauer. Verf. stellt fest, dass es sich bei diesem Phänomen weder um eine
Nachempfindung oder eine Interferenzerscheinung derselben mit der primären
Empfindung noch um ein Ermüdungsphänomen der glatten Hautmuskeln, weil
Stromverstärkung bis zum Effect des Muskeltetanus die Erscheinung nicht ver¬
ändert, noch auch um einen Tetanus der Tastnerven handeln könne, da die dafür
nothwendige untere Grenze der Reizgeschwindigkeit (0,025) niemals angewandt
wurde. Es bleibe nur übrig, die geschilderte Parästhesie als cerebrales Er-
müdungsphänomen zu erklären und könne dieselbe zutreffenden Falls zur
Messung der Aufmerksamkeit benutzt werden.
Schmidt (Freiburg i/SchL).
7) Experimental researohes on the oentral looalization of the sympa-
thetio, with a oritioal review of its anatomy and pbysiology, by Onuf
and Coli ins. (Arch. of neurol. and psychopathol. HI. 1900. Nr. 1 u. 2.)
In dieser gross angelegten Arbeit (das Doppelheft bildet einen Band von
252 Seiten) geben die Verff. eine monographische Studie über die Anatomie und
Physiologie des Sympathious, die in literarischer Hinsioht wohl als erschöpfend
bezeichnet werden muss, und durch zahlreiche eigene Experimente und mikro¬
skopische Untersuchungen eine Fülle neuer ThatBachen enthüllt. — Das Werk
zerfallt in vier grosse Theile. Der erste Teil giebt eine makro- und mikroskopische
Anatomie des Sympathious selbst. Hervorgehoben mag aus diesem Theile sein
die Zurückweisung von Jendr&ssik’s Theorie der drei Systeme im Sympathicus-
gebiet, die Discussion der verschiedenen Ansichten über hemmende Fasern, die
genaue Beschreibung des N. sympathicus der Katze, der das sogenannte Ganglion
stellatum aufweist, eine Verschmelzung des cervicalen mit dem oder den ersten
thoracalen Ganglien, gelegen zwischen den Articulationsstellen der ersten und
zweiten Rippe.
Der zweite Theil behandelt ausführlich die Physiologie des Sympathicus. Er
stellt fest, dass das gesammte vegetative Leben des Organismus in mehr oder
minder hohem Grade unter der Controle dieses Systems steht. Im Speciellen
werden folgende Thatsachen festgestellt: Die Versuche über den Einfluss auf die
Thränensecretion lieferten widersprechende Ergebnisse und forderten zu weiteren
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Forschungen auf. — Bezüglich der Sohweisssecretion wurde es sehr wahrschein¬
lich gemacht, dass nicht alle Fasern für die obere Extremität durch das Gangl.
stellat. gehen, nnd dass solche, die einen anderen Weg einschlagen, so gut wie
vollständig für die durch Exstirpation jenes Ganglion zerstörten compensatorisch
eintreten können: das Schwitzen nach Pilocarpininjection geschah nach Ablauf
einiger Zeit wieder an allen vier Gliedern gleichmässig, beim Schwitzen im
Excitationsstadium der Aethernarkose blieb indessen die Pfote der operirten Seite
trocken. — Für die Pupille führt der HalsBympathicus nicht nur erweiternde,
sondern höchstwahrscheinlich auch verengende Fasern. Die Miosis nach Entfernung
des Gangl. stellat. verschwindet nach einigen Monaten fast vollständig wieder, ein
Beweis, dass nicht alle pupillenerweiternden Fasern von dort stammen können. —
Die Milchsecretion zeigt sich unabhängig vom Sympathicus. — Auf die Parotis
wirkt der Sympathicus mehr durch seine trophische als durch secretorische
Function, jedenfalls unabhängig von vasomotorischen Vorgängen. — Verdauungs¬
störungen, bestehend in Diarrhöen und gesteigerter Fäulnis der Fäces, waren
nach Entfernung des Gangl. stellat. ausgesprochener als nach Operation an den
tieferen, thoracalen Abschnitten, zeigten übrigens, im Gegensatz zu einer Anzahl
anderer Störungen, die Neigung zu progressiver Verschlechterung. — Die Unter¬
suchungen sprechen gegen die Existenz echter secretorischer Fasern für die Gallen¬
bildung im Sympathicus, für das Pancreas scheint er trophische Fasern zu führen. —
Resection des unteren Theils des thoracalen Sympathicus führte zu Diabetes, der
ebenfalls die Neigung zur Verschlimmerung hatte. — Im ganzen kann man sagen,
dass fast alle secretorisehen Drüsen unter dem, zum Theil trophischen, Einfluss
des Sympathicus stehen, während den cerebro-spinalen Fasern eine mehr controlirende
Rolle zufallt. — Unter den Gefassnerven überwiegen die vaso-constrictorischen. —
Auf die Athmung liess sich ein Einfluss insofern nachweisen, als einige Wochen
nach Entfernung des Gangl. stellat. mitsammt dem Splanchnicus in dieser Höhe
Anfalle von Niesen, Husten und Singultus auftraten, dazu eine erst schleimige,
später eitrige Secretion aus der Nase. Die Hustenanfälle machten den Eindruck
einer Folge aufgehobener Hemmungen. — Die Blase functionirt nach Trennung
aller ihrer Verbindungen mit den spinalen Centren wochenlang automatisch weiter
(auch bei Affen), wahrscheinlich mit in Folge von nervösen Apparaten in ihrer
Wand. — Die Nerven für die Arrectores pilorum haben eine segmentale Ver¬
keilung im Sympathicus; die Folgen ihrer Zerstörung gleichen sich im Laufe
der Zeit wieder aus. — Die von anderen Autoren beobachteten trophischen
Störungen an Haut und Knochen u. s. w. nach SympathicuBzerstörung konnten
Verff. bestätigen. — Die beträchtliche functioneile Unabhängigkeit von spinalen
und cerebralen Einflüssen konnte an den verschiedensten Punkten festgestellt
werden, trotzdem müssen motorische Bahnen von der Rinde zu den vegetativen
Organen vorhanden sein. — Gewicht legen die Verff. auf die lange Beobachtung
der Versuchsthiere, die Feststellung von Früh- und Spätwirkungen der Operationen
und der Vorgänge bei der allmählichen Ausgleichung der erhaltenen Störungen,
wodurch ihnen mancher Aufschluss gegeben worden ist, der früheren Beobachtern
entgangen war.
Nicht minder reich an wichtigen Thatsachen ist der dritte Abschnitt, der
die morphologischen Beziehungen des sympathischen zum cerebro-spinalen Nerven¬
system zum Gegenstände hat; sie werden studirt an den Veränderungen, die
Läsionen des ersteren in letzteren zur Folge hatten. — Bei der Katze entspringen
die meisten „afferenten“ (sensiblen) Fasern des Sympathicus nicht aus den Spinal¬
ganglien, wie Kölliker meint, sondern aus den Ganglien und Plexus des sym¬
pathischen Systems selbst. Im Rückenmark steht die ganze Zone der grauen
Substanz zwischen den Vorder- und Hinterhörnern in Beziehungen zum Sympathicus,
und zwar bilateral. Besonders kommen dabei in Betracht die Zellen der Clarke’-
664
sehen Säulen, einer als „paracentraler Kern“ bezeichneten Gruppe, die des Seiten¬
horns und der zwischen diesen Gruppen gelegenen intermediären Zone“. Die
Fasern aus den unteren Abschnitten des Sympathicus nehmen im Rückenmark
einen aufsteigenden Verlauf, d. h. sie enden in höheren Segmenten als in denen,
wo ihr Eintritt erfolgt; bei den Fasern aus den oberen Abschnitten (GangL
stellst.) ist das Umgekehrte, wenigstens in Bezug auf zahlreiche Collater&len, der
Fall. Die „paracentrale Zellgruppe“ kann als echtes Reflexcentrum im Bereich
des Sympathicussystems betrachtet werden. —
Im Gebiet der Medulla oblongata werden einige bisher noch nicht beschriebene
Kerne isolirt, ein „Randkern der Rautengrube“, ein Kern des Marklagers des
Hypoglossus und ein den Clarke'sehen Säulen homologer Kern, der dem Solit&r-
bündel lateral unten direct anliegt. Der sogenannte dorsale Vago-Glossopharyngeus-
kern ist functioneil das Analogon der Paracentralgruppe im Rückenmark, er ist
der Ursprung für ausschliesslich viscerale, „efferente“ Fasern dieses Nervenpaares,
während der Nud. ambiguus für dessen somatische „efferente“ Fasern reservirt
ist. (Nur ersterer zeigte nach Exstirpation des Gangl. stellst. Veränderungen,
letzterer blieb intact.)
Der vierte Theil bildet eine etwas kürzer behandelte Beobachtung über die
Rolle, die nach den in den vorhergehenden Kapiteln gewonnenen Anschauungen
der Sympathicus in der Pathologie des Nervensystems spielt. Auf die grosse
Zahl interessanter Gesichtspunkte, die sich auch hierbei ergeben, kann hier nicht
genauer eingegangen werden: auf die Tabes, die Syringomyelie, Myelitis trans¬
versa, Basedow’sche, Addison’sche Krankheit, die vasomotorischen Neurosen
u. a. m. fallen neue Lichter. Eine Betrachtung über die Rolle des Sympathicus
bei den Psychosen stellen Verff. zum Schluss in Aussicht.
Es wird nicht viele gleich ergebnisreiche Arbeiten auf dem von den Verff.
betretenen Gebiete geben wie die vorliegende, und sie wird von keinem, der sich
ferner mit diesem Kapitel der Neurologie beschäftigen will, ignorirt werden
können. Wünschenswert wäre, dass sie auch auf die Pathologie befruchtend
wirkte, wo, wie aus dem vierten Abschnitt hervorgeht, das Studium des Sym¬
pathicus, bisher oft vernachlässigt, eine ganze Anzahl noch offener Fragen der
Lösung näher zu bringen berufen scheint. H. Haenel (Dresden).
8) Die Sensibilitätsverhältnisse des Sympathicus und Vagus mit beson¬
derer Berücksichtigung ihrer Sohmemempflndllohkeit im Bereiche der
Bauchhöhle, von M. Buch. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1901. Physiolog.
Abthlg. S. 276.)
Auf Grund in der Litteratur niedergelegter, unvollständig zusammengestellter
Thatsachen nimmt Verf. an, dass nur der Splanchnicus major constant schmerz¬
empfindlich ist, was darauf beruhen soll, dass der grösste Theil der cerebro¬
spinalen Fasern in ihm verläuft. Alle Geflechte und Ganglien des Sympathicus
werden erst unter pathologischen Verhältnissen schmerzempfindlich. Für die
spärlichen, unter physiologischen Verhältnissen im Sympathicusgebiet vor¬
kommenden Empfindungen genügen die spärlichen cerebrospinalen markhaltigen
Fasern der Bauchhöhle mit ihren Pacini’schen Körperchen; die unter patho¬
logischen Verhältnissen im Sympathicusgebiet auftretendeu heftigen Schmerzen
werden durch Sympathicuselemente selbst vermittelt. Der Vagus leitet Schmerz¬
erregungen wahrscheinlich nur insofern, als er sympathische Fasern enthält.
Th. Ziehen.
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Pathologische Anatomie.
9) lieber nieder differenzirte Missbildungen des Centraineryensystems, von
Dr. Otto Veragutb. (Habilitationsschrift. Leipzig 1901, W. Eingelmann.)
Der Verf. giebt eine ausführliche und anschauliche Beschreibung von neun
Missbildungen der nervösen Centralorgane, welche einen Beitrag zu der am
wenigsten geübten Methode der Hirnforschung, der teratologischen, bilden sollen.
Thatsächlich hat er sein seltnes Material in vortrefflicher Weise ausgenutzt und
zahlreiche, besonders für die Entwickelungsgeschichte werthvolle Befunde erhoben.
Für das Referat ist die Wiedergabe derselben deshalb nicht geeignet, weil zu
ihrem Verständniss eine genaue Schilderung der complicirten makroskopischen
und mikroskopischen Verhältnisse der einzelnen Fälle erforderlich wäre. Als ein
Hauptergebniss der Arbeit von allgemeiner Bedeutung sei nur der Satz hervor¬
gehoben, dass das Studium der Missbildungen des Centralnervensystems werthvolle
Aufschlüsse nicht nur für die Fragen der Oehirnanatomie, sondern auch für die
Nervenphysiologie des menschlichen Foetus und des neugeborenen Kindes geben
wird, so dass die experimentellen Ergebnisse der Thierphysiologie in wirksamer
Weise werden ergänzt werden können. Max Bielschowsky (Berlin).
Psychologie.
10) Die wissenschaftlichen Grundlagen der Graphologie, von Georg Meyer.
(Jena, 1901, Gustav Fischer.)
Man kann wohl ruhig behaupten, dass die Graphologie bisher vielfach wenig
ernst genommen ist; wer das noch bezweifeln sollte, der lese einmal die Arbeit
von Wittemann in der juristischen Zeitschrift: „Das Recht“ (1901, Nr. 7). An
diesem Misscredit sind verschiedene Umstände schuld, vor allem der, dass der
Graphologie eine streng wissenschaftliche Behandlung bisher wenig zu Theil wurde.
Um so dankbarer wird man dem Verf. sein, der Mitbegründer der deutschen
graphologischen Gesellschaft ist, dass er sich dieser Aufgabe angenommen hat;
und dass er zudem noch Psychiater ist, wird der Arbeit nur zu Gute kommen.
Die Graphologie hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Beziehungen aufzudecken,
welche zweifelsohne bestehen zwischen der Handschrift und denjenigen individual¬
psychologischen Thatbeständen, die man unter dem Begriff der Charaktere zu¬
sammenfasst. Die Schrift stellt eine Combination der willkürlichen und unwill¬
kürlichen Ausdrucksbewegungen dar; jene sind zu häufig vieldeutig. Diese ver¬
dienen, weil sie den Kenner nie trügen, den Vorzug. Zudem bietet sie noch den
grossen Vortheil, dass sie fixirt wird.
Verf. giebt zunächst einen beschreibenden Theil der Graphologie, die Hand¬
schriftenkunde, und lehrt eine Reihe von psychologisch wichtigen allgemeinen
Eigenschaften der Schrift kennen. Dabei nimmt er besonder! Bezug auf die be¬
kannten Untersuchungen von Gross, die das interessante Ergebniss hatten, dass
jede Person beim Schreiben einen festen, immer wiederkehrenden Curven-
typus hat.
Der zweite wichtigere Abschnitt behandelt die eigentliche Graphologie. Einige
der Graphologie gegenüber gemachte Einwände, wie die Abhängigkeit der Eigen¬
art der Schriftzüge von der Feder, vom anatomischen Bau der Hand, werden
kurz ahgethan.
Jede Person hat ihren individuellen, charakteristischen Typus der allgemein
physiognomischen Bewegungsweise; er drückt jeder Hantirung den Stempel persön¬
licher Eigenart auf.
edby Google
666
Verf. setzt bei seinen Erörterungen bei den Affectzuständen ein. Exaltations¬
zustände zeigen Reizung, Depressions- oder Hemmungszustände Herabsetzung von
Ausdehnung, Geschwindigkeit und Druck der Schreibbewegung. Ausdehnung,
Geschwindigkeit und Nachdruck Btehen in ganz bestimmten Beziehungen zu ein¬
ander; alle drei sind abhängig von einem Factor, der psychomotorischen Trieb¬
kraft Was wir bei Psychosen hypertrophirt und vorübergehend finden, das zeigt
sich abgeschwächt und dauernd bei Charaktereigenschaften; das gilt auch hin¬
sichtlich der Schrift. Insbesondere geht die Schreibgeschwindigkeit parallel dem
Ablauf von geistigen Functionen, der Scbreibdruck der Stärke der Willens¬
antriebe.
Weiterhin bespricht Verf. den Einfluss der Gespanntheit oder Schlaffheit der
Musculatur, die Bedeutung deB Neigungswinkels der Schrift (Ueberwiegen des
rein Triebhaften für die schrägere, Ueberwiegen der Ueberlegung für die steilere
Lage), die Einwirkung willkürlicher Factoren. Der Bindungsgrad, eine der
stabilsten Eigenschaften der Schrift, gestattet einen gewissen Rückschluss auf die
individuelle Art der Gedankenverbindungen.
Immerhin sind unsere Kenntnisse des handschriftlichen Ausdruckes bestimmter
Charaktereigenschaften fragmentär. Sodann muss gewarnt werden vor eindeutiger
Verwerthung einer handschriftlichen Eigenart; denn diese kann durch die ver¬
schiedensten Factoren wegen deren Combination bedingt sein, und sie muss daher
im Zusammenhang mit dem Ganzen bewerthet werden. Dass viele Deutungen
hypothetischer Natur sind, verhehlt Bich Verf. nicht, ebensowenig, dass die psy¬
chischen Vorgänge sich nicht immer entsprechend ihrer Intensität äussem. Ab¬
wesenheit bestimmter Symptome berechtigt nicht zu dem Schluss des Fehlens be¬
stimmter Charaktereigenschaften. Der wundeste Punkt der Graphologie ist der,
dass wir von der Charakterologie fast nichts Bestimmtes wissen.
Wenn es auch reine Fälle giebt, in denen allein aus der Handschrift ein
ziemlich erschöpfendes Bild des Charakters der Menschen erschlossen werden kann,
so räth Verf. doch zur Vorsicht und Zurückhaltung bei der praktischen Anwendung
der Graphologie. Ernst Schultze (Andernach).
11) Les animauz sont-ils oonsoientsP par Dr. Ed. Claparäde. (Geneve, 1901.)
Verf. stellt in dieser kleinen Studie Untersuchungen darüber an, ob man den
Thieren, den höheren sowohl wie den niederen, in ihren Lebensäusserungen und
Handlungen Bewusstsein zusprechen kann oder nicht. Er kritisirt die Forschungen
von Loeb, der als objectives Kriterium für das Bewusstsein die associative Ge-
dächtnissthätigkeit bezeichnet und für die höheren Thiere Bewusstsein annimmt,
für die niederen Thiere hingegen ein solches in Abrede stellt. Dieser Anschauung,
der im Grossen und Ganzen auch Bethe huldigt, kann Verf. nicht beistimmen.
Er verwirft auch die Untersuchungsmethoden, deren sich Loeb bediente, indem
letzterer beim Menschen beginnend allmählich bis zu dem niedersten Thiere herab¬
stieg, und umgekehrt beim niedersten Thiere anfangend allmählich bis zum
Menschen hinaufstieg. Vielmehr empfiehlt er der vorliegenden Frage vermittels
des psycho-physischen Parallelismus näher zu treten. Allerdings gelangt er zu
dem Schluss, dass die Aufstellung eines objectiven Kriteriums für das Bewusstsein
a priori unmöglich sei. Nach des Verf.’s Ansicht müssen die Physiologen wie
die Psychologen die Frage, ob den Thieren Bewusstsein innewohne, mit einem
nescimus beantworten. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
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12) Versuoh einer psyohophysisohen Darstellung des Bewusstseins, von
E. Storch. (Berlin, 1902, S. Karger.)
Das Werk, das Verf. hescheiden einen „Versuch“ nennt, ist mehr als dieser
Name sagt: es ist ein in überzeugender, zum Theil in der überzeugendsten, der
mathematischen Form beschriebener Weg zu der Erkenntniss, dass wir nicht
nöthig haben, für die Functionen des Hirns und seiner Theile mystische und halb
nebelhafte Vorstellungen zu setzen, mit denen die Mechanik nichts anzufangen
weiss. Eine Mechanik der Gehirnthätigkeit und des Bewusstseins wird aussichts¬
voll, sobald der Grundgedanke erfasst ist, dass die Bausteine aller geistigen
Thätigkeit auf der psychischen Spiegelung unserer Muskelbewegungen beruhen;
ohne diese giebt es kein Bewusstsein, keine Wahrnehmung, keine Vorstellung.
In dem Studium der Muskelactionen, welche die Wahrnehmungen hervorrufen, in
ihren Beziehungen, unter denen sich diejenigen der letzteren wiederfinden, ist das
Bindeglied zwischen Physik u. Psychologie gegeben.
Interessant ist es zu sehen, wie dieses Princip sich schon bei der Be¬
trachtung verschiedener grundlegender psychologischer Begriffe, wie Masse und
Baum, als völlig zureichend erweist. Verf. kann leicht nachweisen, dass die
Masse, das Wesentliche aller wirklichen Objecte, nichts ist als Träger der Kraft,
die den eigenen Muskelbewegungen Widerstand leistet, die Objectivation des
Bewustseins der Muskelthätigkeit gegen eine Hemmung; die Objectivation der
ungehemmten Bewegung, d. h. der Bewegung überhaupt ist der Raum. Gegen
die Theorie Hering’ von dem Raumwerth der einzelnen Netzhautelemente, der
auch abgesehen von den Augen vorhanden sein soll, wendet sich Verf. in längerer
Auseinandersetzung. Er führt als neu zwei Begriffe ein, mit denen er in aus-
giebiger Weise operirt: die Myopsyche und die Pathopsyche. In dem Wahr¬
nehmungsvorgang sind nämlich zwei Elemente enthalten: erstens die Empfindung,
welche der von der Reizstelle zum Gehirn laufenden Nervenwelle entspricht (das
pathopsychische Moment), und zweitens, da jedes Lebewesen auf Reize mit Be¬
wegungen reagirt, die dieser Muskelcontraction parallel gehende Bewusstseins-
änderuug (das myopsychische Moment). Das erstere ist allein nicht vorstellbar;
eine rein pathopsychische Empfindung können wir uns nicht denken, immer haftet
unseren Wahrnehmungen und Vorstellungen etwas Räumliches an, welches stets
myopsychischer Natur ist. Der Theil der Myopsyche, in welchem der Massen-
begriflf gebildet wird und der an die dynamische oder Skelettmuskulatur gebunden
ist, als „Ergopsyche“ bezeichnet, wird der an die optische Muskulatur gebundenen,
keine Energie nach aussen abgebenden Muskelthätigkeit der „Eidopsyche“ ent¬
gegengesetzt. Das gemeinsame Element beider ist die Richtungsvorstellung.
Ebenso sind die Formvorstellungen eine Function des ganzen myopsychischen
Feldes, nicht der Eidopsyche allein. W T ird die Thätigkeit der Myopsyche in
Wellenform vorgestellt, so fassen wir deren Form als Richtung oder Richtungs-
complex, ihre Amplitude als Quantität der Empfindung auf. Die aus diesen
Grundbegriffen abgeleiteten Anschauungen über den an den optischen Apparat
gebundenen Theil unserer Psyche sind klar und überzeugend; schwieriger ist es,
den Beziehungen zu folgen, die auf dem Gebiete der Laut- und Tonwahr¬
nehmungen im Sinne solcher myopsychischer Vorgänge erörtert werden; Verf.
entwickelt darin den Begriff eines „phonetischen Raumes“, und bezeichnet als
solchen die räumliche Darstellung und Deutung der Kehlkoptbewegungen. Im
Gegensatz zu den beiden räumlich anschauenden Theilseelen (Ergo- und Eido¬
psyche), die unter dem Namen „Stereopsyche“ zusammengefasst werden können,
bezeichnet Verf. den Theil des (myopsychischen) Bewusstseins, der intervallär
wahrnimmt, als „Glossopsyche“. Die Amplitude der glossopsychischen Wellen, die
als Abbilder der Kehlkopfbewegungen zu betrachten sind, wird als Tonhöhe be-
werthet
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Zum genaueren Verständniss seiner Deductionen setzt Verf. eine ziemlich
gründliche mathematische Bildung bei seinen Lesern voraus; seine, wie man sieht,
zum Theil selbstgeschaffene Terminologie ist glücklich gewählt und bezeichnend,
sodass sie den Zweck, für die Qedankengänge und ihre Ergebnisse eine kurze
und einfache Form zu schaffen, in sehr befriedigender Weise erfüllt. Neue
Wort- und Begriffsbildungen, wie die vorliegenden, kann sich bloss derjenige ge¬
statten, der wirklich etwas Neues zu sagen, der die Dinge unter neuen Gruppirungen
und Gesichtswinkeln gesehen und bearbeitet hat; und das ist in diesem Werke
ohne Frage der Fall. H. Haenel (Dresden).
13) Experimentelle Stadien über Associationen. HI. Theil: Ueber Ideeen-
flucht, von G. Aschaffenburg. (Psycholog. Arbeiten, herausgegeben von
Kräpelin. IV.)
Verf. veröffentlicht hier die Ergebnisse seiner. umfassenden, bis 1891 zurück¬
reichenden Versuche, die er an Geisteskranken, und zwar an Manisch-Depressiven,
angestellt hat. Die Einleitung enthält eine ausführliche Discussion der von
anderen Autoren (Ziehen, Sommer, van Erp u. s. w.) aufgestellten Ein-
theilungsprincipien für Associationen mit dem Ergebniss, dass es ihm am besten
geschienen hat, an dem von ihm selbst gegebenen Schema festzuhalten. Die
grosse Zahl der Versuche (182 Reihen mit 12 900 Einzelreactionen) verleihen den
daraus gezogenen Schlussfolgerungen ein ganz besonderes Gewicht. Es wurden
hauptsächlich die Methoden der ein- und zweisilbigen Reizworte mit und ohne
Zeitmessung, sowie die des fortlaufenden Niederschreibens freier Associationen
angewendet. — Auf die mannigfachen interessanten Einzelheiten aus den Ver¬
suchen einzugehen, würde zu weit führen; das Gesammtergebniss liefert in fast
jeder Hinsicht eine Stütze der schon in früheren Arbeiten vom Verf. vertretene®
Anschauungen. Vor allem hat Verf. von neuem Veranlassung, sich gegen den von
Ziehen aufgestellten Begriff der Hyperprosezie zu wenden, der Steigerung der
Aufmerksamkeit bei der Ideeenflucht, sowie gegen die auch von anderen Seiten
aufgestellte Behauptung, die Manischen verfügten über einen vermehrten Ideeen-
reichthum, würden scharfsinniger und witziger, plastischer in der Diction u. a
Demgegenüber lassen die Versuche des Verf. von einer grösseren geistigen
Regsamkeit nichts erkennen; im Gegentheil, der Gedankengang verflacht, die be¬
grifflichen Beziehungen treten gegenüber den sprachlichen und klanglichen zurück.
Der Begriff der Hyperprosezie ist dadurch zu Stande gekommen, dass man eine
erhöhte Ablenkbarkeit mit erhöhter Aufmerksamkeit verwechselt hat; gerade die
Unfähigkeit, aufmerksam zu sein, ist das Charakteristikum dieses Zustandes.
Diese gesteigerte Ablenkbarkeit fiel bei allen Untersuchungsmethoden vor allem
anderen in die Augen. — Bezüglich der Dauer des Vorstellungsablaufs musste
die überraschende Thatsache festgestellt werden, dass die Durchschnittsdauer
der Reactionszeit überall, wo sie gemessen worden war, kein einziges Mal der
Norm gegenüber verkürzt war, eine Beschleunigung des Assooiationsvorganges
also auch bei flotter Manie nicht vorliegt. Der Grund für die weitverbreitete
gegentheilige Ansicht liegt in der Thatsache der quantitativen sprachlichen
Mehrleistung, die ihrerseits wieder in der Erleichterung der motorischen Functionen,
speciell des Sprechens, begründet ist. Jede Erleichterung der motorischen An¬
triebe — auch wenn sie künstlich hervorgerufen ist — führt nothwendig zur
Ideeenflucht; diese ist eine Theilerscheinung der ersteren. Die Rede des Nor¬
malen unterscheidet sich von der des Manischen durch den Zwang, jedem Ge¬
danken auch nach aussen Worte zu verleihen. Die Uebereinstimmung der
psychologischen Versuche mit der klinischen Beobachtung war eine vollkommene.
Aus den Schlusssätzen, die der Arbeit angefügt sind, seien, soweit sie in
dem obigen nicht schon enthalten sind, noch folgende hervorgehoben:
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Die manische Erregung des circularen Irreseins ändert die Verbindung der
Vorstellungen, indem an Stelle der engen begrifflichen Beziehungen solche
Associationen sich einstellen, die der Uebung und den sprachlichen Reminiscenzen,
schliesslich nur dem gleichen oder ähnlichen Klange ihre Entstehung verdanken.
Mit dieser inhaltlichen Veränderung geht eine Neigung zu rhythmischer Gliederung
Hand in Hand (klinisch: das Bestreben, in Versen zu denken und zu sprechen),
zuweilen auch zur Bildung längerer Associationsreihen aus dem gleichen Gebiete
(Aufzählungen von Gegenständen). Eine der Norm gegenüber vergrösserte Ein¬
förmigkeit des Vorstellungsinhaltes liess sich experimentell nicht nachweisen.
Während der depressiven Phase ist die Dauer der Association verlängert, während
ihr Inhalt keine Abweichungen von der Norm erkennen lässt. Das Resultat der
Versuche über die Einwirkung des Alkohols, des Hungers und der Erschöpfung
auf den Associationsvorgang ist das Gleiche wie bei der manischen Erregung.
Abgesehen von den werthvollen Einzelergebnissen sieht Ref. die Bedeutung
der Arbeit auch darin, dass sie einen neuen nicht zu unterschätzenden Beweis
für die Anwendbarkeit der psycho-physichen Untersuchungsmethoden auch auf
dem Gebiete der Psycho-Pathologie liefert, was noch immer von manchen Seiten
in Frage gezogen wird. H. Haenel (Dresden).
14) Der Zusammenhang von Leib und Seele, das Grundproblem der
Psyohologie, von Dr. W. Schuppe. (Grenzfragen des Nerven- und Seelen¬
lebens. Wiesbaden, 1902.)
Verf. hält es für angemessen, sich vor Bearbeitung der eigentlichen, im
Titel genannten Frage mit dem Begriff der Causalität überhaupt auseinander¬
zusetzen. Unter Berufung auf eigene frühere Werke setzt er an Stelle der
wirkenden Ursache die Nothwendigkeit der Succession, fasst die Verursachung
als einen Specialfall der Nothwendigkeit, nämlich den der Succession. Die Noth¬
wendigkeit identificirt er aber mit dem Sein selbst; d. h. er giebt dem Ursache-
sein und Nothwendigsein den Sinn: so ist das Sein, das ist es. Es steht dann
nicht mehr im Gegensatz zu der zu erklärenden Nothwendigkeit, sondern schliesst
dieselbe ein. Ebenso sind Bewusstsein und sein Inhalt nicht zwei Dinge, sondern
eins, da es nach dem Begriff und Wesen der Sache kein Bewusstsein geben kann
ohne Inhalt. In der Ausführung dieser Gedanken polemisirt Verf. wiederholt
gegen Petzoldt und Lipps. — Bei dem Lösungsversuch des „Grundproblems“
geht er von dem Bewusstsein der eigenen Ausgedehntheit aus; das Ich bedarf
keines Substrates, sondern nur „eines Bewusstseinsinhaltes, welchen durchgängiger
gesetzlicher Zusammenhang zu dieser Welt, in der es sich findet, macht.“ Das
Sein besteht demnach nicht mehr aus Seelen und Körpern, sondern aus Bewusst¬
sein und seinen Objecten; das Ich und sein Bewusstseinsinhalt sind abstract be¬
griffliche Momente, welche sich gegenseitig voraussetzen, real untrennbar Eins,
das Sein. Der Bewusstseinsinhalt in seiner Individualität, d. h. in seiner räum¬
lichen und zeitlichen Bestimmtheit macht die Individualität des Ich aus. Die
beiden Gedanken: Bewusstsein überhaupt und reines Subject oder Subject »at'i^oxtjv,
fallen zusammen. — Der von allen speciellen Empfindungsinhalten vorausgesetzte
Bewusstseinsinhalt ist die eigene Ausgedehntheit, die eigene Raumerfüllung. Der
lebendige Leib mit allen seinen Geschehnissen und das Ich sind nicht zwei selb¬
ständige Dinge nebeneinander, die nur in gewissen, wenn auch sehr innigen Be¬
ziehungen zu einander stehen, sondern sie sind dasselbe, indem das Ich sich un¬
mittelbar als diese bestimmte Raumerfüllung weiss. Das Ich weiss und hat sich
in den Organen, dem Auge, dem Ohr, ist diese selbst, braucht also nicht erst zu
spüren, dass dieselben empfinden, um dann zu schliessen: also sehe ich. Für eine
Wechselwirkung von Leib und Seele oder den vom Verf. als „sinnlos“ bezeich-
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neten psycho-physischen Parallelismus ist in seiner Theorie, wie ersichtlich, kein
Raum. Der ganze Stoff ist Sicht- und Tastbares, kein geheimnisvolles meta¬
physisches Etwas, das erst seine Sicht- und Tastbarkeit durch eine Thätigkeit
der Seele erhielte, sondern weiter nichts als solcher Bewusstseinsinhalt, Licht,
Schall u. s. w., hat also schon im Begriffe seiner Existenz die Relation auf Be¬
wusstsein. Die Atome existiren, aber nur in dem Gesehenen und Gehörten, als
Licht und Schall, und sind durchaus ausser Stande, letztere erst hervorzubringen,
oder erst in letztere verwandelt, als letztere aufgefasst zu werden. Da der
lebendige Leib nicht existiren kann, ohne dass das Ich sich in ihm und als ihn
findet und weiBS, bo lässt sich, dies als Urthatsache hingenommen, die verlangte
aber unmögliche Einwirkung des Leibes auf die Seele durch diese Unterscheidung
ersetzen. Und wie für das sensorische, so gilt diese Anschauung auch für das
motorische Gebiet: wie ich sehe, weil mein Auge sieht oder weil ich dieses
sehende Auge bin, so will mein motorischer Nerv, weil ich will, weil ich dieser
Nerv bin.
Wenn man die Zurückführung eines Problems auf ein anderes schon eine
Erklärung nennen will, so hätten wir hier eine derartige vor uns; Verf. ist sich
übrigens der Unzulänglichkeit derselben wohl bewusst. — Das Idiom, in dem die
Schrift verfasst ist, ist zum grossen Theil ein dermaasBen verzwicktes Philosophen¬
deutsch, dass selbst die „Gebildeten aller Stände“, für die die Sammlung heraus-
gegeben ist, meist Mühe haben werden, dasselbe ohne weiteres zu verstehen.
H. Haenel (Dresden).
15) Ueber die Beeinflussung geistiger Leistungen duroh Hungern, von
Wilh. Weygandt. (Psycholog. Arbeiten, herausgegeben von Kräpelin. IV.)
Die Arbeit deB auf dem Gebiete der Experimentalpsychologie wohlbekannten
Verf. stützt sich auf die sorgfältige Bearbeitung zahlreicher Versuche, die im
Jahre 1897 und 1898 in der Heidelberger Irrenklinik ausgeführt wurden. Die
Methodik ist im Allgemeinen die durch frühere Versuche ausgebildete; neu auf¬
genommen sind die Raumschwellenprüfung der Haut, nach Griesbach, die sich
als nicht verwerthbar für derartige Zwecke herausstellte, und die Methode der
Ablenkung bei den AuffasBungsversuchen, meist durch akustische Reize, d. h.
lautes Vorlesen. Das wichtigste Ergebniss der Arbeit ist, dass der Hunger in
gleicher Weise, wie sich das schon früher beim Studium der Wirkung von
körperlicher und geistiger Ermüdung, Schlafentziehung, sowie von verschiedenen
Medikamenten gezeigt hatte, eine elective Wirkung auf die verschiedenen geistigen
Functionen ausübt, d. h. die einen stark, die anderen wenig, wieder andere gar-
nicht beeinflusst. Im Speciellen liess sich nachweisen, dass die Auffassungsfahig-
keit, die Ermüdbarkeit und die Uebungsfähigkeit im Hungerzustande unverändert
bleiben. Wahlreactionen zeigen eine geringe Verlängerung, die Fehlreactionen
stellenweise eine geringe Vermehrung, die Ablenkbarkeit und gemüthlicke Erreg¬
barkeit eine geringe Erhöhung, das Addiren wird mässig verlangsamt. Am
schwersten sind gestört die Gedächtnissarbeit des Auswendiglernens, indem vor
allem der Lernwerth jeder Wiederholung erheblich vermindert wird, während die
Sprechgeschwindigkeit dabei unverändert bleibt, sowie das associative Denken,
dessen begrifflicher Zusammenhang gelockert wird (Vermehrung der Associationen
auf Grund sprachlicher Uebung, Häufung von Klangassociationen). Der zeitliche
Ablauf der Associationen ist dagegen wieder unbeeinflusst. Gleichzeitige
Nahrungs- und Flüssigkeitsenthaltung scheint den „Werth“ der Association noch
mehr herabzusetzen als die blosse Nahrungsenthaltung; andere Unterschiede beider
Zustände waren nicht deutlich zu erkennen. Nach Aufhören des Hungerzustandes
glichen sich die gesetzten Veränderungen nicht plötzlich, sondern erst allmählich
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wieder aus, schienen nach 2 tägigem Hungern noch nach 48 Stunden nachweisbar. —
Im Ganzen ähneln die psychischen Veränderungen am meisten denen nach
körperlichen Anstrengungen, ohne doch denselben völlig zu gleichen. Wichtig
ist auch die Feststellung, dass die psychischen Erscheinungen der sogenannten
Erschöpfungspsychosen nicht den Veränderungen entsprechen, die durch einfache
Nahrungsentziehung erzeugt werden. — Ein interessantes Kapitel ist das, in dem
Verf. seine Ergebnisse vergleicht mit dem, was in populären Anschauungen,
künstlerischen Darstellungen und durch Beobachtungen und Berichte sogenannter
Hungerkünstler, sowie Schilderungen bei Hungersnöthen und von Schiffbrüchigen
berichtet wird. Die Ueberlegenbeit der psycho-physischen Messungen gegenüber
allen, auch scheinbar noch so genauen Selbstbeobachtungen tritt dabei klar zu
Tage. H. Haenel (Dresden).
16) Zum Studium der Merkfähigkeit, von August Diehl. (Berlin, 1902.)
Die Untersuchungen des Verf. bewegen sich auf demselben Gebiete, das vor
Kurzem von William Stern einer Bearbeitung unterzogen worden ist. (Zur Psycho¬
logie der Aussage, Referat erscheint in Nr. 15 dieses Blattes.) Die Methodik
unterscheidet sich von der dort angewandten durch ihre grössere Einfachheit: an
Stelle von mehr oder weniger complicirten Vorgängen in bildlicher Darstellung
handelte es sich hier nur darum, ein- und zweistellige Zahlen, die Richtung eines
Winkels, die Farbe und Form (rund, drei-, viereckig) eines Stückchens Papier sich
zu merken. Die Ergebnisse beider Untersucher weisen interessante Ueberein-
stimmungen wie auch Unterschiede auf. Von den ersteren sei hervorgehoben,
dass Diehl Bowohl wie Stern fanden, dass die Ueberzeugung des Aussagenden
über die Richtigkeit seiner Angaben eine höchst trügerische ist — es fand sich
unter den Versuchspersonen nicht eine, die nicht unter den sicheren Angaben
falsche Erinnerungen vorbrachte — und dass Fehler, die anfangs als unsichere
Angabe bezeichnet wurden, bei Wiederholung in sicherer Form auftraten,. Die
Zahl der Fehler ist bei Diehl im allgemeinen sogar höher als bei Stern
(14°/ 0 gegenüber S l / 2 °/ 0 ). Von zwei gleichförmigen und gleichzeitig gemachten
Wahrnehmungen (2 zweistellige Zahlen) prägte sich regelmässig die erste besser
ein als die zweite. Die Merkfähigkeit zeigte sich als am besten für einfache
räumliche Darstellungen, gut auch für Farben; falsche Angaben ereigneten sich
am häufigsten bei Zahlen und Winkelstellungen. Das Erinnerungsvermögen ist
also sehr abhängig von dem Inhalte, auf den es sich bezieht. Ein bemerkens-
werther Unterschied gegen die Ergebnisse von Stern ist darin zu finden, dass
das Erinnerungsvermögen nicht unter allen Umstäden durch die Verlängerung der
Zeit leidet (Stern glaubte eine ziemlich regelmässige Progression in der Zu¬
nahme der Fehlerhaftigkeit mit zunehmender Zeit gefunden zu haben): es kam
vor, dass Wahrnehmungen, über die am folgenden Tage nur falsche Ver¬
muthungen bestanden, bei unvermutheter späterer Nachfrage als in sicherer und
richtiger Form nachträglich befestigt sich herausstellten. — Die Fehler, die im
Verlauf einer mehrtägigen Versuchsreihe gemacht wurden, häuften sich zu Ende
derselben, und entstanden zum grössten Theil durch Nachwirkung füherer Ein¬
drücke. Dagegen konnte nachgewiesen werden, dass, wo die Nachwirkung die
Angabe eines Tages sehr geschädigt hatte, bei einer längeren Zwischenzeit ein
Ausgleich stattfand. Stellungsfehler indessen wurden durch längere Zwischen¬
zeiten wieder begünstigt.
Je mehr Untersuchungen über das vorliegende, noch recht wenig erforschte
Gebiet angestellt werden, umso deutlicher wird es, wie complioirt hier die Ver¬
hältnisse liegen und welche Fehler bei der kritiklosen Verwendung von Aus¬
sagen besonders auch in juristischer Hinsicht begangen werden können. Jede
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einzelne neue Arbeit hierüber ist geeignet, bedeutungsvoll und aufklärend sn
wirken. H. Haenel (Dresden).
Pathologie des Nervensystems.
17) La surditd verbale pure. Un oaa de surdlte verbale pure due a un
absods du lobe temporal gauohe, tröpanatlon, guöriaon, par A. van Ge¬
buchten et Goris. (Növraxe. III.)
Wird die reine Worttaubheit durch linksseitigen subcorticalen Herd bedingt,
wie Lichtheim und Wernicke lehrten und Ref. durch den Fall Gorstelle sowie
Kritik der gegnerischen Meinungen zu beweisen suchte? Oder ist die reine Wort¬
taubheit Folge doppelseitiger Rindenläsionen, wie eine Reihe hervorragender
Forscher neuerdings annahmen?
Zu diesem, weit über den Rahmen der Specialfrage hinaus bedeutungsvollen
Problem bringt der Fall der VerfF. einen wichtigen Beitrag.
Die Verff. schicken eine kritische Besprechung der bisher veröffentlichten
Fälle von reiner Worttaubheit und der darüber gepflogenen theoretischen Er
örterungen vorauf.
Sie machen die Bedenken, die von Thomas und Ref. gegen die Beweiskraft
des Dejerine-Sörieux’schen Falles für doppelseitige corticale Verursachung der
reinen Worttaubheit erhoben worden sind, geltend.
Ferner können die Verff. sich durchaus nicht den Schlussfolgerungen an-
schliessen, die Veraguth aus seinem Fall gezogen hat. Sie machen dieselben
Einwürfe, die Ref. in seiner Besprechung von Veraguth’s Arbeit (CentralbL f.
Nervenheilk. u. Psych. XII. 1901) erhoben hat.
Die Verff. schreiben: „Für uns besteht keinerlei Zusammenhang zwischen den
GehirnläBionen, welche V. constatirt hat, und der transitorischen Worttaubheit“
(S. 73) und „Die Ursache der Worttaubheit in dem Fall von V. entzieht sich
daher gänzlich unserer Kenntniss. Eins ist indessen sicher, dass die Himatrophie,
welche bei der Autopsie gefunden wurde, sie allein nicht hat machen können
(S. 75).“
Der Fall der Verff. lag folgendermaassen:
Ein Vierziger bekam im Anschluss an Otorrhoe links einen Schläfenlappen-
abscess. Sprache intact, Verständniss aufgehoben. Dabei Charakterveränderung:
Pat. wurde heiter und redselig.
Aufmeisselung des Warzenfortsatzes. Nach vorübergehender Besserung wieder
vollkommene Worttaubheit bei erhaltenem Gehör. Keine sonstigen Herd¬
symptome, keine Stauungspapille.
Lesen erhalten, vollkommen normale Spontansprache, Logorrhoe.
Verständniss und Nachsprechen gänzlich aufgehoben.
Schrift nicht geprüft.
Trepanation, Drainage. Besserung im Verlauf der nächsten 10 Tage. Als
daB Sprachverständniss schon theilweise wiedergekehrt war, traten zum ersten
Mal einige paraphasische Aeusserungen auf, dann auch, nachdem es gelungen war,
Pat. zum Schreiben zu bringen, ein gewisser Grad von Paragraphie.
Weniger als 4 Wochen nach der Trepanation war er vollkommen geheilt
Verff. weisen darauf hin, dass hier zum ersten Male reine Worttaubheit durch
einen Abscess bedingt war und geheilt ist, constatiren ferner, dass diese Form
hier durch einseitigen Herd, entsprechend der Meinung von Lichtheim,
Wernicke und Ref., bedingt war.
Zu der Frage des corticalen oder subcorticalen Sitzes steuere der Fall nichts
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bei, da unentschieden bleiben müsse, ob das klinische Bild durch Druck des
Abscesses auf die Fasermasse oder die Rinde verursacht sei.
Die Verff. meinen, dass der Grad von Paraphasie und Paragraphie, den Pat.
nach der Operation zeigte, eine blosse Folge der fehlenden Controle der Worte
durch das Gehör sei.
Dem möchte Ref. nioht beistimmen. Weder Ertaubte, noch Personen mit
reiner Worttaubheit (z. B. mein Fall) sprechen paraphasisch. Wie soll nun gar
Paragraphie durch fehlende Controle des Gehörs zu Stande kommen? Ich glaube
vielmehr, dass der geringe Grad von Paraphasie und Paragraphie, welche erstere
vor der Operation nicht bestand (die letztere war vorher nicht geprüft), Folge
der imvermeidlichen Rindenverletzung bei der Trepanation war.
Liepmann.
18) Aphasie, par Touche. (Progräs medical. 1901. Nr. 46.)
Drei interessante Mittheilungen von Aphasie — Autopsieen, in allen Fällen
war die Insel beträchtlich verletzt. Adolf Passow (Meiningen).
19) Un point d’histoire de l’aphasie, la deoouverte de Broea et Involution
de ses iddes sur la looalisation de l’aphasie, par Dr. Lada me. (Revue
mödicale de la Suisse romande. 1902. Nr. 3.)
Verf. weist in einer chronologischen Zusammenstellung sämmtlicher Arbeiten
Broca’s naoh, dass er thatsächlich schon das Sprachcentrum in den Fuss der
linken 3. Stirnwindung localisirt hatte, und dass man ihm Unrecht thue, wenn
man, wie es in letzter Zeit häufig geschah, von ihm behaupte, dass er den Sitz
nicht näher localisirt habe, sondern die Veränderung im ganzen Frontallappen
suche. H. Wille (St. Pirminsberg).
20) Ueber Aphasie und andere Sprachstörungen, von Dr. H. Charlton
Bastian. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Moritz Urstein. (Leipzig,
1902, W. Engelmann.)
Das treffliche, vielen Lesern dieses Centralblattes im englischen Urtext gewiss
schon bekannte Buch Bastian’s (cf. Neurol. Centralbl. 1899. S. 23) liegt jetzt
in deutscher Uebersetzung vor. Man kann dem Uebersetzer nur dankbar sein,
dass er durch seine Uebertragung die wichtigen und interessanten Ausführungen
B.’s einem grösseren deutschen Leserkreise zugänglich gemacht hat.
Das zum Theil aus Vorlesungen entstandene Werk berücksichtigt von den
verschiedenen Störungen der Sprache und der Schrift vorwiegend die gewöhnlich
als „Aphasieen“ bezeichneten. Das erste und zweite Kapitel bringt eine physio¬
logische und eine psychologische Einleitung: B. entwickelt die Entstehung des
Sprechvermögens und der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben beim Kinde, wobei
besonders die Wichtigkeit der Wiederbelebung akustischer, bezw. akustischer und
optischer Eindrücke für alle diese Fähigkeiten hervorgehoben und im Gegensatz
dazu auf die geringe Rückerinnerungsfahigkeit für kinästhetische Eindrücke
— im Widerspruch mit anderen Autoren — nachdrücklich hingewiesen wird.
B. unterscheidet vier Arten des Wortgedächtnisses, wobei er mit Hamilton Ge-
dächtniss als die Fähigkeit „Gewusstes unbewusst im Geiste zurückzuhalten“,
Erinnerung als die Kraft, „dieses unbewusst Gewusste in den Zustand des Be¬
wusstseins zurückzurufen“, definirt. Das Wortgedächtniss, das an centralste
Nerveneinheit geknüpft sein muss, kann sein: akustisch, optisch, glosso-kinästhetisch
und cheirokinästhetisch. Für alle diese Gedächtnissarten existiren gewisse, nicht
scharf abgegrenzte, aber functionell einheitliche Zell- und Faserbezirke, Centra:
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das akustische in den hinteren zwei Dritteln der oberen Schläfenwindung, das
optische im Gyrus angularis und Lobulus supramarginalis, das glosso-kinästhetische
in der Broca’schen Gegend, während die Lage des cheirokinästhetischen (vielleicht
GyruB frontal is medius) nicht genau bestimmbar ist. Die beiden letztgenannten
Centren haben keine motorische, sondern eine psychosensorische (cellulipetale)
Thätigkeit: die motorischen Centra für die Sprache liegen in den bulbären Kernen
die fiir die Schrift in den Vorderhörnern. Neben diesen Centra ezistiren Adnexe,
die den Flechsig’scheu Rindencentren zu entsprechen scheinen.
Die wirklichen sprachlichen Substrate des Denkens liegen im akustischen und
optischen Wortgedächtniss, von denen individuell (bei den sogenannten „Hör“-
und ,,Seh“-Menschen) bald das eine, bald das andere mit den zugehörigen Centren
stärker entwickelt sein kann. Die Existenz „sprachmotorischer“ Menschen
(Galton, Ballet) erkennt B. nicht an. — Durch die begründete Annahme, dass
bei Wiederbelebung der Worte für die Sprache nicht ein einzelnes Centnun
isolirt gereizt, sondern gewöhnlich die Nachbarcentra mit in Erreguug gebracht
werden, wird die — überdies psychologisch und klinisch nicht gerechtfertigte —
Hypothese eines „Begriffscentrums“ für B. unnöthig, und so weicht auch sein
Aphasieschema von den bekannteren, z. B. dem Licht heim’sehen, erheblich ab.
Es besteht aus vier im Quadrat aufgestellten kleinen Kreisen, von denen der linke
obere das cheirokinästhetische, der rechte obere das optische, der linke untere das
glossokinästhetische nnd der rechte untere das akustische Wortcentrum darstellt.
Das cheirokinästhetische ist mit dem optischen, dieses mit dem akustischen und
dieses mit dem glossokinästhetischen durch je eine doppelte Bahn verbunden, in
der die Reize nach zwei Richtungen verlaufen können. In einer diagonalen
Doppelbahn zwischen dem akustischen und cheirokinästhetischen und in einer
diagonalen einfachen Bahn zwischen dem optischen und glossokinästhetischen
Centrum können in seltenen Fällen ungewöhnliche Reize verlaufen. Das Schema
hat den Vortheil, dass es auch gleichzeitig eine gewisse hirnanatomische Anschau¬
ung erleichtert.
Für die Sprache sind beide Hirnhemisphären ausgebildet, die linke jedoch
— offenbar zum Zwecke grösserer Concentrirung — kräftiger entwickelt.
Das Denken ist nicht, wie z. B. Max Müller glaubt, untrennbar mit der
Sprache verknüpft, sondern nur ein Theil des Denkvermögens, besonders das ab¬
stracto Denken.
Nach der Einleitung bringt Capitel III die auf ihren Ausführungen basirende
Classification der Sprachdefecte und die folgenden Capitel die Abhandlung der
einzelnen. Es ist im Rahmen eines Referats unmöglich, auch nur einen Ueber-
blick über den grossen Reichthum an klinischem und anatomischem Material
(114 Fälle werden im Auszug mitgetheilt) und über die werthvollen psycho¬
logischen, sprachphysiologischen und pathologischen Erörterungen des Verf.’s zu
geben. Es soll nur auf einzelne Punkte hingewiesen werden:
Von den durch structurelle oder functionelle Herabsetzung der motorischen
(bulbären bezw. spinalen) Centra bedingten Sprach- und Schreibdefecten (Anarthrieen)
werden die bei Chorea, multipler Sklerose und Bulbärparalyse, sowie das Lallen
(Stammeln), Stottern und die Aphthongie kurz besprochen und anhangsweise der
Schreibkrampf und die spinalen Lähmungen erwähnt. Ausführlicher besprochen
werden die in der Litteratur vielfach unter der Rubrik der motorischen Aphasieen
gehenden Fälle von Sprachstörung durch Läsion der Pyramidenbahn. B. nennt
sie Aphemieen und unterscheidet complette (mit totaler Stummheit) und in-
complette. In beiden Gruppen ist Psyche, Sprachverständniss und — bei fehlender
Handlähmung — die Schrift unversehrt, während bei den Aphasieen und
Amnesieen (erstere das, was gewöhnlich als „motorische Aphasieen“,
letztere das, was als „sensorische Aphasieen“ — Worttaubheit, Wort*
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blindheit u. s. w. — bezeichnet wird) die Psyche in der Regel krankhaft ge¬
stört ist
Mit den letztgenannten Defecten beschäftigen sich die nächsten Capitel. Der
Reihe nach werden besprochen: die struoturelle Erkrankung der kinästhetischen
Centra, ihre fdnctionellen Beschädigungen durch Congestion, geringfügige Em-
bolieen, Gefasskrämpfe, Intoxication und Infection, Epilepsie, Psychosen und
Affecte, reflectorisch bedingte, hypnotische und hysterische. Besonders interessant
ist dabei der Abschnitt über hysterischen Mutismus, der als doppelseitige functio¬
neile Läsion der unteren Stirnwindungen (mit Einschluss der vocalen Centra der¬
selben) angesehen wird. — Agraphie kann nach B. sowohl die Zerstörung des
Broca’sehen Gebiets, als der audito-kinästhetischen Commissur begleiten, haupt¬
sächlich aber tritt sie ein bei Läsion der audito-visuellen Commissur oder durch
isolirte Verletzung des cheirokinästhetischen Centrums, dessen Vorhandensein zwar
nicht sicher feststeht, jedoch mit den von Dejerine, Miralli6 u. A. angeführten
Gründen B. nicht widerlegt erscheint.
Eingehend werden in den nächsten Capiteln die Erkrankungen der akustischen
und optischen Wortcentra, die Paraphasie und Paragraphie, sowie die Störungen
nach Beschädigung der Commissuren besprochen. Hierbei wird Lichtheim’s
„reine Worttaubheit („subcorticale sensorische Aphasie“ Wernicke’s) auf Isolirung
des linken akustischen Wortcentrums sowohl von den directen als den (durch
Balkenfasern vermittelten) indirecten centripetalen Eindrücken zurückgeführt oder
auf Zerstörung beider akustischer Wortcentren bei einem „Seh“-Menschen.
Zerstörung des akustischen Wortcentrums hindert das Sprachverständniss, das
Spontan- und Dictatschreiben und das Nachsprechen und führt zu Aphasie oder
Paraphasie.
Die Frage der Restitution und der wiederkehrenden oder gelegentlichen
Aeus8erungen behandelt das 12. Capitel, in dessen Anhang Verf. seine Classification
mit der Lichtheim’s vergleicht. Interessante Bemerkungen über Zahlenlesen
und -schreiben, sowie über die Amusie, Amimie und die Spiegelschrift füllen das
13. Capitel, während die letzten der Besprechung der Aetiologie, Diagnose und
Therapie gewidmet sind. Im Capitel über Prognose wird auch der im Ganzen
wenig berücksichtigten Frage von der Fähigkeit der Aphasischen zur Ausübung
der bürgerlichen Rechte die gebührende Beachtung geschenkt.
Die Lectüre des Buches, dessen wohlgelungene Uebersetzung eine bei der
Schwierigkeit des Themas doppelt anerkennenswerthe Leistung darstellt, ist für
alle, die sich für Sprachstörungen interessiren oder darüber arbeiten, nicht nur
rathsam, sondern unentbehrlich. Wenngleich zugegeben werden muss, dass eine
Reihe der vom Verf. angeführten Thatsachen und Fälle einer anderen Deutung
als der von ihm gegebenen sehr wohl zugänglich sind, und dass sich auch über
wichtige Fragen wohl mit ihm streiten Hesse (es sei nur auf die Behauptung der
Unfähigkeit eines willkürlichen Wiederauflebens der Eindrücke des kinästhetischen
Gedächtnisses hingewiesen), so enthält es eine grosse Menge wichtiger und neuer
Beobachtungen und zeichnet sich vor allem duroh kritische Sichtung, durch Klar¬
heit der Gedanken und Klarheit der Darstellung aus. Toby Cohn (Berlin).
21) Beitrüge zur Behandlung der motorisohen Aphasie nach oerebralen
Störungen, von Dr. Vidal, Specialarzt für Sprachstörungen in München.
(Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 32.)
Verf. betont, eine wie dankbare Aufgabe die Behandlung motorischer Apha-
sieen darstelle, die allerdings grosse Geduld erfordert. Die Bensorische Aphasie
soll der Therapie nicht so gut zugänglich sein. Bis kommt darauf an, die Defecte
in der Sprache zu bestimmen und dann die einzelnen Laute durch Vorsprechen
methodisch zu lehren. E. Asch (Frankfurt a/M.)
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22) Die Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kinder, von Dr. Alb.
Liebmann. (Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen Psychologie
und Physiologie. IV. 1901.)
Bei geistig zurückgebliebenen Kindern findet man durch eine Untersuchung
sämmtlicher centraler Fähigkeiten (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tast-,
Druck-, Temperatursinn, Schmerzgefühl, Geschicklichkeit der Körper- und Hand-
musculatur, spontane Sprache, Fähigkeit des Nachsprechens) bei jedem Patienten
ganz bestimmte Defecte heraus, die je nach der Art und dem Grade des Fall«
verschieden sind. Eine sehr hervorragende Stellung nehmen dabei die Sprach¬
störungen ein; sie geben einen besonders tiefen Einblick in die geistige Structur
des Patienten und ihre Beseitigung fördert häufig die geistige Entwickelung.
Die meisten Sprachstörungen sind secundär, beruhend auf der geistigen In¬
feriorität des Kindes. Am häufigsten findet sich mehr oder weniger völlige Stumm¬
heit, mit fehlendem oder mangelhaftem Sprachverständniss. Die Prognose richtet
sich danach, ob die Kinder apathisch und unerregbar sind, oder ob man ihre
Aufmerksamkeit erregen kann. Die Therapie muss zuerst dem Patienten Inter¬
esse ftlr die Dinge der Umgebung einpflanzen und seine acustisehen, optischen,
tactilen und motorischen Fähigkeiten entwickeln. Dann erst beginnt der eigent¬
liche Sprachunterricht, zuerst Uebungen im Nachsprechen, dann in spontaner
Sprache; endlich ist der Agrammatismus zu beseitigen. Eine zweite Becundäre
Sprachstörung ist das Stammeln, die Unfähigkeit, alle Laute und Lautverbindungen
in correcter Weise zu bilden. Ferner gehören hierher gewisse Fälle von Stottern
und Poltern, die auf einer Disharmonie zwischen mechanischer und formaler
Sprache beruhen.
Bei primären Sprachstörungen ist das Zurückbleiben der geistigen Entwicke¬
lung auf die undeutliche Sprache zurückzuführen. Solche Kinder pflegen an hoch¬
gradigem Stammeln zu laboriren, das häufig durch organische Veränderungen be¬
dingt ist, in anderen Fällen aber als functioneil angesehen werden muss. Am
meisten leidet die Intelligenz, wenn noch Schwerhörigkeit hinzukommt.
An der Hand von sieben Krankengeschichten erläutert Verf. eingehend die
verschiedenartigen Fälle und die dabei angewandten Behr sorgsamen Heilverfahren.
E. Beyer (Littenweiler).
23) Die Sprache schwerhöriger Kinder, von Dr. Alb. Lieb mann. (Bresgen’s
Sammlung zwangloser Abhandlungen. V. 1901.)
Schädigungen der Sprache von Seiten mangelhaften Gehörs treten hervor
einerseits in dem mangelhaften Sprachverständniss und den daraus resultirenden
Folgen, andererseits in einer undeutlichen Aussprache. Wesentlich ist der Zeit¬
punkt, in dem die Gehörsherabsetzung eintritt, und der Grad der Gehörstörung,
ferner die Intelligenz des Kindes und das Verhalten der Umgebung. Eine bis
etwa zum 7. Lebensjahre auftretende Schwerhörigkeit ist auch im stände, die
bereits erlernte Lautsprache wieder zum Verschwinden zu bringen, sei es völlig
oder doch bis auf Rudimente. Bei späterem Eintritt verliert die Sprache an
Wohlklang und Deutlichkeit und nimmt charakteristische lautliche Mängel an.
Hochgradig schwerhörige Kinder bringen es ohne Kunsthülfe meist nur zu
einer unvollkommenen Sprache. In formaler Beziehung ist bemerkenswerth der
meist ausserordentlich geringe Wortschatz. Die Kinder suchen dem abzuhelfen,
indem sie das fehlende Wort durch ein irgendwie verwandtes ersetzen, oder
durch Zeichensprache. Natürlich muss dabei die geistige Entwickelung sehr er¬
heblich Zurückbleiben, und daraus resultirt die Unfähigkeit, in zusammenhängenden,
geordnet flectirten Sätzen zu sprechen (Agrammatismus).
Die lautlichen Mängel der Sprache bestehen in eigentümlich monotonem
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Klang, mangelhafter Betonung und verwaschener Artioulation. Die Klangfarbe
der Vocale pflegt in charakteristischer Weise alterirt zu sein. Consonanten fehlen
in hochgradigen Fällen fast alle. Ferner werden Mängel der Lautverbindung be*
obachtet
Die Behandlung ist je nach der Lage des einzelnen Falles verschieden: bald
ist nur die mangelhafte Aussprache zu verbessern, in anderen Fällen muss man
dem Kranken auch alle fehlenden Worte und Begriffe und eine richtige gram*
matisch-syntactische Sprache beibringen. Zu warnen ist vor gemeinsamem Unter¬
richt mit Taubstummen. Verf. schildert eingehend sein Verfahren, welches ihn
meist in ungefähr 3 Monaten zum Ziele fährt E. Beyer (Littenweiler).
24) Ueber die Sprache der Schwerhörigen und Ertaubten, von Hermann
Gutzmann. Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin in Berlin.
(Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 18 u. 19.)
Das Gehör ist fär die Perception unter normalen Verhältnissen der am
meisten und stärksten benutzte Sinn und bei der Production der Sprache von
grosser Wichtigkeit, indem Tonhöhe, Betonung, Timbre der Stimme und die ver¬
schiedenen Arten der Geräusche durch das Gehör leicht und gut verglichen werden.
Das Gehör allein ist aber unmöglich als Controlleur der Sprache an-
zusehen, der wichtigste Controllsinn ist vielmehr das Gefähl in seinen verschie¬
denen Hautsinnen und dem Muskelsinn. Die Fähigkeit, die Lage und Bewegung
der Sprachorgane während der Sprachproduction selbst zu beurtheilen, ist sehr
verschieden ausgebildet; sie hängt bei den verschiedenen Personen von dem Grade
der Aufmerksamkeit ab, die sie von früh an den Gefühlssinnen zuwenden, und es
x kann die Benutzung der Gefählssinne fär die Sprachcontrolle durch aufmerksame
systematische Uebungen bedeutend gesteigert werden. Das ist aber therapeutisch
ausserordentlich wichtig, wie Verf. im weiteren Verlauf seiner geistvollen Aus¬
führungen darlegt. Das Detail derselben muss im Original studirt werden.
R. Pfeiffer.
25) Synoope et asphyxie locale, par A. Garrigues. (Gazette des höpitaux.
1901.)
Verf. setzt kurz auseinander, dass Raynaud’sche Krankheit und Sklerodermie
nur verschiedene Manifestationen eines endarteriitischen Processes sind, der bei
schwerer Läsion der Capillaren zur Gangrän, bei leichterer zur Sklerodermie führt.
R. Hatschek (Wien).
20) Prlmaire Erythromelalgie, door Dr. W. J. Köppius. (Ned. Tydschr. van
Genesk. 1901. Nr. 24.)
Verf. beschreibt zwei Fälle von Erythromelalgie:
Der erste Fall betrifft ein 24jähr. Mädchen; es traten starke Schmerzen auf
in der linken Hand, am meisten in den ‘Fingerspitzen: diese wurden dabei roth
und geschwollen. Der Fall heilte aus unter Behandlung mit Sol. Fowleri und
Mentholvaselin äusserlich; später trat nochmals ein Recidiv auf, das bei derselben
Behandlung wieder heilte.
Der zweite Fall betrifft ein Kind von l 1 /* Jahren; es litt zugleich an Consti-
pation. Die Händchen und Fässchen waren roth und geschwollen; obwohl das
Kind schon vorher laufen konnte, that dasselbe es nicht mehr und weinte, wenn man
ihm die Händchen anfasste. Eine verbesserte Dentition gab keine Erleichterung.
Es schwitzte viel, hatte aber Fieber. Hände und Füsse sind kalt ausser bei den
Anfällen. Zuweilen traten Bläschen auf an den Fässchen, die ein seropurulentes
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678
Sekret secerniren und danach wieder heilen. Später wurde das Kind wieder
gesund.
Perniones, Raynaud’sche Krankheit und Akrodynie waren auszuschliessen;
auch war in beiden Fällen kein organisches Nervenleiden nachweisbar; beide
Fälle gehören also zu der primären Erythromelalgie. Auch waren in beiden
Fällen keine allgemeinen Neurosen zu constatiren. Ten Cate (Rotterdam).
97) Faralysis of the oervioal sympathetio, by Parves Stewart. (Brit. med.
Journ. 1901. 8. Juni.)
Mittheilung eines Falles von Schussverletzung des Cervicaltheils des Sym-
pathicus. Einem im Gefecht auf der Erde liegenden Soldaten war ein Mauser-
geeohoss etwa l 1 /, Zoll unterhalb des Proc. mastoideus in die linke Halsseite
ein- und, die Frontalseite der Wirbelsäule streifend, in der rechten hinteren
Axillarlinie ausgetreten.
Unmittelbar nach der Verletzung hatte vorübergehend völlige Lähmung der
rechten oberen Extremität bestanden.
Bei der 2 1 /, Monate später vorgenommenen Untersuchung fand sich noch
Parese des rechten M. opponens; keinerlei Atrophie. Ferner fand sich eine von
der Höhe der Achsel sich nach unten über die ganze dorsale sowie die ulnare
Hälfte der Volarseite des rechten Ober- und Unterarms erstreckende leichte Haut¬
anästhesie, welche letztere auch auf den 6. und die Ulnarseite des 4. Fingers
herabreichte.
Rechter Bulbus leicht zurückgewichen; die rechte Augenlidspalte ist verengt.
Die rechte Pupille kleiner als die linke; erstere reagirte auf Accommodation
und Lichteinfall, blieb aber beim Beschatten des Auges contrahirt. ,
Endlich fand Verf. auf der rechten Körperhälfte eine scharf umschriebene
Zone mit völliger Anhidrosis. — Die Zone wurde begrenzt von einer Linie, welche
etwa vorn von der Mitte des Brustbeins — in der Höhe der 3. Rippe — nach
oben und hinten über die Pfeilnaht zum Dornfortsatz des 3. Brustwirbels ver¬
läuft; auch die ganze rechte obere Extremität zeigt Anhidrosis.
Die Kugel hatte demnach den unteren Theil des Plexus brachialis, speciell
die Nervenwurzeln vor Abgang der Rami communicantes und hierdurch den Hals-
sympathicus verletzt. — Auf die Verletzung des Halstheils des Sympathicus deuten
nicht nur die oculo-pupillären Symptome, sondern besonders die beschriebene
Anhidrosis. Letztere ist nicht als vasomotorische Störung aufzufassen; denn Pilo-
carpininjectionen, welche ohne Wirkung auf die Vasodilatatoren die die Schweiss-
secretion erregenden Nervenfasern direct beeinflussen, brachte an der beschriebenen
Zone auch keinen Schweiss hervor, während der übrige Körper heftigen Schweiss¬
ausbruch zeigte. E. Lehmann (Oeynhausen).
28) Zur Caauistlk der vasomotorischen Störungen, von W. Mager. (Prager
med. W’ochenschr. 1901. S. 316.)
löjähr. Mädchen. Im 13. Jahre allmählich Unvermögen zu gehen, indem die
Beine im Kniegelenk nicht vollständig gestreckt werden konnten.
Stat. praes.: Concentrische Gesichtsfeldeinschränkung, Fehlen des Corneal-,
Herabsetzung des Gaumensegelreflexes.
Am Thorax, den oberen Gliedmaassen und Oberschenkeln ausgezeichneter
Dermatographismus (Urticaria factitia). Tiefe Reflexe bedeutend gesteigert. An
den Händen, gegen die Fingerspitzen zunehmend, bläuliches, stellenweise marmo-
rirtes Aussehen der Haut, Nägel dunkelblau verfärbt.
Musculatur der Unterschenkel mässig atrophisch. Beine im Kniegelenk leicht
gebeugt; rechts ausgleichbar, links nicht vollständig (Gelenksconstituentien ver-
y Google
679
ändert). Patellarsehnenreflexe gesteigert (links Patellarklonus), beiderseits Fuss-
phänomen. Cruralpuls deutlich. Gefässe in der Kniekehle und an den Knöcheln
nicht zu palpiren.
Vom Kniegelenk abwärts in peripheriewärts {zunehmender Intensität bläulich-
rothe Verfärbung der Haut, welche sich kühl anfühlt (auch subjectiv empfindet
Patientin daselbst Kältegefühl). Bei mechanischen Reizen der verfärbten Stellen
tritt zuerst eine weisse Zone auf, in deren Mitte nach 2—3 Minuten sich eine
rothe Linie zeigt, welche sich nach beiden Seiten allmählich verbreitert. Nach
10—15 Minuten ist das ganze Phänomen vorüber.
Sensibilität normal. Nur in der periphersten Portion der unteren Extremi¬
täten besteht leichte Hypästhesie; auch wird warm und kalt nicht Bicher unter¬
schieden.
In der Musculatur der unteren Gliedmaassen traten während der Untersuchung
wiederholt kurzwellige klonische Zuckungen auf.
Nach Erörterung der Differentialdiagnose, wobei besonders Cassirer's be¬
kannte Monographie eingehend Berücksichtigung findet, fasst Verf. den Fall als
Hysterie auf mit an Raynaud’sche Krankheit sich anlehnenden Symptomen.
Pilcz (Wien).
29) Sohwindel, von Dr. Rudolf Panse. (Zeitschr. f. Ohrenheilk. XLI. 1902.)
Unter Schwindol, vielleicht besser Lageschwindel genannt, verstehen wir eine
Täuschung über unser Verhältniss zum Raum. Sie wird empfunden entweder als
Veränderung unserer Körperlage, oder wir beziehen die Empfindung auf unsere
Umgebung, indem diese sich zu bewegen scheint.
Ueber das Verhältniss unseres Körpers zum Raum bilden wir uns ein Urtheil
durch drei verschiedene Sinnesbahnen: durch die Augen, dnrch das Gleichgewichts¬
organ im Labyrinth des Ohres und durch das kinästhetische Gefühl, d. h. die
Haut-, Muskel-, Gelenk-, auch wohl Eingeweideempfindungen. Auf jeder dieser
Bahnen können krankhafte Reize angreifen, die, wenn sie stark genug sind, zu
Täuschungen über unsere Lage im Raum, zu Schwindel, führen.
Verf. giebt eine eingehende Darstellung der hier in Betracht kommenden
anatomischen, physiologischen und pathologischen Verhältnisse und bespricht die
in der Litteratur vorliegenden Beobachtungen und Experimente. Die Anatomie
der Nervenbahnen wird an acht schematischen Abbildungen erläutert.
Die krankhaften Störungen sind zu scheiden in Reiz- und Ausfallserscheinungen,
und sie können nur eine oder mehrere Bahnen gleichzeitig befallen. Da bei Aus¬
fall in einer einzelnen die beiden anderen im allgemeinen hinreichend für sie
eintreten, so muss ein Reiz schon eine gewisse Stärke haben, wenn er von einer
einzigen der drei Sinnesbahnen aus zu Schwindel führen soll. Schwächere Reize
an zwei verschiedenen Sinnesbahnen können sich auch zu demselben Enderfolg
verbinden. Bei Ausfall zweier Sinnesbahnen reichen schon die gewohnten Haltungen
und Lageveränderungen hin, um Schwindel auftreten zu lassen.
Der Sitz der Schädigung kann ein verschiedener sein; die Bahnen können
von ihrem peripheren Ende bis zu den Stellen getroffen sein, wo die Fasern ab¬
gehen, die sie untereinander verbinden.
Die Versuche, welche schwachen Schwindel bis zum Auftreten sichtbarer Er- •
scheinungen steigern können, d. h. zu Taumeln und Nystagmus, können unter
Umständen auch zur Diagnose führen. Wird eine der drei Bahnen ohne Ver¬
mehrung des Schwindels ausgeschaltet, so ist sie nutzlos, gelähmt; wird der
Schwindel dadurch besser, so ist sie der Sitz des Leidens; wird er stärker, so
ist sie zum Ersatz nothwendig und brauchbar, also wenig geschädigt. Verstärkung
des Reizes fördert die Ortsdiagnose nicht. E. Beyer (Littenweiler).
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680
30) Meniöre’soher Symptomenoomplex, geheilt mittelst des galvanischen
Stromes, von Dr. Julius Donath. (Wiener klin. Wochenschr. 1901.
Nr. 47.)
Der 40jähr. Schriftsetzer litt an typischem Meniöre’schem Schwindel seit
dem 17. Lebensjahre. Abnahme des Gehörs, Schwindel, Kopfschmerz, Erbrechen,
Ohrensausen; Schweissausbruch im Beginn des Anfalles. Beiderseitiger Mittelohr-
catarrh und Acusticusanästhesie. Unter Galvanisation des Acusticus (Kathode im
Nacken, Anode auf den einen und anderen Tragus 2—5 M.-A.) hörte der Schwindel
nach der ersten Sitzung auf. Es wurden erst sechs und später noch fünf Sitzungen
vorgenommen. Es blieben nur Ohrgeräusche zurück und an Stelle der Anästhesie
trat Hyperästhesie des Acustious. Jede andere Therapie war erfolglos gewesen.
J. Sorgo (Wien).
31) Die Seekrankheit. Vorschläge zu ihrer gemeinsamen Bekämpfung
durch Techniker und Aerste, von Med.-Rath C. Schwerdt (Jena, 1901.)
Die kleine Schrift hält nicht das, was der Titel verspricht: sie bringt nach
einigen allgemeinen Wendungen über das Erspriessliche eines harmonischen Zu-
sammenarbeitens von Medicin und Technik das dürftige Gerippe eines Vorschlages,
der dahin geht, durch einige Aenderungen in der Schiffsconstruction (vier an den
Enden des Schiffes angebrachte, mit comprimirter Luft gefüllte Schächte, an deren
Boden sich die Schrauben, ebenfalls in der Vierzahl und von verschiedener
Wirkungsrichtung, befinden) die Schwankungen zu vermindern. Die Entscheidung
über die constructive Möglichkeit und Wirksamkeit dieser „Verbesserungen“ ist
eine rein technische und keine medicinische Angelegenheit. Zwei sehr grob¬
schematisch gehaltene Skizzen, die am Schluss beigefügt sind, tragen nicht viel
dazu bei, den Leser von der Bedeutung der Neuerung zu überzeugen.
H. Haenel (Dresden).
32) Ueber Seekrankheit, von Rob. Puhlmann. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.)
Verf., selbst seit längeren Jahren Schiffsarzt, gieht erst eine Symptomatologie
der Seekrankheit, wobei er neben den körperlichen auch den psychischen Sym¬
ptomen ihr Recht einräumt. Die Behandlung muss eine symptomatische sein, ein
Specificum gegen die Krankheit giebt es nicht, so viele auoh empfohlen worden
sind; neben den verschiedenen Medicamenten, Narcoticis, Eisbeutel auf die Wirbel¬
säule u. ähnl., ist die Suggestionstherapie oft von überraschendem Erfolge.
Schliesslich giebt Verf. eine Uebersicht über die verschiedenen bisher aufgestellten
Theorieen, die zum grossen Theile einen sehr „theoretischen“ Eindruck machen;
nicht erwähnt wird dabei die eine, nach Ansicht des Ref. recht einleuchtende, die
das Wesentliche der Krankheit in der Verwirrung des Gefühls vom eigenen
Körpergewicht sucht, hervorgerufen durch den wechselnden Druck der Fussaohlen
auf den Boden, der dem erwarteten immer gerade entgegengesetzt ist; bei der
Abwärtsbewegung Verminderung dieses Druckes, also Gefühl des Leichterwerdens,
bei der Aufwärtsbewegung Vermehrung, also Gefühl des Schwererwerdens. Jeden¬
falls setzt sich, was vielleicht noch mehr hätte hervorgehoben werden können, das
Gesammtbild der Seekrankheit aus einer ganzen Anzahl von Einzelfactoren zu¬
sammen, und der Versuch, auf Grund einer einzigen Theorie alle Symptome
erklären zu wollen, wird immer lückenhaft bleiben. H. Haenel (Dresden).
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681
Forensische Psychiatrie.
33) Die Unterbringung geisteskranker Verbrecher, von Medicinalrath Dr.
P. Näcke. (Halle, 1902, Marhold. 57 S.)
Unter Heranziehung fremder Erfahrung (das Litteraturverzeichniss enthält
78 Nummern) und auf Grund eigener reicher Erfahrung beantwortet der Verf.
die Frage, wo die geisteskranken Verbrecher unterzubringen seien.
Als solche bezeichnet er mit Recht nur diejenigen Verbrecher, welche in der
Strafanstalt die ersten Zeichen von Irrsinn zeigen.
Principiell gehörten dieselben, da sie Geisteskranke sind, in die Irrenanstalten.
Hier will man sie aber meist nicht, entweder aus dem „sentimentalen“
Grunde, dass man bestrafte und unbestrafte Irre nicht zusammenbringen dürfe,
ein Grund, welcher nach dem Verf. ein sehr hohler ist, oder weil sie zu gefähr¬
lich und Btorend seien, was nur dann zu trifft, wenn sie in grosser Zahl Vor¬
kommen und nicht zweckmässig vertheilt sind oder weil sie durch ihre Anwesen¬
heit die Durchführung des no-restraint unmöglich machen, ein Ein wand, welcher
ebenfalls zurückgewiesen wird. Nur der Einwand, dass der Irrenarzt durch die
Au fn ah m e jener Elemente eine schwere Verantwortlichkeit zu tragen hat, scheint
dem Verf. wirklich schwerwiegend.
Da sich die Gefängnisse ebenso wie die Irrenanstalten sträuben, die geistes¬
kranken Verbrecher zu behalten, so hat man drei verschiedene Systeme versucht,
welche eingehend und kritisch besprochen werden: 1. Centralanstalten für irre
Verbrecher (England, Amerika, Italien); 2. Adnexe an Irrenanstalten (Frankreich,
Deutschland, hier besonders Dalldorf, Amerika, Petersburg); 3. Adnexe an Straf¬
anstalten (Perth, 1876 Waldheim, Moabit u. s. w.).
Dies System hat sich, besonders in Deutschland, gut bewährt, und Verf. tritt
für dasselbe unter ausführlicher Erörterung, wie hier der innere Betrieb zu regeln
sei, ein.
Endlich wird die Frage nach der Unterbringung der „verminderten Zurech¬
nungsfähigen“ erörtert.
Die kurze Skizze soll auf die Reichhaltigkeit der Arbeit hinweisen. Sie
wird jedem, welcher sich für die Frage interessirt, durch die klare und kritische
Erörterung derselben leicht über den augenblicklichen Stand der Angelegenheit
informiren, wie den Beamten und Behörden, welche über die Einrichtung der¬
artiger Anstalten zu bestimmen haben, das Material bieten, von dem sie bei
ihren Entschliessungen auszugehen haben. M.
34) Welohe Gesichtspunkte sind maassgebend für die Frage, ob eine
Entmündigung auszuspreohen ist wegen Geisteskrankheit oder wegen
Gei8tessohwftoheP Urtheil des vierten Civilsenats des Reichsgerichtes vom
13./II. 1902. (Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen. Bd. L. S. 203.)
Das vorliegende Urtheil enthält, so viel mir bekannt, die erste Entscheidung
des höchsten Gerichtshofes über den Begriff der „Geistesschwäche“ des Bürgerlichen
Gesetzbuches. Dasselbe ist in einer Entmündigungssache ergangen, in welcher
ich vor dem Kammergericht ein Gutachten darüber abzugeben hatte, ob der
Provocat geisteskrank oder geistesschwach ist. 1
Da die Begriffe psychiatrisch einander nicht gegenüberzustellen sind, hatte
ich in meinem Gutachten ausgeführt, dass zur Entscheidung, ob geisteskrank oder
geistesschwach, im concreten Falle nachzusehen sei, ob „diejenigen Rechte, welche
das Gesetz dem Geistesschwachen gegenüber dem Geisteskranken Vorbehalten
1 Das Gatachten erscheint demnächst in extenso in der ärztl. Sachverständigen-Zeitung.
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hat, von dem Betreffenden thatsächlich ohne Schädigung für ihn oder Andere
ausgeübt werden können“.
Ich erklärte auf Grund der nach diesem Grundsätze angeetellten Unter¬
suchung den Provocaten für geisteskrank.
Das Kammergericht entschied meinem Gutachten entsprechend, das Beicta-
gericht billigte die Entscheidung und ihre Begründung und wies die gegen die¬
selbe eingelegte Revision zurück.
Der Schluss des Urtheils lautet:
„Fehlt es nun aber hiernach an jedem zuverlässigen Merkmal eines wesent¬
lichen Unterschieds zwischen Geisteskrankheit und Geistesschwäche, so ergiebt sich
mit Sicherheit doch soviel, dass jene die schwerere und diese die leichtere Fora
ist. Bei der Feststellung, ob die erstere oder die letztere im Sinne des § 6
Nr. 1 B.G.B. vorliegt, ist man im Wesentlichen darauf angewiesen, aus der Stärke
der Wirkung auf die Stärke der Ursache zu schliessen und nach diesem Mm-
stab zu bestimmen, ob das Denken, Wollen und Handeln des Kranken durch die
Störung seiner Geisteskräfte in einem solchen Grade regelwidrig beeinflusst wixi
dass er entweder, wie ein Kind, gänzlich geschäftsunfähig oder nach Art ein«
Minderjährigen, der das 7. Lebensjahr vollendet hat, nur in beschränkter Weis
geschäftsfähig erscheint.
In dem ersten Falle entspricht es der Absicht des Gesetzes, wie sie aus den
entsprechend normirten Rechtsfolgen erkennbar wird, die Entmündigung wegen
Geisteskrankheit, in dem zweiten, sie wegen Geistesschwäche eintreten k
lassen. Diese Entscheidung ist daher, mangels hierüber feststehender medicinischef
Begriffe, keine psychiatrische, sondern eine überwiegend thatsächliche, welche de
Richter trifft und die nur zum Theil auf dem ärztlichen Gutachten, das da
Stoff zu seinen Schlüssen liefert, beruht.“ MendeL
Psychiatrie.
35) Una teorla dell* alluoinazione, del Prof. E. Tanzi. (Rivista di patologi»
nervosa e mentale. 1901. December.)
Eine verbreitete Hypothese sucht das halluoinatorische Phänomen patho¬
genetisch aus einem Reizzustand des betreffenden psychosensorischen Centnus-
der entweder durch eine periphere Erregung oder durch eine Wahnidee oder
endlich durch einen loco einsetzenden Erregungsprocess verursacht gedacht wurde-
zu erklären. Seitdem die örtliche Geschiedenheit der Projections- und Association*
gebiete und die asymmetrische (unilaterale?) Lage der letzteren kanm noch be¬
zweifelt wird, erheben sich auch gewichtige Einwände gegen die obige Doctrrn
Hält man ihr zu Folge daran fest, die Bildung von Empfindungen und Vor¬
stellungen in einem gemeinsamen Centrum zu behaupten, so bestreitet man ü'
Möglichkeit, dass sich die Hallucinationen anders als quantitativ von den Vor¬
stellungen unterscheiden und muss Grenzphänomene zwischen beiden und dauu'-
die Möglichkeit zulassen, dass der normale Mensch gelegentlich zweifeln müsste
ob er vorstellt oder hallucinirt. Wie will man ferner damit das Zustandekommen
ver8tandesmässig geformter sinnreicher Hallucinationen erklären, und wie kanr
man die absurde Forderung, dass, um das Auftauchen ganzer, niemals hemiopisebe-
Trugbilder zu verstehen, immer zwei gleiche krankhafte Reize genau comp^
mentäre Punkte beider Hemisphären treffen müssten, anders vermeiden, als indem
man die irreführende Hypothese über Bord wirft?
Wahrscheinlich sind die bilateralen Sinnescentren unter normalen Verhält-
nissen nur Stationen für die Empfindungen, welche von hier aus in Symbole ver¬
wandelt und, ohne Spuren zu hinterlassen, auf gleichseitigen und gekremter
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683
Bahnen in die (einseitigen?) transcorticalen Vorstellungs(Erinnerung8)centren pro-
jicirt und dort registrirt bezw. zu Symbolen aus Symbolen (Begriffen) sublimirt,
in eine nochmals übergeordnete Zone deponirt werden. — Die Sinnesfelder dienen
also normaliter ausschliesslich bezw. als Spiegel, als Resonator, als Sensaphor der
optischen, acustischen, sensiblen Reize der Aussenwelt. Aber unter pathologischen
oder ungewöhnlichen Verhältnissen können sie auch Vorstellungsbilder, Symbole
der Wirklichkeit wiedergeben, vorausgesetzt, dass die normale Erregungsrichtung
der nervösen Energie sich amkehrt. Rückläufige, aus den oberen Centren zu
den Sinnesfeldern herabsteigende Bahnen sind constant in allen auf*
steigenden Projectionsbahnen vorhanden; ihnen liegen entweder regulirende Ein¬
flüsse auf die Empfindungen (Fleohsig) oder tonisch-dynamogene Functionen im
Dienste der Aufmerksamkeit (Ramön y Cajal) oder vielleicht beides zugleich
ob (Bahnung für branchbare, Hemmung für störende Empfindungen). Eine ausser-
gewöhnliche Erregung, welche die rückläufigen Fasern in pathologische Verhält¬
nisse versetzt und sie für schwächere Reize als sonst empfänglich macht, eröffnet
also den hallucinatorischen Elementen eine schon befahrene und zielwärts geneigte
Bahn. Indem diese Leitung theils durch Zuführung entsprechender Reize vom
Vorstellungscentrum her das hallucinatorische Phantasma (z. B. eine Vision) ent¬
stehen lässt, theils in den von der Hallucination beherrschten Zellgruppen das
Bild der Wirklichkeit abschwächt, setzt sich die Vision an die Stelle eines realen
Bildes, welches von ihr bedeckt und neutralisirt, zu einem Rindenscotom ver¬
schwimmt. Die Hallncination besteht also wesentlich in dieser Rückwärts -
leitung und erhält damit ihre besondere Physiognomie. Sie ist die krank¬
hafte Herabsetzung einer Vorstellung, welche aus Empfindung
entstanden, unter abnormen Bedingungen durch Abbau wieder Em¬
pfindung geworden ist; psychologisch ein Involutionsphänomen;
physiologisch ein ungewohntes Phänomen rückläufiger Association,
subjectiv eine Empfindung.
Anwendungen der Theorie. — Wo (im toxischen und Fieberdelir, in der
Amenz) eine krankhafte Reizung der Hirnrinde angenommen werden muss, da
kann selbige äusserst umschrieben sein, ein Symbol, eine Idee, einen Theil
einer solchen betreffen; dennoch wird die resultirende Sinnestäuschung immer als
vollständiges Phänomen zu Stande kommen. Hierbei wiederholt sich nur der
normale Wabmehmungsprocess, in welchem dem neu von aussen ins Sinnesfeld
eingetretenen Bilde symbolische Residuen ähnlicher Bilder zwecks besserer
Differenzirung und Auslese seiner Einzelheiten zugeführt werden, jedoch mit dem
Unterschied, dass dieser Vorgang sich jetzt ohne den auslösenden Reiz einer
entsprechenden Etapfindung idiopathisch in solchem Uebermaass vollzieht, dass der
Eindruck einer neuen Empfindung resultirt.
Das Auftreten von Hallucinationen bei geschlossenen Augen, ihr Ver¬
schwinden beim Oeffnen derselben (Symptom der Erschöpfung, Vergiftung, des
Shoks und Traumphänomen) versteht sich so, dass hier, d. h. in Zuständen, wo
der pathologische oder Ermüdungsprocess nur eine mässige Höhe erreicht, das
leere Sinnesfeld ein blasses inneres Bild lebhafter zurückwerfen muss, als es ein
vollbesetztes und vollbeschäftigtes Centrum thun kann. Die Traumhallucination
wahrt den Zusammenhang mit der Associationstotalität — Subject oder Object —
aus welcher sie hervortrat.
Das Phänomen des Gedankenlautwerdens, welches mehr noch wie die
vorigen Erscheinungen unter der Voraussetzung eines gemeinsamen Centrums der
Vorstellungen und Sinnestäuschungen den Erklärungsversuchen Bpottete, bedarf
nur der Ablehnung dieser Annahme, um verständlich zu sein. Wenn die Hallu¬
cination sich nicht immer als eine Copie des Gedankens darstellt, so beruht das
entweder darauf, dass die Geschwindigkeit des sensorischen Widerhalls die ideelle
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r>
V
684
Identification unverhältnissmässig übereilt, oder dass die damit in Causalnexus
befindliche Vorstellung zu flüchtig war, zu weit abseits der Aufmerksamkeit stand,
oder von ihr als abweichend und fremdartig abgelehnt wurde (neckende Stimmen,
räthselhaftes Raunen, Schreckvisionen).
Die Verkehrungen des Gemeingefühls der Paralytiker sind als hallo-
cinatorische Effecte dauernder autoohthoner Reizzustände ihrer Körpergefühlssphärt
zu betrachten, welche, weil mit den Centren der Objectvorstellungen weniger innig
associirt als die höheren Sinnescentren, aus ihren Hallucinationen nur jenen charak¬
teristischen Zug inhaltloser unmotivirbarer und vager Stimmungsanomalie zu ge¬
stalten vermag.
Trifft einen peripheren Sinnesnerv ein nicht adaequater Reiz, so treten ah
normale Reactionen Parästhesieen ein. Bereits bestehende oder latente tram-
corticale Krankheitsprocesse können an diese ungewohnte Empfindung an- und sie
zu einer vollständigen Sinnestäuschung ausbauen; eigentliche periphere Haifa-
cinationen aber giebt es nicht.
Auf dieselbe Weise vollzieht sich das Phänomen einseitiger Gehörs¬
täuschungen. Da die Wortvorstellungscentren gleich allen übrigen symbolischen
und abstractiven Transcorticalcentren unpaarig und mit Raumvorstellungscentren
nicht in unmittelbarem Connex sind, so erfolgt die Projection einer Stimme in
den Raum (oder in ein Ohr) immer erst unmittelbar durch eine anderweitige
Association. Die Aufmerksamkeit eines Paranoischen nun, welcher zufällig sn
linksseitigen Akusmen leidet, wird dadurch häufig in dieser Richtung abgelenkt
vermittelt die Bahnung eines Associationsbogens zwischen dem transcorticaleo
Centrum mit seinem Wahninhalt und dem Sitz des Parakusma, bis nach dem oben
geschilderten Process allmählich eine Dauerhallucination herauskristallisirt
Schmidt (Freiburg i/SchL).
36) Gynäkologie in Irrenhäusern, von B. S. Schnitze. (Monatsschrift für
Geburtsh. u. Gynäkol. XV. 1902.) ,
Verf. erinnert an eine seiner Arbeiten aus früheren Jahren (1880), in der
er den nicht seltenen Zusammenhang zwischen weiblichen Genitalleiden und
Psychosen betonte und die Forderung aufstellte, dass an jeder Irrenanstalt einer
der Assistenten ein fertiger Gynäkologe sein sollte. Er berichtet darauf übe
eine Arbeit von Hobbs (Buffalo med. Joura. 1902), der die Resultate eine
6jährigen systematischen Behandlung von Geisteskranken in gynäkologischer Be¬
ziehung wiedergiebt. Bei 1000 Untersuchten fand sich 263 Mal ein Genitalleiden.
das einer operativen Behandlung zugänglich war. Von diesen 263 Operirten
starben 6, 100 wurden von der Psychose genesen, 69 gebessert entlassen. Ueber
den Einfluss dieser Behandlung auf die Psychose giebt die folgende Zusammen¬
stellung Aufschluss: In den 10 Jahren vor der Einführung der gynäkologischen
Untersuchung betrug das Verhältniss der geheilt und gebessert entlassenen Männer
zu der Zahl der Aufgenommenen 36,28 °/ 0 , das der Frauen 87,5%. In der fünf
jährigen Periode, die der Einführung operativer Therapie folgte, stieg die Zahl
der weiblichen Entlassungen auf 52,7 %, während das der Männer 35°/ 0 blieb.
Die Zunahme der Heilerfolge bei den Frauen verhielt sich also etwa wie 100:140.
ist also sehr beträchtlich. Auch die Dauerhaftigkeit der so erzielten Erfolge lieai
nichts zu wünschen übrig, indem die Zahl der rückfällig erkrankten Frauen gegen
früher sich nicht veränderte (19%). Auf Grund dieser Zahlen wiederholt Verf
mit Nachdruck seine früher ausgesprochene Forderung.
H. Haenel (Dresden).
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685
m. Bibliographie.
Hirnersohütterung, Hirndruok und ohirurgisohe Eingriffe bei Hirnkrank¬
heiten, von Theodor Kocher. (Wien, 1901. Alfred Hölder. 457 S.)
Aus Theodor Kocher’s Feder ist ein neues Meisterwerk erschienen, welches
bei der hervorragenden Bedeutung der behandelten Materie des allgemeinen
Interesses von vornherein um so sicherer sein dürfte, als der Verf. in Bezug auf *
zahlreiche grundlegende Fragen einen durchaus originellen — wenn auch noch
nicht allseitig anerkannten — Standpunkt vertritt.
Nach Verf. sind die Unterschiede zwischen Hirnerschütterung und Hirn¬
druck — so prägnant sie sich gelegentlich auch darstellen mögen — im Wesent¬
lichen nur quantitativer Natur. Der Hirndruck kommt zu Stande durch
eine ßaumheengung innerhalb der Schädelkapsel, welche den Inhalt nöthigt aus¬
zuweichen und, sobald ein Ausweichen nicht möglich ist, denselben unter eine
abnorme Spannung versetzt, welche die Function einzelner Theile und schliesslich
des ganzen Gehirnes beeinträchtigt. Die Hirnerschütterung kommt ebenfalls
durch Raumbeengung in der Schädelkapsel zu Stande. Auch bei ihr wird der
Schädelinhalt, wenn ein Ausweichen nicht möglich ist, unter eine abnorme Span¬
nung versetzt.
Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Zuständen wird nur dadurch
bedingt, dass die Raumbeschränkung beim Hirndruck allmählich zu Stande
kommt, während es sich bei der Hirnerschütterung um eine plötzlich ein¬
setzende und rasch nachlassende Raumbeschränkung des Schädelinhaltes handelt.
Es finden ausserdem nicht nur Uebergänge zwischen beiden Zuständen statt,
sondern es werden auch Combinationen dieser beiden Formen beobachtet. Aus
den Experimenten von Maasland und Saltikoff geht unzweifelhaft hervor,
dass ein und dieselbe Gewalt bald das Bild der Compression, bald der Commotion
hervorrufen kann, je nachdem man dieselbe allmählich oder plötzlich einwirken lässt.
Auch die dritte Form der traumatischen Hirnläsionen, die Contusio cerebri,
welche durch Zertrümmerung von Hirnsubstanz mit Blutaustritt charakterisirt
wird, lässt sich nicht mit absoluter Schärfe von der Commotio und Compressio
cerebri trennen und so sehen wir in einer beträchtlich grossen Zahl von Verletzungen
Commotio, Compressio und Contusio zugleich an ein und demselben Falle! Stets ist das
schädigende Moment ein Druck, sei derselbe nun stark oder schwach, plötzlich
oder langsam, an umschriebener Stelle oder ausgedehnt einwirkend und die Hirn¬
masse als Organ verhält sich nicht principiell, sondern bloss quantitativ
anders in dem einen oder anderen Falle. Wollte man nun die einzelnen Grade
der schädigenden Druckwirkung abstufen, so würden hierzu nicht nur drei, sondern
mehr als 30 Stufen erforderlich sein!
In diesem erweiterten Sinne des Verf. bildet die Lehre vom Hirndruck den
Schlüssel zum Verständniss der Genese der Symptome bei der Mehrzahl der Hirn¬
krankheiten und giebt uns die werthvollsten Anhaltspunkte zur Beseitigung dieser
Symptome.
In Bezug auf das eigentliche Wesen des Hirndruckes kommt nun Verf. auf
Grund überaus sorgfältiger Experimente, welche er im Verein mit A. Kocher,
Saltikoff, Cussing, Maasland u. A. angestellt hat, zu Resultaten, welche
geeignet sind, nicht nur die bisherigen Anschauungen wesentlich zu modifiziren,
sondern auch die Indicationen für unser therapeutisches Handeln erheblich um-
zugestalten. Nicht auf den Zustand der mehr oder weniger starken Anämie oder
Hyperämie kommt es an, sondern lediglioh darauf, ob in der Zeiteinheit durch
einen gegebenen Querschnitt des Capillargebietes ein genügendes Quantum sauer¬
stoffhaltigen Blutes hindurch strömt.
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686
Eingehend behandelt Verf. die „Regulatoren der Hirncirculation“
(Einfluss der allgemeinen Circulation und der Respiration auf den HirnkreisUuf,
Vasomotorencentrum derMedulla, regulatorischer Einfluss des Liquor oerebrospinaliz,
Compressibilität des Gehirns u. s. w.
Sobald der Druck im Schädelinnern sich über die Höhe des Blutdruckes in
den Hirngefassen erhebt, kommt es beim Versagen der Regulatoren zum klinischen
Bilde des Hirndruckes.
Die bei zunehmendem intraoraniellen Druck eintretende Anämie fährt, wenn
sie umschrieben ist, Lähmungssymptome herbei; werden die Centren der Medulla
oblongata von dem Druck betroffen, besonders das vasomotorische, so tritt unter
Coma, Aussetzen der Respiration (Cheyne-Stokes), der Tod ein.
Besonders ausführlich werden nun die einzelnen Symptome des Hirndruckes
(Stauungspapille, Störungen der übrigen Hirnnerven, Bewusstseinsstörungen, Druck*
puls, Respirationsveränderungen, Kopfschmerzen, Unruhe, Krämpfe) in Bezug auf
ihre klinische Bedeutung gewürdigt. Den pathologisch-anatomischen und histo¬
logischen Veränderungen ist ein besonderes Capitel Vorbehalten.
Der dritte Hauptabschnitt des Buches ist ausschliesslich der Hirner-
sohütterung gewidmet. Da die Commotio cerebri in einer einmaligen
heftigen Zusammenpressung des Gehirnes durch Mittheilung einer plötzlichen
Bewegung besteht, so hält Verf. den Namen Commotio für schlecht gewählt
Versteht man doch seit Petit’s und Gama’s Untersuchungen unter Cummotio
eine Erschütterung im Sinne des Hin- und Hervibrirens, wovon bei der gewöhn¬
lichen Hirnerschütterung absolut nicht die Rede sein kann. Verf. schlägt deshalb
an Stelle der Bezeichnung „Hirnerschütterung“ den Namen „Hirnpressung“ (acuter
Hirndruck) vor.
Eingehend erörtert Verf. nun die Versuche von Meitzer, Horsley, Kramer,
Deucher, Schulten, Francois Franck, Koch und Filehne, sowie die auf
seine Veranlassung von Maasland und Saltikoff angestellten Versuche über
das Wesen des acuten Druckes, ferner die Versuche von Ferrari, Duret,
Tilanus, Cirle und Tilmann, welche über die Aetiologie und Symptomatologie
des acuten Hirndruckes neues Licht verbreitet haben. Den Schluss dieses Ab¬
schnittes bildet die Therapie der Hirnpressung (Autotransfusion, Transfusion, bei
Verlangsamung bezw. Stillstand der Athmung künstliche Respiration, bei zu¬
nehmendem Druck Trepanation).
Mehr anhangsweise schliesst sich dem Hauptgegenstande des Werkes eis
Capitel über die hirnchirurgischen Operationen an, in welchem die Technik
der Trepanation bezw. Schädelresection, die craniocerebrale Topographie, die
Indicationen der Trepanation und der explorativen Craniotomie kurz erörtert
werden.
Das vorliegende Werk legt von des Verf.’s Schaffensfreude nicht minder be¬
redtes Zeugniss ab als von seiner erstaunlichen Beherrschung der schwierigen
Materie. Auf dem Gebiete der physiologischen Forschung, ebenso wie am Kranken¬
bett und am Operationstisch als anerkannter Meister dazustehen, das ist ein
Lorbeer, den zu erringen bisher nur wenigen vergönnt war! Adler (Berlin).
IV. Aus den Gesellschaften.
Psychiatrischer Verein zu Berlin.
Sitzung vom 21. Juni 1902.
Herr Liepmann (Dalldorf): lieber Seelenblindheit und sensorisohe
Asymbolie (mit Demonstration).
Unter Seelenblindheit versteht man eine Störung, bei der das Sehen vor-
y Google
687
handen, das Erkennen jedoch aufgehoben ist. Man unterscheidet zwei Arten von
Seelenblindheit; die eine, welche entsteht durch Verlust der Erinnerungsbilder,
die andere, welche auf einer mangelhaften Erweckung derselben beruht. Diesen
Störungen sind auf anderen Sinnesgebieten analog die Seelentaubheit, Tast¬
lähmung, die Seelengeruchslosigkeit u. s. w. Wenn diese Storungen sich ver¬
einigen, so entsteht ein Zustand, welchen man mit Asymbolie bezeichnet. Ein
Asymbolischer erkennt also von allem, was die Aussenwelt von Reizen auf ihn
einwirken lässt, nichts. Da die Asymbolischen in Folge von Verkennens der
Gegenstände sie verkehrt gebrauchen, nannte man die Störung früher auch
Apraxie. Da es aber eine Störung des n^äneiv giebt bei erhaltenem Erkennen,
so ist besser für diese der Ausdruck Apraxie zu reserviren. Besser auch als
Asymbolie ist Freud’s Ausdruck Agnosie. Die beiden Krankheitsfälle, welche
Vortr. vorstellt, sind folgende:
Fall I. 50jähriger Gesanglehrer, welcher seit Pfingsten 1900 krank ist
mit Erscheinungen allgemein nervöser Art. Im November vorigen Jahres bekam
Pat. einen apoplektischen Insult, und seit dieser Zeit bestehen die Krankheits¬
symptome, die zuerst das Bild vollständiger Asymbolie darstellten, während gegen¬
wärtig noch Seelenblindheit und ein grösserer Grad von Tastlähmung besteht.
Pat. zeigt emotionelle Incontinenz, insbesondere wird jede Unlustregung in
Weinen entladen. Dass die Sehschärfe zum Erkennen ausreichend ist, lässt sich
erweisen; 1. durch Nachzeichnen einfacher Figuren; 2. durch Nachmachen von Be¬
wegungen; 3. durch Benutzung des Umstandes, dass Pat. für Zahlen nicht seelenblind
ist. Er erkennt sehr kleine Ziffern (Sehschärfe fast 2 / 3 ). Der Farbsinn ist erloschen.
Gesichtsfeld zeigt einen kleinen Defect im rechten oberen Quadranten. Er erkennt
grössere Gegenstände meist nicht, auch nicht Personen, sein Spiegelbild nicht,
nicht einmal seine eigene Frau; er kann nicht schreiben und es besteht ebenso
Alexie; ferner besteht optische Aphasie. Die anatomische Ursache derartiger
Falle kann eine mannigfaltige sein; in den meisten Fällen wurde ein Herd im
linken Cuneus tief ins Mark gehend getroffen; gewöhnlich daneben ein Herd im
Hinterhauptslappen oder wenigstens ein Herd, der die Verbindungen zwischen
rechtem und linken optischen Centrum unterbricht. Wenn zu einer solchen
Störung noch Seelentaubheit hinzukommt L so entsteht das Bild totaler Asymbolie.
Dieses Bild bietet der zweite Pat. dar, den Vortr. demonstrirt.
Fall II betrifft einen Gerichtsdiener, welcher seit 1896 diffuse Gehirn¬
erscheinungen hatte. Im Januar 1900 trat ein Schlaganfall ein, nach welchem
Pat. Bensorisch aphasisch wurde. Dann zeigten sich schon damals Andeutungen
von Seelenblindheit. Im September dieses Jahres wurde der Kranke nach neuem
Insult stark apathisch; er sitzt ziemlich theilnahmslos da, fixirt fast gar nicht;
man kann vor ihm sprechen, was man will, er versteht es nicht. Pat. hat eine
rechtsseitige Facialisparese und eine rechtsseitige Hemiopie. Im linken Gesichts¬
feld ist er seelenblind. Die vegetativen Functionen zeigen keine Störungen.
Vortr. nimmt an, dass in diesem Fall beide Schläfen- und Hinterhauptlappen be¬
troffen sein müssen. Centralwindungen und Pyramidenbahnen müssen beider¬
seits erhalten sein.
Herr Jastrowitz richtet an den Vortr. die Frage, wie es möglich sei zu
entscheiden, dass ein Pat. sieht, aber nicht erkennt, wie man ferner aus einzelnen
Beispielen verallgemeinern könne, dass das Erkennungsvermögen aufgehoben sei.
Es sei z. B. möglich, dass Pat. die Zahlen benennt, aber nicht erkennt.
Herr Liepmann erwidert, dass man Benennen und Erkennen auf verschie¬
denen Wegen differenziren könne. Dass Pat. kleine Ziffern richtig benennt, dient
Vortr. nur zum Nachweise seiner guten Sehschärfe. Dass er sie auch erkennt,
beweist Pat. dadurch, dass er die entsprechende Zahl Finger zeigt. Dass Jemand
y Google
— 688
sieht, obgleich er nicht erkennt, erweist er ferner z. B. durch Nachzeichnen.
Kann Jemand auch Zahlen nicht lesen, so kann sein Sehvermögen eventuell da¬
durch festgestellt werden, dass man ihn die Zahl von Punkten auf irgend eine
WeiBe kundgeben lässt.
Herr J. Frankel (Lankwitz): Zur Casuistik der Sulfon&lWirkung.
Vortr. giebt zunächst eine erschöpfende' Uebersicht über die den Gegenstand
betreffende Litteratur, erwähnt dann einzelne Fälle von Sulfonalintoxication aus
eigener Beobachtung und beschreibt eingehend die Symptome dieser Vergiftung,
unter denen er besonders dem Auftreten der Hämatoporphyrinurie und dem Nach¬
weis derselben eingehende Berücksichtigung widmet. Zum Schluss schlägt er
Maassnahmen betreffs Darreichungsart des Mittels und Gegenmaassnahmen hei
eintretender Intoxication vor.
Herr Jastrowitz empfiehlt das Mittel trotz einzelner schlechter Erfahrungen;
man müsse eine Cumulirung vermeiden, indem man das Sulfonal nach Gebrauch
von wenigen Tagen immer wieder einmal aussetzen läsßt. Besonders müsse man,
wenn man Sulfonal verabreicht, nicht Opium oder dessen Derivate dazwischen
geben.
Herr Edel (Charlottenburg) wendet das Sulfonal wegen der schlechten Er¬
fahrungen, welche er mit diesem Mittel gemacht hat, nicht an, sondern verab¬
reicht dafür das Trional.
Herr Juliusburger: Anatomisohe Demonstrationen.
Vortr. demonstrirt einen Schnitt durch das Rückenmark eines Falles von
progressiver Paralyse, in welchem die intramedullären Gefässe electiv gefärbt
sind. Die Härtung des Stückes geschah in Jodjodkaliumlösung, dann Alkohol-
nachhärtung und Einbettung in Celloidin. Es erweckt den Eindruck, als ob man
in dem Präparat die Gefässe körperlich sieht; die Begrenzung der Gefasse ist
korkzieherartig. Eigenthümlich ist es ferner, dass bei dieser Methode sich nur
die intramedullären Gefasse färben, nicht aber die in der Pia liegenden. Die
Gefässwände zeigen Faserungen; Vortr. glaubt bestimmt, dasB es sich nicht um
elastische Fasern handelt. Diese Gefässe kamen im jugendlichen und gesunden
Rückenmark nicht zur Darstellung. Jacobsohn (Berlin).
V. Mittheilung an den Herausgeber.
Da wiederholt bei Besprechung der hysterischen Pupillenstarre ledig¬
lich Herr Prof. A. Westphal genannt wurde, möchte ich darauf aufmerksam
machen, dass eine frühere Publication über diesen Gegenstand von Herrn Dr.
J. P. Karplus herrührt (Wiener klin. Wochenschr. 1896. Nr. 52) und dass Herr
Prof. Westphal, welcher schon gleichzeitig mit ähnlichen Untersuchungen be¬
schäftigt war, später (Berliner klin. Wochenschr. 1897. Nr. 47) die Angaben von
Karplus bestätigte.
Wien 26. Juni. H. Obersteiner.
Um Einsendung von Separatabdr&cken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
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Heilanstalt für
Alcoholkranke und Morphiumkranke der besseren Stände.
Nervenkranke nach den Bestimmungen des Prospectes.
Prospecte sowie nähere Auskunft durch den Besitzer und dirigirenden Arzt
Dr. C. JFtirer. voriu. Assistent von H&rrri Proßädräpelln in Heidelberg.
AUG 2C 19(;
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithfilfe von Dr. Kurt Mendel)
Einundzwanzigster " B * rI,n ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen darch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die PostanBtalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1902. 1. August. Nr. 15.
I. Originalmittheilungen. 1. Ein ungewöhnlicher Fall von Faoialiskrampf (Myokymie,
beschränkt auf das Gebiet des linken Facialis), Ton Prof. M. Bernhardt in Berlin. 2. Geber
Geisteskrankheiten im Gefolge von experimentell erzeugten Autointoxicationen: Psychosen
thyreopriver Hunde, Ton F. Blum in Frankfurt a/M. 3. Geber subcorticale Entstehung iso-
lirter Muskelkrämpfe. Ein Beitrag zur Klinik der Vierhfigeltumoren nebst Bemerkungen
aber den Verlauf der centralen Haubenbahn, von Dr. Josef Borgo. (Fortsetzung.)
II. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft fQr Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. — XXXVII. Versammlung des Vereins der Irren¬
ärzte Niedersacbsens und Westfalens in Hannover am 3. Mai 1902. — Sociötd de neurologie
de Paris. — Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau.
III. Vermischtes. II. Internationaler Congress für medicinische Elektrologie und Radio¬
logie in Bern am 1.—6. September 1902.
IV. Personalien.
I. Originalmittheilungen.
1. Ein ungewöhnlicher Fall von Facialiskrampf
(Myokymie, beschränkt auf das Gebiet des linken Facialis).
Von Prof. M. Bernhardt in Berlin.
Vor Knrzem hatte ich Gelegenheit, eine 27 Jahre alte, seit S 1 / 2 Jahren
verheirathete Frau zu beobachten, welche folgenden eigentümlichen, von mir
in dieser Form noch nicht gesehenen Krankheitszustand zeigte.
Ich beschreibe zunächst die Verhältnisse in der linken Gesichtshäfte, welche
den Anlass darboten, dass die Patientin überhaupt ärztlichen Rath nachsuchte.
Der erste Blick zeigte, dass die linke Lidspalte enger war als die rechte
und die linke Nasolabialfalte tiefer und ausgeprägter als dies rechts der Fall
war. Es konnte so der Eindruck erweckt werden, dass es sich entweder um eine
rechtsseitige Facialislähmung handele oder um einen Contracturzustand der linken
Gesichtshälfte als ein Ueberbleibsel einer vorangegangenen schweren linksseitigen
Facialisparalyse, wie dies ja bekannt ist und häufig vorkommt.
Beide Annahmen mussten aber verworfen werden; einmal gab die Patientin
bestimmt an, niemals eine Lähmung und Bewegungsbeschränkung weder ihrer
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rechten noch ihrer linken Gesichtshälfte bemerkt zu haben, sodann fand sich,
dass sie aowohl über die Muskeln der rechten wie der linken Gesichtshälfte die
vollkommenste Herrschaft bewahrt hatte. Sie konnte nicht nur beiderseits die
GesichtBmuskeln zusammen in ganz normaler Weise contrahiren, sondern auch
mit den linksseitigen GeBichtsmuskeln allein alle Bewegungen wie ein Gesunder
au8fiihren. Nicht nur mit dem rechten Auge zusammen, sondern auch für sich
allein konnte das linke gut geschlossen werden, der Mund verzog sich auf Auf¬
forderung nach links, die Nase wurde links wie rechts gleich gerümpft, die Stirn
in Falten gelegt, der linke Mundwinkel allein nach links hin verzogen, km?
von einer Lähmung der Musculatur der linken Gesichthälfte konnte nicht die
Rede sein.
Ausser den eben beschriebenen Erscheinungen war nun aber nur an der
linken Antlitzhälfte bei genauerem Zusehen und günstiger Beleuchtung Folgende«
zu bemerken: es bestand ein dauerndes Flimmern der linksseitigen Gesichtsmuskeln,
welches auffallend an fibrilläre Zuckungen erinnerte. Diese fibrillären Zuckungen,
welche keinen Augenblick aufhören, betreffen besonders die Gegend der Stirn und
Augenbrauen, ferner in besonderer Deutlichkeit den M. orbic. palpebr., die Muskeln
der Oberlippe und die gesammte Musculatur der linken Unterlippenkinngegend.
Wirkliche Locomotionen wurden durch dieses Flimmern, dieses Wogen der
Muskeln, nicht hervorgerufen; ebensowenig wurde die Kranke subjectiv durch
dasselbe belästigt. Sie empfand keinen Schmerz in der linken Gesichtshälfte;
nirgends konnte selbst eine peinliche Untersuchung Schmerz- oder Druckpunkte
in der betreffenden Antlitzhälfte entdecken; auch gelang es nicht, von irgend
einem Punkte aus die wogende Bewegung auch nur für eine Secunde zur Buhe
zu bringen.
An den eben beschriebenen Bewegungen nahm der M. stapedius nicht Theil:
wenigstens konnte trotz eindringlicher, daraufhin an die Patientin gerichteter
Fragen nichts eruirt werden, was auf ein entotisches Geräusch hätte schließen
lassen können. Ebenso zeigte sich das Gaumensegel durchaus frei: es functionirte
in normaler Weise und bot nicht die geringste, an die Flimmerbewegung der
linken Gesichtsmusculatur erinnernde unwillkürliche Bewegung dar.
Auch an der entweder herausgestreckten oder ruhig auf dem Boden der
Mundhöhle aufliegenden Zunge konnten unwillkürliche Bewegungen nicht gesehen
werden, desgleichen nioht am Platysma myoideus. Als besonders wichtig für dir
Beurtheilung vorliegenden Falles hebe ich noch hervor, dass die elektrische Er¬
regbarkeit der linken Gesichtsmuskeln für beide Stromesarten wohl erhalten und
an der linken der der rechten, nicht afficirten Seite durchaus gleich war: es
bestand keine quantitative, keine qualitative Veränderung, keine myotonische
Reaction u. s. w. Auch eine Erhöhung der Erregbarkeit Hess sicht nachweisen.
Wurden die Muskeln durch einen etwas stärkeren faradischen Strom zur Con-
traction gebracht, so hörten die wogenden, unwillkürlichen Bewegungen für die
Zeit der durch den Strom bewirkten Zusaramenziehung auf, um sofort nach Unter
brechung desselben in alter Kraft und Zeitfolge wiederzukehren.
Ob die beschriebenen unwillkürlichen Bewegungen im Schlafe aufhören,
konnte Patientin natürlich aus eigener Erfahrung nioht sagen: eine Beobachtung
durch die Umgebung hat bisher daraufhin noch nicht stattgefunden.
Weiter hebe ich als wichtig hervor, dass sich an der afficirten Gesichtshälft«
auch bei angespanntester Aufmerksamkeit nicht die Spur einer Mitbewegung be¬
merkbar machte, wenn Patientin die, wie gesagt, activ sehr gut beweglichen
•linken Gesichtsmuskeln freiwillig contrahirte. Auch bei festem AugenschusB aul
der linken Seite zeigte sich nicht die mindeste Mitbewegung etwa am Munde.
Kinn oder umgekehrt, am Auge, wenn die Kranke den Mund öflnete oder fest
schloss.
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Störungen der Sensibilität fehlten an der linken Gesichtshälfte durchaus.
Ganz besonders aber muss ich betonen, dass die beschriebenen unwillkürlichen
Bewegungen nichts mit den klonischen Zuckungen, wie sie das Charakteristicum
des sogenannten Tic convulsif ausmachen, gemein haben. Die hier beschriebenen
fibrillären Zuckungen sind immer da, hören nie auf, verzerren das Gesicht oder
einzelne Muskeln der betroffenen Antlitzhälfte in keiner Weise, werden durch
tonische Contractionen niemals abgelöst oder ersetzt.
Die beschriebenen fibrillären Zuckungen, welche ich am besten mit den bei
der sogenannten „Myokymie“ beschriebenen vergleichen möchte, hören, wie gesagt,
nie auch nur für einen Augenblick auf; sie haben daher auch mit den blitz¬
artigen Zuckungen, welche spontan oder synchron mit dem Lidschlag nach einer
abgelaufenen schweren und mit Contracturzuständen zur Heilung gelangten Facialis-
lähmung so oft beobachtet werden, nichts gemein: sie sind, wie beschrieben, in
ihrer Kraft so schwach, dass Locomotionen durch sie nicht bewirkt werden.
Dass es sich im vorliegenden Falle weder um eine frische noch um eine
abgelaufene Facialislähmung und deren Folgezustände handelt, ist nach dem
oben ausführlich mitgetheilten Status wohl einzusehen; ich glaube nicht nöthig
zu haben, den Beweis für diese Behauptung hier noch einmal zu führen.
Seibstveistündlich drängt sich dem Beobachter nunmehr die Vorstellung
auf, es in dem geschilderten Symptomencomplex mit einem Facialiskrampf zu
thun zu haben. Dass sich klonische Zuckungen, wie sie ja das Wesen eines
solchen Krampfes ausmacheu, mit tonischen verbinden können, ist bekannt und
von mir auch in meinem Buche 1 genügend hervorgehoben worden. Dort (S. 46
und 47) findet man ebenso wie auch von anderen Beobachtern über eine Form
von Krämpfen der Gesichtsmusculatur berichtet, welche nicht in wohl charakteri-
sirten, durch Ruhepausen getrennten Anfällen auftreten, sondern abgeschwächt
und in leichteren klonischen Zuckungen bald dieses bald jenes Gesichtsmuskels
sich äussemd gewissej maasen andauernd vorhanden sind.
Derartige Zustände sind aber meiner Erfahrung nach sehr selten: die
klonischen, in Pausen auftretenden, die Gesichtszüge deutlich verzerrenden
Zuckungen über wiegen in dem Symptomenbilde des Facialiskrampfes durchaus:
von einem in andauernden niemals auch nur für einen Augenblick nachlassenden,
in fibrillären Zuckungen sich kundgebenden, eine Locomotion nicht bewirkenden
Gesichtsmuskelkrampf, ist bisher nicht viel bekannt. Den Gedanken, es mit
einem bulbären Process zu thun zu haben, verwarf ich sofort; dagegen sprach
nicht allein das jugendliche Alter der Patientin), sondern auch die Einseitigkeit
der Affection, das Freibleiben der Zunge, die Ungestörtheit des Sprach Vermögens
und des Sehlingens und das fast ganz ungestörte und normale Allgemeinbefinden.
Insofern, wie oben auseinaudergesetzt wurde, jedes Anzeichen einer dem
jetzt bestehenden Zustand etwa vorausgegangenen Gesichtslähmung fehlte, konnte
auch nicht auf diejenigen Zustände recurrirt werden, welche sich an der Facialis-
und viel deutlicher noch an der Zungenmusculatur als zitternde und flimmernde
Bewegungen einige Tage nach einer Durchschneidung des N. hypoglossus bezw.
facialis (speciell im Thierexperiment) zeigen, wie sie Remak und neuerdings
’ Die Erkrankungen der peripherisohen Nerven. Theil II.
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Marina und ich selbst gerade bei peripherischen Hypoglossuslähmungen be¬
obachtet hab e n und wie sie, was besonders Remak hervorhebt (ich selbst kann
dies nur bestätigen) bei neuritischen Facialislähmungen kaum je gesehen werden , 1
Weiter dachte ich an die Möglichkeit eines langsam fortschreitenden, nur
auf den Facialiskern beschränkten degenerativen Processes; insofern aber jedes
andere Symptom einer die Brücke oder das verlängerte Mark betreffenden Er¬
krankung durchaus fehlte, musste ich auch diese Annahme, welche übrigens, so
weit ich sehe, durch die Erfahrung anderer auch nicht gestützt wird, verwerfen.
Am meisten Aehnlichkeit schien mir das klinische Bild, welches die Kranke
darbot, mit jener eigenthümlichen Bewegnngsstöaung zu bieten, welches zuerst
von Kny (Jollt) beschrieben, später von Fr. Schültze mit dem Namen
„Myokymie“ belegt worden ist.
Es handelt sich da um ein ausgebreitetes Muskelwogen und um fibrilläre
Zuckungen hauptsächlich in der Wadenmusculatur, welche sich auch an anderen
Muskelgebieten der unteren Extremitäten, sowie an der Rumpfmusculatur und
der der oberen Extremitäten zeigt. Noch bevor Schültze seine dahingehenden
Beobachtungen veröffentlichte, hatte Morvan 1890 einen wahrscheinlich hierher¬
gehörigen Symptomencömplex beschrieben und ihn mit dem Namen der „Chorfc
fibrillaire“ bezeichnet. Ich beabsichtige bei dieser kurzen Mittheilung nicht, die
Frage der sogenannten Myokymie in extenso zu discutiren 2 ; erwähnt sei nur
dass im Anschluss namentlich an die ScHULTZE’scbe Mittheilung, Hoffmass
im Jahre 1895, C. Meyer 1897, Büber in demselben Jahr, später Biancom
und Karcher, schliesslich Williamson im Jahre 1901 hierhergehörige Kranken¬
geschichten veröffentlicht haben. Abgesehen von den Morvan ’schen Beobach¬
tungen betreffen alle übrigen das männliche Geschlecht. Als HauptQrsachen
werden Ueberanstrengungen und Erkältung, zwei Mal chronische Bleivergiftung
als mögliche Ursache angegeben, ein Mal (C. Meyer) Verletzungen der Wirbel¬
säule und ein Mal (Williamson) wurde das Leiden bei einem in der Kindheit
an Lähmung eines Beines in Folge von Poliomyelitis ant. acuta erkrankten
21jährigen Manne beobachtet. Alle stimmen darin überein, dass das Muskel-
wogen vorwiegend an der ‘Wadenmusculatur auftritt, dass die übrige Bem-
musculatur, seltener die des Rumpfes, noch seltener die der oberen Extremitäten
ergriffen werden kann und dass das Gesicht verschont bleibt. Eine Ausnahme
1 Bei einem von Marina veröffentlichten Fall einseitiger Hypoglossuslähraung wie«
die einige Jahre später nach dem Ableben des Kranken ansgeführte Obdnction and die
mikroskopische Durchforschung der in Betracht kommenden Theile des centralen und peri¬
pherischen Nervensystems tbatsächlich das Fehlen einer jeden centralen Veränderung nnd
das Bestehen einer peripherischen Neuritis des N. hypoglpssns nach. Von besonderem Inter¬
esse erscheint mir nun, dass in diesem Falle neben den fibrillären Zuckungen der affieirteo
Zungenhälfte auch eine Contractur derselben beobachtet wurde, ein Vorkommnis also, welch«
mit den in meinem Falle beschriebenen Contracturzuständen im afficirten Facialisgebiet wohl
in Parallele gestellt werden dürfte. — Immerhin hatte, wie gesagt, in dem hier mitgetheilten
Falle eine Lähmung in dem flimmernden Gebiet nie bestanden.
* Vgl. mein oben erwähntes Buch. Theil II. S. 148.
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hiervon macht nnr Wllliamson, welcher auch die Gesichts- und Zupgenmuscu-
lator betheiligt sah.
Wie bei J. Hoffmann trat das Muskelwogen auch in meinem (in dem
oben erwähnten Buche [Theil II, S. 148] beschriebenen) Fall bei einem Manne
im Anschluss au ischiadische Beschwerden ein. Ob es sich bei den bisher be¬
schriebenen Fällen um eine neuritische Affection, ob, was ja möglich ist, um
eine von einer Reizung bezw. Erkrankung der grauen Substanz im Rückenmark
abhängige Krankheit, oder, wie in manchen Fällen von Neurasthenie, nur um
eine sogenannte functionelle Störung handelt, will ich nicht entscheiden. Dass
das Leiden Jahre lang bestehen kann, ohne die Gesundheit des Individuums
wesentlich zu schädigen, geht aus den Mittheilungen verschiedener Autoren
hervor: eine sehr erhebliche Besserung, ja sogar Heilung ist durchaus möglich.
Ich selbst habe den von mir oben erwähnten Kranken neuerdings (fast 5 Jahre,
nachdem ich ihn zuerst gesehen) wieder untersucht und abgesehen von dem
auch jetzt noch bestehenden Muskelwogen keine erheblichere Beeinträchtigung
seines Gesundheitszustandes nachweisen können.
Der eingangs von mir beschriebene Fall würde sich also, will man anders
zugeben, dass er der Kategorie der als Myokymie bezeichneten Affection ein¬
gereiht werden darf, dadurch von den bisher bekannten auszeichnen, dass er
erstens eine Frau betrifft und zweitens ein so umschriebenes Nervengebiet, wie
es bisher nicht bekannt war. Während ferner gerade dieses (Facialis-) Gebiet
in der überwiegenden Mehrzahl der bis heute beschriebenen Fälle verschont
blieb, zeigt es sich im Gegentheil in diesem Fall allein betroffen; keine andere
Körperprovinz bietet bei unserer Patientin auch nur eine Spur von ähnlichen
fibrillären Zuckungen bezw. Wogen dar, wie die linke Gesichtshälfte.
Die im Gesicht bestehende Contractur im Gebiete des linken Orb. palpebr.
und der linksseitigen Oberlippenheber spricht nicht gegen die Auffassung des
Falles als einer circumscripten Myokymie, insofern auch die anderen Beobachter
in ihren Fällen Spasmen und tonische Krämpfe in denselben Muskelgebieten
beschreiben, welche Sitz der Myokymie sind.
Will man aber die Benennung Myokymie für meinen Fall nicht gelten
lassen und ihn der Gruppe der auf ein umschriebenes Nervengebiet localisirten
Krämpfe einreihen, so liegt doch meiner Meinung nach immerhin ein ganz
eigenthümliches Krankheitsbild vor; es unterscheidet sich von denen, welche wir
sonst unter der Bezeichnung „localisirter Muskelkrampf“ beschrieben finden so
erheblich, dass es wohl entschuldbar erscheint, wenn ich der Beschreibung des¬
selben einen etwas grösseren Raum gegeben habe.
Was ich in der Absicht, zunächst den mir auffälligen Symptomencomplex
eingehend zu schildern, bisher vernachlässigt habe, die Schilderung des sonstigen
Verhaltens der Patientin und des Beginnes und der etwaigen Ursache des Leidens
hole ich nunmehr nach. Viel kann ich in Bezug hierauf nicht aussagen.
Die 27 jährige Frau ist seit 8V 2 Jahren verheirathet; sie hat zwei Mal ge¬
boren. Ein Kind von 7 Jahren lebt und ist gesund, ein anderes starb im Alter
von 10 Monaten. Das Leiden unserer Patientin hat sich so allmählich ent-
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wickelt, dass sie selbst es gar nicht merkte, und erat durch Bemerkungen von
Seiten der Nachbarinnen darauf aufmerksam gemacht wurde. Als sie meine
Hülfe nachsuchte, bestand das Wogen der linksseitigen Gesichtsmuskeln und
die Verkleinerung der Lidspalte schon einige Wochen; eine genauere Angabe
war nicht zu erhalten. Niemals waren Schmerzen, wenigstens nicht im Gesicht
vorhanden gewesen, nie eine Lähmung, eine ynbeweglichkeit der linksseitigen
Antlitzmuskeln. Die Kranke macht durchaus den Eindruck einer sonst ge¬
sunden jüngeren Frau; in Bezug auf die Psyche, Sprache, Sehvermögen, Augen¬
bewegungen, Pupillenreaction (Augenhiptergrund normal) war nichts Besonderes
zu eruiren.
Die einzige Anomalie, welche ausser dem geschilderten Zustand der linken
Gesichtshälfte nachzuweisen war, bestand in dem Vorhandensein eines doppel¬
seitigen chronischen trocknen Mittelohrkatarrhs (Sklerose) mit Betheiligung des
Acusticus (Verkürzung der Knochenleitung und geringe Herabsetzung der Hör-
fahigkeit für hohe Töne: Sohwabach). Im gewöhnlichen Gespräch war übrigens
von dieser Verminderung der Hörfähigkeit kaum etwas zu merken.
Obgleich also, wie gesagt, eine besondere Ursache für das Auftreten de
eigen thümlichen Zustandes in der linken Gesichtshälfte nicht aufzufinden war,
will ich doch eines Umstandes Erwähnung thun, welcher vielleicht die Diagnose
„Neurose“ in unserem Falle zu stützen geeignet erscheinen kann.
Seit einigen Monaten giebt Patientin an, leidet sie an ein bis zwei Mal im
Monat auftretenden Kopfschmerzen mit Uebelkeiten und Flimmern vor den
Augen und es erscheint wohl möglich, dass die pathologischen Erscheinungen
im Gesicht zur selben Zeit und zusammen mit den migräneartigen Symptomen
sich bei der bis zum Anfang dieses Jahres jedenfalls ganz gesunden Frau ein¬
gestellt haben
Eine Behandlung mit schwachen galvanischen Strömen (Anode in der Fovea
mastoidea) und die Darreichung von kleinen Dosen Bromkalium haben inner¬
halb der drei letzten Wochen thatsächlich eine Besserung, einen Nachlass der
Contracturerscheinungen und des Muskelwogens an der linken Gesichtshälfte
herbeigeführt.
Zum Schluss betone ich nochmals, dass Anomalieen der elektrischen oder
mechanischen Erregbarkeit an der leidenden Gesichtshälfte zu keiner Zeit nach¬
gewiesen weren konnten.
Zur Zeit, wo ich die Correctur dieser kurzen Mittheilung vor mir habe
(Mitte Juli), kann Patientin als geheilt angesehen werden. Contracturen und
Muskel wogen sind, nachdem sie etwa 2 1 / 2 J —3 Monate bestanden hatten, ver¬
schwunden. Es ist, wie dies erst jetzt von der Kranken angegeben wird, mög¬
lich, dass sie sich in den ersten Wochen einer neuen Schwangerschaft befindet
Betonen möchte ich noch, dass Hysterie nicht vorliegt; ganz abgesehen
davon, dass mit diesem Worte das Wesen des beschriebenen Symptomencomplexes
in keiner Weise erklärt wird, kann ich auch versichern, dass weder somatische
noch psychische Symptome vorhanden sind, welche berechtigen könnten, die
Kranke als eine hysterische Person zu bezeichnen.
y Google
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Litte rata r.
Kny, üeber ein dem Paramyoclonus multiplex Friedreich nahestehendes Krankheitsbild.
Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XIX. 1888. S. 577. — Fr. Schültze, Beiträge zur
Muskelpathologie, Myokymie (Muskelwogen), an den unteren Extremitäten. Deutsche Zeit¬
schrift für Nervenheilk. VI. 1894. S. 65 u. 167. — Morvan, De la chor^e fibrilläre. Qaz.
hebd. 1890. Nr. 15ff. — J. Hoffman», Muskelwogen in einem Falle von chronischer
doppelseitiger Ischias. Neurolog. Centralbl. 1895. Nr. 6. — M. Bebnhardt, Die Erkran¬
kungen der peripherischen Nerven. Wien, 1897. Theil II. S. 6 u. 148. — C. Maybb, Wiener
med. Wochenschr. 1897. Nr. 12. — 0. Bober, Neurolog. Centralbl. 1897. S. 684. —
E. Rxmak, Neuritis und Polyneuritis. Wien, 1900, H&lder. S. 94. — G. Biancone, Riv.
sperim. di freniatr. XXIV. 1898. — J. Karo her, Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1898.
Nr. 9. — R. T. Willlamson, Brit. med. Journ. 1900. 15. Dec. — Marina, Neurol. Centralbl.
1896, Nr. 8 u. 1900, Nr. 3.
2. lieber Geisteskrankheiten im
Gefolge von experimentell erzeugten Autointoxicationen:
Psychosen thyreopriver Hunde. 1
Von F, Blum in Frankfurt a/M.
Im Verlauf der letzten Jahre habe ich in einer Reihe von Arbeiten dar-
gethan und, wie ich glaube, den unwiderlegbaren Beweis erbracht, dass die
Schilddrüse ein entgiftendes Organ ist, durch dessen Thätigkeit bestimmte im
Körper beständig entstehende Gifte aus dem Kreislauf herausgegriffen und un¬
schädlich gemacht werden. Fällt die entgiftende Thätigkeit der Thyreoidea
völlig aus, dann kommt es zu Intoxicationen mit dem freien Gift, die in ihrer
acutesten Form durch die thyreoprive Tetanie repräsentirt wird. Greift die
Thyreoidea zwar noch jene freien Gifte auf und bindet sie, wird sie jedoch in
der Weise insufficient, dass sie das gebundene Gift nicht mehr bis zur endlichen
Entgiftung zurückznhalten vermag, dann kommt es zu einer Intoxication mit
Thyreotoxalbnmin, jenem in der Schilddrüse abgelagerten, häufig jodhaltigen
giftigen Eiweisskörper; hieraus hinwiederum resultiert ein Thyreoidismus, dem
auch der Thyreoidismus der ßASEDOw’schen Krankheit angehören dürfte.
Meine Untersuchungen ergaben nun weiter, dass das Gift, das die Schild¬
drüse normaler Weise aufgreift, höchstwahrscheinlich aus dem Magendarmcanal
stammt und dort bei der Eiweissfaulniss entsteht. Ernährung vorwiegend mit
Fleisch hatte dementsprechend bei thyreopriven Hunden rasche und schwere Er¬
krankung und den baldigen Tod zur Folge, während Milchfütterung, die schon
geraume Zeit vor der Thyreoectomie begonnen and dann fortgesetzt wurde,
einen nicht unerheblichen Theil der Thiere über die Folgen des Schilddrüsen¬
ausfalles für längere Zeit hinauskommen liess. Einige dieser Milchhunde starben
noch im weiteren Verlaufe der Milchernährung, aber immerhin nach einer bei
1 Vortrag, gehalten gelegentlich der 27. Versammlung südweatdentscher Neurologen
and Irrenärzte in Baden-Baden am 25. Mai 1902.
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Fleischkost fast nie beobachteten Anzahl von Ueberlebongstagen; andere blieben
— oft nach anfänglicher Tetanie — gesund, bis mit Fleischfütterung begonnen
oder völlig zu derselben übergegangen wurde. Eine kleine Anzahl von Thieren
liess sich übrigens durch ganz vorsichtig einschleichenden Zusatz von Fleisch
allmählich auch gegen diese giftreiche Nahrung immunisiren, sodass diese Hände
dann dauernd gesund und am Leben blieben.
Die Fleischthiere und die rasch zu Grunde gegangenen Milchthiere boten
fast ausnahmslos das Bild einer schweren Tetanie dar und nur ein einziges
Mal unter mehr als 100 Beobachtungen sah ich bei einem solchen Hunde am
4. Tage nach der Thyreoectomie, nachdem ein heftiger Krampf vorausgegangen
war, einen eigentümlichen Zustand von psychischer Alteration auftreten, den
ich aber auch in diesem Falle nicht ausschliesslich als Folgeerscheinung des
Ausfalles der Schilddrüsenthätigkeit ansprechen kann, da das Thier gleichzeitig
medicamentös behandelt wurde.
Ganz anders war aber der Verlauf bei denjenigen Tieren, bei denen es
durch geeignete Ernährung — sei es ausschliessliche Milchfütterung, sei es
Michfütterung mit allmählichem Zusatz von Fleisch — gelungen war, das
Krankheitsbild abzuschwächen und auseinanderzuziehen.
Von diesen langlebigeren Thieren bot ein grosser Procentsatz für kürzere
oder längere Dauer Erscheinungen dar, die nicht nur mir, sondern auch ge¬
schulten Psychiatern durchaus als Zustände imponirten, die nur schweren
geistigen Störungen entsprungen sein konnten.
Solche Thiere litten an Hallucinationen; sie bissen ohne jede äussere
Veranlassung grimmig in die leere Luft, schnupperten planlos in demselben
Käfig herum, den sie seit Monaten ruhig bewohnten oder suchten aufgeregt
den Blechboden ihres Stalles zu durchkratzen, wobei sie manchmal in einen
solch wütenden Eifer kamen, dass sie zuletzt direct auf der Schnauze standen
und die Hinterbeine in der Luft hatten. Zuweilen richteten sich auch Tiere
gegen sich selbst; ich habe z. B. mehrere Hunde beobachten können, die sich
stundenlang in heftigster Weise die Nase zerkratzten, bis sie tiefe Wunden an
Nase, Schnauze und Augen hatten.
Auffällige Charakterveränderungen habe ich wiederholt gesehen: vor
ihrer psychischen Affection — lange nach der Thyreoektomie — noch zuthun-
liche, muntere Tiere wurden plötzlich furchtsam, schlichen, ohne angerufen zu
sein, geduckt und mit einem eigenthümlich verstörten Wesen im Raum herum;
liessen Dinge, die sie noch kurz zuvor eifrig beschnuppert hatten, den Hasen¬
käfig z. B., ohne jede Beachtung, kümmerten sich nicht um ihr Futter und
nicht um ihre sonstige Umgebung, sondern schienen nur von einem beständigen
Wandertriebe und Suchen besessen zu sein.
Bei anderen Thieren stellte sich eine deutliche Verblödung ein: Regungs¬
los standen sie zuweilen viele Minuten lang in ihrem Käfig mit gesenktem
Kopf und stierem Blick; dann kam wohl die hintere Körperhälfte in ein leichtes
Schwanken und Wackeln, bis das Thier aus seiner Stellung taumelte, um hin¬
zufallen oder einige Schritte entfernt neuerlich stupid stehen zu bleiben.
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Nahrungsverweigerung mit dem Eintritt des geistigen Rückganges ist die
Regel bei den vorher recht gefrässigen Thieren.
Krankhafte Bewegungsphänomene sind bei derartigen Thieren durchaus
niohts Seltenes gewesen: ein Hund, derselbe dessen Herumscbleichen früher
aufgefallen war, marschirte bei einer anderen Attaque seiner Psychose wie ein
Pferd nach der Musik durch den Stall; ein zweiter lief rückwärts mit unsicherem
Tritt, fiel um, erhob sich, setzte seinen Krebsgang fort und wollte zuletzt durch¬
aus mit dem Hinterteil durch die Wand hindurch. Ein dritter gestörter Hund
zog beständig seinen Rücken krumm bis er fast auf dem Kopfe stand; ein
vierter lag vollständig auf dem Rücken und streckte die Beine in die Luft;
kurzum es kamen die mannigfaltigsten motorischen Störungen vor, die normale
oder einfach tetanische Thiere niemals darbieten.
Das Krampfmoment verschwindet meist nicht völlig aus dem Krankheits¬
bilde, aber es tritt in den Hintergrund, beherrscht nicht mehr die Situation
wie bei der acuten Tetanie; ja ich habe in manchen Fällen überhaupt keine
Krämpfe bei dem chronischen Ablauf mehr auftreten sehen; in anderen war
der Charakter der Krämpfe total verändert. So traten bei den einen psychisch
defecten Thieren, die anfänglich an reiner Tetanie erkrankt waren, im weiteren
Verlauf immer noch ab und zu klonische Muskelzuckungen oder selbst einmal
ein kurzer Streckkrampf auf; bei anderen Thieren, ich denke hierbei besonders
an zwei Hunde mit periodisch wiederkehrenden, stets einige Tage anhaltenden
Geistesstörungen, unterbrachen auf der Höhe der Verwirrtheit schwere und lange
anhaltende, in ihrem Charakter der Tetanie nicht entsprechende Couvulsionen
das einfache Bild der psychischen Störung. Wieder in anderen Fällen folgten
dem verhältnissmässig kurzen Krampfe lang anhaltende Verwirrtheit, aus der
sich das Thier erholte, um gelegentlich in der gleichen Weise afficirt zu werden.
Es untermischt sich eben bei diesen chronischen Krankheitsbildern Psychose
und Krampf in ähnlicher Weise, wie es bei der Epilepsie zu beobachten ist.
Kurzurp es tritt neben das Krampfmoment, oftmals dasselbe vollständig
zurückdrängend, die psychische Störung.
Die Dauer der Psychose war bei meinen Thieren eine verschieden lange.
Bei den einen spielten sich die charakteristischen geistigen Störungen in ein
oder zwei Tagen ab; bei den anderen innerhalb ebenso vieler Wochen; wieder bei
anderen zeigte die Krankheit einen periodischen Typus, sodass grosse freie
Intervalle mit mehrtägigen, plötzlich einsetzenden Alterationen der Psyche ab¬
wechselten, zu denen dann meist Krampfanfalle hinzukamen.
Der Tod trat entweder unter gleichzeitigem geistigem und körperlichen
Verfall in Folge von Entkräftung ein — eine Entkräftung, wie ich sie übrigens
nie in gleicher Intensität bei nur einfach hungernden Thieren beobachtet habe —
oder es schloss das Krankheitsbild mit einem lautlosen, agonalen Streckkrampf;
zwei periodisch erkrankt gewesene Thiere verlor ich in einer Art von status
epilepticns.
Meinen Mitteilungen liegen die positiven Erfahrungen an 18 Thieren zu
Grunde, von denen 15 mit Milch vorbehandelt waren.
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Anzugeben,' ein wie grosser Procentsatz unter den langlebigeren thyreopriven
Hunden überhaupt an Geistesstörungen erkrankt, erscheint mir vorläufig un¬
möglich; eine ganze Anzahl von Thieren wird dem Beschauer verdächtig, bietet
aber doch nicht so evident ins Auge fallende Aufregungs- oder Ausfallssymptome,
dass man sie mit Sicherheit unter die geistig gestörten einreihen dürfte. —
Wenn die Diagnostik in der Psychiatrie der Hunde mehr ausgebaut sein wird,
kann man an eine Statistik herantreten. Bis dahin muss man sich mit den
prägnant verlaufenden Experimenten begnügen lassen. Aber diese lehren immer¬
hin schon recht bemerkenswerte Thatsachen, die ich im Folgenden nochmals
zusammenfasse:
Während sich die durch Schilddrüsenausfall hervorgerufene Autointoxicatioii.
wenn sie mit voller Heftigkeit eintritt, ausschliesslich in Form von schweren
Krampfzuständen geltend macht, treten, sofern es gelingt, die Selbstvergiftung
abzuschwächen, daneben oder auch allein Verfallserscheinungen auf, die sch
manchmal als grobe Stoffwechsel- oder Organstörungen wahrnehmen lassen, zu¬
weilen aber ausschliesslich sich als schwere Alterationen des Geisteslebens
kundgeben.
Die Intoxication wirkt entweder beständig fortschreitend bis zum Tode
oder — unter scheinbarer Erholung — in periodischen Anfällen.
Bei allen diesen Zuständen fehlen Anklänge an die Geisteskrankheiten des
Menschen keineswegs und vielleicht giebt dieser Umstand die Anregung dazu,
die entgiftenden Organe und die bei ihrer mangelhaften Function auftretendeo
Vergiftungen im Verbältniss zu Geisteskrankheiten zu untersuchen.
Dass hierbei Myxödem und Cretinismus nicht als die alleinigen Erkrankung«
in Betracht kommen, beweist Ihnen wohl schon meine Schilderung. Dass aber
die Schilddrüse sicher nicht das einzige entgiftende Organ des Körpers ist, möge
bei solchen Studien nicht vergessen werden 1
[Aus der III. med. Klinik (Hofrath v. Schböttbb) in Wien.] #
3. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe.
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬
merkungen über den Verlauf der centralen Haubenbahn.
Von Dr. Josef Borgo,
Assistenten der Klinik.
(Fortsetzung.)
Anatomischer Befund:
Körper mittelgross, von ziemlich kräftigem Knochenbau, gut genährt Die
Haut des Gesichts bräunlich, des übrigen Körpers weiss.
Das Schädeldach ist fast rundlich; 1 / 2 cm dick. Die Dura mater stark ge¬
spannt, dünn, Innenfläche glatt und glänzend. Die Oberfläche der GTOsshirn-
hemisphären ist deutlich abgeplattet. Die inneren Hirnhäute an der Convexität
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zart, massig injicirt. An der Basis, und zwar in den beiden Sylvi’schen Furchen
und um das Chiasma nervorum optic., von einem sulzigen graugelben Exsudat
durchsetzt. In der Pia mater daselbst kaum sichtbare Knötchen. Bei der Be¬
sichtigung der Hirnbasis bemerkt man eine deutliche Verbreiterung bezw. Ab¬
plattung des rechten Hirnschenkels. Die Seitenventrikel sowie der 3. Ventrikel
durch klares Serum stark ausgedehnt, das Ependym stellenweise resistenter, stellen¬
weise erweicht.
Entsprechend der rechten Hälfte der Vierhügel findet sich ein haselnuss¬
grosser Tumor, welcher nahezu vollständig aus einer trockenen, käsigen Masse,
nur in der Peripherie auB einer schmalen Schicht röthlichen Granulationsgewehes
beeteht. Derselbe ragt etwas in die rechte Hälfte des Ventrikels hinein, woselbst
die leicht höckrige Oberfläche des Tumors gesehen werden kann. Andererseits
erstreckt er sich nach abwärts gegen die Basis, bis dicht zur Substantia nigra
Sömmeringii.
Die linke Lunge ist allenthalben frei, die rechte dagegen vollständig an¬
gewachsen, und zwar durch leicht zerreissliches Bindegewebe. In ihrem Oberlappen
finden sich ganz vereinzelte, etwa hanfkörngrosse, schiefergraue Knötchen; im
Uebrigen sind beide Lungen lufthaltig. Die Bronchialdrüsen klein, anthracotisch,
nur in einer derselben ein etwa erbsengrosser grauer Herd.
Das Herz zeigt keine Veränderungen. Die Milz nur beiläufig das Doppelte
vergrössert, ihre Kapsel zart, ihre Aussenfläche mehr oder weniger deutlich grob¬
höckerig. Am Durchschnitte ist sie von zahlreichen kirschen- bis kleinnussgrossen,
scharf abgegrenzten Tumoren durchsetzt, deren Schnittfläche über das übrige
Niveau stark vorspringt, meitt dunkelroth oder röthlichgrau gefärbt ist, sonst
aber eine ähnliche Beschaffenheit zeigt, wie das übrige Bindegewebe. Nieren,
Leber, Magen, Darm zeigen keine Veränderung, an den Tonsillen und im Larynx
ebenfalls keine Veränderung.
Histologische Untersuchung:
Gehirn und Rückenmark wurden in Müller-Formol gehärtet. Die Medulla
oblong, und der Hirnstamm bis zum Tumor wurden nach zweiwöchentlicher
Härtung in obiger Flüssigkeit in dünne Scheiben geschnitten und nach Marchi
weiter behandelt. Das Rückenmark wurde theils nach Marchi gefärbt, theils in
gewöhnlicher Weise weiter gehärtet und nach Weigert-Pal, mit Eosin, Häma-
toxylin und polychromem Methylenblau gefärbt.
Die histologische Untersuchung des Rückenmarks ergab eine diffuse, vom
Sacralmark bis ins Halsmark reichende Leptomeningitis. Die weichen Meningen
von Rundzellen durchsetzt, die Fasern erweitert, stärker gefüllt. An einzelnen
Stellen deutliche Epitheloidtuberkel, welche über den tuberculösen Charakter der
Entzündung keinen Zweifel Hessen. Die Entzündung greift stellenweise längs der
Bindegewebssepten auf die Substanz des Rückenmarks über, dessen periphere Antheile
sich allenthalben im Zustande theils entzündlicher ödematöser Durchfeuchtung,
theils beginnender Erweichung befinden. Ganglienzellen intact. Nach Mabghi
keine Degeneration der Pyramidenbahnen; an einzelnen Schnitten, sowohl
des Hals-, Brust- als Lendenmarkes, in den Hintersträngen und in den Seiten¬
stranggrundbündeln vereinzelte schwarze Körnchen, offenbar von Degenerationen
kurzer Bahnen herrührend, in Folge der Leptomeningitis. Auch an Eosin-Häma-
toxylin- und WsiGEBT-PAL-Präparaten ist weder in den Pyramidenbahnen, noch
in anderen Rückenmarksbahnen ein Faserausfall zu constatiren.
In der Gegend des Tumors sind folgende Fasersysteme zerstört:
Der vordere und hintere rechte Vierhügel,
der Oculomotorius- und Trochleariskern beiderseits,
die rechte cerebrale Trigeminuswurzel,
y Google
700
beide Fascic. longit. post,
beide Bindearme, der rechte stärker, in der proximalen Hälfte ihrer Kreuzung,
die rechte Schleife,
die rechte Substantia nigra Sömmeringii,
alle anderen Faserzüge zwischen Schleife und Aquaeductus links und zwischen
Substantia nigra Sömmeringii und Aquaeductus rechts,
beide rothen Kerne,
die MKiNEET’sche und Fo&Bi/sche Haubenkreuzung.
Genauere Untersuchungen, namentlich über das Verhalten der Regio aub*
thalamica konnten nicht angestellt werden, da das Präparat bei der Autopsie
gerade in der Gegend des Tumors ziemlich beschädigt wurde. Soviel konnte aber
doch mit Sicherheit festgestellt werden, dass der comprimirte Hirnschenkelfua
an Wbigbbt- Präparaten keinen Faserausfall erkennen Hess.
Secundäre Degenerationen in der Medulla oblongata und dem
Hirnstamme.
1. Pyramidenbahnen nicht degenerirt.
2. Fasciculus longitud. post, beiderseits degenerirt.
3. Ausserdem findet sich als lange absteigende Bahn beiderseits ein com¬
pactes Bündel degenerirt, welches seiner Lage nach der centralen Haubenbabn
entspricht und dessen Verlauf sich spinal* und cerebralwärts folgendermaaasen
gestaltet:
dorsal
X.
ventral
Fig. 1. Schematisches Bild der linken Olive bei starker Vergrösserung
aus deren unteren Abschnitten. Färbung nach Mabohl
Schon in den untersten Enden der beiden Oliven lassen sich in den in den
Oliven sich radiär ausbreitenden Fasern feinste schwarze Körnchen nachweisen,
und dieser Befund bleibt constant bis an das obere Ende der Oliven. (Fig. !•)
Je mehr man sich den proximalen Abschnitten der Oliven nähert, um so deut¬
licher wird eine Degeneration der die Oliven umspinnenden bogenförmigen Fasern,
welche sich zunächst in den ventralen und dorsolateralen Abschnitten derselben
y Google
701
bemerkbar macht (Fig. 2), an In* und Extensität zunimmt, bis schliesslich die
Olive von einem dicht punctirten schwarzen Faserzug eingeschlossen erscheinen
(Fig. 3.), welche nur die mediale Seite, den Hilus derselben frei lässt. An dem
Fig. 2. Aus der Gegend der Mitte der Olive. Fig. 8. Aus dem obersten Ende
Ol Olive. der Olive. Ol Olive, c centrale
Haubenbahn.
dorsolateralen Rande der Oliven sammeln sich entsprechend deren obersten Ende
diese degenerirten Fasern zu einem compacten, schon mit freiem Auge sichtbaren
Bündel (Fig. 4), welches weiter nach aufwärts medial von der Nebenolive liegt
Fig. 4. Höhe des Abducenskernes und Fig. 5. Aus der Gegend des Rindeneintrittes.
der austretenden Abducenswurzel. B Bindearm, L Schleife, Po Pons, c centrale
Po Pons, L Schleife, NO Nebenolive, Haubenbahn, flp Fascic. longit. post.
VI Abducenskern, c centrale Hauben¬
bahn, flp Fascic. longit. post.
und am dorsalen Ende der Schleife (Fig. 6) und als solches bis in die Höhe des
motorischen Trigeminuskernes sich verfolgen lässt.
An noch höheren Querschnitten ist zu entnehmen, dass die centrale Haubenbahn
in jenen Ebenen, in welchen die Bindearme im Querschnittsbilde auftreten, sich von
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der Schleife etwas entfernt und dorsalwärts rückt; dass diese dorsale Lagerung immer
ausgesprochener wird, je mehr die Bindearme sich in höheren Schnitten der Median¬
ebene nähern, derart, dass schliesslich die centrale Haubenbahn an die dorsale Fläche
des entsprechenden Bindearmes zu liegen kommt, dessen Concavität innig anliegend
Fig. 6. L Schleife, B degenerirter Bindearm, flp Fascic. long. post., Leo Loco«
coerulens, Fd cerebrale Trigeminos wurzel, c centrale Haubenbahn.
(Fig. 6) und jenes Feld einnehmend, welches sich als dorsolaterales
Haubenfeld beschrieben findet. Noch weiter cerebralwärts rückt das dege-
nerirte Bündel immer weiter dorsal und lateral, in den von dem Bindearm und dem
dorsalen Längsbündel gebildeten Winkel, wobei der Querschnitt desselben immer
Fig. 7. S Schleife, B Bindearm, Vd cerebrale Trigeminuswnrzel, Leo Locus coeruleu*.
flp Fascic. longit post., c centrale Haubenbahn. Halbschematische Zeichnang.
mehr abnimmt, die Körnung immer spärlicher wird. (Fig. 7.) An Stelle der
querdurchschnittenen Fasern treten in diesen Höhen immer deutlicher werdende,
längsgetroffene, deutlich scharf punctirte Faserzüge auf (Fig. 8), von denen die
dorsalsten, dem Fase. long. post, zunächst gelegenen die Mittellinie nicht über¬
schreiten und in den Bindearm derselben Seite einstrahlen (Fig. 8). In ^ eD
obersten, noch brauchbaren Höhen, unterhalb des Tumors, d. i. wenig unterhalb
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des Trocbleariskerns, ist von einem quergetroffenen Bündel nichts mehr zu sehen,
und nur einige zwischen Bindearm und Fase. long. post, gelegene, in den Binde-
arm einstrahlende degenerirte Faserzüge als Fortsetzung desselben bemerkbar.
Ventral vom Bindearm, zwischen diesem und der medialen Schleife, ist von
jenen Höhen an, in welchen die centrale Haubenbahn die dorsale Ebene der
Bindearme erreicht hat, keine umschriebene Körnchenanhäufung mehr zu sehen;
der ganze Raum zwischen beiden Fasersystemen zeigt eine diffuse, sehr wenig
intensive, cerebralwärts immer geringer werdende, schliesslich aufhörende schwarze
Körnung. (Fig. 6 u. 7.)
Fig. 8. L Schleife, B Bindearm, flo Fascic. long. post, Vd cerebrale Trigeminus-
wurzel, c centrale Haubenbahn. Halbschematiscbe Zeichnung.
4. Degenerirt sind ferner die Bindearme, die cerebrale Trigeminus¬
wurzel von der Höhe der Bindearmkreuzung an, woselbst an der Querschnitts¬
form Bich bereits der Druck des Tumors kenntlich macht; ferner in anfangs sehr
geringer, cerebralwärts zunehmender Stärke die Schleife.
5. Eine spinale Fortsetzung der centralen Haubenbahn konnte
nicht degenerirt gefunden werden, ebenso war die Olivenzwischen-
schicht frei.
Die Untersuchung des Tumors selbst ergab neben käsigen Herden deutliche
Epitheloidtuherkel, massenhafte Riesenzellen, und bei Bakterienfarbung das Vor¬
handensein von Tuberkelbacillen innerhalb der Riesenzellen.
Epikrise. Anatomischer Theil.
Hier wäre nur auf den Ursprung und den Verlauf der centralen Hauben¬
bahn näher einzugehen, da zum Studium anderer Fasersysteme die Präparate
keine Gelegenheit gaben.
Obwohl die Beziehungen der centralen Haubenbahn zur Olive schon von
dem Entdecker dieses Bündels ( Bechterew) ausgesprochen wurden, und man
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704
in demselben eine Verbindung der unteren Olive und der Stammganglien ver-
muthet, herrscht eine vollständige Klarheit über diese Beziehungen noch keines¬
wegs. Die frühere Meinung, dass die centrale Haubenbahn eine spinale Fort¬
setzung, das Oliven- (Hel WEG’sche) Bündel habe, hat Bechterew selbst auf¬
gegeben, da sich eine Beziehung dieses spinalen Bündels zu den Oliven nicht
nachweisen liess (Fascic. parolivaris).
In der Arbeit von Collies und Buzzabd über vom Mittelhirn absteigende
Fasersysteme finde ich einige Bilder, in welchem ganz analog meinen Prä¬
paraten ein die Olive umspinnendes Degenerationsfeld zu sehen ist; doch be¬
zeichnen die Verf. nur dessen dorsalen Antheil als centrale Haubenbahn, während
angesichts des Umstandes, dass in der Medulla obl. bei meinen Fall nur dieses
Bündel degenerirt gefunden wurde, kein Zweifel obwalten kann, dass anch die
lateral und ventral von der Olive gelegenen Fasern der centralen Haubenbahn
angehören, diese also bei ihrem centrifugalen Verlaufe in die Horizontal¬
richtung umbiegend die laterale Hälfte der Olive mit ihren Fasern
umspinnt.
Collier und James sagen, die meisten Fasern scheinen an der Oberfläche
der gleichseitigen unteren Olive zu endigen. Aus meinen Präparaten geht aber
unzweifelhaft hervor, dass sie in die Olive einstrahlen, sich radiärwärts
in derselben ausbreiten, und zwar lässt sich diese Einstrahlung
durch die ganze Höhe der Olive verfolgen.
Einstrahlungen von Fasern der centralen Haubenbahn in die
Olivenzwischenschicht und in die HELWEo’sche Dreikantenbahn
konnte ich nicht wahrnehmen. Ersteres verdient umsomehr Beachtung,
als die centrale Haubenbahn beiderseits isolirt degenerirt war; es dürften also
die von Collier und Buzzabd in die Olivenzwischenschicht einstrahlend ge¬
sehenen Fasern wohl einem anderen Fasersysteme angehören. Und was die
letztere Ansicht betrifft, so stimmen meine Befunde, nähmlich das Fehlen einer
spinalwärts degenerirten Bahn, gut überein mit den neusten von Bechterew
und Obersteineb vertretenen Ansichten, wonach die HELWEG’sche Bahn
mit der centralen Haubenbahn und wahrscheinlich auch mit den Oliven gar
nichts zu thun hat.
Nach meinen früher geschilderten und abgebildeten Präparaten, muss ich
ferner zur Ansicht kommen, dass — bei der der wirklichen Verlaufsrichtung ent¬
gegengesetzten Darstellung des Verlaufes von unten nach oben — die centrale
Haubenbahn sich um die Bindearme dorsalwärts wendet und im
sogen, dorsolateralen Haubenfelde weiter verläuft und schliess¬
lich in die Bindearme einstrahlt. Ob in dem dorsolateralen Haubenfelde
ausserdem noch andere Faserzüge verlaufen, welche nicht der centralen Hauben¬
bahn angehören, vermag ich nicht zu sagen.
Was das Fehlen der absteigenden Pyramidendegeneration betrifft
so steht dieses Verhalten wohl im Zusammenhänge mit dem Umstande, dass
der comprimirte Hirnschenkelfuss keinerlei Faserausfall und pathologische Ver¬
änderung an WEiQEBT-Präparaten erkennen liess. Es dürfte sich also wohl nur
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705
um ein Näheraneinanderrücken der Fasern mit functioneller, aber nicht anatomi¬
scher Schädigung derselben gehandelt haben, womit auch die nur geringe links¬
seitige Hemiparese im Einklang steht
Klinischer Theil.
Um vorerst die Symptome noch einmal kurz zusammenzufassen:
Bei einem 28jährigen Taglöhner trat im Verlaufe weniger Wochen beider¬
seitige Oculomotorius- und Trochlearislähmung ein mit linksseitiger
Hemiparese. Die Augenspiegeluntersuchung ergab beiderseitige beginnende
Opticusatrophie, die Qesichtsfeldaufnahme eine allseitige, aber besonders
rechtsseitige Einschränkung des Gesichtsfeldes. Gesteigerte Sehnen¬
reflexe, geringe Ataxie der linksseitigen Extremitäten. Während des
ganzen, 10 Monate dauernden Krankheitsverlaufes niemals Kopfschmerz,
Schwindel oder Erbrechen, keine Stauungspapille, keine nachweisbare
centrale Gehörstörung. Im weiteren Verlaufe vorübergehende Parese
des linken Faoialis, Abducens und motorischen Trigeminus und Auf¬
treten eigentümlicher continuirlicher, während des wachen Zustandes
andauernder, einem grobwelligenTremorvergleichbarer, bei intendirten
Bewegungen sich steigernder Krämpfe verschiedener Muskelgruppen
der linken Extremitäten, deren Auftreten folgende Reihenfolge erkennen liess:
Beginn in den Beugern und dem Opponeus des linken Daumens,
nach 3 Tagen auch am linken Zeigefinger.
3 Wochen später gesellt sich hierzu ein klonischer Dauerkrampf des linken
Supinator longus, des linken Extensor und Flexor carpi ulnaris, und
nach einem weiterem Monate der langen Fingerbeuger der linken Hand.
Nach einem weiteren Monate tritt ein klonischer Krampf des linken Tibialis
anticus hinzu, an dem eine Woche später auch der Semitendinosus und
Semimembranosus sich betheiligen. Der Krampf im linken Daumen war
Ende Juli 1901 aufgetreten und hatte bis 5. December 1901 sich auf die ge¬
nannten Muskelgruppen ausgebreitet, die einmal befallenen in continuirlicher
Thätigkeit erhaltend. Am 25. December 1901 plötzliches Sistiren des Krampfes
ohne anderweitige Veränderung. 5 Tage später Wiederauftreten desselben in
denselben Muskelgruppen unter Neubetheiligung des Pectoralis major, Supra-
spinatus und der Clavicularportion des Deltoideus. Alle genannten
Muskelgruppen fühlen sich während des Krampfes deutlich härter an. Mit dem
Wiederauftreten gewinnt der Krampf einen anfallsweisen Charakter. Die Anfälle
dauern Secunden bis Tage und befallen häufig die Muskeln in derselben Reihen¬
folge wie oben geschildert, anderemale alle scheinbar zu gleicher Zeit. Zwei
Mal Steigerung zu allgemeinen klonischen Krämpfen, von der linken
oberen auf die linke untere, sodann rechte untere und rechte obere
Extremität übergreifend, ohne tonische Starre und unter Freibleiben
des Facialis und Hypoglossus.
Im weiteren Verlaufe Fieber unter auffallender Temperaturdifferenz
der linken und rechten Körperhälfte, indem erstere fast constant seihst bis zu 2°höhere
Temperatur zeigt, und Tod unter den Erscheinungen tuberculöser Meningitis.
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706
Klinische Diagnose vor dem Auftreten der tuberculösen Meningitis.
Der anfängliche Symptomencomplex, beiderseitige Ophthalmoplegie and
linksseitige Hemiparese liess sich auf zweifache Weise erklären: 1. durch einen
Krankheitsherd an der Basis, dem reohten Grosshirnschenkel entsprechend oder
dem vorderen Ende der Brücke, am Austritte der beiden Nn. oculomotorii;
2. durch einen Herd in der Vierhügelgegend, bezw. in der Nachbarschaft
derselben.
ad 1. In Betracht konnten nur kommen eine chronische Meningitis oder ein
basaler Tumor. Eine tuberculöse Meningitis war nach dem Verlaufe aus-
zuschliessen (die später aufgetretene war ja sicher secundär), eine luetische
mangels aller luetischen Antecedentien, bei dem Fehlschlagen einer specifischen
Behandlung und bei der dauernden Abwesenheit von Kopfschmerzen kaum an¬
zunehmen. Ein Tumor an dieser Stelle war hingegen nicht auszuschliessen.
Es ist ja bekannt, dass gerade Tumoren an der Basis cerebri häufig alle all¬
gemeinen Tumorsymptome vermissen lassen (Oppenheim) und auch die Aus¬
bildung einer Stauungspapille durch frühzeitige Compression der Nn. optici bezw.
deren Tractus verhindern können und in solchen Fällen häufig mit oder ohne
gleichzeitige Atrophia nervi opt. zu einer Verengerung der Gefässe der Papilla
nerv, opt führen können (Oppenheim), wie sie in unserem Falle an der
rechtsseitigen Papille zur Beobachtung kam. Die Erklärung der eigentümlichen
Krampfform war unter der Annahme des Sitzes ebenso schwierig bezw. un¬
möglich, wie unter Herbeiziehung eines Herdes in der Vierhügelregion.
Das war also die eine Möglichkeit und die Latenz der allgemeinen Tumor¬
symptome konnte durch die Annahme eines solitären Tuberkels noch plausibler
gemacht werden. Ich sagte oben absichtlich, die Symptome liessen sich erklären
durch einen dem Grosshirnsohenkel entsprechenden basalen Tumor, und vermied
es zu sagen, durch einen Tumor des Grosshirnschenkels; denn es war unwahr¬
scheinlich, dass ein vom Grosshirnschenkel selbst ausgehender Tumor erst beide
Oculomotorii und Trochleares lähmen sollte, ehe er zu einer Parese der linken
Körperhälfte führte, und dass ein derartig localisirter Tumor bei oompleter
Lähmung beider Oculomotorii während des ganzen späteren Verlaufes nur eine
relativ geringfügige Hemiparese sollte erzeugt haben. Ich gebrauchte diese ror-
sichtigere Ausdrucksweise auch schon damals, als ich den Fall im December v. J-
in der Gesellschaft für innere Medicin demonstrirte, obwohl im Allgemeinen der
Symptomencomplex: Oculomotoriuslähmung mit gekreuzter Hemiplegie (gekreuzt
mit dem zuerst befallenen Oculomotorius) als typisch für eine Erkrankung des
Grosshirnschenkels gilt.
ad. 2 Herd in der Vierhügelgegend:
Eine thrombotische oder embolische Erweichung war nach dem
proträhirten Verlaufe, bei der Jugend des Individuums und dem Mangel aller
krankhaften Symptome des Circulationsapparates, auszuschliessen.
Ein Tumor dieser Gegend schien unwahrscheinlich bei dem constanten
Fehlen aller allgemeinen Tumorsymptome. Es ist zwar bekannt, dass bei
Vierhügeltumoren Stauungspapille nicht selten vermisst wird, aber es schien
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707
doch kaum erlaubt, einen Tumor anzunehmen, der bei diesem Sitze eine Com-
pression des Aquaeductus Sylvii und damit einen chronischen Hydrocephalus
herbeiführen musste, wenn alle Symptome des letzteren, Kopfschmerz, Schwindel,
Erbrechen, niemals, auch nur andeutungsweise, vorhanden waren. Ein Tumor
dieser Gegend entzog sich also der Diagnose.
Es blieb noch übrig, an chronisch entzündliche Veränderungen in der
"Vierhügelgegend bezw. den Oculomotorius- und Trochleariskemen zu denken,
die weder eine Raumbeschränknng im Schädelinneren noch eine Verlegung des
Aquaeductus herbeizuführen brauchten. Und Analogieen dafür liessen sich in
der Litteratur auffinden, indem z. B. Siemebling beobachtete, dass die multiple
Sklerose unter dem Bilde einer Oculomotoriuslähmung einsetzen kann. Auch
die Deutung der nach Muskelgruppen fortschreitenden Krämpfe, die die An¬
nahme eines corticalen Ursprunges naherückten, war unter dieser Voraussetzung
verständlicher, indem die Entstehung derselben aus gleichzeitigen oorticalen oder
dicht unterhalb des Cortei in der Gegend der motorischen Rindencentren ge¬
lagerten Herden sich bei dieser Diagnose gleichsam von selbst aufdrängte.
Ein solitärer Tuberkel an der Basis cerebri, am vorderen Ende der Brücke,
bezw. in der Gegend des rechten Grosshirnschenkels, oder multiple Sklerose mit
atypischer Localisation, das waren die beiden Möglichkeiten, zwischen welchen
ich eine sichere Entscheidung zu treffen nicht wagte.
(Fortsetzung folgt.)
n. Aus den Gesellschaften.
Berliner Oesellsohaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 14. Juli 1902.
Vorsitzender: Hern Jo 1 ly; Schriftführer; Herr Bernhardt.
Herr Arndt und Herr Sklarek: Heber Balkenmangel im mensch¬
lichen Gehirn.
Vortr. haben ein „balkenloses“ Gehirn in Serienschnitte zerlegt und demon-
striren mit dem Projectionsapparat eine grössere Reihe von Frontalschnitten durch
beide Hemisphären.
Das Gehirn entstammt einem idiotischen Mädchen, welches erblich nicht be¬
lastet war, und dessen Geburt ohne Störung verlief. Im 2. Lebensjahre soll es
Krampfanfälle gehabt haben; im vierten fing es an zu sprechen und zu gehen.
Für den Volksschulunterricht erwieB das Kind Bich als ungeeignet; es wurde deshalb
im 9. Lebensjahre in die Idiotenanstalt zu Dalldorf aufgenommeu. Eis lernte hier
nothdürftig etwas lesen und schreiben, konnte einfache Erzählungen verstehen
und dem Inhalte nach wiedergeben; es war im Allgemeinen ein gutmüthiges,
williges nnd sehr lebhaftes Kind. Körperlich war es nicht so entwickelt, wie
es seinem Alter entsprochen haben würde. Die Sprache war undeutlich; es be¬
stand beiderseits Mittelohrkatarrh und ziemlich erhebliche Schwerhörigkeit. An
den unteren Elxtremitäten fanden sich Spasmen und gesteigerte Reflexe. Im
Uebrigen bot der körperliche Befund nichts wesentlich Abnormes dar. Das Kind
befand sich 6 Jahre in der Anstalt und starb im August 1900 an Siebbein¬
empyem und eitriger Bronchitis. Das Gehirn wurde in Müller’scher Flüssigkeit
gehärtet und in Serienschnitte zerlegt; für die Färbung derselben kam besonders
45*
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708
die Kultschitzky-Woltere’sche Methode in Anwendung. Eb ergab sich
folgel.der Befund:
Die Querfaserung des Balkens fehlt fast vollständig; nur ein schmales
Faserbiindelchen von 1—2 mm Breite und Dicke verbindet dort, wo in der Norm
das Balkenknie liegt, beide Hemisphären. Ein mächtiger Faserzug, das von
Probst sogenannte „Balkenlängsbündel“, durchzieht jederseits dorsomedial vom
Seitenventrikel das Gehirn in sagittaler Richtung vom Stirn- zum Hinterhaupte-
lappen und bildet das Tapetum des Hinter- und Unterhorns des Seitenventrikels.
Von seinem dorsalen Ende geben Fasern zu den verschiedenen Hirnwindungen,
mit dem ventralen steht der Fomix jederseits in enger Verbindung. Die Fornix-
schenkel und -Bäulen vereinigen sich nicht in der Mittellinie zum Fornixkörper:
auch fehlt die Commissura fornicis, das Psalterium vollständig. Das erwähnte
Querfaserbündelchen geht jederseits in die ventrale Spitze des Balkenlängsbündels
über und verliert sich in der Masse desselben. Ein Septum pellucidum ist nicht
vorhanden, ebensowenig ein eigentlicher Gyrus fornicatus. Der rückwärts ver¬
laufende Schenkel der Commissura anterior ist jederseits unter dem Linsenkern
bis in den Schläfenlappen zu verfolgen; es fehlt aber- die in der Norm vor den
aufsteigenden Fornixsäulen gelegene quere Verbindung dieser Schenkel, es fehlt
also die eigentliche Commissur.
Vortr. erörtern kurz die Anschauungen der verschiedenen Autoren über die
Befunde am balkenlosen Gehirn und ihre Beziehungen zum Faserverlauf im nor¬
malen Gehirn. Sie schliessen sich völlig der, in neuerer Zeit besonders von
Schröder und Probst vertretenen, Auffassung von H. Sachs an, dass ein dem
Onufrowiez'sehen frontooccipitalen Bündel (Probst: Balkenlängsbündel) des
balkenlosen Gehirnes entsprechender Faserzug im normalen Gehirn nicht existire.
In dem sogenannten „balkenlosen“ Gehirn fehle der Balken keineswegs; die Fasern
treten nur nicht nach der anderen Seite hinüber, sondern verliefen in derselben
Hemisphäre in sagittaler Richtung und verbänden so, das Onofrowicz’sche
Bündel bildend, verschiedene Punkte derselben Hemisphäre, statt wie in der Norm
beide Hemisphären. Es handle sich also nicht um ein völliges Fehlen, sondern
um eine Heterotopie des Balkens (H. Sachs).
Der vorliegende Fall erscheint deshalb besonders beweisend für diese Auf¬
fassung, weil ein kleiner Rest der Balkenquerfaserung vorhanden ist, und dieser
direct in das Balkenlängsbündel übergeht. Autoreferat.
Herr F. Strassmann: Demonstration von Präparaten eines Falles
traumatischer Psychose.
Vortr. secirte am 25. Januar 1902 die Leiche eines Selbstmörders, der sich
3 Tage vorher durch einen Schuss in die rechte Schläfe getödtet hatte. Man
fand bei ihm ausserdem eine alte, etwa 6 cm lange, geradlinige Narbe der Kopf¬
haut, darunter eine Vertiefung im Knochen, zwischen beiden eingeheilt ein gewöhn¬
liches Drainrohr. Der Vertiefung der Aussentafel entsprach innen eine dachförmige
Impression des rechten Scheitelbeines, zum Theil mit der Dura verwachsen.
Darunter zeigte das Gehirn eine napfförmige Grube mit gelblichem Grunde, ge¬
legen im obersten Abschnitte der rechten Centralwindung. Anderweitige Ver¬
änderungen waren an dem durch den Schuss allerdings zertrümmerten Gehirn
nicht wahrzunehmen.
Nachträglich Hess sich folgende Krankengeschichte feststellen:
Der Verstorbene war ein 47jähriger Arbeiter, erblich nicht belastet. Seit
1878 regelmässiger Trinker (Schnaps für 20 Pf.). Ende der 70er, Anfang der
80 er Jahre mehrere Bestrafungen wegen Diebstahl und Arbeitsscheu. Verheirathet
seit 1882, Vater von vier gesunden Kindern.
Ende 1882 verunglückte er durch Aufschlagen eines Balkens aus grosser
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Höhe auf Beinen Kopf, wurde bewusstlos ins Krankenhaus gebracht, wo man eine
Depression des rechten Scheitelbeines, eine bis auf die Dura reichende Kopf¬
wunde, eine Parese der linken Seite feststellte. Ein Knochensplitter wurde ent¬
fernt, die Wunde drainirt und vernäht, heilte per primam. Ara 7. Tage wurden
die Nähte entfernt, wobei offenbar das in die Tiefe gerutschte Drainrohr vergessen
wurde. Etwa 5 Wochen nach der Verletzung wurde er gebessert entlassen, doch
bestanden noch Klagen über Kopfschmerzen, Schwindel, Schwäche im Bein.
Diese Beschwerden haben seitdem nicht wieder aufgehört. Der Kopfschmerz
wurde beschrieben, als wenn eine Schale auf dem Kopf läge, als wenn ein Bind¬
faden um ihn gewickelt wäre. Daneben bestanden speciell Schmerzhaftigkeit und
starkes Jucken in der Narbe, als wenn Ungeziefer im Kopfe wäre, das Jucken
führte öfter zu heftigen Kratzeffecten. Neben der Schwäche in der linken Seite
besonders im Beine, wurde auch über krampfhaftes Zusammenziehen in den Waden
und Zehen geklagt. Bei den Schwindelanfällen gab der Pat. an, ein aufsteigen¬
des Gefühl vom Nabel aus zu fühlen.
1889 traten die ersten epileptischen Krampfanfälle auf und führten den Pat.
zwei Mal ins Krankenhaus.
Die epileptischen Anfälle haben sich dann später gehäuft, zumal wenn Pat.
trank, was er anscheinend nie ganz gelassen hat. Seit 1892 schlossen sich an
sie öfter Verwirrungszustände an, die eine wiederholte Aufnahme in die Irren¬
anstalt erforderte. Er ist 1892, 1893, 1895, 1896, 1898 zusammen etwa
l 1 / 2 Jahre in Anstalten gewesen. Zu gleicher Zeit etwa begann Gedächtnis¬
schwäche sich geltend zu machen, der Kranke wurde eifersüchtig, sexuell überaus
erregt, sehr reizbar gegen seine Frau und Kinder. Zeitweises Auftreten von
Sinnestäuschungen, besonders des Gesichtssinnes. Auch in den Anstalten zeigte
er das Benehmen des Alkoholisten neben Tremor und Alkoholgeruch. Unein-
sichtigkeit und Neigung zum Selbstlob. Daneben öfter deprimirte Stimmung;
schon einmal (1898) versuchte er Selbsterhängung. Objectiv wurde stets eine
Hypästhesie und Analgesie der ganzen linken Körperhälfte, eine Herabsetzung
des Gehörs, Geruchs und Geschmacks auf der gleichen Seite, eine Erhöhung des
Patellarreflexes linkerseits festgestellt. Die in den Anstalten beobachteten Anfälle
verliefen meist so, dass der Kranke hintenüberstürzte, ohne Zuckungen mehrere
Minuten lang da lag, dann ohne Bewusstsein vom Anfall wieder zu sioh kam;
Zungenbiss ist nie gesehen worden. Einer der letzten von dem Kranken selbst
beschriebenen Anfälle begann mit Schmerzen im linken Arm und Bein; dann
wurde er aus dem Bett geschleudert, benässte sich diesmal (zum ersten Mal)
mit Urin.
Vortr. glaubt nach der Krankengeschichte die Epilepsie auf den Rindenherd
zurückfUhren zu können unter begünstigender Mitwirkung des Alkoholismus. Eine
Narbenepilepsie, bedingt durch den 20 Jahre getragenen Fremdkörper, liege wohl
nicht vor; Druck auf die Narbe hat nie Krampfanfälle ausgelöst. Andererseits
sei doch ein nicht unerheblicher Theil der Beschwerden anscheinend durch die
Narbe bewirkt worden. Für einen operativen Eingriff hätte der Fall insofern
günstig gelegen, als ein Einschnitt auf Narbe und Knochendepression alsbald auch
auf den Rindenherd geführt haben würde; dieser selbst bot freilich seiner Natur
nach wohl nur geringe Aussichten für einen operativen Eingriff. Wenn aber
auch die Epilepsie nicht gehoben worden wäre, so würde doch schon durch Be¬
seitigung des Fremdkörpers das Befinden des Kranken voraussichtlich gebessert
worden sein, und insofern enthielte der Fall eine Aufforderung, in Zukunft unter
ähnlichen Umständen vielleicht öfter einen operativen Eingriff zu versuchen. (Der
Vortrag wird an anderer Stelle ausführlicher mitgetheilt werden.) Autoreferat.
Discussion: Herr Jolly bemerkt, dass in diesem Fall eine Operation indicirfc
gewesen wäre, wenn man von dem Vorhandensein des Fremdkörpers etwas ge-
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woBst hätte. Bedauerlicherweise war ein Hinweis auf diesen nicht vorhanden
gewesen. Depression des Schädels findet man bei traumatischer Epilepsie häufiger;
zur Ausführung einer Operation wäre man aber nur bei dem Vorhandensein von
Herdsymptomen berechtigt, da ohne diese die Prognose schlecht sei. Im vor¬
liegenden Falle käme auoh noch der epileptogene Einfluss des chronischen Alkohol¬
missbrauchs hinzu.
Herr Docent Dr. L. Minor aus Moskau (a. G.) demonstrirt am Projections-
apparate eine Reihe mikroakopisoher Präparate von verschiedenartigen Formen
der Hämatomyelie. Neben einer Anzahl von Präparaten, die bereits bekannte
Formen dieser Affection darstellen (centrale Zertrümmerung mit Beimischung von
Blut, compacte centrale Hämatomyelie, localisirte centrale Hämatomyelie gleich¬
zeitig das Vorder- und Hinterhorn betreffend, isolirte centrale Hämatomyelie eines
oder beider Vorderhörner, H. centr. anter.), demonstrirt Vortr. Präparate von
H. disseminata und einer neuen von ihm unlängst beobachteten noch nicht be¬
schriebenen Form der Affection, bei welcher die Blutung die Form eines Ringes
annimmt, mit nekrotischem Gewebe im Inneren desselben — H. annularis sive
cricoidea vom Vortr. genannt. Diese Ringe localisiren sich entweder in der grauen
Substanz der Hinterhörner oder in der der hinteren Commissur angrenzenden
Partie der Hinterstänge, seltener in den Seitensträngen. Vortr. theilt der Ent¬
stehung nach diese Hämatomyelie in eine active bezw. passive, im ersteren Falle
bahnt sich die Blutung neu den Weg, im letzteren füllt sie schon vorhandene
Risse aus.
Weitere Präparate zeigten zwei Hauptformen der späteren Ausgänge trau¬
matischer Rückenmarksaffectionen: Verwandlung des Rückenmarkes in ein schmales
bindegewebiges Band, bezw. colossale ödematöse Durchtränkung und Verdickung
der Häute, zum Schluss noch einen Fall von ausserordentlicher Erweiterung des
Centralcanals, deren Zusammenhang mit dem vorhergegangenen Trauma hier leicht
zu beweisen war. Autoreferat.
Herr Eulenburg: Demonstration eines Falles von Akromegalie mit
bitemporaler Hemianopsie.
Der Fall betrifft einen 27jährigen Mann, aus gesunder Familie stammend,
gross und kräftig doch ohne Zeichen von Riesenwuchs; hat etwa 6 Jahre gedient:
zeitweise alkoholische Excesse. Der von A. Graefe aufgenommene Augenbefund
ergiebt seit April 1901 stationär bleibende bitemporale Hemianopsie (mit über¬
schüssigem Gesichtsfelde rechts von 10, links von 5°); Atrophie der Sehnerven¬
papille, besonders rechts; leichte Ptosis links, Insufficienz der Recti intemi,
Nystagmus bei Endstellungen der Bulbi. Die Gesichtsknochen, besonders Jochbein
und Nasenbein, zeigen erhebliche Zunahme, noch mehr die Knorpel von Ohr und
Nase. Hände und Füsse sind gross, die Ossa metacarpalia und Phalangen
stark verdickt und verbreitet; erhebliche Zunahme und Infiltration der Weich-
theile, starkes Schwitzen der Hände. Von Kopferscheinungen nur leichter Stirn¬
kopfschmerz, zuweilen Brechneigung; kein Zucker im Harn; Patellar- und Plantar¬
reflexe gesteigert. Wie aus den Drucksymptomen auf Chiasma, Optici und Oculo
motorius hervorgeht, handelt es sich unzweifelhaft um eine Vergrösserung der
HypophyBis; aller Wahrscheinlichkeit nach in Form diffuser hyperplastischer
Struma des Vorderlappens (Benda), nicht in Form einer malignen Neoplasie.
Dem entspricht die Einreihung unter den klinischen Typus der in chronischer,
mehr benigner Weise verlaufenden Form der Akromegalie, die jedoch, abgesehen
von Complicationen, einen Uebergang in die perniciöse Form (durch Umwandlung
der Geschwulstelemente) nicht unbedingt ausschliesst. Therapeutisch wäre unter
solohen Umständen doch die Möglichkeit eines operativen Eingreifens (von der
Stirn her) in Rechnung zu ziehen. Autoreferat.
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711
Discussion:
Herr Mendel hat bezüglich der Therapie zu bemerken, dass, wenn sich jetzt
die Ansioht mehr und mehr Bahn bricht, dass die Hypophysiserkrankung nur
eine Theilerscheinung und nicht die Ursache der Allgemeinerkrankung sei, die
Frage, ob ein chirurgischer Eingriff indicirt ist, wohl in verneinendem Sinne zu
beantworten sei. Es entspräche das auch dem bisher in Deutschland bezüglich
dieser Frage allgemein eingenommenen zurückhaltenden Standpunkte, den er selbst
auch für durchaus gerechtfertigt halte.
Herr Maass erinnert an seine mit Friedmann gemachten Untersuchungen,
die zum Theil auch im Hinblick auf etwaige therapeutische Versuche unternommen
worden seien und bemerkt, dass die Chancen eines günstigen Erfolges beim
Menschen zweifellos sehr geringe seien; schon bei seinen Versuohsthieren (Hatzen)
haben sioh sehr grosse technische Schwierigkeiten ergeben.
Herr Eulenburg glaubt, dass der Zusammenhang zwischen der Akromegalie
und der Hypophysiserkrankung doch häufig ein engerer ist, als aus den Be¬
merkungen von Herrn Mendel hervorzugehen scheint. In Fällen, wie der
demonstrirte, sei ausserdem nicht zu vergessen, dass der Tumor an sich, selbst
wenn er nur ein Symptom sein sollte, deletäre Symptome macht, an deren Be¬
kämpfung auf chirurgischem Wege zu denken sei. Martin Bloch (Berlin),
f
Aerstlioher Verein au Hamburg.
Sitzung vom 27. Mai und 24. Juni 1902.
Herr Buchholz: Ueber die sohnell verlaufenden Formen der Dementia
paralytioa.
Vortr. macht, naohdem er in Kürze auf die grosse Bedeutung der frühzeitigen
Diagnose der Dementia paralytica hingewiesen hat, Mittheilung von den Ergeb¬
nissen einer von ihm vor nicht langer Zeit erhobenen Statistik über die Ver¬
breitung der Paralyse in dem Aufnahmebezirk der Landesheilanstalt Marburg.
Aus derselben geht hervor, dass die Erkrankungen an Paralyse in nicht unerheb¬
lichem Maasse zugenommen haben; und zwar in einem stärkeren Verhältniss, als
ee der Zunahme der Bevölkerung entspricht. Sodann zeigt dieselbe, dass sioh die
Paralyse von den grösseren Centren aus allmählioh über das platte Land hin aus¬
gebreitet hat, so dass jetzt auch in Kreisen, welche vor einer Beihe von Jahren
von der Paralyse nooh frei waren, Erkrankungen an Paralyse zur Beobachtung
kommen.
Sehr selten sind die Fälle von sogenannter galoppirender Paralyse. Von
336 Paralytikern lebten noch ein Jahr nach dem Ausbruche ihres Leidens 302.
Von den verbleibenden 33 konnten 9 wegen mangelnder Anamnese nioht in Be¬
tracht kommen. Von den restirenden 24 starben nicht an Paralyse oder eng
mit derselben verbundenen Complicationen 9 (3 vorgeschrittene Tuberculose,
2 Blasenrupturen, 1 Erstickung, 1 Aspiration von Eiter in die Luftwege, 1 eitrige
Pericarditis, 1 Embolie der Art. coronaria sinistra). Eis würden demnaoh nur
16 Kranke der Paralyse als solcher im ersten Jahre erlegen sein. Von diesen
boten neun abgesehen von dem schnellen Verlaufe nichts besonderes (acute, schnell
verlaufende Paralysen). Bei zweien begann die Erkrankung chronisch, um dann
in einem plötzlich einsetzenden Stadium von Delirium acutum-artigem Verlaufe zu
Ende zu führen. Bei den vier letzten Patienten, deren Krankengeschichte in
Kürze mitgetheilt wurde, verlief die ganze Erkrankung ausserordentlich stürmisch
und führte in wenigen Wochen bezw. Monaten zum Ende. Alle diese 4 Fälle
waren durch sehr schwere Verwirrtheits- und Erregungszustände, einhergehend
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mit mehr oder minder starker Trübung bezw. vollständiger Aufhebung des Be¬
wusstseins ausgezeichnet (galoppireude, foudroyante Paralysen).
Von diesen 4 Fällen sind drei anatomisch eingehend untersucht Es fanden
Bich in allen dreien Degenerationsprocesse in den Hintersträngen. Bei zweien
derselben wies der mikroskopische Befund auf einen relativ frischen Process hin:
es fand sich nicht der den chronischen alten Sklerosen eigentümliche Filz deiber
Gliafasern vor, sondern vielfach noch jene grösseren, protoplasmareichen Gli-
zellen; daneben frische Degenerationsprocesse an zahlreichen Axencylindem und I
Markscheiden.
In dem 4. Falle liess sich neben einem vollkommenen Faserschwunde in den
Clarke’schen Säulen ein älterer sklerotischer Process in dem Gebiete der Wurzel¬
eintrittszonen nachweisen. Hier zeigte sich das Bild der chronischen Sklerose.
Im übrigen war der Hinterstrang, abgesehen von den centralen Feldern, in gam
acuter Weise von einem Degenerationsprocesse befallen. Es waren hier zahllose
Myelinschollen, zerkrümelnde Myelinscheiden, geschwollene und zerfallende Axen-
cylinder anzutreffen. Entsprechend diesen Veränderungen wies auch die Glia die
Erscheinungen einer frischen Wucherung auf. Es fanden sich in grosser Zahl
jene grossen protoplasmareichen Gliazellen, daneben Gliazellen mit reichlichem
Protoplasma, die aber bereits an ihren Rändern den Beginn einer Differenzimng (
von Fibrillen erkennen liessen. Diese chronischen und acnten Procpsse sind dabei
räumlich nicht scharf getrennt, indem einmal die Sklerose allmählich in du
übrige Gewebe tibergeht, und auch innerhalb der sklerotischen Partie, da, wo
überhaupt noch Nervenfasern erhalten waren, sich jene mehr acuten ProcesK
vorfanden.
In den Gehirnen fiel der ausserordentlich starke Blutreichthum und die Zahl
der bereits makroskopisch sichtbaren Gefässe auf. Die Ventrikel waren nicht
sehr stark erweitert. In den Meningen fanden sich, speciell in dem 4. Falle.
Ansammlungen von Rundzellen vor, die stärker waren, als man sie im allgemeiner
bei der Paralyse zu sehen gewohnt ist, sich jedoch ohne weiteres von der Pro¬
liferation derartiger Elemente bei der syphilitischen Meningitis unterscheiden. In
der Rinde der Stirnhirne und auch der Centralwindungen machte sich ein zob
T heil sehr starker Schwund der Tangentialfasern, sowie der Fasern der supra-
und infraradiären Netze bemerkbar. Hand in Hand damit ging eine deutliche
Proliferation der Glia, auch hier herrschten jene protoplasmareichen Formen der
Gliazellen vor. In dem Gehirn der an letzter Stelle anfgeführten Kranken vir
auch in der weissen Substanz des Stirnhirns eine grössere Menge von Körnchen¬
zellen anzutreffen. Während somit der anatomische Befund im allgemeinen mit
dem klinischen übereinstimmt, muss man in dem 4. Falle doch annehmen, dass
die Sklerose in den Hintersträngen älteren Datums ist, ernstere Erscheinung«!
jedoch nicht gemacht hat.
Bei 2 Fällen war übrigens die erhebliohe Versohlimmerung nach einer
Schmierkur eingetreten. Autoreferat
Discussion:
Herr Trömner fasst die seltenen acut, bezw. peracut verlaufenden Fälk
von Paralyse nur als Endkatastrophe (als Eruptionen) einer schon längst unter
der (klinisch wahrnehmbaren) Oberfläche begonnenen Erkrankung auf. Mikro¬
skopisch sichtbare Rinden Veränderungen können den klinischen Zeichen vorana-
schleichen, da längst nicht alle Rindenbestandtheile psychische Functionsträger
seien und da das Verhältnis zwischen anatomischem Befund und psychisch-nervöses
Störungen im Leben noch ein irrationales Bei. Die acut verlaufenden FäUe (wie
die von Herrn B.) seien besonders werthvoll für das Verhältnis der chronischen
zu den acuten Rindenveränderungen. Die Rüokenmarksbilder von Hrn. B. zeigt«
die enge Association beider sehr schön. Dagegen habe auch er chronische und
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713
acute Rindenveränderungen immer schwer scheiden können. Im Ganzen deuten
Vermehrung der gliösen Rindenbestandtheile wohl immer auf chronische Processe.
Was Anordnung und Bau der Nervenzellen betreffe, so halte er die Verschiebung
und Verlagerung (Destructurirung) des Schichtbaues für ein exquisit chronisches
Symptom; für ein sicheres Zeichen acuter Processe müsse man — bei gehäuftem
Vorkommen — gewisse Veränderungen des Zellprotoplasmas, vor allem die,
welche Nissl als acute Zellerkrankung beschrieben hat, ansehen. Autoreferat.
Herr Kaes: Ich möchte nur einige Worte anfügen bezüglich der Wahr¬
nehmung Mendel’s (Naturforscherversammlung Düsseldorf), dass in den letzten
Jahren die rein dementen Fälle bei der Paralyse zunehmen, was eine Verschlim¬
merung des Leidens bedeute, eine Wahrnehmung, die Stark bereits Mitte der
80 er Jahre in Stephansfeld gemacht hatte, und die auch er meines Wissens in
ungünstigem Sinne deutete. Wenn ich zu dieser Frage Stellung nehme, so ge¬
schieht es aus folgenden Gründen: Seit ungefähr 12 Jahren mache ich Studien
zu dem Endzwecke, die psychisch Kranken unter möglichst gleichartige Verhält¬
nisse zu bringen, um damit möglichst reine, von den Einwirkungen der äusseren
Umgebung möglichst befreite Krankheitsbilder zu erzielen und auf diese Weise
zu sehen, ob sich nicht eine Vereinfachung der leider so mannigfachen und dem
individuellen Urtheil so sehr ausgesetzten Eintheilung der Psychosen erzeugen
lasse. Zu diesem Zwecke benutzte ich einerseits die beruhigende Wirkung der
consequent durchgeführten Bettruhe, andererseits suchte ich das Körpergewicht
der Kranken soweit zu heben, dass es Bich dem Mittelgewichte des Menschen
(67 kg für die Männer, 56 für die Frauen) möglichst näherte. Wie sehr letzteres
Verfahren angezeigt ist, lehrte mich eine Statistik, die ich anlegte, als ich 1898
vorübergehend die ganze weibliche Pflegeabtheilimg in Friedrichsberg übernahm;
es stellte sich heraus, dass von etwa 400 Kranken nur bei 35°/ 0 ein Gewicht
von 50kg nachgewiesen werden konnte, und zwar mit Kleidern, eine Control¬
wiegung nach einem Jahre ergab den gleichniedrigen Procentsatz, doch diesmal
ohne Kleidung, so dass für die Gesammtheit etwa 2—2 1 / a kg gewonnen waren,
während eine Einzelcontrole des Gewichtes für alle Fälle ungefähr alle 8 Tage
vorgenommen wurde. Zur Hebung des Gewichtes fand ich am rationellsten die
Anwendung der Nasensonde bis zu 8 Mal am Tage, als Nahrungsmittel wurde
Vollmilch mit Extrazugabe von Rahm gereicht. — Das Resultat dieses Verfahrens
war, dass alsbald eine merkliche Ruhe auf den Abtheilungen eintrat, und dass
bei den verschiedensten Krankheitsgruppen das Bild der reinen Demenz sich
mehr und mehr in den Vordergrund stellte. Man wird mir einwenden, dass dies
nichts neues sei, da man die Hebung des Ernährungszustandes allenthalben in den
Lehrbüchern empfohlen finde, gleichwohl finde ich, dass dies praktisch und ziel¬
bewusst in den Anstalten nicht all zu häufig durchgeführt wird, wie ich mich
gelegentlich durch Studium der Gewichtstabellen in anderen und der eigenen
Anstalt überzeugte. Ueberraschend war mir, dass von dieser Hinneigung zur
reinen Demenz auch meine Paralysefalle keine Ausnahme machten; variirte ich
die Anfälle in der Weise, dass ich obige Maassregeln für einige Zeit ausser Be¬
tracht liess, so stellten sioh alsbald die Erscheinungen von vermehrter Unruhe,
Zerstörungssucht, Sammeltrieb, Grössenwahn und labiler Stimmung wieder ein.
Ausserdem kann ich die Beobachtung NeusBer’s bestätigen, dass bei der Bett¬
behandlung sich die paralytischen Anfälle ganz bedeutend vermindern. Ich kann
somit der Ansicht, dass das häufigere Auftreten der rein dementen Fälle bei
Paralyse eine Verschlimmerung des Leidens bedeute, nicht beitreten, ich finde
darin lediglich eine Folge des obigen Regimes, das den Zustand und das Befinden
der Kranken relativ erträglicher gestaltet. Ich will noch hinzufügen, dass in
unserer Anstalt in den letzten Jahren bei erheblicher Steigerung der Gesammt-
aufnahmen die Sterblichkeit ganz erheblich zurückgegangen ist (von 240—180),
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sodann will ee mir scheinen, dass in der gleichen Zeit die Zugänge von Paralyse-
fällen, namentlich bei den Frauen, aber auch bei den Männern, bedeutend geringer
sind als in früheren Jahren. Autoreferat
Herr Buohholz betont, dass ihm die sonstigen Statistiken natürlich nicht
unbekannt gewesen seien. Bei den für derartige Zwecke gerade sehr günstigen
Verhältnissen in Marburg hätte er aber einen directen Vergleich zwischen
der Zahl der Paralyse und der Zahl der Einwohner des Bezirkes ziehen
können. Insofern unterscheide sich seine Statistik von den sonstigen. Es ist
wohl möglich, dass einzelne der von mir geschilderten anatomischen Ver¬
änderungen etwas älter sind, als die beobachteten Symptome, so lange aber
eine Krankheit gar keine Symptome macht, kann man sie auch nicht dia-
gnosticiren. Dass etwas derartiges vorkommt, beweisen unter anderen die Fälle
von Paralyse, in welchen der Kranke während einer Remission an einer inter-
currenten Krankheit zu Grunde geht. Obgleich dann unter Umständen nur gani
wenige und kaum auffallende Krankheitssymptome vorhanden sind, trifft man doch
oft auf weitgehende anatomische Veränderungen. Zudem habe ich ja auch in
dem 4. Falle eigenB darauf hingewiesen, dasB ich die Sklerose der Wurzeleintritte-
zonen für älteren Datums halte. Rinde und Rückenmark sind auch nach der
NiBaTschen Methode untersucht worden. Ich habe hier über diesen Befund nicht
weiter gesprochen, da alle diese Kranken unter schweren Allgemeinersoheinungen,
speciell unter hohem Fieber, gestorben sind, unter diesen Umständen es sich aber
nioht auseinanderhalten lässt, in wie weit der erhobene Befund an den Zellen auf
diese Processe, und in wie weit er auf die paralytischen sich zurückführen lässt
In der Lagerung der Zellenreiben und Zellenform waren Störungen nicht nach¬
zuweisen. Wenn aber auch aus den Veränderungen an den Nervenzellen Rück¬
schlüsse auf das Alter des ganzen Processes nicht berechtigt erscheinen, so möchte
ich doch den Veränderungen an dem Stützapparate ein um so grösseres Gewicht
beilegen. Es ist ja richtig, dass wir über die Zeitdauer, in welcher sioh diese
entwickeln, vorläufig noch nioht näher unterrichtet sind, es erscheinen aber ge¬
wisse Analogieschlüsse in Bezug auf die Gliaveränderungen in der Umgebung von
Blutungen, Tumoren oder bei entzündlichen Processen berechtigt. — Mit Herrn
Kaes stimme ich darin überein, dass die moderne Behandlung sehr viel daxn
beigetragen hat, dass die Paralyse im allgemeinen gegen früher einen anderen
Verlauf nimmt. Ich glaube jedoch nicht, dass dies der alleinige Grund ist, denn
auch da, wo die moderne Behandlung noch nicht im vollen Maasse durchgeführt
wird, macht sich das Vorherrschen der langsam verlaufenden, dementen Form be¬
merkbar. Es werden daher wohl auch noch andere Momente hierbei mitspielen,
die sich vorläufig unserer Kenntniss entziehen, ebenso wie wir ja auch nicht
wissen, weswegen bei Frauen gerade diese demente Form der Paralyse schon
immer so häufig gewesen ist. Auch ich habe bei Durchsicht der Jahresberichte
gesehen, dass die Zahl der Aufnahmen wegen Paralyse gegenüber der Zahl der
Geeammtaufnakmen in Friedrichsberg nicht zugenommen hat. Es würde diese
Beobachtung mit allen sonstigen Erfahrungen im Widerspruch stehen. Grade in
Hamburg, einer Hafenstadt und Grossstadt, sollte man ein besonders schnelles
Ansteigen der Paralyse erwarten. Eine Erklärung für dieses eigentümliche Ver¬
halten kann ich nicht geben, der Möglichkeiten giebt es so manohe, so z. B. wäre
ee ja denkbar, dass etwa nicht alle paralytisch Kranken nach Friedrichsberg
kommen, sondern in anderen Krankenhäusern verbleiben. Autoreferat.
Nonne (Hamburg).
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715
XXX V1L Versammlung des Vereins der Irrenärzte Niedersachsens
und Westfalens in Hannover am 3. Mai 1002.
(Fortsetzung.)
Herr Alt (Uchtspringe) spricht, anknüpfend an frühere Mittheilungen, aus¬
führlicher über den Einfluss der Kost auf die Anfälle der Epileptiker, wo¬
rüber sehr zum Nachtheil der Kranken nicht die wünschenswerte Klarheit und
Ueherein8timmung in der Literatur wie in der Praxis herrsche. Die Erfolge
mancher angepriesenen neuen Methoden seien nicht selten mehr der Kost als der
Medication zuzuschreiben. Auch bei der Methode Toulouse-Richet, mit der
ja eine genaue Zuteilung der schon in den Rohbestandtheilen nicht nur koch-
salzarmen, sondern überhaupt sehr reizlosen Nahrungsmittel verknüpft sei, habe
die Kostvereinfachung einen nicht geringeren Anteil an den Erfolgen als die
Kochsalzunterernährung, die Hypochloration. Wo vorher schon einer zweck¬
mässigen Ernährung der Epileptiker gebührend Verständniss und Aufmerksamkeit
entgegengebracht sei, habe die angepriesene Metode kaum Erfolge aufzuweisen,
wo hingegen dies nicht der Fall gewesen, seien auffällige Besserungen erzielt, die
man Behr mit Unrecht allein der Hypochloration, der angenommenen Salzunter¬
ernährung, wodurch seitens der salzhungrigen Gewebe eine gierige Aufnahme und
Ausnützung des Broms erfolgen solle, gutgeschrieben habe. Wenig gesalzene, wie
überhaupt möglichst würzlose Kraft verdient durchweg den Vorzug, Kochsalz-
vorentaltung allein nützt kaum was. Nach einem geschichtlichen Ueberblick,
welcher Werth der Art der Beköstigung der Epileptiker beigemessen worden sei
in dem vorexperimentellen wie in dem experimentellen Zeitabschnitt, berichtet
Vortr. sodann ausführlich an der Hand von eigenen Tabellen über in Uchtspringe
systematisch angestellte Versuche zur Ermittelung des Einflusses der Kost auf
die Anfälle der Epileptiker. 24 epileptische Kinder, hei denen weder nachweis¬
bare Magendarmstörungen noch Zeichen einer örtlichen Gehirn erkrankung bestanden,
wurden in drei gleichgrosse Gruppen eingetheilt und je 4 Wochen lang mit nicht
abgemessener gemischter Kost, sodann mit genau abgemessener gemischter Kost,
mit Milchkost, mit ausschliesslicher Pflanzenkost und dann wiederum mit nicht
abgemessener gemischter Kost ernährt. Die Zahl der Anfalle wurde während der
einzelnen Beköstigungsarten für jede Gruppe einzeln, aber auch für alle drei
Gruppen zusammen gezählt und graphisch dargestellt. Dabei zeigt sich ganz
auffällig, dass die Anfälle bei gemischter Kost am zahlreichsten waren,
eich schon bei genauer Zumessung der gemischten Kost verminderten, noch
mehr verringerten während der Pflanzenkost, am meisten ahnahmen
während der Milchkost. Einige Kinder, die bei der Michkost mehr Anfälle
bekommen, erhielten später während einer gleichlangen Periode die Milch sterilisirt,
wobei die Krämpfe ganz erheblich an Zahl zurückgingen. Die N-Zufuhr kann
bei der gemischten (Fleisch)kost nicht das wesentliche sein, da uach genauer Be¬
rechnung die Kinder bei Milchkost weit mehr N erhielten. Auch die Harnsäure
scheint keine wesentliche Rolle zu spielen, denn Vortr. hat Controllversuche mit
nuclei'nfreier Eiweissernährung angestellt und keine Abnahme der Anfälle beobachtet.
Kochsalzzusatz zu einer sonst reizlosen und einfachen Kost hat Vermehrung
der Anfalle nicht herbeigeführt, weshalb Vortr. annimmt, dass bei der Toulouse-
Riehe t'sehen Methode nicht die Salzentziehung, sondern die Kostvereinfachung
die Hauptrolle spielt. (Der Vortrag wird ausführlich veröffentlicht.)
Autoreferat.
Herr Cramer (Göttingen): Ueber krankhafte Eigenbeziehung und Be*
aohtungswahn.
Vortr. geht aus von der Beobachtung, dass eine Ueberschätzung der Be-
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deutung, welche die Vorgänge der Aussen weit in Bezug auf die eigene Person
haben, zu einer Trübung des Urtheils und einer Störung des Bewusstseins der
Persönlichkeit führt. Die krankhafte Eigenbeziehung manifeBtirt sich in doppelter
Art. In der ersten Gruppe von Krankheitsfällen besitzen die Kranken keine
Einsicht in ihren Zustand (paranoischer Typus). In einer zweiten Gruppe sind
die Kranken sich des Krankhaften ihres Zustandes bewusst (Typus vom Charakter
der Zwangsvorstellungen). Es spielen derartige Zustände bei den verschiedensten
Psychosen, so der Melancholie, dann der Paranoia (als Einleitung zur chronischen
Form z. B.) eine Rolle, dann aber bei allen mit einer Störung des Bewusstseins
einhergehenden Erkrankungen, also bei Epilepsie, Hysterie, im traumatischen Irre¬
sein, bei der Paralyse. Dazu kommen Zustände nervöser Natur: Neurasthenie,
degenerative Psychosen, Nervosität, Schwindelerscheinungen und Schwerhörigkeit.
Für die Genese der krankhaften Eigenbeziehung zieht Vortr. die bei Ge¬
sunden zu beobachtende falsche Eigenbeziehung in veranschaulichender Weise heran
und erläutert sie durch zahlreiche Beispiele. Den krankhaften Boden, auf dem
die Erscheinung entsteht, können falsche Berichte über die Organgefühle, viscerale
Veränderungen, Störungen des Bewusstseins, die Angst oder schweres Krankheits¬
gefühl abgeben. Eb wird ein Gefühl von eigener Insufficienz die Folge sein, das
in Folge der Projection der veränderten Empfindungen nach aussen, zu einer
scharfen Beobachtung der Umgebung führt.
Vortr. erläutert die Prognose der krankhaften Eigenbeziehung, welche natürlich
in unmittelbarer Beziehung zu der Psychose steht, bei der sie auftritt, so dass
also die Genese einen Anhaltspunkt abgiebt für die Prognose.
Discussion:
Herr Alt erwähnt im Anschluss an den vertigo ab aure laesa, die Plate¬
angst u. s. w., dass man in allen solchen Fällen, in denen es sich nicht um schwer
degenerirte Personen handelt, also allen Grund zu genauer körperlicher Unter
Buchung habe. Man hat dann event. neben der psychischen Beeinflussung nocfc
den Vortheil der körperlichen Therapie.
Herr Bruns erwähnt die Zustände der Alkoholiker mit Eigenbeziehung und
Zwangsvorstellungen.
Herr Berkhan (Braunschweig): Das sich Immer-wieder-Aufdrängen der Be¬
ziehungsvorstellung führt schliesslich zur Zwangsvorstellung.
Herr Cr am er (Schlusswort) betont, dass eine analoge Erscheinung für die
berührten Zustände der Höhenschwindel bei Leuten, welche erst im spätem
Lebensalter zum ersten Mal auf hohe Berge kommen, abgebe. Hier ist die Un¬
fähigkeit Höhendifferenzen abzuschätzen, welche aber nur als Angst zum Bewusst¬
sein kommt, Ursache davon, dass sofort eine Beziehungsvorstellung zu dem Ort
an dem der Höhenschwindel empfunden wird, eintritt. Am gleichen Orte stellt
Bich daher später auch Btets die Angst wieder ein.
Herr Weber (Göttingen): Ueber einige Neubauten der Göttinger Irren¬
anstalt.
Zur Unterbringung siecher, Decubitus verdächtiger Kranker wurde ein leicht«
Barackenbau als Lazarethabtheilung eingerichtet und dort alle derartigen Krankes,
namentlich Paralytiker, Epileptiker u. s. w. untergebracht. Die Station wird z«r
Hälfte als zweite Wachstation mit Nachtwache betrieben und dadurch das Vor¬
kommen von Decubitus, Verunreinigung u. s. w. besser als durch künstliche Mittel
vermieden.
Auf der bisher nur aus Einzelzimmern bestehenden Zellstation wurde dorefc
Entfernung von vier sogenannten Tobzellen Raum für einen Scbla&aal von sehs
Betten gewonnen, in dem eine Anzahl bisher isolirter Kranker untergebrachi
werden konnte.
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717
Vortr. betont, dass allenthalben das Bestreben nach Verminderung der Iso-
lirnng besteht, hält jedoch, wenigstens für die grösseren Anstalten mit chronischem
Krankenmaterial, die völlige Abschaffung der Zellen für nicht zweckmässig. Nicht
die grosse Zahl der wenn auch erregten Neuaufnahmen, wie vielfach behauptet
wird, sondern gewisse chronische Kranke mit Neigung zu Erregungszuständen und
Gewalttbätigkeiten machen die Beibehaltung einiger Zellen für Anstalten mit der¬
artigen Kranken nothwendig. Autoreferat.
Herr Vogt (Göttingen): Ueber die Beziehungen zwischen Aphasie und
Demenz.
Vortr. bespricht den Einfluss, welchen Ausfallserscheinungen im Gebiete der
Sprache ausüben, auf den normalen Ablauf des Denkprocesses. Eis kommen hierbei
natürlich nur Störungen im Sprachgebiet in Betracht, sofern dieselben nicht sub-
cortical, sondern durch Läsionen höherer Gegenden bedingt sind. Einer all¬
gemeinen Erörterung der Frage stellt sich die gerade hier so erhebliche Breite
der individuellen Verschiedenheit hindernd in den Weg. Es liegt dieB bekanntlich
daran, dass das Verhältniss zwischen rein begrifflichem und sprachlichem Denken
sich im einzelnen Falle ganz verschieden gestaltet. Eis kommt hierbei ganz be¬
sonders in Betracht, dass denjenigen, der sprachlich denkt, sich die Gedanken
schon in einer bestimmten Formulirung zu präsentiren pflegen und dass diese
Formulirung der Worte zu geordneten Sätzen, der Lautcomplexe zu Worten im
Sprachfelde vor sich geht. Eis ist daran zu denken, dass der Wortbegriff selbst
schon eine Associationsgruppe darstellt, so dass der psychische Werth des ganzen
Sprachfeldes nur in seinen associativen Verbindungen liegt Dies zeigen gerade
die sogenannten unreinen Fälle von Aphasie am deutlichsten. Es lässt sich dies
zuweilen sogar für den Unterschied feststellen, den der sprachliche Associations-
complex für concrete und abstraote Begriffe hat, analog wie Sachs dies für das
normale Denken auseinandergesetzt hat Eine weitere Beziehung ergiebt sich bei
Herderkrankungen, welche in dem Gebiete der Spraohe einen Ausfall erzeugen,
durch die Fernwirkungen. Diese können natürlich nach irgendwo gelegenen
Herden auftreten und äussern Bich in einem Ausfall von Functionen benachbarter
oder entfernt gelegener Rindenpartieen oder aber in einer allgemeinen Functions¬
herabsetzung der Hirnrinde überhaupt, welche letztere bei dem gleichzeitigen
Functionsausfall der sprachlichen, für das Denken und die Begriffsbildung nöthigen
Componenten besonders leicht zu einer dauernden Schädigung führen und be¬
sonders deutlich in Erscheinung treten wird.
Herr Quaet-Faslem (Göttingen): Mittheilungen aus der Universität»*
Po liklinik für psychische und Nervenkranke zu Göttingen.
Im October v. J. gegründet, hat die Poliklinik, wie die Besuchszahlen be¬
weisen, ihre Eixistenzberechtigung bewiesen, ja mehr als das, sie war entschieden
ein Bedürfniss. Als glücklich muss die Verbindung der Poliklinik mit der
psychiatrischen Klinik bezw. der Heil- und Pflegeanstalt angesehen werden. Es
werden acute Psychosen weit eher erkannt und sachgemässer Behandlung zu¬
gänglich, die unter dem Deckmantel eines nervösen Leidens in der Poliklinik
erscheinen. Oft wird es daher möglich sein die Anstaltsbehandlung ganz zu
vermeiden.
Von den in der Poliklinik unter einer bisherigen Frequenz von 316 Fällen
erscheinenden Psychosen brauchten nur zwei in der Anstalt aufgenommen werden.
Die einzelnen zur Behandlung gelangenden Fälle vertheilen sich auf:
Krankheiten des Rückenmarks. 9
„ der peripheren Nerven.24
„ des Gehirns.16
Angioneurosen und Trophoneurosen. 8
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Intoxication unter Betheiligung des Nervensystems 2
Psychosen.38
Neurosen.219
Die Poliklinik trägt ferner dazu bei, dass beim grossen Publikum noch immer
bestehende Misstrauen gegen die Irrenanstalten und ihre Aerzte beseitigen zn
helfen.
Vortr. bringt dann aus dem Material der Poliklinik einen Fall seltener
Localisation von Graphospasmus.
Der Krampf befällt lediglich den Pectoralis major und Deltoideus.
Der Patient war 17 Jahre Trompeter und spannte in seinem Beruf beim
Halten seines Instrumentes die beiden erwähnten Muskeln. Er ist jetzt Kassen¬
bote und muss viel schreiben. Es scheint ihm nun nicht zu gelingen, das alte
Coordinationssystem, das er im Dienste des ersten Berufes verwenden musste, im
neuen Beruf ganz auszuschalten.
Es liegt eine reine Störung der Coordination vor, die die Bezeichnung de*
Schreibkrampfes als ooordinatorische Beschäftigungsneurose (Benedikt) vollkommen
rechtfertigen muss.
Vortr. erwähnt dann kurz den seiner Ansicht nach sehr grossen Einfluss der
Psyche auf die Krankheit.
Zum Schluss bringt Vortr. einige Angaben über das Nährpräparat „Hygiama 1 ,
dessen Verwendung sich in der Poliklinik in jeder Hinsicht als auffallend günstig
erwiesen hat und in ihr jetzt in vielen Fällen zur Anwendung kommt.
Bei allen Arten von Schwächezuständen (Chlorose u.s.w.), bei neurasthenischen
und hysterischen Verdauungsstörungen und vor allem auch hei Nahrungsverweige¬
rungen in der Anstalt hat es sich sehr gut bewährt In der Poliklinik wurde
es bisher in 35 Fällen verwandt.
Vortr. hält das Mittel namentlich auch im Betriebe grosser Anstalten für
sehr empfehlenswerth. Die Beobachtungen werden fortgesetzt. Autoreferat
Herr Sn eil (Hildesheim) spricht unter besonderer Bezugnahme auf die Ein¬
richtungen im Grossherzugthume Hessen über Irrenhiilfsvereine und empfiehlt
die Errichtungen solcher den Collegen aufs Wärmste.
Herr Behr (Lüneburg) berichtet über die Erfahrungen, die in Gotting«!
bislang mit der Familienpflege gemacht sind. Die Einrichtung besteht dort seit
dem Beginn des letzten Jahres, sie hat sich langsam entwickelt, zur Zeit sind
26 Kranke (22 Männer und 4 Frauen) in Familienpflege untergebracht, eine ver-
hältnissmäsBig noch kleine Anzahl, die nur dem Mangel an geeigneten Kranken
zuzuschreiben ist. Besonders in der ersten Zeit musste bei der Auswahl äusaent
vorsichtig vorgegangen werden. Es wurden daher grundsätzlich alle criminellen
Kranken, sowie alle zu gewaltthätigen und gefährlichen Handlungen neigenden
Elemente ausgeschlossen, ebenso sämmtliche Epileptiker und Paralytiker, und die
siechen Kranken, die einer besonderen Pflege bedurften. Auch die chronischen
Alkoholisten schloss man anfangs aus, später ist man davon zurückgekommen,
bisher ohne unangenehme Erfahrungen. Vortr. hält für besonders geeignet zur
Familienpflege die abgelaufenen Fälle von chronischer Paranoia, die Fälle von
secundärem Schwachsinn mässigen Grades, vielleicht auch die Imbecillen, die »her
ständiger, sorgfältiger Beaufsichtigung bedürfen. Die Kranken haben sich mit
geringen Ausnahmen sehr schnell an die veränderten Verhältnisse gewöhnt und
fühlten sich durchweg sehr wohl, besonders lebten sich die aus den ländlichen
Kreisen der Bevölkerung stammenden Kranken sehr leicht ein, während die
Kranken aus den Städten, deren Gewohnheiten die Lebensweise auf dem Lande
weniger entsprach, grössere Schwierigkeiten machten. Vortr. empfiehlt für diese
Kranken die Einrichtungen von Pflegestellen in Göttingen selbst.
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Mehrfach wurden entschiedene Besserungen des psychischen Verhaltens bei
den Kranken im Anschluss an die UeberfÜhrung in die Familienpflege beobachtet.
Neben diesen günstigen Resultaten kamen mehrfach Unannehmlichkeiten ver¬
schiedener Art vor. In 3 Fällen fanden Entweichungen statt, die sämmtlich
resultatlos verliefen. Zwei Kranke mussten wegen eingetretener Erregung dauernd
in die Anstalt zurückgenommen werden. Ein Kranker starb im Hause des Pflegers
an einer ganz acut verlaufenen Peritonitis, während ein weiterer Kranker einem
Unglticksfall mit tödtlichen Ausgang zum Opfer fiel, ohne dass den Pfleger dabei
eine Schuld traf.
Weiter geht Vortr. näher auf den Charakter der Bauern in der Göttinger
Gegend und besonders auf ihre Eigenschaft als Pfleger ein. Er hält sie nach
den bisherigen Erfahrungen für sehr geeignet, Bie haben sich bislang in jeder
Hinsicht bewährt.
Nachdem er dann noch kurz auf die Vortheile, die auch die Anstalt durch
ihre Entlastung und durch die billigere Verpflegung von der Familienpflege hat,
kommt Vortr. zu dem Schluss, dass die Einrichtung der Familienpflege in Göttingen
ein durchaus glücklicher Schritt war, und dass die überaus günstigen Resultate
zu einer weiteren Ausdehnung in vollem Maasse berechtigen. L. Bruns.
Socidtd de neurologie de Paris.
Sitzung am 4. Juli 1901.
Herr Boinet (Marseille): Ueber athetotisohe Bewegungen bei der Tabes;
ein weiterer Fall nebst Bemerkungen. In der vorhergehenden Sitzung hat
Vortr. zwei Fälle von athetotischen Bewegungen bei Tabikern mitgetheilt. In
diesem neuen Falle handelte es sich um eine 50jährige Frau. Sie giebt weder
Alkoholismus noch Syphilis zu. Sie hat aber acht Mal abortirt. Alle Schwanger¬
schaften endeten in Fehlgeburten, auch wurde Bie deswegen verschiedentlich speci-
fischen Curen unterworfen. Seit etwa 4 Jahren Schwäche in den Beinen und
lancinirende Schmerzen in den Unterschenkeln. Seit 1 Jahr tabetische Arthro¬
pathie mit Subluxation im linken Schultergelenk. Seit Januar 1901 complete
Ataxie und tiefe Störungen an den Augen: Doppelsehen, PtosiB links, Abducens-
lähmung beiderseits; am rechten Auge starke Amplyopie; Argyll Robertson auf
beiden Augen. Seit 6 Monaten Blasenincontinenz und hartnäckige Verstopfung.
In den letzten 6 Monaten entwickelten sich auoh atheto'ide Bewegungen zunächst
in der linken oberen Extremität und dann auch in der rechten. Diese unwill¬
kürlichen Bewegungen bestehen auch im Schlafe, sind stärker ausgesprochen bei
geschlossenen Augen und können durch den Willen nicht beeinflusst werden. Die
elektrischen Reactionen an den Muskeln und Nerven sind normal. Der Ortsinn,
der stereognostische Sinn, der Muskel- und Gelenksinn sind an den oberen Ex¬
tremitäten vollständig verschwunden. Tactiler Sinn normal. Hyperästhesie für
Kälte und Verspätung in der Leitung des Schmerzes. Einige unwillkürliche Be¬
wegungen bestehen auch an den unteren Extremitäten, besonders am rechten Bein.
Vortr. discutirt die Frage, ob diese unwillkürlichen Bewegungen nicht von einer
die Tabes complicirenden Läsion der motorischen Seitenstränge herrühren könnten.
Kommt aber zu dem Schluss, zu dem auch R. Hirschberg kam, dass die athe-
tosisähnlichen Bewegungen bei Tabes dorsalis als eine Manifestation der Ataxie
des Muskeltonus, als eine Störung des Gleichgewichtssinnes zu betrachten sind.
Dafür spricht der Verlust des Muskel-, Gelenk- und stereognostischen Sinnes und
die Verstärkung der unwillkürlichen Bewegungen bei geschlossenen Augen.
Herr E. Brissaud: Byringomyelitisohe Sklerodactylie. (Mit Krankenvor-
Stellung.) Trotz der zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre über Sklerodermie
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im Allgemeinen und über Sklerodactylie, bleibt die Pathogeneeis dieser Störungen
immer noch dunkel. Trotz mancher Aehnlichkeiten darf die Sklerodactylie mit
der Raynaud’schen Krankheit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Selbst
alle unter der Rubrik von Sklerodactylie bezeichnten Fälle Bind weit nicht
identisch. Das einzige, allen solchen Fällen, gemeine Symptom ist die Verhärtung,
die Sklerose der weichen Gewebe die die Fingerknochen bedecken. Dies ist nicht
zu leugnen, dass neben der häufigen classischen Form von Sklerodactylie eine
Reihe von akropathologischen Formen existirt, bei welchen die Sklerose der Finger*
haut nicht das wesentliche Symptom darstellt und ganz accessorisch ist. Als
Beispiel dafür soll der vorgeführte Fall dienen: Der Kranke ist 38 Jahre alt,
war immer von guter Gesundheit, hereditär nicht belastet, keine Syphilis, massiger
Trinker seit 15 Jahren. Seit einiger Zeit Steifheit und Ungeschicklichkeit in
den Fingern, so dass er nur mit Mühe seinen Beruf (Poliren von Pianoforte)
ausüben kann. Die Steifheit trat zunächst in Anfällen auf, während welcher die
Finger kalt und schmerzhaft waren. Die in Folge von Contusionen der Finger
auftretenden Wunden heilten schlecht. Im Verlaufe von 3 Jahren entwickelte
sich dieser Zustand ganz langsam, und die Steifheit der Finger wurde eine be¬
ständige. Im Jahre 1897 wurde folgender Status aufgenommen: Alle FiDger
beider Hände sind leicht flectirt und zwar sind alle Phalangen gegenseitig flectirt.
Mit Ausnahme der ersten Phalange, die fusiform und verkürzt ist, scheinen die
Finger verdickt zu sein. Die Haut über denselben ist verdickt und hornig und
hat von ihrer Geschmeidigkeit eingebüst. Die Knochen und Gelenke scheinen
nicht modificirt zu sein. Die Haut an den Fingern ist von einer blassvioletten
Farbe und die Fingerspitzen ganz weise. Die Finger fühlen sich kalt an; die
Nägel sind vom Nagelbett abgehoben nach vorne gekrümmt. Das Wachsthum
derselben ist ein sehr langsames; Ovalaere Wunde an der dorsalen Fläche des
Medius. Schrunde an der vorderen Fläche der Basis des linken Ringfingers,
die Bewegungen der Finger sind sehr beschränkt. Thenar und Hypothenar sind
nicht atrophirt. Beim Versuche die Finger par force zu strecken empfindet
der Kranke Schmerzen. Keine syringomyelitische Sensibilitätsdisso-
ciation. Nadelstiche bluten leicht Erst im Februar 1901 wurde Pat arbeits¬
unfähig und suchte das Krankenhaus auf. Man constatirte dann Folgendes:
Starke Flexion der Finger beider Hände. Die Endphalangen scheinen dünner
und kürzer zu sein. Die Nägel sind gekrümmt, die Haut der 2. und 3. Finger-
phalagen fühlt sich hart an. Sobald der Kranke Kälte verspürt, nimmt die Haut
der dorsalen Fläohe der rechten Hand des inneren Randes und der vorderen
Fläche des rechten Vorderarmes eine rothbläuliche Farbe an. Die Intentions¬
bewegungen der Finger sind sehr beschränkt, ebenso die Beugung wie di«
Streckung. Die Adduction des Daumens ist unmöglich, auch die passive Streckung
der Finger ist nioht vollständig möglich und ruft heftige Schmerzen hervor. Kein«
Retraction der Aponeurosis palmaris, die Schmerz- und Temperaturempfindung ist
aufgehoben an den Endphalangen. Der Nadelstich blutet leicht, sonst ist am
ganzen Körper die Sensibilität normal. Die Bewegungen der Hände sind normal
die Muskeln der Vorderarme und Arme normal. Die Reflexe bieten nichts Ab¬
normes. Es ist keine Skoliose vorhanden, Lungen und Herz normal Harn nor¬
mal, Temperatur 37°. Am 5. Juni tritt eine kleine Phlyctaene zwischen dem
Ring- und kleinen Finger der rechten Hand auf. Dieselbe entwickelt sich zu
einer Ulceration an der inneren Seite der Wurzel des kleinen Fingers, eine zweite
Ulceration entsteht an der Wurzel des Ringfingers. Zwischen dem 8. und 24. Juni
wird die rechte Hand, die am meisten betroffen ist, in heissen Leinensamenmehl-
cataplasmen Tag und Nacht gehalten. Später werden die Cataplasmen nur Nachts
gebraucht. Gegenwärtig ist die Streckung der Finger fast vollständig möglich.
Auch spontan kann Pat. die Finger bewegen, der Kranke drückt kräftig mit der
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m
Hand, die Addacfcion des Daumens geht in normaler Weise vor sich. Die Be¬
wegungen der Finger sind nicht schmerzhaft, dagegen langsam, mühsam und mit
Zittern der Hand verbunden. Die Ulcerationen sind verschwunden, die Sensibi¬
lität in dem Finger ist zurückgekehrt. Die linke Hand, die nicht behandelt
wurde, ist unverändert geblieben. Vortr. nimmt an, dass es sich bei diesem Pat.
unzweifelthaft um einen Fall von Sklerodermie handelt. Dafür spricht die Ver¬
dünnung und Verkürzung der Endphalangen, die Verkrümmung der Nägel in
Form eines Papageienschnabels. Eigenthümlich ist allerdings die Volum ver-
grösserung des übrigen Theiles der Finger und ihre Wurstform, wie man sie bei
der Acromegalie zu sehen pflegt Endlich erinnert die forcirte Beugestellung der
Finger an Sehnenretraction oder an progressive sklerotische Entartung des chro¬
nischen Rheumatismus. Analogen DifFormitäten begegnet man bei zahlreichen
Rückenmarkserkrankungen, die bald progressive Muskelatrophie zur Folge haben,
bald Sklerodermie oder Skierodsotylie mit oder ohne Hautuloerationen. Eine
spinale Krankheit, bei welcher, wenn auch selten, Muskelatrophie und Sklerodermie
combinirt Vorkommen, ist die Syringomyelie. Brocq, Pelizaeus und Federoff
haben solche Fälle veröffentlicht Vortr. glaubt, dass es sich bei seinem Kranken
um einen leichten Fall von Syringomyelie handelt
HerrGilbert Ballet: Schmerzloser Tio des Gesichtes, der seit 37 Jahren
bestanden hat und durch eine Faoiallslfthmung geheilt wurde. Ein
70jähriger Mann, der seit dem Alter von 33 Jahren an einem lästigen, übrigens
schmerzlosen Tic der linken Gesichtshälfte litt, wurde von einer rechtsseitigen
Facialisparalyse von mittlerer Schwere befallen. Gleichzeitig bekam er auch eine
Meralgia paraesthetica. Pat. wurde offenbar von multiplen Neuritiden heimgesucht,
deren Ursache nicht zu entdecken war, da weder eine äussere noch innere In-
toxication zu entdecken war. Kein Diabetes. Nach dem Verschwinden der
rechten Facialislähmung und während die Meralgie noch bestand, trat plötzlich
linksseitige Facialisparalyse auf. Diese Lähmung war eine leichte, ohne Ent-
artungsreaction und heilte in einigen Wochen. Was aber interessant ist, die
Zuckungen auf dieser Gesichtshälfte, die während der Dauer der Lähmung natür¬
lich sistirten, kehrten nach dem Verschwinden der Lähmung nicht wieder. Es ist
jetzt mehr als 1 Jahr, dass der Kranke von seiner Lähmung und von seinem
Tic befreit ist.
Discussion: Herr Henry Meige hat in einem Fall das Gegentheil beobachtet,
nämlich das Auftreten eines schmerzlosen Tic nach einer Facialislähmung.
Herr Ch. Achard und Herr Leopold L&vi: Total« und laolirte Oculo¬
motoriuslähmung in Folge eines Erweiohnngsherdee im Himsohenkel. Die
Lähmung des Oculomotorius bei Läsion im Pedunculus ist gewöhlich von gekreuzter
Hemiplegie begleitet Dagegen scheint die isolirte Lähmung des 3. Gehirnnerven
unter solchen Umständen viel seltener zu sein. Die Vortr. haben Gelegenheit
gehabt folgenden Fall zu beobachten: Eine alte Frau bekam plötzlich einen
apoplectischen Anfall. Der comatöse Zustand dauerte 1 Tag. Wie sie zu sich kam
war die Sprache etwas stammelnd, aber keine Aphasie. Keine Lähmungen an
den Extremitäten, etwas Steifheit im linken Bein. Die Reflexe waren nicht ge¬
steigert weder an den oberen noch an den unteren Extremitäten. Keine Faoialis-
lahmung; Incontinentia urinae et alvi. Ptosis am linken Auge; die linke Papille
ist erweitert, das Auge ist unbeweglich nach oben, nach innen und nach unten.
Strabismus divergens. Es besteht somit eine isolirte Oculomotoriuslähmung. Der
Exitus erfolgt nach 23 Tagen in Folge einer senilen Gangrän. Bei der Section
fand man allgemeine Arteriosklerose, im Gehirn kleine Erweichungsherde in den
Parietalwindungen, ausserdem einen Erweichungsherd auf der unteren Fläche des
linken P. cerebri in der Mitte zwischen den Pons und dem Tractus opticus. Auf
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Schnitten constatirt man, dass dieser Herd eine dreieckige Form hat, nach der
Tiefe eingreift, die Haube durchdringt und bis an den Aquaeductus Sylvii reicht.
Schnitte, die durch das Corpus rubrum gehen, zeigen, dass der Erweichungsherd
bis in die Gegend zwischen den Aquaeductus Sylvii und das Corpus rubrum
reichen. Dieser Herd hat somit im Inneren des Pedunculus selbst die Ursprungs¬
fasern des Oculomotorius zerstört. Das anatomische Präparat ging leider verloren
und die Vortr. bedauern deswegen die Resultate einer eingehenden histologischen
Untersuchung nicht demonstriren zu können. Nur ein einziges mikroskopisches
Präparat, nach Pal gefärbt, konnte untersucht werden. Auf demselben sieht
man, dass die Nervenfasern vollständig verschwunden und durch Granulatioiu-
körperchen ersetzt sind.
Herr Touche (Brevannes): Cerebrale Form von multipler Herdaklerose
mit Bpaamodiaohem Lachen und Chorea. Es handelt sich um einen 32 jährigen.
Mann, der über den Anfang seines Leidens nicht im Stande ist Auskunft m
geben. Von der Umgebung des Kranken erfahrt man, dass die Krankheit weder
angeboren noch im kindlichen Alter aufgetreten sein soll. Pat. war beim Militär
und hat in den Colonieen gedient. Im Jahre 1893 wurde der Gang stei£ gleich¬
zeitig trat spasmodisches Lachen auf. Die Sprache war damals sehr verständlich.
Status im Jahre 1898. Der Pat. ist gross und kräftig. Heftiges, spasmodi-
sches, fast unaufhörliches Lachen, welohes noch stärker wird, wenn der Kranke
sich beobachtet weise. Der Mund wird dabei langsam und progressiv in die
Breite gezogen, der Hals kommt in Hyperextension, die Augenlider blinzeln und
man vernimmt eine Art von Jauchzen. Nie hat Pat. spasmodisches Weinen; die
Sprache ist vollständig verloren. Es besteht eine Art von Brummen, in dem man
scandirenden Charakter findet. Die Beweglichkeit der Zunge ist beschränkt nach
allen Richtungen. Das Pfeifen ist nicht möglich; beständiger Speichelfluss. Keine
merkliche Atrophie der Zunge und der Lippen. Es besteht Lähmung des weichen
Gaumens und des Zäpfchens. Der Pharyngealreflex ist verschwunden, die Be¬
wegungen der Augenlider sind häufiger als normal und von Deviation nach allen
Richtungen begleitet. Die Pupillen sind imgleich weit, unwillkürliche chorea¬
artige Bewegungen in den oberen Extremitäten, besonders rechts und zwar mehr in
der rechten Hand ausgesprochen. Typisches Intentionszittern bei willkürlichen
Bewegungen. Unmöglichkeit kleine Gegenstände zu greifen in Folge von Zittern
der Finger. Starkes Zittern der Beine schon beim einfachen Entblösen des Pat.
Sehr gesteigerte Patellarreflexe und ausgesprochener Fussklonus auf beiden Seiten.
Incontinentia urinae et alvi. Es scheinen keine Sensibilitätsstörungen zu bestehen.
Status im Jahre 1899. Das spasmodische Lachen besteht unverändert. Kein
Nystagmus vorhanden; der Speichelfluss hat aufgehört; die Sprache ist bedeutend
besser. Sie ist immer noch wenig verständlich und stark scandirend, einige Worte
sind aber doch zu verstehen. Die Zunge ist jetzt ganz bewegungslos; Schluck¬
störungen. Es besteht eine ausgesprochene rechtsseitige Hemiplegie, bei welcher
das Gesicht nicht betheiligt ist. In der linken oberen Extremität choreartige
unwillkürliche Bewegungen. Status im Jahre 1900: Spastische Lähmung aller
Extremitäten. Permanenter Spasmus des linken Mundwinkels. Blepharospasmus
im linken Auge. Der Kranke liegt auf der rechten Seite mit gebeugten Knieen.
Starke Atrophie des linken Schenkels. Decubitus an beiden Sitzbeinen und am
linken Knie. Excitus im August 1900. Obduction: Multiple Sklerose in allen
Theilen des cerebrospinalen Systems, besonders dicht und ausgesprochen im
Rückenmark, im verlängerten Mark, in den Pons und viel seltener in den cen¬
tralen Ganglien des Gehirnes und in der Kapsel. Im Cervicalmark erstrecken
sich die Herde gleichzeitig auf die SeitenBtränge und Hinterhörner. Die Störungen
sehen absolut classisch aus und sind so zahlreich, dass es nicht möglich ist
Localisationsstudien anzustellen. Im Centrum ovale des Gehirnes sind nur
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unbedeutende Herde verbanden. Etwas grössere Herde sind in der Umgebung
der Occipitalhörner der Seiten Ventrikel disseminirt. Im vorderen und hinteren
Segment der inneren Kapsel der linken Hemisphäre sind verschiedene Herde
von Sklerose vorhanden. Im vorderen Segment erstreckt sich ein Herd bis
zur inneren Fläche des Nucleus caudatus und der inneren Fläche des N. lenti¬
cularis. Das Knie der inneren Kapsel ist normal. Dagegen findet man drei
Herde von Sklerose im hinteren Segment der inneren Kapsel. Die Pedunculi
cerebri sind normal, ebenso das Corpus rubrum. Rechte Hemisphäre: Ein grösserer
Herd befindet sich in der unteren Hälfte des Knies, das Corpus callosum zerstört
das vordere Ende des N. caudatus, durchdringt das vordere Segment der inneren
Kapsel und reicht bis zum N. lenticularis hin. Im hinteren Segment der inneren
Kapsel ist ein zweiter Herd vorhanden. Der Thalamus opticus, die Regio sub-
thalamica und die Regio peduncularis ist intact Mehrere kleine Herde sind in
den Pons disseminirt, besonders längs der Pyramidalfasern. Ein etwas grösserer
Herd hat seinen Sitz im rechten Ped. cerebelli ad pontem. Ein anderer Herd be¬
findet sich im mittleren Theile der Schleife links. In der grauen Substanz des
Aquaeductus Sylvii ist ebenfalls ein Herd vorhanden, der die Longitudinalfasern
zerstört hat. Dieser Herd erstreckt sich bis zum Ursprungskem des rechten
Facialis. Der linke Facialiskern ist ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen durch
die Fortsetzung eines anderen Herdes. Im verlängerten Mark sind mehrere Herde
vorhanden: ein grösserer Herd erstreckt sich in der rechten Pyramide und in
der hinteren Hälfte der Olive. Dieser Herd hat somit zur Folge die Zerstörung
der Hypoglossusfasern. In der linken Hälfte des Bodens des 4. Ventrikels be¬
findet sich ein Herd, der die Kerne des 10. und 12. Nervenpaares zerstört hat.
Im Kleinhirn sind mehrere Herde vorhanden, in der weissen Substanz im Corpus
dentatum nnd im Vermis infer.
Vortr. erklärt den Nystagmus und das Blinzeln durch die Herde im Klein¬
hirn und Ped. cerebelli ad pontem, das spätere Verschwinden des Nystagmus
durch die Sklerose des unteren Wurmes, die choreaartigen Bewegungen durch
die Läsion des Pyramidalstranges. Der Befund beweist ebenfalls, dass das spas¬
modische Lachen nicht von einer Läsion im Thalamus abhängt. Er glaubt eher,
dass die Störungen im N. caudatus dafür verantwortlich gemacht werden könnten.
Herr Raymond und Herr Philippe: Aoute senile Euoephalitis. (Demon¬
stration mikroskopischer Präparate). Vortr. haben Gelegenheit gehabt in der Sal¬
petrige 4 Fälle von acuter Encephalitis mit Section bei alten Frauen zu beobachten.
Anatomisch war dieselbe charakterisirt durch Entzündung der Gehirnrinde, der
weissen Substanz und der Grosshirnganglien und gewöhnlich nur auf eine Hemi¬
sphäre beschränkt Klinisch bestand zunächst ein prodromales Stadium,
welches bald plötzlich bei voller Gesundheit auftrat, bald im Verlaufe einer Lungen¬
krankheit sich zeigte, und durch Kopfschmerz, physische und psychische Asthenie,
manchmal auch durch leiohtere Ideeenverwirrung sich auszeichnete. Auf dieses
Stadium folgt das Hauptsymptom: motorische Hemiplegie von cerebralem
Typus mit oder ohne apoplektischen Ictus. Zuweilen treten auch in den ge¬
lähmten Gliedern spastische Erscheinungen auf, analog den frühzeitigen Contrac-
turen mancher Hemiplegiker. Der Tod tritt rasch ein unter Coma und progressiv
zunehmendem Fieber.
Das klinische Bild erinnert ja an die ischämische Gehirnerweichung. Die
Vortr. haben aber polymorphe Läsionen gefunden, dagegen aber keine Gefäss-
obliteration. Bekanntlich existiren zwei histologische Arten von Encephalitis.
Die degenerative Art, die man in Deutschland hämorrhagische nennt. Diese
Encephalitis beschränkt sich aber nicht allein auf Blutungen, perivasculäre und
interstitielle, sondern mit Hülfe der Nissl'sehen und Marchi’schen Methoden
constatirt man bedeutende Veränderung ebenfalls in den Zellen und in den Nerven-
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fasern. Auch die Neuroglia bleibt nicht unverändert. Mit einem Worte die
Veränderungen bei dieser Form von Encephalitis erinnern an die acute Myelitis
von Leyden. Es ist noch eine zweite Art von Encephalitis bekannt: acute
hyperplastische Encephalitis. Dieselbe ist vor nun 35 Jahren von Bayern
beschrieben wurden und zeiohnet sich durch eine Anhäufung von voluminösen, poly¬
gonalen und besonders epithelo'iden Zellen aus. Diese Zellen sind oft von fettigen
Granulationszellen ausgefüllt. Die Beziehungen zwischen den zwei Formen von Ence¬
phalitis sind einstweilen schwer festzustellen. Die klinische Beobachtung und die
pathologische Anatomie beweisen, dass eine aoute nicht eitrige Entzündung da
Gehirnsubstanz existirt, eine Thatsache die lange bestritten wurde. Und swu
ist diese Encephalitis wenigstens ebenso häufig wie die acute Myelitis und beding:
eine grosse Zahl von Hemiplegieen und von anderen cerebralen Symptom«) bei
Greisen.
Disoussion:
Herr Gilbert Ballet fragt, ob die Vortr. in ihren Fällen Gefässläsioneo be¬
obachtet haben.
Herr Philippe antwortet, dass man in der degenerativen Form keine Spur
von solchen Läsionen findet. Dagegen hat er in der hyperplastischen Form es
Diapedesis und starke Zellenproliferation gefunden.
Herr Gilbert Ballet ist der Meinung, dass die Störungen der Arteria
einen Locus minoris resistentiae schaffen und begünstigen das Auftreten look
Infectionen. Er hat vor Jahreu in der Soci6t6 m6dicale des Höpitaux den ana¬
tomischen Befund eines alten Hemiplegikers mitgetheilt, der an einer Broncho¬
pneumonie zu Grunde ging. An der Stelle der üblichen Gehirnblutung land ec
einen AbsceBS mit starker Leukocytenreaotion. An der Stelle der früheren Blatug
hat sich somit eine Läsion ausgebildet
Herr Philippe bemerkt, dass in den von ihm und Prof. Raymond unter¬
suchten Fällen im Vergleich zu den parenchymatösen Störungen die Gefäasläsa
ganz unbedeutender Natur war.
Herr Philippe und Herr Oberthür: Seotionsbefünd in zwei Fällen vs
Friedreioh’soher Krankheit. Vortr. theilen den histologischen Befund mit ü
2 Fällen der Friedreich’schen Ataxie, ln einem Falle handelte es sich um eitz
20jährigen Syphilitiker, bei welchem die Krankheit in den ersten Jahren bk;
der Infection auftrat. Der mikroskopische Befund lautet: Sklerose der Hinte¬
stränge und der hinteren Wurzel. Besonders ausgesprochene Veränderung« j
der grauen Substanz der Hinterhörner, der Strangzellen und der Clarke’sebe
Säulen. Ungleichmässige Sklerose in den anterolateralen Strängen. Bald firi?"
man kaum angedeutete Läsionen im gekreuzten Pyramidalstrang allein, bald
intensivsten Veränderungen in allen Fasersystemen des Seitenmarks (motorisch
Strang, Gowers’sches Bündel, directer Kleinhirnstrang, kurze commissurale Fasen
Diese Variabilität des anatomischen Befundes erklärt auch, warum man bei dia<
Art Krankheit mehr oder weniger spastische Erscheinungen constatirt. Die Fri<?- j
reich’sche Krankheit ist eine ausgesprochene medulläre Krankheit, die nichts e
der Tabes zu thun hat, und unabhängig von einer Sklerose oder Entwickelung I
hemmung des Kleinhirns ist. Diese Krankheit zeichnet sich auch durch «=-!
intensive Sklerose der Neuroglia aus. Und zwar findet man die Neuroglia skleruc
nicht nur in den degenerirten Zonen, sondern auch am Ependym des 4. V*-'
trikels, im Aquaeductus Sylvii und unter der Pia mater spinalis.
Herr Henry Meige: Wechselnde Tios, Haltungstlo. Die Tics sx
innig mit dem psychischen Zustand verbunden. Zeigt der Kranke Neigpug *
fixen Ideeen, so wird sein Tic auch localisirt sein. Bei Eiranken mit NtsgvS
zu Zwangsvorstellungen, sind die Tics mehr obsedirender Natur. Ist Pat. rx
3 dby Google
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einem wechselnden, unbeständigen, leichtsinnigen Charakter, so tragen seine Tics
dsus Gepräge einer grossen Labilität. Tics von wechselnder Natur werden meistens
bei jungen Individuen beobachtet. Die Labilität des psychischen Zustandes im
kindlichen Alter eignet sich wenig zu dauerhaften Localisationen. Wechselnde
Tics haben ihren Sitz bald an der einen, bald an der anderen Körperhälfte und
folgen aufeinander ohne jeder Ordnung. Ein jeder dieser Tics hat seine Ursache,
seinen Zweck. Diese Ursachen aber sind flüchtig und nicht immer zu eruiren.
Die wechselnden Tics haben grosse Analogieen mit der wechselnden Chorea der
Degenerirten von Brissaud und hängen von demselben psychischen Zustand ab,
obwohl klinisch die zwei Krankheiten ganz verschieden sind.
Haltungstic: In der grossen Mehrzahl der Fälle besteht dieser Tic in
einem klonischen Krampf (klonischer Tic). Manchmal documentirt sich der¬
selbe aber auoh als tonischer Krampf (tonischer Tic). Die klonischen Tics
bestehen in raschen, kurzdauernden Muskelzuckungen, nach denen eine mehr oder
weniger langdauernde Muskelerschlafiung folgt. Der tonische Tic ist eine weniger
plötzlich auftretende und eine progressive dauernde Muskelcontraotion. Der
clonische Tic ist eine Bewegung, eine Gesticulation, während der tonische Tic
eine Haltung darstellt. Beispiele von tonischen Tic sind: psychisohe Torti-
collis (torticollis mental de Brissaud) und pBychisoher Trismus (trismus
mental de Raymond et Janet). Vortr. theilt die Krankengeschichte eines
19 jährigen Kranken, mit infantilem psychischen Habitus, mit, der seit seiner
Kindheit an den verschiedensten wechselnden Tics litt (Kopfschütteln, Schnürfeln,
Beissen der Lippen u. s. w.). Dieser Pat. bekam später in Folge einer Verletzung
des linken Schlüsselbeines einen klonischen Tic in der linken Schulter. Um
diesen Tic zu bekämpfen suchte der Kranke den Arm und den Vorderarm gegen
die Brust unbeweglich zu halten, was in einen tonischen Tio der linken oberen
Extremität ausartete.
Herr D. Anglade und Herr Chocreaux: Die topographische Vertheilung
und die Bedeutung der Lymphooytose bei der tuberoulösen Meningitis
und bei der progressiven Paralyse. Cytologische Studien der cerebrospinalen
Flüssigkeit haben ergeben, dass jede Entzündung der Meningen mit einem Ein-
wandera von Formelementen des Blutes in diese Flüssigkeit verbunden ist. Die
Vortr. stellten sich die Frage auf, wie die Lymphocyten aus dem Blute in die
cerebrospinale Flüssigkeit gelangen können. Bei der tuberculösen Meningitis ist
diese Frage leicht zu beantworten, da man von jeher weiss, dass bei dieser
Krankheit die Blutgefässe der Pia mater stark verändert sind und somit den
Austritt der weissen Blutzellen ermöglichen. Aber auch bei der progressiven
Paralyse haben die Vortr. starke Veränderungen in den Blutgefässen gefunden,
der weichen Hirnhaut einerseits und andererseits in den Gefässen des Epithelbelags
der Hirnventrikel. Letztere Läsion wurde von den Vortr. auch bei der tuber¬
culösen Meningitis constatirt. R. Hirschberg (Paris).
Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte «u Moskau.
Sitzung vom 21. September 1901.
Die Sitzung eröffnet Herr Prof. Koth mit einem Nachruf an das am 21. Juli
verstorbene Mitglied der Gesellschaft, den Priv.-Doc. Dr. A. A. Tokarsky, Mit-
redacteur der „Zeitschrift für Neuropathologie und Psychiatrie“.
Herr A. Liubuchin: Die Resultate der anatomo-pathologisohen Unter¬
suchung ln einem mit Hysterie oombinirten Falle von Dementia para-
lytlca. Die Kranke M. K. ist in der Gesellschaft der Neuropathologen und Irren-
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ärzte zu Moskau am 14. Mai 1899 vorgestellt worden. Patientin ist am 15./L 1901
gestorben. Autopsie: Wucherung der Pacchioni'sehen Granulationen längs dem
Sinus longitudinalis, Trübung und Verdickung der Pia mater, namentlich längs
den Blutgefässen, Verwachsung derselben mit der Gehirnoberfläche, Atrophie der
Gyri. An den Frontalschnitten beider Hemisphären bemerkte man eine bedeutende
Atrophie der Rindensubstanz. Das Ependym der Seitenventrikel und des 4. Ven¬
trikels ist von einer deutlich ausgesprochenen körnigen Beschaffenheit (Ependy-
mitis granulosa). An den Querschnitten des unteren Theiles der Medulls
oblongata bemerkt man kleine graue Streifen in den Hintersträngen.
In den übrigen Organen sind bei der Autopsie folgende Veränderungen ge¬
funden worden: 1. Otitis media purulente dextra, 2. Bronchopneumonie tuber-
culosa ulcerosa cum pleuritide fibrinosa-purulenta, 3. Induratio cyanotica hepetis,
renum et lienrä, 4. Atheromatosis aortae und 5. Degeneratio parenchymatös* cordis.
Mikroskopische Untersuchung: In den Präparaten, die verschiedenen Theilen
der Hirnrinde entnommen und nach Nissl gefärbt worden sind, erweisen sich
die Zellen stark verändert: 1. Schrumpfung der Zellen, 2. Centrale Chromat olyse;
3. Verlagerung des Kernes an die Peripherie der Zelle, 4. Vacuolisation einiger Zellen.
Alle angeführten Veränderungen der Zellen sind am Bohärfsten ausgedrückt
im Frontal- und Temporallappen der linken Hemisphäre.
An den nach der Methode von van Giesson gefärbten Präparaten war
Folgendes zu sehen: 1. Erweiterung der Blutgefässe, 2. wandständige Lage der
Leukocyten, 3. kleinzellige Infiltration längs den Blutgefässen, 4. Zerfall von
Hämatoidinkrystallen, 5. Vermehrung der Capillaren und Verdickung ihrer Intimi
6. Wucherung und Oedem der Neuroglia. In den Präparaten, die den Frontal¬
lappen beider Hemisphären entnommen und nach der Methode von Marchi, BuBcb
und Pal gefärbt worden sind, bemerkt man eine Degeneration sowohl der Bogen¬
fasern als auch der Leitungsfasem. In den centralen Gyri beider Hemisphären fehlt
die obere Schicht der Tangentialfasern fast ganz, namentlich in der linken Hemi¬
sphäre erweisen sie sich bedeutend degenerirt. An einer ganzen Serie von Präparaten,
die aus der Capsula interna, der Brücke und der Medulla oblongata stammen,
ist eine Degeneration der Fasern der Pyramidenbahn, stärker links ausgedrückt,
zu bemerken. An den Querschnitten des unteren Theiles der Medulla oblongata
die nach der Methode von Marchi und Pal gefärbt sind, ist eine Degeneration
der Goll’schen und Burdach’schen Stränge, theilweise auch der Fasern der
vorderen Seitenatränge, zu sehen. Die Fasern des rechten N. opticus erwiesen
sich in den nach Pal gefärbten Präparaten bedeutend dünner geworden, die
Fasern des linken N. opticus als normal.
Vortr. ist der Ansicht, dass ein grosser Theil der krankhaften Symptome
mit der chronischen Meningoencephalitis und den sie begleitenden atrophischen
und degenerativen Vorgängen in Zusammenhang stand. Unter den zahlreichen
Veränderungen ira CentralnervensyBtem der Patientin ist keine Veränderung vor¬
handen, durch welche die beiderseitige Taubheit zu erklären wäre. Eis ist un¬
möglich einen Zusammenhang aufzustellen zwischen der beiderseitigen absoluten
Taubheit und der Affection eines der Nn. optici. Ausserdem spricht gegen einen
Zusammenhang der beiderseitigen Taubheit mit der Affection des rechten N. opticus
der Umstand, dass die Taubheit schon zu der Zeit vorhanden war, als, nach Aus¬
spruch eines Specialarztes, keine organischen Veränderungen im Ohre nachzuweisen
waren. Hieraus folgt, dass die Taubheit wahrscheinlich eine hysterische gewesen
ist. Die Analgesie muss in diesem Falle ebenfalls als hysterische Complication
aufgefasst werden. Zu Gunsten dieser Auffassung spricht: 1. Das Vorhandensein
der Hysterie schon im jugendlichen Alter, 2. Die Verbreitung der Analgesie fast
über den ganzen Körper und 3. die Combination mit einem anderen hysterischen
Symptom, d. i. mit der beiderseitigen absoluten Taubheit (Walton).
y Google
727
Discussion:
Herr A. Bernstein bemerkt, dass bei der progressiven Paralyse Analgesieen
sehr häufig Vorkommen und zwar im frühesten Stadium der Krankheit; dieselben
scheinen weniger von den anatomischen Veränderungen abzuhängen, als von der
geschwächten Aufmerksamkeit und der allgemeinen psychischen Stumpfheit der
Patienten.
Herr W. Murawieff weist auf die Möglichkeit hin, dass die gefundenen
Veränderungen der Nervenzellen theils auch mit der tuberculösen Infection der
Kranken in Zusammenhang stehen. Ueberhaupt wird in den Arbeiten über die
Pathologie der Zelle den begleitenden Erkrankungen und der Todesursache zu
wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Herr W. Serbsky glaubt, dass die Analgesie zum Theil auch von den
tabetischen Veränderungen im Rückenmark abhängig gewesen sein kann.
Herr W. Mu rat off meint, dass in dem vorliegenden Falle zu Gunsten der
Hysterie die Anainnese der Kranken spricht.
Herr W. Roth ist vom Vorhandensein von Hysterie bei dieser Patientin
nicht überzeugt.
Herr P. Preobrajensky: Die Veränderungen im Nervensystem in einem
Falle von Anaemla perniciosa acuta. In das Alte Katharinenhospital trat am
31. December 1900 ein Kranker, von 35 Jahren, ein mit der Klage über all¬
gemeine Schwäche. Anamnese: Vor 10 Jahren litt Pat. an Gesohwüreu an den
Unterschenkeln; in der letzten Zeit entwickelte sich eine allgemeine Schwäche.
Die Untersuchung ergab Folgendes: Die Haut ist leicht ikterisch gefärbt und
weist am ganzen Körper einen feinen Ausschlag auf, der bei Fingerdruck nicht
schwindet. Die Temperatur ist normal. Kopfschmerz. Die objective Unter¬
suchung aller inneren Organe ergab nichts besonderes. Im weiteren Verlauf der
Eirankheit klagte Pat. beständig über Kopfschmerz und allgemeine Schwäche.
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes ergab eine Poikilocytose. Exitus
lethalis am 23. Januar 1901. Autopsie: Hyperaemie medullae osseae und eine be¬
deutende Anämie aller inneren Organe; sonst sind keine anderen Veränderungen
gefunden worden. Diagnosis anatomica: Anaemia perniciosa. Befund im Rücken¬
mark: Die Zellen der Vorderhörner sind gequollen, Chromatolyse (namentlich
peripher), die Achromatinsubstanz ist gefärbt, die Zellkörper sind fettig degenerirt,
der Kern ist verschwommen und seine Contouren sind nioht scharf, im Kern¬
körper sind bei Färbung mit Tionin zuweilen 1—6 schwarze Körnchen zu sehen.
In der weissen Substanz der Medulla spinalis, oblongata und des Cerebellum
findet man einzelne Herde zweier Art: 1. Miliare, längs den Gefässen sich be¬
findende, sklerotische Herde, 2. Herde von Zerfall des Nervengewebes (miliare);
eine mehr oder weniger starke Schwellung der Axencylinder oder der Nerven¬
fasern; bedeutende Verminderung der Zahl der Nervenfasern; Vorhandensein von
runden homogenen Körperchen verschiedener Grösse und bedeutende Vermehrung
der Leukocyten. Gleiche Zerfallherde sind auch in den Zellen (hauptsächlich
in den Hinterhörnern) beobachtet worden. Stellenweise sind auch in den Zellen
des Kleinhirns und der Pyramiden der Rinde ähnliche schwarze Körnchen im
Kernchen gefunden worden wie im Rückenmark. In den Pyramidenzellen der
Rinde erhält man bei Färbung nach Marchi eine grosse Anzahl feinster, schwarzer,
runder Körnchen, die hauptsächlich an der Peripherie der Zelle, zuweilen aber
auch in ihr zerstreut liegen. Die Blutfüllung der Gefässe des Nervensystems ist
eine schwache. Vortr. schliesst sich der Meinung Minnich’s an, dass diese Ver¬
änderungen nicht specifisch für Anaemia perniciosa sind.
An der Discussion betheiligten Bich W. Murawieff und W. Muratoff.
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728
Herr N. Schataloff: Die pathologiflohe Classification der Krankheiten
des Nervensystems. Der früheren Eintheilung in Krankheiten des Gehirns,
des Rückenmarks und der peripheren Nerven kann man keine grosse Bedeutung
beilegen, da diese Abschnitte keine ganz abgesonderten und anatomisch ond
physiologisch vollkommen ganze Abschnitte darstellen. Ferner ist aus der Physio¬
logie und der allgemeinen Pathologie bekannt, dass jede Krankheit eine Störung
der regelrechten Ernährung dieser oder jener Zellen vorstellt; diese Storung wird
entweder hervorgerufen durch die Unfähigkeit der Zellen selbst das Nährmaterisl
aufzunehmen oder durch eine Abnormität des Nährmaterials in qualitativer oder
quantitativer Hinsicht. Auf Grund dieser Daten ist es richtiger die Krankheiten
des Nervensystems folgendermaassen einzutheilen: Abnormitäten in der Structur
des Nervengewebes (auch bei Betheiligung des Blutgetässsystems des betreffenden
Gebietes) hereditärer und acquirirter Herkunft und Abnormitäten in der Ernährung
des Nervengebietes quantitativen oder qualitativen Charakters. Obgleich die im
Jahre 1898 erschienene Classification von Möbius als eine ätiologische höher zn
stellen ist als alle früheren gemischten Classificationen (theils anatomische, tbeils
klinische, theils ätiologische), so ist sie doch nicht genügend begründet, da in
derselben die Krankheiten nach dem Charakter der Ursachen selbst eingetheilt
sind in exogene und endogene, aber nicht nach dem Charakter der Wirkung
dieser Ursachen auf den Organismus; dadurch fallen in eine Rubrik der exogenen
Krankheiten ganz verschiedene Erkrankungen, wie z. B. Trauma des Nerven¬
gewebes, d. i. Krankheiten der Structur und Infectionskrankheiten, d. i. Krank¬
heiten des Blutes, Krankheiten der Ernährung. Die pathogenetische Classification
beseitigt diese Unvollkommenheiten, da in ihr die Rubriken der Krankheit«»
nicht naoh dem Charakter der Ursachen selbst, sondern nach dem Charakter der
Wirkung derselben auf den Organismus gebildet sind; als Beispiel dient unsere
Classification. Der vorgeschlagenen Classification sind pathogenetische Daten und
ätiologische Momente zu Grunde gelegt, so dasB die Eintheilung in Rubriken
streng begründet ist durch die Abhängigkeit der Krankheiten von bestimmten
Ursachen, die sie hervorgerufen haben, und nicht von anatomischen oder klinischen
Bildern, welche, trotz der Einheit der Ursache, sehr verschieden sein können und
daher auch nicht als Grundlage zu einer Classification dienen können.
Dieselben pathologischen Daten sind auch für eine Classification anderer
Specialitäten zu verwerthen, was wegen der Gleichförmigkeit des Materials und
des daraus resultirenden Nutzens von grossem Werth sein kann. Für andere
Wissenszweige kann diese Classification auch von Vortheil sein, da sie Rubriken
der Degenerationen, der psychischen und physischen Einflüsse, der Infectionen,
Intoxicationen und Erschöpfungen enthält, was auch für die Statistik von grösstem
Vortheil ist. (Das Nähere über die Classification s. Rev. neurol. 1901. Nr. 23,
wo die Arbeit im Original abgedruckt ist.)
Discussion:
Herr W. Muratoff glaubt, dass die pathogenetische Classification im Wesent¬
lichen unmöglich ist. Die Eintheilung der Krankheiten nach der Pathogenese ist
nicht richtig, da dieselbe nur auf einem Princip basirt, während doch eine Krank¬
heit eine aus einzelnen Erscheinungen zusammengesetzte Summe darstellt. Ausser¬
dem fällt bei der Classification des Vortr. ein und dieselbe Krankheit in ver¬
schiedene Rubriken.
Herr W. Roth findet, dass zu nosographischen Zwecken die alte gemischte
Classification bequemer ist, als die Classification des Vortr. mit wenigen Rubriken,
die nicht als fehlerlos zusammengestellt angesehen werden kann.
W. Murawieff. S. Suchanoff
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729
Oeffentliche Sitzung vom 1. October 1901 zum Andenken an Prof. S. S. Eorsakoff.
Diese Sitzung war eine combinirte mit der Moskauer psychologischen Gesell¬
schaft. Es wurden folgende Vorträge gehalten:
Herr W. Roth: S. 8. Korsakoff 1. als Mensch, 2. in seiner oommunalen
Thätlgkeit. — Herr W. Serbsky: Ueber die wissenschaftliche Bedeutung
8. 8. Korsakoff’s. — Herr A. Korn il off: 8. S. Korsakoff als Neuropatholog.
— Herr N. Postovsky: 8. 8. Korsakoff als Kliniker und Lehrer. — Herr
L. Lopatin: Die Persönlichkeit und Weltanschauung 8. S. Korsakoff’s. —
Hr. A. Bernstein: Die phUpsophlsohen und psyohiologisohen Anschauungen
8. 8. Korsakoff’s. — Herr N. Bajenoff: 8. 8. Korsakoff’s Thätlgkeit ausser¬
halb der Universität und seine Bedeutung als Arzt und Lehrer. — Herr
O. Rossolimo: Dem Andenken Korsakoff’s.
Sitzung vom 12. October 1901.
Herr A. Bernstein: Krankendemonstration eines Epileptikers mit
übermässiger Beweglichkeit der Gelenke. Pat., 32 Jahre alt, Setzer einer
Druckerei, leidet seit seinem 22. Jahre an epileptischen Anfällen, zur Zeit weist
er stark ausgesprochene Merkmale von epileptischer Geistesschwäche auf. Alle
Gelenke des Kränken erscheinen quasi losgeschraubt und alle Bewegungen, be¬
sonders die passiven in denselben, überschreiten ihrem Umfange nach die Norm
bedeutend, namentlich die Bewegungen in den distalen Gelenken (Hand, Fuss,
Ellenbogen, Knie), und besonders bei der Flexion. So lassen sich z. B. die Zehen
bis zur vollständigen Berührung mit der Fusssohle flectiren, in den Knie- und
Ellenbogengelenken ist die Flexion bis zu einem Winkel von 20° und sogar
15° möglich. Leider lässt es sich nicht genau feststellen, wann die erwähnten
Erscheinungen sich entwickelt haben; es ist nur bekannt, dass der Pat. im Alter
von 14 Jahren an einer Affection der Kniegelenke gelitten hat.
Herr W. Mu rat off richtete einige Fragen an den Vortr.
Herr S. Suchanoff: Dm endooelluläre Netz Golgi’s in den Nerven-
elementen der spinalen Ganglien. Golgi hat mit seiner Chromsilbermethode
in den Nervenelementen von Wirhelthieren (Säugethieren) ein eigenartiges intra¬
celluläres Netz entdeckt. Die variirte und verbesserte Methode, um das endo-
cellnläre Netz Golgi’s zu erhalten, besteht in der aufeinanderfolgenden Be¬
arbeitung frischer Präparate mit drei Flüssigkeiten. Die erste Flüssigkeit enthält
30 Theile einer 0,1 °/ 0 Wasserlösung von Kalichlorplatinat, 30 Theile einer
6% Lösung von dichromsaurem Kali und 15—20 Theile einer l°/ 0 Osmium-
lßsung. Die zweite Lösung besteht aus 3 Theilen einer 5°/ 0 Lösung von dichrom¬
saurem Kali und 1 Theil einer 6°/ 0 Lösung von Cuprum sulfuricum oder
1 Theil einer 5°/ 0 Lösung von Cuprum aceticum (im 2. Falle wird die zweite
Flüssigkeit filtrirt). Die dritte Flüssigkeit ist eine l°/ 0 Lösung von Argentum
ni tri cum. In seinen Ausführungen berührt Vortr. nur das endocelluläre Netz
Golgi's in den Nervenelementen der spinalen Ganglien, die er Kaninchen ver¬
schiedenen Alters (2—3 Wochen und alte) entnommen hat. Bei dem durch
Chloroform getödteten Thiere wird das Rückgrat eröffnet und die spinalen Gang¬
lien möglichst schnell herausgenommen; letztere werden dann in die erste Flüssig¬
keit gelegt, welche auch den Namen Veratti’s führt. Die Ganglien von jungen
Kaninchen blieben in der Flüssigkeit Veratti’s nicht weniger als 5 Tage, ge¬
wöhnlich aber 8—10—12 Tage; die Ganglien aber von alten Kaninchen müssen
in dieser Flüssigkeit bedeutend länger liegen; Vortr. Hess die Ganglien von alten
Kaninchen in der Flüssigkeit Veratti’s bis zu 35 Tagen. In der zweiten
Mischung mÜBsen die Präparate 5 bis 10 Mal kürzere Zeit als in der ersten
bleiben; wenn die Präparate in der enten Flüssigkeit 5—8 Tage gelegen haben,
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730
bo kann man sie in der zweiten 15—20 Stunden, einen Tag oder etwas mehr
halten. Sind Bie in der Flüssigkeit Veratti’a 30—35 Tage gewesen, so mnas
man sie in der zweiten Mischung 2—3 — 3 */ 2 Tage liegen lassen. Aus der zweiten
werden die Ganglien in die dritte Flüssigkeit (1 °/ 0 Lösung von Argentum nitri-
cum) auf 20—24 Stunden oder etwas länger gelegt. Um bei der Anfertigung
solcher Präparate bessere Resultate zu erhalten, muss darauf geachtet werden,
dass die Ganglien von alten Thieren an den Enden angeschnitten werden, dass
die Präparate nicht zu lange der Wirkung der Luft ausgesetzt werden, nicht
austrocknen u. 8. w. Das Netz Golgi’s in den Nervenelementen der spinalen
Ganglien reioht nicht bis an die Peripherie der Zelle, was darauf hinweist, dass
dieses Netz ein endooelluläres ist; dasselbe stellt ein dichtes Geflecht dar, welches
zuweilen lobuläre Structur zeigt, es zeigt keinerlei Fortsätze von seinem äusseren
Theile zur Oberfläche der Zelle. In den Kern dringt das Geflecht nicht ein,
sondern umgiebt denselben etwas gelichtet Dieses Netz lässt sich sowohl in den
grossen als auch in den kleinen Zellen der spinalen Ganglien entdecken. Vortr.
ist der Ansicht, dass das endocelluläre Netz Golgi’s keine Aehnlichkeit mit dem
fibrillären Netz Ap&thy’s hat; es unterscheidet sich auch von dem Bilde der
von Holmgren, Donaggio, Studnicka und Bochenek beschriebenen Kanälchen
in den Nervenzellen: es gleicht auch nicht dem „ötat spiremateux“ von Neliß.
Autorreferat
Für den Wettbewerb um die Prämie auf den Namen des Herrn A. J. Kojew-
nikoff ist von der Gesellschaft folgendes Thema gewählt worden: „Die traumati¬
schen Affectionen des Nervensystems (anatomische und functioneile) vom Gesichts¬
punkte der gerichtlich-medicinischen Expertise“.
Oeffentliche Sitzung vom 22. October 1901.
Herr P. Preobrajensky: Aus dem Gebiet der psyohopathisohen
Litteratur. — Herr V. Worobieff: Die Degenerirten und ihre gesellsohaft-
liohe Bedeutung. — Herr N. Bajenoff: Krankheit und Tod N. Gogol’*
A. Bernstein. W. Murawieff
Sitzung vom 16. November 1901.
Herr Roth demonstrirte 7 Kranke, welche unter anderen Erscheinungen eine
Atrophie der Muskeln der Hand nach dem Typus von Aran-Duohenne
aufwiesen; dieser Atrophie lagen bei den meisten der vorgestellten Kranken ver¬
schiedene Erkrankungen zu Grunde. Im ersten Falle war eine atrophische
Lähmung, als Resultat einer acuten Poliomyelitis, mit dem Initialstadium der
Tabes combinirt. Im zweiten Falle hatte sich eine amyotrophische Lateralsklerose
im Stadium vor dem Erscheinen der Ataxie einer langsam verlaufenden Tabes
entwickelt Der vierte Fall stellte eine Combination von Gliomatosis mit Tabes,
vielleicht aber auch mit Meningitis spinalis dar. Der fünfte Fall war eine
Lähmung nach Bleivergiftung, wobei unter Anderem die Mm. Supinator longus,
biceps et deltoideus in Mitleidenschaft gezogen waren. Im sechsten Falle handelte
es sich um eine Atrophie wegen chronischer Poliomyelitis, welche nach der
Meinung des Vortr. parasyphilitischer Herkunft ist. Der siebente Kranke litt
an einer amyotrophischen Lateralsklerose, welche 9 Jahre dauerte. Besonders
interessant ist der dritte Fall. Pat. M., 40 Jahre alt, Schuhmacher, vor 9 Jahren
Lues. Seit 3 Jahren lancinirende Schmerzen. Von derselben Zeit an progressive
Abmagerung der Muskeln der oberen Extremitäten, welche mit den Händen be¬
gann. Die Untersuchung ergab eine bedeutende Atrophie der Muskeln der Hände
und der Unterarme; in vielen Muskeln vollständige Entartungsreaotion. Die
Sehuenreflexe der oberen Extremitäten sind entweder schwach oder fehlen; die
Patellarreflexe und die von der Achillessehne fehlen. Der Reflex Babinski’e
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731
ist nicht vorhanden. Myosis spastica; Fehlen des Lichtreflexes. Das Muskelgefühl
sowie die Tast- und Teraperaturempfindung sind normal. Die Schmerzempfindung
ist an den unteren Extremitäten ein wenig herabgesetzt. Die Potentia virilis ist
geschwächt Die Harnentleerung ist ein wenig erschwert. Nach Ansicht des Vortr.
hängen die Atrophieen im gegebenen Falle von einer Affection der Zellen der
Vorderhömer ab, so dass wir hier eine Combination von Poliomyelitis anterior
chronica und Tabes haben, wobei beide Krankheiten sich selbständig entwickelt
haben, jedoch unter dem Einflüsse ein und derselben gemeinsamen Ursache; beide
Krankheiten stehen mit der vorausgegangenen Syphilisinfection in Zusammenhang
und gehören in die Gruppe der parasyphilitschen Erkrankungen. Das
Zusammenfallen dieser Krankheit ist hier kein zufälliges.
W. Murawieff. S. Suchanoffi
Sitzung vom 21. December 1901.
Herr Kirilzeff: Ein Fall hypertrophischer Osteoarthropathie (Osteo¬
arthropathie hypertrophiante) mit Demonstration des Kranken. Pat.,
26 Jahre alt, Tischler. Beide Lungenspitzen sind nicht stark tuberculös afficirt.
Auf dem linken Fussrücken hinter der 2. Zehe befindet sich eine Fistel mit
stinkendem Eiter. In der linken Inguinalgegend eine wenig schmerzhafte
Schwellung der Drüsen von der Grösse eineB kleinen Eies. Das ganze linke Bein
ist von den Zehen bis zum unteren Drittel bedeutend vergrössert und verdickt.
Exudat im linken Knie und Muskelatrophie des linken Oberschenkels. Die
Knochen des linken Unterschenkels, das Fuss- und Kniegelenk sind bedeutend
verdickt, aber nicht schmerzhaft. Die 2., 3. und 4. Zehe beider Füsse gleichen
Trommelschlägeln und ihre Nägel erinnern in ihrer Form an Uhrgläsohen. Auf
den Radiographieen ist eine deutliche cariöse Affection des ersten Metatarsal¬
knochens des linken Fusses zu Behen und eine Verdickung beider Knochen des
linken Unterschenkels ohne Herdaffection; ausserdem sind auf den Aufnahmen so¬
wohl diese Knochen als auch der Talus und das Os naviculare blasser als die
entsprechenden Knochen des rechten Beines. Die Vergrösserung der Extremität
begann sich 11—12 Monate, nachdem sich wegen engen Schuhwerkes ein Abscess
auf dem Fusse gebildet hatte, der die erwähnte Fistel zur Folge hatte, zu ent¬
wickeln. Vor 5—6 Jahren hatte Pat. einen Abscess in der linken Inguinalgegend,
der keine merklichen Spuren hinterlassen hat.
Auf Grund der erwähnten Daten findet Vortr., Syringomyelie, die Krankheit
Paget ausschliessend und darauf hinweisend, dass der cariöse Process in dem
ersten Metatarsalknochen das ganze Krankheitsbild nicht erkläre, dass sein Fall
als hypertrophische Arthropathie anzusehen sei, obgleich derselbe, da fast aus¬
schliesslich nur eine Extremität afficirt ist, nicht vollständig und nicht typisch
erscheine, und dass er andererseits seiner Eigentümlichkeiten wegen die Möglich¬
keit gebe, Bioh einigermaassen die Bedingungen für die Entwickelung der Osteo¬
arthropathie zu erklären, Vortr. bemerkt, dass nach den Angaben der Litteratur
am häufigsten diejenigen Lungenprocesse eine Osteoarthropathie hervorrufen, bei
welchen günstige Bedingungen für Resorption des Eiters (Bronchiektasie,
Empyem) gegeben sind und spricht die Vermutung aus, dass neben der tuber-
culösen Affection der Lungen das wesentliche Moment für die Entwickelung der
Osteoarthropatie im gegebenen Falle der sich zersetzende Eiterherd im ersten
Metatarsalknochen ist. Der Gang des Processes ist folgender: bei dem tuber-
culösen Pat. entwickeln sich zuerst Trommelschlägelfinger, späterhin durch Trauma
Caries des ersten MetatarsalknochenB mit nachfolgender Affection der Inguinal¬
drüsen, welche ihrerseits die Circulation der Lymphe behindert und die Gewebs-
ernährung in der kranken Extremität stört und auf diese Weise günstige Be¬
dingungen schafft für die Entstehung einer hypertrophischen Osteoarthropathie
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732
unter der Einwirkung der Zersetzungsproducte aus dem Eiterherd in dem ent®
Metatarsalknochen. Dieser Fall zeigt, nach Meinung des Vortr., dass die localen
Bedingungen der Lymphcirculation und der Ernährung der Gewebe eine wichtige
Bedeutung in der Entstehung der Osteoarthropathie haben. Die Ergebnisse der
Röntgenphotographie stehen in Einklang mit den in der Litteratur sich befinden¬
den anatomisch-pathologischen Daten (ossificirende Periostitis, Osteoporose). Die
Trommelschlägelfinger müssen wohl als schwächerer Ausdruok des osteoporotischen
Processes aufgefasst werden. Was nun die Frage über diese oder jene Beziehung
der Schilddrsüe (die bei dem Pat. etwas vergrössert ist) zu dem Processe betrifft,
so muss dieselbe offen gelassen werden, da keine genauen Daten vorhanden sind.
Discussion:
Herr A. Repmann glaubt, dass dem verschiedenen Grade der Durchleuchtung
auf den Röntgenaufnahmen des kranken und des gesunden Unterschenkels keine
besondere Bedeutung beigemessen werden kann, da diese Differenz durch ver¬
schiedene Bedingungen des Photographierens erklärt werden kann.
Herr W. Predtetschenskiy erklärt die Entwickelung der Knochenverände¬
rungen bei dem vorgeetellten Pat durch Blut- und Lymphstauungen in der er
krankten Extremität, im Zusammenhänge mit dem cariösen Processe der Knochen
des Fusses.
Herr Roth findet, dass der demonstrirte Fall nur eine äusserliche Aehnhch-
keit mit der Krankheit Marie’s hat, aber in Wirklichkeit liegt hier nur ein
locales Leiden vor, das ist ein Fall von tuberculöser Affection der Knochen mit
Complicationen in den benachbarten Geweben.
Herr Th. Rybakoff demonstrirte den hypnotischen Schlaf an zwei Personen:
bei einer denselben trug der Schlaf den Charakter der Hypotaxie, bei der zweiten
den des Somnambulismus.
An der durch die Demonstration hervorgerufenen Discussion betheiligten och
die Herren W. Roth, W. Muratoff, G. Rossolimo und E. Rig.
Herr A. Ljubuschin: Die Methode Anglade’s in ihrer Anwendung
beim Studium der Elemente der Neuroglia. Die von Angl ade vorgeschlsgew
Methode, welche sich durch ihre Einfachheit und genügende Electivität auszeichn«,
hat vor den anderen Methoden schon daher viele Vorzüge, dass sie nicht nur bei
Färbung der Elemente der Neuroglia beim Menschen, sondern auch bei Thier«
anwendbar ist. Auf den nach Anglade’s Methode gefärbten Präparaten mm!
die Fasern der Neuroglia sehr dünn, mit gleichen Contouren und blaulil* ge¬
färbt. Die Kerne der Neuroglia erscheinen in zwei Arten: die einen sind groß
recht hell, leicht gekörnt und enthalten ein excentrisoh gelegenes Kernkörpercb«
die übrigen sind etwas kleiner und dunkelblau gefärbt. Die Nervenzellen
bei dieser Methode gelblichgrün gefärbt. Beim Durchsehen einer ganzen Serie
von Präparaten, die aus verschiedenen Theilen des Centralnervensystems ent¬
nommen und nach der Methode Anglade’s gefärbt sind, trifft man keine spinn«-
förmigen oder Deiters'schen Zellen, während man auf den Präparaten, die denselben
Theilen des Nervensystems entnommen, aber nach der Methode von Golgi ge¬
färbt sind, eine bedeutende Anzahl obengenannter Zellen der Neuroglia bemerke
kann. Auf den An gl ade’sehen Präparaten erscheinen die Fasern der Nenrogü»
ganz unabhängig von den Kernen, sie verlaufen nur in der Nähe derselben uns
schneiden sie nicht selten in verschiedener Richtung. Stellenweise siebt mit
dass die Fasern der Neuroglia sich den Kernen nähern und dann wieder zurück-
gehen, so dass sie ziemlich regelmässige Bogen bilden. Diese Anordnung <k r
Fasern im Verhältnis zu den Kernen erweckt auf den ersten Bliek den Eindruck
dass wir eine richtige spinnenförmige Zelle vor uns haben, doch ist es bei nD*n?
Betrachtung nicht schwer sich davon zu überzeugen, dass die Fasern der Neurogi»
Digitized by GöO^IC
738
die anfangs ans den Kernen herauszukommen scheinen, in Wirklichkeit die oben
geschilderte Anordnung haben und sich ganz unabhängig von den Zellen der
Neuroglia erweisen. An einigen Stellen bilden die Fasern der Neuroglia dadurch,
dass sie sich mehrfach kreuzen, ein sehr zartes Netz. Die von einigen Autoren
beschriebenen Korbgeflechte in der Nähe der Ganglienzellen sind auf den Prä¬
paraten Anglade’s nicht zu sehen. Was die Anordnung der Elemente der
Neuroglia in der Hirnrinde eines erwachsenen Menschen betrifft, so ist sie ganz
analog derjenigen, welche Weigert durch Färbung der Hirnrinde nach seiner
electiven Methode erhalten hat.
Disoussion:
Herr W. Muratoff bemerkt, dass die Methode Anglade’s als eine rein
technische nichts wesentlich Neues bietet und noch einer Controle durch andere
parallele Methoden bedarf.
An den Vortr. wurden ferner Fragen von den Herren G. Bossolimo und
A. Korniloff gerichtet.
Von Herrn S. Suchanoff wurde das Referat des Herrn J.Jwan off (Warschau):
Zur Frage über die verminderte Zureohnungsffthigkeit verlesen. Die Be¬
stimmung der Zurechnungsfähigkeit muss unbedingt zur Aufgabe der Experten
der Psychiatrie gehören, und daher muss auch die Initiative zur Modification der
im Gesetze herrschenden Begriffe über die Zurechnungsfähigkeit in ihrer Com-
petenzsphäre liegen. Es muss als feststehend betrachtet werden, dass die Un¬
zurechnungsfähigkeit nicht, dank dem vom Gesetze vorgeschlagenen Criterium,
auf alle Fälle der Geistesstörung ausgedehnt werden kann. Als eine absolute
lässt sich die Unzurechnungsfähigkeit nur für die Fälle „richtigen Irrsinnes“ fest¬
stellen, oder für diejenigen „ausgesprochener Psychosen im eigentlichen Sinne des
Wortes“ als auch für den Wahnsinn und die Geistesabwesenheit Als eine relative
wird die Unzurechnungsfähigkeit auch für eine bestimmte, grössere oder geringere
Anzahl von Fällen sogenannter „angrenzender“ oder „zweifelhafter Geisteszustände“
feetgestellt Dennoch bleibt noch eine gewisse Anzahl „angrenzender Zustände“
übrig, für welche wir, wenn wir uns nach dem psychologischen Criterium richten,
nicht im Stande sind die Unzurechnungsfähigkeit zu bestimmen. Aus einem Theile
dieser Gruppe lassen sich die sogenannten Uebergangszustände abtheilen, welche
quasi in der Mitte zwischen psychischer Gesundheit und „schon ausgesprochener“
psychischer Erkrankung stehen. Für diese Fälle nun muss ein besonderer Grad
der Zurechnungsfähigkeit festgesetzt werden. Vortr. weist auf mögliche Abstufungen
der veminderten Zurechnungsfähigkeit hin: 1. auf die „verminderte Zurechnungs¬
fähigkeit im wahren Sinne des Wortes“; 2. auf die sogenannte „bedingte Ver-
urtheiluDg“; 3. auf die sogenannte „bedingte Begnadigung“ und 4. auf die Er¬
weiterung der Umstände, die zur Verringerung der Schuld und dadurch auch der
Strafe dienen. A. Bernstein. W. Murawieff.
Ausserordentliche Sitzung vom 15. Januar 1902 in Veranlassung des Ablebens
des Präsidenten der Gesellschaft Herrn Prof. A. J. Koshewnikoff.
In der Sitzung wurde das Andenken an den Verstorbenen durch Nachrufe
von folgenden Personen geehrt: Prof. W. Roth, Dr. A. Repmann, Dr. J. Kon-
atantinowsky, Dr. G. Pribytkoff, Dr. W. Serbsky, Dr. L. Minor, Dr.
A. Korniloff.
Sitzung vom 25. Januar 1902 zum Andenken an Prof. S. S. Korsakoff.
Herr S.Popoff: Ein Fall aouter Medullarataxie organischen Ursprungs,
oombinirt mit Hysterie. Pat„ 54 Jahre alt, alter Alkoholiker, erkrankte plötz¬
lich unter folgenden Erscheinungen: Zuerst stellte sich links permanentes Ohren-
3 dby Google
734
sausen ein; 3 Tage darauf wurde der Gang wankend, wobei weder Erbrechen
noch Kopfschmerzen vorhanden waren. Zu derselben Zeit liess sieb Pat. den
zweiten Backenzahn extrahiren; unmittelbar nach dieser Operation wurde die
Ataxie bedeutend stärker und begann zu progressiren. Im Laufe der Krankheit
konnte man mehrere Perioden von Zunahme der Ataxie beobachten, so dass der
Pat. 4 Monate nach dem Beginn der Krankheit nicht mehr im Stande war zu
gehen. Ausser der Ataxie waren Druckerscheinungen einiger Nerven zu ver¬
zeichnen: des N. acusticus, trigeminus. oculomotorius. Von der Beobachtung aus¬
gehend, dass organische Erkrankungen des Nervensystems nicht selten durch
Symptome functionellen Charakters complicirt sind, unterwarf Vortr. den Pat. der
Hypnose, wonach die Ataxie bedeutend schwächer wurde; nach dem zweiten Mal
schwand die Ataxie und der Pat. begann frei zu gehen. Er starb an einer an¬
fälligen Erkrankung: Darmverschlingung. Bei der Autopsie wurde eine sub-
meningeale apoplectische CyBte gefunden, welche einen kleinen Theil des Cere-
bellum zerstört hatte. Auf Grund der Resultate der Autopsie schreibt Vortr.
den Beginn der Ataxie einer suhmeningealen Hämorrhagie zu, die fernere Ver¬
schlimmerung der Ataxie erklärt er jedoch durch functionelle Storung; zum Be¬
weise dafür dienen: 1) die Heilung der Ataxie durch Suggestion und 2) die
experimentellen Resultate Luciani’s, nach welchen eine Affection kleiner Theile
des Cerebellum wohl Ataxie zur Folge hat, letztere jedoch bald wieder schwindet,
Dank der Fähigkeit des Cerebellum den Ausfall der Function kleiner Theile
schnell zu compensiren. Da die Affection des Cerebellum im gegebenen Falle
nicht gross war, so lässt sich durch diesen einen Herd die so langdauernde
Ataxie nicht erklären. (Autoreferat.)
DiscuBBion:
Herr W. Serbskiy sieht keine klaren Hinweise auf das Vorhandensein von
Hysterie in diesem Falle.
Herr V. Weidenhammer glaubt, dass die Schwankungen in dem Grade der
Ataxie sich durch verschiedene Füllungsgrade der Cyste erklären lassen; bei einer
Cyste, welche durch eine gewöhnliche Hämorrhagie entstanden ist, wären so deut¬
liche Symptome von Druck auf die Medulla oblongata nicht vorhanden.
Herr G. Pribytkoff hält die Veränderungen im Cerebellum für sehr be¬
deutend und sieht am Präparat eine deutliche Compression der Medulla oblongata,
welche auf ein langsames Anwachsen des Druckes von Seiten der Cyste hinweist
Bedeutende Schwankungen in der Intensität der Krankheitserscheinungen sind bei
Cysten deB Cerebellum die Regel.
Herr G. Rossolimo bestreitet die Möglichkeit einer hysterischen Complication
in diesem Falle nicht.
Herr L. Minor erinnert daran, dass Hirntumoren ganz ohne Symptome ver¬
laufen können, z. B. das Cholesteatoma.
Herr V. Murawieff betheiligte sich gleichfalls an der Discussion.
Herr P. Preobrashensky: Zur Lehre von der suboortioalen Alexie
und ähnlichen Störungen. Dem Vortr. sind im Alten Katharinenhospital zwei
Fälle von Alexie vorgekommen.
Fall I. Pat., Tagelöhner, 60 Jahre alt, Alkoholiker seit vielen Jahren.
Bis auf die jetzige Erkrankung ist er nie ernstlich krank gewesen. In der Mitte
des Decembers 1901 stellte sich, ohne dass vorher Bewusstlosigkeit eingetreten
wäre, Schwäche der linken Extremitäten ein; 3 Tage nach Beginn der Krankheit,
d. i. den 18. December, trat Pat. ins Hospital ein. Beim Eintritte wurde einige
Abnahme der Aufmerksamkeit und der Auffassungsfahigkeit constatirt Pareais
Nn. hypoglossi und der unteren Zweige Nn. facialis sin. Hemiplegia et hemi-
anaesthesia sin. (aller Arten). Fehlen der Patellarreflexe. Hemianopsia sin.
y Google
736
beiderseits. Pat. kann fast gar nicht lesen, selbst grobe Schrift; er kann die
einzelnen Worte nur schlecht oder gar nicht lesen, zuweilen erräth er nach dem
Anfänge eines Wortes dessen Ende, wobei er sich natürlich oft versieht. Vom
Buche abzuschreiben ist er nicht im Stande, er muss erst jedes einzelne Wort
entziffert haben; hat er aber letzteres entziffert, so schreibt er es schnell und
richtig. Nach Dictat schreibt er gut, ebenso etwas selbständiges. Geschriebene
Worte (auch von ihm selbst) entziffert er gleichfalls schlecht. Zeichnungen und
Bilder begreift er schlecht. Wenn der Pat» der schreibenden Hand folgt, so
erräth er zuweilen an den Bewegungen der Hand das geschriebene Wort. Rothe
Druckschrift liest er schlechter als schwarze, doch unterscheidet er Farben gut.
V. oculi utriusque = 8 / 10 . Beim Lesen verliert er die Zeilen nicht und geht leicht
von einer Zeile zur anderen über. Das Gehör ist beiderseits gut. Während des
Aufenthaltes im Hospital sind alle Erscheinungen bedeutend gebessert, ebenso die
Alexie, welche allmählich schwindet. Pat. macht alles mit der rechten Hand.
Fall H. Pat., 46 Jahre alt, Fabrikarbeiter, wurde den 17. Juli 1901 in
bewusstlosem Zustande ins Hospital gebracht. Aus der Anamnese liess es sich
nur erfahren, dass Pat. im Alter von 20 Jahren Lues gehabt hat, es blieb aber
unbekannt, wie sich die vorliegende Erkrankung entwickelt hatte. Bei der Auf¬
nahme wurde constatirt, dass das Bewusstsein verwirrt ist und dass Pat. sich in
seiner Umgebung schlecht orientirt; Pat. begreift nicht gleich, was ihm gesagt
wird; er macht sich beständig etwas in seinem Bett zu schaffen. Vollständige
Hemianaesthesia sin. Parese beider linken Extremitäten, Ataxie. Das Verwirrt¬
sein begann allmählich zu schwinden und dann war erst die Möglichkeit da, den
Pat. ausführlicher und genauer zu untersuchen. Stat. praes. am 29. October 1901:
Deutlich ausgesprochene Hemianopsia sin. V. o. d. = 7 /'io» V. o. d. = */, 0 . Die
Farben unterscheidet Pat. gut» Er liest eine gewöhnliche Schrift mit einiger
Mühe. Beim Lesen vergisst er das Gelesene sehr rasch, nicht selten wiederholt
er dieselbe Zeile oder einen Theil der Zeile mehrere Mal, wenn er aber abseits
von der Seite blickt, so findet er die Stelle, wo er gelesen hat, nicht mehr: ge¬
wöhnlich liest er dann trotz allem Suchen Theile von Sätzen aus verschiedenen
Stellen der Seite. Zuweilen kann er sich aus dem eben Gelesenen nur einzelner
Worte erinnern. Was er selbst geschrieben hat, buchstabirt er und zwar nicht
immer richtig; oft erkennt er seine Handschrift. Er schreibt recht gut, sowohl
selbständig als auch nach Dictat; das, was er entziffert hat, schreibt er ebenso
gut ab. Das Copiren verschiedener geometrischer Figuren gelingt nicht immer,
aber das gröbste Abzeichnen irgend welcher Bilder gelingt ihm gar nicht. In
Zeichnungen und Bildern findet er sich sehr schlecht zurecht, wobei er öfters die
Figuren verwechselt: einen Hund hält er für einen Menschen, Puppen für
Menschen u. s. w.; den Sinn eines Bildes begreift er ebenfalls fast nie. Das
Gehör ist beiderseits geschwächt, besonders auf dem linken Ohre. Der Geruchs¬
sinn ist schwach. Aphasie ist nicht vorhanden. Der Geisteszustand ist normal.
Bei dem Pat. ist eine anterograde (und theilweise retrograde) Amnesie zu ver¬
merken; aus dem Krankenzimmer geht er nur mit Begleitung, da er, trotz fast
halbjährigem Aufenthalte im Hospital, weder das Zimmer noch sein Bett kennt
und allein dieselben nicht auffinden kann. Pat. macht alles mit der rechten Hand.
Das Besondere der beschriebenen Fälle ist die Affection der rechten Hemi¬
sphäre (gewöhnlich beobachtet man eine isolirte Alexie bei Affection der linken
Hemisphäre), trotzdem, dass beide Kranken alles mit der rechten Hand machen.
Vortr. schliesst sich der Meinung deijenigen an, welche annehmen, dass wir mit
beiden Hemisphären lesen. Das Besondere im zweiten Falle ist ferner die antero-
grade Amnesie als Herdsymptom und zwar identisch mit der von anderen Autoren
beschriebenen Störung der Orientirung. Die Alexie ist im zweiten Falle gleich¬
falls eine eigenartige, da dieselbe nicht durch Unterbrechung der optischen Bahn,
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Bondern nur durch eine verringerte Dauer der Eindrücke entstanden ist. Eine
derartige Alexie ist von Grashey beschrieben worden (Pati konnte ein Wort
lesen, wenn er es vor den Augen als ganzes sah, wenn er jedoch buchatabirte,
so dass er nur einen Buchstaben nach dem anderen sah, so konnte er das W^rt
nicht lesen). (Autoreferat).
IIL Vermischte«.
IL Internationaler Congreas für medioinisohe Elektrologie und Radiologie
in Bern am I.—6. September 1902.
Angemeldete Arbeiten (Ende Juni):
I. Referate: Dr. Cluzet (Toulouse) und Dr. Mann (Breslau): 1. Der gegenwärtige
Stand der Elektrodiagnostik. — Dr. Guilloz (Nancy): 2. Die chirurgische Elektrodiagnoetik.
— Dr. Böclöre (Paris) und Prof. Grunmaeh (Berlin): 3. Die Radiologie und Radiographie
der inneren Organe. — Dr. Oudin (Paris): 4. Die von den X-Strahlen verursachten Unglück»
fälle. — Dr. Battelli (Genf): 5. Die Gefahren der industriellen Starkströme.
IL Mittheilungen: Prof. Sticker (Giessen): Galranoskopische Untersuchungen aa
Gesunden und Kranken. — Dr. Fort (Paris): Behandlung der Verengerungen des Oesophagus
und der Urethra durch die lineäre Elektrolyse. — Dr. Guilleminot (Paris): Gebrauch und
Regulirung des Spiralresonators bei der Anwendung der 8tröme hoher Frequenz. — Dr.
Zanistowski (Krakau): Beitrag zur Lehre der Summation der Reize in der Syringomyelie.
— Dr. Kwiatkowski (Krakau): Ueber Myographie bei Polyneuritis. — Dr. Zanietowski
und Kwiatkowski: Ueber den semeiologiscnen Werth der Muskelcurven in der klinischen
Elektrodiagnostik. — Dr. Dubois (Bern): Ueber die Capacitit des menschlichen Körpers. —
Aus der Klinik von Prof. Mondino (Paria): 1. Dr. Sala: Elektrische Behandlung dar Gaetral-
gieen. Ueber die von X-Strahlen verursachten Läsionen. 2. Dr. Cor bellin i: Ueber Be¬
handlung des Morbus Basedowii. 8. Dr. Rota: Ueber Behandlung der Neuralgieen. —
Dr. von Luzenberger (Neapel): Untersuchungen Ober die Tonicität des Blutes mittelst
ElektricitäL — Prof. Scbatzky (Moskau): a) Biologische Betrachtungen zur Behandlung der
acuten Entzündung mittelst oonatanter Ströme, b) Ein automatischer Rheostat für medi-
ciniaohe Zwecke. — E. K. Müller (Zürioh): Ueber elektromagnetische Therapie. — Dr.
Xavier (St. Paul, Brasilien): Behandlung der Lungentubercnlose mittelst Ströme hoher
Frequenz. — Prof. Schiff (Wien): Ueber die Anwendung der Elektricität bei Behandlung
von Hautkranken. — Dr. Montier (Paris): a) Therapeutische Leistungen der d’Arsonvali-
sation. b) Ueber die elektrische Behandlung gewisser fieberhaften Erkrankungen. — Dr.
Albert-Weil (Paris): Elekrotherapie bei Orthopaedie. — Dr. Schnyder (Bern): Einfluss
des galvanischen Stromes auf die Muskelkraft. — Prof. Benedikt (Wien): Ueber Röntgen-
Diagnostik der Schädel-, Hirn- und Wirbelsäuleerkrankungen. — Dr. Bade (Hannover)-. Die
Bedeutung der Radiologie für die Orthopaedie. — Dr. Weinberger (Wien): a) Ueber die
Untersuchung der Brustkrankheiten mit Röntgenstrahlen, b) Ueber die dureh Erweiterung
der Pulmonararterie im Radiogramme entstehende Sohattenform. — Dr. Holzknecht (Wien):
Eine neue Dosirungsmethode in der Radiotherapie. — Dr. Strebei (München): Licht-
S neratoren in der Lichttherapie. — Dr. Foveau de Courmelles (Paris): a) Die Photo-
erapie. b) Die Tubereulose und die physikalischen Agente. (Verschiedene Formen der
Elektricität.) — Dr. Rägnier (Paris): a) Die medicinisehe Elektricität in der Unfallheilkunde,
b) Radioskopie und Radiographie mittelst der statischen Maschine. — Dr. Walter (Ham¬
burg): Ueber Röntgen-Stereoskope. — Dessauer (Aschaffenburg): Eine neue Röntgen-Röhre.
— Dr. D’Arman (Venedig): Ueber die beste Abetufungsmethoue der Spulen in der Radio¬
graphie. — Espina y Capo (Madrid): Ueber klinische Negatoskopie. — Dr. Sudnik
(Buenos Ayree): Die Entladung der Condensatoren in der Elektrodiagnostik.
IV. Personalien.
Herr Prof. Ho che (Strassburg) wurde zum ordentlichen Professor der Psychiatrie an
der Universität in Freiburg ernannt
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Rücksicht auf individuelle
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Beamtenpersonal unterstützt — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
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Unterricht zu erteilen und die geistige und situiche Entwicklung der Zöglinge neben
den Aerzten zu überwachen und zu fordern.
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alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1902. 16. August. Nr. 16.
I. Originalmitthsilungen. 1. Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz, von
Dr. Julius Strasburger. 2. Multiple Neuritis in Verbindung mit Basedowscher Krankheit,
von Dr. Theodor Diller in Pittsburg. S. Rückenmarksveränderungen in einem Falle alter
Unterarmamputation, von Dr. Ludwig Rosenberg. 4. Ueber den „Tract X" in der untersten
Cervicalgegend des Rückenmarks, von Dr. Purves Stewart. 5. Leber subcorticale Entstehung
molirter Muskelkrämpfe. Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Bemerkungen
über den Verlauf der centralen Haubenbahn, von Dr. Josef Sorgo. (Fortsetzung.)
II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zur Kenntniss des Plexus chorioideus des Menschen,
von Jmamura. 2. Sui rapporti tra le cellule nervöse e le fibre amieliniche, pel Roncoronl. —
Experimentelle Physiologie. 3. Ueber die Energetik (präparatorische Thätigkeit) der
Ganglienzellen und ihre Bedeutung für die functionellen Nerven- und Geisteskrankheiten,
von Adler. 4. Ueber die Unhaltbarkeit der Theorie der Himblutleere im Soblafe, von Deutsch.
5. The isolation of the active principle of the suprarenal gland, von Takamine. 6. Ueber
den Einfluss des Cocains, der Durchschneidung des Nerven und mechanischer Reizung auf
die Structur der Gandry’schen Körperchen, von Gaslorowski. 7. Das Problem des Gehens
auf dem Wasser, von Sommer. 8. Ueber chemische Aenderungen der Musculatur bei der
Entartungsreaction, von Rumpf und Schümm. — Pathologische Anatomie. 9. A lecture
on abiotrophy, von Gowers. 10. Le alterazioni del sistema gangliaro syrapatico nella pazzia
pellagrusa, del Brugia. — Psychologie. 11. Die normalen Schwankungen der Seelen-
tbätigkeiten, von Flnzl. 12. Zur Phsychologie der Aussage, von Stern. 13. Die Laune, von
Jentsch. 14. Die Freiheit des Willens vom Standpunkte der Psychopathologie, von Hochc. —
Pathologie des Nervensystems. 15. Bemerkungen zur klinischen Beobachtung der
Haut- und Sehnenrtflexe der unteren Körperhälfte, von Schoenbom. 16. A contribution to
the clinical siguificance of absence of tbe tendo-achilles jerk, by Bramweil. 17. Beitrag zur
Aetiologie der Dupuytren’schen Fingercontractur, von Neuda. 18. Ein Fall von Ertrscher
Lähmung, von Pariski. 19. Ueber intermittirendes Hinken — Claudication intermittente
(Charcot) — als Symptom von Arteriosklerose, von Hagels’am. 20. Ein Fall von Claudi¬
cation intermittente, von Pariski. 21. Des polynevrites, von Perrln. 22. Neuritis acuta uni-
versalis asceudens (Landry’s Paralyse), von Thomson. 23. Zur Lehre vom Anfangsstadium
der Polyneuritis, von Popow. 24. Ein Fall von Polyneuritis der Gehirnnerven, von Rudinger.
25. Ein Fall von Polyneuritis oder Poliomyelitis anterior subacuta adultorum, von Pariski.
26. Ein Fall von Polyneuritis peripherica als Folgezustand von Typhus abdominalis, von
Fischer. 27. Ein Fall von postpuerpeialer Entzündung der nervösen Plexus der oberen und
unteren Extremitäten, von Pulawski. 28. Polynevrite toxique professionelle, par Soupauit et
Francais. 29. Beschäftigungsneuritis im Gebiet des Plexus brachialis, von Hoeflmayr. 30. Rücken¬
marksveränderungen bei Polyneuritis, von Kramer. 31. Ueber einen Fall von polyneuritischer
Psychose („Korsakow’scher“ Psychose) mit eigentümlichem Verhalten der Sebnenreflexe,
von Westphal. 32. Ein Fall von progressiver neuritischer Atrophie mit Exacerbationen im
Frühling, von Goldenberg. 33. Ein Fall von acuter Landry’scher Spinalparalyse bei einem
Kinde von 7 Jahren, von Marcuse. 34. Ueber einen Fall von Landry’scher Paralyse nach
Keuchhusten, von Hagedorn. 35. Landry’sche Paralyse in acutester Form, von Gossner.
36. Die Pellagra, von Sion. 37. Zur Histologie des myotonisch-hypertrophischen Muskels
der Thomsen’scben Krankheit (Myotonia congenita), von Koch. 38. Thorasen’sche Krankheit,
von Nartowskl. 39. Einige Bemerkungen über die Thomsen’sche Krankheit, von Rzetkowski.
40. Beiträge zur Thomsen’schen Krankheit, von Mahler. 41. La maladie de Thomsen, par
Bauer. — Psychiatrie. 42. Prognosi delle psiconeurosi e delle parafrenie con prevalente
47
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alteratione del tono emotivo, pel Roncoroni. 43. Bericht über die Wirksamkeit der psychia¬
trischen Universitätsklinik in Tübingen, von Siemerling. 44. Ueber Spiritismus und Geistes¬
störung, von Henneberg. 45. Zur Frage nach der Bedeutung der Remissionen im Veilsofe
einzelner Formen von ncuten Psychosen, von Fuchs. 46. Ueber Entstehung der Katatonie,
von Pisujatschewski. 47. Zur Paranoiafrage, von Tillng.
III. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau.
IV. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. Mai bis SO. Juni 1902.
V. Vermischtes. 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Karbbal
vom 21.—27. September 1902.
I. Originalmittheilungen.
[Aus der medicinischen Klinik zu Bonn (Director Geheimrath Schültze).]
1. Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz.
Von Dr. Julius Strasburger,
Privatdocent, Assistenzarzt der Poliklinik.
Das Studium feinerer Veränderungen der Pupillenreaction zeigt uns immer
mehr, in wie mannigfacher und complicirter Art Functionsstörungen der In¬
auftreten können. Es wird dies namentlich durch die kürzlich veröffentlichten
Beobachtungen von Piltz 1 illustrirt
Wir hatten in der medicinischen Klinik zu Bonn unlängst Gelegenbei:.
einen jungen Mann zu behandeln, der folgende eigenartige Pupillenanomalre
aufweist: Während die rechte Pupille auf Lichteinfall, direct wie consensuell
und auch im Uebrigen normal reagirt, ist die linke Pupille für beide Arten der
Belichtung vollkommen starr. Die Verengerung bei Convergenz und Accommo-
dation und die nachfolgende Erweiterung verläuft links recht ausgiebig, ist aber
auffallend träge. Besonders gilt letzteres für die Erweiterung. Genaue Messungen
zeigen, dass zur Verengerung durchschnittlich vier Secunden nöthig sind, gegen
höchstens zwei Secunden auf der gesunden Seite. Zur Erweiterung, die etwas
ruckweise eintritt, braucht die erkrankte Pupille 10—15—20 Secunden, die des
anderen Auges nur 2—3 Secunden. Nach häufiger wiederholten Accommodations-
anstrengungen scheint der Ablauf der Reaction etwas schneller zu erfolgen. Bei
der Erweiterung bemerkt man öfters, dass die linke Pupille zunächst etwas
grösser wird als vorher, um sich bald darauf wieder entsprechend zu verengern.
Auch die Formveränderungen der Linse bei Accommodation scheinen langsamer
als normal zu verlaufen: Lässt man ein nahe gelegenes Object fixiren und dann
in die Feme sehen, so dauert es einige Zeit, bis die Gegenstände deutlich
erkannt werden können. Eine Untersuchung der Pupillengrösse nach den Vor¬
schriften von Schirmer* ergiebt bei Oeffnung beider Augen rechts 2 3 , 4 m®'
links 5 mm. Bei monoculärer Prüfung, nach 2 Minuten langer Adaption vor
einem hellen Fenster, findet sich dasselbe Resultat.
Im Uebrigen ist die Krankengeschichte des jungen Mannes in Kürze folgende:
Job. Sch., 17 Jahre alt, wurde am 3./III. 1902 in die Klinik aufgenomnieD
Sein Vater nahm sich vor einigen Jahren in einem Anfall von Melancholie das
1 S. besonders Neurolog. Centralbl. 1900. S. 434.
* Deutsche med. Wochensohr. 1902. S. 218.
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Leben. Sonst findet sich hereditär nichts Abnormes; keine Aborte. Der Patient
soll als Kind nicht krank gewesen sein. Vor 8 Jahren wurde verschiedene Grösse
der Pupillen bemerkt. Vor 4 Jahren stellte sich ein leichter Anfall von Rippen¬
entzündung ein. Seit dieser Zeit wird Sch. durch Zittern des rechten Armes
beim Schreiben gehindert, in letzter Zeit aber nur noch wenig. Seit 3 Jahren
ftihlt Pat. nach l / 2 — s / 4 ständigem Marschieren Ermüdung im rechten Bein, in
der letzten Zeit schon nach wenige Minuten langem Gehen. Dabei treten zeit¬
weise Wadenschmerzen auf. Auf der rechten Stirnseite soll die Empfindung
zeitweise herabgesetzt gewesen sein.
Die Untersuchung ergiebt: Gesundes Aussehen, guter Ernährungszustand.
Die Cervicaldrüsen links sind etwas vergrössert, die inneren Organe ohne Besonder¬
heit. Zeichen von Lues lassen sich nicht auffinden. Der rechte Patellarreflex
ist etwas gesteigert Man sieht bei Prüfung des Plantarreflexes rechts deutliche
Dorsalflexion, links Plantarflexion der grossen Zehen. Links findet sich ferner ein
Ulnareflex. Die übrigen Reflexe haben mittlere Stärke. Die Prüfung der groben
Muskelkraft, bei Bettlage des Untersuchten, ergiebt nichts abweichendes. Keine
Spasmen und Sensibilitätsstörungen. Ausser der beschriebenen Pupillenanomalie
zeigt die Augenuntersuchung links mässigen Astigmatismus mit etwas Amblyopie.
Der Fundus erscheint normal. Beim Blick nach links findet sich Nystagmus.
Links ist ein deutliches Facialisphänomen auszulösen. — Der Pat. erhält pro die
iy a g Jodkali und wird am 10./1V. 1902 aus der Klinik entlassen. Sein Zustand
ist im Wesentlichen unverändert. Am 2./VII. 1902 findet sich Gelegenheit ihn
wieder zu untersuchen. Er giebt an, sein Gang Bei etwas besser geworden. Der
objective Befund ist aber, bis auf Fehlen des Facialisphänomens, der gleiche wie
früher. Ausserdem bemerkt man einen mässigen Intentionstremor der Hände,
namentlich rechts. Auch etwas Nystagmus ist wieder zu finden, diesmal in beiden
Blickrichtungen.
Der Befund an den Pupillen legt es zunächst nahe an Lues zu denken.
Es fehlen aber alle übrigen Symptome dieses Leidens; auch die Anamnese giebt
uns keinen Anhalt und durch Jodkalium konnte keine Besserung objectiver
Art erzielt werden. Mit grösserer Wahrscheinlichkeit dürfte es sich um be¬
ginnende multiple Sklerose handeln. Dafür spricht die Steigerung einiger
Sehnenreflexe, der leichte Grad von Nystagmus, der nach 5 Monaten deutlicher
geworden war, und der, wenn auch geringe, Intentionstremor. Veränderungen
der Pupillen können bekanntlich auch bei multipler Sklerose gefunden werden
und sprechen nicht gegen diese Diagnose.
Was das merkwürdige Verhalten der Pupillen betrifft, so scheint W. König 1
etwas ähnliches bei einem idiotischen, wahrscheinlich syphilitischen Kinde be¬
obachtet zu haben. Auch hier bestand Starre einer Pupille auf Lichteinfall und
Trägheit der Convergenzreaction.
In der übrigen Litteratur konnte ich analoge Beschreibungen nicht auffinden.
Auffallend ist die grosse Trägheit der Verengerung und Erweiterung, bei
und nach Convergenz-Accommodation, trotz ausgiebiger Veränderung in der Grösse
der Pupille. In der Regel, wenigstens gilt dies für die Lichtreaction, gehen
Trägheit und geringe Ausgiebigkeit Hand in Hand. Man findet daher in der
Litteratur häufig bloss die Bezeichnung: „die Pupille reagirt träge“ und ver-
1 Journal of Mental Science. 1900. Juli. (Das Original stand mir nicht zur Ver¬
fügung.) Ref. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 871.
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misst eine gesonderte Betrachtung der beiden Componenten, der Schnelligkeit
und des Grades der Formveränderung. — Betrachtungen über den anatomischen
Sitz der zugrundeliegenden Störungen dürften zur Zeit noch zu keinem Ziele
führen. Nur soviel lässt sich, gestützt auf die Untersuchung der Pnpillengrö*
nach Schirmer und das Bestehen einseitiger refiectorischer Starre, sagen, das
die centripetale Bahn für den Pupillarreflex nicht erkrankt sein kann.
Ein ähnliches Pupillenphänomen konnte in der Klinik noch bei zwei here¬
ditär luetischen Kindern beobachtet werden, allerdings in weniger ausgesprochene
Weise. Es musste aufgesucht werden, während es bei dem eben geschildert«:
Falle ohne weiteres in die Augen fiel. Ich begnüge mich deshalb mit einer
kurzen Zusammenfassung des Thatbestandes:
1. Bei einem 9jährigen Knaben, Jos. W., ist die rechte Pupille lichtste,
die linke reagirt direct und consensuelL Bei Convergenz und Accommodato
zeigt die starre Pupille fast keine Veränderung. Bei der anderen ist die ßeaction
ausgiebig, aber die Erweiterung erfolgt nur langsam. Die Trägheit bei der Er¬
weiterung betrifft also die im übrigen normale Pupille; im vorigen Falle war
es umgekehrt. Bei binocularer Beleuchtung hat die rechte Pupille einen Durch¬
messer von 7, die linke von SVjinm. Bei monooularer Beleuchtung und zro
Minuten langer Adaption ist die rechte Pupille 7, die linke 5 mm weit
2. Bei einem 16jährigen, infantil entwickelten Mädchen, Anna D., bk
beide Pupillen lichtstarr. Die Convergenz-Accommodations-Reaction fehlt link
Rechts ist sie deutlich vorhanden. Die Erweiterung erfolgt dabei langsam und
die eine Pupille wird zunächst etwas grösser als die andere, was sich bald wiefc
ausgleicht. Die Pupillenweite beträgt binocular beiderseits 5 mm, moDocuir
links 5 1 / 2 , rechts 6 mm.
In diesen Fällen darf wohl, auf Grund der verschiedenen Pupillengrösse,
bei Belichtung nur eines Auges, angenommen werden, dass leichte Veränderunge
auch in dem centripetalen Theil des Reflexbogens bestehen müssen. Der Auge¬
hintergrund erwies sich bei beiden als normal.
Herrn Geheimrath Schültze spreche ich für die gütige Erlaubnis sc
Veröffentlichung dieser Fälle meinen herzlichsten Dank aus.
2. Multiple Neuritis
in Verbindung mit Basedowscher Krankheit. 1
Von Dr. Theodor Diller, Pittsburg, U. S. A.
Der Fall betrifft eine 46 Jahre alte Frau. Sie war 8 Jahre verheirate
aber ohne Kinder. Sie hat nie eine Fehlgeburt gehabt Familien- und fräbtf
Geschichte an Patientin ist ohne Sonderheit Potus, Lues, infectiöse Krankhato
und Vergiftungen sind ausgeschlossen.
1 Vorlesung in Pittsburg Academy of Medicine am 28. October 1901.
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Seit Mitte Juni ist sie nervös, aufgeregt, erregbar, reizbar, befürchtet, dass
irgend ein Uebel sie treffen würde. Puls 130, Temperatur normal. Wegen
dieser Symptome consultirte sie einen Arzt (25. Juni). Während der nächsten
Woche blieb ihr Zustand unverändert.
Anfangs Juli zeigte sich ein Zittern der Hände und merkbarer Exophthal¬
mus. Zu gleicher Zeit trat Erbrechen auf und hielt fortwährend an bis zu ihrem
Tode. Nur kleine Quantitäten Wasser und Champagner verblieben im Magen.
Während dieser Zeit wurde die Nahrung durch das Rectum zugeführt Nach
10 tägiger Anwendung wurde die Nahrung nicht mehr beibehalten. Trotzdem
fühlte sie nie Hunger. Bettlägerig wurde sie anfangs Juli und dann wurde
die Diagnose Morbus Basedowii festgestellt von Dr. Naügheb, dieselbe basirte
auf dem schnellen Pulsschlag, Zittern, Exophthalmus und den neurasthenischen
Symptomen. Die Schilddrüse war sowohl zu dieser Zeit wie später vergrössert
Der Exophthalmus, obgleich nicht klar ausgesprochen, war dennoch vorhanden,
etwas mehr auf dem einen Auge wie auf dem anderen und blieb unveränderlich.
Das Zittern aber entwickelte sich mehr und mehr.
Nach der ersten Woche des Monats Juli war ein geringes Fieber eingetreten,
abwechselnd zwischen 99° und 101° F. Es erreichte nie über 101° F. bis
3 Tage vor dem Tode, dann stieg es auf 103° F.
Der Puls wechselte bis zum Tode zwischen 120 und 150, meistens 130 bis
140 Schlägen. Am 25. August entwickelten sich Schmerzen im ganzen Körper
und zur selben Zeit Hlusionen und hallucinatorische Verwirrtheit.
Die Schmerzen nahmen von Tag zu Tag zu und verschlimmerten sich
durch Druck selbst bei der zartesten Berührung eines Gliedes. Hand in Hand
mit den wachsenden Schmerzen und der Empfindlichkeit stellten sich Muskel¬
schwund und Kraftabnahme in den Muskeln der Glieder und des Rumpfes ein
und entwickelten sich bis zu einem hohen Grade.
Die psychischen Symptome entwickelten sich in gleichem Schritte mit den
körperlichen. Z. B. hatte sie die Einbildung, dass sie nicht in ihrem eigenen
Hause sei; Verstorbene, hielt sie für lebend; sie glaubte, dass gewisse Personen
sie besuchten, was in Wirklichkeit nicht der Fall war; wähnte sich im Sarge
liegend, meinte, dass tote Sprösslinge in ihrem Bett sich befinden u. s. w.
Keine Hallucinationen von Seiten des Gehörs, Geschmacks und Geruchs.
Ich sah die Patientin mit Dr. Naügheb am 7. September und fand sie
sehr schwach. Sie beantwortete einfache Fragen beständig, aber war sehr reiz¬
bar. Nur wurde ihre Aufmerksamkeit mit Schwierigkeit erreicht Schwäche,
Empfindlichkeit und Muskelschwund waren vorhanden. Kniephänomen ge¬
steigert Geringer, doch ausgesprochener Exophthalmus, auf einem Auge mehr
wie auf dem anderen. Ausgeprochenes Zittern. Puls 140, Temperatur 99° F.
Ich sah die Patientin eine Woche später. Die Schwäche hat überhand ge¬
nommen. Urin und Stuhlgang während der ganzen Krankheit normal.
Einige Wochen vor dem Tode wurde eine kupferbraune Gesichtsfarbe
sichtbar, ähnlich derjenigen bei schwangeren Frauen. 3 Tage vor dem Tode
trat Bewusstlosigkeit (Coma) ein. Die Autopsie wurde verweigert.
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742
Kpikrise: Die rasche Entwickelung der Symptome weisen meines Er¬
achtens auf die Wirkung eines tötlichen Toxins hin. Dass dies Gift von der
Glandula thyreoidea secernirt wurde, halte ich für äusserst möglich und zwar
in Anbetracht des früheren gesunden Zustandes der Patientin und der That-
sache, dass Alkohol, Lues, Blei, Diphtherie u. s. w. als sicher ausgeschlossen
betrachtet werden müssen. Wenn diese Erklärung als zutreffend angenommen
werden darf, so haben wir einen sicheren Beweis für die Richtigkeit der Theorie,
dass die gestörte Secretion der Glandula thyreoidea die Ursache der Basedow’-
sehen Krankheit ist, ausserdem ist erwiesen, dass sie multiple Neuritis ver¬
ursachen kann. Dass der hier beschriebene Fall ein Fall von BASEnow’scher
Krankheit complicirt durch multiple Neuritis war, kann meiner Meinung nach
kaum bezweifelt werden.
Für die gefällige Unterstützung bei dieser Arbeit bin ich Hm. Dr. S. Naugheb
zu Dank verpflichtet.
[Aas der neurologischen Abtheilung des Dr. SBMGKKNBBBo’schen Instituts in Frankfurt all.]
(Prof. Dr. L. Edingbr.)]
3. Rückenmarksveränderungen in einem Falle alter
Unterarm am putation.
Von Dr. Ludwig Bosen borg.
Die meisten Untersuchungen über die Localisation von Veränderungen im
Rückenmark nach Amputation der oberen Extremität gehören der Zeit an, vo
man noch keine genügende Methodik für das Studium der Zell Veränderungen
hatte. Aus neuerer Zeit liegen mit besonderer Berücksichtigung der Zell¬
veränderungen zwar mehrere Arbeiten über Lumbalmarkveränderungeu nach
Beinamputationen vor, aber nur ganz wenige, welche sich mit den Veränderungen
nach Wegnahme der oberen Extremität befassen. Es scheint deshalb nicht
überflüssig, hier kurz die Ergebnisse zu schildern, welche die Durcharbeitung
eines Rückenmarks gegeben hat, das von einer 52 jährigen Frau stammte, der
vor 30 Jahren der linke Arm handbreit oberhalb des Ellbogengelenkes amputiert
worden war. Bei dieser Amputation fallen im wesentlichen die Unterarm- und
Handmuskeln aus, während die Oberarmmuskeln in ihrer Hauptmasse erhalten
bleiben. Man wird also vermuthen dürfen, dass nur die Nervenzellen für die
Unterarm- und Handmuskeln unter dem Einfluss der Wegnahme gestanden
haben.
Die bisherigen Erfahrungen gestatten bereits eine bestimmte Localisation
dieser Muskelnervenkerne sowohl nach Segmenthöhe als nach Zellgruppen.
Immerhin bestehen zwischen den Angaben der einzelnen Autoren noch gewisse
Differenzen.
Am besten übersieht man den heutigen Stand der Frage nach der Locali¬
sation dieser Muskeln und ihrer Nachbarn an der folgenden Tabelle, die ich
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Cerv. I.
II
III
IV
VI
VII
VIII Dors. I.
II
B.
O
I Lange and kurzeMuskeln des Nackens
Splenius capitis Splenias
Alle kleinen 1 | |
Maskein
zwischen
Schädel and
Wirbelsäule
Sternohy oideos
Omoh voideus
Thyreohyoideus
Qeniohyoideus
Digastricas
| Sternooleido-
mastoideus
T r a p e z i a
Maskein der Wirbelsäule
c e r v i c i s |
Diaphragma
Levator scapalae i
I Rhomboidei
i-infi
Supra-infraspinatus
j SubBcapnlaris
I Teres major et minor
Serratas anterior
Deltoideus
Brachialis
Biceps brachii
r i c e p
j Coracobrachialis
iSapinator brev. etj
long.
Brachioradialis
Extensor es carpi rad.
IExtensorespollicis|
Extensores digitoram
| Extensores carpi ulnares
: Eitensores indicis propr.
Flexor carpi radialis
Pronator teres |
I Flexoros digitoram
| Flexores pollicis
Flexor carpi alnaris
Muskeln des Kleinfinger-
ballens
Lumbricales
Interossei
§
U,
CD
Pectoralis minor
Pectoralis major
S u b c 1 a v i u s !
I | |3calenu8 minimus
! | Scalenus posterior
Scalenas anterior | |
• S c a 1 e n u s m e d i u s
Longus capitis ; Longas colli
Tabelle der Locallsation Im Halsmark nach Edinger.
y Google
744
Herrn Prof. Edingeb verdanke. Er hat sie unter kritischer Benutzung und
Synthese der bisherigen Befunde ausgearbeitet. Benutzt für diese Tabelle sind:
1. die älteren in der bekannten Tabelle Starb-Edingeb bereits verwertheten
Erfahrungen, 2. das Buch von Wichmann. 3. die Arbeiten von Bbunb, Sano,
Strohmayeb, Steward and Tubneb, Barbatt.
Man erkennt, dass bei einer Amputation, wie sie mir vorlag, ein Zellausfall
in der Höhe der Segmente Cerv. VI bis Dors. I zu erwarten wäre.
Unser Rückenmark bot äusserlich keine sicheren Abweichungen von der
Norm. Nach Härtung in Alkohol wurden sorgfältige Theilungen nach Segment¬
höhen gemacht und jeder der so erhaltenen Blöcke wieder in ein caudales uud
ein frontales Stück abgetheilt. Diese wurden dann in Serien geschnitten. Im
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Fig. 1. Querschnitt ans dem candalen Theil des VII. Cervicalsegmentes.
wesentlichen kam die Nissi/sche Zellfärbung in der LENHOssfcK’schen Modi-
fication (Toluidinblau) zur Anwendung. Aber es wurden auch aus allen Höhen
nach genügender Beizung der Schnitte WEiGEBT’sche Markscheidenpräparate
hergestellt.
Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt sich in der Segmenthöhe
Cerv. VI bis Dors. i eine leichte Verschmälerung der linken Rückenmarks¬
hälfte, welche die graue sowohl wie die weisse Substanz betrifft. Unser
Fall ist nicht geeignet, die Frage nach der Ursache dieser diffusen Atrophie zu
fordern, welche auoh in vielen älteren Fällen beobachtet worden ist; so von
Edingeb in einem Falle von intrauteriner Amputation, ferner von Hayem-
Gilbert, Dbesohfeld, Krause, Friedländer, Homän, Bignani, Guaneki.
Mabinesco u. A. Denn das vorliegende Rückenmark zeigte in Folge multipler
apoplektischer Hirnherde aus den letzten Lebensjahren sowohl rechts wie links
Pyramidendegeneration; links war sie stärker.
Sicher sind auf der amputirten Seite Vorder- und Hinterhorn der grauen
Substanz etwas kleiner im Querschnitt als rechts. Mit der NissL-Methode lassen
y Google
745
sich aber Zelldefeote nur im Vorderhorn feststellen. Es sind Verkleinerung qnd
Verminderung der multipolaren Ganglienzellen.
Im Cerv. V sind noch keine Differenzen zwischen rechts und links nach¬
weisbar. Erst im VI. Cervicalsegmente treten solche auf. Sie sind hier gleich
ntensiv wie auch im VII. Fig. 1, welche aus dem caudalen Theil des VII. Cer-
vicalsegmentes stammt, lässt ventral eine antero-interne, eine antero-mediale,
eine antero-exteme und eine externe Zellgruppe erkennen. Die antero-externe
Zellgruppe ist atrophirt Die drei dünnen Zellrestchen contrastiren stark mit
den fünf entsprechenden Zellen der rechten Seite, von denen zwei besonders gut
ausgeprägt sind. Auch die Atrophie des Hinterhorns ist deutlich.
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Fig. 2. Querschnitt aus dem caudalen Theil des VIII. Cervicalsegmentes.
Weiter caudal, im Cerv. VIII und Dors. I, ändert sich das Querschnitts¬
bild dadurch, da68 die antero-mediale Zellgruppe verschwindet. Wir unterscheiden
anf Fig. 2 (Cerv. VIII, caudal) nur eine antero-interne, antero-externe und eine
externe Gruppe. An der Stelle der antero-externen Gruppe sieht man links eine
Lücke. Nur zwei kleine Zellen ohne Fortsätze sind die spärlichen Ueberbleibsel
der Gruppe, die rechts durch sieben Zellen repräsentirt wird. Fünf von diesen
sind schöne typische multipolare Ganglienzellen. Das ganze Vorderhorn ist im
Querdurchmesser verschmälert. Auch das linke Hinterhorn kleiner als das
anderseitige.
Das frontale Stück des ersten Dorsalsegmentes (Fig. 3) zeigt fast dasselbe
Bild. Rechts besteht die antero-externe Gruppe aus zehn Ganglienzellen; acht
davon sind gross und haben deutliche Fortsätze. Links sieht man nur drei
motorische Zellen, sie sind klein und zeigen nicht die charakteristischen Aus¬
läufer. Der quere Durchmesser durch das Vorderhorn ist links kleiner als
rechts. Die Veränderungen des Hinterhorns sind nicht deutlich.
Der caudale Theil von Dors. I weist keine deutüchen Unterschiede zwischen
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746
rechts und links mehr auf. Weiter caudal, also im Dors. II, sind absolut keine
Veränderungen mehr zu finden.
Die Looalisation der Unterarm- und Handmusculatur vonCerv.YI
bis Dors. I stimmt mit der neuesten EüiNGER’schen Tabelle sowie mit der von
Brüns überein. Steward und Türner fangen auch mit Cerv. VI an. In
Cerv. VII und VIII stimmen wenigstens alle überein; ferner wird kein caudaleres
Segment als Dors. I angegeben. Kocher localisirt ein Segment tiefer (Cerv. VII
bis Dors. I). Andere steigen höher: Barkatt bis Cerv. V, Flat au bis Cerv. IV,
Obrbsteineb und Sano bis Cerv. III. Zu einem ähnlichen Resultat wie letztere
kommen Monakow und Strohmayer (Cerv. III bis VIII).
L,
Fig. 3. Querschnitt aus dem frontalen Theil des I. Dorsalsegments.
Unser Fall zeigt deutliche Degeneration nur in der antero*
externen Gruppe. Bei den neueren Untersuchern besteht noch keine Ueber*
einstimmung hinsichtlich der Zellgruppe, welche die Hand- und Unterarm*
musculatur versorgt Barratt giebt die gleiche Gruppe an wie wir. Derselben
Ansicht sind Sano und Obersteiner, wenn sie auch anuehmen, dass die er¬
wähnte Gruppe nicht die einzige ist. Gregoriew erwähnt eine anteriore und
eine externe Gruppe. Für letztere treten Monakow, Flatau und (wenn auch
nicht ausschliessich) Strohmayer ein, während Hayem-Gilbert, Dreschfeld,
Krause, Friedländer, HomEn, Campbell für die postero-laterale Gruppe
plaidiren. Dejerine-Mayor, welche die antero-interne Gruppe bezeichnen,
stehen allein.
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4. Ueber den „Tract X“
in der untersten Cervicalgegend des Rückenmarks.
Von Dr. Purves Stewart,
Agaiataut-Physician to the Weatminater Hospital, London.
Obgleich ich nicht die Absicht habe, die vorzügliche Arbeit des Herrn
Prof. Spilleb über einige abemrende Pyramidenfasern in der Brücke und dem
verlängerten Mark herabzusetzen — besonders das von ihm als directen ventro-
lateralen Pyramidenstrang beschriebene Bündel —, so möchte ich mir doch
erlauben, einen Fehler in seiner neulich erschienenen Mittheilung 1 zu berichtigen,
in der er über ein kleines Bündel: Tract X — welches ich beschrieben hatte 2
— berichtet.
Bei einem Falle von fast totaler Zerstörung des Rückenmarks in der Höhe
der oberen Hälfte des 7. Cerviealsegments, hatte ich Gelegenheit, mittels der
MABCHi-Methode die verschiedenen auf- und absteigenden Degenerationen zu
Fig. 1. „AbemrendePyramidenbahn“ Fig. 2. „Drcikantenbahn“ von Spilleb u.
von Spilleb im 1. CervicalBegment. Bechterew im 8. Cervicalaegment.
Fig. 3. „Tract X“ von Purves Stewabt
im 8. CervicalBegment.
studiren. Unter den absteigenden Bahnen fand ich ein neues Bündel, von mir
als „Tract X“ bezeichnet, welches in den Cervicalsegmenten 7 und 8 liegt und
welches ins Dorsalmark nicht hinübergeht. Diese Bahn liegt ventral-aussen von
der gekreuzten Pyramidenbahn, von der sie durch einen bestimmten Zwischen-
1 Neurolog. Centralbl. 1902. S. 534.
* Brain. 1901. S. 222.
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748
raum getrennt ist Ihre Stelle, am Rande des Marks, hängt mit der Spitze des
Lateralhorns zusammen; in ihrer Form ähnelt sie etwas der schon von Hklwbq
und von v. Bechtebbw beschriebenen „Dreikantenbahn“, doch liegt sie an ganz
anderer Stelle: weit von der Mittellinie entfernt, anstatt zwischen den vorderen
Wurzelfasern. (S. Fig. 1, 2, 8.) Die Helweg ’sche Bahn ist ausserdem unter
dem 3. Cervicalsegment nicht zu finden.
Die Spilles ’sche Bahn wurde von ihm durch die Brücke und das ver¬
längerte Mark verfolgt, aber nur bis zum obersten Cervicalsegment gefunden.
Ihr weiterer Verlauf bleibt noch unbekannt. Mir scheint es also unzweckmäsng,
eine Bahn im 1. Cervicalsegment für identisch mit der von mir im 7. und
8. Cervicalsegmente beschriebenen Bahn — Tract X — zu halten. Die Mög¬
lichkeit ist natürlich nicht absolut zu leugnen, doch fehlt bisher noch der
Beweis.
[Aus der III.' med. Klinik (Hofrath ▼. Schböttbr) in Wien.]
5. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe.
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltmnoren nebst Be¬
merkungen über den Verlauf der centralen HaubenbahD.
Von Dr. Josef Sorgo,
Assistenten der Klinik.
(Fortsetzung.)
Klinische Diagnose nach Auftreten der tuberculösen Meningitis.
Die Annahme einer multiplen Sklerose musste nun fallen gelassen werden,
da angesichts dieser Complicationen die Präexistenz eines solitären Tuberkels
sicher schien. Aus den eben erörterten Gründen war er irrthümlicherweise an
die Basis cerebri localisirt worden.
Die einzelnen Symptome:
a) Die beiderseitige Ophthalmoplegie sowie die rechtsseitige Hemi¬
parese bedürfen keiner Erklärung, ebenso wie die sub finem vitae aufgetretenen
Symptome der tuberculösen Meningitis.
b) Totale Oculomotorius- und Trochlearislähmung bei nur relativ
geringfügiger und später einsetzender gekreuzter Hemiparese (ge¬
kreuzt mit dem zuerst befallenen Oculomotorius). Ich habe bereits erwähnt
dass mich das Missverhältniss zwischen der totalen beiderseitigen Ophthalmo¬
plegie und der nicht beträchtlichen Parese der linken Körperhälfte veranlasst«,
nicht an einen vom rechten Grosshirnschenkel selbst ausgehenden Tumor zu
denken. Bei dem Ausgangspunkte des Tumors (rechtes Vierhügelpaar) ist dieses
Missverhältniss ohne Weiteres verständlich, indem der Tumor erst secundär, bei
einer gewissen Grösse durch Druck auf den Hirnschenkelfuss zur Parese der
linken Körperhälfte führte. In diesem Sinne wird sich dieser Symptomcomplex
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wohl auch in Zukunft diagnostisch verwerthen lassen: d. h. es würde eine
totale, nur mit Hemiparese verbundene beiderseitige Oculomotorius¬
lähmung entweder für einen basalen, am vorderen Brückenende ge¬
legenen, nicht vom Hirnschenkel ausgehenden, oder für einen dorsal-
wärts vom Grosshirnschenkel, also in der Vierhügelregion, gelagerten
Tumor sprechen. Bei gleichzeitiger beiderseitiger Trochlearis-
lähmung wäre die letztere Localisation wohl die weitaus wahrschein¬
lichere.
c) Berücksichtigung verdient das constante Fehlen allgemeiner Tumor¬
symptome.
Trotz der fast ein Jahr dauernden Erkrankung und trotzdem der Tumor
den Aquaeductus Sylvii verschlossen hatte, und, wie die Autopsie lehrte, ein
Hydrocephalus internus, eine Erweiterung des 3. Ventrikels und der Seiten¬
ventrikel erzeugt hatte, war niemals auch nur andeutungsweise Kopfschmerz,
Schwindel oder Erbrechen aufgetreten und fehlte die Stauungspapille constant,
ebenso wie die Pulsverlangsamung. Es war dies, wie erwähnt, ein Grund, eher
eine multiple Sklerose als einen Tumor anzunehmen. Dass die Stauungspapille bei
Vierhügeltumoren nicht gar so selten fehlt, ist bekannt, dass aber bei vollkommener
Verlagerung des Aquaeductus und Ausbildung eines chronischen Hydrocephalus
internus auch alle anderen allgemeinen Tumorsymptome dauernd vermisst
werden können, kann wohl nur in besonderen individuellen Verhältnissen be¬
gründet sein. Es ist richtig, dass in neuerer Zeit die Beobachtungen über
symptoralos verlaufende Hirntumoren gegen früher abgenommen haben, da
heute der Gebrauch des Augenspiegels auch allgemeiner geworden ist und die
meisten der früher beschriebenen derartigen Fälle an Anamenese und Be¬
obachtung zu wünschen übrig Hessen (Beüns). Um so werthvoller ist ein Fall
wie der vorüegende, der einen Patienten betrifft, der kurz nach Beginn der
ersten Symptome bis zu seinem Tode in ununterbrochener klinischer Beobachtung
stand. In einem von Obdt mitgetbeilten Falle, ein 8 1 / 2 jähriges Kind betreffend,
fehlten die Allgemeinsymptome des Tumors ebenfalls. Es handelte sich um
einen Tuberkel, der von der Mitte des vorderen Vierhügel bis in die Höhe des
Facialiskemes reichte. Die Erweiterung der Ventrikel war minimal, die Flüssig¬
keit konnte also, wie Verf. meint, nach dem 4. Ventrikel hin abfliessen.
In meinem Falle muss angenommen werden, dass trotz vollständiger Ver¬
legung des Aquaeductus Sylvii die in den Ventrikeln sich ansammelnde Flüssig¬
keit Abflusswege fand durch die Plexus chorioidei, und dass einerseits die mit
zunehmender Verlegung des Aquaeductus sich einstellende Flüssigkeitszunahme
sich aus diesem Grunde in gewissen Grenzen hielt, andererseits eine Gewöhnung
an den sich langsam einstellenden relativ massigen Ventrikelhydrops eintrat.
Bei Tuberkeln wird, vorausgesetzt dass keine Compression der Plexus chor.
oder der V. Galeni eintritt, auch der Hydrocephalus externus ausbleiben können,
da der Tuberkel jedenfalls eine viel geringere Zunahme des Schädelinhaltes
bedeutet als ein echtes Neoplasma von gleicher Grösse. Der Fall würde lehren,
dass blosse Verlegung des Aquaeductus Sylvii ohne gleichzeitige Compression
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750
der venösen Abflusswege zwar anatomisch einen Hydrops ventriculorum erzeugen,
dieser aber klinisch latent verlaufen kann bei langsam wachsenden, eine nur
massige Zunahme des Schädelinneren bewirkenden Tumorbildungen (Tuberkel,
infiltrirende Tumoren).
Ob die Abblassung der rechten Papille, die Einschränkung des
Gesichtsfeldes mit besonderer Betheiligung der rechtsseitigen Hälften desselben
auf Schädigung in der Nähe des Tumors gelegener Faserzüge der Sehbahn oder
auf einer Compression des Tractus durch Vorbauchung des 3. Ventrikels beruhte,
lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Die rechtsseitige vermehrte Ein¬
schränkung des Gesichtsfeldes erklärt sich unter beiden Annahmen. Hingegen
spricht die Verengerung der Gefässe der rechten Papille für eine basale Com¬
pression. Es ist dies nach Oppenheiü bei Vierhügeltumoren die gewöhnliche
Ursache der Sehnervenaffection und hielt dieser Autor die Annahme einer
Schädigung benachbarter Sehbahnfasern wohl für möglich, aber noch durch
keinen bisher mitgetheilten Fall bewiesen.
d) Die Temperatursteigerung. Nicht so selten kommen bei Hirntumoren
Temperatursteigerungen zur Beobachtung, welche mitunter eine beträchtliche Höbe
erreichen, bis 39° und darüber. So sah, um nur einige neuere Fälle zu erwähnen.
Mingazzini bei einem solitären Tuberkel des vorderen Hornes des rechten Seiten¬
ventrikels und rechten Corpus striatum einige Tage vor dem Tode hohes Fieber
auftreten, und Spitzeb theilt zunehmendes Fieber bei einem Tuberkel am Boden
der Rautengrube mit. Die Temperatur stieg bis 39,4. Bei einem Falle von Vier¬
hügeltuberkel beobachtete Bhuns neben vasomotorischen Erscheinungen Fieber ohne
sonstigen Befund. Es handelt sich bei mit Fieber verlaufenden Hirntumoren meist
um Tuberkel, ohne dass eine complicirende tuberculöse Meningitis vorhanden zu
sein braucht, so dass sich, wenn andere Ursachen für das Fieber ausgeschlossen
werden können und im Uebrigen die Diagnose eines Tumor cerebri sicher steht,
das Fieber mit einiger Wahrscheinlichkeit für die specielle Diagnose eines
Hirntuberkels verwenden lassen dürfte. Es fragt sich nun, auf welche Welse
kommen diese Fieberstörungen zu Stande und wie erklären sich im Besonderen
die in meinem Falle aufgetretenen Temperaturdiffereuzen zwischen rechts
und links?
In ersterer Hinsicht liegen drei Möglichkeiten vor, zwischen denen die
Entscheidung zu treffen wohl nur unter bestimmten, gleich zu erwähnenden Um¬
ständen möglich sein dürfte. Es könnte sich um ein toxisches Fieber handeln
(solitäre Tuberkel, complicirende tuberculöse Meningitis) oder um eine centrale
Störung der Wärmeregulirung oder endlich um vasomotorische Veränderungen,
welche central ausgelöst, an der Stelle der Temperaturmessung in Folge einer
Vasodilatation zu einer Erhöhung der Körpertemperatur führen. Letzteren
Einfluss wird man da anzunehmen berechtigt sein, wo die Temperaturerhöhung
sich auf eine Körperhälfte oder einen umschriebenen Theil des Körpers be¬
schränkt. Schon für die blosse Hand wahrnehmbare Erhöhungen der Temperatur
paretischer oder paralytischer Extremitäten bei cerebralen Lähmungen sind ja
etwas ganz Gewöhnliches und man würde in solchen Fällen bei regelmäsig
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751
links und rechts vorgenommenen Temperaturmessungen constante Temperatur¬
differenzen der beiden Körperhälften finden müssen. Wärmere paretische Glieder
erscheinen häufig auch stärker geröthet und fühlen sich trockener an als die
gesunden. Infectiös-toxische Einflüsse oder centrale Störungen der Wärme¬
regulirung sind in solchen Fällen als Ursache der Temperaturerhöhung natürlich
ausgeschlossen, da sich der Einfluss dieser Momente auf die Körperwärme,
sofern sie allein wirksam sind, auf den ganzen Körper gleichmässig erstrecken
müsste.
Es wird sich daher empfehlen, bei Auftreten von Temperatur¬
steigerungen, denen ja mitunter eine grosse diagnostische Bedeutung
zukommt (Abscess), immerauch die Temperatur der anderen Körper¬
hälfte zu messen, um einen vasomotorischen Einfluss als Ursache
der Erhöhung der Körperwärme auszuschliessen oder nachzuweisen.
Bei unserem Patienten war vom l.Febr. an eine deutliche Fiebersteigerung
und vom 4. Februar an constante Temperaturdifferenz zwischen rechts und links
vorhanden (s. Tabelle). Vorher war leider auf eine eventuelle Temperaturdiffenz
zwischen links und rechts nicht geachtet worden, und die bis dahin an der
rechten, nicht paretischen Körperhälfte vorgenommenen Messungen ergaben bis
zum 1. Februar immer normale Temperaturen. Es kann aber trotzdem wohl kaum
einem Zweifel unterliegen, dass an diesem Verhalten der Körperwärme zwei
ganz bestimmte Elemente mitgewirkt haben müssen, einerseits die sich ent¬
wickelnde tuberculöse Meningitis, welche 8 Tage nach Beginn des Fiebers
auch klinisch manifest wurde, und andererseits vasomotorische Einflüsse, welche
an der linken paretischen Körperhälfte in Folge Erweiterung der Gefassbahnen
und dadurch bewirkten vermehrten Zufluss des Blutes noch eine weitere ein-
zedby G00gle
752
seitige Steigerung der Temperatur hervorrufen mussten. Wörde vor Auftreten
der allgemeinen Temperaturerhöhung beiderseitig gemessen worden sein, so
würden wahrscheinlich schon viel früher links Temperatursteigerungen gegenüber
der rechten Körperhälfte sich haben naohweisen lassen.
Auffallend bleibt immerhin, dass diese Temperaturdifferenzen mitunter
bis 2,1° betrugen, derart, dass beispielsweise die Temperatur rechts normal
war, links 39,1° betrug, woraus folgen würde, dass diese enorme Wärme¬
zunahme der linken Körperhälfte lediglich durch vasomotorische Einflüsse be¬
dingt gewesen sei. Es wird Aufgabe weiterer Prüfungen sein, festzustellen, bis
zu welchen Werthen eine lediglich durch Aenderungen des Calibers der kleinen
Gefasse und der dadurch bewirkten erhöhten Blutfülle der Haut und des Unter¬
hautzellgewebes bedingte Temperaturerhöhung steigen kann.
Bemerkenswerth bleibt weiter, dass die Temperaturdifferenzen zwischen
links und rechts bei fast wechselnden Werthen zwischen 0,1 und 2,1° als
ausserordentlich weite Grenzen hin- und herschwankten, was unter der Voraus¬
setzung der Richtigkeit der gegebenen Erklärung fortwährende Schwankungen
der vasomotorischen Systeme der paretischen Körperhälfte, eine auffallende
Labilität derselben an nehmen liess. Vielleicht erklärt sich auf diese Weise auch
der Umstand, dass mitunter die rechte Körperhälfte höhere Temperatur zeigte
als die linke. Bei bestehendem toxischen Fieber und zeitweiser Verengerung
der kleinen Gelasse der linken Körperhälfte wäre diese Thatsache verständlich.
e) Das Fehlen der Gleichgewichtsstörung beim Stehen und Gehen
scheint mir zu beweisen, dass zum Zustandekommen derselben eine Mitaffection
des Kleinhirns erforderlich ist, und dass die von einigen Beobachtern gemachte
Annahme, auf die Vierhügelgegend beschränkte Tumoren (Nothnagel) könnten
durch Affection der Bindearme oder des rothen Kernes diese Störung rer-
Ursachen (Stabe, Babth, Eisenlohr u. A.), zum mindesten noch sehr beweis-
bedürftig ist. In vorliegendem Falle waren beide Bindearme im Bereiche ihrer
Kreuzung zerstört und ebenso die rothen Kerne, ohne dass jemals cerebellare Ataxie
zur Beobachtung gekommen wäre. In jenen Fällen, in welchen eine solche be¬
steht, ohne dass eine directe Beziehung des Vierhügeltumors zum Kleinhirn
sich nachweisen lässt, wäre immer noch daran zu denken, ob nicht durch den
Hydrocephalus, durch Circulationsstörungen, kurz irgendwie durch Fernwirkung
das Kleinhirn in Mitleidenschaft gezogen worden sein könnte. Damit in Ueber-
einstimmung stehen auoh neuere experimentelle Untersuchungen von Febbibb
und Türner, wonach Entfernung der Vierhügel keinen bleibenden Effect
hervorruft, sondern alle danach auftretenden Erscheinungen sich auf Verletzung
benachbarter Hirntheile, Unsicherheit des Ganges im Besonderem auf Mit¬
verletzung des Kleinhirns beziehen lassen.
Anders steht die Frage bezüglich des Verhältnisses der Tumoren der
Vierhügelgegend zum Auftreten verschiedener Bewegungsstörungen, wie
Athetose, Chorea, Tremor, Intentionstremor, die sehr häufig bei
Tumoren dieser Gegend, ebenso wie bei Tumoren des Hirnschenkels zur Be¬
obachtung kommen. Bonhöffer hat als Erster die Ansicht ausgesprochen, dass
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753
zum Zustandekommen dieser abnormen Bewegungen speciell eine Schädigung
der Bindearm-Rothkemstrahlung nothwendig sei, was später durch Fälle von
Mubatow, Menzel und Sander bekräftigt wurde. Interessant ist in dieser
Hinsicht auch die Beobachtung Ordt’s, die schon früher Erwähnung fand. Es
bestanden Ataxie, Intentionstremor, athetoseartige Bewegungen, ohne dass Paresen
der Extremitäten vorhanden gewesen wären und ohne dass sich anatomisch eine
Verschmälerung der Pyramidenbahn hätte nach weisen lässeü.
Auch mein Fall ist geeignet zur Stütze dieser Ansicht beizutragen. Binde-
arme und rothe Kerne waren zerstört Der rechte Himschenkelfuss war com-
primirt, aber ohne Faserausfall und sonstige nachweisbare pathologische Ver¬
änderungen. Linksseitige Hemiparese. Es bestanden links an Paralysis agitans
erinnernde Dauerkrämpfe mit Zunahme bei intendirten Bewegungen, auf welche
noch in anderer Hinsicht im Folgenden näher eingegangen werden soll.
f) Die isolirten Muskelkrämpfe. Das eigentümlichste und nach
dem heutigen Stande unseres Wissens mit dem Sitze des Tumors kaum in Ein¬
klang zu bringende Phänomen sind die in langen Intervallen von Muskelgruppe
zu Muskelgruppe fortschreitenden Dauerspasmen von dem Charakter eines grob¬
welligen Tremors, der bei intendirten Bewegungen zunahm und während des
ganzen wachen Zustandes des Patienten anhielt
Der Krampf setzte im Daumen der linken Hand ein, der rasch hinter¬
einander gebeugt, adducirt und opponirt wurde. Nach 1 Monate kamen dazu
Beugebewegungen des linken Zeigefingers von demselben Charakter; nach
l 1 / a Monaten ging der Krampf über auf die Supinatoren des Vorderarmes und
den Flexor carpi ulnaris, nach einem weiteren halben Monate auch auf die ge¬
meinschaftlichen Fingerbeuger und später auf die Beuger des Ellbogengelenkes,
den Tibialis anticus, Semitendinosus und Semimembranosus der linken unteren
Extremität, und nach vorübergehendem plötzlichen Sistiren der Krämpfe und
Wiedereintritt derselben auch auf den M. pectoralis major, supraspinatus und
die Clavicularportion des Deltoideus.
Die Krämpfe zeichneten sich also aus durch ihre continuirliche, monate¬
lange Dauer, die Zunahme bei intendirten Bewegungen und das Nacheinander¬
befallenwerden verschiedener einzelner Muskeln und Muskelgruppen.
Diese Krämpfe setzten der Diagnose grosse Schwierigkeiten entgegen. Die
beiden ersterwähnten Eigenschaften, die lange Dauer, der Intentionstremor und
des ferneren auch der Umstand, dass sie sich nicht generalisirten, schienen für
einen subcortical gelegenen Herd zu sprechen, da ähnliche an Paralysis agitans
erinnernde Krämpfe einer Extremität von langer Dauer zu verschiedenen Malen
bereits bei Tumoren des Hirnsohenkels und des Thalamus opticus beobachtet
wurden. Beizerecheinungen von Seiten der Hirnrinde verlaufen zumeist ganz
andere, in ausgeprägten Anfällen; doch liegen einige Beobachtungen vor, dass auch
corticale Herde continuirliche, Tage und Wochen dauernde Krampferacheinungen
zeigten, wie sie z. B. Oppenheim bei einer Geschwulst des Beincentrums in der
Zehenmusculatur Tage hinduroh gesehen hat, ohne dass es zu Anfällen
jAOKSON’scher Epilepsie gekommen wäre.
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Das Fortschreiten der Krämpfe von Muskelgruppe zu Muskelgruppe lies
andererseits kaum eine andere Erklärung als die eines oortioalen Urspnages
zu und befestigte mich lange Zeit in der Meinung, es handle sich, um eine moltipte
Sklerose, da nach den sonstigen Symptomen ein Tumor in der Gegend des
Daumencentrums nicht angenommen werden konnte, wenn auch Grosahirner-
scheinungen im Allgemeinen eher gegen die Annahme einer multiplen Sklerose
zu verwerthen sind.
Es liegen allerdings Beobachtungen yor, aus denen hervorgeht, dass auch
bei auboorticalen Herden Krämpfe von einzelnen Muskelgruppen aus auagelcBt
werden können. Dbjbbine sah eine Epilepsie, partiell an der Hand beginnend,
bei einem Tuberkelknoten, der in der weissen Substenz 1 cm unter der Rinde
sass, und hierher gehört auch eine Beobachtung Bbamwell’s, bei welcher zu
den Erscheinungen einer Geschwulst des Thalamus opticus ein von der grossen
Zehe ausgehender Krampf gehörte. In Dejerine’s Fall ist aber wohl trotz des
subcortical gelegenen Tumors der corticale Ursprung der Krämpfe ziemlich wahr¬
scheinlich, da ein so nahe dem Cortex gelegener Herd durch Druck oder ed-
laterales Oedem und Circulationsstörungen corticale Centren in einen Reizzustand
zu setzen vermag. In derselben Weise erklärt sich wohl auch der interessante
von v. Beck mitgetheilte Fall eines faustgrossen, unter der Binde der rechten
motorischen Beinregion gelegenen, von Czebnt operirten Solitärtuberkels, te
welchem anfallsweise in den Zehen Krämpfe von mehreren Minuten Dauer auf-
traten, die sich im Laufe von Monaten auch auf die Wadenmuskeln und die
Oberschenkeln)usculatur verbreiteten und später zu echten, von den linken Zehes
ausgehenden jACKSON’schen Anfällen sich erweiterten mit Betheiligung des
Facialis und Hypogloesus.
(Schloss folgt)
XL Referate.
Anatomie.
1) Beiträge zur Kenntnis» des Plexus ohorioideus des Menuohen, von Dr.
Shinkichi Jmamura. (Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorim
1902. Heft 8.)
Verf. unterscheidet am Plexus chorioideus einen zottigen und einen zotten¬
freien Antheil, welch ersterer der Pia, der letztere der Arachnoidea zukommt
Im zottenfreien Antheile unterscheidet er eine Epithelschicht, die (piale) Schick
des Gefässbindegewebes, die Schicht des arachnoidealen Gewebes und endlich eis«
trabeculäre Schicht, die mit der dritten Schioht innig zusammenhängt und in der
die PlexuscjBten auftreten. Der zottige Theil enthält die bekannten Zotten, in
deren Mitte sich eine capilläre Schlinge findet; dazwischen findet sich ein ds
Pialschicht des zottenfreien Antheils entsprechendes Bindegewebe. Das Epithel
ißt sowohl im zottigen, wie zottenfreien Antheile einschichtig. In den Epithel-
zellen finden sich pigmentähnliche Körperchen, andererseits vaouolenähnliohe 0*
bilde, die beide durch Oßiniumsäure schwarz gefärbt werden und dabei eine w*
Digitizedby GoöglC
755 ;
sohiedenartige Structur aufweisen, einfache Engel* oder Manlbeerform. Von
regressiven Metamorphosen, die im Alter ziemlich regelmässig anftreten und denen
eine pathologische Bedeutung nicht zukommt, sind die bereits erwähnten Plexus*
cysten zu nennen; im zottenfreien Antheile finden sich auch regelmässig Sand*
körperohen, deren Entstehungsweise bis in die erste Lebenszeit zurückreicht. Im
zottigen Theile dagegen sieht man nicht selten diffuse sklerose Veränderungen
des Bindegewebes. Daneben giebt es auch circumskripte Sklerosen, die in der
Bindegewebsschicht sich finden und die Epithelschicht wie kleine Warzen ver¬
treiben. Dabei wird das Bindegewebe homogen, schliesslich kann hier auch Ver¬
kalkung auftreten, und zwar in der Kegel in der Peripherie solcher Herde.
Redlich (Wien).
2) Boi rapporti tra le oellule nervöse e le fibre amlelInlohe, pel Prof.
Luigi Koncoroni. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.)
Verf. fand beim Studium von solchen Zellgruppen der Ponskerne (Vertebraten,
auch Mensch), welohe in den von Pyramidenfaserbündeln freigelassenen Lücken
eingelagert sind und unter Behandlung mit Müller’scher Platinchloridmethode
eine partielle Färbung (des Kerns, Kernkörperchens und der feinen Protoplasraa-
körnung) annehmen — nicht aber bei den total gefärbten Zellen —, auf Lon-
gitudinalschnitten, dass diese Nervenzellen von einem dichten Geflecht feiner
markloser Nervenfasern eingeschlossen sind, welches auch den Stamm der Dendriten
umgiebt. Von diesem Geflecht entspringen feinste, unter einander verfilzte
Fäserchen, welche den Zellleih und die Protoplasmafortsätze eng umspinnen. Es
ist nicht klar, ob diese Gebilde Plexus oder einfache Netze sind, obwohl ovale
oder rundliohe Anschwellungen im Verlauf einer oder im Schnittpunkt mehrerer
dieser Fäserchen für letztere Annahme zu sprechen scheinen. Sicher handelt es
sich bei diesen Soheibohen, schon wegen ihrer regelmässigen Form und der be¬
nützten Färbemethode, nicht um Präoipitate. Ueber das Gesichtsfeld vertheilt
liegt eine beschränkte Zahl intensiv blass gefärbter Körnchen; die im Protoplasma
vorhandenen Körnchen sind im Verhältnis zu letzteren zwar zahlreicher, aber
kleiner und blasser. Auf Querschnitten derselben spärlich um zahlreiche Zell¬
gruppen herziehenden Fasern, sieht man dieselben Verhältnisse. Die marklosen
Plexus oder Netze stehen weder mit den hier zahlreichen Körnchen der Inter¬
cellularsubstanz, noch mit den Granula des Protoplasmas in continuirlicher Ver¬
bindung. Schnitte, welche den peripheren Theil einer Zelle treffen, zeigen zwar
ein Convolut umspinnender Fasern, aber kein Netz. Angesichts der bei der ver¬
schiedenartigen Elektivität der Methoden unvereinbar einander gegenüberstehenden
Zustandsbilder erscheint die Annahme unabweisbar, dass die jeweils benutzte
Methode das Geflecht der Elementarfibrillen erhalten oder zerstört hat und die
oben genannten Anschwellungen entweder im Zusammenhang mit demselben oder
isolirt zu Gesicht kommen lässt, welche im letzteren Falle als (die beschriebenen)
Körnchen dem Protoplasma jenes fein granulirte Ansehen verleihen. Gegen diese
Anschauung würde freilich der offenbare Grössenunterschied dieser feinsten
Körnchen und jener Anschwellungen einzuwenden sein. Und andererseits ist
denkbar (Mann), dass die Nervenfibrillen abwechselnd aus hellen und dunklen
Strecken (Diplokokken oder Muskelfibrillen ähnlich) zusammengesetzt seien und
aus diesem Gnmde ein gekörntes Ansehen bieten. So erscheinen auch die feinsten,
nicht anastomosirenden Verzweigungen der Protoplasmafortsätze der Purkinje'sehen
Kleinhirnzellen, mit vorliegender Methode behandelt, wie eine Linie von Körnchen
oder eine Reihe von Strichlein. — Diese Verhältnisse wurden überall, wo Nerven¬
fasern Zellen einschliessen (mit Ausnahme der Spinalganglien) gefunden. Die
Körnchen sind im Stratum moleculare des Kleinhirns am zahlreichsten und am
Neugeborenen sehr spärlich. Sohmidt (Freiburg i/Sohl.).
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756
Experimentelle Physiologie.
S) lieber die Energetik (prfiparatorisobe Thätigkeit) der Ganglienzellen
und ihre Bedeutung für die funotionellen Nerven- und Geistesknnk-
heiten, von Dr. Adler in Breslau. (Münchener med. Wochenschr. 1901.
Nr. 37.)
Unter Energetik versteht Verf. die auf die Herstellung von Spannkraftm&teml
gerichtete Thätigkeit der Nervenzelle, von der die Erregbarkeit der Zelle dum
wieder abhängt. Diese Thätigkeit kann durch Medicamente, physikalische Mass¬
nahmen, GemüthBbewegungen u. s. w. gesteigert oder gemindert werden, hie
pathologischen Veränderungen dieser Ganglienzellenenergetik führen zu den ver¬
schiedenartigsten Symptomen, wie sie uns in den Krankheitsbildern der Neurasthenie,
Hysterie, Epilepsie, Migräne, der localisirten Muskelkrämpfe, der Neuralgie, My¬
asthenie, Melancholie, Manie entgegen treten. E. Asch (Frankfurt a[M.)
4) TJeber die Unhaltbarkeit der Theorie der Hirnblutleere im Schlag
von Dr. Wilhelm Deutsch. (Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr.33.)
Verf. kommt auf Grund theoretischer Erwägungen, die im Originale nach-
gelesen werden mögen, zu dem Schlüsse, dass die Sohleicb’sche Theorie, wonach
der Schlaf auf einer Reflexhyperämie des Gehirns beruhe und bei Abnahme der
selben unterbrochen werde, alle Erscheinungen des natürlichen und künstliche
Schlafes erkläre, die Theorie hingegen der Hirnblutleere im Schlafe nicht be¬
weisend fundirt sei. J. Sorgo (Wien).
5) The Isolation of the aotive prinoiple of the suprarenal gland, by Jo-
kichi Takamine. (Journal of Physiology. XXVH.)
Nachdem bereits Abel, v. Fürth u. A. behauptet hatten, das wirksam
Princip der Nebenniere isolirt zu haben, glaubt jetzt der Verf. in dem von 5»
sogenannten „Adrenalin“ diesen wirksamen Bestandteil gefunden zu haben -
Zu Gunsten dieser Annahme sprechen einerseits die physikalisch-chemischen, antea-
seits die pharmakodynamischen Eigenschaften dieses Präparats. Unter den phyx-
kalisch-chemischen Kennzeichen des „Adrenalins“ ist vor allen Dingen hervor-
zuheben, dass dasselbe ein krystallinischer Körper ist und eine constantc
Zusammensetzung besitzt, die auf die Formel C 10 H 1# NO a hinweist. Der Körps
ist eine Base, aber kein Alkaloid. — Unter den physiologischen Eigenschaft«
des Präparats ist hervorzuheben, dass ein Tropfen einer Lösung 1:50000 in ^
Conjunctivalsack gebracht, die Schleimhautcapillaren zur Contraction bringt nai
dass durch intravenöse Injectionen von 1 ccm einer 0,001 % Lösung bei ein«
8 kg schweren Hunde der arterielle Blutdruck um 30 mm Hg erhöbt wird.
W. Connstein (Berlin).
6) Heber den Einfluss des Cocains, der Durch sohneidung des Nerven usi
mechanischer Reizung auf die Struotur der Oandry’sohen Körpercha
von Gasiorowski. (Polnisches Archiv für Biologie der medicin. Ww®
schäften. I. 1901.)
Verf. hat experimentelle Untersuchungen über den Einfluss des Cocains.
Nervendurchschneidung und der mechanischen Reizung auf die Structnr ^
Gan dry'sehen Tastkörperchen hei Enten angestellt und kam dabei u. a- 0
folgendem Resultat: Diese Tastzellen seien auf die Nervendurchschneidung ungös«*
empfindlich. Im Anschluss an die ersten Degenerationsveränderungen, die
3 dby Google
757
in der Nervenscheibe vorfinden, beginnt sogleich die Atrophie and die Dege¬
neration der Tastzellen. Ueberdies überzeugen wir uns, dass in der ganzen
Reihenfolge von Veränderungen, welche einerseits in der Nervenscheibe und anderer¬
seits der Tastzelle auftreten, eine gegenseitige Abhängigkeit obwaltet. Während
die Nervenacheibe schrumpft, treten die Tastzellenbogen zusammen und verengen
hierdurch die Basis der Sanduhr. Bei fortschreitender Atrophie der Nerven-
scheibe verwischt sich das Bild der Sanduhr und verschwindet schliesslioh ganz,
worauf am Protoplasma der Zelle regressive Metamorphosen auftreten. Man muss
zugeben, dass die Beobachtungen, welche nach der Durohschneidung des Nerven
gemacht werden, nicht genügen, um den funotionellen Zusammenhang zwischen
der Nervenscheibe und der Tastzelle mit aller Bestimmtheit zu beweisen. Die
Thatsache aber, dass selbst eine isoosmotische Lösung des Coca'insalzes charakte¬
ristische Structurveränderungen in der Tastzelle bewirkt, dass also das Cocain auf
dieselbe eine specifische Wirkung ausübt, die nach dem Aufhören der Gefühl¬
losigkeit verschwindet, bestärkt uns in der Ueberzeugung, dass zwischen der
Nervenscheibe und der Tastzelle ein inniger functioneller Zusammenhang bestehe
und dass die, nach Durchschneidung des Nerven, in der Tastzelle auftretenden
regressiven Metamorphosen eben als Folge der Aufhebung ihrer specifischen
Function, d. h. der Perception von äusseren Eindrücken, angesehen werden müssen.
Edward Flatau (Warschau).
7) Das Problem des Gehens auf dem Wasser, von R. Sommer. (Leipzig,
1902.)
Verf. wurde durch seine Bestrebungen, Registrirapparate für Ausdrucks¬
bewegungen mit möglichst geringen Widerständen zu finden, auf das vorliegende
Problem geführt. Eine Vorrichtung, die die Fortbewegung auf dem Wasser mit
Hülfe der eigenen Muskelkraft ermöglichen soll, muss mindestens drei Grund¬
bedingungen erfüllen: sie muss den Körper über der Wasseroberfläche suspendiren,
ihn vertical bal&nciren und eine willkürliche Aenderung der Richtung gestatten.
Diesen Anforderungen genügte, wie die Endversuche bestätigten, ein Doppelboot
von 2 m Länge — die theoretische Berechnung hat 1 m als genügend ergeben,
der Unterschied wird nicht erklärt —, von dreieckigem Querschnitt, vorn zu¬
gespitzt, am hinteren stumpfen Ende mit je einem Steuer versehen, das durch
zwei verticalstehende Handgriffe, die zu beiden Seiten des Körpers angebracht
sind, gelenkt wird. Jedes Steuer ist einzeln beweglich; ein über je zwei Rollen
laufendes endloses Seil verhindert eine zu weite Entfernung der beiden Boote. —
Bezüglich der Verwendbarkeit als Verkehrs- und event. auch militärisches Trans¬
portmittel giebt sich Verf. vielleicht zu grossen Hoffnungen hin. (Ueberschreitung
des Canals durch Landtruppen!) H. Haenel (Dresden).
8) Ueber chemische Aenderungen der Muaoulatur bei der Entartungs-
reaotdon, von Th. Rumpf und 0. Schümm. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk. XXL 1901.)
Die gelähmten Muskeln eines an typischer, alkoholischer Polyneuritis ver¬
storbenen Mannes, welche sich intra vitam durch charakteristische Entartungs-
reaction ausgezeichnet haben, wurden chemisch untersucht. Es fand sich eine
mehr als 15 fache Zunahme des Fettgehalts gegenüber normalen Verhältnissen.
Wahrscheinlich ist das Fett auf eine Einlagerung in die entartete Musculatur und
nicht eine fettige Degeneration des Muskels hervorgerufen. Ferner liess sioh
starke Verminderung der Trockensubstanz und beträchtliche Vermehrung des
Wassergehalts nachweisen. Der Eisengehalt der frischen Substanz ist stärker
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788
herabgesetzt, als der Verminderung der Trockensubstanz entspricht, der Gehalt
an Calcium ist verbältnissmäasig hoch, der an Magnesium in entsprechender Weise
vermindert. E. Asoh (Frankfurt a/M.).
Pathologische Anatomie.
0) A leoture on abiotrophy, by W. B. Gowers. (Lancet. 1902. April.)
Mit dem Worte Abiotrophie oder Abiosis will Verf. einen Zustand bezeichnet
wissen, der, im Gegensatz zu dem Tode des Gesammtorganismus, das vorzeitige
Lebensende einzelner Gewebe oder Gewebsoomplexe zur Folge hat, auf Grand
eines angeborenen Mangels an Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit. Ein gro s ser
Theil der als „Degeneration“ bezeiohneten Processe wäre unter diesem neuen Be¬
griff zu fuhren, nämlich alle die, bei denen der Gewebstod nicht als Folge einer
äusseren oder inneren erworbenen Schädlichkeit, sondern eben in Folge dieser
mangelhaften Lebensfähigkeit eintritt. Auch solche Krankheitsformen wären
hierher zu redmen, bei denen eine einmalige, vorübergehende Schädigung, die den
ganzen Organismus gleichmässig betraf, zu fortschreitendem, auch nach dem Auf¬
hören der ersten Ursache nicht stillstehendem Verfall einzelner Gewebasysteme
führt — Ein in die Augen fallendes Beispiel für die gemeinte Affection ist die
vorzeitige Kahlheit und das vorzeitige Ergrauen der Haare; die meisten Belege
hierfür bietet aber das Nervensystem. Verf. rechnet hierzu die Dystrophia mus-
cularis progressiva, die von Hoffmann beschriebene hereditäre progressive spinale
Muskelatrophie besonders im Kindesalter, manche Formen von Opticus« trophie
von familiärem Auftreten, auch solohe, bei denen eine Tabaksamblyopie naoh Aus¬
setzen des Nicotins progressive Atrophie nach sich zieht, ferner als besonders
charakteristisches Beispiel die Friedreich’sche Krankheit und die Her6do-Ataxie
c6r6belleuse. — Weniger in die Augen fallend als diese in jugendlichem Alter
einsetzenden „Abiotrophieen“ bestimmter Systeme sind einzelne Erkrankungen des
späteren Alters. Doch glaubt Verf. z. B. die Paralysis agitans hierher zählen zu
müssen, deren gewöhnlich angegebene Aetiologie sich doch meist als unzulänglich
erweist, manche Fälle von amyotrophisoher Lateralsklerose. Bei der Tabes und
progressiven Paralyse, wenn sie auch nicht im eigentlichen Sinne hierher gehören,
glaubt Verf. doch zum mindesten manche Verlaufseigenthümlichkeiten durch die
Annahme einer abiotischen Disposition der Systeme erklären zu können. Wenn
auch Bef. — ebenso wie der Verf. es von sich behauptet — im allgemeinen
gegen eine Bildung neuer Namen in der Medicin ist, so erscheint es doch in
diesem Falle angebracht, aus den Begriffen der Degeneration, Prädisposition, erb¬
lichen Anlage u. a. den speciellen der „Abiotrophie“, mit dem die Wissenschaft
ja schon lange arbeitet, auch durch ein eigenes Wort herauszuheben.
BL Haenel (Dresden).
10) Le alterazioni del Bistema gangliaro sympatioo nella pazzia pellagroaa,
del R. Brugia. Aus der Provinzial-Irrenanstalt Bologna in Imola. (Imola,
1902. 91 S.)
In 30 Fällen von Pellagra, die bald mehr den Typus des sogen. Typhös
pellagrosus, bald mehr durch rein psychische Störungen auffielen, hat Verf. sein
Augenmerk ganz besonders auf die Veränderungen im sympathischen Nervensystem
gerichtet. Er fand thatsächlich in sämmtlichen Fällen Veränderungen hauptsäch¬
lich in den Ganglien des Halssympathicus oder in denen des Plexus coeliacus vor.
Die Veränderungen sind verschieden je nach dem Alter der Erkrankung:
kann verschiedene Formen für die häufig auftretenden Ee&oerbationen der Er-
y Google
759
krankung, für die chronischen und die acuten Fülle, beobachten. Die einzelnen
zahlreichen Details lassen sich nicht in Kürze wiedergehen. Der Plexus coeliacus
ist mit Vorliebe der Sitz der Affection und die Veränderungen erscheinen oft
bedeutender als im centralen Nervensystem, ein Befund, der auch für einige andere
toxischen Erkrankungen erhoben worden ist, so besonders für die Lyssa.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
Psychologie.
11) Die normalen Schwankungen der Seelenthätigkeiten, von Profi Jacopo
Finzi in Florenz. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Heft 4.
Wiesbaden 1900, J. F. Bergmann.)
Die vierte dieser Einzeldarstellungen für Gebildete aller Stände behandelt
die noch in die Breite des Normalen fallenden Schwankungen der psychischen
Thätigkeiten, wie sie bedingt werden durch physiologische Ursachen. Verf.
skizzirt die Einflüsse der Ermüdung, der Gewohnheit, der Diät, der Genussmittel,
wie Kaffee, Thee, Alkohol, der Witterung, des Klimas, des Milieu und der ver¬
schiedenen Lebensalter und die Reaction der Psyche auf diese Factoren. Der
diesem Gebiet Fernstehende wird auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht,
die sich der Erforschung psyohischer Phänomene, wie sie durch die neuere Experi¬
mentalpsychologie angestrebt wird, entgegenstellen. Zugleich bekommt er einen
Begriff, wie eng sich die Gebiete der Physiologie und Pathologie des Geistes be¬
rühren. Der Fachmann wird durch den Ueberblick, den diese Studie giebt, zur
Untersuchung dieser für die richtige Auffassung psychopathologischer Symptome
dringend nothwendigen, bisher aber noch wenig in den Kreis kritischer Be¬
obachtung gezogenen physiologischen Schwankungen angeregt.
Meitzer (Grosshennersdorf).
12) Zar Psychologie der Aussage. Experimentelle Untersuchungen von
William Stern. (Berlin, 1902.)
Verf. behandelt die in letzter Zeit wiederholt actuell gewordene Frage, in¬
wieweit die normale Zeugenaussage als eine correcte Wiedergabe des objectiven
Thatbestandes betrachtet werden könne. Er wählte dazu eine Versuchsanordnung
derart, dass er von einer grösseren Anzahl (33) Personen aus gebildeten Kreisen,
meist Studenten, drei verschiedene Bilder theils ganz einfachen, theils complicirten
Inhalts je 3 / 4 Minute lang aufrnerksam betrachten lies. Darauf folgte die Auf¬
forderung, das Gesehene sofort zu beschreiben, die im Laufe der nächsen 3 Wochen
1—3 Mal wiederholt wurde. Bei einer letzten Beschreibung wurde dann die
Aufforderung angeknüpft, diejenigen Punkte der Aussage zu unterstreichen, die
der Betreffende vor Gericht beschwören zu können glaubte.
Das Hauptergebniss aus diesen Versuchen kann dahin zusammengefasst werden,
dass es ein breites Gebiet der normale^ psychologischen Erinnerungsfehler giebt,
das nach Umfang und Bedeutung wohl bisher sehr unterschätzt worden ist. Ein
bestimmter Grad der Fehlerhaftigkeit ist von vornherein als normales Merkmal
auch der nüchternen und ruhigen, selbständigen und unbeeinflussten Durchschnitts¬
erinnerung zuzuschreiben. Die fehlerlose Erinnerung ist nicht die Regel, sondern
die Ausnahme, und der Eid bietet keinen Schutz gegen Erinnerungstäuschungen.
Die Bearbeitung der erlangten 282 Aussagen bietet im Einzelnen viel Inter¬
essantes. Unmittelbar nach der Betrachtung war unter je 17, bei späterer
Erinnerung unter je 10 Elementen einer Aussage im Durchschnitt eins falsch.
Zwischen Männern und Frauen zeigte sich der charakteristische Unterschied, dass
3 dby Google
760
die letzteren weniger vergessen, aber mehr verfälschen als die Männer; auch bei
dem Beeidigungsvenrach zeigte sich dies; der beeidigte Theil einer Hännemu-
sage enthielt durchschnittlich 2, 1, der einer Frauenaussage dagegen 4, 8
falsche Angaben. — Aus der interessanten und scharfsinnigen Discussion über die
Fehlerarten und Fehlerquellen sei u. a. hervorgehoben, dass sich nachweisen liess,
dass ein beträchtlicher Theil des Aussageninhalts nicht eine Erinnerung an Ge¬
sehenes, sondern nur eine Erinnerung an die schon früher einmal darüber ab¬
gelegte Aussage war. Ein starkes Reproductionsvermögen, d. h. die Fähig¬
keit, Eindrücke in grosser Zahl aufzuspeichern und sich in intensiver Anschaulich¬
keit wieder zurückzurufen, kann sehr wohl mit einer schlechten Erinnerungs¬
fähigkeit vereinigt sein, d. h. der Unfähigkeit, die auf ein bestimmtes einzelnes
Erlebniss bezüglichen Vorstellungen mit Zuverlässigkeit auszusondern. Der je¬
weilige Stand unserer Erinnerungen ist die Resultante aus zwei entgegengesetzten
Störungen: das Durchschnittliche und Normale in einer Beobachtung wird all¬
mählich von dem allgemeinen indifferenten Bewusstseinsbestand unseres Alltags¬
daseins absorbirt, fällt der Vergessenheit anheim; das Abweichende, Auffallende,
Abnorme dagegen schlägt gerade den umgekehrten Weg ein, entfernt sich in
seinem Widerstand gegen das Vergessen werden immer weiter von der Normalität;
man kann geradezu von einer Ezpansionstendenz der Erinnerung in Bezug auf
das einmal Behaltene sprechen.
In einem kurzen Anhänge wird ein experimentelles Gericht in der Weise
studirt, dass früh eine kurze Kriminalgeschichte einer Person vorgelesen wird,
diese dann das Gehörte am Nachmittage niederschreibt, diese Niederschrift dann
einem zweiten vorgelesen wird, der ebenso verfährt und so fort. Die Ab¬
weichungen vom Original sohon im vierten Gliede sind überraschend und höchst
charakteristisch.
Die Fortführung derartiger Versuche auch von anderer Seite würde, zumal
dieselben ohne Schwierigkeiten auszuführen und zu variiren sind, gewiss noch
manche wichtige und interessante Aufklärungen geben.
H. Haenel (Dresden).
13) Die Laune, von Dr. Ernst Jentsch. (Grenzfragen des Nerven- und Seelen¬
lebens. XV. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann.)
Verf. bemüht sich in dieser „Studie“, eine Classificirung und Sonderung «dies
dessen vorzunehmen, was der Sprachgebrauch unter dem vieldeutigen Begriffe
„Laune“ zusammengefasst hat. Die Vieldeutigkeit erschwert eine Definition ohne
Frage; wenn Verf. unter Laune im weitesten Sinne des Wortes „geringgradige
Anomalieen psychischer Vorgänge oder ebensolohe Ausfallserscheinungen, von un¬
beträchtlicher Tragweite, deren psychologisches Verständniss mit unserer Erfahrung
nicht oder nicht vollkommen vereinbar ist“, versteht, so ist diese Definition nach
Ansicht des Ref. leicht irreführend; darnach würde sich die Laune nur graduell
von der Geisteskrankheit unterscheiden; es besteht doch aber sicher noch ein
qualitativer Unterschied, der wohl in dem Begriff des Vermeidbaren, Unterdrück¬
baren gefunden werden kann; dieser kommt in der angegebenen Definition wie
auch in den gesummten Ausführungen wenig zur Geltung. — Er betrachtet dann
die Laune als Stimmungshintergrund, wobei in vielen Fällen die gegenseitige Ab¬
hängigkeit von Laune und Stimmung in eine untrennbare Identität übergeht, die
Laune als Stimmungswechsel; die Hereinbeziehung von Erscheinungen wie der
Höhenschwindel, Zweifel- und Grübelneigung mit ihrem Uebergang in Zwangs¬
vorstellungen, Gespensterfurcht, das Sichverlieben u. a. erscheint indessen hierbei
selbst auf dem Umwege über die „abnorme Labilität des Stimmungsgleichgewichtes“,
den Verf. einschlägt, etwas gezwungen. Das Kapitel „Theoretisches zur Ent-
y Google
761
8tehnng der Laune“ enthält einen Ezcars über die „kathartische“ Methode von
Breuer und Freud, die Verf. augenscheinlich auch auf die Behandlung der
Launen angewandt wissen will. Damit ist es schwer zu vereinigen, wenn er im
letzten Kapitel: „Abhülfe der Laune“ u. a. sagt, dass „ein unvermitteltes Abladen
starker Erregungen auf die jeweilige Umgebung bestenfalls nur eine unvollstän¬
dige, vorübergehende Erleichterung bringt, nie auf die Dauer“; das stimmt wenig
zu der Theorie von der schädlichen Wirkung des „eingeklemmten Affectes“. —
Die Arbeit schliesst mit einem Aufruf zur Beachtung der beiden grossen Auf¬
gaben: Hygiene des gesunden und Sanirung des nicht gesunden Gefühlslebens.
H. Haenel (Dresden).
14) Die Freiheit des Willens vom Standpunkte der Fsyohopathologie, von
A. Hoche. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. XIY. Wiesbaden
1902, J. F. Bergmann.)
Es ist auffallend, dass bisher kaum der Versuch gemacht worden ist, die
ärztlichen Erfahrungen über abnormes Seelenleben bei der Erörterung der Frage
nach der Willensfreiheit heranzuziehen. Verf. hat sich diese Aufgabe gestellt und
behandelt sie in kurzer und klarer, durch philosophische Schulung ebenso wie
durch psychiatrische Erfahrung aufs vorthei lhafteste befruchteten Form. Er for-
mulirt das Problem dahin: wie ist unser Freiheitsbewusstsein zu vereinigen mit
unserer Ueberzeugung von einer durchgehenden gesetzmässigen ursächlichen Be¬
dingtheit allen Geschehens? Nachdem er, besonders durch Betrachtung der Ueber-
gangsfälle, erwiesen hat, dass die Erfahrungen der Psychopathologie auch für die
normale Psychologie zu verwerthen sind, dass bei den Fällen der ersteren Art,
d. h. bei Geisteskranken, keinerlei principiell neue Elemente Vorkommen, zeigt
er, dass das Gefühl der Freiheit unserer Handlungen für die vorliegende Frage
nicht maassgebend ist, weil es auoh bei zweifellos unfreien Handlungen sich ein-
stellt und überhaupt bei näherer Betrachtung sich als eine geBetzmässige Begleit¬
erscheinung der Auslösung von Willensvorgängen überhaupt darstellt. Einen
Willen in dem Sinne einer über allen anderen psychischen Vorgängen stehenden
Oberinstanz mit wählenden und entscheidenden Functionen giebt es gar nicht;
mit „Willen“ bezeichnen wir nur das unser Handeln begleitende Bewusstsein der
Selbstthätigkeit. Und auch die subjective Ueberzeugung, frei zu sein, ist nicht
beweisend, da gesetzmässige Mängel der Reproduction das Erinnerungsbild der
inneren Situation bei der Entschliessung nicht unverfälscht erscheinen lassen, wenn
darüber reflectirt wird. (Wäre dieser Grund in vollem Umfange sichhaltig, so
fiele damit allerdings die gesammte „introspective“ Psychologie, die es im Grunde
doch stets nur mit Reflexionen über Erinnerungsbilder zu thun hat. Ref.) —
Von Interesse sind die Betrachtungen des Verf.’s über das Gewissen bei Gesunden
und Geisteskranken und im Anschluss daran über die Frage nach dem „intelli-
giblen Charakter“ im Sinne Kant’s; er zeigt, dass das Gewissen bei letzteren
dieselben Variationen aufweist wie alle anderen Gefühle; dass es schwindet, dass
spontane, objectiv unbegründete Gewissensregungen auftreten, dass es von vorn
herein verkümmert entwickelt sein kann u. A., und deshalb jedenfalls untauglich
ist, um als Beweis für die Existenz des „intelligiblen Charakters“, d. h. des dem
empirischen Charakter zu Grunde liegenden Dinges an sich, zu dienen. — Verf.
kommt zu dem Schlussergebniss, dass die Erfahrungen der Psychopathologie mit
Nothwendigkeit in der Frage der Willensfreiheit zum Determinismus führen: das
Princip der CauBalität hat nicht nur für die materielle, sondern auch für die
geistige Seite des Denkvorgangs Gültigkeit. Deshalb wird aber an dem Gefühl
der Verantwortlichkeit, das die Handlungen des Einzelnen leitet, und das als
Begung des Gewissens bezeichnet wird, durch die wissenschaftliche Ueberzeugung
nichts geändert, dass auch dieses Gefühl nothwendig determinirt ist.
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762
Du Ziel der Vortragssammlung, in der die Arbeit erschienen ist, Ge¬
bildete aller Stande* geschrieben an sein, erfüllt sie anerkennenswerther Weile
in vollem Maasse. H. Haenel (Dresden).
Pathologie des Nervensystems.
15) Bemerkungen tur klinischen Beobachtung der Haut- und Sehnes-
reflexe der unteren Körperhälfte, von Dr. S. Schoenborn, Assistenxant
an der medicinischen Klinik in Heidelberg. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬
heilkunde. XXI. 1902.)
Der Patellarreflex fehlt nur in 0,04 °/ 0 und der Achillessehnenreflex nur in
1 % der Fälle bei Gesunden. Bei Tabes ist du Nichtvorhandensein des letzteren
ebenso typisch, wie du Auftreten des Westphal’sohen Zeichens. Der Adduetoren-
reflex fand sich bei 34°/ 0 der Nervengesunden, der Reflex der Sehne des Tibialis
post, nur bei 20°/ o mit unversehrtem Nervensystem. Unter 100 Fällen war der
obere Bauchreflex 98 Mal vorhanden, 1 Mal zweifelhaft und fehlte 1 Mal; der
mittlere liess sich 99 Mal nachweisen, war 1 Mal zweifelhaft, während der unter?
98 Mal festzustellen war, 1 Mal fehlte und 1 Mal unsicher war. Fast die gleichen
Zahlen fanden sich für den Cremasterreflex; der Analreflex (am besten auslöätr
als Stich- oder Strichreflex) wurde 80 Mal festgestellt. Der Skrot&lrefiex wird
am besten durch 5—6 maliges Streichen der Analgegend ausgelöst und fand zieh
unter 100 Nervengesunden 92 Mal, fehlte 5 Mal und war in 3 Fällen zweifel¬
haft. Er zeigt sich als träge, wurmförmige Contraction der Tunica dartos scroti
und dauert immer mehrere Stunden an. Sein Centrum liegt vermuthlich aa
analen Abschnitt des Perineums. Der Plantarreflex wurde in 98°/ 0 nachgewiesen;
er fehlt bei krankhaften Störungen in erster Linie bei der Tabes. In Bezug a*f
den Babinski’schen Zehenreflex erwähnt Verf., dass du Centruin der reflexogsn«
Zone stets in der Mitte des inneren Fussrandes liegt. Charakteristisch für ihn
ist die ausschliessliche Dorsalflexion der grossen Zehe und sein auffallend triger
Charakter. Er liess sich bei Nervengesunden niemals feststellen. Bei Paralyw
agitans fehlte er constant. Auch Verf. hält ihn bei Afieotionen der Pyramide«-
bahnen für pathognostisch und gleichwertig mit Steigerung der Sehnenreflexe.
Seine Ursache bleibt zunächst nooh dunkel. E. Asch (Frankfurt a/M.).
16) A oontributlon to the olinioal aignifloanoe of absenoe of the tendo
aohillea jerk, by E. Bramwell. (Brain. 1901. Winter.)
Verf. hat seine Untersuchungen auf über 1000 Gesunde und Kranke jed«
Alters und Geschlechtes ausgedehnt Er kommt zu folgenden Schlüssen: Der
Achillesreflex ist bei Gesunden unter 50 Jahren immer vorhanden; sein Fehlen
bedeutet hier immer du Vorhandensein eines organischen Leidens. Von 60 Jahr«
an nimmt die Constanz und die Stärke des Achillesreflexes allmählich ab und
kann bei alten Leuten du Fehlen diagnostisch nicht mehr verwerthet werden
(50% über 80 Jahre). Meist fehlt der Achillesreflex in den Fällen, wo auch der
Patellarreflex fehlt — periphere Neuritis, Tabes dorsalis; doch kommt es unter
bestimmten Umständen zum Fehlen der Achillesreflexe bei Vorhandensein des
Patellarreflexes; so ist z. B. bei Tabes der Achillesreflex gewöhnlich eher erloschen
als der Patellarreflex, wu natürlich in diagnostischer Beziehung von grosser Be¬
deutung ist. Häufig fehlt er bei neuritiseber Ischias auf der kranken Seite und
kann hier viele Jahre noch fehlen, nachdem die Schmerzen längst vorüber sind.
Verf. fand den Achillesreflex auch fehlend bei Diabetes und bei Aortenaneurysm»;
in den letzteren Fällen bestand Argyll-Robertson’s Phänomen; hier bestand
y Google
763
Syphilis und Verf. glaubt, dass das Fehlen des Achillesreflexes auoh das einzige
Zeichen überstandener Syphilis sein könnö. Manchmal kann das Fehlen des
Achillesreflexes auoh für die Segmentdiagnose von Bückenmarkserkrankungen von
Wichtigkeit sein. Bruns.
17) Beitrag nur Aetiologie der Dupuytren’sohen Fingeroontraotur, von Dr.
Wilhelm Neuda. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 39.)
Verf. theilt einen Fall von beiderseitiger Dupuytren’scher Contractur der
Hände bei einem 46j ähr. Schlosser mit, der ausserdem Symptome von Syringo¬
myelie des oberen Brustmarkes, des Halsmarkes und des untersten Abschnittes der
Medulla oblongata sowie des Lendenmarkes bot: Schwindel, Kopfschmerz, Schmerzen
im rechten Arm, Parästhesieen daselbst, nystagmusartige Zuckungen, leichte Kypho¬
skoliose, geringe Muskelatrophie des linken Vorderarmes und Thenar, Reflex¬
steigerung der rechten oberen Extremität und beider Patellarreflexe; rechts An¬
deutung von Fussklonus. Keine trophischen Störungen. Tastempfindung wenig
verändert; Druoksinn-, Lage- und Bewegungsempfindung normal. Temperatur- und
Schmerzempfindung besonders rechts herabgesetzt.
Verf. fasst die Dupuytren’schen Contractur als trophisohe Störung auf. Jede
zu allgemeiner Ernährungsstörung führende Erkrankung könne auch bei ent¬
sprechend langer Dauer Dupuytren'sche Contractur erzeugen. Aetiologisch
spielen namentlich jene nervösen Erkrankungen eine Rolle, welche mit trophischen
Störungen einhergehen, vor allem die Syringomyelie. Die Dupuytren’sche Con¬
tractur kann zu den ersten Symptomen derselben zählen. Trauma als ätio¬
logisches Moment ist nicht auszuschliessen, wird aber oft fälschlich angenommen.
Die nichtoperative Heilbarkeit ist möglich. J. Sorgo (Wien).
18) Bin Fall von Erb’soher Lähmung, von Paliski. (Czasopismo lekarskie.
1901. S. 316. [Polnisch.])
Verf. beschreibt einen Fall von Erb’scher Lähmung bei einem 23jährigen
Manne, welcher plötzlich bemerkte, dass er die rechte obere Extremität nicht
mehr heben kann. Status nach 3 Monaten zeigte Atrophie der Mm. supra- et
infraspinatus, deltoideus, biceps und brachialis internus, keine Sensibilitätsstörungen.
Quantitative Abschwächung der elektrischen Reaction ohne Entartungsreaction.
Parese entsprechender Bewegungen. Die Erkrankung entstand nach einer Er¬
kältung. Edward Flatau (Warschau).
19) Ueber intermittirendes Hinken — Claudioation intermittente (Charoot)
— als Symptom von Arteriosklerose, von Dr. Jarl Hagelstam in
Helsingfors. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.)
Es werden sieben Beobachtungen von intermittirendem Hinken mitgetheilt
und dabei die Symptome des Leidens ausführlich beschrieben. In einem Fall
verschwanden die Störungen während einer relativ langen Zeit in der einen
Extremität und localisirten sich mittlerweile in dem anderen Fuss. In der weit¬
aus grossen Mehrzahl der Fälle besteht eine unzweifelhafte, zur Arteriosklerose
disponirende Diathese. So gaben von den sieben Patienten des Verf.’s fünf an,
dass ihre Väter SchlagamäUe erlitten haben. Ausser der Arteriitis obliterans
spielen Entartungs- und Verkalkungsprocesse dabei eine Rolle, ferner kommen
auch nervöse Einflüsse in Betracht, besonders wenn es sich um die hyperplastische
Form der Endarteriitis handelt. Wahrscheinlich erhöht eine angeborene Dispo¬
sition für Erkrankungen des Gefässapparates die Möglichkeit des Auftretens dieses
Leidens. Bemerkenswerth ist, dass unter sämmtlichen, bis jetzt beschriebenen
y Google
764
Füllen mit einer einzigen Ausnahme nur männliche Patienten betroffen worden
und dass die meisten Beobachtungen Russland, Polen und den baltischen Provinzen
entstammen. Am häufigsten tritt das Leiden zwischen dem 50. und 60. Lebens¬
jahre auf, wenn es auch nicht selten bei j fingeren Personen und gelegentlich gar
vor dem 20. Jahre bemerkt wurde. Seljf häufig wird Tabakmissbrauch betont
Verf. hält es für wahrscheinlich, dass verschiedene, unter sich combinirte Reize,
wie auob chronische In toxi cationsvorgänge eine grosse Rolle spielen, bei Personen
mit ererbter oder erworbener Disposition für Arteriosklerose unter Vermittelung
der vasomotorischen Nerven, die starke Blutgefässveränderungen hervorxurufen
vermögen, die wir als Arteriitis obliterans bezeichnen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Ein Fall von Claudioation intermittente, von Pafiski. (Czasopismo
1902. Nr. 4. [Polnisch.])
Verf. beriohtet über einen Fall von Claudication intermittente. Der Fall
betraf einen 64jähr. Mann, bei welchem vor l 1 /* Jahren sehr intensive Schmerzen
im rechten Bein und vor 2 Monaten im linken Bein entstanden. Nach etwa
20 Schritten muss der Kranke ausruhen. Die Ffisse sind kalt, cyanotis ch mit
rosigen Flecken. Die erste Zehe des rechten Fusses und zwei Zehen des linken
sind kalt und völlig weiss. Der Puls ist weder in Art dorsalis pedia, noch in
Art. tibialis post fühlbar. Ausserdem Muskelatrophie im rechten Bein. Myo-
degeneratio cordis. Nervenstämme nicht druckempfindlich. Sonstige nervöse
Störungen fehlten. Edward Flatau (Warschau).
21) Dm polynövritM, par Maurice Perrin. (Paris, 1901, J. B. Bai liiere
et Fils. 243 S.)
Verf. giebt in seiner fleissigen Arbeit den Stand unserer heutigen Kenntnisse
über die Polyneuritis wieder, er bespricht in ausführlicher Weise unter Bei¬
bringung von 32 eigenen Beobachtungen die Symptomatologie, Aetiologie, patho¬
logische Anatomie, Pathogenese, Diagnostik, Prognose und Therapie der Poly¬
neuritis. Ein sehr umfassendes und vollständiges Litteraturverzeichniss beschließt
das Werk.
Aus dem pathologisch-anatomischen Theil ist hervorzuheben, dass nach An¬
sicht des Verf.’s die bei der Seotion gefundenen Veränderungen der Rückenmarks-
zellen (Chromatolyse) bei der Polyneuritis secundärer Natur, die Folgen einer
Femreaction der Nervenzelle (Marinesco) sind und wieder ausgeglichen werden
können, da das Trophoplasma intact bleibt und nur die Reserveelemente der Zelle
angegriffen werden. Im Gegensatz hierzu wird bei der Poliomyelitis, bei welcher
die Zelle primär erkrankt, das Trophoplasma lädirt. Ebenso hält Verf. die bei
der polyneuritischen Psychose (Korsakoff) gefundenen Zellveränderungen der
Hirnrinde für secundär und für die Folgen von Axencylindererkrankungen.
Verf. unterscheidet die reinen Polyneuritiden, bei denen der Nerv isolirt
erkrankt ist ohne jede Zellveränderung überhaupt oder mit Zell Veränderungen
secundärer Natur („räaction k distance“), von den oellulo-neuritischen Formen; bei
letzteren besteht eine primäre Zellerkrankung im Rückenmark, und zwar ist ent¬
weder die Zelle durch Einwirkung desselben Giftes und gleichzeitig wie der Nerv
lädirt oder aber die Polyneuritis ist in die „poliomyelitische Phase“ übergetreten,
d. h. das Trophoplasma hat eine Veränderung erfahren, weil seine Zelle zu lange
Zeit unter der Läsion des Nerven gelitten hat oder die Gifitwirkung zu lange
anhält: zunächst hatte das Gift nur den Axencylinder, den am wenigsten wider¬
standsfähigen Theil des Neurons, getroffen, jetzt bricht es auch den Widerstand
des kräftigeren Theiles des Neurons, des Zellkörpers.
y Google
765
Eine Sonderstellung unter den Polyneuritiden, doch zu ihnen gehörig, nehmen
nach Verf. die Atrophie Charcot-Marie und die „nfrvrite interstitielle hyper-
trophique“ ein.
Die Differentialdiagnose zwischen Polyneuritis einerseits und Tabes sowie
Poliomyelitis andererseits wird ausführlich besprochen und das Verhältniss der
Poliomyelitis zur motorischen Neuritis gleichgestellt demjenigen der Tabes zur
sensiblen Neuritis. Kurt Mendel.
22) Neuritis aouta universalis asoendens (Landry’s Paralyse), af Saverin
Nordenthoft Thomsen. (Hosp. Tid. 1901. Nr. 8.)
Eine 33 Jahre alte Frau wurde, nachdem sie seit 8 Tagen an Schwache in
den Knieen und Parästhesieen in den Beinen gelitten hatte, am 18. August 1900
von Paraparese beider Beine mit Parästhesie in der Zunge befallen; die Parese
bildete sich zu fast vollständiger Paralyse aus. Am 21. August begann Parese in
den Armen, die sich ebenfalls zu fast vollständiger Paralyse steigerte. Am
24. August begannen Sprachstörungen, Schlingbeschwerden, Gesichtslähmung.
Harn- und Darmentleerungen waren normal, wie auch die Temperatur und die
Sensibilität. Bei der Untersuchung am 27. August bestand nur noch minimale
Beweglichkeit der Zehen und Finger und in den Fussgelenken und den Hand¬
gelenken sowie in den Ellenbogengelenken. Patientin konnte keinen Gegenstand
fassen und ihre Lage nicht verändern. Die Zunge wurde mit Schwierigkeit etwas
herausgestreckt, sie war dick; die Lippen waren unbeweglich und der Mund
konnte nur mit Schwierigkeit etwas geöffnet werden. Die Pupillen waren klein
und reagirten. Die Bewegungen der Augen waren frei, es bestand Lagophthalmus
and die Augenlider konnten nicht geschlossen werden. Patellarreflexe, Fussklonus
and Hautreflexe fehlten. Die Temperatur war normal, der Puls hatte 110 Schläge,
Rhythmus und Fülle desselben waren etwas wechselnd. An den Halswirbeln waren
die Proc. spinosi empfindlich, es bestand Gürtelgefühl und Hüftschmerz. Der
Stuhlgang war träg, nach Abführmitteln erfolgten aber reichliche Entleerungen.
Unter Anwendung von Jodkalium und Quecksilbereinreibungen wurde zunächst
das Schlingen und die Sprache etwas besser, am 7. September begannen auch die
anderen Lähmungen zu schwinden, am 17. September befand sich die Patientin
-wohl und wurde später vollständig gesund.
Nach dem Verf. handelt es sich um Landry ’sche Paralyse, ob die Besserung
durch die eingeleitete Behandlung herbeigeführt wurde, will er nicht behaupten.
Walter Berger (Leipzig).
23) Zur Lehre vom Anfangsstadium der Polyneuritis, von Popow. (Obos-
renije psichiatrii. 1900. Nr. 7.)
Die Polyneuritiker kommen meist erst in vorgeschritteneren Stadien ihrer
Krankheit in ärztliche Behandlung, zu einer Zeit, wo schon starke anatomische
Veränderungen Platz gegriffen haben. Es wäre daher wichtig, diese Krankheit
schon frühzeitig zu erkennen und Verf. giebt nun in seiner Arbeit einige Fälle
wieder, in denen er Polyneuritis diagnosticiren konnte, noch ehe irgend ein sub-
jectives Symptom auf das Leiden hinwies. Die betreffenden Kranken waren
anderer Leiden wegen in Behandlung gekommen und bei der nebenbei vor¬
genommenen elektrischen Untersuchung fand sich auf einer Seite Entartungsreaction
and Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit in den kleinen Muskeln der Hand.
In allen 4 Fällen, die Verf. mittheilt, fehlten jegliche subjectiven Erscheinungen.
Diese Beobachtung würde mit den Experimentalergebnissen H. Braun’s überein¬
stimmen, der bei künstlicher Alkoholneuritis bei Hunden schwere anatomische
Däsionen der Nerven ohne Paresen oder Störungen der Sensibilität fand, sowie
y Google
766
auch mit der Hypothese Erb’s, dass die elektrische Erregbarkeit an die Intsct-
heit des Myelins gebunden ist, während der centrale Beiz bei blosser Intactheit
des Axencylinders erhalten bleibt.
Es ist also anzunehmen, dass das Anfangsstadium der Polyneuritis eine lange
Periode des Latentseins enthält, denn es ist nicht glaubhaft, dass anatomische
Veränderungen, die sohon subjective Beschwerden geben, sich über Nacht ent¬
wickeln ^sollten.
Welchen Werth diese Erkenntniss für die Prophylaxe der professionellen
Neuritiden hat, liegt auf der Hand. Wilh. Stieda
24) Ein. Fall von Polyneuritis der Gehimnerven, von Budinger. (Jatrb,
£ Psych. u. Neur. XXII. S. 141.)
31jähr. Frau, Lues fraglich, erkrankt ziemlich acut nach refrigeratorisehen
Schädlichkeiten an Parästhesieen der rechten Gesichtsseite, die später einer Em¬
pfindungslosigkeit Platz machten. Dann traten daselbBt heftige Neuralgieen uf,
es entwickelte sich eine Keratitis neuroparalytica rechterseits, weswegen Patientin
Spitalspfiege aufsuchte. Wegen einer nicht näher geschilderten Psychose (an¬
geblich pathologischer Angstaffect in imbecilla) Aufnahme auf die psychiatrische
Klinik, woselbst folgender Befund erhoben wurde: Druckempfindlichkeit der rechtes
Trigeminalpunkte, totale Anästhesie für alle Qualitäten im Bereiche dea rechten
Quintus, rechtsseitige Kaumuskellähmung mit Atrophie und elektrisobe Unerreg-
barkeit derselben, Subluxation des Unterkiefers, Ageusie in den vorderen zwei
Dritteln der reohten Zungenhälfte, Keratitis neuroparalytica dextra, Otitis roedis
suppurativa rechts und Affection des reohten Acusticus. Thränen-, Speichel- usd
Sehweisssecretion beiderseits ungestört. Im Verlaufe der Erkrankung, welch*
merkwürdige Remissionen und Exacerbationen zeigte, complete linksseitige Facialä-
lähmung mit Versiegen der Thränensecretion linkerseits. Antirheumatiscbe Be¬
handlung erfolglos; specifische Therapie (Sublimatinjectionen) brachte Bessenme
Patientin entzog sich vorzeitig der Behandlung.
Ver£ Bchliesst eine luetische Meningitis, ebenso ein endocranieUee Gums»
aus und nimmt eine primär syphilitische Erkrankung der Nerven an. Besonder»
erwähnenswerth erscheint hier die Atrophie der Kaumusculatur mit aufgehobener
elektrischer Erregbarkeit. Mit C. W. Müller bringt Verf. auch die Otitis ia
Beziehung zur Trigeminusaffeotion, während es dahingestellt bleiben muss, ob dir
Acusticuserkrankung Folge der ersteren ist, oder in Analogie zu setzen ist der
Affection des Quintus und Facialis. Pilcz (Wien).
25) Ein Fall von Polyneurltia oder Poliomyelitis anterior subaoota adul¬
torum, von Paliski. (Czasopismo lekarskie. 1901. S. 98. [Polnisch.])
Verf. berichtet über eine 20jährige Sehneiderin, bei welcher allmählich
Schwäche hauptsächlich in der rechten oberen Extremität entstand (Mm. extern««
digitorum, interossei und lumbricales) mit Entartungsreaction und ohne Scms-
bilitätsstörungen. Keine Schmerzen (im Beginn der Erkrankung waren diesedbec
in den Händen vorhanden). Bechte Pupille enger als die linke. Beaction er¬
halten. Das ganze Bild erinnert an die Poliomyelitis oder Polyneuritis beispiels¬
weise nach Bleivergiftung. Die letztere fehlte aber in der Anamnese.
Edward Flatau (Warschau).
26) Ein Fall von Polyneurltia peripherica als Folgesuatand von. Typhus
abdominalis, von Julias Fischer. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.)
7 Tage nach dem Fieberabfall eines uncomplioirten Typhus stellte» akk
heftige rennende Schmerzen in den Beinen, Schmerzhaftigkeit der Druckpunkte
Google
767
im Verlauf der Nn. isohiadici und peronei, am 11. Tage sohon eine Atrophie der
Muaculatur der Beine, verbunden mit verstärkter Druckempfindlichkeit derselben
ein. Die Schwäche der Beine war eine erhebliche; eine starke Hyperästhesie der
Haut gesellte sich dazu, die Hautreflexe waren gesteigert, die Sehnen- und Periost¬
reflexe blieben während der ganzen Dauer der Krankheit normal, ebenso konnten
niemals Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit nachgewiesen werden, ein
Umstand, durch den die verhältnissmässig schnelle, nach 4 Monaten vollständige
Wiederherstellung des Patienten erklärlich wird. Auffällig war noch eine an¬
dauernde Pulsbeschleunigung bei Abwesenheit von Fieber. Blasenstörungen
fehlten dauernd. Hauptsächlich wegen des Erhaltenbleibens der Reflexe und des
Fehlens der Entartungsreaction glaubt Verf. die Diagnose auf interstitielle acute
Neuritis stellen zu müssen. H. Haenel (Dresden).
27) Ein Fall von postpuerperaler Entzündung der nervösen Plexus der
oberen und unteren Extremitäten, von W. Pulawski. (Czasopismo
lekarskie. 1901. Nr. 12. [Polnisch.])
Ver£ beschreibt folgenden Fall von puerperaler Entzündung der Plexus der
oberen und unteren Extremitäten. Am zweiten Tage nach der Gehurt (mit
grossem Blutverlust) zeigte sich ein Anfall von intensiven Schmerzen in der
rechten Halshälfte und im rechten Arm mit Parästhesieen in der ganzen rechten
oberen Extremität. Gleichzeitig Parese daselbst. Der Anfall dauerte eine Stunde
und wiederholte sich am nächsten und an folgenden Tagen mehrmals, wobei
gleichzeitig die Temperatur allmählich stieg. Scbmerzanfälle auch in der linken
oberen Extremität. Grosse Schmerzhaftigkeit in der linken oberen Extremität
und bei passiven Bewegungen in dem Plexus brachialis (besonders rechts). Nach
einem Monate sehr intensive Schmerzen im Kreuz und in den Beinen, wobei jede
active oder passive Bewegung unerträgliche Schmerzen verursachte. Allmähliche
Besserung und Heilung. Verf. diagnosticirte infectiöse Entzündung des Plexus
brachial» und Lumbosacralis. Edward Flatau (Warschau).
28) Polynevrite toxique professionelle , par Soupault et Fran^ais. (Pro-
gr&i m6dioaL 1901. Nr. 44.)
Die Verff. theilen Beobachtungen mit über schädliche Einwirkungen des
Beugens an den oberen und unteren Extremitäten hei Arbeiterinnen der Färberei¬
branche. Adolf Passow (Meiningen).
29) BoeohäfÜgnngsneuritla im Gebiet des Plexus braohialis, von Dr.
L. Hoeflmayr in München. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 45.)
In einer Reihe von Fällen, die mit einer Ausnahme Schreiner und Weiss¬
gerber betrafen, welche vorher ganz gesund waren, beobachtete Verf. ausschliess¬
lich rechts eine sehr schmerzhafte Bewegungsstörung des Oberarms mit Druck¬
punkten am Deltoideus und in der Supraclaviculargrube. Das hauptsächlichste
Symptom war die Unmöglichkeit, den rechten Arm einwärts zu rollen und auf
den Rücken zu bringen oder seitwärts hoch zu heben. Sensibilitäts- und trophisohe
Storungen fehlten vollkommen, elektrisch fand sich nur erhöhte faradisohe Erreg¬
barkeit für den Nerven. Es handelte sich um eine Neuritis der Nn. subsoapulares
und des N. axillar», welche die getroffenen Muskeln (M. latissimus dorsi und
Deltoideus) innerviren. Offenbar war das Leiden durch stetige Muskelcontractionen
ohne genügende Entspannung und dadurch eingetretene Ueberreizung des Nerven
entstanden. Nach 8—9wöchentlicher Behandlung (Ruhe, Wärme, Galvanisation
und später schwache Faradisation) trat Heilung ein.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
y Google
768
80) Rüokenmarksveränderungen bei Polyneuritis, von Franz Kramer.
(Inaug. -Dissert. Breslau, 1902.)
Yerf. berichtet über einen Fall von Polyneuritia mit Sectionabefund. Ee
handelt sich um eine 37jährige Potatrix, bei der aich in wenigen Wochen ein
durch achwerate Ataxie, Schmerzen, fehlende Sehnenreflexe, Hyperästhesie und
leichte Paresen charakterisier Symptomencomplex ausbildet. Durch eine acute
Verschlimmerung tritt dann in wenigen Tagen eine fast völlige Paraplegie beider
Beine auf; in diesem Stadium stellen sich auch Pupillenstarre und Blasenstörongen
ein. Darauf Besserung des Zustandes, doch bleiben erhebliche Motilitätsstörungen
der Beine und Ataxie der Arme zurück. Pupillen- und Blasenanomalieen ver¬
schwinden wieder völlig. l x / 4 Jahr nach Beginn der Erkrankung geht die P*t
ziemlich schnell an Lungentuberculose zu Grunde. — Auch in einem zweites
Falle konnte Verf. vorübergehende Pupillenstarre bei einem Alkoholiker fentstellen
Im Anschluss an den zuerst mitgetheilten Fall bespricht Verf. des Näheren die
Differentialdiagnose zwischen Tabes und Polyneuritis, speciell ihre Verschiedenheit
betreffs Aetiologie (bei Tabes meist Lues, bei Polyneuritis meist Alkohol), Ver¬
laufs und Prognose der beiden Krankheiten. Die Polyneuritis befällt fest regel¬
mässig das motorische Neuron und bewirkt stets Veränderungen an den peripherer
Nerven, die Tabes afficirt immer den centralen Theil des sensiblen Neurons,
während sie die peripheren Theile desselben sowie das motorische Neuron über
haupt verschonen kann. „Da nun die Symptomatologie der Erkrankungen de
Nervensystems im wesentlichen von der Localisation des Krankheitsprocesses «b-
hängt, so werden wir entsprechend der eben erwähnten Verschiedenheit der
Localisation auch Verschiedenheiten der Symptomatologie zu erwarten haben, die
uns, wie es ja auch in der Tbat der Fall ist, für die Mehrzahl der Fälle
einen Zweifel an der Diagnose gar nicht aufkommen lassen. Da jedoch die
Verschiedenheiten der Localisation nur graduelle und keine principiellen sind,
da jede von beiden Krankheiten die von der anderen bevorzugten Localitäte
afficiren kann, so werden wir auch klinisch alle denkbaren Uebergänge zwischen
beiden Krankheiten zu erwarten haben.“
Die Bückenmarksveränderungen bei Polyneuritis, welche übrigens nicht seit®
beobachtet werden, lassen einen gewissen Typus erkennen, indem sie in de:
grossen Mehrzahl der Fälle nur die intramedullär gelegenen Antheile der beide*
peripheren Neurone betreffen, während diejenigen Bückenmarksstränge, welche dk
centralen Neurone enthalten (Pyramidenbahn, Kleinhimseitenstrangbahn, Vorder*
seitenstranggrundbündel) nur äusserst selten Veränderungen zeigen.
Kurt MendeL
31) Ueber einen Fall von polyneuritisoher Psychose („Korsakow’scher“
Psychose) mit eigenthümliohem Verhalten der Sehnenreflexe, von Prof
Westphal in Greifswald. (Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 5.)
Der im übrigen typische Fall von polyneuritisoher Psychose zeigte als ur-
gewöhnlichen Befund, dass die Patellarreflexe beiderseits, auch mit Jendriask
völlig fehlen und dass bei Percussion der Patellarsehnen regelmässig in des
entgegengesetzten Adductorengebiet eine lebhafte, ausgiebige Zuckung auftntt-
Für Erklärung dieser Beflexverhältnisse verweist Verf. auf ein Experiment tcc
S ternberg. Letzterer konnte nachweisen, dass die nach Durchschneidung der
Nerven und Loslösung des Quadriceps von der Patella beim Beklopfen der PateEar*
sehne auf der entgegengesetzten Seite auftretende Muskelzuckung Folge eins
durch den Femur und das Becken auf die andere Seite geleiteten Kn och«-
(Periost)Beflexes sei. Verf. denkt daran, dass in seinem Falle die Nervendurch¬
schneidung des Experimentes durch die neuritische Leitungsunterbrechung ersetzt
b V Google
769
worden sei und dass auf der gekreuzten Seite, analog der bei Thieren durch
Rückenmarksdurchschneidung bedingten Reflexerhöhung, vielleicht eine Reflex¬
steigerung durch Reizzustande im Gebiet des N. obturatorius vorlag.
R. Pfeiffer.
32) Ein Fall von progressiver neuritlsoher Atrophie mit Exacerbationen
im Frühling, von Goldenberg. (Czasopismo lekarskie. 1901. Nr. 5.
[Polnisch.])
Verf. berichtet über folgenden Fall von progressiver neurotischer Atrophie
mit Exacerbationen im Frühling. Der 8jährige Knabe klagte über ziehende
Schmerzen in den Beinen, besonders in den Füssen, und über Gangstörung. Im
4. Lebensjahre musste der Knabe im Frühling lange Zeit zu Bett bleiben, weil
er weder die oberen noch die unteren Extremitäten bewegen konnte. Allmähliche
Besserung, aber keine völlige Restitution. Seither tritt bei dem Pat. stets in
der Frühlingszeit eine Verschlimmerung ein, so dass er eine Zeit lang liegen
muss. Auch im letzten Jahre klagte er zu derselben Zeit über Schmerzen in den
Füssen. Status: Abmagerung, grosse Schmerzhaftigkeit der Fussgelenke ohne
Schwellung. Pat. kann auf den untereinander gekreuzten Beinen sitzen. Bein¬
streckung erhalten. Beugung im Hüft- und Kniegelenk schwach. Bewegungen
des Fusses und der Zehen nicht möglich. Deutliche Atrophie der Unterschenkel
und eine geringere der Oberschenkel. Patellarreflexe fehlen. Keine fibrillären
Zuckungen. Die Bewegungen in den Arm- und Ellenbogengelenken erhalten, im
Handgelenk ist nur die Beugung möglich. Atrophie der Handmuskeln mit Störung
der Beweglichkeit der Finger. Allmähliche Besserung mit Wiederkehr der Patellar¬
reflexe. Pat. läuft herum, die Kraft in den Händen hat zugenommen. Es ist zu
bemerken, dass ein Bruder des Pat. an ähnlicher Krankheit gelitten hat und in
seinem 29. Lebensjahre gestorben ist (Ueber die Sensibilität und die elektrische
Reaction findet man keine Notiz in der Arbeit. Ref.)
4 Edward Flatau (Warschau).
33) Ein Fall von acuter Landry’soher Spinalparalyse bei einem Kinde
von 7 Jahren, von P. Marcuse in Berlin. (Deutsche med. Wochensohr.
1902. Nr. 4.)
Das einzig Bemerkenswerthe des Falles ist das jugendliche Alter des Kranken,
da die Landry’sohe Paralyse in der Kindheit selten ist. R. Pfeiffer.
34) Ueber einen Fall von Landry’soher Paralyse nach Keuchhusten, von
. H. Hagedorn. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1902.)
Landry’sche Paralyse im Kindesalter ist sehr selten. Nach ziemlich aus¬
führlicher Wiedergabe der wenigen bisher beschriebenen Fälle berichtet Verf.
über einen eigenen Fall, in dem sich die lethale Erkrankung mit Lähmung der
unteren und oberen Extremitäten und der Bulbärnerven, letztere vor der der
Arme, an Keuchhusten angeschlossen hatte. Die Krankengeschichte ist kurz und
unvollkommen, die Unterschiede von der Landry’schen Paralyse trotzdem recht
wesentliche (hohes Fieber, Kopfschmerz, tagelange Benommenheit — Verf. spricht
von „mangelhaftem Sensorium“! —, dauerndes Erhaltenbleiben der Reflexe, völlige
doppelseitige Ptosis; von dem Verhalten der übrigen Augenmuskeln wird nichts
erwähnt); ein elektrischer Befund ist nicht erhoben worden, ebenso wenig liegt
eine Autopsie vor. Der Versuch einer differential-diagnostischen Erörterung wird
gar nicht gemacht; das Bild sei „ein so vollkommenes und klares, dass es eine
andere Deutung nioht zulasse“! (Meningitis? Ref). Da die ersten drei Viertel
49
y Google
770
der Arbeit nichts als eine Abschrift (ausführliche Krankengeschichten!) der wenigen
schon anderweitig veröffentlichten Befunde sind, so kann man derselben, auch ab*
gesehen von dem sehr zweifelhaften neuen Fall, irgend eine wissenschaftliche Be¬
deutung nicht zusprechen; sie ist typisch für den Tiefstand eines Theiles der
heutigen Dissertationslitteratur, und es wäre gewiss nur zum Vortheil der Wissen¬
schaft im Allgemeinen, wenn die Facultäten bezw. die Herren Referenten derselben
bei der Genehmigung zur Drucklegung von Dissertationen einen etwas strengeren
Maassstab anlegten. H. Haenel (Dresden).
35) Landry’sohe Paralyse in aoutester Form, von Oberstabsarzt Dr. Gossner
in Brandenburg a. d. H. (Münchener med. Wochensohr. 1902. Nr. 20.)
Bei einem vorher ganz gesunden Soldaten traten nach vorhergehendem Fieber
und bei ganz freiem Sensorium plötzlich die Erscheinungen von schlaffer Lähmung
an sämmtlichen Extremitäten auf. Nur im linken Arm bestand noch minimale
Bewegungsfähigkeit, verschwand aber auch am zweiten Krankheitstage. Keine
Störungen der Augenmuskeln, des Facialis und der Sprache. Hautreflexe leicht
gesteigert, Sehnenreflexe geschwunden, Sensibilität erhalten, elektrische Erregbar¬
keit normal. Nach 2 Tagen Schling- und Schluckbeschwerden, undeutliche Sprache
und unter Zunahme dieser Störungen trat am 4. Tag nach Beginn der Extre¬
mitätenlähmung der Exitus ein. Eine Infection erscheint nicht ausgeschlossen.
Die Autopsie musste leider unterbleiben. E. Asch (Frankfurt a/M.).
30) Die Pellagra, von Victor Babes und V. Sion. (Nothnagel'a specielle
Pathologie u. Therapie. XXTV. 1901.)
Die Pellagra ist aufzufassen als eine chronische und periodisch wiederkehrende
Intoxicationskrankheit, welche durch eine im verdorbenen Mais gebildete specifisch
giftig wirkende Substanz verursacht wird, welch letztere, fortwährend und in
grossen Mengen genossen, besonders das Nervensystem in eigentümlicher Weise
schädigt.
Die vorliegende Monographie giebt zunächst eine geschichtliche und geo¬
graphische Uebersicht über das Auftreten und Vorkommen der Krankheit im süd¬
lichen Europa nebst statistischen Mitteilungen über ihre Verbreitung. Es folgt
eine auf eigene Untersuchungen gestützte kritische Besprechung der Litteratur
über die ätiologischen Theorieen, die zeistische Theorie, nach welcher lediglich
der Mais als ungenügendes Nahrungsmittel Pellagra verursachen soll, und die
ze'itoxische Theorie (Entstehung durch verdorbenen Mais), ferner über die an-
gestellten Versuche, welche im verdorbenen Mais verschiedene giftige Substanzen
nachwiesen, die pellagraähnliche Symptome erzeugen, und die Befunde, wofaach
im Blute Pellagröser eine antitoxische Substanz vorhanden ist. Sporadische
Pellagra und die Pellagra bei Geisteskranken gehören nicht zur wirklichen Pellagra.
Zur krankmachenden Wirkung der Maistoxine ist eine Anzahl prädisponirender
Momente unentbehrlich.
Von grösstem Werthe sind die pathologisch-anatomischen Untersuchungen der
Verff., welche zu neuen Befunden im Centralnervensystem führten und für die
Fragen bezüglich des Wesens des Krankheitsprocesses besonders lehrreich sind
(S. 37). Eingehend ist sodann die Symptomatologie geschildert, wobei die Verff.
vier Stadien unterscheiden: ein präerythematöses, ein erythematöses Stadium mit
Magen-, Darm- und weniger ausgesprochenen nervösen Störungen, dann ein Stadium
mit hauptsächlich psychischen und nervösen Störungen, und endlich ein viertes
Stadium, in welchem tiefe Depression, Blödsinn, Paralysen, Diarrhoe und Kachexie
vorherrschen. Zur Diagnose sind Fälle von Pseudopellagra auszuschliessen, ferner
y Google
771
andere Intoxicationen durch Getreide, Alkohol ismus, Metallgifte u. s. w., Inanition
und verschiedene Geisteskrankheiten.
Das letzte Capital erörtert die Behandlung, vor allem die Präventivmaass¬
regeln, welche in wirksamer Weise nur der Staat durchzuführen vermag, der auch
durch Asyle für die Pellagrösen den Kranken zu Hülfe kommen kann. Die
specielle Behandlung soll individuell sein und wird sich an die verschiedenen
Symptome halten. Unbedingt ist der Kranke aus seiner krankmachenden Um¬
gebung zu entfernen. Ein specifisches Heilmittel gegen die Krankheit giebt es
nicht, dagegen berechtigt die Herstellung eines Heilserums zu den besten Hoff¬
nungen auf Erfolg.
Ein umfangreiches Litteraturverzeichniss sowie einige vorzügliche Abbildungen
sind dem Buche beigegeben. E. Beyer (Littenweiler).
37) Zur Histologie des myotonisoh-hypertrophisohen Muskels der Thom-
sen’sohen Krankheit (Myotonla oongenita), von Dr. Jos. Koch. (Virch.
Archiv. CLXIH.)
Das Ergebniss der unter der Leitung von Grawitz in einem Fall von
Thomsen’scher Krankheit an excidirten Muskelstückchen ausgeführten histo¬
logischen Untersuchungen war folgendes: Verf. konnte constatiren, dass in den
erkrankten Muskeln neben der am stärksten in die Augen fallenden Hypertrophie
der meisten Muskelfibrillen auch Neubildung von Fasern durch Längstheilung und
Spaltung vorkommt, dass ausserdem aber auch vielfach Degenerationsvorgänge
Platz greifen, und zwar sah Verf. Muskelfasern sowohl in Folge einfacher Atrophie
als auch durch das Auftreten starker Kernvermehrung und durch die Bildung von
Muskelzellenschläuchen zu Grunde gehen. — In diesem gleichzeitigen Vorkommen
von Degenerations- und Regenerationsprocessen in der erkrankten Musculatur sieht
Verf. eine Erklärung für das eigenthümliche functionelle Verhalten der Muskeln
bei der Thomsen’schen Krankheit, das schwer verständlich sein würde, wenn es
sich lediglich um hypertrophische Vorgänge handelt.
Lilienfeld (Gr. Lichterfelde).
38) Thomsen’sohe Krankheit, von M. Nartowski. (Pamietnik jubilenszowy.
1900. [Polnisch])
Verf. berichtet über einen Fall von Thomsen’scher Krankheit bei einem
38jähr. Manne, welcher dem Alkoholgenuss seit langer Zeit ergeben war. Seit
6 Jahren Magenbeschwerden. Die Symptome der Thomsen’schen Krankheit
zeigten sich zum ersten Mal vor 3 Jahren. Status: Dilatatio ventriculi cum
gastritide acida. Typische Erscheinungen der Thomsen’schen Krankheit bei
activen Bewegungen. Muskelkraft abgeschwächt. Mechanische Nervenerregbarkeit
vermindert, Muskelerregbarkeit dagegen gesteigert. Myotonische Reaction bei
faradischer Reizung des Nerven. Galvanische Nervenerregbarkeit vermindert,
Muskelerregbarkeit gesteigert (in den Muskeln myotonische Reaction). Nach ent¬
sprechender Magentherapie (Diät, Durchspülungen) Heilung nach etwa 6 Monaten.
Edward Flatau (Warschau).
39) Einige Bemerkungen über die Thomsen’sohe Krankheit, von K. Rzet-
kowski. (Medycyna. 1901. Nr. 13 u. 14. [Polnisch.])
Verf. schildert zwei Fälle von Thomsen’scher Krankheit. Der erste Fall
betraf einen 25jähr. Beamten, welcher an dieser Krankheit seit seiner Kindheit
gelitten hat. Auch ein Bruder und eine Schwester zeigen dieselben Krankheits¬
erscheinungen. Der Kranke erzählt, dass er stets beim Auftreten (nach längerem
Sitzen) ein schmerzloses Spannungsgefühl in den Beinen verspürt. Nach einigen
49*
GoogI<
772
Secanden verschwindet dieses Gefühl und Pst. geht ruhig weiter. Bei jedem
Ausruhen kehrt dieses Symptom stets wieder. Die Steifigkeit tritt ebenfalls u
den oberen Extremitäten auf, besonders wenn Pat. irgend einen Gegenstand fest
mit der Hand ergreift und dann dieselbe öffnen will. Das Spannungsgefuhl
merkt Pat. ferner in den Muskeln des Halses, des Gesichts (beim Oeffnen des
Mundesj, der Zunge, der Augen (beim Zukneifen der Augen können die Augen-
lider nicht sogleich geschlossen werden). Seit 10—16 Jahren heftige, anfallsweise
auftretende Kopfschmerzen. Mechanische Muskelerregbarkeit normal. Elektrische
Nervenerregbarkeit normal. Faradische Muskelerregbarkeit gesteigert mit Nach¬
dauerzuckung. Galvanische Muskelerregbarkeit ebenfalls gesteigert (leicht ein-
tretender Tetanus). Sensibilität normal. Verf. hebt hervor, dass bei der Schwester,
welche ebenfalls an Thomsen'scher Krankheit leidet, das Fehlen der Patellsr-
reflexe zu constatiren war. Zum Schluss befasst sich Verf. eingehend mit der
Pathogenese der Krankheit. Edward Flatau (Warschau).
40) Beiträge zur Thomsen’sohen Krankheit, von Dr. Julius Mahler. (Wiener
klin. Wochenschr. 1900. Nr. 52.)
Der 24jähr., hereditär nicht belastete Pat. liess zwei Symptomenreihen er¬
kennen: Bei nach längerer Euhe energisch ausgeführten Bewegungen trat eine
hochgradige Härte und Spannung der betheiligten Muskeln ein. Die ContractioB
derselben dauerte nach Aufhören der Innervation noch mehrere Secunden nach
Bei Fortsetzung der Bewegungen schwand der Spasmus allmählich. Zur Auslösung
des Krampfes war aber immer eine energische Bewegung erforderlich. Kräftige
MuBCulatur mit relativ geringer motorischer Kraft. Die Störung erstreckte sei
auf Kumpf-, Extremitäten-, Kaumusculatur und Zunge; Schlund-, mimische und
Augenmuskeln sowie Sprache frei. Charakteristische elektrische Reaction n«t
Erb. Soweit ist der Fall ein typischer Thomson. Aber es fand sich noch ein
anderes Symptom: Bei einfachen und combinirten Bewegungen nach längerer BoIk
macht sich deutliche Schwäche der betreffenden Muskeln bemerkbar, die erst n»d
und nach bei fortgesetzter Bewegung schwindet. Eine Abhängigkeit der Schwäche
von Temperatureinflüssen bestand nicht.
Der Thomsen’sche Erscheinungscomplex trat immer bei kräftiger, der letzt
genannte bei mässiger Innervation auf. Verf. reiht die Störung den Paramyotonieen
an und hält sie wie die Myotonie für ein spinales Leiden. Eine Stoffwecbiel-
Störung, wie sie von einigen Autoren bei Myotonie angegeben wurde, war nicht
vorhanden. J. Sorgo (Wien).
41) La maladie de Thomson, par M. Bauer. (Progrös medical. 1902. Nr.2$.;
Unter Vorstellung eines 26jährigen Kellners, welcher das typische Bild der
Thomsen'schen Krankheit (mit myotonischer Keaction) bietet, bespricht Verf
Aetiologie, Symptomatologie, pathologische Anatomie und Therapie dieser Krank¬
heit. In dem Falle des Verf.’s war hereditäre Belastung nicht vorhanden, nur
war der Vater starker Trinker; eine ähnliche Krankheit war in der Familie nicht
nachweisbar. Kühe verminderte die Myotonie; Aufregungen, Anstrengungen und
Feuchtigkeit vermehrten sie. Pat. zeigte keine psychischen Störungen.
Verf. tasst die Thomsen’sche Krankheit als Folge einer Störung der
chemischen Constitution der betreffenden Muskeln auf; diese Störung würde ge¬
wisse Aenderungen in der Elasticität der Muskelfasern nach sich ziehen und die
Myotonie erzeugen.
Kühe, Bettwärme, Jod, Vichy-Wasser, Massage, Elektricität (hochgfepanBt f
Ströme) kommen in therapeutischer Hinsicht in Betracht Kurt MendeL
Google
778
Psychiatrie.
42) Prognosi delle psiooneurosi e delle parafrenie oon prevalente alte-
ratlone del tono emotivo, pel Prof. Luigi Roncoroni. (Archivio di
psichiatria. XXII. 1901.)
Verf. geht yon einer Kritik des „manisch-depressiven Irreseins“ (Kräpelin)
aus und versucht durch ein anderes Schema der Seelenstörungen mit vor¬
wiegender Stimmungsveränderung den prognostischen und klinischen
Schwierigkeiten zu begegnen. Er unterscheidet zwei Hauptgruppen, Parapsychosen
und Psychopathieen.
A. Die parapsychotische Entwickelungsstörung tendirt nicht zu
tiefer Demenz; die Vorstellungen bleiben (von transitorischen Incohärenzen in
Abhängigkeit von Aufregungszuständen abgesehen) coordinirt. Erbliche Belastung
ist das wesentliche ätiologisohe Moment. Vor Beginn und nach Ablauf der
Seelenstörung bestehen (ähnlich wie beim werdenden Paranoiker) psychische Ab¬
weichungen (gesteigerter Egoismus, stumpfe Affectivität, Anomalie des Gefühls¬
tonus, die moralischen Gefühle). Unterformen:
1. Paramelancholie.
2. Paramanie.
3. Circuläre, periodische und alternirende Seelenstörungen mit
oder ohne Wahnbildung. Prognose des Anfalles günstig (hinsichtlich completer
und dauernder Heilung, systematischer Wahnbildung ungünstig). — Unterform:
Verwirrtheit.
4. Affectives Irresein; Stimmungswechsel sehr vorwiegend, Prognose
absolut infaust. — Manische und melancholische Varietät (v. Krafft-Ebing).
Moralische Hypochondrie (Fairet). Die melancholische Form ist durch einen
grossen Mangel von Affectivität und moralischer Gefühle bei permanenter tiefer
Veränderung des emotiven Tons gekennzeichnet.
B. Die Psychoneurosen mit vorwiegender Stimmungsanomalie und Hemmung
der höheren ideoemotiven Associationen:
1. Sensorische Psychopathieen; das dominirende Phänomen besteht in
begrenzter krankhafter Erregung der sensorischen Sphäre.
2. Manie; ausgebreitete Erregung der ganzen (ausgenommen die höchste)
ideoemotiven und psychomotorischen Sphäre.
3. Melancholie; Verlangsamung, zeitweiliger Stillstand der ideoemotiven
Processe.— Aetiologie dieser seltenen Gruppe: schwere somatische und psychische
Schädigungen. Prognose absolut gut
4. Amenz und Varietäten (Chaston, DelGreco, Morselli u. A.);
Aetiologie: schwere somatische Schädigungen, erbliche Belastung weniger von Be¬
deutung. Prognose der asthenischen Formen günstig.
6. Demenz (mit Verwirrtheit und Varietäten); neben Formen mit zeitweiliger
Hemmung einiger Associationsprocesse (Remissionen!) Formen mit dauernder
Unterbrechung anderer (definitiver und progressiver Verfall) und Mischformen.
Automatisch-kinetische Secundärphänomene. Prognose je nach Vorliegen von
Hemmung gut; Ausfall schlecht, im Uebrigen nach Verhältniss der Mischung.
Aetiologie: erbliche Belastung und innere (Evolutions-)Ursachen (Pubertät, Senium,
Gravidität, Puerperium). — Unterformen: Depressive und agitirte primäre Demenz.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
48) Bericht über die Wirksamkeit der psychiatrischen Universitätsklinik
in Tübingen, von Prof. Dr. E. Siemerling. (Tübingen, 1901.)
Die am 1. November 1893 eröffnet» Klinik erfreut sich ausserordentlich er-
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leichterter Aufnahmebestimmungen, die sich in jeder Richtung bewährt haben.
Sie hat das unbedingte Recht, Aufnahmen abzulehnen oder zu bewilligen. Dem¬
entsprechend können auch die Entlassungen ohne weitere Formalitäten vor sieh
gehen. Wenn von ärztlicher Seite Bedenken Vorlagen, so wurde von den An¬
gehörigen die Unterschrift eines Reverses verlangt. Besonders ausgedehnter
Gebrauch wurde gemacht von den frühzeitigen Entlassungen bei beginnender
Reconvalescenz. Die Evacuation durch Ueberführung in Pflegeanstalten Hess n
wünschen; es traten oft Zeiten ein, wo sich die Ueberfüllung der Klinik in un¬
angenehmer Weise störend geltend machte.
Ueber das Krankenmaterial in derZeit von der Eröffnung bis zum 31./XU 1900,
1270 Männer und 1238 Frauen, geben 15 Tabellen Auskunft. Auffällig ist du
Ueberwiegen der sogenannten functioneilen Psychosen, insbesondere der depressiven
Form der Seelenstörung unter dem Bilde der Melancholie, namentlich im Ver¬
gleich mit der Irrenabtheilung der Berliner CharitA Dagegen traten Paralytiker
sehr zurück, während die Zahl der Alkoholiker ungefähr dem Procentsatz in der
preussischen Statistik gleichsteht.
Von besonderem Interesse ist die Entstehungsgeschichte der Klinik, welche
bis auf das Jahr 1817 zurückgeht. Wie dringend und wohlbegründet hat
Griesinger schon 1846 dafür gewirkt, dem mit jedem Semester fühlbar werden¬
den Mangel einer psychiatrischen Klinik schleunigst abzuhelfen! Und erst 1890 j
konnte mit dem Bau begonnen werden. E. Beyer (Littenweiler). .
44) Ueber Spiritismus und Geistesstörung, von R. Henneberg. (Archiv
f. Psych. XXXIV.)
An der Hand von acht, zum Theil ausführlich wiedergegebenen Kranken¬
geschichten eigener Beobachtung bespricht Verf. die verschiedenen Beziehung®
und Berührungspunkte zwischen Geistesstörungen und Spiritismus. Voran geht
eine Auseinandersetzung über die spiritistischen Phänomene und Proceduren, soweit
sie für den vulgären Spiritismus charakteristisch sind, besonders das Tischklopfe®
und -Rücken, das automatische Schreiben (Psychographiren), die ekstatischen und
Traumzustände. Bezüglich des ersteren weist Verf. auf die Untersuchungen von
A. Lehmann hin und betont die wichtige Rolle, die schon bei diesen einfachen
Manipulationen die Erregung und Erwartung der Betheiligten und die Bestürzung
über unerwartete oder schreckenerregende Nachrichten spielen kann. Das auto¬
matische Schreiben kann auf verschiedene Weise zu Stande kommen: einmal ist
es in manchen Fällen direct auf hallucinatorische Vorgänge zurückzuführen, und
zwar bei Personen, die bereits an einer tiefergreifenden psychischen Storung leide®:
zweitens kann es geschehen in einem Zustande mehr oder weniger ausgesprochen*
Autohypnose; die Angabe, die Betreffenden wüssten nicht, was sie schrieben und
erhielten erst durch nachträgliches Lesen davon Kenntniss, ist in solchen Fill«
ohne Weiteres glaubhaft. Drittens wird oft durch den Wunsch und die fe*te
Vorstellung, beeinflusst zu werden und die damit verbundene Erregung die Auto¬
suggestion Platz greifen, das Geschriebene sei nicht das geistige Eigenthum dfc
Schreibers; auch wird die Thätigkeit und Uebungsfahigkeit der Functionen des
Unterbewusstseins häufig unterschätzt. Die Neigung zu Autohypnosen, die u. A
durch das Psychographiren direct das Delirium des Besessenseins auslöst, tritt n
besonders hohem Maasse in den sogenannten Trancezuständen zu Tage und wird
dabei geradezu gepflegt. Dass das häufige Verfallen in solche Zustände eins
Gefährdung der geistigen Gesundheit und eine Disposition zu psychischer Er¬
krankung mit sich führt, kann keinem Zweifel unterliegen; auf Grund ein«
Ministerialerlasses ist deshalb auch die öffentliche Vorführung Hypnotisirter wr*
boten worden und es ist nicht einzusehen, weshalb dieses Verbot nicht auch tff
2 edby Google
775
die gleichwertigen Vorstellungen von Trancerednern in Spiritisten Versammlungen
ausgedehnt wird. Häufig werden sich diese autohypnotischen Zustände schwer
von hysterischen Anfallszuständen trennen lassen, und die Fälle sind nicht selten,
wo diese in ausgeprägter Form im Anschluss an spiritistische Sitzungen auf¬
traten. Weil andererseits neuropathische, zur Hysterie disponirte Personen sich
nicht selten von Spiritismus besonders angezogen fühlen und sich den damit ver¬
bundenen Schädlichkeiten in besonderem Maasse aussetzen, werden bei ihnen ver-
hältni8smä88ig häufig wirkliche Geisteskrankheiten duroh den Spiritismus ausgelöst
werden. Trotzdem geht es nicht an, jeden Spiritisten, der, geisteskrank wird,
als ein Opfer dieser Lehre zu bezeichnen, und Verf, verwahrt sich dagegen ebenso
wie gegen die von einer Reihe anderer Autoren aufgestellte Behauptung, dass
jeder, der überhaupt an das spiritistische Dogma glaubt, schon deshalb als geistig
minderwerthig zu bezeichnen ist. — In sechs von den mitgetheilten Fällen steht
die Entwickelung der Psychose, die meist einen hysterisch-deliriösen, einmal einen
anscheinend unheilbaren paranoischen Charakter trägt, in directem Zusammenhänge
mit der Beschäftigung und Pflege spiritistischer Experimente; auch im Inhalt der
Hallucinationen und Wahnideen spielten diese Vorstellungen die führende Rolle.
Bei etwa der Hälfte der Fälle bestand eine neuropathische Disposition; einmal
betraf die Psychose einen erblich belasteten Potator und Vagabunden, bei dem
augenscheinlich manche aus dem Delirium tremens übernommene Hallucinationen
in spiritistischem Sinne wahnhaft und zugleich schwachsinnig verarbeitet wurden,
ein andermal war die Beschäftigung mit dem Spiritismus das Anfangssymptom
einer Paralyse oder eines senilen Schwächezustandes. Jedenfalls ist es Sache des
Arztes, nervöse oder irgendwie psychisch-labile Personen vor der Beschäftigung
mit spiritistischen Experimenten zu warnen. H. Haenel (Dresden).
46) Zar Frage nach der Bedeutung der Bemissionen im Verlaufe einzelner
Formen von aouten Psyohoeen, von Fuchs. (Jahrb. f. Psych. u. Neurol.
XXII. S. 390.)
Sich stützend auf 60 Fälle von Erschöpfungsirresein glaubt Verf. den all¬
bekannten Remissionen im Verlaufe dieser acuten Psychosen eine prognostische
Bedeutung vindiciren zu können und zwar zeige sich als „Wahrscheinlichkeits-
ergebniss“ u. a. Folgendes: Remittirend verlaufende Fälle sind quoad sanationem
wahrscheinlich, quoad durationem höchst wahrscheinlich, als schwerer zu beurtheilen
als solche, deren Continuität nicht unterbrochen ist.
Ref. kann dem Verf. nur vollkommen zustimmen zu der durch den wieder¬
holten Ausdruck „wahrscheinlich“ bewiesenen Vorsicht und Reserve in der Fassung
seiner Schlussfolgerungen. Die Beobaohtungszeit ist bei den allermeisten Fällen
des Verf. viel zu kurz, um von ungeheilten Fällen sprechen zu können (Verf. macht
übrigens selbst auf diesen Umstand aufmerksam); in noch höherem Grade gilt
dies Bedenken betreffs der geheilten Fälle. Aber auch bezüglich der Dauer er¬
lauben derartige Beobachtungen, wie die des Verf., keinerlei Schlüsse, bei Psyohosen,
deren Verlauf sich auf mehrere Monate zu erstrecken pflegt! Die 60 Fälle sind
nur in Tabellen zusammengestellt; irgend welche Krankheitsgeschichten sind nicht
mitgetheilt, was gerade, wenn es sich um die Prognose acuter Psychosen handelt,
doch unerlässlich erscheint.
Zum Schluss möchte sich Ref. noch folgende Bemerkungen erlauben:
Verf. hat Unrecht, wenn er „dem Vorgänge Kräpelin’s“ zu entsprechen
glaubte, indem er die willkürliche Eintheilung in Puerperalpsychosen, acuten
Wahnsinn und postinfectiöse Verwirrtheit vornimmt. In dem von Verf. citirten
Lehrbuche Kräpelin’s (1899) sind vielmehr richtig die Erschöpfungspsychosen
eingetheilt in das Collapsdelirium, Amentia (Meynert’s) und die chronische
y Google
ne
nervöse Erschöpfung. Verf. hat ferner auch den Bef. citirt, dass n im lieh —
„Vortr. in der von ihm als , periodische Amentia* bezeichneten periodisch«
Psychose — im Prodromalstadium eigentümliche, trügerische Remissionen be¬
obachtet hat“. In meinem Buche sagte ich non das gerade Gegenteil (8. 116'
Der Beginn des einzelnen Anfalles ist meist ein acuter, ein länger dauernde
Stadium prodromorum mit den eigentümlichen so trügerischen Remissionen fehl
bei der periodischen Amentia. Pilcz (Wien).
46) Ueber Entstehung der Katatonie, von Pisujatschewki. (Oboerenij?
psichiatrii. 1900. Nr. 9 u. 10.)
Eine scharfe Kritik der Tschiischen’schen Theorie der Katatonie, nach der
bekanntlich die Katatonie eine selbständige, durch geschlechtliche Entaltsamkeit
hervorgerufene Intoxicationspsychose erblich nicht belasteter Individuen ist
Verf. hält diese Genese der Katatonie filr nicht bewiesen, auch ist es seiner An¬
sicht nach nicht richtig, solche nicht genügend bewiesene ätiologische Moment«
einer Classification zu Grunde zu legen. Auf Grund theoretischer Erwägung®,
und eigener Beobachtungen, von denen er vier Kraukheitsgeschichten ausführlich
mittheilt, kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
1. Die Katatonie ist eine vollständige typische Krankheitsform und gehört
zu deu degenerativen Psychosen.
2. Die Katatonie lällt meist in die 20er Jahre, jedoch giebt ee Fälle, wo
die Krankheit früher oder später beginnt.
3. Die Katatonie ist unheilbar, doch kommen in ihrem Verlaufe bedeutend?
zeitweilige Besserungen vor.
4. Die Symptome der Katatonie sind meist ungleichmässig ausgeprägt:
bald die einen, bald die anderen stärker ausgebildet.
5. Herabsetzung des Schmerzgefühles ist ein ebenso beständiges Symptoa
der Katatonie wie Erhöhung des Muskeltonus.
6. Im Laufe der Katatonie entwickelt sich ein mehr oder weniger stad
progressirender Schwachsinn aus. Wilh. Stieda.
47) Zur Paranoiafrage, von Tiling. (Psychiatrische Wochenschrift. 1901
Nr. 43 u. 44.)
Unter Hinweis auf das normale Seelenleben betont Verf* die Bedeutung der
Gefühle, bei denen er eine continuirliche (individuelle Charakteranlage) und tm
episodische (affecte) Wirksamkeit unterscheidet Gefühle sind das Grundlegende,
das Primäre, sowohl in der Entwickelung des Individuums wie im spateren Leb«
Gebilde und Vorstellungen sind unzertrennbar, innig miteinander verbünd«), wese
auch ihr wahrer Zusammenhang oft dunkel bleibt
Bei der beginnenden Paranoia wirken die Gefühle wegen ihrer leichten &
regbarkeit, Nachhaltigkeit und Einseitigkeit so bedenklich, wie er des genaueres
auseinandersetzt Im gleichen Sinne wirkt die Phantasie.
Die krankhaften Vorstellungen persistiren, werden durch Uebung und Ge¬
wöhnung uncorrigirbar. Die Wahnideeen, deren Genese dem Kranken läng«
entfallen ist, werden ihm zu Erfahrungstatsachen. Eine Mitwirkung der GefÜbk
wie vordem findet dann nicht mehr statt, wie denn überhaupt das Gemütb da
Paranoikers erkaltet
Wenn auch bei der sich entwickelnden Paranoia die Gefühlssphäre vor allen
ergriffen ist, so ist doch die ganze Persönlichkeit als erkrankt anzuseheo. Du
ist vor allem maassgebend für die forensische Beurteilung.
Ernst Sohultze (Andernach).
Google
777
HL Aus den Gesellschaften.
Gesellschaft der Neurologen and Irrenärzte zu Moskau.
Sitzung vom 15. Januar 1902.
Discussion zu dem Vortrage des Herrn Preobrashensky:
Herr W. Murawieff findet, dass die vom Vortr. gegebene Erklärung für
die Entstehung der Alexie in seinen Fällen mit den allgemein angenommenen
anatomischen und klinischen Anschauungen nicht übereinstimmt. Er stellt die
Frage, ob nicht in diesen Fällen etwas einfacheres vorliegt, z. B. eine Storung
des ooulomotorischen Apparates.
Herr W. Muratoff hebt hervor, dass die anatomischen Erklärungen des
Vortr. auf nicht genügend festgestellten Daten aufgebaut sind.
Herr W. Weidenhammer glaubt, dass in diesen Fällen das Vorhandensein
einer Aflection beider Hemisphären in Form eines disseminirten Leidens, hervor¬
gerufen durch Gefassveränderungen, möglich ist.
Herr W. Serbskiy sieht bei dem zweiten Pat. unzweifelhafte Symptome von
Dementia, welche auf einen diffusen Charakter des Erankheitsproceeses hinweisen,
woher ihm die Anschauung des Vortr., die Amnesie als Herdsymptom zu be¬
trachten, nicht verständlich ist. An der Discussion betheiligten sich noch die
Herren G. Pribytkoff und W. Worobjeffi
Herr S. Suchanoff: Daa endooellulare Nets Oolgi’s in den Nerven¬
zellen des Büokenmarkes. Die Methode von Golgi-Veratti giebt die Mög¬
lichkeit, in den Zellen des Rückenmarks das Vorhandensein eines eigenartigen
intracellularen Netzes zu entdecken. Stückchen des Rückenmarkes werden in der
Flüssigkeit Veratti’s (2 Theile einer 5°/ 0 Lösung von bichromsaurem Kali,
2 Theile einer 0,1 °/ 0 Lösung von Kali-Chlor-Platinat, 1—l 1 /,—2 Theile einer
1 °/ 0 Osmiumsäure) fixirt. Am besten sind bis jetzt Präparate von jungen (3—5
Monate) Meerschweinchen gelungen. Vor der Fixirung wurde das Rückenmark
der Länge nach in einen vorderen und einen hinteren Theil zerschnitten. Am
besten geriethen die Präparate, wenn die Rückenmarkstüokchen 20—30 Tage in
der Flüssigkeit Veratti’s blieben. Darauf wurden die Stückeben in eine Mischung
von Chromsalzen (3 Theile einer 5 °/ 0 Lösung von bichromsaurem Kali) und
Kupfersalzen (ein Theil einer 5°/ 0 Lösung von schwefelsaurem oder essigsaurem
Kupfer) auf 2—27 a —3 Tage gelegt und von hier wiederum auf ungefähr 2 Tage
in eine 1 °/ 0 Lapislösung. Aus den auf diese Weise bearbeiteten Stückchen wurden
Längensohnitte gemacht. Dieses endocellulare Netz erhält man bedeutend häufiger
und leichter in den Zellen der spinalen Ganglien, als in den Zellen des Rücken¬
marks. Das Aussehen des intracellularen Netzes Golgi’s, welches sich in den
spinalen Zellen befindet, ist sehr verschiedenartig; in den grossen motorischen
Zellen hat dieses Netz einen complicirteren und vollkommeneren Bau; dasselbe
besteht aus dickeren oder dünneren Fäden mit unebenen Contouren, welche den
Zellkörper in verschiedenen Richtungen schneiden; diese Fäden bilden Maschen
und weisen oft Verdickungen auf. Die Maschen, die zuweilen in einer Richtung
etwas lang gezogen sind, liegen ihrer Länge nach parallel dem Zellenrande,
an der Basis der Dendriten oder aber in ihnen selbst parallel der Längen-
axe derselben. Das endocellulare Netz bildet Nebenzweige, die in die Dendriten
gehen; zuweilen gelingt es einen solchen Dendrit auf einer verhältnissmässig be¬
deutenden Strecke zu verfolgen. Nicht selten sieht man, dass in den Dendrit
mehrere solcher Nebenzweige eindringen. Zuweilen aber hat das Netz das Aus¬
sehen eines verwickelten Knäulchens. Das besagte Netz ist unzweifelhaft ein
endocellulares; dasselbe geht nicht bis an die Peripherie der Zelle; doch, da kein
pericellularer Raum vorhanden ist, so treten die Contouren der Zelle nioht deut-
y Google
778
lieh hervor. Ist jedoch ein pericellularer Raum da, so erhält man das endocellukre
Netz gar nicht. In der Umgebung des Kernes lichtet sich das Netz; zum Kern
steht es, wie es scheint, nicht in Beziehung; sein Aussehen hängt von der Fora
der Zelle ab; so behält z. B. das Netz in den spinalen spindelförmigen Zellen im
Allgemeinen das spindelförmige Aussehen, in den rundlichen Zellen — ein dem
entsprechendes u. s. w. In den kleinen spinalen Zellen ist das Netz zuweilen so
einfach, dass von einem Netz eigentlich nicht geredet werden kann. In einiges
kleinen spindelförmigen Zellen gelang es, die in die Dendriten eindringendra
Nebenzweige des endocellularen Netzes auf einer mehr oder weniger bedeu¬
tenden Strecke zu verfolgen; dabei konnte man sehen, wie der Abgang dieser in
einem Dendrit gelegenen Nebenzweige vor sich geht, wenn sich letzterer in zwei
feinere Fortsätze theilt. Auf einem der Präparate konnte man beobachten, wie
im Dendrit einer kleinen spindelförmigen Zelle zwei Fortsätze von dem endo¬
cellularen Netz parallel verlaufen, sich stellenweise mit einander vereinigen und
dann an der Stelle auseinandergehen, wo offenbar die Theilung des Dendriten
vor sich geht. Hinsichtlich der Bedeutung dieses Netzes spricht sich der Vortr.
sowohl hier als auch in den früheren Arbeiten in dieser Frage dahin aus, di*
dieses Netz in keiner Beziehung zu den eigentlichen Leitungsbahnen der Nervo-
zelle steht. Es stellt ein noch unbekanntes System dar, welches in der Nerven¬
zelle eingelagert ist und in ihre Dendriten eindringt; über die Bedeutung diese
Netzes lässt sich jetzt noch nichts Bestimmtes sagen. (Autoreferal)
An den Vortr. wurden einige Fragen von Herrn L. Minor und Hera
W. Murawieff gerichtet.
IV. Neurologisohe und psychiatrisohe Litteratur
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nennung der Anstalten. Ebenda. Nr. 10. — Hopp«, Zellenlose Behandlung. Ebenda. Nr. 13.
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der Aerzte an Irrenanstalten. Ebenda. 158 S.
VII. Therapie. Wittheuor, Leitfaden der Krankenpflege. Halle a./S. C. Marhold. 188S.—
Sadkowsky, Pyranudon. Russkij Wratsoh. Nr. 18. — Vincoazo, Piramidon. Gazz. degli osped.
Nr. 47. — Rabow, Apomorphin als BeruhigungB- und Schlafmittel. ▼. Leyden-Festschr. IL
— Baucke, Dionin. JPsych.-neur. Woch. Nr. 6. — Fritsch, HedonaL Wiener med. Presse.
Nr. 24. — Scherf, Hedonal. Wiener med. Blätter. Nr. 21. — Zavoldi, Eroina. Gazz. degli
osped. Nr. 51. — Helbich, Heroin. Heilkunde. Heft 5. — Fraser, Cacodylates. Scott
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Nr. 4. — Neumann, S. u. Vas, Ovariumpräparate und Stoffwechsel. Monatsschr. f. Geburtah.
u. Gynäkologie. XV (Ergänzungsbeft). — Grohmann, Aus der Schweiz (Colonie Friedas).
Psych.-neur. Woch. Nr. 7. — Marcuse, Lichttherapie. Zeitschr. f. diät u. physik. Therap.
VI. Heft 8 u. Deutsche Medic.-Ztg. Nr. 51. — Cohn, Toby, Elektrodiagnostik u. -therapie.
2. Aufl. Berlin, S. Karger. 166 8. — Fellner, Elektr. Zweizellenbad. Wiener med. Woch.
Nr. 26. — Rüge , Muskelmassage. Zeitschr. £. diät. u. physik. Therap. VI. Heft 3. —
Mainzer, Sehnenüberpflanzung. Münch, med. Woch. Nr. 21. — Kouindjy, Extensionsmethode
bei Behandlung von Nervenkrankh. Zeitschr. f. diät u. physik. Therap. VL Heft 2.
V. Vermischtes.
74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad
vom 2L—27. September 1802.
19. Abtheilnng: Neurologie und Psychiatrie.
Einführende: Dr. Gans (Karlsbad), Prof. Dr. Arnold Piek (Prag).
Schriftführer: Dr. Förster (Karlsbad), Dr. Margulids (Prag].
Vorträge:
1. Anton (Graz): Ueber Degenerationen im Grosshirne. — 2. Brosins (Sayn): Psy¬
chosen der Juden. — 8. Eulen barg (Berlin): Ueber einige neuere elektro-therüpeu tische
Methoden. — 4. Freud (Wien): Thema Vorbehalten. — 5. Hartmann (Gras): Thema Vor¬
behalten. — 6. Hirschl (Wien): Geographische Verbreitung der Paralyse. — 7. Kalmus
(Prag): Skizze de« derzeitigen Standes der Irrenpflege in Böhmen. — 8. Kohnstamm
(Königstein i/T.): Der Begriff der coordinatorischen nnd der motorischen Zelle. — 9. Löwen¬
thal (Braunschweig): Die objectiven Symptome der Neurasthenie. — 10. Marburg (Wien):
Zur Pathologie der grossen Hirngefässe. — 11. Marinesco (Bukarest): Untersuchungen
über spinale Localisation.— 12. Mesohede (Königsberg): Thema Vorbehalten. — 13. Münzer
(Prag): Zur Lehre vom Neuron. — 14. Neisser (Lublinitz): Thema Vorbehalten. — 15. Ober¬
stein er (Wien): Thema Vorbehalten. — 16. A. Pick (Prag): Zur pathologischen Histologie
des Gehirns. — 17. Friedei Piok (Prag): Ueber klinische Temperatureinnsprüfong. —
18. Pilcz (Wien): Ueber Ergebnisse elektrischer Untersuchungen an Geisteskranken. —
19. Probst (Wien): Zur Klinik und pathologischen Anatomie eines eigenartigen Verblöduaga-
processes im kindesalter. — 20. Raimann (Wien): Demonstration mikroskopischer Präparate
und Bericht über einen Fall von Polioencephalitis. — 21. Rothmann (Berlin): Ueber die
Ergebnisse der experimentellen Ausschaltung der motorisohen Function und ihre Bedeutung
für die Pathologie. — 22. Sternberg (Wien): Zur Physiologie des menschlichen Central¬
nervensystems nach Studien an Hemicephalen. — 23. Stransky (Wien): Ueber diseontinuir-
liehe Zerfallsprooesse am peripherischen Nerven. — 24. Sträussler (Prag): Ueber Folge¬
zustände fötaler Hydrocephalie. — 25. v. Wagner (Wien): Neurologisch-psychiatrische MR-
theilungen. — 26. Wiener (Prag) zugleich für Münzer (Prag): Das Zwischen- und Mittelhin
des Kaninchens.
Die Abtheilung ladet ein:
die Abtheilung 12 (Anatomie und Physiologie) zu:
Stransky (Wien): Ueber discontinuirliche Zerfiallsprocesse am peripherischen Nerven.
— Münzer (Prag): Zur Lehre vom Neuron. — Sternberg (Wien): Zur Physiologie des
menschlichen Centraluervensystema nach Studien an Hemicephalen.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel»
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den Anforderungen der Zeit stetig weiterentwickelte Anstalt, inmitten grosser Gärten,
an den anmuthigen Parkanlagen der Stadt gelegen, nimmt kranke Damen wie Herren auf
und bietet neben dem Comfort der gebildeten Stände alle Hilfsmittel der Behandlung
und Pflege von Kranken. Besondere Sorgfalt wird auf die Trennung der leichten, reep.
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Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche BUcksicht auf individuelle
Anforderungen und werden die ärztlichen Bemühungen durch ein zahlreiches gebildetes
Beamtenpersonal unterstützt — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
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halb der Anstalt ein methodisches
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eingerichtet, in welchem eigene Lehrer für die hauptsächlichsten Lehrgegenstände —
Gymnasial- und Realschulfächer — und ausserdem Instructoren für Handfertigkeiten,
mechanische, artistische, und körperliche Uebungen angestellt sind, um regelmässigen
Unterricht zu ertheilen und die geistige und sittliche Entwicklung der Zöglinge neben
den Aerzten zu überwachen und zu fördern.
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1902. 1. September. Nr. 17.
I. Originalmittheilungen. 1. Ueber das Erstsymptora und die Bedeutung der Achilles'
sehnenreflexe bei Tabes, von S. Goldflam in Warschau. 2. Zur Casuistik der Epilepsia luetica,
von Dr. J. A. Feinberg in Kowno (Russland). 3. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie,
von Dr. Hubert Schnitzer. 4. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. Ein
Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Bemerkungen über den Verlauf der centralen
Haubenbahn, von Josef Sorgo. (Schluss.)
II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zum normalen und pathologischen Baue des
menschlichen Rückenmarks, von Hellich. 2. Einführung in die physikalische Anatomie. 1.
und II. Theil. Von Triepel. — Experimentelle Physiologie. 3. On the Stimulation
and paralysis of nerve-cells and of nerve endings, by Langley. 4. Section intracranienne du
nerf optique chez le lapin (Präsentation d'animaux opäres), par Marenghi. 6 . Geschmack und
Chemismus, von Sternberg. 6 . Contributo clinico alla conoscenza dell’ innervazione gustatoria.
Nota del Fasola. — Pathologische Anatomie. 7. Lea effets de la trepanation faite
sur les jeunea animaux, par Demoor. — Pathologie des Nervensystems. 8. Neuro-
patbologiBche Beobachtungen, von Bernhardt. 9. Les convulsions chez l’enfant. I. Etiologie,
Symptomatologie et diagnostic, par d’Espine. II. Pathogänie, pronostic et traitement, par
Moussons. 111. Disoussion. 10. Hemianopsie bei Eklampsie, von Knapp. 11. A case of
eclampsia at the sixth month. SucceBsful labour at full time, by Dewar. 12. Notes of six
cases of puerperal eclampsia treated by saline infusions, by Jardine. 13. Ueber einen Fall
von totaler retrograder Amnesie, von Binswanger. 14. Die Rolle der Autointoxication in der
Epilepsie, von Hebold und Bratz. 15. Du parasite trouve dans le sang des epileptiijues, par
Bra. 16. Nuove proprietä tossiche e terapeutiche del siero di sangue degli epilettici e loro
applicazioni pratiche, del Ceni. 17. Contributo allo studio dell* asimmetria di pressione negli
epilettici nei delinquenti e nelle prostitute, pel Audenino ed Lombroso. 18. Le oscillazioni
del ricambio materiale nel! epilettico, pel Alessi e Pleri. 19. Ein Fall von erhaltenem Be¬
wusstsein im epileptischen Anfall, von Diehl. 20. Dissociazione dei movimenti respiratorii
toracici e del diaframma durante l’acceseo epilettico. Osservazioni del Belmondo. 21. Report
of two cases of epilepsy, by Krim. 22. Zur Entstehung der Epilepsie, von v. Voss.
28. Observations of a case of convulsions by Jackson and Singer. 24. Ueber die Epi-
lepsia procursiva, von Goldbaum. 25. Ein Beitrag zur Casuistik des acuten umschriebenen
OedemB (epileptische Insulte im Verlaufe des Hydrops hypostrophos), von v. Rad. 26. Epi-
lepsia larvata, von Tschisch. 27. Ueber Kinderepilepsie, von Wassiljew. 28. Sur la valeur
chirurgioale de l’äpilepsie Jaoksonienne, par Chipault. 29. Zur Frage der Trepanation bei
corticaler Epilepsie, von Rasumowsky. 30. Theoretical and practical considerations on
the treatment of Jacksonian epilepsy by Operation, with the report of five cases, by Putnam.
31. Ueber operative Eingriffe bei Epilepsia choreica, von v. Bechterew. 32. Resection des
H&lssympathicus bei Epilepsie, von Hevesi. 33. Die Anwendung des Dormiols bei Epilep¬
tischen. Ein Beitrag zur Behandlung deB Status epilepticus, von Hoppe. 34. Observations
on a case of epilepsy to determine the value oft the Richet and Toulouse method of treat¬
ment by a chlorine-poor diet, by Eason. 35. Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie,
von Bdiint. 36. La dieta ipoclorurata nella cura bromica della epilessia, pel Cappellettl e
O’Ormea. 37. Versuche mit der Toulouse und Riohet’schen Epilepsiebehandlung, von Halm!
und Bagarus. 38. Bromocoll, ein neues Brommittel in der Behandlung der Epilepsie, von
50
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786
Reich und Ehrefce. 39. Drei Fille von vollständig geheilter Epilepsie, von Tnmtwtky.
40. Epileptikeranstalt oder Nervenheilst&tteP Gutachten, erstattet dem Verein norddeutsche
Irrenärzte, von Bratz. 41. Pnblications du progrfcs mddicaL VoL XXI: Recherches cliniqnes
et thörapeutiques sur l’dpilepsie, l’hystlrie et l’idiotie, par Bourneville. — Psychiatrie.
42. Hallucinations diurnes cnez lee enfants, par Vergsly. 43. Deber Gehirnerkrankungen mit
Katatonie, von Anton.
III. Bibliographie. 1. Epilepsie, von W. R. Gowers (London). IL Auflage. Deutsche
autorisirte Ausgabe von Dr. Max Weis« (Wien). 2. Neurologie, von Kur« und Mim.
L Originalmittheilungen.
1. Ueber das Erstsymptom und die
Bedeutung der Achillessehnenreflexe bei Tabes.
Von S. Goldflam in Warschau.
Durch die Erkenntniss, dass die Sehnenreflexe — insbesondere die Knie¬
reflexe — bei Tabes eine frühzeitige Störung erleiden (Herabsetzung, Ungleich
mässigkeit und Ermüdbarkeit bei wiederholtem Beklopfen der Patellarsehne.
Ungleichheit, vollständiges Fehlen), haben wir gelernt, diese Erkrankung
früher zu diagnosticiren, als es vorher möglich war. Man spricht von initialer
Tabes, wenn die bekannte Trias — charakteristische Schmerzen, das West-
PHAL’sche und das ARGYiiL-RoBEBTSON’sche Symptom — vorhanden ist, ja der
Verdacht auf dieses allerhäufigste Rückenmarksleiden erscheint sehr gerecht¬
fertigt, wenn zwei der letztgenannten Symptome (gewöhnlich die charakteristischen
Schmerzen und das W ESTPHAL’sche oder aber erstere und das Abgtll-
Robertson ’sche Zeichen) zugegen sind. Wir abstrahiren hier von anderen
Symptomen, so den Störungen der Blase, Potenz und cutanen Sensibilität, vom
RoMBERo’schen Symptom und dem Gürtelgefühl, von Augenmuskellähmungen,
Sehstörungen (Opticusatrophie), abnormem Müdigkeitsgefühl in den Beinen,
gastrischen Krisen, Arthropathieen u. s. w., welche nicht selten im Beginn der
Erkrankung auftreten und einen grossen diagnostischen Werth haben; wir wollen
uns nur an den häufigsten Typus der intitialen Tabes mit der vorerwähnten
Trias halten.
Es stellte sich heraus, dass Fälle von initialer Tabes in der Praxis viel¬
leicht öfters Vorkommen, als ausgesprochene, voll entwickelte mit Ataxie, Läh¬
mungen, deutlichen Sensibilitätsstörungen u. s. w. Die weitere Erfahrung hat
gelehrt, dass dieses sogenannte initiale Stadium keineswegs ein frühzeitiges ist,
denn meist erfahrt man vom Patienten, dass manche Symptome, insbesondere
die charakteristischen Schmerzen, bereits seit Jahren bestehen. Es wäre daher
interessant, zu eruiren, welches Symptom des Trias meist das allererste ist. Dass
die Kranken die Schmerzen angeben, ist natürlich, da ihnen das Westpb AL’sche
und ARGTLL-RoBEBTBON’sche Zeichen nicht zum Bewusstsein gelangt Kommen
aber die Patienten unter ärztliche Beobachtung, dann ist eine gewisse Zeit seit
Beginn der Erkrankung verstrichen, und man findet bereits mehrere Symptome
y Google
787
(gewöhnlich die genannte Trias oder nur zwei von ihnen), die anscheinend
ziemlich schnell aufeinander folgen.
Zur Lösung der Frage, welches Symptom meist zuerst auftritt, eignen sich
Fälle, in denen es gelingt, den Patienten seit Beginn seiner Beschwerden jahrelang
zu beobachten und wo der Verlauf ein sehr protrahirter ist, das erste Stadium
sieh über Jahrzehnte hinausdehnt. Ich verfuge über einige einschlägige Fälle,
die darthun, dass es thatsäohlich die Schmerzen sind, welche gewöhnlich als
allererstes Symptom auftreten. Ein solcher Fall mag hier angeführt werden:
Patient T., 46 Jahre alt, suchte mich im Mai 1894 zum ersten Male auf.
Vor 20 Jahren Ulcus durum. Danach Behandlung mit Ung. ein. (nur 10 Ein¬
reibungen, da der Arzt mit der Diagnose Lues schwankte). Bald darauf zeigten
sich rectale Beschwerden, die zunächst mit Quecksilberpillen behandelt wurden,
aber erst nach operativer Beseitigung von Hämorrhoidalknoten schwanden. Seit
10 Jahren anfallsweise auftretende, sehr heftige „blitzartige“ Schmerzen in einer
circumskripten Stelle der Beine. Die Attacke stellt sich gewöhnlich des Nachts
ein, dauert 1 / J —3 Tage und kehrt in Intervallen von etwa 1—4 Wochen in
einem anderen Bezirk wieder. In der Zwischenzeit ist Pat. ganz frei von Be¬
schwerden. Die Witterung soll auf das Eintreten der Schmerzparoxyemen, die
der Kranke für „Rheumatismus“ hält, einen merklichen Einfluss haben. Salicylate
sind angeblich von günstiger Wirkung. Pat. ist seit mehreren Jahren verheiratet
und hat ein gesundes Kind. Seine Frau abortirte nicht.
Trotz der genauesten Untersuchung konnte ich bei dem sehr kräftigen Pat.
objectiv nichts Abnormes feststellen. Sehenreflexe, Pupillen, Sensibilität u. s. w.
absolut intact. Die Schilderung der Schmerzen, das anfallsweise Auftreten in
einer circumskripten Partie der Beine, der lancinirende Charakter, die ausser¬
ordentliche Heftigkeit, die periodische W’iederkehr und der Wechsel des Ortes
war jedoch so typisch, dass ich eine Tabes stark verdächtigte, zumal Syphilis in
der Anamnese vorlag.
Ich sah Pat. nach 6 Jahren wieder. Die Schmerzattacken haben nicht nach¬
gelassen; die letzte hielt den Kranken 3 Wochen im Bett. Die jetzt vor¬
genommene Untersuchung ergab, dass die Befürchtungen berechtigt waren. Pupillen
eng, ungleich (r. < 1.), lichtstarr, reagiren aber gut bei Convergenz und Accom-
modation. Der linke Achillessehnenreflex fehlt; die übrigen Sehnenreflexe jedoch
erhalten. Einen Monat später konnte auch der rechte Achillessehnenreflex nicht
mehr ausgelöst werden, und es stellten sich an den Füssen deutliche Sensibilitäts-
sörungen ein (Verdoppelung des Gefühls beim Stechen, zuerst Berührungs-, dann
Schmerzempfindung, Nachdauer und Summation des Schmerzes).
Im April 1901 stellte sich Pat., der inzwischen in Trenczin eine Schmierkur
(80 Einreibungen) durchgemacht, wieder vor. Die Schmerzparoxysmen treten noch
häufiger und heftiger auf. Der linke Achillessehnenreflex fehlt constant, der
rechte kann ausgelöst werden. Patellarreflexe lebhaft. Sonstiger Zustand un¬
verändert
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass wir es hier thatsächlicb mit initialer
Tabes zu thun haben. Der Fall ist nur insofern bemerkenswerth, als durch
die ärztliche Beobachtung bestätigt wurde, dass die charakteristischen Schmerzen
lange Zeit und zwar über 10 Jahre als einziges Symptom vorhanden waren,
bevor die sogen, objectiven Zeichen (reflectorische Pupillenstarre, Fehlen des
einen Achillessehnenreflexes, cutane Sensibilitätsstörungen) die Diagnose sicherten.
Man darf wohl mit Recht behaupten, dass die charakteristischen Schmerzen in
50*
y Google
788
diesem Falle das allererste Symptom darstellten und den übrigen jahrelang
vorausgingen.
Diese und ähnliche Beobachtungen haben mich gelehrt, dass die charak¬
teristischen Schmerzen oft das früheste tabische Symptom bilden. Auch Ebb 1
berichtet über Fälle, in denen subjective Beschwerden seit einer Reihe von
Jahren bestanden haben, trotzdem wenig objective Symptome nashzuweisen waren.
Laimbach 2 spricht sich auf Grund des reichen EnB’sohen Materials ent¬
schieden dafür aus, dass die lancinirenden Schmerzen in der weitausgrossen
Mehrzahl der Fälle als allererstes Zeichen der tabischen Erkrankung aufzufassen
sind. Ich betone aber nochmals, dass es keineswegs immer so zu sein
braucht Obwohl die Schmerzen nicht allein zu den ersten, sondern auch
zu den constantesten tabischen Symptomen gehören, können sie manchmal
nur wenig ausgesprochen sein und vereinzelt auch ganz fehlen. Meist sind es
die Schmerzen, welche den Patienten zum Arzt treiben, und sie erreichen oft
eine solche Höhe, dass sie die Erkrankung zu einer der qualvollsten stempeln.
Nicht selten aber nehmen die Schmerzen auch während der ganzen Dauer da
Krankheit eine mildere Form an; die Patienten beachten ihren „Rheumatismar
nicht und geben die Schmerzen nur auf Befragen an. Allein der Typus, di¬
anfallsweise Auftreten, der blitzähnliche, lancinirende Charakter der einzelnen
Exacerbationen an einer circumscripten Stelle, der Wechsel des Ortes währen!
der nächsten Attaquen beim Bevorzugen mancher Regionen u. a. m. bleiben für
den Arzt diagnostische Fingerzeige. In solchen Fällen könnte man von eins
indolenten Tabes, die gewöhnlich einen längeren Verlauf hat, sprechen, zunul
manche Patienten jedwede Schmerzempfindung entschieden leugnen und nur
über allerlei Parästhesieen klagen. Ganz vereinzelt stehen wohl die Fälle dt
in denen weder Schmerzen noch Parästhesieen vorhanden sind; ich habe ne
einen derartigen gesehen.
Die tabischen Schmerzen wurden von Duchenne, Rombebg, Leyden u. 1
meisterhaft beschrieben; es sei nur daran erinnert, dass sie in der Reed
nicht an einen bestimmten Nerven gebunden sind. Nur ganz vereinzelt hak
ich sie eine Zeit lang im Verlauf des N. ischiadicus sich abspielen und wt
Ischias vortäuschen sehen. Bekannt ist auch die Hyperästhesie am Ort de
Schmerzen; manchmal schwellen daselbst die oberflächlichen Venen, ja, dir
ganze Haut schwillt an und bedeckt sich mit Bläscheneruptionen, die bald nacfe
der Attaque eintrocknen und schwinden. Wie sehr die tabischen Schmerzen i*
die Oekonomie des Organismus eingreifen können, beweisen die Fälle, in denen
sich Fieber hinzugesellt Ich habe einen Fall beobachtet, in welchem die Temperatur
beim Ausbruch besonders heftiger Schmerzen an mehreren Stellen des Korpec
zugleich, bis auf 40° gestiegen war, andere, in denen die Schmerzen mit einer
Temperatur von 38° einhergingen. Interessant ist das Altenliren der Schmerzen
mit einem anderen in Paroxysmen auftretenden Symptom und zwar mit de*
1 Zur Frühdiagnose der Tabes. Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 29.
* Deutsche Zeitechr. f. Nervenheilk. VII. S. 495.
2 edby Google
789 —
gastrischen Krisen. Ich habe Fälle gesehen, wo sich nach Ablauf einer gastrischen
Krise regelmässig eine Schmerzattaque einstellte und umgekehrt Nioht selten
beeinträchtigen die Schmerzen die Ernährung des Patienten in hohem Maasse.
Wo die Schmerzen in typischer Gestalt auftreten, sind sie vielleicht das
charakteristischste Symptom der Tabes. Das WESTPHAi/sche Zeichen ist ja,
ausser dieser, noch vielen anderen Erkrankungen eigen (Neuritis, Poliomye¬
litis u. s. w.). Die reflectorisohe Pupillenstarre kommt ebenfalls nicht nur bei
Tabes, sondern auch bei Lues, progressiver Paralyse, Hirntumoren u. s. w. vor.
Aber die Schmerzen, wie sie in typischer Weise bei Tabes auftreten, scheinen
nur diesem Leiden anzugehören; ich wenigstens habe sie bei keinem anderen
gesehen, weder bei Diabetes, Polyneuritis, Meningitis, noch bei funetionellen
Neurosen, Phlebektasieen der Beine, Muskelrheumatismus u. s. w. Wo typische
Schmerzen vorhanden waren, hat sich alle Mal (wenn die Beobachtung lang
genug währte) eine Hinterstrangsklerose entpuppt, und ich nehme keinen An¬
stand, dieselbe auch dann stark in Verdacht zu haben, wenn die Schmerzen als
isolirtes Symptom auftreten.
Es lässt sich schwer sagen, wo der Ausgangspunkt der tabischen Schmerzen
zu suchen ist und noch schwerer, wie die Paroxysmen entstehen. Wenig wahr¬
scheinlich ist es, dass die peripherischen Nerven daran Schuld sind. Bekanntlich
haben Westphal, Dejebine, Pitees und Vaillabd, Oppenheim und Siemeb-
ung u. A. an den peripherischen sensiblen Nerven atrophische Veränderungen
gefunden, allein es handelte sioh meist um vorgeschrittene Fälle von Tabes mit
deutlichen Sensibilitätsstörungen. Die tabischen Schmerzen jedoch treten in den
allerersten Stadien der Erkrankung auf, zu einer Zeit, da die exacteste Unter¬
suchung keine Sensibilitätsstörungen nachweisen lässt Ebenso wenig kann es
sich um centrale, vom Rückenmark aus bedingte Schmerzen handeln, da die
Hinterstränge nach den Ergebnissen der experimentellen Forschung (Schipp)
unempfindlich sind. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass die Schmerzen
durch Erkrankung der hinteren Wurzeln bedingt werden, die bei der Tabes
regelmässig degeneriren und in welche von manchen Autoren (Leyden) der
Ausgangspunkt der Krankheit verlegt wird. Die Anfälle könnten durch den
wechselnden Blutgehalt, durch hyperämische Zustände bedingt sein — hat doch
u. A. E. Kbauss in den meisten Fällen an den Blutgefässen Veränderungen, die
er zwar für secundäre hält, gefunden. Man muss noch daran erinnern, dass
Obebsteineb und Redlich auf Verdickungen der Pia an der Durohtrittsstelle
der hinteren Wurzeln hin weisen, die auf die letzteren einen Reiz ausüben könnten.
Dem Verhalten der Achillessehnenreflexe bei Tabes habe ich seit 1888 1
die Aufmerksamkeit geschenkt Ich wies darauf hin, dass während die Knie-
und Achillessehnenreflexe in der Regel ein gleiches Verhalten zeigen, d. h. ge¬
wöhnlich fehlen, man nicht selten Fällen begegnet, in denen diese Phänomene
sich ungleich verhalten und der Achillessehnenreflex bei ausgesprochenem Knie¬
reflex abgeschwächt erscheint.
y Google
1 Neurolog. Centralbl. 1888. Nr. 19 u. 20.
790
Tumpowski 1 hat dann bei Präfang meines Materials über Tabes auf das
Verhalten des Aohillessehnenreflexes (es worden hierzu 116 Fälle verwandt) zwei
Groppen aofgestellt:
Gruppe I. Fälle mit verändertem Patellarreflex bei gleichzeitigem
beiderseitigem Fehlen des Achillesreflexes . 97 Mal,
einseitigem „ „ „ .6 „
Ungleichheit des Achillesreflexes .... 2 „
Abschwächung des „ .... 2 „
Gruppe n. Fälle mit normalen Patellarreflexen bei
beiderseitigem Fehlen des Achillesreflexes . . 5 Mal,
einseitigem „ „ „ . . 3 „
Ungleichheit des Achillesreflexes.1 „
Später war es B abinski s , der die diagnostische Bedeutung des Fehlens
der Achillessehnenreflexe bei Tabes hervorgehoben und Fälle mit erhaltenem
Knie- bei fehlendem Achillessehnenreflex beschrieben hat.
Brno 8 , der in meiner Poliklinik das Verhalten des Achillessehnenrefleies
bei der sogen. Ischias besonders studirte, fand in verhältnissmässig kurzer Zeit
nicht weniger als 12 Fälle (14% der gesammten Ischiasfalle), in denen der
Reflex auf der affleirten Seite abgeschwächt, meist sogar aufgehoben war und
hält dieses Symptom (neben den weniger constanten Sensibilitätsstörungen,
leichten Atrophieen und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit) mit Recht
für ein sehr werthvolles diagnostisches Merkmal zur Unterscheidung der Neuritis
ischiadica von der Neuralgie und der hysterischen Pseudoischias. Kurz vorher
wies B abinski 4 darauf hin, dass Verschwinden oder Abschwächung des Achilles¬
sehnenreflexes bei Ischias eine organische Läsion des Nerven anzunehmen und
die wahre von der hysterischen Pseudoischias zu unterscheiden erlaubt Sters-
beeg hat bereits im Jahre 1893 zwei Fälle von Neuralgie des N. ischiadicus
mit aufgehobenem Achillessehnenreflex auf der affleirten Seite beschrieben.
In einer zweiten Arbeit aus meiner Poliklinik wies dann Brno 6 nach, dass
der Achillessehnenreflex bei Neuritis ischiadica mit Besserung des Leidens wieder
erscheint und sogar zur Norm zurückkehrt In demselben Aufsatz beschreibt
er neue Fälle von Tabes mit normalen, sogar gesteigerten Knie- bei gestörten
Achillessehnenreflexen.
In seiner neuesten Mittheilung geht B abinski 6 so weit zu behaupten, „das
der Achillessehnenreflex bei Tabes in der Regel vor dem Kniereflex ergriffen
wird oder wenigstens häufiger gestört ist, somit in diagnostischer Hinsicht eine
noch grössere Bedeutung besitzt“
1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. X. 1897.
1 Soc. m6d. des höp. de Paris. Sdance du 21./X. 1897.
• Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XI. 1897.
4 Soc. inöd. des höp. de Paris. Söance de 18./XII. 1896.
# Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. XIX.
* Extr. de la Soc. de Neurol. de Paris. Sitzung vom 2. Mai 1901.
y Google
791
Die vieljährige Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Achillessehnenreflexe
eine ebenso regelmässige physiologische Erscheinung darstellen wie die Knie¬
reflexe. Die genauen statistischen Angaben von Ziehen 1 und Strassbueoeb *
haben das übrigens zur Genüge erwiesen. 8 In krankhaften Zuständen unter¬
liegen sie denselben Störungen (Abschwächung, ungleichmässiges Auftreten, Er¬
müdung, Ungleichheit auf beiden Seiten, totales Schwinden) wie die Kniereflexe.
Es stellte sich auch heraus, dass die Achillessehnenrefle bei denselben patho¬
logischen Processen eine Störung erfahren wie die Patellarreflexe, und in den
wenigen Fällen, in denen man für die Störung der ersteren noch keine Er¬
klärung finden kann, handelt es sich immer um verdächtige, in Entwickelung
begriffene Fälle, die dann bei weiterer Beobachtung gewöhnlich erkannt werden.
Wissen wir doch, dass auch das W estphal ’sche Zeichen sich vereinzelt auf
einen bestimmten pathologischen Zustand nicht zurückführen lässt Dasselbe
gilt vom Achillessehnenreflex, dessen Störungen demnach ein ebensolches patho¬
logisches Symptom darstellen und die gleiche diagnostische Bedeutung be¬
anspruchen.
Wie zur Feststellung der Kniereflexe, so bedarf es manchmal zu der
des Achillessehnenreflexes besonderer Vorsiohtsmaassregeln. Die in meiner
Poliklinik am meisten geübte Methode besteht darin, dass das (bei hori¬
zontaler Lage des Patienten) im Knie unter stumpfem Winkel gebeugte Bein
im Hüftgelenk etwas abducirt, flectirt und ein wenig nach aussen rotirt wird;
die linken Finger des auf derselben Seite stehenden Untersuchers üben auf die
Vorderfläche der Planta pedis einen leichten Druck aus, während die rechte
Hand mit dem Percussionshammer der Achillessehne einen kurzen Schlag ver¬
setzt Wie bei den Patellarreflexen, so muss man auch hier auf die Entspannung
der Muskeln achten und, wo nöthig, zum J endbA ssnt’schen Handgriff seine Zu¬
flucht nehmen. Bisweilen ist die Mitte der Sehne, manchmal aber deren Kanten
am leichtesten zu erregen, doch soll man nie zu hoch beklopfen (etwa am
Muskelansatz), da sonst eine Verwechselung mit der idiomusculären Erregbarkeit
zu Stande kommen kann.
Eine andere, insbesondere zur Demonstration der ungleichen Achillessehnen¬
reflexe in der Poliklinik geübte Methode besteht darin, dass man den Patienten
1 Deutsche med. Wochenechr. 1894. Nr. 33 u. 34.
* Deutsche Zeitechr. t Nervenheilk. XVII. 1900.
8 Ed. Bbaxwell kommt in seiner Arbeit Qber die klinische Bedeutung der Abwesen¬
heit der Achillessehnenreflexe (Brain, 1901. S. 554) zu etwas abweichenden Resultaten.
Auch er hält diese Reflexe für ein regelmässiges Symptom bei Leuten unter 50 Jahren,
meint aber, dass sie jenseits dieses Alters nicht immer nachweisbar sind (und zwar pro¬
portioneil den späteren Jahren). Nach meiner Erfahrung ist das nicht richtig, da ich
selbst im hohen Alter die Achillessehnenreflexe ebenso constant fand wie die Kniereflexe.
Erst neulich wurde mir eine über 90jährige Frau vorgestellt, bei der die Achillessehnen¬
reflexe bei erhaltenen Kniereflexen angeblich fehlten, aber auch hier gelang es mit Hülfe des
J kndbässik’ sehen Handgriffs dieselben, wenn auch sohwach, zum Vorsohein zu bringen.
Bbajcwrll giebt übrigens zu, dass, wenn seine Fälle nochmals zur Untersuchung kämen,
man doch in manchen den Reflex hervorbringen würde.
y Google
792
die Bauchlage einnehmen lässt und beim im Knie extendirten Bein mit den
linken auf die Vorderfläche der Planta pedis aufgelegten Fingern eine leichte
Dorsalflexion herbeifährt und die Sehne kurz anschlägt.
Was nun das Verhalten der Achillessehnenreflexe bei Tabes betrifft, so and
sie bekanntlich in der Regel, ähnlich den Kniereflexen, aufgehoben. Es giebt
indess genug Fälle, in denen das Verhalten ein verschiedenartiges ist, sei es,
dass die Kniereflexe zugegen, die Achillessehnenreflexe aufgehoben oder — im
Allgemeinen seltener — die letzteren vorhanden sind, während die ersteren
fehlen. Es kommt auch nicht selten vor, dass die Achillessehnenreflexe (ebenso
wie die des Kniees) nicht beiderseits gleichartig gestört sind; bald sind sie auf
einer Seite stärker, bald aufgehoben, bald schwach, leicht ermüdbar und nicht
bei jedem Beklopfen auslösbar u. s. w. Diese letzteren Modalitäten fuhren zum
Versiegen der Reflexe. Ich habe Tabesfalle gesehen, wo von den Sehnenrefleien
an den unteren Extremitäten nur ein Achillessehnenreflex fehlte.
Aus der Thatsache, dass Störungen der Achillesreflexe bei normalen Knie¬
reflexen häufiger Vorkommen, als die umgekehrte Combination, darf man mit
Bxb Inski schliessen, dass die Achillessehnenreflexe bei Tabes öfters und ge¬
wöhnlich vor den Kniereflexen alterirt werden. Die Störungen der erstereu
bieten demnach ein sehr werthvolles diagnostisches Moment und können dazn
beitragen, die Tabes im Frühstadium, noch vor dem Auftreten des Westphal’-
sohen Zeichens, zu erkennen.
Erwähnt sei noch, dass die Sehnenreflexe bei Tabes manchmal verhältnis¬
mässig schnell schwinden. So habe ich einen Fall beobachtet, in welchem im Ver¬
lauf von 4 Monaten die Knie- und Achillessehnenreflexe total und für immer
schwanden, einen anderen, in welchem die Patellarreflexe nach 9 Monaten ungleich
wurden und bald darauf (3 Wochen) ganz fehlten, einen dritten, in welchem die
schwachen Kniereflexe schon nach einer Woche nicht auszulösen waren, endlich
einen vierten, in dem die am 10./XII. noch deutlichen Kniereflexe (bei fehlenden
Achillesreflexen) bereits am 25./XI3. schwächer wurden und am 80./XIL sich
überhaupt nicht mehr nachweisen Hessen.
2. Zur Casuistik der Epilepsia luetica. 1
Von Dr. J. A. Feinberg in Kowno (Russland).
Die Epilepsie ist keine seltene Erscheinung bei Gehirnlues. Wir begegnet
ihr im Frühstadium, in der Mitte, im Endstadium des specifischen Gehirn¬
leidens. Irritative Momente für Auslösung von Krampfattaquen sind zahlreich.
Meningeale Producte, sklerotische schwielenartige Verdickung der Gehirnhäute,
Verwachsung mit der Gehimsubstanz; Circulationsstörungen, Compresaon.
Thrombose, Obüteration der Gefasse mit consecutiven ciroumscripten Gehirn-
1 Auszug aas einem aasfBhrliohen Vortrage über Epilepsia laetioa, gehalten in der
Kownoer medioin. Gesellschaft im Jahre 1900.
edby Google
793
erweichungen, der Prädilectionssitz der gummösen Entzündung im motorischen
Felde oder in seiner nächsten Nähe, die Volumschwankungen des gummösen
Tumors, pro-regressive Metamorphose derselben, gesteigerte Erregbarkeit der
Gehimsubstanz oder epileptische Veränderung derselben, die bei differentem
Sitze der luetischen Affection, an der Basis oder anderen Gehimbezirken zu
Stande kommt und zu convulsiven Entladungen Anlass giebt.
Die luetische Epilepsie präsentirt sich in zwei Typen.
1. Typus: Epilepsie ohne jegliche Cerebralstörung.
2. Typus: Epilepsie mit Cerebralphänomenen, die sie einleiten oder ihr
nachfolgen.
In beiden Typen unterscheidet sich der Anfall in Nichts von dem der
functionellen Epilepsie. Sie macht alle bekannten Variationen derselben durch,
kann von Aura begleitet sein, alle drei Componenten des Anfalles, oder nur eine
Componente desselben besitzen, die Bewusstlosigkeit, petit-mal; Jackson 'sehe
Epilepsie, bei freiem Sensorium, Trübung, Verlust desselben bei Generalisirung
der Krämpfe, Epilepsia sensibilis, psychische Aequivalente sind nicht selten. Im
1. Typus sind keine klinischen Merkmale einer Cerebralaffection zu constatiren.
Im zweiten sind sie zahlreich, treten prägnant in allen unten citirten Kranken¬
geschichten hervor. Ausser dem specifischen Kopfschmerze, der bekanntlich
durch Heftigkeit, Hartnäckigkeit und nächtliche Exacerbationen sich auszeichnet,
waren die Ausfallserscheinungen flüchtiger Natur bald auftauchend, bald ver¬
schwindend, so Sprachstockung, kurzdauernde motorische Aphasie, optische
Aphasie, Paraphasie, Amnesie, Hemiparesen, Hemiplegieen, Neuritis optica,
passagere Amaurose u. s. w. Ueber die Causa efficiens der Epilepsie des
1. Typus lassen sich nur Vermuthungen aufstellen. Circumscripte, zerstreute
Herde, die eine gesteigerte Irritabilität des Nervensystems bedingen, Anämie,
Cachexie, specifische Toxine sind beschuldigt worden. Fälle des 1. Typus ge¬
langen selten zur Beobachtung. Gbos und Lancebeaux berichten über 14 Fälle
ron luetischer Epilepsie von langer Dauer, ohne klinische Erscheinungen einer
Grehirnläsion. Interessant ist der von Tbousseau und Prooux citirte Fall eines
Diplomaten, der, syphilitisch durchseucht, mehrere Jahre hindurch an Epilepsie
aborirte, die allen Mitteln Widerstand leistete, endlich durch eine Mercurial-
ur vollständig geheilt wurde. Noch nach 12 Jahren konnte der Bestand der
Jenesung constatirt werden.
Folgende Krankengeschichten illustriren Fälle des 1. und 2. Typus.
I. M. B., 44 Jahre alt, Beamter, in den letzten Jahren vom Dienste ent-
ssen. Zur Hiilfeleistung, am 8. Mai 1888, zu ihm geladen, fand ich ihn im
ette mit einer Kopf binde, in Folge einer Verletzung, die er am verflossenen
%ge durch einen epileptischen Anfall sich zugezogen. Pat. klagt über Schmerzen
ld Schwere im Kopfe. Nach Angabe der Frau ist es der vierte Anfall, den er
stern durchgemacht. Pat. soll des besten Wohlseins sich erfreut haben. Lues,
>tus werden geleugnet. Seit vielen Jahren verheirathet, hat er vier Kinder, die
e ganz wohl sind. Pat. giebt zu, im Jahre 1885 eine kleine Wunde an der
ans gehabt zu haben, die er nicht dem unreinen Beischlafe, aber einer zu-
ligen Verletzung zugeschrieben hat. Die Glans schwoll an, die Wunde ver-
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794
breitete sich und als alle häuslichen Mittel fehlschlugen, wandte er sich an eine»
Feldscher, der ihm Pulver zum Einstreuen empfohlen hat. Nach etwa 6 Wochen
vernarbte das Geschwür — secundäre Erscheinungen will Pat. nicht beobachtet
haben. Etwa 2 Monate später acquirirte Pat. eine schwere Halsentzündung, die
allen Mitteln trotzte. Nach etwa 6 Wochen bekam er eine Jodmixtur und er
genas. Vollständiges Wohlsein bis zur Periode der Entlassung vom Dienste (im Mu
1887). An diesem Tage ging er mit einem seiner Collegen in’s Restaurant, trank
zwei Schnäpse, machte einen Imbiss, da wurde ihm plötzlich dunkel in den Augen.
Von dem Anfalle hatte er keine Ahnung und war sehr erstaunt, zu Hause, io
eigenen Bette sich zu finden. Die Frau des Pat. theilte mit, dass er leblos in die
Wohnung eingeliefert wurde und glaubte, er habe einen Rausch bekommen, fügte
aber hinzu, er Bei kein Trinker. Am 15. Juli 1887 erfolgte der zweite Anfall
Er ging in den Hof, stürzte leblos zu Boden und der Körper war von den hef¬
tigsten Convulsionen ergriffen. Auch von diesem Anfalle hatte er keine Ahnung.
In den Intervallen vollständiges Wohlbefinden. Im Januar 1888 kam es e
einem dritten Anfalle. Nachts hörte die Frau ein starkes Geräusch und sie faai
Pat. ohne Bewusstsein am Boden. Ob Krämpfe gewesen, konnte sie nicht u-
geben. Der vierte, intensivste Anfall, am Tage vor meinem Besuche. Kok
Aura, keine cerebrale Störung, Intervalle frei. Die Untersuchung ergab negativa
Resultat. Keine Spuren vorangegangener Durchseuchung, alle Organe norm!
Cerebrale Nerven intact, weder Sensibilitäts- noch Motilitätsstörung.
Das vorgeschrittene Alter des Patienten, der Ausschluss aller caaaüs
Momente, die eine Epilepsie bedingen, die verdächtigen Erscheinungen seit«
der Geschlechtsorgane mit der bald darauffolgenden hartnäckigen Racha-
entzündung, die günstige Beeinflussung derselben durch Jodpräparate musste:
die Vermuthung auf kommen lassen, dass wir hier eine luetische Epilepsie w
uns haben. Der prompte Erfolg einer specifisohen Kur musste die VermuthuK
zur Diagnose erheben. Patient wurde nach Kemmem (Schwefelbad) dinget
Eine energische specifische Kur wurde eingeleitet und seit mehreren Jahr«
sind keine Anfalle vorgekommen.
II. S. E., Techniker, 38 Jahre alt, Abusus in Venere, theilweise in Baecb«
Mehrere Male Blenorrhoea urethrae, ein Mal Orchitis, ein Mal Bubo. Im Jat?
1891 Ulcus, bald darauf deutliche secundäre Erscheinungen. Mangelhafte Be¬
handlung, Mercurialpillen, Genesung. Im Jahre 1893 heirathete er, inficirte seat
Frau, Roseola, Plaques rauqueuses an der Lippenschleimhaut wurden bei ihr ccc-
statirt. Eine energische specifische Kur befreite sie von ihrem Leiden. Pt
verweigerte jede Untersuchung. Im Februar 1894 bekam er einen epileptische
Anfall, der nach Aussage der Umgebung (er lebte separirt von seiner Frau) ebff
genuinen Epilepsie vollständig ähnlich war. Die Untersuchung ergab bärtlics
Narbe an der Glans, Drüsenpackete in den Leisten, eine kleine Occipitaldrc#
rechts. Keine Erscheinungen einer Cerebralläsion. Eine energische Schmieret
wurde empfohlen. Pat ist von hier verzogen. Zwei Jahre später erfuhr ich vc
seiner Frau, dass er im Sommer 1894 das Schwefelbad Busk besuchte und an
seine Anfälle nicht mehr zurückkehrten.
Im vorliegenden Falle waren Primäraffect, secundäre Erscheinung^,
syphilitische Residuen deutlich zu Tage getreten. Die Epilepsie war unrwefc-
haft luetischer Natur, hatte aber doch grosse Aehnlichkeit mit genuiner Epüep»
da weder vor noch nach dem Anfalle Zeichen irgend einer materiellen Cerebra-
läsion zu finden waren.
> y Google
795 —
III. Luetische Epilepsie des zweiten Typus. Pat. Z., hoher Beamter,
36 Jahre alt, verheiratet, hat vier Kinder, die alle scrofulös sind. Sein Vater
starb angeblich an einer Halsgeschwulst, .seine Mutter an Altersschwäche. Von
sechs Geschwistern sind drei am Leben. Ein Bruder starb an Lungentuberculose,
die Todesursache der anderen Geschwister ist ihm unbekannt. Vom 11. bis zum
23. Lebensjahre Onanie getrieben. Im September 1886 Ulcus acquirirt, vom be¬
handelnden Arzte als Ulcus molle aufgefasst. Ungetrübtes Wohlsein bis zum
1. März 1891. Er begab sich frühmorgens in’s Bureau, verspürte plötzlich auf
dem Wege dahin eine Kopfschwere, Gedankenverwirrung, und die Unmöglichkeit,
die gesehenen Gegenstände mit ihren Namen zu bezeichnen. Er erschrak, glaubte
geisteskrank zu sein, lief schleunigst nach Hause, warf sich aufs Bett und schlief
ein. Er erwachte mit freiem Sensorium, ohne Spur psychischer Störung. Im
September 1893 unternahm er eine weite Reise, verzehrte mit grossem Appetite
sein Abendbrod und schickte sich an, von der Umgebung Abschied zu nehmen.
Plötzlich befiel ihn eine Sprachstörung. Er fand kein Wort zum Ausdruck seiner
Gedanken, verwirrt, sprachlos, die Umgebung in Angst versetzend, musste er seine
Reise aufgeben. Bewusstsein, Lesen, Schreiben intact. Der Anfall dauerte
2 1 / 8 Stunden. Nach etwa 5 Monaten, im Februar 1894, nachdem er am ver¬
flossenen Tage, zu Mittag geladen, 5—6 Glas Wein getrunken, die Nacht ruhig
schlief, Morgens sich wohl fühlte, stellten sich nachmittags Kopfschmerzen und
Gedankenverwirrung ein. Er lief zur Apotheke, um Ol. ricin. zu holen. Statt
russisch „Kastorowoe maslo“ bat er um Köstrow, und als er missverstanden
war, seines Irrthums bewusst, erinnerte er sich, dass es rassisch auch „Ricinus“
heisse, bat aber um Recensio. Bestürzt lief er aus der Apotheke fort, stürzte
zu Boden, wurde von einem Droschkenkutscher aufgegriffen und nach langem
Wandern wurde er nach Hause transportirt (Erzählung der Umgebung). Nach
24 ständigem Schlafe erwachte er mit einer Wunde am Gesichte. Bald aber war
er wieder leistungsfähig und setzte seine Beschäftigung lort. Kopfschmerzen
sollen in den Intervallen nie vorgekommen sein. Im Jahre 1894 consultirte Pat.
Professor 0. in Moskau, der die vorangegangene Infection als Ulcus molle auffasste
und die Diagnose Neurasthenia cerebri stellte. Im October 1894, nach anhaltender
aufregender Geistesthätigkeit, 4 Uhr Nachmittags, verspürte Pat. die Vorboten,
die den Anfall verkünden. Er ging in’s Freie, stürzte zu Boden und wurde in’s
Bureau transportirt, wo ich Pat. zum ersten Male sah. Nach Schilderung der
Augenzeugen waren die Krämpfe typischer, epileptischer Natur, der Bewusstseins¬
verlust hielt noch an. Zum zweiten Male sah ich Pat. am folgenden Tag. Lues
wurde negirt Eine Narbe an der Glans, Drüsenpackete in den Leisten, kleine
Drüsen am Halse, dementirten seine Aussage. Er gestand ein, Ulcus molle ge¬
habt zu haben. Die Untersuchung aller Organe ergab negatives Resultat. Meine
Diagnose lautete Epilepsia luetica. Eine specifische Cur war von glänzendem
Erfolge gekrönt. Noch vor kurzem begegnete ich Pat. Seine Anfälle kamen
nicht wieder.
Epikrise. Im vorliegenden Falle war die Epilepsie manifest luetischer
Natur. Merkwürdig ist die Abwesenheit secundärer Erscheinungen, die dem
intelligenten Patienten nicht entgangen wären. Beobachtung verdient auoh der
Umstand, dass im Verlaufe von Jahren drohende Vorboten der epileptischen
Attaque, wie motorische Aphasie, Paraphasie, optische Aphasie mehrmals wie
ein Blitz aus heiterem Himmel auftauchten, verschwanden, ohne die geistige
Sphäre zu tangiren, ohne die Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen, ohne in den
Intervallen von irgend welchen Beschwerden belästigt zu werden.
Auch in jAOKSON’scher Form erscheint die luetische Epilepsie. Bekannt-
y Google
796
lieh setzen die Zuoknngen in oircamscripten Muskelgrnppen ein, im Facialis-
gebiete, in oberer, in unterer Extremität, von oben nach unten, oder umgekehrt
sich verbreitend, entsprechend den im motorischen Rindenfelde localisirten Centren.
Die Herderkrankung befindet sich in den Centralwindungen oder in ihrer nächsten
Nähe. Da die Krämpfe aber nicht durch die Natur der Affection, aber durch
ihre Localisation ausgelöst werden, so werden bei Leugnen der Infection und
Abwesenheit specifischer Residuen diagnostische Schwierigkeiten sich erheben.
Alle mögliche pathologische Affectionen müssen ausgeschlossen werden, Aetio-
logie, genaue Exploration aller Organe, Krankheitsverlauf, Fernwirkungen, Asso¬
ciationen mit Leiden anderer Gehirntheile, werden differentiell-diagnostisch zur
Yerwerthung kommen müssen. Die Consequenzen des Traumas, functioneile
toxische Storungen, wie Hysterie, Urämie müssen berücksichtigt werden.
Auf fast unüberwindliche diagnostische Schwierigkeiten stossen wir bei
Differenzirung der Epilepsie des 1. Typus von Tumor und Dementia paralytica.
Bei kleinen Tumoren, die intracranielle Drucksteigerung nicht bedingen, werden
manchmal epileptische Anfalle, partielle oder allgemeine, beobachtet, die Jahre lang
dem Eintritte manifester Symptome vorangehen. Ebenso verhält es sich mit
der Paralyse. Lässt uns die Aetiologie im Stich, so muss einstweilen die Diagnose
in suspenso bleiben. Der Tumor wächst, nimmt an Umfang zu, intracranielle
Drucksteigerung tritt auf und alle Zweifel sind gehoben. Die Paralyse steigert
sich, Ausfallserscheinungen aus allen Gebieten des Seelenlebens tauchen auf, die
Diagnose wird manifest. In allen zweifelhaften Fällen aber dürfen wir nicht
zu lange zögern. Wir müssen eine specifische Therapie einleiten, die uns
Klarheit verschafft.
Es folgen hier 2 Fälle JacKSON’scher Epilepsie.
I. A. T. trat am 15. Juli 1878 in*B städtische Krankenhaus ein.
Anamnese: 24 Jahre alt, Maitresse eines Officiers, der längere Zeit an
secundärer Lues laborirte und im geschlechtlichen Verkohr mit ihr verblieben.
Nach Angabe des behandelnden Arztes sollen während der Schwangerschaft mehrere
luetische Symptome zum Vorschein gekommen Bein. Sie gebar ein totes Kind,
Während der Geburtsperiode brach ein rechtsseitiger unilateraler Krampf aus mit
BewusstBeinsverlust. Nach Beendigung der Geburt sistirten die Krämpfe für
mehrere Tage, bald aber kamen sie wieder zum Vorscheine, wiederholten sich
recht häufig, und hinterliessen rechtsseitige Hemiplegie. Nach etwa 2 Monaten
war ich zur Patientin geladen worden, fand rechtsseitige Hemiplegie, zahlreiche
secundäre Erscheinungen, Papules muqueuseB an den Lippen, eine Narbe an der
Uvula, Drüsenanschwellungen in den Leisten und am Halse. Sie wurde auf
meinen Rath nach dem Krankenhause transportirt.
Stat. praes.: Kräftiger Körperbau, blasse Schleimhäute, Augenmuskeln
normal, Pupillen reagiren auf Licht, Accommodation und Convergenz, Facialis recht'
etwas paretisch, links normal. Alle anderen Gehirnnerven intact. Hemiplegia
dextra, Muskeln etwas gespannt, Sehnenreflexe erhöht, Tastgefühl an den Fingern
herabgesetzt. Sensibilität in allen Qualitäten normal, Sprache ungestört, Sphinctsren
normal.
Am 26. Juli: Rechtsseitige Krämpfe in der hemiplegischen Körperhafte.
Beginn von den Fusszehen, rasch auf Fuss, Unter- und Oberschenkel, obere Ex¬
tremität sich verbreitend, Facialis in Mitleidenschaft ziehend, dabei vollständige
Bewusstlosigkeit. Dauer des Anfalles 4—6 Minuten.
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797
Am 27. Juli: Wiederholung des Anfalles in typischer Anordnug von den
Zehen nach oben sich verbreitend. Bewusstsein intact. Die Insulte wiederholen
sich alle 2—3 Tage, bei freiem, umnebeltem oder verlorenem Bewusstsein. In
den Intervallen klagte Patientin über die verschiedensten Sensationen. Die
Frictionen mussten mehrere Male, in Folge Stomatitis mercurialis, unterbrochen
werden. Die Ernährung sank zusehends. Zur Cerebrallues trat Hysterie hinzu.
Auf letztere wurde die strengste Aufmerksamkeit gerichtet. Es war aber, nach
ihrem Eintritte in die Behandlung, kein einziges hysterisches Symptom zu ent¬
decken.
14 Monate lang blieb sie im Krankenhause. Die Krämpfe sistirten voll¬
ständig. Eine leichte Hemiparese blieb zurück. Ein Jahr später begegnete ich
Patientin. Sie theilte mir mit, dass sie eine strenge specifische Cur in Petersburg
durchgemacht und gegenwärtig vollständig hergestellt sei.
Der vorliegende Fall gehört zur Parasyphilis. Die cerebrale Affection ent¬
wickelte sich während der secundären Periode. Es brachen halbseitige Con-
vulsionen aus, die eine brachio-crurale Monoplegie nach sich zogen. Die Facialis-
parese war sehr geringfügig. Die Krämpfe befielen die gelähmte Körperhälfte.
Der constante Ausgang letzterer aus den Zehen, die Verbreitung nach topo¬
graphischer Anordnung der motorischen Rindencentren sprachen zu Gunsten
einer circumscripten gummösen Meningitis, die das obere Drittel der Central¬
windungen lädirte.
II. Epilepsia Jacksoni luetica. Pat. K-n, 33 Jahre alt, trat im Juli
1888 in meine Behandlung. Nach seiner Angabe soll er des besten Wohlseins
sich immer erfreut haben. Eltern, Geschwister am Leben, wohl erhalten. Keine
neuropathologische Belastung, weder Scrofulose noch Tuberculose in der Familie
zu constatiren. Im Jahre 1879 acquirirte Pat. eine Gonorrhoe mit Ulcus am
Orificium urethrae. Er musste sein Leiden als Handlungsdiener verheimlichen.
Die Behandlung beschränkte sich auf Fomenten, Salben u. s. w. Erst nach Monaten
befreite er sich von seinem Leiden. Im Jahre 1885 bekam er Geschwüre im
Rachen, die aller Behandlung trotzten. Erst nach 1 / J Jahre kamen sie zur
Heilung. Nach etwa 4 Monaten traten Knoten, Ulcerationen in der linken Ge¬
sichtshälfte, am Halse und den Unterschenkeln. Die Halsdrüsen sollen bedeutend
geschwollen gewesen sein. Unter Verschlimmerungen und Besserungen dauerte das
Leiden bis zum Jahre 1887. Nach etwa 4 Monaten, April oder Mai 1887, trat
plötzlich Amnesie auf. Letztere betraf alle jüngstvergangene Begebenheiten, ver¬
schwand eret nach 2 Monaten. Nach einem Intervalle von 7 Monaten befiel ihn
auf der Strasse ein Zucken in der linken unteren Extremität. Nach mehrtägiger
Pause Wiederholung des Anfalles, später häuften sich die Anfälle, erschienen bei
jeder Aufregung, bei Ermüdung. Er musste seine Anstellung aufgeben. Im Hause
seiner Eltern, ohne jegliche Thätigkeit, verfiel er in sehr gedrückte Stimmung.
Im November 1888 bekam er plötzlich Syncope und fiel zu Boden. Ob Krämpfe
gewesen, lässt sich nicht ermitteln. Der Bewusstseinsverlust muss von kurzer
Dauer gewesen sein, da er nach Hause zu gehen im Stande war. Zu HauBe
angelangt, bekam er eine convulsive Attaque, die an der linken Unterextremität
beginnend, nach oben sich verbreitete, bei vollständig freiem Sensorium. Auf¬
geregt schlief er ein, erwachte am folgenden Tag mit Parese beider linksseitigen
Extremitäten. Keine Kopfschmerzen, aber Kriebeln in den paretischen Gliedern.
Ohne das Bett zu verlassen, trat nach 3 Tagen Aphasie auf. Pat. verstand alles,
svas man mit ihm sprach, konnte aber das geeignete Wort zum Ausdrucke seiner
Gedanken nicht finden. Ob Agraphie, Alexie gewesen, lässt sich nicht ermitteln.
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798
Allmählich stellten sich die gesuchten Worte ein, und nach 6 Tagen war die
Sprachfahigkeit vollständig hergestellt
Stat praes.: Kräftiger Körperbau, massige Ernährung. Links an der
Wange, in der Richtung des Unterkiefers, strahlenförmige Narbe, ähnliche kleinere
in der Umgebung des linken Ohres und am Halse hinter dem Sternocleidomastcideus.
an der linken Tibia grosse sternförmige Narbe, die dem Knochen fest adhärirt
Haselnussgrosse, indolente Drüsen am Halse und in der Leistengegend beiderseits,
eine grössere Drüse in der rechten Cubitalgegend. Am Orificium urethrae eine
durch Substanzverlust bedingte Vertiefung mit härtlicher Narbe. Alle Gehirn¬
nerven normal, Pupillen reagiren auf Licht, Accommodation und Convergeoi
Facialis, Hypoglossus intact. Sprache ungestört. Intellect normal. Linb
Hemiparese beider Extremitäten, Sehnenphänomene sowohl der unteren als oberen
Extremitäten gesteigert, leichte Muskelrigidität, Fussphänomen nicht vorhanden
Sensibilität, in allen Qualitäten, überall, rechts wie links, intact, stereognostischer
Sinn links abgeschwächt. Bekannte Gegenstände, wie Messer, Schlüssel werden
sofort erkannt, weniger im Gebrauche stehende Objecte bleiben unerkannt
Elektrische Erregbarkeit der paretischen Muskeln für beide Stromarten nonniL
Normal ist auch die Sphincterenfunction. Die Untersuchung aller Organe ergiebt
normale Verhältnisse. Weder Herz- noch Lungenaffection.
Resumiren wir die bei dem Patienten beobachteten klinisohen Erscheinungen,
so finden wir:
1. Vorangegangene constitutioneile Syphilis, manifeste Residuen derselben.
2. Transitorische Amnesie.
3. Wiederholt aultretende Zuckungen in der linken unteren Extremität
4. Leichte Parese derselben.
5. Plötzliche Ohnmacht mit passagerem Bewustseinsverlust.
6. Bald darauf jACKsoN’sche Epilepsie bei freiem Sensorium.
7. Am folgenden Tag Hemiparese beider linksseitigen Extremitäten.
8. Nach drei Tagen Aphasie von 6 tägiger Dauer.
Eine specifische Kur wurde sofort eingeleitet. Nach 40 Frictionen a
5,0—6,0 verlor sich die Hemiparese und Patient verliess Kowno. Ob nicht
später ein Recidiv eingetreten ist, konnte ich nicht erfahren.
Das klinische Bild sprach zu Gunsten einer Herderkrankung im ober»
Drittel der Central wind ungen oder in seiner nächsten Nähe. Den Sitz der
Affection musste man in die rechte Hemisphäre verlegen. Da die syphilitische
Durchseuchung keine Immunität gegen andere Gehirnaffectionen schafft, bei
Patienten ausgedehnte Narben an der Wange, am Halse, an der linken unter»
Extremität, beträchtliche Lympbdrüsenanschwellungen constatirt worden, ä>
musste die Vermuthung auftauchen, ob nicht ein isolirter Tuberkel oder tuber*
culöse Plaques in der erwähnten Gehirnregion sich localisirt haben. Der isolirte
Tuberkel ist ein Tumor, der intracranielle Drucksteigerung auslöst. Aber
die Abwesenheit der Stauungspapille ist differentiell-diagnostisch nicht von
Belang, da letztere auch bei grösseren Tumoren der Centralwindungen vermisst
wird oder erst spät in die Erscheinung tritt. Das Fehlen von Kopfschmerz,
Benommenheit, Pulsverlangsamung könnte der Kleinheit des Tumors zugesehrieben
werden. Die tuberculösen Plaques, deren Prädilectionssitz in den Central*
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799
Windungen bekannt ist, liefern ein ähnliches Bild. JAGKSON’sche Epilepsie,
Monoparese, Monoplegie einer oder beider Extremitäten, mit oder ohne Aphasie,
je nach Sitz und Ausdehnung der Affection. Bei Localisation im Paracentral-
lappen setzen die Zuckungen in der unteren Extremität ein, generalisiren sich
von unten nach oben fortschreitend, ergreifen oder verschonen das Facialisgebiet,
wie es im vorliegenden Falle beobachtet wurde.
Gegen die tuberculöse Natur des Gehirnleidens sprachen das Fehlen jeglicher
hereditärer Disposition zur Tuberculöse, die Abwesenheit einer Lungenaffection
und der Verlauf der Krankheit Ohne Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen
und andere Gehirnsymptome stellte sich nach Heilung der Geschwüre Amnesie
ein, die nach etwa 2 Monaten spurlos verschwand. Nach einem freien Inter¬
valle von 7 Monaten traten Zuckungen in der linken unteren Extremität auf.
Allmählich entwickelte sich Parese der zuckenden Extremität, später Syncope,
jACKBON’sche Epilepsie, Hemiparese links, erst nach 3 Tagen Aphasie von
sechstägiger Dauer. Flüchtigkeit der Gehimerscheinung, rasches Auftreten,
rapides Verschwinden sind Attribute der Gehirnlues. Letzterem Processe ist Multi-
plicität der specifischen Producte eigentümlich. Im Vorliegenden tritt diese
manifest zu Tage. Die linksseitigen Krämpfe und Lähmungen deuteten auf
Affection der rechten Hemisphäre und doch trat Aphasie auf. Letztere könnte
nur durch doppelte circumsoripte Herde im oberen Drittel der rechten Central¬
windungen und im Fusse der dritten linken Frontalwindung erklärt werden.
Der Substanzverlust und die narbige Betraction an der Urethralmündung in
Combination mit dem charakteristischen Krankheitsverlaufe, bei Abwesenheit
tuberculöser Lungenaffection, und der wohlthätige Einfluss der specifischen
Therapie musste unsere Diagnose Gehirnlues vollauf bestätigen.
Das Trauma capitis oder anderer Körpertheile, das dem Gehirne sich mit¬
theilt, kann nach Jahren Epilepsie auslösen. Letztere wird ihrem klinischen
Bilde nach sowohl der functioneilen als auch der luetischen Epilepsie ähnlich
sein. Anamnese, etwaige Narben, Druck, Klopfempfindlichkeit des Schädels bei
directer Kopfverletzung werden Aufschluss geben. Anders verhält es sich bei
Combination der Lues mit Trauma. Das Trauma, das von Commotio cerebri
nicht begleitet gewesen ist, leichten Verlauf hatte, kann dem Gedächtnisse ent¬
schwinden und keine Residuen im Gefolge haben. Bei solcher Sachlage ist
Kehldiagnose nicht unmöglich. In dieser Hinsicht ist folgender Fall recht
interessant:
Patientin, 38 Jahre alt, von losem Wandel, seit 9 Monaten epileptisch, trat
am 6. April 1901 in’s Krankenhaus ein und starb da am 13. Juli desselben
Jahres. Erstes Kind totgeboren, darauf Sterilität. An den unteren Extremi¬
täten strahlenförmige Narben, periostitische Knochenauftreibungen an den Tibial-
knochen beiderseits, in den Leisten indolente Drüsen. Lues, Alcoholismus, Trauma
jeleugnet. Keine Narben, wohl aber Druck- und Percussionsempfindlichkeit an
len Frontalknochen. Sensorium frei, keine Temperaturerhöhung. Hemiparese
•echte, epileptische Krämpfe 2—3 Mal täglich, selten eine Pause von 2—3 Tagen.
Die Erscheinungsweise derselben ist verschieden. Selten typische Insulte mit Be-
vuastlosigkeit, Tonus, Clonus, Erschöpfungszuständen, meistens partielle Krämpfe
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800
vom rechten Oberarme ausgehend, auf ihn sich beschrankend oder auf den linken
übergreifend. Nicht selten beide obere Extremitäten von Convulsionen befallen,
mit oder ohne Betheiligung des Facialis. Hin und wieder kommen auch halb¬
seitige Krämpfe vor, die sich generalisirten. Bewusstsein meistens verloren,
manchmal nur getrübt. Dauer der Krämpfe 5—10 Minuten. Im Beginne der
Krämpfe Deviation conjuguäe des Kopfes und der Augen nach der krampfenda
Seite. Specifische Behandlung eingeleitet. Die Hemiparese der rechten Extremi¬
täten verschwand, eine Gefühlsstörung in den Fingern der rechten Hand zurück¬
lassend. Facialis, alle anderen Gehirnnerven intact. Am Opticus Neuritis, keine
Stauungspapille. In den letzten Tagen ihres Aufenthaltes im Krankenhaose
Status epilepticus, Coma, Tod. Die Autopsie ergab inkapsulirten Abscess im
linken Frontallappen, der die zweite Stirnwindung, den vorderen Theil des Gyrus
marginalis zerstörte, an die vordere Centralwindung heranreichte. Leztere
makroskopisch verändert, Consistenz weich, ödematös, von capillären Blutungen
durchsetzt. (Encephalitis haemorrhagica durch Compression und Oedem.) Das
untere Drittel der vorderen Centralwindung, die dritte Stirnwindung, alle anderen
Gehirntheile intact. Die histologische Untersuchung ist unterlassen worden.
Die Diagnose Epilepsia luetica in Folge circumscripter Convexitätsmeningitis
mit Syphilom basirte sich, bei Unkenntniss eines vorangegangenen Trauma, auf
Anamnese, losen Wandel, totgeborenes Kind und postsyphilitische Residuen.
Das causale Moment, das Trauma, ist erst durch spätere Nachforschungen eruirt
worden. Das Fehlen jeglicher Eitererscheinung muss der Inkapsulation des
Abscesses zugeschrieben werden. Tumorwirkung, nicht eitrige Schmelzung
kam zum Ausdruck. Schwierig ist die Lösung der Frage über Entstehung
eines Gehirnabscesses ohne eiternde Schädelwunde. Vermutlich fand Gehirn-
contusion statt, die Eitererreger sind auf irgend einem Wege später in die lädirte
Stelle eingedrungen. Die Deviation conjuguöe des Kopfes und der Augen kommt
bei Frontalabscessen recht häufig vor, ist aber bei genuiner Epilepsie nicht selten,
wird auch bei Cerebrallues Vorkommen, falls die Convexitätsmeningitis oder
Syphilom aufs Kopf- und Augencentrum im Frontallappen übergreift
Zu den Folgeerscheinungen des Trauma gehören nicht nur latenter Abscess,
sondern auch latente Meningitis, Meningoencephalitis, die Monate, manchmal
Jahre lang in Ruhe verharren, um zuletzt in drohender Form aufzutaucheu,
unter anderen Erscheinungen auch Epilepsie auslösen. Differentiell-diagnostisch
kommen Anamnese, initiale stürmische Gehirnsymptome, stabiler Verlauf, Ab¬
wesenheit von luetischer Infection in Betracht. Auch Tumor cerebri und all¬
gemeine Paralyse sind nach Traumen beobachtet worden. Die diagnostisch-
differentiellen Momente sind in meiner grösseren Abhandlung über dies Thema,
die demnächst erscheinen wird, gebührend berücksichtigt worden. Epilepsie j
kommt auch bei Alkoholintoxication zur Beobachtung. Sie erscheint als Vor- j
läuferin oder Begleiterin des Del. tremens und verschwindet nach längerer
Abstinenz. Die Anamnese sichert die Diagnose. Schwieriger ist letztere bei
Combination des Alkoholismus mit Lues, da Epilepsia tarda auf Grundlage einer •
durch Alkohol bedingten Gehirngelasssklerose, zur Beobachtung gelangt Für ^
Gehirnleiden alkoholischen Ursprungs sprechen: Anamnese, Sklerose der Aorta, .
etwaige Hypertrophie des Herzens, sklerotischer Puls, Alterationen anderer Organe,
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801
stabiler Verlauf; für Cerebrallues charakteristisches Schwanken der Symptome,
Multiplioität der Herde und zuletzt der Erfolg der specifischen Therapie.
Zur Illustration diene folgender Fall:
W-er, am 28. Februar 1888 in8 Krankenhaus aufgenommen. Pat., 45 Jahre
alt, Abusus in Baccho et Venere. Im Jahre 1864 Primäraffect ohne Behandlung.
Im Jahre 1869 gummöse Geschwüre an den Schenkeln, später Dolores osteocopi
in den Beinen, die Jahre lang anhielten. Im Jahre 1875 Cur in Stara-Russ,
Genesung. Im Juli dieses Jahres Hemiparesis sinistra, die im Verlaufe von
2 Wochen zur Hemiplegie sich steigerte. Cur in einem Krankenhause, Genesung.
Im October 1886 Recidiv. Hemiplegia sinistra, mit Lähmung des Facialis und
Hypoglossus, dabei linksseitige Amaurose. Nach Angabe des intelligenten Pat.
verschwanden sie schon nach 8 Tagen. Im Jahre 1887 (1. Januar) trat zum
ersten Male ein convulsiver Anfall mit Temperaturerhöhung von 42 0 auf und bald
darauf folgten Hemiplegia dextra und Hemiparesis sinistra. Eine specifische
Cur im Iwangoroder Hospitale brachte fast völlige Genesung. Eine leichte
Muskelschwäche, links, blieb zurück. Im September desselben Jahres wieder
linksseitige Hemiplegie, verschwand nach Jodgebrauch. Im October desselben
Jahres convulsiver Anfall, Wiederholung desselben im November und Februar.
Nach dem Tode eines Bruders häufige Anfälle, 5—6 Mal täglich. Dauer
4—5 Minuten. Eine Aura, die Empfindung, als greife Jemand gewaltsam seinen
linken Oberschenkel, soll constant den Anfällen vorangehen. Die beständige
Wiederholung dieser Empfindung kündigt Pat. den herannahenden Anfall an, er
stürzt sich in’s Bett und stemmt seine Füsse an’s Bettende.
Stat. praes.: Kräftiger Körperbau, etwas anämisch, keine Pupillendifferenz,
normale Pupillenreaction, links Facialis etwas paretisch, sonst alle Gehirnnerven
intact. Sensibilität, in allen Qualitäten normal, nur links leichte Hypalgesie und
am Rücken Temperatursinn etwas herabgesetzt. Hemiparesis sinistra. Bei passiver
Bewegung leichte Muskelspannung. Kniephänomen beiderseits gesteigert, stärker
links. FuB8clonus nicht vorhanden. Sphincteren normal, Herz, linker Ventrikel,
etwas hypertrophisch. Accent auf dem zweiten Aortentone. Art. rad. ge¬
spannt, Puls 70 in der Minute. Harnquantität vermehrt, specifisches Gewicht 112,
keine abnormen Bestandteile. An den Schenkeln beiderseits strahlenförmige
Narben.
5. März: Täglich 4—5 epileptische Anfälle, die constant vom linken Ober¬
schenkel ausgehen, über die linke Körperhälfte sich verbreiten, bald auch die
andere Seite ergreifen. Vollständige Bewusstlosigkeit, Amnesie. Die Augenunter¬
suchung ergab Neuritis optica. Hypästhesie an der linken Wange und am Rumpfe.
12. März: Morgens starker Anfall. Nach Angabe des Spitaldieners und der
Umgebung sollen die Krämpfe beiderseits gewesen sein, links aber stärker aus¬
gesprochen. Hypästhesie verschwunden.
25. März: Anfälle seltener, 1—2 Mal täglich. Constant ist der Beginn der
Zuckungen an der linken Seite. Ueber die Verbreitung derselben sind die An¬
gaben widersprechend.
16. April: Keine Krämpfe mehr, Hemiparese fortdauernd. Untersuchung er-
giebt Verlust des stereognostischen Sinnes an der linken Hand, Empfindlichkeits¬
abstumpfung der Finger für feinere Verrichtungen, wie Knöpfen der Hemdärmel,
des Rockes und dergleichen.
Polydipsie, Polyurie zum ersten Male aufgetreten. Pat. trinkt 10 Glas Thee,
entleert 5000,0 Harn. Specifisches Gewicht 1008, klar, ohne Sediment, weder
Eiweiss noch Zucker, keine abnormen Bestandteile.
In der späteren Zeit nahmen Durst und Hammenge zu. Krämpfe nicht
mehr zum Vorschein gekommen. 40 Frictionen zu 5,0, allmähliche Abnahme
51
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802
der Polydipsie und Polyurie, stereognostischer Sinn hergestellt. Die Hemipuwe
bleibt unverändert. Nach 6 monatlichem Aufenthalte im Krankenhause wurde
er mit halbseitiger Parese entlassen.
Epikrise. Die Diagnose lautete gummöse Basalmeningitis. Für Lua
sprachen: Primäraffect ohne Behandlung, exuloerirte Gummata an den Schenkeln,
Narben an denselben, langanhaltende Dolores osteocopi. Für Basalmeningitis
mit specifischer Arteriitis sprachen: wiederholt auftretende Hemiparesis ßinistra,
Hemiplegia oompleta mit Lähmung des Facialis, Hypoglossus und linksseitiger
Amaurose, später Paraplegie aller vier Extremitäten, der für Lues cerebn
charakteristische Verlauf des Leidens, das Kommen und Gehen der Symptome,
das Verschwinden gefahrdrohender Erscheinungen, zuletzt der glänzende Erfolg
der specifiachen Therapie. Letztere wie auch der Krankheitsverlauf sprachen
gegen nicht specifische Thrombose der Gehimgefässe.
Auf Grand aller dieser Momente konnte die Diagnose der specifischen basalen
Affection sicher festgestellt werden. Anders verhält es sich mit der Beziehung
der Krämpfe zum Grandprocesse. Sind letztere die Consequenz einer circum-
scripten Meningitis der Convexität mit Localisation im Beincentrum? Diese Ver¬
na uthung ist nicht ganz unbegründet. Multiple Herde sind bei Lues cerebri
nicht selten. Der Verlust des stereognos tischen Sinnes an der linken Hand, die
Abstumpfung der feineren Empfindlichkeit an den Fingern derselben sprachen
zu Gunsten einer corticalen Läsion. Der günstige Erfolg der specifischen Therapie
könnte diese Vermuthung nur bestätigen. Aber Patient beharrte beim Alkohol¬
missbrauche in den freien Intervallen seines langjährigen Leidens, Sklerose der
peripheren Gefässe und der Aorta wurden constatirt. Sind nicht die Krämpfe,
deren gesetzmässige Verbreitung unbekannt blieb, nicht Folge einer Alkohol¬
epilepsie? Der Erfolg der specifischen Therapie, hinsichtlich Wiederherstellung
des stereognos tischen Sinnes, konnte nur scheinbar sein, da mit Spitalaufenthalt
Abstinenz verbunden ist. Letztere könnte auch bei organischen kleinen diase-
minirten Herden der Gehirnsubstanz, wie sie bei Epilepsia alcoholica tarda ver-
muthet wurde, von wohlthuendem Einflüsse sein. Auch diese Möglichkeit ist
nicht ganz von der Hand zu weisen. Zuletzt musste man sich fragen, ob nicht
Hysterie diese Krämpfe ausgelöst habe. Alkoholismus gilt als Agent provocateur
der Hysterie. F'ir letztere sprachen manche geringfügige Erscheinungen: Ab¬
stumpfung des Temperatursinnes am Rumpfe bei Intactsein desselben an der
vorderen Thoraxfläche, die plötzlich auftauchende, bald verschwindende Hypästhesie
an der linken Wange und am Rumpf. Das Verhalten der Pupillen während
der Anfälle konnte nicht erairt werden. Die Diagnose hinsichtlich der Krämpfe
musste in suspenso bleiben, da die Alkoholintoxication fremde Züge in das
klinische Bild der Cerebrallues hineingefügt hatte.
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803
[Atu den Kückenmöbler Anstalten in Stettin.J
3. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie.
Von Dr. Hubert Sohnitser, ding. Arzt.
Vor einiger Zeit berichtete R. Bälint 1 über eine diätetische Behandlungs¬
methode der Epilepsie, welche eine Modification des von Toulouse und Eichet*
angegebenen Verfahrens darstellt Während nämlich die französischen Autoren
unter Darreichung von 2—4 g Bromnatrium pro die gewöhnliche Kost von einem
möglichst geringen Kochsalzgehalt verordneten, setzte Bälint die Nahrung so
zusammen, dass der Gesammtgehalt an Koohsalz in 24 Stunden etwa 2 g be¬
trug, ausserdem verabreichte er täglich 3 g Bromnatrium, welches er an Stelle des
Kochsalzes im Brote verbaoken liess. Die von französischen Autoren angeregte
diätetische Behandlung mit chlorarmer Kost gab zu einer Reihe von Versuchen
Veranlassung, welche theilweise zu widersprechenden Resultaten geführt haben.
Ich erwähne hier die Arbeiten von Rümpe 3 , NAcke 4 , Helmstädt 6 , Lauden-
heimeb 8 , Schlöss 7 , Lion 8 und Schäfer . 9 Die Erfolge nun, die Bälint erzielte,
waren so überraschend günstige, dass ich mich entschloss, in der meiner ärzt¬
lichen Leitung unterstellten Epileptiker-Anstalt gleiche Versuohe vorzunehmen.
Das Resultat derselben möchte ich mir gestatten, nachstehend in kurzen Worten
mitzntheilen.
Aus dem reichen Krankenmateriale wählte ich 16 weibliche Kranke, bei
denen die Diagnose „genuine Epilepsie“ zweifellos feststand. Der Beginn des
Leidens datirte in allen diesen Fällen aus frühester Kindheit oder aus der
Pubertät; in einem Falle traten die Krämpfe zuerst im 19. Lebensjahre, in
allen anderen bereits weit früher auf. Für die Wahl weiblicher Kranker ent¬
schied ich mich aus dem Grunde, weil ich dann die Beaufsichtigung und Be¬
obachtung der Kranken einer erprobten Diaconissin übertragen konnte, deren
Gewissenhaftigkeit und langjährige Erfahrung mir für eine peinliche Durch¬
führung meiner Intentionen bürgte.
In der Zusammensetzung der Kost hielt ich mich streng an die von Bälint
gegebenen Vorschriften. Die Kranken erhielten dementsprechend pro Kopf
täglich l\/ 8 Liter Milch, 50g Butter, 3 Eier (ungesalzen), 400g Brot und
ausserdem Obst, letzteres entweder roh oder eingemacht oder in Form von Obst-
1 R. Bälint, Berliner klin. Wochensehr. 1901. Nr. 28.
* Toüloubb, Rer. de Psych. 1901. Nr. 1.
9 Th. Rumpf, Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 14.
4 P. Näckb, Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 16.
* F. Enk* HhlmbtIdt, Psych. Woohensohr. 1901. Nr. 8.
6 Laüdknhkikkb , 26. Wanderversammlung südwestdeutscher Irrenärzte. Ref. in der
Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 36.
1 Sohlöbs, Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47.
* Lion, Wratsch. 1901. Nr. 43.
9 SchIfbb, Neurolog. Centralbl. 1902. Nr. 1.
51 *
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804
suppen. Das Brot wurde anstatt mit Kochsalz mit Bromnatrium gebacken und
zwar so, dass auf die angegebene Tagesmenge von 400 g 3 g Bromnatrium kamen.
Diese Nahrungsmenge kann als vollkommen ausreichend bezeichnet werden,
mehr als das, sie überstieg in fast allen Fällen die Bedürfnisse erheblich. Dies
geht ohne Weiteres aus der Thatsache hervor, dass nur bei einer Kranken eine
Gewichtsabnahme von 8 Pfund zu verzeichnen war, alle übrigen Kranken hatten
an Gewicht zugenommen. Die Gewichtszunahmen schwankten zwischen 2 und
18 Pfund. Die Dauer des Versuchs, der bei allen 16 Kranken bis zu Ende
ohne Störung durchgeführt werden konnte, betrug 42 Tage.
Was zunächst die Art der einzelnen Kranken betrifft, so handelte es skt
in der Mehrzahl der Fälle um langjährige AnstaltRinwuM fln, die schon geraume
Zeit mit Brompräparaten behandelt waren; 2 Kranke gehörten der Anstalt!
bez. 2 Jahre an, 11 Kranke 4 bis 9 Jahre, 8 Kranke 16 bis 19 Jahre. Die
epileptischen Anfälle traten bei 3 Kranken in leichter Form, bei 8 anderen ii
vorwiegend leichter Form, bei 4 Kranken in vorwiegend schwerer und bei 6 Kranket
durchweg in schwerer Form auf. Die Häufigkeit der Anfalle war in den meist«:
Fällen so gross, dass fast täglich ein oder mehr Krampfanfalle zu verzeichn«
waren. In allen Fällen war es bereits zu mehr oder minder stark ausgesprochen« I
geistigen Schwächezuständen gekommen; in 7 Fällen war nur leichter Schwach¬
sinn, in 2 Fällen Schwachsinn mittleren Grades, in 3 Fällen Sohwaohsinn höher« j
Grades vorhanden und in 4 Fällen war völlige Verblödung eingetreten. Schwer¬
fälligkeit in der associativen Thätigkeit und in der sprachlichen Ausdrucksfälng-
keit, erhöhte Beizbarkeit war fast allen Kranken eigen.
Die veränderte Kost sagte den Kranken anfangs recht wohl zu, sie wcid-
als etwas Neues, als eine Abwechselung mit Freuden begrüsst, doch die Be¬
geisterung schwand sehr bald; in den letzten Wochen nahmen die Kranken fc
vorgeschriebene Nahrung nur mit Widerstreben zu sich, sie sehnten sich wieder
nach der gesalzenen Kost. Gleichwohl konnten die Versuche in exacter W«*
zu Ende geführt werden, ohne dass auch nur eine Kranke aussohied.
Der Erfolg der Behandlung war nun leider nicht so glänzend, wie ich *
nach den von BAxura entworfenen Schilderungen erwartet hatte, immerhin war
er für die Mehrzahl der Fälle ein recht erheblicher zu nennen. 2 Kranke
blieben während der ganzen Versuchsperiode anfallsfrei, bei 2 anderen Krank®
trat nur im Beginn je ein Anfall auf^ bei einer 5. Kranken, die stets schwer
Anfälle gehabt hatte, setzten ebenfalls im Beginne zwei leichte Anfalle ein, dam*
sistirten die Anfälle für die ganze Versuchszeit Eine andere Kranke, die 90n>t
fast täglich von Krämpfen befallen wurde, hatte in deD 42 Tagen nur 4 An¬
fälle, wobei noch zu bemerken ist, dass die Convulsionen erheblich schwäche
waren und kürzere Zeit dauerten. Bei 6 Kranken häuften sich die Anfälle i)
den ersten 3 bis 6 Tagen, dann wurden für die ganze übrige Zeit nur 1 bi
4 Anfälle beobachtet, die fast durchweg leichter Natur waren. Zwei weitei
Kranke hatten nur für die letzten 14 Tage eine Abnahme der Anfalle zu ve
zeichnen und bei den letzten beiden Kranken wurde irgend eine Verändern!
in Zahl und Art der Krampfanfälle nicht bemerkt. 4 Kranke zeigten währet
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805
der Versuchsperiode eine auffallend erhöhte Reizbarkeit, in keinem Falle konnte
eine Besserung des geistigen Zustandes festgestellt werden.
Aus der obigen Darstellung geht hervor, dass ein kritischer Termin für eine
Wendung im Befinden unserer Kranken, wie ihn BAlint für seine Fälle gesehen
hat, nicht gefunden werden konnte, dagegen fand — analog den Beobachtungen
von BAlint — bei den meisten Kranken eine Transformation der Anfalle statt;
die bis dahin schweren Krampfzustände gingen in leichte Muskelzuckungen von
verhältnis8mä8sig kurzer Dauer über. Einzelnen Kranken, die sonst in der Regel
hinfielen, wenn sie vom Krampfanfall überrascht wurden, gelang es, sich bei
solchen leichten Insulten aufrecht zu erhalten. Dies ist zweifellos als ein sehr
wesentlicher Erfolg der Behandlung anzusehen, wenn man bedenkt, wie viele
und wie schwere Verletzungen sich die Epileptischen oft beim Hinfallen während
der Convulsionen zuziehen. Wenn, wie oben erwähnt, das geistige Verhalten
unserer Kranken unter dem Einfluss der Behandlung keine Aenderung erfahren
hat, so ist das bei solchen inveterirten Fällen, wo die geistige Schwäche schon
seit langer Zeit den Charakter eines Dauerzustandes angenommen hatte, schwerlich
anders zu erwarten. Dass die an einigen Kranken beobachtete höhere Reizbar¬
keit mit der Kostveränderung in Zusammenhang steht, halte ich nicht für wahr¬
scheinlich, möchte vielmehr annehmen, dass sie auf äussere Umstände zurück¬
zuführen ist Hier könnte vor allem die während der ganzen Versuchsperiode
herrschende aussergewöhnliche Hitze erregend eingewirkt haben. In Ueberein-
stimmung mit BAlint konnte ich bei der Rückkehr zu der gewöhnlichen koch¬
salzreichen Nahrung auch das Wiederauftreten zahlreicher Anfälle für die
Majorität der Kranken feststellen, doch waren 4 Kranke noch 14 Tage nach
Aussetzen der chlorarmen Diät völlig anfallsffei.
Wenn ioh nunmehr das Ergebniss meiner Versuche kurz zusammenfasse,
so konnte während der Versuchszeit in 2 Fällen ein gänzliches Ausbleiben der
Anfalle, in 10 Fällen eine sehr wesentliche, in 2 weiteren Fällen eine unerheb¬
liche Verminderung derselben festgestellt werden, nur für 2 Fälle blieb die Be¬
handlung ohne jeden Erfolg. In den meisten Fällen wurde fernerhin die Inten¬
sität der Krampfanfälle bedeutend herabgesetzt
Somit ist man wohl nach den vorliegenden, allerdings nooh geringfügigen
Erfahrungen berechtigt zu sagen, dass die mit Bromdarreichung combinirte
chlorarme Diät eine werthvolle Bereicherung derjenigen Mittel darstellt, die uns
im Kampfe gegen die Epilepsie zu Gebote stehen. Freilich ist es zweifelhaft,
ob sich die Kochsalzentziehung, selbst wenn man sich der sehr empfehlenswerthen
Modification von BAlint bedient, auf Monate hin durchführen lässt Allein da,
wie wir gesehen haben, schon eine kurzdauernde Anwendung chlorarmer Diät
eine erhebliche Besserung und Milderung der Krankheitserscheinungen hervor¬
ruft, so würde es vielleicht von Nutzen sein, wenn man bei der Behandlung von
Epileptischen, die sich ja in der Regel über Jahre hinaus erstreckt von Zeit zu
Zeit eine 6 bis 8 wöchentliche Periode einsohaltet in der die Kranken nach der
von BAlint angegebenen Modification chlorarme Nahrung erhalten.
y Google
806
[Aas der III. med. Klinik (Hofrath r. Sohböttbb) in Wien.]
4. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe.
Ein Beitrag zur Klinik der Vierhügeltumoren nebst Be¬
merkungen über den Verlauf der centralen Haubenbahn.
Von Dr. Josef Borgo,
Assistenten der Klinik.
(Schloss.)
Dieser Fall ist neben dem gleich zu erwähnenden Falle Eibenlohb’s de
einzige, den ich auffinden konnte, der einige Aehnliohkeit in dem muskelweiis
Fortschreiten der Krämpfe mit dem ineinigen hat, und welcher wegen der Lage de*
Tumors in der Nähe des corticalen Beincentrums neuerdings die bisher als fest¬
stehend geltende Thatsache zu beweisen scheint, dass „Krämpfe isolirter Muskel¬
gruppen in einzelnen Extremitäten im Ganzen selten sind und ausschliesslich
bei Reizung umschriebener Felder der motorischen Zone Torkommen (MoNAKOvf
Mein Fall legt aber die Möglichkeit nahe, dass auch von sub-
corticalen Herden, bezw. suboorticalen Centren aus isolirte Krämpfe
einzelner Muskelgruppen ausgelöst werden können, und dass and
von subcorticalen Centren aus Krämpfe sioh von Muskelgruppe »
Muskelgruppe, ja von Muskel zu Muskel verbreiten und schlie߬
lich auch nach den Gesetzen des JACKSON’schen Anfalles generali-
siren können.
Hier wäre nun der Beobachtung Eisenlohb’s Erwähnung zu thun, h-
treffend einen 23jährigen Bäckergehülfen, bei welohem in Folge einer io d«
rechten Vierhügel eingeheilten Revolverkugel u. a. unwillkürliche rhythmisch?
Bewegungen des Handgelenkes und der Finger nach allen Bewegungsrichtung«
hin eintraten, eine Art Tremor, der an Paralysis agitans erinnerte. Späte
schwand der Tremor der linken Hand und es trat Zittern der linken notao
Extremität auf, Tremor des Kopfes und Zuckungen im Facialisgebiete. D»
nach dem Autopsiebefunde eine Verletzung corticaler Centren ausgeschtosw
war, nahm Eisenlohe eine Verletzung tiefer gelegener Theile der Pyiamida-
bahn als Ursache der Krämpfe an. Es handelte sich also auch hier um Krampt
die auf bestimmte Muskelgebiete beschränkt waren und ohne Mitbeteiligt
des Cortex zu Stande kamen.
Ehe wir aber diese unseren bisherigen Anschauungen zuwiderlaufende An¬
nahme acceptiren, sei vorher kurz die Frage gestreift, auf welche Weise sub-
cortical gelegene Herde durch Reizung corticaler Centren isolirte
Muskelkrämpfe und eventuell JACKsoN’sche Anfälle erzeugen könnten?
Dies wäre möglich:
a) Wenn der Krankheitsherd, z. B. ein Tumor, nahe dem Cortex Bef¬
und durch directen Druck oder collaterales Oedem, kurz durch Störungen der Gr-
edby Google
807
calation überhaupt einen Beiz aasübt auf ein corticales Centrum in der motori¬
schen Region. Diese Erklärung drängt sich von selbst auf bei den erwähnten
Fällen von Dbjeeine und v. Beck. Doch liegt in meinem Falle der Vierhügel¬
tuberkel viel zu tief unter der Binde, als dass man eine solche Möglichkeit
annehmen könnte.
b) Wenn der Tumor bei irgendwelcher Lage zur Erhöhung des intra-
craniellen Druckes, im Besondem zu chronischem Hydrocephalus internus führt,
und als Folge davon sich kleinste herniöse Ausstülpungen der Gehirnrinde aus¬
bilden, welche als Reizoentren dienen können. Solche Hirnhernien hat zuerst
Wkinland anatomisch genauer beschrieben und abgebildet und dieser Autor
sprach schon die Vermuthung aus, dass sie auoh für die klinische Symptomato¬
logie möglicherweise von Bedeutung sein könnten.
Ich habe anlässlich eines Falles von Aousticustumor 1 , in welchem solche
Hernien in exquisiter Weise ausgebildet waren, einen Theil der Symptome —
jacksonartige Anfälle, Gesiohtshallucinationen — auf dieselben zurückgeführt und
betont, dass auch bei makroskopisch-anatomisch Doch nioht ausgesprochener Ent-
wiokelung derselben die Stellen ihres späteren Auftretens in einem Zustande
der Beizung sich werden befinden können, der zum Auftreten von Beiz¬
erscheinungen Veranlassung werden kann, weshalb eine histologische
Untersuchung der betreffenden Bindencentren in allen Fällen, in
denen gewisse mit'dem Sitze des Tumors schwer zu vereinbarende
Symptome auftreten, geboten erscheint
In meinem Falle ist diese Erklärung nicht acceptabel, da einerseits mangels
aller klinischen Symptome eines Hydrocephalus das Vorhandensein von Gehira-
hernien von vornherein unwahrscheinlich war, und andererseits eine genaue
histologische Untersuchung der motorischen Bindencentren keinerlei pathologische
Abweichungen ergab.
c) Es wäre daran zu denken, dass subcorticale Herde auf reflectorischem Wege
gewisse Bindencentren reizen und so zu isolirten Krämpfen Veranlassung geben.
Eine solche Annahme muss vorläufig Hypothese bleiben. Aber auch diese
Hypothese würde voraussetzen, dass den im Cortex gelegenen Centren der
einzelnen Muskelgruppen ebensolche Centren in subcorticalen Theilen des Gehirnes
entsprechen, mit welchen erstere in Verbindung stehen, so dass wir der Hypo¬
these entrathen können und bei Ausschluss der ersten beiden Möglichkeiten zur
Annahme berechtigt sind, dass entweder die den einzelnen Muskeln und
fnnctionell zusammengehörigen Muskelgruppen entsprechenden
Faserzüge auch im Verlaufe der Pyramidenbahn derart räumlich
innerhalb derselben untereinander geschieden sind, dass eine isolirte
Beizung der Fasern einzelner Muskeln oder Muskelgruppen möglioh
ist, oder dass die einzelnen Muskeln und Muskelgruppen auch durch
aubcortical gelegene Centren im Gehirn vertreten sind.
Für die erstere Annahme fehlen uns bisher alle Anhaltspunkte, ja eine
2 edby Google
1 Monatochr. f. Ohrenheilkunde. 1901. Nr. 7.
808
von Hocke mitgetheilte diesbezügliche Untersuchung scheint, wenn nicht
vielleicht, was der Autor für möglich hält, individuelle Verhältnisse eine Bolle
spielen, zu beweisen, dass die aus den corticalen Rindencentren stammenden
Pyramidenfasem sich über den ganzen Querschnitt der absteigenden Pyramiden¬
bahn gleichmäsgig vertheilen.
Die Untersuchung, welche zu diesem Resultate führte, betraf einen kleinen
Tumor in der Rinde und im Stabkranz mit linksseitiger Monoplegia brachiale.
Vom Hirn Schenkel abwärts erwies sich bei Untersuchung der Pyramidenbalm
nach Mabchi die Degeneration über den ganzen Querschnitt derselben verstreut
Gad und Flatau haben allerdings für das Rückenmark des Hundes auf Grand
elektrischer Reizversuche behauptet, dass die für naheliegende Körpertheile be¬
stimmten motorischen Fasern unweit der grauen Substanz der Vorderhörner
liegen, dagegen die für weiter entfernte Körpertheile bestimmten Fasern im
Seitenstrang weiter nach hinten und nach der Peripherie hin ihre Lage haben.
Mein Fall hat in dieser Hinsicht schon wegen des vollständigen Fehlens der
absteigenden Degeneration keine Aufschlüsse gegeben. Wir müssen annehmen, das
trotz Compression des rechten Himschenkelfusses, wohl in Folge der langsamen
Ausbildung derselben, eine schwere anatomische Läsion der Fasern desselben
nicht eintrat, und die in der mässigen Hemiparese sich äussemde Störung der
Bahn mehr mit functionellen Schädigungen derselben zusammenhing, womit
auch die erwähnte Thatsaohe stimmte, dass bei WsiGEBT-Färbung im Be reiche
des Tumors ein Faserausfall im comprimirten Himschenkelfusse nicht nach¬
weisbar war. Daher auoh das Ausbleiben der secundären absteigenden De¬
generation.
Es ist heute bekannt und ich kann mir die Anführung aller einschlägigen
pathologisch-anatomischen und experimentellen Thatsachen wohl ersparen, dH
ausser der Pyramidenbabn noch andere motorische Systeme im Hirnstamm*
verlaufen, als welche wir heute mit ziemlicher Sicherheit das hintere Läng*
bündel, das MoNAKOw’sche Bündel, die Vierhügelvorderstrangbahn, die central«
Haubenbahn, die METNEBT’sche fontainenartige Haubenkreuzung ansprechen dörfa
wenn wir auch die nähere physiologische Bedeutung dieser Fasersysteme ent
zum allergeringsten Theile kennen. Bechterew fand, dass bei neugeborenen
Hunden nur die unmittelbar aus den Gmndbündeln sich fortsetzenden Systeme
markhaltig sind, alle anderen Theile der Formatio reticularis und die Pyramide*-
bahnen noch marklos sind, und dass bei Reizung dieser Faserzüge tonisd*
Zuckungen der Extremitäten auftreten, auch bei Reizung der medialsten Faser-
züge der Haube in der Vierhügelgegend, was für die motorische Bedeutung (kr
hier durchziehenden erwähnten Bahnen spricht
Eine interessante hierher gehörige Beobachtung theilte Habnkl jüngst mit
Es handelte sich um einen alten Herd in der Regio subthalamica, der zur Zer¬
störung des rechten Himschenkelfusses geführt hat und sich nach hinten über
den inneren Kniehöcker bis nach der Oberfläche des hinteren rechten Vierhügels
erstreckte. Die Extremitäten links waren nicht gelähmt, sondern, wenn auch ia
gestörter Weise, doch zur Ausführung willkürlicher Bewegungen befähigt &
edby Google
809
bestand linksseitige Hemiathetose. Es mussten also andere Bahnen für die rechte
Pjramidenbahn eingetreten sein, und thatsächlich fand sich bei Unterziehung
des Himstamme8 nach Marchi das Monako w’sche Bündel, die Vierhügel-
vorderstrangbahn und das hintere Längsbündel besonders stark entwickelt,
hypertrophirt und ebenso einige andere Bahnen, welche sich in keine der be¬
kannten Fasersysteme mit Sicherheit einreihen Hessen.
Wir haben also Anhaltspunkte genug, um in der Vierhügelgegend
die Existenz nicht nur motorischer Bahnen, sondern motorischer
Centren der Extremitätenmuskeln zu vermuthen, innerhalb welcher —
und diese Annahme drängt sich angesichts solcher Fälle, wie der mitgetheilte,
von selbst auf — die einzelnen Muskeln und Muskelgruppen eine
ebenso gesonderte Vertretung finden, wie im Cortex.
Ob Beizung dieser Centren direct oder reflectorisch durch Vermittelung der
oorticalen Centren zu Krämpfen isolirter Muskelgruppen Veranlassung giebt,
lässt sich heute n&türHoh nicht erweisen, doch können wir auf dem Boden
unserer heutigen physiologischen, aus Experimenten und klinischer Beobachtung
sich aufbauenden Kenntnisse über die Krampfformen bei Läsion verschiedener
Theile des Gehirnes wohl der folgenden Anschauung Ausdruck ausgeben.
'Wir wissen, dass Beizung corticaler Centren zu anfallsweise auftretenden und
nach bestimmten Gesetzen sich generalisirenden Krämpfen führt, während
andererseits Dauerspasmen, Chorea, Athetose, die verschiedenen Zitterformen
nicht bei Beizung corticaler sondern subcorticaler Antheile des motorischen Systems
zur Beobachtung kommen, und dass Ausnahmen von dieser Regel sehr selten
sind und sich, wie erwähnt, auch auf andere Weise erklären lassen. Daraufhin
möchte ich meine Ansicht dahin aussprechen, dass bei Herden in der Vier¬
hügelgegend durch directe Reizung dort gelegener motorisoher
Centren anfallsweise auftretende oder continuirliche Krämpfe
isolirter Muskeln und Muskelgruppen ausgelöst werden können,
und dass von diesen subcorticalen Centren aus, direct oder duroh
reflectorisohe Reizung corticaler Centren, eine Generalisation dieser
Krämpfe erfolgen kann.
Einen reflectorisch vermittelten corticalen Ursprung der genera-
lisirten Krämpfe werden wir annehmen müssen, wenn die Anfälle
typisch nach den Gesetzen des jAOKSON’sohen Anfalles verlaufen
mit Betheiligung des Facialis und Hypoglossus, wogegen ich bei
Verschontbleiben dieser beiden Nervengebiete (wie im vorhegenden
Falle) auch für die generalisirten Krämpfe die subcorticale Reizung
als zur Erklärung ausreichend erachte.
Die beiden Beobachtungen von Eisenlohb und mir würden des
Ferneren bei Ausschluss eines corticalen Herdes gestatten, das
Auftreten isolirter Muskelkrämpfe für einen Herd in der Vierhügel¬
gegend diagnostisch zu verwerthen, womit ich keineswegs gesagt
haben möchte, dass der pathologische Process von den Vierhügeln
selbst seinen Ausgang nehmen müsse. Wesentlich dürfte nur sein,
2 edby Google
810
dass der Herd die ventral von den Vierhügeln gelegene Region
afficirt, was auch ein vom Thalamus ausgehender Tumor bewirken
kann.
Litte ratur.
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Geschwülste des Nervensystems. — J. Collier u. P. Buzzard, Brain. 1901. S. 177. —
Dbjkrine, Traitö de path. gön. par Bouchard. V. 8. 715. — Eisbnlohr, Jahrb. der Ham*
burger Staatskrankenanstalten. — Harxrl, Deutsche Zeitschr. f. Nerrenheilk. XVII. 1000.
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Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. 1901. — Monakow, Nothhaqbl’b spee. Path. o.
Ther. IX. S. 845. — Muratow, Monatsschr. f. Psych. u. Nenr. V. 1899. — Nothhaqkl,
Wiener med. Presse. 1889. Nr. 19 u. Wiener med. Blätter. 1889. Nr. 9. — Obhrbtehtxi,
Anleitung beim Studium des Baues der nervösen Centralorgane. Neurolog. Centralbl. 1901.
Nr. 12. — Oppenheim, Geschwülste des Gehirns. Nothnaou’s Handb. IX, 2. — Okdt.
Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. XVIII. 1900. — Probst, Ebenda. XV. — Savdsa.
Ebenda. XII. — Soaoo, Monatesehr. f. Ohrenheilk. 1901. Nr. 7. — SpiTinn, Jahrb. f.
Psych. XVIIL — Stark, Journ. of Nerv, and Ment Dis. XV. — Weinland, Archiv f.
Psych. XXVI.
n. Referate.
Anatomie.
1) Beiträge zum normalen und pathologiaohen Baue des menschlichen
Büokenmarke, von G. Hell ich. (Sbornik klinicky. HI. S. 261.)
I. Man findet in normalen und pathologischen Rückenm&rken, theils in der
grauen Substanz, theils im vorderem Septum zu Bändeln und Convolnten an*
geordnete, mit Schwann’scher Scheide bekleidete Nervenfasern, welche theils in
der Adventitia, theils in den pialen perivasculären Einhüllungen der Central ge fasse
liegen und für sehr seltene Geschwülste gelten. Verf. fand sie unter 32 Fällen
6 Mal. Nach seiner Ansicht handelte es sich um sensitive, centripetale Pial-
nerven, welche durch das vordere Septum in die Mednlla eintreten und längs der
Centralgefässe oder in deren Nähe verlaufen; ihr Ziel ist die graue Substanz des
hinteren Antheils des Rückenmarks und speciell die Clarke’sche Säule. Die
geschwulstartigen Convolute entstehen in der Weise, dass die Nerven die Glia-
scheide gegen eine Bindegewehsscheide eintauschen und sich zugleich theilen und
bei dieser Gelegenheit sich anders anordnen; dabei laufen die Nervenfasern durch¬
einander und dieses Gewirr imponirt dann wie eine Geschwulst.
II. Der Autor beschreibt einen regelmässigen Befund von spinalen Ganglien¬
zellen, welche im Rückenmark theils den motorischen Wurzelfasern, theils den
vorderen Wurzeln unter der Lumbalanschwellung aufiritzen, und zwar regelmässig
dem inneren Antheil der Wurzelfasern.
III. In derselben Gegend fand Autor im äusseren und inneren Winkel des
Vorderhoms eine von der Zellgruppe Pick’s verschiedene Gruppe von Ganglien¬
zellen, welche ihre Ausläufer direct aus dem Horn mit den motorischen Faser¬
bündeln entsenden; sie dürften sensitiven Charakter besitzen.
Gustav Mühlstein (Prag).
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811
2) Einführung in die physikalische Anatomie. I. und II. Theil. Von Her¬
mann Triepel. (Wiesbaden, 1902.)
Die moderne biologische Litteratur hat eine zusammenhängende Darstellung
der mechanischen Gewebseigenschaften bisher nicht aufzuweisen gehabt. Einzelne
Theile des Gebietes, wie die Lehre von der Muskelelasticität, sind zwar oft und
eingehend behandelt worden, blieben aber doch aus dem Zusammenhang des
Ganzen herausgerissen. Verf. hat sich diese einheitliche Darstellung zur Aufgabe
gemacht; er konnte sich dabei auf eine Reihe eigener Arbeiten aus früherer Zeit
stützen, und das vorliegende Werk ist zum grössten Theile ebenfalls auf eigene
Untersuchungen gegründet. Naturgemäss bewegt sich die Darstellung vorwiegend
auf dem Gebiete der theoretischen Disciplinen, und mathematische Ableitungen
nehmen deshalb einen nicht geringen Raum ein; obgleich sich Verf. selbst nioht
verhehlt, dass in Folge dessen der Leserkreis seines Werkes unter den Medicinem
leider nicht an Umfang gewinnen wird, so wird doch der wirkliche Werth des
Buches dadurch nur erhöht und eine Präcision und Eindeutigkeit des Ausdrucks
erreicht, wie man sie bisher eigentlich nur auf dem Gebiete der physiologischen
Optik zu finden gewohnt war. — Der erste, kleinere Theil giebt eine allgemeine
Elasticitäts- und Festigkeitslehre in elementarer Darstellung, in der die Grund¬
begriffe Zug, Druck, Schub, Biegung, Knickung, Torsion logisch und mathematisch
erörtert und festgelegt werden. Der zweite, fast drei Mal so starke Theil greift
aus den verschiedenen physikalischen Eigenschaften der Gewebe vorläufig ihre
Elasticität und Festigkeit heraus und unterzieht die einzelnen Ge websarten in
dieser Hinsicht einer ausführlichen Betrachtung. Von neurologischem Interesse
dürfte vor allem das Capitel über die Muskeln sein; Verf. kommt darin zu dem
Schluss, dass der Muskel als elastisch vollkommen bezeichnet werden muss; ob
sich aber diese elastische Vollkommenheit auf alle überhaupt möglichen Dehnungen
beziehe, ob also eine Elasticitätsgrenze bestehe, und wo sie eventuell liege, das
entziehe sich vorläufig noch der Beurtheilung. Ueber die „natürliche Länge der
Muskeln“ sagt Verf. aus: Die Muskeln besitzen ihre natürliche Länge, d. h. die¬
jenige, die sie einnehmen würden, wenn keine äusseren Kräfte auf sie einwirkten,
wenn ihr Ursprung und Ansatz Boweit genähert sind, als es die vorhandenen be¬
wegungshemmenden Einrichtungen gestatten. Wie sich aus dieser Lage ihrer
natürlichen Länge ergiebt, sind die Skelettmuskeln im Wachsthum hinter ihrer
Umgebung zurückgeblieben, das Längenwaohsthum ist bei ihnen theil weise durch
Dehnung ersetzt worden. Der thätige Zustand ändert die Elasticität des Muskels
nicht, dieselbe ist vielmehr ausschliesslich von der jeweils eingenommenen Länge
abhängig. — Auch die glatten Muskeln sind im lebenden Organismus in vielen
Fällen dauernd oder wenigstens für lange Zeit über ihre natürliche Länge
gedehnt.
Die anderen Capitel über das gelbe Bindegewebe, das Sehnen-, Knorpel- und
Knochengewebe, Arterien, Venen und Nerven sind mehr von allgemeinem Inter¬
esse, werden aber bei der Menge von Einzelthatsachen, die sie enthalten, sicher
in Fachkreisen gebührende Beaohtung finden. H. Haenel (Dresden).
Experimentelle Physiologie.
3) On the Stimulation and paralysis of nervo-oells and of nerve endings,
by J. N. Langley (Cambridge). (Arohives italiennes de biologie. XXXVI.)
Nicotin und gewisse andere Alkaloide wirken reizend nicht auf die Endi¬
gungen präganglionärer Nervenfasern, sondern direct auf die Substanz von Nerven¬
zellen, einschliesslich der Ganglien des Grenzstranges, aber ausschliesslich der
y Google
812
Spinalganglienzellen, auf welche Nicotin weder einen reizenden und wahrscheinlich
auch keinen lähmenden Einfluss hat.
Bei der Katze kommt einige Minuten nach dem Tode eine kräftige Erection
von Haaren zu Stande, die nur von den pilomotorischen Zellen des Rückenmarks,
nicht aber von jenen des Sympathicus ausgelöst wird.
Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen).
4) Seotlon intraor&nienne du nerf optique ohea le lapin (Präsentation
d’anlmauz opäräs), par G. Marenghi (Pavie). (Archives italiennes de bio-
logie. XXXYL)
Die mit der bisher ausgeführten intraorbitalen Opticusdurchtrennung noth-
wendigerweise verbundenen Verletzungen anderer Nerven und von Gefassen und
Bulbusmuskeln lassen sich durch die vom Verf. angegebene intracranielle Durch¬
schneidung des Opticus an seinem Ursprung vom Chiasma vollständig vermeiden
Der Eingriff wird von den Kaninchen leicht ertragen und der Bulbus hält sich
in normalem Zustand. Sowohl unmittelbar nach der Operation, wie nach Ablauf
mehrerer Monate reagirt die Pupille auf Lichteinfall. Die Reaction ist träge und
selbst bei sehr starker Belichtung erhält man nie den gleichen Grad von Ver¬
engerung, wie unter normalen Verhältnissen; jedoch ist die Reaction, selbst bei
schwacher Belichtung, jedes Mal deutlich. Erklärt werden könnte die Reaction
durch Annahme eines peripherischen Reflexcentrums, wie ein solches bei den
niederen Thieren vorausgesetzt wird. Die vom Verf. nachgewiesenen, in der
interglobulären Schicht der Netzhaut gelegenen Nervenzellen, die mit ihren Den¬
driten und Neuriten die Retina nicht überschreiten, wären für diese Frage in
Betracht zu ziehen. 0. Hirsch (Nieder-Schönhausen).
6) Geschmack und Chemismus, von Dr. Wilhelm Sternberg, prakt. Arzt
in Berlin. (Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane. XX)
Wenn aus der vorliegenden chemisch-physiologischen Studie an diesem Platze
auch nur die psychophysische Frage, die sich Verf. in der Form „Weshalb ist
der süsse Geschmack der angenehme, der bittere der unangenehme?“ gestellt hat,
interessirt, so benöthigt man doch zum Verständniss derselben auch die Erwähnung
und Beantwortung der Vorfragen; nämlich
1. Weshalb schmecken manche Substanzen und weshalb sind andere nicht
minder lösliche geschmacklos?
2. Weshalb schmecken die einen süss, die anderen bitter?
Verf., der hier nur die zwei reinen Geschmacksempfindungen, süss und bitter,
im Auge hat, kommt auf Grund seiner Beweisführung zu dem Schlüsse, dass
sämmtlichen süssen Verbindungen eine Harmonie im chemischen Bau eigen ist;
eine Störung der Harmonie im Molekül nimmt nicht nur den süssen Geschmack,
sondern führt zunächst den bitteren herbei und lässt, wenn sie noch erheblicher
ist, Geschmacklosigkeit eintreten. Die drei Gruppen der bitter schmeckenden
Verbindungen stehen mit den drei Gruppen der süssschmeckenden in intensiven
Beziehungen, so zwar, dass aus dem süssen Molekül leicht ein bitteres und um¬
gekehrt erzeugt werden kann. Die Gegensätzlichkeit der Geschmacksempfindungen
süss und bitter einerseits, die nahe Verwandtschaft der Moleküle ihrer adäquaten
Reize andererseits, „zeugen ebenso sehr von der Feinheit des Sinnesorgans wie
von der teleologischen Bedeutung, eine minimale Veränderung der Materie durch
einen möglichst grossen Effect sicher zu kennzeichnen“.
Die psychisohe Lustempfindung im Gebiete des Geschmacks¬
sinnes (d. i. die Süssempfindung) kann auf eine Einfachheit der ehern»*
y Google
813
kalischen Bedingungen der Empfindungen zurückgeführt werden, ebenso
wie die psychisohe Lustempfindung im Gebiet der Hörsphäre mit einer
gewissen Einfachheit im Zahlensysteme der physikalischen Ursachen
der Empfindungen zusammenfallt. Meitzer (Grosshennersdorf).
6) Contributo olinioo alla oonosoenaa doll’ innervaaione gustatoria. Nota
del Prof. G. Fasola. (Rivista di patologia nervosa e mentale. 1902. Febr.)
Objecte der Geschmacksprüfungen waren zwei durch Krause-Hartley’sche
Resection des 2. und 3. Astes des Trigeminus und Amputation des benachbarten
Theils des Gangl. Gasseri von alter Gesiohtsneuralgie befreite Individuen von 66
und 50 Jahren. Die Prüfungen, täglich woohenlang nach umsichtiger, der Varia¬
bilität aller Umstände sorgfältig Rechnung tragender Methode ausgeführt, ergaben
sofort nach der Operation eine für alle vier Qualitäten fast vollständige Schmeck¬
anästhesie, begleitet von Unempfindlichkeit für Berührung und Schmerz in der
vorderen Hälfte (mit Einschluss der Spitze) der dem Eingriff entsprechenden
Zungenseite. Nach 10 Tagen begann der Geschmack wiederzukehren. Die Ope-
rirten unterschieden zunächst manchmal die Qualität riohtig, verkannten sie zwar
auch noch häufig, hatten aber doch schon eine Geschmacksempfindung. In den
folgenden Wochen gelang das Urtheil, und zwar zuerst und am vollständigsten
für den Bitterstoff immer treffender und rascher und nach Monaten blieb nur
eine gewisse Unsicherheit desselben besonders für die saure Beschaffenheit, für
immer jedoch eine relative, graduelle Herabsetzung der Schmeokempfindungen
zurück. Die Perception der Tastreize blieb noch lange, nachdem der Geschmack
schon im wesentlichen zurückgekehrt war, vollständig erloschen, womit zugleich
die Unabhängigkeit letzterer Function von ihr bewiesen ist. Auch konnte es
sich nicht um eine durch vasomotorische oder trophische Störungen bedingte
Veränderung der Geschmacksfunctionen handeln, weil die Chorda tympani, welche
diese Reize vermittelt, intact war, die Zungenschleimhaut äusserlich keine Ver¬
änderung zeigte und die Aufhebung der Geschmacksfunction sofort nach der
Operation am intensivsten war.
Die beiden Resultate beweisen, dass der Trigeminus wirklich eigene
Geschmacksfasern führt, welche zur Spitze und vorderen Randzone der Zunge
entweder direct im N. lingualis verlaufen oder auf dem, etwa durch einen Zweig
des Gangl. oticum vermittelten Umweg durch die Chorda tympani zu ihm ge¬
langen. Für erstere Bahn sprechen die Beobachtungen Prövost’s, dass Zerstörung
beider Chordae tymp. und selbst beider Glossopharyngei nur Herabsetzung, Durch¬
trennung des Lingualis aber Verlust der Schmeckfähigkeit in der vorderen Zungen*
region zur Folge hatte.
Das Beharren einer gewissen Schmeckempfindlichkeit selbst in den ersten
Tagen nach der Operation und die weitere Besserung der Function zwingt —
falls man nicht an Anastomosen oder Proliferation anderer specifischer Fasern
denken will — zu der Annahme, dass ein Theil der Geschmacksfaserung
dieses Bezirks aus einem anderen Gebiet (Glossopharyngeus mit Portio
intermed. Wrisbergii) stammen muss. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
Pathologische Anatomie.
7) Le« effets de la trdpanation Halte sur les jeunes animaux, par D. De¬
mo or (Bruxelles). (Archives italiennes de biologie. XXXVI.)
Auf Grund von Trepanationen, die er bei 3—6 Tage alten Hunden in ver¬
schiedenen Schädelgegenden vorgenommen hat, kommt Verf. zu folgenden Ergeb¬
nissen:
y Google
814
1. Während der ersten Monate schreitet die Entwickelung in normaler Weite
vorwärts.
2. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit (durchschnittlich innerhalb von
5 Monaten) zeigt sich eine allgemeine Abmagerung, und unter epileptdformen
Krämpfen tritt der Tod ein.
3. Symptomatologie und Autopsie zeigen, a) dass durch die locale Verletzung
des jungen Schädels der Knochen in grosser Ausdehnung in Mitleidenschaft ge¬
zogen wird, b) dass weder im Stadium der normalen Entwickelung, noch in dem
der krankhaften terminalen Abmagerung irgend ein besonderes Symptom in des
peripheren Regionen des Körpers zu Tage tritt.
Die histologische Untersuchung des Cortex der operirten Thiere ergab:
1. Die Dendriten sämmtlicher Zellen haben deutlich das Aussehen einer
Perlenschnur: Ihre Filamente erscheinen in Form stark gefärbter und mit ein¬
ander durch eine offenbar hyaline Substanz verbundener Körner. — Die perlen-
schnurartige Anordnung ist die Folge der Reize, die durch die Convulsionen bei
der Tötung des Thieres gesetzt werden; während der Abmagerungsperiodt
erscheinen die Dendriten nicht perlenschnurförmig, sondern ausserordentlich bla*
2. Alle Zellen befinden sich im Zustand intensiver Chromolyse. Die Ver¬
armung der Neurone an färbbaren Substanzen ist charakteristisch für die Nerven¬
zellen trepanirter Thiere.
3. Schwund von Neuronen ist nur beobachtet worden am Gehirn ein«
Thieres, bei dem der Tod sehr langsam und nach Voraufgang einer Periode der
Imbecillität erfolgte. Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen).
Pathologie des Nervensystems.
8) Neuropathologizche Beobachtungen, von Prof. Dr. M. Bernhardt (Hu
Jaffö’s Festschrift S. 27. Braunschweig, 1901.)
L Ueber localisirte Krämpfe in den oberen Extremitäten. — 31 jähr. Arbeit«,
bisher völlig gesund, bekam nach anstrengender Arbeit (Kistenheben) Schmerlen
im linken Oberarm und andauernde, angeblich auch während des Schlafes nicht
auf hörende klonische Krämpfe am linken Vorderarm, hauptsächlich im M. promter
teres. Nach 3 wöchiger erfolgloser elektrischer Behandlung plötzlich Spontan¬
heilung. 2 Jahre später Quetschung am Nagelglied des rechten Mittelfingers,
darnach krampfhafte Beuge- und Streckbewegungen der rechten Hand und Fing«,
mehr als 100 Mal in der Minute. Objectiv kein Befund. Wiederum plötzlich«
Spontanheilung nach etwa 6 Monaten. Ein 3. Anfall von klonischen Zuckungen-
diesmal wieder im linken Vorderarm, trat 9 Monate später ein.
II. Ueber localisirte Krämpfe in den unteren Extremitäten. — 34jährig«
Mann, der kurz vorher eine Landwehrübung mitgemacht hatte, bekam in d«
3. Woche naoh Leistenbruchoperation ein eigentümliches Zittern im rechten Bein:
im Sitzen klonische Zuckungen der Adductorenmusoulatur. Im Liegen mindern
sich die Adductorenkrämpfe; an deren Stelle klonischer Krampf im Gebiet d«
N. cruralis. Im Stehen abwechselnd kurze Kniebeugungen und Streckungen. Dk
L eistengegend ist druckempfindlich. Beim Stehen auf dem linken Bein allein
fangen auch in diesem krampfhafte Bewegungen an. Therapie erfolglos.
III. Ueber die angeborene Facialislähmung (infantiler Kernschwund, Möbius).
— Das lOmonatige Kind kam in normaler Geburt ohne Kunsthülfe zur Welt,
hatte nie Krämpfe und zeigt sonst am Körper nichts Abnormes. Sofort nach der
Geburt fiel auf, dass es nicht saugen konnte; später merkte man, dass es nicht
weint und lacht. Die Augen füllen sich mit Thränen, das Kind jauchzt, ah«
das Gesicht bleibt maskenartig unbeweglich, der Mund steht andauernd offen-
2 edby Google
815
Augenbewegungen frei. Faradisch sind die vom Facialis innervirten Muskeln
beiderseits nicht erregbar; nur an der rechten Unterlippe schwache Reaction bei
stärkeren Strömen. E. Beyer (Littenweiler).
8) Lee oonvulaions ohez l’enfant. I. Etiologie, Symptomatologie et dia-
gnostio, par Prof. A. d’Espine (Genf). — II. Pathogönie, pronostlo et
traitement, par Prof Moussons (Bordeaux). — III. Disoussion. (Annales
de m6decine et Chirurgie infantiles. 1902. Nr. 9.)
Das vorliegende Heft enthält die ausführliche Wiedergabe von Vorträgen
3ber Kinderconvulsionen, die auf dem medicinischen Congress zu Toulouse ge¬
halten wurden. Da dieselben unsere heutigen Kenntnisse Uber diese Zustände
ziemlich erschöpfend wiedergeben, sei die ausführlichere Besprechung gestattet:
I. Unter den ätiologischen Bedingungen trennt d’Espine die prädispo-
nirenden Momente von den auslösenden Ursachen. 1. Prädisponirende
Momente: a) Heredität spielt eine grosse Rolle, und zwar als neuropathische Be¬
lastung, als Alkoholismus, seltener als Ausdruck eines chronischen Saturnismus
und einer krankhaften Kachexie der Eltern, b) das Alter bis zum 6. Lebensmonat
zeigt eine besondere Neigung zu Convulsionen. 2. Veranlassende Momente:
a) Die Zahnung hält Verf. entgegen früheren Berichten für keine Ursache von
Krämpfen, b) Ebenso glaubt er nicht an eine krampfauslösende Bedeutung der
Rachitis, c) Bei Neugeborenen führen Frühgeburt, Lebensschwäche, hingegen
seltener als gemeinhin angenommen, Meningealblutungen zu meist letal endigenden
Convulsionen. d) Asphyxie in Folge Einathmung schädlicher Gase, oder bei an¬
geborenen Herzfehlern, bei Keuchhusten, bei Bronchopneumonieen ist eine wichtige
Ursache der Krämpfe, e) Unter den Vergiftungen sind solche mit Alkohol, Blei,
Opium, Santonin beachtenswerth. f) Autointoxication sind die Hauptursache
kindlicher Convulsionen, und zwar auf Grund einer Urämie, eines Athyroi'dismus,
eines Status lymphaticus und insbesondere als Ausdruck intestinaler Störungen,
g) Länger dauernde Krämpfe finden sich bei hohen Fiebergraden, namentlich im
Beginn acuter Infectionen. h) Bei den einzelnen Infectionskrankheiten hängen die
eventuellen Krämpfe nicht nur von der Hyperthermie, sondern auch von der
Malignität des Leidens, von meningitischer Reizung u. s. w. ab und sind bei
einigen häufiger (Otitis, Pneumonie, Poliomyelitis, Masern u. s. w.), bei anderen
seltener (Scharlach, Typhus, Diphtherie u. s. w.). i) Traumatische Eklampsie ist
nicht gerade häufig, da die Symptome der Gehirnerschütterung bei Kindern selten
Vorkommen. Manchmal sind die Krämpfe von dem ursächlichen Trauma durch
Stunden und Tage getrennt; nach traumatischen Krämpfen kann eine wahre
Epilepsie Zurückbleiben, j) Reflexepilepsie ist im Kindesalter äusserst selten; die
Bedeutung von Eingeweidewürmern ist mehr als zweifelhaft.
In dem Abschnitt über Symptomatologie und Statistik sehen wir, dass
Verf. auch die Tetanie und den Laryngospasmus unter dem Sammelnamen der
Kinderconvulsionen einfügt, doch überragt die Zahl der Fälle von Eklampsieen
jene der anderen Zustände um ein bedeutendes. Unter den Prodromalsymptomen
der wahren Convulsionen ist eine Hyperästhesie der Sinnesorgane sowie
Steigerung der Patellarreflexe erwähnenswerth. Die Form der Krämpfe ähnelt
nicht oft den epileptischen, sondern ist meist „eine Mischung von Tonismus und
Clonismus“, die oft durch Stunden mit einem oomatösen Zustand sioh vergesell¬
schaftet. Meist sind die Krämpfe beiderseitig, doch müssen auch halbseitige
Zuckungen durch keine cerebrale Läsion bedingt Bein. Der Stimmritzenkrampf
besitzt ähnliohe Ursachen wie die Convulsionen; von der Tetanie will Verf. den¬
selben getrennt haben. Auffallend sind Fälle von Laryngospasmus bei Neugeborenen,
die an den congenitalen Stridor erinnern und oft schwere Symptome darbieten
y Google
816
können. Bezüglich der Tetanie, die in Genf übrigens selten ist, steht Yert
auf einem von der herrschenden Ansioht abweichenden Standpunkt, indem er die
diagnostische Bedeutung des Facialisphänomens, des Trousseau'sehen Symptoms,
der nervösen Uebererregbarkeit einschrankt und in den Krämpfen, die auf gleicher
Stufe stehen wie die allgemeinen Convulsionen, das wesentliche Merkmal erblickt
Einige Bemerkungen widmet d’Espine auch der Diagnostik und nament¬
lich den Unterscheidungsmerkmalen gegenüber Hysterie, Epilepsie und Meningitis.
Zur sicheren Differentialdiagnose gegenüber der letzteren wird man die Ergebnisse
einer eventuellen Lumbalpunction kaum entbehren können.
H. Von einer einheitlichen Pathogenese der Kinderoonvulsionen kann nicht
die Rede sein. Doch lässt sich im Allgemeinen behaupten, dass das kindliche
Nervensystem eine geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlichkeiten be¬
sitzt wie jenes der Erwachsenen, und dass es, von irgend einer Noxe betroffen,
besonders leicht unter Krämpfen reagirt Mit den Annahmen einer „Uebererreg¬
barkeit des kindlichen Nervensystems“ und des „Wegfalles der corticalen Hem¬
mungen“ ist allerdings zur Erklärung der Kinderoonvulsionen nicht viel geschehen
Wir sehen vielmehr, dass die Kinder den normalen nervösen Functionen ganz
gut gewachsen sind, und dass spec. ungewöhnliche Reize eine Alteration der noch
ungenügend isolirten Centren hervorrufen. Dooh lässt die verschieden leichte
Auslösbarkeit der Krämpfe in gleichen Altersstufen wohl eine einheitliche Auf¬
fassung der Kinderoonvulsionen nicht zu.
Höchst bedeutsam ist die Frage nach einem eventuellen Zusammenhang der
Kinderoonvulsionen und einer späteren Epilepsie. Dass Kinder, welche auch
nach den ersten 2 Lebensjahren die Neigung zur Krampfreaction auf thermische,
toxische u. 8. w. Reize beibehalten, bei irgend welchen cerebralen Erkrankungen
leichter mit Convulsionen reagiren dürften, ist wahrscheinlich. Grössere Bedeutung
kommt solchen Convulsionen zu, die im Anschluss an eine organische Affection
des Centralnervensystems im Kindesalter auftraten, und die auch ohne bleibende
cerebrale Localsymptome spätere Epilepsie bedingen können. Vielleicht bilden
auch Defecte anderer Organe, die den Anlass zu den ersten infantilen Convulsionen
gegeben haben, eine Prädisposition zur Epilepsie. Dooh dürfen Kinderkrämpfe
und epileptische Anfälle heim Erwachsenen doch nicht ohne weiteres als gleich¬
artige Affectionen angesehen werden, selbst wenn sie an demselben Individuum
sich vorfinden. Die kindlichen Krämpfe sind Ausdruck einer grösseren Labilität
des Nervensystems, das sich später ebenso als Epilepsie wie als Chorea, Tic,
Neurasthenie äussern kann.
Die Therapie der Kinderkrämpfe, welche sich meist an die Behandlung
eines veranlassenden Grundleidens anschliesst, findet in den Darlegungen von M.
eine kurze, aber recht erschöpfende Darstellung. Warme protrahirte Bäder, bei
Fieber kalte Einpackungen, ferner kalte Kopfiimschläge, Chloroformirung, Caro-
tidencompression, Blutentziehung, Sauerstoffinhalationen, dann medicamentöse Be¬
handlungsweisen (Chloral, Brom, Antipyrin), endlich die Lumbalpunction kommen
zur Anwendung. Gegen Reizmittel (Senfteig) spricht sich Verf. aus.
III. DiaousBion.
Aus Bet verweist auf die vorwiegende ätiologische Bedeutung der acuten oder
chronischen Magendarmcatarrhe. Das erste Lebensalter stellt das bei weitem
grösste Contingent an Kindern mit Convulsionen. Dass die Kindereklampsie mit
Epilepsie nioht viel gemein hat, glaubt auch der Redner. Auch klinisch giebt
das Fehlen des initialen Schreies und das partielle, wechselnde Auftreten der
Krämpfe mit oft vorwiegend toxischem Charakter einen differentialdiagnostischen
Anhaltspunkt Riberolles findet Kinderoonvulsionen namentlich bei Familien
mit „hereditärer Herzinsufficienz“. Faure hat bei Convulsionen Hirarindenunter-
y Google
817
Buchungen (nach Nissl) mit negativem Resultate angestellt. Dadurch erhält die
Auffassung einer toxischen Pathogenese der Convulsionen eine Unterstützung.
Audebert sucht Beziehungen zwischen einer Albuminurie der Mutter und früh¬
zeitigen Convulsionen der Kinder. Cany verweist auf den von Escherich ver¬
tretenen Standpunkt der Vereinigung von Laryngospasmus und Tetanie. Bezy
glaubt ebenfalls nioht an die ätiologisohe Bedeutung der Eingeweidewürmer. Das
Vorkommen von Hysterie im frühesten Kindesalter hält er für eine mögliche
Ursache von Convulsionen. Zappert (Wien).
IO) Hemianopsie bei Eklampsie, von Knapp. (Prager med. Wochenschr.
1901. 23. Mai.)
27jähr. Primapara, in tiefem Coma eingebracht. 24 Stunden nach Accouche-
ment force: Pupillen enge, gleichweit, prompt und nicht hemianopisch reagirend.'
In beiden rechten Gesichtshälften wird die vorgehältene Hand nur undeutlich,
wie in starkem Nebel wahrgenommen, in den linken Gesichtshälften ganz scharf
gesehen. Schon am nächsten Tage vollständiger Rückgang dieser Erscheinung.
VeA erwähnt zwei analoge Fälle aus der Litteratur (F. Pick und Leh¬
mann). Pilcz (Wien).
11) A oase of eolampsia at the sixth month. Suooessfol labour at fall
time, by Michael Dewar. (Scott, med. and surg. Joum. 1901. Febr.)
Das Wesentliche des Falles ist in der Ueberschrift schon enthalten. In drei
Serien von Anfällen wurde nur ein Mal eine Spur Eiweis im Urin nachgewiesen.
Verf. glaubt, dass in Fällen ohne Albuminurie sich ein Bacillus im Blute als
Ursache müsse finden lassen. H. Haenel (Dresden).
12) Notes of slx oases of puerperal eolampsia treated by sallne infosions,
by Robert Jardine. (Glasgow medical Journal. 1900. October.)
Seinen früheren Mittheilungen über die Behandlung der Eklampsie mittelst
Kochsalzinfusionen fügt Verf. jetzt eine neue, die über 6 Fälle berichtet, an, so
dass er jetzt im ganzen über 23 so behandelte Fälle verfügt. Die Lösung, die
er jetzt benutzt, entspricht einer physiologischen Kochsalzlösung mit Zusatz von
einer der Menge des Kochsalzes entsprechenden Dosis von essigsaurem Natron.
Von den sechs mitgetheilten Fällen sind fünf geheilt, eine Patientin starb; letztere
hatte schon in den letzten 24 Stunden vor der Aufnahme 10 sehr schwere An¬
falle gehabt und war bereits vorher behandelt worden. Im ganzen sind von seinen
23 Fällen 6 gestorben; davon wurde eine Patientin moribund eingeliefert, eine
starb — von der Eklampsie geheilt — an der Perforation eines Duodenal¬
geschwürs. Verf. glaubt, dass die Resultate dieser Behandlungsmethode allen
anderen Methoden mindestens gleichwerthig, wenn nicht überlegen sind.
Martin Bloch (Berlin).
13) Ueber einen Fall von totaler retrograder Amnesie, von Robert Bins-
wange r. (v. Leyden-Festschrift. HL)
Der 47 jährige Patient, erblich nicht belastet, nie specifisch erkrankt, kinder¬
los verheiratet, hatte bereits zwischen 20 und 30 Jahren Anzeichen von Nervo¬
sität (Schwindel, Uebelkeit, beim Gehen Drang nach links); war auch rheumatisch
und gichtisch. Nach dem 40. Jahre Abnahme des Gedächtnisses durch nervöse
Erschöpfung, aufsteigende Hitze beim Sprechen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit,
Stimmungswechsel, Zuckungen im linken Facialis, später Platzangst, Schwindel
und Ohnmachtsanlälle, so dass Pat. mit 46 Jahren sein Geschäft aufgeben musste.
52
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Im folgenden Jahre (Februar 1891) plötzlich Ausbruch einer tobsüchtigen Erregung
mit Verwirrtheit und Convulsionen, die in 25 Tagen abläuft. Danach totale
Amnesie für den der Erkrankung voraufgehenden Zeitraum von 15 Monaten, in
welchem sein Austritt aus dem Geschäft erfolgt ist. Dann Wohlbefinden, aber
nur geringe Lockerung der Amnesie. Nach einem Vierteljahr ein Anfall von
Petit mal mit völliger Amnesie, später Schwindelerscheinnngen, Neigung nach
links zu gehen, ln den folgenden 10 Jahren häufig Anfälle von Petit mal and
seltener Grand mal, letztere gewöhnliche epileptische Krämpfe. Die Intelligenz
soll nioht gelitten haben. Im 56. Jahre ist Diabetes aufgetreten.
Die Diagnose einer Epilepsie, welche sohon nach Ablauf der Psychose im
Jahre 1891 gegenüber Paralyse und Hysterie gestellt war, ist somit durch den
weiteren Verlauf bestätigt worden. Eigenartig ist, dass dLie Amnesie nicht, wie
sonst, sich direct an typische Krampfanfalle angesohlossen hat, sondern an
eine epileptische Psychose mit charakteristischem Dämmerzustand. Als dann der
Patient klar wurde, erstreckte sich die Amnesie zuerst auf diese Phasen und
nachher, rückschreitend, auf eine Zeitdauer von 15 Monaten.
E. Beyer (Littenweiler).
14) Die Bolle der Autointoxlo&tion in der Epilepsie, von Hebold und
Br atz. Aus der Berliner städtischen Anstalt für Epileptische Wuhlgarten.
(Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 36.)
Die Verff. suchten methodisoh die Körpersäfte Epileptischer während der
Anfälle und ausserhalb derselben Thieren einzuverleiben und die Wirkungen beider
Versuchsreihen zu vergleichen. Benutzt wurden der Urin von Epileptischen, un¬
mittelbar nach einem Anfalle oder eine Stunde später per Katheter entnommen
bezw. spontan entleert, ferner Blut, durch Schröpfköpfe, einmal durch Aderlas
gewonnen. Die Versuohe an Hunden ergaben niemals convulsivische oder sonst
auffallende Folgeerscheinungen, Belbst nicht an Thieren, deren Eltern künstlich
zum chronischen Alkoholismus gebracht worden waren. Für weisse Mäuse waren
die Körpersäfte ebenfalls meist wirkungslos, nur in der Minderzahl der Versuche
(einige hundert!) erkrankten die Thiere, meist ohne Convulsionen, zuweilen aber
mit tötlichem Ausgang. Niemals war eine Regelmässigkeit in der Giftwirkung
zu constatiren, auch waren in den positiven Fällen zum Theil wenigstens andere
Factoren für die Toxicität verantwortlich: so handelte es sich zwei Mal um
Pneumonie im Status epilepticus, ein Mal hptte der Patient vorher starke Chlore)*
abgaben erhalten u. s. w. — Die Verff. wollen die Versuche fortsetzen, glauben
aber nicht, dass das Wesen der Epilepsie in einer Stoffwechselanomalie re
suohen ist. R. Pfeiffer.
15) Da parasite trouvö d&ns le sang das öpileptiques, par M. Bra. (Revue
neurologique. 1902. 30. Mai.)
In der Zeit unmittelbar vor dem epileptischen Anfall und während desselben
(auch bei den unvollständigen) findet sich in dem Blute ein Parasit, welcher als
ein Mikrococcus (Cocous, Diplococcus, kurze Ketten, sich verlängernd und die
Gestalt des Coccobacillus, Diplobacillus, Streptobacillus annehmend) erscheint und
von dem Verf. Neurococcus genannt wird.
In der Zwischenzeit selten oder fehlend nimmt der Parasit stetig beim
Herannahen des Anfalles zu, um nach grossen Anfallen zu versohwinden.
Verf. hält den Mikroorganismus für das pathogene Agens der Epilepsie.
Subcutan injicirte Culturen dieses Mikrococcus rufen beim Kaninchen oon*
vulsive Erscheinungen hervor, zuweilen den Tod unter den Erscheinungen des
Status epilepticus. M.
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819
10) Nuove proprietä toasiohe e terapeutlohe dal aiero dl sangne degli
epilettici e loro applioasioni pratiohe, del Dr. Carlo Ceni. Aus dem
Istituto Psichiatrico di Reggio Emilia. (Riv. speriment. di Freniatria e
Medic. leg. delle alien. ment. XXVII. 1901. S. 761.)
Verf., der sich bereits in verschiedenen Arbeiten mit den supponirten Toxinen
der Epileptiker beschäftigt hat, hat hier einen neuen Weg eingeschlagen, der so¬
wohl theoretisch wie praktisch manchen Ausblick gewährt. Freilich ist die Ver¬
suchsreihe schmal und die Zahl der Hypothesen gross!
Zunächst der praktische Theil. 10 Individuen, die alle sehr schwere Fälle
von Epilepsie mit psychischen Störungen darboten, wurde Serum theils anderer
Epileptiker, theils aus ihrem eigenen Blute gewonnen, injicirt. Die Menge
des eingespritzten Serums beträgt im ersten Monate im ganzen 10—50 ccm, in
den folgenden werden bis 100 ccm angewandt. In 2 Fällen trat eine Verschlim¬
merung ein, in zwei weiteren totale Heilung, in sechs anderen bedeutende Besserung.
Mit der Ab- oder Zunahme der Anfälle wie der Besserung der Psyche der
Patienten geht stets Hand in Hand eine Zu- und Abnahme des Körpergewichts.
In den 2 Fällen von Heilung wurde beinahe das Körpergewicht verdoppelt. Zu
bemerken ist, dass die Bromkur während der Serumtherapie ausgesetzt blieb. In
einigen Fällen ist deutlich zu beobachten, wie das Aussetzen der Injectionen eine
Reacerbation des Krankheitszustandes bedingte. Dem Zustande der Besserung
geht meist eine kürzer oder länger dauernde Reaotionszeit voraus, in der die
Anfälle sich verschlimmern und das Körpergewicht abnimmt. Je schneller eine
Besserung sich zeigt, desto günstiger gestaltet sich die Prognose. Mit einiger
Reserve — die bei der geringen Zahl beobachteter Fälle auch nöthig ist —
glaubt Verf. über den Erfolg der von ihm inaugurirten Kur folgendes sagen zu
können: die hereditären Formen von Epilepsie, die schon frühzeitig in Erscheinung
treten, bieten sich dem neuen Heilverfahren nicht; am günstigsten wurden von
ihm Fälle erworbener und noch Dicht lange bestehender Epilepsie beeinflusst.
Den Uebergang vom praktischen zum theoretischen Theil geben Versuche
von Einspritzung Serums gesunder Menschen in Epileptische. Analogieen mit der
Einspritzung „epileptischen“ Serums zeigten sich insofern, als auch hier anfangs
VergiftungBerscheinungen und in Fällen veralteter erworbener Epilepsie eine Zeit
lang andauernde Verschlimmerung des Zustandes sich zeigten, Verschiedenheiten
aber darin, dass die Epilepsie als solche durchaus nicht gebessert werden konnte.
Nachdem Verf. als unwahrscheinlich nachzuweisen gesucht hat — die Beweis¬
führung erscheint Ref. nicht zwingend —, dass durch die Einspritzung des Serums
Epileptischer eine Immunisirung, sei es durch Gewöhnung an ein specifisches
Toxin, sei es durch Bildung eines Antitoxins, erfolge, glaubt er die heilsame
Wirkung seiner Injectionsversuche folgendermaassen erklären zu können: Im Blute
Epileptischer gebe es zwei wirksame Substanzen: ein freies Toxin, das Schuld sei
an den anfänglichen Reactionserscheinungen nach der Einspritzung, und ein an
feste Blutbestandtheile gebundenes Toxin, das erst ausserhalb der Gefässe bei
der Serumgewinnung frei werde. Diese zweite Substanz besitze nun die Eigen¬
schaft als Reiz den Stoffwechsel zu beeinflussen und besonders den Stoffwechsel
gewisser Zellgruppen, deren Alteration die Ausscheidung eines speciell die Epilepsie
verursachenden Etwas bedinge. Diese hypothetischen Elemente nun werden durch
den spedfischeu Reiz der zweiten im Blute Epileptischer enthaltenen Substanz
entweder zu stärkerer Thätigkeit veranlasst — Fälle mit negativem Erfolge —
oder durch Beeinflussung ihres Stoffwechsels zu normaler Thätigkeit zurückgeführt
— Fälle von Besserung oder Heilung. Das Serum könne also direct therapeutisch
wirksam sein. Verf. ist sich wohl bewusst, einen hypothesenreichen Aufbau zu
liefern — bei den vielen von ihm angenommenen Grössen ist es schwer, ihm bei
seiner Rechnung zu folgen. L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
- 52 *
itized by GöOglc
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17) Contributo allo Studio delT asimmetrla di pressione negli opiletüci
nei delinquenti e nelle prostitute, pel Dr. E. Audenino ed U. Lom-
broso. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.)
Mit Hülfe des Sphygmomanometers (Ri va-Rocci), des Ergographen (Mosso),
des Dynamometers und Bandmaasses wurde festgestellt, dass Ungleichheiten de»
Blutdruckes auf beiden Körperhaften bei Epileptikern, Verbrechern und Prorti-
tuirten viel häufiger als bei Gesunden vorkommeD, oft wechseln und weder mit
den anatomischen noch mit den functionellen Verhältnissen der betreffenden
Glieder und Gefässe etwas zu thun haben. Unter den Gesunden trifft man obige
Asymmetrie am häufigsten bei schwere^ Kephalalgieen an. Wahrscheinlich sind
also vasomotorische Einflüsse allein maassgebend.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
18) Le osoillazioni del rioambio materiale nell’ epilettioo, pel Dr. U. Alessi
e A. Pieri. (Archivio di psichiatria. XXII. 1901.)
Stoffwechseluntersuchungen, welche die Menge und das specifische Gewicht,
den Harnstoff- und Phosphatgehalt des in einer Zeit von 27—37 Tagen von 7
degenerirten Epileptischen ausgeschiedenen Urins zum Gegenstand hatten, ergaben
Folgendes: Die Menge war trotz erheblicher Tagesschwankungen, welche eine
Beziehung zu den epileptischen Phänomenen nicht aufwiesen, immer verhältnis¬
mässig gering. Das specifische Gewicht war fast durchweg vermehrt, stand
in umgekehrtem Verhältniss zur Harnmenge und zeigte häufige brüske und
intensive Schwankungen, welche oft mit der Curve der Phosphorsäure parallel
gingen. Die Harnstoffausscheidung hielt sich auf einer niedrigen Ziffer; erheb¬
lichere Schwankungen fanden meist ebenfalls gleichzeitig mit solchen der Phosphor-
säurecurve statt. Das fordert mit Nachdruck zum Studium der letzteren auf.
Die Menge der Phosphorsäure überschreitet niemals mittlere Werthe. In jedem
Falle waren — nahezu immer conform mit dem Verhalten des Harnstoffes —
häufige und intensive Schwankungen ihrer Curve (von 0,13 auf 2,25; von 1,66
auf 0,01 als Tageswerthe) die Regel, welche unterschiedlos sowohl die inter-
vallären Perioden als auch die anfallsfreien Zeiten betrafen. Wenn nach diesem
Verhalten, da eine positive Versuchsreihe in dieser Richtung noch fehlt, die Aus¬
scheidung gewisser hoher oder kleiner Phosphorsäuremengen zwar nicht als epi¬
leptisches Aequivalent zu bezeichnen ist, so beweist sie doch, dass die Störung
der Symmetrie und des Gleichgewichts in dieser Neurose sich bis auf den
Stoffwechsel erstreckt. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
19) Ein Fall von erhaltenem Bewusstsein im epileptisohen Anfall, von
Dr. Aug. Diehl in Lübeck. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr.41)
Der 26jähr. Kranke, erblich in keiner Weise belastet, litt erst Beit den
letzten 3 Jahren an Krampfanfällen mit Zungenbiss, die in Intervallen von 2 bi»
3 Monaten nach grösserem Alkoholgenuss in der Nacht auftraten.
Das Auffallende dabei war, dass der Patient den ganzen Verlauf der Anfalle
bis in ihre Details beschreiben konnte, woraus das Erhaltensein des Bewusstseins
während des Anfalls hervorgeht. E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Dissooiazione doi movimenti respiratorii toraoioi e del diaframma du-
rante l’aooesso epilettioo. Osservazioni del Prof. E. Belmondo. (Bologna,
1901, Zamorani e Albertazzi.)
Verf. war bei einer an allgemeiner, seit 4 Jahren bestehenden Epilepsie
arteriosklerotischen Charakters leidenden 75jähr. Frau, welche zeitweilig serien-
Googlt
821
massige Anfälle von „Epilepsia respiratoria“ darbot, bestehend ausschliesslich in
intensiver Dyspnoe mit Bewusstseinsverlust von wenigen Secunden bis zu einer
Minute Dauer, in der seltenen Lage, in solchen Anfallen mittels des von Can-
talamessa verbesserten Riegel’schen Sthetographs gleichzeitig die Brust- und
die Bauchathmung zu registriren.
Die Curve der thoracischen Respirationsbewegungen zeigt zu Beginn des
Anfalls steigendes Ueberwiegen der Inspirationsbewegungen und ihres Volum¬
effectes am Thorax über die Exspirien, darauf einen inspiratorischen Tetanus
in Dilatationsstellung, welcher um die Dauer 2—3 vorhergehender Athmungs-
phasen anhält; nun folgen eventuell nooh mehrere tiefe In- und Exspirationen,
entere in abortiverem Verlauf zunächst wiederum von der soeben geschilderten
Beschaffenheit, bis durch die letzteren der Thorax wieder auf den anfänglichen
Umfang zurückgeführt ist.
Gleichzeitig mit den ersten Phasen des Krampfes der Brustathmungsmuscu-
latur arbeitet das Diaphragma noch rhythmisch und nur die Höhe seiner In¬
spirationsbewegungen nimmt leise a b (also während diejenige des Thorax zunimmt),
bis es sich plötzlich mit einem mächtigen Ruck contrahirt Aber noch
während der Inspirationstetanus am Brustkorb andauert, löst sich der Zwerchfell¬
krampf ebenso plötzlich wieder und geht unter leichten Zuckungen sofort in die
schlaffe Exspirationsstellung über. Die folgenden tiefen Bewegungen der Bauch¬
decke zeigen öfters leichte Dikrotie in der exspirisohen Hälfte der Amplitude,
welche (wie Mos so gezeigt hat) auf dem activen Eingreifen der Bauchpresse zur
Vertiefung des exspiratorischen Moments beruht. Die Bauchathmung zeigt nie¬
mals die langsame Rückkehr zur Norm, wie sie für die Bewegungen und das
Volumen des Thorax gilt.
War der Anfall von sehr flüchtiger Dauer, so fehlte das Initial- und Nach¬
stadium und nahm die Zwerchfellathmung an den geschilderten Verände¬
rungen gar nicht Theil. Zuweilen imponirte unter solchen Verhältnissen ein
tiefes Herabgehen der abdominalen Curve auf die Schwelle der Abscisse geradezu
als Parese, bezw. momentane Paralyse, während zugleich der Thorax in In¬
spirationstetanus beharrte.
Diese Ergebnisse lehren soviel, dass man zur Zeit wenigstens vier moto¬
rische Respirationscentren (für Gesicht, Thorax, Diaphragma und Abdomen)
unterscheiden muss, welche im Anfall in Erregung versetzt, autonome, dissociirte,
sogar antagonistische Bewegungen ihrer Muskelgebiete entfesseln, und lassen es
doch fraglich erscheinen, ob der Reiz einer beschränkten Rindenzone, wie die
gegenwärtig herrschende Doctrin voraussetzt, so weit auseinander gelegene Centren
zusammenfassend beherrschen kann. Die störenden Einflüsse der Affecte einerseits,
elektrischer Reize von beliebigen Stellen der Hirnrinde aus andererseits (Roche-
fontaine, Francois-Frank), welche den Respirationscharakter modificiren, ver¬
dienen hierbei auch Erwähnung. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
21) Beport of two oasee of epilepsy, by J. M. Krim (Louisville). (Pediatrics.
1902. 1. Jan.)
Von den beiden, jetzt im Pubertätsalter stehenden Eiranken hat die eine
nach einer Cerebrospinalmeningitis, der andere nach einer Schädelverletzung epi¬
leptische Anfälle zurückbehalten. Das Mädchen war zur Zeit der Erkrankung
5 Jahre, der Knabe 8 Jahre alt. Trotz der sorgfältigsten Behandlung, die
namentlich in Bromdarreichung bestanden hatte, sistirten die Anfalle nicht dauernd.
Da trat bei dem ersten Fall eine schwere, mit hohem Fieber und gefährlichen
Allgemeinerscheinungen einhergehende Phlegmone ein, nach deren Heilung die
Patientin seit 3 Jahren keinen Insult mehr hat. Dieselbe Wirkung zeigte ein
Typhus, den der Pat. vor 4 Jahren überstanden hatte.
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822
Diese günstige Wirkung fieberhafter Processe auf die epileptischen Anfälle
ist der Grund, weshalb Verf- die beiden Fälle veröffentlicht.
Zappert (Wien).
22) Zur Entstehung der Epilepsie, von G. v. Voss. (St Petersburger med.
Wochenschr. 1902. Nr. 28.)
Verf. unterscheidet die gelegentliche Ursache eines epileptischen Anfalls von
der Ursache der epileptischen Veränderung (Nothnagel). Für letztere können
folgende Momente verantwortlich gemacht werden: neuropathische Belastung,
Schädeltraumen während und nach der Geburt, zuweilen auch intrauterin, polio-
encephalitische Processe, Verletzungen peripherer Natur (durch letztere wird
Reflexepilepsie erzeugt), Intoxicationen (Alkohol, Blei, Absynth), Infectionskrank-
heiten (Scharlach, Typhus, Keuchhusten, Malaria, Syphilis [die Rolle der letzteren
in ihrer Beziehung zur Epilepsie ist noch nicht geklärt].)
Im Anschluss an diese Besprechung der Aetiologie des Morbus sacer berichtet
Verf. über folgenden Fall: Ein 29jähr. Tischler hatte vor 16 Jahren ein Trauma
capitis erlitten und erkrankte ein Jahr später an Epilepsie von Jackson’schem
Typus. Der zweite Anfall trat erst 13 Jahre nach dem ersten ohne bestimmten
Anlass auf und begann ebenso wie der erste (Parästbesieen und Zuckungen im
linken Zeigefinger), die späteren liessen sich durch Umschnüren des linken Arms,
in dem die Krämpfe stets anfingen, coupiren. Trotz des 13jährigen Zwischen¬
raumes zwischen erstem und zweitem Anfall ist — bei dem Fehlen jeglicher
anderer ätiologischer Momente — nach Verf. der ursächliche Zusammenhang
zwischen Epilepsie und Trauma in vorliegendem Falle evident. Sollten sich die
Anfälle häufen und durch medicamentöse Therapie nicht eindämmen lassen, eo
läge nach Verf. genügende Veranlassung zu einer Trepanation vor. Eine rechts
an der Grenze des Scheitel* und Schläfenbeins nachweisbare Narbe mit deutlicher
Depression und Druckempfindlichkeit deutet auf die Stelle der einst stattgehabten
Kopfverletzung. Kurt Mendel.
23) Observations of a oase of oonvulsions, by H. Jackson and D. Singer.
(Brain. 1902. Spring.)
Die Autoren berichten über einen Fall partiell epileptischer Krämpfe, die
zunächst nur die Muskeln des Nackens, Rückens, der Brust und des Bauches
sowie des Gesichts betrafen. In der tonischen Periode stand die Athmung still.
Später nahmen auch noch die Arme an den Anfällen Theil, und zwar zuerst die
Schulter, zuletzt die Fingermuskeln; auf die Beine ist nicht genau geachtet. Die
Verff. lassen es zweifelhaft, ob in diesem Falle die Krämpfe von bulbären oder
corticalen Centren ausgegangen sind. Bruns.
24) Ueber die Epilepsia proouroiva, von M. Goldbaum. (Gazeta lekarska.
1901. Nr. 34 u. 35. [Polnisch.])
Verf. berichtet über folgende 2 Fälle von Epilepsia prooursiva:
Der 1. Fall betraf ein 9jähriges Mädchen, welches vor 5 Jahren nach einem
Schrecktrauma (Fall in einen Keller) Anfälle bekam, in welchen sie den Kopf
nach einer Seite drehte und einige Minuten lang einen Punkt starr fixirte.
Später änderten sich die Anfälle, indem das Kind mit den Händen schlug, sich
herumdrehte und dann zum Schluss des Anfalls bewusstlos zum Boden stürzte.
Keine Heredität in der Anamnese. Status zeigte keinerlei nervöse oder sonst
irgend welche Abnormitäten. Im Krankenhause hatte das Mädchen Anfälle, in
welchen sie plötzlich das Bett verliess, im Zimmer mit weit geöffneten Augen
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heramlief und dann im bewusstlosen Zustand zum Boden stfirzte. Nach dem
Anfall Schlaf.
Im 2. Fall handelte es sich um ein lfljähr. Mädchen, welches Beit einigen
Wochen unruhig wurde und immerfort eigenthümliche,Bewegungen mit der linken
unteren Extremität ausführte. Stat. praes.: ganz normales Nervensystem und ge¬
sunde innere Organe. Während der Untersuchung merkte man kurz dauernde
Zuckungen im linken Bein. Nach einigen Monaten Anfälle, in welchen die Kranke
bewusstlos wurde und der ganze Körper in tonischer Streckung (ohne klonische
Zuckungen) eine gewisse Zeit verharrte. Als jetzt die Diagnose auf Epilepsie
hindeutete, liess sich aus der Anamnese feststellen, dass die Patientin bereits vor
Jahren plötzlich bewusstlos wurde und in diesem Zustand ziellos herumlief und
dann wie vom Schlaf aufgeweckt erschien.
Verf. bespricht sehr eingehend die Litteratur und hebt hervor, dass in seinen
Fällen, im Gegensatz zu vielen anderen, keine Hallucinationen feetzustellen waren
und dass im ersten seiner Fälle das ziemlich constante Symptom dieser Abart der
Epilepsie, nämlich die Folie morale, in der That bestand.
Edward Flatau (Warschau).
25) Ein Beitrag zur Casuiatik des aonten umschriebenen Oedems (epilep¬
tische Insulte im Verlaufe des Hydrops hypostrophos) , von Dr. Carl
v. Rad in Nürnberg. (Münchener med. Wochenschr. 1902. Nr. 8.)
Ein 47jähriger, früher gesunder Maler (niemals Bleikolik), der mässigen
Potus zugiebt und seit 3 Jahren öfters an Rheumatismus leidet, bekam im
August 1899 zuerst einen epileptischen Anfall, dem bald darauf noch mehrere
folgten. Seit November 1899 stellten sich anfallsweise auftretende, sohmerzhafte
Schwellungen der Gesichtshaut, des Larynx, der Magenschleimhaut und zuletzt der
Haut beider Unterschenkel ein. Gehirnnerven, Motilität und Sensibilität voll¬
kommen normal, Urin frei von Eiweiss und Zucker, Sehnenreflexe gesteigert.
Bemerkenswerth ist in diesem Fall die Combination von Epilepsie mit den
Oedemen, die nur ein Mal beschrieben ist. Verf. fasst die epileptischen Insulte
als den Oedemen der Haut und Schleimhäute gleichwerthige Symptome einer
vasomotorisch-trophischen Neurose auf, die unter dem Bild deB acuten Oedeme
auftritt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Epilepsia larvata, von Tsohisch. (Obosrenije psichiatrii. 1900. Nr. 6
u. 6.)
Eine sehr ausführliche Mittheilung über einen gerichtlich-medicinischen Fall.
Ein esthländischer Bauer, 22 Jahre alt, unbelastet, vorher stets gesund, erschlug
in der Nacht vom 14./V. 1894 Vater, Mutter, Bruder und Schwägerin mit einem
Holzscheit, wobei er ihnen unzählige schwere Verletzungen beibrachte. Ein
ausserdem noch im selben Zimmer schlafender Bruder und ein Neffe wurden nicht
angerührt Der Thäter wurde am anderen Morgen selbst aus einer Kopfwunde
blutend schlafend im selben Zimmer gefunden, sagte jedoch nichts über das ge¬
schehene Verbrechen aus. Bis zum 25./V. blieb er in einer Art halbstuporösen
Zustandes, aus dem er dann scheinbar plötzlich mit voller Amnesie erwachte.
Weder vorher noch nachher während einer mehr als ein Jahr dauernden Unter¬
suchung wurde auch nur das geringste Anzeichen einer psychischen Krankheit
an ihm gemerkt mit Ausnahme eines eigenthümlichen metallischen matten Glanzes
der Augen, den Verf. für charakteristisch für Epileptiker hält. Nach Analyse des
ganzen Thatsachenbestandes sowie der Zeugenaussagen kommt Verf. zu der Ueber-
zeugung, dass es sich hier um nichts anderes als um larvirte Epilepsie handeln
konnte.
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824
Somit erhält die bisher von der Wissenschaft nicht ganz angenommene
Theorie Lombroso’s, wonach oft Verbrechen im Zustand larvirter Epilepsie be¬
gangen werden, ohne dass man weder vorher noch nachher irgend welche An¬
haltspunkte für die Existenz der Epilepsie entdecken kann, eine neue Stütze.
Beiläufig macht Verf. auf den oben erwähnten metallischen matten Glanz der
Epileptikeraugen aufmerksam, den er in allen Fällen von genuiner Epilepsie be¬
merkt und ihn auch schon öfters anderen Collegen sowie auoh Studenten demon-
strirt hat. Verf. fordert auf, mehr Gewicht auf dieses Symptom zu legen.
Wilh. Stieda.
27) Ueber Kinderepilepsie , von Wassiljew. (Obosrenije psichiatrii. 1900.
Nr. 9.)
5$jähriger, erblich nicht belasteter Bauer erkrankt an gehäuften Krampf¬
anfällen, die in der linken Geeichtshälfte begannen und sich über die ganze licke
Körperhälfte erstreckten, wobei der Kranke erst im Laufe des Anfalls das Be¬
wusstsein verlor. Beginn der Erkrankung vor 15 Jahren, doch bestanden anfangs
nur tonische Zusammenziehnngen der Beuger der linken Hand, später kamen
Zuckungen in der Gesichtsmusculatnr hinzu und erst kurz vor Eintritt ins Kranken¬
haus wurden die Anfalle allgemein und es trat Bewusstlosigkeit auf. Im
Krankenhanse kam es bis zu 221 Anfällen am Tage und der Kranke sollte schon
einer Trepanation unterworfen werden, als er plötzlich an einer croupösen Pneu¬
monie erkrankte und 2 Wochen nach seinem Eintritt starb.
Bei der Section fand sich ein Bluterguss von Erbsengrösse im mittleren
der Rolando’schen Furche, jedoch so tief in der Furche selbst gelegen, dass
man ihn bei äusserer Betrachtung gar nicht sehen konnte.
Verf. weist auf die Wichtigkeit hin, bei Trepanation zwecks Entfernung
einer Geschwulst, Schwiele u. s. w. auch die Tiefen der Furchen zu besehen.
Ferner erwähnt Verf., dass in diesem Falle auf der linken Seite eine AbBchwächung
der tactilen Sensibilität und des Schmerzgefühls zu constatiren war. Angesichts
der widersprechenden Ansichten verschiedener Autoren darüber, ob die Affection
des motorischen Rindengebietes von Sensibilitätsstörungen begleitet sei oder
nicht, meint Verf, dass in den meisten Fällen Störungen wohl vorhanden seien,
jedoch seien sie individuell verschieden, je nach der Lebens- und Beschäftigungs¬
art, je nach der ganzen psychophysischen Entwickelung. „Ich vermuthe,“ sagt
der Verf., „dass die Zerstörung des Rindenbezirkes, der die rechte Hand innervirt,
bei einem Arbeiter, einem Musikanten und einem Gelehrten verschiedene Sym¬
ptome geben und verschieden verlaufen wird.“ Dadurch seien auch die wider¬
sprechenden Befunde zu erklären. Wilh. Stieda.
28) Sur la valeur ohirurgioale de l’öpilepsie Jaoksonlenne, par Chipault.
(Gazette des höpitaux. 1902. Nr. 61.)
An der Hand einiger summarisch mitgetheilter Fälle kommt Verf. u. &. zu
folgenden wichtigeren Schlusssätzen: Jackson’sche Epilepsie an sich bietet noch
keine Indication zu einer Trepanation; sie kann aber localisatorische Bedeutung
haben, und zwar wäre, wenn gleichzeitig ein Verlust der „Motilitö sUreognostique“
vorliegt, ein vor den Centralwindungen gelegener Herd anzunehmen („epilepeie
Jacksonienne frontale“), während Verlust der „sensibilit6 stäröognostique“ von
keiner besonderen localisatorischen Bedeutung sei. Pilcz (Wien).
20) Zur Frage der Trepanation bei oortioaler Epilepsie, von W. J. Rasu-
mowsky. (Archiv f. klin. Chirurgie. LXVTI. 1902.)
Die bisherigen Veröffentlichungen und Statistiken über den Erfolg der Tre-
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825
panation bei corticaler Epilepsie leiden fast alle an dem Fehler und werden da¬
durch unbrauchbar, dass die Fälle nicht lange genug beobachtet worden sind und
dass Heilungen beschrieben werden, die sich später nur als Besserungen, oft von
nur kurzer Dauer, herausstellten. Verf. hat 9 Fälle von corticaler Epilepsie
operirt, davon 7 nach Horsley, d. h. mit Abtragung eines Stückes Rinde, das
sich durch elektrische Reizung des Gehirns als epileptogene Zone erwiesen hatte.
Von diesen 7, die 2 Jahre 8 Monate bis 5 Jahre beobachtet werden konnten,
waren drei unzweifelhafte therapeutische Resultate, darunter zwei sehr gute; in
zwei weiteren war der Erfolg zweifelhaft, in den zwei letzten negativ. Die guten
Resultate schreibt Verf. der Abtragung von Hirnrinde und nicht nur der durch
die Trepanation geschaffenen Ventilbildung zu. Verf. kann also den absolut ab¬
lehnenden Standpunkt mancher Autoren der Operation gegenüber nicht theilen
und räth, die Methode, die in einem gewissen Procentsatz der Fälle lange an¬
dauernde und auch günstige Resultate giebt, weiter auszuarbeiten. Eine aseptisch
ausgeführte Trepanation und Horsley'sehe Operation ziehe an und für sich noch
keine üblen Folgen nach sich; kein einziger der lange beobachteten Kranken
erlitt dadurch eine Verschlimmerung in somatischer oder psychischer Beziehung.
— In einem weiteren Falle von traumatischer corticaler Epilepsie führte die
Entfernung einer Schädeldepression mit Osteophytbildung zur dauernden Heilung,
in einem letzten deckte die Operation eine Porencephalocele auf, die darauf aus¬
geführte Ventrikeldrainage führte mittelbar durch Infection zum Tode des
Kranken; Verf. warnt daher vor derselben, weil die Schwierigkeit, dies complicirte
Höhlensystem ausgiebig zu drainiren, zu gross sei. — Die Einzelheiten der
Kranken- und Operationsgeschichten bieten neurologisch keine Besonderheiten.
H. Haenel (Dresden).
30) Theoretioal and praotioal oonsiderations on the treatment of Jaok-
sonian epilepsy by Operation, with the report of flve oases, by James
Jackson Putnam, M. D., Boston. (Transactions of the association of
Americ. physicians. 1901.)
In diesem ausführlichen und interessanten Aufsatz sucht Verf. an der Hand
von fünf operirten Fällen folgende Fragen zu beantworten:
1. Ist die Entfernung von Krankheitsherden in der Hirnrinde bei Jackson’•
scher Epilepsie von klinischem Werth?
2. Hat die Entfernung von anscheinend unveränderter Hirnrinde einen Ein¬
fluss von materieller Bedeutung?
3. Wie sind die Resultate solcher Maassregeln (1 und 2) am besten zu er¬
klären und, vor allem, ist der Nutzen, welcher durch Rindenexcision erzielt wird,
nothwendigerweise entweder der Entfernung eines Krankheitsherdes oder eines
besonderen „Auslösungsherdes“ zuzuschreiben?
4. Welche neue Beleuchtung gewinnt die Physiologie der Hirnrinde durch
die jüngsten experimentellen Forschungen und klinischen Beobachtungen?
Wenn Verf. auch betont, dass zweifellos Hirnoperationen oft von grossem
Nutzen sind, so glaubt er jedoch, dass die guten Erfolge mehr durch die Frei¬
legung der Hirnoberfläche, Loslösung von Adhäsionen u. s. w. zurückzuführen sind,
als auf die theilweise vorgenommenen Excisionen von Hirnrindensubstanz. Nach
seiner Meinung kann die Störung, wegen deren die Operation vorgenommen
wurde, nur selten in Anatomischen Veränderungen eines kleinen begrenzten Stückes
Hirnrinde begründet sein. Der Beginn der Hirnrindenthätigkeit, als deren Schluss¬
resultat Bich ein Anfall von Jackson’scher Epilepsie zeigt, mag ebenso wie bei
willkürlichen Bewegungen in ganz anderen Hirnrindengebieten liegen als wie sie
den betreffenden Hirncentren entsprechen. In dieser sozusagen ursächlichen Be-
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826
Ziehung steht die genuine Epilepsie der Jackson’schen vielleicht gleich. Die
epileptische „Tendenz“ ist dann zu einem der regelmässigen Thätigkeitsausdrücke
des ganzen Gehirns geworden und die Zerstörung eines einzelnen Hirntheiles,
z. B. des Handoentrums, ist dann, wenn sie die Symptomatologie beseitigt, als
den Ausbruch des Anfalles „hemmend“ und dadurch erfolgreich anzusehen. Wenn
die Anfälle trotz dieser Operation weiterbeetehen bleiben, so ist anzunehmen, dass
die einleitenden Vorgänge im Gehirn eine zu grosse Verbreitung haben, als dam
sie sich durch „Hemmung“ an einer begrenzten Stelle beseitigen Hessen. Verf.
streift bei dieser Gelegenheit auch die durch Eulenburg hervorgehobenen Be¬
obachtungen Wetterstrand’s von erfolgreicher Behandlung der Epilepsie durch
Hypnose als ebenfalls einer „Hemmungsbehandlung“ der Epilepsie.
Jedenfalls darf man nach des Verf.’s Ansicht nicht ex juvantibus urtbeilen.
dass die Ursache der Krankheit mit dem excidirten Hirnstück entfernt war:
vielleicht hätte eine Blosslegung des Gehirns, eine Ablösung von Adhäsionsstellen
der Dura mater u. s. w. denselben Effect gehabt. Jedenfalls haben letztere ein¬
fachere Maassnahmen oft auch schon genügt, um Besserungen oder Heilungen
hervorzurufen. Verf. glaubt, dass das Verschwinden der Epilepsie durch Opera¬
tionen irgend welcher Art zunächst auf „Hemmung“, sodann auf Einbahnen neuer
„Gewohnheit“ der Hirnrindenvorgänge beruht — Nach allen Operationen ist vor
allem die bessere Reaction auf Brommedication hervorzuheben.
Für die Auffassung der physiologischen Function der Hirnrinde haben dieae
Betrachtungen des Verf.’s natürlich ihre Folgen. Man muss die Hirnrinde nach
des Verf.’s Ansicht nicht als ein Mosaik von speciellen Centren ansehen, sondern
als ein ganz oomplicirtee Netzwerk, als Ausdruck von eng von einander abhängigen
Functionen. Verf. kommt dann noch zu sprechen auf die Versuche, welche
R. Ewald an trepanirten Hunden längere Zeit nach der Operation vornahm, und
welche die grosse Abhängigkeit der verschiedenen Hirncentren von einander be¬
weisen. Ferner hebt er hervor, wie plausibel auf Grund der neueren physio¬
logischen Auffassung der Hirnrindenthätigkeit die grosse Restitutionsfahigkeit nach
Hirnrindenläsionen erscheint: es werden eben neue Verbindungen in dem grossen
Netzwerk aufgesucht und diese übernehmen, wenn auch vielfach mangelhaft, die
Thätigkeit der zerstörten Partieen. Das Problem der Hirnthätigkeit liegt mehr
auf dynamischem wie auf anatomischem Gebiete. — Dies sind die Grundzügv
der Arbeit. — Es ist hier unmöglich, auf Einzelheiten einzugehen.
Determann (St Blasien).
31) Ueber operative Eingriffe bei Epilepsie ohoreioa, von Prof. Dr. W.
v. Bechterew. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXI. 1902.)
Bei einem Patienten, welcher der Epilepsie und Chorea gemeinschaftliche
Veränderungen darbot, bei welchem alle inneren Mittel versagten und die chorea¬
tischen Zuckungen sowie epileptischen Anfälle eine derartige Steigerung erfuhren,
dass er starken Verletzungen ausgesetzt war, wurde zwei Mal die Trepanation
vorgenommen. Und zwar wurde in einer Pause von 7 Woohen erst das rechte
und später das linke Schädeldaoh im Gebiet der Centralwindungen eröffnet, die
Dura entfernt und an drei verschiedenen Stellen der vorderen Centralwindongen
kleine Stücke der grauen Substanz abgetragen. Beide Operationen brachten
wesentHches Zurückgehen der Krämpfe und choreatischen Zuckungen. Leider
ging der Kranke 8 Tage nach dem zweiten Eingriff an „Wunderysipel“ zu
Grunde. Immerhin glaubt Verf. an der Hand dieses Falles der operativen Be¬
handlung der Epilepsie bez. Chorea ein Wort reden zu dürfen 1
E. Asch (Frankfurt a/M.).
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827
32) Beseotion des Halasympathioua bei Epilepsie, von E. Hevesi. (Vor¬
trag, gehalten im siebenbürgischen Museum-Verein, Section für Medicin u.
Naturwissenschaften, am 28./DL 1901.)
Verf. stellt einen löjähr., an genuiner Epilepsie leidenden Knaben vor, bei
welchem die Exstirpation beider Halssympathici vorgenommen wurde. Pat. hatte
früher 6—7, mitunter auch 13 epileptische Anfälle, während in den der Operation
folgenden 26 Tagen bei 12 anfallsfreien Tagen insgesammt 27 Anfälle beobachtet
wurden. Verf. äussert sich wegen Kürze der Zeit noch nicht über den thera¬
peutischen Werth der Operation. Hudovernig (Budapest).
33) Die Anwendung des Dormiols bei Epileptischen. Ein Beitrag zur
Behandlung des Status epileptious, von Dr. J. Hoppe. Aus der Landes-
Heil- und Pflegeanstalt Uchtspringe. (Münchener med. Wochenschr. 1902.
Nr. 17.)
Bei gehäuften Anfallen und im Status epileptious hat sich die Darreichung
von Dormiol per rectum in Dosen von 2—3 g (10,0:150,0, 2—3 Esslöffel dieser
Lösung V 4 —7 3 Liter lauwarmen Wassers zum Einlauf beigemengt) ausserordent¬
lich bewährt, unangenehme Nebenerscheinungen wurden nicht bemerkt. Ob sich
aber das Mittel zur dauernden Behandlung der Epilepsie eignet, erscheint, ausser
bei der Epilepsia nocturna, immerhin sehr fraglich.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
34) Observations on a oase of epilepsy to determine the value of the
Bichet and Toulouse method of treatment by a chlorine-poor diet,
by J. Eason. (Scottish med. and surg. Journ. 1902. August.)
Verf. hat bei einem Fall von Epilepsie eine längere Beobachtung bezüglich
des Einflusses des Kochsalzgehaltes der Nahrung auf die Zahl der Anfälle an¬
gestellt, und zwar theils in klinischer Beobachtung, theils während Pat. zu Haus
lebte. Es ergab sich hieraus, dass die Anfälle am häufigsten eintraten, wenn
Pat. ohne Medication eine Balzreiche Nahrang combinirt mit einer Aufnahme von
noch ausserdem 12 g Chlornatrium zu sich nahm, dass die geringste Zahl der
Anfälle auftrat bei Combination salzarmer Diät mit Brommedication, und dass
auch ohne den Einfluss von Medicamenten bei salzarmer Diät die Anfälle mehr
den Charakter des Petit mal annahmen. Verf. macht aber darauf aufmerksam,
dass schon der Aufenthalt im Krankenhause mit seiner geregelten Lebensweise an
sich sehr günstig auf den Verlauf der Epilepsie wirkt; so hatte sein Patient
6 Wochen lang keinen Anfall, trotzdem er täglich 16 g Chlornatrium zu sich
nahm; suffallend war auch, dass Pat. diese grösseren Salzmengen, die neben der
Nahrung noch gewonnen wurden, im Krankenhause gut vertrug, während er zu
Haus davon Uebelkeit und Brechneigung hatte. Verf. hält für nöthig, dass bei
kochsalzarmer Diät ein Ersatzmittel des Chlornatriums gegeben wird, für das er
phosphorBaures Natrium empfiehlt. Martin Bloch (Berlin).
35) Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie, von Rudolf Bälint.
(Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 23.)
Vor 2 Jahren empfahlen die Franzosen Toulouse und Richet in der An¬
nahme, dass der Organismus bei Chlorentziehung auf Brom empfindlicher reagirt,
bei Epilepsie ein diätetisches Verfahren, welches in Entziehung des Kochsalzes
aus der Nahrung besteht. Sie hatten dasselbe an 20 Frauen mit inveterirter
Epilepsie erprobt. Die Zusammensetzung der von den französischen Autoren ge¬
reichten Kost war: 100 g Milch, 300 g Fleisch, 300 g Kartoffel, 200 g Mehl,
2 Eier, 50 g Zucker, 10 g Kaffee, 40 g Butter, welche Speisen ungesalzen gegeben
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828
wurden bei gleichzeitiger Darreichung von täglich 1—2 g Bromkali. Mit dieser
Diät machte Verf. an 28 Kranken, Männern und Frauen, in 9 frischen and 19
veralteten Epilepsiefällen Versuche, musste aber bald davon Abstand nehmen,
weil der Genuss völlig ungesalzenen Fleisches grosse Schwierigkeiten bereitete.
Verf. ersetzte dann das Fleisch durch 300—400 g Brot und buk dasselbe anstatt
mit Kochsalz mit Bromsalz. Dadurch erhält das Brot den entsprechenden Ge¬
schmack und das Medicament kann mit der Nahrung zusammen ein ge führt werden.
Verf.’s Diät setzt sich folgendermaassen zusammen: 1—1 1 / J Liter Milch, 40—50 g
Butter, 3 Eier, 300—400 g Brot und Obst. Der Nährwerth betrug 2300—2400
Calorien, der natürliche Kochsalzgehalt der Nahrungsmittel nicht viel mehr als
2 g, die Bromsalzmenge 2 g. Die Franzosen hatten bei ihrer Diät und gleich¬
zeitiger Verabreichung von 1—2 g Brom beobachtet, dass sich die Anfälle bereits
nach einer Woche zu verringern begannen und bei den meisten Kranken nach
und nach ganz ausblieben. Das Resultat der Diätversuche des Verf’s war fol¬
gendes: Zu Beginn der Anwendung der Diät reagirten die Patienten nicht gleich-
mässig. In einem Theil der Fälle zeigte die Intensität und Zahl der Anfälle
keine Veränderung, bei einigen Fällen wurde sogar ein Ansteigen der Anfälle an
2.—3. Tage der Behandlung beobachtet. Dagegen gab es Fälle, in denen schon
am Anfang der Diät die Anfälle wie abgeschnitten auf hörten. Am 6.—7. Tage
ist in einem jeden Falle eine Veränderung zu bemerken gewesen. Theils ver¬
ringerte sich die Zahl der im Beginn häufiger aufgetretenen Anfälle nun plötzlich,
gewissermaassen kritisch, theils war zwar eine Verringerung in der Zahl nicht
zu beobachten, aber die Anfälle wurden schwächer und an Stelle der heftiges
tonisch-klonischen traten Krämpfe schwächerer Intensität und später Anfälle, die
in schwachen, dem Zittern ähnlichen Zuckungen bestanden. Das völlige Au-
bleiben der Anfälle beobachtete Verf. in 7 von den 9 frischen, in 15 von den
19 veralteten Fällen, also bei 70 °/ 0 der Fälle. Die Behandlung mit der Diät
wurde meistens 36—40 Tage durchgeführt, nur in einigen Fällen länger. Mit
dem Schwächerwerden bezw. Ausbleiben der Anfälle besserte sich auch der geistige
Zustand der Kranken, selbst ganz betäubte, verblödete, stupide Kranke sollen
während der Behandlung langsam die Besinnung, klaren Blick, lebhaftere Apper
ception zurückgewonnen haben. Fast ausnahmslos stieg das Körpergewicht der
Kranken, ihr Aussehen wurde frisoher. Schädliche Nebenwirkung des Broms
wurde nicht beobaohtet. Die Frage nun, ob das Schwächerwerden oder Siatiren
der Anfälle nur während der Dauer der Behandlung bestehen blieb, oder ob das
Aufspeichern des Broms im Organismus einen länger währenden Einfluss hat, be¬
antwortet Verf. nach seiner Erfahrung dahin, dass in der überwiegenden Zahl
der Fälle nach Aussetzen der 36—40 Tage dauerden Behandlung die Anfälle
bald wiederkehrten, wenn auch bei weitem schwächer; erst nach längerer Zeit
zeigten sich die früheren starken Krämpfe. Je länger die Diät fortgesetzt wird,
ein um so länger dauernder Erfolg ist nach dem Aussetzen derselben gesichert
Verf. hält die Behandlung im Sanatorium, wo für die Exactheit der Durchführung,
für die körperliche und psychische Ruhe der Kranken Gewähr geleistet ist, für
sehr wiohtig. Dass der günstige Einfluss dieser Behandlung thatsächlich auf der
Entziehung des Chlors und nicht auf der Reizlosigkeit der Diät beruht, ist da¬
durch bewiesen, dass dieselbe Diät ohne Bromverabreichung die Anfälle niemals
beeinflusste, und dass der Versuch, zwei Patienten, die im Laufe der Behandlung
anfallsfrei geworden waren, die Gabe von täglich 5 g Chlornatrium in Pulverform
neben der gewohnten Bromdosis zu geben, die Anfälle sehr bald wieder hervor
rief. Die günstige Wirkung der diätetischen Behandlung besteht hauptsächlich
in der hochgradigen Steigerung der sedativen Wirkung des Broms, und daher
wäre sie auch bei anderen Nervenkrankheiten, in welchen man auf stärkere Brom-
Wirkungen angewiesen ist, zu versuchen. Bielschowsky (Breslau).
Di:
829
36) La dieta ipoolorurata nella oura bromioa della epileesia, pel Dr. L.
Cappelletti e A. D’Ormea. (Manicomio provinciale di Ferrara. Com-
mun. fatta in Ferrara. 1901. 5. Nov.)
1899 wurde, von Richet und Toulouse, ausgehend von theoretischen Ueber-
legungen versucht, die Bromtherapie in der Epilepsie dadurch wirksamer zu ge¬
stalten, dass man möglichst wenig Chlorsalze den Kranken reichte. Nur wenig
und mit zweifelhaftem Erfolge ist die Modification von anderen Klinikern praktisch
verwerthet worden. Die Verff. haben an 20 Kranken das neue Verfahren erprobt
und konnten folgende Schlussfolgerungen statuiren: Das Regime von Richet und
Toulouse übt bedeutenden Einfluss auf die Zahl, Intensität und Dauer der
Anfälle. In 26°/ 0 der Fälle verschwanden dieselben, in 42°/ 0 verminderten sie
sich bedeutend, in 21°/ 0 blieben sie unberührt, in 11% trat Verschlimmerung
auf. Ueble Nachwirkungen konnten nicht nachgewiesen werden. Meist tritt eine
Hebung des allgemeinen Ernährungszustandes ein (in 70% der Fälle). Unter¬
brechung des Regimes wird gut vertragen und die Heilwirkung ist meist eine
dauernde (in 67% der Fälle). L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
37) Versuche mit der Toulouse und Hiebet’sohen Epilepsiebehandlung,
von E. Halmi und A. Bagarus. (Gyogyäszat. 1902. Nr. 7. [Ungarisch.])
Die Verff. machten ihre Versuche in der psychiatrischen Abtheilung Pändy’s
an 15 Kranken, bei welchen die Zahl der Anfälle auch während der gewöhn¬
lichen Brombehandlung grössere Schwankungen zeigte. Vor Beginn der Toulouse
und Richet’schen Behandlung wurde den Kranken das Brom während zweier
Monate entzogen, um normale Verhältnisse zu schaffen (während dieser Zeit er¬
höhte sich die Zahl der Anfälle). Während der Toulouse-Richet’schen Kur
wurde folgende Diät eingehalten: 2 Liter Milch, 2 Eier, 500—750 g ungesalzenes
Brot, und etwa 3 g Bromsalz in den ersten 2 Wochen, in der zweiten Hälfte des
Versuchsmonates 1,5 g Bromsalz. Bei 7 Kranken verringerte sich die Zahl der
Anfälle, bei 6 zeigte sich eine Erhöhung derselben, und 2 Kranke starben an
Bromin toxi cation. — Bei Controllversuchen, d. i. Darreichung der salzlosen Kost
ohne Brom bei nicht-epileptischen Kranken, zeigte sich bald Verschlimmerung des
Allgemeinbefindens, wesshalb von weiteren Versuchen Abstand genommen werden
musste. — Die Verf. kommen zur Schlussfolgerung, dass die Toulouse-Richet’sche
Epilepsiebehandlung die Epilepsie weder bessern, noch heilen kann; die oligochlore
Diät ermöglicht zwar eine intensivere Bromwirkung, aber erleichtert auch die
Möglichkeit einer Bromvergiftung, wesshalb die Behandlungsart als gefährlich be¬
zeichnet wird. (Ref. stellte s. Z. an 8 Kranken ähnliche Versuche an, von welchen
6 lieber die Epilepsie als die „geschmacklose, fade Nahrung“ ertrugen; bei zwei
Patienten wurde die Toulouse-Richet’sche Kur einen Monat fortgesetzt, und
beide zeigten während derselben eine Verminderung der Anfälle, jedoch eine auf¬
fallende Vermehrung derselben nach dem Uebergang zur normalen Diät, so dass
während einiger Wochen das Doppelte der früheren Bromdosis dargereicht werden
musste.) Hudovernig (Budapest).
38) Bromoooll, ein neues Brommittel in der Behandlung der Epilepsie,
von Dr. Reich und Dr. Ehrcke. (Therap. Monatsh. 1902. Febr.)
Die in der Anstalt Wuhlgarten von den beiden Autoren zu gleicher Zeit,
aber unabhängig von einander auf der Männer- und Frauenabtheilung angestellteu
Versuche mit einem neuen organischen Brommittel (Verbindung des Broms mit
Leim und Tannin), die etwa 20% organisch gebundenes Brom enthält, haben
ergeben, dass das Mittel, selbst in sehr grossen Dosen (bis 50 g pro die), un-
3 yGöOgI(
830
schädlich, von Seiten des Magens und Darms gut vertragen wird, und Neben¬
wirkungen, die bei den K- und Na-Salzen leioht eintreten, vermissen lässt; be¬
sonders traten keine Herzstörungen auf und Akne fehlte auch bei dazu disponirten
Kranken so gut wie vollständig. Den Anfallen gegenüber leistet es, in der
seinem geringeren Bromgehalt entsprechend grösseren Menge gegeben (18—20 g
pro die oder mehr), dasselbe wie KBr. H. Haenel (Dresden).
39) Drei Fälle von vollständig geheilter Epilepsie, von Dr. M. Turnowsky.
(Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 35.)
Verf. berichtet von drei an Epilepsie leidenden Patienten, wovon zwei, eine
38, bezw. 34jähr. Frau nach einer Pneumonie, und der dritte, ein jetzt 12jähr.
Knabe, nach einem im 6. Lebensjahre aufgetretenen Scharlach die Anfälle ver¬
loren hatten. Nachbeobachtung im 1. Falle 14 Jahre, im 2. Falle 10 Jahre, im
3. Falle 6 Jahre. Verf. würde es für gerechtfertigt halten, Epileptiker absichtlich
einer Infection — sei es croupöse Pneumonie oder Scharlach — auszusetzen.
J. Sorgo (Wien).
40) Epileptikeranstalt oder NervenhellstätteP Gutachten, erstattet dem Ver¬
ein norddeutscher Irrenärzte, von Br atz. (Psychiatr. Wochenschr. 1901.
Nr. 28.)
Verf. bejaht in dem mitgetheilten Gutachten die ihm vorgelegte Frage, ob
es sich empfehle, eine Anstalt nur für Epileptiker zu bauen, da es eine Reihe
von Epileptikern giebt, die sich, obwohl sie der Anstaltspflege bedürfen, doch aus
den verschiedensten Gründen nicht für eine Irrenanstalt eignen. Die Anstalt soll
aber ausser Epileptikern noch Krampf kranke aller Art (Hysterie, organische Hirn¬
erkrankungen, Chorea, Paralysis agitans, Säufer) aufnehmen. Ferner empfiehlt er
eine Aufnahme von Nervenkranken aller Art sowie eine Zumischung von Geistes¬
kranken (etwa 20 °/ 0 ). Hinsichtlich der baulichen Einrichtungen schlägt Verf.
vor eine Kinderabtheilung mit Schule, eine grössere Zahl von Landhäusern, ein
geschlossenes Haus für Unruhige, ein Werkstattsgebäude und Gebäude für die
Landwirtschaft. Am besten führt die Anstalt den Namen Nervenheilstätte.
Ernst Schultze (Andernach).
41) Publioatlona da progrds mödioal. Vol. XXI: Becherohes oliniquee et
thdrapeutiques sur l’öpilepsie, l’hystdrfe et 1'Idiotie, par Bourneville.
(Paris 1901, Felix Alcan. 236 S.)
Wie in den früheren Bänden (vgl. d. Centralbl. 1899. S. 600 und 1901.
S. 473) giebt Verf. zunächst die Geschichte der Idioten- und Epileptikerstation
zu Bicetre aus dem verflossenen Jahre. Am 1. Januar 1900 befanden sich auf
der Abtheilung 449 Kinder, davon 406 Idioten, Imbecille oder Epileptiker, 43
nicht geisteskranke. Hierzu kamen im Laufe des Jahres 1900: 87 Aufnahmen.
Es starben 16 und es wurden entlassen 86 Kinder, von letzteren wurden 21 ihrer
Familie wiedergegeben.
Verf. beschreibt des näheren die Einrichtungen zu Bicetre und die Art des
Unterrichts und der Erlernung eines Handwerks.
Der zweite Theil des Buches giebt Krankengeschichten von interessanten
klinischen Fällen, berichtet über die angewandte Therapie sowie über die Sections-
befunde und iBt von guten Photographieen begleitet. Derselbe enthält 19 Arbeiten,
welche besonders das Thema der Epilepsie, Idiotie und des Myxödems behandeln.
Kurt MendeL
Google
831
Psychologie.
42) Halluoinations dlurnes ohez les enflants, par Dr. P. Vergely (Bordeaux).
(Rev. mens, des maladies de l’enfance. XX. 1902.)
Verf. theilt zwei Beobachtungen von Gesichtshallucinationen grösserer Kinder
in der Reconvalescenz nach schweren fieberhaften Bauchaffectionen mit: In dem
einen Falle handelt es sich um ein 7jähriges Kind, das eine Perityphlitis (ohne
Operation) durchgemacht hatte. Das Fieber war bereits geschwunden, der Appetit
wiedergekehrt und das Kind Bchon ausser Bett, als sich ohne heftige Initial*
erscheinungen, ohne vorangegangenen Schlaf bei Tag Gesichtshallucinationen ein¬
stellten. Plötzlich, mitten während des Spieles, behauptete das Kind, einen Mohren
im Zimmer zu sehen, liesB sich auch nicht, als der anwesende Arzt ihm die Leer¬
heit deB Zimmers demonstriren wollte, davon abbringen, erklärte schliesslich, die
Gestalt sei wieder versohwunden. Irgend welche Epilepsie- oder Absencesymptome
fehlten während dieser Wahrnehmung vollständig. Die Hallucination kehrte durch
einige Tage in ziemlich ähnlicher Form wieder, um dann allmählich sich zu ver¬
lieren. Später (durch 6 Jahre) haben sich derartige Zustände nicht wiederholt.
In ähnlicher Weise verlief ein Anfall von Hallucinationen bei einem 12jährigen
Kinde, das ebenfalls nach einer Perityphlitis sich über krankhafte Wahrnehmungen
von Menschen, die im Zimmer oder auf der Gasse ihr nachgingen, äusserte; auch
hier trat dauernde Heilung ein. Zappert (Wien).
43) lieber Gehirnerkrankungen mit Katatonie, von G. Anton. (Mittheilung
des Vereins der Aerzte in Steiermark. 1902.)
Verf. erörtert an der Hand dreier Krankengeschichten den charakteristischen
katatonischen Symptomencomplex; aus den Krankengeschichten ist hervorzuheben,
dass der Blutdruck zwei Mal auffällig niedrig gefunden wurde, dass in einem
Falle Hallucinationen des Muskel- und Lagesinnes mit im Vordergrund der Er¬
scheinungen standen, in einem anderen die Wendung zur Besserung sich direct
an eine subcutane Kochsalzinfusion anschloss, die im Stadium vorgeschrittener
Kachexie vorgenommen wurde. — Da die Ergebnisse der Versuche von Hering
und Sherrington, die bei Reizung einer Muskelgruppe von der Rinde aus eine
active Erschlaffung der Antagonisten beobachteten, nicht ohne weiteres auf die
normale Willkürbewegung des Menschen übertragen werden können (Otfrid
Förster), so sind auch die Folgerungen, die Verf. aus diesen Versuchen für die
Erklärungen der Muskelspannungen bei Katatonikern zieht, als mindestens ver¬
frühte zu bezeichnen. H. Haenel (Dresden).
IIL Bibliographie.
1) Epilepsie, von W. R. Gowers (London). II. Auflage. Deutsche autorisirte
Ausgabe von Dr. Max Weiss (Wien). (Leipzig u. Wien 1902, Franz Deuticke.
336 S.)
Die erste Auflage dieses Buohes hat in diesem Centralblatte (1882, S. 165)
eine eingehende Besprechung durch Tuczek gefunden. Die in deutscher Ueber-
setzung vorliegende zweite Auflage stützt sich auf ein Material von 3000 Fällen
(gegenüber 1450 der ersten) und bringt eine erschöpfende Darstellung der Klinik,
der Pathologie und der Therapie der Epilepsie. Der Name des Verf.’s, welcher
auch in Deutschland einen sehr guten Klang hat, bürgt nicht bloss für die gute
Beobachtung, sondern auch für die kritische Verwer thung eigenen und fremden Materials.
Wie schon in der ersten Besprechung hervorgehoben wurde, verleiht der
Darstellung „das überall hervorleuchtende Streben, für die klinische Beobachtung
den physiologischen Boden zu gewinnen, einen besonderen Reiz.“
Die Klinik der Epilepsie hat durch die Zunahme der ihr zu Grunde ge-
■GoogI<
832
legten Fälle eine weitere Bereicherung erfahren. Wie in der ersten Auflage, so
protestirt auch jetzt Verf. gegen die Aufstellung einer Hystero-Epilepsie im Sinne
Charcot’s, nennt die bei dieser beobachteten Anfalle „hy steroide“, während er
auf der anderen Seite (S. 106) in Uebereinstimmung mit Trousseau anerkennt,
dass es „intermediäre“ Anfalle giebt
So lange wir über das Wesen der Epilepsie und der Hysterie nicht genauere
Kenntnisse besitzen als bisher, wird die differentielle Bezeichnung der Symptome
nicht ohne eine gewisse Willkür stattfinden.
Dass wir aber in den letzten zwei Jahrzehnten thatsächliche Fortschritte
nach jener Richtung hin nicht gemacht haben, ergiebt die Besprechung der
Pathologie der Epilepsie, wenn auch hier vielleicht ein näheres Eingehen tu:
die Autointoxicationstheorieen der Epilepsie erwünscht gewesen wäre.
Die Toxicität des BluteB der Epileptiker nach epileptischen Anfällen hi;
Verf. nicht für genügend sichergestellt.
Aus der Besprechung der Behandlung der Epilepsie ergiebt sich, dass vir
auch hier im wesentlichen auf demselben Standpunkt stehen, wie vor 20 Jahret.
Die Brompräparate, unter welchen das Bromkalium der Erfahrung nach dü
wirksamste ist, bleiben nach wie vor das souveräne Mittel gegen die Epilepsie.
Die „Heilung“ der Epilepsie durch Bromide betrachtet Verf. als die Folge
einer andauernden Aenderung der Stoffwechselverhältnisse.
Den vielfachen neueren Methoden der Bromdarreichung gegenüber (Brom
kampher, Bromalm, Bromipin, Flechsig’sche Methode) verhält sich Verf. abweisend
Der vegetabilischen Kost legt Verf eine wesentliche Bedeutung nicht bd
die salzarme erwähnt er nicht.
Der vollen Uebereinstimmung der meisten Neurologen dürfte sich der Yer»
mit den Sätzen erfreuen, dass er die Trepanation bei der idiopathischen Epilepd
verwirft, dieselbe da, wo es sich um eine organische Epilepsie ohne Zeicheu eine:
Schädelverletzung handelt, nur unter ganz bestimmten Indicationen gelten 1&-
sie dagegen bei Epilepsie mit Schädelverletzungen als einen „chirurgischen Zw&nr
erachtet.
Ein Buch von Gowers bedarf einer besonderen Empfehlung nicht.
Die Uebersetzung ist tadellos, die Ausstattung des Buches, wie es bei &
rührigen Verlagsbuchhandlung nicht anders zu erwarten, eine gute. ü.
2) Unter dem Titel „Neurologia“ erscheint von den Professoren Kure uni
Miura herausgegeben ein neues Centralblatt für Neurologie, Psychiatnt
Psychologie und verwandte Wissenschaften in Tokio.
Es liegen die beiden ersten Hefte vor (April und Juni 1902). Das o*
enthält Originalien in deutscher Sprache von Miura (über amyotrophische Later»!-
sklerose), Kure (über die Beziehungen der Glia zu den Gefassen), das zweite-
v. Krafft-Ebing zu seinem Jubiläum gewidmet, solche von Okada (über o*
Zehenphänomen Babinski’s), von Imura (über Othaematom bei Geisteskranken
von Sakaki (über das Tumbaco). Wir kommen auf die Arbeiten referirend zurück
Der übrige Inhalt ist in japanischer Sprache. Ausstattung wie Abbildung«:
sind vorzüglich.
Wir wünschen der neuen Zeitschrift einen recht guten Erfolg und zweifelt
an demselben bei der anerkannten Tüchtigkeit seiner Herausgeber wie der gross
Zahl seiner Mitarbeiter nicht. ^
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Ybit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtsobb & Wirno in WpM-
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Anzeigen - Anhang.
Administration: Karl Löhner, Annoncent)ureau f. Medicin, Berlin S.W. 46.
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brachialis, Parese, auf luetischer und gonorrho¬
ischer Basis beruhende nervöse Erkrankungen etc.
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St. Petersburg (Russland).
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Offene Kuranstalt und Pensionat für Nervenkranke.
Heil- nnd Pflegeanstalt für Nerven- und Gemflthskranke.
Aerztliohes Pädagogium für jugendliche Kranke.
Diese seit dem Jahre 1855 bestehende, mit den Fortschritten der Wissenschaft tfie
den Anforderungen der Zeit stetig weiterentwickelte Anstalt, inmitten grosser Gärten,
an den anmuthigen Parkanlagen der Stadt gelegen, nimmt kranke Damen wie Herren auf
and bietet neben dem Comfort der gebildeten Stände alle Hilfsmittel der Behandlung
and Pflege von Kranken. Besondere Sorgfalt wird auf die Trennung der leichten, resp.
Nervenkranken von schweren Krankheitsformen, sowie auf die Theilnahme der Patienten
am Familienleben und an regelmässiger Beschäftigung gewendet Verschiedene getrennte
Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Rücksicht auf individuelle
Anforderungen und werden die ärztlichen Bemühungen durch ein zahlreiches gebildetes
Beamtenpersonal unterstützt. — Für die in neuerer Zeit sich immer mehr häufenden
FftUe von Nerven- und Gemütskranken im jugendlichen und kindlichen Alter ist inner¬
halb der Anstalt ein methodisches
IC ärztliches Pädagogium
eingerichtet, in welchem eigene Lehrer für die hauptsächlichsten Lehrgegenstände —
Gymnasial- und Realschulfacher — und ausserdem Instructoren für Handfertigkeiten,
mechanische, artistische, und körperliche Uebungen angestellt sind, um regelmässigen
Unterricht zu ertheilen und die geistige und sittliche Entwicklung der Zöglinge neben
ien Aerzten zu überwachen und zu fördern.
Prospecte über die Heilanstalt wie das Pädagogium sind zu erhalten von
Dp. Kahlbaum.
St. Gilgenberg bei Bayreuth.
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Leitender Arzt: Dr. Dieckhoff.
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Roborät. Warum? Weil dem Roborat neben seinen aUgmeintn
W . ■ Vorzügen als hocbprocentiges Nutriens (guter
Geschmack, leichte Aasimilirbarkeit, billiger Preis) speciell rar die Meno-
therapie noch besondere Vorzüge eigentümlich sind. Waloher Art sind tliossT Ban
vegetabilischer Character des Eiweißes (znr Ergänzung vegetarischer Koren!), starte
Herabminderung der Harnsäureproduction (bedeutungsvoll u. a. für Epilepsie!), hoher
Lecithingehalt (wichtig bei Neurosen aller Art. besonders Neurasthenie!). Roborat bewirkt
Steigerung des Nerventonus, schnellen Eiweißansatz, Appetitsteigerung, Vermehrung der
rothen Blutkörperchen. — Dosirung S—4 Eßlöffel pro Tag in Milch, Gebäck, Cacao, Suppen,
Eierspeisen etc. Originalpreise in den Apotheken etc. M. —.60 (100 gr), M. 1.40 (250 gr),
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Mit besonderem Erfolg angewandt gegen: Kopfschmerzen aller Art, auch bei
Nephritikern, gegen Migräne, Neuralgien, Ischias, tahisehe Schmerzen, Alksh«!*
nenritl8, Trigeminusneuralgien etc.
Die antlncuralgisch wirksame Dosis beträgt vom Pyramidon 0,8—0,5 gr 3mul ttgliob, als Pulver odv
als wässerige Lösung zu nehmen.
Vom Silicylaauren Pyramidon beträgt die wirksame Dosis 0,5—0,75 gr.
Valyl - (Yaleriansäurediaethylamid),
welchem schon in verhältnismässig kleinen Dosen die typische Baldrianwirkung in ver¬
stärktem Maasse eigen ist, hat sich als ein auf die Vasomotion wirkendes Nervenmittel
bewährt unu wird mit Erfolg angewandt:
1. bei Hysterie, selbst schweren Grades, auch Hysteria vlrilis;
2. bei Neurasthenie und Hypochondrie;
3. bei traumatischen Neurosen und bei rein nervösen Herzbeschwerden;
4. bei Hemikrauie und Neuralgien;
5. bei Störungen wahrend der Menstruation;
. Durch Valyl werden die Blutwallungen und Schmerzen im Unterleibe und regelmäßig auch die V*
iteilenden Köpftet,menen beteiligt, mitunter auch die zu ttarken Blutungen verringert.
6. bei Beschwerden des Klimakteriums (Ausfallerscheinungen) und während der
Gravidität (Wallungen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herzklopfen werden
durch Valyl auch bei Patientinnen mit normaler Menstruation beseitigt.
Donirung: Jede Valylkapsel enthält 0,125 gr Valyl. Die Durchschnittedosls beträgt 2 bis
3 Kapseln 2 bis Sinai täglich.
NB. Bei empfindlichen Patienten empfiehlt es sieb, direct nach Einnehmen der Valy lk a p e e ln eOT
Suppe, Bouillon oder dergleichen su reichen. Gelegentliche« Aufstossen nach dem Nehmen de« Medkamea'**
kann dadurch verhindert werden, dass man dem Patienten 10 Minuten vorher eine Meaeersplt» Nährt»
blcarboDlcutn verabfolgt.
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[902. 16. September. Nr. 18.
f
Rudolf Virchow
Am 5. September erlöste der Tod von längerem Leiden den
Altmeister der medicinischen Wissenschaft
Vor länger als einem halben Jahrhundert begann Vibchow
der wissenschaftlichen Forschung in der Medicin die Wege zu zeigen,
auf welchen sie zu einer fruchtbringenden Erkenntniss kommen
konnte, rasch folgten die Entdeckungen, welche das bis dahin Gül¬
tige, soweit es nicht das Ergebniss sicherer naturwissenschaftlicher
Beobachtung war, umstürzten, und unter seinem Namen und unter
seiner Führung eroberte sich schnell seine Schule die Herrschaft
in der Medicin der ganzen Welt. Welche Umwälzungen hierbei
die Disciplin, welcher speciell diese Blätter gewidmet sind, erfuhr,
soll Gegenstand einer besonderen Betrachtung werden.
Ein Fürst der Wissenschaft ging dahin und mit ihm ein
Charakter, der als Vorbild den Trefflichsten aller Zeiten gelten
wird. Die Mitwelt, seine ungezählten Schüler in allen Erdtheilen,
sie werden ihm ein nie erlöschendes dankbares Andenken bewahren,
ferne Zeiten aber werden noch den Ruhm des VmOHOw’schen
Namens verkünden.
834
Inhalt: I. Originalmitthellungen. 1. Ueber einen besonderen Kern der FormaÖo reti¬
cularis in der oberen Brflckenregion, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg.
2. Ueber den Lnmbofemoralreflez, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg. 3. Geber
royotoniache Pupillenbewegung, tod Dr. Alfred Saenger. 4. Der Infraspinatusreflex. eia
bisher unbekannter Reflex der oberen Extremität des Menschen, von Prof. Dr. Steiear ia
Köln. 5. Weiteres zur Kenntnis! des Supraorbitalreflexes, von Dr. D. J. McCarthy. 6. Ueber
die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie, von Dr. med. August Diehi in Lübeck.
II. Referate. Anatomie. 1. On the natural preservation of the brain in the «wiest
Egyptians, by Smith. 2. Der Nucleus salivatorius ohordae tympani (nervi intermedii), m
Kohnstamm. — Experimentelle Physiologie. 3. Recherchee experimentales sur b
voies acoustiques, par Dantchakeff. 4. On the supposed reversal of the law of eontractioo
in degenerated mnscles, by May. 5. Ueber die corticalen sekretorischen Centren der wieh-
tigsten Verdauungsdrösen, von v. Bechterew. 6. Leber die spinalen Athmungsbahnen, tod
Rethmann. 7. Ueber das Verhalten der Blutgefässe im Gebiet durchschnittener vasomotorische
Nerven, von Jores. — Psychologie. 8. Bestimmungen der einfachen Reactionaxeit bei
Europäern und Malayen, von Grijns. 9. Grundzöge der Psychologie. Bd. I. Allgemeine
Theil: Die Principien der Psychologie, von MHnzterberg. — Pathologische Anatomie
10. Zur pathologischen Anatomie der Hemiathetose. Zugleich Beitrag zur Kenntnis* der
aus der VierhögeTgegend absteigenden Bahnen beim Menschen, von Haensl. 11. Endarteriit»
cartilaginosa der grossen Hirngefässe, von Marburg. 12. Degeneration in hemiplegia, with
special reference to a ventro-lateral pyramidal tract, the accessory fillet and Pich bündle,
by Barnsz. 13. Des foyers lacunaires de desintögration et de differente autres dtate cavitsir«
dn cerveau, par Marie. — Pathologie des Nervensystems. 14. Troubles trophiqsss et
troubles de la seusibilitd chez les hemipfegiquee, par Chatin. 15. Essai sur l’bömiplegie da
vieillards. Les lacunes de ddsintögration ceröbrale, par Ferrand. 16. Snr un cas d’hemor-
ragies multiples de l’encdphale chez le cheval, par Lesbre et Foi?eot. 17. On intraaziwl
thrombosis as the cause of double optic neuritis in cases of chlorosis, by Hawthorne. IS. Snr
quelques symptömes interessante ddterminös par des Idsions circonscriptes de l'encdphale ett,
par Toubert. 19. Ueber einen Pall von Erweichung im dorsalen Theil der Brücke, tod
Ransohoff. 20. Two cases of astereognosis, by Diller. 21. Die Beziehungen der Arta»
sklerose zu Erkrankungen des Gehirns, von Windscheid. 22. Ein Beitrag zur Kenntnis* der
Encephalitis, vou Spielmeyer. 23. Beitrag zu der Lehre von der infantilen Hemiplegie, toe
Marinesco. 24. Beiträge zur Klinik der cerebralen Kinderlähmungen, von Koenig. 25. Cere¬
brale Kinderlähmung und Idiotie, von Wachsmuth. 26. L’adipoee douloureuse, syndrime dr
Dercum, par Ffri. 27. Slow pulse, with special reference to Stokes-Adams' disease, by Edsi
— Psychiatrie. 28. Ueber coordinirte und assimilirte Geisteskrankheiten, von Fers«»
29. Die functioneilen Psychosen des Gremenalters, von Salgi. SO. Vom Verhältnis« der <
psychischen mangelhaften Entwickelung zu verschiedenen Kategorieen der Sprachstörung, tob
Oltuszewskl. 31. Un caso di Bclerosi tuberosa ipertrofica della corteccia cerebrale con idiosz
per Gavazzeni. 32. Un p&re cocainomane engendrant des enfants idiots, par Marfan. 33. Ui
idiota microcefalo, per D’Ormea. 34. Idiotie microcöphalique: cerveau pseudo-kystique, pst
Bourneville et OberthOr. 35. Ein Fall von tiefstehender Idiotie mit Skeletveränderungen, toi
Weygandt. 86. Agrammatismus infantilis, von Liebmann. 87. A contribution of the «ympfr
matology of cretinism and other forme of idiooy, by Koplik and Lichtenstein. 38. The « 7 *
defects which may cause apparent mental dullness and deficiency in children, by ML
39. L'hdröditö et la dögöndrescence en obstdtrique, par Larger pire et filz. 40. Das Simoliia
von Geisteskrankheiten, von Nlmeth. 41. Ueber „innere“ somatische Entartungszeichen, tsb
Nicke. 42. Wichtige Entscheidungen auf dem Gebiete der gerichtlichen Psychiatrie, tos
Schultze. 43. Strafrechtlich-psychiatrische Gutachten als Beiträge zur gerichtlichen Psychisb*
für Juristen und Aerzte, von Pfizter.
III. Bibliographie. 1. Specielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein Handbueh fr
Aerzte und Studirende, von Leube. 2. Opere complete, del Dr. Serafino Biffl. 3. Anatom«
des centres nerveux, par J. Dejerine, aveo la collaboration de Madame Dejerlno-Kluzipke-
IV. Auz den Gesellschaften. Verein för Psychiatrie und Neurologie in Wien.
V. Vermischtes.
VI. Berichtigung.
Di;
885
L Originalmittheilungen.
1. Ueber einen besonderen Kern der Formatio reticularis
in der oberen Brückenregion.
Von Prof. Dr. W. v. Beohterew.
Den Untersuchungen von Rolle», mir und Anderen ist es in letzter Zeit
gelungen, die Anzahl der schon früher wohl bekannten Kerne in der Formatio
reticularis (dazu gehört die obere Olive u. 8. w.) zu bereichern und eine
Reihe neuer, wenig bekannter grauer Gebilde in bestimmter Weise zu isoliren.
Unter diesen letzteren sind in der Reihenfolge ihrer aufsteigenden topographischen
Lagerung zu nennen:
1. Der Nucleus funiculi anterioris s. respiratorius von Misslawski
in dem verlängerten Mark theils medial, theils lateral von den Wurzeln des
N. hypoglossus gelegen.
2. Der Nucleus centralis inferior von Rollhb, in der Medulla oblon-
gata über dem cerebralen bezw. oberen Abschnitt der grossen Oliven befindlich.
3. Der Nucleus reticularis tegmenti pontis von mir, über dem
medialen Theil der Schleifenschicht
4. Der Nucleus centralis superior (s. N. medianus, s. unten) von
mir, zu beiden Seiten der Raphe in der Höhe des hinteren Vierhügelganglions.
5. Der Nucleus innominatus, ebenfalls von mir beschrieben, in der
Höhe des vorderen Vierhügels nach innen und dorsal von der Schleife, die in
dieser Gegend auf Durchschnitten Sichelform darbietet
6. Der Nucleus tractus peduncularis transversi (von mir und Dr.
Kibilzkn beschrieben), noch weiter proximalwärts gelegen, von konischer Form.
Zu diesen Gebilden tritt nun noch ein weiterer wichtiger Kern in der Formatio
reticularis hinzu. Derselbe findet sich im Niveau der Varolsbrücke unmittelbar
hinter dem Corpus quadrigeminum posterius in den tiefen Theilen der Haube. 1
Den Nachweis des in Rede stehenden Kernes habe ich zuerst an mit Pikro-
carmin gefärbten Serienschnitten des Himstammes der Katze geführt Hier
besteht er aus spärlichen multipolaren grossen Nervenzellen, die an gefärbten
Schnitten bereits mit unbewaffnetem Auge als kleine Punkte wahrnehmbar sind.
Ihrer Grösse nach stehen diese Elemente nirgends den motorischen Vorderhom-
zellen des Markes nach, ja übertreffen letztere in manchen Fällen.
Seinem histologischen Verhalten nach erinnert der Kern durch seine in¬
mitten weisser Markmassen lagernden ansehnlichen Zellelemente sehr lebhaft an
den unteren Centralkem. Wie dieser, lagert er in jenen Theilen der Formatio
reticularis, welche sich als Fortsetzungen der Seitenstranggrundbündel des Rücken¬
marks darstellen. Man kann ihn im Hinblick hierauf als Nucleus centralis
1 Abgebildet ist dieser Kern and seine topographischen Beziehungen za den Nachbar-
tbeilen in dem ersten Bande meiner „LeitangBbahnen“ (1896. St Petersbarg. Fig. 91. S. 148)
ab ncte. Im Text ist auf S. 143 von ihm die Rede.
63*
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saperior lateralis oder kurzweg als Nucleus centralis superior be¬
zeichnen. Der früher von mir beschriebene obere Centralkern würde zum
Unterschiede von dem vorigen Nucleus centralis superior medialis oder
besser Nucleus medianus zu heissen haben.
Ich habe den Nucleus centralis superior in der vorhin näher bezeichneten
Gegend auch bei dem Hunde, sowie ferner beim Menschen darstellen können.
Allein bei dem letzteren treten seine Nervenzellen an Grösse etwas zurück, und
auch der Kern selbst erscheint hier weniger scharf ausgeprägt als am Katzen-
und Hundegehirn.
Was die Verbindungen dieses Kerns betrifft, so lässt sich über dieselben
augenblicklich nur aussagen, dass er ähnlich dem unteren Centralkern in die
Bahn jener Faserzüge eingesohaltet ist, die sich an die Seitenstranggrundbündel
des Markes anschliessen. Zu letzteren steht er aller Wahrscheinlichkeit nach
in näheren Beziehungen.
2. Ueber den Lumbofemoralreflex.
Von Prot Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg.
Man ist neuerdings mit Recht auf gewisse reflectorische Erscheinung«
aufmerksam geworden, die unter pathologischen Verhältnissen auftreten, dagegen
unter normalen gewöhnlich nicht beobachtet werden. Bekannt ist, welche Be¬
deutung in dieser Beziehung noch ganz unlängst jene Varietät des Fusssohlen- ,
reflexes erlangt hat, welche jetzt als BABiNBKi’scher Reflex bezeichnet wird. Man
darf wohl mit Recht annehmen, dass die weitere Forschung in der angegebenen
Richtung noch eine Reihe anderer unter normalen Bedingungen nicht oder nur
selten zu beobachtender Reflexerscheinungen, die unter Umständen diagnostische
Bedeutung erlangen können, zu Tage fördern wird.
In diesem Sinne möchte ich hier eine eigenartige Refleierscheinung herror-
heben, die nicht selten bei Kranken mit Herderkrankungen des Brusttheiles,
des Rückenmarkes, welche zu Paresen und Reflexsteigerung der abwärtigen
Körpergebiete führen, angetroflen werden kann. Bringt man einen solchen
Kranken in halbgeheugte Stellung des Rumpfes bei leicht flectirten Knieen, so
erhält man bei Percussion (direct oder mit Plessimeter) des oberen Sacral- oder
unteren Lumbalgebietes Contractionen der Oberschenkelmusculatur, insbesondere
der Strecker, unter gleichzeitiger Contraotion der Streckmuskeln der Wirbelsäule-
Uebt man demnach mit dem Hammer methodisch Schläge auf jene Gegend
aus, so erhält man als Resultat eine Art Tanzbewegung des Rumpfes an Ort
und Stelle. In seltenen Fällen genügen bereits 1—2 Hammerschläge, um
vielfache Hebe- und Senkungsbewegungen des Rumpfes auszulösen. Bringt man
einen derartigen Kranken in sitzende Stellung, so führt Percussion der gleichen
Gegend in der Regel ebenfalls zur Contraction von Obersohenkelmuskeln. In
einigen Fällen beobachtete ich in sitzender Stellung des Kranken Contraction
der Adductoren beider Oberschenkel constant bei Percussion des unteren Lenden*
3 yGöOgI(
887
markes; in anderen Fällen geht dabei gleichzeitig Contraction der Untersohenkel-
strecker vor sich.
Die vorstehend geschilderten Reflexerscheinungen wurden von mir beob¬
achtet bei Herderkraukungen, die von spastischen Paraparesen oder Paralysen
der unteren Gliedmaassen begleitet werden, ganz besonders oft bei syphilitischen
Myelitiden, wenn dieselben über der Lendenanschwellung localisirt waren. Ausser¬
dem wurden die gleichen Erscheinungen von mir beobachtet in einem Falle von
bilateraler Gelenkatrophie der unteren Extremitäten bei hochgradiger Steigerung
der Patellarsehnenieflexe.
3. Ueber myotonische Pupillenbewegung.
Von Dr. Alfred Saenger.
In Nr. 16 d. Centralbl. wurde von Herrn Dr. J. Stbasbubgeb eine Be¬
obachtung aus der SoHULTZE’schen Klinik mitgetheilt, die ich auf Grund meiner
Pupillenuntersuchungen bestätigen kann.
Unter der Bezeichnung „myotonische Pupillenbewegung“ hatte ich die Ab¬
sicht, das in Rede stehende Phänomen in dem nächsten Band der Neurologie
des Auges mitzutheilen. Da jedoch Dr. Wilbband und ich in Rücksicht auf
die Bearbeitung des grossen anatomischen Sehuervenmaterials unseren Plan ge¬
ändert haben, indem wir im nun folgenden IH. Band uns mit den Sehnerven
beschäftigen werden, die Pupillen aber als V. Band den Schluss des ganzen
Werkes bilden sollen, so theile ich jetzt schon die folgende Beobachtung mit,
weil nun einmal die Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen gelenkt worden ist.
Die myotonische Pupillenbewegung beobachtete ich zuerst bei einer
34jährigen Dame, die am 22. November 1901 mich consultirt hatte. Sie klagte
über diffusen Kopfschmerz, der sich manchmal, wenn auch selten, bis zur Uebel*
keit mit Erbrechen steigerte. Besonders nach Blendung trat der Kopfschmerz auf.
Mit Sicherheit giebt Patientin an, erst seit 10 Jahren links eine erweiterte
Papille zu haben.
12 Jahre ist sie verheirathet; hat zwei gesunde Kinder; niemals Abort.
Der Vater Btarb an Paralyse.
Eine Schwester war geisteskrank.
Dass Patientin eine Bluterin ist, verdient besonders erwähnt zu werden.
Bei der Untersuchung der gross gewachsenen, kräftigen Dame fällt sofort
eine beträchtliche Pupillendifferenz auf. Die linke Pupille ist ziemlich
weit, etwa im Durchmesser, nicht ganz rund, eckig und ganz
starr auf Lichteinfall. Bei Aocommodation und Convergenz zieht
sich die Iris langsam zusammen und bleibt längere Zeit, l / 2 —5 Min.,
eng, um ganz allmählich dann sich wieder zu erweitern. Einmal
dauerte es 10 Minuten, bis die linke Pupille ihre ursprüngliche Weite
erlangt hatte. Bei energischer Contraction des Orbicularis oculi
verengert sich die linke Pupille ebenfalls langsam und bleibt eine
Zeit lang eng; jedoch ist die Miosis nicht so hochgradig und nicht
so langdauernd wie bei der Aocommodation und bei der Convergenz.
Die rechte Pupille ist enger, etwa 3 mm; sie ist ebenfalls lichtstarr, reagirt
Google
838
aber etwas prompter bei Accommodation und Convergenz als die linke. Sie
bleibt aber auch längere Zeit eDg und erweitert sich ganz langsam.
Unter dem WBSTiBN’schen Hornhautmikroskop ist die linke Pupille absolut
starr auf Licht. Hie und da sieht man einige hippische Bewegungen, das Ge¬
webe der Iris ist etwas rareficirt, und der Irisrand erscheint etwas verschärft.
Die rechte Pupille zeigt unter dem Wbbtisn 'sehen Hornhautmikroekop nach
unten aussen ganz geringe Bewegung. Das Irisgewebe erscheint wenig verändert;
nur an einer Stelle abgeflaoht.
Der Angenhintergrund ist beiderseits normal. Der Nahepunkt ist links in
6 cm, rechts in 6 l / t cm. S R — 3,5 O cyl — 0,5 ®/ 9 , S L — 3,6 o cyl — 05 ** ®/ 6 . An den
Himnerven findet sich nichts Pathologisches.
Die Sehnen- und Hautreflexe sind sämmlich vorhanden, beiderseits gleich
und normal (speciell die Patellarreflexe).
Die Sensibilität ist intaot, ausser dass im rechten Ulnarisgebiet sich leichte
Hypalgesieen finden.
Patientin klagt hie und da über kurze „rheumatische“ Schmerzen im linken
Arm, ferner über Congestionen nach dem Kopf und Kopfschmerz, besonders nach
Blendung.
Was die Diagnose betrifft, so lässt sich dieselbe mit Sicherheit nicht stellen
Eine luetische Infection konnte nicht nachgewiesen werden. Bei der Differential¬
diagnose zwisohen cerebraler Laes, Tabes, beginnender Paralyse und multipler
Sklerose könnte man im Hinblick auf das AnoTLL-BoBEBTsoM’sche Phänomen
am ehesten eine langsam verlaufende Tabes annehmen.
Das Interessante nun in diesem Falle besteht darin
1. dass die Patientin ein Gefühl der Weite der Pupillen hat:
Sie giebt nämlich jedes Mal mit Bestimmtheit richtig an, ob die Pupillen
weit oder eng sind. "Wenn die linke Pupille Behr gross war, so hatte sie ein
unangenehmes Gefühl (nach meiner Meinung wohl durch Blendung bedingt). Wsr
die linke Pupille verengt, so bekam sie eine krampfhafte Empfindung, die sich bis
zu einem Schmerzgefühl in der linken Kopfseite steigerte.
2. dass Patientin von selbst darauf gekommen ist, sich die Pupillen zu
verengern.
Sie benutzt dazu die Accommodation, indem sie sich den Zeigefinger dicht
vor das Auge hält und denselben längere Zeit fixirt.
3. dass diese quasi willkürliche Verengerung der Pupille abnorm
lange anhält, und dass die nun folgende Erweiterung sehr langsam
vor sich geht (myotonische Pupillenbewegung).
Hierbei möohte ich bemerken, dass die Verengerung bei Accommodation»-
anstrengung viel intensiver ist, als bei Convergenz, oder beim Zukneifen de»
Auges.
4. dass bei der accommodativen Verengerung der linken Pupille sich
auch die rechte verengt und umgekehrt.
Hierbei muss ich noch hinzufügen, dass der Patientin, wenn sie längere Zeit
geschrieben hatte und dann den Blick gegen die Zimmerthür wendete, zuerst
Alles verschwommen erschien, erst ganz allmählich trat alsdann die Einstellung
für die Ferne ein. Das Analoge fand auch in umgekehrter Weise statt.
zedby G00gle
839
Ausser Strasburgeb hat Piltz \ der neuerdings vielfach sich mit dem Studium
der Pupillenphänomene beschäftigt hat, die myotonische Bewegungsform bei
reflectorisch lichtstarren Pupillen von Paralytikern beobachtet, aber nur nach
willkürlicher kräftiger Contraction des Orbicularis oculi; während
der Erstgenannte die Pupillenträgheit nur bei Accommodation und Con-
vergenz beobachtet hat.
In meinem Falle trat die myotonische Pupillenbewegung sowohl bei der
Accommodation, wie bei der Convergenz, wie beim Lidschluss auf.
Was nun die Erklärung des in Rede stehenden Phänomens betrifft, so
stimme ich zwar Strasburgeb zu, dass Betrachtungen über den anatomischen Sitz
der zu Grunde liegenden Störungen zur Zeit noch zu keinem Ziele führen
dürften, trotzdem möchte ich aber jetzt schon den Gedanken aussprechen, dass
möglicherweise der Sitz der Störung nicht central, sondern peripher in der Iris
selbst gelegen sei, etwa analog der myotonischen Störung bei der Thomsen’-
8chen Krankheit Zur Aufstellung dieser Hypothese gelangte ich durch zahl¬
reiche Untersuchungen der Iris, die ich zusammen mit Dr. Wilbrand mittels
des W estien 'sehen Comealmikroskops in den letzten Jahren angestellt habe.
Wir haben uns oft überzeugt, dass man häufig bei den lichtstarren Pupillen
der Tabiker und Paralytiker sichtbare Veränderungen im Irisgewebe deutlich
constatiren kann. Die zahlreichen einzelnen Untersuchungen werden wir in dem
Papillenbande der Neurologie des Auges publiciren. Es sei mir nur jetzt schon
gestattet, als Paradigma dieser Untersuchungen folgenden Befund bei einer Tabes
mitzutheilen:
„Die linke Pupille ist längsoval, besitzt einen schmalen Pigmentsaum; haupt¬
sächlich in der nasalen Hälfte ist die Zeichnung des kleinen Irisringes unmittel¬
bar nach innen vom verticalen Meridian in einem schmalen Sector unterbrochen.
An dieser Stelle ist der Irisring abgeflacht und die entsprechende Partie des
Pupillenrandes flacher, wodurch hauptsächlich die längsovale Form der Pupille
bewirkt wird. Die letztere ist reflectorisch licbtstarr, dabei ist sie fortwährend
in leichten Oscillationen begriffen.
Die rechte Pupille ist eckig, namentlich nach unten und aussen hin. Der
ganze innere Irisring erscheint in der äusseren Hälfte stark abgeflacht und sichel¬
förmig zugeschärft. Er zeigt einen schmalen Pigmentsaum, während der innere
Irisring normale Plastik erkennen lässt. Zeitweise ganz minimale zuckende Ver¬
engerungen. Die Pupille ist lichtstarr.“
Zum Schluss möchte ich noch hinzufügen, dass ich eine ausgesprochene
myotonische Störung der Pupillen bewegung in letzter Zeit in mehreren Fällen
von Tabes und bei einem Paralytiker gefunden habe, jedoch dauerte niemals die
Verengerung so lange wie in dem mitgetheilten Falle, bei dem möglicherweise
eine congenitale Veranlagung mit im Spiele sein kann.
Wahrscheinlich existiren fliessende Uebergänge von der Trägheit der Pupillen
zu der von mir geschilderten myotonischen Reaction. Es wird die nächste
Aufgabe sein, mit Hülfe verfeinerter Untersuchungsmethoden Klarheit in diese
verwickelten Verhältnisse zu bringen.
1 Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 10.
y Google
840
4. Der Infraspinatusreflex: ein bisher
unbekannter Reflex der oberen Extremität des Menschen. 1
Von Prof. Dr. Steiner in Köln.
Wenn man eine bestimmte Stelle auf dem Schulterblatt« eines entkleideten
Menschen mit dem gewöhnlichen Percussionshammer zweckmässig beklopft,
während der Arm ungezwungen und natürlich in leichter Pronation am Rumpfe
herabhängt, so sieht man ohne Schwierigkeit eine Bewegung des Armes Auf¬
treten, die eine leichte Rollbewegung nach aussen darstellt.
Man erhält sogleich den Eindruck, dass es sich um eine Reflexbewegung
handelt; nicht um eine directe Wirkung des mechanisch erregten M. infra-
spinatus. Dass letzteres nicht zutrifft, folgt direct aus der Thatsache, dass es
nur ein beschränktes Gebiet der Muskelfläche ist, deren Reizung jene Bewegung
auslöst und dass gerade die Gegend, wo seine Bündel sich oonvergent gegen den
Oberschenkelkopf zusammendrängen, wo der Reiz also die grösste Summe von
Muskelbündeln auf einmal trifft, jene Bewegung niemals zu erzeugen vermag.
Dass es sich um eine Reflexbewegung handelt, dafür sind vorläufig folgende
Thatsachen anzuführen: 1. Wenn man die Auswärtsbewegung des Armes
genau beobachtet, so sieht man dass sie begleitet ist von einer Streckung
des Vorderarmes d. h. einer gleichzeitigen Thätigkeit des Trioeps brachii. Ein
Mal auf dieses Verhältniss aufmerksam gemacht finde ich, dass auch jede
willkürliche Auswärtsdrehung des Armes von einer Streckung des Vorder¬
armes begleitet wird. Das will heissen, dass man bei der angegebenen Erregung
des M. infraspinatus nicht nur eine Thätigkeit dieses einen Muskels hervorruft,
sondern vielmehr eine coordinirte Wirkung wenigstens zweier Muskeln (wahr¬
scheinlich ist auch als dritter Muskel der Teres minor betheiligt) und zwar in
der gleichen Coordinaton, wie diese Muskeln Zusammenwirken, wenn man jene
Bewegung (Auswärtsrollung) willkürlich erzeugt. 2. in einigen pathologischen
Fällen, bei denen durch anatomische Processe im Gehirn und Halsmark eine
einseitige Erhöhung der Sehnenreflexe erzeugt war, erschien in gleichem Maasse
auch diese eben beschriebene Bewegung des Armes gesteigert, während die
Reflexe der anderen Seite unverändert und viel weniger lebhaft geblieben waren.
Es kann sonach keinem Zweifel unterliegen, dass die oben beschriebene,
durch Beklopfen des M. infraspinatus ausgelöste Auswärtsrollung des Armes ein
Reflexvorgang ist Wir wollen ihn künftighin als Infraspinatusreflei be¬
zeichnen.
Um die Stelle auf dem Schulterblatte genauer zu bestimmen, deren
Beklopfung den Reflex auslöst, sucht man den Winkel auf, den die Spina
scapulae mit dem inneren Rande des Schulterblattes bildet. Wenn man sich
von hier aus in diagonaler Richtung nach dem gegenüberliegenden Rande des
1 Nach einem Vortrage, gehalten in der raed. Seetion der NiedeiTheiniaehen Geeeliwluft
für Natur- und Heilkunde in Bonn am 16. Joni 1902.
Google
841
Schulterblattes, etwa 2—3 cm weit, hin bewegt, so trifft man die Reizstelle,
welche einen etwas unregelmässig begrenzten Kreis darstellt in der Grösse etwa
eines Fünfmarkstückes. Ausserhalb dieser Umgrenzung pflegt die Reizung zu
versagen, um so sicherer, je mehr man sich von dem Kreise entfernt
Der Infraspinatu8reflei ist nach meinen bisherigen Erfahrungen ausnahms¬
los vorhanden: ich habe 50 Fälle numerisch aufgenommen, ohne ihn zu ver¬
missen; darüber hinans habe ich in der Praxis eine weitere Zahl von positiven
Beobachtungen gesammelt Schliesslich habe ich es riskirt, für die Demon¬
stration in unserem Verein den ersten besten Mann aus dem Bedienungs¬
personal zu wählen, um den Reflex zu zeigen, ohne eine Enttäuschung zu
erfahren.
Den Reflex zu prüfen ist genau so bequem wie die Prüfung des Patellar-
reflexes es ist, insofern als man ihn am bekleideten Menschen durch die Kleider
hindurch genau so sicher findet wie den Kniereflex, den wir im Allgemeinen ohne
Entkleidung prüfen. Der Infraspinatusreflex hat aber einen anderen grossen
Vortheil, worin er die bisher bekannten Reflexe sämmtlich übertrifft, nämlich
den, dass das psychische Moment, das bei jenen Reflexen häufig so störend ist,
ganz wegfällt, da wir auf dem Rücken des Individuums hantiren, welches deshalb
nach keiner Seite hin psychisch in Anspruch genommen ist.
Wir kommen nunmehr zu der Frage nach der sensiblen Bahn, welche
dieser Reflex benöthigt
Nach unseren bisherigen Erfahrungen sind vornehmlich zwei Wege in
Betracht zu ziehen: der Reflex könnte vom Knochen oder von sensiblen
Mnskelnerven ausgehen. Dass es der Knochen nicht ist, folgt aus der That-
sache, dass man das Schulterblatt an allen übrigen Stellen percutiren kann ohne
den Reflex zu erzeugen. Bleibt also noch der Muskelnerv.
Unter der Voraussetzung, dass die reizbare Stelle des Infraspinatus auch
der ausgiebigste Verbreitungsbezirk des Nerven ist, wurde bei einem jungen
Manne zunächst eine Injection von 0,04 Cocain in diese Stelle gemacht,
möglichst tief in den Muskel hinein. Der Erfolg war ein negativer, denn eine
halbe Stunde nach der Injection, lange nachdem die Haut unempfindlich ge¬
worden war, konnte der Reflex durch Beklopfen immer noch ausgelöst werden.
Zwei Tage darauf wurden demselben Manne auf der anderen Seite 0,06 Cocain
injicirt, worauf nach 20—80 Minuten der Reflex bis auf Spuren verschwunden
war. Es unterliegt keinem Zweifel, dass bei weiterer Steigerung der Cocaindose
der Reflex spurlos verschwunden sein würde. Indess genügt dieser Versuch aus¬
reichend, um zu lehren, dass die centripetale Bahn der sensible Muskelnerv und
dass der Infraspinatusreflex ein Muskelreflex ist
Die Annahme, dass die Fascie, welche den M. infraspinatus in ziemlicher
Stärke bedeckt, der Ausgangspunkt des Reflexes sein könnte, ist abzulehnen,
nachdem M. Stebnbebg die Fascien-, Periost- und Gelenkphänomene auf das
Knochenphänomen zurücbgeführt hat
Der vorliegende Reflex zeigt uns in ausserordentlich deutlicher Weise die
günstigsten Bedingungen, welche für sein Zustandekommen nothwendig sind:
GoogI<
842
ein platter Muskel ausgebreitet über einen flächenhaft gebildeten Knochen, so
dass das vom Schlage getroffene Muskelbündel bezw. der sich daselbst ms-
breitende Nerv wie auf einem Amboss gehämmert wird, während die Verhältnisse
umgekehrt recht ungünstig liegen bei den dickbäuchigen Muskeln, die auf einem
Röhrenknochen mit convexer Oberfläche liegen, wo sie dem mechanischen Beize
leicht ausweichen.
Dass der Infraspinatusreflex für die Pathologie des Nervensystems von Be¬
deutung ist, geht aus den oben mitgetheilten Beobachtungen schon hervor;
wie gross seine Bedeutung sein wird, können erst weitere Ermittelungen lehren,
ln 10 Fällen von landläufiger dorsolumbaler Tabes, die bis 8 Jahre alt sind,
die ich eigens auf diesen Reflex geprüft habe, ist er in keinem Falle vermisst
worden; nur ein Mal war er rechts stärker, als links.
Unter der Voraussetzung, dass der Infraspinatusreflex in seiner Eigenschaft
als echter Muskelreflex prinoipiell denselben Vorgang darstellt, wie die bekannten
Sehnenreflexe, dürfte sein oben mitgetheiltes Verhältniss zur Tabes sehr geeignet
sein, eine Streitfrage zu entscheiden, die zwischen Fbknkel (Heiden) und Mohb
auf diesem Gebiete besteht Der um die Therapie der Tabes so wohlverdient#
Forscher glaubt nämlich beweisen zu können, dass bei der landläufigen dorso- ■
lumbalen Tabes die Sehnenreflexe an den oberen Extremitäten const&nt fehlen.
„Im Frühstadium fehlen dieselben bei etwa 70°/ o , während der Patellarreflei
in diesem selben Stadium nur etwa in 50°/ 0 fehlt“. 1 Praktisch würde diese
Erfahrung also darauf hinauslaufen, dass für die Frühdiagnose der Tabes der
Ellenbogenreflex (an welchem jene Erfahrungen gesammelt sind) noch wichtig« j
wäre als der Kniereflex.
Dem gegenüber kommt Mohb nach Prüfung an dem Krankenmaterial der
Oppenheim’schen Poliklinik zu dem Schluss, dass das Fehlen der Armsehnen-
phänome ganz bedeutungslos ist Bei Gesunden fehlt der Ellenbogenreflei in
etwa 33%; bei 16 Tabesfallen, in denen der Kniereflex stets fehlt, fehlte der
Ellenbogenreflex nur acht Mal, also in der Hälfte der Fälle. 1 Man mus
darnach zugeben, dass der Widerstand von Mohb gegen die FBENKEL’sche Be¬
hauptung wohl begründet ist Das oben mitgetlieilte, an 10 Tabikern gefundene
Resultat würde Fbenkel in’s Unrecht setzen.
Nebenbei sei noch bemerkt, dass der Tricepsreflex den Infraspinatusreflex
für die Diagnostik nicht ersetzen kann, da nach der mir von Kochbb vor¬
liegenden Tafel jener im sechsten, dieser aber im fünften Cervicalsegment wurzelt
d. h. die beiden Reflexe sind nebeneinander für die Segmentdiagnose des
Rückenmarkes recht brauchbar und werthvoll.
Zum Schluss möchte ich noch einer Erscheinung gedenken, die man beim
Aufsuchen des Infraspinatusreflexes bezw. Beklopfen des Schulterblattes zu sehen
bekommt: Wenn man sich nämlich percutirend der Gegend des Oberannkopfes
1 Fkbnkul, Mechanische Moskelerregbarkeit nnd Sehnenreflexe bei Tabes dorsali*-
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. S. 279.
* Mohb, Zar Physiologie und Pathologie der Sehnenphänomene an den oberen Extre¬
mitäten. Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1901. S. 197.
GoogI<
843
nähert, so erscheint neben dem Infraspinatusreilex ab und zu noch eine andere Arm¬
bewegung, die sich darstellt als Entfernung des Armes vom Rumpfe bezw. Erhebung
des Armes. Man beklopft nämlich die hinteren Theile des Deltamuskels. Ich
habe den Eindruck, dass es sich auch hier um einen Reflex (Deltareflex) handelt,
denn es ist schwer zu verstehen, wie die directe Reizung einer nicht grossen
Anzahl von Muskelfasern eine so wohl charakterisirte Bewegung des Armes soll
erzeugen können. Aber beweisen kann ioh die reflectorische Natur dieser Be¬
wegung vorläufig nicht (habe mich übrigens damit auch noch nicht beschäftigt),
glanbte aber diesen eventuellen Deltareflex hier erwähnen zu sollen, um jeder
Verwechslung mit dem Infraspinatusreflexe vorzubeugen.
5. Weiteres zur Kenntniss des Supraorbitalreflexes.
Von Dr. D. J. MoCarthy,
Associate in William Pepper Clinical Laboratory,
Univ. of Pennsylvania, Phila.Pa.U.S.A.
Vor einiger Zeit habe ich in diesem Centralblatt 1 einen neuen Reflex be¬
schrieben, dem ich den Namen Supraorbitalreflex gab. Auf S. 930 desselben
Jahrgangs äussert sich v. Bechterew dahin, dass er den Namen Supraorbital¬
reflex nicht für gerechtfertigt halte. Er begründete seine Bedenken folgender-
maassen: „dass der Reflex . . . nicht als fibrilläre, sondern als gewöhnliche
Contraction des M. orbicularis in die Erscheinung tritt und ferner, dass er
auslösbar ist, nicht bloss durch Percussion im Verästelungsgebiete des Supra¬
orbitalnerven, sondern auch von der ganzen Regio fronto-temporalis, ja vom
Jochbein aus hervorgerufen werden kann, wo Verästelungen des genannten
Nerven nicht Vorkommen. Bei solcher Sachlage glaube ich, dass der betrachtete
Reflex nicht eigentlich ein Reflex des Stammes des N. supraorbitalis sei, sondern
einen gewöhnlichen periostalen Reflex darstelle.“ Dies ist entschieden nicht der
von mir beschriebene Reflex. In manchen Fällen sieht man überhaupt keine
Bewegung der Lider. Der Reflex ist nicht, wie gesagt, eine Muskelreaction,
sondern eine fibrilläre Contraction. Die fibrillären Zuckungen dieser Muskel¬
fibrillen des Unterlides und nicht die Bewegung der Lider machen den Reflex
aus. Gröbere Zuckungen der Lider, oder gar Zukneifen der Augen, sind will¬
kürliche oder halbwillkürliche Bewegungen, die durch die Furcht vor dem
Schlag oder dem Schmerz des Beklopfens ausgelöst werden. Ein weiteres
Moment muss berücksichtigt werden, nämlich die mechanische Reizbarkeit der
Facialisfasera (CHvosTEK’sches Symptom). Bei normalen Individuen findet
man diese Reizbarkeit öfter als im allgemeinen angenommen wird; sie erklärt
wahrscheinlich die Zuckungen, die man beim Beklopfen des Jochbeins zu sehen
pflegt Aber diese Reaction ist keineswegs die fibrilläre Reaction, die ich be¬
schrieben habe.
Google
1 1901. S. 800.
844
In meiner Mittheilung behaupte ich, dass dieser Reflex nicht ansgelöst
werden konnte: 1. nach Durchschneidung des N. supraorbitalis. 2. in einem
Falle von Gehimsyphilis mit Gumma des Quintus innerhalb des Schädels. 3. bei
Facialislähmung. In dem folgenden Falle wurde der N. supraorbitalis zweimal
durchschnitten; da jedoch einzelne Fasern sich wieder regenerirten, wurde eine
dritte Operation ausgeführt. Hierbei gelang es nicht den Nerven zu Anden;
jedoch fand sich nach der Operation ein Gebiet, das sich fächerförmig von
der Narbe nach oben ausdehnte und vollständig anästhetisch blieb. Fibrilläre
Zuckungen konnten im Unterlid beobachtet werden, sobald man ausserhalb
dieser anästhetischen Zone beklopfte; beklopfte man jedoch innerhalb dieser Zone,
so blieben die Zuckungen aus.
Auf Vorschlag des Herrn Dr. S. Weib Mitchell untersuchte ich, ob bei
einer normalen Person der Reflex durch Nadelstiche, Kälte oder Wärme in der
Supraorbitalgegend ausgelöst werden konnte. Es fand sich in der That,
dass Nadelstiche, Kälte- und Wärmereiz die charakteristischen
Zuckungen hervorbrachte, ln einem Falle, wo der Reflex sehr lebhaft war,
konnten Nadelstiche in der gesammten Supraorbitalis-Verbreitung den Reflei
im Unterlide auslösen. In keinem Falle gelang es mir jedoch, den Reflex im
Unterlide durch Nadelstiche in die Haut über dem Jochbein auszulösen.
Alle diese Thatsachen beweisen zur Genüge, dass der von mir beschriebene
Reflex kein Periostreflex ist
Erwiderung auf Dr. Hndovernig.
Hudovernig 1 erklärt den Supraorbitalreflex folgendermaassen: „das fibrilläre
Zittern im M. orbicularis palpebrarum ist nur eine Weiterverbreitung der
mechanischen Muskelreizung auf einen benachbarten und von demselben Herr
innervirten Muskel.“ Ich hatte vor kurzem Gelegenheit, zusammen mit Herrn
Prof. Spilleb einen Fall zu untersuchen, in dem die sensorische Wurzel des
Ganglion Gassen durchschnitten worden war. Weder Prof. Spilleb noch mir
gelang es, auf der anästhetischen Seite den Reflex auszulösen. Die mechanische
Reizbarkeit des M. frontalis und der anderen vom N. facialis innervirten Muskeln
war vollkommen erhalten, ja sogar gesteigert; nichts desto weniger gelang es
nicht, den Supraorbitalreflex auszulösen. Hieraus erhellt, dass der Reflex nicht
„eine Weiterverbreitung der mechanischen Muskelreizung u. 8. w.“ ist, wie Hdtk>
vebnig sagt. Hudovebnig wurde zu seinen Schlussfolgerungen durch die Be¬
obachtung geführt, dass der Reflex in einem Falle von Tic douloureux, m
welchem das Ganglion Gassen entfernt worden war, noch ausgelöst werden
konnte. In dem oben erwähnten Falle von Durchschneidung der sensorischen
Wurzel des Quintus und in noch einem andern Falle, in dem Prof. Kebn das
Ganglion Gassen im Jahre 1895 entfernte (und in welchem die Quintusgegend
noch heute anästhetisch ist) fehlte der Reflex gleichfalls. Diese beiden Fälle
und der oben erwähnte Fall von Gehimlues wurden vor der Philadelphia
Google
1 Neurolog. Centr&lbl. 1901. S. 9S8.
845
Neurological Society gezeigt und die Abwesenheit des Reflexes demonstrirt. Ich
möchte noch besonders hervorheben, dass das Ganglion Gassen in der Mehrzahl
der Fälle, wo seine vollständige Entfernung auf operativem Wege angestrebt
wird, nur zum Theil wirklich entfernt wird. Spilleb hat drei derartige Fälle,
die von Keen operirt worden waren, untersucht und fand, dass das Ganglion
Gassen nur in einem der drei Fälle vollständig entfernt worden war. Fälle
dieser Art können daher nicht zum Beweise für die Gegenwart oder Abwesen¬
heit meines Reflexes nach „Entfernung“ des Ganglion Gassen herangezogen
werden.
Zum Schluss möchte ich den Herren Dr. S. Weib Mitchell und Prof.
Spilles für ihren Rath in dieser Untersuchung und Herrn Dr. Wm. J. Tatlob
für die freundliche Ueberlassung der Fälle meinen Dank aussprechen.
6. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie.
Von Dr. med. August Diehl, Nervenarzt in Lübeck.
Bei dem Versuche, die Krankheitsbilder eines grossen, etwa poliklinischen
Materiales nach Diagnosen einzuordnen, vermag man gewiss viele reine Fälle
unter dem Titel Hysterie, viele unter constitutioneller Neurasthenie, viele unter
erworbener Neurasthenie unterzubringen. Dann stösst man auf Fälle, wo die
Neurasthenie in ihrer Unterscheidung, ob constitutionell oder erworben, Schwierig¬
keiten bietet. Das liegt in der Natur des Leidens und ist dem Fach-
manne ohne Weiteres verständlich. Aber eine Unklarheit und eine Uneinigkeit
herrscht über eine grosse Gruppe von Krankheitsfällen, die heute noch mancher¬
orts aus Verlegenheit unter dem Titel Hystero-Neurasthenie zusammengefasst
werden müssen, weil die genaue Untersuchung ein so grosses Symptomengewirr
zu Tage fordert, dass man aus der Menge der Angaben nicht das Mehr zu
übersehen vermag, was ausschlaggebend für Hysterie oder Neurasthenie sein muss.
Wird derselbe Fall von mehreren Fachmännern beurtbeilt, so hält sich der eine
an diese, der andere an jene Auffassung. Soll nun jeder eine Begründung
geben, die überzeugend für den andern ist, so bringt er Momente vor, die nirgends
als streng hysterisch bezw. neurasthenisch gekennzeichnet und erwiesen sind.
Und wie selten bleibt da der herrliche Beweis aus: Der Fall erinnert mich in
allem so sehr an diesen oder jenen, der sicher etwa hysterischer Natur ist u. s. w.
Dann muss statt des Beweises jenes Unaussprechliche genügen, was Manchem
aus eigner langer Erfahrung zur persönlichen Verwerthung unstreitig ein werthvolles
Hülfsmittel im Diagnosticiren sein kann. Aber damit überzeugt man nicht von
der Gültigkeit einer Diagnose. Klarheit in diese dunklen Gebiete gewinnen wir
nur dadurch, dass mit der fortschreitenden Erkenntniss die Eigenart der einzelnen
Symptome, ihr Specifisches festgestellt wird. Wir dürfen nicht zweifeln, dass
auf jedem Gebiete ein und dieselbe Aeusserung des Kranken psychologisch sehr
verschiedene Quellen haben kann, und in der Erforschung dieser Quellen, der
Google
846
Wurzeln dessen, was oberflächlich genug ist, um sinnenfällig zu werden, erWk&e
ich den einzigen Weg, der uns in der Psychologie und Psychopathologie da
weiterfahren kann, wo an der Aehnlichkeit der Bilder ihre präcise Beurtheilong
und Einordnung in anerkannte, aber möglichenfalls sogar falsche Gruppen scheitert. '
Derselbe Weg in der Forschung wird unsem leider nur zu oft gebrechlichen
diagnostischen Gruppen das Maass ihrer Existenzberechtigung zuweisen.
Zum Verständniss muss ich vorausschicken, dass ich mich des Wortes „Nenr-
asthenie <( in seinem grossen Umfange bediene. Darin folge ich einer fast all¬
gemein verbreiteten Gewohnheit, obwohl nach meiner Ansicht manche Formen
psychischer Degeneration, wie das Bild des Zwangsirreseins, der constitutioneilen
Verstimmung und andrer rein psychopathischer Zustände, sehr wohl von da
grossen Gruppe Neurasthenie bereits losgelöst werden können.
Keine andern Kranken treten dem Arzt mit so regem Redebedörfniss ent¬
gegen, wie die mit den hier behandelten Leiden Behafteten. Der Arzt, der durch
ein Einhaltgebieten der langathmigen Erzählungen bei diesen Patienten gleich
sehr viel an therapeutischem Einfluss verlieren würde, muss mit grosser Geduld
die meist nur wenig variirenden Schilderungen über sich ergehen lassen. Da
hört man über das geringfügigste Symptom den Kranken die kühnsten Ver¬
muthungen und Vorschläge zur Beseitigung aufstellen. Mit entsetzlicher Ge¬
wissenhaftigkeit berichtet er, dass er sich Abends 2 Mal umlegen müsse, bß
er einschlafe, dass er nur schlafen könne, wie er ausprobirt habe, wenn die
Waden ohne die Füsse feucht abgerieben seien u. 8. w. Nun fiel mir von jeher
auf, dass von hysterischen Kranken über das allerdings in den Vordergrund ge¬
hobene Symptom der schrecklichen Angst so wenige Einzelheiten spontan aus¬
geführt wurden. Das stand so gar nicht im Einklänge mit ihrer Art, detaillirt
zu schildern, und dieses Verhalten bildete einen überraschenden Gegensatz mm
Benehmen constitutioneil Neurasthenischer, die über ihre Angst und Angst¬
zustände eine Fluth von Mittheilungen hervorbringen müssen. Diesem Punkt«
wandte ich, seitdem er mir aufgefallen war, in allen weiteren Fällen meine Auf¬
merksamkeit zu und möchte an zwei ausgewählten Krankengeschichten den Unter¬
schied illustriren.
Ein Brief aus der Hand eines Freundes des Pat X. kündigte mir diesen
an und enthielt die Bitte, dem Selbstmordcandidaten so lange beizustehen, bß
er aus seinen Verhältnissen losgelöst sei.
Patient X., 27 Jahre alt, kam in die Sprechstunde mit der Bemerkung, ö
sei ganz degenerirt, er leide an einer entsetzlichen Angst bei Allem und übertU
und wolle nur wissen, ob es Melancholie oder Hypochondrie(1) sei. Familie
ist er neuro- und psychopathisch schwer belastet. Ein Onkel war hochgradiger
Alkoholist und ging dabei zu Grunde; ein Vetter ist epileptisch; die Eltern böi»
„übernervös“; ein Bruder ist ein genialer Phantast, der es an Nichts bringt P* 4 -
sei als Kind schon sehr erregbar, zornig, trotzig gewesen. In der Dentition traten
Krämpfe auf. Als Schüler zeigte er Talent für Sprachen; er separirte sich mög¬
lichst von seinen Altersgenossen, grübelte gerne nach und las sehr früh „ungeheuer
viel“. Masturbation wird vom 13.—16. Jahre in massigem Grade zugegeben-
Dann erlahmten die sexuellen Regungen, ohne sich bisher fordernd geltend ge-
■ y Google
847
macht zu haben. Mit 16 Jahren habe er seine Degeneration erkannt, nachdem
er alles, was ihm nur erreichbar war, darüber durchstudirt hatte. Seither leidet
er unter dem Bewusstsein seiner Minderwertigkeit. Die kaufmännische Thätig-
keit, die ihn garnicht befriedigte, musste er immer auf’s Neue unterbrechen, so¬
bald er nur etwas gearbeitet hatte; dann war er so müde, so herunter, dass er sich
nicht zu halten wusste. Allen erdenkbaren Kuren unterzog er sich mit der Zeit.
Weder Massage noch Licht und Ueberernährung, weder Wasser noch 10 Wochen
in Lehm besserten ihn nennenswerth. Sobald er nach halbjähriger Pause sich der
Arbeit zuwandte, lähmte ihn das alte Leiden. Seit 2 Jahren traten neue Qualen
in Form der Angstzustände hinzu; sie charakterisirten sich als Zwangsbefürch¬
tungen. Zunächst packte ihn die Erythrophobie bei jeder nur etwas ausser-
gewöhnlichen Gelegenheit; dann kam die Angst, ein Herzleiden zu haben, weil
Herzklopfen mit Schweissausbruch sich einstellte, sobald er etwas leisten wollte.
Langsam gesellte sich schon damals die Befürchtung, geisteskrank zu werden,
hinzu. Während des ganzen letzten Jahres hatte Pat, sich Buhe gegönnt und
„alles für sich gethan“. Als er die Arheit nun wieder aufnahm, lag er ganz im
Banne der Angst, die von Zwangsvorstellungen und Zwangsbefürchtungen meist
ausging. Im Zimmer schliesst er die Fenster, damit er sich nicht hinausstürzen
kann; er vermeidet ihre Nähe. Im Theater stemmte er sich über 1 Stunde gegen
die Bückenlehne, als er in der 1. Beihe des H. Banges sass, und drückte sioh mit
den Händen von der Brüstung weg, die genügend hoch war, um ein Herunterfallen
unmöglich zu machen, damit er nicht hinunterspringe. So lief er endlich hinaus,
weil er Angst hatte, er könne laut hinunterbrüllen, während lautlose Stille
herrschte. Auf die Strasse wagt er sich nur ungern; er könne zusammenbrechen,
man merke seine Degeneration und Zittrigkeit. Die Häuser drohten in der Ferne
über die Strasse zusammenzustürzen. Der Boden war ihm weich und filzig unter
den Füssen u. s. w. u. s. w. Diese Befürchtungen engten ihn immer mehr ein,
und in seiner Angst vor Allem habe er vor 8 Tagen sich erschiessen wollen. Da
sei Abends sein Freund gekommen, der ihn wieder etwas ermunterte. Er komme
nun nochmals zum Arzt und wolle wissen, ob es Melancholie oder Hypochondrie
sei(ü); eines dieser Leiden sei es bestimmt, das lasse er sich nicht ausreden.
Pat. schilderte seine Qualen in glühenden Farben und mit Gebärden, die seine
tiefe Ergriffenheit verriethen. Die Angst malte sich in seinen Zügen so deutlich,
wie seine Verzweiflung darüber. Er müsse dem Arzt ja alles sagen und darum
erzähle er auch jedes. Ein reicher Wortschatz stand ihm dabei zu Gebote.
Die körperliche Untersuchung ergab Unsicherheit und Tremor in den Händen,
den Beinen, an der Zunge und in jedem angespannten Muskelgebiet. Hände und
Füs 86 sind kalt und besetzen sich mit Schweisströpfchen. Alles ist in steter Un¬
ruhe; die Sprache iBt überstürzt, die Mimik excessiv; daneben besteht unwillkür¬
liches Zucken im Gesicht und vorübergehendes Trillern des linken Augenlides.
Die Augen sind verschwommen, liegen tief im Kopfe und lauern misstrauisch auf
alles. Die Pupillen sind sehr weit. Die Sensibilität ist am ganzen Körper normal.
Glaumenreflex ist erhalten; alle Sehnenreflexe sind erhöht. Die Psychopathie seines
Wesens ist noch illustrirt durch seine enragirte Theilnahme an der Bewegung
der Alkoholabstinenz und des Vegetarismus.
So oft und eingehend ich den Kranken auch nach seiner Angst fragen mochte,
immer stellte sioh heraus, dass seine Vorstellung einen bestimmten Inhalt hatte,
auf den sich die Angst bezog. Immer konnte er sagen, warum er sich ängstigte.
Eine Angst, die gegenstandslos war, stellte er trotz direct suggerirender Fragen
entschieden in Abrede.
> y Google
(Schluss folgt.)
848
EL Referate.
Anatomie.
1) On the natural preservation of the brain in the anoient Egyptians, bj
G. Elliot Smith. (Journ. of Anat. and Phys. XXXVL 1902.)
Verf. giebt die Abbildung der lateralen Convexität und der Medianfliche
eines mumificirten Gehirnes, welches einem Schädel aus der Zeit der 12.—15.
egyptischen Dynastie (etwa 2000 v. Chr.) angehört. Die Hälfte der Insel ist
unbedeckt (Kunstproduct?). Die Deutung der Furchen der Medianilache scheint
dem Ref. noch sehr zweifelhaft. Th. Ziehen.
2) Der Nuoleua salivatorius ohordae tympani (nervi intermedii), von Dr.
Oscar Kohnstamm. (Anatomischer Anzeiger. XXI. 1902.)
Verf. konnte nach Durchschneidung derjenigen Fasern der Chorda tympani,
welche die Submaxillardrüse innerviren, beim Hunde Nissl-Degeneration einer
Gruppe von Zellen nach weisen, für welohe er die Bezeichnung ,.Nucleus sali-
vatonus“ vorschlägt, weil sie als Ursprungszellen der im Ganglion submaxillare
endigenden, „präcellulären Fasern“ anzusehen sind. Diese Zellen beginnen kun
vor dem caudalen Pol des Facialiskerns aufzutreten und enden am frontalen Ende
des motorischen Quintuskerns. Sie sind demnach über ein weites Areal zerstreut
das medial von der Raphe, lateral vom Deiters'sehen Kern, dorsal vom Ventrikel¬
boden begrenzt wird. Die Zellen nähern sich morphologisch den motorisch«
Zellen des Vorderhorns und der motorischen Himnervenkerne und entsprechen in
ihrer Gesammtheit dem Ursprungskern der gekreuzten Facialis* und Trigeminus-
fasern. Der grösste Theil der aus ihnen hervorgehenden Wurzelfasern verläuft
gekreuzt und ist offenbar identisch mit den unter dem Ventrikelboden „kreuzendes
Facialisfasern“, die von Flatau und Wyrubow in Fällen von Caries de«
Felsenbeins mit der Marchi-Methode nachgewiesen worden Bind. Sie verlassen das
Gehirn grösstentheils als N. intermedius Wrisbergii. Mit ihnen zusammen treten
auch die im Ganglion geniculi vorhandenen sensiblen Antheile des Intermedius ein.
Der Nucleus salivatorius steht vermutlich der Innervation sämmtlich«
Speicheldrüsen vor. Der N. intermedius, dessen Fasern von der Peripherie Chord»
tympani genannt werden, erscheint nunmehr als ein vollständiger (und selb¬
ständiger) motorisch-sensibler Hirnnerv der Trigeminus*Vagusgruppe.
Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
3) Becherohes experimentales sur les voies aooustiqu.es, par M®* Wer«
Dantchakoff. (Bulletin de l’Acadömie royale de mödecine de Belgiqoe-
1902. 22. März.)
Die Verfasserin hat auf experimentellem Wege die Bedeutung und histo¬
logische Stellung der hinteren Vierhügel und besonders der Corpora geniculat»
interna innerhalb der centralen Acusticusbahn aufzuklären versucht. An 14 Ka n inchen
wurden in mehr oder weniger vollständiger Weise die betreffenden Central von
ihrer Umgebung durch Einschnitte getrennt. In 3 Fällen gelang die Isolirnng
des Corpus geniculatum interaum auf einer Seite von seinen proximalen und
caudalen Verbindungen vollkommen. Bei anderen Thieren wurde dieses Ganglion
3 yGöOgI(
849
entweder von den nach vorn oder von den naoh hinten angrenzenden Hirntheilen
durch Messer getrennt. Die Operation war bei der Mehrzahl der Thiere von
Prof. Maheim ausgeführt worden. Von den erhobenen Befunden ist zunächst
beraerkenswerth, dass ein grosser Theil der Zellen des Ganglion genic. int. nach
vollkommener Isolirung von den Gebilden de%> Nachbarschaft erhalten bleibt, und
zwar sollen dies in seinem oberen Kern etwa die Hälfte, ferner die laterale Zone
der mittleren Partie und ausserdem zerstreute Exemplare in seinem caudalen
Theile sein. Aus dieser Thatsache zieht die Verfasserin den Schluss, dass diese
erhalten gebliebenen Exemplare die Rolle von Schaltzellen (cellules intercalaires)
im Sinne Monakow’s spielen.
Ueber die Beziehungen zwischen Corpus geniculatum und hinterem Vierhügel
giebt die Verfasserin Folgendes an: Das Corpus quadrigemin. posterius ist dem
Corpus geniculatum als Centrum nicht untergeordnet und ist auch durch den
hinteren Verbindungsarm mit dem Corpus geniculatum gar nicht oder nur in
geringer Weise verbunden, da die Zerstörung dieses Faserzuges die Zellen des
hinteren Vierhügels im allgemeinen intact lässt.
Die einzige Möglichkeit einer Verbindung dieser beiden Centren könnte durch
Fasern gegeben sein, welche aus dem oberen Kern des Corpus geniculatum in-
ternum nach dem hinteren Vierhügel ziehen, weil hier gelegentlich nach Durch¬
trennung des hinteren Armes eine partielle Chromatolyse der Zellen be¬
obachtet wird.
Die hinteren Vierhügel stehen mit der Hirnrinde in directer Verbindung,
dieselben haben als Centren im histologischen Sinne eine ähnliche Bedeutung wie
die äusseren Kniehöcker. Bei Zerstörung der temporalen Verbindung tritt in den
Zellen der hinteren Vierhügel eine deutliche Chromatolyse ein. Diese Verbindung
zwischen hinterem Vierhügel und der corticalen Hörzone Munk’s geschieht zum
Theil auf gekreuzten Wegen, weil die Zerstörung der temporalen Verbindungen
auf einer Seite Zellveränderungen in beiden hinteren Vierhügeln zur Folge hat.
Bei ihren experimentellen Untersuchungen konnte die Verfasserin eine be¬
stimmte Degenerationsform der Zellen häufig beobachten, welche sie als pykno-
morphe Degeneration bezeichnet: der Kern dieser Zellen erscheint geschrumpft,
die Nissl’schen Körper sind dicht gedrängt bezw. aufgestäubt, der Zellleib dabei
dunkel gefärbt; in der Umgebung der so veränderten Zellen sind die Kerne der
Neuroglia gewuchert. Dieser pyknomorphe Zustand sei möglicherweise das
Vorstadium einer weiteren Veränderung, welche man als Petrification der Zelle
zu bezeichnen berechtigt ist. In diesem handelt es sich um eine Imprägnation
des Zellleibes mit Kalksalzen. Speciell die Kaninchen, deren Körpersäfte einen
grossen Reichthum an Kalksalzen aufweisen, seien zu dieser Petrification kranker
Zellen prädisponirt. Max Bielschowsky (Berlin).
4) On the snpposed reversal of the law of oontraotion in degenerated
musoles, by May. (Brain. 1902. Spring.)
Die Angabe der Kliniker, dass im degenerirten Säugethiermuskel die AnSZ die
KSZ überwiegen kann, widerspricht dem Pfüger’schen Gesetze und auch sonstigen
physiologischen Erfahrungen. Nach May’s Untersuchungen ist diese Umkehr der
Zuckungsformel nur eine scheinbare. Braucht man, wie die Kliniker beim Menschen,
am degenerirten ThiermuBkel eine breite Elektrode, so kommt es zu der schein¬
baren stärkeren Wirkung der Anode, nimmt man aber feine nadelförmige Elek¬
troden zur Reizung und beobachtet genau die Muskelfasern, die direct von der
Elektrode berührt werden, so überwiegt auch hier die KSZ. Die scheinbar über¬
wiegende AnSZ bei Anwendung breiter Elektroden ist in Wirklichkeit eine peri¬
polare Kathoden Wirkung; denn auch wenn man die Anode einwirken lässt, hat
64
■GoogI<
850
doch jede Muskelfaser anodische and kathodische Punkte; die kathodischen Punkte
breiten sich aber weiter im Muskel aus, als die anodischen. Da non bei der
Degeneration der Muskel sogleich eine gesteigerte elektrische Erregbarkeit hat,
so wird die weit ausgedehnte peripolare Kathodenwirkung deutlich sichtbar und
imponirt als Anodenwirkung. (Für die Diagnose einer degenerativen Muskel¬
lähmung ist nicht die sogenannte Umkehr der Zuckungsformel, sondern die Träg¬
heit der Zuckung mit eventuell gleichzeitiger erhöhter Erregbarkeit charakteristisch;
AnSZ > KSZ beweist allein nichts für Entartungsreaction; es ist das ein Irrthum,
den man manchmal noch, besonders bei nichtdeutschen Autoren, findet. Bef)
Bruns.
5) Ueber die oortloalen sekretorischen Oentren der wichtigsten Ver-
dauongsdrüsen, von W. v. Bechterew. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1901
Phys. Abthlg.)
Verf. giebt zunächst eine kritische Uebersicht über die Experimente bezüglich
der corticalen Centren der Speichelsekretion. Er hält gegenüber den Ein-
wänden von Eckhard und Fluck daran fest, dass im Gebiet des Gyros sopra-
sylvius anterior (s. coronalis) ein Centrum für die Speichelabsondemng (Chorda¬
speichel) gelegen ist. Er stützt sich dabei namentlich auf die neuen Versuchs-
ergebnisse von Bary (1899) und Kerber (1900). Ebenso nimmt Verf. auf
Grund der Versuche von Gerwer (1899) an, dass ein umschriebenes, lateral
vom Gyros praecruciatus gelegenes Gebiet bei dem Hund die chemische Tbätig-
keit der Magendrüsen beeinflusst. Dieser Einfluss wird durch die Nn. v&gi
vermittelt. Nach noch nicht veröffentlichten Versuchen von Narbut bedingt
ferner Reizung der Grosshirarinde im mittleren Abschnitt des Gyrus praecruciatus
eine Absonderung von Pankreassaft. Endlich soll nach Versuchen vonWirsa-
ladse der innere Abschnitt des Gyrus praecruciatus die Gallen Sekretion beein¬
flussen. Bemerkenswerth ist, dass in diesen Versuchen, ebenso wie z. B. auch in
den Bary’schen, die bez. Sekretion bei Rindenreizung nicht stets, sondern nur
in der Mehrzahl der Fälle auftrat Th. Ziehen.
6) Ueber die spinalen Athmnngabahnen, von M. Rothmann. (Archiv i
Anat u. Phys. 1902. Phys. Abthlg.)
Auf Grund von Versuchen an Hunden im Munk’schen Laboratorium kommt
Verf. zu dem Ergebniss, dass die von der Oblongata zum Rückenmark gelangenden
respiratorischen Erregungen mit dem Hinterseitenstrang und dem Proceesus
reticularis des Rückenmarks nichts zu thun haben. Die spinalen Athmungsbahnen
laufen vielmehr grösstentheils im vorderen Seitenstrang, und zwar vorwiegend im
ventralen Theil desselben, zum kleinen Theil auch im lateralen Theil des Vorder-
Strangs. Ausschaltung beider Seitenstränge hebt die Athmung nicht sofort auf,
wohl aber Ausschaltung beider Vorder- und Vorderseitenstränge. Die für die
Zwerchfellinnervation bestimmten Fasern verlaufen ganz oder beinahe ausschliesslich
durch den Vorderseitenstrang, die für die Thoraxathmung bestimmten Fasern
grösstentheils durch den lateralen Abschnitt des Vorderstrangs.
Th. Ziehen.
7) Ueber das Verhalten der Blutgefässe im Gebiet durchsohnittener vaso¬
motorischer Nerven, von L. Jo res. (Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat
XXXII.)
Verf. dnrchsobnitt bei einer Reihe Kaninchen den Halseympathicns und er¬
hielt dadurch eine bis 0 Monate andauernde Gefasserwedtemng des Ohres, die
GoogI<
851
durch tägliches Reiben desselben unterhalten bezw. noch gesteigert wurde. Diese
Gefässerweiterung konnte auch post mortem noch durch mikroskopische Messung
festgestellt werden. In keinem Falle konnte er dagegen irgendwelche Verände¬
rungen der Intima finden, und dadurch stellt er sich in Gegensatz zu den von
anderen Untersuchern (Fränkel, v. Czyhlarz, Thoma u. A.) erhobenen Be¬
funden. Die von jenen gefundenen endarteriitiscben Veränderungen führt er in
Hauptsache auf begleitende trophische Störungen, Geschwulstbildungen u. ähnl.
zurück, die bei seiner Versuchsanordnung fehlten. H. Haenel (Dresden).
Psychologie.
8) Bestimmungen der einfachen Reactionszeit bei Europäern und Malayen,
von G. Grijns. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1902. Phys. Abthlg.)
Verf. hat bei in den Tropen lebenden Europäern und Malayen mit Hülfe
des Engelmann’schen Pantokymographions die einfache Reactionszeit für elek¬
trische Hautreize bestimmt, leider ohne den wichtigen Unterschied zwischen
musculärer und sensorieller Reaction zu beachten. Bei neuangekommenen
Europäern betrug die Reactionszeit 296 Tausendstelsecunden, nach langem Aufent¬
halt in den Tropen 321; bei Eingeborenen beträgt sie 253. Th. Ziehen.
9) Grundzüge der Psychologie. Bd. I. Allgemeiner Theil: Die Frinoipien
der Psychologie, von Hugo Münsterberg. (Leipzig, 1900. Joh. Ambrosius
Barth. 565 S.)
Das vorliegende Werk des aus seinen Einzelheiten, neuerdings besonders
durch seine „Psychology and Life“ (1899), schon weiteren Kreisen bekannt gewordenen
Bostoner Psychologen bedeutet in der Geschichte der Psychologie einen namhaften
Fortschritt Betitelt „Grundzüge der Psychologie“ vermehrt es nicht, wie sich
vermuthen liesse, die Reihe deijenigen Bücher, die in diese Wissenschaft ein¬
führen sollen; es ist kein Lehrbuch, kein Sammel- oder Nachschlagewerk. Die
Tendenz dieses ersten mehr philosophischen Bandes ist am ehesten dem politischen
Weckrufe zur „Sammlung“ zu vergleichen. Dies Buch „will nicht darstellen,
sondern discutiren, und auoh wenn es sich um Thatsachen handelt, will es weniger
berichten als aussondern und verbinden, damit aus der unendlichen
Mannigfaltigkeit der Züge sich wirklich einheitliche Grundzüge heraus¬
bilden“. Die Grundbegriffe, die Voraussetzungen, die Grenzen und die Ideale der
Psychologie sollen hier erst einmal eine logische Erörterung und Läuterung von
den Schlacken erfahren, die sich immer wieder durch Vermengung einer mehr
subjectiven und objectiven Anschauungsart ansetzen und den mühsam errungenen
Wissensschatz zu verschütten drohen.
Könnte man aus den vorangegangenen Schriften des Verf.’s vielleicht zu der
fälschlichen Meinung geführt worden sein, dass er die Psychologie zur positivisti¬
schen Philosophie erheben wolle, oder dass er auf Schopenhauer recurrire, so
lässt dieser Band keinen Zweifel darüber, dass nach ihm die Psychologie „mit
allen ihren radicalen Forderungen in das System des ethischen Idealismus ein-
geschlossen und aufgenommen werden muss“. Wir finden hier eine consequente
Vereinigung von Idealismus und Wissenschaft. Das Thema des Buches ist, wie
Verf. im Vorwort selbst sagt, „die Synthese von Fichtes ethischem Idealismus
mit der physiologischen Psychologie unserer Zeit.
Der gesammte Inhalt ist in drei Theile getheilt. Im ersten wird die Auf¬
gabe der Psychologie präcisirt; erörtert werden die Tendenzen der gegenwärtigen
Psychologie, ihre erkenntnisstheoretische Grundlage, ihre Stellung zu den Geschichts-
54 *
862
und Norm Wissenschaften und ihre Bedeutung für das praktische Leben. — Da
zweite Theil beschreibt die psychischen Objecte und stellt sie dar in ihrer Be¬
ziehung zum Bewusstsein, der dritte Theil behandelt den psychischen Zusammen¬
hang. In diesem erfahren die Apperceptions- und Associationstheorieen eine
weitgehende Würdigung und Kritik und werden im Schlusscapitel durch die
Actionstheorie des Verf.’s ergänzt.
Duroh den ersten Theil zieht sich wie ein rother Faden der Kampf gegen
die immer wiederkehrende Vermischung der psychologiscen und teleologisch-
historischen Betrachtungsweise. Verf. strebt nach einer Grenzregulirung der
Psychologie, vor allem nach einer reinlichen Scheidung zu den Geistes- und Natur¬
wissenschaften. Im Widerspruch zu der Wundt’schen Auffassung, nach der die
Psychologie gegenüber allen anderen Geisteswissenschaften die Bedeutung einer
grundlegenden Disciplin hat, ist sie nach ihm vielleicht die wichtigste Hülft-
disciplin der Geisteswissenschaften, aber nicht selbst eine solche. Psychologie und
Naturwissenschaften objectiviren, die Geisteswissenschaften, die geschichtlichen
wie die normativen subjectiviren. „Psychologische Probleme gehen Schritt für
Schritt neben den historischen und normativen Problemen der Ethik einher“; „es
ist einseitig und kurzsichtig einerseits die Berechtigung psychophysischer Unter¬
suchungen zu bestreiten, andererseits in solchen psychophysischen Untersuchungen
die einzig mögliohe Antwort auf ethische Probleme zu sehen“ und „gefährlich ist
jene Achtlosigkeit, durch die psychologische Fragen mit subjectiven Lösungen,
ethische Probleme mit causalen Betrachtungen beantwortet werden“. Er will
„gegenüber dem materialistischen Monismus, dem idealistischen Monismus und dem
realistischen Dualismus die vierte Möglichkeit festgehalten haben, dass weder
Psychisches noch Physisches real sind, dass beide Reihen nur nothwendige Con-
structionen und Hülfsbegriffe sind, während alle Realität im Willen und den
Werten liegt, die als solche nur gelten und nicht sind und somit weder physisches
noch psyohisches Object sein können“. „Die Causalkategorieen auf die Willens¬
beziehungen angewandt, zerstören das Reich der menschlichen Wirklichkeit, die
Werthkategorieen, auf die physischen und psyohischen Objecte angewandt, «er-
stören die Ordnung der Wissenschaft. Dort tauschen wir den idealen Gehalt des
Lebens für einen werthlosen Mechanismus ein, hier geben wir die ewigen Gesetze
der Welt für Laune und Zufall hin“.
Diese wenigen zum Theil aus ihrer Verbindung herausgenommenen und nur
in losem innerem Zusammenhänge stehenden Sätze verdeutlichen dem Leser viel¬
leicht am besten, worauf es Verf. in diesem ersten Theile ankommt. Er fasst
vollständig auf philosophischem Denken, und wem dieses nicht fremd, der wird
das Werk, insbesondere seine ersten zwei Theile mit Genuss lesen und darin
eine sympathische Weltanschauung finden können. Der Nur-Neurolog oder Nur-
Psychiater wird wenig, fast nichts für seine Zwecke entdecken; es müsste dam
sein, dass ihm ein Verständniss dafür erweckt wird, dass viele Begriffe, mit denen
er fast täglich operirt (das psychisch Unbewusste, Vielheit des Bewusstsein«)
eigentlich unmögliche Gebilde sind und den Anforderungen einer strengen Logik
nicht standhalten.
Als den einfachsten Bestandteil der Wahrnehmung, der noch in noetischem
Verhältnisse zu Bestandteilen des Wahrnehmungsobjectee steht, charakteriürt
Verf, im zweiten Theile die Empfindung. Diese ist nicht weiter zerlegbar. Am
Empfindungen fügen rieh zusammen die Vorstellungen. Die räumlichen und zeit¬
lichen Gestalten der Vorstellungen sind nicht Ordnungsformen der Vorstellung«-
elemente, sondern sind selbst Vorstellungsbestandtheile, die sich bei der Zerlegung
der Vorstellung als noetische Elementgruppen erweisen; sie sind für sich be¬
stehende Inhalte der Vorstellungen, die sich mit den übrigen Empfindungen ver¬
binden, aber nie diese selbst erst verbinden. „Die Vorstellung ist eine unendlich
Di;
853
complicirte Mannigfaltigkeit, in der jedooh kein Factor enthalten ist, welcher nicht
der Forderung vollständiger Beschreibbarkeit entspräche. Nichtvorstellungen wie
Affecte, Triebe, Willen sind nur soweit beschreibbar, als sie sich aus Vorstellungs-
elementen d. h. aus Empfindungen zusammensetzen. Für den Willen ist kein be¬
sonderes Willenelement oharacteristisch. Er lässt sich durchaus in Elemente
möglicher Vorstellungen analysiren. Willenshandlung wie Willen stellen ein zeit¬
loses Zusammensein von mannigfaltigen Qualitäten vor, von denen jede principiell
den Vorstellungselementen coordinirt ist“. Des Weiteren werden die Gefühle,
Triebe, das Aufmerken, der Urtheilsact besprochen und die Möglichkeit ihrer
Zurückführung auf Vorstellungen und deren Elemente.
Es schliesst dieser zweite Theil mit der Erwägung, dass wie der Physiker
vom Molecularbegriff zum Atombegriff vorschreitet, so auch der Psycholog über
die Empfindungen zu psychischen Urelementen hinausgehen dürfe. Verf. skizzirt
kurz in welchen Richtungen sich ein Versuch eine Atomistik des Bewusstseins¬
inhaltes zu construiren bewegen müsste.
In der Einleitung des dritten Theiles „der psychische Zusammenhang“ werden
zunächst die für die objectivirende Psychologie — und nur diese kommt hier in
Betracht — unhaltbaren Seelentheorieen zurückgewiesen. Sodann stellt sich Verf.
aus erkenntnisstheoretischen Gründen auf den Boden der introjioirenden Parallelis¬
mustheorie. In Widerspruch zu dem Postulat des ausnahmslosen Parallelismus
tritt die Apperceptionstheorie. Sie verneint die Möglichkeit einer psychophysi¬
schen Erklärung der Willensentscheidung und der Werthgefühle und fordert eine
reine psychische Causalität. Dadurch wird sie inconsequent. Denn eine objectiv-
psychologische Apperception, die ohne psy chophysische Ursache entscheidet,
stellt sich in Widerspruch zu dem Sinne der Objectivirung. Die apperceptiven
Vorgänge sind zum Theil äusserst verwiokelt, sind deswegen aber nicht unerklärbar
und können mit anderen psychologischen Vorgängen durchaus auf eine Stufe ge¬
stellt werden. Ebenso kann jeder Werthvariation eine Veränderung der physio¬
logischen Vorgänge parallel gesetzt werden. „Es giebt keine Bewerthung, die
nicht irgendwie die Contractionen unserer Muskeln beeinflusst. Da diese physische
Aenderung ihre vollständige physische Ursachenreihe haben muss, so kann keiner
Werthbestimmung das physische Parallelismusglied im Centralnervensystem ab¬
gesprochen werden.*' In zutreffender Weise vergleicht Verf. die Rolle, die die
Apperceptionstheorie in der Psychologie spielt, mit derjenigen, die der Vitalismus
in der Naturwissenschaft gespielt hat. Zugleich würdigt er aber die Bedeutung
dieser beiden Theorieen für die Wissenschaft und charakterisirt zuletzt den Apper-
ceptionismus als die gesunde conservative Gegenbewegung gegen die oberflächliche
Ueberschätzung der Associationstheorie.
Diese letztere sei zwar psychophysisch consequent, wäre aber selbst mit
Hülfe ihrer sämmtlichen Ergänzungstheorieen nicht geeignet den Reichthum des
psychischen Geschehens zu erklären. Dadurch, dass sie die psychologischen
Mannigfaltigkeiten auf die Unterscheidung der Intensität und Qualität beschränke
und das Princip der Bahn geringsten Widerstandes einführe, vermöge sie wohl
die Herbeischaffung des Gedächtniss- und Phantasiematerials den Anforderungen
der Parallelismustheorie gemäss darzustellen, könne aber nioht die wirkliche Ge¬
staltung der psychischen Mannigfaltigkeit verständlich machen, besonders nicht
das Phänomen der Aufmerksamkeit, der bewussten Wahl, die Lebhaftigkeit der
Inhalte, der inneren Hemmung. Das thue die Apperceptionstheorie, doch schreibe
sie diese ordnende Einwirkung einer physiologisch nicht determinirten psychischen
Potenz zu. Wenn die Associationstheorie in der Nothwehr gegen die von dieser
Seite herkommenden berechtigten Angriffe das Constellationsprincip einführe, so
sei sie da zweifellos auf richtiger Fährte, könne aber aus ihren eigenen An¬
schauungen dafür keine Erklärung liefern. Es fehle ihr ein Einblick in den
854
Mechanismus, der die AuBW&hl der psychophysischen Erregungen vollziehe and
zwar hauptsächlich deswegen, weil sie einer Psychophysik der Lebhaftigkeitswerthe
entbehre, welche letztere man vielfach fälschlich mit der Intensitätsreihe oder
ähnlichem zusammengeworfen habe.
Hier setzt nun die Actionstheorie des Verf. ein. Sie versucht die Lebhaftig-
keitswerthe der Empfindungen auf centrifugale Action zurückzu führen und zwar
auf die von der sensorischen Endstation zum motorischen Apparat ausströmenden
Erregungen. Nach Verf. ist es ein Hauptfehler der Apperceptions- und Associa¬
tionstheorie, dass sie einseitig die sensorische Seite des psychophysischen Ge¬
schehens berücksichtigen. Sie sind rein sensorische Theorieen; daran ändert auch
wenig die Verwerthung einer Muskel* oder Innervationsempfindung. Für sie sind
die centrifugalen Phänomene nur Reactionen bezw. rein physiologische Vorgänge,
die die Psychologie nichts angehen. Im Gegensatz dazu behauptet die Actiocs-
theorie, dass der motorische Factor sich nicht wie eine Nachwirkung an den
psychophysisch-sensorischen Vorgang anschliesst, sondern selbst ein Theil der
Bedingungen für den psychophysischen Vorgang ist. Es giebt keine Empfindung,
der nicht ein motorischer Impuls zu Grunde liegt; „in diesem Sinne ist dann
jede einzige Empfindung und daher jedes Element des Bewusstseinsinhaltes eine
Innervationsempfindung.“ Die Physiologie beweist, dass thatsächlich jede psycho¬
physische Erregung Ausgangspunkt centrifugaler Processe ist. Jede Sinnes¬
empfindung verändert das System unserer Bewegungen und Spannungen; und
dasselbe gilt für die Vorstellung.
Die Actionstheorie behauptet also mit der Associationstheorie zusammen, da»
die Empfindung bezüglich ihrer Qualität von der räumlichen Lage der Erregungs¬
bahn zur sensorischen Endstation, bezüglich ihrer Intensität von der Stärke der
auf centripetaler Bahn zugeführten Erregungen und über jene Theorie hinan*
gehend, bezüglich ihrer Lebhaftigkeit von der Stärke der fortgeführten centri¬
fugalen Erregung oder kurz von der Stärke der Entladung abhängig ist Das
heisst: die physiologische sensorische Erregung an sich ist gar nicht von psychi¬
schen Vorgängen begleitet, erst beim Uebergang in die Entladung wird sie
psychophysisch. Sensorische Erregung ohne Entladung entspricht der vollständiges
Hemmung; je vollständiger die Entladung, desto lebhafter die Empfindung.
dabei die sensorische Reizung peripher oder aBSOciativ erfolgt, ist gleichgültig-
Nun schickt die Hirnrinde ihren Bewegungsanstoss nicht direct zum Muskel
sondern erst über die subcorticalen Centren; dort steht jedes motorische Centrum
zu einem antagonistischen in Beziehung. Die physiologische These der Actions¬
theorie sagt nun, dass die Erregung eines subcorticalen motorischen Centrums
zugleich eine Hemmung im antagonistischen Centram hervorruft, das heisst die
von der übergeordneten Rinde ausgehehnde Entladung wird unwirksam, weil das
gehemmte Centrum ihr Widerstand entgegensetzt. „Eine Empfindung ist also g*-
hemmt, wenn die Entladungsbahn der sensorisohen Erregung zu einem subcorti¬
calen motorischen Centrum führt, das wegen der gleichzeitig ablaufenden Er¬
regung des antagonistischen Centrums selbst gehemmt ist und so der Entladung
Widerstand entgegensetzt. So ist das gesammte Spiel der Verstärkungen und
Hemmungen in den Millionen der psychophysischen Elemente bedingt durch die
reciproken Hemmungswirkungen der antagonistischen rein physiologischen Be-
wegungscentren unterhalb der Rinde.“
Die Actionstheorie belehrt uns also nicht nur wie die Associationstheone
über die Existenz der Hemmungen und Förderungen centraler Vorgänge, sondern,
indem sie sioh gründet auf die physiologische Gegensätzlichkeit aller motorischen
Impulse, die ihren typischen Ausdruck im Verhältnisse der Strecker und Beuger
findet, auch über die Art des Zustandekommens dieser Phänomene. »Alle sen¬
sorischen Erregungen des Gehirns können als solche friedlich nebeneinander be-
Google
855
stehen; deswegen erschien es hoffnungslos, das Spiel des wechselseitigen Förderns
und Hemmens aus dem Verhältnisse der sensorischen Processe selbst abzuleiten,
nur die Handlungen, die ihnen entsprechen, lassen sich nie zusammen ausfiihren.“
Eine Action kann nie sein, ohne dass eine entgegengerichtete ausgeschlossen wird.
Es wird nun des Näheren ausgeführt, wie dies antagonistische Verhältnis
der subcorticalen motorischen Centren, das Verf. zunächst ganz einfach sohematisch
darstellt, äusserst complicirt sein kann; wie die Intensität der cortioalen Entladung,
die ihrerseits den Grad der Lebhaftigkeit des Bewusstseinsinhaltes bedingt, ab¬
hängt von der Assimilation und Dissimilation, vom Widerstand oder der Be¬
wegungsbereitschaft eben dieser subordinirten Centren.
Werden ausser dem Lebhaftigkeitswert noch andere Werthqualitäten aner¬
kannt (Bekanntheit, Gültigkeit, Zukünftigkeit, Baumrichtung), so versucht die
Actionstheorie auch für diese physiologische Begleiterscheinungen wahrscheinlich
zu machen. Sie besagt: „schon in der einzelnen Zelle braucht die Entladung
nicht immer auf einem Wege vor sich zu gehen, sondern kann zu verschiedenen
Fibrillen gehen und in verschiedenen Collateralen enden. So können in derselben
Zelle räumlich verschiedene Entladungsvorgänge möglich sein; und diese räum¬
lichen Variationen der Entladung sind es, welche den wechselnden Werthnuancen
der Empfindungen zu Grunde liegen. Wie also die Lebhaftigkeit der Empfindung
von der Stärke der Entladung, so würde die Werthnuance der Empfindung von
der räumlichen Lage der Entladungsbahn abhängig sein.
Der Schluss dieses dritten TheileB des Buches skizzirt die Anwendung der
Actionstheorie auf die strittigen Phänomene der Aufmerksamkeit der Apperception
im engeren Sinne, des Urtheiles. Die Durchführung der Theorie auf die einzelnen
Probleme soll einem später folgenden specieilen Theile Vorbehalten bleiben.
Ueber ein Werk von der Grösse und Bedeutung des Verf. lässt sich weder
ein erschöpfender Ueberblick geben — es muss, um verstanden und gewürdigt
werden zu können, durchaus im Orginal gelesen werden —, noch wäre es an¬
gebracht, jetzt schon ein abschliessendes Urtheil darüber zu fällen. Für die Theorie
des Verf. spricht ihre logische Construction, ferner der Umstand, dass die That-
saohen der empirischen Physiologie sie bestätigen und die der anatomisch-histo¬
logischen Forschung ihr nicht widersprechen. Vorbereitet sind die Ausführungen
des Verf. durch eine Menge physiologischer und psychologischer Arbeiten; und es
sind nioht neue Thatsachen oder Entdeckungen, auf denen er fasst. Er zieht nur
das Schlussfacit, das gewissermaassen schon in der Luft lag. Zu theilweise demselben
oder sehr ähnlichem Resultat scheint E. Storch in seiner neuesten Arbeit „Ver¬
such einer psychophysischen Darstellung des Bewusstseins“ (Berlin, S. Karger.
1902) zu kommen, die Bef. zunächst allerdings nur aus einem Referat kennt.
Meitzer (Grosshennersdorf).
Pathologische Anatomie.
10) Zur pathologischen Anatomie der Hemiathetose. Zugleich Beitrag
zur Kenntniss der aus der Vierhügelgegend absteigenden Bahnen
beim Mensohen, von Dr. Hans Haenel, Assistenzarzt am Stadtkranken¬
haus Dresden-Friedrichstadt. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XXI.)
21jähr. Mann, seit der Geburt oder frühesten Kindheit an oerebraler Kinder¬
lähmung leidend, seit einem Jahr wegen syphilitischer Infection mit Secundär-
erscheinungen in Behandlung und seit 1 / 1 Jahr an Phthise erkrankt. Es finden
sich folgende Störungen: Atrophie der oberen und unteren Extremitäten links,
starker Pes equino-varus links, Athetose der linken Hand bei kaum verminderter
3 yGöOgI(
856
grober Kraft, Spasmen mittleren Grades im linken Arm, Sehnenreflexe auf der
linken Seite aufgehoben, linker Facialis bei der Mimik eine Spur schlaffer als
rechts, im Uebrigen gleich gute Innervation beider Gesichtshälften, Pupillen gleich
weit und prompt reagirend, kein Nystagmus, Zungen und Gaumen gerade, keine
Sensibilitätsstörungen, keine Epilepsie. Exitus in Folge der Lungentuberculoee.
Es fand sich die Narbe eines alten Herdes im Beginn des rechten Hirnschenkel-
fusses unterhalb der Linsenkernschlinge mit Fortsetzung nach abwärts durch den
inneren Kniehöcker und auf die Oberfläche des hinteren Vierhügels. Durch diesen
Herd ist der Hirnschenkelfuss vollkommen zerstört, die ganze Pyramidenbahn
secnndär geschwunden und die rechte Brückenhälfte stark atrophisch. Während
somit in den ventralen Theilen des Mittelhirns und der Medulla oblongata ein
Defect besteht, ist es in den dorsalen Abschnitten zu einer unter normalen Ver¬
hältnissen nicht vorhandenen Entwickelung von Nervenfasern gekommen, indem
die in der unteren Hälfte fehlenden Fasern gleichsam in die obere hineingerutscht
sind. Dieselbe beginnt dicht unterhalb des Herdes, bedingt im Mittelhirn eine
Volums Vermehrung der rechten dorsalen Hälfte und lässt sich bis unterhalb der
Pyramidenkreuzung nachweisen, von wo an die abnormen Fasern in der weissen
Substanz des Bückenmarks untergehen. Ein Theil derselben entspricht schon be¬
kannten Bahnen: Vierhügel vorderstrangbahn und Monakow’sches Bündel, acces-
sorische Schleife (Bechterew) links. Die drei Bahnen sind motorische Leitungen
für die unwillkürlichen und reflectorisohen Impulse der Bewegung. Sie sind so¬
mit durch diesen Befund auch beim erwachsenen Menschen BichergesteUt und
haben vielleicht hier die Athetosebewegungen, möglicherweise auch die Willkür¬
bewegungen zu Stande gebracht.
Die anderen hypertrophischen Faserbündel der Haubenetage konnten nicht
zu bekannten Bahnen in Beziehung gebracht werden. Sie wenden sich zum Theil
mit dem Bindearm nach dem Kleinhirn, theils verbinden sie die rechte und linke
Hälfte, besonders in der Gegend der hinteren Vierhügel, in abnormer Weise oder
verlieren sich in der Gegend der Hirnnervenkerne. Verf. fasst dieselben als
Bahnen auf, welche für durch den Herd unterbrochene vicariirend eintreten und
sich in Folge davon stärker entwickelt oder neugebildet haben.
Der Fall beweist, dass im Gegensatz zu Monakow die Pyramidenbahn für
das Auftreten von posthemiplegischen Bewegungsstörungen nicht nothwendige Vor¬
bedingung ist und stützt die zuerst von Bonhöffer abgegebene Anschauung,
nach welcher die Athetosebewegungen in einer Störung der Verbindung zwischen
Kleinhirn und Begio subthalamica, speciell dem rothen Kern, zu suchen sind.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
11) Endarteriitis oartilaginosa der grossen Hirngef&sse, von Marburg.
(Centralbl. f. allg. Patholog. u. patholog. Anat. 1902. Nr. 8 u. 9.)
Verknorpelung des Endausgangs von Gefässprooessen, bisher nirgends erwähnt,
konnte Verf. in 3 Fällen beobachten; diese betrafen alle hochgradiges Atherom
mit entzündlichen Erscheinungen. Im ersten Falle war die Arteria cerebri media,
im zweiten die Basilaris, im dritten die Arteria cerebri posterior affloirt.
Der Knorpel, der sioh von dem gewucherten Bindegewebe der Intima aus zu
entwickeln schien, bot das Aussehen des echten hyalinen Knorpels. Denselben
als Vorstufe einer Verknöcherung aufzufassen, verbietet die regressive Veränderung,
die derselbe eingeht, sowie das Fehlen von Kalk in seiner Umgebung. Desshalb
neigt Verff. der Meinung zu, dass es sioh hier um einen eohten metaplastischen
Process handelt, der alB Endausgang von Endarteriitis vielleicht als Endarteriitis
oartilaginosa zu bezeichnen wäre. Pilcz (Wien).
GoogI<
857
12) Degeneration in hemiplegia, with special referenoe to a ventro-lateral
pyramidal traot, the aoeessory flllet and Pioks bündle, by Stanley
' BarneB. (Brain. 1901. Aatumn.)
Die Untersncbangen deB Verf.’s sind an 5 Gehirnen mit Marchi-Methode ge¬
macht Sie ergeben, dasB sich ein entweder in der motorischen Binde oder von
dem Corpns lenticulare stammendes, proximal mit der Pyramide znsammenlaufendes
Bündel im Pons oder tiefer unten von der Pyramidenbahn abzweigt, auf der¬
selben Seite bleibt und in der Gegend des GowerB’schen Bündels im ventro-
lateralen Theile des Seitenstranges sehr verschieden weit als compactes Bündel
nach unten lauft (ventrolaterales Pyramidenbündel). Im Bezug auf die acoessorische
Schleife, die er immer degenerirt fand, stimmt Verf. so ziemlich mit Hoohe
überein; es handelt sich um Pyramidenfasem, die sich eine Zeit lang der Schleife
beimischen und schliesslich zum motorischen Trigeminus- und Facialiskern der¬
selben und der anderen Seite gelangen. Zum Hypoglossuskern und zu den Augen-
muskelkeraen gelangen diese Fasern nicht. Die aocessorische Schleife bekommt
im Pons Verstärkungen von den dorsalsten Lagern der Pyramiden. Auch
Bechterew’s mediale accessorische Schleife fand sich degenerirt. Pick’s Bündel
stammt wahrscheinlich aus der Pyramidenbahn gleich nach der Kreuzung, steigt
von da aufwärts und verliert sich in der Gegend des Nucleus ambiguus und
vielleicht des Facialiskernes. Es hat also dieselbe Function wie die accessorische
Schleife für mehr medullarwärts gelegene motorische Kerne, aber vor allem für
die gekreuzte Seite. Bruns.
13) Des foyera laounalres de ddsintdgration et de difförents autres dtats
oavltalresdu oerveau, par Pierre Marie. (Revue de Medecine. 1901. S.281.)
Verf. betont, dass als anatomische Ursache der Hemiplegie der Greise
verhältnissmässig selten eine grössere Hämorrhagie oder Erweichung gefunden
wird; der häufigste anatomische Befund sind vielmehr kleine, etwa linsen- bis
erbsengrosse lacunäre Herde, die in geringerer oder grösserer Anzahl (bis zu 8—10
und mehr) ihren Sitz hauptsächlich im Linsenkern und Thalamus, doch auch in
der inneren Kapsel, im Centram ovale, im Balken u. a. haben. Auch in der
Brücke kommen diese kleinen Herde vor, nur selten im Kleinhirn, niemals in den
Hirnschenkeln, in der Oblongata und im Rückenmark. Die Entstehung der Herde
geht Bicher von den Blutgefässen aus. Es handelt sich um die Folgen einer
(sehr oft localen) Arteriosklerose der Gehirnarterien. Das Gehirn im Ganzen
ist atrophisch, die Windungen sind schmal, die Furchen vertieft. Die Dura ist
meist mit dem Schädel verwachsen, die Pia ist trübe und verdickt, die Ventrikel
sind erweitert. Die klinischen Symptome dieses Zustandes bestehen meist in
einer zwar ziemlich plötzlich, aber ohne stärkeren Insult auftretenden, meist un¬
vollständigen Hemiplegie. Der Arm ist nicht gelähmt, aber schwach und un¬
geschickt Der Gang geschieht mit kleinen Schritten und etwas vorgebeugtem
Körper; das stärker betroffene Bein schleppt ein wenig nach. Diese Gangart
(marche k petita pas) ist ungemein charakteristisch für den „6tat lacunaire“ des
Gehirns. Oft ist die Sprache etwas gestört, häufig auch das Schlucken. Die
Intelligenz ist abgeschwächt, die Kranken sind zum Lachen und Weinen geneigt
— Von „6tat lacunaire“ unterschieden ist der „6tat cribl6“ des Gehirns, den
Durapd-Fardel genau beschrieben hat. Auch diesen Zustand beobachtete man
oft im Gehirn der Greise. Er beruht auf einer Erweiterung der perivasculären
Lymphräume. Endlich ist noch eine wiederholt beschriebene Form der cystösen
Entartung (porose c6r6brale) des Gehirns zu erwähnen, die aber, wenigstens in *
vielen Fällen, sicher eine postmortale Fäulnisserscheinung ist, abhängig
von der Anwesenheit gasbildender Bakterien. Strümpell (Erlangen).
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858
Pathologie des Nervensystems.
14) Troubles trophiques et troublea de la sensibilitd ches les hemiplögiquM,
par P. Chat in (Lyon). (Revue de Hädecine. 1900. S. 781.)
Verf. geht von der zuerst von Horat, Brissaud u. A. ausgesprochener
Ansicht aus, nach welcher auch der Ansfall sensibler (centripetaler) Er¬
regungen auf die Nervenzellen von bemerkbar schädlichem trophischem Einflm*
ist. Er stellte sich die Frage, ob das Vorkommen trophischer Störungen bei de
Hemiplegie daher vielleicht zu den Sensibilitätsatörungen der Hemiplegiker ii
Beziehung steht, ln 19 Fällen von Hemiplegie wurden daher die trophiseh«
und sensiblen Störungen genau untersucht und mit einander verglichen. Es zeigte
sich, dass in 11 Fällen von Hemiplegie mit deutlichen trophisehen oder u»
motorischen Störungen 10 Hai deutliche Sensibilitätsstörungen vorhanden waren
während in 8 Fällen von Hemiplegie ohne trophische Störung auch die Sensi¬
bilität nicht in bemerkenswerther Weise verändert war. Die trophiacbei
Störungen bestanden hauptsächlich in Muskelatrophieen (besonders im Deltoidee.
ausserdem aber auch im Oberarm, Vorderarm und in den kleinen Handmuskek.
in viel geringerem Grade in der unteren Extremität), Kälte und Cyanose du
Haut, Oedem am Handrücken, glossy-skin und Veränderungen der Nägel. Dir
Sensibilitätsstörungen waren stets am stärksten ausgesprochen an der Hane
und den Fingern und nahmen nach dem Arm und der Schulter zu rasch ah
Auch an der unteren Extremität sind sie am Fuss am deutlichsten nachweisbar
Die Schleimhäute (Zunge, Hund, Conjunctiva) zeigten normale Sensibilität. Dir
Störung bezog sich nach dem Verf. ziemlich gleichmässig auf alle Qualitäten der
Empfindung. Oft war die Störung für thermische Reize noch stärker als fr
tactile Reize. Dabei war die Wärmeempfindung oft stärker gestört als die Kälte¬
empfindung. Wiederholt zeigte sich insbesondere stark verlangsamte Perceptica
der Wärmeempfindung, eine Erscheinung, die nicht auf vasomotorische Störung*
bezogen werden konnte, wie besondere Versuche an Hautstellen, in denen künfi-
lieh durch Schröpfköpfe vasomotorische Störungen hervorgerufen wurden, zeigten
Störungen des Muskelsin ns wurden häufig gefunden. Der sogen, stereognostisebe
Sinn stand in directer Beziehung zu den erhaltenen einzelnen Sinnesempfindang*
und der erhaltenen Hotilität.
Somit ist also ein Einfluss der Sensibilitätsstörungen auf die trophiseh*
Störungen im höchsten Grade wahrscheinlich. Allein sicher sind letztere nieh
allein von den enteren abhängig, sondern mindestens ebenso sehr oder noch msk
von den centrifugalen (motorischen) Erregungen. Die Annahme besonderer „tro¬
phischer Nerven“ ist überflüssig und gänzlich unerwiesen. Die trophiechen Ver¬
änderungen sind das Ergebniss einer jeden Störung im gesammten Reflexbogen,
in den die motorische Zelle eingeschaltet ist. Sie treten daher um so stärker
hervor, wenn beide Abschnitte diesee Reflexbogens erkrankt sind. Die Huskel-
atrophie der Hemiplegischen ist also das gemeinschaftliche Resultat des Ausfalk
einerseits der sensiblen (reflectorischen), andererseits -der motorischen und vaso¬
motorischen Erregungen. Strümpell (Erlangen).
16) Essai sur l’hömiplögie des vieillards. Les laounee de döstntdgrstiao
odrdbrale, par Jean Ferrand. (Paris, 1902.)
Ein genaues, auf zahlreiche Einzelfälle sich gründendes Studium des Krankes-
und Obductionsmaterials zu Bicetre hat es Verf. ermöglicht, eine neue Krankheits¬
form des Greisenalters aufzustellen, für deren nosologische und pathologisch¬
anatomische Selbständigkeit er zahlreiche Thatsachen anführt. Das Auffallendste
dabei ist, dass nach seinen Angaben diese Krankheitsform nicht nur keine Selten¬
heit ist, sondern die Ursache von 90°/o aller Hemiplegieen jenseits dee 60. Leben»-
3 yGöOgI(
859
jahres darstellt. Dass sie bisher übersehen wurde, liegt hauptsächlich daran, dass
die üblichen Sectionsschnitte die Herde nicht oder nur sehr unvollkommen zur
Oeltung kommen lassen; sie sind deutlich nur auf einem duroh die Stammganglien
gelegten Horizontalsohnitt, dem sogen. Flechsig’schen Schnitt. Auf einem solchen,
der die kleinen Gefasse senkrecht zu ihrer Axe durchschneidet, sieht man, fast
stets auf die grauen Kerne der Stammganglien beschränkt, nur selten in die
innere Kapsel, nie in andere Gebiete übergreifend, kleine rundliche oder läng¬
liche, unregelmässig geformte Zerfallsherde bezw, Gewebslücken („Lacunen“), mit
tingleichmässiger, rauher Wand, die eine graue, manchmal schwach ockergelbe
Farbe zeigt, im Inneren nervöse Zerfallsproducte und regelmässig einen Gefäss-
qnerschnitt enthalten. Die Grösse schwankt von der eines Hirse- oder Hanfkorns
bis zu der einer Erbse oder Bohne. Meist zeigt die Lacune Neigung zur Ver¬
narbung, Sklerosirung des umgebenden Gewebes. Im übrigen fand man bei dem
betreffenden Individuum meist eine Adhärenz zwischen Dura und Schädel und
eine Dilatation der Ventrikel, häufig Arteriosklerose in verschiedenen Gefässgebieten.
Histologisch unterscheidet Verf. zwei Phasen der Entwickelung: die erste
ist charakterisirt durch eine einfache Rarefication des Gewebes um eine Arteriole,
die zweite durch eine Trennung zwischen dieser und dem Gewebe, die Ausbildung
eines Gewebsdefectes, einer eigentlichen Lacune. Das centrale Gefäss zeigte
hauptsächlich Veränderungen der Media, Verdickung derselben, Ersatz des Muskel-
durch Bindegewebe, war aber nie obliterirt oder aneurysmatisch verändert und
enthielt stets noch rothe Blutkörperchen; die Intima war normal. Die nächste
Umgebung, sowie die Wand der Lacune zeigten zahlreiche ausgewanderte Leuko-
cyten, Körnchenzellen und Detritus von Glia, Mark, weissen und rothen Blut¬
körperchen. Die Rarefioation des Gewebes (Markzerfall nach Marchi) ist nooh
eine Strecke weit in die Umgebung nachweisbar, Ganglienzellen fehlen in dieser
Zone. In späteren Stadien wird die Lücke meist durch fibrÖBe und gliöse Fäden
zum Theil wieder ausgefüllt.
Diesem wohlcharakterisirten anatomischen entspricht nach dem Verf. ein
ebenso umschriebenes klinisches Bild: Der Kranke bekommt einen leichten Anfall,
ohne Bewu88tseinsverlust, fällt um, kann sich aber gleich wieder aufrichten, und
zeigt eine partielle und incomplete, schlaffe Hemiplegie, manchmal mit dys-
arthrischen, aber ohne jede Sensibilitätsstörungen. Diese Hemiplegie dauert einige
Minuten bis höchstens einige Wochen, um dann bis auf kaum nachweisbare
Störungen zu verschwinden. Contracturen stellen sich nie ein, nur die Reflexe
bleiben allgemein erhöht. Die gewöhnlichste und auffallendste Folge ist eine
Veränderung des Ganges, der Gang mit kleinen Schritten, häufig auoh eine Ver¬
minderung der geistigen Regsamkeit und die als „rire spasmodique“ bezeichnete
Veränderung des Gesichtsausdrucks. — Die Kranken sterben, meist erst lange
Zeit nach dem ersten Anfall, an intercurrenten Krankheiten oder an einer in die
Höhle der Lacune erfolgenden grösseren Hämorrhagie, durch Ruptur des seines
Wanddruckes beraubten Gefasses veranlasst, oder unter Wiederholung der „lacu-
nären“ Anfälle an geistiger und körperlicher Schwäche, mit Blödsinn und In-
continenz.
Die Aetiologie fallt im Allgemeinen mit der der Arteriosklerose zusammen.
Ausführlich geht Verf. auf die Differentialdiagnose und die Abtrennung seiner
Krankheitsform von der Pseudobulbärparalyse, von der Hämorrhagie, der Er¬
weichung, der entzündlichen Encephalitis ein, ferner auf die Unterschiede des
anatomischen Bildes von dem sogen, etat crible und der als Porose bekannten
cadaverösen Veränderung des Gehirns. Bei der Erörterung der Pathogenese
kommt er zu dem Ergebniss, dass die lacunären Zerfallsherde abhängig sind von
arteriellen Gefässveränderungen: die Sklerose der kleinen Arterien führt zu einer
Art chronischer Encephalitis, die von selbst duroh Sklerosirung heilt; vielleicht
860
spielt der Liquor cerebro-spinalis in den Gefässscheiden dabei eine reizende Solle.
(Schwierig bleibt bei dieser Anschauung nur die Erklärung der Anfälle, da Verl
bei der reinen Form von einer Hämorrhagie oder Erweichung nichts wissen
will. Ref.)
Verf. bezeichnet die Affection pathologisch-anatomisch als: Encephalitis
chronica sclerotica senilis und hält sie für die häufigste Ursache der leicht«
heilbaren Hemiplegieen der alten Leute. H. Haenel (Dresden).
16) Bur un oas d’fiömorragies multiples de l’enoephale chez le chevai,
par Lesbre et Forgeot. (Journal de möd. v6t de Lyon. 1902. S. 154.)
Die Verff. erbringen einen interessanten Beitrag zum Capitel der Hirn¬
blutungen bei den Thieren.
Es handelte sich in der vorliegenden Beobachtung um ein 7jähriges Beit¬
pferd, das ganz unvermittelt an leichten Gangstörungen erkrankte, die sehr rasch
unter Temperatursteigerung Zunahmen und in eine allgemeine motorische Paralyse
übergingen. Tod nach 2 Tagen im Coma.
Die Section ergab in den Organen des Brust- und Bauchraumes nur di«
Existenz unbedeutender Bubepithelialer Hämorrhagieen am Blasenhalse und k
Becken beider Nieren.
Am Grosshirn fanden sich sehr zahlreiche Blutungen in der Pia und da
centralen Markmassen, wogegen der Cortex überall frei geblieben war. Die nn-
fangreichste Hämorrhagie lag an der Convexität der rechten Hemisphäre, an der
sie etwa ein Drittel ihrer Oberfläche einnahm. In der Mitte der Blutung w*r
die Gehirnsubstanz in der Ausdehnung eines Zwei-Francstückes erweicht De
Herd der Consistenzverminderung war von der anscheinend intacten Hirnrinde
überdeckt und reichte in die Tiefe bis nahe an das Corpus callosum. Kleinert
Blutungen ohne begleitende Erweichung fanden sich in der Gegend beider
Ammonshörner, an der linken Hemisphäre und an mehreren Stellen der Klein¬
hirnoberfläche. Eine Embolie konnte nicht nachgewiesen werden. Eine bakterio¬
logische Untersuchung wurde nicht vorgenommen. Diesem letzteren Umstande
ist es wohl zuzuschreiben, dass die entzündliche Natur des Processes übersehen
werden konnte, die sich durch die Multiplicität der Herde, die Erweichung, die
Fiebersteigerung und die Ecchymosirungen der Schleimhaut des Harnapparstö
ziemlich deutlich verrieth. Dexler (Prag).
17) On intraoranial thrombosia aa tbe cause of double optie neuritis in
oaaea of ohloroaia, by C. 0. Hawthorne. (Brit med. Journ. 1902.
8. Februar.)
Bei einem 17jährigen, an Chlorose leidenden Mädchen trat plötzlich beider¬
seits Neuritis optica und gleichzeitig Doppeltsehen in Folge Lähmung des rechten
M. externus ein. — Beide Affectionen verschwanden ebenfalls gleichzeitig nach
einigen Wochen unter Buhe und Darreichung von Eisenpräparaten. Verf. nimmt
für die Entstehung der genannten Krankheitserscheinungen eine gemeinschaftliche
Ursache, und zwar eine intracranielle Thrombose an. Verf. verweist auf das von
anderen Autoren (u. A. Welsch) gefundene relativ häufige Vorkommen von
Sinusthrombosen bei Chlorotischen. E. Lehmann (Oeynhausen).
18) Sur quelques Symptomen interessante döterminöe par dea lddou
oiroonaoriptes de l’enoephale eto., par Toubert. (Gazette des höpitanx
1901. S. 1373.)
Selbstmordversuch durch Schuss in die linke Schläfe. Darauf Erscheinungen
■GoogI<
861
von Hirndruck. Bei der Trepanation wird ein endooranielles Hämatom nioht ge¬
funden. Rechtsseitige Hemiparese der Gesichts- und linksseitige der Extremitäten-
musculatur. Rechtsseitige Mydriasis; beide Pupillen starr. 12 Stunden später
vorübergehende Hyperthermie. Albuminurie und Glycosurie. Exitus am 4. Tage.
Bei der Obduction u. a. eiterige Bronchopneumonie, für welche Verf. auch die
cerebrale Affection verantwortlich machen will (Vagustheorie). Bulbärer Genese
sei die Glycosurie; die Erscheinungen von Compressio sind zurückzuführen auf
Contusio cerebri. Durch den Sohuss waren in Mitleidenschaft gezogen der rechte
Oculomotorius, der Tr actus opticus und der rechte Hirnschenkel. Die transi¬
torische Hyperthermie sei auch cerebrales Reizsymptom. Pilcz (Wien).
19) Ueber einen Fall von Erweiohang im dorsalen Theil der Brücke, von
Dr. Albert Ransohoff in Hoerdt i/E. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
XXXV. 1902.) 4
Bei einer Frau, die vom 26. bis zum 32. Jahr und ausserdem im 60. Jahr
psychisch krank gewesen war, trat eine den früheren geistigen Erkrankungen
ähnliche Alienation nach einem Schlaganfall im 55. Jahre auf. Im 57. Jahre
erfolgte der Tod. Ausser den in schreckhaften und drohenden Sinnestäuschungen
mit Depression der Stimmung bestehenden Symptomen fanden sich im Anschluss
an den Insult Lähmung des linken Facialis, beider Abducentes, vorübergehend
des rechten, dauernd des linken Rectus internus. Die mit Ataxie verbundene
Parese der rechtsseitigen Extremitäten ging später auch auf den linken Arm und
das linke Bein über. Ausserdem wurden articulatorische Sprachstörung, rechts¬
seitige Sensibilitätsstörungen und anhaltendes Zwangslachen sowie sub finem
trophische Störungen constatirt.
Bei der Section fanden sich Hypertrophie des Herzens, besonders deB linken
Ventrikels, Verdickung und Verkürzung der Mitralklappen, massige Schrumpf¬
niere, Arteriosklerose, besonders Verkalkung der Arterien der Hirnbasis sowie ein
thrombotischer Erweichungsherd im dorsalen Theil der Brücke, der namentlich
den linken Abducenskern, den linken Facialiskern, das rechte hintere Längs¬
bündel, beide Pyramiden und die linke Schleife zerstört hatte. Die Gehirn¬
windungen waren verschmälert. Auf beiden Hirnbälften fanden sich lacunäre
Einsenkungen besonders im Stirn- und Scheitellappen.
Verf. hat u. a. auch das Zwangslachen in den Bereich seiner Betrachtungen
gezogen und erklärt es für eine Störung in den reflexheramenden Bahnen, wahr¬
scheinlich im Gebiet der thalamospinalen Züge, die in der Haube der Brücke ge¬
schädigt waren. Der Kranken war gar nicht lächerlich zu Muthe, wenn sie
lachte; sie musste wider Willen lachen. Der das Lachen hervorrufende Reiz
gelangte offenbar nicht zu dem corticalen Centrum.
Georg Ilberg (GrossBchweidnitz).
20) Two oases of astereognosls, by Diller. (Brain. 1901. Winter.)
In den beiden Fällen des Verf.’s handelte es sich um einen Verlust des
stereognostischen Sinnes in der rechten Hand. Im ersten Falle, in dem zugleich
Tabes bestand, war die Ursache eine Verletzung der mittleren Theile der Central¬
windungen. Tast-, Temperatur- und Schmerzgefühl war erhalten; neben der
Artereognosis bestand noch Mangelhaftigkeit des Lage-, Bewegungs- und Raum¬
gefühls. Im zweiten Falle handelte es sich, da Convulsionen und Neuritis optica
bestanden, wahrscheinlich um einen Tumor. Die Krämpfe waren nicht localisirt
und Lähmungen bestanden nicht; trotzdem möchte Verf in Analogie zu seinem
ersten Falle den Tumor über den Central- und nicht über den Parietalwindungen
Google
862
localisiren. Die Rinde der Parietallappen ißt das Centrain nur für die einfacheren
sensorischen Eindrücke: Tast-, Schmerz*, Temperatorempfindungen. Die com-
plicirteren wie Lage-, Bewegung»- und Muskelgefühl sowie der Raumsinn leid«
bei Läsionen der Centralwindungen. Bruns.
21) Die Beziehungen der Arteriosklerose zu Erkrankungen des Gehirn«,
von Prof. Dr. Windscheid in Leipzig. (Münchener med. Wochenschr.
1902. Nr. 9.)
Die Erscheinungen der Arteriosklerose des Gehirns treten durch eine gewiss
geistige Ermüdung und Erschöpfung und namentlich dadurch hervor, dass die
betreffenden Patienten ganz plötzlich aufhören auf geistigem Gebiet etwaf
Neues zu leisten, indem die Conceptionsfähigkeit für neue Gedanken gestört ist
Es tritt dann eine Vereinigung von Kopfschmerzen, Schwindel und Gedächtnis¬
schwäche sowie eine auffallende Intoleranz gegen Alkohol hinzu. Sehr häufig
stellten sich nach einem relativ leichten Kopftrauma schwerere Störungen d«
Nervensystems ein und waren dann meist vorher arteriosklerotische Veränderungei
an den Gehirnarterien vorhanden. E. Asch (Frankfurt a/M.).
22) Ein Beitrag zur Kexmtniss der Enoephalitis, von Walther Spiel¬
meyer, Assistent am pathologischen Institut in Halle. (Archiv f. PBych. u.
Nervenkrankh. XXXV. 1902.)
Ein Fabrikarbeiter erlitt im 55. Lebensjahre einen Unfall, in Folge dessen
einige Finger der rechten Hand amputirt werden mussten, bekam einige Zeit
später Krampfanfälle ohne Bewusstseinsstörung mit klonischen Zuckungen, die vom
rechten Arm ausgingen und beide Beine in Mitleidenschaft zogen, wurde im
59. Jahr stumpf und unruhig, musste in die Hallenser Klinik gebracht werden
und starb daselbst nach wenigen Tagen. In der Klinik wurden Parese des
rechten Facialis, Abweichen der Zunge nach rechts, vorsichtiger, kleinschrittiger
Gang, aphasische Symptome, Benommenheit und Verworrenheit constatirt. Die
von aussen fühlbaren Arterien waren sklerotisch.
Bei der Section fanden sich feste Verwachsung der Dura mit dem Cranium.
starker Hydrops meningeus, Trübung der Arachnoidea über dem Stimhirn, Atrophie
der Stirnwindungen, Erweiterung der Seiten Ventrikel, massige Granulirung ihr«
Ependyms. Ausser drei alten Cysticerken wurden zahlreiche Herde in der weissen
Substanz beider Grosshirnhemisphären und des Kleinhirns entdeckt, welche theils
punktförmige, theils hirsekorngrosse, theils hanfkorngrosse Ausdehnung hatten
und dem Mark nach der Conservirung in Formalinlösung ein Aussehen gaben,
als ob es mit Sommersprossen übersät sei. Mikroskopisch wurde eis
nichteitriger encephalitischer Process festgestellt. Die Aehnlichkeit der Herde
mit denen bei Aetzencephalitis war auffallend. Ein entzündlicher Reiz hat sich
auf dem Weg der Blutbahn verbreitet und in erster Linie zu starker Proliferation
grosser epitheloider Zellen aus Neurogliaelementen geführt. Eine Beteiligung
der leukocytären Elemente hatte nicht statt, weil im Centralnervensystem bei Ent¬
zündungsprocessen die Neurogliazellen eine ähnliche Aufgabe wie die weissen
Blutkörperchen in anderen Geweben haben. Der Process verlief in Attaquen und
wurde immer wieder acut. Klinisch äusserte sich diese Hirnerkrankung in epi-
leptiformen Anfällen und zuletzt als Beniler Blödsinn.
G. Ilberg (Grossschweidnitz).
Google
863
23) Beitrag zu der Lehre von der infantilen Hemiplegie, von G. Marinesco.
(Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 16.)
Die infantile Hemiplegie ist ein Symptomencomplex, abhängig vom jugend¬
lichen Alter des Individuums, von der Theilnahme der Hirnrinde an den Ver¬
änderungen und von einem für die volle Entwickelung der Symptome genügend
langen Zeitraum. Das oonstante Auftreten vasculär-entzündlicher Processe ist
nicht sicher und bei der nicht einheitlichen Krankheit auch nicht zu erwarten.
Verf. untersuchte histologisch 7 Fälle von infantiler Hemiplegie in den ver¬
schiedensten Entwickelungsstadien: meist waren Infectionskrankh eiten voraus¬
gegangen, einmal Hydrocephalus die Ursache. In 3 Fällen fand sich einfache
Mikrogyrie (ohne Meningitis, ohne Erweichungsherde u. s. w.), in zwei anderen
Herdaffectionen.
Bei einfacher Mikrogyrie fanden sich in directem Zusammenhang mit der
Hemiatrophie des Hirns und entsprechend dem Grade derselben Zellveränderungen
in mehreren Schichten, mit besonderer Vorliebe an den mittleren und grossen
Pyramidenzellen. Die Ursache dieser gewissermaassen systematisirten Atrophie
liess sich nicht sicher ergründen, jedenfalls waren nicht ausschliesslich vasculäre
Processe im Spiele.
Die Riesenzellen der sensomotorischen Zone sind bei einfacher Mikrogyrie
der atrophischen Hemisphäre auf der kranken Seite reducirt, an Form und Ge¬
stalt verändert. Die Atrophie der Windungen bedingt naturgemäss Atrophie und
Schwund der constituirenden Fasern und Fibrillen: die Tangentialfaserschicht ist
verschmälert, die Radialfasern und das interradiäre Netz atrophisch. — Die ge¬
nannten Veränderungen betreffen nicht nur die Rolandi’sche Zone. Sehr häufig
ist bei der cerebralen Hemiatrophie die Atrophie der entgegengesetzten Klein¬
hirnhemisphäre. Verf. vermisst sie nur einmal: hier waren die Veränderungen
oberflächlich, es handelte sich um eine Meningoencephalitis, wahrscheinlich here¬
ditär syphilitischen Ursprungs. Die Kleinhirnatrophie ist wahrscheinlich abhängig
von der Zerstörung der basalen Ganglien: Genauere Angaben sind zur Zeit unmög¬
lich, jedenfalls kann die Atrophie auch bei normalem Thalamus opticus ein-
treten. Die feineren Veränderungen der Kleinhirnrinde variiren im Einzelfalle,
besonders interessirt die erhebliche Atrophie und der Schwund der Purkinje’-
schen Zellen.
Bei ausgesprochener Hemiatrophie können die Pedunculi cerebelli atrophisch,
der contralaterale rothe Kern degenerirt sein. — Die Pyramidenbahn ist zuweilen
nicht nur atrophisch, sondern auch, namentlich bei grösseren Herden im Gross-
hira, degenerirt R. Pfeiffer.
24) Beiträge zur Klinik der oerebralen Kinderlähmungen, von Medicinal-
rath Dr. W. Koenig. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XX.)
In dieser Arbeit des um die Erforschung der cerebralen Kinderlähmung hoch¬
verdienten Verf.’s werden noch eine Anzahl Fragen erörtert, die in seinen früheren
Veröffentlichungen nur flüchtig gestreift werden konnten. So bespricht er vor
allem das Verhalten der Sensibilität, die Reizerscheinungen und Coordinations-
störungen, die Sehnenreflexe, den Tonus der Musculatur, die Stellung des gelähmten
Armes und die Störungen des Ganges. Unter 55 Fällen war 34 Mal die tactile
Sensibilität und Schmerzempfindung normal, in 4 Fällen war letztere sogar ge¬
steigert. Unter den hemiplegischen Fällen fand sich nur ein extremer: schlaffe
Lähmung mit gesteigerten Reflexen; unter den paraplegischen 2 Fälle von schlaffer
Lähmung mit erhöhten Reflexen und unter den diplegischen nur ein derartiger
FalL Häufiger als diese extremen Fälle finden sich Mischformen, halb spastisch,
halb schlaff. Zum Schluss berichtet Verf. über das negative Resultat mit sub-
Google
864
cutanea Pilocarpininjectionen, indem das Schwitzen niemals halbseitig auftrat oder
ausblieb, sondern sich entweder symmetrisch einstellte oder gar nicht nachweisbar
war. Allerdings wurde niemals über die Dosis von 0,01 hinausgegangen.
£. Asch (Frankfurt a/M.).
26) Cerebrale Kinderlähmung und Idiotie, von H. Wachsmuth. (Archiv
f. Psych. XXXIV.)
22 Krankengeschichten und eine sorgfältige Berücksichtigung der Litteratnr
führen den Verf. zu folgenden Schlüssen: Die erbliche Belastung, besonders der
Potus der Eltern spielt in der Aetiologie der cerebralen Kinderlähmung eine
grössere Bolle als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist. (Hier in 11 von
22 Fällen.) Syphilis der Eltern ist dagegen eine sehr seltene anamnestische An¬
gabe. Die geistige Störung geht der Intensität der Lähmung nicht parallel
Die Folgezustände der acuten cerebralen Kinderlähmung können in 4 Grappa
getheilt werden: 1. solche Fälle, die in körperlicher und geistiger Hinsicht ib
einer Restitutio ad integrum führen, 2. Fälle, die psychisch keine dauernden
Schädigungen erkennen lassen, wohl aber auf körperlichem Gebiete Lähmung«
oder andere complicatorische Symptome zeigen, 3. Fälle, die psychische Schädigungen
aufweisen, aber keine somatischen, 4. Fälle, die psychische und somatische Störung«
erkennen lassen. Wenn auch nicht jede Idiotie auf diese Weise aus der cere¬
bralen Kinderlähmung bezw. deren Initialläsion, der Encephalitis, abzuleiten ist,
so wird doch die cerebrale Kinderlähmung hierbei häufiger sein als durchschnitt¬
lich angenommen wird. Die Aetiologie ist für beide Krankheiten in vielen Fällen
die gleiche: Belastung, Infectionskrankheiten und Trauma.
H. Haenel (Dresden).
26) L’adipo8e douloureuse, syndröme de Deroum, par Ch. F6r6. (Revue
de M6decine. 1901. S. 641.)
Verf. theilt vier neue Beobachtungen mit von abnormer subcutanea- Fett¬
entwickelung, verbunden mit lebhaften Schmerzempfindungen. Die Fettbildung
ist bald mehr eine diffuse, bald mehr unscheinbare naoh Art der Lipome. Zu¬
weilen zeigen sich einzelne besonders schmerzhafte Knoten, die an die bekannt«
„Tubercula dolorosa“ der Haut erinnern. Alle 4 Fälle F6r6’s betrafen Person«
mit ausgesprochener allgemein-neuropathischer Constitution. Die Adipositas dolo¬
rosa ist daher meist mit sonstigen neurasthenischen und hysterischen Symptom«
vereinigt. Manche Fälle erinnern an die Möbius’sche Akinesia algera. Dercum
selbst glaubt auf Grund einer Autopsie an eine Beziehung der Adipositas dolorosa
zur Schilddrüse. Doch ist diese Vermuthung höchst zweifelhaft. Wenn and
nicht in allen, so ist doch gewiss in vielen Fällen die Dercum’sche Krankheit
nichts anderes als eine gewöhnliche hysterische Algie bei einem Fettleibigen.
Strümpell (Erlangen).
27) Slow pulse, with special referenoe to Stokes-Adams’ disease, by Bob.
T. Ed es. (Transact. of the Assoc. of Americ. Phys. 1901.)
Verf. giebt die Krankengeschichten von 4 Fällen von extremer Pulsverlang*
samung, verbunden mit nervösen Symptomen, und hat im Anschluss dajran ans
der Litteratur eine grosse Anzahl (121) Fälle zusammengestellt, die dieses Sym¬
ptom, mit oder ohne Complicationen, zum Theil unter Anführung von patho¬
logisch-anatomischen Befunden, darboten. Unter Stokes-Adams’ Krankheit
versteht Verf. eine permanente Pulsverlangsamung mit acuten Verschlimmerringen,
begleitet von Schwindel- und Ohnmächte-, auch epileptiformen und apoplektiformen
Google
865
Anfällen. Unter der Casnistik ist bemerkenswert!!, dass näfch verschiedenen Nach¬
richten Napoleon I. an dieser Krankheit gelitten hat — Verf. streift die Puls-
verlangsamung im Puerperium, bei Bleivergiftung, Rüokenmarksverletzungen, con-
statirt, dass Tabakmissbranch mit der Aetiologie des langsamen Pulses niohts zu
thun hat, ebenso wenig Arteriosklerose, geht weiter auf die Gefahr ein, die in
einer Verwechselung der echten Bradyoardie mit dem langsamen Puls liegt: Fälle,
in denen wegen Herzschwäche nicht alle Herzcontractionen zu fühlbarem oder
aufschreibbarem Puls führen, sind nicht hierher zu rechnen. Sicher giebt es
Fälle von Pulsverlangsamung, in denen es nur zu Vorhofscontractionen kommt —
wie am Venenpuls nachgewiesen werden kann —, von denen nur ein Theil von
Ventrikelcontractionen gefolgt sind.
Die nervösen Symptome der Anfälle sind nach Art und Schwere ziemlichen
Schwankungen unterworfen; auch in ein und demselben Falle wechseln sie von
einfachem Schwindel bis zu vollständiger Bewusstlosigkeit mit Krämpfen. Manch¬
mal waren sie so gering, dass sie kaum die Aufmerksamkeit des Patienten und
Arztes erregten, und doch starb der Kranke in einem solchen Anfall Oft leitet
Geeichtsblässe den Anfall ein; die Dyspnoe ist meist weniger ausgesprochen als
man bei der extremen Pulsverlangsamung — bis auf 14, ja 9 und 6 Schläge in
der Minute — erwarten sollte.
Nur in wenigen Fällen hat sich die anatomische Untersuchung auch auf die
intracardialen Ganglienzellen und den Sympathicus erstreckt Einige Fälle, in
denen aus anderen Gründen die Herzganglien untersucht und pathologisch ver¬
ändert gefunden waren (bei Tuberculose, Pneumonie, acute Leberatrophie u. s. w.),
boten intra vitam Pulsbeschleunigung dar. Nur in 3 Fällen wurden Veränderungen
in der Oblongata und dem obersten Halsmark gefunden. — Gegen die Zurück¬
führung der dauernden Pulsverlangsamung auf eine Vagusreizung wird u. a. geltend
gemacht, dass im Thierversuch niemals eine fortdauernde Reizung des N. X. eine
dauernde Herzverlangsamung erzielen liesB, dass vielmehr nach kurzer Zeit das
Herz trotz deB fortwirkenden Reizes seine normale Sohlagfolge wieder aufnahm.
Dagegen hängt sicher eine grosse Gruppe von Fällen von einer lähmenden Läsion
der Centren des N. accelerans im unteren Halsmark ab, und auch wenn die
Störung den Accelerans in seinem weiteren Verlaufe trifft, einschliesslich der
Herzganglien, wird die Wirkung der dauernden Pulsverlangsamung zu Stande
kommen. Für die paroxysmalen Erscheinungen in der Stokes-Adams’schen
Krankheit giebt die Theorie einer Vagusreizung viel eher eine Erklärung; die
Erfahrung, dass eine der häufigsten auslösenden Ursachen für die Anfälle Ver¬
dauungsstörungen sind, würde jedenfalls nicht gegen dieselbe sprechen.
Jeder Fall von dauernder Pulsverlangsamung fordert zu genauester Unter¬
suchung des Herzens und des Nervensystems auf; die geringsten nervösen Sym¬
ptome, seien es auch nur vorübergehende Schwindelerscheinungen, trüben die
Prognose; die Lebensführung solcher Kranker muss eine absolut regelmässige sein.
Für die Behandlung werden die Nitrite und, trotz der scheinbaren Irrationalität,
die Digitalis empfohlen. Muskelanstrengungen und Verdauungsstörungen sind zu
vermeiden. Im entwickelten Anfall ist vor allem Atropin 0,001—0,002, subcutan
gegeben, angezeigt, dazu Tieflagerung des Kopfes. H. Haenel (Dresden).
Psychiatrie.
28) Heber ooordlnirte undawimilirte Geisteskrankheiten, von Dr. Alexander
Ferenczi in Budapest. (Gyögy&szat. 1901. Nr. 28 u. 29. [Ungarisch.])
Verf. analysirt die in der Litteratur veröffentlichten und die von ihm be¬
obachteten Fälle von combinirten Psychosen und gelangt zur Schlussfolgerung,
55
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666
es zweierlei FoAnen der Combination giebt, je nachdem zwei (im Sinne
Möbius) heterogene oder aber zwei homogene Krankheiteformen sich oombmiwn.
Kommt es zur Combination zweier exogener Psychosen (z. B. Paralyse und Alco-
holismus) oder zweier endogener Geisteskrankheiten (z. B. Hysterie und Psnaoit,
Hysterie und Manie, Imbecillität und Paranoia, Neurasthenie und Melancholie): so
vereinigen sich die zwei Symptomoomplexe unlösbar zu einem dritten Syndrom.
Dies sind Fälle assimilirter Geisteskrankheiten. Wenn dagegen eine exoge»
und eine endogene, d. h. heterogene Psychosen sich combiniren (z. B. Paralyse und
Paranoia, Morphinismus und Hysterie, Alcoholismus und Schwachsinn), so ist die
Vereinigung beider Symptomenreihen nicht so vollständig, dass sie nicht isolirbv
und nebeneinander gesondert erkennbar wären. Diese Form der CombisatioB
nennt Verf. die Coordination von Geisteskrankheiten. Die endogenen Psychosen
sind nicht eigentlich Krankheiten, sondern Entwickelungsanomalieen (Möbini)
während die exogenen von materiellen Läsionen der Himsubstanz verursach:
werden. Combiniren sich zwei Krankheiten oder zwei Abnormitäten, so komm:
es zur Assimilation; wenn aber ein ab ovo abnormer Mensch krank wird, werden
die Symptome der Krankheit und die der Abnormität gesondert, coordinirt, er¬
kennbar bleiben. Verl befasst sich dann ausführlich mit einem von ihm be¬
obachteten Fall der Coordination von Paralyse und Paranoia. Der 56 jährige
Mann ist seit Kindheit abnorm, war 11 Jahre lang Zuchthäusler (wegen wieder¬
holter Diebstähle); zur Zeit weist er die Symptome der beginnenden Taboparaljv
auf (Ataxie, Robertson, Romberg, Dysarthrie, Facialisparese) sowie systematische
Verfolgungswahnideeen, deren Mittelpunkt die tabischen Schmerzen sind. Sois
sind nur geringe Spuren der Geistesschwäche zu entdecken. Das Wahmyitcs
ist ein typisch paranoisches und hat mit den paranoiden Zuständen der Paralytiker
nicht die geringste Aehnlichkeit. Die Coordination dieser Psychosen ist relativ
selten, wahrscheinlich weil Degenerirte metasyphilitischen Conseqnenzen gegenüber
widerstandsfähiger sind (Pilcz). Interessant war, dass die schmerzstillenden Mit**
zugleich auf die Wahnideeen beruhigend wirkten. Hudovernig (Budapest).
29) Die fonotionellen Psychosen des Qreisenalters, von Docent J. Sa Igo.
(Gyogy&szat. 1902. Nr. 19. [Ungarisch.])
Neben den durch die senilen Rückbildungen bedingten Geistesstörungen be¬
zeichnet Verf. als „functioneile“ Psychosen des Greisenalters diejenigen, bei welcha
nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit dee günstige
Verlaufes vorhanden ist. Auch bei diesen nimmt Verf eine anatomische B*a*
an, und weist auf die senilen arteriosklerotischen Veränderungen des Central¬
nervensystems, welche wohl ganz leicht der Grund sind, auf welchem
die „fiinctionelle“ Psychose zu entwickeln vermag. Und so ist Verf niebt
geneigt, die vorübergehenden Psychosen des Seniums als solche transcortica^
Processe zu betrachten, welche jeder cerebralen Veränderung entbehren. &
hauptsächliche Charakteristika jeder im Greisenalter und in Folge desselben Be¬
tretenden Psychose bezeichnet Verf. den durch die Gehirnatrophie bedingt#
geistigen Verfall, und die durch Arterienveränderung hervorgerufene topische Zer*
Störung und die damit verbundenen Herdsymptome.
Als „fonctionelle“ Geistesstörungen des Seniums bezeichnet Verf. die senu?
Melancholie, welche das eigentliche klassische Beispiel der Melancholie bietet
welche häufig unter dem Bilde der sogenannten Melancholie agitata verläuft D#
zweite Form der functionellen Psychosen des Seniums bezeichnet Verf als „w®**
senile Blödheit“, deren Züge einerseits Bewusstseinstrübung, andererseits eitf
ständige hochgradige motorische Unruhe bilden; Die letztere ist roh, zweckl»
weder durch Wahnideeen, Hallucinationen noch durch Stimmungsschwankung 01
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867
bedingt; die Kranken sind deeorientirt, es mangelt ihnen jedes ethisohe Gefühl,
die Stimmung ist schwankend; hochgradige geistige Defecte und bedeutender
Verfall der Intelligenz dominiren in diesem Krankheitsbilde, dessen Prognose meist
schlecht ist, doch kommt auoh restitutio ad integrum vor.
Hudovernig (Budapest).
SO) Vom Verhältnis der psyohiaohen mangelhaften Bntwiokelung zu ver¬
schiedenen Kategorleen der Sprachstörung, von W. 0 ltuszewski. (Therap.
Monatsh. 1902. Uai u. Juli.)
Eine ausführlichere Darstellung der Anschauungen des Verf.’s, die er schon
früher an anderen Stellen wiederholt ausgesprochen hat und die auch in diesem
Centralblatte verschiedentlich wiedergegeben worden sind (1898, S. 163; 1900,
S. 879; 1901, S. 1094). Da gegenüber den genannten Arbeiten die vorliegende
keine wesentlich neuen Gesichtspunkte enthält, kann eine Besprechung hier unter¬
bleiben. H. Haenel (Dresden).
31) Un oaso di solerosi tuberosa ipertrofioa della oorteooia cerebrale oon
idiosia, per S. Gavazzeni. (Arch. per le scienze med. 1902.)
Es handelt sich um eine 18jährige Idiotin. Eine nennenswerthe erbliche
Belastung war nicht nachzuweisen. Die Geburt und die Entwickelung in den
ersten 6 Lebensjahren verlief im Wesentlichen normal. Mit dem 6. Jahr setzten
kurz nach einem schweren Schrecken Krampfanfälle ein, die sich mehr und mehr
häuften und zu progressiver Verblödung führten. Der Sectionsbefund entsprach
ziemlich genau den Angaben Bourneville’s. Herdsymptome hatten gefehlt
Th. Ziehen.
32) Un pöre oooainomane engendrant des enfbnts idlots, par Prof. Dr.
Marfan. (Revue mensuelle des maladies de Penfance. XIX. 1901. Sept)
Der bekannte Pariser Paediater referirt über folgende Beobachtung: Es wird
hier ein 6jähriges Kind mit den Zeichen deutlicher Idiotie, welche angeblich an¬
geboren ist, vorgeführt; die eingeleitete Thyreoidbehandlung ist objectiv ganz ohne
Erfolg. Einige Zeit später bekommt Verf. auch das 10 monatliche Brüderchen des
Pat. zu Gesicht, welches ebenfalls ausgesprochen idiotisch ist. Verf. erfährt nun,
dass der Vater seit einigen Jahren Cocainoman sei. Nach einigen ärztlicherseits
behufs Nasenoperationen ausgeführten nasalen Cocainisirungen habe sich Pat.
das Aufschnupfen von salzsaurem Cocain angewöhnt und sei jetzt bei 3 g täglich
angelangt. Ohne dasselbe sei er nicht im Stande zu athmen. Seit der Gewöhnung
an das Cocain sei er fett, arbeitsunlustig, appetitlos, aufgeregt geworden; nament¬
lich nach dem Einschlafen stellen sich Hallucinationen mit heftigem Aufschreien
ein. Von den vier Kindern des Pat. sind die zwei nach der chronischen Cocain¬
vergiftung Gezeugten idiotisch. Zappert (Wien).
33) Un idlota miorooefalo, per A. D’Ormea. (Manicomio Prov. di Ferrara.
Bologna, 1901.)
Ein 4jähriger Knabe ohne erbliche Belastung zeigt fast keine Spur von
Intelligenz, so dass selbst keine Nahrung verlangt wird. Die körperliche Ent¬
wickelung ist normal bis auf den Schädel, der einen horizontalen Umfang von
43ömm zeigt (bei normalen Kindern im gleichen Alter 470—528 mm). Den
intellectuellen Defect sowie die Mikrocephalie führt der Verf. auf eine Ursache
zurück, nämlich auf einen nicht näher definirbaren, während des intrauterinen
oder im Beginn des extrauterinen Lebens erworbenen Intoxicationsprocess, der
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lediglich die psychischen Centren in Mitleidenschaft gezogen hat, ohne irgend
welche Störung motorischer oder sensibler Natur zu hinterlassen. Es würde eich
um einen Fall von Cerebroplegia psyohioa handeln mit dem einzigen Sym-
ptom der Idiotie. Der frühzeitige Verschluss der Schädeln&hte sei auf denselben
Procees zurückführbar. L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
34) Idiotie mioroodphaliqoe: oerveau pseudo-kystique , par Bourneville
et Oberthür. (Archives de neurologie. 1901. April.)
Es handelt sich um einen 2 7 S jährigen mikrocephalen Idioten, der hereditär
schwer belastet war. Der Fall ist wie alle von Bourneville oder auf seine
Veranlassung veröffentlichten Fälle genau und ausführlichst mitgetheilt und bietet
eine Bereicherung der Casuistik. Adolf Passow (Meiningen).
36) Ein Fall von tiefttehender Idiotie mit Skeletverftnderungen, von Priv.-
Doc. Dr. W. Weygandt in Würzburg. (Münohener med. Wochenschrift
. 1901. Nr. 52.)
Bei einem 34 jährigen Idioten, dessen Körperlänge nur etwa 145 cm beträgt,
besteht Totalskoliose der Wirbelsäule, hochgradige Contracturbildung an den
unteren Extremitäten und Abknickung des rechten Unterschenkels, welch letztere
wohl die Folge einer intrauterin oder intra partum entstandenen, schlecht ge¬
heilten Fractur ist. Ausserdem findet sich am Halse eine harte, taubeneigrosse
Geschwulst (Dermoid ?), von einem Kiemengangrest ausgehend. Intellectuell macht
sich ein Gegensatz zwischen der ziemlich lebhaften Auffassung und den sehr
mangelhaften Ausdrucksbewegungen, besonders der Sprachlosigkeit, bemerkbar.
Pat entstammt einer stark degenerirten Familie und war lange Zeit hindurch
sehr verwahrlost. Die wesentlichste Ursache des Leidens ist in der Entwickelung*-
Hemmung des Hirnes zu suchen. E. Asch (Frankfurt a/H.).
36) Agrammatismus Infan tills, von Dr. med. Alb. Liebmann, Arzt für Sprach¬
störungen in Berlin. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIV.)
Verl bespricht in seiner sehr interessanten Abhandlung drei Formen von
Agrammatismus.
Die erste besteht darin, dass Kinder nach dem 3.—4. Lebensjahre Sätze
weder spontan bilden nooh nachsprechen können. Die Kinder sind absolut un¬
fähig, sich der grammatischen und syntaktischen Form zu bedienen. Bei ihnen
finden sich Defecte in der optischen, acustischen, taktilen und motorischen Sphäre,
welohe auf einer Anomalie der betreffenden Aufmerksamkeit und des Gedächtnis«*
beruhen. Die Betroffenen nehmen viel zu ungenau wahr, als dass sie eines so
complicirten Apparates bedürften, wie er zur Mittheilung mit spontaner Satz-
bildung nöthig ist. Ihre acustischen Fähigkeiten sind so gering, dass sie einen
gehörten Satz in Bezug auf Syntax und Grammatik nicht auffassen und eine
Reihe von aufeinander folgenden Worten nicht im Gedächtuiss deponiren können;
deshalb können sie nicht nachsprechen. Die Betreffenden haben meist spät laufen
gelernt, ihre Hände sind ungeschickt, ihre Sprachmusculatur functionirt un¬
genügend. Da sie meist erst im 3. oder 4. Jahre sprechen lernten und dann in
der Regel noch schwer stammelten bezw. hörstumm waren, blieben sie von ihrer
Umgebung geistig isolirt.
Bei der zweiten Form können Sätze spontan nicht gebildet und Worte
nicht flectirt werden. Zwar kommen beim Nachspreohen wenigstens manche kleine
Sätze mit richtiger Flexion zu Stande, bei einigermaassen complicirteren Sätzen
jedoch versagen die Kinder, weil ihrem Verständnisse viele Worte und Flexionen
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869
und damit das ganze Satzgefüge verschlossen sind. Auch bei ihnen functioniren
Aufmerksamkeit und Gedächtniss auf dem optischen, acustisehen, taktilen und
motorischen Gebiete noch mangelhaft, doch immerhin besser als bei den Agramma-
tikern der ersten Form. Immerhin sind ihre geistigen Fähigkeiten noch nicht
so weit, dass sie sich beim spontanen Sprechen der Syntax und Grammatik be¬
dienen konnten.
Während die besprochenen Formen etwa bis zum 8. Lebensjahre beobachtet
werden, kommt die dritte Form bei älteren Kindern von 10, 12, ja von
15 Jahren vor. Hier wird spontan in Sätzen gesprochen, aber Ausdruck, Syntax
und Flexion Bind häufig sehr verschroben. Die Phraseologie ist sonderbar, die
Flexionen sind eigentümlich, der Satzbau ist imvollkommen; Worte werden aus¬
gelassen oder an unrichtigen Stellen gebracht. Man muss sich den Sinn eines
Satzes immer erst combiniren; kleinere Sätze werden richtig nachgesprochen, bei
grösseren kommt es zu zügellosem Agrammatismus, da das Gedächtniss versagt.
Bei diesen Kindern finden sich artioulatorische Sprachstörungen verschiedener
Art in Form von Stottern, Stammeln, Näseln oder Poltern. Bei den Stotterern
handelt es sich um functionelle Schädigung des Sprachcentrums. Bei den Stammlern
liegen manchmal organische Fehler an Ohr, Gaumen, Nase oder Bachen vor, bei
den meisten Stammlern und bei den Polterern handelt es sich dagegen um eine
rein functionelle Störung, welohe auf einer Herabsetzung der motorischen und
acustischen Aufmerksamkeit basirt.
Verf. macht darauf aufmerksam, dass ein undeutlioh sprechendes Kind auch
in Bezug auf seine formale Sprache ausserordentlich zurückbleibt und citirt be¬
treffs der Behandlung aller drei Formen seine Vorlesungen über Sprach¬
störungen, Berlin 1898, in denen hierüber Genaueres nachzulesen ist.
G. IIberg (Sonnenstein).
37) ▲ oontribution of the Bymptomatology of oretinfsm and other forma
of idiooy, by Henry Koplik, M. D., and Jacob Lichtenstein, M. D.
(New York). (Archives of Pediatrics. 1902. Febr.)
Bei sämmtlichen untersuchten Fällen von Cretinismus, bei Mikrocephalen und
anderen Idioten sowie bei anderweitig degenerirten Kindern, niemals aber bei
normalen Individuen, fanden die Verff. eine eigentümliche Abnormität der Hände.
Dieselbe besteht in einer Vorwölbung am Antithenar, entsprechend der Lage des
Os pisiforme, welche knapp an der Furohe zwischen Handteller und Vorderarm
gelegen ist, und, von der Seite betrachtet, wegen ihres steilen Anstieges aus der
Gelenksfurche ein bayonettförmiges Aussehen besitzt. Die Verff. glaubten anfangs,
dass diese Abnormität mit dem bei derartigen Kindern meist lange dauernden
Kriechen Zusammenhänge, konnten aber diese Meinung nicht aufrecht halten, als
sie die gleiche Veränderung an der Hand eines 3 monatlichen Cretins vorfanden.
Ob die Difformität angeboren ist, ob sie vielleicht ein Analogon bei höheren
Affenarten aufweist, müssen erst weitere Studien lehren; jedenfalls dürfte diese
Anomalie der Hand die Bedeutung eines Degenerationszeichens besitzen.
Zappert (Wien).
38) The eye defecta whioh may oause apparent mental dullness and
defloienoy in ohildren, by Charles Stedman Bull, M. D. (New York).
(Archives of Pediatrics. 1902. 15. Febr.)
Geistige Trägheit oder mangelnde Intelligenz wird bei Kindern nicht selten
durch Augenstörungen vorgetäuscht. In erster Linie verdient pathologische Hyper-
metropie hervorgehoben zu werden, welohe gerade bei Schulkindern zu Kopf¬
schmerz, leichter Ermüdbarkeit und den Zeichen von Stumpfsinn fuhren kann.
Google
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Daran schließen sich in Bezog auf die Häufigkeit Astigmatismus, Hiopie und
— oft mit einem der genannten Leiden combinirt — Augenmuskelsehwächc.
Verf. schildert in recht anschaulicher Weise, wie jede dieser Störungen, so lange
sie unerkannt ist, das Seelenleben des Kindes zu schädigen im Stande ist, wie
aber auch eine Behebung des Leidens eine sofortige geistige Erfrischung der
Kinder zur Folge hat. Weniger häufig begegnet man angeborenem Cataracte,
Dislocation der Linse, Albinismus, Kolobom und Fehlen der Iris als Ursache
einer derartigen Geisteeträgheit bei Kindern. Endlich giebt es noch eine eigen*
thümliche, wahrscheinlich central bedingte Störung, die „Wortblindheit (( , welche
durch das Unvermögen lesen zu lernen sich äussert und meist verkannt wird.
Zappert (Wien).
89) L*h6r6ditd et la ddgöndresoenoe en obstötrique, par Larger pöre et
fils. (Progrds mädical. 1902. Nr. 2.)
Die Verff. wollen in mehreren Fällen constatirt haben, dass die Kinder erb¬
lich schwer Belasteter und Degenerirter durch Generationen hindurch nie in Schädel-
lagen geboren wurden, sondern in Steiss-, Quer* und Gesichtslagen. Bisher ist
die Anzahl der Beobachtungen nur eine geringe.
Adolf Passow (Meiningen).
40) Das Simuliren von Geisteskrankheiten, von E. N6meth. (Gyögyäszat
1902. Nr. 23—27. [Ungarisch.])
In einer längeren, filr ein kurzes Referat nicht geeigneten Arbeit beschäftigt
sich Verf. mit der forensischen Wichtigkeit der Simulation und auch des Dis*
simulirens von Geisteskrankheiten, sowie mit der Art und Weise, wie Simulanten
entlarvt werden können. Die oberflächliche Narcose, Anwendung von Douchen
u. s. w. hält Verf hier vollkommen überflüssig; es genügt meist, vor dem Simu¬
lanten zu bemerken, dass zum klassischen Krankheitsbilde noch einzelne Symptome
fehlen, worauf dieselben in der kürzesten Zeit ebenfalls producirt werden; auch
das Vorstellen bei einem Vortrag als Simulant wird manchmal genügen, den
Simulanten zur Einbekennung zu bringen. Verf. weist anch darauf hin, dass
Geistesschwache oder Geisteskranke eine Geisteskrankheit simuliren, doch ist dies
meist die Folge psychischer Defecte und verschwindet bei psychischer, suggestiver
Beeinflussung; auch giebt es Fälle, in welchen das Simuliren das erste Zeichen
einer beginnenden Geisteskrankheit ist Sechs eingehend mitgetheilte Krankheits¬
geschichten vervollständigen die interessante Arbeit, an deren Schlüsse Verf
hervorhebt, dass die Simulanten in der Anwendung von blödsinnigem und un¬
sinnigem Verhalten wohl unermüdlich consequent sind, dooh inconsequent im
Simuliren selbst. Hudovernig (Budapest).
41) Ueber „innere“ somatisohe Entartungszeiohen, von P. Näcke. (Archiv
f. Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik. IX.)
„Innere“ Degenerationszeichen sind bisher wenig studirt; dazu bedarf es
einer grossen Zahl von Autopsieen von normalem und pathologischem Material,
die in der gleichen Weise verarbeitet werden müssen.
Verf. hat nur Lungen, Herz, Leber, Milz, Nieren berücksichtigt, insoweit
deutliche Abweichungen in Grösse, Gestalt — sei ob im ganzen oder bezüglich
einzelner Theile —, Vermehrungen oder Verminderungen normaler Lappen-, Spalt¬
bildungen u. s. w. vorliegen.
Diese seltenen Bildungen, die auf Entwickelungshemmungen oder Ernährungs¬
störungen im frühesten fötalen Zustande beruhen und kaum jemals einem echten
GoogI<
871
Rückschläge entsprechen, sind als Degenerationszeiohen ans folgenden Gründen
anzusprechen: sie sind bei Normalen viel seltener als bei Paralytikern, Geistes¬
kranken, Verbrechern u, s. w.; sie zeigen sich bei diesen gern gehäuft, stärker
ausgebildet; die selteneren, also wichtigeren Anomalieen sind hier eher anzutreffen:
die Zahl dieser Bildungen nimmt mit dem Grade der Entartung am Immerhin
sind auch sie nur von relativem, nicht von absolutem Werth; sie weisen nur hin
auf die Möglichkeit des Bestehens einer Entartung, die durch anderweitige
klinische Beobachtungen sioher festgestellt werden muss.
Ernst Schnitze (Andernach).
42) Wiohtige Entscheidungen auf dem Gebiete der gerichtlichen Psychiatrie,
von Ernst Sohultze. (Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift. 1902.
Nr. 1 u. 2.)
Verf. stellt aus den zwei bekannten und inhaltsreichen juristischen Zeit¬
schriften, der „Juristischen Wochenschrift“ und dem „Recht des Jahres 1901“,
alle für die gerichtliche Psychiatrie in Betracht kommenden Entscheidungen zu¬
sammen. Sie sind nach den Paragraphen des Strafgesetzbuchs, der Strafprocess-
ordnung, des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch, der Civilprocessordnung und des Handelsgesetzbuchs geordnet
Dass diese verschiedenen Entscheidungen, deren Zahl übrigens ziemlich be¬
deutend ist, nicht zerstreut, sondern an einer Stelle Vereinigt und leioht auffind¬
bar sind, wird sich sicherlich für den praktischen Gebrauch bewähren, zumal
wenn derartige Zusammenstellungen auch fernerhin regelmässig veröffentlicht
werden; das ist sicherlich sehr zu wünschen.
Dass gerade die Entscheidungen auf dem Gebiete des Civilrechts uns ein
tieferes Eindringen in den Geist des Bürgerlichen Gesetzbuches erleichtern werden,
darauf sei noch besonders hingewiesen. M.
43) Strafreohtlioh-psyohlatrisohe Gutachten als Beiträge zur gerichtlichen
Psyohiatrie für Juristen und Aerzte, von Hermann Pfister. (Stutt¬
gart 1902, Enke. 376 S.)
An die Lectüre einer Sammlung von Gutachten geht man im allgemeinen
mit gemisohten Gefühlen heran. Verlockend ist die Erfahrung, dass da in der
Regel interessante und lehrreiohe Fälle mitgetheilt werden, von denen man er¬
wünschte Förderung erwarten kann, zumal wenn sie von so competenter Seite
mitgetheilt werden wie die vorliegenden. Dagegen wird der Genuss wesentlich
dadurch beeinträchtigt, dass die Fälle eben in den umständlichen Apparat foren-
sischer Gutachten eingekleidet sind, duroh den man sich duroharbeiten muss.
Dieser Uebelstand findet sich naturgemäss anch in dem vorliegenden Buohe.
Allerdings hat Verf. bei der Veröffentlichung dieser Gutachten u. a. auch den
Zweck gehabt, dem Lernenden Vorbilder für die Abfassung brauchbarer Gutachten
zu liefern; aber war es dazu nöthig, immer wieder die Formation abzudruoken
und in allen Fällen die Ergebnisse der Untersuchung und Beobachtung mit allen
unwesentlichen Details ausführlich wiederzugeben? Ich denke, ein Schema hätte
zu diesem Zwecke genügt, allenfalls ein wörtlicher Abdruok einiger weniger Gut¬
achten. Die übrigen hätten dann umsomehr duroh mancherlei Kürzungen lesbarer
gemacht werden können.
Das ist es, was ich an Verf.’s Buch auszuBetzen habe; wer sich durch
diese Aeusserlichkeiten nioht absohrecken lässt das Buch zu lesen, wird es siche*
nicht bereuen.
Neun unter den 14 Gutachten betreffen Epileptiker, eine wahre Muster-
«ollection, welche die vielseitige Criminalität dieser Beranken deutlioh zur An-
Google
872
schauung bringt. Die Nutzbarkeit, der jähe unmotivirte Stimmungswechsel der
Epileptiker, ferner die so wichtigen tiefen Bewusstseinsstörungen bei auaserlich
correctem Verhalten werden anschaulich geschildert. Besonders für die juristisch«
Leser dürften diese Fülle recht lehrreich sein: Verurtheilungen solcher Krankes
ohne Hinzuziehung von Sachverständigen werden nicht leicht Vorkommen, wenn
dem Richter derartige Fülle bekannt sind. Das Gleiche gilt auch von den vier
Fällen angeborenen Schwachsinns, bei denen besonders das triebmäsaige, unüber¬
legte Handeln trefflich geschildert ist. Besonders dankenswerth ist dabei der
Hinweis, dass sowohl bei Schwachsinnigen, wie auch bei jugendlichen Normal«
„vielfach der Thäter kurz nach der That eine wesentlich andere (reifere) geistige
Persönlichkeit ist, als er vorher war", weil die ernsten Erfahrungen bei und nach
der Verhaftung für einen „schub- und sprungweisen Entwickelungsprocess“
(Emminghaus) die beste Gelegenheitsursache abgaben. — Die jammervolle Ver¬
elendung durch Morphinmissbrauch wird durch die beiden ersten Fälle, ein
morphiumsüchtiges Ehepaar, drastisch vor Augen geführt. Die weiteren Fälle
betreffen einige Paranoiker, einige Simulanten, Dementia senilis, Entartungmm-
sein u. s. w. Besonders schön und instructiv ist auch die Schilderung eines
Melancholikers, der sich fälschlich selbst wegen Brandstiftung angezeigt hatte
Dass nachgewiesene Simulation keineswegs geistige Gesundheit beweist, wird ge¬
bührend betont.
Viel Wissenswerthes wird in Anmerkungen beigefügt, unter welchen die für
Juristen und Medieiner bestimmten äusserlich kenntlich gemacht sind.
Deiters (Andernach).
in. Bibliographie.
1) Speoielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein Handbuch für Aerzte
und Studirende, von Wilhelm - Leube. Zweiter Band. 6. neubearbeitete
Auflage. (Leipzig, F. C. W. Vogel. 1901.)
Der vorliegende Band behandelt neben den Blut-, Stoffwechsel- und Infections-
krankheiten in seiner grösseren Hälfte die Diagnose der Nervenkrankheiten und
das rechtfertigt eine Besprechung an dieser Stelle.
Verf. erörtert zunächst die Diagnose der Krankheiten der peripheren Nerven,
dann der des Rückenmarkes und der einzelnen Hirnpartieen sowie die der diffus«
Erkrankungen des Gehirnes. Jedem Abschnitte ist eine klar geschriebene und
durch anschauliche Zeichnungen erläuterte anatomisch-physiologische Einleitung
mit einer Erörterung allgemeiner klinisch-diagnostischer Gesichtspunkte voraus-
geschickt Des Weiteren setzt Verf. die Diagnose der functioneilen Hirnkrank-
heiten und der sogenannten Tropho- und Angioneurosen aus einander.
Wie sehr Verf. die Aufgabe gelungen ist, eine für Aerzte und Studirende
gleich brauchbare Diagnostik der inneren Krankheiten zu schreiben, das lehrt
schon der äussere Erfolg, dass in einem Zeitraum von etwa 12 Jahren 6 Auflagen
nöthig wurden, und dass dann Verf. Zeit und Müsse fand, die neueren Fort¬
schritte zu verwerthen, dafür wird ihm der Leser besonders dankbar sein.
Gerade eine Vergleichung der Diagnostik der Nervenkrankheiten in ihrem
ersten und in ihrem heutigen Gewände zeigen die inzwischen errungenen Fortschritte.
So sind, um nur einige zu erwähnen, hinzugekommen Bemerkungen über die
Neurontheorie, die Migraine ophthalmoplägique, die polyneuritische Psychose (oder
besser Korsakow’sches Psychose genannt), die Segmentaldiagnose der Rücken-
markserkrankungen, die Lumbalpunction, die neurale Muskelatrophie, die Myasthenia
pseudoparalytica gravis, die seröse Meningitis. Andere Kapitel sind entsprechend
dem heutigen Stande unserer Wissenschaft umgearbeitet, wie die Schilderung der
■GoogI<
873
F riedreich’schen Krankheit, der Rückenmarkstumoren, der Kleinhirnaffectionen.
In zahlreichen Einzelheiten zeigt sich die bessernde Hand des Verf.
WennVerf. bei Besprechung der Histologie der Gehirnrinde auf die Flechsig* -
schen Theorieen kommt, so dürfte sich dabei, besonders mit Rücksicht auf
den angehenden Mediciner, ein Hinweis auf deren zahlreiche und doch wohl nicht
unberechtigte Gegnerschaft empfehlen. Wenn ferner Verf. die als Neurasthenie
diagnosticirten Krankheiten als einfache Abarten der Hysterie anspricht, so wird
er damit sicherlich nicht auf die allgemeine Zustimmung rechnen können. Schliess¬
lich wird, um auch dies noch zu bemerken, hervorgehoben, dass die circulare
Form der Neurasthenie von vielen Psyohiatern mit triftigen Gründen nicht nur
als ein Analogen der Folie circulaire, sondern geradezu als eine Form dieses
Leidens, wenn auch sehr milde Form, angesprochen wird. Doch das sind nur
unwesentliche Ausstellungen.
Es unterliegt Ref. keinem Zweifel, dass Verf. seine Absicht, den Sinn für
die Diagnose zu heben, vollauf gelungen ist und dass er auch mit der neuen
Auflage den gleichen Erfolg erzielen wird wie mit ihren Vorgängerinnen.
Ernst Schnitze (Andernach).
2) Opore oomplete, del Dr. Serafino Biffi. (Milano 1902, Ulrico Hoepli.)
Die Neffen Biffi’s, Dr. Angelo de Vinoenti und Dr. Engenio Mqdea
haben in fünf starken Bänden die Arbeiten ihres Onkels gesammelt
In denselben zeigt sioh die gewaltige Arbeitskraft Biffi’s (geboren 1822,
gestorben 1899), weloher mit zu den Begründern der modernen italienischen
psychiatrischen Schule gehört
Der erste Band, welcher die Arbeiten über experimentelle Physiologie und
Physiopathologie enthält, bringt auch die wichtige Arbeit über die Nerven der
Zunge.
Der zweite und dritte Band ist den psychiatrischen Arbeiten gewidmet, unter
denen die über den Cretinismus (2. Band) hervorzuheben und als für uns Deutsche
von besonderem Interesse die Reminiscenzen an eine Reise nach Deutschland
(3. Band) zu nennen sind.
Der vierte Band: „Riformatosi pei giovani“ enthält ausser einer Darstellung
der F ür s o r g eerziehung und der Correctionsanstalten in Holland, Belgien, Frank¬
reich, der Schweiz und Italien eine erschöpfende Zusammenstellung der nach dieser
Richtung hin bestehenden privaten Einrichtungen in Italien, eine reiche Fund¬
grube für alle diejenigen, welche sich mit dieser besonderen Frage beschäftigen.
Der fünfte endlich (Psichiatria forense e Diecipline carcerasie) bringt eine
grosse Reihe von forensischen Gutachten, unter denen das im Process Curti ab¬
gegebene (Brief an Verga) seiner Zeit in Mailand das grösste Aufsehen erregte
(1858).
Das Denkmal, das die Neffen dem Onkel setzten, wird in der psychiatrischen
Wissenschaft nicht vergessen werden. M.
3) Anatomie des oentres nerveux, par J. Dejerine, avec la collaboration de
Madame Dejerine-Klumpke. Tome deuxiöme. Fase. 1, avec 485 Figures
dans le texte, dont 180 en couleurs. (Paris 1901, Rueff.)
Dem im Jahre 1895 erschienenen ersten Band der Anatomie der Nerven-
centren ist jetzt der erste Theil des zweiten Bandes gefolgt, welcher mit den
Projectionsfasern der Hirnrinde beginnt und der Structur und Textur des Klein¬
hirns schliesst (der noch ausstehende zweite Theil des 2. Bandes wird die Ana¬
tomie des Rückenmarks enthalten) und 720 Seiten zählt.
Google
874
Es ist selbstverständlich unmöglich, auf die einseinen C&pitel oder gar auf
die Einzelheiten des monumentalen Werkes einzugehen, das in knapper und
präciser Darstellung alles das bringt, was wir über die Anatomie des Nerven¬
systems wissen, fast durchgängig geprüft durch eigene Forschung an Beibet-
hergeatellten Präparaten mit beinahe erschöpfender Berücksichtigung der Litter&tnr,
besonders auch der deutschen.
Besonders hervorgehoben sollen hier nur werden einmal die eingehend»
Beschreibungen und Abbildungen der seoundären Degenerationen, welche auf um¬
schriebene oorticale Läsionen folgten (S. 108—198), und dass die Verff. sieh ein¬
gehend mit der Localisationsfrage in der Hirnrinde (S. 219—252) und mit der
Localisation in der inneren Kapsel beschäftigen, und auch in Bezug auf des
übrigen Theil des Hirns die physiologische Würdigung der anatomischen Dar¬
stellung hinzufügen.
Es ist selbstverständlich, dass das Buoh nicht bloss in der Bibliothek dei
Anatomen, sondern auch in der des Neurologen und Psychiaters nicht fehlen darf
Die Ausstattung, speciell die Abbildungen sind vorzüglich. M.
IV. Aas den Gesellschaften.
Vorein für Psychiatrie und Neurologie in Wien.
Sitzung vom 12. Juni 1900.
(Jahrbücher £ Psych. 1901. S. 392.
Herr Zappert berichtet über den weiteren Verlauf des in der vorig«
Sitzung vorgeetellten Mentngitisfäll es mit initialer Aphasie.
In der Folgezeit bot Pat das typische Bild der tuberculösen Meningitis; un¬
gefähr eine Woche vor dem Tode traten gehäufte Krämpfe vorwiegend im link«
Facialis und Arm auf; die rechtsseitige Hemiparese wurde undeutlicher, die Aphasie
blieb fast unverändert. Dauer der Krankheit 23 Tage. Obductionsbefund: sub-
acute tuberculöse Meningitis in der Gegend der Sylvi’Bchen Furche links mit
Tuberkelknötchen bis Hanfkorngrösse auf der unteren Stirnwindung; frisch«
Exsudat an der Basis, vereinzelte kleine Knötchen der rechten Hemisphäre; diffuse
Organtuberculose.
Es war die Diagnose somit bestätigt, nur wäre zur Erklärung der terminal«
linksseitigen Convulsionen noch anzufügen, dass die frisohe Tuberkeleruption von
der Basis her wohl auf beide Hemisphären übergreift, jedoch nicht im Stande
war, die mit älterem Exsudat bereits überzogene Hirnpartie zu schädigen.
Herr Zappert stellt ferner einen lOjähr. Knaben mit neurotischer Muskel*
atrophie vor.
Beginn der Erkrankung nach einer acuten Affection im December 1899 mit
Schwäche im linken, später auch im rechten Bein; ausserdem konnte Z. damsk
eine leichte Parese mit Atrophie der Hände constatiren. Jetzt besteht Parese
beider Peronealmuskelgruppen mit geringer Atrophie, ziemlich starke Abmagerung
und Functionsschwäche des Then&r, Antithenar, der Interossei beider Hände, und
zwar links > rechts. Sensibilitätsstörungen fehlen (anfangs Schmerzen in den
Beinen). Keine Druckempfindlichkeit der Nervenstämme. Patellarsehnenreflexe
sohwer auslösbar, Achillessehnenreflexe fehlend. Muskeln und Nerven elektrisch
erregbar (die atrophischen Muskeln sowie N. ulnaris und peroneus entsprechend
erhöht).
Z. diagnosticirt trotz Fehlens der Familiarität und der anscheinend ungestörten
Sensibilität neurale Muskelatrophie (Ho ff mann).
■GoogI<
875
Herr Raimann: Bericht über die bisherigen Erfahrungen an der Klinik
'Wagner über das Hedonal.
Experimentelle Untersnchungen zur Bestimmung der dosis letalis an Thieren
ergaben, dass Sohlaf (bis 27 Stunden) bei allen Thieren zu erzielen war, Puls,
Athemfrequenz, Temperatur durch das Mittel herabgesetzt wurde, die dosis letalis
pro 1 kg Thier 10 g betrage.
Versuche am Menschen — psychischen Kranken — (1,0 g in wässrig-wein¬
geistiger Lösung oder in Oblaten) ergaben, dass 1,0 g bei Männern eine zu geringe
Dosis sei und die Darreiohung in flüssiger Form (wegen der raschen Resorption)
nicht genügend nachhaltige Wirkung sichere. 2,0 g dieses Mittels führten (11 Ver¬
suche an 7 Männern, 1 negativ, 3 Mal?, 7 Mal positiv) meist Schlaf herbei; doch
sank die Körpertemperatur bis auf 35,6°, was sich in Kürze wieder auBglioh;
keine sonstigen Nebenwirkungen. Vortr. hebt die Schwierigkeit, die Wirkung
«ines Mittels zu bestimmen, hervor, da eine grosse Reihe der Factoren (Zufällig¬
keiten, Suggestivwirkung) zu Täuschungen Veranlassung geben können.
Discussion:
Herr Prof. Obersteiner, der selbst an neurasthenischer Schlaflosigkeit leidet
und mit 1—3 g Amylenhydrat Schlaf erzielt, schlief nicht auf 0,5 Hedonal, wohl
aber auf 1,0 g.
Herr Dr. Schüller bemerkt, dass Hedonal (1,0g mindeste Dosis) bei Neur¬
asthenikern indicirt sei, und hält die Darreichung von Oblaten — schon wegen
des schlechten Geschmackes — als die zweckmässigste.
Herr v.Frankl-Hochwart und Herr Dr. Alfred Fröhlich: Ueber Tonus
und Innervation der Sphinoteren des Anus.
Auf Grundlage anatomischer Studien und experimenteller Forschung (95 Vivi-
sectionen) kamen Vortr. zu folgenden Resultaten: Der Verschluss des Rectum wird
durch die Musculatur — vom Willen unabhängig — besorgt, und zwar sind die
Schliessmuskeln der glatte Sphincter internus und der quergestreifte Sphincter
externus. Dieser zeigt ein den glatten Muskeln ähnliches Verhalten (Nichtentartung
nach Durchschneidung des zugehörigen Nerven, ähnliche Zuckungscurve, langer
Widerstand gegen Curare). Dem Externus gebührt 1 / 3 — 1 / 1 der Tonus erhaltenden
Kraft.
Der periphere, die Constriction erzeugende Nerv ist beim Hunde der Erigens,
der dilatirende der Hypogastricus; im Rückenmark ist eine Vorrichtung sowohl
für Constriction als Dilatation vorhanden, indem man reflectorisch von der Medulla
Erhöhung oder Herabminderung des Tonus erreichen kann. Ein zweites solches
Centrum ist das Gangl. mesentericum, da es nach Zerstörung des Rückenmarks
in gleicher Weise wie dieses wirkt Aber selbst wenn Rückenmark, Ganglion
mesentericum, sämmtliche Rectalnerven zerstört sind, kann man durch Muscarin
noch immer Constriction erzielen, die durch Atropin wieder aufgehoben ward.
Sitzung vom 13. November 1900.
(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 396.)
Herr Hofrath v. Krafft-Ebing demonstrirt zwei Fälle mit myoklonisohen
Krämpfen.
I. 38jähriger Hausbesorger, unbelasteter Tabiker (atactisohes Stadium) mit
hysterischen Stigmen (strumpfförmige Hypästhesie am linken Bein, rechtsseitige
Hemihypästhesie, Geschmack, Geruch, Gehör herabgesetzt, Gesichtsfeld eingeengt,
Gaumen-, Rachen-, Ohrreflex fehlend) stürzt am 14. Juli 1 1 / a m tief, ohne sich zu
verletzen; heftiger Schreck; am 21. August Streit mit einem Arzte; danach Auf¬
treten von Zuckungen im Gesiohte, den Halsmuskeln, oberen Extremitäten; auch
Googlt
876
isolirt im M. Bupinator longns, pectoralis, tricepg, nie coordinirt. Vortr. hält die
Erkrankung für Myoklonie. Hypnose erzielte keine Wirkung.
IL 17jähriges, degenerativee, aber unbelastetes Mädchen hat die Zuckungen
nach einem Selbstmordversuch durch Lysol bekommen. Keine hysterischen Stig¬
mata. Es besteht Blepharoklonus, Zucken um die Mundwinkel, den Muskeln des
Halses und Nackens, Emporziehen der Schultern; Zucken der Bauchmuskeln, der
distalen Abschnitte der Finger. Diese Zuckungen haben locomotorischen Effect,
sind oomplicirt, so dass man an willkürliche Auslösung denken könnte. Abhängig¬
keit von Emotion. Vortr. hält diese myoklonie-ähnlichen Krämpfe für Hysterie.
Herr A. Pilcz: Ueber myxödematöses Irresein und Schilddrüsentherapie
bei Geistesstörungen.
46jähr., belastete Frau bietet ein melancholisches Zustandsbild mit asthenischen
Aflecten. Die Kranke erscheint torpide; argwöhnisches Wesen. Nach einem Jshr
Entwickelung des typischen Bildes von Myxödem. Unter Thyreoidbehandlung
Schwinden beider Zustände, nach wiederholtem Aussetzen Recidiv (über 3monatL
Beobachtung).
Beim Myxödem hat man nach dem Vortr. den myxödematösen Geisteszustand
(Verlangsamung und Hemmung der psychisohen Leistungen, Apathie, Schlafsucht,
Verlust des Gedächtnisses) und das myxödematöse Irresein zu unterscheiden,
manische, melancholische Zustandsbilder, Wahnideeen, Sinnestäuschungen, die durch
den gleichzeitig bestehenden, eben erwähnten Geisteszustand nur eigenartig ge¬
färbt sind. Ob irgend eine Psychose mit Myxödem oder myxödematöses Irresein
vorhanden, kann diagnostisch ex juvantibus durch den Erfolg der Schilddrüsen-
therapie gestellt werden (selbst nach 12jährigem Bestehen).
Das myxödematöse Irresein kann früher oder (gewöhnlich viel) später all
das Myxödem auftreten, befällt vorwiegend weibliche Individuen.
Schliesslich bespricht Vortr. die Schilddrüsenbehandlung der Psychosen über¬
haupt und kommt zum Schlüsse, dass einige Fälle secundärer Demenz sicher
geheilt wurden, die übrigen einer strengen Kritik nicht standhalten. Die 5 Kranken
mit secundärer Demenz, die Vortr. derart behandelte, zeigten negativen Erfolg,
ja boten zum Theil schwere körperliche Begleiterscheinungen wie Tachycardie,
Sinken des Blutdruckes, Gewichtsabnahme, Albumosurie, Acetonurie, Indicanurie,
gastrische Störungen.
Sitzung vom 11. December 1900.
(Jahrb. f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 398.)
Herr Prot. Redlich demonstrirt einen Fall mit der Wahrscheinlichkeits¬
diagnose Ponstumor.
P. K, 82 Jahre alt; 1892 apoplektischer Insult mit totaler rechtsseitiger
Lähmung und Erschwerung der Sprache. Im Frühjahr 1898 suchte Pat. den
Vortr. im Kaiser Franz Josefs-Ambulatorium wegen Schmerzen der linken Gesichte-
seite (seit 1894 bestehend) auf; damals leichte Parese rechts, die jedoch in der
Folge mit den Gesichtsschmerzen zunahm. Aus dem Status im October 1900 sei
hervorgehoben: leichte Facialisparese rechts im mittleren und unteren Aste, links
Atrophie des Masseter und Temporalis, Hypästhesie für tactile und Schmerzreize
im ganzen linken Trigeminus. Parese der Kiefer- und Kaumusculatur links;
elektrische Reaction, soweit erhalten, normal. Deviation der Zunge nach links,
Beweglichkeit derselben herabgesetzt. Sensibilität der Wangen- und Lippen-
Schleimhaut herabgesetzt. Zäpfchen nach rechts stehend, Gaumenbogen links
flacher. Sprache verwaschen, gepresst. Spastische Parese der rechten oberen und
unteren Extremität mit gesteigerten Reflexen.
Google
877
In den letzten Wochen mehrere Anfalle von Bewusstlosigkeit; keine Gesichts¬
schmerzen, jedoch deutliches Zunehmen der Gesiohtsatrophie links; auch die Haut
ist dünner.
Localisation: Herd in den lateralen Antheilen der linken Ponshälfte. Be¬
züglich der Natur des Processes möchte Vortr., wegen der langsamen allmählichen
Progression, nicht an einen vasculären Vorgang, sondern an einen Tumor denken
(eventuell derart, dass eine bindegewebige Narbe Geschwulstcharakter an¬
genommen hat).
Herr Elzholz demonstrirt mit Osmium behandelte Zupfpräparate von Nerven
eines Falles von seniler Demenz.
Vortr. hebt die Convergenzen der senilen Demenz und der Polyneuritis¬
psychose hervor, weist auf die senile Polyneuritis Oppenheim’s hin, auf die
Incongruenz der oft fehlenden klinischen Symptome mit den anatomischen Befunden
bei diesen (ähnliches bei der Polyneuritispsychose) und spricht dann über seine
Präparate. Es finden sich — der Pat. war typisch senil dement und zeigte
keine groben motorischen Defecte — im Tibialis, Peroneus, Communicans surae
auffallend viele Fasern mit dünnen, varicösen Markscheiden, des weiteren solche,
die alternirend dickere und dünnere Antheile besitzen; diese dünnen Fasertheile
(Schaltstücke) stellen meist ein interannuläres Segment dar. Einige Fasern zeigten
Markzertall. Das Zwischengewebe gewuchert, zu Bändern geformt, wie in den
Nervenstümpfen Amputirter. Der Process sei der Neuritis einzuordnen. Vortr.
schliesst, indem er Einiges über die periaxiale Neuritis, die relativ selten ist,
anführt, mit dem Hinweis auf die Bedeutung, die ähnlichen Befunden für die
Kenntniss der senilen Demenz und ihr Verhältniss zur Polyneuritispsychose zukäme.
Herr Starlinger demonstrirt ein neues Reichert’sches Sohlittenmikrotom
zum Schneiden unter Wasser, mit neuer Hebevorrichtung und Messerführung.
Herr Hofrath von Krafft-Ebing demonstrirt einen Kranken, der unter dem
klinischen Bilde der Manie eine Reihe von epileptischer Geistesstörung zukommen¬
den Zügen darbietet, als manische Form eines epileptischen Irreseins.
Herr Dr. Bischoff: Ueber die sogenannte sklerotische Hemisphären¬
atrophie.
Vortr. demonstrirt zwei Fälle, deren erster eine epileptische Frau betrifft,
die im 2. Lebensjahre unter dem Bilde einer acuten Cerebralerkrankung Epilepsie
acquirirte; es bestand später neben dieser Schwachsinn, allgemein gesteigerter
Muskeltonus, erhöhte Sehnenreflexe; deren zweiter ebenfalls eine Frau betrifft, die
nach einem Fraisenanfall im 2. Lebensjahre dauernd linksseitige Hemiparese und
Hemihyperästhesie mit besonderer Betheiligung der linken Hand, epileptische
Krämpfe von Jackson-Typus darbot. Im ersten Falle abnorme Kleinheit der
linken, im zweiten der rechten Hemisphäre bei sonst durchaus normalen makro¬
skopischen und mikroskopischen Verhältnissen.
Als ^Ursache kann, wegen Fehlens ähnlicher Asymmetrieen bei Hirnmiss-
bildungen und des acuten Einsetzens, abnorme Keimanlage nicht gelten; ebenso
fehlte abnorme Gefässenge. Es bleibt noch die Annahme eines vorzeitigen Still-
Standes der Hemisphäre im Wachsthum, bedingt durch eine diffuse Encephalitis
ffes Gehirntheils, die milde verlaufend, anatomisch spurlos heilt, nur eine trophische
Schädigung hinterlässt. Ferner entsteht dadurch die Disposition zur Epilepsie.
Aehnliche Fälle aus der Litteratur zeigten noch Residuen der Entzündung, was
für die Annahme des Vortr. zu sprechen scheint.
Hervorgehoben wird ferner, dass ein histologisch normales, aber zu kleines
Gehirn (deshalb nicht Atrophie, sondern abnorme Kleinheit der Hemisphäre) nur
unvollkommen functionirt. Vortr. spricht noch einiges zur Symptomatologie und
Google
878
differentiellen Diagnose gegenüber der diffusen Hirnsklerose und der Pseudo*
sklerose.
Herr Hirschl: Demonstration eines Falles von Osteomalaoie bei Myx-
oedem. (Erscheint ausführlich.)
Sitzung vom 15. Januar 1901.
(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 403.)
Herr Infeld stellt einen 32 Jahre alten Locomotivführer mit schlaffer
Paraplegie mit geringer Volumsverminderung ohne Entartungsreaction vor. Freie
Kumpfbewegungen unmöglich; Störungen der Blasen-, Mastdarm- und Geschlechts*
thätigkeit; hochgradige proximalwärts abnehmende Störung der Bewegung»- und
Lageempfindung. Aufhebung bezw. oben leichtere Störung der Hautempfindung
bis in eine unterhalb der Brustwarzen befindliche Ebene. Der 4. Brustwirbel, der
im Beginn des Leidens (Juni 1900) stark druckschmerzhaft war, jetzt wenig
druckempfindlich. October 1900 Schwäche, Gefühl von Todsein, Empfindung«*
losigkeit der linken, 14 Tage darauf auch der rechten Unterextremität, zu welchen
Symptomen die eingangs erwähnten nach und nach hinzukommen. Patellar- und
Achillesreflexe anfangs gesteigert, dann allmählich geschwunden. Da Pat vor
3 1 /, Jahren Lues gehabt hat und specifische Behandlung Besserung erzielte, ist
es gerechtfertigt, das Leiden zunächst als luetisch aufzufassen.
Bauch- nnd Cremasterreflex sind nicht auslösbar, aber Streichen des Bauches
an anderen Stellen löst (z. B. im Sprunggelenk derselben Seite) Reflexe ans.
Babinsk i’soher Reflex vorhanden. Ferner ist bei Fehlen des Patellar- und
Achillesreflexes der Adductorenreflex erhalten.
Disoussion über den Vortrag des Hrn. BischofFs: Ueber die sogenannte
sklerotisohe Hemisphärenatrophie.
Herr v. Wagner meint, dass die beiden Fälle an Sklerosen mehr um¬
schriebener Art, z. B. solche der Ammonshörner, erinnern, die auch in dem einen
der beiden Fälle stark ausgeprägt schien. Ihm erscheint die Annahme, dass die
Sklerose Endproduct voran gegangener Entzündungen sei, am plausibelsten.
Wünschenswerth wären Aufklärungen über feinere histologische Details, besonders
die Wucherung der Glia.
Herr Bischoff antwortet, dass er Weigert’s Gliafärbung zwar nicht an¬
gewendet habe, aber nach anderen Methoden keinen Unterschied in den Verhält¬
nissen der Glia beider Hemisphären gefunden hätte; auch die Grösse der Element«
schien beiderseits gleich. Secundäre Atrophieen waren nicht zu finden.
Herr Redlich erinnert an einen aus dem Laboratorium Obersteiner’s
durch Weiss veröffentlichten Fall diffuser Hirnsklerose, der mikroskopisch ein
fast negatives Resultat ergab, bei dem der Autor gleichfalls eine Entzündung mit
Ausgang in Sklerose annahm. R. fragt, ob Piaveränderungen vorhanden waren
und bemerkt, dass man hier auch den experimentell erzeugten Schwund der Pyra¬
miden bei jungen Thieren erwähnen könnte, wo der Umfang der Bahn durch
Ausfall von Fasern verkleinert wird, an deren Stelle andere Fasern wirken.
Herr Bischoff erwidert, dass die Pia unverändert war; weiter, dass troti
des Mangels eines nachweisbaren histologischen Befundes die einfache Kleinheit
einer Hemisphäre ein erworbener Zustand sein könnte.
Herr Obersteiner hebt hervor, dass die geringe Vermehrung der Glia im
Falle Weiss in keinem Verhältniss zur Knorpelhärte des Orgnns stand; auch in
einem Falle von OlivenskleroBe war der histologische Befund ein negativer. Die
Methode Weigert’s ist kein umumgängliches Postulat zum Nachweis vermehrter
Glia, da eine solche durch van Gieson-Färbung recht gut erkennbar ist. Eine
b y Google
879
Kleinheit der nervösen Elemente reicht zur Erklärung der Sklerose nicht hin, es
muss daneben zweifellos noch eine Consistenzvermehrung angenommen werden.
Herr Hirschl: Ueber Osteomalaoie bei Morbus Basedowil und Myx-
oedem. (Nicht referirt.)
Sitzung vom 12. Februar 1901.
(Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. S. 406.)
Herr Sternberg demonstrirt Befunde an peripheren Nerven bei Tuber-
oulose und senilem Marasmus.
Im Anschlüsse an die von Elzholz (Sitzung vom 11. December 1900) ge-
zeigten Veränderungen an Nerven bei seniler Demenz kann Vortr. an Nerven
mara8tischer Individuen ähnliches an Präparaten dreier Fälle zeigen. Dieselben
betreffen einen senilen Marasmus, einen senilen und einen jugendlichen Tuber-
culosen.
Deutlich waren besonders die Schaltstücke (Gombault’s segmentäre Neuritis),
die beim jugendlichen Individuum kürzer waren als bei den bejahrten Personen.
Auch die dicken Fasern, an die sich die Schaltstücke sohliessen, sind leicht ver¬
ändert. Bezüglich der spiralig gewundenen feinen Fasern sind Täuschungen
möglich. Ein Zusammenhang zwischen dem Verlaufe des Allgemeinleidens und
der Nervenveränderung besteht nicht. Sohliesslich wendet sich Vortr. gegen den
Ausdruck segmentäre Neuritis für die Schaltstücke, mangels jeglicher entzündlicher
Kriterien; gegen Regenerationserscheinung sprechen die Befunde bei progressiv
zum Exitus führenden Processen. Da also die Genese dieser Veränderung nicht
sioher ist, sollte man den nichts präjudicirenden Ausdruck „Schaltstücke“
dafür anwenden.
Discussion:
Herr Elzholz bemerkt dagegen, dass die „segmentäre Neuritis“ experimentell
durch Bleiverfütterung erzeugt werden könnte, eine Noxe, die bekanntlich Neuritis
erzeuge. Auch fanden sich interoaläre Segmente bei ausgesprochener Entzündung
der mehr peripheren Antheile des Nerven (D6g6n6ration praewaOrienne). Bei
Fehlen neuritischer Erscheinungen könnte man an abgelaufene entzündliche Pro-
cesse denken, weshalb man den Namen „segmentäre Neuritis“ wohl beibehalten
kann.
Herr Otto Marburg demonstrirt Präparate einer in Gemeinschaft mit Dr.
v. Czyhlarz untersuchten und beobachteten amyotrophisohen Laterale kl er ose.
Das anatomische Substrat dieses klinisch keine Besonderheiten bietenden
Falles bildeten Degenerationen der Vorderwurzelzellen vorwiegend im Halsmark
mit solchen der Vorderwurzelfasern, solche des 12. und zum Theil 10. Kerns der
Medulla oblongata, eine Pyramidendegeneration am stärksten im Cervicalmark (nach
M archi und Weigert nachweisbar), schwächer im Himstamm und der Rinde
(nur nach Marchi nachweisbar).
Der Vergleich dieses Befundes mit anderen ergiebt, dass bisher nur der
exacte Beweis dafür erbracht ist, dass in der Hirnrinde bei der amyotrophischen
Lateralsklerose die Pyramiden fasern mit, aber auch ohne die Pyramidenzellen
erkranken, und, nach dem stärksten Befallenwerden zu erschlossen, der Process
ein ascendirender sei.
Die oft beschriebene Miterkrankung der Hinterstränge habe andere Ursachen
als sie der vorliegenden Erkrankung (Lues, Strangzellendegeneration, vasculäre
Sklerose) entsprechen. Hier sei keine secundäre Degeneration, auch keine Atrophie
Ursache der Pyramidenläsion, sondern eine „primäre Degeneration“ charakterisirt
durch Zerfall der Markscheiden mit relativ langem Erhaltenbleiben der Axen-
cylinder, die Leitungsrichtung der Degeneration (retrograd), eine mässige Gexäss-
wandinfiltration.
GoogI<
880
Als ätiologischer Factor wird besonders „Ueberfunction bei Unterernährung*
betont (Edinger's Ersatztheorie).
Herr Latzko: Demonstration von 5 Fällen von Osteomalacie mit Morbus
Basedowii; Bericht über einen 6. Fall.
Allen diesen Fällen ist eigen, dass neben florider Osteomalacie gleichfalls
florider Morbus Basedowii bestand, dass beide Aflfectiouen der Phosphortherapie
— theilweise wenigstens — wichen.
Vortr. begründet nun seine Anschauung, dass es sich hier nicht um zufälliges
Zusammentreffen, sondern organischen Zusammenhang beider Affectionen handle;
er betrachte die Osteomalacie als Blutdrüsenerkrankung, eine abnorme, innere
8ecretion der Ovarien als Quelle des Uebels. Er schliesst, dass zwischen innerer
Secretion der Ovarien und Thyreoidea Wechselbeziehungen bestehen, und Störungen
der einen Function solche der anderen nach sich ziehen können, wodurch das
Zusammentreffen von Osteomalacie und Morbus Basedow eine Erklärung fände.
Herr Elzholz: Weitere Mittheilung über Delirium tremens.
Anschliessend an frühere Arbeiten über dasselbe Thema, wonach das Delirium
seine Ursache in einem Gifte besitze, das den Toxinen von Infectionserregern
gleiche, durch den chronischen Alkoholmissbrauch erzeugt, durch plötzliche Absti¬
nenz aber frei werde, berichtet Vortr. über ein Symptom, das gleiche Bedeutung
hätte, nämlich den Coqjunctivalcatarrh der Deliranten, den er in ungefähr 50°, 0
der Fälle beobachtet hätte. Derselbe beschränkte sich meist auf die Lider und
schwindet wenige Tage nach dem kritischen Abschluss des Deliriums durch Schlaf
Neben diesem Catarrh, den das Deliriumgift erzeuge, rufe dasselbe gewisB
auch einen Theil der complicirenden Bronchitiden, Verdauungsstörungen und
Appetitlosigkeit hervor.
Als ätiologischen Factor für den Ausbruch des Deliriums müsse Vortr. die
Abstinenz ansehen (Beleg durch ein drastisches Beispiel), was durch Jaoobsohn
wohl negirt, aber nicht hinreichend widerlegt erscheint.
Otto Marburg (Wien).
V. Vermischtes.
Für die neurologische Sectdon der Oarlsbader Maturfonoher-Versammlung
sind noch nachstehende Vorträge angezeigt worden-.
Döllken (Leipzig): Die Oberfläche der Oehirne geistig hervorragender Männer (mit
Demonstration). — Zanietowski (Lemberg): Ueber Leitungsgeachwinaigkeit, Erregbarkeit
und Temperatursinn. — O. Förster (Breslau); Die Grundlagen der motorischen üebungs-
behandlung von Bewegungsstörungen bei Nervenerkrankungen (mit Kraukendemonstration).
— 0. v. Leonowa (Würxburg): Ueber die Entwickelungsabnormitäten bei Cyklopie. —
L. Braun und A. Fuchs (Wien): Ueber ein neurasthenisches Pulsphänomen.
VI. Berichtigung.
In Nr. 16 d. Centralbl., S. 776, Zeile 2 v. o., muss es heissen: „Pilcz* statt Vortr.
Um Einsendung von Separatabdröcken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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1902. 1. October. Nr. 19.
Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die Bestimmung des Tastsinns vermittels
lines neuen Aestheeiometers, von J. J. Graham Brown. 2. Ueber die Beziehungen des unteren
jängsbündels zur Schleife und über ein neues motorisches Stabkranzsystem, von Priv.*Doc.
>r. H. Schütz. 3. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie, von Dr. med. August
Mehl in Lübeck. (Schluss.)
II. Referate. Anatomie. 1. Alte und neue Untersuchungen über das Gehirn. II.,
II., IV., von Hitzig. 2. Das basale Riechbündel des Kaninchens, von Wallenberg. — Ex peri¬
nen teile Physiologie. 8. Contribution to the study of the cortical sensory areas, by
Valton and Paul. 4. Ein mimisches Centrum im medialen Kern des Sehhügels, von Kirch-
loff. 5. Ueber die physiologische Contractur, von LhotAk. — Pathologische Anatomie.
(. Aufsteigende Degeneration im Rückenmark nach Destruction der 5. Cervicalwurzel, von
lespinger. 7. A case of complete absence of visual system in an adult, by Spüler. — Patho-
ogie des Nervensystems. 8. Der Zusammenhang von Nervenerkrankungen mit Störungen
ler weiblichen Geschlechtsorgane, von Thoilhaber. 9. Untersuchungen über Reflexhyper-
atbesieen bei Lungentuberculose, von Egger. 10. L’hörMite de l'odeur, par F4r6. 11. Ueber
amiliäre Erkrankungen des Nervensystems, von Blumlin. 12. La paralvsie periodique
amiliale, par Oddo et Audlbert. 13. Congenital nvstagmus in father and cbild, by Fisher.
.4. La paraplegie spasmodique familiale et la sclerose en plaques familiale, par Cestan et
iulllain. 15. A case of sclerotic atrophy of cerebrum and cerebellum, familial type, occuring
n a boy, by Clarke. 16. A brief report of the clinical, physiological and Chemical study of
hree cases of familv periodic paralysis, by Mitchell, Flexner and Edsall. 17. A case of
ämily periodic paralysis with a critical digest of the literature, by Singer. 18. Amanrotic
ämily idiocy, by Cotton. 19. Zur Aetiologie der Chorea minor im Kindesalter, von Rabert.
10. Bidrag fil studiet af chorea minor's ätiologi, af Frölich. 21. Ueber 65 Fälle von Chorea
ninor aus dem Leipziger Kinderkrankenhaus, von Brüning. 22. Ueber die ätiologischen Be¬
gehungen der Chorea minor zu den Infectionskrankheiten, insbesondere zur rheumatischen
infection, von KOster. 23. Ueber die ätiologischen Beziehungen zwischen Rheumatismus
irtic. acut., Endocarditis und Chorea minor, von Schulz. 24. Nuovo caso di corea mortale
•on setticopiaemia da stafllococco piogene aureo, per Guizetti. 25. Zar pathologischen Ana-
omie der Chorea minor, von Reichardt. 26. Zur pathologischen Anatomie der Huntington’-
ichen Chorea, von Stier. 27. Etüde sur la localisation des symptomes de la choröe de
Jydenham, par Oddo. 28. A propos de la choröe des dögönöres, par Moutson. 29. Three
:ases of hereditary chorea, by Riggs. 30. Ueber Chorea chronica progressiva, von Westphal.
11. Behandlung chronischer Chorea durch hypnotische Beeinflussung, von Schilling. 32. A
iote on the knee-jerk in chorea, by Gordon. 33. Les chorees symptomatiques, par R6non.
14. Chorea hysterica arythmica, von Vftek. 35. Un cas de choröe ölectrique (vanötö de tic
••urable juvenile), par Variot. 36. Ein Fall von Chorea senilis, von Blschofl. 87. L’etat
nental des tiqueurs, par Neige et Felndel. 38. Tic et fonction, par Neige. 39. Tic et öcriture,
iar Neige. 40. Une observation de tic de Salaam, par Simon. 41. Les tics et leur traitement,
j>ar Neige et Feindei. Mit einer Vorrede von Brissaud. — Psychiatrie. 42. Ueber die
Jutersucbung von Vererbungsfragen und die Degeneration der spanischen Habsburger, von
(ekult von Stradonitz. 43. Selbstbiographie eines Falles von Mama acuta, von Forel. 44. A
Kontribution to the pathology of acute msanity, by Orr. 45. Deux cas de manie guöris ä la
56
Dia
y Google
882
suite «Tune infection grave, par Az6mar. 46. Beitrag zur Aetiologie der periodisches Piythwr.
von Neisser. 47. Ueber periodischen Wahnsinn, von Bleuler. 48. Note snr La frequeKii
la retraction de i’aponevrose palmaire ehez les alienes, par F6r< et FrancillM. 45. ft*
Stellung der Aerzte an den öffentlichen Irrenanstalten, von Hoppe.
III. Aus den Gesellschaften. Wanderversammlong des Vereins für Psychisträ w
Neurologie in Wien am 11. und 12. October 1901.
IV. Personalien.
V. Berichtigung. _
I. Originalmittheilungen.
1. Ueber die Bestimmung
des Tastsinns vermittels eines neuen Aesthesiometers.
Von J. J. Graham Brown, M. D., F. R. C. P. Edin.,
Assistant Physician, Royal Infirmary of Ediuburger, Lecturer on the Practice of Meder-
School of Medicine of the Royal Colleges, Edinburgh.
Jeder Kliniker muss beim Studiren der Nervenkrankheiten sehr oft gefoaci
haben, dass ihm ein passendes Instrument fehlt, welches den bestimmten Gre
Anästhesie in besonderen Fällen messen kann.
Ein Aesthesiometer, wenn er für klinische Zwecke von Werth sein acut
muss entschieden mehr oder weniger genau den Grad der Tastempfindung s
irgend einer beliebigen Stelle der Haut messen können. Er muss alle Tütr
suchungen mit Schnelligkeit machen können, damit der Kranke nicht eraehtf
wird, noch sein Tastsinn sich durch verlängerte Untersuchung abstumf
Schliesslich muss er auch von bequemer Grösse und Constrnction sein, danr
der Kliniker ihn leicht bei sich tragen kann. Ich glaube, dass das Instrum*
dessen Beschreibung nun folgt, diese Erfordernisse besitzt
Wenn die Wahrnehmung des Gefühls der Rauheit, bezw. der Glätte. £
Hauptfunction des Tastsinns ist, so muss die Schärfe dieses Sinnes nach stör
Fähigkeit, das Gefühl von Rauheit abzuschätzen, gemessen werden.
Mit diesem Instrument ist ein Versuch gemacht worden, diese Idee
zuführen.
Eine kurze Beschreibung des Instruments erschien zuerst in dem Joow
of Physiology. XXVH. S. 85. (Fig. 1.)
Das Instrument ist von sehr einfacher Construction und besteht bfc?
sächlich aus einer Schraube (A in Fig. 1), welche von der mit Kreistheilos?
versehenen Drehscheibe (B) gedreht wird, und welohe am untersten Ende a
die Platte (C) drückt. Auf diese Weise regulirt diese Schraube mit Hülfe £*
Springfeder (B) die Auf- und Abbewegungen eines kreisförmigen, aus
metall gemachten Stäbchens {£).
Durch die Bewegung der Schraube kann dieses Stäbchen auf irgend ««
abgemessene Entfernung durch die glatte, gebogene, ans Stückmetall
Oberfläche (FF) herauskommen. Obgleich seine Construction sehr einfach *
so muss doch das Instrument mit der grössten Sorgfalt und Genauigkeit gemäß
werden; denn wenn die mit Kreistheilungen versehene Drehscheibe anf J'M
Google
888
steht, muss das untere Ende des Stäbchens (E) so ganz genau auf der Fläche
der gebogenen Oberfläche (FF) sein und auch in die Oeffhung so genau passen,
dass die Oberfläche sich vollkommen
glatt fühlt, wenn man sie über
das Weiche des Zeigefingers streicht
Wenn nun die Schraube abwärts
gedreht wird und das Stäbchen auf
diese Weise ausläuft, so findet man,
wenn der Grad des Auslaufens
ungefähr 0,01 mm erreicht hat,
dass die Oberfläche rauh zu werden
anfängt, sowie man sie über das
Weiche des Fingers streicht. Auf
allen anderen Theilen des Körpers
wird sie sich aber noch immer voll¬
kommen glatt fühlen. Einen un¬
bedeutend grösseren Grad des Aus¬
laufens muss man haben, ehe die
Rauheit auf der Haut der flachen
Hand gespürt wird. Noch mehr
muss man für die Haut in der Füj. I.
Region des Handgelenks haben
und noch viel mehr für die Haut des Unter- und Oberarms.
Die Curven der Fig. 2 geben ungefähr eine Idee von den Differenzen in
m. m.
% 2 .
der Schärfe des Tastsinnes, wenn man ihn auf Hand und Arm mit diesem
Instrument prüft (Fig. 2.)
56*
884
In dem neueren Modell dieses Instruments, welches in Fig. 3 illustriit ist
wird das eine Stäbchen durch sechs kleinere Stäbchen ersetzt (EEE). Drei von,
diesen kleinen Stäbchen sind in Fig. 3 zu sehen. Ein jedes hat einen Durch¬
messer von 1 mm. Dieselben laufen von der glatten Oberfläche (FF) vermittels
einer Schraube (A) aus, und diese wird von der mit Kreistheilungen versehenen
Drehscheibe (B) gedreht Eine vollkommene Umdrehung dieser Schraube ver¬
ursacht eine abwärtsgerichtete Bewegung von 0,25 mm. Diese Schraube drückt
auf eine harte, aus Stahl gemachte Oberfläche (G) und dadurch geht ihre ab¬
wärtsgerichtete Bewegung auf den aus Stückmetall gemachten Stempel [EH
über, in welchem die sechs kleinen Stäbchen befestigt sind. Dieser Stempel
wird mit der Schraube vermittels
B einer Spiralfeder (B D) in accurate
Berührung gehalten. Diese Spiral¬
feder liegt in einer tiefen, kn&
förmigen Aushöhlung, die iu ihrer
unteren Fläche eingeschnitten ist
Das Instrument kann leicht
gelesen werden bis zu dem Grade
von Feinheit, welcher einem Aus¬
laufen der Stäbchen von 0,0025 mm
entspricht. Die Thatsache, dass in
diesem Instrument die glatte Ober¬
fläche durch das gleichzeitige und |
gleichmässige Auslaufen der äecte
kleinen Stäbchen rauh gemacht
wird, statt eines einzigen, wie in
dem ersten Instrument, macht es ,
empfindlicher. Das Gefühl der Rau- 1
3 heit kann mit sehr wenig Auslaufen
empfunden werden, manchmal so¬
gar mit nur 0,004 mm. Als Instrument für physiologische Untersuchungen
ist dieser Grad Feinheit wahrscheinlich genügend. Jedenfalls genügt es, wem
der Aesthesiometer zu klinischen Zwecken gebraucht wird. Es besitzt beson¬
dere Vorzüge bei klinischer Arbeit wegen seiner Kleinheit und Bequemlich¬
keit, besonders aber wegen der Schnelligkeit, mit welcher die Feinheit des Tast¬
sinns an irgend einer Stelle der Haut gemessen werden kann. Jeder Klinika
weise wohl, dass eine längere Untersuchung der sensorischen Phänomene leicht
Erschöpfung bei einem Kranken verursacht, und gerade diese Erschöpfung
schwächt die Schärfe des Tastsinns. Es ist daher höchst rathsam, dass die
Untersuchung möglichst rasch gemacht werden kann, und dies kann geschehen,
wenn man diesen Aesthesiometer gebraucht.
Beim Gebrauch dieses Instruments sind gewisse Vorsichtsmaassregeln su
beobachten. Erstens muss die Temperatur des Metalls so genau wie möglich
wie die der Haut sein, auf welche es gelegt werden soll. Irgend eine Erregung
Die
y Google
885
in den Organen des Temperatnrsinns würde die Genauigkeit der gewonnenen
Resultate stören.
Wenn man die relative Tastempfindlichkeit an zwei oder mehr Stellen
messen will, und überhaupt, wo eine sehr genaue Untersuchung gemacht werden
soll, muss der Benutzende darauf aufmerksam sein, dass der Druck des In¬
struments auf der Haut überall möglichst ein gleicher ist, und auch, dass die
Schnelligkeit, mit welcher die Oberfläche des Instruments über die Haut gezogen
wird, möglichst einförmig ist. Die Richtung der Bewegung ist auch von Wichtig¬
keit Rauheit ist meiner Meinung nach vielleicht etwas leichter zu bemerken,
wenn man den Aesthesiometer über die Haut von der Peripherie aus central-
wärts bewegt. Wenn man Vergleichungen anstellen will, so muss die Bewegung
nach einer einzigen Richtung hin gehen.
Die Haut ist natürlich leichter zusammengedrückt, wo sie dicht an einem
Knochen liegt. Solche Stellen muss man vermeiden.
Man muss bestimmt darauf sehen, dass die Haut, die untersucht werden
soll, nicht bemerkbar feucht ist An feuohten Stellen wird die Oberfläche des
Aesthesiometers leicht kleberig und dies verursacht ein gewisses Zerren an der
Haut, welches die Resultate der Untersuchung stört. Man weiss auch, dass das
Befeuchten der Haut die Schwelle der Schmerzempfindung erniedrigt Es kann
sein, dass es auch auf die Schärfe des Tastsinns Einfluss ausübt. Es ist also
rathsam, dass man die Haut abtrocknet, ehe man sich des Instruments bedient
An jenen Stellen der Haut, die grösseren Auslaufens der kleinen Stäbchen be¬
dürfen, bevor eine Empfindung von Rauheit bemerkt wird, veranlasst das Instru¬
ment leicht ein gewisses Zerren. Die Haut an solchen Stellen muss daher ein
wenig geölt werden, ehe man das Instrument gebraucht Es ist kaum nöthig
zu sagen, dass alle Versuche an möglichst haarlosen Stellen gemacht werden.
Das Instrument hat Mr. A. H. Baird, Scientific Instrumentmaker, 83 Lothian
Street, Edinburgh, mit grösster Sorgfalt für mich construirt
2. lieber die Beziehungen des unteren Längsbündels zur
Schleife und über ein neues motorisches Stabkranzsystem. 1
Von Privatdocent Dr. H. Sohütz,
an der Universität Leipzig.
Den Anlass zu den Untersuchungen, deren Ergebnisse in Nachstehendem
mitgetheilt werden sollen, gab der Befund an zwei Gehirnen mit Mikrogyrie.
Hier war trotz eines fast völligen Fehlens des Schläfen- und Hinterhauptslappens
das untere Längsbündel (Fasciculus longitudinalis inferior, Stratum sagittale
externum) ganz gut erhalten, und es war deutlich zu sehen, dass es seinen
1 Nach einem in der medicinischen Gesellschaft zn Leipzig am 26. Mai d. J. gehaltenen
Vortrag.
Digi
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886
Verlauf vom Hinterhauptspol ab nicht nach dem Schläfenlappen, sondern nach
dem Mittelhirn zu nahm.
Dieser Befund stand nicht in Uebereinstimmung mit der üblichen Auf¬
fassung vom Verlauf und den Functionen des unteren Längsbündels, wie st
auch in den gebräuchlichen hiraanatomischen Lehrbüchern ausgedrückt ist, wonach
dieses Bündel ein Associationsbündel ist, welches den Hinterhauptslappen mit
dem Schläfenlappen verbindet
Dieser Auffassung ist auch in neuerer Zeit Flechsig entgegengetreten
Nach ihm ist das untere Längsbündel ein Projectionsbündel, das seinen Ur¬
sprung bezw. sein Ende im Thalamus opticus nehmen soll.
Für meine Untersuchungen standen mir eine Anzahl von Schnitteenec
(im Ganzen sechs) in frontaler Richtung, vom 7 monatlichen Fötus bis mm
6 Wochen alten Kind zur Verfügung, welche mit der Pal 'sehen Modification
der W EiGKBT’schen Markscheidenfärbung behandelt worden waren.
Die Fasern des unteren Längsbündels werden verhältnissmässig schon frühzeitig
markhaltig. Beim Neugeborenen ist das Bündel schon vollständig entwickelt;
auch bei einem 8 monatlichen Fötus habe ich Spuren davon sehen können,
während es bei einem 7 monatlichen Fötus noch keine markhaltigen Fasern auf¬
wies. Die sogenannte GBATioiiBT’sche Sehstrahlung oder das Stratum sagittak
internum wird wesentlich später, ungefähr um die 3.—4. Woche markhaltig
Es ist deshalb auch ziemlich leicht an Gehirnen von Neugeborenen, den weiteren
Verlauf des unteren Längsbündels zu verfolgen.
Das Bündel hat seine grösste Stärke in einer Schnittgegend, welche ungefähr I
der Gegend des Corpus geniculatum extemum entspricht, wenn der Schnitt
frontal durch das ganze Gehirn gelegt ist Es umgiebt das Hinterhorn des
Seitenventrikels in einem ziemlich weiten Bogen. Zwischen dem Ventrikel und
dem unteren Längsbündel befindet sich der Raum für die GnATioLET’sche Seh¬
strahlung und das Tapetum. Die Fasern des unteren Längsbündels verlaufet
im oberen Theile dieses Bogens von der medialen nach der lateralen Seite im
lateralen Theile des Bogens in sagittaler Richtung und im unteren Theile wieder
von der lateralen nach der medialen Seite, nach dem Ammonshora zu. Sie
machen demnach zwei Mal eine Biegung in eine andere Richtung durch. Dfc
Ammonshorn selbst erreichen sie jedoch nicht Sie rücken zwar, je weiter
die Schnitte occipitalwärts liegen, um so mehr nach dem Ammonshora zu, er¬
reichen die Rinde aber erst im Gyras lingualis. In denjenigen Schnitten, welche
von dem Hinterhauptspol ungefähr 2—3 cm entfernt sind, umgiebt das untere
Längsbündel den Ventrikel vollständig. Es befindet sich aber auch hier eit
breiter Saum zwischen Ventrikel und dem unteren Längsbündel, der, nachdem
die GEATiOLET’sche Sehstrahlung markhaltig geworden ist, von deren Fasere
und den Fasern des Tapetum, die sich noch später entwickeln, ausgefüllt wiii
Man sieht hier auch deutlich, dass aus dem unteren Längsbündel Fasern von
oben her in den Guneus einstrahlen und in den noch weiter polwärts zu ge¬
legenen Schnitten ist dann der Cuneus mit dem Gyras lingualis durch fein*
Bogenfasern verbunden. Nur der Cuneus und Gyras lingualis sind zu dieser
Die
887
Zeit mit markhaltigen Fasern versehen. Die übrigen Windungen des Hinter¬
hauptlappens erhalten ziemlich schnell markhaltige Fasern, sobald die Gkatio-
i^ET’sche Sehstrahlung markhaltig geworden ist
An der oben erwähnten Stelle nun, an welcher das untere Längsbündel
seine grösste Stärke hat, in der Gegend des äusseren Kniehöckers, ist weiterhin
wahrzunehmen, dass es aus zwei Arten von Fasern zusammengesetzt ist.
1. Seitlich vom äusseren Kniehöcker ist hier ein unregelmässiges ovales
oder rundes Feld von Fasern zu sehen, aus dem Fasern in das untere Längs¬
bündel einstrahlen, dessen Stärke nach dem Hinterhauptspol zu immer mehr
abnimmt, und das sich schliesslich durch Abgabe von Fasern an das untere
Längsbündel völlig erschöpft Verfolgt man dieses Feld weiter nach dem Stirn¬
pol zu, so sieht man, dass es seine Fasern direct aus dem N. opticus bezieht.
Der N. opticus rückt so nahe an dieses Feld heran, dass man den Uebergang
seiner Fasern in dasselbe scharf sehen kann. Weiter frontalwärts ist es nicht
mehr wahrzunehmen. Es ist ein relativ grosser Antheil der optischen Fasern,
welcher an dieses Feld und damit an das untere Längsbündel abgegeben wird,
denn der Querschnitt des Opticus ist nachdem wesentlich kleiner.
2. Einen weiteren beträchtlichen Zuzug von Fasern erhält das untere
Längsbündel aus dem Mittelhirn bezw. von der Schleife her. Diese Fasern ge¬
hören dem nun zu beschreibenden Stabkranzsystem an.
An dem Gehirne eines 12 Tage alten Kindes lassen sich die nachfolgenden
Einzelheiten, die aber auch an den übrigen von mir untersuchten Schnittreihen
sich vorfanden, mit grosser Deutlichkeit wahmehmen.
Von der lateralen Seite der medialen Schleife trennt sich ungefähr in der
Gegend des äusseren Kniehöckers ein starkes Faserbündel ab, das einen aus¬
gesprochenen Verlauf seitwärts nimmt. Ungefähr in der Gegend des äusseren
Kniehöckers und dicht über ihm, breitet sich dieses fächerartig aus, indem es
sich in einzelne Faserbündel spaltet, die sich wieder geflechtartig aneinander¬
legen und dann wieder auseinandergehen, in der Weise, wie sich die Stabkranz-
fasem an Längsschnitten durch das Grosshirn, der Stabkranz des äusseren
Kniehöckers u. a. darzustellen pflegen.
Die Ausbreitung dieses Stabkranzes geschieht nun nach vier Richtungen:
1. Nach dem unteren Langsbündel, zu dessen Zusammensetzung es beiträgt.
2. Nach der ersten Schläfenwindung und zwar nach ihrem vorderen Dritttheil.-
3. Nach den Centralwindungen. Diese Fasern befinden sich auf Frontal¬
schnitten seitlich von den Pyramidenbahnen und ziehen, indem sie theils
am distalen Ende des Linsenkernes, theils an seinem lateralen Rande aus
der medio-lateralen in die ventro-dorsale Richtung hin umbiegen, in die Central¬
windungen. An den Präparaten ist übrigens mit Sicherheit wahrzunehmen,
dass ein grosser Theil der medialen Schleife durch den Thalamus opticus hin¬
durch in die innere Kapsel zieht. Ich möchte dies bemerken, mit Hinsicht
darauf, dass die directe Verbindung der Schleife mit der inneren Kapsel und
den Centralwindungen noch mehrfach in Zweifel gezogen wird.
4. Der Rest der Fasern verläuft am äusseren Rande des Linsenkernes,
Digi
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schräg in ventraler Richtung nach dem Stirnpol und endigt hier in der Nähe
der vorderen Commissur, die aber auf dieser Entwicklungsstufe noch keine
markhaltigen Fasern führt, im Mandelkern, wo er mit den vom N. olfactorius
herkommenden Fasern ein Netzwerk bildet, dessen letzte Ausläufer sich noch
eine Strecke in das Ammonshorn hineinziehen und in der Nähe der medialen
Spitze des Unterhorns des Seitenventrikels in Form kurz abgeschnittener, dicht
aneinanderliegender feiner Fasern sichtbar sind.
Verfolgt man das Stabkranzbündel weiter distalwärts, so kann man wihr-
nehmen:
1. Dass seine Fasern zum kleineren Theil, nachdem sie eine kurze Strecke
der Schleife gefolgt sind, von ihr abbiegen und in die Substantia nigra hinem-
ziehen und sich dort in ein Fasernetz auflösen, das ungefähr das laterale Dritt-
theil dieser grauen Masse einnimmt, während die anderen zwei Dritttheile noch |
kein Fasemetz anfweisen. I
2. Dass der grösste Tbeil seiner Fasern zum lateralen Theile der medialen
Schleife wird. Auf den mir zur Verfügung stehenden Präparaten lassen sich
diese Fasern dann nicht mehr von den übrigen Schleifenfasera unterscheiden.
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass von dem lateralen Theile der
Schleife aus ein Stabkranz sich entwickelt, welcher in den Mandelkern bezw. das
Ammon8horn, die vordersten Theile der ersten Scbläfenwindung, die Central-
Windungen und in den Gyrus lingualis und den Cuneus ausstrahlt. Es fragt
sich nun, welcher Art diese Fasern sind, ob sie corticofugale oder cortice-
petale Leitungen darstellen. Durch Untersuchungen aus neuerer Zeit ist fest- 1
gestellt worden, dass die Schleife neben-centripetalen auch centrifugale Leitungen j
führt Dies ist namentlich durch die Untersuchungen von Schlk&ingkb 1 und
Hoche 8 festgestellt worden. Beim Vergleich der Abbildungen, welche Schl®-
sin geb und Hoche ihren Arbeiten beigegeben haben, mit meinen Präparaten
ist es zweifellos, dass das oben von mir beschriebene Stabkranzbündel ans der
Schleife identisch ist mit den „lateralen pontinen Bündeln“ Schlebingkb’s
oder der „motorischen Schleifenbahn“ von Hochs. Es besteht demnach
im menschlichen Gehirn ein Stabkranz mit motorischer Leitung, welcher
von bekannten Centren des Olfactorius, Opticus, Acusticus und der Gefühls¬
empfindung im Grosshim ausgeht, und den ich als primäre motorische
Bahn bezeichnen möchte.
Wie ich schon bemerkte, ist eine weitere Verfolgung der primären motori¬
schen Bahn über die Schleife oder die Substantia nigra hinaus nach unten an
meinen Präparaten mir-nicht möglich gewesen.
Die Untersuchungen von Hoche haben aber ergeben, dass der von ihm
1 SoHLBsmasB, Beiträge zur Kenntniss der Schleifendegeneration. Arbeiten ans dem
Institut für Anatomie and Physiologie des Centralnervensystems an der Wiener Universität
1896. Heft 4.
1 Hoch«, Beiträge zur Anatomie der Pyramidenbahn and der oberen 8ehleife, nebst
Bemerkungen über die abnormen Bflndel in Pons and Medalla oblongata. Archiv f. Psyeh.
B<L YTHC-
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als motorische Schleifenbahn bezeichnete Faserzug — welchen er auch als Stab¬
kranzsystem auffasst — Verbindungsfasern zu den motorischen Hirnnerven führt,
die aber getrennt von den zu diesen Nerven von den Pyramidenbahnen aus¬
gehenden Fasern verlaufen.
Eine Thatsache möchte ich aber hier anführen, die immerhin geeignet er¬
scheint, den weiteren Verlauf der primären motorischen Bahn im Rückenmark
vermuthen zu lassen. Bei der Geburt sind einerseits wie alle Kerne der Hirn¬
nerven, insbesondere der motorischen, so auch die Vorderhörner des Rücken¬
markes mit einem deutlich wahrnehmbaren Fasernetz versehen, andererseits sind
auch die vorderen Wurzeln bereits markhaltig, obgleich die Pyramidenbahnen
noch nicht markhaltig sind. Es liegt die Annahme nahe, dass schon vor der
Entwickelung des Markes in den Pyramidenbahnen die vorderen Wurzeln der
Leitung von Reizen gedient haben. Ausserdem ist der Umfang der primären
motorischen Bahn so massig, dass sie höchstwahrscheinlich mit der Abgabe von
Fasern an die Hirnnerven bei Weitem noch nicht erschöpft ist. Nach Unter¬
suchungen, die aber noch nicht abgeschlossen sind, vermuthe ich den weiteren
Verlauf der Bahn in den Vorderstranggrundbündeln.
Es erübrigt vielleicht noch, einige Bemerkungen physiologischer bezw. patho¬
logischer Art hier anzuknüpfen. Ich habe schon oben erwähnt, dass der von
mir beschriebene Stabkranz motorischer Fasern seinen Ursprung von den Centren
für die Sinnesempfindung nimmt. Er geht insbesondere von denjenigen Theilen
der Grosshirnrinde aus, welche Flechsig für seine Sinnescentren in Anspruch
nimmt Diese wären demnach als sensomotorische Centren anzusehen. Be¬
merkenswerth ist hierbei, dass ihre centripetale Verbindung mit der Peripherie
in der ersten Zeit des Lebens eine directe ist, d. h. ohne Unterbrechung im
Thalamus opticus oder einer grauen Masse des Zwischenhirn.
Das Vorhandensein einer motorischen Leitung vom Grosshirn aus, neben
den Pyramidenbahnen, ist schon lange vennuthet worden. Ich kann im
Einzelnen hier nicht auf Litteraturangaben eingehen und will nur die Be¬
obachtung anföhren, dass Hemiplegiker mit vollständigen Läsionen der Pyra¬
midenbahnen bei starken Reizen im Stande sind, mimische Bewegungen zu
machen, den Schlingact auszuführen und dergleichen. Ebenso dürften wohl
auch die Bewegungen Neugeborener, bei denen die Pyramidenbahnen noch nicht
entwickelt sind, sobald irgend welche Reize die Neugeborenen treffen, in dieser
Bahn verlaufen. Es ist dies um so wahrscheinlicher, als auf Reize, welche das
Auge, das Ohr des Neugeborenen treffen, heftige Abwehrbewegungen zu folgen
pflegen. Hier kann die Auslösung des Reizes nur direct von den betr. Sinnes¬
centren aus erfolgen, da ja zu dieser Zeit Verbindungen associativer Art zwischen
den einzelnen Sinnescentren und dem Ausgangspunkte der Pyramidenbahnen,
den Centralwindungen noch nicht vorhanden sind. Möglicherweise verläuft auch
ein Theil des Reflexbogens für die Lichtreaction der Pupille in dieser Bahn.
Man könnte sie daher auch mit Recht etwa als cortico-motorische Reflexbahn
bezeichnen, wenn man dem nicht mit Recht entgegenhalten könnte, dass auch
der Pyramidenbahn diese Function zugestanden werden kann.
Die
890
Nicht ohne Bedeutung scheint mir auoh die Kenntniss dieser Bahn zu m
für die Auffassung über das Zustandekommen epileptischer ConvuMonen. Es
könnte z. B. der von einem Sinnescentrum ausgehende Beizzustand, wie er sich
bei vielen Epileptikern in Form der sogenannten Aura in verschiedenen Sinn»-
gebieten darstellt, genügen, um, ohne dass der Beiz auf weiter entfernte Theik
der Grosshirnrinde übergeht, sofort eine motorische Reacüon herbeizuführen.
Die Vorstellung, dass jedem Sinnescentrum auch eine entsprechende moto¬
rische Bahn beigegeben sei, ist übrigens keineswegs neu. Diese Vorstellung
war aber bis jetzt über die Hypothese noch nicht hinausgegangen. Es fehlte
noch der anatomische Nachweis, den ich im Vorstehenden geführt zu habea
glaube.
Ausführlichere Mittheilung behalte ich mir vor.
3. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie.
Von Dr. med. August Diehl, Nervenarzt in Lübeck.
(Schluss.)
In dem 2. Falle, den ich als Paradigma anführen will, wurde ich zu ein«
Dame gerufen, die ich seit Jahren kenne und die an ausgesprochener Hyztene
leidet. Am Abend vorher stellte sich ein für die Pat. offenbar enorm eindrucks¬
volles Ereigniss ein, das als Anfall einer „namenlosen Angst“ gleich bezeichnet
wurde. Pat hatte während langen Wochen ihren schwerkranken Mann, einen
Arzt, unter vielen gemüthlichen Aufregungen in hervorragender Aufopferung ge¬
pflegt und erlitt dabei Einbusse an Gewicht, an gesundem Aussehen und an Wohl¬
befinden. Pat. ist eine der Kranken, die es gelernt haben, ihre gemüthliche Labi¬
lität durch Uebung zu beherrschen; sie ist weit über das gewöhnliche Maasf
hinaus gebildet, ist intelligent, von gutem Urtheil, zuverlässig und wenig bestimmbar
im Thun und Denken. Von der Pat. und deren Manne erfuhr ich Folgend«:
Pat. war am Abend vor dem Schlafengehen in die vorderen Zimmer ihrer Wohnung
gegangen, fand das Arbeitszimmer des Mannes schlecht gelüftet und glaubte,
die üble Geruchsempfindung als Leichengeruch deuten zu können. Das bewegt«
sie einen Moment; sie dachte dann mit dem ihr eigenen Interesse für psychisch«
Geschehen darüber nach, ob die längere Abwesenheit des Mannes aus dem Zimmer
bei ihr wohl den Eindruck des Leichengeruches wachgerufen hätte. Ein Gefühl
der Furcht, der Angst hatte sie dabei nicht Sie öffnete die Fenster, ging i»
die Nebenräume, begoss die Blumen und fand, dass drei frische Blätter an der
ins Zimmer versetzten Aralie abgefallen waren. Die Blätter zeigte sie im Schlaf¬
zimmer ihrem Manne. Als sie dieselben in den Händen hielt, traf sie plötzlich
ein Schreck, der in der plötzlich auftanchenden Vorstellung „Todtenbouquet“ sein«
Grund hatte. Das dauerte nur einen Moment, und dann erzählte sie lachend die
ei genthümliehe innere Bewegung ihrem Manne. In irgend eine der Patientin be¬
wusste Beziehung zum Leiden und Zustande des Mannes wurde Leichengeruch und
Todtenbouquet so wenig gebracht, wie von ihr dieses Auftauchen solcher Vor¬
stellungen als Ahnung für ihr Wohl gedeutet wurde. Patientin ist ganz frei vod
irgendwelchen abergläubischen Gedanken und erkennt weder in religiöser Beziehung
noch sonstwo unnatürliche Vorgänge an. Für sie bedeuteten diese beiden das
Gemüth afficirenden Vorstellungen etwas Unverknüpftes; eine associative Thäiigkmt,
Die
891
die zwischen ihnen bewusste Verbindungen mit ihrer Lage schuf, ist streng in
Abrede gestellt. Naohdem sie das Zimmer verlassen und verschiedene häusliche
Dinge geregelt hatte, kam sie mit entstellten Zügen zu ihrem Manne zurück,
sagte noch mechanisch, dass sie nicht wohl sei, ging 2 Mal im Zimmer ziellos auf
und nieder und setzte sich auf die Bettkante mit durch die Hände verdeckt ge¬
haltenem Gesicht Wie erstarrt verharrte sie in dieser Stellung; ein Versuch, sie
anzureden, führte zu einer kurzen abwehrenden Antwort Jede Bewegung liess sie
zusammenschrecken; einer Berührung wioh sie aus und sie berichtete dem bestürzten
Manne in abgerissenen Worten, sie habe eine sie vernichtende Furcht. Respiration
und Puls waren unverändert Sie bat dann um Cognac, trank ihn hastig, fragte,
ob es wohl vorübergehe, ob etwas passire, wo sie Hülfe finden könne. Der Schweiss
brach aus; die Züge blieben starr, der Ausdruck der Augen war unsäglich rathlos
und Hülfe suchend. Der Zustand hatte im Ganzen eine Dauer von 10—15 Minuten;
2 Mal versuchte sie, sich mit Worten zu ermuntern und den Platz zu wechseln,
um über die Zwangslage hinwegzukommen. Nachher wurde sie ruhiger, war bis
zum Aeussersten erschöpft, spürte nichts von der Wirkung grosser Mengen Cognac,
vermied jedeB Geräusch, alles, was sie ersohrecken konnte, entfernte vom Fenster
die im Winde bewegte Gardine, u. s. w. In kurzen Worten erläuterte sie ihrem
Manne, was sie da durohgemacht habe, könne kein Mensch verstehen, der nicht
selbst Aehnliches erlebt habe; der Gedanke zu sterben sei ihr erträglicher als zu
denken, dass dieser Zustand nochmals wiederkommen könne. Sie sei wie ange¬
packt gewesen, habe das Bedürfhiss gehabt, sich garnicht mehr zu rühren. Sie
stand unter dem Einfluss einer vernichtenden Furcht, der sie preisgegeben war;
die Nachwirkung zeigte sich im Verlauf der Nacht durch imruhigen Schlaf und
die mehrfache ängstliche Frage, es könne doch nichts passiren. Meine Fragen
nach allen Richtungen hin wurden von der willigen Patientin in ihrer intelligenten
Art beantwortet. Den Zustand könne man nicht Angst nennen, das sei Furcht,
entsetzliche Furcht, wie sie wohl bei Kindern sein mag, wenn sie mit der er¬
wachenden Phantasie Abends vor dem Einschlafen durch phantastische Gebilde
ihrer Vorstellung so gequält werden, dass jeden Menschen ihr markerschütterndes
Aufschreien mit dem sinnlosen Anklammern und Beben des ganzen Körpers er¬
greifen muss. Ihre Furcht habe keinen Gegenstand gehabt; sie dachte nicht an
Tod, Untergang, Gefahr oder Unglück. Eine nichts sagende, aber um so mehr
angsterfüllte Ahnung sei da über sie gekommen; ihr sei sie ganz preisgegeben
gewesen. Dos hätte sie empfunden, als sei Alles und Jedes in ihr bis auf’s
Höchste gespannt, und jede Bewegung an sich wie in der Umgebung sei ihr
so qualvoll geworden, weil sie etwas auslösen könnte, was sie wie ein dunkles Ver-
hängniss ahnte. Die Hand habe sie vor den Augen still halten müssen, um nicht
durch deren Bewegung sich zu entsetzen. Die Gedanken richteten sich auf nichts,
sie waren wie angehalten. In der Schilderung sah man, wie Patientin sich ab-
mühte, das Grausige der Situation in Worte zu fassen. Ihr ganzes Wesen har-
monirte mit der Aeusserung: „Gegen solche Qual einer Furcht kann nichts in der
Welt etwas bedeuten.“
Bei näherer Erkundigung erfuhr ich, dass Patientin weitere Male etwas Aehn¬
liches durchgemacht hatte, nur in geringerem Maasse. Immerhin waren die Zu¬
stände der Furcht so eindrucksvoll und eigenartig für die Kranke gewesen, dass
sie sofort über Anlass und Verlauf der Furchtanfälle mit reger Theilnahme er¬
zählen konnte. Kein Mal richtete sich die Furcht auf ein bestimmtes Object;
das war das Eigenthümliche und gab der denkenden Patientin das Gefühl, es
müsse solche Furcht der Ausdruck eines grossen Schwächezustandes des Nerven¬
systems sein. Diese Schwäche lähme das Seelenleben mit elementarer Gewalt wie
etwa ein Schlaganfall die Gliedmassen lähmen könne. Von Bedeutung waren mir
noch zwei Bemerkungen. Patientin forderte mich auf, das Vorgefallene nicht mit
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der Angst zu verwechseln, die sie auch natürlich kenne. Besonders früher habe
sie zeitweise Angst mit Herzklopfen und Engigkeit auf der Brust gehabt. Dann
habe die Angst sich an die Vorstellung angelehnt, der Athem könne aoBgehen,
sie könne sterben oder diese nervöse Erscheinung könne von Andern bemerkt
werden. Die Furcht habe mit dieser Angst nichts gemeinsam; jene komme wie
aus heitrem Himmel und lege den Menschen in Fesseln. Wichtig und interessant
war es zu erfahren, dass Patientin nie im Leben ängstlich war, etwa vor Dunkel¬
heit, Einsamkeit. Gespensterfurcht war ihr ein Räthsel. Der Mann klagte, dass
seine Frau unvorsichtig abends weite Besorgungen machte, dass sie sich nach dem
Theater nicht abholen lassen wolle, obwohl sie bis zur Wohnung ausserhalb der
Stadt verlassene und nicht geheure Wege zu machen habe, ln ihrer Sorglosig¬
keit hatte sie, als sie einmal allein zu Hause war, das Haus mittags nicht ab¬
geschlossen; als sie vom Mittagsschlafe aufwachte, beschäftigte sich vor ihren
Augen ein Landstreicher mit den Gegenständen im Zimmer. Gleich fuhr sie aus
dem Lehnsessel, wies den Eindringling unter gehöriger Maassregelung zur Thür
hinaus und hatte sich nach eigner Angabe nicht einmal sehr erschrocken. Das
beweist, dass die Patientin alles andere als furchtsam ist; auch als Kind kannte
sie keine Aengstlichkeit.
Die beiden Krankheitsbilder sind absichtlich in den wesentlichen Punkten
mit aller Ausführlichkeit gegeben und halten sich streng an die Unterredung
mit den Patienten selbst. Dadurch kann ich mir ein ausführliches Eingehen
auf das Wesen der Angstformen, die bei der Hysterie Vorkommen, bei der Neur¬
asthenie aber nicht, ersparen und den Kernpunkt der Abhandlung dahin zu¬
sammenfassen, dass bei beiden Leiden eine Angst vorkommt, die sich mit einer
bestimmten Vorstellung einstellt, aus ihr ihren Ursprung nimmt, sie als Be¬
gleiterscheinung hat oder vielleicht sich diese Vorstellung als Grund zur Angst
erst schafft, dass aber daneben nur bei der Hysterie eine Angst beobachtet
wird, die sich als gegenstandslose Furcht, als dunkles, angsterfülltes Ahnen ver-
räth, die nichts von Inhalt zurücklässt, sondern nur die Erinnerung an den hohen
Grad einer vernichtenden Furcht
Wie schon erwähnt, nahm ich zur Schilderung dessen, was ich zur Sprache
bringen wollte, die durchsichtigsten Fälle meiner Krankheitsberichte heraas. Sie
stammen zufälligerweise aus dem letzten halben Jahre; in ihnen ist mit greller
Farbe das gezeichnet, was ich seit Jahren in mässigen Graden immer und immer
wieder finden konnte, seitdem ich mein Augenmerk auf den Punkt gerichtet hatte.
Während meiner Assistentenzeit an der Heidelberger Universitäts-Irrenklinik
hatte ich Gelegenheit, dieselben hysterischen Kranken lange Monate hindurch
jeden Tag häufiger zu sehen. Wer im Anstaltsleben für seine Ruhe in dienst¬
freien Stunden etwas thun will, findet sehr bald heraus, wie wichtig es ist, bei
den Visiten auf der Abtheilung sich den hysterischen Kranken besonders an¬
gelegentlich zu widmen. So geht man fast unfreiwillig allen ihren Regungen
nach und lernt dabei, was alles im Leben den Menschen ärgern kann, wie leicht
man selbst, ohne es zu wollen, tief verletzt u. s. w. Nun findet man gar nicht
selten, dass diese Kranken den Grund für ein sonderbares Verhalten nicht ver-
rathen. Glaubt man zuerst noch, sie seien abweisend, so überzeugt man sich
bald, dass z. B. eine Aeusserung der Angst nicht immer albernes Gethue oder
Die
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übertriebene Abneigung vor bestimmten Mitkranken ist, sondern dass in ihrem
Innern ein Vorgang sich abspielt, über den sie um so weniger berichten können,
je mehr sie darunter leiden. Bei Kranken, die mit Anfällen behaftet sind, konnte
ein solcher Zustand, der sich in grosser Rathlosigkeit im Ausdruck und in Ge¬
bundenheit im Wesen kenntlich machte, sehr häufig in Verbindung mit dem
Anfall, etwa als dessen Prodrom, gebracht werden. Man gewöhnte sich an diesen
Zusammenhang und schrieb beides der gerade bestehenden geringen psychischen
Widerstandsfähigkeit zu. Aber auch ohne dass Anfalle vorkamen, trug die Angst
den oben gezeichneten Charakter. Was die Kranken dann über den Grund, den
Inhalt, über die Empfindung im Angstzustande berichten konnten, war durch¬
weg so dürftig, dass ich lange daran festhielt, die Abneigung der in solcher Zeit
wohl besonders abweisenden Kranken lasse mich über ihre seelischen Vorgänge
ganz unaufgeklärt In der That konnten die Kranken nicht mehr sagen, weil
sie aus der Erinnerung nichts zu schöpfen hatten, was jemals bei ihnen zur
Vorstellung wurde. — Die Grösse dieser Furcht nimmt alle Grade an. Man
sieht die Kranken oft nur für Minuten, oft für Stunden mässig geängstigt, wo¬
bei sie auf keine Weise irritirt werden wollen. Dann ist ihre Sprache klanglos;
die Augen suchen, fragen, manchmal beobachtet man ein rathloses Kopfschütteln,
als könnten sie sich trotz aller Mühe nicht Bechenschaft geben. In den höheren
Graden beginnen plötzlich ganz ruhige Kranke mit dem Schrei des Entsetzens
zu weinen, meist sinnlos hinauszuschreien; dabei suchen sie sich allem zu ent¬
winden, sie drücken sich in die Ecken, laufen hin und her, zeigen aber keine
Angst vor etwas, was sie halluciniren; nur in ihrem Innern sind sie in Zwie¬
spalt Auskunft, die uns das sonderbare Benehmen genügend erklärlich machen
könnte, ertheilen die oft nach Minuten beruhigten Kranken nicht Die „Angst“
fasste sie, aber sie fürchten keinen Menschen, kein Verderben. Die Angst kam
von innen heraus. „Daran kann man sterben“, sagte mir eine mit langen
Dämmerzuständen behaftete Hysterica.
Von den Angehörigen der Kranken erfährt der Arzt wohl in der Vor¬
besprechung, man fürchte, sie könnten geisteskrank werden. Oft scheinen die
Kranken für Minuten ganz abwesend zu sein, sie schauen die Umgebung wie
etwas Fremdes an, weinen dabei, schütteln mit dem Kopf, haben „sehr nach¬
denkliche Augen“, und man darf ihnen nichts sagen. Nach der Art der Wieder¬
gabe solcher Erscheinungen muss der Zustand für den Beobachter etwas Be¬
ängstigendes, Ergreifendes haben. Erkundigt man sich dann über diesen Punkt
bei den Kranken selbst, so wissen sie aus diesen Zuständen nichts zu berichten,
als dass eine „unheimliche Angst“ — wie sich eine Kranke ausdrückte, die ihrer
Tochter es sehr übelnahm, dass sie dem Arzte davon erzählt hatte — sie über¬
wältige.
Seitdem ich bei den Patienten nach dieser Form der Furcht forschte, fand
ich sie wieder bei fast allen Hysterischen, welche spontan Angst als quälendes
Symptom ihres Leidens unter den ersten aufzählten. Dann ergab das weitere
Befragen, dass es sich mit grosser Regelmässigkeit um die Furcht handelte.
Erst ein besonderes Aufmerksammachen auf die allgemeine Form der Angst
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vor bestimmten Dingen bestätigte diese auch, ohne dass ihr von Seiten der
Kranken besondere Bedeutung beigemessen wurde. Auffallend ist die häufig
überraschende Antwort, die man auf die Frage nach dem Wesen der Angst von
Hysterischen erhält Eine ungebildete Patientin antwortete z. B. gleich so: „Die
Angst kommt, es ist wie eine grosse Strafe, und ich denke dann gleich: kh
habe doch nie was Schlechtes gethan.“ So sucht sie den Zusammenhang für
das ihr Unerklärliche, das für sie gar nichts Beschreibbares hat
In derselben Weise, wie die hysterischen Kranken ausgefragt wurden, ge¬
schah es auch bei den Neurasthenikern. Es muss mehr als Zufall sein, dass ba
ihnen trotz genauen Zusehens nicht ein einziges Mal die Kenntniss von dem
Zustande einer inhaltslosen Furcht angetroffen wurde. In allen Fällen wusste«
sie, was sie in ihrer Angst befürchteten, war es auch nur, einen Anfall zu be¬
kommen, am Gehirnschlag zu sterben u. s. w. Aufmerksam muss ich noch
machen auf das leicht irreführende Benehmen der beiden Kranken. Wie der
Neurastheniker zu sehr geneigt ist, auf Fragen nach den verschiedensten Sym¬
ptomen kritiklos eine bejahende Antwort zu geben — er hat ja alles durch-
gemacht —, so ist er auch gleich bereit, auf die erste Frage nach einer un¬
bestimmten Furcht bejahend zu erwidern. So passirte es mir gar nicht selten;
erst ein genaues Sichverständigen klärt darüber auf, dass das gesuchte Symptom
ihm doch fremd ist Zählt man den Hysterischen Störungen vor, so kennen
sie wohl ähnliche Zustände; es ist nicht ganz so, wie der Arzt meint — sie
haben etwas Besonderes. — Je nach der Eigenart der Kranken werden Details
an den Symptomen als bemerkenswerth hervorgehoben. Diesem Unterschied im
Verhalten der Kranken ist es zuzuschreiben, dass bei einer oberflächlichen Prüfung
es scheinen kann, als seien die Neurastheniker mehr mit dem Symptome der
Furcht vertraut als die Hysterischen.
Wenn ich über die Stellung der Erscheinung der „Furcht“ in derSymptomen-
reihe der Hysterie noch eine Meinung äussern darf, so möchte ich deren nabe
Verwandtschaft mit den Dämmerzuständen hervorheben. Die letzteren können
so gar viele Formen in Art und Dauer annehmen, dass ich glaube, einen Ueber-
gang von rudimentären Dämmerzuständen zu den Zuständen der Furcht ohne
scharfe Trennung erkennen und annehmen zu dürfen. Wir müssen bedenken,
dass die Patienten sich in diesem Zustande sehr verändert fühlen, dass dem
ausgesprochenen Zustande geringe eigenartige Störungen vorausgehen können,
welche auf die Labilität der psychischen Verfassung hinweisen. Eine Kranke
sagte geradeheraus: „Ich weiss genau, dass ich nicht mehr ich selbst war, denn
ich kenne gar kein Fürchten und in dem Zustande fürchte ioh midi zu Tode.‘ ;
Ausserdem haben die Kranken das Gefühl ihrer intelleotuellen Unfreiheit, wie
aus obigen Angaben überzeugend hervorgeht Nachdem der Zustand vorüber
ist, stehen sie ihm wie einer fremden Sache, etwa wie einem Bauschzustande
gegenüber, abgesehen davon, dass ihnen eine Erinnerung an die Vorgänge des
Seelenlebens sehr erschwert zu sein scheint. Nach dieser Auffassung würde sich
die Gruppe der Dämmerzustände sehr ausdehnen; sie würden zu den sehr häufig
beobachteten Symptomen der Hysterie reohnen.
Die
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Die vorstehenden Angaben resnltiren aus den Erfahrungen eines Einzelnen,
der danach allerdings an die Bedeutung der Angstform als die eines oft weiter¬
helfenden differentialdiagno8tischeü Momentes festhalten möchte. Seit Jahren bin
ich der Frage nähergetreten und fand gamicht selten in der Angstform ein
Hülfsmittel für die Gruppirung der Krankheitsbilder, das mich nicht in Wider¬
spruch mit den allgemeinen Erfahrungen brachte. Die Vielgestaltigkeit der in
Betracht kommenden Leiden legt die Möglichkeit zu Angriffspunkten auf die
vorstehenden Erörterungen allein schon nahe. Der alte Praktiker mag sehr bald
zur Aeu8serung geneigt sein: ja, wenn die Sache nur so einfach läge; die Formen
verwischen sich allzusehr. Dieser Gedanke war von Anfang an mein Bedenken.
Die Anzahl der Fälle jedoch, welche die aufgestellte Unterscheidung unzweifel¬
haft bestätigte, giebt mir, wie ich glaube, die Berechtigung, meine Beobachtung
bekannt zu geben, um dadurch Andere anzuregen, im Sinne dieser Arbeit das
eigene Krankenmaterial einer genauen Prüfung zu unterziehen. Aus den Ergeb¬
nissen vieler, die im gleichen Sinne und mit gleicher Aufmerksamkeit sich der
Frage widmen, *wird die definitive Entscheidung hervorgehen, ob meine Ansicht
richtig, ob zu sehr verallgemeinert, ob vielleicht ganz unrichtig ist, „dass bei
der Neurasthenie allein die „Angst“, bei der Hysterie neben der Angst noch
die „Furcht“ den Kranken qualvoll zusetzt.“
n. Referate.
Anatomie.
1) Alte und neue Untersuchungen über das Gehirn, n., III., IV., von
Eduard Hitzig. (Archiv f. Psych. XXXV u. XXXVI.)
Die Entwickelung, welche die Lehre von den Functionen des Gehirnes und
speciell die Localisationslehre genommen hat, und die mancherlei Widersprüche,
die auf diesem Gebiete noch herrschen, haben Verf. veranlasst zu diesen Fragen,
die er mit Recht als sein ureigenstes Gebiet betrachten kann, noch einmal in
einer umfangreichen Arbeit daB Wort zu ergreifen. Neben der Festlegung und
zum Theil neuen Begründung dessen, was als gesicherter Besitz unserer Erkenntnis
gelten kann, bemüht sich Verf. besonders, das hervorzuheben, was als Lücken
und Unklarheiten hier herrscht, und die Wege anzugehen, auf denen die künftige
Forschung weiter vorzudringen haben wird. Der erste Aufsatz ist hauptsächlich
historisch-kritischer Art. Er beschäftigt sich zuerst mit den OperationBmethoden,
wobei die secundären Folgen des Eingriffes, besonders die Blutungen und Er¬
weichungen in von der Angriffsstelle entfernten Regionen in ihrer Bedeutung für
die Ausfallserscheinungen hervorgehoben werden; ferner mit den Untersuchungs¬
methoden und zuletzt mit den Theorieen des corticalen Sehens und der Gehirn¬
mechanik. In ausführlicher, theil weise recht scharfer Weise wird an den Arbeiten
der Vertreter gegnerischer Anschauungen, besonders von Goltz, Loeb, Luciani,
Tamini, Munk Kritik geübt. Von den zahlreichen Sätzen, die sich Verf. bei
diesen Untersuchungen ergaben, seien hier nur die wichtigsten hervorgehoben:
Die Frage der Localisation, soweit das Prinzip in Frage kommt, kann für
entschieden gelten und bedarf keiner weiteren experimentellen Begründung. Im
Die
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einzelnen bleibt dagegen selbst auf den beststudirten Gebieten der senso-motorischen
und visuellen Function sehr viel zu thun; so ist die Richtigkeit der Localiaatioc
der einzelnen Muskeln und Bewegungsformen auf bestimmte Gyri, die Bedeutung
des Stirnlappens und die Repräsentation der Rumpfmusculatur, die Loc&lisation
des Facialis noch weiter zu erforschen. Die motorische Region wird wahrschein¬
lich zur Bildung von Gefühls Vorstellungen benutzt, ohne indessen die einzige
Region zu sein, die diesem Zwecke dient. — Die Restitution der motorischen
und sensiblen Functionen ist, wenn auch oft weitgehend, so doch niemals voll¬
ständig; sie beruht zum Theil auf dem Verschwinden der Nachbarschaftssymptome,
zum Theil (vielleicht) auf der Erstarkung der zweiten Hemisphäre oder auf
Bahnung im Gebiete der Haubenbahn. — Die Hemmung spielt nach Eingriffen
in die motorische Zone wohl nur insofern eine Rolle, als durch sie vorübergehend
sensible subcorticale Centren ausser Function gesetzt werden; besonders ist dies
wohl bei denjenigen des Opticus der Fall, doch ist bei Eingriffen in die Seh¬
region die sichere Abgrenzung der directen corticalen von der indirecten sub-
corticalen Schädigung noch nicht gelungen. — Für die senso-motorische Seite
ist es höchst wahrscheinlich, dass in subcorticalen Centren eine allmählich fort¬
schreitende Ausarbeitung der Bewegung und gewisser zugehöriger Empfindungen
stattfindet, deren Endresultat in der Formation von BewegüngsVorstellungen
niederer Ordnung besteht: diese werden von dem Bewusstsein durch Vermittelung
der zugehörigen corticalen Regionen als Bewegungsvorstellungen im Ganzen apper-
cipirt. Gleicherweise ist es wahrscheinlich, dass auch die anderen von den Sinnes¬
organen aufgenommenen Bewegungsvorgänge der Aussenwelt subcortical verknüpft
und ausgearbeitet werden, um endlich cortical in ihrem Ganzen zur Apperceptioo
zu gelangen, ohne dass dem Bewusstsein ein Eindringen oder die Analyse jener
vorbereitenden Processe gestattet wäre. Verf. kennt also nicht, wie Munk, Fühl-,
Seh- u. s. w. Sphären, sondern nur Vorstellungs- oder Bewusstseinsspbären, er
localisirt in diesen nicht die Gefühle selbst, sondern nur die Gefühlsvorstellungen
ebenso wie alle anderen Vorstellungen.
Die dritte Arbeit hebt aus den verschiedenen Streitfragen die durch.prin-
cipielle Wichtigkeit ausgezeichnete Localisation des Sehvermögens herauB, enthält
also vor allen eine Auseinandersetzung mit Munk. Die gestellten Fragen sind
hauptsächlich die, ob corticale Sehstörungen auch von anderen Stellen als von
der sogenannten Sehsphäre Munk’s aus hervorgerufen werden können, welcher
Art diese Sehstörungen Bind, und ob sie sämmtlioh oder zu welchem Theile sie
auf die Rinde selbst oder auf die subcorticalen Gebilde zu beziehen sind. —
Verf. stellte fest, dass schon die blosse Freilegung der Pia ohne jegliche Ver¬
letzung der GehirnsubBtanz zu Ausfallssymptomen fuhrt, die sich nur quantitativ
von denen nach Exstirpationen der gleichen Gegenden unterscheiden. Da bei
dieser Operationsmethode Neben Verletzungen, Versuchsfehler u. s. w. ausgeschlossen
waren, muss es als erwiesen gelten, dass auch von anderen Regionen sds der
„Sehsphäre“ aus, nämlich vom Gyrus sigmoideus Sehstörungen hervorgerufen werden
können, wodurch die Lehre Munk’s widerlegt ist. Die Ausfälle sind stets
hemiopischer Natur, wie dies in der vierten Arbeit ausführlich begründet und
durch zahlreiche Versuchsprotocolle, denen die Abbildungen der operirten Gehirne
beigegeben sind, nachgewiesen wird. Die Untersuchungen wiesen hier besonders
die Unabhängigkeit der Sehstörungen von den Störungen der optischen Reflexe
nach; es zeigte sich, dass Verletzungen des Gyrus sigmoideus Sehstörungen und
Störungen der optischen Reflexe, Verletzungen des Orbiculariscentrums solche der
optischen Reflexe allein, beides als unmittelbare Operationsfolge bewirkten. Die
vorderen Schenkel der 2.—4. Urwindung, einschliesslich des vorderen Theiles
des grossen Marklagers und der inneren Kapsel konnten dagegen in jeder Weise
verletzt sein, ohne dass hieraus jemals eine directe Sehstörung resultirte. — Die
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nach derartigen Operationen za beobachtende Erweiterung der Lidspalte, vielleicht
»ach ihre gelegentliche Verengerung, ist auf eine Stofe mit dem sohlaffen Herab-
hingen der geschädigten Pfoten von in der Schwebe aufgehängten Hunden zu
stellen, d. h. sie ist ein Zeichen für die Herabsetzung des normalen cerebralen
Tonus. — Auch die Frage, ob Sehstörungen durch Verletzung der Markstrahlungen
des Gyros sigmoideus bedingt sein können, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit zu
bejahen). H. Haenel (Dresden).
2) Dm basale Bieohbflndal des Kaninchens, von Adolf Wallenberg in
Danzig. (Anatomischer Anzeiger. XX. 1901. Nr. 7.)
Verf. hat an der Hand zahlreicher Degenerationsversuohe mit der Mar chi’sehen
Methode den genaueren Verlauf einer Faeermasse festzustellen gesucht, welche
aus dem Lohns olfactorius entspringt und zu den caudalw&rts gelegenen Hirn-
theilen verläuft. Honegger hatte bereits im Jahre 1890 auf dieselbe hinge-
wiesen und Edinger als der erste diese basale „Riechstrahlung zum Zwisohen-
nnd Mittelhirn“ ausführlich beschrieben und abgebildet. Verf. bezeichnet die
Faserung als das basale Riechbündel. Es entspringt beim Kaninchen zum grössten
Th eile aus der basalen Rinden Schicht der Area olfactoria, und es erhält während
seines Verlaufes Zuflüsse aus dem frontalsten Theile des Striatums und aus dem
„Kerne des basalen Längsbündels“. Diese Ursprungsstätten sind nach Verf.’s
Ansicht als Riechfeld im weiteren Sinne aufzufassen. Der grössere laterale Theil
seiner Fasern endigt ungekreuzt in der Haube des Mittelhirns und der frontalen
Kückenhälfte.
Die am meisten medialwärts gelegenen Fasern kreuzen in der Decussatio
hypothalamica posterior (Ganser), in der Bindearmkreuzung und innerhalb der
Brücke.
Von den mittleren Fasern endet ein Theil in einem rundlichen Ganglion
zwischen der Substantia nigra und der Fornixkreuzung; ein anderer Theil zieht
zu beiden Seiten des Fasoiculus retroflexus in das centrale Höhlengrau; ein dritter
konnte in den Fasoiculus longitudinal» posterior (seu dorsal») verfolgt werden.
Das Rieohfeld muss daher als Ursprung von Fasern dieses Bündels bezeichnet
werden. Schliesslich sei noch erwähnt, dass Ausläufer des basalen Riechbündels
in das centrale Höhlen grau des Aquaeductus und des proximalen Theiles der
Rautengrube, in die Oculomotorius- und Troohleariskerne und die Ganglien der
Formatio reticularis lateralis der Brücke und in die Vorderstränge bezw. Vorder¬
hörner des Rückenmarkes gelangen; und zwar erreichen sie diese letzteren auf
dem Wege durch den Fasciculus longitudinal» posterior.
Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
3) Contrfbutlon to the study of the oortical sensory arsas, by Walton
and Paul (Brain. 1901. Autumn.)
Die Autoren sind der Ansicht, dass in den Centralwindungen ausser den
reinen motorischen Functionen local isirt sind: der sogenannte stereognostische
Sinn, das Lagegefühl, der Raumsinn, das LocalisationsgefÜhl für Tastreize, also
nicht einfache Sinnes em pfindungen, sondern höhere Combinationen; dass dagegen
das einfache Berührungsgefühl, die Schmerz- und Temperaturempfindung für die
Arme in den Parietallappen, für die Beine vielleicht im Gyros fomicatus liege.
In den Centralwindungen müssen besondere Zellenlager für die sensorischen und
andere für die motorischen Functionen vorhanden sein; die ersteren liegen vielleicht
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oberflächlicher; es giebt Fälle von Central windungsläsionen, in denen GefQhls-
Störungen allein vorhanden waren oder allein übrig blieben. Die Bedeutung dtr
Centralwindungen für die genannten höheren sensorischen Empfindungen der be¬
treffenden Extremitäten ist durch viele Fälle sicher gestellt. Es fehlen noch Fällt
yon reiner Tast-, Schmer*- und Temperatursinneslähmung bei Pariet&llappentumorai:
hier könnten natürlich auch die „höheren Gefühle“ auf associativem Wege mit
gestört sein und es ist in vielen Fällen schwer, Druck auf die hinteren Theilf
der inneren Kapsel auszuschliessen. Ganz fehlen auch die Beweise für die Be¬
deutung des Gyrus fornicatus für die einfacheren Empfindungen der Beine. Ir
späteren Fällen wird es nöthig sein, jede Art des Gefühls gesondert genau n
untersuchen. Bruna
4) Bin mimische« Centrum im medialen Kern des Sehhügels , von Prof
Dr. Kirchhoff in Neustadt in Holstein. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrank
XXXV. 1902.)
Ein früher immer gesund gewesener Buchdrucker erlitt im 43. Jahr eina
Sturz mit schwerer Hirnerschütterung, von der er sich nur langsam erholte uw
dauernd geistig schwach blieb. Verf. constatirte im 54. Lebensjahr Parese uw
Contractur der linksseitigen Extremitäten und eine leichte Facialisparese auf da
linken Seite. Bei unwillkürlichem Mienenspiel, z. B. bei Lachen it
Affect, versagte die linke Gesichtshälfte im Mundtheile gans, be:
auf Geheiss stärker ausgeführter willkürlicher Mimik aber arbeitet
der gesammte Facialis normal. Im 61. Jahr wurde Pat. stumpf bekas
ßchwindelanfälle, zeigte athetotische Fingerbewegungen, wurde motorisch imaer
unruhiger, verfiel und starb. Bei der Section fand man einen Erweichung*^-
im rechten Sehhügel. Derselbe war 2 om lang, 1 cm breit und war in der Tie«
yerflüssigt. Dieser Herd nahm die mediale und vordere Fläche des Th&lww- 1
ein und umfasste — abgesehen von Theilen des Kapselknies, dem Kopf da
Nucleus caudatus und dem oberen Theile des Linsenkerns — den ganzen medi»l<-
Kern des Thalamus.
Der Fall bestätigt also, dass die gekreuzte Gesichtshälfte nach Thalami 1 -
erkrankungen bei Affeotbewegungen völlig starr bleibt. Der mediale Kern da
Thalamus scheint ein mimisches Centrum zu sein. Die beobachtete Athetose vin
mit Ausdehnung des Herdes nach dem Pulvinar zu Zusammenhängen.
G. 11b erg (Grossschweidniti).
ö) Ueber die phyaiologizohe Contractur, von Dr. K. Lhot&k. (Öasop. i»
lek. 1902. S. 587.)
Tiegel beobachtete bei den Winterfröschen nach einmaliger Beizung dnrt:
den Inductionsstrom eine dauernde Contractur des Muskels, welche durch noch¬
malige Reizung erhöht wird. Ueber den Grund dieses Phänomens ist nicht»
bekannt. Tiegel sucht in der Temperatur der Umgebung einen Zusammenhtfi
mit dieser Contractur. Verf. fand bei seinen Versuchen (im physiologisch 3
Institute des Prof. Mare§) über die Function des isolirten Muskels einen euffilhj
analogen, ja identischen Zustand, wenn er den Muskel vor dem Experimente def
CO a -Atmosphäre 30—40 Minuten hindurch unterwarf! Es ist somit höchst vshr
scheinlich, dass auch die sogenannte physiologische Contractur mit dem Ein¬
flüsse der Kohlensäure in irgend einer Verbindung steht. Ueber <1*
Art dieser Wirkung lassen sich nur mehr weniger wahrscheinliche Hypothek
aufstellen. Pelnär (Prag)
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Pathologische Anatomie.
6) Aufsteigende Degeneration im Büokenmark nach DeetrnoÜon dor
6. Oer vioal Wurzel, von Dr. Wilhelm Respinger. (Festschrift zum 25jähr.
Jubiläum des Herrn Prof. Massini. Basel, 1901.)
Verf. berichtet über die Befunde an einem nach der Marchi'sehen Methode
untersuchten Rückenmark, in welchem durch einen Wirbeltumor eine isolirte
Degenaration der fünften hinteren Cervicalwurzel bedingt worden war. Die de-
generirte Partie liegt im 5. Cervicalsegment dem hinteren Dritttheil des linken
Hinterhomes dicht an, und es strahlen aus ihr mehrere Bündel in den Burdach'-
sehen Strang ein. In den weiter proximalwärts gelegenen Segmenten rückt das
Degenerationsfeld vom Hinterhorn und der Peripherie des Hinterstranges allmäh¬
lich ab und nimmt dabei eine commaförmige Gestalt an. Zugleich nimmt der
Degenerationsstreifen constant an Ausdehnung ab. Schon in der Höhe des
1. Cervicalsegmentes sieht man nur noch einen parallel dem Septum intermedium
und nahe bei demselben verlaufenden naoh vorn sich verjüngenden Streifen vor
sich. Im verlängerten Mark wird derselbe entsprechend der Zunahme des Bur-
dach’sehen Stranges kürzer und etwas breiter. In den weiter frontalwärts ge¬
legenen Quersohnittsebenen dieses Kernes werden die degenerirten Fasern spär¬
licher und liegen mehr zerstreut um und in denselben. Oberhalb desselben war
keine Degeneration mehr zu constatiren. Ebensowenig konnten in der Sohleifen-
kreuzung und im Corpus striatum degenerirte Fasern nachgewieeen werden.
Max Bielschowgky (Berlin).
7) ▲ oase of oomplete absenoe of visual System ln an adult, by W. G,
Spill er. (Brain. 1901. Winter.)
In Spi 11erVsehr bedeutsamem Falle handelt es sich um einen 22jährigen
Idioten. Es fehlten beide Augen; ob in den Augenhöhlen Muskeln waren, liesB
sich nicht feststellen. Die Foraraina optica fehlten, ebenso Sehnerven, Traotus,
Corpora genioulata externa; die Hinterhauptslappen waren schmal. Mikroskopisoh
zeigte sich vollständiges Fehlen der Corpora geniculata externa bei normal er¬
haltenen interna; Vierhügel alle normal; in den hinteren Theilen der Sehhügel
geringe Fasermassen; optische Strahlungen und Ganglien der optischen Hirnrinde
vorhanden, aber geringer als normal; ee handelt sich hier nach dem Verf. um
Monakow’s corticofugale Bahnen. Habenula und Meynert’a Commissur erhalten.
Augenmuskelkerne und -nerven erhalten, aber besonders die Abducentes sklero¬
tisch, was wichtig ist, da sie ja jedenfalls keine Funotion hatten; allerdings ist
über die Augenmuskeln nichts Bestimmtes zu sagen. Vordere linke Central¬
windung klein; mikroskopisch hier nichts Besonderes, ebenso keine Degeneration
im Rückenmarke, obgleich Paraplegie der Beine und spaatisohe Lähmung des
rechten Armes bestanden hatten. Bruns«
Pathologie des Nervensystems.
8) Der Zusammenhang von Nervenerkrankungen mit Störungen der weib-
Uohen Qeeohleohtsorgane, von A. Theilhaber. (Sammlung zwangloser
Abhandlg. aus dem Gebiete der Frauenheilk. u. Geburtshülfe. Halle, 1902.)
Die Zusammenhänge können wechselseitige sein, entweder ist das Geuital-
leiden eine Folge des Nervenleidens oder umgekehrt. Der letztere Fall ist der
häufigere, und Verf. giebt eine Aufzählung der Momente des Sexuallebens (Pubertät,
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Menstruation, Onanie, Blutverluste, Schwangerschaft und Puerperium, Gebart»
träumen, chronische Entzündungen u. s. w.), die locale oder allgemeine nerrtee
Störungen zur Folge haben können. Von Wichtigkeit ist, dass hier von gynä¬
kologischer Seite her die Seltenheit der eigentlichen Beflezneuroeen betont wird;
die Aufzählung der verschiedenen Genitalleiden, die im Laufe der Zeit ebcno
laut als Hauptursache von Beflezneuroeen, spedell Hysterie erklärt wie nach»
rasch wieder vergessen werden (Anschwellung des Cervix, Risse desselben, Ulcen¬
tionen der Portio, Flexionen und Versionen, Pelviperitonitis u. s. w.) ist in dieser
Beziehung lehrreich. Verf. steht auf dem Standpunkte, dass speciell die Betro-
flexio uteri non gravidi gar keine, auch keine nervösen Symptome macht, und das
die sämmtlichen Störungen, die als Folgeerscheinungen dieser Anomalie sage-
■prochen worden sind, auf Cömplioationen beruhen. Speciell ans den Wunder-
heilungen hysterischer Symptome durch Auflichtung des Uterus oder andere loeak
therapeutische Maaasnahmen könne man gar keine ätiologischen Schlüsse lieh«,
ein Satz, der ohne Weiteres zu unterschreiben ist (Im Uebrigen vergleiche du
Referat über Sohultze, Gynäkologie in Irrenhäusern, in Nr. 14 d. Centralblatta)
_ H. Haenel (Dresden).
9) Untersuchungen über HsflnhyperlsthiiluB bei Lungentuberonlo—, tb
Prof. F. Egger. (Festsohrift zum 26jähr. Jubiläum des Herrn Prof. Haiiisi
Basel, 1901.)
Verf. hat an 313 Patienten die He ad'sehen Angaben über oberflächlich«
Hauthyperästheeieen — Head selbst bezeichnet sie genauer als Hyperalgesieen -
nachgeprüft und in ungefähr 16% der Fälle ein positives Resultat erhalten. Du
weibliche Geschlecht wies eine grössere Betheiligung auf als das männliche, du
jugendliche Alter schien eine vermehrte Disposition zu besitzen. Audi, vu
Head über den Zusammenhang der örtlichen Erkrankung mit dem Sits der
Reflexhyperästhesie gesagt hat, konnte bestätigt werden, dagegen liessen sich »eher«
Beziehungen zwisohen der Art der localen Erkrankung und dem Auftreten da
reflectirten Schmerzes nicht ausfindig machen. Bei initialen Fällen und friaeba
Nachschüben fand sich das Symptom seltener als nach Head zu erwarten geven«
wäre, wodurch seine diagnostische Brauchbarkeit beeinträchtigt wird. Im Gegen¬
sätze zu Head konnte mehrmals bei trockner und exsudativer Pleuritis — übrig«*
auch 2 Mal bei Pneumonia crouposa — Hauthyperästhesie nachgewiesen werd«;
ebenso fand sich entgegen Head’s, aber in Uebereinstimmung mit den Unter¬
suchungen des Ref., wiederholt ein Uebergreifen der Empfindlichkeit aof du
Gebiet der 6.—8. Cervicalzone, der sogenannten „oberen LückeFieber
hatte keinen Einfluss auf das Auftreten der Hyperästhesie, wohl aber aof die
Generalisation der empfindlichen Zonen; dagegen schien das Bestehai einer AH*
gemeinerkrankung des Nervensystems (Neurosen) von begünstigendem Einfluss aof
das Vorkommen des Symptoms zu sein, sogar in dem Sinne, dass nach Ausheilung
des Organleidens bei neuropathischen Personen die Hyperästhesie der Hautsow
fortbestehen kann. H. Haenel (Dresden).
10) Lliörödltd de 1’odeur, par Ch. F6r& (Revue de Mödecine. 1901
S. 333.)
Der (Jeruch des Schweres und der Ausdünstungen vieler Menschen bst
etwas durchaus Charakteristisches. Zuweilen haben die Mitglieder derselben
Familie denselben besonderen Geruch. Verschiedene nervöse Störungen haben
Einfluss auf den Geruch, wofür Verf. zahlreiche Beispiele anführt, die aber wohl
nicht alle die gleiche Glaubwürdigkeit haben. Schliesslich berichtet Verf. über
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sine Freu, deren Ausdunstung stet« sofort nach dem Beginn einer Schwanger¬
schaft ihren charakteristischen Geruch verlor. Erst mit dem Elintritt der Menses
nach der Entbindung kehrte der Geruch zurück. Die Mutter und die Schwester
seigten dieselbe Eigenthflmlichkait Strümpell (Erlangen).
11) Uebar fkmillire Erkrankungen des Nervensystems, von J. Bäumlin,
Assistenzarzt an der medicinischen Klinik und dem Kinderspital in Basel.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
In der sehr sorgfältigen Arbeit, in welcher auch die umfangreiche Litte ratur
genügende Berücksichtigung findet, berichtet Verfi über drei Familien, in welchen
ar das Auftreten ähnlicher Störungen beobachten konnte. Es handelte sich dabei
in erster Linie um ein Brüderpaar, dann um Bruder und Schwester und schliess¬
lich um vier Geschwister, von welchen zwei, mit den gleichen Störungen behaftet,
nicht mehr am Leben sind. Bei dem jüngsten, erst 2 1 /, Jahre alten Schwesterchen
findet sich jetzt schon Ungeschicklichkeit beim Gehen und Steigerung der Patellar-
refleze. Am meisten Interesse verdient aber in dieser Familie das Leiden des
etwa 6jährigen Mädchens, das längere Zeit klinisch beobachtet und da der Fell
letal endigte, auch schliesslich anatomisch verwerthet werden kennte.
L 2 Brüder, 84 und 40 Jahre alt, Eltern blutsverwandt; Vater starker
Potator, Beginn des Leidens mit 11 bez. 6 Jahren mit Unsicherheit in den Beinen,
ipäter auch in den Armen. In der Folge hochgradige Ataxie der oberen und
unteren Extremitäten, schwankender Gang, beiderseitiger Nystagmus horizontalis,
Strabismus oonvergens, Pupillenreaction und N. opticus normal, vorübergehende
Diplopie bei dem einen, Schwindel an falle bei dem anderen Bruder. Intelligenz
»twas beeinträchtigt, Sprache eintönig, ausdruckslos zum Uebergang in Fistel-
itimme neigend, Romberg’sches Symptom, Kyphose, kurzer Hohlfuss in Eqino?
rarus-Stellung, Hyperextension der grossen Zehen, Fehlen der Patellarreflexe,
indere Reflexe schwach oder nicht auslösbar, Hautreflexe wechselnd, bei dem
längeren Parese, bei dem älteren Bruder Paralyse der Beine, bei dem letzteren
Störung der Sensibilität an Händen, Unterschenkeln und Füssen, bei dem jüngeren
lormalea Verhalten derselben. Niemals Beeinträchtigung der Blasen- und Mast-
larmfunction. Ausserdem bei dem einen choreiforme Bewegungen der Arme und
Hände, bei dem anderen Atrophie und Pseudohypertrophie der oberen Extremi¬
sten ohne Entartungsreaction und fibrilläre Zuokungen.
Es handelt sich hierbei um Friedreioh’sohe Krankheit, bei welcher aber
insser den klassischen Symptomen auch Störungen der Sensibilität sowie Atrophie
ind Pseudohypertrophie des Muskelapparates auftreten können.
IL Beginn der Erkrankung beim jetzt beinahe 15jährigen Knaben in früher
Fugend, bei dem 17jährigen Mädchen vor 2—3 Jahren mit Unsicherheit der
Beine, später auch der Arme, Kreuzschmerzen, Strabismus oonvergens, Opticus-
»trophie, Astigmatismus, Nystagmus (Mädchen), schwankender, dem eines Be¬
trunkenen ähnelnder Gang (Knabe), atactisch stampfender Gang (Mädchen),
Romberg’sches Symptom, Patellar- und übrige Sehnenreflexe erhöht, Hautreflexe
vorhanden, Blase und Mastdarm normal, Sensibilität an den Füssen mässig gestört,
Intelligenz und psychisches Verhalten gut, Sprache bei dem Knaben l a ngs a m ,
leioht näselnd, bei dem Mädchen gut Auch hier besteht, wenn auoh entfernte,
Blutsverwandtschaft der Eltern; drei ältere Geschwister sind gesund.
Wenn auch in dem Krankheitsbild vieles für multiple Sklerose sprioht, so
glaubt doch Verf., hauptsächlich gestützt auf den frühzeitigen Beginn und den
familiären Charakter, beide Fälle der Pierre Marie’schen H6r6doataxie c£r£-
belleuse, dem spastisohen Gegenstück der Friedreich’schen Krankheit, zurechnen
su sollen. Er schlägt aber vor, beide Leiden in der gemeinschaftlichen Gruppe
Die
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der hereditären Ataxie in Zukunft zusammenzufassen und ist dem nur beku-
pflichten.
IIL 4 Schwestern, von welchen die jüngste (s. o.) erst 2*/* Jahr alt ia.
Bei den übrigen im 3.-—4. Lebensjahre Schwäche nnd Unsicherheit in den Beb«
häufiges Hinfallen, Unruhe der Muskeln, Intentionstremor und oeciUatonsd»
Zittern, Nystagmus, vorübergehend Strabismus, erhöhte Sehnenreflexe, geistig
Schwäche und psychische Reizbarkeit. Bei dem 6jährigen Mädchen schliesskd
epileptiforme Anfälle, die sich bis zum Status epilepticns steigerten, in welcba
auch der Exitus erfolgte. Die anatomische Untersuchung ergab das Vorhand«-
sein einer chronischen Leptomeningitis, vornehmlich des Rückenmarks, in da
Randzonen der weissen Substanz ganz geringe Veränderungen. Nirgends ikler-
tische Herde nachweisbar.
Verf. reiht diese Beobachtungen in die von 'Westphal und Strüapt
beschriebene Gruppe der Pseudosklerose, welch’ letztere vornehmlich durch met¬
rische Reizerscheinungen charakterisirt ist, aber auch hereditär-familiär aufsntnta
vermag. E. Asch (Frankfurt a/VA
12) La parslytie ptrlodique familiale, par C. Oddo et V. Audibert. (Arclns
genfer, de mödecine. 1902. Januar/Mai.)
Die Verff. sind in Frankreich die ersten, welche der familiären periodische
Lähmung eine umfassende Studie widmen und bringen die Kranken gesc h ieh
eines sehr typischen Falles dieser Krankheit, welche sie als ein meist, doch nid?
immer hereditär auftretendes Leiden bezeichnen, das charakterisirt ist durch eint
vorübergehenden, periodisch auftretenden Verlust der Willkürbewegungen zr-
Fehlen der Sehnenreflexe und starken Störungen der elektrischen Reaction ob*
Störung der Sensibilität und der Intelligenz.
Die Verff. geben zunächst einen ausführlichen Ueberblick über die Geschieh*
der Krankheit (bisher Bind 64 Fälle publicirt), besprechen deren Aetioloe*
Symptomatologie, Diagnose, Pathogenese, Behandlung und berichten über «w
eigene Beobachtung, bei welcher Grossmutter, Mutter, Tochter und Sohn von ca
familiären periodischen Lähmung befallen waren.
Die Krankheit tritt zwischen dem 5. und 36. Lebensjahre, meist »wisch*
dem 10. und 20. Jahre, auf, wird häufiger bei Männern als bei Frauen beobacktr.
in gewissen Familien zeigt dieselbe ganz besondere Eigentümlichkeiten, die ««
bei jedem von dem Leiden befallenen Mitglieds der Familie wiederfinden, b
einzelnen Fällen löst Uebermüdung den Anfall aus, in anderen treten die AnfiEt
während der Ruhe, meist im Schlafe, auf. Andere auslösende Momente $i»i
psychische Erregungen, Erkältung, Excesse im Essen, sexuelle Einflüsse.
Der Anfall selbst tritt mit oder ohne Vorboten auf, unter letzteren sind w
sonders Mattigkeitsgefühl in den Beinen, HitzegefÜbl, Durst und Charakter
Veränderungen zu nennen. Im Anfall besteht eine motorische schl&fie absohn
Lähmung. Charakteristisch ist eine Unmöglichkeit den Kopf zu beugen bei gleich¬
zeitigem Erhaltensein der Seitwärtsbewegungen des Kopfes, was auf eine Läbmrci
der Sterno-cleido-mastoidei bei Intactsein der Splenii deutet. Die Gesichtsmaske'*
sowie die Augenmuskeln sind nie befallen. Die Sprache ist nur in einzefoet
Fällen gestört, ebenso die Schluckfunction. Die accessorischen Athmungsmuskeb
sind stets mit afficirt, die Zwerchfellathmung ist intact, die Athmung selbst ober
flächlich. Die Lähmung tritt stets symmetrisch auf. Die Muskeln erbalten ihn
Function wieder in umgekehrter Reihenfolge als wie sie gelähmt wurden. Di*
Sensibilität ist völlig intact. Die elektrische Reaction der Muskeln und Nerrts
ist je nach dem Grade der Affection leicht oder stark verändert und wird nach
Aufhören des Anfalls wieder normal. Die Sehnenreflexe fehlen in fast allen Fälle*.
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903
während das Verhalten der Hautreflexe unbeständig ist. Naoh Schluss des An«
falls kehren die Reflexe zurück. Sphinkteren, geschlechtliche Kraft und Intelligenz
bleiben fast stets normal, nur in einzelnen Fällen wurde Somnolenz während der
Anfälle beobachtet. Am Herz wurden während des Anfalls zuweilen Alterationen
(Hypertrophie, Mitralinsufficienz, Arythmie) gefunden. Der Urin bot in dem mit-
getheilten Falle nichts Besonderes. Sehr häufig wird eine ausgiebige Transpiration
während des Anfalls beobachtet, bei starker Appetitlosigkeit besteht häufig grosses
Durstgefühl. Dauer der Anfälle: 15 Minuten bis eine Woche (meist 2—3 odef
24—48 Stunden). Zuweilen besteht nur Parese, keine Paralyse.
Der Intervall zwischen den Anfällen beträgt von einem Tag ah bis zu Jahren.
Man kann einen täglichen und einen wöchentlichen Typus besonders abtrennen.
Zwischen den Anfällen besteht meist völlig normales Befinden. Differential-
diagnostisch kommen in Betracht: Landry’sche Krankheit, Hysterie, post-epilep¬
tische Lähmung, Neurasthenie, Malaria, Myasthenie, vertige paralysant.
Betreffs der Theorieen, die zur Erklärung der Krankheit aufgestellt wurden,
ist im Original naohzulesen (S. 428—439). Die Verff. halten die Localisation
des Processes in den Muskeln (,,Myoplegie“) für am wahrscheinlichsten, bezeichnen
demnaoh das Leiden als eine musculäre Affection.
Die Therapie soll hauptsächlich in Gymnastik und Faradisation bestehen.
Kurt Mendel.
18) Congenital nystagmns in father and ohild, by T. Fisher. (Brit. med.
Journ. 1902. 6. September.)
Es handelt sich um ein 5 Monate alteB, im übrigen gesundes, mit nervösen
Leiden oder Störungen seitens des Sehens nicht behaftetes Kind, bei welchem
seit Geburt Nystagmus besteht Der Vater des Kindes sowie ein naher Ver¬
wandter desselben litten gleichfalls an angeborenem Nystagmus.
Kurt Mendel.
14) La paraplögie spasmodique familiale et la solöroae en plaques fami-
liale, par B. Cestan et G. Guillain. (Revue de Mädecine. 1900. S.813.)
Die Verff. berichten aus dem Krankenmaterial der Salpetriöre zunächst über
einen vollkommen typischen Fall von hereditärer spastischer Spinal¬
paralyse. Der zur Zeit der Untersuchung 16 jährige Knabe war bis zu seinem
8. Jahr ganz gesund. Dann entwickelten sich hei ihm ohne äussere Veranlassung
eine spastische Muskelrigidität an den Beinen mit spastischem Gange, Steigerung
der Sehnenreflexe, Babinski’schem Zehenreflex. Seit dem 12. Lebensjahr auch
geringe Rigidität der Arme. Keine Spur von Ataxie, keine Störungen der Sensi¬
bilität, der Blase, der Sprache, der Gehirnnerven u. s. w. Seit 3 Jahren deut¬
licher Torticollis spastica -(klonischer Krampf im rechten Sternocleidomastoideus).
Letzteres Symptom muss wohl als Complication betrachtet werden. — Der Vater
und eine Schwester des Pat. (nicht ärztlich untersucht) sollen genau dieselbe
Gehstörung haben.
Ausserdem beschreiben die Verff. den Krankheitszustand zweier Geschwister,
Leontine und Henry B., in deren Ascendenz keine ähnliche Affection vorgekommen
ist. Zwei andere Geschwister leiden an Epilepsie. Von hereditärer Syphilis ist
nichts nachzuweisen. Der 16jährige H. B. hat nie ganz normal, aber doch
ausdauernd gehen können. Vor einem Jahr traten Sprachstörungen (scandirende
langsame Sprache) hinzu. Der Gang cerebellar-spastisch, vorwiegend cerebellar
(schwankend). Patellarreflexe gesteigert, typischer Friedreich’scher Fuss, Nystag-
muB, leichte Ataxie der Arme, Abblassung der Sehnerven mit herabgesetzter Seh¬
schärfe. Die 32jährige Schwester L. B. leidet seit ihrem 20. Jahr ebenfalls
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904
an Sprachstörung, hat stark spastischen Gang, Intentionstremor der Arme, Njatag*
mos, gesteigerte Sehnenreflexe, Babinski'schen Zehenreflex, Friedreich'aehet
Fass, keine Störung im Augenhintergrund.
Das Krankheitsbild dieser beiden Geschwister entspricht somit keineswcgi
der reinen spastischen Spinalparalyse, sondern vielmehr dem K r an kh eitabilde, de
multiplen Sklerose. Ob freilich wirklich eine derartige anatomische 7er*
Änderung vorliegt, ist durchaus zweifelhaft. In der Littaratur existirt bareit»
eine ganze Reihe von derartigen Beobachtungen „familiärer multipler Skkrcse“
— aber alle ohne Sectionsbefund! Man thot daher vorläufig gut, neben d»
reinen, wohl hereditären spastischen Spinalparalyse noch eine andere Fons here¬
ditärer Nervenerkrankung ansunehmen, deren klinisches Krankheitsbild &d
vollständig den Symptomen der multiplen Sklerose ähnelt, während ihre usto-
misohe Grundlage noch unbekannt ist Strümpell (Erlangen).
15) A oaae of solerodo atrophy of oorebrum and onebellun, ftanflfcl
type, ooouring in a boy, by Mitohell Clarke. (Brain. 1902. Summer.)
7jähr. Knabe. Zwei Kinder der Mutter offenbar an demselben Leiden ge
storben. Langsam schleichender Beginn des Leidens, ohne greifbare Ursache,
jedenfalls keine hereditäre Syphilis. Zuerst choreiforme Bewegungen der Glieder
und Abnahme des Sehvermögens, allmählich deutliche cerebellare Ataxie,
Erblindung ohne nachweisbare Erkrankung der Augen und der optisch«
Centren — keine Sehnervenatrophie, erhaltene Pupillenreaction auf Licht —; as-
deutliche Sprache, erhöhte Sehnenreflexe und spastische Rigidität der Bein*,
Neigung nach hinten zu fallen; später geistige Stumpfheit, spastische Lähmung
aller Glieder mit schmerzhaften Krämpfen, zunehmende Demenz. Tod an Er
Schöpfung. Es konnte nur das Gehirn und der Hirnstamm untersucht werden.
Es fand sich eine Atrophie der oorticalen Neurone in der grauen Substanz and
nachfolgende Sklerose des Markes am stärksten in den beiden Hinterhauptslappm,
speciell in der Gegend der Fissura oalcarina, weniger stark in der motorisches
Region, fast fehlend in den Stirnlappen; ferner Sklerose der weissen Substanz da
Kleinhirns, secundäre Degeneration der Pyramiden bahnen; eine Delle in der link«
inneren Kapsel. Die pathologisch-anatomischen Befunde erklären vor allem die
auffälligsten Symptome der Erkrankung: die oorticale Erblindung und die ea* >
bellare Ataxie. Klinisch steht der Fall naoh dem Verf in der Mitte zwisch«
der hereditären Ataxie und der cerebralen Diplegie und nimmt grade durch die
starte Betheiligung des Hinterhauptlappens und des Kleinhirns eine Sondm
Stellung aus. Bruns
10) A brief Import of Mi« olinloal, Physiologie«! and ohemioal study of
three oasee of fhmily periodio paralysls, by Mitchell, Flexner zad
Edsall. (Brain. 1901. Spring.)
Die Autoren berichten zunächst über die klinischen Symptome ihrer 3 Falle-
In den ersten beiden Fällen handelte es eich um Mutter und Tochter und »ad
der Grossvater hatte an derselben Krankheit gelitten. Im 3. Falle handelte ei
sioh um einen jungen Mann. Die Symptome waren die typischen — namentlich
war auch die so schwer zu erklärende Herabsetzung der elektrischen Erregbsrkat
bis zum Fehlen vorhanden, ebenso das Fehlen der Sehnenreflexe. Im 3. Falle vzr
während der Anfälle auch das Allgemeinbefinden gestört, das Sohlucken erschv«*.
Versuche über die Toxicität des Harns, des Blutserums und einzelne ende«
Experimente ergaben negative Resultate. Interessant war, dass in Fall 3 vor
den Anfällen die Kreatininaussoheidung immer sehr herabgesetzt war, nsoh de»*
Digi
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905
■alben sehr Anstieg, and dass einmal ein Anfall länger aasblieb, als aas nicht au
erklärenden Gründen auch in der Zwischenzeit die Kreatininaasscheidung snnahm.
Bruns.
17) A om« of family periodio paralysls wlth a oritioal dlgast of Um
llterature. by Douglas Singer. (Brain. 1901. Part. II.)
Verf. beschreibt einen typischen Fall periodischer Lähmung, den er längere
Zeit klinisch beobachten konnte. Es war der einzige Fall in der betreffenden
Familie. Die Anfälle hatten bei dem jungen Manne mit 14 Jahren begonnen
und folgten in abnehmenden Zwischenräumen, so dass im ganzen jetzt etwa jede
"Woche ein Anfall vorkommt. Die Anfälle kamen ohne Vorboten, sie setzten ge¬
wöhnlich zuerst an den Beinen ein, ergriffen dann den unteren Rumpf, dann den
Nacken, schliesslich die Arme, meist so, dass Finger und Zehen zuletzt gelähmt
wurden. Die Hiranerven waren meist frei, nur in einigen schweren Anfällen be¬
stand Ptosis und verstärkte sich eine auch in den Intervallen vorhandene ein¬
seitige Mydriasis. Die Lähmung war eine ganz schlaffe; bei vollständiger Läh¬
mung fehlten alle Haut- und Sehnenreflexe und ebenso fehlte die elektrische
Erregbarkeit. Blase und Mastdarm sowie die psychischen Functionen intact.
Die Heradämpfung während der Anfälle etwas verbreitert; die Herztöne nicht
ganz rein. Atbmung rein diaphragmatisch und manchmal erschwert. Dauer der
Anfälle 12—24—48 Stunden. Urin während der Anfälle sp&rlioh; die chemische
Zusammensetzung des Urins während der Anfälle und der Intervalle nicht ver¬
schieden; die Toxicität des Urins während der Anfälle sehr erhöht; ein Extraot
der Faeces während der Anfälle zeigt keine besondere Toxicität. Durch reich*
liehe Wasser- bezw. Mineralwassergaben konnte mau die Zahl der Anfälle sehr
verringern. Stöcke des Sartorius, die während eines Anfalles entfernt waren,
zeigten nach Einbettung in Paraffin reichliche Spalten in den Muskelfasern; viel
weniger nach Einbettung in Celloidin. Verf. hält die Spalten ffir Kunstproducte.
Es folgt eine ausführlich kritische Uebersicht über die geeammten Symptome
des eigenartigen Krankheitsbildes unter Benutzung aller bisher beschriebenen
Fälle. Nach Verf. handelt es sich um eine Autoin toxi cation. Vielleicht leiden
bei der periodischen Paralyse die Muskeln leichter wie gewöhnlich an den bei
der Muskelarbeit gebildeten toxischen Ermüdungsstoffen und werden diese — bei
Abnahme der Urinsekretion beim Anfalle — auch im Körper zurückbehalten.
Therapeutisch sind deshalb wohl grössere Einnahmen von Flüssigkeiten, die in
diesem Falle sicher Erfolg hatten, zu versuchen. Bruns.
18) Amaurotlo family idiocy , by A C. Cotton (Chicago). (Archive« of
Pediatrics. 1902. Januar.)
Der vorliegende Aufsatz enthält die Krankengeschichte eines recht typischen
Falles dieser in letzter Zeit immer häufiger beschriebenen Krankheit. Wie die
Mehrzahl der bekannten Fälle stammte das Kind von jüdischen Eltern und zeigte
die ersten Krankheitssymptome erst im zweiten Halbjahr. Im Alter von 2 Jahren,
als Verf. das Kind kennen lernte, weist dasselbe Idiotie, spastische Lähmungen
der Extremitäten sowie die charakteristischen Veränderungen an der Macula auf.
Ausser diesen stets vorhandenen Symptomen der amaurotischen Idiotie besteht
Hier auch noch Nystagmus, Strabismus, Neigung zu Krämpfen, Hyperacusie, hoch¬
gradige Reflexsteigerang. Die sonst häufige Familiarität ist in diesem Falle
nicht recht ausgesprochen. Leider stimmte auch die absolut schlechte Prognose,
indem das Kind 2 Monate nach der ersten Untersuchung unter Convulsionen
starb. Eine Autopsie war nicht durchführbar. Zappert (Wien).
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906
19) Zur Afttiologie der Chorea minor im Kindesalter, von Fritz Rabert.
(Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.)
Statistische Untersuchungen über 80 dem Material der Charitö- Poliklinik
entnommene Fälle, die zu wesentlich neuen Ergebnissen nicht geführt haben.
Vorausgegangener Rheumatismus konnte in 28,75 °/ 0 festgestellt werden, andere
Infectionskrankheiten (Angina, Scharlach, Diphtherie, Influenza und Pneumonie)
in 26,25%, eine infectiöse Ursache überhaupt also in 55%. Psychische Ursachen
allein (Schreck, Angst) ipielen keine nennenswerthe Rolle (4 Fälle). Auf Grand
der ausführlicher erörterten bakteriologischen Befunde anderer Autoren kommt
Verf. zu dem Schluss, dass eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen
einer Chorea infectiösen Ursprungs bestehe, dass aber noch eine ganze Anzahl
Fälle übrig bleibe, bei denen jeder Zusammenhang zwischen Chorea und In-
fectionskrankheit bezw. Rheumatismus ausgeschlossen werden könne.
H. Haenel (Dresden).
20) Bidrag 111 studiet af ohorea minor’t ätiologi, af Theodor Frölich.
■ (Norsk Mag. f. Lägevidensk. 1900. S. 901.)
Unter 47 Fällen von Chorea minor, die in der unter Prof. Axel Johannei*
sen’s Leitung stehenden pädiatrischen Abtheilung des Reichshospitals in dca
Jahren 1893—1900 behandelt waren, betrafen 37 Mädchen, 8 Knaben (4,9:1),
im Alter von 3—16 Jahren, in 28 Fällen war die Chorea zwischen dem 7. und
11. Jahre aufgetreten. In 24 Fällen waren rheumatische oder psychische Affecbooea
in der Familie nachzuweisen. In 15 Fällen war acuter Rheumatismus entweder
vor der Chorea vorhanden gewesen oder er trat während des Verlaufes derselben
auf (11 davon hatten Herzfehler, bei 8 bestand Fieber, bei 7 traten Recidm
auf); in 16 Fällen waren Fieber, Angina, Erythema nodosum, Gelenkschmerzeo.
Gelenkgeschwulst vor oder während der Chorea vorhanden (8 davon hatten Herz¬
fehler, 6 Fieber, 8 Recidive); andere acute Infectionskrankheiten waren in 4 Fällen
der Chorea vorbergegangen (3 hatten Herzfehler, 1 Fieber, in keinem Falle traten
Recidive auf); in 12 Fällen war keine infectiöse Krankheit der Chorea vorher
gegangen (3 hatten Herzfehler, 3 Fieber. 5 Recidive), doch ist auch in dies«
Fällen die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, dass eine Infection Vorgelegen
haben, ihr Verlauf aber vielleicht so leicht gewesen sein kann, dass sie übersehen
wurde. Schliesslich theilt Verf. noch einen Fall von Chorea nach Gonokokken-
infection mit, in dem die Chorea nach gonorrhoischer Vulvovaginitis aaftrat, dana
sich Herzfehler einstellte und schliesslich Gelenkentzündung am linken Handgelenk
eintrat. Walter Berger (Leipzig).
21) Ueber 65 Fälle von Chorea minor aus dem Leipziger Kinderkranken*
haus, von Hermann Brüning. (Deutsche Aerzte-Zeitung. 1902. Heft 11
bis 13.)
Verf. hat 66 Fälle von Chorea minor idiopathica, welche im Kinderkranka¬
haus zu Leipzig zur Beobachtung kamen, znsammengestellt, davon 15 Knaben
(= 23%) und 50 Mädchen (= 77%), demnach mehr als 3 Mal so viel Mädchen.
Tuberculöse Belastung fand sich 10 Mal, nervöser Kopfsohmerz der Mutter 7 Mal,
in 3 Fällen wurde Geisteskrankheit bezw. Epilepsie und Delirium tremens als
belastendes Moment angegeben, mehrfach stammten die Kinder von Potatoren.
In 5 Fällen war Lues der Eltern wahrscheinlich. Ein Einfluss der Jahreszeit
auf die Häufigkeit der Chorea konnte nicht ermittelt werden. Skrophulöse und
anämische Kinder kamen häufig als choreakrank zur Beobachtung. Das Alt«
der Erkrankten schwankte zwisch en 4 un d 16 Jahren, die meisten Fälle standen
Die
907
zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr. In 15 Fällen war die eine, meist die
rechte, Seite stärker befallen, ausgesprochene Hemichorea bestand jedoch nur
4 Mal. Bei 21 Patienten traten Recidive auf (bis zu 6 Mal). Die Durchschnitts*
dauer der Erkrankung betrug 4—8 Wochen. Aetiologisch kommen in Betracht:
neuropathische Belastung, infectiöse Erkrankungen (34 Mal unter den 65 Fällen,
davon 25 Mal acuter Gelenkrheumatismus), psychische Momente (in 11 Fällen).
Die Fälle ohne Angaben über stattgehabte Infection hatten relativ grössere Nei¬
gung zu recidiviren als diejenigen mit diesbezüglichen anamnestischen Daten. In
51 Fällen («* 78,46°/ 0 ) fanden sich Störungen von Seiten des Herzens, und zwar
war 43 Mal ein typischer Herzfehler vorhanden, d. h. in a / 3 aller Fälle. Fast stets
war die Mitralklappe erkrankt, der Herzfehler war meist gut oompensirt. Inter¬
currente Krankheiten wirkten bei den einzelnen verschieden auf den Verlauf der
Chorea, in einzelnen Fällen bessernd, in anderen verschlimmernd. 10 Mal fanden
sich Störungen von Seiten des Urogenitalapparates (Albuminurie, Nephritis),
26 Mal war der Patellarreflex lebhaft. Die Stimmung war im allgemeinen weiner¬
lich und deprimirt, in 4 Fällen bestand starke Reizbarkeit. Oft hatten die
Kinder schreckhafte Träume. In 3 Fällen zeigte sich Spiegelschrift mit der
linken Hand.
Die Prognose ist, sofern nicht eine floride Herzaffection gleichzeitig besteht,
günstig. In 2 Fällen von den 65 des Verf.’s trat der Exitus ein, und zwar im
comatösen Zustand, geheilt entlassen wurden 45, gebessert 18.
In therapeutischer Hinsicht empfiehlt Verf.: möglichste Ruhe, zweckmässige
Ernährung, laue Bäder, Salicyl, Brom, Arsen, Chloralhydrat. bei grosser Unruhe
event Morphium, ferner schwache galvanische Ströme. Kurt Mendel
22) Ueber die ätiologischen Beziehungen der Chorea minor zu den In-
feotionskrankheiten, insbesondere zur rheumatischen Infection, von
Priv.-Doc. Dr. Georg Köster. (Münchener med. Wochenschr. 1902.
Nr. 32.)
Verf. stellt die verschiedenen Theorien betreffs der Aetiologie der Chorea
zusammen und fügt seine eigenen Erfahrungen hinzu. Von seinen 121 Fällen
sind 51 männlich, 70 weiblich, 19 hatten eine Hemichorea dextra, 16 eine Hemi¬
chorea sinistra und 86 eine über den ganzen Körper ausgedehnte Chorea. Die
meisten Erkrankungen fielen zwischen das 7. und 13. Lebensjahr, 32 erwarben
die Chorea im Frühling, 18 im Sommer, 17 im Herbst, 46 im Winter, bei 9 war
die Jahreszeit nicht sicher feBtzustellen. Bei 86 Kranken (=» 71,15°/ 0 ) liess sich
eine infectiöse Aetiologie mit Sicherheit nachweisen. Das Krankheitsbild wird
eingeleitet durch Gelenkrheumatismus, Endocarditis, Angina, Bronchitis, Laryngitis,
Otitis, Schnupfenfieber. In 3 Fällen beobachtete Verf. das gleichzeitige Auftreten
von Gelenkerkrankung und Chorea, in 76 trat die Chorea später ab die Poly¬
arthritis auf. Bei 11 Kranken recidivirte die Chorea. Dass die Fälle ohne
infectiöse Aetiologie eine grössere Neigung zu Recidiven haben sollen — wie
Brüning meint (s. das vorige Referat), fand Verf. nicht bestätigt.
Bei 35 Fällen war anamnestisch weder eine rheumatische noch anderweitige
Aetiologie nachweisbar. Bei 4 von diesen 35 lag immerhin der Verdacht auf
eine infectiöse Aetiologie vor, 5 konnten zur hysterischen Pseudochorea gerechnet
werden. Bei den anderen Kranken bestand neuropathische Ascendenz und mangel¬
hafte Körperentwickelung; in 9 dieser Fälle war Schreck das auslösende Moment.
„So lange es nicht gelingt, aus dem Blute des Choreatischen den Infections-
träger einer irgendwie latent erworbenen rheumatischen Infection nachzuweisen,
ao lange muss die Heranziehung anderer ätiologisch wirksamer Momente nicht
infectiöser Art als durchaus zulässig gelten.“ Die" meisten Cboreaerkrankungen
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908
und ivtr infeotiöa, doch kann auf dam Boden einer ererbten oder erworben«
neuropathiaohen Disposition in gewiesen Lebensperioden (epeeiell in der Pubcrtit
oder Gravidität) ein psyohisches Trauma sehr wohl choreogen wirken, ohne den
eine infectiöee Aetiologie besteht. Kurt HendeL
23) Unbnr die ittologleohna Uaalohnngon awiaohen Rheumatismus srtis.
acut, Budooarditia und Choren minor, von Medioinalrath Prof De.
Riehard Sehuls (Braunaohweig). (Deutaohe Aerzte-Zeitung. 1902. Heft!
und 2.)
Verf. beobachtete 20 Choreafalle, 6 bei mlnnliohen, 14 bei weibliohen Per.
sonen, im Alter ron 7—26 Jahren. Alle Falle waren schwerer Art; in 14 Fillm
fand sich eine Herzafieetion, meist Mitralinsufficiens, in 8 Fallen Gelenkrheuma¬
tismus, in 6 beide Affectionen. Bei 2 Mädchen trat die Chorea in der Gravi¬
dität ein.
Verf tritt für den rheumatisch-infectiOeen Ursprung der Chorea minor ein
Es handelt sich bei der Chorea namentlich um Diplokokkenembolieen in d«
basalen Hirntheilen, besonders im Corpus striatum, diese Emboli een finden tob
den erkrankten Henklappen aus statt, oder die im Blut kreisenden Bakterien
haben sieh in den Hirngefassen festgesetzt. Bei den drei sur Autopsie gelangtes
Fallen des Verf’s fanden sich schwere Veränderungen der Mitralis, in einem der*
selben auch Pericarditis, in einem anderen Sinusthrombose. In allen 3 Fallen
konnten Staphylokokken und sarte Diplokokken in den endocarditischen Auf¬
lagerungen naohgewiesen werden.
Die Therapie besteht in Salicyl, warmen Badern, Chloralhydrst, Arsen.
Kurt MendeL
14) Nuovo Otto dt ootm mortale oon eett t oo p laemte du staflloooooo pto-
gen# aureo, per P. Guisetti. (Rirista sperim. di freniatria e medic. leg.
delle alien. ment. XXVIL 1901. S. 426.)
Verf. beschreibt einen zweiten Fall von Chorea mit gleichseitiger Septtoo
py&mie. Es handelte sich um eine Frau, die in 11 Jahren 5 Mal einige Woches
lang an Chorea litt, ferner war sie epileptischen Insulten aus go s otst . Bei der
Aufnahme seigte sie sehr heftige choreatische Bewegungen doppelseitig, weitere
nervöse Symptome fehlten. 3 Tage vor dem Exitus massiges Fieber, Bewußt¬
losigkeit bei Abnahme und gänzlichem Aufhören der choreatischen Erscheinungen.
Die Seotion ergab frische Endocarditis, Absoesse in der Milz, alte Geochwflre in
Colon. Aus dem Gehirn, Blut, Mils, Herz konnten zahlreiche Colonieen von
Staphyloeoccus aureus gewonnen werden. Im Gehirn fanden nah kleinzellige
Infiltrationen, Entzündungsherde, die Staphylokokken beherbergten. Die Horde
sassen in den tiefen Schichten der Rinde und im Mark. Ferner zeigten sieh auch
einige Erweiohnngsherde in der Umgebung daroh Embolie veraohloeeener Ge*
fasse. Die Zellen der Gehirnrinde zeigten sich nach Nissl bedeutend alteriii
Ans dem bakteriologischen and anatomischen Befände folgt, dass die Affectionea
im Gehirn in Abhängigkeit zu bringen sind von dar Infeotion, and dass, wem
man das klinische Bild der Chorea mit den Befanden am Gehirn in Verbindung
setzen will, man ebenfalls an die Infeotion zu denken hat. Aähnliche Befunde
an der Gehirnrinde sind bereits von anderen Autoren gemacht worden und auch
vom Verf. selbst in einem anderen Falle von Chorea. Allerdings seigte sich dai
klinische Bild der Septicopyamie im vorliegenden Falle sehr undeutlich entsprechend
den relativ geringfügigen anatomischen Befanden, die für Septicopyamie sprechen.
Diese Thatsache und die Erwägung, dass in dem Falle bereits 6 Mal choreatische
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Erkrankung, und dass ferner eine neuropathische Disposition vorlag, l&eet den
Sohluss so, dass eine besondere individuelle Pridispoaition existirte, bei dar jedes
Mal eine leichte Infection mit Pyogenes aureus dieselben hier eigentümlichen —
choreatischen — Krankheitserscheinungen machte. 'Experimentell und klinisch ist
die sich wiederholende Empfänglichkeit für den Pyogenes bekannt. — Die in-
feotiöse Aetiologie der Chorea wird durch die so häufige gleichseitige Endo-
carditis wahrscheinlich gemacht, ihre Vergesellschaftung mit Gelenkrheumatismus
betont, und mehrere Falle citirt, bei denen ebenfalls derselbe Krankheitserreger
gefunden wurde. Ueber die Spedfieitit desselben sowie Ober den intimeren
Zusammenhang zwischen Affectionen der Binde und Chorea geben diese und
ähnliche Befunde noch keine genügende Uebersicht.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
SB) Sur pathologischen Anatomie der Chorea mlnor, von M. Beichardt
(Archiv t klin. Med. LXXtl. 8. 504.)
Verf. hatte Gelegenheit bei 2 Fallen von Chorea minor die mikroskopische
Untersuchung des Centralnervensystems zu machen und theilt die erhobenen Be¬
funde ausführlich mit
Es bandelt sich im ersten Falle um ein 17 Jahre altes Dienstmädchen,
welches 14 Tage vor Beginn der Chorea an leichtem Gelenkrheumatismus gelitten
hatte. Die Patientin zeigte im Krankenhaus die typischen choreatischen Zuckungen
und war ausserdem in deprimirter Stimmung; sie hatte kein Fieber; das Hers
war etwas nach rechts Verbreiter^ der erste Ton von einem leisen Geräusche be¬
gleitet; Puls 110. Die Zuckungen Hessen in den ersten Tagen des Krankenhaus-
aufenthaltes nach, die psychische Depression blieb bestehen. In der Folge ent¬
wickelte sich das Bild eines hallucinatori sehen Deliriums, während die choreatische
Unruhe zurückging. Einen Tag vor dem Tode stellte sich unter Ansteigen der
Temperatur ein oomatöser Zustand ein, dem die Patientin erlag. Dauer der
Chorea etwa 4—5 Wochen.
Der zweite Fall betrifft einen 15jährigen Lehrling, der ein Jahr vor Be¬
ginn der jetzigen Erkrankung 3 Monate lang an Veitstanz gelitten hatte, aber
von letzterem wieder vollkommen geheilt war. Die jetzige Erkrankung dauerte
nur wenige Tage, ohne dass Gelenk- oder Muskelsohmerzen voraufgegangen waren.
Die choreatischen Bewegungen, welohe nicht nur die Glieder, sondern auch
Rumpf-, Gesichts-, Zungen- und Kehlkopfmusculatur ergriffen hatten, waren von
enormer Heftigkeit. Temperatur 39°, Puls 120. Herz verbreitert, Spitzenstöße
von einem blasenden lauten Geräusche begleitet. Die Bewegungen blieben in der
ganzen Zeit in gleicher Heftigkeit bestehen. Nach 6 tägiger Krankheitsdauer trat
plötzlich der Tod ein.
Die Section, welche im ersten Falle 4 Stunden, im zweiten Falle 20 Stunden
post mortem ausgeführt wurde, ergab in beiden Fällen bezüglich des Cor und des
Centralnervensystems dasselbe. Am Cor fanden sich beide Male endooarditische
Auflagerungen, am Centralnervensystem fand sich makroskopisch nichts Besonderes.
Die mikroskopische Untersuchung indessen, welche in sehr eingehender Weise und
mit den neuesten Methoden durchgeführt wurde, förderte sehr interessante Be¬
funde zu tage. Es Hessen sich nämlich circumskripte Entzündungen,
Ritttungen und Degenerationen von Nervenfasern naobweisen. Die Ent-
z öndüngen waren charakterisirt durch perivenöse, zum Theil mehr difiine,
|rleinzellige Infiltration; sie befielen in ganz kleinen, makroskopisch nicht sicht-
haren Herden ziemlich das ganze Gehirn. In erheblicher Weise war im ersten
ETall« die Gegend des centralen Höhlen graues, des Aquaeduotus Sylvii und der
L ( n ke Sehhügel, in denen sich hämorrhagische entcündHche Herde finden, und im
>yGOOgI<
910
«weiten Falle das subcorticale Harklager betroffen. Am wenigsten waren die
Ganglienzellen selbst beschädigt, an denen sichere Veränderungen nicht festxoatellea
waren. Die zahlreichen, zum Theil auch schon makroskopisch sichtbaren Bla tangen
waren regellos zerstreut, so dass es sich möglicherweise um Blutungen auf Grand
entzündlicher Gefassalteration handelt Die kleinen Venen waren zum grossen
Theil beträchtlich erweitert und stark mit Leukocyten gefüllt Die Degene¬
ration von Nervenfasern erwies sich ihrem Sitze nach unabhängig von der
Entzündung; sie war in auffallender Weise vorhanden in der Gitterschicht des
Sehhügels, im hinteren Abschnitte der inneren Kapsel sowie im lateralen Harkt
des Pulvinar. Im Rückenmark waren vornehmlich Wurzelfasern degenerirt Dm
bakteriologische Ergebniss war, soweit das Gehirn in Frage kommt, in
ersten Falle ganz negativ, im zweiten zweifelhaft Im ersten Falle konnte au
dem Herzblute der Staphylococcus aureus, und aus den Auflagerungen an den
Herzklappen des zweiten Falles Streptokokken gezüchtet werden.
Das mikroskopische Bild stellt den Process, der sich abgespielt hat, als eine
Encephalitis dar. Beide Fälle liefern eine weitere Stütze dafür, dass die Chorea
minor auf infectiöser Grundlage entstehen kann. Es lässt sich nach Ansicht des
Verf.’s wohl denken, dass die anatomische Untersuchung in vielen Fällen von
Chorea versagt, welche trotzdem der infectiösen Gruppe zuzurechnen sind. Geber
die Natur des Sitzes im Centralnervensystem, von dem aus event. die choreatisches
Bewegungen ausgelöst werden, geben diese Untersuchungen keinen Aufschluss.
JacobBohn (Berlin).
86) Zar pathologisohen Anatomie der Huntington’sohen Chorea, von Stier.
(Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 22.)
In einem typischen Falle ergab die Section starken Schwand des Gehirns
(Gewicht 1073 g), leichte Erweiterung der Ventrikel und Ependymverdickang.
Histologisch zeigten sioh leichte Degeneration einzelner Fasern in den verschie¬
densten Rückenmarkssträngen und geringe Chromatolyse sowie beginnende Sklerose
in einzelnen Vorderhornzellen. Das Marklager des Gehirns wies in allen Gegenden
und Schichten eine diffuse und gleichmässig vertheilte Vermehrung der GUaseU«
auf. Die Gefässe in der Rinde waren vermehrt, nicht krankhaft verändert Ge¬
ringe kleinzellige Infiltration einzelner perivasculärer, pericellulärer und Lympb-
räume. In der verschmälerten Hirnrinde Schwund der Tangentialfasern and da
supraradiären Flechtwerkes, deutliche Vermehrung der kleinen runden Zellen,
Verminderung und ungeordnete Lagerung der Ganglienzellen mit allen Zeichen
Beginnender und fortgeschrittener chronischer Erkrankung des Zellleibes. Die
Zellzerstörung und die Gliawucherung waren am stärksten in den motorischen
Centren, am geringsten in der Hirnrinde, die Betz'schen Riesenzellen relativ
wenig betheiligt.
Verf. nimmt eine wirkliche, vielleicht sogar primäre Wucherung der Glia
und deutet die Krankheit als eine primäre embryonale Entwickelungsanomalie.
R. Pfeiffer.
27) Etüde aur la looaliaation des Symptomen de la ohoree de Sydenbso,
par Dr. G. Oddo (Marseille). (Revue de Mädecine. 1901. S. 27 u. 138.)
Verf. hat seit Jahren alle ihm vorkommenden Choreafalle (im Ganzen IG)
genau untersucht und berichtet in dieser Arbeit ausführlich über seine Befunde.
Die choreatisohen Symptome zeigten sich selten von vornherein in generalisirter
Weise. Dies kommt nur in besonders schweren Fällen vor. Gewöhnlich beginnt
die Chorea zunächst einseitig (ab Hemichorea). Verf. sah dieses Verhalten
117 HaL In der Regel traten die Zuckungen zuerst im Arm, seltener zuerst us
911
bein auf. In seltenen Fällen bleibt die Krankheit auf die eine Körperhälfte
Beschränkt, gewöhnlich greift sie alsbald auf die andere Körperhälfte über, wobei
sie aber meist auf der anfangs befallenen Seite stärker bleibt. Auf der Höhe
ihrer Entwickelung angekommen, zeigt sich also die Chorea als reine Hemichorea
(21 Fälle), als allgemeine Chorea mit einseitigem Ueberwiegen der Zuckungen
(91 Fälle) oder als allgemeine symmetrische Chorea (29 Fälle). Die allgemeine
symmetrische Chorea ist zu betrachten als zusammengesetzt aus zwei Hemichoreeq,
die in ihrer Dauer und Intensität übereinstimmen. Beschränkung der Chorea auf
eine einzige Extremität ist nur äusserst selten zu beobachten.
Die Abschwächung der Muskelkraft ist ein constantes Symptom der
Chorea. Besteht eine Hemichorea, so ist auf der Seite der choreatischen Be*
wegungen auch eine deutliche Amyosthenie vorhanden. Die Sensibilitäts¬
störungen sind grösstentheils als Complioationen zu betrachten (nervöse Kopf¬
schmerzen, hysterische Anästhesie und Hyperästhesie, letztere nicht selten in Form
der hysterischen Ovarie). Ausserdem beobachtet man nicht selten auch in den
befallenen Extremitäten Myalgieen und Arthralgieen ohne gröbere anatomische
Veränderungen. — Sehr genaue Untersuchungen hat Verf. über das Verhalten
der Sehnenreflexe bei den Choreatischen gemacht. Das Verhalten der Reflexe
ist in den einzelnen Fällen recht verschieden. In 14 Fällen verhielten sich die
Sehnenreflexe normal, 75 Mal waren sie herabgesetzt oder fast völlig fehlend,
23 Mal waren sie gesteigert. Zwischen der Localisation der choreatischen Be¬
wegungen und dem Verhalten der Reflexe bestehen keine engeren Beziehungen.
Auch bei der Hemichorea können sich die Reflexe auf beiden Seiten gleich ver¬
halten. Strümpell (Erlangen).
28) A propoe de la ohoroe des dögenerös, par M. A. Mousson, (Revue
mens, des maladies de l'enfance. XEX. 1901.)
Brissaud hat im Jahre 1889 eine eigenthümliche Form der Unruhe bei
schwer neuropathischen Individuen als Chorea der Degenerirten von den übrigen
Formen dieser Krankheit isolirt. Die Bewegungsstörungen bei diesem Zustande
tragen den uncoordinirten zweoklosen, langsamen Charakter der choreatischen
Agitationen, sie sind aber durch den Willen beeinflussbar und gehen nioht mit
psychischen Alterationen einher, wie sie bei der Sydenham’sohen Chorea so
häufig sind. In Folge der bestehenden Willensherrschaft sind Sprache, feinere
Handgriffe, z. B. Sohreiben, nicht geschädigt. Die Krankheit beginnt oft nach
starken körperlichen oder psychischen Traumen. Am auffallendsten ist ihre lange
Dauer.
Verf. kennt eine 60jährige Dame, welche seit ihrer Kindheit diese Art von
Bewegungen aufweist In anderen Fällen traten Besserungen und auch Heilung
des Leidens auf. Die Patienten sind meist auch in anderweitiger Beziehung,
namentlich in der psychischen und geistigen Beschaffenheit, neuropathisch, dooh
findet sich keine gleichnamige Belastung. Niemals jedoch zeigen die Patienten
die progressive geistige Abnahme nooh eine Steigerung der Unruhe wie bei
Huntington'scher Chorea. Ebenso sicher ist die Differentialdiagnose gegenüber
der Sydenham’schen Chorea, mit der sie höchstens ganz im Beginn verwechselt
werden kann und von der sie sich durch die Willensbeeinflussung der Bewegungen
iind durch den Verlauf wohl unterscheidet.
Von Gilles de la Tourette wurde behauptet, dass die Chorea der Dege¬
nerirten (ebenso wie die Chorea gravidarum, Ref.) nur Aeusserungen seiner Maladie
des Tics sei. Verf. weist diese Identificirung aus logischen Gründen zurück.
Sowohl die Bezeichnung „Chorea“ als der Name „Tic“ gelten nicht für ein be¬
stimmtes Grundleiden, sondern seien Benennungen von charakteristischen patho-
Dic
912
logischen Bewegungsformen. Selbst wenn für beide Krankheitsfonaen sieh dünlb
Grundlage in einzelnen Fällen finden lieese, so bereobtige dies nicht dm, d»
durch ihre Eigenart völlig differente choreatische and ticartige Bewegung a
identificiren and daher zwei Krankheitsformen an vereinigen, die diese ven^hdn-
artigen Bewegungen auf weisen.
Schliesslich fahrt Verf. aas, dass die Chorea der Degenerirtsn such ah
Hysterie nichts m thun habe, so dass sie als selbständige Krankheitsforn fest¬
gehalten werden moas. Zappert (Win).
29) Throo Ottos of horoditary ohorso, by C. Eugene Riggs. (Jcmnal i
Nervons and Mental Disease. -1901. Sept)
Mittheilung dreier Pille von Hjuntington'scher Chorea ohne besondere Ab¬
weichungen von dem typischen Bilde. Martin Bloch (Berlin).
90) Uobor Ohoroa ohronioo progressiva, von Profi A. Westphal. (Deuheb
med. Wochenschr. 1902. Nr. 4.)
Kone Mittheilung zweier einschlägiger Pille. Bei Fall I wirkte bei W
stehender Hereditit das Wochenbett als Agent provooatonr, bei dem «weite,
hereditär nicht belasteten Kranken ein Trauma als Entetehungsorsache.
R. Pfeiffer.
81) Behandlung chronischer Ohoroa durch hypnotische BeeinflonH
von Dr. Schilling in Leipzig. (Münchener med. Wochenschrift. 190L
Nr. 27.)
Yerfi theilt einen Pall von Chorea bei einem 7jihrigen Kinde mit, vekb
daroh ein psychisches Trauma entstanden war und aller Behandlung mit Ana
Bädern u. e. w. trotzte. Erst die hypnotische Suggestion im Verein mit Bcktn-
siren, Massage u. s. w. brachte die Zuckungen zum Schwinden. (Ob «■ zieh iz
diesem Palle nieht doch um Hysterie gehandelt hat? Refi)
EL Asch (Frankfurt a/M.)
82) A not# on ths knso-jerk in ohoroa, by W. Gordon. (Brit s*i
Journ. 1901. 30. März.)
Bei Patienten, welche an Chorea minor litten, beobachtete Verf. häufig fe¬
gende Modifi cation des Patellarreflezes: Wenn man beim liegenden Patienten ia
Kniereflex in gewöhnlicher Weise (bei entstehendem Hacken und erschM»
Musculatur) hervorruft, so fällt der Unterschenkel nicht gleich wieder auf mö<
Unterlage zurück, sondern bleibt eine Zeit lang in erhobener Stellung steba
und fällt dann langsam hinunter. Einige Male blieb das schon im HenbM*
begriffene Bein plötzlich eine Zeit lang schwebend stehen oder schnellte »g*
wieder in die Höhe, und zwar höher, als unmittelbar nach dem Hervorrufes «*
Reflexes. Endlich fand Verf. nach dem Hervorrufen des Reflexes ein Uebergd»
des letzteren in eine anscheinend willkürlich hervorgerufene, mehr oder wenig*
persistirende starre Extension der betreffenden unteren Extremität. — Di« fr
scheinungen erklären sich daraus, dass der Kniereflex selbst ungewollte Bewegung«
auslöste.
Gerade ganz leichte Erkrankungsformen, bei denen die ungewollten Bewegung«
noch gering, zeigen die geschilderten Reflexformen am besten.
Verf. hält daher bei leichten und zweifelhaften Fällen von Chores *»*
das geschilderte Verhalten des Kniereflexes für ein wichtiges diagnostisches Hülfe
mittel und erwähnt Fälle, bei denen es verwerthet werden konnte.
EL Lehmann (Oeynhau**)-
Google
913
33) Lee ohorees symptomatiquee, par Louis R6non. (Gaz. des höpitaux.
1902. Nr. 1.)
Verf. unterscheidet unter den symptomatischen Choreafällen 1. die hemi-
plegische Hemichorea mit Athetose, 2. die angeborene Chorea und 3. die all¬
gemeine symptomatische Chorea (als Symptom einer organischen Läsion, wie
Paralyse, Tumoren, Meningitis u. s. w.). Verf. bespricht Aetiologie, Klinik, Dia¬
gnose, pathologische Anatomie und Therapie dieser verschiedenen Formen. Allen
gemeinsam ist die ungünstige Prognose. Kurt Mendel.
34) Chorea hyeterioa arythmica, von Dr. V. Vitek. (Archiv, bohäm. de m6d.
clin. 1902. S. 397.)
Bei einem 18jähr. Dienstmädchen entwickelte sich nach einem psychischen
Choc ein typisches Bild der Sydenham’schen Chorea. Nur der Gang zeigte eine
Störung, die mehr als hysterischer saltatorischer Krampf imponirte als eine
choreatische Dysbasie. Zahlreiche Stigmata der Hysterie. Druck auf die Ovarien
hatte einen irritativen, Druck im Epigastrium einen sedativen Einfluss auf die
Bewegungen. In Folge von Faradisation mit Bürstenelektrode schwanden zuerst
die hysterischen Stigmata, dann hörte die Störung des Ganges auf und die chorea¬
tischen Bewegungen blieben auf eine Körperhälfte beschränkt und waren viel
schwächer als vorher.
Verf. führt aus dem Materiale der inneren Klinik Maixner’s noch 5 Be¬
obachtungen hysterischer Chorea an. Peln&r (Prag).
35) Un oaa de ohoröe ölectrique (variöte de tio ourable juvönile), par
M. G. Variot. (Bulletins de la Soci6t6 de Pädiatries. 1901. Nr. 9.)
Bei der lljähr. Patientin stellten sich in Pausen von 1 / a —5 Minuten kurze,
heftige Anfälle von Zuckungen im Gesicht, rechten Arm und an der rechten
Halsseite ein.
Verf. glaubt, den Fall als eine Art von „Chorea electrica“ hinstellen zu
können, doch weist Guinon in der Discussion (wohl mit Recht, Ref.) darauf hin,
dass es sich anscheinend nur um einen Tic mit etwas brüskeren Bewegungen wie
gewöhnlich handelt. Zappert (Wien).
30) Ein Pall von Chorea senilis, von cand. med. Hildegard Bi schoft
(Archiv f. klin. Med. LXIX. S. 405.)
73jährige Patientin; im 68. Lebensjahr nierenkrank, seit dem 54. Lebens¬
jahr Kopfschmerzen; 5 Jahre vor Beginn der jetzigen Erkrankung Fall auf den
Rücken; 1895 Beginn des Leidens nach einer psychischen Aufregung mit Athem-
noth, schwerer Beweglichkeit der Zunge und allgemeiner Mattigkeit. Diese An¬
falle wiederholten sich mehrmals kurz hintereinander, wobei von der Umgebung
ein starkes Zucken des linken Armes und Beines, manchmal auch des ganzen
Rumpfes wahrgenommen wurde. Diese Bewegungen nahmen mit der Zeit an
Häufigkeit zu und wurden schliesslich beständig. Status bei der zweiten Auf¬
nahme in die Klinik: Mittelgrosse Patientin, Klagen über heftige Schmerzen im
Kreuz, Arteriosklerose. Fortwährende Bewegungen des Kopfes, des Gesichtes, des
Mundes, der Zunge; dadurch articulatorische Sprachstörung; am linken Arm und
Bein in Intervallen auftretende zuckende Bewegungen der ganzen Gliedraaassen.
Auch der Schlund ist in ständiger Bewegung; ähnliches an den Stimmbändern.
Keine gröberen Sensibilitätsstörungen. Während der 4 wöchentlichen Beobachtung
treten zeitweise starke Aufregungszustände (Delirien) ein; bei ruhigem Schlaf tritt
58
Digi
y Google
914
auch körperliche Rohe ein, auch am Tage wird zeitweise vollkommene Rohe be¬
obachtet; sobald Patientin aber angesprochen wird, zeigt zieh die motorische
Unruhe wieder intensiv. Patientin ging an einer intercurrenten Krankheit zu
Grande. Ausser einer Wirbelcariee, die mit der Krankheit seihet nicht im Zu¬
sammenhänge steht, wurde post mortem sowohl makroskopisch wie mikroskopisch
nichts Wesentliches gefunden. Auf Grund einer tabellarisch zusammen gestellt®
Litteratur ergiebt sich:
1. Männer und Frauen sind in gleicher Anzahl (bei dieser Krankheit) be¬
fallen.
2. Rheumatismus und Herzleiden erscheinen als seltene Complicationa:
letztere in etwa 12,3 °/ 0 .
3. Bei 60°/ 0 sind die geistigen Fähigkeiten normal.
4. Die beiderseitige Affection wiegt vor, die rechte und linke Seite Bind
gleich häufig erkrankt.
5. 20 °/ 0 der Fälle sind heilbar. Hier erfolgt die Heilung in spätestem
einem Jahr.
6. Die bis jetzt erhobenen wenigen anatomischen Befunde geben keine Er
klärung über Ursache und Sitz der Erkrankung. Jacobsohn (Berlin).
37) L’6t»t mental dee tiqueurs, par Meige et Feindei. (Progrta medic»L
1901. Nr. 36.)
Excerpt des in Limoges d. J. gehaltenen Vortrages, dessen Quintessenz ist:
die an den verschiedensten Tics leidenden Kranken sind vor ihrer Behandlung
auf ihren Geisteszustand zu untersuchen, weil es sich bei ihnen meist um erblick
belastete, mehr oder weniger Degenerirte handelt.
Adolf Passow (Meiningen).
38) Tio et fonotion, par Henry Meige. (Revue neurol. 1902. Nr. 9.)
Verf. giebt zunächst eine Definition von dem, was er unter dem Worte
„fonction“ verstanden wissen will. Es giebt Functionen, welche durchaus notfa-
wendig sind für unsere Existenz (z. B. Athmen) und solche, welche nicht direct
unentbehrlich für unser Leben, wohl aber von Nutzen sind (Gehen, Kauen.
Schreiben u. s. w.).
Eine grosse Anzahl der Tics bedeutet nur eine Störung in der normal« 1
Function gewisser Körpertheile, in diesen Tics kann man functioneile Acte er
kennen, deren Rhythmus und Ausgiebigkeit über das Ziel, welches das Individuum
erreichen will, hinausschiessen oder dasselbe nicht erreichen. Oder aber der
functioneile Act geschieht zu einer Zeit, wo kein Grund für sein Geschehen be¬
steht (z. B. Lachen ohne Grund, Kratzen ohne Jucken u. 8. w.). Wie jedem
functionellen Acte ein Bedürfniss zu demselben vorangeht, eine Befriedigung folgt
ebenso gilt dies auch für die Tic* Bewegung, nur ist hierbei das Bedürfniss und
die Befriedigung übertrieben stark.
Zu den Tics gehören ferner die Beschäftigungskrämpfe, Beschäftigung*
spasmen und Beschäftigungsneurosen. Dieselben unterscheiden sich von den Tics
jedoch dadurch, dass sie nur dann auftreten, wenn gerade der functionelle Act,
dessen Anomalie sie darstellen, geschehen soll, während bei Ruhigstellung der
Function auch die Störung aufhört: der an Sohreibkrampf Leidende bekommt
diesen Krampf nur, wenn er zu schreiben beginnt.
Schliesslich kann ein Tic bedingt sein durch eine psychische Alteration,
durch eine krankhafte Idee: jemand bemerkt z. B. beim Armheben ein Knacken
in seiner Schulter, er vermuthet daselbst etwas Abnormes, wiederholt die Be-
Dia
y Google
916
wegung, das Knacken tritt wieder auf. Die Vermuthung wird zur fixen Idee,
zur Phobie. Die Wiederholung der Bewegung wird automatisch und wird zum
Tic. Auch hier also Wiederholung der Bewegung, Bedürfniss dieselbe auBzuftlhren,
der Bewegung folgende Befriedigung, unzweckmässige Handlung!
In allen Fällen von Tio fehlt die Willensenergie, welche im Stande ist, die
frühere normale und gleichmässige Function wieder herzustellen, es fehlt die
Kraft, die wie ein Parasit das Individuum befallende Störung wieder fortzuschaffen.
Es kommt demnach schliesslich bei dem Tic auf eine Unvollkommenheit des
psychischen Zustandes, speciell auf einen Mangel an Willensstärke hinaus, wie
auch die klinische Beobachtung deutlich zeigt. Kurt Mendel.
39) Tio et öoriture, par Henry Meige. (Gaz. hebdomadaire de möd. et de
Chirurgie. 1902. Nr. 47.)
Störungen der Schreibfunction sind Ausnahmen bei Tic-Kranken, hingegen
entwickelt sich ein Tic zuweilen im Anschluss an Schreiben, besonders wenn
letzteres längere Zeit fortgesetzt wird.
Etwas anders als Tic ist der Schreibkrampf, indem bei letzterem die Störung
nur dann auftritt, wenn das Individuum schreibt, während sich der Tic ohne
Gelegenheitsursache einstellt. Allerdings sind Tic und Schreibkrampf nahe ver¬
wandt: beide entwickeln sich bei neuro- oder psychopathischen Personen mit
gleichen psychischen Anomalieen. Auch können beide gleichzeitig bei ein und
demselben Individuum bestehen. In therapeutischer Beziehung empfiehlt Verf.,
die Patienten mit beiden Händen zugleich schreiben zu lassen.
Kurt Mendel.
40) Une Observation de tio de Salaam, par L. G. Simon. (Revue mensuelle
des maladies de l’enfance. XX. 1902. Mai.)
Beschreibung eines ziemlich typischen Falles von Spasmus nutans bei einem
15 Monate alten, gering rachitischen Kinde.
Ref. möchte das Bemerkenswerthe dieser Mittheilung darin erblioken, dass
der Spasmus nutans, welcher in Wien ein nicht seltenes Leiden darstellt, in Paris
rar genug zu sein scheint, um die Veröffentlichung eines nicht ungewöhnlichen
Falles zu rechtfertigen; ähnlich verhält es sich ja auch mit der Verbreitung der
Kindertetanie. Zappert (Wien).
41) Los tios et leur traitement, par Henry Meige et E. Feindei. Mit einer •
Vorrede von Brissaud. (Paris 1902, Masson et Co. 633 S.)
Das vorliegende, ausserordentlich angelegte Werk ist das Resultat eingehen¬
der, sich über 10 Jahre erstreckender Studien der beiden Verff. Das Buch be¬
ginnt mit der von einem Tic-Kranken selbst verfassten, ausgezeichneten und sehr an¬
schaulich geschriebenen Geschichte seiner Krankheit. In diesem Krankheitsbericht
findet man Bchon alle die von den Verfassern in den einzelnen Capiteln des Buches
besonders betonten Momente enthalten; besonders gut weiss der Kranke in seiner
Krankengeschichte seinen psychischen ZuBtand zu schildern. Die eigentliche Be¬
handlung des Stoffes wird mit einer historischen Debersicht, die sich vor allem
mit der Geschichte des Wortes Tic beschäftigt, eröffnet. Man hat fälschlicher
Weise sehr viele klinische Erscheinungen mit der Bezeichnung Tic benannt, ob¬
schon dieselben mit dem wirklichen Tic nichts gemein haben. Verff. schränken
den Begriff des Wortes Tic ein.
In einer 60 Seiten grossen „ßtude pathogänique“ erläutern die Verff.
in eingehender Weise das Verhältniss des Tics zum Spasmus, zu den Reflex-
öS*
Die
916
bewegungen, zu den wilkürlichen Bewegungen, zu den Gewohnheitsbewegungen n.s.w.
Vom Spasmus unterscheidet sich der Tic dadurch, dass bei jenem die Grosshirn-
rinde an der motorischen Reaction niemals theilnimmt. Sehr instructiv ist der
Abschnitt über die Genese des Tics: Eine zuerst beim Vorliegen eines be¬
stimmten sensiblen Reizes zweckentsprechende Bewegung wiederholt sich, auch
wenn der sensible Reiz schon fort gefallen ist, in stereotyper Weise und wird zum
Tic. Der normalen motorischen Function gegenüber kann der Tic angesehen werden
als eine durch ein übertriebenes, plötzlich vorbrechendes Bedürfniss veranlasst?
und von einer übertriebenen und deplacirten Befriedigung gefolgte Handlang.
Der Geisteszustand der Tic-Kranken ist naoh den Verff. niemals ein normaler.
Da die Tiqueurs zu denjenigen Individuen gehören, welche man „Degenerirte"
nennt, so zeigt ihr Geisteszustand den gleichen Polymorphismus, wie er sich bei
den Degenerirten überhaupt findet. Willensschwäche, Unbeständigkeit, „Emotivität
Zwangsvorstellungen, Phobieen und Manieen“ charakterisiren das psychische Ver¬
halten der Tickranken. In dem Capitel über die Aetiologie der Krankheit
wird neben der Heredität auch den so sehr wichtigen Verhältnissen der Um¬
gebung des Kranken, besonders der jugendlichen Kranken, Rechnung getragen
Die der pathologischen Anatomie und die den accessorischen Sym¬
ptomen (Reflexen, Sensibilitätsstörungen) gewidmeten Seiten bieten eine voll¬
ständige Uebersicht über das vorhandene Material, bieten jedoch naturgemäß
wenig positive Daten. Der grösste Abschnittt des Buches, der mit ausserordent¬
licher Vollständigkeit und Ausführlichkeit behandelt ist, beschäftigt sich mit den
einzelnen Formen des Tics. Besonders interessant ist der „Kratztic“ (Tic de
grattage), bei dem die Individuen nach überstandenen kleinen Hautaffectionen wie
Acne u. 8. w. das Kratzen fortsetzen, an den Fuss- oder Fingernägeln herum-
arbeiten u. dergl. Differentialdiagnostisch interessiren die Bemerkungen über da
Schreibkrampf und die ticartigen Störungen beim Schreiben. Zu den Ticfonnea
müssen auch gezählt werden die sogenannte Jumpingkrankheit in Amerika, die
Latahkrankheit auf den Malayischen Inseln und die Myriachitkrankheit in Sibirien.
Auch sei noch auf den Luftschlucktic und auf den Tio der Respiration uni
Sprache (Echolalie, Coprolalie) hingewiesen. Die letzten Capitel des klinisch be¬
schreibenden Theiles der Arbeit sind der Differentialdiagnose und dem Verhältnis
des Tics zur Hysterie, Neurasthenie, Epilepsie und Idiotie gewidmet. Den Namen
der Gilles de la Tourette’schen Krankheit reserviren die Verff. für diejenigen
Fälle, welche unter der progressiven Entwickelung zur Verallgemeinerung der
convulsivischen Zustände führen und welche ausserdem von Coprolalie und ähn¬
lichen Zuständen begleitet sind.
Der dem Leser willkommenste Abschnitt und das den Verff. eigenste Gebiet
enthalten die 100 letzten Seiten des Buches. In demselben haben die Verl?
niedergelegt, welche Methode sie im Laufe der Jahre zur Behandlung des Tic
angewandt haben und welche Erfolge sie mit dieser Methode erreicht haben
Nach Besprechung der bisher meist angewandten Mittel, der Massage, Elektro-
und Hydrotherapie, der medicamentösen Behandlung u. s. w., therapeutischer Fac-
toren, welchen die Verff. selbst übrigens volle Würdigung zu theil werden lassen,
folgt die Beschreibung des von Brissaud und von den Verff geübten „Traite-
• ment r66ducateur“. Diese Behandlungsweise gehört den jetzt in ihrem grosses
Werthe erkannten Behandlungsmethoden „durch die Function“ an und stellt ei«
Art „Uebungstherapie“ dar.
Die zur Anwendung gelangenden Uebungen sollen den Pat. lehren einmal
für eine gewisse Zeit bewegungslos zu bleiben und andererseits seine Bewegungen
derart zu regulären, dass die Ticbewegung durch eine normale Bewegung ersetit
wird. Die zuerst unter Aufsicht des Arztes vorgenommenen Uebungen müssen
von dem Kranken zu Hause vor dem Spiegel wiederholt werden. Unter Hinweis
• Die
917
auf die Natur der sogenannten Spiegelschrift legen die Autoren dar, welchen
Einfluss die Bewegungen des gesunden Gliedes auf die anormalen motorischen
Acte des symmetrischen Gliedes ausüben. Aus diesem Grunde ziehen die Verff.
bei einseitigen Tics auch die gesunde Seite zu den Uebungen heran. Die Details
der von den Verff. ausgearbeiteten Methode sind in dem Werke selbst nach¬
zulesen.
Das verdienstvolle Gesammtwerk der Verff. bildet eine den Gegenstand er¬
schöpfende Darstellung des grossen Gebietes der Ticzustände. Das besonders
Bemerkenswerthe in der Arbeit stellt der Umstand dar, dass es dem Verf. in
überzeugender Weise gelungen ist, dem Worte „tic“ eine ganz bestimmte und
schärfer als bisher ausgedrückte Bedeutung zu geben, sowie ferner der Nachweis,
wie viel bei den Tickranken durch eine zielbewusste geduldige Behandlung er¬
reicht werden kann.
Die Anordnung des Stoffes ist eine übersichtliche, die Darstellung leidet
zwar ein wenig an Wiederholungen und Abschweifungen, ist jedoch im Allge¬
meinen eine klare und angenehm zu lesende. Jedem, der sich eingehender mit
der Materie zu beschäftigen hat, ist die Lecture des Buches unentbehrlich.
Paul Schuster (Berlin).
Psychiatrie.
42) üeber die Untersuchung von Vererbungsfragen und die Degeneration
der spanischen Habsburger, von Stephan Kekul6 von Stradonitz,
Dr. jur. utr., Dr. phil., Fürst!. Schaumburg-Lippischem Kammerherm. (Archiv
f. Psych. 1902. XXXV.)
Nachdem Verf. die formale Seite des Ahnenproblems erörtert und auseinander¬
gesetzt hat, wieviel Personen eine Ahnenreihe und wieviel eine Ahnentafel um¬
fasst, zeigt er an einem besonders interessanten Beispiel, nach welcher Methode
er genealogisch Vererbungsfragen studirt wissen will. Dies Beispiel ist die Familie
der spanischen Habsburger. An Don Carlos, Philipp III., Philipp IV. und
Karl II. werden die psychopathischen Merkmale auf Grund historischer Berichte
geschildert. Bei Jedem der Genannten wird der Grad der erblichen Belastung
nach geschickt berechneten Zahlenwerthen festgestellt
Verf. hat die Ansicht gewonnen, dass je weiter die Ahnenreihe zurückliegt,
in der der belastende Ahne vorkommt, um so mehr sich die Energie des krank¬
machenden Elementes vermindert, dass die Folge der erblichen Belastung jedoch
wieder stärker hervortritt, wenn durch Verwandtenheirath dem Blut eine gleich¬
artige Erbschaftsmasse wieder zugeführt wird. Die Gleichartigkeit der Erbschafts¬
massen hält er für daB wirksamste Princip, so zwar, dass wiederholtes Vorkommen
in jeder Beziehung gesunder Ahnen günstig, wiederholtes Vorkommen kranker,
d. h. belastender Ahnen schädlich auf die Nachkommenschaft wirkt.
G. Ilberg (Grossschweidnitz).
43) Belbstbiographie eines Falles von Mania acuta, von A. Forel. (Archiv
f. Psych. XXXIV.)
Einer kurzen ärztliohen Krankengeschichte folgen ausführliche, nach der
Heilung verfasste Aufzeichnungen der sehr intelligenten und gebildeten Kranken,
die nach verschiedenen Seiten von hohem Werthe sind. Einmal zeigen sie, dass
auch die scheinbar unsinnigsten und zusammenhanglosesten Handlungen derartiger
— und wohl auch wieder anderer — Kranker eigentlich nie der psychologischen
Begründung, der Logik entbehren, wenn auch die Voraussetzungen und Prämissen
Die
918
in Folge der krankhaften Zustände, Halluoinationen n. s. w. falsche sind (t R: kt
Luftzug aus dem Gitterfenster hält Patientin für eine räthselhafte Einrichtoag, darrt
welche sie mit vermeintlichen Helfern und Verbündeten correspondiren könne; deshilt
steckt sie allerhand Kleinigkeiten in das Gitter und Drahtgeflecht, am Zeichen ihr*
Anwesenheit zu geben). Ferner thun die Aufzeichnungen dar, dass Wahnideeen um
G edankenfolgen, die man für charakteristisch für die Paranoia zn halten gevota
ist, bei reiner Manie eine grosse Rolle spielen können (geradezu Beziehung*- d
physikalischer Verfolgungswahn, Dmdeutnng der Umgebung im Sinne einer Yr-
schwörerbande u. s. w.). Weiter geht aus den Aufzeichnungen hervor, dwa k
Patientin die Beurtheilung ihres eigenen Verhaltens sehr häufig abhanden i-
kommen war: sie glaubte, zu Zeiten, wo sie ganz besonders unruhig vir. &
Los geduldig zu ertragen, hatte von ihren Gewaltthätigkeiten keine Voretelk:
ärgerte sich, wenn sie sich als „aufgeregt“ bezeichnen hörte. Trotzdem kirn ir
während der ganzen Krankheit ein Pflichtgefühl nicht abhanden; es that ihr 1«
wenn sie sich wissentlich vom Zorn hatte hinreissen lassen. — Grosse Periode
der Krankheit — die im ganzen 13 Monate gedauert hatte — waren nachtrigk
„wie aus ihrem Gedächtniss ausgelöscht“. Ueber Einzelheiten der Ideeeoflnü;
Reimsucht, Wortspiele und Worterfindungen, macht Patientin interessante Angst:
desgleichen über die Zellen, das Deckelbad, die Kleidung, die Umgebung: Patient
fühlte unangenehm den Mangel einer gebildeten Umgebung, die paar Worte, h
sie mit den Aerzten wechseln konnte, thaten ihr wohl; während sie für Bessere,
und Verschlimmerung ihres eigenen Zustandes kein deutliches Gefühl hatte, meri
sie sehr wohl, dass die anderen Patienten nicht bei Verstände waren. — V'*
viele interessante und für die Beurtheilung der Psychologie der Geisteskraft
wichtige Einzelheiten enthält das Document; die Thatsache, dass es erst 10 Jt’
nach der Genesung niedergeschrieben wurde, ist bei der Exactheit der Beobt:
tungen, die alle den Stempel der Wahrheit tragen, nicht geeignet, seinen Wer.
zu vermindern; die Lectüre ist, abgesehen von ihrem wissenschaftlichen Inters
wohl geeignet, auch für denVerkehr mit Geisteskranken manche wichtige Win-
zu geben; es könnte nichts schaden, wenn diese Art „Krankengeschichten“
gepflegt würden. H. Haenel (Dresdra
44) A oontribution to the pathology of aoute insanity , by D. 0 rr. (Bru
1902. Summer.)
Verf. hat das Nervensystem in 6 Fällen rasch tödtlich verlaufenen W-
Irreseins nach den neuesten Methoden untersucht und namentlich auf die
zellen Rücksicht genommen. Es fanden sich in allen Fällen Veränderung *:■
den Zellen der Rinde, der Spinalganglien und der Vorderhörner des Rückenn^
Die Veränderungen bestanden in mehr weniger starker Chromatolyse und Ei«*"
cität des Kernes. Markzerfall fand sich namentlich in den Hinter- und StX.
strängen des Rückenmarks. Die bisherige Litteratur ist eingehend berückst
Brar ;
45) Deux oas de manie guöris 4 la suite d’une infeetlon grave, ;*'<
Ch. Azömar (Ariöge). (Annales mädico-psychologiques. 1901. Juli/Ange 1
Verf. theilt 2 Fälle von Heilung von Manie nach schweren Infectionsk* 1
heiten mit. In dem einen Falle erkrankte der Patient an einer schweren Le®* 3-
entzündung, in dem anderen an einer diffusen Phlegmone des Vorderarms.
Die Fälle sind ausführlich mitgetheilt und als Bereicherung dieser '&
essanten Frage aufzufassen. Adolf Passow (Meinicr*^
zedby G00gle
919
46) Beitrag aor Aetiologie der periodischen Psychosen, von Dr. Clemens
Neisser, Director der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Lublinitz. (Archiv
f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXVL 1902.)
Seit langer Zeit weiss man, dass erbliche Belastung und Schädeltraumen in
der Vorgeschichte von Kranken mit periodischer Seelenstörung eine Rolle spielen.
Im Anschluss an die Studien von Piloz macht Neisser darauf aufmerksam, dass
für die Auslösung periodischer Psychosen auch organische cerebrale Er¬
krankungen, die als Hirnnarben angesehen werden können, in Betracht
kommen. Zu den von Pilcz beobachteten Fällen periodischer Seelenstörung nach
Apoplexie fügt Neisser einen Krankenbericht über circuläres Irresein nach
Schlaganfall bei einem 51jähr. Fräulein hinzu, welches später auch aphasische
Störungen transcorticalen motorischen Charakters zeigte. Er erinnert an den
einen Befund von Pilcz, dass Fälle periodischen Irreseins mit grobem organisch-
cerebralem Befund ausgeprägte Tendenz zur Verblödung zeigen, und an den
anderen, dass in der Vorgeschichte periodisch Geisteskranker oft Zustände wie
Fraisen, Gehirnhautentzündung u. dergl. erwähnt werden, die einen Hin¬
weis auf ein in der Kindheit durchgemachtes cerebrales Leiden enthalten. End¬
lich bringt Verf. noch ein Beispiel, das zu einer kleinen Gruppe von periodischer
Seelenstörung gehört, bei der in unmittelbarem Anschluss an Traumen in
Einzelanfällen verlaufende Erregungszustände auftreten, welche einen manischen
Grundzug haben, durch Bewusstseinstrübung, gehäufte Hallucinationen und moto¬
rische Störungen mit dem Charakter mehr selbständiger Reizsymptome ausgezeicnet
sind und eine sehr günstige Prognose haben. Verf. fand, dass in seinem Falle
die Pupillen in der Zwischenzeit zwischen den Anfällen immer noch abnorm
weit und labil blieben und glaubt hieraus allein schon mit einiger Sicherheit den
Fortbestand der Krankheit und das Wiedereinsetzen der Anfälle bestimmen zu
können. G. Ilberg (Grossschweidnitz).
47) Ueber periodischen Wahnsinn, von Bleuler. (Psychiatrisch-neurologische
Wochenschr. 1902. Nr. 11.)
Verf. stellt sich ganz auf den Standpunkt der Lehre Kräpelin’s hinsichtlich
des manisch-depressiven Irreseins. Er verwirft aber den ausdrücklichen Hinweis
auf Wahnsinnsformen, die durch Störungen auf intellectuellem Gebiete und Zurück¬
treten bezw. Fehlen von Anomalieen des Gemüths charakteriBirt sind. Kräpelin’s
Beschreibung lehrt zwar, dass er solche Fälle auch gesehen hat. Die zwei Haupt¬
gruppen des Wahnsinns, je nachdem ob Hallucinationen oder Wahnbildung vor¬
wiegen, gehen ineinander über; ebenso wenig verdient Fehlen oder Vorhandensein
von Verworrenheit und Traumzustand Berücksichtigung bei der Unterscheidung.
Fasst man periodischen Wahnsinn als Unterform des manisch-depressiven Irreseins
au£ bo wird man geschützt vor der Annahme einer heilbaren chronischen Paranoia
und in manchen Fällen zu einer richtigen Prognose geführt. Eine solche Auf¬
fassung ist aber berechtigt, wenn auch typische Anfälle des manisch-depressiven
Irreseins vorhanden Bind oder deren Symptome sich mit dem Wahnsinn, wenn
auch nur vorübergehend, mischen. Mitten in vollem Wohlbefinden können ein¬
zelne Hallucinationen, Beziehungs - oder Verfolgungswahnideeen auftreten.
Maassgebend für die Diagnose ist der eigenthümliche Verlauf in Anfällen,
der Mangel an Intelligenzstörungen in den Intermissionen, die Mischung mit
manisch-depressiven Symptomen, die Mischung von manischen bezw. depressiven
Anfällen mit den manischen beim gleichen Kranken und schliesslich wohl auch
die gleichartige Heredität. Ernst Schultze (Andernach).
Digi
y Google
920
48) Note sur la fröquenoe de la retraotion de l'aponövrose palmaire oha
les aliönös, par Ch. F6r6 et M. Francilion. (Revue de Medecine. 1902.
S. 539.)
Die Verff. fanden bei 226 Geisteskranken 14 Fälle von Schrumpfung der
Fascia palmaris (sogen. Dupuy tren’sche Fasciencontractur). Sie glauben daher
diese Schrumpfung als Stigma neuropathischer Veranlagung auffassen zu können.
Strümpell (Erlangen).
49) Die Stellung der Aerzte an den öffentlichen Irrenanstalten, von Hoppe.
(Carl Marhold, Halle a/S. 158 S.)
Bereits in früheren Aufsätzen hat sich Verf. der wirthschaftlichen Lage der
Irrenärzte zugewandt und ist in denselben für die Aufbesserung der Stellung der¬
selben eingetreten. Selbstverständlich kommen hier nur die an öffentlichen An¬
stalten angestellten Aerzte in Betracht. In vorliegender Broschüre wird dieses
Thema nun weiter ausgeführt. Mit emsigem Fleiss hat Verf. sein Material ans
dem In- nnd Ausland zusammengetragen und führt nun übersichtlich aus, wie
hoch sich an den einzelnen Anstalten das Einkommen der Aerzte beläuft, wie die
Avancementsverhältnisse sind u. s. w. Die Schlüsse, welche Verf. aus diesem
Material zieht, dass nämlich die pecuniäre Lage des Standes der Irrenärzte eine
Behr missliche ist, dass die Carrtere nur zu langsam ist, dass dagegen die Forde¬
rungen, welche an den strebsamen, mit der Sache es ernst nehmenden Arzt ge¬
stellt werden, enorm hohe sind, sind zweifellos berechtigt. Kann man sich nun
noch das Leben in den Anstalten in der Nähe grosser Städte gefallen lassen, dt
hier reichliche geistige Anregung geboten wird, so ist es meist recht traurig be¬
stellt mit den in einsamen Gegenden auf dem Lande gelegenen Anstalten. Von
aussen dringt keine geistige Anregung in die Anstalt hinein, das wissenschaft¬
liche Streben, insbesondere wenn der Director mit Verwaltungsgeschäften überhäuft,
zufrieden, wenn er seine Obliegenheiten ohne Unannehmlichkeiten von Seiten der
Vorgesetzten Behörde erledigen kann, sich um wissenschaftliche Fortschritte nicht
kümmert und den jüngeren Aerzten keine Anregung giebt, schläft, in Blüthe
steht dagegen Anstaltsklatsch, kleinliche Rivalitäten und ähnliche üngelegenheiteo;
da kann es dann nicht ausbleiben, dass auch bei dem arbeitsfreudigsten Arzte
die Lust weiter zu streben versagt Dass aber unter solchen Verhältnissen die
Anstalten selber leiden, liegt auf der Hand. Zu verlangen ist daher, dass nur
solche Aerzte zu Directoren ernannt werden, welche wissenschaftlich zu arbeiten
verstehen und dies durch Facharbeiten bewiesen haben. Ferner thut eine Hebung
der wirthschaftlichen Lage der Aerzte noth, damit sie durch häufigere Beurlaubungen
zu wissenschaftlichen Arbeiten Gelegenheit finden und neue Kräfte gewinnen, um
nicht in dem eintönigen Anstaltsleben zu erschlaffen.
Manche Unbilden hat Verf. selber in seiner Anstaltsthätigkeit erlitten. D*s
hat seine Feder scharf gemacht und der Leser hat zuweilen das Gefühl, als ob
Verf. mit seinen Anklagen zu weit geht. Thut man einen allgemeinen Ueber-
blick über die wissenschaftliche Production auf dem Gebiet der Psychiatrie und
Neurologie und Hirnanatomie, beachtet man, wie fast in allen Anstalten, auch in
den Provinzialanstalten, fern von den grossen Städten, den neu auftretenden
Problemen, ich erinnere hier gerade an die in neuester Zeit empfohlene familiäre
Verpflegung der Irren, an die Bettbehandlung, an die Ausschliessung der Isolirung
in den Zellen, — das regste Interesse entgegengebracht wird, sieht man, wie aus
allen Gegenden Deutschlands und nicht zuletzt aus den entlegensten Irrenanstalteu
die Collegen zu den allgemeinen und Specialcongressen eilen, um neue Anregungen
in sich aufzunehmen, so tauchen in dem Unbefangenen Zweifel auf, ob nicht
Verf. zu schwarz geschildert hat. Immerhin mag zugegeben werden, dass des
Verf.’s Schilderung für diese oder jene Anstalt zutrifft.
Digi
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921
Sicherlich aber gebührt dem Verf. der Dank der Irrenärzte, dass er einmal
die Misere dee Standes grell beleuchtet hat und im Interesse dieses Standes ist
es zu hoffen, dass die Broschüre an maassgebender Stelle gelesen und beachtet
wird. Ascher.
UE. Aus den Gesellschaften.
Wan der Versammlung des Vereins für Psychiatrie und Neurologie in Wien
am 11. und 12. Ootober 1901.
I. Sitzung am 11. October 1901, Vormittags 9 Uhr.
(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 46.)
Vorsitzender: Hofrath v. Krafft-Ebing, Schriftführer: Dr. v. Sölder.
Der Vorsitzende eröffnet die Versammlung, begrüsst die Tbeilnehmer, be¬
spricht den erfreulichen Aufschwung, den der Verein genommen, der zum Theil
wohl auf seine Umgestaltung zum Vereine für Psychiatrie und Neurologie zurück¬
zuführen sei. Es wäre ein glückliches Zusammentreffen, dass an der Wiener
Universität neben den beiden psychiatrischen Kliniken auch die normale und patho¬
logische Anatomie im neurologischen Institute des Prof. Obersteiner eine Stätte
der Pflege gefunden habe.
Herr A. Pick bringt neue Thatsachen herbei für die von ihm in früheren
Arbeiten gegebene Deutung der Eoholalie als einer Schwächeerscheinung, eines
Nachlasses von Hemmungen, deren Sitz im linken Schläfelappen zu suchen ist,
indem bei einem nach Schlaganfall aufgetretenen Falle von Echolalie dieselbe
sich immer beim Hinzutritt von Schwächeerscheinungen verstärkte. Sitz der
Läsion: Gyrus angularis links und angrenzender Schläfelappen. Weiter wird
Echolalie bei acuter Verwirrtheit und in den postepileptischen Zuständen be¬
sprochen und darauf hingewiesen, dass auch an den Fällen der Litteratur sich
die vom Redner gegebene Deutung erweisen lässt (vgl. die Fälle von Romberg).
Herr Sterz fand Echolalie bei einer hebephrenischen Dementia praecox
(motorische und sensible Störungen fehlen), jedoch nur, wenn sich dieselbe statt
ihres slovenischen Idioms des deutschen bediente.
Herr Josef Starlinger: Tuberoulose und Irrenpflege.
Ausgehend von dem Cornet’schen Unter$uchungsergebniss, dass die Tuber-
culose nur vom Tuberculösen stamme, fordert Redner strengste prophylaktische
Maassregeln in dieser Richtung für die Irrenanstalten; möglichst frühe Diagnose mit
allen zu Gebote stehenden Hülfsmitteln (Tuberculininjection); Ausscheidung der
Kranken und selbst schon der Verdächtigen in eigene Pavillons. Vortr. bespricht
an der Hand von Skizzen Anlage und Einrichtung eines solchen, erörtert schliess¬
lich noch die Organisation, Hausordnung und Pflegebelehrung in einem solchen
Pavillon.
Herr Clemens Neisser: Die Isolirung der Tuberculösen sei in Leubus
schon längere Zeit durchgeführt; die betreffenden Kranken finden jedoch dabei
nicht die für ihren psychischen Krankheitszustand wünschenswerten Heil¬
bedingungen, da mit ihrem Auswurf unsauberen und unruhigen Kranken nicht
Tag und Nacht ein Wärter in das Einzelzimmer beigegeben werden kann und
dieselben verwahrlosen. Allerdings würde bei Einrichtung von iBolirten Pavillons
viel von diesen Uebelständen wegfallen.
Herr Schloss betont, dass in der Irrenanstalt Ybbs wenig Tuberculose —
n.eist als Gelenktuberculose beginnend — vorkomme, vielleicht wegen der Lage
in stürmischer Gegend und dadurch bedingter guter Ventilation. Den Boden in
Die
922
den Räumen anlangend, sei der Terazzo- bezw. der aus Mettlacherplatten der
beste. Derselbe müsse gut erwärmt werden können, was in Ybbs durch einen
Calorifer, von dem die warme Luft über den Boden hinstreicht, um an der
Gegenseite von einem Exhaustor angesaugt zu werden, besorgt wird.
Herr Sterz erwähnt als vorzüglichen Boden den nach Patent Rosmann, in
Cement gelegte Klinkerplatten, darunter eine geschlossene Heissluftheizung.
Herr Böck constatirt, dass die Troppauer Irrenanstalt einen Infectionspavillon
besitze, in dem alle Fälle ausgesprochener Tuberculose untergebracht werden.
Herr Starlinger wendet sich erst gegen Neisser und meint, dass nach
Tbunlichkeit neben der Tuberculose auch die Psychose behandelt werden müsse;
er kann den Terazzoboden von Schloss nicht acceptiren wegen Fusskälte, Rissen and
Ausbrüchen und hält den heizbaren Mineralfussboden für das anstrebenswerthe Ideal
Herr v. Wagner schlägt eine Resolution im Sinne des Yortr. vor, dahin
gehend, dass die Isolirung der Tuberculosen in Irrenanstalten nothwendig sei.
dass beim Baue solcher für geeignete Baulichkeiten zur Isolirung der Tuber-
culösen vorgesorgt werden müsse.
Herr A. Pick: Zusatzantrag, dass diese Resolution den Behörden bekannt
gegeben werde.
Beides einstimmig angenommen. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 47.1 |
Herr Clemens Neisser: Zur Aetiologie der periodischen Psyohosen.
(Siehe auch das Referat auf S. 919.)
Im Anschlüsse an Pilcz, dass organische Cerebralerkrankungen (Hirnnarben)
eine ätiologische Rolle bei periodischen Psychosen spielen, die ferner durch Ein¬
treten rascher Verblödung charakterisirt sind, bringt Vortr. einen weiteren der¬
artigen Fall eigener Beobachtung vor.
Frl. E. J., 56 Jahre alt, 20./XI. 1896 Schlaganfall, wovon Hemiparese links
und geringe Erschwerung der Sprache dauernd zurückblieb. Danach durch
Monate Kopfschmerz, verzweifelte Stimmung, Schwäche. Nachher Besserung de
Schmerzes; Patientin wird zänkisch, macht unnütze Einkäufe, lärmt, so dass sie
Mai 1897 in eine Privatirrenanstalt aufgenommen wurde. Dort war sie mam-
akalisch. Nach Beruhigung, 2. October 1897, entlassen. Vom Frühjahr 1898
bis Mai 1899 ausgesprochene Manie (Zwischenzeit depressives Verhalten). Juli-
August Depression. September 1899 bis Januar 1900 Manie, dann Uebergang*-
zustand mit Residualwahnideeen; Februar bis April normal, Mai bis Juli Df- 1
pression, danach schwere Manie mit deutlicher Intelligenzstörung, namentlich
Gedächtnissabnahme. Während der manischen Zeiten mehrfach transitorische
Anfälle von Aphasie (Pilcz).
Ein zweiter Fall periodischer Psychose depressiven Charakters hatte ak
einziges ätiologisches Moment ein in frühester Kindheit erlittenes Kopftraum».
ein dritter (ausgeprägt circuläre Psychose) Blitzschlag vor Jahren aufzuweisen.
Schliesslich citirt Vortr. Fälle, die sich unmittelbar an Kopftraumen anschliessen
und günstige Prognosen geben (ein Fall Heilung, schon 15 Jahre Bestand haltend).
Herr Schloss: Ueber den Einfluss der Nahrung auf den Verlauf dt*
Epilepsie.
Die widerspruchsvollen Angaben bezüglich des Nahrungseinflusses bei gemeiner
Epilepsie hat Vortr. durch systematische Versuche richtig stellen wollen und
bekam folgende Resultate:
Milch- und vegetabilische Diät vermindern, Fleischnahrung vermehrt nicb!
die Anzahl der Anfälle,
Kochsalzarme Kost mit gleichzeitiger Bromdarreichung reducirt die AnfiLf.
ändert jedoch das psychische Verhalten nicht; dagegen tritt Schwäche und Hin¬
fälligkeit sowie Sinken des Körpergewichtes auf.
923
Fett- und säurereiche Kost sind ohne Einfluss; massige Alkoholgaben (bis
1 Liter leichten Bieres täglich) vermehren die Anfälle bei gemeiner Epilepsie nicht
Discussion.
Herr v. Frankl-Hochwart stimmt bezüglich der Diät mit Vortr. überein,
tritt jedoch für absolute Alkoholentziehung ein.
Herr v. Wagner wendet sich auch gegen den Alkoholgenuss und hält das
Material (geisteskranke Epileptiker), das Schloss zur Verfügung stand, nicht
geeignet zur Entscheidung der Frage über den Einfluss der Diät; schliesslich
fragt Redner, ob man die ungünstige Wirkung der salzarmen Kost nicht durch
NaBr-Zusatz verringern könnte.
Herr Sternberg hält die Zeit der Versuohe für zu kurz, um einwandsfreie
Resultate zu erhalten. Er verweist auf die Erfahrungen bei Gicht, wo monate-
bis jahrelang fleischarme Diät nöthig sei, um einen Erfolg zu erzielen. Ausser¬
dem überdauern durch langsame Giftwirkung hervorgerufene toxische Veränderungen
die Zeit der Verabreichung des Giftes lange, ja nehmen noch zu (Blei). So
könnte die Giftwirkung der FleiBchperiode erst in der darauffolgenden Milch¬
periode zum Ausdruck gekommen sein, oder es hat die entgiftende Nachwirkung
einer Milohperiode die darauf folgende Fleischperiode unschädlich gemacht.
Herr Schloss meint, dass in der Privatpraxis der Alkoholgenuss nicht so
überwacht werden könnte wie in der Anstalt; die Gewichtsabnahme der Epilep¬
tiker sei thatsächlich Wirkung der Kochsalzentziehung, da Abstinenz ausgeschlossen
werden kann. Die Wirkung der Fleischnahrung (Fleischbasen, phosphorsaures
Kali) stelle er sich als eine bald eintretende vor.
Herr Starlinger verweist auf die Versuohe von Paelz, die zeigen, dass
nur bei einseitiger Kost (vegetarische Japaner) die Koständerung eine Reaction
setze, die beim Omnivoren Europäer fehle.
Herr Böck berichtet von 2 Fällen, die nach Toulouse behandelt wurden:
18jähr. Mädchen, seit 1 Jahr Anfälle; die stricte Durchführung der Behandlung
nach Toulouse lässt mit 2g Bromnatrium das Auslangen finden (dieses wird
zum Salzen der Speisen verwendet). Im Falle 2 (18 Jahre alter, junger Mann)
dasselbe Ergebniss. Anfallsfreie Zeit im ersten Falle 2, im zweiten 2 1 / a Jahr.
II. Sitzung am 11. October 1901, Nachmittags 1 / a 4 Uhr
im Hörsaale des Instituts für allgemeine und experimentelle Pathologie.
(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 51.)
Vorsitzender: Prof. Obersteiner; Schriftführer: Dr. v. Sölder.
Herr Zuckerkandl: Ueber Nebenorgane des Sympathlous.
Ausgehend von den chromaffinen Zellen (A. Kohn), die sich im Sympathicus
in den Suprarenalkörpern, der Marksubstanz der Nebenniere fanden, bespricht
Vortr. zwei im Anschluss an den Plexus aorticus gelegenen Körper der Gruppe
der chromaffinen Organe. Sie finden sich bei Embryonen und Neugeborenen con-
stant, und zwar zu beiden Seiten der A. mesenterica inf. vor der Aorta; beim
Neugeborenen rechts 12,3, links 8,8 mm lang; oft oben durch einen Isthmus ver¬
bunden und umgeben von kleineren, ähnlichen, sich unmittelbar an Pacini'sche
Körperchen anschliessenden Gebilden. Die reichlichen Gefässe bestimmen die
innere Architectur dieser Organe. In diesen Neben Organen fehlen Sympathicus-
elemente völlig; sie sind „chromaffine Organe“ reinster Art Die chromaffinen
Zellen mangeln dagegen den Visceralganglien, aus deren Anlagen sich die chrom¬
affinen Organe entwickeln. In diesen Anlagen ist eine Differenzirung zwei ver¬
schiedener Gewebsarten der chromaffinen Körper und der dorsal von ihnen gelegenen
eigentlichen Gangliensohichte zu beobachten. Dabei scheint eine völlige Aus-
Dic
924
Wanderung der chromaffinen Elemente stattzufinden, da solche Zellen in visceralen
Ganglien nicht Vorkommen.
Anfangs vom Plexus solaris bis in die Beckenhöhle reichend, tritt später
Theilung in einen cranialen und caudalen Abschnitt ein. Der caud&le Theil
persistirt in der Form der grossen Nebenorgane, der craniale zerfallt in kleinere
Körper, die wahrscheinlich früher als accessorische Nebennieren (Rokitansky)
gedeutet wurden, die allerdings neben den chromaffinen Organen auch zu finden
sind. Im embryonalen Leben nehmen sie zu, beim Neugeborenen sind sie doppelt
so gross als beim Fötus. Später (einjähriges Kind, Erwachsener) zeigen sie
Rückbildung.
Die sympathischen Nebenorgane stellen ein den Suprarenalkörpern und der
MarksubBtanz der Nebenniere verwandtes Gewebe dar. Ueber diesbezügliche ver¬
gleichende anatomische Forschungen behält sich Vortr. einen ausführlichen Be¬
richt vor.
Discussion:
Herr Biedl: Die Function dieser Organe betreffend, müssten sie nach ihrer
Analogie mit den Suprarenalkörpern der Selacliier, gleich diesen und wie die
Marksubstanz der Nebennieren von Säugern, eine den Tonus der glatten Musculator
erhöhende Substanz produciren. Man könnte ihnen eine vicariirende Fanctioc
beim Ueberleben von Thieren, denen die Nebennieren exstirpirt worden sind, an-
schreiben. Dem ist nicht so, da der lebenswichtige Antheil die Rindensubstanz
bezw. der Interrenalkörper der Selachier ist, während Marksubstanz und Supra¬
renalkörper nur die Blutdruck steigernde Substanz produciren.
Herr Obersteiner: Ein Fall von Porenoephalie.
Das Gehirn eines 6 Monate alten Knaben zeigte makroskopisch die Form
eines Körbchens; es bestand ein bilateral ziemlich symmetrischer grosser Defect:
neben den basalen Gebilden war jedoch ein medianer, den Marginalwindunges
entsprechender Bügel erhalten. Die Defecte (rechts > links) waren von Arachnoides
schleierartig gedockt; die Pia mater endete in der Nähe des Porus meist mit
einem gröberen Gefäss und wird von dem an dieser Stelle nach aussen um-
geschlagenen Ependym wie von einem Vorhang überkleidet. Die Ependym-
wucherungen zeigen oft drüsenähnliche Bilder, besonders in der Gegend der Rauten¬
grube und des Aquaeductus.
Beide Nn. optici enthielten in ihren basalen Antheilen Markfasern, die hinter
dem Chiasma und dem Tractus der rechten Seite fehlten (partielle Kreuzung).
Gudden’sche und Meynert’sche Commissur waren vorhanden. Corpus geniculatom
rechts fehlend. Der rechte vordere Vierhügel war etwas abgeflacht; sein Stratum
zonale jedoch gleich dem des Thalamus erhalten und in der Opticusschicht noch
reichlich Fasern. Sehstrahlung und Occipitalfasern (Ausgang der Agenesie) waren
stark geschädigt.
Die rechte centrale Hörbahn vom Temporallappen an fehlend; rechtes Geni-
culatum mediale und Arm des hinteren Vierhügels fehlend, dieser merklich
kleiner, von hier peripherwärts alles intact.
Von Stabkranzfasern fehlten die Pyramiden völlig bis ins Rückenmark, des¬
gleichen bestand Balkenmangel. Fasoiculus longitudinal» inferior linkB, desgleichen
kurze Associationsfasern vorhanden. Die Mikrogyrie in diesem Falle prasentirt«
sich erst bei mikroskopischer Untersuchung, und zwar derart, dass die einzelnen
Schichten der verbreiterten Rinde vielfach mäanderartig gewunden und geschlängelt
verlaufen, so dass man von einer inneren Mikrogyrie sprechen kann, die sich
auch im Kleinhirn fand.
Die Genese der Porenoephalie in diesem Falle (nicht in allen) war vielleicht
derart: Ein primärer Hydrocephalus mit Zerstörung des Septum hatte eine
successive Compression der Ausbreitungen der Arteria cerebri media zur Folge,
Die
925
wodurch es zur Störung der Weiterentwickelung in diesem Gefässgebiete kam;
diese widerstandsunfähigen Hirntheile wichen dem Druck des Hydrocephalus, es
erfolgte Durchbruch nach aussen (umgeschlagenes Ependym), woran sich abnormes
Wachsthum der dem Porus benachbarten Windungen schloss.
Herr Biedl: Zur Sohllddrüsenfrage.
Einleitend wird die historische Entwickelung der Auffassungen von nach
Strumaexstirpation auftretender Tetanie, Kachexie und Myxödem erörtert, besonders
die Frage der Glandules parathyräoidiennes (Gley, Moussu, Sandström),
deren Natur Kohn festgestellt hat. Sie sind keine Nebenschilddrüsen, sondern
epitheloide, reichlich vascularisirte Zellstränge, Epithelkörper, die selbständige
Organe sind. Es giebt äussere und innere, d. h. in oder auch an der Thyreoidea
gelegene. Sie entwickeln sich als Abkömmlinge der Kiementaschen. Nach den
Untersuchungen Vassales und Generalis soll die Exstirpation der Parathyreoidea
zu Tetanie, die der Schilddrüse zu Kachexie fuhren, ferner nach Exstirpation
beider die Tetanie später auftreten. Während sonst die Parathyreoidea Entgiftung
eines von der Schilddrüse erzeugten Giftes besorgt, fehlt nämlich in dem letzt¬
erwähnten Falle der gifterzeugende Körper und daher das Spätauftreten der
Tetanie. Vortr. demonstrirt einige derartig operirte Thiere, die im Widerspruche
zu den eben angeführten Ausführungen stehen, was sich übrigens an früheren
Experimenten auch schon gezeigt hat. Weiter zeigt Vortr. einen Hund, der
nach Exstirpation der Schilddrüse und der Epithelkörper hochgradige Wachsthums-
stö^ungen bot (erster Fall bei einem Fleischfresser).
Discussion:
Herr v. Wagner weist darauf hin, dass die Experimente über die Bedeutung
der Epithelkörper auch auf die Anschauungen in der Pathologie einen Einfluss
üben müssen. Bei Cretinismus, wo nie tetanieähnliche Erscheinungen zu finden
seien, könnte es sich um eine Erkrankung der Schilddrüse, nicht aber der Epithel¬
körper handeln (ein Fall aus Chiari’s Institut, Prag), v. W. hat gelegentlich
bereits auf die Aehnlichkeit der Zuckungen bei Paramyoklonus mit denen der
thyreopriven Katzentetanie hingewiesen; ähnlich bringt Lundborg familiäre
Slyoklonie, Paralysis agitans, Katatonie unter sich und mit der Schilddrüse in
Beziehung.
Herr Zuckerkandl weist auf die noch keineswegs gefesteten Anschauungen
bezüglich der Genese der Epithelkörperchen hin. Die Function derselben beim
Erwachsenen dürfte belanglos sein, da sie gleich der Thymus verfetten.
Herr Biedl bemerkt, dass bei Thyreoideaoperationen am Menschen bald die
Parathyreoideen geschont werden, bald nicht. Im ersten Falle kam es zur Kachexie,
im zweiten zur Tetanie (mindestens ein Epithelkörper erhalten). Moussu hat
tetanische Thiere ohne Parathyreoideen erfolglos mit Parathyreoidea gefüttert; bei
Thyreoideabehandlung trat jedoch Heilung der Tetanie ein.
Herr El sehnig: Die Pathogenese der Stauungspapille.
Vortr. referirt zunächst über die neueren diesbezüglichen Arbeiten und kann
an weiteren Fällen seine im Jahre 1894 aufgestellten Behauptungen erweisen.
Dieselben gehen dahin, dass die Stauungspapille bei Hirntumor ebenso Neuritis
sei wie die bei Meningitis; es wird durch diesen Namen nur jene Form derselben
bezeichnet werden, welche durch beträchtlichere Niveaudifferenz zwischen Papillen¬
kuppe und Netzhaut sich auszeichnet.
In Fällen von Hirntumor findet man nun meist diese typische Stauungs¬
papille, mitunter Neuritis ohne Schwellung, mitunter normale Papille; in den
beiden ersten Fällen findet sich im Sehnerven immer herdweise chronische Ent¬
zündung, in allen drei (im letzteren nur mitunter) Perineuritis, niemals Oedem
allein. Vortr. vertheidigt Leber’s Entzündungslehre gegen die mechanischen
926
Theorieen Mann’s, Sohmidt-Rimpler’s, Parinaud’s, desgleichen gegen Hoche's
Identificirung mit der Hinterwurzelaffection bei Hirntumoren, sowie gegen Mauz
und Deyl's Erklärungsversuche. Eine Reihe von demonstrirten Präparaten soll
die Anschauungen des Vortr., dass es sich um eine durch vom Tumor stammende
Toxine erzeugte Neuritis handle, stützen.
Discussion:
Herr Pick fragt nach der Stellungnahme des Vortr. zu den klinischen Ein¬
wänden, die Bruns diesbezüglich machte.
Herr Elschnig: Bruns’ Fall (Verschwinden der Stauungspapille nach Auf
hören der Drucksteigerung der Trepanation hervorgebracht; dauerndes Abflieesm
des Liquor) sei nicht beweisend, da mit dem Liquor auch die Toxine entfernt
werden, jedenfalls in geringerer Menge zum Sehnerven gelangen.
Herr Bischoff: Die pathologische Anatomie der inJhntllen hereditären
spastischen Spinalparalyse.
Die Unterscheidung der cerebralen Form der spastischen SpinalparalyBe tos
der spinalen basirt lediglich auf dem Fehlen cerebraler Symptome bei die«
letzteren. Doch geht man darin zu weit, da ja hier auch der Prooess durch
Uebergreifen auf die Medulla oblongata zu cerebralen Symptomen fuhren kana.
oder solche nebenherlaufen.
Während für die Strümpell’sche Form der familiären spastischen Spinal¬
paralyse Schwund der Pyramidenbahn im Rückenmark festgestellt wurde, könnt«
Vortr. bei zwei Brüdern, die vom 10. Jahre an an chronischer spastischer auf-
steigender Diplegie der Beine litten, gleichzeitig idiotisch wurden und von
25. Jahre an leichte Bulbärsymptome zeigten, sowie 1—2 Jahre vor dem Tod«
(Exitus im 30. Lebensjahr an Tuberculose) allmählich eintretende Atrophie der
gelähmten Musculatur, folgenden anatomischen Befund erheben: Schwund der
Pyramidenseitenstränge vom Lendenmark bis zur Pyramidenkreuzung; in der
Medulla oblongata Pyramidenschwund kaum angedeutet, Hirnfasemng sonst normal
Massiger Schwund der Goll ’schen Stränge, Atrophie der Vorderhornganglien be¬
sonders im Lendenmark; die Pyramidenzellen der motorischen Hirnrinde rareficirt:
massiger Hydrocephalus.
Vortr. Btellt die Diagnose auf infantile familiäre spastische Spinalparalys«
Hydrocephalus und Demenz seien Complicationen, die Vorderhornatrophie secundir
durch die langjährige abnorme Function herbeigeführt, beschleunigt durch die
febrile, toxische oder Inanitionswirkung der Tuberculose.
Diese Fälle bilden ein Beispiel, wie fliessend die Uebergänge der verschiedene«
Systemerkrankungen im Centralnervensystem seien.
HI. Sitzung am 12. October 1901.
(Wiener klin. Wochenschr. 1902. Nr. 1.)
Vorsitzender: Hofrath v. Krafft-Ebing; Schriftführer: Privatdocent Df
Elzholz.
Herr Alfred Fröhlich stellt einen Fall von Tumor der Hypophy»
ohne Akromegalie vor.
Beginn der Erkrankung vor 2 Jahren mit Kopfschmerz, Erbrechen; dann
rapide Zunahme des Körperfettes; seit einem Jahre Amblyopie links, progredient
Seit Juli 1901 neuerlich Kopfschmerz und Erbrechen. Erblindung am linken
Auge, Abnahme der Sehkraft rechts. Pat. hat auch zur Sommerszeit das Gefühl
von Kälte. Seit Beginn der Erkrankung Haarausfall.
Objectiv: Links Fossa temporalis percussionsempfindlich. Intelligenz normal-
Linke Pupille lichtstarr, rechte prompt reagirend. Sonst Atrophia nervi optici links,
rechts Fundus normal. Visus: links Amaurosis, rechts temporale Hemianopsie, */j« :
Die
927
durch Gläser keine Besserung. Seit 23. September 1901 beträchtliche Besserung.
Kein Kopfschmerz, Erbrechen; Hebung der Sehkraft des rechten Auges; Gewichts¬
abnahme von 54 kg im Mai 1901 auf ÖO 1 ^ kg. Vermehrtes Durstgefiihl. Harn¬
menge 2000 ccm pro die.
Therapie: Vom 9.—30./IX. 1901 Schilddrüsentabletten, seit 1. October 1901
Acid. arsenicosum.
Vortr. stellt die Diagnose auf Hypophysentumor vorwiegend wegen der neben¬
herlaufenden trophischen Anomalieen: die Adipositas, Haarausfall, trockene, blasse,
hie und da (Finger, Hände) verdickte Haut, rasches Wachsthum der Nägel.
(Schilddrüse nachweisbar, keine Akromegalie.)
Von 10 Fällen von Hypophysentumor aus der Litteratur fand sich bei Fehlen
von Akromegalie Adipositas nimia, mitunter auch Myxödem. Deshalb müsse man
bei Neubildungen, die auf die Hypophysengegend hin weisen, und Fehlen von
Akromegalie bei gleichzeitigem Auftreten anderweitiger trophischer Anomalien an
die Hypophyse selbst als Sitz des Tumors denken.
Discussion:
Herr v. Wagner weist auf den vom Vortr. (wegen Fehlens näherer Angaben)
nicht erwähnten Tic und fragt, ob Schilddrüsenbehandlung vorgenommen worden
sei. Auf die bejahende Erwiderung (temporäre Besserung dabei) führt er aus,
dass ein möglicher Zusammenhang von Myoklonie und Schilddrüsenerkrankung
bestehe, dass es Uebergänge von Tic und Myoklonie gebe, und dass dieser bei
Myxödem nicht selten vorkomme. Redner habe Fälle von Tic jugendlicher, in
der Pubertät befindlicher Patienten mit Thyreoidin behandelt und dabei auffallende
Besserung erzielt.
Herr Pineies: Erkrankungen, die mit Drüsen mit innerer Secretion in Ver¬
bindung stehen (Akromegalie, Myxödem, Basedow’sche Krankheit, Cretinismus),
haben oft in ihrem Verlauf anatomische oder functionelle Störungen anderer Drüsen
mit innerer Secretion zur Folge. Der Functionsausfall der Genitaldrüse hat meist,
der Hypothyreoidismus chronicus nicht selten Obesitas zur Folge. Im Falle von
Froehlich findet sich Obesitas bei Hypophysiserkrankung; es wird also die
Obesitas als Symptom bei einer Anzahl von Blutdrüsenerkrankungen beobachtet
(auch beim Diabetes).
Herr Arthur Berger: Zur Kenntnias der Athetose.
Ein 62jähr. Mann, der in seinem 3. Lebensjahre eine Hemiplegie erlitt, hatte
seither typische Athetose der rechten oberen Extremität und der rechten Genick¬
hälfte. Im linken Nucleus lentiformis fand sich (Pat. war an Magencarcinom
gestorben) ein etwa kirschgrosser, mit verkalkten Massen ausgefüllter Hohlraum,
der auf die innere Kapsel und durchs Claustrum bis zur Insel Übergriff. Mikro¬
skopisch war nur eine leichte Aufhellung der Hinterstränge (Gliavermehrung) zu
bemerken. Vortr. kommt nach Erörterung der herrschenden Lehren von der
Athetose zum Schlüsse, dass dieselbe von allen Punkten der Pyramidenbahn,
sowie vom Kleinhirn durch centripetale Erregungen von Zellcomplexen der Hirn¬
rinde hervorgerufen werden könne.
Herr A. Margulies: lieber ein Teratom der Hypophyse bei einem
Kaninohen. (Vergl. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 22.)
Herr v. Wagner: Ueber die Versorgung crimineller Geisteskranker
(Erscheint anderwärts.)
Die Schlussfolgerungen lauten:
Der Staat soll eigene Anstalten für criminelle Geisteskranke errichten. In
dieselben kommen:
a) Jene Personen, welche wegen eines Verbrechens oder Vergehens in Unter-
Digi
y Google
928
suchungs- oder Anklagezustand versetzt worden sind, aber wegen Geistesstörung
ausser Verfolgung gesetzt oder frei gesprochen wurden.
b) Jene Personen, die in der Strafhaft geistig erkrankt sind, wenn die
Geistesstörung eine dauernde ist.
c) Jene geisteskranken Personen, welche in einer Irrenanstalt eine als schweres
Verbrechen gegen die Person zu qualificirende Handlung begangen haben.
Die Unterbringung in die Staatsanstalt soll für diese drei Kategorieen eine
facultative sein und nur jene Individuen treffen, die von Haus aus criminelle,
antisociale Neigungen haben, die sogenannten Verbrechernaturen, ferner solche, die
besonders schwere oder scheussliche Verbrechen begangen haben.
Die Entscheidung über die Unterbringung — die aber keineswegs unwider¬
ruflich ist — soll dem Richter Vorbehalten sein, desgleichen die Entlassung.
Bei criminellen, in gewöhnlichen Anstalten untergebrachten Geisteskrankes
soll die Geheiltentlassung vorher dem Geriohte angezeigt werden, welches die
eventuelle Heilung in der Staatsanstalt überprüfen lassen kann.
Die Verpflegungsgebühren für die in der Anstalt Befindlichen sollen von dec
Ländern getragen werden.
In der nun folgenden lebhaften Discussion ergriffen das Wort die Herr«
Schlöss, Hövel, Neisser, Starlinger, Benedict, v.'Wagner.
Herr v. Wagner: Die Aufnahme in die Irrenanstalten. (Der Vortrag
wird ausführlich veröffentlicht werden.)
An der Discussion betheiligten sich die Herren Hövel, Bock, Sch ei m-
pflüg, Pick, Obersteiner, NeisBer, v. Wagner.
Otto Marburg (Wien).
(Schluss folgt)
IV. Personalien.
Unser sehr verehrter Mitarbeiter Medicinalrath Dr. Nicke wurde zum ärztlichen Vor
stand der Anstalt A (Hubertusburg) ernannt
Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Pilcs ist zum Docenten für Psychiatrie und
Neurologie an der Wiener Universität ernannt worden.
Ara 20. September endete der Tod das junge, arbeits- und erfolgreiche Leben unseres
verehrten Mitarbeiters, der Herrn Dr. L. Kaplan (Herzberge). Ehre seinem Andenken.
Am 19. September starb der Ober-Medicinalratji Director v. Zeller, langjähriger Vor¬
stand der Irrenanstalt Winnenthal, 70 Jahre alt.
Am 4. September d. J. starb zu Paris im Alter vou 79 Jahren Dr. Dagonet, früher
Professor an der Universität Strassburg und Chefarzt von Stephansfeld and St. Anne sowie
Präsident der Sociötö mddico-psycbologique in Paris. Daren sein Lehrbach der Geistes¬
krankheiten bat er sich weit über die Grenzen seines Vaterlandes ein ehrendes Andenkea
gesichert
V. Berichtigung.
In Nr. 18 d. Centralbl., S. 851. Zeile 21 v. o. muss es heissen: „Einzelschriften“
statt „Einzelheiten“.
Um Einsendnng von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zn richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauer dämm 29.
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bewährt und wird mit Erfolg angewandt:
1. bei Hysterie, selbst schweren Grades, auch Hysterla virllls;
2. bei Neurasthenie und Hypochondrie;
3. bei tranmatisehen Neurosen und bei rein nervösen Herzbeseh werden;
4. bei Hemikranle und Neuralgien;
5. bei Störungen während der Menstruation;
Durch Valyl werden die Blutwallungen und Schmerzen im Unterleibe und regelmäßig auch die be¬
stehenden Kopfschmerzen beseitigt, mitunter auch die su starken Blutungen verringert.
6. bei Besehwerden des Klimakteriums (Aasfallerscheinungen) and während der
Gravidität (Wallangen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herzklopfen werden
durch Valyl auch bei Patientinnen mit normaler Menstruation beseitigt.
Dosirung: Jede Valylkapnel enthllt 0,125 gr Valyl. Die Dorchsohnlttsdoel* betrigt 2 k*s
8 Kapseln 2 bis 8 mal tigllch.
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kann dadurch verhindert werden, dass man dem Patienten 10 Minuten vorher eine Meeserspitae Na triam
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902. 16. October. Nr. 20.
Inhalt: I. Originalmltthellungen. 1. Ein Fall von Arseniklähmung, von Dr. J. Krön.
. Ein Fall von Katatonie im Anschluss an die erste Menstruation, von Dr. H. Mucha io
'ranz. Buchholz b/Berlin. 3. Die paradoxe Pupillenreaction und eigene Beobachtung von
'erengerung der Pupillen bei Beschattung der Augen, von Dr. J. Piltz.
II. Referate. Anatomie. 1. Leistung und Erkrankung des menschlichen Stirnhirns,
on Anton und Zingerle. 2. Studies on the neuroglia, by Huber. 3. On the arrangement and
anction of the cell groups of the sacral region of the spinal cord in man, by Onuf. —
Experimentelle Physiologie. 4. Di alcuni questioni riguardanti la fisiopathologia del
ago, del Daddi. 5. Lieber die Vertheilung des Chloralhydrats und AcetonB im Organismus,
on Archangelsky. — Psychologie. 6. Vorlesungen über Psychopathologie in ihrer Be-
eutung für die normale Psychologie mit Einschluss der psychologischen Grundlagen der
Erkenntnistheorie, von Störring. — Pathologische Anatomie. 7. Beitrag zur Pathologie
es 11. Gehirnnerven, von Simerka. 8. Ueber periependymäre Wucherung, Canalbildung und
bnorme Entwickelungsvorgänge am kindlichen Rückenmarkscanal, von Rolly. 9. Zwei Fälle
on Anencephalie, von* Wichura. 10. Untersuchungen über Hydranencephalie (Cruveilhier).
Ein Beitrag zur Kenntniss der angeborenen Hirnerkrankungen, von Kluge. — Pathologie
ie» Nervensystems. 11. Stereoagnosie, von Heveroch. 12. Zwei Fälle von Akathisie,
on Halkovec. 13. Beitrag zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Wal-
®um. 14. Physiopathologie de la contraction musculaire volontaire („Maladie de Parkinson“),
'ar Negro et Treves. 15. Paralysis agitans and sarcoma, by Dana. 16. Altörations anato-
aiques et histologiques du Systeme nerveux dans la maladie de Parkinson, d’apr&s Burzio.
7. Ein Fall von Paralvsis agitans mit verschiedenen Myxödemsymptomen combinirt. Studien
ind Gedanken über die Pathogenese der Paralysis agitans, von Lundborg. 18. Bemerkungen
:or Kenntniss der Paralysis agitans, von Thomayer. 19. Paralysie des membres infdrieurs
hez un gar?on de huit ans causde par l’usage d’une trompette ä embouchure de plomb, par
fariot. 20. Eine bisher noch nicht beschriebene Localisation der Bleilähmung, von Köster.
!1. Seltene Ursachen der Bleivergiftung. — Behandlung der Koliken mit Atropin, von Weber.
•2. Zur Pathologie der chronischen Bleivergiftung, von SeeligmOller. 23. Zur Kenntniss der
«ychischen Erkrankungen der Bleivergiftung, von Quensel. 24. Zur Kenntniss der metallischen
Nervengifte (über die chronische Manganvergiftung der Braunsteinmüller), von Embden.
55. Ein Fall von PolyneuritiB nach acuter Arsenvergiftung, von Korzou. 26. Bleivergiftung
>ei den Blattstichwebern in Appenzell a/Rh., von Schüler. 27. Les paralysies saturnines,
mr Debove. 28. Drei Fälle von Neuritis arsenicalis, von Janowsky. 29. Ein Fall von Anti-
riyrinintoxication, von Seiler. 30. Elektricität und Chloroformnarcose, von Jellinek. 31. Sur
m cas d’amnösie continue consecutif ä une tentative de suicide par l’oxyde de carbone, par
Truelle et Petit. 32. Zur Pathogenese der Kohlenoxydlähmungen, von v. Sölder. 38. Ein
cur Heilung gekommener Fall von Koblenoxydvergiftung mit ausschliesslich psychischen
Störungen, von Bloch. 34. Deux cas de psychoses nicotiniques, par Zalackas. 35. Beiträge
‘ür Kenntniss des Delirium tremens der Morphinisten, von Abraham. 36. Ueber die An¬
wendung des Kamphers bei der Morphinmentzienung, von Hofmann. — Therapie. 37. Zur
klinischen Würdigung einiger neuer Arzneimittel (Agurin, Purgatin, Yohimbin), von Hess.
59
Die
— 980 —
38. Die therapeutische Verwendung des kakodylsanren Natrons und die intravenöse Ane*
behandlung, von F. Mendel.
Hl. Bibliographie. Das Pathologische bei Nietzsche, von P. J. Meebizs.
IV. Alis den Besellschsften. LXXIV. Versammlung deutscher Naturforscher ued Aentt
in Karlsbad am 21.—26. September 1902. — Wanderversammlung des Vereins für Piyehiafex
und Neurologie in Wien am 11. und 12. October 1901. (Schluss.)
V. Neurologische and psychiatrische Utteratar vom 1. Juli bis 31. August 1902.
VI. Personalien.
L Origmalmittheilungen.
1. Ein Fall von Arseniklähmung. 1
Von Dr. J. Krön,
Assistenzarzt an der Prof. Mmrozi/achen Klinik.
Die eigenartigen Umstände, unter denen diese Erkrankung zu Stande km
und einige seltene Symptome mögen die Veröffentlichung dieses Falles recht-
fertigen.
Fräulein E. H., Cassirerin, 21 Jahre alt, wurde am 2./V11L 1901 in &
Prof. MKNDKn’sche Klinik aufgenommen. Der Vater der Patientin ist nervös bk
leidet an Kopfschmerzen. Eine weitere hereditäre Belastung liess sich nicht Be¬
weisen. Sie hat keine Kinderkrankheiten durchgemacht, seit ihrem 5. Jahre leidet
sie an Kopfschmerzen, die 1—2 Mal wöchentlich auftraten, oft mit Erbrecbs
und Benommenheit einhergingen. Weihnachten 1898 hat sie nach anstrengende
Thätigkeit einen Krampfanfall gehabt, in welchem ihr Schaum aus dem Mund«
kam, sie biss sich in die Zunge und war einige Standen bewusstlos. Die Ke-
struation begann mit 17 Jabren, war anfangs unregelmässig. Vor 2 Jahren blieb
dieselbe 1 / 3 Jahr aus, seitdem ist sie regelmässig, geht jedoch mit Schmena
einher. Patientin war von jeher reizbar, leicht zum Weinen geneigt, sonst aber,
abgesehen von der Migräne, bis zum 7./XI. 1899 völlig gesund. Der Kopf¬
schmerzen wegen batte sie am 6./XI. einen Arzt consultirt, letzterer verordn«»
ihr Arsenikpillen. Am 7./XI. wollte Patientin einen Tanzabend mifcmacben, di
sie aber an dem Tage starke Kopfschmerzen hatte, nahm sie, kurz bevor sie ad
zur Gesellschaft begab, mehrere Pillen. Als die Kopfschmerzen während der N*d>
noch intensiver wurden, nahm sie wieder einige Pillen zu sich. Am nicta*®
Morgen begab sich Patientin an ihre Beschäftigung. Im Laufe des Tag«
die Kopfschmerzen an Intensität zugenommen, Patientin nahm in Folge des*»
immer wieder von den Pillen. Gegen Abend stellten sich Parästhesieen io d«
Beinen und im Röcken ein, zu denen sich in der Nacht heftige Schmerzen dr
seihst hinzngesellten. Die pflichtgetreue Patientin nahm am nächsten Tage ihr®
Beruf wieder auf, musste aber schon nach 2 Stunden wegen der immer mehr zu¬
nehmenden Schmerzen in den Beinen und einer daselbst auftretenden Sehvick
nach Hause. Am Abend fiel Patientin plötzlich bei vollem Bewusstsein um, d*
linke Bein schien ihr wie abgestorben. In der Nacht wurde auch das recht»
Bein völlig gelähmt. Am nächsten Morgen waren beide Arme, und zwar glei^
1 Nach einer Demonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Netra-
heilkunde am 11. November 1901.
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931
eitig, ergriffen; das Erheben der Arme war nicht mehr möglich, nur die Finger
:onnten ein wenig gebeugt werden. Patientin war nicht im Stande eine Tasse
a der Hand zu halten. Am selben Tage bemerkte sie, dass sie sich weder auf-
ichten noch sitzen konnte, sie konnte weder pressen noch husten. In den Beinen
nd Armen, ebenso v im Rücken und im Leibe hatte sie furchtbare Schmerzen,
chluck-, Sprach* und Athembeschwerden bestanden nicht. Psychisch war Patientin
öllig frei. Erbrechen und Diarrhöen waren nicht vorhanden. Am ersten Tage
estand Incontinentia urinae et alvi, nachher war wochenlang hartnäckige Obsti-
ation vorhanden. Pat. musste in den ersten 3 Monaten täglich katheterisirt werden.
Eine Magenausspülung oder Gegenmittel kamen nicht in Anwendung, weil die
letiologie des Leidens erst nach einigen Wochen eruirt wurde. Patientin hatte
on dem Gebrauch der Arsenikpillen keine Mittheilung gemucht, weil sie einen
usammenhang zwischen den Pillen, die gegen den Kopfschmerz verordnet waren,
nd ihrem Leiden für völlig ausgeschlossen hielt Patientin war einige Monate
n St Hedwigskrankenhause, über ihren Aufenthalt daselbst verdanke ich Herrn
Iberarzt Dr. Websing folgende Notizen:
Patientin klagt viel über Schmerzen im Rücken, Armen und Beinen, sie be-
ommt zwei Mal täglich Morphiuminjectionen. Sie leidet öfters an Herzbeklemmungen
nd aufsteigender Hitze. Die Hirnnerven und der Augengrund sind frei. Die
chwäche in dem Rücken und in den Armen ging in dem ersten Monat ihres
ufenthalts hierselbst zurück. Die Sensibilität ist am ganzen Körper gut er-
alten, auch in den völlig gelähmten Beinen. N. cruralis und die Musculatur der
eine sind Btark druckempfindlich. Die Temperatur war immer afebril. Der
rin enthält Spuren von Albumen, weisse Blutkörperchen und Plattenepithelieen.
Nachdem Patientin die Klinik verlassen hatte, gerieth sie in Behandlung von
Kurpfuschern, welche sie, mit grosser Consequenz, viele Monate magnetisirten,
abei jede andere Behandlungsmethode aufs stricteste verboten. Aus dem Status
ei der Aufnahme in die Klinik 1 hebe ich Folgendes hervor: Patientin ist eine
littelgrosse Person von gracilem Knochenbau. Die Musculatur des Rumpfes und
er oberen Extremitäten ist gut entwickelt. Das Gesicht und die sichtbaren
chleimhäute sind blass. Die Hirnnerven und der Augengrund sind ohne Sonder¬
eiten. Am Zahnfleisch ist nichts Abnormes zu constatiren. An den oberen
Extremitäten sind Motilität, Sensibilität, Reflexe, mechanische und elektrische
Erregbarkeit der Muskeln normal. Es besteht keine Ataxie. Das Aufrichten aus
egender Stellung gelingt gut. Das Gehen und Stehen ist unmöglich. Die Beine
egen schlaff nebeneinander, sind etwas nach aussen rotirt Die Abduction und
-uswärtarotation des Oberschenkels ist rechts in geringem Grade möglich, links
nmöglich. Die Abduction der Beine ist beiderseits unmöglich. Das rechte Bein
ann im Kniegelenk nur sehr ungenügend und mit minimaler Kraft gebeugt
'erden, Streckung in diesem Gelenk ist unmöglich. Links ist keine Bewegung
n Kniegelenk möglich. Im Fussgelenk ist beiderseits absolut keine Beweglich-
eit vorhanden, daselbst Schlottern. Die Zehen des Fusses können links ein
f enig, rechts gar nicht gebeugt werden. Die Füsse befinden sich in Equinovarus-
tellung, sie hängen, dem Gesetz der Schwere folgend, herab und bilden eine
.inie, die man sich als die Fortsetzung der Crista tihiae denken kann. Die
'usshöhlungen sind beiderseits stark ausgeprägt, der äuBsere Fussrand steht nach
nten. Die Gegend der Achillessehne ist stärker gewölbt als normal. Die grosse
Eehe des linken Fusses ist sowohl im Metatarsophalangealgelenk, als auch im
*halangealgelenk gebeugt, die kurzen Zehen sind im Metatarsophalangealgelenk hyper-
xtendirt, in den Endphalangen gebeugt, rechts ist die erste Phalanx der grossen
1 Die Untersuchungen wurden in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Kubt Mxndrl aiugeffihrt.
69*
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932
Zehe gegenüber dem Metatarsus noch hyperextendirt. Wir hätten also links da*
dritte, rechts das zweite Stadium der Fussdeformitäten, die Bobs bei langwierigen
Alkohollähmungen beschrieben hat.
Die Musculatur der Ober- und Unterschenkel ist hochgradig atrophisch. Die
Contouren der Tibiae und Fibulae sind sehr deutlich sichtbar. Maasse: 15 an
oberhalb der Patella: Rechts 36, links 36 cm. 15 cm unterhalb der Tuberoöui
tibiae: Rechts 22, links 22 cm.
Die Musculatur und Nerven sind nirgends druckempfindlich. Patellanefleie
und Achillesreflexe fehlen. Der Sohlenreflex ist links normal vorhanden, rechts nick
auslösbar. Die Hände und Füsse sind mit Schweiss bedeckt, letztere fohl«:
sich kühl an. Die Haut ist dünn. Sensibilität für alle Qualitäten in Ordinär
Die inneren Organe bieten nichts Abnormes. Die Wirbelsäule ist nicht klopf¬
empfindlich. Die Untersuchung des Urins mittels des Mabsh' sehen Apparat«
ergiebt die Abwesenheit von Arsen.
Das Urinlassen und der Stuhlgang sind in Ordnung.
Die Blutuntersuchung ergiebt folgendes Resultat: Specifisches Gewicht 1065.
Hämoglobingehalt 80°/ 0 , Zahl der rothen Blutkörperchen 4,550,000, Zahl de:
weissen 7000. Verhältniss der rothen zu den weissen Blutkörperchen 650:1.
Weder im morphologischen noch im tinctoriellen Verhalten der rothen qdJ
weissen Blutkörperchen ist eine Abweichung von der Norm. Die procentmle
Zusammensetzung der verschiedenen Formen der weissen Blutkörperchen ist die
gewöhnliche, speciell sind die eosinophilen Zellen nicht vermehrt.
Die elektrische Untersuchung ergab:
N. tibialis (in der Kniekehle)
N. tibialis (am Knöchel) . .
Gemeinsamer Quadriceps . .
N. peroneus.
Quadriceps.
Biceps.
Triceps surae.
Extensor digit. commun. longus
N. cruralis.
Faradiach Galvanisch
r.
80 mm
R.-A.
r.
2,5 M.-A. KaSZ > AnSZ
L
75 „
99
1.
2,0 „
99
r.
fehlt
r.
fehlt
1 .
80 mm
R.-A.
1.
2,0 M.-A.
fj
träge
Zockt*
r.
65 „
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r.
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99
1.
fehlt
1.
fehlt
r.
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r.
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r.
1 .
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fehlt
R.-A.
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fehlt
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R.-A.
r.
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fehlt
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2.5 M.-A.
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Zack»?
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80 mm
R.-A.
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r.
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ft
r.
2 „
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L
75 „
n
1.
3 „
99
Mit der Besserung der elektrischen Erregbarkeit ging auch die Zunahme der
Motilität einher. Die Abduction und Auswärtsrotation des rechten Oberschenkel 1
geschah mit genügender Kraft, des linken Oberschenkels mit mässiger Kraft. Dtf
rechte Bein konnte im Kniegelenk mit ziemlich guter Kraft gebeugt und gestreckt
werden. Links war die Beugung im Kniegelenk unmöglich, die Streckung kam
daselbst zwar zu Stande, jedoch mit Hülfe der Beckenmusculatur. Dagegen waren
die Bewegungen der Zehen und des Fussgelenkes links gut möglich, rechts fehlt #a
sie völlig. Die Equinovarusstellung ist weit weniger ausgeprägt, als in der erst»
Die
933
Zeit. — Patientin kann, am Arm leicht gestützt, gehen; das linke Bein wird
dabei nur im Hüftgelenk bewegt; die Fussgelenke müssen beim Gehen durch Ver-
bäude künstlich fixirt werden.
Die gastrointestinalen Symptome, welche in den ersten Tagen und Wochen
nach der Arsenikvergiftung das Krankheitsbild meist beherrschen, deren Aus¬
bleiben manchen Autor (Goldflam) veranlasst haben, den Gedanken an eine
Araenikintoxication fallen zu lassen, waren bei unserer Patientin geringfügiger
Natur. Nur Schmerzen, die auch im Unterleib localisirt wurden, wiesen auf
dieselbe hin. Der metallische Geschmack, die Trockenheit und heftiges Brennen
im Munde fehlten. Erbrechen und Diarrhöen wurden völlig vermisst Das
Fehlen dieses wohlthätigen Selbstschutzes des Organismus mag wohl das rapide
Auftreten und die Schwere der Nervenaffection mitbedingt haben. Während
sonst die nervösen Symptome bei dieser Vergiftung subacut einsetzen, hatten
sich hier im Laufe eines Tages sensorische Reizerscheinungen und Lähmungen
ausgebildet Freilich existirt eine Beobachtung, wo die neuritischen Symptome
wenige Stunden nach dem Tragen eines grünen Ballkleides auftraten. Trotz
der unheimlichen Schnelligkeit, mit der sich die Symptome ausbreiteten, war
die Reihenfolge derselben für die Polyneuritis typisch. Schnell hinter einander
traten zuerst Parästhesieen, dann Schmerzen, schliesslich Lähmungen und
Atrophieen auf. Das Vorhandensein dieser Erscheinungen vereint mit dem
Freibleiben der bulbären Nerven sprachen von vornherein gegen den Verdacht
der LANDBY’schen Paralyse. Der fast apoplektiforme Beginn der Lähmungs¬
erscheinungen, die furchtbaren, ununterbrochenen Schmerzen, welche in den
ersten vier Monaten die Anwendung des Morphiums nothwendig machten, die
in den ersten Monaten vorhanden gewesene Druckempfindlichkeit der Nerven
und Muskeln bilden wichtige Momente für die Bestätigung unserer Diagnose.
Zu Gunsten derselben sprachen ferner das fast gleichzeitige Ergriffensein der
oberen und unteren Extremitäten, die völlige Heilung des Rumpfes und der
oberen Extremitäten, der Verlauf der Erkrankung in der hiesigen Klinik und
einige andere Symptome, auf welche ich nun kurz eingehen möchte.
Seit den ersten Tagen der Erkrankung litt Patientin an Herzklopfen. Hin
und wieder hatte sie Anfälle, welche sich in Praecordialangst und Ohnmachts¬
anwandlung äusserten. Während des Aufenthaltes in der Klinik war der Puls
immer beschleunigt, 95—130. Einmal hatte sie ganz ohne äusseren Anlass
einen Anfall, in welchem sie ängstlich und unruhig aussah, das Gesicht wurde
blass, der Puls sehr frequent Objective Veränderungen am Herzen liessen
sich während dieses Zustandes, welcher ca. 5 Minuten dauerte, nicht nachweisen.
v. Stbümpell und Veebobdt haben zuerst die gesteigerte Pulsfrequenz bei der
Neuritis auf eine Erkrankung des cordialen Anteiles des Vagus zurückgeführt
Nachdem es Dejebine gelang, in einem Falle von Tachycardie eine parenchy¬
matöse Neuritis des Vagus nachzuweisen, ist diese Ansicht von allen Autoren
getheilt worden. Oppenheim und Dejebine konnten während eines solchen
Anfalles ein systolisches Geräusch an der Herzspitze und eine Dilatation des
Herzens constatiren, welche nach Auf hören des Anfalles zurüokging.
Die
984
Eine häufige Begleiterscheinung der Polyneuritis bilden die vasomotorischen
Störungen. Unsere Patientin klagte oft über Hyperidrosis, besonders der Fnsee
— man konnte an denselben oft grosse Schweisstropfen sehen — und über
Kältegefühl in den Beinen. Auch an warmen Sommertagen musste die Patientin
in Decken eingehüllt werden, wenn sie sich im Garten aufhielt, trotzdem fror
sie häutig und hatte dann das Gefühl, als ob ihr die Beine abgestorben wären.
Die Menstruation war in dem ersten halben Jahre nach der Vergiftung ausgeblieben,
doch kann diese Erscheinung nicht mit Bestimmtheit als directe Folge der ln-
toxication aulgefasst werden, weil sie auch vorher unregelmässig war; ich erwähne
diesen Umstand, weil Störungen der Menstruation nach Arsenikvergiftungoi
wiederholt beobachtet worden sind (Facklam, Seeljgmüllke, Mabok). Auch
dem Haarausfall, als Ausdruck einer trophischen Störung, würde ich keinen be¬
sonderen Wert beimessen, weil dieser in geringem Grade auch früher bestand
und Patientin von jeher an starken Kopfschmerzen litt; seit der Erkrankung
soll das Haar „viel mehr“ ausfallen; eher könnte in diesem Sinne der ziemM
reichliche Haarwuchs an den atrophischen Unterschenkeln verwertet werden,
welcher früher nicht da war. Ein beachtenswertes Symptom bildet auch da-
Muskelzittern, welches in der rechten Obersohenkelmusculatur, wo Motilität und
elektrische Erregbarkeit zur Norm zurückkehrten, in den letzten Wochen hm
und wieder auftrat. Das fibrilläre Zittern erreichte nie die Höhe von Spontan¬
bewegungen und ist öfters bei der Restitution neuritisoher Lähmungen be¬
obachtet worden (Remax, Luchbingeb).
Bis vor kurzer Zeit galt es ausnahmslos als Regel, dass bei der Neuritis
die Innervation der Blase und des Mastdarmes ungestört bleibt. Abstrahiren
wir die Fälle, wo psychische Störung oder hochgradige Schwäche Vorlagen ode
locale Processe diese Erscheinungen bedingten, so kommt dieses Symptom be
der Polyneuritis ausserordentlich selten vor. In den spärlichen anatomisch«
Befunden konnte man thatsächlich spinale Veränderung nachweiseil, abgeeebec
von dem von Ross citirten und dem von Fbancotte beobachteten FaUe. Bei
Arsenlähmungen sind Blasenstörungen ganz vereinzelt und von kurzer Dauer
beobachtet worden (Mabix, Eichhobbt und Comley). Eine totale Harn¬
verhaltung, wie sie bei unserer Patientin auftrat und welche Monate lang
dauerte ist meines Wissens bei der Arsenneuritis nicht beschrieben. Da in unseres
Falle die lumbalen und sacralen Nerven von der Affection ergriffen waren, *
liegt es nahe anzunehmen, dass die Lähmung des Detrusor eine Folge der
Läsionen der centrifugalen motorischen Nerven des Detrusorcentnun ist. Aas
den 1., 2. und 8. Saoralnerven kommen die Nn. erigentes, welche die motorisch®
Fasern für den Detrusor enthalten.
Chbistinson ist der einzige Autor, welcher über Darmstörungen bei der
Arsenlähmung berichtet hat. Bei unserer Patientin musste der Stuhlgang wochen¬
lang künstlich regulirt werden. Der Plexus hypogastricus, der sich aus den
Aesten des 2.—4. Sacralnerven zusammensetzt, versorgt die Muskelschicht der
mittleren Abtheilung des Kectums mit motorischen Nervenfasern. Die Obsti¬
pation liesse sich zum Theil durch Läsion dieser Fasern erklären. Von grosser
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985
Bedeutung für die Stuhlträgheit war aber in unserem Falle auch die Lähmung
des Bauchmusculatur. Bei der Inscenirung der Miction hat dieselbe keine
Bedeutung (Bokn, Mosso u. A.). Die Fälle von Emmtnghaus lassen vermuten,
dass auch dem N. splanchnicus bei der Obstipation eine Rolle zukommt Dieser
Nerv ist aber bei der Arsenlähmung meist betroffen.
Es liegt in der Natur der Erkrankung, dass anatomische Befunde nur selten
erhoben werden — die acuten tödtlichen Arsenlähmungen verlaufen zu schnell,
um beträchtliche Veränderungen am Patienten hervorzurufen — die chronischen
Fälle gehen aber in Genesung Aber. In den zur Section gekommenen Fällen
war immer eine Degeneration der peripheren Nerven, in einzelnen Fällen auch
der Vorderhornganglienzellen vorhanden (Eblitzky und Rybalkin). Die Be¬
funde an den Vorderhomganglienzellen vermögen jedoch keineswegs die sensiblen
Reizerscheinungen und die oft objectiv nachweisbaren Störungen im Bereich der
Sensibilität zu erklären. Sind doch die ausserordentlich heftigen Schmerzen
geradezu pathognomonisch für Arsenlähmungen! Wir müssen also auch in den
Fällen, wo eine Veränderung der Ganglienzellen im Rückenmark vorliegt, an
eine Erkrankung der peripheren Nerven denken. .Die Läsion des centralen
Theiles des peripherischen Neurons könnte auch als retrograde aufgefasst werden;
es lässt sich jedoch nicht in Abrede stellen, dass häufiger als man es anfänglich
glaubte, bei der Polyneuritis disseminirte Rückenmarksherde in der weissen und
grauen Substanz gefunden werden, welche der peripherischen Degeneration wohl
äquivalent sind (Oppenheim, Flatau, Pal, Heilbonn u. A.). Auch in unserem
Falle, der vorzugsweise eine AfFection des peripheren Nervensystems repräsentirt,
ist eine geringe centrale Betheiligung nicht von der Hand zu weisen. Er be¬
stätigt die von Jolly betonte Auffassung, dass das chemisch-toxische Gift eine
grössere Affinität zu dem peripheren Theile des Neurons besitzt, es besteht aber
auch eine Disposition zur Erkrankung in den Vorderhörnern; je länger und
intensiver das Gift einwirkt, um so eher kann der centrale Theil des Neurons
in Mitleidenschaft gezogen werden. Wahrscheinlich spielt auch hierbei die
individuelle Disposition eine Rolle.
Die Prognose der Arsenlähmungen wird von allen Autoren als günstig be¬
zeichnet Alexandeb konnte unter 130 Fällen nur von drei berichten, welche
ihre Gehfähigkeit einbüssten; auch bei diesen schloss er die Möglichkeit einer
Heilung nicht aus, thatsächlich konnte er auch von einem Patienten die inzwischen
erfolgte Heilung mittheilen. Stöckeb berichtet über eine Patientin, welche
nach 5 Jahren die Beine normal bewegen konnte. Während die nervösen
Störungen bei den Arsenlähmungen, welche im Gegensatz zu den Bleilähmungen
meist die unteren Extremitäten befallen, von der Peripherie aus beginnen und
centripetal zunehmen, geht die Besserung centrifugal absteigend vor sich. Die
zuerst ergriffenen Partieen kommen am spätesten zur Heilung. Auch in unserem
Falle ist die am spätesten erkrankte Rücken- und Rumpfmusculatur am ehesten
zur Heilung gelangt, ihr folgten dann die oberen Extremitäten, während an den
unteren Extremitäten die Oberschenkel erst jetzt zur Norm zurückkehren, die
Musculatur der Unterschenkel und Füsse ist noch aufs Erheblichste ge-
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9S6
schädigt. 1 Der ausserordentlich langsame Verlauf der Krankheit ist vielleicht zum
Theil der irrationellen Behandlung von Seiten der Kurpfuscher zuzuschreiben. —
Die therapeutischen Maassnahmen in der Klinik bestanden in Massage und Galvani¬
sation der Beine; dreimal wöchentlich bekam Patientin ein Soolbad, in welchem
methodische Uebungen vorgenommen wurden; täglich wurden Strjchnininjectionen
gemacht. Um einer Contraction der Beugemuskeln der Füsse vorzubeugen,
wurden die Füsse gegen den Unterschenkel gebeugt und in dieser Stellung
durch einen Verband fixirt. In den letzten Wochen sind täglich Uebnngen im
Gehstuhl ausgeführt worden.
Der fortgesetzte medicamentöse Gebrauch ist in der Litteratur über Arsen¬
vergiftungen wiederholt als ätiologisches Moment angeschuldet worden, noch
jüngst in der Festschrift für Nothnagel ist ein solcher Fall mitgetheilt worden.
An den Arsengenuss gewöhnte Individuen vertilgen enorme Dosen, trotzdem and
sie sowohl subjectiv als auch objectiv gesund. Die toxische Dosis der arsenigen
Säure beträgt 0,1, bei Arsenikophagen 1,0 — 6,0. Am giftigsten ist es m
Lösungen (z. B. Sol. Fowleri). Unsere Patientin hat im Laufe von 20 Stunden
55 Pillen ä 0,005, also 0,275, genommen, das 2 7, fache der Maximaldoeis.
Ein derartig sorgloser, 'ja leichtfertiger Gebrauch des Arsen, der ein junge&
gesundes Mädchen auf ein so schweres und langwieriges Krankenlager geworfen
hat, legt es uns nahe bei der Verordnung dieses Mittels, das doch lange Zeit
hintereinander gebraucht wird, die Aufmerksamkeit der Patienten auf eventuelle
eintretende Prodromalsymptome der Intoxication, wie Kopfschmerzen, Uebelkat
Trockenheit im Munde u. s. w. zu lenken. Ferner wäre, bei dem sich immer
mehr einbürgemden Gebrauch von Originaltabloids in der Praxis, darauf za
achten, dass die Flaschen mit genauer Signatur versehen werden. Die mündliche
Verordnung wird, was auch dieser Fall lehrt, leicht überhört oder vergessen.
Das geschriebene Wort prägt sich dem Gedächtniss besser ein.
Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Mendel, spreche ich auch
an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank für die Ueberlassung dieses Falles aus.
Eine genaue Litteraturangabe befindet sich bei E. Remak, Neuritis und
Polyneuritis (NoTHNAGEL’sches Sammelwerk. S. 683—687).
Berücksichtigt wurden ferner die daselbst nicht erwähnten Arbeiten von
Lugabo (Neurolog. Centralbl. 1897. S. 955), Mabinesoo (Ebenda S. 912),
Lancebeaux (Ebenda. S. 360), Kabplüs (Wiener klin. Rundschau. 1901. Nr. 41),
Emminghaüb, Münchener med. Wochensohr. 1894. Nr. 5 u. 6.
1 Gelegentlich einer Untersuchung der Patientin am 19. Juli 1902 konnte ich keine
beträchtliche Veränderung conBtatiren.
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937
2. Ein Fall von Katatonie im Anschluss an die erste
Menstruation.
Von Dr. H. Muoha in Franz. Buchholz b/Berlin.
Ich hatte kürzlich Gelegenheit einen Fall za beobachten, welcher mir in
mehrfacher Hinsicht einiges Interesse zu bieten scheint.
Es handelte sich um ein 15 jähriges Mädchen, welches nach den Angaben
der Angehörigen in keiner Weise erblich belastet war. In der Schule, die sie
bis zum 14. Lebensjahre besuchte, soll sie nur mässige Fortschritte gemacht haben,
jedoch regelmässig versetzt worden sein. Sie soll immer ein etwas scheues,
zurückhaltendes Wesen gehabt, im Uebrigen aber keinerlei geistige Abnormitäten
gezeigt haben. Krank soll sie früher nie gewesen sein. Nachdem sich bei der
Patientin schon einige Tage lang eine gewisse Unruhe bemerkbar gemacht hatte,
trat am 8./V. d. J. zum ersten Mal die Menstruation auf, ziemlich schwach. Tags
darauf äusserte sie, es steche sie überall mit Nadeln, benahm sich aber im Uebrigen
noch ganz correct, ebenso wie an den beiden folgenden Tagen. Am 11. wurde
sie sehr aufgeregt, glaubte sich verfolgt und schloss sich in ihr Zimmer ein.
Die Erregung steigerte sich in den nächsten Tagen bis zur Tobsucht, Patientin
schien äusserst ängstlich, behauptete, ihre Grossmutter wolle sie erwürgen. Sie
drängte heftig aus dem Zimmer heraus, indem sie wohl 2 Stunden lang immer
dieselben Worte wiederholte: „ich habe nichts gethan“, „ich brauche mich nicht
zu fürchten“. Solche unaufhörlichen Wiederholungen derselben Worte kehrten öfters
wieder: „ach Gott 8 / 4 12, ach Gott a / 4 12“ u. s. w. oder „Tante Johanna, Tante
Johanna“ u. 8. w. Nach mehreren Tagen wurde die Kranke äusserlich ruhiger.
Der Kreisarzt, welcher sie behufs Unterbringung in einer Anstalt untersuchte,
fand sie auf ihrem Bett sitzend, mit aufgelöstem, zerzaustem Kopfhaar, apathisch
vor sich hinstierend, von Zeit zu Zeit den Kopf rhythmisch hin- und herbewegend.
Aus dem Munde flieset Speichel mit Resten der Milch, die ihr vor Kurzem bei¬
gebracht worden. Die Augen sind verschleiert, der Blick matt und nichtssagend,
der Gesichtsausdruck stumpf. Ab und zu murmelt sie leise unverständliche Worte.
Auf Fragen giebt sie keine Antworten. Die Kranke fing an, hartnäckig jede
Nahrung zu verweigern. Seit dem 16./V. wurden bei ihr mehrfach krampfartige
Zustände von etwa J /a ständiger Dauer beobachtet: sie machte krampfartige Schüttel¬
bewegungen mit dem rechten Arme, aus dem Munde trat dicker, weisser Schaum,
die Zunge wurde vorgestreckt; anscheinend war die Kranke während dieser An¬
falle völlig ohne Bewusstsein.
Am 18./V. wurde sie der v. Karcz'ewski’schen Heilanstalt zu Kowanowko bei
Posen zugeführt, wo sie sich mehrere Wochen lang in meiner Behandlung befand.
18. /V. Muss mit Gewalt aus der Droschke, in der sie transportirt worden
ist, herausgehoben und in die Anstalt gebracht werden, wo sie sofort zu Bett
gebracht wird. Aeusserlich ziemlich vernachlässigt, die Haare verfilzt. Aengstlich
gespannter Gesichtsausdruck, auf Fragen keinerlei Antwort. Setzt allen Manipu¬
lationen heftigen Widerstand entgegen. Starke Spannungen in der Musculatur
der Arme und Beine. Erhebt sich oft aus dem Bett, steht im Zimmer herum,
schreit manchmal laut auf. Isst nichts, heisst fest die Zähne zusammen.
19. /V. War die ganze Nacht sehr unruhig, schrie und lief im Zimmer
herum. Vormittags heftige krampfhafte Zuckungen beider Arme, Cyauose des
Gesichts, wobei sie die Augen verdreht und Schaum vor dem Munde hat; der
Zustand dauert etwa 1 Stunde. — Antwortet auch heute nicht auf Fragen,
schenkt überhaupt den Vorgängen in ihrer Umgebung nicht die mindeste Be-
Digi
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• 938
achtung. Mehrere Stunden lang wiederholte sie in einem fort: „ach lieber Onkel
ach lieber Onkel“ u. s. w. Verweigert jede Nahrung. Heftiger Widerstand bei
passiven Bewegungen der Extremitäten. Unrein mit Urin und Koth.
Von nun an änderte sich der Zustand der Kranken in der Anstalt nickt
mehr. Sie lag starr, ohne sich zu bewegen, zu Bett, sprach nicht, kümmerte sich
nicht im mindesten um das, was um sie herum vorging; den wiederholten Beend)
ihrer liebsten Angehörigen ignorirte sie vollständig. Die Muskeln der Extremi¬
täten blieben in einem Zustand heftiger Spannung; allem, was mit ihr vorgenommes
wurde, setzte sie einen Btarken Widerstand entgegen. Die Arme hielt sie oft
Stunden lang in derselben, höchst unbequemen Stellung, z. B. etwas in die Höbe
gehoben; manchmal lag sie viele Stunden mit wenig vom Lager erhoben«
Schultern und Kopf. Zuweilen erschien auf ihrem sonst stumpfsinnig drein¬
blickenden Gesicht ein starres Lächeln. Ein Auge, abwechselnd das rechte und
das linke, wurde oft für längere Zeit geschlossen gehalten und konnte gewiltaa
nicht geöffnet werden. Sehr oft machte sie langsame Drehbewegungen nach
beiden Seiten mit dem Kopf, auch Stunden lang hintereinander. Nahrung uhn
sie von selbst nicht zu sich, biss bei allen Versuchen, sie zu füttern, die Zibf
fest zusammen. Da sie in Folge dessen sehr herunter kam, wurde sie täglich
zwei Mal mit der Sonde gefüttert, wodurch sie sich körperlich bald erholte naä
allmählich sichtlich an Körperfülle zunahm. Urin und Koth liees sie oft nnta
sich. Die Krampfanfälle wiederholten sich fast täglich und dauerten bis n
drei Stunden: Patientin wurde blau im Gesicht. Schaum trat ihr vor den Mnni
dabei machte sie heftige schüttelnde und schleudernde Bewegungen mit Armen
und Beinen.
Leider wurde die Kranke bereits am 16./VI. von ihren Angehörigen, des«
die von ihnen erhoffte Heilung zu lange auf sich warten liess, aus der An»t»li
fortgeholt, so dass mir die weitere Beobachtung des Falles unmöglich gemacht wurde
Was den klinischen Charakter des vorliegenden Krankheitsbildes anlaugl
so handelt es sioh zweifellos um eine ausgeprägte Katatonie: an ein mehrtägig»
Stadium der motorischen Erregung mit schreckhaften Delirien schliesst sich eia
Stupor mit stereotypen Haltungen und Bewegungen, Mutacismus, Nahrungs¬
verweigerung, Spannungen in der Körpermusculatur an. Häufige katatonisch
Krampfanfälle unterbrechen die gewöhnliche Starre. Auch Verbigeration ««■
solange die Kranke noch sprach, vorhanden. Bemerkenswerth scheint mir «
dem Fall der unmittelbare Anschluss der Erkrankung an das Auftreten der
ersten Menstruation. Die Beziehungen zwischen Menstruation und Geistes¬
krankheiten sind ja längst bekannt Wir. wissen, dass zur Zeit der Menses be
Geisteskranken sich oft heftigere Erregungszustände einstellen-, wir kennen ferne
die Fälle von periodischem menstrualem Irresein, welche bei meist hereditär
belasteten, jedenfalls stets mit einer neuropathischen Constitution behaftet«
Individuen Vorkommen. Indessen gehört es sicherlich zu den Seltenheiten,
bereits der erste Eintritt der Menstruation eine so gewaltige Erschütterung de
Nervensystems hervorruft, dass eine derartig schwere, in Bezug auf ihre Progw*
höchst bedenkliche Geisteskrankheit entsteht wie in dem vorliegenden Falk
noch dazu bei einem scheinbar erblich nicht belasteten, allerdings nur maßt?
begabten, aber doch vorher anscheinend geistig ganz normalen Individuum
Auch das ausserordentlich jugendliche Alter von 15 Jahren ist jedenfalls un¬
gewöhnlich für den Ausbruch einer Katatonie.
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939
[Atu dem städtischen Krankenhause in Warschau-Praga. (Abtheilung für Nervenkranke
von Dr. J. Piltz.)]
3. Die paradoxe Pupillenreaction
und eigene Beobachtung von Verengerung der Pupillen
bei Beschattung der Augen. 1
Von Dr. J. Piltz.
Mit dem Namen der paradoxen Lichtreaction der Pupillen bezeichnet man
die in einigen Fällen gemachte Beobachtung, dass die Pupille durch einfallendes
Licht nicht verengert, sondern erweitert wird (Frenkel). Solche Umkehrung
des Lichtreflexes der Pupillen ist nach Stemerling 2 eine ausserordentlich
seltene Erscheinung.
Bereits 1885 machte Raggi 3 bei einem Paralytiker die Beobachtung, dass
das Schliessen der Augenlider stets eine intensive Verengerung der Pupillen
hervorrief; beim Oeffnen der Augen stellte sich jedes Mal nach einigen
vorhergehenden Oscillationen, die einen wahren Hippus darstellten, eine Er¬
weiterung der Pupillen ein. Gleichzeitig mit dem allmählichen Eintreten der
Lichtstarre schwand auch dieses Phänomen. Auf Grund seiner Beobachtung
kam Raggi zu folgenden Schlüssen: 1. unter die bei progressiver Paralyse
seltener vorkommenden Pupillenstörungen muss auch die Umkehrung des Lioht-
reflexes eingereiht werden; 2. dieses Phänomen hat sein physiologisches Analogon
(im Schlaf sind die Pupillen verengt, Ref.); 3. dieses Phänomen steht unter dem
Einfluss der nervösen Pupillencentren und wird wahrscheinlich von einem psychisohen
Moment, das noch nicht genauer erforscht ist, nicht ganz unabhängig sein.
Da ich einmal Gelegenheit hatte mit Dr. Beetschingeb einen Fall von
Tabes 4 zu untersuchen, wo schon nach leisestem Schliessen der Augen — ohne
energische Muskelanstrengung — beide Pupillen im Moment des Wiederöffnens
der Augen verengert erschienen und sich erst allmählich bei geöffneten Augen,
scheinbar unter dem Einfluss des einfallenden Lichtes, wieder zur gewöhnlichen
Weite erweiterten, kann ich den Fall von Raggi nicht für ein wandsfreie Beob¬
achtung von umgekehrter Lichtreaction der Pupillen halten. Meiner Meinung
nach handelte es sich in dem Falle von Raggi ganz einfach um die von
AiiBbeght v. Gbaefe, Gallasbi und Gifford zuerst beobachtete und in der
letzten Zeit von A. Westphal und von mir eingehend studirte Orbicularis-
reaction der Pupille, die eine paradoxe Lichtreaction vortäuschte.
1 Der Redaction zugegangen im April d. J.
1 Sibmsbling, Ueber die Veränderungen der Pupillenreaction bei Geisteskranken. 1896.
Nr. 44.
a Raggi, Inversione del movimento pupillare in un individuo affetto da paralisi pro¬
gressiva degli alienati. Rendi Conti del R. InBtituto Lombardo di Scienze et Lettre. Milano,
1895. Seriell. XVI1L S. 684.
4 Piltz, Weitere Mittheilungen aber die beim energischen Augenschluss stattfindende
Papillenverengerung. Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 18. (Fall 11L)
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940
Bei Beschreibung seiner eigenen Beobachtung sagt Ftenkel unter Anderem:
Mein Fall entspricht gänzlich dem Fall von Raggi, wo unter dem Einfluss des
Lichtes ebenfalls ein Hippus schliesslich zu einer nachträglichen Papillen-
erweiterung führte. Wir sehen daraus, dass Fbknkel die Beobachtung tod
Raggi auch nicht für einen Fall von paradoxer Lichtreaction der Pupillen hält
Mobselli 1 sah ebenfalls bei Dementia paralytica einen Fall von Erwei¬
terung der Pupillen unter dem Einfluss des Lichtreizes. Er verwirft die tod
Raggi durchgeführte Analogie mit dem gewöhnlichen Schlaf, indem er sich auf
die Untersuchungen von Plötcke stützt, welcher festgestellt hat, dass der licht-
reflex der Pupillen während des gewöhnlichen Schlafes normal erhalten sa
Mobselli wäre geneigt im Gegentheil zu Raggi hier eher eine Analogie mit
dem hypnotischen Schlaf anzunehmen; er macht aber besonders auf die in seinem
Fall vorhandenen tiefen sklerosirenden und atrophirenden Störungen des Central¬
nervensystems aufmerksam.
Sowohl die Annahme von Mobselli wie die von Raggi, dass man das
Zustandekommen der von ihnen gemachten Beobachtung auf ein psychisches
Moment zurückführen könnte, scheint mir nicht richtig zu sein.
Algebi * hat 1886 ebenfalls bei Paralyse ein Mal perverse Pupillenreaction
auf Lichteinfall gesehen.
Kahleb 8 hat bei Beschreibung eines Falles von Baailarmeningitis, wöbe
der Krankheitsprocess auf das Mittelstück des Ghiasmas übergegriffen und zu
der Erscheinung von bitemporaler Hemianopie geführt hat, in einem kurzgefasst«.
Status u. a. folgendes erwähnt: „.. .Die Pupillarreaction bei Lichteinfall war
erhalten; bei continuirlicher Beleuchtung sah man die Pupille sich bald er¬
weitern, bald verengern.“ Nur auf Grund dieser paar Worte wird Kahles
unter den Autoren citirt, die Fälle von paradoxer Lichtreaction der Pupillen
beschrieben hätten. Aus seiner Beschreibung geht klar hervor, dass es sich in
seinem Fall ganz einfach um die Erscheinung des Hippus gehandelt hat; be¬
kanntlich sind ja eben die Hippusoscillationen der Pupillen von der Beleuchtung
unabhängig. In Kahleb’s Fall hat es sich durchaus nicht um paradoxe Licht¬
reaction gehandelt, da er selbst deutlich betont, dass „die Pupillarreaction bei
Lichteinfall erhalten war“. Dementsprechend reiht auch in ganz richtiger Weis
Damsch * den Fall von Kahler unter die, bei Erkrankung des Centralnerven-
Systems vorkommenden Fälle von Pupillenunruhe (Hippus) ein.
Ueber das Resultat der Autopsie des Falles von Raggi berichtet G.Rb-
zonico . 6 Er beschreibt ganz besondere Körperchen, welche er in den Hirn-
1 Mob8klli, Un Becondo caao d’inveraione del refleaao papilläre in an alienato panB**
Arch. di psich., scienze penali etc. Torino. 1886. VII. S. 248.
1 Citirt nach Q. D’Abukdo, Invereione della reazione papilläre allo stdmalo lnmu»» 1 '
in an tabetico. La pBichiatria etc. 1889. S. 286.
* 0. Kahlbb, Beobachtangen über Hemianopsie. Prager med. Wochenschr. 1887. S. 134
4 O. Damsch, Ueber Papillenanrube (Hippus) bei Erkrankungen des CentralDerrffl-
Bystems. Göttingen.
6 G. Rbzzonico, OBBer. d’anat' patol. sulla paral. progr. degli alienati. Arch. it»l
mal nerv. 1887. S. 498.
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gefassen gefunden hat, ohne selbstverständlich irgend ein Licht auf die Locali-
sation der von Raggi beschriebenen Erscheinung werfen zu können.
Mabina 1 hat in einem Fall von Tabes (unter 92 Untersuchten) paradoxe
Pupillenreaction gesehen, die er folgendermaassen kurz beschreibt: „beide
Pupillen waren erweitert, die rechte war unbeweglich, die linke erweiterte sich
noch stärker unter dem Einfluss des Lichtes. Bei Accommodation blieben die
Pupillen unverändert.“ Derartige Darstellung ist ungenügend und wir können
hier nicht mit Sicherheit paradoxe Lichtreaction annehmen, da nicht aus¬
geschlossen ist, ob sich die Pupillen nicht schon einfach unter dem Einfluss der
Wärme der Lichtquelle erweiterten, d. h. ob Mabina nicht einfach mit der
sogen, sympathischen Pupillenreaction zu tbun hatte, die eino paradoxe Lichtr
reaction eventuell Vortäuschen kann.
G. d’Abündo * beschreibt ebenfalls einen Fall von Umkehrung des Pupillen¬
reflexes bei Tabes. Beide Pupillen waren mydriatisch, die rechte reagirte gar-
nicht, weder auf Lichteinfall, noch bei Accommodation; die linke blieb ebenfalls
bei Accommodation unverändert, dagegen verengerte sie sich in der Dunkelheit
und bei Lidschluss und erweiterte sich, sobald künstliches oder Tageslicht auf
sie ein wirkte; übrigens erfolgte die Reaction nur träge. Auch diese Beobachtung
von G. d’Abündo scheint mir nicht einwandsfrei zu sein; es kann sich mög¬
licher Weise nur um Verengerung der Pupille bei Lidschluss, d. h. um die
Orbicularisreaction gehandelt haben, die eine Inversion des Lichtreflexes vor¬
täuschte. Wenigstens hat G. d’ Abundo diese Eventualität nicht ausgeschlossen.
Monney 3 sah manchmal bei Tabes, dass die auf Licht sich nicht ver¬
engernden Pupillen bei Annäherung eine Lichtquelle, eine Dilatation zeigten.
Er hatte den Eindruck, dass das intensive Licht und die Wärme der Licht¬
quelle auf die Conjunctiva bezw. die Trigeminusendigungen in der Weise wirkt
wie die Hautreize (Kneifen und faradischer Strom). Die Licht- und Wärme¬
dilatation der Pupillen in den Fällen von Monney war jeweilen sehr gering
im Vergleich zur Dilatation auf Hautreize. Nur in einem Fall, wo sie gut
ausgeprägt war, bewirkte dagegen das Kneifen der Nackenhaut nur eine geringe
Dilatation der Pupille. In diesen Fällen war Convergenzreaction der Pupillen
erhalten. Monney ist geneigt, diese Pupillendilatation mit der Einwirkung der
Wärme der Lichtquelle in Beziehung zu bringen und er discutirt nicht einmal
die Möglichkeit, ob es sich in seinen Fällen um paradoxe Lichtreaction der
Pupillen hätte handeln können.
Bubohabdt 4 stellte in der Gesellschaft der Charitö-Aerzte zu Berlin einen
1 Al. B. Marina (Triest), Zar Symptomatologie der Tabes dorsalis mit besonderer
Rücksicht auf Ohren, Kehl- und Schlundkopf. Revista sperim. di fren. XV; Archiv für
Psych. 1889. S. 156.
* G. D’ Abundo, La psychiatria etc. 1889. S. 286.
* Angel Monbt, M. D., On the dilatation of the pupil in looomotor ataxy. Lancet.
1889. S. 170.
4 Bubchabdt, Vorstellung eines Falles von paradoxer Pupillenreaction in der Gesell¬
schaft der Charit4-Aer*te zu Berlin am 28. November 1889; Referat in der Berliner klin.
Wochen sehr. 1890. S. 40.
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942
Fall von scheinbarer paradoxer Papillenreaction vor, im Gegensatz za da Kgu
wahren paradoxen Lichtreaction der Pupillen. Bei syphilitischer Iritis vak
links die Iridectomie ausgeführt Nach dem Schwinden der reactiven Em-
Zündungserscheinungen zeigte sich das eigentümliche Phänomen, dass, wen
man von der Anssenseite her die linke Pupille grell belichtete, eine gam kb
hafte, allerdings nicht sehr ausgiebige Erweiterung der Pupille eintrat Die w'
Bdrghabdt gegebene und von Uhthoff 1 in der Discussion unterstützte &
klärung ist sehr einfach and klar. Bei der Operation wurde der M. sphincte
iridis in seiner unteren Hälfte vollständig durchtrennt Nun zieht sich dasei*
bei Lichteinfall nach wie vor zusammen und entfernt natürlicherweise, da e
oben festgeheftet ist, die beiden freien Enden von einander, so dass ein a»
thümliches Klaffen der Pupille eintreten muss. Daraus folgt, dass es sich he
nicht um einen umgekehrten oder paradoxen Lichtreflex, sondern einfaei«
eine in Folge der Contraction des Sphincter iridis eintretende jedesmalige fo i
grösserung des Coloboms bei Belichtung des Auges gehandelt hat
Obstreicher * berichtet über einen Fall von Meningitis diffusa syphikai
basilaris, wo er angeblich paradoxe Lichtreaction der Pupillen gesehen haha
will. Leider ist die Beschreibung der Prüfung des Lichtreflexes so ungwwre
dass man nicht mit Sicherheit acceptiren kann, dass da wirklich paradoxe Lab
reaction vorhanden gewesen wäre. Im Gegentheil, es scheint mir, dass Ob¬
reicher die Orbicularisreaction der Pupille für paradoxe LichtreactioD In¬
halten hat
Im Beginn der Beobachtung zeigte der Kranke einen heftigen Aufregung
zustand, amnestische und sensorische Aphasie, Agraphie, Alexie, rechtes®?
homonyme bilaterale Hemianopsie, Anisokorie, Fehlen der Patellarrefleie 3
Pupillenstarre mit starker Miosis. Nach einiger Zeit schwand die Papi*
starre und es trat zunächst träge, etwas später prompte normale, dann plöfcji
eine deutliche umgekehrte Lichtreaction ein, während die Accommodation&ätt*
ungestört war. In dem Umstand, dass das Verhalten der Pupillen sich & u
einmal änderte, erblickt Oestreicher einen Beweis für die Oppenhed^
Ansicht der Unbeständigkeit der Erscheinungen der Hirnsyphilis.
Ich würde diesen Fall nicht so ausführlich besprechen, wenn Obstbbces
nioht noch die Vermuthung ausgesprochen hätte, dass, wenn sich bei $
litwchen Affectionen des Centralnervensystems noch andere Beobachtung«
paradoxer Pupillenreaction beibringen Hessen, es nahe läge, im Zusammenbau
mit den anderen oben erwähnten Symptomen dieselbe als ein patbognomttf
Zeichen der Hirnsyphilis anzusehen. Diese Schlussfolgerung scheint mir i*
richtig zu sein, um so mehr, wenn wir uns überzeugen, dass die von 0^
reicher gemachte Beobachtung nicht die selten vorkommende paradoxe bi 1
reaction, sondern die sehr häufig sogar bei Gesunden vorkommende OrbkoiP
1 Uhthofv, Sitzungsbericht der Gesellschaft der Charit6-Aerzte vom 28. Noreab* &
Berliner klin. Wochenschr. 1890. H. 40. -
* Carl Obst&biohxr, Ein Beitrag zur Meningitis diffusa basillaris BypWlitit*
doxe Papillenreaction. Berliner klin. Woohensohr. 1890. S. 128.
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reaction der Papillen darstellte. Die Beschreibung der Prüfung des Lichtreflexes
ist, wie ich das sohon bemerkt habe, so spärlich, dass die Analyse dieser Beob¬
achtung etwas erschwert ist. Aus den diesbezüglichen Angaben geht jedoch
hervor, dass eine Umkehrung des Lichtreflexes nicht bestanden hat, sondern
dass das allmähliche zum Vorscheintreten der Orbicularisreaction der Pupillen
für paradoxe Lichtreaction gehalten wurde.
Am Anfan g waren die Pupillen gleich, aber stecknadelkopfgross und
accommodations- wie liohtstarr. Am zweiten Tage der Beobachtung waren die
Papillen schon nicht mehr so contrahirt und es bestand eine Differenz, die
rechte Pupille war grösser als die linke. Letztere war starr, die rechte dagegen
reagirte träge auf starken Lichteinfall. Am achten Tage war deutliche normale
Reaction auf Licht und Accommodation vorhanden. Erst am 14. Beobachtungs¬
tage bemerkte Oesteeiohbb, dass die Pupillen gegen Lichtreiz ein auffälliges
Verhalten zeigten, sie erweiterten sich nämlich bei Lichteinfall bis zur Grösse
einer Erbse, zogen sich dagegen bei Lidschluss eng zusammen. Diese
paradoxe Pupillenreaction wechselte öfters in ihrer Intensität. Am besten
trat sie hervor, wenn Patient das Auge auf die Ferne einstellte und
wenn Sonnenlicht einfiel. Diese Reaction war prompt, nur war es nicht mit
Sicherheit auszumachen, ob die Erweiterung der Pupillen (im Moment des
Oefluens der Augen? Ref.) auf Lichteinfall augenblicklich jedes Mal eintrat
oder ob ihr eine kurze Contraction vorausging.
Daraus geht, meiner Meinung nach, klar hervor, dass es sich in dem Fall
von Oestreicheb nicht um paradoxe Lichtreaction, sondern um die sehr häufig
vorkommende und nichts für Himlues Pathognomonisches darstellende Erscheinung
der Orbicularisreaction gehandelt hat, welche anfangs, bei starker Myosis nicht
zu sehen war, die im Weiteren von der gewöhnlichen Lichtreaction verdeckt
war und die noch später bei besonderer Versuchsanordnung zur Prüfung des
Lichtreflexes (duroh die Aufforderung des Patienten, in die Ferne zu sehen und
nun die Augen zu schliessen und zu öffnen! Ref.) deutlich zum Vorschein kam.
Von A. Westphal 1 und von mir 1 ist allerdings erst in der neuesten Zeit
besondere Aufmerksamkeit gelenkt worden auf die Erscheinung, dass bei
kräftigem 3 Lidschluss Pupillenverengerung eintritt Im Moment des Oeffnens
der Augen erscheinen die vor dem Augenschluss weiten Pupillen oft stark ver¬
engert Diese Erscheinung tritt jedes Mal besonders deutlich hervor, wenn
der Patient, vor dem Versuch, die Augen zu schliessen, sie auf die Ferne
eingestellt hatte. Nach dem Oeffnen der Augenlider kehren die Pupillen wieder
zu ihrer früheren Weite zurück, d. h. sie erweitern sich scheinbar unter dem
1 A. Wbstphal, Ueber ein bisher nicht beschriebenes Papillenphänomen. Neurolog.
Centralbl. 1899. Nr. 4.
* J. Piltz, Ueber neue Papillenphänomene. Nearolog. Centralbl 1899. Nr. 6.
' Ich habe selbst Fälle gesehen, wo schon das leiseste Schliessen der Aagenlider za
einer Papillenverengerang führte, die naeh den Oeffnen der Angen in eine Dilatation über*
ging. Daraas geht klar hervor, dass man Bich wohl hüten muss, den Lichtreflex in der
Weise za prüfen, da«« man den Patienten aaffordert, die Aagen za sehlteseen and sa öffnen.
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Einfluss des einfallenden Lichtes. Diese secundäre Pupillenerweiterong hieit
Oestreicheb für eine unter dem Einfluss des Lichtes eintretende Dilatation der
Pupillen bezw. um eine paradoxe Lichtreaction.
In einer späteren Mittheilung machten Antal 1 und ich* darauf aufmerksam,
dass bei absolutem Argyll-Robertson diese Erweiterung jeweilen unmittelbar nach dar
Oeffnen der Augen eintritt, dass aber bei noch vorhandener träger Lichtreacta
dieser Dilatation eine kurzdauernde, oft schwer wahrnehmbare Verengerung d«
Pupillen vorausgeht Es ist nun klar, dass diese endgültige Pupillenerweitenmr
trotz des Lichteinfalls und somit unabhängig von demselben vor sich geht ooc
dass man sie nicht tür paradoxe Lichtreaction bezw. Inversion des Lichtrefla*.
wie das Oestbeicheb gethan hat, halten darf.
Much in s hat in der Poliklinik des Prof. Kowalewski in Charkow eins
Fall von Tabes beobachtet, welcher von Seiten der Pupillen folgende Er
scheinungen darbot: Die linke Pupille ist weiter als die rechte, sie ist v«
ovaler Gestalt, ihr Längsdurchmesser geht von rechts nach links. Die Licht
reaction links ist bei gewöhnlicher Beleuchtung gamicht wahrzunehmen, bei
Lupenbeleuchtung kommt sie in ganz geringer Weise zum Vorschein, ln*
rechte Pupille ist verengert, die Lichtreaction ist hier auch nur bei künstlicher
und Lupenbeleuchtung zu sehen und dabei ist sie paradoxaL Bei Belichte
erweitert sich die Pupille und kehrt nach Beseitigung der Belichtung wieder
zur früheren Enge zurück. Die Accommodationsreaction ist beiderseits erhalten
Nach Verlauf von 3 Wochen schwand dieses Phänomen und die Pupiik
ist vollkommen lichtstarr geworden.
Da hier auch nicht ausgeschlossen wurde, ob nicht diese Pupillendilatatk .
das Resultat der Wärmewirkung der Lichtquelle war, sind wir nicht in der
Lage, diesen Fall für einen unzweifelhaften Fall von paradoxer Lichtreacoo:
der Pupillen aufzufassen.
Im April 1896 hat Henri Frenkel * in der Lyoner medicinischen Gesell¬
schaft einen Fall von paradoxer Lichtreaction der Pupillen vorgestellt Die* 3 j
Kranke zeigte u. a. noch Aorteninsufficienz und links eine leichte Parese de j
M. internus und des Oberlides. Wenn man (bei diesem Kranken) das lick'
auf die Augen richtete, erweiterten sich die Pupillen. Dieses Phänomen w
hauptsächlich links deutlich ausgeprägt
In der Discussion, die sich an diese Kranken Vorstellung knüpfte, bat Do*
noch darauf die Aufmerksamkeit gelenkt, dass in diesem Fall auch bei Be¬
lichtung des rechten Auges die linke Pupille sich erweitert Dob hat die V«r-
muthung ausgesprochen, dass es sich da um eine Kemläsion handeln müsse.
1 E. Antal, Ueber das WESTPAL-PiLTZB’ache sog. paradoxe Papillen phänomen. New
Centralbl. 1900. Nr. 4.
* J. Piltz, Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 10, 11 u. 18.
3 Muchin, Ein Beitrag znr Casuistik der paradoxalen Lichtreaction der Pnpiiks
Archiv Psychiatrii, Neurologii etc. 1898. S. 89 (rassisch).
* Henri Frenkel, Presentation d’an malade ä la soci4td des Sciences medial® 19
avril 1896, Lyon mädical 1896. S. 124.
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Fbenkel hat sich von nun an mit der sogen, paradoxen Reaction der
Pupillen eingehend beschäftigt Er hat die spärlichen, hierüber in der Litteratur
enthaltenen Angaben, sowie zwei eigene Beobachtungen in seiner sehr inter¬
essanten Arbeit 1 einer eingehenden Analyse unterworfen.
Fbenkel’s erste Beobachtung betrifft einen 38 jährigen Mann mit leichter
Ptosis, hauptsächlich links, mit leichter Parese des rechten M. internus, mit Diplopie,
Einengung des Gesichtsfeldes, Tremor digitalis alcoholicus u. s. w. Von Seiten
der Pupillen wurde folgendes festgestellt: die rechte Pupille ist 2—3 mm, die
linke 3 1 /,—4 mm weit Die Accommodationsreaction ist beiderseits erhalten.
Bei der Prüfung des Lichtreflexes zeigten die Pupillen ein merkwürdiges
Verhalten, welches bei gewöhnlicher Tagesbeleachtung nur schwer deutlich zu
sehen war. Dasselbe trat aber in ganz frappanter Weise auf bei künstlicher
Beleuchtung mit Zuhilfenahme einer Lupe. Wenn man ins linke Auge Licht
einfallen lässt, bleibt die linke Pupille zuerst stationär während 5—10 Secunden,
dann erweitert sie sich langsam, um eine Weite von 4—5 oder noch mehr
Millimeter zu erreichen. Sie bleibt auf dieser Höhe erweitert, so lange das Auge
demselben Lichte ausgesetzt ist und verengert sich rasch beim Auf hören der
Beleuchtung. Diese Erscheinungen von Seiten der linken Pupille treten auch
auf, wenn man anstatt des linken jetzt das rechte Auge beleuchtet; somit ist
auch die consensuelle paradoxe Lichtreaction vorhanden.
Rechts bestehen andere Verhältnisse. Hier bewirkt die plötzlich einsetzende
Beleuchtung des rechten Auges eine geringe, rasch eintretende Verengerung der
rechten Pupille, die dann sofort in eine Erweiterung übergeht, indem die Pupille
entweder zur früheren Weite zurückgeht oder etwas darüber hinaus, d. h. er¬
weitert wird. Das Gleiche sehen wir an der rechten Pupille auch bei Belich¬
tung des linken Auges.
Nach eingehender Untersuchung, sagt Fbenkel, stellte es sich heraus, dass
diese Erscheinung durchaus nichts Paradoxes an sich trage. Es zeigte sich
nämlich, dass, wenn man z. B. das linke Auge untersucht bezw. beleuchtet, die
inneren geraden Augenmuskeln sehr rasch ermüden, wodurch es zu einer Seit¬
wärtsablenkung des rechten Auges kommt, welche von einer Pupillenerweiterung
begleitet wird. Bei der Untersuchung bezw. Beleuchtung des rechten Auges
kommt es fast regelmässig zu einer Deviation des linken Auges, die auch
wiederum von einer Pupillenerweiterung begleitet wird. In Folge dessen bringt
Fbenkel die hier beobachtete Erweiterung der Pupilllen in Abhängigkeit von
der Divergenzbewegung der Bulbi.
Fkenkel’s zweite Beobachtung betrifft einen Fall von Syphilis mit Er¬
scheinungen der Pseudotabes. Eine 32 jährige Frau mit atactischem Gang,
erhaltenen Kniereflexen, einer completten Paralyse des linken Oculomotorius,
einer Einengung des Gesichtsfeldes und Chorioiditis bietet folgenden Pupillen¬
status dar: Die Pupillen sind gleich weit und zeigen in der Ruhelage keinen
1 Henbi Fbknkbl, Sur la reaction dito paradoxale de la pupille.
1896. S. 502.
Revue de Mddecine.
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Hippus, auch nicht bei Bewegungen der Augäpfel. Accommodationsraetion ist
beiderseits in normaler Weise erhalten. Der Liohtreflex der Pupillen ist er¬
halten, er zeigt aber folgendes Verhalten: unter dem Einfluss des Lichtes tritt
zuerst eine initiale Pupillenverengerung ein, daraufhin erweitern sich die Papilla
dann verengern sie sich und erweitern sioh wieder u. s. w. Je länger nun da?
Licht einwirken lässt, desto weiter werden schliesslich die Pupillen.
Dieser Fall, sagt Fbknkbl, ist ganz dem Fall von Raggi ähnlich, *
unter dem Einfluss des Lichtes ebenfalls ein Hippus schliesslich zu einer nach
träglichen Pupillenerweiterung führte.
Auf Grund von eingehender Analyse der diesbezüglichen Mitthälunge.
anderer Autoren sowohl wie auch auf Grund eigener Erfahrung ist Fbhoe
zu der Ueberzeugung gekommen, dass die sogen, paradoxe Lichtreacöon eilt
nur scheinbare paradoxe Lichtreaotion der Pupillen darstellt, indem ganz ander
Pupillenerscheinungen für umgekehrten Liohtreflex gehalten wurden. Froren
fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen folgendermaassen kurz zusammen
1. Die sogen, paradoxe Reaction der Pupillen bietet nichts eigentlich Pan-
doxes dar.
2. In fest allen bisher beobachteten Fällen handelt es sich um Tabes.
Paralyse oder Lues cerebrl
3. In allen Fällen waren die accommodativen Veränderungen der Puplk
in normaler Weise erhalten.
4. Fast stets war, wie eine genauere Untersuchung zeigt, die Erweitern'
der Pupille die associirte Folge einer Divergenzbewegung der Bulbi, nicht aelw
bei gleichzeitiger Parese der Adductoren.
5. Nicht selten stellte sich die Erscheinung auch dar als sogen. Hippfc
und schloss sich dem an, was man auch bei normalen Pupillen nach längere
Belichtung sehen kann.
6. In einigen Fällen können psyohische und sensorielle Einflüsse ei*
Pupillenerweiterung bewirken, zumal wenn die normale reflectorische Verengern?
aufgehoben ist.
7. Somit ist also das Vorhandensein des Argyll-Robertson’schen Zeichen»
die Grundbedingung beim Zustandekommen der scheinbar paradoxen Erweiterung
welche nioht durch die Beleuchtung, sondern während der Beleuchtung der
Pupille eintritt
8 . Nur bei Hysterischen kann auch ohne das Vorhandensein des Robebt80>‘
sehen Zeichens die scheinbar paradoxe Beaction gelegentlich beobachtet werden-
L£pine 1 hat nämlich in der Lyoner medioinischen Gesellschaft einen
von sogen, paradoxer Pupillenreaction bei Hysterie mitgetheilt. Es handelte sä
um einen Somnambulen, welcher schliesslich an der Bright’ sehen Kranit
unter urämischen Erscheinungen zu Grunde ging. Dieser Kranke nahm jewel« 1
nur diejenigen Geräusche wahr, auf welche seine Aufmerksamkeit gerichtet wir-
1 R. LtPimt, Sur un cas de somnambulisme. Lyon m&lioaL 1896. 17. Mai;
de medecine. 1894. S. 714 u. 1896. S. 646.
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er hörte weder die Worte einer Person, auf die seine Aufmerksamkeit nicht
gelenkt wurde, noch die Töne einer grossen Glocke, wenn er dieselbe nicht sah,
oder er nichts von ihr wusste. Dagegen hat er jeweilen auch die leisesten
Geräusche ganz gut wahrgenommen, denen seine Aufmerksamkeit zugewendet
wurde. In Bezug auf das Sehen hat Lupine bei ihm etwas ähnliches constatiren
können. Dieser Kranke sah diejenigen Gegenstände, auf welche seine Auf¬
merksamkeit nicht gerichtet war, nur ganz unvollständig; manche vor ihm
stehende Personen sah er überhaupt garnicht, wenn er von ihrem Dasein nichts
wusste u. 8. f. Während seines ersten Aufenthaltes im Hötel Dieu war es un¬
möglich, seine Augenlider auseinanderzuziehen, in so starker Contraction be¬
fanden sie sich. Der Kranke schien eine so intensive Photophobie zu haben,
dass man mit dem Kranken einen wahren Kampf, beim Versuch seine Pupillen
besichtigen zu wollen, ausstehen musste. Während seines zweiten Aufenthaltes
im Spital — zwei Jahre später — ist es Läpine wiederholt gelungen, die Augen¬
lider auseinanderzuziehen; es zeigte sich dabei, dass der Bulbus immobil stand
mit nach vom gerichteter Pupille, welche im Moment, wo man sie dem Lichte
aussetzte, mässig verengt war. Merkwürdiger Weise erweiterte sie sich nach
einigen Secunden und blieb deutlich erweitert. Gleichzeitig aber verlor der
Patient die Möglichkeit, diejenigen Gegenstände und Personen, welche er vordem
zwischen den Cilien deutlich sah, klar zu unterscheiden. Es ist sehr wahr¬
scheinlich, sagt Lupine, dass das hineinfallende Licht eine bedeutende Störung
der Accommodation bewirkte — wenigstens mache die gleichzeitig eingetretene
Erweiterung der Pupille diese Vermuthung sehr wahrscheinlich.
Lupine nahm, wie mir scheint, mit Recht an, dass es sich in seinem Fall
um eine in Folge der intensiven Belichtung eingetretene Accommodationsstörung
handelte. Die Pupillenerweiterung wäre also nur eine Nebenerscheinung. Dieser
Fall von L&pine beweist also, dass eventuell eine in Folge der Belichtung ein¬
tretende Störung der Accommodation eine paradoxe Lichtreaction der Pupillen
Vortäuschen kann. Dr. Kbamstyk, mit dem ich Gelegenheit hatte mich über
diesen Fall von Lupine näher zu unterhalten, glaubt die Eventualität annehmen
zu können, dass bei der starken Photophobie sehr bald ein Nachlassen der
Empfänglichkeit (Empfindlichkeit) der Retina eingetreten sei (wodurch die Gegen¬
stände und Personen wie verschwommen erschienen). Nach Dr. Kbamstyk
ist auch die nachträglich eingetretene Pupillenerweiterung ein Resultat des
Naehlassens der Empfänglichkeit der Retina. Schon unter normalen Verhält¬
nissen, wenn wir eine Zeit lang einen Gegenstand fixiren, kommt es schliesslich
zu einer geringen aber zweifellosen Pupillenerweiterung, die nach Dr. Kbam¬
styk nichts anderes darstellt, als das Resultat des Nachlassens der Empfäng¬
lichkeit der Retina. Von dieser Dilatation der Pupillen konnte ich mich bei
Herrn Dr. Kbamstyk thatsächlich sehr leicht überzeugen. Dr. Kbamstyk, der
seine Accommodation nach Belieben ändern kann, hat wohl darauf geachtet,
seine Accommodation beim Betrachten eines in 4 m entfernten Gegenstandes
nicht zu ändern. Trotzdem kam es bei ihm auch in relativ kurzer Zeit zu einer
merklichen Pupillenerweiterung.
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Ausserdem ist auch nicht ausgeschlossen, ob nicht in dem Fall tob Lotse
die Orbicularisreaotion in irgend welcher Weise im Spiele war. Ans diesen
Gründen kann man den sehr interessanten Fall von LEpine nicht für paradoxen
Lichtreflex halten. Dies wäre so, wenn LEpine während des Auseinanderhaltea?
der Augenlider jedes Mal bei Belichtung der Pupille und zu wiederholten Males
eine Dilatation derselben constatirt hätte. Die diesbezüglichen Untersuchungen
konnten aber in Folge plötzlich und unverhofft eingetretenen Todes des Patienten
nicht ausgeführt werden.
(Fortsetzung folgt.)
II. Referate.
Anatomie.
1) Leistung und Erkrankung des menschlichen Stirnhirns, von Dr. G. Anton
und Dr. H. Zingerle. I. Theil. Festschrift der Grazer Universität für 1901.
(Graz 1902, Leuschner u. Lubensky.)
Die Monographie, welche die Verff. dem Stirnhirn widmen, bringt zunächst
referirend, was über dessen Function bekannt ist. Es ist herzlich wenig sicher.
Aus der Mehrzahl der Untersuchungen geht hervor, dass Kopf- und Rumpfmuskelr
dort Centren haben; während Munk diese an der Convexität findet, verlegt a-
Horsley an die mediale Fläche des Randwulstes. Sicher scheint auch, dass tot
dem Sulcus praecentralis ein Centrum für die Augenbewegungen liegt, ebenso der
Einfluss des Stirnhirns auf die Erhaltung des Gleichgewichts. Die motorischen
Centren liegen alle im hinteren Theil des Lappens, der vordere Theil sowohl wie
der dort entspringende Stabkranz lässt sich nicht elektrisch erregen und über
seine Function liegen keine eindeutigen Angaben vor. Man hat ihn bekanntlich
vielfach zu den höheren seelischen Leistungen in Beziehung gebracht. Die äussere
Gestaltsbeschreibung des Stirnhirns ebenso wie die mikroskopische Durchsicht toi
Schnitten normaler Gehirne, deren zahlreiche abgebildet sind, folgen, dann schildert
die Verff. die anatomischen Untersuchnngsergebnisse in einer ganzen Anzahl tos
Erkrankungen im Stirngebiet, immer auf Grund jedesmal angefertigter Schnitt¬
serien, und schliesslich bringen sie, wohl der werthvollste Abschnitt des Buch»
eine zusammenfassende Beschreibung der Markfasersysteme des Stirnhirns. Der
Stirnlappen ist durchaus nicht wesentlich anders gebaut wie die übrigen Gross-
hirntheile, die Lagerung der Einzelfasersysteme, Stabkranz, Associationsbahn u.s.w.
auch das gegenseitige Verhältniss zu einander ist dasselbe wie an anderen Orten-
Die Hauptmasse der Associationsfasern liegt lateral vom Ventrikel, die ProjectioDs-
und Commi88urenstrata diesem und der medialen Rinde näher. Der Stabkram
als Ganzes zeigt nicht, wie Flechsig angiebt, specifische Verhältnisse. Allerdings
werden durch die massigen Associationslager der Convexität seine Fasern mehr
auseinander gedrängt und sie erscheinen dadurch spärlicher als an anderen Orten.
Das gilt namentlich für die mediale Abtheilung, die auch Bahnen ans der ganzen
Randwindung bekommt. Diese, ebenso wie die aus dem Fuss der vorderen Central¬
windung, der ganzen unteren Stirnwindung und der mittleren Stirnwindung konnten
auch degenerativ verfolgt werden. Die Hauptmasse des Stabkranzes stammt aas
dem vorderen und medialen Sehhügelkern, ein weiterer Antheil gelangt durch das
mediale Drittel des Pedunculus in die Brücke. Mindestens ein Theil dieser fron¬
talen Brückenbahn liegt im ventralen Theil der Capsula interna. Als Straton
Die
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sagittale internum bezeichnen die Verff. die dem Ventrikel zunächst liegenden
Stabkranzantheile, dieselben, welche als fronto-occipitale Associationsbahn be¬
schrieben worden sind, conform mit Sachs und mit Schröder. An einem
Degenerationsfall konnten Bie nachweisen, dass das Längsbündel im Ventrikelgrau,
der Fasciculus nuclei caudati von jenem Stabkranzbündel zu trennen ist. Es
blieb bei der Degeneration desselben intact. Dieses letztere, nicht auf lange
Strecken degenerirende System des subependymären Graus wollen sie als Fasciculus
longitudinalis medialis bezeichnen. Sie widmen ihm eine genaue Schilderung,
weil sie es für ein wichtiges, ganz medial liegendes AssociationBstratum halten,
welches zur Verknüpfung der Rindentheile auf kürzere oder längere Strecken
dient und auch eine Verbindung der medialen ßindentheile mit der Convexität
vermittelt, ßef. kann nicht finden, dass für die letztere Auffassung der Beweis
voll erbracht ist. In diesem System sollen speciell die Fasern des Fasciculus
nuclei caudati diesen mit der übrigen ßinde in Beziehung bringen. Balkenfasern
wurden in allen Verbindungen nachgewiesen, nur für die Inselgegend sind sie
sehr fraglich.
Der Fasciculus uncinatus besteht, wie ein Degenerationsfall lehrt, nur zum
kleinen Theil aus Fasern zwischen Stirn- und Schläfenlappen, zum grösseren aus
solchen, welche auf ihrem Wege in der Insel eine Unterbrechung erfahren haben.
Ganz ähnlich sind die Beziehungen der Insel zum Fasciculus arcuatus. Das
Cingulum gehört jedenfalls auch zu den Associationssystemen und war in allen
Fällen, in welchen der Stabkranz degenerirt war, erhalten, auch scheint es nur
zum geringen Theil aus langen Fasern zu bestehen.
Es ist erfreulich, dass diese genaue Gesammtdarstellung doch nur in un¬
wesentlichen Theilen von den trefflichen anderen Schilderungen abweicht, welche
wir auf Grund analoger Untersuchungen an normalem und pathologischem Material,
namentlich durch Dejerine, dann auch durch Sachs und Schröder erhalten
haben. Doch muss natürlich für die Einzelheiten auf das Original verwiesen
werden, dessen klare Darstellung überall ausreichend auch die vorhandene Litte-
ratur berücksichtigt.
Der Schlussabschnitt enthält die Anschauungen, zu welchen die Verff. über
die Function des Stirnhirns gekommen sind. Sie legen hier nur das zu Grunde,
was sie aus ihren anatomischen Ergebnissen glauben folgern zu dürfen, und be¬
tonen wesentlich die Verbindungen des Stirnhirns via Sehhügel und via Brücke
zum Kleinhirn. Auf einen engen Zusammenhang beider Hirntheile verweist auch
die bekannte Erfahrung, dass bei Stirnhirnverletzungen allmählich Atrophie des
gekreuzten Cerebellum sich einstellt. Die Verff. meinen, dass die anatomischen
und physiologischen Thatsachen sowie die zahlreichen Krankheitsexperimente an
Menschen zur Annahme nöthigen, dass im Stirnhirn eine Centralstelle des
Grosshirns für das Kleinhirn anzunehmen sei. Da es zweifellos gerade
im Stirnhirn Kindengebiete giebt, welchen Stabkranzfasern nur in geringer Zahl
zukommen, so ist zu erwarten, dass deren Verletzung besonders in die Augen
springende Störungen der Associationsthätigkeit mit sioh bringen wird. Hierin
stimmen also die Verff. mit Flechsig überein. Nicht die Architectonik des
Stirnhirns, sondern seine eigenartigen Verbindungen, meinen sie aber, befähigen
diesen Hirntheil zu besonderen Leistungen. Sie sind sehr geneigt, im Stirnhirn
ein Centrum für die Körperbalance zu sehen, dem dann Kopf-, Hals-, Nacken-
und Augencentren angehören, schliessen aber natürlich nicht aus, dass diesem
Hirntheil eine wichtige Rolle für die Intelligenzleistungen zukomme, denn in den
Fällen von beiderseitiger Stirnhirnerkrankung schien ihnen die Fähigkeit zur
Aufmerksamkeit und Concentration neben anderen Functionen schwer alterirt. Die
^'erff. sind in ihren Schlüssen so vorsichtig, dass man klar erkennt, wie weit man
auf diesem Gebiete noch vom Ziele, der Erkenntniss der Function der Stirn-
Digi
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950
lappen, entfernt ist Hoffentlich bringt uns der zweite in Aassicht gestellte Thal
des Buches, der sich mit dem klinisch-psychologischen Studium der Stimhirc-
erkrankungen beschäftigen soll, ein St&ck weiter.
Darstellung, Uebersichtlichkeit, Abbildungen u. s. w. machen das Buch zg
einer leichten Lectüre. Edinger (Frankfurt a'MA
2) Studie« on the neuroglia, by G. Carl Huber. (American Journal of Aua-
tomy. I. 1901. Nr. 1.)
Verf. hat mit Hülfe einer eigenen Färbeteohnik das Verhalten der Neuroglis
bei Hunden, Katzen, Kaninchen, Tauben, Schildkröten und Fröschen untersuch:
und bei diesen Thieren dieselben chemischen und morphologischen Unterschiede
zwischen Neurogliafasern und Neurogliazellen festgestellt, welche wir bei Mensche*
bereits seit der grundlegenden Arbeit von Weigert kennen. Die sehr sorg¬
fältigen Studien enthalten im wesentlichen eine volle Bestätigung der Weigert'-
schen Anschauungen. Die Neurogliafasern emancipiren sich bei verschieden«
Thierklassen in verschiedenem Grade von dem Protoplasma der Neurogliaaelle:
und diese Selbständigkeit der Fasern ist am meisten beim Hunde, der Katze un:
der Schildkröte, weniger beim Kaninchen und Frosch und am wenigsten bei dtr
Taube ausgesprochen.
Bezüglich der recht umständlichen Färbemethode, welche sich theils an di»
Weigert’sche, theils an das Benda’sche Verfahren anlehnt, muss auf das 0r.-
ginal verwiesen werden. Max Bielschowsky (Berlin).
3) On the Arrangement and funotion of the oell groups of the sacrsl
region of the spinal oord in man, by B. Onuf. (Archives of Neurt?-
logy. III. 1902.)
Die Arbeit enthält die Ergebnisse einer genauen mikroskopischen Unter¬
suchung der einzelnen Sacralsegmente beim Menschen bezüglich der Anordnung
der Nervenzellen in der grauen Substanz. Die einzelnen Segmente zeigten naci
dieser Richtung erhebliche Abweichungen, welche im Referat nicht wiederzugebec
sind. A1b wesentlicher Befund sei hervorgehoben, dass eine postero-mediftk
Gruppe von motorischen Vorderhornzellen sich nur im 3. und im proximai«
Theile des 4. Segmentes findet. In Verbindung mit der klinisch festgestellt«
Thatsache, dass die perinealen Muskeln und die Sphinkteren der Blase und
Rectums in der Höhe des 3. Sacralsegmentes und unmittelbar caudalwärts davor
localisirt sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese postero-mediale Gruppe die~e
Muskeln versorgt. Im Bereiche des 2. Sacralsegmentes trennt der Verf. von de*
motorischen Zellen der antero-lateralen Gruppe eine besondere nahe der vorder«
Peripherie des Vorderhorns gelegene Kategorie etwas kleinerer Zellen ab, weicht
er mit dem Ischiocavernosns bezw. Erector clitoridis und dem Bulbocavernof^
bezw. Sphincter vaginae in Zusammenhang bringt.
Max Bielsohowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
4) Di alouni queationi riguardantl la flsiopathologia del vago, del G. Daddi.
(Riv. critica di clin. medica. HI. 1902. Nr. 11—13.)
Verf. stellt sich hier die Aufgabe, drei Fragen aus der Physiopathologie d«
Vagus zu lösen: 1. Wie steht es mit der vielumstrittenen trophischen Functkc
des Vagus für das Myocard? 2. Begünstigt eine Schädigung oder Aufheben«
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der Vagusfunction die Wirkung bestimmter Herzmuskelgifte (die Frage fällt
eigentlich mit der ersten zusammen). 3. Werden durch Verletzung der Vagi die
Herzganglien sichtlich alterirt? Sämmtliche Fragen müssen auf Grund eines zahl¬
reichen Versuchsmaterials negirt werden.
Zur Untersuchung dienten Kaninchen und Hunde. Die Methodik bietet kein
besonderes Interesse; statt der Durchschneidung wurde in vielen Fällen der Vagus¬
stamm durch Zerrung stark insultirt oder durch Inoculation von Rabiesgift schwer
geschädigt. Einseitig operirte Thiere konnten bis zu 45 Tagen am Leben er¬
halten werden, doppelseitig geschädigte 12—25 Tage. Nur diejenigen Thiere,
die schwere Erscheinungen von Seiten der Lungen zeigten, boten Degenerationen
(meist trübe Schwellung) des Herzmuskelfleisches. Verf. konnte feststellen, dass
zwar Pneumonie ohne Myocarditis sich zeigen kann, nie aber Myocarditis ohne
Pneumonie.
Was die zweite Frage betrifft, so konnte kein Unterschied zwischen Thieren
gefunden werden, die lediglich einer Phosphorvergiftung unterworfen wurden und
solchen, bei denen noch dazu der Vagus ein oder doppelseitig resecirt oder ver¬
letzt worden war. Auch liess sich der Nachweis erbringen, dass Vagusdurch¬
schneidung das Bild bestehender Phorphorvergiftung nicht zu alteriren vermag.
Die Ganglienzellen des Herzens endlich (die Methodik ist im Original nach-
zulesen) erwiesen sich bis auf kleine Modificationen in einem Falle, die jedoch
auf andere Gründe zurückzufuhren sind, unverändert, selbst bei Thieren, die
lange Zeit die Vagotomie überlebt haben. Dieser Befund, gewonnen von einem
Autor wie Daddi, der sich viel mit der Anatomie der Nervenzellenelemente des
Herzens beschäftigt hat, erscheint besonders beachtenswerth.
L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
5) Ueber die Vertheilung des Chloralhydrats und Acetons im Organismus,
von Archangelsky. (Archiv fiir experimentelle Pathologie u. Pharmakologie.
1901.)
Verf. wirft im Anschluss an die Untersuchungen von Meyer die Frage auf,
ob die Verhältnisse der Vertheilung der Narcotica im menschlichen Körper den
allgemeinen Anforderungen der Meyer’schen Theorie entsprechen und sucht
zunächst den Nachweis eines specifischen Anziehungsvermögens des Nervengewebes
für narcotische Substanzen zu erbringen. Die Versuche wurden mit Chloralhydrat
und Aceton an Hunden und Kaninchen angestellt und der Gehalt des Blutes, der
Leber und des Gehirns an diesen Stoffen bestimmt. Aus den Versuchen geht
hervor, 1. dass diese beiden Gifte nicht gleichmässig im Blute vertheilt circuliren,
sondern vornehmlich an die rothen Blutkörperchen bezw. deren fettartige Be¬
standteile gebunden sind, 2. dass nach längerer Dauer der Chloroform- und
Acetonnarcose das Gehirn giftreicher ist als das Blut und immer giftreicher als
die Leber, sowie dass das Gehirn das Gift länger zurückhält, 3. dass beim Ab¬
klingen der Acetonvergiftung der Giftgehalt der Leber mit dem des Blutes gleich¬
zeitig sinkt, woraus hervorgeht, dass die Leber nicht wie das Gehirn im Stande
ist, das Gift zurückzuhalten. A. Homburger (Frankfurt a/M.).
Psychologie.
6) Vorlesungen über Psychopathologie in ihrer Bedeutung für die nor¬
male Psychologie mit Blnsohluss der psyohologisohen Grundlagen der
Erkenntnistheorie, von Dr. phil. et med. Gustav Störring, Priv.-Doc. der
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Philosophie an der Universität Leipzig. (Leipzig, 1902, Wilhelm Engel num.
451 Seiten.)
Neuerdings ist eine grosse Reihe werthvoller psychologischer Arbeit® aas
der Feder von Psychiatern hervorgegangen; ein Beweis dafür, dass die vertiefte
Forschung auf dem Qebiete der Psychopathologie zur Psychologie hinleitet unc
sie befruchtet, ebenso wie die Pathologie _ der körperlichen Organe ein wesent¬
liches Hülfsmittel zur Erkenntniss ihrer normalen Functionen ist. In vorliegenden
Werke hat nun auch ein Psychologe aus der Schule Wundt’s, dem das Bott
gewidmet ist, es unternommen, diese in der Schulpsychologie noch wenig fructi-
ficirte pathologische Methode systematisch zur Lösung psychologischer Problem-
zu verwerthen. Er stützt sich dabei einestheils auf eine reiche eigene Erlahm?
am psychiatrisch und psychologisch interessanten Krankenmaterial ans seine
früheren Thätigkeit als Psychiater, anderntheils auf eine umfassende Kenntnis
der einschlägigen Litteratur, insbesondere deijenigen pathologischen Fälle, <ii«*
wie z. B. Grashey’s Aphasiefall, von jeher zu vielseitiger Erörterung und Auf¬
stellung von Theorieen Anlass gegeben haben.
Es würde hier nicht der Platz sein, wollte man auch nur die Ueberechrifte:
der 25 Vorlesungen, in denen der Stoff abgehandelt ist, wiedergeben. Um es knn
zu sagen, es werden die Anomalieen des Gefühls-, Voretellungs- und Willenslebas
besprochen, die über diese aufgestellten Theorieen kritisirt, im Anschluss dant
die eigene Theorie entwickelt und die daraus sich für die normale Psycholog«
ergebenden Schlussfolgerungen gezogen. Die Ausbeute für letztere ist kein*
geringe, theils insofern, als alte Wahrheiten, die durch andere Methoden psycho¬
logischer Forschung bereits sicher gestellt sind, durch die psychologische Methode
des Verf. weiter erhärtet werden, theils dadurch, dass neue Wahrheiten, nt®
Gesichtspunkte und neue fruchtbare Fragestellungen gewonnen werden. Besonder
umfassende Abschnitte sind der Besprechung der Hallucinationen, der Aphasiem.
Amnesieen, Zwangsvorstellungen und Wahnideeen gewidmet, während die Psycho¬
pathologie der Willensvorgänge und die psychologischen Grundlagen der Er¬
kenntnistheorie etwas zu kurz kommen.
In vielen seiner Ansichten wird Verf. natürlich auf Widerstand stossen. ».
um Einzelnes herauszuheben, in seiner Auffassung der Affecte, die sich nach üe
von den einfachen Gefühlen wesentlich unterscheiden. Nicht überzeugend
seine Beweisführung gegen die Auffassung der Associationspsychologen von den
Urtheilsacten. In der Frage des Vorkommens unbewusster Mittelglieder der Be-
production bevorzugt er die Annahme dunkelbewusster Vorstellungen ber*
Empfindungen. Thatsachen, die zur Annahme imbewusster Phänomene zwing« 5 -
sind ja in der That nicht nachzuweisen; indessen der Ersatz derselben durch
„unbewusste“ Vorstellungen heisst doch auch nur für ein x ein y in die Gleichung
einsetzen. — Sehr beachtlich erscheint, was er über die Genese der Verfolgungs¬
ideen schreibt: „VerfolgungBideen entstehen oft im Anschluss an üble Er¬
fahrungen, die das Individuum in Folge seiner reizbaren Schwäche und der
damit herabgesetzten Leistungsfähigkeit macht. Hier erzeugen üble Er¬
fahrungen misstrauische Affectzustände, und aus diesen wieder gebt ein«
misstrauische Verstimmung hervor, die in Erzeugung von Beeinträchtigungs¬
ideen productiv ist. — Für das Phänomen der Uncorrigirbarkeit der Wahnideen
macht Verf. die abnorme Intensität des emotionellen Factore verantwortlich.
Recht polemisirt er hier gegen Wernicke’s vorläufig wenigstens noch onhaltk*
Theorie (Continuitätstrennung durch Wucherung des Nervenparenchyms). 11
Gegensatz zu Hitzig und Kräpelin hält er daran fest, dass Verrückte im An/wg
ihrer Erkrankung nicht Schwachsinn zeigen. — In der besonders interessante
12. Vorlesung wird bewiesen, dass bei epileptischen Dämmerzuständen die «r-
änderten Organempfindungen eine ganz wesentliche Rolle spielen, und das üi
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vohl im Stande sind, die Amnesie zu erklären. Bei der Besprechung der
hysterischen Dämmerzustände erfährt die Theorie vom Ober- und Unterbewusstsein
5 ine sachliche Kritik. Anschliessend an die Erörterung des Grashey'sehen
Aphasiefalles berührt er das Verhältnis der Eigenschaftsvorsteilungen zur Gegen-
itandsvorstellung. Er trifft den Kern der Sache, wenn er am Schlüsse dieses
Abschnittes schreibt: „Die Eigen Schafts Vorstellungen entwickeln sich erst mit und
n der Gegenstandsvorstellung und werden von den Individuen erst relativ spät
tus derselben herausgehoben.“ Im Capitel „Idiotie und Imbecillität“, in dem dies
Verhältnis noch einmal berührt wird, kommt er zu dem Satz, dass die GrösBe
ler Aufmerksamkeitaleitung von dem Grade der gesammten psychischen Ent¬
wickelung des Individuums relativ imabhängig ist. Die Richtigkeit beider
Folgerungen kann Ref.. täglich an imbecillem Krankenmaterial bestätigen.
Nachzurühmen ist dem Verf., dass er die abweichenden Ansichten der Ver¬
treter anderer psychologischer Richtungen im Gegensatz zu manchem Heissporn
im Lager der AssociationspBychologie nie in abfälliger Weise beurtheilt. Seine
Beweisführung ist einfach und einleuchtend, seine Schreibweise klar und durch¬
sichtig. Nur hier und da operirt er mit von ihm nicht klar umgrenzten Be¬
griffen, wie z. B. dem der Aufmerksamkeit, für die der weniger in der Schul-
Psychologie orientirte Leser gern ebenso eine Definiton wird haben wollen, wie
er sie für die Affectzustände, Stimmungen u. s. w. erhält.
Voraussichtlich wird das Buch mehr den Psychiater anziehen, als den Nur-
Psychologen, dem der Mangel praktischer Erfahrung an psychopathologischem
Krankenmaterial immer hinderlich bei der vom Verf. eingeschlagenen Methode
psychologischer Forschung sein wird. Ersterer dagegen findet in ihm, auch wenn
er ganz von den Folgerungen für die Psychologie absieht, ein Lehrbuch der all¬
gemeinen Psychologie, das die bisherigen Werke zu ergänzen wohl geeignet ist.
Hoffentlich regt es aber auch viele Psychiater an, psychologisch zu denken und
die Psychologen, der Psychopathologie mehr Beachtung zu schenken, als es bisher
geschehen ist. Meitzer (Grosshennersdorf).
Pathologische Anatomie.
7) Beitrag zur Pathologie des 11. Gehirnnerven, von Dr. C. Simerka.
(Arch. boh6m. de m6d. clin. III. 1902. S. 249.)
Auf der Klinik des Prof. Maixner beobachtete Verf. einen Fall traumatischen
Ursprungs (enucleatio lymphomatum). Die unteren zwei Drittel des M. cucullaris
wurden total, das obere ein Drittel partiell gelähmt und atrophisch, M. sterno-
cleidomastoideus und Levator scapulae normal. Die elektrische Erregbarkeit war
nur quantitativ verringert auf den atrophischen Partieen und am Kopfnicker.
Das Schulterblatt auf der betroffenen Seite war von der Wirbelsäule mehr ent¬
fernt, der untere Winkel stand vom Thorax ab, keine Schaukelstellung vorhanden.
Diese abweichende Stellung des Schulterblattes erklärt Verf. aus der Hypertrophie
der M rhomboidei derselben Seite (Muskelsubstitution — Thomayer).
Pelnaf (Prag).
8) lieber periependymäre Wucherung, Canalbildung und abnorme Ent-
wickelungsvorg&nge am kindliohen Büokenmarkoanal , von Dr. Rolly.
Aus der Heidelberger Kinderklinik. (Deutsche Zeischr. f. Nervenheilkunde.
1902. XXI.)
In 3 Fällen allgemeiner congenitaler Muskelstarre fand Verf. stets eine diffuse
Wucherung der Glia und zwei Mal auch eine solche der Gefässe nebst Lepto-
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meningitis. Daneben bestand ausser einer Entwickelungsanomalie (Offanbleitö
des Centralcanals) eine Wucherung der Ependymzellen um den Centnloa!
herum, letztere cbarakterisirt durch das Auftreten von Strängen, Zellnestoi
Canälen und Vortreibungen der Ependym Schicht des Centralcanals. Während s
bei der diffusen Gliose wohl ein entzündlicher Process sein dürfte, erblickt Verl
in der Wucherung des Ependymgewebes eine Neubildung. Es handelt sich dik
um eine autochthone Zellproliferation auf dem Boden einer entwickelungsgeechici:
liehen Anomalie.
Die drei Beobachtungen beweisen, dass neben einer diffusen Gliose m
Ependymwucherung auftreten kann. E. Asch (Frankfurt a/M.1
9) Zwei Fälle von Anenoephalie, von Dr. Max Wichura. Heubner’s Kiew-
klinik. (Jahrbuch für Kinderheilkunde. IV. 1902.)
Verf. hatte Gelegenheit, zwei Anencephalen genauer zu beobachten, von dae
einer 3 Tage lebte. Bei demselben waren die vegetativen Functionen, Saure.
Schlucken, Defäcation, vorhanden; Schreien erfolgte nur auf starke Hautre:
Puls und Temperatur waren kurz nach der Geburt sehr niedrig (70 bezw. 32J
nahmen dann allmählich zu (vor dem Tode 126 bezw. 37,8°). Die Athmnng
anfangs dem Cheyne-Stokes’schen Typus ähnlich, wurde bald regelmässig'
Die Pupillen waren lichtstarr, der Cornealreflex auf einem Auge vermindert c
anderen fehlend; doch waren die Augen durch eine von der Schädelbasis tsv-
ziehende, die Nase verbildende Geschwustmasse zum Theil verdeckt, ihre Conp'
tiven stark gereizt. Die Reflexerregbarkeit der Muskeln ist gesteigert, Auiüech
und Berührung der Haut genügen, um Zuckungen der Musculatur hervorzunus
demgemäss sind auch die Haut- und Sehnenreflexe gesteigert. Hingegen gels.’
es nicht, die Muskeln mit elektrischen Strömen zu erregen, die bei Erwachst
Contracturen auslösen. Die Erregung der peripheren Nerven gelingt bei
Stromstärke von 5 M.-A. Eine active Muskelbeweglichkeit scheint zu besteh:
doch sind selbständige Bewegungen selten. Der zweite Fall starb zu kurz s*
der Geburt, um Untersuchungen über seine Lebensäusserungen zu ermögliche
Die Obduction ergab in beiden Fällen die charakteristischen Defeete »•
Grosshirns, Kleinhirns sowie des Schädeldaches. Die Medulla oblongata ist -
beiden Fällen vorhanden; bei dem einen Kinde war sie mit einem Reste ,
Brücke verbunden, bei dem anderen endete sie kolbig. Leider war eine aic
skopische Untersuchung nicht möglich.
In eingehender Weise bespricht Verf. die heutigen Anschauungen über -
Entstehung derartiger Hirnmissbildungen. Er nimmt an, dass nicht nur Trairr j
während der Schwangerschaft, locale mechanische Einflüsse im Uterns, scr-i^-
vielleicht auch psychische Affecte der Mutter in der ersten Gravi di tätszei? -’j
normale Körperentwickelung des Fötus hemmen können. In beiden vorlieg®* -
Fällen wäre Gelegenheit zu einer derartigen Bedingung der Missbildung vorhasr-
gewesen. Welcher Art die durch diese äussere Veranlassung bedingte Erkrank^
des Eies gewesen sein kann, lässt sich nach unseren Kenntnissen derzeit s*
nicht entscheiden. Doch ist wahrscheinlich eine pathologische Waseeran««w~ -
in der Hirnblase als Ursache der Missbildungen anzusehen und in beider
schriebenen Fällen sprechen auch die anatomischen Thatsachen für eine
Deutung.
Hervorzuheben ist aus dem anatomischen Befund noch das normale Ab®^
der in solchen Fällen oft hypoplastischen Nebennieren. Zappert (Wiet
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955
IO) Untersuchungen über Hydranenoephalie (Cruveilhier). Ein Beitrag
zur Kenntniss der angeborenen Hirnerkrankungen, von Kluge. (Zeit¬
schrift f. Heilkunde. XXIII. 1902. S. 208.)
I. Ausgetragenes, todtgeborenes Kind. An Stelle des Gehirns fand sich eine
klare, gelbliche, seröse Flüssigkeit; an der Schädelbasis Gehirnreste in Form
zwei taubeneigrosser, kugeliger Markknoten, dahinter starre oberflächlich aus
grauer Substanz bestehende Wülste von leicht S-förmiger Krümmung. Mit einem
Stiele anhängend in der rechten hinteren Schädelgrube ein taubeneigrosses kugeliges
Markgebilde. Ueber der ganzen Schädelbasis eine zarte, gefässreiche, der Dura
nicht adhärente Membran (Leptomeninx), ebenso im Bereiche des Schädeldaches;
an derselben hie und da makroskopische, hirsekorngrosse, graue Knötchen (Reste
von Hirnsubstanz).
II. 20 Tage altes Kind (!), das keinerlei auffällige Symptome geboten hatte.
Im Schädelinneren seröse, gelb-bräunliche Flüssigkeit und ein feinmaschiges Netz¬
werk braun gefärbter Fibrinfäden. Eine Membran umfasst symmetrisch gelegene
Gehirnreste, deren hintere Gebiete den Hinterhörnern der Seitenventrikel ent¬
sprechende spaltartige Höhlen in sich schliessen. Dies Rückenmark erscheint
makroskopisch normal.
In beiden Fällen lagen durchaus normale Schädelmaasse vor, kein Anhalts¬
punkt für Lues hereditaria. Genaue Untersuchung des Stammes, der Carotis
interna, Vertebralis und (wo möglich) der Basilaris wie ihrer grösseren Aeste
ergab keinen pathologischen Befund. Die histologische Untersuchung (Hämatoxylin-
Eosin — Verf. hat dabei auch Schnitte durch die entkalkte Schädelbasis vor¬
genommen —) fördert eine Reihe interessanter Einzelheiten zu Tage, als deren
wichtigste wir hier folgende aufzählen (die mikroskopische Untersuchung betrifft
den 2. Fall vorzugsweise). Innere Pachymeningitis, richtiger Arachnitis, an der
besonders die Endothelwucherung auffallend ist, zahlreiche Blutungen. Mikrogyrische'
Herde, welche Rindentheile und -fortsätze Verf. als aus Neuroblasten, bezw. Spongio-
blasten entstandene und bestehende regenerative Bildungen auffasst. Parenchy-
matos-encephalitische Veränderungen, interstitielle und perivosculäre encephalitische
Bilder. An der lateralen Seite des Unterhornes ein umschriebener porencepha-
lischer Defect. Erweichungsherde im Thalamusgebiete, in der lateralen Wand des
Unterbornes. Regressive Zellenveränderungen in den centralen Ganglien. An den
kleinen Gefassen Peri- und Endothelwncherungen, Leukocytennnhäufung, klein¬
zellige Infiltration, atretisch gewordene Capillaren u. s. w. Als bemerkenswerthes
Detail sei auch erwähnt, dass im 2. Falle sich keine Spur des Tractus oder
Chiasma N. optici fand, während am Bulbus die Eintrittsstelle des Sehnerven
deutlich sichtbar war. (Im 1. Falle war auch der cranielle, allerdings bedeutend
verschmälerte, Theil des N. opticus vorhanden.)
Das ganze Rückenmark des 2. Falles erschien bis auf Blutanhäufung im
Centralcanal normal; dasselbe Hess sich vom Fall I sagen, von dem allerdings
nur das Halsmark untersucht wurde.
Der hier kurz resumirte Befund ist sehr ausführlich beschrieben und auch
auf 8 Tafeln durch 21 Figuren veranschaulicht. Pilcz (Wien).
Pathologie des Nervensystems.
11) Stereosgnosie , von Doc. Dr. A. He v er och. (Mittheilungen aus der int.
Klinik des Prof. Maixner. II. 1902. S. 40.)
Auf Grund eineB zahlreichen Materials kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
1. Stereoagnosis ist nicht immer eine Folge der Störungen der Grosshirnrinde;
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2. Stereoagnosis kann von Storungen aller Qualitäten der Sensibilität begleitet
werden, kommt aber constanter mit den Störungen des Muskelsinnes &h
der Hautsensibilität vor; 3. selbst grosse Störungen der Motilität mrai
Stereoagnosis nicht zur Folge haben (Arthritis deformans); 4. bei der Stereoagnoei
fand er immer eine Ungeschicklichkeit beim Fassen der Gegenstände; 5. bei 1:
progressiven Paralytikern fand er nie Stereoagnosis. Pelnäf (Prag)
12) Zwei Fälle von Akathisie, von L. HaSkovec. (Sbornik klinicki IV.
S. 193.)
I. 40jähr. Mann, zittert, kann nicht stehen, weil ihn Schwindel und Ohn¬
macht befällt; gehen kann er gut. Neben anderen nervösen Symptomen -
Kribbeln in den Fingern, Verzerrung des Mundes, Polyurie, vasomotorische Heil¬
barkeit, typische Puncta dolorosa — fällt am meisten folgendes Symptom anf:
wenn der Kranke ruhig sitzen will, springt er unwillkürlich in die Höbe nn:
muss sich ebenso rasch wieder niedersetzen. Die ganze Bewegung ist unwillkür¬
lich, gezwungen, automatisch und wiederholt sich so oft, dass Patient länger*
Zeit überhaupt nicht sitzen könnte; das Bewusstsein ist dabei vollkommen erhaltet
II. 54jähr. Mann, früher stets gesund, fiel vor 8 Jahren auf der Strass
ohne das Bewusstsein verloren zu haben; seitdem Zittern des ganzen Körpa*
Gemüthserschütterung. Seit einem Jahre kann Patient nicht sitzen; wenn er siet
setzt, wirft es ihn in die Höhe, so dass er sich, um sitzen zu können, lest u-
halten muss. Später verschwand dieses Symptom. Ausserdem bestanden nod
verschiedene Zeichen von Neurasthenie. Gustav Mühlstein (Prag).
13) Beitrag zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Pr
Walbaum. (Virchow’s Archiv. CLXV.)
Verf. ist bei der Untersuchung des Centralnervensystems eines Falles w*
Paralysis agitans zu dem gleichen Ergebniss gekommen wie frühere Autoret
d. h. er konnte keinerlei für die Krankheit charakteristischen makroskopisch®
oder mikroskopischen Veränderungen constatiren. Die mannigfachen pathologische*
Befunde an den Gefässen, der Glia und den nervösen Elementen, die Gehirn ui
Rückenmark darbot, Hessen sich vollkommen durch das vorgeschrittene Sem an
erklären — die Patientin war 80 Jahre alt gewesen; irgend welche Beziehung«
dieser Altersveränderungen zur Paralysis agitans bestreitet Verf. (im Gegens»u
zu Sander), da solche sich nicht selten in weit höherem Maasse bei der Sectic*
finden, ohne dass Paralysis agitans bestanden hat. Auch in der ausserordentlich
starken Verkalkung der Hirngefässe im vorliegenden Fall sowie in dem Vor¬
handensein ungewöhnlich zahlreicher Corpora amylacea sieht Verf. nur einen zu¬
fälligen, für die Krankheit nicht charakteristischen Befund, da derartig marcantc
Veränderungen sicherUch auch schon von anderen Autoren constatirt wordet
wären. — Somit kommt Verf. zu dem Schluss, dass auch angesichts dieses Fall«
die Paralysis agitans bis auf Weiteres zu den functionellen motorischen Neurose
zu zählen ist. Lilienfeld (Gr. Lichterfelde).
14) PhyBiopathologie de la oontraotion musoulaire volontaire („Malidie
de Parkinson“), par C. Negro et Z. Treves (Turin). (Archives italiennei
de biologie. XXXVI.)
Ein noch nicht beschriebenes charakteristisches Symptom der Paralysis mp*
tans: Es handelt sich um Muskel wellen, besonders deutlich ausgeprägt im Tricepj
braohii, die, durch die Haut hindurch sichtbar, Beugung und Streckung im Ellen-
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»ogengelenk begleiten. Ihre Curve (pneumatisch aufgenommen; Abbildung im
)ri$jinal) unterscheidet sich von jener der normalen Muskelzuckung einzig durch
lie verminderte Frequenz der Schwingungen: 5,6—6,4 in der Secunde bei will-
cürlicher Bewegung, 7,5—9,1 bei willkürlichem, bis zur Erschöpfung ausgehaltenem
Tetanus (Schwingungsfrequenz der normalen Muskelwelle: 10—12 pro Secunde).
Da nun, nach den experimentellen Untersuchungen von Schäfer, der Rhythmus
ler zum Muskel gelangenden Impulse regulirt wird von der motorischen Nerven¬
zelle, so glauben die Verff. in dem von ihnen beschriebenen Symptom eine Basis
zur Anstellung weiterer Untersuchungen über daB Wesen der Parkinson’schen
Krankheit gefunden zu haben; schon vom rein physiologischen Standpunkt aus
st es interessant, dass durch krankhafte Processe der regelmässige, charakte-
-istische Functionsrhythmus der motorischen Nervenzelle verändert werden kann.
Die Langsamkeit, mit der bei Paralysis agitans die Impulse im Muskel ankommen,
eine gewisse Schwäche der Impulse selbst und die daraus folgende Unmöglichkeit
einer Summirung ihrer Wirkung zu einer einheitlichen und kräftigen Contraction
erklären uns das tiefe Darniederliegen der Muskelkraft bei dieser Krankheit.
Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen).
16) Paralysis agitans and sarooma, by Charles Dana. (American Journal
of the Medical Sciences. 1899. November.)
Ein 61jähr. Mann litt seit 5 Jahren an Zittern der Hände, zeigte monotone
Sprache, maskenartigen Gesichtsausdruck, schlürfenden Gang; kurz, das aus¬
gesprochene Bild der Paralysis agitans. Ausserdem zeigte er multiple Hautsarcome.
Der Tod erfolgte nach 8jähr. Dauer der Krankheit. Die mikroskopische Unter¬
suchung des Rückenmarks nach Nissl zeigte starke Pigmentation der Vorderhorn¬
zellen aller Höhen, Chromatolyse, Atrophie, Schwund des Kerns und der Dendriten.
Besonders das Fehlen der Dendriten bildete ein sehr häufiges Vorkommniss. Die
Zellen der Clarke’schen Säulen waren zwar auch etwas verändert, aber viel
weniger als die der Vorderhörner. Das Stützgewebe war leicht vermehrt beson¬
ders in den peripherischen Abschnitten des Querschnittes. Die Marchi’sche
Methode liess keine Veränderungen erkennen.
Von dem Grosshirn wurden nur die Centralwindungen untersucht. Die
Muskelfibrillen boten in vielen Präparaten das Bild der fettigen Degeneration
(Metamorphose im Virchow’schen Sinne. Ref.). Die peripherischen Nerven
waren normal.
Verf. stellt an der Hand des Befundes sowie der in der Litteratur nieder¬
gelegten Befunde eine Theorie in der Pathogenese der Paralysis agitans auf, nach
welcher das Wichtigste im Krankheitsbilde die durch Verlust der Dendriten be¬
wirkte partielle Abtrennung der Vorderhornzellen von den Endauffaserungen der
Pyraraidenbahn sein soll. Vielleicht spielt, so meint der Verf., in der Aetiologie
dieser Veränderungen irgend ein Gift eine wichtige Rolle. Vielleicht ist es das
Gift der bei Paralysiskranken so häufigen rheumatoiden Arthritis. (Die Möglich¬
keit, dass die Ganglienzellenveränderungen durch die Sarcomatose oder durch die
Kachexie u. s. w. bedingt waren, erwähnt Verf. nicht. Ref.)
Paul Schuster (Berlin).
16) Alterations anatomiques et histologiques du Systeme nerveux dans la
maladie de Parkinson, d’apres Francesco Burzio. (Gaz. hebdom. de
m6d. et de chir. 1902. Nr. 60).
Verf. hat 2 Fälle von Paralysis agitans anatomisch untersucht und fand
Sklerose der Hinterstränge und der Pyramidenbahnen, Veränderungen der Vorder-
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hornzellen und der Spinalganglien, Verengerung des Centralcanals, Vermiodenme
der Tangentialfasern und Zellveränderungen in der motorischen Rindenregion.
Die Läsionen der motorischen Zellen in Hirnrinde und Rückenmark und die¬
jenigen in der Pyramidenbahn würden die Muskelsteifigkeit bei Paralysis agitans.
die Skerose der Hinterstränge die Gleichgewichts- und SensibilitätsstÖrungen be
diesem Leiden erklären. Die anatomischen Veränderungen sind die gleichen wk
bei experimentell erzeugten chronischen Intoxicationen, und würde sonach di?
Parkinson’sche Krankheit auf durch Autointoxication bedingte Ernährungs¬
störungen der Nervenzellen beruhen und deshalb aus der Liste der Neurosen v.
streichen Bein. Kurt Mendel.
17) Bin Fall von Paralysis agitans mit verschiedenen Myxödemsymptom«
oombinirt Studien and Gedanken über die Pathogenese der Pin-
lysis agitans, von Hermann Lundborg. Aus der mediciniachen Klimt
des Prof. Ribbing in Lund (Schweden). (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheik
XIX. 1901.)
Eine 54jähr. Frau, welche einer neuropathisch belasteten Familie entstammt
empfand vor 9 Jahren zuerst ein leichtes Zittergefühl im linken Ringfinger mti
in den Zehen des linken Fusses, bald darauf Schmerzen in der linken Hand, in
Unterarm, Ellenbogen und in der Wade der gleichen Seite. Ein Jahr später
ging der Tremor auf den linken Arm und das linke Bein und nach mehrera
Jahren auf die rechte Extremitätenhälfte, auf die Brust- und Bauchmuskeln sovk
auf Hals, Zunge, Unterkiefer und Lippen über, während der übrige Theil da
Gesichts verschont blieb. Zu gleicher Zeit Steifigkeit und Mattigkeit des gan* :
Körpers, Abnahme des Gedächtnisses, langsamere und tiefere Sprache mit rasch«
Ermüdung, deprimirte Gemüthsstimmung. Seit einigen Jahren am linken Ao&
an der linken Hand und den Füssen plötzlich auftretendes und dann wieder t«-
schwindendes Oedem. Der Unterkiefer ist nach hinten und ein wenig nach recht-
gerückt. Gesichtshaut eigenthümlich röthlich mit einem Stich ins Blaue verfärbt
Haut an Backen, Nase und Kinn verdickt und infiltrirt. Gesichtszüge nah.
Nase dick und stumpf. Augenlider häufig etwas angeschwollen. Sensibilität
überall normal. Kopf tief herabgesunken, so dass das Kinn die Brust berührt
Gehen unmöglich, Arme bis zu einem rechten Winkel flectirt. Die gleichmäßig
Zitterbewegungen in den Händen und Unterarmen nehmen bei Erregung beträcht¬
lich zu und greifen dann auf die übrigen Körpertheile über. Haut an den Unter
schenkein dick, fest, blauroth verfärbt und etwas schuppend. Patellarrefla-
herabgesetzt. Urin frei von Eiweiss und Zucker.
Es traten also hier zu dem typischen Bilde der Paralysis agitans eine Beik
von Erscheinungen, welche als eine Art von Elephantiasis anzusehen sind, ®
welchen sich des Weiteren noch myxödematöse Symptome hinzugesellten. Offenbar
haben sich die Veränderungen der verschiedenen Krankheiten neben einander
entwickelt, ohne dass das eine Leiden in das andere übergegangen ist
Bei der Autopsie fand sich in der linken Kleinhirnhemisphäre eine mehr &h
wallnussgrosse Geschwulst von fester Consistenz, die aber im Leben keine weiteres
Störungen hervorgerufen hatte (!). In der Schilddrüse waren stärkere Verände-
rungen zu erkennen, und zwar bestand im rechten Lappen eine Rednction dff
Drüsensubstanz, während der linke Lappen cystisch verändert war. Unter solches
Umständen ist anzunehmen, dass die Thyreoidea ein pathologisch veränderte
Secret liefert. E. Asch (Frankfurt a/H-)-
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959
18) Bemerkungen nur Kenntnis» der Paralysis agitans , von Prof. Dr.
J. Thomayer. (Arch. boh6m. de m6d. clin. III. 1902. S. 297.)
Ein klinisches Bild der Paralysis agitans ist bis heute noch nicht vollkommen
fertig; es werden immer Fälle beobachtet, die in keine bisher beschriebene Formel
vollständig passen und die lange Zeit hindurch diagnostische Schwierigkeiten be¬
reiten können. Verf. theilt 5 Fälle mit: in einem war ein leichtes Zittern an
einem Fusse beim Stehen 5 Jahre lang das einzige Symptom der entstehenden
Krankheit, die sich im 6. Jahre auf die andere untere Extremität ausbreitete und
erst im 7. Jahre das gewöhnliche Bild der steifen Statur, aber immer noch ohne
jedes Zittern der oberen Extremitäten ergab, ln einem anderen Falle war es
wieder eine einfache Schwäche und Schwerfälligkeit der unteren Extremitäten, zu
der sich erst nach 3 Jahren ein Zittern im Gehen und eine Schwäche der oberen
Extremitäten gesellten, aber erst nach 6 Jahrn machte die typische Steifheit und
ein Zittern in den oberen Extremitäten die Diagnose deutlich. So auch in einem
3. Falle. Im 4. Falle hat die Krankheit, die jetzt durch steife Körperhaltung
und ein typisches Zittern der Extremitäten kaum eine diagnostische Schwierig¬
keit bereitet, vor 6 Jahren mit einem apoplektischen Insult angefangen, weshalb
man diesen Zustand als progressive Paralyse bezeichnen wollte, und wo ein leichtes
Zittern der unteren Extremitäten bei der Arbeit die Diagnose ungemein schwer
machte. In einem analogen Falle (5. Beobachtung) mit ähnlichem Zittern in den
unteren Extremitäten nach zwei apoplektiformen Insulten ohne jeden Tremor der
oberen Extremitäten war die Diagnose nur mit Rücksicht auf vorangeführten
Fall mit einiger Wahrscheinlichkeit möglich.
Im Anhänge führt Verf. einen Fall an, wo er bei einer typischen Paralysis
agitans ein rhythmisches Zittern in beiden Rumpfbeugern beobachtete.
Pelnäi* (Prag).
19) Paralysie des membres införieurs ohez un gar<jon de huit ans oausee
par l’usage d'une trompette ä embouohure de plomb, par Variot.
(Gazette des höpitaux. 1902. Nr. 49.)
Seit etwa 2 Monaten zunehmende Parese der Beine. Patellarsehnenreflexe
erloschen. Keine Blasenmastdarmstörungen, keine der Sensibilität, kein Bleisaum.
Als ätiologisches Moment Hess sich erheben, dass das Kind etwa einen Monat
hindurch vor dem Auftreten der Lähmungserscheinungen mit einer Trompete
spielte, deren Mundstück aus Blei verfertigt war. Unter Jodkali, Faradisation
und Massage nach etwa 4 Monaten Heilung. Pilcz (Wien).
20) Eine bisher noch nicht beschriebene Looalisation der Bleil&hmung,
von Privatdocent Dr. Georg Köster in Leipzig. (Münchener med. Wochen¬
schrift. 1902. Nr. 15.)
Der Fall betrifft einen 37jährigen, seit 27 Jahren in diesem Berufe thätigen
Schriftsetzer, der bis vor 12 Jahren von Vergiftungserscheinungen frei war, da¬
mals Gelenkschmerzen bekam, an welchen er jetzt noch manchmal leidet. Während
dieses Zeitraums traten 4 Mal typische Kolikanfälle auf, 1896, 1897 und 1898
wurde von drei verschiedenen Seiten Bleivergiftung diagnosticirt, als deren Folge
heute noch Arteriosklerose und Tremor der Hände vorhanden ist. Seit 1898
besteht eine symmetrische Lähmung und Atrophie der Mm. interossei und abduc-
tores hallucis, so dass ein der „Krallenhand“ ähnlicher „Krallenfuss“ entstanden
ist, der rechts stärker entwickelt ist als links. Sensibilitätsstörungen Hessen sich
niemals nachweisen. Verf. hält es nicht für ausgeschlossen, dass hier eine auf
dem Boden der Bleivergiftung entstandene Erkrankung der motorischen Vorder-
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hornzellen vorliegt, wofür vor Allem das Fehlen der Gefühlsstörong und die
symmetrische Auftreten des Leidens spricht. Jedenfalls handelte es sich um eise
sehr seltene Localisation in den genannten Muskeln der unteren Extremitäten.
E. Asch (Frankfurt a.M.).
21) Seltene Ursachen der Bleivergiftung. — Behandlung der Koliken mi
Atropin, von Dr. Adolf Weber in Alsfeld. (Münchener med. Wochenschr.
1902. Nr. 17.)
In einem Falle handelte es sich um eine Bleilähmung bei einem 19jährigen
Mädchen, das Wasser einer mit Bleiröhren versorgten Leitung getrunken hatte.
Bald darauf erkrankten in drei verschiedenen, je 6 km von einander entfernt
liegenden Ortschaften 20 Personen an Bleivergiftung, die drei Haushaltung»
angehörten. In diesen Fällen wurde das Leiden durch das Mehl übertragen, in¬
dem eine Anzahl von Vertiefungen am Mühlstein durch Blei ausgefüllt waren,
das an einigen Stellen fehlte oder durch vorstehende Nagelköpfe ausgelocht war.
Die gesammte abgeriebene Bleimenge wurde dem Mahlgut zugetheilt. In einer
ganzen Anzahl von Bleikoliken, in welchen Opium und Extr. Belladonnae versagte,
waren subcutane Atropininjectionen von bestem Erfolg begleitet.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
22) Zur Pathologie der chronischen Bleivergiftung, von Prof. Seel igmülh:
in Halle. (Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 18.)
In diesem ersten Artikel einer anscheinend längeren Serie weist Verf. durch
Beispiele auf einige seltene Quellen der Bleivergiftung hin: bleihaltigen Tabak,
Löthen der grossen Bleikammern, welche im Mansfelder Bergwerksgetriebe die
in den Rösthütten gewonnene Schwefelsäure enthalten, anhaltendesEinathmen tob
Hüttenrauch und Bleistaub.
Das Symptom der saturninen Encephalopathie wird durch zwei kurz mit-
getheilte Krankengeschichten illustrirt, der eine Fall ist dadurch von Interesse,
dass hier ein syphilitisches Gehirnleiden differentialdiagnostisch in Frage kam.
R. Pfeiffer.
23) Zur Kenntniss der psychischen Erkrankungen der Bleivergiftung, von
Dr. med. F. Quensel. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankheiten. XXXV. 1901)
Verf. beschreibt zwei bei weiblichen Personen beobachtete, ziemlich überein¬
stimmende Fälle von Bleipsychosen. Nach vorausgegangenen Bleikoliken entwickelte
sich ein Zustand von Verworrenheit und Bewusstseinstrübung mit zusammenhang¬
losen, flüchtigen Wahnideeen und verhältnissmässig seltenen Sinnestäuschungen:
vorwiegend war eine hochgradige motorische Erregtheit von intermittirendem
Verlauf bemerkbar, vermischt mit HemmungBerscheinuugen und unterbrochen durch
stark abgesetzte, unvermittelte stuporöse Zwischenzeiten. Ein Fall ging in Heilung
über, der andere kam zum Exitus.
Ausser dem eben geschilderten Krankheitsbild, der Bleimanie, giebt es
nach dem Verf. als weitere saturninische Psychosen noch die ballucinatorischee
Delirien. Letztere sind entweder hallucinatorische Bleidelirien oder Delirium
tremens-ähnliche Zustände, die durch combinirte Einwirkung von Blei und Alkohol
entstanden sind. Alle drei Formen haben Verwandtschaft zur Epilepsie. Nach
Ansicht des Verf.’s soll die Bleimanie unter den Bleipsychosen ungefähr die¬
selbe charakteristische Stellung einnehmen, die das Delirium tremens unter den
alkoholischen Geistesstörungen inne hat. Da non die chemische Analyse in den
meisten Fällen Blei im Centralnervensystem gefunden hat, so wird es recht wahr¬
scheinlich, dass diesem Metall eine direct schädigende Wirkung zuzuschreiben ist
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Die Angriffspunkte der Giftwirkung sind 1. die Gefässe, an denen man
gröbere Veränderungen nachweisen kann, und 2. nervöse Centren und Elemente,
durch deren Schädigung daun Druckveränderungen und Circulationsstörungen im
Gehirn auftrete n.
Diese zweite Vermuthung des Verf.’s iBt um so plausibler, als bei Blei¬
lähmungen die Nervenzellen, bei Bleikoliken ausser den Gefässen die Darmwand¬
ganglien in der Regel ergriffen sind.
Nissl hat auf Grund von Versuchen an Kaninchen den Nachweis erbracht,
dass die acuten Ercheinungen der saturninischen Hirnaffection durch directe Ein¬
wirkung des Giftes auf Rindenelemente zu Stande kommen. Diese Befunde sind
natürlich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar, da man ja bereits
in den directen Gefässveränderungen und allgemeinen Circulationsschwankungen
Factoren kennen gelernt hat, die zweifellos als Grundlage gewisser Erscheinungen
der Encephalopathia saturnina zu deuten sind, ohne primäre und directe Rinden¬
einwirkungen darzustellen. Trotzdem sind die Veränderungen in der Rinde und
insbesondere in deren Zellen, wie sie der Verl bei dem zum Exitus gekommenen
Fall fand, sehr, beachtenswert!» und sie dürften mit Recht als Vergleichsmaterial
für künftige Beobachtungen heranzuziehen sein.
Heinicke (Grossschweidnitz).
24) Zur Kenntniss der metallischen Nervengifte (über die chronische
ManganVergiftung der Braunsteinmüller), von H. Embden. (Deutsche
med. Wochenschr. 1901. Nr. 46.)
Das Krankheitsbild entwickelt sich nach mehrmonatlicher Beschäftigung in
der vom feinsten Braunsteinstaub erfüllten Atmosphäre der Mühlen, und zwar
Oedeme an den Beinen, Schwäche im Kreuz und den Unterextremitäten, Unsicher¬
heit, dann werden die Arme ergriffen, Sprach- und Stimmstörungen bemerkbar.
Es besteht Unfähigkeit zur Arbeit trotz guten Allgemeinbefindens. Paresen ohne
Atrophieen und Entartungsreaction. Erhebliche Spannungen, die bei activen und
passiven Bewegungen zuweilen ab-, meist aber zunehmen. Maskenartiger Ausdruck
des Gesichtes. Pfeifen unmöglich. Unsicherheit bei Bewegungen, Retropulsion
bei verwickelten Verrichtungen und beim Versuche, spontan rückwärts zu gehen.
Kein Romberg. Lebhafte Patellarreflexe; in einem Falle Babinski. Grobschlägiger
Tremor des Kopfes, Rumpfes und der Extremitäten bei etwas gespannter körper¬
licher Haltung und starker Actionstremor der Arme bei Verrichtungen, die genaue
Coordination und einen gewissen Druck erfordern. Schreiben häufig gestört,
dabei Tremor und in Folge zunehmender Muskelspannung continuirliohes Kleiner¬
werden der Buchstaben bis zur Unmöglichkeit, fortzufahren. Undeutlich bulbäre
Articulation, selten ausgesprochenes Stottern. Kein Nystagmus. Augenmuskeln,
Pupillenreaction, Gesichtsfeld und Augenhintergrund normal, ebenso die übrigen
Sinnesfunctionen. Psyche intact, doch wird eine psychische Alteration vor¬
getäuscht durch den maskenartigen Gesichtsausdruck und das häufige Zwangs¬
lagen. Parästhesieen und Schmerzen im Beginn des Leidens; Sensibilität sonst
ungestört. Sphinkterenfunction erhalten. — Verf. deutet das Krankheitsbild als
chronische Manganvergiftung und konnte die Resorption des Braunsteins bei den
Braunsteinmüllern durch den Nachweis des Mangans im Urin erhärten. Verf.
betont die interessanten Beziehungen zu den übrigen Metallvergiftungen und zahl¬
reichen Nervenkrankheiten, namentlich der multiplen Sklerose. Die Prognose
ist günstig nach Entfernung der Kranken aus ihrer Beschäftigung. Prophylaktisch
genügt staubfreies Arbeiten und Entfernung der Arbeiter aus dem Betriebe beim
Auftreten leisester Gesundheitsstörungen. Diese Forderung genügt, da ein grosser
Theil der Menschen gegen den Braunstein sehr tolerant ist. R. Pfeiffer.
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26) Ein Fall von Polyneuritis nach acuter Arsenvergiitung, von Korzoo.
(Gazeta lekarska. 1901. Nr. 25. [Polnisch.])
Verf. beobachtete folgenden Fall von Polyneuritis nach acuter Arsen¬
vergiftung. Die 34jährige Frau überstand vor 10 Monaten eine acute Ais®-
Vergiftung, in Folge deren nach drei Tagen heftige Schmerzen in den Hända
und Beinen aufgetreten waren. Nach einer Woche Lähmung der oberen ddc
unteren Extremitäten. 7 Monate nach der Vergiftung sollte die Kraft in der
oberen Extremitäten zurückgekehrt sein, die Kranke konnte aber wegen gross a
Schwäche und Schmerzen in den Beinen nicht gehen. Contracturen (Fleik
plantaris). Status praesens: Puls 92. Pupillenreaction erhalten. Allgemein
Hyperästhesie. Temperatursinn erhalten. Tastsinn an den Händen fehlend, eben¬
falls der stereognostiBche Sinn. Tricepsreflexe nicht vorhanden. Patellarre&xc
schwach. Nerven und Muskeln druckempfindlich. Keine Blasen- oder Mastdam-
störung. Verf. hebt besonders hervor, dass im Gegensatz zu der gewöhnliche
Form von Polyneuritis auf Grund der chronischen Arsenvergiftung in sein«
Fall die neuritischen Erscheinungen bereits 3 Tage nach einer acuten Vergiften
aufgetreten waren. Verf. wandte ausser den Bädern, Faradisation und Masnr?
noch die innere Darreichung von Arsen an, welchem letzteren er geneigt ist.
eine günstige Wirkung zuzuschreiben. Edward Flatau (Warschau).
26) Bleivergiftung bei den Blattstiohwebern in Appenseil a/Rh., toi
Dr. Schüler. (Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1902. Nr. 3.)
Die Weberkeller der Blattstichweber sind überaus feucht und schlecht be¬
leuchtet, die Arbeit anstrengend und den ganzen Körper beanspruchend, dir
Arbeitsdauer zwischen 11 und 13 Stunden, der Erwerb ein geringer. Die Arbeit«
in den Blattstichwebereien kommen auf folgenden Wegen mit Blei in Berührunc
1. Die Spulen, welche das Garn für die einzuwebenden Figuren liefern und sieb
in grosser Zahl an jedem Stuhl vorfinden, bestehen aus einer Legirung, wekk;
32,5 °/ 0 Blei enthält. 2) An die Fäden des Harnisches sind in ungeheurer Anzahl
Bleistäbchen angehängt, die sich stets an einander reiben. Der Bleigehalt de;
direct unter diesen Gewichten befindlichen Erde des Fussbodens ist ein sek*
bedeutender.
Somit ist die Möglichkeit einer Bleivergiftung bei der Blattstiehweboe
nicht in Abrede zu stellen. Trotzdem hält Verf. die Angaben eines Appenxelkr
Arztes, wonach derselbe von Anfang 1896 bis Ende 1899 329 Erkrankungsfalk
an Bleiintoxication in der betreffenden Industrie beobachtet haben will, für Be¬
richtig und auf Täuschung, vorgefasster Meinung oder mangelhaften Untersuchuntf?-
methoden beruhend. Verf. fordert auf, dem Gegenstand jedenfalls grössere Auf¬
merksamkeit zuzuwenden. Kurt MendeL
27) Les paralysies saturnines, par Debove. (Gaz. hebdom. 1902. Nr. 8.)
Verf. berichtet über 2 typische Fälle von Bleilähmung; der eine betriir
einen in einer Accumulatorenfabrik Angestellten, der andere einen Maler. Brök
hatten vor Beginn der Lähmung Verdauungstörungen und mehrmals Bleikohl
durchgemacht. Es bestehen bei beiden Lähmung, Atrophie und elektrische Ver¬
änderungen an den oberen Extremitäten und Schultern, in dem einen Fall sm:
die Gesichtsmuskeln mit betheiligt und es besteht horizontaler Nystagmus.
Verf. bespricht im Anschluss an diese Fälle die pathologische Anatom
der Bleilähmungen und hält es für sehr wahrscheinlich, dass bei denselben aoeb
die Vorderhornzellen mit afficirt sind. Die Bleilähmungen unterscheiden sich voa
den Arsen- und Alcoholneuritiden durch die Localisation an den oberen Extrmi-
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taten sowie das Fehlen von heftigen Schmerzen und Sensibilitätsstörungen. Die
rheumatische Radialislähmung ist stets einseitig und tritt plötzlich auf. Bei
Berücksichtigung der Differentialdiagnose mit progressiver Muskelatrophie kann
man sich nicht allein auf die elektrische Untersuchung verlassen , rr man; muss die
Aetiologie (Blei) und den Verlauf des Leidens (bei progressiver Muskelatrophie
Fortschreiten der Atrophie, bei Bleilähmung Neigung zur Heilung, sofern der
Kranke dem Bleieinfluss entzogen wird) mit berücksichtigen.
Die Behandlung der Bleilähmungen besteht in Entfernung des schädlichen
Metalls, in Begünstigung seiner Ausscheidung aus dem Körper (Milch, viel Flüssig-
keitsaufhahme, Purgantien) und Eleotrisation der Muskeln. Kurt Mendel.
28) Drei Fälle von Neuritis areenioalis, von W. Janowsky. (Zeitschr. f.
klin. Medicin. XXXXIV. S. 60.)
Verf. theilt die Krankengeschichten dreier Fälle von Neuritis arsenicalis mit
und schliesst daran eine Darstellung der Symptomatologie dieser Neuritisform auf
Grund der in der Litteratur mitgetheilten Fälle.
Fall I. 22 Jahre alter Patient; Vergiftungsversuch mit Schweinfurter Grün.
Darauf Erbrechen und Durchfall mehrere Tage und längere Zeit starke Schmerzen
im Leib. Nephritis acuta, welche nach einer Woche wieder verging. 8 Tage
nach der Vergiftung Auftreten eines scarlatinösen Exanthems fast über den ganzen
Körper mit Temperatursteigerung (39° C.) mit folgender Abschuppung nach etwa
7 tägigem Bestehen. Danach Auftreten sehr heftiger Sohmerzen in allen Ex¬
tremitäten mit Abschwächung der motorischen Kraft Rechte obere Extremität
Doch schwächer als linke. Bei allen Bewegungen der oberen Extremitäten deut¬
liches Zittern in denselben. Druck auf einzelne Nerven und Muskeln der Arme
wird als sehr schmerzhaft empfunden; es besteht Hypästhesie vom Ellenbogen bis
zu den Fingern, am stärksten in den Händen. Ebenso wie an den oberen besteht
auch an beiden Unterextremitäten erhebliche Schwäche, besonders im Peroneus-
gebiete, daneben heftige Schmerzen in ihnen und Parästhesieen. Verminderung
des Temperaturgefühls. Sehnenreflexe aufgehoben, Hautreflexe vorhanden; keine
Ataxie, keine Störung von Seiten der Blase und des Rectums. Diese Symptome
bleiben lange Zeit bestehen; zu der Schwäche in den Extremitäten gesellt sich
Atrophie einzelner Muskeln (Mm. interossei, lumbricales und des Thenar). Die
elektrische Untersuchung in den betroffenen Nerven und Muskeln ergab nur stets
eine Herabsetzung der Reaction auf beide Ströme, aber keine Entartungsreaction.
Intercurrent auftretendes und drei Monate andauerndes starkes Schwitzen an beiden
Händen und Füssen. Allmähliche Besserung.
Fall II. 33 Jahre alter Patient, nahm wegen Psoriasis Solutio arsenicalis
Fowleri; da er mit den Tropfen dieser Lösung täglich steigen sollte, so kam er
schliesslich bis zu 100 Tropfen pro die. In Folge dessen stellten sich Erbrechen,
Durchfall, Brennen im Munde, Magen und am ganzen Körper ein; hierzu trat eine
Schwäche der Beine, die an Intensität immer mehr zunahm, so dass Pat. ins
Krankenhaus gebracht wurde. Der Status ergab: Erhebliche Schwäche sämmt-
licher Muskeln beider Oberextremitäten, ferner des rechten Serratus anticus und
des rechten Latissimus dorei. Die rechte Seite ist überall stärker betroffen als
die linke; am meisten betroffen sind die Mm. interossei und die kleinen Hand¬
muskeln. Erhebliche Atrophie der Muskeln beider Vorderarme und der Hände.
Entartungsreaction nur im M. opponens. Ebenso wie in den Armen findet sich
deutliche Schwäche in beiden Beinen, besonders der Extensoren, ebenso Atrophie
und in einzelnen Muskeln der Extensorengruppe Entartungsreaction. Ausser spon¬
tanen brennenden Schmerzen, die Pat. an den Gliedern hat, sind die Nerven und
Muskeln sehr druckempfindlich; es finden sich ferner anästhetische Zonen in den
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betroffenen Theilen, an einzelnen Stellen andererseits Hyperalgeeieen. Die Sehne»-
reflexe sind erloschen. Keine Störung von Seiten der Blase and des Rectum«
Zu erwähnen ist noch das Bestehen trophischer Störungen an den Nägeln, ferner
Störungen des Muskelsinnes und Ataxie leichteren Grades. Allmähliche Besserung.
Fall III. 31 Jahre alter Patient, an chronischer Nephritis und Neurasthenie
leidend. Beginn der Krankheit mit Gefühl des Erstarren» in der linken Hand
und Schwäche des linken Armes, die immer erheblicher wird. Die zu wiederholtes
Zeiten im Verlaufe der Krankheit vorgenommene Untersuchung ergiebt stets nur
eine Monoplegie des linken Armes, mit Atrophie von Muskeln des Vorder
armes und der Hand. Der linke Plexus hrachialis ist sehr druckempfindlich,
ebenso der Thenar; es besteht ferner leichte Hypästhesie und deutliche Hyper-
algesie an den Fingern und schliesslich ist das stereognostische Gefühl der link«
Hand vollkommen erloschen. Alle diese Erscheinungen sind imch Ansicht de-
Autors die Folgen einer Intoxication mit Arsen, das in sehr grosser Menge nach
vielfachem Suchen in einem im Wohnzimmer hängenden ausgestopften Vogel ge¬
funden wurde. Jacobsohn (Berlin).
29) Bin Fall von Antipyrinintoxioation, von Dr. Seiler (Interl&ken). (Com-
spondenzblatt f. Schweizer Aerzte. 1902. Nr. 15.)
Bei einer 26 Jahre alten, seit längerer Zeit an Gelenkrheumatismus leidend«
Frau verordnete Verf. zweistündlich 0,5 g Antipyrin. Schmerzen und Schwellung
gingen zurück, am 4. Tage, nach Darreichung von etwa 12g Antipyrin im gacm.
trat jedoch Oedem im Gesicht, scharlachartiges Exanthem am ganzen Körper »ul
Temperatur 40,5, Puls 145 — 160, trockene Zunge, Schwindelgefühl, Brechreö.
am nächsten Tage (nachdem bereits Antipyrin ausgesetzt worden war) hochgradig«
Prostration, starke Hypalgesie, schwache Reflexe. Am 3. Tage wieder annähernd
normales Befinden. Verf. nimmt an, dass eine accumulative Wirkung des Anti-
pyrinB stattgefunden habe und mahnt zur Vorsicht bei der Darreichung Ton
Antipyrin. Kurt MendeL
30) Elektrioität und Chloroformnaroose, von Dr. S. Jellinek. (Wiener klin
Wochenschr. 1901. Nr. 45 u. 48.)
Verf. fand, dass „der hochgespannte Wechselstrom mit bestimmter Pericxte-
zah 1 und Polanordnung Rachen-Rectum, der Kaninchen im wachen Zustande tödtetf
oder sie schwer zu verletzen im Stande war, sich bei Thieren derselben Art a
tiefer Narcose als lebensrettend erwies: die Kaninchen wurden nicht nur ms
tiefster Narcose momentan aufgerüttelt, es war auch keinerlei schädigende Nach¬
wirkung der Elektricität in Chloroformnarcose zu constatiren. Während ferner
andere Reizmittel bei tief chloroformirten Kaninchen nicht den geringsten Eff« 1
hervorzurufen im Stande waren, die Centra des Gehirns und des Rückenmark«
auf dieselben als ganz unerregbar sich darboten, da schien der Wechselstrom da«
Gegentheil bewirken zu können.“
Theoretisch bemerkt Verf. noch dazu, dass aus dem Mangel schädigender
Nachwirkung der Einwirkung elektrischer Ströme auf chloroformirte Thiere er¬
hellt, dass die Wirkung hochgespannter elektrischer Ströme auf den mensch¬
lichen Organismus keine materiell destructive zu sein braucht
J. Sorgo (Wien).
31) Sur un cas d’amnösie oontinue oonsdoutif 4 une tent&Üve de suicide
par l’oxyde de oarbone, par Truelle et Petit (Archives de neurolog«
1901. Nr. 68.)
Interessante, genau mitgetheilte Krankengeschichte eines 54 Jahre alte»
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Möbeltischlers, der im Anschluss an Einathmen von Kohlendämpfen aus selbst*
mörderischer Absicht eine sehr weit umfassende Amnesie erlitt. Näheres kann
Ref. leider nicht mittheilen, weil er den Raum eines Referates überschreiten
müsste. Die Mittheilung muss als wichtiger casuistischer Beitrag gelten.
Adolf Passow (Meiningen).
32) Zur Pathogenese der Kohlenoxydl&hmungen , von v. S öl der. (Jahr¬
bücher f. Psych. u. Nervenkrankh. XXII. S. 287.)
Von den nach Kohlenoxydvergiftung auftretenden Lähmungen sind die ence-
phalomalacischen und neuritischen bekannt. Verf. bringt nun einen Fall von
primär myopathischer Lähmung nach Kohlenoxydintoxication.
41jähr. Frau, Suicid mit Kohlendunst. Bewusstlosigkeit, tonische Krämpfe,
Trismus; rasche Erholung. Nach 10 Tagen psychische Störungen; es entwickelte
sich das Bild einer KorBakow'schen Psychose. Körperlicherseits: Fingertremor,
schwankender Gang, Patellarreflexe gesteigert; allmähliche, bis zu den höchsten
Graden fortschreitende Atrophie der willkürlichen Musculatur, der Atrophie voll¬
ständig parallel gehende Abnahme der Kraft, niemals fibrilläre Zuckungen, keine
Entartungareaction, einfaches Absinken der elektrischen Erregbarkeit bis zum
Schwinden derselben in den am meisten atrophischen und gelähmten Muskeln; und
zwar handelte es sich an den oberen Gliedmaassen um einfache, der allgemeinen
Abmagerung entsprechende Volumsabnahme der Musculatur, die nicht druck-
schmerzhaft war, mit normaler elektrischer Erregbarkeit, während an den Beinen
es zu localisirten, echten Atrophieen und den oben erwähnten schweren Lähmungs¬
erscheinungen kam. Keine Sensibilitätsstörungen. Sphinkterenfunction intact.
Gehirnnerven frei. Marasmus. Decubitus. Exitus.
Histologisch: Degeneration der Vorderhornzellen im Hals- und Brustmarke,
im Lenden- und Sacralmarke viel weniger. Vordere Wurzeln normal. An den
Nerven der oberen Extremitäten degenerative Neuritis, an denen der unteren
sind nur wenige atrophisch, der grösste Theil der Nervenfasern normal. An der
Musculatur hyaline Degeneration der kleineren Arterien, fettige und hyaline Dege¬
neration der Muskeln der oberen Extremitäten. Verschmälerung eines Theiles
der Fasern. An der Musculatur der unteren Gliedmaassen hochgradige Ver¬
schmälerung aller Fasern mit theil weisem Zerfall der Fibrillen. Vemehrung des
interstitiellen Gewebes, sehr wenig recente Zerfallsproduote.
Mit Rücksicht auf das grobe Missverhältniss zwischen den geringfügigen
Veränderungen im Lenden- und Sacralmarke und in den Nerven der unteren
Gliedmaassen einerseits, und andererseits den schweren Befunden an der Muscu¬
latur daselbst nimmt Verf. eine primär myopathische Erkrankung an.
Trotz der Veränderungen des nervösen Apparates der oberen Extremitäten
glaubt Verf. aber auch hier einen primär myopathischen Process annehmen zu
dürfen mit Rücksicht auf den klinischen Verlauf und den anatomischen Befund.
Die Genese der Muskelerkrankung dürfte auf direct toxischem Wege hervorgerufen
worden sein, welche Vergiftung auch die Veränderungen am Nervensystem bewirkt
haben könnte.
Verf. stellt zum Schluss tabellarisch die differential diagnostischen Momente
neuritischer und primär-myopathischer Lähmung zusammen.
Der Decursus morbi und der histologische Befund sind in musterhafter Exact-
heit geschildert. Zwei Abbildungen im Texte. Pilcz (Wien).
33) Ein zur Heilung gekommener Fall von Kohlenoxydvergiftung mit
aussohlieeBlioh psychischen Störungen, von Dr. Ernst Bloch. (Fort¬
schritte der Medicin. 1902. Nr. 16.)
Verf. bringt sehr summarisch die Krankengeschichte eines durch „austretende
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Wetter“ vergifteten Steigers, welcher keine somatischen Symptome bot and rar
psychisch alterirt war (retrograde Amnesie and Gedächtnissstörung), speciet
fehlten Zeichen von peripherischer Neuritis. Verf. erklärt die beobachtete Ge-
dächtniss8törang dadurch, dass bei dem Pat., der Btets überaus viel und gern ge¬
lesen hatte, das Gehirn den Locus minoris resistentiae darstellt, an welchem die
Vergiftung angegriffen hat(!). Verf. betrachtet den Fall als eine leichte Fons
der Korsakoff’schen Erkrankung. Kurt MendeL
34) Denx om de payohoses niootiniquee, par C. Zalackas. (Progres medial
1902. Nr. 6.)
Auf Grund seiner Untersuchungen empfiehlt Verf. als Antidot gegen schwen
Nicotinvergiftungen mit psychischen Begleiterscheinungen Nasturtium officin&le -
Brunnenkresse, die er mit Cafeine zusammen injicirt —; man soll vor der Aspbjn;
die Injectionen wiederholen und nioht über drei Injectionen hinausgehen.
Adolf Passow (Meiningen).
36) Beiträge zur Kenntnlss des Delirium tremens der Morphinisten, **
Dr. Karl Abraham. (Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych. 1902. Nr.1491
Verf. beschreibt einen in der Irrenanstalt zu Dalldorf beobachteten Fall toi
Delirium bei einem Morphinisten, um im Anschluss hieran einen Vergleich
zwischen diesem Delirium und demjenigen bei Alkoholisten zu ziehen. Es han¬
delte sich um einen 53jährigen Kaufmann, welcher mit Unterbrechungen sä:
30 Jahren Morphium spritzte. Am 5. Tage der Entziehung begann das Delirium
An den vorhergehenden Tagen bestand motorische Unruhe, Schlaflosigkeit ud£
verstärkter Tremor. Zugleich mit den Hallucinationen traten krampfartig
Zuckungen auf. Die Dauer des Delirs betrug 11—12 Tage, die Unruhe wir
Nachts stärker. Am Schluss des Deliriums verfiel Pat. in Schlaf, aus welchem er
völlig klar erwachte.
Ein Unterschied des beobachteten Delirs zu den Alkoholdelirien zeigte äci
nun in folgenden Punkten:
Es bestanden nie Angstaffecte (im Gegensatz zu dem bei Alkoholdelirant«
Beobachteten), die Bewusstseinstrübung und Aufmerksamkeitsstörung erreichte
nioht den Grad wie im Alkoholdelirium, Ablenkbarkeit wurde völlig vermiet
Pat erfasste meist die Situation richtig, die Merkfähigkeit war intact, Halle-
cinationen überwogen die Dlusionen.
Hingegen waren in Verf.’s Fall — ebenso wie bei Alkoholdeliranten — vor¬
handen : Visionen bei Druck auf die Augen (Liepmann), die Suggestibilität Sr
Sinnestäuschungen, das Charakteristische des körperlichen Gesammteindruckes.
Kurt MendeL
36) Ueber die Anwendung des Kampherz bei der Morphium entziehuM.
von Julius Hofmann. (Therap. Monatsh. 1902. Juli.)
Ausgehend von der Erfahrung, dass Morphium Herzvergrösserung und Blut*
druckemiedrigung, Kampher Herzverkleinerung und Blutdrucksteigerung zur Folg*
hat, ist Verf. zu der Anwendung des letzteren bei der Entziehungskur gekommen,
und hat auch in einer Reihe von Fällen eine Verminderung der Abstinent-
Symptome dadurch erzielt; er wartete mit der Darreichung, bis sich Abstinent-
erBcheinungen zeigten, und gab dann innerlich täglich 0,1—0,26 g. Ein will¬
kommener Nebenerfolg dieser Medication war, dass die Schlafmittel, wie Triooä.
Dormiol u. ähnl. darnach besser und sicherer wirkten als vorher. Die Kur wurde
unterstützt durch Validol, mehrmals täglich 15 Tropfen, und elektrische Bäder.
H. Haenel (Dresden)
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Therapie.
37) Zur klinischen Würdigung einiger neuer Arzneimittel (Agurin, Pur¬
gatin, Yohimbin), von Dr. A. Hess. (Therapie der Gegenwart. 1902.
Juni.)
Von den in der Ueberschrift genannten Mitteln interessirt hier nur das
Yohimbin, das Verf. auf der Abtheilung von Fürbringer bei über 20 theils
nervengesunden, theils neurasthenischen Patienten gegeben hat. Suggestive Be¬
einflussung wurde in allen Fällen absichtlich vermieden. Verf. kommt auf Grund
seiner Erfahrungen zu einem im wesentlichen negativen Resultate bezüglich des
Werthes des Mittels als Aphrodisiacum; nur zwei seiner Patienten hatten über
unruhige geschlechtlich erregende nächtliche Träume zu berichten; sonst war in
keinem Falle ein sicherer Einfluss auf die Geschlechtssphäre zu constatiren.
Martin Bloch (Berlin).
38) Die therapeutische Verwendung des kakodylsauren Natrons und die
intravenöse Arsenbehandlung, von F. Mendel. (Therapeut. Monatshefte.
1902. April.)
Verf. hat den Heileffect des Arsens in Form des kakodylsauren Natrons bei
intravenöser Injection von 0,2 g pro die am zuverlässigsten gefunden, er hat mehr
als 400 solcher Injectionen ohne jeden Nachtheil gemacht und empfiehlt diese
Methode als die beste. Erfolge sah er bei Anämie und Chlorose, bei Tuberculose,
Diabetes, Kropferkrankungen u. 8. w. Von Nervenkrankheiten hebt er hervor
Ischias (bei der er auch intraneurale Injectionen mit Erfolg anwandte), Druck¬
lähmung des Radialis, die unter dieser Behandlung „auffallend rasch heilte“
hysterische Muskelschwäche, Migräne, gegen die das so eingefiihrte kakodylsaure
Natron geradezu ein Specificum Bein soll; eine solche Kur bedarf zu ihrer Durch¬
führung 4 Wochen. H. Haenel (Dresden).
in. Bibliographie.
Das Pathologische bei Nietzsche, von P. J. Moebius. (Grenzfragen des Nerven-
und Seelenlebens. XIL)
Der Neurologe wird das Problem Nietzsche unter anderem Gesichtswinkel
betrachten als der Gebildete überhaupt, der nicht gleich an die Beziehungen
von Nietzsche zu den — Sprechstunden der Nervenärzte denkt. Die Frage, ob
und in wie weit ein Schriftsteller von solch suggestiver Kraft seine Leser, ins¬
besondere jugendliche, noch nicht immune Köpfe ungünstig beeinflusst, eine Frage,
welche z. B. der verehrte Herausgeber, wie mir bekannt, bejaht — oder ob nicht
die neuropathisch Veranlagten zu Nietzsche als dem Exponenten ihrer Lebens¬
auffassung unbewusst und aufs stärkste sich hingezogen fühlen und in ihm nur
in glänzender Wiedergabe finden, was Bie selbst dunkel empfinden — das sind
Dinge, die zu dem schwierigen und wenig beackerten Gebiet des Verhältnisses
zwischen Nervosität und Kunstgenuss, Lectüre, kurz der psychischen Diät gehören.
Einen ansehnlichen Beitrag hierzu liefert P. J. Moebius in seinem Aufsatze, der
seine „Vordermänner“ in den von demselben Verf. herrührenden in gleicher
Richtung zielenden Abhandlungen über Rousseau, Goethe, Schopenhauer
besitzt.
Prof. Ziehen konnte schon 1894 gelegentlich eines Besuches der Jenenser
Irrenanstalt dem Ref. Ursache und Diagnose des Leidens nennen, unter welchem
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Nietzsche Januar 1890 zu Turin im ersten paralytischen Anfall niederbruk
Dass die neuzeitliche Paralyse ihren Typus, ihre Dauer verändert, beweist auch
der langsame und mehr die ErschöpfungBform darbietende Verlauf bei Nietzsche;
die Beziehungen derselben zu der unzweifelhaften neuropathischen Anlage and n
desjenigen Krankheit (schwerste Form der Migräne), die N. 20 Jahre lang quälte,
ihn frühzeitig dienstunfähig machte, leugnet Verf. unter Hinweis auf die exogene
Ursache der Paralyse.
Das Prodromalstadium der Paralyse setzt Verf. ungewöhnlich lange, etwa
8 Jahre dauernd an; somatische Beweise aus erster Hand bringt er nicht herbei
sondern er schliesst seine Annahme mittelbar aus den in euphorischen Stadien
hervorgegangenen Capiteln des Zarathustrawerkes. Nun sind ja sicher gewiss
Theile des Zarathustrawerkes in dem manisch-dithyrambischen Iktus verfasst; dis
diese trotz alledem grossartig concipirten Gedanken nun etwa in einer Art te
I ntervallum lucidum einer beginnenden Paralyse geschrieben seien, das möchte
wir doch bezweifeln; das stimmte ganz und gar nicht mit den Leistungen, welch:
auch von Hause aus so genial beanlagte Paralytiker in ihren besseren Zeit«
hervorzubringen pflegen, überein. Das Wort „An ihren Früchten sollt ihr k
erkennen“ gilt ganz besonders von den fälschlich, weil nur e contrario überschätzt«
Werken der Geisteskranken, und die Theorie, welche Verf. aufstellt, dass, wie
im Alkoholrausch, eine snrexcitation cerebrale bei Nietzsche statthabe, will ms
ebenfalls nicht einleuchten. Das, was Nietzsche krank machte, war die neuro-^
pathische Anlage, die Enttäuschungen über die Erfolge seiner Erstlingswerke, für
welche die nach dem 70 er Kriege lebende Generation nicht aufnahmefähig war,
das einsame, liebe- und pflegelose Leben, selbst körperliche Entbehrungen. Da
mag nun die periodische Neurasthenie — eine solche dürfte den diagnostisch«
Summandus für die Migräne und die euphorischen Zustände abgeben — sicherlich
Zeiten geliefert haben, in denen Nietzsche leichter und rascher concipirte. D*
sind unsere sachlichen Einwände. Im Uebrigen enthält die Abhandlung, wie stet 1
bei Moeb ins-Schriften, viel Kluges und Kritisches in klarer Form, und «■
kühlend mag und soll sie auch auf die Nietzsche-Verhimmler wirken. Die
gute Absicht des Verf.’s möge den stellenweise respectlosen Ton gegenüber einen
unleugbar genialen Denker etwas entschuldigen, welcher nicht nur ein tief unglück¬
licher, ein in gesunden Zeiten feinfühliger und edler Mensch war, sondern awh
ein Schriftsteller, wie ihn die deutsche Sprache seit der klassischen Perioce
unserer Litteratur nur noch in zwei oder drei Exemplaren aufweist. Nietzsche;
Prosa ist nach Meinung des Ref. das romantischste Deutsch, das wir beste®
Aphorismen, welche in 15 Worten sagten, worüber Andere dicke Bücher schreib®,
hat Nietzsche in der ihm eigenen Form als Urerster geschaffen — vielleicht
ad aetemum. B. Laquer (Wiesbaden), f
IV. Aus den Gesellschaften.
IiXXIV. Veroammlnng deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad
am 21.—26. September 1902.
19. Abtheilung: Neurologie und Psychiatrie.
Sitzung vom 22. September.
Vorsitzender: Herr Prof. Wagner (Wien).
1. Herr Eulenburg (Berlin): Ueber einige neuere elektro-therapeutäch«
Methoden,
Durch die Hertz'sehe Wellenlehre und die Starkstromtechnik (Tesla.
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d’Arsonval) sind der Elektrotherapie einige neue Wege eröffnet worden. Es
zeigte sich, dass starke Ströme u. a. heilende Wirkungen bei völliger Gefahr¬
losigkeit aufweisen, auch auf andere als Nervenleiden. Besonders aus Frankreich
und Italien sind gute Erfolge gemeldet worden. Eine Modification haben die
Apparate Tesla’s neuerdings durch den Ingenieur Bob. Scharf erfahren, die
angeblich die Spendung ungeheurer Elektricitätsmengen ermöglichen soll. —
Einen Ersatz für die kostspieligen und complicirten Tesla-Apparate sollen die
von Stembo eingeführten „monodischen Voltströme“ abgeben, die eine vom
negativen Pol allein ausgehende elektrische Ladung des Körpers erzeugen sollen.
Es soll durch dieselben gelingen, auch in Fällen vorgeschrittener Entartungs-
reaction noch Zuckungen zu erzielen, wenn andere Methoden versagen, was Vortr.
allerdings nicht bestätigen konnte. — Eine weitere Methode ist in der sogen,
„elektro-magnetischen Therapie“ nach dem System des Schweizer Ingenieurs Eugen
Konrad gegeben. Bei derselben werden Ströme von hoher Intensität, aber ge¬
ringer Spannung und relativ wenigen (100) Polwechseln in der Secunde an¬
gewendet, die ein Magnetfeld erzeugen; dessen Kraftlinien werden als Träger der
Wirkung angesehen. Dass eine Beeinflussung des Körpers durch dieses Magnet¬
feld stattfindet, geht aus der Beobachtung eines entoptischen Phänomens hervor,
das bei rascher Annäherung des „Radiators“ an den Kopf der Versuchsperson auf-
tritt. Die Erklärung dieses Phänomens steht noch aus. Auch eine Steigerung
des Oxyhämoglobingehaltes unter der Behandlung hat man beobachtet. Die Er¬
folge beruhen zumeist auf einer sedativen, antineuralgischen und hypnotischen
Wirkung; von 177 im Berliner Institut behandelten Fällen konnten 14°/ 0 als
geheilt, 53°/ 0 als gebessert angesehen werden. — Schliesslich sei noch das von
dem Karlsbader Arzt Schnöe angegebene elektrische Vierzellenbad angeführt; die
Angabe des Erfinders, dass es durch dasselbe gelinge, dem elektrischen Strom
eine bestimmte Richtung im Körper vorzuschreiben, hält Vortr. für fraglich; die
Wirksamkeit konnte er trotzdem bestätigen, nur bei Paralysis agitans versagte
sie stets. Eine kataphorische Wirkung bei Zusatz bestimmter Medicamente in das
Wasser konnte Vortr. nicht beobachten; doch wurden vielleicht die Lösungen zu
schwach gewählt. — Aus all dem geht hervor, dass die Elektrotherapie noch
lebenskräftig ist.
2. Herr Anton (Graz): Wahre Hypertrophie des Gehirns mit Befunden
an Thymus und Nebennieren.
Klinisch handelt es sich um einen hereditär schwer belasteten Epileptiker,
der niemals Herderscheinungen, nur eine gewisse Erschwerung der spontanen Be¬
wegungen dargeboten hatte. Die Intelligenz war stets eine gute; der Tod erfolgte
im 20. Lebensjahre im Status epilepticus. — Anatomisch fand sich ein fast auf
Papierdünne reducirtes Schädeldach, auch die Knochen der Basis waren verdünnt,
die Hinterhauptssohuppe fast horizontal gestellt. Das Gehirn war von auffallender
Grösse und wog nicht weniger als 2055 g. Die Vergrösserung betraf alle Theile
gleichmässig, die Proportionen waren nicht gestört; so wog z. B. das Kleinhirn
ll°/ 0 des Gesammtgehirns, wie bei Normalen. Die Furchen waren sehr tief^ doch
war das Verhältniss von grauer und weisser Substanz normal, es bestand nur ein
mässiger Hydrooephalus internus. Eine Zusammenstellung der bisher beschriebenen
Maximalgewichte zeigt, dass das vorliegende Gehirn zu den schwersten gehört. —
Die Section zeigte weiter, dass die Thymus in auffallender Grösse erhalten war,
ihre Arterien entsprangen direct aus der Art. anonyma; das Herz zeigte Myo¬
degeneration; die Nebennieren waren cystisch degenerirt, und zwar so, dass die
Marksubstanz gänzlich verloren gegangen, die Rinde erhalten geblieben, wenn
auch pathologisch verändert war.
Persistente Thymus und Degeneration der Nebennieren ist bei monströsen
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Gehirnen — die auch sämmtlich geschädigte Function aufwiesen — venchiedat-
lieh beobachtet und beide Anomalieen in ursächlichen Zusammenhang gebricht
worden. Worin dieser Zusammenhang im Speciellen besteht, ist noch nicht soi-
geklärt; zu denken hat man an die neuerdings nachgewiesene vasoconstrictonKb
Wirkung der Nebennierensubstanz, die ihren Einfluss nicht nur auf Missbildungen
sondern auch auf andere Gehirnkrankheiten (congenitalen Hydrooephilui) er¬
strecken mag.
Di8CU88ion:
Herr Obersteiner: Beine Hypertrophie des Gehirns ist ein sehr selta»
Vorkommniss. Er erinnert an einen von ihm vor Jahren beschriebenen Fsj
eines 8jährigen Knaben, dessen Gehirn (ohne Ventrikelflüssigkeit) 1920 g vog.
Auch bei diesem fehlten, wie in dem Falle des Vortr., schwere Intelligenzdefette
Herr Anton erwähnt noch, dass die schwere Herzdegeneration vielleicht txi
den übermässigen Bromgebrauch bei dem Pat. Zurückzufuhren sei. Das gestört
Gleichgewicht vom allgemeinen Blutdruck und Gehirndruck hat man such fi?
die Pathogenese der epileptischen Krämpfe herangezogen.
Herr St ekel hat bei seinen Migränestudien bei der angiospastischen Fora
mit ziemlicher Regelmässigkeit Temperaturherabsetzung beobachtet; das gleich
ist bei einem Fall von Sarcom der Nebennieren beschrieben. Er hält desbl:
für die Gehirntemperatur die Intactheit der Nebennieren für wichtig, und find*
darin auch Hinweise für die Migränepathologie.
3. Pilcz (Wien): Ueber Ergebnisse elektrischer Untersuchungen u
Geisteskranken.
Ausgehend von der bekannten Beobachtung, dass ein und dieselbe Schädlich¬
keit (Alkohol u. ähnl.) sowohl Psychosen als auch Polyneuritis hervorrufen k»nt
kam Vortr. auf die Vermuthung, dass auch bei anderen Formen von Psychosen,
bei denen nur eine toxische Schädlichkeit im allgemeinen angenommen virc
(Amentia u. ähnl.), eine Mitbetheiligung peripherer Nervengebiete zu erwarten sd
Er hat bei AlkoholpsychoBen, progressiver Paralyse, Amentia exacte Unter¬
suchungen auf Zuckungsträgheit bei Reizung der Muskeln mit dem galvanische:
und faradischen Strome angestellt und durch myographische Aufzeichnungen <fc
Zuckungscurven die Möglichkeit gewonnen, selbst geringe Abweichungen zahlae
mässig festlegen zu können. (So stieg die Zuckungsdauer von 0,1 — 0,18 auf 0,21
bis 0,58 Secunden am M. extens. digit. commun.) — Von 10 Fällen von Ameotii
zeigten 6 galvanische und faradischc Zuckungsträgheit. Zwischen Delirium treu«
und anderen Alkoholpsychosen konnten Unterschiede insofern nachgewi«-
werden, als bei ersterem sich im Allgemeinen die schwereren Veränderung«:
zeigten (neben galvanischer auch faradische Trägheit). Auch bei progre»Tff
Paralyse konnte einige Male träge Zuckung nachgewiesen werden, doch ist
die Zahl der untersuchten Fälle noch zu gering. — Vortr. demonstrirt die erbe¬
tenen Myogramme.
Sitzung vom 23. September, Vormittags.
Vorsitzender: Herr Prof. Obersteiner (Wien).
4. Herr Marinesco (Bukarest): Untersuchungen über spinale L«* u ‘
sation.
Vortr. hat am Hunde experimentirt und ausserdem Beobachtungen am Mensch«
gesammelt, in denen ganze Extremitätenabschnitte, Nerven oder einzelne Muskel
verloren gegangen waren, und hat dabei nach Nissl sehr umschriebene Ver¬
änderungen einzelner Zellgruppen nachweisen können. Er fand dieselben
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bei einfacher Durchsohneidung der Nerven, als auch bei der Entfernung einzelner
Muskeln; die Ausreissung von Nerven führte er absichtlich nicht aus. — Er fand
als allgemeines Gesetz, dass nicht die Extremitätenabschnitte oder die Nerven,
sondern die Muskeln durch distincte Kerngruppen in den Vorderhörnern vertreten
sind, allerdings nur insofern, als sie eine isolirte Function haben; Muskeln mit
assooiirter Thätigkeit haben nur eine einzige, gemeinsame Kerngruppe. So zeigte
sich z. B., dass der N. accessorius im 1. —3. Cervicalsegment vertreten ist, dass
aber in seinem Kern die Zellen, die nach Ausrottung des M. sterno-cleido-mastoideus
degeniren, sammtlich medial, die nach Zerstörung des M. cucullaris degenerirenden
lateral gelegen sind. Ebenso hat der im 6. Segment vertretene N. subscapularis
zwei differente Kerne, entsprechend den beiden verschieden functionirenden
Muskeln, die er versorgt; im 7. Segment ist die median gelegene Zellgruppe dem
M. pectoral. major, die laterale dem Serrat. antic. major zuertheilt. Im Gebiet
der oberen Extremität (7. Cervical- bis 1. Dorsalsegment) haben die Flexoren
und Extensoren je verschiedene Kerngruppen, dagegen der N. medianus und
ulnaris, die beide der Flexion am Unterarm vorstehen, ein und dieselbe Kern¬
gruppe. Auch kann man im Allgemeinen sagen, dass die der Medianlinie näher
liegenden Muskeln auch im Rückenmark die Zellen der medialen Kerngruppen
innehaben, ein Verhältniss, das besonders bei der unteren Extremität deutlich ist.
DisouSBion:
Herr Rothmann macht auf das Problem der Wiederherstellung der Function
bei kreuzweise vorgenommener Vernähung durchschnittener Nerven aufmerksam;
wie steht es in solchen Fällen mit dem Centrum?
Herr Marinesco verspricht, auch diese Verhältnisse in den Kreis seiner
Beobachtungen zu ziehen.
6. Herr Münzer (Prag): Zur Lehre vom Neuron.
Auf der 72. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte waren in dem
Referat über Nervenfaser und Nervenzelle Verworn und Nissl entgegengesetzter
Meinung; die Lücke, die damals Nissl’s Ausführungen aufwiesen, hat sich in¬
zwischen Bethe auszufüllen bemüht, indem er auf Grund von Thierversuchen zu
den Schlüssen kam: 1. der Axencylinder entsteht multicellulär, 2. der periphere
Nerv regenerirt unter Umständen aus Bich selbst, 3. der so regenerirte Nerv
degenerirt nach nochmaliger Durchschneidung nur an seinem distalen Ende. —
Die in dem letzten Satze ausgesprochene Mystik eines immanenten Verhältnisses
von proximal und distal findet schon bei den Vorgängen nach Trennung der
Wurzeln des Spinalganglions ihre einfache Erklärung.
Den vorletzten Versuch Bethe’s hat Vortr. nachgeprüft: er durchschnitt bei
jungen Kaninohen einen peripheren Nerven, und untersuchte nach 54 und
150 Tagen die Schnittstellen und den peripheren Stumpf mikroskopisch. Eine
Wiederkehr der elektrischen Erregbarkeit des peripheren Stumpfes, wie Bethe
sie gefunden hatte, konnte Vortr. nicht beobachten, doch legt er hierauf weniger
Werth. Er fand die Schnittstelle stets mit den benachbarten Muskeln fest ver¬
wachsen; nach 54 Tagen sah er in dem peripheren Stumpfe nur leere Schwann’sche
Scheiden und Reste zerfallenen Markes, an dem kolbig verdickten proximalen Ende
desselben aber markhaltige junge Nervenfasern. Nach 150 Tagen konnte er sehen,
dass sich an der genannten Verwachsungsstelle ein Fettklumpen, mit Muskel¬
fasern vermengt, gebildet hatte, dem angelagert ein dichter Filz junger mark¬
haltiger Nervenfasern, von dem aus lange Ausläufer in die Bahn des alten Nerven
hinein zu verfolgen waren. Er erklärt diese Fasern für Auswachsungsproducte
der in dem angelagerten Muskel enthaltenen Fasern, und hält damit die An¬
schauung, dass in dem Bethe’schen Versuch die Fasern sich aus sioh selbst, un¬
abhängig von der Zelle, regenerirt hätten, für widerlegt.
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Er erinnert ferner daran, dass der 3. Versuch Bethe’s (zweite Degeneration
des schon einmal regenerirten Nerven) schon 1859 von Philippeau und Val*
pian angestellt worden ist, dass diese Autoren dieselbe Erklärung wie Bett«
dafür gaben, sie aber nach einer Entgegnung Banvier’s, der auch genau d*
Verdickung des proximal-grichteten Stumpfendes untersucht hatte, widerriefen.
Die Neuronlehre ist also hiernach durch den Bethe’sehen Verwich nid:
gestürzt.
Discussion:
Herr Rai mann hat ebenfalls den Bethe'sehen Versuch nachgeprüft und i?
zu denselben Resultaten wie der Vortr. gekommen: er fand an der Verwachsoijv
Btelle Muskeln und feine Nervenfasern bunt durcheinander gemischt, und konit-
eine strangartige Verbindung zwischen den durchschnittenen Nervenenden übe*,
nachweisen. Seine Versuche sind noch nicht abgeschlossen.
Herr Lilienstein betont, dass Bethe Werth auf die Verwendung et
neugeborener Thiere gelegt hat; bei älteren kam eine Regeneration nicht t
Stande.
Herr Obersteiner hält nach den vorgetragenen Untersuchungen das Bette
sehe Argument gegen die Neuronlehre ebenfalls für hinfällig.
6. Herr Sträussler (Wien): Ueber eine Missbildung des Centrainer»«
Systems und ihre Beziehung zu fötaler Hydraplegie. (Mit Demonstr»t.>L
9 tägiges Kind mit enormem Hydrocephalus internus, lumbosacr&ler Ra chi schi&
und Unterentwickelung deB Kleinhirns. Mikroskopisch wurde eine Verlagerst
der Medolla oblong, gefunden, sowie als Wichtigstes ein Einschluss im Centn,
canal, der sich mikroskopisch als Kleinhirnsubstanz erwies. Von einem an¬
sprechenden Falle Chiari’s unterschied sich der vorliegende nur dadurch, dö
der Einschluss dieser Kleinhirnsubstanz sich über den grössten Theil des Medni-'
rohres, vom Aquaeduct. Sylvii bis in den caudalen Theil des Rückenmarks tc
folgen Hess. — Ausserdem bestanden im ganzen Centralnervensystem noch es
grosse Anzahl anderer Missbildungen (Fehlen von Fornix und Balken, Perzistas
der Deckplatte des Nachhirns, Verlagerung der Oliven, Heterotopieen grauer Sub¬
stanz, Verdoppelung von Rückenmark und Spinalganglien u. a.).
Die von Chiari bei seinem Falle angenommene Erklärung, dass die Er
wickelungsstörung besonders des Kleinhirns eine Folge des Hydrocephalus vx
der dadurch bedingten Raumbeengung im Schädel sei, hält Vortr. für seinen Fa-
für ausgeschlossen, vor allem, weil die Störungen in eine ausserordentlich bxt |
Embryonalperiode zu datiren sind und auch in Theilen auftreten, die von
Druckverhältnissen in der Schädelhöhle gänzlich unabhängig sind. Eher ist t
zunehmen, dass der Hydrocephalus eine Folge der Verlagerung des Aquaeducc-
durch Kleinhimmasse ist.
7. Fräulein J. v. Leonowa (Würzburg): lieber die Entwiekelnng M fc T
mitäten des Centralnervensystems bei Cyclople.
In dem untersuchten Falle bestand ausser Cyclopie noch Mikrocephalie x>
Arhinencephalie; erhalten waren vom Centralnervensystem Rückenmark, Mt
oblong., Vierhügel und Zwischenhirn, das Kleinhirn war stark verkümmert. V>
fach fanden sich Heterotopieen grauer und weisser Substanz. Nach gcaamr
Schilderung der abweichenden Bildungen im Einzelnen geht Vortr. auf die T%«r
von Dareste über die Entstehung der Cyclopenbildung ein, durch die das hätf.'
Zusammentreffen dieser Missbildung mit Mikrocephalie erklärt werden kann. F*
Ergebnisse stehen mit den schon früher von ihm mitgetheilten Thatsache* -
schönstem Einklang. (Ausführliche Publioation in Gräfe’s Archiv £. Opk»
mologie.)
3y Google
- m
Disoussion:
Herr Sternberg weist besonders auf das Verhalten der Hinterstr&ttgskerne
in den von der Vortr. untersuchten Fällen bin, deren Zellen sehr schwach ent¬
wickelt sind; dies ist in solchen Fällen fast stets der Fall, trotzdem sind die
Hinterstränge selbst ganz gut entwickelt. Es kommt also bei der normalen
Ausbildung nicht nur der Ursprungs-, sondern auch der Endkern wesentlich in
Frage, was in gewissem Sinne gegen die Neuronentheorie verwendet werden kann.
Herr Anton bestreitet die Allgemeingiiltigkeit der Amniontheorie vonDareste
für die Erklärung von Missbildungen wie die vorliegende. Es darf nicht ver¬
gessen werden, dass beim sich entwickelnden Organismus ganz andere Wachs¬
thumskräfte wirksam sind als beim erwachsenen Individuum. Das für die Embryonal¬
periode so wichtige Neuroepithel z. B. ist später ein vollkommen bedeutungsloses
Gewebe. Er weist wie der Vorredner auf die Beziehungen solcher Fälle zur
Neuronfrage hin: Es besteht dabei nicht selten eine auffallende Incongruenz
zwischen der Entwickelung der Kerne und Ganglienzellen einer- und der Fasern
resp. Muskeln andererseits; im Waohsthum scheinen beide bis zu hohem Grade
unabhängig von einander sein zu können, der Zusammenhang wird erst durch die
Function bestimmt. Auch in anderen Gegenden des Nervensystems kann man
ähnliches heobaohten (Retina ohne N. opticus, Acusticus - Endorgane ohne Med.
oblong, u. a.).
HI. Sitzung vom 23. September.
Vorsitzender: Herr Prof. Marinesco (Bukarest).
8. Herr Marburg (Wien): Zur Pathologie der Hlrngef&sse.
Es besteht seit längerer Zeit die Frage, ob die Elastica der Gefasse
activ oder passiv bei Entzündungsvorgängen betheiligt sein kann. Jores
zeigte bei jugendlichen Individuen isolirte Verkalkung der Elastica. Vortr.
fand dasselbe bei einem 6 jährigen, an Rachitis und Scharlach gestorbenen Kinde
und bei einem 24 jährigen Manne, der einer acuten Eiterung erlag, bei beiden an
der Carotis interna. An einzelnen Stellen zeigten sich dabei auch Intima¬
veränderungen, wie bei echtem Gefässatherom. Verf. glaubt, dass vielleicht diese
Elasticapetrification als frühes Symptom einer Gefässerkrankung, als prädisponi-
rendes Moment — neben der Syphilis und der angeborenen schwachen Anlage
der Gefasse — für manche Frühapoplexieen heranzuziehen sei. Weiter fand
Vortr. bei Endarteriitis der Hiragefässe echte Knorpelbildung in der gewucherten
Zone der Intima, und zwar konnte er nachweisen, dass es sich um eine reine
Metaplasie handelte: Umwandlung des Bindegewebes direct in Knorpelgewebe.
9. Herr v. Jak sch (Prag): Ueber die im Manganbetriebe verkommen¬
den nervösen Affeetionen. (Mit Krankendemonstration.)
In der Manganindustrie sind Vortr. seit längerer Zeit Erkrankungsfälle auf¬
gefallen, die auf eine diffuse Erkrankung des Gehirns und Rückenmarks hinwiesen
und manche Analogieen mit dem Symptomenbilde der multiplen Sklerose dar¬
boten. Eine genauere Beobachtung zeigte, dass von den verschiedenen in Be¬
tracht kommenden Manganverbindungen nur das Manganoxydul schädliche und
8pecifisch giftige Wirkungen hat. Das Krankheitsbild ist ein sehr Bcharf um¬
schriebenes: Nie fehlt das sehr charakteristische Symptom der Retropulsion:
beim Rückwärtsgehen kommen die Kranken schon nach wenigen Schritten ins
„Schiessen“ und fallen, wenn sie nicht aufgefangen werden, heftig auf den Rücken.
Per Gang ist ausgesprochen spastisch; die Sprache scandirend; häufig besteht
Zwangslachen oder -weinen, häufig leidet auch die Intelligenz. Nystagmus ist
ein inconstantes Vorkommniss. Stets fehlen Intentionstremor, Ataxie, Romberg’-
Digilized by GoO^IC
974
sches Phänomen, Sensibilitätsstörungen, Schmerzen. Die Zeitdauer, ehrend weld»
das Gift einwirken muss, um zur Erkrankung zu führen, ist, wie das ja ks
bei anderen Metallgiften beobachtet wird, sehr verschieden, schwankt von wenke
Wochen bis zu mehreren Jahren. Die Prognose ist in den meisten Fällen iniiar.
Der Nachweis von Mangan im Harn ist nicht gelungen.
Discussion:
Herr Marinesco: Im Gegensatz zu dem Wechsel- und Formenreicttiiai
der Symptome der multiplen Sklerose steht hier die ausserordentliche Einförmig:
der Fälle, ein Umstand, der, bei dem Fehlen jeder pathologischen Anatomie. 4t
Gleichstellung beider Krankheiten etwas gewagt erscheinen lässt. Er fragt ferw
nach dem Gesichtsfeldbefund.
Herr v. Wagner findet die Aehnlichkeit mit der multiplen Sklerose, b
sonders in Bezug auf die Symptome des Zwanglachens und der scandirenia
Sprache, doch sehr überzeugend.
Herr Obersteiner hebt hervor, dass bei dem einen der vorgestellten Krnia
kleinschlägiger Nystagmus in der Mittelstellung der Augen zu beobachten i*
Herr Haenel führt gegen Herrn Marinesco an, dass bei Uebereinstimca
in den übrigen Punkten die Vielgestaltigkeit der multiplen Sklerose allein ko
kein Grund sei, die vorgestellten Fälle nicht in pathologischer Hinsicht zu diae
zu rechnen: jene Vielgestaltigkeit ist durch den wechselnden Sitz der Herde V
stimmt; stellt man sich vor, dass hier ein gleicher pathologisch-anatoBUi&
Process durch eine constante Localisation, etwa in der Gegend der Bulbirtecä
ausgezeichnet ist, so würde der von Herrn Marinesco hervorgehobene lute-
schied an Bedeutung verlieren.
Herr Rothmann fragt nach dem Verhalten der Babinski'sehen Befe
Herr v. Jaksch: Das Babinski’sche Phänomen fehlt in den vorliege::'
Fällen. Er glaubt doch ebenfalls, die Manganvergiftung in die Gruppe s
multiplen Sklerose eiDreihen zu können und hebt noch einmal hervor, von we".äf
Wichtigkeit es ist, dass wir hier zum ersten Male für diesen schon seit l»rs*
bekannten Symptomencomplex eine einheitliche und eindeutige Aetiologie law,
10. Herr Friedei Pick (Prag): Ueber klinische Temperatur«*»
Prüfung. I
Vortr. hat einen kleinen Apparat construirt, in welchem ein kleiner
behälter durch eine vom electrischen Strom glühend gemachte Platinspirale e
wärmt wird; die Erwärmung ist dadurch genau abstuf bar und kann an eines :
das Wasser ein tauchenden mit dem Handgriff fest verbundenen Thermometer
gelesen werden. Verwendet wurde der Apparat zur Feststellung der Scfcvt'
der Wärmeempfindung überhaupt und dann des Wärmeschmerzes. Herr
mann hat eine Reihe systematischer Untersuchungen mit demselben vorgecoozc
er fand, in Uebereinstimmung mit Goldscheider, an verschiedenen Körperst*
die Wärmeschwelle Behr verschieden hooh (Unterschiede bis zu 12°C.). Dsr-
den faradischen Strom, durch Menthollösung wird diese Schwelle erhöht,
Morphium und Cocain herabgesetzt, ebenso durch venöse Anämie und Hyperir.
Bei Tabes fanden sich Veränderungen der Empfindlichkeit fast in allen Fü*
bei Myelitis war zwar die Empfindlichkeit^- nicht aber die Schmerzschwelle eriä*
ähnlich war das Verhalten bei der Neurasthenie. Bei Hysterie wurde eia fit
licher Verlust der Wärmeempfindlichkeit stets vermisst. Bei Fieber w»r c 1
Wärmeschwelle erhöht, doch stand diese Erhöhung nicht in directem Verki^y
zu der Steigerung der Hauttemperatur.
11. Herr Sternberg (Wien): Zur Physiologie des Centralnervensj«***
naoh Studien an Hemioephalen.
Gemeinsam mit Dr. W. Latzko hat Vortr. die Lehensäusserungec a*
by
GoogI<
hirnlosen Missgeburt studirt und nach ihrem am 3. Tage erfolgten Tode das
Centralnervensystem untersucht. Es war vorhanden Kückenmark und Med. obl.
bis in die Gegend des Loc. coeruleus, ferner ein höchst rudimentäres Kleinhirn.
Der innere Aufbau zeigte eine gewisse Thierähnlichkeit. Es fehlte die Pyramiden¬
bahn, Monakow’sches, Gower’sches Bündel, die Kleinhirnverbindungen der Olive
und des Pons. Die Lebensäusserungen unterschieden sich nur wenig von denen
normal entwickelter Neugeborener. Das Wesen stiess den ersten Kinderschrei
aus, saugte an dem in den Mund geführten Finger, legte die aus ihrer Lage ge¬
brachten Arme wieder zurück. Das Stimmcentrum reicht also nicht höher als
bis in die Gegend des Loc. coeruleuB. Die Beruhigung des Schreiens durch das
Saugen am eingeführten Finger beruht auf einer Reflexliemmung, die sich in der
Med. oblong, vollzieht (Wirkung des „Schnullers“). Die ziemlich complicirte Coordi-
nation des Zurücklegens der Arme geschieht ohne Mitwirkung der Pyramidenbahn.
Schob man einen Finger in das Händchen, so wurde dieser ergriffen und fest¬
gehalten; auch diese Bewegung ist also nichts als ein tiefsitzender Reflex. Das
Geschöpf führte spontanen und reflectorischen Lidschluss aus, was gegen Mendel’s
Ansicht vom Ursprung des Augenfacialis aus dem 3. Kern spricht. — Auf
unangenehme Reize reagirte das Geschöpf mit verschiedenen, Schmerz und Un¬
willen ausdrückenden Grimassen des Mundes. Unterhalb des im Sehhügel locali-
sirten mimischen Centrums (Nothnagel, Bechterew) muss also noch ein Centrum
für reflectorische Mimik in der Med. oblong, liegen. Unter den beobachteten
Grimassen ist besonders eine in Wien als „Schnofern“ bezeichnete Geberde be-
merkenswerth, die nach Darwin schon bei Schimpansen, Orang-Utang beobachtet
wird, auch bei Kaffernweibern häufig ist, bei Europäern sich aber in späterer
Kindheit verliert. Auch das Festhalten des Fingers mit der Hand ist wahr¬
scheinlich ein phylogenetisch alter Reflex, der für ein auf Bäumen lebendes Wesen
sehr wichtig sein musste. Es fehlten einige Abwehrbewegungen der Extremitäten
(z. B. beim Kitzeln der Nasenschleimhaut), die sonst Neugeborene ausführen,
ebenso alle Reactionen auf Licht und Schall; ferner bestand eine sehr ungenügende
Temperaturregulirung, die wohl vor allem an der Unmöglichkeit des Fortlebens
Schuld war.
Discussion:
Herr Anton erinnert daran, dass die Möglichkeit einer Athmung ohne
Medulla oblong, schon durch einen Fall von Leonowa erwiesen war, ferner dass
die Temperatur solcher Missgeburten öfters tagelang bis auf 25° herabgesetzt
gefunden worden ist. Die Anschauung von Petren, dass solche Fälle eine Art
Atavismus darstellen, ein Stehenbleiben auf tiefer Entwickelungsstufe, hält er
für unzutreffend; es handelt sich stets um ein Abweichen von der normalen Ent¬
wickelung; er hält neben dem Intactsein des Neuroepithels die Wachsthums¬
beziehungen der einzelnen Nervengebiete unter einander für das Wichtigste, wie
sie sich erst allmählich durch die Function heraussteilen. — Für die in so vielen
Fällen beobachteten und auch hier nicht fehlenden kleinen Blutungen im Gehirn,
besonders in den höheren Niveaus, kann er weder in dem Geburtstrauma noch
ln der Asphyxie eine Erklärung erkennen; vielleicht sind auch hierfür die Neben¬
nieren von Bedeutung.
Frl. von Leonowa fragt nach der Untersuchung der Augen.
Herr Sternberg: Dieselbe war nicht möglich, weil der Schädel als Ganzes
zu Demonstrationszweoken aufgehoben worden war.
12. Herr Wiener(Prag), zugleich für Herrn Münzer (Prag): Das Zwisohen-
und Mittelhirn des Kaninchens.
Ausführliche Darstellung der die genannten Theile zusammensetzenden und
durchsetzenden Bahnen; für kurzes Referat nicht geeignet — Die Thalamuskerne
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stellen gewissermaassen eine Projection der Himrindengebiete auf kleinerem Mus¬
stabe dar. Die Pyramidenseitenstrangbahn enthält ausser den directen motoriaeba
Bahnen noch andere, aas tieferen Theilen, selbst aas den Strangzellen des Räcbt-
marks stammende Fasern. Den Namen der Schleife will Vortr. reservirt wiasa
für die aas den Hinterstrangkernen stammenden Bahnen; die Bezeichnung „latenlt
Schleife“ soll fallen gelassen werden. (Ausführliche Veröffentlichung in de
Monatsschr. f. Psych. u. Neurologie. XIL October.)
Disoassion:
Herr Bothmann glaubt, dass kein Grand vorliegt, den einmal eingebürgerte
Namen „Uonakow’Bches Bündel“ durch einen anderen (Tractus rubro-gpimL-
zu ersetzen. Die Pyramidenvorderstrangbahn beim Menschen und Affen ist d»
Ergebniss der höheren physiologischen Bedeutung der cortico-spmalen Bahn m
diesen Species.
Herr Wiener erinnert an die Beschlüsse dee Anatomencongreseee, die üb
bei seiner Nomenclatur maassgebend gewesen sind und die auf eine möglich»
Vermeidung der Eigennamen hinausgehen.
Herr Münzer ist derselben Ansicht, um so mehr, als das nach v. Monak:*
benannte Bündel ja schon vor diesem von Held beschrieben worden ist
13. Herr Baimann (Wien): lieber einen Fall von Folioenoephaläz
(mit Demonstration mikroskopischer Präparate).
Der vorliegende Fall bietet besonders ein ätiologisches Interesse: E* be¬
standen seit Jahren chronische Verdauungsstörungen; die Symptome der Poür
encephalitis waren zum Schluss von einer ausgesprochenen Psychose analog er
Korsakoff’sehen begleitet Weder Alkoholismus noch fieberhafte Krankheit
kamen sonst ursächlich in Betracht — Anatomisch fand sich eine Lynpk-
sarcomatose des Darmes mit schwerem Katarrh und Perforationsperitonitis, nk
Vortr. glaubt, dass die Polioencephalitis wohl Folge der Autointoxication v:a
Darm her gewesen ist. Er macht darauf aufmerksam, dass eine ähnliche Aetiokc-
vielleicht in einer Anzahl der Fälle von Polioencephalitis in Betracht kommt 3
denen die Anamnese Alkoholismus vermissen lässt.
IV. Sitzung vom 24. September.
Vorsitzender: Herr Prof. Meschede (Königsberg).
14. Herr Bosenfeld (Karlsbad): a) Baynaud’scber Symptomen compic
mit Sklerodermie.
Demonstration einer 31jähr. Kranken, die die beiden Symptome in fiiesaeoäc
Uebergange aufweist, was ein Argument für die Natur der Sklerodermie *-
einer vasomotorisch-trophischen Neurose darstellt.
b) Sklerodermie mit Myoeklerose.
Demonstration eines 8jähr. Kindes mit Sklerodermie im Gesiebt und in F<c
zweier schmaler Streifen am rechten Arm und linken Bein. Eine hochgr*c_ r
Volumsverminderung der Musculatur des linken Beins führt Vortr. auf ein«: -
Hauterkrankung ähnlichen Process (sog. Myosklerose) zurück.
15. Herr Meschede (Königsberg): Ueber die Gruppirung der Psyeboa
und die dabei au berücksichtigenden Gesichtspunkte.
Vortr. unterscheidet in der Eintheilung der Psychosen scharf den svap
matologischen von dem nosologischen Standpunkte: Hat man den ersteren in 1-’
so muss man von Geistesstörung, bei letzterem von Geisteskrankheit sprechen. ^
ersteren Falle kommt eine Gruppirung auf die vier Grundformen der Mit
Melancholie, Verrücktheit und Demenz hinaus; leider sind diese symptomatologuo
Namen auch im nosologischen Sinne gebraucht worden. Bei letzterer Einthal
fragt sich ferner, ob man besser thut, den Ausgangszustand, d. b. die is
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logie, oder den Endzustand als nosologisch maassgebend zu betrachten. Vortr.
schlägt vor, jene alten Grundbezeichnungen nur im symptomatologischen Sinne
zu gebrauchen, die Stellung in nosologischer Beziehung durch ein einschränkendes
Adjectivum auszudrücken, also z. B. von einer Mania epileptica, paralytica u. ähnl.
zu reden. Will man den nosologischen Begriff allein hervorheben, so geschieht
das am besten unter dem jedesmaligen Zusatz: Psychosis (epileptica, paranoica etc.)
Für die Fälle, in denen die nosologische Stellung des Zustandsbildes noch nicht
genauer fixirt ist, schlägt er alB provisorisch, d. h. bis das letztere einmal der
Fall ist, den Zusatz: „essentiell oder idiopathisch“ vor.
Eine nosologisohe Gruppirung ist heutzutage noch nicht systematisch durch*
führbar, eine solche vom symptomatologischen Standpunkt ist aber möglich, wenn
man ihr die vier Grundstörungen der Bewegung: Hemmung, Beschleunigung, Ver¬
änderung derselben und Verringerung der bewegenden Kräfte zu Grunde legt.
Diese finden wir in den vier Grundformen geistiger Störung wieder. Eine
Identificirung der Hemmungs- mit den Schwächezuständen, wie sie Wernicke
will, ist nach Ansicht des Vortr. nicht zutreffend. Er hofft, dass bei Beachtung
dieser Gesichtspunkte in der Eintheilung die Verständigung in der Psychiatrie
erleichtert werde.
DiscuBsion:
Herr Aschaffenburg fürchtet, dass eine Eintheilung nach rein logischen
Kegeln, wie die des Vortr., für die Bedürfnisse der Praxis nicht ausreichend sein
werde; hier wird stets die Prognose das Maassgebende sein und diese werde des¬
halb am besten auch der Eintheilung zu Grunde gelegt.
Herr Meschede betont, dass in seinen nosologischen Bezeichnungen Prognose
und Therapie schon mit enthalten sind.
16. Herr Rothmann (Berlin): Ueber die Ergebnisse der experimen¬
tellen Ausschaltungen der motorisohen Functionen und ihre Bedeutung
für die Pathologie.
Vortr. schliesst seine Ausführungen mit folgenden Schlusssätzen:
1. Bei allen höheren Säugethieren bis zum Menschen zeigt die experimentelle
Pathologie, dass die Pyramidenbahn weder die alleinige Leitungsbahn für die
motorische Function ist, noch eine ihr allein zukommende Bedeutung für die
letztere besitzt. Doppelseitige Zerstörung der Pyramidenbahn führt zu keinen
wesentlichen Ausfallserscheinungen von längerer Dauer.
2. Die Restitutionskraft der motorischen Function ist auch bei den höheren
Säugethieren eine derart grosse, dass selbst völlige Zerstörung der motorischen
Leitungsbahnen einer Rückenmarkshälfte keine dauernde Lähmung herbeiführte,
auch beim Affen nicht.
3. Eine Untersuchung der mit Erkrankung oder Unterbrechung der Pyra¬
midenbahn resp. der extrapyramidalen motorischen Bahnen einhergehenden Hirn-
und Rückenmarksaffectionen beim MenBohen hat folgende Ergebnisse: a) Acute
Zerstörung der Pyramidenbahn allein (Erweichung einer Pyramide in der Med.
oblong.) führt zu einer mäsBigen Parese der entsprechenden Extremitäten, b) Acute
Zerstörung der Pyramidenbahn und der übrigen Leitungsbahnen in der inneren
Kapsel oder einer Rückenmarkshälfte bewirkt eine anfangs schlaffe Lähmung, die
nach einigen Wochen einer allerdings unvollkommenen Restitution der motorischen
Function Platz macht. Selbst bei vollkommen durchtrennter Rückenmarkshälfte
wird das ursprünglich gelähmte Bein wieder zum Gehen gebrauchsfähig, c) Die
als reine Form der spastischen Spinalparalyse beschriebenen, seltenen, sehr chro¬
nischen Fälle von doppelseitiger Erkrankung der Pyramidenseitenstrangbahn oder
ihres Areals ohne wesentliche Affection anderer Rückenmarkstheile gehen ohne
eigentliche Lähmung einher. Auch die Hypertonie der Beinmusculatur darf nicht
auf den Ausfall der Pyramidenleitung bezogen werden, da sie bei Seitenstrang-
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affectionen fehlen kann und andererseits sioher auch ohne dieselben beobacht»
wird, d) Es bleibt daher als emsige« dauerndes Symptom dos Ausfalls der Pyrv
midenbahnleitung nur die Beflexsteigerung übrig, e) Die Betrachtung dar Halb-
seitenläsionen in der Med. oblong, lehrt, dass die Pyramidenbahn allein bei Atudsk
der übrigen motorischen Leitungbahnen im Stande ist, die motorische Functiot
ohne Störung aufrecht zu erhalten.
4. Die Uebereinstimmung zwischen Thierexperiment und menschlich« Patho¬
logie ist also eine weitgehende. Beim Menschen ist die Bedeutung der Pyramiden-
bahn etwas grösser, ihr Ersatz durch die übrigen Bahnen vollzieht sieh nur all¬
mählich; doch ist die Restitutionskraft der motorischen Function beim Mensch»
kaum geringer als bei den höheren Säugethieren.
Disoussion:
Herr Anton: Die Beziehungen des Tonus zu den Pyramidenbahnen gestalt»
Bich so, dass das Endergebnis« von dem Verhältnis« zwischen der Function de
Seiten- und Hinterstränge abhängt. Ein Beispiel hierfür ist u. A. das Neugeboren«,
das physiologisch spastisch, hypertonisch ist. Der Einfluss der Pyramidenbnh:
auf die trophische Sphäre bleibt auoh nach den Ausführungen des Vortr. dankt
Herr Haenel: Für das vicariirende Eintreten der phylogenetisch alten rnbro
und thalamo-spinalen Bahnen an Stelle der ausgefallenen Pyramidenbahn such beiz
Menschen gab ein von ihm anatomisch untersuchter Fall eine schöne IDostratiws
ein encephalitischer Herd hatte in frühester Jugend den einen ganzen Himschakt-
fuBs mit Einschluss der Pyramidenbahn vollständig zerstört. Die motorisch*
Funktion war trotzdem in weiten Grenzen erhalten, es bestanden seit lon?a
Jahren Athetosebewegungen, post mortem zeigte sich eine hypertrophische Ent¬
wickelung des Monakow’schen Bündels sowie einiger anderer Bahnen Bit
motorischer Leitung, die die Function der Pyramidenbahn übernommen hatten
Herr Rothmann: Schlusswort.
17. Herr Stransky (Wien): Ueber dlzo ontinnir liehe Zerfallsproceose
am peripheren Nerven.
Die bisherigen anatomischen Forschungen haben die Faser gegenüb« de
Zelle oft vernachlässigt. Gombault war der erste, der discontinuirliche, de
Restitution fähige Zerfallsprocesse an der Nervenfaser beschrieb. In Anlebmnu
an seine Versuche hat Vortr. kleine Dosen von Bleisalzen lange Zeit per« u
Kaninchen verfüttert; die Thiere starben meist nach 1 bis 5 Wochen in ebe
Art Status epilepticus. Von den Nerven werden Zupfpräparate und Querschnitt
angefertigt, von Färbungen meist die nach Marchi angewendet Vortr. ft *
eine Vermehrung der Myelinkugeln, wie sie Elzholz am centralen Stampf
amputirter Nerven beschrieben hat, in einzelnen Segmenten, meist in der Nachbsr-
Schaft des Axencylinders gelegen; später dehnte sich der Zerfall über mehre«
Segmente aus, die Kerne der Schwann’schen Soheide waren vermehrt, d*
Protoplasma derselben in Spindelform angehäuft Der Axencylinder war in riefe
Fällen intact, in anderen zeigte er bei der Färbung Veränderungen, wurde bloffft
breiter, selbst unfärbbar, ohne dass doch Vortr. sich für berechtigt hält, 2*
deshalb für zu Grunde gegangen anzusehen. Auch zeigte sich niemal* «hs
Waller’sohe Degeneration in den peripher von der erkrankten Stelle geleg* 0 *
Abschnitten, der Axencylinder war dort stets erhalten. — In späteren Stodi«
konnte dann eine Phase der Restauration beobachtet werden, die aber ni ebt ^
directe Fortsetzung von den gesunden Abschnitten aus sich darstellte, wod® 1
ebenso wie der Zerfall, discontinuirlich auftrat, oft durch erkrankte Stred®
nach beiden Seiten vom gesunden Nerven getrennt. — Lähmungseracheinnng*
waren im Gebiete der erkrankten Nerven nie zur Beobachtung gekommen, w*
Versuche stellen einen Beweis für die trophische Selbständigkeit der Banri*^
Segmente dar; die Intactheit oder der Zustand der Schwann'scben
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überhaupt scheint für dieselbe von wesentlicher Bedeutung zu sein. Die Degeneration
ist hier echt parenchymatöser, nicht entzündlicher Natur.
18. Herr Fuchs (Wien), zugleich für Herrn Braun (Wien): Uebor ein
neuraathenlsohea Pulsphänomen.
Es handelt sich um die Frage, in wieweit der Vagus als Herzregulator bei
der leichten Arhythmie in Betracht kommt, die bei Neurasthenikern nicht selten
bei leichter Muskelarbeit oder bei Aenderung der Athemfrequenz beobachtet wird.
Vortr. machten deshalb folgenden Versuch: Bei einem auf dem Bücken ruhenden
Neurastheniker wurde das Sphygmogramm in fortlaufender Weise aufgeschrieben.
Schon nach der leichten Arbeit des einmaligen Hebens des gestreckten Beines
gegen Widerstand wurde auf der Pulscurve regelmässig eine Arhythmie bemerkbar.
Dieselbe blieb aus, wenn ein Vagusgift, d. h. Atropin in der Gabe von 0,001g
gereicht wurde. Verschwand die Wirkung des Atropins allmählich, so kehrte
die Irregularität wieder, die sich hierdurch als Vaguswirkung zu erkennen gab.
19. Herr Kalmus (Prag): Skizze des derzeitigen Standes der Irren¬
pflege in Böhmen.
Für 6^2 Millionen Einwohner bestehen in Böhmen fünf öffentliche Irren*
anstalten: Prag, Dobrzan, Kosmanos und die Filialanstalten Ober-Berkowicz und
Woporan. Dobrzan mit 1500 Kranken ist von diesen die modernste. Insgesammt
standen 1901 4176 Plätze zur Verfügung (d. i. 0,661 auf 1000 Einwohner).
Die Folge hiervon ist eine dauernde Ueberfüllung der Anstalten, worunter am
meisten die Prager zu leiden hat (800 Plätze mit 1445 Kranken belegt!). Durch
Neubauten ist die Zahl der verfügbaren Plätze heute auf 4412 gestiegen; aber
auch, wenn die II. psychiatrische Klinik, deren Errichtung in Prag geplant ist,
vollendet ist, würde die wünschenswerthe, in Deutschland übliche Zahl der Betten
(2 auf 1000 Köpfe der Bevölkerung) erst erreicht sein, wenn weitere 6000 Plätze
geschaffen würden. Vortr. glaubt, dass die Gründung von Irrenhülfsvereinen eine
gewisse Besserung schaffen könnte. Ausserdem seien anzustreben die Errichtung
von besonderen Anstalten je für Schwachsinnige, für Epileptiker und für Trinker.
1901 wurden in Böhmen nicht weniger wie 25,000 „notorische Trinker“ gezählt.
20. Herr Löwenthal (Braunschweig): Die objeotiven Symptome der
Neurasthenie.
Man hat zu unterscheiden zwischen rein objectiven Symptomen und bedingt
objectiven, bei deren Zustandekommen oder Nachweis die Mitwirkung des Patienten
nothwendig ist. Zu den ersteren gehören:
Störungen der Ernährung in der allgemeinsten Form, die selten ganz fehlen,
z um mindesten in der Form auffälliger Gewichtsschwankungen. Zu erwähnen ist hier:
Haarausfall, Hämoglobinmangel, alimentäre Glycosurie, Oxalurie. Weiter dispo-
niren neurasthenisch veränderte Zellen zu spastischen Störungen in den verschie¬
densten Körperabschnitten, einmal der glatten Musculatur der Gefässe (dauernde
Böthe des Gesichts, der Ohren, Conjunctiven, Mannkopf f’s, Erben’s Phänomen),
dann der des Intestinaltractus (Cardiospasmus mit Cardialgie, Pyloruscontraction,
spastische Obstipation, Colica mucosa, Enterospasmus, Spasmus des Sphincter ani,
externus sowohl wie internus, Dysmenorrhoe); ferner im Gebiete des Bespirations-
tractus (Asthma nervosum, Zwerchfellsasthma) und des Drüsenapparates (Schweiss-
Vermehrung an Händen und Füssen, verminderter galvanischer Leitungswider-
stand, Speichelfluss, Secretionsneurose des Darms, Spermatorrhoe). Im Gebiete
der quergestreiften Musculatur gehört zu den rein objectiven Symptomen ein be¬
stimmter, nicht simulirbarer Tremor und die Steigerung der Beflexe.
Zu der zweiten Gruppe gehören alle die verschiedenen Störungen der Sen¬
sibilität; am objectivsten zu prüfen ist hierbei die Erhöhung der faradocutanen
Schmerzempfindlichkeit mit der Erb'sehen Elektrode, sowie die Herabsetzung der
Empfindlichkeitsschwelle bei der Temperatursinnsprüfung. Für die Localisation
62 *
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der objectiven Symptome zieht Vortr. die Edinger’sche Theorie des Ungarn;*
Ersatzes heran.
21. Herr Marina (Triest): Ueber die Pupillenreaction bei der Corners»
Ein Centrum für die Convergenzreaction der Pupillen ist bisher nicht !►
kannt. Um sich über die Existenz eines solchen klar zu werden, stellte Vor:
folgende Versuche an: er durchschnitt bei Affen den Reet, internus udc k
Obliquus super, und nähte die Sehne des letzteren an die Insertiomstelle .f
ersteren an; das gleiche machte er mit dem Abducens: auch dieser iiess sich g
die Stelle des Internus anheilen. Eis stellte sich heraus, dass nach einiger it:
die Convergenzbewegung wieder normal wie vor der Operation ausgefahrt nr-
und dass bei der jetzt durch die anderen Muskeln bewirkten Convergas :•
Pupillenverengerung ebenso wie früher eintrat. Er konnte dieselbe Pupik-
reaction auch erzielen, wenn er die neuimplantirten, blosBgelegten Conro?»
muskeln faradisch zur Contraction brachte, ja sogar, wenn er mit der Pito-ti
an denselben zog und so eine mechanisch erzeugte Einwärtswendung hervorbrsc: ^
Vortr. kommt also zu dem Schlüsse, dass die Annahme eines Conwr>-
centrums gar nicht nöthig ist, die Reaction der Pupille ist in diesen Falles::
eine auf die Accommodation. Aber auch ein Centrum für die Seitwärtewerir
ist hiernach nicht nur überflüssig, sondern sogar unwahrscheinlich; das
kennt überhaupt keine einzelnen Muskeln und Nerven, sondern nur Eicht-s?
und BewegungBformen, in dem Sinne, wie Hitzig schon von Anfang an *-
„Centren“ verstanden wissen wollte.
Aus den anderen Abtheilungen:
Abtheilung für Anatomie und Physiologie:
Herr S. Garten: Ueber die elektrischen Erscheinungen am marbaß
Nerven. (Vortrag mit Projectionsbildem.)
An einer Reihe von Capillarelektrometercurven, welche bei Untersuch ec: •
marklosen Riechnerven des Hechtes gewonnen wurden, zeigt der Vortr, das •
wichtige Fragen der allgemeinen Nervenphysiologie mehr, als es bisher gesa*--
ist, die Erscheinungen an den marklosen Nerven zu berücksichtigen sind.
Folgende Erscheinungen werden durch Beispiele erläutert: Das Dcr>
phasiachwerden des Actionsstromes bei Längsquerschnittsableitung, und L-' v;
knüpfte sich der Beweis, dasB die zweite Phase durch Vorgänge bedingt ist. -
sich in der Nachbarschaft des Querschnittes abspielen müssen. — Die Encöc:
des ganzen Nervenstammes in Folge von Reizungen am einen Ende uac i>
besondere die nachfolgende Erholung des Nerven. — Die auffallend raset' -
müdung an dem mit V erat rin vergifteten Nerven, — dagegen am frischen No*
Treppenphänomen und positive Nachschwankung.
Von den Curven, die den Ablauf der elektrotonischen Ströme wieder;«*
sei insbesondere auf den Anelektrotonus hingewieBen, wie er bei kurzer Sc->
zeit erst nach OefFnung des constanten Stromes auftritt. Er entwickelt och C*-' 1
so langsam, dass man als Ursache für denselben wohl nur solche chemische r-
cesse annehmen kann, die erst secundär in der lebendigen Substanz dorrt - |
vorher auf sie wirkenden constanten Strom ausgelöst werden. (Autorefer*
2. Herr Ascher (Bern): Ueber peripheren Nerventonus.
Vortr. hat vor Allem den GefassnerventonuB untersucht. Man m»c£** -
Erfahrung, dass auch nach Entfernung des Centralnervensystems ein hoher ~ -
druck, also ein Gefasst onus bestehen bleibt. Zur genaueren FeetstelluM c ‘^
Verhältnisse führte Vortr., nach dem Vorgänge von Francois Frzneh -
locale Narcose der Medulla oblongata aus, und zwar mit Eucain, val
das bisher öfters gebraucht wurde, anämisirend und deshalb vielleicht nw*’
981
-irkt. Dabei beobachtet man, dass der Blutdruck sinkt, bei Aufhören der Nar-
ose wieder steigt. Der Gefasstonus wird also von dem Gefässnerven centrum in
er Medulla oblongata unterhalten. — Ein zweiter Versuch bestand darin, dass
'ortr. das Ohr des Kaninchens von sämmtlichen nervösen Verbindungen trennte
nd eine Wiedervereinigung verhinderte: der Gefasstonus blieb auch bei langer
Beobachtung dauernd verschwunden, woraus geschlossen werden muss, dass der
entrale Tonus nicht durch den peripheren ersetzt werden kann.
Abtheilung für innere Medicin.
Herr 0. Ziemssen (Wiesbaden): Qeeiohtafeldanfnahme als Controls in
er Behandlung der Hirn- und Büokenmarksluee.
Vortr. kommt zu folgenden Schlusssätzen:
1. Hirn- und Rückenmarkslues ist selbst bei ungestörtem allgemeinem Ge-
ichtsfelde oft vereinigt mit einer Erkrankung des N. opticus, die Geeichtsfeld-
inengung für roth und grün bewirkt.
2. In den Veränderungen der Grenzen für die Farbenwahrnehmung hat man
ine Controle für die Besserung oder Verschlimmerung des Hauptleidens.
3. Die Besserung ist im Allgemeinen eine langsame.
4. Bei einzelnen Patienten änderte sich der Zustand während scharfer
nunctionskur zum Besseren, während des Aussetzens derselben zum Schlechteren
ind bei erneuter Kur wieder zum Besseren.
5. Scharfe Inunctionskuren von 16—20 g täglich bewirkten nie eine Ver-
chlimmerung (auch nicht bei Fällen, in denen die Diagnose auf Tabee gestellt
vorden war).
6 . Je höher die Tagesdosis genommen und je länger die Kur fortgesetzt
vurde, um so besser war das Endresultat
Ibtheilung für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
1. Herr Neubauer (Wien): Ueber das Wesen der Osmiumsohwftraung.
Vortr. hat die chemische Constitution der Stoffe und Verbindungen unter-
ucht, die mit Osmiumsäure Schwarzfärbung ergaben, und hat gefunden, dass das
Gemeinsame aller der hierbei in Betracht kommenden Verbindungen das Vor-
landensein einer doppelten Bindung der C- oder CH-Atome ist: von verschie-
lenen chemisch ganz ähnlich zusammengesetzten Stoffen zeigt nur der die Osmium-
chwärzung, in dessen Formel eine doppelte Bindung des C-Atoms vorkommt;
reht in einem Körper durch Umlagerung der Atome die vorher vorhandene
loppelte Bindung in die ainfache über, so geht die Eigenschaft der Schwärzung
lurch Osmiumsäure verloren, und umgekehrt. Das Osmium ist also kein Reagens
mf Fett, sondern nur auf doppelte Bindung; wenn beim Markscheidenzerfall
Schwärzung auftritt, so ist damit kein Fett nachgewiesen, sondern es ist dieselbe
lehr gut vielleicht so zu erklären, dass aus dem Lecithin, das den C in einfacher
Bindung enthält, Neurin entstanden ist, das zwei doppelte Bindungen aufweist.
2. Herr Fischer (Prag): Ein Fall von Paohymeningitis chronica ex-
erna spinalis „idiopathioa“.
Im Bereiche des 3.—6. Dorsalsegmentes hatte sich bei einer 44 jährigen
?rau eine schwielige Auflagerung auf der AusBenseite der Dura entwickelt, die
:rst Wurzel-, Bpäter Compressionssyraptome gemacht hatte. Mikroskopisch Hessen
lieh in der schwieligen Masse einige wenige tuberkelähnliche Knötchen nach-
veisen, die aber in ihrer histologischen Beschaffenheit auf Syphilis deuteten.
3. Herr Fischer (Prag): Einige Bemerkungen über die Färbung
Mrthologiaoher Gliaformationen.
Vortr. demonstrirt Schnitte von Gliom und multipler Sklerose, die er auf
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die Weise gefärbt hatte, dass er Schnitte bei 45—50° C. in 0,2 °/ # wäaerijö
Chromsäurelösung durch 4 — 8 Stunden färbte und dann nach Pal diffsrmr<
Als Nachfärbung diente eine oonoentrirte Orangelösung mit einer Spor äan-
fuchsin. Normale Glia wird durch diese Methode nur sehr unvollkommen ge&r'cr.
bei pathologischer Glia erscheinen Fasern und Kerne scharf und schön «etwa
Bindegewebe, Axencylinder und Protoplasma gelb in verschiedenen Nuancen, Min-
scheiden blau. Die duroh Einfachheit ausgezeichnete Methode spricht daför, 4a
die chemische Beschaffenheit der pathologischen Glia eine andere ist als die er
normalen. — In der wuchernden Glia kann man mit dieser Methode den Tete
gang von Zellfortsätzen in Gliafasern nachweisen; in der „ruhenden“ Glu eil
man die gleichen Bilder, wie sie Weigert beschrieben hat.
Ausserdem erwähnt Vortr. eine Modification der Mallory'sehen Phoepk:
molybdänsäurehämatoxylinfärbung: differenzirt man nach der Färbung mit ei-J
schwachen Lösung von Lith. carbon., so erhält man eine Trennung der Gliafof
von den Zellfortsätzen; erstere erscheinen dunkelblau, letztere graublau.
Abtbeilung für gerichtliche Medicin.
Herr Schäfer (Bingen): Zur Pathologie der poattraumatizeh en Backs
markaerkran ku ngen.
Vortr. beobachtete und untersuchte anatomisch einen Fall, der an dec?f»
folgen einer Rückenmarksenchütterung starb. 21 jähriger, bisher gesunder Mc
durch Fusstritte in den Rücken misshandelt. 4 Tage lang ohne jede Beschwer:
am 6. Tage ziehende Schmerzen im Kreuz und Leib. Fehlen jeder äussere« ^
letzung; am 10. Tage Harnverhaltung, Beschwerden beim Gehen, ging &ks ■
zum 14. Tage noch seinem Berufe voll nach, an diesem Abend sogar noc::
Kirchweih. Am 15. Tage wegen rascher Zunahme der Schwäche in den Be®
bettlägerig, Blasen- und Mastdarmlähmung; nach 6 Wochen beginnender Decu'ac
totale Paraplegie der unteren Extremitäten, Verlust der Sensibilität vom 10. Bpj
wirbel abwärts; nach 4 1 / a Monaten Tod an Pyelonephritis und Decubitus.
Anatomisch: Wirbelsäule völlig unversehrt, weder alte noch neue t
tungen. Mikroskopisch: Erweichungsherde im unteren Sacralmark; nca
Lumbalmark normal, im oberen Lumbalmark Erweichung in den Hinterster
im unteren Dorsalmark totale Querschnittsdestruction mit Erweichung, im aee
Dorsalmark systemlose Degenerations- und Nekroseherde, Oedemspalten, secaca
Gliose im ventralen Hinterstrangsfeld, aufsteigende Degeneration der Gol. »-
Stränge. Vom 6. Cervicalsegment an wieder alles normal. Auch hier nirt«
Spuren von Blutungen oder Blutreste. — Die Degenerationen Charaktere
sich histologisch als rein ischämische Erweichungen; da Blutungen, Quetsche'
Zerrungen bestimmt ausgeschlossen werden können, bleibt nur die Annahme J
directen traumatischen Nekrose (Schmaus-Obersteiner) übrig. &
Kocher erkennt ja neuerdings das Vorkommen einer „degenerativen QuetK*.
ohne Blutung“ an, wenigstens für das Gehirn; da bei völlig unversehrter Vn
säule schon Gefässzerreissung oft erheblichen Umfangs am Rückenmark r
kommen kann, so ist es wohl begreiflich, wenn auch einmal das ja
vulnerablere Nervengewebe direct geschädigt wird.
Das Fehlen aller bedenklichen Symptome in der ersten auf das
folgenden Zeit kann wegen der fehlenden Nöthigung zur Schonung für
letzten verhängnisvoll werden und ist es im vorliegenden Falle viel]«*- *
geworden.
Im Anschluss an die Versammlung hielt der Verein abstinenter ***
des deuteohen Sprachgebietes seine Jahressitzung ab. Vorträge:
> y Google
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I. Herr Kassowitz (Wien): Ueber Nahrung und Gift.
J. B. Meyer sagte auf Grand seiner Ansicht von den Nahrangsmitteln als
Brennmaterial, dass die Spirituosen, aus Gährung aus den Kohlehydraten ge*
wonnen, ebenso wie diese selbst ein vorzügliches Brennmaterial seien. Nun wird
aber die Nahrung nicht vollständig verbrannt, sondern zum Theil zum Körper¬
aufbau verwendet und erst secundär wieder abgebaut; ein Beweis für einen Vor¬
gang, in dem Nahrungsmittel nur verbrannt, nicht erst zum Theil mit zum Auf¬
bau verwendet werden, ist noch nicht erbracht. Mit anderen Worten: dass aller
Stoffwechsel ein metabolischer ist, ist sicher; ob es auch einen rein katabolischen
giebt, ist noch nicht nachgewiesen.
Vom Alkohol steht unzweifelhaft fest, dass er ein Gift ist (Pflanzen-, Proto¬
plasma-, Fütterungsversuche u. s. w.). Dass er daneben und zugleich auch ein
Nahrungsmittel sein soll, wäre eine einzig dastehende Thatsache, ein unverständ¬
licher Widerspruch. Vortr. berichtet über Experimente von Chauveau, der ver¬
suchte, bei einem im Tretrade arbeitenden Hunde einen Theil des Zuckers und
Eiweisses der Nahrung durch die gleiche Calorienmenge Alkohol zu ersetzen. Der
Hund, der vorher bei täglich 20 km Laufleistung an Gewicht zugenommen hatte,
lieferte dann trotz dauernder Anstach elung nur noch 17 km, und nahm trotzdem an
Gewicht ab. Also hat der Alkohol, abgesehen von seiner narcotischen Wirkung,
auch als Protoplasmagift auf die Körperzellen gewirkt, er ist nicht gleichzeitig
nützlich und schädlich, nicht Nahrung, nur Gift; demnach sollte man endlich
aufhören, ihn als Stärkungsmittel bei Kranken, Beconvalescenten, schwächlichen
Kindern zu geben.
Discussion:
Herr Hüppe wendet sich dagegen, dass die Begriffe „Nahrung“ und „Gift“
unvereinbare Gegensätze seien. Er erinnert an die giftigen Stoffwechselproducte,
die im Körper selbst aus der Nahrung entstehen (Fettsäuren, Peptone). Der
Körper verfügt eben über Entgiftungsmechanismen, die auch gegenüber dem Al¬
kohol wirksam sind; die letzteren werden aber heute im Uebermaass, täglich,
fast stündlich in Anspruch genommen. — Alkohol braucht also nicht schlechthin
ein Gift zu sein; seine sparende Wirkung kann aber erst dann in Kraft treten,
wenn man die Giftwirkung in Kauf nimmt, und darin liegt die grosse Gefahr.
Geringe Mengen werden zwar durch Entgiftung unschädlich gemacht, nützen aber
auch nichts.
Herr Bosenmann vertritt den gleichen Standpunkt wie Herr Hüppe und
kritisirt ausserdem die Chauveau’sehen Versuche: in diesen sind viel zu grosse
Alkoholgaben gereicht worden, die offenbar eine schwere Betrunkenheit des Hundes
hervorgerufen haben. Dann kann man dieselbe Arbeitsleistung nicht mehr gleich
demselben Aufwand von potentieller Energie setzen; Ermüdete, Ungeübte, Betrunkene
brauchen zur selben absoluten Leistung mehr potentielle Energie wie Normale,
die Gewichtsabnahme des Hundes findet also hierin eine ausreichende Erklärung.
Ausserdem ist es prinzipiell nicht ausgeschlossen, dass der Körper nicht auch
die Spannkräfte eines giftigen Körpers zu Beiner Ernährung ausnützt.
Herr Lenzmann hält den Vergleich des Herrn Hüppe zwischen Alkohol
und Pepton nicht für überzeugend; letzteres wird nicht als solches vom Körper
ausgenutzt, sondern nur, wenn es, weiter umgesetzt, wieder aufbauendes Eiweiss
liefert; beim Alkohol ist dieser Kreislauf ausgeschlossen.
Herr KasBowitz (Schlusswort) hält seine Anschauung, dass Nahrung und
Gift unversöhnliche physiologische Gegensätze seien, durch die vorgebrachten Ein¬
wände nicht für erschüttert.
2. Herr Friok (Zürich): Die Behandlung fieberhafter Krankheiten ohne
Alkohol.
Vortr. ist in der Lage gewesen, an gut vergleichbarem Krankenmaterial die
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Heilresultate bei Infectionskrankheiten unter Alkoholdarreichung und ohne denselben
zu studiren. Er kommt bei Erwägung aller Gründe zu dem Endresultat, <k&
die plötzliche Entziehung des Alkohols bei Potatoren ohite alle Gefahr ist, und
dass fieberhafte Krankheiten, speciell die fibrinöse Pneumonie in allen Lebens¬
altern, ohne Alkoholdarreichung besser und leichter verlaufen und weniger Todes¬
fälle mit sich bringen, als mit Alkohol.
Discussion:
Herr Haenel erinnert an die Beobachtungen Bonhöffer’s, der nach Stndis;
an Gefängnissinsassen zu dem Ergebniss kam, dass u. Umst. die plötzliche Alkohol¬
entziehung allein bei Potatoren genügt, um ein wenn auch leichtes, milde ver¬
laufendes Delirium tremens hervorzurufen, also doch nicht unter allen Verhält¬
nissen ohne jede Gefahr ist.
Herr Aschaffenburg theilt mit, dass er als Gefängnissarzt in Halle »5.
dieselben Erfahrungen wie Bonhöffer in einigen Fällen hat machen müssen.
' H. Haenel (Dresden).
Wanderveraammlung des Vereins für Psyohlatrie und Neurologie in Wien
am 11. und 12. Ootober 1001.
(Schluss.)
TV. Sitzung am 12. October 1901.
(Wiener klin. Wochenschr. 1902. Nr. 4.)
Vorsitzender: Prof. Obersteiner; Schriftführer: Docent Dr. Elzholz.
Herr Schloss: Die Alkoholabstinenz in öffentlichen Irrenanstalten.
Als therapeutisches Mittel könne Alkohol in Irrenanstalten nicht entbehrt
werden; als Genussmittel soll er nur in jenen Anstalten eliminirt werden, in
welchen solche Kranke, denen der Alkoholgenuss überhaupt versagt bleiben mne¬
in grösserer Anzahl vertreten sind; d. i. bei Alkoholikern und jenen unbotmäasigea
zu Gewalttätigkeiten geneigten Degenerirten, die gerade nicht immer Alkoholiker
sind, wenn sie auch in der Regel als solche bezeichnet werden. Im übrigen ist
nur massiger Alkoholgenuss zu gestatten, und nur solchen Kranken, deren geistiges
und körperliches Befinden nicht dadurch beeinträchtigt wird.
Discussion:
Herr Pick betont, dass er nicht aus Principienreiterei, sondern durch »uasetf
Momente bewogen, den Alkohol (mit Ausnahme medicamentöser Verwendung) sei'
2 Jahren abgeschafft habe, eine Maassregel, die der seitherige Erfolg gerechtfertigt
erscheinen lässt.
Herr v. Wagner meint, der in Irrenanstalten verordnete Alkohol sei na* 1
Genussmittel; die Frage der Abstinenz der Anstalten sei eine offene, da der Unter¬
schied von abstinent und nicht abstinent hier nur darin bestehe, dass in d®
einen öffentlich, in den anderen geheim getrunken werde.
Herr v. Krafft-Ebing bemerkt, dass der Alkohol aus der Beobachtungs¬
station des allgemeinen Krankenhauses fast ganz geschwunden sei, höchstens w
Excitans werde er verwendet, doch ersetzen ihn hier Kampfer und Aether völlig
In ländlichen Irrenanstalten mit Feldarbeit könne man gegen Most und leicht«
Bier nichts einwenden. Schliesslich verweist Redner auf das russische National*
getränk „Kwass“, das nur 1 °/ 0 Alkohol enthalte, sehr erfrischend und billig * 1
und Einführung in Irrenanstalten verdiene.
Herr Obersteiner empfiehlt gleichfalls den Kwass.
HerrSchlöss vertheidigt sich gegen die Anschauung, dass er den Nähr* 0 ®
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los Alkohols überschätze und stimmt sonst mit den Ausführungen v. Wagner’s
iberein.
Herr Marburg: Zar Pathologie der Spinalganglien.
Ausgehend vom Entzündungsprocess der Spinalganglien, der anfangs lediglich
ils Wucherung des Zellkapselendothels aufgefasst wurde und als soloher bei der
iabies eine Rolle spielte, dann aber, von He ad und Campbell in ätiologische
Beziehung zum Herpes zoster gebracht, sich in dem Ganglion findet, das der
Blaseneruption entsprach, kam Vortr. auf Beine Untersuchungen, welche diese Ver-
inderungen wiederholt zeigten. Besonders war auch hier Zoster, aber auch Pem-
>higua betheiligt, welch letzterer sich von ersterem durch Art der Anordnung der
Entzündung, die hier mehr regionär (im Ganglion) war und Ausbreitung über
iie Mehrzahl der Ganglien unterschied und schliesslich in einem Falle noch durch
ichwere cystöse Veränderung im Ganglion complicirt war. Dort, wo sich diese
Läsion sonst fand, bestand als Gemeinsames eine trophische Störung (unter anderem
Blaseneruption der Hand bei einer Vergiftung; in den entsprechenden Ganglien
Entzündung). Obwohl die Experimental Untersuchungen den Einfluss der Spinal¬
ganglien auf die Trophik darthun, kommt man auf Grund histologischer Unter¬
suchungen über die drei Möglichkeiten: die Veränderung im Ganglion ist Ur¬
sache oder Folge der trophischen Störung oder beiden kommt eine gemeinsame
Ursache zu, sie sind gleichzeitig, aber unabhängig von einander entstanden, nicht
hinaus.
Herr G. Alexander: Ueber einen Fall von rheumatischer Faoialis-
lähmung mit anatomischer Untersuchung.
Während einer Bahnfahrt acquirirte ein 47 Jahre alter Pat., der an Oeso-
phaguscarcinom litt, durch Luftzug eine complete, linksseitige Facialislähmung
(20. August). Dieselbe bestand bis 16. September 1900, an welchem Tage Pat
seinem Leiden erlag.
Bei der Untersuchung des N. facialis, Ganglion geniculi, der Chorda tyrapani,
des N. petrosus superficialis major der linken Seite fand sich degenerative Ent¬
zündung, und zwar kleinzelliges Infiltrat im Knieganglion und in dem im Facialis-
canal verlaufenden Abschnitt des Gesichtsnerven, sonst reine Degeneration. Die
Infiltration folgt dem Endoneurium. Der im inneren Gehörgang verlaufende Ab¬
schnitt des Facialis war normal. Trotz Fehlens von Bakterien wird die Möglich¬
keit einer infectiösen Erkrankung angenommen, wobei die Erkältung als prä-
disponirendes Moment aufzufassen sei.
Herr Erwin Stransky demonstrirt Präparate zur Illustration der oonser-
virendon Wirkung des Paraffinöls. (Bereits in d. Central bl. erschienen.)
Herr v. Krafft-Ebing: Ueber Entmündigung.
Während Frankreich, Italien und Deutschland neben einer „mangelnden
Dispositionsfahigkeit“ eine „beschränkte Disposition- bezw. Geschäftsfähigkeit“
besitzen, so dass man hier milderen Graden von Geistesgestörtheit (originäre oder
secundäre Geistesschwäche, viele Fälle von Paranoia, Irresein in Zwangsvorstellungen,
Mania und Melancholia sine delirio u. s. w.) gerecht wird, indem ein gerichtlicher
Beistand denselben zur Seite steht, ohne dessen Zustimmung die Acte der gerichtlich
Geschützten null und nichtig sind, ist das in Oesterreich nicht der Fall.
Deshalb wäre diese Gesetzgebung folgendermaassen umzugestalten:
Jede Geisteskrankheit soll angezeigt und für den Kranken sofort ein provi¬
sorischer Curator bestellt werden, der für Person und Habe des Erkrankten ein-
tritt. Dieser Curator soll möglichst Jurist sein (für grössere Anstalten ein
Justitiarius).
Der Rechtsschutz erfolgt definitiv als „Verbeiständung“ und „Ent¬
mündigung“.
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Die erstere, mildere Form kann durch aufisergerichtliches Verfahren, im Falle
von Seite des Verbeistandeten keine Einsprache erhoben wird, erlangt werden.
Erfolgt jedoch Einsprache, dann tritt contradictorisches Verfahren ein.
Dasselbe ist unerlässlich bei Entmündigung und muss mit allen Cautelen
umgeben sein (Staatsanwalt, zwei Gerichtsärzte, Berufung durch alle Instanten).
Die Entmündigung wird jedoch in der Praxis oft entbehrlich sein, wenn dieselbe
— wie im deutschen Gesetz — nicht eintreten muss, sondern, sofern es die
Verhältnisse des individuellen Falles verlangen, eintreten kann.
Die Bestellung von Beiständen soll immer Sache des Richters sein; Juristen
(Notare, Advocaten) wären zu solchem Amte in erster Linie berufen und nach
bestimmten Normen dafür zu honoriren.
Als verschiedene Gradstufen der Schutzbedürftigkeit wären „geistige Krank¬
heit“ und „geistige Gebrechlichkeit“ vorzuschlagen; erstere würde Entmündigung,
letztere Verbeiständung erfordern. Die Verlautbarung der erfolgten Entmündigung
brauchte nicht in den Zeitungen publicirt werden, sondern es genüge ein An¬
schlägen des Erkenntnisses an der Gerichtstafel des Bezirksgerichtes und an den
Bureaux der Notare im Bezirk. Der Entmündigte wäre reohtlich dem Kind unter
7 Jahren, der Verbeistandete dem Minderjährigen gleichgestellt; nur sei das
Testiren lediglich mündlich vor Gericht gestattet, die Ehe während dieser Zeit
aber unstatthaft.
Discussion:
Herr Sterz und Starlinger haben Bedenken wegen Bestellung der Curatoren,
denen jedoch schon Herr Hövel nicht beipflichten kann.
Herr Neisser erwähnt die Pflegschaften des deutschen bürgerlichen Gesetz¬
buches und fragt, ob die Wiederaufhebung der Entmündigung vorgesehen sei.
Herr v. Krafft-Ebing hält die Pflegschaften für eine veraltete Institution
und verweist bezüglich der letzten Frage auf bestehende Einrichtungen.
Otto Marburg (Wien).
V. Neurologische und psychiatrische Litteratur
vom 1. Juli bis 31. August 1802.
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Fisioterapia. Ebenda.
VI. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. J. Zappert, hat sich an der Wiener Universität
als Docent für Kinderheilkunde habilitirt.
Om Einsendung von Separ&tabdrfioken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vmt & Comp, in Leipzig. — Druck von Manen & Wime in Leip*V-
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Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemüthskranke.
Aerztliches Pädagogium für jugendliche Kranke.
Diese seit dem Jahre 1855 bestehende, mit den Fortschritten der Wissenschaft wie
den Anforderungen der Zeit stetig weiterentwickelte Anstalt, inmitten grosser Gärten,
an den anmuthigen Parkanlagen der Stadt gelegen, nimmt kranke Damen wie Herren auf
and bietet neben dem Comfort der gebildeten Stände alle Hilfsmittel der Behandlung
and Pflege von Kranken. Besondere Sorgfalt wird auf die Trennung der leichten, resp.
Nervenkranken von schweren Krankheitsformen, sowie auf die Theilnahme der Patienten
am Familienleben und an regelmässiger Beschäftigung gewendet. Verschiedene getrennte
Gebäude und einzelne kleine Villen gestatten jede mögliche Rücksicht auf individuelle
Anforderungen und werden die ärztlichen Bemühungen durch ein zahlreiches gebildetes
Beamtenpersonal unterstützt — Für die in neuerer Zeit Bich immer mehr häufenden
Fälle von Nerven- und Gemüthskranken im jugendlichen und kindlichen Alter ist inner¬
halb der Anstalt ein methodisches
MT ärztliches Pädagogium
eingerichtet, in welchem eigene Lehrer für die hauptsächlichsten Lehrgegenstände —
Gymnasial- und Realschulfächer — und ausserdem Instructoren für Handfertigkeiten,
mechanische, artistische, und körperliche Uebungen angestellt sind, um regelmässigen
Unterricht zu ertheilen und die geistige und sittliche Entwicklung der Zöglinge neben
den Aerzten zu überwachen und zu fordern.
Prospecte über die Heilanstalt wie das Pädagogium sind zu erhalten von
Dr. Kahlbaum.
StTdilgenberg bei Bayreuth.
Heilanstalt
für nerven- und gemüthskranke Herren.
Leitender Arzt: Dr. Dieckhoff.
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elches Eiweisspräparat verwendet der Nervenarzt?
RobOPät. Wämm? Weil dem Roborat neben seinen allgemeiner.
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Geschmack, leichte Assimilirbarkeit, billiger Frei») speciell für die Neuro-
therapie noch besondere Vorzüge eigenthQmlich sind. Welcher Art eind diese? Rein
vegetabilischer Character des Eiweißes (zur Ergänzung vegetarischer Koren!), starke
Herabminderung der Harnsäureproduction (bedeutungsvoll u. a. für Epilepeie!), hoher
Lecithingehalt (wichtig bei Neurosen aller Art, besonders Neurasthenie!). Roborat bewirkt
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4. bei Hemlkranle und Neuralgien;
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ziehenden Kopfzehmerzen beseitigt, mitunter auch die zu starken Blutungen verringert.
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Gravidität (Wallungen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herzklopfen werden
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1902. 1. November. Nr. 21.
Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Zur Psychologie der motorischen Apraxie, von
Prof. A. Pick. 2. Ueber die sogen, „myotonische“ Convergenzträgheit lichtstarrer Pupillen,
von Dr. Nenne. 3. Beitrag zur Localisation der cerebralen Hemianästhesie, von Prof. Dr.
Karl Schaffer in Budapest. 4. Die paradoxe Pupillenreaction und eigene Beobachtung von
Verengerung der Pupillen bei Beschattung der Angen, von J. Piltz.
II. Referate. Anatomie. 1. Ueber die absteigenden Verbindungen der Sehhügel und
vorderen Vierbügel, von Ernst. 2. Ueber die Beziehungen der Olia zu den Gefässen, von
Kure. 3. Ein Beitrag zur Frage vom Verlaufe der Bahnen der Hautsinne im Rückenmark,
von Petrin. — Experimentelle Physiologie. 4. Ueber die Qebirncentren der Erection
des Penis und der Samenabsonderung, von Pussep. — Psychologie. &. La mesure du
temps de rdaction simple des sensations olfactives, par Vaschide. 6. Influence des sons sur
le travail, par Flrl et Jalll. 7. La suggestibilitl dans la fatigue, par Flrl. — Pathologische
Anatomie. 8. Beiträge zur pathologischen Anatomie der Malaria perniciosa mit besonderer
Berücksichtigung der Gehirnveränderungen, von Pjewnltzki. — Pathologie des Nerven¬
systems. 9. L’ltat du systöme nerveux chez leB phthisiques et son influence sur le cours
de la tuberculose, par Chelmonsld. 10. Contribution ä l’ltude des accidents nlyropathiques
de l’indigestion, par Flrl. 11. Paralysie labio-glosso-laryngle probablement liöe ä une 14sion
congenitale de rlcorce etc., par Varlct et Roy. 12. Ueber Bulbärparalyse bei Sarcomatose,
von Hensen. 13. Zur Klinik der angiosklerotiscben paroxysmalen Myasthenie („Claudioation
intermittente“ Charcot’s) und der sogen, spontanen Gangrän, von Higler. 14. Ricerche speri-
mentali soll’ affaticamento elettrico musoolare e snlla reazione miastenica, dell Fiera. 15. Bei¬
träge zur Kenntniss der Myasthenie und der verwandten Symptomencomplexe, von Fajersztajn.
16. A case of astbenio bulbar paralysis, bv Jacoby. 17. Myasthenia gravis, by Patrick.
18. Ein Fall von Erb-Goldflam’scher Krankheit, von Priszner. 19. Ein Fall von asthenischer
Boibärparalyse mit Sectionsbefund, von Lief mann. 20. Ein Fall von functioneller Bulbär-
paralvse, von Grösz. 21. Beitrag zur Klinik der myasthenischen Paralyse, von Hüdlmoser.
22. Un cas de syndrome d’Erb (paralysie bulbaire aathlnique), par Leng et Wiki. 23. Ueber
einen Fall von myasthenischer Paralyse, von Auerbach. 24. A case of myasthenia gravis,
by Down. 25. Myasthenie und Ophthalmoplegie, von Gowers. 26. Ueber symptomlose Hydro-
myelie im Kindesalter, von Utchlda. 27. Kinderrüokenmark und Syringomyelie, von Zappart.
28. La forme spasmodiqne de la syringomyllie; la nevrite ascendante et le traumatisme dans
Pdtiologie de la syringomydlie, par Guillain. 29. Syringomyelie nach Lues, von Huismans.
30. Sor denx cas de syringomyllie ä topographie radiculaire des troublee sensitifs et des
tronbles moteors, par Huet et Cestan. 31. Beitrag zur Casuistik der Syringomyelie und über
die bei dieser Krankheit vorkommenden Hantstörungen, von Fleger. 32. Syringomyelie —
Gelenkerkrankung — Trauma, von Stolper. 33. Des nlvromes intramddullaires dans la
syringomy41ie, par Hauser. 34. A case of mveloma of the spine with compression of the
cord, by Thomas. 85. Ueber Blasenstörungen Lei Syringomyelie, von Albarran and Guillain.
30. Zur Frage der Pathogenese von Rüokgrateverkrümmengen Lei Syringomyelie, von Nal-
bandoff. 37. Kritik der sogenannten traumatischen Syringomyelie. Mit besonderer Berück-
68
Digilized by GoO^IC
994
sichtigang der anatomischen and klinischen Differentialdiagnose der (chronisch-progressiven,
gliösen) Syringomyelie gegenüber der traamatischen Rüekenmarkal&sion n.a.w., von KienWck.
38. Crisea gastriqaes ef Syringomyelie, par Panly et Pauly. 89. Fractoren bei Syringomyelie,
von Köhler. 40. Foor caace of acute haemorrhagic meningo-myelitis in coeker-spaniel» vith
some remarks uf the etiology of myelitis, by Brown and OphQlt. 41. Haemorrhage into the
spinal cord doring pregnancy, by Bruce. 42. A case of metastatic carcinoma of tbe seine
and meninges, by Bucklsy. 43. lieber die sogenannten Neurome und Leiomyome des Bfieken-
murks, von Hellich. 44. The oocurence of optio neuritis in lesions of tbe spinal oord. Injury,
tumour, myelitis (an account of twelve cases and one autopsy), by Taylor and Colliar. -
Psychiatrie. 45. Essai sur la Classification en psychiatrie, par Lagrille et Riasei
46. Die functioneilen Psychosen des Seniums, von Salgö. 47. Zur Beaiehung von Aber¬
glauben und Geisteekrankheiten, von KSppen. 48. Ueber geisteskranke Brandstifter, von
llberg.
III. Mittheilung an den Herausgeber.
IV. Personalien.
V. Berichtigung.
I. Originalmittheilungen.
1. Zur Psychologie der motorischen Apraxie.
Von Prof. A. Piok.
Die grandlegende Studie Liepmakn’s über die darch motorische Asymbolie
zu Stande kommende Form von Apraxie hat ans durch eine sinnreiche Analys«
der Erscheinungen einen maassgebenden Einblick in die Mechanik der dabei in
Betracht kommenden Vorgänge gebracht; doch kann es meines Erachtens keinem
Zweifel unterliegen, dass dieselbe einer Vertiefung zunächst nach der Richtung
hin bedarf, dass der davon Befallene, vielleicht in Folge Beschränkung der cere¬
bralen Störung auf ein Gebiet (der Kranke Liepmann’s war ja aphatisch), in
der Lage wäre, bei entsprechender Intelligenz über die während derselben sich
abspielenden psychischen Vorgänge nähere Aufschlüsse zu geben. Eine solche
Beobachtung, der ambulatorischen Beobachtung entstammend, halte ich für
wichtig genug, um von derselben an dieser Stelle Kenntniss zu geben. Aller*
dings handelt es sich nur um sichtlich fnnctionell bedingte, und ihres transi¬
torischen Charaktere wegen auch nicht von mir selbst beobachtete Erscheinungen,
dieselben sind aber, wie ich glaube, von dem geistig hochstehenden Kranken so
gut beobachtet und beschrieben, dass der aus denselben zu ziehende Gewinn
nicht hinter jenem steht, wie er uns auch sonst aus der Beobachtung fanctioneller
Störungen für das Veretändniss grober, stationärer Erscheinungen erwachsen
ist; dafür dass ein solcher aber nicht von der Hand zu weisen ist, brauche ich
wohl Beispiele nicht erst anzuführen, so wie es auch nicht des Beweises bedarf,
dass wir allmählich jeder, durch eine Herdaffection zu Stande gekommenen Aus¬
fallserscheinung eine solche, fnnctionell bedingte, an die Seite za stellen ge¬
lernt haben.
Der Kranke, ein 62jähr. Bahnbeamter, präsentirte sich wegen verschiedener
Anfalle, von denen einige in der letzten Zeit so eigentümlich gewesen wären,
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995
dass sie ihn bedenklich hinsichtlich einer Gefährdung seiner geistigen Gesundheit
durch dieselben gemacht hätten. Er erweist sich als ein Mann von guter Bildung,
der eine sehr genaue Anamnese geben kann und schon durch die ganze Art seines
Auftretens den Verdacht auf ein progressives Leiden, speciell Paralyse, ausschliesst.
Vor Jahren litt er an Gallensteinen, die ebenso wie eine Leberanschwellung nach
einer Karlsbader Kur verschwanden. Als ihm vor etwa 3 Jahren seine Frau starb
imd bei ihm in Folge dessen ein Depressionszustand eintrat, wurde er wieder nach
Karlsbad geschickt, diesmal jedoch ohne den gewünschten Erfolg; vielmehr trat
etwa 3 Wochen nach Abschluss der Kur ein Anfall ein, der, da der Kranke an¬
scheinend über alle Details desselben Angaben macht und es auch selbst angiebt,
wahrscheinlich nicht von Bewusstlosigkeit begleitet war; derselbe bestand darin,
dass Pat. plötzlich, wie er selbst berichtet, die Worte nicht herausbringen konnte;
er sprach vielmehr alles verkehrt, konnte nicht lesen — es verschwamm alles vor
den Augen — konnte nicht schreiben, oder, wie er selbst erläuternd berichtet,
konnte die Züge nicht finden, ein Wort zu schreiben; irgendwelche Lähmung war
nicht vorhanden; während des Anfalles hörte er die Aerzte sprechen, musste
später selbst erst sprechen lernen; er wurde „auf Schlaganfall“ behandelt; nach
3 Tagen war er „sozusagen“ wieder normal; seither wiederholen sioh alle paar
Wochen solche Anfälle, die, wie Pat. spontan ganz präcise angiebt, mit einem
tonischen Krampf in der Gegend der Masseteren einBetzen: einmal sah er Nebel
oder feurige Ringe, dabei blieb die Sprache frei; ein ander Mal wurde er plötz¬
lich ängstlich, konnte nicht reden was er wollte, hörte dabei alles, was um ihn
herum vorging.
Einen der letzten Anfälle beschreibt er folgendermaassen: „es war gerade
auf einem Spaziergange, als mich plötzlich ein eigenthümlicher ,Traumzustand‘
befiel, der panoramaartig wechselte“, so glaubte er dabei ein Mal in Wien, dann
wieder in Prag zu sein; dabei war er in so weit klar, dass er auf dem Wege
jedem Stein genau auswich, ihm begegnende Bekannte richtig erkannte und auch
grösste; kaum war ein solcher Passant vorbei, so ging der Traumzustand sofort
wieder an; besonderen Scbreoken jagten ihm aber Anfälle ein, die in der letzten
Zeit auftraten und die er selbst in ihrer Absurdität als solche psychischer Aber¬
ration erkannte und derenwegen er den „Psychiater“ consultirt mit der Frage,
ob das nicht etwa Vorzeichen geistiger Krankheit sein könnten. Der erste „An¬
fall“ war dadurch charakterisirt, dass Pat. des Morgens, während der Toilette,
eben als er sich vorbereitete das Closet aufzusuchen, plötzlich von einer gewissen
Angst, einem „Gefühl von Unheimlichkeit“ befallen wird, dabei das Gefühl des
Fremdartigen der Umgebung bekommt und nun anstatt, wie er es beabsichtigt,
der vor ihm liegenden Dienstkappe den pot de chambre erfasst und nun mit
demselben, ihn in der Hand vor sich hertragend, jenen Ort aufsucht und ihn
erst dort niedersetzt; Pat. giebt ganz genau an, dass dem Ganzen keinerlei be¬
sondere Vorstellung vorangegangen, dass sein Bewusstsein dabei, wenn auch
vielleicht nicht vollständig, doch aber soweit klar war, dass er die Situation voll¬
ständig richtig beurtheilen konnte, was vor Allem daraus hervorgeht, dass er die
Vorstellung dabei hatte, was nun die Bedienerin dazu sagte, wenn sie ihn so sehen
'würde. Dabei giebt er ganz präcise an, es wäre keinerlei Verkennung der ge¬
sehenen Dinge und speciell des Topfes dabei im Spiele gewesen, was auch schon
aus der eben erwähnten affectuösen Beurtheilung der Situation hervorgeht; es
müsse, sagt er, eine Art Zwang gewesen sein, den er sich nicht erklären könne,
der aber derartig gewesen, dass eine Ueberlegung nicht statthatte, sondern offen¬
bar die auftauchende Vorstellung unmittelbar in die Handlung umgesetzt worden
wäre. Nicht minder wurde er durch einen zweiten, ähnlichen „Anfall“ erschreckt,
der unter gleichen Erscheinungen auftrat und in der Weise verlief, dass Pat. im
Bureau eben im Begriffe war, ein Glas aus dem daneben stehenden Wasserkruge
63*
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zu füllen und nun, ohne sich aber dabei zu unterbrechen, mit dem Glase sub das
gleichfalls dastehenden Waschbecken schmutziges Wasser schöpfte; zum Beweis
seiner vollständigen Besinnung konnte dienen, dass er, unmittelbar nachdem er
das Glas so gefüllt hatte, zu dem im Bureau befindlichen zweiten Beamten sagte:
„nun sehen Sie, was ich da gethan“. Auch bezüglich dieses „Anfalles“ giebt der
Kranke ganz stricte an, er habe während dieses Vorganges deutlich das Absurd«
seiner Handlung gemerkt, dieselbe hätte sich aber so unaulhaltsam und swang-
artig vollzogen, bezw. die Stelle der beabsichtigten Handlung eingenommen, da«
eine Aenderung während des Ablaufes derselben ganz unmöglich war.
Gab schon die ganze Darstellung von Seiten des Kranken den Beweis für
die Intactheit seiner Intelligenz, so wurde diese zur Gewissheit durch ein darauf
gerichtetes eingehendes Examen, so wie die somatische Untersuchung ausser den
Erscheinungen eines ziemlich vorgeschrittenen Seniums nichts ergab, was irgend¬
wie auf eine centrale Veränderung hindeuten würde; einer geringen Differem
im Gebiete des Mundfacialis zu Ungunsten der linken Seite konnte ein Gewicht
nicht beigelegt werden, als sich dieselbe bei mimischer Innervation wieder au>-
glich; sonst fand sich nur noch gesteigertes Kniephänomen.
Fragt man sich, um was es sich bei den vorstehend beschriebenen „Anfällen“
im Allgemeinen gehandelt, so bedarf es an dieser Stelle, glaube ich, wohl kmes
Beweises, dass, wie namentlich die erstbeschriebenen es sicher machen, es sich
um solche handelt, wie sie als Ausdruck atheromatöser Gefässdegeneration unfl
seniler Hirnatrophie so häufig im Senium Vorkommen; man wird auch im Be¬
sonderen diejenigen, die sich als verkehrte Handlungen darstellten, nicht von
den übrigen genetisch abtrennen müssen, weil ja die Begleiterscheinungen der¬
selben, ebenso wie die Thatsache, dass beide Anfallsformen unregelmässig neben¬
einander Vorkommen, gegen eine Differenzirung sprechen.
Hinsichtlich der psychologischen Analyse dieser letzteren „Anfälle" glaube
ich nun meine Ansicht dahin aussprechen zu sollen, dass ich dieselben als
„anfallsweise" auftretende Zustände von motorischer Apraxie auffasse; denn
einerseits erhellt aus dem ganzen Examen deutlich, dass die Annahme einer
sensorischen Apraxie unzulässig, das genaueste Examen vielmehr immer und
immer wieder feststellen liess, dass der Kranke während des Anfalles auch
keinen Moment die Objecte seines verkehrten Handelns irgendwie verkannt bäte
andererseits erscheint die Annahme einer Zwangshandlung oder einer Zwange
Vorstellung durch die ganzen Erscheinungen ohne weiteres ausgeschlossen.
Gegen diese hier gegebene Deutung werden sich jedoch manche Ein¬
wendungen erheben lassen, deren Widerlegung nun im Einzelnen versucht
werden soll.
Zunächst wird sich ein solcher Einwand ergeben aus der anscheinenden
Nichtübereinstimmung mit der von Liepmawn, dem in dieser Frage ma߬
gebendsten Autor gegebenen Umschreibung dessen, was als motorische Aprai^
anzusehen ist. Auf Seite 73 seiner Arbeit 1 definirt Liepmann dieselbe als die
Unfähigkeit zu zweckgemässer Bewegung, welche Definition sich ihm aus folg« 1 -
1 Das Krankheitsbild der Apraxie nnd motorischen Aaymbolie. Sep.-Abdr. 1900.
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997 —
den, behufs des Verständnisses zum Theil wörtlich anzuführenden Erwägungen
ergiebt. Eine Bewegung ist (subjectiv) zweckgemäss, sofern sie den vorgestellten
Erfolg herbeiführt; nicht immer ist dieselbe auch objectiv zweckgemäss, d.h. zweck¬
mässig; dazu gehört noch, wenn es sich um den Gebrauch eines Gegenstandes
handelt, dass die Zweckvorstellung mit dem objectiven Zweck des Gegenstandes
übereinstimmt. Diese Uebereinstimmung ist bei Liepmann’s Kranken vorhanden,
beim Agnostischeu (sensorisch Asymbolischen) nicht; der letztere handelt des¬
halb unzweckmässig, weil er in Folge Verkennens der Gegenstände falsche
Zweckvorstellungen hat, denen aber dann seine Bewegungen gemäss sind. Der
A praktische handelt unzweckmässig, weil er seinen Zweck nicht realisiren kann,
der Agnostische, weil er beim Manipuliren verkehrte Zwecke verfolgt Hält man
sich streng an diese Auseinandersetzungen, dann scheint allerdings der Wider¬
spruch gegenüber unserem Fall unlösbar, doch aber glaube ich, dass dies nicht
der Fall ist, und dass auch hier (motorische) Apraxie und nicht, um mit Liep-
mann zu sprechen, Agnosie den Erscheinungen zu Grunde liegt. Ich willl das
nun nicht erst an den Erscheinungen unseres Falles erweisen, was sich über¬
flüssig breit gestalten würde, sondern nur darauf hin weisen, dass auch die Fälle
unserer Litteratur und der geläufigen klinischen Beobachtung, die Llepmann
selbst gelten lässt, nicht seiner eigenen Auseinandersetzung vollständig entsprechen.
Die altbekannte Beobachtung z. B., dass der Aphasische, aufgefordert an die
Nase zu greifen an’s Ohr fasst, die schon Gbiesinoeb 1 als eine Verwechselung
der Bewegungen auffasst, werden wir jetzt mit Recht, in Uebereinstimmung
mit Liepmann, als motorische Apraxie dort auffassen, wo keine Störung des
Wortverständnisses vorliegt; und mit diesen Fällen zeigt unser Fall doch voll¬
ständige Uebereinstimmung. (In einer neuerlichen, zunächst als Autoreferat ge¬
gebenen Mittheilung 8 erörtert Liepmann die Stellung der [motorischen] Apraxie
und das von ihm gegebene Beispiel: „eine Zahnbürste wird etwa wie eine
Cigarre gebraucht“ rechtfertigt jetzt nachträglich das von mir zuvor Gesagte.)
Aber auch diejenigen, die diese Auffassung acceptiren und den Fall mit
mir als einen solchen motorischer Apraxie aufzufassen geneigt sind, könnten
noch aus anderen Gründen zögern, dieser Deutung beizutreten.
Zunächst könnte sich ein Einwaud in der Richtung ergeben, dass man Be¬
denken trüge, diese Deutung deshalb zu acceptiren, weil dieselbe in Liepmann’s
Fall erst auf Grund umständlicher Erwägungen und Versuchsanordnungeu ge¬
geben werden konnte, das Wesen der Krankheit, wie er selbst sagt, sich derartig
verbarg, dass es erst nach 2 1 / 8 monatlichem Bestehen der Krankheit erkannt
wurde, während es sich im vorliegenden Falle, um gleich seine Redewendung
zu gebrauchen, so zu sagen von selbst präsentirte.
Das hat nun hauptsächlich darin seinen Grund, dass sich die Erscheinung
jedesmal ganz rein präsentirte und dass weiter auch keine Störung, vor Allem
keine solche aphasischer Art zurückblieb, die, wie in Liepmann’s Fall, die Mit-
1 Siehe Likpmanx, L. c. S. 66.
* Siehe Neurolog. Centralbl. 1902. S. 615.
y Google
998
theiluug unmöglich machte oder wenigstens erschwerte. Liepmann weist darauf
hin, dass die Einseitigkeit der Erscheinungen in seinem Falle die Möglichkeit
der Erkennung bot nnd dass bei Doppelseitigkeit der Erscheinung die dadurch
mitbedingte Apraxie der Sprachmusculatur die Unterscheidung der Störung von
der sensorischen Apraxie unmöglich machen würde; im vorliegenden Falle, der
nur auf der eigenen Beobachtung des Kranken beruht, lässt sich bezüglich der
Sprache während des Anfalles nichts aassagen, die innere Sprache scheint jeden¬
falls intact gewesen zu sein und das Fehlen jeder nachträglichen Störung er¬
möglichte, wie gesagt, die Diagnose. Es wird sich auch theoretisch gegen die
Möglichkeit einer isolirt auftretenden motorischen Apraxie nichts einwenden
lassen und ich zweifle nicht, dass jetzt, nachdem einmal durch die schöne Arbeit
Liepmann’s das Verständniss für die Beurtheilung einschlägiger Fälle geschärft
ist, sich früher oder später die bestätigenden Fälle einstellen werden.
Ein zweiter, viel wichtigerer Ein wand ergiebt sich jedoch aus Folgendem:
Liepmann 1 beschreibt von seinem Falle „gewisse ganz bizarre und vertrackte
Bewegungen, die der Kranke bei den Prüfungen machte und die sich ebenso
vorfanden bei eiuem kürzlich von Neissbr 2 beobachteten Falle, den er als durch
functionelle, eine Psychose begleitende, Störungen bedingte motorische Apraxie
deutete und den ich bei ihm gemeinschaftlich mit Wern icke zu sehen Gelegen¬
heit hatte. Ich halte nun den daher genommenen Einwand nicht für stich¬
haltig, um die hier gegebene Deutung der Erscheinungen unseres Falles
anzuzweifeln. Zunächst deshalb, weil Liepmann’s Kranker diese vertrackten,
sonderbaren Bewegungen nicht immer machte; so ist von verschiedenen Prüfungen
berichtet, dass er bei einer bestimmten Aufforderung förmlich blitzschnell
und ohue jedwelche Reaction die verlangte apraktische Bewegung ausführt. So
heisst ee z. B. S. 18 „Zeigen Sie den Sohlüsselbundl“ Noch ehe das Wort
Schlüsselbund ausgesprochen ist, hebt Patient die vor ihm liegende Cigarre hoch.
Und S. 14 berichtet Liepmann selbst vom Kranken: „Zu Anfang wiederholte
sich gewöhnlich das oben geschilderte Verhalten, dass er, ehe noch die Auf¬
forderung zu Ende gesprochen war, anscheinend ganz ohne Ueberlegung
planlos auf gut Glück den ersten beeten vor ihm liegenden Gegenstand aufhob“
und später heisst es von dem Kranken „man musste ihn gewöhnlich nach einer
plötzlichen Reaction antreiben weiterzusuchen. Erst in neuerer Zeit kam es oft
vor, dass er sich selbst nicht bei der falschen Wahl beruhigte und spontan
weiter suchte“.
Bei der Erwägung, warum nun unser Kranker gleichfalls ganz ohne Ueber¬
legung und anscheinend auch blitzschnell zugreift, warum es bei ihm nicht
auch zu den bizarren und vertrackten Bewegungen des LiEPMANN’schen Krankes
kommt, können wir an die Erörterungen anknüpfen, die Liepmann dem, wie
eben gezeigt, zuweilen ebenfalls gegensätzlichen Verhalten seines Kranken widmet 5
1 L. c. S. 7.
* Einer Mittheilung des Collegen entnehme ich, dass er über den Fall im Berliner
psychiatrischen Verein berichtet hat.
• L. c. S. 58.
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999
Das eine Moment, das er zur Erklärung der Erscheinung, dass sein Pat.,
namentlich in der ersten Zeit, die falsche Reaction nicht corrigirt, heranzieht,
die Tastlfihmung desselben, kann natürlich für unseren Fall nicht wirksam ge¬
wesen sein; dagegen wird etwas dem anderen, von Liepmann herangezogenen
Momente ähnliches für unseren Fall angewendet werden können: Liepmann ist
geneigt das Hauptgewicht für die Erklärung der Nichtcorrectur namentlich 1
auf den relativen Tiefstand seiner habituellen Aufmerksamkeit zu beziehen, und
um etwas dem Aehnliches handelt es sich in unserem Falle; unser Kranker, bei
dem die Erscheinung eben nur anfallsweise auftritt, gleicht dem LiEPMANN’schen
Kranken insofern, als auch er anscheinend ganz ohne Ueberlegung sofort
auf die in seinem Denken auftauchende Zielvorstellung reagirt und dass er eben
falsch reagirt, weil die Reaction wie beim LiEPMANN’schen Kranken so rasch
erfolgt, dass die sonst in der Norm während der Ausführung sich vollziehende
Correctur der drohenden Fehlreaction ausbleibt; und dass sie ausbleibt, das liegt
bei unserem Kranken eben an seinem „Anfalle“, der, wenn auch keine Bewusst¬
losigkeit, so doch gewiss Herabsetzung der centralen Thätigkeit in der Richtung
bedingt, dass die eben besprochene Correctur ausbleibt; daraus erklärt sich auch
das Ausbleiben der Correctur bei der fortgesetzten Handlung, was dadurch er¬
wiesen wird, dass mit dem Auf hören des „Anfalles“ die Correctur sofort eintritt
und die dieser vorangehenden psychischen Processe auch sprachlich noch im
Abklingen des Anfalles zum Ausdruck gebracht werden.
Eine Bestätigung dieser Deutung möchte ich gerade von der Beobachtung
des Nbisseb’ sehen Falles abstrahiren. In diesem, wo die Erscheinung nicht
anfallsweise auftretend, sondern andauernd war und auch nicht von irgendeiner
stärkeren Herabsetzung der Bewusstseinsthätigkeit begleitet zu sein schien, war
die Sonderbarkeit der Bewegungsimpulse eine so auffällige, dass dadurch das
ganze Bild, das der Kranke darbot, förmlich beherrscht war, sichtlich also im
Gegensatz zu meinem Kranken die während der Impulse sioh vollziehende Cor¬
rectur thätig war und dadurch zu jenen während der Prüfung andauernden
bizarren und vertrackten Bewegungen führte.
Ueberbliokt man die hier in Betracht kommenden Erscheinungen, so bedarf
es nach der zutreffenden und einer Erläuterung gar nicht mehr bedürfenden
Beschreibung derselben seitens des Kranken nicht erst des Beweises, dass die¬
selben, um einen Passus der Arbeit von Liepmann zu benützen, Fehlreactionen
nicht auf Rechnung aufgehobener Auffassung der gegenständlich optischen Ein¬
drücke (die sprachlich-acustischen kommen natürlich gar nicht in Betracht),
vielmehr sichtlich auf falscher motorischer Ausführung beruhen; man könnte
freilich noch der hier gegebenen Deutung der zwei „Anfalle“ die durchaus
nahe liegende Deutung entgegenhalten, dass es sich dabei um solche von
Bewusstseinstrübung gehandelt; aber es lässt sieb leicht zeigen, dass diese nicht
bloss bezüglich des Wesentlichen der Erscheinungen nicht zutrifft, sondern dass
mit einer solchen Erklärung eigentlich auch gar nichts besagt ist. Ich brauche
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1 Siehe auch bei ihm L. c. S. 30.
1000
nicht des breiteren erst auszuführen, dass man seit etwa 20 Jahren bemüh:
ist, den ebenso vagen wie dunklen Begriff der Bewusstseinsstörung auf seUe
Componenten hin zu analysiren und dass es gelungen, vorläufig festzustellen, dass
dabei zweierlei Factoren concurriren; ein Mal die Intensität der psychischen
Processe, daun aber weiter qualitative Störungen dieser letzteren, vor Allem
nachweislich solche der Perception eine Bolle spielen. Betrachten wir von diesem
Gesichtspunkte aus die hier als motorisohe Apraxie aufgefassten Erscheinungen,
so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass angesichts der präcisen Er¬
zählung derselben durch den Kranken und auch aller übrigen begleitenden Um¬
stände nicht daran zu denken ist, dass die Erscheinungen durch irgend eine
apperceptive Störung bedingt waren; eine gewisse Herabsetzung der Bewusst¬
seinsvorgänge im Allgemeinen möchte wohl vorhanden gewesen sein und haben
wir ja gerade diese zur Erklärung des Umstandes zuvor herangezogen, dam
keinerlei Correctur der apraktischen Thätigkeit sich vollzog; wir kommen also
auch auf diesem Wege der Analyse zur Annahme, dass eine motorische Apraxie
Vorgelegen haben müsse, wie es zuerst Meynebt in genialer Weise eigentlich
mehr concipirt als klinisch erfasst hat Damit scheint mir auch ein weiterer
wichtiger Beitrag zur Lehre von den sogenannten Dämmer- und Traumzuständen
oder wie man all die verschiedenen einschlägigen Störungen benennen mag,
gewonnen zu sein, insofern der vorliegende Fall zeigt, dass die Erscheinung der
motorischen Apraxie auch anfallsweise und nicht durch gröbere Herdaffection
bedingt auftreten kann, unter Umständen, die denjenigen, welche als Dämmer¬
zustände bezeichnet werden, so nahe stehen, dass der Schluss nicht unberechtigt,
dass auch im Rahmen dieser letzteren der motorischen Apraxie zuzuschreibende
Erscheinungen Platz greifen könnten.
Daran endlich, dass solche Beobachtungen wie die hier mitgetheilte auch
für ein grosses Gebiet der durch eigentümliche Störungen der Motilität cba-
rakterisirten Psychosen aufklärend wirken können, brauche ich wohl nur zu
erinnern; topisoh-diagnostische Erwägungen schliessen sich begreiflicher Weise
von selbst aus, doch wird man nicht fehlgehen anzunehmen, dass den hier be¬
obachteten Erscheinungen transitorische Störungen in denjenigen Gebieten a
Grunde liegen, die Libpmamn neuerlich für seinen Fall als vorhanden erwiesen hat
2. lieber die sogenannte
„luyotonische“ Convergenzträgheit lichtstarrer Pupillen.
Von Dr. Nonne,
Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf.
In jüngster Zeit wurde die Aufmerksamkeit auf ein bisher noch nicht be¬
schriebenes Pupillenphänomen gelenkt.
In Nr. 16 d. Centralbl. hat Stbassbüboeb 1 einen Fall beschrieben von
1 St&ajbsbubgkk, Pupillenträgheit bei Accommodation nnd Convergenx. Nenrolog.
Centralbl. 1902. Nr. 16.
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1001
Pupillenträgheit lichtstarrer Papillen bei Accommodation und Convergenz. Der
Fall zeichnete sich besonders dadurch aus, dass die Erweiterung der Pupillen
ungewöhnlich langsam vor sich ging. In Nr. 18 d. Centralbl. hat dann
Saenger 1 einen Fall beschrieben, in dem er dasselbe Phänomen beobachtete,
nur war die Langsamkeit der Erweiterung der Pupillen noch eine weit exqui¬
sitere. Dieselbe Erscheinung der ungewöhnlich langsamen Erweiterung der
Pupillen hatte Piltz 2 bereits vor 2 Jahren an lichtstarren Pupillen beobachtet,
wenn sie sich bei energischem Augenschluss verengerten.
Ich habe in den letzten Monaten 2 Fälle beobachtet, welche den genannten
Fällen in einigen Punkten gleichen, in anderen Beziehungen aber von ihnen
abweichen, und will dieselben, da das Interesse für dies bisher entweder nicht
beobachtete oder nicht beschriebene Phänomen jetzt geweckt worden ist, mit¬
theilen:
Im ersten Falle handelte es sich um einen 40jährigen Herrn, welcher be¬
stimmt keine Syphilis gehabt hatte, welcher früher im Wesentlichen gesund
gewesen war, und bei dem vor 3 Jahren ein Diabetes mellitus constatirt
wurde. Dieser Diabetes ist bei ihm ein gutartiger insofern, als Patient bei
strenger Zuckerdiät den Zucker verliert, bei nicht strenger Diät 1 l j i —2°/ 0 aus¬
scheidet und bei gewöhnlicher gemischter Kost zwischen 3 und 4 °/ 0 Zucker im
Urin hat. Derselbe Kranke leidet seit ungefähr anderthalb Jahren an den Sym¬
ptomen eines chronischen Rheumatismus der Wirbelgelenke, welcher die
gesammte Wirbelsäule, am stärksten den Lumbaltheil, befallen hat. Im Uebrigen
sind die inneren Organe gesund, speciell liegt keine Arteriosklerose vor. Die
Untersuchung des Nervensystems ergab, als ich den Herrn cousultativ sah, Fehlen
beider Patellarreflexe, im Uebrigen kein einziges Symptom von Tabes, auch lagen
keine subjectiven Beschwerden vor, welche auf eine Tabes oder ein anderes
spinales Leiden hindeuteten.
Die rechte Pupille war abnorm weit — 6 mm — wenn Patient
vor einem hellen Fenster stand, den Blick in die Ferne gerichtet.
Die Pupille war nach unten rechts leicht entgrundet, Adhäsionen
der Pupille bestanden nicht. Sie war auf Licht bei directer und
consensueller Prüfung absolut starr, bei einseitig geprüfter Accom¬
modation (Lesen bei verdecktem linken Auge) zeigte sie keine Spur von
Verengerung, bei Convergenz zog sie sich tonisch langsam zusammen
und zwar abnorm stark. Sie wurde fast Stecknadelkopf eng. Sie
blieb zunächst so eng und erweiterte sich nur ganz ausserordentlich
langsam. Während der Patient mir gegenüber sass und ich mich weiter mit
ihm unterhielt, sah ich, wie sie ganz allmählich erst die Weite der linken —
anderen — Pupille (3 1 / 2 mm) erreichte, und erst nach über 6 Minuten hatte
sie ihre frühere Weite wieder erreicht.
Bei energischer Contraction des Orbicularis — bei passiv verhindertem Lid-
schluss — contrahirte sich die Pupille nicht.
Die linke Pupille zeigte normale Weite (3 l / 2 mm) bei Position des Kranken
vor einem grossen, hellen Fenster bei mittlerer Tagesbeleuchtung. Sie reagirte
auf Licht direct und indirect prompt und normal ausgiebig, bei einseitiger Accom¬
modation sowohl wie bei Convergenz ebenfalls normal prompt und normal aus-
1 Saekoeb, Ueber myotonische Pupillenbewegung. Neurolog. Centralbl. 1902. Nr. 18.
* Piltz, Experimentell erzeugter reciproker Wechsel der Pupillendifferenz bei pro¬
gressiver Paralyse. Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 10.
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1002
giebig und kehrte bei Entspannung der Accommod&tion und Nachlassen der Con-
vergenz wieder mit normaler Schnelligkeit zu ihrer ursprünglichen Weite zurück.
Auch hier keine Contraction der Pupille bei Lidschluss.
Die Accommodation wurde beiderseits prompt entspannt, so dass Patient auch
mit dem rechten Auge allein, wenn er den Blick von dem Buche in die Ferne
richtete, die in der Ferne befindlichen Gegenstände gleich scharf erkannte.
Ferner soll betont werden, dass bei dreimaliger Wiederholung des Convergena-
versuches das Phänomen der abnormen Langsamkeit der Erweiterung der rechten
Pupille immer in derselben Weise auftrat und nicht, wie in Strabsbubokb’s Fall
bei Wiederholung an Intensität der Erscheinung einbüsste.
Augenhintergrund, Sehschärfe, Gesichtsfeld waren beiderseits normal.
Wenn ich diesen Fall vergleiche mit dem Fall von Piltz, so handelt es
sich in dessen 2 Fällen um Dementia paralytica. Das Phänomen trat auch
hier bei vollkommen lichtstarren Pupillen und zwar auch bei der weiteren
auf. Die nicht vollkommen lichtstarren Pupillen verengerten sich bei ener¬
gischem Lidschluss nur wenig und kehrten rasch zur früheren Wate
zurück.
In dem Falle von Strassbubgeb zeigte sich das Phänomen ebenfalls nur
auf der einen, direct und indirect lichtstarren Pupille. Die Verengerung war
bei Convergenz und bei Accommodation ausgiebig und langsam, und be¬
sonders langsam war die Erweiterung. Wie schon betont wurde, ging die Er¬
weiterung bei Wiederholung des Versuches allmählich schneller vor sich, auch
war in diesem Falle die Accommodationsentspannung auf dem betreffenden Auge
langsamer als normal.
Es handelte sich in Strassbubgeb ’s Fall möglicherweise um eine be¬
ginnende multiple Sklerose.
Während der erste Fall Stbassbubgeb’s mit meinem übereinstimmt, han¬
delte es sich in seinem zweiten Falle um eine einseitige Trägheit der Erweiterung
der Pupille nach Convergenz und nach Accommodation, bei doppelseitiger
Lichtstarre, und in dem dritten Falle Sbassbubgeb’s fand sich das Phänomen
der abnormen Langsamkeit der Erweiterung der Pupille auf dem Auge, auf
dem die Pupille auf Lichteinfall normal reagirte, während die andere Popille
directe und indirecte Lichtstarre zeigte.
In diesen beiden letzten Fällen Sbassbubger’s lag hereditäre Syphilis vor.
In dem Fall Sabnger’s reagirte die direot und indirect lichtstarre Pupille
bei Convergenz und bei Accommodation langsam, blieb 1 / 3 bis 5 Minuten
lang enge und erweiterte sich ungemein langsam (bis zu 10 Minuten!).
In diesem Falle wurde dasselbe Phänomen auch bei Contraction des
Orbicularis oculi beobachtet. Die andere, ebenfalls direct und indirect licht-
starre Pupille zeigte im Wesentlichen dasselbe, wenngleich quantitativ geringer
ausgesprochene Phänomen.
Die Diagnose war nicht sicher zu stellen, schwankte zwischen Lues cerebri,
Dementia paralytica, multipler Sklerose und beginnender Tabes dorsalis.
Mein Fall unterscheidet sieb von den bisherigen dadurch, dass
1. das Phänomen nur auftritt bei Convergenzbewegung des Auges,
y Google
1003
2. dass weder ein spinales Leiden noch Syphilis vorliegt (letztere
konnte auch in Saengeb’s Fall nicht nachgewiesen werden),
3. dass es bei einem Diabetiker zur Beobachtung kam. Der Ausfall
der Patellarrefleie kann nur mit dem Diabetes mellitus in Zusammenhang ge¬
bracht werden.
In meinem zweiten Falle handelte es sich um einen Fall von chronischem
Alkoholismus. Der betreffende Kranke kam zum zweiten Male wegen Delirium
alcoholicum auf meine Abtheilung. Er negirte, aufB Eingehendste befragt, eine
syphilitische Infection und trug keine Zeichen frischer oder ab¬
gelaufener Syphilis an seinem Körper. Die inneren Organe waren normal,
irgendwelche spinalen Symptome Hessen sich bei wiederholten eingehenden
Untersuchungen bei ihm nicht finden.
Die rechte Pupille war weiter als die linke — bei mittlerer Be¬
lichtung 4mm. Sie war bei directer und consensueller Belichtung
absolut starr, bei Convergenz und bei einseitig geprüfter Accommo-
dation zog sie sich träge zusammen. Sie wurde nicht abnorm enge, er¬
weiterte sioh aber ungewöhnlich langsam. Bei oft wiederholten Unter¬
suchungen schwankte die Dauer der Rückkehr zur früheren Weite
zwischen 3 — 5 Minuten.
Die linke Pupille reagirte auf Licht direct und indirect normal ausgiebig
und prompt, ebenso bei Convergenz und einseitig geprüfter Accommodation.
Beiderseits keine Contraction der Pupillen bei forcirtera Lidschluss.
Dieser Fall unterscheidet sich wieder von den früher beschriebenen dadurch,
dass man nicht berechtigt ist, ein spinales Leiden anzunehmen, und
dass das Individuum nicht syphilitisch inficirt war. Andererseits lag hier
schwerer Alkoholismus vor; es ist bekannt, dass der Alkoholismus auf ver¬
schiedene Weise zur Störung der Pupillenfunction führen kann.
Es ist klar, dass man in meinen beiden Fällen nach dem klinischen Ver¬
halten der Pupillen die Functionsstörung in den ceutrifugalen Schenkel
des Reflexbogens localisiren muss. Weil in meinem ersten Falle eine
Wirbelsäulensteifigkeit vorlag, lag es nahe, anzunehmen, dass die Pupillen¬
anomalie Zusammenhänge mit einer secundären Schädigung der in der ersten
Doraalwurzel verlaufenden Pupillenfasern (Klümpke), erzeugt durch eine Ver¬
änderung der knöchernen Begrenzung des Foramen intervertebrale VII, doch
kann die beschriebene Pupillenstörung mit dem Sympathicus nichts zu thun
haben.
Es steht heute fest, dass die Verengerung der Pupille bei Convergenz auf
einer Mitbewegung des Sphinkter der Pupille beruht, und ist deshalb der Ge¬
danke, den Saengeb zuerst ausgesprochen hat, ob diese tonische Veränderung
der Convergenzbewegung lichtstarrer Pupillen peripher, und zwar musculär be¬
dingt ist, von vornherein einleuchtend. Wenn Saengeb daraufhin das Phänomen
als „myotonische“ Pupillenbewegung bezeichnet, so ist aber daran zu erinnern, dass
von der „myotonischen“ Muskelreaction, wie wir sie beim Morbus Thomsen durch
Ebb’s Untersuchungen kennen gelernt haben, hier nur eine Componente vor¬
liegt, nämlich der langsame Ausgleich der Muskelcontraction. Ob das charak¬
teristische Verhalten der elektrischen Erregbarkeit der „myotonischen“ Ver*
y Google
1004
änderung au den Pupillen vorliegt, konnte begreiflicherweise nicht constatirt
werden. Ein weiteres Charakteristicum der „myotonischen“ Muskelreactiuo,
darin bestehend, dass die Bewegung zuerst langsam und mühsam ist und erst
bei Wiederholung allmählich prompt wird, finden wir in einer Beobachtung
Stbassbuügeb’s angedeutet. Ich habe in meinen beiden Fällen mit dem Corneal-
mikroskop die Pupillen untersucht und in dem ersten Falle eine Abflachung der
Iris am äusseren Rande der Pupillen constatiren können, ohne sonstige Ver¬
änderungen an der Iris. Im zweiten Falle konnte ich eine solche nicht con¬
statiren. Jedenfalls erscheint es nöthig, wenn spätere einschlägige Fälle zur
Obduction kommen, die Iris mikroskopisch zu untersuchen.
Ich glaube, dass von jetzt an derartige Fälle öfter mitgetheilt werden und
wird es sich mit der Zeit zeigen, ob das beschriebene Ensemble der Veränderung
der Pupillenreaction eine Localisationsdiaguose gestattet.
3. Beitrag zur Localisation der cerebralen Heiuianästhesie.
Von Prof. Dr. Karl Schaffer in Budapest.
Die Frage bezüglich der anatomischen Localisation der cerebralen Heim¬
anästhesie erfuhr in neuerer Zeit durch die vorzüglichen Arbeiten von Dej&bbb
und Lono 1 einen auf anatomisch-klinischer Untersuchung begründeten Ausbau;
ihre Forschungsergebnisse fassten sie in mehreren Sätzen zusammen.
1. Der Sehhügel, wie dies übrigens bereits v. Monakow als erster nach¬
wies, steht mit dem ganzen Grosshirnmantel, wie auch letzterer mit dem Seh¬
hügel in Verbindung; wir unterscheiden also tbalamo-corticale und cortioo-
thalamische Neuronen.
2. Sämmtliche centripetalen Bahnen, wie dies in letzterer Zeit besondere
auf experimentell-anatomischem Wege Pbobst 2 exact nachwies, endigen im
Thalamus, von welchem aus ein neues, zur Hirnrinde strebendes System — die
thalamo-corticalen Neuronen — entspringt. Wie Peobst’s Beobachtung in einem
Falle von reiner Sehhügelblutung zeigt, ziehen die thalamo-corticalen Neuronen
durch die Lamina medullaris externa in den lateralen Theil der inneren Kapsel,
legen sich dem Linsenkern an, den sie zum Theil in seinen Marklamellen durch¬
ziehen und gelangen nun zur Hirnrinde, namentlich in die Centralwindungen,
ins Scheitelläppchen, in den Gyrus fornicatus. Die zum Hinterhauptslappen
strebenden Strabkranzfasem entspringen vom Pnlvinar und verlaufen im Stratum
sagittale extern um. Speciell die Fasern aus der lateralen und ventralen Kern-
grnppe strömen den Centralwindungen zu. Diese Angabe Pbobst’s erhält durch
1 Ich verweise hier auf die klassisch-gründliche Arbeit von Edoabd Lonq: Les voies
centrales de la sensibilitd gön4rale. ßtude anatomo-clinique. Paris 1899, Steinheil.
1 M. Pbobst, Physiologische, anatomische und pathologisch-anatomische Untersuchungen
des Sehhügels. Archiv f. Psych. XXXIII. Heft 3.
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1005
Flechsig’s 1 Beobachtungen am Gehirn des Neugebornen seine vollste Bestätigung.
Flechsig unterscheidet drei sensible Systeme und zwar Nr. 1, 2 und 8. Nament¬
lich das System Nr. 1 liegt in der inneren Kapsel unmittelbar hinter dem Areal
der Pyramidenbahn, seine Fasern entspringen dem lateralen Sehhügelkern sowie
dem schalenförmigen Körper und gelangen ausschliesslich in die Rinde der
Centralwindungen. Nach Flechsig sollen zum Theil auch direct aus der
Hauptschleife Fasern zur motorischen Zone ziehen. System Nr. 2 führt Fasern,
welche in den Lobulus paracentralis und in den Fuss der ersten Stirnwindung
endigen; zum Theil aber biegen gewisse Fasern nach innen, um mit fast der
ganzen Länge des Gyrus fornicatus in Verbindung zu gelangen. Dieses System
Nr. 2 geht gleichfalls aus dem lateralen Kern (mehr basal) des Sehhügels hervor
und liegt etwas dorsal vom System Nr. 1. System Nr. 3 tritt im mittleren
Theil der Kapsel aus dem vorderen Abschnitt des lateralen Kerns aus, seine
Fasern gelangen zum Fuss der dritten Stirnwindung ferner zum Gyrus fornicatus.
3. Nach Dejebine 2 und Long existirt kein distinctes sensibles System im
hinteren Schenkel der inneren Kapsel; die cortico-petalen also thalamo-corticalen
Fasern sind mit den übrigen transversalen und verticalen speciell aber mit den
Fasern der Pyramidenbahn vermengt, welche vom Kapselknie angefangen bis
zum retrolenticulären Segment der inneren Kapsel sich verbreiten.
4. Hemianästhesie, bedingt durch centrale Läsion der Hemisphären, gelangt
unter zwei Bedingungen zur Beobachtung: a) Bei Sehhügelläsion, welche die
bulbo-thalami8chen und zugleich die thalamo-corticalen Neuronen, erstere in
ihrer Endigung, letztere in ihrem Anfang, zerstört b) Bei Zerstörung der Ver¬
bindung zwischen Sehhügel und Hirnrinde. Hierbei ist der Thalamus intact,
die Läsion aber immer sehr ausgebreitet Nach Long ist speciell die auf Seh¬
bügelzerstörung entstandene Hemianästhesie eine beständige.
5. Die anatomisch-klinische sowie die experimentelle Methode weisen
übereinstimmend nach, dass die Motilität, die cutane Sensibilität sowie der
Muskelsinn dieselbe corticale Localisation haben; namentlich ist es die motorische
Zone, welche gleichzeitig sensible Function besitzt, daher richtig sensitivo-
motorische Zone genannt werden soll (Dejebine, Long).
Aus diesen Ergebnissen der Dejebine -LoNo’schen Forschungen geht also
hervor, dass die CHABCOT’sche Lehre von einem distincten sensiblen Bündel im
retrolenticulären Segment der inneren Kapsel nicht mehr bestehen kann. Wir
müssen vielmehr eine Vermengung der sensiblen Fasern mit der motorischen
Bahn im hinteren Schenkel der inneren Kapsel annehmen, wie die eine dies¬
bezügliche nachfolgende eigene Beobachtung auch zeigt.
Robert P., 18 Jahre alter Taglöhner, wurde am 26. December 1899 im
Rochusspital auf die interne Abtheilug deB Prim. Prof. Ängyän aufgenommen.
Nach Angabe der Umgebung soll Patient am 24. December 1899 plötzlich
Schüttelfrost und heftige Kopfschmerzen verspürt sowie mehrmal gebrochen haben.
1 P. Flechsig, Die Localisation der geistigen Vorgänge, insbesondere der Sinnes-
empflndnngen des Menschen. Leipzig 1896, Veit & Comp.
* Dejbrine, Centrcs nervcus. II.
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1006
Am 26. December fand seine Aufnahme im Spital statt, wohin er deshalb ge¬
bracht wurde, weil er am 26. Dezember in Bewusstlosigkeit fiel. Prof. Ahbtäh 1
constatirte ein verändertes psychisches Verhalten, denn auf die an ihn gerichteten
Fragen antwortete er nur sehr zögernd, einsilbig und unverständlich. Serie
einzige Klage bestand in Kopfschmerz; er griff thatsächlich oft an seinen Kopf
Im übrigen liegt Patient ruhig, hält seinen Kopf stark nach rückwärts gezogen
und ist meist somnolent. Gesicht ist geröthet; an der Haut der Brost zeigen
sich verschieden grosse, manchmal handtellergrosse, auf Druck abblaasende rothe
Flecken. Dermographismus. Die Hautempfindlichkeit, besonders an den Extremitäten
stark gesteigert. Herpes labialis. Zunge und Gingiva trocken, mit branner
Kruste belegt, Pupillen etwas verengt, reagiren auf Licht träge. Der Nacken
ist steif; Cervical- und Dorsalwirbeln sind druckempfindlich. Aufgesetzt, ergreift
Patienten Schwindel. Seitens der Sinnesorgane ist ausser Hyperästhesie nicht«
zu constatiren. — Ueber den Lungen mässig katarrhalische Erscheinungen; das
Herz zeigt nichts Abnormes. Puls 56. Bauch stark eingezogen. Patient verlangt
kein Essen, trinkt jedoch die dargebotene Milch gerne. Milzdämpfung zwischen
8. und 11. Rippe. Stuhl auf Klysma, normal. Urin geht unwillkürlich ab.
Temperatur am Tage der Aufnahme variirte zwischen 38,9—39,5°.
Dieses Krankheitsbild führte Prof. Ängyän zur Aufstellung einer Meningitis
cerebrospinalis epidemica.
Am 11. Krankheitstage (am 2. Januar 1900) erwachte der Kranke nach
ruhigem Schlaf des Morgens mit heftigen Schmerzen in seiner linken unteren
Extremität. Prof. ÄngyAn constatirt bei der Frtihvisite die complete motorische
wie sensible Paralyse der linken Körperhälfte nebst vollkommen klarem
Bewusstsein. Pupillen mittelweit, reagiren auf Licht gut; Hörvermögen auf beiden
Ohren gut; Schmeckvermögen der linken Zungenhälfte fehlt. Puls 76. — Nach
einigen Tagen wurde Patient afebril, auch die Nackenstarre verlor sich.
Patient kam bald hierauf auf meine Abteilung, wo am 23. Juni 1900 kor»
folgender Status erhoben wurde:
Pupillen gleichweit, reagiren in jeder Beziehung prompt. Bulbusbewegungen
frei. Die Horizontal falten der Stirne sind links etwas weniger ausgeprägt. Mund¬
stellung schief. Linke Nasolabialfalte verstrichen. Linke Mundhälfte bleibt bei
Bewegung zurück. Linker Oberarm adducirt, der Unterarm befindet sich in
einer Flexionscontractur von 90°; passive Extension möglich. Vollkommen«
Lähmung der linken oberen Extremität, welche zugleich atrophisch erscheint
Circumferenz des linken Oberarmes 24 om, des rechten 26 cm, des linken Unter¬
armes 20,5 cm, des rechten 23 cm. Linke untere Extremität in gestreckter
Haltung und wird beim Gang stelzenhaft circumducirt bewegt. Patellarreflex«
beiderseits clonisch gesteigert, ebenso der linke Achillessehnenreflex, während der
rechte normal erscheint. Totale Analgesie sowie sämmtliche Empfindungs¬
qualitäten betreffende Anästhesie der linken Körperhälfte. Speaell
hat Patient absolut kein Lagegefühl. Die Anästhesie nähert sich der Median-
ebene, wo sie succesive in das normale Gebiet der rechten Körperhälfte über
geht. — Sinnesfunctionen normal.
Bezüglich der inneren Organe sei hervorgehoben, dass Patient an aus¬
gesprochener Aorteninsufficienz litt; nebst dem diastolischen Geräusch oberhalb
der Aorta war noch schnellender, gespannter Puls fühlbar. Infolge Compensatio»-
Störungen erfolgte der Tod am 4. Februar 1901.
Bei der Herausnahme des Gehirns fiel an der rechten Hemisphäre ein Er*
weiohungsherd auf, welcher topographisch so ziemlich der SYLVius’schen Spalte,
1 Ich entnehme die folgenden Daten einer Demonstration Prof. Akgyän’s, gehalten an
21. Februar 1900 im Verein der Spitalsärzte in Budapest.
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1007
namentlich deren hinterem horizontalem Aste entsprach, wie dies aus beigefügter
Abbildung (Fig. 1) hervorgeht. Der Herd occupirt den untersten Theil der
vorderen und hinteren Central Windung und greift entlang des hinteren Astes der
SYLVius’schen Fissur auf die erste Temporalwindung über. Die Erweichung
reicht auch in das Innere der rechten Grosshirnhemisphäre hinein; wir wollen
die diesbezüglichen topographischen Verhältnisse an Frontalschnitten, nach
W bioebt- WOLTKBs-Färbung behandelt, vorführen.
Fig. 2 zeigt einen Frontalschnitt hart am vorderen Ende des Thalamus.
(Der Schnitt ist aus Versehen umgekehrt auf den Objectträger gebracht worden.)
Fig. 2.
Man sieht die vorderste Spitze des Sehhügels (Nuoleus anterior, Na), den vorderen
Schenkel der inneren Kapsel (Ci), lateral den Globus pallidus ( Gp ) und basal
von diesem die vordere Commissur (ca). Hart an der lateralen Grenzendes
Thalamus beginnt ein ausgedehnter Erweichungsherd, welcher den oberen Theil
der vorderen inneren Kapsel (zwischen Putamen und Nucleus caudatus liegend)
zerstörte; ferner erscheint in den Bereich der Encephalomalacie einbezogen der
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1008
Körper des Nucleus caudatus, das Putamen (F), die Insel (i), sowie die au-
stossenden Partieen der vorderen Centralwindung und oberen Temporalwinduns
(7’,), welche gleichsam die Lippen des Ramus horizontalis fossae Sylvii bilden.
(Fernere Bezeichnungen der Figur: F Fornix; OF occipitofrontales Bündel:
Fnc Fasciculus nuclei caudati, L Lobus limbicus 8. fomicatus, F x Gyr. front 1.
f x Sulc. front I, F 2 Gyr. front. II, pR Sulc. praerolandicus, R Sulcus centrali.
Ca Gyr. centralis anterior, Fu Fascic. uncinatus, A Ämygdala, Spa Subst.
perforata anterior, II N. opticus).
Fig. 3 ist ein Schnitt aus dem vorderen Schenkel der inneren Kapsel
etwas occipitalwärts von Fig. 2. Man sieht hier vom Thalamus den Nucleu-
anterior (Aa), den Nucleus lateralis und externus (Ne), die Tänia thalami (71
Fig. 8.
das Kapselknie (GC), den vorderen Kapselschenkel (da), den Nucl. caudatus (A'C.
das Occipitofrontalbündel (OF), den Fascic. nuclei caudati (Fnc); lateral von der
der Kapsel: das Putamen. (/*), den Globus pallidus ( Gp ), die vordere Commis-
sur (ca), die Linsenkernschlinge (AL); ferner: F Fornix, Ch Chiasma, A Am ijg-
dala, I Insel, S Fossa Sylvii, T obere Temporalwindung, R Sulc. Bolandii.
L Gyr. fornicatus. — Der Herd occupirt genau dasselbe Gebiet wie in der
vorangehend geschilderten Ebene (Fig. 2), er reicht also genau an die latent
Grenze des Sehhögels ohne in denselben einzudringen, zerstörte den oberen
Theil der Cia, das Putamen, den Nucleus caudatus, die Insel und die Lipp en
der SxLViuB’schen Spalte. Die innere Kapsel, welche ausserhalb des Herdes
liegt, weist hier bereits eine Degeneration auf. Besondere Beachtung verdient
der Thalamus; er erscheint atrophisch; jene Marklamelle, welche den vorderen
und lateralen Kern trennt, ist nicht so distinkt wie auf der gesunden Seite¬
sichtbar; besonders aber erscheint der laterale Kern, verglichen mit der
oontralateralen identischen Stelle, verschmälert. Ebenso fehlt das Stratum
zonale.
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1009
Fig. 4 zeigt einen Schnitt aus dem hinterem Segment der inneren Kapsel.
(Das Präparat kam abermals aus Versehen verkehrt auf den Objectträger). Der
Herd ist nurmehr in der seitlichen Ecke des Seiten Ventrikels genau an der
Stelle des Schweifkerns, dessen Grösse entsprechend, sichtbar; die Rinde, theil-
wei8e auch die Marksubstanz der I. Schläfewindung (2J), der Insel (7), sowie
der untersten Partie der hinteren Centralwindung (Op) zeigen Erweichung;
während die Kapselfaserung, wenngleich etwas lichter getönt, normal erscheint. —
Der Sehhügel auf der Seite der Läsion weist eine distinkte Atrophie auf: mit
der normalen Seite verglichen, stellt sich heraus, dass besonders der dorsale
Theil des lateralen Kernes geschrumpft ist. Jener Buckel, welchen der normale
Sehhügel zwischen dem Gewölbe ( F) und Schweifkern (NC) bildet, und welcher
Fig. 4.
dem Nucleus lateralis dorsalis entspricht, fehlt auf der kranken Seite; der
Sehhügel ist abgeplattet. Diesem Umstande, ferner dem zerstörten Schweifkern
entsprechend ist der Seitenventrikel auf der Seite der Läsion bedeutend
dilatirt; diese Ventrikel-Dilatation finden wir übrigens an allen Frontalsohnitten
auf. Bemerkenswert ist ferner, dass die Nuclei dorsales disseminati thalami,
welche an diesem Schnitt auf der gesunden Hälfte distinkt entwickelt sind (Nd),
auch eine evidente Reduction erfuhren; ferner ist das Stratum zonale thalami
auch hochgradig atrophisch. Die Tänia thalami (7*) ist unversehrt. Die
FoBEL’schen Bündel normal; ebenso der Luys’sche Körper. Der, im vorderen
Abschnitt sowie in der Kniegegend der inneren Kapsel stattgefundenen Zer¬
störung entsprechend ist im Hirschscheukel (Pp) eine absteigende Degeneration
sichtbar. Auch möchte ich bemerken, dass der Breitendurchmesser der krank¬
haften Hemisphäre auffallend verkleinert ist; dieser Umstand ist durch die
Malacie der Inselgegend bedingt und ist an allen Frontalschnitten anzutreffen.
Fig. 5 entspricht dem hintersten Abschnitt der inneren Kapsel und zeigt
den hinteren Theil des Sehhügels. Wenngleich die Schnittrichtung der beiden
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1010
Hemisphären nicht genau identisch ist (die gesunde Hälfte entspricht einer
etwas proximaleren, die kranke Hälfte einer etwas distaleren Frontalebene), so
ist es dennoch auffallend, welche hochgradige Atrophie der Sehhügel auf der
Seite der Iüsion erfuhr. Während der normale Sehhügel die bekannten Kern-
gruppen (Nucleus medialis jVm, Nucl. lateralis dorsalis Nid, Nucl. lateralis
ventralis externus Nlve, Nucl. lateralis ventralis inferior Nh t) ohne Schwierig¬
keit erkennen lässt, weist hingegen der andere, der Läsionsstelle entsprechende
Thalamus eine hochgradige Atrophie auf. Er ist abgeplattet, fast faserleer und
zeigt nur das Ganglion habenulae, sowie das MEYHKRT’sche Bündel Fl Fascic.
retroflexus). Die Regio hypothalamica (Nucleus ruber, dessen Radiation) ferner
das corpus geniculatum laterale (gl) sowie das WEBNicKB’sche Feld ( //) er¬
scheinen normal. Der Hirnschenkelfuss weist in seinem inneren , / 3 einen
Faserausfall auf ( Pyd ). Der Seitenventrikel stark dilatirt Die Gegend der
SyLviüs’schen Lippen zeigt Reste der Erweichung.
Fig. 6 entspricht der Hirnschenkelfussgegend. Es sei hier nur soviel bervor-
gehoben, dass das mittlere 3 / ß des Pes pedunculi degenerirt ist (fy</).
Recapitulirend sei folgendes hervorgehoben:
In der rechten Hemisphäre befindet sich eine, von den Lippen der Sylviüs'-
schen Fissur in die Tiefe sich erstreckende Malacie, welche den Kopf und
Körper des Schweifkerns, ferner den vorderen Schenkel sowie das Knie der
inneren Kapsel occupirt. Hierauf entstanden oonsecutive Veränderungen wesent¬
lich in zwei Richtungen. Erstens entwickelte sich eine ausgeprägte Sehhügel¬
atrophie, zweitens eine absteigende Pyramidendegenration, welche — nebenbei
bemerkt — im Verlaufe der pontinen, bulbären und contralateralen spinalen
Pyramide sich verfolgen lässt Die Sehhügelatrophie besteht hauptsächlich in
der Reduction des lateralen Kerns, namentlich des dorsal-lateralen Kerns, und
ist durch die Unterbrechung der Verbindung zwischen Hirnrinde und Sehhügel
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1011
bedingt. Hierbei kommen sicherlich in erster Linie die cortico-thalamischen
Neuronen in Betracht. Hervorzuheben ist, dass der Sehhügel als solcher direct
nicht lädirt ist, denn die Erweichung erstreckt sich nur bis zur ARNOLD’scheu
Gitterschicht.
Das Hauptinteresse unseres Falles beansprucht die Localisation des Herdes
und die mit letzterer verbundene constante Hemianästhesie und Hemianalgesie.
Hierzu erscheint es von Vortheil, wenn wir die an Frontalschnitteu gewonnenen
topischen Veränderungen auf einen Horizontalschnitt projiciren. Bei dieser
Reconstruction stellt sich heraus, dass die Läsion ausser dem vorderen Schenkel
und dem Knie der inneren Kapsel noch etwa die vordere Mitte des hinteren
Kapselschenkels occupirt; somit lässt die Läsion eben den hinteren Theil des
hinteren Schenkels frei, welcher nach der älteren ChaBOOT’ schen Anschauung
Fig. 6.
sensible Fasern führen soll. Nun aber ersehen wir aus vorliegendem Fall,"dass
hier eben nur der motorische Theil der inneren Kapsel vernichtet wurde und
gerade in Verbindung mit einer typischen Hemiplegie eine klinisch scharf aus¬
geprägte Hemianästhesie vorhanden war. Hieraus würde folgen, dass mit den
motorischen Fasern zugleich sensible, jene der Hautsensibilität, verlaufen, wie
dies Dejebine und Eduard Long behaupten. Die corticalen Erweichungen
des vorliegenden Falles bieten für die Localisation der Sensibilität keinen An¬
griffspunkt.
Es wäre schliesslich noch des Umstandes zu gedenken, dass die Läsion den
Sehhügel direct nicht traf und dennoch eine unverrückt feststehende Hemi¬
anästhesie bewirkte. Diesen Umstand hebe ich aus dem Grund hervor, weil
E. Long in jenen Fällen, in welchen die Läsion den Thalamus selbst traf, der
Hemianästhesie eine grössere Beständigkeit zuschreibt. Ich denke, dass mein
Fall beweist, dass ausserhalb des Sehhügels liegende Herde, welche aber die
Verbindung zwischen Thalamus und Hirnrinde zerstören, auch constante Hemi¬
anästhesie zu bewirken vermögen.
64 *
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1012
[Ans dem städtischen Kr&nkenhanse in Warschau-Praga. (Abtheilnng für Nervenkranke
von Dr. J. Piltz.)]
4. Die paradoxe Pupillenreaction
und eigene Beobachtung von Verengerung der Pupillen
bei Beschattung der Augen.
Von Dr. J. Pütz.
(Fortsetzung.)
W. Vysin 1 veröffentlichte zwei Fälle von perverser Pupillenreaction. Die
Perversität der Pupillenreaction bestand in der sehr interessanten Beobachtuug.
dass die Pupillen beim Accommodationsacte sich erweiterten, während sie beim
Blick in die Feme sich verengten. Um dem Vorwurfe zu entgehen, dass beim
Blick in die Feme die Augen dem Lichte mehr ausgesetzt waren als beim
Blick in die Nähe, liess Vysin als Fernobject eine dunkle, etwa 10 m entfernte
Wand tixiren und machte den Nach versuch auch derartig, dass er die Augen
mit concentrischem Licht (Sammellinse) befeuchtete. Selbst die unter der
Wirkung der intensiven Beleuchtung verengten Pupillen erweiterten sich gam
deutlich bei der Fixation eines nahen Gegenstandes, während sie beim Fernblick
sich noch mehr verengten. In einem Falle handelte es sich um traumatische
Neurose, der zweite Fall zeigte dieses Phänomen der perversen Pupillarreactkw
nur temporär zur Zeit von Migräneantallen. Mit dem Nachlassen der Anfälle
hörte auch jedes Mal das abnorme Phänomen an den Pupillen auf. Nach Vysi>
ist dieser zweite Fall ein Beweis dafür, dass 1. die Migräne eine durch Ver¬
änderungen in der Hirnrinde bedingte Erkrankung sei und 2. dass die Accommo-
dationsreaction gleichfalls unter dem Einfluss der Hirnrinde steht 1 2 Die erkrankte
Hirnrinde wirkt nicht in richtiger Weise auf die Bewegungen der Pupillen. Ai?
bei diesem Kranken die Migräneanfälle nachliessen und die Function der Hirn¬
rinde sich wieder herstellte, machte sie wiederum ihren Einfluss auf die reflee-
torische Pupillen bewegung geltend. 3 4
Schon aus diesem kurzen Referat geht klar hervor, dass es sich in diesen
von Vysin beobachteten Fällen nicht um paradoxe Lichtreaction, sondern um
eine paradoxe Accommodationsreaction bezw. um eine Inversion der Acoomm»
dationsreaction der Pupillen gehandelt hat.
In einer sehr interessanten Arbeit berichtet v. Bechtnrew 4 ausführlich
über einen Fall von beschränkter Meningitis luetica basilaris mit • Betheiligung
1 W. Vysin, Zwei Fälle von perverser Pupillenreaction. ZeitBchr. f. böhmische Aerste.
1896. Nr. 44 u. 45.
* Biklitzki bat auf experimentellem Wege ein corticales Accommodationscentrum in
Hinterhauptslappen gefunden. Siehe v. Bkchtbbbw, Neurolog. Centralbl. 1900. Xr. 9.
8 Ausgezeichnetes Referat der Arbeit von Vysin im Archiv für Augenheilkunde (1891.
Nr. 689) von Hbrbnhbissbb.
4 W. v. Bbghtbebw, Ueber paradoxe Lichtreaction der Papillen. Neurolog. Westink.
1897. S. 165 (rassisch).
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1018
der Augenmuskelkerne, bei welchem sich in der Periode der Besserung dieser
krankhaften Erscheinungen die paradoxe Lichtreaction einstellte. Bei der ersten
Untersuchung wurde Folgendes constatirt: Störung der Sensibilität in beiden
Gesichtshälften und des Geschmacksinnes, Paresis nervi oculomotorii dextri (beim
Fixiren mit dem rechten Auge kam es jeweilen zu einer secundären Deviation
des linken Auges) und Diplopie beim Blick nach unten, aber hauptsächlich
beim Blick nach links und aufwärts. Visus war normal. Die rechte Pupille
war deutlich erweitert und reagirte auf Licht gar nicht, die linke reagirte auf
Licht, wie es scheint, auch nicht Die Pupillenreaction auf Schmerz fehlte.
Rechts fehlte auch die Accommodationsreaction, links war sie bedeutend ab¬
geschwächt ln der Periode der Besserung der krankhaften Erscheinungen zeigte
sich nun die paradoxe Lichtreaction. Die anfangs vollkommen unbewegliche
rechte Pupille zeigte jetzt unter dem Einfluss des Lichtes eine deutliche Er¬
weiterung, directe wie consensuelle (d. h. bei Belichtung des linken Auges). An
der linken Pupille war die paradoxe Lichtreaction schwächer ausgeprägt und
zwar nur die directe; ausserdem war sie nicht so beständig wie die rechte, denn
wenn man sie ein oder zwei Mal hintereinander hervorrief, schwand sie und
die Pupille wurde für einige Zeit wieder unbeweglich; nach einer Pause konnte
man diese Reaction von Neuem erhalten. An einer anderen Stelle seiner Arbeit
fügt y. Bechterew noch hinzu, dass bei Belichtung jedes Mal zuerst eine ge¬
ringe Verengerung der Pupille eintrat, welche nun unter dem Einfluss des Lichtes
sofort in eine langsame länger oder kürzer dauernde Erweiterung überging.
v. Bechterew nimmt an, dass die syphilitische Erkrankung der Blutgefässe,
welche durch die Lamina cribrosa posterior in die Himsubstanz eindringen, zur
Obliteration derjenigen kleinen Zweige geführt hat, welche die Augenmuskelkeme
und den Iriskern versehen. Unter dem Einfluss der Therapie, durch Wieder¬
herstellung der Blutcirculation wurde der grösste Theil der erkrankten Him¬
substanz vor dem völligen Untergänge gerettet, wobei auch die meisten oben
beschriebenen Symptome wieder zurückgetreten sind. Wir wissen, führt
v. Bechterew im Weiteren aus, dass gewöhnlich das sich restituirende Nerven¬
gewebe eine ausserordentliche Ermüdbarkeit zeigt. Wir haben keinen Grund,
nicht anzunehmen, dass auch die sich restituirenden Pupillarfasem bezw. der in
Regeneration begriffene Iriskem von einer solchen Ermüdbarkeit ausgezeichnet
wird. Dementsprechend constatirte v. Bechterew auch jedes Mal bei mässiger,
z. B. bei Tagesbeleuchtung, eine geringe Verengerung der Pupille; dagegen bei
einem sehr starken Lichtreiz hörte die Hervorrufung des Lichtreflexes durch
Lichterregung der Retina schon gleich im ersten Moment auf und machte Platz
einer vorübergehenden Unterdrückung der Thätigkeit des Pupillarceutrums,
welche schliesslich in einer Pupillenerweiterung ihren Ausdruck fand. Diese von
v. Bechterew gegebene Erklärung scheint mir in diesem Fall ganz richtig zu
sein, sie verdient volle Beachtung; durch dieselbe verliert das Phänomen der
paradoxen Lichtreaction in dem Fall von v. Bechterew das Paradoxe, welches
es an sich trug. Es ist ja überhaupt wenig wahrscheinlich, dass es irgend
etwas Paradoxes in der Natur giebt.
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1014
Albebt Leitz 1 hat in einem Fall von Meningitis tuberculosa, welche sich
seoundär nach einer tubercnlösen Coxitis bei einem 9 jährigen Knaben ent¬
wickelte, das Phänomen der paradoxen Pupillenreaction beobachtet Die Pupillen
waren in der Dunkelheit bis auf Stecknadelkopfgrösse zosainmengezogen und
erweiterten sich um so mehr, je stärker die Augen belichtet wurden. Die Reaction
der Pupille hielt bis zum Tode des Patienten an.
Hir8Chl 2 beschäftigte sich in der v. KBAPPT-EBiNG’schen Klinik neuer¬
dings sehr eingehend mit der „sympathischen Pupillenreaction“ und mit der
sogen, paradoxen Lichtreaction der Pupillen bei der progressiven Paralyse. Be¬
kanntlich verstehen wir unter der sympathischen Reaction eine Pupillenerweitenmg
auf Reizung sensibler Nerven. Die Methodik zur Prüfung dieses Vorganges ist
eine ungemein einfache; der zu Untersuchende wird mit einer Nadel in dk
Wange gestochen oder gekneipt oder seine Haut in der Schläfen-, Hals- oder
Nackengegend wird durch Stechen oder mit dem faradischen Pinsel gereizt,
oder es wird un irgend einer Körperstelle ein massig starker faradischer Strom
applicirt — dabei kommt es gewöhnlich zu einer nachträglichen Pupillen¬
erweiterung. Es giebt aber auch Fälle, in welchen schon z. B. die Wärme de
Lichtquelle für die Cornea, Conjunctiva oder überhaupt für das ganze Trigeminus¬
gebiet einen genügenden sensiblen Reiz darstellt, der eine „sympathische Pupillen¬
reaction“ hervorrufen kann. Es ist nun klar, dass man diese Erscheinung
welche z. B. bei Annäherung einer Lichtquelle eintreten kann, nicht für paradoxe
Lichtreaction der Pupillen halten darf. Hibschl beobachtete 4 Fälle von sogen,
paradoxer Pupillenreaction. Zwei von diesen Fällen sollen den FBENKKi/schen
Fällen entsprechen, bei denen mit der Erweiterung der Pupille auf Belichtung
eine Abductionsbewegung des Bulbus einherging. Für diese Fälle nimmt Hibschl
mit Fbenkel an, dass in Folge der Insufficienz der Intemi, bei Annäherung
einer Lichtquelle der Addnctor des Bulbus erlahme und eine Abduction des
Bulbus ein trete, worauf bei erhaltener Divergenzreaction der Pupillen eine Er¬
weiterung der Pupille eintreten müsse. In dem dritten Falle zeigte sich eine
Erweiterung der Pupille schon bei blosser Annäherung eines warmen Gegen¬
standes (Eprouvette mit heissem Wasser), andererseits fehlte dieselbe bei Be¬
lichtung des Auges mit kalten Lichtstrahlen (GÄBTNEB’sche Lampe). Den
vierten Fall hat Hibschl nicht genauer untersucht Auf Grund seiner Unter¬
suchungen kommt Hibschl in Bezug auf die uns beschäftigende Erscheinung
zu folgenden Schlüssen:
„Die sogen, „paradoxe Lichtreaction der Pupillen“ tritt ein:
a) bei AKGYLL-RoBEBTsoN’schem Phänomen, wenn die sympathische Reaction
vollkommen erhalten ist;
b) bei ARGYLL-RoBEBTSON’schem Phänomen und sympathischer Pupillenstarre
1 Albert Leitz, Anomalous pupillary reaction in meningitis. Medical Record. LYI.
Nr. 23.
* Hirschl. Uebcr die sympathische Pupillarreaction and über die paradoxe Lichtreaction
der Pupillen bei progressiver Paralyse. Wiener klin Wochenschr. 1899. Nr. 22.
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1015
dann, wenn im Zusammenhänge mit Insufficienz der Recti iuterni bei Belich¬
tung Abductionsbewegung des Bulbus ausgelöst wird.
Beide Arten der „paradoxen Lichtreaction der Pupillen“ bieten ihrem Wesen
nach nichts Paradoxes dar. Im ersten Falle bringt die Wärme der Lichtquelle
die erhaltene sympathische Reaction zum Vorschein, im zweiten Falle tritt
Abduction des Bulbus ein und mit dieser die entsprechende Erweiterung der
Pupille.“
In der Discussion im Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien am
25. April 1899, die sich an den Vortrag von Hibschl anschloss, bemerkte
Stebnbebg 1 u. A., dass die „sympathische Pupillenreaction“ vorübergehend sei,
während die paradoxe Reaction in zwei von ihm gesehenen Fällen von pro¬
gressiver Paralyse dauernd bestehen blieb. Ueber diese 2 Fälle hat Stebnbebg
nichts Näheres mitgetheilt.
Schliesslich hat Silex 5 am 12. Juli 1899 in der Berliner Medicinischen
Gesellschaft einen Fall von „wahrer paradoxer Pupillenreaotion“ vorgestellt. Es
handelte sich um eine schwache, nervöse, erschöpft aussehende und leicht auf¬
geregte Patientin, welche vor 7 Jahren einen Schlag auf den Hinterkopf mit
vorübergehendem Verlust des Bewusstseins erlitten hat. Ihre Pupillen waren
eng wie sie bei Ueberanstrengung des Auges durch vieles Nahesehen, in Folge
Angewöhnung an den accommodativeu Zustand, Vorkommen.
Mit Hülfe der Spiegellampe wurde nachgewiesen, dass der Sphincter sich
nicht contrahirte, sondern dass die Pupille sich bis auf 6 mm im Durchmesser,
bisweilen auch noch mehr, langsam erweiterte. Waren beide Augen im Schatten
und wurden sie jetzt plötzlich durch grelles Sonnenlicht belichtet, so er¬
weiterten sich die Pupillen beider Augen, links jedoch mehr als rechts, bis¬
weilen aber änderte sich rechts nichts an der Grösse. Consensuell konnten
beide Pupillen nur in ganz geringem, oft kaum wahrnehmbarem Maasse beein¬
flusst werden.
Am schönsten konnte Silex diese Erscheinung hervorrufen, wenn er im
Dunkelzimmer, in dem die Patientin mehrere Minuten ruhig gesessen, plötz¬
lich die Gasflamme hell aufleuchten liess. Die bis zu diesem Moment trotz
der Dunkelheit kleinen Pupillen wurden dann direct gross. Dieser Erweiterung
der Pupillen unter dem Einfluss des Lichtes ging nicht die geringste Ver¬
engerung voraus.
In der Mehrzahl der in der Litteratur bekannten Fälle von paradoxer
Pupillenreaction stellte sich die Erweiterung als associirte Folge einer Divergenz*
bewegung, bei gleichzeitiger Parese der Adductoren dar. Wird z. B. die
Accommodation auf ein nahes Object gerichtet, so bleibt bei gleichzeitiger Be¬
leuchtung die Pupille eng; sobald aber die inneren, geraden Augenmuskeln
dabei ermüden und die Augen abweichen, tritt eine Pupillendilatation ein.
1 Stbbnbbbq, Discussion im Anschluss an den Vortrag von Hibschl im Verein für
Psychiatrie und Neurologie in Wien am 25. April 1899. Wiener klin. Wochenschr. 1899.
Nr. 22.
* Silex. Ueber paradoxe Pupillenreaction. Zeitschr. f. Augenheilk. 1900. 8. 498.
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Eine Abductionsbewegung der Bulbi beobachtete Silex in seinem Fall
nicht. Auch bestand kein Hippus.
Durch Kneifen der Wange der Patientin erweiterten sich die Pupillen jedes
MaL Doch war diese sympathische Pupillenerweiterung viel geringer als die
Erweiterung der Pupillen auf Lichtreiz.
Dafür, dass es sich in seinem Fall nicht um eine durch Wirkung der
Wärmestrahlen bedingte Pupillenerweiterung handelte, spricht schon dieser Um¬
stand, dass Silex dieselbe auch bei minimalster Lichtmenge, bei der von Wärme
kaum noch die Rede war, noch deutlich hervorrufen konnte.
Da Silex in seinem Fall der Erweiterung keine, auch nicht die geringste
Verengerung vorausgehen sah, hält er die von ihm beobachtete Pupillenerweiterung
für eine wirkliche paradoxe Erweiterung der Pupille, welche durch die Erregung
des Nervus opticus zu Stande kommt
Die bei der Patientin für gewöhnlich bestehende Verengerung der Pupillen
will Silex auf folgende Weise erklären: entweder, sagt er, handelt es sich um
eine Reizung von Seiten einer Schwarte, die nach dem Fall auf den Hmterkopf
sich entwickelte, d. h. wir haben es mit derselben Verengerung der Pupille m
thun, die wir bei Hirnhautentzündungen finden. Möglicher Weise ist es aber
auch ein Verharren der Pupille in dem zu der anhaltenden Näharbeit uoth-
wendigen Accommodationszustande. Oder es handelt sich um den Ausdruck
einer erhöhten Erregbarkeit und geringer Widerstandskraft des ganzen Nerven¬
systems, mithin auch der Pupillarfasern: bei Liohteinfall eine schnelle Ermüdung
dieser Fasern mit Herabsetzung der Function und um Entfaltung der Dilatator-
kraft Als Beweis dafür führt Silex den Umstand an, dass seine Patientin bei
intensiver Lampenbeleuchtung schlechter sah als bei gewöhnlicher Zimmer-
beleuohtung. (Schloss folgt)
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber die absteigenden Verbindungen der Sehhügel und vorderen
Vierhügel, von Dr. E. Ernst. (Dissertation. 1902. St Petersburg. [Rassisch, ji
In Anbetracht der mannigfachen Controveroen über die anatomischen Be¬
ziehungen der Sehhügel und vorderen Vierhügel zu den benachbarten und ent¬
fernten Bildungen des Hirastammes unternahm Verf. im Bechterew’schen
Laboratorium eine experimentelle Prüfung dieser Fragen. Seine Versuche wurden
an Hunden angestellt, denen er auf mechanischem Wege eine Läsion der genannten
Theile beibrachte. Er benutzte zu diesem Zweck ein von ihm construirtes In¬
strument in der Art einer Hakencanüle, die durch eine durch die Schädelbasis
vom Rachen aus gebohrte Oeffnung in die Substanz des Thalamus oder der
Corpora quadrigemina eingeführt wurde. In der 1 mm dicken Canüle war ein
feiner Haken versteckt, der innerhalb des Gehirns herausgestossen werden konnte
und dabei eine Läsion der Gehirnsubstanz verursachte. Selbstverständlich waren
bei dieser Methode viele Versuche misslungen, aber in 16 Fällen gelang es, die
Läsion nach Wunsch zu localisiren und die Thiere gegen 2—3 Wochen lang am
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1017
Leben zu erhalten. Das Gehirn wurde dann nach Marchi zum Studium secun-
därer Degenerationen bearbeitet.
Die Versuchsergebnisse zeigen, dass Sehhügelverletzungen nur dann von
absteigender Degeneration begleitet werden, wenn die caudalen Theile der medialen
Sehhiigelkerne lädirt sind; bei ausschliesslicher Verletzung anderer Theile der
Sehhügel treten keine Degenerationen absteigender Bahnen auf. In den Fällen,
wo die Läsion streng auf die medialen Kerne (med. v. Monakow) beschränkt
war, liess sich secundäre Degeneration in folgenden Bahnen nachweisen: in einem
Faserbündel, welches in der dorsalen Schicht des medialen Sehhügelkerns verläuft
und im oberflächlichen Grau der vorderen Vierhügel endet; in einem Bündel,
welches zum gleichseitigen rothen Kern verläuft; ein Theil desselben überschreitet
die Raphe und endet im contralateralen rothen Kern; ferner degenerirt ein
Bündel, welches nach Austritt aus dem medialen Sehhügelkern lateral vom Fas-
ciculuB longitud. posterior bis zur Varolsbrücke verläuft, wo es sich im Gebiet
des centralen Haubenkerns zerstreut; ausserdem ein Bündel in unmittelbarer
Nachbarschaft des Meynert’schen Fasoiculus retroflexus, welches dann im weiteren
Verlauf ins laterale Feld der Formatio reticularis übergeht und hier im Niveau
des Nucleus centralis inferior verschwindet. Bei Verletzung deB Ganglion habenulae
degenerirt der Fasciculus retroflexus bis zum gleichseitigen Ganglion interpedun-
culare. Bei Verletzung der vorderen Vierhügel degeneriren zwei Fasersysteme —
ein kurzes, welches im verlängerten Mark endigt (Münzer’s Tractus tecto-bulbaris
superficialis non cruciatus), und ein langes, welches durch die fontäneartige
Kreuzung geht und sich durch die Formatio reticularis hindurch bis zu den
Vordersträngen des Rückenmarks verfolgen lässt.
P. Rosenbach (St. Petersburg).
2) Ueber die Beziehungen der Glia au den Gefässen, von Prof. S. Kure.
(Neurologia. L)
Verf. studirte in Nissl’s Laboratorium die Veränderungen der Hirnrinde
bei experimenteller Tuberculose und kam dabei zu sehr interessanten Ergebnissen
bezüglich der Neubildung von Gefässen. Vorerst konnte er die alte, durch
Weigert’s Gliafärbung ins Wanken gebrachte Anschauung wieder stützen, dass
Gliazellen direct mit der Endothel wand der Gefässe verwachsen bezw. durch
protoplasmatische Ausläufer mit breiter Basis der Gefasswand aufsitzen (die sogen,
„dreieckigen Füsschen“ früherer Autoren). Des weiteren fand er aber, dass die
Gliazelle unter Umständen direct an der Bildung der Gefässe theilnehmen kann.
Er sah nämlich Zellen mit allen Eigenschaften der Gliazellen, die mitten in ihrem
Protoplasma eine Höhlung mit deutlichem Contour und zwei flachen Kernen auf¬
wiesen. Verglich er zweifellose Capillaren mit diesem Gebilde innerhalb der Glia¬
zelle, so ergab sich, dass nicht der geringste Unterschied zwischen dem Quer¬
schnitte einer Capillare und dem letzteren bestand. An anderen, die Längs¬
schnitte zeigenden Zellen konnte er direct beobachten, wie eine Gliazelle im
Begriffe ist, von einem benachbarten Gefässchen ausgehöhlt zu werden: längs des
dem Gefäss aufsitzenden länglichen Protoplasmafortsatzes schiebt sich ein Endothel¬
kern nach a dem Zellleib hin vor, ein anderer ist schon im Zellinnern angekommen
und liegt am Rand einer kleinen Vacuole. Streckenweise wird die Wand des
Gefässes überhaupt nur durch Protoplasmasubstanz gebildet, zum mindesten auf
der einen Seite, was durch die in Querschnittsbildern ersichtliche, meist excentrische
Lage des Lumens in der Zelle erklärt wird. Verf. sieht es also als eine That-
sache an, dass die neugebildeten Gefässe unter Umständen dadurch entstehen,
dass sie die Protoplasmnmasse der Gliazellen durchbrechen, „wie ein Tunnel durch
eine Gebirgsmasse gebrochen wird“.
1018
Eine Anzahl trefflicher, klarer Abbildungen — allerdings keine Photo¬
graph i een — lassen au der Richtigkeit dieser merkwürdigen Angaben kaum
Zweifel aufkommen. H. Haenel (Dresden).
* 3) Ein Boitrag zur Frage vom Vorlaufe der Bahnen der Hauteinne im
Bückenmark, von Karl Petren. (Skandinavisches Archiv für Physiologie.
XIII. 1902.)
Auf Grund einer kritischen Sichtung eines sehr grossen Materials, das in
der vorliegenden Arbeit litterarische Verwerthung gefunden hat, kommt Verf. ru
folgenden Schlüssen:
I. In anatomischer Beziehung:
1. Der Drucksinn verfügt im Rückenmark über zwei Bahnen,
2. die eine wird von der ansteigenden exogenen Bahn des Hinterstranges
gebildet, welche bekanntlich ungekreuzt ist,
3. die andere Bahn des Drucksinnes verläuft zusammen mit den Bahnen der
übrigen Hautsinne,
4. diese Bahnen der sämmtlichen vier Hautsinne passiren zuerst durch da*
Hinterhorn derselben Seite und kreuzen sich dann vollständig in der Mittellinie.
5. was die betreffenden Bahnen für die unteren Extremitäten betrifft, ist
diese Kreuzung im 1. Lendensegmente oder sicher wenigstens im 12. Brust¬
segmente vollendet, nicht aber auf einem tieferen Niveau,
6. nach der Kreuzung passiren diese Bahnen durch den Seitenstrang
nach oben,
7. sie müssen nach der lateralen Hälfte des Seitenstranges verlegt werden,
verbleiben aber — wenigstens im oberen Theil des Rückenmarks — im Verlauf
von 5—7 Segmenten der medialen Hälfte des Seitenstranges, so dass man eine
allmähliche Verschiebung dieser Bahnen innerhalb des Seitenstranges in lateraler
Richtung annehmen muss,
8. in anatomischer Hinsicht entsprechen diese Bahnen aller Wahrscheinlich¬
keit nach einem Theile der Fasern der Gowers’schen Bahn,
9. diese Bahnen der vier Hautsinne nehmen offenbar zum grossen Theik
dieselben Gebiete des Querschnittes ein, sie können aber nicht völlig miteinander
zusammenfallen.
II. In klinischer Beziehung:
1. Obgleich Fälle von Halbseitenläsion nur verhältnissmässig selten anatomisch
untersucht worden sind, können wir in Folge der grossen und in diesem Punkte
fast einstimmigen klinischen Erfahrung bestimmt behaupten, dass eine reine Halb¬
seitenläsion, wenn dieselbe nicht zu tief gelegen ist, gekreuzte Anästhesie, und
zwar nur gekreuzte, verursacht.
2. Diese Anästhesie kommt unter zwei verschiedenen Formen vor:
a) Schmerz- und Temperatursinn gestört, Drucksinn normal.
b) Störung der sämmtlichen Hautsinne.
Andere Typen von Anästhesie scheinen nicht aufzutreten. Jener ist wahrscheinlich
gewöhnlicher als dieser. Jedenfalls ist die Störung des Drucksinnes nur bei einer
verhältnissmässig geringen Zahl der Fälle ebenso dauerhaft und hochgradig ge¬
wesen als diejenige der übrigen Hautsinne.
3. Eine vorübergehende Lähmung auch des anästhetischen Beins wird oft
beobachtet. Dies trifft für die Fälle mit Störung auch des Drucksinnes weit
öfter zu als für die anderen Fälle. Ein Unterschied dieser Art tritt bei dem
durch Rückenmarkssyphilis bedingten Fällen nicht hervor.
4. Beachten wir nun die Fälle von Messerstich, so finden wir, dass doppel¬
seitige LähmungseiBcheinungeu — hier fast immer nur im Anfänge des Krank-
Google
1019
heitsverlaufes — bei den Fällen mit ungestörten» Drucksinn niemals Vorkommen.
Die grosse Mehrzahl der Fälle mit Herabsetzung auch des Drucksinns hat vorüber¬
gehende Lähmung auch des anderen Beines gezeigt. Es kommen einige Ausnahmen
von der letztgenannten Regel vor; bei denselben ist der Stich — unter den zu¬
sammengestellten Fällen — niemals tiefer als im obersten Brustmark gelegen
gewesen.
5. Bei der Mehrzahl der Fälle mit Störung auch des Drucksinnes ist der
Stich auf der der eigentlichen Läsion des Rückenmarks entgegengesetzten Seite
durch die Haut passirt. Folglich muss der Schnitt hauptsächlich (aller Wahr¬
scheinlichkeit nach sogar ausschliesslich) nur im hinteren Theile des Rückenmarks
die Mittellinie überschritten haben. Martin Bloch (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
4) Ueber die Gehirnoentren der Ereotion des Penis and der Samen¬
absonderung, von Dr. L. Pussep. (Dissertation. 1902. St. Petersburg.
[Russisch.])
Verf. stellte sich die Aufgabe, den Einfluss des centralen Nervensystems auf
die Erection des Penis und die Samenabsonderung auf experimentellem Wege zu
studiren und unternahm zu diesem Zweck eine Reihe von Versuchen, hauptsäch¬
lich an Hunden, im Bechterew’schen Laboratorium. Die Veränderungen im
Schwellungszustand des Penis wurden auf graphischem Wege notirt; ausserdem
wurden in einigen Versuchen die Veränderungen der Blutcirculation in den Ge-
schlechtstheilen durch graphische Messung des Blutdruckes in den betreffenden
Arterien bestimmt. Bei elektrischer Reizung der Gehirn Oberfläche fand Verf. ein
begrenztes kleines Gebiet unmittelbar hinter dem Sulcus cruciatus, ungefähr 2 mm
von der Fissura cerebri magna entfernt, von welchem aus Erection und Ejaculatio
seminis ausgelöst werden können. In nächster Nachbarschaft dieses „Erections-
centrums“ liegt ein anderes, dessen Reizung das entgegengesetzte Resultat bewirkt.
Im ersteren Falle beruht die Wirkung auf vasodilatatorischem Effect auf die
Gefässe der GeBchlechtstheile, im letzteren auf vasoconstrictorischem. In einer
anderen Versuchsreihe wurde das Erectionscentrum exstirpirt, und dann stellte
sich am Thier Verlust der Libido sexualis ein. Ausser der bezeichueten Stelle
der Gehirnrinde bewirkt auch Reizung eines bestimmten Gebietes des Sehhügels
zwischen dessen vorderem und mittlerem Drittel, ferner der hinteren Vierhügel
und der Rautengrube unmittelbar neben den Vaguskernen Erection und Ejacu-
lation. Bei Reizung des Kleinhirns und der vorderen Vierhügel erhielt Verf.
negative Resultate. Bei elektrischer Reizung des Rückenmarks stellt sich Erregung
und Samenabsonderung ein, wenn die Reizung im Gebiet der Lendenanschwellung
von der Austrittsstelle der 4. Lumbalwurzel bis zu deijenigen der 2. Sacralwurzel
applicirt wird. In einer Versuchsreihe, wo das Erectionscentrum exstirpirt und
das Thier dann mehrere Wochen lang am Leben gelassen war, wurde das Gehirn
nach Marchi untersucht, und dabei fand Verf. Andeutungen secundärer Degene¬
ration, die sich durch die innere Kapsel bis zu den Pyramiden in der Oblongata
verfolgen liess. P. Rosenbach (St. Petersburg).
Psychologie.
5) La meBure du temps de reaction simple des sensations olfaotives, par
N. Vaschide. (Trav. du labor. de psychol. experimentale de l’6cole des
hautes etudes, Acad. Villejuif.)
Verf. benutzte Kampherlösung von bestimmter Concentration; zugleich mit
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1020
der Oefinung der Flasche, die die Lösung enthielt, wurde der Strom im Chrono-
skop geöffnet, mit dem Signal der erfolgten Wahrnehmung geschlossen. & ergab
sich, in genügender Uebereinetimmung mit den Versuchen von Moldenhauer,
dagegen abweichend von anderen Untersuchern, eine durchschnittliche Reactions-
zeit von 0,235 Secunden bei Männern, 0,29 Secunden bei Frauen. Anch das
Maximum und Minimum lag bei Männern niedriger als bei Frauen. Die Reaction
zeigte unter dem Einfluss der Uebung eine Verkürzung ziemlich beträchtlichen
Grades, ebenso wie bei Ermüdung eine erhebliche Verlängerung. Die Intensität
der Empfindung stand im umgekehrten Verhältniss zur Reactionszeit: je stärker
die Empfindung war, umsomehr schien sich die Reactionsdauer zu vermindern. —
Verf. will seine Ergebnisse nur auf die untersuchte Substanz, d. h. K&mpher.
angewendet wissen, und verwahrt sich gegen eine Verallgemeinerung.
H. Haenel (Dresden).
6) Influenoe des sons aur le travail, par Ch. Fer6 et M m# . M. Ja eil. (Comptes
rendues de la soc. de biologie. 1902.)
Die Verff. untersuchten den Einfluss verschiedener Toneindrücke musikalischer
Art auf die Arbeitsleistung am Ergographen. Die Versuchsperson war absolut
unmusikalisch; die Toneindrücke erfolgten im selben Rhythmus wie die Hab¬
bewegungen. Aus den Ergebnissen seien die folgenden hervorgehoben: Die
di8souirenden Intervalle drücken ohne Ausnahme die Leistung herab, die ver¬
minderte Quinte am meisten, die consonirenden erhöhen sie. Wenn dagegen die
Versuchsperson im ermüdeten Zustand arbeitet, wirkt auch die verminderte Quinte
erregend. — Bezüglich der Dur- und Molltonarten liess sich ein gleicher durch¬
greifender Unterschied nicht feststellen: wenn dagegen in regelmässigem Wechsel
z. B. H-dur und B-dur wirkten, so war fast durchgängig die H-dur-Tonart van
einer Steigerung begleitet, eine Steigerung, die umsoweniger deutlich war, je
grösser der Abstand der beiden Tonarten gewählt wurde. Bei Tonleitern wurde
festgestellt, dass die aufsteigend gespielten die Leistung vermehrten bezw. die
Ermüdung auf hielten, die absteigenden das umgekehrte bewirkten; am auffallendsten
war dieser Erfolg, wenn abwechselnd eine aufsteigende Dur- und eine absteigende
Moll-Tonleiter gespielt wurden. Von den verschiedenen Rhythmen zeigte der,
wo ganze und halbe Tacttheile abwechseln, einen günstigeren Einfluss als der,
wo die Tacttheile einander gleichen. EL Haenel (Dresden).
7) La suggestibilitö dans la fatigue, par Ch. FerA (Journal de l’anatomie
et de la physiol. 1902. Nr. 4.)
Verf. stellte folgende Versucheanordnung auf: Eine Versuchsperson arbeitet
durch Bewegung und Streckung des Mittelfingers am Mos so'sehen Ergographen.
Vor ihr sitzt eine andere Versuchsperson, die dieselben Fingerbewegungen im
selben Tacte ausführt, aber leer, ohne ein Gewicht zu heben, und die von der
ersten genau beobachtet wird. Es zeigte sich, dass die Wirkung dieser „Sug¬
gestion“ ganz verschieden war, je nachdem, ob sie zu Beginn der Arbeit oder bei
schon eingetretener Ermüdung, ob sie kurze oder lange Zeit wirkte. Dauert die
der Arbeit vorangehende Suggestion nur wenige Secunden, so wirkt sie im Sinne
einer Steigerung der Leistung; dauert sie länger als 30 Seounden, so kann sie
eine Verminderung derselben zur Folge haben. Diese Thatsache ist mit der vom
Verf. schon früher gefundenen verwandt, dass die blosse lebhafte Vorstellung einer
Bewegung ebenso wie die wirkliche Ausführung derselben ermüdet: unterbricht
man eine im absteigenden Schenkel sich befindende Ergographencurve während
einiger Hebungen und stellt sich im gleichen Rhythmus die eben ausgeführte
Muskelbewegung vor, so verläuft bei Wiederaufnahme der Hebungen die Cum
Google
1021
so weiter, ja senkt sich sogar tiefer, als ob gar keine Unterbrechung stattgefunden
hätte. — Wird bei sehon vorgeschrittener Ermüdung die Suggestion ausgeführt,
so schnellt die Leistung wieder in die Höhe, und zwar zu wiederholten Malen
hintereinander, und häufig über die Anfangsleistung hinaus. Verf. folgert daraus
eine Erhöhung der Suggestibilität während der Ermüdung, was für ihn ein neuer
Anhaltspunkt ist für die Analogieen zwischen Hysterie und Ermüdung, die er
auch anderweitig constatirt hat. H. Haenel (Dresden).
Pathologische Anatomie.
8) Beiträge zur pathologischen Anatomie der Malaria perniciosa mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Gehirn Veränderungen, von Dr. A. Pjew-
nitzki. (Dissertation. 1902. St. Petersburg. [Russisch.])
Das Material der Arbeit besteht aus 9 Fällen, in welchen der Tod durch
einen schweren Fieberanfall mit acutem Verlauf bewirkt war. 7 Fälle stammen
aus Odessa, zwei aus Tiflis, ln allen wurden bei der pathologisch-anatomischen
Untersuchung gleichartige Veränderungen constatirt, die für Malaria charakte¬
ristisch sind — dunkle Verfärbung der parenchymatösen Organe, Anschwellung
der Leber, Erweichung und theilweise Nekrose der Milz u. s. w.; dazu kommt der
Befund von Plasmodien und veränderten, in Zerstörung begriffenen rothen Blut¬
körperchen in den Capillaren verschiedener Organe. • Was das Gehirn betrifft,
so notirt Verf. in allen Fällen Oedem der Pia und der Gehirnsubstanz mit zahl¬
reichen punktförmigen Blutextravasaten. Die nach Nissl’s Methode vorgenommene
mikroskopische Untersuchung des Gehirns ergab verbreitete Veränderungen der
Nervenzellen. In einem Falle, wo der Process am stärksten ausgeprägt war, fand
Verf. völligen Schwund der Nissl’schen Körperchen, die Zellen selbst waren ein¬
geschrumpft, von veränderter Gestalt, ohne Fortsätze, mit Ausnahme des Axen-
cylinderfortsatzes; der Zellkern diffus verfärbt, ohne innere Structur. ln einigen
anderen Fällen, besonders in zweien, wo die Kranken energisch mit Chinin be¬
handelt worden waren, wurden weniger ausgeprägte Erscheinungen der Chroraato-
lyse vorgefunden. Die Kleinhirnrinde wies ebensolche Veränderungen der Nerven¬
zellen auf als die graue Substanz des Grosshirns. Die Capillargefässe des Gehirns
waren in allen Fällen erweitert mit starker Anschwellung ihrer Endothelzellen.
P. Rosenbach (St. Petersburg).
Pathologie des Nervensystems.
9) I/etat du systöme nerveux ohez les phthislques et son influence sur
le cours de la tuberculoue, par A. Chelmonski (Warschau). (Revue de
medecine. 1902. S. 309.)
Verf. behauptet, dass man „fast bei allen Phthisikern die Zeichen der Neur¬
asthenie, Hysterie oder Hysteroneurasthenie constatiren könne“! Dieser Zustand
des Nervensystems beeinflusst den Verlauf der Tuberculose und muss daher bei
der Behandlung der Krankheit besonders berücksichtigt werden.
Strümpell (Erlangen).
10) Contribution ä l’etude des aooidents nevropathiques de l’indigestion,
par Ch. Fere. (Revue de medecine. 1902. S. 1.)
Ausführliche, auf ausgedehnter Litteraturkenntniss beruhende Zusammen¬
stellung aller möglicher nervöser Symptome (Ohnmächten, Neuralgieen, motorische
Schwächezustände, Delirien, Angstzustände, Schweissausbrüche, Contracturen u.s.w.),
Googlt
1022 -v
die sich im Anschluss au „Indigestionen“ 'einstellen können und mit der Beseitigmi-;
der Verdauungsstörung wieder aufhören. Bei vielen Beobachtungen wäre übrigens
eine strengere Kritik sehr angebracht — Die auftretenden nervösen Störunge*
sind zum Theil auf Intoxicationen zu beziehen, zum Theil sind sie „reflectorisch«
Ursprungs“. Sie werden begünstigt durch die allgemeine individuelle Disposition
und den besonderen Zustand der Reizbarkeit während der Verdauungsarbeit
Strümpell (Erlangen).
11) Paralysie labio-glosso-laryngee probablement liee a une leslon con-
gönitale de l’öooroo etc., par Variot et Roy. (Gazette des höpiUnr
1902. S. 109.)
9^2jähriges Kind, seit dem Alter von 6 Wochen an epileptischen Anfslka
leidend, bietet ausser rechtsseitigen Halbseitenerscheinungen (Paresen, Spasmen)
das Bild der Bulbärparalyse; die betroffene Musculatur zeigt aber normale elek¬
trische Erregbarkeit, keine fibrillären Zuckungen. Strabismus convergens, leicht«
Mikrocephalie.
Verf. erwähnt die analogen Fälle von Oppenheim u. A.
Pilcz (Wien).
12) Ueber Bulbärparalyse bei Sarcomatose, von Dr. H. Hensen, Priv»‘
docent und Oberarzt -an der medicinischen Klinik in Kiel. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Nervenheilk. XXI. 1902.)
19jährige8 Dienstmädchen erkrankte unter den Symptomen eines fieberhaftes
Magencatarrhs, ausserdem Ohrensausen und Schwindel. Nach 3 Wochen schlaf-
linksseitige Facialislähmung, ausgesprochene Abducensparese rechts und link^
deutliche Parese und Atrophie der Zunge, Sprache tonlos und undeutlich, Schluck-
Störung ohne Lähmung der Kau- und Schlundmuskeln, Augenhintergrund normal
Sensibilität bis auf geringe Geschmackstörungen gut. Linker Leberlappen uneben
und höckerig, Milz gut palpabel und hart. Nach 3 Wochen doppelseitige Opticn*-
affection und der umgebenden Retinapartieen, Veränderungen, wie sie für Mort.
Brightii charakteristisch sind. Bei der Autopsie fand sich eine allgemeine Saro
raatose (beide Ovarien, Leber, Niere, Magen, Dünn- und Dickdarm, Uterus, Vagina
und Wirbelsäule), Derbheit des Centralnervensysteras, vereinzelte gräuliche Herde
der weissen Himsubstanz, geringer Hydrocephalus und sarcomatose (?) Paebj-
meningitis ext. Bei der anatomischen Untersuchung fanden sich in der Medoila
ohlongnta zahlreiche Herde nebst Degeneration vieler markhaltiger Nervenfasern,
die sich ausserdem in der Vierhügelgegend und im Lumbaltheil des Rückenmarc-
nachweiBen Hessen.
Bemerkenswerth ist in diesem Fall das Auftreten der Bulbärparalyse ak
erstes Symptom der Sarcomatose. E. Asch (Frankfurt a/M.).
13) Zur Klinik der angiosklerotischen paroxysmalen Myasthenie („Claudi-
oation intermittente“ Cbaroot’s) und der sogen, spontanen Gangria
von Dr. H. Higier in Warschau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkonfle
XIX. 1901.)
An der Hand von 23 eigenen Beobachtungen stellt Verf. die Aetiolor-
Pathologie und Therapie dieses Leidens fest. Danach kommt dasselbe in Russisfi-
Polen und in den litthauischen Provinzen, und zwar vorwiegend unter der jüdische
Bevölkerung vor. Es werden meist Individuen im jugendlichen Alter oder i»
vorgeschrittenen Mannesalter, und zwar fast ausschliessüch männlichen Geschkca®
betroffen. Aetiologisch spielen neuropathische Disposition und angeborene Schwab
> y Google
1028
des Circulationsapparates eine grosse Rolle, während der Gicht und Lues dabei
gar keine, dem Diabetes nur eine geringe Bedeutung zukommt. Am häufigsten
localisirt sich die eigenartige Angiosklerose in den Beinen, und zwar nicht selten
symmetrisch. Die Schmerzen treten entweder beim Gehen neben dem inter-
mittirenden Hinken auf, oder stellen sich als permanente Parästhesieen ein oder
begleiten das Ausbrechen der Gangrän. Neben den Gefässverengerungen kommt
es zu vasomotorischen Störungen, die unter der Form gesteigerter Erregbarkeit
oder Aufhebung im Gleichgewicht der vasomotorischen Centren das Auftreten der
Gangrän erleichtern. Differentiell-diagnostisch sind die Fälle am unklarsten,
welche neben bestehender Gefässobliteration und paroxysmaler Myasthenie das
Bild der Erythromelalgie oder der Raynaud’schen Krankheit erkennen lassen.
Wahrscheinlich handelt es sich in den meisten Fällen um eine primäre End-
arteriitis und nur seltener um eine vorangegangene Nervendegeneration (neuro¬
tische Angiosklerose). Rationelle hygienische und diätetische Maassregeln, be¬
sonders absolute geistige und körperliche Ruhe, beugen oft dem Auftreten der
Gangrän vor. In verzweifelten Fällen mit sehr starken Schmerzen und Neigung
zu Ulceration kommt neben der Amputation und Exarticulation die Elongation,
Torsion und Resection der grossen Nervenstämme oder der die grossen Gefässe
umgebenden sympathischen Geflechte in Betracht E. Asch (Frankfurt a/M.).
14) Ricerche sperimentali sull’ affatioamento elettrioo muscolare e sulla
reazione miastenioa, dell U. Flora. (Riv. critica di clin. medica. III.
1902. S. 280.)
Das Wesentliche der experimentellen Untersuchungen besteht darin, dass der
Autor sich bemüht, nach Methoden, wie sie namentlich von Mos so und seiner
Schule ausgebildet wurden, eine Serie von Ermüdungscurven direct und indirect
gereizter Muskeln Kranker mit denen an Gesunden gewonnenen zu vergleichen.
Erst eine solche Vergleichung kann qualitative Unterschiede der Reaction illu-
striren und einen wesentlichen Beitrag zur Lehre der myasthenischen und
myotonischen Reaction liefern.
Die „elektrorau8culäre“ Ermüdungscurve ist abhängig von der Grösse des
Reizes, von seiner Dauer und von der Reizfrequenz. Der Ermüdung selbst gehen
voraus als Einleitung zu derselben: Contracturen, d. h. die Zuckungscurve erreicht
nicht die Abscisse; die ,.fase ondulante“, d. h- ein Auf- und Abwogen der Zuckungs¬
höhen mit periodischem Charakter und weitere Unregelmässigkeiten. Der fara-
dische Strom führt schneller zur Ermüdung als der galvanische. Bemerkenswerth
ist die auch hier wieder von neuem bewiesene Thatsache, dass Willensimpulse
weniger schnell zur Ermüdung führen bei gleicher mechanischer Arbeits¬
leistung als elektrische Reizung desselben Muskels. Ist Ermüdung für einen
Mnskel nach elektrischer Reizung erfolgt, so vermag der Willensimpuls noch er¬
hebliche Arbeit zu leisten; das umgekehrte tritt nicht ein. Aus diesem Ver¬
halten ist nach Ansicht des Ref. nur der Schluss zu ziehen, dass der elektrische
Reiz eben kein adaequater Reiz ist, dass der Muskel auf einen willkürlichen Im¬
puls hin anders zur Thätigkeit veranlasst wird als durch elektrische Reizung.
Soweit die Ergebnisse an Gesunden. An Kranken wurde der Typus der
myasthenischen Reaction — besonders gekennzeichnet durch schnell einsetzende
Ermüdungserscheinungen — sowohl bei functionellen als organischen Leiden
nachgewiesen. Verf. fand sie in 2 Fällen von Erb-Goldflam’scher Erkrankung,
in einem Falle von spinaler Sklerose, bei traumatischer Neurose, bei Neurasthe¬
nikern, Tabikern, Hysterikern, in Fällen von Kleinhirntumoren. Die Curven, die
in reicher und übersichtlicher Zusammenstellung der Abhandlung beigegeben sind,
sind charakterisirt durch den schnell ablaufenden Verlauf, durch die deutlichen
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1024
Zeichen der Contracturen, durch ihre Unregelmässigkeiten. Hier gilt wieder das
bereits oben am Gesunden geschilderte Verhältniss der Willkürinnervation zom
Erfolge künstlicher Muskelreizung; auch lässt sich nach weisen, dass indirecte
Reizung viel weniger schnell zur Ermüdung führt als directe. Die vom Verf.
angewandte Methode giebt durch die Curvenbilder dem Arzte ein objectives
Beweismaterial in die Hand in den Fällen, in welchen Verdacht auf Simulation
besteht. L. Merzbacher (Strassburg i/E.).
16) Beiträge zur Kenntniss der Myasthenie und der verwandten Sym-
ptomenoomplexe, von J. Fajersztajn. (Tübingen 1902, F. Pietzcker.
55 Seiten.)
Verf. berichtet zunächst über vier Beobachtungen von Myasthenie, von denen
eine zu pathologisch-anatomischen Untersuchungen verwerthet werden konnte. In
ätiologischer Hinsicht war in keinem der Fälle irgend ein Anhaltspunkt zu ge¬
winnen. Infectionskrankheiten spielten als ätiologisches Moment sicher keine Rolle,
eine neuropathische Veranlagung und Ueberanstrengung waren nicht nachweisbar.
Es handelte sich um drei Frauen (20, 27 und 30 Jahre alt) und einen Mann,
bei welch letzterem die ersten Erscheinungen erst im 62. Lebensjahre aufgetreten
sind. In allen Fällen war die Weiterentwickelung der Krankheit eine chronische
und zwar so, dass in einem längeren Zeitabschnitte sich einzelne Attaquen langsam
summirten. Bedeutende Remissionen fanden sich nur in einem Falle.
Die Krankheit betraf nur das motorische Gebiet, Schmerzen oder Seusi-
bilitätsstörungen bestanden bei keinem Kranken. In allen 4 Fällen bestand Ptosis
sowie hochgradige Muskelermüdbarkeit. In einem Falle war die myasthenische
Reaction andeutungsweise vorhanden, im zweiten war sie an den Bicipites um)
Interossei, im dritten an zahlreichen Extremitätenmuskeln, im 4. Fall im Gebiete
des Facialis und motorischen Trigeminus nachweisbar.
Der pathologisch-anatomische Befund des zur Section gekommenen Fall«
ergab: Pralle Füllung besonders der kleinsten Gefässe im centralen Grau mit
unbedeutenden ganz frischen capillären Hämorrhagieen (agonale Erscheinungen).
In den intramedullären W'urzelfasern des Oculomotorius, Hypoglossus und Abdu-
cens Hessen sich mit Marchi Anzeichen eines Myelinzerfalles nachweisen, besonders
stark im Abdticens, weniger im Hypoglossus, am geringsten im Oculomotorins.
Die Frage nach der Bedeutung dieses letzteren Befundes (Degeneration im N. 111,
VI, XII) kann nicht mit Bestimmtheit beantwortet werden, jedenfalls wird man
bei späteren Myasthenie-Sectionen alle Kerngebiete mit der Marchi-Färbung
methodisch durchuntersuchen müssen, um zu erforschen, ob die genannten Dege¬
nerationen constantere Erscheinungen bei der Myasthenie darstellen. Denkbar ist
es immerhin, dass das unbekannte (wahrscheinlich toxische) Krankheitsagens,
welohes die Myasthenie bedingt, auch einmal das lange Zeit hindurch functioneil
geschädigte Nervengewebe zu einer mikroskopisch nachweisbaren Schädigung
bringt.
Uebrigens Hessen in dem secirten Fall weder die Nn. phrenici und vagi
etwas Pathologisches erkennen, noch fand sich eine pereistirende Thymus oder
ein Tumor der letzteren (Fall W’eigert-Laquer!). •
Diesen 4 Fällen von Myasthenie schliesst Verf. noch zwei Beobachtungen an.
die das charakteristische Gepräge nucleärer Ausfallssymptome haben, eines tiefer
greifenden anatomischen Substrats wahrscheinlich entbehren und doch mit der
Myasthenie nicht identisch sind:
I. Bei einem 28 Jahre alten Manne mit subacutem Tripper entwickelt sich
nach einer verrauthlich fieberhaften Krankheit von 6 tägiger Dauer eine acute
Gastroenteritis mit starkem Hautjucken, der sich in rascher Folge zuerst motorische
zedby G00gle
1025
Ausfallserscheinungen mit nncleärem Typus (Ptosis, Diplopie, Dysarthrie, Dys¬
phagie, Schwäche der Nacken-, Beeinträchtigung der Beinmuskeln) und endlich
allgemeine Krämpfe anschliessen. Nach 7 tägigem Bestehen der Lähmungs¬
erscheinungen erfolgt der Tod im Status epilepticus. Die Autopsie ergiebt: Magen-
darmcatarrh, Cystitis, Pyelitis, Stauungserscheinungen in den Nieren; am Nerven¬
system weder makro- noch mikroskopisch etwas Abnormes. Gegen Myasthenie
sprach der ganz acute und in allen betroffenen Gebieten gleichzeitige Beginn der
Lähmungen, das Fehlen von Ermüdungssymptomen, die terminalen Krämpfe.
Urämie und Botulismus sind auch nicht wahrscheinlich. Der Fall muss als bulbo-
spinale Paralyse ohne anatomischen Befund (was nicht mit Myasthenie zu ver¬
wechseln ist) gedeutet werden.
II. Eine 32jährige, an Migräne leidende Frau erkrankt in acuter Weise mit
Ophthalmoplegie, Parese beider Faciales, Dysarthrie, Dysphagie, Parese der Bein¬
muskeln, Fehlen der Kniereflexe, passagerer Harnverhaltung. Bald darauf Besserung,
nach 2 Wochen kommt der linke und bald darauf der rechte Patellarreflex
wieder, nach 5 Wochen Heilung. Verf. deutet diesen Fall als eine toxisch be¬
dingte bulbo-spinale Kernlähmung, vermuthlich ohne anatomisches Substrat. Der
Symptomencomplex ähnelt sehr der Myasthenie und darf doch nicht mit dieser
identificirt werden. Kurt Mendel.
10) A oase of asthenio bulbar paralysis, by George W. Jacoby. (Journal
of Nervous and Mental Disease. 1902. September.)
Vorstellung eines 20jährigen Mädchens in der New Yorker neurologischen
Gesellschaft, das seit Mai 1901 krank, Störungen der Sprache, Doppeltsehen,
Schluckstörungen, leichte Schwäche der rechten Hand bekommen hat. Vortr.
macht besonders auf den starren Gesichtsausdruck, die Breite des Mundes und
doppelseitigen Lagophthalmus aufmerksam. Erschöpfungsreaction der Sehnenreflexe.
Martin Bloch (Berlin).
17) Myasthenia gravia, by Hugh T. Patrick. (Journal of Nervous and
Mental Disease. 1902. Februar.)
Verf. stellte der neurologischen Gesellschaft zu Chicago einen 25jähr. Neger
vor, der, früher gesund, seit 6 Jahren an Schwäche zuerst der oberen, dann auch
der unteren Extremitäten leidet. Anfangs trat nach kurzen Ruhepausen bei der
Arbeit Erholung ein, seit 3 Jahren indes ist er arbeitsunfähig. Die Untersuchung
ergab myasthenische Erscheinungen der gesammten Körpermusculatur, und zwar
überall ungefähr gleichmässig, nur die Schulter-, Nacken- und Becken-Oberschenkel¬
muskeln schienen etwas stärker befallen. Myasthenische Reaction positiv, leichte
Ermüdungsreaction der Sehnenreflexe. Martin Bloch (Berlin).
18) Ein Fall von Erb-Qoldflam’soher Krankheit, von Julius Priszner.
(Wiener med. Presse. 1902. Nr. 34.)
Verf. berichtet über eine 36jähr. Bauersfrau, welche an Myasthenia pseudo-
paralytica litt und bei der die bulbären Symptome verhältnissmässig stärker aus¬
geprägt waren als die asthenischen. Auf die Jo 1 ly'sehe Reaction hin scheint der
Fall nicht untersucht worden zu sein. Der Tod erfolgte in einem Erstickungs¬
anfall. Kurt Mendel.
19) Ein Fall von asthenischer Baibärparalyse mit Seotionsbefund, von
Dr. Emil Liefmann. Aus der medicinischen Klinik und dem patho-
65
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logischen Institut in Freiburg i/Br. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilkmde.
1902. XXI.)
Bei einem 19jährigen Mädchen aus gesunder Familie, welches vorher u
schwerer Diphtherie gelitten, entwickelte sich seit 1898 eine allmählich zunehmende
Lähmung im Gebiet sämmtlicher Himnerven. Anfangs bestand linksseitige Ptosii
und Facialisschwäche und jetzt ist ausgebildete Diplegia facialis, Ophthalmoplegie
ext. duplex, sowie Dysarthrie, Dysphagie und Schwäohe der Kaumuskeln vorhanden.
Ausserdem besteht hochgradiges Ermüdungsgefühl in der ganzen Körpermuacul&tnr.
Sprache undeutlich, näselnd, Zunge rechts leicht atrophisch, an derselben geringe
fibrilläre Zuckungen, unteres Facialisgebiet beiderseits hochgradig paretisch, keine
Atrophie der Lippen, elektrische Erregung im M. frontalis quantitativ herabgesetzt
Keine Sensibilitätsstörungen. Bei der anatomischen Untersuchung fanden och
abgesehen von eigenartigen Schollenbildungen im Gebiete der Pyramiden, der
Corpora restiformia und der Schleife, keine Veränderungen, namentlich waren di«
Nervenkerne in Oblongata, Pons und am Boden des Aquaeductus Sylvii gm
normal. Nach der Ansicht des Verf.’s beweisen die erwähnten Herde oh«
Zweifel, dass es sich hier um ein Nervensystem handelt, das in der Neigung n
nutritiven Veränderungen in seinem Gewebsaufbau unterwerthig ist. In der Zorn
fand sich Verschmälerung der Muskelbündel, Kernvermehrung und Zunahme de
interstitiellen Fett- und Bindegewebes. Der elektrisch veränderte und stark atro¬
phische M. frontalis ging leider bei der Untersuchung verloren.
Was die Aetiologie des Leidens betrifft, so befinden wir uns noch ganz im
Unklaren. Wahrscheinlich spielt eine oongenitale Schwäche des motorischen
Systems und eine sich daran anschliessende Schädlichkeit, Intoxic&tion oder Ueber-
anatrengung, bei dem Zustandekommen desselben eine grosse Rolle.
_E. Asch (Frankfurt a/M.)
20) Bin Fall von fonotioneller Bulb&rparalyse, von Dr. Julius Grosz.
(Archiv f. Kinderheilk. XXXIV. 1902.)
Bei einem Mädchen ohne luetische Antecedentien stellte Bich 3 Wochen nach
einem unbedeutenden Husten eine Sprachstörung ein, die sich innerhalb wenig«
Tage zu einem ausgesprochen bulbären Krankheitsbilde steigerte. Es bestand
Schwäche in den Bewegungen der Gesichtsmusculatur, Dysphagie, Unbeweglichkeit
der Zunge, Incoordination der Hände, Gehschwäche; der Kopf wurde nach rück¬
wärts gehalten. Fieber fehlte ebenso sehr wie eine schwerere Betheiligung ds
Allgemeinbefindens. Ueberraschender Weise gingen diese Krankheitssymptom«.
nachdem sie durch mehrere Tage in gleicher Intensität angedauert hatten, rasch
zurück, und nach 2 Wochen war das Kind wieder völlig wohl. Ein Becidiv
der Lähmungen hat sich bisher nicht eingestellt.
Verf. ist nach differentialdiagnostischen Erwägungen geneigt, den Fall in di«
Gruppe der „asthenischen Bulbärparalyse“ einzureihen, wie sie in letzter Zeit »
vielfach beschrieben wurde. Er giebt aber selbst au, dass eines der markantesten
Symptome dieser Krankheit, die rasche Ermüdbarkeit der Muskeln und damit das
Schwanken der Erscheinungen fehlen.
Aus diesem letzteren Grunde hat Ref. einen ganz ähnlichen von ihm letzthin
beschriebenen Fall (s. Ref. im Neurolog. Centralbl. 1902. Nr. 10) nicht in dies*®
Sinne aufgefasst, sondern eine anatomische, allerdings schwer definirbare Grund¬
lage dieser „gutartigen Bulbärlähmung im Kindesalter“ angenommen.
Zappert (Wien)
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21) Beitrag sur Klinik der myasthenischen Paralyse, von Hödlmoser.
(Zeitschrift f. Heilkunde. XXXLLI. 1902. S. 279.)
18jähriges, nicht belastetes Mädchen, Beginn der Erkrankung (1 1 / 2 Jahr
ante exitum) mit plötzlicher, etwa eine Stunde anhaltender Schwäche der Hände,
Ptosis des linken Auges, Doppeltsehen. Aetiologisch angebliche körperliche lieber-
anstrengung durch längere Zeit. 8 Tage später neuerlicher Schwächeanfall. —
Status praesens: Rohe Muskelkraft anfangs stets intact, nach wenigen Bewegungen
aber rapide zunehmende Schwäche (in der Lippen-, Zungen- und Kaumusculatur,
ebenso an den Extremitäten). Patientin verschluckt sich leicht. Elektrische
Prüfung ergiebt keine Entartungsreaction, aber typische myasthenische („Ermüdungs“-)
Reaction. Sehnenreflexe leicht gesteigert, keine Sensibilitätsstörungen, keine Atro-
phieen, Blase und Mastdarm intact.
Abgesehen von zeitweiligen bedeutenden Besserungen (Patientin konnte zwei
Mal das Spital verlassen) stetige Progression. Zuletzt Schlinglähmung (Sonden-
fiitterung), Cyanose, Somnolenz, enorme Tachycardie (180!) bei verlangsamter
Respiration. Exitus.
Obduction: Status thymico-lymphaticus. Centralnervensystem makroskopisch
und histologisch ohne den geringsten pathologischen Befund (Marchi-Präparate
wurden nicht angefertigt; als Zellfürbung bediente sich Verf. nicht der Original¬
methode von Nis8l, sondern [an in Müller gehärteten Präparaten] der Sorgo-
Luithlen’schen Färbung).
Verf. erörtert dann die wichtigsten differential - diagnostischen Momente.
Er nimmt eine angeborene geringere Widerstandsfähigkeit des Nervensystems
an; möglicherweise komme ätiologisch die Surmenage in Betracht. Der Sitz der
Erkrankung sei wohl ein nucleärer. Pilcz (Wien).
22) Un oas de syndröme d’Erb (paralysie bulbaire asthenique), par E. Long
et B. Wiki. (Rev. med. de la Suisse romande. 1901. 20. Juli.)
Die Verff. berichten über einen 46jährigen Patienten, der, im April 1899
an einer fieberhaften Bronchitis erkrankt und Mitte Mai gebessert aus dem
Krankenhause entlassen, dasselbe wieder aufsuchen musste und jetzt das typische
Bild einer Myasthenie mit Betheiligung des Facialis, der Kau- und Schling-
musculatur und des Levator palpebrae darbot. Pat. starb plötzlich im October
1899 in einem Anfall von schwerer Dyspnoe. Die Autopsie ergab Verdickung
der Pia im Lendenmark, Zeichen einer Sklerose der Gefasse, die sich bis in das
obere Halsmark verfolgen Hessen, am stärksten im Lenden- und Brustmark aus¬
gesprochen waren, ferner Verdickung der Neuroglia und interstitielle Bindegewebs¬
wucherungen, die vom Lendenmark aufsteigend an Intensität zunehmen und in
der Halsanschwellung zur Bildung eines sklerotischen Herdes von nicht unbeträcht¬
licher Grösse geführt haben. Dabei erscheint das Volumen der linken Hälfte der
(Jervicalanschwellung, die Sitz dieses Herdes ist, erheblich verringert. Diese
Volum Verminderung betrifft hauptsächlich die graue Substanz, deren Zellen
übrigens, wie auch an den anderen Partieen des Centralnervensystems, insbesondere
auch die Zellen der Kernregion, wesentliche Veränderungen nicht erkennen lassen.
Der sklerotische Herd nimmt weiter nach oben an Ausdehnung ab und ist in
der Höhe der oberen Partie der Pyramidenkreuzung bereits fast völlig verschwunden.
Martin Bloch (Berlin).
23) Ueber einen Fall von myasthenischer Paralyse, von Dr. Siegmund
Auerbach in Frankfurt a/M. (Archiv f. Psychiatrie u. Nervenkrankheiten.
XXXV. 1902.)
Verf. behandelte eine 37jährige Dame, bei der seit Eintritt der Menses im
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13. Lebensjahre nervöse Symptome beobachtet worden waren. Nachdem sie jahre¬
lang an heftigen und häufigen Anfällen von Hemikranie mit Erbrechen gelitten
hatte, bildeten sich nach einem Unfall im 20. Jahre allgemeine Ermüdungs¬
erscheinungen aus, die in Sprach-, Kau-, Schluck- und Athembeschwerden, bald
stärkerer bald geringerer Ptosis, Doppelbildern und Schwäche in den Gliedern
bestanden. Die Zeit der Menstruation war besonders schwer. Häufige Influenza-
anfalle steigerten die Symptome. Somatisch fanden sich allgemeine Anämie,
grosse Magerkeit und herabgesetzter Rachenreflex. Das Charakteristische da
Neurose war eine abnorm schnelle Erschöpfbarkeit, für welche Verf. eine ana¬
tomisch nicht nachweisbare Afiection aller der motorischen Nervenkerne annimmt,
welche vom Boden des 3. Ventrikels bis hinab ins Lenden- und Sacralmark
placirt sind. Mit leidlichem Erfolg wurden namentlich in Schonung bestehende
Arbeitshygiene, gelinde Massage, Ueberernährung, Eisen, Arsenik und gegen den
Blutverlust bei den Menses Stypticin angewendet.
Georg Ilberg (Grossschweidnits).
24) A oase of myaathenia gravia, by Edwin A. Down. (Journal of Nerrom
and Mental Disease. 1902. Februar.)
23 jähriger, erblioh nicht belasteter Patient, nicht Alkoholist, hat keine Lu«
durchgemacht, der sechste von 16 Geschwistern, von denen acht jung gestorben
sind, ist vor 10 Monaten erkrankt. Die ersten Symptome waren doppelseitige
Ptosis und gleichzeitiges Unvermögen, die Augen völlig zu schliessen. Daneben
bestand vorübergehend Diplopie. Den Symptomen von Seiten der Augen waren
unangenehme Sensationen am Kopfe vorhergegangen. Gleichzeitig mit den Aogen-
symptomen waren Störungen der Sprache bezw. der Articulation von ausgeprägt
myasthenischem TypuB aufgetreten, ferner Störungen beim Essen von Seiten da
Zungen- und Lippenmusculatur, sowie der Schlingmuskeln. Die Untersuchung
ergab neben den genannten Symptomen eine Parese des rechten Velum palatinun.
myasthenische Erscheinungen von Seiten der Respirationsmuskeln Bowie aller
Extremitätenmuskeln. Verf. konnte myasthenische Reaction nachweisen.
Martin Bloch (Berlin).
25) Myasthenie und Ophthalmoplegie, von R. Gowers. (Deutsche meA
Wochenschr. 1902. Nr. 16 u. 17.)
Die drei mitgetheilten Fälle von Myasthenie zeigen das vielleicht für dies«
Leiden pathognostische Symptom des Nasenlächelns. Die M. zygomatici zieh«
normalerweise beim Lachen die Mundwinkel nach aussen und erzeugen eine tiefe,
von der Nachbarschaft der Nase um die Ecken des Mundes herum verlaufende
Nasolabialfurche, zugleich erhebt sich die Oberlippe (M. levatores). Der Ausfall
der Zygomatici bei der Myasthenie bedingt, dass die Bewegung der Mundwinkel
nach aussen ausbleibt, rechts von der Nasolabialfalte der äussere Theil fehlt und
die Oberlippe durch das Ueberwiegen der M. levatores abnorm in die Höhe steigt,
zuweilen so hoch, dass die Haut neben der Nase runzlich wird.
Die Inactivität bezw. Schwäche der Gesichtsmuskeln bei Myasthenie hat nahe
Beziehungen zum Muskelschwund bei facialer Dystrophie. Diese Thatsache und
das Vorhandensein der myasthenischen Reaction machen es wahrscheinlich, das
der Myasthenie eine Ernährungsstörung der Muskeln zu Grunde liegt, eine An¬
nahme, an welcher das gleichzeitige Auftreten von Ophthalmoplegie nichts ändern
kann. Bei weiteren Untersuchungen wäre auf das histologische Verhalten der
Nervenfibrillen zu achten. Vor der Hand ist Vorsicht und Zurückhaltung geg® -
über voreiligen Schlussfolgerungen dringend anzurathen. Therapeutisch gehört
die Myasthenie zu demjenigen Krankheiten, bei denen keine bestimmte Behand¬
lungsmethode vorgeschlagen werden kann. R Pfeiffer.
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26) Ueber aymptomlose Hydromyelie im Kindesalter, von S. Utchida.
(Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat. u. allg. Pathol. XXXI. 1902.)
Verf. fand zufällig bei verschiedenen Kindern eine Erweiterung des Central¬
canals, untersuchte darauf systematisch eine grössere Anzahl kindlicher Rücken¬
marke und konnte die erwähnte Anomalie unter 78 Fällen 7 Mal feststellen. In
allen Fällen fehlten Symptome intra vitam, die auf eine spinale Erkrankung hin¬
gewiesen hätten. Die Erweiterung war 4 Mal im Hals- und Brustmark, 2 Mal
im Lendenmark und 1 Mal im Brustmark allein localisirt, erstreckte sich also
nicht über den Centralcanal in seiner ganzen Länge. — Das Ependymepithel ist
an den erkrankten Stellen häufig aus der cuhischen in die cylindrische, auch
mehrschichtige Form übergegangen, die Kerne werden stäbchenförmig. Es wuchert
zu drüsenartigen Sprossen, divertikelähnlichen Ausstülpungen und papillomatösen
Bildungen, kann stellenweise zu einer Verdoppelung und Vervielfältigung des
Centralcanals Anlass geben. Niemals wurde dagegen die im späteren Alter so
häufige Obliteration beobachtet. In den Divertikeln kann secundär das Epithel
wieder verloren gehen. Nur in 2 Fällen fehlte dem erweiterten Centralcanal
jede Gliederung, doch war dann stets die Spitze des bimförmigen Querschnitts
nach hinten gerichtet. Das um den Centralcanal gelegene Gliagewebe betheiligt
sich lebhaft an dem Processe, ist vielfach in intensiver Wucherung begriffen und
umgiebt mit mächtigen Zügen die vielgestaltigen Höhlungen. Irgendwelche activ
entzündliche Vorgänge sind dabei nicht zu bemerken, der Process ist offenbar ein
sehr langsamer. — In der Mehrzahl der Fälle sind diese Veränderungen ohne
sichtbaren Einfluss auf die nervösen Elemente geblieben, nur zwei Mal wies die
graue und auch die weisse Substanz Defecte auf, die aber, wie erwähnt, symptomlos
blieben. — Verf. erklärt die Bilder als aus einer congenitalen Anomalie ent¬
standen, wozu ihn besonders auch die an die ursprüngliche T-Form des Central-
canals erinnernde Bildung in manchen Fällen veranlasst. Die Ependymwucherungen
setzt er mit den schon seit langem bekannten Ependymgranulationen in den Ven¬
trikeln des Gehirns in Parallele. H. Haenel (Dresden).
27) Kinderrüokenmark und Syringomyelie, von Dr. Julius Zappert. (Wiener
klin. Wochenschr. 1901. Nr. 41.)
Verf. untersuchte 200 Kinderrückenmarke nach Veränderungen, welche even¬
tuell mit der Syringomyelie der Erwachsenen in Beziehung zu bringen wären.
Ein Fall von intra partum entstandener beiderseitiger Hinterhomblutung im
Halsmarke bei einem 7 Tage alten Kinde giebt Veranlassung an die Beziehungen
dieser Hämorrhagieen zur Syringomyelie zu denken. Der Sitz der Blutung ent¬
spricht dem häufigen Vorkommen der Höhlenbildung. Ob beim Weiterleben des
Kindes die regressiven Veränderungen zu Höhlenbildung geführt hatten, ist nicht
zu entscheiden. Vielleicht, dass anamnestische Geburtsdaten bei Syringomyelie¬
kranken diese Frage etwas aufhellen.
Angeborene Veränderungen deB Centralcanals fand Verf. in einer grösseren
Anzahl von Rückenmarken. 10 Mal erwies er sich in der Weise verändert, dass
er nach rückwärts zugespitzt und die graue Commissur durchbrechend seine Spitze
bis in das hintere Septum hineintrieb. Diese Formen einfacher Hydromyelie
fanden sich fast ausschliesslich im Lendenmarke, zeigten alle Uebergänge zu nor¬
malen Bildungen und nahmen mit dem Alter der Kinder an Häufigkeit ab, was
Verf. veranlasst, dieselben als nicht pathologisch aufzufassen, wenn er auch die
Möglichkeit, dass sich daraus complicirtere Höhlenbildungen entwickeln, nicht
ausschliesst. Gliawucherungen fanden sich nirgends.
Solche fanden sich dagegen in der Umgebung eines erweiterten und nach
hinten ausgebuchteten und geschlängelten Centralcanals im Rückenmark eines
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lOmonatlichen Kindes; die Erweiterung und Schlängelung reichte in diesem Falle
auch höher hinauf und war selbst im Halsmarke noch angedeutet. Diese Hydro-
myelie fasst Verf. als pathologisch auf und giebt ihre Beziehung zur Syringo¬
myelie zu.
Einen bemerkenswerthen Befund bot das Rückenmark eines Anencephalus.
Beträchtliche, nach abwärts geringer werdende Hydromyelie des Halsmarka;
Rückenmarksblutungen, am stärksten im Halsmarke und hier vorwiegend in der
Umgebung des Centralcanals angeordnet Im Lendenmarke eine Hämatomyelie
und von ihr durch die hintere Commissur getrennt, eine compacte isolirte Blutung,
an welche ein Epithelstück des Centralcanals angelagert ist
Solche Fälle legen es nahe, der traumatischen Entstehung der Syringomyelie
ein weiteres Augenmerk zuzuwenden. J. Sorgo (Alland).
28) La forme spasmodlque de la syringomyölie; la nevrite aeoendante et
le traumatisme dans l’dtiologie de la syrlngomydlie, par Georges
Guillain. (Paris 1902, Steinheil. 186 S.)
Auf Grund von 5 Beobachtungen trennt Verf. von den Fällen von Syringo¬
myelie eine bestimmte Kategorie ab, welche in klinischer und pathologisch-
anatomischer Beziehung eine Sonderstellung einnimmt und als „forme spaano-
dique“ (Pierre Marie) bezeichnet wird. Diese Form der Syringomyelie ist
charakterisirt durch eine bestimmte Körper- und Handhaltung des Kranken: die
Arme hängen am Rumpf entlang herab, der Vorderarm mehr oder minder gegen
den Oberarm gebeugt, die Hände vor der Schamgegend, die Schultern sind er¬
hoben, nach vorn geneigt, der Kopf gebeugt, die Fossae supraclavicularee ein¬
gesunken, die Kranken sind nach vorn geneigt, ihre ganze Haltung erinnert an
Paralysis agitans. Die Hand neigt zur Stellung der „main de prödicateur“ (auch
wenn Pachyraeningitis cervicalis fehlt), die drei letzten Finger sind gegen die
Hohlhand gebeugt, der Zeigefinger und Daumen behalten lange eine gewisse Be¬
weglichkeit, später biegt sich der Zeigefinger nach innen, der Daumen beugt sich
leicht und stellt sich in Adductionsstellung. (Diese Stellung, speciell der Unter¬
schied zwischen Stellung der drei letzten und derjenigen der beiden ersten Finger
hat allerdings, wie sich Ref. in Paris auf der Abtheilung von Pierre Marie
überzeugen konnte, etwas überaus Charakteristisches.) Ausserdem bestehen bei
der „forme spasmodique“ der Syringomyelie Gangstörung, lebhafte Reflexe an den
unteren Gliedmaassen, Fussklonus, Babinski, Blasen Störungen. Bei 3 der 5 Kranken
bestand „thorax en bäteau“. Die spastische Form nimmt einen langsamen Fort¬
schritt. Differential-diagnostisch kommen in Frage amyotrophische Lateralsklerose,
Rückenmarkscompression durch Wirbelverletzung, Malum Pottii, WirbelcarÖBom.
Lues spinalis, Paralysis agitans, Spondylose rhizomelique, Pachymeningitis cerricali*-
Pathologisch-anatomisch (2 der 5 Fälle kamen zur Autopsie) zeigt sich bei
der „forme spasmodique 1, eine ausgesprochene Degeneration der Pyramidenseit»-
stränge beiderseits in der ganzen Ausdehnung des Rückenmarks.
Im zweiten Theile seiner Arbeit sucht Verf. an der Hand mehrerer Beobach¬
tungen darzuthun, dass in einzelnen Fällen die Syringomyelie die Folge und
letzte Phase einer aufsteigenden Neuritis ist, dass von einer Wunde aus durch
Vermittlung der Lymphbahnen die Entzündung der Nerven sich aufwärts und in
das Rückenmark hinein, dort die Syringomyelie erzeugend, fortpflanzen kann, so
dass die Wunde die Ursache und nicht, wie man allgemein annimmt, schon die
Folge der Syringomyelie ist. Wenngleich Verf. diese seine Ansicht durch klinische
und experimentelle Thatsachen zu stützen sucht, so hat dieselbe doch nach Meinung
des Ref. zu viel Theoretisches und Unwahrscheinliches an sich, als dass sie ernst¬
haft in Betracht gezogen werden könnte.
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Hingegen scheint in der That dem Trauma in der Aetiologie der Syringo¬
myelie eine grössere Bolle zuzukommen als gemeinhin angenommen wird. Auch
kann eine Verletzung den Verlauf des Leidens stark beschleunigen und eine deut¬
liche Verschlimmerung desselben herbeifuhren. Möglicherweise sind viele Fälle
von Syringomyelie auf Rückenmarksverletzungen (Blutungen) während der Geburt
zurückzu führen.
Die Arbeit des Verf.’s ist fleissig und klar geschrieben und sei hiermit ihre
Lectüre empfohlen. Kurt Mendel.
29) Syringomyelie nach Lues, von L. Hui am ans. (Aerztl. Sach verst.-Zeitung.
1902. Nr. 13.)
51 Jahre alter Schlosser aus gesunder Familie. Vor 32 Jahren Lues, vor
6 Jahren Fall auf die rechte Schulter, seitdem Schmerzen im rechten Arm, Ab¬
magerung der rechten Schulter und des rechten Oberarms, allmählich vollkommene
Functionsunfähigkeit des rechten Armes, später Gürtelgefühl sowie Schmerz und
Schwäche im linken Bein.
Objectiv: Abmagerung der rechten Schulter und des rechten Armes mit
fibrillären Zuckungen und Entartungsreaction in den Schulter- und Oberarm¬
muskeln. Am ganzen Oberkörper diBSOciirte Empfindungslähmung. Kyphoskoliose.
Es entwickelte sich in der Lebergegend nach Auflegen eines Capsicumpflasters
ein Carbunkel ohne Schmerz. Links Patellar- und Achillessehnenreflex gesteigert.
Babinski positiv.
Diagnose: Syringomyelie im Cervical- und Brustmark mit Mitergriffensein der
Pyr&midenseitenstrangbahn. (Forme spasmodique de la syringomyölie [Guillain],
s. voriges Referat.)
Aetiologisch kam nach Verf.’B Meinung zunächst Lues in Betracht, das Trauma
war „das letzte auslösende Moment“, es liess die subjectiven Beschwerden der
Syringomyelie in die Erscheinung treten. (Nach Ansicht der französischen Schule
[Pierre Marie, Guillain] käme sicherlich nur das Trauma in ätiologischer
Beziehung bei vorliegendem Falle in Betracht. Ref.) Kurt Mendel.
30) Sur deux oaa de Syringomyelie ä topographie radioulaire des troubles
sensitifs et des troubles moteurs, par E. Huet et R. Cestan. (Revue
neuroL 1902. Nr. 1.)
Verff. berichten über 2 Fälle von Syringomyelie, welche zeigen, dass die
Sensibilitäts* und Motilitätsstörungen bei diesem Leiden nach bestimmten Wurzel¬
gebieten angeordnet sein können. Bei der ersten Kranken entsprechen die sen¬
siblen Störungen dem Gebiete der oberen Wurzel des Plexus brachialis und dem¬
jenigen des Plexus cervicalis, die ergriffenen Muskeln entsprechen gleichfalls den
oberen Wurzeln des Plexus brachialm sowie der 3. und 4. Cervicalwurzel. In
ähnlicher Weise war auch im zweiten Falle die Vertheilung in motorischer und
sensibler Beziehung eine radiculäre. Kurt Mendel.
31) Beitrag zur Caauistik der Syringomyelie und über die bei dieser
Krankheit vorkommenden Hautstörungen, von Paul Fleger. (Wiener
klin. Wochenschr. 1902. Nr. 33 u. 34.)
Im Anschluss an einen typischen Fall von Syringomyelie beschreibt Verf.
die verschiedenen bei dieser Krankheit beobachteten Hautstörungen: 1. Secretions-
anomalieen (Abnormität der SchweiBsabsonderung, meist einseitig; Asteatosis in
Verbindung mit Hyperkeratosis), 2. vasomotorische Störungen an der Haut (Hyper¬
ämie, Urticaria, spinale Oedeme), 3. acut und chronisch entzündliche Affectionen
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(Erytheme, Dermatitiden, Combustionen, Panaritien, Bläachenaffectionen, Ekzeme,
Herpes zoster, pemphigusartige Geschwüre, Hai perforant), 4. atrophische und
hypertrophische Veränderungen in der Haut (Pigmentanomalieen, Atrophie an den
Fingern, Hemiatrophia faciei, Glossy skin, Baynand’sche Affection, Sklerodermie
— die drei letzteren Affectionen werden ihrer Folgezustande wegen an dieser
Stelle besprochen —, Schwielen, Eeloide, Elephantiasis, Akromegalie, Nägel-
affectionen). Kart MendeL
32) Syringomyelie — Gelenkerkr&nknng — Trauma, von P. Stolper.
(Aerztl. Sachverst-Zeitung. 1902. Nr. 2 u. 3.)
Verf. weist an der Hand einer eigenen Beobachtung (Syringomyelie mit
Arthropathieen, durch einen Fall auf die Hand Verschlimmerung des Leidens bn
zur Gebrauchsunfähigkeit des betreffenden Armes. 60°/ 0 erwerbsunfähig) auf die
bei Syringomyelie vorkommenden Gelenkerkrankungen und ihre Versicherung*
rechtliche Bedeutung hin. Kurt MendeL
33) Des ndvromes intramedullaires dann la syringomyölie, par Georges
Hauser. (Revue neurol. 1901. Nr. 22.)
Verf. hat in 3 Fallen von Syringomyelie die bereits von anderen Autoren
bei dieser Krankheit gefundenen intramedullären Neurome gefunden und schliesst
hieraus, dass dieser Befand bei der Syringomyelie häufiger ist, als man gewöhn¬
lich annimmt. Diese Neurome sind Knötchen, welche in charakteristischer Weife
angeordnete und geformte Nervenfasern enthalten. Sie finden sich meist in dem
Cervicaltheil des Rückenmarks, und zwar in dessen vorderen Hälfte.
Kurt MendeL
34) A oase of myeloma of the spine with oompreeaion of the cord, bj
J. J. Thomas. (Journal of Nervous and Mental Disease. 1902. Februar.';
Verf. berichtet in der American neurologiCal association über folgenden Fall:
39jähr. Mann erkrankt unter heftigen, 4—6 Tage anhaltenden Schmerzen zwischen
den Schulterblättern, 6 Wochen später leiohte Unsicherheit und Taubheitegeffihl
in den Beinen und Gürtelgefühl. Abermals 8 Wochen später wird Hypästbeae
unterhalb der 8. Rippe und leichte Parese der Beine ohne Reflexsteigerang con-
statirt Wirbelsäule frei beweglich, nicht empfindlich, geringe Kyphose im oberen
BrusttheiL 4 Monate nach dem Auftreten der ersten Erscheinungen Paraplegi*
inferior mit Steigerung der Reflexe, Analgesie und Thermanästheeie, aber nur
Hypästhesie bis zur 4. Rippe, Sphinkterenlähmung. Wirbelsäule zeigt keine
weiteren Symptome; leichte Schwellung der linken 6. Rippe. Pat wurde operirt:
es fand sich eine weiche, röthliche Geschwulstbildung, die einen grossen Theil da
4. Brustwirbels zerstört hatte. Pat. wurde völlig geheilt. Der Tumor erschien
mikroskopisch aus kleinen, grosskernigen Rundzellen zusammengesetzt, zwischo
denen ein sehr feines Reticulum bestand. Der Harn des Pat. enthält s / 4 % &
weiss, Cylinder und */* °/o Al bum ose. Hämoglobingehalt des Blutes 70%, g* -
ringe Leukocytose. 6 Monate post operationem noch völliges Wohlbefinden.
Seitdem sind auch an anderen Rippen druckempfindliche Tumoren aafgetreten
und wieder verschwunden; Pat erhielt innerlich Knochenmark und „Colejs
toxins“ (? Ref.). An der Diagnose „Myelom“ dürften Zweifel nicht bestehen.
Martin Bloch (Berlin)
35) lieber Blaeenstörungen bei Syringomyelie, von Prof. J. Albarran und
G. Guillain. (Wiener med. Blätter. 1901. Nr. 51.)
Die Verff. halten die Blasenstörungen bei Syringomyelie für häufiger als
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gewöhnlich angegeben findet Sie theilen 2 Fälle von Retentio, Hämaturie und
Cystitis mit; bei dem einen Trabekelblase, Cystitis diffusa mit Ulcerationen, bei
dem anderen ein grosses Geschwür mit scharfzackigen Rändern.
Von vier anderen Syringomyeliekranken zeigten drei latente Retentio, indem
nach dem Uriniren 50, 80 und 176 g Urin mit dem Katheder noch entleert
werden konnten. J. Sorgo (Alland).
36) Zur Frage der Pathogenese von Büokgratsverkrümmungen bei Syringo¬
myelie, von Dr. S. Nalbandoff in Odessa. Aus der Klinik von Prof.
W. Roth in Moskau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
40jährige Frau aus gesunder Familie, ihre Kinder starben alle in früher
Jugend. Vor 21 Jahren an fast sämmtlichen Fingern beider Hände schmerzhafte
Abscesse, vor 15 Jahren Gangrän am linken Mittelfinger, Exarticulation desselben,
■vor 3 Jahren Phlegmone am rechten Vorderarm und rechter Hand, Exarticulation
des rechten Mittelfingers, seit 10—12 Jahren Behinderung und Knirschen in den
Schultergelenken, im Laufe der letzten 10 Jahre langsam progrediente Rückgrats¬
verkrümmung, vor 4—5 Monaten Schwächegefühl in den Beinen. Bei der Unter¬
suchung finden sich starke Veränderungen an den noch vorhandenen 8 Fingern,
die fast sämmtlich flectirt und ankylotisch verändert sind. Linkes Schultergelenk
weniger abgerundet als das rechte, Hyperplasie der Oberarmhöcker links, starke
Kyphoskoliose nach hinten und rechts mit Bildung eines Rippenhöckers im oberen
Brusttheil. Aotive Bewegungen in beiden Schultergelenken und in den Fingern
sehr beschränkt, Gehen erschwert, Muskelkraft in den Beinen, besonders rechts,
herabgesetzt, Atrophie der Rücken- und Schultermusculatur mit quantitativer
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit. Patellarreflexe stark gesteigert, Fuss-
klonus. Schmerz- und Temperaturempfindung an den oberen Extremitäten und
theilweise am Rumpf herabgesetzt. N. cruralis und peroneus druckempfindlich.
Sensibilität an den Beinen stets normal. Im Verlauf des Leidens heftige Schwindel-
anfalle, Behinderung beim Schlucken und Athmen, Aphonie. Exitus in Folge von
Athmungslähmung.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des Rückenmarks fand sich eine
Höhlenbildung, die sich durch dasselbe von dem Niveau der 1. Halswurzel an bis
zur Höhe des 11.—12. Brustsegments erstreckte. Am Schädeldach und linken
Schultergelenk bestanden Veränderungen, die als deformirende Arthritis und
Ossitis aufzufassen sind. Am meisten Interesse verdient vor allem die Erweichung
des Knochengewebes der Wirbelsäule, und zwar vornehmlich des Hals- und Brust-
theils derselben. Es handelt sich um einen Process, der zur Arthritis deformans
zu rechnen ist. Die chemische Untersuchung der Wirbelknochen ergab eine Ver¬
minderung des Fettgehalts um mehr als 5°/ 0 eine Vermehrung des Ossein¬
gehalts und der Eiweissstoffe um mehr als 8 °/ 0 . In den untersuchten Brust- und
Rückenmuskeln bestanden Veränderungen, welche als neuritische Amyotrophie zu
deuten sind.
Verf. zieht den Fall als Stütze der knochentrophischen Entstehung der Wirbel¬
säulenverkrümmung bei Syringomyelie an und ist nicht in Abrede zu stellen, dass
derselbe in Bezug auf seine Entwickelung und pathologischen Ergebnisse viel
Beweiskräftiges enthält. E. Asch (Frankfurt a/M.).
37) Kritik der sogenannten traumatisohen Syringomyelie. Mit besonderer
Berücksichtigung der anatomischen und klinischen Differentialdiagnose
der (chronisch-progressiven, gliösen) Syringomyelie gegenüber der
traumatischen Büokenmarkslftsion u. s. w., von Kienböck. (Jahrbücher
f. Psyoh. u. Neur. XXI. 1902.)
Eine Arbeit von geradezu erstaunlichem Fleisse, der nicht nur ein hQhe$
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theoretisches Interesse innewohnt, sondern die anch von der grössten Wichtigkeit
ist für Begutachtung und Unfallsversicherungsangelegenheiten.
Verf. gebraucht den Ausdruck „Syringomyelie“ im strengen Sinne tob
Schlesinger’s „Syringomyelie gliosa“ (primäre centrale Gliose des Rückenmarkest.
Mehrfach wurde in den letzten Jahren die Anschauung ausgesprochen, dass neb
auf traumatische Läsionen des Rückenmarkes hin Syringomyelie entwickeln könne.
Verf. hat nun zahlreiche in der Litteratur niedergelegte Beobachtungen aus einen
ungemein grossen Materiale zusammengetragen, gesichtet und fügt dem auch etva
30 eigene Fälle hinzu, welche zu dieser Frage Bezug haben.
Das ganze Material (die einzelnen Beobachtungen sind ausführlichst wieder
gegeben) umfasst 400 Fälle, welche in folgende Gruppen geordnet sind:
I. Fälle, welche aus dem Rahmen der ,. traumatischen Syringomyelie“ be¬
stimmt auBzuscheiden sind.
A. Nicht als Syringomyelie, sondern als apoplektiform sogleich nach den
Trauma mit schweren Lähmungen einsetzende partielle (meist centrale) rein trau¬
matische Spinalläsion (traumatische Myelodelese) zu erkennende Falle, sowohl
klinische Beobachtungen als auch Sectionsbefunde (cystische Vernarbung).
B. Fälle, die zwar echte Syringomyelieen sind, wobei aber der ätiologisch«
Zusammenhang mit einem Trauma abgewiesen werden muss. (Anamnestische An¬
gaben, dass Bchon vor dem Unfälle Erscheinungen von Syringomyelie bestand«
[Spontanfractur, Analgesie] oder das Trauma war ein zu geringfügiges, „banales“.)
Besonders eingehend wird hier die Frage nach der Entstehung von Syringomyelie
nach peripherem Trauma (und aufsteigender Neuritis) besprochen.
II. Fälle, welche wegen der Unsicherheit der Diagnose nicht weiter vw-
werthet werden können. (Diagnose ganz unklar oder auf Tumor, Myelomeningitis
syphilitica u. s. w. zu stellen.)
C. Fälle sicher gestellter Syringomyelie, wobei das Zeitintervall zwisch«
Trauma und Anfangserscheinungen des Spinalleidens zu lange ist, als dass an
einen ätiologischen Zusammenhang gedacht werden kann.
D. Fälle, in denen eine traumatische Aetiologie angenommen werden könnte.
(Entweder einige Wochen bis Monate oder sofort nach dem Trauma progredient«
Symptome von Syringomyelie.) 16 Beobachtungen, deren jede einzelne für sich
betrachtet wohl den Gedanken an traumatische Syringomyelie erwecken könnte
Von den persönlichen Beobachtungen des Verf.’s würden vier hierher zu
rechnen sein.
IIL 60 Fälle, aus denen sich ergiebt, dass sich im weiteren Verlaufe seilet
Jahrzehnte währender Beobachtung auf dem Boden eines traumatischen Destructions-
herdes nie ein chronisch progressives Spinalleiden entwickelte, weder nach spinales
Entbindungslähmungen, noch auoh, wenn das Trauma in einer späteren Lebens¬
zeit stattfand.
IV. werden Fälle zusammengestellt, welche für die Existenz der „traumatischec
Syringomyelie“ als beweisend galten (6 Fälle), die sich aber bei strenger Kritik
als einfache spinale traumatische Läsion herausstellten.
Es bleiben also von 140 Fällen nur 16 übrig (dazu 4 eigene), bei den«
eine traumatische Entstehung von Syringomyelie naoh schwerem Unfälle als mög¬
lich zu bezeichnen ist.
Das Ergebniss der Arbeit ist, dass keine sicheren Fälle von traumatischer
Syringomyelie, d. h. rein „per se“ durch Gewalteinwirkung erzeugter (chronisch
progredienter gliöser) Syringomyelie gefunden wurden, und dass auch entgegen
der Vermuthung mancher Autoren das Vorkommen einer einfach chronischen (all¬
mählich entstehenden) und einer hämatomyelogenen (nach apoplektiform einsetzen-
dem schwerem Lähmungszustand, namentlich zur Paraplegie sich entwickelnden)
traumatischen Syringomyelie derzeit nicht als wahrscheinlich zu beaeichnfln ist
Google
1035
Nach der Ueberzeugung des Verf.’s ist die Frage als entschieden zu be¬
trachten, wie die Benrtheilnng der ätiologischen Rolle eines Traumas bei Syringo-
myeliefällen in der Praxis auszufallen habe, und ferner die Frage, wie die Prognose
bei leichteren oder schwereren, aber nicht zu Exitus führenden traumatischen
Spinalläsionen zu lauten habe — ein Ergebniss von praktischer, speciell auch
forensischer Bedeutung.
Man kann dem Autor für diese schöne Arbeit dankbar sein. Es wurden
über 400 Aufsätze studirt und davon 222 Arbeiten in Betracht gezogen.
Pilcz (Wien).
38) Crisefl gastriques et Syringomyelie, par R. Pauly et R. Pauly. (Revue
de m6decine. 1900. S. 1031.)
Krankengeschichte eines 40jähr. Patienten mit angenommener Syringomyelie
(Deformation des rechten Fusses durch Osteoarthropathie und ausgesprochene
Sensibilitätsstörungen mit charakteristischer Dissociation in beiden Unterschenkeln).
Seit Beginn des Leidens im 38. Jahr häufige gastrische Krisen mit heftigen
Schmerzen und reichlichem Erbrechen, die etwa 8—14 Tage lang andauern.
Sonstige Zeichen einer Tabes fehlten (normale Pupillen, vorhandene Patellarreflexe).
Strümpell (Erlangen).
39) Fraoturen bei Syringomyelie, von Dr. Alban Köhler. (Fortschritte auf
dem Gebiet der Röntgenstrahlen. V.)
Mittheilung eines interessanten Falles von Fractur beider Vorderarmknochen
der linken Seite bei einer 39jährigen Patientin, die wegen einer Schwellung des
linken Vorderarms das Krankenhaus aufsuchte. Patientin hat bis zur Aufnahme
ohne wesentliche Beschwerden gearbeitet und glaubte erst nach längerem Fragen
sich zu erinnern, dass sie vor 3 Monaten auf den betreffenden Arm gefallen sei.
Die Untersuchung ergab charakteristische Sensibilitätsstörungen nur am linken
Arm, leichte Kyphoskoliose und Trommelschlägelfinger an beiden Händen. Die
Untersuchung mittels Röntgenstrahlen ergab an den Knochen der linken Hand
mässige Kalkgehaltsverminderung, an der rechten Hand eine Auftreibung am
distalen Ende, ausserdem fehlte das Köpfchen der 4. Endphalange. An den Bruch¬
stellen fand sich eine Atrophie ziemlich beträchtlichen Grades. Eine 3 Monate
später aufgenommene Röntgenphotographie der Bruchstellen liess interessanter
Weise excessiv hypertrophische Processe an den Knochen erkennen; der Kalk¬
gehalt erschien deutlich vermehrt. Verf. ist der Ansicht, dass in seinem Fall die
Fractur nicht mehrere Monate vorher entstanden war, sondern dass es sich, wie
so häufig bei Syringomyelie und Tabes, um eine erst kurz vor der Aufnahme
entstandene Spontan fractur an vorher schon atrophischen Knochen gehandelt hat.
Martin Bloch (Berlin).
40) Four caaes of aoute haemorrhagio menlngo-myelitis in ooeker-spaniels
with some remarks of the etiology of myelitis, by Brown and Ophüls.
(Journal of medical research. 1901. S. 344.)
Die Arbeit ist eine sehr verdienstvolle zu nennen. Die vorgenommenen
Untersuchungen sind sehr exact durchgeführt und daher für das Studium der
Anatomie myelitischer Processe verwendbar. Insbesondere haben es sich die
Autoren angelegen sein lassen, für gewisse, bereits seit langem bekannte, aber
noch nicht klargelegte structurelle Eigentümlichkeiten acuter myelitischer Herde
eine Erklärung zu suchen.
Das Beobachtungsmaterial stammte von 4 Hunden, Spaniels, die an plötzlich
auftretenden acuten Paraplegieen erkrankt waren; Fieber war stets zugegen, ein-
Google
1036
mal Pueumonie. Die Aetiologie war unbekannt, Staupe wurde nicht in Betracht
gezogen. Die Functionsstörungen begannen stets im Hintertheile (totale Lähmung
der Bewegung und Empfindung, Sphinkteren paralyse) und hatten einen ascm-
direnden Charakter.
Die pathologischen Veränderungen betrafen mit Ausnahme eines Falles nur
das Centralnervensystem, und dieselben bestanden im wesentlichen in ausgedehntes
Blutungen in der Rückenmarkssubstanz, der Pia mater und dem epiduralen Fett¬
gewebe; nekrotische Erweichungsherde fanden sich meist in der Umgebung der
intermedullären Blutherde, letztere an Ausdehnung meist übertreffend. Der degt-
nerative Process zeigte sich in der grauen und weissen Substanz ganz gleieb-
roässig, manchmal im ganzen Querschnitt der Medulla spinalis, und steht is
keiner besonderen räumliohen Beziehung zum Gefassbaume. Bakterien wurdet
niemals weder im Ausstrichpräparat, noch durch Cultur gefunden.
Die Diagnose hämorrhagische Meningomyelitis war begründet durch die
Gegenwart von Entzündungsprocessen, wenn diese auch nicht sehr intensiv waren
Die Blutungen allein konnten der ganzen Reihe von Störungen kein genügend«
Substrat geben; die nekrotischen Herde folgen weder den Hämorrhagieen, noch
beschränken sie sich auf die Nachbarschaft der Gefasse. Der nicht gelungene
Nachweis der Krankheitserreger konnte nicht gegen die infectiöse Natur ds
Leidens sprechen, weil, wie die Autoren mit Beziehung auf die Arbeiten too
G rasset, Lamy, Babinski, Vincent u. A. ausführen, das häufige Fehlen
eines solchen Befundes in allen Fällen von acuten Myelitiden berichtet wird und
daher eine Eigentümlichkeit dieser Processe darstellt. Schliesslich müssen die
Beobachtungen der Verff. abermals als Beleg für jene Eigentümlichkeiten aeoto
Entzündungsproceaae im Rückenmark herbeigezogen werden, die wir in der un¬
bedeutenden leukocytären Infiltration, der ausgedehnten Parenchymnekroee, der
Neigung zu Blutungen bei scheinbarer Integrität des Gefassbaumes zu erblicken
haben. In allen vier berichteten Fällen bestand keine Thrombosimng oder
Hyalinisirung, überhaupt keine optisch nachweisbare Anomalie der Blutgefasswände.
Dexler (Prag).
41) Haemorrhage Into the spinal oord during pregnanoy, by Alexander
Bruce. (Scotish med. and surg. Journal. 1902. August)
41 jähr. Septimipara erkrankt während ihrer 8. Schwangerschaft im 5. Momi
während deB Brechactes plötzlich unter Schmerzen im Nacken und Rücken an
einer acut einsetzenden Lähmung der Beine und des rechten Armes sowie der
Rumpfmusculatur. Die Lähmung des Armes hielt nur wenige Stunden an; sofort
Eintreten von Harn- und Stuhlverhaltung. Die Untersuchung ergab eine schlaft
Paraplegia inferior mit Fehlen des linken Patellarreflexes, während der rechte
noch schwach auszulösen war, Babinski vorhanden. Völlige Anästhesie von ein*
Linie 2 1 /, Zoll oberhalb des Schwertfortsatzes des Brustbeines; auf der link®
Seite lag die obere Grenze der Anästhesie etwas tiefer als rechts und folgte et«
dem Verlauf der 12. Rippe. Im weiteren Verlauf schwand nach 6 Tagen auch
der rechte Patellarreflex; derselbe konnte rechts wie links 10 Tage später schwach
ausgelöst werden; vorübergehend traten Paresen in beiden Armen auf. I 1 /* ^ 0D4t
nach Einsetzen der Erkrankung völlig schmerzlose Entbindung von toten Zwilling 5-
früchten. 3 Monate nach Beginn der Erkrankung ging Patientin nach Anftret®
eines ausgebreiteten Deoubitus unter den Erscheinungen schwerer diffuser Bronchitis
an Erschöpfung zu Grunde. Die Untersuchung des Rückenmarks ergab hoch¬
gradige Erweiterung und Thrombosen der pialen Gefasse auf der Dorsalfläche d»
Markes, ferner eine röhrenförmige Blutung von der Höhe des 6. Cervicalseg® 600
bis zum 1. Lumbalsegment, die aber in den verschiedenen Höhen des Bäck® -
zedby G00gle
1037
mark» von sehr wechselnder Beschaffenheit war. Während sie in dem mittleren
Dorsaltheil fast den ganzen Querschnitt einnimmt, nimmt sie nach unten zu stetig
ab, so dass die Höhlenbildung tiefer hinabreicht, als die Blutung selbst. In den
Höhen des 5. Cervicalsegments fand sich ein kleiner Tumor von der Hinterfläche
der Pia bis zum Centralcanal reichend, der mit der Blutung nicht in Zusammen¬
hang steht. Ebenso fanden sich im mittleren Dorsalmark zwei kleine turaorartige
Bildungen, die theils mit der Pia in Zusammenhang stehend, theils auch die
weisse Substanz mitergriffen hatten. Diese Tumoren trugen den Charakter von
Angiogliomen. Aehnliche noch kleinere Neubildungen finden sich im Rückenmark
zerstreut noch ziemlich zahlreich; manche von diesen lagen mitten in hämor¬
rhagischen Herden. Im linken Lobus lateralis cerebelli fand sich ein gleicher
Tumor. Die erwähnte Höhle hat nach Ansicht des Verf.’s sicher schon vor dem
Auftreten der Hämorrhagie bestanden.
Auffallend ist, dass weder die erwähnten Tumoren noch die Höhlenbildung
jemals vorher irgendwelche Symptome gemacht hatten.
Martin Bloch (Berlin).
42) A oase of metaatatio oaroinozna of the apine and meninges, by Albert
C. Buckley. (Journal of Nerv, and Ment. Dis. 1902. April.)
63jähr. Frau, früher gesund, hat vor 6 Jahren an Rheumatismus gelitten, in
demselben Jahr Stoss gegen die linke Brust. Vor einem Jahr heftige, einen Tag
andauernde Rückenschmerzen, im Anschluss daran allmählich zunehmende Geh¬
störung, die nach s / 4 Jahren Patientin ans Bett fesselte. Patientin klagt bei
der Aufnahme ausserdem über Schmerzen in der linken Schulter und Harn¬
träufeln. Die Untersuchung ergab an den Armen keine Lähmungserscheinungen,
wohl aber Schwäche und Zittern derselben, die Wirbelsäule zeigte in dem oberen
Brusttheil eine leichte Krümmung nach hinten, aber keinen Gibbus; völlige Läh¬
mung der Beine, Pes equinus, Oedeme, Muskelschwund an den Hüften und Ober¬
schenkeln, Fehlen der Patellarreflexe, des rechten Achillessehnenreflexes, Babinski’-
sches Phänomen beiderseits vorhanden, 1. >r. Von Seiten der Sensibilität bestanden
an den Beinen nur Störungen der Localisation. An der linken Mamma fand sich
ein Scirrhus. Patientin kam mit Decubitus in das Krankenhaus und starb am
11. Tage nach der Aufnahme. Die Autopsie ergab ein nicht ulcerirtes Carcinom
der linken Mamma ohne Drüsenschwellungen und ohne Metastasen ausser im
Wirbelcanal. In der Höhe des 4. Brustwirbels fand sich eine etwa 5 cm breite
Vereiterung der mit dem Knochen verwachsenen Dura. Der Knochen selbst war
erweicht, aber frei von Tumormassen, wie sich auch mikroskopisch zeigte. Am
Rückenmark fand sich eine Verdickung der Dura vom 6.—9. Dorsalsegment. Im
Cervicalmark erschien die Pia mit Rundzellen reichlich infiltrirt, die Neuroglia
der weissen Substanz stark vermehrt. Die Goll’schen Stränge sind deutlich
beiderseits degenerirt, zeigen auch bei stärkerer Vergrösserung eine grosse Zahl
gut erhaltener Fasern, aber starke Gliawucherung. Im Dorsalmark sind die ge¬
nannten Veränderungen sehr viel stärker ausgesprochen. Im 3.—6. Dorsalsegment
finden sich in den Lymphräumen der Dura zahlreiche Nester von Krebszellen, an
einer Stelle des 5. Segments auch innerhalb einer austretenden Wurzel. Im
6- Dorsalsegment Degeneration der Pyramidenseitenstränge. In der Höhe des
7. Dorsalsegments auch erhebliche Alterationen der Vorderhornzellen. Weiter
nach abwärts nehmen die meningitischen Veränderungen an Intensität ab, ebenso
die Gliawuoherung, Degenerationserscheinungen sind in den Pyramidenbahnen noch
diffus nachweisbar, ebenso noch Zellveränderungen. Verf. betont, wie auffallend
das Fehlen stärkerer und länger anhaltender Schmerzen in dem mitgetheilten
Fall ist. Martin Blooh (Berlin).
Google
1038
43) Ueber die sogenannten Neurome und Leiomyome des Rückenmark*,
von Dr. B. He 11 ich. (Archiv. boh6m. de m6d. clin. HI. 1902. 8.261.)
Verf. beschreibt 6 Falle, wo er im Rückenmark bei verschiedenen AffectioKB
dasselbe fand, was Raymond, Pick, Heveroch, Fickler, Bielscbowskj,
Seybel, Saxer and Schlesinger in einem oder zwei Fällen beobachtet haben.
Es handelt sich nämlich um Durchschnitte der Nerven in den lymphatischen
Räumen der centralen Rückenmarksgefässe. Diese Nerven, die an die Gefa«
ansitzen, haben eine Schwa n’sche Scheide, verlaufen schräg wie die Gefasse and
lassen sich von der peripheren Pia bis zu den Clarke’schen Säulen verfolgen
Hie und da sind sie zu Knäueln gewickelt, deren transversale Durchschnitte ab
Neurome oder hei blosser Carminfarbung als Leiomyome (Pick) imponiren. Naefc
einer ausführlichen Kritik der diesbezüglichen Litteratur spricht sich Verf dahin
aus, dass es sich hier um piale sensitive centripetale Nerven handelt?
— also um ein Analogon dessen, was schon Bochdalek im Pons und Mednlla
oblongata beobachtet hat. Pelnif (Prag).
44) The ooourenoe of optio neuritis in leeions of the spinal oord. In-
jury, tumour, myelitis (an aooount of twelve oases and one autopay),
by J. Taylor and J. Collier. (Brain. 1901. Winter.)
Die Autoren berichten über 12 Fälle. Drei Tumoren des Halsm&rka
(einer mit Autopsie), eine Fractur der Halswirbelsäule, eine Caries daselbst und
7 Fälle von acuter bezw. chronischer Myelitis. In allen Fällen fand sich Neuritis
optica: in den Fällen der Caries und der Fractur der Halswirbelsäule trat Heilung
sowohl des Rückenmarks* wie Sehnervenleidens ein; auch sonst war die Functions-
Störung der Augen meist keine dauernde; nur in 2 Fällen blieb die Sehschärfe
sehr herabgesetzt. Die Autoren weisen nun aus den Krankenjourn&len de
Nationalhospitals in London und aus der Litteratur nach, dass diese begleitende
Neuritis optica fast nur bei Affectionen des Hals* und oberen Dorsalmarkes sich
findet. Was die Myelitisfälle anbetrifft, so hat es sich nur sehr selten um eigent¬
liche disseminirte Myelitis gehandelt. Sie glauben, dass die Neuritis optica bei
cervicalen Markerkrankungen in Beziehungen zum Orte der Läsion stehe; in
welchen, wissen sie nicht. Bei hochsitzenden Tumoren im Wirbelcanale und bei
ebensolchen Fracturen kann man sich sehr wohl vorstellen, dass eine Stauung auch
im Schädelinneren entsteht. Was die Myelitis anbetrifft, so kann die Dißsemininmg
sich doch auf einen Herd im Rückenmark und die Optici beschränken; bei der
multiplen Sklerose müssen wir ein solches Verhalten doch sogar als relativ hantig
annehmen. Ob es sich freilich in den Fällen der Verff. um multiple Skiff«
gehandelt hat, ist fraglich; Ref. möchte es keineswegs für alle Fälle annehmen,
namentlich nicht für die, wo erhebliche Schmerzen und ausgeprägte Anästhesie«
bestanden oder wo schwere Sehstörungen die Folge der Neuritis und Atrophia a
optici waren. Brun».
Psychiatrie.
46) Essai sur la Classification en psyohiatrie, par Lagriffe et Remond
(Gazette des höpitaux. 1902. S. 973.)
Auf Grund hypothetisch*speculativer Erörterungen versuchen Verff. folgende
Classifioation:
L Polioencephalitis (Erkrankungen der Nervenzellen).
A. mit vorübergehender Zellenerkrankung: Manie, Melancholie, acute Dehn»
(Amentia, Karsakoff’sche Psychose, toxische Fieberdelirien, Delirium acutum U.B.V.)
zedby G00gle
1039
B. mit zeitweiliger, periodischer Zellenerkrankung: periodisches circuläres
Irresein, Irresein bei den grossen Neurosen (Hysterie, Epilepsie, Neurasthenie),
Irresein der Entarteten (degenerative Formen).
C. mit dauernder, aber nicht totaler Zellenerkrankung: „Incomplets ou dege-
neres“ (Zwangsvorstellungen, impulsives Irresein, sexuelle Perversion), Schwachsinn,
Idiotie.
II. Leukoencephalitis (Erkrankung der Zellenfortsätze). Paranoia. (? Ref.)
^III. Encephalitis totalis: progressive Paralyse, Demenz (Dementia praecox,
senilis, secundärer Blödsinn u. s. w.). Pilcz (Wien).
46) Die ftmotionellen Psychosen des Seniums, von J. Salgö. (Pester med.-
chir. Presse. 1902. Juli.)
Dem viel versprechenden Titel folgt ein bescheidenes Aufsätzchen, das erst
einige Zeilen über die typische senile Melancholie bringt und dann eine kurze
Schilderung des als „acute senile Demenz“ bezeichneten Zustandes, der plötzlich
auftritt, mit Desorientirung, Verwirrtheit, Unreinlichkeit, auch körperlichen Sym¬
ptomen (Pupillendifferenz, Facialisparese), einhergeht und nach einigen Wochen
schon in Heilung übergehen kann. Verf. weist auf die forensische Bedeutung der
guten Prognose hin; aus der Heilbarkeit glaubt er auf die functionelle Natur
einen Schluss ziehen zu können, da er vorher erklärt hat, dass „functioneil“ und
„vorübergehend, heilbar“ für ihn identisch ist. H. Haenel (Dresden).
47) Zur Beziehung von Aberglauben und Geisteskrankheiten, von Prof.
Dr. Koppen. (Charite-Annalen. XXXVI. 1902.)
Sehr interessanter Beitrag zur forensischen Psychiatrie, dessen Grundlage
ein seinerzeit starkes Aufsehen erregender Criminalfall abgab. Es handelt sich
um einen hereditär schwer belasteten Epileptiker, bei dem sich allmählich para¬
noische Symptome herausgebildet hatten. Zum Referat ist die Arbeit leider nicht
geeignet, sei aber zur Lectüre empfohlen. Martin Bloch (Berlin).
48) Ueber geisteskranke Brandstifter, von Georg llberg. (Mittheil, für die
öffentl. Feuerversicherungsanstalten. XXXIV. 1902. Nr. 11, 13 u. 20.)
Verf. geht in drei an einen Staatsanwalt gerichteten und gemeinverständlich
geschriebenen Briefen die verschiedenen Gemüthskrankheiten durch, bei denen
Brandstiftungen beobachtet werden. Es sind dieB: Melancholie (Brandstiftung im
Angstaffect oder hervorgerufen durch die Versündigungsideeen), angeborener
Schwachsinn (Moral insanity), Hysterie, Neurasthenie, Epilepsie (Dämmerzustände),
Dementia praecox, progressive Paralyse, Dementia senilis, Alkoholismus, Dementia
postapoplectica, Paranoia (persecuteur pers6cute), Zwangsvorstellungsirresein.
Verf. bekennt sich als Anhänger der verminderten Zurechnungsfähigkeit und
will dieselbe in unser Strafgesetz eingeführt wissen.
Um Brandstiftungen zu verhüten, empfiehlt Verf. die — eventuell zwangs¬
weise — Unterbringung verdächtiger Kranker in Humanitätsanstalten, Familien¬
pflege oder Irrenanstalten.
Für die Juristen verlangt Verf. eine bessere Ausbildung in der Psyohiatrie.
Denselben müssten die wichtigsten Formen der Geisteskrankheiten an Kranken
selbst vorgeführt und so ein Gefühl dafür beigebracht werden, wann man an die
Möglichkeit psychischer Krankheit und demnach an die Einholung eines Sach-
verständigen-Gutachtens zu denken hat. Kurt Mendel.
;d by Google
1040
III. Mittheilung an den Herausgeber.
Nach Dr. D. J. Mc.Carthy’s erster Mittheilung über den sogen. Supraorbital-
reflex (d. Centralbl. 1901. S. 800) veröffentlichte ich ebenda (1901. S. 933)
eine Notiz, wonach ich das geschilderte Phänomen nicht als einen reinen Reflex
zu betrachten vermag, weil dasselbe auch bei unterbrochener Leitung im centri-
petalen Bogenantheile nachweisbar war; ich gab der Ansicht Ausdruck, daaB die
Erscheinung „nur eine Weiterverbreitung der mechanischen Muskelreizung“ sei
In einer jüngst in d. Centralblatte erschienenen „Erwiderung“ (1902. S.844)
beschäftigt sich Herr Mc.Carthy hauptsächlich mit meiner Ansicht über die
Weiterverbreitung der Muskelreizung; diese acceptirt er nicht. Dies ist Sache
der Ansicht und Erfahrung sowie eingehender Studien; ist doch der eigentliche
Vorgang bei manchen längst bekannten reflectorischen Erscheinungen noch immer
nicht klargestellt und Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten.
Auf den unzweifelhaften und objectiven Theil meiner Notiz äussert sich Herr
Mc.Carthy nur im Allgemeinen: da „das Ganglion Gasseri in der Mehrzahl der
Fälle, wo seine Entfernung angestrebt wird, nur zum Theil wirklich entfeint
wird,“ . .. „können Fälle dieser Art nicht zum Beweise für die Gegenwart oder
Abwesenheit meines Reflexes nach „Entfernung“ des Ganglion Gasseri herangezogen
werden.“ Diese Aburtheilung dürfte denn doch etwas zu summarisch und weit¬
gehend sein! Wenn auch so manche der Exstirpationen nicht gelingt, darans
folgt noch nicht, dass jede misslungen sein muss. In dem von mir citirten
Falle bestehen vollkommene Heilung der Neuralgie sowie Anästhesie und Analgesie
der rechten Gesichtshälfte; überdies ist das entfernte Ganglion vollkommen un¬
versehrt, fehlerlos noch jetzt aufbewahrt Beweise genug, dass das Ganglion voll¬
ständig entfernt und die Leitung im Quintus unterbrochen ist; und dennoch be¬
steht der Reflex; leider giebt Mc.Carthy keine Erklärung, wo in diesem Falk
der centripetale Weg sein könnte.
Schon damals hatte ich noch einen Fall von Exstirpation zur Verfügung;
das entfernte Ganglion scheint intact, doch bestanden auch nach der Operation
Schmerzen, auch ist die Gesichtshälfte nicht anästhetisch: diesen Fall hielt ieh
nicht für einwandsfrei, zog ihn auch nicht in Betracht, obwohl auch hier
Mc.Carthy’s Symptom nachweisbar ist
Mir weitere Mittheilungen vorbehaltend, bemerke ich nur, dass die Priorität
für diesen „Reflex“ Walker Overend für sich in Anspruch nimmt, da er ihn
schon 1896 (The Lancet) beschrieb.
Budapest, 6. October 1902.
Dr. Carl Hudovernig.
IV. Personalien.
Im 88. Lebensjahr starb am 11. Oetober einer der Senioren der deutschen Psychiater,
der Geheime Sanitätsrath Dr. M. O. Fraenkel zu Dessau, früher Director der Irrenanstalt
zu ßernburg. Bis in die letzten Jahre seines Lebens war er litterarisch thitig.
V. Berichtigung.
In Nr. 20 d. Centralbl. muss es auf S. 977, Zeile 24 v. u. heissen: Bei allen höben*
Säugcthieren bis zum „Affen“ statt bis zum „Menschen“.
Dm Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzqzb & Wittiq in Leipzig.
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Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithfllfe ron Dr. Kurt Mendel)
Einundzwanrigster " BerUn ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen duroh
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1902. 16. November. Nr. 22.
Inhalt: I. Originalmittheiiungen. 1. Ueber die Verschiedenheit der Prognose der
Plexus- und Nervenstammlähmnngen der oberen Extremität, von Dr. med. L. Bruns in
Hannover. 2. Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz oder myotonische Pupillen¬
bewegung? Von Dr. Julius Strasburger. 3. Die paradoxe PupiUenreaction und eigene Be¬
obachtung von Verengerung der Pupillen bei Beschattung der Augen, von J. Piltz.
II. Referate. Anatomie. 1. Nervenfärbungen (Neurokeratin, Markscheide, Axencylinder).
Ein Beitrag zur Kenntniss des Nervensystems, von Kaplan t- 2. Ueber die Anwendung des
Galleün zur Färbung des Centralnervensystems, von Aronson. 3. Sur le rösean endocellulaire
de Golgi dans les ölöments nerveux de l’öcorce cerdbrale, par Soukhanoff. — Experimen¬
telle Physiologie. 4. Ueber die Wirkung gleichzeitig auf den Geist einwirkender homo¬
gener und heterogener Reize, mit Rücksicht anf die Entstehung der Illusionen, von Ransch-
barg. 5. Farbiges Hören, von Chalupeckf 6. Azione dei lobi prefrontali sugli acambi or-
ganici. Analogie col ricambio nella pazzia morale, pel Modica e Audenlno. 7. Ueber das
Verhalten der Blutgefässe im Gebiet durchschnittener vasomotorischer Nerven, von Jores.
8. Observations, chiefly by the degeneration metbod, on possible efiferent fibres in the dorsal
nerve-roots of the toad and frog, by Dale. — Pathologische Anatomie. 9. I. La
Btrnctnre et le fonctionnement du systöme nerveux d’uo anencöphale. II. De la Constitution
de la rötine en l’absenoe congenitale du oerveau. HI. Considörations pathologiques ä propos
d'an cas de monstre anencöpbale, par Vaschide et Vurpaa. 10. Ueber das Vorkommen late¬
raler Furchen am Rückenmarke bei Porencephalie, von Paitauf. 11. On a case of congenital
porencephalna, in wbich tbe porencephalie area corresponded to tbe area of distribation of the
left middle cerebral artery, by Shirres. — Pathologie des Nervensystems. 12. La pato-
genesi della malattia di Stokes-Adams, pel Medea. 13. Die Parrofscben Pseudoparalysen bei
angeborener Syphilis, von Scherer. 14. Secnndär luetische Nervenkrankheiten, von Sztahovtzky.
16. Luetische Jackson-Epilepsie, von Lövy. 16. Le signe pupillaire d'Argyll-Robertson, sa
valeur sörnöiologique; ses relations avec la syphilis, par Ceatan et Dupuy-Dutemps. 17. Warum
erscheint Hirnlues schwerer heilbar? von Ziemssen. 18. A clinical lecture on two cases of
spinal cord disease conseqnent on syphilis, by Bradshaw. 19. Ueber einen Fall von Rücken-
markasypbilis mit Brown-Söquard’scbem Typus, von Strözewski. 20. Hemispasmns glosso-
labialis als Späterscheinung einer organischen Hemiplegie. Klinische Stuaie von Minor.
21. Caae of tumour of the cerebral cortex, by Barlow. 22. A successful case of removal of
tumour from the left pre-frontal lobe of the brain, by Eider, Leith and Miles. 28. Trois cas
de nöoplasies-cöröbrales, par Ballet et Armand-Delllle. 24. Ueber eine mit Erfolg operirte
Cyste des linken Hinterhauptslappens nebst Bemerkungen, von Cramer. 25. Ueber die Hemi-
anopsieen, von Votruba. 26. Contribution ä l'ötnde de l’anatomie pathologique de l’höraianopsie
d'origine intra-cöröbrale, par Joukowaky. 27. Langage et cervean, par Colella. 28. Ein Fall
von Schädelschartc mit fühlbarer Gehirnpulsation und amnestischer Aphasie, coinbinirt mit
8eelentaubheit und Seelen blindbeit and articnlatoriscbem Stottern, von Szuman. 29. Zar Kritik
der „subcorticalen“ sensorischen Aphasie, von Strohmayer. 80. Cöcitö verbale pure, par
Brlssaud. 31. Ein Fall von motorischer Aphasie funotionellen Ursprungs, von Goldblum.
82. Zur Kenntniss der Rückbildung motorischer Aphasieen, von Bonhoeffer.
66
tized
GoogI<
1042
III. Bibliographie. 1- Psychiatrie. Fftr Aerzte and Stadirende bearbeitet von Th. Zlohoa.
2. Die Neurologie de« Auges. Bd. IL Ein Handbuch für Nerven- und Augenärzte, toi
H. Wilbrand und A. Saenger. 3. Das dritte Geschlecht Beiträge zum homosexuellen Problem,
von M. Braunschweig. 4. Geisteskrankheit und Irrenanstalten. Sechs gemeinverständliche
Vorträge, von Tuczek. 5. Vier Vorlesungen aus der allgemeinen Pathologie des Nerven¬
systems, von Fred er Ick W. Mott. 6. Russische mediciniscbe Rundschau, von Lipliawsky und
Welsbein.
IV. Aus den Gesellschaften. VIII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neuro¬
logen in Dresden am 25. und 26. October 1902.
L Originalmittheilnngen.
1. Ueber die Verschiedenheit der Prognose der
Plexns-undNervenstammlähmnngen der oberen Extremität 1
Von Dr. med. L. Bruns in Hannover.
M. H.! Meine heutige kurze Mittheilung soll einen mehr informatorischen
Charakter haben. Eine Frage, die mich seit langer Zeit beschäftigt, ist die,
woher es kommt, dass die Lähmungen der Nervenplexus, speoiell die des
Plexus brachialis, eine so viel ungünstigere Heilungsaassicht haben als die der
einzelnen peripheren Nervenstämme and ihrer Aeste. Ich habe eine ganze An¬
zahl von Dingen, die möglicherweise als Ursachen für diese Differenz in der
Prognose in Betracht kommen, nach allen Richtungen hin geprüft und werde
Ihnen diese Prüfungen auch zur kritischen Würdigung vorlegen; zu einem
sioheren, die ganze Frage entscheidenden Schlosse aber bin ich nicht gekommen.
Es liegt mir deshalb daran, vor einem grösseren Kreise von Fachgenossen, die,
wie ioh sicher glaube, thatsächlich so ziemlich dieselbe Erfahrung gemacht haben,
diese Frage einmal anznregen, und ich hoffe, dass es dadurch gelingen wird,
dieselbe der Lösung wenigstens näher zu bringen, oder dass zum mindesten
nene, von mir bisher übersehene Erklärungen für dieselbe bei der Debatte zu
Tage gefordert werden.
Zunächst möchte ich Ihnen mein eigenes Thatsachenmaterial auf diesem
Gebiete mittheilen. loh habe unter etwa 8500 Nervenkranken 95 Fälle von
Lähmung einzelner peripherer Nerven und 88 Fälle von Plexuslähmungen be¬
obachtet, im Ganzen also 133 Fälle. Ich rechne zu diesen Lähmungen alle mit
traumatischer Aetiologie im weitesten Sinne und die mehr isolirten Neuritiden
eines Nervenstammes oder eines Plexnsantheils, namentlich solche, bei denen
ein bes timm tes ätiologisches Moment nicht nachzuweisen war. Ausgeschlossen
sind die multiplen Neuritiden, meist sicherer Aetiologie. Auf die einzelnen
Nervenstämme und Plexnsantheile vertheilen sioh diese Fälle folgendermaassen:
1 Vortrag, gehalten in der Versammlung mitteldeutecher Psychiater und Neurologen
zu Dresden am 26. Ootober 1902.
zedby Google
1048
I. Periphere Nervenlähmungen:
Badialia .28
Ulnaris.22
Medianus.6
Medianus und Ulnaris oder alle 3 Armnerven 7
Thoracious longus.7
Axillaris.5
Suprascapularis.3
Aocessorius spinalis.1
Peroneus.11
Peroneus und Tibialis.2
Tibialis postious.1
Obturatorius. 1
Ischiadicus. . 1
Summa 95
II. Plexuslähmungen:
1. Plexus brachialis
1. obere . ..16
2. untere.4
3. totale.10
4. unbestimmten Ort«.3
2. Plexus lumbosacralis. . 5
Summa 38
Um bei den Plexuslähmungen gleich die Aetiologie anzuführen, so betrafen
die des Plexus brachialis
1. 10 Entbindungslähmungen: 6 obere
2 untere
2 totale
2. 5 Luxationslähmungen: 2 obere
3 totale
3. 2 fast totale Narcosenlähmungen: 2
4. 12 traumatische Lähmungen anderer Aetiologie: 8 obere
1 untere
3 totale
5. 3 neuritische Plexus-brachialis-Lähmungen.
6. 1 untere Plexuslähmung durch Druck eines Aneurysma der Arteria
anonyma.
Von den 5 Lähmungen des Plexus lumbosacralis waren 3 bedingt
durch maligne Beckentumoren, 1 durch eine septische Pelveoperitonitis; 1 war
eine materne Geburtslähmung im linken Peroneusgebiet durch Druck des Kinds¬
kopfes.
66 *
Digitized by Google
1044
Von diesen 95, bezw. 38 Fällen kann ich nun aber nur einen kleinen
Theil gebrauchen, wenn ich sie für die von mir behauptete Verschiedenheit in
der Prognose zwischen den peripheren Lähmungen der Nervenstämme und der
Plexus verwenden will. Es muss mir dabei natürlich darauf ankommen, ätio¬
logisch möglichst gleichartige Fälle zum Vergleiche zu verwenden. Ich möchte
hier zunächst auaschalten die 5 Lähmungen im Gebiete des Lumbo-
sacralplexus — erstens weil es sehr wenige sind, zweitens weil es sich bei
dreien von ihnen um Druck durch maligne Tumoren handelte, also um Läh¬
mungen, deren Prognose auf jeden Fall infaust war. Die Lähmung in Folge
septischer Pelveoperitonitis ist ganz, die materne Geburtslähmung im rechten
Peroneusgebiete ist nur theilweise geheilt In zweiter Linie fallen diejenigen
Fälle aus, über deren Verlauf ich nicht orientirt bin, die ich entweder nur
einmal oder nur kurze Zeit gesehen habe; es sind das 31 Lähmungen peripherer
Nervenstämme und 10 Lähmungen im Plexus brachialis. Drittens kann ich die
neuritischen Lähmungen nicht gut mit zum Vergleiche heranziehen, da ja
bei der Prognose dieser alles auf das ätiologisohe Moment und die Möglichkeit
oder Unmöglichkeit seiner Beseitigung ankommt; schalte ich diese aus, so fallen
noch 10 Fälle von Nervenstammlähmungen fort; die Plexus-neuritis-Fälle kommen
hier nicht mehr mit in Rechnung, da sie alle auch zur Kategorie der Fälle mit
unbekanntem Verlauf gehören. Ich würde dann also noch die Fälle mit be¬
obachtetem Verlaufe und traumatischer Aetiologie im weitesten Sinne haben —
also Verletzungen durch Stoss, Druck, Quetschung, Zerrung, Zerreissung, Durch¬
schneidung. Auch hier möchte ich aber diejenigen Lähmungen, die auf voll¬
ständiger Continuitätstrennung der Nerven beruhen, ausachliessen; diese
geben eine einigermaassen gute Prognose nur bei primärer oder secundärer
Nervennaht, und diese ist nur in zweien meiner Fälle combinirter Ulnaris-
und Medianusverletzung mit gutem Erfolge ausgeführt. Auf diese Weise
fallen noch 6 Nervenstammlähmungen fort; Plexus-brachialis-Lähmungen auf
Grund von Durchschneidungen der Nerven habe ich mit Sicherheit nicht be¬
obachtet; diese schwerste Lähmungsform fällt also hier fort. Schliesslich
möchte ich noch ausser Berechnung lassen eine sogenannte Spätlähmung
eines Ulnaris nach Verletzung am Ellenbogen, da dieser Fall noch in der
Entwiokelung ist
Aus allen diesen Gründen fallen also 48 Lähmungen der peripheren Nerven¬
stämme und 15 Plexulähmungen fort; ich habe also noch zur Verfügung 47 Läh¬
mungen der peripheren Nerven und 23 des Plexus brachialis auf Grund von
Traumen im weitesten Sinne, mit Ausnahme der directen Continuitätstrennungen.
Ich will diese 70 für mich brauchbaren Fälle nun nochmal einzeln aufzählen
und zugleich dabei ihre Heilungsziffer mit genauerer Berücksichtigung ihrer
Aetiologie angeben. Ich will hier gleich bemerken, dass unter diesen 70 Fällen
sich auch alle die befanden, die lange Zeit, speciell auch elektrisch be¬
handelt sind.
> y Google
1045
L Brauchbare Lähmungen peripherer Nerven: 47 Fälle.
A. Radialislähmung.
a) Schlaflähmungen zum Theil combinirt mit
Alkohol: 11, alle geheilt
b) Fractur des Oberarmee oder Callusdruok: 10,
7 geheilt, 3 ungeheilt
c) 1 Narooselähmung, Druck auf die eisernen
Seitenlehnen des Operationstisches: 1 geheilt
B. Ulnarislähmungen.
a) Quetschung, partielle Durchschneidung u.s.w.
4, 2 geheilt, 2 ungeheilt.
b) Callus: 1 geheilt
c) Spätlähmung bei Verletzung am Ellenbogen:
1 ungeheilt
C. Ulnaris und Medianus.
a) 1 Quetschung durch festen Verband durch
mehrere Tage und Bildung eines Aneurysma
traumaticum der Arteria brachialis. Geheilt
b) 1 Zerrung. Ungeheilt
D. Ulnaris, Medianus und Radialis.
a) 1 Zerrung, geheilt
b) 1 fester Verband, ungeheilt.
c) 1 Druck durch EsMABCH’schen Schlauch,
geheilt
E. Thoracicus longus. j
Trauma durch Fall: 4 Fälle, 3 ungeheilt, 1 ge- r
heilt 1
F. Axillaris. )
Quetschung: 2 Fälle, geheilt. )
G. Peroneus. |
Druck oder Zerrung, darantr 2 Schlafdrack- |
l ähm ungen: 7 Fälle, 3 geheilt, 4 ungeheilt. J
H. Ischiadicus. |
Partielle Darohschneidung bei Neuromexstir- |
pation: 1 Fall geheilt
Summa
22 19 geheilt
3 ungeheilt
6 2 geheilt
4 ungeheilt
2 1 geheilt
1 ungeheilt
3 2 geheilt
1 ungeheilt
4 3 ungeheilt
1 geheilt
2 geheilt
7 4 ungeheilt
3 geheilt
1 geheilt
47
peripherische Nervenlähmungen traumatisoher Natur; davon 31 geheilt.
16 ungeheilt — das sind 66% Heilungen; 34% Nichtheilungen.
Ich möchte hier gleich auf zwei Umstände aufmerksam machen. Erstens
auf die ausserordentlich günstige Heilungsprognose der Radialis-
lähmungen, die nicht nur die Schlafdrucklähmungen, sondern auch die
V
Google
1046
mit Fraotnren des Oberarmes und mit starker Callusbildung betrifft;
die Schlafdrucklähmungen sind alle geheilt; von 10 mit ArmbrAchen nur 3
nicht; darunter ist ein Fall mit Bruch und fehlerhafter Verwachsung beider
Unterarmknochen. Die Radialislähmungen allein würden einen Heilangsprocent-
satz von beinahe 87% geben. Diese meine Erfahrung stimmt mit der alter
Autoren überein. Auf der anderen Seite findet sich bei den 4 Ser rat us-
lähmungen nur eine Heilung — also nur 25%; diese Lähmungen sind abo
viel ungünstiger. Auch das ist wohl bekannt; so hebt Bernhardt ganz neuer¬
dings wieder hervor, dass eine Serratuslähmung niemals ein leichtes Leiden sei.
U. Brauchbare Lähmungen des Plexus braohialis: 23 Fälle.
A. Entbindungslähmungen.
a) Obere Plexuslähmung: 4, alle ungeheilt
b) Untere „ : 2, ungeheilt ^
c) Totale „ : 1, ungeheilt.
Oft bestand erst totale Plexuslähmung, die
nachher in bestehenbleibende partielle über-
giag-
B. Luxationslähmung. 1
a) Obere Plexuslähmung: 3 ungeheilt l 5
b) Totale „ : 3 ungeheilt J
C. Narcoeelähmungen.
a) Fast total: 2, 1 geheilt, 1 ungeheilt
D. Aneurysma der Arteria anonyma.
Untere Plexuslähmung: 1 ungeheilt
E. Fälle mit kürzer wirkendem Trauma: Fall,
Stoss, Clavicularfractur; zum Theil mit starkem
Blutergusse.
a) Obere Plexuslähmung: 4 geheilt, 1 ungeheilt
b) Untere „ : 1 geheilt, 2 ungeheilt
8
alle ungeheilt
ungeheilt
1 geheitt
1 ungeheilt
ungeheilt
5 geheilt
3 ungeheilt
Also in Summa 23
mit 6 Heilungen und 17 Nichthellungen, das sind 26% Heilungen
und 74% Nichtheilungen bei den Plexuslähmungen des Armes
gegenüber 66% Heilungen und 34% Nichtheilungen bei den Läh¬
mungen der peripheren Nerven. Danach hatten nach meinen Er¬
fahrungen die traumatischen Lähmungen der peripheren Nerven-
stämme eine 2% Mal so gute Heilungsaussicht wie die der Nerven-
plexus. Ich will aber aus meiner Tabelle bestimmt hervorheben, und komme
darauf noch zurück, dass sich unter den 14 Fällen von Entbindungs-, Luxations¬
oder Narcoselähmung nur ein Fall von Heilung findet; unter den 8 Fällen mit
rascher vorübergehendem Trauma dagegen 5 Heilungen; das bedeutet naoh
meinen Erfahrungen für die ersten Fälle einen Heilungsprooentsats von nur 7%
für die letzteren dagegen einen von 62,5%.
Google
1047
Dass die Prognose der traumatischen Lähmungen der Plexus, speciell des
Plexas braohialis eine ungünstigere ist wie der peripheren Nerven, wird im
Allgemeinen so ziemlich von allen Autoren angegeben; im Einzelnen bestehen
allerdings ziemlich grosse Meinungsverschiedenheiten. Einstimmig sind die
Autoren über die schlechte Prognose der Luxationslähmungen; volle Heilung
tritt hier kaum ein. Die Prognose der Entbindungslähmungen wird dagegen
von verschiedenen Autoren sehr verschieden angegeben. Buna und Lovett er¬
klären sie für aussichtslos; Erb, Bernhardt und Jolly für ungünstig; Oppen¬
seim siebt dagegen ihre Prognose als günstig an; Sreligmüller ebenfalls,
aber doch aus mehr theoretischen Gründen, weil er annimmt, dass bei den
kleinen Kindern die Nerven restitutionsfahiger wären als bei Erwachsenen. Die
Prognose der Narcoselähmungen hält Oppenheim nicht für günstig; auch
von den Fällen mit kürzer wirkendem Trauma, die in meiner Tabelle wesent¬
lich günstiger dastehen, sagt er, „die Heilung tritt nicht immer ein.“ Ziemlich
allgemein wird die Wichtigkeit einer sorgfältigen elektrischen Behandlung für
die Prognose dieser Lähmungen hervorgehoben; unter dieser soll z. B. nach
Oppenheim auch nach Jahren noch Besserung eintreten können; nach meinen
Erfahrungen kann ich mich dieser Ansicht nicht ganz anschliessen. Ueber die
eigentlichen Ursachen der schlechteren Prognose der Plexus¬
lähmungen sprechen sich die meisten Autoren nur ganz allgemein
ans, ohne tiefer in die Sache einzudringen, oder sie führen ein einzelnes
der von mir später zu erwähnenden Momente an; es wird die besondere Schwere
und Dauer der Läsion, das Vorhandensein schwerer Störungen der elektrischen
Erregbarkeit hervorgehoben; nur Oppenheim ist eingehender und weist speciell
bei den Entbindungslähmungen unter Berufung besonders auf französische
Autoren auch auf einige die Pathologie der Plexuslähmungen erschwerende
Momente hin, auf die ich später eingehender zu sprechen kommen werde. loh
möchte nun erst einmal alle die eventuell für die Verschiedenheit der Prognose
der Lähmungen der peripheren Nerven und des Plexus in Betracht kommenden
Momente, soweit sie mir aufgestossen sind, Revue passiren lassen und sie einzeln
einer Kritik unterziehen. Man könnte zunächst an anatomische oder phy¬
siologische Differenzen für die Erklärung der Verschiedenheit dieser
Prognose denken. Wir wissen ja, dass zwischen dem Centralnervensystem
und den peripheren Nerven in Bezug auf die Heilung von Läsionen grosse
Differenzen zu Ungunsten der ersteren bestehen, wenn auch hier partielle
Heilungen nicht ganz so selten zu sein scheinen, als man noch vor einigen
Jahren annahm, und dass diese Differenzen zum Theil auf Unterschieden des
anatomischen Baues beruhen. Zwischen den Fasern des Nervenplexus und der
peripheren Nervenstämme finden sich aber solohe anatomische Unterschiede
nicht. Es ist ferner bekannt, dass bei Verletzungen und Durchschneidungen
peripherer Nerven der Functionsausfall von vornherein oder nach einiger Zeit
oft viel geringer ist, als man nach der anatomischen Ausbreitung dieses Nerven
erwarten sollte, namentlich sensible Störungen fehlen oft ganz und man hat
das, wohl mit Recht, auf ganz periphere oder mehr proximal gelegene Ana-
Google
1048
stomosen zwischen den Ausläufern der einzelnen Nervenstämme oder zwischen
diesen Stämmen selbst zurückgeführt; Anastomosen, die ziemlich viele indi¬
viduelle Verschiedenheiten zeigen, so dass sich dadurch auch die Verschiedea-
heiten im Krankheitsbilde nach Durohschneidung bestimmter Nerven bei ver¬
schiedenen Individuen erklären. Aber diese für die Pathologie der peripheren
Nervenläsionen günstig in die Wagsohale fallenden Umstände müssen natürlich
von vornherein oder sehr bald vorhanden sein; sie können nicht erklären, wes¬
halb im Anfang und für längere Zeit vorhandene Functionsausfälle bei den
peripheren Nervenlähmungen sich schliesslich so viel häufiger verlieren als bei
den Plexuslähmungen. Auch physiologische Unterschiede zwischen den Nerven¬
fasern der peripheren Nervenstämme und des Plexus sind mir nicht bekannt
Elektrophysiologisch verhalten sich beide gleich. Von Etzold wurde durch
Beobachtung von Nervendurohschneidungen festgestellt, dass die Heilung nach
Durchschneidungen an den Plexus und nachfolgender Naht sehr viel länger auf
sich warten lasse und häufiger unvollkommen bleibe, als bei solchen an den
Nervenstämmen. Das ist bei der doch auch heute i mm er noch zu Recht be¬
stehenden Lehre von der Heilung der Continuitätstrennungen der Nerven doreh
peripheres Auswachsen der Nervenfasern des centralen Stumpfes wohl nicht
anders zu erwarten; ich habe bei einer ganzen Anzahl von peripheren Radhüis-
lähmungen am Oberarme gesehen, dass die Function zuerst wieder in denjenigen
gelähmten Muskeln eintrat, die ihre Innervation weiter proximal empfangen,
also in den Supinatoren und den Streckern der Hand eher als in denen der
Finger, ein Umstand, der sich kaum andere als durch die erwähnte Annahme
des WiederausWachsens der Nervenfasern vom oentralen Stumpfe aus erklären
lässt. Aber auch diese Dinge sind nicht im Stande einen Grund dafür abzu-
geben, weshalb die Heilung überhaupt in den Fällen von Plexuslähmungen so
viel häufiger ausbleibt, als bei denen der peripheren Nervenstämme.
Es wäre ferner möglich, dass für die schlechte Prognose der Lähmungen des
Nervenplexus die Dauer der schädigenden Wirkung wesentlich in Betracht käme,
indem diese nämlich bei diesen Lähmungen im Allgemeinen eine längere sei,
als bei den Läsionen der peripheren Nerven. Wenn das im Allgemeinen zu träfe,
so wäre dieser Umstand natürlich ein plausibles Erklärungsmoment für die Ver¬
schiedenheit der betreffenden Prognose, denn es ist leicht ersichtlich, dass bä
gleicher Stärke eine länger dauernde Schädigung einen Nerven schwerer und
dauernder treffen muss als eine kurze. Ganz besondere lange pflegt nun in
vielen Fällen von Oberarmluxation, die nicht so selten im Anfänge nicht
erkannt werden, die Schädigung des Plexus braohialis zu bestehen; in einzelnst
meiner Fälle wurde die Luxation erst nach Tagen, und in einem Falle erst
nach Wochen erkannt und wieder eingerichtet; dazu kommt, dass auch die
manchmal ungeschickten und vergeblichen Einrenkungsvereuche noch eine erheb¬
liche Schädigung für die Nerven des Plexus braohialis abgeben können. Scher
muss dieser Umstand für die allgemein anerkannte schlechte Prognose der
Luxationslähmungen mit in Betracht gezogen werden. Auch bei den Ent*
bindungs- und den Narcoselähmungen ist manchmal die Dauer der Schädigung
Google
1049
eine ziemlich lange, aber doch nicht gerade eine übermässig lange. Sicher ist
-wohl, dass bei den einfachen Sohlaflähmnngen des Badialis auch die Dauer des
Drucks keine sehr ausgedehnte ist, und dass das für die günstige Prognose
dieser Lähmungen in Betracht kommt, aber bei den Radialis-Calluslähmungen
kann dieser Druck doch dorch viele Wochen dauern, also bei Weitem länger
als bei der längsten Geburt und auch sie bieten noch hervorragend günstige
Heilungsaussichten. Wenn man schliesslich auch für die prognostisch nicht
besonders günstigen Narcoselähmungen die ziemlich lange Dauer der schädigenden
Wirknngen in Betracht ziehen will, so möchte ich darauf hinweisen, dass die
Lähmungen durch den EsMABCH’schen Schlauch, der seine schädigenden
Wirkungen doch auoh durch die ganze Dauer der Naroose entfaltet, prognostisch
ganz besonders günstig sind und dass ich auch einen Fall von Drucklähmung
des Badialis mit partieller Entartungsreaction gesehen habe, die dadurch ent¬
standen war, dass der betreffende Badialis während der ganzen Dauer der Nar-
cose (Laparotomie) gegen eine eiserne Seitenlehne des Operationstisches gedrückt
war; auch dieser Fall ging schnell in Heilung aus. Ganz besonders lang-
dauernd und schwer war schliesslich der Druck bei einer von mir beobachteten
combinirten Lähmung des Ulnaris und Medianus am Oberarme gewesen. Hier
war der Patientin ein Messer so in die Arteria brachialis hineingefallen, dass,
wie sich später herausstellte, ein Längsschnitt der hinteren und vorderen Wand
dieses Gefasses entstanden war. Um die starke Blutung zu stillen, hatte der
Arzt einen festen Tampon auf die blutende Stelle gelegt und diesen mit einem
circulären Verbände fest angedrückt. Dieser Tampon war mehrere Tage
liegen geblieben. Nachher fand sich eine totale Lähmung im Ulnaris- und
Medianusgebiete und ein Aneurysma der verletzten Arteria brachialis. Wir
nahmen natürlich zunächst eine Durchschneidung der beiden Nerven an und
wollten mit gleichzeitiger Operation des Aneurysma eine Nervennaht vornehmen.
Bei der Operation aber zeigte sich, wie gesagt, dass die Arteria brachialis längs¬
durchschnitten war, die Nerven hatte das Messer nicht berührt, sie waren erst
durch den Druck des Verbandes lädirt worden. Trotz der langen Dauer
und Schwere des Druckes, der auch an den blossgelegteu Nerven zu er¬
kennen war und der auch zu completer Entartungsreaction im gelähmten
Gebiete geführt hatte, trat hier unter elektrischer Behandlung doch volle
Heilung ein. Also auch eine längere Dauer der Läsionswirkung, spedell eines
Druckes kann für die schlechte Prognose der Plexuslähmungen gegenüber
den Nervenstammlähmungen im Allgemeinen nicht ausschlaggebend sein, denn
sie findet sich auch in vielen Fällen der letzteren Lähmungen; von Bedeutung
an und für sich ist die Dauer der lädirenden Wirkung natürlich stets; ich will
in dieser Beziehung nur noch einmal darauf hinweisen, wie viel günstiger die
Heilungsprognose in meiner Tabelle bei den Plexuslähmungen mit rasch ein¬
tretender und vorübergehender Schädigung ist als bei den Entbindungs-,
Luxations- und Narcoselähmungen.
Schliesslich könnte die Intensität der Läsion bei den Plexuslähmungen
im Allgemeinen eine grössere sein als bei denen der peripheren Nervenstämme.
Google
1050
Ich möchte hier vorausschicken, dass man hier bei den peripheren Nerve«-
lähmungen auf die Intensität der Läsion aus der Schwere der elektrisch«
Störungen schliesst. Wenn das aber richtig ist — und ich zweifle nicht
daran —, so sind von diesem Gesichtspunkte aus die Läsionen in meinen nun
Vergleich herangezogenen Fällen von peripheren Nervenlähmungen im All¬
gemeinen nicht besser gewesen als in denen von Plexuslähmungen; in fast
allen handelte es sich um partielle, meist sogar um complete Entartungsreaction.
Eine Ausnahme machen hier nur die meisten Fälle von Badialisschlaflähmung,
während in den Fällen von Radialislähmung in Folge von Humerusfractor and
Callusbildung immer deutliche qualitative Veränderungen der elektrischen Er¬
regbarkeit vorhanden waren. Ich will bemerken, dass es mir auch bei den
länger beobachteten Entbindungslähmungen der Kinder stets gelungen ist,
wenigstens in einem Tbeil der gelähmten Muskeln Entartungsreactions-
erscheinungeu aufzufinden, bei ganz kleinen Kindern hat das ja seine
Schwierigkeiten.
Auf die Intensität der einwirkenden Läsion kann man bestimmtere
Schlüsse natürlich auch machen, wenn man die Art der Läsion, mit anderen
Worten ihren Entstehungsmodus genauer kennt. Eis ist hier nicht
der Ort, specieller auf die vielumstrittene Frage der genauen Pathogenese der
traumatischen Plexuslähmungen und ihre einzelnen Formen einzugehen, ich will
hier nur erwähnen, dass über die Art und den Ort der hier vorkommenden
Druckwirkungen noch keine Einigkeit unter den Autoren herrscht Immer¬
hin kann man nicht sagen, dass die hier in Betracht kommenden Druckwirkungen
nothwendig intensiver sein müssten, als in Fällen schwerer Druckläsion der
peripheren Nerven. Verschlechternd für die Prognose werden natürlich ohirur-
gische Complicationen wirken; bei den verschiedenen Formen der trauma¬
tischen Plexus-brachialis-Lähmung kommen Brüohe der Clavicula, des Oberarmes,
Luxation des Oberarmes, Epiphysenabreissung in Betracht. Aber man moss da
wieder anführen, dass auch z. B. periphere Radialislähmungen nicht so selten
durch Humerusfractur entstehen und dass die Prognose dieser so complicirten
Radialislähmungen keineswegs eine besonders schlechte ist Nur auf einen Um¬
stand möchte ich hier hinweisen, der nach meiner Ansicht am meisten im
Stande sein dürfte, eine Erklärung für die schlechte Prognose vieler trauma¬
tischer Plexuslähmungen abzugeben und der erst in neuerer Zeit mehr gewürdigt
ist. Man hat nämlich — und an diesen Arbeiten haben eine ganze Anzahl
von Autoren theilgenommen — herausgefunden, dass mit grosser Wahrschein¬
lichkeit wenigstens ein grosser Theil der Lähmungserscheinungen bä den
Läsionen des Plexus brachialis, und vielleicht gerade der schwersten, nicht durch
Druck auf, sondern durch Zerrung an den Fasern des Plexus brachialis und
seiner Wurzeln bedingt seien. Das stimmt sowohl für die Entbindungslähmungen,
wie für die Luxations- und Narcoselähmungen. Genauer kann ich auch auf
diese Dinge nicht eingehen. Bei den Entbindungslähmungen kommen je
nach der Art der Entbindung Zerrungen an den Nerven des Pleius brachialis
durch die in der Schulter nach oben geschlagenen Arme, speciell bei Steiss-
Google
1061
lagen, durch die starke Neigung des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite,
durch den Zug des Geburtshelfers am Kopf bezw. am Rumpf und den Beinen,
bei nooh im Becken liegenden Kopfe bezw. Schultern und Rumpfe, durch
directen Zug an den Fasern des Plexus brachialis durch den Finger oder die
Instrumente des Geburtshelfers in Betracht; für die schädigende zerrende Wirkung
der starken Neigung des Kopfes nach der von der Lähmung abgewendeten Seite
spricht auch das häufige Vorkommen von Hämatomen im Sternocleidomastoideus
auf Seite der Lähmung. Ein Theil dieser schädigenden Zerrungen kann
natürlich auch bei Spontangeburten Platz greifen, neuerdings hat man die
Zerrung der betreffenden Nervenfasern bei Geburten auch experimentell nach¬
gewiesen (Fieux, Sch obmakkr). Bei den Narcoselähmungen tritt ganz
ähnlich, wie bei manchen Geburten, eine Zerrung der Fasern des Plexus bra¬
chialis speciell bei Bauch- und Brustoperation dadurch ein, dass auf Seite der
Operation die Arme nach oben geschlagen und da der Narcotiseur meist auf
der anderen Seite steht, der Kopf nach der entgegengesetzten Seite gedreht und
geneigt wird. Auch bei den Luxationslähmungen fehlen solche zerrende
Umstände nicht, vielmehr haben Duval und Guillain, wie ich einer Arbeit
Kienböck’s entnehme, gerade für diese Lähmungsform sobwere zerrende Momente
nachgewiesen. Selbstverständlich kann sie auch Vorkommen in meiner 4. Gruppe,
in der es sich um rascher in ihrer primären Wirkung vorübergehende Schä¬
digung handelt Man kann sich nun sehr wohl vorstellen, und Duval
und Guillain haben das für die Luxationslähmungen, Cestan und
Philippe (nach Oppenheim) in einem Falle von Entbindungslähmung
mit Zerreissung spinaler Wurzeln nachgewiesen, dass die zerrende
Wirkung an den Plexusfasern nicht Halt macht, sondern sich über
die Rückenmarkswurzeln bis ins Rückenmark fortpflanzen kann.
Aehnliches hat man ja auch nach Dehnungen des Nervus ischiadicus gesehen.
Namentlich für die Entbindungslähmungen wird eine solche Annahme plausibel
erscheinen, wenn man sich erinnert, welche Kraft bei schweren Entbindungen
der Geburtshelfer manchmal sowohl bei Extractionen am Kopfe wie am Rumpfe
anwenden muss und daran denkt, dass von einer Anzahl von Autoren nach
solchen Entbindungen Blutungen im Rückenmarke und seinen Hüllen, ja in
einem Falle sogar eine totale Zerreissung des Rückenmarkes beobachtet sind. Für
diese Lähmungen hat auch früher schon Bube eine spinale Aetiologie an¬
genommen. Ich selber habe 2 Mal neben Plexuslähmungen Symptome gesehen,
die auf eine Betheiligung des Rückenmarkes hindeuteten; einmal spastische
Erscheinungen in beiden Beinen bei einer totalen Plexuslähmung und Fractur
des linken Armes nach Entbindung, hier waren die spinalen Symptome vorüber¬
gehender Natur, während die Plexuslähmung ungeheilt blieb; im zweiten Falle
fand sich spastische Parese des rechten Beines und obere rechtsseitige Plexus¬
lähmung nach einem Falle aus der Höhe; hier heilte die Plexuslähmung, während
die spastische Parese des Beines bestehen blieb. Das sind nicht gerade sehr viele
Fälle, aber man kann sich doch sehr wohl vorstellen, dass die Rückenmarksläsion
sich auf die vordere graue Substanz beschränkt und neben den Zeichen der
zedby Google
— 1052
Plexuslähmung weitere Symptome nicht macht Jedenfalls, wenn man an¬
nähme, dass bei Plexuslähmungen eine solche Betheiligung des
Markes häufiger vorkäme, würde das bei den bekannten schlechten
Ueilung8aussichten der Rückenmarksverletzungen die schlechte
Prognose dieser Lähmungen ausreichend erklären. Eb würde sich dann
auch gut verstehen lassen, weshalb auch Lähmungen an den oberen Aesten
des Plexus brachialis, speoiell die Serratuslähmungen, in ihrer Prognose un¬
günstig sind und sich nach meinen Erfahrungen in dieser Beziehung den eigent¬
lichen Plexuslähmungen anschliessen. Denn es ist ja leicht erklärlich, dass
eine zerrende Wirkung, die den Nervus thoradcus longus trifft, sich leichter
auf das Rückenmark fortpflanzen kann als eine solche, die den Ulnaris, Radialis
oder Medianus lädirt. Ich selber bin sehr geneigt anzunehmen, dass
solche Läsionen der Nervenwurzeln am Rückenmarke oder des
Rückenmarkes selbst bei sogenannten Plexuslähmungen häufiger
Vorkommen, als man bisher annimmt; aber den Beweis für diese An¬
nahme müssen fernere Beobachtungen und vor allem die hier recht seltenen
Sectionen erst liefern. Ehe das geschehen, wird man auch diese Dinge nicht
ohne Weiteres als einen ausreichenden Grund für die schlechten Prognosen der
Plexuslähmungen gegenüber denNervenstammlähmungen der Arme ansehen können.
Damit wäre ich zum Ausgangspunkt zurückgekehrt Es giebt wohl eine
ganze Anzahl von Momenten, die für die schlechte Prognose der Plexuslähmungen
Berücksichtigung verdienen, aber zu voller Erklärung dieses Umstandes sind
sie alle nicht ausreichend. Man muss sich zunächst mit der Thatsache be¬
gnügen, dass die Plexuslähmungen in Bezug auf ihre Heilungsaussichten eine
Art Mittelstellung zwischen den sehr günstigen durch Läsion der
peripheren Nerven und den sehr uugünstigen durch Rückenmarks-
affection bedingten einnehmen; welche Gründe für diese Thatsache
ausschlaggebend sind, muss erst die Zukunft lehren.
Wegen der bei der vorliegenden Arbeit hauptsächlich benutzten Litteratur
verweise ich speciell auf Oppenheim’s Lehrbuch, 3. AufL, die Arbeit Kibn-
böck’s: „Ueber progressive Muskelatrophie und Trauma“ in der Monatsschrift
für Unfallheilkunde. 1901. Nr. 11 und das Sammelreferat von Stkanskt:
„Ueber Entbindungslähmungen der oberen Extremität beim Kinde“, Central¬
blatt für die Grenzgebiete. 1901.
[Aas der medicinischen Klinik za Bonn (Director: Geheimrath Schultz«).]
2. Pupillenträgheit bei Accommodation
und Convergenz oder myotonische Pupillenbewegung?
Von Dr. Julius Strasburger,
Privatdocent, Assistenzarzt der Klinik.
Im Anschluss an meine Veröffentlichung ans der Bonner Medidnischen
Klinik über „Pupillenträgheit bei Accommodation und Convergenz“ tbeilte
Google
1053
Herr Dr. A. Sängeb in Nr. 18 dieses Centralblattes einige analoge Fälle unter
der Bezeichnung „über myotonische Pupillenbewegung“ mit
So sehr es mich freuen muss, meine Beobachtungen von so competenter
Seite bestätigt zu sehen, so kann ich mir es doch nicht versagen, gegen die
Berechtigung der von Sängeb gewählten Bezeichnung einige Bedenken geltend
zu machen.
Der Leser, welcher die Bezeichnung „myotonische Pupillenbewegung“
findet, wird meines Erachtens an dreierlei verschiedene Möglichkeiten gemahnt
werden: 1. dass es sich um ein Symptom der Myotonia congenita handeln
kann, 2. dass das Leiden mit der THOMSKN’schen Krankheit im Grunde nichts
zu thun hat und dass nur die äussere Aehnlichkeit mit einem Symptom der
Myotonie bezeichnet werden soll, 3. dass die gleiche anatomische Grundlage zu
finden ist wie bei Thomsen’s Krankheit.
Sehen wir in Kürze zu, wie weit die beobachteten Thatsaohen diesen drei
Annahmen oder auch nur einer von ihnen gerecht werden.
1. Auch wir wurden durch den eigenartig trägen Ablauf der Pupillen¬
bewegung an das gut charakterisirte Bild der Myotonie erinneit und haben
deshalb genau nach anderen Zeichen dieser Krankheit geforscht Es war aber
auch nicht ein hierher gehöriges Symptom, einschliesslich der Erblichkeitsver¬
hältnisse, zu entdecken. Im Besonderen bemerken wir, dass die Zunge auf
Beklopfen keine Dellenbildung erkennen liess, ein Zeichen, das bei Myotonie
besonders gut ausgeprägt ist und unter Umständen auch bei Tetanie (wie Beob¬
achtungen der Bonner medicinischen Klinik bewiesen) gefunden wird. Ferner
sollen bei Myötonie die Augenmuskeln überhaupt nur ausnahmsweise befallen
sein, während es sich hier bloss um diese handelt. 2. Auch der Ablauf der
Pupillenbewegung, für sich allein betrachtet, stimmt nur theilweise mit den
Muskelphänomenen der THOMSEN’schen Krankheit überein. Gemeinsam ist
beiden offenbar der langsame Ablauf der Zusammenziehung und die von Sängeb
beschriebene Nachdauer der Contraotion. Dagegen ist das für Myotonie sehr
charakteristische und stets zu beobachtende Nachlassen bezw. Aufhören der
Steifigkeit nach mehrfachen Bewegungen der betreffenden Muskeln bei der von
uns beobachteten Pupillenreaction höchstens in sehr bescheidenem Maasse zu
verzeichnen. Ich habe häufig nacheinander, mit der Uhr in der Hand, die Dauer
der Accommodation8verengerung und Accommodationserweiterung beobachtet und
schliesslich in meinem Bericht bemerkt, dass danach der Ablauf der Reaction
etwas schneller zu erfolgen scheint Das ist aber auch alles. Von einem so
auffälligen Wechsel wie es bei Myotonie regelmässig zu finden ist (u. a. auch
in einem von uns beobachteten Fall), konnte gar nicht die Rede sein. 3. Be¬
züglich der anatomischen Grundlage ist Sängeb geneigt, den Sitz in der Iris
selbst zu suchen und dies hat ihn offenbar wesentlich mit veranlasst, den
Namen „myotonische Pupillenbewegung“ zu wählen. Herr Dr. Sänger fand
vermittelst des Hornhautmikroskopes bei lichtstarren Pupillen häufig Rare-
ficirungen des Irisgewebes, und das war auch bei seinem Fall von träger
Reaction zu beobachten. Nun muss man aber sagen, dass gerade bei Myotonie
Google
1054
die anatomischen Verhältnisse auf das Gegen theil, ein Hjpervolumen der Muskeln,
hin weisen and nur in späteren Stadien and an eimelnen Muskeln Schwand der
Substanz zu sehen ist Des Weiteren beweist Verdünnung eines Muskels auch
nicht, dass es sich am ein idiopathisches Muskelleiden handelt
Ich komme nach alledem za dem Schloss, dass der Name „myotonische
Pupillenbewegung“ im klinischen Sinne nur zum Theil berechtigt ist and das
er anatomisch zur Zeit noch nicht gestützt werden kann. Unter diesen Um¬
ständen erlaube ich mir den Vorschlag, bis auf Weiteres die Bezeichnung
„Papillenträgbeit bei Aocommodation and Convergenz“ za acceptiren, die, wenn
auch umständlich, nur den beobachteten Tbatsachen gerecht zu werden sucht,
ohne Weiteres präjadioiren za wollen.
[Aas dem städtischen Kranken hause in Wanchao-Praga. (Abtheilung för Nervenkranke
von Dr. J. Pinn.)]
3. Die paradoxe Pupillenreaction
und eigene Beobachtung von Verengerung der Pupillen
bei Beschattung der Augen.
Von Dr. J. Piltz.
(Schloss.)
Meine eigene Beobachtung betrifft einen Fall von wahrer Lichtreaction bezw.
Dunkeireaction der Papillen, welche darin besteht, dass die Beschattung
eines Auges jedes Mal eine sehr ausgiebige Papillenverengerung
zur Folge hat. Es kommt dabei nicht nor zur directen Pupillenverengemng
des beschatteten Auges, sondern aach zur ausgiebigen, schon von Weitem be¬
merkbaren consensnellen Pupillen Verengerung des anderen Auges.
39 jähriger A. W. leidet an Atrophie nervorum optioorum.
Anamnese: Der Vater des Patienten litt an Asthma, die Matter leidet u
chronischem Magencatarrh, die Schwester an einem Herzfehler. Mit 18 Jahren
acquirirte Patient die Syphilis: das Geschwür wurde seiner Zeit mit Höllenstein
ansgebrannt und mit Carbolsänre ansgewaschen. Eruptionen hat Patient später
nie gehabt. Vom 23. Lebensjahr, als Gehfilfe in einer Weinhandlang, trank
Patient ziemlich viel Wein. Von 1897 bis 1899 als Bäcker hat Patient täglich
bis 8 Gläschen Schnaps getrunken. Im Herbst 1899 begann seine gegenwärtige
Krankheit mit einer Abnahme der Sehkraft auf dem linken Ange; zuweilen des
Morgens erschien ihm alles wie mit einem Schleier bedeckt. 6 Wochen später
zeigte sich dasselbe am rechten Ange. Gleichzeitig mit der Augenerkranknng
litt Patient damals während etwa 4 Wochen an heftigen, plötzlich einsetsenden,
zusammenziehenden oder bohrenden Schmerzen in den Waden und in den Fingern
der Hände. Im Mai 1900 wurde Patient in das Warschauer Kindlein-J«“-
Krankenhaus aufgenommen. Patient erinnert sich, unmittelbar vor seinem Eintritt
ins Spital zwei heftige Anfälle von Kopfschwindel mit starkem Ohrensausen gehabt
zu haben. Im Spital bekam Patient während 10 Monaten Jodkali dargereicht
und machte eine Schmierkur (80 Einreibungen k 4 g) durch. Am 19. Mai 1901
kam er auf meine Abtheilung.
zedby G00gle
1055
Status praesens: Patient ist gut gebaut und wohlgenährt. Von Seiten
der inneren Organe bietet er nichts Besonderes dar. Er klagt über zeitweise
aufbretende Schmerzen im Hinterhaupt und im linken Knie. Letzten Herbst klagte
Patient während einer Woche lang über Schmerzen in der Tiefe der Augenhöhlen.
Irgend welche Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen fehlen. Das Stehen auf einem
Fasse ist etwas unsicher. Sehnen-, Periost- und Bicepsrefiexe der Arme sind
normal, Tricepsreflexe sind beiderseits leicht gesteigert, Bauch- und Cremaster¬
reflexe sind normal. Achillessehnenreflexe sind ebenfalls normal, die Patellar-
sehnenreflexe sind eher leicht gesteigert, der Babinski ’sche Reflex fehlt Die
ophthalmoskopische Untersuchung des Augenhintergrundes und der Sehschärfe
wurde gütigst ausgeführt von Hrn. Dr. Bein, Augenarzt am Ambulatorium unseres
Krankenhauses. Im Centrum der rechten Hornhaut fand sich eine grauweisse
runde Trübung von 2 mm Durchmesser; die Opticuspapille ist rund, scharf ab¬
gegrenzt, von kreideweisser Farbe mit leicht grauem Schimmer; die Arterien
sind verengt Im Centrum der linken Cornea befindet sich eine leichte runde
Trübung von 1 mm Durchmesser. Der linke Augenhintergrund zeigt dieselben
Verhältnisse wie der rechte. Patient ist blind, Visus oculi dextri = 1/00, Visus
oc. sin.: Wahrnehmung der Handbewegungen in einer Entfernung von 1 / 1 m ist
erhalten.
Folgende interessante Beobachtung hat Patient an sich selbst gemacht: Bei
bewölktem Himmel sehe er besser als bei hellem Sonnenschein. Beim Mondschein
z. B. orientire er sich beim Spazierengehen im Hof auf dem Fusspfade viel besser
als am Tage beim grellen Sonnenschein (Nyctalopie). Darauf werde ioh übrigens
noch einmal zurückkommen.
Die AugenBpalten sind weit geöffnet, so dass man den Eindruck hat, als ob
ein geringer Grad von Exophthalmus bestände. Es ist auch ein leichter Grad
von Strabismus divergens vorhanden und eine Insufficienz der Interni, indem das
Convergiren, z. B. beim Versuch die Augäpfel auf die Nasenspitze zu richten,
unmöglich ist. Es bestehen keine Augenmuskellähmungen, die Augen sind in
allen Richtungen frei beweglich.
Bei blosser Betrachtung bemerkt man ein leichtes Oscilliren der Pupillen,
welches jedoch den Rahmen des Physiologischen nicht überschreitet, so dass man
diese Oscillationen nicht als Erscheinungen des Hippus bezeichnen kann. Beide
Pupillen sind erweitert (Mydriasis). Bei mässiger Beleuchtung des Versuchs¬
zimmers ist die linke Pupille weiter als die rechte (Anisokorie).
Patient hält in der Hand, in einer Entfernung von 20 cm vom Gesicht, einen
Bleistift Er wird nun aufgefordert, ein Mal auf den Bleistift, das andere Mal
auf die Wand seine Augen zu richten. Im ersten Falle tritt eine sehr geringe
Verengerung (etwa um 1 mm), im anderen eine geringe Erweiterung der Pupillen
(etwa um 1 mm) ein, dabei reagirt die linke Pupille besser als die rechte. Somit
ist die Convergenz- und Accommodationsreaction nicht gänzlich er¬
loschen, aber nur spurweise angedeutet.
Beim Kneipen oder Stechen der Wange oder der Haut am Halse mit einer
Nadel tritt jedes Mal eine deutlich sichtbare Erhebung der Oberlider ein, welche
von einer nachträglichen geringen, aber zweifellosen Pupillenerweiterung begleitet
wird (Claude Bernard), d. h. die „sympathische Pupillenreaction“ ist
in unserem Falle vorhanden. Dagegen beim Annähern bis auf 3 cm vom Auge
eines rothgeglühten Stück Eisens wurde keine Pupillenveränderung wahrgenommen.
Auch bei plötzlichem Entfernen des eine Zeit lang in der Nähe des Gesichts ge¬
haltenen heissen Eisens konnte keine Pupillenveränderung, eventuell eine Ver¬
engerung, weder links noch rechts, constatirt werden, trotzdem das Eisen so heiss
war, dass das Auge des Patienten während des Experiments roth wurde und ganz
mit Thränen überfloss.
zedby G00gle
1056
Nach energischem Schließen beider Augen erscheinen die vor dem Augen-
schlnss weit gewesenen Pupillen im Moment des Wiederöffnens verengert und
kehren erst allmäh lich zur früheren Weite wieder zurück.
Beim Auseinanderhalten der Augenlider des rechten Auges mit den Fingen
sieht man bei intendirtem Augenschluss Folgendes: der rechte Bulbus weicht eis
wenig nach unten und seitwärts ab und dabei verengert sich seine Papille ein
wenig; bei der Aufforderung, die Augen ganz kräftig zu schlieesen, weicht
schliesslich der rechte Bulbus nach oben und seitwärts ab, wobei sich die Papille
sehr deutlich verengert. 1 Beim Nachlassen des Augenschliessens kehrt der Bulbu*
in die Geradstellung wieder zurück; dabei bleibt die Papille etwa 1—3 Secund®
verengert, um sich dann wieder ziemlich rasch zu erweitern. Am linken Aagc
wird dasselbe constatirt Nur in diesem Moment, wo die linke Papille oster
dem Oberlid hervortritt, wird eine nochmalige minimale Verengerung constatirt
(in Folge des hineinfallenden Lichtes), welche erst dann in eine Erweiterung
übergeht.
Bei der blossen Vorstellung einer grossen elektrischen Strassenlampe (welche
dem Patienten noch von früher her gut in Erinnerung geblieben ist) tritt fwt
regelmässig eine sehr schwer wahrnehmbare minimale, aber zweifellose Verengerung
der Pupillen ein. Bei der blossen Vorstellung eines schwarzen Papiere, schwaner
Oelfarbe oder der Dunkelheit im Walde Nachts, erweitern sich die Papillen ein
klein wenig (Vorstellungsreflex der Pupillen*). Abgesehen von diesen
zwei Arten der Gedankenvorstellungen, bei welchen Schwankungen in der Papillen-
weite constatirt wurden, ist Patient nicht im Stande willkürlich seine Papillen
zu verengern oder zu erweitern.
Die Untersuchung des Lichtreflexes geschah jedes Mal bei folgender Versuchs-
anordnung: Patient sass ganz ruhig, seine Augenlider wie auch die Bulbi selbst
waren während der Untersuchung vollkommen unbeweglich. Die Lichtquelle stand
etwas nach vorn und zur Seite vom Patienten. Zwischen dem Gesichte des
Patienten und der Lichtquelle wurde eine mit Eiswasser gefüllte 5 Liter-Flasche
placirt, welche die Wärmestrahlen der Lichtquelle zurückhielt. Das Auge wurde
mit Hülfe einer gewöhnlichen Lupe beleuchtet, die sich in einer Entfernung von
10 cm vom Auge befand. Und nun durch das Hin- und Herbewegen eines kleb®
schwarzen Schirmes, welcher unmittelbar hinter der Lupe (d. h. zwischen Lupe
und Flasche) sich befand, wurde nur das zu untersuchende Auge entweder be¬
leuchtet oder beschattet; die Beleuchtungsbedingungen des anderen Auges blieb®
dabei jedes Mal unverändert. Bei solcher genauen Prüfung des Lichtreflexes zeigte
sich nun Folgendes:
1. directe Lichtreaction; a) links: bei plötzlicher Beleuchtung des link®
Auges (Wegnahme des Schirmes!) keine Reaction der linken Pupille. Bel plöt»-
lioher Beschattung des linken Auges tritt jedes Mal eine minimale und
rasch vorübergehende, aber zweifellose Verengerung der linken Pupfll»
ein; b) rechts: bei plötzlicher Beleuchtung des rechten Auges eine deutlich#
geringe und rasch vorübergehende Verengerung der rechten Pupille. Bei plötz¬
licher Beschattung des reohten Auges — deutliche, sehr ausgiebige Ver¬
engerung der reohten Pupille (ohne vorhergehende Erweiterung!).
2 . Consensuelle Lichtreaction; a) links: bei plötzlicher Beleuchtung
des rechten Auges keine Reaction der linken Pupille; dagegen bei plötxlich«
Beschattung des reohten Auges deutliche Verengerung der linken Pupille;
1 Das von Grabfr, Gifford, A. Wrstphal, mir and von Antal, Kirchner, W. C. Bon.
Franks, Schanz and Charles Vidal beschriebene Papillenphänomen.
* J. Piltz, Neurolog. Centralbl. 1899. Nr. 16 (and Nr. 1 u. 11).
Google
1057
b) rechts: bei plötzlicher Beleuchtung des linken Auges eine geringe, rasch
vorübergehende Verengerung der rechten Pupille. Bei plötslioher Beschattung
des linken Auges tritt jedes Mal eine sehr deutliche, sehr ausgiebige,
rasoh eintretende, sohon von Weitem sichtbare Verengerung der rechten
Pupille ein (von 8 mm bis auf 3 mm Durchmesser!).
Neu, auffallend und unbegreiflich ist also dies, dass eine (die linke) Pupille,
die jedes Mal bei Lichteinfall sich sehr schwach contrahirt, hei der Beschattung
auch eine sehr starke Verengerung zeigt.
Ausserdem möchte ich ganz besonders noch auf eine sehr auffallende Er¬
scheinung bei meinem Patienten aufmerksam machen.
Wenn sein linkes Auge in oben angeführter Weise beleuchtet ist und man
dasselbe auf einmal plötzlich in einer für den Patienten unbekannten Weise rasch
beschattet, giebt Patient an, dass er dabei jedes Mal eine Empfindung von
plötzlich erscheinender Helligkeit habe, er nimmt dabei einen Glanz wahr. Wenn
man dagegen das beschattete linke Auge auf einmal plötzlich dem Lichte aus¬
setzt, empfindet der Patient keinen merklichen Unterschied. Der Patient ist so
intelligent, dass diese Angaben durchaus keinem Zweifel unterliegen. Um Irrthum
womöglich auszuschliesBen, habe ich dem Patienten z. B. angegeben, dass wir den
Zustand des Beschattetseins des Auges mit 1 und den Zustand bei Beleuchtung
des Auges mit 2 bezeichnen wollen und habe dann in einer für den Patienten
unbekannten Weise das Auge entweder beleuchtet oder beschattet und umgekehrt.
Dabei stimmten aber die Angaben jedes Mal überein: jedes Mal erregte die Be¬
schattung des Auges bei unserem Patienten eine Empfindung der Helligkeit oder
eines „Glanzes“, dagegen den Uebergang von Beschattung zur Beleuchtung hat
Patient nie wahrgenommen.
Alle diese oben angeführten Erscheinungen von Seiten der Pupillen bei
unserem Patienten habe ich unzählige Male wiederholt und immer mit gleichem
Erfolg.
Ausserdem hat Herr Dr. Kramstyk, Specialarzt für Augenkranbheiten, die
Güte gehabt alle diese von mir angegebenen Beobachtungen nachzuprüfen und
hat sie in allen Details vollkommen bestätigt
Bei der Prüfung des Lichtreflexes wurde selbstverständlich darauf geachtet,
ob nicht bei der Beschattung des Auges irgendwelche Bulbusbewegungen, z. B.
Convergenzbewegungen, erfolgten, welche die dabei eintretende Verengerung der
Pupillen erklären würden. Die Bulbi blieben dabei aber ganz unbeweglich.
Da der Versuch mit dem Annähern eines zur Glühhitze erhitztem Stück
Eisens negativ ausfiel und die plötzliche Entfernung desselben keine Pupillen¬
veränderungen nach sich zog, und da durch die Einführung der Flasche mit
dem Eiswasser die Wirkung der Wärmestrahlen bei der Prüfung des Lichtreflexes
vollkommen ausgeschlossen wurde, bleibt nur die einzige Möglichkeit übrig, dass
die bei der Beschattung eintretende Verengerung der Pupille von der plötzlichen
Abnahme der Stärke des Lichtreizes auf die Retina bezw. auf den N. opticus
abhängig sei. Dementsprechend ist auch die Grösse der Verengerung bei der
Beschattung des Auges abhängig von der Stärke der Beliohtung der Augen.
Bei gewöhnlicher Tagesbeleuchtung ist die Verengerung bei Beschattung des
Auges sehr gering, dagegen ist sie sehr ausgiebig und sehr deutlich, wenn die
Augen, z. B. im Dunkelzimmer, von einem intensiven künstlichen Liohte be-
67
1058
leuchtet werden. Je stärker das Auge beleuchtet ist, desto ausgiebiger ist dann
die Verengerung der Pupille bei plötzlicher Beseitigung dieser Belichtung.
Daraus ergiebt sich also weiter, dass die betreffende Verengerung der
Pupille im Wesentlichen eigentlich nicht von der Beschattung, sondern von der
Belichtung, welcher die Augen vor der Beschattung ausgesetzt sind, abhängt
Wenn bei gewöhnlicher Tagesbeleuchtung das linke Auge zugedeckt wird, sehen
wir nur eine sehr geringe Verengerung der rechten Pupille; wenn aber die
Augen im Dunkelzimmer von einer starken Lampe beleuchtet werden, und wir
jetzt das linke Auge beschatten, dann tritt eine sehr deutliche Verengerung
auch der rechten Pupille ein. Also die Entfernung eines sehr starken Licht¬
reizes hat eine Verengerung der Pupille zur Folge!
Wie könnten wir uns diese scheinbar paradoxe Erscheinung erklären? In
der Natur giebt es ja, wie wir wissen, überhaupt nichts Paradoxes. Wie die
kritische Besprechung der bisher beschriebenen Fälle von sogenannter paradoxer
Lichtreaction der Pupillen gezeigt hat, wurden ganz andere, von den Forschern
unbeachtete, und gar nicht paradoxe Erscheinungen unrichtigerweise für um¬
gekehrte Lichtreaction gehalten.
Vielleicht ist auch in unserem Fall die bei der Beschattung eintretende
Pupillenverengerung ganz einfach von einem Moment abhängig, welches wir
noch nicht kennen und das wir übersehen haben, welches aber zu gleicher Zeit
während der Beschattung des Auges (bezw. während der Unterbrechung des
intensiven Lichtreizes) zur Geltung kommt
Wenn dies nicht der Fall sein sollte, werden wir vielleicht annehmen
müssen, dass geradeso wie bei der Entartung der Nerven und der Muskeln die
elektrische Beizung eventuell ein umgekehrtes Resultat liefert, auch in unserm
Fall der Zustand der Atrophie der Sehnerven ein derartiger ist, dass ein plötz¬
licher Lichtreiz eine ganz geringe Pupillenverengerung zur Folge hat, dagegen
dass die plötzliche Beseitigung eines starken Lichtreizes eine ausgiebige und
rasche Pupillenverengerung nach sich zieht
Darüber, welche Erscheinungen fälschlicherweise für paradoxe Lichtreaction
gehalten werden können, kann ich auf Grund der Uebersicht der diesbezüglichen
Litteratur sowie auf Grund eigener Erfahrung Folgendes sagen:
Bei starker Photophobie kann unter dem Einfluss eines intensiven Licht¬
einfalles eine Störung der Acoommodation beobachtet werden, die von einer mit
ihr associirten Pupillenerweiterung begleitet wird (Läpine); oder es kommt dabei
zu einer sehr rasch eintretenden Abnahme der Empfänglichkeit der Retina, die
von einer Dilatation begleitet wird; so erklärt Dr. Kbamstyk die von L&pinb
in seinem Fall beobachtete Pupillenerweiterung.
Die Convergenz-, Divergenz- und Acoommodationsreaction der Pupillen kann,
wie F benkel und Hjbschl gezeigt haben, eine paradoxe Lichtreaction Vortäuschen.
Es giebt nämlich Fälle von Insufficienz der Intemi, in welchen es bei An¬
näherung einer Lichtquelle zuweilen zur Erlahmung eines Adductors kommt,
wodurch eine Abduction des Bulbus eintritt, welche schliesslich von einer
Divergenzerweiterung der Pupille begleitet wird.
Google
1059
Die Erscheinungen des Hippns können ausnahmsweise die paradoxe Licht-
reaction der Papillen vortäusoben.
In einigen Beobachtangen von sogenannter paradoxer Lichtreaotion der
Papillen hat es sich um eine Pupillenerweiterung gehandelt, die durch die
Wirkung der Wärme der Lichtquelle bedingt war, wie das von Hibsohl gezeigt
wurde. Auch Monney hat diese Möglichkeit schon früher angenommen. Jetzt
wissen wir, dass, wenn bei lichtstarren Papillen die Annäherung einer Licht¬
quelle eine Pupillenerweiterung hervorruft, diese Dilatation nioht unbedingt eine
paradoxe Lichtreaotion zu sein braucht. Wenn das nicht eine Divergenz¬
erweiterung der Pupille ist, kann sie einfach die sogenannte „sympathische
Reaction“ bezw. die Wärmereaction der Papillen darstellen, welche so zu Stande
kommt, dass die Wärmestrahlen der Lichtquelle auf die Trigeminusendigungen,
welche die Gesichtshaut, Conjunctiva, Cornea versorgen, ein wirken, und durch
diese Reizung des Trigeminus eine Dilatation hervorgebracht wird.
Jedoch die häufigste Fehlerquelle liegt in der Unkenntniss der Orbicnlaris-
reaction der Pupillen. Die nach dem Wiederöffnen der Augenlider bemerkte
Erweiterung der (in Folge des Augenschliessens verengten) Pupillen, wurde sehr
häufig, wie wir das gesehen haben, für eine Dilatation, die unter dem Einfluss
des einfallenden Lichtes eintritt, gehalten.
Eine ganz besondere Stellung in unserer Classification der Fälle von para¬
doxer Pupillenreaction nimmt der v. BEOHTEEEw’sche Fall ein. Die in diesem Fall
beobachtete Dilatation war ein seoundäres Resultat der Einwirkung des Lichtes.
Es bestand dort eine sehr grosse Ermüdbarkeit des Spinkterencentrums. Bei
schwacher Beleuchtung bemerkte man eine geringe Papillenverengerung, welche
bei stärkerem Lichtreiz in eine nachträgliche Pupillenerweiterung überging.
Dieser Dilatation ging also eine sehr kurze, oft kaum wahrnehmbare Verengerung
der Pupillen voraus.
In dem Fall von Silex handelte es sich um eine unter dem Einfluss der
Beleuchtung eintretende Pupillenerweiterung, ohne vorhergehende Verengerung.
Und schliesslich kommt der heute beschriebene Fall hinzu, in welchem es,
bei plötzlicher Abnahme der Stärke des Liohtreizes, jedes Mal zu einer sehr
ausgiebigen Verengerung der Papille kam, ohne vorhergehende Erweiterung.
Wir können also die Ergebnisse unserer Untersuchungen jetzt in folgender
Weise kurz zusammenfassen:
I. Es giebt verschiedene Formen von paradoxer Reaction der
Pupillen, nämlich:
1. Die paradoxe Accommodationsreaction der Papillen. Da¬
runter verstehen wir einen solchen Zustand der Pupillen, wo eine
Verengerung der Pupillen eintritt beim Fernsehen und eine Er¬
weiterung derselben beim Fixiren eines nahen Gegenstandes, wobei
die Beleuohtungsbedingungen unverändert bleiben. Diese Erschei¬
nung ist vonVysiN beobachtet und unter dem Namen der perversen
Pupillenreaction beschrieben worden.
67*
Digitizedby G()OgIe
*060
2. Die scheinbar paradoxe Lichtreaction der Papillen. Diese
Erscheinung besteht darin, dass in Folge einer Läsion der Iris die
unter dem Einfluss der Belichtung entstehende Contraction des
Spbincter iridis eine Erweiterung der Pupille bezw. des Colobomas
nach sich zog und so eine paradoxe Lichterweiterung der Papille
vortäuschte, wie das Bubohabd gezeigt hat
3. Die wahre paradoxe Lichtreaetion der Pupillen. Darunter
▼erstehen wir eine Erweiterung der Pupille unter dem Einfluss des
Lichtes und eine Verengerung der Pupille unter dem Einfluss der
Beschattung. Wir wollen hier drei verschiedene Unterabtheilungen
auseinanderhalten: 1. die Erweiterung der Pupille unter dem Ein¬
fluss der Belichtung, ohne vorhergehende Verengerung (Mobsklli,
Lkitz, Silbx), 2. die Erweiterung der Pupille unter dem Einfluss
des Lichtes, mit unmittelbar vorhergehender Verengerung (v. Bech-
tebkw) und 3. die Verengerung der Pupille bei Beschattung der
Augen, ohne vorhergehende Erweiterung (Piltz).
H Die paradoxe Accommodationsreaction der Pupillen ist vor¬
läufig nur bei functionellen Krankheiten des Centralnervensystems
beobachtet worden.
IIL Die scheinbar paradoxe Lichtreaction der Pupillen ist nur
in einem Fall von Irideotomie beobachtet worden.
IV. Die wahre paradoxe Lichtreaction der Pupillen ist eine sehr
seltene Erscheinung. Dieselbe kann eventuell vorgetäuscht werden:
1. durch die Convergenz-, Divergenz- und Accommodationsreaction
der Pupillen, 2. durch Hippus der Pupillen, 3. durch die Wärme-
reaction bezw. durch die „sympathische“ Reaction der Pupillen und
schliesslich 4. durch die Orbicularisreaction der Pupillen.
V. Nach Ausschluss aller heute bekannter Fehlerquellen bleiben
uns nur fünf einwandsfreie Beobachtungen der paradoxen Licht¬
reaction der Pupillen übrig, nämlich: der Fall von Mobselli bei
Dementia paralytica, der Fall von v. Bechtebew bei Lues cerebri,
der Fall von Leitz bei Meningitis tuberculosa, der Fall von Silex
bei einem starken Erschöpfungs- und Aufregungszustande trauma¬
tischen Ursprungs und mein Fall bei Atrophia nervorum opticorum
luetica.
VL Die wahre paradoxe Lichtreaction der Pupillen ist ein
äusserst seltenes Symptom, welches bis jetzt fast ausnahmsweise
bei schweren organischen Leiden des Nervensystems beobachtet
wurde.
> y Google
1061
n. Referate.
Anatomie.
1) Nervenfärbungen (Neurokeratin, Markscheide, Axenoy linder). Ein
Beitrag zur Kenntniss des Nervensystems, von Dr. L. Kaplanf. (Archiv
f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXV. 1902.)
Färbt man mit Müller’scher Flüssigkeit behandelte Präparate mit Säure-
fnchsin und differenzirt nach Pal, so kann man das Neurokeratingerüst
darstellen. Geschieht die Färbung an gleichbehandelten Präparaten mit Anthracen-
eisengallustinte, so gelingt es an markhaltigen Nervenfasern sowohl die peri-
fibrilläre Axencylinderkittsubstanz wie an den Einkerbungen und
Schnürungen die Zwischentrichterkittsubstanz sichtbar zu machen.
Eine Reihe interessanter, physiologischer Erwägungen, die Verf. an seine
Präparate anschliesst, verdienen im Original naohgelesen zu werden.
G. Ilberg (Grosssohweidnite).
2) Ueber die Anwendung des aallein zur Färbung des Oentralnerven-
systems, von Aronson. (Centralbl. £, allgem. PathoL u. pathoL Anatomie.
1902. Nr. 13.)
Verf. macht darauf aufmerksam, dass die von v. Schrötter (Ebenda. 1902.
Nr. 8 u. 9) publicirte Färbungsmethode schon 1890 im Centralblatte für medi-
cinische Wissenschaften vom Verf. angegeben wurde.
Die Schnitte erwiesen sich noch jetzt tadellos gefärbt. Verf. erinnert nebenbei
daran, dass er damals in der Pia mater Nervenendkörperchen (ähnlich den
Meissner’sohen) gefunden und beschrieben hat, ferner, dass durch die Galleln-
vorbehandlung sich das basische Methylenblau auf Elemente fixirt, die es für sich
allein niemals distinct färbt (also Anwendung eines sauren Farbstoffee als Vor¬
bereitung für eine spätere Färbung mit einem basischen Körper).
Pilcz (Wien).
3) Sur le röseau endooellulaire de Golgi d&ns les ölömenU nerveux de
röooroe oeröbrale, par S. Soukhanoff. (N6vraxe. IV.)
Aus seinen ausgedehnten Versuchen, das Golgi’sche intracelluläre Netzwerk
auf die vorteilhafteste Weise darzustellen, theilt Verf. vorläufig folgenden Vor¬
gang mit: Kleine Stückchen der Hirnrinde von 3—10 Woohen alten Kaninchen
(welche durch Chloroform getödtet werden) kommen für 6—7 Tage in Veratti’sohe
Flüssigkeit, sodann für 12—14 Stunden in eine Mischung von Kupfersalz und
Kalibichromat, hierauf für 1 / 1 —2 Tage in eine l°/ 0 Lösung von Argentum
nitricum. (Weitere Details der Technik sind im Original naohzusehen.) — Bei
gatgelungenen Präparaten sind die Conturen der Zelle intaot, der perioelluläre
Kaum nioht sichtbar, der Zellkörper gelblioh homogen. Im Inneren des Zell¬
körpers ist das Golgi’sche intracelluläre Netz klar sichtbar; der vom Netzwerk
erfüllte Theil des Zellkörpers ist von einem helleren protoplasmatischen Streifen
umgeben, was für die endocelluläre Natur des Netzwerkes spricht. Das Netz
erreicht nie den Rand des Zellkörpers, und erfüllt auch nie den Raum des Zell¬
kernes; dieses Netzwerk ist in Spinalganglienzellen dichter als in den Cortioal-
xellen. Die Form des Netzwerkes entspricht meist der Form der Nervenzelle; in
den Nervenzellen der Hirnrinde ist das Netzwerk so einfaoh, dass es kaum Netz
Google
1062
genannt werden kann; einzelne, mitunter auch 2—3 parallel verlaufende Aus¬
läufer dee Netzwerkes gehen in Protoplaamaforte&tze über. Das Netzwerk besteht
aus verschiedenen dünnen Fäden, deren Ränder mitunter scharf, mitunter ungleich¬
mäßig, stellenweise verdickt erscheinen. In einzelnen Nervenzellen ist das Netz¬
werk cur theilweise imprägnirt, auch zeigen hier die Nervenzellen eines Präparates
verschiedene Grade, einzelne zeigen nur das imprägnirte Netzwerk, andere sind
ganz schwarz; die letzteren erscheinen bedeutend grösser als die Ausdehnung eines
benachbarten Netzes, worin Verf, einen neuen Beweis für die endocelluläre Natur
des Netzwerkes sieht. — Ueber die Natur und das Wesen dieses Netzwerkes
bildet sich Verf. noch keine definitive Meinung, glaubt jedoch, dass dasselbe mit
den intracellulären Canälchen identisch sein könnte.
Hudovernig (Budapest).
Experimentelle Physiologie.
4) Ueber die Wirkung gleichseitig auf den Geist einwirkender homogener
und heterogener Heise, mit Rücksicht auf die Entstehung der Illusionen,
von P. Ranschburg. (ürvosi Hetilap. 1902. Nr. 37 u. 88. [Ungarisch.])
Mehrere gleichzeitig oder in rascher Folge auf unsere Sinne ein wirkende
Reize beeinträchtigen die Apperception derselben; derartige Apperceptionsirrth firner
entstehen entweder durch Vermengung der einwirkenden Elemente oder durch
Verfälschung mit bereits vorhandenen Erinnerungsbildern. Um die Gesetzmässig¬
keit dieser Fehlerillusionen nachzuweisen, bediente sich Verf. seines (in der Monats¬
schrift f. Psych. u. Neurol. X geschilderten) Apparates zur Untersuchung des
Gedächtnisses; als Reize waren optische gewählt, und zwar sechsstellige Zahlen,
deren jede Vs Secunde dem Auge exponirt war; 1—istellige Zahlen werden
leicht und simultan aufgefasst, doch sechsstellige stets durch einen zusammen¬
gesetzten, successiven Process. Bei sechsstelligen Zahlen beziehen sich die Apper-
ceptionsfehler in über 90°/ o der Fälle auf die 4. und 6. Ziffer, und geschehen
a) entweder auf Grund der Aehnlichkeit, z. B. 8 mit 6 oder 3 verwechselt oder
b) tritt eine benachbarte Zahl an die Stelle der mangelhaft aufgefassten („Irra¬
diation“) oder c) durch Verwechslung der Reihenfolge. Im Laufe seiner Unter¬
suchungen fand Verf., dass aus verschiedenen (heterogenen) Ziffern bestehende
Zahlen leichter appercipirt werden als solche, welche aus ähnlichen (homogenen)
Elementen bestehen. Verf. folgert hieraus: gleichzeitig zur Apperception strebende
homogene Reize wirken gegenseitig hemmend, während heterogene Reize die
Apperoeption erleichtern.
Zur weiteren Untersuchung construirte Verf „immune“, d. h. aus heterogenen
Elementen bestehende Zifferntafeln, und „belastete“, d. h. solche, welche ans homo¬
genen Elementen bestehen. Die Versuche wurden an denselben Individuen as-
gestellt; als Fehler traten anf a) Transformationen, d. i. Verwechslung ähnlicher
Elemente, b) Permutationen, d. i. Verwechslung der Reihenfolge, c) Auslassungen;
als eigentliche Fehler kommen nur die snb a) und c) genannten in Betracht, nnd
bildeten bei den immunen Tafeln 9,2 °/ 0 , bei den belasteten 61,4°/ 0 . (Näher«
vide Original bezw. demnächst in Zeitschr. f. Physiol. der Sinnesorgane.)
Hudovernig (Budapest).
6) Farbiges Hören, von Dooent Dr. Chalupecky. (Öasop. öea. 14k. S. 465.)
Ein junges intelligentes Mädchen hat eine „farbige“ Vorstellung für jeden Laut,
für jeden Ton der Scala, für einzelne Wochentage, Ziffern, Glockentöne u. ihnL
Nach einer literarischen Uebersicht spricht sioh Verf. für die Annahme aus,
Google
— 1063
es handle sich hier am eine angeborene Hyperästhesie der Grosshirnrinde und
das Syndrom sei za den Störungen der Assooiation za z&hlen.
Peln&i* (Prag).
6) Azione dei lobt prefrontall sugli soambi organioi. Analogie ool rl-
oambio nella pazzia morale, pel Dr. 0. Modica e Dr. E. Audenino
(Archiyio di psichiatria. XXIL 1901.)
Vorläufige Mittheilung über die Ergebnisse der Stoffwechseluntersuch ungen
bei 7 jungen ausgewachsenen Kaninchen und Hunden, welchen unter Schonung
der Seitenventrikel und der Riechlappen die graue Substanz des Frontallappen
abgetragen worden war. Die Analysen wurden nach vollständiger Heilung auf¬
genommen, in mehrtägigen Perioden 1 — 2 Monate lang durchgeführt und er¬
streckten sich auf die Zufuhr, den Urin und die Faeces. Resultate: 1. Verminde¬
rung der Stickstoffausscheidung durch den Urin, 2. Verminderung aller Phosphate,
3. Verminderung (bis zum vollständigen Verschwinden zuweilen in der letzten
Zeit) der Erdphosphate. — Die Ergebnisse ad 3 und theilweise ad 2 hatten die
Verff. auoh im 24 Stunden-Urin von 10 (unter 11) erwachsenen moralisch
Irren zu verzeichnen. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
7) Ueber das Verhalten der Blutgefässe Im Gebiet durchschnittener vaso¬
motorischer Nerven, von Prof. Dr. L. Jores. (Beiträge zur pathol. Anat.
u. zur allg. Patholog. XXXU. 1902.)
Die Arbeit des Verf.’s liefert einen werthvollen experimentellen Beitrag zur
Beantwortung der Frage, ob Gefassveränderungen als Folge von Nervenläsionen,
speciell nach Durchschneidung der zugehörigen vasomotorischen Nerven auftreten
können. Er ging in der Weise zu Werke, dass er den Halssympathicus auf
einer Seite an 8 Kaninchen durchtrennte. Die Operationswunde heilte reactionslos,
die Thiere zeigten nie eine Störung ihres Wohlbefindens. Gleich nach der Ope¬
ration machte sich eine Gefasserweiterung an der Ohrmuschel der operirten Seite
bemerkbar, kenntlich an der Röthung des Ohres und an erhöhter Temperatur
desselben. Diese Erscheinung liess bei der Mehrzahl der Thiere nach einigen
Tagen nach; bei einem Kaninchen aber blieb die diffuse Röthung, ein starkes
Hervortreten der Gefässe und Temperaturerhöhung 4*/ a Monate bestehen. Bei
allen Thieren aber konnte während ihres Lebens eine leichte vasomotorische Er¬
regbarkeit nachgewiesen werden; insofern als die ursprüngliche Hyperämie durch
Reiben des Ohres leicht wieder hervorgerufen wurde. Die mikroskopische Unter¬
suchung der Ohrgefässe dieser Thiere ergab den constanten Befund, dass die
Intima sich durchaus normal verhielt; nirgends waren auch nur Spuren
eines endarteriitischen Processes nachweisbar. Die Befunde des Autors stehen
hierin im Widerspruch mit den Angaben von Thoma, Lapinsky u. A. Da¬
gegen konnte durch genaue Messung festgestellt werden eine Erweiterung der
Gefässlumina und eine hypertrophische Verdickung der Muscularis. (Ref. möchte
bemerken, dass eine einfache Durchschneidung des Halssympathicus zur Erzeugung
der fraglichen Intimawucherung vielleicht nicht genügt, weil die durchtrennten
Nervenfasern einer raschen Regeneration fähig sind. Möglicherweise würde die
Resection einer längeren Nervenstrecke zu anderen Resultaten geführt haben.)
Max Bielschowsky (Berlin).
8) Observations, ohiefly by the degeneration method, on possible efferent
flbres in the dorsal nerve-roots of the toad and frog, by H. H. Dale.
(Journal of Physiology. XXVII. S. 350.)
Steinach glaubte bekanntlich, eine Abweichung von dem Bel Eschen Gesetz
Google
1064
in der Beobachtung gefunden zu haben, dass man bei Beizung des peripheren
Stumpfes der durchschnittenen hinteren Wurzeln Bewegungen einiger Organe
(Blase, Rectum ext.) hervorrufen kann. Verf. stellte sich die Aufgabe, diese An¬
gabe dadurch zu controlliren, dass er die peripherischen Enden durchschnittener
hinterer Wurzeln auf W all er'sehe Degenerationserscheinungen untersuchte. —
Da nun solche in keinem einzigen Falle mit Sicherheit nachweisbar waren und
auch entsprechende Reizungsversuche (nach Steinach) negative Ergebnis»«
zeitigten, so spricht sich Verf. gegen die von Steinach behauptete Abweichung
vom Bell-Magendie’schen Gesetze aus. W. Connstein (Berlin).
Pathologische Anatomie.
0) I. La struoture et le fonotionnement da Systeme nerveux d’un anenoö-
ph&le. — II. De la oonstitutlon de la rötine en l’absenoe congenitale da
oerveaa. (Comptes rend. de l’Acadöm. des Sciences. 1901. 8. u. 29. Juli.)
— ID. Considörations pathologiques 4 propoe d’un oas de monatre anen-
oöphale, par Vaschide et Vurpas. (Arch. de möd. expör. 1902. Mai.)
Die drei Arbeiten behandeln denselben Fall, einen Anencephalus, der eine
längere Lebensdauer erreichte. Die genaue mikroskopische Untersuchung führte
zu dem Nachweise, dass es sich dabei nicht um eine Hemmungsmissbildung,
sondern um die Reste einer lebhaften Entzündung handelte, in Folge einer In-
fection, deren Entstehung und genauere Natur allerdings nicht mehr nachzuweisen
war. Diese Entzündung hatte das ganze Centralnervensystem betroffen, zerstörend
aber nur auf den obersten Abschnitt desselben gewirkt. Der Umstand, dass auf
beiden Augen die Retina vollkommen normale Ausbildung zeigte, spricht im selben
Sinne, d. h. für eine Zerstörung, die das Gehirn in einem schon vorgeschritten«!
Stadium seiner Entwickelung erlitten hatte, mit anderen Worten, es lag kein
teratologisches, sondern ein pathologisches Product vor; Verff. glauben, dass es
sich in der Mehrzahl aller ähnlicher Missgeburten um das gleiche handelt.
Bemerkenswerth ist, dass trotz der Degeneration der Nervenzellen in allen Höhen
des Centralnervensystems, auch in den makroskopisch erhaltenen Theilen, die
vorderen und hinteren Wurzeln kaum eine Veränderung gegen die Norm auf¬
wiesen, die Fasern innerhalb der grauen Substanz ebenfalls in normaler Ausbildung
erschienen, desgleichen das Muskelsystem, das einer ganzen Reihe sensitiv-moto¬
rischer Reactionen fähig war. Die letzteren gingen hier also ohne Vermittelung
von Ganglienzellen von statten. Ausser den Pyramidenbahnen fehlten vollständig
die Oliven, die Nebenoliven, die Corpp. restiformia und die Fibrae arciformes,
sämmtlich in Folge der Zerstörung des Kleinhirns. H. Haenel (Dresden).
10) Ueber das Vorkommen lateraler Farohen am Küokenmarke bei Por-
enoephalie, von Prof. R. Paltauf. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr.42.)
An dem Rückenmarke eines Falles von Porencephalie fand Verf. im oberen
Halsmarke beiderseits zwischen den seitlichen Hörnern und der Spitze der Hinter¬
hörner eine 2 mm tiefe, senkrecht auf die Oberfläche gestellte Furche, welche
scharf begrenzt und von der Pia überbrückt war. Die Furche ist umsaumt von
einer Zone intensiv gefärbter Nervenfaserquerschnitte. An diese Schicht schlieest
sich im hinteren Antheile des Seitenstranges ein dreieckiges bis zum Hinterhorn,
aber nicht bis zur Peripherie reichendes Feld, welches heller ist, nur feinste
Fasern und vermehrtes Gliagewebe enthält.
Die Furchen werden nach unten hin immer seichter und sind im Brust¬
marke auf je eine zwischen Seitenstrang und Spitze des Hinterhorns gelegene
>yG00gI<
1065
reducirt, an die sich längs des Hinterholms ein liohtes, streifiges Degenerationsfeld
anschliesst.
Die Erklärung des Befundes liegt nach Verf. in der Agenesie der Pyramidön-
bahn; „während die ihr peripher anliegende direote Kleinhirnseiteastrangbahn zur
vollständigen Entwickelung gekommen war, und mit ihrem Wachsthuine eine viel
grössere Peripherie einnahm, als bei der mangelhaft entwickelten und sich rück¬
bildenden, ihr anliegenden Pyramidenseitenstrangbahn zur Verfügung stand, so
senkte die erstere sich ein; durch Bildung einer Furche wurde Raum für die
nothwendige Oberflächenausdehnung geboten.**
Dafür spricht auch die mit der Abnahme der Pyramidenseiten- und Pyra-
midenhinterstränge Hand in Hand gehende Verkleinerung der Furchen nach unten.
Dass in den bisher mitgetheilten Fällen von Porencephalie mit Rückenmarks-
Untersuchung solche Furchenbildung nicht zur Beobachtung kam, kann in drei
Factoren liegen: zu geringer Defect des Hemisphärenmantels, daher keine com-
plette Agenesie der Pyramidenseitenstränge, Entstehung der Porencephalie zu
einer Zeit, da die Anlage der Pyramiden schon vollendet war; endlich gleich¬
seitige Entwickelungshemmung der Eieinhirnseitenstränge. J. Sorgo (Wien).
il) On a case of congenital porenoephalus, in whioh the porencephalie
area oorresponded to the area of distribution of the left middle
oerebral artery, by David A. Shirres. (Studies from the royal Victoria
Hospital. Montreal. I. Nr. 2.)
Die Arbeit enthält die ausführliche Krankengeschichte eines Falles von Por¬
encephalie mit Sectionsbefund. Es handelte sich um eine 60jährige Frau, bei
■welcher angeblich seit der Geburt bezw. seit den ersten Lebenswochen eine
spastische Parese der rechten Extremitäten bestand. Bei der Section fand sich
im Gebiete der Arterie cerebri media eine Höhle, welche der Verf. geneigt ist
auf eine fötale Thrombose dieses Gelässes zurüokzuführen. Der Herd hatte einen
grossen Theil der linken Hemisphäre zerstört, ln der motorischen Region dieser
Seite fand sich ein deutlicher Ausfall der Pyramidenzellen und der aus diesem
Gebiete hervorgehenden Projectionsfasern. Von secundären Erscheinungen ist be-
xnerkenswerth eine allgemeine Atrophie des linken Thalamus opticus, an welcher
Zellen und Fasern aller seiner Kerne gleichmässig betheiligt waren, und eine
deutliche Schrumpfung des mittleren und hinteren Theiles der inneren Kapsel.
Die Degeneration der linken Pyramide Hess sich bis ins Rückenmark verfolgen.
Ferner wurden secundäre Veränderungen im linken Tactus opticus, in beiden
Na optici, den zur linken Hemisphäre gehörigen directen und indirecten cere¬
bralen Verbindungsbahnen und der linken Schleifenbahn nachgewiesen.
Max BielschowBky (Berlin).
Pathologie des Nervensystems.
12) La patogeneai della malattia di Stokes-Adams, pel Dr. Eugen io Medea.
(Boll. Poliamh. di Milano. 1902. Nr. 1, 3, 5.)
Nachdem Verf. viele Fälle von Bradycardie aus verschiedenen Ursachen und
3 Fälle von Stokes-Adams’scher Krankheit klinisch beobachtet hat, berichtet
er über 2 Fälle von Stokes-Adams'scher Krankheit mit Obduction und mikro¬
skopischer Untersuchung (in Golgi’s Laboratorium) der Medulla oblongata: der
Befund war, bezüglich der Kerne IX und X, negativ. Atherom der Arteria basi-
laris und des Circulus Willisii. Nach der Analyse und Kritik der verschiedenen
Theorieen über die Pathogeneee der Stokes-Adams'sohen Krankheit zeigt Verf.
zedby G00gle
1006
die Verschiedenheit der Pulsfrequenz nach Atropineinspritzungen zwischen den
Fällen von Bradycardie and den Fällen von Stokes-Adams’scher Krankheit,
erklärt zwei von ihm klinisch beobachtete Fälle von seniler arteriosklerotischer
Epilepsie nnd nimmt an, dass die Stokes-Adams’sche Krankheit eine Zusammen¬
setzung von seniler arteriosklerotischer Epilepsie mit Pulsus rarus sei: Polens
rarns ist von anderen Symptomen unabhängig.
Die Arbeit, duroh Puläcurven veranschaulicht, sohliesst mit einer Wiedergabe
von Napoleon's I. Pulsus rarus. EL Medea.
18) Di« Parrot’schen Pseudoparalysen bei angeborener Syphilis, von
Scherer. (Deutsche Dermatolog. Zeitschr. IX. 1902.)
Neben den an der Haut und den Schleimhäuten congenital syphilitischer
Kinder beobachteten Erscheinungen sind sowohl wegen der Mannigfaltigkeit der
Krankheitsbilder als wegen der grossen Verschiedenheit der Zeit ihres Auftretens
die visceralen Erkrankungen von grossem Interesse.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den „Parrot’sohen Pseudo¬
paralysen“, die von Parrot auf eine specifische Knochenerkrankung an den Epi¬
physengrenzen und auf die damit verbundene grosse Schmerzhaftigkeit bei activen
und passiven Bewegungen zurückgeführt wurden.
Nach einem kurzen Rückblick auf die Beriohte in der Litteratur, in denen
die Affection von einigen Autoren als ausgehend vom Centralnervensystem, von
anderen als Erkrankung der epiphyseren Grenze betrachtet und die Wirksamkeit
bezw. Erfolglosigkeit der antiluetischen Therapie in diesen Fällen erörtert wird,
bringt Verf. die Krankengeschichten zweier von ihm aus seinem reichen Be¬
obachtungsmaterial herausgesuchter Fälle mit epikritischen Bemerkungen.
Die aus mehr als einem Gesichtspunkte interessanten vom Verf. mitgetheilteo
Krankengeschichten congenital syphilitischer Kinder schildern ein völliges Fehlen
der passiven Bewegungen der paralytischen Extremitäten; dagegen zeigten die
Säuglinge, soweit der Nachweis in solchen Fällen möglich ist, eine prompte
Reaction der Sensibilität der Haut bei der Anwendung des galvanischen oder
faradischen Stromes. Verf. beziffert den Procentsatz der bei luetischen Kindern
vorkommenden Paralysen nach 50 eigenen Beobachtungen auf 22 °/ 0 , die stets die
oberen Extremitäten betrafen, und von denen ein Theil auf eine antiluetische
Therapie sehr gut, ein Theil gar nicht reagirte.
Der Verf. bespricht die differential-diagnostischen Momente für die cerebralen,
spinalen, peripheren, traumatischen Paralysen luetischer Kinder — hierfür wie
für die Details der Krankengeschichten muss auf das Original verwiesen werden
— und meint, es handle sich bei den Parrot’sohen Pseudoparalysen meist um
brachiale Monoplegieen, seltener um cervicale Paraplegieen.
Die sehr interessanten Sectionsbefunde der beiden Fälle — die Sectionen
konnten sehr bald (2 Stunden) post mortem gemacht werden — zeigen als be¬
deutsamstes Merkmal: im Mark, im Cervicalganglion die Blutgefässe erweitert
und überall eine Unmasse von Streptokokken; die Capillaren an vielen Stellen
derart durch Streptokokkenmassen erfüllt, dass es den vollen Eindruck einer regel¬
rechten Streptokokkenembolie macht. Auch in Leber, Milz, Magen, Darm und
Nieren fanden sich Streptokokkenembolieen.
Der Verf. hält nach seinen Erfahrungen bei hereditärer Lues die bullösen
und ulcerösen Formen der Haut- bezw. Schleimhauterkrankungen prognostisch für
besonders ungünstig, weil er in diesen Fällen meist eine Sepsis bezw. Septäco-
pyämie constatiren konnte, die er auf eine in Folge der kleineren oder grösseren
Substanzverluste sehr leicht zu der bestehenden hereditären Lues hinzu tretende
secundäre septische Infection zurückführt.
zedby G00gle
1067 —
Verf. ist mm geneigt anzunehmen, dass ebenso wie bei anderen chronisch
verlaufenden Infectionskrankheiten in Folge von Vergiftung des Organismus durch
Toxine Paresen oder Paralysen entstehen können, auch in den Fällen von Parrot’-
schen Paralysen bei congenital luetischen Kindern, bei denen keine Knochen*
Veränderungen nachweisbar sind und das Centralnervensystem und die peripheren
Nerven intact sind, die sonst unerklärte Aetiologie dieser Lähmungen auf eine
toxische Einwirkung des luetisohen Toxins oder der Toxine der verschiedenen im
Blute kreisenden Mikrobenarten zurückzuführen sei. Lasch (Breslau).
14) Seoundär luetische Nervenkrankheiten, von A. Sztahovszky. (Magyar
Orvosok Lapja. 1902. Nr. 30. [Ungarisch.])
30jährige Frau erkrankte an einem indurirten Geschwür der linken Mamma,
mit infiltrirten Drüsen der linken Achselhöhle; nach einigen Wochen Roseolen;
nach vierwöchentlicher Inunctionskur Heilung, welche ihr jedoch als nicht end¬
gültig bezeichnet wurde, trotzdem entzog sich Patientin der weiteren Behandlung.
Nach mehreren Monaten traten naoh psychischem Trauma Erscheinungen von
Geistesstörung mit Hallucination und Delirien auf; welche nach Jodkalibehandlung
(4 g pro die) am 6. Tage schwanden.
Verl supponirt einen luetischen Process des Gehirns, dessen Natur er nioht
bezeichnet, und der durch Jodkali beseitigt wurde. — Anschliessend an diesen
Fall lässt Verf. die auf luetisoher Basis entstehenden Nervenkrankheiten Revue
passiren. Hudovernig (Budapest).
16) Luetlsohe Jackson-Epilepsie, von L. L6vy. (Gyögyäszat. 1902. Nr. 25.
[Ungarisch.])
30jähriger Mann wurde wegen acuter Blenorrhoea ins Spital gebracht, wo
sich nach einigen Tagen eine Hemiplegia sinistra einstellte; Pat. giebt an seit
einiger Zeit an Bewusstlosigkeitsanfällen mit Convulsionen zu leiden. Die be¬
obachteten Anfälle zeigten das Bild Jackson’scher Epilepsie: Beginn der Con¬
vulsionen im linken Arme, dann Uebergehen auf das linke Facialisgebiet; hierauf
auf das Gebiet des rechten Facialis, rechten Arm, mitunter rechtes Bein; hierbei
Bewusstlosigkeit, Zungenbiss und spontaner Urinabgang. — Aus dem Status
praesens wäre zu bemerken: Linksseitige Hemiplegie mit Parese des linken
Facialis; Pupillenbefund normal (beiderseits Papillitis); Nacken in der Höhe des
2.—3. Halswirbels druckempfindlich, daselbst vergrösserte Drüsen. — Unter An¬
wendung antiluetischer Behandlung (2 g Ung. einer, und 2,5—3,0 g Jodkali) fort¬
schreitende Besserung der Lähmung Verminderung der Zahl der Anfälle.
Nach etwa zweimonatlicher Behandlung im Decembej_l$01 gehäufte Anfalle (am
5. December 57, am 6. 84 Attaquen), rasch nacWassen; am 17. Januar
1902 neuerlicher Status epilepticus, n nächsten Tage während eines
Anfalles. — Bei der Autopsie wurden aderen luetischen Veränderungen
drei Gummata am rechten Gyrus frontal! 3 gefunden.
Verf. betont die Intactheit der psyci Ischen Zone bei Erkrankung des
Stirnhirns, und meint, dass die Ansicht *(< rl ei ’s, wonach das Anwachsen des
intracraniellen Druckes die psychomotorische Zone reizen und somit die Anfälle
hervorrufen würde, für diesen Fall anwendbar wäre, findet jedoch keine Erklärung
für das periodische Anwachsen des intra n Druckes. Im plötzlichen
Auftreten und Aufhören der Anfälle und c ; i e epilepticus sieht Verf. einen
Hinweis auf die Erkrankung des Stirnhirns t • ictheit der psychomotorischen
Zone. Bezüglich der Therapie zieht Verf., i der Ansicht Gowers’, die
combinirte Behandlung (Einreibungen und Jotljfcaii) der ausschliesslichen Jodkali¬
behandlung vor. _ Hudovernig (Budapest).
dby Google
1068
16) Le Bigne pupillalre d’Argyll-Robortson, sa valeur sdmölologiqu*; m
relationa »veo la Syphilis, par Cestan et Dupuy*Dutempi. (Gw&
dee höpitaux. 1901. S. 1433.)
Abgesehen von Tabes und progressiver Paralyse fanden Verff. reflectarkt-
Pupillenstarre in 5 Fällen cerebraler Hemiplegie (darunter ein Mal nur auf dtr
gelähmten Seite), in 4 Fällen von Meningomyelitis syphilitica, in einem Fu
Fried re ich'scher Krankheit und einmal bei amyotrophischer Lateralskleroee. li
allen diesen Fällen war vorausgegangene Lues sicher oder höchst wahncheinlr.
In einwurfsfreier Weise wurde das fragliche Symptom noch beobachtet bei Syrisw-
myelie und der „Növrite interstitielle hypertrophique“ (Dejerine-Sottn).
Pilcs (Wies).
17) Warum erscheint Hirnlues schwerer heilbar? von Ziemssen (7;»
baden). (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 18.)
Die Gründe für die Misserfolge bei der Behandlung der Hirnlue* em b
suchen in der Schwierigkeit der Diagnose des Anfangsstadiums, in der Fmk
vieler Aerzte, dass das kurmässig genommene Hydrargyrum mit Vorliebe netmtus
Leiden hervorruft und in der irrigen Annahme, dass die Quecknlberbehadl*
keinen Nutzen mehr bringen kann, wenn derselbe nicht schon in den «a
3 Wochen eingetreten ist. Verf. empfiehlt möglichst kräftige, immer wieder ra
nouem aufzunehmende mercurielle Behandlung mit gleichzeitigem Gebrütet:«
Kalium jod. Diese scharfen Kuren müssen fortgesetzt werden, so lange sei*
nur leichte Symptome der Hirnlues bestehen. Bielschowsky (Breslss)
18) A olinioal leoture on two oases of spinal oord disease oonseqosU a
Syphilis, by T. R. Bradshaw. (Brit med. Journ. 1902. 8. Min.)
Gegenüberstellung zweier Fälle von Rückenmarkserkrankung, bei denen La
als ätiologisches Moment anzusehen ist.
Der erste Fall betrifft einen 40jährigen, an progressiver Tabes dors. leid**
Mann mit den gewöhnlichen Krankheitssymptomen. Die stattgehabte loetak
Infection konnte Verf. erst nach mehrfacher genauer Untersuchung des Pit fe
Btellen. Eine Narbe auf der Hand führte bei wiederholtem Krankenaxanw»
der Angabe, dass Pat. vor 18 Jahren an rissigen Händen gelitten und di»
von einem Bettgenossen, der an einem Geschwür des Handrückens gelitt®, c
gesteckt sei (es folgten Hauteruption und Rachengeschwüre; Behandlung mte*
Pillen). Pat hatte vorher jede syphilitische Infection geleugnet
Verf. hat, seitdem er bai Tabikern sein Augenmerk auf etwa vorausgeguj®
Lues richtet (etwa 10 Jahre), noch^Jrefpeo Fall ohne dieses ätiologische Mot*
gesehen.
Beim zweiten Fall handelte ob sich um einen 46jähr. Mann, welcher ^
23 Jahren Lues acquirirte. Vor einen) Jahre Amblyopie des linken Auges, w*
nach Mercurialbeh&ndlung heilte. Ba/d darauf heftige Schmerzen in der r«* 1
Lendengegend und allmählich an Intensität zunehmende spastische Lähnnug^
rechten Beines, während das linke erst in der letzten Zeit anfing «ffi®*- 1
werden. Die Muskeln deB rechten peines schlaff, aber nicht atrophisch.
seits Kniereflex gesteigert, deutlicher Fossklonus (links nur schwach).
Pat. klagte über Taubsein iv den Zehen des rechten Fusses, während ok^
keine Sensibilitätsstörungen nacb^uweisen waren. Blase und Rectum intaet
Verf. nimmt als wahrscheinliche anatomische Diagnose das Besteh»
Gumma in der Pia mater der JMednlla spinalis rechterseits in der Nä* 2
Lendenanschwellung an.
Digi
y Google
1069
Im Anschluss an die Mittheilung der Krankheitsfälle macht Verf. dann thera¬
peutische Bemerkungen besonders hinsichtlich der event. specifischen Behandlung.
Während letztere beim zweiten Falle eine gute Prognose giebt, wird im ersten
Falle, wo es sich um einen fortschreitenden DegenerationsproceBs handelt, eine
antisyphilitische Kur keinen Einfluss auf den Krankheitsprocess mehr ausüben.
E. Lehmann (Oeynhausen).
19) Ueber einen Fall von Rüokenmarkssyphilifl mit Brown-Sdquard’sohem
Typus, von Str6zewski. (Gazeta lekarska. 1901. Nr. 36. [Polnisch.])
Verf. beschreibt folgenden Fall von Rfickenmarkssyphilis mit Brown-
SGquard’schem Typus. Der 26jährige Kutscher merkte vor 3 Wochen, an¬
geblich in Folge einer Erkältung, Schmerzen im Halstheil der Wirbelsäule, dann
in der linken oberen und später in der linken unteren Extremität. Lues et
Alcoholismus negantur. Status: Drüsen vergrössert. Weisse Flecken am Halse
und Rücken. Rechte Pupille weiter als die linke. Die letztere reactionslos.
Schwellung und Schmerzhaftigkeit der linken Halsgegend. Lähmung der linken
oberen Extremität. Sensibilität in derselben erhalten, Tricepsreflex lebhaft.
Parese des linken Beines. Patellarreflex links stärker als rechts. Clonus pedis
sin. Babinski’sches Symptom linkB. Hypalgesia und stellenweise Analgesia
dextra. Thermohypästhesia dextra. Tastgefühl mitunter schwächer in der rechten
oberen Extremität als in der linken. Muskelsinn erhalten. Keine Atrophieen.
Keinerlei' Störungen seitens der Blase und des Mastdarms. Allmähliche Besserung
und völlige Heilung nach Verlauf von etwa 3 Monaten unter Quecksilberbehand¬
lung. Edward Flatau (Warschau).
20) Hemispasmus glosso-labialis als Spätersoheinung einer organischen
Hemiplegie. Klinische Studie von L. Minor. (Festschrift für Geh.-Rath
Prof. Dr. von Leyden. 1902.)
Verf. analysirt in seinem vorliegenden Beitrag zur Leyden-Festschrift in
gewohnt scharfsinniger Weise ein klinisches Syndrom oder auch nur Symptom,
welches — anscheinend fast geflissentlich — in den Lehrbüchern und in der Litteratur
entweder mit Stillschweigen übergangen wird oder doch nur stiefmütterlich und
oberflächlich in der Besprechung behandelt wird. In der Regel ist nur von dem
Spasmus glosso-labialis als hysterische Erscheinung die Rede. Verf. zeigt jedoch,
dass er auch als organische Erscheinung Vorkommen kann. Der Verf. stellt in
übersichtlicher Weise die Möglichkeiten und Combinationen, in welchen der Hemi¬
spasmus glosso-labialis überhaupt auftreten kann, folgendermaassen zusammen:
1. Hemispasmus glosso-labialis mit gleichzeitiger Contractur der oberen und
unteren oder nur der oberen Extremität. Verf. berichtet über eine derartige Be¬
obachtung, welche einen Hysteriker (psychisches Trauma) betraf.
2. Hemispasmus glosso-labialis und schlaffe Hemiplegie. Hier sind vier
Varianten möglich: Hemiplegie und Hemispasmus können auf ein und derselben
Seite sein, sie können weiterhin gekreuzt bestehen, es kann drittens Hemiplegie
und Facialis contractur auf der nämlichen Seite sein, während die Zunge nach
der anderen Seite abweicht oder schliesslich kann das Bild der vulgären organi¬
schen Hemiplegie auftreten: Verzerrung des Mundes nach der gesunden Seite und
der Zunge nach der hemiplegischen Seite. In all den genannten vier Modifica-
tionen handelt es sich um einen hysterischen Charakter der Erscheinungen.
Ausser den genannten Combinationen kommen nun recht häufig Combinationen
vor von organischer Hemiplegie und hysterischem bezw. functionellem Krampf in
den Gesichts- und Zungenmuskeln. Schliesslich, und das ist das Wichtigste aus
der Arbeit, giebt es aber auch Fälle, in welchen sowohl die Hemiplegie wie
Google
1070
auch der Hemispasmus organischer Natur ist. Einen solohen Fall hatYet
beobachtet: Bei einer jungen Frau, die yor 3 Jahren Lues gehabt hatte, ei¬
wickelte sich während einer Infectionskrankheit eine schwere Hemiplegie mit Bi¬
theiligung des Facialis und Hypoglossus. Der Befund zeigte zuerst Apka
sensorischer und motorischer Natur, primäre rechtsseitige Facialislihmnng ac
Verzerrung des Mundes nach links, oomplete Hemiplegie rechts mit begimdo
Contractur. Sensibilitätsprüfung und Vorstrecken der Zunge konnte bei der tafa
Benommenheit zuerst nioht geprüft werden.
Unter einer Schmierkur hob sich das Allgemeinbefinden und dieBenoni»
heit schwand, die Contracturen nahmen jedoch zu. Jetzt konnte die Zungt tcj-
gestreckt werden und wurde nach rechts abweichend gefunden, während (a
Mund noch nach links verzerrt war. Dann allmählioh bildet sich folgena
interessante Zustand heraus: Der Mund wich beim Sprechen nicht wie frais
nach links ab, sondern jetzt nach rechts. Die Zunge zeigte auf der linkenS»
fibrilläre Zuckungen und wich beim Vorstrecken jetzt stark nach linkt, u
nach der der Hemiplegie entgegengesetzten Seite hin ab.
Der Umstand, dass der Spasmus in Zunge und Gesicht gleichzeitig mit da-
jenigen in den Extremitäten auftrat und dass ihm ein Stadium der Lahns*
voranging, spricht für den organischen Charakter des Hemispasmus glosso-Ubiik
Ein solcher organischer Hemispasmus ist bei Hemiplegieen selten beobachtet fc
Gründe für die Seltenheit der Erscheinung erörtert Verf. ausführlich In k
Litteratur findet sich nicht viel über eine organische Hypoglossuscontnctsr k
Hemiplegie, mehr allerdings über die Facialisspätcontractur. In dem Falle«
Verf.’s stellt der Hemispasmus also eine der Extremitätencontractur dorcms
gleichwerthige Erscheinung dar. Dass die Zunge dabei nach der geanfc
Seite abweicht entspricht in der That unseren theoretischen Vorstellungen, vc
welchen wir bei Lähmung des Hypoglossus das Abweichen der Zunge nack k
gelähmten Seite zu erklären gewohnt sind. In dieser Schlussfolgerung ist da
Verf. entschieden beizustimmen und auch Ref., auf dessen Angaben in aiaa
Buche über die Untersuchung bei traumatischen Erkrankungen Verf. hinnist
muss zugeben sich hinsichtlich der Hypoglossuscontractur in einem Irrthnz be¬
funden zu haben.
Jedenfalls müssen wir Verf. dankbar sein, dass er die Schullehre betnfck
Betheiligung der Hirnnerven an den hemiplegischen Contracturzuständen eia»
revidirt und verbessert hat Paul Schuster (Beriia)
21) C&se of tumour of the cerebral cortex, by H. Ce eil Barlo«, (fr
med. Journ. 1902. 8. März.)
Ein 67jähriger Patient, der früher stets gesund gewesen, und bei den «k
Lues noch Alkoholmissbrauch anamnestisch nachzuweisen, erkrankte an Kris?»
der linken Körperhälfte, besonders des Gesichts und des Armes ohne Bewußt»*
Störung. Hierzu gesellte sich später erschwerte Sprache, Abnahme der Be¬
riechen Kraft der linken Hand. Die Reflexe waren an der afficirten Seite «bi
während das Berührungs- und Schmerzgefühl daselbst vermindert und verltf^ 0
waren. — Zu erwähnen ist ferner namentlich, dass Erbrechen fehlte, da» F 0
schmerz kaum vorhanden war und dass keine Neuritis optica bestand.
• Nach 33tägigem Kranksein trat plötzlich Tod ohne vorhergehendst®
ein. — Bei der Autopsie fand man oberhalb der rechten Rolando’Bchen Fs*
Hyperämie der weissen Hirnhaut und unterhalb der Gehirnoberfläche ein
grosses alveoläres Sarcom der Centralwindungen. Der grösste Theil dee f®* 1
Bass in der unteren Partie der vorderen Centralwindung.
E. Lehmann (Oeynha» 6 *
Die
1071
22) A saooeeaful oase of removal of tumoor ftrom the left pre-frontal lobe
of the braln, by Dr. W. Eider, Leith and Mr. Miles. (Brit. med. Journ.
1902. 1. Februar.)
In der Edinburger medio.-chirurg. Gesellschaft berichtete Edler über eine
yon den genannten Aerzten mit glücklichem Erfolge ausgeführte Entfernung eines
Tumors aus dem linken Stirnlappen. Edler bespricht die local diagnostische
Schwierigkeit deijenigen Gehirntumoren, die keine charakteristischen Herdsymptome
verursachen (Tumoren der sogenannten „latent“ oder „silent“ Gehirnregionen).
Der mitgetheilte Fall betrifft einen 47jährigen Mann. Patient, welcher Lues
leugnet (seine Frau hatte drei Aborte gehabt), litt seit 5 Monaten an Schmerzen
im Hinterhaupt, Nacken, in den Beinen, später besonders in der linken Stim-
gegend. Zeitweiliges Erbrechen. Bald stellte sich psychische Alteration ein: Pat.
wurde deprimirt, erregbar, zeigte Gedächtniss- und Urtheilsschwäche sowie ver¬
mindertes Schamgefühl u. s. w.
Bei der Aufnahme in das Krankenhaus bestand leichte Parese des unteren
Theiles des rechten N. facialis, Dysarthrie. Keine Aphasie. Keine Neuritis op¬
tica. Einige Tage später Benommenheit, stertoröses Athmen, leichte Starrheit
des rechten Armes. Die Percussion über dem linken Stirnhöcker war schmerzhaft;
die Haut über demselben ödematös. Hier wurde der Schädel eröffnet und aus
dem obersten Theil des Stirnlappens ein 2 Zoll langer, etwa 1 1 / 2 Zoll breiter
Tumor entfernt, der sich als Syphilom erwies. Heilung.
E. Lehmann (Oeynhausen).
23) Trois oas de neoplaaies-oöröbrales, par Ballet et Armand-Delille.
(Nouvelle Iconographie de la Salpetriere. 1902. Nr. 3.)
Fall I und II haben das Gemeinsame, dass sie trotz ihrer Lage bezw. Aus¬
dehnung auf die dritte linke Stirnwindung keine Aphasie erzeugten; der III. Fall
ist deswegen interessant, weil man nach seinem Verlauf an eine Bulbäraffection
denken könnte.
Fall I. 33jähriger Mann, Artist, erblich stark belastet, immer gesund ge¬
wesen, erkrankte im Sommer 1900 mit Kopfschmerzen und unfreiwilligem Urin¬
abgang. Wenig später wurde ihm die Spraohe schwer und es stellte sich eine
Gesichtslähmung ein. Deswegen wird er der Klinik zugeführt; sein vorher leicht
aufbrausender Charakter soll in dieser Zeit sanfter geworden sein.
October 1900: Pat. gab an, seit ungefähr 15 Jahren an Schmerzen zu leiden,
als wenn ihm ein glühender Eisenstab durch die Beine gestossen würde. Diese
Schmerzen werden aber nicht als blitzartige geschildert. Lähmung des rechten
unteren Facialis. Sensibilität intact. Kein Bömberg, doch werden die Muskeln
des Pat. über Gebühr angestrengt. Patellarreflexe stark, Sprache zögernd und
von einem Tremor der Lippen begleitet. Pupillen reagiren gut, ebenso sind die
Augenmuskeln in Ordnung. Intelligenz intact, nur macht der Kranke einen etwas
müden, schläfrigen Eindruck. Unfreiwilliger Abgang von Stuhl und Urin.
Im weiteren Verlauf verfällt die Intelligenz des Kranken. Contractur der
oberen Extremitäten. Links reagirt er auf Nadelstiche, während dies rechts nicht
der Fall ist.
12. November 1900: Rechte Pupille > links, Steigerung der Temperatur auf
41,5° unmittelbar ante exitum.
Obduction: Ein 5 Francs-Stück grosser gliomatöser Tumor im hinteren
Theil des Lobus frontalis, der die 3. Stirnwindung plattgedrückt hat.
Fall II. 14jähriger Schlosserlehrling. Mit 10 Jahren 2 Jahre hindurch
epileptische Krämpfe ohne Bevorzugung einer bestimmten Seite. Besserung, je¬
doch Zurückbleiben einer rechtsseitigen Facialislähmung. Im Juni 1900 Auf-
Google
1072
treten von Erbrechen, etwas später von Articulationsstörung and Manlgixh
Schmerzen.
Am 20. September 1900 Eintritt in die Salpetriöre.
Etwas benommener Patient, bei dem Schwierigkeiten bestehen, einzelne Wom
zu articuliren. Alopecia in einzelnen Flecken über dem Sitze der Kop&chnww
in der linken Temporo-Occipitalgegend, die Haut in dieser Gegend verdünnt, blwla
gefärbt. Rechts Parese des Rectus externus; Facialislähmung rechts, Zunge *«-;
nach links ab. Keine Störung der Motilität, Sensibilität und keine trophkl-
Störungen der Extremitäten, nur beim Drücken (?) der linken Temporabeite erfc'r.
eine Flexion des rechten Beines mit Extension der grossen Zehe. Sehnennl-i!
normal, die sub.jectiven Störungen der Sensibilität bestehen in einer Neuralgie V,
In der Folgezeit Erbrechen, Puls 54, Kältegefühl und ein Gefühl vou Sehr«
im rechten Arm. Pat. giebt an, nicht deutlich zu sehen. Die Aogenunterack;
ergiebt eine Herabsetzung der Sehschärfe auf beiden Augen auf s ' |0 . PnpiUa-
reaction auf Licht rechts gut, links träge, beim Sehen in der Nähe gut. Staunuv
papille. Am 9. November 1900 Krampfanfall „type Jacksonienne“ beginnend s
rechten Arm. Der Kranke verfällt in Stupor, Krämpfe, Untersichlassen vonfo - :
und Urin, Puls steigt auf 92 i. d. M., Pupillen reagiren beide nicht auf Lkh
Exitus am 26. Januar 1902.
Autopsie: Links ein Spindelzellensarcom, 12 cm lang, 6 cm breit, der Ita
Durchmesser beträgt 10 cm. Eis bedeckt den hintersten Theil der 3. Stk
Windungen, lässt nur 2 cm der ersten Stirnwindung frei, erreicht nach hinten :•
Scheitelwindung und erstreckt sich nach unten bis zur 2. Schläfenwindung.
Bemerkenswerth ist, dass bei den Tumoren (Gliom und Sarcom) trotz k?
Lage keine motorische (und im 2. Falle auch sensorische) Aphasie beatand. a
2. Falle entschuldigen sich die Verff. ausdrücklich, dass sie keinen Chirac
zugezogen hätten; die Symptome wären zuerst nicht genügend ausgespnx^
gewesen.
Fall III. Ein 19jähriger Kutscher, immer gesund gewesen, erhielt Ante
März 1899 einen heftigen Faustschlag über die linke Kopfseite. Bevnswk
verlust scheint nicht dagewesen zu sein. Am nächsten Tage klagte er &
Kopfschmerzen, den Tag darauf stellte sich eine doppelseitige Ptosis nnd B»? 9
über Doppeltsehen ein. Letzteres und die Ptosis rechts ging nach einigen T»f :
von selbst zurück, während die Kopfschmerzen bestehen blieben, nur gesellte ?-
Uebelkeit und Brechreiz dazu. Bei seinem Eintritt in die Klinik (9. Mai
fand sich ausser subjectiven Beschwerden und der Ptosis links und Störet*
des Geruchs und des Gehörs, die links schwächer wsren, nichts. Am 9. a
10. Mai Krämpfe (Bewusstlosigkeit u. s. w.). Der Kranke erholte sich bald
und verliess die Salpetriere am 16. Mai.
Während seines Aufenthaltes ausserhalb der Klinik konnte er seine Ar*
vollständig wieder aufnehmen, nur stellte sich folgende Erscheinung bis n 10^
am Tage bei ihm ein: Plötzlich stieg ein Hitzegefühl von den Beinen ;j:
Kopfe auf, der sich alsbald mit Schweins bedeckte. Dauer einige Secundn» -
15. August bemerkte er, dass sein rechter Arm taub und steif wurde,
Tage darauf machte er dieselbe Beobachtung an seinem rechten Bein. Zof*-
stellten sich Schluckstörungen und eine unbezwingliche Schlafsucht ein.
Am 12. October 1900 Neuaufnahme: Hemiparesis dextra, bilaterale ft*
r. > 1., Ophthalmoplegia externa hilateralis, Pupillen reagiren gut Das G« 3
feld erscheint ein wenig eingeschränkt. Schlingstörung, Erbrechen. Sprach '-f
direct näselnd, aber stotternd. Verstopfung von 8 Tage Dauer,
ad maximum dilatirt. Vollständiger Stupor. Exitus am 1. December.
Bei der Section fanden sich die Meningen, die Hemisphären, die Bti*
Die
1073
ständig frei. Bei der Trennung der Hemisphären sieht man links die Innenfläche
der unteren beiden Stirnwindungen von neugebildetem Gewebe erfüllt, dessen
Oberfläche wie punctirt aussieht Es setzt sich fort auf die Commissura anterior
und media des Balkens, dessen Septum pellucidum sich ganz aus der Neubildung
zusammensetzt. Auf dem Querschnitt zeigt sich, dass es sich um eine zellenreiche
Gliomatose handelt, welche diffus in das umgebende gesunde Gewebe übergeht.
Die mikroskopische Untersuchung aller drei Tumoren, die mit grosser Sorg¬
falt ausgeführt ist und durch zahlreiche Abbildungen und Tafeln illustrirt ist,
bietet nichts Bemerkenswerthes. Ernst Bloch (Kattowitz).
24) Ueber eine mit Erfolg operirte Cyste des linken Hinterhauptslappens
nebst Bemerkungen, von Dr. Ehrenfried Cramer. (Zeitschr. f. Augen-
heilk. VH.)
Der 37jährige Kohlenarbeiter war im Sommer 1901 an einer fieberhaften
mit schweren Kopfschmerzen einhergehenden Krankheit erkrankt, die vom Kassen¬
arzt als Influenza angesehen wurde. Wenige Wochen später ergab die vom Verf.
vorgenommene Augenuntersuchung beiderseits eine ausgedehnte Neuroretinitis
haemorrhagica, und das Gesichtsfeld beider Augen zeigte eine deutliche Ver-
grösserung des blinden Fleckes und eine sectorenförmige rechtsseitige Hemianopsie.
Die Pupillenreaction war normal, Pat. klagte zeitweise über Ohrensausen, Puls
war verlangsamt, voll und gespannt.
Wenige Tage nach der ersten Untersuchung trat eine typische Stauungs¬
papille auf, und die Hemianopsie nahm zu.
Die Diagnose wurde auf einen Hirntumor im linken Occipitallappen gestellt,
und am 22./X. 1901 die Schädelaufmeisselung von Prof. Thiem vorgenommen.
Etwa in der Höhe der 2. Occipitalwindung 2—3 cm nach aussen von dem grossen
Hirnspalt wurde die klare Flüssigkeit aus dem etwa hühnereigrossen cystischen
Tumor entfernt, die sich in fontainenartigem Strahle entleerte. Am 21./XU. 1901
ist das Gesichtsfeld für weise und alle Farben wieder völlig normal, es findet
sich noch eine ganz geringe Schwellung der rechten Papille. Beide Papillen
sind wieder scharf begrenzt, keine weiteren krankhaften Erscheinungen im Augen-
hintergrunde. Subjectiv keine ernsteren Klagen. Fritz Mendel.
26) Ueber die Hemianopaieen, von Dr. Fr. Votruba. (Mittheil, aus der
medic. Klinik Maixner-Prag. H. 1902. S. 218.)
Zwei Fälle von homonymer lateraler Hemianopsie. Bei einem 62jährigen
Manne mit Lues in Anamnese entwickelten sich innerhalb 2 Jabren nach und
nswjh rechtsseitige Hemiparese, Hemihypästhesie, rechtsseitige Störung des Gehörs
und Sehens; objectiv wurde eine rechtsseitige homonyme laterale Hemianopsie mit
Atrophie der Papillen, rechtsseitige Störung der Motilität und Sensibilität con-
statirt. Nach 7 monatlicher Einnahme von Jodkalium je 3 g pro die schwanden
alle Symptome bis auf die Hemianopsie und den ophthalmoskopischen Befund.
Verf. schliesst auf syphilitischen Process im linken Carrefour sensitif.
Im zweiten Falle erlitt ein 26jähr. Bäcker in seinem 12. Jahre einen Schlag
auf die linke Schädelseite; seit diesem Trauma haben sich bei ihm Symptome
eines Gehirntumors mit Stauungspapille und rechtsseitiger Hemianopsie und Hemi¬
parese gezeigt. Da es Verf. gelang, an den Ausläufern der Aeste der Carotis
cirsoide Erweiterungen zu constatiren, und weil die Symptome des Tumors seit
14 Jahren bestanden, so schliesst er auf ein Aneurysma cirsoides mit Com*
pression des linken Tractus opticus sowie des linken Hirnschenkels.
Pelnär (Prag).
68
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1074
20) Contribattan 4 l’ätude de l’natomie pefthelockpie de lltdniMMpflfts
d'origtne iafcrm-o4r4brele, par Jonkowaky. (Noor. Ieonographie de 1»
Salpetriere. XIV. 1901. S. 1.)
Verf. hat 2 Fälle von Erweichung des eortic&len Sehcentruins beobachtet
und untersucht:
Fall I betraf einen Greis, bei dem sich ausser einer etwas stotternden Sprache
und Abschwächung der Patellarreflexe als einziges Symptom eine linksseitige
homonyme laterale Hemianopsie fand. Die Autopsie zeigte in der rechten
Hemisphäre einen Erweichungsherd im Gebiet der Art. cerebr. post., welcher die
Gegend der Fissur» calcarina, die benachbarte Partie des Occipitalpolee, den Lob.
lingualis und occipito-temporalis(fusiformis) zerstört hatte; ausserdem einen kleinen
Erweichungsherd in der Gegend der 1. und 2. Occipitalwindung. Der erste Herd
reichte bis an die innere Wand des Hinterhorns and hatte eine Sklerose der
Fasern der Gratiolet’schen Sehstrahlung, des unteren Theiles der hinter dem
Linsenkern gelegenen Cape, int und des hinteren unteren Theils des ThaL opt
zur Folge gehabt. — In der linken Hemisphäre hatte eine Cyste die vordere
Partie des Cuneos zerstört, während die Occipitalwindongen atrophisch and die
Ventrikel dilatirt waren.
Fall n betraf ebenfalls einen Greis, der 3 Jahre vor seinem Tode eines
Insult mit nachfolgender rechtsseitiger Hemiplegie, sensorischer Aphasie, links¬
seitigem Facialistic und doppelseitiger Hemianopsie (bei erhaltener Sehkraft im
oentralen Tbeil des Gesichtsfeldes) erlitten hatte. Die Antopeie zeigte in der
rechten Hemisphäre einen ErweichungBherd, welch«- die Gegend des oorticalea
Sehcentrums zerstört hatte (von der Mitte des Gyr. hippocampi nach hinten bü
sum Hinterhauptslappen reichend): in der linken Hemisphäre einen Erweichunge
herd in der weissen Substanz des Gyr. angularis und der benachbarten Theile des
Schläfen- und Scheitellappens. Dieser Herd reichte in die Tiefe bis zor Aussea-
wand des Hinterholms und hatte eine Unterbrechung der Gratiolet’schen 8eh-
Strahlung und der Fasern dee unteren Längsböndels bewirkt
Bemerkenswerth in beiden Fällen war, dass es sich trotz der Grosse der
Erweichungsherde in der Sehstrahlung um keine sogenannte secondäre Degeneration
handelte, sondern nur um eine Fsseratrophie. Facklam (Suderode).
27) Langage et oorveau, par R. Colella. (Revue de psychol. clinique et
th6rapeutique. 1901.)
Ein Vortrag zum Semesteranfang, der zwar keine neuen Thataachen bringt
und auch nicht bringen will, aber in übersichtlicher, allgemein verständlich ge¬
haltener Form eine Entwickelungsgeschichte der Sprache giebt Der erste Tbeil
bewegt Bich auf linguistisch-psychologischem Gebiete, macht auf die mannigfachen
Beziehungen zwischen der Sprachentwickelung des Kindes und der primitiver
Völker aufmerksam, in denen man eine Wiederholung und Bestätigung des bio¬
genetischen Grundgesetzes finden kann. Die beiden psychologischen Grund¬
phänomene der Empfindung und der Association, desgleichen die Thatsache des
Nachahmungsinstinctes, werden nach ihrer Bedeutung gewürdigt, es wird an¬
geführt, dass Sprache und Wort nichts Einfaches, Einheitliches, sondern ein sehr
zusammengesetztes Ding sind, in dem zum mindesten 4 Grundelemente enthalten
sind: das acustische und optische Gedächtnissbild und auf motorischem Gebiete
die articulatorische und die graphische Erinnerung. Die Art und Weise, wie sich
diese verschiedenen Gedächtnisse im Gehirn an Verschiedene Oertlichkeiten ge¬
bunden entwickeln, die Beweise, die die P&thologiö dtitch das Stadium der
isolirten Ausfallserscheinungen (Worttaubheit, Agraphie u. s. w.) für diese Be
zedby Google
1076
txachtungsweise geliefert hat, bilden den übrigen Inhalt des anregend und klar
geschriebenen Vortrags. H. Haenel (Dresden).
28) Bin Fall von Soh&delsaharte mit fühlbarer Gehirnpulsation und am¬
nestischer Aphasie, oombinirt mit Seelentaubheit und Seelenblindheit
und artioulatorisohem Stottern, von S. Szuman. (Przeglad lekarski. 1901.
Nr. 9. [Polnisch.])
Verf. berichtet über folgenden Fall von Schädelscharte, in welchem die Gehirn¬
pulsation durchzufühlen war und Aphasie mit Stottern auftrat. Der Fall betraf
einen 32jährigen Arbeiter, welcher in Folge eines Kopftraumas das Bewusstsein
verlor, delirirte und nach Erwachen aphatisch wurde. Er wusste die Benennung
der Gegenstände, war aber nicht im Stande die betreffenden Worte auszusprechen.
Pat. klagte über Kopfschmerzen, Ohrensausen, Schwindelgefühl, Schmerzen im Ge¬
biete der Schädelscharte. Status: Im Winkel des Os sphenoid. sin. deutliche
Einsenkung. Beide Pupillen erweitert. Nystagmus verticalis beiderseits. Rom-
berg’sches Phänomen. Zittern der Zunge. Druckempfindlichkeit der linken
Nn. supra- et infraorbitalis, ferner der Hals- und oberen Dorsalwirbel. Hyper¬
ästhesie der linken Gesichtshälfte, des linken Armes und der linken Wade. Patellar¬
und Hautreflexe erhöht. Puls entsprechend dem emotionellen Zustand 64—112.
Bei jeder geistigen Anstrengung (Rechnen u. a.) oder bei Erregung fühlt man an
der oben bezeichneten Einsenkung deutliche Pulsation des Gehirns. Beim Ver¬
such zu sprechen Wiederholung einiger Silben (Anfangssilben der Worte). Sehr
leicht eintretende Ermüdung und Reizbarkeit. Im gereizten Zustande Seelentaub¬
heit und Seelenblindheit. Amnestische Aphasie. Edward Flatau (Warschau).
20) Zur Kritik der „suboortioalen“ sensorischen Aphasie, von Dr. Wil¬
helm Strohmayer in Jena. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde.
XXI. 1902.)
Bei einem 36jährigen Arzte, Rechtshänder, der im Anschluss an eine geburts-
hülfliche Operation vor 8 Jahren eine luetische Infection acquirirt hatte, bestehen
die Symptome einer „subcorticalen“ sensorischen Aphasie im Sinne von Wernioke-
Lichtheim. Bei der anatomischen Untersuchung fand sich in beiden Schläfen¬
lappen eine diffuse, chronische Meningoencephalitis mit den Zeichen frischerer,
luetischer Entzündung und zwar am ausgeprägtesten in der Rinde. Im Marklager
sind nur die Gefässe vermehrt und deren Wandungen verdickt, grob anatomische
und mikroskopische Herde lassen sich indessen nicht erkennen. In dieser schweren
Veränderung der Rinde der Schläfenlappen, in welcher wir die Endausbreitung der
Schneckennerven suchen, und die wir mit der motorischen Sprachfunction in Zu¬
sammenhang bringen, erblickt Verf. die entscheidende Rolle beim Auftreten der
„subcorticalen“, sensorischen Aphasie, giebt aber zu, dass wir bis jetzt noch nicht
bestimmt in der Lage sind, dieselbe eindeutig zu localisiren.
E. Ascb (Frankfurt a/M.).
30) Cöoitd verbale pure, par Brissaud. (Nouvelle Iconographie de la Salpe¬
trige. 1902. Nr. 4.)
Ein 67 jähriger Mann wird ins Hospital gebracht, weil er wiederholt Personen,
die er täglich sah, nicht erkannt hätte und zuweilen sioh gewisse Gegenstände
(wie Brille, Taschentuch, Streichhölzer u. s. w.) unrichtig bedient hätte. 5 Tage
vorher hatte er plötzlich gesagt, er wisse nicht, ob Tag oder Nacht wäre.
Der Kranke hat Hemianopsia dextra. Von links her in sein Gesichtsfeld
gebrachte Gegenstände bezeichnet er richtig und ohne zu zögern. Temperatur 39,1.
68 *
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Pat, ist ohne Krankheitsgefühl und ist zu Zeiten unfähig zu lesen. & sieht nur
„schwarz auf weissem Grunde“. Ge wird ihm sein geschriebener Name vorgelegt:
„Da« ist etwa«, was ich gewöhnlich schreibe, ich weise, was ee ist, ich kann es
nur nicht sagen.“ Abschreiben gelingt nicht, dagegen schreibt er auf Aufforderung
seinen vollen Namen, kann ihn aber nachher nicht lesen.
Schon bei Lebzeiten wurde die Diagnose auf eine Läsion des linken Occipital-
lappena gestellt. Ausser Fieber, Hemianopsia dextra und der Seelenblindheit
(„C6cite verbale et littärale“) hat der Kranke, wie es scheint, nichts.
Autopsie: Erweiohung des hinteren Endes der linken Hemisphäre, herror-
gerufen durch Embolie der Art. calcarina. Der Herd nimmt ein im Occipitil-
lappen den ganzen Cuneus (ausgenommen den Pol selbst), den Lohns lingualis und
längs des ganzen Verlaufs die Fissura calcarina nach vorn biB zur Gratiolet'-
sehen Sehstrahlung. Rechts Degeneration des Spleninms des Balkens und de*
Tapetums, herröhrend von einer Embolie der Art. cerebri anterior (Sagittalschnitt).
Ausser einigen Adhärenzen der Pia mater war das übrige Gehirn intact
Ernst Bloch (Kattowitz).
31) Bin Fall von motorischer Aphasie functioneilen Ursprungs, von Gold¬
blum. (Czasopismo lekarskie. 1901. S. 184. [Polnisch.])
Verf. berichtet über einen Fall von functioneller motorischer Aphasie bei
einem 3jährigen Knaben, welcher vor einiger Zeit vom Stuhl fiel (keine Kopf¬
verletzung). Am nächsten Tage fast völlige motorische Aphasie (spricht nur
wenige am meisten gebräuchliche Worte aus). Pat. verstand alles, sprach nicht
nach. Besserung nach Faradisation. Edward Flatau (Warschau).
32) Zur Kenntnis* der B&okbildung motorischer Aphasieen, von Bon-
hoeffer. (Mittheilungen ans den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie.
X. 1902.)
Verf’s Arbeit stellt einen sehr wichtigen Beitrag zur Frage der motorischen
Aphasieen, insbesondere über das Verhalten der sogenannten transcorticalen mo¬
torischen Aphasie zu den übrigen motorischen Aphasieen, speciell der corticsleo
Form dar. Seine beiden Fälle scheinen die Ansicht Freud’s, Sachs' und
Dejerine’s, dass die BOgenannte transcorticale motorische Aphasie lediglich einen
Zustand herabgesetzter Erregbarkeit der motorischen Sprachsphäre, nach Dejerine
sogar nur ein Stadium der Besserung der corticalen motorischen Aphasie bedeute,
bis zu einem gewissen Grade zu bestätigen.
L Im ersten Falle handelt es sich um einen 56jähr., auf ziemlich niedriger
Bildungsstufe stehenden polnischen Pat., der 1870 eine Grauatsplitterverletzung
des Kopfes erlitten hat, als deren Folge eine Narbe mit stumpfwinkliger Ver¬
tiefung über dem linken Scheitelbein zurückgeblieben war. Folge dieser Ver¬
letzung waren Charakterveränderungen und später eine eigenartige periodische
Psychose mit Desorientirung und katatonischen Symptomen. Zur Zeit der Be¬
obachtung rechtsseitige centrale Facialisparese, unregelmässige Mitbewegungen
der Zunge, des Kopfes und der Mundmusculatur. Früher kurzdauernde epilep¬
tische Zustände. Pat. wurde von v. Mikulicz trepanirt, ohne dass sich an der
inneren Knochent&fel oder am Gehirn UDd seinen Häuten etwas Krankhaftes fand.
Bei der Operation wurden einige Venen der Pia in dem hinteren Drittel der
2. Stirnwindung verletzt. Nach der Operation ist Pat. im Gegensatz zu seinem
vorherigen Befinden völlig klar; es besteht aber völlige Wortstummheit, starke
centrale Parese des rechten Facialis, des rechten Hypoglossus, vorübergehende
Parese der rechten Hand; hierzu traten corticale Krämpfe im rechten Faciali*
und Arm. Spontansprache zunächst nur auf einige Silben beschränkt; dagegen
Google
1077
gebt die Fähigkeit nachzusprechen der Wiederkehr der Spontan«
spräche um einige Tage voraus. Einzelne Symptome von Worttaubheit,
LeseverständnisB, anfangs gänzlich geschwunden, bildet sich langsamer zurück als
die Sprache. Spontan* und Dictatschrift gänzlich erloschen, einzelne Zahlen werden
richtig geschrieben. Sämmtliche Erscheinungen nach 1—2 Monaten zurückgebildet.
II. Im zweiten Falle handelt es sich um einen 26jähr., seit dem 12. Lebens¬
jahre an Epilepsie leidenden Pai, bei dem zuerst eine osteoplastische Schädel-
resection über dem rechten Scheitelbein ohne wesentlichen Erfolg vorgenommen
war, und der am 19. Juni 1901 abermals trepanirt wurde. Die Operation wurde
in derselben Weise vorgenommen, wie in Fall I. Auch hier wurden wie in
Fall I einige Piavenen in der hinteren Partie der linken 2. Stirnwindung ver¬
letzt Nach der Operation Parese des rechten Facialis und totale motorische
Aphasie. Wort- und LeseverständnisB für einfaohe Sätze erhalten. Lautlesen
unmöglich. Paragraphie. Einige Tage später gelingt Nachschreiben relativ gut,
Benennen ist paraphasisch möglich, Spontansprache dagegen noch sehr erheblich
gestört, nur vereinzelt werden verständliche Worte gesprochen. Lautlesen gelingt,
aber paraphasisch und schlechter als Naohsprechen. Paragraphie bei Spontan-
und Dictatschrift. Copiren und Abzeichnen gut. Nach etwa 4 Wochen völlige
Rückbildung, eine gewisse Verlangsamung der Spraohe dauert etwas länger an.
Bei beiden Kranken zeigte sich ferner anfangs eine eigenartig übertriebene
Innervation der gesammten mimischen Musculatur, ferner ein eigentümliches
Dehnen sowie geringe Modulation und Monotonie der einzelnen Laute und Silben.
Verf. glaubt, dass seine Fälle beweisend dafür sind, dass die Rückkehr der
Rindenfunction der Broca’schen Gegend sich zunächst in der Wiederkehr des
Nachsprechens äussert. Eine gewisse Parallele bietet dieser Vorgang zu der nor¬
malen Sprachentwickelung beim Menschen überhaupt; diese Parallelität äussert sich
auch in der relativ früh wiederkehrenden Fähigkeit, vorgelegte Gegenstände zu
benennen. Beide Fälle beweisen ferner, dass gewisse Schädigungen des Wort¬
verständnisses (bei längeren Sätzen und Fragen) auch bei der motorischen Aphasie
zu Stande kommen und bestätigen damit die dahingehenden Behauptungen
Dejerine’s.
Die weiteren interessanten Ausführungen des Verf. über die paraphasischen
und paragraphischen Störungen seiner Pat., den Agrammatismus, dessen Ursache
Verf. in Läsionen des Stirnhirns sieht im Gegensatz zu Heilbronner und Pick,
welche Störungen des sensorischen Sprachfeldes dafür verantwortlich machen, u. a.
sind im Original, das zweifellos für die Lehre von den Sprachstörungen von
wesentlicher Bedeutung ist, nachzulesen. Martin Bloch (Berlin).
UL Bibliographie.
1) Psychiatrie. Für Aerzte und Studirende bearbeitet von Th. Ziehen.
II. Aufl. (Leipzig 1902, S. Hirzel. 750 S.)
Dass ein psychiatrisches Lehrbuch, dessen I. Auflage 1894 erschienen ist, in
II. Auflage „vollständig umgearbeitet“ erscheinen würde, war fast vorauszusehen.
Verf. hat die II. Auflage denn auch in diesem Sinne angekündigt. Eine Ver¬
änderung seines principiellen psychologischen und psychiatrischen Standpunktes
ist allerdings — wie ebenfalls zu erwarten war — mit dieser Umarbeitung nicht
verknüpft. Maassgebend ist nach wie vor in der allgemeinen wie speciellen Psycho-
pathalogie der Gesichtspunkt der Associationspsychologie, über deren Berechtigung
zu discutiren an dieser Stelle freilich nicht der Ort ist. Da diese Grundlage die
gleiche geblieben ist, hat der allgemeine Theil denn auch die wenigsten Ver¬
änderungen erfahren. Unter den Affeotstörungen ist als ein neuer Begriff die
zedby GoOgle
1078
„krankhafte Ergriffenheit“ eingeführt, worunter Verf. eine allgemeine Steigerung
der affectiven Erregbarkeit, das Gegentheil der Apathie versteht; die Kranken
Bind für alle Gefühlseindrücke in abnormem Maasse empfänglich. Die auf diesem
Boden entstehenden Wahnvorstellungen werden als „eknoische Zustände“ be¬
zeichnet. Statt der Pseudodemenz (Magnan) erscheint der Begriff der Gefühls¬
einengung glücklich gewählt. Die früher gänzlich fehlenden „überwerthigen Vor¬
stellungen“ werden unter dem ebenfalls neu eingeführten Kapitel: Störungen des
normalen Vorstellungswechsels gebracht, dom ein ähnliches: Störungen des normalen
Wechsels des Handelns entspricht. Bei den somatischen Begleitsymptomen der
Psychosen wird u. A. das Stottern als „eine eigenartige Form spastischer Mit¬
bewegungen im Bereiche der Phonationsmusculatur“ bezeichnet, wohl nicht ganz
mit Recht: Mitbewegungen können sich wohl dazu gesellen, das ursprüngliche
Stottern ist aber in erster Linie eine reine Krampferscheinung. Die Ecboprmzie
und Echolalie mancher Schwachsinnigen wird unter den automatischen Bewegungen
genannt; hier passt sie wohl auch besser hin als zu den Zwangshandlungen, wo
sie dann zum zweiten Male angeführt wird.
In der allgemeinen Aetiologie sind jetzt den calorisohen Schädlichkeiten und
den physiologischen Prooessen in den weiblichen Genitalien besondere Abschnitte
gewidmet; ganz neu hinzugekommen ist ein kurzes Capitel über die allgemeine
pathologische Anatomie (Untersuchungstechnik). — Die mehrfach angefeindete
„Hyperprosezie“, die Verf. z. B. bei der Manie findet, wird dadurch annehmbarer,
dass er die normale Aufmerksamkeit in zwei Eigenschaften trennt: die Weckbar-
keit (Vigilität) und die Haftfähigkeit (Tenacität); beide Eigenschaften können in
entgegengesetztem Sinne verändert sein und sind es bei der Hyperprosexie auch
insofern, als Hypervigilität mit Hypotenacität verbunden ist.
In der speciellen Psychopathologie, d. h. besonders in der Eintheilung der
Psychosen, beschreibt Verf. wie früher den empirischen oder klinischen Weg, wo¬
durch allerdings der Nachtheil entsteht, dass Krankheiten, deren Einheitlichkeit
auf der Hand liegt, wie der Alkoholismus, die Hysterie u. ä., an 4, 5 verschie¬
denen Stellen behandelt werden. Ueber den praktischen und didactischen Werth
dieser Classification sind bekanntlich die Meinungen sehr getheilt; das Prindp
läuft auf die Darstellung von Querschnittsbildern hinaus, während von vielen
Seiten der „Längsschnitt“ der Psychose als das maassgebende Betrach tun gsprincip
gefordert wird. Dieser Forderung sucht Verf. zu genügen, indem er bei jedem
klinischen Einzelbilde neben der Schilderung der Störungen des Empfindens, der
Vorstellungen, des Affeetes, der Handlungen, der körperlichen Symptome, der
Varietäten Uebergangsförmen, auch Verlauf, Ausgang und Prognose gebührend
berücksichtigt. — Da als Paranoia alle functionellen Psychosen zusammengefasst
werden, deren Hauptsymptome primäre Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen
sind, wird diese Gruppe natürlich sehr umfassend und muss z. B. auch dem
Delirium tremens noch Unterkunft gewähren, während die früher auch hier unter¬
gebrachten epileptischen und hysterischen Dämmerzustände jetzt abgetrennt sind. —
Während der der Katatonie gewährte Raum von einer halben Seite in der
I. Auflage jetzt nur auf eine Seite gewachsen ist, werden dem circularen
Irresein jetzt 20 Seiten — statt wie früher 2 — eingeräumt, und die De¬
mentia hebephrenica, die früher ganz fehlte, ist mit 13 Seiten völlig neu auf-
genommen. Dass bei der Therapie des ciroulären Irreseins bei Gelegenheit der
Empfehlung des Opiums zur Coupiruug der depressiven Phase „in sehr hohen
Dosen (mindestens 0,15 pro die)“ angegeben wird, ist wohl nur ein numerisches
Versehen, obwohl es im DruokfehlerverzeichniBS nicht corrigirt ist. Neu sind
ebenfalls die Abschnitte: Dämmerzustände, begleitende Delirien und psycho¬
pathische Constitutionen; dass die Neurasthenie aus der Gruppe der affectives
Psychosen Manie und Melancholie, wo sie früher stand, in die letztere hinäber-
ea by Google
1079
▼ersetzt ist, ist wohl nur als Fortschritt zu bezeichnen. Als ein weiterer Gewinn
sind die jedem Paragraphen zugefögten Zeilen über die forensische Bedeutung zu
begrüssen, sowie ein Anhang, der die för den Psychiater wichtigsten Gesetzes¬
paragraphen enthält. Die beigefügten physiognomischen und mikrophotographischen
Tafeln sind unverändert geblieben.
Im Ganzen kann man jedenfalls sagen, dass die Veränderungen und Er¬
weiterungen der neuen Auflage nur zum Vortheil gereichen und geeignet sind,
die weitere Verbreitung des Lehrbuohes zu befördern. H. Haenel (Dresden).
2) Die Neurologie des Auges. Bd. IL Ein Handbuch für Nerven- und Augen¬
ärzte, von Dr. H. Wilbrand und Dr. A. Saenger in Hamburg. (Wiesbaden
1901, J. F. Bergmann.)
Der erstaunliche Fleiss, der bei der Besprechung des L Bandes des Werkes
schon rühmend hervorgehoben wurde, zeichnet auch den IL Band der „Neurologie
des Auges“ aus. Auf 307 grossen Druckseiten werden die Thränensecretion und
die TrigeminusafFectionen besprochen, und nach Kritisirung der Ansichten der
verschiedensten Autoren bilden die Verff. auf Grund ihrer reichen Erfahrung ihr
eigenes Urtheil.
Ganz besonders genau und eingehend ist die Besprechung der Keratitis
neuroparalytica und des Herpes zoster ophthalmicus, die mit ihren reichlichen
und anschaulichen Abbildungen ein klares Bild der betreffenden Erkrankungen
liefert. Auch der zweite Theil, dem ein dritter über Accommodation und Pupillen¬
verhältnisse noch folgen soll, kann den Neurologen und Ophthalmologen aufs
Wärmste empfohlen werden. Fritz Mendel.
3) Das dritte Gesohleoht. Beiträge zum homosexuellen Problem, von M. Braun-
Bchweig. (Halle 1902.)
Die sensationelle Umschlagzeichnung der vorliegenden Broschüre lässt er¬
kennen, dass diese nicht nur för Aerzte, sondern för das grosse Publicum ge¬
schrieben ist, und es könnte fraglich erscheinen, ob es nothwendig oder nützlich
ist, diese Frage, die schon allzu reichlich vor dem breitesten Forum der Oeffent-
lichkeit verhandelt worden ist, zum hundertundersten Male dort zu tractiren.
Neue Thatsachen bringen diese „Beiträge“ nicht zum Vorschein, dagegen alt¬
bekannte in zum Theil falscher oder zum mindesten unvollkommener Darstellung
(z. B. den Exhibitionismus als Anlockungsmittel des männlichen Prostituirten för
seine Geschlechtsgenossen). Der Standpunkt des Verf., dem man im Allgemeinen
die Zustimmung nicht wird versagen können, kommt in folgenden Sätzen zum
Ausdruck: „Dem gekorenen Weibsmann soll sein Recht, wenn er es durchaus
will, unangetastet verbleiben; er mag sich des vorhandenen Defectes erfreuen.
So lange er nicht mit der Oeffentlichkeit in Conflict kommt, soll er von keinem
Paragraphen des Strafgesetzbuchs angefasst werden können. — Nicht der spär¬
lich vertretene Natur-Urning, die üppig wuchernde angewöhnte Homosexualität
gebiert die Schäden. — Der Natur-Urning, der geborene Homosexuelle, ist ein
kranker Mensch; der Gewohnheitsuming steht auf der Grenze zwischen krank¬
haft und lasterhaft; der Geschäftsurning gehört vor den Richter. — Bürgerrecht
wird die Homosexualität nie finden, bedingtes Gastrecht sicher; „. . . in der ver¬
kehrten Geschlechtsempfindung eine oftmals durch die Natur bewirkte Erscheinung
anerkennen, erlaubt noch nicht, uferlose Consequenzen daraus zu ziehen.“ Die
Mahnung an Eltern und Erzieher, pathologische sexuelle Keime schon bei Kindern
zeitig zu entdecken und jede mit ihnen in Verbindung stehende Regung einzu¬
dämmen, abzusohwächen, umzumodeln, ist gewiss nicht unangebracht; Verf. giebt
auch einige greifbarere Rathschläge zur Durchführung dieses oft leichter gegebenen
als befolgten Rathes. H. Haenel (Dresden).
zedby Google
1080
4) Geisteskrankheit and Irrenanstalten. Sechs gemeinverständliche Vorträge,
von Tuczek. (Marburg 1902. Elwert’sche Verlagsbuchhdlg.)
Diese Vorträge wurden als ein „volkstümlicher Lehrgang von Hochschul¬
lehrern“ im Anfang dieses Jahres gehalten. Verf. will durch diese richtige
Anschauungen über das Wesen der Geisteskrankheiten sowie über die Thätigkeit
und Ziele der modernen Anstalten für Geisteskranke verbreiten. Das ganze in
Betracht kommende Gebiet wird in einer Weise abgehandelt, welche für derartige
populäre Zwecke als vorbildlich bezeichnet werden kann. Ascher.
5) Vier Vorlesungen aus der allgemeinen Pathologie des Nervensystem«,
von Frederick W. Mott. (Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann.)
Aus der allgemeinen Pathologie des Nervensystems hielt Verf. im Sommer 1900
vier Vorträge vor dem „Royal College of Physicians of London“, welche non
mit den begleitenden Worten Edinger's in deutscher Sprache erschienen. Ein
stellenweise nur zu tiefes Eingehen in Detailfragen geht mitunter über den
Rahmen des Titels hinaus, doch kann man hierfür dem Verf. nur Dank und An¬
erkennung zollen, da wir gerade dadurch mit bisher nicht veröffentlichten oder
schwer zugänglichen Untersuchungen Verf.’s und seiner Schüler bekannt werden.
In der ersten Vorlesung bekennt sich Verf. als überzeugter Anhänger der Neuron¬
theorie und ist diese Vorlesung ganz dem anatomischen und physiologischen
Studium des Neurons sowie der Beziehungen der verschiedenen Nenrasysteme ge¬
widmet. In der zweiten Vorlesung befasst sich Verf. mit den pathologischen
Veränderungen, welche bei Krankheiten und Verletzungen im Neuron Vorkommen;
besonderes Interesse verdienen Verf.’s systematische Untersuchungen über die
Wirkung zeitweisen und dauernden Blutmangels, ferner von Blutungen und Hyper-
pyrexie; in interessanter Weise äussert sich Verf. über den Elinfluss verschiedener
Gifte und Toxine. Die dritte Vorlesung behandelt die chemischen Vorgänge bei
der Elntartung und ihre Beziehungen zur Autointoxiotion; Verf. bespricht die sich
bei Markscheidenzerfall bildenden chemischen Products und deren toxische Wirkung
auf den thierischen Organismus auf Grund von Thierexperimenten. Manch Neues
und Wichtiges erwähnt Verf. nur skizzenhaft, doch genügend, um neuen Unter¬
suchungen neue Bahnen zu weisen. Die vierte Vorlesung ist der Besprechung
einiger chronischer VergiftungBzustände gewidmet. Verf. weist auf die enge Ver¬
wandtschaft in der Aetiologie und Pathologie der Tabes und allgemeinen Paralyse
hin und betont die besondere Rolle, welche der Syphilis bei diesen zufüllt, und
führt verschiedene Beweise dafür ins Treffen, dass das Primäre bei diesen Er¬
krankungen die Degeneration der Nervenelemente sei, während Gliawucherung u.s.w.
nur secundärer Natur sind. Den Bemerkungen über primäre Erkrankungen der
zuführenden und ausführenden Neurasysteme sowie über Polyneuritis, folgt als
Schluss eine kurze Darstellung der Erblichkeit und ihre Beziehungen zur Dege¬
neration des Neurons.
Bezüglich der vielen interessanten Details sei das Original empfohlen, welches
auf 112 Seiten Text 59 sehr instructive Abbildungen bietet (Mikrophotogramme,
Athmungs- und Blutdruckcurven, Photogramme). Hudovernig (Budapest).
fl) In Berlin erscheint, herausgegeben von Dr. Lipliawsky und Dr. Weis¬
bein, jetzt eine russische medicinische Rundschau als Monatsschrift für die
gesammte russische medicinische Wissenschaft und Litteratur.
Die vorliegende Nr. 1 enthält neben Referaten aus allen Zweigen der Medicin
einen Originalartikel aus der chirurgischen Universitätsklinik in Moskau von Dr.
Diwawin: Zur Frage der operativen Behandlung der Graves’schen Krankheit.
; dby Google
1081
IV. Aus den Gesellschaften.
VIII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen
in Dresden am 26. und 26. Ootober 1902.
I. Sitzung am 26. October, Vormittags 9 x / a Uhr.
Vorsitzender: Herr Prof. Hitzig.
1. Herr Bruns (Hannover): Ueber die Verschiedenheit der Prognose
■wischen den Plexus* und Nervenstammlfthmungen der oberen Extremität.
(Vergl. Original 1 in dieser Nummer.)
Discussion:
Herr Adolf Schmidt: Zu den Entbindungslähmungen, die ja in der vom
Vortr. angeregten Frage eine grosse Rolle spielen, bin ich in der Lage einen
Fall anzufahren, der später zur Section gekommen ist und bei dem sich ergab,
dass die oberen Plexuswurzeln vollständig zerrissen und durch Narbengewebe er¬
setzt waren. Die umgebenden Knochen waren dabei intact geblieben. Dieser
Fall — der von anderer Seite ausführlicher veröffentlicht werden wird — zeigt»
dass die Verletzungen des Plexus bei den Entbindungslähmungen, ganz wie Vortr.
vermuthet bat, schwererer Natur sein können, als das durchschnittlich bei den
peripher gelegenen Druck- und Zemmgslähmungen der Fall ist.
Herr 0. Förster möchte für die Auffassung des Vortr., dass bei den trau¬
matischen, dem Rückenmark näher gelegenen, Läsionen der Nervenstämme ge¬
legentlich eine Betheiligung der Medulla spinalis im Spiele ist, einen weiteren
Beleg mittheilen. Es handelte sich um einen Mann, dem ein Wagenrad über die
rechte Schulter und unteren Hals gegangen war. Er bot anfangs totale Lähmung
aller Muskeln, welche die rechte Hand und Finger bewegen, daneben bestanden
spastische Erscheinungen in beiden Beinen und eine Anästhesie an der Innenseite
des Oberarmes, Vorderarmes und der Hand einschliesslich des kleinen Fingers,
also im Bereiche der 8. Cervical- und 1. und 2. Dorsalwurzel. Die spastischen
Erscheinungen und die Sensibilitätsstörung verloren sich, die Lähmung heilte bis
auf eine totale Lähmung des N. ulnaris, die dauernd unverändert blieb.
Herr Hitzig glaubt, dass bei der guten Prognose der Radialisdrucklähmungen
des Nerven relativ geschützte Lage zwischen Muskelbäuchen in Betracht kommt, wo¬
durch der Druck ein mehr indirecter wird. Ausserdem erinnert er daran, dass
vielleicht auch physiologische Verhältnisse dabei eine Rolle spielen, besonders das
sogenannte „lawinenartige Anschwellen“ des Reizes oberhalb der LäsionBstelle.
Herr Haenel führt eine Arbeit von Viannay an, der für die sensiblen
Nervenfasern wie für die den einzelnen Muskeln zugehörigen Nervenfasern in den
verschiedenen Nervenstämmen ganz bestimmte Stellen im Nervenquerschnitt nach-
gewiesen hat. Da bei Druckwirkungen die central gelegenen Fasern weniger von
der Schädlichkeit getroffen werden — beim N. radial, sind diese z. B. sensibler
Natur — wie die an der Peripherie des Querschnittes gelegenen, so wird dadurch
manche anscheinende Zufälligkeit in der Vertheilung der peripheren Lähmung
wie in der Reihenfolge bei der Restitution erklärlich.
Herr Bruns (Schlusswort): Das „lawinenartige Anschwellen“ kommt jeden¬
falls bei der Frage mit in Betracht, dies kann aber nicht ausschlaggebend sein;
auch er möchte anatomische und physiologische Gründe nicht ausschliessen.
2. Herr ABchaffenburg (Halle a/S.): Beitrag sur Psychologie der
Sittliohkeitsverbreohen.
Vortr. demonstrirt an der Hand zweier Tafeln nach einer französischen und
deutschen Reichsstatistik die eigenthümliohe Vertheilung der Sittlichkeitsverbrechen
auf die einzelnen Monate des Jahres, wobei im Juni und Juli ein Höhepunkt
Google
1063
erreicht wird. Auf allen Gebieten des Geschlechtslebens ist eine solche Periodi-
cität nachweisbar, and zwar kann man eine Scala aufetellen, die vom erlaubt«
zum unerlaubten Geschlechtsverkehr fortschreitend, diese Periodkntät umso aus¬
geprägter zeigt, je weiter sie aioh vom normalen Verkehr entfernt: eheliche un¬
eheliche Conceptionen, Unzucht, Nothzucht, Unzucht begangen an Kindern unter
14 Jahren. — Die eigenartige Abhängigkeit des Geschlechtslebens von bestimmter
Zeiten legt die Frage nach der Art der Sittlichkeitsverbrecher nahe. Vortr. bst
deshalb seit 1 1 / t Jahren sämmtliche Sittlichkeitsverbrecher, die in das Straf-
gefängniss zu Halle a/S. eingeliefert wurden, einer psychiatrischen Beo b achtang
unterworfen. Es waren das 95 Fälle, die sich folgendermaassen vertheilten:
Doppelehe (1), Blutschande (2), unzüchtige Handlungen mit Gewaltanwendung (2),
an Geisteskranken oder Bewusstlosen (4), an Personen unter 14 Jahren (64),
Nothzucht (10), Kuppelei (10).
Für die Bedenklichkeit der Zuhälter spricht, dass sie bei einem Durch¬
schnittsalter von 30 Jahren, fünf davon unter 22, im Mittel 6 Vorstrafen erlitten
hatten. Einer war verblödet, sieben wenig intelligent
Die beiden wegen Päderastie Verurtheilten litten an Dementia praecox. Unter
den wegen Unzucht und Nothzucht bestraften 80 Fällen waren 26, denen Vortr.
den Schutz des § 51 zuerkennen möchte, 18, bei denen die Zurechnungsfähigkeit
eingeschränkt erschien. Ganz gesund waren nur 20.
Die Formen der bestehenden geistigen Anomalieen vertheilten sich suf
Epilepsie.
Unzucht u. Nothzucht
8
U macht andlungeo
an Kindern allein
8
Neurasthenie ....
3
2
Hysterie.
1
1
Senile Demenz ....
8
8
Imbecillität.
22
13
Imbecillität hohen Grades
15
12
Dementia praecox. . .
1
1
Gefangenenwahnsinn .
1
1
Suicid.
1
1
Normal.
20
17
80
64
Die Dementia praecox und der Gefangenenwahnsinn traten erst nach der Ver¬
urteilung nachweislich zu Tage. Der Selbstmord erfolgte 8 Tage nach Ein-
lieferung in die Strafanstalt, ohne dass der Gefangene irgendwie auffällig geweseo
wäre. Von den Senilen standen sieben im Durchschnittsalter von 71 Jahren und
waren alle zum ersten Male bestraft worden.
Vortr. weist ferner auf die Beobachtung hin, dass die abnorme Neigung d«
Geschlechtslebens oft auf bestimmte Jugendeindrücke sich zurückführen lä«t;
einige der Verurtheilten hatten nie normalen Geschlechtsverkehr gehabt
Die grosse Zahl der psychisch Abnormen zeigt, wie notwendig es ist, w
allen Fällen von Sittlichkeitsverbrechen eine psychiatrische Begutachtung m rer ’
langen; in den vorliegenden Fällen war dies nur zwei Mal geschehen; hei den
senil Dementen war trotz der Unbescholtenheit und des hohen Alters nicht einmal
der Gedanke an Krankheit geäussert worden. — Von besonderer Wichtigkeit &
noch, wie wenig die mildere, d. h. kürzere Strafe bei all den wegen Schwachsinns.
Epilepsie, Hysterie u. s. w. Minderwertigen im Interesse der allgemeinen Rechte*
Sicherheit angebracht ist. Nach Antoreferat.
Disoussion:
Herr Moeli vermisst die Erwähnung der Exhibitionisten in d*" Vortrag*
zedby G00gle
1083
des Hrn. Aschaffenburg. Bei diesen handelt es sioh häufig um ein Lustgefühl,
das durch Erregung eines Gefühles bei der Person, gegenüber der die Entblössung
stattfindet, erzeugt wird. Sein Wesen ergiebt sioh aus der Art der Gewählten:
Frauen und kleine Mädchen, bei denen schon eine gewisse Empfindung voraus¬
gesetzt werden kann. Wesentlich erscheint ihm auch die Erregung des sexuellen
Schamgefühles, nicht immer nur anderer sexueller Empfindungen oder der Libido.
Es fragt sich, ob dieser mehr psychisch ausgeprägten Sexualhandlung des Exhibi¬
tionisten eine Besonderheit der Mehrzahl der Thäter entspricht; durchgängig ist
dies sicher nicht der Fall, rein äussere Umstände (geringere Gefahr, leichtere
Ausführung) geben wohl oft den Ausschlag. Trotzdem ist auf die besondere Art
des sexuellen Reizes bei dieser Gruppe immerhin Gewicht zu legen.
Herr Ganser: Häufig wird die That des Exhibitionisten ohne Frage im
alkoholischen Rausch oder im epileptischen Aequivalent begangen, wo dann natür¬
lich ein psychisch abnormer Zustand vorliegt
Herrn Hitzig fällt auf, dass die ausgestellten Curven der monatlichen Sitt¬
lichkeitsverbrechen aus Deutschland und Frankreich so vollständig sich decken;
er fragt nach dem Grnnde dieser bemerkenswerthen Uebereinstimmung.
Herr Aschaffenburg (Schlusswort): Eine Abhängigkeit der Curven von
der Jahrestemperatur allein scheint nicht vorzuliegen; vielleicht spielen die
physiologischen Schwankungen des psychischen Gleichgewichtes, wie wir sie bei
der Frau in der Menstruation sehen, eine Rolle; auch beim Manne scheint eine
entsprechende Periodicität nicht ganz zu fehlen (Havelock Ellis). Ueber die
Exhibitionisten hat Vortr. keine neuen Erfahrungen gesammelt; unter den zuletzt
beobachteten fünf waren drei hochgradig, zwei mässig schwachsinnig; in Heidelberg
standen die Epileptiker an erster Stelle. Ueber die Motive zu den Unzuchts¬
handlungen, speciell ob dabei die Erweckung des Schamgefühles bei der ange¬
griffenen Person eine Rolle spielt, hat er von seinen Untersuchten keine verwert¬
baren Aufschlüsse erhalten; die meisten waren überhaupt ausser Stande, sich
genügende Rechenschaft über die Motive ihres Handelns zu geben.
3. Herr Förster (Breslau): Die Grundlagen der methodischen Uebungs-
therapie von Bewegungsstörungen.
Vortr. giebt einen Auszug aus seinem jüngst erschienenen Buche: Die
Physiologie und Pathologie der Coordination, der sich zum kurzen Referat nicht
eignet Das Wesentliche ist, dass er drei über einander gelagerte Coordinations-
syBteme beschreibt, das spinale, cerebrale und cerebellare, also nicht bloss die
bewusste Sensibilität zur Leitung der Bewegungen heranzieht, und aus der ver¬
schiedenen Betheiligung dieser Systeme an den Läsionen die einzelnen Arten der
Ooordinationsstörungeu entwickelt.
Discussion: Herr Binswanger hält es nicht für ausgeschlossen, dass die so
wichtigen Analysen des Vortr. auch auf functionelle Störungen zu übertagen sind;
besonders interessant würde sich die Untersuchung gestalten bei hysterischen
Lähmungen, bei denen ja ein anatomischer Ausfall centripetaler Bahnen nicht
vorliegt. Vielleicht spielt dann statt dessen der psychische Factor der erhöhten
oder herabgesetzten Schmerzempfindlicbkeit eine Rolle.
4. Herr Bennecke: Aus meiner psychiatrischen Thätdgkelt am Dresdner
Oarnisonlasareth.
Die sächsischen Militärbehörden tragen seit einiger Zeit auch für die psychi¬
atrische Ausbildung der jungen Militärärzte Sorge. — Unter den seiner Aufsicht
unterstellten Kranken waren der Zahl nach Schwachsinn, psychopathische, nament¬
lich Angstzustände auf degenerativer Basis und epileptische Geistesstörungen am
stärksten vertreten. Besonders betont Vortr. das seltene Vorkommen von Alko¬
holismus, auch unter den Unter offioieren. — Ausführlich giebt Vortr. die Kranken-
Google
1084
geschieht«ii von drei Leuten mit Wandertrieb (Poriomanie) wieder; zwei tob
diesen waren erblich neuro pathisch belastet; bei keinem bestand echte Epilepät
mit Krampfanfällen; allen gemeinsam war die erhaltene, zum Theil auf die kleinsten
Einzelheiten sich erstreckende Erinnerung, das ruhelose, nur im Zustande grösster
Ermüdung für einige Zeit unterbrochene Umherlaufen, das stark herabgesetzte
Nahrungsbedürfhiss und vor allem das Unbezwingliche und völlig Dominirende
des Wandertriebes, das Reflexionen wie Gedanken an die Folgen des Thum nicht
oder erst ganz spät aufkommen lässt.
Discussion:
Herr Ilberg begrüsst die Einrichtung einer psychiatrischen Beobachtungs-
Station im Dresdener Garnisonlazareth als einen dankenswertken Fortschritt nnd
möchte die Aufmerksamkeit der Militärärzte immer mehr auf die Insassen der
Militärstrafanstalten gerichtet wissen. Der Alkoholismus, dessen geringe Ver¬
breitung unter den Mannschaften Vortr. hervorhob, dürfte in den Officiercorps
leider noch erhebliche Verbreitung besitzen; vielleicht wäre es empfehlensverth,
wenn bei ehren* und kriegsgerichtlichen Verhandlungen über Excesse in da
Betrunkenheit die Beschränkung der Zurechnungsfähigkeit noch mehr gewürdigt
würde. Fälle von Dementia praecox, die während der Militärzeit zum Ausbruch
kamen, ohne jedoch im Zusammenhänge mit dem Dienste zu stehen, hat er ziemlich
häufig gesehen.
Herr Bruns fragt nach der Verbreitung der Hysterie, besonders der tnu-
matischen, in der Armee; nach seinen Erfahrungen ist sie nicht selten.
Herr Bennecke: Hysterie ist allerdings verhältnissmässig häufig; in den
letzten zwei Jahren kamen sieben ausgesprochene Fälle zur Aufnahme. — D»
jetzt wohl alle Fälle zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit zur psychiatrischen Begut¬
achtung kommen und nach Feststellung der Krankheit vom Militär entlassen
werden, dürfte eine Anhäufung solcher Elemente in den Feetungsgefangnissen
ausgeschlossen sein.
II. Sitzung: 1 Uhr Nachmittags.
Vorsitzender: Herr Prof. Binswangen
5. Herr Haenel (Dresden): Gedanken zur Neuronenfrage.
Vortr. giebt einen kurzen Abriss der Entwickelung der Neuronenlehre von
1891 bis heute. Die Thatsachen, die für dieselbe sprechen, werden den Ein-
wänden, die vor längerer Zeit bis in die jüngste Zeit dagegen vorgebracht worden
sind, entgegen gestellt. Für die Neuronenlehre spricht: das anatomische Bild im
Golgi-Präparat, die His’sche Darstellung der Embryogenese der Nervenfaser,
viele Thatsachen der Pathologie und pathologischen Anatomie, vor allem die
secundäre Degeneration und die System-Erkrankungen; die Physiologie hat ihrer¬
seits keine neuen bestätigenden Thatsachen vorgebracht, sie hat bei genauerem
Zusehen kein wesentliches Interesse an der Erhaltung der Neuronenlehre. Geg®
dieselbe sprechen die histologischen Nachweise der continuirlich verlaufenden,
wahre Anastomosen und Gitter bildenden Neurofibrillen, die alten und neu«
Beobachtungen einer multicellulären Entstehung derselben und der Axencylinder,
aus dem Gebiete der pathologischen Anatomie alle transneuralen trophuebee
Störungen, discontinuirliche Zerfallsprocesse, manche Beobachtungen an Mi*’
gebürten u. a. In der Physiologie ist die Anschauung, dass nur die Fibrifl®
das eigentliche, nervös functionirende Element darstellen, die durch blo» UP’
lagerung die Verschiedenheiten der Function ergäben, ebenso wenig befriedige» 1
wie die entgegengesetzte, dass Faser und Zelle, im Grunde Eins, durch
zirung so verschiedene Eigenschaften erlangt hätten. — Diese Schwierig^ 911 ®
erscheinen leichter lösbar, wenn man anstatt der anatomischen einefunctio-
Google
1085
nirendb Einheit annimmt unter der Hinzufügung, dass die anatomische In¬
tegrität an das Vorhandensein der physiologischen Reize gebunden ist. Unter
Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes und unter Aufgabe der entwickelungs¬
geschichtlichen Einheit kann man sich dazu das „Neuron“ als eine Art
Organ vorstellen, dessen Einheitlichkeit erst mit der Function und nach Mass-
gabe derselben entstanden, nicht von vornherein gegeben ist Die trophische
Abhängigkeit der einzelnen Elemente dieses Organs von einander wäre dann
ebenso verständlich wie die mannigfachen Variationsmöglichkeiten der Erkran¬
kungen desselben. Der Streit um die Frage nach der functionellen Allein- oder
Oberherrschaft der Zelle oder der Fibrillen u. s. w. würde bis zu einem gewissen
Grade hinfällig: Fibrille mit Tigroid wird natürlich andere Eigenschaften auf¬
weisen als Fibrille mit Interfibrillärsubstanz oder Fibrille mit Fibrille. — Wir
können zum Schluss sagen: der Begriff des Neuron als einer anatomischen, embryo¬
logischen, pathologischen und trophischen Cellulareinheit ist nicht mehr aufrecht
zu erhalten. Setzt man aber an seine Stelle eine Einheit nach Art eines Organs,
so entspricht diese Vorstellung den heutigen histologischen und entwicklungs¬
geschichtlichen Anschauungen, erklärt die Thatsachen der Pathologie ebenso gut,
vielleicht besser und lässt die physiologischen Verhältnisse verständlicher er¬
scheinen. Obgleich die Eigenschaften dieser neuen Einheit in manchen Punkten
mit denen des Neurons übereinstimmen, so ist doch dieser Begriff so fest mit der
Vorstellung der cellularen Einheit verwachsen, dass es sich empfehlen dürfte,
einen neuen Namen zu wählen: Vortr. schlägt deshalb den Namen eines Ergon
für das morphologische und physiologische Bauelement des Nervensystems vor.
Discussion.
Herr Binswanger hält die Vorstellung einer Organeinheit für werthvoll zur
Erklärung mancher pathologisch-anatomischer Eigentümlichkeiten; besonders hat
er dabei die Partialschädigungen der Ganglienzellen im Auge, wie sie z. B. in
den Anfangsstadien der Paralyse beobaohtet werden können; vielleicht können
wir in solohen für die Erklärung „functioneller“ Symptome einen Hinweis finden.
— Er glaubt übrigens, dass eine ähnliche Anschauung, wie die des Vortr., Bchon
vor Jahren einmal von Merkel ausgesprochen wurde.
Herr Hoppe: Hensen hat bereits gegen His betont, dass bei Embryonen
das Nervenrohr mit dem peripheren Organ dauernd durch eine Reihe Zellen ver¬
bunden ist, die sich später in den peripheren Nerven umbilden.
Herr Haenel (Schlusswort) erkennt in dem letzteren Hinweis eine werth-
volle Bestätigung der Bethe’schen Angaben; die His’scben Beobachtungen brauchen
deshalb nicht falsch zu sein, die Neuroblasten mit ihren Faserfortsätzen ezistiren
gewiss, nur sind sie nicht die einzigen Componenten der späteren Nerveneinheit.
6. Herr Böhmig (Dresden): Hysterisohe Unfallserkranknngen bei Tele¬
phonistinnen. (Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.)
Vortr. hat eine Anzahl Telephonistinnen in Behandlung gehabt, die durch
einen Blitzschlag in die Leitung oder durch einen Inductionsschlag getroffen
worden waren. Einzelne Fälle waren deshalb interessant, weil die Verletzten
sehr bald — 3—70 Stunden naoh dem Unfall — zur Untersuchung kamen und
sofort das Bild der Unfallsneurose boten, andere deshalb, weil sie schon wegen
anderer Störungen in Behandlung des Vortr. standen und dieser so constatiren
konnte, dass kein Symptom der späteren Neurose vorher bestanden hatte. Die
Fälle selbst zeigten die verschiedensten Krankheitsbilder: von leichten, rasch
vorübergehenden bis zu den hartnäckigsten, selbst dauernden Störungen der
Sensibilität, mit schweren Allgemeinerscheinungen, trophisohen Störungen u. s. w.
In keinem Falle traten trotz jahrelangen Bestehens organische Veränderungen ein.
(Autoreferat.)
zedby GoOgle
1066
Discussion: *
Herr Bruns: Unter den Symptomen der Blitzschlagneuroeen, die meist wokl
hysterischer Natur sind, kommen doch auch organische vor, wie ein Fall seher
Beobachtung zeigte, in dem sich eine aasgesprochene organische, einseitig
Trigeminusneuralgie mit Ausfall der Zähne und anderen trophisehen Störung«
entwickelte.
Herr Binswanger hält die Fälle für wichtig, weil wenige ähnliche w-
öffentlicht sind. Unter seinen Fällen hat er mehrfach grobe Simulation entdeckt
Herr Hitzig hat in seiner Klinik ebenfalls einige Fälle beobachten können,
dabei war keine Simulation im Spiel. Ein Unterschied zwischen gewöhnlichen
Blitzschlag und Telephontrauma ißt schon darin gegeben, dass gelegentlich die
Telephonistin gänzlich unvermuthet von dem Schlage getroffen wird, wenn da
Gewitter an einem entfernten Orte stattfand; in solchen Fällen fällt ein etwaiger
vorheriger, ungünstig wirkender Angstaffeot natürlich fort Die Prognose tu
bei seinen Fällen im Gegensätze zu denen des Vortr. in der Regel schlecht
Herr Böhmig (Schlusswort): Organische Nervenerkrankung hat er nicht
beobachtet, dagegen ebenfalls Fälle von Simulation, desgleichen solche von Auto¬
suggestionen, wo früher hysterisohe Personen nach Anhören von Unfallsfolger die
alten Beschwerden allmählich als Unfallsfolgen um deuteten, ln einem seiner FÜk
wurde die in Dresden arbeitende Patientin von einem in Chemnitz niedergehender
Gewitter betroffen, stand also nicht unter Gewitterfurcht Schädlich wirkt sicher
auch der Umstand, dass die Telephonistinnen den Hörer am Kopfe befestigt
tragen, also unter Umständen mehrere Schläge kurz hinter einander bekommen
7. Herr Strohmayer (Jena): Ueber die Bestehungen zwischen Epilepsie
und Migräne.
In Anbetracht der Thatsache, dass es eine symptomatische Migräne bei Epi¬
lepsie giebt, soll man sioh hüten, ohne Weiteres von „Uebergängen“ beider Krank¬
heiten in einander zu reden; trotz ihrer engen Anlehnung trennt sie doch ent¬
scheidend die Thatsache, dass bei Migräne trotz schwerster und gehäufter Anfälle
niemals Schwachsinn als Folgezustand, wie bei der Epilepsie, auftritt Beide
kommen öfter als gleichwertige Erkrankungen bei demselben Individuom vor,
dooh hat sich noch kein einwandfreier Fall finden lassen, der für einen echten
Uebergang der einen in die andere spräche. Wo ein solcher vorzuliegen schien,
war die Migräne nur ein Symptom der epileptischen Grunderkrankung, oder diese
trat als etwas Neues zur Migräne hinzu. Bei der Mitigation einer Epilepeie sor
Migräne wird das Verhältniss in der Regel das sein, dass die Epilepsie als solche
weiter besteht und nur Migräuetypus angenommen hat. — In atypischen Fällen
war der Unterschied, ob Migräne oder Epilepsie vorlag, nicht immer eindeutig.
8. Herr Pierson (Lindenhof): Ueber Entmündigung wegen Geistes¬
schwäche.
Vortr. beriohtet über einen Fall eines Patienten, der 1894 wegen Geistes¬
krankheit nach den Bestimmungen B.G.B.’s für Sachsen entmündigt worden w
und 1900 die Umwandlung der Entmündigung in eine solche wegen Geistes¬
schwäche im Sinne des neuen B.G.B.’s beantragt hatte, weil er sich zu verbeirath®
beabsichtigte. Das zuerst eingeholte geriohtsärztliche Gutachten sprach sieb geg®
diesen Antrag aus, ebenso ein Obergutachten dee Landes-Medicinaloolleginn*
Nunmehr beantragte der Anwalt des Patienten, eines typischen Falles von degoa»-
rativem Schwachsinn (angeborener Imbeoillität), dass eine juristische Antontät
um ihr Gutachten angegangen werden solle, da naoh seiner Ansicht die juristiaob®
Schlussfolgerungen der beiden ärztliohen Gutachten nicht zutreffend seien. Di««*
Anträge wurde seitens dee Amtsgerichts Folge gegeben und ein herroirageoder
Professor der juristischen Facultät an der Landesuniversität mit der EraUttang
Google
1087
des Gutachtens beauftragt. Dasselbe spricht sich nun für die Umwandlung der
Entmündigung wegen Geisteskrankheit in eine solche wegen Geistesschwäche aus,
wobei besonders hervorgehoben wurde, dass dem Kranken durch diese Aenderung
lediglich die Geschäftsfähigkeit eines Kindes von 7 Jahren zugesprochen werden
solle, die er im Wesentlichen auch schon vorher besessen hatte. Das Amtsgericht
eignete sich diese Auffassung an und beschloss demgemäss. Ein Einspruch ist
von keiner Seite erfolgt. Die geplante Heirath ist nicht zu Stande gekommen.
Vortr. spricht als seine persönliche Ansicht aus, dass auch er die Gewährung
dieser immerhin sehr beschränkten Geschäftsfähigkeit für den betreffenden Kranken
«als unbedenklich erachte, ln diesem Falle komme sehr viel auf die Persönlich¬
keit des Vormundes an, dem allerdings dann auch eine grössere Verantwortung
zufalle. Vortr. ist der Meinung, man könne bei der Mehrzahl von derartigen
Imbecillen mit der Entmündigung wegen Geistesschwäche auskommen; dieselhe
sei ausreichend, um zu verhüten, dass sie sich und andere schädigen und man
mache damit der Laienauffassung eine Concession, die keine grossen praktischen
Consequenzen nach sich ziehe.
Discussion:
Herr Weber ist an dem Falle als Referent des Landes-Medicinalcollegiums
persönlich interessirt. Das Gutachten dieses Collegiums war ein Behr ausführliches
und kam zu dem Schlüsse, dass Geisteskrankheit vorliege. Es ist zu beduuern,
dass der juristische Gutachter das Landes-Medicinalcollegium nicht nochmals zur
Aussprache zugezogen hat; er hätte dadurch Missverständnisse verhindert, z. B. dass
das Kriterium der Geisteskrankheit der Verlust des Vernunftgebrauchs sei, ein Be-
grifF, den das gegenwärtige Gesetz garnicht kennt. Auch darin befindet sich das
juristische Gutachten im Irrthum, dass es Geisteskranke mit Kindern bis zu
7 Jahren, Geistesschwache mit Mindeijährigen bis zu 21 Jahren vergleicht; das
Gesetz will zweifellos keine Identificirung dieser unvergleichbaren Zustände, sondern
nur das Rechtsverhältnis damit bezeichnen.
Herr Pierson (Schlusswort) hat sich absichtlich auf das juristische Gut¬
achten beschränkt, um einer Versammlung von Psychiatern Gelegenheit zu geben,
sich darüber zu äussern, umsomehr als dem Landes-Medicinalcollegium seitens
des Amtsgerichts keine Füglichkeit gegeben worden war, zu demselben Stellung
zu nehmen.
9. Herr Ganser (Dresden): Zur Lehre vom hysterischen Dämmer¬
zustand. (Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.)
Der Symptomencomplex, den Vortr. zuerst 1897 beschrieben hat, ist in seiner
Eigenart und seiner grossen forensischen Bedeutung allseitig anerkannt worden.
Vortr. beschreibt die wesentlichen Symptome desselben unter Anführung eines
skizzirten Krankheitsfalles, verbreitet sich ausführlich über das Symptom der
„unsinnigen Antworten“ und der Bewusstseinsstörung, die nioht in einer Ein¬
engung, sondern in einer Trübung mit nachfolgender Amnesie bestehe, sowie über
die körperlichen Begleiterscheinungen, nämlich Sensibilitätsstörungen nach Art
der Stigmata und Stirnkopfsohmerz.
Vortr. wendet sich sodann gegen die Nissl’schen Anschauungen, wonach der
beschriebene Symptomcomplex nichts anderes sei als eine Form des katatonischen
Negativismus und Einzelerscheinungen als hysterische Zeichen nur dann angesehen
werden dürften, wenn der „hysterische Charakter“ (im Sinne Kräpelin’s) durch
die klinische Methode (Berücksichtigung des gesammten Lebens- und Krankheits¬
verlaufes) erwiesen sei. Auch Vortr. bat Fälle von Katatonie beobachtet, bei
denen vorübergehend der beschriebene Symptomencomplex auftrat; er deutet sie
als Fälle von Katatonie bei Personen mit hysterischer Anlage bezw. katatonischer
Erkrankung bei entwickelter Hysterie. Nach Autoreferat
Digitized by Google
1088
10. Herr Seifert (Dresden): Ueber einen Teil von Unikllhyaterie mit
outaner und sensorischer Anästhesie. (Ausführliche Veröffentlichung sa
anderer Stelle.)
Vortr. demonstrirt einen Kranken, der vor 10 Jahren eine Gehirnerschütterung
erlitten hat und im Anschluss daran hysterisch wurde: 2 Monate nach dem Un¬
fälle 2 tägiger hysterisoher Dämmerzustand, aus dem er mit completer sensibler
und sensorischer linksseitiger Hemianästhesie erwachte. Dämmerzustände von zum
Theil tagelanger Dauer und Bewusstseinsstörungen wiederholten sich in unregel¬
mässigen Zwisohenräumen, gefolgt zum Theil von doppelseitiger Taubheit, ein
Mal von einem 73 tägigen Mutismus, auch verschiedentlich von Blutbrechen.
Jetzt stehen dem Kranken noch immer nur die Sinnesorgane der rechten Seite
zur Verfügung, an den linksseitigen Extremitäten besteht auch Verlust der Lage-
und Bewegungsempfindung. Während er aber bei offenen Augen mit beides
Händen normale Bewegungen ausführt, ist ihm dies sofort unmöglich, sobald das
rechte, nicht amaurotische Auge geschlossen wird: die begonnene Bewegung hört
im selben Augenblicke auf, obgleich Pat der Meinung ist, dass er sie noch ans-
führt. Aehnlich verhält sich das Ohr zur Sprache: mitten im Satze hörte Pat.
auf zu sprechen, wenn man ihm das noch hörende rechte Ohr verschloss. Bei
Verschluss des rechten Auges und Ohres sinkt Pat. nach wenigen Secunden um
und verfällt in einen schlafähnlichen, seinen spontanen Dämmerzuständen analogen
Zustand. — Seit etwa 1 Jahre hat sich eine Besserung bemerkbar gemacht,
insofern als die spontanen Dämmerzustände sich verloren. — Vortr. bezeichnet
das ganze Bild als eine Erkrankung des Bewusstseins und entwickelt hieraas die
Genese der einzelnen Symptome.
11. Herr 8 teg m an n (Dresden): Ueber 8uggestlvbehandlang von Trinkern.
Vortr. hat Beit 1899 im Ganzen 28 Trinker in Behandlung mit hypnotischer
Suggestion genommen. Fünf davon entzogen sich innerhalb der ersten Woche
der Behandlung, sieben verfielen nach längerer Behandlung nach der Entlassung
wieder dem Trünke, 16 sind zur Zeit noch völlig enthaltsam; unter diesen er¬
litten allerdings sieben in der Zwischenzeit .Rückfälle. Von den neun bisher
freigebliebenen Fällen leben zwei seit über 2 Jahren, vier seit 1 Jahre, drei seit
kürzerer Zeit enthaltsam. Die in das Stadtirrenhaus aufgenommenen Kranken
wurden, soweit sie sioh zur Behandlung bereit finden liessen, zunächst in der
Anstalt einige Wochen, zum Theil auch mehrere Monate lang intensiv mit Suggestion
im Wachzustand und hypnotischem Schlafe behandelt, nach der Entlassung noch
längere Zeit 1—2 Mal wöchentlich in die Anstalt bestellt. Es wurde verlangt
und mit wenigen Ausnahmen auch erreicht, dass die Kranken nach der Entlassung
in den Guttemplerorden eintraten.
Schwere psychische Degeneration erschwert die Behandlung und trübt die
Prognose. Lange Dauer des Alkoholismus an sich schliesst Heilung nicht aus,
macht nur längeren Anstaltsaufenthalt erforderlich. Nach Autoreferat
H. Haenel (Dresden).
Um Einsendung von Separatabdrüoken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
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1902. 1. December. Nr. 23.
Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Qiebt es eine autogenetische Regeneration der
Nervenfasern? Ein Beitrag zur Lehre vom Neuron, von Privatdocent Dr. Egmont Münzer
in Prag. 2. Bemerkungen über Winterkuren im Hochgebirge, von Dr. Benno Laquer in
Wiesbaden.
II. Referate. Anatomie. 1. Zur Kenntniss des hinteren Marksegels, von Steindler.
— Experimentelle Physiologie. 2. Die centrifugale Leitung im sensiblen Endnerven,
von Kohnstamm. 3. Theorie du sommeil, par Fleury. 4. La fonction du nerf glossopharyngien
dans la rumination, par Krueger. — Pathologische Anatomie. 5. Cucullarisdefect als
Ursache des congenitalen Hochstandes der Scapula, von Kausch. — Pathologie des
Nervensystems. 6. Die physiologischen und psychologischen Beziehungen zwischen Sprache
und Schritt, mit besonderer Berücksichtigung der Stenographie, von Kronsbein. 7. Klinische
und anatomisch-pathologische Beitrage über Aphasieen, von Mlngazzini. 8. Ueber Wesen und
Behandlung der Sprachstörungen, von Gutzmann. 9. Surditö corticale avec paralexie et hallu-
cinations de l’ouie due a des kystes hydatiques du cerveau, par S6rleux et Mlgnot. 10. Con-
tribution a l’etude des troubles du langage par lösion de ses centres d’arröt, par Touche.
11. Ueber die Geberdenaphasie, von Mazurkiewlcz. 12. Ein Fall von Alexie, von Kuffner.
13. Erfahrungen über „apnathische Demenz“, von Kuffner und Janskf. 14. Beiträge zur Lehre
von der Echolalie. von Pick. 15. Behandlung und Ausgänge von 44 DepressionBfracturen am
Schädel, von Franke. 16. Geheilte ScbädelBchüsse, von v. Bergmann. 17. Plaie pdndtrante
da crane par arme ä feu, par Villemin. 18. Zur Frage über die Heilung der Hirnwunden,
von Chenzinski. 19. Report as to the condition of a man tbrough right cerebrum a bullet
passed from before backward eleven years ago, by Diller. 20. Penetrating bullet-wound of
the brain: removal and recovery, by Laurle. 21. Zur Kenntniss der Bedeutung des Traumas
als ätiologisches Moment der Entstehung infectiöser Cerebralerkrankungen, von Ehrnrooth.
22. Zur Kenntniss der Starkstromverletzungen, von Jessen. 23. La mort et les accidents par
les courante industriels, par Battelll. 24. Blitzschlag und elektrische Hochspannung, von
Jollinek. 25. Note sur un oas d’hystöro-traumatismc; paralvsie faciale complete et trismus
chez une enfant de treize ans, par Guyot et Pery. 26. Ein Fall von pseudospastiseber Parese
mit Tremor, von Respinger. 27. Ueber die acute (trophoneurotische) Knochenatrophie nach
Entzündungen und Traumen der Extremitäten, von Sudeck. 28. Ueber die Geisteskrankheiten
nach Kopfverletzungen, von Werner. — Psychiatrie. 29. Ueber Ergebnisse elektrischer
Untersuchungen an Geisteskranken, von Pllcz. 30. Ueber schwachsinnige Schulkinder, von
Laquer. 31. Zur Casuistik der Zwangsvorstellungen, von Lundborg. 32. Deckung eines
Erinnerungsdefectes durch Hallucination, von MOnkemülier. 33. Die Mörderinnen. Eine
anthropologische Untersuchung von M® # . Tarnowskaja. 34. Ueber Othäruatom bei Geistes¬
kranken, von Imura. — Therapie. 35. Leitfaden der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie
für Praktiker und Studirende, von Cohn.
III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — XXXIII. Versammlung der südwestdeutschen Irrenärzte in Stuttgart am 1. und
2. November 1902. — Medicinische Gesellschaft in Warschau.
IV. Mittheilung. — V. Personalien.
69
; dby Google
1090
I. Originalmittheilungen.
1. Giebt es eine autogenetische Regeneration
der Nervenfasern? Ein Beitrag zur Lehre vom Neuron. 1
Von Privatdocent Dr. Egmont Münser in Prag.
Die Frage nach den Beziehungen der Nervenfasern zu den Nervenzellen
war anlässlich der 72. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte Gegen¬
stand des Referates einer gemeinschaftlichen Sitzung der medicinischen Haupt¬
gruppe.
Die beiden Referenten, die Herren Vebwobn und Nissl, kamen in ihren
Auseinandersetzungen zu entgegengesetzten Schlüssen, und während ersterer die
Auffassung „des Ganglienzellkörpers mit seinem Nervenfortsatz und seinen
Dendriten als cellulare Einheit“ in eingehender Weise verteidigte, zog Nissl
in seiner temperamentvollen Art gegen die Neuronenlehre zu Felde, betonte die
Selbständigkeit und Unabhängigkeit der fibrillären Substanz gegenüber den
Nervenzellen und findet es „allerhöchste Zeit definitiv mit einem Begriffe in
brechen, der so viel Unheil und Verwirrung schon angerichtet hat“.
Diese Worte Nissl’ s enthalten viel Ungerechtigkeit; denn, dass der Neuron-
begriff, didactisch genommen, das Verständniss vom Auf baue und der Thätig-
keit des Nervensystems ausserordentlich gefordert hat, wird keiner von uns im
mindesten bezweifeln. Aber wenn nur didactische Gründe für die Beibehaltung
dieses Begriffes sprächen, er andererseits eine unrichtige Vorstellung in unser
Wissen hineinbrächte, dann wäre ioh nicht minder wie Nissl der Ansicht, dass
es allerhöchste Zeit sei mit diesem Begriffe zu brechen.
Vorderhand scheint es nicht so weit zu sein und Nissl’ s stärkster Bundes¬
genosse, Bethe, hat wohl ebenfalls die Unzulänglichkeit der von Nissl gegen
die Neuroneulehre erhobenen Einwände erkannt und sich beeilt die vorhandene
Lücke auszufüllen.
In einem ganz kurzen kritischen Aufsatze hatte ich in Uebereinstimmung
mit vielen anderen Autoren zwei meiner Ansicht nach das Neuron wesentlich
und scharf charakterisirende Merkmale hervorgehoben.
„Der Begriff des Neuron — so heisst es im zweiten Schlusssätze dieses
Aufsatzes — kann entwickelungsgeschichtlicb gefasst werden: — Alle
Fasern, die aus einer Nervenzelle hervorgehen, gehören zu einem Neuron —
und vom trophisehen Standpunkte d. h. wir fassen unter dem Begriffe eines
Neurons alle Nervenfasern zusammen, die nutritiv von einem Protoplasten ab-
hängen.“
1 Nach eiDem in der neurologischen Section der 74. Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Aerzte zu Karlsbad gehaltenen Vortrage.
Google
1091
Gegen beide eben erwähnte Grundpfeiler des Neuronbegriffes brachte
Bethe, wie wir einem Berichte des Neurologischen Centralblattes entnehmen 1 ,
in der 26. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte
zu Baden-Baden (Juni 1901) eine Reihe schwerwiegender Argumente vor und
erschütterte dieselben — die Richtigkeit seiner Folgerungen vorausgesetzt —
bis auf den Grund.
Zunächst, theilte Bethe eine Reihe von Beobachtungen mit, durch die er
sich berechtigt hält, der Entstehung der Nervenfasern aus dem Neuroblasten im
Sinne von His sen. zu widersprechen und für die multicelluläre Entstehung des
Axencylinders einzutreten. Die in dieser Richtung anzustellenden Untersuchungen
entwickelungsgeschichtlicher Natur dürften wohl bei der Eigenthümlichkeit des
zu bewältigenden Materiales noch längere Zeit keine endgültige Entscheidung
zulassen.
Anders steht es mit einer zweiten Versuchsreihe Bethe’s, die sich mit der
Regenerationsfahigkeit der Nervenfasern beschäftigt Hier kommt er zum Schlüsse,
dass der periphere Stumpf eines durchschnittenen Nerven — ohne jede Ver¬
wachsung mit dem centralen Theile — sich aus sich selbst regenerire. Und
er verleiht dieser Thatsache, zu deren Zustandekommen Vornahme des Eingriffes
am ganz jugendlichen bezw. neugeborenen Thiere gehört, erhöhte Bedeutung
durch Mittheilung einer weiteren Versuchsreihe, deren Ergebniss ich wörtlich
nach dem Referate im Neurologischen Centralblatte mittheilen will:
„Durchschneidet man einen solchen Nerven, der sich aus sich selber (also
ohne Betheiligung der Ursprungszellen) regenerirt hat und der in keiner Ver¬
bindung mit dem Rückenmark steht, zum zweiten Mal, so degenerirt nur das
periphere Ende, während das centrale Ende (welches centralwärts stumpf zwischen
den Muskeln endet) erhalten bleibt Hieraus ergiebt sich, dass es bei der Durch¬
schneidung eines normalen Nerven nicht, wie man bisher bestimmt behaupten
durfte, die Abtrennung von einem in der Ganglienzelle gelegenen trophischen
Centrum ist, was den peripheren Stumpf zur Degeneration bringt, und dass es
nicht die Verbindung mit eben diesem trophisohen Centrum ist, was den cen¬
tralen Stumpf vor der Degeneration bewahrt, sondern dass wir es hier mit uns
bisher unbekannten und unverständlichen Unterschieden zwischen dem relativen
Verhältniss von distal und proximal gu thun haben.“
Diese Angaben Bethe’s, vor allem aber die den Nervenfasern zugeschriebene
mystische Eigenschaft bei Durchschneidung distal zu degeneriren und proxi¬
mal erhalten zu bleiben, waren es, welche die Kritik jedes, die Verhältnisse
überschauenden, Lesers Hervorrufen mussten. — Aehnlich wie Nibsl in seinen
Auseinandersetzungen 2 hat zu unserer Ueberraschung auch Bethe übersehen,
dass die Verhältnisse des (trophischen) Zusammenhanges von Nervenzellen und
Nervenfasern an einem Theile des Ceutralnervensystems studirt werden können
1 Gegen dieses Referat hat Bbthk bisher keinerlei Einwendungen erhoben, so dass wir
dasselbe seinen Anschauungen entsprechend anseben dürfen.
* Verhandlungen der 72. Naturforscherversaminlung 1900, S. 220—222.
69*
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1092
und bereits studirt wurden, an welchem der Zusammenhang beider mit einander
viel sicherer überschaut, Zellläsionen viel eindeutiger gesetzt werden konnten,
ich meine die Spinalganglien.
Und was ergaben diese Studien? Zerstörung des Spinalganglions war ge¬
folgt von einer Degeneration des peripheren und des centralen Fortsatzes; bei
Durchschneidung der hinteren Wurzel zwischen Ganglion und Rückenmark,
degenerirte das centrale — proximale — Stück und das distale blieb er¬
halten und umgekehrt gestalten sich, wie bekannt, die Verhältnisse bei Durch-
scbneidung des peripheren Fortsatzes. Doch diese, die trophische Bedeutnng
der Spinalganglienzellen für die von ihnen abgehenden Nervenfibrillen klar be¬
weisenden Thatsachen sind ja zu bekannt, als dass hier näher darauf eingegangcc
werden müsste. Bethe aber könnte uns, wollten wir uns in unserem Urtheüe
auf diese Versuche stützen, den Vorwurf machen, wir hätten der ersten Be¬
dingung, Kritik üben zu dürfen nicht entsprochen, die Experimente des Kriti-
sirten in der von ihm angegebenen Weise zu prüfen. Und so entschloss ich
mich gleich nach Bekanntwerden der BETHE’schen Auseinandersetzungen zu
einer Nachuntersuchung seiner Versuche über die Regeneration durchschnittener
peripherer Nerven, zu welcher ich mich auch aus dem Grunde ein wenig für
berufen hielt, als ich selbst seit vielen Jahren auf einem benachbarten Gebiete,
dem Studium der secundären Degeneration im Nervensystem, thätig war and bin.
Als Versuchstiere dienten ausschliesslich Kaninchen im Alter von 3 bezv.
6 Wochen; im Ganzen wurden bis jetzt 10 Thiere operirt, d. h. der N. ischia-
dicus (meist der linken Seite) frei gelegt und ein 1—2 cm langes Stück desselben
excidirt. Selbstverständlich wurde immer aseptisch vorgegangen 1 ; die Wunden
heilten per primam. Nach verschieden langer Zeit wurden die Thiere getödtef.
nachdem zuvor das Operationsterrain genau freipräparirt, Nerv und Muskel
bezüglich ihres elektrischen Verhaltens geprüft worden waren. Die folgende
Tabelle über das Resultat bei vier Thieren dürfte am raschesten zur Orientinmg
dienen.
In keinem der Fälle war eine Verwachsung des peripheren mit dem cen¬
tralen Nervenstumpfe eingetreten; letzterer fand sich stets hoch oben zwischen der
Hüftmusculatur und zeigte meist eine kolbenartige Verdickung der Schnittstelle,
eine Veränderung, auf welche bereits vielfach aufmerksam gemacht wurde. Der
periphere Stumpf war hochgradig atrophisch; Diese Atrophie erschien am inten¬
sivsten im Falle A, d. h. nach 54 Tagen, vorher und — was auffallender -
nach dieser Zeit war der periphere Stumpf deutlicher und sicherer nachweisbar.
Seine Farbe war stets eine matte, glanzlose. Sehr bemerkenswertb war das
Verhalten der Schnittstelle des peripheren Stumpfes; diese hatte sich ausnahms¬
los in allen Fällen an einer. Oberschenkelmuskel angelegt und war mit dem¬
selben innig verwachsen, so dass eine Ablösung des Nerven von der betreffender
1 Es ist mir ein aufrichtiges Vergnügen, an dieser Stelle meinem Freunde, Herr* fr-
Camill Hirsch, für die unermüdliche Hülfe bei Ausführung der Experimente herzlich« tz
danken.
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1094
MuskelHäche nicht möglich war; es handelte sich eben nicht um einfache Ver¬
leihung, sondern um innige Verwachsung, wie bereits vorhin bemerkt, und
musste behufs genauer mikroskopischer Untersuchung die ganze Narbe mit
einem Stücke des anhaftenden Muskels mit excidirt werden.
Bethe berührt diesen Punkt, so viel ich sehe, gar nicht In dem be¬
treffenden Referate heisst es, bezüglich des centralen Endes des peripheren
Stumpfes: „welches centralwärts stumpf zwischen den Muskeln endet“, und doch
ist es mir wahrscheinlich, ja es erscheint mir unabweislich, dass auch bei
Bethb’s Versuchen die gleichen Verhältnisse, wie bei mir vorhanden waren.
Welche Bedeutung aber diesem Befunde zukommt, das wird uns gleich die
Besprechung der mikroskopischen Befunde ergeben. Zur mikroskopischen Unter¬
suchung kamen der periphere und centrale Nervenstumpf, Rückenmark und
Wadenmusculatur. Der periphere Nervenstumpf wurde mit der Verwachsungs¬
stelle an der Oberschenkelmusculatur herausgenommen; der centrale Stumpf
wurde bis zu seinem Ursprung bezw. Eintritt ins Rückenmark freigelegt, die
entsprechenden Rückenmarkstheile in Müller-Formol gehärtet und in Celloidin
eingebettet. Centraler und peripherer Nervenstumpf und Muskeln wurden in
V 4 °/ 0 Üsmiumsäure gebracht und theils nach Bethe behufs Fibrillenfärbung
weiter behandelt, theils in der gewöhnlichen Weise nach der Härtung in Paraffin
eingebettet und geschnitten.
Die erste zu beantwortende Frage lautet: Sind in diesem peripheren
mit dem Centrum anscheinend nicht zusammenhängenden Nerven¬
stumpfe Nervenfasern zur Entwickelung gekommen also nachweis¬
bar oder nicht?
Vielleicht ist einer oder der andere der Ansicht, dass sich diese Frage
schon durch das Ergebniss der elektrischen Untersuchung beantworte, und auch
mir selbst schienen diese Resultate anfangs für die Abwesenheit von Nerven¬
fasern zu sprechen. Bei näherer Ueberlegung aber sieht man, dass die hoch¬
gradige Degeneration bezw. Atrophie der Wadenmusculatur an und für sich den
Ausfall der electrisohen Reaction bei Reizung vom Nerven aus erklären könnte
und so müssen wir uns in der Beantwortung dieser Frage auf die mikro¬
skopische Untersuchung des Nerven selbst stützen.
Als ioh zunächst den Nerven des 54 Tage nach der Durchschneidung ge-
tödteten Thieres untersuchte, fand ich jenes Bild, das wir Monate naoh der
Durchschneiduug eines peripheren Nerven im peripheren Stumpfe zu sehen ge¬
wohnt sind d. h. der Nerv erschien bei Osmiumbehandlung in toto blassbraun
gefärbt, zeigte sich ganz marklos und enthielt ziemlich zahlreiche schwarze
Schollen in grösseren Klümpchen und Reihen, die letzten Reste des zerfallenen
Markmantels; normale markhaltige Nervenfasern waren nirgends sichtbar. —
Sehr interessant gestaltete sich das Bild an der Verwachsungsstelle: hier zeigte
sich eine kolbige Verdickung der Schnittstelle, jener ähnlich, welche sich an
der Schnittstelle des centralen Stumpfes entwickelt, eine Thatsache, welche sich
ebenfalls bei den älteren Autoren bereits registrirt findet. Dieser hier befind¬
liche Knoten erschien bei Osmiumbehandlung blassbraun gefärbt und erwies
Google
1095
sich bei der mikroskopischen Untersuchung als aus zahlreichen kreuz und quer
verlaufenden Fäserchen bestehend. Bei oberflächlicher Betrachtung konnte man
glauben einen aus Bindegewebe bestehenden Knoten vor sioh zu haben; bei
genauer Durchmusterung liess sich mit Sicherheit feststellen, dass wir es hier
mit ganz jungen, zarten, sich mit Osmium eben bräunenden Nervenfäserohen
zu thun haben, die diesen Knoten aufbauen. Aus diesem Nervenknoten strahlten
die dünnen Nervenfaserchen in den central gelegenen alten Nerven, während
eine mächtige, aus diesen Fäserchen bestehende Nervenmasse den alten Nerven
eine Strecke weit umkleidete.
Noch deutlicher gestaltete sich das Bild in den beiden 100 bezw. 150 Tage
nach der Durchschneidung getödteten Thieren. Hier findet man zunächst —
ich verweise auf die beigegebenen zwei Abbildungen, welche Schnitten durch den
peripheren Nervenstumpf (Nervenknoten) des in der Tabelle unter F geführten
Versuchtsthieres entsprechen — die Verwachsungsstelle hügelartig verdickt. Der
Hügel besteht, wie man an den Schnitten mit freiem Auge feststellen kann,
aus einem in den Bildern nur seiner Lage nach ’augedeuteten grossen Fett¬
klumpen ( F ), dessen Theile vielfach zwischen die oberflächlich gelegenen Muskel¬
fasern (3/.) eiugedrungen waren, während demselben der durch Osmium ge¬
bräunten Nervenknoten ( N.k .) auf lag. Eine genauere Betrachtung der beiden
Abbildungen, von denen Fig. 1 dem 110., Fig. 2 dem 170. Schnitte durch den
Nervenknoten entspricht, lässt eine Reihe wesentlicher Details erkennen. Zu¬
nächst finden wir in Fig. I eine Zahl theils quer, theils schräg getroffener
Bündel {a, a v a 2 ), welche sich schliesslich gänzlich in dem Nervenknoten auf-
lösen, ein Vorgang, dessen Anfangsstadium wir in a., feststellen, während wir
nahezu dessen Ende in a. 2 vor uns haben. Diese Bündel sind offenbar von
der Seite in den Knoten eintretende Nervenbündel, welche bei unserer der
Länge des Nerven entsprechend geführten Schnittrichtung mehr weniger quer
getroffen wurden, während der von oben — proximal — eintretende Zug ( A .,
Fig. 2) seiner Länge nach getroffen erscheint und sehr schön den Zusammen¬
hang des Knotens mit der oberflächlichen Bindegewebsschieht illustrirt. In
Fig. 2 überblicken wir deutlich die Lage des Fettklumpen (F.) im Verhältniss
zu jener Muskelfläche (3/.,), welcher die Nervenschnittstelle auf liegt, coustatiren
sehr sicher den massenhaften Zuzug von Nervenfasern durch die die Muskel¬
oberfläche deckende Bindegewebsschichte (bei A.) und sehen vor allem den Zu¬
sammenhang des peripheren Nervenstumpfes (JV./>.) mit dem Nervenknoten (iV.Ä.).
Alle diese den Nervenknoten bildenden Fasern imponiren zunächst als Binde¬
gewebsfasern, können aber sobald man genauer zusieht, als nichts anderes denn
junge zarte Nervenfasern aufgefasst werden, welche sich (in Folge ihres geringen
jVIarkmantels?) gerade nur mit Osmiumsäure bräunen, während nur ganz, ganz
wenige von ihnen die schöne schwarze Osmiumreaction zeigen.
Diese hier nachgewiesene in verschwenderischem Umfange vor sich gehende
Luxusbildung von Nervensubstanz, welche zur Entstehung eines Nervenknotens
führt, entspricht einer bereits von Ranvier festgestellten, von 8. Mayer be¬
stätigten Eigenschaft der Nervenfasern, welcher zu Folge es, wie Ranvier zeigte,
Die
1096
zur Bildung ausserordentlich reiohlioher Nervenfasern im Bindegewebe zwischen
den beiden Theilen eines durohsohnittenen anscheinend nicht verwachsenen
Nerven kommt.
Höchst beachtenswerth ist es, dass nicht alle Faserbündel des peripheren
Stumpfes eines durchschnittenen Nerven später markhaltige Fasern führen;
Fig. 1.
neben vollkommen marklos gebliebenen Bündeln finden sich solche, in denen
der ganze Quer- bezw. Längsschnitt von jungen markhaltigen Nervenfasern er¬
füllt erscheint Wodurch diese Differenz zu Stande kommt, ob hier die functio¬
neile Verschiedenheit der Fasern des gemischten Nerven zu Tage tritt, ist eine
Frage, deren Entscheidung weiterer Untersuchung Vorbehalten bleiben muss.
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1097
Die eingangs gestellte Frage aber müssen wir folgendermaassen beant¬
worten:
Die Angabe Bkthe’s, dass in dem peripherenStumpfe eines durch¬
schnittenen, mit dem centralen Stumpfe nicht verwachsenen Nerven,
längere Zeit nach der Durchschneidung, neugebildete Nervenfasern
nachweisbar seien, ist richtig. Der weitere Schluss Bethe’s, dass
diese Fasern sich aus sich selbst regenerirt hätten, ist als un¬
genügend gestützt zu bezeichnen. Diesbezüglich zeigen unsere Unter¬
suchungen, dass es an der Nervenschnittstelle zur Entwickelung eines Nerven¬
knotens kommt, dessen Bestandtheile innig mit den Nervenfasern der Umgebung
Zusammenhängen und dass aus diesem Nervenknoten die in den peripheren
Nerven eintretenden jungen Nervenfasern abstammen. Die von Bethe an¬
genommene Selbständigkeit der neugebildeten Nervenfasern des
peripheren Stumpfes bezw. deren Unabhängigkeit von Centralstellen
ist somit nicht nachgewiesen.
Die Ergebnisse unserer Untersuchung berechtigen auch zu begründeten
Zweifeln au den weiteren Schlussfolgerungen Bethe’s und erlauben die Ver-
muthung auszusprechen, dass die in seinen Beobachtungen nach zweiter Durch¬
schneidung des peripheren Stumpfes zu Tage getretene distale Degeneration
nicht auf „uns bisher unbekannten und unverständlichen Unterschieden zwischen
dem relativen Verhältniss von distal und proximal“ beruhen, sondern auf dem
Zusammenhänge des peripheren Stumpfes durch die Narbe hindurch mit central
gelegenen Theilen — den Nervenzellen. Weitere nahe liegende Untersuchungen
(Behinderung der Verwachsung des peripheren Stumpfes mit der Umgebung;
Umscbneidung der Verwachsungsstelle; Aortencompression), über deren Resultate
ich bald berichten zu können hoffe, werden wohl die sichere Entscheidung dieser
und anderer Fragen bringen.
Bethe aber mag sich mit dem Gedanken trösten, dass das gleiche Versehen
schon anderen vor ihm zustiess. Philippeaux und Vülpian hatten 1859 die
Regeneration durchschnittener peripherer Nerven aus sich selbst behauptet und
diesem Vorgang den Namen der „rögönöration autogönique“ gegeben. Ja
es findet sich bei diesen Autoren selbst das von Bethe als besonders schlagend
angeführte Experiment, denn es heisst dort:
„Chez lui (un chien) cinquante jours apröa l’opöration, il y a une rögönö-
ration d’une grande quantitö de tubes nerveux. On a enlevö un segment du
bout pöriphörique pour faire cet examen. Dix jours plus tard, un nouvel examen
montre que tous les tubes rögönörös se sont altörös de nouveau.“
Und Ranvieb sagt (1878) bei Besprechung dieses Experimentes:
„Je crois pour ma part qu’il y a eu en röalitö dans le nerf sciatique du
chien sur lequel a ötö faite cette expörience des relations entre le segment cen¬
tral et le segment periphörique, mais qu’elles ont öchappö par suite d’une
observation insuffisante ...“
Vülpian hat 15 Jahre nach seiner ersten Arbeit (1874) die Angaben be¬
züglich der autogenetischen Regeneration widerrufen; wir wollen hoffen, dass
Digi
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1098
Bethe früher zur Erkenntnis seines Irrthnms kommt; ich selbst aber halte
mich bereits nach dem bisherigen berechtigt zu schliessen:
1. Eine autogenetische Regeneration der Nervenfasern im Sinne Bethe’s
ist von diesem Autor nicht nachgewiesen.
2. Wir haben volle Berechtigung bisher am Begriffe „Neuron“ als trophischer
Einheit festzuhalten, d. h. wir fassen unter dem Begriffe eines Neurons alle
Nervenfasern zusammen, die nutritiv von einem Protoplasten abhängen. Die
trophische Abhängigkeit eines Fibrillencomplexes von einer Zelle
ist vielleicht eben bedingt durch die cellulogenetische Zusammen¬
gehörigkeit.
Am Schlüsse meiner Auseinandersetzungen ist es mir eine angenehme
Pllicht, Herrn Prof. Dr. Sigmund Mayer, der mich auf die ältere Litteratnr
hinsichtlich der autogenetischen Regeneration aufmerksam machte und mir die¬
selbe zur Verfügung stellte und in dessen Institute vorliegende Untersuchungen
gemacht wurden, sowie seinem Assistenten, Herrn Doc. Dr. A. Kohn für die un¬
ermüdliche und freundliche Unterstützung bei Ausführung der Untersuchungen
herzlichst zu danken.
Litteratur.
Die grosse moderne Litteratnr, die sich mit den feineren Vorgängen der Bildang und
des Zerfalles der Nervenfaser beschäftigt, ist uns naheliegenden Gründen hier nicht weiter
berücksichtigt.
1. Phiuppbaüx und Vut.pian, Comptes rendos. 1859. S. 507 n. Archive« generales.
1861. I. S 782. — 2. Volpiah, Lc^ons sur la physiologie ... da syst&me nerveax. 1866.
S. 271. — 8. Vülpian, Archives de physiologie. 1874. S. 704. — 4. Wkib Mitchell, De»
lesions des nerfs. Paris 1874, G. Maison. — 5. Rahvikb, Le$ons sur l'histologie du syatäme
nervem. 1878. S. 84. — 6. S. Maybb, Ueber Vorgänge der Degeneration nnd Regeneration.
Prag 1881. — 7. MCnzrb, Kritische Bemerkungen rar Lehre von den Neuronen. Wiener
klin. Rundschau. 1899. Nr. 6. — 8. Mönckbbbbg und Bbthb, Archiv f. mikrop. Anat.
LIV. 1899 8. 130. — 9. Vebwobn, Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher
und Aerzte, 72. Versammlung 1900 u. Das Nenron in Anatomie and Physiologie. Jena 1900.
— 10. Nissl, Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, 72. Ver¬
sammlung 1900. — 11. Bbtbb, Neurolog. Centralbl. 1901. S. 720.
2. Bemerkungen über Winterknren im Hochgebirge.
Von Dr. Benno Laquer in Wiesbaden.
Der begeisternd und begeistert gehaltene Vortrag von W. Erb — Volk-
MANN’sche Sammlung Nr. 271 — hat in mir den alten Wunsch von Neuem rege
gemacht, das Hochgebirge, im Speciellen den Engadin, als Tourist und als Arzt
im Winter kennen zu lernen; die Erfahrungen, die ich Anfang d. J. persönlich
und im Verkehr mit den ansässigen Aerzten sammelte und die ja alle gedruckte
Weisheit aufwiegen, möchte ich hier auf die liebenswürdige Anregung des
Herausgebers, meines verehrten Lehrers, kurz wiedergeben und den obigen Vor¬
trag in Einigem zu ergänzen suchen.
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1099
Der verstorbene Berliner Kliniker Fbäntzel fragte mit Vorliebe die Staate¬
examinanden: Wie schicken Sie einen Kranken nach Davos? Die richtige Ant¬
wort lautete: Mit Uebernachten in Basel, Landquart und Klosters; daran
schlossen sich weitere Erörterungen über Acclimatisationsbeschwerden, ihre Ur¬
sachen und die Mittel zur Behebung und Linderung derselben. Wer nicht nur
zarte Frauen, sondern auch scheinbar kräftige Männer heftig an den genannten
Beschwerden leidend beobachtet hat, wird vor allem den Rath beherzigen;
Nervenkranke in Etappen ins Hochgebirge zu senden; die Kranken sind, ohne
Angst hervorzurufen, auf diese Beschwerden aufmerksam zu machen und nicht
nur vor einem zu raschen Anstieg, sondern auch vor einem Zuviel in Bezug
auf körperliche Motion in jeder Hinsicht zu warnen; die Labilität Nervöser
gegenüber klimatischen Veränderungen ist ja bekannt; das beste Mittel ist
ruhiges Verhalten in körperlicher und geistiger Hinsicht und Zuspruch durch
den betreffenden Hochgebirgsarzt, der ja schon durch Mittheilungen über Dauer
und Wesen der Acclimatisation beruhigend wirkt — Die lange Schlittenfahrt
z. B. nach St. Moritz soll ebenfalls nicht in einer Tour, sondern etwa mit Ueber¬
nachten in Thusis oder Berggün ausgeführt werden. Ist die Periode der
Gewöhnung an das Klima vorüber, und sie dauert oft 1—2 Wochen, so
empfiehlt sich eine ganz allmähliche Steigerung der Leistungen in Bezug
auf den Genuss der eigenartig wirkenden Luft im Freien, vor aliem aber
ein langsames, Uebermüdung oder Erschöpfung durchaus meidendes Be¬
treiben des Sporte; der letztere stellt ja in der That ein dosirbares medieo-
mechanisches Institut dar, mit dem Unterschied, dass es sich im Freien be¬
findet, dass es sehr gern besucht wird, dass es nicht eintönig und nicht im
Rahmen einer Verordnung wirkt; der Wintersport bei Nervenleidenden muss
streng dosirt werden, er setzt, vernünftig angewendet, dem egocentrischen, indolent-
passiven, zur Selbstbeobachtung und Resignation neigenden Wesen gewisser
Nervenkranken soviel Lustgefühle, Lebensfreude, soviel Uebung und Anregung
der Haut, der Muskeln, der Sinne, des Willens entgegen, dass die guten Er¬
folge in Form stärkeren Appetits, vorzüglicher und stabiler Stimmung, guten
und erfrischenden Schlafes und des Gefühles gesteigerter und wiedergewonnener
Leistungsfähigkeit nicht ausbleiben 1 ; allerdings treten solche Resultate für Dauer
erst nach Wochen, ja nach Monaten auf, darum ist auch Nervenkranken, welche
nicht einen halben oder den ganzen Winter im Hochgebirge zuzubringen ver¬
mögen, der Aufenthalt daselbst entschieden zu widerrathen; Sechswochenkureu
giebt es in Eis und Schnee nicht. — Ueberanstrengungen und ihre bekannten
Folgen kommen, auch wenn die obigen Warnungen beherzigt werden, bei be¬
sonderer Reizbarkeit vor; doch sind sie seltener als nach den für Nervenleidende,
besonders für Erschöpfte, so gefährlichen Hochtouren des Sommers; denn schon die
kürzere Dauer des Tages und damit der Möglichkeit sportlicher Uebungen ist ein
wirksames Correctiv; dazu kommt, dass ohne Sonnenschein oder bei Schneefall
der Aufenthalt im Freien ungemüthlich bezw. unmöglich wird. Kelleb’s Aus-
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Therapeut. Monatshefte. 1900.
1100
führungen über Bergsteigekuren für Nervenkranke bedürfen in dieser Hinsicht
mancherlei Einschränkungen \ die hier zu geben zu weit führen würde. Welch«
Nervenkranke im Winter ins Hochgebirge gehören und welche nicht, darüber noch
einige Worte: Vor Allem nur functionell Kranke, Neurastheniker eher und lieber
als Hysteriker, von beiden jugendliche und beginnende Formen, Kinder und junge
Leute, vor allem die sog. Prophylaktiker, die unter dem Einfluss ihrer Familie,
ihres nervöseu Milieus alle Chancen haben, selbst einmal zu erkranken. Manches
junge Mädchen, mancher Gymnasiast oder Student, der so geartet, sollte anstatt
in die Pension am Genfersee oder auf die Universität lieber ohne Bücher, ohne
„Stunden“, ohne Vorlesungen den Winter in St. Moritz oder in Grindelwald oder
in und bei Davos zubriugenl Dass der Sport das wirksamste Antidot der Trinksitten
unserer studirenden Jugend darstellt, das hat ein geistvoller deutscher Arzt,
R Hessen, im Januarheft der preussischen Jahrbücher 1901 meisterhaft dar¬
gestellt, man vergleiche einmal Haltung und Aussehen junger gebildeter Eng¬
länder mit uuseren Akademikern. Sexualneurasthenikern, auch jungen, früh cor-
puleuten, gichtischen Nervenleideuden mit Neigung zu Hämorrhoiden u. s. w. ist
das Hochgebirge zu empfehlen; für jugendliche Kranke existirt in St. Moritz
das kleiue, aber familiär zugeschnittene Heim des Dr. Hössli. Ebenso sind an
Morb. Basedowii leidende Kranke, wenn auch nach meiner Erfahrung nicht
solche der schwersten Form, z. B. nicht solche mit schweren Herzsymptomen.
wie dies auch A. Hoffmann 2 , Eichhobst 8 , Ewald 4 bezeugen, im Hochgebirge
gesund geworden. Auch leicht Verstimmte, Formes frustes von Psychopathieen.
wie Grübelsucht, Cyelothymieen, vor Allem aber chlorotische und anämische, in
ihrem Blutbestaud durch tropische und Malaria-Erkrankungen decimirte Kranke
(Binswangek) 6 gehören ins Hochgebirge; die zuerst durch Fn. Miescheb, den
zu früh der Arbeit erlegenen Forscher und seinen Schüler A. .Jacqüet nach¬
gewiesene Regeneration der rothen Blutkörperchen und des Hämoglobins ist ja
eine allseitig anerkannte Thatsache; sie bildet das Wesen der Heilwirkungen,
die zum grossen Theil das Hochgebirge auf Gesunde und Kranke ausübt 8 ; in
Bälde werden wir auch eine wissenschaftliche Darlegung der Stoffwechsel¬
veränderungen erhalten, welche die ZuNTz’sche Expedition im vorigen Jahre
auf dem Rothhom (2350 m) und auf der Königin Margheritahütte (4ö50 m),
der Gnifettispitze des Monte Rosa im Sommer 1901 studirte. Auch die Ab¬
härtung gegen Witterungsverhältnisse ist nicht zu unterschätzen; Erkältungen
sind selten.
1 S. a. Binbwanqbb, Neurasthenie. 1900. S. 374 u. Th. Dühih, Grundsätze der
Behandlung der Neurasthenie und Hysterie. Berlin, 1902.
* Pathologie und Therapie der Herzneurosen. 1901.
8 Handbuch der physikalischen Therapie. Cap. II. 1901.
4 Berliner klin. Wochenschr. 1900. S. 537.
8 Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie. 1900. S. 375.
• Näheres darüber in der Schilderung von A. Lobwy (Berlin), Deutsche med. Wochen¬
schrift. 1901. Nr. 50 u. 51. — L. hat auch die physiologischen Grundlagen der Höhen¬
lufttherapie in Goldschkidbb-Jacob’b Handbuch der physikalisohen Therapie vortrefflich
dargestellt.
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1101
Als Contraindicationen sind höheres Alter bei allgemeiner Schwäche, ferner
Gefäss- uud Herzerkrankungen, Nephritis, Epilepsie und schwere organische Nerven-
affectionen zu betrachten; bei diesen Krankheiten würden durch die Reize und
durch die Reizung, welche das Hochgebirge setzt, nur Schaden entstehen;
Neuralgieen recidiviren nicht selten im Hochgebirge.
Die Kosten des Aufenthaltes in St Moritz oder Davos überschreiten keines¬
falls die angemessenen Preise; wenn man die Schwierigkeiten der Zufuhr aller
Heiz- und Nahrungsmittel auf Schlitten bedenkt, sind die Pensionspreise, die von
10 Frcs. — tout compris — beginnen, keineswegs hoch, sonstige Nebenausgaben
sind naturgemäss geringe und auf täglich 1 — 3 Frcs. zu halten. — Etwa 600 Per¬
sonen, davon */* Nichtdeutsche, überwintern zur Zeit in St Moritz; ist erst etwa
in 3—4 Jahren der Albulatunnel von Berggün nach Samaden fertig, so wird der
Besuch des Engadins-Samaden (Dr. Bebnhardt) ist ebenfalls für Kranke ge¬
eignet — ebenso rasch zunehmen, wie sich der von Davos durch die Rhätische
Bahn entwickelte. — Bei der Rückkehr zum Tief lande ist langsamer Abstieg von
der Höhe zu empfehlen. Im Ganzen gilt auch für die Winterkuren im Hoch¬
gebirge: „Probiren geht über Studiren“.
II. Referate.
Anatomie.
1) Zur Kenntniss des hinteren Marksegels, von Arthur Stein dl er. (Ar¬
beiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1902. Heft 8.)
Dem Marksegel sitzen an seiner Aussenfläche kleine Verdickungen auf, die
versprengten Keimen des Kleinhirns entsprechen; ein directer Zusammenhang mit
dem Kleinhirn ist nur selten zu sehen. Verf. macht dann genauere Angaben
über die histologische Structur des hinteren Marksegels. Die dem 4. Ventrikel
zugewendete Seite ist von dem einschichtigen Epithel der Rautengrube überzogen.
Daran anschliessend findet sich eine an Zellen arme Schicht, die ein dichtes
Fasergewirr aufweist. In der 3. Schicht finden sich die Nervenfasern, die einer¬
seits eine sagittale Richtung zeigen und aus dem Nucleus dentatus des Kleinhirns
stammen, andererseits frontal ziehende, aus dem Flockenstil stammende Fasern.
Die in dieser Schicht vorfindlichen Kerne entsprechen in Form und Gestalt den
Kernen des Kleinhirns. Darauf folgt wieder eine mehr homogene, aus der Mole-
cularschicht des Kleinhirns stammende Lage, endlich die Pia. Sowohl in den
erwähnten versprengten Kleinhirnantheilen, als auch sonst im Marksegel finden
sich Purkinje’sche Zellen. Das Marksegel ist reich an Gefässen; speciell ist
eine dasselbe sagittal durchsetzende und dann frontal nach dem Kleinhirn ab¬
biegende Vene zu erwähnen. Verf. bespricht dann die Verhältnisse des hinteren
Marksegels bei den verschiedenen Säugethierklassen, bei denen es sich constant
findet; beim Dasypus enthält dasselbe eine deutliche Körnerschicht, die aus dem
Kleinhirn sich abzweigt. Die geschilderten Befunde sprechen nach der Ansicht
des Verf.’s für eine embryologische Zugehörigkeit des hinteren Marksegels zum
Kleinhirn; es handelt sich demnach um einen in Rückbildung begriffenen Antheil
des Kleinhirns, eine Ansicht, die schon Reil vertreten hatte.
Redlich (Wien).
zedby G00gle
1102
Experimentelle Physiologie.
2) Die oentrifagale Leitung im sensiblen Endnerven, von Dr. Oscar Koho-
stamm in Königstein i/T. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1902. XXL)
Für die Hypothese von der centrifugalen oder antidromen Leitung im sensiblen
Endneuron, welche durch die Versuche von Bayliss beim Hund eine Bestätigung
gefunden, führt Verf. eine Reihe weiterer Erscheinungen ins Treffen. So bietet
ihm das Phänomen des Reflexes von hinterer Wurzel auf hintere Wurzel, die
vasomotorisch-trophiBchen Neurosen sowohl experimenteller als klinischer Natur,
die Trigrolyse der Spinalganglienzelle nach Durchschneidung ihres peripheres
Fortsatzes und namentlich die Pathologie des Herpes zoster (Head und Camp¬
bell) eine weitere Stütze seiner Annahme. Aus der Pathologie der Gürtelrose
ergiebt sich, dass eine eigenartige Reizung des sensiblen Endneurons eine krank¬
hafte Veränderung der Haut hervorzubringen vermag. Und zwar kommt dieselbe
wahrscheinlich dadurch zu Stande, dass der Reiz direct im peripheren Fortsatz
der Spinalganglienzelle absteigt und in die Haut gelangt.
E. Asch (Frankfurt a M.).
8) Theorie du sommeil, par Fleury. (Progres medical. 1901. Nr. 44.)
Auf Grund seiner Ueberlegungen kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
1. Der Schlaf ist ebenso wenig ausschliesslich an de nZustand der Ermüdung
geknüpft wie das Erwachen an den des Ausgeschlafenseins.
2. Häufig folgt auf eine starke Nervenüberreizung bezw. Erschöpfung —
welche durch eine schwere Krankheit, starken Kräfteverlust oder ähnl. mehr be¬
dingt ist — Schlaflosigkeit und nicht vermehrtes Bedürfniss nach Schlaf.
3. Die Fähigkeit mancher Menschen, unter allen Umständen zu schlafen und
auch stets zu gleicher Zeit zu erwachen, erscheint dem Verf. für die psycho-
mechanische Theorie des Schlafes zu sprechen.
Adolf Passow (Meiningen).
4) La fonctlon du nerf glossopharyngien dans la ruminatioif, par E. K rueger.
(Archives italiennes de biologie. XXXVIL)
Der N. glossopharyngeus ist beim Act des Wiederkauens insofern betheiligt.
als er eine momentane Erschlaffung der Cardia bewirkt; gleichzeitig wird durch
die Bauchpresse der Inhalt des Rumens (Pansens) herausgedrückt. (Versuche am
Hammel ergaben übrigens auch, dass der Glossopharyngeus nur die Geschmacks¬
empfindung des Bitteren vermittelt) Otto Hirsch (Nieder-Schönhausen).
Pathologische Anatomie
6) Cucullarisdefeot als Ursache des congenitalen Hoohstandee der Scapula,
von Dr. W. Kausch. (Mittheilungen aus dem Grenzgebiete der Medicin und
Chirurgie. IX. 1902.)
Der Verf. berichtet über seine Untersuchungsergebnisse an 5 Fällen, in denen
ein congenitaler Hochstand der Scapula bei Kindern bestand. Zwei von diesen
Fällen sind in genauester Weise klinisch beobachtet worden. Die fehlerhaft*
Stellung der Skeletttheile wird in diesen beiden durch zwei schematische Zeich¬
nungen in anschaulicher Werne illustrirt. Den wichtigsten Befund, der allen
Fällen gemeinsam ist, bildet ein Defect in den unteren Abschnitten des M. tra-
pezius, den der Verf. als die Ursache der abnormen Schulterblattstellung bezeichnet.
zedby G00gle
1103
Die abwärts ziehende Componente des unteren Trapezius fällt aus und das
Schulterblatt rückt in die Höhe, besonders mit seinem inneren Winkel, an welchem
der überaus kräftige Antagonist, der Levator scapulae, inserirt. Auch die mit
dem Hochstand verbundenen anderweitigen Stellungsfehler des Schulterblattes
sowie die dabei vorkommenden Deformationen am Knochen selbst, werden von
dem Verf. in überzeugender Weise auf einen Ausfall der genannten Muskelportion
zurückgeführt. Ob alle Fälle von congenitalem Hochstand der Scapula durch die¬
selbe Ursache bedingt sind oder ob daB Krankheitsbild ätiologisch und klinisch
verschiedenartig ist, das sei zur Zeit mit Sicherheit noch nicht zu entscheiden.
Max Bielschowsky (Berlin).
Pathologie des Nervensystems.
6) Die physiologischen und psychologischen Beziehungen zwischen
Sprache und Schrift, mit besonderer Berücksichtigung der Steno¬
graphie, von Dr. W. Kronsbein. (Wiesbaden 1902, Rud. Bechtold’s Ver¬
lag. 69 Seiten.)
Während die Sprache seit Langem ein Lieblingsgegenstand der wissenschaft¬
lichen Forschung ist, ist die Schrift bisher oft vernachlässigt worden, und speciell
die Wechselwirkungen zwischen beiden selten einer eingehenderen Betrachtung
unterzogen worden. Das vorliegende Buch erscheint geeignet, diese Lüoke aus¬
füllen zu helfen; es enthält auf verhältnissmässig knappem Raume vielseitige Be¬
trachtungen über eine Menge der hier in Betracht kommenden interessanten
Fragen. Das Missverhältniss zwischen sprachlichem und schriftlichem Ausdruck,
wie es sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat — reger Fluss der Bil¬
dung bezw. abschleifenden Verbildung einerseits, Erstarrung der historisch ge¬
wordenen Schrift andererseits —, wird eingehend erörtert und die schon früh
aus der Erkenntniss desselben sich ergebenden Versuche einer Stenographie dar¬
gestellt. Die Unterschiede des historischen und phonetischen Schriftprincips werden
besprochen, die Entstehung des Alphabets, die individuellen Verschiedenheiten
beim Sprechen und Schreiben, die Graphologie erfahren eine kurze, aber anschau¬
liche Darstellung. In den Ausführungen über Pathologie des Schreibens sind
Verf. einige Unrichtigkeiten bezw. Nachlässigkeiten untergelaufen, die diesen Ab¬
schnitt nicht zu seinem Vortheil von den anderen unterscheiden (z. B. motorisches
Sprachcentrum in der „dritten Grosshirnhemisphäre“; atactische Schrift regel¬
mässig bei Trunksucht; Zitterschrift physiologisch in der Kindheit; reine atac¬
tische Agraphie als Folge des Anfalls centro-motorischer Impulse; „corticale
motorische Dysgraphie“ bei Geisteskranken, die ganze Folioseiten mit denselben
wenigen Zeichen vollschreiben, wie Kinder ihre Schreibhefte, Aehnlichkeit der
Schrift von Verwandten erklärt durch den ähnlichen Bau der grauen Substanz
des Rückenmarks u. a.). Am interessantesten sind die auf die Stenographie be¬
züglichen Ausführungen des Verf.’s; er beleuchtet ihr Verhältniss zur Graphologie,
giebt Berechnungen und Untersuchungen über Schreibgeschwindigkeit, Schreib¬
flüchtigkeit, Häufigkeits- und Deutlichkeitsuntersuchungen, den vermeintlichen
Einfluss der Stenographie auf Handschrift und Stil. Der Stenographie als einem
Kunstproducte wird die Fähigkeit abgesprochen, in Zukunft einmal ganz an die
Stelle der Currentschrift zu treten, wenn sie auch in technischer Hinsicht als die
höchste Stufe der Schrift bezeichnet werden kann. Etwas überraschend erscheint
es, dass die Arbeit mit der Anführung deB Phonographen schliesst, der „eine
ganz einzigartige Beziehung zwischen Sprache und Schrift geschaffen hat“; nur
wenige werden sich damit einverstanden erklären, die Eindrücke auf der Phono¬
graphenwalze mit Schriftzeichen in irgendwelche Vergleichung zu setzen, weil sie
>yG00gI<
1104
vor allen Dingen das nicht sind, was jedes Schriftzeichen schon seiner Definition
nach sein muss: ein Symbol für einen Laut oder ein Wort.
H. Haenel (Dresden).
7) Klinische und anatomisch-pathologische Beiträge über Aphasieen, von
Dr. G. Mingazzini in Rom. Aus dem pathologisch-anatomischen Labora¬
torium der Irrenanstalt in Rom. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde
XXI. 1902.)
Bei einer 67jährigen Frau, die vor 4 Jahren einen Fall auf den Hinterkopf
erlitt, bestehen seitdem namentlich in der Stirngegend localisirte Kopfschmerzen
von zunehmender Stärke. Bald nach dem Trauma Charakterverändernng, Sprach¬
störung, tonisch-klonische Krampfanfälle in den Extremitäten. Pupillen gleichweit,
von träger Reaction auf Licht, besonders links, Arme und Hände in Beugt-
contractur, Sprachvermögen auf die stereotype Wiederholung einiger Silben be¬
schränkt (acustische und motorische Aphasie, Asymbolie). Bei der Autopsie fand
sich Atrophie der Gehirnwindungen besonders links mit dunkelgrauer Yerfarbnii
und Erweiterung der Seitenventrikel. Die anatomische Untersuchung ergab eite
ausgedehnte pigmentöse Degeneration aller Zellelemente, besonders in der Schicht
der grossen Pyramidenzellen in der Rinde der Pars opercularis der 3. Stire-
windung und enorme Abnahme der Chromsubstanz des Citoplasma in der Rink
der Lippen der Fissura calcarina und der linken oberen Schläfenwindung, b
entspricht also der anatomische Befund den klinischen Erscheinungen (Abnatfr
der receptiven und ejectiven Sprachfunction). E. Asch (Frankfurt a/M.).
8) Ueber Wesen und Behandlung der Sprachstörungen, von H. Gntz-
mann. (Die deutsche Klinik am Anfänge des 20. Jahrhunderts. VI.)
Entsprechend dem Charakter des Sammelwerkes, dem vorliegende Abbandte
angehört, verzichtet Verf. darauf, wesentlich neue Thatsachen oder Hypothesen i.
bringen und entwickelt in grossen Zügen die Lehre von den Sprachstörungen, a:t
einzelnen Formen derselben, einzelne Momente der Untersuchungsmethoden nie
giebt vor allem werthvolle therapeutische Fingerzeige. Von besonderem Interesse
sind von den letzteren seine Methoden zur Uebungsbehandlung der Aphasiscba
Auch für die functionellen Sprachstörungen der hysterischen Aphonie und der
Aphonia spastica empfiehlt Verf. die Uebungshehandlung. Der grössere Theil de:
Abhandlung ist der Lehre vom Wesen und der Behandlung der peripher-eiprff
siven Störungen im Articulationsorgan (Gaumenlähmungen und Gaumendefece
Zahn- und Zungenfehler), besonders des Sigmatismus, gewidmet. Im ganzen ge¬
währt die Abhandlung ausreichende Orientirung und werthvolle praktische Wink?
Martin Bloch (Berlin!
9) Surditö oorticale aveo paralexie et halluoinations de I’oaie due s de#
kystes hydatiques du cerveau, par Paul Serieux et Roger Mignoi 1
(Nouv. icon. de la Salp. XIV. 1901. S. 39.) I
Der Fall betrifft einen 75jähr. Mann, welcher zum ersten Mal vor 8 J*t^ : •
einen epileptischen Anfall hatte. Seit 2 Jahren kehren die Anfälle periodic I
wieder und sind in letzter Zeit von psychischen Störungen gefolgt, welche ‘2 jj
3 Tage andaueru. Nach dem letzten Anfall traten totale Taubheit, maniakali!^ :|
Erregung und Gesichts- und Gehörshallucinationen auf. Keine motorische Apb* v :
keine Wortblindheit noch paraphasische Störungen. Dagegen ist die Taubb
corticalen Ursprungs verbunden mit Paralexie, Verlust des Verständnisses für
lesene Worte und Schreibstörungen. — Die maniakalische Erregung nwl y
Die
y Google
1105
Haliucinationen bessern sich rasch, nur die Taubheit bleibt bis zum Tode be¬
stehen, der 3 Wochen nach dem letzten Anfall unter infectiösen Erscheinungen
eintritt Bei der Autopsie findet man im Gehirn über 20 erbsengrosse Echino¬
kokkencysten, von denen 6 in den beiden Schläfenlappen liegen.
Facklam (Suderode).
10) Contribution a l’ötude des troubles du langage par löslon de Bes
centres d'arröt, par Dr.R. Touche. (Arch. g6ner. de M6decine. 1902. Aug.)
Auf Grund von 15 Beobachtungen, von denen 10 zur Autopsie kamen, schliesst
sich Verf. der Meinung Pick’s über die Wichtigkeit der Läsion der Hemmungs-
centren bei den Aphasieen an. In der Klasse der letzteren nimmt die Logorrhoe
eine besondere Stellung ein, sie stellt ein verschiedenen Affectionen gemeinsames
Symptom dar. Die Läsion der betreffenden Rindenregion kann eine vorüber¬
gehende (Urämie, acute Alkoholintoxication u. s. w.) oder dauernde (chronische
Meningitis auf alkoholischer oder syphilitischer Basis, Erweichung) sein. Die be¬
treffende Stelle ist nach Dejerine und Verf. in der ganzen Zone der sensorischen
Aphasie (Gyrus supramarginalis, Gyrus angularis, hintere Partie der 1. und
2. Schläfenwindung) zu suchen, deshalb auch die zahlreichen Berührungspunkte
zwischen Logorrhoe und sensorischer Aphasie. In mehreren Fällen des Verf.’s war
die Logorrhoe mit gewissen automatischen Bewegungen vergesellschaftet.
Kurt Mendel.
11) Ueber die Geberdenaphasie, von Mazurkiewicz. (Pamietnik towanystwe
lekarskiejo. 1901. [Polnisch.])
Verf. beschreibt im Anschluss an seine früher publicirten drei Fälle von
Geberdenaphasie (s. Jahrbücher f. Psychiatrie. 1900) noch einen vierten Fall.
Es handelte sich um einen 69 jährigen Mann, welcher stets leicht erregbar war,
sonst aber keinerlei Störungen zeigte. Vor 13 Jahren rechtsseitige Hemiplegie
und motorische Aphasie. Man konnte sich damals mit dem Kranken sogar mit
mimischen Bewegungen nicht verständigen. Nach einigen Monaten grosse Reiz¬
barkeit (Delirium furibundum), wobei er Gegenstände zerschlug, seine Frau und
Kinder misshandelte u. a. Motorische Aphasie blieb unverändert. Status: Rechts¬
seitige Hemiplegie. Pat. versteht die Worte, spricht aber fast gar nicht (nur
,ja“ und „nein“). Nachsprechen — nicht möglich (spricht nur einige Buchstaben
nach). Kann die Gegenstände nicht benennen. Laut kann er nicht lesen, liest
dagegen leise gern und ziemlich viel, wobei er augenscheinlich das Gelesene ver¬
steht. Eine aufgeschriebene Forderung führt er aber nicht aus, identificirt nur
einige aufgeschriebene Worte mit den betreffenden Gegenständen. Erkennt ziem¬
lich gut die Abbildungen. Kann nur seinen Namen unterschreiben, sonst nichts.
Abschreiben gut erhalten. Schreiben unter Dictat — nicht möglich bezw. fehler¬
haft. Der Pat. behielt aber ziemlich gut seine „Geberdensprache“ (im Gegensätze
zu den früheren Fällen des Verf.) und versteht gut die mimischen Bewegungen
im Gesicht der ihn umgebenden Personen. Die Schlussfolgerungen des Verf.’s
findet man in seiner früheren Publication. Edward Flatau (Warschau).
12 ) Ein Fall von Alexie, von Prof. K. Kuffner. (Cas. 6es. 16k. 1902. S. 90.)
71jähr. Weib, leidet an Arteriosklerose. Anfälle von Ohnmacht mit transi¬
torischem Verlust der Sprache, des Gehörs und rechtsseitiger Hemiplegie. Auf
der Klinik wurde Demenz mit megalomanischen und persecutorischen Vorstellungen,
serebellare Ataxie, rechtsseitige Hemiparästhesieen, linksseitige Hypästhesie und
Schwindel festgestellt.
70
Digi
y Google
1106
Die verbal-acustische Perception war ungestört sowie auch die Sprühe.
Vollständige Alexie. Die Schrift erhalten, sie sieht und erkennt die Gegen¬
stände. Keine Apraxie. Partielle Verbalamnesie.
Bei der Obduction fand Verf. 1. eine hämorrhagische Cyste im Marke der
linken Kleinhirnhemisphire; 2. Erweichung der linken Groeshirnhemisphäre von
der hinteren Partie des Gyros supramarginalis bis zur dritten Occipitalwindung.
Unter dem Gyros angularis die Radiatio optica und Faso. long. inf. vollständig
erweicht, T&petum erhalten. Peln&r (Prag).
13) Erfahrungen über „aphatizohe Demenz“, von Profi K. Kuffner und Dr.
J. Janskf. (Caeop. des. 16k. 1902. S. 319.)
86 jähriges Weib erlitt im Laufe eines Jahres sechs apoplektiforme Anfalle
mit folgenden transitorischen Störungen der Sprache. Auf der psychiatrisches
Klinik wurde eine cerebropathische Demenz «liagnosticirt. Die spontane Sprache
war sehr spärlich und oft durch Paraphasieen gestört Die Patientin verstand
aber gut die Sprache, erkannte die Gegenstände und schrieb. Ausserdem litt ne
an einer Hemiparese der linken Körperseite.
Bei der Obduction fand man eine hämorrhagische Cyste in rechter Para-
oentralwindung als Grund der Hemiparese, das motorische Sprachgebiet war voll¬
ständig normal, aber die hinteren zwei Drittel aller drei Temporal Windungen
links total erweicht und die graue sowie weisse Substanz daselbst vernichtet
Die Patientin war nicht linkshändig, hatte keine sensorische Aphasie und doch
war alles, was als Centrum der verbalacustischen Vorstellungen betrachtet wird,
vollständig vernichtet Die Störung der spontanen Sprache ist durch diese Ver¬
nichtung des verbalacustischen Centrums genügend motivirt, jedoch das Erhalten
der verbalacustischen Perception dabei schwer zu erklären. Die
Hypothese von der vicariirenden Function der rechten Hemisphäre bringt keinen
grossen Gewinn, da diese sonst unbegründete Ansicht alle theoretischen Deduo-
tionen von den verbalen Bahnen problematisch macht Es ist sicher, dass di»
Erhaltensein der linken ersten Temporalwindung für die verbalacustische Perception
keine conditio sine qua non ist Pelnäf (Prag).
14) Beiträge zur Lehre von der Eoholalie, von Pick. (Jahrbüchor f. Psych.
u. Neur. XXI. 1902. S. 283).
In früheren Arbeiten hatte Verf. bezüglich der acut einsetzenden Echolslie
gelehrt, dass sie als eine Form des Verlustes der hemmenden Function des linken
Temporallappens auf das motorische Sprachcentrum aufzufassen sei und dass sie
ganz besonders häufig bei Läsion des Schläfelappens vorkomme.
42 j ähr. Mann, Lues anamneetisch sichergestell, vor einigen Wochen Doppelt-
sehen. Acutes Einsetzen der Krankheitserscheinungen.
Rechtsseitige, besonders die Hand betreffende Hemiparese. Linksseitige Fadalu-
parese (conjugirte Bulbusbewegungen allseits frei). Parese des rechten Fadal»
an der auch der obere Ast ein wenig mitbetheiligt ist Linke Pupille > r., reagirt
auf Licht weniger gut, Sehnenreflexe sehr lebhaft; Bauch- und Cremasierreflex
links > r., Sensibilität nicht grob gestört, bis auf Astereognosie der rechten
Hand (später erschien daselbst auch leichte Hypalgesie). Sprachverständnis
anscheinend intact; Sprachschatz theilweise eingeschränkt: ausgezeichnete Echolalie,
die später noch eine Zunahme erfuhr. Unfähigkeit zu schreiben. Beim Lteec
werden grossen Theils dem Ansehen nach ähnliche, unrichtige Worte geles»
Auoh bei Singversuohen zeigt sich das Phänomen des „Klebenbleibens“. Im Ver¬
laufe Besserung und Verschlimmerung, bis sich endlich ein stationärer wesentlich
gebesserter Zustand einstellte. Dabei besonders bemerkenswert)!, dass trotz
GoogI<
1107
vorgeschrittener Besserung des Lesens das Schreibvermögen schwer gestört bleibt
(Verf. nimmt an, dass bei besserer Bestitution der Rinde des Gyros angularis die
Bahn von diesem zu den motorischen Handoentren dauernd lädirt ist). Die Echo-
lalie und zwar beide Formen: reine Eoholalie und Wiederholung der Fragen in
entsprechender Umstellung auf die „Ichform“ war auch zurückgegangen, trat aber
gelegentlich episodenweise auf, z. B. mitten während des Lesens.
Verf. nimmt einen (wahrscheinlich Erweichungs-)Herd an im receptiven
Antheile des Sprachgebietes, vorwiegend im Gyrus angularis mit Betheiligung der
angrenzenden Partieen des Schläfelappens.
Verf. führt noch folgende Beispiele an, welche geeignet sind, die Auffassung
der Echolalie als einer Schwächeerscheinung zu stützen (im Gegensätze zu einem
Reizungsphänomen): Eine Kranke in einem Zustande von Verwirrtheit nach einem
längeren Btuporösen Stadium; besonders interessant exquisite Echolalie bei einem
4jähr. Knaben, der durch Typhlitis mit Peritonitis und Operation sehr herab*
gekommen war. Verf. erinnert auch an die postparoxysmelle Echolalie bei Epi¬
leptikern. Pilcz (Wien).
15) Behandlung und Ausgänge von 44 Depreeslonsfracturen am Schädel,
von Ernst Franke. Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Berlin.
(Dissertation. 1901. Berlin.)
Die Arbeit hat vorzugsweise chirurgisches Interesse. Die Trepanation wurde
aus folgenden Indicationen gemacht:
4 Mal wegen Infection der Knochenwunde, 2 Mal wegen Meningitis puru-
lenta bezw. Hirnabscess, 3 Mal wegen erheblicher Hirndrucksteigerung (Blutung),
11 Mal wegen ausgedehnter Zersplitterung und Depression, 12 Mal wegen moto¬
rischer Reizerscheinungen oder Lähmungen. 12 Fälle wurden nicht trepanirt.
Von den trepanirten Fällen starben 14. Die Todesursache ist bei den meisten
die schwere Verletzung, und der Tod tritt bei den meisten ein, ohne dass die
Patienten das Bewusstsein wiedererlangt hätten. Geheilt entlassen wurden von
den trepanirten 18; 2 derselben starben später noch. Von den Geheilten zeigten
sich nur bei 6 Patienten in der Folgezeit keine weiteren Folgeerscheinungen,
alle anderen zeigten nachher noch beträchtliche nervöse Störungen: Sprachstörungen,
psychische Störungen, Sensibilitätsstörungen, Epilepsie u. s. w.
Von den 12 nicht trepanirten Fällen starben 2.
Paul Schuster (Berlin).
16) Geheilte Sohädelsehüsse, von E. v. Bergmann. (Deutsche med. Wochen¬
schrift. 1902. Nr. 14.)
Beim Eindringen kleiner Geschosse (der 5, 6, 7, ja 9 mm Geschosse) in das
Gehirn thut man am besten, durch Vermeidung jeder Infeotion für rasche Wund¬
heilung zu sorgen und das Geschoss im Hirn einheilen zu lassen. Das Suchen
nach dem Geschoss setzt häufig grössere Läsionen, als sie die Kugel selbst be¬
dingt hat, auch sind die Schwierigkeiten, ein nahe dem Einochen an der Schädel¬
basis sitzendes Geschoss zu entfernen, nicht selten seihst nach genauester Er¬
mittelung des Sitzes durch Röntgenaufnahmen gross. — Complette Hemiplegieen
aach SchussVerletzungen können völlig zurückgehen, möglich, dass es sich in
tolchen Fällen um Fernwirkungen z. B. durch kleine Extravasate gehandelt hat.
Beispiele illustriren das Gesagte. R. Pfeiffer.
.7) Plate pAnötrante da oräne p&r arme 4 feu, par Dr. Villemin. (Bulle*
tins de la soci6t£ de pödiatrie. 1902. Nr. 8.)
Sin 13 1 / a jähriger Knabe wurde durch einen Revolverschuss, dessen Eingangs»
70*
Die
1108
stelle zwischen den Augen sieh befand, schwer verletzt. Er kam somnolent, mit
Erbrechen, Pulsverlangsamung, aber ohne locale Ausfallserscheinungen ins Spital.
Einige Tage sp&ter erwachte er ans dem Halbschlaf, zeigte sich bis auf eine ge¬
ringe Schwäche des rechten Händedruckes normal und war nach 3 Wochen völlig
geheilt Als man vor der Entlassung eine radiographische Untersuchung des
Schädels vomahm, ergab sich der überraschende Befund der Einheilung des Pro-
jectils an der Innenseite der Hinterhauptsschuppe. Die Kugel hatte also das
ganze Gehirn im anteroposterioren Durchmesser durchquert, ohne pathologische
Störungen zu hinterlassen. Zappert (Wien).
18) Zur Frage über die Heilung der Hirnwunden, von Chenzinski.
(Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat. 1902. Nr. 5.)
I8jähriger Mann schoss sich am l./VI. 1893 eine Revolverkugel in die
rechte Schläfe. Trepanation. Auoh während der Wundheilung stiessen sich
wiederholt Gehirnpartikelchen ab. Dann blieb Pat vollständig gesund bis auf
häufigen Kopfschmerz. 27 Monate später (am 3./XL 1896) neuerdingB Selbst¬
mordversuch (Schuss in den Kopf). Lähmung der linken Körperseite. Exitus.
An der Basis des linken Stirnlappens, im äusseren Theile der Sylvi’sehen
Grube, lag unter der verdickten Pia die abgeplattete Kugel, vom ersten Suicid-
versuche herrührend. Abgesehen von den frischen Verletzungen des Schädels und
seines Inhaltes ergab sich folgender interessanter Befund: Durch beide Stirn¬
lappen zog sich von rechts unten nach links oben hinten ein etwa 6 mm breiter
Canal, der in der grauen Substanz des mittleren Theiles der 2. Stirnwindung
endete. In nahezu rechtem Winkel zu diesem Canale führt ein zweiter nach
unten hinten (etwa 6—9 mm) bis zum oben erwähnten Fundorte des Projectiles.
Histologischer Befund (in beiden Canälen identisch): Im Lumen des Canale«
blutgefässreiches Granulationsgewebe. Um den Schusscanal zuerst fibröses Narben¬
gewebe, das nach aussen von einer Zone Gliawucherung umgeben ist. Die Glia¬
fasern verflechten sich innig mit den proliferirenden Bindegewebsfasern, ohne in
dieselben überzugehen. Wo der Canal durch graue Substanz ging, zeigen auch
die Ganglienzellen der nächsten Umgebung schwere Veränderungen (zwei Ab¬
bildungen im Texte). _ Pilcz (Wien).
10) Report aa to the condition of a man through whose right oerebrum
a ballet paseed from before backward eleven years ago, by Th. Dill er.
(Joum. of Nerv, and Ment. Dis. 1902. Mai.)
Es handelte sich um einen 24jährigen Patienten, der vor 11 Jahren eines
Schuss gegen die rechte. Stirnseite, Mitte der rechten Augenbraue, erhalten bat
Au88chus8Öflhung 0,6 cm links von der Protuberantia occipitalis. Bewusstlosigkeit
von 3 Wochen, dann völlige Sprachlähmung und complete Hemiplegia sin.
Erstere besserte sich schnell, letztere nur, was das Bein anbetrifft Jetzt hat
Pat spastische Lähmung des linken Armes, der nur ganz wenig im Schulter*
gelenk bewegt werden kann, Parese des linken Beines, geringe Pareee des linken
Mundfacialis. Reflexe erheblich gesteigert. Sensibilität der ganzen linken Seite
(inclusive Gesicht, Zunge, Bindehaut des linken Anges und linke Nasenschleim-
haut) stark herabgesetzt, am linken Vorderarm und der Hand völlige Anästhesie
und Stereoagnosie. Starke Reflexsteigerung links. Linksseitige Hemianopsie.
An der rechten Schädelseite grosser Knochendefect mit sicht- und fühlbarer
Pulsation des Gehirns. Ein Photogramm illustrirt denselben.
Martin Bloch (Berlin).
Google
1109
20) Penetrating bullet-wound of the braln: removal and recovery, by
J. Laurie. (Glasgow med. Journal. 1901. October.)
Bericht über die glückliche operative Entfernung einer Kugel aus dem Hirn
eines 15jährigen Knaben. Die Einschussöffnung befand sieb an der Stirn, die
Kugel hatte fast die ganze linke Hemisphäre durchbohrt und wurde zwischen
Meningen und Binde des Oocipitallappens bei der Trepanation gefunden und ent-
lernt. Die klinischen Symptome waren Bewusstlosigkeit, Zuckungen der fast
völlig gelähmten rechtsseitigen Extremitäten und Aphasie. Nach der Operation
fangsaroes Verschwinden der Symptome. Martin Bloch (Berlin).
21) Zur Kenntniss der Bedeutung des Traumas als ätiologisches Moment
der Entstehung infeotiöser Oerebralerkrankungen, von Dr. Ernst Ehrn-
rooth. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.)
Zu den bereits bekannten Fällen infectiöser Oerebralerkrankungen, die im
Anschluss an ein Kopftrauma auftraten, fügt Verf. zwei weitere Beobachtungen,
ln der ersten handelt es sich um einen Schlag auf den rechten Hinterkopf ohiie
äussere Verletzung. Von Symptomen wurden festgestellt: vorübergehende Be¬
wusstlosigkeit, taumelnder Gang, Injection des rechten Trommelfells, später Krämpfe,
Genickstarre und zeitweise Pulsverlangsamung. Bei der Autopsie fand sich Menin¬
gitis cerebrospinalis.
Der zweite Fall betraf einen 23jähr. Arbeiter, dem aus einer Höhe von 1 / a m
eine Bohle auf die rechte Kopfhälfte fiel. Keine Wunde, vorübergend Schwindel.
Nach 10 Tagen Schmerzen an der Stirn und rechten Scheitelhälfte, Phlegmone
am rechten Schenkel, nach Incision starke Eiterentleerung, bald darauf Steifigkeit
des linken Beins, Zuckungen in den Fingern der linken Hand, Krampfanfälle ohne
Bewusstseinsverlust, GedächtnissBchwäche. Trepanation über der motorischen
Region (rechts?), Abscessbildung im obersten Theil der Central Windungen, vorüber¬
gehend Besserung, nach 3 Wochen nochmalige Punction und nach 6 Wochen
weitere Operation, bei welcher sich eine grosse Höhle fand, die anscheinend mit
dem Seitenventrikel communicirte. Meningitis, doppelseitige Pneumonie, Exitus.
Bei der Autopsie fand sich am Gehirn und Rückenmark eine ausgebreitete, puru¬
lente Meningitis, die schon erwähnte Abscessbildung in den obersten Theilen der
Centralwindungen und eine grosse, bronchiektatische Höhle im obersten Lappen
der rechten Lunge.
Verf. nimmt an, dasB durch das Trauma in der Hirnrinde rechts kleine
Gefassverletzungen, vielleicht Blutungen, bewirkt wurden und dass an diesem Loous
rainoris resistentiae die von dem Suppurationsprocesse im rechten Schenkel in die
Blutbahn gelangten Streptokokken haften blieben, sieb vermehrten und den Ab-
sceas veranlassten. E. Asch (Frankfurt a/M.).
22) Zar Kenntniss der Starkstrom verletsungen, von Dr. F. Jessen im Ham¬
burg. (Münchener med. Wochenschr. 1902. Nr. 5.)
Ein 46jähriger, früher gesunder Mann erlitt durch den Leitungsdraht der
ütrasaenbahn einen Sohlag (500 Volt, Gleiohstrom). Der Strom ging angeblich
nehrere Minuten durch den Körper, denn Pat. konnte sich nicht losmaohen: un-
uittelbar nachher starke Benommenheit, später Schwindelanfälle, Kopfsohmerzen,
juckungen und Kribbeln im rechten Arm, Neigung nach reohts zu fallen, Ab-
reichen der Zunge nach links, geringe Facialisschwäche links. 6 Wochen nach
em Trauma fand sich Steigerung der Patellar- und Plantarreflexe sowie der
Iremaster-, Bauch- und Conjunctivalreflexe, deutlich vorhandenes Romberg’sches
ymptom, ringförmige Herabsetzung des Temperatursinnes an den Beinen, später
Die
1110
Schwindelanfall mit starkem Kopfschmers und erhaltenem Bewusstsein sowie mit
Zuckungen in den linksseitigen Extremitäten, Aufschreien und Zähneknirschen.
Nach Wiederaufnahme der Arbeitsth&tigkeit verschwinden bald sämmtliohe
Störungen. Es trat also nach einem Starkstromtrauma ein Krankheitsbild auf,
das im Ganzen rein functioneller Natur eine Mischung von hysterischen Zügen
und von solchen Erscheinungen darbot, die vorübergehend an eine organische
Läsion denken lassen. E. Asch (Frankfurt a/H.).
23) La mort et aooidants par les courante Industriels, par E. Battelll
(Revue mödicale de la Suisse romande. 1902. Nr. 9.)
Im ersten Th eile dieser Arbeit referirt Verf. über verschiedene Untersuchungen
von Prevost und ihm, die sohon früher in d. Centralbl. (1899, S. 932 u. 979)
besprochen wurden. Er betont hier wieder im Gegensatz zu anderen Autoren,
dass es zwei verschiedene Ursachen des Todes gebe, und zwar gilt dies sowohl
für den constanien als auch den Wechselstrom. Ströme hoher Spannung (1200 Volt
u. mehr) bewirken Asphyxie in Folge centraler Respirationslähmung. Das Hm
schlägt weiter und steht erst in Folge der Asphyxie. Ströme niederer Spannung
(nicht unter 120 Volt) töten durch Herzlähmung, während die Respiration noch
einige Zeit weiter geht. Die Herzlähmung manifestirt sich unter dem Bilde der
sogen, fibrillären Zuckungen des Herzmuskels. Für die Wirkung sind ferner von
Wichtigkeit die Natur des Stromes, bei Wechselströmen die Sohwingungszahl, der
Widerstand an der Stelle des Contactes und die Art der Uebertragung, die Dauer
der Einwirkung und die Stromdichtigkeit in den einzelnen Organen.
In einem zweiten Abschnitte wird die Hinrichtung mittels des elektrischen
Stromes besprochen. Seit dem Jahre 1899 bediente man sich folgenden Ver¬
fahrens: man leitet zuerst durch das betreffende Individuum einen Strom hoher
Spannung (1700—2000 Volt) während etwa 7 Secunden, dann schwächt man
ihn auf 300—400 Volt ab und lässt ihn so während 30 Secunden einwirken.
Alsdann wird die Wirkung beobachtet, und zeigen sich noch Athembewegungen,
so wiederholt man die Procedur noch einmal. Eine einmalige Application hat
bis jetzt nie den Tod herbeigeführt; in einem Falle brauchte es fünf Wieder¬
holungen.
Der dritte Theil handelt von den Unfällen. Die unmittelbaren Folgen des
Contactes eines Menschen mit industriellen Strömen sind verschiedene:
1. In den schwersten Fällen ist es der Tod, und zwar ein rascher Tod; es
ist nur ein Fall bekannt, wo derselbe erst 20 Minuten nach der Einwirkung ein-
irat. Diese Thatsache spricht dafür, dass es sich um Tod durch HerzparalyBe
handelt. Bei diesen Unglücksfällen ist die Stromdichtigkeit in den inneren
Organen niemals eine hohe, auch nicht bei hochgespannten Strömen, in Folge des
grossen Widerstandes an der Berührungsstelle, auffallend ist nur, dass sich in
keinem Falle die Respiration wieder erholt hat, wie z. B. bei den Hinrichtungen.
Für die Praxis ist wichtig, dass die Einleitung der künstlichen Respiration ohne
Wirkung ist
2. In zahlreichen Fällen handelt es sich um eine einfache Bewusstlosigkeit,
die schnell wieder vorübergeht und ohne weitere Folgen ist Von Interesse ist,
dass beim Menschen niemals vor Wiederrückkehr des Bewusstseins Convulsionen
beobachtet wurden, wie z. B. beim Hunde.
3. Die so häufigen Brandwunden sind den Temperaturerhöhungen an Stelle
des Contactes zuzuschreiben. Sie sind immer scharf umschrieben, geben gewöhnlich
sehr tief, an den Händen meist bis auf die Knochen, eitern nur selten und zeigen
eine grosse Heilungstendenz.
Von den bis jetzt bekannten Todesfällen soll der Tod 3 Mal durch einen
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— 1111
Strom von nur 116 Volt verursacht worden »ein (Berührung des Stromleiters
mittels nasser Füsse, Contact mit der Brust); in der Mehrzahl der Fälle betrug
jedoch die Stromstärke etwa 400 Volt bei Wechselströmen, 1000 Volt bei con-
stanten Strömen. Es sind jedoch auch eine grosse Zahl von Fällen bekannt, wo
bei Berührung mit den Händen trotz sehr hoher Spannung (bis 2000 Volt) die
Wirkung nur eine vorübergehende Betäubung war. Eine grosse Bolle spielt
hierbei immer die Beschaffenheit der Haut der Hände; die trockene Haut setzt
an und für sioh dem Strome sohon grossen Widerstand entgegen, verkohlt aber
auch sehr rasoh, wodurch der Widerstand noch bedeutend erhöht wird. Viel
ungünstiger sind die Verhältnisse bei feuchter Haut. Tritt nicht sofortige Herz¬
paralyse ein, so braucht auch ein längerer Contact nioht zu töten, da auch hier
die Haut schnell verkohlt und dadurch der Strom geschwächt wird.
Verf. empfiehlt bei Unglücksfällen folgende Maassregeln:
1. Ist der Verletzte nooh mit dem Strome in Contact, so soll derselbe vor
allem unterbrochen werden; ist dies aus irgend einem Grunde nicht möglioh, so
versnobt man, den Betreffenden mittels eines Fusstrittes davon zu befreien; der
Strom, der von Bein zu Bein geht, verursacht keine Gefahr.
2. Es ist nun vor allem von Wichtigkeit, ob das Herz noch schlägt oder
schon im Zustande der fibrillären Zuckungen ist. In letzterem Falle ist jede
Mühe vergebens. Schlägt das Herz noch, so ist die Hauptaufgabe für die Ath-
mung zu sorgen durch Hervorziehen der Zunge und Einleitung der künstlichen
Respiration. H. Wille (St Pirminsberg).
24) Blitzschlag und elektrische Hochspannung, von Dr. S. Jellinek.
(Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 29.)
Aus der Arbeit, die sich auf ein ziemlich reichhaltiges eigenes Beobachtungs¬
material stützt, sei nur hervorgehoben:
1. die Ansicht des Verf.’s, dass neben der mechanischen Wirkung des elek¬
trischen Stromes als Ursache der Commotio cerebri auch ein thermischer Effect
mitspiele, eine Erwärmung der Cerebrospinalflüssigkeit mit consecutiver Volums¬
zunahme derselben, dass also neben der Commotio auch eine Compressio cerebri
sich geltend mache. Bei Tödtung von Kaninchen mit Wechselströmen von 2000
bis 6000 Volt fiel Verf. sofort nach der Tödtung eine abnorme Temperatur¬
erhöhung in der Gegend des Herzens auf.
2. Ein Fall von Blitzschlag bei einer 28jähr. Frau. Brandwunde und Blitz¬
figuren in der Eireuzbeingegend. Bewusstlosigkeit durch s / 4 Stunden. 8 Tage
später fand Verf. eine Parese der rechten unteren Extremität mit Reflexsteigerung
und Hyperästhesie. Nach 14 Tagen Erscheinungen einer traumatischen Hysterie.
Heilung nach einem Monate. J. Sorgo (Wien).
25) Note sur un oas d’hystdro-tr&umatisine; paralysie faoiale oomplöte et
trismus ohez une enfknt de trotze ans, par J. Guyot et J. Pery.
(Journal de Medecine de Bordeaux. 1902. Nr. 9.)
Verf. veröffentlicht einen Fall von traumatischer Hysterie bei einem 13jähr.
Mädchen, welches in Folge eines Fehltrittes aus einer Höhe von etwa 2 m von
einer Leiter herabfiel. Der Fall erfolgte auf die rechte Stirngegend. Reine Be¬
wusstlosigkeit, keine Krämpfe, keine Kieferluxation, keine Basisfractur. Es
wurden weder aus der Nase noch aus dem Ohre Blutungen beobachtet, ebenso
wenig konnte ein subconjunctivaler oder pharyngealer Bluterguss festgestellt
werden. Es entstand nur eine Schwellung an der getroffenen Stelle, die auf die
rechte Wangen- und Schläfengegend Übergriff. Schwellung und Schmerzhaftigkeit
schwanden sehr schnell, so dass das Kind bald wieder arbeiten konnte. Da
Digi
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1112
plötzlich, nach 14 Tagen, traten die Erscheinungen einer completten rechtsseitigen
Facialislähmung verbunden mit Trismus auf: der Mund nach links verzogen, die
rechte Wange schlaff, Lagophthalmus rechts, die Kiefer feet auf einandergepresst,
so dass sie sich nur 1 cm von einander entfernen lassen. Etwa 4 Wochen nach
dem Unfall kam das Mädchen in die Klinik. Daselbst fand man, dass ausser den
Erscheinungen einer completten Facialislähmung und Trismus auffallende Sensi¬
bilitätsstörungen bestanden. Hypo* und anästhetische Inseln an beiden Armen,
eine hypoästhetische Zone unterhalb der linken Mamma. Es waren ferner con-
centrische Gesichtsfeldeinschränkungen auf beiden Augen vorhanden. Die inneren
Organe, Reflexe, Beweglichkeit, Sinnesorgane zeigten nichts Abnormes.
Die Anamnese bot nichts besonderes, nur wurde festgestellt, dass das Mädchen
Abends das rechte Auge sehr gut schliessen konnte. Es wurde eine Massage¬
behandlung eingeleitet und nach 2—3 Tagen waren die Erscheinungen fast ge¬
schwunden, eine weitere Behandlung mit Brom vervollständigte den Erfolg, so
dass in kurzer Zeit Heilung erzielt wurde.
Verf. knüpft an den Fall einige Bemerkungen über das Wesen der hyste¬
rischen Facialislähmung. Er stellt zunächst fest, dass das Vorkommen einer
solohen als sicher gelten muss. Sodann geht er auf differential-diagnostische Er¬
wägungen ein. Er schliesst die rheumatische sowie die rein traumatische Läh¬
mung, aus hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie in so überraschend kurzer Zeit
zum Schwinden gebracht wurde. Eine centrale Ursache käme nicht in Betracht,
auch um einen Hemispasmus glosso-labialis könne es sich nicht handeln. Verf.
begründet zum Schluss seine Diagnose, indem er die einzelnen für Hysterie
charakteristischen Symptome noch einmal zusammenfasst
H. Schnitzer (Kückenmühle-Stettin).
26) Ein Fall von psendoapaatisoher Parese mit Tremor, von Dr. Respinger.
(Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1901. Nr. 22.)
63jährige, früher gesunde und nicht belastete Frau, die sich durch Sturz
eine Fractur von zwei rechtsseitigen Rippen und eine Contusion der rechten
Schulter zuzog. Nach Heilung der Verletzung blieb immer noch eine starke
Schmerzhaftigkeit der rechten Thoraxseite und der Schulter bestehen, und es ge¬
sellte sich ein Tremor des rechten Armes hinzu, der sich später auch auf den
Kopf und die untere Extremität erstreckte. Auch die Schmerzhaftigkeit dehnte
sich später auf die ganze rechte Seite aus. Eine */, Jahr nach der Verletzung
vorgenommene Sensibilitätsprüfung ergab rechtsseitige Hyperästhesie, die einige
Monate später in eine vollständige Anästhesie überging. Bei passiven Bewegungen
fühlt man einen erheblichen Widerstand in Folge von Spasmen der Musculatur.
H. Wille (St Pirminsberg).
27) Ueber die acute (trophoneurotisohe) Knoohenatrophie nach Ent¬
zündungen und Traumen der Extremitäten, von P. Sudeck. Vortrag,
gehalten im ärztlichen Verein zu Hamburg am 4. Februar 1902. (Deutsche
med. Wochenschr. 1902. Nr. 19.)
Die acute Knochenatrophie zeigt sich nach Entzündungen der grossen und
kleinen Gelenke und nach Weichtheilphlegmonen in der Regel an sämmtliehea
Knochen der ergriffenen Extremitäten von dem Erkrankungsherde abwärts; sie
kommt ferner nach Traumen der Gelenke, Knochen und Weichtheile vor, jedoch
nicht constant, ohne dass im Einzelfalle der Grund für ihr Erscheinen bezw.
Ausbleiben nachweisbar ist. Radiographisch zeigt die Spongiosa kleine, sehr dicht
an einander liegende, ganz unregelmässige Lücken, wodurch das Ganze eigenartig
scheckig aussieht, später sind auch in der Corticalis deutliche Knochenresorptionea
Digi
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1113
sichtbar. Es kann Heilung eintreten oder in chronischen Fällen eine gleich*
massige pathologische zarte Zeichnung der Structur resultiren, ja das Struoturbild
vollkommen schwinden (echte Knochenresorption oder Halistere?). Hand in Hand
mit der Knochenatrophie gehen Veränderungen der Musculatur (Atrophie, Herab¬
setzung der elektrischen Erregbarkeit), ferner vasomotorische und sonstige tro-
phische Störungen (Cyanose, Kältegefühl, chronisches Oedem, sammetartige Weich¬
heit der Haut, Abschilferung der Haut, Hypertrichosis, Rissigkeit der Nägel).
Verf. deutet die Knochenatrophie als trophoneurotische Atrophie, durch einen
peripheren Reiz reflectorisch ausgelöst.
Die Functionsstörungen sind sehr mannigfaltig. An der Hand findet sich
Steifigkeit des Handgelenkes und der Finger, mehr oder minder starke Be¬
schränkung der activen und passiven Bewegungen, gelegentlich spontane Schmerzen,
am F u s 8 e meistens Fixation, namentlich bei Pro- und Supination, ferner ein
sehr hochgradiger Belastungsschmerz beim Auftreten. Seltener sind Knochen¬
verbiegungen in Folge von Atrophieen. Therapeutisch wichtig ist, dass man
die Immobilisation nicht weiter ausdehnt als unbedingt nöthig ist, d. h. noch im
acuten Stadium sind passive Bewegungen erforderlich, nach Ablauf der acuten
Entzündungserscbeinungen Massage und orthopädische Uebungen. Nützlich sind
heisse Bäder, ferner die venöse Blutstauung, täglich mehrere Male angewandt.
Bei Knochenatrophie an den Unterextremitäten ist es zweckmässig, die Füsse
nicht zu immobilisiren, aber die Belastung durch einen Apparat nach dem Princip
der Thomas-Schiene auszuschalten.
Die Prognose kann günstig sein, aber eine grosse Zahl von Patienten behält
dauernde Steifigkeit der Finger und die Beschwerden an den Füssen ziehen sich
oft durch Jahre hindurch.
Wichtig ist die Differentialdiagnose. Viele Patienten werden für Simulanten
gehalten, andere als verdächtig angesehen der secundären Tuberculose, seltener
der Syphilis, ferner können der entzündliche Plattfuss und die sogen. Gelenk¬
neurosen Schwierigkeiten machen. R. Pfeiffer. •
28) lieber die Geisteskrankheiten nach Kopfverletzungen, von Dr. R Werner
(Dalldorf). (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medicin. 1902. Suppl. S. 151.)
Ueber die mechanische Wirkung von Kopfverletzungen auf das Gehirn, wie
sie experimentell nachgewiesen und bei Unfallverletzten, die zur Section kamen,
beobachtet wurden, bringt Verf. aus der Litteratur ein umfangreiches Material
zusammen — die psychische Wirkung bespricht er nicht näher. Er führt die
diffusen Erkrankungen der Hirnrinde nach Hirnerschütterung in der Hauptsache
auf Alterationen des Gefässsystems zurück und legt grossen Werth auf die Fest¬
stellung, ob die Verletzung ein vorher rüstiges oder ein schon geschwächtes Ge¬
hirn betroffen hat. Von den functioneilen Störungen wird ausführlicher nur die
„Cerebrasthenie“ besprochen, die Psychosen werden nur kurz erwähnt. Verf. geht
dann sehr ausführlich auf die mit mehr oder weniger intensiven organischen
Läsionen einhergehenden Krankheitsbilder ein, in erster Linie die organisch be¬
dingten psychischen Schwächezustände, und bespricht hierbei auch den Zusammen¬
hang zwischen Verletzung und progressiver Paralyse. Er meint, dass Kopf¬
verletzung allein wohl niemals Paralyse erzeuge, dass sie aber bei bestehender
Disposition den letzten Anstoss zum Ausbruch der Krankheit geben und auch
eine bestehende Paralyse wesentlich verschlimmern könne. Epilepsie und Hysterie
bespricht er besonders. Er hält es für wahrscheinlich, dass für die Entstehung
von Epilepsie nach Kopfverletzung Störungen im Bereich des Gefässsystems ver¬
antwortlich zu machen seien, während die Hysterie durch den psychischen Shok
bei der Verletzung hervorgerufen werde. Als Complication des Krankheitsbildes
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1114
wird der Alkoholismus nur kurz besprochen. Schliesslich giebt Verf. einen Ueber¬
blick über die verschiedenen Versnobe einer Eintheilnng der traumatischen
Geistesstörungen and lässt dann seine eigene Eintheilnng folgen, bei der vier
Grundformen unterschieden werden:
1. Delirium traumatioum,
2. organisch bedingte Schwäohezustände,
3. traumatisch bedingte epileptische Geistesstörung mit oder ohne Krampf¬
anfälle,
4. Geistesstörung auf Grundlage wesentlich functioneller traumatisch be¬
dingter Störungen.
Endlich werden noch die Fälle kurz besprochen, in denen Kopfverletzung
als auslösendes, verschlimmerndes oder prädisponirendes Moment für Geistes¬
krankheit in Betracht kommt. Stegmann (Dresden).
Psychiatrie.
29) Ueber Ergebnisse elektrischer Untersuchungen an Geisteekranken, von
Pilcz. (Jahrbücher f. Psych. u. Neur. XXI. S. 313.)
Ausgehend von theoretischen Erwägungen über den Zusammenhang und die
Beziehungen von Polyneuritis und acuten Geistesstörungen (gemeinsame infectiös-
toxische Aetiologie, Korsakoff’sche Psychose u. s. w.) ging Verf darauf aus mit
Hülfe elektrodiagnostischer Untersuchungsmethoden nach leiohtesten neuritischen
Veränderungen zu fahnden in Fällen, die im übrigen keinerlei Symptome einer
Mitbetheiligung des peripheren Nervensystems erkennen Hessen. Verf. achtete
dabei auf „Zuckungsträgheit“ und bediente sioh, um auch geringfügige Verände¬
rungen in objectiver und Messung zugängUcher Weise darzustellen, der graphischen
Methode. Jede der (durch den constanten Strom oder durch Oefinungsinductions-
schläge ausgelösten) Contractionen wurde mittels des Knoll-Roche’schen Poly¬
graphen registrirt, die Zeit mittels einer geaichten Stahlfeder bestimmt, die in
der Secunde 60 Schwingungen macht. Das Untersuchungsmaterial betrifft 60 Indi¬
viduen mit etwa 1200 Einzeluntersuchungen.
Durch Prüfung von 19 bezüglich ihres peripheren Nervensystems sicher als
normal anzusehenden Individuen wurde zunächst ein normales Vergleichsmaterial
geschaffen, Maximal-, Minimal- und Durchschnittswert!)« der ContractionBdauer für
einzelne Muskelindividuen für den faradischen und galvanischen Strom bestimmt
Es stellte sich dabei u. a. heraus, dass, soweit Oeffnungsinductionsschläge in Be¬
tracht kommen, die Werte der einzelnen Myogramme ganz dieselben bleiben bei
schwachen und starken Intensitäten (abgesehen natürUch von Stromstärken, die
wenig grösser sind als die zur Erzielung der Minimalzuckung erforderUcheo).
Bezüglich des galvanischen Stromes ergab sich, dass der Uebergang von der Air
das Auge noch deutHch sichtbaren „blitzartigen“ Zuckung zum ebenfalls ohne
weiteres durch Inspection wahrnehmbaren KSTe kein plötzHcher, sondern ein all¬
mählicher ist, d. h. dass mit steigender Stromstärke das Myogramm eines und
desselben Muskels immer länger wird und die endliche Bestimmung der einen
oder der anderen Contraction als „Dauerzuckung“ mehr oder minder arbiträr
bleiben muss. Bei verschiedenartigem Aufsetzen der Pelotte des Schreibers auf
den zu prüfenden Muskel, bezw. dessen Sehne fallt das Myogramm gleichwohl
ceteris paribus identisch aus u. 8. w.
Als Paradigmata sicherer neuritischer Veränderungen dienten 4 Fälle, bei
denen die Diagnose „Polyneuritis“ auch ohne elektrische Untersuchung über jeden
Zweifel erhaben war (Korsakoff’Bche Psychose, Dementia senilis, Dementia acuta,
Paralysis progressiva und Alkoholneuritis). Die Krankheitsgeschichten dieser
■ y Google
1115
Fälle sowie die elektrischen Befunde werden genauer mitgetheilt. Als besonders
bemerkenswerth sei hier ein Fall mitgetheilt (Dementia acuta), bei welchem die
zur Zeit der Anstaltsaufnahme noch vorhandenen Patellarsehnenreflexe im weiteren
Verlaufe schwanden; ausserdem andere exquisite neuritisohe Symptome. Zuckungs-
trägkeit. Mit beginnender psychischer Reconvalescenz wiesen die geprüften Muskeln
auch wieder blitzartige Zuckung auf, während der Patellarsehnenreflex auf einer
Seite noch nioht wiedergekehrt war.
Die constanteeten Veränderungen fanden sich an der kleinen Hand- und
Fu88mu8culatur (M. extensor digitorum communis brevis etc.).
Das eigentliche Untersuohungsmaterial umfasst nun Psychosen, bei denen
Symptome einer Neuritis zu fehlen schienen.
Von 9 Fällen von Amentia (sec. Meynert) wiesen 5 exquisite galvanische
und faradische Zuckungsträgheit auf; ebenso ein Fall von Delirium acutum (der
nach schon eingetretener Klärung untersucht wurde).
An 21 Fällen von Alkoholpsychosen (Delirium tremens, Alkoholparanoia etc.)
ergab sich ein bemerkenswerther Unterschied zwischen den Deliranten und den
übrigen Formen. Bei ersteren waren die gefundenen neuritischen Veränderungen
erstens häufiger (in 76°/ 0 gegenüber 40 °/ 0 bei den nicht deliranten Formen),
zweitens schwerer (faradische Zuckungsträgheit u. s. w.). Es steht diese That-
ßache im Einklang mit anderen Befunden beim Delirium tremens (cythologisches
Bild, kritische Lösung, Albuminurie u. s. w.), welche für die Annahme eines auf
dem Boden der chronischen Alkoholvergiftung sich bildenden „alkohologenen“ Giftes
spreohen (v. Wagner, Elzholz).
Schliesslich zog Verf. auch noch 6 Paralytiker in den Kreis seiner Unter¬
suchung. Einige der Fälle zeigten Zuckungsträgheit, andere durchaus normale
Myogramme. Verf. will bezüglich der letzteren Categorie von Geistesstörungen
angesichts des einstweilen zu geringen Materials von irgend welchen Schlüssen
absehen.
4 Abbildungen von Myogrammen und detaillirte Zahlenangaben der ge¬
fundenen Werte für die einzelnen Contractionen befinden sich im Text.
Autoreferat.
30) Ueber schwachsinnige Sohulkinder, von Dr. Leopold Laquer. (Halle a/S.
1902, C. Marhold. 44 S.)
Verf., der um die mustergültigen Verhältnisse des Schularztwesens in Frank¬
furt a/M. selbst nicht geringe Verdienste sich erworben bat, giebt in der vor¬
liegenden Abhandlung mit der Darstellung des dort eingeführten Hülfsschulwesens
zugleich werthvolle Betrachtungen und Belehrungen über die Erkennung und Be¬
handlung des Schwachsinns in der Schule überhaupt. Er geht von dem Stand¬
punkt aus, dass für die Prüfung des Geisteszustandes in dem in Betracht
kommenden Kindesalter bis auf weiteres kein besserer methodischer Weg existirt
als die Schule selbst, dass mit anderen Worten den beiden ersten Schuljahren
die wesentlichste und erfolgreichste Aufgabe bei der Feststellung des kindlichen
Schwachsinns zufällt. Daraus geht hervor, dass ein Zusammenarbeiten von Päda¬
gogen und Aerzten nach einheitlichen Gesichtspunkten nicht nur wünschenswerth,
sondern direct erforderlich ist, soll die Arbeit wirklich erfolgreich sein. — Die
.Beobachtung schwachsinniger Kinder vor Eintritt in die Schule wird, dem Thema
der Arbeit entsprechend, nur kurz erledigt. — Der Aufnahme und Beobachtung
der Schwachsinnigen in der Normalschule ist ein grösserer Abschnitt gewidmet.
In Frankfurt geschieht schon die Ausmusterung der Schulpflichtigen insoweit mit
Hülfe der Schulärzte, als es den Rectoren anheimgestellt ist, in zweifelhaften
Fällen deren Rath in Anspruch zu nehmen. Die Grundlage der weiteren ärzt-
Dic
1116
liehen Ueberwachung bildet der vom Preußischen Caltusministeriom empfohlene
„Gesundheitsschein“, in dem jedee Semester die Eintragungen für Grösse, Gewicht,
Brustumfang, Constitution, Hauterkrankungen, Augen, Obren, Mund, Sprache u. s. w.
vorgenommen werden. Neuerdings ist diesen Rubriken auch eine solche für
psychische Anomalien zu gefügt worden, in der als allgemeine Bezeichnungen für
die Höhe der psychischen Leistungen die Worte Normal, Zurückgeblieben oder
Defect zugelassen werden. Aus praktischen Gründen wird die Seh- und Hör¬
prüfung in der Regel erst einige Monate nach Beginn des Unterrichts vorgenommen.
Nach Ablauf des halben Schuljahres werden die Lehrer oder Lehrerinnen in der
Regel im Stande sein, ein Urtheil darüber zu fällen, ob ein Kind so schwach
veranlagt sei, dass es voraussichtlich das Klassenziel der untersten Stufe nicht
erreichen werde, und dann ist der Zeitpunkt für den Arzt zu weitergehenden und
umfangreicheren Erhebungen gekommen. Bestätigen seine Eindrücke bei einer
wiederholten Prüfung besonders der Sinneswerkzeuge am Ende des ersten Schul¬
jahres die WahrBcheinlichkeitsdiagnoao des Lehrers, so trägt der Rector das Kind
in die Vorschlagsliste der Candidaten für die Hülfsschule ein. In besonderen
Fällen wird noch ein zweites Jahr abgewartet zur endgültigen Entscheidung, ob
jene Minderleistungen weiterbestehen. In jedem Falle wird noch während de«
Besuches der Normalschule mit der Aufstellung bezw. Ausfüllung des „Beobachtungs¬
bogens für schwachsinnige Schulkinder“ begonnen, der in 18 Spalten einen voll¬
ständigen psychischen Status des Kindes zusammenstellen lässt; auch hier ist vor¬
gesehen, dass die Eintragungen nicht nur während des Besuches der Normal-
und bei Eintritt in die Hülfsschule, sondern in dieser auch jedes Jahr von Neuem
vorgenommen werden. — Den einzelnen Fragen dieses Beobachtungsbogens widmet
Verf. eine eingehende Betrachtung; hervorgehoben sei daraus die Bedeutung, die
wochenlangem ununterbrochenem Schreien der Kinder beigelegt wird, die Hervor¬
hebung des häufigen Fehlens der Farbenvorsteilungen bei intactem Farben¬
empfinden. Auffallen muss dagegen die Erwähnung der Linkshändigkeit unter
den „körperlichen Missbildungen“. Bei der Erforschung des geistigen Niveaus
jener Schüler der Unterstufe räth Verf. dringend, dem Lehrer vor dem Arzte den
Vortritt zu lassen, ebenso müsse es Sache der pädagogischen Beobachtung bleiben,
die Einzelheiten der Entwickelung nach Kenntnissen und Fertigkeiten zu verfolgen.
Den exact psychologischen Untersuchungen über Ermüdbarkeit, Aufmerkaamkeit
u 8. w. räumt er vielleicht einen grösseren Raum in der Zukunft ein, für die
Gegenwart müsse man sich aber an die bereits gegebenen Schuleinrichtungen haltern
— Bei dem Uebergang der Schwachsinnigen aus der Normal- in die Hülfsschule
legt Verf. grössten Werth darauf dass an der Aufnahmeprüfung ein oder mehrere
Aerzte theilnehmen, wie das ausser in Frankfurt bei der Mehrzahl der preussischen
Hülfsschulen schon eingeführt ist. Epileptiker sind, wie auch schon bei früherer
Gelegenheit vom Verf. gefordert wurde, von der Aufnahme in die Frankfurter
Hülfsschulen ausgeschlossen. — Um den Erfolg des Hülfsschulunterrichtes nicht
wieder in Frage zu stellen, ist es nothwendig, dass Lehrer und Aerzte die Schüler
auch nach der Entlassung noch möglichst lange im Auge und unter ControDe
behalten; als Muster für eine solche weitere Beaufsichtigung wird der „VemB
zur Fürsorge für Schwachsinnige zu Königsberg“ angeführt. — Verf. schliesst mix
der Forderung, im öffentlichen und individuellen Interesse die Schwachsinniges
unter den Schülern aller Schulen in den beiden ersten Schuljahren, wenn irgead
möglich, sogar mit gesetzlichen Mitteln auszusondern und so in einem recht frühes
Lebensalter den Hülfsschulen und damit einer individuellen Erziehung zuzufuhns.
H« Haenel (Dresden).
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1117
31) Zur Casuietik der Zwangsvorstellungen« von Lundborg. (Jahrbücher
f. Psych. u. Neur. XXL S. 294.)
Verf. schliesst sich der Friedenreich’schen Eintheilung an, der bei den
Zwangsvorstellungen drei Stadien unterscheidet. Im ersten Grade ist der Kranke
noch Herr seiner selbst, kann seinen Zustand noch unterdrücken. Im zweiten
Stadium kann der Kranke seine Vorstellungen weder bekämpfen noch geheim
halten; er vertraut sich Anderen an, sucht sich dabei möglichst zu isoliren: seine
Arbeitskraft nimmt ab. In der dritten Periode wird Patient apathisch, giebt den
Versuch auf gegen seinen Zwang zu kämpfen. Keine Demenz.
40jähriger, schwer belasteter Rentier; mit 8 Jahren Masturbation, sexuell
stets ungemein aotiv, seit der Pubertät an Zwangsvorstellungen leidend (Grübel¬
sucht); 2 uletzt auch allerlei unzweifelhaft paranoisohe Züge, wodurch er auch ge¬
meingefährlich zu werden drohte. Intermittirender Verlauf.
Von der recht ausführlichen Krankengeschichte erwähnt Verf. als bemerkens¬
wert!), dass (im Gegensätze zur Behauptung Friedenreich’s) derartige Fälle
auch forensische Bedeutung gewinnen können und betont die Beziehungen von
religiösen Grübeleien und Sexualität. Pilcz (Wien).
32) Deckung eines Brinnerungsdefeotes durch Halluoination , von Dr.
Mönkemöller, Oberarzt an der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt zu
Osnabrück. (Vierteljahrschr. f. gerichtl. Medicin. 1902.)
Als Beitrag zu der oft schwer zu entscheidenden Frage, ob ein Erinnerungs-
defect echt oder vorgetäuscht sei, schildert Verf. einen Fall, bei dem man leicht
Simulation annehmen könnte, wenn nicht aus anderen Gründen unzweifelhaft
hervorginge, dass eine krankhafte Störung vorlag.
Ein Tagelöhner war unter dem dringenden Verdacht, seine eigene Wohnung
in Brand gesteckt zu haben, in Haft genommen worden, behauptet aber, nicht zu
wissen, wie das Feuer entstanden sei, obgleich er zur Zeit des Brandes allein im
Hause gewesen war. Sein Benehmen während des Feuers war auffällig gewesen;
man hatte ihn, der als Trinker bekannt war, für angetrunken, aber nicht sinnlos
betrunken gehalten; er selbst bestritt während der fraglichen Zeit betrunken ge¬
wesen zu sein. Nachdem er einige Tage in Haft gewesen war, legte er plötzlich
spontan ein Geständniss ab; er gab an, die That begangen zu haben aus Ver¬
zweiflung darüber, dass er keine Arbeit bekommen hatte und aus Aerger über
seine Frau. Es liess sich nachweisen, dass der Angeklagte seit langer Zeit dem
Trunk ergeben war, körperliche Zeichen des chronischen Alkoholismus darbot,
ausgeprägten Eifersuchtswahn hatte und bereits seit langer Zeit an Sinnes¬
täuschungen litt. Im Sommer hatte er Schwindelanfälle gehabt, bei denen er
lmfiel und sich auf die Zunge biss; wiederholt hatte er, statt zur Arbeit zu
fehen, einen falschen Weg eingeschlagen, ohne nachher zu wissen, wie er dorthin
fekommen sei. Es liess sich feststellen, dass er vom Tag der That fast keine
Erinnerung mehr hatte, auch nicht von der That selbst. Er gab an, eine „innere
timme“ habe ihm in der Haft Nachts zugerufen, dass er der Thäter sei, und so
ei er zu der Ueberzeugung gekommen, dass er das Feuer angelegt habe, wenn
r sich auch auf die Einzelheiten nicht besinnen könne. Es lag also hier eine
achträgliohe Ausfüllung der Erinnerungslücke durch eine Sinnestäuschung vor;
sr Angeklagte war daher für krank und nicht zurechnungsfähig im Sinne des
51 Str.G.B. zu erachten. Stegmann (Dresden).
)) Die Mörderinnen. Eine anthropologische Untersuchung von M ra# . Dr.
P. Tarnowskaja. (St. Petersburg. 1902. [Russisch.])
Verfasserin, die bereits seit einer Reihe von Jahren auf dem Gebiet der
Digitized by GoOgk
1118
criminellen Anthropologie thätig ist und früher werthvolle Untersuchungen über
Prostituirte und Diebinnen angestellt hat, theilt in vorliegendem Buche ihre
anthropologischen Untersuchungen über Mörderinnen mit. Das neue Werk ist
ein stattlicher Band von über 600 Seiten mit zahlreichen photographischen Ab¬
bildungen und anthropometrischen Tabellen. Ihre Aufgabe bestand darin, fest¬
zustellen, ob die Mörderinnen im Grossen und Ganzen anthropologische Ab¬
weichungen von der gesunden, nicht verbrecherischen Bevölkerung aufweisen. Zn
diesem Zwecke untersuchte sie 160 Mörderinnen aus verschiedenen Gefängnissen,
aber nur solche, die aus rein russischen bäuerlichen Familien stammten, und zum
Vergleich 160 rein russische Weiber aus dem Bauernstände. Die Untersuchung
wurde an allen Subjecten nach einem einheitlichen Plan ausgeführt und betraf
ausser den craniometrischen Verhältnissen den Zustand der Sinnesorgane (Hant-
sensibilität, Gesichtsfeld u. s. w.) und der Kniephänomene. Ausserdem wurden in
jedem Falle die psychischen Degenerationszeichen notirt In jeder einzelnen
Beobachtung bringt Verfasserin ein kurzes R£sum6 des Verbrechens und seiner
Motive, soweit sie aus den Acten zu ersehen waren, ferner Angaben über die
psychischen Eigentümlichkeiten, Heredität u. s. w., und eine photographische
Abbildung.
Die 160 Mörderinnen zerfallen nach dem Wesen und Ausgangspunkte des
Verbrechens in fünf Gruppen. Zur ersten gehören diejenigen, die den Mord
unter dem Einflüsse eines leidenschaftlichen Impulses begangen hatten — aus
Habsucht, Eifersucht, Rachsucht, Hass; ferner gehören hierher Fälle, wo eine
Mutter ihren Schwiegersohn ermordet, um ihre Tochter von ihm zu befreien —
also aus Mutterliebe, oder wo sexuelle Liebe im Spiel ist und in Folge dessen
der Mann oder Liebhaber ermordet wird. In der zweiten Gruppe handelt es sich
hauptsächlich um Abstumpfung des moralischen Sinnes; der Mord wird kalt¬
blütig, in grausamer Weise, aus einer geringfügigen Veranlassung begangen (viele
Kindesmörder innen). Die dritte Gruppe umfasst vorzüglich ganz junge Weiber,
die im Alter von 17—20 Jahren ihren Mann ermordeten, weil ihnen der sexuelle
Verkehr mit ihm widerwärtig war; sehr viele Morde kommen im Bauernstände
vor, wo keine andere Veranlassung als diese sich constatiren lässt, und häufig
handelt es sich hier um solche Fälle, wo Bauernmädchen im Alter von 16 —18 Jahren,
vor Eintritt der Menstruation verheirathet werden, und wo vom Anfang des Ehe¬
lebens an sich Abscheu gegen den geschlechtlichen Verkehr einstellt. Merkwürdig
ist die Einförmigkeit des Verbrechens in diesen Fällen, fast in jedem Processe
stÖ88t man auf die nämlichen Umstände — der Mann ist der jungen Frau wider¬
wärtig geworden, und sie hat ihm Arsenik oder Sublimat im Essen verabreicht
Die vierte Gruppe besteht aus Mörderinnen, die an ausgesprochener Geisteskrank¬
heit litten. Zur letzten Gruppe gehören fünf Fälle, wo der Mord zufällig, im
Streit, ohne besondere Motive begangen wurde.
Im Schlusscapitel stellt Verfasserin die Resultate ihrer anthropologischen
Untersuchungen zusammen und bringt die an den Mörderinnen gefundenen Daten
mit den normalen in Vergleich. Die wesentlichen Unterschiede bestehen in
Folgendem: Die horizontale Circumferentia des Kopfes und der Diam. antero*
poster. max. und transvers. max. sind bei den Mörderinnen kleiner, als bei den
zum Vergleich dienenden 160 Bäuerinnen aus der freien Bevölkerung, und zwar
sind die Zahlen dafür bei ersteren durchschnittlich 629,7, 177,6, 143,5; bei
letzteren 534,0, 180,0 und 144,7. Der Gesichtswinkel (nach Cloquet) beträgt
bei den 160 Mörderinnen durchschnittlich 71,512; bei den nicht verbrecherisches
Weibern 72,012. Was die psychischen Degenerationszeichen anbetrifFt, so waren
von 160 Mörderinnen damit behaftet 78°/ 0 , von 150 gesunden nicht verbreche¬
rischen Weibern 17,83%. Die Schmerzempfindlichkeit der Haut ist bei den
Mörderinnen nicht herabgesetzt Die Kniephänomene bieten bei ihnen Abnonni-
1119
taten dar in 40°/ 0 , während bei gesunden Weibern nur 20°/ 0 gefunden wurden.
Andere Details über Menstruationseintritt, Heredität, Verhalten des Gehörs, Ge¬
schmackes, Gesichtsfeld u. s. w. müssen in den Originaltabellen nachgelesen werden.
Im Zusammenhang mit ihren Untersuchungen bespricht Verfasserin die Bedeutung
der criminellen Anthropologie überhaupt, die Lombroso’schen Theorieen im
besonderen, und stellt sich diesen Fragen gegenüber auf einen sehr gemässigten,
streng wissenschaftlichen Standpunkt. Hoffentlich erscheint das Werk in einer
deutschen oder französischen Uebersetzung, um einem grösseren Leserkreise zu¬
gänglich zu werden. Es ist unzweifelhaft eine hervorragende Leistung auf diesem
Gebiete und von grossem Interesse sowohl für Anthropologen und Irrenärzte
als auch für Juristen. P. Hosenbach (St. Petersburg).
34) Ueber Othämatom bei Geisteskranken, von Ch. Imura. (Neurologia.
I. Nr. 2.)
Verf. fand das Othämatom unter 4258 Geisteskranken bei etwa 2 °/ 0 der¬
selben; er bestreitet, dass dasselbe immer dem Trauma seine Entstehung verdankt,
weil „*/ 3 dieser Kranken überhaupt nicht mit Zwangsmitteln behandelt wurden,
zur Zeit der Entstehung ruhig und bei relativ klarem Bewusstsein waren“. (Aus
diesen Gründen allein das Trauma auszuschliessen, erscheint Ref. doch etwas vor¬
eilig.) Es kommt bei progressiver Paralyse am häufigsten vor, ist im Ganzen
ein Zeichen für schlechte Prognose. H. Haenel (Dresden).
Therapie.
36) Leitfaden der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie für Praktiker und
Studirende, von Dr. Toby Cohn. (Berlin 1902, S. Karger.)
Für den Unterricht in der Elektrodiagnostik und -therapie haben sich die
Zeiten bedeutend geändert. Derartige Curse waren in früheren Jahren fast ge¬
sucht, das Interesse dafür war ein sehr reges. Man hatte das Recht, dickleibige
Bücher darüber zu schreiben, die auch eifrig benützt wurden. Dieses Interesse
ist in den letzten Jahren vielfach zurückgegangen. Die Hoffnungen, welche man
auf die Elektrodiagnostik gesetzt hatte, hatten sich nicht erfüllt, in die Elektro¬
therapie hat sich ein Skepticismus eingeschlichen, der langsam in Nihilismus übergeht.
So ist denn in dem ganzen Gebiet ein Verfall eingetreten, der nun droht, auch
den gesicherten Bestand des Wissenzweiges zu vernichten. Unsere medicinische
Jugend verlangt, wenn sie sich überhaupt noch der Sache widmet, kurze, nur das
Wichtigste umfassende Curse und dementsprechend brauchen wir kurze, klar ge¬
schriebene, jedes unnütze Detail vermeidende Lehrbücher. Ich verwende nun seit
1899 das Buch von Toby Cohn, und ich muBS sagen, dass sich das kleine Werk
beim Unterricht ausgezeichnet bewährt hat. Die übersichtliche Darstellung, die
Zweckmässigkeit der Illustrationen haben dem Buche immer viel Freunde unter
meinen Hörem verschafft.
Nun benützen wir seit einigen Monaten die zweite Auflage, welche gegen¬
über der ersten zahlreiche Verbesserungen aufweist sowie auch einige wesent¬
liche Neubearbeitungen enthält. Ich finde, dass das Buch bedeutend gewonnen hat.
Man trifft wirklich nur den reellen Bestand geschildert; in allen anderen Dingen
herrscht wohlthuende Kürze. In einem kleinen Capitel werden die neueren An-
wendungsformen der Elektricität kurz und klar erörtert. Bezüglich der Teslaisation
äussert sich Verf. übrigens sehr skeptisch. Selbst der ganz neuen Methode der
Behandlung mit Wechselstrommagneten wird ein kurzer Abschnitt gewidmet, ohne
dass Verf. jedoch über persönliche Erfahrungen beriohtei Auch im übrigen ist
Die
y Google
1120
der therapeutische Theil zum Vortheil der Sache nicht unwesentlich erweitert
worden. Ref. ist überzeugt, dass das Buoh in seiner neuen Gestalt wieder eine
grosse und wohlverdiente Verbreitung finden wird.
v. Frankl-Hochwart (Wien).
III. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 10. November 1902.
Vorsitzender: Herr Jolly, Schriftführer: Herr Bernhardt
Vor der Tagesordnung widmet Herr Jolly dem verstorbenen Ehrenmib-
gliede der Gesellschaft, Rudolf Virchow, sowie den verstorbenen Mitgliedern
Wulfert und Kaplan einen warmempfundenen Nachruf. Die Mitglieder der
Gesellschaft ehren das Andenken der Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen.
Tagesordnung:
Herr S. Kalischer stellt ein 14jähr. Mädohen vor, das seit Kindheit an einer
eigenartigen Gangstörung (schwerfällig und watschelnd) leidet. Diese Gehstörung
hatte in den letzten Jahren zugenommen, und dazu sind vor einem Jahre zwei
Mal tonische Krämpfe in den Armen aufgetreten, jetzt hin und wieder aueh
Krampf beim Schreiben. Die Untersuchung ergab eine Schwäche der Hfiftbeug»
und Lendenmuskeln, fast völligen Verlust der Patellarreflexe und deutliche Sym¬
ptome der Tetanie, wie Facialisphänomen, erhöhte mechanische und elektrisch«
Erregbarkeit der Nerven, Trousseau’sches Phänomen. Vom N. uln&ris ans war
die KaSZ bei 0,1 M.-A. zu erzielen; KaOeZ bei 0,7; AnOeZ bei 0,6; AnSZ bei
0,8; KSTe bei 1,0; auch AnTe war bei stärkeren Strömen auszulösen. Es hu¬
delt sich demnach um eine bis vor kurzem latent gebliebene Tetanie, die schon
frühzeitig als hervortretendstes Symptom eine Schwäche der Hüft- und Lenden-
muskeln und dadurch die Gehstörung erzeugt hatte. Drei ähnliche Fälle von
chronischer recidivirender Tetanie mit dieser Gangstörung sind von J. Hoffmann
1888 auf der Erb’schen Klinik beobachtet; in einem derselben lag wie hier ein
Genu valgum vor, in einem anderen wies alles zunächst auf eine Erkrankung der
Beckenmuskeln hin. Muskelatrophieen waren in dem vorgestellten Falle nicht
vorhanden. Vortr. geht sodann auf die bei Tetanie vorkommenden Lähmungen,
Atrophieen und Contracturen ein; auf der Basis einer chronischen Tetanie kommen
ganz vereinzelt Lähmungen und Contracturen vor, welche ohne gleichzeitige Be¬
gleiterscheinungen der Tetanie vorhanden sein und diagnostische Schwierigkeiten
machen können, wenn die Anamnese mangelhaft ist und die Untersuchung gerade
in dem latenten Stadium stattfindet Hier treten anscheinend erst viele Jahr«
nach der Gehstörung die ersten manifesten Erscheinungen der Tetanie auf
Während die Tetanie bei Erwachsenen in Berlin sehr selten ist, konnte Vortr.
die Tetanie bei Kindern in den ersten Lebensjahren recht häufig in der Neu-
mann'sehen Kinderpoliklinik beobachten, woselbst er die Mann-Thiemich’scha
Befunde bestätigen konnte. Nicht selten weist das gehäufte Auftreten der
Eklampsie, des Spasmus glottidis, Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit im Früh¬
jahr zuerst auf den Beginn der Tetanieepidemie hin. Fast nie sah er Tetank
bei Kindern im Alter von 4—12 Jahren, und es muss zweifelhaft erscheinen, ob
diese Tetanie bei den Säuglingen chronisch in dem Sinne war, dass sie sich m
das spätere Lebensalter als chronisch recidivirende Tetanie fortpfl&nzte. — Hk
neueren Untersuchungen über den Einfluss der Brustnahrung, Kuhmilch und d«
vegetabilischen Eiweisses auf den Grad der Tetanie und die Erhöhung der elek-
Digi
1121
trischen Erregbarkeit scheinen noch nicht genügend nachgeprüft zu sein, and ist
dabei zu erwägen, dass der Grad der Symptome der Tetanie wie besonders auch
die elektrische Uebererregbarkeit schon spontan grossen Schwankungen unter*
worfen ist. — Den Begriff der symptomatischen Tetanie als Symptom einer
anderen organischen und besonders cerebralen Nervenerkrankung möchte Vortr.
eingeschränkt wissen; es handelt sich da meist um zufällige Complicationen von
Tetanie mit anderen Erkrankungen oder um Nervenerkrankungen, welche nur
tetanieähnliche Krämpfe erzeugen; hier muss die Prüfung der elektrischen Erreg¬
barkeit ausschlaggebend sein; meist ist die Tetanie der Ausdruck einer Allgemein¬
erkrankung (tonischer oder infectiöser Natur). Autoreferat.
Discussion:
Herr Japha bemerkt, dass unter 6 — 7000 Kranken der Neumann’schen
Kinderpoliklinik 180 Fälle von Spasmus glottidis beobachtet wurden, von denen
die meisten Fälle Tetaniesymptome hatten (besonders gesteigerte elektrische Er¬
regbarkeit). Die Symptome der Tetanie sind sehr labil, am constantesten ist das
Facialisphänomen; nur bei sehr wenigen Fällen Hessen sich Tetaniesymptome bis
in das 5.-6. Lebensjahr verfolgen. Gewicht ist auf die Untersuchungen Finkei¬
stein’s u. A. über den Einfluss der Ernährung, besonders der Milch, auf das Auf¬
treten der Tetanio zu legen. Manche Fälle von Tetanie bezw. von schwerem
Spasmus glottidis werden durch Entziehung der Milch zweifellos günstig beein¬
flusst. Indes kann die Milch nicht allein als Ursache der genannten Erkrankungen
angesehen werden, da dieselben auch bei Brustkindern zur Beobachtung .kommen,
wenn auch meist in leichterem Grade. Gegen den alleinigen Einfluss der Nahrung
spricht auch die Periodicität des Auftretens der Tetanie Die meisten davon be¬
fallenen Kinder haben zu geringes Gewicht und sind schlecht genährt.
Herr Toby Cohn fragt, ob der Vortr. Veränderungen des Zuckungsablaufes
und der Zuckungsformel gesehen hat und verweist auf die Beobachtungen von
Mann.
Herr Kalischer bemerkt, dass er die Mann’schen Beobachtungen in seinem
Falle bestätigen konnte; er glaubt übrigens nicht, dass der vorgestellte Fall
chronischen Charakter annehmen würde.
Herr Bernhardt: Krankenvoratellung.
39jähr. Patient, der vor 23 Jahren mit den gleichen Krankheitserscheinungen
vom Vortr. in der Gesellschaft vorgestellt worden ist (vgl. Berliner klin. Wochen¬
schrift. 1880. Nr. 25). Pat. erkrankte im 13. Jahre an Masern und im Anschluss
daran an einer länger dauernden Darmerkrankung. Während derselben Anfall
von Bewusstlosigkeit mit linksseitiger Lähmung. Bei Wiederkehr der willkür¬
lichen Beweglichkeit Auftreten von Zuckungen im linken Arm. Letztere haben
seit der damaligen Vorstellung genau denselben Charakter bewahrt. Es handelt
sich um rhythmische Innen- und Aussenrotationen des Oberarms, Pro- und Supi¬
nation des Vorderarms, bei erhobenem Arm auch Zuckungen in den Fingern.
Alle Willkürbewegungen frei, aber durch die Zuckungen gestört, so dass der Ein¬
druck von Ataxie erweckt wird. Grobe Kraft vorzüglich, Musculatur desgleichen;
vielleicht ist der linke Oberarm etwas dünner als der rechte; der linke Vorder¬
arm ist sicher voluminöser als der rechte. Im übrigen ist der neurologische Be¬
fund völlig normal. Der Dynamometerdruck links ein wenig < r. Die Zuckungen
machen geringe Ruhepausen, nur wenn Pat. unbeobachtet und bei abgelenkter
Aufmerksamkeit ruhig dasitzt, ebenso morgens nach dem Erwachen, wenn Pat.
ruhig daliegt.
Vortr. hebt hervor, dass sich derartige Störungen vorwiegend in den oberen
Extremitäten finden und mit Vorliebe mit dem Wiederauftreten der Willkür¬
bewegungen in die Erscheinung treten. Pathologisch-anatomisch neigt man jetzt
71
1122
za der Annahme, dass es sich nicht um directe Reizungen der motorischen Bahnen
handelt, sondern dass centripetale Fasern lädirt sind, die vom Thalamus zur Rinde
ziehen und dort einen Reiz ansüben,' der durch die Pyramidenbahn, das Mona¬
ko w’sche Bündel oder die Bahn des rothen Kerns fortgeleitet wird.
Discussion:
Herr Schuster macht auf die Aehnlichkeit der demonstrirten Bewegungs¬
störung mit manchen hysterischen, besonders hystero-traumatischen Zuckungen
aufmerksam.
Herr Rothmann bemerkt, dass es jetzt ziemlich sichergestellt ist, dass die
motorischen Bahnen mit diesen Störungen nichts zu thun haben. Wahrscheinlich
handelt es sich um Reizzust&nde in den grossen Ganglien des Mittelhirns.
Herr Oppenheim fragt nach dem Verhalten der Zuckungen im Schlaf. Die
Aehnlichkeit mit hysterischen Zuckungen ist auch ihm aufgefallen. Was den
Sitz des Symptoms betrifft, so gewinnt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um
centripetale Reize handelt — vorausgesetzt, dass die Monakow’sche Theorie
richtig ist — an Boden.
Herr Remak fragt nach dem Verhalten der Sehnenreflexe im Vergleich zur
gesunden Seite, speciell auch nach dem Bab inski'sehen Zehenphänomen. Wenn
man die Anamnese des vorgestellten Falles nicht kennt, könnte man leicht zu der
Annahme einer functionellen Störung kommen.
Herr Jolly fragt nach dem Verhalten des Lagegefühls. Die posthemi-
plegischen Bewegungsstörungen lassen sich in drei Gruppen eintheilen: 1. chorei-
forme, 2. athetotische, 3. rhythmische, wie im vorgestellten Falle (Choree ryth-
mique — Charcot). Für letztere Gruppe ist der von Kussmaul gewählte
Name „Hemiballismus“ sehr zweckmässig.
Herr Remak hält die demonstrirte Störung nicht für rhythmisch im Sinne
der Choree rythmique. Scharf von einander zu trennen sind die verschiedenen
Formen überhaupt nicht.
Herr Jolly hält, wenngleich er Herrn Remak zugiebt, dass eine scharfe
Trennung im allgemeinen nicht möglich ist, für den demonstrirten Fall an seiner
Auffassung fest.
Herr Bernhardt bemerkt, dass Hysterie nicht in Frage kommt, erwähnt
aber, dass Herr Remak und der verstorbene Herr Westphal bei der ersten
Demonstration des Falles an die Möglichkeit einer functionellen Störung gedacht
haben. Die Sensibilität sei durchweg normal. Im Schlaf bezw. kurz rer dem
Einschlafen hören die Zuckungen auf. Achillessehnen- und Patellarreflex sind in
normaler Weise vorhanden. Auf Babinski ist nicht untersucht worden. Die
Bezeichnung „Hemiballismus“ ist für den demonstrirten Fall sehr geeignet
Herr L. Jacobsohn (für Herrn Taniguchi): Demonstration mikro¬
skopischer Präparate.
Die in J.’s Laboratorium angefertigten Präparate stammen von einer l4jähr.
Japanerin, die an Distomom pulmonale gelitten hat. Patientin bekam plötzlich
J ackson’sche Anfälle der linksseitigen Extremitäten (erst linker Arm, dann linkes
Bein), die nach eingetretener Bewusstlosigkeit auch auf die rechte Seite üb er *
griffen. Monatlich 1 — 2 Anfälle. Patientin klagte weiter über Kopfschmerz,
Schwindel, Ohrensausen links und Schwäche der linken Extremitäten. Objeciiv
fand sich nach einem Jahr: Etwas blöder Gesichtsaundruck, Gedächtnissschwäehc,
Pupillendifferenz, 1. > r., leichte Trübung der Papillae opticae, Gehör 1. < r ->
choreiforme Bewegungen der linken Hand, die im Schlaf sistiren, Eemiparesis eia-,
Sehnenreflexe L > r., links Fnssklonus. Rechts hinten unten leichte Dämpfung,
Temperatur normal. Im Hospital zuerst Remission der Symptome, alsdann Ver¬
schlechterung ; es entwickelt sich eine linksseitige spastische Lähmung; die chorei-
■ y Google
1123
formen Bewegungen gewinnen den Charakter der Athetose; 1 Monat ante exitum
starke Kopfschmerzen, Erbrechen, häufige Krampfanfalle, Incontinentia vesicae.
2’/ 4 Jahr nach Auftreten der ersten Symptome Exitus letalis. Vor dem Tode
mehrfach plötzliche Steigerungen und wieder schneller Abfall der Temperatur.
Nie Haemoptoe; bisweilen Husten, Auswurf ohne Besonderheiten.
Obductionsbefund: Hyperämie der Schädelknochen, Sinus stark gefüllt, sub-
durales Oedem; rechte Hemisphäre etwas voluminöser als linke, daselbst zwei
Blutcysten (an der Convexität der 2. Stirnwindung und am Gyrus hippocampi;
ausserdem noch eine grosse Anzahl Cysten im Marklager; Nachbarsubstanz er¬
weicht. In den frisch untersuchten Cysten fanden sich Eier von Distomum, Blut¬
körperchen, Rundzellen, Detritus, Charcot-Ley den'sehe Krystalle.
Nach der Härtung in Müller’scher Flüssigkeit und Anwendung der gebräuch¬
lichen Färbemethoden erschienen die Cysten als graue oder röthlich-braune Flecke,
umgeben von einem wesentlich dunkleren, gleichförmig schlingenförmigen Saum,
der sich allmählich in die umgebende Marksubstanz verliert. Mikroskopisch Hessen
sich drei Zonen unterscheiden: 1. die innerhalb des Saumes gelegene Masse, 2. der
Saum selbst, 3. die peripherisch von diesem gelegene in die Marksubstanz über¬
gehende Zone. Die erste Zone zeigte Uebergänge von noch ziemlich gut erhaltenem
Blute bis zu einer aus zerfallenen körnigen, hellgrau aussehenden Elementen be¬
stehenden Masse. Letztere ist stellenweise ausgefallen, so dass Lücken entstanden
sind. Gegen die Peripherie hatte diese Masse sich wallartig zusammengebacken
und war mit dem Innenrande des Saumes verwachsen. Letzterer stellt eine band¬
artige Zone dar, in der sich in der Mitte breitere, gegen die Enden zugespitzte,
kernhaltige Fasern finden; die Kerne ähneln den Kernen glatter Muskelfasern.
Die Fasern lagen theils parallel, theils senkrecht zu dem Verlaufe des Saumes
und schoben Sprossen nach innen. In der centralen Masse sowie am Innenrande
des Saumes zahlreiche Parasiteneier. Die dritte Zone besteht aus unmittelbar
dem Saume anliegenden dicht gedrängt liegenden Rundzellen und Blutkörperchen;
weiter nach aussen finden sich lockerer liegende Rundzellen und zahlreiche stark
gefüllte Gefasse, deren Adventitia stark gewuchert ist und stellenweise bis an den
Saum heranreicht. Reichliches perivasculäres Exsudat, kugelförmige, homogen
aussehende Exsudatmassen, zerfallene Markfasern sind ebenda nachweisbar. Die
Markaffection beschränkte sich stets auf die Nachbarschaft der Herde. In der
Rinde Kernvermehrung in der Nachbarschaft der Gefasse. In den übrigen Körper¬
organen nichts Pathologisches.
Vortr. neigt zu der Ansicht, dass es sich bei dem genannten Saum um eine
veränderte Gefasswandung handelt, die sich unter der Fluxion und der Invasion
der Parasiteneier stark gedehnt hat. Hierfür spricht die gleichmässig sehlingen-
förmige Configuration Bowie die Structur der Zellelemente derselben. Die cen¬
trale Masse wäre dann als Thrombus aufzufassen, der mit der Innenwand ver¬
wachsen sei und die Intima zum Verschwinden gebracht habe. An einzelnen
Stellen befinden sich Elemente, und zwar in der Zone der Verwachsung, die nach
Weigert’s Färbung der elastischen Fasern solchen zum mindesten sehr ähnlich
jehen. Der Reiz des Thrombus hat zu einer Entzündung der Gefässwand geführt,
iurch die die Wandverdickung und die adventitielle Rundzelleninfiltration bedingt
st. Secundär ist es zu Erweichungs- und leichteren encephalitischen Processen
gekommen. Da in diesem Falle die Gelegenheit, die Wandstructur des Distomum
mlmonale zu untersuchen nicht gegeben war, auch Abbildungen derselben nicht
’orlagen, kann Vortr. die Möglichkeit, dass es sich um eine veränderte parasitäre
’ystenwand handelt, nicht bestreiten.
Der anatomische Befund erklärt den klinischen vollkommen. Die Blutcysten
ind wohl erst kurz ante mortem entstanden.
Die Herde im Marke der Centralwindungen erklären das Bild der Jackson’-
71*
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1124
sehen Epilepsie, ferner die choreatischen Symptome, die sich spater, nachdem
immer mehr Pyramidenfasern zn Gründe gegangen waren und sich Spasmen ent¬
wickelt hatten, in Athetose umwandelten, so dass dieser Fall für die Verwand¬
schaft beider Ersoheinnngen spricht, sowie dafür, dass sie von gleicher Stelle
ausgelöst werden und je nach dem Zustande der Pyramidenbahnen und dem davon
abhängigen Spasmen sich verschieden docomentiren. Vortr. geht, da diese Dinge
bei der Demonstration des Herrn Prof. Bernhardt schon besprochen sind, auf
sie nicht weiter ein, und bemerkt nur, dass auch sein Fall die Frage der Ent¬
stehung der genannten Störungen nicht zn erklären vermöge.
Discossion:
Herrn Oppenheim ist es nicht recht verständlich, warum der Vortr. die
cystösen Bildungen nicht für durch Degenerationsvorgänge veränderte Parasiten
hält. Die Bilder erinnern lebhaft an manohe Cysticerkenbefunde, besonders de-
generirter Parasiten. 0. hat selbst zwei solche Fälle gesehen und in dem einen
zunächst auch an Gefässveränderungen gedacht, um sich aber dann von competenter
zoologischer Seite (Eilhard Schulze) eines besseren belehren zu lassen. 0. kann
sich auch nicht vorstellen, wie so grosse Gefässe an diese Stellen kommen.
Herr Henneberg fragt, ob Methoden zur Färbung elastischer Fasern,
insbesondere Orce’infärbung angewandt worden sind. Aehnliche Bilder sieht man
bisweilen bei alten Abscessen.
Herr Jacobsohn hält vorläufig noch an der Ansicht fest, dass es sich um
veränderte Gefässe handelt. Er hat ähnliche Bilder bei Ziegler gefunden. In
anderen anatomisch untersuchten Fällen sind bisher auch, mit Ausnahme eines
einzigen Falles, stets nur Eier, nie der Parasit selbst, gefunden worden. Der
Process stellt seiner Ansicht nach eine Zwischenstufe zwischen Thrombose und
Vereiterung dar, und sei auf unerklärliche Weise zum Stillstand gekommen.
Elastische Fasern konnten mit Sicherheit, trotz Anwendung aller auch der
modernsten Methoden, nicht nachgewieBen werden. Martin Bloch (Berlin).
XXXIII. Versammlung der südwestdeutsoben Irrenärzte in Stuttgart
am 1. und 2. November 1902.
Geschäftsführer: San.-Rath Dr. Wildermuth (Stuttgart), San.-Rath Dr. Fauser
(Stuttgart).
I. VerhandlungBtag, am 1. November, 2 l / t Uhr Nachmittags.
Vorsitzender: Geh. Rath Dr. Fürstner (Strassburg).
1. Herr Wildermuth (Stuttgart) und Herr Neumann (Carlsruhe): Ueber
Volksheilstätten für Nervenkranke.
Wildermuth bespricht zunächst die allgemeinen Gesichtspunkte, die bei
der Gründung einer Volksheilstätte für Nervenkranke in Betracht kommen.
Zunächst sind die Erankheitsformen in Betracht zu ziehen, für welche
die Anstalten bestimmt sein sollen. Scharf ist die Grenze gegenüber den
Psychosen zu ziehen; mit der Aufnahme der sog. „Leicht Verstimmten“ hat man
in den offenen Anstalten keine gute Erfahrung gemacht. In Betracht kämen
leichtereFormen psychischer Schwäche, auch von Zwangsvorstellungen,
besonders auch die grosse Gruppe der jugendlich Degenerirten, die sich
klinisch aus verschiedenen Formen recrutirt. Aufnahme können unter Umständen
geheilte Geisteskranke finden, bei denen der unmittelbare Uebertritt aus der
Anstalt ins Leben hinaus nicht wünschenswert ist.
GoogI<
1125
' Zur Abgrenzung der Fälle, die für offene Anstalten geeignet sind, gegenüber
* den Psychosen kann die Formulirung gelten, die Huber vor längerer Zeit ge¬
geben hat: „Die Kranken müssen freiwillig eintreten, mit dem Wunsch sich ärzt¬
lich behandeln zu lassen, sie müssen Krankheitsbewusstsein und Krankheitseinsicht
haben, Herr ihrer Handlung sein, den ärztlichen Verordnungen folgen können,
keiner Ueberwachung bedürfen, ihrer Umgebung nicht als geistig abnorm auffallen
oder lästig werden.“
AuszuschliesBen sind epileptische Zustände. Es ist wünschenswert!], in erster
Linie aus humanen Gründen, dass organische Erkrankungen des Nerven¬
systems (Tabes, multiple Sklerose, Myelitiden, Neuritiden, ihre Folgezustände
u. ähnl.) vorübergebend aufgenommen werden. Das Hauptcontingent werden die
Neurastheniker und Hysterischen stellen. Unfallneurosen sind so viel
wie möglich fern zu halten, jedenfalls dürfen sie nur ganz vereinzelt und jeweils
nur möglichst kurz aufgenommen werden. Aufgenommen können werden leichte
Fälle von Alkoholismus. Notorische „Säufer“ dürfen nicht aufgenommen werden;
die Anstalt darf durchaus nicht den Charakter einer „Trinkerheilstätte“ be¬
kommen.
Es ist wünschenswerth, dass man sich bei der Aufnahme nicht auf Nerven¬
kranke im engen Sinn beschränkt, sondern auch auf Erholungsbedürftige anderer
Art, Chlorotische, Anämische, Eeconvalescenten, Herzkranke leichteren Grades auf¬
nimmt. Die Aufnahme dieser Kranken wie auch der organischen Nervenkranken
ist auch deshalb erwünscht, weil dadurch die ärztliche Thätigkeit interessanter
und erfrischender wird.
Für Einrichtung und Betrieb der Nervenheilanstalten hat Moebius neue
Anregung gegeben. Er sieht in einem wohl organisirten Arbeitsleben den
Kern der Behandlung Nervenkranker. Dementsprechend soll eine land»
wirtschaftliche Colonie den Mittelpunkt bilden, an den sich Gärtnerei und Werk¬
stätten anschliessen. Ueber den hohen Werth der planmässigen Arbeit für Neuro-
und Psychopathen herrscht wohl keine wesentliche Meinungsverschiedenheit. Die
Ansicht vom unbedingten Heilwerth der Beschäftigung bei Nervenkranken ist
nicht ohne Widerspruch geblieben (vergl. namentlich die Einwände von Rieger).
Es ist in der That festzustellen, dass ein grosser Theil der Nervenkranken, wenn
sie die jetzt bestehenden Anstalten aufsuchen, in erster Linie der Ruhe bedürfen.
Sind sie einigermaassen wieder arbeitsfähig, so kehren sie in ihren Beruf wieder
zurück. Was diese besonders abhält, lang in den Anstalten zu bleiben, ist in
erster Linie nicht der hohe Preis der Anstalten, sondern der Umstand, dass sie
durch lange Abwesenheit in ihrer amtlichen Stellung, in ihrem Beruf geschädigt
werden. Monatelanger Aufenthalt ist für viele dieser Kranker gar nicht wünschens¬
wert!^ sie fahren besser, das Arbeitsjahr durch kürzere Kur und Erholungspausen
zu unterbrechen. Leichte, ärztlich vorsichtig geleitete Arbeit kann namentlich
gegen den Schluss des Aufenthalts auch bei diesen Kranken in Betracht kommen.
Für eine dauernde berufsmässige Arbeit in der Anstalt sind diese Kranken nicht
zu verwenden.
Hysterische, Hypochonder werden ein grosses Contingent zum Arbeiten
stellen können. Ganz besonders werden zu systematischer Arbeit heranzuziehen
sein die jugendlichen Degenerirten; aus ihnen kann ein Stamm von Arbeitern
herangebildet werden. Ein solcher Stamm ist unbedingt nothwendig, namentlich
für eine öconomische Verwerthung der Anstaltsarbeit. Das finanzielle Ergebniss
dieser Arbeit ist, bis weitere Erfahrungen vorliegen, bei dem Ueberschlag der
Kosten der Neugründung wieder zu verwerthen.
Eis ist nicht unmöglich, dass der Beschäftigung der Patienten durch die ein¬
fache* Weigerung, als krank Arbeit zu verrichten, Schwierigkeiten gemacht werden.
Protz einzelner Bedenken kann gar kein Zweifel darüber bestehen, dass eine
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1126
Volksheilstätte für Nervenkranke nur bestehen kann, wenn ein
Arbeitss&natorium die Grundlage der ganzen Einrichtung bildet.
Daraus ergeben sich für die Einrichtung: Landwirthschaftlicher Betrieb,
Werkstätten, Abtheilung für Pflegebedürftige, ärztliche Direction, Einrichtungen
für die ärztliohe Behandlung. Die Einrichtung der Anstalt und die Verpflegung
soll einfach sein. Alkohol ist dabei völlig auszuschliessen. Mindestens zwei Ver¬
pflegungsklassen sind durchaus nothwendig. Gesonderte Anstalten für männ¬
liche und weibliche Kranke sind wünschenswert^ aber praktisch nicht durch¬
zuführen.
Ist es möglich, die Volksheilstätten an schon bestehende An¬
stalten anzuschliessen? Die mittelbare und unmittelbare Anlehnung an
Irrenanstalten ist abzulehnen. Dagegen erscheint es in hohem Grade nothwendig,
dass im Anschluss an Irrenanstalten Abtheilungen geschaffen werden, in denen
leioht initiale Formen psychischer Störung aufgenommen werden, Fälle, die eine
ganz freie Verpflegung ertragen, sobald es möglich ist, die Patienten rasch, ohne
Umstände, in die geschlossene Anstalt zu bringen.
Es ist wünschenswert}), dass die geeignete Fürsorge für die genannten Krank¬
heitsformen von Seiten der Irrenanstalten gleichzeitig mit der Erweiterung der
Fürsorge für Nervenkranke in die Wege geleitet werden.
Andere Krankenhäuser, klinische Institute, die Erholungshauser der Kranken¬
kassen und Versicherungsanstalten sind für den vorliegenden Zweck nicht zu ver¬
wenden. Es muss etwas Neues geschaffen werden, eine neue umfang¬
reiche, kostspielige Anlage.
Wer soll die Anstalten bauen? Dass der Staat dies thun werde, ist in
Württemberg wie in der Mehrzahl der übrigen süddeutschen Bundesstaaten wohl
auszuschliessen. Auf einen erheblichen Gründungsbeitrag von Seiten der Ver¬
sicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften und Krankenkassen ist nach den In¬
formationen des Ref. auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Es bleibt nur übrig,
auf dem Wege der Privatwohlthätigkeit die Mittel für eine neue Anstalt zu ge¬
winnen. Es muss eine Agitation wie für Lungenheilstätten eingeleitet werden.
Auf eine gewisse Unterstützung des Staates, der socialgesetzlichen Organisationen,
auf die Hülfsvereine für reconvalescente Geisteskranke ist zu rechnen.
Um eine Zersplitterung zu vermeiden, schlägt Ref. vor, sich zum Zweck für
Südwestdeutschland eine Volksheilstätte für Nervenkranke zu schaffen,
den Bestrebungen von Moebius anzuschliessen, der daran ist, im Canton Thurgau
ein Arbeitssanatorium grossen Stils: „die Colonie Friedau“ zu errichten.
2. Als Neu mann (Correferent) auf der letztjährigen Versammlung über dasselbe
Thema sprach, wurde von seiner Seite das Bedürfniss nach Volksheilstätten für
Nervenkranke in Abrede gestellt. Das bestehende Bedürfniss zahlenmäßig zu be¬
legen, ist bei dem bis jetzt vorhandenen statistischen Material nicht leicht Zwecks
Klarstellung der Bedürfnissfrage hat N. die Verhältnisse der deutschen Landee-
versicherungsanstalten bezüglich der unterstützungsbedürftigen Nervenkranken des
Näheren studirt und gefunden, dass die Zahl der Rentenempfänger unter den
Nervenkranken unverhältnissmässig viel grösser zu sein pflegt als die Zahl der
Fälle, in denen ein Heilverfahren eingeleitet wurde, während für die Lungen-
tuberculose das Verhältnis gerade umgekehrt ist. Für die Versicherungsanstalt
Baden gestaltet sich das Verhältnis zwischen Heilverfahren und Invalidiirnng
in toto wie 2:3, für die Nervenkranken 1 wie 2:7, für die Lungentuberculoee
wie 2:1!
1 Unter Einschluss jemals der Hälfte der Anämisch-Chlorotischen nnd der an „Muakel-
rhenmatismns“ Leidenden, da man mindestens 50°/ 0 dieser beiden Erankengattnngen zu den
„Nervösen" rechnen kann.
Google
1127
Und weiterhin: Während bei den Heilverfahren erst auf 10 Tuberculöse
1 Nervenhranker kommt, entfällt bei den Rentenempfängern bereits auf jeden
2. Tuberculösen 1 Nervenkranker. Dies Missverhältniss erklärt N. aus dem Mangel
an geeigneten Heilstätten für Nervenkranke. In Berlin, wo seit 3 Jahren die
Volksheilstätte „Haus Schönow“ besteht, überwiegen die Heilverfahrenfalle die
Rentenfälle, und es haben in den letzten 4 Jahren die Heilverfahrenfälle um das
Vierfache zugenommen.
Eine Umfrage bei den einzelnen Landesversicherungsanstalten nach der
Häufigkeit der Heilverfahren wegen Nervenkrankheiten und nach der Stellung der
Anstalten, eventuellen Heilstätten gegenüber ergab ein Variiren der Heilverfahren*
fälle zwischen 0 und 236, und eine verschiedenartige Beurtheilung der Bedürfhiss*
frage. Die Anstalten, aus deren Antworten ein richtiges Verständniss für die
nervösen Erschöpfungskrankheiten spricht, stehen auch der Errichtung von Heil*
Stätten wohlwollend oder direct befürwortend gegenüber. 5 Anstalten erklären
sich im Princip zu financieller Unterstützung bereit.
Die für die supponirten Heilstätten gedachten Kranken sollen sich recrutiren
aus dem grossen Heer der nervös Erschöpften, einschliesslich der Reconvales-
centen und der Anämisch*Chlorotischen mit functionell nervösen Störungen. Im
grossen und ganzen soll als maassgebend für die Aufnahme gelten eine günstige
Prognose hinsichtlich der socialen Wiederherstellung.
Einer gemeinsamen Behandlung der Nerven- und Trinkerheilstättenfrage
gegenüber äussert sich N. ablehnend, im Interesse beider Arten von Anstalten,
von denen keine von der anderen etwas profitiren könne. Hingegegen tritt N.
entschieden dafür ein, dass die zu gründenden Nervenheilstätten von vornherein
und grundsätzlich alkoholfrei gehalten werden sollen.
Die Unfallkranken will N. zwar nicht principiell und rigoros ausgeschlossen
wissen, hält sie aber zum grösseren Theil für nicht geeignet zur Behandlung in
den gedachten Heilstätten und empfiehlt specielle Sanatorien für dieselben nach
Art des im Königreich Sachsen bestehenden.
Das Bedürfniss nach Volksheilstätten ist auf Seiten des weiblichen Geschlechts
zum mindesten in gleichem, wenn nicht in höherem Maasse vorhanden als auf
Seiten des männlichen. Ob gemeinschaftliche oder getrennte Anstalten zu gründen
sind, ist vorzüglich eine Geldfrage: Reichen die Mittel für mehr als eine Anstalt,
dann ist einer Trennung der Geschlechter unbedingt der Vorzug zu geben.
Der heutige Stand der Heilstättenbewegung in den verschiedenen Bundes¬
staaten ist folgender:
Die grossherzoglich badische Regierung suchte die Bedürfnissfrage durch
eine Umfrage bei den Stadtverwaltungen, den Bezirks* und Krankenhausärzten
und den Organen der socialen Gesetzgebung zu erklären. Ein umfangreiches,
vielfach gegensätzliche Aeusserungen enthaltendes Actenmaterial ist dadurch ge¬
sammelt worden. Die Directoren der badischen Landesirrenanstalten treten in
einer Denkschrift für Angliederung einer Volksnervenheilstätte ein. Der Minister
kann bestimmte Zusagen betreffs einer Nervenheilstätte nicht machen.
In Sachsen*Weimar verhandelte Regierung und Landesversicherungsanstalt
einerseits und Universitätsirrenklinik andererseits — auf Anregung der letzteren
- über eine Volksnervenheilstätte; bis jetzt ohne positiven Erfolg. Auch die
Carl Zeise-Stiftung in Jena hat sich mit der Angelegenheit befasst und wird
vielleicht Doch am ehesten zur Realisirung schreiten.
Im Grossherzogthum Hessen hat der Irrenhülfsverein in jüngster Zeit einen
energischen Appell an die Wohlthätigkeit der privaten Kreise gerichtet zur ge¬
meinsamen Fürsorge für die bedürftigen Nervenkranken. Bis zu der geplanten
Gründung einer eigenen Heilstätte werden die betreffenden Kranken, soweit an*
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gängig, in den schon vorhandenen Sanatorien des Landes behandelt. Für das
laufende Jahr hat der Verein von sich aus hierfür 9000 Mark ausgeworfen.
In der Rheinprovinz betreibt der bergische Verein für Gemeinwohl die
Gründung einer Volksnervenheilstätte.
In Frankfurt a/M. hat die Stadt 400 000 Hark zur Errichtung einer Villen*
colonie für Nervenkranke bewilligt.
Die einzige bereits im Betrieb befindliche Volksnervenheilstätte besitzt die
Stadt Berlin in Gestalt der aus privaten Mitteln entstandenen bekannten Anstadt
„Haus Schönow“.
In der Schweiz geht die Heilstättenbewegung Hand in Hand mit der Ab-
stinenzbewegung. Durch Vereinsthätigkeit ist dort ein „alkoholfreies Kurhaus 4 *,
bei Zürich, entstanden. Ausserdem soll die von Moebius imaugurirte „Colonie
Friedau“ auf schweizer Boden gegründet werden. 75000 Frs. sind bis jetzt dafür
gezeichnet worden.“
Bei Besprechung der Frage, ob die geplanten Heilstätten an bereits be¬
stehende Einrichtungen angegliedert werden könnten, wendet sich N. entschieden
gegen den öfters erörterten Vorschlag eines Anschlusses an die Landesirren¬
anstalten. Für allein geeignet, Mutterinstitute für Nervenheilstätten zu werden,
hält N. die ländlichen ReconvalescentenhäuBer, erklärt jedoch als das eigentlich
zu erstrebende Ziel die Gründung selbständiger Anstalten.
Was die Beschaffung der Mittel betrifft, glaubt N., dass der einzig gangbare
Weg, einigermaa8sen rasch zum Ziele zu kommen, in der planmässigen Mobili-
sirung der privaten Wohlthätigkeit gegeben ist, und zwar durch Gründung von
Heilstättenvereinen.
Die von beiden Referenten gemeinschaftlich der Versammlung vorgeschlagenen
Thesen lauten:
1. Die Versammlung südwestdeutscher Irrenärzte erachtet die Errichtung von
Volksnervenheilstätten als eine Nothwendigkeit
2. Es ist die Errichtung von selbständigen Instituten zu dem genannten
Zwecke anzustreben.
3. Die Versammlung erwählt aus ihrer Mitte eine Commission, deren Auf¬
gabe es ist, die Bewegung zur Errichtung von Volksnervenheilstätten im geo¬
graphischen Bereich der Versammlung zu fordern. Die Commission hat über ihre
Thätigkeit nach 2 Jahren an die Versammlung zu berichten.
Discussion:
Herr Kreuser (Winnenthal): Das Stillschweigen der Versammlung bedeutet
wohl Zustimmung zu den Ausführungen des Referenten. Die drei vorgeschlagenen
Thesen finden wohl allgemeine Anerkennung. Entgegentreten möchte ich nur den
besonderen Vorschlag, dass wir uns auf Anschluss an das Moebius'sche Unter¬
nehmen concentriren sollen. Ich fürchte, dass wir dafür nicht so weite Kreise
interessiren können, als es nothwendig wäre zur Erschaffung der erforderlichen
Mittel. Hier haben wir doch mit gewissen particularistischen Gesinnungen zu
rechnen, die uns dafür gern spenden, was ihnen auch mehr vor Augen liegt.
Wir würden auch die staatliche Mitwirkung wohl von vornherein ausschliessen.
Haben wir von letzterer auch nicht allzuviel zu erwarten, vor allem keine
Initiative, so sollten wir doch nicht ganz auf sie verzichten. An sie ist aber nur
innerhalb der'Landesgrenzen zu denken.
Herr Gaupp (Heidelberg) äussert sich befriedigt darüber, dass die Referenten
bezüglich der Auswahl der Kranken für die Heilstätten und in der Frage der
Angliederung derselben an eine Irrenanstalt zu denselben Ergebnissen kamen, wie
in einer Besprechung der badischen Denkschrift. Eine Vereinigung von Nerven-
heilstätte und Irrenanstalt ist nicht zweckmässig. Für die Aufnahme in die
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1129
künftige Nervenheilstätte kommen vor allem Kranke mit erworbenem Nervenleiden
in Betracht, also in erster Linie die nervös Erschöpften; weit weniger eignen sich
die schwer Belasteten, Entarteten, mit Zwangsvorstellungen Behafteten, weil sie
eine viel schlechtere Prognose gehen als die nervös Erschöpften. G. bezweifelt
ferner, dass von den Landesversicherungsanstalten sicher keine Initiative zu er¬
warten sei; er habe selbst schon vor 3 Jahren die Aufgabe gehabt, der Landes¬
versicherungsanstalt Schlesien ein Gutachten über die Frage der Erbauung einer
Nervenheilstätte in Schlesien zu erstatten.
Herr Schüle (Illenau) hält mit der von den Referenten gegebenen Auf¬
zählung der für die Volksheilstätten passenden Krankheitsgruppen diese vielum¬
strittene Frage noch nicht für entschieden. Er selbst beharrt auf seinem in der
„Denkschrift“ entwickelten Standpunkt und führt dies des näheren aus. Er ver¬
tritt nach wie vor die Auffassung, dass nicht die nervös Erschöpften ausnahmslos
für diese Anstalt vorzusehen seien — denn wie gross müsste ein solches Gebäude
angenommen werden! —, sondern nur die beschränktere Gruppe der psychisch¬
nervösen, mit anderen Worten jene Nervenleidenden, bei welchen der Accent auf
die psychischen Begleitsymptome fallt Sch. geht noch auf einige weitere gegen¬
sätzliche Punkte der Referenten ein, und begründet auch, warum er die Volks¬
heilstätten in die Nähe einer Irrenanstalt — selbstverständlich nicht als ein¬
fachen, offenen Pavillon, etwa 1 / 2 — s / 4 Stunden entfernt — erbaut wissen möchte,
und dies besonders im Interesse der Kranken, welche allermeist „Sonderland’s
Candidaten“ sind, für rathsam und nützlich erachtet Die räumliche Nähe aber
ablehnen zu wollen, um das Vorurtheil des Publicums zu schonen, sollte am
wenigsten uns anfechten. Auch Frankfurt macht ja jetzt denselben praktischen
Anfang. Auf weitere Details will Sch. nicht eingehen, um nicht die Discussion
zu verlängern. Dagegen möchte er übereinstimmend mit Kreuser entschieden
abrathen, wie es in einer der Thesen empfohlen wurde, die Erstattung einer ge¬
meinsamen Volksheilstätte, etwa für Süddeutschland, anzustreben. Diese Be-
dürfnissfrage müsse vielmehr von jedem Einzelstaat für sich gelöst werden; nur
so auch werde sich das nothwendige Interesse des Publicums, namentlich wenn
etwa auch die Privatwohlthätigkeit angerufen werden sollte, gewinnen und er¬
halten lassen. Sch. führt zum Schluss nochmals an, dass der Plan der Erbauung
eines Nervenheims, wie es in der Denkschrift entwickelt sei, ganz der Initiative
der badischen Regierung entstamme, und, wie er gehört, auch bei den Land¬
ständen wohlwollende Aufnahme gefunden habe.
Herr Biberbach: Auch die Verwaltung des Hülfsvereins für die Geistes¬
kranken in Hessen, welche leider zur Zeit noch nicht das Vertrauen der mittel¬
losen und durch eine staatliche Versicherungskasse nicht bereits versorgten
(psychi8ch)nervÖ8en und nicht geisteskranken Epileptischen geniesst, denen sie
Hülfe zugesagt hat, glaubt den Beistand des Staates in unserem kleinen Lande
nicht entbehren zu können und hat deshalb darum nachgesucht, solche Nervöse
u. s. w., welche sich zur Aufnahme in eine öffentliche Irrenanstalt eignen und
welche diese Aufnahme durch eigenen Antrag wünschen — Württemberg,
dessen Irrenanstalten ja bekanntlich das Recht der Aufnahme auf eigenen Antrag
der Patienten bereits zusteht, wodurch die Möglichkeit der Aufnahme der hier in
Betracht kommenden Kranken gegeben sein dürfte, zeigt uns vorleuchtend bereits
das Ziel —, unter denselben liberalen Bedingungen, wie die Geisteskranken
(herab bis zu 1 / 6 des niedersten ordentlichen Pflegegeldes) auf Kosten des Hülfs¬
vereins in die grossherzoglichen Landesirrenanstalten aufnehmen zu dürfen —
was allerdings der Platzfrage wegen erst dann möglich sein wird, wenn die
beiden von den Landständen genehmigten neuen Landesirrenanstalten bezogen
werden können — (die psychiatrische Klinik Giessen besitzt dieses Aufnahme¬
recht, hat in ihren 10 Freiplätzen auch verfügbare Mittel und hat solche auch
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1130
bereits in den Dienst der Sache gestellt). Wir haben nach Maassgabe der uns
vom COratorium an Gebote gestellten Mittel (vorerst 2000 Mark auf 1 Jahr)
vorerst nur relativ heilbaren, bezw. solchen Nervösen, die die Hoffnung auf
Wiederherstellung ihrer Erwerbsfähigkeit bieten, Hülfe zugesagt; bis jetzt haben
sich aber leider fast nur solche Kranke um unsere Hülfe beworben, die solche
Hoffnung nicht mehr erkennen lassen.
Herr Weygandt: Das Bedürfnis« besteht in Bayern so gut wie anderwärts,
aber eine öffentliche Initiative hinsichtlich Errichtung eigener Anstalten ist in
absehbarer Zeit nicht zu erwarten, da andere noch dringendere Aufgaben vor¬
liegen. In der idealen Forderung, für die verschiedenen Kategorien der Psychisch¬
nervösen, der Alkoholiker, der Unfallkranken, der Epileptiker u. s. w. besondere
Anstalten zu errichten, herrscht Einigkeit. Das praktisch Erreichbare ist sehr
viel weniger, wohl aus theoretischen Gründen, insofern die Rubricirung und Pro-
gnosticirung der Krankheiten doch noch schwankt, als auch aus dem maaas-
gebenden Grund der Knappheit der Mittel. Man muss zufrieden sein, wenn über¬
haupt etwas zu Stande kommt. Die erste Anstalt wird vorzugsweise eine Ver¬
suchsanstalt darstellen, da viele Fragen nur durch den praktischen Versuch, nicht
aber von vornherein theoretisch entschieden werden können. Unter diesem Ge¬
sichtspunkt des praktisch Erreichbaren empfiehlt sich der Vorschlag betreffend
einer Commission, die unter anderem Anschluss an das Moebius’sche Unternehmen
suchen sollte.
Herr Fürstner (Strassburg): Die Hauptfrage wird immer dahin gehen,
welche Arten von Kranken Bollen in die Anstalt aufgenommen werden; je nach
der Gegend werden schon verschiedene Verhältnisse zu berücksichtigen sein; es
ist sehr fraglich, ob das, was für Haus Schönow gilt, das bisher einzige Paradigma,
auch für unsere Verhältnisse zutreffend sein wird. Die Frage nach den Instasseo
der Heilanstalten wird erst noch zu lösen sein.
Herr Wildermuth (Stuttgart) fühlt sich nicht im Gegensatz zu Schule,
auch er hält es für dringend nothwendig, dass für die Uebergangsformen, für die
nervös-psychischen Kranken gesorgt werde und dass es die Sache der Irrenanstalten
sei, von sich aus eine Erweiterung vorzunehmen. Ein gemeinsames Zusammen¬
gehen der süddeutschen Staaten zur Gründung einer Anstalt ist aus freundnachbar¬
lichen Gründen nicht zu erwarten.
Herr Neumann (Karlsruhe): Was mich veranlasst, trotz der wohlbegründeten
Bedenken Kreuser's den Wildermuth’schen Vorschlag zu unterstützen, ist
der Umstand, dass Moebius bereits über einen wenn auch nur kleinen Fond
von Geldmitteln verfügt. Herrn Gau pp muss ich erwidern, dass die schlesische
Landes Versicherungsanstalt sich in alleijüngster Zeit mir gegenüber ganz ablehnend
geäus8ert hat betreffs Einleitung von Heilverfahren wegen Nervenkrankheiten. Der
Gegensatz zwischen Geh.-Rath Schüle und mir erklärt sich daraus, dass wir
zwei ganz verschiedene Arten von Kranken im Auge haben; Sch. die „psychisch
Nervösen“, ich dagegen die mehr oder weniger acut nervös Erschöpften. Wenn
Sch. die Chlorotischen mit nervösen Symptomen ausgeschlossen wissen will wegen
ihrer grossen Zahl, so kann ich diesen Grund nicht für ausreichend halten. Wenn
man nur den Bedürftigsten unter denselben helfen kann, dann ist schon viel er¬
reicht. Mit Weygandt stimme ich darin überein, dass erat die Praxis nur
lehren kann, welche Kranken sich für die Volksheilstätten eignen.
2. Herr Smith (Schloss Marbach): Haben wir besondere Anstalten sor
Behandlung dee Alkoholismus nothwendig, oder gehört diese Behandlung
mit zu den Aufgaben der Nervenheil- und Pflegeanstalten?
Vortr. rügt in entschiedener Weise die moraltheologische Auffassung de«
Alkoholismus, die sich auch in ärztlichen Kreisen duroh die Bezeichnungen
1181
„Säufer“, „Trunkenbold“ u. s. w. kennzeichnet und warnt auf Grund eingehender
Erfahrungen vor der Gründung von „Trinkerheilanstalten“. Ee würde durch diese
Bezeichnung von vornherein den Insassen eine sociale Schädigung zu gefügt, die
ihnen durch ihr vorhergehendes Trinken nicht erwachsen wäre. Nervöse Herz¬
kranke, „Trinker“, die selbst wünschen, die Aetiologie des Alkohols möglichst
nicht erwähnt zu sehen, gehören in Heilanstalten für Herz- und Nerven¬
kranke, die Degenerirten, die meist auch in der Abstinenz mit ihren Trink¬
leistungen zu renommiren pflegen, können einstweilen in abstinent geführte Pflege¬
anstalten untergebracht werden. Der Staat sollte seine Schuld, aus dem Unter¬
gang so vieler seiner Untertbanen durch den Alkoholconsum in der Form der
Steuereingänge Nutzen zu ziehen, nach dem Vorgang der Schweiz durch Ueber-
weisung eines Theiles dieses Steuerertrages zur Bekämpfung des Alkobolismus zu
mildern suchen. Vortr. wendet sich zum Schluss gegen die pseudosachverständige
Thätigkeit des „deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke“ und
bedauert, dass ärztliche SchreibtiBchtheoretiker ihn unterstützen.
Discussion:
Herr Frank (Münsterlingen): Ich möchte dem Vortr. voll und ganz bei¬
stimmen, besonders möchte ich, da ich es beim vorhergegangenen Thema nicht
thun konnte, davor warnen, alle Alkoholkranken aus den Nervenheilstätten aus-
zuschliessen. Doch sollten wir heute nicht reglementarische Bestimmungen der
zu gründenden Anstalt berathen, sondern vereint und unentwegt einem Ziele zu¬
streben. Bedauert habe ich, dass man nicht gemeinsam mit Moebius in der
Schweiz Vorgehen will. Für M. sind rein organisatorische Gründe maassgebend
gewesen, als er den Plan für die Ausführung seiner projectirten Musteranstalt in
der Schweiz fasste. — College Smith muss ich noch entgegnen, dass Forel seiner
Zeit bei der Gründung von Helikon sich lediglich durch Zweckmässigkeitsgründe
bei der Namengebung leiten liess, durchaus nicht aus moraltheologischen Gründen.
Er hat die erste Anstalt zur Heilung der Trinker in Europa gegründet und
jedermann deutlich sagen wollen, wie das Kind heissen und was es leisten soll.
Heute würde er wohl bei der Gründung weiterer Anstalten von diesem Princip
der Namengebung keinen Gebrauch mehr machen.
3. Herr Stadelmann (Würzburg): Ueber Schulen für nervenkranke
Kinder.
Für die neuropathischen Kinder ist zur Zeit noch nicht richtig gesorgt.
Das Lehrprogramm der allgemeinen Schule ist direct nachtheilig für diese Kinder.
Keime einer Neurose oder Psychose entwickeln sich dadurch ungehindert; die
spätere Stellung im socialen und beruflichen Leben ist in Frage gestellt. Es
müssen neuropathisch beanlagte Kinder einer individuellen Unterrichtung unter¬
zogen werden nach einer Associations(Concentrations)methode des Unterrichtens;
es sind im psychischen und körperlichen Verhalten der Kinder die jederzeitigen
Schwankungen, die die kranke Anlage mit sich bringt, zu berücksichtigen. Dieser
Unterricht ist ein Theil der psychischen Behandlung des nervenkranken Kindes.
Jedes Kind hat sein eigenes Lehrprogramm, das nach dem Ergebniss der metho¬
disch durchgeführten Prüfung der Intelligenz und nach der Beobachtung der
moralischen Fähigkeiten aufgestellt wird. Psychologische Thatsachen verlangen
dieses Princip des Individualisirens und der Concentration beim Unterricht. Das
ueuropathische Kind hat ein Recht auf diese Behandlungsweise. Die Schule für
nervenkranke Kinder soll mit einer Heilanstalt verbunden sein, in der eine körper-
iche Behandlung die psychische unterstützt. Der Werth der Schule für nerven¬
kranke Kinder liegt in der Prophylaxe und Frühbehandlung der Neurosen und
Psychosen. Auch die sociale Bedeutung der Schule für nervenkranke Kinder ist
licht zu unterschätzen. Vortr. hat vor l ! / 2 Jahren eine Schule für nervenkranke
Binder in Verbindung mit einer Heilanstalt errichtet, die er selbst leitet.
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1132
4. Herr Eschle (Sinsheim): Demonstration eines Krankenbettes, be¬
sonders für unreinliche Geisteskranke.
Das Wesentliche dieser Betteinrichtnng besteht in der Erleichterung der
Möglichkeit, anderen Lagerungsmethoden gegenüber, alle Theile des Bettes schnell
and ohne weitere Hül&kräfte auszuwechseln und aof diese Weise auch den
strengsten Anforderungen an Reinlichkeit gerecht zu werden. Das bezieht sich
sowohl auf die Matratzenhüllen, wie auf das Füllmaterial. Als letzteres kann,
wenn es sich um einfache Verhältnisse in Pflegeanstalten u. s. w. handelt, lang¬
faserige Holzwolle Verwendung finden, welche durch Auswaschen mit Seifenwasser
gereinigt, sogar immer wieder Verwendung finden kann. Der Preis ist ausserdem
billiger als Stroh (9,50 Mk. pro Doppelcentner). Jeder üble Geruch im Kranken¬
zimmer kann so mit Sicherheit vermieden werden.
Die schnelle Auswechselbarkeit ist aber nur durch die Einrichtung der
Matratzen erreicht. Dieselben sind dreitheilig; jede einzelne Hülle ist mit ein¬
gesetzten Seitentheilen gearbeitet und enthält auf der unteren Seite einen mit
Bändern versehenen Schlitz, durch welchen die Neufüllung bewirkt wird. Der
ganze Matratzentheil wird durch in der Hülle ausgee tanzte und ausgenähte Locher
mittels einer Tapezierernadel mit fortlaufender Naht in quadratischer Weise durch¬
haftet, die Schnürenden werden miteinander verknüpft Auf diese Weise ist die
Hülfe eines Tapezierers und Matratzenmachers bei der Neubildung nicht nöthig
und es können in wenigen Stunden von einer Person die Matratzentheile für eine
ganze Abtheilung erneuert werden.
Auch die übrige Einrichtung des Bettes trägt der Bestimmung für Geistes¬
kranke Rechnung, als es auch selbst leicht unruhigen und mit Zerstörungstrieb
nicht sehr starken Grades behafteten Kranken unmöglich wird, dasselbe in Un¬
ordnung zu bringen, einige Theile abzustreifen u. s. w.
Da sich auoh dieselbe Einrichtung mit Rosshaar oder Seegras als Füll¬
material der ermöglichten Reinlichkeit wegen für den Hausstand, nicht nur für das
Krankenhaus und die Pflegeanstalt eignet, hat sich die Firma E. Speiser in Sins¬
heim bereit erklärt, derartige Betteinrichtungen für einen billigen Preis herzustellen.
5. Herr Wollenberg (Tübingen): Uebor Stimhirntumoren.
Vortr. ist zu seinen Ausführungen veranlasst worden durch einen Fall von
Stirnhirntumor, bei dem die psychischen Erscheinungen einen besonders breiten
Raum einnahmen. Es handelte sich um einen 26 jährigen Metzger, der ohne be¬
sondere Ursache im October 1899 mit Kopfschmerz, Uebelkeit und gelegentlichem
Erbrechen erkrankte, worauf etwa 1 Jahr später der erste Krampfanfall, be¬
ginnend mit Verdrehung des Kopfes und der Augen nach links eintrat Weiter¬
hin traten psychische Störungen derart in den Vordergrund, dass Patient auf
eine Irrenabtheilung untergebracht werden musste. Hier wurde ein tobsüchtiger
Erregungszustand mit Grössen- und Verfolgungsideeen beobachtet, ausserdem
wiederum ein Krampfanfall epileptischen Charakters.
In der Tübinger psychiatrischen Klinik, in welcher der Kranke sodann vom
14./III. 1901 bis zu seinem am 9./X. 1901 erfolgten Tode untergebracht war,
wurden von körperlichen Störungen feBtgestellt: beiderseitige Stauungspapille,
gelegentliches Erbrechen, vorübergehende Schwäche der linken oberen Extremität,
allmählich hervortretende dauernde Parese des linken unteren Facialisgebietes,
zeitweilig ausgesprochene statische Ataxie; dazu subjectiv heftiger Kopfschmerz
bald in der Stirn- bald in der Hinterhauptsgegend. Das geistige Verhalten kenn¬
zeichnete sich durch eine habituelle Reizbarkeit, zeitweilige Euphorie mit Neigung
zur Witzelsucht und vorübergehende Zustände theils leichterer maniacalischer
Exaltation, theils ausgesprochene Tobsucht, zum Theil ungeheuerliche Grössen-
ideeen. Bei zweimaliger Lumbalpunction ergab sich erhebliche Drucksteigerung.
Die Diagnose wurde aus den Allgemeinerscheinungen, dem Auftreten von
Krämpfen, die mit Drehung der Augen und des Kopfes nach links begannen, der
3y Google
1133
linksseitigen Facialisparese, der statischen Ataxie und in letzter Linie aus dem
psychischen Verhalten mit Wahrscheinlichkeit auf einen Tumor des rechten Stirn¬
hirns gestellt, eine entsprechende Operation in Erwägung gezogen, von dem
Kranken aber zunächst abgelehnt und später durch den plötzlichen Tod vereitelt.
Die Section ergab das Vorhandensein eines gut apfelgrossen Tumors, welcher
das rechte Stirnhirn von aussen und unten her bis auf etwa die Hälfte seines
Volumens comprimirt hatte.
Vortr. erwähnt sodann unter Hinweis auf einen weiteren Fall - seiner Be¬
obachtung die Schwierigkeiten der Diagnose in manchen Fällen von Stirnhirn¬
tumoren, in denen wie in dem seinigen die Verwechselung mit Epilepsie sehr nahe
liegt und geht näher ein auf die Bedeutung der psychischen Störungen bei Hirn¬
tumoren im allgemeinen, bei Stirnhirntumoren im besonderen.
Im Anschluss an die neueren statistischen Arbeiten vonGianelli, Schuster u.A.
wird die Häufigkeit des Vorkommens geistiger Störung bei Tumoren der ver¬
schiedenen Hirngebieten besprochen, unter denen das Stirnhirn in dieser Beziehung
mit in ereter Reihe steht. Im Anschluss an Oppenheim, Bruns, Schuster u.A.
betont Vortr., dass die allgemeine Benommenheit ohne active psychische Symptome
die häufigste Art der geistigen Störung bei Hirntumoren sei und erörtert dann
im Anschluss an seinen Fall sowie an die sonstigen in der Litteratur mitgetheilten
Fälle die Frage, ob es eine für die Stirnhimtumoren einigermaassen charakteristische
Form der Geistesstörung gebe. Vortr. meint, seinem subjectiven Eindruck nach
diese Frage in dem Sinne bejahen zu müssen, dass das eigenthümliche Verhalten,
welches bereits von M. Bernhardt bei Tumoren der vorderen Schädelgrube er¬
wähnt, dann besonders von Jastrowitz gewürdigt und als Moria beschrieben,
von Oppenheim (Witzelsucht), L. Bruns, Hitzig, Hoeniger, ihm selbst und
anderen Autoren bei Stirnhirntumoren beobachtet worden ist, und wie er mit
Schuster annimmmt, je nach dem Grade als einfache Euphorie, Witzelsucht oder
eigentliche Moria in die Erscheinung tritt, bei Stirnhirntumoren verhältnissmässig
häufig sei.
Da es einerseits Stirnhirntumoren ohne die „hypomanische“ (Schuster) Störung,
aber auch Tumoren anderer Hirngebiete mit dieser gebe, so sei man nicht be¬
rechtigt, auf Grund dieses psychischen Verhaltens allein die Diagnose auf Stirn-
himtumor zu stellen. Immerhin könne es aber ein verwerthbares localdiagnostisches
Hülfsmoment bilden, wenn andere Erwägungen auf einen derartigen Sitz der Er¬
krankung hinweisen.
Zum Schluss betont Vortr., dass es erforderlich sei, Fälle von Hirntumor in
psychischer Beziehung genauer zu beobachten, als eB besonders in den älteren
^Beobachtungen zumeist geschehen sei, da nur eine ad hoc angelegte Statistik zur
Klarstellung der hier noch offenen Fragen führen könne.
6. Herr M. Weil (Stuttgart): Kranken Vorstellung.
Vortr. stellt eine 41jährige Frau vor, bei der seit October 1900 heftige
Schmerzen im Hinterkopf und auf dem Scheitel, manchmal in die Stirngegend
ausstrahlend, verbunden mit Erbrechen, bestanden. Mai 1901 Abnahme des Seh¬
vermögens, rechts mehr wie links. Erste Untersuchung Anfang Juni 1901: beider¬
seits Neuritis optici, rechts stärker als links, aber keine Localsymptome. In den
nächsten 3 Wochen traten folgende Symptome hinzu: Ausbildung einer starken
E> tauungspapille, rechts stärker als links, circumskripte percutorische Empfindlich¬
keit in der rechten Schläfengegend, rechtsseitige Anosmie, rechtsseitige Parese des
klundfacialis, Fehlen des linken Abdominalreflexes, hochgradige typisch cerebellare
Ataxie mit der Neigung nach links zu fallen, keine Rumpfmuskelsohwäche. Im
weiteren Verlaufe eigenthümliches psychisches Verhalten, Euphorie mit Witzel¬
ei cht, die linksseitige Facialisparese schwankt in der Intensität, ebenso die Ataxie.
luT Grund dieser Befunde wurde die Diagnose auf Tumor des rechten Frontal-
vppens gestellt, von dem in Anbetracht der circumskripten Percussionsempfind-
Digi
1134
lichkeit des Schädels anzunehmen war, dass er nicht zu weit vom Knochen ent¬
fernt war. Entscheidend fiir die Localdiagnose war die Percussionsempfindlichkeit,
die statische Ataxie, die linksseitige Monoplegia facialis, Anosmie rechts. Die
psychischen Symptome waren geeignet, die Diagnose su stützen. Am wahrschein¬
lichsten schien ein Sarcom; bezüglich der Ausdehnung des Tumors konnte man
sagen, dass er wohl kaum noch die Centralwindung erreicht hatte.
Am 26. Juli Operation durch Prof. Steinthal: Bildung eines Weichtheil-
knochenlappens in der rechten Schläfengegend. Nach Eröffnung der Dora lag
der Tumor zu Tage und liess sich glatt stumpf herausschälen; er hatte die Grösse
eines Hühnereies und erwies sich als ein Fibrosaroom. In der Umgebung des
Tumors noch zwei kleinere desselben Charakters, die entfernt wurden. Sofortige
Besserung der subjectiven Beschwerden, die Staungspapille ging zurück, das Seh¬
vermögen hob sich. Nach 3 Wochen wiederum Zunahme der Stauungserscheinungeil
im Augenhintergrunde mit Abnahme des Sehvermögens ohne sonstige Beschwerden.
Bei dem fieberlosen Verlaufe war ein Recidiv wahrscheinlich. Wiedereröffnung
am 4. Juli 1901 und Entfernung der weiteren Tumoren von der Grösse einer
kleinen Wallnuss; darnach glatte Heilung. Die Patientin fühlt sich seitdem sehr
wohl, das Sehvermögen hob sich jedoch nur bis zum Erkennen von Hand¬
bewegungen; ophthalmoskopisch: Atrophia n. optici; aber Patientin ist im Stande
fast ohne fremde Hülfe alle gröberen Haushaltungsarbeiten zu verrichten. — Vor
6 Wochen direct nach dem Heben einer schweren Last epileptiformer Anfall, iur
Zeit jedoch keine Allgemein- oder Localsymptome nachzuweisen, die auf ein
Recidiv schlieesen Hessen.
Vortr. weist daraut hin, dass dieser Fall, wie auch einige andere zeigen,
dass man unter Umständen auch Tumoren des rechten Frontallappens mit Sicher¬
heit diagnosticiren könne. Er macht ferner darauf aufmerksam, dass bei der
Patientin trotz hochgradiger Ataxie keine Rumpfmuskelschwäche vorhanden war:
über die Witzelsucht als Localsymptom der Stirnhirntumoren spricht er sich mit
Reserve aus. Die statische Ataxie sei zweifellos ein Localsymptom.
Discussion:
Pfister weist auf die Arbeit Ed. T. Müller’s hin, wonach eine Vertiefang
unseres Wissens von der Eigenart psychischer Störungen bei Stimhirntumoren
(also der topischen Diagnostik) nur möglich ist, wenn nicht bloss genaueste
psychiatrische Analyse des Status praesens jedes Falles vorgenommen, sondern
auch die Anamnese in neuro- und psychopathologischer Beziehung genauer be¬
rücksichtigt wird, als es bisher geschah. Vorhandene erbliche Belastung, von
jeher bestehende Charakteranomalieen, Arteriosklerose, alkoholische Entartung
u. s. w. können alle für die Symptomatologie der Hirntumoren bedeutsam werden.
Witzelsucht, die wechselnde Lucidität des Bewusstseins, Reizbarkeit, Euphorie
u. 8. w. der Kranken mit Stirnhirntumoren sind nicht Local-, sondern Allgemein-
Symptome. Manche dieser Symptomencomplexe (Witzelsucht, Demenz u. s. w.)
werden relativ häufiger bei den Stirnhirnerkrankungen als bei Tumoren anderer
Hirnprovinzen beobachtet, weil letztere rasoher zum Exitus führen (Nähe lebens¬
wichtiger Centrenl), che sie so gross wie Stirnhirntumoren geworden, die deshalb
relativ öfter Allgemeinsymptome (Verblödung, Benommenheit u. s. w.) bedingen-
Die betreffenden Symptome hätten nur localdiagnostischen Werth, wenn die Section
völUge Integrität der übrigen Hirntheile genau erweise, was bisher nirgends der
Fall, wo meist von arteriosklerotischer Atrophie, Hydrocephalus, Windung»-
atrophieen u. s. w. berichtet wurde.
Herr Fürstner (Strassburg): Herrn College Weil und Steinthal ist g®"
wiss zu dem demonstrirten Falle zu gratuliren, oft sind aber die Symptome vor¬
handen, auf die W. hinwies, und bei der Operation findet sioh der Tumor doch
nicht im Stirnhirn. Bei der vorgestellten Kranken ist es nach der Operation
nicht zu einem unangenehmen Vorkommniss gekommen, das ich in letzterer Zeit
3 dby Google
1135
wiederholt bei Hirnoperationen beobachtet habe, es ist nicht zar Bildung einer
Hirnhernie gekommen. Dieses Moment scheint mir dafür zu sprechen, dass der
Druck an der operirten Stelle nicht gesteigert, dass wohl der Tumor ganz ent¬
fernt ist, ein ja gewiss glückliches Zusammentreffen. Die später operirten kleinen
Sarcome konnten schon bei der ersten Operation bestehen und sind wohl nur
übersehen worden.
Herr Bayerthal (Worms) weist auf einen von Oppenheim in der neuesten
Auflage seines Lehrbuches erwähnten Fall von Stirnhirntumor hin, bei dem sioh die
psychischen Erscheinungen (Demenz, Witzelsucht) nach der Operation zurückbildeten.
Herr Prof. Steinthal (Stuttgart): Wenn ich der Aufforderung nachkommen
darf, so habe ich bezüglich der Operationstechnik zu bemerken, dass ich einen
Weichtheilknochenlappen in der von Wagner angegebenen Weise mit der Gigli’-
schen Säge herstellte und nach abwärts klappte. Dann lag unmittelbar unter
der Binde der hühnereigrosse derbe Tumor, gut abgekapselt, so dass er sich leicht
stumpf euucleiren liess, in seiner Nachbarschaft zwei weitere kleinere Tumoren, die
sich gleichfallss unschwer entfernen Hessen. Nun war ja nach einigen Wochen
eine zweite Operation zur Entfernung eines vierten wallnussgrossen Tumors noth-
wendig, dessen Anwesenheit sich durch Emporheben des Weichtheilknochenlappens
und leichten Gehirnprolaps verrathen hatte. Ein solcher Gehirnprolaps wird für
gewöhnlich durch zwei Momente bedingt. Entweder sind bei der primären Ope¬
ration Tumorreste zurückgeblieben, die aufs Neue wachsen und das Schädelinnere
ausfüllen oder die Gehirnmasse schwillt durch entzündliche Processe an. Wo
aber eine Incongruenz zwischen SchädeHnhalt und Schädelkapsel durch gründliche
Exstirpation der Neubildung und Fürsorge gegen encephalitische Processe ver¬
mieden wird, da bildet sich auch kein Gehirnprolaps aus, selbst wenn man zur
Deckung des Defectes nur Weichtheile nimmt; eher kommt eine leichte mulden¬
förmige Einziehung des Operationsgebietes zu Stande. Wenn ich mich kurz auf
den citirten Fall Friedrich eingehen darf, so hat es sich bei ihm um ein Stim-
birnsarcom mit Uebergreifen auf den Knochen gehandelt; so konnte der Defect
nur durch einen Weichtheillappen gedeckt werden, der ohne Prolaps mit leichter
muldenförmiger Einziehung eingeheilt ist. Hoch interessant scheint bei ihm das
psychische Verhalten: ein vorher ruhiger Mann wurde zu einem starken Cyniker,
um nach der Operation von dieser psychischen AnomaUe geheilt zu werden. Dabei
sind im Zusammenhang mit dem Tumor grössere Gehimpartieen entfernt worden!
7. Herr Diez (Stuttgart): Demonstration der Pläne der Irrenanstalt
'Weinsberg.
Im Anschluss an die in der Festnummer des württbg. medicinischen Cor-
respondenzblattes zur 33. Jahresversammlung südwestdeutscher Irrenärzte von dem
Vortr. veröffentlichten allgemeinen Gesichtspunkte, welche für die Errichtung
einer neuen württbg. Irrenanstalt, für die Wahl des Ortes derselben und die Art
der Ausführung des Baues maassgebend waren, wurden die wichtigsten Pläne der
neuen Anstalt demonstrirt. Diese für 509 Kranke bestimmt, mit gleicher Zahl
von Männern und JlYauen, enthält je 250 Betten in deu ..geschlossenen“ und in
den offenen Häusern einschliesslich der Coloniegebäude, d. h. der seitherigen Staats¬
domäne. Die Gesummtzahl der Gebäude beträgt 33. Die annähernd kreisförmige
Anlage erleichtert auch räumlich einen stufen weisen Uebergang von den Auf¬
nahme- und Ueberwachungsabtheilungen zur freien Behandlung. Die maschinellen
Betriebe sind mögUchst excentrisch gelegt. Küche und Waschküche liegen jedoch so,
dass sie von überall her leicht zugängUch sind: für den Speisetransport ist eine
kleine Rollbahn in Aussicht genommen. ReichHche Wasserversorgung, elektrische
Beleuchtung; Centralheizung in Form der Gruppenheizung von drei Centren aus;
Reinigung der Abwässer nach geologischen Verfahren. Die Anstalt soll am
1. October 1903 zur Hälfte bezogen, im April 1904 ganz dem Betriebe über¬
geben werden. Geaammtkosten 3000000 Mark.
y Google
1136
Die in Aussicht genommene Besichtigung der im Rohban nahezu fertiges
Anstalt musste des regnerischen Wetters wegen leider unterbleiben.
(Schluss folgt)
Medioiniaohe Gtoeellaohaft in Warschau.
Sitzung vom 1. Januar 1901.
Herr Luxenburg demonstrirt folgenden Fall von Hirntumor. Der 38jähr.
Arbeiter klagt über heftige Kopfschmerzen und Schmerzen im linken Bein. In
der letzten Zeit Erbrechen. Status: Rechte Pupille etwas enger als die linke
und reagirt träge auf Licht. Stauungspapille links. Sehvermögen ungestört
Parese des rechten Facialis. Beweglichkeit in den Extremitäten normal. Gang
ungestört. Sensibilität erhalten. Tuberculosis pulmonum. Puls 80. Gehör &b-
geschwächt. Somnolenz. Tod. Die Section ergab Tuberculum solitäre im Pul-
vinar thalami optici sinistri und ausserdem einen Tumor in der rechten Hälfte des
Pons Varolii oberhalb der Pyramidenbahnen. Yerf. meint, dass der Druck, weichet
diese letztere Geschwulst auf die Schleifenfasern ausgeübt hat, die Schmerzen im
linken Bein verursachen konnte.
Sitzung vom 29. Januar 1901.
Herr KopczyÜBki stellt einen 45jähr. Mann vor, bei dem bereits tot
24 Jahren die ersten Symptome der Syringomyelie aufgetreten waren. Es trat«]
damals Parästhesieen in der rechten Bauchhälfte auf. Späterhin Krümmung der
Kreuz- und Schultergegend, Ungeschicklichkeit in den rechten Extremitäten,
Schluckbesch werden, Heiserkeit. Status: Verschiebung en masse der Gegend des
7. Hals- und des 1. Brustwirbels. Scoliosis dextra der Brustwirbelsäule. Atrophie
der Musculatur des Schultergürtels. Deutliche Ataxie in den rechten Extremitäten.
Patellarreflex rechts etwas stärker als links. Schwache Tricepsreflexe. Anaesthesi»
totalis in der unteren Rumpfgegend, ferner im Schultergürtel, am Hals und in
der rechten Kopfhälfte. Links in denselben Gegenden syringomyelitische Gefühl»-
dissociation. Leichter Nystagmus verticalis. Rechte Pupille etwas erweitert,
Weicher Gaumen rechts gelähmt. Puls und Athmung normal. Vortr. betont den
langsamen Verlauf des Krankheitsprocesses. Edward Flatau (Warschau).
IV. Mittheilung.
Nachtrag zu meinem Aufsatz über „die Verschiedenheit der Prognose der
Plexus- und Nervenstaramlähmungen der oberen Extremität“ von Dr. med. L. Brun»
in Hannover: In Rücksicht auf die von mir im vorstehenden Aufsatze (s. diese«
Centralbl. Nr. 22) besprochene Frage möchte ich nicht verfehlen, ganz besonders
auf die Arbeit von Duval und Guillain: „Les paralysies radiculaires du plexn«
brachial.“ (Paris 1901) aufmerksam zu machen, die mir erst jetzt im Original
vorliegt. Wichtig sind namentlich die genauen Angaben über Nervenwurzel und
Rückenmarksläsionen bei den sog. traumatischen Plexuslähmungen.
V. Personalien.
In der Jahressitzung der Moskauer neurologischen und psychiatrischen Gesellschaft
wurde Prof. W. Roth an Stelle des verstorbenen Präsidenten Prof. A. Koshewnikon
zum Präsidenten und Privat-Docent L. Minor an Stelle Roth’s zum Vicepräsidenten (w
Neurologie) sowie Privat-Docenten Serbsky (für Psychiatrie) erwählt
Dem Verleger des Neurolog. Centralbl. Herrn Hermann Credner ist von S. M. de®
König von Sachsen der Titel und Rang als Hofrath verliehen worden.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel»
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29. __
Verlag von Veit & Coup, in Leipzig. — Druck von Mitzokb & Wirno in Leipog-
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1902. 16. December. Nr. 24.
Inhalt: I. Originalmltthsllungsn. 1. Ueber die Bezeichnong „myotonische Pupillen-
bewegang“, von Dr. Alfred Ssenger in Hambarg. 2. Ueber die Beziehungen der Energetik
zar Seelenthäfcigkeit, von Arthur Adler. 3. Der Infraspinatasreflex, von Dr. William Pickett
in Philadelphia. Entgegnung za der vorstehenden Zuschrift des Herrn Dr. W. Pickett in
Philadelphia, von Prof. Dr. Steiner in Köln a/Rh.
II. Aus den Gesellschaften. XXXIII. Versammlung der s&dwestdeatsehen Irrenärzte
in Stuttgart am 1. and 2. November 1902. (Schloss.)
III. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. September bis 31. October 1902.
IV. Mltthellung an den Herausgeber.
V. Personalien.
L Originalmittheilungen.
1. Ueber die
Bezeichnung „myotonische Pupillenbewegung“.
Von Dr. Alfred Saenger in Hamburg.
Herr Dr. Stbasbubqeb äusserte in Nr. 22 d. Centralbl. in so eingehender
Weise seine Bedenken gegen die obige Bezeichnung, dass ich es mir nicht ver¬
sagen kann, auf seine Bemerkungen einzngehen.
Unter der von Stbasbuboeb gewählten Bezeichnung „Papillenträgheit
bei Accommodation nnd Convergenz“ versteht man gemeinhin eine träge
Zusammenziehung der Irismusculatur bei den genannten Thätigkeiten. Es wird
dabei jedoch nur eine Componente der Pupillenbewegung ins Auge gefasst, die
anderen Componenten derselben, die Dauer der Zusammenziehung und die
langsame Erweiterung, sind aus dem Worte „Pupillenträgheit“ nach dem
bisherigen Sprachgebrauch nicht mit Sicherheit zu ersehen.
Da nun in meinem Falle (ebenso wie in denjenigen von Piltz, Stbas¬
buboeb und Nonne) das Auffallendste in der Erscheinung das Verharren in
der Zusammenziehung und die ungemein langsame Erweiterung der
Pupille war, so suchte ich nach einer Bezeichnong, die diese Momente hervor¬
heben sollte.
72
1188
„Myotoni&che Papillenbewegung“ schien mir non sachlich die be-
obachtete Verengerung prägnant za bezeichnen; denn ee handelte sich im wesent¬
lichen am eine tonische Contraotion der Irismascnlatar. Zugleich lag
in diesem Namen ein Hinweis auf das analoge Verhalten der Musculatur bei
der TBOMSEN’schen Krankheit, deren allerhervorstechendstes Symptom die
Daueroontraction der arbeitenden Muskeln ist Ich selbst habe mehrere Falle
dieser Erkrankung beobachtet, darunter Mitglieder der daroh diese Krankheit
bekannt gewordenen Familie.
Aof den von Strasburges hervorgehobenen Nachlass der tonischen Con-
traction nach mehrfachen Bewegungen kommt es nicht so sehr an, da, wie
schon Ebb 1 hervorgehoben hat, es allerlei Varianten der myotonischen Be¬
wegungsstörung giebt, und da ich ferner durch die in Bede stehende Bezeichnung
die Bewegungsstörung der Pupille mit derjenigen der Körpermusculatur nur
analogiairen, nicht identifioiren wollte.
Weiterhin konnte man m. E. in dem Beiwort „myotonisch“ einen Hiiweis
auf den vermuthlich peripheren Sitz der Störung in der Irismosculatur analog
dem Verhalten bei der Myotonia congenita finden.
Mir lag aber durchaus die Annahme fern, wie Strasburges zu meinen
scheint, es handle sich in der Irismnscolatur am die gleichen pathologisch ana¬
tomischen Veränderungen wie in den Muskeln bei der THOMSEN’schen Krank¬
heit, da diese nur die willkürlich bewegten Maskein befällt, und da man
ferner in der Vergleichung von Veränderungen an glatten Muskeln mit solchen
an quergestreiften sich vor weitgehenden Schlussfolgerungen hüten muss.
Von den drei Möglichkeiten, an die der Leser, welcher die Bezeichnung
myotonisohe Papillenbewegung findet, nach Strabburgkr’s Ansicht gemahnt
wird, bleibt somit nur die zu zweit genannte bestehen, „dass das Leiden mit
der Thohsem 'sehen Krankheit im Gründe nichts zu thun hat, und dass nur
die äussere Aebnlichkeit mit einem Symptom der Myotonie bezeichnet werden
soll“. Darin gebe ich Strasburg er Recht Ich bin ihm sogar dankbar dafür,
dass er mir Gelegenheit geboten hat, die von mir gewählte Bezeichnung ein¬
gehender zu motiviren.
Der Einwurf, es läge überhaupt kein Bedürfhiss nach einer besonderen
Bezeichnung vor, wird durch den Umstand entkräftet, dass die von Stras-
burgrr bei Accommodation und Convergenz beobachtete Pupillenträgheit, von
Piltz nur beim Lidschluss, von mir bei Acoommodation, Convergenz und Lid¬
schluss, von Nohnb endlich nur bei der Convergenz lichtstarrer Pupillen con-
statirt worden ist, also das gleiche Phänomen unter verschiedenen Be¬
dingungen.
Mir lag eben, wie gesagt, daran, einen kurzen, prägnanten Ausdruck hierfür
zu finden, damit bei der hoffentlich vielfachen und vielseitigen Nachuntersuchung
die Verständigung durch eine charakteristische Bezeichnung erleichtert werde.
1 Deutsches Archiv f. klin. Med. XLV. S. 536.
3 dby Google
1189
2. Ueber die
Beziehungen der Energetik zur Seelenthätigkeit.
Von Arthur Adler in Breal&n.
Die Grosshirnrindenzelle beantwortet jede Reizung mit einer Aenderung
ihrer Energetik 1 (die Energetik bewirkt Zersetzung von Kraftmaterial, durch
welche auf andere Zellen übertragbare Energie frei wird).
Trifft der Reiz die Zelle im energetischen Ruhezustände, so setzt er die
Energetik in Thätigkeit; befindet sich die Zelle bereits in energetischer Action,
so verursacht der neue Reiz eine Verstärkung oder Verminderung der Energetik,
je nachdem er grösser oder kleiner als der die bestehende Erregung ver-
ursacheude ist
Empfunden aber wird die Aenderung in der Grösse der Energetik;
und es ist daher für die Stärke der Empfindung maassgebend der Grad
der Veränderung, welchen der Reiz in dem augenblicklichen Zustande der
Energetik verursacht. Ein und derselbe Reiz wird daher eine umso stärkere
Empfindung hervorrufen, je geringer, und eine umso schwächere, je stärker bis¬
her bereits die Energetik functionirte (hieraus erklärt sich der psychologische
Contrast). Verschieden grosse Reizzuwachse aber erscheinen gleich, wenn
sie die bestehende Energetik in dem gleichen Bruchtheile erhöhen (WEBBB’sches
Gesetz).
Treffen die Zelle rasch hintereinander zwei Reize, so erwartet sie nach
Ablauf eines, dem zwischen den beiden ersten Reizungen verflossenen, gleichen
Zeitraumes eine Wiederholung der Reizung: sie hat sich auf den betreffenden
Rhythmus eingestellt Das „energetische Arbeitsbild“ ist bei gleich-
mäs8igem Rhythmus in allen seinen Theilen ein völlig gleiches; je wechselnder
der Rhythmus, desto complicirter wird das Arbeitsbild, desto öfter ist eine neue
energetische Einstellung erforderlich, desto schwieriger daher die energetische
Zellthätigkeit Wenn nun diejßmpfindungen durch das Bewusstwerden
der energetischen Arbeitsbilder entstehen, so entspricht einem gleich-
mässigen Rhythmus eine einfache, einem ungleiohmässigen aber eine mehr
weniger zusammengesetzte Empfindung (beispielsweise reiner Ton, Accord, Ge¬
räusch).
Das Gesetz der psychischen Resultanten (Wundt): dass die Eigen¬
schaften jedes psychischen Gebildes keineswegs als die blosse Summe der Eigen¬
schaften der Elemente anzusehen ist, findet seine Erklärung in der Abänderung
des energetischen Arbeitsbildes beim Zusammentreffen mehrerer einfacher Reiz¬
formen bspw. beim Zusammenklang mehrerer reiner Töne. Der Psyche erwächst
nämlich aus der Perception eines aus mehreren gleichmässigen zusammengesetzten
Rhythmus eine von der Perception jedes der einfachen Rhythmen ganz ver-
1 Cf. Adlkb, Ueber die Energetik der Gingliensellen etc. Münchener med. Wochen*
schrift. 1901. Nr. 87.
72 *
1140
sohiedene Aufgabe. Daher hat das entstehende psychische Gebilde etwas ganz
Neues, Eigenartiges.
Die Energetik, welche eine aotive Zellthätigkeit darstellt, wird durch
Uebung erleichtert und beschleunigt
Wird daher eine Beizfolge in einem schon einmal dagewesenen Rhythmus
von neuem erzeugt, so fonctionirt die Energetik bei der Einstellung auf das
entsprechende rhythmische Arbeitsbild sohon leichter, und sie thut es umsomehr,
je öfter der gleiche Rhythmus sich wiederholt
Auch wenn die Zellthätigkeit sioh nicht auf ein Rindenfeld beschränkt,
sondern gleichzeitig oder nacheinander die Zellen mehrerer Rindenfelder in Action
treten, bleibt das Prindp der Uebung in Kraft: jede noch so complicirte ener¬
getische Arbeit der Zellen geht umso leichter und prompter von statten, je
öfter sie ausgeführt wird. So bilden sich durch gemeinsame Arbeit „functio-
nelle Arbeitsgemeinschaften“, deren Festigkeit durch Uebung stetig zu¬
nimmt So kann es geschehen, dass, wenn das energetische Arbeitsbild eines
neuen Sinneseindruckes einem gut eingeübten alten nur im Allgemeinen gleicht,
in einzelnen Bestandteilen jedoch von ihm abweioht, trotz dessen die Energetik
vollständig in dem alten Arbeitsbilde abläuft Der neue Sinneseindruck ist von
einem alten, ihm ähnlichen „assimilirt“ worden. Das ist die Ursache des
„Verlesens“ und „Verhörens“.
Hängen die einzelnen Theile einer solchen Arbeitsgemeinschaft nur ge¬
nügend fest zusammen, so kann jeder beliebige (durch äussere oder innere
Reizung neu erregt) das gesammte übrige Arbeitsbild hervorrufen. Das nennt
man „Associiren“.
Die Grundlage der Association ist also funotioneller Natur. Je fester
die Arbeitsgemeinschaft, desto rascher und leichter erfolgt die Association, desto
schärfer ist die auf Assimilations- und Assooiationsvorgängen beruhende Er¬
innerung.
Auf der seelischen Erkenntniss gleicher und ungleicher ener¬
getischer Arbeitsvorgänge basirt nun die Denkthätigkeit
Die Absonderung gleicher Bestandtheile aus verschiedenen Arbeitsbildern
und ihre Zusammenfassung durch ein Wort bezeichnet man als Begriffs¬
bildung. Die Bildung eines ooncreten (Gegenstands-) Begriffs beruht auf der
Erkenntniss der durch seine wesentlichen Merkmale hervorgerufenen, jeder Zeit
und unter den verschiedensten Umständen, sich stets gleiohbleibenden energeti¬
schen Arbeitsvorgänge. Je allgemeiner ein Begriff, desto kleiner sein Inhalt,
desto geringfügiger also auch die Summe gemeinschaftlicher energetischer Arbeit,
auf welcher er basirt Beispielsweise wird Körper jeder Gegenstand genannt,
welcher überhaupt nur irgend eine Arbeit auf dem Seh-, Tast- und Augen-
muskelfeldern veranlasst — ein Körper muss nur irgend eine Form, Farbe und
Consistenz haben. „Farbe“ bezeichnet jedes beliebige Arbeitsbild auf dem Licht¬
feld; „Bewegung“ jedes beliebige auf dem Augenmuskel- oder auf einem anderen
motorischen Rindenfelde.
Sind nun aber einmal die Gegenstände, ihre Eigenschaften und Zustände
Google
1141
in solche Begriffeformen gebracht, so ist es eigentlich bei jeder weiteren Denk-
thätigkeit immer wieder das Abwandeln des die zusammengehörigen Begriffe
enthaltenden Schemas, worin dieselbe besteht.
So richtet sich bei jedem Urtheil „alles Besondere nach seinen Allgemein¬
begriff, jeder einzelne Fall nach der Regel des allgemeinen (Lotzb).“
Bei den Schlüssen wird entweder eine Eigenschaft eines weiteren Begriffe
auf einen engeren übertragen (Subsumption) oder eine gemeinschaftliche
Eigenschaft einer Anzahl engerer Begriffe wird einem weiteren (Induction) oder
endlich ein engerer Begriff wird einem weiteren, mit dem er eine Anzahl Eigen¬
schaften gemeinsam hat, zngerechnet (Analogie).
Das gleiche ist bei der Beweisführung der Fall „da in dem vollständigen
Inhalte eines Satzes auch schon sein Beweis liegt“ (Lotzb) und schliesslich
auch bei dem „erfindenden Gedankengange“, bei dem das Wesentliche
ist, in anscheinend ganz verschiedenen Dingen Gemeinsames zu entdecken, und
auf Grund desselben diese Dinge in eine logische Beziehung miteinander zu
bringen.
Jede mit der Sprache sich ausbildende höhere Gedankenthätigkeit erfordert
also eine feine Empfindung für das Gleiche und Ungleiche in der Unsumme
der verschiedenen energetischen Arbeitsbilder.
Je feiner diese Empfindung, desto schärfer das Denken. Abgesehen von
der begrifflichen Verarbeitung können die energetischen Arbeitsbilder aber auch,
im Ganzen oder in einzelne Theile zerlegt, in der mannigfachsten Weise mit¬
einander combinirt werden (Phantasiethätigkeit).
Empfindungs-, Phantasie- und Verstandesthätigkeit können nun durch Uebung
und die Einwirkung gewisser Substanzen gesteigert werden, ferner tritt nach
einer individuell verschieden langen Dauer geistiger Arbeit Ermüdung ein, durch
Mangel an Thätigkeit und anderer Stoffe, besonders aber durch Krankheiten
können die psychischen Functionen vermindert, ja vernichtet werden.
Es folgt aus alledem, dass der phsychische Betrieb an ein materielles Substrat
geknüpft ist, dessen Function und Structur in mannigfacher Weise beeinflusst werden
kann. Es ist nun nach dem Princip der strengen Arbeitsteilung, welche im
ganzen menschlichen Organismus durohgeführt ist, wahrscheinlich, dass die
psychischen Functionen von anderen Hirntheilen bezw. Rindenschiohten
wahrgenommen werden, wie die energetische Reizverarbeitung und Ueber-
tragung, die den ausschliesslich energetisch tätigen zukommt
Diese energetisch tätigen Zellen stehen nun vollkommen unter dem Ein¬
flüsse der psychisch wirkenden Rindenschichten, indem von diesen aus die
Energetik zur Function frei gegeben (behufs Reizverarbeitung), in Betrieb ge¬
setzt und der Betrieb jeder Zeit sistirt werden kann.
Wird von den psychisch wirkenden Schichten aus die Energetik im Gebiete
der motorischen Felder in Action gesetzt, so kommt es zu willkürlichen Be¬
wegungen, geschieht die Einwirkung aber im Gebiete der Sinnesfelder, dann
geraten die energetischen Arbeitsbilder in Bewegung und können nun der
„phantastischen“ oder „begrifflichen“ Verarbeitung unterzogen werden.
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1142
Es müssen daher die energetischen Zellschichten mit den psychischen
Functionen dienenden durch centripetale und centrifugale Leitungen ver¬
bunden sein.
Die Seelenthätigkeit selbst ist fortwährend von Gefühlen begleitet, welche
Lustgefühle sind, wenn diese Thätigkeit das individuelle Kraftmaass nicht
übersteigt, der qualitativen individuellen Begabung angemessen ist und in einem
dieser entsprechenden Tempo erfolgt Auch für Abwechslung in den Arten
psychischer Bethätigung und dem Denkmaterial selbst muss gesorgt werden. Ist
eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, so sind lebhafte Unlustgefühle die
Folge, welohe erregender oder deprimirender Natur sein können (Auf¬
regung, Oede, Langeweile). Bei einer vorher angekündigten bezw. zu erwartenden
psychischen Action bis zum Beginn derselben besteht ein Spannuugsgefühl, dem
beim Beginn derselben ein Lösungsgefühl folgt, während der Arbeit selbst
aber das Gefühl der Thätigkeit, das mit Unlustgefühlen verbunden sein kann
beim Einarbeiten in ein fremdes Thema, ja mit Verwirrung, wenn zuviel fremd¬
artiges Material begrifflich geordnet werden muss; Unruhe bei Unterbrechung,
Unbefriedigtsein bei Niohtbewältigung der Arbeit, Befriedigung bei gutem Fort¬
schritt und ein sehr starkes Lustgefühl nach UeberWindung der einer glück¬
lichen Beendigung entgegenstehenden Schwierigkeiten.
Alle diese Gefühle sind der Ausdruck des Verlangens der psy¬
chisch thätigen Rindenschichten nachFortezistenz und angemessener
Thätigkeit
Bei den Willensvorgängen kommt es darauf an, in einer bestimmten
Situation einen Entschluss zu fassen. Hierbei ist eine lebhafte Phantasiethätig-
keit von Nutzen, welche auf Grund früherer Erfahrung die Folgen der in
Betracht kommenden Handlungsweisen gut auszumalen versteht, so dass, je
nachdem die eine oder andere Förderung der betreffenden Angelegenheit ver¬
spricht, diese oder jene gewählt werden kann. Bieten Entschliessungen fort¬
dauernd gar keine Schwierigkeiten, so wird das Handeln monoton und lang¬
weilig; ist eine Situation zu complicirt, dann tritt unter Umständen das Gefühl
der Ratlosigkeit ein, dem, sobald ein Ausweg gefunden, ein befreiendes Er¬
lösungsgefühl folgt
Auch der Inhalt der Vorstellungen erzeugt Lust- bezw. Unlustgefühle, je
nachdem eine vorgestellte vergangene oder zukünftige Situation die Seelenthätig-
keit zu fördern oder zu hemmen geeignet ist, reizvoll oder reizlos erscheint
Diese phantastische Ausmalung der Zukunft liegt vielen Affecten, beispielsweise
der Hoffnung, Furcht, Angst, Sorge zu Grunde, und von ihr hängt grössten-
theils die Art und Schnelligkeit des Entschlusses ab.
Diqitized
GoogI<
1143
3. Der Infraspinatusreflex.
Von Dr. William Piokett in Philadelphia.
In Nr. 16 d. Centralbl. hat Prof. Dr. Steiner in Köln einen Artikel ver¬
öffentlicht, betitelt: „Der Infraspinatusreflex, ein bisher unbekannter Reflex der
oberen Extremität des Menschen.“
Diesen Reflex habe ich beschrieben in einem Artikel, betitelt: „On the
scapnlo-humeral reflex of von Bechterew“ im Journal of Nervous and Mental
Disease. 1901. Mai.
Ich habe diesen Infraspinatusreflex in 122 Fällen studirt und in den fol¬
genden Fällen ohne die von Bechterew 'sehe Bewegung gefunden, in einem
Falle von linksseitiger Hemiplegie, in einem von spinaler Muskelatrophie, in
einem von Syringomyelie, in einem von Porr’scher Krankheit des Halstheiles
des Rückgrats, und in einem von Nervenentzündung im Verlaufe einer Throm¬
bose der Arteria axillaris, ln diesen Fällen habe ich einen Infraspinatusreflex
gewonnen, indem ich den Bauch des M. infraspinatus beklopft habe, und nir¬
gendswo anders. Diese Reaction bestand in jedem Falle in einer starken Aus¬
wärtsrollung des Oberarmes, augenscheinlich herrührend von einer directen Con-
traction des M. infraspinatus. Auf einer Figur, welohe meinem Artikel beigefügt
ist, habe ich dieselbe Stelle angegeben, welche Prof. Dr. Steiner die Reizstelle
des Reflexes nennt.
%
Entgegnung zu der vorstehenden Zuschrift des Herrn Dr. W. Pickett
in Philadelphia.
Von Prof Dr. Steiner in Köln.
Es ist ein zweifelloser Irrthum, wenn Herr Dr. Piokett glaubt, den von
mir neulich beschriebenen Infraspinatusreflex schon im vorigen Jahre beobachtet
und veröffentlicht zu haben. Aber es ist richtig, dass Herr Dr. P. zu der an¬
gegebenen Zeit die Bewegungserscheinung dieses Reflexes gesehen hat Da er
diese Bewegung (Aussenrotation des Armes) als eine directe Folge der Con-
traction des M. infraspinatus auffasst, so konnte von einem neuen Funde nicht
die Rede sein, da wir doch längst wissen, dass der M. infraspinatus eben diese
Function hat Dass es sich hier um einen Reflex handelt, habe ich erst aus¬
gesprochen und namentlich durch den Cocainversuch bewiesen.
Um dem Leser übrigens ein eigenes Urtheil über den Gegenstand zu er¬
möglichen, will ich aus dem Artikel, den Herr Dr. P. so freundlich war, mir
jetzt zu senden, das Hierhergehörige wörtlich folgen lassen. Herr Dr. P. be¬
schäftigt sich mit der Nachuntersuchung des Scapulo-Humeralreflexes von Bech¬
terew, zu welchem Zwecke er die Scapula an bestimmten Stellen beklopft und
diesen Punkten eigentümliche Bewegungen zuschreibt und abbildet & stösst
dabei auch auf den von mir für den Infraspinatusreflex als Reizstelle angegebenen
Digitized by GoOgk
1144
Punkt und sagt „a reaction may obtained by striking the body of the infra-
spinatns (point 4 in the diagram) and nowhere eise: this reaction consisting,
in each case, in strong eitemal rotation of the upper arm, apparently due to
a direct contiaction of the infraspinatus muacle“.
n. Aus den Gesellschaften.
mm. Versammlung der südweetdeutsoben Irren&rste In Stuttgart
am 1. und 2. November 1902.
(Schlau.)
II. Verhandlungstag, am 2. November 9 Uhr Vormittags.
Vorsitzender: Herr MecL-Rath Kreusser (Winnenthal).
Vor Eintritt in die Tagesordnung wurde in lebhafter DiscuBsion, an welcher
sich die Herren Kreusser, Thomsen, Bernhardt, Fürstner, Weygandt,
Bi eh erb ach betheiligten, der Erlass des preussischen Justizministeriums vom
7. October d. J. erörtet, der anordnet, dass der Gerichtsarzt als der für mecha¬
nische Angelegenheiten öffentlich bestellte Sachverständige, zu Entmündigungs¬
sachen regelmässig zu wählen sei, erörtert.
Schliesslich gelangte folgende Resolution mit überwiegender Mehrheit zur
Annahme:
„Die 33. Versammlung südwestdeutscher Irrenärzte bedauert den Erlass dei
Königlich preussischen Justizministeriums vom 7. October d. J., der anordnet, dass
der Gerichtsarzt als der für medicinische Angelegenheiten öffentlich bestellte Sach¬
verständige, erforderlichenfalls dessen Assistent, zu Entmündigungssachen regel¬
mässig zu wählen sei. Ohne einer Beurtheilung dieser Verfügung vom richterlichen
Standpunkt aus vorgreifen zu wollen, müssen die Irrenärzte, die sich bisher als
die durch den Erlass desselben Ministeriums vom 28. November 1899 im Ent¬
mündigungsverfahren bevorzugten Sachverständigen betrachten zu dürfen glaubten,
weil bei ihnen doch wohl auf dem Gebiete der Irrenheilkunde besondere Er¬
fahrung vorausgesetzt werden kann, in einer solchen durch nichts begründeten
Aenderung eine Zurücksetzung erblicken. Vor Allem aber müssen sie für die
ihrer Fürsorge anvertrauten Kranken Verwahrung dagegen ein legen, dass irgend
welohe andere Interessen als die der zu Entmündigenden selbst auf die Wahl der
Sachverständigen von Einfluss werden.“
1. Herr Fauser (Stuttgart): Einrichtungen und Betrieb der Irren-
abtheilung des Bürgerspitals mit Krankenvorstellungen.
Nach einem vor Eintritt in die Tagesordnung gemachten Rundgang durch
die im letzten Jahre erheblich erweiterte und mit vielen Neuerungen versehene
Irrenabtheilung des Bürgerspitals, bei welcher Gelegenheit auch Kranke vorgostellt
wurden, macht der Vortr. nach einer kurzen Beschreibung der baulichen Ein¬
richtungen, namentlich der Wachabtheilung (ein W T achsaal für Ruhige, ein Wach-
saal für Unruhige, Dauerbäder u. s. w.) zunächst Angaben über die Aufnahmeziffern
(seit Errichtung der Anstalt [1884] hat sich die Zahl der Neuaufnahmen ungefähr
verdoppelt), über die Krankheitsformen, die Heilresultate, über das Wärter-
personal, über das Wesen der Aufnahmestatuten.
2. Herr Gau pp (Heidelberg): Ueber die Grenzen psychiatrischer Kr-
kenntniss.
Vortr. beleuchtet zunächst in erkenntnisstheoretischen Ausführungen die eigen*
artige Stellung, welohe die Psychiatrie als Theilgebiet der inneren Medicin ein-
■ y Google
1145
nimmt, in so fern ihr eine doppelte Aufgabe zokommt: die naturwissenschaftliche
Erforschung der materiellen Gehirnveränderungen bei der Psychose und die Er¬
kenntnis der psychischen Zusammenhänge, der Gesetzmässigkeit in den psychi¬
schen Lebenserscheinungen. Vortr. begründet, weshalb weder die anatomisch¬
physiologische Forschung noch auch die physiologische Chemie uns jemals einen
tieferen Einblick in die Folge und gesetzmässige Verknüpfung gesetzmässiger Vor¬
gänge gewähren kann. Die Irrthümer der physiologisch-anatomischen Theorieen
und Lehrgebäude in der Psychiatrie werden besprochen, und es wird weiterhin
gezeigt, wie verhängnisvoll die anatomisch-physiologische Denkweise in unserer
Wissenschaft auch für die Ursachenlehre geworden ist. Vortr. erörtert die Gründe,
weshalb unserer ätiologischen Erkenntniss heute noch enge Grenzen gezogen sind.
Dann wird die Frage aufgeworfen, welche Wege uns zur Erfassung der psychi¬
schen Causalität in der Störung der Geisteskranken offen stehen. Vortr. be¬
spricht zunächst das Problem der psychischen Causalität überhaupt. Er sieht in
der experimentellen Psychologie sowie in der unmittelbaren inneren Erfahrung,
welche bei der Selbstbeobachtung und der Beobachtung anderer zu ihrem Recht
kommt, und endlich in der Völkerpsychologie die wissenschaftlichen Hülfsmittel
zur Erforschung psychischer Zusammenhänge. Nunmehr wird die Frage auf¬
geworfen, ob die so gewonnene Erkenntniss auch der Psychiatrie Dienste leisten
könne. Finden wir auch in der Geisteskrankheit psychologische Gesetze wirksam?
oder, zeigt sich hier eine Verbindung psychischer Elemente, die in der normalen
Psychologie nichts Analoges hat? ist die psychologische Analyse und Betrachtungs¬
weise psychologischer Störungen berechtigt? Vortr. beleuchtet die Schwierig¬
keiten, die sich der Beantwortung dieser fundamentellen Fragen entgegenstellen,
illustrirt durch eine Reihe von Beispielen die bisher eingeschlagenen Wege psycho¬
logischer Erforschung psychotischer Zustände und giebt endlich der Hoffnung
Ausdruck, dass eB mit dem Fortschreiten einer wissenschaftlichen, auf Erfahrung
beruhenden Psychologie doch noch gelingen werde, auch solche Zustandsbilder,
für die uns heute noch jedes tiefere Verständnis fehlt, psychologisch zu erfassen
d. h. ihren Zusammenhang, ihre gesetzmässige Entwickelung zu verstehen und
die Mannigfaltigkeit complicirter Erscheinungen auf allgemeine, einfache und be¬
kannte Thatsachen zurückzuführen. (Der Vortrag, dessen Inhalt in einem kurzen
Referate nicht hinreichend verständlich gemacht werden kann, wird im Central¬
blatt f. Nervenheilk. u. Psychiatrie in extenso erscheinen.)
Discussion:
Herr Weygandt empfiehlt die vorsichtige Formulirung des psychophysischen
Parallelismus nach Wundt, stimmt im Uebrigen den Ausführungen des Redners
völlig zu. Die Psychiater befinden sich in einem Kampfe gegen zwei Fronten,
ein Mal gegen die Pastoralpsychiatrie, die vor Allem die Idiotenforschung er¬
schwert, dann gegen einen plumpen Materialismus. Zu diesem Kampfe sind die
Psychiater mangelhaft ausgerüstet, da ihre Kenntnisse der normalen Psychologie
vielfach so gering sind. Im psychischen Status unserer Krankengeschichten sind
in der Regel nur die augenfälligsten psychischen Symptome berücksichtigt.
Geradezu grotesk wirkt z. B. eine Statistik, die Fälle von Wahnideeen gruppirt
nach dem Inhalt, wie viel Leute sich für Kaiser, wie viel sich für Millionäre
u. s. w. halten. Einen Schlüssel zum Verständnis der grundliegenden Störung bei
Dementia praecox würde z. B. die Heranziehung des Wundt’sc.hen Begriffes der
Apperception liefern. Um hier vorwärts zu kommen, empfehlen sich zwei praktische
Mittel: 1. psychologische Laboratorien in Irrenkliniken, 2. Psychologie in der
Ausbildung und Vorprüfung der Mediciner, wodurch auch die anderen Disciplinen,
die ja psychische Behandlung und Beurtheilung ebenfalls verwerthen können,
ihrerseits nur gewinnen würden.
Google
1146
3. Herr Frank (Münsterlingen): a) Zorn Capital Aber den Hailwertb dar
Psychotherapie.
Herr Bezzola (Ermatingen): b) Ein oaenlettaoher Beitrag hierau.
OiBcnnion:
Herr Rrehl (Tübingen) nimmt die innere Medicin gegen den Vorwurf in
Schutz, dam sie lediglich Organe behandle and die Psyche dabei völlig vernach¬
lässige. Gerade in Württemberg, wo Carl v. Liebermeister gewirkt; hat, er¬
scheint dieser Vorwarf nicht berechtigt. Das Interesse L.’s war peychotherapen-
tischen Problemen in hohem Maasse zugewandt. Er lehrte and übte Psychotherapie
mit einem seltenen Erfolg und, wenn die württembergischen Aerzte ein ganz be¬
sonderes Verständnim für psychotherapeutische Fragen haben, so ist daa gewiss
nicht zum Wenigsten dem segensreichen Einfluss L.’s zazoschreiben: sein Nach¬
folger im Amt hält es für seine Pflicht das hier zu constatiren.
Herr Bayerbach weist auf die differen^ialdiagnostiscbe Bedeutung der
Hypnose hin, die durch einen aus der Erb'sehen Klinik kürzlich veröffentlichtes
Fall von Meningitis illastrirt wird. Bedner selbst hat bei einem Falle von
Schütteltremor nach Unfall die Wirkungslosigkeit der hypnotischen Suggestion
auch nach der prognostischen Seite hin verwerthbar gefunden.
Herr Hecker (Wiesbaden) führt zu den vom Vortr. angeführten Gründen
für die Thatsache, dass die hypnotische Behandlung unter den Aerzten eine so
spärliche Verbreitung finde, noch zwei weitere hinzu: Eis haftet an der Hypnose
noch immer ein gewisses Odium. Der Arzt, welcher sich damit beschäftigt, wird
von seinen Collegen leicht als Charlatan angesehen und muss schon sehr hoch
in der Achtung derselben stehen, um von diesem Vorurtheil frei zu bleiben.
Zweitens fürchten viele Aerzte, die gern hypnotisiren möchten, die Blamage, dass
ihnen die Hypnose nicht gelingt und der nicht einschlafende Patient sie hinter¬
her auslacht. — Zum Schluss erwähnt Bedner ganz kurz einen ähnlichen Fall
wie den von Herrn Bezzola vorgetragenen, der ebenfalls durch Hypnose ge¬
heilt wurde.
Herr Weygandt (Würzburg): Ausser Liebermeister haben sich gewiss
manche Internisten um psychische Behandlung verdient gemacht, z. B. Butter-
sack an der Leyden’schen Klinik; die Hauptaufgabe fallt den Psychiatern zo.
Die Kliniken sind freilich nicht die geeignete Stätte: es sind vielmehr Polikliniken
für Psychisch-Nervöse unerlässlich. Interne Polikliniken haben zu viel andere
Aufgaben; schon ein Nervenstatus ist für sie zu zeitraubend. Ausser Fällen,
die sich für psychische Behandlung eignen, gehören in die zu postulirenden Poli¬
kliniken besonders die functionellen Neurosen, beginnende Psychosen, Grenzzustände,
ferner auch die abnormen Kinder.
Herr Beinert (Stuttgart) betont wie Krehl die Bedeutung der inneren Medicin
für die Psychotherapie; er erinnert an das Wort Nussbaum’s, dass die Wunden
beim siegreichen Heer besser heilen als beim besiegten; für die innere Medidn
ist der Einfluss der Psyche viel grösser. In unserer ganzen ärztlichen Thätigkeit
spielen die psychischen Einflüsse mit oder ohne Bewusstsein eine grosse Bolle
und bilden Imponderabilien für unsern Erfolg. Ueberdiee finden wir einen grossen
Procentsatz von internen Erkrankungen mit psyohogenen combinirt. In der
Mehrzahl der Fälle werden wir mit Waohsuggestion zu unserem Ziele gelangen
nnd mit Liebermeister bestrebt Bein, die Hypnose für die Fälle zu reeerviren,
bei denen andere Maassnahmen nicht zum Ziele führen und wo doch ein wichtiger
Grund zur Beseitigung der Störung vorliegt. B. beriohtet über einen solchen
Fall bei einer schwer hysterischen Dame mit vollständiger Urinverhaltung, die
mit keiner Form von Suggestion beseitigt werden konnte. Nach 9 wöchenlicher
Dauer der Erkrankung entschloss sich B. bei der Erfolglosigkeit der bisherig«
■ y Google
1147
Therapie and wegen der Gefahr einer eingetretenen Cystitis die Hypnose ein¬
zuleiten, welche in der ersten Sitzung den Erfolg hatte, dass spontan einige
Tropfen Urin gelassen wurden, während die Hauptmenge immer noch mit dem
Katheter entleert werden musste. Bei der dritten Hypnose entleerte die Kranke
sofort nach dem Erwachen spontan vollständig die Blase. Seit dieser Sitzung
von 1 l / a Jahren sind die Blasenfunotionen völlig normal. R. ist der Ansicht,
dass die Hypnose hier nicht nur neurologisch erforderlich war, sondern wegen
der Gefahr einer aufsteigenden Cystitis möglicherweise einer vitalen Indication
entsprach.
Herr Frank (Sohlusswort): Mir lag heute nur daran mit möglichster Be¬
rücksichtigung unserer Zeit das Allernothwendigste in dieser Frage zu sagen.
So unterliess ich es auch, die Namen sehr verdienter Autoren zu nennen. Dass
ich niemandem zu nahe treten wollte, hob ich ausdrücklich hervor, zumal ich
weiss, dass es einzelne Interne, wie auch Chirurgen giebt, die ihren Kranken
mit grossem psychologischen Yerständniss entgegenkommen. In meinem Bestreben,
so kurz wie möglich zu sein, berücksichtigte ich die differentialdiagnostische Be¬
deutung der Suggestionsbehandlung so wenig wie noch verschiedene andere Punkte.
Herrn Hecker gegenüber muss ich sagen, dass die Aerzte wie die anderen
Menschen nicht den Muth haben und sich fürchten, sich durch Billigung einer
Neuerung lächerlich zu machen. Das geht in anderen Fragen, wie in der Alkohol¬
frage ebenso. Wenn es aber mehr Aerzte gäbe, die psychotherapeutisch aus¬
gebildet sind, so werden einzelne Misserfolge nicht mehr so blamabel erscheinen.
4. Herr Kranes (Kennenburg): Ueber Vererbung von Geisteskrankheiten.
Die Annahme, dass das Darwinsche Gesetz der Vererbung auch für die
Form der Geisteskrankheiten Geltung habe, bestätigt sich nach den Befunden an
dem Material der Heidelberger Klinik und der Heilanstalt Kennenburg nicht.
Es fanden sich vielmehr gleichartige Vererbung von der Gesammtzahl nur in
70°/ 0 bei Eltern und Kindern, bei Geschwistern nur 69,6°/ 0 der Fälle, bei den
Geschwisterkindern nur 46,6 °/ 0 . Es ergiebt sich damit eine überwiegende Ziel¬
strebigkeit im Sinne einer Degenerescenz der Krankheitsform der Descendenz, eine
Beobachtung, die auch dadurch ihre Bestätigung findet, dass sämmtliche über¬
haupt zur Beobachtung gelangten Descendenten mit einer einzigen Ausnahme in
meist wesentlich jüngerem Alter zur Aufnahme gelangten, als die Ascendenten.
Auch der Verlauf scheint sich entschieden bei der Descendenz ungünstiger zu ge¬
stalten als bei der Ascendenz.
5. Herr Laudenheimer (Alsbach bei Darmstadt): Kurse Mltthellung über
sexuelle Zwangsvorstellung bei einem Kinde.
Ausgeprägtes Irresein mit Zwangsvorstellungen in der Kindheit ist in der
Litteratur nur selten, Zwangsvorstellungen sexuellen Inhaltes bisher überhaupt
nicht bekannt. Vortr. bespricht einen Fall von Zwangsvorstellungen bei einem
1 ljährigen Knaben, die sich unmittelbar anschlossen an das erete Bekanntwerden
des Kindes mit unverstandenen sexuellen Worten und bildlichen Darstellungen,
welche als Zwangsvorstellungen bezw. Bilder im Bewusstsein fixirt wurden. Es
schloss sich daran der Zwangsimpuls, den Inhalt dieser Vorstellungen mündlich,
schriftlich oder zeiohnerisch darzustellen, und obwohl dieser Impuls thatsäcblich
ron dem Patienten gehemmt werden konnte, die Befürchtung wegen dieser
Aeusserung aus der Schule gejagt zu werden. Es kam secundär zu Präcordial-
ingst, Schlaflosigkeit, Suicidalgedanken. Nach Verlauf von einigen Monaten er-
olgte nach Entfernung aus der Schule die allgemeine Roborirung und Heilung; je-
och 1 / 2 Jahr später gab es im Anschluss an die erste Entwickelung der Pubertät
dnen Rückfall. Die Zwangsvorstellung wurde diesmal rasch geheilt durch sach-
emässe Aufklärung über sexuelle Dinge. Vortr. bespricht den psychischen
Digi
1148
Mechanismus des Falles im Anschluss an die ZwangsvorstellungBtheorie M. Fried*
mann’s, für die der FaU geradezu als Schulbeispiel gelten kann.
6. Herr Willmanns (Heidelberg): Die Psychosen der L an dstreicher.
Der Vortr. hat sich die Aufgabe gestellt, den Landstreicher als Individuum
und die Beziehungen zwischen seinem angeborenen oder erworbenen Defect und
seiner antisocialen Lebensführung zu studiren. Das Material, welches ihm hierbei
zur Verfügung stand, belief sich auf 120 Fälle, die grösstentheils in den letztes
Jahren aus dem polizeilichen Arbeitshause Eislau als Geisteskranke in die Irren¬
klinik zu Heidelberg überführt wurden. Die meisten waren ältere, professionelle
Landstreicher und als solche häufig zu Correctionsstrafen verurtheilt; nur 27 waren
noch nicht im Arbeitshause. Die Zahl der Vorstrafen war in den meisten Fällen
sehr hoch, im einzelnen belief sie Bich auf über 100; die Zahl der Corrections¬
strafen betrug in mehreren Fällen 10, in einem 15. 12 der Kranken waren
weiblichen Geschlechts und Prostituirte.
Was die klinische Zusammensetzung anbetrifft, so waren sie ausserordentlich
mannigfaltig. 66 Fälle Dementia praecox, 19 Epilepsie, 7 Alcoholismus, 3 Im-
becillität, 6 Hysterie, 4 manisch-depressives Irresein, 4 Dementia p&r&lytica,
4 Paranoia, 1 Gefangenenhallucinose, 1 luetische Hirngefässerkrankung, 1 Creti-
nismus, 6 Unklare Fälle.
Infolge der vorgerückten Zeit, musste der Vortr. Beine Absicht aus da
Symptomatologie der einzelnen Erkrankungen die ätiologischen Momente für du
gewohnheitsmässige Landstreichen zu entwickeln, aufgeben und beschränkt sich
auf die Dementia praecox-Gruppe, welchen das manigfaltigste und das klinisch
interessanteste Material entsprach. Sie war in 66 Fällen vertreten, 60 davon
waren schon mit Correctionshaft bestraft worden, 6 waren weiblichen Geschlechts.
Die 66 Fälle lassen sich in drei Gruppen unterscheiden:
Die erste Gruppe wird von ursprünglich geistig und körperlich gesunden
und sesshaften Persönlichkeiten gebildet, die in geordneten Erwerbsverhältnisaen
lebten, bis dasB sie meist zwischen dem 20. und 30. Jahre von einer schweren
acuten Psychose befallen wurden, nach deren unvollkommenen Heilung sie in die
Landstreicherlaufbahn geriethen. Hochgradiger Schwachsinn, Wahnvorstellungen
oder eine acute hallucinatorische Erregung im Arbeitshause führten oft erst nach
Jahrzehnten ihre endliche Aufnahme in die Klinik herbei.
Eine zweite Gruppe bildeten ebenfalls ursprünglich sociale Elemente, die sich,
ohne dass eine ausgesprochene geistige Störung vorhanden war, ziemlich plötzlich
oder mehr allmählich ohne erkennbaren Grund einem unsteten und unregelmässigen
Leben hingaben und zu gewohnheitsmässigen Landstreichern wurden. Erst im
Laufe von Jahren und Jahrzehnten und nach wiederholten Internirungen in Cor-
rectionshäusern traten activ psychotische Erscheinungen auf oder wurde der
Schwachsinn als so hochgradig erkannt, dass eine UeberfÜhrung in eine Anstalt
nothwendig erschien.
Die dritte Gruppe endlich setzt sich aus von Haus ans pathologisches
Persönlichkeiten zusammen, bei denen schon in frühester Jugend sittliche und
intellectuelle Defecte vorhanden waren, die nach meist unvollkommener Schul-
ausbildung kein Handwerk erlernten, schon früh ins Vagabundiren geriethen und
nach massenhaften Strafen wegen Verbrechens gegen die Person und das Eigen¬
thum, Betteins und Landstreichens, nach häufigen Internirungen in Gefängnisses
Zuchthäusern und Correctionsanstalten ausgesprochen geisteskrank in die Irren¬
anstalt überführt wurden. Die jüngeren dieser Personen bieten sehr häufig du
Bild der Kahl bäum'sehen Katatonie, die älteren meist die Symptome der alten
hebephrenischen Verblödung. Verfolgt man das Leben dieser Kranken sn
der Hand der Acten, so lässt sich häufig feststellen, dass sie schon vor Jahren
dbyG00gI<
1149
hin und wieder schwere Krankheitserscheinungen geboten hatten, die aber von
den Strafanstaltsärzten als solche nicht erkannt wurden.
7. Herr Hess (Stefansfeld): Ueber hysterisches Irresein.
Vortr. fasst das „hysterische Irresein“ in dem engen Sinne Kraepelin’B
und Nissl’s auf und betont die Seltenheit dieser Psychose, an der in Stefansfeld
in einer 5%jährigen Aufnahmeperiode nur 0,69% der Zugänge erkrankt waren,
und zwar 0,11% Männer und 1,3% Weiber. Sogenannte hysterische Symptome
können bei allen einfachen Seelenstörungen auftreten, aber sie haben mit dem
„hysterischen Irresein“ sui generis nichts zu thun, z. B. die „Hysteriomelancholieen“
sind wohl alle „Rückbildungsmelancholieen“, bei denen sogenannte „hysterische“
Zeichen so regelmässig Vorkommen, dass gar kein Grund vorliegt, sie, die eben
zum Wesen der „Rückbildungsmelancholie“ gehören, als „hysterisch“ zu bezeichnen.
Anscheinend hysterische Zustände, die bald früher bald später in dauernde Ver¬
blödung übergehen, waren, wie der Ausgang beweist, nicht durch die Krankheit
„Hysterie“ bedingt, sondern die Anfangserscheinungen einen Dementia praecox,
and es ist prognostisch ausserordentlich wichtig, gerade in solchen Fällen die
Natur der „sogenannten hysterischen“ Symptome klar zu erkennen. Wenn das
Wort „hysterisch“ in der bisher üblichen Weise gebraucht werden soll, müssen
wir uns bei seiner Anwendung immer bewusst sein, dass wir mit ihm nur die
äusserliche Erscheinungsweise einer Störung bezeichnen, ihren nosologischen
Charakter aber ganz unberücksichtigt lassen.
Zum Schluss möchte Vortr. noch über einige neuere Arbeiten von Gynäkologen
über Hysterie sprechen. Während Winternitz, Theilhaber, Olshausen im
Allgemeinen die Anschauungen der Psychiater theilen, stehen Mackenrodt und
Schnitze sonderbarerweise auf dem durch 1000 Thatsachen längst wiederlegten
Standpunkt, die Hysterie sei hauptsächlich eine Reflexpsychose und könne durch
möglichst reichliches Operiren geheilt werden. Schultze fordert sogar auf Grund
einer amerikanischen Statistik (Hobb’s) die Anstellung gynäkologischer Operateure
an den Irrenanstalten. Die Messerfreudigkeit, die eine Zeit lang bedeutend nach¬
gelassen hatte, scheint also neuerdings wieder zunehmen zu wollen.
Discussion:
Herr Kräpelin (Heidelberg) macht die Unklarheit der Anschauungen über
Hysterie bei den Irrenärzten mit für die wenig erfreulichen Vorstellungen der
Gynäkologen in dieser Frage verantwortlich. Er empfiehlt, die Kahlbaum’sehe
Entscheidung zwischen Zustandsbild und Krankheit auch auf die Hysterie zu
übertragen. Wenn es auf der einen Seite ein allgemein anerkanntes Krank¬
heitsbild der Hysterie giebt, das mit vielfachen Schwankungen im Wesentlichen
stationär bleibt, aber in jedem Zustande Zeichen aus dem eigenartigen Formen¬
kreise darbietet, so wird man alle diejenigen Fälle ausscheiden müssen, bei
ienen das Gesammtbild und der Verlauf ganz anderen bekannten Krankheits-
)ildem entspricht. Wissen wir doch, dass bei groben Hirnerkrankungen, die
liemand der Hysterie zurechnen wird, ausgeprägte hysterische Erscheinungen
orkommen können. Die Sache liegt nicht anders, als bei der Epilepsie. Auch
ier trennen wir von der eigenartigen Krankheit durchaus jene Fälle ab, bei
enen „epileptiforme“ Anfälle nur symptomatische Bedeutung haben, wie bei der
aralyse, Katatonie, Alcoholismus u. s. w.
8. Herr Rühle (Winnenthal): Niohtparalytisohe Geistesstörung neben
abes.
Nach kurzen Mittheilungen über das Vorkommen von Tabes und progressiver
iralyse bei einen und demselben Individuum, über die innigen Beziehungen
rischen beiden Krankheitsformen, besonders in ätiologischer Beziehung, über die
esensgleichheit der pathologisch-anatomischen Befunde beider Krankheiten und
Digi
1160
die noch bestehende Meinungsverschiedenheit der Autoren in diesen Punkten, von
denen die einen überzeugte Anhänger der Identität von Tabes und Paralyse sind,
während andere die beiden Krankheiten als zwei ganz verschiedene gedeutet wissen
wollen, giebt Vortr. zwei Beobachtungen wieder an Kranken mit ausgesprochener
Tabes, bei denen sich im Verlaufe derselben psychische Störungen entwickelt
haben, die sich nicht in das Bild der progressiven Paralyse einreihen lassen.
Dieselben zeigten vielmehr ein ausgesprochen paranoisches Gepräge. Vortr. zieht
daraus den Schluss, dass es keine gesetzmässigen Beziehungen sind, in denen die
klinischen Bilder von Tabes und Paralyse zu einander stehen und dass darin auch
die Lehre von der Einheitlichkeit ihrer Aetiologie und des ihnen zu Grunde
liegenden pathologisch-anatomischen Processes noch keineswegs als sicher erwies«
gelten darf.
9. Herr Feldmann (Stuttgart): Ueber 50 Fälle von acuter Geistes¬
störung der Trinker. (Aus dem Bürgerspital in Stuttgart.)
Vortr. giebt einen Ueberblick über die seit dem Jahre 1895 auf der Irren¬
abtheilung des Bürgerspitals behandelten 61 Fälle von acuter Geistesstörung der
Gewohnheitstrinker: 11 Fälle von pathologischen Rauschzuständen, 14 von acutem
hallucinatorischem Wahnsinn der Trinker, 36 von Delirium tremens. Die körper¬
liche Untersuchung ergab im Widerspruch zu den sonstigen Erfahrungen sehr
wenig schwere Complicationen, insbesondere keine Pneumonie. Alkohol wurde
nur in vier schweren Fällen in Gestalt von kleinen Dosen Wein bei hochgradiger
Herzschwäche neben anderen Excitantien verabreicht. Auch von Narcoticis wurde
nur massiger Gebrauch gemacht in Form von Sulfonal, Trional, Paraldehyd. In
einzelnen Fällen wirkten hydrotherapeutische Proceduren sehr günstig. Die Ent¬
lassung erfolgte im Durchschnitt nach 13,7 Tagen. Ein Fall gelangte xnm
Exitus letalis.
Vortr. führt zum Schluss aus, dass das D. tremens zu denjenigen Krank¬
heiten gehöre, die sich ganz besonders zur Behandlung in den Irrenasylen der
grösseren Städte eigne und bespricht die Gründe hierfür. '
10. Herr Levi: Stiohverletzung des Gehirns. (Aus dem Marienspital
Stuttgart [Prof. Zeller].)
Vortr. stellt einen Patienten vor, welcher vor 4 Monaten bei Raufhändeln in
den Kopf gestochen worden war. Das Messer durchschnitt das rechte Scheitelbein
1 cm von der Mittellinie entfernt glatt ohne Splitterung und drang noch 4 cm
tief ins Gehirn ein (Beinregion nach Krönlein’scher Messung). Im Moment der
Entfernung, bei welcher Hebelbewegungen ausgeführt wurden, sank der linke Arm
wie leblos herab und blieb gelähmt, während Pat noch gut gehen konnte und
keine grössere Sensibilitätsstörung darbot. Plötzlich auftretende, auf Druck hin¬
weisende Symptome machten etwa 2 Stunden nach der Verletzung operative Er¬
weiterung des Knochenspaltes nothwendig, wobei weder ein Bluterguss noch
Splitter sich fanden. Die Wundheilung verlief in der Folge glatt, doch bildete
sich nunmehr das Symptomenbild einer associirten brach io- cruralen Monoplegie
aus: 14 Tage lang bestehende völlige Lähmung des linken Armes, dessen Moti¬
lität sich in eigenartiger Reihenfolge allmählich wieder herstellte; ferner Parese
des linken Beines, Störungen des Muskelsinns, Lagegefühls, Localisationsvermögens,
stereognostischen Sinns und auch in geringem Grade der Tast- und Wärme-
empfindung, insofern als ein deutlicher Unterschied zwischen links und rechte
bestand. Weiterhin bestanden spastische Symptome im Arm und Bein mit
Steigerung aller Reflexe und ausgesprochener Rindenataxie. Fast alle diese Er¬
scheinungen haben sioh so beträchtlich zurückgebildet, dass der Verletzte seit
14 Tagen wieder seinem Beruf nachgehen kann. Vortr. bespricht kurz die
Localisation, Prognose u. s. w. des Falles, der anderweitig in extenso veröffent¬
licht wird.
Digi
1151
11. Herr Nisil (Heidelberg): Die Diagnose der progressiven Paralyse.
Den Standpunkt, den die Heidelberger Klinik in der Diagnose der Paralyse
einnahm, hat sich während der letzten Jahre geändert. Die Katamnesen batten
zu dem Ergebniss geführt, dass viel zu oft die Diagnose der progressiven Para¬
lyse gestellt wurde. Aber auch in pathologisch-anatomischer Hinsicht haben sich
die seitherigen Anschauungen geändert Während früher der Nachdruck auf die
Feststellung der krankhaft veränderten nervösen Elemente gelegt wurde, wird in
den letzten Jahren das Verständnis des histopathologischen Gesammtprocesses als
das Ziel der histopathologischen Forschung bezeichnet. Auf diesem Wege ge¬
langte man zu dem Ergebniss, die Paralyse als einen Process aufzufassen, der zu
der Gruppe der entzündlichen Vorgänge gehört. Da die bisher bekannten klinisch¬
diagnostischen Kriterien bei einer Reihe von Fällen nicht genügen, würde es
einen Fortschritt bedeuten, wenn wir die Paralyse histopathologisch sicher von
allen übrigen Fällen von Gehirn Störung abgrenzen könnten. Denn es würden sich
an der Hand der histopathologischen Untersuchungsergebnisse die uns noch
fehlenden klinisch-diagnostischen Merkmale aufßnden lassen. Wir haben daher
allen Grund, diese Frage kritisch zu prüfen.
Es muss scharf geschieden werden zwischen den ektodermalen und den meso-
dermalen Bestandtheilen des centralen Nervensystems. Es ist das grosse, nicht
hoch genug zu schätzende Verdienst Weigert’s, zuerst klar erkannt zu haben,
dass die Gefässe (die mesodermalen Bestandtheile des centralen Nervensystems)
dem centralen Gewebe gegenüber genau etwas ebenso fremdes sind wie die weiohe
oder harte Hirnhaut. Alles, was ausserhalb der Gefässe liegt, ist ekto-
dermaler Herkunft. Gliazellen sind nicht nervöse Zellen des Ektoderms,
welche die Fähigkeit haben, Gliafasern zu produciren. Ob alle nicht nervösen
Zellen des Ektoderms Gliazellen sind, ist noch nicht bekannt.
Jedenfalls haben zahlreiche Experimentaluntersuchungen ergeben, dass die
ektodermalen Bestandtheile des centralen Gewebes ein Wachsthumshinderniss für
die m es odermalen ergeben und umgekehrt; ebenso bilden aber auch die nervösen
Bestandtheile des Ektoderms ein gegenseitiges Wachsthumshinderniss.
Werden z. B. die nervösen Bestandtheile so sohwer geschädigt, dass sie für
die nichtnervösen Bestandtheile ein Wachsthumshinderniss nicht mehr bilden, so
wuchern nicht die mesodermalen Bestandtheile, sondern stets nur die nicht
nervösen ektodermalen Elemente. Die ektodermalen Bestandtheile halten
lieh also gegenseitig gewissermaassen in einem biologischen Gleichgewichtszustand.
Anders liegt die Sache, wenn das ektodermale Gewebe in toto zu Grunde
feht, wenn z. B. eine Blutung sowohl die nervösen wie die nichtnervösen Be-
tandtheile ektodermaler Herkunft vernichtet. In diesem Falle bildet das ekto-
termale Gewebe kein Wachsthumshinderniss mehr für das mesodermale Gewebe;
8 wuchern in diesem Fall nicht die nicht-nervösen Zellen ektodermaler Herkunft,
ondern zunächst einzig und ausschliesslich das mesodermale Gewebe nach dem
>rt, der nunmehr für das mesodermale Gewebe kein Wachsthumshinderniss mehr
ildet, d. h. es treten GefäsBsprossen auf und neben den Endothelsprossen ent-
ickeln sich Fibroblasten und mit ihnen die sogenannten Körnchenzellen.
Die in diesen Sätzen ausgesprochene soharfe Sonderung zwischen den ekto-
□d mesodermalen Bestandtheilen tritt vielleicht am klarsten in den Granulations-
»schwülsten zu Tage, die sich ausschliesslich aus mesodermalen Elementen
ifbauen. Jene, welche die perivasculären und pericellulären Räume für Lymph*
•alten ansehen, oder einen Theil der nicht nervösen Kerne des centralen Nerven-
iwebes für Lymphocyten halten, oder von einer „Mesoglia“ sprechen, können
•wisse histopathologische Vorgänge im centralen Gewebe unmöglich verstehen.
Ich habe schon vor mehreren Jahren auf die Eigentümlichkeiten eitriger
»ningitisformen hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass Leukocyten
Die
1152
nioht wie an anderen Organen ans den Gefaaaen auswandern und ein eitriges
Infiltrat bilden. Gewiss giebt es auch im Gehirn Absoesse; aber in diesem Fallt
ist ektodermales Gewebe in grösserem Umfang zu Grunde gegangen. Eine rich¬
tige Auswanderung von Leukocyten aus der intaoten Adventitia hat jedoch
noch niemand beobachtet.
Und doch lehrt uns die tägliche Erfahrung, dass es auch im centralen Nerven¬
gewebe entzündliche Processe giebt, Prooesse, die durch eine Gewebsschädigung,
Gewebswucherung und gleichzeitige pathologische Exsudation aus den Blutgefässen
charakterisirt sind. Bisher kennen wir aber bei intacter Adventitia nur ein
charakteristisches pathologisches Exsudat im centralen Nervengewebe, nämlich die
zeitigen Infiltrate der Adventitialscheiden mit ded Marshai ko'sehen Plasma¬
zellen. In dem Nachweis dieses äusserst charakteristischen Exsudats besitzen wir
ein sicheres Kriterium für entzündliche Vorgänge im centralen
Nervengewebe. Hier und da wandert auch wohl die eine oder andere Plasma-
zelle aus der Adventitia aus; zu einem richtigen zeitigen Gewebsinfiltrat mit
Plasmazellen kommt es aber nicht.
Bis jetzt kennen wir 1. von den Meningen aus auf das centrale Gewebe
fortgeleitete Entzündungen, speciell tuberculöser und syphilitischer Art, nnd
2. autochthone Entzündungen. Unter den letzteren sind uns bekannt a) die acute
und nicht eitrige Encephalitis und Myelitis, hierzu gehört auch die Poliomyelitis
anterior sowie die Polioencepbalitis superior, nnd b) die chronische Entzündung
des centralen Nervengewebes, speciell der Cortex. Zu letzterer gehören alle Fälle
von zweifelloser Paralyse.
Aus dieser Sachlage geht zweifellos die Thatsache hervor, dass eine Gruppe
von Psychosen sich zuverlässig auf Grund des histopathologischen Befundes von
allen übrigen Psychosen abtrennen lässt, und dass zu dieser einen Gruppe alle
zweifellosen Fälle von Paralyse ohne Ausnahme gehören. Diese Gruppe zeigt die
Zeichen der Entzündung: Gewebsläsion, Gewebswucherung und das für das Nerven¬
system charakteristische zellige Exsudat, nämlich die Infiltration der Adventitial¬
scheiden mit Marshai ko'sehen Plasmazellen.
Dieses Infiltrat ist aber nicht charakteristisch für den Krankheitsprocess der
Paralyse; es ist nur charakteristisch für den entzündlichen Charakter des Pro-
ce88e8, der der Paralyse zu Grunde liegt. Leider sind wir noch nicht in der
Lage, die Frage zu beantworten, ob die zu der chronischen Entzündung des
centralen Nervengewebes gehörigen Fälle eine Krankheitseinheit darstellen. Zeigt,
wie es nach der unvollständigen Untersuchung von nur einigen Fällen von Tabes
in der That zu sein scheint, die Tabes nicht die Charaktere der chronischen
Entzündung, dann steht allerdings fest, dass die Tabes eine von der Paralyse
verschiedene Krankheit ist. Bietet aber ein Fall nicht die klinisch-diagnostischen
Merkmale der Paralyse dar, welcher sich post mortem als zur chronischen Ent¬
zündung deB Nervengewebes gehörig erweist, dann haben wir noch nicht das
Recht auf Grund des histologischen Befundes zu erklären, dass dieser Fall dem¬
selben Krankheitsprocess zum Opfer gefallen ist, wie ein Fall von zweifelloser
Paralyse. Jedenfalls vermag aber auch der Ungeübte das Vorhandensein einer
chronischen Entzündung der Grosshirnrinde zu constatiren.
Gross (Stuttgart).
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IV. Mittheilung an den Herausgeber.
Im Centralblatt für Nervenheilkunde vom 15. November 1902 findet sich ein
Referat Nissl’s über meine Arbeit „Von der Nervenzelle und der Zelle im All¬
gemeinen“. Nissl liest von meinem Buche nur die ersten 40 Seiten, weil der
zweite, gegen 220 Seiten umfassende Theil die Leser des Blattes nicht weiter
interessiere. Der zweite Theil des Buches ist überschrieben: „Von der Zelle im
Allgemeinen und der Nervenzelle im Beeondem“. Da musste sich der Referent
sagen, hier werde auch etliches von der Nervenzelle stehen, vielleicht trage dieser
Theil zum Verständniss des ersten bei. Hätte Nissl z. B. das Capitel „Form
und Funotion der Zelle u. s. w.“ sorgfältig bis zu Ende gelesen, so würde er mit
seinem Referat nicht einen Kampf gegen Windmühlen führen. Denn dies thut
er. Bei der Unkenntniss meines Buches wird Referent desselben erstaunt sein, wenn
ich ihm mittheile: Ihre Ansicht, nach der sich Leukocyten in der grauen Substanz
des centralen Nervensystems nicht finden, theile ich; der Leukocyt, der eine der
zahlreichen und feinen Capillaren in der grauen Substanz verlässt, der Leukocyt,
der aus den pialen Räumen in die graue Substanz einwandert, hört mit dem
Moment, in dem er die graue Substanz betritt, auf, Leukocyt zu sein; er findet
in der grauen Substanz ein ungemein dichtes Filzwerk von Fasern, dieses hält
ihn fest, er umfiiesst die Fasern und nun ist er Nervenzelle. Zu lesen auf S. 154
meines Buches — allerdings im zweiten Theil!
Jetzt wird Nissl vielleicht begreifen, weshalb ich die Litteratur darüber,
ob die Körper in der grauen Substanz, die so aussehen wie Leukocyten, Bolehe
sind oder nicht, unberücksichtigt gelassen habe. Der Streit ist müssig. In dem
Faserfilzwerk der grauen Substanz kann kein Leukocyt mit seinem weichen,
schmiegsamen Körper ezistiren, ohne dass er Fasern umfiiesst. Ob wir ihn noch
Leukocyt, ob wir ihn schon Nervenzelle nennen wollen, ist ein Streit um Worte.
Vielleicht aber leugnet Nissl, dass Leukocyten die Capillaren der Hirnrinde
verlassen, aus den pialen Räumen in die Hirnrinde einwandern? Fast scheint es
so, denn 1894 zeigte er, „dass weisse Blutzellen im gesunden Nervengewebe aus¬
schliesslich nur in dem Blutstrom kreisen und zwar nach Maassgabe der bekannten
Verbaltnisszahlen von rothen und weissen Blutkörperchen.“ Die Zählarbeit hätte
sich Nissl sparen können, denn sie beweist nichts. Ein Minus an Leukocyten
in den Gehirncapillaren könnte man nur erwarten, wenn die Leukocyten noch
auswandem, während das Herz schon still steht. Denn da in dubio das Herz
70 Mal in der Minute frisches Blut nachschiebt, wird 70 Mal in der Minute du
Zablenverhältniss zwischen rothen und weissen Blutkörperchen wieder hergestellt
Oder will Nissl behaupten, im Gehirn verliesse ein Leukocyt niemals die Capil¬
laren? Ehe ihm das Jemand glauben kann, muss er irgend einen verständigen
Grund angeben, der den Leukocyten verhindern sollte, die besonders feinen Hirn-
capillaren zu durchwandern und so eine Fähigkeit auszuüben, die er viel stärkeren
Geweben gegenüber entfaltet. — Soweit das Referat Nissl's sachlichen Boden
verlässt, gehe ich auf dasselbe nicht ein. Dr. P. Kronthal.
V. Personalien.
Unser Behr verehrter Mitarbeiter, Herr Privatdocent Dr. H. Schlesinger (Wien), i*t
zum Prof, extraord. ernannt worden.
Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel»
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 89.
Verlag von Vzn Comp, in Leipzig. — Druck von Mktsosb & Wrrno in Leip*V-
3 dby Google
Register 1902.
L Origmalaufsätze.
Balte
1. Zar L«hre von den initialen Erscheinungen der Paranoia. Bemerkugen von Prof.
A. Pick.*. 2
. 2. Znr diätetischen Behandlung der Epilepsie, von Dr. Schaefer. 5
8. Versuche über Voltaisation. Zum lOOjänrigen Jubiläum der Volta'sohen Entdeckung,
von Dr. Zanietowski.•. ’7
4. Zur Lehre von den periodischen Geistesstörungen, von Dr. E n n e n.50
5. Die Topographie der paralytischen Rindendegeneration und deren Verhältniss zu
Flechsiges Associationsoentren, von Prof. Dr. Karl Schaffer.54
6. Weiteres Aber die asthenische Lähmung, nebst einem ObduotionBbefund(Dr. E. Flatau),
von S. Gold fl am. 97. 154. 208. 252. 808, 847. 890. 447. 490
7. Ueber den Augenreflex oder das Augenphänomen, von Prof. Dr. W. v. Bechterew 107
8. Der Corneo-mandibullarreflex, von Dr. Friedrich von Sölder.111
9. Ein Fall von infantiler Tabes, von Dr. Martin Bloch.118
10. Ueber ErmAdung der Sehnenreflexe und die diagnostische Bedeutung dieses Sym¬
ptoms bei nervösen Erkrankungen, von Prof. W. v. Bechterew.146
11. Der Trigeminus-Focialisreflex und das Weatphal-Pilr'ache Phänomen, von Dr. Hugo
Lukäcz.147
12. Weitere Erfahrungen Aber den Babinski’schen Reflex, von Dr. August Hom-
burger.151
18. Zur pathologischen Anatomie der Tetanie gastrischen Ursprungs, von Priv.-Doc.
G. J. Rossolimo.194
14. Ueber ein neues, der Tetanie verwandtes Krankheitsbild bei chronischer Blei¬
vergiftung, von Hans Haenel.199
15. Die Färbung des Nervensystems mit Magentaroth, von Dr. P. Zosin.207
16. Ein Fall von acuter disseminirter Myelitis oder Encephalomyelitis nach Kohlenoxyd¬
vergiftung mit Uebergang in Heilung, von Dr. med. Alexander Paflski . . . 242
17. Richter und Sachverständige, von Prof. Dr. A. Ho che.290
18. Die Kakodylaäure-Therapie, von Dr. H. Smidt.298
19. Einiges zur Hysterie-Frage. Erwiderung auf Nissl’s Vortrag: „Hysterische Sym¬
ptome bei einfachen SeelenBtörangen,“ von Dr. Raecke.299
20. Kurze Mittheilung Aber eine neue Färbungsmethode des Centralnervensystems, von
Dr. pbil. et med. Hermann von Schrötter.838
21. Ein Fall von autochthoncr Hirnsinusthrombose, von Dr. Good.340
22. Richter und Sachverständiger. Einige Worte der Erklärung von Medicinalrath
Dr. P. Näcke.386
23. Notiz zur Frage der Charakterveränderungen nach Gehirn Verletzungen, von Dr.
M. Friedmann.387
24. Demonstration zur Physiologie des corticalen Sehens, von Prof. E. Hitzig. . . 484
25. Ueber acute cerebellare Ataxie, von Prof. Dr. W. v. Bechterew ...... 485
26. Fehlen der Kniesehnenreflexe bei dorsaler CompressionBmyelitis mit Degeneration
der hinteren Wurzeln im Lendenmark, von M. Bartels.488
27. Ueber centrale Augenmuskelnervenbahnen, von Dr. J. Piltz.482
28. Spinalneuritisohe oder mvonathische MuskelatrophieP Von Dr. Toby Cohn 488. 587
29. Ein neuer Beitrag zur pathologischen Anatomie der amyotrophischen Lateralsklerose,
von Dr. Arthur von 8arbo.530
80. Ueber den directen ventro-lateralen Pyramidenstrang, von Dr. William G. Spiller 584
31. Ueber Kotbbrechen während des Status epilepticus, von Dr. med. H. Götze . . 536
82. Vorläufige Mittheilung zur Pathologie der Tetanie, von Prof. A. Pick . . . . 578
38. Die 8ilberimprägnation der Axencyßnder, von Dr. Max Bielschowsky . . . 579
84. Ueber hystensche Blindheit, von Dr. H. Krön.. 584. 649
86. Ueber subcorticale Entstehung isolirter Muskelkrämpfe. Ein Beitrag zur Klinik der
VierhAgeltumoren nebst Bemerkungen Aber den Verlauf der centralen Haubenbahn,
von Dr. Josef Sorgo. 642. 698. 748. 806
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llöO
S«M*
86. Ueber eine neue Methode der Herstellung feinster histologischer Präparate, ins¬
besondere aus dem Gebiete des Nervensystems mittels Scnüttel- bezw. Schnitt*
centrifogirung. Vorläufige Mittheilung von Dr. med. P. Reich.647
37. Ein ungewöhnlicher Fall von Facialipkrampf (Myokymie, beschränkt auf das Gebiet
des linken Facialis), von Prof. M. Bernhardt.689
38. Ueber Geisteskrankheiten im Gefolge von experimentell erzeugten Autointoxioationen:
Psychosen tbyreopriver Hunde, von F. Blum.695
89. Pupillenträgheit Dei Aecommodation und Convergenz, von Dr. Julius Stras-
burger.768
40. Multiple Neuritis in Verbindung mit Basedowscher Krankheit, von Dr. Theodor
Diller.740
41. RQckenmarksveränderungen in einem Falle alter Unterarmamputation, von Dr.
Ludwig Rosenberg.742
42. Ueber den „Tract X“ in der untersten Cervicalgegend des Rückenmarks, von Dr.
Purves Stewart.747
48. Ueber das Erstsymptom und die Bedeutung der AchilleBsebnenreflexe bei Tabes,
von S. Goldflam.786
44. Zur Casuistik der Epilepsie luetioa, von Dr. J. A. Feinberg.792
45. Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie, von Dr. Hubert Schnitzer . . . 803
46. Ueber einen besonderen Kern der Formatio reticularis in der oberen Brückenregiou,
von Prof. Dr. W. v. Beohterew.835
47. Ueber den Luinbofemoralreflex, von Prof. Dr. W. v. Bechterew.836
48. Ueber myotonische Pupillenbewegung, von Dr. Alfred Saenger.837
49. Der Infraspinatusreflex: ein bisher unbekannter Reflex der oberen Extremität des
Menschen, von Prof. Dr. Steiner.840
60. Weiteres zur Kenntniss des Supraorbitalreflexes, von Dr. D. J. McCarthy. . . 848
51. Ueber die Angst bei der Hysterie und Neurasthenie, von Dr. med. AugustDiehl
845. 890
52. Ueber die Bestimmung des Tastsinns vermittels eines neuen Aesthesiometere, von
J. J. Graham Brown.882
53. Ueber die Beziehungen des unteren Längsbündels zur Schleife und über ein neues
motorisches Stabkranzsvstem, von Priv.-Doc. Dr. H. Schütz.885
54. Ein Fall von Arseniklanmung, von Dr. J. Krön.930
55. Ein Fall von Katatonie im Anschluss an die ernte Menstruation, von Dr. H. Mucha 937
56. Die paradoxe Pupillenreaction und eigene Beobachtung von Verengerung der Pupillen
• Ti _L.U__ J_A_ __n. T AAA 1 Ain 1 AC i
57. Zur Psychologie der motorischen Apraxie, von Prof. A. Pick.994
58. Ueber die sogen. „myotonische" Convergenzträgheit liehtstarrer Pupillen, von Dr.
Nonne.1000
59. Beitrag zur Localisation der cerebralen Hemianästhesie, von Prof. Dr. Karl
Schaffer.1004
60. Ueber die Verschiedenheit der Prognose der Plexus- und Nervenstammlähmungen
der oberen Extremität, von Dr. med. L. Bruns.1042
61. Pupillenträgheit bei Aecommodation und Convergenz oder myotonische Pupillen¬
bewegung? Von Dr. Julius Strasburger.1052
62. Giebt es eine autogenetische Regeneration der Nervenfasern? Ein Beitrag zur
Lehre vom Neuron, von Privatdocent Dr. Egmont Münzer.1090
63. Bemerkungen über Winterkuren im Hochgebirge, von Dr. Benno Laquer. . . 1098
64. Ueber die Bezeichnung „myotonische Pupilenbewegung“, von Dr. Alfred 8aenger 1137
65. Ueber die Beziehungen der Energetik zur Seelenthätigkeit, von Arthur Adler . 1139
66. Der Infraspinatusreflex, von Dr. Wiliam Pickett.1143
67. Entgegnung zu der vorstehenden Zuschrift des Herrn Dr. W. Picket, von Prof.
Dr. Steiner.1148
II. Namenregister.
(Die mit * bezeiebneten Ziffern bedeuten: Litteraturangaben. — Die in Parenthese ein¬
geklammerten Zahlen bedeuten: Bemerkung in der Discussion.)
Abadie: *881.
Abraham: *782.
Delirium tremens bei Mor¬
phinisten 966.
Abramowski: *574.
d’Abundo: Hirnatrophie 543
u. *379. *570.
Achard: Schmerzhafte Fett¬
leibigkeit 44. 475. *571.
Achard: Erweichungsherd im
Hirnschenkel 721.
Adam: *783.
Adamkiewicz -. Gefühlsinter¬
ferenzen 160.
Grosshirnrindenganglien¬
zelle 161. *191. *882 *388.
*575.
Adler: *578. *575.
Adler: Energetik der Ganglien¬
zellen 756.
Energetik u. Seelenthätigkeit
1189.
Adrian: *989.
Adt: *188.
Agostini: *881.
Ahktröm: *573.
Aikin: *781. *1155.
:ed by GOCX^IC
1161
Albarran: *188.
Blasenstörungen bei Sy¬
ringomyelie 1032.
Alber: *191.
Alberg-Schönberg: (377).
Albrand: *1157.
Aldrich: *989. *1155.
Ale68i: Epilepsie 820.
Aleasin: *779.
Aleiander: *380. *573. *574.
*575.
Rheumatische Facialis-
lähmung 985. *991. *1156.
Allard: *380.
AUen Starr: *380. *381. *571.
*778.
d’Allocco: *380.
Alombert: *1155.
Alquier: *1156.
Alsberg: *383. *570. *1153.
Alt: (567).
Einfluss der Kost auf epi¬
leptische Anfälle 715.
(716). *576. *779.
Alter: *576.
Alzheimer: Atypische Para¬
lysen 86. (88). (127). (128).
Seelenstörnngen bei Arterio¬
sklerose 420. (422).
Amabilino: *570.
d’AmatO: *782.
Ambard: *990.
Ammon: *871.
d’Ancona: *190.
Andenino: *574. *1156.
AngioleUa: *383. *783.
Anglade: *379. *383.
Lymphocytose bei Paralyse
u. tubercnlöser Meningitis
725.
Anton: Alkoholismns u. Erb¬
lichkeit 267.
Katatonie 831.
Stirnhirn 918.
Hypertrophie des Gehirns
969. (970). (973). (975).
(978).
Antonini: *384. *781.
Apelt: *573. *779. *1156.
Apert: *380.
Archangelsky: Chloralhydrat
n. Aceton 951.
Armand-Delille: *779. *987.
Hirntumor 1071.
Lrmour: *1153.
Lrmstrong *571.
irnaud: *575.
.rndt: Geschichte der Kata¬
tonie 91 n. *383. *189.
Balkenmangel 707. *780.
rning: (376).
ronsohn: *1153.
ronson: *986. *1152.
G&Ileün-Pärbung 1061.
*on8tam: *383.
•teinofF: Heroin 137.
lohaffenburg: *191.
Associationen 668 n. *575.
*788. (977). (984). *992.
Aschaffenbnrg: Sittlichkeits¬
verbrechen 1081. (1083).
Ascher (Bern): Peripherischer
Nerventonns 980.
Askanazy: *780.
Aspinal: *574.
Asselin: *576.
d’Astros: *779.
Atiee: *782.
Anbinean: Familiäre Krank¬
heit 95. *188. *989.
Auboarg: Cerebrospinalflüssig¬
keit 554.
Aubry: Symptom von Quin-
quaud 268.
Perineuritis u. Lungen-
tuberoulose 526.
Andenino: Epilepsie 820.
Frontallappen 1063.
Audibert: *578. *781.
Familiäre periodische Läh¬
mung 902.
Auerbach: *380. *572. *990.
*1154.
Myasthenie 1027.
Auerton: *383.
Aufrecht: *780.
Autonowski: Anomalien des
Sulcus Rolandi 457.
Axcnfeld: *989. *1153.
Axmann: *992.
Ayres: *383.
Azdmar: Manie 918.
Baas: *572.
Babes: *187.
Pellagra 770.
Babinski: Hemiasynergie 44.
(47).
Pupillenstarre u. Syphilis 76.
Achillesreflex 240. (478).
Babonneix: Cerebrospinal¬
flüssigkeit 555. *1155.
Bach: *780. *988.
Badaloni: *991.
Badger -. 381.
Baedeker: *192. *576.
Baer: *191.
Bagarus: *574.
Bähr, F.: Epilepsie u. Unfall 18.
Bailev: *782.
Baird: *1153.
Baien off: Korsakoff 729.
Krankheit Gogol’s 780.
Baker: *384.
Balacescu: *781.
Bälint: Patellarreflexe bei
Querschnittsmyelitis 166.
Epilepsiebehandlung 827.
Ballance: *576.
Ballet: (478).
Tic deB Gesichts 721. (724).
*780. *987. *989.
Hirntumor 1071.
Bancke-. *782.
Baracz: *573.
Barbour: Sporadischer Creti-
nismus 228. *1155.
Bard: *571. *779.
Barger: *573.
Barlow: *571.
Hirnrindentumor 1070.
Barneff: Congenitale Ophthal¬
moplegie 70.
Barnes: *190. *1156.
Hemiplegie 857.
Barr: *575. *991.
Barratt: *779.
Bartels: Kniereflex bei Com-
pressionsmyelitis 438.
My xosarcom des Schläfen¬
lappens 632. *780. *987.
Barth: *779. *782. *1155.
Barthdlemy: *1156.
Bässler: *989.
Basta: *990.
Bastian: Aphasie 678. *779.
Battelli :Toa durch elektrischen
Strom 1110. *1156.
Batten: Hemiparese mit Atro¬
phie des Tractus opticus
407. *187.
Baucke: *784.
Baudouin: *571.
Bauer: Schläfenlappenabscess
461.
Thomsen’sche Krankheit
772. *989.
Baum-. Alkoholnarcose 399.
Bäumlin: Familiäre Erkran¬
kungen desNervensystems
901.
Bayerbach: (1146).
Bayerthal: Thalamus- u. Stirn-
hirntuuioren 630. (1135).
Bayet: *190.
Bayliss: Hintere Wurzeln 180.
Innervation des Darms 455.
*879. *986.
Bazzicalupo: *382.
v. Bechterew: Bückenmarks¬
systeme u. Entwickelungs¬
methode 10.
Ophthalmoplegie 70.
Bauchreflex (Mittheilung)95.
Augenreflex 107.
Ermüdung der Sehnen reflexe
146 u. *381.
Hirnrinde bei disseminirter
Sklerose 285.
Zuckungen im Schulter¬
gürtel 286.
Syphilis des Centralnerven¬
systems 288.
Cerebellare Ataxie 435. *187
Zwangserbrechen 602. *573.
*574. *778. *780. *1153.
*1154. *1156.
EpilepBia choreica 826.
Kern der Formatio reticu¬
laris 885.
Lumbofemoralreflex 886.
Secretorische Centren der
Yerdauungsdrüsen 850.
Beck: *189.
Becker, Ph. E.: Gliom des
4. Ventrikels 365 u. *880.
/*-
Digitized by GoOgk
1162
Becker, Th.: *991.
Becker, W.: *989.
Beckh: (426).
Beeseau: *990.
Beevor: *780.
Behr: Familienpflege718.*674.
Beifrage: Myxödem 228.
Beliakow: *882.
Bellanova: *1158.
BeUoni: *576.
Belmondo: *575.
Epileptischer Anfall 820.
Benaa: Hypophysis 223.
Akromegalie229 *788.*1155.
Bender: Jackson'sehe Epilepsie
526.
Bendix: *1156.
Benedikt: *187. *888. *779.
*1163.
Benenati: *781.
Benjamins: *381.
Bennecke: Dresdner Qarnison-
lazareth 1083.
Benson: Neuritis 171.
Benvenuti: Ponspathologie411.
Berger: Athetose 927.
v. Bergmann-. *380. *571.
Geheilte Schädelsch&sse
1107.
Bering: *990.
Berkhan: (716).
Berl: Sehbahn n. vordere Zwei¬
hügel 453 u. *878.
Bemann: Syphilis des Central-
nervensystems 77.
Bernhardt: (517). (519). (618).
*189 *381
Facialiskrampf 689. *571.
*989. *1154.
Neoropathologische Be¬
obachtungen 814.
Posthemipleg. Schütteln
1121.
Bernheim: *989.
Bernstein: (184). (138). *879.
(727).
Korsakoff 729.
Epileptiker mit übermässiger
Gelenkbeweglichkeit 729.
*570.
Bertelsmann: (94).
Bethe: 778.
Bettmann: *573. *1155.
de Beule: Hypoglossuskern
162 u. *187.
Beyer: (128).
Bezzola: Psychotherapie 1146.
Bianchini: Herzganglien 261.
*575. *987.
Biatokar: Cerebrospinale Sy¬
philis mit Fieber 78.
Biberbach: (128). (1129).
Bickel: *186. *187. *572. *988.
Biede: (924).
Schilddrüse 925.
Bielschowsky: Silberimpräg-
natiou der Axenoylinder
579 u. *986. *987.
Biffl: Opere oomplete 873.
Bikeles: *188. *570. *1158.
Bühan: *575.
Biller: *382.
Binet: *191.
Binswanger: Progr. Paralyse
322 u. *191. *574.
Retrograde Amnesie 817.
(1083). (1085). (1086).
Biro: *190.
B.ischoff: Erweichung desGyrus
bippooampi 408 u. *879,
572.
Sklerotische Hemisphircn-
atrophie 877. (878).
Chorea senilis 918.
Spinalparalyse 926.
Buohofswerder: *880. *672.
Blachford: *879.
Blachian: N othsuchtsdelicte
im epileptischen Dämmer¬
zustand 19.
Blair: Psychosen u. Glyoos-
urie 274.
de Blasio: *192. *384. *576.
*783.
Bleuler: *576. *783.
Periodischer Wahnsinn 919.
Bloch, E.: *782.
Kohlenoxydvergiftung 965.
*990.
Bloch, J.’: *383.
Bloch, M.-. Infantile Tabes 113
u. 121 u. *881.
Tabische Erkrankung des
Hüftgelenks 321.
Tic oonvulsif 516. (517).
(618).
Böck: (922). (928).
Blum: Erzeugung von Geistes¬
krankheiten 688.
Psychosen thyreopriver
Hunde 695. *989.
Boas: *189.
Bochroch: *572. *780. *1166.
Bocialli: *571.
Bockenheimer: *880.
Boeckel: *572.
Boflgli: *189.
Bogorodizki: Aphasie 140.
Böhmig: Hysterie bei Tele¬
phonistinnen 1085.
Bohn: *990.
Boinet: Athetot Bewegungen
bei Tabes 528 u. 719.
Bonardi: *188.
Bonböffer-. *188. *190. *779.
Motorische Aphasie 1076.
Bonne-. *192. *990.
Bonnemere: *991.
Bonome: Nenroglia 163. *990.
*1156.
Borohert: *572.
Bornträger: Myxödem u. Un¬
fall 224. *189.
Borowikow: Hinterstränge u.
Muskelsinn 65.
Borri: *991.
Borst: Saoraltumor von hirn¬
artigem Bau 552 u. *570.
Bosanyi: *576.
Bose: *574.
Boshieri: *992. *1157.
Botcazo*. *987.
Bottazzi: *186. *986. *1152.
Botti: *992.
Böttiger: (92).
Hautreflexe 168.
Bouohaud: *878.
Bouman: Zwillingsirresein 29.
Dementia senilis 282.
Hirntumor 860. *575.
Boureau: *987.
Bourneville: Myxödem 229.
Alkohol, Idiotie u. Epilepsie
269. *191. *575.
Epilepsie, Hysterie, Idiotie
830. *990.
Mikrocephalie 868.
Bourquin: *880.
Bouveyron: *573.
Bowden: *988.
Bowlby: *987.
Boycott: *378.
Boyd: *570.
Boyer: *675.
Bra: *782.
Blut bei Epilepsie 818 .
Bradshaw: *574.
Rückenmarkslaes 1068.
Bram well: *381.
Achilleereflex 762. *780.
Brancati: *575.
Brandenberg: Tetanie 223 u.
*190.
Brasch, M.: *188. (618).
Bratz: Hereditäre Lues u. Epi¬
lepsie 75.
Trunksucht 271.
Epilepsie 818.
Epileptikeranstalt 830.
Braun: *570.
Braunschweig: Dritte Ge¬
schlecht 1079. *1157.
Braunstein: *188. *780.
Bröcy: *880.
Bregmann: Retrobulbäre Neu¬
ritis u. Hysterie 74.
Kleinhirngesohwülste 463.
*190. *988. *1156.
Brenking: *988.
Brennsohn: *188.
van Brero: *388. *576.
Bresler: *384. *992. *1156.
Bride: *573. *989.
Brie: Eifersuchtswahn 175.
Brieger: *781.
Briquel: *987.
Brissaud: (48).
Lues cerebri 502. *189. *380.
*882. *987.
Syringomyelitische Sklero-
dactylie 719.
Wortblindheit 1075.
Broadbent: *190. *382.
Brockway: *571.
Brodie: *779.
Bronner-. *187.
Brooks: Dystr. muac.progr.51 1.
igilized by Google
1168
Brookabank James: *188.
Brosiu: Irrenpatronate 425.
(426).
Bronwdel: *578. *1165.
BronchanBki: Familienpflege
Oeisteakranker 84.
Brower: *188. *781.
Brown: Aestheeiometer 882.
*989. *1153.
MeniDgomyelitiB 1085.
Browning: *379. *1156.
Bruce-, rrogr. Paralyse 826.
*186.
Rückenmarksbämorrhagie
währendSchwangerschafl
1036.
T. Brücke: *987.
Brückner: *987.
Brügelmann: *187. *1155.
van Brüggen: Myxödem 226.
Brugia: *381. *383. *884.
Pellagra: 758. *991.
Brunazzi: *574.
Brunet: Opiumentziehung 266.
*191.
Brüning: *780. *782.
Chorea 906. *990.
Bruns: Unfallneurosen 416.
Progr. Muskelatrophie 508.
*884.
Segmentdiagnose der
Rückenmarkserkrankungen
548.
Neuropatholog. Demonstra¬
tionen (Kleinhirnabscess,
Hirntumor) 561. (567).
(617). *782.
Plexus- u. Nervenstamm-
lähmungen 1042 u. 1081.
(1084). (1086).
Branton: *575.
Brunzlow: *990.
Brush: *782.
Bucoelli: *990.
Buch: *381. *1155.
Sympathien u. Vagus 664.
Buchholz: Dementia paralyt
711. (714). *1157.
Buckley: Acute hämmorrhag.
Encephalitis 401. *572.
Rückenmarkskrebs 1087.
Büdingen: *992.
Buiclin: *988.
Bull: Mikrocepbalie 513 u.
*187 (path. Anat.). *191.
AugenBtörang u. geistige
Schwäche 869.
Bumm: Ganglion ciliare 423.
Borchard: *189. *882.
Buret: Syphilit. Gingivitis 504.
Bürker: *987.
Borns: *190.
Barr: *190. *573. *988.
Bury: *187. *574. *780.
3arzio: ParalysiB agitans 957.
*991.
Batzke: (184).
3avat: Epilepsie u. Typhus
18. *883. *779.
Buys: *188. *987.
Buzzard: Alkoholneuritis 268.
*189. *781.
Bylsma: *571.
Cabannes-. Congenitale Oph¬
thalmoplegie 70.
Cahen: *191. *574.
Cahn: *881.
Calderonio: *781.
Callum: Acute hämorrhag.
Encephalitis 401.
Camia: *991.
Caminiti: *187.
Campbell: *578. *991.
Camps-Huguening: *380.
du Cane: *779.
Cannon-. Hirndruck nach
Trauma 402 u. *190.
Cantaluppo: *379.
Cantani: Urämische Psychose
273.
Cantley: *187.
Capano: *192.
Capobianco: *570.
Cappelletti: Liquor cerebro¬
spinalis 554. *190. *192,
*576.
Epilepsiebehandlung 829.
Capriati: *189.
LaCara: *191. *1157.
Carazzini: *881.
Carlslaw: Influenza u. Nerven¬
system 264.
Carrier: *1154.
Carriöre: *788.
Carroll: *989.
Carthy: *190. *879. *572. *779.
*782. *1154.
Supraorbitalreflex 848.
Caskey *189. *379.*880.*987.
Casparie: *781.
Casper: *575.
Cassirer: Angiom des Gehirns
32. *572. *988. *989.
Du Castel: *781.
tenCate: *188.
Catöla: Gliom des Plexus
chorioideus des 4. Ven¬
trikels 364. *191. *782.
*1153.
Cattaneo: *572.
Cauzard: *1154.
Cavani: *986.
Cavazzani: *379. *570. *1158.
Cayla: *988.
Ceconi: *882.
Ceni: *186. *190. *574. *779.
*782.
Blutserum Epileptiker 819.
*989
Cerletti: *987.
Cestan: Achondroplasie 95.
Angeborenes Zittern 238.
Oedem bei Hysterie 524.
*190. *880. *572. *988.
Familiäre spastische Para¬
plegie 903.
Syringomyelie 1081.
Die
Cestan: Argyll-Robertson’sches
Zeichen 1068.
Chadzynski 572.
Chalupecky: *574.
Farbiges Hören 1062.
Chanutina: *572.
de la Chapelle: Myxödem 227.
Charpentier: Pupillenstarre u.
Syphilis 76.
Chassy: *881.
Chataloflf: *187.
Chatin: Hemiplegie 858.
Chavanne: Ohr u. Hysterie 597.
Chavigny: *190.
Chelmonsky: *571.
Nervensystem u. Tubercu-
lose 1021.
Chenzinski: *571.
Heilung der Hirnwunden
1108.
Chiari: Glioma cerebri 358 u.
*187.
Chilesotti: Carminfärbung der
Axencylinder 660 u. *570.
Chipault: Epileptische Anfälle
nachSchädelverletzung23.
Tuberculose der Diploö 24.
Trophische Elongations¬
methode 475.
Lumbalpunction 552. *573.
*782.
Jackson’Bche Epilepsie 824.
Chocreaux: Lympnooytose bei
tuberculöser Meningitis
u. Paralyse 725. *571.
Choksy: *573.
Chotzen: *989. *1155.
Christiansen: *1154.
Cimbal: *188.
Cioffi: *382.
Claparöde: Psychologie 284.
Bewusstsein der Thiere 666.
*573. *574.
Clark: *779.
Clarke: Sarcom des Gehirns
861. *188. *781.
Sklerose des Hirns u. Klein¬
hirns 904.
Clörambault: *1157.
Clinch: *878.
Clintock: *572.
Cloitre: *575.
Clopath: *1156.
Clouston: *J83. *991. *1157.
Cochez: *879. *779.
Coenen: *778. *781.
Cohn, H.: *988.
Cohn, R : *572.
Cohn, Toby: Muskelatrophie
488 u. 536. *780. *784.
*989.
Raynaud mit Sklerodermie
515.
Elektrodiagnostik 1119.
(U21).
Colbertaldo: *779.
Cole: *388. *1156.
Colella: *779. *783.
Sprache u. Hirn 1074.
ized by G00gle
1164
Coley: *188.
Colins: *384.
Collier: *380.
Neuritis optica bei Rücken-
marksaffection 1038.
Collina: *190.
Collins: Progressive Muskel¬
atrophie u. Tabes 320.
*380. *382. *779.
Sympathicus 662. *781. *987.
*992.
Collon: *881.
Colucci: *191. *574. *576.
*778.
Comadiui: *782.
Comby: Astasie-Abasie 602.
Comte: Pseudobulbärparalyse
468.
Constantin: *571. *1158.
Coppez: *936. *988.
Cornelius: *987.
Corning: *191.
Cornu: *783.
Coronedi: *781.
Coraini: *990.
Cosma: *781.
DaCosta: *989.
Cotton: Familiäre amaorot.
Idiotie 905.
Cowen: *991.
(Jowies: *7e8.
Cox: *378.
Craobet: Juvenile Hysterie 606.
Crago: Cyste der Stirngegend
357.
Crails: *380.
Cramer: Eigenbeziehung u.
Bcachtungswabn 715.
(716). *571. *574. *783.
Hirntumor 1073.
Crisafulli: *186.
Crispotti: 778.
Cristiaui: *1155. *1157.
Crocq: *572. *780. *991.
Oross: *781.
Crothers: *190.
Cruchet: *382.
Cullerc: *191.
Cumpelik: *990. *1156.
Curry: *992.
Curtin: *881.
Curtis: *989.
Cushing: *570.
Cyon: Producte aus der Schild¬
drüse 218.
Hypophyse 213. *187 *189.
v. Czyhlarz: Amyotrophiache
Lateralsklerose 546. *988.
Daddi: 570.
Physiopathologie des Vagus
950.
Dagouet: Chirurgie bei Geistes¬
kranken 237.
Dahlgren: Hirnabscess 460.
Dale: *187.
Peripherische Enden durch¬
schnittener hinterer Wur¬
zeln 1064.
Dana: *380. *574.
Paralysis agitans u. Sarcom
957. *1155.
Danicek: *1154.
Daniel: *571. *989.
Danilow: 1157.
Dantechakoff: *778.
Acusticusbahn 848.
Davies: *576.
Dawson: *1167.
Debove: *382. *781.
Bleiläbmung 962.
Debrand: *782.
Debray: *188.
Decroly: *991. 1156.
Defranceschi: *571.
Degenkolb: (422).
Kleine Hirngefi8se428.*192.
Dehio: 1155.
Deinhard: *575.
Deiters: *992
Dejeriue: Neuritis im Kindes¬
alter 476.
Rücken m arkskran kheiten
560 u. *572. *778.
Anatomie 878.
Delagenibre: *188.
Dclamare: Nervöse Compli-
cationen bei Gonorrhoe 80.
Delbrück: Trinkeranstalten
270 u. *190.
Delearde: *990.
Delobel: *783.
Demoor: *187.
Trepanation bei jungen
Tbieren 818.
Dench: *779.
Dendrinos: *186.
Dendy: *783.
Denker: Hirnabscess 870.
Deplron: *992.
Dercum: *883. *571. *673.
*780. *783. *991.
Destarao: Torticolis spasmo-
dica 528. *1154.
Determann: Höhenklima im
Winter 559. *576.
Deutsch: Intestinale Auto-
intoxication 264. *578.
Hirnblutleere im Schlaf 756.
Deutschländer: (93).
Devaux: Cerebrales Endo-
theliom 46. *671.
van De venter: (282). (283).
Dewar: Eklampsie 817.
Dewey: *190.
Dexler: Präparationstechnik
354.
Dheur: *788.
Diana: *782.
Diaz-Delgado: *781.
Dide: Cerebrospinale Flüssig¬
keit bei Epilepsie 129.
*779. *987.
Diehl: *189.
Merkfibigkeit 671. *578.
*575. *1156.
Bewusstsein im epilept
Anfall 820.
Diehl: Angst bei Hysterie u.
Neurasthenie 845 u. 890.
Diez: Irrenanstalt Weinsberg
1135.
Diller: *187*. 188. *190. *380.
Multiple Neuritis u. Base¬
dow 740. *779.
Astereognoeis 861. *989.
Kugel im Gehirn 1108.
Dinkler: Prioritätsstreit (Mit¬
theilung) 186.
Myelitis transversa 627.
Diwald: *382.
Dixon: 570.
Döllken: *190.
Domenici: *780.
Dona: *988. *1155.
Donaggio: Fibrillen in Zellen
179. *191. *383.
MacDnnald: LocaliBation psy¬
chischer Functionen €61.
*384.
Donath: Meniire’sche Krank¬
heit 174 u. *191. *379.
*380. *382. 680. *571.
*987. *1154.
Dopter: *187.
Dorendorf: Meningitis syphi¬
litica 503. *1154.
Dörr: *879.
Mac Dongall: *382.
Down: *880.
Myasthenie 1028.
Dräseke: *186.
Drayton: *379.
Drew: Engel im Gehirn 359
u. *379.
Dnbois: *781.
DQcasse: Parasitäre Affection
der Medulla oblong. 466.
Dudgeon: *881.
Dufour: *780. *1153.
Düms: *574.
Dumstrey: *192.
Dunin: *882. *574.
Dunton: *383.
Duprat: *191.
Duprö: (45). .
Cerebrales Endotheliom 46.
*572. *575. *992.
Dupuy-Datemps: *190.
Argyll-Robertson'sches
Zeichen 1068.
Durand: 578.
Durig: *570.
Dusson: *191.
Dziewönski: *987.
Eason: Epilepsiebehandlang
827. „ ,
Ebers: Krampf der Nicken-
und Halsmuskeln 568.
Eberschweiler: *574.
Eckert: *991.
Edel: (688).
Edel. Max: Vergiftung
Höllensteingiftcu 266.
•883. *783.
Edes: Pulsverlangsamungo 64 -
dby Google
1165
Edin: *881. *1157.
Edinger:1 Cerebellum vom
Scyllium oanicala 453.
*189.
Vogelhirn 686. *378. *572.
Edlefeen: *784.
Edsall *781.
Famil. period. Lähmung 904.
Edwards: *572.
r: *778.
flexhyperästhesie bei
Lungentuberculose 900.
Ehrhardt: *781.
Ehrcke: Epilepsiebehandlung
uT«
Ebrnrooth: Trauma und in*
fectiöse Hirnkrankheiten
1109.
Eicbhorst: *571.
Einsler: *781.
Eitelberg: *187.
Agoraphobie 611. *781.
Eider: *880.
Hirntumor 1071.
Elkins: *576.
Ellia: *191. *192.
Elmiger: Neurogliabefundebei
Geisteskranken 13.
Elschnig: *380.
Stauungspapille 925. (926).
*986.
Elzholz-. Senile Demenz 877.
(879).
Delirium tremens 880.
Embden: (91). (93). (376).
*190.
Metallische Nervengifte 961.
Engel: *987.
Engelmann: *379.
Ennen: Periodische Geistes¬
störungen 50.
Erb: Syphilis und TabeB 501,
*379.
Patholog. Anat. der Syphilis
des Centralnervensystems
623.*192.*384.*572.*990.
*1166.
Erben: Tricepsklonus640.*578.
Erdmann: *573.
Ernst: Sehhügel und vordere
Vierhügel 1016.
Eschle: Bett für unreinliche
Geisteskranke 1132.
Eshner: *381. *781.
Eskridge: *379. *382
l'Espine: *574.
Krampfe 815.
Sstöves: Infantile Hemiplegie
und Epilepsie 19. *880.
Ütienne: Nervöse Arthropathie
477. (526).
lulenburg: Akromegalie 710.
(711). *574. *780. *788.
Elektro - therapeutische Me¬
thoden 968.
wald: Magengeschwür 519.
Agge: *986.
Fajersztain: Färbung des
Axencylinders 541. *780.
Myasthenie 1024.
Fairbanks: *991.
Falciola: *384.
Fantino: *880.
Fasola: *378.
Geschmacksinnervation 818.
*987.
Faulds: Hemiplegie mit un¬
willkürlichen Bewegungen
412.
Faure: Leichenzersetzungen in
Hirnrinde 478.
Fauser: Irrenabtheilung des
Bürgerspitals 1144.
Feinberg: *778. 1156.
Epilepsia luetica 792.
Feindei: Tic des Gesichts und
Halses 45. *380.
Ticbehandlung 608 u. 915.
*782. *989.
Psyche bei Tickranken 914.
Feldmann: Acute Geistesstö¬
rung der Trinker 1150.
Fellner: *784.
Ferchland: *782.
Förö: *190. *191. *378. *379.
*571. *788.
Dercum’sche Krankheit 864.
Heredität des Geruchs 900.
Dupuytren bei Geisteskran¬
ken 920. *987. *990. *991.
*992. *1153. *1157.
Töne und Arbeit 1020.
Nervensystem u. Verdauung
1021.
Ferenczi: Kniephänomen wäh¬
rend epilept. Anfälle 19.
Behandlung apoplektischer
Anfälle 413.
Coordinirte und assimilirte
Geisteskrankheiten 865.
Suggestibilität in der Er¬
müdung 1020.
Ferrai: Taubstummheit 416.
Ferrand: *570. *779.
Hemiplegie der Greise 858.
Ferrari : *191.
Ferraris: *189.
Ferrio: *188. *381.
Festa: *782.
Filehne-. *189.
Finok: *572.
Finckb: *383.
Findlay: Periphere Nerven bei
Diabetes 170. *882.
Fink: *781.
Finkelnburg: Hirnerkrankung
im Frühstadium der Sy¬
philis 78. *188. *572. *780.
Finkeistein: *574. *989. *1155.
Finny: *880.
Finzi: Seelenthätigkeiten 759.
Fischer (Prag): Paohymenin-
gitis 981.
Färbung pathologischerGlia-
forraationen 981.
Fischer, B. - - *988.
Fischer, H. : *388. *1156.
Fischer, J.: *573.
Polyneuritis nach Typhus
766.
Fischer, Max: *383. *788.
Fischer, O.: Gliom des Rücken¬
marks 551. *571.
Fischl: *779.
Fisher: Congenitaler Nystag-
mus903.*988.*1153 *1156.
Flatau: *188. *574. *1154.
van Fleet: *382.
Fleger: *988.
Syringomyelie und Haut-
Störungen 1081.
Fleiner: Magengeschwür 519.
Flesoh: Multiple Sklerose nach
Trauma 329. *779.
Fleury: Schlaf 1102.
Flexner: *781.
Familiäre periodische Läh¬
mung 904.
Flora: *572.
Myasthen. Reaction 1028.
Florian: *992.
Flournoy: Hallucinationen bei
einem Staroperirten 26.
Somnambulismus 285 u.
*190.
Foerster: *572.
Follet: *989.
Fontana: *187. *570.
Forcl: *576.
Mania acuta 917.
Forgeot: Hirnblutungen beim
Pferd 860.
Förster: *186. *378. (1081).
Uebungstherapie 1083.
Fortelconi: *190.
Foukhanoff: *186.
Foulerton: *381.
Fournier: *937.
Fraenkel.A.: Akromegalie229.
Fraenkel, E.: (93). (373).
Fragnito: *986.
v. Fragstein: *187. *987.
Francms: Toxische Polyneuri-
ti B 767.
Francesco: *779.
Franyillon: *783.
Dupuytren bei Geisteskran¬
ken 920.
Francine: *782.
Frank: *191. *381. (1131).
Psychotherapie 1146.
Franke: *383. *1158.
Schädel bruch 1107.
Frankel, J.: Sulfonal 688.
v. Frankl-Hoch wart: Gehirn
der Blindmaus 397 u.*878.
(928).
Innervation der Rectal-
sphincteren 399 u. 875.
*570.
Franz: *779. *782.
Fraser: *187.*784.*989.*1158.
Frazier: *189. *1155.
Freeborn: *788.
Freeman: *779.
Digitized by GoOgk
1166
Freidenwald: *190.
Frensel: *191. *788. *991.
Frey: *879. *987.
Freyhan: *788.
Frick: Fieberbehandlung ohne
Alkohol 988.
Friedenthal: *878. *879.
Friedjnng: *988. *990.
Friedlinder, A.: Typhus und
Nervensystem 262. *879.
*571.
Fried mann (Berlin): Exstir¬
pation derHypophysia 222.
Fried mann, M. (Mannheim):
Zwangsvorstellungen 89
n. *191.
Charakterrerinderong und
Hirnverletzung 887. *779.
*781.
Fritsch : *575. *784.
Fröhlich: Innervation derReo-
talsphincteren 899 u. 875.
*189. *570.
Tumor der Hypophyse 926.
Frölich: Chorea 906.
Fry: *780. *1155.
Fuchs: *675. *576.
Remission bei acuten Psy¬
chosen 775.
Neurasthenisches Pulspha-
nomen 979. *988. *991.
isawa: *188.
ton: *572.
Funke: Nervöser Husten 609.
Le Für: *578.
Fürbringer: *191. *788.
Füraronr: *988.
Füret: *187.
Fürstner: (127).
Sensorielle Idiotie 415.(422).
Pseudoparalyse 427. (429).
Hysterische Geistesstörun¬
gen 610.
Vasomotorische Neurosen
629. (1180). (1185).
dabbi: *382.
Galippe: *187.
Gallemaert8: Hereditäre Op¬
ticusatrophie 78. *1153.
Hysteriscne Amaurose 597.
*778. *986.
Gallus: *884.
Ganghofner: *782.
Gannouchkine: *191. *1157.
GanBer-. (1088).
Hysterischer Dämmerzu¬
stand 1087.
Garbini: Ricbefsche Methode
bei Epilepsie 21. *991.
Garnier : *192.*384.*783.*992.
*1157.
Garriguee: Synkope u. locale
Asphyxie 677.
Garten: *778.
Elektrische Erscheinungen
am marklosen Nerven 980.
Gasiorowski: Gandry'sche Kör¬
perchen 766.
Gaskell*. *878.
Gastpar: *576.
Gaule: *570.
Gaupp: Dipsomanie 80 u. 124.
(128). (4281. *576. (1128).
Grenzen psychiatrischer Er¬
kenntnis 1144.
Gauraud: *882.
Gavazseni: Hirnrindensklerose
867
v. Gebhardt: Multiple Sklerose
327.
van Gehuchten: Worttaubheit
672.
Geigel: *188.
Geil erstem *991.
Geill: *990.
Geissler: *779.
Gendre: Jackson’sche Epilep¬
sie 75.
Genzales: *578.
Gerhardt (Strassburg): Kehl¬
kopflähmungen 688.
Gescheit: *574.
Gessner: Springende Mydria-
sis 78.
Ghedini: *988.
Gbon: *779. *987.
Giannelli: *191.
Giannettasio: *570.
Gibney: *780.
Gibson: *989.
Giertsen: *992.
Gilbert: *990.
Gilles de laTourette: Epilepsie
und Trepanation 22.
Gilmour: *388.
Giovanni: *571.
Giss: Cerebrospinalflflssigkeit
554.
Given: *987.
Gläser: Aetiologie der Tabes
818.
Gleim: Schlafkrankheit der
Neger 24.
Glönard: *576.
Glorieux: *188. *882. *780.
Godall: *991.
Goebel: Serumtherapie bei
Basedow 5*2. *781.
Goldbaum: Epilepsia procur-
siva 822. *1156.
Goldberg: *572.
Goldblum: Motorische Aphasie
1076.
Goldenberg: Progressive neu-
ritische Atrophie 769.
Goldflam: Asthenische Läh¬
mung 97. 154. 208. 252.
303. 847. 890. 447. 490
u.*880. *572. *780. *1154.
Achillesreäex bei Tabes 786.
Goldmann: *987.
Goldscheider: *383. *572.
Goldsohmidt: *881.
Goldstein: Rückenmarksloca-
lisation 541. *780. *781.
*986. *988. *1153.
Golucci: *882.
Gompertz: Hirn gewicht S98
u. *878.
Gontscharukowi *578.
Gonzales: *574.
Good: HirasinusthromboeeMO
u. *571.
Gording: *782.
Gordiuer: Kleinhirn tumor 464
Gordon: Patellarreflex bei
Chorea 912. *987. *1157.
Goris: Worttaubheit 672.
Gorschkow-. Geschmackscea-
trum 287 u. 454.
Geruchscentrum 288.
Goasaje: *779.
Gossner: LandrVsohe Paralyse
770. *781.
Gotch: *570.
Götze: Kothbrechen im Status
epileptious 586. *782.
Gowers: *190. *571.
Abiotrophie 758. *780. *782.
Epilepsie 831. *«86. *989.
Myasthenie 1028.
Grabower: *570.
Graefe: *574.
Graham *188.
Grandis: Tastgefühl 662 a.
*570. *986.
Grasset: Hirnkrankheiten 401.
*571.
Gravagna: *881. *574.
del Greco: *888.
Greef. *781.
Griggs: *572.
Grijns: Reaotionszeit 851.
Grinewitsch: *576.
Grohmann: *783. *784.
Groeglick: *990.
Gröne: *189.
Gross: Tabes 820 u. *18$.
*575. *782. *987. *11K.
Grosz: *380. *780. *782.
Functionelle Bulbärparalysc
1026.
Grünbaum: Physiologie de
Hirnrinde bei Affen 21*
Hirnrinde b. Affen 354. *1163.
Grünberger: *574.
Grunow: Poliomyelitis ante¬
rior 507 u. *188.
Gucd: *991.
Gndden: Anatomie des Hin-
Stamms 430. *192. *SH
*576
Gnerrini: *779.
Guibel: *188.
Guidi: *990.
Guillain: Hvster. Stottern
Hysterische Apbaaie 94.
Arterieller Druck bei M»
keiatrophieen 238.
Alkoholismu9 und Compr«
sionslähmung 239.
Charcot - M arie sehe Amye-
trophie 479. *188. *5-
*779.
Familiäre spastische Par»
plegie 903.
Digi
y Google
1167
Guillain: Syringomyelie 1080.
Blasenatörungen bei Syrin¬
gomyelie 1082.
Guillaumin: *990.
Guinon: Tetanie mit Arthro¬
pathie 228.
Guisy: *781.
Guizzetti: Pseudobulbärpara¬
lyse 469.
Chorea 908. *988.
Gumpertz: *189. *884.
Gumplowicz: *992.
Gflrich: *882.
Gassenhauer: *880. *1154.
Gnthrie: Hemiparese mit Atro¬
phie des Tractus opticns
407.
Guttenberg: *189.
Gutzmann: (521).
Banch- and Brnstathmung
522.
Sprache Schwerhöriger 677.
*571. *779. *987. *991.
Sprachstörungen 1104.
MoGuyan: *888.
Gnyot: Traumatische Hysterie
1111.
Habermaas: Prognose der Epi¬
lepsie 20.
Haenel: Syphilis des Central-
nervensystems 77.
Tetanieähnlich. Krankheits¬
bild bei Bleivergiftung
199. (422). *187.
Sensibilität der Haut bei
inneren Krankheiten 594.
*574.
Hemiathetose 855. (974).
(978). (984). (1081).
Neuronenfrage 1084. (1085).
Haffner (94).
Hagedorn: *578.
Lao dry* sehe Paralyse 769.
Hagelstam: Intermittirendes
Hinken 768.
Hahn, E.: (621).
Hahn, R.: Empfindlichkeit des
Mundraums 592. *780.
Haig: Harnsäure bei Ent¬
stehung von Krankheiten
275 u. *187.
Haike *571.
▼. Halban: Juvenile Tabes 321
u. *188. *575.
Halbey: Stauungsneuritis bei
Hirnblutung 408.
Haie: *188.
Haley: *189. *381.
Hall: Mongolismus 224. *781.
Halliburton: *779.
Halmi: Epilepsiebehandlung
829.
Haltenhoff: *573. *1156.
Hamm erschlag: AbsceBs im
Schläfenlappen 689.*1158.
Hardenberg: Degeneration 24.
lare: *782.
Harland: *987.
v. Harlingen *881.
Hartenberg: Hysterischer
Jackson 598. *989.
Hartford: *882.
Hartmann: *78u. *988.
Hartogh: *189.
Haskovec: Postotätische Hirn-
affectionen 367.
Akathisie 956. *189. *882.
*781.
Haslet: *191.
Haug: *571. *990.
Hauser: Myelitis syphilitica
526 *188.*189.*988 *1154.
Syringomyelie 1032.
Haushälter: *781. *987.
Hawthome: *879. *779.
Intracranielle Thrombose
860.
Hayashi: *190.
Hebold: Epilepsie 818.
Hecker: (1146).
Hegar: *991.
Heiberg: *575.
Heil: *189.
Heilbronner: Pathologische
Rauschzustände 272.
Heim: *192.
Heitz: Jackson’sohe Epilepsie
526. *198. *988. *990.
Helbich: *784.
Heller: *883. *779.
Hellich: Bau des Rückenmarks
810.
Neurome des Rückenmarks
1088.
Hellmer: *992.
Hellpach *991.
Hemptenmacber: Diabetes
mellitus syphiliticus 504
u. *190.
Hengge: *575.
Henneberg: Fibromatose des
Nervensystems 38.
Lues spinalis 385.
Hirntumor und Tabopara-
lyse 518.
Spiritismus 774. *988.( 1124).
Hensen: *571. *572.
Bulbärparalyse bei Sarco-
matose 1022.
Hepner: *192.
Herbart: *992.
Hering: Centripetale Ataxie
640. *378.
Hermann: *987. *1156.
Hermann: Mdniöre'sche
Krankheit 173.
Herschell: *382.
Hertoghe: Myxödem 226.*381.
Herz: *989.
Herzfeld: Rhinogener Stirn-
lappenabscess 459. *188.
Herzog: *990.
Hess: *888. *575. *783.
Yohimbin 967.
Hysterisches Irresein 1149.
Heubner: Hirnarterienlues 502.
*1153.
Hevoroch: Stereoagnosie 955.
Hevesi: Epilepsie 827.
Hezel: Infantile centrale Facia-
lislähmung 520.
Higier: Sch weise bei Polio¬
myelitis anterior 507 u.
*188. *578.
Hysterie u. N eurasthenie 593.
Spontane Gangrän 1022.
Hilgermann: *881.
Hingston: *572,
Hinshelwood: *879.
Hirsch. G.: *987.
Hirschberg, J.: Papillenbewe¬
gung bei Sennervenent-
zünaung 68 u. *189. *988.
Hiroohbruoh: *881.
Hirschfeld, M.: Jahrbuch für
sexuelle Zwischenstufen
881. *188. *189. *1154.
Hirschkron *189.
Hirschl: *578.
Osteomalacie bei Myxödem
878 u. 879.
Hirt: *572. *1155.
Hitzig: Corticales Sehen 422
u. 434. (423). (429). *878.
*571. *778.
Gehirn 895. *986. (1081).
(1088). (1086). *1153.
Hoche: Richter und Sachver¬
ständige 290. *384.
Statistisches Material 426.
*575.
Epilepsie und Hysterie 626.
Freiheit des Willens 761 u.
*782.
Hödlmoeer: Arthropathie bei
Syringomyelie 81.
Myasthenie 1027.
Hoeflmayr: *188. *189.
Neurasthenie 596.
Beschäftigungsneuritis 767.
Hoff: *571.
Hoffer: *780.
Hoffmann, A.: Acute Erweite¬
rung des normalenHerzens
523.
Neuritis hypertrophica 56
Tio convulsif 567.
Facialiskrampf 567. *188.
Hoffmann, E.: Meningitis
syphilitica praecox 78. *879.
Holtmann, E. A.: *881.
Hoffmann, H.: *671.
Hofmann: *378. *380.
Kampher bei Morphium¬
entziehung 966. *f90.
Holl: *378.
Holländer: Psychische Hirn¬
functionen 515.
Hollms: *192.
Holmgren: *187.
Holmsen: Rückenmarkssarkom
552.
Hölscher: Sohläfenlappenabs-
cess 462. *881. *987.
Holst: *989.
Holth: Hysterische 608.
Digitized by GoOgk
1168
Homburger: Babinski’seher
Reflex 151 u. *381.
Homön: Schnltze’sche Comma
314.
Deformationen der Schädel¬
basis 414. *1158.
Honig: *782.
Höniger: StirnhirngeschwüUte
357.
van Hook: *781.
Hoppe: Psychosen nach Blei-
intoxication 278.
Alkohol 277. *388. *575.
*576. *781. *783. *784.
*1154.
Dormiol bei Epilepsie 827.
Aerzte an öffentlichen Irren¬
anstalten 920. (1085).
Hoorweg: *986. *987.
Horsley: *879.
Haber: *186. Neuroglia 950.
Hachzerraeyer: *780.
Hudels: *189.
Hadovernig: *188. *381.
Supraorbitalreflex 1040.
Hnet: -880. *572.
Syringomyelie 1081.
Hnismans: *188. 988. *989.
Syringomyelie nach Lnes
1031.
Halst: *575.
Hunter: *188. *780.
Hüppe: (988).
Hurd: *783.
Huth: *990.
Huwald: *571.
Hyslop: *191.
Ide: Nordseeklima 607.
Idelsohn: *190. *572.
llberg: Centralnervensystem
eines syphilit Kindes 67.
Qeisteskranke Brandstifter
1039. (1084). *1153.
Illing: *572.
Imamura-. *378.
Plexus chorioideus 754.
Imura: *991.
Othaematom 1119.
Infeld: Kinderpsycbosen 470.
*575. *779.
Schlaffe Paraplegie 878.
Infroit: Achondroplasie 95.
Invara: *572.
Ippen: *192.
Itazu: *991.
Iwanoff: Symmetrische Exo¬
stosen 131.
Hydromyelie 183.
Verminderte Zurechnungs¬
fähigkeit 738.
Jackson: *572. *782. *1156.
Krämpfe 822.
Jacob: Duralinfusion520.*190.
*382.
Jacobsohn: Mikroskopische
Präparate 1122.
Jacoby: Myasthenie 1026.
I Jaeger-. *188.
I Jaöll: *991.
I Jaenicke: *574.
Töne u. Arbeit 1020.
Jaffe: *780. *781.
! Jahrmärker: Zwangsvorstel¬
lungen 611.
i Jakowenko: (40).
v. Jakseh: Nervöse Affectionen
! im Manganbetrieb 978.
(974).
i Janet: *989.
Janischewsky: Durchschnei¬
dung des Corpus oollosum
j 278.
; Janowsky: Neuritis arseni-
calis 968. *990.
; Jan sch-. *571.
i Jansky: Aphatische Demenz I
1106.
Jansseh: *781.
Japha: (1121).
| Jardine-. Eklampsie 817.
Jarvis: *188.
Jastrowitz: (687). (688). I
v. Jauregg: *575. *781. *1158. i
' Jeandelize: *781.
Jeauselme: *573.
, Jelgersma: (282).
, Balkenlose Hemisphäre 284. I
i *780. I
Jellinek: Elektricitätu.Chloro- j
formnarcose 964.
Blitzschlag 1111. *1153. I
I Jemma: *190.
i Jendrassik:*189.*1158.*1155. i
1 Neura8theni8che Neural-
gieeu 596.
Jentsch-. Laune 760 u. *782.
I Jery: Traumatische Hysterie
| 1111 .
| Jessen: *189, *382.
Starkstromverletzungen
1109.
j Joffroy: (239). (525). *575.
Johnson: *991.
i Jokarsky: (134).
Jolly: Kopftetanus mit Facia-
1 lislähmung 122. (124).
( Rtickenmarkserkrankung
nach Wirbelverletzung
I 334. (423). (427). (428).
(429).
Paralysis agitans 518. (519).
(619).
Rückenmarkstumor 619.
(709). *571. *574. (1122).
*1155.
Jones: Alkoholneuritis 269.
! *189. *571. *575. *990.
*1155. 1156. *1158.
Jores: *779.
Blutgefässe im Gebiet durch¬
schnittener Nerven 850 u.
1063.
Joseph: *574.
Josipovici: *572.
Joteyko: Anaesthetioa 179. i
Reaction des Muskels u. |
Nerven 180. *383. *570.
*986.
Joukowski: *987.
Joukowsky: Hemianopsie 1074.
Jouve: *780.
Juliusburger: Färbemethode
688. *783.
Jürgens: *190.
Joschenko: *991. *1157.
Juselius: Chiasmaläsion 229.
Just (98).
Kaes: (93). (713). *575. *778.
*783. *991. *1167.
Kaijser: Beri-Beri 112.
Hirntumor 358.
Kaiser: *189. *882.*574.*575.
Kal bäum: *991.
Kalischer: (121). (618). *575.
Tetanie 1120. (1121).
Kalmar: *674.
Kalmus: *191. *1157.
Irren pflege in Böhmen 97S.
Kaplan: Unterricht des Pflege¬
personals 558. *384. *570.
Nervenfärbnngen 1061.
Kaposi: *379.
Karpinsky: Schlaflosigkeit 286.
Karplus: Aneurysmen der ba¬
salen Hirnarterien 413 n.
*879. *573.
Karsch: *991.
Karwacki: Bechterew’sehe
Mittel bei Epilepsie 22.
*380.
Kassowitz -. Alkoholismos im
Kindesalter 268. *574.
*781. *989. *1155.
Nahrung u. Gift 983.
Katte: *991.
Kattwinkel: Balken nach cor-
ticalen Läsionen 162 o.
*187.
Katzenstein: *988. *1155.
Kausch: Sehnenreflexe bei
Rückenmarks«) oerläsion
165. *879.
Congenitale Hochstand der
Scapula 1102.
Kawka: (877). _
Kedzior: Hysterie mit Hyper-
hidrosis 596. *880.
Keen • *780.
Keller, R.: Verletzung in der
Gegend der unteren Oliven
bei Katze 11.
Keller, Fr.: Bergsteigeknren
607 u. *192.
Kekulö v. Stradonitz: *575.
Kellner: *190.
Kellogg: *191.
Keraval: *783.
Kienböck: *190. *380.
Traumatische Syringomyeüe
1033.
Kiernan: *879.
Kiesow: *187. .
Empfindlichkeit des Mund-
raumes 592.
GoogI<
1169
Kingsbury: *189.
Kiroh: *882.
Kirchhof?: *570.
Mimisches Centrum im Seh¬
hügel 898. *992.
Kirilzeff: Osteoarthropathie
731.
Kirkbride: *189.
Kirsch: *991.
Kirsch bäum: Poliomyelitis
anterior 509.
Kisch: *782.
Klatt: *992.
Klausner: Aetiologie der mul¬
tiplen Sklerose 880.
Klingmüller: *989. *1155.
Klippel: *188.
Klage: Hydranencephalie 955.
*987.
Knapp*. Hemianopsie bei
Eklampsie 817.
Kneidl*. *783.
Knope: Motorische Kerne spi¬
naler Nerven 499.
Knotz: Pseudobulbärparalyse
470. *188. *574.
Koch: Fibrom atose des Nerven¬
systems 33.
Thomsen'sche Krankheit
771. *988.
Kocher: Encyklopädie der
Chirurgie 831. *190. *192.
*381.
Hirnerschütterung 685.
Kodis*. *185.
Koelichen*. *188. *1155.
v. Koelliker: Nervenzellenkern
im Rückenmark der Vögel
353 u. *186.
Koenig: *188.
Cerebr. Kinderlähmung 863.
Köhler: *572. *780. *783.
Fracturen bei Syringomyelie
1085.
Kohlbrugge: *778. *986.
Kohnstaram*. *380.
Nudeus salivatorius 848.
Kleinhirnphysiologie 456.
Speichelsecretion 521. *570.
*778.
Sensible Endnerven 1102.
Kohta: *187.
Kolb: Baa von Irrenanstalten
660. *384. *576. *1157.
Kollarits: *380. *572.
Kölpin: Inducirte Psychosen
472 a. *383. 782.
Kolster: Vorderhornzellen 258
u. *187.
KönigshöfFer: *989.
Konstantinowsky: (134).
KopezyAslti: Syringom. 1186.
Lues cerebri 601. *782. *987.
Koplik: Cretinismus 869.
Köppen: Aberglauben n.
Geisteskrankheiten 1039.
Koppius: *189.
CoppiuB: Erythromelalgie 677.
Lorczyüski: *576.
Körner: *571. *989.
Kornfeld: Angst 611. *578.
*576. *1157.
I Korniloff: (87). (41). (42). (136).
Koreakoff: 729.
Korzou: Polyneuritis nach
Arsenvergiftung 962.
Kouindjy *384. *576. *784.
Kosaka: Secundäre Degenera¬
tion nach Zerstörung des
Grosshims 355 u. *187
Köster: Akromegalie 232.*186.
Astasie-Abasie 602. *574.
*778. *990. *1157.
Chorea 907.
Bleilähmung 959.
Kotelewski: Kern des oberen
Farialisastes 160.
Kotschetko wa: Mikrogyrie 400.
Kovalevsky: *881. *882. *781.
*1157.
v. Krafft-Ebing: *381. *576.
*1156.
Myoolonische Krämpfe 875.
Epilept Irresein 877. (984).
Entmündigung 985.
Krainsky: Epilepsie 16u. *190.
Krajewsky: *576.
Kramer: *881. *1166.
Polyneuritis 768.
Kräpelin: (88).
WachabtheUungen der
Heidelberger Irrenklinik
126 u. *192. (128).
Arbeitscurve 689. (1149).
*1165.
Krause, F.: Rückenmarksge¬
schwülste 549. (621). *884.
Krause, P.-. *989. *990.
Krausa: Vererbung von
Geisteskrankheiten 1147.
Krehl: *781. *989. (1146).
Kreide: *575.
Kretschmann: *989.
I Kreuser: (1128).
Kreusser: (128).
| Krim: Epilepsie 821.
Krön, H.: Hysterische Blind¬
heit 31. 584 u. 649. *989.
Krön, J.: Arseniklähmung 980.
*988. *1156.
Kronsbein: Sprache u. Schrift
1108. *1153.
Kronthal: *778.
Mittheilungen 1168.
Krueger: *378.
Wiederkauen 1102.
Krug: *782.
Kuffner: *571.
Alexie 1105.
Aphatische Demenz 1106.
Kuh: *188. *881.
Kuhn: *190.
Kühn: *888. *988.
Kümtnell: (875).
Kundt: *782. *990.
Kure: Neurologia 882. *987.
Glia u. Gefässe 1017.
Kurnig: *191.
Digitiz
Kutta: *989.
Kyle: *191.
Iiadame: *879.
Aphasie 678.
Laehr (516). *884.
L ^sceaB S 4 C 62 af *675 PP *n57.
Classification in Psychia¬
trie 1088.
Laignel-La vastine: Leichen¬
zersetzungen in Hirnrinde
478. *189. *880.
Lalanne: *991.
Lambranzi: *992.
Lampsakow: *576.
Lane: *991.
Langdon: *190. *1166.
Langer: *987. *992.
Langley: Nebennierenextract
222 . .
Nervenendigungen 811.
Lannois: (240). *189. *881.
Lansdown: Sarconn des Ge¬
hirns 361.
Lapersonne: *571.
Lapointe: *188.
Laporito: *992.
Laquer, B.: Winterkuren im
Hochgebirge 1098. *1156.
Laquer (Frankfurt): Schwach¬
sinn in den ersten Schul¬
jahren 558 u. 1115.
Therapeutische Verwendung
des elektrischen Lichtes
613. *782. *1157.
Laqueriöre: *788. *1155.
Laqueur: *882.
Larger-. Geburtslage Degene-
rirter 870.
Lamelle: *991.
Laschi: *576. *992.
Laslett: *571.
Lasursky: Muskelbewegung u.
Blutcirculation 288.
Latzko: Osteomalacie bei
Basedow 880.
Laubry: Schmerzhafte Fett¬
leibigkeit 44 u. 475. *671.
Laudenheimer: Sexuelle
Zwangsvorstellung beim
Kind 1147.
Laurens: Myxödem 229.
Laurie: Kugel im Hirn 1109.
Lawdowsky: *570. *778.
Lazarus: Bahnungstherapie
der Hemiplegie 520. *880.
*779. *780.
Lebovid: *574.
Lecöne: *379.
Leegard: Poliomyelitis anterior
acuta 505.
Legraü: *574.
Lenoiann: *992.
Leik: Hysterie der Kinder
606. *781.
Leith: Hirntumor 1071.
Lemaitre: *991.
Lemberger: *574.'
74
y Google
1170
Lemoine: *992.
Lenhartz: (378).
Lennander: *779.
Lenoble: Familiäre Krankheit
95. *188. *989.
Lenzmann: (988).
de Ldon-. *189.
Leonardo: *788.
v. Leonowa: Cyciopie 972.
(975).
Leppmann: *884.
Lerch: *988.
Ldri: *780.
Leroy: *189.
Leebre: Hirnblatangen beim
Pferd 860.
v. Leobe: (524).
Diagnose der inneren Krank¬
heiten 872.
Leven: *881.
Stichverletzung des Gehirns
1150.
Levi: *780.
8tichverletzung 1150.
Ldri: Myopathieen 526.
Erweichangsherd im Hirn¬
schenkel 721. *571.
Levinsohn: *186. *189. *780.
Levis: Entmnndignng Geistes¬
kranker 118.
L4vy: Luetische Jackson-
Epilepsie 1067.
Levy: *570. *571. *782.
Lewis Allen: *780.
Lewkowicz: *571.
Lezer: *881.
Ley: *383.
Lhotak: *781.
Physiolog.Contractar 898.
Lichtenstein: Cretinismas 869.
Liebmann: Spraohe geistig zu¬
rückgebliebener Kinder
676.
Spraohe schwerhöriger
Kinder 676.
Agram matismas 868.
Liefmann: *572.
Myasthenie 1025.
Liepelt: *989.
Liepmann: Apraxie 614. (617).
*379.
Seelenblindheit 686 (887).
Lilienfeld: *1157.
Lilienstein: (972).
Lindemann: *576 *989. *992.
Linden: Hirnabscess 867.
Link: Myasthenie 688.
Linke: *578. *783.
Lion: *190.
Lipljawski: *190.
Ross. med. Rundschau 1080.
Lipps: *191. *575.
Lithgow: *880.
Litterski: *782. *992.
Ljnbnschin: Vordereeitenstr.
des Rückenmarks 184.
Paralyse u. Hysterie 725.
Neuroglia 782.
Lloyd: *380.
i Loeser: *781.
Loewenfeld: *781.
Loewenthal (Braansohweig)
(667). *1168.
Lohrisch: Posttraamatische Er¬
krankungen des Rücken¬
markes 545.
Lombroso: *192. *384. *574.
*576.
Epilepsie 820. *992.
Lomonaoo: Hypophysis 219.
Londe: *189. *989.*991.*U55.
Long: 880.
Myasthenie 1027.
Longard: Geisteskrankheiten
beiGefangenen 175u.*191.
Longworth: *987.
Lopatin: Korsakoff 729.
Lorenz: *381. *1157.
Lortat-Jaoob: *189. *1155.
Lovelace: *576.
Loveland: *571.
Löwenfeld: Luftkuren 606.
Löwenlhal: Objeotive Sym¬
ptome der Neurasthenie
979. *1155.
Lowinsky: *574.
Loy-Murgia: *191.
Lübcke: *573.
Lucatello: *189.
Luce: Thomsen’sche Krank¬
heit 430.
Lückerath: Cbloralhydratver-
giftung 266 u. * 190. *1157.
Ludwig: Hessische Provinzial*
siechenanstalten 30. *388.
Lugaro: *883. *570.
Lugiato: *992. *1157.
Lukäcz: Trigeminus-Facialis-
reflex 147 u. *189 u. *381.
*674.
Diplegia facialis hysterica
601.
Encephalopathia infantilis
606.
de Luna-. *578.
Lundborg: Syringomyelie 81.
*574. *783. *989. *1157.
Paralysis agltans u. Myx¬
ödem 958.
Zwangsvorstellungen 1117.
Lundmark: Hirnabscess 870.
Lunz: Psammom des Gross-
hinis 40 u.*671.
Lflth: Hereditäre Lues u.
Epilepsie 75.
Luther: *574.
Laxenburg: Hirntumor 1186.
di Luzenberger: Epilepsie u.
Syphilis 76. *191. *384.
Lnzsatto: *573.
Lydston: Unwillkürlicher
Urinabgang bei Kindern
604. *989.
Lyonne: *380.
HaasB: Exstirpation der Hypo-
r is 222. (711.)
*881.
Mabit: *990.
Macdonald: *191. *378.
Macilwaine: *781.
Maointyre-, *992. *1157.
MacmiUan: *992.
Macpherson: *191.
Madden: *384.
Maepherson: *575.
Mager: Vasomotorische
Störungen 678.
Magill: *782.
Magnus: Hirntumor 359. *781.
*1158.
Magnus-Levy: *572. *1154.
Magri: *578. *781.
Magruder: *781
Mahaim: Progressive Paralyse
824 u. *191.
Mahler: Thomsen'sche Krank¬
heit 639 u. 772.
Mainzer: *878. *784. *1158.
Majewski: Gehirn eines Epi¬
leptikers 139.
Malfatti: *189.
Mailet: 779.
Mamlock: Kniereflexe 319.
Mann: *380. *1154.
Mannini: *990. *1156.
Marandon de Montyel: *189.
*191. *381. *575. *782.
*1157.
Marburg: Bulbus olüactoriu
des Meerschweinchens 258
u. *878.
Spinalganglien 315 u. *379
u. 985.
Amyotrophiscbe Lateral-
sklerose 546 u. 879. *570.
*779.
Endarteriitis der Hirngefiele
856. *988.
Pathologie der Hirngefässe
978.
Marchetti: *781.
Marcus: *991. *1157.
Marcuse: *381.
Landry’sche Paralyse 769.
*784. *990.
Marengbi: *187. *779.
OpticuBdurcbtrennung 811
Marfan-. Cocainomaxiie 867.
Margulies-. Friedreich’sehe
Ataxie 822. *18».
Teratom der Hypophyse 927.
Mari: *779.
Mariani: *192. *383. *781.
*992.
Marie'- Epilepsie und Typhus
18. (43). (46).
Spasmus der Augenbewe¬
gungen nach oben 46.
Myopathie 239 u.*380. *571.
*572. *779. *782. *1157.
Etat lacunaire des Gehirn
857.
X rina: Ganglion ciliare 317
u. *187 u. 661.
Pupillenreaction bei Conrer
genz 980.
Digitized by GoOgk
Marinewo: *570. *571.
Infantile Hemiplegie 688.
Spinale Localisation 970.
(974) *989.
Markiewicz *188.
Marlow: *571.
Marston: *780.
Martin: *992.
de Martiin-. *190.
Marx: *990.
Mary: *992.
Masaryk: Alkohol 267.
Masetti: *571.
Masi: *384.
Masoin: *574. *575.
Maasini: *781.
Mastri: *882. *781.
Mathia: *189. *880. *881. *573.
Matile: *380.
Matyäs: *987
MaupaW: *191. *883. *575.
*783.
May: Nervöee Störungen bei
Keuchhuaten 265. *779.
Umkehr derZuokungBformel
849.
Mayer: *188. *190. *570.
Mayet: *780.
Mayor: *192.
Maya: *381.
Mazorkiewicz: Geberden-
aphasie 1105.
Mazzioni: *781.
Medea: Stokes-Adams’sohe
Krankheit 1065.
Meeua: *575. *991. *1157.
Mefodiew: Heterotopien des
Rückenmarks 141.
Meige: Tic des Gesichts und
Halses 45. *381. *388.
Heilung des Tic 608. (721)
Tic 724. *782.
Psyche bei Tickranken 914.
Tic und Function 914.
Tic nnd Schrift 915.
Ticbehandlung 915.
Meinong: *575
Meitzner: 384.
Melnikoff: (180).
Meitzer: *576.
Melzi: *573.
Mendel, E.: Geisteskrankheit
oder -schwache? 681.
(711). *783. *992.
Mendel, F,: *576.
Kakodylsaures Natron 967.
Mendel, Kort: Rückenmarks¬
erkrankung nach Unfall
329 n. *382.
Infant. Myxödem 619. *1157.
Mendelssohn: *888.
fense: Schlafsucht der Neger
24.
dreier: *187. *888.
[ering; Recidivirende Oculo¬
motoriuslähmung 148.
ferkens: Intracranielle Com*
plioacionen der Mittelohr¬
eiterung’ 866.
— 1171 —
Merkens: Sprache beiSchläfen-
lappenabscess 460.
Merklen: *571.
M4ry: Cerebroapinalflüssigkeit
555.
Mersbach: *991.
Merzbacher: Bewegungen der
Wirbelthiere 818 u. *187.
Meschede: Gruppirung der
Psychosen 976.
Mettler: *781.
Metiner: *987.
Meunier: *780.
Mewius: *192.
Meyer, E.: Puerperalpsychosen
471. *576. *990. *992.
Meyer, G.: *191.
Graphologie 665.
Meyer, Hans: Alkoholnarcose
399. *882.
Meyer, L: *888.
Meyer, Semi: Eisenimnräg?-
nation der Neuronbnilen
811 u. *878.
Meyerhof: *881.
Meyers: Akromegalie 231.
Meyeretein: *988
Mezincösen: *573.
Miohailow: *788. *1157.
v. Michel: *380.
Mignot: *991.
Worttaubheit 1104.
Miles: Hirntumor 1071.
Milian: *780. *988.
Millioud: *991.
Mills: Hirnrinde und Sensibili¬
tät 217. *188. *380. *571
*1153. *1154.
Mine: *987.
Mingazzini: *188. *574. *779.
*988. *1154. *1157.
Aphasie 1104.
van der Minne: *989-
Minor: (36).
Nerventherapie 180.
Grosshirnhernie 184.
Centrale Blutungen im
Rückenmark 184. (186).
*571.
Hämatomyelie 710. (734).
Hemispasmus glosso-labialis
1069.
Minot: *186.
Miralliö: *782.
M islawaky: I werchfellnerven
179.
Mitchell: *380. *780. *781
*782.
Familiäre periodische Läh¬
mungen 904.
Miura: Neurologia 882. *988.
Möbius: *879. *380. *1158.
Patholog. bei Nietzsche 967.
Modica: Frontallappen 1068.
Moeli: Anstaltsbehandlung der
Alkoholisten 270. *780
*990. (10821.
Mohr: Sehnenpnänomen an
oberen Extremitäten 165.
Digiti
Möhring: *189.
Moll: *576
Möller: Möniöre’sche Krank¬
heit 178. *192.
Möllers: *190.
Moltschanoff: Cysticercus des
Grosshirns 41
Monakow: Fissura oalcarina
685.
Mönekelberg: (94).
Mondio: *188. *882.
Mongery: *187.
Mönkemöller: Combinirte
Psychosen 88. *883. *788.
Deckung eines Erinnerungs-
Defectes durch Halluci-
nationen 1117.
Monro: Multiple Sklerose 327,
Hemiplegie mit unwillkür-
Bewegungen 412.
Monti: *187. *572. *988. *989.
Moravosik: Frühsymptome der
Paralyse 825 u. *191.
Morax: *782.
Mörchen: Dämmerzustände
474 u. *190.
Morell: *380.
Mosse: Silberimprägnation
497 u. *186.
Mott: *879. *1153.
Allgemeine Pathologie 1080.
Moulton: *190.
Moussons: Krämpfe 815.
Chorea 911.
Moyer: *190.
Mucha: Katatonie nach Men¬
struation 937. *1157.
Mügge: *572.
Muggia: *571.
Mühlmann: *186.
Müller, August: Periodische
Katatonieen 25.
Müller, F. C.: *187. *571.
Müller, Jos.: *783.
Müller, Julius: Trophoneuro-
tische Hautgangrän 521.
Müller, L.R.: Unterer Rücken¬
markabschnitt 66.
Innervation der Blase 456
u. *187.
Müller, O.: *578.
Müller, Richard: Otitisoher
Hirnabscess 369. *382.
Munk, H,: Sinnessphären in der
Grosshirnrinae 216 u.*l 78.
Münsterberg: Psychologie 851.
Munter: *780.
Münzer: Neuron 971.
Hirn des Kaninchens 975.
Neuronlehre 1090. *1152.
v. Muralt: Nervensystem eines
Hemicephalen 592.
Muratoff: (41). (130). Progr.
Paralyse und Syphilis
182 (182). (184). (727).
(728). (788). (777). *779.
Murawjeff: Nervenstumpfnach
Durchschneidung 37.
(137). (727). (777).
74*
:ed by G00gle
1172
Morayama; *987.
Muriaier: *574.
Murray: *987.
Marti: Conjngirte Deviation
des Kopfes and der Angea
408. *574. *1154.
Maskat: Hysterische Skoliose
600.
Muskens! (282) Läsionen des
Kleinhirns 288.
Intracranieller Druck 402.
*1154.
Matterer: *781.
Mygind: *578.
Saab: *782.
Nicke: Plötzliche Aufhellung
des Geistes 84.
Richter and Sachverstän¬
diger 886.
Unterbringung geisteskran¬
ker Verbrecher 681. *888.
*884. *675. *788. *1157.
Innere somatische Ent-
artangsseiohen 870.
Nagel: *191. *781.
Nalbandoff: Scoliose bei Syrin¬
gomyelie 1083.
Nardi: *779.
Nartowski: Gangrän auf lue¬
tischer Basis 80.
Thomsen'sche Krankheit
771.
Nathan: *382.
zur Nedden; *989.
Nefedow: 187. *189.
Negro: Paralysis agitans 956.
Neisser: *384.
Periodische Psychosen 919
u. 922. (921) (986). *991.
*1155.
Nömeth: Simaliren von Geistes¬
krankheiten 870.
Neubauer: Osmiumsehwär-
sang 981.
Neubeck: *990.
Neubörger: *781.
Neuda: Dupnytren’sche Con-
tractur 763.
Neugebauer: *780. *991.
Nenmann, E.: *186.
Neumann, H.: *990.
Neomann, M.: *192.
Neumann, S.: *784.
Neumann: (Karlsruhe) Volks-
heilstätten für Nerven¬
kranke 1126. (1130).
Neutra: *189.
Nevt: *781.
Newmann: *987.
Newratzki: *992.
Nicoll: *780. *988.
Nissen: Tumoren der Vier¬
hügelgegend 862. *188
Nissl: Hysterische Symptome
bei einfachen Seelen¬
störungen 89 o. *882.
Glia nnd Gefässapparat638.
Progressive Paralyse 1151.
Nistieo: *987.
Nitsche: *779.
Noguös: *990.
Nonne: Syphilis und Nerven¬
system 116. (874) o. *190.
Paraplegie nach Pneumonie
622. *779. *987.
Myotonische Convergenz-
trigheit lichtstarrer
Pupillen 1000.
Nordijk: *571.
Normann: *883
Norris: Doppelseitige oortioale
Hämorrhagie 407.
Nose: *887.
Nothnagel: *779.
Noyes: *189. *1157.
Nuzum: *382.
Oberbeck: *788.
Obersteiner: Stratum sub-
callosum 214 u. *378.
Porencephalisches Gehirn
457 u. *879.
Nuptiales Irresein 471. *570.
*675. (875). (878).
Porencepnalie 924. (970).
(974). (984).
Oberthür: Friedreioh’sche
Krankheit 724. *781.
Microcephalie 868.
Obici: *187. *388.
Obrastzoff: Arsenicalparalyse
279.
Oddo: *881. *578. *781. *1156.
Familiäre periodische Läh¬
mung 902.
Chorea 910.
Okada: *988.
Oläh *784.
OltuszewBki : Sprachstörung
867. *788. *991.
Onödi: Centrale Innervation
der Kehle 455 u. *570.
Onuf*. *879. Sympathicus 662.
Ophüls: Meningo-myelitis
1035.
Oppenheim: (122).(333).
Prognose der Hirnkrank¬
heiten im Kindesalter 405.
(516). (519). (616).
Tabes 617. (619).
Rückenmarkstumor 619.
(621) u. *880. *574. *779.
*990.(1122). (1124).*1154.
*1155.
Oppenheimer: *878.
Oppler: *572.
Orlipaki: *782.
d’Ormea *190. *388. *778.
Epilepsiebehandlung 829.
microcephalie 867. *990.
Orouf: Vorderhornzellen 950.
OlT: *783.
Acute Psychosen 918.
Osborne: *992. *1154.
Ossipow: Lumbalpunction 555.
Osswald: *882. *991.
Ostmann: *879.
Oswald: Products ans dar
Schilddrüse 218. *1155.
Ottoleoghi: *570.
Ovazza: *573.
Padonotti: *188.
Packard: *189.
Pactet: *384. *576.
Paetz: Irrenanstalt Alt-Seher¬
bitz 514.
Pagaw: *572.
Page: *779. *1153.
Pagniez: *575.
Pamter: *189.
Päl: Opium u. Morphin 639.
*381
Paldrock: *190.
Paltauf: Porencephalie 1064.
Pändy: *188. *572. *992.
Panse: *186. *187. *191.
Schwindel 679.
Pansini: *188. *380. *781.
Paüski: Myelitis nach Kohlen¬
oxydvergiftung 242.
Erb'sche Lähmung 768.
Intennittirendes Hinken 764.
Polyneuritis 766.
de Paoli: Deviationen der
Wirbelsäule neurotisches
Ursprungs 599. *1154.
Papin: *878.
Parhon: Rückenmarkslocali-
sation 541. *780. *781.
*986. *988. *1153.
Paravicini: *987.
Pardo: *989.
Parinaud: (45). (47).
Park: *187.
Parker: *782.
Parnell: *884.
Parnisetti: *192.
Pasquini: *782.
Pastrovich: *186. *779.
Patella: *382.
Patrick: *190. *191. *572.
Myasthenie 1026.
Patrizi: *986.
Pauchet: Epilepsie u. Trepa¬
nation 22.
Paul: *573.
Corticale sensorische Ces-
tren 897.
Pauly: Gastrische Krisen bei
Syringomyolie 1035.
Paaret: *881.
Peacocke: *882.
Pearce: *188. *190. *578.
Pöchin: Lues oerebri 502 a
*382.
Pedasebenko: *186.
van Pöe-. *782.
La Pegna: Riesensellen
Rückenmark 811 u. *186-
Peipers : Consanguinität in äs
Ehe 82 u. *187.
Pellizzi: *187. *380.
Pelman. (426). (427). *884
*576.
Pelnar: *779. *1153.
by Google
1178
Pelon: *573.
Pente: *884. *1157.
Peretti: (426).
Pente: *780.
Perrero: Hemimelie 500. *1154.
Perrin: *881.
Polyneuritis 764.
Perrondto: *187.
Pereonali: *780.
Pertouschin: Bulbärsymptome
bei einseitiger Rinden-
affeetdon 140.
Peters: Augenhintergrund bei
Pneumonie 72.
Pathologie der Linse 72.
*991. *1165.
Peten, R.: Rückenmark bei
t hereditär • syphilitischen
Neugeborenen 74. *991.
Petit: Kohlenoxydvergiftung
964. *990. *1157.
Petrin: *778.
Hautsinne im Rückenmark
1018.
Petroff: 'Multiple Skleroee u.
Dementia paralytiea 831.
Pfahler: *671.
Pfandler: *988.
' Püausler: *788.
Pfister: *576. (1184).
Gutachten 871. *1157.
Pheips: *570. *778.
Philippe: Acute senile Ence¬
phalitis 728. (724).
Fnedreich’sche Krankheit
724.
Philippi: Spastische Contrac-
tion des Oesophagus (hy¬
sterisch) 871.
Philips: Progressive Muskel¬
atrophie 509.
Philipps: *572.
Pick, A.: *188.
Initiale Erscheinungen der
Paranoia 2.
Epilepsie 16.
Agrammatismus 409.
Subcortiale Herdaffectionen
n. senile Hirnatrophie 409.
Tetanie 578.
Neurasthenie 593 u. *381.
*383. *572. *575. *989.
Echolalle 921 u. 1108 (922).
(984).
Apraxie 994.
Pick. Priedel: Temperatur-
sinnsprüfun^ 974.
Pickett: lnfraspinatusrefiex
i 143.
Picque: *192, *384, *992.
Pictogikowski: *782.
Pierallini: *881.
Pieri: Epilepsie 820.
Piöron: *388. *991.
Pierson: Entmündigung 1086.
Pietrzikowski: *190.
Pilcz: *187.
Function der Pyramiden 542.
*192. *383. *1166. *1157.
Pilcz: Myxödem. Irresein 876.
Eleotrisohe Unters, an
Geisteskranken 970. u.
1114.
Piltz: Pupillanymptome 69.
Centrale Augenmuakel-
nervenbahnen 482. *778.
Paradoxe Pupillen reaetion
939. 1012. 1054. *1154.
Pilzer: *882.
Pineies: (927). *1165.
Pini: *573. 574.
Piorkowski: *574.
Piquö: Chirurgie bei Geistes¬
kranken 237.
Piscbel: *189.
PiBujatsche wski: Katatonie
776.
Pitres: *190. *573. *988. *989.
Pittaluga: *989.
Pizzoli: *992.
Pjewnitzki: Gehirnverände¬
rungen bei Malaria 1021.
Placzek: *188.
Pietrzikowski *382.
Plevsianu: *989.
Pobiedin: *991.
v. Poehl: Klysmen mit pby-
siolog. Salzlösung 528.
*190.
Pol: Epileptischer Dämmer¬
zustand 20.
Polenow: Pseudobulbäre Läh¬
mung 138.
Pollak: Criminal oder Irren¬
haus? Trinkerasyle 271.
Pontoppidan: *992.
Popielski: Reflexcentrum für
Pankreas 161. *378. *778.
Popoff: Medullarataxie u.
Hysterie 783.
Polyneuritte 785.
Popper: *188.
Porter: *188.
Portogüotti: *675. *991. *992.
Posey: *989.
Poetowsky: (184). (182).
Korsakoff 729.
Potts: *780.
Poynton: Erysipel 265.
Prätorius: *991.
Prati: *383.
Predtetsohenskij: (732).
Pregowsld: *991.
Preobrajensky: Bulbärer Te-
tanus 134. (136).
Chorea minor 182.
Nervensystem bei Anämia
perniciosa acuta 727.
Psychopathische Litteratur
780.
Subcorticale Alexie 784.
Prescott le Breton: *989.
Pribytkoff: (734).
Prinoe: Babinski’scher Reflex
167.
Misses Beauobamp (gespal¬
tene Persönlichkeit) 612.
Priszner: *988.
Prissner: Myasthenie 1025.
Pritehard: *989.
Probst: Balkenloses Gross¬
hirn 12.
Hinterhauptlappen 64.
Centrale Sehfasern 64.
Motilität 259.
Kleinhirntumor 464 u. *880.
*572. *778. *987. *1168.
Prochäska: *671.
Prölk: *190.
Pront: *189. *779.
Prus: *188.
Pnglia: *992.
Puriiese: *670.
Puhlmann: Seekrankheit 680
u. *574.
Pulawski: Postpuerperale Ent¬
zündung der nervösen
Plexus 767. *989.
Punton: *187.
Passep: Coitus u. Blutcircu-
lation im Gehirn 286.
Myxödem: 288
Huucentren der Erection
des Penis 1019.
Putnam: *188. *882.
Jackson’sche Epilepsie 825.
%uaet-Faslern: Universitäts¬
poliklinik zu Göttingen
717.
Quensel: *574.
Psychische Erkrankung der
Bleivergiftung 960.
Querton: *575.
de Quervain: Encyklopädie
der Chirurgie 331.
Quincke: Athyreosis224.*l 154.
Rabaud: *778.
Rabert: *574.
Chorea 906.
Rabow: *784.
v. Rat: *381.
Aoute umschriebene Üedem
823.
Radtke: *882. *782.
Raecke: Hysteriefrage 299.
Progressive Paralyse 324.
Hypoohondrie 424.
Hysterischer Dämmerzu¬
stand 609. *883. *578.*990.
Railliet: Parasitäre Affection
der Medulla oblongata 466.
Raimannt *575. *1156.
Hedonal 875. *783. (972).
Polioencephalitis 976.
Raimund-Tschinkel *187
Ramnel: *879.
Ramön y Cajal: Feinere Bau
des Nervensystems 452.
*378. *570. *986.
Ranschburg: *191. *1156.
Illusionen 1062.
Ransohoff: *379. *333.
Erweichung in der Brücke
861.
Rapin: *381.
Digitized by GoOgk
1174
Rasumowsky: *782.
Corticale Epilepsie 824.
Raaebstein: *192.
Rausch: *778.
Raviart: *788.
Raw: *783. *1157.
Raymond: Polyneoritis 170.
Nervenkrankheiten (Vor¬
lesungen) 176.
Angeborenes Zittern 238.
Hemiplegie u. Störung der
associirten Augenbe¬
wegungen 411. (478) u.
*379. (480).
Oedem bei Hysterie 524.
*380.
Acute senile Encephalitis
723*671. *572. *779. *987.
*988. *989. *990.
Rayner: *992.
Reckzeh: Nervöse Tachypnoe
603.
Redlich: Stratum subcallosum
214.
Cerebrale Hemiplegie 406.
(640). *571. *573.
Ponstumor 876. (878).
Rögis: Toxisch-infectiöse
Delirien 275. *573.
Regnier: *578.
Reich: *382. *986.
Herstellung histologischer
Präparate 647.
Epilepsiebehandlung 829.
Reichard: *384.
Reiobardt: *782.
Chorea 909.
Reichert: *378. *990.
Reinert: (1146).
Remak: (123). (517). (519).
(618). (621). (1122).
Remlinger-, Multiple Sklerose
327.
Rdmond: Classification in
Psychiatrie 1038. *1157.
Rencki: *380.
Kende*. *991.
Rennie: Cyste der Stirngegend
857.
Könon: *382.
Chorea 913.
Repmann: (732).
Respinger: Destruction der
5. Cervicalwnrzel 899.
Pseudospastische Parese
mit Tremor 1112.
v. Reusa: *989.
v. Reusz: Icterus u. nervöse
Erscheinungen 19.
Wandlose Gehirncysten 856.
Reuter: *380. *1154.
Revaut: Cerebrospinalflüssig-
keit 554.
Reverdin: *780.
Revingtou: *576.
Rey: Pavar nocturnus 14.
Rhein: *188. *780. *781. *988.
Ribbert: *571.
Richard: *573.
Richter, C.: *571.
Riedinger: *573.
Riegner: *879.
Riggs: *192.
Hereditäre Chorea 912.
RÜ8: Myxödem 227.
Risch: *779.
Ritter: *382.
Robert: *781.
Roberts: *189. *573.
Robertson: Einseitige Halluci-
nationen 26.
Progressive Paralyse 328.
*882. *388. *576. *1154.
Robinowitscb: *388. *1157.
Röchling: *781.
Rodari: *884.
Rodrigues: Massenpsychosen
175.
Rohleder: *783.
Rolly: *780.
Kindlicher Rückenmarks¬
canal 953.
Roncoroni: *191. *383.
Nervenzellen u. marklose
Fasern 755.
Psychoneurosen 778. *778.
*990.
Rorie: Influenzapsychose 29.
Rose: *781.
Progressive Muskelatrophie
nach Trauma 547 u. *190.
Rosenbacb: *192.
Rosenberg: *383. *987.
RQckenmark nach Unter¬
armamputation 742.
Rosenfeld, M.-. Temperatur¬
sinn bei Syringomyelie 81.
*781. *988.
Raynaud u. Sklerodermie
*976. *1163.
Rosenmann: (988).
Rosenthal: Hedonal 188.*1156.
Rosin: *778. *1152.
Ross: *381.
Rossolimo: Recidivirende
Facialisparalyse 36. (40).
. («)•
Erziehung 180.
Thomsen’sche Krankb. 135.
Gastrische Tetanie 186 u.
194. *880.
Koreakoff 729. (784). *574.
*988. *1154.
Roth: (38). (41). (42).
Wirbelsteifigkeit 130.
Progressive Muskelatrophie
180. (134). (136). (188).
(727). (728).
Korsakoff’s Bedeutung 729.
Atrophie Aran - Duchenne
730. (732). *574.
Rothberger: Curare u. Physo¬
stigmin 12.
Rothmann: *186. *187.
Function der Pyramiden 542.
(618). *379. *571. *779.
Spinale Athmnngsbahnen
850. (971). (974). (976).
Rothmann: Ex perimentelle
Ausschaltungen der moto¬
rischen Functionen 977.
Rothschild: Infantile Syphilis
504.
Roubinowitsch: *782.
Rouby: Testamente der Para¬
lytiker 326. *989. *1155.
Roudnew: *991.
Roux: *989.
Rovere: Progressive Muskel¬
atrophie 507 u. *188. *780.
Rowlands: *379.
Rows: *572.
Roy: *380.
Bulbärparalyse 1022.
Rozsavölgyi: *571.
Rubinato: *570.
Rudinger: *578.
PolynearitiB der Hirnnerven
766.
Rudolph: *783.
Rüge: *784. *1153.
Rumpf: *187.
Entartungsreaction 757.
Russow: Myxödem 228.
Ruth: *780.
Rüther: *992.
Rutherford: Schläfenlappes-
abscess 460.
Le Rütte: (282).
Landwirthschaft u. Irren
pflege 283.
Ruysch: (283).
Rybakoff: (732).
Rybalkin: Jackson’sche Epi¬
lepsie auf syphilitischer
Basis 75.
van Rymberk: Hypopbyäs21vi.
Rzetkowski: Thomsen'sche
Krankheit 771.
Sabbatani: *187.
Sabrazfcs: Blut bei Syphilis.
Tabes u. Paralyse 505 t
*380.
Sachs: Dystrophia moaculoros
progressiva 511. *381.
Sacquöpöe: Cerebrospinale
Flüssigkeit bei Epüep«
129.
Sadkowsky: *784.
Sadolin: *573.
Saenger: Intermittirendes
Hinken 91. (94). * 188 .
*578. *1154.
Neurasthenie u. Hysterie
bei Kindern 604.
Raynaud’sehe Krankheit
623.
Myotonische Pupillenbe¬
wegung 837 u. 1137.
Neurologie des Auges 107$
Sailer: *189. *779.
Saintenoise: *783
Sainton: *189. *1155.
Saint-Piul: *571.
Sakaki: *990.
Sakijewa: *187.
Digitized by GoOgk
1175
•' SaiA: *990.
J Sala^hi: *987.
Salgo: Fanctionelle Psychosen
des Greisenalters 866 u.
1089. *991. *992.
Salomonsohn: Ophthalmo¬
plegie ezterior 32. (121).
*987.
SalomonBon: Hysterische
Hüfthaltung mit Skoliose
600. *379.
S&lrant: Delirium tremens 269.
Samojloff: *991.
De Sanctis: *191.
Sand: *573.
Sander (Frankfurt): Acute
Erregungszustände 125 u.
*192.
Sano: Progressive Atrophie
nach Trauma 547.
Sante de Sanctis: Verneinungs-
ideeen 28.
Saporito: *576. *783.
v. Sarbö: Luetische Plexus-
neuritis 79.
Möniöre’sche Krankheit 174
u. *191.
Spinale Muskelatrophie nach
Bleivergiftung 510.
Dystrophia musc. progr.511.
Amvotrophische Lateral-
sklerose 530. *780.
Sauerbeck: *188.
Sauermann: Trunksucht 269.
Sawada: *187.
Saxer: *988.
Scagliosi: *570.
Scappucci: *187.
Schacherl: Clarke’sche Säule
312 u. *378.
Schächter: *382.
Schaefer: *575. *576.
Schäfer: Epilepsiebehandlung
5 u. *382.
Posttraumatische Röcken-
markserkrankungen 982.
Schaffer: Paralytische Rinden¬
degeneration 54. *388.
*575.
Cerebrale Hemianästhesie
1004.
Schaffer: *381. *573.
Schataloff: Classification der
.Nervenkrankheiten 728.
Schaternikoff: *379.
Scheiber: Ciroul. Irresein 88.
Scheid!: *571. *779.
Scherb: Nervenkrankheiten
bei syphilitischen Arabern
478. *380. *1155.
3cherbatscheff: *192.
ich er er: *782.
Parrot*sche Pseudoparalysen
1066.
cherf: *784.
chiassi : *780.
cbiff: Myelitisbei Typhus 268.
,‘hiffmacher: Sporadischer
Cretinismu8 228 u. *191.
Schilling:Chorea chronica912.
Schirmer: *572. *780.
Schlagenhaufer: Endotheliom 1
des Böckenmftrkes 551 u.
*379.
Schleich: *571.
Schlesinger, H.: Syringo¬
myelie 84.
Paralysis alternans 410.
*671. *1165.
Schlittenheim: *573.
Schlodtmann: *987.
Schloffer: *189.
Schlöss: *190. *783. (921).
Nahrung u. Epilepsie 922.
(923).
Alkoholabstinenz in Irren¬
anstalten 984.
Schmidt, A.: Qliomatose dee
Rückenmarkes 35. (1081).
Schmidt, F.: *575 *1154.
Schneider, H.: Babinski'scher
Reflex 167.
Schnitzer: Diätetische Be¬
handlung der Epilepsie
808. *1156.
Schoeler: *989.
Scholz: *784. *988
Scholze: *190. *990.
Schönborn: *572.
Reflexe der unteren Körper-
hälfte 762.
Schönwerth: *380.
Sebony: *990.
Schott: *573.
Schröder: Katatonie im hö¬
heren Lebensalter 638.
*576.
Schroeder: *382.
v. Schrötter: Färbungsmethode
388 u. *570.
Rückenmark bei Pemphigus
524.
Marksoheidenfärbung 660
u. *778.
Schäle: Katatonie 25. (127).
(428). (429). *575. *1155.
Alopecie u. Neurofibrome
der Haut 626 (1129).
Schüler : *382.
Bleivergiftung bei Blatt-
stichwebern 962.
Sohöller: Eifersuchtswahn bei
Frauen 175.
Nucleus caudatus d. Hundes
398 u. *570. (875). *1155.
Schuttes: *781.
Schnitze, B. S.: Gynäkologie
in Irrenhäusern 684. *783.
Schultze, E.: Entmündigung
120 .
Gericbtl. Psycb. 871. *783.
Schultze, F.: Hysterische
Taubheit 597.
Schultze, Fr.: Sehnenreflexe
bei Rückenmarksdurch-
trennung 167. *381. *576.
Geschwölste der Rücken¬
markshäute 634.
Schultze: Zunge bei Tetanie
634.
Schulz: *882.
Chorea 908.
Sohumann: *991.
Schümm: *187.
Entartungsreaction 757.
Schuppe: Leib u. Seele 669
u. *575.
Schupter: *188. *988.
Schürenberg: *989.
Schuster: (124).
Hirnrindenafieotion (Faci-
aliskrampf) 332. *988.
( 1122 ).
Schuster (Aachen:) *190.
Schütz: Untere Lftngsbündel
885.
Schütenhelm: *988.
Schwabe: Polyneuritis nach
Kohlenoxydvergiftung
172.
Schwalbe: Carminfärbung 11.
*378.
Hirnrelief der Aussenfläche
des Schädels 568.
Carminfärbung 591.
Sohwarz: Ponserkrankung 410.
Paralysis agitans 410.
Dystroph, museal. 512.
Poliomyelitis ant. 512.
Polyneuritis mit Glycosurie
512. *187. *879.
Schweizer: *992.
Scbwerdt: Seekrankheit 680.
*574.
Schwiening: *574.
Sciamanna: *988. *1154.
Sciuti: Tabes 316 u.*188.*778.
*986.
Scotti: *783.
Säe: *781.
Seeligmüller: *782.
Chronische Bleivergiftung
960.
Seemann: *987.
Seidelin: *781.
Seifert: *782.
Unfallhysterie 1088.
Sega: *780.
Söglas: *783. *990. *991.
Seiler: Antipyrinintoxication
964. *990.
Seliger: *187.
Seil: Colonie f. Epileptiker 21.
Semaire: *779.
Semidaloff: Athemkrampf bei
einer Geisteskranken 89.
Delirium acutum 181. *888.
Senator: Familiäre progressive
Muskelatrophie 510. (621).
Seppilli: *782.
Serbsky: (134). (727).
KorsakofTs Bedeutung 729.
(734). (777).
Sörieux: *991.
Worttaubheit 1104.
Seydel: *783. *1156.
Sfameni: *187. *1158.
Digitized by GoOgk
1176
Shaw: *788. ^991. *892.
Sherman: Polioencephalomye-
litis 405.
8herrington: Hirnrinde bei
Affen 217 u. 354. *18«.
187. *570. *1168.
Shirres: *879. *570.
Porencephalos 1065.
8boyer: Spinalsyphilis 79.
Sibbald: *575. *576.
Si bei ins: EntwioklnngBstö-
rnngen der Spinalgang*
lienzellen 815.
Sicard: *571. *990. *1166.
8ickler: *881.
Siefert: *779. *783.
Siegert: Myxödem 225.
8iemens: (426). (427).
Siemerling: *191. *884. *576.
Psychiatrische Klinik in
Tübingen 778.
8ievert: *191.
Sikkel: 988.
Silberstein: *384. *1156.
Silfvast: Abscess des Rücken¬
marks 558.
8ilvestrini: *572.
Simerka: N. accessorins
Willisii 953.
Simionesco: Schmerzhafte
Fettleibigkeit 476.
8imon: Hysterische Mono¬
plegie 601 Tic. 915.
Simonim: *189.
Simonsohn: *576.
Sinclair: 987.
Singer: *780. *782.
Fami). period. Lähm. 905.
Krämpfe 822.
Sinkler: *880.
Sion: Pellagra 770.
8ippy: *780.
Skalicka: *779.
8klarek: *388.
Balkenmangel 707.
Skoczynski: Familiäre Er¬
krankung 121. (122).
Slayik: *782.
Smidt: Kakodylsänre-Thera-
pie 298. *378. *576.
v. Smirno: *186.
Smith: Herznntenachnng 128.
*884.
Mumificirtes Gehirn 848.
Behandlung d. Alkoholisten
1130.
8nell: Irrenhülfsvereine 718.
*992.
Sobolewsky: Aderlass u. Blut-
circulation im Hirn 288.
Soca: *380.
v. Sölder: Corneo-mandibular-
reflex 111 n. *881.
Kohlenoxydlähmong 965.
8oler: *992.
Sold y Fora: *992.
8ollier: *188.
Solovzoff: 8pina bifida 130.
Solowjew *989.
Solneha: Tic convnlsif 285.
Paranoia sexnalis 287.
Sommer: Hydroeephalna u.
Kleinhirntnmor 465.
Psychiatrische Klinik 474
U. *383. *570. *1156.
Gehen auf dem Wasser 757.
Sontzo: *574.
Sorgente: Multiple 8klerose
327.
Sorgo: Vierhögeltumor 642.
698.748 u. 806.*988.*1154.
Soukhanoff: *781.*1158.*1157.
Intracelluläres Netzwerk
1061.
Soupanlt: Toxische Polyneu¬
ritis 767.
Souques: *574.
Spada: *570,
8pasoff: *191.
Speiser: *884.
8pieler: Lipom der Vierhügel¬
gegend 363 u. *380.
Spielmeyer: *571.
Encephalitis 862.
Spiethoff: *989.
Spüler: Malaria mit Symp¬
tomen der multiplen
Sklerose 328.
Poüoencephalomyelitis 406.
Postapoplectische Hemi-
hypertonie 412.
Yentro-lateraler Pyramiden¬
strang 584. *189. *879.
*571. *778. *779. *781.
Fehlen beider Augen 899.
Spiridonow: *880.
Spitzka: Degeneration 512 u.
*379. *884.
8pratling: *782. *990.
Springthorpe: *788.
Stadelmann: Acromegalie 229.
*990.
Schulen für nervenkranke
Kinder 1181.
8talker: *190.
Stamm: *571.
Starck: *779.
Starling: Innervation des
Darms 455. *379.
Starlinger: *191. *192.
Schlittenmikrotom 877.*784.
Tuberculose u. Irrenpflege
921. (922). (928). (986).
Steding: *990-
Steele: *189.
Stefani: *570.
Stefanowska: Dendriten der
Hirnzellen 178.
Anaesthetica 179.
Steffens: *882.
Stegraann: *987.
Suggestivbehandlung von
Trinkern 1088.
de Steiger: *380.
Stein: Larynxneurosen 608.
*572. *576. *1165.
Steindler: *378.
Hintere Marksegel 1101.
Steiner: *378.
In&aspinatusreflex 840.
U. 1148. *989. *1154.
8teinert: *989.
Steingiesser: *575.
Steinhaus: *988.
8teinhausen: Hysterische
Ovarie 596.
Steinitz: Plötzliche Aufhellung
des Geistes 84.
Steinthal: (1135).
Stekel: 970.
Stembo: *881. *576.
Ötenger: Otitischer Hirn-
abscess 369.
Stenitzer: *988.
Stephenson: *988.
Stern: *192. *379. *883.
Psychologie der Aussage
759.
Sternberg: Geschmack u. Che¬
mismus 812.
Nerven bei Tuberculose u.
senilem Marasmus 879.
(923). (973).
Physiologie des Central¬
nervensystems 974.
Sterz: (921). (922). (986).
Sterzi: 779.
Stewart: Puerperale Polyoeo-
ritis 169.
Traumatische Rücken marh-
läsion 544. *576. *378.
mung 678.
Sympathieusläh
Tract X in di
gegend des Rückenmarks
747. *780. *986.
Stier: *575. *576.
Huntington'sche Chorea910.
8tüe: *575.
Stilling: Gesichtavorstellungea
415. *381.
8tintzing: *189.
Stoddart: *572.
Stolper: *191. *880.
Syringomyelie 1082.
Storch: *878. *379. *882.
Bewusstsein 667. *578. *575.
*778. *782. *783. *986.
Störring: Psychopatholog. 961.
v. Stradonitz: Degeneration
der Habsburger 917.
Stransky: *186. *783.
Zerfallsprocesse am peri¬
pheren Nerven 978.
Paraffinöl 985. 989.
Strasburger: Pupillenträgbeit
788 u. 1052. *988.
Strasser: *573.
Strassmann: Traumatische
Psvchose 708. *1156.
SträuBsler: Rückenmarkszellec
nach Resection peripherer
Nerven 497 u. *379.
MiBsbUdung des Central-
nervensystems 972.
Stromaver: *187.
Strohmayer: Erblichkeit 236
*779. *1155.
Digitized by GoOgk
1177
Strobmajer: Subcorticale sen-
soriBche Aphasie 1075.
Epilepsie u. Migräne 1086.
StromiDger*. *781.
ßtrözewski: Hysterische Stö¬
rungen 601.
Rftckenmarkslues 1069.
Strübing: *881.
Stumme: *988.
Strfimpell: Tibialisphänomen
. 648 n. *189. *882.
Struppler: Capillarhämor-
rnagien im Hirn 411.
8tursberg: *572. *578.
Stybr: *882.
Subotic: *575.
Suohanoff: Endooelluläres Netz
Golgi’s 729 u. 777.
Suohier: *881.
Suckstorff: *780.
Sudeek: Trophoneurotische
Knochenatrophie 372 u.
1112. (877).
Sogar: Gehirn Szilagyi's 897.
Sullivan: *383.
Sanda: *783.
Swan: *379.
Sweet: *987.
Swientochowski: *990.
Switalsky: *188.
Szäszy: *574.
Szenes: *578.
Sztahovzky *990.
Secundär Inetische Nerven¬
krankheiten 1067.
Sznman: *573. *1165.
Amnestische Aphasie 1075.
Takamine: Nebenniere 756.
Tambnrini: *991. *992.
Tange: *572.
Tanzi: *191.
Hallucinationeu 682. *987.
Tarnowskaja*. Mörderin 1117.
Tarnowsky: *191.
raschido: *578.
Tattersall: *990.
Favel: *381.
raylor: *188. *380. *988.
Neuritis optica bei Rücken-
marksaffection 1038.
’chelgoff: *781.
Ichinew: *986.
edeschi: *578. *781. *989.
*990.
'eilegen: (283).
endlau: *384.
errien: *990.
esdorpf: *881.
errio: Progressive Muskel¬
atrophie 507.
iäbanlt- Antiäthylin 266.
leilbaber: *779.
Nervenerkrankungen und
Störungen des weiblichen
Geschlechtsorgans 899.
jiele: *379.
dem : *190. *382.
liemich: *779.
Thiis: *990.
Thivet: *574.
Thom: Hypophysis 215.
Thomalla: *779.
Thomas: Weber’sches Syn¬
drom 129.
Neuritis im Kindesalter 476.
Myelitis syphilitica 526.
RQokenmarkskrankheiten
560. *881. *572. *576.
*988. *992. *1158. *1154.
Myelom der Wirbelsäule
1032.
Thomasczewsky: *780.
Thomassen: Neuritis 171.
Tbomayer: Paralysis agitans
959.
Thompson: *187. *1155.
Thomson: Landry*sehe Para¬
lyse 765.
Thomson: *881.
Thrush: *782.
Tiburtius: *781.
Y. Tiling: Rückenmark von
Säuglingen 500. *383.
Paranoia: 776.
Timofeien: *878.
Tizzoni: *190.
Tokarsky: (84).(40).(187).(188).
Toinaselli: *578.
Tomasini: *888.
Toogood: *992.
v. Torday: *576.
Toubert: *190.
Hirnläsionen 860.
Touche: WebePscher 8ym-
ptomenoomplex 42.
Schmerzhafte Paraplegie
bei Carcinomkranken 527.
Ptosis 527.
Aphasie 673.
Multiple Herdsklerose 722.
*987.
Logorrhoe 1105.
Tozzi: *189
Trachtenberg: Akromegalie
234.
Traina: *781.
Traugott: *881. *576.
Trautmann: Stirnhirnabscess
368.
Tredgold: *788.
Treitel: *988.
Treupel: *780.
Trevelyan: Meningo-myel.
luetica 503.
Treves: *192. *883.
Paralysis agitans 956.
Triboulet: *882.
Triepel: *570.
Physikalische Anatomie 811-
Troeger: *190. *191. *882.
Trolard: *778. *1163.
Trömner: Geschlechtstrieb im
Kindesalter 872. (482).
Progress. Muskeldystrophie
622. (712).
Troschin: Cortioale Schleife
142.
Digi
Troschin: Sensible Leitungen
280.
Sensible und motorische
Hirnnerven 281.
Truelle: Kohlenoxydvergiftung
964* 1157.
Trüper: Abnormes im kind¬
lichen Seelenleben 566.
*888.
Tschemisoheff: Mikroskopische
Präparate 180.
Tschermak: *379.
Tschiijeff: *189.
Tsohisch: Epilepsia larvata
828. *1167.
Tuczek: *991.
Irrenanstalten 1080.
Turner: *780.
Turnowsky: Geheilte Epilepsie
880.
Ubertis: *780
Ugolotti: Pseudobulbärpara¬
lyse 469.
Uhlemann: Gliom des Gehirns
860.
Uhlich: *781.
Ulbrich: *782.
Unna: *989.
Urbanowicz: *881.
Urechia: *782.
Urquhart: *382. *674. *1154
Utcbida: *572.
Hydromyelie im Kindes¬
alter 1029.
Utcida: Rückenmark bei Diph¬
therie 545.
Wahlen: *576. *782.
Vaillard: *989.
Valentin: Besessenheit auf
sexueller Basis 27.
Imaginäre Krankheiten 610.
Valentino: *382.
Väli: *987.
Valette: *780.
Vandervelde: *881.
Värady: Oculopupillärer Reflex
164 u. *189. *572.
Varges: *987.
Variot: *190. *380. *574.
Elektrische Chorea 913.
Bleivergiftung 959.
Bulbärparalyse 1022.
Vas: *784.
Vaschide: *187.
Hallucinationen 557. *781.
*788. *991.
Reactionszeit für Gerüche
1019.
Anencephalie 1064.
Vassale: *189. *989.
Vaughan: *188.
Veasey: *782.
de Vecchi: *780.
Vedeler: *578.
Veidengammer: *888.
Veraguth: Missbildung des
Centralnervensystems 665.
lized by G00gle
1178
Veress: Wärmeempfindliohkeit
261 u. *378.
Vergely: Gesiohtshallucinatio-
nen bei Kindern 831.
Verhoogen: *381. *782.
Verrier: Syphilisbehandlung
80.
Vervaeck: *987.
Viallon-Bron: Urämisehe Psy¬
chose 274. *191. *388.
*575. *783. *1155.
Viannav: *989.
Vidal: Epilepaiebehandlung 23.
Pupillenredex 69.
Schwefelhaltige Wasser bei
Syphilis: 505.
Motorische Aphasie 675.
Vigouroux: *379. 380.
ViUemin: Revolverschass in
Schädel 1107.
Villere: *987
Vincenzo: *784.
Vinzitti: *576.
Virdia: *988.
Vires: *779.
Virsiloff: (131).
Vitek: Chorea hysterica 918.
*988. *990.
Vitzou: Erregbarkeit des
Rückenmarks 180.
v. Vogel: *384.
Vogt: Gesichtsfeld bei Arterio¬
sklerose 424.
Aphasie und Demenz 717.
*570. *782. *991. *1164.
V olhard: *988.
Volkelt: *783.
Vorster: *576.
Voss: *189. *987.
r. Voss: Kleinhirntumor 465.
Epilepsie 822. *990
Votruba: Hemianopsie 1073.
Vulliet: Cocainisation des
Rückenmarks 556.
Vulpius: Sehnentiberpflanzung
bei spinaler Kinderläh¬
mung 568. *988. *1168.
Vurpas: *187 Hallucinationen
557. *781. *788. *1156.
Anencephalie 1064.
Wachholz: *574. *990.
Wachsmuth: Cerebrale Kinder¬
lähmung 864.
Wadsworth: Kleinhirnläsionen
462.
Wagner: *190. *783.
v. Wagner: Psychosen durch
Autointoxication 472(878)
(922)
(928). (925). (927). Crimi¬
nelle Geisteskranke 927.
Aufnahme in Irrenanstalten
928. (974). (984).
Wablfors: Hypophysistumor
230.
Waibel: *574.
Walbaum: Paralysis agitans
956. *1158.
Waldscbmidt; *190.
Walitzky: *380.
Walker: *188. *190. *882.
*987
Wallenberg: Acute Bulbär-
affection 467.
Basale Riechbündel des
Kaninchens 897.
Wallerstein: *989. *1165.
Wallis: *576.
Walter: *189.
Walton: *880. *573. *780.
Corticale sensorische Centren
897. *989.
Warda: Akromegalie 233. *991.
Warnock: *881.
Warrington:*189.*1154.*1166.
Wassiliew: Cocainisation des
Rückenmarks 284.
Kinderepilepsie 824.
Wateff: *190.
Watermann-. *188.
Weatherly: 991.
Weber: *990.
Weber, A.: *574.
Bleivergiftung 960.
Weber, L. W,: Epilepsie 14.
*783. *992.
Weber (Göttingen): Göttinger
Irrenanstalt 716. *779.
Weber (Sonnenstein): (1087).
Wehmer: *191.
Weichelt: *992.
Weidenhammer: Athemkrampf
bei einer Geisteskranken
89 (181).(184).(784).(777).
Weil: Hirntumor 1183.
Weisbein: Russ. med. Rund¬
schau 1080.
Weiss: (639). *1158.
Weissbart: *575.
Weissberg: *990.
Weisz: *575.
Wells: *188.
Wermel: Tetanieepidemie 136.
Werner: *574.
Geisteskrankheit nach Kopf¬
verletzung 1118.
Wernicke: *783.
Wersiloff: Akromegalie 85. (36).
(37).
Lepra anaesthetica38. (134).
(136).
Tumor des Plexus braohialis
181.
Westphal: (423)Syringomyelie
430. *189. *381. *882.
Hysterie 594.
PolyneuritischePsychose768.
Chorea chronica 912.
Weygandt: Psychiatrie 419. |
Behandlung der Neuras- i
thenie 608. *191. *388.
*991. *992. *1157.
Geistige Leistungen und
Hungern 670.
Idiotie mit Skeletverände-
rungen 868. (1130).(1145)
(1146).
Wezel: *187. *987.
Wheeler: *379.
White: *676.
Wichereck: *882.
Wichura: Anencephalie 954.
*QR7
Widal: *571.
v. Wieg: Kleinhirntumor 464.
u. *880. *575.
Wiener: Zwischen- u. Mittel¬
hirn des Kaninchens 975.
Wiersma: *575.
Wieeinger: (92). (375).
Wiki: Myasthenie 1027.
Wilbrand: Neurologie de*
Auges. 1079.
Wildermuth: Volksheilstitten
für Nervenkranke 1124.
(1130). *1157.
Wilhelmi: *992.
Wille: Gedächtnis» 234 u. *191.
William: *189. [*1153.
Williams: *188.
WilliamBon: Spinale Syphilis
79.
Hirntumor 861. *780.
Willoughby: *782.
Willson *782.
Wilson: *379. *576. *992.
Winckler: *574.
Windscheid: Multiple Sklerose
nach Trauma 829 u. 380.
*571. *1156.
Arteriosklerose 862
Winter: *379. *882. *782.
Witthauer: *784.
Woakes: *990.
Wohlmuth: *878.
Wolf: *988. *990.
W olff: Degenerationszeiebet
429. *572. *573. *987.
Wollenberg: StirnhirntuiBores
1132.
Woodyatt: *782.
Workman: Hirntumor 356.
Worobjeff: Hinterhauptstyp^
des Schädelbaues 38.
Degeneration 730.
Wright: Beri-Beri 178. *779.
WuÖFert: Fürsorge für Trant
süchtige 272 n. *190.
Wundt: *782.
Würth: *576. *1154. *1157.
Wybauw: *189.
Tamane: *992
Zabludowsld: Schreibkraicp
177.
Zaoher: *188.
Zahn: Brückengeschwülstoe
364.
Infantile P seudobulbärpac*
lyse 469. *781.
Zalackas: Nicotinpsvchoee 9-5>
Zamfiresou: *571.
Zanfal: *571. ■
ZaneitowBki: Voltaisatäon 7 11
*384. *1157. ,
1179
Zappert: Rückenmarkafurche
beim Kinde 259 a. *878.
Oatartige Bulbäraffectäon im
Kindesalter 468. *572.
Meningitis mit Aphasie 874.
Neurotische Muskelatrophie
874.
Kinderr&ckenmark und Sy¬
ringomyelie 1029.
Zavoldi: *784.
Marek: *780.
Zechniseu: *781.
Zehnisen: *989.
Zelenski: *882.
Ziegelroth: *383. *384.
v. Ziegenweidt: Hirntumor 362.
Ziehen, Geisteskrankheiten des
Kindesalters 418 u. *191.
Hirn u. Seelenleben 473 u.
*675. *575. *788.
Psychiatrie 1077.
Ziemssen: Gesichtsfeld bei
Hirn- u. Rückenmarks-
lues 981.
Zierassen: Hirnlue6 1068.
Zietzschroann: Medullarrohr
beim Säugethierembryo
660.
Zingerle: *779.
Stirnhirn 948. *987. *1164.
Zlotowski: *990.
Zosin: Färbung mit Magenta-
roth 207 u. *570.
Zuckerkandl: Nebenorgane des
Svmpathicus 928. (925).
Zupnik: 882.
m. Sachregister.
(Die mit * bezeichnten Zahlen bedeuten: Litteraturverzeichniss.'
Abiotrophie 758.
Accessorius, Pathologie 958.
Achillessehnenreflex 240. 762.
789.
Aceton im Urin 264, im Or¬
ganismus 951.
Achondroplasie 95.
Acusticusbahn 848.
Adipositas dolorosa 44. 475.
476. 578. 864.
Adrenalin 756.
lequivalente, cf. Epilepsie,
kesthesiometer 882.
igeusie, cf. Geschmack,
ignosie, cf. Seelenblindheit
997.
Igoraphobie u. Gehörorgan
611.
Lgrammatismus 409. 868.
.graphie, cf. Aphasie 675.
.katnisie 956.
kromegalie *189. *381. *781.
*989. 35. 216. 229.231. 232.
233. 234. 710. — cf. Hypo¬
physis.
lexie *379.1105. — subcorti-
cale 734. — cf. Paralexie
Ikohol 277.
Ikoholdelirium, cf. Delirium
alcohol.
koholismus *190. *382. *674.
*782. *990. *1156. — u. Com-
reasioDslähmungen 239. —
erum dagegen 266. — socio-
log Bedeutung 267. — u. Erb¬
lichkeit 267. — im Kindes-
ilter 268 . — Quinquaud’-
iches Zeichen 268. — und
Lrsenik 268. - u. Neuritis
69. — Ursache von Idiotie
t. Epilepsie 269. — Statisti-
3hes 269. — Anstalts-
ehandlung 270 (2). 271.
72. 1180. — und Hypno-
sums 1088. — acuter, cf.
auschzustand. — acute
taxle 435. — Abstinenz
13. — in Irrenanstalten 984.
.holnarkose, Theorie 399.
holnearitis, cf. Neuritis
lltipler.
Alkoholpsychosen 1150. —
Elektrodiagnostik.
Alkoholwahnsinn, of. Delirium
alcohol.
Alopecie universal, congen. 626.
Amaurose, hyster. 31. 684.
597. 606. 649. — familiäre
u. Idiotie 118. 121.
Ammonium carbamin. als Ur¬
sache der Epilepsie 17.
Amnesie, cf. Gedächtnias. —
totale retrograde 817. —
nach Kohlenoxydvergiftung
964.
Amyotrophische Localsklerose,
cf. Lateralsklerose.
Anämie, perniciöse, acute,
Veränderungen im Nerven¬
system 727.
Anästhetica, Wirkung der¬
selben 179.
Anencephalie 954. 1064.
Aneurysmen der basalen Hirn¬
arterien 413.
Angst, Pathologie 611. — bei
Hysterie und Neurasthenie
845. 890.
Anisocorie, cf. Pupillen.
Anstalten für Epileptiker 21.
— für Alkoholisten 270. (2).
271. 272.
Antiaethylin 266.
Antipyrin bei Facialiskrampf
516. — Autoxication 964.
Aphasie *379. *571. *779. *987.
140. 673 (3). 674. 675. 1075.
1076(2). 1104.1105 (2). — u.
Demenz 717. — hysterische
94. — subcorticale senso¬
rische 1075. — cf. Worttaub¬
heit.
Aphatische Demenz 1106.
Apheraie 674.
Aphonie, spastische 603.
Apoplexia cerebri *188. *571.
*779.412. — cf. Hirnblutung.
Apraxie 614. — motorische
994.
Arachnoidea, cf. Meningen.
Arbeitakurve 639.
Arbeitsleistung, Einfluss von
Tönen 1020. — Suggestibi-
lität 1020.
Argent. nitr., Vergiftung 266,
Armlähmung, cf. Plexus bra-
ohialis.
Arsenik, cf. Neuritis arsenic.,
Kakodylsäure. — Lähmung
980.
Arsonval- Tesla -Ströme *576.
— cf. Elektrotherapie.
Arteria, cf. Carotis, syphilit
Erkrankung,cf.Endarteriitds.
— cerebelh post, inf., Em¬
bolie 467. — communicans
posterior 413.
Arterieller Druck, cf. Druck.
Arteriosklerose 420. 862. —
Gesichtsfeldeinengung 424.
—u. in termittirenaes Hinken
763.
Arthritis chronica, cf. Spon-
dvlosis.
Arthropathie, cf. Tabes. —
bei Syringomyelie 81. — bei
Tetanie 228. — nervöse u.
Periarthropathie 477.
Asphyxie, locale, cf. Raynaud’-
sehe Krankheit
Associationen, experimentelle
Studien 668.
Associaticnscentren 54.
ABtasie-Alasie 602. (2).
A stereognosis 861.
Asthenische Iühmung oder
Bulbärparalyse, cf. My¬
asthenie.
Asymbolie, sensorische 686.
Ataxie u. Sensibilität 314. —
acute cerebellare 435. —
bulbäre 467. — ceutripetale
640. — medullären Ur¬
sprungs 733.
Atherose des Gefässsystems
420, cf. Arteriosklerose.
Athetosis 927. — bei Tabes
628. 719. — cf. Hemiathe-
tosis 856.
Athmung ohne Medulla oblon-
gata 975.
Athmungsbahnen. spinale 850.
Atbyreosis im Kindesalter 224.
Digitized by Google
Atropin bei Bleikolik 960.
Auge, Neurologie 1079.
Angenbewerungen nach oben
(neuropatL Spasmus) 46. —
associirte 411.
Augenhintergrund bei Pneu¬
monie 72.
AugenmuskellAhmungen, ef.
Oculomotorius u. s. w.
Augenmuskelnenrenbahnen,
centrale 482.
Augenrefiex 107.
Augenstörungen n. Inbecillität
869.
Aussage, Psychologie derselben
759.
Autointoxioatlon, acute intesti¬
nale 264.472. — u. Psychose
695. — und Epilepsie 818.
Axencylinder, elective Fär¬
bung 514. 579.
Babinski’scher Reflex 151.
167 (2). 168. 762. 974. *988.
Bahn, motorische 260.
Bahnungstherapie 520.
Balken, cf. Corpus calloeum.
Basedowsche Krankheit *189.
*881.*573.*781. *989 *1155.
— Zeichen derselben fBrMy-
asthenie 804. — Serum¬
therapie 522. — u. multiple
Neuritis 740. — u. Osteo-
malacio 880. — Chirurgie
1080.
Bauchreflex, cf. Reflex, hypo¬
gastrischer.
Beachtongswahn 715.
Bell’sches Gesetz 1068.
Ber^steigkur 607.
Ben-Beri, cf. Neuritis multi¬
plex 172. 178.
Berübrungagefühl, of.Tastsinn.
Beschäftigungsneurosen, of.
Klavierspielerkrampf, Pia¬
nistenkrampf, Schreib-
ktrampf.
Bewegungsregulation 813.
Bewegungsstörungen 818.
Bewegungstherapie, cf. Tabes.
Bewusstsein 612. — der Thiere
666 . — psychophysische
Vorstellung 667. — im epi¬
leptischen Anfall 820.
Beziehungswahn 2.
Blase, Centrum im Rücken-
mark 456.
Bleiintoxication *882. *574. —
Ursachen 959. 960f2).962.
-- chron. mit Erscneinun-
en der Tetanie 202. — u.
aralyse 278. — Encephalo-
pathie 960.
Bleikolik, Behandlung mit
Atropin 960.
Bleilähmung 959 (2). 962.
Bleipsychosen 960.
Blindheit, cf. Amaurose, See¬
lenblindheit.
Blitzschlag 1086. 1111.
Blutdruckmessungen beiCoitus
287. — -Ungleichheit auf
beiden Körperh&lften 820.
Blutgefässe, Neubildung 1017.
— Beeinflussung durch vaso-
motor. Nerven 1068.
Blutverwandtsehaft 82.
Brandstifter, geisteskranke
1089.
Broca’sohe Windung, cf. Gyr.
front, inf.
Bromocoll bei Epilepsie 829.
Brown-Söquard'sche Sympto-
mencomplexe 1018. 1069.
BÄrgerliches Gesetzbuch 681.
Bulbäraffectionen *188. *380.
— cf. Medulla oblongata,
Pseudobulbärparalyse. —
acute 467. — gutartige 468.
eongenitale 1022.
Bulbärparalyse*572.*780. *988.
— of. Myasthenia neeodo-
paralytica, Pseudobulbär¬
paralyse. — bei Sarkoma-
tose 1022.
Bulbärsymptome bei einseiti¬
ger Kindenaffection 140.
Bulbus olfaotorius, cf. Riech-
bflndel. — Körnerschicht
258.— gliomatöse Entartung
858.
Canallis indioa bei Opiument¬
ziehung 266.
Capsel, innere: sensible Bahnen
142.
Carcinomatose 527.
Carotis, Aneurysma 414.
Cataract 72.
Centralnervensystem, Präpa-
rationstechnik 854. — Miss¬
bildungen 665. 666. 972 (2).
974. *987.
Centrosomen 258.
Centrum, cf. Hirnrinde, Locali-
sation.
CerebrospinalflAssigkeit, cf.
Liquor cerebro-spinalis.
Charakterveränderung u. Hirn¬
verletzung 887.
Chiasma optioum, cf. Opticus.
Chloralhyaratvergiftung 266.
— im Organismus 951.
Chloroformvergiftung u. Blek-
tricität 964.
Chorda tympani 848.
Chorea minor *169. *882. *574.
*782. *990. *1156. 722. 910.
913. — u. Epilepsie 826. —
Patellarreflex 912. — bei
Degenerirten 911. — hyste¬
rische 912. 918. — Aetio-
logie 906(8). 907, 908(2).
- Patb. Anatomie 182.908.
909. — Therapie: Kakodyl-
säure 297. — Hypnose 912.
Chorea electrica 918.
Chorea progressiva *882.822.
910. 912.
Chorea senilis 918.
Circulares Irresein 51.88.669.
919.
Clarke'sche Säulen 812. 480.
Cocain, Einfluss auf Gandry*-
sche Körperehen 756.
Cocainanalgesie 284. — In-
jection, lumbale 554. 558.
Cocainismus *574. 867.
Coitus, Einfluss auf Blut-
circulatdon 286.
Collaemie 276.
Commotio cerebri, cf. Hirs-
erschAtterung.
Compresaionsmyelitäs donals
u. Fehlen der Knieeehaen-
reflexe 438. — spastisch
Paraplegie 622.
Contractur, physiolog. 878.
Contracturen, cf. Hemtan-
tractur *881. — hysterische
600(2). 601.
Coordination der Bewegung«!
cf. Ataxie.
Corneo-mandibullarreflex 111.
Corpus calloeum 284. — Tech¬
nik bei Durchschnesdun?
desselben 278. — Fasen
desselben im Hinterhaapte-
lappen 64. — Mangel Tfi
— seeundäre Degeneraöc:
162.— geniculatint 84?.
— quadrigeminum aat-
Erkrankung 176.412. — Phy¬
siologie 458. — secuadsn
Degeneration 1017. — Tn
moren 362. 564. 642. 69t i
748. 806. — Lipom 968- -
posterius 848.
Craniectomie, of. Trepanati»
Cretinismus *781. 225. »E*
— sporadischer, cf. Mn
ödem 225. 228 (2).
Criminalanthropologie, et
rensische Psychiatrie
Cucullarisdefect *379. — * |
Hochstand der ScapulalK*-
Cucullarislähmung 953. !
Curare u. Physostigmin li
Cyklopie 972.
Cysticerken im Hirn 41. *
im 4. Ventrikel 565.
Dämmerzustände 474. —9
leptische 18. — hysterai
801. 609. 1087.
Darmbewegungenjnnerrsti
455. 456. — Wirkung v
Opium u. Morphium 6*4
Dauerbäder 126. 127.
Debilitas 558.
Degeneration 512. — aufs*'
gen de im R&ckenmarH
*987. — retrograde 49t-
seeundäre *879. 544. —
Abiotrophie 758. — "
steigende nach Zersäg
y Google
I
1181
des motor. Rindenfeldes855.
— im Rückenmark 544.
Degenerationszeichen 429. —
somatiaehe 870.
Degeneresoenz, Prophylaxe
derselben 24. — u. Bluts¬
verwandschaft 82. — u.
Vererbung 917.
Degenerirte, Chorea dabei 911.
Delirium acutum 181. — alco-
holicum febrile 289. — Con-
junctivalcatarrh 880. — tre¬
mens 1150. — bei Morphi¬
nisten 966.
Deltoides, cf. Erb’sche Läh-
mung.
Dementia u. Aphasie 717. —
paralytiea, cf. Paralysis
progr. —senilis*575.*788.
— atypica 87. — Pflege
282. — Path. Anat 824.
877. — cf. Qreisenalter.
Dercum’sche Krankheit, of.
Adipositas dolorosa.
Deviation, conjugirte 408.
Diabetes mellitus, Neuritis
multiplex 170. — u. Psy¬
chosen 274. — syphilit. 504.
Diphtherie, Veränderungen des
Rückenmarks 545.
Diplegia cerebralis, cf. Kinder¬
lähmung, cerebrale.
Dipsomanie SO. 124.
Dipsorexie 266.
Dormiol bei Epilepsie 827.
Dorsalmark, cf. Rückenmark,
Druck, arterieller bei Muskel-
atrophieen u. Thomsen’scher
Krankheit 238.
Dupuytren’scheFingercontrac-
tur, cf. diese.
)ura mater, cf. Pachymenin-
gitis, Meningen.
)uralinfnsion 520.
lystrophia muscul. progress.,
cf. Mnskeldystropbie.
Scholalie 921. 1106.
clampsie n. Hemianopsie 817.
— in der Gravidität 817.
— im Puerperium 817.
ifersuchtswann 174. 175.
igenbeziehung, krankhafte
715.
isenbahnnnfälle, cf. Unfall,
lectrische Entladungen, Neu¬
rosen 1109. 1110. 1111. -
cf. Trauma.
ectrische Erregbarkeit *987.
— bei Psychosen 970. —
cf. Entartnngsreaction.
ektrisches Licht, therapeu¬
tische Verwendung 618.
ectrodiagnostik 849. 1119.
— bei Psychosen 1114. —
myasthenische u. myoto-
oische Reaction 1023.
wtrologie, medicinische786.
»ctrotherapie 680. 968.1019.
— cf. Arsonvalisation. —
bei Chloroformnarcose 964.
Elongationsmethode, troph.
bei Behandlung von Ulcus
craris 475.
Encephalitis haemorrbagica
*379. *571. 182. — bei
Pferden 401. — senilis 728.
862.—acuta hyperplast 724.
Bnoephalomyelitis nach
Kohlenoxydvergiftung 242.
Encephalopathia saturnina, cf.
Bleiintoxication. — infan-
tilis 606.
Endarteriitis obliterans, cf.
einzelne Hirnarterien 119.
syphilitica 502. — cartila-
ginosa 856.
Energetik u. Seelenthätigkeit
1189.
Entartung, cf. Degeneration.
Entartnngsreaction, chemische
Aenderung der Musculatur
757.
EntbindungBlähmungen 1047.
1055. 1081.
Entmündigung 118. 985. —
Wiederaufhebung 120. —
wegen Geistesschwäche681.
— Verfahren 1144.
Enuresis bei Kindern 604.
Epilepsie *190.*382 *574. *782.
*990. *1156. — cf. Eklamp¬
sie, Jackson'sehe Epilepsie,
Amnesie, Paramnesie. —
Krämpfe, Stat epilept 880.
831. Pathogenese 14. 16. —
oarbaminsaures Ammonium
17. — Autoiutoxication 818.
— Parasit 818. — Stoff¬
wechselanomalie 819. —
Symptomatologie:
Aequi valente 18.—Amnesie
817. — Bewusstsein 820.
— chorei ca 826. — con¬
jugirte Deviation 405. —
Dipsomanie 80. — Erinne¬
rungsfälschung 18. — Giftig¬
keit der cerebrospinalen
Flüssigkeit 129. — Idiotie,
cf. diese. — Kniephänomen
19. — larvata 823. — u.
Migräne 1086. — Oedeme
823. — partielle epileptische
Anfälle 822. — procuraiva
822. — reapiratoria 821. —
Typhus dabei 18. 821. —
übermässige Beweglichkeit
derGelenke 729. — Ungleich¬
heit des Blutdruckes 820.
— Urin 16. 820. — Aetio-
logie 15. — nach Alkoho¬
lismus der Eltern 269. —
Trauma 822. — Unfälle 18.
— u. Kinderconvulsionen
816. — Harnsäure 277. —
Schädelverletzungen 22. 24.
hereditäre Lues 75. — Sy¬
philis 76.117. 792. - Ver¬
lauf: Nahrung 922. —
Patholog. Anat. 14. —
Tumor \89. — Neuroglia-
Wucherung 13. — Arterio¬
sklerose 14.421. — Ammons-
hörner 15. — sklerotische
Hirnatrophie 877. — Dia¬
gnose: Hysterie 626. —
Prognose 20. — Thera¬
pie: Anstalten 21. 830. —
Bechterew'sches Mittel 22.
— Bromokoll 829. — Dor-
miol 827. — diätetisohe
Behandlung 5. 21. 715. 803.
827 (2). 829 (2). (Toulouse,
Riohet). — Fieberhafte Er-
kraukung 821. 830. — Li-
thiumoarbonat 16. — Re-
seotion des Halssympathicus
23. 827. — Serumtherapie
819. — Trepanation, cf.
diese. — Forensisch 872.
— Nothzuohtsdelicte im
Dämmerzustand 19. —Mord
20 .
Epileptische Anfälle bei Psam¬
mom des Grosshirns 40.
Erb’sche Krankheit, cf. My¬
asthenie.
Erb’sche Lähmung 768.
Erblichkeit, cf. Heredität.
Erection, Centrum 456.
Erinnerung, of. Amnesie, Par¬
amnesie.
Erinnerungsdefect u. Hallu-
cination 1117.
Ermüdung u. Suggestibilität
1021.
Erysipelas u. Nervenkrank¬
heit 265.
Erythromelalgie, primäre 677.
Etat crible des Hirns 857.
Etat laounaire des Hirns 857.
858.
Exhibitionismus 1088.
Exostosen, symmetrische 181.
Facialis, Kern des oberen —
160. — Krampf 382. 667.
690. 721. — bei Myotonie
431. — Antipirininjectionen
dabei 516. — Lähmung
*189. *573. bei Kopftetanie
122. — angeborene 814. —
bei cerebraler Hemiplegie
407. — nach Antipynn-
injection 517. — infantile
centrale 520. — hysterische
601. — Einfluss auf Krampf
517. 720. — recidivirende
als Symptom der Hemioranie
86. — anatomische Unter¬
suchung 985. — Augenreflex
108. 110. 148.
Färbemethoden *570. *778.
*986. — Alizarinl5sung888.
— Anglade’s 782. — Eisen¬
imprägnation 811. — Car-
minfärbung 11. 591. —
, y Google
1182
Magen tarotb 207. — Ste-
panoff’sche Methode 180. —
Silberimprägnation 497. —
nämatoxylinchromlack 541.
— Gallem 1081. — Silber-
imDrägnation der Axen-
cylinder 579. — Mark-
BcheideDf&rbnng 660. —
Axen oylinder 660.—Osmium
981. — pathologische Glia-
formation 981. — Säure-
fuchsin u.s.w. 1061. — für
das Golgi’sche Netzwerk
1061.
Familiäre Krankheiten, cf.
Amaurose familiäre, Chorea
progressiva *189. *578. *781.
*1156. 822. 901. 902. 908(2).
904 (2). 905 (2). — Geruch
900.
Familienpflege von Geistes¬
kranken 34. 718.
Farbensinn 981.
Fasciculus fronto-occipitalis
214.
Fasciculus snbcallosus 214. I
284.
Fettleibigkeit, schmerzhafte,
cf. Adipositas dolorosa.
Fibrae olivo-cerebellares 11.
Fingercontractur, Dupuytren'-
sche 768. 920. *781.
Fisaura calcarina 685. — re-
tro-calcarina 635.
Folie ä deux, cf. inducirteB
Irresein.
Forensische Psychiatrie *191.
* 383. *575. *788. *992. *1157.
19. 20. 326. 733. 759. 761.
823. 871 (2). 928. 985. -
Entmündigung, cf. diese. —
Richter u. Sachverständige
290. 386. — Königsmörder
512. — Unterbringung
geisteskranker Verbrecher
681.
Formatio reticularis in oberer
Brückenregion 835.
Fornix, secnndäreDegeneration
408.
Frenkel’sche Methode, cf.
Tabes.
Friedreich'sehe Krankheit 95.
901. *572, — u. Hörädo-
ataiie cerebellense 822. —
Sectionsbefund 724.
Fürsorgeerziehung 873.
Cfendry’scbe Körperchen 756.
Ganglienzellen, cf. Nerven¬
zellen.
Ganglion cervicale sup. 318.
Ganglion ciliare u. Pupillen¬
bewegung 817. — Anatomie
423. — Pathologie 661.
Ganglion Gasseri 818.
Gangrän, arteriosklerot., auf
luetischer Basis 80. — spon¬
tane 1022.
Gangrän, symmetrische, cf.
Raynaud’sche Krankheit
Geberdenaphasie 1105.
Gedächtuiss, cf. Amnesie, Par-
amnesie, Erinnerungsdefect
234.
Gedankenlautwerden 683.
Gefängnisspsy chosen 175.
Gefässe, cf. Blutgefässe.
Gefässnerven, cf. Sympathicus.
Gefühlsinterferenzen 160.
Gehen auf dem Wasser 757.
Gehörstäuschungen, einseitige
684.
Geistesschwäche, cf. Dementia,
forensische 119. 681. 1086.
Geruch. Erblichkeit 900. —
Reaotionszeit 1019.
Geruchssinn, Contra in Hirn¬
rinde 288. — Störungen
bei Tumoren der hinteren
Schädelgiube 402.
Geschlecht, das dritte 1079.
Geschmack u. Chemismus 812.
Geschmackscentrum in Hirn¬
rinde 287. 454.
Geschmacksprüfungen 813. —
im hinteren Mundraum 592.
Gesetzbuch, bürgerliches, cf.
Bürgerliches Gesetzbuch.
Gesichtsfeldaufnahme beiHirn-
u. Rückenmarklues 981.
Gesiohtsfeldeinschränkung bei
Unfallskranken 417. — bei
Arteriosklerose 424.
Gesiobtsmuskelschwund, of.
Hemiatropbia faciei.
Gesichtsvorstellungen, Psycho¬
logie 416.
Gingivitis syphil. 504.
Glandula parathvreoidea 925.
— pituitaria, cf. Hypophysis.
— thymus, Persistenz bei
Hirnhypertrophia 969. —
thyreoidea, cf. Basedow*-
sche Krankheit, Myxödem
*578. — Producte derselben
218. — Athyreosis 224. —
Experimentell erzeugte Psy¬
chose. 695. — Anwendung
bei Psychosen 876.
Glia, cf. Neuroglia u. Gefäss-
apparat 638. 1017.
Gliome 163.
Gliomatose, cf. Rückenmark.
Gliose, cf. Syringomyelie 163.
Glossopharyngeus beim
Wiederkauen 1102.
Glycosurie, cf. Diabetes,
Golgi’sches Netz, endocellu-
lares 777. 1061.
Golgi’sche Silberimprägnation,
cf. Färbemethode.
Goll'sche Stränge des Hals-
theileB 181.
Gonorrhoe, nervöse Complica-
tion 80. u. Neuritis multiplex
170. *990.
Gowers’scbes Bündel 280. 544.
Graphologie 665.
Graphospasmus, cf. Schreib-
krampf.
Graves’sche Krankheit, cf.
Basedowsche Krankheit
Greise, Hemiplegie 857. 858.
Greisenalter, cf. Dementia
senilis. — Psychosen 866.
1039. — Neuritis 879. -
Chorea 913.
Gynäkologie in Irrenhäusern
684.
Gyros, cf. Lohns. — Cen¬
tralis ant 854. — Sarcom
1070. — post. 854. 360
(Gliom). — frontalis int
Tumoren ohne Aphasie 1071.
— Hippocampi Erweich¬
ung 408.
■ämatomyelie, cf. Rücken-
marksblntungen 710.
Haematoporphyrinurie 320.
Halbseitenläsion des Rücken¬
marks, cf. Brown-Sequard’-
sche Symptomencomplexe.
Hällucinationen, Theorie 682.
— bei Kindern 831. — mit
Bewusstsein. hemiopisebe
26. — bei Thieren 696. -
einseitige 26. 684. — Yer-
bütung von Erinnerungs-
defect 1117. — Psychophy¬
siologie 557.
Halssympathicus, cf. Symps-
thicus.
Harn, cf. Urin.
Harnblase, cf. Blase.
Harnsäure 275.
Haube, of. HirnschenkeL
Haubenbahn 704.
Haut, Sensibilitätsstörongea
bei Erkrankungen innen?
Organe 594. — Hyperästhe¬
sie 900.
Hautgangrän, trophoBeurt-
tische 521.
Hautgefühl, of. Sensibilität
Hautreflexe 168. 762. -
of. Babinski'scher Reflex
Palmarreflex, Infraspinates-
reflex, Corneomandibmlsr-
reflex, Lumbofemoralreflu.
Supraorbitalreflex u. s. w.-
hypogastischer 95.
Hautsinn, Bahnen im Rücken¬
mark 1018.
Hedonal 138. 875.
Heliodor 613.
Helweg’sohes Bündel 535.
Hemianästhesie, cerebrale
1004.
Hemianopsie 1073. 1074 -
Eklampsie 817.— temporak
229. — bitempor&le 710.
Hemiathetose, path. Anatom»
865.
Hemiatrophia faciei progre-
siva *381. *989.
- y Google
1183
Hemiballismus 1122.
Hemicephalie, Nervensystem
dabei 592. 974.
Hemihypertropbie *881.
Hemikranie 276. *989—n. reci-
divirende Facialislähmung
96. — n. Tabes 321. — u.
Epilepsie 1086.
Hemimelie 500.
Hemiparese, rechtsseitige mit
Atrophie der Sehnnerven-
papille 407.
Hemiplegie *188. *879. *571.
*779. *987. - Babinski’-
seher Reflex 152. — Läh¬
mung» typus der cerebralen
406. — Degeneration 857.
— Bahnungstherapie 520.
— trophisohe u. Sensibilitäts¬
störungen 858. — infantile,
863. — cf. cerebrale Kinder¬
lähmung. — der Greise 857.
858.
Hcmiapasmus glosso-labialis
bei Hemiplegie 1069.
Heznitonie apoplectica 412.
Heredität *187. *191. *571.
286. — u. Alcoholismus 267.
— u. Lage bei der Geburt
870.
Heredo-ataxia cerebellaris, cf.
Ataxie *188. 822. 901.
Heroin 137.
Herpes zoster *881. 507.
Herz acute Erweiterung 528.
Herzganglien 261. — u.
Vagus 951.
Herz Untersuchung 128.
Hilfsschulen 1115. 1131.
Hinken, intermittirendes 91.
768. 764. 1022.
linterstränge u.Muskelsinn 65.
— Schultze’sches Comma-
feld 814. — bei Syphilis 335.
lirn u. Seele 473. — Locali-
sation der geistigen Func¬
tionen 515.
lirnabscess *188. *380. *572.
*780. *988. *1154. — cf.
Kleinhirn 367. 368. 369(2).
370(2). 459. 460(8). 461.
462(2). 639.
lirnanatomie *186.*878.*570.
*778. *986. *1152. — der
Blindmaus 397. 398. —
Balken loses Hirn 12(2). —
path. Anatomie *187. *849.
*570. *1153. 873. — bei
Malaria 1021. — spec. '* e-
wicht 398. — der Vögel
636.— Hirnrelief auf Schädel
568. — der alten Egypter 848.
irnaplasie 67.
irnarterien, basale Aneu¬
rysmen derselben 413.
imatrophie 543. — senile
409. — sklerotische fami¬
liäre 904.
rnblatnng *1164. — cf.
Apoplexie, Hemiplegie. —
im Cortex 407. — bei Pfer¬
den 860. — Behandlung 413.
Hirnchirurgie, cf. Trepanation.
Hirnciroulation bei Coitus 287.
Hirncyste 1122. — wandlose
856. — Hydatiden 857.
Hirncysticerken *780. *988.
Himdruck 685.—nach Trauma
402.
Hirnersch&tterung 685.
Hirnfnnctionen 895.
Hirngefässe, Pathologie 423.
856. 857. 973. — cf. Arterio¬
sklerose, Endarteriitis.
Himgeschwulst *188. *380.
*571. *780. *987. *1154. —
cf. Pons u. s. w., Trauma. —
Kleinhirn, die einzelnen
Lobi 858.359.632.— Angiom
82. — Psammom 40. —
Cysticerkua 41. — Gliom
356. 358. — Sarcom 563.
565. — Endotheliom und
Cholesteatom 189. — Li¬
pome 363. — Rundzellen-
sarcom 357.— SDindelzellen-
sarcom 361. — Geruch dabei,
402. - u. Taboparalvse 518.
Hirngewicht, specifiscnes 398.
Hirnhäute, cf. Meningen.
Hirnhypertrophie 969.
Hirnkränkheiten, Diagnose
401. — conjugirte Deviation
408. — im Kindesalter 405.
syphilitische, cf. Syphilis. —
infectiöse durch Trauma
1109.
Hirnnerven, centrale Verbin¬
dungen 281.
Hirn Physiologie *167- *878.
*570. *986. *1153.
Hirnrinde, cf. Nervenzellen.
Läsion hei disseminirter
Sklerose 285. — Leichen-
Zersetzung 478. — tuberöse
hypertrophische Sklerose
867.
Hirnschenkel, Erweichnngs-
heerd 721.
Hirnscbenkelfuss, secundäre
Degeneration 856.
Hirnsinus *1153.
Hirnsinusthrombose, autoch-
thone 340.
Hirnsklerose, cf. Sklerore.
Hirnstamm, topographische
Anatomie 430.
Hirnsyphilis, ef. Syphilis 601.
Hirnventrikel, cf. Ventrikel.
Hirn Verletzung 1108.1150.—cf.
Schädelschüsse, cf. Trauma
359. 860. — Charakterver¬
änderungen 387.
Hochgebirge 1098.
Höhenclima 559.
Hörapparat, cf. Acusticus-,
Ohr-Taubheit. — u. Agora¬
phobie 611.
Hören, farbiges 1062.
Homosexualität, cf.Paradoxise.
— sexuelle Perversion 332.
Hungern u. psychische Lei¬
stungen 670.
Huntington'sche Chorea, cf.
Chorea progr.
Husten, nervöser, Therapie
609.
Hydranenoephalie 955.
Hydraplegie 972.
Hydrocepnalus 972.
Hydromyelus 415. — bei Hy¬
drops des 4. Ventrikel 183.
— symptomlos im Kindes¬
alter 1029.
Hyperprosexie 668.
Hypnotica, cf. Dormiol.
Hypnose 1146.
Hypochondrie 424.
Hypoglossuskern, Zellen des¬
selben nach Ausreissung des
Kerns 162.
Hypophysis *189. 215. 228. —
Physiologie 218. 219. 222.
— cf. Aoromegalie. — Ope¬
ration 710.
Hyphophysistumor 229.280 (2).
232(2). 265. 926.
Hysterie *189. *381. *578.
*781.*989.*1166.299.830.—
Symptomatologie:
Anästhesie 626. — Amau¬
rose 81. 584. 597. 606. 649.
— u. retrobulbäre Neuritis
74. - Angst 845. 890. —
Aphasie 95. — Astasie-
602 (2). — Augenbewegun¬
gen nach oben 46. — Chorea
912. 913. — Contractur
600(2). 601. — Corticale
Epilepsie 589. — Crurale
Monoplegie 601. — Facialis-
lähmung 601. — Gehörorgan
597. — Hyperhidrosis 596.
— Oedeme 524. — Ovarie
596. — Psychose 1149. —
Spastische Contraction des
Oesophagus 371.— Stottern
48. — Taubheit 594. —
Wirbelsäuledeviation 599.
600 (2). — Zuckungen 286.
— Zwangsirresein 594. —
Aphonie 603. — Tachypnoe
608. — troph. Störungen
der Haut 603. — Dämmer¬
zustände, cf. diese. —
Geistesstörung 610. — Pu¬
pillen 656. — mit Symp¬
tomen von Raynaud'scher
Krankheit 679. — Hemi-
spasmus glosso-labialis 1069.
Aetiologie: sexuelle Schä¬
digungen 594. — bei Kin¬
dern 602. 604. 606 (2). —
Unfall 1085. 1088. 1111.—
Diagnose: Epilepsie 626.
HyBteroepilepsie'15. 626.
*781.
y Google
1184
Icterus u. nerröte Erschei¬
nungen 19.
Idiotie *191. *382. *575. *783.
*991. 830. - epilept. 19. —
u. cerebrale Kinderlähmung
864. — Familiäre (Tay-
Sftchs) 118. 122. 905. —
u. Cretinumofl 868. — sen¬
sorielle 415. — Aetio-
logie: durch Alcoholiamus
der Eltern 269. — Cocai-
nismua des Vaters 867. —
Patholog. Anatomie:
tuberöse Sklerose 867. —
Microcephalie 867. 868.
Skeletveränderung 868. —
Ileus im Stat epilept 580.
Illusionen 1062.
Imbecillitas, cf. Schwach¬
sinn *191. *382. *575. *783.
*991. *1157. 658. - Auge
869. — Sprache 676.
Indigestion und Neurasthenie
1021.
Indncirtee Irresein 472.
Infantilismus 226.
Infectionshrankheiten u. Cho¬
rea 907. 908.
Influenza, Psychose 29. — u.
Nervensystem 264.
Infraspinatosreflex 840. 1143.
Intoxication, cf. Vergiftung
275. *382.
Intoxicationspsychosen *191.
*575. — cf. Alcoholismus.
Irrenanstalten, Bau 560. 716.
— Hessen 30. — Böhmen
979. — Weinsberg 1185.—
Alt-Scherbitz 514. — Alco-
holabstinenz 984. — und
Geisteskrankheit 1080. —
Entlassung aus Anstalt 120.
— Aerzte 920. — Land¬
wirt hschaft 283.
Irrenbehandlung *992.
Irrenfürsorge 425.
Irrenhfillsvereine 718.
Irrenklinik 773.
Irrenpflege, cf. Familien¬
pflege. — Pflegepersonal 558.
— u. Tuberculose 921. —
Böhmen 979.
Irrenstatistik 426.
Irresein, cf. Psychose.
Ischias, Aobillessehnenreflex
240.
Jackson’sohe Epilepsie, cf.
Epilepsie 28. 32. 176. 526.
824 (8) 1122. — bei Cysti-
cerkus des Grosshirns 41.
— hysterische 598. — sy¬
philitische 75 (2). 796.1067.
Trepanation 824. 825.
Äakodylsäure- Therapie 293.
967.
Kampher bei Morphiument¬
ziehung 966.
Kaninchen, Zwischen- u.Mittel-
hirn 975.
Katatonie *575. 25. 91. 801.
881. — period. 25. — im
höheren Lebensalter 688. —
Entstehung 776. — im An¬
schluss an erste Menstruation
987.
Kehlkopflähmungen 633. —
cf. Larynx.
Keraunoneurosen 1085. — cf.
Blitzschlag.
Keuchhusten, cf. Pertussis.
Kinder, Alkoholismus 268. —
Psychosen, cf. diese. — Sy-
hilis, cf. diese. — Anfänge
er abnormen Erscheinungen
im Seelenleben 556. —
Krämpfe 815. — Hydro-
inyelusl029.— Schule 1105.
1131.
Kinderlähmung, cerebrale 868.
864. — spinale, cf. Polio¬
myelitis ant. acut. — Sehnen¬
überpflanzung 568.
j Klavierspielerkrampf 178.
Kleinhirn*188. *880. *572 *780.
*1154. — Cholesteatom 44.
— phys. Exp. Rotation der
Bulbi 283. — Rundzellen-
saroora 357. — Tumoren,
differentialdiagnostiscb zu
solchen der Corp. quadri-
gemina 363. — Abscees
866. 367. 561. 562. — acute
Ataxie 435. — Histologie
452. — bei Selacbiem 458.
— Physiologie 456. 949. —
Sklerose462.— famil. 904.
— Tumoren 468. 464. 465.
—Ataxie 464. — Neurogliom
464. — Blutung 578.
Kleinhirn, Brückenläsionen.
Hemiasynergie u.Halbseiten-
zittern dabei 44.
Knienhänomen, of. Patellar-
renexe, Sehnenreflexe.
K nochenatrophie, reflectorische
872. 1112.
Koohsalzinfusionen 523. — bei
puerperaler Eklampsie 817.
Konlenoxydvergiftung *574.
*782.965. — Neurit. multipl.
172. — Encephalomyelitis
242. — u. Amnesie 964. —
Kohlenoxydlähmungen 965.
Kopftetanus mit Facialisläh-
mung 122.
Kopfverletzung, cf. Trauma.
— u. Geisteskrankheit 1118.
Korsakolf’sche Psychose 768.
*781.
Krämpfe *989. — localisirte,
in oberen und unteren Ex- I
tremitäten 814. — bei Kin¬
dern 815.
Krisen, gastrisohe, cf. Tabes,
Syringomyelie.
Kropf, cf. Glandul. thyreoid.
Lachen, spasmodisches, Loca-
lisation 723.
Lähmungen *989. — cf. Para¬
lyse. — asthenische, ot
Myasthenie.
Längsbündel, unteres 885.
Laminectomie, cf. Trepanation.
Landry’sche Paralyse *381.
*781. *989. 765.769(2). 770.
— cf. Neurit. multipl. —
und Polioenoephalomyehtis
406.
Landstreicher-Psychose 1146.
Landwirtschaft in der Irren-
pflege 288.
Larynx, centrale Innervation
455. 467. — Lähmung 633.
Lateralski eroee, amyotroph.
*880. 530. 546. 879.
Laune 760.
Leitung, centrifugale, im sen¬
siblen Endneuron 1102.
Lepra anaesthetdca 38. *381.
*573. *781. *989. — Kalk-
schwand der Knochen 376.
Lethargie der Neger, cf. diese.
Liq. cerebrospinalis, cf. Lust-
balpunction. — Abflussver-
hältnisse 554. — Abfluss
nach Rückenmarkrerletxmg
554. — nach lumbaler Cocain-
injection 554. — Leokocyten
555.
Lithiom carbon. gegen Epi¬
lepsie 16.
Lobus frontalis, cf. Gym
frontalis 357. — Hydatidcn-
cyste 357. — Endothelion
358. — Abeoess 459. —
Leistung u. Erkrankung 948.
— Einwirkung auf Stof¬
wechsel 1068. — Gummaia
1067. 1071. — Tumorei
1071. 1132. 1133. — ocei-
pitalis, Faserung desselben
64. — Sarcom desselben 861
Sehen 434. — Cyste 107t
— Erweichungsherde 1074.
1076. — parietalis 361
— Sarcom desselben 361. -
temporalis, Sarcom 960.
682. — Atrophie 40«. -
Abecess 460 (8). 461 (2). 461
672. — Myxoaaroom 632. —
Absoess 639.
Localisation in Hirnriade
217(2). 896. — für Sinaes-
sphären 216. 897. — ftr
Geschmacksempfindung«
287. 454. — für Hand 359.
— für psychische Function»
661. — für Geruch 288. —
für Sehen 434. 896. — ftr
Sensibilität 862. — ffc
motorische Centren 334. —
für Augenmuskelnerren 481
— für oonjugirte Bewegus
gen der Bulbi 217. — ftr
Nacken- u. Rnmpfnumkejs
y Google
1185
12.— für Speichel, Pancreas,
Galle 850. — für Erection
des Penis u. Samenabsonde-
rang 1019. — fflr Sphincter
ani 399. — fflr Agramma¬
tismus 409. — für Sprache
673. — snboortical: fflr
Innervation der Kehle 455.
— im Sehhügel: mimi¬
sches Centram 898. — für
Sensibilität 1004. — im
Rückenmark: für Blase,
Mastdarm n.Genitalapparat
456. — für Nervenkerne
499. — für Phrenions 542.
— Plex. brach. 542. — bei
Segmentdiagnose 548. 549.
— t Unterarmu, Handmus-
colator 745. — für Sphinc-
teren der Blase u. des Reo-
tnms 960. — für einzelne
Nerven 970.
Lnes, cf. Syphilis.
Luftcnren 606. — cf. Höhen-
knren.
Lnmbalpnnction, cf.Liqn. cere¬
brospinalis, Trauma 555 (2).
Lumbofemoralreflex 836.
Lnngentnbercnlosis und Peri-
nenritis 526.
Lnngentubercolosis n. Reflex¬
hyperästhesie 900.
HKagenaffectionen u. Druck¬
punkte der Haut 595. —
Geschwür 519.
Malaria 328.
Mandibularreflex, cf. Corneo-
Mandibularreflex.
Manganvergiftung, chronische
961. 978.
Manie, acute 917. — nach
InfectdoDakrankheiten 918.
Manisch-depressives Irresein
919.
Markscheidenfärbung, cf. Fär¬
be methoden!340. 497.
Marksegel,cf.Velum medulläre, i
Mastdarm, Centrum imRücken-
mark 456.
Medulla oblongata, cf. Bulbär-
affectionen.—Anatomie 280.
664. — Hypodermalarve
beim Pferde 466.
Medullarrohr, Rückbildungs¬
vorgänge 660.
Meniöre’scher Symptomencom-
plex *191. *574. 178. 174.
— hysterischer 698. — The¬
rapie 173. 174. 680.
Meningen *187. *879. *571.
*987. *1158.
Meningitis *187. *379. *779. 1
*987. — basilaris syph. |
praecox 78. — syphil. 503. |
— purulenta bei Influenza
265. — tuberculosa, Lym- ,
phocytose dabei 725. —
Aphasie 874. — spinalis
syph. 79. — serosa 366.
Memngomyelitis syph. 336.503.
— haemorrhagica bei Hun¬
den 1035.
Menstruation u. Psychose,.987.
Merkfähigkeit 671.
Migräne, cf. Hemikranie.
Mikrocepbalie, path. Anatomie
400. 513. 867. 868.
Mikrogyrie 458, path. Anato¬
mie 400.
Missbildungen des Central-
nervenBystems, cf. dieses,
Mitbewegungen 112.
Mörderinnen 1117.
Mongolismus 224.
Monstrositäten 500.
Moria bei Stirnhirntumoren
1188.
Morphinismus *782. —
Campher dabei 966. — De¬
lirium tremens dabei 966.
Morphium, Darmwirkung
639.
Morvan’sche Krankheit, cf.
Lepra, Syringomyelie 81.
Motiütät, Hirnmechanismus
259.
Motorische Bahn, primäre 888.
Mundraum, hinterer Theil
sensible Reize 592.
MuBkelelasticität 811.
Muskel, ehern. Aenderung bei
Entartungsreaction 757. —
bei Thomsen’scher Krank¬
heit 771.
Muskelatrophie*l 155.188. —cf.
Poliomyelitis. — arterieller
Druck 238, — progressive
507. 509. 547(2). — fami¬
liäre 510. — u. Tabes 320.
— Charcot-Marie’sche Form
479. — infantile progressive
spinale 508. — neurale 874.
— spinale 488. 510. —
spinal neuritische 537. 769.
— Duchenne-Aran 730.
Muskeldystrophie 488. 511(2).
512. 537. 622. *989.
Muskelfasern, elektr. Erregung
180.
Muskelkrämpfe, isolirte sub-
oorticaler Enstehung 642.
698. 748. 806.
Muskelsinn, Leitung desselben
in Hintersträngen 65.
MuskelpBeudohypertrophie, cf.
Muskeldystrophie.
Myasthenia pseudoparal. *380.
*572. *780. *988. *1154. 97.
154. 208.252. 303. 847. 890.
447. 490. 688. 1024. 1025
(4). 1026. 1027(3). 1028. -
cf. Bulbärparalyse asthen.
— paroxysmale 1022. —
myasthenische Reaction
1023.
Mydriasis, springende 78.
Myelitis *380. — cf. Com-
pressionsmyelitis, Spinal¬
paralyse — disseininirte
nach Kohlenoxidvergiftung
242. — syphilitica 526. —
transversa, hohe Sehnen¬
reflexe dabei 166. 819. —
haemorrhagica acutissima
bei Typhus 263.
Myelomeningitis 627.
Myoclonie *989. 875.
Myokymie 204. 690.
Myopathie, Sehnenreflexe
dabei 526,
Myo sklerose 976.
Myotonie 430.— atrophische
Form 185. *989. — bei Blei¬
vergiftung 204. 771 (8). 772
(2). — arterieller Druck 288.
639.
Myxidiotie 225.
Myxoedom *189. *781. *989.
*1155. 224(2). 225(2). 226
(2). 227 (2). 228. 229.613.—
cf. Cretinismus, Glandula
thyreoidea, Infantilismus.
Myxoedematöses Irresein 876.
Mvxoedemsymptome bei Para¬
lysis agitans 958.
JüTackenmuskeln, klon. Krampf
568.
Narkolepsie, cf. Schlafkrank¬
heit.
Nasenlächeln 1028.
Natron kakodyl, cf. Kakodyl-
säure.
Naturfors eher Versamm¬
lung 784.
Nebennieren, physiol. Wir¬
kung des Extractes 222. —
Degeneration 949. — wirk¬
sames Princip 756.
Negationsdelirinm, cf. Ver¬
neinungsdelirien.
Neger, Lethargie derselben,
cf. Schlafkrankheit.
Nerven, cf. vasomotor. Nerven.
— peripherische Lähmung
*381. *781. *1154.
Nervenfasern u. Nervenzellen
755. — autogenetische Re¬
generation 1090.
Nervenkranke, Volksheilstätte
1124.— Kinderschulen 1131.
Nervenkrankheiten bei syphil.
Arabern 478. — Classifi¬
cation 728.
Nerven, peripher, disconti-
nuirl. Zerfallprocesse 978.
Nervennetz, Golgi’s 729.
Nervenpathologie *879.
Nervenphysiologie *186.
*878. *986. — elektr. Er¬
scheinungen 980.
Nervenpräparate 647.
Nervenstumpf, centraler
naoh Nervendurchschnei¬
dung 87.
ed by Google
1186
Nervensystem, centrales,
cf. Syphilis. — Histologie
468. — allgem. Pathologie
1080. — Path. Anat.: bei
Anaemia perniciosa acnta
727.
Nerventonus, peripherischer
980.
Nervenzellen *186. *778. — u.
Nervenfasern 765.— Silber¬
imprägnation 497. — Energe -
tik 756. — Einwirkung von
Nicotin 811. — pynforme
Agpendices 178. — der
Hirnrinde 161. — Netz¬
werk 179. — des Rücken¬
markes, Riesensellen bei
Triton 811.
Neuralgie *189. *881. *578.
*781. *989. *1156. — cf. die
einzelnen Nerven, Ischias
u. s. w. — neurathenisohe
596.
Neurasthenie *189. *882. *578.
*989.*1155.598. 610.878. —
Kakodylsäuretherapie 297.
— Psychopathologie 598. —
bei Kindern 604. — Behänd!.
608. — objective Symptome
979. — Angst 845. 890. -
Pathogenese 593. — Luft¬
kuren 606. — Neuralgien.
596. — Pulsphänome 979.
— Seebäder 607. — Berg¬
steigkuren 607.
Neuritis, *189. *881.*573.*781.
*989. *1155. — arsenicalis
268. 279. 984. 962. 963. —
Aufsteigende Rückenmarks-
degeneration 171. — mul¬
tiple 512. 764. 765(2). 766
(2). 767(2). — der Gehirn¬
nerven 766. — Rückenmarks¬
veränderungen dabei 768. —
u.Psychose768.—alkoh. 268.
269. — bei Basedow 740. —
bei Carcinom 171. —bei Dia¬
betes 170. — gonorrhoioa
170. — Koblenoxydvergif-
tung 172. — puerperalisl69.
— bei Tubercul- u. senilem
Marasmus 879. — plex.
brachialis syph. 79. —
postpuerperalis 767. — Be¬
schäftigung 767.—c e r v i c a-
lis 171. — olfaotoria 402.
optica 171. 860. — Pu¬
pillen dabei 68. — retrobul-
laris und Hysterie 74. —
b. RüokenmarBerkrankungen
1038. — sacralis 171.
Neuritis interstitialis
hypertroph, progressiva
476. 567. — retrobulbaris
172. — bei Rückenmarks-
abscess 563. — segmentäris
879.
Neurofibromatosis des centra¬
len Nervensystems 83. —
cf. Perineuritis. —
626.
Neurococcus (Bra), bei Epi¬
lepsie 818.
Neurofibrillen, Eisenimprä¬
gnation 811.
Neuroglia, bei Geistes kr. 13.
— cf. Glia. — Structur u.
Histogenese 168. 950. —
Zellen 164. — bei Methode
Anglades 732.
Neurologia, Zeitschrift 882.
Neuron 971. 1084. 1090.
Neurosen, traumatische 416.
Neurose, vasomotorische 629.
Nicotin, Einwirk, auf Nerven¬
zellen 811. — Vergiftung966.
Nierenkrankheit u. Psychose
274. — cf. Urämie.
Nietzsche, Pathologisches 967.
Nucleus, oaudatus 215. 898.
— salivatorius 521. 848.
Nuptiales Irresein 471.
Nystagmus 728. — con¬
genitaler 903.
Obturatoriuskern im Rücken¬
mark 499.
Oculomotorius, cf. Augen¬
bewegungen.
Oculomotoriuslähmung, cf.
Ophthalmoplegie *989. —
recidivirenae 143. — und
Aneurysmen 418. — bei
Erweichungsherd im Hirn¬
schenkel 721.
Oedem, trophisches *381. —
umschriebenes bei Epilepsie
823.
Oesophaguskrampf bei
Hysterie 372.
Ohr u. Hysterie 597.
Oliven 11. — of. Pibrae olivo-
oerebellaree.
Olivenbündel, Helweg -Bech¬
terewsches 467.
Ophthalmoplegia, complexe 70.
*987 — externa 82. 121. -
mit period. Hebung u. Sen¬
kung des oberen Lides 70.
Opium, Darm Wirkung 689.
Opiumvergiftung u. Cannabis
ind. 266.
Opticus, cf. Amaurose, Ambly¬
opie, Sehstörungen, Neur.
opt. — Durchsohneidung
812. — Atrophie, hereditäre
78. — Schmierkur 118.
Orbioularis, Contractions-
reflector 109.
Osmiumschwärzung 981.
Osteoarthropathia, hypertro-
phioa, pneumica 781.
Osteomalacie 878. — u. Mor¬
bus Basedowii 880.
Othaematom bei Geisteskran¬
ken 1119.
Otitis, cf. Hirnsinusthrombose,
Hirnabscess. — media 66
867. 869 (2). 870.
Pachymeningitis, medulL
carcinomatosa 528. —
externa nach Pneumonie
628. — idiopath. 981.
Palmarreflex 169.
Pancreas, Reflexcentrum
161.
Paradoxia sexualis 372.
Paralexie, cf. Alexis 1104.
Paralyse, periodische familiäre
902. 903. 904. 905.
Paralyais agitans *574. *991.
*1156. 410. 518. 95». — mit
Myxödemsymptomen 958. —
Muskelwellen 1957. — path.
Anatomie 956. 957. 958. —
Sarcom 957.
Paralysis alternans 410.
Paralysis labio-glosso-pha-
ryngea, of. Bulbärparalyae,
cf. Pseudobulbärparalyse.
Paralysis progressiva, cf. Tabo-
paralyse *191. *888. *575.
*788. *991. *1157. 322. -
Symptomatologie 325.
— Frühsymptome 385. —
atypische 86. 428. — Pupil¬
len 817. — multiple Blutun¬
gen 826. — Blut 505. —
— u. multiple Sklerose 331.
— Aenderung der Form 427.
— u. Hirngeschwulst 518.
Aetiologie 825. — Sy¬
philis 117. 188. — Blei 273.
— Urämie 273. — Ver¬
lauf: schnellverlauf ende
711. — Pathogenese:
Toxine 326 (2). — Path.
Anat.: 824. 712.725. 1152.
— Neuroglia Wucherung 13.
— Topographie der Rinden-
degeneration 54. — Gan¬
glion ciliare und Gaaseri
817. 818. — Gangliociliare
661G efasa Veränderungen
324. 826. 688. — Lymp-
hocytose 725. — Rundsellea-
infiltration 424. — Dia¬
gnose 1155. — Hirnsjphilis
502. — Theranhie: 718.
— Serumbehandlung 328.
— Forensisch: Testa¬
mente 326.
Paramnesie, epilept 18.
Paranoia 776. — initiale Er
scheinungen 2.
Paraphasie, cf. Aphasie.
Paraplegie, cf. Pottasche
Krankheit — Schmerzhafte
bei Caroinomkranken 527.
— schlaffe 878. — spasti¬
sche 622. — Parrofsebc
Pseudoparalyse 1066.
Parese, pseudoparalytieche
1112 .
Patellarrefiex 319. 762. — im
y Google
1187
epileptischen Anfalle 19. —
bei Tabes 790.— cf. Sehnen-
reflex. — bei Rückenmarks-
querlisionen, of. diese. —
Fehlen bei Myelitis 488. —
bei Chorea minor 912. —
Pa vor nocfcnrnus 14.
Pedunculus, cf. Hirnschenkel.
Pellagra *189. *381.*781. *989.
770. — Sympathicns dabei
758.
Pemphigus, Rückenmarksver-
Änderungen dabei 524.
Peniserecti on u-Gehirncen trum
1019.
PerineuritiB u. Lungentuber-
oulosis 526.
Periodische Psychose 25. 50.
919 (2). 922.
Peroneus, Kern im Rücken¬
mark 499.
Persönlichkeit, 8paltung der¬
selben 612.
Pertussis, nervöse Störungen
265.
Phrenicus 179. — Ursprung
542.
Phthisis u. Neurasthenie 102.
Physostigmin u. Crare 12.
Pianistenkrampf 177.
Plantarreflex, of. Babinskischer
Reflex.
Platzangst 716.
Plexus braohialis, Neuritis,
of. diese. — Ursprung im
Rückenmark 542. 746. —
Lähmungen 1043. 1136.
Plexus choriodei 754. —Tumor
181. — Gliom 864.
Plexuslähmungen 1042.
Plexus lumbo-sacralis, Läh¬
mungen 1043.
Polioenoepbalitis 976.
Polioenoephalomyelitis 405.
451.
Poliomyelitis ant *1154. 507.
— cf. Muskelatrophie. —
Knochenatrophie dabei 874.
— acuteEpiaemie 505. —
anterior subacute 766. —
infantile 509. — der Er¬
wachsenen 507. 512. — im
Puerperium 169. — durch
Arsenik 280.
Polyneuritis, cf. Neuritis mul¬
tiplex.
Pons Varolii: Formatioreti¬
cularis 885. — Erweichung
861. — Geschwulst des¬
selben 43. 876. — Gumma
864. — Herd 400 (2). 411
(2). — bei Pseudobulbär¬
paralyse 468. 469.
»orenoephalie *879. 457.
924. 1064. 1065.
’oriomanie 1084.
’orose cerebrale 857.
'räparationsmethode 647. —
cf. Färbemethode.
Pseudobulbärparalyse 188.468.
469 (2). 470.
Pseudohypertrophie der Mus¬
keln, er. Dystrophie.
Pseudoparalyse 427. 428. —
alcoholistische 428. — syphi¬
litische 428. 429. — Säug¬
linge 74.
Pseudosklerose 902.
Pseudotabes syphilit 77.
Psychiatrie *382. *991. 419.
1077.
Psychische Leistungen und
Hungern 670.
Psychologie *191. *882. *674.
*782. *991. *1155. 284. 669.
851.
Psychosen, cf? die einzelnen
Psychosen, period. Psycho¬
sen *191. *383. *575. *783.
*991. *1157. — experimen¬
telle Erzeugung 638. — Ein-
theilung 778. 976. 1088. -
Symptomatologie:
Athemkrampf 89. — Be¬
achtungswann, of. diesen.
— combinirte 88. — Com¬
bi nirte u. assimilirte 866.
— Diabetes 274. — Dupuy-
tren’sche Fingercontractur
920. — Eifersüchte wahn,
cf. diesen. — Eigenbeziehung
cf. diese. — elektr. Unter¬
suchung 970 u. 1114. — im
Greisenalter 866 u. 1039.
— Hysterische Symptome
89. — Hysterie 610. *1149.
— im Kindesalter 418. 470.
— Menstruation, of. diese. —
Neurit mult., cf. diese. —
Othaematom 1119. — Schä¬
del 88 (Hinterhauptstypus).
— träum atiache 708. —
Vererbung 1147.— Aetio-
logie: Aberglauben 1039.
— durch Autointoxioation
472. — Blei, cf. dieses. —
Erysipel 265. — experimen¬
tell erzeugte 696. — Ge¬
fangenschaft, of. Gefängniss-
psychosen — Genitalleiden
bei Frauen 684. — indu-
cirte 472. — Influenza 29. —
Kopfverletzungen 1112. —
Landstreicher 1148. — Myx¬
ödem 876. — Nierenkrank¬
heit 273. 274. — Pertussis
265. — postoperative 287.
— im Puerpenum, of. Puer¬
peralpsychosen. — Spiritis¬
mus 774. — bei Tabes
1149. — Typhus 262. —
im Anschluss an Verheira¬
tung 471. — Path. Anat.
918. — Arteriosklerose 420.
— Verlauf: circuläre, cf.
diese. — periodische, cf.
diese. — plötzlich nach
Chloroformasphyxie eintre¬
tende Aufhellung des Geistes
84. — Remission 775. —
Diagnose: Simulation 870.
— Therapie *192. *884.
*576. *784. — Acute Er¬
regungszustände 125. —
Heroin 137. — Hedonal 188.
— Irrenanstalten, of. diese. -
Familienpflege, cf. diese. —
Landwirtschaft, cf. diese.—
Chirurgie 287. — Kakodyl-
säure 297. — Schilddrüsen¬
therapie 876. — Bett für
Unreinliche 1182. — Wach¬
abtheilungen 126.
Psychotherapie 1146.
Ptosis 349. 527.
Puerperalpsychoeen 471.
Puerperium: Neuritis mul¬
tiplex u. Poliomyelitis 169.
Pulsphänomen, neurasth.
979.
Pulsverlangsamung 864.
Pupillenbewegung *189.
*780. *987. *988. 69. 317.
— cf. Centrumciliospinale
Mydriasis. — Westphal-
Piltz'sches Symptom 150.—
myotonische 738. 837. 1000.
1052. 1187.
Pupillenreaction bei Nen¬
nt. optica 68. — bei Con-
vergenz 980. — paradoxe
989. 1012. — 1054.
Pupillenreflexe69.164.812.
Pupillenstarre, reflector.
*572. 69. 76. 1001. — u.
Ganglion oiliare 661. —
hysterische 688. — bei
Pseudobulbärparalyse 470.
— bei Lues 1068.
Pupillenträgheit bei Ac-
commodation n. Convergenz
788. 887.1052. - cf. myo¬
tonische Pupillenbewegung.
Pyramidenbahn 217. 260.
355. 856. 977. — Funotion
542 (2). — secundäre Dege¬
neration 855. 857.
Pyramidenstrang, ventro-
lateraler 584.
Badialislähmung 1045. 1081.
— durch Compression 239.
240. — n. Tabes 820.
Radiologie 736.
Rauschzustand, patholog. 272.
Rautengrube, cf. 4. Ventrikel.
Raynaud’sche Krankheit *189.
*381. *989. 515. 628. 677.
679. 976.
Reaction, myasthenische, cf.
Myasthenie.
Reaction szeiten bei Europäern
u. Malayen 851.
Reflexe *189. *381. *672. *780.
*988. *1154. — cf. Haut-,
Sehnenreflexe. — ober-
75*
tized by G00gle
1188
flächliche 112. — tiefe
112.
Remissionen bei aenten Psy¬
chosen 775.
Respirationscentren 821.
Riechbfindel, basales 897.
Riesenzellen 811.
Rindencentren, cf. Hirnrinde.
Rindenepilepsie, cf. JMkson'-
sche Epilepsie.
Rindentaubheit 1104.
Rfiekenmark *188, cf. Hinter-
stränge and Vorderseiten¬
stränge, Clarke’sche Säulen,
Locaüsation imRöckenmark.
—second&re Degenerationen
cf. diese. — Anatomie:
Bau 810. — Markscheiden-
entwickelung 10 — Forche
beim Kinde 259. — Hoff-
mann'scher Nervenzellen-
kem 858. — „Tract X“ 747.
— Verlauf der Hautsinn¬
bahnen 1018. — Sacraltheil
950. — laterale Forchen1064.
— Pathol. Anat: wahre
Heterotopie 141. — Ab¬
norme Entwickelung 958. —
Syringomyelie 1029. — Neu¬
rome bei Syringomyelie 1082.
— Myelom 1082.
R&ckenmarksabscess 555.
Rückenmarksabschnitt, unte¬
rer, Pathologie 66.
R&ckenmarksblutungen 710.
— in Schwangerschaft 1086.
Rfiokenmarkscocainisation
284.
Röckenmsrkscompression, cf.
Compressionsmyelitis.
Rückenmarkserkrankungen.cf.
Myelitis, Spinallähmungen,
syphilitische, Syphilis, Trau¬
ma *880. *780. *988. — bei
hereditärer Syphilis 74. —
Syphilis 79. — in Folge
von Wirbelverletzung 884.
— poettraumat. 982. —
Segmentdiagnose 548. 549.
— Neuritis optica dabei
1088.
Rückenmarksgesoh Wülste, cf.
R&ckenmamhäute *880.
*1154.1088. - Gliomatose
86. — cf. Syringomyelie. —
Endotheliom 551. — Glioma
sarcomat ödes 551. —Fibrom
620. — Neurome 1038. —
Sarcom 552. — Teratoid
558. — Segmentdiagnose
549. — metastatisches Car-
cinom 1087.
Räckenmarkshäute, cf. Dura
mater spin. — Geschwülste
derselben 684.
Rfickenmarksinjection mit Co¬
cain, cf. dieses.
Rückenmarkakrankheiten 560.
*572.
Rückenmarksauerläsion, Seh- Seelenthätigkeit, Schwukao
nenrefleze aabei 165. 166. gen derselben 759. - u.
167. 385. 488. Energetik 1189.
Rflckenmarksveränderungen Sehbahn, cf. Opticus 397.
bei Syphilis 385. 386. — bei Sehfasern, centrale (Bindes-
Monstrositäten (Hemimelia) sehhügelfasem) 64 (2). — i
600. — bei Neurit multipl. Zweihügel 458. — Bshoea
768. — bei Säuglingen mit- 899.
telstMarchi-Metnode500. — Sehcentrum 65.
bei Pemphigus 524. — bei Sehen, oortdcales, Physiologe
Diphtherie 545. — post- 422. 484.
traumatische 545. — bei Sehhügel, cf. Thal, opt
Unterarroamputation 742. Sehnenüberpfianzung bei ipi-
Rückenmarksverletzungen, cf. naler Kinderlähmung 568.
Wirbelsäule, Trauma 66. ; Sehnenreflex 762, cf. Achill»
885. 554. sehnenreflex, Patetlanvflei.
Rückenmarkszellen, motor. Supinatorreflex, Tibialis-
Veränderungen nach Reeeo- phänomen, Tricepsreflex. -
tion peripherischer Nerven Ermüdung derselben 146 -
497. an oberen Extremitäten 165.
— bei totaler Quenchnitte-
unterbrechung des Bückeo-
Macralmark 950. marks 165. 166.167. - bei
Samenabsonderung, Gehirn- Myopathieen 526.
centrum 1019. Sehnerv, cf. Opticus. — Atro-
Scapula, Hochstand u. Cucul- phie bei Hemiplegie 407.
larisdefect 1102. Seitenstrangsklerose, et Late-
Schädel, degenerirtor 38. — ralsklerose.
Gehirnrelief 568. Selbstmord *191.
Schädelbasis, Deformationen Sensibilität *778. — et Tast-
derselben 414. sinn.
Sohädelfmctnr, Depression b- Sensible Bahnen 149. 1004. -
fraotnren 1107. Uebergang ans Modul!» io
Sobädelgrube, Tumoren 402. Mednlla oblongata 290.
— Lageweohsel dabei 567. Seramtherapie bei Epilepsie
— vordere, Tumor 46. 819.
Schädelhyperostose.basale414. Sexualität *191. *883. *575.
Scbädelsohüsse, geheilte 1107. *991. *1157. - ctSütlidi-
*571. 1108(2). 1109. keitsverbrechen.
Schädelverletzung 859. Sexualorgane, weibliche und
Schilddrüse, cf. Glandula thy- Nervenerkrankungen 899.
reoidea. Sexuelle Perversion, cf.Ho»>
Schlaf 1102. — Himblutleere Sexualität, Paradoxie.
756. Sexuelle Zwischenstufen 831.
Schlafkrankheit der Neger 24. Simulation, ef. Psychose 870.
*879. Sinnessphären, Ausdehnung
Schlaflosigkeit 286. im Cortex 216.
Schleife, corticale 142. — Ver- Sinnestäuschungen, cf. Hsuu-
häliniss zum unteren Längs- cinatdonen.
bündel 885. Sinus, cf. Hirnsinus.
Schreibkrampf 177. 718. 915. Sittlichkeitsverbrechen 1081.
Schrift u. Sprache 1103. Sklerodaktylie 718.
Schultergürtel, Zuckungen 286. Sklerodermie *381. *989.515.
Scbultzerscbe Konimadegene- 976(2).
ratiouen, cf. Rückenmarks- Sklerose des Hirns, tubero»
degeneration, Kommafeld hypertrophica 867. 877. 8jb.
814. 544. — cf. Pseudosklerose.
Schwachsinn, cf. Imbecillitas. Sklerose, multiple *188. w
— Formen desselben 558. *780.*988.*ll54.-frffiü»n
— Schulkinder 1115. 908. — Hirnrinde 885. *7
Schwindel 679. Zittern, eine. 327.—Sei“ 1 “!'
Seebäder bei Nervenschwachen litätastörungen 327. - ®
607. Lachen u. Chores bei asm
Seekrankheit *574. 680(2). 7jähr. Kinde 827. -■ “““
Seele u. Leib 669. Paralye. agitans 518. ■-
Seelenblindheit 686. — cf. Manganvergiftung7229
Agnosie. — Störung des stereopw
Seelenlähmung 615. Sinns 827. — Aetiologie**
Seelenleben u. Hirn 473. — u. progr. Pars 90
1189
— u. Malaria 328.—Trauma
329(3).
Skoliose bei Syringomyelie,
of. diese.
Somnambulismus 235.
Spasmus glottidis 1121. —
nutans 915.
Speichelsecretion > Centnim&21.
848. 850.
Sphineter ani, corticale Inner*
vation 399. — Tonus u.
Innervation 875.
Spina bifida, Veränderungen
im Gentralnervensystem 130.
Spinalganglien u. Vasodila¬
tation 180. — Entwicklungs-
störungen 315. — Patho¬
logie 315. 985. — das endo-
ceüuläre Netz Qolgi’s 729.
Spinalganglienzellen, cf.Tabes.
Spinalparalyse, syph. 118. —
spastische hereditäre 903.
926.
Spinalpunction, cf. Lumbal-
punctdon.
Spiritismus u. Geisteestörung
774.
Spondylitis, of. Spondylosis.
Spondylosis rhizomelica 177.
— cf. Wirbelsäule, ankylo-
sirende Entzündung.
Sprachcentrum, cf. Aphasie.
Sprache 674. — schwerhöriger
Kinder 676. — Schwer¬
höriger 677. — Entwick¬
lung 1074. — und Schrift
1103. 1104.
Sprachstörungen *991. — cf.
Aphasie, Agram matismus.
— bei Abscess des linken
Schläfelappens460.—geistig
zurückgebliebener Kinder
676. 867.
Sprachtaubheit, cf. Aphasie.
Status epilepticus, cf. Epilepsie
411. — Kothbreohen 536.
— Dormiol 827.
Stauungapapille, cf. Opticus.
— u. Geruchsstörung 402.
— bei Hirnblutung 408. —
Pathogenese 925.
SteBographie 1103.
Stereoagnosie 307. — cf. Aste-
reognosis.
Stimmbildung, subcerebrales
Centrum 455.
Stokee-Adam’sche Krankheit
864. 1065.
Stottern, hysterisches 48.
Itrangerkrankungen d.Rüoken-
marks, of. Rückenmark.
Itruma, cf. Gland. thyreoidea.
Inletts Rolandi, Anomalieen
457.
Inlfonalwirrung 688.
Inpinatorreflez 165.
Inpraorbitalreflez, cf. Augen¬
reflex 107. 147. 843. 1040.
ympathicus, cf. Gangl. cerv.
— Anatomie u. Physiologie
662. — Nebenorgane 923.
— Durchschneidung 850. —
Sensibilitätsverhältniss 664.
— Lähmung 678. — bei
Pellagra 758. — Ectomie
bei Epilepsie 23. 827.
Syncope, cf. Raynaud’Bcbe
Krankheit
Syphilis, cf. Paral. progr.,
Tabes, 8yringomyelie u. s. w.
*190. *882. *574. *782 *990.
*1156. — anatom. Veränder.
77. 78. 623. — bei Arabern
478. — Blut dabei 505. —
Gesichtsfeldaufnahme 981.
— des Centralnervensystems
77 (2). 78 (2). 182. 288. 502.
— Diabetes mellitus 504.
— Epilepsie 76. 792. —
Gangraena arteriosclerotica
80. — Gingivitis 504. —
hereditäre 74. 75 (2). 118.
122. 815. — des Hirns 501.
— Jackson’sche Epilepsie
75. 796. 1067. — bei Kin¬
dern 502. 504. — Meningitis
basilaris 78. 503. — Menin¬
gitis spinalis 79. 335. 503.
— und Nervensystem 116.
478. 623. — Parrofsche
Pseudoparalyse 1066. —
Plexusneuritis 79. — des
Pons 364. — Psychose 1067.
— refleotorische Pupillen-
starre 76. 1068. — des
Rückenmarks 79. 335. 503.
526.1068.1069. — Syphilis-
Berum 80. — Syringomyelie,
cf. diese. — u. Tabes 501.
— Therapie 505. 1068. —
WebePscher Symptomen-
complex 129.
Syringomyelie, cf. Glioma-
tose, Morvan’sche Krankheit.
*188. *380. *572. *780. *988.
*1154.84.1029.1031.1136.-
Arthropathie 1032.—Blasen-
störungen 1032.—Fracturen
1085. — gastrische Krisen
1085.— Hautstörungen 1081.
— Kehlkopflähmung 683.
— nach Lues 1081. —
Neurome 1032. — Patho¬
genese 480.1029. — Pathol.
Anat 1030. — Rückgrats¬
verkrümmung 1083.— 8kle-
rodaktvlie 719. — Spas¬
modische Form 1080. —
Störung des Temperatur¬
sinns 81. — Trauma als
Ursache 1030. 1031. 1082.
1033.
Tabak, cf. Nicotin.
Tabes *188. *380. *572. *780.
*988. *1154. — Sympto-
m atologie: athetot Bewe¬
gungen 528. 719. — Schmer¬
zen 788. — Koliken 820. —
Muskelatrophie 320.— Knie¬
reflex 819.791.—Hämatopor-
phyrinurie 320. — Achilles-
sehnenreflexe 240. 789, —
Blut 505. — Erstsymptome
786. — Arthropathie 322.
— Radialislähmung 320. —
nioht paralytische Geistes¬
störung 1149. — Aetio-
logie: infantile 113. 121.
— Syphilis 117. 318. 501.
1068. — juvenile 321. 618.
— Verlauf 617. — Path.
Anat. 316. 317 (Gangl. ci¬
liare, Gangl. Gasse ri u.b.w.).
661 (Gangl ciliare). —
Diagnose: Pseudotabes
syph. 77.
Taboparalyse 518.
Tachypnoe, nervöse 603.
Tapetum 215.
Tastfasern, Verlauf 467.
Tastsinn, cf. Stereoagnosie 662.
— im hinteren Mundraume
592. — Aesthesiometer 882.
Taubheit, hysterische, cf.
Hysterie. — corticale 1104.
Taubstummheit, Entwick¬
lung der Sinnesorgane dabei
416.
Telephonistinnen Unfall
1086.
Temperatursinn, Störung bei
Syringomyelie81.— Prüfung
974. — Topographie 261.
Tetanie *190. *362.*574.*781.
*989. *1155. 1120. — Epi¬
demie 186.— gastrische 136.
194. — bei chron. Bleiver¬
giftung 199. — Zunge dabei
684. — Aetiologie 223. —
Pathologie 578. — bei Kin¬
dern 815,1121.—mit Arthro¬
pathie 223.
Tetanus *190. *882. *574.
*782. *990. *1156. — bul-
bärer 189. — cf. Kopftetanus
Thalamus opticus 64. 65. —
cf. Sehfasern. — Blutung
528. — Gliosarcom 680. —
centripetale Bahnen 1004.
— mimisches Centrum 898.
— absteigende Degeneration
1017. — Tuberkel 1186.
Therapie *192. *576. *784.
*1157.
Thomsen’sohe Krankheit, cf.
Myotonie.
Thymus, cf. Gland. thymus.
Thyreoidea, cf. Gland. thyreoid.
Thyreoidismus, cf. Basedow'-
sche Krankheit.
Tibialiskern im Rücken¬
mark 499.
Tibialisphänomen 548.
Tickrankheit *190. *782.
*990. 45. 567. 640. 911.914.
y Google
1190
915. — im Gesicht o. Hals
46. — wechselnde 724. —
geistiger Zast&nd 914. —
Haitangstic 725. — Behand¬
lung 608.916. — Volta’sches
Bogenlicht 285.— u. Schreib-
knunpf 915.
Torticollia spasmod. 528.
Tract. antero-later. asoendens,
cf. Gowers’sches Bündel. —
olfact, cf. Balb. olfact —
gliomatöse Entartung 858.
— opt, cf. Opticns.
Trapexms, cf. Cacallaris.
Trauma, *190. *882. *674. *779.
*782*990*1165.— cf.elektr.
Entladung, Schädelfrao-
turen, Hitzschlag, Epilepsie,
416. — des Schädels*571.
22. 23. 359. 1075. 1107(3).
u.Hirndruok402.— u. Hirn-
geschwulst 860. — u. Cha¬
rakterveränderungen 888.—
Geisteskrankheiten 1118. —
u. hvster. Amaurose 654. —
Hysterie d.Ohrs598.—u.Epi-
lepsie 822.— des Rücken¬
markes 66. 834. 554. —
osttraumatische Er-
rankung 545.982.— des
HalBsympathicus 678,
— der Wirbel 384. — re-
flectorisohe Knochen¬
atrophie 872. — multiple
Sklerose *572. 329 (8). — u.
infeotiöse Hirnerkrankungen
1109. — Syringomyele, cf.
diese. — Knochenatrophie
1112. — Muskelatrophie
547(2).— Hysterie bei Tele-
f )honi8tinnen 1085. — Un¬
allhysterie 1088.1111.1112.
Tremor, of. Pseudoparalyse. —
halbseitiger 44. — essen¬
tieller 238.
Trepanation des Schädels 630.
685. 860. — bei jungen
Thieren 813. — bei Idiotie
u. Epilepsie 19. — bei Epi¬
lepsie 22 (2). 23. 24. 826.
832. — bei Syphilom des
Stirnlappens 1071. — bei
Cyste des Hinterhaupt¬
lappens 1073. — bei Psam¬
mom des Grosshirns 40. —
bei Jackson'scher Epilepsie
75. 824 (3). 825. — bei
Hydatidencyste des Stirn¬
hirns 357. — bei Geschwulst
im Lob. front. 358. — bei
Schädelverletzung 359. —
bei Geschwulst im Lobus
parieto-occip. 861. — bei
Hirngeschwulst 361. 362.
565.1188. — beiHirnabscess
369 (8). 870 (8). 459. 460
(2). 467^ 462. 672. — bei
K^einhirntumor 466. — der
Wirbelsäule550.620.684.
Tricepsklonus 640.
Tricepsreflex 165.
Trigeminus, Geschmacks fasern
813. — Neuralgie, cf. Gang¬
lion Gasseri. — Wurzel,
spinale 467. — Facialis-
reflex, of. Supraorbitabeäex.
Trinker, of. Trunksucht
Trinkerheilanstalt 270(2).
271 (2). 272.
Trophische Störungen 858.
Trophoneur otische
Knochenatrophie 372. —
Hautgangrän 522.
Trunksucht, Statistik 269.
cf. Alkoholismus.
Typhus u.Nervensystem262.
— u. Myelitis 262. u. Poly¬
neuritis 766.
Uebungstherapie, cf. Tabes
1088. —bei nervösen Husten
609.
Ulnaris, traumat Lähmung 28.
Unfall, cf. Trauma 416.
UnfallneuroBen 416.
Unfallkranke, cf. Trauma.
Unreinliche Geisteskranke,
Bett 1182.
Urämie u. Psychose 273.
Urin bei Epilepsie 820.
Vagus, of. Acc688orius. —
Sensibilitätsverhältnisse 664.
— Physiopathologie 950.
Vasomotorische Nerven 180.
— Einfluss auf Blutgefässe
1068.
Velum medulläre post. 1101.
Ventrikel, vierter, Hydrops
desselben 188. — Gliom 866.
— cf. Plexus ohoriodeus. —
Cvsticercos 566.
Verbrecher, geisteskranke 681.
— cf. forens. Psychiatrie.
Vergiftungen *190. *782. *990.
*1156.
Verneinungsdelirien 28.
Vertigo, cf. Schwindel.
Vioq a’Azyr’sches Bündel 409.
Vierntigel, cf. Corpora quadri-
geroina.
Virchowf 883.
Volksheilstätten 1124.
Voltaisation 7.
Vorderhornzellen, of. Nerven¬
zellen. — Ceotrosomeu da¬
rin 258.
VOrderseitenstränge, endogne
Fasern 134.
Wärmeempfindliohkeit, cf.
Temperatuninn. — T«po-
grapnie 261.
Wahnvorstellung der Ver¬
neinung, cf. diese.
Wandertrieb, cf. Poriooisk.
Weber’scher Symptomen*«-
plex 42. 129.
Westphal-Pilz’schee Symptoa
150.
Westphal’sohes Zeickea cf
Patellarreflexe.
Wiederkauen 1102.
Willensfreiheit 761.
Winterkuren im Hoch-
gebirge 1098.
Wirbelsäule *188. *380. *571
*780. *988.*1154. - Demi
u. Contracturen netrot. Ur¬
sprungs 599. 600 (2). -
ankylosirende Entiis-
düng *380.—Verkrtmnag,
cf. Syringomyelie. - Ver¬
letzungen 334.
Wortblindheit 1075.
Worttaubheit 672.
Wurzeln des Rückenmarks, d
Lumbalwurzeln u. s. s. -
hintere u. GeSsBoröe-
rung, 180. — Degeuen*»
bei Hirndruck u. bei
krankheitsn 865. - vor¬
dere: Degeneration W
Hirndruck u. bei Zehrkmk
heiten 865.
Yohimbin 967.
Zehenreflex, cf. Bsbinski'ieka
Reflex.
Zelle, cf. Nervenzelle.
Zittern, of. Tremor.
Zange, cf. Hypoglossoa - «
Tetanie 634.
Zungenkrampf, isolirter, »
hereditärer Basis 77.
Zurechnungsfähigkeit, cf. b
rensische Psychiatrie. -
verminderte 783.
Zwangsbewegung 283.
Zwangserbrechen 602.
Zwangslachen 859. 861.
Zwangsvorstellungen 27. &
611.1117.. — sexuelle IW*
Zwerchfell of. Phreoicua
Zwillingsirresein 29.
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